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FRANZ VON ASSISI
UND DIE ANFÄNGE DER
KUNST DER RENAISSANCE
IN ITALIEN
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FRANZ VON ASSISI
UND DIE ANFÄNGE DER
KUNST DER RENAISSANCE
IN ITALIEN
VON
HENRY THODE
ZWEITE, VERBESSERTE AUFLAGE
BERLIN
G. GROTE'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
1904
A/
ÜBERSETZUNGSRECHT WIE ALLE ANDEREN RECHTE VORBEHALTEN.
DRUCK VON FISCHER & WITTIG IN LEIPZIG.
VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE
Dieses Buch ist die Frucht eines längeren Aufenthaltes in
ItaHen. So zahllos, so verschiedenartig die Eindrücke waren, welche
Natur und Kunst auf den Wandernden hervorbrachten, nirgends hat
er in seinem Innersten sich tiefer ergriffen gefühlt, als in Assisi,
der Heimath jenes großen Mannes, in dem wie in keinem anderen
der tiefste, geheimnißvollste Geist des Christenthumes sich seiner
selbst bewußt geworden und leuchtend in die Erscheinung getreten
ist. In des Franziskus stiller Grabeskirche glaubte ich die Be-
deutung, die dieser Mensch und sein grenzenloses Gefühl für die
Menschheit und ihr ideales Streben gewonnen hat, zu ahnen, ja
lebendig in mir selbst zu empfinden. Die halbbekannten schlichten
Legenden , die ich hier wieder las , die alten Fresken ringsum an
den Wänden, vor denen ich Stunden, Tage verbrachte, erschienen
mir in einem neuen Lichte, — ein geheimnißvoller Zusammenhang
zwischen Franz von Assisi und Giotto , zwischen dem Wesen und
Inhalt des Franziskanerthums einerseits und der jugendlichen toska-
nischen Kunst andrerseits ward mir klar!
Als ich zum zweiten, zum dritten Male nach Assisi zurück-
kehrte, geschah es mit einem intimeren Verständniß, vielseitigerer
Kenntniß jenes Jahrhunderts, dem Franz angehörte. Es begleitete
mich die Erinnerung anjacopone's Lieder, an Bonaventura's mystische
Schriften, an des Berthold von Regensburg Predigten; die Erinnerung
auch an alle die großen dem Heiligen geweihten Kirchen Italiens,
an eine unübersehbare Menge von Kunstwerken, die ihn und seine
Legende darstellen, an die christliche Kunst des Trecento überhaupt.
Die mannigfachen Beziehungen zwischen der italienischen Kultur
des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts und dem Wirken
und den Anschauungen des Franziskus ergaben sich in großem
Zusammenhange.
TTT Vorwort.
Dann für länger in die Heimath zurückgekehrt, ging ich an die
Arbeit, den überreichen Stoff zu sichten und zu ordnen, zugleich
mir eine möglichst eingehende Kenntniß der älteren italienischen
Litteratur, namentlich derjenigen der Franziskaner, ferner aber auch
der neueren kritischen Forschungen auf diesem Gebiete zu erwerben.
Daß dieselbe nicht ohne große Lücken bleiben konnte, werden
alle Diejenigen, welche den Umfang und die Schwierigkeit eines
solchen Studiums selbst kennen gelernt haben, zu verzeihen wissen.
Nur allzuwohl bin ich mir bewußt , für wie manche Versäumniß
mich die Forscher auf dem Gebiete der Kirchen- und Litteratur-
geschichte zur Rechenschaft ziehen dürften ~ bewußt aber zugleich,
nach möglichster Vollständigkeit wenigstens gestrebt zu haben.
Während dieser Studien selbst verdanke ich die erfreuendste Auf-
munterung und die kräftigende Ueberzeugung , mit vielen meiner
Anschauungen nicht allein zu stehen, sondern unabhängig von
anderen Historikern den ihren doch vielfach ähnliche Gesichtspunkte
gefunden zu haben, vor Allem Hermann Hettner's kurzem,
aber inhaltreichem Aufsatz: „Die Franziskaner in der Kunst-
geschichte" (Kleine Schriften, Braunschweig, Vieweg 1884, früher
in Nord und Süd, Bd. XIX, 1881 veröffentlicht), den kurz charak-
terisirenden Bemerkungen Anton Springer 's (in den Kunst-
historischen Briefen, Prag 1857 und im Textbuch zu Seemann's Kunst-
historischen Bilderbogen), Ernest Renan's Aufsatz über Franz
von Assisi (Nouvelles Etudes d'histoire religieuse, Paris, Levy 1884)
und den von Cristofani wiedergegebenen feinsinnigen Betrachtungen
einer in Rom heimischen Dame (II settimo centenario della nascita di
S. Francesco d' Assisi. Assisi, Sensi 1881, IV. Bd., S. i ff.). Daneben
wäre wohl dieses oder jenes Kapitel in mancher von katholischem
Standpunkte geschriebenen Biographie des Heiligen, auch in dem
zuletzt erschienenen Prachtwerk „Saint Frangois d'Assisi" (Paris,
Plön 1885), das aber von besonderem Interesse nur durch die
große Fülle von Reproduktionen aller auf Franz bezüglichen Kunst-
werke ist, anzuführen, unterschiede sich nicht meine geschichtliche
Betrachtung des Mannes, der Zeit und der Kunst durchaus von
derjenigen solcher zum Theil mit hohem Schwünge und warmer
Begeisterung geschriebener, aber mehr oder weniger mystischer
Verherrlichungen. Gerade was das Geschichtliche, die historische
Kritik betrifft, durfte ich auf dem durch Hase gewonnenen sicheren
Boden weiterbauen und, von jedem konfessionellen Standpunkte
Vorwort. VII
absehend, zu einer, wie ich hoffe, wohl begründeten, gerechteren
Würdigung des großen ,, Menschen" Franz gelangen.
Dem Charakter des Buches schien es mir angemessen , wenn
ich es mit möglichst einfachen, aber instruktiven und die alten
Originale getreu wiedergebenden Abbildungen versah. Nicht um
eine kostspielige Publikation der Kunstwerke konnte es sich handeln,
sondern eben um den Text erläuternde Illustrationen und zwar
solche, die genügten, dem Leser eine Anschauung der Kompositionen,
auf die es im Wesentlichen ankommt, zu geben. Das Material zu
eingehenden stilkritischen Vergleichen kann nur eine mit allen
Mitteln moderner Technik hergestellte große Pubhkation der wich-
tigen Fresken zu Assisi gewähren — möchte dieselbe nicht zu
lange mehr auf sich warten lassen !
Berlin, im Oktober 1885.
Henry Thode.
VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE
Neunzehn Jahre sind verflossen, seitdem dieses Buch erschien.
Lange unbeachtet, ja todtgeschwiegen, hat es allmählich und müh-
sam seinen Weg machen müssen, bis es zur allgemeineren Kenntniß
gelangt ist. Inzwischen erlebte die 1894 von Paul Sabatier ver-
öffentlichte Vie de St. Frangois mehr als dreißig Auflagen. Wer
sie liest, erfährt Nichts davon, daß ihr ein deutsches Werk, dieses
mein Werk vorangegangen, in dem die von Sabatier geltend ge-
machte neue Auffassung des Mannes von Assisi bereits gegeben,
nämlich der Versuch gemacht worden war. Dessen Bild, von allen
konfessionellen Trübungen befreit, nach seiner rein menschlichen
Herrlichkeit in schlichten Zügen zu zeichnen und den großen Wohl-
thäter der Menschheit in seiner geschichtlichen Stellung und Be-
deutung für die Welt zu würdigen. Konnte ich, bei aller Berück-
sichtigung des Unterschiedes im Charakter der beiden Bücher, nicht
umhin, mich über die Ungleichartigkeit ihres Schicksals zu ver-
wundern, so beeinträchtigte dies doch in keiner Weise meine Freude,
an der begeisterten Aufnahme der durch ihre lebhafte und aus-
schmückende Darstellungsweise fesselnden französischen Biographie,
VIII Vorwort.
auch seitens meiner Landsleute, zu gewahren, in wie hohem Grade
die verständnißvolle Theilnahme für Franz von Assisi gewachsen
ist. Meine hiermit neu auftretende Arbeit darf ihrer gewiß sein.
Trotzdem eine ungemein umfangreiche, ja kaum mehr zu be-
herrschende Litteratur während der letzten zwei Jahrzehnte in
Sonderheit über die Quellen zur Geschichte des Franziskus ent-
standen ist, habe ich an meiner Darstellung von Dessen Wesen
und Leben Nichts zu ändern, außer in einigen Kleinigkeiten, über
welche Karl Müller's verdienstvolle 1885 erschienene Forschungen:
,,Die Anfänge des Minoritenordens und der Bußbruderschaften" be-
lehrten. So manche interessante einzelne Bestimmungen über die
frühesten und späteren Biographen durch sorgfältige Untersuchungen
und Prüfung des Handschriftenmateriales , um welche sich Sabatier
sehr verdient gemacht hat, gewonnen werden konnten, so hat sich —
dies muß mit aller Bestimmtheit ausgesprochen werden — Neues
für die Kenntniß des Heiligen so gut wie gar nicht ergeben. Die
zahllose Meinungen und Hypothesen hervorrufende Behauptung
Sabatier's, das von ihm scharfsinnig rekonstruirte und nachgewiesene
Speculum perfectionis sei eine älteste wichtigste Quelle, welche an
Bedeutung Thomas von Celano übertreffe, ist irrig und irrig war
die von den Franziskanern Marcellino da Civezza und Teofilo Do-
menichelli gemeinsam mit Sabatier behauptete Entdeckung einer
,, vollständigen" Legende der Tres Socii. Hier liegen merkwürdige
und lehrreichste Zeugnisse dafür vor, wohin bestimmte Voraus-
setzungen und Hyperkritik führen und welche Vergeudung von
Zeit und Geist sie veranlassen können. Nach allen bis zur Er-
schöpfung geführten Verhandlungen bleibt es nach meinen im An-
hang (S. 586 — 609) gegebenen Darlegungen einfach dabei, daß des
Thomas von Celano zwei Viten die fast Alles in sich schließenden
entscheidenden Quellen unserer Kenntniß von Franz sind, und eben
ihnen entnahm ich das Thatsächliche und die Auffassung für meine
Darstellung. Wenn ich die Legenda trium sociorum, die ich als
abhängig von Thomas schon früher erkannt, jetzt mit Anderen für
eine spätere, als Fälschung entstandene Kompilation halte, so ändert
das insofern Nichts, als ich sie nur nebensächlich angeführt habe.
Eine Darlegung und Kritik der gesammten neueren Quellen-
forschung, an welcher sich neben Sabatier vornehmlich die beiden
genannten Franziskaner , Mandonnet , P. d'Alengon , P. d'Araules,
van Ortroy, Faloci-Pulignani, P. L. Lemmens, Tocco, Della Giovanna,
Vorwort. IX
Salvatore Minocchi, P. Ehrle, Walter Goetz, Tilemann und H. Boehmer
betheiligten, bringe ich mit den entsprechenden Citaten ihrer Arbeiten
im zweiten Abschnitt des Anhanges.
Als dauernden werthvollen Besitz der Litteratur begrüßen wir
— um nur die wichtigsten anzugeben — eine Anzahl von Quellen-
publikationen : die seit 1 898 von Sabatier in Paris veranstalteten
Ausgaben des Speculum perfectionis , des Floretum S. Francisci,
der Actus B. Francisci et sociorum ejus und des Fratris Francisci
Bartholi de Assisio tractatus de indulgentia S. Mariae de Portion-
cula, die Ausgaben der Legenda trium sociorum seitens Michael
Faloci-Pulignani's (FoHgno 1898), der Legende des Julian von
Speyer seitens d'Araules' (La vie de St. Antoine de Padoue, Paris
1899), des „Traktates von den Wundern" von Thomas von Celano
seitens van Ortroy's, des Bernardo da Bessa ,,de laudibus" durch
den P. Ilarino von Luzern (Rom 1897), der Chorlegende des Johannes
durch d'AIengon (Spicilegium franciscanum 1899), der Cronica
tribulationum des Angelo Clareno durch P. Ehrle (Archiv für Litt,
und Kirchengeschichte 1885, II. Band) und durch Tocco (Archivio
storico italiano 1885), der Scripta fratris Leonis, des Speculum
perfectionis (I. redactio) und der Extractiones de legenda antiqua
durch P. Lemmens (Documenta antiqua Francescana, Quarachi, seit
1901) und der Opuscula S. Francisci durch das Collegium Bona-
venturae (Quarachi 1904).
In diesen Veröffentlichungen , die in mehrfachen schon ver-
heißenen anderen Nachfolge finden werden , zeitigt die seit zwei
Jahrzehnten eingetretene intensive Beschäftigung mit dem Heiligen
sehr willkommene Früchte. — Von sonstigen umfänglichen Publi-
kationen seien die Miscellanea Francescana (Foligno, seit 1886) und
die Analecta Francescana (Quarachi seit 1886) erwähnt. So viel
über die Franz von Assisi selbst betreffende Litteratur.
Der kunstgeschichtHche Theil dieses Buches hat manche Ver-
besserungen und Erweiterungen erfahren. Die neuere Litteratur
wurde beachtet und benutzt , soweit dies der Rahmen der Arbeit
erlaubte und meine Ansichten, was freilich in allen Hauptsachen
nicht der Fall, Aenderungen erfahren haben. Für die nähere Be-
gründung eigener neuer Meinungen darf ich auf andere Arbeiten
von mir, namentlich auf meine Monographie über Giotto (1899) und
auf meine Studien zur Geschichte der italienischen Kunst im XIII.
und XIV. Jahrhundert (im Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. XI,
X Vorwort.
XIII und XVIII) verweisen. Nicht in dem Maße, wie ich es ge-
wünscht, konnte ich den Abschnitt über die Architektur durch-
arbeiten. Es fehlte mir die Zeit, in Sonderheit Enlart's Behauptungen
(Origines frangaises de l'Architecture gothique en Itahe. Toulouse
1893) im Einzelnen nachzugehen. Doch durfte ich mich damit
trösten, daß meine grundsätzlichen Aufstellungen durch Enlart's viel
weiter gehende Studien zumeist eine Bestätigung gefunden haben
und der Gesichtspunkt, von dem aus ich die Monumente betrachtet
und geordnet, in einem Buche wie diesem sein volles Recht behält.
Die werthvolle Ergänzung, die es durch das Werk von C. de
Mandach: St. Antoine de Padoue et l'art Italien (Paris 1899) er-
hielt, begrüßte ich mit besonderer Dankbarkeit.
Ueberhaupt und was das Ganze betrifft, hatte ich mich zu ent-
scheiden, ob ich mein Buch in weitgehendem Sinne umarbeiten oder
ihm seinen früheren Charakter, denjenigen einer zu mancher Kritik,
aber vielleicht auch zu mancher Freude Anlaß gebenden jugend-
lichen Arbeit lassen sollte. Ich wählte das zweite und hoffe, daß
das Alte, zumal ihm von meinem werthgeschätzten Herrn Verleger
ein stattlicheres Aussehen verliehen ward, mit nicht gealterter
Freudigkeit im Geiste des Franz wirken wird. Denn auf das Wirken
dieses Geistes kommt es an — wer immer ihn lauter verkündigt,
dient den mehr als je wiederum in unserer Zeit bedrohten Idealen
christlich -germanischer Kultur.
Heidelberg, im August 1904.
Henry Thode.
INHALT
Seite
Vorwort V
Einleitung XV
I. Theil: Franz von Assisi und sein Einfluß auf die italienische Kunst.
I. Abschnitt: Franz von Assisi.
I. Die Geschichte seiner Bekehrung 3
II. Die Anfänge des Ordens . 13
III. Weitere Entwicklung des Ordens 27
IV. Die letzten Lebensjahre des Franz und sein Ende 39
V. Zur Charakteristik des Franz 48
VI. Franz und die Kunst 59
n. Abschnitt: Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
I. Die ältesten Bildnisse 67
II. Die späteren Darstellungen des Franziskus 85
III. Die Darstellungen der Legende 100
1. Die ältesten Darstellungen 106
2. Giotto und die Kunst des XIV. und XV. Jahrhunderts . . 114
3. Die spätere Legendendichtung und ihre Darstellungen . . 169
III. Abschnitt: Die Kirche San Francesco in Assisi.
I. Beschreibung des Bauwerks 184
II. Die Baugeschichte nach den älteren Quellen 197
III. Die künstlerische Ausschmückung der Kirche 214
1. Die ältesten Denkmäler der Malerei 214
2. Die Werke des Cimabue 220
3. Die Schule Cimabue's 240
4. Giotto und seine Schüler 251
5. Die Sienesen 291
6. Sonstige Werke der Plastik und Malerei 297
IV. Abschnitt : Die Franziskanerkirchen in Italien.
I. Allgemeine Bemerkungen 305
II. Die ersten Niederlassungen 314
m. Die holzgedeckten Kirchen in Umbrien und Toskana .... 328
IV. Die norditalienischen Gewölbebauten 343
1. Der Basilika -Typus ' 345
2. Der Kathedralentypus 350
3. Der einfache Cisterziensertypus 364
A. Cisterzienserbauten in Italien 364
B. Die venezianischen Bettelmönchkirchen 368
C. Die lombardischen Bettelmönchkirchen 373
D. Die Gewölbekirchen in Mittel- und Süd -Italien .... 379
XII Inhalt.
Seite
II. Theil : Das Franziskanerthum und seine Bedeutung für die italienische
Kunst.
I. Abschnitt: Die Franziskaner.
I. Erste Entwicklung und Gestaltung des Ordens 391
II. Die wissenschaftlichen Bestrebungen der Franziskaner . . . 407
III. Die Predigt der Franziskaner 415
IV. Die Dichtung der Franziskaner 430
IL Abschnitt: Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Dar-
stellungen.
I. Das Leben Christi 459
1. Die Kindheit Christi 461
2. Die Passion Christi 473
IL Die letzten Dinge 496
III. Die Mariendarstellungen 500
1. Die Darstellungen der Maria mit dem Kinde 502
2. Die Legende der Maria und sonstige Mariendarstellungen . 511
Anhang: Ueber einige Heiligen- und Legendendarstellungen . 517
in. Abschnitt: Die allegorischen Darstellungen.
I. Die Allegorieen der Franziskaner- Gelübde und der Triumph
des heiligen Franz 521
1. Die Armuth 521
2. Die Keuschheit 532
3. Der Gehorsam 535
4. Der Triumph des heiligen Franz 538
Franz als Ordenstifter 541
Anhang: Die apokalyptischen Darstellungen 541
IL Die Kreuzesallegorieen 543
1. Die Kreuzesglorie in Assisi 344
2. Der Baum des Lebens 546
3. Die Kreuzesnachfolge 554
III. Die Todesallegorieen 554
Schluß 566
Anhang.
L Die Quellen zur Geschichte des Franz 575
IL Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung 586
III. Urkunden zur Geschichte der Kirche S. Francesco in Assisi . . . 609
IV. Des Rodulphus Beschreibung der Kirche S. Francesco in Assisi . . 611
"- V. Beschreibung der Glasmalereien in S. Francesco zu Assisi . . . . 615
VI, Die Kreuzesglorie in S. Francesco zu Assisi, Puccio Capanna, der
„Meister der h. Chiara" und der Maler Cola 621
VERZEICHNISS
DER ABBILDUNGEN UND GRUNDRISSE
1. Giotto: Franz schenkt einem Armen seinen Mantel. Fresko in
der Oberkirche S. Francesco, Assisi Taf. i
2. „ Franz sagt sich von seinem Vater los. Ebendaselbst . ,, i
3. „ Innocenz III. ertheilt Franz die Erlaubniß zu predigen.
Ebendaselbst 2
4. „ Franz predigt vor Honorius III. Ebendaselbst .... ,, 2
5. „ Franz vor dem Sultan. Ebendaselbst „ 3
6. „ Die Stigmatisation. Fresko in S. Croce zu Florenz . . ,, 3
7. „ Der Tod des Franziskus. Ebendaselbst ...... ,, 4
8. „ Franz predigt den Vögeln. Fresko in der Oberkirche
S. Francesco „ 5
9. Unbekannter Meister: Bildniß des Franz im Sacro Speco zu Subiaco ,, 6
10. Meister des Franziskus: Bildniß des Franz in S. Maria degli Angeli
bei Assisi 7
11. Schule von Siena: Bildniß des Franz. Akademie, Siena ... „ 8
12. Giotto: Wie dem Jüngling gehuldigt ward. Fresko in der Ober-
kirche S. Francesco zu Assisi „ 9
13. „ Die Vision des Palastes. Ebendaselbst „ 9
14. „ Die Vision Innocenz' III. Ebendaselbst „ 10
15. „ Die Vision des feurigen Wagens. Ebendaselbst 10
16. „ Die Vertreibung der Dämonen aus Arezzo. Ebendaselbst ,, 11
17. „ Die wunderbare Tränkung des Durstigen. Ebendaselbst ,, 12
18. ,, Die Erscheinung des Franz auf dem Kapitel zu Arles.
Ebendaselbst „ 13
19. „ Die Stigmatisation. Ebendaselbst ,, 13
20. ,, Die Vision des Augustinus und des Bischofs von Assisi.
Ebendaselbst ,, 14
21. „ Die Bekehrung des Hieronymus. Ebendaselbst , 14
22. ,, Die Vision Gregor's IX. Ebendaselbst „ 15
23. ,, Die Befreiung des Häretikers Petrus. Ebendaselbst . . „ 15
24. Andrea della Robbia: Franz und Dominikus. Relief an der Halle
auf der Piazza S. Maria novella zu Florenz ,, 16
25. Kirche und Kloster S. Francesco in Assisi , 17
26. Kirche S. Francesco in Assisi. Südansicht ■, 18
27. Grundriß der Unterkirche S. Francesco zu Assisi S. 191
28. Innenansicht derselben Unterkirche Taf. 19
29. Grundriß der Oberkirche S. 195
30. Innenansicht derselben Taf 19
31. Ansicht der Kirche S. Francesco in Assisi von Westen .... ,,20
32. Portal der Unterkirche zu Assisi ,, 21
33. Cimabue: Madonna. Fresko in der Unterkirche zu Assisi ... ,,22
34. Cimabue's Schule: Das Opfer Isaak's. Fresko in der Oberkirche „ 23
35. „ Die Geburt Christi. Ebendaselbst ,23
36. Giotto: Jacob am Lager Isaak's. Ebendaselbst »24
37. „ Der Tod des Edlen von Celano. Ebendaselbst ... ,,24
XIV Verzeichniß der Abbildungen und Grundrisse.
38. Giotto : Chiara und ihre Nonnen beweinen vor S. Damiano den
todten Franz. Ebendaselbst Taf. 25
39. Giotto (?) : Ein Wunder des heil. Nikolaus. Fresko in der Unter-
kirche zu Assisi ,, 25
40. Unbekannter Meister: Das Grabmal des Gian Gaetano Orsini.
Ebendaselbst „ 26
41. Giotto: Die heil. Magdalena und der Bischof Tebaldo Pontano.
Ebendaselbst „ 26
42. ,, Die Kommunion der heil. Magdalena. Ebendaselbst . . ,,27
43. Unbekannter Meister: Das Grabmal des Johann von Brienne.
Ebendasfelbst „28
44. Giotto : Franz betet in S. Damiano. Fresko in der Oberkirche
zu Assisi „ 28
45. Grundriß von S. Pietro in Assisi S. 317
46. Die Fassade von S. Pietro in Assisi Taf. 29
47. Die Kirche S. Maria degli Angeli bei Assisi „29
48. Die Kirche S. Chiara in Assisi ,,30
49. Grundriß der Kirche S. Francesco zu Perugia S. 330
50. ,, von S. Francesco zu Pistoja ,, 335
51. ,, von S. Francesco zu Pisa „ 336
52. ,, von S. Domenico zu Siena ,, 336
53. „ von S. Francesco zu Siena ,, 337
54. „ von S. Croce zu Florenz „ 338
55. Ansicht von S. Croce zu Florenz Taf. 30
56. Grundriß von S. Francesco zu Parma S. 346
57. „ von S. Francesco zu Memtua ,, 349
58. „ von S. Francesco zu Bologna „ 353
59. „ von S. Francesco zu Padua „ 357
60. ,, von S. Francesco zu Piacenza „ 361
61. ,, von Chiaravalle bei Mailand „ 365
62. Ansicht von S. Maria dei Frari in Venedig Taf. 31
63. Grundriß von S. Maria dei Frari S. 371
64. ,, von S. Francesco zu Cremona „ 376
65. ,, von S. Francesco zu Pavia ,, 376
66. Antonio Vite: Jacopone da Todi. Bild in der Sakristei des Domes
zu Prato Taf 32
67. Giotto : Die Weihnachtsfeier zu Greccio. Fresko in der Ober-
kirche S. Francesco zu Assisi »32
68. „ Die Anbetung der heil, drei Könige. Fresko in der Unter-
kirche zu Assisi ,, 33
69. ,, Kreuzigung Christi. Ebendaselbst ,33
70. „ Maria mit dem Kind. Fresko in der Oberkirche zu Assisi „ 34
71. Ambrogio Lorenzetti: Maria mit dem Kinde. Gemälde in S. Fran-
cesco zu Siena „ 34
72. Giotto: Allegorie der Armuth. Fresko in der Unterkirche S. Fran-
cesco zu Assisi ,, 35
73. „ Allegorie der Keuschheit. Ebendaselbst ,,36
74. „ Allegorie des Gehorsams. Ebendaselbst .,37
75. „ Die Glorie des Franz. Ebendaselbst ,,38
76. ,, Allegorie der Vergänglichkeit. Fresko in der Unterkirche
zu Assisi ,, 39
EINLEITUNG
Die Geschichte des menschHchen Geschlechtes vollzieht sich in
einzelnen großen Bewegungen der Entwicklung. So weit entfernt
die Wissenschaft auch noch sein mag, diese auf allen Gebieten
menschlichen Werdens dem Zusammenhang nach selbst zu erkennen,
so deutlich ahnt sie ihn doch, so erfolgreich ist sie bestrebt, die un-
sichtbaren Fäden, die von Gedanke zu Gedanke, von That zu That
Eines an das Andere binden, aufzufinden und zu verfolgen. Der
Forscher, welcher sich die Geschicke der Menschheit, diesen an
Fragen und Räthseln reichsten Theil der allgemeinen Naturgeschichte
zum Studium gemacht hat, muß ebenso wohl wie jener, der die
Veränderungen der anorganischen Materie betrachtet, bestrebt sein,
an Stelle willkürlicher Katastrophen vielseitig bedingte, allmählich
sich vorbereitende Wandlungen anzunehmen. Was ihm seine Auf-
gabe aber erschwert, bleibt irrimer, daß er sich der allgemeinen Ver-
ständlichkeit zu Liebe zu einer systematischen Gliederung verstehen
muß, daß er gezwungen wird, Abschnitte zu machen, die das orga-
nische Ganze grausam in einzelne Theile zerlegen. Der unendliche
Reichthum der Erscheinungen selbst an solchem herausgerissenen
Theile zwingt ihn von Neuem zu zerlegen und schließlich mag er
wohl glauben, im kleinsten Theile ein in sich abgeschlossenes, selbst-
thätiges Ganze zu sehen, da es doch nur Bedeutung hat im weiten
Zusammenhange des Ganzen. Und wieder auf der anderen Seite
lassen sich doch nur aus dem eingehenden Studium der Details
durch Rückschluß die ersten Grundbedingungen für die Würdigung
und Kenntniß der großen bewegenden Kräfte schaffen. Der einzelne
Mensch in seinem Lebensgange, in seiner körperlichen und geistigen
Entwicklung, in seinem Verhältniß zur Außenwelt wird so der Aus-
gangspunkt zur geschichtlichen Betrachtung des Menschengeschlechtes
überhaupt. Je größer die geistige Bedeutung eines Einzelnen und
mit ihr sein Einfluß, desto wichtiger wird seine Kenntniß dem Ge-
Thode, Franz von Assisi. TT
XVIII Einleitung.
Schichtsschreiber — und so hat derselbe schHeßlich Recht, da er
einmal gezwungen ist, Abschnitte zu machen, sie mit dem Auftreten
der größten und einflußreichsten Männer zusammenfallen zu lassen.
Er nimmt dabei freilich die Wirkung, die sie als Repräsentanten
einer bestimmten Richtung ausüben, als Eintheilungsgrund, während
doch die Richtung selbst in ihrer genetischen Entwicklung als ein-
heitlicheres Ganze die eigentliche Norm abgeben sollte — aber prak-
tische Rücksichten nöthigen ihn wohl noch auf lange Zeit hinaus dazu.
Der Name eines einzelnen großen Mannes steht auch an der
Spitze dieses Buches — mit eben jenem Rechte, mit dem man die
gemeinschaftliche Bestrebung eines Theiles der menschlichen Ge-
sellschaft nach dem Namen des Mannes bezeichnet, in dem sie sich
gleichsam ihrer selbst bewußt wird , in dem sie ihre Verkörperung
erhält, durch welchen sie die Herrschaft über andere Elemente der
Zeit und damit den Einfluß auf die folgende gewinnt. Nur in
einem solchen Manne läßt sie sich erfassen und verstehen. Er
gleicht der Blüthe, an der man vor Allem die Pflanze erkennt, nach
der man sie zu nennen liebt, die für das größere oder mindere
Wohlgefallen an ihr maßgebend wird. Und wie das farbige, duf-
tende Gebilde nur entsteht, wenn die Pflanze dem Höhepunkt ihrer
Entwicklung sich nähert, wie es des wärmenden Sonnenlichtes be-
darf, sich voll zu entfalten, und wie es endlich zur Bedingung wird
für die Frucht, so der menschliche Genius !
In Franz von Assisi gipfelt eine große Bewegung der abend-
ländischen christlichen Welt, eine Bewegung, die nicht auf das
religiöse Gebiet beschränkt, sondern universell im eigentlichsten
Sinne die vorbereitende und treibende Kraft der modernen Kultur
ist. Sie mit einem kurzen Worte zu bezeichnen, möchte ich sie
die Bewegung der Humanität nennen. Sie beginnt im
XII. Jahrhundert, erreicht ihren Höhepunkt in Franz um 1200 und
erstreckt ihre Wirkung bis etwa in die Mitte des XIV. Jahrhunderts
hinaus, um welche Zeit die durch sie geförderte neue Bewegung
des Humanismus und der Reformation einsetzt. Sie mit wenigen
Worten schon hier Eingangs zu kennzeichnen — so ist ihr Inhalt
die Befreiung des Individuums, das in einer subjektiven harmoni-
schen Gefühlsauffassung der Natur und der Religion, im Großen
und Ganzen noch innerhalb der Schranken des katholischen Glau-
bens, aber unbewußt doch schon über dieselben hinausstrebend,
seine Rechte gegenüber der Allgemeinheit sich erobert. Sie äußert
Einleitung. XIX
sich in dem Emporkommen des Bürgerstandes, der sich mit seinen
neuen Anschauungen der Natur und Religion auch neue Formen
des sozialen Lebens, wie des kirchlichen Kultus schafft. Wie sie
auf der einen Seite das Lehnswesen sammt seiner dichterischen
Verherrlichung untergräbt, die phantastischen Ideale der Kreuzzüge
stürzt und an der scholastischen Philosophie wenigstens zu rütteln
beginnt, so schenkt sie auf der anderen Seite der Menschheit die
ersten Bedingungen einer persönlichen Freiheit, einer neuen geist-
lichen Poesie, einer neuen Kunst und die erste Vorahnung allgemeiner
Denkfreiheit. Die innerste Triebkraft, die solche Wunder zu Wege
bringt, ist das erwachende starke individuelle Gefühl. Dieses Ge-
fühl aber scheint in einem einzigen Menschen, Franz von Assisi, als
glühende, tiefinnerliche Liebe zu Gott, der Menschheit und der
Natur gleichsam zu gipfeln. Von einer Schilderung dieses merk-
würdigen Mannes, der weniger als ein Heiliger der katholischen
Kirche denn vielmehr als der Träger einer weltbewegenden Idee
die Verehrung aller Nachgeborenen verdient, hat die Betrachtung
dieses jugendfrischen Lebens, das die alten Formen zerbricht, aus-
zugehen. So viel über Franz geschrieben worden ist, die volle
Gerechtigkeit ist ihm noch nicht widerfahren — möge dieses Buch
als ein Versuch , den bedeutenden Mann aus dem engen Rahmen
der Kirchengeschichte als Mittelpunkt in das frohe, vielbewegte
Treiben einer neue Ziele anstrebenden Zeit zu versetzen, dazu bei-
tragen. Der begeisterte Verkündiger der Humanität erhalte seine
vollen Rechte als Vertreter der ganzen Bewegung.
Die mannigfachen Verzweigungen derselben aber und damit
sie selbst nach ihrem ganzen Umfange zu erfassen und darzustellen,
erforderte vielseitigere Kenntnisse, als sie dem Verfasser zu Gebote
stehen. So weit es ihm möglich war, hat er die verschiedenartigen
Bestrebungen der Zeit im Allgemeinen anzudeuten gesucht, im
Einzelnen und eingehend nur die Bewegung, wie sie sich auf dem
Gebiete der Kunst geltend macht, studirt. Und die Berechtigung
dazu ergiebt sich aus dem Stoffe selbst. So reichhaltig die Aeuße-
rungen der neuen Geistesrichtung sind , den beredtesten Ausdruck
gewinnt dieselbe doch in der Kunst. Diese ist ihre größte, herr-
lichste Frucht. Sie geht der Verwirklichung des neuen Ideals auf
politischem und wissenschaftlichem Gebiete voraus, wie die Morgen-
röthe der Sonne. Das erstgeborene unter den Kindern christlich-
humaner Weltanschauung, herangewachsen zu einer Zeit, da die
n*
XX Einleitung.
anderen noch unmündig, lehrt sie die jugendHch - enthusiastische
Gesinnung der Menschheit, der sie entsproßt, deutUcher erkennen
und schätzen.
Des Franziskus Leben fällt in die Zeit, welche die mittelalter-
lichen Ideale des weltlichen Lehnsstaates und der geistlichen
Hierarchie zur Reife gelangt sieht. Im Kampfe mit einander waren
Beide groß und stark geworden, im Kampfe standen sich ihre Ver-
treter, der Kaiser und Papst gegenüber, als Beide den Gipfel ihrer
Macht erreicht, im Kampfe sollten sie von der Höhe abwärts
schreiten. Von einem Sieg der einen Gewalt kann nicht die Rede
sein : die Gegner der Hohenstaufen waren eben ein Alexander III.
und ein Innocenz III. Und doch einen kurzen Augenblick mochte
es scheinen, als habe der Stellvertreter Christi sich noch um eine
Stufe höher geschwungen, als der römische Kaiser — in jenem
Augenblick, als Innocenz III. seinem gegen die Hohenstaufen er-
hobenen Schützling, dem Weifen Otto IV., in Rom die Krone auf-
setzte. Da durfte er glauben, das Szepter der Welt in der Hand
zu tragen. Der Vertreter der größten weltlichen Macht erkannte
seine Oberherrschaft an, sein Richterspruch erklang gebietend am
französischen und englischen Hofe, seine Legaten vertraten siegreich
die Ansprüche des Papstthums in den nordischen Reichen, die
morgenländische Kirche huldigte seit der Errichtung des byzan-
tinischen Kaiserthums dem römischen Bischöfe. Es war ein kurzer
berauschender Traum ! Nur wenige Tage — und der demüthige
Weife schien der herrischen Hohenstaufen einer geworden zu sein,
der mit der Krone auch alle Rechte und Pflichten des deutschen
Kaisers übernommen. Und zur selben Zeit erhob sich mit bei-
spielloser Kühnheit das südfranzösische Volk gegen die heihgen
Satzungen der Kirche selbst!
Wie groß aber immer der Gegensatz zwischen Papst und
Kaiser gewesen , innige Bande vereinten doch den Lehnsstaat und
die Hierarchie zu einem gemeinsamen Ganzen. Die vornehmen
kirchlichen Würdenträger waren zugleich die Träger weltlicher
Lehen und den Rangstufen der weltlichen Großen entsprachen die
der kirchlichen Großen. Die Gemeinschaftlichkeit der Bestrebungen
trat nirgends leuchtender und erhebender zu Tage , als in den
Kreuzzügen. Da weiß man thatsächlich nicht, waren dieselben
mehr weltliche oder geistliche Unternehmungen. Sie bleiben eben
die Kraftäußerung der gesammten christlichen Welt gegenüber der
Einleitung. XXI
mohamedanischen Macht des Orients. Wie aber auf geistigem Ge-
biete das Ritterthum seine Verherrlichung in der Poesie des Minne-
gesanges und der Heldendichtung fand, eine Blüthe der weltlichen
Poesie an den Fürstenhöfen sich entfaltete, so wob die scholastische
Gelehrsamkeit der Universitäten, unter denen Paris die erste Stelle
behauptete, einen Glorienschein um das Haupt der Hierarchie. Bei
dieser innigen Verschmelzung der beiden Gewalten mußte jeder
Schlag, der gegen eine derselben ausgeführt wurde, auch gegen
die andere gerichtet sein. Die Bewegung, die eben in der Zeit
der höchsten Blüthe des mittelalterlichen Wesens drohend ihr Haupt
erhebt und ihre Stimme mitten hinein in die lärmende Selbst-
vergötterung der feudalen und der hierarchischen Verfassung er-
schallen läßt, wendet sich zugleich gegen die erstere, wie gegen
die letztere. Sie geht von dem Volke aus, das, bisher kaum be-
achtet, sich aus der Stellung des rechtelosen, dienenden Gesellen
zu selbstständiger, Achtung verlangender Thätigkeit erhob. Die
Kreuzzüge sind es gewesen, die es vom zwingenden Banne lösten,
die auf die äußeren Lebensbedingungen, wie die Denkweise be-
freiend gewirkt haben. Die häufige direkte Berührung mit der
Kultur des Morgenlandes hob schnell und dauernd den bisher kaum
gekannten Handel zu einer ungeahnten Bedeutung und befreite
zugleich die Geister von der einseitigen Befangenheit vaterländischer
Sitte und Anschauung. Wie die Kreuzfahrer den üppigen Luxus
des orientalischen Lebens kennen und bewundern lernten, so wurden
sie binnen kurzem auch mit der so sehr von der ihrigen ab-
weichenden Weltanschauung und Religion vertraut gemacht, die
ihnen wohl sündhaft und ketzerisch erschien, aber doch in Achtung
gebietender Weise das vollgültige Recht der Existenz dem Christen-
thum gegenüber aufrecht erhielt. Als einmal erst der regelmäßige
Verkehr zwischen den Städten des Abend- und des Morgenlandes
hergestellt war, wanderten nicht nur die Handelsartikel des letzteren
über Italien nach Deutschland und Frankreich, sondern auch pro-
fane Künste und Wissenschaften, wie religiöse Meinungen. Im
Laufe des XII. Jahrhunderts erlangen daher einerseits die Städte
einen außerordentlichen Aufschwung und mit ihnen die Handel und
Gewerbe treibenden Stände, andrerseits entstehen zugleich Sekten,
die , zumeist die altketzerischen Anschauungen der Manichäer zur
Schau tragend, in direkte Opposition zur römischen Kirche treten.
Die Verbreitung und Bedeutung derselben muß größer gewesen
XXII Einleitung.
sein, als es die Kirche selbst zugestehen mochte. Man spürt das
deutlich an der gewaltigen Kraftanstrengung, die sie im Anfang des
XIII. Jahrhunderts machen muß, ihrer Herr zu werden.
Was für die Hohenstaufen die italienischen Städte, waren für
die Päpste derselben Zeit die Ketzergemeinden. Und es ist wohl
mehr als Zufall, daß die großen Kommunen Norditaliens zugleich
die eigentlichen Sitze der Patarener, Katharer oder wie man diese
Feinde kirchlicher Autorität nennen mochte, waren. Der erste
Herold der neuen Zeit ist jener Arnold von Brescia, der laut und
vernehmlich gegen den weltlichen Besitz der Kirche predigt und
die Römer zur Wiedereinsetzung eines Senats und Wiederherstellung
altrömischer Unabhängigkeit in Feuerreden entflammte. Hadrian IV.
und Friedrich I. vollzogen gemeinsam an ihm das Gericht : er ward
1 1 5 5 gehängt und verbrannt. Die Volkssache hatte ihren ersten
Märtyrer. Jener Arnold aber hatte zu den Füßen Abälards ge-
sessen — auch in der Wissenschaft, in Abälards Streben, dem
natürlichen Verstände zu seinem Rechte zu verhelfen , ebensowohl,
wie in der allgemeinen Menschenliebe seines großen Gegners Bern-
hard von Clairvaux flammt ein neues junges Gefühl auf Dann
kurze Zeit darauf erfolgt das erste bedeutende aggressive Vorgehen
Mailands und der ihm verbündeten lombardischen Städte gegen
den Kaiser, und die Auflehnung der Waldenser in der Provence
gegen die Hierarchie. Das lehrt uns zugleich den Heerd der Volks-
bewegung kennen: das nördliche Italien und das angrenzende Süd-
frankreich. Der Grund, warum sie gerade hier zum Ausbruch kam,
ist unschwer zu finden. Hatte doch Italien während der vorher-
gehenden Jahrhunderte immer eine Sonderstellung innegehabt. Nicht
wie in den Ländern nördlich der Alpen waren hier die Spuren
römischer Kultur von den Pferdehufen der germanischen Heere zer-
treten und verwischt worden, sondern ein guter Theil der römischen
Institutionen, der Rechtsverhältnisse wie der Munizipalverfassungen,
hatte sich unter der durchsichtigen Hülle der germanischen Lehens-
verfassung erhalten. Wie das Volk selbst ein wunderliches Gemisch
einheimischer römischer und eingewanderter longobardischer Ele-
mente bildete, so auch seine Verfassung. Ein Lehensstaat in seiner
strengen logischen Ausbildung hatte niemals daraus werden können.
Der Kaiser, der fern in Deutschland lebte und regierte, repräsentirte
wohl den geheiligten Herrscher, aber ein eigentlicher Oberlehns-
herr, in dessen Person ein vielgliedriges System seinen höchsten
Einleitung. XXIII
Abschluß erreichte, war er für ItaHen nicht. Eine mehr oder weniger
repubhkanische Selbstregierung konnte sich seit der Zeit der Ottonen,
welche die Zeit der Exemtionen vom Grafenbann gewesen war, in
den Städten ungestört entwickeln. Erschien dann der Kaiser mit
seinem Heere diesseits der Alpen , so konnten die Konflikte nicht
ausbleiben , der Gewalt mußte zeitweilig das dem Volke stets be-
wußte Recht weichen. Kaum aber war er wieder den Blicken ent-
schwunden, war Alles wieder beim Alten und die vorübergehenden
Störungen vermochten die freiheitliche Entwicklung nicht zu hemmen.
Im Gegentheile lernte man bald den Hader zwischen Papst und
Kaiser benutzen und trieb eine egoistische Politik, deren Prinzip
nicht die Befolgung eines geheihgten Staatsrechtes, sondern die
möglichst gewandte Ausbeutung jeglicher Situation in partikularisti-
schem Interesse war. Als Folge ergab sich, daß die Stadtbevölkerung
bald wie dem Kaiser, so auch dem Papste gegenüber eine ziemlich
unabhängige Stellung gewann, daß sie, gesucht von beiden Gewalten,
ohne wesentliche Gefährdung einer freieren Auffassung auf weltlich
politischem, wie geistlich religiösem Gebiete huldigen durfte. So
erklärt sich denn auch die anscheinend wunderbare Thatsache, daß
das eigentliche Heimathsland der päpstlichen Macht mit seinen
schnell zu außerordentlicher Kraft und Wohlhabenheit gelangten
großen Städten der Hierarchie gegenüber eine unabhängigere
Stellung einnahm, als die ferneren großen Reiche des Westens.
Und daß dies in Sonderheit für das nördliche Italien gilt, ergiebt
sich wiederum aus der wichtigen Mittelstellung desselben zwischen
Rom und Deutschland. So kam es, daß um 1200 die durch die
Kreuzzüge gezeitigte revolutionäre Bewegung eben hier und in
dem benachbarten Südfrankreich zum Ausbruch kam und zwar in
offenem Kampfe zugleich gegen den Lehensstaat und die römisch-
katholische Kirche sich richtete.
Vertreten aber die Angegriffenen ein Prinzip, nämlich dasjenige
einer schematisch verallgemeinernden Gliederung der Menschheit
in Freie und Unfreie, so liest man aus den Aufschriften der Banner
der Angreifenden unschwer einen anderen Wahlspruch heraus : das
freie Recht des Individuums !
Der Sieg der Städte entschied zu Gunsten der äußeren sozialen
Berechtigung des Bürgerthums neben den privilegirten Klassen der
Fürsten und Ritter. Von um so größerer Bedeutung wurde nun
die Entscheidung auf dem geistigen Gebiete. Es schien sich nur
XXIV Einleitung.
um zwei Möglichkeiten zu handeln: entweder die Opposition ward
von der Kirche vollständig zu Boden geworfen , oder sie erwarb
sich eine selbstständige Berechtigung. Bei näherem Einsehen zeigt
es sich deutlich, daß Beides unmöglich war: keine wenn auch noch
so große Gewalt vermochte die gerechten Forderungen des zum
Selbstbewußtsein erwachenden dritten Standes zum Schweigen zu
bringen, wie andererseits die Ziele desselben zu unbestimmt waren,
als daß die Bewegung eine einheitliche, selbstständig sich regelnde
hätte werden können. Da trat, von der ewigen Gesetzmäßigkeit
folgerechter geschichtlicher Entwicklung hervorgerufen, Franz von
Assisi auf, der aus seinem die Entscheidung ahnenden und voll-
ziehenden genialen Vermögen das versöhnende Wort fand ! Er
leitete die fortschrittliche ungestüme Strömung in ein abgegrenztes
Flußbett und erwarb sich so das ewige Verdienst , sie vor einer
unzeitigen Zertheilung bewahrt, ihre Kräfte gesammelt und auf ein
einheitliches Ziel hin gerichtet zu haben. Das Ziel ist die Ver-
innerlichung des Menschen, das segensvoll einschränkende Bett die
christliche Lehre und die erste bedeutende Verwerthung der kon-
zentrirten Kraft kommt der Kunst zu Gute !
Der nachgebende Theil aber beim Friedensschluß der zwei
Partheien war die römische Kirche. Es ist nicht mehr und nicht
weniger als eine Reform derselben, welche dieser Friedensstifter
unmerklich und ohne einen Widerspruch zu finden , bewirkte. Er
selbst, seiner ganzen Natur nach der Freiheitsbewegung angehörend
und aus dieser hervorgegangen, aber nach seiner idealistischen An-
lage in positivem Glauben ein Verehrer der von Gott selbst ge-
stifteten Kirche, übertrug die Anschauungen einer volksthümlichen
Religion , einer allem Dogmatischen fremden , rein im subjektiven
Gefühl wurzelnden Liebe zu Gott, einer dem hierarchischen Prinzip
zuwiderlaufenden persönlichen Nachfolge Christi in die römische
Kirche selbst. Als Innocenz III. 1208 Franziskus und allen seinen
Jüngern das Recht der freien Predigt gewährte, gewährte er zu
gleicher Zeit dem Volke seine Forderungen , denn das Recht der
freien Predigt, das heißt eines persönlichen Verhältnisses zur Bibel
und Lehre , war es ja vor Allem gewesen , was die Waldenser für
sich, für das Volk verlangt. Indem Franziskus und sein die Volks-
elemente in sich aufnehmender Orden es sich zur Aufgabe machte,
den Bedürfnissen des Einzelnen durch die Predigt Genüge zu thun,
wurde zwar das in seiner allgemeinen Durchführung überhaupt un-
Einleitung. XXV
mögliche Verlangen modifizirt , aber das eigentliche Wesentliche :
ein volksthümliches Christenthum geschaffen. Die Kluft, die zwischen
den aristokratischen Institutionen des Klerus und des Benediktiner-
mönchswesens einerseits und der großen Menge der Laien andrer-
seits gähnte, ward durch die demokratische Institution der Bettel-
mönche überbrückt. Die Hierarchie mußte sich zu der Aufnahme
dieses heterogenen Elementes verstehen, wie der Lehensstaat zu
der Anerkennung der Städte. Und wie die Städte, so wurden die
Bettelorden in den folgenden Jahrhunderten die eigentlichen Träger
neuer Zivilisation und Bildung. Die Beiden gehen demnach auch
Hand in Hand : die Städte werden die Heimath der predigenden
Mönche und die volksthümliche Religion der letzteren wird die
Religion der Städte. Jeder Theil giebt und jeder empfängt.
Es kann keine Frage sein , daß die Folge dieser Wandlung
eine Kräftigung und Vertiefung des Christenthums gewesen ist. Was
man Gegentheiliges sagen mag, beruht auf einer Ueberschätzung
aller jener Erzählungen von Unglauben, Ketzerthum, Materialismus,
welche die zumeist von Geistlichen geschriebenen Chroniken der
Zeit bringen. Gewiß ist es wahr, daß das Sektenwesen durch die
Franziskaner und Dominikaner nicht erstickt worden ist, daß der
Wohlstand in den Städten vielfach mit dem Genußleben auch Gleich-
gültigkeit gegen die Religion und Skeptizismus hervorbrachte —
im Großen und Ganzen aber herrschte doch ein tief und wahr
empfundener christlicher Glaube, der vor jenem des frühen Mittel-
alters eine größere Innerlichkeit und eine größere Gefühlswärme
voraus hat. Das bezeugt nicht allein die beispiellose Verbreitung
der Bettelraönchorden , die Größe und der reiche Schmuck ihrer
zahllosen Kirchen, sondern auch die kirchliche Litteratur, die in
dem größten Gedichte jener Zeit ausgesprochene Weltanschauung
und die bildende Kunst. Das Alles aber berechtigt uns, jene volks-
thümliche Bewegung als die der christlich-katholischen
Humanität zu bezeichnen. Wie sich dann in ihrem Verlaufe
neben den positiven Errungenschaften, welche man dem Fran-
ziskanerthum in Gesittung und Kunst dankt, wiederum aus ihm
eine der Kirche sich feindselig entgegenstellende Richtung entwickelt,
wird später noch seine Berücksichtigung finden. In den Bestrebungen
Michael's von Caesena und Wilhelm's von Occam macht sich in
höchst konsequenter Weise hundert Jahre später die Erkenntniß
geltend, daß jene durch Franz bewirkte Reform der Kirche doch
XXVI Einleitung.
nichts anderes als einen für die Dauer unmöglichen Kompromiß
zwischen zwei heterogenen Elementen, der geistlichen Autorität und
der geistigen Freiheit, bedeute. Und damit beginnt ein erneuter
Kampf mit Rom, dessen Verlauf unser Thema nicht mehr berührt.
Noch Eines aber muß in Erwähnung gezogen werden. Welche
Rolle spielt denn bei dieser Neugestaltung der Verhältnisse jener
andere Bettelmönchorden der Dominikaner, der doch meist an Be-
deutung dem der Franziskaner verglichen wird .? Die Antwort ist :
eine untergeordnete ! Vor allem ist Dominikus nicht wie Franz
aus dem Volke und seinen Bestrebungen hervorgewachsen — er
ist nicht wie dieser ein Repräsentant der volksthümlichen An-
schauungen. Von dem Standpunkte orthodoxen Kirchenglaubens
aus kommt er, dem Ketzerwesen in Südfrankreich oppositionell
gegenüberstehend , zu der selbstständigen Ueberzeugung , nur die
Volkspredigt helfe der Kirche aus der Gefahr. Aber seine Predigt
richtet sich mit den Waffen des Dogmas gegen die Irrlehren und
vertheidigt die Hierarchie. Er steht partheiisch auf der Seite von
Rom, während Franz ein unpartheiischer Vermittler ist. So gründet
er auch anfangs keinen eigentlich neuen Orden, sondern nimmt die
Regel der Augustiner an. Erst später unter dem Einfluß und nach
dem Vorbilde der Minoriten-Kongregation entsteht die Bettelmönch-
gemeinde der Dominikaner. Fortan sind bei Beiden die Gelübde
dieselben, die Thätigkeit besteht bei Beiden in der Predigt — aber
der Geist ist ein ganz verschiedener ! Die Dominikaner werden nur
scheinbar Freunde des Volkes , nicht mit dem Herzen , — sie ver-
treten die alte hierarchische Form des Christenthumes und ge-
brauchen zur Vertheidigung derselben die Waffen der Inquisition,
welche die Kurie vertrauensvoll in ihre Hände gelegt hat. Die
Liebe des Volkes haben sie nie in dem Grade, wie die Franziskaner
besessen , weil sie kein wirkliches Verständniß für dasselbe hatten.
Daß gleichwohl auch sie gewaltige Volksprediger gewesen sind, daß
auch sie Bedeutendes gewirkt , wird Niemand leugnen , aber ihr
eigentlicher Beruf ist der wissenschaftliche Kampf gegen Ketzer
aller Art. Ihre scholastische Weisheit bezeichnet den Höhepunkt
der mittelalterlichen Theologie und ragt in eine Zeit hinein, die,
wie wir gesehen haben, bereits ganz anderen Idealen nachging. Es
ist bedeutsam, daß erst im Verlaufe des XIV. Jahrhunderts auch sie
unter den siegreichen Einfluß der Humanitätsbewegung geriethen,
aber gleichsam gezwungen, nicht wie die Franziskaner Anführer
Einleitung. XXVII
und Vorkämpfer derselben. Die Mystik des Franz und seiner großen
Schüler war eine befreiende That, die Mystik der Tauler, Suso nur
die Vorbereitung auf eine solche !
So bleibt dem Franziskus die weltgeschichtliche Bedeutung, die
wir kurz zu skizziren versucht. Wenden wir uns nun zu ihm selbst,
zu seinem Leben und Wirken, um in diesem einerseits die Be-
stätigung für das Gesagte zu finden, andererseits die Eigenart der
geistigen Stimmung der Zeit besser kennen zu lernen ! Eine neue
Biographie des Franz erscheint zudem trotz der grundlegenden
Lebensbeschreibung von Hase ^), die zuerst glänzend und siegreich
gegenüber den zahlreichen Verherrlichungen des Heiligen der histo-
rischen Kritik zu ihrem Rechte verhalf, trotz Bonghi's interessanter
Studie -), welche die von Vogt neu gelieferten Beiträge ^) verwerthete,
nicht überflüssig. Sie ist auf eine eingehende Vergleichung und
Kritik der drei Hauptquellen, deren Verhältniß zu einander zugleich
mit einer kurzen Geschichte der Franziskanerlitteratur im Anhang A
eine besondere Besprechung finden soll, gegründet. Jene Quellen sind:
I. Die I. vita des Franz von Thomas von Celano. Vor 1230.
II. Die II. vita von ebendemselben. Zwischen 1244 und 1246
III. Die vita des Bonaventura. 1261.
Erst Bonghi hat auf die ganz in Vergessenheit gerathene II. vita
wieder aufmerksam gemacht, sie aber zu wenig ausgenutzt, obgleich
sie doch namentlich für die Kenntniß von Franziskus' Charakter
die wichtigste Quelle, zugleich aber auch deßwegen von besonderer
Bedeutung ist, weil Bonaventura das Meiste, was man bisher für
neu von ihm beigebracht glaubte, ihr entnimmt.
Haben wir aber erst Franz selbst und sein Leben näher kennen
gelernt, so werden wir eingehender dem vielverzweigten Einfluß,
den er und sein Orden auf die Entwicklung der großen christlichen
Kunst in Italien ausgeübt, unsere Aufmerksamkeit zuwenden.
^) Franz v. Assisi. Ein Lebensbild. Leipzig 1856. 8**.
*) Francesco d' Assisi. Cittä di Castello 1884. 8°.
'^) Denkwürdigkeiten des Minoriten Jordanus von Giano. Abhdl, der phil. hist.
Kl. der K. Sachs. Ges. der W. V. Bd. 1870.
ERSTES BUCH
FRANZ VON ASSISI
UND SEIN
EINFLUSS AUF DIE ITALIENISCHE KUNST
Thode, Franz von Assisi.
ERSTER ABSCHNITT
FRANZ VON ASSISI
I. Die Geschichte seiner Bekehrung.
Im Jahre 1 1 8 1 ward einem wohlhabenden Kaufmann von Assisi,
dem Petrus, Sohn des Bernardone, während er gerade Geschäfte
halber in Frankreich weilte, von seiner Frau Pica ein Sohn geboren,
den sie Johannes nannte.^) Des Knäbleins künftige Bedeutung soll
nach der Erzählung der späteren Legende ihm schon am Tage der
Namengebung von einem fremden Pilger, der damit vielleicht seinen
Dank für ein empfangenes Almosen ausdrücken wollte, vorausgesagt
worden sein, wie auch der Mutter stolze Hoffnungen, zur Zeit als
das Kind bereits herangewachsen war, in prophetischen Worten dem
Zweifel der Nachbarn gegenüber sich Luft machten. Sie war es,
die in dem kindlichen Gemüthe die warme Herzensempfindung, den
frohen Sinn und die reine Begeisterung für alles Edle pflegte und
entwickelte, mag auch der Vater, der von den alten Biographen
nur als hartherzig und habgierig geschildert wird, nicht gar so
schlimm gewesen sein. Wenn er sich später von dem ungerathenen
Sohne, der das väterliche Gut für nichts werth zu halten und, dem
gesitteten Berufe sich entziehend, ein Vagabundenleben zu führen
schien, lossagte, zeugt dies doch weniger von einem verdorbenen
Charakter, als von einer Erbitterung, die man dem um seine schönsten
Hoffnungen betrogenen) Manne wohl zugute halten muß. Es ist
ihm nur gegangen, wie manchen anderen rechtlichen, aber von be-
schränkten Anschauungen verblendeten Vätern, die in sich selbst nicht
^) Noch bleibt es zweifelhaft, ob das Geburtsjahr n8i oder 1182 ist. Mir
scheint das erstere wahrscheinlicher. "Vergl. A. am Schlüsse des Kapitels.
Franz von Assisi.
die Erklärung finden für die ungewöhnliche und Bedeutendes
versprechende Anlage des Sohnes und, in thörichtem Wahne
sie bekämpfend, die eigene Autorität untergraben.
Es ist viel darüber gestritten worden, woher die Familie des
Franz eigentlich stamme, doch haben die Forschungen Cristofanis
wenigstens das eine mit Sicherheit ergeben, daß ältere Ge-
schichtsschreiber, die sie von den Moriconi in Lucca und Pisa her-
leiten, ihr Gebäude auf den Sand gesetzt haben, und daß man wohl
die Nachkommen des Pietro bis ins vierte GHed verfolgen kann,
von seinen Vorfahren aber eben nur den Namen des Vaters kennt.
Eher dürfte eine Möglichkeit vorhanden sein, die Genealogie mütter-
licherseits festzustellen: da bringt Papini die Mittheilung, daß in
dem von P. Claudius Frassen gegebenen Kommentar zu einer 1703
erschienenen Ausgabe der Regel der Tertiarier die Bemerkung sich
finde, Pica stamme aus der edlen Familie der Bourlemont in der
Provence, in deren Archive der Ehekontrakt zwischen ihr und Pietro
di Bernardone noch erhalten sei. ^) Sehr Vieles läßt mich vermuthen,
daß diese Annahme der Wahrheit entspricht. Zunächst wird im
Carmen die Mutter ,, honesta" genannt, im Gegensatz zu dem als
„institor" erwähnten Vater, ferner Franz bei Matthäus Paris als
,,generis nobilitate praeclarus" bezeichnet, und die von Cristofani
publizierten Urkunden nennen seinen Bruder regelmäßig ,,Angelus
domine Piche" oder ,,di madonna Pica", was gegen die sonst all-
gemeine Sitte der Beifügung des Vaternamens verstößt und irgend-
wie , vielleicht am besten durch die vornehme Abstammung der
Mutter, erklärt werden muß.'^) Ferner wird es uns so leicht ver-
ständlich, wie es gekommen, daß Franz der französischen Sprache
mächtig war und dieselbe mit Vorliebe anwandte, trieb ihn sein
Herz, dem Herrn Lob zu singen. Dies besonders weist darauf hin,
daß er in ihren Lauten schon in frühem Kindesalter die innigen
und begeisterten Gebete der Mutter nachzusprechen lernte. Schwerlich
dürfte gerade darin der Vater sein Lehrmeister gewesen sein. Mag
sich nun auch, wie aus einer Bemerkung der ,,tres socii" hervor-
geht^), der fremden Zunge gegenüber der Italiener nie ganz ver-
^) Notizie sicure della morte di S. Francesco. Fuligno 1824. S. 225 ff.
^) Cristofani: il piü antico poema. Prato 1882. S. 6. — Matthäus Paris:
Historia major. London 1640. S. 399. — Cristofani: Storie di Assisi II. Ed. I, S. 78.
^) Kap. I, S. 726: quia libenter lingua gallica loqüebatur, licet eam loqui nesciret.
Vergl. Th. I Leg. III, S. 688. — Th. II Leg. I, c. 8. II, c. 6. — Die Zitate beziehen
Die Geschichte seiner Bekehrung. c
leugnet haben, so mußte dieselbe ihm doch wohl geläufig sein,
wenn er immer auf ,, Gallisch sang". Neben diesen mehr äußer-
lichen Gründen könnte man, aber freilich mit allem Vorbehalt, noch
einen aus seinen inneren Eigenschaften, aus der Temperaments- und
Gemüthsanlage gezogenen geltend machen. Bis in die Zeiten seines
schweren Leidens hat er den unverwüstlichen Frohsinn, der sonst
meist nur ein glückliches Vorrecht der Kindheit zu sein pflegt, be-
halten, eine sorglose Heiterkeit und angeborene Offenheit des Wesens,
wie sie vor allen Völkern dem glücklichen Südfranzosen, dem zum
Reflektieren geneigten Italiener aber vielleicht nicht in gleichem
Maaße beschieden ist. Gerade darin aber liegt, wie mir dünkt,
einer der hervorragendsten Charakterzüge des Mannes. An den Süd-
franzosen auch werden wir gemahnt, lesen wir in der I. Legende,
wie drastisch sich bei ihm die innere Aufregung und Begeisterung
in Gebärden kundgab, wie er, vor Honorius predigend, „gleich
einem Tanzenden die Füße bewegte" — in jenen häufig über alles
Maaß hinausgehenden Bewegungsäußerungen, die sich von der leb-
haften, aber stets doch gehalteneren Gebärdensprache des Italieners
zu unterscheiden scheinen. ^) Beachten wir endlich und vor Allem,
daß auch die religiöse Ueberzeugung des Franz, wie später ge-
schildert werden soll, auf direkte Beziehung zu den Sekten der
Provence schließen läßt, so kann man sich der Annahme nicht ver-
schließen, daß französisches Blut in seinen Adern gerollt, und daß
der Süden Frankreichs ein halbes Anrecht hat , den frohen , gott-
begeisterten Mann mit unter seine besten Söhne zu rechnen.^)
sich durchweg für die I. Legende des Thomas, sowie für die vite der tres socii und
des Bonaventura auf den Text in den Acta Sanctorum Oktob. T. 11, für Thomas II.
Legende auf Amonis Ausgabe Rom 1880.
1) Th. I Leg. cap. IX, S. 703.
■-) Ein wunderliches Buch, das allen mir bekannten Biographen entgangen zu sein
scheint, verdient hier der Kuriosität wegen genannt zu werden: Genealogie curieuse de
sainct Frangois d'Assise. Nancy, Cayon-Liebault, 1863. Es enthält im Abdruck eine
am 10. Juni 1666 angefertigte „Kopie der Kopie eines alten Manuskriptes". Da wird
erzählt, wie F. nach Frankreich kommt, in einem Dorfe Villey bei Issurtelle eine Kirche
weiht, dann in einer Vision seinen Stammbaum erhält, von dem er eine Abschrift an
einen Herrn de Grancey gab. Folgt der Stammbaum, der mit Chlodwig beginnt; durch
die Herzöge von Langres gelangt man auf eine Elisabeth Comtesse de Beaumont,
die mit einem römischen Senator verheiratet war. Von ihnen stammen der h. Gregor,
der h. Alexis und Bemardone, der Großvater des Franz ! — Beaumont klingt sehr ähn-
lich wie Bourlemont. Sollte da irgendeine geheime Beziehung sein?
Franz von Assisi.
Die Thatsache, daß der eigentliche Taufname Giovanni hinter
dem „Francesco" verschwand , erklärt sich uns am leichtesten aus
der damals seltenen Sprachenkenntniß des Knaben, den seine Alters-
genossen, wie deren Eltern, mit dem von selbst sich ergebenden
Spitznamen: ,,der Franzose" rufen mochten, welche Gewohnheit dann
zur Regel ward, so daß der besondere Name auch den besonderen
Mann bezeichnete.^) Den ersten Unterricht bekam er, wie Bona-
ventura sagt, von Geistlichen in S. Giorgio, das beste Theil der Er-
ziehung aber behielt wohl die Mutter, bis er, der Tradition des
Hauses folgend, vom Vater in den Kaufmannsberuf eingeführt wurde
und seine Thätigkeit im väterlichen Tuchladen fand. ^) Und würde
es nicht berichtet, so könnte man es doch aus seiner frohen Ge-
müthsart schließen, daß er die freien Stunden in ausgelassener, unter-
nehmungslustiger GeselHgkeit verbrachte. Ja, es scheint sehr glaub-
lich, wenn die älteste vita erzählt, er habe alle Altersgenossen in
tollen Streichen übertroffen und die Rolle des Anführers gespielt,
auch das Vermögen seines Vaters nach Herzenslust zu verschwen-
derischen Ausgaben für gewählte Kleidung und allerlei Vergnügungen
ausgenutzt. Sein anmuthiges, bewegliches Wesen aber verlockte
Manchen zum Schaden auf falsche Wege. Dies Alles suchen dann
später Thomas in der II. Legende, die tres socii und am meisten
Bonaventura zu vertuschen — nach ihnen wäre er der feingesittetste,
wohlgefälligste Jüngling gewesen ! Doch spürt man die gute Ab-
sicht, jeden Makel aus seinem Leben zu tilgen, und so behält die
ältere Schilderung ihr Recht. Zumal da uns diese die plötzliche
Änderung in den Anschauungen, ohne welche die spätere Gesinnung
des bekehrten Franz psychologisch unmöglich zu erklären wäre,
verständlich darlegt.
Mitten in die gedankenlosen, sinnlichen Freuden seines Lebens
griff eine höhere Gewalt und warf ihn auf das Krankenlager. Lange
Zeit verging, bis er, auf den Stab gestützt, im Hause umhergehen,
bis er endlich wieder ins Freie hinaustreten konnte. Da schien die
ganze Welt verändert : die üppige Schönheit der Felder, die Lieb-
lichkeit der weinbewachsenen Berge konnte ihn nicht wahrhaft er-
götzen, verwundert betrachtete er sich selbst! Die bittere, in
^) Dies ist das Ausschlaggebende für Thomas in seiner II. Leg. cap. I, während
die T. s. cap. I, den Vater selbst, als er von Frankreich zurückkehrte, ,, Giovanni" mit
„Francesco vertauschen lassen."
2) Th. II Leg. I, cap. I. — T. s. cap. I, S. 724. — Bon. I, S. 744.
Die Geschichte seiner Bekehrung.
leidensvollen Zeiten erkaufte Erkenntniß von der Vergänglichkeit
der Dinge war plötzlich über ihn gekommen, wie über so Viele vor
ihm und nach ihm, in Augenblicken verzweifelter Angst und in
Stunden langen Sinnens! Wer uns doch etwas erhalten hätte von
den Gesprächen, in denen die Mutter, am Schmerzenslager sitzend,
dem Sohne Trost zu geben wußte — hat sie ihm damals nicht
vielleicht auch von jenem Petrus Waldus erzählt, der, durch den
jähen Tod des Freundes plötzlich zum Bewußtsein der Werthlosig-
keit irdischer Güter gekommen, seine Habe von sich gethan hatte
und arm hinausgewandert war?
Im tiefsten Grunde verändert, auf Ernsteres gerichtet waren wohl
seit jener Krankheit die Gedanken des Jünglings, doch wuchs mit
den Kräften auch der Thatendrang neu empor, der sich nur andere
Ziele als zuvor suchte. Vielleicht geschah es damals, daß er mit
in den Kampf gegen Perugia zog und gefangen wurde. Da zeigte
er sich im Kerker so wohlgemuth und heiter, daß sich die Genossen
über ihn verwunderten. Ja, wenn er seine Fröhlichkeit wirklich mit
den Worten erklärt hat, ,,daß man ihn noch einst in der ganzen
Welt verehren würde", so zeugt das von einem fast übermüthigen
Bewußtsein der erneuten Stärke. Daneben aber äußert sich das
liebevolle Gemüth in der besonderen Berücksichtigung, die er einem
bei den Anderen verhaßten Mitgefangenen zutheil werden läßt^), wie
in der freiwilligen Gabe, die er, nach Assisi zurückgekehrt, dem armen
Soldaten , des eigenen Mantels sich beraubend , gewährt. ^) Die
schönste, erste Frucht des eigenen Leidens war das Mitleid mit dem
Anderer. So fiel es ihm schwer auf die Seele, als er einst einen
Armen ohne Almosen aus dem Laden geschickt, und eiligst lief er
ihm nach, das Versäumte gut zu machen.^) Bei alledem aber
scheint ihn ein innerer Drang zu den Waffen getrieben zu haben,
von denen lauter als sonst im Jahre 1204, zwei Jahre nach dem
Kriege mit Perugia, auch Assisi widerhallte.*) Ein Vornehmer,
Gentile, rüstete sich in den Krieg zu ziehen, der seit einigen Jahren
zwischen Walther von Brienne und Diephold in Apulien entbrannt
war. War es die Wanderlust, die übermächtig in dem Jüngling
1) Th. n Leg. I, I. — T. s. cap. I, S. 724.
2) Th. II Leg. I, 2. — T. s. cap. I, 724. — B. I, S. 744.
3) Th. I Leg. m, 17. — T. s. a. a. O. — B. a. a. O.
*) Vgl. für die Zeitbestimmung Cristofani : St. d. A. I, S. 90 und Bonghi : Francesco
d' Assisi S. 10 u. 75. Die T. s. sagen Cap. I: post paucos vero annos, i. e. nach der Krankheit.
8 Franz von Assisi.
sich regte, war es die Sucht, sich auszuzeichnen, einem höheren
Ehrgeiz, als ihn der väterliche Laden befriedigen konnte, zu folgen,
oder waren es schon damals Zerwürfnisse mit dem Vater, die ihm
das Leben daheim verleideten — Franz rüstet sich reiche Kleidung
zu und macht sich bereit, dem Mitbürger zu folgen. So feurig an-
geregt von kriegerischem Muthe ist sein Geist, daß ihm im Traume
sogar die Waffen erscheinen ^), und den verwunderten Genossen
sagt er in stolzem Selbstgefühle, daß ihm bestimmt sei, noch ein
großer Fürst zu werden.^) Doch sollte es nicht zur Ausführung
des Vorhabens kommen , mag nun der am 1 1 . Juni des Jahres
erfolgte Tod Walthers die kriegerischen Freunde in Assisi ab-
gehalten , oder Franz selbst , wie die I. Legende will , eingesehen
haben, solch irdischen Zwecken gewidmeter Dienst sei seiner nicht
würdig.^) Er kehrte zu Spoleto um und kam in die Heimath
zurück. Die Ideale, denen er im Streben nach Waffenruhm und
kriegerischer Ehre zu dienen geglaubt, verloren ihren Schimmer,
und er begann mit feinerem Ohre auf die innere Stimme zu lauschen,
die, nun besser verstanden, zu ganz Anderem zu bereden schien.
Selbst inmitten der Freunde, die den Heimgekehrten froh als den
Ihrigen wieder begrüßen und ihn, nach der Sitte der Zeit, zu ihrem
Herrn erwählen, daß er ihnen ein reiches Mahl bereite, verläßt ihn
nicht das stille Sinnen. Als sie lärmend und singend durch die
Straßen ziehen, folgt er, ihr Anführer, das Zeichen seiner Würde:
den Stab in der Hand, in Gedanken vertieft und theilnahmlos, so
daß es den tollen Gesellen endlich zu arg wird und sie ihn neckend
fragen, warum er "doch so nachdenklich sei, ob er wohl gar daran
denke, eine Frau zu nehmen? Da flammt es in ihm auf, und das
Geheimniß kommt zutage : ,,Die Wahrheit sprecht ihr, denn ich sann
darüber, eine Braut zu erwählen und zwar eine edlere, reichere und
schönere, als ihr sie je gesehen!" Die Freunde mochten lachen, es
war ihm voller Ernst — die Braut, die all sein Denken gefangen
nahm, war die Armuth.*)
^) Als Vorbedeutung bei Th. I Leg. I, S. 685. — II Leg. I, 2. — T. s. a. a. O. —
B. a. a. O.
2) Th. II Leg. I, 2. — T. s. a. a. O.
^) Letzteres wird erst bei Th. II Leg. I, 2 und danach bei den T. s. a. a. O.
versinnbildlicht durch das Traumgesicht, in dem Christus ihn auffordert, doch statt
einem Diener dem Herrn selbst zu dienen.
4) Th. I Leg. I, S. 686. — Th. II Leg. I, 3. — T. s. I, S. 725.
Die Geschichte seiner Bekehrung.
Es hatte nur des öffentlichen Anstoßes gebraucht, den lange
geplanten Entschluß zur That werden zu lassen. Dem liebsten Ge-
nossen verrieth er in Räthselworten das Geheimniß von einem köst-
lichen Schatze, den er gefunden, und führte ihn mit sich aus der
Stadt hinaus zu der einsamen Höhle, in der er die ersten aufregen-
den Erfahrungen vollständiger seelischer Entrückung im Gebete
machte. Da fand seine glühende Seele die ganze Befriedigung, die
befreiende Erhebung, nach der sie sich schon so lange gesehnt —
er spürte es, daß das einzige Glück im Sichselbstvergessen, in der
Liebesbethätigung für Andere läge. Fortan wird er der Wohlthäter
der Armen: verwundert läßt es die Mutter in Abwesenheit des Vaters
geschehen, daß er ein reichliches Mahl für die Bedürftigen im eige-
nen Hause herrichtet — verwundert läßt sie ihn ziehen, als er, dem
lästigen Zwange der heimathlichen Sitte zu entgehen , nach Rom
pilgert, um sich dort selbst den Armen gleich zu machen. Mit ver-
schwenderischer Hand spendet er dem Apostelfürsten Geschenke und
setzt sich dann in den Lumpen eines Bettlers vor die Kirche, wo er
mit der Schaar der Besitzlosen die vorbeigehenden Kirchgänger an-
bettelt. Das war nicht bloße jugendliche Exzentrizität, die, schnell
befriedigt, schnell verging, sondern die erste Verwirklichung einer
Selbsterniedrigung, wie sie fortan der Grundzug seines Denkens
wird, wie sie begreiflich nur ist bei einer Natur, für die nicht die
mittlere mäßige Gemüthsbewegung, in der sich große geistige Auf-
regungen ausgleichen, die eigentlich normale war, die vielmehr ohne
Gefahr für sich selbst beständig in jenen hohen, unruhigen Regionen
der Exaltation lebte, in denen die Denkfreiheit gewöhnlicher
Menschen die Lebenskraft verliert.
Nur Armen zu helfen aber war eine zu leichte Aufgabe, es
verlangte ihn zur Befestigung in seiner Entsagung nach stärkeren
Prüfungen. Den heftigsten Abscheu, den er noch empfunden, den
Widerwillen gegen jene entsetzliche Krankheit des Aussatzes, die
mit den Schiffen der Kreuzfahrer aus dem Orient gekommen war,
zu überwinden, mochte ihm wohl als die heilsamste Übung in seinem
neuen Lebenswandel erscheinen. Und als er nur das erste Mal
seiner so Herr geworden war, daß er vom Pferde zu steigen und
solch einem unglücklichen Kranken mit dem Almosen zugleich die
Liebesbezeugung eines Kusses zu schenken vermochte, da war es
dann kein weiter Weg mehr zum Besuche der Krankenhäuser, denen
er bald ein liebreich dienender Freund und Wohlthäter ward. Der
lO Franz von Assisi.
Verkehr mit dem Elend aber zeitigte immer mehr die edle, reihe
Menschlichkeit seines von Liebe überströmenden Herzens.^)
Die ausgesprochene Dienstbeflissenheit seiner fiommen Ge-
danken tritt besonders zu Tage in der Vorsorge, die er für die Aus-
schmückung ärmlicher Kirchen hat. Es scheint ihm geradezu ans
Herz gegriffen zu haben, als er auf einem seiner einsamen Spazier-
gänge den ganz verfallenen, kleinen Bau von S. Damiano unweit
der Stadt gewahrte. Schnell faßte er den Entschluß, dem vernach-
lässigten Gotteshause wieder zu Ehren zu verhelfen. Er eilt, ohne
des Unrechts zu gedenken, das er seinem Vater thut, Scharlachtuche
in Foligno zu verkaufen und giebt auch sein Pferd hin, um nur
mehr Geld zu erlangen. Das bringt er dem erstaunten Priester zur
Wiederherstellung und nöthigen Ausstattung der Kirche, der selbst
das Oel in der ewigen Lampe fehlte. Als Jener es nicht annehmen
will, wirft er es zum Fenster hinein. So ungefähr erzählt die
I. Legende den Vorfall, und so wird es wohl geschehen sein. Erst
in den späteren ,,vite", denen Bonaventura folgt, erhält Franziskus
vom Kruzifixe selbst den Auftrag, die Kapelle herzustellen, was sich
dann sinnbildlich gar gut verwenden ließ. Höchst bezeichnend für
Franzens Charakter ist die Art, wie er hier mit dem Gelde verfährt
— noch immer ist er, freilich nur in guter Absicht, was er schon
früher war, ein Verschwender, dem mit der Achtung vor dem Golde
auch die Achtung vor des Vaters mühevollem Erwerbe zu fehlen
schien. Was Wunder, daß diesem, der den Sonderlichkeiten des
Sohnes schon lange genug nachgesehen hatte , die Sache endlich
doch zu arg wurde , als er seine Güte mißbraucht glaubte. Gar
manche ernste Ermahnung, die oft zu heftigstem Tadel wurde, mag
nichts gefruchtet haben. Als nun aber diesmal Franziskus gar nicht
nach Hause kam, sondern bei jenem Priester blieb, empörte sich
Petrus und lief mit den Nachbarn und Freunden nach der Kirche.
Da entwich der Jüngling und verbarg sich einen ganzen Monat
lang in einem abgelegenen Räume des Hauses, von irgend einem
Bediensteten spärlich mit Speisen versehen. Das harte Leben aber
^) Man vergl. für alles vorhergehende Th, II Leg. I, 4. 5. — T. s. I, S. 726 f. —
B. I, S. 745 f. — Die innerlichen Erfahrungen werden alle in Zwiegesprächen mit Gott
symbolisiert. Das Wunderbare in dem plötzlichen Verschwinden des Aussätzigen wird
von Th. II betont, von den T. s., die doch Th. II benutzen, offenbar absichtlich weg-
gelassen, von B. in den Vordergrund gerückt. Über die Zeitfolge der einzelnen Dinge
ließe sich streiten, doch kommt es schließlich wenig darauf an.
Die Geschichte seiner Bekehrung. 1 1
konnte, statt sie zu brechen, seine überzeugungsvolle Begeisterung
nur steigern, bis er, der feigen Zurückgezogenheit sich schämend,
endlich wieder ans Licht hervortrat und sich den Schimpf- und
Hohnreden der Bürger furchtlos aussetzte. Sie hielten ihn für toll
und wahnsinnig und verfolgten ihn mit Steinwürfen. Kaum hörte
der Vater von seinem Erscheinen, als er sich auf ihn stürzte, ihn
mißhandelte und in einem dunklen Räume des Hauses einsperrte.
Da war der Unfriede eingekehrt, alle Ermahnungen fruchteten so
wenig wie Schläge, selbst die Mutter vermochte, als der Gatte ab-
wesend war, mit ihrem liebevollen Flehen nichts zu erreichen. Den
Sohn wenigstens vor körperlicher Züchtigung zu schützen, ließ sie
ihn frei, was er benutzte, den alten Schlupfwinkel wieder aufzu-
suchen. Als der Vater, zurückgekehrt, ihn nicht mehr daheim fand,
ließ er die Gattin ihre Unvorsichtigkeit hart entgelten und erbat
sich, als er keinen Rath mehr wußte, gesetzliche Hilfe von den Kon-
suln der Stadt. Diese verwiesen ihn, da Franz sich in den Dienst
Gottes begeben, an des Bischofs Autorität, welcher sich der Jüng-
ling auch demüthig unterwarf. Er erstattete auf dessen Befehl dem
Vater das Geld wieder, das zu behalten er bisher wohl als ein gott-
gefälliges Beginnen betrachtet, und fügte demselben die Gewänder,
mit denen er bekleidet war, bei. Da haben wohl der Bischof, wie
auch Petrus eingesehen, daß eine Glaubensmacht in diesem Men-
schen war, gegen die jeder Widerstand sich vergeblich erwies — der
Erstere nahm sich erbarmend des Nackten an, der Andere überließ
ihn fortan sich selbst. An seiner Statt wählte sich Franz einen Armen
zum Vater, durch dessen Segen er den Fluch des leiblichen Vaters
zu entkräften hoffte.^)
Wie immer man die felsenfeste Ueberzeugung, die schrankenlose
Begeisterung des jungen Mannes für sein Ideal bewundern mag —
vielleicht möchte für Manchen in diesen Vorfällen ein leiser Miß-
klang bleiben : die Widersetzlichkeit gegen den Vater ! Indessen
wer wagt dem Sohne aus ihr ein Verbrechen zu machen ! Ist es
uns doch heute nicht mehr vergönnt, einen Blick in die Verhältnisse
zu thun, aus denen sich mit stürmischer Gewalt der Jüngling losriß,
lassen sich doch Naturen wie die seine überhaupt nicht mit dem
gewöhnlichen Maßstabe messen. Die volle Sympathie des Herzens,
die wir ihm während seines ganzen Lebens fortan ungetrübt be-
^) Im wesentlichen nach Th. I und den T. s. erzählt, obgleich Alles ähnlich
auch in der II. Legende wiederkehrt und B. das meiste wiederholt.
12 Franz von Assisi.
wahren, berechtigt dazu, uns auch in diesem Kampfe zwischen Vater
und Sohn auf des Letzteren Seite zu stellen. Was in der Lebens-
geschichte eines Salimbene verletzend berührt, der jähe, rücksichts-
lose Bruch mit dem Elternhause, erscheint in der Entwicklung eines
Franz nothwendig und in milderem Lichte. Ob Dieser sich nicht
selbst in den Jahren reiferer Anschauung mit leiser Wehmuth jener
leidenschaftlichen Zeit erinnert hat, in welcher er die geistige Frei-
heit so gewaltsam sich erringen mußte?
Sich selbst und seinem Berufe überlassen, wanderte nun Franz
in ärmlichem Gewände aus der Stadt, in der Freudigkeit seines Ge-
müthes das Lob Gottes singend. Selbst die Mißhandlung von Räubern,
die ihn, als er sich stolz den Herold Gottes nannte, verspottend in
den Schnee warfen, vermochte den Jubel seines Herzens nicht zu
unterdrücken. Als Küchenjunge diente er in einem Kloster und er-
hielt endlich in Gubbio von einem Freunde eine Tunika zum Ge-
schenk. Dann scheint er wieder heimgekehrt zu sein und beginnt
die Kirche S. Damiano auszubauen, als wüßte er, daß sie der Auf-
enthaltsort für seine Nachfolgerin Chiara und deren Schwestern
werden sollte.^) Noch überkommt ihn wohl ein Gefühl der Scham,
als er bettelnd in ein Haus schreiten will, vor dem die Bekannten
ihr Spiel treiben, doch überwindet er es schnell und bald erschallt
laut seine Stimme, die Bürger auffordernd, ihm Steine zum Bau zu
bringen: ,,Wer mir einen Stein giebt, wird einen Lohn empfangen,
wer mir zwei Steine giebt, wird zweifachen Lohn empfangen."^)
Dann schleppt er die Lasten auf seinen eigenen Schultern hinab
und rastet nicht, bis er das Gotteshaus hergestellt hat. Eine Zeit-
lang läßt er es sich gefallen, daß der Priester für seinen kärglichen
Unterhalt sorgt, bald aber scheint ihm auch dies zu viel und er
fängt an, sich selbst seine tägliche Nahrung zu erbetteln. Als darauf
S. Damiano fertig geworden, kommt er einer anderen baufälligen
Kirche S. Pietro zu Hilfe, endlich der kleinen Kapelle der Mutter
Gottes, die Portiuncula genannt wurde. ^) Dies geschah im dritten
^) Der einfache Hinweis auf die Thatsache in Th. I Leg. cap. III, S. 689 ver-
wandelt sich ohne weiteres in der II Leg. I, 8 und bei den T. s. cap. II, S. 730 in
eine Prophezeiung, die er damals ausgesprochen hätte.
2) Th. II Leg. I, 9. — T. s. II, S. 730.
^) Vergl. über diese Bauten und die ihnen gemeinsamen architektonischen Be-
sonderheiten, das spitzbogige an den südfranzösischen Stil erinnernde Tonnengewölbe,
weiter unten den Abschnitt: Die Architektur der Franziskanerkirchen.
Die Anfänge des Ordens. i?
Jahre nach dem Beginn seiner Bekehrung, das will sagen 1209, wie
Bonghi überzeugend nachgewiesen hat.^)
II. Die Anfänge des Ordens.
Aller Hindernisse ungeachtet hatte der mächtige, enthusiastische
Drang nach Selbsterniedrigung und Demüthigung vor Gott den Jüng-
ling die Grenzen der hergebrachten Sitte überschreiten lassen —
liest man die alten Legenden, so kommt man bei der Schilderung
des rastlosen Vorwärtseilens seiner stürmischen Natur fast nicht
zu Athem. Und doch muß es für ihn selbst Augenblicke der Ruhe
und Überlegung gegeben haben, als endlich die Mauern der ver-
fallenen Kirchen wiederhergestellt waren und er nach neuer Thätig-
keit im Dienste Gottes auszuschauen gezwungen war. Mit dem
Schichten von Steinen konnte der inneren Sehnsucht nicht Genüge
gethan werden, den Armen und Kranken zu helfen, fehlte ihm, der
selber nichts zum Leben hatte, das Nöthigste ! Da hörte er einst das
Evangelium von der Aussendung der Jünger lesen : „Gehet aber und
prediget und sprechet : das Himmelreich ist nahe herbei gekommen.
— Ihr sollt nicht Gold, noch Silber, noch Erz in euren Gürteln
haben; auch keine Tasche zur Wegfahrt, auch nicht zwei Röcke,
keine Schuhe, auch keinen Stecken." (Matth. 10, 7. 9 — 10.) Das
gab ihm, was er ersehnte : den apostolischen Lebenszweck der Predigt.
„Dies ist's, was ich will", sprach er, „dies ist's, was ich suche, dies
begehre ich mit allen Kräften der Seele zu thun." Und wörtlich voll-
zog er das Gebot, löste die Sandalen von den Füßen, legte den
Stab aus der Hand, gürtete sich den Strick um und machte sich aus
dem rauhesten, ärmlichsten Stoffe eine Tunika in der Form des
Kreuzes. Dann brach er auf und begann zu predigen in derselben
^) S. 77. Th. I Leg. m, S. 690. — Die Schwierigkeit der Zeitbestimmung liegt
darin , dafi von Thomas von Celano , den T. s. und Giordano di Giano an den ver-
schiedenen Stellen die Epoche der Bekehrung verschieden angesetzt ist. Sie unterscheiden:
Anfang und Entscheidung derselben, zwischen welchen ein Zeitraum von 3 Jahren liegt.
Ein Vergleich der andern Zeitangaben : er wird 25 Jahre alt bis zur Bekehrung (Th. I
Leg. I) , er stirbt , nachdem 20 Jahre seit derselben vergangen (Th. I Leg. 11 , ■ c. I,
S. 707)) er geht im 13. Jahre seiner Bekehrung nach Ägypten (wohin er 12 19 gegangen
sein muß) Th. I Leg. VII, S. 699. B. IX, S. 767 — dies deutet Alles auf 1206, als
Jahr, in welchem die Bekehrung begonnen, zurück (Jordanus sagt p. 516: 1207),
während die T. s., wenn sie sagen, im 11. Jahre seien die Minister zuerst ausgeschickt
worden, die Vollendung der Bekehrung meinen (also 12 10 oder 1209. — T. s. IV, S. 739)-
14 Franz von Assisi.
Kirche, in der er als Knabe gelernt, mit einfachen Worten — aber
dieselben drangen wie glühendes Feuer in die Tiefen des Herzens
und erfüllten Alle mit Bewunderung. Was mußte das für eine Gabe
der Rede sein, der selbst die früheren Freunde und Bekannten, denen
er zum Spott geworden war, nicht widerstehen konnten ! Denn wie
sein steter Gruß, der stete Anfang seiner Predigt das versöhnende
Wort : der Herr gebe dir Frieden ! war, so brachte er wirklich solchen
Frieden mit sich, daß selbst alte Widersacher des Grolles in herz-
licher Umarmung vergaßen.^)
Die Zeit der Vorbereitung war vorbei, die lange im Innern ge-
hegte Liebe und Begeisterung fand Befreiung nach außen in dem
mit sich fortreißenden Strome der Worte, die aus dem Herzen kamen
und zu Herzen gingen. Und, können wir hinzusetzen, die eigenste
Begabung hatte das Feld ihrer wirksamsten Thätigkeit in der Predigt
gefunden !
Was die Eltern zu dieser neuen Wendung in dem Leben ihres
Sohnes gesagt, verräth keine Silbe der Biographen, die auch fernerhin
kein Wort mehr für sie haben. Und doch wäre da sicher, wenig-
stens von der Mutter, so viel zu erzählen gewesen !
Kaum aber hatte Franz zu predigen angefangen, als er auch
schon Nachfolger und rückhaltlose Bewunderer fand. Und damit
begann für ihn die große Täuschung seines Lebens, deren er sich
wohl manchmal bewußt geworden sein mag, ohne sie jedoch je
in ihrem ganzen Umfange erkannt zu haben — der irrige Glaube
nämlich, daß eine Lebensauffassung, die seiner individuellen, fest in
sich begründeten Anlage entsprach, nach ihrer ganzen Reinheit sich in
Andere verpflanzen ließe, das Gemeingut und Prinzip einer großen
Genossenschaft werden könne. Damals konnte er es freilich noch
nicht ahnen, welche schnelle Ausdehnung die letztere gewinnen
würde, als der erste Jünger, ein schlichter Mann aus Assisi, der, in
der I. Legende ohne Namen erwähnt, wohl derselbe Petrus Catanei
ist, den die tres socii als zweiten Schüler anführen, sich zu ihm ge-
sellte.^) Für die ,,drei Genossen" ist der erste : Bernhard von Quinta-
valle, der lange schon mit Verwunderung die Sinnesänderung des
Jünglings beobachtet hatte und ihm nun eine Unterkunft in seinem
Hause gewährte. Da ward er Zeuge von dessen nächtlichen Gebeten
1) Th. I Leg. m, IV, S. 690.
2) I Leg. rV, S. 691. — T. s. III, S. 731.
Die Anfänge des Ordens. 15
und beschloß, hingerissen von solch gottseligem Wandel in Worten
und Werken, dem Beispiel zu folgen. Auf seine Frage, was er thun
und wie er über seine irdischen Güter verfügen solle, verwies ihn
Franz auf das Wort Christi : ,, Willst du vollkommen sein, so gehe,
verkaufe Alles, was du hast, und gieb es den Armen und du wirst
einen Schatz im Himmel haben." ^) So kurz erzählt die erste Legende
den Vorfall, der schon in der zweiten und bei den tres socii, offenbar
mit Benutzung jener ersten Offenbarung, die Franz allein zutheil
geworden war, ausführlicher geschildert wird. Diesen zufolge gehen
Beide in die Kirche des h. Nikolaus und erhalten dort nach der Sitte
der Zeit durch zufälliges Öffnen der Bibel Orakelantworten des Evan-
geliums, die neben jenem erwähnten Spruche die zwei anderen bringen :
,,und gebot ihnen, daß sie nichts bei sich trügen auf dem Wege"
(Mark. 6, 8) und : ,,will mir Jemand nachfolgen, der verleugne sich
selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir" (Matth. 16, 24).
In diesen Sprüchen aber habe Franz die Lebensregel für sich und
seine Genossenschaft erkannt.^) Daß er als Grundlage des Gott wohl-
gefälligen Lebens die Armuth angesehen und seine ersten Schüler
bestimmte, sich ihr ganz zu widmen, ergiebt sich jedenfalls mit
Sicherheit aus seiner genugsam ersichtlichen eigenen Ueberzeugung.
So ging denn Bernhard hin und verschenkte all sein Hab und
Gut. Dessen war ein Priester, namens Silvester, Zeuge, dem einst
Franz die Steine für den Bau von S. Damiano abgekauft hatte. Der
dachte die Gelegenheit zu benutzen und forderte Jenen auf, ihm nun,
da er es habe, die Steine besser zu bezahlen. Willig ging Franz darauf
ein. Den Priester aber kam nach wenigen Tagen die Reue an, daß
er, obgleich schon so alt, noch immer am Zeitlichen hänge, während
dieser Jüngling sich genügen lasse an Gottes Liebe. Ein Traumbild
von einem bis zum Himmel ragenden Kreuze, das aus Franziskus'
Munde ging, bestärkte seine Verehrung für den vorher Verachteten,
und nach kurzer Zeit gesellte er sich den Schülern bei.*^) Die Zahl
1) Th. I Leg. IV, S. 691.
') Th. n Leg. I, 10. — T. s. m, S. 732. — Beide wurden wohl durch die
Worte: „ipse mihi dominus revelavit, ut deberem vivere secundum formam Evangelii",
die Th. I aus dem Testament des Franz zitiert, bestimmt, den Vorgang der Offenbarung
selbst zu erfinden.
3) Silvesters Bekehrung berichten erst Th. II Leg. III, 64. S, 164 und T. s. III,
S. 732. — B. schmückt das Traumgesicht noch aus: vor dem Kreuze flieht ein Drache,
der Assisi umlagert hielt. lU, S. 748.
l6 Franz von Assisi.
derselben ward durch Ägidius, gleichfalls einen Einwohner von
Assisi, erweitert und bald nachher, nach der I. Legende, durch
Philippus und einen Ungenannten. Mit ihnen mag sich wohl für
Franz auch die Sorge eingestellt haben, wie es den wenigen ein-
fachen Leuten in der Welt gehen werde, in die er sie hinaussenden
wollte. In seiner tiefen Bekümmerniß läßt die I. Legende den jugend-
lichen Vater der kleinen Genossenschaft durch Gott selbst getröstet
werden, der ihm weissagend die Menge Derer, die später die Regel
zu der ihrigen machen sollten, zeigt. So spricht er den Genossen
Muth ein: ,,Seid getrost, ihr Theuersten, und freut euch im Herrn,
und werdet nicht traurig, wenn ihr gleich so wenige scheint!" Dann
sendet er sie, als noch ein achter hinzugekommen, seines Missions-
berufes nun ganz sicher, zu zweien in die vier Weltrichtungen und
mit dem Auftrag: „Geht, ihr Theuersten, je zu zweien, in die ver-
schiedenen Theile der Welt und verkündet den Menschen Friede und
Buße für Erlassung der Sünden; und seid geduldig in der Trübsal
und sicher, daß der Herr sein Vorhaben und Versprechen erfüllen
wird. Wenn sie euch fragen, so antwortet demüthig, und segnet, die
euch verfolgen, denen die euch beleidigen und Uebles nachreden,
sagt Dank, weil euch dafür das ewige Königreich bereitet ist."^)
Mit diesen echt christlichen Worten entläßt er sie — hier, wie in
Allem, was die Schüler von seinen Worten erhalten haben, tritt eine
tiefinnerliche Kenntniß des Bibelwortes, ein so lauteres und ursprüng-
liches Nachempfinden der Lehren und Anweisungen Christi hervor,
wie es nur in einem kindlich vertrauensvollsten Herzen entstehen
konnte. Und wer erst dieses Herz einmal verstanden hatte , der
mußte mit unlöslichen Banden der Liebe und Verehrung an den
jugendlichen Prediger geknüpft sein, der in freiem Fluge sich über
die kleinlichen Rücksichten der Eigenliebe erhoben hatte, obgleich
er in den Jahren stand, in denen sonst dieselbe Führer und Lehrer
zu sein pflegt.
Es waren wohl nur kurze Wanderungen in der Umgegend, auf
denen die Brüder, mehr im Einzelnen lehrend und bekehrend als
predigend, auftraten. Bald waren sie wieder vor der Portiuncula
versammelt, nach der I. Legende vom Zuge des Herzens und durch
Gottes Hand zu gleicher Zeit heimgeführt, von welcher wunderbaren
ä) Th. I Leg. IV. Die Vision: veniunt Francigenae, festinant Hispani, Theuto-
nici et Anglici currunt! S. 691.
Die Anfänge des Ordens. 17
Begebenheit freilich die tres socii und offenbar mit Absicht schweigen.^)
Ein Jeder mußte da von seinen Erlebnissen erzählen, so wenig er-
freulich dieselben auch sein mochten, da die Leute sie zumeist für
Narren oder Betrunkene gehalten hatten. Nur selten hatte sich
eine Stimme hören lassen wie die : ,, entweder sie streben höchste
Vollkommenheit um Gottes Willen an oder sie sind sicher wahn-
sinnnig, denn verzweifelt scheint ihr Leben, da sie kärglich sich
nähren, mit nackten Füßen laufen und mit den schlechtesten Ge-
wändern angethan sind*'.^) Sie alle nämlich hatten, selbst in der
Tracht, das Beispiel ihres Vaters nachgeahmt. War ihnen aber diese
gemeinschaftlich, so war ihnen auch sicher schon zu jener Zeit, zumal
als noch vier Jünger sich zu ihnen gesellten, unter denen Sabbatinus,
Moritus und Johannes de Capella erwähnt werden, eine wenn auch
noch so allgemeine Norm des Lebens gemein. Die tres socii er-
zählen, daß Franz mehrere Regeln gegeben, ehe er die eigentliche
für alle Zeit bestimmende fixiert habe*. Es sind wohl zunächst nichts
Anderes als die Vorschriften der Armuth und eine Zusammenstellung
von Bibelsprüchen gewesen. Vergebens widersetzte sich der wohl-
meinende Bischof von Assisi dieser gänzlichen Besitzlosigkeit, deren
Werth für den wahren, vom Irdischen unabhängigen Nachfolger
Christi Franz in schlichten Worten überzeugend ihm entgegenzu-
halten wußte.
So lebte denn in inniger Liebe die kleine Gemeinde beisammen,
die von dem Volke der Umgegend „die büßenden Brüder von Assisi"
genannt wurde. ^) Des Tags über hieß sie Franz fleißig beten und
mit ihren Händen arbeiten, da er im Müßiggang den Feind der Seele
sah, in der Nacht aber erhoben sie sich, abermals unter Thränen und
Seufzern zu beten. Einer diente dem Andern und war willig zu
jedem Gehorsam. Wer mit Worten den Freund verletzte, warf sich
demüthig zu Boden nieder, und Jener mußte den Fuß auf ihn setzen,
ob er sich auch weigerte. Nichts Eigenes besaßen sie und was sie
bettelnd erhielten, theilten sie mit den Armen. Da keine Sorge um
Irdisches ihnen oblag, waren ihre Herzen fröhlich und ganz auf den
Herrn gerichtet.*) So konnte es dem glücklichen Franz wohl scheinen,
1) Th. I Leg. IV, S. 692. — T. s. III, S. 732 f. — B. III, S. 749. — Die t. s.
lassen den Auszug schon erfolgen, als es im ganzen erst vier Brüder sind.
2) T.'s. in, S. 732.
8) T. s. ebds.
*) T. s. III, S. 734.
T h o d e , Franz von Assisi. 2
Franz von Assisi.
in der apostolischen Armuth das von allen Sorgen und Leiden der
Welt befreiende, allgemeine christlidie Prinzip als Rettungsmittel
einer vergänglichen Interessen nachjagenden Menschheit zu bieten.
Und das zu einer Zeit, in der ein ausgedehnter Handel in täglich
wachsenden, mächtigen Städten ungeahnte Reichthümer anhäufte, in
der das Trachten und Sinnen mit immer glücklicherem Erfolge auf
vielseitigen Erwerb gerichtet war! Und dennoch, wer den Schwärmer
von Assisi einen Thor nannte, der ahnte nicht, welche tiefe Weisheit
der Ethik aus seinem Siegesglauben sprach, dem heute und immerdar
sein Recht widerfahren muß, das Recht einer schrankenlosen An-
erkennung und Bewunderung. Für sich, für den einzelnen Menschen
hat er das Höchste erreicht, — darf auch der nicht gleich ihm be-
gnadigte Mensch, der hindernden Besitz nicht wegwirft, sondern
trotz desselben und mit ihm die edelsten Pflichten selbstloser
Nächstenliebe erfüllt, des Christenthums tröstlich gewiß sein.
Liest man die rührende Schilderung, welche die tres socii von
diesem friedlich-harmonischen Zusammenleben der Brüder machen,
so erinnert man sich unwillkürlich jener Armen von Lyon, die sich
dreißig Jahre früher an Petrus Waldus angeschlossen. Schon
Hurter in seiner Geschichte Innocenz' III. ^) und Schmieder in seinem
Aufsatz: ,, Petrus Waldus und Franz von Assisi"^) haben das Ge-
meinsame in den Bestrebungen der beiden Männer betont: Beide
machen die Predigt des Evangeliums zu ihrem Berufe, Beide nehmen
die Gebote Christi zum alleinigen Gesetz, im Bibelworte, nicht in
der Tradition ihr Heil suchend. Beide halten sich an den Buchstaben
der Schrift, ohne darüber den Sinn zu vernachlässigen. Beide er-
streben die Vollkommenheit in der Nachfolge Christi, ohne zur An-
schauung des Seligwerdens nur durch den Glauben gelangt zu sein.
Die Bedeutung, welche der Begriff des an den Wortlaut der Bibel sich
anschließenden ,, apostolischen Lebens" in jenen Zeiten plötzlich ge-
winnt, legt Zeugniß ab von einer allmählich sich vorbereitenden, mit
den Waldensern zuerst in der ganzen Konsequenz der Verwirklichung
hervortretenden Reaktion, die sich gegen das vielgliedrig ausgebildete
System eines durch weltliche und geistliche Macht ausgezeichneten
Klerus erhebt. Die von den eigentlichen Berufspflichten abziehenden
politischen und zugleich irdisch sinnlichen Interessen der GeistHchen
1) n. Aufl. 1844. IV. Bd. S. 239 ff.
«) Ev. Kirch.-Ztg. 1854. Bd. 54. S. 273 ff.
Die Anfänge des Ordens. iq
hatten sie den Bedürfnissen des Volkes entfremdet. Ueber den
großen, weltbewegenden Fragen des Katholizismus war der Einzelne,
der, christlich erzogen, von seiner Kirche auch Trost und Erhebung
in seinen ganz persönlichen Leiden verlangte, vergessen worden.
Ihm brachte der momentane Sieg des Papstthums über den Kaiser
ebensowenig Frieden, wie eine jeweilige glückliche Besitznahme der
Mathildischen Güter durch Papst oder Kaiser. Im Kampfe um das
heilige Land für Zeiten bis zum Fanatismus begeistert und durch
die Aufregungen eines ungewohnten Lebens betäubt, vergaß er wohl
das unbefriedigte Gefühl seines Herzens, doch war das nur ein
kurzer Rausch, dem allzuschnell die Ernüchterung folgen mußte.
Die Glaubensgüter der Kirche allein vermochten nicht die innere
Leere, die sich nach allen den kriegerischen Zerstreuungen der Zeit
mit doppelter Stärke fühlbar machte, auszufüllen. Dazu war nur
Eines gut: die Predigt, der direkte Einfluß des christlichen Wortes,
das mit seiner einfachsten, höchsten Moral Jedem das brachte, was
er suchte. Und gerade die Predigt war dem Volke abhanden ge-
kommen. Das sagt mit klaren Worten das IV. Lateranensische
Konzil in seinem lo. Kapitel: de praedicatoribus instituendis , zu
einer Zeit, als man den Elrebsschaden der Kirche endlich er-
kannt hatte.
Es war das praktische Bedürfniß, welches Männer wie Peter von
Bruis und den Cluniacenser Heinrich, das Petrus Waldus, das Fran-
ziskus zur Verkündigung des göttlichen Wortes aufforderte — in
ihnen erhebt sich, als erstes Flammenzeichen eines neuen Christen-
thumes, das eingeborene religiöse Gefühl des Volkes, das aus sich
selbst und für sich selbst die Verkündiger des Evangeliums schafft,
welche des Volkes Sprache und Gedanken reden. So hätte es wohl
auch nichts Wunderbares, daß in verschiedenen Ländern, nur durch
wenige Jahrzehnte getrennt, zwei Männer mit so gleich gerichteten
Lebensanschauungen erstanden, spräche nicht Vieles für einen ge-
heimen Zusammenhang zwischen Beiden. Mir scheint, mit der
Anerkennung bloß einer allgemeinen Verwandtschaft ist die Sache
nicht abgethan.
Zunächst ist zu bemerken, daß — was immer hierüber neuer-
dings gesagt worden ist — die Idee des Mönchthums anfangs
Franz ganz fern liegt, daß erst mit dem Augenblicke, als seine Ge-
nossenschaft in die Institutionen der Kirche aufgenommen wird, sie
die Gesetze und Pflichten einer Ordensgemeinde übernimmt. Im
20 Franz von Assisi.
Gegentheil tritt die ganz nach außen sich richtende Thätigkeit und das
Wanderleben des Franz, wie das der Waldenser, in direkten Wider-
spruch zu dem von der Welt abgewandten , in sich geschlossenen
Klosterleben. Hier das dem Wohle der eigenen Seele gewidmete
Gebet, dort die Predigt, welche die eigenen inneren Erfahrungen
zum Besten Anderer verwerthet. Aus einer anderen Auffassung auch
als derjenigen des Mönchthums geht bei Petrus und Franz der Begriff
der Armuth hervor, nämlich aus der Idee apostolischer Besitzlosig-
keit. Es handelte sich hier anfangs nur um den Einzelnen, der,
wollte er wirklich arm sein, auf die Almosen der Menschen ange-
wiesen war. Daß nur der arme Prediger wirklich imstande sei, den
Dienst Gottes treulich zu erfüllen, erwiesen die Waldenser aus der
Stelle 2 Tim. 2, 4^), und ganz dasselbe bringt auch Franz vor dem
Bischof vor: ,,Herr, wollten wir irgendwelchen Besitz haben, so
thäten uns Waffen noth, uns zu beschützen. Denn daraus entstehen
Streitfragen und Zwiste, durch welche die Liebe zu Gott und dem
Nächsten vielfach verhindert wird, und daher wollen wir nichts Zeit-
liches in diesem Leben besitzen."'^) Dann entnahm ferner Franz,
ehe er noch daran dachte, die päpstliche Genehmigung einzuholen,
das freie Recht der Predigt der heiligen Schrift und that damit nur
das Gleiche, was den Waldensern von der Kirche als Häresie an-
gerechnet wurde und weßwegen sie den bittersten Verfolgungen aus-
gesetzt waren. Macht aber die Uebereinstimmung in diesen ganz
wesentlichen Hauptpunkten schon sehr geneigt, eine direkte Be-
ziehung zwischen den Armen von Lyon und denen von Assisi an-
zunehmen, so tragen dazu in nicht geringerem Grade Einzelheiten
und äußerliche Züge bei.^) ,,Zu je zweien gehen sie herum", sagt
Walther Mapes von den Waldensern, welche so, wie die Jünger des
Franz, die Vorschrift Christi (Mark. 6, 7) wörtlich befolgten.*) Die-
selbe Bibelstelle war für Beide auch in der Wahl der Tracht maß-
gebend, wie denn der Beschreibung nach die,,cappae quasi religionis"
der Häretiker den Franziskanerkutten ähnlich gewesen sein müssen,
nämlich einfache, nur gegürtete Gewänder, die ohne Unterkleid ge-
^) Vergl. Dieckhoff: Die Waldenser im Mittelalter. Göttingen 185 1.
«) T. s. III, S. 733-
^) Vergl. die Details über die Tracht und Sitten der Waldenser bei Dieckhoff.
*) De Christ. Eccl. successione et statu ed. II. London 1682. S. II2: Bini et
bini circumeunt.
Die Anfänge des Ordens. 21
tragen wurden.^) Sehr wahrscheinlicher Weise war auch der Gruß
der Waldenser, wenn sie ein Haus betraten : „pax huic domui", da
sie den Spruch, aus dem die Stelle entlehnt ist, sonst ja zur Regel
ihres Wanderlebens erkoren.^) Und ,,pax huic domui" verkündet
der Zettel, den Franz auf dem ältesten erhaltenen Bildnisse in Subiaco
in der Hand trägt, als rührendes Zeugnis dafür, wie unzertrennlich
von der Erscheinung dieses Friedensboten der Friedensgruß war.
Wie könnte es nach dem Allen zweifelhaft bleiben, daß in dem
fernen Städtchen Assisi Petrus Waldus einen Anhänger und Nach-
folger gefunden, der nur, weil er zugleich der katholischen Kirche
heilig war, bisher als solcher nicht erkannt wurde? Die Lösung
des Räthsels dürfte sich unschwer ergeben, bedenkt man, daß eben
jener italienische Waldenser „der Franzose" genannt wurde, daß
sein Vater in Geschäftsbeziehung zu Frankreich stand, daß seine
Mutter aller Vermuthung nach aus dem Süden Frankreichs stammte.
Ob er in jungen Jahren selbst in seiner eigentlichen Heimath ge-
wesen? Oder ob nicht vielleicht die Mutter zu jenen zahlreichen
Anhängerinnen des Waldus gehört, von denen wir wissen, und ihre
innerste Überzeugung auf den geliebten Sohn übertragen? Mögen
auch die alten Biographen nichts von alledem erzählen — was
Wunder, da durch des Papstes Segen Franziskus der herrlichste,
gläubigste Herold der Kirche geworden, Petrus aber mit dem
Fluche behaftet als Häretiker zugrunde gegangen und vergessen war!
Gar eigene Gedanken mögen Innocenz III. bewegt haben, als
im Jahre 1210 ein unbekannter, ärmlicher Mann mit elf Genossen
vor ihm erschien und um das Recht der freien Predigt bat! Er
wird denselben schwerlich so verächtlich zurückgewiesen haben, wie
Matthäus Paris es in der Form einer derben Anekdote erzählt.^)
Er war ein viel zu feiner Menschenkenner, als daß er, über das
vernachlässigte Aeußere eines Franziskus spottend, ihm den Rath ge-
geben, die Gesellschaft der Schweine aufzusuchen, zu denen er mehr
gehöre, als zu den Menschen. Es war nur natürlich, daß das Zu-
sammentreffen zweier Männer, wie Innocenz III, und Franz, binnen
^) Ursbergische Chronik des Abtes Konrad von Lichtenau. Straßburg 1609.
S. 243.
^) Luk. 10, 5: „Wo ihr in ein Haus kommt, da sprechet zuerst: Friede sei in
diesem Hause. — In demselben Hause aber bleibet, esset und trinket, was sie haben.
Denn ein Arbeiter ist seines Lohnes werth."
*) a. a. O. S. 329.
22 Franz von Assisi.
kurzem den Anlaß zu allerlei Legenden gab. Die älteste vita weiß
noch von nichts Anderem, als daß Letzterer den Bischof von Assisi
in Rom vorfand, der sich wie früher seiner freundlich annahm und
ihn dem Bischof Johannes de Sancto Paulo zuführte. Dieser rieth
anfangs dazu, daß Franz Mönch oder Eremit werde, ließ sich aber
von Dessen abweichenden Ansichten überzeugen und empfahl die
gute Sache dem Papst. Nach reiflicher Überlegung gab Innocenz
dem Unternehmen seinen Segen und sprach: ,,Geht mit dem Herrn,
ihr Brüder, und predigt Allen Buße, wie Gott es euch einzugeben
sich herablassen wird! Wenn aber der allmächtige Gott euch an
Zahl und Gnade bereichert haben wird, so bringt mir solche freudige
Botschaft, und dann werde ich euch mehr als dies gewähren und
mit mehr Ruhe Größeres euch anvertrauen."^)
Es war demnach, wie auch aus der erst später erfolgten Ge-
nehmigung einer bestimmten Regel hervorgeht, nichts Anderes als
die Erlaubniß zu predigen, die Innocenz den Armen von Assisi
mündlich ertheilte, wenn er ihnen auch zugleich wohl allgemeine
Vorschriften für ihr Leben gegeben. Erst bei den tres socii und
danach bei Bonaventura wird eine förmliche Bestätigung der Regel
und die Aufnahme der Prädikanten in den Stand der Kleriker
daraus, die durch die Tonsur besiegelt worden sei.^) Mit sicherem
und glücklichem Griff hat der Papst durch seine dem Franz er-
wiesene Milde eine Bewegung für die Kirche gewonnen, die gefahr-
bringend, weil vom Volke ausgehend, und ursprünglich gegen die-
selbe gerichtet war. Der Schritt war von unermeßlichen Folgen. Die
große Masse des Volkes wurde von Neuem der Kirche gewonnen,
die Kirche von Neuem im weitesten Sinne des Wortes populär. Mit
denselben Waffen, welche die drohende unzufriedene Menge gegen
die kirchlichen Institutionen geführt, wurde sie besiegt und unter-
worfen, mit den Waffen der Predigt göttlichen Wortes und der
Verzichtleistung auf irdische Güter. Die Worte des Franziskus
haben mehr bewirkt gegen die Häretiker, als die Schwerter der
Kreuzfahrer im südlichen Frankreich. Und es hat sich in jener Zeit
wahrlich nicht allein um die Bezwingung zerstreuter, unbedeutender
Sektierer gehandelt, sondern um die Bewältigung der ersten großen
sozialen Bewegung im christlichen Staate. Zum ersten Male erklang
1) Th. I Leg. V, S. 693.
2) T. s. IV, S. 737. — B. III, S. 750.
Die Anfänge des Ordens. 23
aus den unteren Schichten der Bevölkerung heraus der Ruf nach
Freiheit, zum ersten Male machte das Individuum laut und fordernd
sein Recht gegenüber der Allgemeinheit geltend. Aber die Spitze
dieser Bewegung kehrte sich gegen die geistliche Regierung. Sie
im Keime zu ersticken, hätte die Gewalt selbst eines Simon von
Montfort nie ausgereicht, der gläubigen Begeisterung und christlichen
Liebe des Volksmannes Franziskus, an dessen Vorbild dann auch
Dominikus sich anschloß, ist es gelungen.
Die ganze Bedeutung des Augenblickes, in dem er Franz seinem
Herzensdrange zu folgen erlaubte, wird selbst einem Innocenz nicht
bewußt geworden sein; daß er aber mitten in den drängenden
Sorgen des Albigenserkrieges erkannte, die Waffen allein thäten es
nicht, ist zweifellos. Hatte er ja gerade um jene Zeit auch einer
Abzweigung der Waldenser, den pauperes catholici, den Segen der
Kirche ertheilt und den in Rom erscheinenden Beschützer der Albi-
genser, Raymund von Toulouse, gütig aufgenommen. So umschreibt
jene in der II. Legende und bei den tres socii aufkommende Er-
zählung von dem Traumbild, in dem der Papst den Franziskus ge-
wahrte, wie er die wankende Lateranensische Basilika, d. h. die
römische Kirche stützte, in sinniger Weise bezeichnend des Papstes
ahnungsvolle Einsicht in die brennende Frage der Zeit.^)
Nur Eines könnte hierbei noch unerklärlich bleiben! Wie
ist denn der in waldensischen Anschauungen erzogene Franz dazu
gekommen, ohne weiteres sich für die Kirche zu erklären.? Darauf läßt
sich vor Allem erwiedern, daß Franz seiner ganzen Anlage, seinem
liebeglühenden Herzen nach nicht für den Kampf, sondern für
den Frieden geboren war. ,,Ihm war nicht die Lehre, sondern die
Person Christi, nicht das künftige Seligwerden, sondern das gegen-
wärtige Seligsein das Wesentliche." Seine durchaus von dem ernst
verständigen Waldus abweichende Gemüthsart kann nicht besser ge-
kennzeichnet werden, als es Schmieder gethan hat:-) ,,So erwies
sich Franz als ein Prediger des seligen Lebens, Waldus als ein
Prediger des h. Gebotes; Franz predigte die Liebe Christi, Waldus
das Gesetz des Herrn; Franz strömte die Freude der Kinder
Gottes aus, Waldus strafte die Sünden der Welt; Franz zog
1) Th. n Leg. I, II, S. 32. — T. s. cap. IV, S. 736 f. — B. IE, S. 750. B.
hat auch noch ein anderes Traumbild von der Palme, die Innocenz zwischen seinen
Füßen hervor sich zum mächtigen Baume entfalten sieht.
2) a. a. O. S. 288.
24
Franz von Assisi.
die Heilsbegierigen an und ließ die Anderen ruhig ihre Straße
ziehen; Waldus griff den ungöttlichen Sinn der Gottlosen an und
erbitterte die Priester." Einer so durchaus positiven Natur, wie
Franz es war, lag die Opposition gegen die Kirche fern. Dazu
kommt dann noch, daß er in dem Bischof von Assisi, Guido, einen
besonders einsichtigen, mild gesinnten Beschützer und Freund ge-
wann, der als Mittler die Beziehungen zwischen der Kirche und der
individuellen Glaubensüberzeugung aufrecht erhielt und wohl auch
Derjenige gewesen ist, der Franz bewogen hat, zu einer Zeit, in der
er selbst sich für ihn verwenden konnte, nach Rom zu kommen.
So mochte denn die kleine Gemeinde, getröstet und befestigt
in ihrem Berufe, mit erbaulichen Gesprächen über die Güte des
Papstes den Heimweg antreten. Der Himmel selbst schien sie in
Schutz zu nehmen, denn als sie am Abend des ersten Tages ver-
geblich nach Nahrung sich umsahen, trafen sie einen Mann, der
ihnen Brot schenkte.^) Dann blieben sie vierzehn Tage in der Um-
gegend von Ostia an einem ganz verlassenen Platze, wo sie ,,mit
der h. Armuth sich zu befreunden" begannen, und zogen endlich
weiter in das heimathliche Spoletaner Thal, in welchem Franz alsbald
den Beschluß faßte, öffentlich das Wort Gottes zu verkündigen.
Und gerade dort that es noth, da sich in jener Gegend die sonst zu-
meist in Norditalien, namentlich im Mailändischen weit verzweigte
Sekte der Patarener oder Katharer ausgebreitet hatte. Deren Häresie
war von der waldensischen durchaus verschieden und tastete die
hervorragendsten Dogmen der Kirche selbst an. Ihre Anschauungen,
mit der Zeit mannigfachen Veränderungen unterworfen, gingen
doch ursprünglich auf den Manichäismus zurück, dessen Grund-
prinzip die Annahme zweier Urkräfte, einer guten und einer bösen,
ihnen immer geblieben war. Von den byzantinischen Kaisern unter-
drückt und bedrängt, hatten sie auf geheimnißvollen Wegen sich
nach dem Westen gezogen und lebten unter verschiedenen Namen
in Italien und Frankreich weiter. Ihnen Allen gemeinsam blieb die
direkte Opposition gegen Alles, was „katholische Kirche" hieß. Sie
verwarfen mit den Sakramenten die gesamte kirchliche Ordnung
und hatten zum Theil sehr wirre Begriffe über Christus und seinen
Scheinleib. Offenbar deutet auf diese Sekten Thomas hin, wenn er
■') So Th, I Leg. V, S. 693. — Bei B. natürlich schon als Wunder: der Mann
verschwindet sogleich, cap. IV, S. 750.
Die Anfänge des Ordens. 2 5
Franz wie ein Licht in die Finsterniß, die über jene Gegend ge-
kommen, scheinen läßt — von der Bekehrung der „Patarener"
geradezu spricht das Carmen.') So schnell sollten sich die Ab-
sichten des Papstes verwirklichen!
Irrig freilich wäre es, anzunehmen, Franz habe gleich Dominikus
seinen eigentlichen Beruf auch fernerhin hauptsächlich in der Be-
kehrung Abtrünniger gesehen. Nicht die Irrgläubigen, sondern Alle,
die den Namen des Christen führten, ohne den christlichen Geist zu be-
sitzen, suchte fortan seine Predigt in den Häusern der Reichen, wie
in den Hütten der Armen auf. War doch sein Geist zu dogmati-
schen Spitzfindigkeiten allzuwenig geschaffen, als daß er an Glaubens-
kontroversen mit Ketzern hätte Gefallen finden können. Ohne die
aber ging es einmal nicht ab. Für ihn gab es nur einen Glauben,
den Glauben seines Herzens — und der war freilich auch stark
genug. Andersdenkende zu zwingen!
Schon diese erste Wanderung von Stadt zu Stadt erwies die
übergewaltige Wirkung seiner Rede. Wie ein Mensch aus einer
anderen Zeit erschien er den erstaunten Leuten — Männer wie
Frauen, Kleriker wie Laien, Gelehrte wie Ungelehrte strömten
zusammen, ihn zu sehen und zu hören. Der Apostel einer war
wieder erstanden, in schlichten Worten, aber mit überirdischer Be-
redsamkeit die Menschen aus ihrem dumpfen Dasein emporzurütteln
zu neuem tiefen Empfinden. Dem Manne, der Alles von sich ge-
worfen hatte und um Almosen an den Thüren bettelte, mußte wohl
Jeder glauben, wenn er von der Seligkeit der Entsagung kündete.
Was Demuth sei, lernten sie von ihm, der rauhen Worten und Be-
schimpfungen nur mit Liebe begegnete. Was mußte der hartherzige
Reiche denken, sah er, wie die Armen dem Bettler dankten —
welchen Trost der Arme empfinden, hörte er von seinem Leidens-
gefährten die Armuth das köstlichste aller irdischen Güter nennen!
Dem Prediger, der nicht bloß Worte machte, sondern dieselben an
sich selbst alle erfüllte, konnte es Niemand verwehren, Moral zu
lehren. Da verstummte der Spott und beugte sich der stolze Sinn.
Drang doch durch allen Tadel, durch alle die schonungslosen Er-
mahnungen versöhnend und wiederaufrichtend der süße Ton einer
Liebe hindurch, die dem Reuigen wahrhaft himmlischen Trost ver-
hieß. Weil Alles Natur in seiner Rede, Alles Empfindung war, und
1) Th. I Leg. V, S. 694. — Carmen S. 146.
26 Franz von Assisi.
diese Empfindung aus dem reinsten, von Liebe zu Gott und den
Menschen überströmenden Herzen kam, mußte er eine Wirkung auf
die Zuhörer ausüben, die wir uns gar nicht groß genug vorstellen
können. Die Biographen, die beispiellos schnelle Verbreitung seines
Ordens, zahllose legendarische Geschichten bezeugen es. Die Be-
geisterung gab ihm im Augenblicke selbst die Worte, und das Auge,
die Hand, der ganze Körper, beseelt und belebt vom Gedanken, ward
zur Sprache. Von seiner Redeweise theilt die II. Legende einiges
Charakteristische mit : Wenn auch, das Evangelium verkündend, Franz
den einfachen Leuten in einfacher und sachlicher Weise predigte,
wie Einer, der wohl weiß, es handle sich mehr um die Kraft, als
um Worte, so brachte er doch vor geistig gebildeten und ver-
ständnißvolleren Hörern wunderbare und tiefe Gedanken hervor;
in kurzen Worten gab er Unaussprechliches zu verstehen und riß,
die Worte mit feurigen Gebärden und Bewegungen begleitend, die
Hörer mit sich in himmlische Sphären. — Einst sagte ein Arzt, ein
gelehrter und beredter Mann, von ihm: ,, Während ich die Predigten
Anderer Wort für Wort behalten kann, entfliehen meinem Gedächtniß
allein die Äußerungen des h. Franziskus, und präge ich mir etwas
davon dem Gedächtnifi ein, so scheinen es mir nicht mehr die Worte
zu sein, die zuvor von seinen Lippen geflossen."^) Es fehlte eben
dem Arzte die Empfindung, der Ausdruck, die Gebärde! Die Rede
war der ganze Mann.
Dazu kam noch, daß er des Volkes Sprache zu dem Volke
redete, nicht die gelehrte Kirchensprache des Latein, sondern
das junge Italienisch, das sich, aus seiner bescheidenen Ver-
borgenheit hervortretend, bald nach diesen Zeiten und zumeist in
Franziskanerliedern seine Stellung als Schriftsprache neben der
älteren Schwester erobern sollte. In diesen vertrauten, freundschaft-
lichen Lauten klang auch das Evangelium des Neuen Testamentes
so neu und beglückend an das Ohr des Volkes. Es war, als hätte
Franziskus das Alles miterlebt, wenn er von dem Geliebten seiner
Seele sprach, von dem armen Christus, wie der als Knäblein in der
Krippe gelegen, wie ihn die Mutter geherzt und geküßt, wie die
drei reichen Könige gekommen, ihm zu huldigen, wie er dann arm
und demüthig mit den Jüngern im Lande umhergezogen, wie er arm
und verachtet am Kreuze gehangen! So hatte das Volk seinen
1) Th. II Leg. III, 50, S. 160.
Weitere Entwicklung des Ordens. 27
Heiland noch gar nicht gekannt, so trauHch nahe war er ihm noch
nie gekommen. Eine andere, rein menschhche Auffassung von Christi
Erdenleben mußte unter dem Einfluß solcher Predigten mächtig um
sich greifen, die Wirkung eine ungeheure sein. Nicht allein der
Moral und der Kirche, vor Allem der Literatur und der Kunst kam
sie zugute. ■•) Doch davon sollen noch viele Seiten dieses Buches
handeln — jetzt gilt es zunächst, den wunderbaren Mann auf seinem
weiteren Lebenswege zu begleiten.
III. Weitere Entwicklung des Ordens.
Als Franz mit den Seinen nach Assisi zurückgekehrt war, ließ
er sich an einem Rivo torto (damals Rigus tortus) genannten, ein-
samen Orte im Thale unterhalb der Stadt nieder. Dort lebten sie
in einer engen kleinen Hütte, die ihnen kaum genügenden Platz bot,
dem Gebete und der Arbeit obliegend, zurückgezogen von dem
Lärm der Welt. Und doch schlug dieser einst laut an ihre Zelle.
Otto, der Deutschen Kaiser, früher der Schützling, jetzt als Nach-
folger und Erbe der Politik Heinrichs VI. der Gegner des Papstes,
zog mit einem glänzenden Gefolge an der Behausung des großen
unbekannten Bettlers vorbei, der, ungelockt von dem höchsten welt-
lichen Prunk, sich begnügte, dem Herrscher einen Bruder in den
Weg zu senden, mit mahnenden Worten der Vergänglichkeit alles
irdischen Ruhmes. Und kaum waren diese verhallt, da verschwanden
auch die blitzenden Waffen wieder und die Stille des Gebetes
kehrte zurück.-)
Ein muthwilliger Bauer, der sich und seinem Esel Platz schaffte
in der Hütte, vertrieb endlich die Einsiedler, und sie wählten sich
die Portiuncula zum Aufenthalt^), die fortan ihre eigentliche Heimath
wurde, da Franz sie vor Allem liebte und hochhielt. Gerne über-
^) Obgleich uns keine Predigten von Franz erhalten sind, so entbehrt die obige
Schilderung nicht der Begründung. Diese menschliche Auffassung der evangelischen
Geschichten entspricht so durchaus dem Wesen des Franz, tritt in den Schriften seiner
Schüler, namentlich bei Bonaventura, Giacopone so charakteristisch heri'or, daß sie jeden-
falls auf Franz selbst zurückgeht.
2) Bloß bei Th. I Leg. VI, S. 696.
®) Von allen Biographen erwähnt.
28 Franz von Assisi.
ließen ihnen die Benediktiner vom Berge Subasio die Kirche, in
deren Umgebung sich bald elende Zellen von Holz erhoben.^)
Von diesem Zeitpunkte an werden die Nachrichten über die
äußeren Lebensereignisse des Franz sehr dürftig. Anstatt ihn
auf seinen Wanderungen zu begleiten, vertiefen sich die Biographen
in eine Schilderung seiner Tugenden und der wunderwirkenden Kraft
seines Gebetes.
Es geht aus Allem hervor, daß die folgenden zehn Jahre, in
denen der Orden eine überraschende Verbreitung erhielt, von Franz
benutzt wurden, predigend durch das ganze Land zu wandern.
Wenn Matthäus Paris besonders von seiner Thätigkeit in Rom zu
erzählen weiß, so lehren doch viele Stellen der Legenden, daß er
sich nicht auf das mittlere Italien beschränkte, sondern ebensowohl
den Norden wie den Süden durchzog. Von einer Reise nach Frank-
reich soll ihn der Bischof von Ostia mit dem Hinweise auf die
ernsten Pflichten, die er daheim habe, abgehalten haben. ^) In ver-
schiedenen Zwischenräumen ist er dann immer wieder nach dem
Ausgangspunkt seiner Thätigkeit, der Portiuncula, zurückgekehrt, von
neuen Anhängern begleitet. Unmerklich nahm die apostolische
Predigergenossenschaft mehr und mehr den Charakter einer Ordens-
gemeinschaft an. Die wachsende Zahl der Mitglieder dieser Ge-
meinde verlangte von selbst die eingehendere Feststellung einer
ihnen gemeinsamen Regel , wie die Feststellung bestimmter Tage
im Jahre, an denen die weit Verstreuten sich zusammenfanden, über
ihre Thätigkeit Bericht ablegen und in der gegenseitigen Ermahnung
und Prüfung eine Befestigung ihres Glaubens und ihrer Ueberzeugung
erlangen durften. Wann Franz zuerst diese zweimal im Jahre wieder-
kehrenden Kapitel, die bei der Portiuncula abgehalten wurden, fest-
gesetzt habe, ist uns nicht überliefert. Es scheint, daß am Feste
des h. Michael nicht Alle zu kommen verpflichtet waren, zu Pfingsten
aber Niemand fernbleiben durfte. Dann gab er Denen, die er für
würdig und fähig hielt, die Erlaubniß zu predigen und sandte sie
in verschiedene Gegenden aus.^) Die Erfahrung mochte es lehren,
daß diese wandernden Prediger mißgünstig von dem Klerus ange-
sehen wurden, in dessen Rechte sie als Fremdlinge einzugreifen
^) Vergl. unten die Besprechung der ältesten Franziskaner - Niederlassungen.
2) Th. I Leg. IX, S. 704.
3) T. s. IV, S. 738 ff.
Weitere Entwicklung des Ordens. 2Q
schienen. Daher wurde es Franz nicht müde, den Seinen die
größte Ehrfurcht vor den Priestern der Kirche einzuprägen und
ihnen stets von Neuem die Demuth zu empfehlen, die allein imstande
war, das Vorurtheil zu entkräften.^) Er selbst ging mit dem Bei-
spiele voran. Als einst der Bischof von Imola seine Bitte um die
Erlaubniß zu predigen kurz mit den Worten abgefertigt hatte: ,,es
genügt, Bruder, daß ich meinem Volke predige", neigte er das Haupt
und ging von dannen. Doch bald nachher erscheint er wieder:
,,Herr, wenn ein Vater seinen Sohn aus der einen Thür vertrieben
hat, so soll er durch die andere wieder eintreten." Worauf der
Bischof ihn gerührt in die Arme schließt und seine Bitte gewährt.^)
Die Ordensregel, wie sie später von Honorius gebilligt worden,
beginnt sich in diesen Zeiten zu entwickeln'^), da sich zwischen den
beiden Regeln, wie sie in den Werken des Franz enthalten ist, kein
wesentlicher Unterschied zeigt.*) Noch im Jahre 1216 handelt es
sich , nach der Aussage des Jacobus von Vitry, um eine primitive
Organisation; eine neue beginnt vor 1218.^)
Die Regel beginnt damit, daß Franz dem Papst und der
römischen Kirche Gehorsam verspricht. Ersterer fügte hinzu, daß
die anderen Brüder, welche fratres minores, Minderbrüder, genannt
werden, nach dem demüthigen Wunsche des Franz, gehalten seien.
Diesem und seinen Nachfolgern zu gehorchen. Nur die Provinzial-
minister dürfen Novizen aufnehmen. Wer eintreten will, muß seine
Güter verkaufen und den Armen geben. Nach Ablauf des Probe-
jahres, während dessen er sich in den Tugenden, namentlich der
1) T. s. IV, S. 738.
2) Th. II Leg. III, 85. S. 212. — B. IV, S. 758.
^) Bon. erzählt, wie Franz die neue Regel in der Einsamkeit geschrieben, dann
dem Elias übergeben habe. Dieser habe sie verloren und Franz durch göttliche In-
spiration sie noch einmal in ganz gleicher Weise niedergeschrieben (S. 635). Später
heißt es, Elias habe sich gegen die Regel als zu streng gewehrt, Gott selbst aber ver-
kündet, sie sei nach Seinem Willen Das zeugt von einer Zeit, in der es schon zwei
Regeln, eine strengere und eine mildere gab. Vergl. Hase S. 57.
*) Vergl. auch Lucae Holstenii Codex Regularum monasticarum ed. Brochie
T. ni p. 22 (Aug. Vind. 1759 f.) und Karl Müller: Die Anfänge des Minoritenordens
und der Bussbruderschaften. 1885.
^) Vergl. die neuesten beweisenden Forschungen von Walter Goetz: „Die ur-
sprünglichen Ideale des h. Franz von Assisi" in Historischer Vierteljahrschrift 1903.
S, 19 ff. Im Wesentlichen bestätigen dieselben gegenüber Sabatiers und Mandonnets
Meinungen meine Auffassung.
30 Franz von Assisi.
Demuth geübt, wird er zum Gelübde zugelassen. Er erhält eine
Kutte. Nur wer es nothwendig hat, darf Sandalen tragen. Die
Hausarbeit wird als Mittel gegen den Müßiggang geboten. Die
Gebetsstunden, die Fasten werden festgestellt, die Feier des kirch-
lichen Gottesdienstes nach der Kirche geregelt. An der Spitze
des Ordens steht der Generalminister, dem Alle Gehorsam schuldig
sind. Unter ihm die Vorsteher der verschiedenen Provinzen, die
Provinzialen und Guardiane. Diese haben den Generalminister zu
wählen. In einem der Kardinäle der römischen Kirche hat der
Orden sich einen Protektor zu erbitten. Alle drei Jahre findet
ein Generalkapitel statt, auf dem die Provinzialen zu erscheinen
haben. Ein solches kann auch zu anderer Zeit, wenn es geboten
dünkt, vom General berufen werden. Die Brüder sollen den
Bischöfen gegenüber demüthige Unterwerfung zeigen. Der Mönchs-
orden hat in strenger Sonderung von dem der Nonnen zu leben.
Die drei Hauptregeln aber sind : strikter Gehorsam , Keuschheit
und Armuth. Darin stimmt der neue Orden mit den älteren überein,
nur daß die Armuth hier viel weitgehender gefaßt wird: ,,Die
Brüder sollen sich nichts aneignen, weder Haus, noch Feld, noch
was es sei, sondern, gleich Pilgern und Fremdlingen in dieser Welt,
dem Herrn in Armuth und Demuth dienend, gehen und Almosen
suchen mit Zuversicht und ohne Scham ; denn der Herr hat sich
arm für uns in dieser Welt gemacht." Der Gehorsam wird in der
strengsten Form geboten. Franz selbst hat jenes verhängnißvolle
Beispiel des Gehorsamen ausgesprochen, an das sich später die
Jesuiten hielten : „Nimm einen leblosen Körper und setze ihn wohin
du willst; du wirst sehen, daß er der Bewegung nicht widerstrebt,
nicht murrt über die Lage, nicht verlangt, losgelassen zu werden.
Wenn man ihn auf die Cathedra erhebt, so wird er nicht nach oben,
sondern nach unten blicken, in Purpur gekleidet, um so bleicher
erscheinen. Dies ist der wahrhaft Gehorsame."^) In christlicher
Liebe sollen die Vorgesetzten für die Untergebenen sorgen. Nur
der General darf den Brüdern die Erlaubniß zur Predigt ertheilen,
die wohlbedacht, keusch und kurz sein soll. Endlich wird gegen-
seitige Demuth und Liebe, Sorge für die Kranken, Milde mit den
Sündern in warmen Worten empfohlen.
1) So zuerst bei Th. 11 Leg. III, 89. S. 218. Danach hat es dann wörtlich Bon.
VI, s. 758.
Weitere Entwicklung des Ordens. 3 I
Nicht allein aber Jünglinge und Männer waren es, die ihre
Familie und ihr Hab und Gut im Stiche ließen, Franz zu folgen,
sondern auch Jungfrauen und Frauen. Es geschah im Jahre 12 12,
daß die Tochter eines vornehmen Mannes in Assisi, Chiara Sciffi,
dem Zuge ihres Herzens nicht widerstehend, nach S. Maria degli
Angeli kam, wo sie Franz ihre Sehnsucht, sich ganz Gott zu weihen,
offenbarte. In der Nacht auf den Palmsonntag, den sie mit den
anderen Frauen festlich begangen, verläßt sie das väterliche Haus,
entflieht zur Portiuncula, beraubt sich vor dem Altar der Maria der
reichen Gewänder und des Schmuckes ihres Haares und wird dann
von ihrem Berather in das Benediktinerkloster von S. Paolo bei Bastia
gebracht. Nach kurzem Aufenthalt«^ daselbst gesellt sie sich zu den
Schwestern von S. Angelo di Panzo auf dem Berge Subasio und
erhält 12 13 eine eigene Heimat in S. Damiano. Bald folgen ihr
die Schwester Agnes und die Mutter Ortolana, und der Orden der
Klarissinnen ist begründet.*) Die Verbreitung desselben zunächst
in Italien, binnen kurzem auch in andern Ländern, wetteifert mit
dem der Minoriten.
Ungewiß bleibt es noch immer, wann Franz die dritte Institu-
tion, die Gemeinde der Brüder und Schwestern der Buße, die
später allgemein die Tertiarier genannt wurden , ins Leben gerufen.
Mit Müller müssen wir annehmen, daß dies nicht vor 1220 ge-
schehen ist. Am 12. Dezember 1221 erhält sie ihre Billigung von
Honorius.2) Es war ein Ding der Unmöglichkeit, alle die Männer
und Frauen, welche, hingerissen von der Predigt des Mönchs Diesem
zu folgen entschlossen waren, in den eigentlichen Orden aufzu-
nehmen, und doch verlangte die Menge, an den Gnadengütern des-
selben theilhaben zu dürfen. So blieb nichts übrig, als eine Ge-
meinschaft innerhalb der weltlichen Gesellschaft der Laien zu
gründen, die durch gewisse Pflichten einer strengeren Religions-
übung allein verbunden war. Öer Gedanke war an sich nicht neu.
Schon zu Norberts von Xanten Lebzeiten, in der ersten Hälfte des
XII. Jahrhunderts, hatte sich dem Prämonstratenserorden eine ähn-
') Leben der h. Klara, 2 Jahre nach ihrem Tode, wie Cristofani annimmt, viel-
leicht von Giovanni di Kant geschrieben: Acta SS. Aug. II, p. 755. — Cristofani,
Poema. S. XIV f. — Ds. Storie di Assisi I, S. 142 fr.
*) Acta SS. Okt. n, S. 633. — Bonghi S. 79. — Karl Müller: Die Anfänge des
Minoritenordens. Vergl. auch Götz : Die ursprünglichen Ideale des h. Franz von Assisi. —
Die Regel: Francisci opera II.
32
Franz von Assisi.
liehe Laienverbindung angeschlossen^), die sich seinerseits wohl
Dominikus, unabhängig von Franz, zum Vorbild nahm, da er die
Gemeinschaft seiner später gleichfalls ,,fratres de poenitentia" ge-
nannten Laienbrüder stiftete. Der volksthümliche Charakter des
Franziskanerthumes tritt nirgends so deutlich hervor, als in dieser
Institution, die bald eine ungeahnte Bedeutung in Italien gewann,
nicht allein für die Popularität der Minoriten, sondern ebensowohl
für die lebendige Kenntniß der Bibel, für eine Ausgleichung der
Stände und eine Milderung der kriegerischen Neigungen. Eine ge-
meinsame Tracht war nicht geboten, doch behielten Viele auch in
der Folgezeit ein schlichtes graues Gewand oder wenigstens den
Strick unter der weltlichen Kleidung, die möglichst einfach sein
sollte, bei. Ein Jeder durfte im Besitze weltlicher Güter, in seiner
bürgerlichen Stellung bleiben, nur ward er verpflichtet, ungerecht
erworbenes Gut herauszugeben, mit seinem Nächsten sich zu ver-
söhnen und getreuHch die Gebote Christi zu erfüllen. Sie mußten
sich häufigerem Fasten unterziehen, bestimmte Gebetsstunden ein-
halten, täglich eine Messe hören, von weltlichen Vergnügungen,
wie Gelagen, Schauspielen und Tänzen, sich fern halten. Christliche
Liebe sollte der Inhalt aller ihrer Gefühle und Gedanken sein.
Streitigkeiten wurden von Ordensleuten oder von Bischöfen ge-
schlichtet. Waffen zu tragen war nur ausnahmsweise erlaubt, der
häufige Besuch der Kranken, Wohlthätigkeit im weitesten Sinne
geboten.
Welche Ausdehnung auch dieser Stand der Tertiarier gewonnen,
verkündet mit klagenden Worten ein Brief, der unter denen des
Petrus de Vinea veröffentlicht ist und in dem es heißt: es gibt
kaum Einen, der nicht entweder der Laiengemeinde des Franziskus
oder Dominikus angehörte!^) Mag dies stark übertrieben sein, so
bleibt es nichtsdestoweniger erweislich, daß binnen kurzem Könige
und Fürsten, wie die große Menge des Bürgerstandes, sich mit dem
Stricke umgürtet haben und damit die strengen Schranken zwischen
dem Mönchthume und den Laien fielen. Ersteres hatte fortan eine
versteckte Macht hinter sich, wie vergleichsweise das moderne
stehende Heer eine in den Waffen geschulte Volksmasse.
1) Hurter, Gesch. Innoc. IV, S. 146.
2) Epistolarum Petri de Vincis libri VI, Basileae 1566, lib. I, cap. XXXVII.
S. 233. Vergl. Hase S. 69 : ein Brief des bischöflichen Klerus, nicht des Petrus selbst.
Weitere Entwicklung des Ordens. 33
Aus der Bedeutung, welche in kurzer Zeit der Minoritenorden
gewonnen hatte, allein schon wäre es zu schließen, daß Franz früher
als 1223, in welchem Jahre Honorius III. seine Regel bestätigte,
von Neuem um Rath und Maßregeln sich an den päpstlichen Stuhl ge-
wendet. Verschiedenes weist darauf hin, daß er es im Jahre 12 16
that. Da er von Innocenz nur eine mündliche Approbation erhalten,
ist es sehr wahrscheinlich, daß er dem neuen Papste kurz nach dessen
Antritt wiederum sich und seine Gemeinde empfahl, und zwar zu
einer Zeit, in der das Lateranensische Konzil tagte, das in einer
seiner Sitzungen aussprach : es dürfen keine neuen Orden mehr ge-
gründet werden ! Was er erreicht, weiß man nicht — vermuthlich
eine erneute mündliche Approbation, da 12 19 in einem Schreiben
Honorius sich der Minoriten annimmt. Offenbar konnte der Papst
angesichts jenes Paragraphen des Konzils nichts Weiteres thun und
verschob die förmliche Bestätigung der Regel auf spätere Zeit. Da-
mals zuerst scheint Franz in dem Kardinal Hugo von Ostia, dem
späteren Gregor IX., einen Freund gewonnen zu haben, da ihn der-
selbe nach der I. Legende vor den Papst geführt. Die Rede, die
Franz bei dieser Gelegenheit hielt, machte den tiefsten Eindruck
auf die gesamte erlauchte Versammlung.^)
Es war wohl auch in jenem Jahre, daß sich Dominikus und
Franz in Rom sahen. Ersterer war dahin gekommen, die Be-
stätigung seiner Regel zu erhalten, die ihm am Tage vor Weih-
nachten in einer Bulle gewährt wurde. Wenn Hase sich gegen
ein persönliches Zusammentreffen der beiden Männer ausgesprochen
hat, so wird er durch die II. Legende widerlegt, die höchst
sachlich und glaubhaft davon berichtet. Die spätere Sage im
Liber Conformitatum und Speculum schmückt dann nur legen-
darisch das Faktum aus. Thomas erzählt, wie Beide beim Bischof
^) Bis auf Hase und noch länger hielt man daran fest, 12 16 sei die Regel appro-
biert worden. Dem widerspricht der Wortlaut der Regel von 1223. — Von einer
Predigt, die Franz vor Honorius gehalten und von der Befreundung mit Kardinal Hugo
erzählt die I. Leg. IX, 703. Die IL Leg. I, 17 S. 42 hat die päpstliche Bestätigung
des Hugo als Protektors des Ordens. Die T. s. IV, S. 739 erzählen dasselbe ziemlich
wirr, so daß eine chronologische Reihenfolge nicht herauszufinden. Nach ihnen müßte
man die Anordnung eines Protektorats über den Orden schon vor 12 19 annehmen,
nämlich vor der ersten Aussendung der Minister ins Ausland. Doch scheint es erst
1221 bestimmt worden zu sein, worüber unten mehr. Dagegen scheint es natürlich,
die Erzählung der I. Leg., die B. dann wiederholt, auf dieses erste Erscheinen des Franz
vor Honorius, das ich für durchaus wahrscheinlich halte, zu beziehen.
T h o d e , Franz von Assisi. 3
34
Franz von Assisi.
von Ostia waren, der ihnen den Vorschlag machte, sie sollten
doch ihren Brüdern gestatten , geistliche Würden anzunehmen,
um so erfolgreicher wirken zu können. Da entsteht ein Wett-
streit der Demuth zwischen ihnen, wer darauf antworten solle.
Endlich thut es Dominikus und weist das Anerbieten zurück,
Franziskus folgt seinem Beispiel: ,,Herr, meine Brüder sind die
Kleinen genannt, damit sie nicht sich herausnehmen. Große zu
werden." Als sie darauf voneinander Abschied nehmen müssen,
bittet Dominikus Franz um seinen Strick, den Dieser nach langem
Widerstreben ihm gibt. Dann reichen sie sich die Hände, Einer
dem Anderen sich hold empfehlend, und Dominikus sagt: ,,Ich
wollte, Bruder Franz, dein und mein Orden würden einer und wir
lebten nach gleicher Regel in der Kirche !" Später aber äußert er
Anderen gegenüber: ,,In Wahrheit sage ich euch, daß diesem
h. Manne Franziskus alle übrigen Mönche folgen sollten, so groß ist
die Vollkommenheit seiner Heiligkeit." Daß diese erhebende Be-
gegnung der zwei in ihrer Wirksamkeit gleich eingreifenden, in ihrem
Wesen so verschiedenen Männer wirklich stattgefunden, scheint mir
durchaus glaubhaft, wie denn auch erst nach diesem Jahre in des
Dominikus Verordnungen die apostolische Armuth ihren Platz ge-
funden zu haben scheint.^) War auch der Spanier zu ähnlichen An-
schauungen, wie Franz sie hatte, durch seine Thätigkeit als Be-
kehrungsprediger der Albigenser gekommen, so hatte er doch mit
seinen Jüngern die Chorregel der Augustiner annehmen müssen,
während Franz, jeder Tradition ledig, von Anfang an die absolute Be-
sitzlosigkeit zur Regel gemacht hatte. So war bei dem Zusammen-
treffen in Rom Dominikus der Empfangende, Franziskus der
Gebende.
Möglicherweise hat sich das Anliegen, das Franz dem neuen
Papste vorzutragen hatte, auf die Erlaubniß bezogen, Prediger, die
ihm geeignet schienen, auf dem von nun an wahrscheinlich regel-
^) Jordanus vita S. Dominici (Acta SS. Aug. I, p. 554) sagt vom i. General-
kapitel zu Bologna 1220: Tunc ordinatum est ne possessiones vel reditus de caetero
tenerent fratres nostri, sed et iis renuntiarent, quos habuerant in partibus Tholosanis.
Es ist lange ein Streit darüber geführt worden zwischen Dominikanern und Franzis-
kanern. Erstere behaupten, daß diese Verfügung nur eine Bestätigung einer älteren
sei — bringen dafür aber keine ausschlaggebenden Gründe. Für unsere Ansicht spricht
es, daß Honorius noch in seiner Bulle von 1216 dem Orden ,,alle gegenwärtigen und
zukünftigen Besitzungen" bestätigt.
Weitere Entwicklung des Ordens. 35
mäßig gehaltenen Generalkapitel zu Pfingsten zur Mission im Aus-
lande zu bestimmen. Er nannte sie ministri. Zum ersten Male,
so weit wir unterrichtet sind, scheint es 12 18 geschehen zu sein,
daß ein solcher, nämlich Elias, in den Orient gesandt ward.^) Auf
dem Kapitel 12 19 werden dann Brüder nach Italien sowohl als
Deutschland, Ungarn und in andere Länder geschickt-), mit einem Ge-
leitschreiben des Papstes, in dem sie den Prälaten empfohlen
wurden.^) Vielleicht schon früher waren fünf Brüder nach Spanien
und von da nach Marokko gewandert, wo sie den Märtyrertod er-
litten hatten. Die Kunde davon mag Franz selbst den Wunsch
eingegeben haben, nach Spanien zu gehen. Thomas in der I. Le-
gende berichtet, daß er schon aufgebrochen war, aber durch eine
Krankheit zurückgehalten wurde, woraus dann Bonaventura mit
leichter Wortverschiebung macht, er sei bis nach Spanien ge-
kommen, Wadding und fast alle folgenden Schriftsteller, ausge-
nommen Bonghi, haben darauf fortgebaut, ohne daß irgendeine
andere Quelle es verbürgte.*)
Sollte aber Franz auch das Martyrium, nach dem er ein glühen-
des Verlangen trug, versagt bleiben, so war es ihm doch vergönnt,
unter den Heiden das Evangelium zu predigen. Schon im Jahre
12 12 hatte er sich eingeschifft, um nach Syrien überzusetzen, ward
aber von widrigen Winden an die dalmatinische Küste verschlagen,
wo er froh sein mußte, ein Schiff zu finden, das ihn nach Ancona
zurückbrachte.^) Die Vermuthung scheint mir sehr nahe zu liegen,
daß Franz zu diesem Schritte durch die Kunde von dem Kreuzzuge
^) Giordano di Giano a. a. O. 96. Voigt meint 12 18, was auch sehr wahr-
scheinlich.
*) T. s. IV, S. 739: II Jahre nach Beginn des Ordens. — Giordano a. a. O.
P- 517.
*) datiert 11. Juni 1219. Wadding Ann. I p. 301. Chann: storia di S, F.
S. 155 verlegt auch zwei an sich bedenkliche angebliche Briefe des Franz in diese Zeit.
Dagegen hat sich schon Bonghi mit gewichtigen Gründen gewehrt. S. 80. A. 89.
*) Th. I cap. VII, S. 699: bonus deus — cum jam ivisset versus Hispaniam in
faciem restitit et ne ultra procederet, aegritudine intentata eum a coepto itinere revo-
cavit. — Bon. IX, S. 767, der sich zum Theil wörtlich an den Bericht des Thomas
schließt: cum jam usque in Hispaniam perrexisset etc. So entsteht Geschichte.
^) Th. I, cap, VII, S. 699 sagt: sexto anno conversionis suae, was so viel heißt
als 12 12, da in der I. Leg. die conversio ins Jahr 1206 verlegt wird. S. oben. —
Danach B. a. a. O. An beiden Orten die Erzählung von den die Mannschaft rettenden
Nahrungsmitteln, die ein unbekannter Mann Franz mitgegeben.
3*
36 Franz von Assisi.
der Kinder, der in jenem Jahre stattfand, bewogen wurde. Ein
Theil derselben, die von Deutschland gekommenen, hatten am
26. August von Genua aus die sinnlose, beschwerliche Reise nach
Brindisi fortgesetzt und höchst wahrscheinlicher Weise den Weg durch
das Spoletaner Thal genommen. Da mag Franz diese unglückseligen
Opfer eines ruchlosen Fanatismus gesehen und, wie Innocenz, sich
gesagt haben: ,, Diese Kinder machen uns zu schänden; indeß wir
schlafen, ziehen sie munter aus, das heilige Land zu gewinnen!"^)
Mit bloßen Gefühlen aber war es bei Franz nicht gethan und so
hatte er sich selbst, der Kinder eines, zur heiligen Pilgerschaft auf-
gemacht.
Endlich bald nach Pfingsten sollte ihm sein Herzenswunsch
erfüllt werden. Zu jener Zeit lag ein Kreuzfahrerheer bei Damiette
unter der Führung des Königs Johann von Brienne und Leopolds
von Oesterreich. Andreas von Ungarn, welcher der eigentliche
Vorkämpfer gewesen, war in die Heimath zurückgekehrt, während
die beiden Anderen nach Aegypten zogen. Anfangs waren sie
glücklich gewesen und am 5. November 12 19 in den Besitz Da-
miettes gelangt, dann hatten die Gegner große Vortheile über
sie errungen, so daß später im Frieden vom 18. August 1221 alle
Eroberungen, auch Damiette, wieder verloren gingen und sie un-
verrichteter Dinge heimkehren mußten. Begleitet von einem Ge-
nossen, nach Giordano Pietro Cattaneo, nach Bonaventura Illumi-
natus, erschien Franziskus bei dem Kreuzheere und machte sich
unverweilt zu dem Sultan Alkamil, der seinem 12 18 gestorbenen
Vater Aladil gefolgt war, auf. Der Landessprache unkundig, ward
er, wie seine Minister in Deutschland und Ungarn, mißhandelt.
Doch kam er beständig: Sultan, Sultan! rufend zu dem Fürsten,
der von milder Gemütsart wie Aladil, ihn ehrenvoll aufnahm und
ihn gerne hörte. Bald jedoch mochte Franz die Zwecklosigkeit
seiner Bemühungen einsehen und verließ , in der Hoffnung , das
Martyrium zu erleiden, getäuscht den mohammedanischen Hof und
bald darauf Aegypten.-) Ehe er geschieden, soll er nach der
^) Ueber den Kreuzzug vergl. Hurter: Gesch, Innoc. II, S. 483 ff.
^) So wird das Ereigniß übereinstimmend von den wichtigsten Quellen dargestellt:
Th. I Leg. VII, S. 699. — Giordano a. a. O. S. 520. — Jacobus de Vitriaco, der
selbst in Ägypten war: Historia Occidentalis cap. 38 (in den Acta SS. S. 618). —
Anonymer Fortsetzer der Historia Tyrii (zwischen 1275 und 95 schreibend) in den
Acta SS. S. 613.
Weitere Entwicklung des Ordens. 37
II. Legende des Thomas warnend den Christen ihre Niederlage,
die 1221 stattfand, vorausgesagt haben. i) Es war kaum anders
denkbar, als daß sich die Phantasie der Franziskaner bald das
Zusammentreffen ihres Vaters mit dem grausamen Sultan in ihrer
Weise ausschmückte. Klingt des Bonaventura Erzählung von der
Feuerprobe, die Franz zu bestehen sich angeboten, noch wohl
glaublich, so bringt der Liber Conformitatum und das Speculum
reine Erdichtungen.^) Danach erhält er die Erlaubniß, im Lande
zu predigen, und der Sultan selbst, im Herzen schon bekehrt,
empfängt auf dem Sterbebette von zwei Franziskanern die Taufe.
Aus jener Feuerprobe aber ist die Legende von dem Flammenlager
entstanden, auf das er ein Weib, das ihn verführen will, auffordert,
ihm zu folgen.
Seine baldige Heimkehr nach Italien scheint, wie zuerst Voigt
nach Giordanos Bericht erwies, durch Unruhen im Orden veranlaßt
worden zu sein. Die ersten Streitigkeiten hatten sich sofort er-
hoben, als das Haupt fehlte. Zwei Vikare hatte Franz vor seiner
Abreise bestellt. Der eine, Matthäus von Narni, sollte die neuen
Brüder in Assisi aufnehmen, der andere, Gregorius von Neapel, zur
Inspektion in Italien umherreisen. Ersterer benutzte seine Stellung,
strengeres Fasten einzuführen, ein Frate Filippo wußte sich zu-
gunsten der Clarissinnen ein Breve vom Papst zu verschaffen —
was aber das Gefährlichste war, Johannes de Capella, der in späterer
Zeit wohl in Erinnerung an diese Vorgänge meist als der Judas
unter den Jüngern des Franz aufgefaßt wurde und sich nach Gior-
dano, wie Jener, erdrosselt haben soll, hatte sich vom Orden ab-
gesondert. Aussätzige um sich gesammelt und vom Papste eine
Bestätigung erbeten.'*) Es muß ein schwerer Schlag für Franz ge-
wesen sein, solche Nachrichten zu empfangen — gewaltsam wurde
er aus seinem Himmel, in dem nur Liebe und Eintracht herrschte,
in die wirkliche Welt der Zwiste herabgerissen. Mit Pietro, sowie
Elias und Cesarius von Speier, den Elias im Oriente für den Orden ge-
wonnen, kehrte er bekümmerten Herzens heim und ging, wie es scheint,
1) Th. II Leg. n, 2 S. 50.
*) Als solche schon von Suysken nachgewiesen. — Vergl. auch Hase S. 78.
^) Voigt sieht in ihm denselben Johannes, der nach Salimbene p. 1 10 eine Con-
gregatio heremitarum machte und identifiziert ihn zugleich mit einem Johannes, der
nach "Wadding 12 19 an der Kurie intrigierte, um eine Milderung in der Regel zu
erlangen.
38 Franz von Assisi.
direkt nach Rom, wo er sich von Honorius die Bestätigung des
Kardinals Hugo von Ostia als Protektor des Ordens erbat. ^) Johannes
de Capella wurde vom Papst abgewiesen und jenes dem Fra Filippo
ertheilte Breve widerrufen.-)
Dann fand zu Pfingsten des Jahres 1221 ein großes Kapitel
statt, von dem uns Giordano als Augenzeuge berichtet. Gegen 3000
Menschen erschienen zu demselben und lagerten auf der bloßen
Erde in der Umgebung der Portiuncula. Die Bevölkerung versorgte
sie überreichlich mit Nahrungsmitteln. Der ungewohnte Anblick
solchen waffenlosen Lagers, in dem man Nichts als Gebete hörte,
lockte die Vornehmen der Gegend, sowie die Mitglieder des päpst-
lichen Hofes, der sich damals in Perugia aufhielt, herbei. Auf dieser
Versammlung entschlossen sich von Neuem Viele nach Deutschland
zu ziehen, als ihr Minister ward Cesarius von Speier erwählt, ihrer
einer war Giordano. Zu gleicher Zeit wäre Franz, so heißt es,^)
von seiner Stellung als General des Ordens zurückgetreten und
hätte Pietro di Cataneo gewählt, doch ist dies irrig. Cataneo ist
schon im März 1221 gestorben. So blieb Franz wohl an der
Spitze der Gemeinschaft, und erst 1224 folgte ihm EHas. Wir
erfahren von Giordano , daß Franz selbst sich so krank und
schwach fühlte, daß er Elias an seiner Stelle das Wort führen
ließ, Es war wohl nicht körperliches Leiden allein, das ihn quälte,
er fühlte sich auch geistig niedergeschlagen und müde. Zu viele
bittere Erfahrungen mögen es ihm klar gemacht haben, daß er von
Unmöglichem geträumt hatte : von der selbstlosen Eintracht einer
großen Genossenschaft, daß er die Menschen falsch beurtheilt, weil
er sich selbst, den Ausnahmsmenschen, zum Maßstab genommen. Die
Hoffnungsfreudigkeit seiner Lebensanschauungen war erschüttert. In
bitteren Stunden muß ihm sein Lebenszweck verfehlt erschienen sein.^)
^) So nahmen es Voigt und Bonghi an , und es hat durchaus die innere Wahr-
scheinlichkeit für sich, daß dies erst jetzt geschah.
^) Giordano 12. 13.
8) Th. II Leg. III, 81. S. 206.
*) Ich schließe dies mit Bonghi aus einer in den Opera erhaltenen meditazione,
in der Franz sich entschuldigt, daß er sich den Pflichten eines Ministers und mit ihnen
der trüben Aufgabe, die sündigen Brüder zu strafen, entzogen habe. — Alle von Sabatier
und Mandonnet aufgestellten Behauptungen von einem Konflikt des Franz mit der
Kurie sind zurückzuweisen. Ich darf, ohne auf diese Frage überhaupt einzugehen, auf
die Uebereinstimmung der Ausführungen von Walter Götz (a. a. O.) mit meiner Dar-
legung verweisen.
Die letzten Lebensjahre des Franz und sein Ende. 39
Von einer solchen Enttäuschung, die sich in seinem Testament aus-
spricht, konnte sich eine Natur, wie die des Franz, die nur im Sonnen-
schein des Friedens sich zu entfalten und zu leben vermochte, wohl
nie wieder ganz erholen. Fortan zieht er sich immer mehr auf sich
selbst und auf Gott zurück und vollendet, worin er einzig den
Frieden wiedererlangen mochte, die höchste, reine Ausbildung seines
eigenen inneren Menschen. So liebevoll er auch für den Orden noch
bemüht ist, überläßt er dessen Leitung doch anderen Händen, ver-
schafft demselben aber selbst noch die erste Bedingung einer fer-
neren gedeihlichen Entwicklung, die förmliche Bestätigung der Regel
durch den Papst. Sie ward ihm in einer Bulle vom 30. Januar 1223
zu theil. Honorius selbst bezeichnete diese erste schriftliche Appro-
bation bloß als eine Bestätigung der Approbation seines Vorgängers
und vermied so den Vorwurf, gegen die Bestimmungen des Late-
rankonzils einen neuen Orden ins Leben gerufen zu haben. Der
Orden der Minoriten hatte seine rechtliche Stellung neben dem
Benediktinerorden und dessen zahlreichen Abzweigungen erhalten.
IV. Die letzten Lebensjahre des Franz und sein Ende.
Seit seiner Bekehrung war das Leben des Franziskus getheilt
gewesen zwischen Predigt und Gebet, in den letzten Jahren scheint
es immer mehr in letzterem aufgegangen zu sein. Der Kampf mit
mancherlei Widerwärtigkeiten, die bitteren Enttäuschungen, die er
erfahren, hatten ihn in sich selbst zurückgescheucht und die Flammen
seines in Liebe zu Christus erglühenden Herzens nur stärker genährt.
Hatte er schon früher in Stunden der Verzückung dem Himmel sich
nahe gefühlt, so entschwand jetzt immer ferner und ferner die Erde
seinen Blicken. Wie getrennt vom Körper für Stunden, ja Tage
führte der Geist ein von allen irdischen Beziehungen gelöstes Da-
sein. Aus den engen Schranken der Sinnlichkeit schwang er sich
zu einem zeit- und raumlosen Gefühl empor, das er selbst die Liebe
Christi nannte. Es war die Vollendung dessen, was er auf Erden
erstrebt, das Vorerfahren der ewigen Seligkeit. Erstaunt und er-
schreckt vor solch ungeheurem Gefühlsleben, solch übersinnlich
sinnlicher Glaubenswonne sucht man vergeblich die Worte, sie zu
schildern. Die alten Legenden halfen sich, so gut sie konnten : von
der Gebeteskraft emporgezogen sahen ihn die Jünger zu nacht-
40 Franz von Assisi.
lieber Stunde über die Erde erhoben schweben, von Strahlen des
ewigen Lichtes umflossen schien eine Wolke ihn zu entführen, gleich
Elias nahm ihn ein feuriger Wagen auf. Wer möchte ihnen die
bilderreiche Sprache verargen! Ein solches Gebet mußte zur Vision
werden. Allzu leicht nur gewöhnt sich der kalt verständige Mensch
in seinem wohl geregelten Dasein daran, für das zur Ekstase ge-
steigerte psychische Leben nur spöttische Blicke zu haben. Mit
dem Geisteskranken hat er Mitleid, für den Uebergeistigten nur ein
Lächeln vornehmer Herablassung — dieses unfehlbare Zeichen einer
Anmaßung, welche eine ärmlich beschränkte Anschauung der un-
endlichen Fülle der Lebenserscheinungen verräth. Er sollte feiner
unterscheiden! Wohl giebt es eine bacchantische, frech erzwungene
Erregtheit, die Widerwillen und Abscheu vor der vernunftlosen
Komödie erregt — die Geschichte christlicher Sekten selbst noch
in jüngster Zeit bringt Beispiele genug dafür! Wer aber möchte
mit ihr die enthusiastische Schwungkraft eines edlen und reinen
Herzens, welche den Bannkreis der Gesetze dieser sichtbaren Welt
durchbricht, verwechseln.? Aus einem edlen und reinen Herzen
aber, wenn je es eines gegeben, erstand auch jenes überschwäng-
liche Gefühl der Gottesgemeinschaft, das Franz über die Leiden
seines elenden, geknechteten Körpers erhob.
Denn siech und leidend hat er die letzten Jahre verbracht. Er
selbst hat es eingesehen, daß er viel gegen seinen Bruder, den
Körper, gesündigt (multum peccatum in fratrem corpus).^) Nun kam
die Zeit, in der er es büßen sollte. Mit ergreifender Ergebung, ja
mit Freuden hat er alle Schmerzen ertragen. Dieselben erschienen
ihm nicht als Feinde, sondern als Freunde, und, wie die Thiere auf
dem Felde und die Vögel, nannte er sie Schwestern.''^) Sie waren
ihm von Gott gesandt und als Gottesboten nahm er sie auf. In-
sonderheit von einem schweren Augenleiden sprechen die alten
Biographen, das häufig ärztliche Behandlung erforderte. So mußte
er einst mit einem glühenden Eisen von den Ohren bis zu den Augen
gebrannt werden, was Anlaß zu der reizenden Erzählung gab, das
Feuer selbst habe sich dem Freunde aller Geschöpfe freundlich er-
wiesen und ihm keine Schmerzen zugefügt. ,,Mein Bruder Feuer",
hatte er gesagt, „vor allen andern Dingen, die auf Schönheit Anspruch
1) T. s. I, S. 728.
2) Th. II Leg. III, 38. S. 300.
Die letzten Lebensjahre des Franz und sein Ende. 41
machen, hat dich der Allmächtige wirksam, schön und nützlich ge-
schaffen. Sei mir in dieser Stunde geneigt, sei mir freundlich, weil
ich immer dich im Herrn geliebt. Ich bitte den großen Herrn, der
dich geschaffen, daß er deine Hitze mäßige zu sanftem Brennen,
so daß ich's ertragen kann." Dann versichert er lächelnd, es habe
nicht geschmerzt, und erstaunt bricht der Arzt in die Worte aus:
„Fast glaube ich, daß zur ursprünglichen Unschuld Der zurückgekehrt,
nach dessen Willen selbst das Wilde sanft geworden."^) Dieses
Mannes Blick hatte die Tiefen und Wunder heiligen Wesens
ergründet !
Mit den eigenen Leiden ward auch das Nachempfinden der
Leiden Christi immer lebendiger in Franz. Seinen erstaunten Jüngern
schien er schon auf dieser Erde in innigem, ja irdischem Verkehr
mit Christus zu stehen. Er selbst konnte, wie es scheint, die Er-
innerung an das Erdenleben seines Heilandes nicht oft, nicht lebendig
genug sich wachrufeij. So beging er einst, drei Jahre vor seinem
Tode, zu Greccio das Weihnachtsfest in ganz besonderer Weise. In
einer einsam im Walde gelegenen Kirche bereitete er mit einem
treuen Anhänger Johannes eine Krippe, ließ den Ochsen und Esel
herbeifuhren und feierte dann im Beisein vielen Volkes die heilige
Nacht und den Knaben von Bethlehem, dessen Namen er vor süßer
Empfindung kaum auszusprechen vermochte. Jener Johannes will
es gesehen haben, wie er, vor der Krippe knieend, das Kind selbst
in den Armen gehalten.
Das klingt wie eine Vorbereitung auf das Ereigniß, welches
seinem Leben nach dem Glauben der Zeit, wie nach dem bis auf
den heutigen Tag herrschenden Glauben der katholischen Kirche
die höchste Weihe verlieh : die Stigmatisation. Selbst des Wunder-
baren entkleidet, bezeichnet sie doch den Höhepunkt seiner geistigen
Entwicklung. Wer von ihr erzählen will, muß sich an die alten
Legenden halten.
Wie Franziskus einst in seinen Jugendjahren von einem Bibel-
worte die Vorschrift für sein ganzes Leben erhalten, so wandte
er sich jetzt im Gefühle, daß seinen Tagen bald ein Ende gesetzt
werde, wiederum an das Orakelwort des Evangeliums. Aufs Neue
wollte er sich versichern, auf welchem Wege er das ewige Heil
erlangen könnte. Und als er dreimal das Buch aufgeschlagen, be-
^) Th. II Leg. III, 102. S. 238 — danach B. V, S. 755.
42
Franz von Assisi.
gegnete ihm dreimal die Passion des Herrn. Da wurde er dessen
froh, daß er durch Leiden sich die Seligkeit erwerben solle. ^)
Zwei Jahre vor seinem Tode zog er sich in die Einsamkeit auf
den Berg Alvernia zurück, der unfern Bibbiena mit seinem be-
waldeten Gipfel sich über die umliegenden Höhen erhebt und eine
weite Aussicht über fruchtbare Thäler gewährt. Wie alle Orte, die
Franz geliebt, zeichnet sich auch Alvernia durch einsame, großartige
Naturschönheit aus. Steil fällt in zerklüfteten Felsen die höchste
Spitze des Berges nach den niedrigeren Hügeln , die sich zu ihm
hinziehen, ab. Droben aber prangen im frischesten, hellsten Grün
mächtige Buchen, vermischt mit dunklem Nadelholz. Man könnte
sich in den fernen deutschen Norden versetzt fühlen, schweifte nicht
rings der Blick über die kahlen Bergzüge des Apennin und bliebe er
nicht drunten in den Thälern an den trotzig gehäuften Steinmassen
italienischer Städte haften. Es ist ein Platz, wie geschaffen zur
inneren Erhebung und Befreiung, mag man von schroffen Felsvor-
sprüngen hinabschauen in die nahen und doch so fernen Tiefen,
aus denen eine üppige grüne Kultur heraufleuchtet, oder unter den
Bäumen ausgestreckt durch die schwanken Zweige hindurch in die
unermeßliche Bläue dringen, in welche seit jeher die Sehnsucht
der Menschheit hinaufgestrebt hat. Und die Vögel singen da oben,
als hätten sie alle sich aus dem ganzen Lande dahin gezogen!
Dort sah Franziskus in göttlicher Vision einen Mann wie einen
Seraphim in der Luft über sich stehen, mit ausgestreckten Händen
und geschlossenen Füßen an ein Kreuz geheftet. Zwei Flügel er-
hoben sich über dem Haupte, zwei waren zum Fliegen ausgestreckt,
zwei endlich verhüllten den ganzen Körper. Von Schreck und
Freude erfaßt, sann er dem Bilde nach, was es bedeute — da be-
gannen an seinen Händen und Füßen die Nägelmale zu erscheinen
und eine Wunde an der Seite. Die Zeichen waren wirklichen
Nägeln, gewölbt an der einen, spitz an der anderen Seite, zu ver-
gleichen. ^)
Was uns hier und bei den tres socii noch ziemlich einfach
berichtet wird, ward, wie es nur natürlich erscheint, zunächst von
^) Dies steht wie eine Prophezeiung in der I. Leg., ohne direkte Verbindung
mit der Stigmatisation selbst. Bonaventura bringt beide Ereignisse in unmittelbaren
Zusammenhang, in Anlehnung an die I. Leg.
2) Nach L Leg. II, i. S. 708 f. — T. s. V S. 741.
Die letzten Lebensjahre des Franz und sein Ende. 43
Bonaventura, dann von der späteren Legende immer reicher aus-
geschmückt. Der erstere hält sich im Wortlaut abwechselnd an
Thomas und an die drei Genossen, fügt seinerseits aber hinzu, daß
das Ereigniß am Feste des h. Michael stattgefunden habe, daß
sich mit Franz ein Genosse auf dem Berge aufhielt, und daß
Franz auf den Rath des Illuminatus sich entschlossen, die Begeben-
heit den Seinen zu erzählen, womit die spätere allgemeine Kenntniß,
für welche die früheren Biographen keinen Aufschluß geben,
erklärt werden sollte. Eine Anzahl Wunder halfen den Glorien-
schein vergrößern. Die Fioretti wissen dann bereits sehr viel
mehr. Sie scheinen die Vision eines Bruder Philippus , Ministers
von Toscana, zu kennen, die in einem Manuskripte von 1282 in
Assisi geschildert wird. ') Einzelnes dürfte historisch glaubwürdig
sein, so : daß Orlando, der Graf von Chiusi, Franz den Berg Alvernia
zum Aufenthalt angewiesen, daß Letzterer sich in Begleitung seiner
Jünger Masseo, Leone und Agnolo dahin begeben. Auf dem Wege
erfrischt er einen durstigen , ihn geleitenden Bauern durch den
Trunk aus einer Quelle, die er gleich Moses aus dem Felsen ruft.
Nach mancherlei Visionen und Anfechtungen erfolgt die Stigmati-
sation , wobei der ganze Berg in Flammen zu stehen scheint , so
daß im Thale rastende Kaufleute sich aus dem Schlummer zur
Weiterreise erheben, da sie glauben, die Sonne sei aufgegangen.
Die Fioretti haben nun auch erfahren, was das von Bonaventura
angedeutete Geheimniß war, das der Seraphim Franz mitgetheilt:
es ist das Versprechen, daß Diesem vergönnt sei, jährlich an seinem
Todestage die Seelen der Brüder aus dem Fegefeuer zu befreien.
Wir brauchen die Legende nicht weiter zu verfolgen. Auch
wäre es zwecklos, deren poetische Erzählung auf dem Wege
nüchterner Kritik zu widerlegen. Das ist bereits von Hase in der
ausführlichsten Weise geschehen und hieße nur dessen Ausführungen
wiederholen.^) Wem der Wunderglaube einmal Bedürfniß ist, der
^) Publ. von Suysken in den Analecta § XI, S. 860. Auch stimmen sie in
manchen Punkten mit dem unten zu erwähnenden Addio di S. Francesco des Frate
Masseo überein.
^) Ganz kurz sei auf das Wesentliche dabei hingewiesen. (Hase a. a. O. S. 143.)
Eigentliche Zeugen , die aussagten : wir haben die Wundmale gesehen , giebt es außer
Elias (Schreiben an die fernen Brüder bei Wadd. II, p. 149) nicht. Auch die Päpste
Gregor IX und Alexander IV in ihren Breven gegen die in Mähren und in Castilien
sich erhebende Opposition wider den Stigmataglauben (Wadd. II, 1237 S. 429. —
IV, 1259 S. 102) treten als solche nicht auf, obgleich es hier so geboten schien.
44
Franz von Assisi.
läßt sich von reinen Vernunftgründen doch nicht überzeugen , und
schHeßlich versteht der Eine nur unter dem Bilde dasselbe, was
der Andere glaubt: daß nämlich die Tage auf dem Berge Alvernia
thatsächlich den Höhepunkt in dem geistigen Leben des Franziskus
bezeichnen. In ekstatischem Gebete , in fieberischer Verzückung
muß ihm die Gemeinschaft mit Christus im Leben und Leiden zur
vollen Wirklichkeit geworden sein, in ,, seraphischen Gluthen" seine
Seele sich zu einer Gottanschauung und Vergöttlichung erhoben
haben, die man wohl ferne ahnen, aber nicht schildern kann.
Zur Erde zurückgekehrt zog er dann zu erneuten Leiden ins
Thal und zu den Menschen hinab, nachdem er in ergreifender
Weise von seinen auf dem Berge bleibenden Genossen Abschied
genommen. In einer erst kürzlich zum Vorschein gekommenen
Gedenkschrift des Masseo mag uns eine Erinnerung an seine
Scheidensworte erhalten sein , die wohl zu dem Bilde passen , das
uns die alten Legenden von dem Manne geben. Nachdem er den
Seinen den geweihten Berg zu dauerndem Aufenthalte und Ver-
ehrung empfohlen, besteigt er den Esel, den ihm der Graf von
Chiusi geschickt, da seine Körperkräfte nicht zum Gehen auslangten,
und verläßt unter Thränen die Freunde und den stillen geweihten
Ort, an dem ihm Gott solche Gnade erwiesen.
,, Verharret in Frieden, theuerste Söhne, Gott segne euch,
theuerste Söhne, behüte euch Gott! Ich trenne mich von euch
mit dem Körper, aber ich lasse euch mein Herz. Ich gehe von
hinnen mit meinem Bruder, dem Lamm Gottes, und gehe von hinnen
nach S. Maria degli Angeli und hierher werde ich nicht mehr
zurückkehren. Ich scheide, behüte euch Alle Gott, behüte euch
Elias weiß ebensowenig wie Matthäus Paris (S. 341) von der Erscheinung des Seraph,
vielmehr sagen Beide, die Wundenmale seien kurz (15 Tage) vor dem Tode erschienen,
Letzterer auch, sie seien nach demselben wieder verschwunden. Daß Franz sie sich
selbst beigebracht, ist nicht zu denken, viel eher, daß Elias es gethan. Dann erklärt
sich leicht die überhastete Bestattung, die schon am Morgen der Nacht erfolgt, in der
Franz gestorben, die fieberhafte Eile, mit der Elias bei der Uebertragung den Leichnam
der aufgeregten Menge entführt (1230). Auf das Zeugniß und die Wirksamkeit des
Elias geht schließlich Alles zurück! — Anzumerken wäre dann nur noch, daß Bona-
ventura in seinem Itinerarium mentis in Deum (opera Peltier. Paris 1868. Bd. XII,
S. 21) angiebt, er habe von der Erscheinung durch den Genossen des Franz erfahren,
der damals mit ihm war. Das dürfte Illuminatus sein, dem offenbar Bonaventura das
Meiste von dem Neuen, was er in seiner vita bringt, verdankt. Im Addio (vgl. unten)
ist Illuminatus mit Franz in Alvernia.
Die letzten Lebensjahre des Franz und sein Ende. 45
Gott! Behüte dich Gott, Berg, behüte dich Gott, behüte dich
Gott, Berg Alverna, behüte dich Gott, Berg der Engel, behüte
dich Gott, Theuerster, behüte dich Gott ! Theuerster Bruder Falke,
ich danke dir für die Liebe, die du mir erzeigt, behüte dich
Gott! Behüte dich Gott, ragender Fels, nimmer mehr werde ich
hierher kommen , dich zu besuchen. Behüte dich Gott , Fels , be-
hüte dich Gott, behüte dich Gott, behüte dich Gott, Fels, denn
in deine Tiefen hast du mich aufgenommen, daß der Dämon ver-
spottet draußen blieb ; nimmer wieder werden wir uns sehen. Be-
hüte Dich Gott , S. Maria degli Angioli , ich empfehle Dir diese
meine Söhne, Mutter des ewigen Wortes."
Dann schied er und verfolgte den Weg nach dem Monte Acuto
über den Monte Arcoppe und Foresto. Auf der Höhe daselbst
noch blieb er stehen, stieg vom Esel ab, kniete nieder, das Gesicht
nach Alvernia gewandt, that ein heißes Gebet und rief das letzte
Lebewohl :
,, Behüte dich Gott, Berg Gottes, heiliger Berg, mons coagulatus,
mons in quo bene placitum est Deo habitare. Behüte dich Gott,
Berg Alverna ! Gott Vater, Gott Sohn, Gott h. Geist segne dich,
bleibe in Frieden, denn nimmer sehen wir uns wieder." ^)
Wie abwesend im Geiste zieht er durch das Thal und bemerkt
es nicht , wie er durch Borgo San Sepolcro , dessen Bevölkerung
ihn zu sehen und berühren herbeieilt, gelangt ist. ^) Bei den Aus-
^) Publ. in Amonis Ausgabe der II. vita des Thomas, S. 314. Es ist weder
angegeben , woher diese Schrift stammt , noch wodurch sie beglaubigt ist. Doch trägt
sie bis zu einem gewissen Grade die Glaubwürdigkeit in sich selbst. Sie begiimt:
Gesü, Maria; Speranza mia. Fr. Masseo peccatore pace e salute a tutti li
fratelli. Schluss : lo Fra Masseo ho scritto tutto. Dio ci benedica. Dieser Masseus
ist wohl derselbe, auf dessen Zeugniß indirekt der Portiuncula- Ablaß zurückgeht, ver-
muthlich der um 1280 gestorbene (vgl. Suysken Comment. S. 88 1). Die Schrift hat
offenbar den bestimmten Zweck, das Kloster Alvernia besonders zu empfehlen, gemäß
dem Wunsche des Franz. Davon abgesehen, mögen jene Worte des Abschieds, aus
der Erinnerung niedergeschrieben, doch ein Bild von der eigenthümlichen Redeweise des
Franz geben. Sie erinnern lebhaft an die Fioretti, die Diesen auch stets in ähnlichen,
meist dreifachen Wiederholungen sprechen lassen. Liegt dem nicht eine glaubwürdige
Volkstradition, die auch aus manchen anderen Einzelheiten der Fioretti sehr frisch
und lebendig spricht, zu Grunde? Solch' merkwürdige Ausdrucksweise gerade mußte
im Gedenken des Volkes fortleben.
-) Th. II Leg. III, 41. S. 148. Danach bei B. Die Fioretti verlegen mit Recht,
wie es scheint, diesen Vorfall, wie die Heilung eines achtjährigen Knaben in Cittä di
Castello, in diese Zeit seiner Heimkehr.
Aß Franz von Assisi.
sätzigen kehrt er ein, denn von Neuem strebt er in stärker er-
wachtem Mitgefühl, die Menschen seine Liebe empfinden zu lassen ;
wie in den Jugendjahren zog es ihn wieder zu den Aussätzigen,
zu den Armen — aber der kranke Körper versagte ihm seine
Dienste, die Kräfte waren gebrochen. Mit wunderbarer Geduld
und Freudigkeit ertrug er die Schmerzen und wollte lange von
der Strenge des Lebens nicht weichen. Zweifelnd wandte er sich
endlich an einen Genossen mit der Frage , ob es wohl kein Un-
recht wäre, dem Körper Sorge angedeihen zu lassen. Der traf das
Richtige : ,, Kannst du deinem Körper, o Vater, das Zeugniß geben,
daß er sich immer gehorsam erwiesen im Dienste des Herrn.?"
Freudig bejahte der Kranke es. Da fuhr der Bruder fort: ,,Wo
bleibt dann, Vater, deine Freigebigkeit, wo dein frommer Dank?
Ist es nicht recht, daß du solchem Freunde, der sich so oft für
dich dem Tode ausgesetzt, in so großer Noth hilfst.'"' Von Stunde
an unterwarf sich Franz der ärztlichen Behandlung und den An-
ordnungen der Freunde : ,, Freue dich, Bruder Körper, und schone
meiner, denn sieh, schon handle ich freudig nach deinem Wunsche,
freudig eile ich, dir in deinen Schmerzen zu Hülfe zu kommen."^)
Aber selbst ärztHcher Beistand vermochte Nichts mehr. Vergeblich
unterzog er sich in Rieti schmerzhaften Operationen, vergeblich
suchte er in Siena Heilung. Sein Körper magerte ab , der Magen
war durch das lange Kranksein geschwächt, die Leber verdorben.
Oft spie er Blut. Vier Brüder sorgten mit Aufopferung und Liebe
für ihn, endlich hielt es Elias für gerathen, ihn in die Heimath zu
bringen. Das geschah im Frühjahr 1226. Anfangs verlebte er
einige Zeit in der Nähe von Cortona , dann , als die Beine und
Füße anzuschwellen begannen und der Magen kaum mehr Speise
aufzunehmen vermochte , bat er den Freund , ihn nach Assisi zu
bringen. Wie im Triumphe geleitete jubelnd das Volk den kranken,
geliebten Mann in die Stadt. Entsetzliches muß er damals aus-
gestanden haben, da er, der muthige Gotteskämpfer, einem Bruder
verrieth, jedwedes Martyrium würde ihm leichter sein, als noch
drei Tage solche Schmerzen zu ertragen. Sein letztes Wort aber
blieb immer : Gottes Wille geschehe !
Als er endlich die Todesstunde herannahen fühlte, ließ er sich
nackt auf den Boden legen, um nackend und arm aus dem Leben
1) Th. n Leg. III, 137. S. 296.
Die letzten Lebensjahre des Franz und sein Ende. 47
zu gehen. Als aber der Guardian ihm im Namen des h. Gehorsams
befahl, mit einer fremden Kutte sich bekleiden zu lassen, gehorchte
er und brach in jubelnde Worte aus, da er erkannte, wie er seiner
Herrin Armuth bis zuletzt die Treue bewahrt. ^) Dann segnete er,
des Augenlichtes beraubt mit den Händen tastend, das Haupt des
Elias und alle die Brüder, die weinend und schluchzend ihn um-
standen : „Lebt wohl , alle ihr Brüder, in der Furcht des Herrn
und bleibet immer in Christo, denn eine große Prüfung wird über
euch kommen und die Heimsuchung naht. Glücklich Die, welche
in dem, was sie begonnen, verharren werden, künftiges Aergerniß
wird Manche von ihnen trennen ! Ich aber eile zum Herrn , zu
meinem Herrn, dem ich fromm im Geist gedient, habe ich Vertrauen
zu gehen." Aus dem bischöflichen Palaste ließ er sich nach
der Portiuncula bringen und verbrachte die letzten Tage in Lob-
gesängen. Die Geschöpfe alle , selbst den Tod , forderte er Gott
zu preisen auf und ermahnte sie in Worten, die er selbst einst
gedichtet, zur göttlichen Liebe. „Willkommen sei mein Bruder
Tod !" Dann brach er in die Worte des siebenundsiebzigsten
Psalmes aus: ,,Ich schreie mit meiner Stimme zu Gott, zu Gott
schreie ich und Er erhöret mich." Als er noch die Brüder ge-
tröstet und ihnen die Armuth zum letzten Male empfohlen, bat er,
ihm das Leiden des Herrn nach dem Evangelium Johannes zu
lesen und ließ sich mit Asche bestreuen, da bald ja sein Körper
Staub und Asche sein werde. Dann kam die letzte Stunde, in der
,,die reine Seele vom Fleische sich löste und in den Abgrund
himmlischer Klarheit einging, der Körper aber im Herrn entschlief".^)
An den Abendstunden des 4. October 1226 war Franziskus
gestorben, die Nacht verging den Brüdern und allem Volke in Lob-
gesängen — ,,es war als hielten die Engel Wache". Früh am
andern Morgen ward der Leichnam an dem Kloster der Chiara,
die mit ihren Schwestern den letzten Abschied vom geliebten Vater
nahmen, vorbei nach der Stadt gebracht und in S. Giorgio bestattet.
Die Wunder, die an seinem Grabe geschahen, das allgemeine Ver-
langen der Gläubigen veranlaßten zwei Jahre später Gregor IX., den
Mann des Volkes heilig zu sprechen. Der Papst selbst mit großem
') Th. II Leg. in, 139. S. 304. — B. XIV, S. 780.
^) Vergl. für alles Vorhergehende die I. Legende, für Einzelnes auch die 11. Leg. III,
cap. 139, S. 302 ff.
48 Franz von Assisi.
Gefolge vollzog am 16. Juli 1228 die Kanonisation. ^) In demselben
Jahre ward der Grundstein zur Kirche des Heiligen gelegt, die 1230
so weit gediehen war, daß in festlichem Gepränge der Leichnam
in sie überführt werden konnte. Dabei kam es zu Unruhen, man
wollte offenbar noch einmal den geliebten Todten sehen. Im
Tumulte brachte Elias mit seinen Brüdern den Sarg in die Kirche
und ließ die Thüren schließen.^) Seit jenem Augenblicke hat man
bis auf den Anfang des XIX. Jahrhunderts nicht gewußt, wo Franz
bestattet sei. Die Sage ging, er stehe unten in einer in den Fels
gehauenen Unterkirche, aufrecht und wie lebendig, die Hände im
Gebete zum Himmel erhoben. Als man im Jahre 1818 Nach-
forschungen anstellte, fand man die Gebeine im nackten Felsen
beigesetzt, wie er es selbst nach Dante's herrlichen Versen gewollt.
Als Der, der ihn berufen, aus der Pein
Zur Wonn' ihn rief, den Lohn hier zu erwerben,
Daß er sein Knecht war niedrig, arm und klein,
Empfahl er noch, als seinen rechten Erben,
Den Brüdern seine Frau, ihm lieb und werth,
Zu treuer Lieb im Leben und im Sterben.
Eh' ihrem Schooß, die Seele schon verklärt.
Entfloh, heimkehrend zu des Vaters Reiche,
Ward nur die Erd' als Sarg von ihm begehrt.'')
V. Zur Charakteristik des Franz.
Dort sah man einer Sonne Glanz entbrennen.
Gleich der am Ganges klar im heil'gen Licht.
Nicht möge man den Ort Ascesi nennen,
Denn wenig sagt, wer also ihn benennt.
Nein, was er war, giebt Orient zu erkennen.
Dem aus dem Ganges aufsteigenden Tagesgestirn hat Dante,
der poetischen Anschauung älterer Zeiten vom Sonnenaufgang ge-
denkend, den Franziskus verglichen. Ein heutiger Dichter dürfte
mit Recht "dasselbe Bild mit denselben Versen anwenden und doch
einen ganz anderen Sinn hineinlegen. In unsern Tagen, in denen
sich mit so besonderem Eifer das Interesse der alten Kultur und
^) Vergl. für die kleinen und ausführlichen Details Th. I Legende, die T. s.
B. cap. XV.
2) Vergl. Bulle Gregors 16. Juni 1230 bei Wadd. II, p. 234.
3) Uebers. Streckfuß. Braunschweig 1858. Paradies XI, 109 — 117.
Zur Charakteristik des Franz.
49
Religion der Inder zuwendet , drängt ein Vergleich des Gründers
der buddhistischen Religion mit dem Stifter des Minoritenordens
sich unwillkürlich auf. Buddha und Franz ! Beide haben sich im
Gegensatze zu einem im Formelwesen und Kastengeist erstarrten
Kultus erhoben, Beide sind aus der Sinnlichkeit eines üppigen
Genußlebens durch erschütternde Todesahnungen emporgerissen
worden , Beiden ist die vollkommene Armuth als das Mittel zur
Befreiung von allem Irdischen erschienen. Beide haben eine Ver-
tiefung geistiger Betrachtung erreicht, die bis zur absoluten Herr-
schaft über den Körper, ja bis zu dessen Verneinung und Ab-
tödtung geführt hat. An Beide hat sich eine Gemeinde heimath-
loser, wandernder Bettelmönche geschlossen, die ihre Lehren durch
die Länder trug und binnen kurzem die Welt zu erfüllen schien.
Und dennoch welch' weitgreifender Unterschied! Der Eine
nach Allem, was man vermuthen darf, ein Denker, der im eigenen
Innern die ewigen Gesetze eines in sich bestehenden , sich selbst
gestaltenden Weltganzen suchte und fand, der Andere ein Dichter,
der aus sich herausstrebend dem ewigen Ideal eines Gottmenschen,
Schöpfers und Erhalters der Welt, zujubelte. Für Beide ver-
schwindet die wirkliche Welt, aber der Eine zieht sich von ihr
ganz nur auf sich zurück, der Andere verläßt sich selbst mit ihr
und schwingt sich über sie empor. Von Buddha unter dem Baume
der Erkenntniß bleibt schließlich Nichts als das Denken, von Franz
auf dem Berge Alvernia Nichts cils das Fühlen übrig. Die Folge
ist gewesen , daß die geistigen Errungenschaften des Buddha nur
der Besitz einer privilegirten Minderzahl geworden sind, aber auf
Jahrtausende hinaus gewirkt haben, die Anschauungen des Franz
sogleich ein Gemeingut des Volkes wurden, aber nach wenigen
Jahrhunderten von fortgeschritteneren abgelöst worden sind. Was
Originalität und Bedeutung des Denkens anbetrifft, dürfte sich Franz
schwerlich mit dem indischen Religionsstifter vergleichen lassen.
Welch' ein eigenthümliches Zusammentreffen, daß um dieselbe
Zeit, als die Legende des Franz ein Volksbuch wird, auch Buddhas
sagenhafte Lebensschilderung in der Form der novellistischen Er-
zählung von Josaphat und Barlaam ein lebhaftes Interesse im
Westen findet ! ^)
^) Vergl. den Nachweis, daß Josafat Buddha bei Liebrecht: Jahrbuch f. rom.
und engl. Literatur II, 314. — Uebersetzung von Liebrecht. Münster 1847.
Thode, Franz von Assisi. 4
50
Franz von Assisi.
Franziskus ist durchaus Gemüthsmensch. Alle seine Gefühle
konnten so ursprünglich, so stark und einheitlich sich nur geltend
machen , weil sie durch keine Zweifel anregende Verstandeskritik
schon im Entstehen gehindert wurden. Seine Religion war Gefühl,
die Predigt, in der er sie verkündete, wirkte durch das Gefühl,
sein Verhältniß zu den Menschen und der Natur war durch das
Gefühl bedingt. Sein Leben ist ein großer Dithyrambus auf das
Gefühl. Darin allein liegt die Erklärung für seinen gewaltigen
Einfluß. Mitten hinein in den Kampf dogmatisch idealer und
egoistisch realer Interessen erscholl der Friedensruf reiner Mensch-
lichkeit, und Unzählige hielten verwundert ob dieser Kunde inne,
ließen die Waffen fallen und beugten die Knie vor dem kühn auf
dem Schlachtfelde selbst errichteten Altar der neuen Göttin.
Eine sorgfältige, edle Erziehung muß solchem Gefühl die rechten
Bahnen und Ziele gewiesen haben. Man glaubt die leitende zarte
Frauenhand zu spüren. Dann kam der Kampf der idealen geistigen
Richtung mit der ungebändigten Sinnlichkeit einer bis zur Exaltation
lebendigen Natur — ein Kampf auf Leben und Tod, der dank
der Schwächung des Körpers durch Siechthum mit der vollständigen
Niederlage der Sinnlichkeit endete. Nicht einmal Bedingungen
durfte dieselbe noch wagen, der Sieger diktirte seine Alleinherrschaft.
Unvermerkt hat sich der unterliegende Theil doch gerächt. Die
Sinnlichkeit hat sich in das geistige Wesen des Franz gerettet und
seinen Glaubensanschauungen ihr Gepräge gegeben. Die Lebhaftig-
keit der Auffassung, die Empfänglichkeit für alle äußeren Eindrücke,
die starke Einbildungskraft machten seine Religion zu einer über-
sinnlich sinnlichen. Indem er sich selbst zum Himmel aufschwingen
wollte , zog er ihn zu sich herab. Sein Gott , sein Christus , seine
Maria haben Fleisch und Blut, er glaubt sie schon auf dieser Erde
zu berühren und liebend zu umfangen. Sie sind ihm immer nahe,
in jeder Blume, in jedem Thiere, in jedem Menschen ahnt er ihre
Gegenwart. Man könnte glauben, er sei selbst Zeuge von Christi
irdischem Wandel, dessen Lehren und Leiden gewesen, so lebhaft
und greifbar wirklich erschienen ihm die Vorstellungen seiner Phan-
tasie. Im Ueberschwange sinnlichen Dranges baut er zum Weih-
nachtsfest die Krippe auf und läßt Ochs und Esel herzuführen.
Wenn er den Namen des Knaben von Bethlehem ausspricht,
scheinen ihm die Laute im Munde süßen Geschmackes voll. Kurz,
sein Glaube selbst ist ihm zum Genuß geworden!
Zur Charakteristik des Franz. c j
Daß er die Grenzen des Aesthetischen in seinen Aeußerungen
manchmal überschritten, ist fast anzunehmen. Was aber versöhnt
mit dem Uebermaß, ist die durch Nichts zu erschütternde Ueber-
zeugung von der Aufrichtigkeit seines inneren Lebens. Niemand
wird ihm vorwerfen können, mit demselben gespielt zu haben —
wäre er ein Schauspieler gewesen, so würde er nach kurzer Zeit
der Rache eines in seinen besten Gefühlen getäuschten Volkes
zum Opfer gefallen sein. Vielmehr ist er in seiner religiösen Ueber-
zeugung so durchaus wahr, daß er sich ihr ohne Zaudern und Be-
denken aufgeopfert haben würde. Sein Leben lang, selbst durch die
Prüfung tiefer Enttäuschungen hindurch, ist er ein Kind geblieben,
aber zugleich als Mann in feuriger, thatkräftiger Begeisterung für
seinen kindlichen Glauben an Gott und die Menschheit eingetreten.
Zu allen Zeiten haben Männer von solch übergroßer Gewalt
der Seele ihre Befriedigung nur in der öffentlichen Verkündigung
einer Religion , wessen Geistes dieselbe auch sei , gefunden. So
war es auch fiir Franz das Gebot einer inneren Nothwendigkeit,
daß er der Prediger der Sittlichkeit im höchsten Sinne wurde.
Die von den Waldensern überkommene neue christliche Form der
Ethik füllte er mit dem Inhalt seines reichen Herzens aus, und
die Liebe zu Gott und den Menschen, wie sie in voller Reinheit
nur der von allen irdischen Sorgen befreite Nachfolger der besitz-
losen Apostel in sich erziehen kann, ward die Losung seines Lebens.
Fortan geht sein Gefühl einzig in ihr auf!
Wie seine Liebe sich in der schrankenlosen Hingebung an den
Nächsten, in der Sorge für dessen geistiges wie leibliches Wohl, in
warmem Mitleid , in demüthiger Selbsterniedrigung äußerte , lehrt
jede Seite seiner Lebensbeschreibungen. Seine Moral trat gerade
darin manchmal in schroffen Widerspruch zur kirchlichen. So hielt
er es von seinem freieren Standpunkte aus nicht für unrecht, einer
armen Frau, in Ermangelung jeder anderen Gabe, das zu seinen
Lektionen erforderliche Neue Testament zu schenken, damit sie
durch dessen Verkauf ihrer Nothdurft abhelfen könne. ^) Oft hat er
sich selbst des ärmlichen Gewandes beraubt, um Aermere damit
zu beglücken — selbst wenn der leidende Körper der warmen
Hülle so dringend bedurfte.-) Den Aussätzigen brachte er nicht
1) Th. II Leg. III, 35. S. 138.
') Th. II Leg. III, Cap. 28—37.
52
Franz von Assisi.
allein Trost in liebreichen Worten, sondern bethätigte seine brüder-
liche Liebe in herzlichen Bezeugungen und in demüthig eifriger
Pflege. In Milde ermahnte er die Brüder, die sich ein Fehl hatten
zu Schulden kommen lassen, und strafte mit Strenge nur Aeusse-
rungen des Hasses und der Missgunst zwischen ihnen. Trieben sie
es mit den Kasteiungen zu arg, so erbarmte sich sein Herz ihrer
und er scheute sich dann nicht, durch eigenes Beispiel ihnen die
schwere Aufgabe zu erleichtern. Wie er denn einst in der Nacht
einen vor Hunger fast sterbenden Bruder den Tisch bereiten läßt,
selbst zu essen beginnt und so den übertriebenen Bedenken des
asketischen Genossen ein Ende macht. Menschlich und schön sind
die Worte , die er hinzufügt : ,,Die Liebe , nicht die Speise , diene
euch zum Beispiel, denn diese gehorcht nur der Lüsternheit, jene
dem Geiste."^) Die Nachsicht, die er für Andere, die Strenge, die
er gegen sich selbst hatte, zeugt von wahrhaft erhabener christ-
licher Gesinnung, die sich nicht an den todten Buchstaben hielt,
sondern an den lebendig machenden Geist.
Seine Lebhaftigkeit riß ihn da manchmal zu Dingen hin, die
sehr befremdend erscheinen können, aber, wie man keinen Augen-
blick vergessen darf, die nothwendige Folge seiner überlebendigen
Einbildungskraft sind. So ließ er sich einmal, als er in einer Krank-
heit dem armen, leidenden Körper die Wohlthat kräftiger Nahrung
hatte zu Theil werden lassen, nackt an einem Stricke durch die
Straßen ziehen und auf den Armensünderstein erheben , damit er
sich so den Leuten zum Spotte und Hohn für seine fleischliche
Gesinnung bloßstelle.^) Aus Demuth ordnete er sich selbst einem
Guardian unter und nannte er seine Jünger die Minderbrüder, sich
selbst den kleinsten unter ihnen. ^) Er wollte nicht, daß seine
Söhne kirchliche Würden annähmen, wie er selbst auch nur die
Weihe eines Diakons empfangen hat. Ein Gott wohlgefälliger
Lebenswandel aber, meinte er, werde mit drei Dingen ausgefüllt:
mit frommem Denken, frommem Sprechen und fleißigem Arbeiten.
Daher verwendete er die Stunden, die nicht dem Gebet oder der
Predigt gewidmet waren, zur Handarbeit, deren Ertrag den Armen
zu Gute kam. ,,Wenn wir arbeiten, fallen wir Andern nicht zur
1) Th. II Leg. I, 15. S. 38. Darnach bei B. V, S. 755.
2) Th. I Leg. VII, S. 698. — B. VI. S. 757.
3) Th. II Leg. III, 79. S. 204.
Zur Charakteristik des Franz. 53
Last und halten das Herz und die Zunge davon ab, herum-
zuschweifen."^) Sein Leben lang ist er nicht einen Augenblick
müßig gewesen, und so hat er auch nie den Frohsinn verloren,
der ihn schon in der Jugend allen Menschen lieb machte. Eine
reine Heiterkeit schien ihm nicht allein Bedürfniß, sondern zugleich
eine gute Wehr gegen die Anfechtungen des Teufels.-)
So demüthig, klein und arm, wie er sich den Menschen gegen-
über zeigte, beugte er sich auch vor Gott. Mit ganzer Seele und
allen Kräften bot er sich täglich in heißem, innigem Gebete seinem
Schöpfer dar. Seine Seele dürstete nach dem Herrn und die
Sprache war zu arm, seine Liebe zu des Menschen Sohn aus-
zudrücken. Am liebsten zog er sich in einsame Kirchen oder
Wälder zurück, den Gefühlen freien Raum zu lassen. Kam aber
die Inbrunst des Gebetes in der Oeffentlichkeit über ihn, so hielt
er den Mantel vor sich oder bedeckte mit dem Aermel das Antlitz,
in tiefes Schweigen versunken. Wußte er sich ganz allein, so
erfüllte er den Hain mit Seufzen, vergoß Thränen und schlug sich
die Brust. Da hielt er scheinbar Zwiegespräche mit dem Freunde
und Verlobten seiner Seele. „Welche Süßigkeit da über ihn kam.?
Niemand weiß es. Dann schien er nicht ein Betender mehr, sondern
selber ganz Gebet zu sein." Kehrte er wieder zu den Genossen
zurück, so achtete er sorgfältig darauf, daß Keiner ihm anmerke,
welcher Gnade er theilhaftig geworden. Denn, sagte er: „Wenn
ein Knecht Gottes im Gebet irgend welche Tröstung vom Herrn
erhält, so soll er, ehe er zu beten aufhört, die Augen zum Himmel
erheben und mit gefalteten Händen zu Gott sprechen : Solchen
Trost und solche Süßigkeit hast Du Herr mir dem Sünder und
Unwürdigen vom Himmel gesandt, und ich erstatte sie Dir zurück,
daß Du sie mir aufhebst, denn ich bin ein Dieb an Deinem Schatze."
Wer ihn im Gebete antrifft, wie einst ein Bischof, mochte wohl
gleichsam von überirdischer Gewalt hinweggetrieben werden, den
frommen Mann nicht zu stören.-^)
Was Wunder, wenn man glaubte, solches Fürbitten bei Gott
1) Th. n Leg. III, 95 f. S. 228 f.
*) Th. II Leg. III, Cap. 65 ff. S. 186 f. Das Sauersehen war ihm zuwider. Die
tristitia, gegen die er, wie viele Schriftsteller der Zeit : Bonaventura, Dante und Andere
sich öfters empört, scheint eine Art Weltschmerz gewesen zu sein. (Vergl. auch manche
Lieder des Walther von der Vogelweide.)
3) Für das Gebet: Th. II Leg. III, Cap. 38—43. B. Cap. X.
54 Franz von Assisi.
vermöge selbst in den gewöhnlichen Gang der Dinge einzugreifen!
Die Zeiten Christi schienen wiedergekehrt zu sein, denn Wunder
über Wunder geschahen, wo immer der heilige Mann mit seinem
Gebete eintrat. Als Wunderthäter vor Allem hat ihn die katholische
Kirche verehrt, und die alten Legenden sind voll von derartigen
Geschichten , die ein Jeder nach seinem Gutdünken glauben oder
sich zu deuten versuchen mag. Auch die Gabe der Prophezeihung
war ihm vom Himmel beschieden worden. Manches voraus-
sagende Wort erklärt sich wohl leicht aus seinem feinen Mitgefühl,
mit dem er sich in die Seele Anderer versetzt, wie er z. B. einst,
ermüdet auf einem Esel reitend, die Gedanken seines Jüngers
Leonardo errieth, der, aus vornehmer Familie entstammt, ihn doch
zu Fuße begleiten mußte und sich im Innern über solch ungerechte
Vertheilung der Loose empörte. Anderes, in der Verzückung ge-
sprochen, war an sich Orakelwort oder wirkte als solches I
Die Liebe zu Gott aber übertrug sich auf dessen Geschöpfe, auf
die ganze Natur. Die Thiere gesamt, groß und klein, die Pflanzen,
die Sterne, Sonne und Mond waren seine ,, Brüder und Schwestern".
Mit gleicher Liebe umfing er sie alle. Das tiefe, innige Verständniß
für die Natur war ihm angeboren, vertieft ward es durch seinen
Glauben. Es ist in jenen Zeiten eine Frühlingsstimmung über die
Menschen gekommen , die Welt fing an zu blühen und von dem
Sänge der Vögel wiederzuhallen ! Was in den Liedern der Pro-
vence sich schüchtern hervorwagte, was nördlich der Alpen in
Walthers von der Vogelweide Sängen freier in der frischen Luft
aufathmete, tritt in keinem Anderen so voll und mächtig zu Tage,
als in Franz von Assisi — die heitere und sinnige Freude an der
Natur, die liebevolle Beobachtung des farbenprangenden Daseins,
die selig frohe Lust an all dem Klingen und Singen in der Natur.
,,Die Saaten und Weinberge, Felsen und Wälder, und all der
Schmuck der Felder, die fließenden Wasser und das Grün der
Gärten, die Erde, das Feuer, die Luft und die Winde fordert er
in aufrichtigster Liebe zur Liebe zu Gott auf und ermahnt sie,
fröhlich den Herrn zu preisen."^) ,,Den holzfällenden Brüdern
verbot er den ganzen Baum zu fällen, daß er die Hoffnung habe
wieder zu treiben; dem Gärtner befiehlt er, nicht die dem Garten
angrenzenden Theile umzugraben, damit zu ihrer Zeit das Grün
1) Th. I Leg. X, S. 705 f.
Zur Charakteristik des Franz.
55
der Kräuter und die Anmuth der Blumen von der Schönheit des
Vaters Aller künden möchten : ein Gärtchen im Garten läßt er ab-
stecken für duftende und blühende Pflanzen, damit sie dem Be-
schauenden die ewige Lieblichkeit ins Gedächtniß riefen ; er sammelt
die Würmer vom Wege, daß sie nicht von dem Fuße zertreten
werden, und den Bienen läßt er in der Winterzeit Honig und
süßen Wein auftischen, daß sie nicht Hungers sterben." Vor Allem
aber liebte er die geduldigen Schafe und dachte bei ihrem Anblick
des unschuldigen Lammes Gottes. So kauft er einmal mit seinem
Mantel zwei Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden sollten,
vom Tode los und nimmt er das eine Lamm, das er vereinsamt
mitten zwischen Ziegen weidend auf seinem Wege findet, mit sich
heim. ^) Die Thiere aber vergalten seine Liebe dankbar mit ver-
traulicher Anhänglichkeit, sie legten die Scheu ab und gesellten
sich zu ihm. Die Unschuld des Paradieses schien wiedergekehrt,
wie Görres so schön sagt. Die Rothkehlchen holen von seinem
kärglich besetzten Tische die Brodkrumen-), der Fasan, dem er
das Leben gerettet, läßt sich nicht von ihm trennen und freut sich
seiner Liebkosungen. Der Hase, den er von der Schlinge befreit,
flüchtet sich in seinen Schooß "') , die Vögel , die er auf dem Felde
fand, bleiben ruhig sitzen und lauschen die Hälse reckend seiner
Predigt.*) „Singe, meine Schwester Grille, und lobe jubelnd Gott
den Schöpfer", sagte er zu der Cicade, und sie flog auf seine
Hand und begann ihr feines Zirpen."^) In Alvernia begrüßten ihn
die Vögel mit fröhlichem Sänge, und nächtlich zur Stunde des
Gebetes weckte ihn der ,, Bruder" Falke, der nahe der Zelle auf
einem Baum nistete. Als aber seine letzte Stunde gekommen war,
begannen die Schwalben um seine Zelle zu kreisen und sangen
ihm das Sterbelied.
In der ganzen Natur sah Franz nur den Abglanz der Allmacht
und Herrlichkeit Gottes: „Im Schönen erkennt er den Schönsten,
alles Gute ruft ihm zu: der uns gemacht hat, ist der Beste; auf
den Spuren, die den Dingen eingedrückt sind, folgt er überall dem
Geliebten, macht sich aus Allem eine Treppe, auf der er empor
1) Th. I Leg. IX, S. 705.
2) Th. n, Leg. n, 16. S. 78.
8) Th. n Leg. m, 106. S. 243.
*) Vergl. unten Bonaventura's Schilderung bei Besprechung der Fresken Giottos.
"*) Th. II Leg. III, 107. S. 244.
56
Franz von Assisi.
zum Throne gelangt." ^) Thomas von Celano bedient sich in diesen
letzten Worten des Bildes, das für die philosophisch - religiöse An-
schauung des XIII. Jahrhunderts recht eigentlich das Schlagwort
wird, soll das Verhältniß des Menschen zu der sonstigen Schöpfung
bezeichnet werden. In den Werken des Thomas von Aquino und
Bonaventura namentlich wird dieselbe Metapher zur Versinnbild-
lichung des innern Vorganges der Gotteserkenntniß häufig angewandt.
Bleibt auch die letztere immer der Endzweck, so verräth sich doch
in solchen Anschauungen der geheime innere Zug der Zeit zur
Beobachtung und zum Studium der Natur. Der mundus sensibilis
beginnt neben dem spekulirenden Menschen und Gott eine selbst-
ständige Stellung und volle Beachtung zu beanspruchen. Noch
ehe Aristoteles mit seinen ausgebreiteten Kenntnissen den suchenden
Scholastikern zu Hülfe kommt, hat Franz in den Naturgeschöpfen
und Naturkräften seine Brüder und Schwestern erkannt und seinem
Volke die Augen geöffnet für die Herrlichkeit und Mannichfaltig-
keit der Schöpfung. Fortan gewinnt der Franziskanerorden eine
ganz besondere Bedeutung für die Entwicklung einer neuen Natur-
anschauung und scheint gegenüber den Dominikanern etwas von
dem frischen , ursprünglichen Verständnisse seines Stifters über-
kommen zu haben, das im Kampfe gegen die bequeme Autorität
des alten griechischen Philosophen in Roger Bacon's Genius bahn-
brechend hervortritt. Ist es nicht höchst bezeichnend, daß die
Gewalt, welche Franz über die Geschöpfe zu haben schien, wohl
seinen Schülern eine wunderbare dünkte , daß Keiner aber daran
gedacht, ihn gleich so vielen der Zeitgenossen einen Magus zu
nennen — das Wunderbare selbst erschien bei ihm natürlich ! Die
Ursprünglichkeit seiner Natur und seines Gefühles stand in direktem
Gegensatz zur großen geheimnißvollen Kunst der Magie — und
aus dieser Ursprünglichkeit eines genialen Menschen allein läßt sich
der unermeßliche Einfluß, den er gehabt, erklären.
Er war kein Magier , sondern ein Dichter ! Nur ein Lied ist
uns von ihm erhalten, der herrliche Sonnengesang ! Was man ihm
sonst noch zugeschrieben , ist nur in seinem Sinne , nicht von ihm
selbst gedichtet worden. Und bezeugten es nicht die alten Bio-
graphen an zahlreichen Stellen, daß er Gott ,, Loblieder zu singen
pflegte", man könnte es mit Sicherheit aus seiner ganzen Anlage
1) Th. II Leg. III, loi. S. 236.
Zur Charakteristik des Franz.
57
schließen, daß seine Seele in begeisterten Liedern überströmen
mußte. Es wird ihm um die Form nicht sehr zu thun gewesen
sein, sondern in rhythmischen, nicht künstlich gebauten Worten
und Tönen wird er, dem inneren Impulse folgend, seinen Em-
findungen Luft gemacht haben. Er sang wie sein Bruder, der
Vogel , ein Troubadour Gottes , von der Liebe zum Schöpfer und
der Natur, nicht an Fürstenhöfen, sondern draußen unter freiem
Himmel , wenn er wandernd durch die Welt zog. In den jungen
Jahren freilich, als er noch im Kreise froher Genossen bei fröh-
lichem Gelage der Minne gedachte, mag irdischen Frauen sein
Loblied erklungen sein. Dann aber war es ihm ergangen, wie dem
Ritter Wirent von Grafenberg, er hatte die Frau Welt von der
Schauder erregenden Rückseite gesehen , und fortan galt seine
Minne einer hehreren Frauen, der Armuth. Wie so vieles Andere,
weist auch seine frohe Sangeslust auf seine ursprüngliche Heimath,
auf die dichtende und singende Provence hin, wenn auch diese ihre
Troubadours schon längst an die Fürstenhöfe in Italien entsandt
hatte und Franz auch hier sie hätte kennen lernen können. Er-
zählt uns doch Thomas, daß er in der Freudigkeit seines Herzens
immer in französischer Sprache gesungen :
,,Die süßeste Melodie des Geistes , die in ihm glühte , trat in
französischen Lauten nach außen, und die Ader göttlichen Flüsterns,
die verstohlen sein Ohr aufnahm, brach in französische Jubelworte
aus. Dann begleitete er sich wohl zum Scheine selbst auf der
Viola, bisweilen nahm er, wie wir es mit unsern Augen gesehen,
ein Stück Holz von der Erde auf, legte es auf den linken Arm
und hielt in der Rechten einen mit einem Faden gespannten Stab.
Den zog er über das Holz wie auf einer Viola und sang, die
passenden Gesten dazu machend, auf Französisch vom Herrn.
Häufig endeten diese Dreischrittstänze in Thränen und der Jubel
verkehrte sich in eine Mitleidsklage um das Leiden des Herrn." ^)
Welch' ein ergreifendes Bild ! Das ist dieselbe ,, göttliche Toll-
heit", die später Giacopone da Todi zum Dichter machte, die
Italien mit einer Fülle herrlicher, gefuhlswarmer religiöser Lieder
beschenkt hat, ehe noch Dante's göttliche Stimme erklungen. Mit
Franz erhebt sich eine geistliche Volkspoesie in Italien, die, obwohl
nicht unbeeinflußt von ihnen, doch in schroffen Gegensatz zu den
1) Th. n Leg. III, 67. S. li
eg Franz von Assisi.
spitzfindigen Spielereien der Troubadours tritt und im Fluge alle
Herzen für sich gewinnt , weil sie , nur aus dem Gefühl geboren,
nur an das Gefühl appellirt. Zum ersten Male in der Volkssprache
erschallt das Lob Gott in des Franziskus Lied von der Sonne, das
er nach Thomas' II Legende kurz vor dem Tode gedichtet. ^) Es
lautet :
Höchster, allmächtiger, gütiger Herr!
Dein ist das Lob, die Herrlichkeit, die Ehre und jegliche Segnung,
Dir allein gebühren sie
Und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.
Gelobt sei, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,
Vornehmlich mit unsrer Frau Schwester, der Sonne,
Die den Tag wirkt und uns leuchtet durch ihr Licht;
Und sie ist schön und strahlend mit großem Glänze,
Von dir, o Höchster, trägt sie das Sinnbild.
Gelobt sei mein Herr durch unsern Bruder den Mond und die Sterne,
Am Himmel hast du sie gebildet so klar und funkelnd und schön.
Gelobt sei mein Herr durch unsern Bruder den Wind
Und durch die Luft und die Wolken, durch heitre und jegliche Wittrung,
Durch welche du deinen Geschöpfen Erhaltung schenkst.
Gelobt sei mein Herr durch unsern Bruder das Wasser,
Das sehr nütz ist und demüthig und köstlich und keusch.
Gelobt sei mein Herr durch unsern Bruder das Feuer,
Durch das du die Nacht erhellst,
Und es ist schön und freudig und sehr stark und gewaltig.
Gelobt sei mein Herr durch unsere Schwester die Mutter Erde,
Die uns versorgt und ernährt
Und mannichfache Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.
Gelobt sei mein Herr durch Die, welche verzeihen um deiner Liebe willen
Und Schwachheit ertragen und Trübsal.
Glückselig Die, welche sie ertragen werden in Frieden,
Denn von dir, o Höchster, sollen sie gekrönt werden.
Gelobt sei mein Herr durch unsern Bruder den leiblichen Tod,
Dem kein lebender Mensch entrinnen kann.
Wehe Denen, die in Todsünden sterben werden.
Selig Die, so sich in deinen heiligsten Willen finden,
Denn der zweite Tod kann ihnen nichts Böses anthun.
Lobet und benedeiet meinen Herrn und dankt ihm
Und dienet ihm in großer Demuth!')
^) Th. II Leg. III, 138. S. 302. Laudes de creaturis tunc quasdam composuit, et
eas utcumque ad creatorem laudandum accendit.
^) Man kannte früher nur die etwas versclüedenen Fassungen: die im üb. Conf.
( 1 5 1 3 fol. 1 80) und eine Uebersetzung aus dem Portugiesischen des Marcos de Lisboa
(Chronik. Uebers. von Diola 1566). Erstere bei Crescimbeni: Istoria della volgar
Franz und die Kunst.
59
Es ist sein Schwanengesang gewesen ! All sein Sinnen und
Trachten, der ganze Mensch hat seinen Ausdruck in den wenigen
Versen gefunden. Sie sind aber zugleich der Weckruf einer neuen
Zeit, der, in der Morgendämmerung erschollen, ein ganzes Volk zu
hehrem Tagewerk aufrief. Da begannen sich tausend Hände zu
rühren und im Wetteifer zu schaffen, unter frohem Gesänge begann
die Arbeit , und als die Mittagssonne niederstrahlte , erhob sich
schimmernd in ihrem Glänze das vollendete Werk: die neue christ-
liche Kunst!
VI. Franz und die Kunst.
Franz von Assisi hat, indem er das religiöse Leben neugestaltete,
vertiefte und erwärmte, den weitesten Einfluß zugleich auf die
Kultur im Allgemeinen, auf Dichtung und Kunst im Besonderen
gewonnen. Er selbst ist ein Dichter und Künstler gewesen, seine
Auffassung der christlichen Religion war eine dichterische und
poesia 1698. Vol. I, Lib. I, c. 10, letztere bei Wadding in den Opera Franc. Vergl.
Ireneo Affö Diss. de' Cantici volgari di S. F. Guastalla 1778. F. Paoli: S. F. d' Assisi,
poeta cantore. Torino 1843. Bearbeitung von L. S. Kosegarten (J. B. Rousseau:
Purpurviolen der Hh. Bd. III, 1835). Uebersetzungen : Schlosser, die Lieder des h.
F. V. A. Fkfr. 1842, Diepenbrock, geistl. Blumenstrauss, Sulzbach, 2 a. 1852. S. 355,
welch' ersterer zuerst Verszeilen absonderte , dann bei Hase : F. v. A. S. 88 f. , der
besser gliederte, bei Böhmer in der Zeitschrift Damaris 1864 S. 319 und bei Ozanam :
les poetes Franciscains en Italie. 1852. D. Uebersetz. von Julius 1853. Dann brachte
Fanfani in seiner Uebersetzung des letzteren Werkes (Prato 1854) die Abschrift einer
alten ital. Handschrift in Assisi (von 1255), welche die älteste ist. Wieder abgedruckt
bei Demattio : Le lettere in Italia prima di Dante. Innsbruck und Verona 1871, S. 157.
Endlich stellte mit besonderer Berücksichtigung derselben, sowie drei späterer Hand-
schriften, Ed. Böhmer den Text her (Romanische Studien. Straßburg, I. Bd. 1871 — 75,
S. 118. Vergl. auch Monaci in Crestomazia italiana dei primi secoli. Cittä di Castello 1889.
I fasc. S. 29 — 31). An diesen hält sich meine Uebersetzung oben, für welche ich Hases
poetische Diction verwerthen zu dürfen glaubte. Mit Hase übersetze ich das ,,per" mit
durch und verweise dafür auf eine Stelle bei Bonaventiura, opera Peltier Bd. I I. lib. sent.
S. 69 : laudare Deum per creaturas est cognoscere per creaturas , cognoscere autem
Deum per creaturam est elevari a cognitione creaturae ad cognitionem Dei , quasi per
scalam mediam. Auch muß das per, wo es sonst in deiiiselben Gedichte vorkommt
(Zeile 8, 15, 19 und 24), mit ,, durch", nicht mit ,,fiir" übersetzt werden. Das Lied
lehnt sich also offenbar an Psalm 148, wie Grion (Propugn. I 605) und D'Ancona (Nuova
Antol. S. n t. 21. p. 197) bemerkt haben. — Die glühendste dichterische Verherrlichung
des Franz ist Görres' Schrift: Der h. F. ein Troubadour. Straßburg 1828.
6o Franz von Assisi.
künstlerische und so weit sie gedrungen, hat sie auf die Kunst
gewirkt. Den geheimen und noch verborgenen Drang der Zeit zur
Natur hat er der Menschheit zum Bewußtsein gebracht, ihm den
reichsten Ausdruck in Worten und Werken verHehen und so mit
der sicheren Hand des Genies die Führerschaft übernommen. Seine
Bedeutung läßt sich in wenigen Worten kennzeichnen : er hat das
bis dahin unter geistiger Bevormundung gehaltene individuelle Ge-
fühl erlöst und ihm für alle Zeiten die selbstständige Berechtigung
erworben ! Das hieß so viel als eine geistige Befreiung des Volkes
in sozialer, wie in religiöser Beziehung. Das Christenthum des
Franz predigte Beides zu derselben Zeit : die Gleichheit der Men-
schen vor Gott und das direkte persönliche Verhältniß jedes ein-
zelnen Menschen zum Schöpfer. Mit Franziskus wurden diese An-
schauungen, die bis dahin nur von Häretikern ausgesprochen waren,
von der Kirche selbst zugelassen. Damit war die letztere einer
gefahrdrohenden Bewegung Herr geworden. Die Ideen persönlicher
Freiheit durften fortan sich ungestraft ihres Bestehens erfreuen und
konnten sich, innerhalb der kirchlichen Grenzen erhalten, in ge-
sunder Weise entwickeln, da sie nicht durch Opposition zu Aus-
schreitungen verführt wurden, wie es bei den Sekten in Frankreich
und Norditalien der Fall gewesen war. Der dritte Stand erhielt
damit die Bedingungen einer kräftigen und normalen Existenz.
Die Religion der Franziskaner fand, richtig erfaßt als Religion des
Bürgerthumes, eine dankbare Aufnahme in den Städten. Der neue
Orden schob sich zwischen den Klerus und das Mönchthum der
Benediktiner ein, wie das Bürgerthum zwischen den Adel und die
Landbevölkerung. Hand in Hand sind die Bürger und Bettelmönche
mit einander groß geworden. Durch sie beide auch die Kunst !
Was der Mönch predigte, gestaltete der Bürger. Die religiösen
Empfindungen, die bei dem einen zur Kunst der Worte wurden,
wurden beim andern zur bildenden Kunst. So entwickelte sich die
innigste Wechselbeziehung zwischen der Predigt und der Kunst.
Dazu kommt dann ferner, daß dem weitgreifenden Bedürfniß der
Bettelorden nach großen Kirchen und Klöstern und deren Aus-
schmückung die Mittel entgegenkamen, die sich im Besitze der
täglich reicher werdenden Bürgerschaft angesammelt hatten. Aus
den Händen der Mönche, die in der Predigt eine alle Zeit in An-
spruch nehmende Thätigkeit gefunden haben, geht die Kunst-
ausübung in die der Laien über und wird zum Gewerbe. So
Franz und die Kunst. 6l
wächst aus den Beziehungen der Mönche zu den Bürgern der
moderne Künstler hervor.
Diese sozialen Veränderungen aber bezeichnen nur die eine
Richtung, welche der schöpferische Einfluß des Franz genommen,
die andere ist auf geistigem Gebiete zu suchen. Mit ihm und
durch ihn vollzieht sich ein Umschwung in den religiösen An-
schauungen. Was oben von der Sinnlichkeit seiner Religion gesagt
ist, schließt die Charakteristik seiner neuen christlichen Auffassung
in sich: er hat die Religion mit der Natur versöhnt, die Einheit
zwischen beiden hergestellt. Die Liebe füllte den Abgrund aus,
der unübersteigbar zwischen Gott und der Welt zu gähnen schien.
Wie stark noch war der Gegensatz in den Liedern der geistlichen
und der weltlichen Sänger des XII. Jahrhunderts empfunden worden!
Die irdische Minne, welche als schönsten Schmuck die Freude an
der Natur trug, war mit dem göttlichen Fluche der Sündhaftigkeit
beladen und erschien dem Verehrer der Gottesminne ein Gräuel.
Da kam der Dichter, der in der irdischen Liebe nur den Abglanz
der göttlichen , der in allem Vergänglichen nur ein Gleichniß des
Ewigen, der, eins sich fühlend mit Allem was lebt und webt, in
der Schöpfung den harmonischen Ausdruck und das Bild Gottes
erkannte. Die alte Tageshelle der antiken Kultur ging von Neuem
auf, aber unter den Strahlen einer wärmeren Sonne, der christlichen
Liebesmoral, der Einen alles umfassenden göttlichen Liebe. Die
Einheit von Gott und Welt ist der Grundgedanke in des Franziskus
Predigt gewesen, er ist von seinen Schülern binnen Kurzem über
die Welt verbreitet worden und hat allüberall freudige Aufnahme
gefunden — damit auch die Grundbedingung der modernen Welt-
anschauung, die Grundbedingung vor Allem der modernen Kunst.
Es vollzog sich dasselbe, was vor vielen Jahrhunderten die
griechische Kunst ins Leben rief Die Götter wurden zu Menschen
und die Menschen zu Göttern! Bis auf die Zeiten des Franz war
über dem Gott Christus der Mensch Christus kaum verstanden
worden, jetzt trat der Mensch Christus in den Vordergrund: das
bedeutete zu gleicher Zeit eine Vergöttlichung des Menschen. Jetzt
erst konnte die christliche Kunst sich zur Freiheit erheben, da sie nur
ein Ideal aus dem menschlich Natürlichen herauszubilden brauchte,
um das Göttliche zu versinnbildlichen. Indem Franz die verachtete
und mißhandelte Natur in ihre Rechte als Vermittlerin zwischen
Gott und Mensch wieder einsetzte, hat er dem christlichen Künstler
62 Franz von Assisi.
die einzig ächte Lehrerin gewiesen. Indem er die Geheimnisse
des christlichen Glaubens in den natürlichen Vorgängen von Christi
irdischem Lebenswandel veranschaulicht sah, hat er den alten Stofif
der christlichen Legende als einen gleichsam ganz neuen der Kunst
zugeführt. Die kindliche, rein menschliche Auffassung der evange-
lischen Geschichte, die glühende Liebe zu dem in Demuth seiner
Gottheit entsagenden Menschen Christus ist es gewesen, die seiner
Predigt, der Predigt seiner Jünger eine so beispiellose Wirkung
verschaffte. Das innerste Gefühl der Zuhörer ward in Mitleid und
Liebe aufgeregt, so oft der begeisterte Redner die lebensvollen
Bilder der biblischen Ereignisse einfach und wahr vor ihrem
geistigen Auge vorüberziehen ließ. Denn Bilder verlangte das un-
gebildete Volk, an das sich die Franziskaner zumeist wendeten, die
Bilder prägten sich einfach und treu ihrem Gedächtnisse ein, und
als so erst einmal Christus als leiblicher Bruder der Vertraute und
Freund jedes Einzelnen geworden war, da konnte, ja mußte auch
der Künstler ihn als solchen in der erhabenen Einfalt menschlicher
Natürlichkeit schildern. Da malte dann Giotto seine lebensfrischen,
ungezwungenen Fresken in der Arena zu Padua — kurz, erstand
die Kunst der Renaissance !
Denn die Renaissance oder besser gesagt die neue christliche
Kunst beginnt im XIII. Jahrhundert — damals schon machen sich
ihre wesentlichen Grundzüge in Toscana geltend ! Von Giotto bis
Raphael vollzieht sich eine einheitliche Entwicklung, der eine einheit-
liche Weltanschauung und Religionsauffassung zu Grunde liegt.
Eine gothische Kunst, die bis 1400 reichte, absondern zu wollen
von der mit 1400 beginnenden Renaissance, wie es in den Lehr-
büchern der Kunstgeschichte noch meist geschieht, heißt den Or-
ganismus des Ganzen verkennen. Man mag die gothischen Bauten
von Toscana in gewisser Beziehung im Zusammenhange mit der
nordisch-gothischen Architektur betrachten — für Malerei aber und
Plastik darf man nicht die spätmittelalterliche Kunstübung von
derjenigen der Renaissance abgrenzen und unterscheiden. Ja, wie
wir sehen werden, trägt die toscanische Architektur des XIII. und
XIV. Jahrhunderts bereits die eigentlichen Prinzipien der sogenannten
Renaissancekunst zur Schau : die freie Harmonie der Raumverhält-
nisse , die auch im XV. und XVI. Jahrhundert das ihr wesentlich
Charakteristische ausmacht. Die gothische Form der Konstruktion
hängt ihr nur wie ein loses Gewand um, das sie dann um 1400
Franz und die Kunst. 63
ohne Schwierigkeiten und ohne Bedauern mit einem Male vollständig
abwirft, um an seiner Statt die griechisch-römische Hülle um-
zunehmen. Toscana, aber auch nur dieses, wird im XIII. Jahr-
hundert der Ausgangspunkt einer Kunstbewegung, die fortan, mit
großen Wellenschlägen um sich greifend, stetig und sicher vorwärts
schreitet. Erst später wird auch das nördliche Italien von ihr erfaßt.
Die Lebenskraft aber der toscanischen Kunst, die durch Franz
bewegt ward sich zu äußern, liegt in dem starken individuellen
Gefühl für die Natur, das durchaus selbständig und selbstthätig
auftritt. Was die Antike beigetragen zu der Entwicklung, ist nichts
als eine formelle Anweisung und praktische Belehrung. Daher mußte
auch gerade die Kunst , für welche das Formelle und Praktische
eine besonders hervortretende Bedeutung hat, die Architektur, be-
sonders stark unter ihren Einfluß gerathen, die Plastik schon weit
weniger, die Malerei so gut wie gar nicht. In ihrem Lernbedürfniß
wenden sich die Meister der Kindheitszeit der Kunst, Niccolö Pisano
und die gleichzeitigen Maler um Rath an die Denkmäler älterer
Kunst, ohne doch auf etwas Anderes auszugehen, als auf das Er-
lernen einer ihrem Ausdrucksbedürfniß entsprechenden Sprache.^)
Giotto aber, der hierin bestimmend fiir die weitere Entwicklung des
XrV. Jahrhunderts wird, kehrt bei voller Einsicht in das, was Noth
thut, zur direkten Beobachtung der Natur zurück, die dann zu
einer Zeit, als die Architektur willig von der Antike die Formen
entlehnt, in den Werken der zeichnenden Künste einen erneuten
Aufschwung nimmt und diesen ihren selbstständigen, eigenartigen
Charakter verleiht. Mag auch im Einzelnen der Bildhauer und Maler
antiken Vorbildern manchen wichtigen Hinweis — namentlich auf
die Nothwendigkeit eines sorgfältigen Studiums des Nackten, sowie
auf die Möglichkeiten bestimmter stilistischer Darstellungsformen —
verdanken, mag er häufig unter dem Bann der allgemeinen humanisti-
schen Begeisterung stehen, im Großen und Ganzen geht er doch
unbekümmert in der seit dem XIII. Jahrhundert vorgeschriebenen
Bahn vorwärts, bis das Ziel in Raphaels und Michelangelos Werken
erreicht ist. Was aber dieser ganzen Entwicklung gemeinsam ist,
eine Religion und Natur in harmonischen Einklang setzende An-
schauung, wurzelt in Franz von Assisi. Nicht als sollte Dieser
^) Vergl. hierüber meine Studien zur Gesch. der ital. Kunst im XIII. Jahrh.
im Repertorium fiir Kunstwissenschaft XIII. 1890. S. I ff . Insbesondere S. 18 — 24.
64 Franz von Assisi.
damit geradezu zum Schöpfer der neueren christlichen Kunst ge-
macht werden — aber er und sein Orden haben durch Vertiefung
und Veranschaulichung des christlichen Glaubens, durch die Popu-
larisirung desselben die eine Hauptbedingung für die große christ-
liche Kunst erst geschaffen.
Drei Hauptfaktoren nämlich scheinen mir für deren Entstehung
in Betracht zu kommen: die ursprüngliche, eingeborene und wieder-
erweckte künstlerische Anlage des toscanischen Volksstammes , die
günstigen äußeren Umstände desselben im Duecento und die Ge-
fühlsherrschaft einer subjektiven Religionsanschauung. Das erste
Element ist gleichsam das empfangende, das letzte das befruchtende,
während in der glücklichen äußeren Lage die Bedingung der ge-
deihlichen Entwicklung liegt. Läßt sich nun der künstlerische Genius
eines Einzelnen so wenig wie der eines Volkes an sich definiren, so
gewinnt neben der Kenntniß der allgemein fördernden Verhältnisse
die Analyse des Faktors, welcher die Schaffenskraft dieses Genius
entfesselt und gestaltet, ein um so größeres Interesse, als sie den
Rückschluß auf den letzteren selbst gestattet und dadurch den ge-
heimen Vorgang künstlerischen Schaffens in helleres Licht rückt.
Nun trifft es sich im XIII. Jahrhundert so, daß der von Alters her
in höchstem Grade künstlerisch begabte Volksstamm der Etrusker,
der durch die Mischung mit dem jungen, phantasievollen Germanen-
thum eine Neubelebung seiner Einbildungskraft gewonnen hatte,
am stärksten von der geistigen Bewegung getroffen wird, deren
eigentlicher Träger Franziskus ist. Seine sowie die von ihm be-
einflußten Anschauungen seines Ordens näher kennen zu lernen, ist
daher unerläßlich für den Geschichtsschreiber der italienischen Kunst.
Von zahllosen begeisterten Mönchen ist das neue Christenthum
des Franz in die Welt getragen worden. Predigten, Lieder, volks-
thümliche Schriften, theologische und philosophische Werke haben
es verkündet. Drei hervorragende Männer: Antonius von Padua,
der Volksredner, Bonaventura, der mystische Denker, Jacopone,
der gottbegeisterte Dichter, sind die vornehmsten Apostel des
Franziskanerthums in Italien gewesen. Sie Alle, wie neben ihnen
tausend andere , weniger bedeutende , verherrlichen die Liebe , die
Einheit von Gott und Welt, das rein Menschliche im Gottmenschen
Christus — und zwar in einfacher, dem Volke verständlicher, dabei
bilderreicher anschaulicher Sprache. Die Lieder Giacopones sind
ebenso populär gewesen, wie Bonaventura's meditationes vitae Christi,
Franz und die Kunst. 65
am stärksten aber hat die Predigt gewirkt. Wie einst der grie-
chischen, eilt auch der neueren bildenden Kunst eine Kunst der
Dichtung und der Rede voraus.
Die Dominikaner, deren Bestrebungen weniger auf die Erziehung
des Volkes und die Verinnerlichung des Glaubens, als auf die Be-
siegung der Häretiker und die verstandesgemäße Begründung der
christlichen Dogmen ausgehen, unterstützen doch, den Franziskanern
nacheifernd und vielfach von ihnen beeinflußt, deren Wirksamkeit.
Auch unter ihnen hat es bedeutende Volksprediger gegeben, auch
sie haben der Kunst in dem Bau und der Ausschmückung ihrer
Kirchen große Aufgaben gestellt. Aber ihr Einfluß ist verglichen
mit dem der Minoriten ein mehr äußerlich wirksamer, die neuen
maßgebenden Ideen kommen von Diesen.
Fassen wir zum Schlüsse schon hier die erste Entwicklung der
neueren Kunst auf den verschiedenen Gebieten ins Auge, so ergiebt
sich , daß nach dem Tode des Franz zuerst wie immer unter den
Künsten die Architektur einen bedeutenden und eigenartigen Auf-
schwung nimmt. Da die Bettelorden im Gegensatz zu allen früheren
recht eigentlich städtische Orden sind, so entsteht binnen kurzem
eine ganz erstaunlich reiche bauliche Thätigkeit, da in jeder Stadt,
wie in jedem Flecken ein kirchlicher Raum für die Mönche ge-
schaffen werden muß. Die bescheidenen kleinen Kirchen, die zuerst
in äußerster Einfachheit errichtet werden, müssen bald größeren
Bauten Platz machen, da der Zulauf des Volkes und zugleich das
RepräsentationsgefLihl der Orden von Jahr zu Jahr wächst. Wie
später eingehend nachgewiesen wird, übernimmt der Minoritenorden,
nach ihm derjenige der Prediger das Vorbild für seine Kirchen
den verschiedenen Systemen der Cistercienserbauten und bildet sie
schöpferisch um. Während der Norden Italiens sich mehr empfangend
verhält, ersteht in Toscana ein durchaus einfacher, aber originaler
Stil, der seinerseits maßgebend auf die zeichnenden Künste ein-
wirkt, indem er mit seinen großen ungegliederten Wandflächen, die
zur Dekoration auffordern, die Freskomalerei vor Allem befördert,
dagegen der Plastik keinen bedeutenden Platz einzuräumen weiß.
Letzterer kommt die neue Art des Kultus, in dem die Predigt eine
so hervorragende Rolle spielt, zunächst nur in so ferne zu Gute, als
das Bedürfniß nach freistehenden Kanzeln sich immer stärker be-
merkbar macht und in deren plastischer Ausschmückung dem Bild-
hauer eine besonders lohnende und große Anforderungen stellende
Thode, Franz von Assisi. C
66 Franz von Assisi.
Aufgabe gegeben wird, der sich dann bald die andere der Grab-
mälerskulptur, die ihren Hauptsitz in den Bettelmönchkirchen findet,
gesellt. Beide aber, Malerei und Plastik, beginnen um die Mitte
des XIII. Jahrhunderts ihr großes Werk. Nur der Mangel ein-
gehender Kenntniß hat es bisher verhindert, daß man neben den
Werken der Pisani die Elemente der neuen künstlerischen Auf-
fassung auch in den Bildern ihrer Zeitgenossen entdeckte. Weniger
auffallend als in den Reliefs der Pisaner und Sieneser Kanzeln, sind
sie dennoch vorhanden und zwar am faßlichsten in den Darstellungen
des Franz und seiner Legende zu sehen. Denn diese werden ge-
wissermaßen die Vorschule der neuen Malerei. Das allgemeine
Verlangen nach bildlicher Verherrlichung des Heiligen bietet den
Künstlern einen neuen, großen und dankbaren Stoff Da für den-
selben keine von Alters her geheiligte Tradition zu berücksichtigen
war, ward der Maler direkt auf die Beobachtung des Lebens hin-
gewiesen. Die bilderreichen, poetischen Legenden des Thomas und
Bonaventura, die schnell und allgemein ein beliebtes Lese- und
Erbauungsbuch wurden, regten und leiteten die Phantasie an. Die
so geübten Kräfte wurden dann um 1300 nach einigen voran-
gegangenen Versuchen, das Kruzifix und Marienbild umzugestalten,
auf die Neugestaltung des biblischen Stoffes überhaupt, so wie sie
das Franziskanerthum vorschrieb, verwandt.
Aus diesen Gesichtspunkten ergiebt sich die Eintheilung, welche
den folgenden eingehenden , das Allgemeine begründenden Unter-
suchungen zu Grunde liegt. In dem ersten Haupttheile wird der
direkte Einfluß des Franz auf die Kunst in drei Abschnitten be-
handelt. Der erste beschäftigt sich mit den Darstellungen des
Franz und seiner Legende, der zweite mit der ersten Entwicklung
der Kunst in der Hauptkirche des Heiligen in Assisi , der dritte
mit der Architektur der Bettelmönchkirchen in Italien. Der zweite
Haupttheil wird die Anschauungen des Franziskanerthums in ihrer
Bedeutung für die Kunst darlegen und zwar im ersten Abschnitt
dieselben nach ihren verschiedenen Aeußerungen in Lehre, Predigt
und Dichtung, im zweiten die dadurch bedingte Neugestaltung der
biblischen Darstellungen, im dritten die Franziskaner - Allegorien
behandeln.
ZWEITER ABSCHNITT
DIE DARSTELLUNGEN DES FRANZ UND
SEINER LEGENDE
I. Die ältesten Bildnisse.
Je lebhafter unser Interesse durch Schilderungen eines be-
deutenden Menschen, mit dessen geistiger Eigenart wir uns vertraut
gemacht haben, angeregt wird, desto lebhafter macht sich zugleich
der Wunsch geltend, uns sein Aeußeres zu veranschaulichen. Erst
wenn wir auch von diesem ein deutliches Bild gewonnen, können
wir uns ganz der Täuschung hingeben, ihn persönlich zu kennen,
seine Beziehungen zu anderen Menschen, den Einfluß, den er durch
Blick, Bewegung und Sprache auf sie ausgeübt, wie andrerseits
die Wirkung der Außendinge auf ihn selbst mit eigenen Augen
beobachtet zu haben. Glücklich die Zeit, in der die großen In-
dividualitäten auch Künstler fanden, die mit divinatorischem Blick
und mit freier Hand ein innerstes Wesen im Bilde der äußeren
Züge wiederzugeben vermochten. Es mag ja nicht wenig zu dem
Verrüfe des „dunklen" Mittelalters beigetragen haben, daß wir zu-
meist nur alten vergilbten Urkunden und Chroniken unsere Vor-
stellungen von den geschichtlichen Charakteren entnehmen, diese uns
aber fast nirgends in Bildnissen näher treten, daß die bedeutenden
Männer, Päpste wie Kaiser, deren Thaten und Gedanken Jahrhunderte
beherrschten, uns nur wie durch einen Nebel erscheinen und ihre
Personen hinter ihren Prinzipien verschwinden. Wie anders kommt
der geschichtlichen Betrachtung des Alterthums die griechisch-
römische Kunst zu gute, wie anders treten uns die neueren Zeiten
entgegen, seitdem mit der größeren Freiheit der Individualität deren
5*
68 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Bedeutung auch künstlerisch sich voll entfalten durfte. Freilich
soll die Zeit erst kommen, in welcher die Entwicklung des künst-
lerischen Vermögens in der Portraitbildnerei einheitlich verfolgt
werden kann. Damit aber wird sich wiederum eine Vertiefung der
kunstgeschichtlichen Anschauung ergeben, wie sie bis jetzt noch
nicht möglich ist*.
Es ist nicht als Zufall anzusehen, daß die ersten eigentlichen
Portraits der neueren Malerei Bildnisse des Mannes von Assisi sind,
dessen Leben wir betrachtet haben. Die verschiedensten Be-
dingungen wirkten zusammen, daß seine mächtige Persönlichkeit
den Impuls gab zu den Versuchen, eine Aufgabe zu lösen, in
welcher der eigentliche Charakter, die Vorbedingung einer neuen
Kunstrichtung bereits ausgesprochen ist. War es in erster Linie
der Einfluß seines Wanderlebens durch ganz Italien gewesen, der
sich so stark überall geäußert hatte, das immer gleiche Einsetzen
seiner Persönlichkeit für seine Ueberzeugung, so kann es uns nicht
wundern, daß das Volk, welches seiner Predigt gelauscht, die Person
des Franz von seiner Sache nicht mehr zu trennen vermochte. Das
Bild des von Gott begeisterten Mannes im unscheinbaren Gewände
lebte unauslöschlich in den Herzen fort — er war in dem durch
so viele verschiedenartige Interessen getheilten Lande vielleicht der
Einzige, dem Alle gleiche Beachtung schenkten — die erste wahr-
haft populäre Erscheinung der neuen Zeit ! Und dieser persönliche
Freund eines ganzen Volkes wurde schon zwei Jahre, nachdem er
gestorben, als noch die Meisten, die ihn gekannt, am Leben waren,
aus seiner niederen Stellung zu dem Range eines Heiligen erhoben,
zu dem fortan die Menge wie zu einem halben Gotte aufschauen
und beten konnte. Dem Kultus, halb und halb der Erinnerung
waren die Bilder geweiht, die nicht allein in Kloster und Kirche,
sondern, wie eine Erzählung von Bonaventura es beweist^), auch in
den stillen Räumen der Privathäuser sein Andenken lebendig er-
hielten. Es mußte also der Künstler, dem die Aufgabe ward, Franz
darzustellen, sein Bestes thun, den Heiligen so wiederzugeben, wie
der Mensch in der Erinnerung fortlebte. So entstanden binnen
Kurzem zahlreiche Portraits desselben, die ersten Versuche eines
großen künstlerischen Strebens und dessen erste Zeugnisse.
^) Cap. XVI. S. 784. In urbe Roma matröna quaedam morum claritate ac pa-
rentum gloria nobilis S. Franciscum in suum elegerat advocatum ipsius habens depictam
imaginem in secreto cubiculo, ubi patrem in abscondito exorabat.
Die ältesten Bildnisse. ßg
Wunderbar genug, daß damit der Kunst gleich die allerhöchste
Aufgabe gestellt wurde, für die sie in einer Zeit, als Giovanni Pisano
und Giotto noch nicht das erlösende und entscheidende Wort in
dem direkten Anschluß an die Natur gefunden, in gar keiner
Weise vorbereitet war. Die alten , verschwärzten Bildnisse , an
denen die Meisten interesselos vorübergehen mögen, sind doch
von größter Wichtigkeit als die frühesten Vorboten der Verwirk-
lichung hoher neuer Ideale !
Primitiv genug sind freilich diese ersten Versuche, einen ein-
zelnen Menschen im Abbilde künstlerisch wiedergeben zu wollen,
und Jeder, der mit den Anforderungen einer vorgeschrittenen An-
schauung an sie heranträte, würde arg enttäuscht werden. Das mag
schon Giotto empfunden haben, als er, die Ueberlieferung bei Seite
setzend, in den Werken seines reiferen Alters einen neuen Ideal-
typus des Heiligen schuf, der im Quattrocento im nördlichen
Italien der allein herrschende werden sollte, im mittleren Italien
sich wenigstens Gleichberechtigung erwarb, bis die spätere Kunst
im XVI. Jahrhundert wieder die alte Tradition aufnahm und fortan
zur Norm und Regel machte. Ein eigentliches Portrait aber, das
sei schon hier gesagt, in dem uns wirklich lebendig der ganze
Mensch entgegenträte , war das XIII. Jahrhundert noch nicht fähig
zu schaffen — die Bildnisse, die uns aus diesem erhalten sind,
bewahren uns die Züge des Heiligen nur in ganz allgemeiner, mehr
oder weniger schematisirender Art, fühlen wir auch aus ihr das
redliche Bestreben, mehr zu sein, heraus. Eine feste Basis für ihre
Beurtheilung zu gewinnen, gilt es zunächst zu erfahren, was uns
die Zeitgenossen von dem Aussehen des Franz zu erzählen wissen.
Als Franziskus sich 1220 in Bologna aufhielt und durch seine
Predigten diese Stadt der Gelehrten, in der zu jener Zeit Tausende
von Jünglingen unter den berühmtesten Lehrern dem Studium des
Rechts sich hingaben, in die größte Bewegung versetzte, befand
sich unter den Zuhörern auch der Archidiaconus und Studirende
Thomas Spalatensis, dessen Bericht uns erhalten ist. Nachdem er
den Feuereifer des Mönches und die Gewalt der Rede geschildert,
sagt er: ,, schmutzig war sein Gewand, verächtlich seine Person
und unschön sein Antlitz."^) Ausführlicher ist Thomas von Celano
^) Sigonius: de Episcopis Bononiensibus. Bononiae 1586. ad. a. 1220. — Auch
Speculum S. F. p. 215. — Bei Wadding: Annales Minorum II Ed. 1731 I. Bd. 1220.
70 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
in seiner I. Legende^), der zunächst von den geistigen Eigenthümlich-
keiten des Franz spricht und dann fortfährt: ,,er war von heiterm
Antlitze , von gütigem BHcke , frei von Feigheit , wie von Unver-
schämtheit ; seine Statur war mäßig groß , eher klein , der Kopf
von mittlerer Größe und rund, das Gesicht länglich zugleich und
vorgebaut, die Stirn klein und eben, die Augen mäßig groß, schwarz
und einfältig, die Haare schwarz, die Augenbrauen geradlinig, die
Nase fein, gleichmäßig und gerade, die Ohren abstehend und klein,
die Schläfen eben; die Zunge versöhnHch, feurig und scharf; die
Stimme gewaltig, süß, hell und klangreich ; die Zähne geschlossen,
gleichmäßig und weiß ; die Lippen mäßig und fein, der Bart schwarz,
mit spärlichem Haar, der Hals zart, die Schultern gerade, die Arme
kurz, die Hände zart, die Finger lang, die Nägel vorstehend, die
Schenkel schwach, die Füße klein, die Haut zart, das Fleisch sehr
spärlich ; das Gewand rauh , der Schlaf sehr kurz , die Hand sehr
freigebig ; und weil er über alle Maßen demüthig war, zeigte er in
jeder Beziehung allen Menschen gegenüber nur Sanftmuth und
paßte sich den Sitten Aller zu ihrem Nutzen an. Der Heiligste
unter Heiligen, unter Sündern gleichsam einer von ihnen."
Diese jede Einzelheit berücksichtigende Beschreibung muß auf-
fällig erscheinen, da sie nicht klingt, als wäre sie nach dem Leben,
sondern vielmehr nach einem Bilde gemacht, das alle jene Details
wohl aufweisen konnte. Persönliche Erinnerung mag, mit der zu
Hülfe genommenen Betrachtung eines Portraits vereint, dem ältesten
Biographen des Heiligen diese kurz und abgerissen neben einander
gestellten Worte diktirt haben, aus denen als Wesentliches hervor-
geht, daß Franz eine mittlere, schmächtige Figur, schwarzes Haar
und Bart und ein länglich ovales Gesicht von freundlichem Ausdruck
gehabt. Daß er klein gewesen, sagt Thomas auch in der II. Legende :
persona modicus.-) Und Franz selbst vergleicht sich mit einer
im Traume wahrgenommenen kleinen , schwarzen Henne , die ihre
Küchlein nicht alle unter den Flügeln bergen konnte : „ich bin
jene Henne, klein von Figur und schwarz!""^) Einige wenige andere
S. 337 und Acta SS. Appendix § VII , S. 842 : sordidus erat habitus ejus , persona
contemptibilis, et facies indecora.
^) I Leg. X S. 706. Vgl. danach auch Poema CXXXII, S. 240.
2) n Leg. I. Cap. S. 34.
'^) Th. V. Cel. II Leg. I, 16. S. 40. Tres socii Cap. IV S. 739: ego sum illa
gallina, statura pusillus, nigerque.
Die ältesten Bildnisse.
71
Züge zu dem Bilde fügt Matthäus Paris anekdotenhaft übertreibend
hinzu : „als der Papst Innocenz III am erwähnten Bruder das form-
lose Gewand, das verächtliche Antlitz, den wirren Bart, die un-
gepflegten Haare, die herabhängenden schwarzen Augenbrauen sah,
verachtete er ihn und sprach : gehe Bruder und suche die Schweine
auf, mit denen du eher als mit Menschen zu vergleichen bist, und
wälze dich mit ilinen im Schmutze."^)
Wenden wir uns nun mit so gewonnener Anschauung zu den
Bildnissen des Franz , so scheint das zweifellos älteste erhaltene
ein Fresko im Sacro speco von Subiaco (I) zu sein, auf
dessen Bedeutung nach d'Agincourt zuerst Crowe und Cavalcaselle
wieder hingewiesen haben -) (Abb. 9). Nach einer Ueberlieferung
hatte im Jahre 1222 die Verehrung für den alten Begründer des abend-
ländischen Mönchwesens den Stifter des seit jenem ersten wirklich
neuen, großen Ordens bewogen, die Stätte, wo Benedikt sich dem
einsamen Dienste Gottes geweiht, zu besuchen. Die Erinnerung an
die Monate, die er hier in der Einsamkeit des Gebirges verbracht, hat
in lieblicher Legende fortgelebt und verleiht noch heute dem stillen
Kloster einen besonderen Zauber. Noch heute blühen im kleinen
Garten die Rosen, die aus dürrem Dornengestrüpp hervorgesproßt
sein sollen, als Franz aus innigem Gefühle der Liebe und Be-
wunderung für den Mann, der hier dereinst in heißem Kampfe sein
sündliches Fleisch gezüchtigt, die Sträucher küßte und mit dem
Zeichen des Kreuzes segnete. Sie sind gleichsam ein Sinnbild des
neuen Lebens, das Franz dem erstarrten alten Mönchthum verlieh,
wie denn Alles in Subiaco die Vergleiche zwischen den beiden
Männern so nahe rückt.
Dicht über dem Garten, tiefer noch als die Unterkirche selbst
gelegen, befindet sich die Kapelle Gregor 's IX., der die Kirche neu
geweiht, Desselben, der als Kardinal von Ostia der Protektor und
Freund der Franziskaner gewesen, der ihren Stifter kanonisirte
und den Grundstein zu seiner Kirche in Assisi legte. Gewisser-
^) Historia major. London 1640 S. 339.
*) Einzelne Portraits des F. finden sich bei den verschiedenen Geschichtsschreibern
der ital. Malerei erwähnt — namentlich bei Crowe und Cavalcaselle. Eine vergleichende
Zusammenstellung fehlte bis jetzt, obgleich Bonghi durch einen in seinem Buche wieder
abgedruckten Artikel über Dupre's Statue in der „Domenica Letteraria" vom 22. Oktober
1882 verschiedene Mittheilungen hervorgerufen hatte, die im Buche S. 106 wieder-
gegeben sind, meist aber nur unwichtige Bilder späterer Zeit erwähnen.
"72 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
maßen unter des Freundes Schutze erscheint auch hier Fran-
ziskus zum ersten Male an heihger Stätte dargestellt.^) Noch
ohne Heiligenschein, ohne die Wundenmale, als ,,Frater Fran-
ciscus" bezeichnet, steht er in langer, mit derbem Stricke ge-
gürteter Kutte, mit einer steil und spitz über dem Kopfe in die
Höhe stehenden Kapuze, in der nach unten ausgestreckten Linken
einen Zettel mit der Inschrift: pax huic (domui), die Rechte an
der Brust. In dem klar und ruhig en face herausschauenden, blond-
bärtigen Kopfe ist noch nichts von jenem asketischen Elemente,
das die meisten späteren Bilder verunschönt, zu bemerken. Die
Züge des länglichen, schmalen' Gesichtes mit der mittelhohen Stirn,
der geraden kräftigen Nase, den großen Augen unter wenig ge-
schwungenen Brauen, dem feinen Mund mit den schmalen Lippen,
sowie der dünne Hals stimmen im Wesentlichen mit des Thomas
Beschreibung überein — nur die blonde Haarfarbe, die schwerlich
den wiederholt vorgenommenen Restaurirungen zur Last zu legen
ist, überrascht. Aus den äußeren Zügen das Innere lesen zu wollen,
würde freilich vergeblich sein, läßt sich auch wohl die Absicht, im
Blick, in dem leicht geöffneten Munde das ekstatische Wesen an-
zudeuten, nicht ganz verkennen. Verächtlich im Aussehen erscheint
hier jedenfalls Franziskus nicht, viel eher von Aufmerksamkeit er-
regender Vornehmheit, die sich aber ebensogut, wie die Majestät
zahlreicher Mosaiken der vorhergehenden Zeit, aus dem Unvermögen
der Künstler, Figuren anders als starr im Ausdruck und in der
Bewegung darzustellen, erklärt. Der Zeitpunkt der Entstehung
läßt sich mit großer Sicherheit aus einer bisher merkwürdiger Weise
nicht gehörig beachteten Inschrift feststellen, die unter den sicher
von gleicher Hand herrührenden anderen Fresken der Kapelle sich
befindet.^) Nach derselben ist die Kapelle im II. Jahre des Pontifikats
^) Abb. bei d'Agincourt: Denkm. d. Malerei Taf. C, 5 u. 6. Plon's S. Fran-
gois d'Assise. Paris 1885. S. 30. — Vergl. Imageries du Sacro Speco. Rom 1855.
Crowe u. Cavalcaselle D. A. I , S. 75. Schnaase : Gesch. d. b. K. VII , S. 307 etc.
Auch Jannucelli: Memorie di Subiaco e sua badia. Genova 1856.
^) Sie lautet (bei d'Agincourt ganz unrichtig) : hie est papa Gregorius olim epi-
scopus hostiensis qui hanc consecravit ecclesiam.
Pontificis summi fuit anno picta secundo.
Haec domus hie primo quo summo fuit honore
Hauserat et vitam celestem duxerat idem
Perque duos menses sanctos maceraverat arctus.
Julius est unus, Augustus fervidus alter.
Die ältesten Bildnisse.
73
Gregor's gemalt worden, also 1228 und zwar offenbar noch vor
der Heiligsprechung des Franz, die am 16. Juli stattfand. Jedenfalls
sollte das Bildniß eine Erinnerung an den beglückenden Besuch
sein, auf den die Friedensworte, mit denen ja Franz die Häuser zu
betreten pflegte, hinweisen.^) Der Künstler, v;elcher jenem Conxolus,
der in der Unterkirche die Madonna und, wie ich bestimmt glaube,
auch die Geschichte Benedikt's gemalt, sehr nahe steht, gehört der
in Rom vor den Cosmaten herrschenden Richtung an.
Derselben Richtung und wohl auch der ersten Hälfte des
XIII. Jahrhunderts entstammt ein anderes Portrait des Franziskus,
das bis jetzt fast unbekannt zu sein scheint. Es befindet sich in
der angeblich einst von ihm bewohnten Zelle, die hinter dem Chor
von S. Francesco a ripa in Rom als einziger Rest des alten
Klosters erhalten ist (II). Der Heilige, eine kleine untersetzte Figur
mit wiederum länglichem Gesichte von fast weiblicher Zartheit, mit
langer Nase, großen dunklen Augen und spärlichem blonden Barte,
hält in der Linken ein Buch, in dem man die Worte des Evangeliums
liest, die für sein Leben bestimmend geworden: ,,qui vult venire
post me abncget se ipsum et tollat crucem", in der Rechten ein
Kreuz. Die Wundenmale und der Nimbus bezeugen, daß das Bild
nach 1228 entstanden. Von allen älteren Bildnissen, die ich kenne,
zeigt dieses vielleicht die größte Zartheit in den Gesichtszügen,
namentlich in dem feinen , freundlichen Mund , und wirkt am ge-
falligsten, wozu auch der warme, bräunliche Ton des Inkarnates
beitragen mag. Die Kapuze, hier nicht aufgerichtet, hängt etwas
nach unten herab. Es ist das von Wadding erwähnte Portrait, das
er in der Sakristei der Kirche sah und das die bis auf seine Zeiten
erhaltene Tradition als Stiftung der Freundin des Heiligen, der
Domina Jacobaea de Septemsoliis , erwähnte.-) Jedenfalls verdient
Das Folgende habe ich nicht im Zusammenhang entziflfem können. Das Fresko
stellt dar, wie Gregor hier als Bischof (?), hinter dem zwei Geistliche stehen, den Altar
weiht. Rechts vom Fenster „Michael prepositus Paradisi", ein Rauchfaß schwingend.
In der Höhe kniet ein Mönch ,,Frater Oddo M*'", wohl der Stifter der Kapelle oder
der Malerei, vor einem ihm erscheinenden Engel. An der Decke die vier Evangelisten-
symbole und ein Cherubim. Am Eingang der Kapelle der heilige Gregor, die Taube
am Ohr, in der R. Zettel: vir erat in terrabus nomine Job, welch' letzterer unten sitzt
mit Zettel: egressus sum de utero matris mee.
^) Vgl. Th. I Leg. IV S. 690. Poema S. no. Vergl. oben S. 21.
2) Ann. II, S. 228. W. schließt auf spätere Entstehung, da auf zwei Seiten-
darstellungen der heilige Antonius von Padua und Ludwig dargestellt seien. Platner
74 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
es, mit dem zu Subiaco in erster Reihe unter den glaubwürdigen
Portraits genannt zu werden.
Eine entschiedene, allgemeine Verwandtschaft mit dem vorigen
wiederum zeigt das erst seit einer kurzen Reihe von Jahren zum
Vorschein gekommene Bild in S. Francesco zu Pescia, das
inschriftlich als Werk des Bonaventura Berlinghieri vom
Jahre 1235 beglaubigt ist (III). Die übertrieben lange Figur des
Heiligen in schwarzer, mit dem Strick gegürteter Kutte und rund
um den Kopf liegender Kapuze scheint mit gesenkten Füßen in
der Luft zu schweben. Sie hält in der Linken ein Buch und weist in
der an die Brust erhobenen und geöffneten Rechten das Wundenmal.
Das Gesicht ist auch hier länglich, der an den Seiten scharf ab-
geschnittene Bart blond, die Nase lang und spitz, das Auge dunkel.
Hinter dem Heiligen erscheinen zwei halbfigurige Engel, links und
rechts befinden sich kleine Szenen seiner Legende. Eine alte Kopie
mit derselben Inschrift bei dem Grafen Montecuculi in Modena
zeigt eine Abweichung nur in der etwas abstehenden Spitze der
Kapuze, ebenso die von d'Agincourt publizirte Wiederholung, die
sich im Vatikan befand. Die Häufigkeit der Kopien beweist an
sich schon, daß man auf des Berlinghieri Portrait einen besonderen
Werth legte, als authentisches Werk eines Zeitgenossen. Da es
in Manchem mit den anderen ältesten, namentlich in der Kopfform
und in der blonden Haarfarbe, übereinstimmt, verdient es mit ihnen
den Ehrenplatz.^)
Ob dieser ältesten Zeit auch das von Guardabassi angeführte,
bei den Franziskanern in hoher Verehrung stehende Bildniß im
Romitorio di S. Francesco zu Greccio angehört, das den
(Beschr. Roms HI, 3. S. 650) erwähnt dieselben, nennt aber statt Antonius Bemhardin
von Siena. Ich habe die beiden Bilder, die offenbar erst später mit dem Portrait
des Franz verbunden wurden, nicht gefunden.
^) Crowe und Cavalcaselle halten das Bild in Modena , das ich nicht kenne , für
Copie. D. A. I, S. 132. S. Abb. in den Atti della R. Accademia Lucchese XIII,
1845. S. 349, zu eineih Aufsatze Michele Ridolfi's. Es befand sich auf der Rocca
von Giuglia der Montecuculi. (Bettinelli: il risorgimento d'Italia. Venezia 1781, tom IV.
p. II p. 193, a) — Das Bild im Vatikan von Chattard's Descrizione nicht, von
Blainville: travels translated, London 1845 HI, 125 in der Kapelle Urban's VIII er-
wähnt. Abb. bei d'Agincourt XCVII, I2. — Bei Bonghi a. a. O. S. i lo erwähnt
Luigi Zani ein im Privatbesitze (wo?) befindliches Bildniß des Franz, bez. anno 1235
Bonaventura da Lucca — die Aufgabe, daß es auf Kupfer gemalt, beweist an sich
schon, daß es eine späte Kopie ist.
Die ältesten Bildnisse.
75
Heiligen darstellt, wie er sich mit einem weißen Tuch die Thränen
trocknet, vermag ich nicht zu sagen, da ich es nicht gesehen (IV)\)
Mit Sicherheit auch ist noch immer nicht zu bestimmen, wann
das von der Lokalforschung vielfach besprochene Bildniß des Franz
im Baptisterium von Parma entstanden , da es besondere
Schwierigkeiten hat, die Entstehungszeit der Kuppel-, wie der
unteren Fresken annähernd festzusetzen (V). Ohne Frage aber kann
man sagen, daß es uns einen lebhafteren Begriff von dem Heiligen
giebt, als die meisten andern Portraits. Eine schmächtige, kleine
Figur in grauer Kutte, die herabhängende Kapuze über dem Kopf,
steht er etwas gebückt nach vorne gewandt, in der gesenkten
Linken ein Buch, die Rechte in sehr kurzem Aermel wie im Ge-
spräch zu einem rechts an face befindlichen großen Seraphim er-
hoben, der in der Weise der älteren Kunst mit sechs großen Flügeln
versehen auf zwei Füßen steht. Der Kopf, sehr derb gezeichnet,
hat große dunkle Augen, weitgewölbte Brauen, eine etwas gebogene
Nase, einen graulichen Bart. Es ist die Bewegung der Figur, welche
sie lebendiger erscheinen macht : so kann man sich den Mönch bei
Predigten zum Volke gewendet vorstellen, den kleinen ,, verächt-
lichen" Mann mit den häßlichen Zügen und dem Feuer der Be-
redtsamkeit ! Man hat darüber gestritten, ob der Seraphim zu ihm
gehört — das erscheint mir zweifellos ! Dann aber hätten wir hier
eine ganz eigenthümliche, von dem eigentlich Wichtigen absehende
Darstellung der Stigmatisation, die auf eine frühe Entstehung des
Freskos schließen ließe. Franz hat den Heiligenschein, aber keine
Wundenmale ! -)
Ehe wir nun zu einer anderen Reihe von späteren Bildern über-
gehen , verdient eine Bemerkung hier ihren Platz , die Wadding
ohne seine Quelle anzugeben (I, 212) macht, nachdem er des
^) Indice Guida dell' Umbria 1872, S. 94 sagt, es stamme aus dem XHI. Jahrh.
*) Abb. bei Flaminio di Parma : Memorie istoriche delle chiese d. fr. min. della
provincia di Bologna 1760. II, p. 160. — Ruta, Guida di P. 1780, auch Flaminio,
Ughelli, Bordini, Zappata vertreten die alte Tradition, das Bild sei 1221 bei Anwesenheit
des F. gemacht worden. Dagegen Aflfo , Storia di Parma und Bertoluzzi's Guida von
1830 S. 210, der als Entstehungszeit etwa 1260 — 70 annimmt. Des Grazioli Guida
der 70er Jahre hält ihn gar für den Ezechiel. M, Lopez endlich: II battistero di
Parma 1864, S. 108 f. tritt wieder für die Entstehung vor 1224 ein, der Heiligenschein
sei denkbar schon zu Lebzeiten, der Seraphim beziehe sich nicht auf F, Vergl. auch
Schnaase VII, S. 322. Crowe und Cavalcaselle D. A. I, S. 77.
76 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Thomas Beschreibung angeführt : ,, dieselbe bestätigen die alten
Bildnisse, die auf Befehl des Grafen von Monte acuto von dem in
jener Zeit berühmtesten griechischen Maler Melormus gezeichnet
wurden , während der heilige Mann unbeweglich im Gebete ver-
harrte." Von jenem Melormus haben wir, so viel mir bekannt,
sonst keine Kunde — die Tradition aber sah in einem jetzt nicht
mehr nachweisbaren, von Pasta in seinen pitture di Bergamo vom
Jahre 1775 (S. 53) in S. Francesco daselbst erwähnten Portrait die
Wiederholung jenes in dem Hause des Grafen von Monte acuto
12 12 in Florenz gefertigten (VI).
Eine neue Auffassung macht sich in zwei anderen Bildnissen,
dem bekannten in der Sakristei von S. Francesco zu Assisi und
einem sehr ähnlichen im Christlichen Museum des Vatikans geltend,
die abweichend von den zuerst erwähnten mehr in dem alterthüm-
lichen, meist byzantinisch genannten Stile gehalten sind. Das erstere,
in der Sakristei von S. Francesco zu Assisi (VII), wieder-
holt abgebildet, hat bis auf unsere Zeit unverdienter Weise meist
als das älteste und glaubwürdigste Portrait gegolten, obgleich schon
Papini nachgewiesen, daß es nach 1253 entstanden sein muß, da
auf zweien der vier Legendenszenen, die es enthält,^ der säulchen-
getragene Altar der Unterkirche mit den Reliquien des h. Johannes,
die beide Innocenz erst in jenem Jahre weihte, deutlich zu erkennen
ist. Die durch Nichts beglaubigte, seit dem Padre Angeli ungeprüft
sich weiter vererbende Annahme, es sei von Giunta Pisano gemalt,
der, wie wir unten sehen werden, früher 1236 thatsächlich in Assisi
thätig gewesen, fallt damit von selbst , ebensowenig aber darf man
es mit Papini dem Cimabue geben, mit dem es gar Nichts gemein
hat. Der Name des Meisters bleibt vor der Hand noch unbekannt.
Der Typus des Kopfes zeigt hier, wie auf dem Bilde im Christ-
lichen Museum des Vatikans (VIII), das offenbar von derselben
Hand ist, einen auffallend großen runden Schädel mit schmalem
Haarkranz , ein eingefallenes Gesicht mit hohlen Wangen , spitzer
gerader Nase , blondem Barte. Die Figur ist lang. Der Heiligen-
schein ist fein sternförmig und mit Blattwerk ornamentirt, die
Kapuze liegt kragenförmig um den Hals. In der Rechten hält
Franz ein Kreuz, in der Linken ein Buch mit den Worten : ,,si vis
perfectus esse vade vende omnia que habes et da pauperibus",
jenes Wort, das ihm zu Theil wird, als er mit Bernhard von Quinta-
valle die Bibel befragt, das, wie er selbst sagt, das Leben und die
Die ältesten Bildnisse. 77
Regel auch für Alle, die sich ihrer Gemeinschaft anschließen sollten,
geworden ist.^) Hier tritt das Asketische in den Zügen, die nur
eine ganz allgemeine Verwandtschaft mit den drei ältesten Portraits
haben , besonders in den Vordergrund : das kümmerliche Gesicht
trägt die Spuren eines in Kasteiungen verbrachten Lebens. Auch
erscheint Franz hier älter. Die Spuren der Aehnlichkeit , die man
in jenen vielleicht noch finden kann, sind hier vor dem Bestreben,
ein Ideal des leidenden Menschen zu schaffen, bereits mehr ver-
schwunden. Dasselbe muß von dem im Vatikan befindlichen, durchaus
gleichartigen Bildniß gesagt werden, das nur in der über den Kopf
gezogenen' Kapuze eine Verschiedenheit aufweist.^)
Bezüglich des länglichen Gesichtsovales mit der langen spitzen
Nase nähert sich das in der Sakristei von S. Maria degli Angeli
bei Assisi befindliche Bild des Franz, das Lanzi für das älteste
hielt, etwas der Auffassung des Berlinghieri (IX). Auch di« hinter
dem, einen Hintergrund bildenden Teppich in halber Figur er-
scheinenden Engel, die Stab und Scheibe tragen, erinnern an
Jenen , nur macht sich hier in der Zeichnung der Details die
Eigenart eines bestimmten Künstlers geltend, dem ich mit ziemlicher
Sicherheit eine Reihe anderer Werke zuschreiben kann. Es ist
offenbar derselbe, der 1273 das in der Pinakothek von Perugia
befindliche Kruzifix mit dem knieenden Franziskus gemalt, derselbe,
dem daraufhin mit Sicherheit die Legende des Franziskus an der
linken Wand der Unterkirche von Assisi zuertheilt werden muß,
ein in Umbrien thätiger Zeitgenosse des Margaritone, der sich in
Manchem Diesem vergleichen läßt, aber weicher und zarter in der
Auffassung ist. Seine Figuren sind von einer fast elegant zu
nennenden Schlankheit mit kleinen, im Ausdruck lebhaften Köpfen,
in größeren Szenen, wie in der Unterkirche, sehr natürlich und
überraschend frei bewegt. Unter allen Meistern des XIII. Jahr-
hunderts vor Cimabue scheint er mir den Ehrenplatz zu verdienen —
wir bezeichnen ihn, dem Vorgange deutscher Kunstgeschichte folgend,
am besten vorläufig als: ,, Meister des Franziskus", da die
Bilder, die ich bis jetzt von ihm gefunden, alle dem Dienste des
1) Thomas I Leg. IV, S. 691. Tres socii III, S. 732. Bonav. cap. m, S. 748.
^) Es ist etwas kleiner im Format, feiner miniaturartig ausgeführt imd die Le-
gendenszenen, wenn auch nicht getreue Kopien, sind hier dieselben wie dort. — Bild
in Assisi abgeb. bei Rosini Storia della pittura I, S. 125. Chavin: Hist. d. S. Frangois.
Paris 1841. Plön. S. Frangois S. 385.
yS Die Darstellungen des Franz und einer Legende.
Heiligen geweiht sind. Das wesentlich Charakteristische seiner
Typen , woran er am leichtesten zu erkennen , ist neben der fein-
rückigen langen Nase, der niedrigen Stirne, den starken Augenbrauen
eine auf Tafelbildern kräftig weiß aufgesetzte, eigenthümliche Falte
unter den Augen, die vom äußeren Augenwinkel ansetzend ge-
schwungen nach den Ohren zu, von kleinen Parallel -Fältchen be-
gleitet, verläuft. Das Werk, in dem man ihn am besten kennen
lernen kann, ist das große Kruzifix in Perugia, das, mit: ,,anno
Domini 1272 tpr. Gregorii pp. X" bezeichnet, aus S. Francesco
daselbst stammt und bisher meist dem Margaritone gegeben wurde.
Der am Fuß des Kreuzes knieende Franz, hier im halben Profile
gesehen, zeigt die unverkennbare Verwandtschaft mit jenem auf der
Vögelpredigt in der Unterkirche und denselben, nur etwas belebteren
Typus, wie der in S. Maria degli Angeli. Ebenso ein kleineres
Portrait des Franz, der halb nach rechts gewandt in der Rechten
das Kreuz, in der Linken ein Buch mit den Worten: ,, Christo
confixus sum cruci" trägt, jetzt im I. Saale der Pinakothek
zu Perugia (X). Dasselbe gehört zu zwei kleinen Darstellungen
der Kreuzabnahme und der Himmelfahrt Maria und hat als Pendant
ein Bildniß des heil. Antonius von Padua, dessen Kopftypus
genau den des Bildes in den Angeli wiedergiebt.^) Das letztere,
demnach sicher der II. Hälfte des XIII. Jahrhunderts angehörig,
zeigt Franz, in der Linken ein offenes Buch mit den Worten:
,,hic mihi viventi lectus fuit et morienti ", woraus die ehemalige
Bestimmung der Holztafel hervorgeht, mit der Rechten in der Mitte
vor der Brust ein Kruzifix haltend. Zum ersten Male erscheint
hier die Seitenwunde entblößt. Das Haar ist braun , die Figur
übertrieben lang, die Kapuze liegt kragenartig um den Hals. Eine
Inschrift unten am Vorhang enthält die Verse :
Me Jesus expresse Dilectum me comprobat esse
Cuius sie me Stigmata Stigmata meque decorant
Nemo causetur Sed Christo glorificetur
Cui placuit dignis Me sie attoUere signis.
^) Avißer diesen Bildern darf man dem Meister mit einiger Wahrscheinlichkeit das
in der Sakristei der Unterkirche befindliche zarte, durch seine Vorliebe für die blauen
Farben der Gewänder eigenthümlich reizvolle Kruzifix mit den ganzen Figuren der den
Kopf auf die Hand stützenden Maria und des Johannes , sowie vielleicht auch das
Portrait der h. Chiara in deren Kirche zuschreiben, das jetzt freilich ganz übermalt
ist. Es zeigt acht kleine Szenen ihrer Legende und trägt die Inschrift: factae fuerunt
istae sub anno Dni 1283 indictione XI tempore Dni Martini papae quarti.
Die ältesten Bildnisse. ^q
Verwandt, aber roher und wohl auch etwas später ist ein
kleines Portrait der Pinakothek in Perugia, das Franz in
halber Figur, braunbärtig, mit beiden Händen ein Buch haltend,
vor Augen führt (XI). Als Pendant dient die h. Chiara.^)
Je weiter das XIII. Jahrhundert vorschreitet, desto mehr be-
festigt sich das asketische Element, namentlich durch die zahl-
reichen Portraits, die Margaritone von Arezzo für die Fran-
ziskanerklöster anzufertigen hatte. In ihrer Rohheit freilich sehr ab-
schreckend, wiederholen sie in ermüdender Weise den in sich er-
starrten Typus des hageren Mannes mit den eingefallenen Zügen,
den großen dunklen Augen, der langen geraden Nase, den stark-
betonten Stirnfalten. Die Kutte, in enge Falten gezogen, umgiebt
knapp den ruhig stehenden Körper. Die nach vorn hängende
Kapuze rahmt oval das längliche Gesicht ein. In der Linken trägt
er das Buch, die Rechte weist mit derselben Bewegung wie bei
Berlinghieri das Wundenmal oder hält das Kreuz. Solche Bilder
befinden sich noch heute in Rom im christlichen Museum
des Vatikans'^) (XII), in der Akademie zu Siena'^) (XIII), in
der Pinacoteca Bartolini zu Arezzo*) (XIV) , früher im
Zoccolantenkloster zu Sarziano bei Arezzo*), in S. Fran-
cesco zu Castiglione Fiorentino*) (XV), in S. Fran-
cesco zu Ganghereto") (XVI); eines in S. Francesco zu
Pisa, welches einst von Vasari dem Cimabue, von Crowe und
Cavalcaselle dem Margaritone zuerkannt ward, ist heute dort nicht
mehr nachzuweisen^) (XVII). Die von Vasari und dessen Annotatoren
erwähnten Bildnisse in S. Caterina zu Pisa (XVIII) und im
^) Ein von Fratini als in S. Francesco del monte bei Perugia befindlich er-
wähntes altes Portrait, das angeblich auf dem Holzdeckel seines Sarges gemalt sei
und ehemals im Besitze der Familie Orsini gewesen , habe ich daselbst nicht finden
können.
*) Bez. Margarit. de Aretio me fec. Der Kopf etwas nach links gesenkt, Kapuze
spitz nach rechts abstehend.
^) I Saal Nr. i8. Bez. Margarit. de Aretio m. f.
*) Bez. Margarit. de Aretio. Phot. Alinari.
^) Eine sehr verschönerte Abb. findet sich in der Etruria pittrice, Firenze 1791,
I, Taf. 7.
®) Bez. Margarit. de Aretio me fec.
') Vasari, Ausgabe Milanesi I, 363 u. Anmerk.
*) Vas. I, S. 251. Crowe und Cavalcaselle D. A. I, S. 156.
8o Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Kapuzinerkloster bei Sinigaglia sind nicht erhalten^) (XIX). End-
lich ist, wie auch bisher stets anerkannt worden, das große Kruzifix
in S. Francesco zu Arezzo, auf dem am Fuße des Kreuzes Franz
in geknickter Stellung , aber von ziemlich lebendigem Ausdruck,
wie er die Füße Christi küßt, zu sehen ist, ein Werk des Mar-
garitone. Es zeigt entschiedene Verwandtschaft mit dem in Perugia,
zu gleicher Zeit aber auch in den bei weitem derberen Figuren
die verschiedene Individualität des Aretiners.
. Von einem anderen Meister dagegen scheint mir das seit Crowe
und Cavalcaselle dem Margaritone zugeschriebene Portrait des Franz
in S. Croce zu Florenz (XXI) zu sein , das , mit zahlreichen
Legendenszenen ausgestattet, in der Mitte derselben die übertrieben
lange Figur des Heiligen zeigt, wie er in der Linken das Buch
hält, mit der Rechten segnet. Das Gesicht mit dem dunklen Bart
ist besser gezeichnet, weniger in die Länge gezogen, die kurze
Nase hat scharfe, etwas emporgezogene Nasenflügel und die großen,
dunklen Augen sind von geschwungenen Brauen beschattet. Die
Kapuze fällt auf die linke Schulter. In der Höhe steigt er noch
einmal, in kleiner Figur gesehen, zwei Engeln entgegen, die ihn in
Empfang nehmen, während oben eine Hand, die einen mit nicht
leserlicher Schrift bedeckten Zettel hält , erscheint. Wenn Vasari
das Bild dem Cimabue giebt und, denselben ehrend, hinzufügt, es
zeige, was für jene Zeiten etwas ganz Neues sei, Portraitähnlichkeit,
so ist er entschieden im Irrthum. Wohl aber weisen Technik und
Zeichnung auf das letzte Viertel des XIII. Jahrhunderts hin. —
Vielleicht gehört derselben Hand auch das Franzbildniß in San
Francesco zu Pistoja (XXII) an , das von Tolomei wohl in
Folge der mißverständlichen Auffassung einer Stelle im Vasari, der,
ohne den Gegenstand zu erwähnen , ein Bild des Lippo Memmi
auf dem Hochaltare anführt, diesem Meister, von Crowe und Caval-
caselle dem Margaritone gegeben wurde. ■^)
Eine andere kleine Darstellung des Franz auf einem mit Un-
recht dem Berlinghieri zugeschriebenen Diptychon in der Akademie
^) Vas. I, S. 361 u. Anm. Letzteres trug angeblich die wohl irrthümlich ge-
lesene Inschrift: Margaritonis devotio me fec. — Ebenda wird auch noch ein im
Handel in Florenz befindliches bez. Bild, das 1878 nach auswärts verkauft wurde,
erwähnt.
2) Tolomei: Guida di Pistoja 1821. S. 136. Crowe u. Cavalcaselle. D. A. I, 156,
Es befindet sich in der Capella Bracciolini. Vergl. Vasari I, S. 556.
Die ältesten Bildnisse. 8l
zu Florenz zeigt im Typus einige Beziehungen zu dem in S. Croce
(XXIII). Die Haltung erinnert an Margaritone's Bilder, von denen
es aber sonst ganz verschieden ist.
Größeres Interesse nimmt ein bisher nicht beachtetes Gemälde
aus der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts, das wohl von der
Hand eines sienesischen Meisters ist und sich in der Akademie
zu Siena (Nr. 330) befindet, in Anspruch (XXIV). (Abb. 11.) Der
blondbärtige Kopf übertrifft an lebendiger Natürlichkeit den in
S. Croce und zeigt wie dieser in den besseren Verhältnissen einen
Fortschritt über Margaritone hinaus. Die Figur ist auch hier sehr
lang, die Stellung steif befangen, die Kapuze steht hinter dem
Kopfe etwas in die Höhe. In der Linken hält er das Buch, in der
Rechten ein zierliches, ornamentirtes Kreuz. Die sichtbare Seiten-
wunde sendet gleich den andern Malen Strahlen aus. Zu den
Seiten befinden sich Szenen der Legende, während in der Höhe
Christus, zu dem Engel verehrend auffliegen, erscheint.^)
Derselbe kürzere Typus, nur in Cimabue's große, derbe
Formensprache übertragen, begegnet nun ferner auf dem Fresko,
das derselbe in der Unterkirche von Assisi gemalt (XXV).
(Abb. 33.)') Franz, hier der schriftlichen oder mündlichen Tradition
gemäß als kleine, mehr untersetzte Figur gedacht, steht, in beiden
Händen das Buch haltend, en face neben der Madonna. Ein dicker
Kranz von Haaren umgiebt den Kopf, von dem die Kapuze in den
Nacken herab gefallen ist. Aus der höheren Kunstfertigkeit allein
erklärt es sich, daß wir diesem Bildniß eine größere Lebenswahrheit
und Aehnlichkeit zuzuschreiben geneigt sind, daß dasselbe sich mehr
als alle anderen unserm Gedächtniß einprägt, so wenig Anspruch
es auch darauf machen kann, die Züge des Heiligen wirklich wieder-
zugeben. Es trägt eben die Glaubwürdigkeit nur in sich selbst als
Werk eines bedeutenden Meisters. Schon das Portrait und Brust-
bild des Franz an der Decke der Oberkirche zu Assisi (XXVI),
von einem Schüler gefertigt, zeigt wieder das allgemein Typische
des hier starkbärtigen Mannes mit der nach links herabhängenden
^) Welcher Zeit die Inschrift unten : ,,S. Franciscus" und eine Art Monogramm,
das aus den Buchstaben CB oder GB oder CLB geformt ist, angehörte, vermochte ich
nicht zu entscheiden.
'^) Vergl. die ausführliche Besprechung imd eine Abbildung des Fresko weiter
unten in der Beschreibung von S. Francesco.
T h o d e , Franz von Assisi. 6
82 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Kapuze.^) Auch die Bilder der Glasfenster im linken Querschifif
und im Längsschiff der Oberkirche bringen nichts Neues (XXVII.
XXVIII).
Endlich zeigen die Mosaiken des J. Torriti im Lateran
(XXIX) und in S.Maria maggiore zu Rom (XXX) bereits den
Uebergang zu einer anderen Auffassung. Auf Anordnung des ehe-
maligen Franziskaners, Papst Nicolaus' IV., wurde um 1290 das
Apsismosaik von S. Giovanni erneuert und durch die kleinen Figuren
des Franz und Antonius bereichert.^) Erscheint hier Franziskus
noch bärtig, die rechte Hand mit dem Wundenmale erhebend, im
Profil, so giebt ihn Torriti in dem 1295 gefertigten Mosaik der
Liberianischen Basilika in gleicher Stellung, aber bartlos, womit
also zum ersten Male kurz vor Giotto die Idealbildung auftritt.'^)
Damit haben wir die Bilder, die als eigentlich beabsichtigte
und alte Portraits des Franz zu betrachten sind, erschöpft. Einige
andere verdienen nur kurze Erwähnung, so ein kleines Portrait auf
Kupfer in der Akademie zu Pisa, das eine übrigens öfters wieder-
kehrende Nachahmung aus dem XVII. Jahrhundert ist, ein zweites
im Museo Correr zu Venedig, das, fein und vortrefflich im älteren
Stile ausgeführt und als ,,vera S. Francisci effigies" bezeichnet, wohl
das Bild in der Sakristei von S. Francesco zum Vorbild hat, aber
der Behandlung nach aus dem XV. Jahrhundert stammt, das Portrait
in S. Francesco zu Brescia, das nach seiner jetzigen Beschaffenheit
nur als eine späte Nachahmung des Margaritone zu bezeichnen ist
und andere mehr. Kehrt in diesen Produkten vorgeschrittener Zeit
wenigstens der alte Typus wieder, so sind die späteren Werken
in Holzschnitten beigegebenen angeblichen Portraits ganz willkür-
^) Ueber den Meister vergl. Näheres unten ebendaselbst. Abb. Plön : St. Fran-
gois S. 328.
^) Abb. Gutensohn u. Knapp: Denkmäler d. christl. Religion. Rom 1822.
Taf. 46. — Ag. Valentini u. F. Gerardi: La patriarcale basilica Lateranense. Rom
1832 II, Taf. 30. — D'Agincourt XVm, 13.
^) Gutensohn u. Knapp , Taf. 46. — Valentini : La patr. basilica Liberiana.
Rom 1839, Taf. 55. — D'Agincourt XVIII, 14. — Crowe u. Cavalcaselle D. A. I S. 81. —
Lübke , Gesch. d. ital. Malerei I, 96. Von einem angeblichen Versuche des Papstes
Bonifacius , die neuen Heiligen , in Sonderheit Antonius von diesen Ehrenplätzen zu
entfernen , berichtet das Speculum S. Francisci. Die Arbeiter , die den Antonius
vernichten und an seine Stelle den h. Gregor setzen sollten , wurden angeblich ge.
waltsam vom Gerüst herabgeschleudert. S. a. Rodulphus: Hist. Ser. relig. Venedig
1586, lib. I, S. 77.
Die ältesten Bildnisse. 83
liehe Schöpfungen, wenn sie auch, wie der in Rodulphus' Historia
Seraphicae religionis mehrfach abgedruckte Holzschnitt, der das
Brustbild des Heiligen zeigt, fälschlich auf alte Vorbilder, hier z. B.
auf Margaritone zurückgeführt werden.^) Derart mag auch der auf
einen Kupferstich des XVIII. Jahrhunderts zurückgehende Stich
Parini's gewesen sein, den Mariotti beschreibt, und der nach einer
ergötzlichen Bezeichnung angeblich das von einem Peruginer Meister
Tullius gelegentlich des ersten Kapitels in S. Maria degli Angeli
12 19 gemachte Konterfei des Franz ist. ^) Nicht genug aber, daß
solche Legenden von alten Bildern auftauchten, weiß schon Bartholo-
mäus Pisanus davon zu erzählen, daß Franziskus, noch ehe er ge-
boren , mit Dominikus auf die Weissagung und Veranlassung des
Abtes Joachim hin in S. Marco zu Venedig dargestellt worden sei. ^)
Wer jetzt daselbst nach Mosaiken, die Schuld an dieser Geschichte
sein könnten , sucht , wird in dem linken Gange der Vorhalle nur
ein aus dem Ende des XIII. Jahrhunderts stammendes Bildniß des
Dominikus und eine Stigmatisation des Franz aus dem XVII. Jahr-
hundert finden.
Fassen wir zum Schlüsse kurz die Resultate unserer Unter-
suchung zusammen, so ergicbt sich, daß uns keines der alten
Portraits eine wahrhaft unmittelbare Anschauung des Franz gewährt,
die meiste Glaubwürdigkeit aber die von Zeitgenossen ausgeführten
Bilder in Subiaco, in S. Francesco zu Rom und in S. Francesco zu
Pescia besitzen, in denen uns der Heilige als ein blondbärtiger,
mittelgroßer Mann mit schmalem länglichem Gesicht entgegentritt.
Um die Mitte des Jahrhunderts beginnt man seinen Charakter in
^) Nach der Bez. : „vera beati Francisci effigies ad vivum expressa a Margaritono
Aretino. Margariton pictor sie finxit imagine viva. Ast animi dotes fingere nemo potest".
Da wird Margaritone selbst sogar zum intimen Freunde des Franz. — Vergl. auch Holz-
schnitt in den Opera S. Francisci. Hsg. vom Can, Der Burg. Cöln 1842. Fra Salva-
tore Vitale: Del Monte serafico della Vema, Venedig 1628, der auch von einem
Portrait in Guete in Spanien spricht, das ein jüdischer Bildhauer zum Andenken
an Franz' Aufenthalt daselbst 12 14 gefertigt, das aber nicht ähnlich sei. (S. 44.)
S. Bonghi a. a. O. S. 107.
2) Lettere pittoriche 1788. S. 15. Die köstliche Inschrift lautet : „lo TuUio pitore
di Peruggia esendo stato guarito da questo beato huomo F. Francesco d'Assisi d'una
grandissima apoplesia sono andato questo anno 12 19 al capitolo delle störe alla M.
deli Angeli et ho fato il presente suo ritratto sopra di lui per divocione che io ho
in questo beato huomo." Mariotti selbst äußert alle seine Bedenken.
^) Liber Conformitatum, Mailänder Ausg. 15 13 lib. I fr. I S. 12 u. f. Danach in
dem Carmen vitae S. F. Crakau 1594. II. Gesang. Wadding Annalen Bd. I, S. 16.
6*
84 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Starker Betonung des Asketischen hervorzuheben, entfernt sich aber
zu gleicher Zeit mehr von der PortraitähnHchkeit , bis in Margari-
tone's Bildern dieselbe fast zur Karrikatur wird. Zu einer größeren,
aber mehr künstlerischen Wahrheit gelangen dann des Cimabue
Zeitgenossen und in erhöhtem Maaße Dieser selbst, bis mit Torriti
endlich gegenüber dem Streben nach Aehnlichkeit eine Idealbildung
sich entwickelt. Auffallend bleibt es, daß mit des Thomas von
Celano Beschreibung und des Mönches eigenen Worten im Wider-
spruch Franz fast durchweg blond dargestellt ist. Wir können
daraus nur schließen, wie vorsichtig man selbst den ältesten, aber
mit ungenügendem Kunstvermögen geschaffenen Bildnissen gegen-
über sich verhalten muß. Von welcher Wichtigkeit sie gleichwohl
für die Geschichte der Kunst sind, geht aus dem Vorhergehenden
genügend hervor. Schon Vasari konnte mit Recht diese Portrait-
kunst eine ,,cosa nuova" nennen.
Bestimmend aber werden jene alten Bilder im Wesentlichen
für die ganze folgende Kunst in den Attributen des Heiligen : dem
Buch, das durch die verschiedenartigen Inschriften als Regel ge-
kennzeichnet ist, und dem Kreuz, als treffendstem symbolischen
Ausdruck für sein ganzes Leben, dessen Inhalt sich ja am Kürzesten
als Verehrung des gekreuzigten Heilandes charakterisiren läßt und
dessen Höhepunkt durch die räthselvolle Kreuzigung seines Fleisches
•bezeichnet wird. Als wunderbare Zeichen seiner Gottähnlichkeit
werden an den Händen und an der Seite die Wundenmale sichtbar,
die er häufig mit der Rechten dem gläubigen Verehrer weist. Die
Bilder, in denen sich durch Weglassen derselben der Unglaube an
die Stigmatisation zeigte, der namentlich in gewissen Theilen
Deutschlands und Spaniens im XIII. Jahrhundert noch herrschte,
aber auch in Italien sich geltend machte, standen jedenfalls an
Zahl weit zurück. Daß es solche gab, geht aus einer Erzählung
Bonaventura's ^) hervor, nach welcher auf einem Bildnisse des
Heiligen, das eine römische Dame besaß, die vom Maler ,, ver-
gessenen", vielmehr wohl mit Absicht weggelassenen Stigmata durch
Wunder erschienen. In einem Breve vom Jahre 1259 beklagt sich
Alexander IV., daß man in Castilien von den Gemälden die Kreuzes-
male wegkratze und den Malern verbiete, dieselben anzubringen. ^)
1) Cap. XVI, S. 784.
2) Wadding: Annal. IV, 1259. S. 105.
Die späteren Darstellungen des Franziskus. 85
Die Kutte des Heiligen, deren Form namentlich zur Zeit der
Entstehung des Kapuzinerordens zu so heftigen Streitigkeiten An-
laß gab , erscheint im Ganzen ziemlich gleich auf den ältesten
Bildern : meist von brauner, dunkelgrauer oder schwärzlicher Farbe
fällt sie, durch einen vorn herabhängenden Strick gegürtet, bis auf
die Füße nieder und hat bis zu den Händen reichende, mittelweite
Aermel. Die Kapuze, in Subiaco hoch und spitz über dem Kopfe
emporstehend, hängt auf den späteren Darstellungen meist seitwärts
von ihm mäßig lang herab oder sie ist kragenartig um den Hals
gelegt. Die Füße sind nackt, ohne Sandalen.^)
IL Die späteren Darstellungen des Franziskus.
Was das XIII. Jahrhundert vorbereitet hatte, trat um die
Wende des neuen glänzend ans Licht. In der Legende des Franz
^) Näher auf die Tracht einzugehen, ist hier nicht der Ort. Nur wenige Bemer-
kungen seien mir erlaubt. Thomas von Celano I , Cap. II , S, 699 sagt , daß F. in
der ersten Zeit ein „heremiticum habitum" trug und ,,accinctus corrigia et baculimi manu
portans, calceatis pedibus incedebat". Dann, nachdem er das Evangelium Matthäi ge-
hört: „solvit protinus calceamenta de pedibus, baculum deponit e manibus, et tunica
una contentus , pro corrigia funiculum immutavit. Parat sibi ex tunc tunicam , crucis
imaginem praeferentem , ut in ea pulset omnes daemoniacas phantasias" etc. — Von
den drei echten Kutten in Assisi , Florenz und Alvemia untersuchte Antonius Daga
1621 die erste, fand sie aber stark beschnitten. Die Aermel daran waren weiter, als
es die Observanten damals erlaubten. Rodulphus giebt angeblich nach alten Legenden
folgende Beschreibung der Kutte: ,, tunica B. F. fuit pallentis et cinerei coloris qualem
fuisse tunicam inconsutilem Christi quidam affirmant. Fuit quoque cniciformis cuius
longitudo terram non attingebat, latitudo vero manicarum ad extremos digitorum articulos
perveniebat. Capitium quoque quadratum detulit, tantae quidem longitudinis quod faciem
operiret , qualem habitum deferre consueverunt agrestes homines illius religionis. —
Bonaventura als General giebt 1260 Bestimmungen über die Tracht, die nicht allgemein
durchdringen. Die Kapuze erhält jene zugespitzte Form, umschließt oval das Gesicht
und fällt fast bis zum Gürtel im Nacken hinten herab , wie wir es auf den Mosaiken
in Rom, bei Cimabue, dann auf den Fresken Giotto's in der Oberkirche zu Assisi und
später meist finden. Die Coelestinereremiten , die 1294 bestätigt, aber 1302 wieder
aufgelöst wurden , versuchten dagegen von Neuem eine Vereinfachung. Endlich sahen
die Kapuziner (1525 durch Matthäus Bascius gegr., 1526 bestätigt) ihr Heil in der
spitzigen, pyramidalen Kapuze (cucuUa). Das Bild in Subiaco giebt ihnen Recht, wenn
sie dieselbe für die älteste, von Franz selbst bevorzugte Form ansehen. Näheres darüber
bei Wadding Bd. I, 1208, S. 47. — Annales Capucinorum, I. Bd. und Zacharias
Boverius : Dissertazione de vera habitus forma illius. — Gonzaga : De orig. Ser. Rel.
1603. S. 5f. — Acta SS. Oct. U B. App. § 8. S. 577 f.
86 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende,
in der Oberkirche zu Assisi entfaltete sich der Genius Giotto's und
schwebte, die alten beengenden Hüllen fallen lassend, in freiem
Fluge auf kühnen Bahnen dem Ziele entgegen, das erst Jahrhunderte
später erreicht werden sollte. Was ihn, den Jüngling, der an
Wissen arme, an Empfinden reiche Mönch zu Assisi gelehrt hatte,
war die Liebe zur Natur, die er fortan zu seiner Lehrmeisterin
machte. Wir werden später das erste Entstehen des innigen Ver-
hältnisses, das die beiden Männer verknüpfte und das so unendlich
fruchtbar werden sollte, belauschen und damit dem geheimnißvollen,
auf lange hinaus wirkenden Einflüsse des Franz näher treten. Hier
gilt es zunächst in rascher Aufeinanderfolge die Werke der ita-
lienischen Kunst bis zu ihrer Blüthe vorbeiziehen zu lassen und zu
beobachten, was diese Kunst aus der Persönlichkeit des Mannes
gemacht, in dessen Portraits ihr die erste lehrreiche Aufgabe ge-
stellt worden war. Da wird es uns aus Tausenden von Bildern,
auf denen Franziskus wiederkehrt , klar werden , wie dessen Ge-
staltung auch durch die folgenden Jahrhunderte hindurch ein ganz
besonderes , für die Kunstentwicklung bedeutungsvolles Element
bildet. Der Heilige, dessen eigenstes Wesen ganz in dem aus
tiefer Innerlichkeit begeistert nach Außen tretenden Gefühl beruht,
stellte, so oft er abgebildet werden sollte, jedem Künstler eine
große Aufgabe. Die schlichte Kutte, die leicht und reizlos zu
zeichnen war, erforderte geringe Aufmerksamkeit, nur in der Be-
wegung und im Ausdruck des Kopfes war die Charakteristik zu
geben. Franz gehört zu den immer wiederholten Figuren, an denen
die Renaissancekunst besonders gelernt hat. Er war ein Vorbild,
wie geschaffen für die ersten Studienzeiten der modernen Malerei,
deren eigentHche Bedeutung ja grade in der äußeren Wiedergabe
des innerlichen Empfindens, in der Charakteristik liegt. In Franz
war eine bestimmte Individualität, ein Charakter gegeben, wie deren
im Bereiche der christlichen Kunst nicht viele so ausgeprägte und
zugleich so allgemein verständliche vorkommen. Die Attribute
werden bei ihm ganz zur Nebensache, — der begabte Maler konnte
sie durchaus entbehren und doch durch den schwärmerisch gläu-
bigen Blick, die demüthige Haltung den Heiligen kennzeichnen,
dessen Andenken ungetrübt im Bewußtsein des Volkes weiterlebte.
Mit einigen wenigen anderen Gestalten ist Franz immer wieder
gleichsam der Prüfstein der fortschreitenden Kunst geworden, an
dem sich im einzelnen Falle das Stadium derselben erkennen läßt.
Die späteren Darstellungen des Franziskus. 87
Wie in Johannes dem Täufer die asketisch prophetische Be-
geisterung , in Hieronymus das büßende Denken des Alters , ii\
Sebastian das körperliche Leiden des Jünglings , in Magdalena die
reuige Liebe der Sünderin, in Georg der gottbegeisterte Muth ge-
schildert wird , so in Franz die schwärmerische Glaubensseligkeit !
So verschieden die Anforderungen , die jede der Figuren dem
Künstler stellt, auch sein mögen, was, diesen allen gemeinschaftlich
eigen, so wichtig für die Kunstentwicklung geworden, ist das
psychische Element, dessen höchsten Anforderungen die Kunst
nur durch höchste Kraftanspannung genügt. Es sind Idealbildungen,
wie jede religiöse Kunst sie haben muß, will sie wirklich die Höhe
erreichen — allgemein verständlich und doch individuell stets neu
aufzufassen, einheitlich in sich und doch unerschöpflich vielseitig
anregend.
Wer allen Wandlungen nachgehen wollte, welche die Figur des
Franz ir; der italienischen Kunst durchgemacht hat, seine ver-
schiedenen Gestaltungen einzeln betrachten wollte, würde eine Ge-
schichte der Kunst selbst zu schreiben haben, da es wohl schwerlich
irgend einen Künstler gegeben, der den HeiHgen nicht wenigstens
einmal dargestellt. Das Allgemeine und Wesentliche, zunächst was
die Attribute, dann was den Typus, endlich was seine Stellung auf
Devotionsbildern, seine Beziehung zu andern Heiligen und zu Dar-
stellungen der christlichen Geschichte betrifft, aus der wahrhaft
verwirrenden Fülle kurz hervorzuheben, muß genügen.
War Franz schon auf den alten Portraits meist mit dem Kreuz
und dem Buch in den Händen dargestellt worden, so bleiben diese
Attribute auch in der ganzen Folgezeit und auf Werken aller
Schulen ihm meist getreu. Das Buch aber durch entsprechende
Inschriften als Regel zu kennzeichnen, giebt man bald auf. Nur
auf einem Bilde des Sano di Pietro in der Akademie zu Siena und
auf einem anderen aus dem XIV. Jahrhundert in der Gallerie von
Perugia (Sala di T. di Bartoli) liest man jene des Heiligen Denken und
Leben so voll aussprechende und in dem opusculum de vera laetitia
(Opera S. 16) von ihm selbst kommentirte Stelle: ,,fratres mi autem
assit gloriari nisi in cruce domini nostri lesu Christi per quem
michi mundus crucifixus est et ego mundo" (sie! Galater 6, 14).
Daneben gewinnt auch jenes alte Motiv des Weisens der Wunde
eine allgemeine Gültigkeit, nur daß die fortgeschrittene Kunst, um
die steife Handhaltung zu vermeiden, es dahin veränderte, daß die
88 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Hand an die Seitenwunde faßt oder auf dieselbe deutet. In das
Lesen eines Buches oder in Anschauung des Kreuzes vertieft scheint
er besonders von nordischen Malern dargestellt worden zu sein.^)
Allgemein aber sucht man den im Kopfe gegebenen Ausdruck
gläubiger Ergebung in Gottes Willen durch das Falten der Hände
oder durch deren Kreuzung über der Brust zu verstärken. Zu-
weilen erhebt er in inbrünstigem Gefühl die Arme nach oben oder
bewegt sie geradezu, als würde ihm die Vision des Seraph eben
zu Theil. Am Fuße des Kreuzes, oft auch vor dem auf der Mutter
Schooß sitzenden Christuskinde beugt er, in Andacht und Verehrung
versunken, die Kniee. Nur einmal auf dem schon erwähnten Bilde
des Sano di Pietro fand ich den Seraphim in seiner Hand , ein
Motiv, das vielleicht auf ältere sienesische Vorbilder zurückgeht, wie
denn Ambrogio Lorenzetti auf einem Bilde in der Opera del duomo
in Siena den Seraphim an der Seitenwunde schwebend anbringt.
Der späteren Sitte der Franziskaner entsprechend sind seine Füße
häufig mit Sandalen bekleidet. Die Wunden sind durchweg einfach
wie die Christi gebildet — ausnahmsweise nur sieht man die von
den alten Biographen so eingehend beschriebenen nageiförmigen
Fleischauswüchse auf einem Bilde des Crivelli in London.^) In
Umbrien und Toskana bleibt es bis tief ins XV. Jahrhundert hinein
üblich, wenn auch nicht geboten, sie mit Strahlen zu schmücken,
wodurch anfangs wohl nur das Augenmerk stärker auf sie gezogen
werden sollte. Auffallen aber muß es, daß sie auf manchen
bolognesischen Kunstwerken des XIV. Jahrhunderts und einigen
späteren ganz weggelassen sind, was fast auf eine Nichtanerkennung
des Wunders in der gelehrten Stadt schließen ließe , hätten wir
sonst Kunde davon. ^) Nur kurz erwähnt zu werden verdient die
absonderliche Darstellung des Heiligen und des Antonius von Padua
als Schildträger auf einem kleinen Relief im Durchgang zur
*) Vergl. z. B. Basaiti. Venedig, Akad. 60. — Busati , ebd. 81. — Domenico
Veneziano. Florenz, S. Croce. — Auch bei Penigino. Fano, S. Maria nuova. — Das
Kreuz betrachtend: Benaglio. Verona, Akad. 282. — Rivelli. Bergamo, Lochis. —
AI. Vittoria. Venedig, S. Franc, d. Vigna. — Paduanische Seh.? Berlin, Gall. I182.
2) Nat. Gall. Abb. bei Plön: S. Frangois S. 391.
^) Medaillon neben dem rechten Seitenportal von S. Petronio. — Fresken aus der
I. Hälfte des XV. Jahrh. II. Kap. rechts und III. Kap. daselbst links (irrthümlich
Buffalmacco zugeschrieben). — Vergl. auch die Intarsiadarstellung auf den Schrankthüren
der Sakristei des Santo in Padua (XV. Jahrh.).
Die späteren Darstellungen des Franziskus. gg
Sakristei des Santo in Padua aus dem Ende des Quattrocento. Da
fuhrt er das Wappen, das wir auch sonst über den Eingangsthoren
zahlreicher Franziskanerklöster sehen : die gekreuzt übereinander-
gelegten gekreuzigten Arme Christi und Franzens, eine Darstellung,
durch welche die Anschauung von der zuerst durch Bartholomäus
Pisanus öffentlich ausgesprochenen Konformität des Heilandes mit
seinem Nachfolger ihre allgemeine Bestätigung erhielt.
Als Giotto dazu berufen wurde, in Assisi die Legende des
Franz in zahlreichen Bildern darzustellen, schloß er sich der älteren
Kunst an, indem er dem Heiligen den Bart gab. Erst später, als
er die gleiche Aufgabe für S. Croce in Florenz auszuführen hatte,
brach er, wie vor ihm Torriti, mit der Tradition und schuf hier,
wie schon in den Allegorien der Unterkirche, die besonders dazu
auffordern mochten , den idealen jugendlichen Typus. Es vollzog
sich damit jene entscheidenden Kunstphasen eigenthümliche Ver-
allgemeinerung des individuell Besonderen, die nicht auf Kosten
des Charakteristischen geht, vielmehr dazu dient, dieses auf Grund
einer freieren Anschauung zur idealen Wesensverdeutlichung zu er-
heben. Die enthusiastische Liebeskraft wurde im Bilde der Jugend
verdeutlicht. Indessen sollte die Neuerung zunächst keine große
Wirkung haben, da die Tradition zu mächtig und das Volk zu sehr
an die alte portraitmäßige Darstellung seines Heiligen gewöhnt war.
Erst im Quattrocento gewinnt sie eine allgemeine Bedeutung und
wird im nördlichen Italien geradezu zur Norm bis auf Francia, Titian
und Correggio hin.^) In Umbrien und Toscana aber bleibt immer eine
gewisse Vorliebe für den hergebrachten bärtigen Typus, zugleich
für die blonde Farbe der Haare, namentlich in Franzens Heimath.
Der erste nach Giotto wie es scheint, der diesen in Florenz wieder
bartlos darstellt, ist ein aus dem Norden kommender Künstler:
Domenico Veneziano , dessen Beispiele dann in der Folgezeit be-
sonders Piero della Francesca, Fra Angelico, Filippo Lippi, Botti-
celli , Filippino , Rosselli , Luca della Robbia und seine Schüler,
Agostino di Duccio, Benedetto da Majano u. A. folgen. Mit Domenico
Veneziano aber widerfährt auch, nachdem schon die Trecentisten
manchen recht achtungswerthen Versuch gemacht hatten, der In-
dividualität des Franz künstlerisch ihr Recht. Mag Paolo Uccello
in seinen untergegangenen Fresken in S. Trinitä den Heiligen zuerst
^) Bei Moretto und Romanino ist er immer bärtig.
go Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
in völliger, greifbarer Körperlichkeit und Wirklichkeit zu gestalten
versucht haben, die Tiefe der Auffassung, wie sie Domenico's Fresko
in S. Croce verräth, dürfte ihm kaum zu erreichen gelungen sein.
Oder ist nicht Domenico , sondern Andrea Castagno der Schöpfer
des Bildes in S. Croce gewesen? Hier erscheint Franz neben
Johannes dem Täufer in wirksamstem Vergleich und Gegensatz.
Spricht aus beiden Figuren das tiefste, innerlichste Erfülltsein von
einer starken Glaubensüberzeugung, so äußert sich diese doch
sehr verschieden: im jugendlichen Johannes fast fanatisch lebendig
nach außen sich Bahn brechend, im bejahrten Franz in die Tiefen
des Innern sich zurückziehend.^) So sollten die beiden Heiligen
ähnlich neben einander auf einem der herrUchsten Werke voll-
endeter Kunst, auf Raphael's Madonna di Foligno wieder bei
einander erscheinen, der eine mit Blick und Geberde direkt den
Beschauer zur Verehrung auffordernd, der andere ganz in den
Anblick des Himmelskindes versunken, wie abwesend und nur mit
einer deutenden Bewegung der Hand die Beziehung zur äußeren
Welt noch erhaltend. — Von einem Künstler, der wie kein Anderer
dazu berufen war, Franz zu verherrlichen, sind uns leider nur wenige
Darstellungen erhalten, von Fra Giovanni da Fiesole, der, wenn
irgend Einer, ,, seraphisch ganz von Gluthen" dazu bestimmt schien,
das Wesen des Heiligen tief nachzuempfinden. Es wollte 'mir
immer ein sonderbarer Zufall scheinen, daß er statt der Franziskaner-
kutte die schwarz und weiße Tracht der Dominikaner getragen. Er
wäre ein Künstler nach dem Herzen des Franziskus gewesen , der
besser wohl als der Feind der Ketzer Dominikus zum Schutzpatrone
seiner Kunst getaugt hätte. Lebt doch fast in jeder der Figuren
Fra Angelico's des Franz Empfindung.^) Seinem Schüler, dem
lebensfrohen Benozzo, der in Montefalco sein Erzählertalent an der
Legende üben konnte , ist es hingegen nie gelungen , die fromme
Andacht in ihrer ganzen Tiefe zum Ausdruck zu bringen (vgl. dessen
Bild in London). Das war die Sache anders gearteter Künstler,
^) Man vergl. damit den Franz auf Domenico's Bild in den Uffizien N. 1 305 ;
das fälschlich Castagno genannte Bild in der Akademie zu Florenz, in dem man jetzt,
wie ich in der I.Auflage behauptet, die Hand des jugendlichen Botticelli erkennt;
A. Vivarini, Venedig, Akad. (607) ; das irrthümlich Filippino zugeschriebene in London,
Nat.-Gall. 598.
^) Siehe die herrliche Figur des Heiligen auf der Kreuzigung in S. Marco (Ra-
dirung von Gaillard in Plon's Werk).
Die späteren Darstellungen des Franziskus. qi
wie Francia's, auf dessen Bildern der Heilige oft wiederkehrt und
in stets neuer, bis an die Grenzen künstlerischer Wahrheit streifender
Weise dargestellt ist, wie er den höchsten Offenbarungen mit seinem
ganzen Sein und Wesen sich hingiebt.^) Das Ekstatische zu schildern
war eine lohnende Aufgabe auch für Perugino. Correggio verstand
es wunderbar in seinem Jugendbilde in Dresden zu veranschaulichen.
Wohl Keiner aber wußte diese fessellose Inbrunst der Liebe herr-
licher im Blick und in der Bewegung wiederstrahlen zu lassen, als
Moretto in seinem herrlichsten Gemälde, der Krönung der Maria
in San Nazaro in Brescia. Wie ruhig und gefaßt erscheint dagegen
der Heilige, wenn er auf Titian's Madonna di Pesaro in der Kirche
der Frari zu Venedig die Stifterfamilie empfiehlt, wie traumumfangen
und in sich versunken Giorgione's Franz auf der Madonna von Castel-
franco ! Eine andere Seite aber : das Leiden heftigen körperlichen
Schmerzes , die Kraftlosigkeit des schwachen Körpers bringt be-
sonders einer der Robbia in seiner Statue in S. Maria degli Angeli
bei Assisi zum Ausdruck, als solle der Heilige an dieser Stätte
seines Triumphes an das Mitleid der Gläubigen appelliren und sie
daran gemahnen, wie viel er gleich einem anderen Christus auf sich
genommen, um ihnen die höchsten Gnadengüter zu sichern.
Noch manches der sich vertiefenden Betrachtung würdige Kunst-
werk ließe sich aufzählen, genügte es nicht, auf die verschiedenen
Auffassungen im Allgemeinen hingewiesen zu haben, deren nur in
großen Zügen skizzirte Mannichfaltigkeit wohl rechtfertigt, was oben
über die hervorragende Bedeutung der Franzfigur für die Kunst-
entwickelung gesagt worden ist.
Im XVI. Jahrhundert gewinnt die nie ganz ausgestorbene Tra-
dition, daß Franz bärtig gewesen, wieder erneute und allgemeine
künstlerische Gültigkeit. Im Norden durch die Tintoretto, Paolo
Veronese und namentlich die Maler von Bassano, in Bologna durch
Lod. Carraci, Guido Reni, Guercino, in Florenz durch A. Allori,
Cardi u. A. Gerade den Meistern jener Zeit, die es nicht satt werden
konnten, ihre Kunstfertigkeit in der Wiedergabe der häufig bis
zum Paroxismus gesteigerten Ekstase zu beweisen, mußte die heilige
Gestalt recht nach dem Herzen sein, da sie ihnen Gelegenheit gab,
ihre Fähigkeiten von der besten Seite zu zeigen. Die alte Ein-
fachheit und Mäßigung darf man von ihnen nicht verlangen, doch
^) Vgl. namentlich Bologna Pinak. 371: die Empfangniß Mariae.
92 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
zeigt sich ihr Vermögen, den Beschauer durch packende Schilderung
des bis zum Aeußersten getriebenen Affektes gefangen zu nehmen,
wohl nirgends von so günstiger Seite, als in diesen Darstellungen.
Damit hängt es wohl zusammen, daß erst jetzt dem Heiligen als
vollständig in sich ausgeprägtem Charakter auch das Recht einer
gesonderten, durchaus in sich abgeschlossenen Komposition zu Theil
wird , wie sie Hieronymus , Johannes der Täufer, Magdalena schon
früher erlangt hatten : aus dem Portrait wird durch das Zwischen-
stadium der Unter- oder Beiordnung des Heiligen auf Devotions-
bildern endlich eine Darstellung, in welcher er allein, aber zugleich
als Träger einer Handlung erscheint. In dem oben erwähnten
Motive, das ihn in das Lesen des Buches oder in die Anschauung
des Kreuzes vertieft schildert, einerseits, in der Stigmatisation
andrerseits^) sind die Vorbedingungen für diese neue Gestaltung
gegeben, für welche die seit lange schon der Kunst geläufige Dar-
stellung des büßenden Hieronymus, mit dem Franz ja in früheren
Zeiten so gern künstlerisch in Parallele gestellt wird, bestimmend
gewesen sein mag. Der Heilige kniet in Waldeseinsamkeit, von
den Schauern einer ernsten Natur umgeben, in inbrünstigem Gebet
vor dem Kruzifix ; der Hand ist soeben die heilige Schrift entfallen,
ein Todtenkopf bezeugt es, welch' tiefe Gedanken ihn seine
einzige Zuflucht in der Anschauung des erlösenden Leidens Christi
suchen lassen.^)
Zum ersten Male begegnet diese Auffassung des ,, Franz als
Büßer" in einem Stiche Marcanton's (B. 148. P. 79), auf dem aller-
dings die Beziehung zur Stigmatisation in der wegschreitenden
Figur des Leo noch sehr ersichtlich ist. Aehnlich auf einem etwa
gleichzeitigen Relief in der Thürleibung eines Portales von S. Maria
dei miracoli in Venedig.
Der mächtige Aufschwung, den im Gegensatz zur Reformation
die katholische Kirche dank dem Eintreten des neuen Ordensgründers
Ignatius von Loyola, der als der Dritte Benedikt und Franziskus
folgt, genommen, kam auch dem Andenken des Letzteren zu Gute.
Wo immer die katholische Reform sich geltend machte, in Italien,
^) Manchmal ist es schwer, den büßenden Franz und die Stigmatisation zu unter-
scheiden, da beide Darstellungen in einander übergehen, wie z. B. auf Guercino's Bild
in S. Giovanni in monte zu Bologna.
^) Als Pendant erscheint häufig, ebenso in Anschauung des Kruzifixes versunken,
die h. Chiara.
Die späteren Darstellungen des Franziskus. 93
Spanien, den südlichen Niederlanden, fand neben dem neuen Vor-
kämpfer der kirchlichen Hierarchie auch Franz in der Kunst eines
Lod. Carraci , Guido Reni , Guercino ebensogut , wie in der eines
Murillo, eines Rubens und van Dyck eine erneute, großartige Ver-
herrlichung — ja es gab Künstler, wie eben jenen Lodovico Cardi
da Cigoli, die fast ihr ganzes Leben derselben weihten. Die Ver-
ehrung für die geistige Bedeutung des Heiligen konnte ebenso
wenig aussterben, als die Ausnutzung der unerschöpflich lohnenden
Aufgabe , die deren Schilderung dem phantasie - und empfindungs-
vollen Bildern bot.^)
Die gesonderte, dramatische Darstellung des Büßers Franz war,
wie wir gesehen haben, erst die Errungenschaft einer späteren
Kunstphase. In den früheren Jahrhunderten erscheint er, zumeist
mit allen anderen Heiligen vereint auf den Muttergottesbildern,
anfangs in einer einzelnen Abtheilung des gothischen Altarwerkes,
dann in innigere Beziehung zu Maria und Christus tretend un-
mittelbar in der Nähe derselben. Anbetend befindet er sich unter
den frommen Genossen, denen die Himmelskönigin in den Wolken
sich neigt.') An den Familienszenen der norditalienischen Kunst
nimmt er Theil und erhält die frohe Berechtigung, mit den Hirten
das Christuskindlein in der Krippe liebend zu betrachten. **) Cor-
reggio zeigt ihn uns auf seinem Bilde in den Uffizien als Getährte
der h. Familie bei der Flucht nach Egypten. Den eigentlich für
ihn charakteristischen Platz aber findet er als mitleidender Zuschauer
in den Passionsvorgängen. Mußte er auch auf Basaiti's Darstellung
des Gebetes in Gethsemane mit Dominikus abgesondert wie ein
^) Näher auf einzelne Bilder einzugehen , fiele außer den Rahmen dieser Arbeit
und würde sich auch wenig verlohnen, da sich aus dem Vergleich der im Wesentlichen
gleichlautenden Darstellungen, die man allenthalben einsehen mag, für unsere Aufgabe
außer dem Angedeuteten wenig Bedeutungsvolles ergeben dürfte. — S. zahlreiche Ab-
bildungen in Plon's : St. Frangois.
^) Mit besonderer Vorliebe auch später in der bolognesischen Kunst.
**) Z. B. Francia. Rom, Doria II, 6. — Francia. Früher Rom, Sciarra. — Mazzo-
lino. London, Nat.-Gall. 82. — Timoteo Viti. Pesaro, S. Francesco. — Palma vecchios
Schule. Dresden, Gall. 233. — Palma. Lady Eastlake, London. — Palma. Berlin, Gall.
199. — Palma? Kopenhagen, Gall. 52. — Bonifazio. Paris, Louvre 74. — Bonifazio.
Florenz, Uffizien 13 19.
Auf Geburt: Francia. Bologna, Pinak. 81. — Garofalo. Rom, Doria II Br. 61.
— Zaganelli. Dublin, Nat.-Gall. — Bonifazio. Padua, Gall. I, 21. — Massone. Paris,
Louvre 261. — Alunno. Nocera, Domsakristei. — R. Ghirlandajo. Petersburg, Ermitage.
94 I^iß Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Wächter vor den Rahmen treten, so ist er sonst häufig mitten unter
den leidtragenden Freunden bei der Kreuzigung^), bei der Grab-
legung^) und bei der Beweinung Christi.^) Mit Dominikus und
Michael steht er, zu dem als Weltenrichter in der Luft thronenden
Heiland emporschauend, auf dem Denkmal des Taddeo Pepoli in
S. Domenico zu Bologna. Auf einem Fresko in S. Francesco zu
Pistoja verehrt er mit seinen beiden Genossen den in der Himmels-
majestät erscheinenden Herrn. Oefters auch wohnt er der Himmel-
fahrt Mariae bei^) und befindet sich fast immer unter der Schaar
der Heiligen , die ihre Krönung , sowie das jüngste Gericht ver-
herrlicht.
Er ist es aber ferner, der zuerst den Platz der Maria Magdalena
am Fuße des Kruzifixes einnehmen, die Füße des Herrn küssen
darf. Hatte er doch wie kein Anderer die Qualen des leidenden
Menschensohnes in sich nachgelitten, die Menschheit neu gelehrt,
dem Kreuze in Demuth und inbrünstiger Verehrung sich zu nahen.
Die Kruzifixe des Giunta (auf dem statt seiner Elias kniete), des
Meisters des Franziskus , des Margaritone wurden der Ausgangs-
punkt für jene reiche Reihe von Darstellungen der , .Verehrung des
Gekreuzigten", die neben der eigentlichen Kreuzigung eine ge-
sonderte Stelle einnehmen. Mit Maria und Johannes erscheint
zuerst Franz am Fuß des Stammes, wie er in den Klagen sein Herz
befreit, erst später folgen ihm Dominikus, Hieronymus und andere
Glaubenszeugen. Auf den meisten derartigen Gemälden aber, deren
wichtigste unten angeführt sind, ist Franz neben Christus die Haupt-
person.^) Jenes merkwürdige Bild eines alterthümlichen Meisters
^) Cimabue in den beiden Kreuzigungen der Oberkirche zu Assisi. Auch später
öfters, z. B. auf dem großen ferraresischen Bilde der Kreuzigung in Modena, Gall.
Vergl. auch Sienesische Schule. Paris, Louvre 488.
^) Ehemals in der Gall. Costabili in Ferrara befindliches Bild, angeblich Galasso
Galassi, mit dem es nichts zu thun hat, jetzt in der Gallerie.
^) Bild , vielleicht jugendliches Werk des Costa , bei Sig. Lombardi , Ferrara. —
Schule Castagno's. Florenz, S. lacopo. — Garofalo. München, Pin. 1080.
*) Lippo Memmi. München 986. — P. della Francesca (vielmehr B. della Gatta,
wie ich glaube) in Borgo S. Sepolcro: S. Chiara. — Fungai. Siena, Servi. — Balducci.
Siena, S. Spirito. — Bei Thomas Gürtelempfang : Bild des XIV. Jhs. Florenz, Akad. —
Fra Paolino. ebd. — Sogliani. ebd.
^) Giotto. München 981. — Giotto Seh. Pistoja, S. Francesco, Sacristei. —
Spinello. Arezzo, S. Francesco. — Spinello, ebd. Dom. — Gaddi Schule. Berlin 1103.
— Barna. Arezzo, Vescovado. — Giovanni di Piero. Pisa, S. Domenico. — A. Lorenzetti.
Die späteren Darstellungen des Franziskus. 95
aus dem Anfang des XIV. Jahrhunderts in der Akademie zu
Florenz von dem wir im letzten Theile noch ausführlicher zu reden
haben, zeigt uns daneben als ältestes Denkmal den allegorisirenden
Kreuzkultus des Franziskanerthums bereits in höchst reicher Form
ausgebildet. Und etwas später, auf Taddeo Gaddi's Fresko im
Refektorium von S. Croce, tritt die wahre Nachfolgerschaft des
Gekreuzigten bei den Franziskanern in Gegensatz und Vergleich zu
jenen den Crucifixus vorahnenden und verheißenden Vätern und
Propheten des alten Bundes, die in den Zweigen des Stammes
erscheinen.
Andere Darstellungen, auf denen Franz, ohne wirklich innere
Beziehung seinem Wesen und seinen Anschauungen nach zu ihnen
zu haben , erscheint , genügt es kurz zu erwähnen : Christus in
Cathedra^), Verlobung der h. Katharina-), Empfängniß Mariae^),
Christus im Grabe sitzend von Heiligen umgeben*), Himmelfahrt
der Maria Aegyptiaca."^) Ferner noch die folgenden, auf denen er
der Glorifizirung anderer Heiligen beiwohnt, so des Antonius
Abbas"), Petrus^), Markus**), Petronius*), Johannes des Täufers ^^),
London bei Herrn Murray. — Lorenzetti Schule. Vatikan, Christi. Mus. — Donato Vene-
ziano. Venedig, Ak. — Andrea del Castagno Rieht. Prato , Gall. — Finiguerra. Pax.
Bargello, Florenz. — Agostino di Duccio: Relief, ebd. — Filippino. Berlin, Gall. 96.
— N. Alunno. Aquila, S. Chiara. — Perugino. Florenz, Calza. — Ders. Perugia, Gall. —
Bemardino von Perugia. Paris, Louvre, — Spagna. Temi, S. Maria delle Grazie. —
Tiberio d'Assisi. Assisi, S. Francesco. — Palmezzano. Forli, Pinak. Fresko. — Zaga-
nelli. Ravenna, S, Agata. — Francia: Niello. Bologna, Ak. — Ders. ebd. 373. —
G. Francia ebd. — G. Francia. Bologna, S. Stefano. — Man vergl. die Nachfolger,
die Franz als Verehrer des Kreuzes in den Dominikanern hat, namentlich auf Bildern
des Fra Angelico in S. Marco, Florenz.
^) B. Vivarini. Venedig, Akad. 614. — Simone Napoletano? Refekt. S. Chiara,
Neapel.
*) Benozzo. Temi, S. Francesco. — F. Thifemate. Citta di Castello, Gall. —
Spagna. Florenz, Pitti. — Albertinelli. Petersburg, Ermitage.
^) Francia. Bologna, Akad. — Fra Bartolomeo. Louvre 56.
*) Signorelli. Cortona, S. Niccolo. — Fungai. Siena, Ak. Lünette zu Pachiarotto's
Bild. — Credi. London, Lord Overstone. — Botticelli Schule. Berlin 1125,
*) Sienes. Seh. Perugia, Gall. Sala di T. Bartoli II. — Filippino. München 1008.
^) Eusebio. Perugia, Sala del Perugino. — Seh. von Lucca. Lucca, S. Pietro
(fälschlich Palma gen.). — Garofalo. Rom, Chigi.
') Giov. u. Ant. da Murano. Padua, Gall. 258.
*) Busati. Venedig, Ak. 84.
*) Costa. Bologna, Pin.
^*>) Filippo Lippi. London, Nat.-Gall. 667.
gß Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Sebastian ^) , Hieronymus ^) , Margarethe ^) , Thomas von Aquino *)
und Lorenzo Giustiniani.^)
Wichtiger als diese, aus bestimmten Wünschen der Donatoren
hervorgegangene Zusammenordnung des Franz mit beliebigen Hei-
ligen ist es, das Resultat ins Auge zu fassen, welches sich aus einer
Vergleichung der zahllosen Devotionsbilder, die ihn zeigen, in Bezug
auf seine immer wiederkehrende Stellung neben einigen bestimmten
Figuren ergiebt, da sich hierin nicht die Willkür der Besteller,
sondern eine bindende Vorstellung des Franziskanerthums äußert.
Aus den alten Lebensbeschreibungen erfahren wir, daß Maria,
Michael, Petrus und Paulus es sind, für welche Franz eine besondere
Verehrung hatte, an die er sich in seinen Gebeten am häufigsten
und liebsten wandte. Wir werden unten noch betrachten, wie man
beim Bau von S. Francesco in Assisi, bei der Weihe der Altäre in
der Oberkirche und bei der Ausschmückung des Querschiffes und
Chores durch Cimabue auf diese Devotion Rücksicht nahm, hier
ist der Ort, die begeisterten Worte des Thomas von Celano selbst
zu hören, in denen er sie uns schildert: ,,mit unsagbarer Liebe
umfaßte Franziskus die Mutter Jesu, weil sie den Herrn der Majestät
uns zum Bruder gegeben; ihr zollte er besondere Lobgesänge, ihr
ergoß er sich in Bitten und brachte ihr Liebesbezeugungen ent-
gegen, wie sie in solcher Fülle und Innigkeit die menschliche
Zunge nicht wiedergeben kann. Was aber am meisten freut: er
machte sie zur Vertreterin des Ordens und stellte unter ihre Fittiche,
für immer sie zu hegen und zu beschützen, die Söhne, die er ver-
lassen mußte." ^) — „Vom heiligen Michael aber sagte er öfters,
er sei vorzüglich zu ehren, weil er das Amt die Seelen darzubringen
habe; zu Ehren des heiligen Michael fastete er mit großer Ver-
ehrung vierzig Tage zwischen dem Feste der Himmelfahrt und dem
Festtage Jenes, denn er pflegte zu sagen : ein Jeder sollte zu Ehren
eines so großen Fürsten irgend einen Lobgesang oder eine be-
sondere Gabe Gott darbringen." ^) Den Aposteln aber und besonders
^) Filippino. Genua, Pal. bianco. — Bastiani. Venedig, Ak.
■^) Liberale. Verona, Cap. del Commune.
^) Moretto. Brescia, S. Francesco.
*) Girolamo di Sta. Croce. Venedig, S. Silvestro.
^) Pordenone. Venedig, Ak.
6) Th. II leg. lU, 127. S. 280. — Vergl. Bon. Cap. IX S. 766.
"') Th. II leg. cap. 126. S. 280. Vergl. auch Wadding. I. Bd. 121 1 S. 103.
Barth. Pisani Conformitates I. lib. IV fructus S. 25 v.
Die späteren Darstellungen des Franziskus. 97
Petrus und Paulus nahte er sich mit größter Hingebung der glühenden
Liebe wegen, die sie für Christus gehegt.
Auch in den wenigen von Franz erhaltenen Gebeten kehrt
neben der Mutter Gottes und den Tugenden besonders häufig
Michael wieder^), der in seinem Leben eine ganz besondere Rolle
spielt. Wallfahrtete er doch einst nach dem Heiligthume des Erz-
engels auf dem Monte Gargano, und ward ihm doch die Erscheinung
des Seraphim, der von Vielen für Michael selbst gehalten ward,
an dem Diesem geweihten Tage zu Theil. Es kann daher nicht ver-
wundern, daß er bald nach seinem Tode in eine geheimnißvolle
Beziehung zu dem Engel gesetzt ward , die künstlerisch zuerst
vielleicht in den Fresken von S. Francesco ausgesprochen wird.
Den gläubigen Verehrern nämlich ward der Heilige selbst zur
körperlichen , wunderbaren Erscheinung des Michael , wie sie im
siebenten Kapitel der Apokalypse vorausgesagt erschien. In jenen
Zeichen und Wunder verlangenden Zeiten war ja durch die weit
verbreiteten Anschauungen des Abtes Joachim, auf Grund deren
man in der Gründung der beiden Bettelmönchsorden und in den er-
bitterten Kämpfen zwischen Innocenz III. und Friedrich II., zwischen
Glauben und Skeptizismus, die Erfüllung der Weissagungen in der
Offenbarung sah , der Zug zum Symbolischen und Allegorischen
mächtig gesteigert worden. So hatte schon Gregor IX. in seinem
Hymnus auf Franziskus Diesen als Kämpfer Gottes gegen jenen
Drachen, der von Neuem das Haupt erhoben , besungen ! *) Dann war
von einem Gerhard von Borgo San Donnino, der aller Wahrschein-
1) Opera I S, 18. — ebd. II cap. XVIII S. 27.
*) Caput draconis ultimum Franciscus princeps inclytus
Ultorem ferens gladium Signiun reale bajulat
Adversus dei populimi Et celebrat conciliimi
Excitat bellum septimum Per cuncta mundi climata
Contra caelum erigitur Contra Draconis Schismata
Et nititur attrahere Acies trinas ordinat
Maximam partem syderum Expeditorum militum
Ad damnatorum numerum Ad fugandum exercitum
Verum de Christi latere Et tres catervas daemonum
Novus legatus mittitur Quas draco semper roborat.
In cujus sacro corpore
Vexillum crucis cemitur
Nach Barth. Pis. Lib. conf. lib. I, S. 4. — Vergl. auch das Lied Jacopone's da Todi :
le Poesie spirituali. Venedig 161 7, lib. III, 25, der ähnlich Franz als Feldherm im
Kampfe gegen den alten Erbfeind des menschlichen Geschlechtes feiert.
Thode, Franz von Assisi. ^ 7
gg Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
lichkeit nach die 1255 verdammte Einleitung zum Evangelium
aeternum geschrieben hat, mit Bestimmtheit die Prophezeiung auf
Franz bezogen worden, und schließlich ward diese Anschauung von
Bonaventura auf dem Generalkapitel zu Paris im Jahre 1266 öffentlich
zu einem Glaubensartikel des Franziskanerthums gemacht.-^) So
spricht es Letzterer auch in dem Vorworte seiner vita aus : ,, Derart
wird Franz auch durch die wahrhaftige Weissagung des anderen
Freundes, Verlobten, Apostels und Evangelisten Johannes unter
dem Gleichniß des vom Aufgang der Sonne niedersteigenden Engels,
der das Zeichen des lebendigen Gottes trug, bezeichnet. Wie denn
bei der Oeffnung des sechsten Siegels Johannes in der Apokalypse
sagt : ich sah einen anderen Engel vom Aufgang der Sonne nieder-
steigen, der das Zeichen des lebendigen Gottes trug. Daß dieser
Bote Gottes Franziskus gewesen, der Knecht Gottes, welcher der
Liebe Christi, unsrer Nachahmung und der Welt Bewunderung
werth ist, erfahren wir in unbezweifeltem Glauben, wenn wir den
Höhepunkt ausnehmender Heiligkeit in ihm erkennen: durch sie
war er, unter Menschen lebend, ein Befolger engelhafter Reinheit,
durch sie ward er den vollkommenen Nachfolgern Christi zum
Beispiel gesetzt. Dies glaubensvoll und fromm zu empfinden, be-
wegt uns nicht allein das Amt, das er gehabt : zu rufen , daß man
weine und klage und Säcke anziehe, und durch das Bußezeichen
des Kreuzes und kreuzförmigen Gewandes das T. auf die Stirnen
der seufzenden und der klagenden Männer zu zeichnen , sondern
es bestätigt dies auch in unverbrüchlicher Bezeugung der Wahrheit
das Zeichen der Aehnlichkeit mit dem lebendigen Gotte , nämlich
dem gekreuzigten Christus, das seinem Körper eingedrückt worden
ist, nicht durch Kraft der Natur oder Erfindung der Kunst, sondern
vielmehr durch die zu bewundernde Macht des Geistes des leben-
digen Gottes." In diesen Worten liegt zugleich die geheimnißvolle
Beziehung auf die in der Apok. 7, 3 erwähnte Versiegelung der
Knechte Gottes, die von Ezechiel (9, 4) prophezeit worden war —
das T. war, wie Bonaventura dann an anderer Stelle erzählt, zum
^) Vergl. Renan: nouvelles iltudes d'histoire religieuse, Paris. Levy 1884, S. 217.
Barth. Pis. I lib. conf. I fr. S. 9 u. fr. XXXI, wo erzählt wird, daß Bonaventura die
Deutung der betreffenden Stelle der Apokalypse auf Franz geradezu durch göttliche
Offenbarung erhalten. — Wadding Bd. IV, z. J. 1266. — Auch bei Jacobus a Voragine,
Bemhardin von Siena (De Evangel, aeterno Sermones 60 c. i § 7) u. A.
Die späteren Darstellungen des Franziskus. qq
Zeichen des Franz geworden, das er wie ein Siegel unter seine
Briefe setzte und nicht müde ward, den Seinen zu empfehlen.^)
So kann es also nicht überraschen, die Verehrung des Michael
mit der des Franz sich verbinden und Beide häufig auf Bildern
vereint zu sehen. Daß aber unser Heiliger auch mit Johannes
verglichen und in Parallele gebracht wurde, ist nicht nur der von
Thomas von Celano ausgesprochenen allgemeinen Franziskaner-
anschauung des XIII. Jahrhunderts, sondern wohl auch dem künst-
lerischen Gefühle auf Rechnung zu setzen, das in den gleichen
Attributen des Kreuzes die Berechtigung fand, die Träger desselben
neben einander zu stellen. Wenn Thomas in der künstlichen Weise
seiner Zeit den Vergleichungspunkt nicht allein in der Beiden ge-
meinsamen Bußpredigt und Bekehrung der Menschen, sondern
auch in den prophetischen Gaben, die Pica wie Elisabeth, Franz
wie Johannes besessen, findet -J, so Hegt dem doch eine wohl zu
rechtfertigende Empfindung zu Grunde, die sich in der Kunst, wie
wir bei Betrachtung der Werke des Domenico Veneziano und
Raphael gesehen, nur glücklich äußern konnte. Sicher ist auch
der Umstand, daß Franz bei der Taufe ursprünglich den Namen
Johannes empfing, nicht ohne Bedeutung gewesen.
Daß endlich auch Hieronymus und Antonius der Eremit in
nähere Beziehungen zu Franz gesetzt wurden , ist leicht erklärlich,
bedenkt man, wie nahe es lag, des Franziskus Leben mit der Askese
des ersteren zu vergleichen. Die Darstellung des büßend im Walde
knieenden Hieronymus forderte den Künstler geradezu von selbst
dazu heraus, in zusammengesetzten Altarwerken ihm als Pendant
den in einsamer Landschaft knieend die Stigmata empfangenden
Mönch zu geben.
So kann man denn auf Grund eingehender Untersuchungen
wohl mit Recht behaupten, daß Franziskus nach seinem Tode aber-
mals zu einem neuen, reichbewegten Leben in der Anschauung
und der Kunst der kommenden Jahrhunderte erstanden ist, daß
sein innerer, unablässiger, weihevoller Verkehr mit Christus, Maria,
den Aposteln und Heiligen in Tausenden von Kunstwerken dem
^) Bon. S. 742. — Bon. Cap. IV S. 752, nach Thomas II. leg l. III, 49 S. 160,
erzählt, daß der Fr. Pacificus mehrere Male gewürdigt wurde, ein großes Thau auf der
Stirn des Heiligen zu sehen, das im bunten Wechselspiel der Farben (wie ein Pfauen-
auge) sein Antlitz mit wunderbarer Anmuth schmückte.
2) Th. n. Leg. I, S. 8. Vergl. danach Barth. Pis. i lib. Conf. lü S, 22.
lOO Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Volke versinnbildlicht wurde, in welchem die Erinnerung an den
treuen Freund und Berather damit ungeschwächt und wahr fortleben
konnte. Zugleich aber, daß er selbst in seinem Abbilde begeisternd
und vertiefend dem Künstler der hülfreichste Lehrer geworden,
der, um unerschöpflich zu empfangen, unerschöpflich selbst gab.
Dieses sein inniges Verhältniß zur Kunst noch näher verstehen und
würdigen zu lernen, gilt es nun aber vor Allem, die Darstellungen
seines Lebens, wie sie im Anschlüsse an die Legende entstanden,
ins Auge zu fassen.
III. Die Darstellungen der Legende.
Das erste monumentale Werk der neueren Kunst ist Giotto's
Franziskuslegende in der Oberkirche zu Assisi ! Was die folgenden
Jahrhunderte entwickelt und zur Blüthe gezeitigt, tritt in seinen
ersten Keimen jugendfrisch und vielverheißend allüberall in den
zahlreichen Fresken hervor, die in langen Reihen die Wände der
lichten Kirche schmücken. Wie frische, befreiende Luft weht es
aus ihnen entgegen, es öffnet sich wie ein Blick in sonnige, reiche
Gefilde. Da droben im stillen Assisi ist ein Versöhnungsfest, das
nicht ergreifender, nicht freudiger gedacht werden kann, zwischen
zwei Freunden gefeiert worden, die sich so lange verkannt, dem
Menschen und der Natur. Der Mann, der mit gleicher, unendlicher
Liebe Beide umfing, Franz war es, der die Hände der lange Ent-
fremdeten in einander legte und die ersten Segensworte über den
neuen Bund sprach. Das wäre ein Bild gewesen, werth, von dem
Meisterpinsel Giotto's gegenüber jener anderen Vermählung gemalt
zu werden, die Christus zwischen dem Mönche und der Armuth
geschlossen.
Was Franziskus selbst in seinem Sonnenliede gesungen, ist der
erste Ausdruck jubelnder Gewißheit über den Besitz der Geliebten,
sind die Bezeugungen inniger, ganz sich hingebender Liebe für die
Freundin, deren Schönheit und Liebreiz, schon lange im Stillen
geahnt, nun siegreich und leuchtend hervorbrach. Dasselbe Gefühl,
das diesem Sänge für immer eine so tief ergreifende Wirkung
sichert, wird auch aus seinen Predigten, denen ganz Italien gelauscht,
hervorgeklungen haben. Mehr noch als bittere Reue über das
eigene sündliche Streben, Sehnsucht nach erlösender Gnade und
Vorsätze zu sittlichem Leben werden die Hörer nach Hause ge-
Die Darstellungen der Legende. lOi
nommen haben : ein neues Verständniß für die Natur ! Im heißen
Kampfe mit dem feindlichen Nächsten und den mannichfachen, ver-
wirrenden Anforderungen der Zeit mochten sie plötzlich inne halten
und mit den Augen des liebreichen Predigers den Frieden und die
Schönheit der sie umgebenden Welt gewahren, die sie bisher nur
bekämpfen zu müssen geglaubt. Da gewannen die grünen Thäler,
die grauen Berge ein anderes Aussehen, anders klang der Sang
der Vögel, heller schien die Sonne und tiefer erblaute der Himmel
durch die wandernden Wolken hindurch. Die Liebe zu aller der
Herrlichkeit, wie sie begeisternd von den Lippen des Franziskus
erscholl, kam über sie. So ward die Verehrung des Ueberirdischen
zur Verehrung Gottes in der Natur. Wer möchte es jetzt nach so
langer Zeit zu schildern wagen, wie das Naturgefühl unter dem
Einflüsse solcher Predigten kräftig hervorgelockt, wie es durch die
im Sinne des Lehrers wirkenden Schüler genährt worden ist und
allmählich immer intensiver weiter um sich gegriffen hat. Nur
ahnen läßt es sich, vertieft man sich in das Studium jener Zeiten,
in denen neben der grübelnden, die Philosophie und das Christenthum
verschmelzenden Scholastik das innerste Gemüthsleben in der Mystik
sich mit der von Gott erfüllten Natur in Einklang zu setzen suchte.
Fast zur Gewißheit aber wird die Ahnung, daß dem Franziskus
der beste Theil der neuen Geistesrichtung in Italien zu danken ist,
betrachten wir deren künstlerische Aeußerungen.
Wie er selbst von der Kunst gedacht, verräth uns keine Zeile
der Biographen, nur eine alte von Marianus und nach Diesem von
Wadding wiedergegebene Tradition erzählt, daß er einst für den
Schmuck der kleinen Kirche, die er zwischen S. Gemini und Por-
caria zu Ehren der Maria erbaute, gesorgt. ,,Auf dem Antipendium
des Altares ließ er mannichfache Geschöpfe malen : Engel, Knaben,
Vögel , Bäume und Aehnliches ; darunter schrieb er die folgenden
Sprüche , in denen er alle Geschöpfe zum Lobe des Schöpfers
aufforderte :
Fürchtet den Herrn und gebt ihm Ehre (Offenb. 14, 7).
Würdig ist der Herr zu empfangen Lob und Ehre (Offenb. 4, 1 1).
Alle, die ihr Gott fürchtet, lobet ihn (Ps. 135, 20).
Gegrüßet Maria, gnadenreiche, der Herr mit dir (Luc. I, 28).
Lobet ihn, Himmel und ganze Erde (Ps. 69, 35. 96, 11. 188, i — 4).
Lobet alle Flüsse den Herrn (Ps. 98, 8. Dan. 3, 78).
Lobet den Herrn, weil er gut ist (Ps. 147, i. Dan. 3, 89).
I02 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Alle, die ihr dies leset, segnet den Herrn.
Alle Geschöpfe lobet den Herrn (Ps. 145, 10. Dan. 3, 57).
Alles Geflügel des Himmels, lobet den Herrn (Ps. 148, 10. Dan. 3, 80).
Alle Knaben, lobet den Herrn (Ps. 148, 12).
Jünglinge und Jungfrauen, lobet den Herrn (Ps. 148, 12).
Würdig ist das Lamm, das getödtet ist, zu empfangen Lob und
Ehre (Ofifenb. 5, 12).
Gesegnet sei die heilige Dreiheit und ungetheilte Einheit.
Heiliger Erzengel Michael, vertheidige uns im Kämpft)
Die Erzählung erscheint nicht unglaubwürdig, sieht doch dies
Antipendium geradezu wie eine Illustration des Sonnengesanges
aus ! Doch nicht genug, daß der Heilige indirekt die künstlerische
Empfindung durch den Einfluß seines Naturgefühles beseelte, so bot
er auch in seinem Leben den reichhaltigsten Stoff, auf welchen das-
selbe angewendet, durch welchen es gebildet werden konnte. Seit
Jahrhunderten hatten in nimmer endenden Wiederholungen die
Künstler das Leben Christi, der Maria und der Apostel schildern
müssen und hatten , auf das Recht der allein seligmachenden Ein-
bildungskraft verzichtend , in mehr oder weniger starren , schema-
tischen Formen Einer dem Andern folgend, die Kultusbilder ge-
schaffen, in denen fast jede Figur, jede Bewegung durch die Tradition
geheiligt, vorgezeichnet war. Dazu kam, daß die Heiligen, mit
denen der christliche Himmel sich bevölkert hatte, in den Augen
der Nachgeborenen wohl die Vertreter erhabener Gedanken waren,
aber außer den Wundern, die sie gewirkt, dem Märtyrertod, den
Viele erlitten, war an die wechselvollen Schicksale ihres Lebens
keine lebendige Erinnerung geblieben, die einen reicheren Stoff
der Kunst geboten hätte. Nur Einer , und gerade der ältere
Vorgänger des Franz : Benedikt war durch die Lebensbeschreibung
des Papstes Gregor auch als Mensch in dem Verlaufe seines langen
Lebens dem Volke bekannt und vertraut geworden. Aus seinem
Orden, der ja für Jahrhunderte die Pflege der Wissenschaft und
mit ihr die Schreib- und Illuminirkunst ausschließlich übernommen,
waren alle die zahlreichen Codices hervorgegangen, in denen mit
Liebe und Ausführlichkeit die fleißigen Mönche sein Leben in
Miniaturen schilderten. Noch zu Zeiten des Franz mag jener
^) Ann. I, 12 13 S. 156. Vergl. E. Böhmer: Francesco d'Assisi in Damaris,
Ztschr. V. Giesebrecht u. Böhmer 1864. S. 304.
Die Darstellungen der Legende. 103
Freskencyklus des Conxolus im Sacro Speco entstanden sein, auf
dessen frische und unbefangene Erzählungsweise die florentinische
Kunst der Zeit fast ein Recht hätte, eifersüchtig zu seinJ) In der
Legende des Franz war nun aber plötzHch den Malern ein andrer,
großer Vorwurf gegeben ! Alte Vorbilder gab es nicht, der Gegen-
stand und die Empfindung waren neu. Die Biographien des Thomas
von Celano und Bonaventura verrathen es in jeder Zeile, wie be-
geisternd und die Phantasie anregend der reiche Stoff war — die
Dichter bemächtigten sich seiner, aber selbst die Prosa ward
zur Dichtung. War doch in deren Held eine durchaus eigen-
artige, in sich geschlossene Natur, die in dem ganzen Zusammen-
hange der menschlichen Gesellschaft eine gesonderte Stellung ein-
nahm, gegeben — ein Mensch, dessen Leben und Handlungen nur
der vielseitige harmonische Ausdruck eines einheitlichen Wesens
war. Die Schilderung dieses Lebenswandels verlangte von selbst
die dichterische Abrundung, die Form des Epos. Damit aber war
der Phantasie der freicste Spielraum gelassen , die erste Grund-
bedingung für das Erwachen und die gesunde Entwickelung der jungen
Kunst. So einfach wie die Anschauungen des Franziskus, so ein-
fach waren die Begebenheiten seines Lebens ; der Künstler brauchte
bloß den Erzählungen der Mönche zu lauschen oder des Bona-
ventura Werk zu lesen, so traten die Bilder ungezwungen vor seine
Seele. Was aber die schlichten Vorfälle so reizvoll , so geeignet
für künstlerische Darstellung machte, war der geistige Gehalt, der
allen den Episoden zu Grunde lag. Die reinsten Empfindungen
des menschlichen Herzens galt es zu überzeugendem Ausdruck zu
bringen, allgemein Menschliches auch allgemein verständlich zu
schildern. Dies war aber nur möglich, wenn der Phantasie eine
liebevoll eingehende Beobachtung des Lebens zu Hülfe kam. So
lag demnach auch in dem Stoffe selbst die unbedingte und drin-
gende Aufforderung zum Studium der Natur, wie eine solche aus
den Anschauungen Franzens hervorging. Der Gegenstand war —
es kurz noch einmal zusammenzufassen — neu und reichhaltig,
regte die Einbildungskraft an und verwies den Künstler auf die
^) Die Bedeutung dieser Fresken für die italienische mittelalterliche, speziell die
römische Kunst, ist bis jetzt noch lange nicht genug gewürdigt worden. Vergl. aber
Max Zimmermann: Giotto und die Kunst Italiens im Mittelalter. Leipzig 1899.
1, S. 254 ff.
104 ^*® Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Natur als die einzige Lehrmeisterin. Darin liegt seine weittragende
Bedeutung, dies muß der Gesichtspunkt sein, von dem aus eine
Vergleichung der Darstellungen der Legende Franzens, als der
ersten grundlegenden Schöpfungen der neueren Kunst, eine hervor-
ragende Wichtigkeit gewinnt.
Fast das ganze XIII. Jahrhundert hindurch überwiegt das
künstlerische Interesse an der portraitmäßigen Gestaltung des Hei-
ligen dasjenige für die einzelnen Lebensepisoden desselben. Wo
solche erscheinen — und es geschieht zuerst auf Berlinghieri's
Tafel in Pescia — bilden sie illustrationsartig in kleinen Bilderchen
eine Art Rahmen für die große Figur, Miniaturenhaft in Aus-
dehnung und Ausführung können sie trotz mancher lebensvollen
Motive noch keinen Anspruch auf große künstlerische Bedeutung
machen — sie sind nichts weiter als Vorstudien. Seine volle Wirk-
samkeit konnte der Stoff erst entfalten , als ihm größerer Raum
an den Wänden der Unterkirche in Assisi gewährt wurde, als die
fast lebensgroßen Dimensionen ein eingehenderes Naturstudium be-
dingten. In der That verdienen die Fresken des Meisters des
Franziskus in mancher Beziehung bedeutungsvolle Vorgänger des
gewaltigen Werkes genannt zu werden, in dem Giotto die Normen
der neuen Kunst endgültig feststellte. Das XIV. Jahrhundert steht
dann ganz unter dem Einflüsse desselben, erst im XV. macht sich
zuerst durch Benozzo Gozzoli, weiter durch Domenico Ghirlandajo
und Benedetto da Majano mit der freilich ziemlich unwesentlichen
Erweiterung der Legende auch ein Fortschritt in der Komposition
und naturgemäßen Durchbildung der Szenen geltend, bis mit der
Abnahme der Vorliebe für cyklische Darstellungen eine oberfläch-
liche, handwerksmäßige Uebung eintritt, die nur hier und da ohne
besonderen Geist und ohne Herz in den Klosterhöfen mit ermüdender
Ausführlichkeit die alten Geschichten wiederholt.
Es mag wohl wenige Franziskanerkirchen in Italien gegeben
haben, in denen nicht im Laufe des XIV. und XV. Jahrhunderts
die- Legende dargestellt worden wäre, aber so verschwindend auch
die Anzahl der uns erhaltenen Cyklen im Vergleiche zu den durch
Umbauten und Uebertünchung verloren gegangenen erscheinen mag,
genügen sie doch, uns von den Phasen der Gesammtentwicklung
der Kunst ein ziemlich deutliches Bild zu geben. Beklagenswerth
bleibt es immer, daß die von Vasari erwähnten Fresken Giotto 's
in S. Francesco zu Ravenna und in S. Francesco zu Rimini, die
Die Darstellungen der Legende. IOC
höchst wahrscheinlicher Weise das Leben des Heiligen zeigten^),
verschwunden, noch mehr, daß Paolo Uccello's Wandbilder in
S. Trinitä zu Florenz ^) und Squarzione's Bilder in der Vorhalle von
S. Francesco zu Padua'^) nur aus kurzen Erwähnungen bekannt sind,
von anderen weniger bedeutenden Werken ganz zu schweigen.*)
Die wichtigsten mir bekannten erhaltenen cyklischen Darstellungen
der Legende, außer denen natürlich zahlreiche Einzelschilderungen
mancher Episode berücksichtigt werden müssen, sind folgende:
I. Aus dem XIII. Jahrhundert :
1. Berlinghieri. Pescia, S. Francesco. Tafelbild von 1235.
2. Unbekannter Meister. Assisi , S. Francesco , Sakristei.
Tafelbild.
3. Derselbe. Rom, Christliches Museum des Vatikan. Tafelbild.
4. Meister des Franziskus. Assisi, Fresken im Längsschiff
der Unterkirche.
5. Glasfenster. Assisi, Oberkirche.
6. Meister von Siena. Siena, Akademie. N. 303. Tafelbild.
7. Margaritone? Florenz, S. Croce, Capella Bardi. Tafelbild.
8. Margaritone? Pistoja, S. Francesco. Tafelbild. Nicht von
mir gesehen.
n. Aus dem XIV. Jahrhundert:
9. Giotto. Assisi, Oberkirche. Fresken.
10. Giotto. Florenz, S. Croce. Fresken der Capella Bardi.
^) Vasari I, 388: „alcune storie in fresco intomo alla chiesa". Vasari I, 392:
„nella chiesa di S. Francesco fece moltissime pitture."
^) Vasari II, 206 : ,,e in Santa Trinitä, sopra alla porta sinistra dentro alla chiesa,
in fresco , storie di S. Francesco : cio^ il ricevere delle stimate , il riparare alla chiesa
reggendola con le spalle, e lo abbocarsi con San Domenico."
ä) Ridolfi: le maraviglie dell'arte, Venedig 1648, I, S. Iio. — Rossetti : Descri-
zione di Padova 1776, S. 166, zu dessen Zeiten sie überweißt wurden. Ein Rest davon,
Franz vor Innocenz, war noch zu Brandolese's (Guida 1795) und Moschini's (Giiida
18 17) Zeit zu sehen.
*) Margaritone. Vasari I, 365: in Pisa, S. Catherina: „in una tavoletta un S.
F. con molte storie in campo d'oro." — Taddeo Gaddi. Pisa, S. Francesco. Apsis.
Vas. I, 575. — Puccio Capanna. Bologna. Wo? Vasari I, S. 404: ,,una tavola con
la passione di Cristo e storie di S. F." — Liberale di Verona. Vasari V, 279: ein
Bild für die Capella di S. Bemardo in S. Fermo, Verona. — Taddeo Gaddi. Vas. I,
580: Alvemia in der Cap. der Stigmata Fresken (welchen Inhalts?). — Girolamo di
S. Croce. Venedig, S. Francesco della vigna. 14 Episoden. — Waren auch die ,, molte
cose", die Cavallini in S. Francesco appresso Ripa in Rom malte (Vas. I, S. 538),
Darstellungen aus dem Leben des Franz?
Io6 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
1 1 . Taddeo Gaddi. Florenz , Akademie. Tafelbilder vom
Schrank der Sakristei in S. Croce.
12. Florentiner Meister. Pistoja, S. Francesco. Haupttribuna.
Fresken.
13. Semitecolo. Venedig, Akademie. Tafelbild.
14. Piero e Paolo delle Massegne. Bologna, S. Francesco.
Reliefs am Hauptaltar.
15. Pisaner Meister. Ottana in Sardinien, Pfarrkirche. Tafel-
bild. 1)
III. Aus dem XV. Jahrhundert:
16. Florentinische Schule. Anfang des XV. Jahrhunderts.
Florenz, S. Croce. Chiostro grande.
17. Stefano di Giovanni, gen. il Sassetta. Bild des h. Franz
bei Mr. Berenson in Florenz. Legenden: sechs bei
M. Clarendon, Paris, je eine bei Comte de Martel in
Chateau Beaumont und in Chantilly. ^)
18. Benozzo Gozzoli. Montefalco, S. Francesco. Tribuna.
Fresken.
19. Benedetto da Majano. Florenz, S. Croce. Kanzelreliefs.
20. Domenico Ghirlandajo. Florenz, S. Trinitä. Capella Sassetti.
IV. Aus dem XVI. Jahrhundert:
21. Giolfino's Schule. Verona, S. Bernardino. Cap. S. Fran-
cesco.
22. Adone Doni. Assisi, S. Francesco. Chiostro grande
und andere weniger bemerkenswerthe Werke, wie die Holzschnitte
in des Rodulphus Historia Seraphicae religionis von 1586; einige
Freskenreste im Bischöflichen Palais zu Bergamo etc.
I. Die ältesten Darstellungen.
Obgleich schon in der ersten Biographie des Thomas von
Celano eine reiche Fülle von malerisch zu verwerthenden Begeben-
heiten mitgetheilt war, beschränkte sich die Kunst Anfangs nur auf
wenige Darstellungen : diese wenigen aber sollten die Wunderkraft
des Heiligen in helles Licht setzen, gewissermaßen sein Recht
^) Vergl. Mittheilung hierüber von Enrico Brunelli in L'Arte 1903. VI. S. 384 ff.
^) S. B. Berensons Artikel in „The Magazine 1903, III, S. 3 , wo gelegentlich
der Franzlegenden über den Ausdruck des religiösen Gefühles in der Kunst ge-
handelt wird.
Die Darstellungen der Legende. I07
darauf, verehrt und angebetet zu werden, den Gläubigen darlegen.
Also handelt es sich zunächst nicht sowohl um Vorfalle aus seinem
Leben, als um die Heilungen, die an seinem Sarge stattfanden.
Dieselben treten gleichberechtigt neben das große Wunder der
Stigmatisation und die Vögelpredigt. Historisch, aber nur in wenigen
Bildern , von der Lossagung vom Vater bis zum Tode erzählend,
geht erst der Meister des Franziskus, dann der Künstler des Bildes
in S. Croce vor, der seinerseits nun, inniger vertraut mit Bonaven-
tura's Legende, dieser zahlreiche Szenen entnimmt, und zwar zum
Theil auch solche, welche später nicht mehr dargestellt werden. So
wächst mit der Ausführlichkeit der Schilderung zugleich deren
iij^erer Zusammenhang, ohne daß jedoch die volle künstlerische
Abrundung des Epos erreicht wird. Das blieb Giotto überlassen.
Im Folgenden mögen zunächst kurz die vorgiottesken Darstellungen
besprochen werden, wobei aber ein Vergleich der auch von Giotto
gemalten Szenen auf die Betrachtung von dessen Cyklus, der als
der eigentliche Mittelpunkt der vergleichenden Betrachtung ge-
nommen werden muß, verschoben wird.
In der Wahl der vier Wunderheilungen stimmen die
Künstler der Bilder in S. Francesco zu Pescia, in der Sakristei der
Kirche zu Assisi und im Vatikan überein, nur daß das zuerst genannte
außerdem noch die Vögelpredigt und die Stigmatisation aufweist.
Auch auf dem in S. Croce erscheinen die Wunder. Das erste ist
die Heilung des verwachsenen Mädchens, dessen Miß-
gestaltung, ein verdrehter Hals und an die Schulter angewachsener
Kopf, bei der Berührung mit der Todtenlade des Franz verschwand.
Das arme Kind ist dargestellt, wie es vor dem Sarg, hinter welcher
Mönche stehen, sitzt, während die Mutter knieend die Hülfe vom
Himmel erfleht. An zahlreichen Zuschauern vorbei trägt diese es
dann daneben auf den Schultern fort. ^)
^) Vgl. Th. I Leg. lib. III, c. VIII S. 719. Eo namque die, quo sacrum et
sanctum corpus beatissimi patris Francisci reconditum fuit velut pretiosissimus thesaunis,
magis supercoelestibus aromatibus, quam terrenis speciebus inunclum, apportata est puella
quaedam iam per annum habens coUum monstruose plicatum et caput humero adnexum,
nee poterat nisi ex obliquo sursum respicere. Quae dum sub arca , in qua pretiosum
sancti reconditum iacebat corpus, caput aliquandiu immisisset, statim meritis sanctissimi
viri Collum erexit , et in condecenti statu caput extitit reparatum ita , quod puella ex
subita sui mutatione obstupefacta nimis coepit fugere ac plorare. Fovea quaedam
namque apparebat in humero , cui caput fuerat applicatum , propter situm quem fecerat
infirmitas diutuma.
I08 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Das zweite Wunder ist die Heilung des Bartholomeus
von Narni, eines armen Mannes, der durch sechs Jahre lang sich
mit einem durch gichtische Leiden vollständig abgestorbenen Beine
abquälte und im Traumgesicht von Franz den Befehl erhielt, in
ein Bad zu gehen. Von dem Bischof in seinem Glauben be-
stärkt, ward er von Franz selbst dahin geleitet und fand hier durch
die Handauflegung des unsichtbaren Heiligen Gesundung.^) Auf
allen Darstellungen sieht man Franz selbst knieend das Bein des
Kranken anfassen , auf der andern Seite diesen froh , die Krücke
über der Schulter tragend, von dannen eilen. Nur auf dem Bilde
in Rom ist das Bad als kuppeiförmiges Gebäude aufgefaßt, während
der Vorgang sonst in felsiger Gegend, durch welche ein Bach fließt,
vor sich geht.
Als drittes Wunder findet sich die Teufelaustreibung vor
dem Sarge des Franz. Im Beisein von erstaunten Mönchen ent-
fliehen dem Munde einer übertrieben bewegt sich renkenden Frau,
die von einem Manne gehalten wird, die kleinen dämonischen Un-
holde. Bei Berlinghieri sieht man daneben noch einen besessenen
jungen Mann, dem die gleiche Befreiung zu Theil wird. In diesem
darf man vielleicht Pietro von Foligno erkennen , der auf einer
Pilgerfahrt durch einen Trunk Teuflisches in sich aufgenommen
hatte und erst durch die Berührung des Grabes geheilt werden
konnte. Ob unter der Frau jene von Narni gemeint ist, oder eine
der ungenannten, von deren Heilung Thomas spricht, muß dahin-
gestellt bleiben.-)
Die vierte Darstellung zeigt die Heilung eines Krüppels,
der gelähmt auf allen Vieren vor dem Altar des HeiHgen kniet und
im Beisein von Mönchen und andern Leuten Erlösung findet. Ver-
muthlich ist es jener Niccolö von Foligno, der, nachdem er ver-
geblich sein Geld den Aerzten verschwendet, sich endlich zum
^) Th. I Leg. ebds. S. 702. Cumque venisset ad locum et balneum fuisset
ingressus, manum super pedem sensit imponi sibi, et aliam super tibiam, ipsam quietius
extendentem. Continuo proinde liberatus de balneo exivit laudans, et benedicens
omnipotentiam creatoris et b. F. servum eius. Vergl. kürzer Bon. Cap. XII, S. 755.
^) Th. I Leg. ebds. : Veniens quoque ad tumbam sanctissimi patris furentibus
daemonibus et crudelissime discerpentibus eum , claro et manifesto miraculo ad tactum
sepulchri eius mirifice liberatus est. — Zwei Teufelaustreibungen, die er selbst voll-
zieht, werden bei Thomas I Leg. II, Cap. VIII, S. 702, danach von Bon. Cap. XII,
S. 755 erzählt.
Die Darstellungen der Legende. 109
Grabe des Franz tragen ließ und hier nach einer in Gebet ver-
brachten Nacht die volle Gesundheit wiedererlangte. ^)
Auf dreien dieser Szenen, deren Komposition bei den ver-
schiedenen Meistern im Wesentlichen sehr ähnlich ist, erscheint
Franziskus nicht selbst, doch hatte schon Berlinghieri ihnen zwei
andere hinzugefugt, in denen seine Person, nicht sein wunderreiches,
unsichtbares Wirken die Hauptsache ist: die Vögelpredigt und
die Stigmatisation. Das eine Bildchen zeigt den Heiligen, wie
er, von zwei Männern gefolgt, bei einem Gebäude nach vorn ge-
wandt die Hand zu Vögeln, die an einem Berge auf Bäumen
sitzen, ausstreckt; auf dem anderen kniet er betend und schaut
von dem Berge zu dem Seraphim auf, der hier noch nicht wie
späterhin Strahlen entsendet.^) Einen weiteren Schritt thut dann
der Meister des Franziskus in den leider arg beschädigten, theil-
weise ganz zerstörten Fresken an der linken Längswand der Unter-
kirche zu Assisi, die in chronologischer Folge die Lossagung
vom Vater, die Vision des Innocenz III., die Vögel -
predigt, Stigmatisation und den Tod des Franz schil-
dern. Auf die Bedeutung des Künstlers ist schon oben aufmerksam
gemacht worden, hier kann nun bestimmter betont werden, wie
befreiend der neue Stoff auf ihn gewirkt hat. ^)
I. Rechte Hälfte zerstört. Ein Bischof schlägt seinen Mantel um
den nackten Körper des in geknickter Stellung nach vorn ge-
wandt stehenden, die Hände nach oben erhebenden jugend-
lichen Franz. Links Zuschauer. Rechts nur noch wenige Reste
einer Figur, in der wahrscheinlich der erzürnte Vater zu sehen
ist. Obgleich das Nackte noch mißlungen ist, macht sich auf
das Entschiedenste eine gewisse Feinfühligkeit und Lebens-
beobachtung in den Figuren geltend.
II. Rechts liegt der Papst, die Tiara auf dem Kopfe, die rechte
Hand erhebend, in weißem Gewände und rothem Mantel auf
einem Lager, dessen Decke mit Rosetten ornamentirt ist. Links
1) Th. I Leg. III, S. 719.
2) Abb. Plön: St. Frangois, S. 277.
^) Vergl. oben S. 86. Eine nähere Beschreibung erscheint geradezu geboten,
da man sich bisher kaum die Mühe gegeben , die für ihre Zeit treflFlichen und be-
deutungsvollen Fresken näher anzusehen. Nur Fratini wird ihnen von seinem Gesichts-
punkte aus gerecht.
HO Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Reste von Franz, der, nach halb links gewandt, offenbar die
nicht mehr sichtbare Kirche stützte.
III. Franz, von einem anderen Mönche, dessen Kopr im XIV. Jahr-
hundert übermalt worden ist, gefolgt, predigt nach links ge-
wandt, die Rechte zum Segnen halb vorgestreckt, in der Linken
ein Buch tragend, den Vögeln, welche sich von links kommend
unter einem Baume versammelt haben. Franz ist sehr gut
und natürlich bewegt. Wie viel weiter ist doch dieser Künstler
schon gekommen, als Berlinghieri und Margaritone, die steif
und in Reih und Glied in verschiedenen Reihen übereinander
die Vögel aufbauen.
IV. Links nur noch Spuren von Franz. Oben schwebt der jugend-
liche Seraphim in der Stellung des Gekreuzigten, hinter jedem
Arme einen Flügel, zwei andere gekreuzt vor dem Körper.
Rechts ein Bergesabhang mit Pflanzen.
V. Franz liegt, den Kopf nach halb rechts gewandt im Halbprofil,
die Augen geschlossen, die Arme längs des Körpers aus-
gestreckt, in einer durch den Strick gegürteten Kutte. Hinter
ihm rechts steht ein Mönch im Chorgewand , der wohl seine
Linke hält und das Rauchfaß schwingt. Hinter seinem Haupte
werden drei Mönche, die, wie es scheint, Kerzen halten, sichtbar,
vorn die Köpfe von drei Knieenden, deren einer weinend die
Hand an den Kopf legt. Ein vierter daneben berührt mit dem
Zeigefinger die Seitenwunde des Heiligen und wendet sich
zu dem Nachbar links, der erstaunt über den Anblick die
Hand erhebt, i)
Lebendigkeit in Blick und Geberde zeichnen diese Bilder vor-
theilhaft vor den sonstigen Werken der Zeit aus. Es ist fast nichts
mehr von dem Schematismus der älteren Kunst zu bemerken, son-
dern Alles spricht von Naturbeobachtung, so befangen auch die
Zeichnung im Einzelnen noch ist. Der Fortschritt gegenüber den
doch mehr oder weniger konventionellen sonstigen Gemälden, die,
stilistisch dieselben Merkmale tragend, dem Meister zugeschrieben
werden mußten, verräth deutlich die fördernde Kraft und Anregung
des Stoffes und rechtfertigt die bedeutsame Stellung, die bereits
oben dem Meister des Franziskus unter den Vorgängern Cimabue's
und Giotto's angewiesen wurde.
^) Abb. bei Fea: Descrizione di S. Francesco d'Assisi. Rom 1820. S. 23,
Die Darstellungen der Legende, III
So kann es auch nicht Wunder nehmen, daß der Künstler,
welcher die Zeichnungen zu den Glasmalereien des ersten Fensters
rechts im Längsschiff der Oberkirche machte, in der Vögelpredigt,
der Vision Innocenz' III. und der Stigmatisation fast getreu jene
Fresken wiederholte. An Stelle der Lossagung vom Vater freilich
setzte er, offenbar wiederum recht bedacht, das Wunderbare in
dem Leben des Heiligen zu schildern, die Szene, wie Dieser knieend
vom Kruzifix in S. Damiano den Auftrag erhält, die Kirche
wiederherzustellen, und vertauschte den Tod mit der Heilung des
Bartolommeo von Narni, für welchen er die Vorlage in dem Bilde
der Sakristei fand. Der Zeichnung nach ist er zweifellos ein Zeit-
genosse des Meisters des Franziskus.
Eine wesentliche Bereicherung erhält der Cyklus durch den
sienesischen Maler, der in der Lebendigkeit seiner Schilderung, in
der warmen Begeisterung für seinen Stoff, in der Originalität seiner
Erfindung ebenbürtig neben jenem Künstler genannt zu werden
verdient. Einige Darstellungen können geradezu mit denen Giotto's
verglichen werden, ohne daß dies zu seinen Ungunsten ausfiele.
Er beginnt die Erzählung mit der Lossagung des Jünglings, der
liebevoll von dem hier vor einem prächtigen Gebäude sitzenden
Bischof bekleidet wird, während links der Vater, umgeben von
anderen Männern, steht. Es folgt die Szene, wie Franz, sehnsüchtig
die Hände emporstreckend, in S. Damiano vor dem Crucifixus kniet,
der wirklich Fleisch und Blut gewonnen zu haben scheint und die
Rechte nach ihm hinstreckt. Auf der Vision des Innocenz, der
hier im Vordergrunde schläft, wird Franz links hinten sichtbar, wie
er mit der Rechten einen von dem Gebäude sich ablösenden,
fallenden Thurm aufhält. Anf dem nächsten Bilde schreitet er,
segnend die Hand bewegend und in gläubigem, sehr wahr dar-
gestellten Aufblick nach oben, auf die vor einem bewachsenen
Berge am Boden versammelten Vögel zu. Dann sieht man ihn
knieend auf einem von zwei Engeln gezogenen Wagen über einem
Gebäude, in dem schlafende Mönche liegen, in der Luft fahren.
Die Stigmata empfängt er, weit die Arme ausstreckend, durch fünf
Strahlen, die von dem oben über ihm schwebenden Seraphim senk-
recht herniedergehen. Neu ist neben jener Vision des feurigen
Wagens die Darstellung, wie er in Greccio das P r e s e p e feierte.
Vor einem Altare, hinter dem, erstaunt, aber etwas steif die Hände
erhebend, ein Priester zwischen zwei Diakonen steht, kniet er, das
112 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
in Windeln in der Krippe liegende Christuskind berührend. Endlich
gewahrt man den auf der Bahre liegenden Heiligen, hinter dem
zwei Bischöfe, umgeben von vielen Mönchen, die Exequien feiern.
Wer die Bedeutung der Franzlegende für die Kunst sich recht
deutlich machen will, braucht bloß diese reizvollen, lebendig und
gefühlsinnig erzählten Vorgänge mit den Darstellungen des Lebens
Christi von zeitgenössischen sienesischen Malern zu vergleichen !
So verwandt die tief religiöse Auffassung aller dieser Meister auch
ist, zeichnen sich doch die Bilder der neuen Legende durch
größere Unmittelbarkeit der Anschauung und freieres Walten der
Einbildungskraft aus.
Freilich hatte sie hier auch einen begabteren Interpreten ge-
funden, als Jener war, der mit zwanzig Szenen das Altarbild des
Franz in S. Croce ausschmückte, zum ersten Male also den reichen
Stoff möglichst zu erschöpfen versuchte. Als erstes Bild erscheint
hier die Almosenspende: der junge Franz giebt dem ihm be-
gegnenden Armen sein Gewand, während links ein Mann darauf
hinweist. Dann bei der Lossagung vom Vater sieht man ihn
nackend , von dem sitzenden Bischof mit einem Mantel verhüllt,
auf das Gewand weisen , das er zu Boden hat fallen lassen ; Pier
Bernardone, hinter dem sich Pica befindet, streckt steif die Hand
nach rechts aus. Die folgende Darstellung, die später niemals
wiederkehrt, aber in Bonaventura's Schilderung begründet ist, läßt
sich am besten als ,,Wahl der Kutte" bezeichnen. Neben dem
links sitzenden Bischof steht vorn der jugendliche Heilige, der mit
einem Stabe die in Form eines liegenden Kreuzes aufrecht auf dem
Boden stehende Kutte berührt. Auch die Szene, wie Franz knieend
vor einem Altar, hinter dem ein Priester im Begriffe ist ein Buch
zu öffnen, mit dem links stehenden Bernhard das Orakelwort
des Evangeliums hört, das die Grundlage seiner Regel werden
sollte , ist von der späteren Kunst , so weit wir sie kennen , nicht
verwendet worden. Ihr folgt die Bestätigung der Regel durch
Innocenz, der von Bischöfen umgeben vorne sitzt und das Buch in
Empfang nimmt, das der vor ihm knieende Franz ihm überreicht.
Letzterer ist nur von einem Mönche und einem Laien begleitet
erschienen. Dann schildert das nächste Bildchen : die Vögel-
predigt in sehr naiver, noch ganz an Berlinghieri erinnernder
Weise , wie er von zwei Mönchen gefolgt die rechts in fünf
Reihen über einander steif angeordneten Vögel segnet. Ein anderer,
Die Darstellungen der Legende. 1 1 3
wiederum nur hier dargestellter Vorfall ist das Wunder, wie Franz,
nachdem er sich in Ancona eingeschifft, einen großen Seesturm
erlebt und das Schiff durch seine Fürbitte errettet wird. Da sieht
man ihn vielen nackt vor ihm knieenden, flehend die Hände er-
hebenden Leuten predigen. Als Prediger auch, von Illuminatus
begleitet, erscheint er vor dem Sultan, der von vielem Volk um-
drängt auf dem Throne sitzt. Die Weihnachtsfeier in Greggio
ist figurenreicher, aber nicht so lebhaft und dramatisch den Kern
der Sache treffend wie in Siena wiedergegeben. Franz steht hier,
gesondert von dem vorn in felsigem Boden liegenden Christkinde,
rechts an einem Betpulte von Leuten umgeben, während in der
Mitte hinten ein Priester am Altare die Messe celebrirt. Neu taucht
in der Folge die Vision des Monaldus auf: neben einer Gruppe
von Mönchen steht links der bärtige Franziskaner, wohl Antonius
von Padua, dem in der Luft als Brustbild der Heilige erscheint.
Die Stigmatisation ist ähnlich wie bei sonstigen Bildern der
Zeit dargestellt, indem nämlich von dem rechts fliegenden Seraphim
drei Strahlen nach dem Haupte des in felsiger Gegend knieenden
Franz schießen , der die Arme ausbreitend erhebt. Dann weiter
sind wiederum die Exequien geschildert: ein Geistlicher zu
Häupten der Bahre liest in einem Buche, während hinten ein Mönch
das Rauchfaß schwingt, andere herumstehen und vorne vier Krüppel
sitzen. Zwei Engel tragen die Halbfigur des Verstorbenen nach
oben. Für die Wunder, die Heilung des Mädchens, des
Lahmen, die Austreibung der Teufel kann auf die oben
gegebene Schilderung verwiesen werden , da wie sachlich so auch
kompositioneil die Bildchen sich wenig von jenen älteren unter-
scheiden. Von größerem Interesse sind einige andere, da sie nur
auf dem Bilde von S. Croce erscheinen, zunächst eines, welches
ganz allgemein die früheste Thätigkeit des Franz schildert, wie er
nämlich als Krankenpfleger sitzend einen Aussätzigen auf dem
Schooße hält, daneben rechts noch einmal einem zweiten die Füße
wäscht. Ein anderes, auf dem er hinter einem Altar stehend zu
einer Schaar von nackten Bettlern, die Stäbe in der Hand tragen,
sich wendet, ist als Aussendung der Jünger zu deuten. Dann
fehlt ferner jene rührende Szene nicht, wie er, von einem seiner
Schüler begleitet, dem Hirten begegnet, der zwei Lämmer
an einem Stabe über der Schulter trägt, die ihr Leben dem Mit-
leide des Heiligen verdanken sollten. Ein weiteres Bild giebt ihn
Thode, Franz von Assisi. 8
114 ^'^ Darstellungen des Franz und seiner Legende.
nackt an eine Schandsäule gefesselt sitzend, einen Strick
um den Hals, von neugierigen Männern und Frauen betrachtet, die
er auffordert, ihn, den fleischlichen Sünder, der, von schwerer
Krankheit geprüft, dem strengen Fasten untreu geworden, zu ver-
achten. Welche Vorgänge endlich in den zwei übrigen Bildern
dargestellt sind, vermag ich nicht zu bestimmen. Das eine zeigt
eine Volksmenge, mit einem Diakon an der Spitze, die von einem
Bischöfe, neben dem noch drei andere Würdenträger sich befinden,
gesegnet wird — das zweite die Begegnung eines Hirten mit einem
Mönche (nicht Franz).
So mühsam eine eingehende Betrachtung dieses in dunkler
Kapelle befindlichen und im Laufe der Jahrhunderte fast ganz
schwarz gewordenen Altarwerkes ist, so wenig lohnend ist sie für
Den, der, von den Fresken in Assisi oder den Bildern in Siena
kommend, hier ähnlich werthvolle Dokumente der jungen auf-
strebenden Kunst zu finden hofft. Das sachliche Interesse , das es
bietet, muß entschädigen für den Mangel an lebens- und empfindungs-
voller Schilderung. Steif und konventionell im Geschmacke der
aussterbenden älteren Kunstrichtung sind die Figürchen neben
einander gestellt, so gut wie es eben ein Maler vermochte, dem
das Dramatische des Stoffes nicht zum Bewußtsein kam und dem
aus Bonaventura's phantasievollen Erzählungen nur der kahle Kern
des Thatsächlichen in der Erinnerung haften blieb.
2. Giotto und die Kunst des XIV. und XV. Jahrhunderts.
Die bisher besprochenen cyklischen Darstellungen der Legende
sind der Mehrzahl nach unabhängig von einander entstanden. Jeder
Künstler faßte den in den Lebensbeschreibungen gebotenen Text
individuell auf, erst Giotto mit seiner künstlerischen Bedeutung und
weitverbreiteten Wirksamkeit war es vorbehalten, für lange Zeit hinaus
die Kompositionsweise zu bestimmen, bis die großen Florentiner
des Quattrocento die neuen Prinzipien und Anschauungen auch auf
diesem Gebiete in Anwendung bringen. Eine fast getreue Wieder-
holung einer Anzahl der achtundzwanzig großen Fresken, mit denen
der Altmeister in der Oberkirche von Assisi am Ende des XIII. Jahr-
hunderts die unteren Wandflächen des Längsschiffes schmückte,
tritt uns allerdings bloß in S. Francesco zu Pistoja entgegen. Hier
findet sich in dem Chore, zum größten Theile zerstört oder noch
Die Darstellungen der Legende. 1 1 5
von der Tünche bedeckt und daher von der Forschung bisher nicht
berücksichtigt, die Legende dargestellt. So viel sich erkennen läßt,
sind bei der Ausführung zwei Meister beschäftigt gewesen, deren
einer, derber und roher in Zeichnung und Behandlung, schwerlich
zu bestimmen sein dürfte, während der andere ein von Giotto's
frühem Stil beeinflußter Florentiner ist.^) Nach Vasari hätte Puccio
Capanna jene Kapelle ausgemalt, doch weiß er auch von einem Bilde
zu erzählen, das Lippo Memmi für den Hauptaltar geschaffen.-) Wie
es scheint, erhielt der Florentiner 1343 den Auftrag von einem Bernar-
dino dei Ciantori, der einer Inschrift zufolge die Tribuna in diesem
Jahre mit Fenstern, Gemälden etc. schmücken ließ, mußte aber wohl
die Arbeit unvollendet lassen, die dann von einem andern schwächern
Meister — ob Puccio Capanna, ist bei dem vollständigen Mangel an
Kenntniß dieses Meisters nicht zu sagen — vollendet wurde. Oder
arbeitete er, was dem Stil nach wahrscheinlich, schon früher und
bezieht sich jener Auftrag nur auf die von dem zweiten Künstler
gegebene Vollendung.?'
Daß für die Giottisten im Uebrigen weniger die Kompositionen
Giotto's in Assisi, als dessen spätere in S. Croce und an anderen
Orten ausgeführte zum Vorbild geworden sind, darf nicht Wunder
nehmen, da in letzteren sich doch die freiere Gestaltungsweise des
mit den Jahren vorgeschritteneren Meisters geltend macht, welcher
der Schüler sich anschloß. Unzweifelhaft aber ist es, daß Giotto
selbst als Jüngling jene Fresken in Assisi geschaffen. So verdienst-
voll die Forschungen sind, die Crowe und Cavalcaselle angestellt,
so unbegreiflich bleibt es doch , daß sie die Franzlegende einem
Meister von der Art des Gaddo Gaddi zuschreiben konnten, so
unbegreiflich auch, daß ein Kunstkenner wie Rumohr nur an Spinello
Aretino zu denken vermochte. Mit vollem Rechte hat Dobbert
Giotto wieder zu seinem Rechte verholfen.'^) Hätte ein Anderer
als Dieser die Bilder gemalt — in neuerer Zeit ist irrthümlich die
Vermuthung ausgesprochen worden, es sei ein Sienese gewesen —
*) Von letzterem sicher: Franz in S. Damiano und die eine weibliche Heilige
an der Rückwand. In der i. Auflage dieses Buches stellte ich die Ansicht auf, der
Künstler sei Lippo Memmi. Doch bin ich von ihr zurückgekommen.
2) Vita di Giotto I, S. 403 und I, S. 556.
^) Rumohr: Ital. Forschungen, Berlin 1827, II> S. 66. — Crowe und Cavalca-
selle. It. A. I, S. 344 ff- D. A. I, S. 181 ff. — Dobbert in Dohme's Kunst und
Künstler III, Giotto S. 6.
8*
1 16 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
SO wäre eben dieser Andere der Begründer der neueren Kunst und
von Giotto's größtem Ruhme bliebe wenig übrig mehr. Es ist
derselbe Geist, der mächtig und überzeugend aus ihnen spricht,
wie aus den Fresken der Kapelle dell'Arena in Padua, das heißt
der Geist der neuen Zeit ! Wer sich an alterthümlichen Formen und
Behandlung stößt, die sich so leicht und logisch von selbst er-
klären, denkt man daran, daß es ein noch an Cimabue und dessen
Richtung anknüpfender Künstler war, dem hier zum ersten Male
vergönnt wurde , die eigenen Gedanken auszusprechen , muß blind
sein für die Größe der Kunst, die aus jeder Komposition, aus
jeder Figur, aus jeder Geberde spricht. Wie bestimmt nicht
allein der Geist, sondern ebenso die Zeichnung jeden Details auf
Giotto hinweist, wird weiter unten bei der Beschreibung von
S. Francesco zur Sprache kommen.^) Hier gilt es nur zu zeigen,
welchen Einfluß der Stoff auf Giotto gewonnen. Selten ist es uns
wie vor diesen Gemälden gewährt, den Geheimnissen künstlerischer
Gestaltungskraft nachzugehen, zu beobachten, wie der Meister un-
beirrt von früheren Darstellungen der dichterischen Anweisung
allein folgt und diese, zu gleicher Zeit durch sie beschränkt und
befreit, zu einer künstlerischen That umgestaltet. Bonaventura's
vita war es, welche die Mönche dem jungen Künstler in die Hand
gaben, daß er nach ihr des Heiligen Leben schildere, Bonaventura's
Text müssen auch wir mit den Darstellungen vergleichen, wollen
wir diese selbst ebenso wie Giotto's Verdienst würdigen lernen.
Bei Besprechung der einzelnen Szenen mögen dann kurz auch die
zeitlich späteren Kunstwerke ihre Erwähnung finden.
I. Wie dem Jüngling gehuldigt ward. (Abb. 12.)
,,Ein sehr einfältiger Mann in Assisi, der aber, wie man glaubt,
von Gott selbst belehrt worden war, legte, als er einst dem durch
die Stadt wandelnden Franz begegnete, den Mantel ab und breitete
das Gewand vor dessen Füßen aus : versichernd , daß Franz noch
jeder Verehrung würdig sein werde, als Einer, dem es bestimmt sei,
in nächster Zeit Großes zu wirken und deßwegen von der Ge-
sammtheit der Gläubigen glorreich geehrt zu werden."^) Giotto
bringt den Vorgang selbst zu leicht verständlichem Ausdruck, indem
^) Vergl. Näheres auch in meiner Monographie über Giotto , in den Künstler-
monographien, Velhagen & Klasing, 1899.
^) Cap. 1 , S. 744. Die Uebersetzung hält sich durchweg möglichst an den
Wortlaut.
Die Darstellungen der Legende. 117
er das Außerordentliche der Begebenheit in ihrer Wirkung auf je
zwei erstaunt mit einander sprechende Bürger, die symmetrisch
links und rechts angeordnet sind, verbildlicht.') Die Verehrung
des Huldigenden, der knieend sein Gewand auf die Erde breitet,
liegt deutlich ausgesprochen in dem Aufblicke seiner Augen zu
dem jugendlichen Franz, der eben den Fuß auf den Mantel setzt
und sich mit einer allerdings zu allgemein gehaltenen Handbewegung
zu ihm wendet. Um die Oertlichkeit näher zu bestimmen, ver-
suchte Giotto den Marktplatz von Assisi wiederzugeben, so gut
der für Perspektive und Größenverhältnisse noch wenig geübte Blick
es erlaubte. Der Tempel der Minerva mußte sich freilich eine
etwas phantasievolle Behandlung und eine Bereicherung mit den
gothischen Zuthaten eines von reliefirten Engeln flankirten Rund-
fensters im Giebel und eines mosaizirten Architravs gefallen lassen.
Der links daran stoßende Palazzo publico zeigt sehr schöne, wohl
gleichfalls Giotto's eigene architektonische Ideen verrathende ge-
theilte Fenster, von denen in Wirklichkeit jetzt jedenfalls nichts
mehr sichtbar ist. Das Wesentliche aber bleibt doch der Versuch,
eine bestimmte Oertlichkeit naturgetreu darzustellen. Daß die
Handbewegungen bei allem Streben nach Lebenswahrheit noch
konventionell bleiben, darf nicht verwundern. — Eine andere Auf-
fassung verräth das Fresko in Pistoja, das, sehr zerstört, nur noch
erkennen läßt, wie Franz aus einem Hause auf einen die Arme
vor ihm kreuzenden Mann zuschreitet. Später giebt Benozzo in
Montefalco die Szene in so fern verändert wieder, als er Franz
von hinten auf den von einem Manne vorn ausgebreiteten Mantel
zukommen läßt.
2. Die Bekleidung des Armen. (Abb. i.) Dieselbe
wird von Bonaventura nach Thomas und den tres socii fol-
gendermaßen geschildert^): ,,Als Franz die Körperkräfte wieder-
erlangt und sich nach seiner Gewohnheit schmuckvolle Gewänder
bereitet hatte, begegnete er einem gewissen vornehmen Manne,
der edel von Geist, aber arm und schlecht gekleidet war. Dessen
Armuth in frommer Regung bemitleidend, zog er selbst sein Gewand
^) Abb. von diesen und anderen Fresken bei Plön, S. Frangois d'Assise. Photo-
graphien von diesem , wie allen sonstigen Fresken der Oberkirche von Paolo Lunghi
und Carloforti in Assisi , Alinari in Florenz. Abb. sämtlicher Fresken auch in meiner
Monographie über Giotto.
^) Th. II Leg. I, 2, S. nf. — T. s. Cap. I, S. 725. — B. I, S. 744.
Ilg Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
aus und bekleidete Jenen, um so zu gleicher Zeit die doppelte
Liebespflicht zu erfüllen, das Schamgefühl des vornehmen Mannes
zu schonen und dem Mangel des Armen abzuhelfen." Sinnig ver-
legt Giotto den Vorfall in die Umgegend der Stadt, die man
links auf einem mit Bäumen bewachsenen Berge sieht. Den Raum
besser auszufüllen, dachte er sich Franz von dem links stehenden
Pferde abgestiegen, wie er mit freundlichem Blicke dem älteren
Manne, der ihn anschaut, den Mantel giebt, in dessen Aermel noch
seine rechte Hand steckt. Verständlich wird die Handlung durch
die im Blicke wiederzugeben versuchte ,, fromme Regung". Die
Bedeutung fällt damit auf das geistige Motiv und darin zeigt das
Bild den großen Fortschritt gegen jenes oben erwähnte in S. Croce.
Vollständig der Natur abgelauscht zugleich aber ist die Stellung
des Pferdes , das die Ruhepause benutzt , sich Gras am Boden zu
suchen. Bei Benozzo machte sich die Erinnerung an die ähnliche
Handlung des heiligen Martin und deren übliche Darstellung geltend :
der Jüngling reicht zu Pferde sitzend dem Armen den Mantel. Als
zweiten Martin hatte den mitleidsvollen Franz schon früher Thomas
von Celano in begeisterten Worten gepriesen.
3. Die Vision des Palastes. (Abb. 13.) ,,In der fol-
genden Nacht aber," heißt es weiter, ,,als er sich dem Schlummer
ergeben, zeigte ihm die göttliche Güte einen prächtigen und großen
Palast mit kriegerischen Waffen, die mit dem Zeichen des Kreuzes
Christi bezeichnet waren , um ihm weissagend zu zeigen , daß die
Barmherzigkeit, die er aus Liebe zum höchsten Könige dem armen
Edlen erwiesen, mit unvergleichlichem Lohne vergolten werden solle.
Also ward ihm auch , als er fragte : wessen alle jene Waffen sein
würden , in höherer Versicherung die Antwort : ihm und seinen
Soldaten würden sie gehören." In der ersten Legende des Thomas
von Celano war das Traumgesicht als solches noch schlicht ge-
schildert: das eigene Haus, in dem er sonst nur Ballen von Tuch
zu sehen gewöhnt war, schien Franz mit Waffen gefüllt zu sein.
Erst bei den tres socii wird es dann zum reichen Palaste, und der
Herr selbst erscheint ihm. Nach des Thomas II. Legende gewahrt
er zugleich seine Braut von wunderbarer Schönheit. 1) — An der
1) Th. I Leg. I, S. 685. — Suysken's II Leg. § 5 , S, 564. — Anon. Perus,
ebd. — Tres socii, Cap. I, S. 725. — Th. II Leg. I, 2, S. 12. — Bon. Cap. I,
S. 744. — Carmen, S. 24.
Die Darstellungen der Legende. Hg
Unmöglichkeit, ein Traumgesicht bildlich zu schildern, mußte der
Künstler scheitern, so geschickt er es auch versuchte, durch die auf
den großen Palast rechts hinweisende Bewegung des Heilandes,
der hinter dem Lager des links schlafenden Franz steht, das
Außerordentliche , Visionäre verständlich zu machen. Die ruhe-
volle Lage des Letzteren, der das Haupt auf die rechte Hand gelegt
hat, zeugt von überraschender Beobachtung, während andrerseits
für den Entwurf des wahrhaft prächtigen Gebäudes, das natürlich
höchst wirklich dasteht, seiner künstlerischen Phantasie freier Spiel-
raum gelassen war. Damit verglichen erscheint die Darstellung im
Klostergang von S. Croce, auf welcher Christus in halber Figur und
in der Mandorla ihm erscheint, ziemlich ärmlich, wenn auch die
Vertauschung der bei Giotto zu wenig sichtbaren Panzer mit Kreuzes-
fahnen glücklich zu nennen ist. Benozzo mochte sich wohl des
Bildes Giotto 's erinnern , gab aber dem Prachtbau die bestimmte
Gestalt des Palazzo vecchio in Florenz.
4. Franz in S. Damiano. (Abb. 44.) Deutlich läßt sich
auch hier die legendarische Ausschmückung einer einfachen That-
sache verfolgen. Hatte Thomas in seiner ersten Legende nur
zu erzählen gewußt , wie Franz , beim Anblick des zerfallenen
Kirchleins von Mitleid und Frömmigkeit bewegt, beschlossen, es
wiederherzustellen , so verwandelt sich der innere Wunsch in der
II. Legende und bei den tres socii in die wunderbare Aufforderung
durch das Kruzifix. Und so erzählt auch Bonaventura den Vorfall : ^)
,,Als er eines Tages, um nachzusinnen, außerhalb der Stadt an der
Kirche des h. Damianus vorbeiwandelte, die in Folge allzu großen
Alters den Einbruch drohte, und von dem Geiste getrieben in
dieselbe, um zu beten, eingetreten war, warf er sich vor dem Bilde
des Gekreuzigten nieder und ward während des Betens von nicht
geringem Geistestroste erfüllt. Und als er thränenden Auges zum
Kreuze des Herrn aufblickte, hörte er mit den körperlichen Ohren
eine Stimme , die von jenem Kreuze zu ihm ausging und dreimal
sprach : ' Franziskus , gehe und stelle mein Haus wieder her, das,
wie du siehst, ganz der Zerstörung anheimfällt.' Erzitternd staunte
Franz , da er doch allein in der Kirche war, eine so wunderbare
Stimme zu hören und fühlte sich im Geiste entrückt, die Wirkung
der göttlichen Rede im Herzen empfindend."
>) Th. n Leg. I, 6. — B. II, S. 745.
1 20 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Gab es auch schon vor Giotto auf dem Glasfenster der Ober-
kirche und auf dem Bilde in Siena Darstellungen des Wunders, so
hielt er sich dennoch von Nachahmung frei und verstand es, was
jenen älteren Meistern noch nicht gelungen, den Vorgang möglichst
verständlich zu machen, indem er die verfallene Kirche selbst
perspektivisch gestaltete und Franz in derselben knieend mit erstaunt
erhobenen Händen nach rechts zu dem in der Apsis vorn etwas
vorgeneigt stehenden Kruzifix aufschauen läßt. Wie in Siena
scheint auch hier Christus selbst Leben gewonnen zu haben, aber
nur in dem etwas vorgestreckten Kopfe. Die Form des Kreuzes,
die aufrechte Haltung des Heilandes beweist, daß sich Giotto als
ganz direktes Vorbild jenes alte Kruzifix von S. Damiano nahm,
das noch jetzt in S. Chiara in Assisi zu sehen ist.^) Daß er der
wirklichen Kirche S. Damiano nur die kleinen Verhältnisse für seine
Darstellung entlehnte und sich einen Einblick verschaffte, indem
er die Obermauern auf Säulen ruhen ließ , war durch die Kom-
position bedingt. Eine fast getreue Wiederholung derselben bringt
der Nachahmer in Pistoja. In den späteren Cyklen findet sich die
Szene nicht.
5. Die Lossagung vom Vater. (Abb. 2.) Die Ge-
schichte kehrt in allen Legenden ziemlich gleichlautend wieder,
nur daß Thomas sie kürzer behandelt, und Bonaventura sich daher
an die Schilderung der tres socii anschließt.^) ,,Dann versuchte
der Vater des Fleisches den Sohn der Gnade, des Geldes schon
baar, vor den Bischof der Stadt zu führen, damit er in Dessen
Hände verzichtend das väterliche Gut lege und Alles wiedererstatte,
was er habe. Bereit, es zu thun, zeigt Jener sich da als wahrer
Liebhaber der Armuth. V"or den Bischof gekommen, duldet er
kein Säumen, nicht zaudert er in Bedenken, erwartet und macht
nicht erst Worte, sondern legt sogleich alle Gewänder ab und er-
stattet sie dem Vater zurück. Da fand man aber, daß der Mann
^) In dem abgeschlossenen Räume neben dem vorderen Querschiff. Eine gute
Arbeit aus dem XII. Jahrhundert , wie es deren ja mehrere sonst in Pisa und Lucca
giebt : Werke , die mehr als andere das Volksthümliche der italienischen Kunst auch
in jenen Zeiten erkennen lassen. Die zu zweien und zu dreien gruppirten Frauen
neben dem Körper Christi hat Giotto, der Deutlichkeit wegen, in Maria und Johannes
verwandelt. — Abb. bei Plön: S. Frangois S. 23.
2) Th. I Leg. II, S. 687, — Suysken's II Leg. § 6 , S. 569. — Anon. Per.
ebd. — Th. II Leg. I, 7, S. 23. — T. s. II. — Bon. Cap. II, S. 746. — Carmen S. 72.
Die Darstellungen der Legende. 121
Gottes auf dem Fleische unter den feinen Kleidern ein Stück Fell
trug. Dann, trunken von wunderbarer Gluth des Geistes, wirft er
auch das Hüftentuch fort, entblößt sich gänzlich öffentlich vor Allen
und sagt zum Vater : ' Bis jetzt habe ich dich meinen Vater auf
Erden genannt, von nun aber kann ich befriedigt sagen: Vater
unser, der Du bist im Himmel, auf den ich meinen ganzen Schatz
und die Zuversicht meiner Hoffnung gesetzt habe.' Wie dies der
Bischof sah und die alles Maß übersteigende Liebesgluth in dem
Manne Gottes gewahrte, stand er sogleich auf, nahm ihn unter
Weinen in seine Arme, wie er denn ein frommer und guter Mann
war, und bedeckte ihn mit dem Mantel, mit dem er selbst bekleidet
war, den Seinen befehlend, daß sie ihm Etwas gäben, die Glieder
seines Körpers zu bedecken. Gebracht aber ward ihm der ärmliche
und geringe Mantel eines Bauern im Dienste des Bischofs; den
nahm er an mit Dank und umgrenzte ihn in Form eines Kreuzes
mit eigener Hand mit einem Stein, der zufällig zur Stelle war, so aus
demselben eine Bedeckung für den gekreuzigten und armen, halb-
nackten Menschen machend. So ward der Knecht des allerhöchsten
Königs nackt zurückgelassen, daß er dem nackten, gekreuzigten
Herrn folgen könnte , den er liebte : so auch mit dem Kreuze be-
wehrt, daß er seine Seele dem Holze des Heiles anvertraute, Dank
dessen er unversehrt dem Schiffbruch der Welt entgehen sollte."
In höchst wirkungsvoller Weise hat Giotto, dem ja schon einige
andere Meister versuchend vorangegangen waren, die volle Be-
deutung dieser Szene schlagend in wenigen Figuren veranschaulicht.
Man muß über sein dramatisches Vermögen , über die Sicherheit
erstaunen , mit der er den ganzen Verlauf der Handlung in deren
höchstem Momente eindrucksvoll zusammenfaßt — es ist der Augen-
blick gewählt, in dem der nackte Jüngling, um dessen Blöße der
Bischof den Mantel schlägt, inbrünstig betend mit erhobenen Händen
nach oben schaut, ohne noch Blick oder Ohr zu haben für den in
äußerst glücklichen Kontrast gesetzten Vater, der, empört die hab-
gierig geretteten Gewänder unter dem linken Arme, nur von einem
anderen Bürger verhindert wird, den Sohn seine Wuth körperlich
fühlen zu lassen. Diese Figur, sowie die zwei Knaben links, die
in dem Schooße noch die Steine tragen, mit denen sie Franz auf
dem Wege hierher verfolgt ^), vergegenwärtigen dem Beschauer die
^) Von Bonav. kurz vorher erwähnt.
122 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Vorfälle , welche Franz bewogen , sich vom irdischen Vater zu
trennen, wie andrerseits in dem zum Begleiter nach rechts ge-
wandten Blicke des Bischofes Dessen vorausdenkende Fürsorge für
den Schutzbefohlenen angedeutet ist. Zuschauende Bürger links
hinter Bernardone vervollständigen die Szene, die durch das
segnende Eingreifen der Hand Gottes in der Höhe ihre höchste
Weihe erhält. Wenn auch an den Stellungen, der Zeichnung des
Nackten noch viel auszusetzen, so verdient die Komposition in
ihrer klaren, scharfen Zweitheilung, die Wiedergabe der ganz ent-
gegengesetzten Gemüthsbewegungen in Vater und Sohn die größte
Bewunderung, — das war aber auch ein Stoff, der zum Höchsten
herausforderte !
Als Giotto denselben zum zweiten Male in der Capella Bardi
zu behandeln hatte , behielt er das Schema im Allgemeinen bei,
nur aus Raumrücksichten die Komposition mehr in die Breite
ziehend.^) Der Oertlichkeit verlieh er durch den im Hintergrund
angebrachten bischöflichen Palast größere Natur Wahrheit. Was
aber das Wesentliche ist, er spitzte den Gegensatz hier noch stärker
zu : der Vater ist heftiger, leidenschaftlicher bewegt, so daß er von
zwei Männern gehalten werden muß ; die hier auf beide Seiten ver-
legten Kinder werden, im Begriff zu werfen, von einer Frau und
einem Manne gezüchtigt und an den Haaren zurückgehalten, womit
der Umschlag der öffentlichen Stimmung zu Gunsten des Franz ge-
kennzeichnet wird. — Danach richtete sich dann auch Taddeo
Gaddi in seinem kleinen, daher an Figuren nicht so reichen Bilde
in der Akademie von Florenz, und der Maler der Fresken im
Klosterhofe von S. Croce. Auch des Semitecolo im Ganzen viel
ruhiger gehaltene Darstellung in Venedig unterscheidet sich nur
in Unwesentlichem : des Franz Gewand liegt auf der Erde , vom
Himmel kommt ein Glorienschein herab. Benozzo Gozzoli, im All-
gemeinen an Giotto's Vorbild sich haltend, stellt Franz en face
dar. So folgt auch der Veroneser Meister in S. Bernardino dem
älteren Schema. Ganz neu konzipirt erscheint nur Domenico Ghir-
landajo's Wandbild in S. Trinitä, auf dem der schroffe Kontrast
der streitenden Partheien vermieden, zugleich aber das wirksame
und zum unmittelbaren Verständniß doch so nothwendige Motiv
des Gebetes aufgegeben ist. Der nackte Knabe kniet nach rechts
1) Abb. Plön, S. 25. Phot. Minari.
Die Darstellungen der Legende. I23
gewandt vor dem würdigen, alten, liebevoll sich zu ihm neigenden
Bischof, der den Mantel um ihn schlägt. Rechts davon eine
Schaar von meist theilnahmlosen Zuschauern. Links der Vater,
den Schlagriemen in der Hand, halb verächtlich, halb gekränkt auf
den Sohn zuschreitend , von einem Manne mit eindringlicher Ge-
berde beschwichtigt. Links noch andere Zuschauer. Mögen auch
die herrlichen Köpfe einigermaßen dafür entschädigen, die Leiden-
schaft und Begeisterung der alten Darstellungen ist hier nicht mehr
zu finden. Franz selbst ist ein Knabe , wie tausend andere , aber
nicht der von Gott erleuchtete, vom Feuer der Liebe entflammte
Herold des Höchsten.^)
6. Die Vision Innocenz III. (Abb. 14.) Als Innocenz un-
schlüssig war, ob er Franz die Predigt erlauben solle, ward ihm
ein Traum zu Theil. ,,Er sah nämlich im Traume (wie er be-
richtet hat), wie die Lateranensische Basilika ganz nahe schon dem
Einbruch sei; ein ärmlicher, mittelgroßer und verächtlich aussehender
Mann aber hielt sie, mit dem eigenen Rücken sie stützend, aufrecht,
daß sie nicht falle. Wahrlich, sprach er, das ist Jener, der durch
Werk und Lehre die Kirche Christi aufrecht erhalten wird."
Die Legende, von der auch Matthäus Paris nichts weiß, taucht
erst und zwar fast genau gleichlautend in Thomas' II. Leg. und
bei den tres socii auf, welch' ersterem Bonaventura seinerseits
wörtlich folgte.-) Wie wir gesehen, war sie schon vor Giotto
wiederholt dargestellt worden, doch schuf sie Dieser selbständig
neu. Rechts liegt in seinem auf Säulen ruhenden Prunkgemach
in tiefem Schlafe Innocenz, vor dessen Lager zwei Diener sitzen,
deren einer von feinem künstlerischen Gefühl dazu bestimmt ist,
das Augenmerk des Beobachters besonders auf den Papst und damit
auf dessen bedeutungsvollen Zustand zu lenken. Er schaut nämlich
aufmerksam Innocenz an , als vernähme er die im Schlafe ge-
sprochenen Worte, ohne doch das Traumbild links zu gewahren.
Hier steht Franz, die Linke in die Seite gestützt, die Säulenvorhalle
der nach rechts fallenden Kirche mit der rechten Hand und der
rechten Schulter stützend. Die Kirche aber, leider im oberen
Theile nicht mehr erkennbar, ist zweifellos eine Reminiszenz, ja
1) Phot. Alinari.
2) Th. II Leg. I, II. — T. s. IV, S. 737. — B. III, 750. Danach auch bei
Malaspina in seiner florentiner Chronik,
124 ^^^ Darstellungen des Franz und seiner Legende.
bewußte Wiedergabe der alten Lateransbasilika, da sie den echt
römischen Basilikenstil und den hohen, mit getheilten Fenstern ver-
sehenen Thurm zeigt. Offenbar sah Giotto selbst ein , daß trotz
der Diener und der dem Franz zugewandten Stellung des Papstes
die Darstellung als Traumbild nicht recht verständlich wurde, denn
auf der Predella seiner Stigmatisation im Louvre (N. 192) fügte
er, wie auf der Vision des Palastes Christus, so hier als vermittelnde
Figur Petrus hinzu , der an das Lager herantretend seinen Nach-
folger auf die Erscheinung aufmerksam macht. ^) Diese Veränderung
behielt Taddeo Gaddi auf seinem Bildchen der Akademie in Florenz
bei, auf dem der Papst nach links liegt, Franz nur den oberen
und abbrechenden Giebeltheil der Kirche aufhält^), ebenso auch
Benedetto da Majano in seinem hübschen Thonrelief in der Berliner
Skulpturensammlung, auf dem im Hintergrunde die zeitlich voran-
gehende Szene dargestellt ist, wie anfangs Innocenz den Bettel-
mönch von sich weist. Giotto's Nachahmer in Pistoja dachte sich,
sonst getreu die alte Komposition wiederholend, an des Petrus Stelle
Christus selbst, während Benozzo, die Brüder Massegne in Bologna,
Signorelli in der Predella seines großen Altarbildes in Perugia
(Sala di Fiorenzo di Lorenzo 27) frei dem älteren Schema der
Komposition folgen. — Die Vision des Palmbaumes fand
ich nur im Chiostro von S. Croce dargestellt.
7. Die Bewilligung der Predigt. (Abb. 3.) ,, Darauf",
fährt Bonaventura fort, „bewilligte er das Geforderte und ver-
sprach noch mehr zuzugestehen ; er billigte die Regel , gab ihnen
den Auftrag, Buße zu predigen und ließ allen den Laienbrüdern,
die den Knecht Gottes begleitet hatten, kleine Tonsuren machen,
damit sie frei das Wort Gottes predigten." Da verprachen dann
nach den tres socii Franz und die Brüder knieend dem Papste
Gehorsam und Verehrung.^)
Franz, hier zuerst bärtig dargestellt, kniet, vom Papste die Regel
in Empfang nehmend, an der Spitze der elf betend knieenden
Brüder, deren Anzahl Bonaventura's Bericht entspricht.*) Innocenz,
1) Abb. Plön. PI. XXI, S. 234.
^) Abb. Plön. Phot. Alin. So auch auf dem giottesken Freskenrest in der Kapelle
des Camposanto in Pisa und im Hofe von S. Croce zu Florenz.
3) Th. I Leg. V S. 692. — Anon. Per. s. II, S. 591, — Th. II Leg. I, 11,
S. 32. — Tres socii IV S. 736 f. — Bon. III, S. 750. — Carmen S. 142.
*) Später richtet sich die Zahl meist nach der Größe der Bildfläche.
Die Darstellungen der Legende. 12 5
der rechts auf dem Throne sitzt, segnet, offenbar sprechend, die
Mönche. Neben ihm sitzen zwei Bischöfe, hinter ihm stehen zwei
andere, die gespannt zuschauen, und jene beiden bärtigen Männer,
die auf dem vorangehenden Bilde an seinem Lager Wache hielten.
Die vortrefflich einfache Komposition zeigt wieder die klare Glie-
derung in zwei Theile. Ihre Bedeutung aber liegt besonders in
dem energischen Bestreben, in Blick und Haltung die größte Auf-
merksamkeit aller Betheiligten auszudrücken. Unverwandt haften
die Augen der Bischöfe an Franz , die der Mönche am Papst , es
ist, als würden die Gestalten wie erstarrt im Banne gehalten durch
die auf Einen Gedanken konzentrirte geistige Thätigkeit. Daneben
macht sich, namentlich bei den Franziskanern, des Künstlers Be-
streben geltend, durch verschiedenartige Typen verschiedene In-
dividualitäten zu schildern und dadurch Mannichfaltigkeit in die
Gefahr drohende Monotonie zu bringen. — Durchaus ähnlich, selbst
was die Halle mit der auf Konsolen ruhenden Rundbogengallerie
betrifft, ist Giotto's Predellenbildchen zu der Stigmatisation im
Louvre ^), nur mußten hier mehrere Brüder und die beiden sitzenden
Bischöfe wegbleiben, da der Raum zu beschränkt war, wie auch
auf Taddeo Gaddi's Bildchen in der florentiner Akademie bei
gleicher Anordnung die stehenden Begleiter des Papstes fortgelassen
wurden. Gleichfalls verwandt ist dieselbe Darstellung von einem
giottesken Maler im Camposanto zu Pisa. Dagegen gestattete in
der Capeila Bardi die größere Breite der zu bemalenden Fläche
Giotto , sich mehr auszudehnen und das Gedrängte der Mönchs-
gruppe zu vermeiden. ^) Der Papst, hier links angebracht zwischen
den beiden sitzenden Bischöfen, segnet Franz und reicht ihm die
Rolle , auf der wie bei Taddeo zu lesen ist : „regula minorum fra-
trum hec est. S. Domini nostri Jesu Christi". Die Mönche sind
sämmtlich bartlos. Nicht uninteressant ist es zu sehen , daß sich
Giotto jene beiden bärtigen Gefolgsleute des Papstes noch nicht
aus dem Kopfe geschlagen. Er verdoppelt sie hier und bringt sie
in den Vorhallen an, die links und rechts an das mit einem Giebel
bekrönte Gemach anstoßen. Giotto's Einfluß vermochte sich auch
Benozzo nicht zu entziehen, als er dieselbe Szene in ähnlicher An-
ordnung in Montefalco malte.
1) Abb. Plön. PI. XXI, S. 234.
2) Abb. Plön. PI. XV, S. 177. Phot. Alinari.
126 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Der Plastik war es vorbehalten, ein anderes Schema der Kom-
position aufzubringen. Offenbar empfanden die Brüder Massegne,
als sie den Altar für Bologna machten , daß es unzulässig sei , im
Relief die Figuren perspektivisch vertieft hintereinander anzuordnen,
und zogen es daher zum Vortheile von deren Deutlichkeit vor,
den Papst zwischen den Kardinälen fast en face in der Mitte sitzen
zu lassen , während Franz und seine Genossen knieend von rechts
nahen. Ganz ähnlich, nur mit allen Mitteln seiner herrlichen, vor-
geschrittenen Kunst, gestaltete Benedetto da Majano an der Kanzel
von S. Croce die Szene. Da sitzt zwischen zwei Kardinälen, deren
vorderer rechts sich zu einem jungen knieenden Manne wendet, der
Papst halb nach links gewandt in der Mitte und segnet den vor ihm
knieenden Franz , der die Regel zu lesen scheint. Zwei Mönche
sind hinter Diesem niedergesunken, zwei andere treten dahinter
eben durch die Thür ein. Diese äußerst reizvoll bewegte Kom-
position schwebte dann offenbar Cosimo Rosselli vor, als er die
ganz ähnliche für die Predella seiner Himmelfahrt in S. Ambrogio
zu Florenz entwarf, auf der nur statt zwei sechs Kardinäle neben
Innocenz sitzen. Als endlich Domenico Ghirlandajo die Capella
Sassetti ausmalte , machte er aus Giotto's einfachem Gemälde in
S. Croce eine figurenreiche Darstellung, die durch die zahlreiche
Versammlung des päpstlichen Hofes einen festlichen Charakter er-
hielt. Da sieht man rechts auf hohem Throne unter dem Baldachin
den Papst, wie er mit der Rechten segnend dem auf einer Stufe
vor ihm knieenden Franz die Regel reicht. In zwei Reihen, deren
vordere dem Beschauer den Rücken zukehrt, sitzen links die Kirchen-
fursten. Zwischen ihnen knieen hinter Franz zu je zweien an-
geordnet acht Mönche. Vorne rechts steht Lorenzo Medici mit
Gefolge , während dessen Söhne , von Angelo Poliziano , Matteo
Franco und Luigi Pulci geführt, eine Treppe heraufsteigen. Im
Hintergrunde sieht man die Piazza von Florenz mit der Loggia
dei Lanzi und dem Palazzo vecchio.^)
8. Die Vision des feurigen Wagens. (Abb. 15.) Von
den älteren Biographen erzählt nur Thomas in der ersten Legende
^) Vergl. A. Warbiirg: Bildnißkunst und florentinisches Bürgerthum. Leipzig.
Einige andere von Vasari erwähnte, angeblich aber die Bestätigung der Regel durch
Honorius III. darstellende Bilder seien kurz genannt: Taddeo Gaddi in S. Francesco
zu Pisa (I, 575); Spinello Aretino in S. Francesco zu Arezzo (I, 681); Lorenzo di Bicci
an der Fagade von S. Croce zu Florenz (II, S. 51).
Die Darstellungen der Legende. 127
die wunderbare Begebenheit und an seinen Bericht lehnt sich Bona-
ventura an ^) : „Als aber die Brüder am vorerwähnten Orte die
Zeit verbrachten, betrat der heilige Mann an einem Sabbath die
Stadt Assisi, um, wie es seine Sitte war, in der Kathedrale der-
selben früh am nächsten Morgen zu predigen. Während nun der
Gott geweihte Mann, körperlich entfernt von den Söhnen, im
Gebet zu Gott nach seiner Sitte die Nacht in einer Hütte, die im
Garten der Canonici gelegen war, verbrachte, siehe da trat über
die Schwelle des Hauses in mitternächtiger Stunde zu den Brüdern,
die zum Theil ruhten, zum Theil im Gebet verharrten, ein feuriger
Wagen von wunderbarem Glänze umgeben und bewegte sich drei-
mal hierhin und dorthin durch das Haus; auf demselben thronte
eine leuchtende Kugel, die der Sonne gleich die Nacht hell machte.
In Erstaunen gesetzt sind die Wachenden, aufgeweckt zugleich und
erschreckt die Schlafenden, und nicht minder spürten sie die Helle
im Herzen, als am Körper, da Dank der Wirkung des wunderbaren
Lichtes Einem des Andern Gewissen nackt und offenkundig er-
schien. Denn übereinstimmend, da Alle wechselseitig in der Anderen
Herzen schauten, empfanden sie Alle es deutlich, daß der heilige
Vater wohl körperlich ferne, geistig aber gegenwärtig sei und ver-
klärt in solchem Bilde, von höheren Lichtern umstrahlt und von
höheren Gluthen entflammt, durch übernatürliche Kraft ihnen vom
Herrn auf strahlendem und feurigem Wagen gezeigt werde, auf
daß sie wie wahre Israeliten Jenem folgten, der von Gott, ein
zweiter Elias, zum Wagen und Wagenlenker der vom Geist er-
füllten Männer gemacht war. — Als aber der heilige Mann zu den
Brüdern zurückgekehrt war, begann er die Geheimnisse ihres Innern
zu durchforschen, sie zu trösten ob jener wunderbaren Erscheinung
und Vieles zu weissagen von dem Vorwärtsschreiten des Ordens."
Wie scholl der Meister von Siena es gethan, versetzte Giotto
den zweirädrigen Wagen in die Luft und stempelte denselben da-
durch sogleich zu einer wunderbaren Erscheinung. Hatte sich ihn
Jener aber von Engeln gezogen gedacht, so wählte Giotto Pferde.
Die von Gott erleuchtete Anschauung der Mönche, die den kugel-
förmigen Glanz symbolisch für den Geist ihres Vaters nehmen,
mußte vom Künstler zu bildlicher Wirklichkeit umgewandelt werden:
1) Th. I Leg. Cap. VI, 696. Danach Suysken II. leg. § 12. S. 595. — B. IV,
S. 751. — Carmen S. 156.
128 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
inmitten der Strahlen sieht man den betend zum Himmel schauenden
Franz. Unten stehen rechts zwei Mönche im Gespräche, der eine
den andern auf die Vision weisend ; ein dritter schreitet nach links,
die in offenem Gebäude versammelten Brüder zu wecken, von
denen einer bereits aufmerksam geworden ist. Das prophetische
Hellsehen kommt in dem Mönche rechts zu großartig überzeugender
Darstellung, und in der verschiedenen Lage der Schläfer zeigt sich
feine Naturbeobachtung, während die rothen Pferde das Studium
der Antike verrathen. Im Ganzen ist die Szene sehr ruhig, ge-
tragen aufgefaßt, wozu das kleinere Bild Taddeo Gaddi's in Florenz
einen scharfen Kontrast bildet. Hier fährt der Wagen, ohne daß
irgend eine bewegende Kraft sichtbar, mit dem die Arme nach oben
ausstreckenden Franz in dem Gemach dicht über den Köpfen der
vier Mönche hin, von denen zwei das Gesicht verhüllen, um sich
vor dem Glänze zu schützen, der dritte wie traumbefangen die
Rechte ausstreckt, der vierte wachend nach dem Heiligen hinlangt. ^)
Außerdem fand ich die Szene nur unter den Fresken in S. Bernar-
dino zu Verona, mit der Neuerung, daß Franz die aufgeregt zu
ihm aufschauenden Mönche segnet.
9. Die Vision des Thrones. Der Reihenfolge bei Bona-
ventura nach hätte hier die Erscheinung des Heiligen in Arles ihren
Platz finden sollen, doch mochte Giotto es wohl aus künstlerischen
Rücksichten vermeiden wollen, neben jene eben besprochene Vision
der Mönche eine zweite ähnliche Darstellung zu setzen, und ließ
daher gleich die folgende Geschichte sich anreihen, die Bonaventura
nach des Thomas von Celano zweiter Legende folgendermaßen
erzählt ^) :
„Da er die Demuth ebenso an sich, wie an allen seinen Unter-
gebenen äußeren Ehren vorzog, hielt ihn der Freund der De-
müthigen, Gott selbst, höherer Stellung würdig, wie es die Vision
zeigt, die der Himmel einem Bruder, einem Manne von besonderer
Tugend und Devotion offenbarte. Als derselbe nämlich einst den
Mann Gottes begleitet hatte und zugleich mit Diesem in einer ver-
lassenen Kirche in glühender Hingebung betete, sah er, in Ekstase
gerathen, unter vielen Stühlen im Himmel einen, der würdevoller
als die anderen mit kostbaren Steinen geschmückt war und vom
1) Phot. Alinari. Abb. Plön, S, 381.
'^) Th. II Leg. m, 63 S. 182. — B. VL S. 758.
Die Darstellungen der Legende. 129
Glorienschein ganz wiederstrahlte. Verwundert in sich über den
Strahlenglanz des erhabenen Thrones begann er in ängstlichem
Sinne zu forschen , wer zu demselben sollte erhoben werden. Da
hörte er eine Stimme , die ihm sagte : dieser Sitz gehörte einem
der gefallenen Engel an und wird jetzt für den demüthigen Fran-
ziskus aufbewahrt. Als dann endlich der Bruder aus der Verzückt-
heit des Gebetes zu sich gekommen war, war er dem Seligen, der
voran hinausschritt, wie gewöhnlich gefolgt. Und als sie des Weges
dahinschritten und in wechselnder Rede von Gott sprachen , frug
ihn jener Bruder, der Vision eingedenk, eifrig, was er von sich
selbst halte , worauf der demüthige Knecht Gottes sprach : ich
scheine mir der größte der Sünder."
Vor allen anderen scheint diese Begebenheit für die künst-
lerische Darstellung besonders ungeeignet, wie uns eine solche auch
nur in dieser einzigen zu Assisi erhalten ist. Die an sich un-
verständliche Anordnung der Stühle im Himmel bleibt störend und
unkünstlerisch selbst auf dem Fresko Giotto's , der in richtigem
Gefühle , die Unwirklichkeit derselben zu zeigen , jene Stimme in
einem Engel personifizirte. Dieser schwebt in der Höhe im Rücken
des Franz , also unsichtbar fiir den Heiligen , der rechts vor dem
Altar im Gebet vertieft kniet, und weist dem erstaunt zu ihrn auf-
schauenden knieenden Bruder mit der Linken den Thron des
Luzifer, mit der Rechten dessen prädestinirten Nachfolger. So an-
muthig und fein bewegt der schlanke Gottesbote gezeichnet, so in-
brünstig das Gebet des Heiligen zum Ausdruck gebracht ist —
die schwere Körperlichkeit der fünf in der Luft schwebenden
gothischen Stühle beeinträchtigt den Genuß der Komposition.
10. Die Vertreibung der Dämonen aus Arezzo. (Abb. 16.)
Auch hier folgt Bonaventura fast wörtlich des Thomas II. Legende,
die zuerst den Vorfall schildert.^) ,,Es traf sich einst, daß Franz
nach Arezzo kam, als die ganze Bürgerschaft, von innerem Kriege
erschüttert , sich gegenseitig zu vernichten drohte. In der Vor-
stadt gastlich aufgenommen sah er aber über der Stadt frohlockende
Dämonen und unten verwirrte Bürger, die sich zu gegenseitiger
Vernichtung entflammten. Um jene aufrührerischen luftigen Ge-
walten zu verscheuchen , sandte er den Bruder Sylvester, einen
Mann von taubenhafter Einfalt, gleichsam als Herold voraus und
1) Th. II Leg. III, 51 S. 162. — Bon. VI, 758.
Thode, Franz von Assisi.
130 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
sagte ihm : gehe vor das Thor der Stadt . und befiehl kraft des
Gehorsams im Namen des allmächtigen Gottes den Dämonen, so-
gleich hinauszugehen. Es eilt der wahrhaft Gehorsame, die Befehle
des Vaters zu vollziehen, und mit Lobgesängen das Antlitz des
Herrn preisend beginnt er vor dem Thore der Stadt laut zu rufen :
im Namen des allmächtigen Gottes und auf den Befehl seines
Knechtes Franziskus , weicht weit aus einander von hier, alle ihr
Dämonen ! Sogleich kehrt die Stadt zum Frieden zurück und mit
großer Ruhe stellen alle Bürger unter einander die Gesetze des
bürgerlichen Umgangs wieder her. Denn als die rasende Hoffahrt
der Dämonen , welche jene Stadt gleichsam umlagert hatte von
allen Seiten , ausgetrieben war, kam die Weisheit des Armen,
nämlich des Franziskus Demuth , zu Hülfe , schenkte den Frieden
wieder und rettete die Stadt."
Spricht auch die Legende nicht davon, daß Franz bei der Be-
schwörung selbst zugegen gewesen, so mußte der Künstler ihn doch,
um ihm deren Verdienst vindiziren zu können , persönlich daran
theilnehmen lassen. Wie er es gethan, zeugt von seiner Einsicht wie
von seinem wahren und tiefen Verständnisse für den Heiligen. Dieser
kniet vor einer Kirche links hinter dem nach rechts gewandt mit
erhobener Hand die Geister beschwörenden Sylvester in tiefes
Gebet versenkt, das so zum eigentlichen Wunderthäter wird. Der
Bruder leitet gleichsam mit seiner Hand die Worte des Franz zu
den teuflischen Gestalten empor, die mit Geberden der Wuth und
Verzweiflung über Arezzo aus einander stieben. Eine besonders
schwierige Aufgabe war es , diese Stadt darzustellen. Giotto that
sein Bestes , indem er hinter der Stadtmauer auf ansteigendem
Terrain Häuser und Thürme eng hinter einander aufbaute , wobei
ihm die vor den Thoren von Assisi angefertigten Studien von Nutzen
waren. Ja er ging noch weiter und machte den ersten, freilich
mißglückten Versuch, die Entfernung der Stadt von den handelnden
Personen des Vordergrundes durch eine in perspektivischer Ver-
kürzung gesehene Figur, die aus dem vorderen Thore tritt , deut-
licher zu machen. Besser gelang die schräge Hintersicht der Kirche
links, als deren Vorbild unschwer S. Francesco in Assisi zu er-
kennen ist. — Entzieht sich die zerstörte Darstellung in Pistoja,
die vermuthlich dem Fresko in Assisi nachgebildet war, der Be-
trachtung, so macht sich Giotto's Einfluß selbst noch in Benozzo's
Bilde deutlich bemerkbar, auf dem nur insofern eine Veränderung
Die Darstellungen der Legende. 131
eintritt, als Sylvester hier hinter dem knieenden, betenden Franz
erscheint. Durchaus verschieden ist die Auffassung der Massegne.
Da sieht man Franz und den Genossen inmitten der aufgeregten
Krieger der Stadt. Ersterer scheint zwischen einigen, die im Begriff
stehen sich zu tödten, Frieden zu stiften, während Sylvester vor
ihm knieend um die Austreibung der Dämonen fleht.
II. Franz vor dem, Sultan. (Abb. 5-) Thomas in der
ersten Legende weiß nur von der freundlichen Aufnahme , die der
Sultan Franz bereitete, und von des Letzteren Predigt zu erzählen
und stimmt darin überein mit dem Berichte des Jacobus de Vitriaco.
So ist es auch die Predigt allein, die auf jenem Bilde in S. Croce
dargestellt ist. Erst Bonaventura schildert die Feuerprobe mit
folgenden Worten ^) : ,,Der Knecht Christi aber, von höherer Offen-
barung erleuchtet, sprach : ' Willst du mit deinem Volke zu Christus
bekehrt werden , so will ich gern aus Liebe zum Herrn bei euch
bleiben. Doch zögerst du des Mahomet Gesetz für den Glauben
an Christus aufzugeben, so befiehl, daß ein sehr großes Feuer
angezündet werde , und ich werde mit deinen Priestern das Feuer
beschreiten, damit du so erkennest, welcher Glaube als der gewissere
und heiligere nicht ohne Verdienst festzuhalten sei.' Ihm erwiderte
der Sultan : ' Nicht glaube ich , daß irgend einer meiner Priester,
um seinen Glauben zu vertheidigen, sich dem Feuer aussetzen oder
irgend welcher Art von Marter sich unterziehen möchte.' Er hatte
nämlich gesehen , daß einer seiner Priester, ein erfahrener und
hochbejahrter Mann, als er jenes Wort gehört, seinen Blicken ent-
flohen war. Da erwiderte ihm der h. Mann : ' Wenn du mir in
deinem und deines Volkes Namen versprechen willst, Christus
fortan zu verehren, falls ich unverletzt aus dem Feuer herauskommen
werde , so will ich allein ins Feuer schreiten , und werde ich ver-
brennen , so soll das meinen Sünden allein angerechnet werden,
wenn mich aber die göttliche Kraft beschützt, so erkennet Christus,
die Kraft und Weisheit Gottes, als den wahren Gott und als den
Herrn und Heiland Aller an.' Der Sultan aber antwortete, er wage
nicht , diese Wahl anzunehmen ; er fürchtete nämlich den Aufruhr
des Volkes. Doch bot er ihm viele kostbare Geschenke an, die
1) Th. I Leg. Vn, S. 699. — Danach II Anon. Leg. § 16 S. 611. — B. IX
S. 767 f. — Vergl. in Suysken's Kommentar § 16, S. 613 den Bericht der Historia
Tyrii und den des Jacobus auf S. 618. — Carmen S. 188.
132 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
aber der Mann Gottes, der nicht nach weltlichen Dingen, sondern
dem Heile der Seelen gierig war, alle wie Koth verschmähte."
Man muß Giotto's meisterliche Darstellung der Szene gesehen
haben, um zu begreifen, welch' vortrefflichen Vorwurf dieselbe der
bildenden Kunst bot. Als echter Dramatiker erfaßte Giotto mit
sicherem Blick hier wie in der Lossagung vom Vater den frucht-
barsten Augenblick, in dem das Vorhergehende zu eben so deutlicher
Anschauung kommt, wie das Folgende. Das Feuer ist angezündet
und Franz in schlichter, gläubiger Ergebenheit bereit, dasselbe zu
beschreiten. Er wartet noch , zum Sultan schauend , auf dessen
Wink. Da vollzieht sich schon das Unerwartete : in eiliger Be-
wegung, scheu zurückschauend, flüchten links die Magier, deren
Vorderster mit langem weißen Barte der Schilderung Bonaventura's
entspricht, von danncn. Mit fast verächtlichem Blicke schaut ihnen
der Bruder Illuminatus, der hinter Franz steht, nach, während
rechts der von Trabanten umgebene, auf prächtigem Throne
sitzende Fürst strenge , fast erzürnt auf seine Priester blickt und
mit der Rechten eine Bewegung nach dem Mönch zu macht , als
wollte er sagen : D e r kennt die Furcht nicht. Ein mit einer Loggia
geschmücktes Gebäude bildet links den Hintergrund. Immer aufs
Neue muß man sich verwundern, mit wie wenig Mitteln hier Alles
gesagt ist, es kann nur zweifelhaft bleiben, ob der Ausdruck der
Köpfe oder die Bewegung der Figuren trefflicher geglückt ist.
Fast , meine ich , muß man dieser älteren Komposition , die
getreu wiederholt in Pistoja wiederkehrt, den Vorzug vor dem
Fresko, das Giotto in der Capeila Bardi malte, geben. Schwerlich
dürfte er hier von dem vortrefflichen Schema abgewichen sein,
wenn nicht die verhältnißmäßig größere Breite der Bildfläche eine
Veränderung verlangt hätte. So sah er sich genöthigt, den wiederum
auf reichem Throne sitzenden Sultan in die Mitte zu versetzen.
Er weist mit der Rechten auf Franz, der mit begeisterter Geberde
die Rechte erhebend zu ihm aufschaut und im Begriffe ist, in das
hochaufflackernde Feuer zu schreiten, während rechts von ihm
Illuminatus ängstlich betend steht. Vergeblich blickt der Sultan
vorwurfsvoll auf die zwei Magier, vergeblich sucht ein Mohr sie
zurückzuhalten : von innerster Furcht ergriffen flieht der eine nach
links und hebt im Schreiten der zweite das Gewand , um nicht
das Schreckliche zu sehen. So vortrefflich auch hier die Gemüths-
bewegungen, die Furcht auf der einen, die ekstatische Begeisterung
Die Darstellungen der Legende. 133
auf der anderen Seite zum Ausdruck kommen , so bildet doch,
strenge genommen, Franz nicht mehr den eigentHchen Mittelpunkt
der Handlung, sondern der Sultan, und das gereicht dem Ganzen
zum Schaden. Dafür ist aber wieder eine Gleichmäßigkeit in der
Anordnung der Figuren erreicht, die für das Auge befriedigender
wirkt, als die schroffe Dreitheilung in Assisi, und so ist es gleich-
wohl nicht zu verwundern , daß die bedeutendsten Meister an das
Schema von S. Croce sich anlehnen. So zunächst die Brüder
Massegne in Bologna, die nur die Gruppen links und rechts ver-
tauschen , dann Benedetto da Majano , dessen harmonische , fein
abgewogene Darstellung Giotto's dramatisches Feuer freilich ver-
missen läßt. Es könnte hier noch zweifelhaft bleiben , ob nicht
doch der jugendliche Magier links, hinter dem zwei andere mit
Büchern stehen , sich entschließen wird , den Worten des in der
Mitte thronenden Sultans Gehör zu geben, der mit der Rechten
auf das Feuer, mit der Linken auf Franz weist. Letzterer steht
still ergeben, nicht wie bei Giotto siegesfreudig, betend auf der
rechten Seite, von seinem Begleiter erwartungsvoll betrachtet. Eng
an Giotto's Auffassung schließt sich dann Domenico Ghirlandajo
an , der Platz für das Feuer in der Mitte gewinnt , indem er den
Sultan , welcher unter einem Baldachin sitzt , in den Mittelgrund
verlegt. Zwei Magier sitzen , ähnlich wie bei Benedetto , auf den
Stufen des Thrones. Der Sultan und Franz haben ganz die gleichen
Bewegungen, wie in S. Croce. Hinter Letzterem aber knieen hier
betend zwei Mönche. Links entweichen die Magier, der vordere
mit entsetzter Handbewegung nach rechts zurückschauend, von
einem vom Rücken gesehenen jungen Manne auf das Feuer hin-
gewiesen. Zwei florentinische Bürger sind als Zeugen im Hinter-
grunde rechts zugegen. Auch hier läßt sich die Bemerkung machen,
daß in künstlerischer Auffassung Giotto hinter Ghirlandajo durchaus
nicht zurücksteht, welcher die Fortschritte entwickelter Kunst nur
in der überzeugenderen Raumwirkung und größeren Formenfreiheit
bewährt. Wenig interessant ist das Fresko in Verona , auf dem
man Franz mit sechs Begleitern neben dem Feuer vor dem Sultan
sieht, der Magier links in keiner Weise das Interesse fesselt.
Benozzo aber wählte, dem Speculum folgend, einen anderen
Stoff, um die Glaubensfreudigkeit des Mönches mitten unter den
Muhamedanern zu schildern. Er stellt in Montefalco dar, wie Franz,
mit seinem Mönche vor dem rechts sitzenden Sultan erschienen,
134 ^^^ Darstellungen des Franz und seiner Legende.
auf dessen Betreiben durch ein junges Mädchen verfuhrt werden
soll, das im Mittelgrunde sichtbar ist.^)
12. Die Kreuzerscheinung des Franz. Nur Bona-
ventura berichtet mit kurzen Worten von derselben^): ,,Da wurde
er des Nachts gesehen, wie er die Arme in Form eines Kreuzes
ausgestreckt, mit dem ganzen Körper von der Erde erhoben und
von einer leuchtenden Wolke umgeben betete; auf daß so der
wunderbare den Körper umgebende Glanz Zeugniß ablegte von
der wunderbaren Erleuchtung im Geiste.'' Der Schilderung des
Bonaventura zuwider, der Franz in einsamer Natur seinen Gebeten
obliegen läßt, ist die Szene vor ein Stadtthor verlegt, vor dem
links vier erstaunte Mönche stehen, die zu dem rechts in einer
Wolke über der Erde schwebenden Heiligen aufschauen. Dieser
breitet die Arme aus und blickt auf Christus , der segnend aus
Himmelssphären sich zu ihm neigt. Daß der Heiland selbst dargestellt
ist, zeugt, wie schon öfters bemerkt wurde, von dem künstlerischen
Bestreben, die bewegende Ursache der wunderbaren Erhebung
bildlich zu vergegenwärtigen und damit den Sinn der Darstellung
zu veranschaulichen. Waren es doch, wie es in dem Texte kurz
zuvor heißt, Zwiegespräche mit dem Herrn, in denen er sich über
die irdischen Gedanken erhob. Vortrefflich ist wiederum die geistige
Erregung der Brüder wiedergegeben : während einer derselben halb
entsetzt zurückfährt, beugt sich der andere vor, als wollte er durch
näheres Anschauen das Geheimniß ergründen. Nur einmal noch
auf einem kleinen Bilde des Fra Angelico in Berlin (Gall. N. 62)
fand ich dieselbe Szene , aber ganz unabhängig von Giotto dar-
gestellt.'^) Hier sieht man die Mönche in einem geschlossenen
Räume theils schlafend, theils mit erstaunten Geberden nach oben
schauen , wo dicht unter der Decke in einer Wolke und von
Strahlenglorie umgeben Franz mit erhobenen Armen schwebt.
13. Die Weihnachtsfeier in Greccio. (Abb. 67.) Eine
höchst ausführliche , farbenreiche Erzählung des Thomas 'in seiner
Legende liegt der folgenden Schilderung Bonaventura's zu Grunde.
,,Es geschah aber im dritten Jahre vor seinem Tode, daß Franz,
^) Siehe Speculum I, 80. — B. Pis. I, 10. — Vgl. damit die Erzählung, wie
Friedrich IL, um ihn zu versuchen, ein Weib zu ihm schickt.
2) B. X, S. 769.
3) Abb. Plön. S. 140.
Die Darstellungen der Legende. 135
um die gläubige Verehrung zu wecken , bei Castrum Graecii das
Andenken an die Geburt des Knäbleins Christus mit größtmögHcher
Feierlichkeit zu begehen beschloß. Damit er aber nicht der Leicht-
fertigkeit geziehen werden könnte, erbat und erhielt er vom Papste
die Erlaubniß, ließ eine Krippe zubereiten, Stroh herzubringen und
einen Ochsen und einen Esel herbeiführen. Herbeigerufen werden
die Brüder, herzu kommt das Volk, der Wald schallt von den
Stimmen wieder : und jene verehrungswürdige Nacht wird glänzend
und festlich zugleich gemacht durch zahllose und helle Lichter,
durch voll und einstimmig ertönende Lobgesänge. Da stand der
Mann Gottes vor der Krippe, von frommer Liebe erfüllt, von
Thränen besprengt und überströmend vor Freude. Es wird die
Messe festlich gefeiert über der Krippe , der Levite des Herrn :
Franziskus singt das heilige Evangelium. Dann predigt er dem
umstehenden Volke über die Geburt des armen Königs, den er,
so oft er ihn bei Namen nennen wollte, in zarter Liebesempfindung
den Knaben von Bethlehem hieß. Ein tugend- und wahrhafter
Krieger aber, der aus Liebe zu Christus den weltlichen Kriegsdienst
verlassen und in innigem , vertrauten Umgange dem Mann Gottes
verbunden war, der Herr Johannes von Graecium , hat ausgesagt,
er habe ein gar wohlgebildetes Knäblein in jener Krippe schlummern
sehen ; das habe der selige Vater Franziskus mit beiden Armen
umfaßt und, wie es geschienen, aus dem Schlummer erweckt. Und
wahrlich diese Vision des frommen Kriegers macht nicht allein die
Heiligkeit Dessen , der es gesehen , glaubhaft , sondern es beweist
sie auch die Versicherung der Wahrheit und die Wunder, die noch
folgten, bestätigen sie."^)
Was noch schlicht mit wenigen Figuren auf dem Bilde der
Akademie zu Siena, detaillirter, aber unverständlich auf dem zu
S. Croce dargestellt ward, wird bei Giotto entsprechend der aus-
führlichen , lebendigen Legende Bonaventura's eine figurenreiche
Komposition , die von den vielseitigen Studien des jugendlichen
Künstlers zeugt. Im Presbyterium einer Kirche, das hinten durch
eine Marmorwand mit Kanzel abgeschlossen wird, kniet vor dem
Lesepult, an dem die Kerzen brennen, Franz in der Diakonentracht
nach rechts gewandt und hebt das in ein Tuch gewickelte Christ-
1) Th. I Leg. X, S. 706. — Danach Anon. n Leg. § 23, S. 644. — Kurze
Erwähnung in Th. II Leg. — Bon. Cap. X, S. 770. — Carmen, S. 246.
136 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
kind aus der Krippe , vor der in kleinen Verhältnissen Ochs und
Esel liegen. Rechts unter dem Altarbaldachin befinden sich Mönche
und ein Priester, der erstaunt auf das Wunder herabblickt. Links
stehen eine Anzahl vornehmer Männer, ganz in den seltenen An-
blick versunken. Dahinter singen Mönche und in der Thür der
Wand erscheinen Frauen. Nicht Johannes allein also, der wohl in
dem Manne links zu sehen ist, welcher in wortloser Verwunderung
die Hände faltet , wird die Vision zu Theil , sondern allen Näher-
stehenden, nur der Mönche eifriger Chor und die Frauen scheinen
nichts davon zu ahnen, was vor sich geht. Dem Künstler mußte
es unmöglich scheinen, den wunderbaren Vorgang den Blicken der
Umstehenden zu entziehen. Besondere Aufmerksamkeit verdient
in diesem Bilde die überraschende Naturbeobachtung, die aus den
Figuren der singenden Mönche spricht, und der merkwürdige
Versuch eines Beleuchtungseffekts, der freilich zaghaft und nur wie
andeutend ausfällt.
Der einfacheren älteren Auffassung nähert sich wieder Taddeo
Gaddi, der auf dem kleinen Bildchen in der Akademie darstellt,
wie links vor einem Altar ein h. Diakon nach rechts gewandt, von
einem anderen Geistlichen unterstützt, die Messe celebrirt, die
Anfangsworte des Evangeliums Johannis lesend, während rechts vor
der Krippe Franz knieend das Christkind herzt. Figurenreicher,
aber unabhängig von Giotto ist die Szene im Refektorium von
S. Francesco zu Pistoja von einem vermuthlich daselbst einheimischen
Meister geschildert, dessen kurze Gestalten mit den kleinen Köpfen
wohl ein spätgiotteskes , dabei aber doch eigenthümliches lokales
Gepräge tragen.^) Die Feierlichkeit geht hier in einer Holzhütte,
die inmitten des Waldes steht, vor sich. Links kniet Franz das
Kind haltend an der Krippe , Johannes schaut , ebenso wie ein
Mönch und ein Laie, verwundert auf dasselbe hin. Im Mittelgrund
celebriren ein Priester und ein Diakon am Altar die Messe, rechts
singen fünf Mönche vor einem Lesepulte. Bei Benozzo endlich ist
^) Vgl. Crowe und Cavalcaselle D. A. I, 313. Irgendwelche Verwandtschaft mit den
Fresken im ehemaligen Refektorium von S. Croce kann ich nicht finden. Auch ist
der Maler dieser Deckengemälde ein anderer, als jener, der die Sakristei und Kapelle
S. Lodovico ebenda gemalt hat. Er mag um 1400 thätig gewesen sein, da seine Bilder
nicht ganz ohne Beziehung zu den Antonio Vite zugeschriebenen Fresken im Dom
von Prato sind. Schwerlich aber hat Letzterer selbst etwas mit ihnen zu thun. Vergl.
Tolomei: Guida di Pistoja S. 138. C. u. C. Ital. A. II. S. 58.
Die Darstellungen der Legende. 137
wie bei Giotto auf die zahlreiche festliche Versammlung, unter der
sich auch Frauen befinden, das Hauptgewicht gelegt.
14. Die wunderbare Tränkung des Durstigen.
(Abb. 17.) Die Darstellungen dieses Vorfalls sowie der Vögelpredigt
beanspruchten weniger Raum und wurden daher von Giotto an
die Eingangswand verlegt, obgleich sie Bonaventura zufolge schon
früher ihren Platz hätten finden müssen. Des Letzteren Erzählung
schließt sich fast Wort für Wort an des Thomas zweite Legende,
die zuerst von dem Wunder berichtet.^) ,,Zu einer anderen Zeit,
als der Mann Gottes sich in eine gewisse Einöde begeben wollte,
um dort ungehindert der inneren Betrachtung obzuliegen, ritt er,
da er sich schwach fühlte, auf dem Esel eines armen Mannes.
Und während an dem heißen Sommertage jener Mann dem Diener
Christi folgend den Berg hinanstieg, begann er, von dem steilen
und langen Wege ermüdet und von allzuheißem Durste erschöpft,
dringlich flehend hinter dem Heiligen zu rufen : ich sterbe vor
Durst, sprach er, wenn ich nicht durch die Wohlthat eines Trunkes
erfrischt werde. Ohne Zaudern sprang der Mann Gottes vom Esel
ab , beugte die Kniee zur Erde , streckte die Hände zum Himmel
empor und hörte nicht auf zu beten , bis er wußte , er sei erhört.
Als endlich das Gebet zu Ende, sprach er zum Manne: ,eile zum
Felsen , dort wirst du lebendiges Wasser finden , das dir in dieser
Stunde mitleidsvoll Christus aus dem Steine zum Trinken hervor-
rief O staunenswerthe Gnade Gottes, die sich so leicht seinen
Knechten neigt! Es trinkt der durstige Mann das Wasser, das
durch die Wirkung des frommen Gebetes aus dem Fels hervor-
gebracht war, und aus dem härtesten Stein schöpft er den Trank.
Zuvor war da kein Quell gewesen noch konnte er, wie mit Sorg-
falt untersucht worden, später gefunden werden."
Unter allen der Natur abgelauschten Motiven, die in Giotto 's
Cyklus so überraschend hervortreten , hatte keines einen größeren
Eindruck auf Vasari hervorgebracht, als das Trinken des durstigen
Mannes. ,, Unter den anderen", sagt er, ,,ist da eine ausnehmend
schöne Geschichte, auf der ein Verdürstender, dessen lebhaftes
Verlangen nach Wasser man wahrnimmt, zur Erde gebeugt aus
einem Quell trinkt , in einer so großartig und bewundernswerth
wiedergegebenen Bewegung, daß es eine lebende Person zu sein
0 Th. II Leg. II, 16. S. 76. — B. VII, S. 762.
138 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
scheint, die trinkt."^) Auch hier mußte der Künstler, wollte er
verständlich sein, das Gebet zugleich mit dessen Wirkung darstellen.
Auf einem mit Bäumen bewachsenen, felsigen Berge kniet im
Mittelgrund Franz, betend den Blick und die Hände erhebend,
während rechts vorne der Mann, der Länge nach auf dem felsigen
Boden ausgestreckt, auf die Hände sich stützend von dem hervor-
strömenden Wasser trinkt. Links stehen zwei mit einander redende
Mönche , deren einer den Esel hält. Vasari's Lobspruch ist ge-
rechtfertigt: die Haltung des Trinkenden ist von überraschender
Natürlichkeit und Wirklichkeit, so daß man über ihr fast vergißt,
was in jener Zeit dazugehörte , auch ein Thier so treffend lebens-
wahr wiederzugeben, wie den Esel hier. In den späteren cyklischen
Darstellungen der Legende fehlt diese Begebenheit.
15. Die Vögelpredigt. (Abb. 8.) Unerschöpflich sind
die alten Biographen in Erzählungen von der innigen Liebe, mit
welcher Franz alle Thiere als Geschöpfe Gottes umfing. Was aber
den Zeitgenossen wie ein Wunder erschien und daher in der
frühesten Legendendarstellung von Berlinghieri schon wiedergegeben
wird, ist die Predigt, welche der Mönch den Vögeln hielt. Selbst
Matthäus Paris, der doch sonst wenig von dem Leben des Franz
zu berichten weiß, erzählt, daß Dieser, von den Römern verachtet,
zum Thore zu den Vögeln, die ringsum saßen und flogen : Krähen,
Weihen , Elstern und anderen hinausschritt und zu ihnen sprach :
,Ich befehle euch im Namen Jesu Christi, den die Juden gekreuzigt
haben, dessen Predigt die elenden Römer verachteten, daß ihr zu
mir kommt und das Wort des Herrn hört, im Namen Dessen, der
euch geschaffen und in der Arche Noah von den Wassern der
Sündfluth befreit hat.' Und sogleich auf seinen Befehl kam die
ganze Menge der Vögel heran und umgab ihn ; und als sie stille
geworden und zu schwätzen aufgehört, hörten sie einen halben
Tag lang die Worte des Mannes Gottes und bewegten sich nicht
von der Stelle, sondern schauten immer das Antlitz des Predigers
an.^) Woher Matthäus diese dem Kern nach glaubliche Geschichte
genommen , warum sie von den alten Biographen nicht erzählt
wird , ist nicht zu sagen , doch stimmt ihr Inhalt im Allgemeinen
überein mit der Legende der Vögelpredigt bei Bevagna, die Bona-
') I, S. 377-
2) A. a. O. S. 340 f.
Die Darstellungen der Legende. 13g
Ventura nach Thomas' erster Legende so anmuthig folgendermaßen
bringt : ^)
„Als er sich Bevagna näherte, kam er zu einem Orte, an dem
eine große Menge von Vögeln verschiedener Art zusammen-
gekommen war: als der Heilige Gottes dieselben sah, lief er eilig
dahin und begrüßte sie, als wären sie der Vernunft theilhaftig. Sie
aber alle erwarteten ihn und wandten sich zu ihm , so daß die,
welche auf den Gesträuchen waren , die Köpfchen senkten , als er
sich ihnen näherte, und in ungewohnter Weise sich nach ihm hin-
richteten, bis er zu ihnen heranschritt und sie alle eifrig ermahnte,
das Wort Gottes zu hören, indem er sprach : , Meine Brüder Vögel,
gar sehr müßt ihr euren Schöpfer loben, der euch mit Federn be-
kleidet und die Flügel zum Fliegen gegeben hat; die klare Luft
wies er euch zu und regiert euch , ohne daß ihr euch zu sorgen
braucht.' Als er ihnen aber dies und Aehnliches sagte, begannen
die Vögel, in wunderbarer Weise ihre Freude bezeugend, die Hälse
zu recken, die Flügel auszubreiten, die Schnäbel zu öffnen und
aufmerksam auf ihn zu schauen. Er selbst aber in wunderbarer
Gluth des Geistes schritt mitten durch sie hin und berührte sie
mit seinem Gewände ; und dennoch bewegte sich keiner von der
Stelle, bis er das Zeichen des Kreuzes machte und ihnen mit dem
Segen des Herrn die Erlaubniß gab. Da flogen sie alle zugleich
von dannen. Dies Alles sahen die Genossen, die am Wege warteten.
Als der einfältige und reine Mann zu denselben zurückgekehrt war,
begann er sich selbst der Nachlässigkeit zu zeihen, daß er bisher
den Vögeln noch nicht gepredigt habe."
So reizvoll und frei im Vergleiche zu der steifen Darstellung
des Berlinghieri schon die Bilder in der Unterkirche, in Siena, in
S. Croce erschienen, so weit entfernt waren die Maler doch noch,
gleich lebensvoll, wie den Heiligen selbst, auch die Vögel zu ge-
stalten. Das blieb Giotto vorbehalten , bei dem die Schaar der
rechts unter einem Baum versammelten, dem Leben selbst mit
Liebe nachgebildeten Thierchen auch in das richtige Größen-
verhältniß gegenüber dem links stehenden , freundlich segnend zu
ihnen sich wendenden Franz gesetzt ist. Erstaunt schaut links von
diesem ein Mönch , die Rechte erhebend , auf das Wunder. So
1) Th. I Leg. VII, S. 699. — Danach Anon. II Leg. § XVIII S. 622. — Bon.
Cap. XII, 774. — Carmen S. 194.
140 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
einfach die Szene , so herzergreifend und rührend ist sie. Da es
aber viele verschiedene Auffassungen für dieselbe nicht gab, so
unterscheiden sich die sonst noch erhaltenen Bilder nur wenig
von einander : die Predella der Stigmatisation von Giotto im Louvre,
auf der mit besonderer Liebe verschiedene Vögelgattungen , als
Rabe, Hahn, Ente, Elster, Stieglitz, Schwalbe und andere naturwahr
dargestellt sind^), das sehr zerstörte Gemälde eines giottesken
Meisters in der kleinen Kapelle des Camposanto zu Pisa, das an-
sprechende Bildchen eines Neapolitaners aus dem XIV. Jahrhundert
im Besitze des Herrn F. Murray in London, das neben den Vögeln
auch Vierfüßler vor Franz versammelt zeigt , und das Fresko
Benozzo's in Montefalco.
16. Der Tod des Edlen von Celano. (Abb. 37.) Erst
bei Bonaventura^) taucht die Erzählung von diesem Wunder auf,
was um so mehr erstaunen muß, als sich dasselbe in Celano,
dem Geburtsort des älteren Biographen, zugetragen. ,,Zu einer
anderen Zeit , als er, zurückgekehrt von jenseits des Meeres , um
zu predigen nach Celano ging, lud ihn ein Edler in demüthig
bittender Frömmigkeit mit großer Dringlichkeit zur Mahlzeit ein.
So kam er denn zu des Edlen Haus und die ganze Familie froh-
lockte ob des Eintritts der armen Gäste. Bevor sie aber die Speise
nahmen , brachte in gewohnter Weise der fromm gesinnte Mann
Gott seine Bitten und Lobgesänge dar und stand da die Augen
gen Himmel erhoben. Als das Gebet beendigt, rief er den gütigen
Wirth vertraulich bei Seite und sprach so zu ihm: , Siehe Bruder
Wirth, durch dein Bitten besiegt habe ich dein Haus betreten, um
zu essen ; meinen Ermahnungen nun miß du schnell Glauben bei :
sintemal du nicht hier, sondern anderswo essen wirst. Bekenne
jetzt deine Sünden , vom Schmerze wahrer Reue zerknirscht : und
nicht irgend Etwas bleibe in dir, was du in wahrhafter Beichte
nicht kund thuest. Der Herr wird dir's heute vergelten , daß du
mit so großer Frömmigkeit seine Armen aufgenommen hast.' So-
gleich schenkte jener Mann den Reden des Heiligen Glauben, offen-
barte dessen Gefährten alle seine Sünden in der Beichte, ver-
fügte über sein Haus und bereitete sich , so gut er vermochte,
den Tod zu empfangen. Endlich traten sie ein zur Mahlzeit und.
1) Abb. Plön. PI. XXI, S. 234.
'■2) C. XI, S. 771.
Die Darstellungen der Legende. 14I
während die Anderen zu essen begannen , hauchte plötzHch der
Wirth seinen Geist aus, dem Worte des Mannes Gottes gemäß
von plötzlichem Tode hingerafft."
Es war keine erfreuliche Aufgabe , diese Erzählung bildlich
wiederzugeben : das eigentlich Bedeutungsvolle derselben , die Pro-
phezeiung, ließ sich nicht darstellen. Der mit dem Texte nicht
vertraute Beschauer wäre geneigt zu glauben, ein Sünder habe hier
durch jähes Ende seine Strafe gefunden. Was sich wiedergeben
ließ : den Schrecken und den Schmerz der Umstehenden über das
Ereigniß, hat Giotto in überzeugend ergreifender Weise gebracht.^)
Rechts sehen wir den vornehmen Mann auf dem Boden liegen,
von einer tief bewegten Frau gehalten , die vergeblich in seinen
geliebten Augen noch Leben zu finden hofft. Eine zweite zerkratzt
kniecnd in wildem Schmerzensausbruch ihr eigenes Gesicht. Drei
andere mit aufgelösten Haaren eilen herbei, die eine ganz in den An-
blick der Leiche versunken , die zweite bedacht der verzweifelten
Gattin zu helfen, die dritte halb neugierig, halb angstvoll sich vor-
beugend. Dahinter drängen sich die Bediensteten des Hauses heran.
Links aber hinter der gedeckten Tafel, die vor einer baldachinartig
ausladenden Holzwand steht, hat sich Franz erhoben, die Rechte auf
dem Tische, die Linke in ruhiger Bewegung zu einem Manne aus-
gestreckt, der wie Hülfe suchend sich zu ihm wendet. Ruhig
gefaßt auch sitzt weiter links der Mönch. Zum ersten Male ward
hier Giotto an einem -neuen Stoffe die Gelegenheit geboten, den
Ausbruch des tiefsten menschlichen Schmerzes darzustellen — es
ist ein Wunder, wie es ihm gelungen. Jede Bewegung ist wahr
und ergreifend. Da ist nichts mehr von der gefühllosen Ueber-
triebenheit, wie sie der vorangehenden Kunst eigen gewesen; so
getragen und gemäßigt ist die Ausdrucksweise, daß man die Größe
der Qualen erst nach langer Betrachtung fassen lernt. Wo hat
der junge Maler zuerst solch seelischem Leiden auf seinem Lebens-
wege begegnen müssen.? In diesem Künstler lebt Etwas vom
griechischen Geiste neu wieder auf.
Was Giotto absichtlich vermieden, die Zweitheilung des Bildes,
welche die Darstellung doch nicht deutlicher machen konnte, haben
die Massegne angewandt : da sieht man links Franz mit dem Edlen
sprechen, rechts Diesen an der Tafel inmitten der frohen Gesell-
1) Abb. bei Otley: Speciniens of the early Italian school.
142 Die Darstellungen des ti'ranz und seiner Legende.
Schaft zusammenbrechen.^) Benozzo Gozzoli verwendete das Schema
der Komposition für Wiedergabe einer anderen Legende. Auch
hier wird Franz, von gedeckter Tafel aufschauend, an der links
ein Mönch sitzt, von einem Manne auf einen Vorgang im Mittel-
grunde rechts aufmerksam gemacht. Dort sitzt ein krankes Mädchen,
von Genossinnen umgeben. Rechts vorn ist es noch einmal bei
einer alten Frau knieend dargestellt.
17. Predigt vor Honorius III. (Abb. 4.) Alle Bio-
graphen wissen von diesem Ereigniß , aber Bonaventura allein er-
zählt , daß Franz die studirte Predigt angesichts der päpstlichen
Kurie vergessen und aus dem Stegreife gesprochen habe.-) ,,Denn
als er einst auf Eingebung des Kardinals von Ostia vor dem Papste
und den Kardinälen predigen sollte und dem Gedächtniß eine sorg-
fältig ausgearbeitete Rede eingeprägt hatte , vergaß er, als er in
ihrer Mitte stand, die Worte der Erbauung vorzubringen. Alles so
vollständig, daß er gar Nichts zu reden wußte. Doch als er dies
in wahrhafter Demuth kund gethan hatte, wandte er sich an die
Gnade des heiligen Geistes und rief sie an und begann sogleich
von so wirksamen Worten überzufließen, mit so zwingender Kraft
den Geist jener erlauchten Männer zur Zerknirschung zu bewegen,
daß es offenbar ward, nicht er, sondern der heilige Geist habe
gesprochen."
Das war eine neue, dankbare Aufgabe für den Künstler: es
galt die Wirkung einer ergreifenden Predigt zu schildern. In einer
herrlichen gothischen Halle thront rechts nach halb links gewandt
der Papst , umgeben von drei Kardinälen auf jeder Seite , die alle
gespannt den Worten des links stehenden Heiligen lauschen, der
mit der Rechten eine etwas undeutliche wie nach hinten zurück-
weisende Handbewegung macht. Nahe neben ihm sitzt in Sinnen
vertieft ein anderer Mönch. So einheitlich , so überzeugend ist
selten wieder die Konzentration der Gedanken auf einen Gegen-
stand dargestellt worden — man glaubt die im Innersten packenden
Worte des Bußpredigers zu hören, hält mit den Kirchenfürsten den
Athem an , keines derselben zu verlieren. Wie der Papst , den
vorgestreckten Kopf auf die eine Hand gestützt, mit seinen Blicken
1) Abb. Plön. S. 248.
2) Th. I Leg. IX. S. 703. — Anon. II Leg. § 18, S. 626. — II Leg. I, 17
S. 42. — T. s, IV, S. 739. — Bon. XII S. 775. — Carmen S. 218.
Die Darstellungen der Legende. I43
das geheimste Denken des wunderbaren Mannes zu ergründen sucht,
wie sich die Aufregung des Kardinals neben ihm in der unwillkür-
lichen Handbewegung äußert, wie dessen Nachbar und der Mönch
in Schmerz und Selbsterkenntniß versunken zu Boden schauen,
das zeugt von einer Tiefe der Auffassung des menschlichen Ge-
müthes, einem Vermögen für geistige Vorgänge den schlagendsten
äußeren Ausdruck zu treffen , wie sie nur den größten unter den
Künstlern eigen sind.
Wie matt erscheint dagegen des Taddeo Gaddi Bild in Florenz,
wie ruhig, wie gelassen beobachtend sitzen dort der Papst und die
drei Kardinäle, wie steif trägt rechts Franz, hinter dem sein Be-
gleiter steht, seine Predigt vor!
18. Des Franz Erscheinung auf dem Kapitel zu
Arles. (Abb. 18.) ,, Während der ausgezeichnete Prediger An-
tonius, der jetzt auch zu den herrlichen Bekennern Christi gehört,
über den Titel des Kreuzes : lesus Nazarenus rex ludaeorum auf
dem Kapitel zu Arles den Brüdern predigte, sah ein Bruder von
bewährter Tugend, Monaldus von Namen, auf göttliche Ermahnung
nach der Thür des Kapitels zurückschauend, mit seinen körperlichen
Augen den seligen Franziskus, der in die Luft erhoben mit gleichsam
am Kreuze ausgestreckten Armen die Brüder segnete. Alle Brüder
aber fühlten sich von so großer und so ungewohnter Tröstung des
Geistes erfüllt, daß ihnen der Geist im Innern diese als sicheres
Zeugniß für die wahrhaftige Anwesenheit des heiligen Vaters ge-
währte , wäre ihnen dies nicht später sowohl durch offenkundige
Zeichen , als auch durch die Worte desselben heiligen Vaters
äußerlich bezeugt worden."^)
Eine größere, in schöner gothischer Halle versammelte Anzahl
von meist nach links gewandt auf Bänken und auf dem Boden
sitzenden Mönchen hört bei Giotto den Worten des links stehenden
Antonius zu, vor dessen Füßen ein Mönch in gleicher Darstellung,
wie der auf dem vorhergehenden Bilde hockt. Links vorne sitzt
Monaldus, den Kopf auf die Hand gestützt ruhig auf Franz schauend,
der dicht hinter den Mönchen vor der Thüre wenig über den Boden
erhoben, die Arme ausgebreitet und mit der Rechten segnend,
en face erscheint. Auch Antonius scheint ihn gewahr zu werden.
1) Bon. IV, S. 752 nach Th. I Leg. VI, S. 692. — S. auch Anon. II Leg. § 12,
S. 595. — Carmen S. 160. ,
144 ^^^ Darstellungen des Franz und seiner Legende.
War es Absicht, Wiederholungen zu vermeiden, aber die Wirkung
der Predigt ist hier nicht so lebendig geschildert, das Ganze un-
gewöhnlich ruhig gehalten. Die ungezwungene Anordnung der
Hörer zeugt von einem Streben, möglichst natürlich zu sein und
den Schematismus der älteren Kunst zu vermeiden. Auffallender
Weise kehrt dann Giotto auf dem Fresko in S. Croce wieder mehr
zu demselben zurück , indem er die Mönche in zwei Reihen an-
ordnet, deren vordere vom Rücken gesehen ist. Demgemäß wird
ihnen auch Allen, was Giotto wohl aus künstlerischen Rücksichten
jetzt gerathener schien, die Vision des Franz zu Theil, der, etwas
stärker bewegt , wie dort in der Thüre erscheint. Antonius ist
sonderbarer Weise, vermuthlich damit er nicht zu sehr das Augen-
merk auf sich ziehe, links in den Hintergrund in einen Vorraum
verlegt worden , an dessen Rückwand das Bild des Gekreuzigten
sich befindet und in dem auch noch einige andere Mönche sitzen.
Fast zu theuer, auf Kosten der lebendigeren Gruppirung, scheint
mir hier die größere Verständlichkeit des Visionären in dem Vor-
gange erkauft. An das spätere Fresko schließt sich dann Taddeo
Gaddi an, bei dem Franz lebhafter im Fluge bewegt in Mitte der
sieben Mönche erscheint, denen links Antonius predigt. Ganz ver-
wandt sind auch die Darstellungen im Klosterhofe von S. Croce
und auf einem Bildchen des Giovanni di Paolo in der Opera
del duomo zu Siena.
19. Die Stigmatisation. Wir stehen vor dem Haupt-
ereignisse in dem Leben des Franz, jenem wunderbaren Vorgang,
in dem die geistige Bedeutung des gottgeweihten Mannes, die in
Worten und Thaten bewährte Nachfolge Christi , symbolisch zu-
sammengefaßt vom Himmel selbst die höchste Weihe erhielt. Hören
wir hier Bonaventura's glaubensvolle Schilderung, um uns un-
bekümmert um die Wirklichkeit des Berichteten voll in die Seele
jener gläubigen Zeit, in die Auffassung der Künstler versetzen zu
können, die dies größte Wunder in Bildern und Skulpturen dem
Volke zur stets sich erneuernden Verehrung veranschaulichten.
Nachdem der Biograph erzählt , wie Franz sich auf den Berg
Alvernia zurückgezogen, zu Ehren Michael's gefastet und mannich-
fache Verzückungen erfahren hat , fährt er fort : ^)
„Da ward es durch göttliche Weissagung seinem Geiste ein-
1) Cap. vm, s. 777.
Die Darstellungen der Legende. 145
gegeben , daß ihm durch Oeffnen des Evangeliums von Christus
offenbart würde, was an ihm und von ihm Gott am meisten will-
kommen sei. Nachdem er daher mit vieler Frömmigkeit ein Gebet
vorausgeschickt, nahm er das heilige Evangeliumbuch vom Altare
und ließ es im Namen der heiligen Dreieinigkeit durch seinen Ge-
nossen, einen gottergebenen und heiligen Mann öffnen. Als er
aber bei dreimaligem Oeffnen des Buches immer auf die Leidens-
geschichte Christi stieß, da erkannte wahrlich der von seinem Gott
erfüllte Mann, daß, wie er Christum in den Thaten seines Lebens
nachgeahmt, er ihm auch gleich sein solle in den Betrübnissen und
Schmerzen des Leidens, bevor er aus dieser Welt hinüberginge. . . ,
Als er daher wiederum von seraphischen Sehnsuchtsgluthen zu Gott
getrieben und in der Süßigkeit des Mitleids sich ganz in Den ver-
setzte, der aus allzugroßer Liebe gekreuzigt werden sollte, sah er,
als er um die Zeit des Festes der Erhöhung des heiligen Kreuzes
an einem Tage früh auf einem Abhang des Berges betete, einen
Seraph, der sechs feurige und strahlende Flügel hatte, von der
Höhe des Himmels herabkommen. Und als er im schnellsten Fluge
in der Luft nahe zum Manne Gottes gekommen, erschien zwischen
den Flügeln das Abbild eines gekreuzigten Menschen, der in Form
eines Kreuzes und an ein Kreuz geheftet die Hände und Füße
ausgestreckt hatte. Zwei Flügel erhoben sich über seinem Haupte,
zwei waren zum Fliegen ausgespannt, zwei andere aber verhüllten
den ganzen Körper. Da er dies sah, erschrak er heftig, und eine
Freude gemischt mit Trauer kam über sein Herz. Denn er ward
fröhlich ob des anmuthsvollen Anblicks , da er sah , daß Christus
selbst in der Gestalt des Seraph ihn anblickte ; aber die Kreuz-
anheftung durchschnitt seine Seele mit dem Schwerte mitleidenden
Schmerzes. Er verwunderte sich über die Maßen über den An-
blick der so unerforschlichen Erscheinung : wohl wissend , daß die
Schwäche des Leidens so gar nicht übereinstimmt mit der Un-
sterblichkeit des seraphischen Geistes. Endlich , da Gott es ihm
offenbarte, erkannte er daraus, daß eine solche Erscheinung durch
göttliche Vorsicht seinen Blicken sich darbiete, damit er als Freund
Christi vorauserkenne , daß er nicht durch das Martyrium des
Fleisches, sondern durch die Brunst des Geistes ganz zur Aehnlich-
keit des gekreuzigten Christus verwandelt werden solle.
So ließ die Erscheinung, als sie verschwunden, eine wunderbare
Gluth in seinem Herzen zurück : zugleich aber drückte sie seinem
T h o d e , Franz von Assisi. I q
146 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Fleisch das nicht minder wunderbare Abbild der Zeichen ein. Denn
sogleich begannen an seinen Händen und Füßen die Zeichen der
Nägel zu erscheinen , wie er sie kurz zuvor an dem Bilde des ge-
kreuzigten Mannes gesehen. Denn in die Mitte der Hände und
Füße geheftet zeigten sich die Nägel, wie denn die Nägelköpfe in
der inneren Seite der Hände und an den oberen der Füße er-
schienen und ihre Spitzen gegenüber zum Vorschein kamen. Und
die Köpfe der Nägel an Händen und Füßen waren rund und
schwarz, die Spitzen aber länglich, rückwärts gedreht und wie zurück-
geschlagen, traten aus dem übrigen Fleische selbst hervor und
überragten dasselbe. Die rechte Seite auch, wie von einer Lanze
durchbohrt, zeigte eine verharschte, rothe Wunde, die, oft das
heilige Blut ergießend, die Tunica und das Hüfttuch besprengte."
Von Berlinghieri an bis auf die neuesten Zeiten ist das wunder-
bare Ereigniß, das seit Christi Zeiten seines Gleichen nicht hatte,
unzählig oft dargestellt worden. Es würde wenig verlohnen, alle
die mehr oder weniger gelungenen Kunstwerke aufzuzählen und
zu beschreiben , da sie im Wesentlichen nur wenige Verschieden-
heiten zeigen, wie solche ja der Stoff an sich unmöglich machte.
Je weiter aber die Kunst fortschritt, desto mehr mußten die Künstler
es sich angelegen sein lassen, das Wunderbare des äußeren Vor-
ganges in den Zügen des Heiligen sich abspiegeln zu lassen. Die
Verzückung , das Staunen , ja selbst das Leiden des räthselhaft
Gekreuzigten zu schildern, war immer wieder eine lohnende Auf-
gabe. Dazu kam die verlockende Aufforderung, der Phantasie in
der Darstellung der wildeinsamen Natur vollen Lauf zu lassen, der
Landschaft eine wichtige Rolle in dem Drama einzuräumen. Von
größerem gegenständlichen Interesse sind nur die ersten Versuche
im XIII. Jahrhundert, da die ganze spätere Kunst bis 1500 an
dem von Giotto geschaffenen Schema den Hauptmotiven nach fest-
hält. So sind zunächst folgende, zum Theil schon erwähnte Dar-
stellungen zu vergleichen :
1. Fresko im Baptisterium von Parma.
2. Berlinghieri. Pescia, S. Francesco.
3. Sienesische Schule. Siena, Akademie N. 16.
4. Sienesische Schule. Siena, Akademie N. 17.
5. Meister des Franz. Fresko, Unterkirche in Assisi.
6. Glasfenster der Oberkirche zu Assisi.
7. Margaritone .? Florenz, Akademie.
Die Darstellungen der Legende. 147
8. Das Bild in S. Croce in Florenz.
9. Schule von Siena. Siena, Akademie N. 303.
10. Zeitgenosse Cimabue's. München, Pinakothek N. 980.
Ganz für sich steht das Fresko in Parma, das im eigentlichen
Sinne gar nicht die Stigmatisation darstellt. Franz (vgl. oben S. 75)
steht wie predigend oder sprechend neben einem stehenden Seraph
von gleicher Größe. Man hat gezweifelt, ob beide Figuren in Be-
ziehung zu einander gedacht sind — mir scheint es unmöglich, sie
trennen zu wollen , da sie einestheils kompositioneil offenbar zu
einander gehören, anderntheils der Geflügelte durchaus nicht analog
auf sonstigen entsprechenden Wandfeldern wiederkehrt , sondern
nur einmal: rechts von unserer Darstellung und zwar hier selbstständig
gedacht, aber zugleich als der bestimmte Seraph der Ezechiel'schen
Vision gekennzeichnet, welch' letztere demnach in eine Art Parallele
zu der des Franz gestellt ist. Von dem dramatischen Vorgang
freilich ist nicht die Rede, was für eine frühzeitige Entstehung
sprechen dürfte.
Die anderen Bilder schildern die thatsächliche Begebenheit
und stimmen zunächst darin überein , daß sie alle Franz allein , in
bergiger Landschaft unweit seiner verschiedenartig dargestellten
Zelle oder Kirche knieend, die Vision zu Theil werden lassen. Der
Seraph ist einer wörtlichen Auffassung der Legende zufolge als
eine von drei Flügelpaaren umgebene jugendliche Gestalt in ge-
kreuzigter Stellung, aber ohne Kreuz gezeichnet. Meist schwebt
er senkrecht über Franz , der anfangs bei Berlinghieri die Hände
zum Gebet gefaltet hat, dann dieselben nach oben ausstreckt ; nur
auf dem Margaritone zugeschriebenen Bilde der Akademie und auf
dem in S. Croce ist er, offenbar in der künstlerisch durchaus zu
billigenden Absicht, die arge Kopfverdrehung des Heiligen zu ver-
meiden, mehr nach rechts verlegt. Anfangs fehlen die Strahlen,
welche die wunderbare Uebertragung der Wundenmale verdeutlichen
sollen , gänzlich. Erst auf den beiden erwähnten Bildern stellen
sie als drei breite Streifen die direkte Verbindung zwischen dem
Seraph und dem Verzückten her und zwar in der Art, daß sie auf
den Heiligenschein des letzteren fließen und so gewissermaßen
denselben bilden. Auf dem schon öfters erwähnten Bilde in Siena
dagegen sind es fünf, die von den Füßen des Engels ausgehend
Franziskus' Hände, Füße und Seite treffen. Der Künstler des
Münchencr Gemäldes hat sie als rothe Blutstrahlen gedacht.
148 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Den verschiedenartigen Versuchen und Auffassungen seiner
Vorgänger machte Giotto, als er in Assisi das Wunder zuerst dar-
zustellen hatte, ein Ende, indem er das wesentliche Schema der
Komposition endgültig feststellte. (Abb. 19.) Auf felsigem Boden
am Abhang eines mit wenigen Bäumen bewachsenen Berges, an
den sich links eine kleine Kapelle lehnt, kniet auf dem rechten
Beine, das linke vorgestellt, Franziskus und empfängt, die Hände
wie erschreckt öffnend und nach oben schauend, die dreifachen
Strahlen, die von den Malen des großen Engels ausgehen, der
in der Stellung des Gekreuzigten , durch den Kreuznimbus als
Christus gekennzeichnet, rechts in der Höhe schwebt. Im Vorder-
grunde rechts sitzt der Genosse vor seiner Zelle , in das Lesen
eines Buches vertieft. — Neu und von verständigem künstlerischen
Gefühle eingegeben ist zunächst die Stellung des Heiligen, die, eine
klare Sonderung der Strahlen ermöglichend, fortan vor allen anderen
beliebt bleibt, neu, daß Christus selbst der Erscheinende ist, neu
endlich die Hinzufügung des Genossen. Daß die letztere nur aus
dem Streben , die Bildfläche mehr zu beleben , hervorgegangen,
zeigen die beiden anderen erhaltenen Darstellungen der Stigmati-
sation von Giotto, auf denen der Bruder nicht erscheint, das Bild
im Louvre^), das im Uebrigen genau dem älteren Fresko ent-
spricht, und das Wandgemälde über der Capeila Bardi. (Abb. 6).
Auf letzterem versucht Giotto dem Franz eine andere Stellung zu
geben : nach links gewandt knieend wendet er sich zum Seraph
nach rechts zurück, die Hände wie erschreckt erhoben. Christus
erscheint hier am Kreuze , die strenge schematische Anordnung
der Flügel weicht einer mehr naturalistischen , freieren Bewegung,
indem das hintere Schwingenpaar abstehend den Körper trägt,
das zweite hinter den Armen ausgespannt ihn in der Schwebe hält,
das dritte halb vor ihm sich öffnend den Flug zu hemmen scheint.
Auch Taddeo Gaddi läßt den Mönch fort und hält sich in der
Stellung mehr an Giotto's ältere Werke. Beeinflußt von dem Bilde
in der Oberkirche ist die Stigmatisation in der Unterkirche zu
Assisi, die Vasari als Arbeit des Meisters selbst bewunderte, während
sie doch unzweifelhaft von demselben Künstler ist, der die ganze
Passion Christi daselbst im Stile der Lorenzetti gemalt. Zwar zeigt
Christus am Kreuz wie in jenem Bilde in S. Croce eine freiere
1) Abb. Plön. PI. XXI, S. 234.
Die Darstellungen der Legende, 149
Anordnung der Flügel, doch verräth die etwas ungeschickte, ge-
zwungene Stellung des Franz, dessen Züge den Ausdruck des
Leidens tragen, sowie der rechts unfern einer etwas zu kleinen
Kirche sitzende, lesende Mönch die Anlehnung an Giotto's Jugend-
werk. Nicht lange nachher mag der weitere Schritt geschehen
sein, den Bruder in eine direkte Beziehung zu dem Vorgang zu
setzen. Schon auf einem kleinen Bildchen der Sienesischen Schule
aus dem XIV. Jahrhundert in Brüssel (Gall. 400) ist er erschreckt
die Vision gewahrend dargestellt. Wie man sieht, ging darin un-
gestört das künstlerische Gefühl seinen Weg, ohne auf die Tradition
der Legende Rücksicht zu nehmen, der die Augenzeugenschaft des
Mönches geradezu widerspricht. Doch mochte den Franziskanern,
gegenüber den sich wiederholt geltend machenden Zweifeln an
der Wirklichkeit des Wunders, diese Auffassung nur eine will-
kommene sein.
So wird sie auch, als die einer bewegten dramatischen Dar-
stellung günstigste, fast allgemein im XV. Jahrhundert, das durch
einige Darstellungen Gentile's da Fabriano würdig eingeleitet wird.^)
Man darf sich verwundern , wie erfinderisch die Künstler gewesen,
immer neue Motive für das Erstaunen , den Schrecken , die Be-
wunderung des Mönches zu finden, der anfangs nur eine unwesent-
liche Nebenfigur gewesen. Bald kniet er vom übernatürlichen
Glänze geblendet, die Hand mit den Augen beschattend'^), bald ist
er vom Anblick überwältigt zu Boden niedergesunken^), bald eilt
er von Grauen gepackt von dannen. *) Nur einmal auf einem
Bilde des Perugino in Perugia (Gall., Sala del Perugino) erscheinen
zwei Mönche. Franz wird wohl zuweilen dargestellt, wie er im Be-
griffe ist, sich auf die Kniee niederzulassen^), meist aber kniet er
in Verzückung. Die störend steifen Strahlen verschwinden mehr
und mehr. Der Seraph erscheint gewöhnlich als Christus am
^) Bildchen im Besitze des Sigr«, Fomai in Fabriano und ein anderes ebendaselbst
bei Sigfe. Rosei.
^) B. Gatta. Castiglione Fiorentino , S. Francesco. — Macrino d'Alba. Turin,
Gall. — Gentile. Fabriano, Fomai. — A. della Robbia. Prato, Oratorio S. Lodovico. —
Titian. Holzschnitt nach T., von Boldrini. Pass. VI. S. 235, 59. — Gentile's Rieht.
Vatikan, Christi. Mus. — D. Ghirlandajo. Nami, Stadthaus. Predella.
*) D. Ghirlandajo. Florenz , S. Trinitä. — Taddeo Bartoli. Perugia , Gall. —
Pesellino. Paris, Louvre 287. — Perugino, Schule, ebds. 431.
*) Cosimo Rosselli. Florenz, S. Ambrogio.
^) Gatta. Castiglione Fiorentino. — Macrino. Turin, Gall.
I CO Die Darstellungen des Franz und seiner Legende,
Kreuz, zuweilen von Seraphimköpfen oder Putten umgeben^), in
einzelnen Fällen aber ist er als eigentlicher Seraph-) oder als
Christuskind •^) gedacht, oder es zeigt sich an seiner Stelle ein von
Glanz umflossenes einfaches Kreuz*), oder endlich er verschwindet
ganz, wie auf dem Gemälde Giov. Bellini's in S. Francesco zu
Pesaro und auf dem Relief über dem Portal von S. Francesco in
Piacenza. Nur einmal, auf einem Bilde aus der Schule des Taddeo
Bartoli in Perugia, fand ich den bevorzugten Heiligen des Franz,
dem zu Ehren er sich auf den mons Alvernia zurückgezogen :
Michael , gleichsam Wacht haltend , der Vision beiwohnen. Sehr
häufig benutzen die Künstler die günstige Gelegenheit, ihre Kenntniß
der Thiere an den Tag zu legen , und bevölkern die Waldes-
einsamkeit mit allerlei Vierfüßlern, wie Hirschen, Rehen und Bären,
sowie Vögeln, unter denen der Falke, der ja nach Bonaventura's
reizender Legende in inniger Freundschaft mit ihm lebte und ihn
zur nächtlichen hora durch seinen Gesang aufmunterte, besonders
oft wiederkehrt.^) Wohl Keiner aber hat damit einen solchen Miß-
brauch getrieben, wie jener Salvadore d' Antonio, der für S. Fran-
cesco in Messina die Stigmatisation gemalt. Wie Michelangelo 's
Darstellung derselben ausgesehen, die, etwa 1497 für einen Barbier
entworfen, später in S. Pietro in Montorio zu Rom sich befand,
wissen wir leider nicht mehr, — nur daß sie secondo la maniera
antica gemalt war.*)
Wie dann in der späteren Kunst der Italiener aus der Dar-
stellung der Stigmatisation die eines der Vergänglichkeit der Dinge
nachsinnenden Franz hervorgeht, ist schon berührt worden. Wo
sie das Wunder selbst schildern , geschieht es mit dem ganzen
Aufwand überraschender Lichteffekte, die ihrem Sinne entspricht.
^) D. Ghirlandajo. Florenz, S. Trinitä. — Borgognone. Bergamo, S. Spirito. —
Macrino. Turin, Gall.
^) Andrea della Robbia. Prato, S. Lodovico.
^) B. Montagna. (Stich) P. IV. S. 157. 44. — Nicoletto da Modena B. 27.
*) Eusebio. Assisi, S. Damiano. — Tizian. Boldrini's Holzschnitt. — Marcan-
ton's Kupferstich B. 97.
^) Schule von Siena. Siena, Ac. 16 u. 17. — P. Lorenzetti. Assisi, S. F. —
Fresko : Pistoja , S. Francesco. — Altar der Massegne , Bologna. — B. da Majano.
S. Croce. — D. Ghirlandajo. S. Trinitä. — Gatta. Castiglione Fiorentino. — Robbia.
Bibbiena, S. Lorenzo. — Jacopo Bellini, Skizzenbuch. London, British Museimi,
") Vasari VII, 149. Vergl. auch Varchi's Leichenrede in den Quellenschr. f.
Kstgesch. VI, S. 106 und Boissard : Ant. Rom. (Top. Romae) lib. I, S. 10.
Die Darstellungen der Legende. 151
Da schwebt nicht mehr in handgreiflicher WirkHchkeit der Seraph
herab , sondern der Himmel selbst öffnet sich in blendendem
Strahlenglanze , und vor dem Anblick des in weiten Fernen
schwebenden Kreuzes sinkt überwältigt, seiner Sinne fast beraubt,
der Leidende zurück. Kaum denkt man angesichts solcher pa-
thetisch übertriebener Darstellungen noch daran , daß auch schon
Künstler des XV. Jahrhunderts dem Vorgang durch eigenartige
Beleuchtung einen besonderen Reiz zu verleihen gesucht, eben jene
Meister, die mehr wie alle anderen dieser Zeit den Zauber des
Lichtes empfunden zu haben scheinen: Gentile da Fabriano und
Piero della Francesca.')
20. Der Tod des Franziskus. Das Ende des Franz,
den Eindruck seiner rührenden Abschiedsworte auf die Brüder zu
schildern , hat keiner der Künstler außer Giotto versucht. Die
ernste Todesfeier schien einen wirkungsvolleren Vorwurf zu bilden,
zumal sich damit die Verehrung der Wundenmale, die Bekehrung
jenes zweiten Thomas : des Ritters Hieronymus vereinigen ließ.
Giotto nur versuchte es, zeitlich auf einander folgende Begeben-
heiten zu verbinden , indem er im Vordergrund den Augenblick
des Todes selbst wählt, im Mittelgrund bereits die Geistlichen und
Mönche zur Feier der Exequien versammelt zeigt. Wie hätte er
sich auch dem Eindrucke von Bonaventura's tief ergreifender
Schilderung entziehen und diese der allgemeineren Darstellung des
Todtenamtes opfern können ! Daß aber etwas künstlerisch Un-
zuträgliches in einer Zweitheilung, in diesem allzugroßen Gedränge
von Figuren lag, hat er offenbar selbst wohl empfunden, da -er
später, ohne die Klage um den Leichnam aufzugeben, das Ganze
zu dessen Vortheile wesentlich vereinfachte und konzentrirte. .Doch
hören wir zuerst die Worte Bonaventura's-);
,,Als endlich die Stunde seines Hinscheidens nahte, ließ er alle
Brüder, die an dem Orte waren, zu sich rufen und ermahnte sie,
mit liebreichen Worten über seinen Tod sie tröstend, in väterlicher
Zuneigung zur göttlichen Liebe. Ueber die Bewahrung der Geduld
^) In den oben bereits erwähnten Bildern. Vergl. auch des Pomponio Amatheo
Bild in S. Francesco zu Udine , das schon Vasari (V S. 1 20) rühmend erwähnt : da ist
der Aufgang der Sonne dargestellt, deren erste Strahlen den Heiligen treffen,
^) Cap. XIV. S. 781, genau nach Th. II Leg. S. 306, die wiederum auf Th. I
Leg. II Cap. III S. 713 zurückgeht. Bei den T. s. Cap. V S. 741 ganz kurz erwähnt. —
Carmen S. 274 ff.
IC2 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
und der Armuth und der Treue für die heilige römische Kirche
predigte er ihnen, allen übrigen Anordnungen das heilige Evangelium
voranstellend. Da aber die Brüder alle um ihn herumsaßen, breitete
er, die Arme in Kreuzesform erhoben, weil er dies Zeichen immer
geliebt , die Hände über sie aus. Und alle Brüder, die gegen-
wärtigen wie die abwesenden , segnete er in der Kraft und dem
Namen des Gekreuzigten. Obendrein aber fügte er hinzu: Lebt
wohl, ihr Brüder Alle, in der Furcht des Herrn und bleibet immer
in ihm. Und sintemalen die künftige Versuchung und Prüfung
nahe ist: glücklich Die, welche verharren werden in dem, was sie
begonnen haben. Ich aber eile zu Gott, dessen Gnade ich Euch
Alle empfehle. Und als so die liebliche Ermahnung erfüllt, hieß
der von Gott geliebteste Mann ihm das Buch des Evangeliums
bringen und verlangte, daß man ihm das Evangelium nach Johannes,
das an der Stelle beginnt: ,,vor dem Tage des Paschahfestes"
lese. Er selbst aber, so gut er konnte, brach in die Worte dieses
Psalmes aus: ,,Ich habe mit meiner Stimme zum Herrn geschrieen,
mit meiner Stimme habe ich zum Herrn gefleht" und führte ihn
bis zum Ende. ,,Mich," sprach er, ,, erwarten die Gerechten, bis
du mir wiedervergiltst." Endlich als alle Geheimnisse an ihm erfüllt
waren und vom Fleische gelöst die heiligste Seele in den Abgrund
göttlicher Klarheit versunken war, entschlief der selige Mann im
Herrn. Einer aber von seinen Brüdern und Schülern sah seine
selige Seele in Gestalt eines leuchtenden Sternes, auf weißer Wolke
getragen, über viel Wasser in geradem Fluge aufwärts zum Himmel
geführt werden : wie strahlend vom Glänze erhabener Heiligkeit
und erfüllt von dem Reichthum göttlicher Weisheit und Gnade,
Dank welcher der heilige Mann sich das Recht erworben, in den
Ort des Lichtes und des Friedens einzugehen, wo er ohne Ende
mit Christus ruht."
Hatte schon der Meister des Franz in der Unterkirche, im
Gegensatz zu der kalten Darstellung der Exequien auf den Bildern
in S. Croce und Siena, die Trauer der Mönche zu schildern ge-
sucht, so beansprucht diese bei Giotto das Hauptinteresse. Rings
um die ruhig und feierlich liegende Leiche sitzen und knieen die
Brüder, von stillem aber heftigstem Schmerze bewegt ; da faßt der
eine seine Hand, der andere küßt seinen Fuß, andere verbergen
das Gesicht, einer links endlich richtet den Blick nach oben, wo
von vier schlanken Engeln die in runder Mandorla erscheinende
Die Darstellungen der Legende. 153
Halbfigur des Heiligen, der die Hände öffnet, gen Himmel getragen
wird , begleitet von sechs anderen Himmelsboten , die links und
rechts schweben. Im Mittelgrunde stehen zwischen Fackeln tragenden
Mönchen ein Geistlicher, der in der Linken ein Buch, in der Rechten
den Sprengwedel hält, und ein Gehülfe, der das geweihte Wasser
in einem Gefäße trägt. Zahlreiche dicht gedrängte Mönche um-
geben sie. So bewundernswürdig die Szene im Vordergrund em-
pfunden und komponirt ist, so leidet die Komposition doch an
Ueberfülle, und man erkennt den großen Fortschritt Giotto's, ver-
gleicht man damit das Fresko in S. Croce. (Abb. 7.) Da
gelangt die Bewegung der Mittelgruppe klagender Mönche, die
knieend und stehend die Bahre umgeben und seine Hände und
Füße küssen, zu ruhiger Ausgleichung in den feierlich stehenden,
symmetrisch zu Häupten und Füßen der Leiche angeordneten Geist-
lichen. Links liest in Mitte zweier Chorknaben ein Priester die
Messe, zwei Laien stehen dahinter; rechts sieht man drei Mönche
mit einer Todtenfahne und zwei Kerzen und hinter ihnen zwei
andere. In der Höhe aber tragen vier Engel die Halbfigur des
Franz vom Strahlenstern umgeben nach oben, was erschreckt einer
der Brüder unten gewahrt. Neu ist der Gedanke, jenen vornehmen
Ungläubigen , dessen Bekehrung in Assisi noch den Gegenstand
eines gesonderten Bildes abgab, schon hier mit anzubringen. Er
kniet vom Rücken gesehen und legt die Hand in die Seitenwunde.
Kein Wunder, daß diese meisterliche Komposition für die späteren
Florentinischen Künstler im Wesentlichen maßgebend blieb. Ver-
einfacht kehrt sie auf Taddeo Gaddi's Bildchen, reicher gestaltet
bei Benozzo, sowie auf der Predella Cosimo Roselli's in S. Ambrogio
zu Florenz wieder. Dann auch auf der Kanzel Benedetto's daMajano,
der die Szene in eine perspektivisch gesehene Kirche verlegt und
zugleich die Anzahl der Figuren in der Mittelgruppe beschränkt.
Domenico Ghirlandajo dagegen hält sich in der Anordnung ganz
getreu an das Fresko in S. Croce : selbst die zwei Bürger hinter
dem Bischof sind beibehalten, wie dort sind es neun Figuren, die,
um die Leiche versammelt, derselben ihre Liebe und zwar meist
in ganz ähnlichen Geberden bezeugen. Nur den Hieronymus
versetzte er in dem richtigen Gefühle, daß er bei Giotto eine zu
untergeordnete Stellung einnehme, hinter die Bahre und Heß ihn
vorgebeugt die Wunde befühlen. Die Vision, die als solche selbst
hier nicht dargestellt ist, wird offenbar dem mittleren der drei
1 54 I^i^ Darstellungen des Franz und seiner Legende,
Chorknaben rechts zu Theil. — Unabhängig von Giotto entstanden
die Kompositionen Semitecolo's in Venedig (Akademie), der die
von einem hinten stehenden Bischof gefeierten Exequien des
aus den Wunden blutenden Franz schildert, und des Altars in
Bologna, auf dem der konsekrirende Bischof im Vordergrund
vor dem Heiligen erscheint. Ein umbrisches Bildchen dagegen
im Christlichen Museum des Vatikans (Seh. IV, i), das Alle-
gretto's Einfluß zeigt, schließt sich mehr der reichen Darstellung
in Assisi an.
21. Die Vision des Augustinus und des Bischofs
von Assisi. (Abb. 20.) ,, Minister der Brüder," heißt es weiter,
,,in der terra laboris war damals ein Bruder Augustinus, ein Mann
durchaus heilig und gerecht; dieser, zur letzten Lebensstunde ge-
langt, rief plötzlich, nachdem er schon lange die Sprache verloren,
so daß die Umstehenden es hörten , und sprach : , erwarte mich,
Vater, erwarte mich; siehe, schon komme ich mit dir.* Als aber
die Brüder fragten und sich sehr verwunderten, zu wem er so
redete, antwortete er kühn : ,seht ihr nicht unsern Vater Franziskus,
der gen Himmel geht.'" Und sogleich folgte seine Seele, aus dem
Fleische wandernd , dem heiligen Vater. Der Bischof von Assisi
hatte einer Wallfahrt halber sich nach dem Oratorium des Michael
auf dem Berg Garganus begeben ; ihm erschien der selige Franz
in der Nacht seines Hinscheidens und sprach : ,siehe , ich verlasse
die Welt und gehe gen Himmel.' In der Frühe sich erhebend,
erzählte der Bischof den Genossen, was er gesehen, und, nach
Assisi zurückgekehrt, erfuhr er mit Bestimmtheit auf sein eifriges
Nachforschen, daß in jener Stunde, in welcher es ihm durch die
Vision bekannt geworden, der selige Vater aus dieser Welt ge-
wandert war."
Es war eine schwierige Aufgabe, die in der vereinigten Dar-
stellung dieser beiden Visionen Giotto gestellt war und eine be-
friedigende Lösung nicht möglich, um so weniger als der Raum be-
schränkt war. So entschloß er sich, das Fresko in direkte Beziehung
mit dem vorhergehenden zu setzen, die Erscheinung, die dort dem
einen Bruder zu Theil ward, zugleich dem Augustinus und dem
Bischof werden zu lassen. Da der Traum des Bischofs wenig
Anziehendes bot, gab er Diesen rechts auf seinem Lager nur in
halber Figur und konzentrirte das Hauptinteresse auf die andere
Szene, die, phantasievoll frei erfunden, wie es die kurze Erzählung
Die Darstellungen der Legende. 15c
Bonaventura's gestattete , zu den trefflichsten Kompositionen des
ganzen Cyklus gehört. In einem kirchenartigen Raum sieht man
Augustinus, wie er eben, von einem Mönche gehalten, von über-
irdischer Gewalt gleichsam und innerer Sehnsucht zugleich vom
Lager erhoben, sitzend die Arme nach dem gen Himmel fahrenden
Vater ausstreckt. Erstaunt und betrübt betrachten ihn die um-
stehenden Mönche , von denen einer ihn stützt. Ein anderer naht
sich vorn von rechts mit fragender Bewegung, ein dritter rechts
wird die Vision gewahr und fährt erstaunt mit der Rechten an den
Kopf. Ergreifender, wahrer konnten die Worte der Sehnsucht und
Liebe: ,, Erwarte mich, Vater, ich komme!" nicht zum Ausdruck
gebracht werden. Es ist wunderbar zu sehen, zu welcher Freiheit
der Gestaltung im Laufe der Arbeit Giotto schon vorgedrungen, wie
sicher, ja unfehlbar er die inneren Anschauungen zu monumentalen,
ergreifenden Darstellungen zu gestalten wußte. Und solche Kom-
positionen sollte ein Meister zweiten Ranges geschaffen haben .^
Was bUebe dann von Giotto's Ruhme übrig?
Das Fresko der Capeila Bardi, das dieselben Szenen bringt,
steht hinter diesem ersten glücklichen Wurfe weit zurück. Kommt
hier auch der Bischof mehr zu seinem Rechte, der, schlafend auf
dem Lager ausgestreckt, vor dem zwei Männer sitzen, die Halbfigur
des die Hände erhebenden Franz erscheinen sieht , so geht der
Vision des Augustinus der Zauber jener überzeugenden Unmittel-
barkeit, die Lebendigkeit ab. Warum Giotto wohl den Bruder
hier ruhig betend nach rechts gewandt auf dem Lager sitzen läßt,
an dem er doch früher so wahr die Sehnsucht und Aufregung
eines Sterbenden gezeigt? Gelassen steht die Schaar der Mönche,
welche die Exequien zu feiern gekommen sind, am Fußende, nur
einer fährt erstaunt zurück, woraus erst man zu schließen berechtigt
ist, daß Augustinus eben seine Vision mittheilt. Das bezeugt auch
der lauschende Kopf eines anderen Mönches , der hinter Diesem
sichtbar, den Vorhang zurückzieht. Der Unterschied der beiden
Kompositionen liegt darin, daß man, um die in S. Croce zu verstehen,
genau den Vorgang kennen muß , während vor dem Bilde in
Assisi Jeder sogleich fühlt, es stelle die beseligende Vision eines
Sterbenden vor.
Spätere Darstellungen der Legende kenne ich nicht.
22. Die Bekehrung des Hieronymus. (Abb. 21.) Die
älteren Biographen wissen Nichts von dieser Begebenheit, erst
I 56 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Bonaventura schildert sie folgendermaßen^): „Die Bürger von Assisi,
so viel ihrer kommen wollten, wurden zugelassen, jene heiligen
Stigmata mit ihren Augen zu betrachten und mit ihren Lippen zu
küssen. Einer aber unter ihnen , ein Edler, gelehrt und klug,
Hieronymus von Namen, ein sehr berühmter und gefeierter Mann,
der an den heiligen so gestalteten Wundenmalen gezweifelt hatte
und ungläubig war wie Thomas , bewegte glühender und kühner
angesichts der Brüder und der anderen Bürger die Nägel und
betastete die Seite mit seinen eigenen Händen, damit er, indem er
jene wahrhaftigen Zeichen der Wunden Christi befühlend berührte,
jeden Zweifel aus seinem und Aller Herzen wie eine Wunde weg-
schnitte. Deßwegen er auch selbst vielen Anderen zum beständigen
Zeugen dieser mit solcher Gewißheit erkannten Wahrheit wurde
und sie mit einem Eide bei Berührung des Allerheiligsten befestigte.
Die Brüder aber und Söhne, die zum Ende des Vaters herbei-
gerufen waren, weiheten jene Nacht, in welcher der holde Bekenner
Christi abgeschieden war, derart mit göttlichen Lobgesängen , daß
es schien , es wären nicht die Exequien eines Abgeschiedenen,
sondern eine Engelwache."
Es lag im Stoffe, daß dies Bild der Darstellung von Franziskus'
Tode sehr ähnlich ausfallen mußte. Der Heilige liegt auf der
Bahre und vor ihm kniet halb nach links gewandt der vornehm
gekleidete Hieronymus und berührt mit der Linken die Seitenwunde.
Links und rechts nahen sich einige Bürger, rechts zuvorderst ein
Soldat, der auf das Wunder hinweist. Nahe hinter der Leiche
steht dichtgedrängt die Schaar der Mönche, Kerzen in den Händen;
ein Priester, von zwei Gehülfen begleitet, deren einer den Spreng-
wedel ins geweihte Wasser taucht, liest die Messe. Zu Häupten
und zu Füßen stehen Mönche in Chorgewändern mit großen
Fackeln. Der Querbalken in der Höhe, auf welchem Bilder der
Maria mit Kind , des Gekreuzigten und des Michael nach der
Sitte der Zeit angebracht sind, kennzeichnet den Raum als Inneres
der Portiuncula. — Auch hier hat das Verlangen, die Exequien
nach Bonaventura's Vorgang möglichst festlich zu schildern , zu
einer Ueberfüllung geführt, die der Durchbildung und Lebendig-
keit der einzelnen Figuren etwas geschadet hat. Daß die Be-
kehrung des Hieronymus später von Giotto und der folgenden
1) XV, S. 782.
Die Darstellungen der Legende. 157
Kunst mit der Darstellung des Todes verbunden wird , ist bereits
bemerkt worden.
23. Der Leichnam vor San Damiano. (Abb. 36.) „Als
es aber Morgen geworden , nahmen die Schaaren , die zusammen
gekommen waren , Baumzweige , vervielfältigten die Wachskerzen
und trugen unter Hymnen und Gesängen den heiligen Leichnam
nach der Stadt Assisi. Als sie aber an der Kirche San Damiano
vorbei kamen, in welcher jene edle Jungfrau Clara, die jetzt verklärt
im Himmel ist, damals eingeschlossen mit den Jungfrauen weilte,
und dort ein wenig Halt machten , boten sie den heiligen , mit
himmlischen Perlen geschmückten Leichnam jenen heiligen Jung-
frauen dar, ihn zu sehen und zu küssen."*)
Nur eine bildliche Darstellung dieser Szene, die in der Kirche
zu Assisi, ist uns erhalten, aber wir brauchen auch keine andere,
den Zauber dieses rührenden Abschiedes ganz und voll zu empfinden.
Es ist wohl das herrlichste aller der Bilder, in denen Giotto so jung
so Bewundernswerthes geschaffen, und immer wieder kehrt man zu
ihm zurück, sich von ihm entzücken und rühren zu lassen.
Soeben haben die Träger der Bahre, vornehme Bürger von
Assisi, dieselbe vor der reichen Fassade der Kirche niedergelassen,
da eilen von Liebe und Sehnsucht getrieben die lieblichen, jugend-
lichen Nonnen heraus, von dem theuren Vater und Freunde für
immer Abschied zu nehmen. Ihnen voran Clara selbst, die den
Blick auf die stillen, leblosen Züge des Todten gerichtet, sich zu
ihm neigt , mit der Linken die Seitenwunde berührend , mit der
Rechten seinen Kopf hebend. Neben ihr ist in heißer Liebesbrunst
eine Schwester niedergesunken, seine Hand zu küssen. Eine dritte
drückt den Mund auf das Mal des Fußes, während sieben andere
thränenden Blickes aus der Dunkelheit der Kirche hervoreilen,
gleich aufgescheuchten Tauben, wie schön gesagt worden ist. Links
steht die Schaar der Bürger und Mönche , Kerzen in der Hand,
deren Schein die Kirche hell erleuchtet, ein Knabe ist auf einen
Baum gestiegen , Zweige zu brechen. Schlichter und ergreifender
hätte der wortlose Schmerz, die lautere Liebe dieser gottgeweihten
Jungfrauen nicht dargestellt werden können — noch haben sie nicht
die Sprache gefunden, ihr Leid zu klagen, nur der Blick, der un-
beweglich an dem Todten hängt, kündet von der nach Ausdruck
1) B. XV, s. 782.
158 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
ringenden Empfindung. Bald wird sie überströmen in Worten, wie
sie ihnen Thomas von Celano in den Mund gelegt: „O Vater,
Vater ! Was werden war nun thun ! Warum verläßt du uns Un-
glückliche , wem überläßt du uns so vereinsamt } Warum hast du
uns nicht vor dir fröhlich dahin gesandt, wohin du gehst, statt
uns leidend hier so im Stiche zu lassen.? Was willst du, daß wir
so eingeschlossen in diesem Gefängniß thun , da du beschlossen,
niemals mehr, wie du pflegtest, uns zu besuchen.? Mit dir geht
all unsere Tröstung von hinnen, und der Welt begraben bleibt
uns kein gleicher Trost. Wer wird fortan uns trösten in unserer
so großen Armuth an Verdiensten sowohl als Dingen ? O Vater
der Armen , der Armuth Freund ! Wer wird fortan in der Stunde
der Versuchung uns , die wir so zahllose Versuchungen schon er-
litten , beistehen , ein sorglicher Kenner der Versuchungen > Wer
wird fortan uns Geprüfte in der Stunde der Prüfung trösten, ein
Helfer in Prüfungen , die allzu sehr uns getroffen .? O bitterste
Trennung, o feindliche Entfernung ! O allzu entsetzlicher Tod, der
du Tausende von Söhnen und Töchtern, solchen Vaters beraubt,
vernichtest , der du dich eilst , unwiderruflich ihn zu entfernen,
Dank Dem unsere Bestrebungen, so gering sie auch sind, in reichster
Blüthe standen !"i)
24. DieKanonisation. Die Beschreibung der Festlichkeit,
als zu weitläufig zu erzählen , unterläßt Bonaventura. Von den
anderen Biographen sagen nur die tres socii in kurzen Worten :
,,es erfolgten dann diese Dinge in der Stadt Assisi in Gegenwart
von vielen Prälaten und namentlich auch von Fürsten, Baronen
und einer unzähligen Menge Volkes aus allen Theilen der Welt,
die eben jener Herr und Papst zu der Feierlichkeit im Jahre 1228,
im zweiten Jahre seines Pontifikates, hatte zusammenrufen lassen."^)
So blieb es Giotto überlassen, nach seinem Gutdünken die Fest-
lichkeit darzustellen. Die Heiligsprechung gewissermaßen zu be-
gründen, brachte er zugleich einige Figuren an, die bei dem Sarko-
phage, der vorn unten steht, Hülfe suchen und in deren einer,
die vorne liegt, vielleicht jenes Mädchen mit dem verwachsenen
Kopf zu sehen ist. Leider ist die kleinere obere Hälfte des Bildes
1) Th. I Leg. lib. II cap. IV, S. 715 f. — Danach kürzer in der Anon. II Leg.
§ 29, S. 672.
■^) T. s. XVIII, S. 741.
Die Darstellungen der Legende. 1 59
total zerstört. Rings um die Lade ist eine große Volksmenge
versammelt : links stehen zahlreiche Männer, hinten einige Mönche,
rechts sitzen viele Frauen, die zum Theil ihre Kinder mitgebracht
haben. Dahinter rechts sieht man drei Bischöfe und einen in
traurige Gedanken vertieften Mönch sitzen, hinter denen wiederum
viel Volk sich zusammendrängt. Links war die Kanzel , auf der
man sich den Papst, die Heiligsprechung vollziehend, zu denken hat.
Man sieht, wie eifrig der Künstler bemüht war, durch wechselnde
Handlung und Ausdruck der Köpfe, durch gruppenweise Anordnung
der Figuren die allzuleicht sich ergebende Monotonie zu vermeiden.
Außer dieser Darstellung der Szene kenne ich keine andere.
25. Die Vision Gregor's IX. (Abb. 22.) Eigentlich hätte
dieses Bild richtiger seinen Platz vor dem eben besprochenen er-
halten sollen, da die Begebenheit zeitlich vorangeht und Gregor ja
erst durch die Erscheinung bewogen wird, Franz heilig zu sprechen.
Doch hielt sich Giotto an die thatsächliche Reihenfolge des Bona-
ventura, der im i. Kapitel der Wunder die Vision, von der alle
früheren Biographen nichts wissen, folgendermaßen berichtet^):
,,Denn der Papst Gregor IX. seligen Angedenkens, von dem
der heilige Mann weissagend vorausgesagt, daß er zur apostolischen
Würde erhoben werden sollte , trug , bevor er den Fahnenträger
des Kreuzes dem Verzeichniß der Heiligen beischrieb, ein Bedenken
und Zweifel im Herzen über die Seitenwunde. In einer Nacht aber,
wie der glückselige Priester selbst unter Thränen berichtet hat,
erschien ihm der selige Franziskus mit scheinbar strengem Gesicht
im Traume: und das Zaudern seines Herzens der Lüge zeihend,
erhob er den rechten Arm, enthüllte die Wunde und forderte eine
Schale von ihm, das sprudelnde Blut, das aus der Seite floß, auf-
zufangen. Da bot ihm in der Vision der Papst die verlangte Schale,
die bis zum Rande mit dem aus der Seite hervorströmenden Blute
sich zu füllen schien. Von da an begann er von solcher Verehrung
für jene heilige Wunde bewegt zu werden und von solchem Eifer
zu erglühen, daß er in keiner Weise es mehr dulden konnte, daß
irgend Jemand sich herausnahm, jene schimmernden heiligen Zeichen
durch hochmüthige Bekämpfung zu schwärzen, ohne ihn mit strengem
Vorwurf zu verwunden."
Auf reichem Lager, das mit einem Baldachin überspannt ist,
1) B. XVI, S. 784.
l6o Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
läßt Giotto den Papst, den Kopf auf die Hand gestützt, schlafen,
mit der Rechten die Phiole in Empfang nehmen, die ihm der hinten
stehende Franz, der mit der Rechten seine Wunde entblößt, reicht.
Vorn auf dem Boden sitzen vier Diener, der eine rechts in Schlaf
versunken , ein anderer so eben wie von einem Geräusch erwacht,
auch der dritte aufmerksam geworden lauschend , der vierte links
den Rosenkranz betend. Wie schon früher läßt der Künstler also
auch hier die Vision auf unbewußt sie empfindende Nebenpersonen
wirken , wodurch er den Beschauer auf das Wunderbare des Vor-
ganges aufmerksam macht, der sonst durchaus wirklich erscheinen
würde. Darin aber ganz besonders verräth sich das feine und rein
künstlerische Gefühl Giotto's, welches seine Bilder aus der Sphäre
untergeordneter Illustrationen eines als bekannt vorausgesetzten
Textes zu selbständigen, sich aus sich selbst erklärenden Schöpfun-
gen erhebt. Die Komposition kam ihm wieder in Erinnerung, als
er in Santa Croce die bereits besprochene Vision des Bischofs von
Assisi malte. Vielleicht auch hat er den Vorfall als Traumbild,
nicht als eigentliche Vision aufgefaßt, da er, wie später der Meister
der Fresken in Verona, den Heiligen an das Bett herantreten
läßt. Auf dem Altar der Massegne erscheint Dieser in der Luft
schwebend.
26. Die Heilung des Mannes von Herda. Wir werden
im Folgenden sehen , daß Giotto , die Wunderkraft des Heiligen
nach dessen Tode zu schildern , nicht jene älteren Darstellungen
wiederholte, die ihm weniger Gelegenheit bieten mochten, fesselnde
Kompositionen zu entwerfen , und zudem meist die Anwesenheit
des Franz selbst vermissen ließen , sondern daß er sich an einige
ausführliche Schilderungen Bonaventura's hielt. Zunächst an jene
von dem Manne in Katalonien , der eines Nachts auf einsamem
Wege, für einen Andern angesehen, angefallen und schwer ver-
wundet wurde. Der eine Arm samt der Schulter war vom Körper
getrennt worden und in der Brust klaffte eine offene Wunde. Von
den Aerzten aufgegeben, von seiner Frau selbst, die den schlimmen
Geruch nicht ertragen konnte , vermieden , ging er dem gewissen
Tode entgegen und suchte seine Hülfe nur noch bei seinem ge-
liebten Schutzheiligen Franz. ,,Und siehe, während er auf seinem
elenden , einsamen Schmerzenslager lag und wachend laut weh-
klagend immer wieder den Namen des Franziskus rief, stand Einer
bei ihm in Gestalt eines Minoriten , der, wie ihm schien , durch's
Die Darstellungen der Legende. l6i
Fenster eingetreten war; Der rief ihn beim Namen und sprach:
weil du Glauben gehabt hast in mich , siehe , so wird dich der
Herr befreien. Als aber der Kranke ihn fragte, wer er sei, er-
widerte er, er sei Franziskus. Und sogleich sich ihm nähernd löste
er die Binden der Wunden und salbte , wie es schien , alle seine
Wunden mit Salbe. Sobald er aber die weiche Berührung jener
heiligen Wunden , die durch die Kraft der Stigmata des Erlösers
zu heilen vermochten , merkte , ward die Fäulniß vertrieben , das
Fleisch wiederhergestellt und die Wunden zusammengefügt , und
heil und unversehrt erlangte er das frühere Wohlsein wieder; als
das geschehen, schritt der selige Vater hinweg." Da ruft der Ge-
nesene die Frau, die kommt mit den Nachbarn und alle verwundern
sich über das Geschehene.
Auf andere , noch glücklichere Weise , wie auf dem vorigen
Bilde, macht Giotto hier diesen Vorfall verständlich. Während
links zwei Frauen, das Zimmer verlassend, dem draußen stehenden
Arzte sich zuwenden , der in einer Gebärde des Verzweifeins die
Hände nach unten streckt, ist bereits Franz, von zwei Engeln ge-
folgt , deren einer das Salbenbüchschen hält , an das Lager des
Kranken herangetreten und schließt mit der Rechten dessen breite
Seitenwunde, von der er die Binden gelöst hat. Von den Himmels-
bewohnern geleitet, scheint er sichtbarlich aus der Höhe her-
niedergestiegen, dem treuen Bekenner zu helfen. Der scharfe
Kontrast zwischen der Ohnmacht der Menschen , die den Gatten
und Freund aufgeben, und der Kraft des Himmels, die ihn rettet,
verleiht dem Bilde jenes dramatische Gepräge, das Giotto's eigenstes
Erbtheil war.
27. Die Beichte der vom Tode Erwachten. Auch
von diesem Wunder weiß erst Bonaventura zu erzählen^): ,,In dem
Kastrum des Berges Maranus dicht bei Benevent war eine Frau,
die in besonderer Verehrung am h. Franz hing , den Weg alles
Fleisches gegangen. Als aber die Kleriker bei Nacht, die Exequien
und Vigilien mit Psalmen zu singen , zusammengekommen waren,
erhob sich plötzlich Angesichts Aller die Frau auf dem Bette und
rief Einen, der dabeistand, nämlich ihren Pathen, herbei, und sprach :
,Ich will beichten, Vater! Denn gestorben bereits sollte ich einem
harten Gefängniß überantwortet werden , da ich die Sünden , die
1) B. XVI, S. 785.
Thode, Franz von Assisi.
102 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
ich dir offenbaren werde , noch nicht gebeichtet hatte. Aber der
h. Franziskus, dem ich lebend mit fromm ergebenem Sinne gedient
habe, bat für mich, und so ward es mir bewilligt, jetzt zum Körper
zurückzukehren, daß ich durch Enthüllung jener Sünde das ewige
Leben mir erwerbe. Und siehe vor euren Augen werde ich, habe
ich sie geoffenbart , zur versprochenen Ruhe eilen.' Zitternd also
dem zitternden Priester beichtend, legte sie sich, nachdem sie die
Absolution empfangen , ruhig auf das Lager zurück und entschlief
selig im Herrn."
Selbst Giotto mochte es nicht recht glücken, diesen für bild-
liche Wiedergabe wenig geeigneten Vorfall darzustellen. Obgleich
man links in der Höhe Franz , für die Seele betend , vor Christus
knieen sieht, obgleich das eigentlich Wesentliche durch den Engel,
der über der Beichtenden schwebend einen Teufel vertreibt, näher
zu kennzeichnen versucht ist, vermag doch das Bild nicht, lebhafte
Empfindungen in uns hervorzurufen. In einem hohen Räume sitzt
nach links gewandt die Frau auf der Bahre und vertraut dem
hinten knieend sich zu ihr neigenden alten Beichtiger ihr Geheimniß.
Rechts stehen fünf zwischen Klage und Erstaunen schwankende
Frauen und ein Kind , links eine Anzahl von Geistlichen , die mit
Kerzen zur Feier der Exequien gekommen sind. Stärker noch
wie auf dem vorhergehenden Fresko, macht sich eine Neigung für
übertrieben lange Gestalten geltend.
28. Befreiung des Häretiker s Petrus. (Abb. 23.) Ein
der Häresie angeklagter Mann, Namens Petrus, war unter Gregor IX
gefangen genommen worden und wurde vom Bischof von Tibur
in dunklem Gefängniß bei spärlicher Kost gehalten. Da er aber
in sich ging , jeglichen falschen Glauben von sich that und sich
dem h. Franz empfahl, erbarmte sich Gott seiner. ,,Denn vor der
Nacht seines Festtages um die Abenddämmerung stieg der h. Franz
sich erbarmend in den Kerker hinab ; und Jenen bei seinem Namen
rufend , befahl er ihm , schnell sich zu erheben. Der aber von
Furcht erschreckt, wer der Fragende sei, hörte, der h. Franziskus
sei da. Und als er sah , daß durch die Kraft der Gegenwart des
h. Mannes die Fesseln seiner Glieder gebrochen zu Boden fielen
und daß die Thüren des Kerkers geöffnet wurden, da die Nägel
von selbst heraussprangen, und der Weg hinauszugehen ihm offen
stehe, da konnte er vor Staunen darüber, daß er endlich befreit,
nicht fliehen , sondern erschreckte an der Thüre schreiend alle
Die Darstellungen der Legende. 163
Wächter. Als diese dem Bischof gemeldet, daß er befreit von
den Fesseln sei, eilte der Priester, nachdem er den Vorgang der
Sache erkannt, fromm und bewegt zum Gefängniß und betete,
offenkundig die Kraft Gottes erkennend , daselbst den Herrn an.
Die Fesseln wurden auch vor den Papst und die Kardinäle ge-
bracht, die, als sie sahen, was geschehen war, sehr verwundert
Gott segneten.^)
Dieses Wunder, das nur von Bonaventura erzählt wird, be-
schließt den Cyklus der Darstellungen in der Oberkirche. Giotto
wählt den Augenblick, in dem der Gefangene in schlichtem Ge-
wände aus dem Thore eines runden Baues , über dem eine der
Trajanssäule nachgebildete Säule emporragt, das Fußeisen in der
Hand, dasselbe dem Bischof weisend hervortritt. Zwei Krieger
stehen Hnks hinter ihnen und machen den Letzteren , der betend
auf den Knieen liegt, auf das Wunder aufmerksam. Weiter links
stehen vor einem eigenthümlichen Gebäude mit durchbrochenem
Thurme fünf Geistliche, von denen der eine erstaunt nach oben
blickend die gen Himmel fliegende Gestalt des Heiligen gewahrt.
Die Komposition , deren Eindruck durch die manierirte Länge der
Figuren etwas beeinträchtigt wird, ist vortrefflich dramatisch ent-
worfen — man könnte an ihr studiren , was unter dem frucht-
barsten Moment zu verstehen ist. Der geistige Urheber des
Wunders mußte selbst noch sichtbar sein, sollte es verständlich
werden. Die Oertlichkeit ward durch die antiken Bauwerke (das
Septizonium des Severus) unschwer als Rom bestimmt. Eine durch-
aus andere Lösung der Aufgabe fand Giovanni Santi auf seinem
Bilde in Cagli : da befreit Franz selbst, von einem Engel geleitet,
aus dem Gefängniß den Bekehrten, auf dessen Namen sein in der
Nähe stehender Schutzpatron Petrus hindeutet.
So ausführlich in den achtundzwanzig Fressen Giotto's in der
Oberkirche zu Assisi die Franziskuslegende behandelt erscheint,
so war doch damit der reiche Stoff noch nicht erschöpft. Noch
wußte Bonaventura durch mancherlei Erzählungen die Künstler zu
fesseln , und so scheint es geboten , ehe die Darstellung einiger
später entstandenen Legenden ins Auge gefaßt wird , den be-
sprochenen Werken noch eine Reihe anderer in der Betrachtung
») B. XVI, S. 790.
104 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
folgen zu lassen, die das Lebensbild des Heiligen zu einem Ganzen
abzurunden vermögen.
Die Erweckung des aus dem Fenster gefallenen
Knaben, ein Wunder, das nur Bonaventura kennt ^): ,,Das kaum
siebenjährige Söhnchen eines Notares in der Stadt Rom , das in
kindlicher Weise der Mutter, die zur Kirche des h. Markus ging,
zu folgen verlangte, während es doch von ihr zu Hause zu bleiben
gezwungen wurde, warf sich aus einem Fenster des Palastes herab
und hauchte , durch die heftige Erschütterung zerschmettert , so-
gleich den Geist aus. Die Mutter aber, welche noch nicht weit
fortgegangen war, kehrte auf das Geräusch des Stürzenden , den
jähen Fall des theuren Pfandes der Liebe ahnend , schnell zurück ;
und als sie den Sohn durch so bejammernswerthen Fall ihr entrissen
fand, legte sie an sich selbst die rächenden Hände und regte durch
Schmerzensgeschrei die ganze Nachbarschaft zur Klage auf. Ein
Bruder aber vom Orden der Minoriten, Namens Raho, der sich
dorthin um zu predigen begab , eilte zu dem Knaben hin und
sprach, erfüllt vom Glauben zum Vater : glaubst du, daß der Heilige
Gottes : Franz deinen Sohn von den Todten erwecken kann. Dank
der Liebe, die er immer zu Christus gehabt, der gekreuzigt wurde,
um den Menschen das Leben wiederzuschenken } Und auf die Ant-
wort Jenes, er glaube fest und bekenne es im Glauben und wolle
für immer der Knecht des Heiligen sein , wenn er durch Dessen
Verdienst ein so großes Geschenk von Gott zu empfangen ge-
würdigt werde, warf sich jener Bruder mit dem ihn begleitenden
Bruder im Gebet nieder, auch die anderen auffordernd, zu beten.
Als dies geschehen, begann der Knabe ein wenig den Mund zu
öffnen, erhob sich selbst mit offenen Augen und erhobenen Armen ;
und sogleich wandelte er vor Allen unversehrt, Dank der wunder-
baren Kraft des Heiligen dem Leben und der Gesundheit zugleich
wiedergeschenkt."
Als eine Ergänzung zur Legende der Oberkirche finden wir
diese Begebenheit, wie die folgende, an der Schlußwand des rechten
Querschiffes der Unterkirche dargestellt und zwar von demselben
Meister, der die Kapelle des h. Nikolaus ausgemalt hat und der
wohl kein Anderer als Giotto selbst ist.^) Dieser sah sich hier ge-
1) Cap. XVI, S. '/86.
-) Vergl. Beschreibung von S. Francesco w. u. Abb. Plön. PI. XXVI, S. 268.
Die Darstellungen der Legende. 165
nöthigt , wollte er verständlich sein , zwei verschiedene Zeitpunkte
der Handlung neben einander zu schildern. Links fällt aus dem
thurmartigen Palaste kopfüber der Knabe herab. Unten aber sieht
man ihn, wie er wiedererweckt zum Leben betend sich erhoben
hat. Dicht hinter ihm , mit innigem Blick ihn anschauend , kniet
die Mutter, links sind drei andere Frauen , rechts von ihm die
beiden Mönche niedergesunken, um die sich im Kreise eine große
Menge knieender Frauen versammelt hat. Vor ihnen befindet sich
im Gebet vertieft der Vater, während vor der Fassade von S. Marco
Leute stehen, von denen einer gen Himmel schaut, wo eben Franz
von einem Engel gefolgt verschwindet. Einige andere Zuschauer
sieht man im Hintergrund. Die Darstellung läßt das rechte drama-
tische Leben vermissen, man liest auf den Gesichtern wenig mehr
als eine dankbare Frömmigkeit, da doch der wunderbare Vorfall
staunenswerth genug war, die Augenzeugen in lebhafte Erregung
zu versetzen. Dazu macht sich eine gewisse Unklarheit in der ge-
drängten Anordnung geltend.
Einfacher und wirksamer ist des Taddeo Gaddi kleines Bildchen
in der Berliner Gallerie (Nr. 1074) komponirt, obgleich hier die
Handlung in drei aufeinanderfolgenden Momenten geschildert wird.
Links stürzt aus dem Fenster eines Gebäudes der weiß und roth
gekleidete Knabe herab. . Dann sieht man ihn unten, in ein Leichen-
tuch gehüllt, liegen und neben ihm links die Mutter knieen , die
mit emporgestreckten Armen zu dem ihr erscheinenden Franz
betet, während rechts die beiden Mönche knieen, hinten eine Frau.
Doch schon ist auch das Wunder vollzogen: hinter der Bahre steht
dankbar betend der lebende Knabe.
Domenico Ghirlandajo , der das Unkünstlerische in diesem
Nebeneinander empfand , versetzt den Sturz des Kindes kaum
erkennbar in die perspektivisch hinten gesehene Straße und be-
schränkt sich darauf, den Augenblick der Erweckung wieder-
zugeben. Er läßt den durch das Machtwort des in der Höhe
erscheinenden halbfigurigen Franz soeben erwachten Knaben auf
der Bahre in der Mitte sitzen , neben der zwei Frauen sitzen und
eine dritte erstaunt die Hände bewegend steht. Links kniet mit
aufgelösten Haaren die betende Mutter, hinter ihr die beliebte
Schaar florentiner Bürger und Frauen, denen ganz rechts eine
andere entspricht. Rechts knieen betend aufschauend die Mönche.
Wie bei Taddeo ist hier keine bestimmte Figur auf den Vater zu
l66 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
deuten. Das Ganze geht so theilnahmlos vor sich, daß man kaum
glauben sollte, ein bedeutsames Wunder sich vollziehen zu sehen.
Erweckung des durch den Einbruch eines Hauses
Getödteten. Die Begebenheit, die eben so schwer wie die
vorhergehende bildlich darzustellen war, wird folgendermaßen von
Bonaventura und zwar von ihm allein berichtet^):
,,In der Stadt Suessa, in einem Theile , der ,Bei den Säulen'
genannt wird, brach plötzlich ein Haus zusammen, verschlang einen
Jüngling und tödtete ihn sofort. Die Männer aber und Frauen,
die , von dem Getöse des Zusammenbruchs aufgeregt , von allen
Seiten zusammenliefen , erhoben hie und da das Holz und die
Steine und gaben der unglücklichen Mutter den todten Sohn zurück.
Diese aber, von bitterstem Schluchzen erfüllt, rief so laut sie es
konnte mit schmerzerfüllten Worten: ,H. Franziskus, h. Franziskus,
gieb mir meinen Sohn wieder'. Nicht allein aber sie, sondern alle
Anwesenden erflehten mit Ungestüm die Hülfe des seligen Vaters.
Da aber kein Laut noch ein Gefühl in ihm war, legten sie den
Leichnam auf eine Bahre und erwarteten den kommenden Tag,
ihn zu begraben. Die Mutter jedoch , die Glauben an den Herrn
hatte, that ein Gelübde, sie wolle den Altar des h. Franz mit einer
neuen Decke bekleiden, wenn er ihren Sohn ins Leben zurückriefe.
Und siehe da , um die Mitternachtsstunde begann der Jüngling zu
gähnen, und wie die Glieder warm wurden, erhob er sich lebendig
und unversehrt und brach in Worte des Lobes aus. Aber auch
den Klerus, der zusammen gekommen war, und das ganze Volk
forderte er auf, Gott und dem h. Franz mit fröhlichem Geiste Lob
und Dank darzubringen."
In zwei Darstellungen, die links und rechts von dem Eingang
zur Nikolauskapelle sich befinden , zerlegt Giotto die Ereignisse
der Erzählung. Auf der einen sieht man neben dem eingebrochenen
Hause zwei Männer den Leichnam halten , der von drei Bürgern
traurig betrachtet wird, während die Mutter mit aufgelösten Haaren
den verlorenen Liebling küßt. Hinter ihr stehen klagend , an
den Haaren sich reißend und die Wangen zerkratzend, drei andere
Frauen , noch andere Klagende kommen von rechts. Auch hier
macht sich eine gewisse Willkür in der Anordnung geltend , der
Schmerz ist mit großer Leidenschaftlichkeit dargestellt. Auf dem
1) B. Cap. XVI, S. 786.
Die Darstellungen der Legende. 167
andern Bilde sehen wir eine große Anzahl von Klerikern und
Bürgern links vor einem Hause mit offener Loggia, in der Franz
fliegend den sich erhebenden Todten erfaßt und segnet , ver-
sammelt. Ein in mißlungener perspektivischer Ansicht zu klein
gerathener Mann weist sie zurück auf den rechts hinter ihm die
Treppe herabsteigenden Erweckten, dem betend die Frauen folgen.
Rechts vorne wohnt eine Gruppe von Männern dem Vorgang bei.
Beide Kompositionen verrathen die Stileigenthümlichkeiten Giotto's,
lassen sich aber an Prägnanz und künstlerisch harmonischer Auf-
fassung den Fresken der Oberkirche nicht gleichstellen.
Das Martyrium der sieben Brüder. Obgleich das Ende
der sieben gottbegeisterten Franziskaner nicht eigentlich mit dem
Leben des Franz zusammenhängt, hat man doch frühe angefangen,
es mit in die Darstellungen desselben einzureihen und so Franz
selbst in der Höhe schwebend erscheinen und seinen Söhnen in
der Stunde des Todes durch seine Gegenwart Muth verleihen zu
lassen. Die Legende selbst weiß Nichts davon zu erzählen, sie
schildert nur, wie sich unter Leitung des Daniel, Ministers von
Calabrien, die Brüder Samuel, Angelus, Donatus, Leo, Nikolaus
und Hugolinus , von sehnlichem Verlangen nach dem Martyrium
getrieben , nach Afrika in die Stadt Septa zu den Sarazenen be-
geben. Durch Nichts abgeschreckt zu predigen und vergeblich vom
Könige zum Widerruf aufgefordert , befiehlt Dieser endlich sie zu
tödten. Da lassen sie sich von Daniel , der sie umarmt und in
ihrer Gottergebenheit stärkt, segnen und schreiten dann muthig in
den Palast des Königs. „Sie gingen aber in großer Freude und
den Herrn mit unendlicher Lust der Seele lobend dahin , gleich
als ob sie zu einem prächtigen Mahle geladen wären. Als sie
aber zum Ort der Todesstrafe gekommen, beugten sie ihren Nacken,
empfahlen die Seelen dem Herrn und erlangten durch Trennung
der Häupter die Krone des Märtyrerthums. Ihre heiligen Köpfe
aber wurden zermalmt und die Körper elendiglich von den Kindern
und Sarazenen zerstückelt." ^)
Die zwei ältesten erhaltenen Darstellungen sind ein der be-
kannten Folge angehöriges Bildchen des Taddeo Gaddi in der
Akademie zu Florenz und die Reste eines großen Fresko des Am-
^) Nach dem Text der Legende bei Sedulius : Historia seraphica vitae B. P. Fran-
cisci. Antwerpiae 1613. S. 175 — 77.
l68 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
brogio Lorenzetti in S. Francesco zu Siena. Auf ersterem schwingt
soeben der Henker das Schwert, einem über den Leichen anderer
Mönche knieenden Mönch den Kopf abzuschlagen. Am Leben sind
nur noch der Hnks stehende Minister und ein Bruder. Rechts zwei
Soldaten. Oben erscheint Franz vor einer Glorie, aus der Gottes
Hand kommt, wie er auf die Schreckensszene herabweist und für
die unglücklichen Söhne bittet. Bewegter, aufgeregter schildert
Lorenzetti den Vorfall. Da sitzt der barbarische König in gothischer
Halle, das Schwert über die Kniee gelegt, auf dem Thron und
schaut nach links, wo vorne ein Henker das Schwert gegen einen
von drei knieenden Mönchen schwingt, während im Hintergrunde
einige Befehlshaber zuschauen. Franz selbst ist hier nicht sichtbar.
Wohl aber auf dem Relief des Benedetto da Majano, das unzweifel-
haft die vollendetste bildliche Darstellung des Vorganges ist. Hier
sieht man auf seinem Thronsessel rechts den Sultan mit einem
seiner Weisen sprechen , während links ein halbnackter Mann sein
Schlächterhandwerk betreibt. Vier Brüder liegen schon enthauptet,
dem fünften droht der Streich, zwei andere knieen gottergeben
seitwärts. Hinter ihnen stehen einige andere Mönche. Im Hinter-
grunde gewahrt man vor einer Kirche Daniel, wie er die dem Tod
Geweihten segnet, während Franz . knieend in der Höhe von den
Händen Gottes die Gewährung seiner Fürbitte erhält. — Die Fresken-
reste in einer Seitenkapelle von S. Francesco in Pistoja sind zu
gering, als daß sich Bestimmtes über die Komposition aussagen
ließe, und von den Gemälden Lorenzo's di Bicci an der Fassade
von S. Croce und Perugino's in S. Francesco zu Perugia, von denen
Vasari spricht, ist Nichts mehr erhalten.^)
Auf den Antheil, den Franz an den in sehr geringer Zahl
erhaltenen Darstellungen des Lebens der Chiara hat, namentlich
auf ihre Weihe zur Himmelsbraut, ist nur kurz noch hinzuweisen,
auch verdienen eine Anzahl unwesentlicher Begebenheiten, die in
dem ermüdend ausgesponnenen Cyklus im Klosterhofe von S. Croce
verbildlicht wurden, nur flüchtige Erwähnung: wie er die Regel
schreibt, Almosen spendet, verschiedene seiner Jünger einkleidet,
wie Petrus und Paulus ihm erscheinen und den Schatz der Armuth
zusichern^), wie der Knabe, der ihn Nachts vor himmlischer Er-
1) Vasari II, S. 51 und III, S, 580.
-) Fioretti cap. XIII.
Die Darstellungen der Legende. 169
scheinung beten sieht, leblos zu Boden gesunken'), und andere
künstlerisch und inhaltlich wenig interessante Dinge. Bemerkens-
werth ist nur, daß auch jene Vision des Pacificus, in der Dieser
zwei sich kreuzende Schwerter vor dem predigenden Franz er-
scheinen sah, hier vorkommt. Jenes von der späteren, namentlich
spanischen Kunst mit so großer Vorliebe verwandte Motiv des dem
Saitenspiel des Engels lauschenden Heiligen, das auf die anmuthige
Erzählung Bonaventura's zurückgeht"), fand ich nur einmal in dem
uns beschäftigenden Zeitraum und dabei nebensächlich verwerthet
in dem landschaftlichen Hintergrunde einer Madonnendarstellung
des Andrea del Sarto, die sich jetzt im Museum zu Madrid befindet.
3. Die spätere Legendendichtung und ihre Darstellungen.
Im Laufe der Zeit ward die schon bei Bonaventura an wunder-
baren Ereignissen so reiche Lebensbeschreibung des Franz noch
durch allerlei, zum Theil in dessen Geiste, zum Theil spitzfindig
absichtlich erfundene Begebenheiten erweitert und ausgeschmückt.
Da gewann zunächst in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts
die Ueberlieferung von dem durch Christus selbst ihm bewilligten
Portiuncula-Ablaß eine festere Form. Dann entstand das für die
weiteren Kreise des Volkes bestimmte Speculum, das mit stärkerer
Hervorhebung des Wunderbaren den Lebenslauf des gotterfüllten
Menschen neu erzählte. Endlich verstieg sich jener Bartholomäus
Pisanus zu seinen ,,conformitates", in denen das Leben des Franz
nach dem Christi umgemodelt und umgedeutet wurde. Im All-
gemeinen hat diese spätere Dichtung der Kunst verhältnißmäßig
wenig neue Stoffe zugeführt, wenn auch die Mönche wiederholt bei
der Ausschmückung ihrer Kirchen den Künstlern statt des Bona-
ventura das Speculum als Richtschnur in die Hand gegeben haben
mögen. So geschah es unter anderen in S. Bernardino zu Verona,
woselbst die Fresken als Erklärung noch jetzt zum großen Theil
den Text des Speculums tragen. Doch hat auch schon Benozzo,
wie gezeigt werden soll, einiges Wenige der neuen Franzlitteratur
entlehnt. Im Wesentlichen aber folgt die Kunst des Quattrocento,
wie wir gesehen, Giotto und Bonaventura, so daß in diesem Ab-
schnitte nur Einzelnes ergänzend nachzutragen ist.
1) Fioretti cap. XVII.
-) B. V, S. 756 nach Th. II Leg. III, 66. S. 186.
I70 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
I. Die Darstellungen der Legende des Portiuncula-
Ablasses. Aus dem hellen Reiche poetisch verklärter Geschichte
treten wir in das Halbdunkel willkürlicher Erfindung. Keiner der
alten Biographen erwähnt auch nur mit einem Worte die' wunder-
bare Ertheilung des Ablasses und dennoch ist dieser, als historisch
beglaubigt, der katholischen Kirche das wichtigste Faktum in
Franzens Leben geworden. Unter den Anhängern Luthers sind die
Männer zu suchen, die zuerst mit Entrüstung die ganze Geschichte
eine Fabel nennen : Erasmus Alberus und Martinus Chemnitius,
denen am Ende des XVII. Jahrhunderts Remis folgt. ^) Ist auch die
Zahl der Gegner eine verschwindend kleine gegenüber den Gläubigen,
so ist doch die Frage , wie Hase richtig sagt , für den Historiker
längst entschieden. Wer mit Aufmerksamkeit in Suysken's Kom-
mentar das dort am bequemsten zusammengestellte Material ver-
gleicht, kommt ohne Wahl zu folgenden allgemeinen Resultaten.
Die alten Lebensbeschreibungen erwähnen den Ablaß nicht
und die Versuche , dies Schweigen zu erklären , entbehren jeder
Berechtigung. Es finden sich ferner keine päpstlichen Stiftungs-
briefe. Erst im Jahre 1277 tauchen allerlei Zeugnisse auf, die sich
auf einen pater Massäus — welcher unter den so genannten Jüngern
gemeint sei , ist nicht herauszufinden — und den frater Petrus
Zalfanus berufen. Die Erzählung ist hier noch einfach, weiß Nichts
von der Erscheinung Christi, erwähnt nur die einmalige Bestätigung
durch den Papst und die Verkündigung vor den sieben Bischöfen.^)
Dann hört man erst wieder im Anfang des XIV. Jahrhunderts von
der Legende und zwar durch einen fälschlich 1327 datirten, viel-
mehr bald nach 1307 geschriebenen Brief des Theobald, Bischofs
von Assisi.^) Hier wird bereits von der nächtlichen Vision des
Franz gesprochen, die ihn veranlaßt, zu Honorius zu gehen und
von Diesem vollständigen Ablaß zu erbitten. Auf dem Heimwege
erhält er in einem Traum die himmlische Bestätigung. In einem
^) Albertus: Der Barfuser Münche Eulenspiegel. Wittenberg. 1542. — Chemni-
tius: examen Conc. Trid. P. IV, c. 12. — Remis: tractatus brevis historico-theologicus
1697. — Ds.: dissertatio hist. theol. Köln. 1701.
-) Das wesentlichste Zeugniß das des Benediktus von Arezzo und Raymerius de
Mariano v. J. 1299 in einem Codex von 1325 in Assisi.
■') Derselbe ist nämlich benutzt in der Chronica Fabrianensis , die ein 1322 ge-
storbener Bruder Franziskus geschrieben. Die Stelle könnte allerdings interpolirt sein.
Es heißt aber vom Irater Marinus, daß er ,,noviter circa annum 1307" gestorben sei.
Die Darstellungen der Legende. 171
Schreiben des Bischofs Konrad von Assisi 1335 endHch hat die
Geschichte ihre endgültige Form erhalten. Hier tritt in ganz loser,
unvermittelter Weise zu dem Bisherigen die Rosenlegende hinzu,
und in recht geistloser Art ist die Handlung dadurch ausgedehnt,
daß zwei Visionen in der Kapelle und in der Folge auch zwei
Bestätigungen durch den Papst erzählt werden.') Offenbar ist diese
Legende gemacht worden ! Die außerordentliche Verehrung, welche
der Ort genoß, der Zusammenlauf des Volkes mag, wie Hase be-
merkt, das Verlangen hervorgerufen haben, der Kirche durch den
Ablaß eine noch höhere Bedeutung und Würde zu verleihen. Im
Volke selbst mögen sich die wesentlichen Bestandtheile der Erzählung
gebildet haben , die dann durch jene Schreiben der Bischöfe eine
bestimmtere Form erhielten. Es scheint mir nicht unmöglich, daß
speziell die Rosenlegende, welche ja an die ähnhche in Subiaco
heimische Benediktinerlegende erinnert, schon vor des Franziskus
Lebzeiten in irgend einer Weise mit dieser Benediktiner -Nieder-
lassung Portiuncula in Beziehung gestanden.-) Um 1335 also erst
hat die Geschichte von der Ertheilung des Ablasses an Franz ihre
ausgeprägte Form erhalten. Damit geht es denn wohl zusammen,
daß ihre älteste künstlerische Verherrlichung etwa in die Mitte des
XIV. Jahrhunderts anzusetzen ist — nämlich jenes Fresko, welches
angeblich Puccio Capanna an der Fassade der Portiuncula gemalt
haben soll. Noch Giotto, als er die Oberkirche ausschmückte, hat
offenbar Nichts von dem Ablaß gewußt : wie hätte er sonst ver-
gessen dürfen, solch' bedeutungsvolles Ereigniß in dem Leben des
Franz zu verherrlichen.''
Ehe wir einen kurzen Blick auf die Darstellungen der Legende
werfen, müssen wir diese, wie sie im Schreiben Konrad's ver-
zeichnet ist, aber abgekürzt erzählen. Der Bischof verstand es
nicht zu schildern , wie ein Thomas von Celano oder ein Bona-
ventura — die Unwahrheit rächte sich an ihm ! Franz ist hier nicht
derselbe Mensch, der uns so voll Leben, eine so ganz in sich ab-
geschlossene und verständliche Natur aus den älteren Lebens-
^) Vielleicht bezeichnet des Bartolus Geschichte des Ablasses, die 1470 in Trevi
gedruckt sein soll, aber schon Anfang des XIV. Jahrh. geschrieben sein muß, das
Zwischenstadiura zwischen beiden Briefen. Auch hier die doppelte Bestätigung, nur
fehlt noch die Geschichte von den sieben Bischöfen.
-) Vgl. zur Rosenlegende : Gregor's vita des heil. Benedikt in den Acta SS. März
III. Bd. S. 278.
1^2 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
beschreibungen entgegentritt, sondern ein schemenhaftes Werkzeug
kirchHcher Zwecke, wie tausend Andere. Welche ihm ganz wider-
sprechende Rolle ist in dieser Geschichte dem schlichten, bescheidenen
Manne zugedacht ! Es giebt kein lehrreicheres Beispiel dafür, wie
groß der Unterschied zwischen der historisch begründeten und nur
volksthümlich ausgeschmückten Legende und der künstlich ge-
zwungen erdachten Legende ist. Die alten Biographieen hat sozu-
sagen Franz selbst gemacht, da er die Biographen unter den Bann
seiner großen historischen Persönlichkeit zwang, jene Ablaßfabel
ist auf Franz gedichtet worden. Dort lebendiger, rascher Fluß der
Erzählung, farbenreiche und treffende Schilderung, hier ermüdende
Weitschweifigkeit, trockener prosaischer Ton, Unglaubwürdigkeit
der Handlung. Man sieht , es kam nur auf eines an , den Ablaß
und seine Verkündigung immer von Neuem mit fataler Peinlichkeit
zu wiederholen, als ließen sich durch Wiederholungen die un-
sicheren Sachen glaubhafter machen.^)
Als Franz, so erzählt die Legende, eines Nachts in glühendem
Gebete in seiner Zelle bei der Portiuncula verweilte, ward ihm ge-
offenbart, daß Christus mit Maria und vielen Engeln in der Kirche
sich befinde. Er eilt dahin und wirft sich vor dem Altare zu
Boden nieder. Da fordert ihn der Heiland auf, eine Bitte zum
Heile des menschlichen Geschlechtes zu thun. Franz fleht ihn an,
allen Denen, welche die Kirche betreten, Ablaß von ihren Sünden
zu gewähren. Als Maria selbst sich für ihn verwendet, gewährt
Christus die Bitte, befiehlt ihm aber, die Bestätigung in Seinem
Namen vom Papste zu verlangen. Wohlgemuth macht sich Franz
am anderen Morgen mit dem Bruder Massäus auf und geht zu dem
damals in Perugia befindlichen Honorius III., dem er sein Anliegen
vorträgt. Als Dieser ihn fragt, auf wie viele Jahre der Ablaß sich
erstrecken solle, erwidert er: ,, Heiliger Vater, es gefalle Eurer
Heiligkeit mir nicht Jahre, sondern Seelen zu geben." Dann erbittet
er vollständige Indulgenz im Namen Christi. Nach einigem Zaudern
sagt Honorius : fiat in nomine Dei , und läßt sich von dem Ent-
schlüsse auch nicht durch die Bedenken der Kardinäle abbringen.
1) Brief des Theobald: Acta SS. S. 879 ff. — Brief des Konrad ebds., auch bei
B. Pisanus lib. conf. II. B. II. S. 135 — 139. Ital. Uebersetzung von Pieraccino
Pieri von Plorenz 1309, publ. in: Sulla indulgenza della Porziuncula, testo inedito dal
Trecento, publ. da T^uigi Lenzotti, Modena 1872. Danach bei Guasti: La basilica di
S. M. d. Angeli. Florenz 1882. S. 15 ff.
Die Darstellungen der Legende. 173
„Darauf beugt der heilige Franziskus sein Haupt vor dem Papste
zur Verehrung und geht fort, um den Palast zu verlassen und nach
S. Maria degli Angeli zurückzukehren. Als ihn der Papst so weg-
gehen sieht, ruft er ihn und sagt: ,0 einfältiger Narr, was nimmst
du denn mit von diesem Ablaß } ' Antwortet Franz : ,Heiliger Vater,
mir genügt Euer Wort allein. Ist es das Werk Gottes, so kommt
es Ihm zu, es zu offenbaren, und darüber will ich kein anderes
Instrument noch eine Bulle, außer daß das Papier die Jungfrau
Maria, der Notar Christus sei und die Engel die Zeugen.* Auf
dem Heimwege wird ihm dann in einem Traumbilde die Gewißheit
der himmlischen Bestätigung des Ablasses." ^)
Nach der Portiuncula zurückgekehrt, betet darauf einst Franz
Nachts in der Zelle, als der Teufel ihm naht und ihn versuchen
will. Schnell entkleidet er sich, eilt nackt hinaus und wirft sich
in die Dornen, sein Fleisch zu züchtigen. Siehe, da erscheint
plötzlich großes Licht um ihn , und an dem Strauße fangen rothe
und weiße Rosen zu blühen an, und eine Schaar von Engeln zieht
an ihm vorbei nach der Kirche zu , ihn auffordernd , eben dahin
zu Christus und Maria zu kommen. Im Begriff in die Zelle zu
eilen, um sich anzukleiden, sieht er, daß er bereits durch ein
Wunder mit der Tunika versehen. Da bricht er zwölf rothe uud
zwölf weiße Rosen vom Strauch und eilt zur Kapelle, wobei es
ihm scheint, als wäre der Weg mit seidenen Stoffen belegt. Als
er die Rosen auf den Altar legt, gewahrt er über ihm Christus
und Maria. Auf die Frage des Ersteren , warum er säume , den
Wunsch der Mutter Gottes zu erfüllen, ersucht er den Herrn, ihm
den Tag zu bestimmen. Auf Bitten der Maria nennt Dieser darauf
die Zeit von der Vesper des l. bis zur Vesper des 2. Augustes und
befiehlt ihm, zum Papste zu gehen und ihm als Beleg seiner höheren
Sendung die Rosen zu zeigen.
Mit drei Genossen macht sich Franz am nächsten Tage auf,
kommt nach Rom , stellt sich mit Verehrung dem Papste vor und
überreicht ihm die Rosen. Nachdem Honorius Rath gehalten mit
den Kardinälen, gewährt er Franz den Ablaß für den bestimmten
Tag und verspricht ihm, zu diesem die Bischöfe von Assisi, Perugia,
Todi , Spoleto , Foligno , Nocera und Gubbio zu senden , damit
^) Soweit geht die Erzählung der Legende bei Theobald. Das folgende, die
Bestimmung des Tages, taucht erst bei Bartolus und Konrad auf.
174 ^'^ Darstellungen des Franz und seiner Legende.
sie dem Volke die Gnade verkündeten. Als nun der Tag nahte,
ließ Franz eine Kanzel bauen und begab sich mit den Bischöfen
auf dieselbe. Auf ihre Bitten verkündete er dann selbst in langer
Predigt dem versammelten Volke den Ablaß. Da erstaunten Jene,
denn sie hatten nicht geglaubt, daß die Indülgenz für immer und
alle Zeiten gelten sollte. Einer nach dem Andern nimmt das Wort,
um Franz entgegen nur lo Jahre Dauer für sie festzustellen, aber
auf göttlichen Willen verwandeln sich ihnen unbewußt die eigenen
Worte und sie wiederholen und bekräftigen wider die eigene Ab-
sicht, was Franz gesagt. So ward der Portiunculaablaß veröffentlicht.
Es ist wohl nicht nur ein Zufall , daß diese wenig fesselnde
Legende, gleichsam als verdiente sie es nicht, von einem Künstler
ersten Ranges nicht dargestellt worden ist, und daß die mit ihr
sich beschäftigenden Bilder uns so kalt lassen, wie die Erzählung
selbst. Der Erste, der die Ertheilung der Indülgenz zu malen
hatte , war nach Vasari Puccio Capanna , dessen Fresko an der
Oberwand der Fassade der Portiuncula schon zu des Aretiners Zeit
arg von dem Lampenqualm geschwärzt war. ^) In einem Briefe
vom II. Januar 1492, der an zwei Bürger von Assisi gerichtet ist
und von einem Legat von 1 2 Gulden handelt , das von Mariotto
di Lodovico d'Assisi gestiftet worden, ,,um jene Devotion oberhalb
der Thüre der glorreichsten Jungfrau Maria zu restauriren", schlägt
Bernhardin von Siena vor, das Geld lieber zu einem neuen Dor-
mitorium zu verwenden , ,,das nothwendiger erscheint , als jene
Malereien, die mir sehr gefallen, einmal weil sie fromm sind, dann
auch wegen des Andenkens, das man hat, daß unser h. Vater selbst
sie habe malen lassen. Denn ich fürchte , daß besagte Malereien
durch Retouchiren verdorben werden" ^). Offenbar meint er jenes
Fresko des Capanna, doch scheint sein frommer Wunsch nicht in
Erfüllung gegangen zu sein , da nach Vasari vermuthlich in eben
jener Zeit Niccolö Alunno aus Foligno die Fassade bemalte.'^) Ob-
gleich dessen Bild wiederum einer neuen Komposition von Martelli
im Jahre 1639, die 1688 von Providoni restaurirt wurde, und
letztere endlich im vorigen Jahrhundert dem Fresko Overbeck's
') I, s. 403.
^) Vergl. Guasti: a. a. O. S. 93, wo der Brief nach dem Manuskripte des Gri-
maldi: Dissertazione suU' antica chiesa che circondava Portiuncula, das in S. M. d. A.
aufbewahrt wird, publizirt ist.
3) m, s. 510.
Die Darstellungen der Legende. 175
weichen mußte , erhalten wir doch , wie Milanesi und Guasti be-
merkten, eine Anschauung von Alunno's Arbeit aus einem der
Fresken Tiberio's in der Capeila delle Rose, auf dem die alte
Portiuncula dargestellt ist. Darnach sah man über der Thüre von
Engeln umgeben Christus in Wolken thronen, wie er mit der
Rechten drei Schlüssel , das Symbol des Ablasses , der tiefer links
knieenden Maria reicht, unterhalb welcher Franz in reichem pluviale
kniet. Neben ihm sieht man eine betende Frau, rechts die drei
knieenden Genossen. Vermuthlich wiederholte diese Komposition
nur die Grundzüge des Capanna'schen Bildes.
Später als letzteres, nämlich 1393, sind die kleinen Seiten-
kompositionen zu der in der Portiunculakapelle befindlichen Ver-
kündigung entstanden, die früher demselben Meister zugeschrieben
wurde, obgleich neuere Untersuchungen eine Inschrift zu Tage ge-
fördert haben, nach welcher sie vom Prete Ilario da Viterbo gemalt
ist. ^) In fünf Szenen, deren Darstellungen uns nur aus einem ricordo
des Providoni im Archive der Kirche bekannt werden, da sie selbst
nicht sichtbar sind, giebt Ilario die Legende.-) Da ist zunächst
darge.stellt , wie Franz nackt in den Dornen steht, dann wie ihn
zwei Engel in die Kapelle führen, wie er, den Blick auf die Er-
scheinung des Christus und der Maria gerichtet, vor dem Altar
kniet, auf dem Rosen liegen, wie er die Rosen dem Papste bringt,
endlich wie der Ablaß verkündigt wird. — Der gleichen Zeit etwa
mag ein Fresko in S. Francesco zu Arezzo angehören, das mir
von Parri Spinelli zu stammen scheint und Franz zeigt, wie er
nach links gewandt betend vor der Fassade einer Kirche kniet, über
der Christus mit Engeln ihm erscheint. Ein Engel weist ihn auf
den Herrn hin. Obgleich die Darstellung mit keiner der Visionen
genau übereinstimmt, ist doch offenbar die erste gemeint gewesen.
Dann wäre ferner ein Fresko an einem Hause in Assisi zu er-
wähnen, das von einem schwächlichen Nachahmer des Benozzo in
der Art des Matteo da Gualdo gefertigt wurde, der drei Szenen
auf einer Komposition verbindet. In der Höhe erscheint Christus
sitzend, in der Linken den Rosenkranz, neben ihm Maria, Beide
*) Vergl. Guasti : a. a. O. S. 62 : Istam tabulam fecit fieri Frater Franciscus de
Sancto Gemino de helemosinis procuratis A. Domini 1393 incepta de mense Augusti
completa de mense Novembris in istis partibus durante guerra et caristia. Presbiter
Ylarius de Viterbo pix.
■^) Vergl. Guasti a. a. O.
176 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
umgeben von anbetenden und musizirenden Engeln. Unten kniet
Franz, einen Kranz von Rosen haltend, von zwei Engeln berührt.
Rechts führt ein anderer ihn nach links dem Altar zu. Links reicht
er knieend in gothischer Halle dem Papst, der von Bischöfen um-
geben ist, den Kranz.
Ihre Verherrlichung in einem Cyklus größerer Fresken fand
die Legende erst durch die Hand des Tiberio d'Assisi, der sie
zweimal und zwar fast in durchaus gleicher Weise : 1 507 in der
dicht bei S. Maria degli Angeli gelegenen Capella delle Rose, die
an dem Orte des Wunders erbaut und im XV. Jahrhundert er-
weitert worden war, und 15 12 in einer Kapelle im Vorhof von
S. Fortunato dicht bei Montefalco malte. Wie Ilario vertheilt er
die Handlung auf fünf Bilder ^) :
I. Die Geißelung. Der blondbärtige Heilige kniet halbnackt, in
der Rechten die Geißel, vor einer Strohhütte im Gestrüpp.
Links (in Montefalco rechts) von ihm stehen zwei Engel, der
eine betend, der andere die Linke in die Hüfte gestemmt.
II. In der Mitte von zwei Engeln, deren einer auf die Rosen in
der Hand des Franz zeigt , während der andere auf die nicht
sichtbare Kirche weist, schreitet der Heilige gesenkten Blickes
in einer Landschaft nach rechts.
III. Hier kniet er betend die Hände erhebend nach halb links ge-
wandt vor dem Altare, über dem in Wolken der segnende
Christus sitzend erscheint. Neben Diesem sitzt die Hände
empfehlend nach Franz ausgestreckt links Maria. Eine Schaar
musizirender Engel , die in der üblichen Perugino'schen Weise
angeordnet sind, umgiebt sie, zwei andere knieen betend links
und rechts vom Heiligen, dessen Rosen auf dem Altar liegen.
Die Vermittlung der Maria kommt hier weniger deutlich zum
Ausdruck als bei Alunno.
IV. Vor dem rechts in einer Halle sitzenden Papste, der erstaunt
die Rechte erhebt, kniet Franz und reicht ihm die Rosen dar.
Links kniet ein anderer Mönch. Im Mittelgrunde sitzen die
Kardinäle und links stehen drei Laien, deren vorderster dem
Beschauer zugewandt auf den Heiligen weist. ^)
1) Vergl. für die Fresken in Assisi die Photographien Carloforti's. — Beschrei-
bungen auch bei Guasti: a. a. O.
2) Abb. Plön. S. 117.
Die Darstellungen der Legende. 177
V. Rechts auf einem Gerüst steht nach links gewandt eine zahl-
reiche knieende Volksmenge, Frauen und Männer, unter denen
einige im Pilgergewande predigen, hinter ihnen die sieben
Bischöfe. Rechts vorn stehen Knaben, links und im Hinter-
grunde viele Männer vor der Fassade der Portiuncula, neben
welcher links noch ein vergittertes Gebäude sich befindet. ^)
Viel Erfreuliches ist von diesen Bildern nicht zu sagen. Sie wieder-
holen schlecht und recht die Stellungen und Typen der umbrischen
Hauptmeister, namentlich, wie mir dünkt, des Pinturicchio.^)
Etwas später ist das bedeutende Glasfenster von S. Francesco
zu Arezzo , das Vasari dem Guglielmo de Marcilla zuspricht, ent-
standen. Auf ihm sehen wir dargestellt, wie Franz knieend, inmitten
zweier Reihen von Kardinälen nach links gewandt, dem thronenden
Papste die Rosen überreicht. Rechts knieen seine vier Genossen.
Endlich mögen noch kurz die zwei Bilder aus dem Cyklus in
S. Bernardino zu Verona erwähnt werden, auf deren einem die Vision
und im Hintergrunde die Geißelung in den Dornen, auf dem andern
geschildert ist, wie Franz selbst, ein zweiter Christus, aus dem Lim-
bus die Seelen der Sünder emporzieht, die von Engeln nach oben
getragen werden.
2. Die Begegnung des Franz mit Dominikus. Es
kann wohl kein Zweifel mehr darüber sein, daß die beiden großen
Ordensgründer sich selbst persönlich gekannt und wenigstens ein-
mal sich gesehen und gesprochen haben. Bleibt es auch mehr als
fraglich, ob Dominikus im Jahre 12 19 dem ersten Generalkapitel
der Franziskaner beigewohnt, wovon erst das Speculum und Bar-
tholomäus Pisanus zu erzählen wissen, so verdient, wie bereits oben
erwähnt, die Angabe des Thomas von Celano, der in seiner II. Leg.
(III, 86, S. 213) von einem Zusammentreffen in Rom zur Zeit des
Honorius berichtet, gewiß Glauben. So ist es auch sehr wahr-
scheinlich, daß die schon im XIII. Jahrhundert auftauchende Legende
von der Vision des Dominikus, deren bildliche Darstellungen wir
hier zu vergleichen haben, an jene Erzählung des Thomas an-
knüpft und zugleich ihre Entstehung der Absicht verdankt , das
^) Abb. Plön. S. 119.
^) Außerdem sind in Assisi noch in dem an die Kapelle stoßenden kleinen
Oratorium von derselben Hand in größerem Bilde Franz mit seinen Begleitern, femer
die Heiligen Chiara, Antonius, Bonaventura, Ludwig, Rosa und Bemhardin, an der
Decke Gottvater gemalt.
Thode, Franz von Assisi. 12
178 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
Gemeinsame der beiden Orden auf ein gemeinschaftliches Handeln
ihrer Stifter zurückzuführen.^) Obgleich der Erste, der sie berichtet,
der Bruder Gerardus de Fracheto^), als Gewährsmann den General
der Dominikaner Jordanus, der sie durch andere Predigermönche
von einem Gefährten des h. Franz erfahren, geltend macht, erwähnt
Jordanus doch den wunderbaren Vorfall mit keinem Worte in seiner
Biographie des Dominikus. Dagegen wird die Geschichte auch von
dem Zeitgenossen des Gerardus, Theodoricus de Apolda^), erzählt
und zwar mit der Bemerkung, man wisse von ihr durch Franz
selbst. Wie dem auch sei , so verdanken wir die meisten Dar-
stellungen der Legende doch den Dominikanern und zwar tauchen
sie erst im XV. Jahrhundert auf.
,,Als nach gewohnter Sitte Dominikus des Nachts in einer Kirche
wachte," erzählt jener Theodoricus, ,,sah er den zur Rechten des
Vaters sitzenden Sohn sich im Zorne erheben, um alle Sünder der
Erde zu tödten und Alle, die Ungerechtes thäten, zu verderben.
Er stand aber schrecklich anzusehen in der Luft und schwang
gegen die im Argen liegende Welt drei Lanzen; die eine, um
damit die stolzen Nacken der Hochmüthigen zu durchbohren, die
andere, um mit ihr die Eingeweide der Habsüchtigen auszuschütten,
die dritte, um mit ihr die fleischlichen Begierden Ergebenen zu
durchstoßen. Da aber Niemand seinem Zorne widerstehen konnte,
eilte gnädig gesinnt die Jungfrau und Mutter herbei und bat ihn,
seine Füße umfangend, daß er Derer schonte, die er selbst erlöst
habe, und die Gerechtigkeit durch Barmherzigkeit mäßige. Da
sprach der Sohn zu ihr: , siehst du nicht, wie viele Beleidigungen
mir auferlegt werden } Meine Gerechtigkeit erträgt so viel Schlechtes
nicht ungestraft.' Darauf spricht die Mutter: ,Du, der Du Alles
weißt, weißt auch, daß es einen Weg giebt, auf dem Du sie zu
Dir führen wirst. Ich habe einen treuen Knecht, den Du in die
Welt senden wirst, daß er ihnen deine Worte verkündige und sie
zu Dir, dem Heiland Aller, bekehrt werden. Auch einen andern
Knecht habe ich, den ich ihm zum Helfer geben werde, damit er
^) Vergl. eine Stelle in der vita S. Dominici von Bartholomäus Tridentinus. Acta
SS. Aug. T. I, p. 560. Ferner die gemeinsame Encyclica der beiden Ordensgeneräle
von 1255 bei Wadding: Annal. T. III p. 380 ff. Ausführlicheres in Suysken's Kommentar,
a. a. O. § XIV, S. 605, und in Hase's Franz von Assisi.
*) Vitae Fratrum I, l. Acta SS. Aug. I, p. 442.
^) Acta SS. a. a. O. p. 576. — Auch bei Suysken a. a. O. § XIV, S. 605.
Die Darstellungen der Legende. 179
in gleicher Weise handle.' Der Sohn sprach : ,Siehe, versöhnt hat
mich Dein Anblick. Du aber zeige mir Die, welche Du so großer
Aufgabe bestimmen willst.' Da brachte die Herrin Mutter dem
Herrn Jesus Christus den seligen Dominikus dar. Und der Herr
sprach zur Mutter: ,gut und eifrig wird er vollbringen, was Du
gesagt.' Sie brachte ihm auch den h. Franz dar, den der Herr
in gleicher Weise lobte. Dominikus aber betrachtete aufmerksam
in der Vision den heiligen Genossen, den er zuvor nicht gekannt
hatte, und als er ihn am folgenden Tage in der Kirche antraf, er-
kannte er ihn aus dem , was er in der Nacht gesehen hatte , und
mit heiligen Küssen ihn aufrichtig umarmend, sprach er: ,Du bist
mein Genosse, du wirst gleichen Schritt mit mir halten ; stehen wir
zusammen, dann wird kein Gegner etwas wider uns vermögen.'
Auch erzählte er Jenem die Vision. Von da an sind sie ein Herz
und eine Seele geworden im Herrn, was sie auch ihren Nachfolgern
für ewig zu bleiben geboten."
Die anmuthige Erzählung drückt treffend die Anschauung der
Zeit von der Bedeutung der beiden mächtigen Genossenschaften
aus. Wie die beiden Männer vom Abte Joachim vorher verkündet
waren, der eine als eine Taube, der andere als ein Rabe, wie ihre
Bilder schon vor ihrer Geburt auf sein Betreiben in S. Marco zu
Venedig angefertigt sein sollten, wie sie von den Päpsten selbst
als die zwei großen Lichter gepriesen wurden, so erschienen sie
auch in der Phantasie des Volkes vereint, in inniger Liebe ver-
bunden. Wie es ja auch Dante ausspricht (Par. XI, 40, 41):
Von Einem Sprech ich, weil, was man von ihnen
Auch preisen mag, man nie vom Andern schweigt.
Die erste mir bekannte Darstellung dieser Vereinigung ist in dem
Frcskencyklus des Hofes von S. Croce erhalten. Da tritt noch
ganz die wunderbare Vision in den Vordergrund. Rechts knieen
Dominikus und Franz, der mit geschlossenen Augen hier als der
Träumende aufgefaßt erscheint, neben einander, und über ihnen in
der Luft stehend weist Maria Christus auf sie hin. Dieser in
schwebender Bewegung sticht mit drei Lanzen nach den Köpfen
von drei Personen, die links auf einer Rasenbank vor Bäumen
sitzen. Die vorderste, ein Krieger mit Keule und Schild, ver-
sinnbildlicht den Hochmuth, die zweite, eine Frau, welche einen
Geldbeutel umfassend allzu deutlich ihre Sinnesart erkennen läßt, die
Sinnenlust, die dritte, eine Frau, die in der Rechten einen Kamm
l8o Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
haltend sich im Spiegel beschaut, die Eitelkeit der Welt. Ob
Paolo Uccello's Fresko in S. Trinitä die Szene ähnlich darstellte,
ist nicht bekannt.
Ihre eigentliche Verherrlichung findet die Begegnung der Mönche
erst durch Fra Angelico , der auf einem reizenden Bildchen der
Berliner Galleric zeigt^), wie Franz und Dominikus, vor der Thüre
einer Kirche auf sich zuschreitend, sich die Hände reichen. Je ein
Gefährte ist Zeuge des erhebenden Anblicks. In der Luft links
oben sieht man in einer Glorie Christus sitzen, der in der Linken
zwei Pfeile, in der Rechten einen dritten nach Maria hinhält, welche,
die Linke vor der Brust, vor ihm kniet und auf Dominikus hin-
weist. Ähnlich erscheint die Begrüßung auf einer kleinen Zeichnung
desselben Meisters im Berliner Kupferstichkabinet,
Dem Vorbild seines Lehrers folgte Benozzo auf einem der
Fresken in Montefalco , läßt aber hier die Freunde sich schon
inniger umarmen.^)
Später dann tritt die eigentliche Vision in den Hintergrund
und man begnügt sich, die Umarmung und Liebesbezeugungen der
Beiden, also das ohne jedes Wunderbare verständliche schöne
Motiv allein zu geben. Am herrlichsten mag es wohl Andrea
della Robbia auf seinem Relief in der Loggia der Piazza di
S. Maria Novella in Florenz verstanden haben, einem Werke, das zur
Legende Anlaß gegeben, die Heiligen hätten sich einst in jenem
ehemaligen Kloster des h. Paulus getroffen.'^) (Abb. 24.) Mög-
lich immerhin, daß die Darstellung selbst durch eine alte Tradition
des Hospitals hervorgerufen wurde und ihrerseits später dieselbe
wieder befestigte.^) Das würde noch glaubhafter, bezöge sich eine
von Wadding nach Marianus gebrachte Angabe von einer ganz
alten gleichen Darstellung daselbst auf ein älteres Bild und nicht
auf jenes Relief'"^) — Das Zusammentreffen der Heiligen allein
schildert auch Fra Angelico auf einem Bildchen der Gallerie in
Parma (429), dann ein Schüler Botticelli's (Paris, Louvre 186),
Benedetto Coda (Rimini, Dom), ein Venezianer in einer Zeichnung
zu London (Brit. Mus. , Sloane Collection, fälschlich Giorgione zu-
1) Abb. Plön. a. a. O. S. 100.
^) Abb. bei v. Liitzow: Kunstschätze Italiens, 1885, S. 355.
^) Abb. auch bei Plön. Heliogr. S. 106.
*) Vergl. Vasari II, i8of. — Annales ord. Praedicatorum 1756. Bd. I, p. 272.
'') Wadding: Annales I. Bd., S. 113, der die Begegnung ins Jahr 1 2 1 1 , verlegt.
Die Darstellungen der Legende. l8l
geschrieben) , und Fra Bartolommeo auf dem Hintergrunde seines
großen Bildes im Louvre (57), das die Verlobung des Christkindes
mit Katharina von Siena darstellt.^)
3. Die Geburt des Franz kenne ich nur in einer Dar-
stellung, dem Fresko Benozzo's in Montefalco , das die bewußte
Nachbildung der Geburt Christi deutlich verräth. Der Erzählung
nach litt die Mutter an heftigen Wehen, als einst ein göttlicher
Bote in Gestalt eines Pilgers zu ihr trat und ihr sagte, sie werde
nicht in kostbarem Gemache, sondern im Stalle den Sohn gebären.
Den Worten folgend sucht sie den niedrigen Aufenthaltsort auf
und wird dort durch die schmerzlose Geburt des Franziskus be-
glückt. Bei Benozzo nehmen, entsprechend der Inschrift, die wohl
im XV. Jahrhundert an jener Örtlichkeit angebracht wurde:
Hoc Oratorium fuit bovis et asini stabulum,
In quo natus est Franciscus mundi speculum,
die beiden Thiere Theil an der bewegten Szene. Eine Frau reicht
einer anderen das Kind, während eine dritte sich am Boden zu
thun macht. Links tröstet eine vierte die Mutter.
Eine große Reihe von Kunstwerken ist an unsrem Blick vor-
übergezogen. Schauen wir noch einmal zurück, so drängt sich uns
der Eindruck, welche Fülle des Neuen und Bedeutenden mit Franz
und seiner Legende der Kunst geschenkt worden war, stärker und
überzeugender auf. Zuerst gleich nach dem Tode des populären
Mannes gewahrten wir allüberall die Versuche, sein Andenken in
zahlreichen Bildnissen lebendig zu erhalten, das eifrige Bemühen,
getreue Portraits zu schaffen, das schließlich im Laufe der Zeit dem
Bestreben, weniger die Züge, als das Wesen des Mannes idealistisch
aufgefaßt wiederzugeben, weichen muß. Wir haben dann gesehen,
welche wichtige Rolle die asketische Figur des Franz in der weite-
ren Kunstentwicklung spielt, von welcher Bedeutung die Aufgabe,
eine so gewaltige Innerlichkeit im Bilde rein äußerlich darzustellen,
für den Künstler der Renaissance gewesen ist. Endlich haben wir
in der Legende des Franz den ersten großen allgemein verständ-
lichen, populären Stoff, der seit der evangelischen Erzählung von
Christi Leben entstanden, kennen gelernt, haben ihn auf den Be-
^) Vgl, auch Zeichnungen desselben in London: Brit. Museum und Lille: Musee
Wicar 251.
l82 Die Darstellungen des Franz und seiner Legende.
gründer der neuen Malerei wirken sehen ! Zu Giotto und seinem
Freskencyklus in der Oberkirche müssen wir noch einmal hier zu-
rückkehren.
In diesen Werken eines jungen Geistes, der mit so wunder-
barer Sicherheit in der Gestaltungskraft das Richtige zu trefifen
wußte, tritt uns die volle Überlegung und die reife Wahl entgegen,
die sonst nur eine Mitgift des höheren Alters zu sein pflegt. Dieses
Maßhalten in der Darstellung der Leidenschaften , verbunden mit
dem tiefen, wahren Nachempfinden menschlichen Fühlens, wirkt
immer aufs Neue überraschend. Giotto hatte die glücklichste An-
lage des Genies in der Wiege erhalten, er ist von vornherein be-
stimmt gewesen, die Natur und das menschliche Sein in ihr mit
einem anderen Blicke zu erfassen, als die Künstler vor ihm. Die
Dinge der Außenwelt vereinten sich eben in seinem Auge zu einem
Bilde, dem sein lebhaftes Gefühl Wirklichkeit verlieh. Gewiß, die
starke Begabung war vorhanden — was aber wollte es für einen
solchen Geist heißen, in früher Jugend alle Kräfte auf eine so
große Aufgabe konzentriren zu müssen, die alle seine Fähigkeiten
in kurzer Zeit zum Höchsten entwickelte ! Sie riß ihn mächtig mit
einem Rucke aus der beengenden, schwülen Atmosphäre der älteren
Kunstrichtung hinaus in die freie belebende Himmelsluft. In kurzer
Zeit wuchsen ihm da die Flügel zu ungehemmtem Fluge ! Wohl
gab es Manches in der Geschichte des Franz, was bildlich wieder-
zugeben fast unmöglich schien — ihm diente es nur zur Übung,
zwang ihn, sich nach Auswegen umzusehen. Die mannichfachen
rein geistigen Vorgänge verständlich zu machen, war er genöthigt,
sich Gestalten zu schaffen, in denen er sie wiederspiegeln Heß.
Was aber so künstlerisch bedeutungsvoll in den verschiedenen
Szenen war, war der Gefühlsinhalt. Von allen edlen Empfindungen
des Herzens giebt es wohl keine einzige, die der Maler nicht hätte
schildern müssen : Liebe , Mitleid , Glaube , Hoffnung , Dankbarkeit,
Hingebung, Bescheidenheit wechseln in beglückender Folge mit
einander ab. Doch fehlen neben dem Lichte nicht die Schatten-
seiten : Furcht , Schrecken , Kummer, Verzweiflung, Wuth — man
könnte glauben, jede Herzensregung in Ausdruck und Geberde der
zahlreichen Figuren in der Freskenreihe zu finden. Und was das
Entscheidende war : frisch und unberührt trat das künstlerische Ge-
fühl an die Darstellung aller dieser Affekte heran, da deren Träger
nicht die altgewohnten Typen der biblischen Geschichte , sondern
Die Darstellungen der Legende. 183
neue unbekannte Persönlichkeiten waren, welche näher kennen und
lieben zu lernen die erste Bekanntschaft verlockte. Dann aber
trat für die Kunst dasselbe ein, was so häufig im Leben der Fall :
die feinen eingehenden Beobachtungen, zu denen das fremde un-
gewohnte Wesen des neuen Bekannten aufgefordert hatte, kamen
den älteren Freunden zu Gute , an denen man nun so viele neue
Seiten zu entdecken begann, daß sie fast andere geworden zu sein
schienen. Das Leben des Franz in Assisi war die nothwendige Vor-
bedingung für das Leben Christi, das Giotto später in der Arena
zu Padua malte ! — Doch nicht Menschen allein hatte Giotto in
Assisi kennen zu lernen, die Legende gebot auch eine innige Be-
schäftigung mit der Landschaft: da ging der junge Meister hinaus
und suchte, freilich noch mit ungefüger Hand, die malerischen Linien
der Berge, den Wuchs der Bäume mit dem Stifte zu bannen. Die
Städte mit ihren Häusern, Thürmen und Mauern galt es auf engem
Raum zusammenzuschieben und ihnen ein deutliches, individuelles
Gepräge zu geben , damit man den Ort der Handlung erkenne.
Mit wachsender Begeisterung benutzt Giotto die Gelegenheit, seiner
Neigung zur Architektur die Zügel zu lassen. Kurz : dem Walten
der Phantasie wie dem Naturstudium gleich günstig, beides in
gleicher Weise bedingend war die umfassende Aufgabe, die dem
Jüngling gestellt wurde. Mehr als man bisher geahnt, verdankt
die Kunst dem Franziskus. Da aber Giotto zugleich ein Genius
war, der, wie Wenige berufen zum Höchsten, doch wieder den An-
schauungen der Zeit Jenes noch so nahe stand, darf es uns auch
nicht Wunder nehmen, daß seine Darstellungen der Legende an
herzlicher Einfalt, wie sie dem Stoffe entsprach, an frischer Ur-
sprünglichkeit bei weitem alle späteren übertreffen, so ausgezeichnet
durch feineres Erfassen der Natur und vollendetere Wiedergabe des
Körperlichen viele der letzteren auch sein mögen. Kein Anderer
ist so berufen gewesen , ein reines Andenken an den Armen von
Assisi zu erhalten, als Giotto. Es ist vielleicht nicht zu viel be-
hauptet, daß, wer Franz wirklich verstehen will, eine innige Kennt-
niß der Fresken in Assisi haben muß!
DRITTER ABSCHNITT
DIE KIRCHE SAN FRANCESCO IN ASSISI
I. Beschreibung des Bauwerks.
„In jenen Zeiten," erzählt Vasari im Leben des Arnolfo di
Cambio ^), ,,da kaum der Orden der Minderbrüder des h. Fran-
ziskus , der im Jahre 1 206 vom Papste Innocenz III. bestätigt
worden , entstanden war, wuchs nicht allein in Italien , sondern
in allen anderen Theilen der Welt derartig die Verehrung für
denselben, wie die Zahl der Brüder, daß es fast keine Stadt von
Bedeutung gab, die ihnen nicht mit den größten Kosten, eine jede
nach ihrem Vermögen, Kirchen und Klöster gebaut hätte. So hatte
auch Frate Elia zwei Jahre vor dem Tode des h. Franziskus,
während der Heilige als General um zu predigen auswärts war, er
selbst aber Guardian in Assisi, eine Kirche zu Ehren Unserer Frau
gebaut. Als nun der heilige Franz gestorben war und die ganze
Christenheit zusammeneilte , den Leichnam des Heiligen zu be-
suchen, der im Tode und im Leben als solch' ein Freund Gottes
erkannt worden war, und Jeder nach seinem Vermögen dem heiligen
Orte sein Almosen darbrachte, wurde angeordnet, daß die erwähnte,
vom Frate Elia begonnene Kirche viel größer und prächtiger ge-
macht werde. Weil aber Mangel an guten Baumeistern war, und das
geplante Werk einen ausgezeichneten verlangte, da es auf einem
sehr hohen Hügel , an dessen Fuß ein reißender Strom , genannt
Tescio, vorbeiströmt, erbaut werden mußte, wurde nach vielfacher
Ueberlegung als bester Baumeister von Allen, die sich damals
^) I, S. 279 ff., Ausg, Milanesi.
Beschreibung des Bauwerks. 185
finden ließen, ein Meister Jacopo, ein Deutscher, nach Assisi ge-
bracht. Derselbe, nachdem er die Lage in Erwägung gezogen und
den Wunsch der Väter, die zu diesem Zwecke ein Generalkapitel
veranstalteten , vernommen , zeichnete einen sehr schönen Entwurf
für Kirche und Kloster. Er entwarf nämlich im Modell drei An-
lagen. Die eine sollte unter der Erde gemacht werden, die anderen
beiden sollten zwei Kirchen werden. Eine derselben auf der ersten
Bodenfläche sollte, von sehr großem Portikus umgeben, als Platz
dienen, die andere als Kirche; und von der ersten sollte man zur
zweiten auf einer möglichst bequemen Treppenanlage hinansteigen,
die um die Hauptkapelle herumginge und in zwei Theile geschieden
ein Knie bildete, um so gemächlicher zur zweiten Kirche zu führen.
Der letzteren gab er die Gestalt eines T, machte sie fünfmal so
lang, als sie breit ist und schied die eine Raumabtheilung von der
anderen durch große Pilaster von Stein ; über diesen führte er dann
ausnehmend kühne Bogen auf und zwischen je zweien Kreuzgewölbe.
Nach so verfertigtem Modell also errichtete er diesen wahrhaft
gewaltig großen Bau und folgte seinem Plane in allen Theilen,
abgesehen von den Kreuzarmen oben, die in die Mitte vor die
Tribüne und Hauptkapelle gelegt werden und Kreuzgewölbe erhalten
sollten. Diese nämlich machten sie nicht so, wie eben gesagt ist,
sondern als halbrunde Tonnengewölbe, damit sie stärker wären.
Dann errichteten sie vor der Hauptkapelle der Unterkirche den
Altar und bestatteten, als er fertig war, unter ihm den mit großer
Feierlichkeit übertragenen Leichnam des h. Franz. Und da die
eigentliche Grabstätte, welche den Leichnam des glorreichen Heiligen
bewahrt, in der ersten, d. h. der untersten Kirche ist, die von
Keinem betreten wird und vermauerte Thüren hat, wurde um den
erwähnten Altar ein sehr großes Eisengitter mit reichem Schmuck
von Marmor und Mosaik gelegt, das nach dort hinunterschaut. An
die Umfassungsmauern lehnen sich auf der einen Seite außen zwei
Sakristeien und ein Campanile, der sehr hoch, nämlich fünfmal so
hoch als breit ist, begleitend an. Letzterer trug oben eine sehr
hohe, achtseitige Pyramide, doch wurde sie weggenommen, da sie
einzubrechen drohte. Dieses ganze Werk wurde in einem Zeit-
räume von nicht mehr als vier Jahren durch das Genie des Meisters
Jacopo des Deutschen und die eifrige Betreibung des Frate Elia
zu Ende geführt; nach dem Tode des letzteren wurden, damit die
so große Baumasse nicht mit der Zeit einmal einstürze, rings um
l86 Die Kirche San Francesco in Assisi.
die Ünterkirche zwölf sehr kühne Rundthürme aufgeführt und in
jedem derselben eine Wendeltreppe, die vom Boden bis zur Spitze
steigt. Mit der Zeit dann sind viele Kapellen und andere sehr
reiche schmückende Zuthaten gemacht worden, von denen es nicht
Noth thut, jetzt noch Weiteres zu erzählen, da dies darauf Be-
zügliche für jetzt genügt , besonders da ja Jeder sehen kann , was
Alles an nützlichen Dingen, an Verzierung und Verschönerung
viele Päpste, Kardinäle, Fürsten und andere große Persönlichkeiten
in ganz Europa dem Werke des Meisters Jacopo, wie es ursprüng-
lich war, hinzugefügt haben."
So viel weiß Vasari von der Hauptkirche des Franziskus , die
jetzt noch, seit 1500 fast nicht mehr verändert, eines der merk-
würdigsten Monumente der kirchlichen Kunst in Italien bildet und
auf die Pilger jeden Standes und jeder Sinnesart eine immer neue
Anziehungskraft ausübt, zu erzählen. Von der Bewunderung, die
er für die Kühnheit der Konstruktion zeigt, wird Jeder ergriffen
werden, der, nachdem er schon von dem freien Platze in Perugia
aus in undeutlichen Umrissen in der Ferne wie an den Berg ge-
zaubert die Kirche gesehen, sich nach kurzer Fahrt durch das
reiche, blühende Thal auf allmählich ansteigendem Pfade der Stadt
des heiligen Franz nähert. Da liegt Assisi, ein schmaler, lang-
gestreckter grauer Streifen von Häusern auf mittlerer Höhe des mit
silbern schimmernden Oliven bewachsenen Hügels, der nach Osten
sich zu den kahlen mächtigen Massen des monte Subasio hinauf-
zieht. Ueber der Stadt ragt auf höher ansteigender Spitze von
starken Mauern umgürtet mit einzelnen aus langem Verfall noch
emporstarrenden Thürmen die Burg, von alten Zeiten kündend, in
denen ein anderes Geschlecht, ebenso stark im Lieben wie im
Hassen, nachdem es eben noch die friedensvollen Worte seines
Apostels mit Andacht gehört und mit dem Zeichen des Kreuzes
vor seinem Altare niedergesunken war, mit bewaffneter Hand hinaus-
eilte, die Rechte der trutzigen Stadt im Kampfe mit den feindlichen
Nachbarn zu wahren. Darunter weiter rechts nach Osten zu scheint
der Stadt gleichförmige Häusermasse Leben zu gewinnen : da steigen
schlanke Thürme empor, der Kirchen hohe Dächer heben sich über
die umgebenden Bauten, dort liegt der alte Dom des h. Rufinus,
dort der große Platz mit dem öffentlichen Palast der Kommune —
und dennoch weilt der Blick auch dort nicht lange. Immer wieder
kehrt er zum äußersten Ende im Westen zurück, wo jäh an dem
Beschreibung des Bauwerks. 187
Abhänge gelegen , in dem der Hügel zum Thale abfällt , auf ge-
waltigen, in schlanken Arkaden sich öffnenden Substruktionen die
Umrisse der Kirche des Franz mit ihrem spitzen Giebel und ihrem
Thurme sich vom blauen Himmel abheben. (Abb. 25.) Nun scheint es,
als läge hier der Schwerpunkt des Ganzen, als zöge wie in feierlicher
Prozession das gedrängte Volk der Häuser, gefolgt von den Würden-
trägern, die sich um den ehrwürdigsten, den Dom, als Mittelpunkt
gesammelt, in langem Zuge hin zu S. Francesco, als wende von
dieser Stätte des Friedens die Burg das Antlitz nach der anderen
Seite zu. Und schallen dann von drüben her alle die kleinen und
großen Glocken, denen im Westen die tiefe, mächtig ergreifende
Stimme von S. Francesco, sie alle übertönend, entgegenklingt —
dann überkommt den Wanderer zum ersten Male das wunderbare,
der Zeit und dem Räume entrückende Gefühl, das ihn in dieser Stadt,
die nur noch von Erinnerungen lebt, nicht mehr verlassen soll.
Denn todt und leer erscheinen die in Windungen auf- und ab-
klimmenden kleinen Gassen, wie die große Straße, die von der
Piazza nach S. Francesco führt. Als wäre kein lebendes Wesen
mehr hinter diesen kalten grauen Mauern zu finden, nur selten
sieht man ein zum Brunnen wanderndes Mädchen, selten nur einen
schwarzen Priester, einen braunen Mönch. Drüben auf dem Platze
allein, vor der ernsten, zwischen Häusern eingezwängten Säulenfront
des alten Tempels der Minerva, vor dem einst Goethe in herrliche
Worte der Bewunderung ausbrach, herrscht einiges Leben. Da
sammelt sich das aus der Umgegend gekommene Landvolk und
läßt , in eintönigem Gespräch sich findend , die Stunden träge
vorüberziehen. Und in den benachbarten winkligen Straßen sitzen
in dunklen, aber offenen Räumen die Frauen webend, in mühsamer,
nimmer endender Arbeit ihr kärgliches Brod verdienend. Zu strenge
hat es die Stadt mit dem Gelübde ihres Heiligen genommen — sie
ist so arm geworden, fast wie er es war. In seiner Zeit da muß
es freilich anders hier ausgesehen haben — nur schwer noch kann
man sich vorstellen, wie frohe, bunt gekleidete Jünglinge reicher
Familien , unter ihnen der noch der Welt lebende Franz selbst,
von üppigem Gelage heimkehrend die Stadt mit ihrem Singen und
Lärmen erfüllt, wie in den Läden fremde, durch ausgedehnten
Handel bezogene Waaren vornehme Frauen zum Kaufe lockten,
wie auf dem Marktplatze die Schaaren geharnischter Ritter und
Knappen sich sammelten, in Fehde wider Perugia zu ziehen — wie
igg Die Kirche San Francesco in Assisi.
lange ist das her! Nun bringen nur die Fremden noch und die
Pilger Abwechslung in das einförmige Leben der selbstvergessenen
Stadt, und diese kümmern sich meist wenig um dieselbe, da sie
nur gekommen, die Kirche des Franz zu sehen, vor ihren alten
Fresken sich zu erstaunen, oder in stiller Verehrung vor seinem
Altare zu beten.
Gar Manchem mögen die Stunden, die er dort in der dunklen,
vom halben Tageslicht und vom Kerzenschein spärlich erhellten
Unterkirche zugebracht, für das ganze Leben unvergeßlich bleiben —
wohl Jedem, der erfahren vom Wesen und vom Leben des hier
verehrten Menschen, ein kaum bewußtes, aber ahnend empfundenes
Verständniß für Dessen Bedeutung aufgegangen sein. „Allen, die sie
betreten, weht es wie ein Hauch geheimnißvoller Frömmigkeit ent-
gegen," sagt schon die älteste Beschreibung der Kirche. Wer aber
während längerer Zeit dem großen Wohlthäter in seinem Heilig-
thume nachsinnen darf, den ersten so Vieles kündenden und ver-
sprechenden Worten einer neuen Kunst, die alle Wände mit ihren
Versuchen bedeckt hat , lauscht , in Allem , was ihn in Erinnerung
und Wirklichkeit umgiebt, die Regungen einer über dem Grabe
des Heiligen erstehenden neuen Zeit spürt — den weht es nicht
wie bloße Frömmigkeit an, nein, wie der frische Windeshauch er-
wachender, junger Erkenntniß , vor der die dunklen Mauern fallen
und der blaue Himmel sich öffnet. Was man beim Klange der
Chöre und der Orgel, der mächtig von den Wölbungen wiederhallt,
empfindet, wenn rings in heißer Inbrunst das schlichte Volk der
Landleute auf den kalten Stein niedergesunken ist und durch die
Fenster der Tribüne die letzten Sonnenstrahlen blitzen, ist auch
Verehrung, wenn auch nicht dem wunderwirkenden Heihgen, so
doch dem großen Menschen geweiht, der mehr als irgend Einer
die höchste Kraft besessen, sich selbst vergessend Andere zu lieben.
Welch' starken Einfluß aber auch die an diesem Orte besonders
lebhaft geweckte und genährte Erinnerung an Franz auf Gemüth
und Geist ausüben mag, einen nicht geringen Theil der innerlichen
Bewegung verdankt der Pilger der Wirkung, welche das merkwürdige
Bauwerk auf ihn hervorbringt. In wunderbarer Weise ist es dem
Baumeister gelungen, auf den mystisch geheimnißvollen Zauber der
dunklen, grottenartigen Unterkirche die Erhebung zu einer freieren,
lichten und luftigen Atmosphäre in der Oberkirche folgen zu lassen.
Befreiter athmet die Brust und schweift der Blick hinauf zu den
Beschreibung- des Bauwerks. 189
breiten hochgespannten Gewölben. Nun hieße es freilich zu weit
gehen, wollten wir annehmen, der Architekt habe mit Bewußtsein
bei dem Entwürfe des Ganzen symbolisch Ideen ausdrücken wollen,
die nur dem späteren Beschauer, der seine Eindrücke gern in
Worten und Vergleichen wiedergeben möchte, sich aufdrängen.
So wenig -wie nach einer im XVI. Jahrhundert geläufigen An-
schauung in der, wie man damals irrthümlich noch annahm, drei-
fachen Kirche die drei Hauptgelübde des Franziskanerordens ver-
sinnbildlicht sind , so wenig dürfte man irgend welche andere
geheimnißvolle Beziehungen zu den Anschauungen des Franz in der
Anlage finden. Dem Baumeister galt es einfach, den schwierigen
Bedingungen des abfallenden Terrains sich fugend über einer halb
als Unterbau, halb als Kirche selbst gedachten Unterkirche in großen,
des großen HeiHgen würdigen Verhältnissen Demselben einen Tempel
zu errichten. Wie er die Noth zur Tugend zu machen, in einfach
mächtiger Steinwirkung die beiden Bauten selbst in Einklang und
in Gegensatz zu bringen wußte, darin tritt sein bedeutendes geniales
Können zu Tage. Betrachten wir etwas näher, wie er verfahren.
Einem Architekten freilich muß es überlassen bleiben, mit Sicherheit
die einzelnen Bauformen aus den Bedingungen des Terrains zu er-
klären, eingehend das Detail zu würdigen — fehlt es ja doch neben
vielfachen Beschreibungen und anregenden Betrachtungen, unter
denen wohl die von Laspeyres die größte Aufmerksamkeit verdient,
leider noch immer an genügenden Aufnahmen. Möchte recht bald
von berufener Seite diesem Bedürfniß abgeholfen werden und die
folgende Beschreibung mit dazu beitragen, auf einige für den Bau
und seine Geschichte wesentliche Punkte aufmerksam zu machen,^)
1) Litteratur: Vasari I, S. 297 S. — Rodulphus: Historiarum Seraphicae religionis
libri tres. Venetiis 1586. — Wadding: Annalen. Bd. II, 1228, S. 205; 1229, S. 216.
1230, S. 230. 1235, S. 397. — Padre Angeli: Collis Paradisi amoenitas seu sacri
conventus Assisiensis libri II. Montefalco 1704. — D'Agincourt. Taf. XXXVI, 39 — 46.
XXXVII, 1—8 (nicht verläßlich). — Fea: Descrizione ragionata della sacrosancta p.
basilica di S. Francesco d'Assisi. Roma 1820. Abb, — N. Papini: Notizie si'cure
della morte sepoltura canonizzazione e traslazione di S. F. Fuligna 1824. — Descrizione
di quanto e piü notabile nei magnifici sovraposti templi di S. F. Assisi 1835, ™it
3 Taf. — Cicognara: Storia della scultura. Venedig 1813. I, S. 345. Oktavausgabe
III, p. 178. — Ricci: Storia della Architettura Ital. II, 55. — Kugler: Gesch. d. Bank.
III, 539. — Gailhabaud: Monuments III (Abb.). — Knight; Eccles. Arch. II, Taf 19
u. 20 (Abb.). — Bruschelli: Assisi cittä serafica. Orvieto 1824. — Laspeyres in Erb-
kam's Zeitschrift für Bauw. Bd. XXII, 1872, S. 285 ff. — Schnaase VII, S. 107 ff.
igo Die Kirche San Francesco in Assisi.
Da die schriftliche Ueberlieferung vielfach lückenhaft und verworren,
auch nicht ohne manche Widersprüche ist, scheint es gerechtfertigt,
wenn wir zunächst die Kirche selbst in Augenschein nehmen und
möglichst unbefangen aus ihrer Art ihr Werden zu erkennen
versuchen, ehe wir an eine kritische Sichtung der litterarischen
Quellen gehen.
Die Lage, die sie gegenüber der Stadt einnimmt, wie das Terrain
bedingten es zunächst, daß die Eingangsseite nach Osten, der Chor
nach Westen gerichtet wurde. (Abb. 26.) Vor den letzten Häusern
von Assisi breitet sich ein ebener Platz aus, auf dessen Niveau die
Oberkirche sich erhebt, während dicht daneben nach Süden das
Terrain abfällt zu einem zweiten von der Bergstraße zuerst erreichten
tiefer gelegenen Platze, von dem ein südlicher Eingang (unterhalb des
ersten Joches der oberen Kirche) in die untere führt. Ein anderes
Portal geht westlich in den Vorhof des Klosters , der sich an die
Kirche schließt, eine Doppeltreppe zum höheren Platze. Dieser mit
rundbogigen Arkaden auf achteckigen Pfeilern geschmückte untere
Vorplatz senkt sich seinerseits wieder nach Osten zu. Unweit der
Kirche südlich fällt das Terrain steil ab und so bedurften die hier
weit nach Westen sich hinziehenden Klostergebäude einer mächtigen
Substruktion , die vom Thale aus einen festungsartigen Eindruck
macht. Dasselbe war im Westen der Fall, nur daß hier zwischen
dem Chor der Kirche und dem Absturz des Bodens eine größere
Fläche sich ergab, welche nivelHrt Platz für zwei große Höfe bot,
die durch einen von Süden nach Norden sich ziehenden schmalen
Gebäudetrakt getrennt werden. Im Norden der Kirche war genug
Raum für die Anlage eines kleinen Kirchhofs am östlichen, eines
hofartigen Raumes am westlichen Ende. An letzteren schließen sich
dann die begrenzendeh, die zwei großen Höfe im Norden abschließen-
den Klostergebäude an.
Die Unterkirche (Abb. 27. 28.) war ursprünglich einschiffig
mit Querschiff und halbrunder Aspis, erhielt aber später Kapellen-
anbauten und ein zweites am östlichen Ende befindliches Kreuzschiff.
(Abb.) — Lübke: Gesch. d. Arch., S. 623. — Guardabassi: Indice, S. 15 ff. — Mothes,
Die Baukunst des MA. in Italien, S. 454. — Chavin de Malan: Storia di S. F. Uebers.
von Guasti. Prato 1879. S. 371 ff. — Die nach dem Erscheinen der I. Auflage dieses
Buches in neueren Handbüchern der Architektur und Kunstgeschichte gegebenen Be-
sprechungen brauche ich nicht im Einzelnen anzuführen, — Die oben im Text gegebenen
Grundrisse geben mit einigen Korrekturen die Aufnahmen Gailhabäud's wieder.
Beschreibung des Bauwerks.
191
—hN
Vier mächtige, auf etwas flach gespannten breiten Rundbogen
ruhende Kreuzgewölbe überspannen das Langhaus. Die Quergurte
und Rippen sind breit, bandartig, rechtwinklig und setzen unvermittelt
in der geringen Höhe von etwa 2,57 m über dem Boden auf halben
Rundpfeilern auf, welche vor die mit Rücksicht auf den oberen
Bau sehr massig geformten dicken Mauern gelegt sind. Jene Pfeiler
sind übrigens nicht vollständig rund, sondern bestehen aus drei an
einander gelegten, zusam-
men fast einen runden Um- W
fang ergebenden Drittel-
rundpfeilern , deren • aller-
dings sehr wenig auffallende
und daher bisher nicht be-
merkte Gliederung den Rip-
pen ganz allgemein ent-
spricht. Das Kreuzgewölbe
über der Vierung liegt
etwas tiefer als die Lang-
hausgewölbe, die nicht qua-
dratischen Querarme haben
Tonnen-, die Aspis hat ein
halbes Kuppelgewölbe. Mas-
sive thurmartige, vor die
Mauer gelegte halbrunde
Pfeiler, die bis zum Dach
der Oberkirche emporstei-
gen, dienen als Widerlage
für die Gewölbe ; es sind
zehn am Langhause, zwei
in den Ecken der Tribuna. Die beiden zunächst der Fassade be-
findlichen sind in deren breiten Mauer versteckt und, wohl in der
Absicht, über die Konstruktion keinen Zweifel zu lassen, ein Stück
über die Mauer, also höher als die anderen emporgeführt. Das
erste Joch am östlichen Ende des Langhauses ist um ein Weniges
kürzer als die anderen und öffnet sich abweichend in Spitzbogen
auf das Querschiff. Dies schon ist auffallend und läßt darauf
schließen, daß diese Querarme später angebaut sind. Der südliche,
versehen mit einem reichen, spätere Gothik verrathenden Portale,
hat ein sechstheiliges Gewölbe, der weiter ausladende nördliche,
Abb. 27. S. Francesco in Assisi. Die Unterkirche.
192
Die Kirche San Francesco in Assisi.
an den zwei Kapellen angebaut sind, ein Tonnengewölbe. Zu weit
gehen hieße es nun freilich, wollte man mit Papini ^) annehmen, daß
das Langhaus ehemals nur drei Joche gehabt habe ; wie sollte man
sich dann den Unterbau flir die Oberkirche hier denken, wie den
Eingang zur Unterkirche ? Einige wenige Freskenreste an der Ost-
wand, die wohl derselben Zeit wie die Wandgemälde des Lang-
hauses angehören, beweisen zur Genüge, daß dieses Joch schon
ursprünglich vorhanden war; vermuthlich trat man vom Platze aus
direkt in dasselbe und war an der nördlichen Seite die Mauer des
Langhauses weitergeführt. Der späteren Erweiterung zu einem Quer-
hause gehören demnach bloß die Spitzbögen an. Die Veränderung
mag wohl in derselben Zeit vorgenommen worden sein, als man
an das westliche Querschiff und an das Längshaus die Kapellen
anbaute.
Zu diesem Zwecke wurden spitzbogige Oeffnungen in die
Mauern eingebrochen, ohne daß man besondere Rücksicht auf die
alten Wandmalereien im Langhause genommen hätte , die dadurch
zum großen Theile zerstört wurden. So würden sich auf jeder
Seite drei größere Räume ergeben, die im Norden auch thatsäch-
lich ausgeführt und durch eine gerade, an den Querarm anschließende
Mauer abgeschlossen sind. Zwischen ihnen entstehen durch etwas
vorgeführte Mauern drei kleinere Kapellen, in welche von Süden
her die thurmartigen Pfeiler einspringen. Im Süden verhinderte
der Campanile, der in der Mitte von den beiden, dem Querschiff
nächsten Jochen vortritt, eine gleich regelmäßige Anlage. Westlich
an den Thurm ward die oblonge, mit einem kleinen Vorraum auf
die Kapelle des südlichen Querarms sich öffnende Sakristei gelegt,
östlich entstand zunächst eine unregelmäßige, geradlinig geschlossene
kleine Kapelle, dann von dieser durch einen kleinen Raum getrennt
die dem dritten Joch entsprechende dreiseitig geschlossene größere
Kapelle des h. Martin (H). Wie diese sind auch die an die west-
lichen Querarme angebauten, am weitesten vorspringenden Kapellen
des h, Johannes Ev. (südlich A) und des h. Nikolaus (nördlich B)
dreiseitig geschlossen. Alle diese Anbauten zeigen den vollständig
entwickelten gothischen Stil, einen sehr feinen Geschmack und sehr
sorgsame Ausführung in den Details. Daß sie frühestens aus der
zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts stammen, geht aus dem Um-
^) Notizie sicure S. 191.
Beschreibung des Bauwerks. ig^
Stande hervor, daß, wie wir weiter unten sehen werden, die von.
ihnen zerstörten Fresken des Langhauses kaum vor den sechziger
oder siebziger Jahren entstanden sein können. Schwerer ist die
zeitHche Begrenzung nach der anderen Seite hin zu bestimmen,
doch ergiebt sich aus dem Stile ihrer malerischen Ausschmückung
mit Fresken und Glasfenstern mit größter Wahrscheinlichkeit, daß
sie kaum später als das erste Jahrzehnt des XIV. Jahrhunderts an-
zusetzen sind — also es vorläufig allgemein zu fassen : etwa um
1 300 ! Daß sie alle einem einheitlichen Plane entsprungen und nicht
etwa in verschiedenen Zeiträumen entstanden, geht aus der überein-
stimmenden Disposition, wie aus dem in Allem durchaus ähnlich
gebildeten Detail hervor, das einen ganz bestimmten Charakter
trägt und sich wesentlich von dem in der Oberkirche befindlichen
unterscheidet. Während hier nämlich die Kapitale der die Ge-
wölbepfeiler begleitenden Säulchen aus durchaus nordisch gothischen
Knospenblättern bestehen, nur ausnahmsweise etwas reichere Wein-
blattformen vorkommen, sind die Kapitale der sehr feinen schlanken
Gewölbeträger in den Kapellen durchaus antikisirend gehalten und
zwar von einer Akkuratesse und Feinheit der Ausführung, einem
Geschmack in der Gliederung und Disposition der kleinen , häufig
Spiralen entsendenden Akanthusblätter, die mir so nur an den Ar-
beiten der römischen Architekten, namentlich denen der Kosmaten-
schule vorgekommen ist — abgesehen von den wohl von demselben
Meister entworfenen Kapellen von S. Chiara und S. Pietro in Assisi
und dem einzig vom alten Bau erhaltenen Portale des erzbischöf-
lichen Palastes von Perugia, der eine durchaus verwandte Behand-
lung zeigt. Die nicht abzuleugnende charakteristische Beziehung
zur römischen Kunst des XIII. Jahrhunderts, die in Kontrast zu der
sonstigen nordischen Art des Baues tritt , läßt also auf einen Bau-
meister schließen, der seine Studien in der eigentlichen Heimath der
Antike gemacht. Für ihn charakteristisch ist ferner die Vorliebe
Rir eine Inkrustirung der Wände. Das in der Nähe von Assisi ge-
fundene Material von rothem und weißem Stein verlockte von selbst
zu farbig wechselnder Dekoration. So finden wir in allen den er-
wähnten Anbauten die unteren Wandflächen mit schachbrettartigen
oder ausgesprochen gothischen stern- und vierpaßförmigen Orna-
menten verkleidet. Diese finden sich dann als besondere Eigen-
thümlichkeit dieser Gegend häufig nachgeahmt, so z. B. an einigen
Grabmälern in San Pietro, in dem kleinen Camposanto von S. Fran-
Thode, Franr von Assisi. I3
194
Die Kirche San Francesco in Assisi.
cesco , auch in den Kapellen am östlichen Querschiffe und sonst.
Man darf daher nicht voreilig aus ihrem Vorkommen auf eine
Gleichzeitigkeit der sie aufweisenden Bauten mit jenen Kapellen
schließen, in denen sie zuerst erscheinen. Die Fenster sind in den
polygonen Anbauten zweifach, in den geradlinig geschlossenen vier-
fach getheilt.
Auf die Zeit der Erweiterung der Unterkirche und vermuthlich
auf die Zeichnung desselben Baumeisters wird das schöne Südportal
zurückzuführen sein (Abb. 32). Es hat zwei im Kleeblattbogen
geschlossene , durch zwei Rundstäbe eingefaßte Thüren , die von
einem hohen Spitzbogen eingerahmt werden, welcher an der Innern
Seite durch zwei Rundstäbe, an der äußeren durch ein vortretendes
mit Weinränken verziertes, von kleinen Konsolen begleitetes Glied
abgeschlossen wird. Ein großes, ausnehmend fein und zierlich ge-
arbeitetes Radfenster, das dem Fenster in der Oberkirche und dem
in S. Chiara gegenüber einen entschiedenen Fortschritt bezeichnet,
und zwei kleinere Fünfpässe beleben die Felder. Die Kapitale der
Säulchen haben zumeist knospenartig geformte Akanthusblätter.
Im XV. Jahrhundert ward dann dem Portale eine Vorhalle vor-
gelegt, deren schmales Tonnengewölbe auf zwei vorspringenden
korinthischen Renaissancesäulen ruht, die auf viereckigen Posta-
menten stehen und durch ein kräftig vorspringendes Band in der
Mitte umwunden sind. Ueber dem breiten Rundbogen, zu dessen
Seiten die Figuren der Verkündigung in Relief sich befinden, läuft
ein mit Fruchtkränzen verzierter Fries, auf den ein von einem
Eierstabe begleitetes Gesims folgt. Eine Inschrift besagt: ,,Frater
Franciscus Sanson generalis minorum fieri fecit 1487."
Schließlich sind noch die zwei Anbauten im östlichen Quer-
schiff zu bemerken: die am nördlichen Ende gelegene, den er-
wähnten Kapellen am rechten Querschiff analog dreiseitig ge-
schlossene Kapelle des Kardinals Albornoz (J) , deren Details
etwas üppiger, aber den oben beschriebenen sehr verwandt sind,
und die kleinere und niedrigere östlich davon angebaute Kapelle (K).
Man könnte dieselben vielleicht später entstanden denken als
1300, als eine Nachbildung der früheren Anbauten. Doch bleibt
es wahrscheinHcher , daß wenigstens die Kapelle Albornoz gleich-
zeitig mit diesen ist.
In der Oberkirche (Abb. 29. 30.) ist die alte einschiffige,
kreuzförmige Anlage in ihrer vollen Ursprünglichkeit erhalten. Fanden
Beschreibung des Bauwerks.
195
wir in dem ältesten unteren Bau noch durchgängig den Rundbogen,
so zeigt sich hier in einfachster, aber konsequenter Weise die Gothik
angewandt. An Stelle der gedrückten dunklen Gewölbe dort herrscht
hier freie, lichte Weiträumigkeit. Vier fast quadrate Gewölbefelder
bilden das Langhaus , in das man durch einen schmalen tonnen-
gewölbten Raum, der innerhalb der dicken Fassadenmauer aus-
gespart ist, eintritt, drei quadratische Gewölbe das Querschifif. Die
Apsis ist aus fünf Seiten des Achtecks gebildet. Die Gewölbeträger
sind halbe Bündelpfeiler, durch fünf Säulen gegliedert, welche die
kräftig fiinfseitig profilirten Rippen und
Quergurte tragen. Die Seitenmauern sind in
ihrer vollen Dicke nur bis zu etwa dreiviertel
Höhe der Säulen , darüber dünner empor-
gefuhrt, so daß hier vor den schwächeren
Obermauern Raum für eine einfache Gallerie
entsteht. Im Querschiff und an den zwei
ersten Seiten der Apsis hat dieselbe eine
Belebung durch eine Reihe von kleeblatt-
förmigen Arkaden auf Säulchen erhalten.
Trotz Schnaase, welcher diese als eine Zu-
that des XIV. Jahrhunderts betrachtet, ge-
hören sie dem ursprünglichen Bau an , da
ihre malerische Dekoration, in Sonderheit
die Bemalung der Bögen mit Spitzgiebeln,
wie weiter unten gesehen wird , von der-
selben Hand herrührt, die in der zweiten
Hälfte des XIII. Jahrhunderts die Oberkirche
ausschmückte. Auch stimmt die einfache
Form der Knospenkapitäle mit derjenigen
der sonstigen Säulenkapitäle überein. Hohe , schlanke zweitheilige
Fenster mit ganz einfachem Vierblatt im oberen Bogenfeld gestatten
dem Lichte vollen Eintritt, in dem Querschiffe befinden sich ent-
sprechend gebildete viertheilige Fenster. Die einfache Fassade mit
großer schöner Rosette und mit dem von einem Konsolensims ge-
säumten Spitzgiebel, der ein kleineres einfaches Rundfenster enthält,
schließt sich an das Vorbild des älteren Domes von Assisi an. Das
zweigetheilte Portal, das in der Gliederung dem der Unterkirche
entspricht, ist einfacher gebildet und dürfte, der ersten Bauperiode
angehörig, jenem nur als Vorbild gedient haben, obgleich die
13*
Abb. 39. S. Francesco in Assisi.
Die Oberkirche.
Iq6 Die Kirche San Francesco in Assisi.
Möglichkeit, daß es später als 1253, etwa auch um 1300 entstanden,
nicht ganz auszuschließen ist, da es in der That eine etwas vor-
geschrittene Gothik aufweist. Ganz romanisirend ist noch der mit
Thierfiguren geschmückte untere Sims, sowie die Anordnung der
vier Evangelistensymbole zu Seiten der Rosette. Links an die
Fassade lehnt sich eine dem Stile nach dem späten XVI. Jahrhundert
angehörige Loggia mit Eckthürmen an, in deren Mauern noch der
alte Strebebogen erkennbar ist, rechts eine einfache Mauer.
Der Campanile erhebt sich in vier durch Lisenen belebten
Stockwerken , hat romanische Doppelfensterchen , Rundbogenfries
und an dem Glockenstuhle je drei rundbogige Schallöffnungen.
Fassen wir kurz die aus der Betrachtung des Baues gewonnenen
Resultate zusammen , so lassen sich im Wesentlichen drei ver-
schiedene, den stilistischen Wandlungen entsprechende Phasen unter-
scheiden: die älteste, noch eigentlich romanische, der die alten
Theile der Unterkirche und Strebepfeiler, die einfach gothische, der
die Oberkirche, und die entwickeltere gothische, der die Kapellen-
anbauten, das östliche Querschiff, die Ueberwölbung des westlichen
Querschiffes der Unterkirche und die Portale angehören. Versuchen
wir jetzt diese Thatsachen mit der schriftlichen Ueberlieferung in
Einklang zu setzen. Dabei wird sich ergeben, daß, wie das Leben
des Franz, so auch die Baugeschichte seiner Kirche eine legendarische
Entwickelung seit Jahrhunderten erfahren hat und eine kritische
Sichtung der Quellen in den meisten Punkten der Tradition wider-
sprechende Resultate ergiebt.
Die Einzigen, die den freilich nur spärlichen archivalischen
Quellen gerecht geworden sind, waren Papini und neuerdings Fratini,
dessen Beschreibung und Geschichte der Kirche wohl im Wesent-
lichen auf des verstorbenen Cristofani Forschungen zurückgehen.
Erneute Untersuchungen , die ich im Archive vorgenommen , und
die mir bei der längere Zeit in ihm herrschenden vollständigen
Unordnung durch die gütige Hülfe des Prof. Alessandri erleichtert
wurden, haben verhältnißmäßig wenig Neues ergeben und lassen
mich befürchten , daß thatsächlich dort kein weiterer Aufschluß
über den Bau und die künstlerische Ausschmückung der Kirche in
den ersten Jahrhunderten zu holen ist. Sieht es nicht wie eine
Ironie des Schicksals aus, daß zahllose Notizen in den Rechnungs-
büchern uns über die Thätigkeit von unbedeutenden Handwerkern
im XIV. und XV. Jahrhundert unterrichten, der Name Giotto oder
Die Baugeschichte nach den älteren Quellen. 197
Cimabuc aber kein einziges Mal erscheint, daß wir genau bestimmen
können , in welchem Jahre die Bleifassungen der Fenster erneuert
worden sind, aber ganz im Ungewissen bleiben, wann jene gewaltigen,
für die Geschichte der Kunst so überaus wichtigen Fresken ent-
standen sind, die alle Wände bedecken ? Indessen, was wir erfahren,
genügt doch manche Punkte aufzuklären, annähernde Bestimmungen
zu machen, wenn wir, was Papini und Fratini in dem Maße nicht
vermocht, zugleich die Denkmäler selbst mit in die kritische Be-
trachtung ziehen. Die mannichfachen Behauptungen, die seit Vasari
aufgestellt wurden, alle einzeln zu widerlegen, würde keinen Zweck
haben : was positiv beglaubigt ist , mag im Folgenden in den
Vordergrund gestellt werden.
II. Die Baugeschichte nach den älteren Quellen.
Zwei Jahre waren vergangen, seit Franz gestorben und in der
alten Kirche S. Giorgio bestattet worden war, da kam Papst
Gregor IX. selbst nach Assisi, auf Grund der Zeugnisse und Wunder,
die von allen Seiten her gesammelt und berichtet wurden, ihn in
die Zahl der Heiligen aufzunehmen. Am 16. Juli 1228 ward mit
größtem Pomp die Kanonisation vollzogen, und am folgenden Tage
legte Gregor selbst den ersten Stein zum Bau der Kirche S. Fran-
cesco. Die alte Legende, die bis auf unsere Tage sich erhalten,
erzählt, daß Franz selbst den Wunsch ausgesprochen habe, an der
vcrachtetsten Stelle der Stadt, dort wo die Verbrecher hingerichtet
wurden , auf dem collis inferni begraben zu werden , und daß an
diesem Orte, der nun zum collis Paradisi wurde, auch der Bau zu
seinen Ehren errichtet ward. Es ist aber eine Legende, wie so
viele andere, die durch eine alte Urkunde entkräftet wird, aus der
hervorgeht, daß schon Anfang 1228 der Bau geplant war, und daß
ein Privatmann Simon Puzarelli den Mönchen zur beliebigen Ver-
wendung ,, eines Oratoriums oder einer Kirche für den seligen
Leichnam des heiligen Franziskus oder was immer sie machen
wollen" ein ihm gehöriges Stück Land geschenkt. (Vergl. die
Urkunde im Anhang II.) Der ,,Frater Elias", der auch hiernach
also wie nach den Denkwürdigkeiten des Jordanus von Giano^)
damals noch nicht General des Ordens war, erscheint hier als
^) Vergl. Georg Vogt: D. D. des Minoriten J. v. G. Abhdl. der phil.-hist, Klasse
der k. Sachs. Ges. der Wissenschaften. Leipzig 1870.
igg Die Kirche San Francesco in Assisi.
„recipiens pro papa gregorio". Am 31. Juli 1229 macht ein Mo-
naldus Leonardi eine weitere Schenkung von Land.^) Andere
Bürger befolgen das Beispiel nach erhaltenen Urkunden in den
Jahren 1241, 1242, 1248, 1249, 1250.^) In einer Bulle vom 21. Ok-
tober 1228 nimmt Gregor das zuerst von der Bürgerschaft dem
päpstlichen Stuhle geschenkte Land an und verleiht der neuen
Basilika das Recht der Immunität.'^) Dasselbe bestätigt er am
22. April 1230 und bestimmt, daß die Kirche fortan „caput et
mater" des ganzen Ordens sein sollte.'') Inzwischen scheint der
Bau rüstig fortgeschritten zu sein, da der Papst, nachdem Pfingsten
1230 das Generalkapitel in Assisi abgehalten worden war, in einer
Bulle vom 16. Mai 1230 die Uebertragung des Leichnams in die
Kirche anordnen konnte, welche am 25. Mai 1230 feierlich vollzogen
wurde. Hören wir die Worte des alten Biographen des Franz, der
des Thomas von Celano Legende bearbeitete und fortsetzte und
von Suysken mit Thomas von Ceperano identifizirt wurde. ^)
„Im Jahre des Herrn 1230, als eine nicht geringe Anzahl
Brüder zur Uebertragung des Heiligen und zur Feier des General-
kapitels aus den verschiedensten Theilen der Welt in genannter
Stadt sich versammelt hatten, sandte der schon erwähnte, ihnen
besonders zugethane Vater, der Papst Gregor, auf dessen persönliche
Gegenwart bei dieser Feierlichkeit der Uebertragung man gehofft
hatte, der aber damals durch andere dringende Kirchengeschäfte
abgehalten wurde, einige feierliche Boten mit Briefen dahin, in
denen er nicht allein den zwingenden Grund seiner unerwarteten
Abwesenheit erklärte, sondern auch den Söhnen, die er mit väter-
licher Liebe tröstete, die Mittheilung von der Auferweckung eines
Todten durch den heiligen Franziskus machte. Dazu sandte er
durch dieselben Boten ein goldenes Kreuz, das köstlich mit Gemmen-
arbeit geschmückt war, aber zugleich ein Stück Holz vom Kreuze
des Herrn , das kostbarer als alles Gold ist , enthielt ; außerdem
Schmuckgewänder und einige für den Gebrauch des Altars bestimmte
Gefäße, sowie sehr würdige Gewänder für den festlichen Gebrauch.
^) Instrumenta diversa pertinentia ad vS. Conventum. Bd. II, 1228 — 1229. N. II,
") In demselben Bande.
^) Sammlung der Bullen.. I. Bd. — Abgedr. bei Padre Angeli: CoUis Paradisi
lib. II, p. 8.
*) Ebds. Angeli: ebds.
'') Acta Sanctorum. App. § 32. S. 681.
Die Baugeschichte nach den älteren Quellen. 199
Und alle diese sehr kostbaren Dinge wies er der Basilika des
heiligen Franz zu, die, von aller niedern Jurisdiktion eximirt, unter
seiner Autorität gebaut wurde, und deren ersten Stein er selbst
gelegt. Aber auch andere nicht geringe Geschenke als Beiträge
zum Bau sowohl, wie zu der bevorstehenden Feierlichkeit gab er her.
So wurde der heiligste Leichnam zu der außerhalb der Mauern der
Stadt gebauten Kirche an einem Sabbath am 8. Tage der Kaienden
des Juni mit so festlicher Zurüstung übertragen, daß es in kurzen
Worten nicht beschrieben werden kann; und so groß war die
Menge des Volkes, die zu diesem Feste der Uebertragung zu-
sammengeströmt war, daß die Stadt sie nicht fassen konnte und
sie wie Heerden schaarenweise ringsum auf den Feldern lagerten."
Von den Unruhen, welche die Zeremonien störten, wird hier nichts
lautbar; doch erfahren wir davon aus einer Bulle Gregor's vom
16. Juni, in der er sich über die ihm und dem Heiligen angethane
Schmach bitter beklagt. Bewaffnete waren in die Prozession ein-
gebrochen, sie hatten den Leichnam entführt, die Thore der Kirche
dem Volke verschlossen und Franz im Innern begraben. Aus
welchem Grunde diese Gewaltthätigkeit geschah, ist noch nicht recht
aufgeklärt: wie es scheint, fürchtete man einen gewaltsamen Raub
der kostbaren Reliquie von feindlicher Seite. Oder wollte Elias es
vermeiden, daß das Volk noch einmal den wundengezierten Leib
des Heiligen sähe.'' Jedenfalls wird diese Thatsache in dem Jahr-
hunderte dauernden späteren Streit über den Ort, wo Franz begraben
liege, vielfach zu allerlei Vermuthungen und Legenden ausgenutzt.
Die nächste Nachricht über die Kirche ist uns von Angeli
erhalten, der hier angeblich ein altes Manuskript benutzte, das
Papini ebenso wenig wie Cristofani und mir bekannt ist und sich
offenbar nicht mehr im Archive befindet. Danach ernannte Johannes
de Parentibus , der in der That nach Jordanus und Salimbene bis
1232 General war, im Namen des Papstes den Piccardus Morico
zum Verwalter der Kirchenbaugelder unter der Verpflichtung, mit
Philippus Campellus zu partizipiren und dem Kardinal Protektor
Rechenschaft abzulegen. Gerade diese Notiz aber ist von großer
Wichtigkeit, da aus ihr hervorgeht, daß also schon vor 1232
Philippus de Campello der Baumeister ist, von einem Jacobus aber
nichts verlautet. Wie weit der Bau der Oberkirche im Jahre 1236
gefördert war, ist nicht genau zu sagen. Man hat gewöhnlich aus
einem 1236 bezeichneten Kruzifix, das Giunta für Elias gemalt und
200 Die Kirche San Francesco in Assisi.
das sich auf dem Querbalken der Oberkirchc befand, geschlossen,
daß diese schon in jenem Jahre eingewölbt, ja vollendet war.
Ersteres ist wahrscheinlich, für letztere Annahme ist jenes Kruzifix
nicht entscheidend.^) Sicher ist, daß in jenen Jahren Elias besonders
in Deutschland eifrig Geld für den Bau eintreiben ließ , wovon
Jordanus zu erzählen weiß. Daß diese Geldeintreibungen viele der
Brüder sehr erbitterten, daß die Zeloten in ihrer Wuth die am
Eingange der Kirche für Beiträge aufgestellte Marmorschale zer-
störten , mag auf glaubwürdiger Tradition beruhen , wird aber von
Wadding irrthümlich schon zum Jahre 1229 erzählt.^) Die Annahme
Angeli's, daß von Elias die 12 Thürme erst hinzugefügt worden
seien , stützt sich auf Nichts , vielmehr werden dieselben in den
Anfang des Baues zu versetzen sein. Wohl aber muß in dem Jahre
1239 der Campanile vollendet gewesen sein, da damals die Glocken
gefertigt wurden, deren Inschriften uns erhalten sind.'') Die eine
lautete: ,,A. D. 1239 Fr. Elias fecit fieri Bartholomaeus Pisanus
me fecit cum Loteringio filio ejus. Ora pro nobis Beate Francisce.
Ave Maria gratia plena. Alleluja." Die andere: „Anno D. 1239.
Papac gregorii tempore Noni Caesaris ac potentissimi Friderici.
O Francisce pie, fratris studio sed Heliae. Christus regnat, Christus
vincit. Christus imperat mentem Sanctam, Spontaneam, Honorem
deo et Patriae liberationem. Cum fit Campana, quae dicitur Italiana,
Bartholomaeus Pisanus fecit cum Lotharingio filio ejus. Ave Maria
gratia plena Dominus tecum , benedicta tu in Mulieribus , et bene-
dictus fructus ventris tui." Nach Rodulphus wurde noch eine dritte
auf Elias' Betreiben gefertigt, während Salimbene (lib. d. praelato
a. a. O. S. 406) fünf erwähnt, ,,von denen jenes ganze Thal in er-
götzendem Zusammenklang erfüllt wurde".*) Die kleineren Glocken
scheinen von Peruginer Künstlern ausgeführt zu sein, die 1243 ^^
einer Urkunde quittiren. '^)
') Es ward 1623 entdeckt. "Wadding I, S. 397. Morrona: Pisa illustrata II, S. 126.
'■^) Rodulphus Hist. Ser. Rel. II, p. 247. Annales II, B. 1229. S. 216.
•') Rodulphus a. a. O. II, S. 247. Danach bei Wadding II, S. 398 und Angeli;
Collis Par. tit. XVII, S. 30.
^) Pisa war damals für seine vortrefflichen Glockengießer bekannt. Man vergl.
die Erzählung bei Salimbene, a. a. O. S. 341 z. J. 1285, wie die Parmenser einen
Meister von Pisa berufen, damit er ihnen eine Riesenglocke gieße, die bis Reggio
und Borgo San Donnino vernehmbar sei, wie der Glockengießer als großer Baron
angethan ankommt und der Guß mißlingt.
■'') Instrumenta diversa etc. Bd. II. N. VII.
Die Baugeschichte der älteren Quellen. 2OI
Daß noch im Jahre 1239 an der Kirche selbst gebaut wurde, be-
weist eine bisher nur von Papini und Mothes beachtete Urkunde, die
aber namentlich von Letzterem, wie später besprochen wird, voll-
ständig falsch gelesen worden ist (vgl. ihren Wortlaut im An-
hange 11).^) Dieselbe behandelt einen Vertrag, der zwischen Elias
und dem Syndikus und Prokurator von S. Francesco : frate Jacopo
von Bevagna einerseits und den Brüdern Sanguonius und Thomas
Uffreducii , einer auch sonst in Urkunden häufig vorkommenden
Familie von Assisi, am 26. Mai 1229 abgeschlossen wurde, wonach
sich die Ersteren verpflichteten, die Travertinblöcke, die sie zum
Bau von S. Francesco einem Jenen gehörigen Gebäude entnommen
haben , wieder zu ersetzen.^) Aus dem folgenden Jahrzehnt fehlen
dann, abgesehen von einer Urkunde vom 4. Oktober 1246, in
welcher die Umgränzung des Platzes vor der Kirche bestimmt wird-^),
alle Nachrichten, bis Innocenz IV., nachdem er am 13. Februar 1252
eine Bulle mit der Verheißung des Ablasses von einem Jahre und
40 Tagen für Alle, welche die Kirche am Tage des Heiligen und
während der vierzehn folgenden Tage besucht, erlassen, selbst nach
Assisi kam und in Gegenwart der Kardinäle Rinaldo dei conti
di Segni , Riccardo Annibaldi und Giangaetano degli Orsini am
25. Mai 1253 die Kirchen weihte.^) Im Wesentlichen waren diese
gewiß jetzt vollendet, doch wie es scheint, auch noch nicht ganz,
da Innocenz IV. in einem von Angeli publizirten Brief an Frater
,,Philippus de Campello Ordinis Minorum Magister et Praepositus
operis Eccl. S. F." Diesem gestattet, Almosen in Geld anzunehmen
und für die Kirche zu verwenden. Leider ist die betreffende Stelle
zu allgemein gehalten, als daß man ihr Näheres entnehmen könnte.'^)
') Instrumenta a. a. O. N. III.
^) Die Quittung der Brüder Uffreducii fand ich in demselben Bande der Instru-
menta — vom 29. Oktober 1266. N. XXVIII.
^) Instrumenta Bd. II, IV. Vergl. auch ein anderes vom 15. März 1235, in dem
beschlossen wird, behufs Erweiterung des Platzes zwei Häuser abzureißen.
*) Die alte falsche Annahme, die Weihe habe 1235 stattgefunden (Wadding), ist
schon im Collis Paradisi und in den Acta sanctorum endgültig widerlegt worden.
'') Die Stelle lautet vollständig : Hinc est , quod cum venerabilis Ecclesia S. F.
Assisiatis nondum sit decenti , prout convenit , opere consumata , Nos cupientes ob
reverentiam S. ejusdem seduli apud Deum pro populo Christiane Patroni, dictam Eccle-
siam , et nobili compleri structura , et insignis praeeminentia operis decorari , ut obla-
tiones in pecunia, tu et alii qui Prepositi operis ejusdem Ecclesiae pro tempore fuerint,
ad Altaria ipsius Ecclesiae , ac alias etiam pro eodem opere recipere valeatis , in idem
202 Die Kirche San Francesco in Assisi.
In der folgenden Zeit hören wir so gut wie Nichts mehr von dem
Bau. Daß Philippus de Campello den Altar dem heiligen Stanislaus
errichtet, der 1253 hier kanonisirt worden war, geht aus einem bei
Angeli angeführten Briefe Alexander's IV. (VII. Kai. Febr. 1256)
hervor, doch überläßt derselbe Autor sich gleich darauf durchaus
unbegründeten Vermuthungen , wenn er denselben Baumeister bei
dieser Gelegenheit den Anbau der Kapellen vorschlagen läßt.^) Es
muß dem entgegen betont werden, daß wir keine authentischen
Nachrichten über den Anbau besitzen, und daß es nur mehr oder
weniger alte Traditionen sind, denen die verschiedenen Schriftsteller
folgen , wenn sie als Baumeister Philippus de Campello oder, wie
es Cristofani in seinem Guida im Hinblick auf das östliche Quer-
schiff der Unterkirche thut, Giotto nennen.
Von Interesse aber für die Baugeschichte sind von den zahl-
reichen, meist Privilegien gewährenden päpstlichen Bullen der
folgenden Zeit, die alle hier zu erwähnen keinen Zweck hätte, eine
vom 15. Juli 1254 datirte, in welcher Innocenz IV. der Kirche das
Recht ertheilt, werthvolle Geräthe, Gewänder und Bücher zu besitzen,
sowie zwei andere von Alexander IV. erlassene , aus denen wir
Einiges über die zum Bau der Kirche gelieferten Geldbeiträge er-
fahren. Aus der ersteren vom 18. März 1255 nämlich geht hervor,
daß Wenzeslaus, König von Böhmen, solche nach Assisi gesandt,
sein Vermittler aber , ein conte d'Ardetb , nicht die ganze Summe
den Mönchen ausgezahlt , wozu nun seine Witwe und seine Söhne
angehalten wurden. Die andere vom 15. Dezember 1260 betreibt
die Auszahlung der von den Christen in Marocco für den Bau ge-
sandten Summen, die zwei Kaufleute in Genua : Niccolö Calvo und
Giovanni di Mongiardino unterschlagen hatten. Endlich ist noch
eine Bulle Nicolaus' IV. zu erwähnen (12. Mai 1288), in der er der
Kirche Geschenke (namentlich Stoffe) zuweist, sowie eine andere
vom 15. Mai 1288, in der er anordnet, daß die in S. Francesco
und der Portiuncula gespendeten Almosen in Anbetracht dessen,
daß die Erhaltung der Kirche S. Francesco nicht geringe Kosten
mache, hierfür verwendet würden.
opus totaliter et fideliter expendendas, prout Ven. Frater noster Ostien. et Velletren.
Episcopus vel alius Romanae Ecclesia cardinalis , qui Ordinis Fratrum Minorum pro-
tector extiterit, ordinanduin, vel disponendum duxerit, et indulgemus etc. Collis Parad.
II. Th. S. 20.
1) Collis Parad. Tit. XXV. S. 35 f.
Die Baugeschichte nach den älteren Quellen. 203
Damit sind die schriftlich erhaltenen Nachrichten über die Ent-
stehung der merkwürdigen Kirche erschöpft ; die wenigen Verän-
derungen, die sie in den folgenden Jahrhunderten erfuhr, sollen
weiter unten kurz im Zusammenhang mit der Besprechung des
Klosters erwähnt werden. Was besonders auffällt, bleibt immer,
daß kein altes Dokument uns den Namen des Baumeisters der
Unterkirche erhalten hat. Die einzige auf denselben bezügliche An-
gabe findet sich bei Vasari , der ihn Jacopo Tedesco nennt , und
auf Vasari allein stützt sich die Angabe aller Schriftsteller, die bis
auf den heutigen Tag von S. Francesco gesprochen. Es verdient
dies scharf hervorgehoben zu werden, da man bisher geglaubt, der
Padre Angel i habe noch eine Urkunde gekannt, in der jener Jacopo
erwähnt gewesen. Dies war aber bestimmt nicht der Fall — auch
Angeli folgt, wie er selbst deutlich genug sagt, Vasari's Angaben
und schmückt dieselben in der Absicht, den Vorgang pragmatisch
anschaulich zu schildern, nur reicher aus. Die Worte Vasari's : „es
wurde nach vielfacher Ueberlegung als bester Baumeister von Allen,
die sich damals finden ließen, ein Meister Jacopo Tedesco nach
Assisi gebracht", dienten ihm offenbar als Grundlage für seine be-
lebte Erzählung, wie eine Konkurrenz ausgeschrieben und wie
dann der Bau begonnen wurde. ^) Von Philipp de Campello aber
weiß Vasari Nichts, und doch erscheint Filippo schon um 1232,
also in der Zeit, als man die Oberkirche begann, als Leiter des
Baues und bleibt es bis zum Jahre 1253. Das darf uns billig miß-
trauisch machen gegen des Aretiners Angaben, die ja, namentlich
was das XIII. und XIV. Jahrhundert anbetrifft, nur mit der größten
^) CoUis Paradisi Tit. IV. S. 4. Impossibile , nedum difficile cunctis videbatur
in tarn arduo situ tot inter vortices , voragines et scopulos , per amoenum aliquod
magnilicum et durabile excitandum fore aedificium. Quisque (ut in similibus evenire
solet) suam proferebat sententiam , objectionem , praedictionem. At impavidum Heliae
ingenium totum S. Patris datum amori incumbens gloriae , nil trepidabant. Accito
proptera ex Germania omnium Architectonices peritorum illius aevi peritissimo Jacobo
Alemanno , ut refert Georgius Vasarius in vitis pictorum et architectorum t. prim.
in vita Amolfi 9 convocatisque aliis in eadem arte versatis , quos inter adhuc juvenis
devotione ductus adfuit Philippus de Campello qui postea Ordinem ingressus est, et
post Jacobum praedictum totius operis Praefectus est constitutus. Considerato emensoque
situ , variis propositis exemplaribus perpensisque schematibus , omnes iudicio Jacobi
steterunt; et quintodecima Mensis Maji die 1228 fundamentis fodiendis multiplex
imposita fuit manus. CoUem undique artilices occuparunt, quidam scindendis scopulis,
alii eruendis petris, alii ceteris praeparandis materialibus addicti. Etc.
204
Die Kirche San Francesco in Assisi.
Vorsicht aufgenommen werden dürfen. Ja , wäre es freilich , wie
Mothes mit ungerechtfertigten Ausfällen gegen seine Vorgänger als
klar und zweifellos hinstellt, wirkHch erwiesen, daß eine Urkunde
den Jacopus von Merania als Baumeister nenne, dann wäre Vasari
gerechtfertigt. Wie Jeder aber aus dem im Anhange gegebenen
Text derselben erkennen kann , handelt es sich hier um nichts
weniger als einen Baumeister Jacopus de Merania, sondern um den
Syndikus und Prokurator von S. Francesco : Jacopo von Bevagna,
einer unweit Assisi gelegenen Stadt. Dieselbe Urkunde lehrt uns
aber einen anderen Architekten als anwesenden Zeugen kennen ; den
Magister Paulus Luprandi, der demnach vermuthlich unter Philipp
de Campello arbeitete.
Woher hat also Vasari seinen Jacopo genommen , aus alten
Ueberlieferungen oder ist er nur ein Gebilde seiner Phantasie.'' Für
letzteres ließe sich wohl Manches geltend machen ! Ist doch die
ganze Biographie Arnoifo's di Cambio, wie archivalische Forschungen
ergeben haben, ein mehr oder weniger willkürlich erfundener Roman,
der sich am Besten erklären läßt aus der Absicht, das Auftreten
des gothischen Stiles, der für Vasari ja der barbarische deutsche
ist, in Florenz zu begründen. Arnolfo, den er als Architekten dem
Maler Cimabue, also als Neuerer vergleicht, ist für ihn der Sohn
eines Lapo, dem er in vielfach sich widersprechender Ausführung eine
Anzahl Bauten zuschreibt, die früher als Arnoifo's Kirchen den
gothischen Stil zeigen. In die Reihe derselben gehört S. Fran-
cesco, und so wird Lapo mit dem Architekten dieses Baues iden-
tifizirt und sein eigentHcher Name aus der florentinischen Abkürzung
als Jacopo wiederhergestellt. Daß er ihn dann zum Deutschen
macht, ist leicht verständlich, da S. Francesco ja für ihn die erste
deutsch -gothische Kirche in Italien ist. In dieser Weise ließe sich
ohne besondere Schwierigkeiten die Entstehung des Jacopo Tedesco
bei Vasari erklären. Daß er mit Lapo eine bestimmte Persönlich-
keit im Auge hatte, ist leicht möglich, es kann ja neben jenem
Lapo , der als Genosse des Arnolfo in Siena erwähnt wird , noch
ein anderer Baumeister Lapo existirt haben, von dem er Einiges
gehört. Daß Arnoifo's Vater aber nicht Lapo , sondern Cambio
hieß, ist längst erwiesen und damit noch deutlicher gezeigt, daß
die ganze Erzählung von Jacopo oder Lapo Tedesco zum größten
Theile Erfindung ist.
Auf der anderen Seite aber wäre es eben so wohl auch denk-
Die Baugeschichte nach den älteren Quellen. 205
bar, daß Vasari's Erzählung vom Vater Arnolfo's eine alte Tradition
in Assisi entgegenkam, die als Baumeister der Franziskuskirche einen
Jacobus nannte. Dies könnte eine Bestätigung finden in einem
leider nicht vollständig erhaltenen Manuskript des Archives da-
selbst, das eine bis jetzt für die Geschichte der Kirche noch nicht
ausgenutzte Beschreibung derselben enthält. Dasselbe, wohl im
XVII. Jahrhundert geschrieben, geht, wie aus einigen Stellen ersichtlich,
auf ein anderes, damals im Archive befindliches 1570 geschriebenes
Manuskript eines Fra Lodovico di Castello zurück , das ich jetzt
nicht mehr aufzufinden vermochte, ^) Nun könnte es scheinen,
als kenne der Schreiber die ,,vite" des Vasari nicht, da er viele
abweichende Bestimmungen bringt, doch scheint es auch nur, da
er in diesen offenbar dem von Vasari unabhängigen Fra Lodovico
folgt, andrerseits aber wiederholt Vasari abschreibt, wie bei der
Beschreibung des Denkmales der Königin von Cypern , als dessen
Verfertiger er Fuccio nennt, dem er wie Vasari auch die 1229 ge-
baute Kirche S. Maria sopra l'Arno zuschreibt. So kommt wohl
auch die Notiz : der Baumeister von S. Francesco sei ,,Jacomo
Todesco , trovandosi all' hora in Italia di gran fama de Pittore et
Architettore" von Jenem her, und beweist für unsere Zwecke Nichts.
Viel wichtiger ist es zu wissen, daß eine andere alte ausführliche
Beschreibung der Kirche, die höchst ungerechtfertigter Weise ganz
in Vergessenheit gerathen ist. Nichts von dem Baumeister weiß.
Petrus Rodulphus in seinen historiarum Seraphicae religionis libris
tres sagt : ,, Dieser Bau hat nichts gemein mit jenem Stile, den Vi-
truvius als Architekt feststellte, sondern ist ein Teutonisches Werk.
Den Namen des Erbauers habe ich nicht gefunden." -) Wenn schon
*) Papini , der es einige Male in den Notizie sicure erwähnt , ohne es doch aus-
zunutzen, scheint auch nur die von mir erwähnte freie Kopie, in der auch ein anderes
Manuskript des Malers Adone Doni für die Beschreibung der Fresken der Oberkirche
verwerthet wird, zu kennen. Sie erhielt i. J. 1822 Randglossen, die neben einigen
archivalischen Notizen namentlich Vasari's Angaben vergleichend hinzusetzen. Eine
ganze Reihe von Blättern, darunter leider das Titelblatt und der Anfang, fehlen. Die
übrigen sind ungeordnet und bringen häufig Wiederholungen, so daß man annehmen
möchte, der Kopist habe nur vorläufig alle wichtigen Notizen zusammenstellen wollen,
um später daraus ein Ganzes zu machen. Ich werde das Manuskript im Texte einfach
als ,,alte Beschreibung" zitiren.
*) Lib. II p. 247. Vergl. die im Anhange III ihrer Bedeutung wegen vollständig
gegebene Beschreibung von S. Francesco , die Wadding nicht überall genau in seinen
Annalen II, S. 397 zu 1235 wiedergab. Ich benutzte ein Exemplar des höchst seltenen
Werkes des Rodulphus in der Wiener Hofbibliothek.
2o6 Die Kirche San Francesco in Assisi.
ein mit dem Archive von S. Francesco so vertrauter und so gründ-
licher Schriftsteller, wie Rodulphus es zweifelsohne gewesen, ein
Zeitgenosse des Vasari selbst, so bestimmt behauptet, Nichts von
dem Baumeister erfahren zu haben, so wird es geradezu zur Un-
möglichkeit, behaupten zu wollen, Vasari habe auf Grund irgend
einer jetzt verlorenen Urkunde oder einer allgemein herrschenden
Tradition Jacopo Tedesco zum Architekten von S. Francesco ge-
macht. Urkunde wie Tradition wäre sicher dem mit Assisi innig
vertrauten Franziskaner Rodulphus eher noch bekannt gewesen, als
dem in Assisi fremden Aretiner. So wird uns die zuerst aus-
gesprochene Vermuthung : der Jacopo Tedesco sei eine Erfindung
Vasari's, die vielleicht in irgend welcher Beziehung zu einem uns
nicht mehr bekannten Baumeister Lapo steht, fast zur absoluten
Gewißheit.
Ich meine demnach , der Name des Jacopo Tedesco sei aus
der Baugeschichte der Franziskuskirche, wie der allgemeinen Kunst-
geschichte zu streichen. Damit aber fallen auch alle die müßigen
Erfindungen einer späteren Zeit : die Sage, daß jener Deutsche im
Gefolge Friedrich's II. nach Italien gekommen und von Jenem auf
Wunsch des Elias nach Assisi geschickt worden sei , sowie jene
andere , die Philipp de Campello sogar zum Sohne Jacob's macht.
Was hätte denn Letzterer auch Neues aus Deutschland mit-
gebracht.? Alles was gothisch ist: die Oberkirche vor Allem ist ja
unter Leitung des Philipp gebaut worden ! Des Jacobus Antheil am
Bau würde sich auf die romanische Unterkirche beschränken , und
da möchte man sich doch vergeblich fragen, was an derselben
Deutsches sei.? Nun wir befreit von der verwirrenden Tradition
aus dem Denkmal selbst unsere Schlüsse ziehen dürfen , werden
wir ohne Mühe diesem seine richtigere Stellung anweisen können.
Alles, wie mir däucht, deutet darauf hin, daß der Baumeister der
Kirche seine Schule in der Lombardei durchgemacht. Nur in Mai-
land und Umgegend begegnen wir diesen mächtigen lastenden Kreuz-
gewölben über den eigenthümlich flach gespannten Rundbögen,
dort auch der kreuzförmigen Anlage, wie den massigen Rundpfeilern.
Bauten wie die 1221 geweihte Kirche Chiaravalle bei Mailand, wie
die um 1200 in ihren Gewölben veränderte S. Ambrogio, bezeich-
nen genau die Stufe der lombardischen Bauentwicklung, auf der
auch die Unterkirche in Assisi steht. Besonders lebhaft aber wurde
ich an die letztere in S. Nazaro in Mailand erinnert, einer freilich
Die Baugeschichte nach den älteren Quellen. 207
später modernisirten Kirche, die aber die alte kreuzförmige Anlage
und Anordnung der Gewölbe noch erkennen läßt. Ja, ich möchte
noch weiter gehen und behaupten, daß auch die Oberkirche in ihren
räumlichen Verhältnissen am meisten an die eben erwähnten Bauten
gemahnt , wenn auch das Detail* hier bereits einen Fortschritt und
eine nähere Beziehung zu nordischen Formen zeigt. Eine solche
aber macht sich ja auch schon an der von 12 19 — 24 gebauten Kirche
S. Andrea zu Vercelli bemerkbar, wo zwar die Fenster noch rund-
bogig gehalten , die Scheidebögen aber spitz sind , und die Pfeiler
ähnliche Halbsäulen mit ähnlichen Knospenkapitälen haben. So,
glaube ich , kommt auch Filippo de Campello aus der Lombardei
und verwerthet seine dort gemachten Erfahrungen in origineller,
durch die Terrainschwierigkeiten bedingter Weise. Ob er nicht
schließlich wie die Oberkirche so auch die Unterkirche gebaut .-*
Die gesammte Anlage findet, so viel ich weiß, nur ein einziges
Seitenstück in Italien, und zwar wunderbarer Weise in der frühesten
Kirche des älteren ersten großen Gründers der Mönchsorden,
des h. Benedikt in Subiaco. In räumlicher Ausdehnung freilich
muß die letztere weit zurückstehen , doch sind auch hier an steil
abfallender Bergeslehne zwei Kirchen über einander gebaut, und
ähnlich wie in Assisi weht es den Besucher wie ,,geheimnißvolle
Frömmigkeit" an ! Ja der mystische Eindruck ist hier noch größer,
da von der unteren Kirche, an deren Nordseite in zwei Stockwerken
unregelmäßige Kapellen in den Fels gehauen sind, eine unregel-
mäßige Treppe in noch größere Tiefen zu andern Kapellen hinab-
führt und so ein wundersamer Durchblick durch wechselnd dunkle
und beleuchtete gewölbte Räume möglich wird. Auch hier nur
freilich in scheinbar willkürlicher Aufeinanderfolge über runden
oder spitzen Bögen breite Kreuzgewölbe, auch hier die zweifelslose
Beziehung zu lombardischen Bauten ! Wenn es nicht Dokumente
gäbe, die dem Bau ein höheres Alter vindiziren, den unteren Raum
mit seinen Rundbögen 1052, den oberen mit dem Spitzbogen-
gewölbe 1066 entstehen lassen, würde ich nicht zögern, die Um-
gestaltung des Sacro Speco etwa in dieselbe Zeit zu setzen wie
S. Francesco, ja eine Beziehung zwischen beiden Kirchen für nicht
undenkbar zu halten. Seit D'Agincourt hat man sich leider nicht
mehr wirklich eingehend mit dem interessanten Bau , der so vieles
Räthselhafte hat, beschäftigt. Ob eine kritische Untersuchung nicht
ergeben würde , daß besonders das obere Oratorium im Anfang
2o8 Die Kirche San Francesco in Assisi.
des XIII. Jahrhunderts Veränderungen erfahren , zu jener Zeit
zwischen 1220 und 1235 , als die Cosmaten Jacobus und seine
Söhne den herrlichen Hof in S. Scholastica bauten?
Ehe wir nun im Folgenden einen kurzen Blick auf die Bau-
geschichte auch des Klosters von S. Francesco werfen, sind noch
drei Werke in der Kirche zu erwähnen , die ihrem Stile nach der
ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts angehören : der Altar der Unter-
kirche, die Kanzel ebendaselbst und der päpstliche Thron in der
oberen. Alle diese Werke, über deren Verfertiger sich bis auf eine
Notiz Nichts im Archiv und in den Beschreibungen findet, zeigen
einen durchaus im Stile der Cosmaten gehaltenen feinen Mosaiken-
schmuck und erinnern auch in der Arbeit der meist gedrehten Säul-
chen an jene römischen Künstler. Der schöne Altartisch ruht
auf 20 mit Kleeblattbögen verbundenen kurzen Säulen ^) und war
ehemals mit einer Umfriedigung versehen, die sich jetzt in der
Oberkirche befindet und aus zwölf achtseitigen antikisirenden Säulen,
die ein gerades mosaizirtes Gebälk tragen, besteht. Das die letz-
teren verbindende Eisengitter wurde am Ende des XV. Jahrhunderts
von einem Gasparino d'Antonio verfertigt.-) Die Kanzel diente
früher als Altar des h. Stanislaus und dürfte daher identisch mit
dem in dem oben erwähnten Breve Alexander's genannten Werke
des Philippus sein. Die einfache m.ensa der Oberkirche ist mit
Mosaiken ornamentirt. Der von Einigen ohne jede Berechtigung
dem Fuccio zugeschriebene Thron, der unter einem mit Krabben
verzierten, auf Säulen ruhenden Spitzgiebelbaldachin steht, hat eine
spitze Lehne, als Armbrüstungen zwei Löwen, und trägt unten am
Schemel die Relieffiguren eines Löwen, Greifen und Basilisken, so-
wie die Inschrift : super Aspidem et Basiliscum ambulabis et con-
culcabis Leonem et Draconem.
Daß der Bau des Klosters Schritt hielt mit dem der Kirche,
dürften wir voraussetzen, selbst wenn uns nicht aus der ältesten
Zeit sechs mächtige Kreuzgewölbe erhalten wären , die ganz den-
^) Phot. Alinari.
^) Dieser Gasparino d'Antonio de Ruberto de Foligno kommt in den erhaltenen
Ausgabebüchern (Miscellanea 1472 — 1523, und Ausgabebuch 1467 — 97) von 1476 bis
1481 (24. Juli) wiederholt vor. Daß er jenes Eisengitter gefertigt, entnehme ich der
alten Beschreibung. Es ist derselbe Künstler, der sich in einer von Fratini (S. 280)
ganz publizirten Urkunde vom 6. Juni 1479 verpflichtet, im Auftrage Sixtus' IV. das
Reliquiarium für den ,,Camoscio" des Franz zu verfertigen.
Die Baugeschichte nach den älteren Quellen. 209
jenigen der Unterkirche entsprechen und offenbar den südlichen
Theil des westlich an der Kirche gelegenen Hofes bildeten. Um ihn
legten sich im Norden, Westen und Süden die Baulichkeiten, die
jetzt noch, freilich ganz verändert, erhalten sind. Auch die mäch-
tigen Substruktionen des vorspringenden südlichen Theiles zeigen
noch die Spuren des alten Baues, der sicher anstatt der rund-
bogigen wenigstens zum großen Theile spitzbogige Oeffnungen auf-
wies, in welche Säulchen mit antikisirenden Kapitalen gesetzt waren.
Einige wenige derselben sind erhalten. Eine Erweiterung erhielt
das Kloster durch den vom Kardinal Albornoz errichteten Bau der
Infermeria nuova, die westlich an den großen Hof anstieß und noch
heute in dem Wappen des Kardinals und in wenigen spitzbogigen
Fenstern an das XIV. Jahrhundert erinnert. In einem mit L be-
zeichneten Ausgabebuch, das mit 1352 beginnt, befinden sich mehrere
darauf bezügliche Notizen, zuerst vom 30. Juli 1354, dann öfters
bis zum Jahre 1361, einige auch in einem anderen Ausgabebuche:
vom 17. November 1377, an welchem Tage die Infermeria gepflastert
wird. Als Werkmeister wird ein Nicolaus deBictonio (Bettona)
erwähnt, der im Jahre 1360 mit dem Bau eines Claustrum beschäf-
tigt erscheint, für das ein Francesco di Corrado, Francesco di Muscio
und Piero di Damiano die Säulen ausführten. ^) Ob dies nur eine
Restaurirung des alten Hofes oder die Anlage eines neuen, etwa
des jetzt von der Infermeria umschlossenen hofartigen Raumes, ge-
wesen ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Bis 1442 hören wir
dann nichts mehr von dem Bau , da nur wenige Reste eines Aus-
gabenbuches aus dieser Zeit erhalten sind. In jenem Jahre aber
ordnet der päpstliche Legat am 21. Dezember an, daß fortan zur
Verwaltung der eingehenden Almosen, die zur Erhaltung von Kirche
und Kloster verwandt werden sollen , zwei Bürger mit dem Titel :
„maestri dell' opera di S. Francesco" angestellt werden. 1446
wird dann hinter der Apsis der Unterkirche von Maurern aus Pe-
rugia und Cittä di Castello ein Gebäude errichtet, das ,,armario"
^) Vergl. libro di spese 1352 — 64. Notizen vom 16. Mai, vom 29. Dez. 1360
und 4. Dez. 1360. — Der Niccolo da Bettona wird noch im Sept. 1362 erwähnt. —
Ein am 14. Mai und 24. Nov. 1355 erwähnter Puciarello Gungloli und ein Stephanus
sind wohl als Maurer an der Infermeria und in der Capella S. Martini thätig gewesen. —
Vergl. auch Fratini S. 188 ff., der irrthümlich statt des Niccolo da Bettona einmal einen
Crispolto nennt, der aber erst i486 als Mitarbeiter an dem Chorgestühl der Unter-
kirche auftritt.
Thode, Franz von Assisi. I4
2IO Die Kirche San Francesco in Assisi.
genannt und von Fratini richtig als neue Sakristei gedeutet wird. ')
Dasselbe bestand noch zu Zeiten des Vasari , der unter dem Bilde
der Stigmatisation die jetzt vermauerte Thüre, die zur Sakristei
führte, erwähnt.
Eine wirklich umfassende Bauthätigkeit aber trat erst wieder
ein , als Sixtus IV. den päpstlichen Stuhl bestieg , ein Papst , der,
aus dem Franziskanerorden hervorgegangen, seine Verehrung für
Franz und dessen Kirche in Assisi stets hegte und thatkräftig be-
wies. In zwei Bullen vom 12. November 147 1 und 13. Januar 1472
kam er den Wünschen der Mönche, die zur Restaurirung der Kirche
nothwendig des Geldes bedurften, willig entgegen und sandte selbst,
wie ein von Fratini S. 263 publizirter Brief seines Nepoten Giuliano
della Rovere vom 8. November 1472 angiebt, 1000 Dukaten ,,per
compimento della fabrica". Zugleich befiehlt er, zwei Bürger zu
wählen, die zugleich mit einem ,, Maestro Andrea" die Sorge für
den Bau übernehmen sollen. Da galt es vor Allem, die ungenügend
fundirte Infermeria nach Westen und Süden hin durch neue Sub-
struktionen zu stützen und die Gewölbe zu erneuern, und zur Er-
innerung an dieses große Werk ward die noch heute schon weit vom
Thale aus sichtbare Statue des Papstes an der Südwestecke der Unter-
mauern angebracht. Zu gleicher Zeit aber ward das alte Refektorium,
das im Süden des großen Hofes gelegen war, erweitert und ge-
wölbt, und letzterer selbst umgebaut. An die Westseite der Kirche
sich anschließend , besteht er aus sechs Arkaden auf jeder Seite,
die unten auf achtseitigen Pfeilern mit antikisirend gothischen Ka-
pitalen, im oberen Stockwerk auf kleineren Renaissancekomposit-
säulen ruhen (Abb. 31). Eine Inschrift verkündet in folgenden
Versen den Ruhm des Bauherrn :
Inclita sum quercus quondam lustrata triumphis
Quam Lelli Caesar dederat . . . maximus olim
Et licet oscura fuerim labentibus annis
Nunc summo quartus decoravit Sixtus honore.
In der Mitte befindet sich das Wappen und die Jahreszahl 1474.
Dem Sixtus IV. auch verdankt das Kloster die doppelte, zur Ober-
^) Fratini S. 256 f. Ein Stefano tedesco fertigt die Fenster. Ich habe dieses
Ausgabebuch nicht finden können und folge daher Fratini , dem zufolge damals auch
fünf Bogen des Campanile und ein Rundfenster der Oberkirche zunächst dem Altare
reparirt wurden.
Die Baugeschichte nach den älteren Quellen. 2 1 1
kirche führende Treppenanlage , die außen neben der Tribüne
angebracht wurde, sowie eine Anzahl anderer werthvoller Be-
reicherungen der Kirche, von denen noch die Rede sein wird.
Jener oben im Briefe erwähnte Meister Andrea scheint an
dem Bau der Substruktionen thätig gewesen zu sein, wie aus einem
von Fratini nicht berücksichtigten Ausgabenbuche von 1472 hervor-
geht, wo er erwähnt wird: ,,per far la scarpa di San Francesco".
Daß der Hauptleitcr der neuen Bauten Baccio Pintelli gewesen,
erfahren wir nur aus Vasari, der seine Thätigkeit in Assisi ins Jahr
1480 setzt. ^) Nun scheint es aber, daß Vasari wie in so vielen
anderen Fällen auch hier Baccio mit einem anderen Architekten
verwechselt. Die Forschungen Müntz's haben nämlich ergeben,
daß die von Sixtus IV. nach Assisi gesandten Baumeister: jener
Giacomo da Pietrasanta, der für Pius II. die Benediktions-
loge und unter Paul II. einen Theil des Palastes von S. Marco ge-
macht, und der Florentiner Bernardo di Lorenzo sind. Aus
den Urkunden geht hervor, daß sie 1472 (vor dem 30. Juni) und
1473 in Assisi waren und Kirche und Kloster auf die nothigen
Restaurationen hin untersuchten. Sie mögen im Großen und Ganzen
die Anordnungen für den Bau gegeben, jener Meister Andrea aber
ihn ausgeführt haben.-)
Zu gleicher Zeit wie der Papst Sixtus IV. aber zeigte sich auch
der 1475 erwählte General des Ordens Francesco Nani, genannt
Samson , eifrig bemüht flir die Erhaltung und Verschönerung von
*) Von einzelnen Notizen , die ich gefunden , seien hier noch erwähnt : libro di
spese bez. mit 1467: Am 27. Juli 1473 erhält ein Maler Felitiano für die Bemalung
zweier Wappen des Kardinals von San Sisto und des Kardinals von San Pietro 18 lire. —
Miscellaneen 1472 — 1523: ein maestro Agnolo di Gabriello baut eine Camera papale.
1477 — 78 erhält ein Maestro Alisandro orfo öfters Zahlungen für Anfertigung eines
Tabernakels, an dem auch Gasparre thätig ist. — Ein Magister Christophanus 1487
macht Wappen des Sixtus , auch Gefäße. Es ist wohl derselbe Cristofano da Gualdo,
der am 20. Okt. 1494 in dem libro di spese 1491 — 95 als Zeuge bei der Abschätzung
der Reparatur der Fenster erscheint.
*) Müntz: Les arts ä la cour des papes, III. Bd., S. 72. Dokumente S. 208:
1472. 30. Juni. Magistro Jacobo de Petrasancta et magistro Bernardo Laurentii de
Florentia muratoribus florenos de camera XXV pro expensis quas superioribus diebus
fccerunt eundo de S. D. N. papae mandato Asisium (sie) ad videndum aedificium
ecclesiae sancti Francisci et eins necessariam reparationem. 1473. 20. Febr. Magistro
Jacopo de Petrasancta muratori quem S, D. N. papa misit ad inspiciendum necessariam
reparationem monasterii Sancti Francisci de Asisio pro eins expensis etc. florenos
XXVIII et bol. LIII.
14*
212 Die Kirche San Francesco in Assisi.
S. Francesco zu sorgen. Er läßt an der Oberkirche neue Leitungen
für den Abfluß des Regenwassers fertigen, das Dach sowohl als
die Fenster repariren^) und (angeblich nach Zeichnung des Baccio
Pintelli) von einem maestro Francesco di Pietrasanta für
225 Goldscudi das Vestibül vor der Unterkirche errichten.^) (Abb. 32.)
Hat Müntz Recht, jenen oben erwähnten Giacomo den Sohn des
Cristofano di Ricomanno zu nennen , so ist dieser Francesco , der
auf dem von Milanesi publizirten Stammbaum angegeben ist, sein
Bruder. Es ist derselbe Francesco, der in früheren Jahren seinem
Onkel Lionardo in Genua bei der Ausführung des Grabmales für
den Dogen Tommaso de Campofregoso geholfen.-^) Dem General
Samson auch verdankt man die Wiederherstellung des kleinen
Kirchhofes, der an der Nordostecke der Unterkirche gelegen ist.^)
Zwei Lombarden : die Meister Pietro und Ambrogio erscheinen
1487 — 90 daran thätig. •') Er bildet ein Oblongum, in das die
Kapelle des Kardinals Albornoz einspringt, hat unten weitgespannte
Rundbogen auf achteckigen Backsteinpfeilern, im oberen Stock-
werke einfache niedrige Pfeiler, die ganz niedrige Bögen und dar-
über das Holzdach tragen. Die Inkrustation der Wände entspricht
der im Anfang des XIV. Jahrhunderts in den Kapellen angewendeten
und läßt wohl auf eine etwa gleichzeitige Entstehung des Kirch-
hofes schließen, wenn auch ein Grab (des Ventura Ranaldi mit der
Jahreszahl 1245) auf eine frühere hindeuten könnte.") Vor jenem
Kirchhofe, schon im Jahre 1468, waren die Arkaden, die gleichfalls
aus Rundbogen auf rohen achtseitigen Pfeilern bestehen, auf dem
Platze vor der Unterkirche gebaut worden, und zwar unter Mit-
wirkung jenes Ambrogio von einem maestro Antonio diLom-
^) Dokument, das lose in dem libro di spese liegt, welches mit 145 1 anfängt.
^) Ich habe das betreffende Dokument nicht selbst gesehen, doch ist wohl nicht
daran zu zweifeln, da schon Papini: Not. sie. S. 293 und später Fratini (S. 272) die
Angabe bringen.
3) Vasari Mil. VI, S. 104. — Giomale ligustico 1884. XI, S. 463.
*) Phot. Alinari.
■^) Libro di spese , das mit 1467 bezeichnet ist. Ambrogio ist offenbar derselbe,
der 1468 mit Antonio Lombardo die Arkaden vor der Kirche baut, und erscheint in
Rechnungen 1497 ^^^^ ^498 mit Reparaturen an der Infermeria betraut. Pietro kommt
als Zeuge noch einmal am 7. Sept 1493 vor (libro di spese 149 1 — 95, in dem die
Reparaturrechnungen für die Fenster enthalten sind).
*) Sonst fand ich nur spätere Daten: 1329 (Mucutius Putins), 1330, 1337 (Mag.
Johannes magistri Symonis).
Die Baugeschichte nach den älteren Quellen. 213
bardia. ^) Zu der Ausführung der von Samson geplanten Er-
weiterung des Klosters an der Südwestecke ist es nicht gekommen ^),
dagegen erhielten in der Capeila S. Bernardini, die südlich
gegenüber dem Portal der Unterkirche gelegen ist, die Tertiarier
im Jahre 1488 eine schon lange erwünschte Kapelle, die nach
einer Inschrift von zwei Baumeistern aus Assisi, Franceschino
Zampa und Hieronymus Bartholomei, ausgeführt wurde.
Das Innere bewahrt nichts mehr von seiner früheren Ausstattung,
aber die von korinthischen Pilastern eingerahmte Fassade ist mit
ihrem reichen, aber etwas roh ausgeführten Portale erhalten. Dieses
hat zwei Eingänge zwischen derb mit kandelaberförmigen Orna-
menten gezierten Pilastern, die über zweifachem Architrav und
mit Blattwerk verziertem Fries eine halbrunde Lünette tragen, in
welcher der h. Bernhardin mit zwei anbetenden Engeln in Relief
dargestellt ist.^)
Mit den weiteren Schicksalen der Kirche und des Klosters uns
eingehend zu beschäftigen , würde zu weit fuhren. Bei Fratini
findet sich das Wesentliche Alles zusammengestellt, doch haben
thatsächlich dife letzten Jahrhunderte Veränderungen bloß in den
Klosterräumen bewirkt, und auch diese haben keine große Wichtig-
keit. Kurz zu erwähnen wäre nur, daß die geschnitzten Thüren
der Unterkirche 1546 von einem Niccolö da Gubbio hergestellt
wurden, das neue Tabernakel des Altares 1570 von Galeazzo
Alessi entworfen, 1609 ^uf Kosten des Königs von Spanien das
neue dormitorium errichtet, im weiteren Verlaufe des XVII. Jahr-
hunderts die Kapelle des h. Sebastian in der Unterkirche und der
südliche für die Fremden bestimmte Theil des Klosters ausgebaut
wurde. Als dann im Jahre 181 8 nach mühsamen Nachgrabungen
der Leichnam des Franz unter dem Hauptaltar in seiner Felsen-
gruft aufgefunden worden war und durch dies große Ereigniß selbst
der Kaiser Franz I. 18 19 nach Assisi gezogen wurde, beschlossen
die Frati, nun die alte Legende wahr zu machen, die schon zur
Zeit Vasari's und selbst früher behauptet hatte, unter der Kirche
^) Das geht aus einer Notiz im libro di spese von 1467 hervor.
^) Vergl. den Brief des Generals vom 2. März 1496 , der bei Fratini S. 273
publizirt ist.
^) Die Inschrift lautet: huius porte ad apicem usque Franciscus patronus pro
anima sua auxit opus Francischino Zampa Iheronimoque Bartholomei auctoribus Asisien-
sibus 1488.
214
Die Kirche San Francesco in Assisi.
befinde sich eine dritte unterirdische Kapelle, in welcher der Heilige
begraben sei, oder, wie Andere wollten, aufrecht betend stehe.
Giuseppe Brizi und Pasquale Belli bauten die neue Unterkirche,
die im Oktober 1824 eingeweiht wurde. Veränderungen erlitt die
Kirche schließlich in neuester Zeit , als ihre Erhaltung nach 1 860
einer königlichen Kommission anvertraut wurde, im Jahre 1870 die
Gemälde restaurirt, die Barockaltäre und Orgel entfernt, die Chor-
stühle der Oberkirche in das Kloster versetzt wurden. Im Jahre
1877 kehrten dann nach 17 jähriger Verbannung die Padri Con-
ventuali in die Kirche zurück und erhielten einen Theil des Klosters
wenigstens wieder, dessen größere Hälfte jetzt als Stätte der Er-
ziehung .für die heranwachsende neue Generation dient.
III. Die künstlerische Ausschmückung der Kirche.
I. Die ältesten Denkmäler der Malerei.
Gewaltig und innerlich ergreifend wie die Kirche des heiligen
Franz durch ihre Architektur wirkt, gewinnt sie doch ihre höchste
Bedeutung durch den reichen Schmuck von Malereien, die alle
ihre Wände überziehen, und wer sich mit Liebe in deren An-
schauung versenkt, dem wird das wunderbare Geheimniß des künst-
lerischen Werdens hier vielleicht klarer und deutlicher sich offen-
baren, als an irgend einem anderen Orte der Welt. S. Francesco
in Assisi ist recht eigentlich die Wiege der neueren Kunst, die
hier zuerst schüchtern, dann immer freier und ungehemmter die
Sprache zu finden beginnt, welche, unermeßlich reich im Laufe der
Jahrhunderte ausgebildet, das Höchste allgemein verständlich aus-
zudrücken vermochte, was die Menschheit sonst nur ahnend em-
pfunden hat. In San Francesco wird das Losungswort gefunden
für die neue künstlerische Bewegung : das Studium der Natur ! Wie
es dazu gekommen, wie gerade in der von Franz ausgehenden,
die Phantasie anregenden Frömmigkeit, in der Wiedergabe seiner
in engster Wechselbeziehung zur Natur stehenden Legende der
erste Impuls gegeben wurde, haben wir bereits betrachtet. Hier
gilt es nur noch einmal im Zusammenhange zu verfolgen , wie bis
auf Giotto's entscheidendes Auftreten in der Oberkirche von S. Fran-
cesco selbst dasselbe vorbereitet wird, wie in den ersten Dar-
stellungen des Lebens des Heiligen bereits das neue formende
Die ältesten Denkmäler der Malerei. 2 1 5 .
Element sich geltend macht, wie dieses sich dann in der Unter-
kirche bestimmter gestaltet und in die obere emporsteigend immer
freier sich ausbildet. Daß wir von Schritt zu Schritt durch hundert
Jahre hindurch den Werdegang zu verfolgen vermögen, berechtigt
uns, die Fresken in Assisi, von so verschiedenen Meistern sie auch
geschaffen sind, im Zusammenhange hier zu betrachten, wobei wir
für Manches auf den vorhergehenden Abschnitt verweisen können.
Nicht genug freilich ist es zu beklagen , daß , abgesehen von zwei
zu erwähnenden kurzen Notizen, das Archiv uns keinerlei Aufschluß
über die in Assisi beschäftigten Maler gewährt und wir demnach
bei der UnzuverlässigkeitVasari's und der Ungenauigkeit der ältesten
Quellen ganz darauf angewiesen sind, aus den Werken selbst die
Meister und die annähernde Zeit der Entstehung zu bestimmen.^)
Schon die alte handschriftliche Beschreibung bringt ebenso wie
Rodulphus in Ermangelung archivalischer Nachweise fast durchweg
Vasari's Angaben wieder, so auch im großen Ganzen der Padre
Angeli, der das Neue, was er giebt, nur willkürlich erfunden. So
schleppen sich die alten Traditionen weiter, bis Rumohr denselben
^) Litteratur: Ghiberti: Commentarii. Vasari. Ausg. Lemonnier I, S. XVIII u. XX.
— Vasari. I. Ausgabe 1550. I, S. 128. 141. 152. — Vasari. II. Aufl. Ausg.
Milanesi. — Alte handschriftliche Beschreibung nach Lodovico's dl Castello Manuskript
von 1570 und nach Adone Doni. — Rodulphus: Hist. Ser. religionis libri tres. 1586.
Venetiis. — Danach nicht ganz genau die Angaben bei Wadding: Annales II. Bd.
J. 1235. S. 397 ff. — Padre Angeli: Collis Paradisi 1704. — Baldinucci: Notizie de'
professori del disegno (1681 — 1728). Ausg. Mailand 181 1. — Lanzi: Storia della
pittura (1789). Ausg. Bassano 1809, — D'Agincourt; Histoire de l'art. Paris 181 1
— 23. D. Ausg. von Quandt 1840. — Fea: Descrizione. 1820. — Bruschelli : Assisi
Citta serafica. 1824. — Papini: Notizie sicure 1842. — Kugler: Tübinger Kunstblatt.
1827. Beschr. der Fresken. — Rumohr: Ital. Forschungen 1827 — 31. Berlin. —
Descrizione di S. F. Assisi 1835. — Rosini: Storia della pittura. 1839 — 54. —
Chavin de Malan: vie de St. Frangois. 1841. Ital. Uebers. von Guasti. Prato 1879.
— Kugler : Gesch. d. Malerei. III. Ausg. 1 866. — Crowe und Cavalcaselle : Gesch.
d. ital. Malerei. D. Uebers. von Jordan 1869. Ital. Ausg. 1875 u. ff. — Förster:
Gesch. der ital. Kunst. 11. Bd. 1870. — Ders. Denkmale ital. Malerei. — Guardabassi:
Indice. 1872. — Rio: L'art chretien. II. Aufl. Paris 1874. — Schnaase: Gesch. d. b.
Künste. II. Aufl. VII. Bd. 1876. — Cristofani: Storie d'Assisi. Assisi 1875. —
Ds. Guide d'Assise. 1877. — Lübke: Gesch. d. ital. Malerei. 1878. — Dobbert
in Dohme's Kunst und Künstler. Bd. III. 1878. — Woltmann - Woermann : Gesch.
d. ital. Malerei. 1879. — Fratini: Storia della basilica. Prato 1882. — Burckhardt:
Cicerone. V. Aufl. 1884. Von neuerer seit der I. Auflage erschienener Literatur hebe
ich nur hervor: Strzygowski: Cimabue und Rom. Wien 1888. — Thode: Giotto.
Künstlermon. Bielefeld 1899. — Max Zimmermann: Giotto. Leipzig 1899.
2i6 Die Kirche San Francesco in Assisi.
entgegentretend kühn das Kritische des eigenen Blickes geltend
macht und Crowe und Cavalcaselle sämmtliche Wandmalereien einer
eingehenden Prüfung unterziehen, die bis jetzt die sachlichste ge-
blieben, wenn sie in einzelnen wichtigen Punkten auch eine ent-
scheidende Widerlegung durch Dobbert gefunden hat. Wir werden
im Einzelnen sehen, wie die moderne Kritik sich Vasari's Angaben
gegenüber verhält, vorauszuschicken ist nur, daß Vasari, wie er
selbst versichert, 1563 in Assisi gewesen und damals also seine in
der zweiten Auflage verwertheten Studien gemacht hat, während
er in der ersten nur das Wenige mittheilt, was Ghiberti in seinen
Commentarii ausgesprochen. Dieser nämlich erwähnt die Thätig-
keit Giotto's mit den Worten: „er malte in der Kirche von Assisi
im Orden der Minoriten fast den ganzen unteren Theil, er malte
in S. Maria degli Angeli", und weiß von Stefano , daß „in der
Kirche von Assisi von seiner Hand begonnen eine Glorie ist, mit
vollendeter und sehr großer Kunst ausgeführt ; dieselbe hätte, wenn
sie vollendet worden wäre, jeden edeln Geist verwundern machen".^)
Das älteste Denkmal der Malerei in der Kirche ist, seitdem
das 1236 von Giunta für den Frater Elias gefertigte Kruzifix ver-
schwunden, das schon oben (S. 76) besprochene Portrait des
heiligen Franz, das, vermuthlich bald nach 1253 entstanden,
kaum einem bestimmten Meister zugeschrieben werden kann und
nach den übertrieben bewegten , eckigen Figuren noch ganz der
älteren befangenen Richtung angehört.
Ein bedeutender Fortschritt gegen die letztere aber tritt bereits
in den halb verloschenen Fresken an den Wänden des
Längsschiffes in der Unterkirche zu Tage. Die ungerechte
Zerstörung, die sie um 1300 -durch das rücksichtslose Durchbrechen
der Wände erlitten, sowie die Schwierigkeit, sie bei der Dunkelheit
des Raumes zu erkennen, hat bis zum heutigen Tage verhindert,
daß sie ihrem Werthe entsprechend geschätzt wurden. Und doch
hatte schon Vasari erzählt, daß Cimabue hier ,,in Gesellschaft
einiger griechischer Meister einen Theil der Gewölbe und an den
Wänden das Leben Jesu Christi und das des Franziskus gemalt;
in welchen Gemälden er jene griechischen Maler weit hinter sich
^) Dipinse nella chiesa d'Asciesi , nell' ordine de' frati Minori , quasi tutta la
parte di sotto , dipinse a S. Maria degli Angeli in Asciesi. — Stefano : nella chiesa
dAsciesi e di sua mano cominciata una gloria, fatta con perfetta e grandissima arte la
quäle arebbe, se fosse stata finita, fatto maravigliere ogni gentile ingegno.
Die ältesten Denkmäler der Malerei.
217
zurückließ".^) Entschieden hatte Vasari Recht, die Thätigkeit ver-
schiedener Hände in den Bildern zu erkennen, da die Darstellungen
aus dem Leben Christi freier und fortgeschrittener sind, als die
der Legende des Franz. Auch die zuerst von Fea ohne jede Be-
gründung aufgestellte Behauptung, die häufig bei anderen Schrift-
stellern, selbst noch bei Fratini wiederkehrt, daß Mino da Torrita
und Guida da Siena die Verfertiger gewesen , hat wohl dies eine
Wahre an sich, daß zwei Künstler zu unterscheiden sind. Es wäre
überflüssig, noch einmal die Folge der Franziskusbilder zu be-
schreiben^), wohl aber muß hier wiederholt betont werden, daß in
allen eine ausgesprochene Beobachtung des Lebens und der Natur,
eine in jener Zeit überraschende Einfachheit und Wahrheit der
Bewegungen, eine vom alten Schematismus schon entfernte Fein-
fuhligkeit in der Zeichnung der Köpfe, der Wiedergabe momentanen
Ausdruckes sich geltend macht, wenn auch das Nackte noch sehr
mißlungen, die Faltengebung steif, das Maaß der Gestalten überlang
erscheint. Was bei den Bildern selbst der vorangehenden Jahr-
zehnte noch so schwer, ja fast unmöglich erscheint : aus den Werken
eine bestimmte Künstlerindividualität heraus zu erfassen, ergiebt
sich hier von selbst. Wir sahen, daß demselben Meister einige
andere Bilder, das eine Kruzifix in Perugia sogar mit großer
Sicherheit zuzuschreiben sind , und daß er als begabter direkter
Vorgänger Cimabue's die Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich
zieht.^ Von ,, griechischer Manier", wie Vasari will, ist schwerlich
noch Etwas hier zu erkennen, aber auch der Vergleich mit Giunta,
wie Crowe und Cavalcaselle ihn vornehmen, ist sicher unbillig.
Lassen nun aber die Franziskusdarstellungen einen zart em-
pfindenden, auf Grazie und Anmuth ausgehenden Künstler voraus-
setzen, so macht sich im Leben Christi eine größere Breite und
Derbheit, zugleich aber auch eine größere Monumentalität geltend.
Von den sechs Bildern zeigen uns vier figürliche Darstellungen, von
denen leider nur immer eine Hälfte erhalten ist.
I. (von der Eingangsseite aus) Nur die rechten Theile noch
vorhanden : eine Anzahl von Männern stehen nach einem
^} I, S. 251. Vergl. die Besprechung der Bilder bei Crowe It. A. I, S, 256 u.
Fratini S. 35.
2) S. oben S. 109 f.
3) S. oben S. 77 f.
21 8 Die Kirche San Francesco in Assisi.
links befindlichen Kreuze zu gewandt, an das eine Leiter
angelehnt ist.
2. Wohl die linke Seite der vorigen Komposition: die Gruppe
der Frauen. Maria steht mit etwas gesenktem Haupte in fast
weißem Untergewande , blauem Mantel nach rechts gewandt,
rechts von ihr Johannes in rothem Untergewande, hellem
Mantel. Links drei Frauen, von denen die eine den Kopf
auf die Hand stützt. Ganz rechts oben noch der rechte Arm
des gekreuzigten Christus zu erkennen. Oben die Inschrift :
ecce mater tua. Es ist demnach der Augenblick der Kreu-
zigung dargestellt, in dem Christus seinem Lieblingsjünger
die Mutter empfiehlt.
3. Die rechte Hälfte der Kreuzabnahme. Von dem auf der
Leiter von einem graubärtigen Manne gehaltenen Leichname
ist nur noch der Körper ohne Hals und Kopf sichtbar. Rechts
von ihm steht Johannes, die linke Hand Christi küssend,
weiter unten davor kniet Joseph von Arimathia, in der rechten
Hand einen Hammer, mit der Linken wie es scheint be-
schäftigt, den Nagel aus den Füßen herauszuziehen. Weiter
rechts dahinter eine Frau. Die sehr lebhaften Farben, nament-
lich ein kräftiges Roth, sind noch jetzt gut erhalten. Was
hier noch zu sehen , stimmt selbst in den Typen der Köpfe
genau überein mit dem oben (S. 78) erwähnten kleinen Bilde
der Gallerie in Perugia Nr. 22, das sicher von dem Meister
des Franziskus gemalt worden ist.
4. Die Beweinung Christi. Der Heiland, von dem nur noch der
Oberkörper sichtbar ist, liegt rechts auf einem Stein aus-
gestreckt. Links scheint die ohnmächtig werdende Maria von
drei Frauen gehalten zu werden. Hinter Christus sieht man
Johannes, in der Höhe sind Engel sichtbar. Eine Ueberschrift
besagt: mulieres sedentes ad monumentum.
5. Hier scheinen Bauten in einer Landschaft dargestellt gewesen
zu sein, ohne Figuren.
6. Hatte keine Figuren , sondern nur kreisförmige Ornamente.
Die Rahmen der Bilder, die Gurte, Rippen und Einfassungen
der Gewölbe sind mit romanischen Ornamenten verziert : meist
geometrischer Art, wie Zickzacklinien, Schachbrettmuster, Rosetten,
daneben auch stilisirte Blätter und Ranken. Auch das Gewölbe
über der Vierung hatte, wie einige geringe Reste am unteren Ende
Die ältesten Denkmäler der Malerei. 219
zweier Rippen zeigen , eine gleiche Dekoration , ehe Giotto seine
Allegorien hier malte ; daß das QuerschifF bemalt gewesen, möchte
ich bezweifeln , da der einzige erhaltene Theil älterer Fresken :
Cimabuc's Madonna mit den Engeln, schon einer späteren Zeit
angehört.^)
Was sich mit Bestimmtheit aus dem Stile der Darstellungen
von Christi Passion ergiebt , ist , daß sie von einem Künstler ge-
schaffen wurden, der zwischen dem Meister des Franziskus und
Cimabue, wie er sich in seinen weiter unten besprochenen Fresken
der Oberkirche zeigt, mitten inne steht. Ohne die Großartigkeit
und Sicherheit der letzteren in der Zeichnung zu erreichen, zeigen
sie doch ebenso viel Verwandtschaft mit ihnen, wie mit des Fran-
ziskus Legendenbildern. Verglichen mit diesen sind die Figuren
derber, breiter, untersetzter, die Köpfe größer und energischer ge-
zeichnet, mit jenen starkknochigen Nasen , die Cimabue liebt ; die
Gewänder fallen in kunstvoller gelegten, massigeren Falten. Vasari's
Behauptung, daß Cimabue selbst als junger Mann an der Ausmalung
der Unterkirche beschäftigt gewesen, hat demnach eine gewisse
Wahrscheinlichkeit Rir sich , wenn ich ihm auch nicht mit voller
Bestimmtheit die Passion zuschreiben möchte. Es ist durchaus
glaublich, daß seine Jugendwerke so ausgesehen haben, ehe er zur
vollen Entwicklung gelangte — dann aber wäre jener unbekannte
Meister des Franziskus sein direkter Lehrer gewesen. Damit würde
auch die Zeit der Entstehung der Fresken vollständig überein-
stimmen. Das Kruzifix in Perugia, das den Franzdarstellungen so
durchaus verwandt ist, ward 1272 gemalt. Ende der sechziger,
Anfang der siebziger Jahre mögen auch diese entstanden sein.
Demnach würde Cimabue etwa im Alter von zwanzig Jahren die
Arbeit seines Vorgängers vollendet haben. Nur durch den Namen
Giunta's verführt, hat man bisher die Wandmalereien zu früh, schon
in die Mitte des Jahrhunderts verlegt.
Die Vermuthung der Autorschaft Cimabue's gewinnt aber noch
an Wahrscheinlichkeit, vergleichen wir nun die ältesten Fresken
der Oberkirche , die , wie mir scheint , bald , vielleicht unmittelbar
nach der Vollendung derjenigen in der Unterkirche in Angriff
genommen wurden.
^) Vergl. für die Ornamentik die unvollendeten Studien von Andreas Aubert in
der Zeitschr. f. bild. Kunst. N. F., S. 185 ff., 285 ff.
220 Die Kirche San Francesco in Assisi.
2. Die Werke des Cimabue.
Die Fresken im Querschiff und Chor der Oberkirche.
Mit großem Unrecht hat man bisher seit Vasari das Hauptinteresse
den bibhschen Darstellungen im Langhause und den Gewölbe-
malereien zugewandt. Nur die traurige Erhaltung der Fresken im
Querschiff und im Chor kann dies einigermaßen entschuldigen,
obgleich selbst die Reste noch ein beredtes Zeugniß ablegen von
der weit höheren Bedeutung, welche diese Werke für die Geschichte
der Kunst und für die Kenntniß Cimabue's haben. Um kurz das
Resultat wiederholter eingehender Untersuchungen vorwegzunehmen :
es scheint mir zweifellos, daß bis auf wenige kleine Theile das
Querschiff und der Chor von Cimabue selbst, das Längshaus nur von
Dessen Schülern ausgeschmückt worden ist. Und ferner : jene Dar-
stellungen haben den Ausgangspunkt zu bilden für eine Würdigung
des großen Vorgängers von Giotto. Vasari selbst, der mit Aus-
nahme der Franzlegende die ganze Oberkirche von Cimabue aus-
malen läßt, ward wohl nur durch die zu seiner Zeit schon eingetretene
Zerstörung jener wichtigsten Fresken verhindert, sie zu ihrem Vor-
theile genau mit denen des Langhauses zu vergleichen. Dann
brachte Padre Angeli die für die ganze Folgezeit verhängnißvolle
Meinung auf, der nördliche Kreuzarm und der Chor sei von Giunta
bemalt worden, jenem Pisaner Meister, der so eine durch Nichts
gerechtfertigte Bedeutung für die Entwicklung toskanischer Kunst
erhielt. Wie man gerade auf Giunta gerieth , ist leicht zu ver-
stehen — man mag seinen alten echten Kruzifixus, welcher sich
in der Oberkirche befand, mit dem großen Fresko der Kreuzigung
Christi im nördlichen Querschiff verwechselt haben, und kam dann
höchst logisch dazu , demselben Künstler auch die anderen Dar-
stellungen zuzuschreiben. Wie fest dies Vorurtheil sich eingebürgert,
zeigen selbst Crowe und Cavalcaselle , die doch so richtig ver-
schiedene Hände in den Fresken des Längshauses erkannt, im
rechten Kreuzschiff und Chor aber im Wesentlichen Giunta's Manier
und nur im südlichen Arm einen an Cimabue gemahnenden Fort-
schritt gewahren.^) Einen Fortschritt finde auch ich allerdings,
aber nur innerhalb der Entwicklung eines und desselben Meisters,
der mit dem nördlichen Querschiff beginnend im Verlaufe der
Arbeit immer freier und bedeutender seine Individualität heraus-
1) Ital. Ausgabe. I, S. 261. S. 318 ff. D. A. I, S. 142.
Die Werke des Cimabue. 22 1
gestaltet, bis diese in der großen Kreuzigung des linken Quer-
schiffes ihr Höchstes ausspricht.^) Wer sich davon überzeugen will,
darf freilich nicht die Mühe scheuen, aus den erhaltenen Resten
sich geistig das Ganze zu rekonstruiren. Daß dies wohl möglich
ist, mag die Beschreibung im Folgenden zeigen.
Die Hauptursache der starken Zerstörung der Fresken ist in
der Feuchtigkeit zu sehen , die namentlich unter den Fenstern
geradezu vernichtend gewirkt hat. Da sich von den Farben nur
wenige Reste erhalten haben, machen die Bilder jetzt durchaus den
Eindruck von Negativen : das Fleisch und die hellen Theile über-
haupt sind schwarz geworden, die Schatten aber und alle dunklen
Parthien erscheinen nunmehr licht, und zwar von einer Art Thon-
farbe. Reste des kräftig blauen Hintergrundes sind noch überall
sichtbar. Daß die unteren Theile am stärksten gelitten, erklärt
sich daraus, daß bis auf die neueste Zeit hier die Chorstühle standen,
welche die Luft ab.sperrten und dadurch den durch die Nässe
hervorgebrachten Prozeß beschleunigten.^) An vielen Stellen läßt
sich deutlich sehen , wie konservirend ein freier Luftzug gewirkt ;
so sind z. B. rechts auf der großen Kreuzigung im südlichen
Querschifif die Füße einiger Männer besonders gut in den Farben
konservirt, weil hier innerhalb der Wanddecke über einer dort be-
findlichen Thürc etwas freier Raum ist, in dem die Luft zirkuliren
kann. Die Gurte und Gewölbe sind in den Farben ziemhch wohl
erhalten , die Säulen und deren Kapitale aber, die durchweg einen
rothen Grund haben , weisen nur noch Reste der ehemaligen Be-
malung auf Neben der Feuchtigkeit trägt aber auch der sehr
dünne Intonaco Schuld an der Zerstörung. Offenbar hatte Cimabue
noch keine großen Erfahrungen in der Technik der Wandmalerei ;
schon für die Gemälde des Längshauses wird ein stärkerer Intonaco
angewendet; am stärksten tritt er endlich in Giotto's Fresken auf
So sehen wir auch in rein technischer Beziehung innerhalb der
Mauern von S. Francesco Giotto's neuen Stil durch mancherlei
Erfahrungen hindurch sich vorbereiten.
Vielleicht dürfte es nach diesen Vorbemerkungen Manchem
*) An dieser Meinung halte ich trotz Zimmermann's Behauptung (a. a. O. S. 209 ff.),
im rechten Querschiffe habe ein älterer Meister gearbeitet, fest.
'^) In der Höhe derselben sind zahlreiche Sgraffiti zu sehen, Kritzeleien der
Mönche , welche , die Zeit zu verbringen , ihre Namen auf diese Weise verewigten,
darunter manche noch aus dem XV. Jahrhundert.
222 Die Kirche San Francesco in Assisi.
kühn erscheinen, aus so erloschenen Fresken noch den Stil und
die Formen eines bestimmten Meisters erkennen zu wollen, doch
ist dies in der That durchaus nicht gewagt. Nach kurzer Uebung
des Auges läßt sich nicht allein die Komposition in ihren großen
Zügen, sondern auch die Zeichnung in den Typen und Gewändern
der Figuren erkennen, die gleichsam in ihrem Knochengerüst viel-
fach erhalten sind. Wir beginnen die Betrachtung mit den offenbar
ältesten Darstellungen im nördlichen Kreuzarm.
I. Das nördliche Querschiff.
A. Ostwand: i. Die Kreuzigung.^) In der Mitte hängt Christus,
den stark ausgebogenen Körper mit vier Nägeln befestigt,
am Kreuze. Auf jeder Seite schweben sechs heftig bewegte
Engel. Drei derselben fangen das Blut in Schalen auf, die
anderen legen schmerzbewegt die Hände an den Kopf oder
erheben sie klagend. Am Fuße des Kreuzes kniet ein
heiliger Mönch, wohl Franz. Links steht ein Soldat, die
Lanze erhebend, rechts ein Mann, der ein Rohr mit Schwamm
zu Christus emporreicht. Weiter links sieht man von drei
Frauen umgeben Maria ohnmächtig werdend, dahinter zahl-
reiche Köpfe. Rechts stehen dicht geschaart neben einander
bärtige Männer, von denen einer lebhaft die Hand nach
Christus ausstreckt. — Zeigt die untere Hälfte noch ganz
die ruhige Gruppenordnung der älteren Kunst, so tritt in
den Engeln, die außerordentlich bewegt eine getragene,
aber gewaltige Leidenschaftlichkeit verrathen, etwas durchaus
Neues auf, eine Innerlichkeit und Kraft der Empfindung,
wie man sie gewohnt ist erst in Giotto's Schöpfungen zu
finden — es sind die ersten Boten einer anderen Zeit.
Glücklicher Weise ist der Kopf des Christus zunächst rechts
fliegenden Engels so wohl erhalten, daß wir aus ihm mit
Sicherheit darauf schließen können, daß der Künstler der-
selbe ist, der in der Unterkirche die Madonna mit den
Engeln geschaffen, die von allen Schriftstellern bisher mit
Recht dem Cimabue gegeben wurde. Die stark ausgebogene
^) Abgeb. nach Fea's Angabe im Magazzeno toscano di pitture, Ediz. di Livorao
und bei d'Agincourt : Taf. CII, 4, welcher das Haar Christi mißverstehend demselben
ein Kopftuch giebt und auch den bartlosen Kopf des Franz, der jetzt nicht mehr
erhalten ist, wiedergiebt.
Die Werke des Cimabue. 223
Stellung von Christi Körper, dessen breite kräftige Zeich-
nung von derjenigen der Kruzifixe Giunta's durchaus ab-
weicht, erinnert an die Werke Margaritone's und seiner
Zeitgenossen. Die unteren Figuren zeigen vielfache und
nahe Beziehungen zu denen der Passion in der Unterkirche,
stehen aber, namentlich was die derben Formen der Köpfe,
das Verhältniß derselben zu den kürzeren Gestalten be-
trifft, bereits in größerem Gegensatz zu den Bildern des
Meisters des Franziskus. *)
Darüber an der Mauerwand unter der Gallerie befinden
sich sechs Heilige , von denen nur der eine bärtige mit
Kreuzstab und ein anderer jugendlicher noch einigermaßen
zu erkennen sind. Ueber den Bögen der Gallerie sind
Halbfiguren von Engeln, welche die Rechte vor die Brust
erheben, in der Linken Szepter halten.
2. In der Lünette : Die Transfiguration. Noch erkenn-
bar sind Christus in der Mandorla, links und rechts eine
knieendc Figur, unten die drei schlafenden Jünger, von
denen der in der Mitte befindliche die Hand erhebt.
B. Nordwand. Unten drei Darstellungen :
1. Sehr zerstört. Die ganze Bildfläche wird von einer
bergig felsigen Landschaft ausgefüllt, links befindet sich
ein kirchenartiges Gebäude. Viele Kopf an Kopf ge-
drängte Männer mit Lanzen in der Hand kommen links
und rechts den Berg herab.
2. Die Kreuzigung Petri. In der Mitte hängt Petrus mit
dem Kopfe nach unten am Kreuze, rechts stehen drei
mit Nimben versehene Figuren, links eine dichtgedrängte
Schaar von Menschen. Dahinter links wird eine Pyra-
mide, bei welcher der Künstler offenbar an die des
Cestius gedacht , rechts ein phantastischer pyramidaler
Bau von mehreren Stockwerken mit Fenstern sichtbar.
^) Aus der besseren Erhaltung , der schwachen Zeichnung und den frisch ge-
zogenen Umrissen geht deutlich hervor, daß einige Theile später, wohl im XVI. Jahr-
hundert , restaurirt worden sind : so der Oberkörper und Kopf der Maria , die damals
einen rothen Mantel erhielt, das Gewand und der Mantel der sie links haltenden
Frau , die Beine des Mannes mit dem Ysop und die fast ganz zerstörte neben diesem
sitzende Figur.
224
Die Kirche San Francesco in Assisi.
3. Die Beschwörung des Simon Magus.^) In der Mitte be-
findet sich ein wie aus vier Leitern aufgebautes Holz-
gerüst, über welchem Simon mit einem Kranz im Haare
von fünf Dämonen mit langen Ohren , Thierköpfen und
Fledermausflügeln schwebend getragen wird. Links steht
Petrus , die Rechte beschwörend erhoben , neben ihm
kniet ein bärtiger Mann, der nach rechts oben weist.
Dahinter links sind Häuser, rechts ein Gebäude mit ge-
wölbtem, segeiförmigem Dach, das auf vier Säulen ruht
(wie es auf Bildern jener Zeit ja häufig vorkommt). —
An der oberen Wand ist links vom Fenster eine bärtige
Heiligenfigur mit erhobener rechter Hand, rechts ein
gerüsteter Heiliger mit Stirnreifen im Haar undeutlich
zu erkennen.
C. Westwand. Unten zwei Darstellungen :
1. Vor einem tabernakelartigen Bau, aus vier schlanken
Säulen bestehend, die über Rundbogen ein spitzes Dach
tragen, steht Petrus, die Rechte nach rechts ausstreckend,
wo zahlreiche Personen sitzen und stehen, über denen
Teufel in der Luft fliegen. Links sieht man zwei bärtige
und einen jugendlichen Heiligen, im Hintergrunde einige
Gebäude. Vermuthlich ist der Tod des Ananias und
der Saphira dargestellt. Mehr als durch die zuletzt er-
wähnten Gemälde ist es hier und beim folgenden möglich,
ein Bild von der Eigenart des Meisters zu gewinnen.
Es sind höchst bedeutende Figuren , großartig einfach
und ruhig, in Haltung und Bewegung von jener sicheren
bewußten Majestät, die im XIII. Jahrhundert nur bei
Cimabue begegnet.
2. Vor einem wie es scheint achteckig gedachten Gebäude
mit Kuppel, an welches ein an das Pantheon erinnernder
Portikus mit Spitzgiebel auf vier kanellirten Säulen gelegt
ist, steht Petrus nach rechts gebeugt, die Hände offenbar
nach einer nicht erhaltenen, vielleicht knieenden Figur
ausgestreckt. Rechts ist eine Gruppe von Männern, links
ein jugendlicher, wie es scheint, bartloser Heiliger. Links
^) Abgeb. bei D'Agincourt CII, i u. 2.
Die Werke des Cimabue. 225
und rechts dahinter je ein Gebäude. Dargestellt ist
offenbar die Heilung des Lahmen vor der Tempelthür.
Unter der Gallerie sind sechs Heilige zu sehen, deren
erster langbärtig mit Schwert als Paulus gekennzeichnet
ist. Von den anderen sind nur zwei jugendliche erhalten.
Es sind , wie an der Ostwand , offenbar Apostel , ruhig
statuarisch stehende Figuren. In der Lünette sind nur
wenige Reste vorhanden : in der Mitte ist noch ein Thron
erkennbar, umgeben von den Evangelistensymbolen, von
denen nur der Ochse zu konstatiren ist.
Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß das nördliche
Querschiff dem Petrus geweiht war. Alle Fresken sind
von einer und derselben Hand , wenn auch die zuletzt
beschriebenen den Stil ausgeprägter, die Zeichnung der
Typen bestimmter und breiter erkennen lassen. Daß
diese durchaus mit denen Cimabue's übereinstimmen,
soll unten noch näher begründet werden.
II. Der Chor.
An den unteren Thcilen der fünf Wände befinden sich Dar-
stellungen aus den letzten Zeiten der Maria, der die Tribüne
geweiht war. Wir beginnen auf der linken Seite :
1. Die letzten Augenblicke der Maria. Die Szene ist durch
einen mit Cosmatenmosaik verzierten Rahmen , von dem
drei Ampeln herabhängen , eingeschlossen. Padre Angeli
sieht in ihr die ,, ultima valetudo Mariae", Cavalcaselle den
Besuch der Apostel. Die Jungfrau liegt von den zwölf
sitzenden Jüngern umgeben mit gekreuzten Armen, er-
hobenem Kopfe, offenen Augen auf dem Lager, an dessen
Fußende rechts etwas höher eine hochaufgerichtete bär-
tige Figur steht , welche wie predigend , in der Linken
eine Rolle, die rechte Hand ausstreckt. Offenbar nehmen
seine Worte die Aufmerksamkeit der Anwesenden in An-
spruch.
2. Der Tod der Maria. In der oberen Hälfte des Bildes steht
Christus, durch den Kreuznimbus gekennzeichnet, ein Kind
mit Heiligenschein , also die Seele der Maria , im Arm.
Links und rechts befindet sich ein in drei Reihen an-
geordneter Heiligenchor. In der Mitte gegen unten sieht
Thode, Franz von Assisi. IC
226 Die Kirche San Francesco in Assisi.
man noch die untere Hälfte der liegenden Maria, die von
den Aposteln umgeben war.
3. Hier ist der päpstliche Thron angebracht, hinter dem in
Medaillons die Brustbilder der zwei um die Kirche ver-
dienten Päpste Gregor IX. und Innocenz IV. gemalt sind.
4. Die Himmelfahrt der Maria. ^) In der Mitte unten befindet
sich ein Sarkophag, mit einem Gewand bedeckt, auf welchem
Punkte (die Rosen.?) angegeben sind. Zur Seite sind je
sechs Apostel zu dreien angeordnet, darüber die ganze
Breite ausfüllend drei Reihen von Heiligen, deren unterste
einfache Heiligenscheine , die zweite Kronen , die dritte
Tiaren trug. Darüber in einer von vier Engeln gehaltenen
Glorie gewahrt man Christus en face und neben ihm Maria
sitzen, die ihr Haupt an das seine legt. Die Haltung der
Beiden ist nicht mehr mit vollständiger Sicherheit fest-
zustellen , doch dürfte d'Agincourt recht gesehen haben.
5. Die Glorie der Maria. In der Mitte oben befindet sich ein
großer hölzerner Thron, wie er aus sonstigen Bildern Ci-
mabue's bekannt ist. Auf demselben sitzt links Maria, beide
Hände öffnend, rechts Christus, der in der Linken ein Buch
hält und mit der Rechten segnet. Zu beiden Seiten sind
Reihen von Heiligen, die zum Theil Diademe, zum Theil
Tiaren tragen, darüber Engel. Unten befinden sich Mönche
und gleich oberhalb derselben in zwei Reihen Heilige ohne
Abzeichen.
An der Hinterwand der Gallerie sind rechts drei Heilige,
den Tiaren nach zu schließen : Bischöfe mit Büchern, links
drei Heilige mit Zetteln dargestellt. Darüber sieht man
innerhalb gemalter Archivolten auf der linken Seite Maria
die Hände erhebend zwischen zwei Engeln, auf der rechten
in der Mitte eine Figur mit gekreuzten Armen (Maria.?),
links einen sich derselben zuneigenden jugendlichen Heiligen,
hinter dem ein anderer bärtiger steht, und rechts einen
Mann , der mit einer Axt auf vor ihm stehende Tafeln zu
schlagen scheint.
Am schwersten zu rekonstruiren sind die Fresken in den
Lünetten. In der links befindlichen scheint oben die Geburt
^) Abgeb. bei D'Agincourt CII, 3.
Die Werke des Cimabue.
227
der Maria dargestellt zu sein : man erkennt noch eine im Bette
liegende heilige Frau, zu der eine andere mit Nimbus geschmückte
Figur tritt. Darunter ist die Verlobung von Joseph und Maria
erzählt : unter einem von vier Leuten getragenen Baldachin
schreiten die Beiden, Joseph mit dem Stab in der Hand, aut
dem ein Vogel sitzt, nach rechts. — In der Lünette rechts ist
oben noch zu sehen , wie der Engel dem in einer Landschaft
sitzenden Joachim erscheint. Darunter werden zwei mit Nim-
ben versehene Personen von einem Engel zu einem unter einer
Aedicula sitzenden Heiligen geführt. (Das Opfer Joachims.?)
Endlich sind noch in den Leibungen der Nischen Heiligen-
figuren in Medaillons und in den Fensterleibungen je acht
stehende Heilige und vier Brustbilder von Engeln zu erwähnen,
die aber alle zu sehr zerstört sind, um einzeln benannt werden
zu können.
III. Das südliche Querschiff, das dem heiligen Michael geweiht ist.
A. Die Ostwand zeigt wie die des nördlichen Kreuzarmes eine
figurenreiche Kreuzigung, die ich zur Unterscheidung von
der andern kurz die zweite nennen will.^) In der Mitte
hängt Christus am Kreuz mit getrennt angenagelten Füßen,
einem nicht mehr so stark wie dort ausgebogenen Körper,
um die Hüften ein nach rechts flatterndes Tuch. Links
und rechts schweben je sieben Engel (rechts jetzt nur noch
fünf sichtbar), von denen drei die Schalen unter die Wun-
den halten, die andern klagend die Hände an das Gesicht
legen , weit ausstrecken oder erheben. Unten kniet , wie
es scheint, der heilige Franz. Links steht eine Frau in
großartig aufgeregter Bewegung, die Arme nach oben
werfend und ausschreitend, daneben links, etwas nach links
sich wendend, ein Heiliger (Johannes ?), die Linke erhoben,
mit der Rechten Maria's Hand fassend, die weiter links
steht und die Linke an die Brust legt. Dann folgen links
drei Frauen , die erste mit gefaltet gesenkten Händen , die
zweite mit der Linken das Auge trocknend und die Rechte
erhebend, die dritte mit erhobener rechter Hand. Dahinter
zahlreiche Köpfe. ^) — Rechts vom Kreuze steht ein Hei-
1) Phot. Alinari,
') Von dieser Gruppe eine ungenaue Abb. bei d'Agincourt CII, 8.
15*
228 Die Kirche San Francesco in Assisi.
liger, der mit der Linken seinen Mantel hält, die Rechte in
schmerzvoller Bewegung hoch nach oben ausstreckt, hinter
ihm ein Mann, der Schild und Lanze hält, und ein anderer
gleichfalls mit erregter Handbewegung. Weiter rechts eine
ganze Schaar von Männern. Das Ganze ist eine Dar-
stellung von zündender Gewalt, und ich stehe nicht an, sie
für Cimabue's größtes Werk zu halten.
An der Hinterwand der Empore sind drei mächtige Engel
abgebildet, welche die Linke am Gewand , in der Rechten
einen Stab vor der Brust halten und große aus rothen
Schwungfedern und weißen Deckfedern bestehende Flügel
tragen. Diese, wie die Pendants auf der andern Seite, sind
von allen Bildern am besten erhalten , so zwar , daß selbst
die rothe Haarfarbe noch erkennbar ist.
In der Lünette ist gar Nichts mehr erhalten.
Die Fresken der andern beiden Wände stellen Szenen aus
der Apokalypse vor und sind sachlich ebenso interessant, wie
künstlerisch.
B. Südwand.
I. In der Mitte nach oben zu sieht man in einer Mandorla
einen Altar, auf dem ein Kind mit Kreuznimbus zu
liegen scheint, umgeben von vier Medaillons mit den
Evangelistensymbolen. Rings um die Mandorla erscheinen
dicht hintereinander gereiht, alle in vorgebeugter Haltung,
die 24 Aeltesten, mit Diademen oder Tiaren geschmückt
(die 12 links sind noch zu zählen). Zwischen ihnen in
der Mitte unten stehen zwei vasenartige Gefäße, und
unter diesen wird ein nach links bewegter Engel mit
Buch (?) sichtbar , zu dem sich von links und rechts je
eine heilige Figur neigt. Außerdem sind auf beiden
Seiten noch zwei Engel zu sehen. Außerhalb des Kranzes
der 24 Aeltesten befinden sich oben noch je vier Köpfe
mit Nimben , darüber links drei , rechts vier Engel. —
Offenbar illustrirt diese figurenreiche Darstellung das
4. und 5. Kapitel der Apokalypse : das Gesicht von dem
Thron der Majestät, um den auf Stühlen die vierund-
zwanzig Aeltesten saßen und die vier lobpreisenden
Thiere. In der Figur unten aber ist der starke Engel
Die Werke des Cimabue. 229
zu sehen , der mit großer Stimme predigte : „Wer ist
würdig , das Buch aufzuthuen und seine Siegel zu
brechen?" Derselbe wird als Michael gedeutet.
2. Vor einer aus rothen Häusern bestehenden Stadt, die
mit öiner in vier Ecken gebrochenen Mauer umgeben ist,
stehen vier Engel mit großen Flügeln, jeder ein Füllhorn
im linken Arme haltend. Links und rechts befindet
sich je ein hochragender, mit Bäumen bewachsener Berg.
Links oben ist die Sonne, in der Mitte ein fliegender
Engel bemerkbar. — Der Darstellung liegen die Verse
I bis 3 des 7. Kapitels der Apokalypse zu Grunde :
„Und darnach sähe ich vier Engel stehen auf den vier
Ecken der Erde , die hielten die vier Winde der Erde,
auf daß kein Wind über die Erde bliese, noch über das
Meer, noch über einige Bäume. Und ich sähe einen
andern Engel aufsteigen von der Sonne Aufgang, der
hatte das Siegel des lebendigen Gottes und schrie mit
großer Stimme zu den vier Engeln, welchen gegeben ist
zu beschädigen die Erde und das Meer."
3. In einer Mandorla, unter welcher ein Thronsessel oder
Altar steht, sitzt Christus, die Rechte erhoben, von acht
posaunenden Engeln umgeben, von denen die vier links
befindlichen, da sie gut erhalten sind, besonders wichtig
für die Bestimmung des Meisters sind. Ueber dem Altar
fliegt rechts ein Engel, der ein Rauchfaß schwingt. Unten
knieen zahlreiche Figuren, unter denen Mönche, vielleicht
auch Franz , zu erkennen sind. — Zweifellos handelt es
sich hier um das in Kap. 7 und 8 geschilderte Gesicht
der Versiegelung der Heiligen : ,,Und da er das siebente
Siegel aufthat, ward eine Stille in dem Himmel, bei einer
halben Stunde. Und ich sähe sieben Engel, die da traten
vor Gott , und ihnen wurden sieben Posaunen gegeben.
Und ein anderer Engel kam und trat bei den Altar und
hatte ein goldenes Rauchfaß ; und ihm war viel Räuch-
werk gegeben , daß er gäbe zum Gebet aller Heiligen,
auf den goldenen Altar vor dem Stuhl."
An den schmalen Wandräumen neben dem Fenster
sind links noch Reste von großen übereinander angeord-
neten stehenden Engeln erhalten. In der Leibung der
230
Die Kirche San Francesco in Assisi.
Fenster waren vierzehn Brustbilder von Engeln, von denen
acht recht gut erhalten sind. Sie haben alle ein Unter-
gewand mit reicher Borte, einen Mantel über der linken
Schulter, in der Linken das Szepter, die Rechte vor
der Brust. •
C. Westwand.
1. Links hinter einer in Thoren geöffneten Mauer mit
Thürmen und Zinnen sieht man eine in gewaltsamer
Weise in sich zusammenstürzende Stadt. Aus dem Thore
links schauen Leute heraus, rechts glaube ich Teufelchen
in Flammen zu gewahren. In der Mitte rechts steht ein
Vogel, zweifellos ein Strauß^), links davon die Karrikatur
einer menschlichen Figur, hinter der drei ähnliche andere
mit ausgestreckten Armen zu sehen sind. Links oben
sind die Sphären des Himmels angegeben und Reste
eines Engels. Von einer fast ganz zerstörten Inschrift
ist. noch zu lesen:
aedes Dni descendens erit draco.
Es ist die Illustration von Kap. i8 der Offenbarung,
der Fall Babylons : ,,Und darnach sähe ich einen andern
Engel nieder fahren vom Himmel, der hatte eine große
Macht und die Erde ward erleuchtet von seiner Klarheit.
Und schrie aus Macht mit großer Stimme: ,Sie ist ge-
fallen , sie ist gefallen , Babylon die große und eine Be-
hausung der Teufel geworden und ein Behältniß aller
unreinen und feindseligen Vögel."
2. Die ganze Bildfläche ist wie von Flammen oder Fluthen
durchweht, die nach rechts oben schlagen. In der Mitte
sitzt ein Engel, der einen rechts neben ihm befindlichen
Heiligen nach links auf Etwas aufmerksam macht. In
den Wellen sind deutlich Fische zu erkennen. Auf zwei
^) Der Strauß als unreiner Vogel. Man vergl. eine Stelle in den Predigten des
Antonius von Padua , wo er dem Heuchler verglichen wird : Struthio , quae pennas
habet , sed propter corporis sui magnitudinem volare non potest , hypocritam significat,
qui terrenorum amore et onere aggravatus sub penna falsae religionis se mentitur ac-
cipitrem volatu contemplationis. (Siehe die sermones Dominieales : Dom. I in Qua-
dragesima. Opera S. Antonii. Ausg. des J. de la Haye. Stadt am Hof. 1739. S. 137.
— Vergl. ähnliche Stellen ebend. : Expositio mystica in lib. Job. cap. 39. S. 461 und
Dominica X post Trinitatem S. 259.)
Die Werke des Cimabue. 23 1
Stellen der Offenbarung könnte diese Darstellung bezogen
werden, entweder auf Kap. 18, V. 21 : „Und ein starker
Engel hob einen großen Stein auf als einen Mühlstein,
warf ihn ins Meer und sprach: ,Also wird mit einem
Sturm verworfen die große Stadt Babylon, und nicht
mehr erfunden werden' — oder auf Kap. 22, 1 : ,,Und
er zeigte mir einen lauteren Strom des lebendigen
Wassers, klar wie ein Krystall ; der ging von dem Stuhle
Gottes und des Lammes." Im ersteren Falle, der mir
wahrscheinlicher dünkt, ständen also die beiden zuletzt
erwähnten Fresken in direktem Zusammenhange.
Unter der Gallerie sind, wie auf der Ostwand, drei
Engel zu sehen, außerdem aber noch über den Bögen
sechs Halbfiguren von Engeln, die in den Händen eine
ovale Scheibe halten, auf der eine Art Thurm abgebil-
det ist.
An der Lünette sieht man in der Höhe drei parallel
nach links ausschreitende Engel, deren vorderster einem
Drachen den Speer in den Rachen stößt. Rechts von
demselben andere Dämonen. ^)
Schließlich haben wir noch
IV. das Vierungsgewölbe zu betrachten, an welchem die vier Evan-
gelisten, auf hohen Stühlen sitzend, zu sehen sind.
1. Matthäus, langbärtig, in blauem Mantel, stützt den linken
Arm auf das Schreibpult und hält in der Rechten ein Buch.
Von oben kommt ein Engel herab , der die Rechte nach
des Apostels Kopfe ausstreckt. Rechts eine hohe, ineinander
geschachtelte Gebäudegruppe.
2. Markus, bärtig, in blauem Gewände, die Linke mit Buch
auf dem Pult, in der Rechten die Feder. Rechts liegt der
Löwe. Oben ein Engel , der dexf Evangelisten am Kopfe
berührt. Rechts eine in gedrängter Gebäudeanordnung ge-
gebene Ansicht von Rom.^)
3. Der blondbärtige Lukas schreibt in ein Buch, oben ein
^) Abb. bei d'Agincourt CX, I — ziemlich verläßlich , wenn auch Michael jetzt
nicht mehr so deutlich erkennbar ist und die Ueberreste der Dämonen etwas willkürlich
gegeben sind.
*) Vergl. Strzygowski : Cimabue und Rom. S. 87.
232
Die Kirche Saxi Francesco in Assisi.
Engel. Rechts vom Pult der Ochse und weiter rechts das
Gebäude.
Johannes, bärtig, mit beiden Händen ein geöffnetes Buch
haltend. Rechts der Adler. Das Schreibpult hier links.
Rechts ein Gebäude, vor dem ein an das Pantheon oder
den Minerventempel in Assisi erinnernder spitzgiebliger Por-
tikus sich befindet.
Drei Heiligen : Maria , Petrus und Michael wurden die drei
Altäre der Oberkirche geweiht , und das ist sicher kein Zufall , da,
wie wir oben gesehen haben, gerade sie es sind, für welche Franz
eine besondere Devotion hatte. Aber mehr noch : die Darstellung
des heil. Michael und der auf ihn bezüglichen apokalyptischen
Szenen wird zu gleicher Zeit eine symbolische. Sah man doch in
Franz selbst die Weissagung von dem siebenten Engel der Apo-
kalypse erfüllt.^) So deuten denn die Fresken auf das Anbrechen
einer neuen Zeit, auf die Befreiung der Kirche, auf den Kampf
der drei Orden des Franz gegen den Drachen des Häretikerthums
hin. Diese großen Gedanken aber würdig wiederzugeben, ward
der bedeutendste Maler jenes Jahrhunderts, dem Franziskus seinen
Stempel aufgeprägt, bestimmt: Cimabue. Ihm und keinem andern
sind alle die besprochenen Fresken zuzuweisen. Schon in der ersten
Kreuzigung begegneten wir einer großen. Neues schaffenden In-
dividualität, im Verlaufe der Arbeit hat diese sich immer be-
deutender, immer erfolgreicher bis zu der Kreuzigung des Südarmes
entwickelt. Da gilt es nun freilich wohl zu unterscheiden zwischen
Originalität der Erfindung und Selbständigkeit der künstlerischen
Empfindung. Die Szenen aus dem Leben des Petrus und der
Maria sind im Großen und Ganzen wohl nur mit frischer Kraft
wiederholte ältere typische Darstellungen, wie sie im Laufe der
Jahrhunderte sich ausgebildet. Als Ganzes dürften sie kaum viel
Neues bringen, aber in jeder einzelnen Figur, in jeder Bewegung
macht sich eine früher ungekannte Energie der Auffassung, ein
^) S. oben S. 96 ff. Man vergl. auch die gekünstelte Auslegung der apoka-
lyptischen Stelle bei B. Pis. conf. lib. I. fr. I S. 9 v. Darnach bedeutet das große
Erdbeben die Verfolgung der Kirche durch Friedrich II. , die schwarze Sonne den
Papst , der im Dunkeln gelebt , bis man ihn in Venedig fand , der blutige Mond die
durch die Tödtung des Geistlichen befleckte Kirche, das Fallen der Sterne den Abfall
vieler Prälaten, die vier Engel die vier Ordnungen der Heiligen.
Die Werke des Cimabue. 233
bewußtes Streben nach Monumentalität geltend. Das sind nicht
mehr die zaghaft schreitenden, in ungewisser Kraftlosigkeit stehen-
den, mechanisch ihren Willen äußernden Gestalten, sondern ihrer
Kraft und deren Anwendung bewußte Menschen. Gemäßigt selbst
in Momenten scheinbar fesselloser Leidenschaft , erinnern sie an
die Werke später antiker Kunst, so weit auch das Ideal des Künst-
lers von dem in jenen ausgesprochenen entfernt zu sein scheint.
Die Köpfe zeigen die Formen , die schematisch sich bis zu dieser
Zeit fortgepflanzt, ins Große, Ideale übersetzt, und verrathen ein
das Größte anstrebendes Schönheitsgefühl des Künstlers, das nur
durch den traditionellen Bann verhindert wird, sich frei zu offen-
baren. Sie sind uns wohl bekannt von den Madonnenbildern des
Cimabue her, aber auch nur von diesen, da kein anderer Künstler
des XIII. Jahrhunderts auch nur annähernd eine solche Breite der
Zeichnung erreichte. Es ist, wie dort, der bedeutende starkknochige
Typus mit der kurzen Stirn und der in breiter Fläche bügelartig
ansetzenden breitrückigen , gebogenen Nase, deren Wurzel etwas
eingeschnitten ist, deren Flügel breit geschwungen sind. Wie dort
gewahren wir hier die großen Augen mit den wenig gewölbten Brauen
und den leicht geschwollenen Unterlidern, die hohe Oberlippe, den
Mund mit den etwas herabgezogenen Winkeln, das kurze gerundete
Kinn. Auch die sonstigen Charakteristika der Cimabue'schen Fi-
guren : die zurückweichende untere Gesichtshälfte, die unten etwas
zugespitzten, oben voll gerundeten, abstehenden Ohren, die langen
Hände mit den knochenlosen dünnen Fingern und dem scharf an-
setzenden dünnen Daumen , das perrückenartig aufsitzende Haar,
das in breiten Wellen behandelt ist , erscheinen alle auf diesen
Fresken der Oberkirche. Und zwar macht sich in solchen Details ein
allmählicher Fortschritt geltend , obgleich das Wesentliche auch
schon in den ersten Bildern vollständig deutlich zu erkennen ist.
Was aber nicht mit Worten sich bestimmen läßt und schließlich
doch das Maßgebende bleibt : in allen Fresken tritt dem Beschauer
jene große Einfachheit und jene Einheitlichkeit der Gestaltungskraft
entgegen, die nur die Meister ersten Ranges besitzen. Die wenigen
von Schülerhand ausgeführten Theile : die Engel nämlich an der
Gallerie des Südschiffes und in der Fensterleibung daselbst, zeigen
am deutlichsten den Abstand , der zwischen der Größe und der
Mittelmäßigkeit liegt. Da kehren wohl die Typen , die Falten der
Gewandung wieder, aber es fehlt der Geist, der sie beseelt. Der
234
Die Kirche San Francesco in Assisi.
eine der hier unter Cimabue beschäftigten Künstler vergröbert die
Formen, indem er sie übertreibt (die halbfigurigen Engel über den
Bögen und eine Anzahl derjenigen in der Leibung), der andere, in-
dem er sie abschwächt, dehnt sie zu manierirter Länge (die Engel
an der Empore). ') Wer sich aber mit Ernst und Geduld in diese
verloschenen Freskenreste vertieft hat und dann ins Längshaus
hinaustritt , wird keinen Augenblick mehr zweifeln können , wo
Cimabue selbst thätig gewesen ist !
Wenn nun aber die Schaffenskraft des großen Florentiner
Meisters in der größeren Anzahl der besprochenen seltenen Kom-
positionen durch den zwingenden Einfluß älterer Vorbilder gehemmt
werden mochte, so zeigt sie an dem gewohnteren Stoffe der Kreu-
zigung, der als solcher dem Künstler größere Freiheit ließ, ihr
ganzes Können. Nach diesen gewaltigen Darstellungen, namentlich
der zweiten , die selbst in ihren Resten noch erschütternd wirkt
wie wenige andere Werke, muß Giotto's Vorgänger beurtheilt
werden, will man ihm gerecht werden. Da tritt er uns entgegen
als der Erste in der langen Reihe, deren Letzter Michelangelo sein
sollte. Da fühlt man zum ersten Male den tiefen Athemzug der
Florentiner Kunst. Diese Größe, diese Gewalt der Leidenschaft, hat
selbst Giotto nie erreicht, wohl aber erfährt man es angesichts dieser
Kreuzigung, wer es zuerst ihm gelehrt, für tiefen Seelenschmerz
und innere Verzweiflung den ewig wahren Ausdruck zu finden.
Wie ein Sturm von dramatischem Leben und Seelenaufregung
braust es durch das Bild. Zum ersten Male in der neueren Kunst
tritt das Innerste überzeugend und packend nach außen — vielleicht
nie wieder so überraschend , so ursprünglich , bis auf den Maler
der Sixtinischen Kapelle. In jener einzigen Figur der Magdalena,
die in verzweifeltem Seelenschmerz aufschreiend die Arme zum Hei-
land aufreckt, als wollte sie ihn dem Tod abringen und zurück ins
Leben ziehen, liegt eine neue Welt. Noch steht freilich un-
künstlerisch eng gedrängt, wie in der älteren Zeit, die Schaar der
Krieger rechts unter dem Kreuz, aber aus ihr heraus lösen sich
gleich Trägern der allgemeinen Empfindung einzelne Gestalten,
aus denen das Gefühl unbeschränkt nach außen drängt, und in
den Lüften oben, wo die Engel flattern, hat Alles Sprache und
^) Man vergleiche auch die Hände und man wird nicht zweifeln, daß hier Schüler
thätig sind.
Die Werke des Cimabue. 235
Bewegung gewonnen. So ringt sich aus dem Alten das Neue
empor I
Tritt nun aber dieser Kampf auch nirgends in seinen Gegen-
sätzen so deutlich hervor, als in der Kreuzigung, so zeigt es sich
in höherem oder geringerem Grade doch auch in den andern
Fresken, wie die erstarrten alten Formen zu enge werden für den
neuen Inhalt, wie die Figuren von innen heraus zu größerer Körper-
lichkeit sich neu gestalten — es scheint, als habe Cimabue solchen
Fortschritt nicht dem Studium der Natur im Einzelnen, sondern
einem angeborenen divinatorischen Empfinden verdankt, das sich
ein eigenes Geschlecht idealisirter Gestalten schuf, welche wahr in
sich , in ihrem Denken und ihrem Fühlen doch anders sind , als
die Menschen, die wir sehen. Diese treten erst bei Giotto auf, in
den so lebensvoll erzählenden Bildern der Geschichte des Fran-
ziskus, die sich fast unmittelbar neben Cimabue's Schöpfungen be-
finden , und waren dazu angethan , die letzteren fast vergessen zu
machen. Sagt es ja Dante in kurzen Worten:
Credette Cimabue nella pittura
Tener lo campo, ed ora ha Giotto il grido.^)
Den Einen rühmen, heißt nicht den Andern deß wegen herab-
setzen ! Das Eine aber verlangen die Fresken in dem Querschiff
und Chor der Oberkirche S. Francesco, daß ihrem Schöpfer neben
Giotto der Ehrenplatz eingeräumt wird als Begründer der Tos-
kanischen Malerei, wie als Vollender derselben neben Raphael auch
Michelangelo gleichberechtigt erscheint.
Von größtem Interesse wäre es, den Zeitpunkt zu wissen, um
den Cimabue in Assisi arbeitete , da uns aber keinerlei diesbezüg-
liche Nachrichten erhalten sind , müssen wir aus dem Vergleiche
seiner Werke eine annähernde Bestimmung zu erlangen suchen. In
dieselbe Zeit ungefähr, wie die Bilder der Oberkirche, fällt offenbar
die herrliche Madonna in dem nördlichen Kreuzarm der
unteren Kirche, die, von Giotto verschont, neben dessen
Bildern aus Christi Legende sich befindet. (Abb. 33.) Die Jungfrau
sitzt ein wenig nach rechts gewandt auf einem Throne, der von vier
großen Engeln gehalten wird, und hält das sitzende Christkind, das
lebendig nach links schauend mit der Rechten segnet. Rechts davon
steht en face der h. Franz. Vergleichen wir diese Darstellung mit
^) Fegefeuer XI, 94 — 95.
236
Die Kirche San Francesco in Assisi.
den zwei bekannten großen Madonnenbildern des Cimabue in S. Maria
Novella und in der Florentiner Akademie, so können wir keinen
Augenblick zweifeln, daß sie später als diese entstanden ist. In den
Köpfen, die hier eine rundere, vollere Form haben, wie in den
Bewegungen herrscht viel größere Freiheit, die Augen blicken
lebendiger, die Gewandung ist weniger gequält behandelt und fällt
in freieren einfacheren Falten , die Fleischbehandlung ist weicher
und verschmolzener, nicht mehr von jener harten, alle Züge scharf
akzentuirenden alterthümlichen Weise. In diesem Werke läßt sich
Cimabue's Schönheitsideal am ungetrübtesten genießen. Den Ver-
hältnissen der Figuren aber ebenso wie der runden Form der Köpfe
nach scheint es mir den Wandbildern der Oberkirche näher zu
stehen als jenen Tafelbildern, wenn die Möglichkeit auch nicht aus-
geschlossen ist, daß seit der Ausfühung der Fresken einige Zeit
vergangen war. Leider wissen wir nun aber nur wenig Bestimmtes
von der Entstehungszeit der bekannteren Bilder des Meisters: nur
für das eine derselben ist uns ein Anhaltspunkt gegeben. Es mag,
wie Vasari selbst erwähnt, eine wahre Tradition der Geschichte zu
Grunde liegen , daß König Karl von Anjou auf seinem Durchzug
durch Florenz, der 1267 stattfand, dem für S. Maria Novella be-
stimmten Bilde im Atelier Cimabue's seine Huldigung darbrachte, —
wie dem auch sei, dem Stile nach gehört es sicher in des Künstlers
mittlere Zeit. Alle beide Gemälde aber scheinen mir früher als die
Fresken der Oberkirche entstanden, so daß man deren Entstehung
wohl frühestens in die siebziger Jahre und zwar nach Cimabues
Aufenthalt in Rom 1272, eher noch aber in das folgende Jahrzehnt
versetzen muß.
Diese Wandbilder gestatten uns nun aber ferner, dem Cimabue
einige andere Werke zuzuschreiben, die bisher wenig Beachtung
gefunden haben — zunächst ein großes Kruzifix im Chor von
S. Chiara in Assisi. Christus entspricht hier in der Stellung,
in dem bedeutenden Typus des Kopfes, in der Ausbiegung des
Körpers, in den Körperverhältnissen und in der Draperie des vorn
geknüpften Hüftentuches durchaus dem Christus der früheren
Kreuzigung in S. Francesco , nur sind die Beine in einer ganz
eigenthümlichen Weise verkürzt. Offenbar ist daran nicht eine
Verzeichnung Schuld , da sonst der Kopf und die Figur sehr pro-
portionirt und sicher gezeichnet sind, sondern eine bestimmte Ab-
sicht des Künstlers, der die Untersicht des vermuthlich auf einem
Die Werke des Cimabue. 237
Querbalken schräg aufgestellten Kruzifixes berücksichtigend, durch
die Verkürzung die richtige Wirkung auf den Beschauer hervor-
bringen wollte, und so als der erste unter den neueren Malern
den kühnen Versuch einer perspektivischen Darstellung wagte, über
deren Richtigkeit es jetzt schwer ist ein Urtheil zu fällen. An den
Kreuzenden befinden sich die ganzen Figuren der Maria und des
Johannes , an der Spitze Maria die Hände öffnend. Am Fuße des
Kreuzes links kniet ganz klein die h. Benedicta, rechts eine andere
Nonne. Eine Inschrift besagt:
Dna Benedicta post
Ciaram p» abb» me fecit.
Die Hoffnung, daraus eine annähernde Zeitbestimmung zu gewinnen,
verwirkUcht sich nicht, da, wie das ,,beata" in der Bezeichnung bei
der Stifterin lehrt, das Kruzifix erst nach dem am 16. März 1260
stattgefundenen Tode der Aebtissin wohl auf Kosten eines Legates
angefertigt wurde , und es demnach ungewiß bleibt , ob dies un-
mittelbar nachher oder später geschah. ^)
Dieselbe Kirche bewahrt ein anderes Bild , das selbst nach
seiner gänzlichen Uebermalung und Modernisirung noch den großen
Stil Cimabue's erkennen läßt, eine Madonna, die etwas nach
rechts gewandt und nach rechts herausschauend das Kind auf dem
linken Arme hält und die Rechte erhebt. Hinter ihr halten zwei
schwebende Engel einen grünen Teppich. Die Komposition erinnert
an ein ähnliches Marienbild, das sich in den Servi zu Bo-
logna befindet und bisher meist diesem oder jenem alten bolog-
nesischen Künstler zugeschrieben wurde, wie mir dünkt aber dem
Cimabue sehr nahesteht und zwar den Werken aus dessen mittlerer
Zeit. Maria sitzt hier etwas nach rechts gewandt, auf einem Thron,
der fast ganz so gestaltet ist wie der auf den Bildern von S. Maria
novella und Assisi, und hält das stehend nach links schreitende
Kind, das mit der Rechten nach dem Mantel der Mutter am Halse
langt. Zwei ungewöhnlich kleine Engel sind in halber Figur hinter
der Lehne des Stuhles sichtbar. Uebermalt und beschädigt ließe
es sich doch wohl den runden vollen Typen, der großen Lebhaftig-
keit des Kindes, der freieren Gewandbehandlung nach zwischen die
Madonna von S. Maria novella und die in S. Francesco einreihen.^)
^) Auch hier halte ich an meiner Ansicht gegenüber Zimmermann , der nicht
Cimabue's Hand erkennen will, fest.
2) Phot. Alinari.
238
Die Kirche San Francesco in Assisi.
Endlich scheinen mir noch die Fresken der als fünfte rechts
vom Chor befindlichen Kapelle des Michael in S. Croce zu
Florenz, die bisher ganz allgemein der Schule Giotto's zu-
geschrieben wurden, mit großer Wahrscheinlichkeit dem Cimabue
zuertheilt werden zu müssen.^) Offenbar sind es die spätesten der
von ihm erhaltenen Werke, gerade deßwegen aber besonders in-
teressant. Zwei größere Kompositionen schmücken die Wände.
Die auf der rechten Seite, leider stark beschädigt, zeigt den Kampf
der Engel gegen den Drachen , also denselben Gegenstand , den
wir schon in S. Francesco fanden. Wie dort vollzieht sich auch
hier der Kampf innerhalb der unten deutlich begrenzten Himmels-
sphäre. In leichtbeschwingter Bewegung tritt, als Vorkämpfer durch
besondere Größe ausgezeichnet, Michael nach rechts gewandt auf
den zu ihm aufzischenden Drachen , aus dessen Hals sechs kleine
Köpfe wachsen. Vollständig gerüstet, in der Linken das Schwert
und einen runden kleinen Schild, schwingt er die Lanze gegen den
Erbfeind. Drei andere Engel in fast paralleler Bewegung nach
links hin ausschreitend , aber nach rechts mit den Lanzen aus-
holend , kämpfen in zweiter Reihe gegen kleinere Dämonen , die
von dem Himmel auf die Erde niederstürzen, und hinter ihnen
erscheint ein drittes Glied enger geschaarter Engel , von denen
man nur die Köpfe sieht. Die Typen zeigen alle Eigenthümlich-
keiten des Cimabue'schen Stiles; was von demselben abweicht, ist
nur die größere Schlankheit und Leichtigkeit der Figuren Den
Fresken in Assisi verglichen herrscht hier eine größere Grazie und
Anmuth, ein Streben nach vornehmer und zarter Eleganz. Dies
aber scheint mir nicht im Widerspruche mit Cimabue's sonstigem
frühern Stile zu stehen , sondern nur eine für eine spätere Zeit
höchst charakteristische Entwicklung zu bezeichnen. Tritt una doch
dasselbe Hinneigen zu weicherer, fast empfindsamer Auffassung
schon schlagend in der Madonna von Assisi entgegen, mit welcher
auch die Formen die größte Verwandtschaft zeigen.
Von einer anderen neuen Seite aber lehrt uns das zweite
Fresko an der linken Wand , welches das Wunder auf dem Berge
Gargano zum Vorwurf hat, den Meister kennen. Zwei in der Legende
zeitlich geschiedene Momente sind hier in einer Darstellung ver-
einigt. Links sehen wir den Gargano, der mit dem Bogen, den
^) Ich verdanke diesen Hinweis der Güte des Herrn Baron von Liphardt in Florenz.
Die Werke des Cimabue.
239
er in der Linken hochhält, soeben nach dem auf der Höhe eines
Berges in der Mitte hinten stehenden Ochsen geschossen hat. Neben
ihm steht links ein nach oben schauender Hirt in kurzem Rock,
der in der Rechten einen Stab hält, mit der Linken die Augen
beschattet, rechts ein nach halb rechts gewandter Mann in kurzem
braunen Rock , der erstaunt die Hände emporhebt und auf den
unbesonnenen Schützen blickt, der sich von seinem Zorn hat ver-
leiten lassen, auf das ihm entlaufene Thier, das nicht zurückkehren
will, zu schießen. Auf der rechten Seite der Darstellung erscheint
Michael in halber Figur dem graubärtigen mit gefalteten Händen
vor ihm knieenden Bischof, hinter welchem zahlreiche Leute : Geist-
liche, Laien und Frauen knieen, und theilt ihm mit, daß jener Ort
ihm heilig und von Gargano entweiht worden sei. ^) — In dieser
Darstellung ist Nichts mehr von byzantinischem Schematismus zu
erkennen. So eckig die Figuren auch erscheinen mögen, gewahrt
man doch deutlich, daß Cimabue hier vollständig frei geschaffen
und direkt an die Vorbilder in der Natur sich gehalten hat. Das
beweisen die natürlichen lebhaften Geberden der Hirten , deren
Tracht, am meisten aber das bewußte Streben, in den verschiedenen
Figuren auch verschiedene Individualitäten zu geben. In der That
zeigt fast jeder Kopf einen eigenartigen Typus. Damit aber hat
der Künstler sich zu wirkHchcr Freiheit durchgerungen, freilich
zum Theil auf Kosten der getragenen Großartigkeit seiner früheren
Werke.
An der Fensterwand sind noch Reste einer ganz von ihren
Haaren umkleideten Magdalena und des Bischofs Alexander er-
halten.-) Vermuthlich sind die Fresken Ende der neunziger Jahre
oder 1300 entstanden, bevor Cimabue nach Pisa ging, dort das
Mosaik im Dome auszuführen, an dem er 1302 beschäftigt war.
Dies beweist dann ferner, daß der 1294 begonnene Bau von S. Croce
um jene Zeit schon bis zur Vollendung des Chores mit den Kapellen
und voraussichtlich auch des Querschiffes vorgeschritten war.
Aus allem Gesagten ersehen wir, daß der erste große Floren-
1) Vergl. Acta Sanctorum VIII. Band. 29. Sept. Auch B. Riehl: S. Michael
und S. Georg in der bildenden Kunst 1883, dem aber unsere ikonographisch wichtigen
Fresken unbekannt geblieben sind.
'^) Ob auch die Glasfenster nach Zeichnungen Cimabue's entstanden , wage ich
nicht zu entscheiden. Jedenfalls erinnern sie lebhaft an ihn. Dargestellt ist die Ver-
kündigung und Tobias mit dem Engel. Es sind die ältesten Glasgemälde der Kirche.
240 Die Kirche San Francesco in Assisi.
tincr Maler seine eigentliche Erziehung den bedeutenden Aufgaben
dankt, die ihm der Orden des Franz zuerst in Assisi, dann in Pisa
und in Florenz stellte — daß besonders in den Franziskanerkirchen
uns die Werke von ihm erhalten sind , an denen wir den Gang
seiner Entwicklung verfolgen können, sein allmähliches Fortschreiten
von der Nachahmung älterer Vorbilder zu einem eigenartigen, an-
fangs herb aber großartig idealisirenden, dann enger an die Natur
sich schließenden, anmuthigeren Stile. ^)
3. Die Schule Cimabue's.
Das Längshaus der Oberkirche. Nach der eingehenden
Prüfung der Wandgemälde im Querschiff und Chor und der dadurch
gewonnenen schärferen Kenntniß von des Meisters Stil werden wir
Crowe und Cavalcaselle nur durchaus Recht geben können, wenn
sie in den Darstellungen des Alten und Neuen Testamentes, die in
zwei Reihen den oberen Theil der Wände schmücken, nicht Ci-
mabue's Hand , sondern nur die seiner Schüler erkannten. Auch
nicht eine einzige Figur in dem ganzen Cyklus trägt den großen,
charakteristischen Typus des Florentiner Meisters. Vielmehr zeigt
sich dessen Art hier theilweise abgeschwächt und verkleinert, theil-
weise nach einer bestimmten naturalistischen Richtung hin entwickelt.
Stimme ich demnach mit der Ansicht der verdienstvollen Geschichts-
schreiber der italienischen Malerei im Allgemeinen durchaus überein,
so hat mich doch ein wiederholtes Studium der. Fresken, was die
hier beschäftigten Meister anbetrifft, zu etwas abweichenden Re-
sultaten geführt. Leider haben auch diese Wandmalereien stark
^) Ob das für S. Francesco in Pisa bestimmte Bildniß des h. Franz , das noch
jetzt sich dort befinden soll, von Cimabue oder von Margaritone ist, kann ich nicht
sagen , da es mir nicht geglückt , dasselbe zu sehen. — Von den drei Kruzifixen in
S. Croce ist das eine im Gange sicher nicht von ihm, sondern von einem Zeitgenossen,
ein zweites in der Sakristei dem frühem Stile Giotto's nahe stehend , ein drittes eben-
daselbst (Alinari 1 1 1 34) alterthümlicher und mehr an Margaritone erinnernd. — Von
Cimabue selbst aber könnte möglicher Weise der jetzt im Refektorium aufgestellte,
sehr klägliche Freskenrest eines Johannes des Täufers sein. Ihm nur nahe verwandt
ist die Madonna mit Engeln ebendaselbst (ehemals an der Stadtmauer). — Die kleinere
Madonna in der Akademie, die h. Caecilia in den Uffizien und der h. Petrus in
S. Simone haben nichts mit ihm zu thun. — Vergl. Weiteres über Cimabue in meinem
Aufsatz: „Sind uns Werke von Cimabue erhalten?" im Repertorium für Kunstwissen-
schaft. XUI, S. 25 ff.
Die Schule Cimabue's.
241
durch die Feuchtigkeit gelitten , jedoch in anderer Weise als dit
besprochenen. Die Farben sind hier in den erhaltenen Theilen
noch zu sehen, jene chemische Zersetzung und Veränderung hat bei
ihnen nicht stattgefunden, dagegen ist der Wandbewurf zum großen
Theile ganz abgefallen, so daß die nackte Mauer zu Tage tritt.
Was zerstört ist, ist gänzlich zerstört, was erhalten ist, verhältniß-
mäßig gut und ursprünglich erhalten. An der rechten Wand sind,
vom Querschiff an beginnend, in zwei Reihen Szenen des Alten,
an der linken Szenen des Neuen Testamentes dargestellt, darunter
läuft der Streifen mit der Legende des h. Franz. Da die Fresken
trotz sorgsamer, die Feuchtigkeit absperrender Ausbesserung der
zerstörten Theile mit einem besonderen cementartigen Bewürfe von
Jahr zu Jahr der Vernichtung mehr entgegengehen und ihre bis-
herige Beschreibung nicht durchweg genügen kann, bespreche ich
zunächst die Kompositionen selbst.')
I. Die rechte Längswand.
A. Die obere Reihe neben den Fenstern.
1. Die Schöpfung. In der Mitte oben erscheint die Halb-
figur des christusartig dargestellten Gottvaters, der mit
der Rechten segnend ganz en face innerhalb einer runden,
mit betenden halbfigurigen, kleinen Engeln geschmückten
Glorie, die den durch Sterne, Sonne und Mond gekenn-
zeichneten Himmelsstreifen umgiebt, erscheint. Von die-
sem geht in der Mitte die Taube, links in ovaler
Mandorla der von Strahlen umleuchtete Helios als antik
gedachter nackter Jüngling, rechts in gleicher Glorie die,
wie es scheint, sitzende nackte (zum Theil zerstörte) Luna
aus. Darunter ist in der Mitte das Meer mit deutlich
unterschiedenen Fischen (Aal , Haifisch u. a.), links das
Land zu sehen, auf dem zwei Widder und ein Ochse,
sowie Vögel auf Bäumen sich befinden. Die Figur des
Helios scheint auf ein antikes Vorbild zurückzugehen
und erinnert in der ausschreitenden Stellung an einen
der Rosselenker auf dem Quirinal.
2. Die Erschaffung Adam's. Sehr zerstört. Links sitzt Gott-
vater die Rechte ausstreckend auf einer großen blauen
^) Vgl. Crowe und Cavalcaselle. Ital. Ausg. I, S. 325 fF., wo eine ausführlichere
Beschreibung gegeben ist. Photographien von Lunghi, Carloforti, Alinari.
Thode, Franz von Assisi. 16
242
Die Kirche San Francesco in Assisi.
Kugel, rechts liegt Adam, die Linke auf den Boden ge-
stützt, die Rechte erhoben.
3. Die Erschaffung Eva's. Links sitzt wiederum Gottvater
auf der Weltkugel etwas nach links gewandt, nach halb
rechts sich wendend, in der Linken eine Rolle, mit der
Rechten segnend. Rechts befindet sich in halb sitzender
Stellung Adam, den Kopf schlafend auf die linke Hand
gestützt; aus seiner Hüfte steigt in halber Figur sichtbar
Eva im Gebet zu Gott aufschauend hervor. Dahinter
Sträuche und Bäume. Die rechte Hälfte der Komposition
hat stark gelitten.
4. Der Sündenfall. Die rechte Seite fast ganz zerstört.
Sichtbar noch in der Mitte der obere Theil des Baumes,
um welchen die zur (nicht erhaltenen) Eva sich richtende
Schlange mit Frauenkopf sich windet. Links steht Adam
en face , die Rechte vor der Scham , den Kopf em-
pfindsam etwas nach rechts gesenkt.
5. Die Vertreibung aus dem Paradiese. Ein lebhaft aus-
schreitender (sehr beschädigter) Engel, der in springender
Bewegung den Hnken Fuß schwebend in der Luft vor-
streckt, drängt mit den Händen die Sünder nach rechts.
Adam eilt, die Linke deklamatorisch erhebend, die Rechte
vor dem Feigenblatt, von dannen, während Eva sich im
Schreiten noch umschaut. Im Hintergrund Palmbäume.
6. Total zerstört, die dargestellte Szene aus der alten Be-
schreibung, die überall nur ganz kurz den Inhalt angiebt,
zu entnehmen : ,,Wie Gott zur Bewachung des Paradieses
und des Baumes des Lebens einen Cherubim hinsetzte
mit einem flammenden Schwert in der Hand."
7. Total zerstört. Alte Beschreibung : ,,Wie Kain auf dem
Altare ein Bündel darbrachte und Abel die erste Frucht
von der Heerde, und über den Köpfen hat jeder seinen
Namen."
8. Brudermord. Fast ganz zerstört. Erkennbar nur noch
die rechte untere Körperhälfte des auf dem Boden liegen-
den Abel's. Links Reste der zum Fortschreiten sich
wendenden Figur Kain's. Rechts hinten ein Berg mit
einigen Bäumen.
Die Schule Cimabue's.
243
B. Die untere Reihe.
9. Der Bau der Arche Noäh. Links steht, nach halb rechts
gewandt, in weißem Untergewande, rothem Mantel, mit
weißem Bart und langem Haar Noah, die Hände wie er-
staunt zu der segnend hinter einer Mandorla erscheinen-
den Hand Gottes erhebend. Gleich daneben rechts sitzt
er auf ornamentirtem Stuhl, die Rechte befehlend nach
rechts ausgestreckt, wo zwei Männer in kurzen Kitteln
mit nackten Beinen einen schräg stehenden Balken, auf
dem der eine rechts oben steht, zersägen. Rechts unten
behaut ein dritter (sehr zerstört) einen Balken.
10. Die Arche Noäh. Sehr zerstört. Erkennbar links noch
ein Theil der kassettirten Arche, in der eine Figur sicht-
bar ist. Auf dem Dache sitzt ein Vogel, aus einer Oeff-
nung schaut ein Löwe heraus. Ein Widder springt über
ein nach dem Schiffe hingelegtes Brett.
11. Das Opfer Isaak's. (Abb. 34.) In der alten Beschreibung
fälschlich : ,,Wie nach Beendigung der Sündfluth Noah aus
der Arche ging." Abraham , mächtig nach rechts aus-
schreitend, den linken Fuß auf das Postament des Altares
stellend, auf dem gefesselt der knieende Isaak sitzt, packt
mit der Linken dessen Kopf und schwingt in der Rechten
ein krummes Schwert. Eine rechts oben aus Sphären
erscheinende Hand, zu der er aufblickt, hemmt sein
Vorhaben. Der linke Theil sehr zerstört. Oben Reste
eines Berges mit Gebäuden.
12. Die drei Engel erscheinen Abraham. Fast ganz zerstört.
Schattenhaft zu erkennen sind noch rechts die drei Engel,
deren vorderster einen Stab hält und die Rechte aus-
streckt, sowie der Kopf des links knieenden Patriarchen.
13. Isaak segnet Jakob. (Abb. 35.) Von dem alten Beschreiber
falsch erklärt. Isaak (sehr zerstört) liegt mit dem Kopfe
nach links in einem Gemache auf einem mit Vorhängen
versehenen Bette und faßt mit der Linken die mit Fell be-
kleidete rechte Hand des von rechts herantretenden Jakob,
der in der Linken eine Schüssel mit einem Thier hält
und, getreu den Worten der Schrift, auch den Hals mit
Fell umgeben hat. Links neben ihm sieht man (ziemlich
zerstört) Rebekka, die auf Isaak schaut.
16*
244 ^^^ Kirche San Francesco in Assisi.
14. Isaak segnet Esau. Isaak liegt, ähnlich wie dort (hier
aber besser erhalten) in rothem Untergewand und blauem
Mantel auf dem Lager. Blinden Auges langt er mit der
Linken nach hinten und erhebt wie sprechend die Rechte.
Von hinten tritt Esau heran, in der Linken eine Schale,
in der Rechten einen Löffel , wie um dem Vater die
Speise zu reichen. Neben ihm rechts steht die starr er-
wartungsvoll auf Isaak schauende Rebckka , einen Krug
in den Händen. Rechts tritt Jakob (sehr zerstört) in die
Thüre herein.
15. Joseph in der Zisterne. Sehr zerstört. Man sieht rechts,
wie Joseph von zwei Männern an den Armen aus der
Zisterne gezogen wird. Rechts dahinter die Köpfe von
zwei Brüdern noch erhalten. Links einige (nur sehr
undeutlich erkennbare) Männer, hinter denen ein Hügel,
auf dem Schafe weiden , sichtbar ist
16. Die Brüder vor Joseph. Vor einem palastartigen Ge-
bäude mit vorspringenden Baikonen sitzt rechts in rothem
Gewand und blauem Mantel Joseph , dessen Kopf ganz
zerstört ist ; neben ihm steht, wenig erhalten, ein Krieger.
Links knieen die elf Brüder, zuvorderst der bittend auf-
schauende Benjamin , auf den ein von ganz links eilig
heranschreitender Mann, der in der Linken den ge-
fundenen Becher hochhält, hinweist.
II. Die linke Längswand.
A. Die obere Reihe.
a. Die Verkündigung. Sehr zerstört. Rechts steht Maria,
in der gesenkten Linken Buch und die Rechte erhebend,
von ihrem Sitze vor dem Hause auf Links stand der
Engel mit erhobener Rechten.
b. Die Heimsuchung (nach der alten Beschreibung). Total
zerstört. Nur oben schwache Reste von Gebäuden erhalten.
c. Die Geburt Christi. (Abb. 36.) Maria liegt etwas nach links
gewandt, gegen einen Hügel gelehnt, auf ausgebreitetem
Gewände, die Linke vor der Brust und die Rechte auf
dem Knie. Links von ihr in der Höhe ihres Kopfes
ruht (sehr zerstört) das gewickelte Kind in der Krippe,
hinter welcher in einer Grotte die Köpfe des Esels und
Die Schule Cimabue's. 245
Ochsen erscheinen. Links darunter sitzt Joseph, den
Kopf auf die linke Hand gestützt, die Rechte auf dem
Knie. Rechts stehen zwei Hirten, von Schafen umgeben,
und schauen zu einem über und hinter Maria zu ihnen
gewandt fliegenden Engel, der in der Linken einen Schrift-
zettel hält und mit der Rechten segnet. Weiter oben
drei andere Engel, von denen der eine sich zu Christus
neigt, die beiden anderen anbetend nach oben schauen.
d. Die Anbetung der h. drei Könige (nach der alten Be-
schreibung). Fast ganz zerstört. Nur noch Reste von
der rechts sitzenden Maria und unzusammenhängende
kleine Theile von den Königen erhalten.
e. Die Darstellung im Tempel. Stark zerstört. Vor einem
auf gewundenen Säulen ruhenden Tabernakel sieht man
von links Simeon , das Kind auf dem Arme, auf die
Altarstufe treten. Hinter ihm links Reste einer anderen
Figur (Hanna). Rechts steht Maria (Kopf gut erhalten)
die Hände nach Christus bewegend ; neben ihr schreitet
Joseph die Linke ausstreckend heran.
f Die Flucht nach Egypten. Fast ganz zerstört. Nur rechts
noch Reste von Joseph, der den Esel zu schieben scheint.
g. Der zwölfjährige'Christus im Tempel. Sehr zerstört. Sicht-
bar ist gegen links der vor einer Exedra sitzende Christus,
der die Linke auf ein Buch hält und die Rechte erhebt.
Ganz rechts Reste von den Figuren der heranschreitenden
Eltern und wenige Spuren der sitzenden Schriftgelehrten.
h. Die Taufe Christi. Sehr zerstört. Einigermaßen erhalten
ist nur der in der Mitte en face in einem durch Fische
belebten Wasser stehende Christus, über welchem die
Taube schwebt. Rechts die untere Hälfte des Täufers
auf einer Felserhöhung , links zwei etwas nach rechts
geneigt das Gewand Christi haltende Engel.
B. Die untere Reihe.
i. Die Hochzeit zu Cana. Hauptsächlich im oberen Theile
und hier sehr zerstört. Im Vordergrunde sind Diener
bei großen antik gedachten Urnen beschäftigt : der eine,
ganz rechts nach hinten gewandt, hält zwei Gefäße in die
Höhe, ein anderer in der Mitte nimmt eben ein zwei-
246 Die Kirche San Francesco in Assisi.
henkeliges großes Gefäß von der Schulter, ein dritter links
gießt das seine in eine leere Amphora aus und schaut dabei
auf den links dahinter sitzenden (fast ganz zerstörten)
Christus. Im Hintergrund der Tisch, auf dem zahlreiche
Becher, Kelche, Teller und Gebäcke zu sehen sind und
an dem hinten in der Mitte die mit reichem Kopfputz
gezierte Braut, links (sehr zerstört) Maria, rechts der mit
seinem Nachbarn sich unterhaltende Bräutigam sitzt.
k. Die Auferweckung des Lazarus. Fast ganz zerstört. Links
unten befanden sich, wie es scheint, eine liegende Figur
und darüber auf etwas höherem Terrain zwei stehende
(die vordere in weiß und gelb : Petrus ?).
1. Die Gefangennahme. Gut erhalten. Christus, in der ge-
senkten Linken eine Rolle, steht in der Mitte en face,
rechts von einem häßlichen Kerl in kurzem Kittel, hinter
dem viel Juden und Soldaten stehen, gehalten, Hnks von
dem stark ausschreitenden Judas umfangen und geküßt.
Er segnet mit der Rechten den links unten knieenden
Malchus, dessen Ohr eben der zu Christus aufschauende
Petrus abschneidet. Links dahinter viele Krieger und
andere Leute,
m. Die Geißelung. Fast ganz zerstört. Nur links noch
Reste von stehenden Männern und das nackte Bein
eines nach links ausschreitenden Soldaten.
n. Die Kreuztragung. Sehr zerstört. Christus schreitet, das
Kreuz tragend , nach links , rechts gefolgt von zwei mit
Nimbus versehenen Figuren. Ein gleich dem Engel auf
der ,, Vertreibung Adam's und Eva's" springend aus-
schreitender Soldat zieht ihn , nach links weisend , vor-
wärts. Dahinter einige andere Figuren.
o. Die Kreuzigung. Sehr zerstört, bloß die Gruppe rechts
einigermaßen konservirt. In der Mitte hängt Christus —
nur wenig erhalten — am Kreuz, neben dem jetzt nur
noch rechts zwei klagende Engel fliegen. Links waren
drei heilige Figuren, rechts Johannes und zwei Frauen,
deren eine schmerzbewegt die rechte Hand an den Kopf
legt, während sie die Linke erhebt.
p. Die Beweinung Christi. Ziemlich gut konservirt. Christus,
wagerecht aasgestreckt , wird links von der knieenden
Die Schule Cimabue's. 247
Maria gehalten und von ihrem rechten Beine gestützt.
Johannes weiter rechts sich beugend küßt seine linke
Hand, Magdalena knieend seinen linken Fuß. Hinter
Johannes noch eine andere Frau, die, weinend die Hand
an die Wange gelegt, Christus anschaut. Ganz links eine
andere sehr zerstörte Heilige. Dahinter stehen links auf
höherem Terrain zwei Frauen ohne Nimben. Rechts der
jugendliche Nikodemus, der heranschreitend die Hand
an den Kopf legt , und der die Hände faltende ruhig
stehende Joseph von Arimathia. Zwei Frauen kommen
im Mittelgrund hinten im Gespräch heran. In der Luft
ein klagender Engel. Abbildung bei D'Agincourt CX, 4
und bei Lübke I, 95.
q. Die Frauen am Grabe. Sehr zerstört. Man erkennt noch
den rechts auf dem Grabe sitzenden weißgewandeten
Engel , links die heranschreitenden Frauen , von denen
eine die Salbenbüchse trägt. Vorn liegen die schlafenden
Soldaten. Abbildung bei D'Agincourt CX, 7.
III. Die Eingangswand.
r. Die Himmelfahrt. Im unteren Theile sehr zerstört. In
der Höhe schwebt Christus mit erhobenen Armen , bis zu
den Knieen sichtbar, unten von Wolken verhüllt, zu dem
durch Kreise gekennzeichneten Himmel empor. Unten
in der Mitte etwas höher als die anderen befindet sich
ein Engel , der die Hände wie erstaunt öffnet. Rechts
fünf mit Ausnahme eines Einzigen durchweg nach oben
schauende Apostel. Links Reste anderer Apostel.
s. Das Pfingstfest. Mittelmäßig erhalten. Vor einem gothi-
schen Gebäude, das sich mit drei Giebeln über Rund-
bogen nach vorn öffnet, sitzen Maria und die zwölf
Apostel und zwar so, daß hinten en face Maria zwischen
vier Aposteln, links und rechts je zwei und endlich vier
andere vom Rücken gesehen vorne erscheinen, alle sehr
ruhig theils in die Höhe schauend, theils zu einander
gewandt. Von oben schießen aus einer runden Glorie
Strahlen und die Taube herab.
Darüber befinden sich die Brustbilder des graubärtigen, mit der
Stola bekleideten Petrus en face und des bärtigen Paulus in Me-
248 Die Kirche San Francesco in Assisi.
daillons. Ueber der Thür erscheint in rundem Medaillon die wenig
nach rechts gewandte Madonna, die, nach halb links herausschauend,
auf dem linken Arm das mit einem Hemdchen und einem ärmellosen
rothen Obergewand bekleidete Kind hält, das die Rechte an der
Mutter Brust legt und zu ihr aufschaut. (Abb. 70.) Links und rechts
ist je ein kleineres Medaillon mit der Halbfigur eines in Roth und
Blau gekleideten Engels, der in der Hand einen Stab hält.
An den Leibungen des in der Mauerdicke befindlichen Ein-
gangsbogcns befinden sich, zu je zwei gruppirt, 16 Heilige, jeder
unter einem von antikisirenden Säulen und Pilastern getragenen
gemalten Rundbogen. Es sind :
L. I. Ein blonder und ein graubärtiger Bischof.
2. Petrus Martyr und Dominikus.
3. Stark zerstört. Zwei Diakone.
4. Zwei Frauen mit Palmen.
R. I. Der blondbärtige Franz mit Buch und Chiara.
2. Der blondbärtige Antonius von Padua und der graubärtige
Benedikt mit Buch.
3. Der h. Laurentius und ein anderer Diakon.
4. Ein h. König und links eine zerstörte Figur.
In den Vierpässen des ornamental geschmückten, vor dem er-
wähnten schmalen Gewölbe befindlichen ersten Bogens die Brust-
bilder von heiligen Frauen.
IV. Die Deckengewölbe.
Zwei derselben : das I. und III. (von der Vierung aus gezählt)
haben gesternten blauen Grund. Das II. ist durch reich ornamen-
tirte Diagonalbänder getheilt : aus einer zierlichen Vase steigt
Rankenwerk empor, das dicht über derselben sich erweiternd eine
Art Mandorla bildet, in welcher ein flügelloser, mit Blumenpflücken
oder dem Verzehren von Trauben beschäftigter nackter Putte steht.
In den Zwickeln der Felder sieht man je zwei Engel mit erhobenen
Flügeln, in der Linken eine Kugel, in der Rechten ein Szepter, die
Füße auf einer Kugel. In der Mitte befinden sich Medaillons mit
Brustbildern von: i. Christus, in Roth und Blau, in der Linken
Rolle, mit der Rechten segnend. 2. Johannes der Täufer, in Roth
und Gelb, die rechte Hand erhoben, die Linke bewegt, mit röthlich
blonden Haaren. 3. Maria, den blauen Mantel über dem Kopf, die
Linke erhoben , die Rechte vor der Brust , nach halb rechts ge-
Die Schule Cimabue's. 249
wandt. 4. Franz, blondbärtig, beide Hände etwas erhebend, ideali-
sirter Typus.
In dem IV. Gewölbe sind die Felder durch Streifen mit Ranken-
werk, in dem kleine Brustbilder der verschiedensten geflügelten
Thiere angebracht sind, eingerahmt und mit den Darstellungen der
vier Kirchenväter geschmückt. Jeder derselben befindet sich links
auf einem mosaizirten Thronsessel an einem Schreib- oder Lese-
pult, während rechts in einem nischenartigen Gebäude je ein Mönch
sitzt. In den Zwickeln oben erscheint über Wolken das Brustbild
eines einem geflügelten Christus gleichenden Mannes. I. Hieronymus
in Weiß und Roth, graubärtig, im Bischofsornat, liest in einem
Buche, das er auf dem Tische hält; der bärtige Mönch ist gleich-
falls in die Lektüre vertieft. 2. Ambrosius in Gelb und Blau, grau-
bärtig , hält die Linke auf der Brust , die Rechte auf dem Buche ;
der jugendliche Mönch liest. 3. Gregor in Blau und Roth, bartlos,
die linke Hand auf dem Lesepult, die Rechte auf dem Schooße,
lauscht der vor seinem Ohr schwebenden Taube ; der jugendliche
Mönch schreibt. 4. Augustinus in Gelb, Roth und Blau hat die
Linke auf den Schooß gelegt und bewegt sprechend die Rechte,
der jugendliche Mönch hört auf ihn und steht im Begriffe, nach-
zuschreiben. — Diese Fresken sind gut erhalten, so gut, daß man
anfangs annimmt, sie seien restaurirt, was sich bei näherer Be-
sichtigung nicht zu bestätigen scheint. Die schwarzen Mönchskutten
sind durch die Feuchtigkeit in blaue verwandelt worden.
Zu erwähnen sind endlich in der Leibung jedes Fensters noch
je 14 Brustbilder von Heiligen innerhalb eines ornamentalen Rahmens.
An den der Vierung zunächst befindlichen Fenstern : Propheten mit
Zetteln , im folgenden Paar : Patriarchen und Krieger, im dritten :
Päpste, Bischöfe und einige Franziskaner, im vierten : Frauen.
Aus der Beschreibung der Fresken erhellt zur Genüge , wie
schwer, ja unmöglich es ist, ein endgültiges Urtheil darüber zu ge-
winnen, wie viele verschiedene Meister sie gefertigt und welches
der Antheil eines Jeden ist. Nur mit der größten Vorsicht dürfen
Meinungen geäußert werden. Was sich mit Sicherheit sagen läßt,
ist zunächst nur, daß unter den jetzt noch erhaltenen Darstellungen
keine einzige von Cimabue selbst herrührt '), und daß sich im Großen
^) Zimmermann will Cimabue's Hand in dem Besuch der Engel bei Abraham
erkennen, worin ich ihm nicht beistimmen kann.
250
Die Kirche San Francesco in Assisi.
und Ganzen zwei verschiedene Richtungen geltend machen, eine
ältere, die, den Stil Jenes abschwächend, seine Schule und Be-
ziehungen zu in Rom thätigen Meistern verräth, und eine jüngere,
die ganz neue Elemente in Komposition, wie Formenbildung und
Technik bringt. Der ersteren gehören sämmtliche Wandbilder in
den von der Vierung an gezählt zwei ersten Gewölben , sowie die
oberen Reihen in den folgenden an, der jüngeren an der rechten
Wand die vier Darstellungen aus Jakob's und Joseph's Leben , an
der linken die vier aus dem Leben Christi : der Zwölfjährige im
Tempel, die Taufe, die Beweinüng und die Frauen am Grabe, alle
Fresken der Eingangswand und die vier Kirchenväter.
Wenden wir zunächst der älteren Richtung unsere Aufmerksam-
keit zu, so lassen sich innerhalb der gemeinsamen Eigenthümlich-
keit , die in der Anlehnung an ältere Vorbilder und Nachahmung
des Cimabue'schen Stiles besteht, doch vielleicht die Merkmale ver-
schiedener Individualitäten mit einiger Wahrscheinlichkeit unter-
scheiden. Derjenige Künstler, der dem florentinischen Altmeister
am nächsten steht, hat die Malereien an den Wänden und den Ge-
wölben der, von der Vierung aus gerechnet, zwei ersten Gewölbe-
joche, also die Schöpfungsgeschichte, die Szenen aus Noah's und
Abraham's Leben, die Szenen aus der Kindheit Christi, die Hochzeit
zu Cana, die Gefangennahme und die Geißelung, vermuthlich aber
mit einem Anderen (Fresken der unteren Reihe) zusammen aus-
geRihrt. Es ist ein Meister, von dekorativer Begabung, an Geist
und Bedeutung Cimabue aber nicht zu vergleichen. Die Typen,
weit entfernt Dessen Größe und Würde zu besitzen, erscheinen bei
den Männern alterthümlicher, bei den Frauen beschränkt liebens-
würdiger; die Gewandbehandlung ist kleinlicher mehr im alten Stile,
die Bewegung unfreier und steifer. In den figürlichen Darstellungen
tritt eine gewisse Aengstlichkeit und eine Scheu vor energischer
dramatischer Gestaltung auf, eine in sich gehaltene Befangenheit,
die Nichts von Cimabue's Energie hat.
Wenn Crowe und Cavalcaselle bei den Deckenbildern an
Rusutti's Mosaik im Portikus von S. Maria maggiore erinnert werden,
so kann ich ihnen darin nur Recht geben. Auch mir erscheint die
Verwandtschaft sehr groß. Es begegnen uns dort nicht allein die
gleichen Köpfe mit dem charakteristischen reichen, völlig anliegenden
Haare , den weit geöffneten Augen , dem runden Kinne und dem
namentlich bei den Frauen sehr kleinen Munde, sondern auch sehr
Giotto und seine Schüler.
251
ähnliches Kolorit : das eigenartige helle Blau, die lichten, meist ge-
brochenen Gewandfarben, der etwas orangefarbene Fleischton mit
bläulichen Schatten und weißen Lichtern. Mit Bestimmtheit jenen
dem Vasari unbekannten Mosaizisten Filippo Rusutti zu nennen, ver-
bietet uns gleichwohl noch immer die Vorsicht, die bei dem Studium
der vorgiottesken Kunst so dringend geboten erscheint. Max Zimmer-
mann glaubt neuerdings in dem Künstler nicht Rusutti , sondern
Jacopo Torriti, den Schöpfer der Mosaiken in der Lateranskirche
und in S. Maria maggiore zu Rom, Hermanin den Pietro Cavallini
(und Torriti) zu erkennen.
Ein zweiter (oder besser: dritter) Künstler der älteren Richtung
scheint die vier oberen Wandbilder rechts in den von der Fassade
aus gezählt zwei ersten Gewölbejochen (Vertreibung aus dem
Paradiese , Kain und Abel) und links die Darstellung im Tempel,
die Flucht, die Kreuztragung und Kreuzigung gemalt zu haben.
Max Zimmermann's Annahme, die Vertreibung und Kain und Abel
seien auch von Torriti's Hand, die genannten Bilder aus dem Leben
Christi aber gehörten der jüngeren Richtung an, scheint mir nicht
überzeugend. Hervorgehoben aber verdient zu werden, daß einige
der Darstellungen eine gewisse Verwandtschaft mit dem von Vasari
dem Gaddo Gaddi zugeschriebenen Mosaik der Krönung Maria's im
Dom von Florenz haben. Dies gilt namentlich von der ,, Kreuzigung",
die schließlich auch mit in die Reihe der Werke älterer Richtung
gehört, wenn sich in ihr auch ein gewisser Fortschritt zu dokumen-
tieren scheint. Macht demnach die ungleiche Erhaltung der Fresken
ein endgültiges Urtheil darüber, wie viele Künstler bei der Aus-
führung der erwähnten Bilder thätig gewesen, und welches der
Antheil eines Jeden ist, unmöglich, so läßt sich das Eine doch be-
haupten, daß die Gemälde von etwas jüngeren Zeitgenossen des
Cimabue und zwar, aller Wahrscheinlichkeit nach, von mehreren
angefertigt worden sind.
4. Giotto und seine Schüler.
Die erste Thätigkeit Giotto's in der Oberkirche.
Auf neue Prinzipien stoßen wir erst, wenn wir die letzten alttestamen-
tarischen, sowie die letzten Bilder aus Christi Geschichte, die Kirchen-
väter, die Heiligen im Eingangsbogen und die Madonna in's Auge
fassen. Hier trat ganz zweifellos eine neue Kraft auf, deren Be-
deutung uns gleich die Szenen aus Isaak's und Joseph's Leben
252
Die Kirche San Francesco in Assisi.
schlagend erkennen lassen. Im schärfsten Kontrast zu der un-
bedeutenden Aufgeregtheit der vorangehenden Kompositionen er-
scheint hier ein wahrhaft antikes Maßhalten , eine sichere Ein-
fachheit der Bewegung, eine von jeder Ueberfülle freie Klarheit
in der Komposition ; die Gewänder fallen leichter und natürlicher,
was aber vor Allem in die Augen tritt, ist der durchaus andere
Gesichtstypus. Daß die erwähnten Darstellungen alle von einer
Hand sind , kann für Jeden , der sie eingehend und wiederholt
vergleicht , kaum zv/eifelhaft sein , nur läßt sich wohl in ihnen
eine gewisse Entwicklung verfolgen. So muß man betonen, daß
die ,, Darstellung der zwölf Brüder vor Joseph" ungeschickter und
alterthümlicher wirkt, als die Jakobsbilder, daß auch das ,,Pfingst-
fest" und ,, Christi Himmelfahrt" in den Typen noch mehr an
Cimabue's Schulrichtung gemahnt, daß eine gewisse Ungleichheit
nicht zu verkennen ist. Es ist augenscheinlich ein junger Künstler,
der sich hier versucht , dessen angebornes Talent sich in einer
neuen Auffassung der Dinge und Menschen bereits überall äußert,
der aber noch mit dem zwingenden Einflüsse der vorangegangenen
Kunst ringt. Offenbar haben Werke der Antike einen großen Ein-
fluß auf ihn gehabt, die Gewandbehandlung, das würdevoll Ruhige
der Alten hat einen unauslöschlichen Eindruck in ihm hinterlassen,
unter dem er nun die Frauengestalten im Hintergrunde der Be-
weinung, Figuren wie Rebekka, Isaak, Jakob und Esau schafft. So
strebt er auch danach, den Köpfen die harmonisch einfachen antiken
Züge zu verleihen, wobei er freilich häufig in Konflikt mit den
traditionellen Formen geräth, wie denn, höchst lehrreich auf einem
und demselben Bilde zu vergleichen, die ,, Brüder vor Joseph" noch
die etwas gebogene Form der Nase zeigen , während der Soldat
rechts von Jenem bereits den antikisirenden Typus hat. Zu den
Einflüssen des älteren Lehrers und der Antike kommt aber als
drittes Element noch die Beobachtung der Natur, von der am
stärksten vielleicht auf der ,, Beweinung" die schmerzbewegten
Freunde Christi zeugen, deren Züge der Maler in dem Bestreben,
wahr zu sein , theilweise verzerrt. Die zeitliche Aufeinanderfolge
der Fresken zu bestimmen, erscheint mir zu gewagt, obgleich sich
Vermuthungen wohl aufstellen ließen — es genügt, jene durch das
Befolgen verschiedener Prinzipien hervorgebrachte Ungleichheit
hervorgehoben zu haben und im Folgenden nur noch das gemein-
same Charakteristische zu betonen.
Giotto und seine Schüler. 253
Dabei handelt es sich zunächst um jenen, wie wir ihn kurz
nennen dürfen, antikisirenden Gesichtstypus, der namentlich nach
den jugendlich bartlosen Männer- und den Frauenköpfen (vcrgl. be-
sonders die Heiligen am Bogen) folgendermaßen gekennzeichnet
werden kann : längliche Gesichtsform , etwas gewölbte mittelhohe
Stirn , deren Profillinie die ganz gerade , wie gemeißelte Nase mit
scharfem Rücken und etwas gekniffenen kleinen Flügeln fortsetzt,
scharf gezeichnete, wenig gewölbte Augenbrauen, große, etwas starr
blickend geöffnete Augen, durch eine scharfe Falte hervorgehobene
untere Augenlider, ziemlich volle Backen, die Oberlippe mit eckig
gezeichneter Mittelvertiefung, voller Mund mit wenig herabgezogenen
Winkeln , kräftiges Kinn , rundlich geschwungene , unten spitz ver-
laufend angewachsene Ohren. Die Hände sind in sehr charakte-
ristischer Weise wie durch eine ringartige Falte von den ganz runden
knöchellosen Armen geschieden und haben mittcUange, etwas knö-
cherne, wenig zugespitzte Finger, einen dünnen Daumen, der vom
Handteller durch scharf gezeichnete Linien gesondert ist. Das Haar
ist im Gegensatz zur älteren Manier schon wiederholt als Ganzes
behandelt. Die Köpfe der bejahrten Männer zeigen alle eigen-
thümliche über der Nase aufsteigende, dann gerundet den Augen-
brauen parallel laufende Stirnfalten, über denen noch andere hori-
zontal liegen, sowie stark betonte Falten von der Nase zum Mund.
Am ausgeprägtesten tritt uns der neue Stil , den man am besten
als einen plastischen bezeichnen könnte, wie er denn höchst
wahrscheinlich auch auf das Studium antiker Skulpturen zurück-
geht, in der Madonna über der Thür entgegen. Bemerkenswerth
ist ferner die Vorliebe für reiche Architektur , die zum Theil , wie
in dem ,,Pfingstfest", ausgeprägt gothische Formen zeigt, und
schließlich die Farbenbehandlung. Der helle Ton der andern Fres-
ken ist hier einem tieferen kräftigeren gewichen, die grüne Schatten-
untermalung ist dunkler, das aufgehöhte Roth in den Wangen
lebhafter und mehr hervortretend.
Fragen wir nun, wer dieser jugendliche bedeutende, ganz neue
Elemente in die Kunst einführende Künstler ist, der als der Letzte
von Cimabue's Nachfolgern in der Oberkirche zu malen anfängt, so
bleibt kaum ein Zweifel übrig : es ist derselbe , der , nachdem er
die oberen Fresken beendigt hat, in den unteren die Franziskus-
legende zu schildern beginnt, kein anderer als Giotto. Wenn
Crowe und Cavalcaselle., denen das Neue in jenen Darstellungen
254
Die Kirche San Francesco in Assisi.
nicht entging, Gaddo Gaddi zu ihrem Urheber machen wollen, so
ist das eine in Nichts begründete Vermuthung. Sind selbst, wie
Vasari will, die unteren Mosaiken im Portikus von S. Maria Mag-
giore zu Rom Werke jenes Künstlers, so beweist das doch Nichts,
da sie, um 1308 entstanden, offenbar nur den Einfluß von Giotto
selbst zeigen, ohne doch an Bedeutung entfernt an die großartigen
Franziskusdarstellungen reichen zu können. Die Kompositionsweise
ist verwandt, das ist aber auch Alles. Wir haben diese lebensvollen,
herrlichen Darstellungen der Legende des Franz schon ausflihrlich
besprochen und gesehen, daß sie Giotto rauben so viel hieße, als
Diesem seinen Ehrenplatz als Begründer der modernen Malerei
nehmen und an seine Stelle einen unbekannten anderen Maler setzen.
Hier gilt es nun, sie noch auf die stilistischen Eigenthümlichkeiten
hin zu prüfen.
Die Legende des heiligen Franz.
Jener oben geschilderte antikisirende Typus nämlich ist, wie
ein eingehender Vergleich zwingend ergiebt, der auch für die Franz-
legende eigentlich charakteristische, nur daß er hier kräftiger und
etwas freier ausgebildet zur vollen Herrschaft gelangt. Im Verlaufe
der Arbeit erfährt er geringe Modifikationen, die namentlich in einer
Verfeinerung der einzelnen Formen, einer größeren Bestimmtheit der
Konturen bestehen. So wird besonders der Nasenrücken immer
schärfer und erscheint in seinem Ansätze schließlich so schmal, daß
die Augenbrauen sich fast berühren. Zugleich wird die Nase
spitzer, werden ihre Flügel kräftiger ausgebildet. Die Beobachtung
der Natur macht sich im Uebrigen nicht in der Wiedergabe verschie-
dener menschlicher Typen, sondern hauptsächlich in dem Ausdrucke
der Köpfe und in den Bewegungen geltend , weniger im Physiolo-
gischen , als im Psychologischen. Wir können die innerhalb der
Franziskuslegende sich vollziehende Wandlung vielleicht am besten
bezeichnen als einen Uebergang von einem mehr plastischen Stile
wiederum zu einem mehr malerischen.
Wie aber die Formen , so wird auch der Ausdruck der Köpfe
immer lebensvoller und verschiedenartiger, wird die Bewegung immer
freier und bezeichnender. Es ließe sich wohl viel darüber schreiben,
wie zu gleicher Zeit mit der wachsenden Bedeutung des Auges für
die Verdeutlichung der seelischen Zustände auch die Handbewe-
gungen immer prägnanter dieselbe verrathen. Dabei bildet sich
Giotto und seine Schüler, 255
eine Vorliebe für gewisse Stellungen der Hand aus, die Giotto sein
ganzes Leben hindurch behält und die für seinen Stil geradezu
charakteristisch werden. Sie treten schon in der Franzlegende
kenntlich als eine Art Manier auf, wie deren ja fast jeder Künstler
eine zu besitzen pflegt, und verdienen als kennzeichnende Merk-
male seiner Werke kurz hier erwähnt zu werden.
1. Die Bewegung des Sprechens: Die Hand etwas gesenkt und
geöffnet, mit dem Teller dem Beschauer zugewandt, der Ring-
finger und der kleine Finger sind etwas nach innen gebogen.')
2. Die Bewegung des Erstaunens : Die Hand ebenso gestellt, nur
nach oben erhoben.-)
3. Die hinweisende Bewegung : Die Hand wagerecht mit ge-
schlossenen Fingern , abstehendem Daumen , halb von der
Rückenseite gesehen. ■^)
Außerdem kehrt öfter das Motiv des auf die Hand gestützten
Kinnes wieder, wobei der Zeigefinger an der Backe liegt.'*)
Man könnte dies als unwesentliche Nebendinge betrachten, was
sie freilich auch nur sind , doch äußert sich in ihnen in faßbarer
Weise die eigenthümliche Manier eines Meisters, dessen Charakte-
ristik freilich aus ganz anderen Momenten gewonnen wird. Schon
aus diesen scheinbar kleinlichen Merkmalen aber ließe sich mit Be-
stimmtheit sagen, daß ein und derselbe Künstler den ganzen Cyklus
der Franzlegende geschaffen, spräche nicht auch Alles sonst: die
^) Beispiele: Erweckung des Mädchens, Unterkirche. Christus im Tempel, Unter-
kirche. Der hintere Mann rechts auf der ,, Huldigung", Christus auf ,, Traum des Franz",
der Sultan auf der „Feuerprobe", Franz in der „Vögelpredigt", die Krieger auf der
„Bekehrung des Hieronymus", Franz auf „Tod des Edlen von Celano".
2) Mönch auf „Ekstase des Franz", Mann links auf „Presepe", Mönch auf „Vögel-
predigt", Kardinal auf „Predigt vor Honorius", Franz auf ,,Tod des Edlen von Celano",
Mönch auf der „Stigmatisation", Priester auf ,, Befreiung des Petrus". Mann auf ,,Tanz
der Herodias", S. Croce. Johannes der Täufer auf Baroncellibild. Christus im Tempel,
Unterkirche. Darstellung im Tempel, Unterkirche. Dieselbe, Padua. Christus im
Tempel, Padua. Engel auf Allegorie der Armuth. Engel auf Allegorie des Gehorsams.
^) Franz und Mann auf der „Huldigung", Kind auf ,, Lossagung vom Vater",
Mönch auf ,, Vision des Thrones", Mönch auf ,, Vision des Monaldus", Bürger auf
„Franz' Beweinung vor S. Damiano".
') Bei einzelnen Schülern, namentlich Taddeo Gaddi und Giovanni da Milano,
kehren dieselben Bewegungen wieder , aber lange nicht so ausdrucksvoll , wie auch die
Zeichnung der Hände anders ist und jenes nervöse Gefühl vermissen läßt. Bei Giotto
sind die Finger knochig, etwas zugespitzt, mit Vorliebe etwas nach der Handfläche zu
gekrümmt.
2C6 Die Kirche San Francesco in Assisi.
Kompositionsweise , die Typen , die Gewandung , die Architektur,
die Technik dafür. Daß die letzten drei Darstellungen gewisser-
maßen von allen anderen abweichen, ist wiederholt betont worden
und ist nicht abzuleugnen. Die Abweichung aber liegt bloß in
einem Punkte : in den Verhältnissen der Figuren , die hier viel
schlanker, übertrieben lang erscheinen. Rumohr ward dadurch
namentlich bestimmt, den ganzen Cyklus Giotto abzusprechen,
Andere wie Crowe und Cavalcaselle wollen gerade nur in diesen
Darstellungen Dessen Hand erkennen. Nun kann es kaum ein
Zweifel sein, daß auch sie auf Giotto's Zeichnung zurückgehen, da
alle Details, alle F'ormen genau den früheren Fresken entsprechen.
Ist die Ausführung auf die Rechnung eines Anderen zu setzen.?
Wie gelangte er selbst plötzlich zu diesem Manierismus.? War es
etwa ein absichtliches Experiment? Glaubte er in einer größeren
Schlankheit der Verhältnisse der Natur näher zu kommen, oder
äußerte sich darin thatsächlich eine gewisse, durch die lange an-
dauernde Thätigkeit hervorgebrachte Manier.?^) Es ist mir nicht
gelungen, eine genügende Erklärung dieser Eigenthümlichkeit zu
finden. Thatsache ist es , daß nicht allein die letzten drei Bilder,
sondern auch einige vorangehende schwächer und weniger be-
deutend in Zeichnung und Empfindung sind.
Die erste Wanderung längs dieser Freskenreihen, welche der
Besucher von San Francesco mit Bonaventura's Legende des Heiligen
in der Hand vornehmen sollte, wird ihn zunächst über der Thcil-
nahme an dem Inhalt des Dargestellten kaum zu einer kritischen
Betrachtung der Eigenthümlichkciten der künstlerischen Gestaltung
gelangen lassen. Gerade daß ihn solche Kritik im Stiche läßt und
daß er unwiderstehlich als ein Miterlebender in die geschilderten
Ereignisse hineingezogen wird, daß er ganz unmittelbar Wesen und
Handeln des unvergleichlichen hier gefeierten Mannes persönlich
erfährt , läßt ihm dann aber , am Schlüsse aus seiner Versenkung
erwacht, zum Bewußtsein kommen, wie groß die ja doch noch in
1) Daß die eisten drei Bilder der Legende durch eine ^jrößere Weichheit der
Behandlung von den andern abweichen , findet seine einfache Erklärung darin , daß sie
allein noch nicht gereinigt worden sind , während alle anderen durch Waschen und
Putzen nicht allein den Staub, sondern wohl auch die ursprüngliche Epidermis verloren
haben, so daß jetzt die grünen Schatten, die rothen Fleischtöne und die weißen Lichter
schroff und unvermittelt neben einander stehen, wodurch die Formen härter erscheinen,
als sie es ursprünglich waren.
Giotto und seine Schuler. 257
primitiven Formen sich äußernde Kunst sein muß, welche solche
Wirkung auf ihn hervorbrachte. Staunend fragt er sich, durch
welche Mittel Giotto des Betrachtenden Phantasie derartig zu bannen
gewußt hat. Von einer so einnehmenden , durch alle die voll-
kommensten Mittel der Darstellung erreichten Täuschung idealer
Wirklichkeit , wie sie das Abendmahl eines Lionardo , die Tapeten
eines Raphael dem Betrachter aufzwingen, kann doch hier nicht die
Rede sein : wie unvollkommen verglichen mit solchen Schöpfungen
erscheint die Bildung der menschlichen Gestalt, wie wenig mannig-
faltig die Charakteristik der Typen , wie ungelöst die Bewegung,
wie zaghaft die Modellirung in Licht und Schatten, wie mangelhaft
und nur andeutend die Perspektive, wie unausgebildet die Technik!
Und trotz aller dieser Mängel ein so starker, echt künstlerischer
Eindruck auf die Seele ! Dem Sinnenden darf es hier zur Er-
kenntniß gelangen , daß , so herrlich und bedeutungsvoll das Ver-
mögen überzeugender Naturnachbildung sein mag, es doch noch
einen höheren Faktor im künstlerischen Schaffen giebt und dieser
für Jeden, welchem wirklich zu schauen vergönnt ist, der eigent-
lich künstlerisch erregende ist : die aus freiester Kraft der Selbst-
entäußerung hervorgehende Fähigkeit, in aller Erscheinung durch
den Schleier der Individualität hindurch das allgemein Mensch-
liche, jedem Einzelnen aus innerer Erfahrung Vertraute im Gefühls-
leben zu entdecken und zum Ausdruck zu bringen. Ob nun die
äußere Erscheinung zu entzückender Wirklichkeitsvorspiegelung ge-
steigert ist , wie bei Raphael und Lionardo , oder ob sie nur all-
gemein angedeutet und daher eine stärkere Bethätigung unserer
eigenen Phantasie verlangend erscheint wie bei Giotto , hier wie
dort wird unsere Seele in eine von allem Bezug auf unsere Per-
sönlichkeit befreite Stimmung versetzt, weil hier wie dort rein
menschliche innere Vorgänge mit unwiderstehlicher Gewalt uns
mitgetheilt werden.
Aus solcher genialer Gefühlskraft entdeckte Giotto eine neue
Welt in der Natur, fand er seine künstlerische Sprache. Gewiß
war der Drang nach Ausdruck eines leidenschaftlich bewegten Ge-
müthes bei Cimabue nicht schwächer, aber dieser wahrlich auch
geniebegabte Meister war noch im Wahne , alte Formen , deren
Schönheit erst ihm wirklich aufging, von innen heraus beseelen
und zu neuer Bedeutung erheben zu können. Was gewaltigem
Streben gelingen konnte , war ihm gelungen. Sein Schaffen erst
T h o d e , Franz von Assisi. I y
258 Die Kirche San Francesco in Assisi.
aber konnte erweisen , daß andere Wege eingeschlagen werden
mußten, denn sein Ideal war keiner weiteren Ausbildung fähig.
Das byzantinische Formenschema war wie eine nur einen einzigen
Ausdruck, nämlich den erhabener Feierlichkeit, veranschaulichende
Maske; Giotto's Sehnen nahm sie von dem Antlitz der Natur hin-
weg, in deren unendlich wechselndem Ausdruck er die Offenbarung
seines eigenen Wesens erkannte. Was er seine Zeitgenossen sehen
lehrte , mochte Diesen , wie auch Manchem heute , nun zunächst
freilich weniger schön, weniger groß, weniger geheimnißvoll dünken:
dem in Antlitz, Gestalt und Gewandung sich verbildlichenden Ueber-
menschlichen der Cimabue'schen Figuren gegenüber gestellt, mußte
Giotto's schlichter und kleiner gebildeter Menschentypus fast un-
scheinbar und nüchtern wirken. Gewiß hat es auch nicht an Solchen
gefehlt, welche, an das leidenschaftliche Pathos Cimabue's gewöhnt,
den Schwung dramatischen Lebens vermißten und in der Natür-
lichkeit der Anordnung einen Mangel an Sinn für hohen Stil ge-
wahrten !
Bald aber mußte man erkennen, daß diese anspruchslose Aus-
drucksweise des ohne Vorurtheil den Eindrücken der Außenwelt sich
hingebenden jungen Meisters in unendlich viel reicherer Weise
menschliches Sein und Handeln , in viel mannigfacherer und ver-
tiefterer Art seelisches Leben veranschaulichte und daß sie einen
wohl anderen, aber nicht minder ausgeprägten Stil schuf, als es
der byzantinisirende gewesen war. Einen Stil, denn auch hier ward
ein Typisches geschaffen. Die Naturnachbildung ward idealen Vor-
stellungen höchsten, allgemeinen Menschenthums, welches eben nur
im Typischen zu veranschaulichen war, dienstbar gemacht. Jene
Vorstellungen aber wurzelten durchaus im Gefühl. Indem die
Natur direkt zum Interpreten desselben erhoben wird, vollzieht sich
die wunderbare bildnerische Verwandlung des Gefühles in Er-
scheinung. Was man als Stil bezeichnet: die Darstellung des
Typischen wird bei Giotto nicht mehr, wie es wesentlich der Fall
in der byzantinischen Manier war , in dem äußeren Faktor der
Symmetrie, sondern in dem inneren Faktor einheitlicher Gemüths-
stimmung gesucht. Die Symmetrie, auf welche, da sie das grund-
legende Gesetz der Einheitsverdeutlichung ist, kein Künstler Ver-
zicht leisten kann, muß doch vor der höheren Einheit des Seelen-
ausdruckes zurücktreten, sie bestimmt unser ästhetisches Empfinden
nur in uns unbewußter Weise. Man achtet so wenig auf sie, wie
Giotto und seine Schüler. 259
man beim Erklingen einer Melodie auf deren Takteintheilung
merkt.
Was zuerst, im Vergleich mit den Werken vorhergehender
Kunstübung, in Giotto's Gemälden uns auffällt: die Freiheit in der
Anordnung der Figuren , erklärt sich hieraus. Keine allgemeine
Regel hat ihn bei der Komposition bestimmt, wie es bei seinen
Vorgängern der Fall. Wohl gewahrt man bei näherer Prüfung,
daß das scheinbar ganz Ungezwungene in dem Nebeneinander der
Figuren, des Landschaftlichen und Architektonischen in kunstvoll-
ster Weise gebunden ist durch geheime Bande symmetrischer
Gruppierung, daß bald durch einfache Hervorhebung der Mitte
zwischen sich entsprechenden Seiten, bald durch bloße Gegenüber-
stellung von zwei Gruppen , bald durch pyramidale Anordnung,
bald durch diagonale Scheidung, häufig genug auch durch Ver-
bindung solcher verschiedener Konstruktionen Klarheit und Ueber-
sichtlichkeit in das belebte Ganze gebracht wird , aber in jedem
einzelnen Falle wird diese grundlegende Eintheilung neu und in
eigenthümlicher Weise aus den Bedingungen des Vorwurfs heraus
gewonnen.
Neben dieser erstaunlichen Mannigfaltigkeit der Kompositions-
weisen erscheint als zweites Charakteristisches die Beschränkung,
welche Giotto , verglichen mit den byzantinisirenden Meistern , in
der Zahl der Figuren sich auferlegt. Zeigen freilich manche Ge-
mälde , wie namentlich der Tod , die Kanonisation und die Be-
kehrung des heiligen Hieronymus, daß er sich noch nicht ganz
von den Traditionen befreit hat, so ist doch im Allgemeinen sein
Streben nach Vereinfachung in bedeutsamer Weise thätig. Dieses
geht wiederum aus seinem Bedürfniß nach einheitlichem Gefühls-
ausdruck , aus seiner eminenten dramatischen Begabung hervor.
Mit vollkommener Deutlichkeit und in seiner inneren Nothwendig-
keit soll der zu schildernde Vorgang zur Darstellung gelangen.
Dies bedingt die absolute Veranschaulichung der äußeren oder
inneren Bethätigung Aller an demselben. Bloß Raum ausfüllende,
unbetheiligte Gestalten, wie sie in wolkenartig gedrängten Massen
hinter den Hauptaktoren auf den byzantinischen Bildern zu er-
scheinen pflegen, finden hier keinen Platz. Selbst wo eine Menge
vorgeführt wird, erscheint sie nicht, wie dort, als Opernchor, son-
dern besteht sie aus lauter einzelnen mitwirkenden Individualitäten.
So giebt es wohl noch neben den Hauptträgern der Handlung
17*
26o I^ic Kirche San Francesco in Assisi.
Nebenfiguren, aber jede derselben verlangt als bedeutungsvoll für
das Verständniß des Ganzen, weil sie, die Wirkung der Handlung
verdeutlichend, die Handlung selbst erst erkennen läßt, die Auf-
merksamkeit. Eine solche Belebung der Darstellung bis in jede
Einzelheit hinein war aber nur möglich , wenn der Künstler den
entscheidenden Moment eines Vorganges, denjenigen, welcher gleich-
sam das Vorhergehende und das Nachfolgende in sich schließt,
zur Veranschaulichung wählte. Nur in ihm war die Möglichkeit
jenes einheitlichen Ausdruckes gegeben. Aus der Wahl dieses
Momentes , welche nicht die Folge einer auf ästhetische Wirkung
ausgehenden Reflexion, sondern die unmittelbare Folge eines stärk-
sten konzentrirten Nachempfindens des in der Legende Geschil-
derten ist, geht die Gesammtanordnung und die Bestimmung der
Anzahl der Figuren hervor. In einer äußerlich deutlich gemachten
inneren Beziehung der Gefühle verschiedener Individualitäten auf
eine diese Gefühle weckende, weil aus ihnen entspringende Hand-
lung, mag sie nun einen sanft oder stark erregten Charakter tragen,
ist demnach jene höhere Einheit erreicht, welche wir als das
Wesentliche von Giotto's Stil erkannten. Mit unbegreiflicher Kunst
hat er, wie der Vergleich der Legende mit den Gemälden lehrt,
es verstanden, selbst höchst widerstrebenden Stoff zu einer Bedeu-
tung für das Gemüth zu erheben, indem er in Sonderheit bei Wun-
derwirkungen nicht das Wunder, sondern die es hervorbringende
Seelenkraft zum Brennpunkt der Darstellung macht. Man betrachte
z. B. die Vertreibung der Dämonen aus Arezzo, erscheint da nicht
die ganze Beschwörungsszene wie eine Ausstrahlung des in alle
Tiefen der Seele sich verlierenden Gebetes des Franz } Welche
Genialität spricht sich aus in der doch so einfachen Anordnung
des in sich gekauerten knienden Heiligen hinter dem Bruder, dessen
erhobener Arm gleichsam die Bewegung des Betenden in die Ge-
bärde der Beschwörung überträgt ! Wie begreiflich wird die Er-
scheinung des in Kreuzform über der Erde schwebenden Entzück-
ten aus der im Blick und in den Armen sich äußernden himmel-
wärts strebenden Sehnsucht ! Wie merkwürdig liegt es in den
betenden Händen auf der ,, Tränkung des Durstigen" ausgesprochen,
daß diese Bitte das Herabsenden einer Gabe von oben erfleht, wie
sie als herabströmender Quell daneben dem Bauern zu Theil wird!
Mit diesen Betrachtungen aber sind wir schon zu einer Ver-
tiefung in einzelne Motive der Gemälde gelangt. Was wir von
Giotto und seine Schüler. 26 1
dem Ganzen ausgesagt, gilt auch für sie, daß Giotto's Schaffen,
verglichen mit der Kunst des XIII. Jahrhunderts , auf Grund der
Naturbeobachtung eine Vereinfachung, Individualisirung und Ver-
innerlichung bringt. Die Vereinfachung zeigt sich bei den Figuren
in einer energischen Beschränkung auf möglichst wenige, aber
charakteristische, den organischen Zusammenhang der Formen her-
vorhebende Linien, und auf eine schlichte, aber die Bewegung der
Gestalt scharf kennzeichnende Faltengebung der Gewänder, bei der
Architektur, wenn auch hier noch ein Zuviel herrscht, in der klaren
und übersichtlichen Anordnung einzelner, einheitlich gestalteter Ge-
bäude, bei dem Landschaftlichen, welches freilich der älteren Kunst
am meisten verwandt bleibt, in dem Streben nach Zusammenhang
im Aufbau des felsigen Terrains. — Die Individualisirung geht,
was rein die äußere Erscheinung des Menschen betrifft, nicht über
das bescheidene Maß einer sehr allgemeinen Kennzeichnung der
Altersstufen hinaus. Der mit Monotonie vorherrschende männliche
Typus, nur durch kleine Unterschiede in der FleischfüUe modifizirt,
ist der bartlose. Die selten vorkommenden bärtigen Köpfe zeigen,
wie die Engelfiguren, noch deutliche Beziehung zum byzantinischen
Schema. Als Ausnahmen zu bezeichnen sind einige wenige Ver-
suche einer absonderlichen Gesichtsbildung , wie der Typus des
den Mantel ausbreitenden Mannes auf dem ersten Bilde und das
auch sonst noch einige Mal wiederkehrende Profil mit der kurzen,
etwas aufgeworfenen Nase des Bürgers rechts auf demselben Fresko,
welches sein weibliches Analogon in der „Kanonisation" findet. Bei
den Frauen zeigt sich das Unterscheidende vornehmlich in der
Tracht der meist weich und groß gewellten Haare. Der Mangel
an Abwechslung und Charakteristik der äußeren Formelemente
wird nun aber in solcher Weise durch die Fülle verschiedener Be-
wegungsmotive aufgehoben, daß man ihn erst bei näherer kritischer
Prüfung entdeckt. Im Inneren, nicht im Aeußeren findet Giotto
das Entscheidende der Wesensunterschiede , und so geht sein
Streben nach Individualisirung denn in einer Verdeutlichung der
seelischen Vorgänge auf.
An Kraft, Reichthum und Prägnanz charakteristischer Veran-
schaulichung des Seelenlebens — das lehrt schon die Franzlegende
— kommt er nicht nur den größten späteren Meistern dramatischer
Schilderung gleich, sondern — man darf es wohl behaupten —
übertrifft er sie alle. Es giebt keine Gemüthsregung , welche er.
202 Die Kirche San Francesco in Assisi.
aus der Fülle seines eigenen erregbarsten Wesens schöpfend, nicht
in zwingend überzeugender Weise im Bilde zu uns reden ließe.
Die ungeheure Intensität seines inneren Erlebens verlangt und ge-
stattet ihm eine Konzentration des Ausdruckes , die dem pathe-
tischen Uebertreiben der Bewegungen in der byzantinischen Kunst
jenes Maaß der Geberdensprache gegenüber stellt , welches das
bedeutsamste Merkmal des neuen Stiles ist. Findet durch solche
Mäßigung die ästhetische Anforderung, welche die bildende Kunst
in ihrem rein räumlichen Prinzip an den Künstler stellt , nämlich
alle Bewegungsdarstellung zu Gunsten eines Dauernden zu bän-
digen, ihre Erfüllung, so wird zugleich die Phantasie des Beschauers
durch den Eindruck gespannter latenter Kraft in den dargestellten
Handelnden zur ergänzenden belebenden Thätigkeit, welche das
Räumliche in Zeitliches umsetzt, gezwungen. Das Maaßhalten in
der Geberde aber wurde möglich erst durch Giotto's Entdeckung
des unendlichen Reichthums physiognomischer Sprache. Der Fülle
der mit unbegreiflicher Schärfe des Blickes dem Leben abgelausch-
ten Motive in Haltung und Bewegung des Körpers , der Hände
und des Kopfes entspricht die Ausdrucksmannigfaltigkeit des vor
allem im Blick des Auges mit unbedingter Gewalt an die Ober-
fläche dringenden inneren Lebens. Wie unbegrenzt die Meister-
schaft Giotto's in solcher Charakteristik des Empfindens war, lehrt
jede Figur des Cyklus. Man sehe auf dem ersten Bilde die wohl-
wollend gelassene Betrachtung der Männer links der ärgerlichen
Verwunderung derer rechts gegenüber gestellt , das freundliche
demüthige Gebahren des Jünglings. Wie ist in dem seinen Mantel
verschenkenden Franz die Mischung von Mitleid und zarter Scheu,
den Anderen zu verletzen , in dem sich vom Vater lossagenden
Sohne feierlicher Entschluß, in dem Vater ohnmächtige, zum Hasse
sich steigernde Erbitterung eines harten Herzens, wie in den vor
Innocenz III. knieenden Mönchen Zuversicht auf Erfüllung der Bitte
und vertrauensvolles Erwarten, wie das erhabene Bewußtsein eines
großen Erlebnisses in dem die Vision des feurigen Wagens ge-
wahrenden Manne, wie die Gewißheit heiliger Aufgabe in dem die
Dämonen beschwörenden Bruder geschildert ! Wie unmittelbar
spricht aus der Darstellung der Feuerprobe vor dem Sultan die
ängstliche Erwartung der Magier, die Verachtung des Bruders, das
demüthige Verlangen des Franz, seinen Glauben zu bewähren, und
die vorwurfsvolle Strenge des Sultans , in der Weihnachtsfeier die
Giotto und seine Schüler. 263
gerührte Theilnahme der Anwesenden , in der Vögelpredigt die
zarte Liebe des den Thieren holden Predigers , in der Vision des
Augustinus das sehnsüchtige Verlangen , dem verlorenen Freunde
zu folgen, in der Heilung des Mannes von llerda die Rathlosigkeit
des Arztes, in der Beichte der Wittwe das Grausen und Schau-
dern der sie Umgebenden zu uns ! Will man aber des Meisters
ganzes Können erfassen, so vergleiche man die verschiedenen Dar-
stellungen derselben oder verwandter Affekte und Stimmungen und
beachte die Feinheit der Unterschiede. Wiederholt sehen wir das
Gebet veranschaulicht, jedesmal aber ist die in ihm sich aus-
drückende Seelenbewegung als eine andere durch Haltung und
Mimik gekennzeichnet. Erfüllt den in San Damiano knieenden
Jüngling kindliche Ehrfurcht und Verwunderung, so drückt sich im
Gebet auf der ,, Vision des Thrones" demüthige Scheu aus.
Aeußerste Kraftanstrengung des Glaubens macht die Bitte von
Arezzo zur wunderwirkenden , während die Gewähr des Wunders
dem für den Durstigen Betenden im freudigen Aufschwünge des
Gefühles bereits zum Bewußtsein kommt. Weiter vertiefe man sich
in den Vergleich der verschiedenen Darstellungsweisen , welche
Giotto für aufmerksames Zuhören , besonders auf der Predigt vor
Honorius und der Erscheinung in Arles gefunden, — wie er hier-
für alle Möglichkeiten von schärfster Verstandesauffassung bis zu
träumerischer Entrückung entdeckte — , oder in die Wiedergabe
des Erstaunens — von kalter Abwendung bis zu sehnlichem Hin-
gezogensein — oder in die Ausdrucksformen für ekstatische Er-
hebung ! Vor Allem aber vielleicht wird die Betrachtung der Dar-
stellung des Schmerzes den Betrachter mit rückhaltloser Bewunde-
rung für diese große Kunst erfüllen. Welche Steigerung des
Empfindens ist in der um den Edlen von Celano sich schaarenden
Frauengruppe gegeben : von bloßer Betroffenheit zu bewegtem Mit-
gefühl und weiter zu einer mit Neugier und Grauen vermischten
krampfhaften Erregtheit in der zu den Füßen des Todten knieen-
den Frau , endlich zu der Gattin wortloser Verzweiflung , welche
in den geliebten Augen das entschwundene Leben sucht ! Welche
ergreifende inbrünstige Hingebung beflügelt den Schritt der aus
San Damiano herauseilenden Nonnen , die zu thränenreichem Ab-
schied von ihrem Führer und Tröster, wie von einer noch von ihm
ausgehenden Liebeskraft zu ihm gezogen , über die Bahre sich
beugen , mit welcher feierlichen Stille umgiebt ein tiefstes Ver-
264 ^^^ Kirche San Francesco in Assisi.
sunkensein in unaussprechliches Leid den kaum erst der Brüder-
gemeinde entrissenen Heiligen ! —
In sich mußte der Schöpfer dieser Werke Alles , was er uns
so mittheilte, erlebt haben. Der Blick auf diese Bilder dringt
durch sie hindurch in das unendlich bewegte Seelenleben Giotto's.
Welch' scharf prüfender Verstand und welch' hohe ordnende
Vernunft aber dem Meister für die formale Gestaltung des durch
Inspiration innerlich Erschauten zu Diensten standen, wird aus jeder
Einzelheit seiner Werke offenbar. Eine klare , unbeirrbare Natur-
beobachtung wird im Geiste schlichter Wahrhaftigkeit die Vermitt-
lerin zwischen Idee und Darstellungsform. Alles Wesentliche hier-
über ist schon in den vorausgehenden Ausführungen enthalten.
Bemerkt zu werden hierzu verdient aber doch , wie der Künstler
unwillkürlich freudig jede Gelegenheit benutzt, von seinem Ver-
hältniß zur Natur gleichsam ein Bekenntniß abzulegen , indem er
genreartige Motive im dramatischen Sinne verwendet. Schon
Vasari fand den am Quell trinkenden Bauer von außerordentlich
drastisch-natürlicher Wirkung, das Gleiche darf man von den
singenden Mönchen in der ,, Weihnachtsfeier zu Grcggio", von dem
Gespräch der Frauen mit dem Arzte auf der ,, Heilung des Mannes
von Ilerda", von der Beichtszene auf dem „Wunder der wieder-
erweckten Frau" und so manchem anderen einzelnen Motive (be-
sonders den verschiedenen Darstellungen Schlafender) behaupten.
Auch die Szenen der hohen Geistlichkeit am päpstlichen Hofe und
die Zeremonien des Klerus gelegentlich des Todes des Franz dürfen
als ähnUche Zeugnisse von des Malers reiner Freude an seinem
Vermögen objektiver Beobachtung betrachtet werden.
Wie weit aber , so müssen wir uns fragen , erstreckt sich die
Naturnachbildung auch auf die räumliche Umgebung des Menschen.?
Hier fällt nun als charakteristisch auf, daß, so überraschend lebens-
wahr die Thiere : Pferd , Esel und Vögel wiedergegeben werden,
die Landschaftsdarstellung keinen großen Fortschritt über die by-
zantinische Manier aufweist. Giotto läßt sich an den durch scharfe
Kantenabsätze gegliederten traditionellen Felsenhöhen, auf welchen
einzelne kleine Bäume — nur einmal auf der ,, Vögelpredigt" er-
scheint ein reicher durchgebildeter und mehr individualisirter
Baum — von gleicher vager Form stehen , genügen. Das über-
kommene Vorurtheil, daß der Landschaft keine Bedeutung neben
dem Menschlichen gebühre und daß mit einer bloßen Andeutung
Giotto und seine Schüler. 265
genug geschehen sei , und zugleich vielleicht die Hülflosigkeit , in
welcher sich ein primitives Können, den Schwierigkeiten der Luft-
perspektive gegenüber an dem Auffinden einer Gesetzmäßigkeit der
Darstellung verzweifelnd, befand, hielten ihn von einer Beschäftigung
mit dieser überreichen Erscheinungswelt ab.
Hingegen wandte er sich mit verdoppeltem Eifer dem eine
deutliche Raumwirkung leichter ermöglichenden Architektonischen
zu. Phantasie und Wirklichkeitsstudium vereinigen sich zu einem
ungemein vielseitigen, immer Neues erzeugenden Schaffen auf diesem
Gebiete. Eine ganze Stufenreihe von durchaus unwirklichen Ge-
staltungen bis zu Gebäuden , welche bestimmte , zum Theil noch
heute vorhandene Werke wiedergeben, zeigt sich unserem über die
Freskenreihe hingleitenden Blick. Sind die eigenthümlichen , wie
aus Holz errichteten mehrstöckigen, kanzeiförmigen, phantastischen
Bauten mit Loggien und Treppen noch aus den künstlich ineinander
geschachtelten Architekturen der byzantinischen Malerei hervor-
gegangen, so tritt etwas durchaus Anderes in den sehr verschieden-
artigen, deutlich die gründliche Beschäftigung mit dem gothischen
Stil verrathenden Gebilden hervor. Auch bei ihnen handelt es sich
wohl zum Theil , wie in den thron- und kapellenartigen Anlagen
um willkürliche Erfindung. In anderen, nämlich den vorn offenen,
von Säulen getragenen Innenräumen, aber dürfte man freie Nach-
bildungen der zuerst im lithurgischen Drama, dann in den ,,Devo-
zioni" auf der Bühne aus Holz errichteten Dekorationen, in welchen
abwechselnd die Handlung spielte, gewahren, für welche Annahme
auch die öfters vorn angebrachten Vorhänge, von denen in alten
szenischen Angaben die Rede ist , sprechen. Ja , mir scheint , daß
diese auf den Fresken angebrachten Baulichkeiten eine überraschend
anschauliche Vorstellung von eben jenen Bühneneinrichtungen geben.
Daneben sehen wir endlich in den freilich miniaturhaft abbreviirend
gehaltenen Durchschnitten von Basiliken, in höherem Grade aber
in den schönen gewölbten Hallen eine unmittelbare Annäherung
an die Realität. Ja letztere gelangt im Einzelnen, wie in dem
Palast auf dem ersten Fresko , in der Choransicht einer Kirche
auf der ,, Vertreibung der Dämonen" und in der Kirchenfassade
auf der ,, Beweinung Francisci durch die Nonnen" fast ganz zum
Siege , wenn auch das Größenverhältniß zu den Figuren ein
viel zu kleines ist. Direkte , wenn auch freie Nachahmung be-
stimmter Vorbilder finden wir in den antiken Bauten des Minerva-
206 Die Kirche San Francesco in Assisi.
tempels (erstes Fresko), des Septizoniums und der Trajanssäule
(letztes Fresko).
Kein Zweifel , daß Giotto schon in so frühen Jahren das leb-
hafteste Interesse für die Baukunst hatte und sich mit Entwürfen
im Geiste des toskanischen Inkrustationsgeschmackes beschäftigte.
Die von ihm gezeichnete Fassade von San Damiano erscheint wie
ein Vorläufer der Domfassaden in Orvieto und Siena. Spricht sich
demnach in diesen architektonischen Hintergründen eine künst-
lerische Vorliebe aus, so dienen sie doch zugleich ganz wesentlich
dem Maler zur Raumverdeutlichung. Ein sehr bewußtes und zu
höchst bemerkenswerthen Resultaten führendes Streben nach Dar-
stellung des Perspektivischen ist erkennbar. Die Konstruktionen
desselben erstrecken sich freilich noch nicht auf ganze Darstellungen,
sondern bleiben auf die einzelnen Baulichkeiten beschränkt, zeigen
aber hier Konsequenz und Berechnung, welche es zu überzeugender
Raumwirkung bringt. Ja er darf kühne Dinge, wie die Verkürzung
der Kreuzgewölbe auf der ,, Predigt vor Honorius", die Verjüngung
der Konsolenrundbogen auf ,, Franz vor Innocenz", den schrägen
Einblick in eine Halle auf der , .Erscheinung in Arles", die Ver-
schiebung der Kassetten an der gewölbten Decke auf dem ,,Tod
des Edlen von Celano" wagen , ohne unser Gefühl zu befremden.
Nur durch mit Ernst betriebene und für höchst wichtig gehaltene
Studien wurde dies möglich; wie eingenommen er von denselben
war, zeigt ein nebensächliches Detail : die perspektivische Ansicht
der als Rahmen der Bilder gemalten Konsolenfriese.
Mit solchen Bestrebungen innig verknüpft erscheint schließlich
eine Modellirung der Erscheinungen in Licht und Schatten , wie
sie wiederum der byzantinisirenden Kunst gegenüber etwas ganz
und entscheidend Neues ist. Auch hierin bleibt Giotto innerhalb
gewisser Grenzen, deren Ueberschreitung eine der größten Thaten
Masaccio's und der Quattrocentokunst wurde, doch bedeutet seine
Entdeckung die Aufstellung des später nur weiterentwickelten Prin-
zipes. Indem er die Lichtwirkung von einer bestimmten Stelle
ausgehen läßt, gewinnt er einen wichtigsten Faktor für die Ein-
heitlichkeit des Ganzen. Jene Stelle aber wählt er mit genialer
Berücksichtigung des für die Komposition Günstigen und des im
Vorwurf sich natürlich ihm Darbietenden. Die ersten Versuche
einer charakterisirenden Unterscheidung zwischen Freilicht und
Binnenlicht sind in diesen Wandbildern zu finden , zugleich aber
Giotto und seine Schüler. 267
auch die ersten, sehr kühnen Wagnisse, künstliche Lichtwirkungen
darzustellen , wie die in dieser Hinsicht besonders merkwürdigen
Fresken der „Weihnachtsfeier in Greccio" und der „Beweinung des
Franz von San Damiano" lehren.
Alle diese die Gesetze der Raumwirkung erschließenden Neue-
rungen in der architektonischen Umgebung, in Perspektive und im
Licht sind aber schließlich alle doch eben nur Mittel zu einem
höheren Zweck. Sie dienen dem gewaltigen Ausdrucksbedürfniß
der Seele eines Künstlers, welcher als der erste die Erscheinung
voll und ganz als Offenbarung inneren Wesens erfaßte, und dessen
Stil aus solcher Durchdringung von Seele und Natur entstand !
So sieht man, fassen wir in Kürze noch einmal Alles zusammen,
Giotto im Anfange seiner Laufbahn, halb noch Schüler, halb schon
Meister, durch das Studium der Natur und der Antike sich von
den alten Traditionen befreiend anfangs an den letzten Darstellungen
aus dem großen Cyklus der alt- und neutestamentarischen Szenen,
dann an dem neuen, der Phantasie freien Spielraum lassenden,
reichen Stoffe der Franziskuslegende seine Schule durchmachen.^)
Wir sehen ihn von Schritt zu Schritt mehr Herrschaft über die
Formensprache, größere Sicherheit in der Zeichnung, freieren Aus-
druck für die Darstellung der verschiedensten inneren Empfindungen,
bedeutendere Leichtigkeit in der Komposition gewinnen. So hat
sich in der Oberkirche von Assisi die großartige Wandlung der
Kunst zuerst in Cimabue's ahnend den Weg vorzeichnenden Fresken,
dann , nachdem eine kurze Pause der Erschlaffung eingetreten , in
Giotto 's die Natur und Antike zu Lehrmeistern nehmenden Studien
vollzogen. Das Wesentliche ist bereits geschehen — fortan hat
Giotto nur, die eigene Individualität bewahrend und die gewonnenen
Erfahrungen benutzend , in stetem Zusammenhang seinen Stil zu
entwickeln , bis er das Leben des Johannes in S. Croce schildern
und damit den Höhepunkt seiner Kunst erreichen kann.^)
^) Es scheint angebracht, hier nochmals jene oberen Fresken Giotto's anzuführen.
Es sind : R. Längswand Nr. 13, 14, 15, 16 (die Bilder aus dem Leben Jakob's und Joseph's) ;
1. Längswand, g. (der zwölfjährige Christus im Tempel), h. (die Taufe Christi), p. (die
Beweinung Christi) und q. (die Frauen am Grabe) ; Eingangswand r und s (Himmelfahrt,
Pfingstfest, Petrus, Paulus, Maria mit Kind und Engel) ; femer die Heiligen im Eingangs-
bogen und die Kirchenväter an der Decke.
-) Vergl. mit der oben gegebenen Analyse von Giotto's Jugendstil die sehr be-
achtenswerthe Schrift von J. J. Tikkanen ; Der malerische Stil Giotto's (Helsingfors 1884)
268 Die Kirche San Francesco in Assisi.
Die Stadien der Entwicklung weiter zu verfolgen , sollen uns
die Fresken der Unterkirche dienen, in die wir nun wieder hinab-
steigen. Zuvor aber gilt es noch ungefähr den Zeitpunkt zu be-
stimmen, in dem Giotto zuerst nach Assisi gekommen. Halten wir
daran fest, daß er damals noch sehr jung gewesen sein muß, daß
sein im Jahre 1300 für den Kardinal Stefaneschi in Rom gefertigtes
Altarbild in S. Peter bereits einen Fortschritt gegen die Fresken
bedeutet, so läßt sich das Eine ziemlich sicher behaupten, daß er
vor 1298, in welchem Jahre er nach Rom kommt, zum ersten Male
in Assisi gewesen sein muß, daß also die Bilder der Oberkirche im
Anfang der neunziger, vielleicht zum Theil schon Ende der achtziger
Jahre entstanden sind.^) Zeitlich, aber auch stilistisch schließen
sich ihnen die Fresken der Nikolauskapelle in der Unterkirche an.
Die Kapelle des h. Nikolaus (S. 191. Plan: B).
Diese wie die südlich gelegene Kapelle des h. Giovanni
Batista (Plan: A) sind von dem 1342 gestorbenen Kardinal Na-
poleone Orsini gestiftet und mit künstlerischem Schmucke versehen
worden.^) Von letzterem ist in der Johanniskapelle Nichts erhalten
als einige Glasfenster; Wandgemälde scheinen niemals dagewesen
zu sein und die Nische hinter dem Altar wartet noch heute auf
das Grabmal des Stifters. Jene ältesten Glasgemälde aber, die jetzt
neben anderen aus dem XV. Jahrhundert und einigen ganz modernen
sich befinden und das Wappen der Orsini zeigen, sind für die
Datirung der Kapelle von großer Wichtigkeit. Sie zeigen nämlich
einen durchaus primitiven Stil , die Zusammensetzung aus vielen
kleinen Stücken und ein rein romanisches Ornament, und sind
zweifellos noch im XIII. Jahrhundert entstanden. Der Zeichnung
und die soeben im Repert. für Kunstw. (XXVII, 221) erscheinenden Studien „zur
Stilbildung der Trecentomalerei" von O. Wulff.
^) Woher Vasari die dann nach ihm von Rodulphus (II, S. 185) wiederholte
Angabe hat , daß der General Giovanni di Muro Giotto nach Assisi berufen habe,
ist nicht zu sagen. Wäre sie glaubwürdig, so fiele ein Aufenthalt Giotto's in Assisi
zwischen 1296 u. 1304.
^) Diese Bestimmung bereits in einem alten Verzeichniß der Grabmäler in der
Kirche vom Jahre 1569, das eine Kopie einer älteren Handschrift vom Jahre 1509 ist
(im Archive von S Francesco) : ,Item nella Cappella de San Joan Baptista — sta nella
porta della sacrestia verso 330 Giono (sie !). La fece fare il signor Napolion — nepote
de papa Nicolo terzo : nella quäle ella volse esser sepellito' und : ,Item nella Capeila
di sancto Nicolo sta seppelito il corpo del Sigre Gioan fratello del detto Sig""« Napo-
lione Cardinale, quäl capella ancora esso signor Napolione fece edificare.' — Danach
in der Alten Beschreibung und bei allen folgenden Autoren.
Giotto und seine Schüler. 269
nach könnte man sie noch für vorcimabuesk halten, doch darf man
nicht vergessen , daß gerade in den untergeordneten Künsten der
alte Stil sich meist länger erhält. Später als die neunziger Jahre
des XIII. Jahrhunderts aber möchte ich ihre Entstehung nicht an-
setzen — was für die Gemälde gilt, gilt aber auch vermuthlich
für die Kapelle , da eine Uebertragung der Scheiben hierher nicht
wahrscheinlich ist ! ^)
Einen etwas vorgeschritteneren Stil dagegen zeigen die Glas-
fenstcr der Nikolauskapelle , auf denen neben dem Wappen der
Orsini jener Stifter Napoleone selbst als Bischof in mittlerem Lebens-
alter (Inschrift : fec. fieri hoc opus) und sein Bruder Giovanni Gaetano
(bez dns. Johs) in jugendlichem Alter dargestellt sind. Ein noch
deutlicheres Bild von den Brüdern aber gewinnen wir aus dem
Fresko über dem Eingange, auf dem sie von Franz und Nikolaus
dem Heiland empfohlen werden. Giovanni Gaetano (bez. ,Johannes
Gactanus', in der Stola des Diakonus) sieht hier noch fast wie ein
Knabe von etwa achtzehn Jahren aus, während der Kardinal etwa
ein Dreißiger sein dürfte. Daraus und aus dem Stil wird es uns
möglich, die Entstehung der Fresken, welche die Wände schmücken,
annähernd um die Mitte der neunziger Jahre des XIU. Jahrhunderts
anzusetzen. Offenbar gedachte Napoleone Orsini durch diesen
Freskencyklus das Andenken zugleich seines Verwandten, des 1280
gestorbenen Papst Nikolaus III. und des Nikolaus IV., des ehe-
maligen Franziskanerprovinzials, der ihn zum Kardinal gemacht und
1292 gestorben war, zu feiern.^)
Durch diese Datirung aber gewinnen die Wandgemälde ein ganz
besonderes Interesse : sie sind zu einer Zeit entstanden , als Giotto
selbst, der große Neuerer, noch- ganz jung war, sie zeigen zu den
Fresken der Oberkirche sehr nahe Beziehungen, aber doch eine
größere Freiheit und weisen neben einigen Schwächen der Zeichnung
höchst bedeutende Qualitäten auf Da kann es sich eigentlich nur
^) Eine kurze Beschreibung und geschichtliche Würdigung der für die Kenntniß
der italienischen Glasmalerei höchst wichtigen farbigen Fenster in S. Francesco zu
Assisi wird im Anhange IV gegeben werden.
-) Napoleone wird 1288 Kardinal, f 1342 in Avignon, 1300 ist er als Legat in
Umbrien. Giovanni Gaetano wird 13 16 Kardinal und f 1355 (nach Cardella). Vergl.
Ciacconius: vitae et res gestae Pontificum II, S. 268, 413. — Eggs: Purpura docta.
Monachi 1714. I, S. 247, 311. — Cardella; Memorie storiche di Cardinali 1792. II,
S. 33, III.
270
Die Kirche San Francesco in Assisi.
um die Fragen handeln : ist Giotto selbst oder ein verwandter
Künstler, der schon damals alle die Errungenschaften des neuen
Giotto'schen Stils sich zu eigen gemacht, ihr Verfertiger ? Letzteres
erscheint ziemlich unglaublich , bedenkt man , wie weit selbst ein
Taddeo Gaddi in seinen viel späteren Werken hinter dem Meister
zurücksteht ! Und ein Schüler sollte — und zwar noch vor Ent-
stehung der Arenafresken — bereits im Stande gewesen sein,
Gestalten zu schaffen, wie die großartig frei bewegten, schön ge-
wandeten Apostclfiguren der Sakramentskapelle ? Er müßte sie den
ganz verwandten zwölf Aposteln auf Giotto's Bild in S. Peter, die
ihres Gleichen sonst nicht haben in der florentinischen Kunst jener
Zeit, frei nachgebildet haben — und selbst das wäre wenig glaublich!
Stilistisch sind die Fresken zweifelsohne am meisten der Franz-
legende und dem Bilde in Rom (1298— 1300) verwandt, nur daß
in den Szenen der Nikolauslegende die Figuren viel kürzer ge-
halten sind, die Bewegung steifer, das Detail weniger fein, ja bis-
weilen verzeichnet ist. Die Einzelfiguren in ihrer statuarischen
Haltung, wie ihrer weichfließenden Gewandung, in den sicher en
face gezeichneten Köpfen , in dem zarten malerischen Geschmack
heller Farben, in den weichen transparenten Tönen des Inkarnates
sind von bedeutender Wirkung, ja in der verklärten Menschlichkeit
Christi, wie in der scharfen Portraitcharakteristik der Orsini zeigen
sich die entscheidenden Erscheinungen eines neuen Ideales, welches
die Kunst der Renaissance eben keinem Anderen als Giotto ver-
dankt. In ihm muß ich den Schöpfer dieser Malereien gewahren,
dem vielleicht ein Mitarbeiter geholfen hat. Durchaus mit Unrecht
hat man bisher aus einer Stelle bei Vasari den Schluß gezogen, der
Künstler sei Giottino. Vasari spricht ganz ausdrücklich davon, daß
Dieser die noch erhaltenen Fresken über der Kanzel der Unter-
kirche gefertigt, beschreibt sie auch richtig und irrt sich nur darin,
daß er den Bischof Stanislaus für den Bischof Nikolaus nimmt. ^) —
Betrachten wir jetzt kurz die Gemälde, welche das schmale Tonnen-
gewölbe am Eingange der Kapelle und die daran stoßenden zwei
Wandseiten in vier Reihen schmücken.^)
Das Tonnengewölbe :
I. In einem Gebäude liegen, dem Hungertode nahe, der unglück-
liche Vater und seine drei Töchter, welche Nikolaus vor der
^) I, 627. Vergl. Näheres weiter unten.
^) Von mehreren giebt es Photographieen von Alinari.
Giotto und seine Schüler. 27 1
Schande bewahren sollte. Der jugendhche HeiHge steht en face
rechts auf der Schwelle und reicht, wie es scheint, einen Korb
in das Zimmer herein.
2. Ganz zerstört, nur noch Reste eines Schiffes sichtbar.
3. Vor einer reichen, bunten gothischen Kirchenfassade, die an
jene auf Giotto 's Fresko in der Oberkirche dargestellte von
S. Damiano erinnert, steht der Heilige und segnet einen jungen
Mann, einen um dessen Hals gelegten Strick haltend. Zwei
Leute rechts schauen zu. Links stehen sechs Männer, von
denen sich mehrere einen Strick um den Hals halten. (Abb. 39.)
4. Ein jugendlich bartloser und ein blondbärtiger Apostel, beide
eine Rolle, der erstere außerdem ein Kreuz in der Hand.
5. Vor einem reich gestalteten Stadtthore ist eben ein Henker
im Begriffe den einen von drei knieenden Jünglingen, die un-
gerecht von einem Konsul zum Tode verurtheilt waren, zu
enthaupten, als der von links herantretende Bischof Nikolaus
ihm ins Schwert fällt. Rechts stehen zwei Bürger.
6. Ganz zerstört, nur Reste eines Schiffes erhalten.
7. In einer Halle mit gerader, auf feinen Säulchen ruhender Decke
liegt schlafend der Kaiser Konstantin. Nikolaus schwebt mit
sprechend erhobenen Händen auf ihn zu und befiehlt ihm, die
drei gefangenen Feldherrn Nepotianus, Ursus und Apilius los-
zugeben. Diese sieht man unten hinter einem vergitterten
Fenster, vor dem ein großer Holzkäfig steht. Die Stellung
des Kaisers ist wenig bestimmt angegeben, die Bewegung des
Bischofs etwas matt.
8. Zwei jugendliche Apostel.
Rechte Wand :
9. Lünette. Links steht der Heilige und faßt mit der Linken
ein auf dem Boden sitzendes Mädchen , es zum Leben er-
weckend. Dahinter kniet eine betende Frau und steht ein
Mann mit krampfhaft geschlossenen Händen.
10. Ein am Hofe des Königs der Sarazenen gefangen gehaltener
Knabe steht eben im Begriffe, dem rechts an gedeckter Tafel
sitzenden Herrscher einen Kelch zu reichen, als Nikolaus von
oben herabfliegt und ihn am Haare faßt, um ihn zu entführen.
Links steht ein anderer Knabe vor zwei bei der Mahlzeit
sitzenden Männern.
272 Die Kirche San Francesco in Assisi.
11. Der Heilige, hinter dem eine erstaunte Frau und ein Mann
sichtbar sind, bringt mit beiden Händen ihn haltend den
Knaben, der noch den Kelch trägt, der erstaunten Familie
zurück, die gerade bei Tische sitzt. Höchst lebhaft sind die
Empfindungen der verschiedenen Betheiligten wiedergegeben.
Der Vater umfaßt mit beiden Armen den Sohn , die Mutter
streckt die Arme nach ihm aus, dankend schaut ein Jüngling
mit gefalteten Händen gen Himmel, ein Mönch hebt erstaunt
die Arme.
12. Petrus mit den Schlüsseln, Andreas graubärtig mit Rolle und
Kreuz und ein blondbärtiger Apostel mit Buch.
Linke Wand:
13. Lünette. Ein aufgeregt nach rechts tretender Mann schwingt
in der Rechten eine Geißel gegen das in einem Tabernakel
befindliche Brustbild des heiligen Nikolaus. Es ist der Jude,
der sich an dem Heiligen rächt, weil Dieser ihn nicht vor
Räubern, die ihn ausgeplündert, geschützt hat. Wie der Heilige
ihm das Gestohlene zurückerstattet, ist nicht dargestellt.
Die Felder 14, 15 und 16 haben keine figürlichen Danstellungen,
sondern sind einfach blau gestrichen.
Eingangs wand :
17. In der Höhe über dem Eingangsbogen steht in der Mitte in
einem gothischen Tabernakel , das an die Tabernakel mit
Heiligen in der Capella Bardi erinnert , Christus , eine schöne
ernste Erscheinung, in der Linken Buch, die Rechte erhebend.
Links führt Franz, die Linke erhebend, den knieenden bart-
losen Kardinal Napoleon, rechts Nikolaus den jugendlichen
Giovanni Gaetano zu ihm.
18. Links. Maria Aegyptiaca (oder Magdalena) stehend in einer
Felsenhöhle, betend, ganz in ihre Haare gehüllt.
19. Rechts, Johannes der Täufer in felsiger Landschaft, in der
Linken Zettel, die Rechte ausgestreckt.
20. und 21. Zwei Apostel mit Büchern.
Endlich in der Leibung des Eingangsbogens : auf jeder Seite sechs
Heilige in voller Figur. Rechts : Antonius von Padua, bartlos, mit
Buch; Franz mit Buch und Kreuz; der jugendliche Adrianus, in
der Rechten ein Kreuz ; der jugendliche Georgius mit Schild und
Lanze , auf Drachen stehend ; die heilige Agnes , als Königin , ein
Giotto und seine Schüler. 273
Lamm haltend und die heilige Rosa (?), einen Rosenkranz im
Haar. — Links: Graubärtiger Bischof „Ruphynus" ; Bischof Nikolaus ;
jugendlicher Bischof Sabinus; graubärtiger Victorinus ; die heiHge
Chiara mit der Lilie und die heilige Elisabeth von Ungarn (i^) mit
Lilie und Buch.
Endlich sind noch in den Fensterleibungen zahlreiche Brust-
bilder, zumeist von Bischöfen, erhalten.
Nicht in den Legenden, sondern in den Heiligenfiguren ist das
für die Entwickclung des Giotto'schen Genius Bedeutende zu sehen.
Noch herrscht eine statuarische Feierlichkeit in den einfach groß
gehaltenen Gestalten, aber, mit der Steifheit einzelner in frühester
Zeit ausgeführter Heiliger in der Oberkirche verglichen, erscheinen
sie ausdrucksvoll bewegt. Ein Streben nach Fülle und Weichheit,
in den breiten abgerundeten Gesichtsformen und in dem lang ge-
zogenen Faltenzug der Gewänder bemerkbar, beginnt die Härte
und Schärfe der in der Franzlegende angewandten Formensprache
zu überwinden, ohne doch ihrer schon ganz Herr zu werden. Die
besonders der Darstellung der Frauen zu Gute kommende Wandlung
läßt sich als ein Fortschritt vom Plastischen zum Malerischen be-
zeichnen. Damit hängt die Aufhellung des Tones zusammen: mit
vollem Bewußtsein, Widerspruch gegen die zähe, trübe Fleischfarbe
der Byzantiner erhebend, geht Giotto in der ganz hellen, licht-
grauen , transparenten Stimmung des Inkarnates fast in's Extrem.
Als der Inbegriff des so und zugleich aus viel stärkerer Individuali-
sirung gewonnenen bedeutenden Ideales darf, aus der Mitte aller
dieser würdigen Männer und vornehmen , zart sinnigen Frauen
herausgehoben , die schon erwähnte Gestalt Christi , welcher sich
die Orsini's nahen , bezeichnet werden. Ernst und Milde in dem
von weichem Haar umschlossenen länglichen Antlitz, sanft bewegt
in feierlicher Ruhe tritt uns die hohe Erscheinung entgegen. Aus
den fernen Höhen des byzantinischen goldenen Himmels hat sie
Giotto , vom Geiste des Franz beseelt und als Künstler dem Re-
formator folgend, wieder auf die Erde, zu den Menschen als ihren
Bruder herabgeführt. Mit dem ergriffenen bewundernden Blicke
Napoleone Orsini's schauen auch wir zu ihr empor, die Offen-
barungen ahnend, welche der Schöpfer dieses Bildes uns über
Leben und Leiden des Erlösers zu bringen bestimmt ist.
Dem von diesem Augenblicke an die Phantasie der italienischen
Künstler bis auf Lionardo und Raphael beherrschenden idealen
Thode, Franz von Assisi. lg
274 Die Kirche San Francesco in Assisi.
Typus Christi zur Seite gestellt sind aber in den Orsini's die
frühesten wirklich als solche zu bezeichnenden Bildnisse der italie-
nischen Malerei. Zum ersten Male durften die Besteller eines Ge-
mäldes sich selbst nicht in einer nur symbolischen Weise an-
gedeutet, sondern in ihrer individuellen Erscheinung charakteristisch
wiedergegeben erkennen. Die Porträtmalerei nimmt ihren Anfang!
Als Abschluß der Fresken in der Nikolauskapelle entstanden
zu Seiten des in sie führenden Portales die zwei , schon früher
(S. i66) von uns betrachteten Darstellungen der Erweckung des
Jünglings von Suessa und darüber die Verkündigung. Auch die
ornamentale Einfassung erweist sie als zu den Nikolauslegenden
gehörig. In der Erweckungsszene treten uns weitere Versuche
Giotto's in der Porträtkunst entgegen. Die meisten Köpfe sind
dem Skizzenbuche des Künstlers entnommen, welcher sehr dankens-
werthe Objekte seines Studiums offenbar unter den Brüdern des
Klosters von S. Francesco gefunden hat. Mit dem vollen Anspruch
darauf, unmittelbar als Bildnisse bekannt zu werden, machen sich
die vier den todten Knaben betrachtenden Männer geltend. In
dem vordersten wäre nach einer in Assisi herrschenden Tradition
Giotto selbst zu sehen. Diese Annahme aber ist eine willkürliche
und offenbar aus einer Bemerkung Vasari's entstanden , welcher
sagt, daß auf einem Bilde in diesem Theil der Kirche der Meister
sich selbst abkonterfeit habe. Schon das Alter des Dargestellten
schließt die Berechtigung einer solchen Vermuthung aus. Wohl
aber scheint mir die Aehnlichkeit mit den Giottobildnissen von
Uccello (Louvre) und Gozzoli (Montefalco) dafür zu sprechen, daß
der merkwürdige Kopf des dritten Mannes in jener Gruppe, die
auffallende Physiognomie mit der großen langen Nase, die Züge
des Meisters, welcher nach Petrarca's und Boccaccio's Aussagen
unschön war, uns vor Augen führt.^)
Das Altarbild, das sich über dem Grabe des Orsini befindet,
ist zweifellos von demselben Künstler, der die Wandbilder gemacht
hat. Es zeigt in der Mitte die halbe Figur der Maria, welche das
stehende, sie vorne an der Brust fassende Kind hält, links die Halb-
figur des Nikolaus, rechts die des Franz. In diesem Tafelbilde
aber finde ich viele der Eigenthümlichkeiten einer im Refektorium
von S. Croce zu Florenz befindlichen fünftheiligen Altartafel wieder,
^) Vergl. Näheres hierüber in meiner Monographie über Giotto S. 55 ff. Auch Abb.
Giotto und seine Schüler.
275
welche die Halbfiguren der Maria mit Kind, Johannes des Täufers,
Petrus, Nikolaus und Benedikt enthält und, wie mir scheint, von
Giotto in dieser frühen Periode seines Schaffens gemalt worden ist.^)
Vasari weiß von der Sakramentskapelle zu erzählen, daß sie
ein Werk seines Agnolo von Siena sei, und daß von ihm auch das
Grabmal des Giovanni Gaetano stamme. (Abb. 40.) Auch
diese Angabe ist mit größter Vorsicht aufzunehmen, da offenbar ein
längerer Zeitraum zwischen dem Bau der Kapelle und der Anfertigung
des Monumentes liegt. Giovanni ist nach Ciacconius und Eggs im
Jahre 1339, nach Cardella erst 1355 gestorben. Das schlichte
Denkmal zeigt ihn in ziemlich jugendlichem Alter in einer Nische
ruhend; zwei schlanke Engel, welche ihre Vorbilder in Werken
des Giovanni Pisano haben , ziehen den Vorhang von ihm zurück.
Die Fresken an dem Kreuzgewölbe der Vierung
der Unterkirche, die drei Ordensgelübde: Armuth, Gehorsam
und Keuschheit, sowie die Glorie des Heiligen, die wir später noch
bei Besprechung der Franziskaner- Allegorieen eingehender betrachten
werden, zeigen einen mehr vorgeschrittenen Stil. Es wäre von
höchster Wichtigkeit für die ungemein schwierige Chronologie der
Werke Giotto's, wäre ihr Entstehungstermin urkundlich bekannt.
Dies ist aber nicht der Fall. Wahrscheinlich aber bleibt es,
daß die nach Vasari und Rodulphus von dem Ordensgeneral
Giovanni di Muro (1296 — 1304) an Giotto ertheilten Aufträge sich
auf die Allegorieen (und vielleicht auch auf die in der Nähe be-
findlichen Darstellungen aus dem Jugendleben Christi) bezogen. Da
die Fresken dem Stile nach wohl vor jenen in der Arenakapelle
(1306) anzusetzen sind, ergäbe sich die Zeit zwischen Giotto's
Aufenthalt in Florenz und in Padua, also zwischen 1302 und 1306.
Gegenüber den mächtigen, derberen Formen der Paduanischen
Figuren macht sich in den Allegorieen eine feinere zierliche Emp-
findung geltend , die Profile sind länger , spitziger , von großer
Schönheit, die Gewänder reicher im Fluß mit länger gezogenen
Falten. Auch in der Farbe machen sich Elemente eines zarteren
Geschmackes geltend, aus denen in der jüngsten Zeit einzelne
Forscher geradezu schließen wollten, nur die Zeichnung sei von
Giotto, die Ausführung aber von einem Sienesen.^) Allerdings läßt
^) Früher in der Sakristei, auf Goldgrund. Die kleinen Medaillons oben mit
Christus und vier Seraphim von einem Quattrocentisten in der Art des Baldovinetti.
2) Zuerst Carl Frey: Die Loggia dei Lanzi. Berlin, W. Hertz 1885. S. 58.
18*
276 Die Kirche San Francesco in Assisi.
sich die Vermuthung, daß ein Schüler Giotto's hier mit thätig
gewesen ist, nicht ganz zurückweisen, nur möchte ich die Mit-
betheiHgung desselben auf ein einziges Bild : die Glorie des h. Franz
beschränkt sehen, das durch die derben Formen und den starren
Ausdruck unvortheilhaft von den anderen absticht. Sienesische
Eigenthümlichkeiten aber vermag ich nicht herauszufinden.
Die Darstellungen aus dem Jugendleben Christi
an dem Tonnengewölbe des nördlichen Querschiffes.
Erst Crowe und Cavalcaselle , denen sich Dobbert und
Lübke angeschlossen haben , nahmen für Giotto deren Autorschaft
in Anspruch, nachdem durch Jahrhunderte hindurch Vasari's
unbestimmte Angaben allerlei irrthümliche Meinungen veranlaßt
hatten. Dieser nämlich sagt im Leben des Taddeo Gaddi, daß
Giovanni da Milano gemalt habe ,in Ascesi la tribuna dell'altar
maggiore , dove fece un Crocifisso , la nostra Donna e Santa
Chiara, e nelle facciate e dalle bände istorie della nostra donna'.^)
Dem gegenüber läßt sich von vorneherein behaupten , daß diese
Angaben irrthümlich sein müssen. In der Tribüne befand sich ur-
sprünglich allerdings eine Kruzifixdarstellung, aber das war eine
große allegorische Komposition, die Vasari selbst an anderer Stelle
dem Stefano Fiorentino zuschreibt.^) Ferner sind — wörtlich ge-
nommen — mit den , facciate' und , bände' doch die Wände der
Tribüne selbst gemeint, nicht die des Querschiffs, und endlich sind
die erwähnten Bilder thatsächlich nicht Szenen aus dem Leben der
Maria, sondern aus dem Leben Christi. Viel eher könnte man aus
einem dritten Passus, in dem nach den Allegorieen ganz allgemein
die Fresken der angrenzenden Wände erwähnt werden, schließen,
Vasari habe auch in diesen Werke Giotto's gesehen."^) Mit der Zeit
wird die Konfusion noch größer. Der Padre Angeli liest den Vasari
falsch und macht aus Giovanni da Milano den Giovanni Gaddi,
Sohn des Taddeo.^) Angeli aber wiederum, welcher ,Jo. Gaddus'
druckt, veranlaßt die irrthümliche Entstehung eines Giacomo Gaddi,
') I, s. 585.
^) I, s. 451-
^) I, S. 379. Wobei er freilich irrthümlicher Weise die Stigmatisation des Franz
auch als Giotto's Werk bewundert.
^) CoUis Paradisi S. 35. An der betreffenden Stelle bei Vasari wird nämlich
von den beiden Giovanni gesprochen ; zweifellos aber bezieht sich das entscheidende :
,il quäl Giovanni' auf den Mailänder.
Giotto und ^eine Schüler.
277
der somit von Fea in die Kunstgeschichte eingeführt wird.^) Der
Verfasser der Descrizione vom Jahre 1835 seinerseits, der offenbar
nichts von einem Giacomo wußte, sah Fea's Angabe als ein Ver-
sehen an und setzte getrost an Stelle des unbekannten Giacomo
den wohlbekannten Taddeo Gaddi, der auch in Folge dessen von
Autoren wie Guardabassi, Fratini, Cristofani bis in die jüngste Zeit
angeführt wird , während Rumohr und Kugler wieder auf die erste
Quelle zurückgehend von Neuem Giovanni da Milano nannten. Ich
habe das geschichtliche Werden der verschiedenen Benennungen
hier mitgetheilt , weil es ein höchst lehrreiches Beispiel dafür ist,
wie scheinbar völlig aus der Luft gegriffene Attributionen durchaus
logisch entstehen. Der Einzige, der die Darstellungen der vita Christi
Giotto's Werke nennt, ist Rodulphus.^)
Jedenfalls läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, daß
keiner der uns bekannten Schüler Giotto's, weder Giovanni da Mi-
lano, noch Taddeo Gaddi, noch Maso di Stefano sie gemalt hat.
Entweder sie sind von Giotto selbst oder einem uns unbekannten
Nachahmer, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. Man kann
durchaus mit Recht hervorheben , daß die Kompositionen hinter
den gleichen Darstellungen in Padua zurückstehen, daß man an
ihnen die volle Energie der Gestaltungskraft, die Breite der Zeich-
nung, die Kraft der Farbe in etwas vermißt, daß sich in ihnen wie
in den Allegorieen eine Neigung, lieblich und graziös zu sein,
geltend macht. Auf der anderen Seite aber muß man auf das
Entschiedenste bemerken , daß sie hoch über den Arbeiten eines
Giovanni da Milano , eines Taddeo Gaddi stehen , daß sie in der
Zeichnung stärker an Giotto's beglaubigte Werke, als an die irgend
eines seiner Schüler erinnern und daß sie unbedingt von derselben
Hand wie die Ordensallegorieen sind. Das heißt aber nichts
Anderes , als daß sie Giotto selbst zuerkannt werden müssen , in
dessen Entwickelung sie eine wichtige Phase , nämlich die des
Ueberganges zum Stil der Arenafresken bezeichnen.
Die Erzählung beginnt an der nördlichen Wand, wo über dem
Eingang zur Nikolauskapelle die Verkündigung dargestellt ist, und
setzt sich dann an dem Tonnengewölbe fort. In drei Reihen über-
einander ordnet Giotto die Bilder an und trennt sie durch einen
^) A. a. O. S. 12. Danach auch bei Bnischelli im Guida.
2) A. a. O. S. 398.
278 Die Kirche San Francesco in Assisi.
gemalten Rahmen, welcher durch größere und kleinere, Propheten-
brustbilder enthaltende gothische Vierpässe in geometrisch gerahmte
Felder mit zierlichen Akanthusmotiven und mit kleinen Köpfen in
Medaillons gegliedert ist.
Die Heimsuchung wird uns als erstes Gemälde — welches in
einer alten Zeichnung der Uffizien kopirt erscheint — vor Augen
geführt. Aus ihrem Hause hervorgeeilt empfängt, inniger Bewun-
derung voll, Elisabeth die feierlich und vornehm heranschreitende,
von vier Begleiterinnen gefolgte Jungfrau. Das Bewußtsein ihrer
Gottgeweihtheit läßt Maria in einer fast starren Unnahbarkeit die
scheue Huldigung der älteren Frau aufnehmen. Die aus solcher
Konzeption hervorgegangene Gehaltenheit der Bewegungen verleiht
der Komposition einen an die antiken Werke edelster Zeit ge-
mahnenden Charakter.
Selige Heiterkeit ist dagegen die Stimmung, welche Giotto aus
der Darstellung der Geburt Christi zu uns sprechen läßt. Mit
Giovanni Pisano, dessen für Sant Andrea in Pistoja 1301 gefertigte
Kanzel er gewiß gekannt hat, wetteifert er in lebendiger Natürlich-
keit der Auffassung , ja übertrifft ihn hierin , denn er läßt Maria
das , wie bei den Pisani , in Windeln gewickelte Kind , welches in
den älteren Kunstwerken in der Krippe liegend gezeigt wurde, auf
ihre Arme nehmen und gestaltet die bis dahin in öder Nacktheit
gegebene Felsenumgebung durch Einfügung einer schuppenartigen
Hütte wohnlicher. Die Schaaren jubelnder Engel, welche hier, wie
schon in der Oberkirche mit einem in Nebel sich auflösenden
Unterkörper gezeichnet sind, sind reicher, wie in Wolken, gruppirt.
In der Szene der Hirten und der den apokryphen Evangelien ent-
nommenen Gruppe der hilfreichen frommen Gelome und Salome
erscheinen, wie bei Giovanni Pisano, die in Niccolö Pisano's Werken
gegebenen Motive ausgebildet.
Die immer noch sich bemerkbar machende Vorliebe für Archi-
tektur veranlaßt Giotto , in der Anbetung der h. drei Könige der
Madonna inmitten von zwei dienenden Engeln ihren Platz im
Portikus eines zierlichen Gebäudes anzuweisen (Abb. 68). Mit
königlicher Würde trägt sie das Kind, welches den greisen, hier
wie bei Niccolö Pisano seinen Fuß küssenden Verehrer segnet.
Noch halten sich scheu die zwei anderen Weisen mit ihren die
Kamele zügelnden und geleitenden Dienern in einiger Entfernung
zurück.
Giotto und seine Schüler. 279
In eine den Geist Arnolfo di Cambio 's athmende Kirche führt
uns die nächste Darstellung, die den Augenblick vergegenwärtigt,
in welchem der greise Simeon dem Himmel seine Dankbarkeit, das
Kind in den Armen halten zu dürfen, im Blicke bezeugt und Maria
verlangend die Hände nach diesem ausstreckt. Zahlreiche An-
wesende, unter denen in prophetischer Haltung Hannah steht,
schließen sich wie ein antiker Chor den Hauptfiguren der Handlung
an. Auch hier durfte Giotto ältere Motive in einem neuen, freien
Sinne verwerthen.
Es folgt die Flucht nach Egypten, in welcher genrehafte
Momente, wie der den Esel stachelnde Jüngling, die mit beschwer-
tem Kopfe wandelnde Frau und das durch ein um die Mutter ge-
schlungenes Tuch vor dem Fallen gesicherte Kind mit hohem
künstlerischen Sinn der sanften Feierlichkeit der Stimmung unter-
geordnet sind.
In furchtbaren Kontrast hierzu tritt die erregte Szene des
bethlehemitischen Kindermordes. Mit der gleichen Naivetät, wie die
Pisani, von deren Darstellungen er ausging, hat Giotto diesen
grauenhaften Vorwurf behandelt. Er benutzt ihn, sein dramatisches
Vermögen in dem mannigfachen Schmerzensausdrucke der zu
wilder Verzweiflung getriebenen Mütter zu offenbaren und sucht,
ohne Furcht vor Ueberladung, der Komposition durch im Hinter-
grund geschaarte Fußsoldaten und Reiter der heftigen Bewegung
gleichsam einen Damm zu setzen.
Dann werden wir zur heiligen Familie zurückgeführt, deren
von der Kunst selten behandelte Heimkehr aus Egypten in schlichter
Weise geschildert wird. In der Stadtansicht, welche die Hälfte des
Raumes ausfüllt, stellt der Künstler die Fortschritte zur Schau, die
er seit den Fresken der Oberkirche im Architektonischen ge-
macht hat.
Auch das nächste Gemälde giebt einen und zwar noch höheren
Beleg hierfür in dem wiederum an Arnolfos Stil erinnernden, in
schönsten Verhältnissen gehaltenen Raum, in welchem der zwölf-
jährige Christus einer grösseren Anzahl von Schriftgelehrten die
Wahrheit kündet. Die sehr ausgesprochene Symmetrie der An-
ordnung scheint hier dem Problem klarer Raumbildung zu dienen,
welches mit Hülfe eines ziemhch hoch gewählten, die Rückenansicht
der vorderen Figuren erlaubenden Augenpunktes zu lösen versucht
wird. Die deutlich bemerkbaren zu Grunde liegenden theoretischen
28o I^iß Kirche San Francesco in Assisi,
Konstruktionen bezeichnen eine seit der Thätigkeit in der Ober-
kirche erreichte höhere Stufe der Anschauung.
Den Erzählungen aus der Kindheit Christi ist, da noch Platz
an den Wänden frei blieb , die Kreuzigung hinzugefügt (Abb. 69).
Von jammernden Engeln, gleich Vögeln umflattert, erscheint unseren
Blicken zum ersten Male das aus der Seele des Künstlers aus-
gestrahlte Bild des erlösenden Dulders. Verschwunden ist die er-
schreckend grauenhafte Vorstellung des in krampfhafter Krümmung
die ausgestandenen Qualen noch verrathenden Körpers, wie sie im
XIII. Jahrhundert bis auf Cimabue geherrscht hatte. Nur die über-
langen Verhältnisse des schmächtigen Leibes und das bis zu den
Knieen reichende Hüftentuch zeigen noch den Zusammenhang mit
der Tradition. Was hier zu uns spricht, ist ein anderes : nicht die
Qual gewaltsamen Sterbens , sondern die heiligende Friedenskraft
des Todes drückt sich in der leise zusammensinkenden Bewegung
der fast aufrechten Gestalt, in dem sanft nach vorn sich senkenden,
vom Haare überwallten Haupte aus. Der letzte Blick des nun er-
loschenen Auges scheint die Treuen drunten gesegnet zu haben.
Der Schmerz, den droben am Kreuze die Liebe überwunden, über-
wältigt die noch an die Erde gefesselten verlassenen Liebenden,
Nur Maria ist durch tiefe Ohnmacht dem Leben entrückt, für kurze
Augenblicke in der Abkehr von dieser Welt dem Sohne verbunden,
in den Anderen ringt Liebe und Leid in verzweifeltem Kampfe.
Schon aber verwandelt sich die Stätte unergründlichen Martyriums
in die Stätte des Weltenheiles. Durch Thränen hindurch erschaut
Magdalena die That der Erlösung, wunderbar erwachte Glaubens-
kraft bewegt den heidnischen Hauptmann zum Aufblick nach oben,
und während in banger Scheu die Anstifter der ungeheuerlichen
That von dannen drängen , nahen als Vertreter der gesammten
Menschheit , Zuflucht und Rettung suchend , der heilige Franz und
die Seinen.
Nach solchen Offenbarungen vermag uns die schon früher
(S. 164) besprochene Darstellung eines von Franz bewirkten Wunders,
die Erweckung des aus dem Fenster gestürzten Kindes an der nörd-
lichen Querwand nicht viel zu sagen. Das eigenthümliche Fresko
an der Westwand , welches Franz neben einem gekrönten Skelett
zeigt , wird" uns erst später in dem Abschnitt über die Allegorieen
beschäftigen.
Vergleichen wir diesen ersten bescheidenen Cyklus der Dar-
Giotto und seine Schüler. 28 1
Stellungen aus Christi Leben mit dem späteren, die ganze Erlösungs-
geschichte umfassenden in Padua, so wirken die Bilder in Assisi fast
befangen. Mit zarter Scheu naht sich Giotto dem Stoffe, er möchte
die heiligen Gestalten der Berührbarkeit entziehen, sie wie verklärt
nur in einer gewissen Entfernung zeigen, während er uns in Padua
ein stärkstes Miterleben zumuthet. Dort in der Arenakapelle ist er
durchaus Dramatiker , hier ein Legendenerzähler im Sinne der
umbrischen Laudendichter, wenn auch an Vollendung künstlerischen
Ausdruckes und an Größe des Stilgefühles , welches die Gefühls-
schwclgerei jener naiven Lieder und Dialoge nicht zuläßt, weitaus
sie übertreffend. In der größeren Ausführlichkeit der Schilderung
und in dem freien lyrischen Sichhingeben an Stimmungen dürfte es
begründet erscheinen, daß manches sinnige, ja bezaubernde Motiv
hier erfunden wurde, welches in den Fresken zu Padua keine Auf-
nahme erhalten konnte. Der Unterschied macht sich auch im
Koloristischen bemerkbar. War in der Nikolauskapelle das Streben
nach lichter Wirkung ersichtlich , hatte sich das Bleiche , ja fast
Kraftlose der Farbengebung in den Arbeiten des römischen Aufent-
haltes (1298 — 1300) in eine wärmere und lebendigere Farben-
stimmung verwandelt, so geht der Meister jetzt auf eine noch
höhere malerische Wirkung aus, indem er aber doch die Lokal-
farben , das Blau , Kirschroth , Moosgrün und Gelb ungemein sanft
im Lichte abtönt und ihnen eine zarte Transparenz verleiht. So
wird die Farbenharmonie, deren Eindruck dem einer blühenden
Frühlingswiese gleicht, zum vollkommenen Ausdruck des die Kom-
positionen beseelenden Geistes. Die Gestalten sind noch schlank,
aber besser abgewogen in den Verhältnissen, die Typen zeigen
eine längere Bildung der Nase, als in den vorhergehenden Werken,
die Männerköpfe, namentlich die älteren, haben an Kraft gewonnen.
In jeder Beziehung erscheint der Stil als ein Uebergang von der
Jugendperiode, an welche auch noch der Figurenreichthum gemahnt,
zu der Meisterschaft der reiferen Zeit, wie sie in dem Cyklus der
Arenakapelle sich geltend macht. —
Von einigen Heiligenfiguren, die unter Giotto's Bildern an der
nördlichen und östlichen Wand sich befinden, wird weiter unten bei
Simone Martini die Rede sein , wenn wir den in Assisi thätigen
Sienesen unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Zunächst aber handelt
es sich darum , Giotto und seinen Schülern noch weiter nachzu-
gehen.
282 Die Kirche San Francesco in Assisi.
Die Magdalenenkapelle.
Diese an das Querschiff anstoßende Endkapelle des Längs-
schiffes (s. Plan auf S. 191 : C) ist nach der allgemein verbreiteten
Anschauung von Tebaldo Pontano di Todi, der von 13 14 bis 1329
Bischof von Assisi war, gestiftet worden, und zwar stützt sich
Fea, der dies zuerst ausspricht und dem sich Papini anschliefjt,
auf das Wappen , welches ein dreifaches weißes Thor (Brücke ?)
auf rothem Grunde zeigt. Unsere älteste Quelle : die Alte Be-
schreibung dagegen nennt als Stifter den Pier Damiano, Bischof
von Sabino ; Angeli aber sagt , daß der Raum zur Zeit des Ge-
neralates von Bonaventura geweiht worden, ohne anzugeben, worauf
er sich stützt. Zweimal sehen wir auf den Wandbildern den
frommen Mann , der den Raum mit Fresken geschmückt , einen
Greis mit hageren freundlichen Zügen knieend dargestellt, das eine
Mal wie er die Hand seiner Schutzpatronin erfaßt, ein Käppchen
auf dem Kopfe und in weit fallendem Mantel (Abb. 41) , das
andere Mal im Bischofsornat. — Leider hat man also hier keinen
bestimmten Anhaltspunkt für die Datirung der höchst interessanten
Wandgemälde, welche das Leben der Maria Magdalena, die hier,
wie zumeist schon in jener Zeit, zu einer und derselben Heiligen
mit der Maria Aegyptiaca geworden ist, darstellen. Die älteste An-
gabe eines bestimmten Meisters : und zwar des Buffalmacco, findet
sich erst bei Angeli, der vermuthlich den Vasari falsch gelesen oder
willkürlich interpretirt hat. Letzterer nämlich spricht im Leben des
genannten Künstlers allerdings von zwei Kapellen, die er in der
Unterkirche ausgemalt habe : einmal 1 302 die Kapelle der heiligen
Katharina, das andere Mal die Kapelle des Kardinals Alvaro.^) Nun
ist aber die Capella Albornoz mit der Kapelle der Katharina eine
und dieselbe ! Möglich, daß Vasari thatsächlich unter der letzteren
die der Magdalena verstanden hat. Jedenfalls hilft uns eine solche
Vermuthung nicht weiter, da wir von Buffalmacco's Kunstweise
noch absolut Nichts wissen. Crowe und Cavalcaselle, die, wie Förster,
den ausgesprochenen Giottesken Charakter der Bilder hervorheben,
haben Puccio Capanna als ältesten Schüler Giotto's, Guardabassi
und Fratini dagegen Taddeo Gaddi vorgeschlagen. Muß es denn
aber ein Schüler gewesen sein, spricht nicht Alles dafür, daß der
Meister selbst hier thätig gewesen, daß sicher der Entwurf der
^) I, S, 507 und 517.
Giotto und seine Schüler. 283
Darstellungen, zum größten Theile aber auch die Ausführung von
ihm ist? Ihr Stil ist von solcher Größe, ihr Geist von solcher
Erhabenheit, daß sie einzig mit den Wandbildern der Arenakapelle
verglichen werden können. Wärmer und satter in den Farben als
die Allegorien und die Szenen aus dem Leben Christi im Quer-
schifF gehalten, stehen sie in allen ihren Eigenthümlichkeiten mitten
innen zwischen diesen und den Arbeiten in Padua. Demnach wären
sie kurz vor 1306 entstanden. Zweifelhaft, ob Giotto die Fresken
selbst ausgeführt, dürfte nur ihr Kolorit machen. Der vielfach zu
Tage tretende Verdegrund giebt dem Inkarnat etwas für den Meister
ungewöhnlich Schweres, andrerseits sind die darauf gesetzten Töne
auffallend warm roth. Auch vielen Gewändern ist ein besonders
kräftiges , tiefes Zinnoberroth eigenthümlich , das mir auf sonstigen
Werken Giotto's nicht vorgekommen ist — kurz es bleibt immerhin
denkbar, daß ein sehr begabter Schüler mitgearbeitet hat, will man
nicht besser annehmen, daß jene Erscheinungen für eine bestimmte
Phase in dem Entwicklungsgange Giotto's charakteristisch sind,*)
Betrachten wir jetzt kurz die Gemälde.-)
Linke Wand :
1 . Oben : Maria Aegyptiaca kniet betend nach rechts gewandt vor
dem an einem Altare stehenden, ihr die Kommunion reichenden
Bischof Zosimo. Links schauen drei Geistliche zu. Vier Engel
tragen in der Höhe die Heilige in einer Mandorla gen Himmel.
Einfach, aber höchst bedeutend komponirt. (Abb. 42.)
2. Das Festmahl beim Pharisäer. In einer Halle sitzt links an der
Schmalseite eines gedeckten Tisches Christus, mit der Rechten
^) Eine nahe Beziehung zu den Fresken der Magdalenakapelle zeigt die in einem
jetzt als Palestra ver\vandten Räume des Klosters befindliche Darstellung des von
Engeln umflatterten gekreuzigten Christus, zu dessen Seiten neben Maria und Johannes
die Heiligen Chiara , Bischof Ludwig , Antonius von Padua , Petrus stehen. Es ist
ein höchst bedeutendes Werk, das man doch schwer Giotto selbst zuschreiben mag,
aber von einem Schüler ersten Ranges, dem Kolorit nach eben jenem Meister, der
mit in der Magdalenakapelle thätig gewesen ist, gefertigt sein muß. Es sind große,
monumentale Gestalten, höchst würdig imd bedeutend in Ausdruck und Drapirung der
Gewänder. Was ist das für ein Schüler Giotto's ? Puccio Capanna, Stefano Fiorentino ?
Vorläufig kann man nur zwecklos hin und her rathen. Derselbe ISIeister scheint mir
eine in der Gallerie zu Parma • befindliche Madonna (Nr. 446) gemalt zu haben. Man
hat wohl auch an den sogenannten Giottino gedacht, doch weichen dessen Typen ent-
schieden von denen der Magdalenenkapelle ab.
*) Vgl. Photographieen von Carloforti und Alinari.
284 ^^^ Kirche San Francesco in Assisi.
auf die seinen Fuß küssende knieende Magdalena weisend.
Hinter dem Tische sieht man den nachdenklich Christus an-
schauenden Wirth, Petrus, einen zweiten Pharisäer und Johannes.
Drei Knaben warten dienend auf. Großartig in Bewegung und
Ausdruck, durchaus Giotto's würdig und in seinem Stile.
3. Die Auferweckung des Lazarus. Dem Fresko der Arena sehr
verwandt. Von links schreitet Christus , gefolgt von anderen
Jüngern , feierlich heran und streckt segnend die Rechte aus.
Vor ihm knieen die Schwestern, rechts aber halten zwei Männer,
deren einer den Mantel um das Untergesicht und die Nase ge-
schlagen hat, den stehenden in Leinen gewickelten Erweckten.
Erstaunt fährt dahinter mit erhobenen Armen, in echt Giottesker
Bewegung, ein älterer Mann zurück. Vorn will eben ein Mohr
das eine Ende des von einem Knaben getragenen Sargdeckels
aufheben. Auch hier kann man nicht gut zweifelhaft sein.
Alles weist auf Giotto selbst hin.
4. Ein graubärtiger Bischof (Rufinus.?, Zosimo.^), der die Hand
auf den Kopf eines knieenden Bischofs legt.
5. Eine nach halb links gewandte weibliche Heilige.
Rechte Wand :
6. Oben : Ueber einer felsigen Landschaft tragen zwei Engel die
knieende, betende Maria Magdalena, die in ihr Haar gehüllt
ist, gen Himmel.
7. Das Noli me tangere. Auf felsigem Boden kniet rechts Magda-
lena, sehnsüchtig die Hände nach dem in Strahlenglorie davon-
schreitenden Heiland ausstreckend, der mit der etwas mangel-
haft verkürzten Rechten sie zurückweist , in der Linken eine
Hacke hält. Zwei Engel fliegen über ihnen nach rechts. Links
sitzen zwei andere größere Himmelsboten, deren Köpfe ganz
zerstört sind, auf dem Sarkophag. Die Szene ist hier fast noch
lebendiger geschildert als in Padua, wo die Komposition übrigens
fast genau so wiederkehrt.
8. Das Wunder des Kaufmanns von Marseille. Ueber ein bewegtes
Meer fahrt, von zwei Engeln geführt, ein Nachen, in dem man
Maria, Martha, Lazarus und zwei andere Heilige sieht, in den
durch einen Leuchtthurm und ein Stadtthor charakterisirten
Hafen von Marseille ein. Links im Vordergrunde liegt schlafend
die Frau des Kaufmanns auf der Insel. Ein Schiffer in einem
Giotto und seine Schüler. 285
Kahne naht sich ihr. Giotto hat hier den kühnen Versuch ge-
macht, eine ausgedehnte landschaftliche Szenerie zu geben.
Nicht übel gelang ihm die Perspektive was die Gesammtansicht
betrifft, aber er vernichtete ihre Wirkung vollständig dadurch,
daß er den Nachen mit den Heiligen im Mittelgrund, um ihn
als das Wesentliche hervorzuheben, viel zu groß zeichnete.
Dieser grobe Verstoß gegen alle künstlerische Wahrscheinlich-
keit schreckt den Beschauer zuerst geradezu ab, bei näherem
Zusehen jedoch findet man, daß Großes gewollt und geplant ist,
aber selbst ein Giotto an den übergroßen Schwierigkeiten der
Perspektive scheitern mußte.
9. Die heilige Magdalena , die mit der Rechten den knieenden
alten Stifter hält. (Abb. 41.) Letzterer ist zweifellos dieselbe
Figur, wie der Bischof in 4,
10. Die Halbfigur eines Engels mit Kugel in der Hand.
Eingangswand :
11. Ueber dem Bogen: Zosimo giebt der aus einer Höhle heraus-
schauenden Magdalena sein rothes Gewand.
Fensterwand : Heilige. Links : Frau mit einem Tambourin (}) in
der Hand, bezeichnet: , Maria soror Moisy'; ältere heilige Frau
in einem hemdartigen, Brust und Arme freilassenden Gewände,
mit langem Haar. Rechts : Die heilige Helena mit einem spitzen
Hut auf dem Kopfe, bezeichnet ,Elena mater' ; weibliche Heilige
mit Palme.
Leibung der Eingangsöffnung, an jeder Seite sechs Heilige. Links:
Petrus mit Zettel: ,obedire oportet deo magis quam hominibus';
Matthäus ; jugendliche Heilige in hemdartigem kurzen weißen
Rock, ein Kreuz umarmend; blondbärtiger Krieger; ein Engel;
weibliche Heilige. Rechts: graubärtiger Heiliger; Patriarch oder
Prophet ; Patriarch {}) , wie es scheint eine Art Kugel oder
Globus in der Hand ; Augustinus ; weibliche Heilige ; weibliche
Heilige, die eine Rose hält.
An der Decke in vier Medaillons : Christus , die Rechte erhebend,
in der Linken Rolle ; Martha ; Lazarus ; Magdalena mit Gefäß.
In der Leibung des Fensters : weibliche Heiligenbrustbilder, in der
der Kapelleneingänge: Franziskanerköpfe.
Eine Stimmung tiefen Ernstes und feierlicher Getragenheit ist
den Darstellungen, welche einen Fortschritt zu immer größerer
286 Die Kirche San Francesco in Assisi.
Einfachheit und MonumentaHtät verrathen, im Ganzen, wie in jeder
einzelnen Gestalt aufgeprägt. Der holdselige Erzähler der Legende
von der Kindheit Christi erhebt sich zum Schwünge hymnischer
Verherrlichung des im Menschlichen sich offenbarenden Göttlichen.
In welchem anderen Werke ist der Kuß der Sünderin zu solcher
Bedeutung eines Weiheaktes erhoben worden, wie hier in der Dar-
stellung, welche die Wirkung des Gotteswortes von der alle Schuld
aufhebenden Liebe auf die ergriffenen Seelen zeigt .^ Hat dieses
Bild an unbegreiflicher Tiefe des Ausdruckes den Vergleich mit
Lionardo's Abendmahl zu scheuen.? Es gehört zu den ewigen
Wundern der Kunst! Die Auferweckung Lazari — man kann un-
schlüssig sein, ob man die Erfindung hier oder in Padua höher
stellen soll ! Was Giotto dort verbessern zu können glaubte , war
nur die dramatische und formal aesthetische Beziehung der Gruppe
links zu derjenigen rechts. An überzeugender Veranschaulichung
der Gebetesinbrunst der beiden Frauen konnte kaum Höheres ge-
geben werden, wenn der Meister auch in Padua mit großer Kühn-
heit das Knieen in ein Liegen verwandelte. Und weiter: an der
herrlichen Verkörperung menschlichen Sehnens, wie sie in dem
,, Rühre mich nicht an" gegeben wird, war kaum noch Etwas zu
verändern, nur den Strahlenkranz des verklärten Leibes, den er
gleichsam durch die Siegesfahne ersetzte, ließ Giotto in Padua fort
und milderte den Ausdruck in Christi Antlitz zu menschUcher Theil-
nahme. Mit den durch mächtige, aber doch schlichte Gewandung
drapirten, von starkem, blühendem Leben erfüllten Heiligengestalten
schloß Giotto seine Arbeit ab.
Kehrt man aus dieser Kapelle zur Betrachtung der Allegorieen
über dem Hauptaltare zurück, so drängen sich dem Beschauer
viele Vergleichungspunkte auf: dieselben charakteristischen bärtigen
Männertypen, die sich besonders dem Gedächtniß eingeprägt, be-
gegnen auf dem Bilde der Keuschheit, wie überall in der Ein-
rahmung der Geschichte Christi. Auch die Engelköpfe sind stilistisch
sehr verwandt. Immer klarer wird es uns, daß alle diese Fresken
des Querschiffes, der Nikolauskapelle und der Capeila Pontano auf
einen geistigen Urheber, auf Giotto zurückzuführen sind, daß sich
in ihnen seine frühe Entwickelung im Allgemeinen erfassen läßt : in
der Nikolauskapelle der Uebergang von dem jugendlichen Stile der
Oberkirche zu einem reiferen , der in den Fresken an der Vierung
und am Tonnengewölbe des Querschiffes sich ausgebildet zeigt und
Giotto und seine Schüler, 287
in den auf diese folgenden Gemälden der Magdalenenkapelle endlich
die Erhebung zu größerer, die Paduaner Zeit vorbereitenden Breite,
Wucht und Macht der Formensprache. Bei dem Allen bleibt Manches
noch räthselhaft und der Antheil der Schüler schwer zu bestimmen.
Man kommt über die Vermuthungen nicht hinaus und darf, der noth-
wendig gebotenen Vorsicht wegen , auch nur bei solchen bleiben.
Die Tribuna der Unterkirche soll nach Ghiberti, dessen
Angabe Vasari folgt, ein Schüler Giotto's: Stefano Fiorentino
mit einer allegorischen Darstellung, in deren Mitte sich der ge-
kreuzigte Christus befand, ausgemalt haben. ^) Das unvollendete
Fresko mußte 1623 einem Jüngsten Gericht des Cavaliere Sermei
weichen , und so sind wir für die Rekonstruktion der Darstellung,
von der später bei Besprechung der Franziskaner- Allegorieen aus-
führlicher die Rede sein wird, auf die bei Vasari und in der Alten
Beschreibung enthaltenen Angaben angewiesen. In der letzteren
heißt es: der Stil, namentlich der Kopftypen, habe Etwas gehabt,
was über Giotto hinausgegangen sei und an einen Schüler, etwa
Puccio Capanna, denken lasse — eine Ansicht, welche Rodulphus
referirt. Erhalten dagegen sind die Werke eines anderen Giotto-
Schülers :
Die Fresken über der Kanzel, welche von Vasari , wie
erwähnt worden ist, dem Giottino zugeschrieben werden. Dar-
gestellt ist an der hinteren Wand der Nische die Krönung der
Maria. Die Jungfrau sitzt in blauem Untergewand und Mantel mit
gekreuzten Armen auf einem Thron neben Christus , der ihr die
Krone aufsetzt. Links und rechts befinden sich Schaaren von
Engeln, die leider bis auf die röthlich blonden Köpfe zerstört sind.
Mit Recht behauptet der Aretiner Künstler-Biograph, daß dieselben
„so graziös, von so schöner Empfindung in den Köpfen, so süß
und zart sind, daß sie, rechnet man die diesem Maler eigene Ver-
schmolzenheit der Farben hinzu, zeigen, daß er allen Künstlern,
die bis dahin gelebt, gleichgekommen sei".^) In der That zeichnet
^) Vasari Lemonnier I, S. XX. : nella chiesa d'Asciesi e di sua mano cominciata
una gloria, fatta con perfetta e grandissima arte, la quäle arebbe, se fosse stata finita,
fatto maravigliere ogni gentile ingegno. Vasari (I. Ausg.) Florenz 1550. I, S. 152. —
Vas. Mil. I, 450.
^) I, S. 627. In Ascesi ancora nella chiesa di sotto di S. Francesco, dipinse
sopra il pergamo non vi essendo altro luogo che non fasse dipinto , in un arco a
Die Kirche San Francesco in Assisi.
sich dies Bild durch ein besonderes Schönheitsgefühl und durch
eine eigenartig weiche Farbenstimmung aus. Es steht in der Mitte
zwischen Giotto's Fresken der Peruzzikapelle und Orcagna's Paradies
und hat, wenn irgend ein sonstiges Werk, Anspruch darauf, dem
Meister der Silvesterkapelle in S. Croce, den Vasari Giottino nennt,
gegeben zu werden. Auch die zwei in der Leibung der Nische
befindlichen Darstellungen aus dem Leben des 1253 hier in Assisi
von Innocenz IV. kanonisirten Stanislaus, den Vasari mit dem
h. Nikolaus verwechselt, sprechen durchaus dafür und erinnern
ihrerseits in Typen und Farbe an das tiefgestimmte Bild der ,, Be-
weinung Christi" in dem Korridor der Uffizien. Die eine zeigt den
graubärtigen Bischof, wie er umgeben von betenden Männern vor
einer Kirche einen nackten Jüngling an beiden Händen erfaßt, der
aus einem Grabe emporsteigt. Das andere schildert sein Martyrium :
vor der Tribüne einer Kirche liegt er knieend, ein Mann reißt ihm
den Kopf ab , ein anderer links schwingt den abgerissenen Arm,
ein dritter rechts ein Bein, ein vierter neigt sich zu ihm hinunter.
Offenbar von anderer Hand, bei Weitem nicht so trefflich ge-
zeichnet, aber von ungemein lebhafter Empfindung beseelt ist das
unter dem letzteren Bilde befindliche kleine Fresko eines Christus
am Kreuz zwischen der klagenden Maria und Johannes. Daß Fea
es dem Giovanni, dem Sohne Taddeo Gaddi's gab, beruht
wohl auf einer Verwechslung dieses Kruzifixes mit der Giotto'schen
Kreuzigung im nördlichen Querschiff. Fea ist auch der erste, der
eine in einem Inventar des Archivs befindliche Notiz von einem
Maler Fra Martino entdeckt und auf diese Fresken bezogen hat.
Irrthümlicher Weise sind ihm alle späteren Schriftsteller bis auf
Fratini gefolgt — und so hat der Martinus eine Bedeutung erlangt,
die , wie ich glaube , ihm nicht im Entferntesten zukommt. Die
Notiz nämlich , die unten mitgetheilt wird ^) , da auch Fratini sie
coronazione di Nostra Donna con molti Angeli intomo, tanto graziosi e con bell' arie
nei volti, ed in modo dolci e delicati, che mostrano con la solita unione de' colori (11
che era proprio di questo pittore) lui avere tutti gli altri insin' allora stati paragonato ;
e intomo a questo arco fece alcune storie di S, Niccolo.
^) Inventar (bez. 337 v. J. 1338. Die folgenden Notizen auf S. 3 hinzugefügt).
Anno Domini MCCCXLVII die IX madii reassignavit frater Martinus pictor
fratri Stephano sacriste XVI uncias de azuro et duas libras et X uncias de cinabro
coram fratre Michaela custode fratre Johanne loli frate odduto fratre Bartholomeo et
Johanne tabae (?).
Item habuit frater Martinus pictor de azurro X sacristie pro pergulo ubi predi-
Giotto und seine Schüler. 289
nicht ganz genau wiedergiebt, sagt mit größter Bestimmtheit und
Klarheit aus, daß wiederholt der Bruder Martin im Jahre 1344 und
1347 blaue Farbe erhält und zwar einmal zur Bemalung der Kanzel
in der oberen Kirche. Hierbei konnte es sich aber, da diese ja
mit Reliefs geschmückt ist, nur um eine ornamentale dekorative
Bemalung handeln, wie denn Reste einer solchen auch erhalten
sind. Es läßt sich noch jetzt mit Sicherheit sagen, daß die Säulchen
und Zierglieder blau, das Blattwerk golden waren. Beschränkt sich
hier also die Thätigkeit des Martinus auf eine Bemalung von
Skulpturen, so dürften auch die Malereien, die er im Refektorium
des Klosters ausgeführt hat, nicht mit den Fresken zu identifiziren
sein , die noch zur Zeit des Padre Angeli existirten , jetzt ver-
schwunden sind. Sie stellten Maria mit dem Kinde und mit
Franz, umgeben von Ordensheiligen und seinen zwölf Aposteln dar,
deren einer, jener Giovanni di Capella, als Judas vom Teufel an der
Gurgel gepackt ward. Ebenso entbehrt Fea's Annahme, der Mönch
habe die bereits früher besprochene Kreuzigung im nördlichen
Querschiff und die daselbst befindliche von Simone Martini her-
rührende Madonna mit Kind gemalt, jeder Begründung. Wiederholt
muß hervorgehoben werden, daß Vasari in Bezug auf die Fresken
über der Kanzel der unteren Kirche eine Meinung geäußert, die
durch stilkritische Vergleiche durchaus gerechtfertigt wird. Giottino
scheint in der That in Assisi thätig gewesen zu sein, wenn auch
außer diesen Bildern sonst Nichts mehr erhalten ist, was auf seine
Hand zurückgeht.^)
Nachdem wir im Vorhergehenden die Thätigkeit Giotto's und
seiner Schüler, soweit sie noch heute in der Unterkirche zu Assisi
catur in superiori ecclesia tres uncias. Et hoc fuit de voluntate custodis vicarii et
plurium discretorum.
Item anno Domini MCCCXLIUI die XVII madii habuit frater Martinus pictor
da azurro quindecim uncias. Et hoc de mandato et voluntate fratris Thome vagnoli
custodis ipso presente et fratribus Jacobo camimiis, Stephano dompne pacis Jacobo
Joanis pro pictura refectorii.
Vergl. Fea Descr. S. 11 und 13. — Fratini S. 165 f.
^) Die von Vasari erwähnten Fresken in S. Chiara zu Assisi und eine Madonna
über dem Thore beim Dome sind nicht erhalten. Man hat auch hier Vasari falsch
gelesen und seine Autorität dafür geltend gemacht, daß Giottino die Gewölbefresken
über dem Chor in S. Chiara (die hh. Jungfrauen) gemalt habe, während doch von einem
Wunder der Heiligen: der Erweckung eines todten Knaben, die Rede ist. Vas. I, S. 627.
Thode, Franz von Assisi. ig
290
Die Kirche San Francesco in Assisi.
nachzuweisen ist, ins Auge gefaßt, wenden wir, ehe wir die Ar-
beiten der sienesischen Schule betrachten, unsere Aufmerksamkeit
noch kurz den Kapellen zu , die nördlich an das Längsschiff in
einer Flucht mit der Magdalenenkapelle sich anschließen. Da folgt
dieser zunächst ein kleinerer Raum :
Die Kapelle des heiligen Valentin us (s. Plan S. 191: D),
die nach der Alten Beschreibung von den Grafen von Stropeto
gegründet wurde. In ihr ist der 1302 gestorbene Minister von
England, Hugo de Hergilpo, bestattet.^)
Die Kapelle des heiligen Antonius von Padua
(s. Plan : E). Diese ist nach einer Angabe des alten Registers
der Grabmäler, ebenso wie die Kapelle des heiligen Ludwig und
die des heiligen Martin, vom Kardinal Gentile de Montefiore 1300
gebaut worden. Die Alte Beschreibung hat dieselbe Angabe, fügt
aber hinzu, daß sie, wie das (jetzt nicht mehr vorhandene) Wappen
beweise, später der Familie Lelli angehörte und von dieser an die
Herren von Pesaro und 1474 an den Herzog von Urbino über-
gegangen sei. Der Padre Angeli behauptet, ohne die Quelle an-
zugeben, daß Giottino sie mit Fresken geschmückt, die dann aber
im Jahre 16 10 von Sermei übermalt worden seien. Die im feinsten
Giotto'schen Stile gehaltenen Glasgemälde stellen die Legende des
Heiligen dar.
Die Kapelle des heiligen Laurentius (Plan : F) ist
nach der Alten Beschreibung von Francesco Sforza, dem Herzog
von Mailand, oder von einem Bruder Francesco's, dem Bischof von
Viterbo gestiftet worden, für welche letztere Behauptung nach einer
Notiz des Annotators das Missale Zeugniß ablege, welches der
Bischof der Sakristei für diese Kapelle gegeben. Dies ist zeitlich
nicht denkbar. Es könnte sich höchstens um irgend eine Dotation
handeln. Die Fresken : Reste eines ,, Christus in Gethsemane" und
des ,, Martyriums des S. Lorenzo", sehr roh und ungeschickt,
stammen vielleicht von derselben Hand , wie die weiter unten zu
besprechenden Wandbilder der Katharinenkapelle.
Die Kapelle des heiligen Ludwig (jetzt Stephanus).
(Plan: G.) Nach übereinstimmendem Zeugniß der alten Quellen,
^) Grabplatte: f hie jacet frater Hugo de Hergilpo anglicus magister in sacra
theologia quondam minister Anglie qui obüt III idus Septembris anno dni MCCC
secundo orate pro anima ejus.
Die Sienesen.
291
sowie nach dem Wappen der Glasfenster ist sie von dem Kardinal
Gentile wenn nicht erbaut, so doch ausgeschmückt worden. Zweifel-
haft bleibt es, wann sie zuerst geweiht worden, da der Bischof Ludwig
erst 13 17 kanonisirt wurde. Daß der Stifter, dessen Leichnam 13 12
von Lucca hierher überführt wurde, hier bestattet liegt, sagt schon
das alte Register der Grabdenkmäler.^) Im Jahre 1573 (Vertrag
vom 12. Mai) erhielt Dono dei Doni, Maler in Assisi, von der
Genossenschaft von S. Stefano den Auftrag, sie mit Fresken aus
dem Leben des Stephanus zu schmücken.^) Es ist bekannt, daß
durch lange Zeit seit Padre Angeli's unbegründeter Behauptung
die Ansicht geherrscht hat, jener räthselhafte Andrea von Assisi,
,ringegno', habe die Sibyllen an der Wölbung gemalt, bis Rumohr,
der irrthümlicher Weise Lanzi dafür verantwortlich machte , die
Angaben als ganz willkürliche Phantasieen nachwies.^) Die Glas-
fenster, die nach Fea's unerwicsener Behauptung von Angioletto
da Gubbio sein sollen, sind dem Style nach in der zweiten Hälfte
des XIV. Jahrhunderts ausgeführt. — Früher befand sich hier auch
ein Altarbild des Niccolö Alunno, welches (nach der Alten Be-
schreibung) Christus, umgeben von Maria, Franz, Chiara, Sebastian,
Victorinus, Rufinus und Rochus zeigte, ganz zerstört, aber schon
zu Papini's Zeiten beseitigt war. Später kam an dessen Stelle das
jetzt in der Kapelle S. Giovanni aufgehängte Bild des Spagna
vom Jahre 15 16: Maria mit Kind zwischen Katharina, Franz, einer
weiblichen Heiligen links, König Ludwig, Chiara und Antonius
von Padua rechts.*)
5. Die Sienesen.
Die Kapelle des heiligen Martin (Plan: H), die gleichfalls
vom Kardinal Gentile da Montefiore gestiftet wurde, ist mit Fresken
geschmückt, welche nach Vasari (I, S. 404) von Puccio Capanna,
nach anderen älteren Schriftstellern von Giotto oder Buffalmacco
ausgeführt wurden, seit Fea aber mit Recht dem Simone Martini
zugeschrieben werden. Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß
^) Vgl. über Gentile: Ciacconius a. a. O. II, S. 328. — Eggs a. a. O. I, S. 259. —
Cardella II, S. 56.
*) Der Vertrag bei Fratini S. 312.
*) Ital. Forschungen III, 324 — 330.
■*) Phot. Carloforti.
19*
292
Die Kirche San Francesco in Assisi.
nicht allein der vornehmste Begründer der Florentiner Kunst in
Assisi thätig gewesen ist, sondern auch sein Zeitgenosse, der große
Sienese Simone. Ueber den Zeitpunkt von des Letzteren Aufenthalt
in Assisi ist Nichts bekannt, nur läßt sich aus der Darstellung des
heiligen Ludwig, des Bischofs, schließen, daß er nach 13 17, dem
Jahre von dessen Kanonisation , stattfand.^) Offenbar also hatte
Gentile testamentarisch ein Legat zu Gunsten der Kirche in Assisi
bestimmt."^) Die ausführlichen Besehreibungen der Fresken bei Crowe
und Cavalcaselle, Dobbert und Agnes Gosche überheben uns einer
genaueren Schilderung. ^) In zehn Bildern wird das Leben des
heiligen Martin erzählt.
1 . Martin , auf einem großen , etwas ungeschickt bewegten
Schimmel reitend, theilt seinen Mantel mit einem Bettler, der
aus einem Stadtthor ihm folgt.
2. Christus, mit dem Mantel angethan, erscheint von Engeln
umgeben dem schlafenden Jüngling.
3. Martin wird zum Ritter geschlagen. Der Kaiser umgürtet
ihn mit dem Schwerte, ein Knappe legt ihm den Sporn an.
Gefolge und Musikanten wohnen der Szene bei.
4. Martin weist die ihm vom Kaiser Julian angebotenen Ge-
schenke zurück, im Vertrauen auf das Kreuz, das er in der
Linken hält.
^) Noch 1355 wird in der Kapelle gearbeitet. Im Ausgabenbuch befindet sich
eine Notiz: 1355. 24. Nov. erhalten puciarellus gangloli und stephanus Geld „pro
duobus diebus , quibus juvaverunt ad laborandum in Capella sei Martini", Die beiden
Männer sind sonst als Maurer am Bau der Infermeria thätig (Notiz vom 13. Mai 1355
ebendas.). Offenbar handelt es sich um Reparaturen.
^) Agnes Gosche in ihrer Schrift über Simone Martini (Leipzig 1899) hat neuer-
dings die Vermuthung aufgestellt, daß Gentile nur die Kapelle selbst gestiftet habe, die
Malereien aber im Auftrage des den Franziskanern freundlich gesinnten König Robert
von Neapel , des Bruders des Bischofs Ludwig , ausgeführt worden seien. Die von ihr
geltend gemachten Argumente sind nicht stichhaltig der entscheidenden Thatsache gegen-
über, daß Kardinal Gentile als Stifter auf dem einen Bilde dargestellt ist und auch
sein "Wappen unter den Malereien sich befindet. — Als Entstehungszeit wären, wie sie
nachweist, die Jahre 1318 — 20 oder 1322 — 25/26 oder 1333 — 39 denkbar. Wenn sie
sich für den letzten Termin entscheidet, so dürfte hiergegen die Erwägung, daß es sich
eben um ein Legat des schon 13 12 gestorbenen Gentile handelte, bedenklich machen.
Die Frage ist noch nicht zu beantworten.
3) C. u. C. D. A. II, 243. — Dobbert, K. u. K. III. B. S. 31. A. Gosche a. a. O.
Man vergleiche auch die von Carloforti und von Alinari gefertigten Photographieen.
Die Sienesen.
293
5. Die Auferweckung eines Verstorbenen.
6. Den in Verzückung versunkenen Bischof Martin mahnt ein
Archipresbyter an das Abhalten der Messe.
7. Der Kaiser Valentinian verehrt knieend den ihn segnenden
Martin in einer Halle.
8. Dem die Messe zelebrirenden Heiligen schmücken Engel die
nackten Arme mit Edelsteinen. Ueber ihm schwebt eine feurige
Kugel.
9. Der Tod des Heiligen. Zwei Diakone knieen bei dem am
Boden Liegenden. Ein Geistlicher, umgeben von Volk, liest
die Sterbegebete. Oben tragen Engel die Seele zum Himmel.
10. Die Exequien, die in Gegenwart einer heiligen Frau, singender
Kleriker und Laien ein heiliger Bischof in einer gothischen
Kirche feiert.
11. An der Eingangswand: unter einem gothischen Baldachin
reicht der heilige Martin dem knieenden bartlosen Kardinal
die Hand.
In der Leibung des Eingangsbogens acht Heilige:
12. König Ludwig und Ludwig der Bischof
13. Die heilige Chiara und Elisabeth (?).
14. Antonius von Padua und Franz.
15. Magdalena und Katharina.
Außerdem Brustbilder von Heiligen in den Fensterleibungen.
Eine Fülle von schönen Einzelzügen, Anmuth und Zierlichkeit
der Bewegung, eine ungemein zarte Empfindung, ein ausgesprochener
Sinn für weiche Linienführung, realistische Momente und die Ver-
herrlichung vornehmer höfischer Sitte zeichnen diese Wandbilder
aus. Vielleicht nirgends kann man den Unterschied zwischen dem
männlichen, dramatisch bewegten Genius Giotto's und dem weib-
lichen lyrischen Element der Martini'schen Kunst schlagender
erfassen , als hier in Assisi. Besonders lehrreich aber ist es zu
sehen , wie Simone gleichwohl von Giotto lernt , wie er Dessen
konzentrirte , geschlossene Kompositionen nachzubilden versucht,
wie er sich Dessen Art, die Vorgänge in schöne gothische Archi-
tekturen zu verlegen, zu eigen macht, wie er selbst für einzelne
Bewegungen Vorbilder in den Darstellungen der Franzlegende findet.
Schon Vasari hat aber dem Simone auch jene wenigen Halb-
figuren im nördlichen Querschiffe, die sich unter dem
294
Die Kirche San Francesco in Assisi.
Wunder des Franz befinden, zuertheilt.^) Es sind die Heiligen
Franz, König Ludwig, Elisabeth, Chiara, Antonius, ferner Maria
mit Kind und zwei Frauen, besonders zarte, empfindungsvolle Ge-
stalten mit langen schmalen Köpfen. Daß sie theilweise, wie Vasari
will, von Lippo Memmi vollendet seien, ist nicht wahrscheinlich,
da sie durchaus gleichartig im Style gehalten. Hiergegen könnte
Lippo die Halbfiguren der fünf betenden Mönche gemacht haben,
die unter der Madonna Cimabue's sichtbar sind. Von den „storiette"
und dem ,,crocifisso fatto a guisa d'albero di croce" im Refektorium
ist Nichts mehr vorhanden.-)
Ausgesprochen sienesische Eigenthümlichkeiten zeigen auch die
Fresken im südlichen Querschiff, welche die Leidens-
geschichte Christi darstellen. Die alten, ziemlich eingehenden
Angaben Vasari's , nach denen die Passionsszenen von Puccio Ca-
panna, die große Kreuzigung von Pietro Cavallini und die Stig-
matisation des Franz von Giotto sind , haben sich bis auf Crowe
und Cavalcaselle erhalten.^) Erst diese hervorragenden Forscher
wiesen solch' irrthümliche Auffassung zurück und betonten mit
Recht, daß nur eine Hand hier beschäftigt gewesen und zwar die
eines Sienesen : Pietro Lorenzetti's. Ihrer Ansicht schloß sich
Dobbert an. Nun kann es in der That keine Frage sein, daß der
Styl der Malereien lebhaft an den des Lorenzetti erinnert, doch
scheint es mir zu weit gegangen, sie Pietro selbst zuschreiben zu
wollen. Nach meinem Dafürhalten sind sie nur die Arbeit eines
Diesem sehr nahe stehenden Schülers, der nicht ganz auf der Höhe
seines Meisters sich befindet, aber dessen Manier durchweg sich
angeeignet hat. So lebendig die figurenreichen Darstellungen kom-
ponirt, mit so interessanten besonders bemerkenswerthen realisti-
schen, genrehaften Zügen sie ausgestattet sind, so eindrucksvolle
gewaltsame und phantastische Typen und Motive sie enthalten,
so macht sich doch in den Gestalten ein Mangel an original künst-
lerischer Formenkraft, eine etwas gesuchte, übertriebene Empfindung
geltend. Die Typen sind die Typen Pietro's, aber manierirt, mit
charakteristisch klobig an der Spitze verdickten Nasen. Es fehlt
überall an der Sorgfalt, der Präzision, welche dem großen Künstler
') I, S. 557.
2) Vas. I, S. 558.
3) Vas. I, S. 403. 379. 540-
Die Sienesen.
295
eigen sind. Nichtsdestoweniger bieten die Fresken, was die Kom-
positionen anbetriiTt, ein hervorragendes Interesse. Sie beginnen mit
1. Christi Einzug in Jerusalem. Gefolgt von den aus der Tiefe
heranschreitenden, paarweise angeordneten Aposteln, reitet
Christus segnend dem Thor der Stadt entgegen, aus dem
eine dichte Menge von Männern hervorquillt. Kinder breiten in
lebhaften Bewegungen Gewänder unter der sehr lebendig auf-
gefaßten Eselin , neben der ihr Füllen schreitet , aus , andere
pflücken im Hintergrunde Zweige von einem Baume. Der
Gegensatz zwischen der feierlichen Gestalt des Erlösers und der
aufgeregten, drastisch geschilderten Menge ist sehr wirkungs-
voll , der Fanatismus der langbärtigen Pharisäer von unheim-
licher Großartigkeit.
2. Das Abendmahl. In einer mit antiken Putten geschmückten
Architektur sitzen um einen Tisch herum , zum Theil von
hinten gesehen die Apostel, unter ihnen lauernd verborgen
Judas, der auf den ihm vom hinten befindlichen Christus über
den Tisch gereichten Bissen hinstiert. Links eine merkwürdige
Genreszene, in welcher der erfindungsreiche und auf die Wirk-
lichkeit gerichtete Geist des Künstlers sich besonders deutlich
offenbart : ein Diener , der , in Gesellschaft von Katze und
Hund, mit dem Reinigen der Teller beschäftigt ist, wird von
einem Anderen von dem Vorgang im Saale unterrichtet.
3. Die Fuß Waschung. Christus wäscht Petrus, der an seinen
Kopf mit der Hand fährt, die Füße. Die anderen Apostel
schauen , in zum Theil nachlässigen , sehr gut beobachteten
natürlichen Stellungen zu, einer löst sich die Sandale.
4. Die Gefangennahme. Die Krieger drängen sich von links
durch eine Gartenpforte kommend, um Christus, dem sich
Judas mit unheimlicher Geberde naht. Die Jünger verschwinden,
sich flüchtend, hinter einen Hügel, nur Petrus ist geblieben
und dringt auf Malchus ein.
5. Judas' Selbstmord. Der Verräther, dem die Eingeweide heraus-
quellen, hängt an einem Balken.
6. Die Geißelung. In Gegenwart des antik gedachten, zwischen
zwei Kriegern thronenden Pilatus, wird Christus von zwei
Schergen mit Ruthen gestrichen. Aus dem Fenster eines
Palastes schaut eine Frau mit einem Knaben, der auf der
Balustrade einen Affen laufen läßt. Wieder ein lebendiges
296 Die Kirche San Francesco in Assisi.
kleines Genrebild, auch hier wieder auf der Architektur nackte
Putten.
7. Die Kreuztragung. Christus, gefolgt von den Frauen und
Reitern, ist aus dem Stadtthore hervorgeschritten. Vor ihm
werden die zwei Schacher nach Golgatha geführt. Befehlende,
lebhaft bewegte Reiter bilden die Spitze des Zuges.
8. Die Kreuzigung. Eine sehr figurenreiche Komposition mit
zahlreichen Reitern und Fußsoldaten. Christus am Kreuz von
klagenden Engeln umflattert. Das Fresko ist in seinen mitt-
leren Theilen durch einen später eingebauten Altar zerstört.
9. Christus im Limbus. Mit mächtiger Bewegung schreitet er
über die zu Boden gesunkene affenartige Gestalt des Teufels
mit Federmausflügeln hinweg und reicht einem von Anderen
gefolgten Patriarchen mit phantastischem reichem Haar- und
Bartschmuck die rettende Hand.
10. Die Kreuzabnahme. Nikodemus, Johannes und die Frauen
fangen den eben vom Kreuze gelassenen Leichnam mit schmerz-
licher Bewegtheit in ihren Armen auf Joseph löst eben den
Nagel aus den Füßen, welche Magdalena küßt.
1 1 . Die Grablegung, Die Freunde lassen unter Bezeugungen von
Schmerz und Zärtlichkeit den Leichnam in den Sarkophag
hinab.
12. Die Auferstehung. Von zwei Engelphalangen verehrt steigt
Christus aus dem Sarkophage, vor dem tief in Schlummer
versenkt — wiederum in vorzüglich der Natur abgelauschten
Stellungen — die Krieger schlafen.
Außerdem sind noch folgende Darstellungen zu sehen :
13. Die Stigmatisation. Vor einem Felsen empfangt, erschreckten
Blickes, knieend Franz die Wundenmale von dem schwebenden
Christus. Auf einem Felsblock der Falke. Rechts vor der
Kapelle der Bruder in Lesen vertieft.
14. Madonna mit Franz und Johannes (unten die Kreuzigung),
darüber Christus am Kreuz und das Bildniß des Stifters, eines
bartlosen Bürgers von etwa 40 Jahren, neben dem das Wappen
(springender Löwe in Gold auf weißem Felde).
15. Die Brustbilder von vier Heiligen unterhalb der Kreuzabnahme.
Von derselben Hand endlich ist auch das in der Kapelle des
heiligen Johannes befindliche Tafelbild, welches Maria mit dem
Sonstige Werke der Plastik und Malerei. 297
Kinde zwischen Johannes dem Täufer und Franz darstellt. — Vasari
hat darauf hingewiesen, daß das erwähnte Wappen jenes des Walter,
Herzogs von Athen, sei, was spätere Schriftsteller veranlaßte. Diesen
selbst in dem links auf der Kreuzigung befindlichen heiligen Ritter
zu Pferde zu sehen, aber diese Vermuthung, die Vasari selbst mit
aller Vorsicht als solche hinstellt, entbehrt jeder Begründung. Wer
der Stifter gewesen, in welchem Jahr die Fresken ausgeführt worden
sind, bleibt unbekannt.
6. Sonstige Werke der Plastik und Malerei.
Neben den Malereien, welche das XIV. Jahrhundert in S. Fran-
cesco entstehen sieht, sind auch einige Werke der Skulptur zu
nennen. Das Grabmal des Giovanni Gaetano Orsini ist bereits
(S. 275) erwähnt worden. Einer etwas älteren Zeit, etwa um 1300,
scheint jenes größere Denkmal anzugehören, das als Grabmal der
Königin von Cypern gilt.^) Es befindet sich im östlichen
Querschiffe (Abb. 43). Auf einem durch sieben, ein antikisirendes
Gesims tragende Pilaster gegliederten Unterbau liegt unter einem
hohen, im Kleeblattbogen geschlossenen Giebel ausgestreckt die
Figur des Verstorbenen , vor welcher zwei sehr übertrieben , ja
manierirt lebhaft bewegte Engel den Vorhang wegziehen. Ueber ihr
ist links ein Löwe angebracht, oberhalb dessen eine weibliche Figur
mit übergeschlagenen Beinen sitzt, rechts etwas höher eine Maria
mit dem Kind. Es ist bekannt, daß Vasari dies Werk seinem
Fuccio zuschreibt. Offenbar folgte er zugleich der in Assisi
herrschenden Tradition, wenn er es das Grabmal einer Königin
von Cypern nennt, wie es als solches auch schon in dem Registro
delle sepolture, also 1 509 angeführt wird. Auf jeden Fall darf man
es schwerlich früher als um das Ende des XIII. Jahrhunderts ansetzen,
da es den Einfluß der Pisani, des Niccolö sicher, wenn nicht sogar
schon den des Giovanni zeigt. Es ist eine ziemlich derbe, un-
gelenke Arbeit irgend eines lokalen Künstlers zweiten oder dritten
Ranges. Was die daselbst begrabene Persönlichkeit betrifft, so
scheint Papini's Annahme, daß es der König von Jerusalem, Johann
von Brienne sei, die größte Wahrscheinlichkeit für sich zu haben. 2)
Papini stützt sich nämlich einerseits auf das Zeugniß des Bartholo-
1) Phot. Alinari.
*) Notizie sicure. S. 329.
298 Die Kirche San Francesco in Assisi.
maeus Pisanus in den Conformitates (fructus 8) , andrerseits auf
das Wappen, welches in jedem der vier durch ein Kreuz gebildeten
Felder ein von vier Kreuzen umgebenes Rad mit eingezeichnetem
Kreuze zeigt. Johann von Brienne, der selbst die Franziskanerkutte
trug, ist 1237 ii^ Konstantinopel gestorben; wann sein Leichnam
herübergebracht wurde, ist unbekannt. Vielleicht geschah dies auf
Veranlassung seiner Tochter Maria, Fürstin von Antiochien, die
bald in Ptolemais, bald in Cypern, endlich seit 1268 in Italien lebte
und hier ihre Rechte auf das Königreich Jerusalem an Karl von
Anjou abtrat. Möglich, daß daraus die Legende entstanden ist,
eine Königin von Cypern sei hier begraben, als deren Geschenk
man auch die unweit des Eingangs aufgestellte große Vase be-
trachtete, die sie, mit Gold gefüllt, der Kirche des heiligen Franz
gespendet habe.
Etwas später als dies Denkmal ist das ähnliche, aber reichere
daneben befindliche Grabmal des Niccolö Specchi, das
keine Figuren, sondern nur einen krabbenbesetzten Giebel auf
gewundenen Säulen zeigt, die auf einem mit vielen Säulchen ge-
schmückten Unterbau stehen.^)
Näher läßt sich die Entstehungszeit der Kanzel in der
oberen Kirche bestimmen, die, wie wir gesehen haben, bereits
1347 so weit fertig war, daß sie vom Bruder Martinus bemalt
werden konnte. Sie ist fünfseitig, durch gewundene Säulchen, die
ein reich antikisirendes Gesims tragen , gegliedert , an drei Seiten
mit den Relieffiguren der Heiligen Franz, Ludwig und Antonius
geschmückt , und ruht auf einer mit Akanthusblättern besetzten
Konsole. *) Diese Arbeit nun zeigt in allen Details eine große
Uebereinstimmung mit den Resten jener Kanzel, die an einer Ecke
des Marktplatzes von Assisi erhalten ist. Diese letztere aber ist
nach der in einem Ausgabenbuch erhaltenen Notiz von einem
Nicolaus da Batteno gemacht worden.^) So scheint es mir
^) Das Wappen zeigt drei Ringe. Papini sagt, es bleibe zweifelhaft, ob etwa
hier die Königin selbst begraben liege, oder ob es das für den in Perugia bestatteten
Martin IV (f 1285) bestimmte Denkmal sei. Andere behaupten, ein Niccolo Specchi
ruhe darin. Phot. Alinari.
2) Phot. Alinari.
^) Ausgabenbuch, bez. L. (1352 — 1364): Item die XXI dicti mensis magistro
nicolao de bictonio pro opere pulpiti platee communis ass. im flor. etc. Vergl. auch
Fratini S. 188, wo er irrthümlich Crispolto da Bettona genannt wird.
Sonstige Werke der Plastik und Malerei. 299
sehr wahrscheinlich, daß Dieser auch der Verfertiger der Kanzel
in der Oberkirche ist.
In der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts und später er-
hielten zwei Kapellenanbauten der Unterkirche malerischen Schmuck.
Die ältere und größere ist
Die Kapelle der heiligen Katharina oder del Croce-
fisso an dem östlichen Querschiffe (Plan: J), die vom Kardinal
Egidius Albornoz, eben jenem Wohlthäter der Kirche, welcher,
wie wir gesehen haben, 1353 die neue Infermeria errichtete, gebaut
sein soll. Hier ward er 1367 bestattet.^) Gegenüber den Be-
hauptungen der älteren Schriftsteller neige ich, wie bereits oben
bei Beschreibung der Architektur bemerkt wurde, zu der Annahme,
daß auch diese Kapelle zu gleicher Zeit wie die bereits besprochenen
entstanden ist, und daß der Kardinal sie nur ausgeschmückt hat.
Solche Vermuthung, die sich im Wesentlichen auf die Gleichartigkeit
der Architektur und Anlage stützt, wird durch die Glasfenster be-
stärkt, die offenbar schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts
entstanden und alterthümlicher im Stile, als die in den Kapellen
des heiligen Antonius und Ludwig, sind. Woher Fea die Nachricht
nimmt, sie seien von Bonino von Assisi mit seinen Schülern
Angeletto und Pietro di Gubbio gefertigt, weiß ich nicht.*)
Sind die Glasfenster aber früher als 1354, so sind die Fresken
offenbar viel später, nämlich aus dem ersten Drittel des XV. Jahr-
hunderts. Sie sind Arbeiten eines herzlich schwachen umbrischen
Künstlers, der vielfach Anklänge an die Werke des Ottaviano Nelli
bringt, ohne doch nur entfernt auf Dessen Höhe zu stehen. Es
begegnen in seinen Bildern sehr derbe Typen neben überzierlichen
empfindsamen Frauenköpfen, die Bewegungen sind ungeschickt, die
Behandlung ist roh. Papini meinte in dem Meister den Pace da
Faenza erkennen zu dürfen , der in dem bereits öfter erwähnten
Ausgabenbuche am 21. Dezember 1354 erwähnt wird, doch kann
von Pace ebensowenig die Rede sein, wie von Buffalmacco, welchen
Vasari die Kapelle Katharina ausmalen läßt.**) Nur des ikono-
graphischen Interesses wegen , welches die Bilder haben , seien sie
kurz im Folgenden beschrieben.
^) Registro delle sepolture. — Alte Beschreibung.
*) Descrizione S. 11.
^) I, S. 507 u. 517. Vergl. auch Crowe u. Cavalcaselle. It. A. II, 75 und
D. A. I, S. 323. Sie setzen die Malereien zu früh in das Ende des XIV. Jahrhunderts.
300
Die Kirche San Francesco in Assisi.
Rechte Wand:
1. Katharina vor Maxentius. Sie steht gen Himmel weisend vor
dem von Trabanten umgebenen, auf dem Throne sitzenden
Kaiser. Vor ihr sitzen Leute am Boden. Rechts tanzen Jüng-
Hnge und Mädchen zum Klange der Mandolinen einen Reigen,
wobei die Vordersten, eben auf Katharina aufmerksam ge-
worden, inne zu halten scheinen.
2. Katharina, die Krone auf dem Haupte, kniet vor einem Altar
und küßt ein Marienbild , das ihr ein Mann in grauer Kutte
hinreicht. Rechts sinkt sie, vor dem Altar knieend, ohnmächtig
zurück, während Maria mit dem Kinde ihr erscheint und dieses
ihr den Ring an den Finger steckt.
Linke Wand :
3. Neben dem rechts thronenden Kaiser steht Katharina, nach
oben weisend , mit mehreren links sitzenden Philosophen , die
sinnend zuhören, disputirend.
4. In der Mitte befinden sich die Philosophen im Feuer. Rechts
zuschauende Leute. Links Männer, die mit einem Knaben, der
einen Zettel hält, beschäftigt sind.
Leibung des Eingangsbogens.
5. Links kniet die Heilige, von Schergen am Rücken gepackt, dem
Rade zugewandt, das von zwei Engeln mit Schwertern zerstört
wird. Die Henkersknechte entfliehen. Aus einem Fenster schaut
der Kaiser zu.
6. Vor einem Gebäude mit Renaissancehalle , aus welcher der
Kaiser befehlend herausschaut, hat soeben ein Henker der
betend am Boden liegenden Katharina den Kopf abgeschlagen
und steckt das Schwert in die Scheide, darüber lassen schwe-
bende Engel den Leichnam der Heiligen in ein Grab nieder,
das sich auf einem Berge befindet. ^)
7. In einem Gefängniß rechts kniet Faustina, die Gemahlin des
Maxentius vor der Heiligen. Links draußen wartet ihr Gefolge
mit den Pferden.
8. Ein Henker schlägt der in einer Landschaft knieenden Faustina
in Gegenwart von zuschauenden Leuten den Kopf ab. Darüber
sieht man, wie auf Befehl des rechts in das Schlafgemach ein-
tretenden Kaisers der Fürstin die Brust mit einer Zange ab-
1) Phot. Alinarl.
Sonstige Werke der Plastik und Malerei. ^oi
geknififen wird, während ein andrer Scherge sie an den
Haaren zieht. ^)
9. Drei HeiHge : der Bischof Ludwig , Eugenius und ein dritter
Bischof.
10. Vor dem Papste Clemens kniet der Stifter, ein alter Mann in
Kardinalstracht. Links ein Bischof. Rechts Franz.
In den Fensterleibungen: Brustbilder von den vier Evangelisten,
den Kirchenvätern, Propheten und Aposteln.
Verwandt im Stile und ungefähr aus derselben Zeit wie diese
Fresken ist ein Wandbild im südlichen vorderen Quer-
schiffe unweit des Portals. Es stellt Maria auf einem mit Sta-
tuetten der Tugenden geschmückten Throne dar, in der Linken
eine Lilie, mit der Rechten das einen Stieglitz haltende stehende
Kind fassend. Links steht Antonius Eremita und Franz, rechts ein
Bischof. Auch der Meister dieser Darstellung ist dem Ottaviano
Nelli verwandt , wie man denn vielfach Nelli selbst als Verfertiger
genannt hat. Fea dagegen weiß — offenbar auf eine jetzt nicht mehr
sichtbare Bezeichnung oder ein Dokument gestützt — als Namen
des Meisters : Ceccolo di Giovanni anzugeben und bemerkt
dazu, Niccolö Alunno habe das Fresko um das Jahr 1500 retouchirt.^)
Offenbar später als die anderen Kapellen ist die Kapelle
des Antonius Abbas entstanden, die östlich an das vordere
Querschiff stößt (Plan: K). Heutzutage ist Nichts mehr von den
Fresken zu sehen, die, nach Vasari angeblich von Pace da Faenza
ausgeführt, an ihren Wänden die Geschichte des Heiligen dar-
stellten.^) Die Nachricht des Aretiners erscheint in diesem Falle
sehr glaubwürdig , da , wie erwähnt , in einem Ausgabenbuch am
21. Dezember 1354 ,,Pace pittore" angeführt wird.^) Freilich müßte
dann Pace sich längere Zeit in Assisi aufgehalten haben, da eine
bereits von Fea publizierte Notiz besagt, daß ein Vagnuzzo di Fran-
cesco d'Assisi in seinem Testament vom 2. August 1360 achtzig
1) Phot. Alinari.
2) Descr. S. 10. Phot. Alinari.
^) I, S. 405. Dicesi che costui lavoro in Ascesi in fresco , nella cappella di
Sant' Antonio alcune istorie ddla vita di quel Santo , per un duca di Spoleti ch'e
sotterrato in quel luogo con un suo figliuolo; essendo stati morti in certi sobborghi
d'Ascesi combattendo , secondo che si vede in una lunga inscrizione che e nella cassa
del detto sepolcro.
*) Ausgabenbuch L. Er erhält fünf Gulden. Vergl. auch Fratini S. 193.
302
Die Kirche San Francesco in Assisi.
Gulden hinterläßt, die Kapelle mit Gemälden zu schmücken. ^) Das
noch vorhandene Tafelbild : ein ,, Christus am Kreuze" zwischen
Lionardo , Antonius Eremita , Franz und Chiara ist von T i b e r i o
d' Assisi.^) Die Grabdenkmäler — in architektonisch eingefaßten
Rundnischen auf ruhenden Löwen stehende Sarkophage mit roh
gearbeiteten Figuren der Verstorbenen — bergen die Reste der zwei
im Hinterhalte gefallenen Grafen von Spoleto , Blasco und Garcia. ")
Nur wenige andere Werke bleiben zu erwähnen übrig, wollen
wir das Bild von der Ausschmückung der Kirche in Assisi voll-
enden, nämlich die Chorgestühle der Unter- und der Oberkirche.
Das erstere einfachere ist in den Jahren 1467 — 1471 entstanden, wie
die Notizen in einem Ausgabenbuch lehren. Zuerst ist ein maestro
Paolino da Gubbio daran thätig, dann am 20. Dezember 1467
tritt ,,Apollonio de giovanni dalle ripe transune" (Ripatransone)
ein, als dessen Gehülfe 1468 wiederholt Crispolto da Bettona
genannt wird. Am 6. November 1468 endlich erscheint als Mit-
arbeiter Tom maso da Fiorenza, dem die ,,quadri di prospettiva"
übertragen werden. Im April 1471 war die Arbeit vollendet.'*)
Das längere Zeit in einem Räume des Klosters aufbewahrte
Chorgestühl der oberen Kirche übertrifft an reichem bild-
nerischen Schmucke bei Weitem das andere. Die obere Reihe der
Sitze zeigt über Muschelnischen gothische Giebel mit Renaissance-
Blattwerk und an den Lehnen breit und großartig gezeichnete
Brustbilder. Diese stellen neben der Verkündigung , den Portraits
Sixtus' IV. und des Stifters Generals Sanson die bedeutendsten
Franziskaner dar. Die untere Reihe der Sitze hat statt der figür-
lichen Intarsien Darstellungen der verschiedensten Art. Eine In-
schrift nennt uns den Stifter und den Künstler :
M. F. Sanson Generalis fieri curavit dominicus de Sancto Severino me fecit
MCCCCCI.
Wie lange Domenico von San Severino an diesem durch
Geschmack und Feinheit gleich ausgezeichnetem Werke gearbeitet.
^) Fea. S. 1 1 : Vagniutius Francisci de Assisio reliquit Capellae s. Antonii in
ecclesia s. Francisci pro picturis et aliis ornamentis fiendis octuaginta florenos auri etc.
1360. Rogat. Angelus qu. D. Mutii de Assisio not. rog. — Vergl. Fratini S. 198.
2 Phot. Alinari.
3) Phot. Alinari.
* S. Ausgabenbuch v. J. 1467 (geht bis 1490). Nach dem obigen sind die
älteren Angaben, auch die bei Fratini S. 266, zu ergänzen.
Sonstige Werke der Plastik und Malerei. 303
bezeugt ein Ausgabenbuch im Archive. Bereits am 3. August 1491
wird der Vertrag mit dem ,magister dominicus', der hier der Sohn
eines Antonius von Sanseverino genannt wird, abgeschlossen. Als
Preis werden 770 Dukaten festgesetzt. Als Gehülfen finden sich
erwähnt : Niccolö, der Bruder des Meisters, Pierantonio und Fran-
cesco Acciaccaferro, Giovanni di Pier Jacopo, alle aus Sanseverino
stammend. ■^)
Dies Chorgestühl ist das letzte große künstlerisch vollendete
Werk, das die Kirche des Franz entstehen sieht. Was die folgenden
Jahrhunderte noch geschaffen : die Holzschnitzereien an den Thüren
der Unterkirche, von Niccolö d'Ugolino von Gubbio 1550
gefertigt, die Fresken Dono's dei Doni in der Ludwigskapelle,
im großen Klosterhofe (Leben des Franz), im kleinen Refektorium
(das Abendmahl), die Wandmalereien des Cesar Sermei von
Orvieto und des Girolamo Martelli von Assisi in dem süd-
lichen vorderen Querschiff, in der hier angebauten kleinen Kapelle
des h. Sebastian , in der Tribüne und in der Sakristei , die von
Stefano d'Assisi 1626 gefertigten Sakristeischränke vermögen
nach Allem, was wir gesehen, unser Interesse nicht mehr zu fesseln.
Ehe wir aber die Basilika verlassen, werfen wir noch einmal
einen Blick auf ihre erste Geschichte , auf den gewaltigen Auf-
schwung, welchen die Kunst in ihren Mauern genommen, zurück.
Wir haben gesehen, wie unter der eifrigsten Betheiligung nicht
allein der italienischen, sondern auch der fernen nordischen Ver-
ehrer des Heiligen schnell und kühn der merkwürdige Bau sich in
der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts erhob — eines der frühesten
gothischen Denkmäler in Italien. Nicht ein Deutscher, nicht der
fabelhafte Jacopo des Vasari ist der Erbauer gewesen, sondern
Filippo de Campello, dessen Heimath dem Stile nach in der Lom-
bardei zu suchen ist. Noch während an der Kirche gebaut wird,
werden bereits die Maler herbeigerufen, sie zu schmücken. Dem
Giunta von Pisa, der 1236 für Elias ein Kruzifix fertigte, ist jener
andere unbekannte gefolgt, der das alterthümliche Portrait des
Franz geschaffen. In den sechziger und siebziger Jahren desselben
Jahrhunderts ist dann der Meister des Franziskus thätig, die Wände
^) Ausgabenbuch, das mit 1491 beginnt und bis 1498 geht. Bis zum 18. Nov.
werden die einzelnen Posten , die bis dahin 663 Dukaten ausmachen , aufgeführt. —
Vgl. auch Fratini S. 277.
304
Die Kirche San Francesco in Assisi.
der Unterkirche mit den Bildern aus dem Leben des Franz und
Christi zu zieren, vielleicht mit Hülfe des jugendlichen Cimabue,
der hierauf in den achtziger Jahren den Chor und das Querschiff
der oberen Kirche ausmalt und die gewaltigen Werke schafft, an
denen eine Reihe von Schülern lernt, die ihrerseits das Langhaus
mit biblischen Szenen schmücken. Aus ihrer Mitte heraus aber
erhebt sich mit seiner neuen Anschauung der Natur, mit seinem
Studium der Antike Giotto, der die letzten Fresken an den Wänden
oben vollendet und dann allein zurückbleibt, um in achtundzwanzig
Bildern das Leben des Franz zu dem großen neuen Stoffe der
christlichen Kunst und damit sich selbst zum Begründer der großen
neuen christlichen Kunst herauszubilden. Die Thätigkeit, die er in
der Oberkirche gefunden, setzt er dann bis in das erste Jahrzehnt
des XIV. Jahrhunderts mit Unterbrechung in der unteren fort : die
Fresken der Nikolauskapelle, der Magdalenenkapelle, des nördlichen
Querschiffs , der Vierung entstehen vermuthlich in dem Zeitraum
bis 1306. Ob Giotto es nicht nach Allem auch vielleicht gewesen,
der, damals schon mit Liebe und Begeisterung architektonischen
Studien ergeben, die vielleicht um einige Jahre früher als 1300
entstandenen Kapellen gebaut hat.?' Nur vermuthungsweise darf
dies geäußert werden, aber wie mir dünkt, spricht wohl eine große
Wahrscheinlichkeit dafür, daß derselbe Künstler, der in jenen Jahren
die innere Ausschmückung leitete, auch die Neubauten entworfen
hat. Aus der Zahl seiner Schüler tritt nur ein uns dem Namen
nach bekannter hervor: Giottino, der die Fresken über der Kanzel
gemacht — Andere wie Stefano und Buffalmacco bleiben in Dunkel
gehüllt. Aber Giotto's Einfluß äußert sich auch in den Fresken-
cyklen, die Simone Martini, die ein Schüler des Pietro Lorenzetti in
Assisi malten — er klingt in späten umbrischen Schularbeiten, wie
den Bildern der Kapelle S. Katharina, aus. So kann man mit Recht
wohl sagen, daß Giotto mit seiner Kunst der Kirche seinen Geist
eingeprägt, daß seine Kunst, wie sie hier aus der seiner Vorgänger
kühn emporgewachsen ist, hier ihre eigentliche Heimath gefunden
hat. Franz von Assisi und Giotto sind die beiden Namen, die
man gerührt und dankbar in der stillen Kirche verehrt — die
segnende Hand des Franz hat über der jungen Kunst geschwebt,
ihre Jugendjahre geleitet, ihr die großen Ziele gewiesen — die
Kirche, in der er begraben, ward die Wiege der neuen christ-
lichen Kunst !
VIERTER ABSCHNITT
DIE FRANZISKANERKIRCHEN IN ITALIEN
I. Allgemeine Bemerkungen.
Ein Studium der italienischen Bettelmönchkirchen ist fast
gleichbedeutend mit einem Studium der gothischen Architektur
in Italien. Dem einfach gewaltigen Bau in Assisi, dessen Entstehung
und Eigenthümlichkeit wir im vorhergehenden Abschnitt betrachtet
haben, folgte in schnellem Aufeinander die Gründung von Kirchen
in fast allen großen wie kleinen Städten des Landes. Allüberall
entstanden Niederlassungen, anfangs nur von wenigen Mönchen
bewohnt, klein und unscheinbar, schwer zu entdecken inmitten der
großen, reichen Stätten des Kultus und der trotzig ragenden Burgen
und Paläste des kriegerischen Adels — als aber bald in einer fast
ohne Gleichen in der Geschichte dastehenden Weise sich die Zahl
der armen , bettelnd von Haus zu Haus ziehenden Brüder mehrte,
genügten die dürftigen Zellen nicht mehr, sie aufzunehmen. Aus
den ersten eiligen Niederlassungen wurden Klöster, aus den Bet-
kapellen Kirchen, welche bald, um die Menge der Gläubigen fassen
zu können, Verhältnisse gewannen, die weitaus die anfangs gewohnten
Maße überschritten und mit denen der Kathedralen und Metropolitan-
kirchen wetteiferten. Vergebens traten der alten Einfachheit er-
gebene , wahre Nachfolger des heiligen Franz der zunehmenden
Prachtliebe entgegen — die Macht und Bedeutung des Ordens
verlangte ihren Ausdruck auch nach außen hin ! Schon Franz selbst
hatte gegen das Verlangen nach Repräsentation und Bequemlichkeit
zu kämpfen gehabt, gegen die reiche Anlage der Klöster geeifert
und war einst in Bologna nicht bei den Seinen eingekehrt, allzu-
Thode, Franz von Assisi. 20
3o6 Die Franziskanerkirchen in Italien.
entrüstet über das „Haus der Brüder", das er sofort selbst den
Kranken zu verlassen befahl, wie er selbst auch nie wieder in die
Zelle zurückkehrte, die ein Bruder ,,des Franziskus Zelle" genannt
hatte, als läge schon darin ein unrechtmäßiger Anspruch auf Besitz, i)
,,Ist das," hatte er in Bologna ausgerufen, ,,der Wohnsitz der armen
Evangelischen.? Sind das die großen stolzen Paläste der kleinen
Brüder ? Dies Haus erkenne ich nicht als das unsere an, nicht halte
ich Die für meine Brüder, die in ihm bleiben. Darum befehle ich
ernst, daß Alle, die den Namen der Minderbrüder behalten wollen,
unverzüglich hinausgehen und den Reichen dieser Zeit ihre Be-
hausung überlassen." — Es war mit dem Verbote gegangen, wie
mit dem der Gelehrsamkeit. Dem Einzelnen durfte es ein Herzens-
bedürfniß, ein Ideal werden, nicht nur arm im Geist zu leben, wie
es das Evangelium vorschrieb, sondern auch ohne Besitz äußerer
Güter und äußerer Stellung : der Gesammtheit war das nicht möglich.
Sie hatte Aufgaben der Menschheit gegenüber, die ohne die Hülfe
vielseitig ausgebildeter geistiger Thätigkeit, ohne die Waffen scharfen
Verstandes ebensowenig zu lösen waren, wie ohne die Mittel einer
imponirenden , Großes versprechenden äußeren Erscheinung. So
sehen wir bald die Franziskaner-Gelehrten als voll bewährte Streiter
auf dem Kampfplatz der großen Universitäten auftreten, so sehen
wir die Franziskaner -Prediger ihres Amtes in mächtigen, weiten
Kirchen walten, in die sich zu Tausenden die ihre alten Kultus-
stätten verlassende Menge drängt.
Die italienische Baukunst des XIII. Jahrhunderts läßt sich kurz
als die Baukunst der Franziskaner und Dominikaner bezeichnen —
in ihren Kirchen ersteht und bildet sich die Gothik aus. Was die
Karmeliter und Serviten daneben schaffen, kommt verhältnißmäßig
wenig in Betracht. Im vorhergehenden Jahrhundert waren es die
Cisterzienser gewesen, von denen ein bedeutender und weithin
wirkender Impuls ausgegangen war; doch war dieser auch in
mancher Beziehung ein sehr eingreifender gewesen, so steht die
Zahl und Größe ihrer Kirchen doch weit hinter derjenigen der
Bettelmönchbauten zurück. Waren doch die Bettelmönchorden die
ersten, die in den Städten ihren eigentHchen Sitz aufschlugen, die,
damit die Abgesondertheit des Klosterlebens aufgebend, in enge
mannigfache Beziehung zu dem Volke traten, das seinerseits nun
1) Th. n Leg. III, c. 2—5. S. 92 flf.
Allgemeine Bemerkungen. 307
die große Aufgabe übernahm , den geistlichen Freunden würdige
Stätten der Wirksamkeit zu schaffen und auszustatten. Hatten die
besitzlosen Orden nicht selbst das Geld, weit ausgebreitete Kloster-
anlagen, große Kirchen zu bauen — jeder Bettler schätzte sich
glücklich, sein Scherflein dazu beizutragen! Der Reiche hatte wie
der Arme die schrankenloseste Verehrung für diese Mönche, welche
die liebevollen Berather des Einen und des Anderen waren. So
finden wir denn auch die Kirchen des Franz und Dominikus im
kleinsten Flecken ebenso gut wie in der größten Stadt und dürfen uns
über ihre verschiedenartige Gestalt und Ausdehnung nicht wundern.
Der bescheidene einschiffige Bau im Landstädtchen mit seiner Holz-
decke, seinen einfachen Mauern, seiner schlichten Fassade ist er-
klärlich , wie die riesengroße vielschiffige , kapellenreiche Gewölbe-
kirche in der reichen Handelsstadt. Die Ausdehnung und Ausstattung
der Kirchen steht durchweg in der engsten Wechselbeziehung zu
der Größe, dem Reichthum des Ortes. Man könnte so weit gehen
zu sagen : die Bedeutung, der Wohlstand eines solchen im XIII. Jahr-
hundert läßt sich nach den Kirchen der Bettelmönchsorden bemessen.
Von einem in Italien allgemein für die Bauten gültigen formellen
Prinzip in dem Sinne, wie es für die Cisterzienser möglich gewesen
war, kann daher nicht die Rede sein. Wir werden sehen, daß gleich-
wohl gewisse Eigenthümlichkeiten den meisten Bauten gemeinsam
sind, daß sich Gruppen innerhalb des Ganzen ausscheiden lassen,
zugleich aber auch, daß wir in der Betrachtung die Franziskaner
und Dominikaner nicht gesondert behandeln können, da sie — in
ihrer geistigen Richtung und Thätigkeit so verschieden — in dem
Bau ihrer Kirchen dieselben Zwecke und Ideale verfolgen. Dabei
ist es natürlich schwer zu sagen, welcher der beiden Orden zuerst
gewisse Typen des Grundrisses, wie z. B. den umbrisch-toskanischen,
aufbringt, schließlich ist dies auch nicht von großer Wichtigkeit.
Der erste maßgebende Anstoß erfolgt im Allgemeinen doch von
Assisi und Umbrien aus, und damit spricht die größere Wahrschein-
lichkeit dafür, daß auf diesem Gebiete die Franziskaner die maß-
gebenden gewesen sind. Die wechselseitigen Einflüsse zu be-
stimmen, wird im Verlaufe der Arbeit wiederholt Gelegenheit sein.
Vergleicht man die Mehrzahl der Bettelmönchkirchen in Italien,
so stellt sich zunächst heraus, daß ihnen fast durchweg eine gewisse
Anlage der Osttheile gemeinsam ist, und zwar ist es jene Anlage
eines von Kapellen flankirten Altarhauses, die bereits früher den
3o8 Die Franziskanerkirchen in Italien.
Cisterziensern eigenthümlich gewesen. So kann es auch keine Frage
sein, daß die Baukunst der Cisterzienser, nicht allein was den
Kirchengrundriß , sondern auch was die Konstruktion einzelner
Theile anbetrifft , das Vorbild gegeben hat , an welches sich die
Bettelmönche in Italien hielten. Von einer kleinen Gruppe von
Kirchen abgesehen, welche den traditionellen Typus der romanischen
Basilika beibehält, lassen sich sämmtliche Bauten der Franziskaner
und Dominikaner, sowohl die gewölbten norditalienischen , wie die
holzgedeckten einfacheren umbrisch - toskanischen , auf die Grund-
formen der Cisterzienser zurückführen. Die nachfolgende Be-
trachtung der einzelnen Werke kann in dieser Beziehung im Großen
und Ganzen nur bestätigen , was im Einzelnen schon Schnaase,
Burckhardt und Springer bemerkt haben , dürfte aber auf Grund
einer mehr zusammenfassenden und vielseitigeren Vergleichung
auch ein allgemeineres Resultat ergeben, nämlich die Thatsache,
daß die italienische Gothik überhaupt ihren wesentlichen Charakter
der Cisterziensergothik verdankt, daß diese, wenn auch vielfach
modifizirt und umgewandelt, doch anregend und bestimmend wird
für die italienische Baukunst des XIII. und XIV. Jahrhunderts. Die
Vermittlerrolle aber zwischen Frankreich und Italien spielt der
Orden der Franziskaner.
Auch in diesem Falle kann man an Stelle eines scheinbar will-
kürlichen Spiels des Zufalls das ewige Gesetz innerlich konsequenter
Entwicklung erkennen. Weil der Franziskanerorden der Nach-
folger und Erbe der Cisterzienser wird , übernimmt er mit vielen
Vorschriften und Eigenthümlichkeiten der letzteren auch die Grund-
form von deren Gotteshäusern — und weil er verbunden mit der
Dominikanergemeinde die geistige Führung des Volkes und die
eigentliche kulturelle Gewalt in Italien für zwei Jahrhunderte er-
langt, wird die Baukunst der Bettelmönche, die aus derjenigen der
Cisterzienser entstanden ist, die Baukunst ganz Italiens. Den Zu-
sammenhang deutlich zu erkennen, sei es an dieser Stelle vergönnt,
einen Blick rückwärts zu werfen und die Beziehungen zu prüfen,
die zwischen dem Orden des Bernhard von Clairvaux und dem-
jenigen des Franz vorhanden sind. Offenbar nehmen die Cister-
zienser zwischen der aristokratischen Genossenschaft des älteren
Benediktinerthums, wie es seine vollste Ausbildung in den Clunia-
zensern erreicht hat, und der demokratischen Gemeinde der Bettel-
mönche eine Mittelstellung ein. Suchen sie, hierin noch ganz unter
Allgemeine Bemerkungen. 300
dem Banne der Tradition, auf der einen Seite ihr Heil in dem
abgeschlossen von der Welt zurückgezogenen, einsamen Leben auf
dem Lande, welches der Arbeit und dem Gebete, der inneren
Kontemplation geweiht ist, so macht sich andrerseits in ihrer
Organisation ein neues demokratisches Prinzip geltend : an Stelle
der Regierung eines einzelnen Abtes tritt für sie als gesetzgebender
Körper das Generalkapitel , auf welchem die Vertreter der ver-
schiedenen Klöster gleichberechtigt erscheinen. Diese positive Er-
rungenschaft einer neuen Zeit kommt dem später entstehenden
Orden zu Gute : sicherlich ist die Verfassung der Franziskaner
Nichts als eine Fortbildung der Cisterzienserverfassung. Aber auch
die einzelnen Normen der Armuth , des Gehorsams , der Askese
finden sich bei den Cisterziensern in einer Weise ausgebildet, die
lebhaft an die strengen Satzungen des Franz erinnert, wie ja auch
die vertiefte religiöse Auffassung eines Bernhard nur wenig sich
von der des Franz unterscheidet. Daß trotzdem eine große Kluft
zwischen den beiden Orden liegt, daß ihre eigentliche Tendenz
eine ganz verschiedene ist , erklärt sich , wie wir oben gesehen
haben, daraus, daß ursprünglich Franz nicht aus den Anschauungen
des älteren Ordens, sondern vielmehr aus der Opposition gegen
das hierarchische Wesen, aus den Sekten hervorgeht, welche das
apostolische Leben und die Thätigkeit der Predigt für sich ver-
langen. So läßt sich denn der Einfluß der Cisterzienser auf den
Franziskanerorden wohl am ersten dahin definiren und erklären:
als die Gemeinde des Franz im vollen Bewußtsein ihrer neuen,
von allem früheren Mönchswesen verschiedenen religiösen Aufgabe
des in Armuth verbrachten, der Predigt gewidmeten apostolischen
Lebens nach Normen sucht, die für ihre Organisation bestimmend
sein sollen, entlehnt sie dieselben dem Orden der Cisterzienser,
dessen Strenge und altchristliche Reinheit ihrem Ideale am nächsten
kommen dürfte.
Die Satzungen der Bethätigung äußerster Armuth nun aber,
die Franz auch für die Bauten des Ordens gewahrt wissen wollte,
gehören mit in die Reihe der bereits von den Cisterziensern
normirten. Bekannt sind deren älteste Vorschriften für das Gottes-
haus : es soll einfach, ohne jeden Schmuck sein, ohne farbige Fenster,
ohne Wandgemälde, ohne kostbare Geräthe, ohne Thürme. Bekannt
sind Bernhards gegen die reiche Ausstattung der Kirchen gerichteten
Worte. Bekannt sind endlich zahlreiche Bauten, in denen dieses Ein-
3IO Die Franziskanerkirchen in Italien.
fachheitsprinzip verwirklicht erscheint. ') Ob auch der Orden der
Franziskaner schon während der ersten Jahrzehnte seines Bestehens
ähnliche bestimmte Vorschriften für den Bau gehabt , erscheint an-
gesichts der sehr verschiedenen Bauten mehr als zweifelhaft. Jeden-
falls sehen wir an den ältesten Kirchen in Umbrien und Toskana das
Bestreben nach möglichster Schlichtheit mit Erfolg durchgeführt. Zu
gleicher Zeit aber entstehen in Norditalien bereits sehr großartige
Gotteshäuser, wie dies bei der rasch zunehmenden Devotion in den
reichen großen Städten nicht verwunderlich ist. Die ersten be-
stimmteren Normen für den Kirchenbau stellt Bonaventura 1260 in
seinen „statuta capituli generalis Narbonensis" fest, und diese sind
zum Theil geradezu eine Wiederholung der Cistenzienservorschriften :
man höre die entsprechenden Paragraphen !
§ 8. Die Kirchen sollen nicht gewölbt werden, außer über dem
Hauptaltar und nur mit Bewilligung des Generalministers. ^)
§ 15. Da aber eine überflüssige und sehenswürdige Ausstattung der
Armuth widerspricht, ordnen wir an, daß man je nach dem
Brauch des Ortes streng vermeide, die Gotteshäuser durch
Bilder, getriebene Arbeiten, Fenster und Säulen, ebenso durch
besondere Länge und Breite zu einer Sehenswürdigkeit zu
machen. ^)
§16. Auch sollen ferner nirgends Glockenthürme in Gestalt von
einzelstehenden Thürmen errichtet werden.^)
§ 17. Auch sollen ferner nirgends mit figürlichen Darstellungen
geschmückte oder bunt bemalte Fenster gemacht werden,
das eine in dem Hauptfenster hinter dem großen Altare aus-
genommen, das die Bilder des Crucifixus, der heiligen Jung-
frau, des heiligen Franz und Antonius enthalten darf. ^)
^) Vergl. besonders Schnaase V, S. 3 1 1 f. und Dohme : Die Kirchen des Zister-
zienserordens in Deutschland. Leipzig, 1869. Otte: Handbuch der christl. Kunst-
Archäologie. V. Aufl. I, S. 113 f.
*) Rodulphus : Hist. ser. Rel. lib. II, S. 239 : § 8. a modo testudinate Ecclesiae
non fiant, nisi super altare absque licentia generalis ministri.
^) Cum autem curiositas et superfluitas directe obvient paupertati, ordinamus quod
aedificiorum curiositas in picturis, celaturis, fenestris et columnis et hujusmodi in longi-
tudine latitudine secundum loci consuetudinem arctius evitetur.
*) Campanilia etiam ad modum turris de caetero nusquam fiant.
*) Vitrine quoque historiate vel picturate de cetero nusquam fiant, excepto quod
in principali vitrea post majus altare possint haberi imagines Crucifixi , B. virginis,
B. Francisci et B. Antonii.
Allgemeine Bemerkungen. 311
§18. Auch sollen weder auf dem Altare, noch sonst irgendwo
kostbare oder sehenswerthe Tafelbilder aufgestellt werden.
Und falls trotzdem derartige Glasfenster oder Bilder gemacht
worden sind , sollen sie durch die Provinzialvisitatoren ent-
fernt werden. Wer aber diese Bestimmung oder diesen Para-
graphen übertritt, soll streng bestraft werden, und die Oberen
sollen unwiderruflich von den Stellen vertrieben werden,
falls sie nicht durch den Generalminister wieder eingesetzt
werden. ^)
§ 21. Ebenso sollen Räuchergefäße , Kreuze, Kannen und sonstige
Geräthschaften oder Bildwerke von Gold oder Silber bei
Gehorsam entfernt werden und bei demselben Gehorsam der-
artiges nicht ferner behalten werden, abgesehen von den
Kreuzen oder sonstigen vorerwähnten Dingen, in denen zu
verehrende Reliquien sich befinden, und von der Hostien-
büchse oder dem sonstigen Gefäß, das, wie es Sitte ist, zur
Aufnahme von Christi Leib bestimmt ist; und weiter sollen
die Kelche einfach gearbeitet sein und das Gewicht von
2^/2 Mark nicht überschreiten.-)
§ 22. Auch soll man nicht mehr Kelche als Altäre besitzen, aus-
genommen einen für den Konvent, und dazu sollen die
Kustoden und Guardiane beim Gehorsam gehalten sein. ^)
Der praktische Erfolg dieser Anordnungen, die in Deutschland
strenger befolgt worden zu sein scheinen, war in Italien offenbar ein
geringer. Waren doch gerade am Ende des XIII. und am Anfang
des XIV. Jahrhunderts zahlreiche Maler in S. Francesco zu Assisi
thätig, die Fenster, Wände und Altäre der Kirche mit Bildern zu
^) Item tabule sumptuosae seu curiosae super altare vel alibi de cetero nulle fiant.
Et si de cetero hujus modi vitree vel tabule sie facte fuerint, per visitatores provin-
ciarum amoveantur. Qui autem fuerint transgressores ipsius constitutionis vel Paragraphi,
graviter puniantur, et principales de locis irrevocabiliter expellantur, nisi per generalem
Ministrum fuerint restituti.
^) Item thuribula, cruces, ampuUae, et quaecumque vasa, vel imagines de auro,
vel argento per obedientiam amoveantur et de coetero per eandem obedientiam nulla-
tenus habeantur, nisi in crucibus vel aliis de praedictis essent aliquae reliquiae vene-
randae , vel nisi esset pixis , vel aliquod vasculum pro Christi corpore (ut moris est)
reponendo , et de caetero calices simplices fiant in opere et pondus duarum marcarum
et dimidiae non excedant.
^) Nee plures calices quam altaria habeantur, excepto uno pro conventu et ad
haec custodes et Guardiani per obedientiam teneantur.
312
Die Franziskanerkirchen in Italien.
schmücken. Freilich genoß ja diese Hauptkirche des Ordens eine
Sonderstellung — aber um nur einige andere Beispiele anzuführen :
der ältere Campanile von S. Francesco zu Bologna stammt aus dem
Jahre 1261, um 1278 beginnt man die Gewölbekirche in Piacenza.
Was vermochte schließlich die Autorität selbst eines Bonaventura
gegen die Ausschmückung der Kirchen mit Gemälden, kostbaren
Geräthen und Stoffen in einer Zeit, als sich die mächtig empor-
strebende Kunst, die von jenem Franziskanerthum die höchsten
Anregungen erhielt, als sich die Freude der Menschheit an Farbe
und Form keine Fesseln mehr anlegen ließ !
In Bezug auf die Ausstattung der Kirchen also haben die neu
für die Franziskaner ins Leben getretenen Cisterzienserverordnungen
keinen dauernden Einfluß gehabt — wohl aber ward beim Bau der
Kirchen die Cisterzienseranlage der Ostparthien ein fast durchweg
nachgeahmtes Vorbild. Es ist, wie erwähnt, jene Anlage eines
geradlinig geschlossenen Altarhauses, das links und rechts von
geradlinig geschlossenen Kapellen flankirt ist, jene Anlage, die
vielleicht zuerst schon in Citeaux, sicher dann in Fontenay auftrat
und die an den Cisterzienserkirchen am häufigsten wiederkehrende
ist. Sie findet sich fortan nun auch an den Bettelmönchkirchen
in Italien, und zwar im Norden wie im Süden. Der Unterschied
der norditalienischen und der umbrisch-toskanischen Bauten besteht
nur darin, daß die ersteren auch die dreischiffige Anlage und die
Wölbung beibehalten, die letzteren ein einfaches Längsschiff mit
hölzerner Decke erhalten , eine Form , die offenbar aus dem Ver-
langen nach größtmöglicher Einfachheit hervorgegangen ist. Gerade
in dieser einfachen Form aber, bei der die Wirkung allein durch
die Raumverhältnisse hervorgebracht wird , zeigt sich ein neues
architektonisches Prinzip, das mit der Gothik eigentlich gar nichts
zu thun hat, vielmehr bereits das eigentliche Prinzip der Renaissance-
kunst ist. Es tritt als solches in einen gewissen Gegensatz zu der
thatsächlich gothischen Baukunst des nördlichen Italiens und will
daher gesondert betrachtet sein. Schon an dem nächst S. Fran-
cesco in Assisi frühesten Bau: der 1230 gegründeten Kirche
S. Francesco in Cortona geht in Toskana das von den Cisterziensern
Ueberkommene in einem neuen Ganzen auf, während es seine
Eigenthümlichkeit im Norden durchweg noch auf lange bewahrt.
Im Norden auch findet eine andere Anlage der Cisterzienser, näm-
lich die am frühesten in Pontigny angewendete französische Ka-
Allgemeine Bemerkungen. 313
thedralenanlage , deren Eigenthümlichkeit in einem Chorumgange
mit radianten Kapellen besteht, Nachahmung. Wir werden in einer
Anzahl von bolognesischen Bauten, die sich um S. Francesco in
Bologna gruppiren , den schlagenden Beweis dafür erhalten , wie
vielseitig bestimmend die Baukunst des älteren Ordens für die der
Franziskaner geworden ist.
Nach diesen kurzen , ganz im Allgemeinen orientirenden Be-
merkungen mag eine Betrachtung der Franziskanerkirchen am Platze
sein. Natürlich kann es sich dabei nicht um eine vollständige Auf-
zählung und Geschichte aller in Italien vorhandenen Denkmäler
handeln , sondern nur um eine Würdigung der verschiedenen bau-
geschichtlichen Entwickelungen nach ihren Hauptmonumenten. Unter
den älteren, für diesen Zweck wichtigen litterarischen Hülfsmitteln
ist neben Wadding's Annalen des F. Franziskus Gonzaga Werk :
de origine Seraphicae religionis Franciscanae (Venedig 1603) zu
berücksichtigen , wenn sich dasselbe auch weniger mit den Bauten
selbst, als mit der Gründung der ersten Niederlassungen beschäftigt,
ferner die leider zum Theil schwer zugängliche Litteratur der Guiden.
Unter den neueren Geschichtsschreibern der Architektur bringt
neben Ricci, Lübke, Schnaasc namentlich Mothes in seiner ,, Bau-
kunst des Mittelalters in Itahen" manches Wichtige bei.^) Wo es
nicht ausdrücklich anders bemerkt wird , beruhen meine Beschrei-
bungen und Angaben auf von mir selbst vor und in den Kirchen
gemachten Studien. Deren spezieller Aufgabe mußte es natürlich
entsprechen, mehr Gewicht auf den Grundriß und die allgemeinen
wichtigsten Merkmale, als auf die Details zu legen, deren kritische
Würdigung und intime Betrachtung schließlich nur Sache eines
praktisch erfahrenen Architekten sein kann. So wollen auch die
fast durchweg auf eigenen Aufnahmen beruhenden, schematisch
gezeichneten Grundrisse einer Anzahl von interessanten Kirchen
Nichts als- Hülfsmittel zum Vergleich sein. -) Eingehender behandelt
wurden nur Bauten, die, bisher weniger bekannt und beachtet, einen
ehrenvollen Platz in der Geschichte der Architektur verdienen, in
Sonderheit solche, deren Kenntniß durch ihre jetzige Verwendung
^) Eine gewisse Vorsicht bei der Benutzung dieses Buches erscheint allerdings
geboten, wenn es auch nicht verwundem darf, daß bei der ungeheuren Fülle der be-
trachteten Bauten sich im Einzelnen bei der Beschreibung und Datirung manche Irr-
thümer finden.
^) Sie sind alle im Verhältniß von i : 1000 gezeichnet.
314 Die Franziskanerkirchen in Italien.
zu profanen Zwecken erschwert wird. Es gehören dazu eine An-
zahl norditalienischer Kirchen , die in der Napoleonischen Zeit in
Nutzbauten umgewandelt worden sind. Dienen doch verschiedene
dieser ehemaligen Andachtsstätten der friedlichsten aller mittelalter-
lichen Korporationen heute als Magazine für Waffen und Wehr der
italienischen Armee. Bunte Waffenröcke und Ausstattungsstücke
jeder Art füllten bis vor kurzem die herrliche Kirche zu Bologna,
dichte Reihen von Geschützen diejenige zu Mantua. In anderen, wie
in Parma und Bergamo, büßen dort, wo einst in stillen Stunden die
Verzeihung für den Sünder erfleht wurde , Zuchthäusler ihre Ver-
brechen. In der Kirche zu Cremona dagegen, die als Hospital dient,
stehen längsgereiht im luftigen Räume die Betten der Kranken —
eine Verwendung , gegen welche wohl der Mann selbst , der sein
höchstes Glück darin fand, die Aussätzigen zu pflegen, Nichts ein-
zuwenden hätte. In manchen Städten endlich, wie in Mailand, Genua,
Turin ist Nichts mehr von den Kirchen des heiligen Franz zu sehen —
leider häufig nicht einmal eine Beschreibung, die genügte, sie voll-
ständig in Gedanken zu rekonstruiren. Besser daran ist der Forscher
im mittelitalienischen Gebiete, da hier die Ordenskirchen überall,
selbst in den kleinsten Ortschaften, und zwar zum Theil unverändert
erhalten sind und mit wenigen Ausnahmen, wie z. B. die von Pisa
und Lucca, noch heute dem Kultus dienen.
Da die Bauten von Umbrien und Toskana gegenüber den nord-
italienischen eine besondere in sich geschlossene Gruppe bilden, der
Süden aber keine besonderen Eigenthümlichkeiten aufweist, zerfällt
eine Betrachtung der Monumente logisch in zwei Haupttheile, deren
erster mit den holzgedeckten , deren zweiter mit den Gewölbe-
kirchen sich beschäftigt. Vorausgeschickt aber muß eine Be-
sprechung der ältesten, von Franz selbst gegründeten und be-
wohnten Klöster werden, wie der an die Hauptkirche des Ordens
sich anschließenden Bauten.
II. Die ersten Niederlassungen.
Drei Kirchen sind es, die in der Bekehrungsgeschichte des
jungen Kaufmannssohnes von Assisi eine bedeutsame Rolle spielen :
S. Damiano , S. Pietro und S. Maria in Portiuncula. Bereits bei
der Schilderung seines Lebens haben wir gesehen , welche ge-
schichtliche Wichtigkeit die von den ältesten Quellen berichtete
Die ersten Niederlassungen. 315
Restaurirung dieser durch die Zeit halb zerstörten alten Bauten
hatte, welche für die Gründung der drei Orden vorbildliche Be-
deutung dieser Vorgang in der Auffassung der nächsten Nachfolger
gewann. Etwas Geheimnißvolles bleibt aber auch für uns noch in
diesen Dingen! Wie kommt es, daß gerade jene Kirchen überein-
stimmende bauliche Eigenthümlichkeiten zeigen, die, ohne Zu-
sammenhang mit der gesammten vorangehenden italienischen Kunst,
in enger Beziehung zu französischen Bauten der Zeit stehen.!* Wie
kommt es, daß nicht allein die erwähnten drei Kirchen jene dem
Süden Frankreichs fast ausschließHch damals eigenthümliche Form
der Wölbung: das spitzbogige Tonnengewölbe zeigen, sondern auch
jene älteste Kapelle, die Franz selbst auf dem Berge Alvernia sich
gebaut, daß eine ähnliche, nur nicht so ausgesprochene Form in
einer der kleinen Zellen seines frühesten Lieblingsaufenthaltes, der
Carceri, wiederkehrt? Es ist eine merkwürdige Thatsache, für die
sich eine Erklärung schwer finden läßt — so Vieles weist darauf
hin, daß Franz wie seinen Namen, so sein Wesen dem Süden
Frankreichs verdankt, verdankt er ihm etwa auch die Kenntniß
eigenartiger architektonischer Konstruktionen und die Fähigkeit, sie
selbst auszuführen.^ Angesichts jener Bauten kann man daran fast
nicht zweifeln und doch, wie der mich führende Mönch bei der
Beschreibung der Portiuncula, ohne meine Gedanken zu ahnen, mir
sagte — »war der Heilige kein Maurer"! Wie konnte er dann
technisch nicht gerade nahe liegende Gewölbekonstruktionen an-
wenden, er selbst, wie die alten Biographen wollen, die Steine
herbeischleppend und schichtend, nicht ruhend, bis er die Arbeit
vollendet?^) Erklärende Vermuthungen müssen ohne jeden that-
sächlichen Werth bleiben. In irgend einer Weise muß Franz sich,
und zwar schwerlich durch Anschauung allein gebildete, technische
Fertigkeiten erworben haben, die er wiederholt in seinem Leben
verwerthet hat. In der Regel hatte er ja auch nur mit kleinen
Verhältnissen zu thun, nur S. Pietro hat größere Dimensionen.
Wer aus Giotto's Fresko in der Oberkirche zu Assisi, welches
die Beweinung des todten Franz vor San Damiano schildert
(Abb. 38), sich eine Vorstellung von dieser Kirche machen wollte,
würde eine sehr falsche Anschauung gewinnen. Man könnte sich
wohl keinen größeren Gegensatz denken, als den zwischen jener
^) S. oben S. 12.
3i6 Die Franziskanerkirchen in Italien.
an die Dome von Siena und Orvieto erinnernden Fassade und der
Wirklichkeit. Es ist ein schmaler, oblonger, vorn mit spitzbogigem,
im hinteren Drittel mit rundbogigem Tonnengewölbe gedeckter
kapellenartiger Raum mit rund geschlossener Apsis, viereckigen,
rechts vom Chor gesondert sich anschließenden, mit runden Tonnen-
gewölben gedeckten Seitenräumen, einer in der Mitte der rechten
Wand heraustretenden, wieder spitzbogig gewölbten Kapelle. Rechts
von der Kirche, nach dem kleinen Vorhof zu geöffnet, befindet sich
eine dem heiligen Girolamo 1516 von Galcotto de' Bistocchi ge-
weihte Kapelle mit den 15 17 von Tiberio d'Assisi gefertigten Fresken
einer Madonna mit Heiligen und der zwei Heiligen Rochus und
Sebastian von 1522. Die einfache spitzgieblig geschlossene Fassade
der Kirche befaßt jetzt diese Kapelle mit ein, während sie ur-
sprünglich auf die eigentliche Kirche beschränkt war, wie das vier-
eckige Portal und das Rundfenster darüber zeigen. Links an die
Kirche schließt sich der kleine Hof mit den einst von Chiara und
ihren Nonnen bewohnten kleinen, fast durchweg in den letzten
Jahrhunderten erneuerten Klosterräumen an. Das Dormitorium mit
Chor befindet sich über der Kirche selbst, das Refektorium, über
welchem die Infermeria liegt, an der Ostseite des Hofes. ^) — Man
kann nun fragen, was von der zuerst 1030 erwähnten Kapelle er-
halten ist und worin deren Wiederherstellung durch Franziskus be-
stand. (Abb. 44.) Cristofani hat in seiner ausführlichen Geschichte
und Beschreibung der Kirche mit großer Wahrscheinlichkeit nach-
gewiesen, daß ihr ältester Theil der hintere, welcher von der Apsis
bis zu dem jetzigen Hochaltar reicht, der spitzbogig überwölbte aber
später hinzugekommen sei, und läßt Franz nur ausbessern, nicht
selbst wirklich bauen. ^) Mag er in dem ersten Theil seiner Be-
hauptung auch Recht haben — und das verschiedene Niveau des
Bodens, die verschiedene Höhe der Gewölbe weist sicher auf zwei
Bauperioden hin — , so muß ich doch, gestützt auf die Vergleichung
mit den noch zu besprechenden anderen Bauten, es als sehr wahr-
scheinlich betonen, daß gerade die spitzbogig gewölbten Theile den
Antheil bezeichnen, den Franz an der Wiederherstellung gehabt.
,, Nachdem der Heilige Gottes die erwähnte Kirche hergestellt,"
1) Abb. in Vincenzo Bini's Assisi (Orvieto 1824) Taf. VIII — XII (Chor, Ora-
torium, Dormitorium, Refektorium, Infermeria).
^) Storia della chiesa e chiostro di S. Damiano. Assisi, Sensi. 1882. S. 50 ff.
Die ersten Niederlassungen. 3 1 7
erzählt Thomas von Celano , „wanderte er an einen anderen Ort
nahe bei der Stadt Assisi, wo er eine gewisse Kirche, die fast zer-
stört war, wieder aufzubauen begann, und nicht ließ er von dem
guten Vorhaben ab, bis er Alles zur Vollendung gebracht."*) Bona-
ventura weiß ihren Namen : ,,er begab sich an die Wiederherstellung
einer einst dem heiligen Petrus geweihten Kirche , die weiter von
der Stadt ab gelegen war, aus besonderer Verehrung, die er in der
Reinheit aufrichtigen Glaubens fiir den Apostelfürsten hegte." Nun
giebt es in der That dicht bei dem südlichen Stadtthore eine Kirche
S. P i e t r o , deren Architektur auf jene Zeit hinweist, doch will für
ihre Lage das,,longius a civitate distans" nicht recht passen. Dennoch
muß sie die von den alten Biographen gemeinte sein, da in der
weiteren Umgebung von Assisi keine andere existirt, die dem
Petrus geweiht gewesen, und ein kleiner Mangel
der Genauigkeit in der Ortsangabe bei dem nicht
in Assisi heimischen Bonaventura nicht über-
raschen kann, zumal S. Pietro im XII. Jahrhundert
thatsächlich noch außerhalb der Stadtmauern
lag. Es ist ein dreischiffiger Bau mit einem
nicht über ihn ausladenden Querhause, mit einer
Kuppel über der Vierung und einer halbrunden
Apsis, die an einen oblongen Chorraum gelegt
ist. Die Seitenschiffe sind diesem entsprechend .,, ^ „. ....
'^ Abb. 45. S. Pietro in Assisi.
Über das Querschiff verlängert und hier gerade
geschlossen. Sechs einfache, viereckige Pfeiler mit ganz schlichter
simsartiger Bekrönung tragen weitgerundete Spitzbogen, die man
aber auf den ersten Blick noch fiir rund halten würde. Das
Mittelschiff ist von einem etwas zugespitzten Tonnengewölbe, das
durch acht fast ganz verhehlte Quergurte gegliedert wird , be-
deckt.^) Die Seitenschiffe haben je drei etwas niedrigere flach-
runde Tonnengewölbe, die, durch flache Rundquergurte geschieden,
der Längenrichtung folgen. Die aus Backsteinen konstruirte , auf
Pendentifs ansetzende Kuppel ruht über vier Bögen , von denen
die zwei nach dem Querschiff sich öffnenden breitgespannte
Spitzbögen sind , die anderen beiden aber rund , also nicht ganz
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») I Leg. III S. 689.
^) Mittelschiff nach Laspeyres 6,70 m lichte Weite; nördliches Seitenschiff 4,40;
südliches 3,80 m.
3 1 8 Die Franziskanerkirchen in Italien.
dem zugespitzten Tonnengewölbe entsprechend. Im Chor und den
Querschiffen befinden sich runde Tonnengewölbe, in den Quer-
schiifen als eine direkte Fortsetzung der Seitenschiffgewölbe. Am
linken Querschiffe ist später eine gothische viereckige Kapelle an-
gebaut worden, die in ihren Details, namentlich den das Kreuz-
gewölbe tragenden Eckleisten mit antikisirenden Kapitalen, lebhaft
an die späteren Kapellenanbauten der Unterkirche von S. Fran-
cesco , die wir in die Zeit um 1 300 verlegten , erinnert und ver-
muthlich von demselben Architekten gebaut wurde. ^) Sein Licht
erhält das Längsschiff im Wesentlichen durch die Radfenster der
Fassade und ganz schmale kleine rundbogige Fenster in den Seiten-
wänden, der Chor durch ein zweigetheiltes rundbogiges Fenster.
Die Fassade, welche nach einer querlaufenden Inschrift im Jahre
1268 zur Zeit des Abtes Rusticus ausgeführt wurde ^), schließt sich
an die in Assisi seit der Domfassade üblichen an, deren Haupt-
vorbild der Dom geworden. (Abb. 46.) In zwei Geschossen sich
erhebend, die mit Rundbogenfries abgeschlossen sind, ist sie oben
wagerecht geschlossen und durch Lisenen in drei Theile getheilt.
Von den drei rundbogig gebildeten Portalen ist das mittlere größte
von zwei Rundstäben eingefaßt, deren Kapitale das eine mit vier
Vögeln, das andere mit zwei Löwen in flachem Relief geschmückt
sind , und mit einem Rahmen , der ebenso wie der Thürsturz mit
zierlichen Rankenreben ornamentirt ist, umgeben. Drei reiche und
schön gearbeitete Radfenster, die noch durchaus rundbogig ge-
halten sind, beleben das obere Stockwerk. — Die Seitenfassaden
sind ganz schlicht, die Apsis ist durch zwei Lisenen mit Bogenfries
gegliedert. Ein viereckiger Campanile erhebt sich über dem Ende
des rechten Seitenschiffes.
Die Gründungszeit dieser zu einem Benediktinerkloster ge-
hörigen Kirche ist unbekannt. Laspeyres, welcher sie in seinem
höchst werthvollen Aufsatze über die Baudenkmale Umbriens^) be-
spricht und beschreibt, bemerkt, daß sie zuerst 1029 erwähnt wird.
Die Mönche nahmen in der Mitte des XIII. Jahrhunderts die Regel
^) Die in ihr erhaltenen Freskenreste sind von einem schwachen lokalen Meister
des XIV. Jahrhunderts, von dem sich auch sonst Fresken zu Assisi finden.
^) Pastor Petre gregis Christi fidissime regis hie fidei pure populus stans sit tibi
eure hoc opus est actum post partum virgine factum mille ducenteni sunt octo sex
quoque deni tempore abbatis Rustici.
3) Erbkam's Zeitschrift für Bauwesen 1872. Bd. XXII S. 284.
Die ersten Niederlassungen. 31g
der Cisterzienser an und wurden 1577 von Gregor XIII. gezwungen,
das Kloster zu verlassen. In welche Jahre die Verwandlung der
älteren Kirche in die Form, die wir heute gewahren, zu legen ist,
muß zweifelhaft bleiben, da sich die Zahl der Inschrift offenbar nur
auf die Fassade bezieht, jedenfalls vor 1253, in welchem Jahre sie
von Innocenz IV. gelegentlich seiner Anwesenheit in Assisi geweiht
wird. ^) Auch dürfte es uns billiger Weise überraschen , der Kon-
struktion von Tonnengewölben in einer Zeit zu begegnen, in der
durch die Bauten von S. Francesco und S. Chiara das Kreuzgewölbe
in Assisi schon gang und gäbe geworden war; andrerseits, wollten
wir der Legende Glauben schenken, die Franz mit dem Bau in
Verbindung bringt, befänden wir uns, wie gesagt, in der Lage, er-
klären zu müssen, wie er im Stande gewesen, ohne Werkmeister
zu sein, die technischen Schwierigkeiten der südfranzösischen früh-
gothischen Bauweise zu bewältigen.
Eines aber muß bestimmt hervorgehoben werden: daß S. Pietro,
was seine Gewölbeanlage betrifft, eine in Italien ziemlich vereinzelt
stehende Erscheinung ist. Eine Beziehung zu den apulischen Bauten,
wie z. B. S. Maria Immaculata in Trani, S. Maria Assunta in Altamura,
S. Giuseppe in Gaeta, in denen vorzugsweise das halbe Tonnen-
gewölbe angewandt ist, dürfte schwerlich anzunehmen sein. Spitz-
bogige Tonnengewölbe kenne ich nur in einigen normannischen
Kirchen, wie in der Kathedrale zu Siponto , der 1066 vollendeten
Kirche S. Agostino zu Ravello , einer kleineren Kirche S. Niccolö
bei Girgenti, in S. Niccolö e Cataldo in Lecce u. a., und außerdem
in der Kathedrale von S.Leone im Urbinatischen , die 1173 neu
gebaut wurde. Daß die letztgenannte, eine alte Basilika, die im
erwähnten Jahre (?) und zwar, wie ich mit Schnaase annehme, unter
französischem Einflüsse in eine Pfeilerkirche mit spitzbogigen Tonnen-
gewölben im Mittelschiff und Querschiff umgewandelt wurde, eine
vorbildliche Bedeutung für S. Pietro gewonnen, wäre nicht un-
denkbar, aber auch nicht mit einiger Wahrscheinlichkeit zu be-
haupten, da sie in der reicheren Pfeilerbildung, in den ausgesprochenen
Spitzarkaden, in dem Kreuzgewölbe der Vierung eine vorgeschritte-
nere Gothik repräsentirt, als S. Pietro, in welcher gleichsam zaghaft
der neue Stil versucht wird.^) Das ungewisse Schwanken zwischen
^) Cristofani: Storie di Assisi I, S. 173.
2) Schnaase VII, S. 87. Mothes: S. 441. — d'Agincourt XXXVI, 20 u. 21.
320
Die Franziskanerkirchen in Italien.
Spitz- und Rundbogen , der einfache viereckige Pfeiler kehrt aber,
ebenso wie die EigenthümHchkeit , daß die Gurte der spitz-
bogigen Gewölbe rund gehalten sind , häufig in Kirchen der Pro-
vence im XIII. Jahrhundert wieder. ^) Die Annahme eines be-
stimmenden, von diesen ausgehenden Einflusses wird daher schwerlich
abzuweisen sein.
Die dritte Kirche , welche der heilige Franz wiederherstellte,
dieselbe, in der er, durch die einfachen Worte des Evangehums
ergriffen, für immer sich der Armuth weihte, die seine und seiner
Jünger eigentliche Heimath wurde : die Portiuncula, die heute
noch klein und unscheinbar in Mitten der gewaltigen Basilika
S. Maria degli Angeli als segenspendendes Heiligenthum verehrt
wird, gehörte dereinst den Benediktinermönchen vom Berg Subasio.
,,Vor alten Zeiten erbaut," erzählt Thomas von Celano, ,,lag sie
verlassen damals und wurde von Niemand mehr besucht. Als sie
der Heilige Gottes so zerstört sah, ward er von frommem Mitleid
bewegt, da er vor Verehrung für die Mutter aller Güte glühte, und
begann daselbst dauernd sich aufzuhalten. Es geschah aber, daß
das dritte Jahr nach seiner Bekehrung begann , nachdem er die
schon erwähnte Kirche wiederhergestellt." Fast wörtlich wiederholt
dies Bonaventura. Es ist ein ganz kleines , oblonges , mit spitz-
bogigem Tonnengewölbe überwölbtes Kirchlein mit halbrunder Apsis,
spitzem Dach , einer einfachen runden Thüre an der Fassade und
einer gleichen an der einen Seitenwand. '^) Sie wurde der Mittel-
punkt des ersten Klosters, das Franz für sich und seine Jünger
gründete, und damit die Wiege des ganzen Ordens. Gar einfach
muß diese erste Niederlassung gewesen sein, an deren Stelle sich
jetzt die mächtige Kirche mitten im fruchtbaren, reich angebauten
Thale erhebt. Von den schmucklosen kleinen Hütten, in denen die
Brüder jeder einzeln, um ungestörter dem Gebete und den Selbst-
prüfungen obliegen zu können , lebten , wäre wohl wenig zu sagen
gewesen , wäre uns selbst eine Anschauung in alten Abbildungen
^) Man vergl. die Kirchen von Vaison und andere , sowie den betreffenden Ab-
schnitt bei Schnaase IV, S. 487 ff.
2) Abb. bei d'Agincourt XXXVI, 26—29. Wadding z. J. 1213. I, S. 156,
weiß nach Marianus von einer anderen kleinen Kirche zu erzählen, die Franz zwischen
S. Gemini und Porcaria zu Ehren der Maria erbaut habe ,,in Allem der Kirche S. Maria
degli Angeli gleich".
Die ersten Niederlassungen. 32 1
erhalten wordep.^) War schon das Heiligthum selbst so klein und
ärmlich, wie mußten es erst die Zellen sein!^) Eine derselben, in
welcher der alten Tradition nach der Heilige gestorben ist, be-
findet sich, in eine Kapelle verwandelt, unweit der Portiuncula selbst,
mit eingeschlossen in die große Basilika ; eine andere unterhalb der
Rosenkapelle.
Schwer fällt es, sich heutzutage in jene Zeiten zurückzuversetzen,
erblickt man die umfänglichen Bauten, die in der Aufeinanderfolge
der Jahrhunderte diesem berühmten Wallfahrtsorte sein imponirendes
jetziges Gepräge gegeben. Welches immer der historische Werth
des Portiuncula- Ablasses sein mag, sein Ansehen ist von Jahr zu
Jahr gestiegen, und für die Tausende, die ihn zu suchen kommen,
ist die Kirche gerade groß genug. Nach einer alten Tradition, die
in Salvator Vitali's ,,Paradisus Seraphicus" (Mailand 1645) ihren
schriftlichen Ausdruck gefunden, waren es zuerst vier Eremiten,
die vom heiligen Cyrillus mit einem Bruchstück vom Grabe der
Maria nach Italien gesandt und vom Papste Liberius in's Spoletaner
Thal gewiesen, der Maria ein Heiligthum gründeten, das mit einem
Bilde der Himmelfahrt Maria geschmückt und später, nachdem es
Benedikt 576 für seinen Orden erhalten, S. Maria degli Angeli ge-
nannt wurde. ^) Es war kein eigentliches Kloster, nur eine , portiun-
cula terreni'. Die Kluniazenser, dann die Cisterzienser besaßen sie,
bis 1075 die Mönche sich in die Abtei des Monte Subasio zurück-
zogen und das zerfallene Kirchlein sich selbst überließen. Pica, so
sagt die Legende, pflegte dort zu beten und empfing dort die Ge-
^) Die Ansicht des ersten Klosters, die nach einer Zeichnung des Providoni dem
„CoUis Paradisi" des Padre Angeli beigegeben ist, beruht natürlich vollständig auf
Phantasie.
^) Lehrte Franz doch nach Th. v. Cel. 11 Leg. (III, 2. S. 92) die Seinen ärmliche
Behausungen zu machen , aus Holz , nicht aus Stein , und sie als Hütten in einfachster
schmuckloser Form zu bilden.
^) Vergl. hierfür und für die folgende Beschreibung vor Allem Cesare Guasti's
besonders eingehendes Buch: La basilica di S. M. degli A. Firenze (Ricci) 1882. —
Bamabe: La Porti oncule. Foligno (Campitelli) 1884. — Sowie die älteren Manuskripte:
Bartoli über indulgentiae S. M. de Angelis (1325). Grimaldi: Dissertazione (1804), ein
Memoriale aus dem XVIII. Jahrh. — Femer Salvatore Vitali: Paradisus Seraphicus.
Portiuncula sacra. Milano 1645. — Angeli's CoUis Paradisi 1704. — Cristofani: Guida
und Storie di Assisi. — Da Solero, P. Amadeo : Gloria della sacra Porziuncula. Perugia
1858. — Perilli: Relazione storica sul risorgimento della Basilica degli Angeli. n. Ausg.
Rom 1842.
Thode, Franz von Assisi. 2i
322
Die Franziskanerkirchen in Italien.
wißheit, einen Sohn zu gebären. Und für Diesen wurde es nun,
nachdem er es restaurirt und von den Benediktinern erhalten, die
eigentliche Heimath. Von einer ersten baulichen Vergrößerung
durch Pietro Cattaneo , die von Franz gemißbilligt und zerstört
wurde, erzählt schon Thomas von Celano.^) Dann trat nach dem
Tode des Franz eine erneuerte Erweiterung ein, vermuthlich der
Neubau einer die Portiuncula einschließenden Kirche, der von
Nikolaus IV. (s. Breve bei Wadding) 1288 erweitert und geschmückt
wurde. Was Cristofani in seinem Guida wohl nach Grimaldi von
ihrer Kreuzform sagt, entbehrt jeder historischen Begründung. Wir
wissen nur aus einem vom 24. Februar 1333 datirten Briefe des
Oddo von einer Loggia : ,,logia supra portam sacri loci de Portiun-
cula", die gleichzeitig Bartoli ,,miri operis fabricata" nennt und
noch Pius II. am 11. Juli 1460 in einem Breve erwähnt. Von ver-
schiedenen Altären und einem Bilde der Himmelfahrt über dem
Hauptaltar spricht Vitalis auf Grund ganz alter Beschreibungen.
Im XV. Jahrhundert aber schon bestand ein Chor, der wahrschein-
lich als erste Erweiterung an die Hinterwand des Kirchleins an-
gebaut und durch Perugino mit einer durch den späteren Abbruch
des Anbaus theilweise zerstörten, jetzt arg restaurirten Kreuzigung
geschmückt wurde. Er findet sich noch auf Pro vidoni 's Abbildung
im Collis Paradisi (p. 46) und wurde 1700 zerstört. Daß ein anderer
Laienchor über der Kirche von Bernardino da Siena 1438 gebaut
worden sei, wie Grimaldi wohl nach der ,,Umbria Serafica" (z. J.
1438) will, hat keine historische Begründung. Im Jahre 1569 wird
dann von Giacomo Barozzi de Vignola der große jetzige Bau be-
gonnen, nach dessen Tode (am 7. Juli 1573) von Galeazzo Alessi
und später von GiuHo Danti fortgesetzt und vollendet.-)
Die triumphale Kirche S. Maria degli Angeli (Abb. 47) hat
ein dreischiffiges, von je fünf Kapellen flankirtes Langhaus mit Rund-
1) II Leg. III 2 S. 92.
-) Maaße nach Cristofani L. 127 m, Br. 64 m. Grundriß bei Bamabe. Vergl.
Egnatio Danti : Le due regele della prospettiva pratica di J. B. de Vignola. Roma
Zanetti. — Baldinucci. Florenz 1728 III p. 32I — 326. Die Daten nach Guasti: ^^/g 1569
Grundsteinlegung, Chor 1622 angefangen. Sakristei 1624. Zwischen 1637 und 1639
der 4. Pfeiler der Kuppel errichtet. Von 1678 — 84 der Campanile (capomaestro dess.
Francesco da Firenze), 1776 — 1777 Bleidach der Kuppel. 27. Okt. 1791 schlägt Blitz
in Kuppel. 1831 und 1832 verursachten Erdbeben Einbrüche. Im Breve vom 26. Febr.
1836 bestimmt Gregor XVI. Restauration (Luigi Poletti und Luigi Ferri) 8. Sept. 1840
neue Weihung.
Die ersten Niederlassungen. 323
bogen auf Pfeilern. In der Mitte des nicht ausladenden Querschiffes
erhebt sich eine großartige Kuppel. Der sehr tiefe Chor, neben dem
links gesondert ein kleiner Chor, rechts die Sakristei liegt, ist mit
einer halbrunden Apsis geschlossen. Oestlich von der Sakristei
befindet sich der Garten , in dem die dornenlosen Rosen blühen,
und dicht bei ihm die Capeila delle Rose, welche die kleine Zelle
des Franz , in der der Versucher ihm nahe trat , einschließt. An-
geblich (nach Bartoli) war es Bonaventura, der ein kleines Oratorium
über ihr bauen ließ, dem dann 1435 Bernhardin von Siena einen
etwas größeren Raum hinzufügte, der wie jenes von Tiberio d'Assisi
ausgemalt wurde (s. o. S. 176). Südlich von der Kirche aber er-
streckt sich das Kloster, das 1288 vergrößert, in den Jahren 1527,
1559 und 1606 ausgebaut wurde, nachdem schon 1473 Bernhardin
von Siena eine von einem ,,ser Mariotto" hinterlassene Summe von
200 Gulden dazu verwendet hatte, ein im Bau begriffenes Dormi-
torium zu vollenden.^) 161 5 — 20 und 1640 wurden Anbauten zur
Aufnahme der Fremden ausgeführt. Unter den für das Kloster
thätigen Künstlern befindet sich nach Vasari auch Michelozzo, der
i486 einen Aquädukt baute. Doch kehren wir nach dieser Exkursion
in spätere Zeiten zu Franz und seinen anderen ersten Nieder-
lassungen zurück.
Wer einen wahrhaft ergreifenden Einblick in das stille Gott
geweihte Leben des Franz in den ersten Zeiten nach seiner Be-
kehrung thun will , der versäume es nicht , auf steil am Monte
Subasio ansteigendem Pfade von Assisi aus nach den Carceri zu
wandern, jenem in jäh abfallender Schlucht mitten im üppigsten
Grün versteckten Heiligthum. Es ist ein Platz wie geschaffen zur
Selbstbetrachtung und Weltvergessenheit : eingezwängt zwischen die
Berge, die vortretend den Ausblick auf die Städte Assisi und Spello
versperren, dabei doch aus seiner Verborgenheit hinausschauend
auf das in der Tiefe grünende Thal. Wie die Portiuncula erhielt
Franz auch diesen Ort von den Benediktinern und schuf damit für
sich und seine Anhänger eine andere heimliche Stätte, in welcher
er mit ihnen beglückenden und reinigenden Betrachtungen ungestört
nachhängen konnte. Bartholomäus Pisanus erzählt uns, daß die
Zellen der Brüder hier aus geflochtenen Baumzweigen gebildet
waren. Was aus der ältesten Zeit noch erhalten ist, sind einige
^) Bemhardin's Brief bei Guasti a. a. O. S. 93.
324
Die Franziskanerkirchen in Italien.
kleine Räume, deren einer, die in den Steingrund vertiefte Lager-
stätte des Heiligen umschließend , wieder mit einem spitzbogigen
Tonnengewölbe gedeckt ist. Die übrigen wenig Interesse bietenden
Baulichkeiten, die sich an einen kleinen Hof anschließen, stammen
wohl zumeist von der nach 1376 von P. Paolo Trinci angeordneten
Vergrößerung, der ein Dormitorium mit acht Zimmern baute. Einer
alten Tradition zufolge fügte dann Bernhardin von Siena ein zweites
kleines Dormitorium hinzu und errichtete das mit einem Tonnen-
gewölbe gedeckte Kirchlein, das nach Anderen auf Franz selbst
zurückgeht, jedenfalls aber schwerlich später als im XIV. Jahrhundert
entstanden ist. ■^) Es ist wenig, was der Forscher hier erfährt, desto
mehr aber, was der in stille Erinnerung vertiefte Wanderer em-
pfindet, hört er von dem ganz allein zurückgebliebenen Bruder mit
liebevoller Ausführlichkeit alle die sinnigen alten Legenden erzählt,
die mit ihm das einzig Lebendige in dieser Einsamkeit sind — wie
auf das Gebet des Mannes , dem die Natur als ihrem Liebling ge-
horchte, der mächtig in's Thal abstürzende Waldstrom sein Rauschen
eingestellt, um nicht die schwache Stimme des betenden Bruders
zu übertönen ; wie die Vögel auf der grünen Eiche sich versammelt,
seinen Segen zu empfangen ; wie blitzend aus der Erde hervor ihm
der ersehnte Brunnen entgegen gesprudelt; wie scheu aus diesem
frommen Kreise der Teufel sich in die Bergestiefen geflüchtet!
Dann wieder hinabsteigend in's Thal finden wir einen anderen
Lieblingsaufenthalt des Franz, an dem er mit den ersten beiden
Jüngern lange verweilte, wo sich die anderen Alle zu ihm fanden,
der eigentliche Sitz der jungen Gemeinde , bevor sie sich in
Portiuncula niederließ, das Sanctuarium von Rivotorto, —
jetzt eine neu über einem kleinen Oratorium des Heiligen er-
richtete Kirche, an deren Stelle vor dem i. J. 1853 erfolgten Erd-
beben eine ältere um 1640 vollendete, 1645 geweihte stand, von
deren schlichter Fassade und tonnengewölbtem dreischiffigen Innern
wir einen Begriff aus zwei Abbildungen bei Bini (Taf. XVIII und XIX)
erhalten können.
Nicht aus eigener Anschauung bekannt ist mir der sogenannte
Speco oder Eremo di S. Francesco, der ungefähr 12 Kilo-
meter von Narni entfernt als zeitweiliger Wohnort desselben ver-
ehrt wird. Es ist eine Grotte, in deren Nähe sich eine kleine mit
1) Abb. bei Bini a. a. O. T. XIII— XVII.
Die ersten Niederlassungen. 325
einigen Wandgemälden des XIV. Jahrhunderts geschmückte Kapelle
befindet. In den Stein gehauen auch sind die wenigen Räume :
das Dormitorium , Oratorium und Refektorium , die als Wohnort
des h. Franz in dem Kloster bei Greggio, das il monte di
S. Francesco heißt, verehrt werden. Doch würde es zu weit
führen, wollten wir alle die Plätze in Italien aufsuchen, die durch
die Erinnerung an einen vorübergehenden Aufenthalt des Franz
geweiht sind , da sie kein kunstgeschichtliches , sondern nur ein
religiöses Interesse haben.^) Zu einem Orte aber, der in den
Augen des gläubigen Katholiken fast die größte Bedeutung unter
allen Heiligthümern des Franz hat , müssen auch wir pilgern , zu
dem hoch auf dem Berge Alvernia gelegenen Kloster, das auf
der Stelle erbaut worden, an welcher Franz die Vision des Seraphs,
der ihm das Siegel der vollendeten Christusähnlichkeit aufdrückte,
hatte. Treten wir, auf ermüdend steilen Pfaden zu der Höhe ge-
langt , nach kurzem , eine Welt von Schönheit umfassenden Blick
durch das Thor in den kleinen Vorhof ein , so liegt gerade vor
uns die kleine Kirche degli Angioli, die, der Tradition nach vom
Grafen Orlando nach Zeichnung des Franz oder von Franz selbst
gebaut, jedenfalls der älteste Theil des ganzen Klosters ist. Sie
ist mit spitzbogigem Tonnengewölbe bedeckt, also wiederum in
dem wie es scheint Franz eigenthümlichen Stil, und wurde nach
Wadding unter Innocenz 1252 erweitert.-) Mehrere Werke der
späteren Robbiaschule : eine , Geburt Christi', eine Darstellung des
im Grabe von Maria und Johannes gehaltenen Christus, sowie eine
.Madonna della Cintola' von Andrea bilden ihren Hauptschmuck. —
Von der ursprünglichen Anlage des Klosters , rechts von der er-
wähnten Kirche, ist in dem jetzigen, um zwei Höfe sich gruppirenden
Komplex von Baulichkeiten Nichts mehr zu erkennen. Wir wissen
nur, daß Alexander IV. in einer Bulle vom Jahre 1255, 10. April,
den mons Alverniae in seinen besonderen Schutz nimmt und an-
ordnet, daß einige Brüder beständig daselbst leben. ^) Am
^) Wer sich über sie unterrichten will, möge zu einem Buche des P. Ambrogio
Mariani: Reminiscenze d'un pellegrino (Firenze 1882) greifen.
2) Die drei Quergurte stammen wohl von der Restauration her. Außen befindet
sich neben einem angeblich dem Grafen Orlando angehörigen Wappen mit drei Bildern
eine der Schrift nach aus dem XIV. Jahrhundert stammende Inschrift: ,S. Baldasarre
di Franciescho de Chatani da Chiusi e suorum', also eine Begräbnißstätte. — Vgl.
Wadding: Annal. I, S. 156.
3) Wadding z. J. 1255. III. Bd. — Chavin: Vie de S. F. S. 345.
2 20 Die Franziskanerkirchen in Italien.
20. August 1260 findet dann im Beisein von Bonaventura und
sieben Bischöfen die Einweihung der Kirche als , Santa Maria degli
Angeli e di San Francesco' statt.^) Im Jahre 1264 baute Simone
Conte di BattifoUe e di Poppi an der Stelle, wo Franz die Stigmata
erhalten, die kleine, mit zwei Kreuzgewölben gedeckte ,Chiesa delle
Stimate', die viel später durch einen langen, mit späten Fresken
geschmückten Gang mit der an die Chiesa degli Angeli rechtwinklig
stoßenden größten Kirche verbunden wurde. ^) In ihrer Mitte be-
findet sich der geweihte Fleck, der durch ein die Stigmatisation
darstellendes Relief, offenbar eine Florentiner Arbeit aus der zweiten
Hälfte des XV. Jahrhunderts , bezeichnet ist. An der Altarwand
prangt ein prachtvoller großer Andrea della Robbia: Christus am
Kreuz , zu dessen Seite Maria , Johannes , Franz und Hieronymus
zu sehen sind.
Die dritte größte Kirche endlich, die jetzt den Mittelpunkt der
ganzen unregelmäßigen Anlage bildet, wurde 1348 von Tarlato,
Graf von Chiusi und Pietramala, und Giovanna seiner Gemahlin,
contessa di Santa Fiora begonnen ^), aber erst im XV. Jahrhundert
von der Signoria von Florenz , welche von Eugen IV. das Pro-
tektorat erhalten hatte, vollendet. Nach Wadding's Angaben, die
mit Vorsicht aufzunehmen sind, wurde der Chor im Jahre 1465,
die Kirche selbst von Dominicus Bartolus i486, von demselben der
Thurm 1490 (nach Chavin I489) errichtet. Es ist ein einschiffiger,
aus vier Jochen bestehender Raum mit zwei kleinen Kapellen-
ausbauten links , einem rechts , und kleinem rechtwinkligen Chor.
Ein Portikus mit Kreuzgewölbe auf einfachen viereckigen Pfeilern
ist vor die Fassade und die rechte Seitenwand gelegt.
Zahlreiche Werke der Robbia bilden den Schmuck der Altäre,
^) Wadding I, S. 156. Vitale: Chronica Seraphici montis. Pag. 188. — Fra
Lino Moroni: Descrizione e storia del sacro Monte della Vernia. Florenz 1621.
^) Die schon von Chavin gegebene Inschrift lautet: A. D. 1264 feria 5, post
festum Assumptionis gloriose virginis Marie comes Simon filius illustris viri comitis
Guidonis Dei gratia in Tuscia palatinus fecit fundari istud Oratorium ad honorem beati
Francisci ut ipse cui in loco isto Seraph apparuit sub anno Domini 1225 infra octavam
nativitatis ejusdem virginis et corpori ejus impressit Stigmata Jesu Christi consignet eum
gratia Spiritus sancti.
^) Inschrift an Fassade: f A. d. 1348 nobilis miles dominus Tarlatus de Petra
mala et domina comitissa Johanna de Sancta Fiora uxor ejus edificari fecerunt istam
ecclesiam ad honorem beate Marie semper virginis. — Ueber dem Eingangsthor die
Wappen von Florenz, Eugen IV. und der Genossenschaft der ,Arte della Lana'.
Die ersten Niederlassungen. 327
vor Allem die entzückenden Darstellungen der Verkündigung und der
Geburt Christi von Andrea in zwei hübschen Renaissancekapellen,
die nach Inschrift 1479 von einem Jacobus Britii de plebe Sancti
Stephani' gegründet wurden. Ferner von demselben Meister eine große
jHimmelfahrt Christi', eine weniger bedeutende Maria mit Kind und
den Heiligen Onofrius, Antonius Eremita, Franz und Magdalena,
sowie zwei Statuen des Franz und Antonius von Padua. Von
Giovanni della Robbia dürfte die in der Endkapelle des Portikus
befindliche Beweinung Christi herrühren.
Verschiedene kleine Kapellen endlich vollenden die malerische,
auf unebenem Terrain vertheilte Klosteranlage, an den Sonntagen
auch noch heute das Ziel von großen Schaaren der Thalbewohner,
die unverdrossen im Sonnenbrande den mühsamen Weg von vier
Stunden zurücklegen, um droben, dem Rufe der kleinen Glocken
folgend, in dem Segen bringenden Kirchlein ihres geliebten Heiligen
hinzuknieen und zu beten, dann aber in mannigfachen Gruppen
gelagert die mitgebrachten einfachen Erfrischungen zu genießen,
der erquickenden Schattenkühle unter den wunderbar herrlichen
Buchen sich zu erfreuen. Es ist gut sein da droben, und von allen
Stätten, an denen das Gedächtniß des Heiligen lebt, doch die alier-
herrlichste.
Nach dem Aufenthalte und den verzehrenden innerlichen Er-
fahrungen auf Alvernia eilt das Leben des Franz schneller dem
Ende entgegen. Krank liegt er in Siena danieder, als die Brüder
seinen Rath suchen für einen Klosterbau. Ob uns seine Meinung
nun wirklich in den von Wadding überlieferten Worten erhalten
ist , dürfte schwer zu entscheiden sein , doch finden sie hier, am
Schlüsse der Besprechung der ersten Franziskanerniederlassungen,
wohl mit Recht ihre Stelle, da sie, glaubwürdig an sich, uns noch
einmal vergegenwärtigen können, wie einfach dieselben waren, wie
weit entfernt von der Großartigkeit der Anlagen , denen wir im
folgenden Abschnitt unsere Aufmerksamkeit zuwenden. „Die
Brüder," erwiderte er den fragenden Abgesandten, ,, sollen gehen
und einen großen Graben machen lassen im Umkreis des Stück
Landes, welches sie für die Anlage der Aedicula erhalten haben,
und es anstatt der Mauern mit einem guten Zaune umgeben und
einfriedigen zum Zeichen der heiligen Armuth und Demuth. Auch
sollen sie ärmliche Hütten bauen lassen aus Lehm und Holz und
einige Zellen, in denen die Brüder bisweilen beten können und
328 Die Franziskanerkirchen in Italien.
arbeiten, damit sie ehrlicher leben und den Müssiggang vermeiden.
Die Kirchen auch sollen sie enger bauen, denn weder der Predigten
wegen, noch einer anderen Veranlassung halber dürfen sie schmuck-
reiche Tempel von großer Geräumigkeit oder Masse bauen." ^)
Dem schlichten Vorbild der Portiuncula mögen alle jene ersten
Niederlassungen in den verschiedenen Städten Italiens gefolgt
sein — fast überall finden wir sie zuerst außerhalb der Städte er-
wähnt, bis die zu groß gewordene Zahl der Mönche dem Drängen
der Bevölkerung nachgiebt und das von reichen Freunden ge-
schenkte Land wie die von den Bischöfen ihnen zugewiesenen
Kirchen innerhalb der Mauern in Besitz nimmt. Damit beginnt
dann auch bald der Bau größerer Kirchen, die nichts mehr gemein
haben mit jener ersten eigenartigen Reihe von Bauten, die, wie wir
gesehen haben, von Franz selbst bis in die architektonische Eigen-
thümlichkeit der Gewölbe hinein festgestellt wurden.
III. Die holzgedeckten Kirchen in Umbrien und Toskana.
♦Der im Jahre 1228 begonnene Bau von S. Francesco in
Assisi, den wir ausführlicher schon betrachtet haben, gab das
erste Zeichen für die Errichtung zahlreicher anderer Kirchen in
ganz Italien. Daß er gleichwohl nur für wenige vorbildlich ge-
worden ist , mag seinen Grund darin haben , daß der kapellenlose
einfache Raum den Bedürfnissen der mönchischen Religionsübungen
nicht entsprach, daneben auch darin, daß eine noch größere Ein-
fachheit angestrebt wurde, die vielleicht durch bestimmtere Vor-
schriften geboten wurde. Jedenfalls scheinen nur zwei oder drei
Kirchen in Umbrien jenem Hauptbau des Ordens nachgebildet
worden zu sein, am unzweifelhaftesten jene der geliebten Schülerin
^) Die Stelle findet sich bei "Wadding z. J. 1226 II, S. 128, nach Barth. Pis.
lib. conf. XII, 23 fr. 16. Vergl. auch Speculum S. F. I. c. 10. Vadant et faciant
mitti magnam carbonariam in circuitu terrae , quam pro aediculae situ acceperunt , et
pro muro bona sepe circumdent et circumvallent in signum sanctae paupertatis et humi-
litatis. Domos etiam construi faciant pauperculas ex luto et lignis et aliquas cellulas,
in quibus fratres possint aliquando orare et laborare ad majorem honestatem et ad vitan-
dam otiositatem ; Ecclesias etiam angustiores aedificare debent ; nee enim sermonum ergo
aut alia quacumque occasione templa speciosa aut magnae capacitatis vel molis aedificare
debent. Carbonaria offenbar das italienische Carbonaja , das neben der ursprünglichen
Bedeutung auch , Stadtgraben' bezeichnet.
Die holzgedeckten Kirchen in Umbrien und Toskana. 329
des Franz: der heiligen Chiara in Assisi geweihte.^) Seit
12 12 hatte diese mit ihren Nonnen in San Damiano gewohnt.
Dann , als der Raum daselbst bei deren rasch sich mehrenden
Anzahl viel zu klein wurde, erbaten die Schwestern sich die
dem Kapitel gehörige Kirche S. Giorgio , die ihnen durch Ver-
mittlung des Kaplans Alexander's IV., Giovanni Compatre, späteren
Bischofs von Anagni, 1257 überlassen wurde. ^) Filippo da Campello
wird beauftragt — demnach 1257, nicht 1253, wie Schnaase und
Mothes wollen — die neue Kirche zu bauen, die 1260 so weit
vollendet war, daß in diesem Jahre Alexander IV. in einem an die
Bischöfe von Assisi, Perugia und Spoleto gerichteten, von Subiaco
am 9. September datirten Breve die Uebertragung des Leichnams
der 1255 heilig gesprochen Chiara anordnen konnte, welcher Akt
am 3. Oktober unter großer Betheiligung der Bevölkerung stattfand.
Fünf Jahre später weihte Clemens V. die Kirche. Erst damals
dürfte der Bau also wohl wirklich beendigt gewesen sein. Urkund-
lich ist , so viel ich weiß , Filippo de Campello als Urheber des-
selben nicht nachgewiesen ; noch der ,Collis Paradisi' nennt anstatt
seiner Jacopo Alemanno (Tit. LI, S. 104) , doch erscheint es sehr
wahrscheinlich, daß der Vollender von S. Francesco, der, wie wir
sahen, 1253 dort noch thätig war, auch diese der Oberkirche des
Heiligen treu nachgebildete Kirche baute. Sie ist wie jene ein-
schiffig mit Querschifif und polygonem Chor und zeigt dieselbe
Bildung der Gurte, Leisten und Gewölbe. Die am Ende des
Längsschiffes links angebaute Kapelle der heiligen Agnes verräth
den später ausgebildeten Stil der Kapellen an der Unterkirche,
dieselben antikisirenden Kapitale der Gewölbeträger, ähnliche in-
krustirte Marmorbekleidung. Auch die Fassade (Abb. 48) wiederholt
diejenige von S. Francesco, nur daß hier das Portal einfach und rund-
bogig, das gothische Radfenster im Detail etwas verschieden ist.
Mit Schnaase kann ich in den mächtigen auf der Erde aufsitzenden
Strebebögen nur eine sklavische Nachahmung der dort richtiger
1) Vergl. Wadding, Bd. IV, z. J. 1260, S. 146. — Bruschelli (Bini) S. 37 ff.,
wo auch Abb. der Fassade Taf. IV. — Laspeyres in Erbkam's Bauschrift a. a. O.
S. 292. — Schnaase VII, S. 113. — Cristofani: Guida, S. 30. — Cristofani: Storia
di S. Damiano, S. 109 ff. — Derselbe: Storie di Assisi, S. 171. — Mothes, S. 454. —
Guardabassi: Indice guida, S. 14. — Photographieen Alinari, Lunghi, Carloforti.
^) Instrument wiedergegeben in einer Bulle Alexander's IV. im Kloster von S. Chiara,
angefertigt in Gegenwart des Bischofs von Assisi: Niccolo di Carbio oder Calvi.
330
Die Franziskanerkirchen in Italien.
motivirten erblicken, da das abfallende Terrain, das Burckhardt zur
Erklärung nimmt , auf der Nordseite gar nicht , auf der Südseite
nur wenig in Betracht kommt.
Früher als S. Chiara aber entstand ein anderer Bau, der, wie
mir scheint, zweifellos die Hauptkirche in Assisi zum Vorbild nahm,
es ist die Kirche S. Francesco in Perugia, deren ursprüng-
liche Gestalt selbst unter dem 1748 nach Zeichnungen des Pietro
Carattoli aufgeführten Neubau erkennbar, aber so viel ich weiß
noch nie berücksichtigt worden ist.^) Ueber die Entstehungszeit
ist nichts Genaueres bekannt , ein
Guida von 1784 sagt: um 1230. Jeden-
falls fällt sie vor 1286, da eine ihrer
Glocken mit: ,1286 Magister Joannes
pisani me fecit, bezeichnet ist.''*) Der
moderne Bau folgt dem alten Grund-
riß und ist nur über die alte Fassade,
von welcher der untere Theil noch
innerhalb des Neubaues erhalten, um
ein Stück verlängert. Es war eine
einschiffige Kirche mit drei Kreuz-
gewölben, deren Spannung sich noch
aus den alten , wenig vortretenden
Strebepfeilern entnehmen läßt (drei
auf jeder Seite), mit einfachem Quer-
schiffe und einem in •''/g geschlossenem
polygonen Chor, der, wie in Assisi,
unmittelbar auf das Querschiff folgt.
Außen sind in die Ecken desselben
zwei halbrunde thurmartige , jenen in Assisi ähnliche Strebepfeiler
gestellt. Die Fenster waren einfach spitzbogig. An der Südseite
des Längsschiffes befindet sich , an das Querschiff anstoßend , eine
1 I
Abb. 49. Die Kirche S. Francesco zu Perugia.
^) Vergl. Guida al forestiere per la cittä di Perugia. 1784 (Costantini) S. 299.
— Guida di Perugia von Raffaele Gambini 1826. — Mariotti, lettere pittoriche peru-
gine, erwähnt S. 59 eine ,descrizione della chiesa di S. Francesco', die ich nicht ein-
gesehen habe. — Guardabassi: Indice guida S. 175. — Auf meinem Grundrisse gebe
ich die modernen Anbauten in punktirten Linien an.
^) Guardabassi a. a. O. Eine andere bez.: 1352 Magister Angelus et filii ejus
Nicolaus et Joannes de Urbe veteri me fecerunt. Eine dritte: 1405 Magistri Joannes
et Andreas Pisani me fecerunt.
Die holzgedeckten Kirchen in Umbrien und Toskana. 331
mit rothen und weißen Steinen inkrustirte gothische Kapelle mit
rundbogig geschlossenen Doppelfenstern, die etwa aus dem Anfang
des XIV. Jahrhunderts stammt. Am nördlichen Querschiffe ist das
Gewölbe des abfallenden Terrains wegen durch zwei Strebebögen
gestützt. — Die im Innern nicht in völliger Breite erhaltene untere
Hälfte der alten Fassade zeigt eine ganz ungewöhnliche Inkrustirung
in weißem und rothem Stein. In der Mitte befindet sich unter
einer von gothischen Halbsäulchen getragenen rundbogigen Blend-
arkade ein rundbogiges Portal, über dem ein kleines Radfenster
angebracht ist, links und rechts davon waren innerhalb eines vier-
eckigen einrahmenden, mit runden Medaillons geschmückten Streifen,
der die ganze Wandfläche umspannt, je zwei rundbogige Nischen,
unter denselben eine Reihe von vertieften fensterartigen , im Klee-
blattbogen geschlossenen Feldern — das Ganze also ein wunder-
liches ornamentales Gebilde.
Von anderen Kirchen, die vielleicht auf S. Francesco in Assisi
zurückgehen , möchte ich vermuthungsweise die gleichnamige in
Terni erwähnen, die jetzt ganz modernisirt dreischiffig ist, jeden-
falls aber früher, wie die mit ihren Tragleisten erhaltenen alten
Gewölbe beweisen , ein aus drei Jochen bestehendes , einfaches
Hauptschiff, ein Querschiff und eine an ein Chorgewölbe sich
schließende Apsis hatte. Sie soll 1265 gebaut, 1445 durch die
Seitenschiffe vergrößert worden sein, nach Guardabassi (S. 314),
der seinerseits auch die Verwandtschaft mit dem Bau in Assisi
betont.
Ferner die aus dem XIII. Jahrhundert stammende S. Francesco
in Gualdo Tadino, die später verändert wurde und eine Kuppel
erhielt, ursprünglich aber zwei Gewölbe im einfachen Längsschiffe,
Gewölbe an der Vierung , rechts eine Art Kreuzarm mit zwei
hintereinander geordneten Kreuzgewölben, und einen siebenseitigen
Chor besaß. Guardabassi (S. 95) vermuthet, wohl auf diese ent-
schiedene Verwandtschaft mit den Bauten in Assisi hin, in dem
Architekten den Philippus de Campello.
Ob die dem Niccolö Pisano zugeschriebene Dominikanerkirche
in Viterbo, S. Maria della veritä, Beziehungen zu S. Fran-
cesco hat , muß ich dahingestellt sein lassen , da ich leider keine
Notizen über sie besitze und nur durch die Beschreibung bei
Mothes (S. 749) veranlaßt werde, sie hier zu erwähnen. — Ver-
muthlich lehnt sich auch S. Francesco in Cascia, die gewölbt
332
Die Franziskanerkirchen in Italien.
ist, die Kreuzform und eine Fassade von 1428 hat, an den Haupt-
bau des Ordens an.^)
Die wenigen, bisher erwähnten Bauten stehen inmitten der
großen Anzahl der sonstigen Franziskaner- und Dominikanerkirchen
vereinzelt da: während noch an S. Francesco in Assisi gebaut
ward, vielleicht schon vorher entstand ein anderer, der für Mittel-
italien eigentlich charakteristische Typus, den wir jetzt zu be-
trachten haben.
Welcher Art die erste, später durch Arnolfo's Bau verdrängte,
1221 gegründete Kirche in Florenz gewesen, wissen wir nicht,
ebensowenig wie die 1228 zuerst in neue Form gebrachte Ordens-
kirche in Siena oder die 1228 geweihte in Spello beschaffen ge-
wesen. Da die meisten Bauten schon im XIII. Jahrhundert eine
einmalige oder zweimalige Umgestaltung erfuhren , ist es bis jetzt
unmöglich , sie chronologisch zu betrachten — sicher steht fest,
daß bereits in der ersten Hälfte desselben Jahrhunderts der Typus
ausgebildet war und später mit den zunehmenden Größenverhält-
nissen die einmal feststehende Anlage nur reicher ausgestattet wurde.
Die ursprüngliche Form zeigt ein einfaches oblonges Schiff mit
hölzernem Dachstuhl und mit einer viereckigen, von einem Kreuz-
gewölbe bedeckten Apsis , die meist von zwei kleineren , ebenso
gewölbten und gradlinig geschlossenen Kapellen flankirt ist. Die
einfachste Form ohne Kapellen, die hier nur flache Altarnischen
sind, zeigt S. Francesco in Arezzo, die später an der Hnken
Wand einen aus zwei Jochen bestehenden Kapellenausbau erhalten
hat, und S. Francesco in Monte falco, deren Apsis allerdings,
wohl in Nachahmung von Assisi, wie jene in S. Francesco zu
M o n t o n e und P i e d i 1 u c o fünfseitig geschlossen ist, deren einem
Schiff aber bei einem Neubau im XIV. Jahrhundert das eine Seiten-
schiff rechts hinzugefügt wurde. Die entwickeltere Form mit zwei
Kapellen hat die Kirche in Cortona, die 1230, nach Mothes' An-
sicht vielleicht von Jacobus, auf Anlaß des Elias, der hier 1253 be-
stattet wurde, begonnen wurde -), die Niccolö Pisano zugeschriebene
S. Domenico, die von den Herren von Pietramala um die Mitte
des XIII. Jahrhunderts gestiftet ward , die gleichnamige Kirche in
^) Guardabassi : Indice S. 40.
2) Mothes S. 74. Vergl. Ricci: Storia dell' Arch. 11 , 58. Nach Inschrift erst
am 4. April 1374 geweiht.
Die holzgedeckten Kirchen in Umbrien und Toskana. 333
Cittä di Castello, deren jetzige Gestalt freilich von dem Um-
bau im Jahre 1395 stammt^), die jetzt ganz barocke S. Francesco
ebendaselbst^), S. Francesco in Prato, in Volterra und
andere mehr.^) Die Dominikanerkirche S. Catharina in Pisa,
ein Bau von größeren Dimensignen, der um 1253 nach Zeichnung
von Guglielmo Agnelli vollendet war, zeigt den gleichen Typus
und erhielt wohl erst später den kreuzschiffigen, aus vier Kapellen
bestehenden Ausbau rechts.*) Ob auch S. Francesco in
Lucca, die 1435 von Paolo Guinigi neu gebaut wurde, vermag
ich nicht zu sagen, da ich das Innere nicht gesehen. Die Chorapsis
ist modern. Von norditahenischen Kirchen ist hier S. Fermo in
Verona zu erwähnen , welche alte , aus dem VIII. Jahrhundert
stammende Kirche die Franziskaner 1265 (nach anderen Angaben
1261) erhielten. In den Jahren 13 12 und 13 13 auf Kosten des
Guglielmo di Castelbarco neu gebaut, erhielt sie durch den Prior
Daniele Gomario 13 19 die herrliche Holzdecke und die äußere
Gestaltung."*) Der Chor ist fünfseitig, die Kapellen sind recht-
winklig, zwei an das Schiff gelegte Kapellen mit Kreuzgewölben
bilden eine Art Querschiff, das namentlich im Aeußeren als solches
charakterisirt ist durch eine mit einem Spitzgiebel versehene Fassade.
Die Hauptfassade hat drei Stockwerke, deren unterstes mit dem
^) Erbkam. A. a. O. S. 73. 1395 Umbau beschlossen, Bau 24. Dez. 1400
begomien, 1424 vollendet, 1426 geweiht. Guardabassi S. 50: 1269 begonnen, 1724
modemisirt. Mancini : Istruzione storico pittorica per visitare le chiese e palazzi di Citta
di Castello. Perugia 1832. Muzi: Memorie ecclesiastiche e civili di Cittä di Castello
1842 — 44-
^) Ebds. Im XVin. Jahrhundert umgebaut. Die angeblich 1 2 1 3 von Franz selbst
gegründete Kirche S. Croce außerhalb der Stadt ist ganz umgebaut.
') Vergl. dazu noch Guardabassi: Aquasparta (1290); Deruta: S. Francesco;
Foligno : S. Francesco und S. Domenico ; Nocera : S. Francesco ; Trevi : S. Francesco
und andere kleinere.
*) Vergl. Morrona: Pisa illustrata 1792 II, S. 105. Der Platz vor der Kirche
1274 geweiht, 1366 erweitert. Der Vergrößerungsbau wurde 1348 durch die Pest
unterbrochen. — Guida di Pisa von Giuseppe Nistri 1852. S. 214. — Marchese :
Memorie dei piü insigni etc. Domenicani I, S. 81. — Ricci II, 60. — Mothes S. 749.
Fassade 1262 von Niccolo Pisano und Guglielmo. —
'') Vergl. Ricreazione pittorica di Verona, 1720. — Descrizione di Verona von
J. B. da Persico 1820. — Gius, M. Rossi: Nuova Guida di Verona 1854. — Lübke:
G. d. A. S. 629. — Mothes S. 483. — Kugler II, 72. — Abb. der Decke Semper
Stil II, Taf. 22. — Fassade bei Nohl: Tagebuch einer ital. Reise. Stuttgart 1866.
I, S. 67.
334 ^^^ Franziskanerkirchen in Italien.
rundbogigen Portal , mit einer in Kleeblattbogen verbundenen
Lisenengliederung und einer kleinen Gallerie von Spitzarkaden
auf gekuppelten Säulchen geschmückt ist, deren zweites vier hohe
schmale gothische Fenster enthält und deren drittes mit einem
dreigetheilten modernen Fenster . durch einen Spitzgiebel ab-
geschlossen ist. An der Nordseite ein Portal mit einer auf zwei
Säulen ruhenden Vorhalle. Die fünf Seiten des Chores sind mit
Spitzgiebeln und Fialenthürmchen reich geschmückt. Der bis zur
Höhe des Daches aus Steinen, darüber aus Ziegeln gebaute Thurm
mit hohem Dache hat dreigetheilte rundbogige Fenster. — Da-
neben zu erwähnen ist S. Eufemia in Verona mit ihrem holz-
gedeckten Riesenlangschiff, einem wenig ausladenden Querschiffe,
einem großen Chor und zwei kleinen, diesen begleitenden vier-
seitig geschlossenen Kapellen. Ueber der Vierung jetzt eine
moderne Flachkuppel. Die Seitenfassade hat Lisenen und Spitz-
bogenfries, die Hauptfassade Spitzgiebel, gothisches Portal und zwei
jetzt zugemauerte hohe Renaissancefenster. Ferner S. Bernardino
ebendaselbst, ein einschiffiger flachgedeckter Bau mit einer an's
Chorquadrat anschließenden fünfseitigen Apsis. An der rechten
Wand zunächst der Fassade sind vier Joche mit Kreuzgewölben
angebaut, mit ebensovielen daran sich schließenden Kapellen, von
denen zwei fünfseitig geschlossene gothisch , die anderen später
sind. Am Ende der rechten Wand öffnet sich die vielbewunderte,
reizvolle , von Sanmichele erbaute Capella dei Pellegrini. Die
Fassade hat Spitzgiebel, Renaissanceportal und zwei schmale hohe
spitzbogige Fenster.^)
Eine weitere Entwicklung des umbrisch-toskanischen Typus
begegnet uns an S. Francesco in Pistoja. Diese Kirche, ehe-
mals S. Maria Maddalena geweiht, wurde 1250 vom Bischof
Graziadio Berlinghieri (nach Andern 1265) den etwa 1220 nach
Pistoja gekommenen Mönchen überlassen. 1289 dann beschloß
man den alten Bau zu zerstören und einen neuen zu errichten, der
1294 begonnen und erst 15 12 (9/5.) von Fra Raimondo Gra-
^) Verglichen muß auch die Kirche der Eremitani in Padua werden, die
1260 neugebaut wurde, 1264 den jetzigen Chor erhielt und 1309 abermals von dem
Augustinereremiten Fra Giovanni neu gestaltet wurde. Vergl. Moschini : Guida di Padua.
18 17. — Brandolese: Pitture Sculture Architetture di Padova. 1795. — Rossetti :
Descrizione etc. 1776. — Selvatico: Guida 1869. — Mothes ausfuhrlich S. 432 f, —
Die holzgedeckten Kirchen in Umbrien und Toskana.
335
rii<te
ziani da Cotignola geweiht worden ist.^) Der Tradition nach soll
ein deutscher Architekt thätig gewesen sein. Die Fassade ist vom
Jahre 17 17. Der Bau besteht aus einem einschiffigen Langhause
mit Holzdecke , quadratischen gewölbten Kreuzarmen , einer in
weitgespanntem Rundbogen sich öffnenden oblongen Vierung mit
Kreuzgewölbe und einem viereckigen Chor mit je zwei Kapellen
zur Seite, deren erste links nach Inschrift 13 14 von Nikolaus
Merghuliesi gestiftet wurde. Das Kreuzschiff und die vermehrte
Anzahl der Kapellen finden wir in Pistoja auch bei S. Domenico,
deren Entstehungszeit unbekannt ist. Nach Vasari ward sie von
Giovanni Pisano im Auftrage des Niccolö da
Prato 1303 restaurirt, 13 80 vom Monsignor
Bartolommeo Franchi vergrössert.^) Den
Giovanni läßt Vasari auch die Kirche S. Do-
menico in Prato bauen, die 1281 unter
Leitung des Fra Paolo Pilustri begonnen,
später von 1300 an durch Fra Mazzetto ge-
fördert wurde. •^)
Derselben Stufe der Entwicklung wie
die Bauten in Pistoja gehört auch S. Fran-
cesco in Pescia an, die ein Querschiff,
aber nur zwei Kapellen neben dem Chor
hat und im XVI. Jahrhundert eine Umwand-
lung erfuhr , nachdem schon im XIV. Jahr-
hundert das Längsschiff links durch drei
Kapellen erweitert worden war, deren erste
ganz im Stile der Schule Brunellesco's inschriftlich 145 1 von Johannes
und Antonius Cardinius , höchst wahrscheinlicher Weise , wie ich
glaube , durch Andrea di Lazzaro Cavalcante aus Buggiano er-
richtet wurde , der in Pescia die Kirche S. Maria in Piazza gebaut
hat. An der modernisirten Fassade ist noch ein romanischer
Bogenfries, unter dem abenteuerliche, phantastische Thiere in
Abb. 50. Die Kirche S. Francesco
in Pistoja.
*) Nach Tolomei: Guida di Pistoja 1821, S. 130. Vergl. V. Papinii Etniria
francescana II. Bd. (Bei Mothes nicht ganz genaue Datirung) S. 751.
^) Vasari I, 313. — Tolomei S. 108. — Mothes S. 780, der, ohne ihre Quelle
zu nennen, eine Version angiebt, nach welcher Sisto und Ristoro sie 1280 gebaut.
^) Vasari I, 313. — Marchese I, 93. — Schnaase S. 144. — Mothes S. 756.
Falscher Grundriß bei Wigbeking: Bürgerliche Baukunde S. 73. — Runge: Beiträge
J, 26. 37.
336
Die Franziskanerkirchen in Italien.
Relief angebracht sind, sowie ein rundbogiges romanisches Portal
erhalten.^)
Ein weiterer Schritt vorwärts geschieht mit S. Francesco
in Pisa (Abb. 51), S. Domenico und S. Francesco in Siena.
Die Verhältnisse wachsen in's Gewaltige, das weiter ausladende
Querschiff verliert seine Gewölbe und erhält offnen Dachstuhl, die
Zahl der vier Kapellen steigt in den ersten beiden Kirchen auf
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Abb. 51. S. Francesco in Pisa.
Abb. 52. S. Domenico in Siena. (Nach Lübke.)
sechs, in der letzterwähnten auf acht. Im Jahre 1221 waren die
ersten Franziskaner nach Pisa gekommen, und ihre erste Kirche
wäre nach Morrona auf das Querschiff der jetzigen beschränkt ge-
wesen. 1278 predigte in ihr nach einer urkundlichen Notiz der Erz-
bischof von Pisa Federigo Visconti, im Jahre 1300 wurde der Neu-
bau inschriftlich vollendet.^) Die Kreuzarme öffnen sich hier in je
^) Vergl. die Kreuzschiffanlage auch bei S. Domenico zu Spoleto und S. Fran-
cesco in Tarano. S. Guardabassi's Indice.
^) Lange Militairmagazin. Morrona: Pisa ill. III, S. 47. Die Inschrift lautet:
Anno domini 1300 nobiles de domo Gualandorum concesserunt liberalit. fratribus.
Die holzgedeckten Kirchen in Umbrien und Toskana.
337
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zwei Spitzbögen , die in der Mitte aut einem achteckigen Pilaster
ruhen, nach der Vierung zu. Im Chor ist ein viergetheiltes , mit
bunten Glasscheiben geschmücktes Fenster. Die zugemauerten
Lichter im Langschiff sind zvveigetheilt. Die Fassade ist modern,
der viereckige , frei über der Ecke des linken Querschiffes auf-
setzende schlanke Thurm erhebt sich in drei Stockwerken mit
zwei- und dreigetheilten Fenstern.
S. Domenico in Siena (Abb. 52) gehörte seit 1225 den
Predigermönchen an und ward schon vor 1293 vergrößert, da in
diesem Jahre die Kommune das
Holz für das Dach bewilligte. Nach
einem Beschluß von 1361 (2 5./4.)
wurde der Chor für 5000 Fiorini
neu gebaut. 1445 und 1531 brannte
das Dach ab. 1490 erbaut Pietro
di Sacco Tancredi den Campanile '),
der nach dem Guida von 1862 aber
schon 1340 errichtet worden war. In
weit gespannten Rundbogen öffnet
sich das Langhaus nach dem Quer-
schiff. Die Kapellen nehmen mit
der Entfernung vom Chor an Breite
ab. Die hohen spitzbogigen Fenster
sind jetzt zugemauert, vom alten
Klosterhot sind noch einige acht-
seitige Pfeiler erhalten.
S. Francesco in Siena,
eine ehemals dem heiligen Pietro
geweihte Parochie , wurde 1236
vom Bischof Buonfiglio den Fran-
ziskanern überlassen, welche die Kirche 1246 erweiterten. Schon
1249 (24./4.) beschloß man sie neu zu bauen. 1250 ward der
Abb. 53. S. Francesco in Siena. (Nach Lübke.)
S. Francisci pro remedio animar. suar. parenttimque suor. ut precidi faciant marmora
de monte ipsor. pro consumanda Ecclesia Patrum. — 1342 erhalten die Gambacorti die
Haupttribune zugestanden. 143 1 wird als primo operajo Piero di Franchino erwähnt. —
Vergl. auch Nistri: Nuova Guida di Pisa 1852. S. 219.
^) Guida di Siena 1832 (Fern) — Siena fe ü suo territorio , Siena 1862 (Sordi-
muti). — Lübke, Mitth. der k. k. C. C. 1860 S. 195. (Grundriß.) — Mothes S. 759
(nennt 1492 als Datiun des Thurmbaues).
Thode, Franz von Assisi. 22
338
Die Franziskanerkirchen in Italien,
lilm><ISffl
Chor, 1289 die Fassade, um deren Fertigstellung 1268 (16./11.) die
Mönche die Signoria angehen, errichtet, und in demselben Jahre
die Konsekration vorgenommen. Am 13. März 1336 wurde nach
Vasari (I, 433) vom Kardinal Gaetano Orsini der erste Stein zu einer
neuen Kirche gelegt, die angeblich Agostino und Agnolo bauten.
Milanesi wie Mo-
thes nehmen mit
Recht an, daß dies
wahrscheinlich irr-
thümlich und der
Kardinal von Gaeta
1326 die Kirche
vielmehr geweiht
habe. 1336 baut
NiccolaccioPetroni
den ersten Kreuz-
gang^), 1475 bis
1484 (2. /9.) fertigte
Francesco di Gior-
gio eine neue
Decke, 1476 der
uns bereits von
Assisi her bekannte
Frate Francesco
Nani gen. Sansone
Bresciano nach
Zeichnung von
Francesco di Gior-
gio die zwei klei-
nen Höfe, 15 17
entsteht aufKosten
des Girolamo Pic-
colomini der erste große Kreuzgang, 1639 die Infermeria. Am
23. August 1655 zerstört eine Feuersbrunst das Dach der Kirche
und viele Bilder. 1765 wird der Campanile neu gebaut.^) Die
Abb. 54. S. Croce in Florenz.
^) Nach Inschrift über dem erhaltenen gothischen Portal : S. Niccholacii de Petro-
nibus et heredum anno domini 1336.
^) Vergl. die oben erwähnten Guiden. Lübke a. a. O. — Mothes S. 759. —
Wadding II, S. 129 z. J. 1226, läßt das Kloster von Bonaventura bauen.
Die holzgedeckten Kirchen in Umbrien und Toskana. 339
Kirche ist wie die letzterwähnten ein riesiger Backsteinbau mit acht
Kapellen neben dem Chor und außerdem zwei später hinzugefügten
an der Westseite des linken Kreuzarmes. Die Fassade, deren Stein-
inkrustirung nur im untersten Theile angefangen erscheint, hat ein
aus dem Anfange des XVI. Jahrhunderts stammendes Portal. Die
Höfe zeigen zierliche toskanische Kompositsäulen.
In den eben besprochenen einfachen, aber durch mächtige
Raumwirkung höchst ausgezeichneten Bauten haben wir gewisser-
maßen die letzte Vorstufe zu der gewaltigsten Bettelmönchkirche
in Mittelitalien, zu S. Croce in Florenz.^) Wohl mag der
Mangel an hinreichenden Geldern mit der Grund davon gewesen
sein, weßhalb eine Wölbung, wie S. Maria novella sie erhalten,
hier nicht zur Ausführung gelangte, doch wäre S. Croce selbst ge-
wölbt, so müßte doch immer ihre nahe Verwandtschaft mit Kirchen
wie S. Francesco in Siena hervorgehoben werden , da gerade die
reiche Anlage von Kapellen neben dem Chor — es sind hier zehn —
das eigentlich Charakteristische bleibt. Aus den Riesenverhältnissen
des Baues ergab sich von selbst die Nothwendigkeit, von einem ein-
fachen Längsschiffe abzusehen und eine Dreitheilung vorzunehmen.
Die Freiheit, die Arnolfo di Cambio dadurch für die Dachkon-
struktion erhielt , benutzte er dazu , einzelne Dächer über jedem
Kompartiment der Seitenschiffe anzubringen. Auch dürfte er nur
dadurch, daß er von vornherein auf Gewölbe verzichtete, auf die
Anlage eines so breiten, imposanten Mittelschiffes gerathen sein.
Die sieben weitgespannten Spitzbögen, über denen eine schlichte
auf Konsolen ruhende Gallerie von Holz entlang läuft, werden von
schlanken achteckigen Pfeilern getragen, deren Kapitale, dem ganz
auf das Große , Einfache gehenden Stile entsprechend , ein zwei-
reihig geordnetes einfaches, fast rohes Blattwerk zeigen. Die drei-
seitig geschlossene Hauptapsis, die mit den zwei zunächst liegenden
Kapellen der Breite des Mittelschiffes entspricht, öffnet sich in der
Höhe des Dachstuhls, während die Kapellen daneben, niedriger, nur
die halbe Höhe der Seitenschiffe haben. Die Fenster des Längs-
schiffes , Querschiffes und Chores sind hoch , schlank und zwei-
getheilt. An die Querarme ist im Norden und Süden je eine aus
zwei Jochen bestehende Kapelle gelegt , je eine andere an ihre
^) Im Gegensatz zu Lübke , der die Kirchen zu Siena von S. Croce beeinflußt
glaubt: Gesch. d. Arch. S. Francesco in Siena ist wohl jedenfalls früher als S. Croce.
22*
340 Die Franziskanerkirchen in Italien.
Westseite. Die Anlage der Sakristei (mit polygoner Apsis) am
rechten Querarm in einer Axe mit den Chorkapellen, sowie des
großen Hofes an der Südseite der Kirche , der mit seinen Rund-
bögen auf achteckigen Pfeilern wohl auch auf Arnolfo zurückgeht,
erinnert entschieden an Cisterzienserbauten — man vergleiche da-
mit z. B. die durchaus ähnliche Disposition der Klosterräume in
Chiaravalle bei Mailand ! Ausführlicher von dem großartigen Werke,
seinen späteren Anbauten , Brunellesco's Kapelle der Pazzi , Des-
selben großem Hof und Michelozzo's am Ende des neben der
Sakristei vorbeiführenden Korridors errichteten Kapelle der Medici
zu reden , hieße den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Der
schlanke Thurm trägt über der Glockenstube, deren Spitzbogen-
öffnungen von Spitzgiebeln überragt werden , einen hohen vier-
seitigen Helm mit einer auf Konsolen ausladenden Gallerie und
darüber einen achtseitigen Aufsatz mit Spitzgiebeln. Nach Villani
und Vasari begann Arnolfo di Cambio im Jahre 1 294 den mächtigen
Bau, der in einem Dekret der Kommune von 1295 (8./4.) erwähnt
wird, nachdem am 5. Mai der erste Stein gelegt worden war an
Stelle der älteren Kirche, welche die 1221 hier angesiedelten
Franziskaner im April 1252 errichtet hatten. Daß schon um 1300
der Chor, die Kapellen und das Querschiff fertig waren, geht aus
den Fresken des Cimabue in der Kapelle des heiligen Michael her-
vor (s. oben S. 238 f). Auch bemerkt Villani, daß der Bau mit
Chor und Kapellen begonnen wurde. 1320 begann der Dienst,
doch war die Kirche noch nicht vollendet, da 1332 darüber ge-
klagt wird, daß die Stadt die Mittel zum Bau entzogen habe.
1341 und 1383 scheint dann, wie Frey nach Inschriften an Balken
konstatiert hat, eine Ausbesserung des Daches oder Neubedachung
vorgenommen worden zu sein. Erst 1383 wird eine Kommission
für den Weiterbau ernannt und nicht eher als 1442 erfolgte die
Weihe , 1 566 eine Restauration durch Vasari. Die unausgeführte
Fassade wurde 1857 — 1863 von Cos. Matras und Dupres aus-
geführt.^)
Mit S. Croce, könnte man glauben, sei das letzte Wort ge-
sprochen worden, mit ihr habe die von der kleinsten einfachsten
^) Vergl. Vasari I, 285. Villani VIII, 7. Gaye: Carteggio I, 428. Moise: S. Croce.
Firenze 1845. Fantozzi: Nuova Guida 1842. Lübke: M. d. C. C. 1860, S. 172
(Durchschnitt). Kugler III, S. 547. Schnaase VII, S. 147. Mothes S. 761. Frey:
Die Loggia dei Lanzi in Florenz. S. 70 ff.
Die holzgedeckten Kirchen in Umbrien und Toskana. 341
Kapellenform ausgehende Entwicklung ihren Höhepunkt erreicht!
Was die räumliche Ausdehnung und den eigentlichen Typus be-
trifft, ist dies sicher richtig — daß aber gerade die von uns be-
trachtete Reihe von Bauten mit ihrem einfachen Prinzipe eine
weitere Bauentwicklung im XV. und XVI. Jahrhundert , jene von
Toskana ausgehende so bedeutungsvolle Form der einschiffigen
Renaissancekirche vorbereitet , erscheint mir nicht minder über-
zeugend. Dieser Punkt wird weiter unten seine genügende Be-
rücksichtigung finden , betont aber muß schon hier werden , daß
mit der Ausbildung des Typus , mit der allmählichen Erweiterung
der Verhältnisse auch die künstlerische Bedeutung der Kirchen ge-
wachsen war. Das Problem ist das denkbar einfachste , zugleich
aber das fruchtbarste, die Renaissance des spätem XV. Jahrhunderts
am entschiedensten vorbereitende. Es ist die von allen Nebenrück-
sichten freie , idealste Ausbildung der Raumverhältnisse , die in
diesen Kirchen eine so gewaltige Wirkung erzielt, daß man sich
anfangs verwundert fragt, worin denn ihr Zauber beruhen möge.
Aus diesen schmucklosen Bauten scheint mir ein größeres künst-
lerisches Können zu sprechen, als wohl aus den meisten nord-
italienischen Gewölbebauten : freier und in ganz modernem Geiste
schafft der toskanische frisch erwachende Kunstsinn Neues nach
neuen , klar empfundenen Prinzipien , die eine grundlegende Be-
deutung für das Quattrocento gewinnen , in dem dann für den
fertigen Gedanken die entsprechende Formsprache in dem antiken
Elemente gefunden wird. Da verschwindet auch noch , was für
den Gesammteindruck kleinlich und störend war: das Cisterzienser-
system der östlichen Kapellen. Indem diese nun ihren Platz an
den Seiten des Langhauses erhalten, gewinnt man die Möglichkeit,
dasselbe harmonisch reizvoll zu gliedern , ohne der eigentlichen
Idee des einheitlichen ungetheilten Raumes zu nahe zu treten.
Nicht bloßer Zufall ist es , daß L. B. Alberti für seinen Ruhmes-
tempel des Sigismondo Malatesta, für S. Francesco in Rimini
die alte Form der Franziskanerkirche beibehält, in der, wie es
scheint, jene Kapellenanlage in überraschendem Gegensatze zu den
sonstigen uns bekannten Bettelmönchbauten bereits als ursprüng-
liche Anlage vorhanden gewesen ist. Ein Analogon dazu bietet,
so weit ich zu urtheilen vermag, nur die Kirche der S. Chiara
in Neapel, die gleichfalls einschiffig ist, je zehn Seitenkapellen
und ein Querschiff hat. Sie wurde 13 10 gegründet, 1328 vollendet.
342 Die Franziskanerkirchen in Italien.
1552 von Giovanni di Gaiso im Innern umgewandelt.^) — Fast
noch deutlicher aber tritt uns die Beziehung der einschiffigen Re-
naissancekirchen zu den Bettelmönchkirchen in Cronaca's S. Fran-
cesco al monte zu Florenz, jener lieblichen Kirche der padri
riformati, die an Stelle der älteren nach 14 17 begonnenen, von
Cosimo und Lorenzo Medici dotirten, aber bis 1490 unvollendet
gebliebenen um 1500 entstand, entgegen. ,La bella villanella'
pflegte sie mit trefl'endem Ausdruck Michelangelo zu nennen , er,
der in späteren Jahren den Auftrag erhielt, eine ähnliche Kirche
der padri riformati, die sie 1472 empfangen und um 1500 von Baccio
Pintelli (?) neu hatten bauen lassen: S. Pietro in montorio in
Rom, mit Fresken zu schmücken. Endlich wird derselbe echt
florentinische Baugedanke von Jacopo Sansovino 1534 nach Venedig
verpflanzt, als er den Franziskanern die Zeichnung für den Neubau
von S. Francesco della vigna, eine einschiffige Kirche mit
fünf von toskanischen Pilastern gerahmten Kapellen , einem nicht
ausladenden Querschiff und tiefem viereckigen Chor, entwarf.-) So
haben wir also in Franziskanerkirchen selbst die bindenden Glieder
zwischen der einen großen Richtung der Renaissancebaukunst,
deren Ideal die einschiffige Kirche ist, und dem älteren Typus
der umbrisch- toskanischen Bettelmönchkirchen erhalten. Wir
werden auf diesen Zusammenhang noch einmal zu sprechen kommen,
wenn wir erst die norditalienischen Gewölbebauten , welche die
andere große Gruppe der Bettelmönchkirchen ausmachen , kennen
gelernt haben.
Ehe wir aber zu der Betrachtung derselben übergehen, möchte
^) Aeltere Schriftsteller wollten sie Masuccio II. geben, nachdem ein Deutscher
angeblich sich unfähig bewiesen. Mothes S. 647 neigt dazu, sie von Johann von Oli-
vola und Paulus Olerius oder von Pancius von Toulon bauen zu lassen. Französische
Elemente machen sich entschieden geltend.
^) Die Fassade ward 1562 von Palladio hinzugefügt. Es war dort nach 1253,
in welchem Jahre (am 8./6.) Marco Ziani testamentarisch den Grund und Boden hinter-
lassen , eine Kirche gebaut worden , die im XIV. Jahrhundert durch einen auf Kosten
der Familie Marcimana nach Zeichnung eines Marino da Pisa errichteten Neubau ersetzt
wurde. Aus gothischer Zeit erhalten ist noch der hübsche Klosterhof mit rundbogigen,
weitgespannten Arkaden auf zierlichen Säulchen. Vergl. die gelegentlich der ,Frari'
w. u. zitirten Guiden. — S. Giobbe, gleichfalls dem Orden gehörig , ward in der
zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts gegründet, aber nicht von Cristoforo Moro, wie
Sansovino will, da Dieser nur das Kloster erweiterte und die Kirche, namentlich die
Kapelle des h. Bemhardin, ausschmückte. Vergl. Moschini, Guida, 18 15.
Die norditalienischen Gewölbebauten. 343
ich einer kleinen , dem Franz geweihten Kirche in Gravedona
am Comer See gedenken , die von Lübke zuerst bemerkt und be-
schrieben wurde. ^) Es ist ein einschiffiger Bau ohne Querschiff,
wohl aus dem Anfang des XV. Jahrhunderts , mit dreiseitig ge-
schlossener Haupttribune und zwei rechtwinkligen Kapellen daneben.
Was ihn merkwürdig macht, ist die Anordnung von fünf Spitz-
bögen , über denen das Holzdach ruht , und die ihrerseits über
Pfeilern aufsteigen , die von den Mauern nach innen vortreten.
Lübke findet diese Konstruktion zuerst in S. Prassede in Rom und
in S. Miniato bei Florenz angewandt, wozu sich noch S. Niccolö
in Bari fügen ließe. Doch sind es dort überall Rundbögen , die
auf freistehenden Pfeilern des Mittelschiffes ruhen und über denen
das Holzdach hinweggeht. S. Maria bei Rezzonico, in der er genau
dieselbe Anlage als ehemals vorhanden annimmt, kenne ich nicht,
wohl aber einige andere genau mit dem in Gravedona überein-
stimmende Bauten, die ich bisher als charakteristisch für Gubbio
angesehen. Es ist zunächst der Dom daselbst, der ein Schiff mit
zehn derartigen Spitzgurten und, wie jene Kirche, einen fünfseitigen,
außen dreiseitig geschlossenen Chor hat. Die zwischen den Pfeilern
entstandenen Nischen sind jetzt als Kapellen benutzt und halbrund
innerhalb der geraden Längsmauer abgeschlossen. Der Thurm er-
hebt sich über der Vierung. Ferner S. Agostino, wo sich sieben
solche Gurtbogen befinden, die Apsis aber einfach viereckig ist.
Dazu dürfte wohl auch S. Francesco in S. Gemini zu rechnen
sein.-) Eine ähnliche Anlage wie in Gravedona fand ich neuer-
dings aber auch in Norditalien: in S. Bernardino zu Salö am
Gardasee.
IV. Die norditalienischen Gewölbebauten.
Hatten wir in Toskana aus kleinen Anfängen heraus einen
bestimmten Typus der Bettelmönchkirchen sich konsequent ent-
wickeln sehen, die Entwicklung bis zu ihrem Höhepunkt verfolgen
können, so begegnen wir im Norden nicht derselben Erscheinung.
Es ist als hätte mit der Entfernung von Assisi auch der Einfluß,
welchen das neue Ideal der Armuth gehabt, abgenommen, als hätte
man die Vorschriften , die Franz den Seinen gegeben , weniger
») M. der C. C. 1866, S. 118.
*) Ich kenne diese Kirche nur aus Guardabassi's Indice S. 91.
344
Die Franziskanerkirchen in Italien.
Streng aufgefaßt. Schon kurz nach seinem Tode erheben sich,
ihn zu ehren, mächtige, reiche Tempel, die einen merkwürdigen
Gegensatz zu den schHchten mittehtahenischen Bauten bilden.
Dieselbe Stadt Bologna , die stolz darauf war , den großen Zeit-
genossen des Mannes von Assisi , Dominikus , für immer als den
Ihrigen zu besitzen, sah schon von 1230 an einen Bau zu Ehren
des Franz erstehen , welcher den Stil der französischen Kathe-
dralen nach Italien verpflanzte. Vielleicht war es eben der Wett-
streit , in den hier zum ersten Male die beiden großen Orden
traten, der die Minoriten veranlaßte, allen Traditionen entgegen in
ihrer Kirche die Bedeutung ihrer Gemeinde den Dominikanern
gegenüber in monumentaler Weise geltend zu machen. Zu gleicher
Zeit fast wuchs in Padua die Kirche des heiligen Antonius empor.
Die Mitte des Jahrhunderts fand Franziskaner und Dominikaner
mit dem Bau ihrer Tempel in Venedig beschäftigt, und alle anderen
Kirchen der Stadt überflügelnd entstand in Mailand S. Francesco.
Was auf den ersten Blick befremdlich erscheint, die große Ver-
schiedenheit in dem äußeren Auftreten der neuen Orden im Norden
und im Süden, erklärt sich dennoch leicht. Die umbrischen Berg-
städtchen lassen sich eben nicht vergleichen mit den großen, reichen
und mächtigen Zentren des Handels und Lebens in NorditaUen —
die Stunde für Florenz und Siena hatte noch nicht geschlagen,
nur Pisa durfte es wagen , mit den lombardischen Städten es auf-
zunehmen. Die Begeisterung, welche in Mailand, Parma, Bologna,
Venedig, wie überall, die Menschheit für die unscheinbaren und
doch in diesen Zeiten des Kampfes Aller gegen Alle so trost-
reichen , so ergreifenden Anschauungen des Franz erfaßt hatte,
äußerte sich hier, wo alle Mittel gegeben waren, in dem Bau groß-
artiger Stätten , in denen Reiche und Mächtige dem Ideale der
Armuth huldigten. Und dazu kommt, daß die ersten Nieder-
lassungen der Bettelmönche hier in eine Zeit fallen , in der eine
bedeutende , neue Formen suchende und bildende Bauthätigkeit
in voller Bewegung ist. Seit einem Jahrhundert fast ist die Lom-
bardei beschäftigt damit, die Probleme der Gewölbebildung zu lösen,
die Cisterzienser haben neue Formen und Ideen mit sich gebracht
— erst 1221 ist Chiaravalle bei Mailand fertig geworden, das so
großen Einfluß in der Lombardei gewinnen sollte — kurz man
wartete nur auf die Gelegenheit , die reichen und vielseitigen Er-
fahrungen praktisch zu verwerthen , als diese nun zum gegebenen
Die Gewölbebauten. Der Basilika-Typus. ^45
Augenblick eintrat. Das Volk verlangte und bezahlte große Kirchen,
die Architekten sorgten dafür, daß sie auch reich gegliedert und
schön wurden , und die Bettelmönche ließen es sich wohl ge-
fallen. So sehen wir überall Leben und Thätigkeit. Man macht
die verschiedenartigsten Versuche in der neuen Bauweise : das
Losungswort für die Verarbeitung und Durchbildung des gothischen
Stiles ist gegeben und Norditalien ist es , das diesen in seiner
für ganz Italien charakteristischen Eigenart an den Bettelmönch-
kirchen entwickelt.
Bei deren näheren Betrachtung können wir im Ganzen zwei
große Kategorieen unterscheiden. Die erste umfaßt Bauten, die
sich im Grundriß noch an die alte Basilikaform halten, die zweite
solche, in denen Cisterzienserbauten nachgebildet werden, und zwar
nach den zwei verschiedenen Grundsystemen in zweifacher Weise,
indem man sich entweder an den Kathedralentypus mit dem reich
gegliederten Chor oder an den Typus der einfacheren Chorkapellen-
anlage hielt. Die Bauten der ersten Kategorie sind gewissermaßen
Uebergangsbauten , die anderen bringen und entwickeln die neuen
Grundformen der italienischen gothischen Kirchenanlagen. Aus den
folgenden Ausführungen scheint mir aber deutlich hervorzugehen,
daß die italienische Gothik überhaupt ihrem wesentlichen Charakter
nach sich direkt an die Baukunst der Cisterzienser anlehnt , daß
die Cisterzienser die bestimmenden Ideen gegeben, die Bettelmönche
sie ausgebildet haben. Das einzig wirklich Neue , was die Gothik
in Italien erfährt, ist die Verbindung des seit den klassischen Zeiten
im Süden stets beliebt gebUebenen Kuppelbaues mit den Cister-
ziensergrundrissen.
I. Der Basilika-Typus.
Die zuerst hier zu erwähnende Kirche , vielleicht der erste
größere Bau der Franziskaner im Norden, ist S. Francesco del
prato in Parma. Ueber die Geschichte ihrer Entstehung sind
wir nicht genau unterrichtet. Wir wissen nur, daß gleich nach
1226, dem Todesjahr des HeiUgen , der Konvent mit Oratorium
und Hospital errichtet und (nach Malaspina) 1250 vollendet wurde.
Michele Lopez läßt den Bau 1230 beginnen, spätestens 1298 voll-
endet sein, und zwar auf Grund des ,Chronicon Parmense' (1858
p. 106), das 1398 ,ecclesiam novam Fratrum Minorum* erwähnt.
Daraus können wir schließen, daß der von Flaminio di Parma auf
346
Die Franziskanerkirchen in Italien.
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Grund alter Quellen in's Jahr 1380 verlegte Bau nur eine Erwei-
terung bezweckte, nicht Neubau war. 1398 ist die Umgebungs-
mauer (.?) vollendet. Von 1443 haben wir eineNotitz: ,incepti sunt
pilones de quadredo in Ecclesia Minorum S. Francisci de Parma'.
1460 ward das Radfenster vom Tagliapietra Albert von Verona
eingeliefert. 1806 wurde die Kirche Kaserne, wenige Jahre später
Casa di forza.^) Es kann kein Zweifel sein , daß die Anlage und
wesentlichsten Bestandtheile auf das XIII. Jahrhundert, vielleicht so-
gar auf die erste Hälfte desselben zurückgehen. Dafür scheinen
mir namentlich die kleinen rundbogigen Fenster im Mittelschiff,
die noch durchaus romanisch sind, zu sprechen.
Aus der Zeit des Neubaues im XIV. Jahrhundert
dürften die Kapellenanbauten am rechten Seiten-
schiff, sowie die polygone Gestaltung der Ap-
siden stammen, ob auch die spitzen Scheidbögen,
wage ich nicht zu entscheiden. Unter Napoleon I.
wurde, um Raum zu gewinnen, eine Decke in
der Mitte eingezogen und die Kirche durch eine
Ausfüllung der Arkaden mit Mauerwerk in drei
gesonderte Räume getheilt. Sie ist eine drei-
schiffige Basilika mit offenen Dachstühlen, fünf
mächtigen hohen Spitzbogen auf kräftigen Rund-
pfeilern mit einfachen Gesimskapitälen , fünf-
seitig geschlossener Hauptapsis mit achttheiligem
Gewölbe und zweireihig angeordneten spitz-
bogigen Fenstern, und zwei kleineren vierseitig
geschlossenen Seitenkapellen (das siebentheilige
Gewölbe nur in der rechts erhalten). Die erste der fün'f Arkaden
an der Eingangsseite hat nur die halbe Spannweite der anderen.
Am rechten Seitenschiffe sind zunächst vier größere quadratische.
Abb. 56. S. Francesco in
Parma.
^) Flaminio di Parma: Memorie istoriche delle chiese e dei conventi dell' osser-
vante e riformata provincia di Bologna. Parma 1760, S. 163. (1398 completus fuit
murus Ecclesiae fratrum Minorum, quam coepit facere F. Joannis Quaglia de Parma.) —
Affo: II Parmigiano Servitor di Piazza. Parma 1796. — Donati: nuova Descriz.
1824. — Bertoluzzi: nuovissima Guida. 1830 (sagt: 1233 bezogen die Mönche das
Kloster, Bau erst gegen 1238 vollendet; aufweiche Quellen hin?) — Michele Lopez:
II battistero di Parma. 1864, S. 28. — Malaspina: nuova Guida III. ed. 1869. —
Martini: Guida. Grazioli (70er Jahre). — Mothes S. 455. — Verhältnisse nach eigner
Messung ungefähr: Mittelsch. 9,72 m, Seitensch. 3,90, Pfeilerdst. 9,72 m.
Die Gewölbebauten. Der Basilika -Typus. 347
dann fünf schmale oblonge Kapellen angebaut, in denen zum Theil
die alten Kreuzgewölbe mit Rundrippen erhalten sind. (Abb. 56.)
Neben der rechten Seitenapsis der Campanile. Die Fassade , fast
ganz von modernen Fensteröffnungen durchlöchert , hat spitzen
Giebel , vier Strebepfeiler, in denen je eine gothische Nische sich
befindet , ein größeres rundbogiges , durch drei Rundstäbe mit
gothischen Kapitalen gegliedertes Mittelportal , ein kleineres , in
jüngster Zeit sorgfältig restaurirtes ähnliches rechts. In der Höhe
das Glücksrad : ,,ruota della fortuna".
Haben wir in diesem frühen Bau noch das ausgesprochene
Streben nach möglichster Einfachheit, so zeigt S. Francesco in
dem benachbarten M o d e n a , die erst im XIV. Jahrhundert ihre
jetzige Gestalt erhielt, bei derselben Grundanlage einer dreischiffigen
Basilika mit einer um zwei Joche hinausgeschobenen dreiseitigen
Hauptapsis und zwei ebenso geschlossenen Seitenapsiden eine reiche
Gewölbeanlage. Die neun (inklusive des Chores elf) Joche des
Mittelschiffes sind ungewöhnlich schmal oblong, die Stützen ein-
fache viereckige Pfeiler. Die modernisirte Fassade hat ein spitz-
bogiges Portal und Radfenster.
Ob die Kirche der Franziskaner in Reggio, die nach
Salimbene im Jahre 1285*) begonnen wurde, mit den eben be-
sprochenen Bauten zusammenhängt, vermag ich nicht zu sagen,
wohl aber zeigt eine Verwandtschaft die seit dem Anfang des Jahr-
hunderts als Arsenal dienende Kirche S.Francesco inMantua.
Da diese wenig bekannt ist, wird eine Beschreibung nicht über-
flüssig erscheinen. Wohl erhalten ist von dem Bau nur das
Aeußere: die stattliche, durch Strebepfeiler dreigetheilte Fassade
mit schönem gothischem Steinportal , zwei hohen schmalen ein-
fachen gothischen Fenstern, einem reizvollen Radfenster, sich
kreuzendem Rundbogenfries und einem Spitzgiebel mit achtseitigen
Fialen. Rechts schließt sich die Seitenwand der ersten großen
Kapelle daran. Die rechte Seitenfront wird belebt durch die runden
Abschlüsse der fünf Kapellen und die an Stelle eines Querschiffes
^) Salimbene : Chronik in den ,Monuraenta historica ad provincias Pamiensem
et Placentinam pertinentia'. Parma 1857, S. 346. „1285 inchoata est fundari ecclesia
fratrum Minorum de Regio ; et frater Gilinus de Conrado de Regio primum lapidem
posuit ibi in pilastro anteriori , juxta viam , quae est prope domum ecclesiae sancti
Jacobi in VI feria infra octavam Pentecostes scilicet XVIII die mensis maji XV
Kalendas Junii."
348 Die Franziskanerkirchen in Italien.
hervortretende große Kapelle , die eine Fassade mit kräftigen
fialenbekrönten Eckpfeilern, Kleeblattbogenfries, zwei im Kleeblatt-
bogen geschlossenen hohen Fenstern und einer Rosette hat und
den Details nach wohl aus derselben Zeit wie die Hauptfassade
stammen könnte. Auch der Thurm ist alt. Wer, durch diesen
reichen Gesammteindruck gespannt, das Innere betritt, wird sehr
enttäuscht. Dasselbe hat durch eine eingespannte Decke, zu deren
Stützung in der Mitte der Kirche Pfeiler angebracht wurden , ein
zweites Stockwerk erhalten. Diesem neuesten Umbau unseres Jahr-
hunderts muß aber schon früher ein anderer vorangegangen sein,
der den alten Pfeilern korinthische Pilaster vorlegte, die alten Kreuz-
gewölbe im zweiten Seitenschiffe rechts in Kuppelgewölbe um-
wandelte und den Chor umgestaltete. Mit Sicherheit läßt sich nur
sagen, daß der älteste Bau jedenfalls eine dreischiffige Pfeilerkirche
von acht Jochen mit einer größeren Mittelapsis und zwei viereckig
geschlossenen Seitenapsiden war. (Abb. 57.) Die Pfeiler hatten, wie
zwei Reste im rechten Seitenschiff beweisen, Halbsäulen mit niedrigen,
an der Ecke abgefasten Kapitalen vorgelegt. Die Haupttribune
hat jetzt eine Kuppel und runde Concha. Bis auf zwei sind alle
Scheidbögen rund — vielleicht erst vom Umbau her — , die Quer-
gurte spitzbogig. Die Gewölbe des Hauptschiffes sind oblong, die
der Seitenschiffe fast quadratisch. Nun befindet sich aber rechts
noch ein zweites Seitenschiff, an das sich zunächst eine große
oblonge, dann fünf rundgeschlossene, schließlich eine gleichsam den
einen Arm eines Querschiffes bildende große Kapelle anschließen.
Dieser entspricht am linken Seitenschiff die Sakristei in der Anlage.
Erscheint es auch von vornherein wahrscheinlicher , daß solche
Unregelmäßigkeit Folge eines späteren Ausbaues ist , zumal das
Aeußere eine vorgeschrittene Gothik zeigt, so haben sich mir doch
keine bestimmten Anzeichen ergeben , die ein Urtheil möglich
machten. — Von der Baugeschichte ist Nichts bekannt, als daß
1304 ein gewisser Germanus den Bau vollendet.^)
^) Nach Carlo d'Arco: delle arti e degli artefici di Mantova notizie. Mantova
1857, vol. I, S. 92. Die Gulden des Cadioli : Descrizione etc. Mantova 1763 und
Susan! : Nuovo prospetto etc. di Mantova 1 8 1 8 enthalten nichts die Baugeschichte
Betreffendes. — Fassade: bei Runge: Beiträge zur Kenntniß der Backstein - Arch.
Italiens. Neue Folge. Berlin 1853. XVI, I. Zu bemerken ist im Chore ein großes
Fresko ganz im Stile Mantegna'«. S. Domenico habe ich leider nicht im Innern be-
sichtigen können. Es scheint wenig mehr von seiner ehemaligen Gestalt zu haben.
Die Gewölbebauten. Der Basilika -Typus.
349
Einen Schluß auf die alte Gestalt des Chores an der Kirche
zu Mantua würde uns nun vielleicht S. Francesco in Brescia
gestatten, erführen wir nicht aus einer alten Notiz, daß deren Chor
ein gothischer Neubau des XV. Jahrhunderts ist. Hier ist das drei-
schiffige Innere , das aus sieben Jochen bestand , im letzten Jahr-
hundert durchaus verändert worden (dorische Säulen mit Rund-
bogen , Stichkappengewölbe) , nur die Haupttribune , die von zwei
rechtwinkligen kleineren Apsiden , ganz wie in Mantua , flankirt
wird, ist erhalten. Sie be-
steht aus einem quadrati-
schen, einem darauf folgen-
den ganz schmalen oblongen
Gewölbe und einer fünfseiti-
gen Concha. Wie war sie
ursprünglich.? Jedenfalls we-
niger tief, aber ob recht-
winklig oder polygon.-* Am
linken Seitenschiffe befinden
sich sechs Kapellen, von
denen die vierte aus gothi-
scher Zeit stammt, die fünfte
und sechste außen eine hüb-
sche Renaissanceverkleidung
mitPilastern hat. DerThurm
ist alt erhalten, auch die
Fassade im Wesentlichen.
Sie ist dreigetheilt , hat ein
feingegliedertes rundbogiges
Portal mit Knospenkapitälen, die sich als Sims bis zu den Strebe-
pfeilern fortsetzen, ein großes Radfenster, einen sich kreuzenden
Rundbogenfries und zwei moderne viereckige Fenster. Nach Mal-
vezzi's Chronik ist die Kirche 1265 vollendet, 1470 der Chor neu
von Antonio Zurlengo gebaut worden.^)
Schließlich ist an dieser Stelle die Kirche S. Francesco in
c — ^- -/^- -)«r ---;♦-
A' ,'*'^, lAi.-'- '•
Abb. 57. S. Francesco In Mantua.
^) Le pitture e scolture dl Brescia. 1760. — Pitture ed altri oggetti di belle
arti di Brescia. 1834. (Cavalieri.) — San Domenico, 1223 gegründet, ist 161 1 total
verändert und umgebaut worden. — Dagegen scheint S. Maria del Carmine in der
Anlage S. Francesco verwandt gewesen zu sein. (Sieben Joche, goth. Säulen, modemer
tiefer Chor, sechs alte barockisirte viereckige Kapellen am rechten Schiffe.)
3 Co I^Jc Franziskanerkirchen in Italien.
G u b b i o zu nennen, die ebenso wie einige andere oben erwähnte
Bauten derselben Stadt entschiedene Beziehungen zu Norditalien
aufweist. Jetzt im Innern vollständig barockisirt ist doch die drei-
schiffige Gesammtanlage mit drei fünfseitigen Apsiden erhalten ; die
achteckigen Pfeiler, die, wie in Modena, ziemlich eng (halbe Breite
des Mittelschiffes) gestellt sind — nur die ersten zwei haben größere
Distanz — dürften alt sein, tragen aber jetzt Rundarkaden. Die
Seitenschiffgewölbe erreichten fast die Höhe derjenigen des Mittel-
schiffs. Die dreigetheilte Fassade hat ein rundbogiges Portal, einen
horizontalen Spitzbogenfries und ein jetzt zugemauertes Radfenster.
Die Seitenwand und die Apsiden sind durch Lisenen mit Rundbogen-
fries gegliedert und haben hohe, schmale gothische Fenster. An der
Nordseite ist ein rundbogiges Doppel-Portal. Der über der südlichen
Apsis sich erhebende eigenthümliche Thurm ist oblong achtseitig.
Aus einem Breve Nicolaus' IV. geht hervor, daß Kirche und Konvent
1292 vollendet waren. ^)
Eine Anzahl anderer Kirchen, die, was das Festhalten an der
alten romanischen einfachen BasiUkaanlage betrifft, Verwandtschaft
mit den oben besprochenen zeigen, vergleichend mit in Betrachtung
zu ziehen, würde zu weit führen, zumal die Uebereinstimmung
hier nur eine sehr oberflächliche ist und sich nicht auf die An-
lage der Gewölbe und die Bildung der Details erstreckt, von
irgend welchem näheren Zusammenhange also nicht die Rede sein
kann.^) •
2. Der Kathedralentypus.
Mit diesem kurzen Namen wollen wir eine Gruppe von Kirchen
bezeichnen, deren Charakteristisches der Chorumgang mit Kapellen-
1) Guardabassi: Indice. S. 99. Maaße: Msch. 7,29, Ssch. 4,59, Pfdist. 3,05.
Auch die im XVII. Jahrhundert umgebaute Kirche des hl. Dominicus in Fabriano
mit einer siebenseitigen Apsis und einer reichen Lisenengliederung mit Spitzgiebelchen
im Aeußeren wäre vielleicht hier mit zu erwähnen.
*) Vergl. z. B. die 1325 vollendete holzgedeckte Säulenbasilika S. Stefano, sowie
S. Maria del Carmine in Venedig, welch' letztere in der Anlage doppelter (nicht mehr
erhaltener) Gewölbe an mailändische Bauten erinnert (1208 — 1250). Femer S. Martino
maggiore in Bologna, eine aus dem XIV. Jahrh. stammende Pfeilerbasilika, den Dom
in Arezzo, der nach 1277 gebaut wurde (Pfeiler, fiinfseitige Hauptapsis, rechtwinklige
Seitenapsiden), den Dom von Cesena um 1350 (Pfeiler mit vorgelegten Halbsäulen,
Haupttribuna der von S. Francesco in Brescia ähnlich), S. Mercuriale in Forli, und zahl-
reiche Gewölbekirchen in kleineren Städten der Lombardei, z. B. Castiglione d'Olona.
Die Gewölbebauten. Der Kathedralentypus. 351
kränz ist. Es kann kaum zweifelhaft sein , daß dieser zum ersten
Male in Norditalien mit der Kirche S. Francesco in Bologna,
die von 1236 — 1260 gebaut ward, auftritt. Sie ist es, die für die
gesammte Entwicklung der Gothik in Bologna bestimmend wirkt
und ihren Einfluß selbst noch bei der Feststellung des Kirchen-
planes für S. Petronio geltend macht; daß man dies früher nicht
erkannt und ihrer Bedeutung bis zum Erscheinen der ersten Auf-
lage dieses Buches nicht gerecht geworden, liegt wohl hauptsächlich
daran , daß sie als Militärdepot lange Zeit schwer zugänglich war,
bis sie in neuerer Zeit, wiederhergestellt und nun viel bewundert,
auch zum Gegenstand mancher Untersuchungen gemacht, dem Be-
suche geöffnet wurde. Der von Lübke in den Mittheilungen der
Zentralkommission gegebene Grundriß ist sehr verfehlt, somit
auch die danach gemachte Beschreibung Schnaase's nicht genau. ^)
Mothes erwähnt wie Jene Nichts von dem wichtigen Kapellenkranz
und hat irrthümliche Angaben über die Gewölbe. Es kann daher
nicht verwundern, daß man früher auch nicht darauf aufmerksam
geworden ist, daß der im Jahre 1267 begonnene Chor von S, Antonio
in Padua nur in Nachahmung der älteren Minoritenkirche zu Bologna
entstanden ist.
Ueber die Baugeschichte sind wir ziemlich genau unterrichtet.
Alle älteren Guiden nennen als Zeit der Entstehung 1236 oder
1240, derjenige von 1755 als Baumeister den Marco Bresciani, und
damit stimmen die neueren Forschungen Ghirardacci's überein, der
Gonzati's Behauptung, ein Franziskaner Fra Giovanni habe den Bau
geleitet, widerlegt und beweist , daß Marco da Brescia der eigent-
liche Architekt gewesen sei und jener Giovanni nur die Reparaturen
zweier eingestürzter Bögen 125 1 bis 1256 ausgeführt habe.^)
1845 wurde die Kirche restaurirt und polychrom bemalt und wurde
*) 1860, S. 168. In seiner Gesch. d. Arch. S. 629 berichtigt Lübke selbst die
falsche Zeichnung der Gewölbe, weiß aber nicht, daß der Hauptfehler in dem Weg-
lassen des Kapellenkranzes besteht. — Schnaase VII, S. 126.
*) Pietro Lamo: Graticola di Bologna ossia Descriz. etc. fatta lanno 1560.
Bologna 1844. — Le pitture di Bologna. IV. Ed. 1755 (Longhi). Pitture, sculture
ed architecttire di Bologna (Longhi) 1776. (Dass. Ausg. v. 1792.) — Gualandi: tre
Giomi in Bologna lü, Ausz. 1865. — In den Guiden von 1820 u. 1825 findet sich
Nichts, da zu jener Zeit S. Francesco Dogana war. — Mothes S. 457. — Von der
neueren Litt, vergl. Alfonso Rubbiani : La chiesa di S. F. 1886. — Abb. der Fassade
bei Runge: Beiträge I. Folge Bl. 2?, 31, 33 unzuverlässig. — Maaße: Msch. 10,20 ra,
Ssch. 6 m, Pfdist. 5,26, Kapellentiefe 4,45, Pfeilerdurchmesser 1,62.
352
Die Franziskanerkirchen in Italien.
in den letzten Jahren des XIX. Jahrhunderts von Rubbiani wieder-
hergestelh. War es aber auch ein Italiener, der dem Bau vor-
gestanden , so zeigt dieser dennoch durchaus französischen Stil.
Wenn es bei anderen gothischen Monumenten Italiens oft zweifelhaft
bleiben kann, wie weit in ihnen ein fremder Einfluß sich geltend
macht, hier kann keine Frage darüber sein. Das System des Chor-
umganges mit Radialkapellen ist ein in jenen frühen Zeiten Frank-
reich durchaus eigenthümliches; wo wir es in Deutschland finden —
und zwar mit wenigen Ausnahmen wie z. B. am Magdeburger Dom,
am Dom zu Cöln begegnet es uns hier erst später im XIV. Jahr-
hundert — ist es entlehnt, während es dort sich bereits in den
romanischenBauten konsequent entwickelt hatte. Auf welche spe-
ziellen Vorbilder S. Francesco in Bologna zurückzuführen ist, wird
sich ergeben, wenn wir den Eau einer genaueren Betrachtung
unterziehen.
Es ist eine dreischiffige Pfeilerkirche mit sieben Jochen, nicht
ausladendem Querschiff, halbkreisförmigem Chor mit Umgang und
neun viereckigen niedrigen Radialkapellen. (Abb. 58.) Die über
das Längsschiff ausladenden Kreuzarme sind wohl erst später im
XVII. Jahrhundert angebaut-^), ebenso die sechs Anbauten am linken
Seitenschiff, von denen nur die auf das zweite Joch (vom Eingang
aus gezählt) sich öffnende fünfseitig geschlossene Kapelle des heiligen
Bernhardin der späteren Gothik angehört.^) Das Mittelschiff hat
am Eingange zunächst ein oblonges, dann drei quadratische sechs-
theilige Gewölbe, denen in den Seitenschiffen die doppelte Anzahl
quadratischer Gewölbe entspricht. Die ziemlich niedrigen sieben
Arkaden ruhen auf achteckigen Pfeilern mit simsartigen Deckplatten,
über denen als Träger der Gewölbe dreiseitige Lisenen mit gothi-
schen Blattkapitälen emporsteigen. Der mittlere Transversalgurt
der sechstheiligen Gewölbe ruht auf einfachen schwächeren Pilastern.
^) Mothes zweifelt, ob dies nicht schon bei der Reparatur von 125 1 — 1256
geschah.
^) Nach dem Guida von 1755 um 1440 gebaut und mit Fresken von 1450 ge-
schmückt, die in dem Gruida von 1776 1456 datirt und in dem von 1792 einem Giovanni
da Modena zugeschrieben werden, der die daselbst befindliche Tafel mit Bemhardin
von Siena (mit Legendendarstellungen) 1451 gemalt. Pietro Lamo erwähnt gegenüber
der Sakristeithüre ein Fresko: Geburt Johannes des Täufers ,,di mano di Giovanni
Faloppia da Modena, e per cose antiche sono belle, e furono fatte l'anno 1428." Es
ist dies ein sonst unbekannter Meister, dessen Namen hier aber sicherlich nicht er-
funden ist.
Die Gewölbebauten. Der Kathedralentypus.
353
In den Seitenschiffen Pilaster. Wie viel hier auf Rechnung der
Restauration kommt, wage ich nicht zu entscheiden. Im Haupt-
schiffe einfache spitzbogige Fenster. Das quadratische Gewölbe
der Vierung ruht auf Pfeilern , von welchen die am Längsschiff
(restaurirt) mit vier von Akanthuskapitälen bekrönten Pilastern be-
legt sind, am Chor die alte Gliederung mit fünf Rundstäben be-
wahren. Die Kapitale der letzteren haben rechts gothischcs Blatt-
werk , links eigenthümliche
sirenenartige Vögel. Der Chor
mit zehnfachem Gewölbe hat
noch die alten Pfeiler mit vier
größeren und vier dazwischen
gestellten kleineren Rundstä-
ben. An den Kapitalen finden
sich einfache schilfartige Blät-
ter, Lilien, Knospenblätter,
einmal auch zwei Drachen mit
ochsenartigen Köpfen, die sich
beißen. Die Bögen sind hoch,
lanzettförmig, die Fenster ein-
fach spitzbogig, in der Höhe
kleine Rundfenster; der Chor-
umgang ist niedriger als die
Seitenschiffe. Die sphärisch
angelegten Kapellen , deren
hinterste später umgewandelt
worden ist, sind niedrig. Als
Träger der Gewölbe des Um-
gangs dienen verschiedenartig
gestaltete Pfeiler, die theils
fünfseitig aus dem Achteck
Abb. 58. S. Francesco in Bologna.
gebildet, theils mit Rundstäben gegliedert sind. Einige Male finden
sich an ihrer Stelle Konsolen, von denen mehrere modern.
Das Aeußere der Kirche zeigt Lisenen und Spitzbogenfries,
Strebemauern über dem Seitenschiff, der Chor über den Kapellen
ein vollständig nordisch ausgebildetes System von Strebebögen. Von
den zwei Thürmen stößt der ältere kleinere, 1261 gebaute, mit
einfachen Fenstern versehen, an die Ostseite des rechten Querschiffes ;
der spätere, der reicher drei- und zweigetheilte Fenster zeigt und
Thode, Franz von Assisi. 2^
354
Die Franziskanerkirchen in Italien.
1397 vom Capo maestro Antonio di Vincenzo gebaut wurde, steht
etwas weiter rechts.
Die Fassade, unorganisch hoch über die Schiffe hinausgebaut
und zu hoch im Verhältniß zur Breite , hat spitzen Giebel , Strebe-
pfeiler, in der Mitte eine spitzbogige Thüre mit spitzem Giebel,
darüber zwei spitzbogige hohe, schmale Fenster, ähnliche kleinere
unten zur Seite. Ferner in der Höhe drei Rosetten und über der
mittleren zwei kleinere rundbogige Doppelfensterchen. Als Ab-
schluß dient ein Spitzbogenfries über eingelegten runden, kleinen
Marmormedaillons. Offenbar stammt die Hauptsache von einem
Umbau, der nach einer Notiz Pietro Lamo's der Familie der Guasta-
villani verdankt wird und daher wohl in das Ende des XIV. Jahr-
hunderts zu setzen ist, da die Stifter vermuthlicfi dieselben waren,
die 1388 bei den Brüdern Massegne den reichverzierten Altar be-
stellten. Vielleicht bezieht sich die Angabe des Guida von 1792 : die
Kirche sei 1383 wieder gebaut worden, auf die Fassade.
Der Gesammteindruck des Innern ist ein sehr harmonischer,
dabei so nordisch - gothischer, wie ich ihn in keiner andern italie-
nischen Kirche erhalten. Die Verhältnisse sind schlank, das Auf-
streben ist deutlich ausgesprochen, das Mittelschiff überragt hoch
die Seitenschiffe, das Ganze entspricht deutlich den frühgothischen
Kirchen Frankreichs , an die nicht allein das Chorsystem , sondern
auch die sechstheiligen Gewölbe und die Details, die Pfeilerbildung,
die Strebesysteme, die Kapitale auf das Entschiedenste erinnern.
Und zwar muß ich das direkte Vorbild in französischen Cisterzienser-
bauten wie denen in Clairvaux und Pontigny sehen. Hier findet
sich die seltene, sonst mir nicht bekannte Eigenthümlichkeit , daß
der halbkreisförmige Chor neun Radialkapellen hat, welche die
Gestalt von sphärischen Vierecken haben und zusammen außen eine
fortlaufende halbkreisförmige Außenmauer bilden.^) Die Ueberein-
stimmung gerade in dieser Eigenthümlichkeit der Form und Anlage
der Kapellen läßt für mich keinen Zweifel übrig, daß hier eine
direkte Entlehnung stattgefunden hat — ein besonders interessantes
und schlagendes Bei-spiel mehr dafür, daß die Bettelmönche in ihrer
Bauthätigkeit treue Nachfolger der Cisterzienser sind.
Dabei könnte nur die eine Frage entstehen : haben die Fran-
^) Grundrisse bei VioUet-le-Duc : Dict. rais. de l'architecture frangaise I. B. S. 267
(Clairvaux) und S. 272 (Pontigny).
Die Gewölbebauten. Der Kathedralentypus. 355
ziskaner direkt entlehnt , oder schließt sich ihre Kirche nicht an
die ältere Kirche S. Domenico in Bologna an.? Ich glaube,
daß die letztere Annahme ausgeschlossen ist, da es von vornherein
nicht wahrscheinlich ist, daß das Bauwerk, wäre es so vollendet
und reich gewesen, eine so vollständige Umwandlung erfahren hätte,
wie Francesco Dotti sie 1730 vornahm. Was aber vom alten Bau
erhalten ist : der Chorschluß , der allerdings nach meinem Dafür-
halten die allergrößeste Verwandtschaft mit S. Francesco zeigt, ist
zweifellos viel später, wohl erst im XV. Jahrhundert entstanden.
Damals hat man offenbar geplant, die ältere Kirche auszubauen
und zu erweitern und für den Chor sich an das Vorbild der Mino-
ritenkirche zu halten. Der Chor scheint neunscitig beabsichtigt
gewesen zu sein mit Umgang und neun Radialkapellen, von denen
an der Nordseite außen noch drei erhalten sind, eine vierte in den
Neubau hineingezogen wurde. Das ausladende Querschifif sollte
polygonen Abschluß erhalten, wie der achtseitige Schluß am nörd-
lichen Arm beweist, der, wie in S. Francesco, kräftige ^V^ Strebe-
pfeiler, die rundbogig verbunden sind, aufweist. Das krönende
Gesims ist durchaus antikisirend und stammt wohl aus der zweiten
Hälfte des Quattrocento. Aus dem Allen geht hervor, daß der
Franziskanerkirche die Priorität zukommt.
Wenige Jahre vor dem Beginn von S. Francesco in Bologna
war in Padua der Grundstein zu S. Antonio, der gewaltigen
Kirche des 1231 gestorbenen, 1232 kanonisirten größten Anhängers
des Franz : Antonius gelegt worden. Die durch Ezzelino erregten
Unruhen hemmten jedoch den Fortgang des Baues, bis 1256 Ale-
xander IV. einen Ablaß zu dessen Gunsten erließ, der nun in
den folgenden Jahren, in denen verschiedene Baumeister erwähnt
werden^), rüstig vorwärts gebracht wurde. Am 27. September 1267
wurde der Grund zum Chorschluß gelegt, 13 10 der Heilige über-
— /
^) 1263 Egidius murarius, Sohn des Mag. Gracius; Ulbertinus, Sohn des Lan-
franchus ; Nicolaus murarius , Sohn des Johannes ; Pergardus , Sohn des Hugo , alle
aus Mantua. 1264 Benedictus murarius aus Verona und Zambonus aus Como. 1266
Albertus de Pinalto. 1292 Fra Clarello. 1307 Fra Jacopo von Pola. Vgl. die aus-
führliche Baugeschichte bei Mothes S. 460 flf. , der alle älteren Arbeiten , unter denen
ich nur Gonzati's vorzügliche Monographie: la Basilica di S. Antonio, Padua 1853,
Essenwein in M. der C. C. 1863, S. 69 flf., erwähne, anführt. Schnaase VII, 133 ff.
(Abb.), Lübke S. 442 (Abb.), Guida della Bas. di S. Antonio und die bei S. Agostino
erwähnte Literatur der Guiden, sowie Abb, bei Gally Knight II, 21. Runge 11, 14.
Nach Lübke: Breite 112 F., Länge 316 F.
/ 23*
356 Die Franziskanerkirchen in Italien.
tragen. 1350 war die Kirche vollendet. 1377 beginnt Magister
Andriolo aus Venedig die Capella S. Feiice. 1424 wird die siebente
Kuppel gebaut, 1434 der Kreuzgang von Christoph von Bozen.
1448 restaurirt man die Fassade. 1481 — 90 entsteht der Kreuz-
gang des Noviziats. 1470 wurde die Kapelle des Heiligen von
Bartolomeo da Ponte und 1498 von Agostino da Bergamo nach
Entwurf des Pier Antonio von Modena, dann 1500 und 1532 aus-
geschmückt. 15 19 wird der große Kreuzgang von Giovanni Minello
und Francesco di Cola gebaut, 165 1 der Chor umgestaltet und 1745
die Reliquienkapelle hinter dem Chor vollendet. 1862 findet Re-
stauration durch Valentin Schmidt statt. Eine eingehende Be-
schreibung des bekannten Bauwerks wäre überflüssig, wohl aber
muß darauf hingewiesen werden, daß Essenwein doch nicht so
ganz Recht hat, wenn er sagt, die Kirche sei weniger ein Bau des
Ordens als der Stadt Padua , ebensowenig wie Mothes , der noch
weiter gehend meint, daß sie als Bau nicht der norditalienischen
Tiefebene , sondern ganz Italien angehöre. Eine so wunderbare
Wirkung die Verbindung der großartigen byzantinischen Kuppel-
anlage mit dem französischen Chorsysteme hervorbringt, so läßt
sich diese doch auf den bestimmenden Einfluß, den zwei nord-
italienische Kirchen in dem Verlauf ihrer langen Baugeschichte auf
sie gehabt, zurückführen. So wie sie uns jetzt erscheint, gehört
sie der allgemeinen Anlage nach in den Kreis der Bettelmönch-
kirchen, die sich mit S. Francesco in Bologna an das reiche Cister-
ziensersystem anschließen. Welcher Art der ursprüngliche Plan
gewesen, ehe man 1263 den Bau über das Querschiff fortführte
und nun für den Chor iene Kirche zum Vorbild nahm , ist jetzt
wohl sehr schwer zu bestimmen. Schnaase nimmt an, daß an die
sechste Kuppel sich eine einfache Concha anschließen sollte. Das
ist denkbar, doch würde dies nicht vielleicht schon eine Erweiterung
des ersten Planes bedeuten, und bestand nicht vielleicht dieser
bloß in einem Längsschiffe und Querschiffe , an das sich ohne
weiteres der Chorraum — der wie immer gestaltete Chor — an-
schloß.? Oder war die Kreuzgestalt thatsächlich vollständig durch-
geführt.? Mit S. Marco in Venedig hat S. Antonio schließlich
doch nur die Kuppeln gemein : der Grundriß der Kirche scheint
mir zu verschieden, als daß man ihn nur als eine Erweiterung
des Längsschiffes von S. Marco auffassen könnte, bei der man dem
lombardischen Gewölbesystem gefolgt wäre. Ist nicht in dem letz-
Die Gewölbebauten. Der Kathedralentypus.
357
teren doch schon von vornherein der Charakter der Bettelmönch-
kirche ausgesprochen.'' Ich glaube dies bejahen und damit ein
stärkeres Gewicht auf die Grundrißanlage, als auf die Kuppeln
legen zu müssen.
Zur Bekräftigung meiner Ansicht ziehe ich die Kirche S. Fran-
cesco in Padua zum Vergleich heran, die in der allgemeinen
Disposition wenigstens noch den alten Bau errathen läßt, wenn sie
gleich im Jahre 1420 auf Kosten des Baldo Bonfario Piombino von
Urbino und seiner Gattin Sibilla einen gründlichen Umbau erfuhr.^)
Wann sie gegründet , wissen wir nicht genau , doch lassen die er-
haltenen Theile : die Seitenfassade, Kreuzgang und Thurm mit Be-
stimmtheit auf die erste Hälfte des XIII. Jahrhunderts schließen.
Ebenso bestimmt läßt sich von Außen die
Kreuzform der Kirche bestimmen, im Innern
die Gewölbeanlage wenigstens mit großer
Wahrscheinlichkeit. (Abb, 59.) Wie heute
bestand das Längsschiff jedenfalls auch
früher aus zwei quadratischen Jochen im
mittleren Theil und doppelt so vielen in
den Seitenschiffen. Die Kapellenreihen wur-
den 1420 hinzugefügt. Das Querschiff hat
eine quadratische Vierung und quadratische
Arme, alle drei jetzt mit sternförmigen Ge-
wölben ; der weit hinausgeschobene Chor
aber verräth Nichts mehr von der alten
Gestalt. Als Stützen der Gewölbe im Längsschiffe wechseln jetzt
Pfeiler mit gothischen, auf hohen Postamenten stehenden Säulchen
ab, welch' letztere nach Rossetti von einem Bartolommeo Campo-
longo geschenkt wurden. Die Seitenfront hat, wie der schlanke
Glockenthurm , dessen Aufsatz ächteckig ist , Lisenen und Rund-
bogenfries, der Hof Rundbogen auf gothischen Säulen mit niedrigen
Kapitalen (mit Eckblättern). Der Grundriß, wie wir ihn rekonstruirt,
zeigt eine auffallende Verwandtschaft mit dem des älteren Baues
von S. Antonio. Fraglich bleibt es freilich noch immer, wie der
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.... . .I^. . . . . 1 ^.
Abb. 59. S. Francesco in Padua.
^) Vergl. Moschini : Guida per Padova, Venezia 1817, S. 106, der das Testament
vom 9. Sept. 14 10 anfuhrt gegen Rossetti: Descrizione etc. di Padova 1776, der den
Stifter Bonifacio Piombino nennt. Auch Selvatico: Guida di Padova. 1869. S. 156.
In Brandolese's Guida von 1795 Nichts über den Bau. — Mothes S. 462. — Maaße:
Msch. 10,80 m, Ssch. 5,40 m, Säulendist. 4,75 m.
358 Die Franziskanerkirchen in Italien.
Chor gestaltet gewesen. Suchen wir aber nach ähnUchen Anlagen
in Norditalien, so treffen wir, strenge genommen, nur auf eine
einzige, die zeitlich vorangeht. Es ist die Cisterzienserkirche Chiara-
valle bei Mailand, auf deren unten (S. 365) folgende Beschreibung
hier verwiesen werden muß. Bei ihr allein, so viel mir bekannt,
findet sich damals die gleiche Anlage des Längsschiffes, verbunden
mit dem aus drei quadratischen Jochen gebildeten, vortretenden
Querschiff, eine Eigenthümlichkeit, in welcher das eigentlich Wesent-
liche jener Bauten in Padua zu sehen ist. In Chiaravalle jedoch
bildet der Chor ein quadratisches Joch. Man könnte einwenden :
aber das Charakteristische dieser Cisterzienserkirche liegt doch in
den neben dem Chor angelegten sechs rechtwinkligen Kapellen, die
zweifellos an S. Francesco in Padua sich nicht befanden.!^ Ich kann
darauf nur erwidern, daß Chiaravalle ursprünglich jene Kapellen
nicht hatte, dieselben vielmehr, was bis jetzt noch nicht bemerkt
worden ist , aber später nachgewiesen werden soll , höchst wahr-
scheinlicher Weise erst Zuthaten einer späteren Zeit sind. Damit
aber gewinnt meine Vermuthung , daß der Grundriß der Paduaner
Kirchen sich an den des Cisterzienserbaues anlehnt, sehr an Glaub-
würdigkeit, zumal wir ja fast überall bei den Franziskanerbauten
den Anschluß an den früheren Ordensstil bemerkt haben. Daß
das Langhaus dort vier, hier nur zwei Joche aufweist, ist von keiner
Bedeutung. ^)
Damit aber hätten wir für die ursprüngliche Disposition von
S. Antonio wie S. Francesco , gleichviel welcher Bau den anderen
beeinflußt hat, einen befriedigenden Aufschluß durch den Nachweis
des Zusammenhangs mit der lombardischen Kunst gewonnen und
können nun getrost S. Marco seinen Einfluß in der gewaltigen
Kuppelanlage äußern lassen. Das Wesentliche bleibt, daß also
S. Antonio ursprünglich als Ordenskirche der Minoriten, wie die
meisten anderen, der Cisterzienseranlage folgt, und zwar der ein-
facheren ; merkwürdig genug, daß dann später der Chor die reichere
Form erhält. Und hier kehren wir zurück zu der Betrachtung
dieses Chores, der wie erwähnt jenem von S. Francesco in Bologna
nachgebildet wurde. Er ist sieben- oder vielmehr neuntheilig ge-
*) Ein gleiches kurzes Längsschiff findet sich in der 1208 gestifteten Cisterzienser-
kirche S. Maria d'Arbona in den Abnizzen. Schnaase VII, S. 538. Mothes S. 698, der
die Seitenkapellen am Chor wie am Seitenschiffe für 1257 entstanden hält.
Die Gewölbebauten. Der Kathedralentypus. 359
schlössen, hat gleichfalls einen Umgang und dieselbe nicht ganz
glückliche Disposition der neun viereckigen Kapellen. Die Pfeiler
mit vorgelegten Halbsäulen sind nicht ganz so konsequent angelegt
wie dort. Das Gewölbe des Chores ist hier ein stern- oder kuppei-
förmiges fünfzehntheiliges. ^) Das Aeußere der merkwürdigen Kirche
bezeichnet einen nicht glücklichen Kompromiß zwischen den ver-
schiedenen stilistischen Elementen des Baues und braucht uns hier
nicht länger zu beschäftigen. Wir wenden uns vielmehr gleich zu
einigen anderen Kirchen, die, obgleich nicht den Bettelmönchen
eigen, doch an dieser Stelle, als mehr oder weniger freie Nach-
ahmungen von S. Francesco in Bologna, genannt zu werden verdienen.
Schon Schnaase hat darauf hingewiesen , daß die Kirche der
Servi, sowie S. Martino maggiore und S. Giacomo maggiore ähnlich
angelegt sind , vermochte aber nicht den Vergleich treffend durch-
zuführen, da er eine falsche Anschauung von dem Chorsystem in
S.Francesco hatte. Die älteste ist die 1267 begonnene, 13 15 er-
öffnete, 1483 vonPietro daBrensa veränderte S. Giacomo maggiore
zu Bologna, die jetzt modernisirt, ursprünglich, nach der drei-
getheilten Fassade zu schließen , wohl drei Schiffe , ein nicht aus-
ladendes Querhaus und einen neuntheiligen Chor mit Umgang und
viereckigen Kapellen hatte, wie S. Francesco. Der Chorumgang
und die Kapellen sind außen in reicherer Weise mit Spitzgiebeln
gestaltet.'^) Die Servitenkirche, 1383 vom frate Andrea Man-
fredi, und zwar vom Chor aus begonnen, entfernt sich weiter von
dem Vorbilde. Der Chorumgang hat neun Joche, doch sind von
den neun Kapellen nur die drei hintersten wirkliche viereckige
Kapellen, die sechs anderen nur nischenartige Räume. Der Lang-
hausbau mit seinen neun Gewölbejochen und seinen Säulen hat
Nichts mehr mit S. Francesco zu thun. S. Martino aber, eine drei-
schiffige Kirche ohne Querhaus mit einer polygonen Apsis, hat gar
keine Beziehungen zur Bettelmönchkirche.
Wohl aber — und dies ist von größerem Interesse — spielte
die Franziskanerkirche wieder ihre Rolle, als man 1388 beschließt,
S. Petronio zu bauen, und 1 390 von A. Manfredi und Antonius,
dem Sohn des Vincentius, die Zeichnung und das Modell entwerfen
^) Wohl nachgebildet in dem jüngeren Gewölbe von S. Francesco zu Padua.
^) Man vergleiche für die Details Mothes S. 473, der irrthümliche Angaben hat:
dreischiffiges Langhaus, dreischiffiges Querhaus !
360 Die Franziskanerkirchen in Italien.
läßt, nach welchem in demselben Jahre das Werk begonnen wird.
Der ursprüngliche, später nicht zur Vollendung gelangte Riesenplan ^),
der mit seinem dreischiffigen , von Kapellen begleiteten Langhause
und Querhause und mit seiner mächtigen Kuppel an Größe der
Raumverhältnisse und Reichthum der Gliederung Alles übertreffen
sollte, was bisher in Italien geschaffen worden war, zeigt in der
Anlage des Chores ein entschiedenes Zurückgehen auf S. Francesco,
ein Umstand, der bedeutungsvoll dafür spricht, welchen wichtigen
Antheil Manfredi , der schon in den Servi seine Vorliebe für jenes
System gezeigt, bei der Konzeption des gesammten Baues gehabt
haben dürfte. Dabei freilich blieb er weit entfernt von einer
sklavischen Nachahmung, da er anstatt neun Kapellen zwölf, und
zwar die ersten drei auf jeder Seite parallel neben einander anlegt,
entsprechend den zwei quadratischen Jochen, um die er den geraden
sechstheiligen Chorschluß hinausschiebt : das eigentlich Wesentliche
aber, die viereckige Form der Kapellen und die rund dieselbe nach
außen begrenzende Umfassungsmauer behält er bei. So sehen wir
in höchst überraschender Weise das französische Cisterziensersystem
durch Vermittlung der Franziskaner in dem vielleicht bedeutendsten
Bauwerke italienischer Gothik ein neues Dasein gewinnen , freilich
nur ein Scheindasein , da ja bis heute S. Petronio noch der Voll-
endung harrt. Wer, ohne S. Francesco zu kennen, zufällig auf die
Verwandtschaft der weit entlegenen Cisterzienserbauten zu Clairvaux
und Pontigny mit den Kirchen von Bologna aufmerksam geworden
wäre, hätte wahrlich von einem sonderbaren Zufalle reden können —
für uns bietet dieselbe vielmehr einen neuen interessanten Beleg
für das häufig so Räthselhafte, aber immer doch so Stetige, Gesetz-
mäßige in der fortschreitenden Entwicklung des Werdens. Unter-
liegt doch die Kunst denselben ewigen Gesetzen organischer Fort-
bildung , wie die Natur selbst , Gesetzen , auf deren Wesen wir
durch Vergleichung und Zusammenstellung einzelner erkannter
Thatsachen mit wachsender Erkenntniß immer mehr und mehr
schließen können, deren Entstehung und eigentlicher Gehalt aber
dem Menschen stets ein Räthsel bleiben wird.
Eine entferntere Beziehung als die eben erwähnten Bauten hat
S. Francesco in Piacenza zu der merkwürdigen Kirche in Bo-
^) Bei Schnaase VII, 177. Lübke 629. — Vergl. bei Mothes: S. 496 ff. die
Geschichte und Litteraturangaben.
Die Gewölbebauten. Der Kathedralentypus.
361
logna. (Abb. 60.) Die Aehnlichkeit liegt hauptsächlich in den ver-
wandten Raumverhältnissen : namentlich der bedeutenden Höhe des
Mittelschiffes, sowie in der Fensteranlage des Chores. Doch behält
von der eigentlichen Anlage des letzteren der Baumeister nur die
allgemeine Idee des Umgangs mit Kapellen bei und versucht sie
selbstständig zu verwerthen , was freilich entschieden mißglückte.
Ob sein Plan durch räumliche Verhältnisse bedingt wurde oder für
ihn die Absicht maßgebend ward , von dem Längsschiffe aus den
Blick in die Kapellen zu ermöglichen , jedenfalls ordnet er vier
nach außen vierseitig geschlossene, innen sieben-
theilig gewölbte Kapellen in einer fast geraden
Linie neben einander hinter dem Chor an, der
selbst in */jo geschlossen ist. ^) Dadurch ergiebt
sich auch fiir den sechstheiligen Umgang eine
große Unregelmäßigkeit in den Gewölben. Vom
Querschiff an gerechnet treten zuerst zwei fast
quadratische Gewölbe auf, dann folgen zwei
fünftheilige , endlich viertheilige. Demnach
kommt auf die Mitte des Chores hinten ein
Pfeiler und die Wand, welche die zwei mittleren
Kapellen scheidet, zu stehen. Die Pfeiler des
Chores , welche die an Bologna erinnernden
gestelzten, lanzettförmigen Bögen tragen, sind,
abgesehen von den zwei vordersten achteckigen,
rund und mit einem einfachen Kapital , über
dem die Rippen direkt aufsetzen, versehen. Vor
die Mauerpfeiler der Kapellen sind drei Halb-
säulen mit ganz niedrigen Kapitalen gelegt, deren Blätter meist
knospenförmig oder spiralförmig an den Ecken gebogen sind. Die
runden Dienste der Kapellen haben gleichfalls Blattkapitälchen. Ueber
den in vier eigenthümlichen Rundbogen geschlossenen einfachen
Fenstern sind wie in Bologna Rundfenster. Das Längsschiff hat vier
große quadratische Joche, ebenso viele oblonge Gewölbe befinden
sich in den Seitenschiffen. Das Querschiff ladet nicht aus, hat aber
die volle Höhe des Mittelschiffes. Die sehr weitgespannten Spitz-
Abb. 60. S. Francesco in
Piacenza.
^) Es sind genau genommen zwei ideelle, durch die Eingangsbögen gegebene, in
stumpfem Winkel sich treffende Linien, an denen je zwei Kapellen liegen. Diese splbst
aber sind genau der Längsrichtung der Kirche entsprechend gestaltet, so daß sie eine
ganz unregelmäßige polygone Gestalt haben.
202 Die Franziskanerkirchen in Italien.
bögen ruhen auf Rundpfeilern — was an S. Francesco im benach-
barten Parma erinnert — und die Gewölbe auf Lisenen, die von zwei
Runddiensten begleitet sind. Die Quergurte sind fast rund gespannt;
die Rippen zeigen schilfblattförmige Profilirung. An der Oberwand
sind in jedem Joche zwei eigenthümliche , oben ganz flachbogig
endigende (fast viereckige) Fenster mit Maßwerk, das in fünf Bogen
oben abgeschlossen ist, geschmückt ; unter ihnen je eine kleine spitz-
bogige Nische, über ihnen je ein Rundfenster. Das Mittelschiff wirkt
frei und hoch, in den Seitenschiffen erscheinen die oblongen Gewölbe
ebenso störend wie im Dom zu Florenz , doch macht das Ganze
einen entschieden monumentalen großartigen Eindruck. — Die durch
Lisenen dreigetheilte , mit zierlichen Fialen gekrönte Fassade ragt
mit den drei Rundfenstern, wie in Bologna, oben über die Schiffe
hinweg. Das rundbogige, reich gegliederte Portal ist alt und zeigt
in der Ausführung des Details eine selten hohe Vollendung. Die
kleinen im Laubwerke der Kapitale kletternden , mit Thieren spie-
lenden Putti sind von unvergleichlicher Grazie und Schönheit. Nach
ihnen und nach der Lunette mit der Stigmatisirung des Heiligen
zu schließen, ist das Portal im XV. Jahrhundert entstanden. Zwei
spitzbogige Fenster an den Seiten zeigen wieder das eigenthümlich
ausgezackte Maßwerk, in dem wie an den Fenstern der Seitenfront
eine Neigung zum Kielbogen hervortritt. Die Seitenfassade hat
ein ausgebildetes Strebebogensystem.
Das ganze Bauwerk ist eine wunderliche Mischung verschiedener
Elemente. Erinnert der Chor an die Bolognesischen Bauten , so
verräth die Anlage der Gewölbe und das Detail der Fenster offen-
bar Kenntniß der venezianischen Kirchen. Es wäre von großem
Interesse, Näheres von der Baugeschichte zu ergründen. Ich habe
nur in Erfahrung bringen können, daß ein Ubertino Lando für den
Bau im Jahre 1278 Häuser und Land hergiebt und daß dieser 1806
restaurirt wurde. Zur Ausführlichkeit meiner Beschreibung be-
stimmten mich die vielfach unrichtigen oder unzureichenden An-
gaben bei Lübke.^)
Von S. Francesco offenbar beeinflußt ist S. Maria del
Carmine in Piacenza, mit vier quadratischen Gewölben im
Mittelschiffe , vier oblongen in den Seitenschiffen. Das Querschiff
^) Cattanei : Descr. di Piacenza 1828, S. 13. — Schrabelli: Guida. Lodi 1841,
S. 57. — Vergl. M. d. C. C. 1860, S. 165. — Schnaase VII, 12. — Mothes S. 476.
Die Gewölbebauten. Der Kathedralentypus. ' 363
ladet nicht aus. Der Chor ist hier einfach viereckig. Von den
bei Lübke und Mothes erwähnten, im halben Achteck geschlossenen
acht Seitenkapellen des Längsschiffes konnte ich nichts gewahren.^)
Am linken Seitenschiffe sind zwei ziemlich große fünfseitige Kapellen
angebaut.
Schließlich begegnet uns noch im Süden ein Franziskanerbau,
der, ohne von Bologna beeinflußt zu sein, ein ganz verwandtes,
hier gleichfalls direkt von Frankreich übernommenes Chorsystem
aufweist : S. Lorenzo maggiore in Neapel.
Diese Kirche bestand schon vor 1234, in welchem Jahre sie
die Minoriten erhielten, und wurde, nachdem sie 1232 durch ein
Erdbeben zerstört worden war, von Fra Tommaso da Terracina
sammt der Fassade restaurirt. Mit dem Entwurf des 1265 be-
schlossenen Neubaues betraute Carl I. nach Vasari den Maglione
von Pisa, doch wurde die Arbeit erst 1280 in Angriff genommen,
1300 geweiht, 1324 vollendet.^) 1580 ward eine gerade Wand vor
den Chor gelegt, im XIII. Jahrhundert die Fassade verändert. Es
ist eine kreuzförmige Kirche mit flachen Decken im Langhaus und
Querschiff, deren einfache Gestaltung an die umbrischen und tos-
kanischen Bauten erinnert und daher wohl mit Vasari's Angaben
in Einklang zu bringen ist. Vermuthlich hatte Maglione den Chor
nach Art der größeren Bettelmönchkirchen in seiner Heimath mit
rechtwinkligem Chor und Seitenkapellen versehen wollen, als 1280
eine Veränderung in dem Plane eintrat und der Chor nun nach
französischem Muster, vielleicht von einem französischen Baumeister,
ausgeführt wurde. Er hat einen Umgang mit neun Radialkapellen,
die innen fünfseitig sind und nach außen dreiseitig vortreten.
Kräftige Halbsäulen, die vor die Pfeiler gelegt sind, mit zweireihigen
Blattkapitälen tragen die Rippen. Die polygonen Kapellen erinnern
hier direkt an französische Kathedralen, was uns nicht überraschen
kann, da ein Anjou der Stifter des Baues war und sich französische
Einflüsse in fast allen gothischen Bauten Neapels geltend machen.
War doch dies System des Umgangs mit Kapellen , wie Schnaase
und Mothes bemerkt haben, schon in dem Dome zu Acerenza, in
S. Trinitä zu Venosa und in Aversa aufgetreten, hier freilich noch
^) M. d. C. C, S. 164. — Mothes S. 476.
**) Ricci II, 64. — Schulz: Denkmäler Unteritaliens III, 38. — Kugler III,
581. — Das Obige nach Mothes S. 644. — Schnaase VII, 539. — Ganz falscher
Grundriß bei Wiebeking, Bürg. Bauk. Taf. 74.
'jQa Die Franziskanerkirchen in Italien.
in der einfacheren romanischen Form mit nur drei Kapellen, wie
sie im XI. und XII. Jahrhundert in der Auvergne und in Burgund
die verbreitete ist.^)
3. Der einfache Cisterziensertypus.
Die Gruppe von Kirchen, zu deren Betrachtung wir jetzt
schreiten, hat, worauf Schnaase und Burckhardt im Allgemeinen schon
aufmerksam gemacht haben, wie die der vorhergehenden sich Ordens-
kirchen der Cisterzienser zum Vorbild genommen. Sie folgen derselben
einfachen Anlage, die, wie wir bereits sahen, schon den Baumeistern
in Umbrien vorschwebte, als sie die ersten Bettelmönchkirchen ent-
warfen. Jedoch wird diese im Norden nicht wie dort vereinfacht,
sondern getreu befolgt, ja im Einzelnen sogar reicher entwickelt.
Als neues Element tritt zuweilen die Kuppel über der Vierung
hinzu , für welche die italienische Kunst von jeher eine Vorliebe
gehabt, in anderen Bauten erhält das dreischiffige Längshaus
Kapellenreihen. Daß aber diese bestimmte Form sich nicht auf
Norditalien beschränkte , sondern nach Florenz , Rom , ja Neapel
verbreitete, erklärt sich daraus, daß sie auf der einen Seite den
Bedürfnissen der Bettelmönche besonders entsprach und andrerseits,
geräumig und stattlich zu gleicher Zeit, sich am besten für die
größeren Städte eignete, für die sie — im Gegensatz zu den
umbrisch - toskanischen — auch zuerst bestimmt und geschaffen
war. Innerhalb des Ganzen aber lassen sich wieder zwei Gruppen
von Kirchen gesondert betrachten : die venezianischen , die am
kürzesten als Säulenkirchen bezeichnet werden mögen, und die lom-
bardischen, welche Pfeilerkirchen sind. Ehe wir jedoch beide näher
in's Auge fassen, scheint es geboten, einen kurzen Blick auf die
Cisterzienserbauten in Italien zu werfen , die einen so großen Ein-
fluß auf die Entwicklung der gothischen Architektur in diesem
Lande gewinnen sollten.
A. Cisterzienserbauten in Italien. Der bedeutendste
derselben ist Chiaravalle bei Mailand. Das Kloster ward von
Bernhard von Clairvaux, der im Jahre 1134 bis in den Anfang 1135
^) Vergl. von neuerer Litteratur vor Allem: C. Enlart: Origines francaises de
l'architecture gothique en Italic. Toulouse 1893. Acerenza: Grundriß, Schultz XXX.
V. (I, 317). Venosa XLIII, 3 (I, 321 f.).
Die Gewölbebauten. Der einfache Cisterziensertypus.
365
sich in Mailand aufhielt, gegründet, die Kirche nach einer noch
vorhandenen Inschrift 1221 geweiht.^) In welchen Jahren, ob noch
im XII. oder XIII. Jahrhundert sie errichtet worden , geht daraus
noch nicht klar hervor.^) Sie zeigt die übliche Kreuzform, hat ein
Mittelschiff von vier quadratischen Jochen, doppelt so viele qua-
dratische Kreuzgewölbe in den etwa halb so hohen Seitenschiffen,
eine Kuppel mit Thurm über der Vierung , gewölbte ausladende
Querarme, einen quadratischen Chor und zu dessen Seiten je drei
Kapellen mit zwei Geschossen. An den
rechten Kreuzarm schließt sich die aus
drei Gewölben bestehende oblonge Sa-
kristei mit funfseitiger Apsis, an das
südliche Seitenschiff der nur theilweise
erhaltene Klosterhof an. Man hat, wie
ich glaube, die erste Bauthätigkeit von
einer im XIII. Jahrhundert (wann?) vor-
genommenen Restaurirung zu unter-
scheiden, welche in die ursprüngliche
romanische Anlage gothische Elemente
brachte, die ersten Arkaden links und
rechts im Längsschiffe und die Bogen
der Vierung^), sowie die thürartigen
Eingänge vom Querschiff in die Seiten-
schiffe spitzbogig machte: ob die Ka-
pellen zu Seiten des Chores mit den
großen rein gothischen Fenstern und
dem Kreuzungsbogenfries außen , ebenso wie die Sakristei , die
offenbar derselben Zeit gehört, dieser ersten Restaurirung oder
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Abb. 61. Chiaravalle bei Mailand
^) Sie lautet: Anno gratie MCXXXV XI. Kl' febr' constructu(m) e(st) hoc
monasteriu(m) a b(ea)to B(er)nardo abb(at)e Clareval' MCCXXI co(n)secrata e(st) eccl(esi)a
Isla a d(omi)no henrico Mediolanensi archiep(iscop)o VI nonnis maji i(n) hono(r)e
s(an)c(t)e Ma(r)ie clareval'.
^) Michele Caffi : Dell' Abbazia di Chiaravalle in Lombardia. Milano , Gnocchi.
1842. — Kugler II, 48. — Förster I, 243. — Ricci II, 183 und 212. — Schnaase
Vn, 102. — Lübke S. 440. — Mothes S. 449. — Neuerdings Enlart: a. a. O. Abb.
nur des Aeußeren: Gally Knight II, Taf. 4, Hinteransicht. — Wiebeking Taf. 76. —
Grüner: The terracotta architecture of North Italy 1867. Taf. 3 u. 4. — Mothes: Bau-
lexikon I, S. 534. —Maße: Msch. 8,60 m, Ssch. 3,80, Pfdist. 3,80, Pfdurchm. 1,90.
*) Die alten runden Arkaden sind zugemauert über den Spitzbogen noch zu
erkennen.
^ß^ Die Franziskanerkirchen in Italien.
einer zweiten, noch späteren angehört, muß fraglich bleiben. Es
ist sehr wahrscheinlich , daß alle diese Veränderungen gleichzeitig
sind mit dem interessanten Kuppelthurm, der sicher eine zweite
Bauperiode bezeichnet. Ursprünglich mag auch die Vierung, wie
in den nordischen Cisterzienserkirchen , ein Kreuzgewölbe gehabt
haben, oder vielleicht, dem italienischen Geschmack entsprechend,
eine einfache Kuppel , wie die Cisterzienserbauten auf römischem
Gebiete. Die Kapellen neben dem Chor, die 1613 im Innern
ganz verändert wurden, gehören ersichtlich nicht der ersten, son-
dern der zweiten gothischen Bauperiode an, wie dies namentlich
außen sichtbar wird, wo sie sich mit ansteigendem Dache an die
Querschiffswand anlehnen. Sie sind ungewöhnlich hoch und auf-
fallender Weise jetzt in zwei Stockwerke geteilt, deren oberes das
alte Kreuzgewölbe bewahrt. Offenbar ist die mittlere Decke erst
später, vielleicht 161 3, eingespannt worden.^) Die Stützen sind
massige Rundpfeiler, über denen als Gewölbeträger durch drei
Halbsäulen gegliederte Pilaster aufsteigen , welche abgeschrägte
Würfelkapitäle haben. Die großen Gewölbe sind ziemlich flach
zwischen etwas gedrückte Rundbogengurte gespannt. In den Seiten-
schiffen setzen die Kreuzgewölbe ohne Rippen und Gurte auf
Wandpfeilern auf, vor welche eine Halbsäule gelegt ist. Die ziem-
lich kleinen Oberlichter sind einfach, die drei Fenster des Chores
hoch, schlank und rundbogig, die der Kapellen meist modernisirt.
Ueber die niedrigen Seitenschiffe gehen kompakte Strebemauern.
Die Querschiffsfassade hat Rundfenster. An der ganz modernisirten
Hauptfassade ist nur das alte Hauptportal erhalten. — Der Kreuz-
gang, von dem nur Reste in einzelnen spitzbogigen Arkaden er-
halten sind, ist, wie das jetzt als Schreinerwerkstätte dienende
riesige, aus fünf Jochen bestehende Refektorium, wohl in der zweiten
Bauperiode entstanden. Den Gesammtbau könnte man am besten
als eine italienische Uebersetzung eines französischen Werkes kenn-
zeichnen. — Das spezifisch Französische tritt vielleicht am deut-
lichsten in den kleinen, von italienischer Gewohnheit ganz ab-
weichenden Grabkapellen unfern des nördlichen Querarmes hervor.
Angesichts der Gewölbebildung aber und der Disposition, sowie
jener eigenthümlichen , etwas gedrückten Form des Rundbogens
fühlt man sich auf das Lebhafteste an S. Ambrogio in Mailand er-
^) Vergl. übrigens w. u. die gleiche Anlage in S. Francesco zu Ascoli.
Die Gewölbebauten. Der einfache Cisterziensertypus. 367
innert und ist versucht, einen Einfluß seitens dieser Kirche anzu-
nehmen. Von II 30 — 60 ward an S, Ambrogio gebaut, um 1200 die
Kuppel erneuert und wohl zugleich die Ueberwölbung der Seiten-
schiffe — ob auch der Mittelschiffe } — in Angriff genommen. Vor
II 84, dem Jahre der Einweihung, scheint auch der Neubau des
Domes von Modena, der in der Gewölbedisposition Aehnlichkeit
mit den beiden erwähnten Kirchen zeigt, vollendet gewesen zu sein,
obgleich es mir nicht ganz unmöglich dünkt, die Gewölbeentstehung
später anzusetzen.
Welchen Einfluß diese Bauten — und nicht zum mindesten
Chiaravalle — mit der ihnen gemeinsamen Anlage quadratischer
Gewölbe auf die lombardische Gothik des XIII. und XIV. Jahrhunderts
gehabt, soll später betrachtet werden, zunächst gilt es, das zweite,
zwischen Ancona und Sinigaglia gelegene Chiaravalle kurz
in's Auge zu fassen. Dasselbe, im Jahre 11 72 gegründet^), zeigt
den vollständig ausgesprochenen Spitzbogenstil, der in diesem Falle,
wie ich mit Mothes annehmen möchte, wohl eher auf deutsche, als
französische Vorbilder hinweist. Das Langhaus hat hier sechs
oblonge Kreuzgewölbe, denen ebensoviel quadratische in den Seiten-
schiffen entsprechen, die Vierung ein quadratisches, der linke Kreuz-
arm drei , der rechte zwei oblonge Gewölbe. Neben dem vier-
eckigen Chor liegen nur am nördlichen Querarm drei viereckige
Kapellen. Die Pfeiler haben vier Halbsäulen vorgelegt.^)
An anderen Kirchen der Cisterzienser in Italien, über die man
Näheres jetzt in Enlarts Werk über die französischen Ursprünge
der italienischen Gothik findet : Fossanuova bei Anagni, C a s a -
mari bei Veroli, S. Maria in Ferentino begegnet die Kuppel
über der Vierung; neben dem Chor sind zwei oder drei Kapellen
angebracht. Die Pfeiler hatten in Fossanuova vorgelegte Halb-
säulen.'^) S. Vincenzo ed Anastasia bei Rom (1221 neu ge-
weiht) hat am Ende des XII. Jahrhunderts den Cisterzienserchor
mit vier Kapellen erhalten (Mothes Fig. 20).
^) Vergl. Schnaase VIT, S. 87. — Ricci: Mem. stör. I, S. 34. — Mothes S. 440. —
Eulart. — Abb. bei d'Agincourt Taf. XXXVI, 23—25. XLU, 5. LXIV, 13. LXVIU,
30. LXX, IG. II. LXXni, 17. 31, 41, 43.
®) Ein drittes Tochterkloster von Clairvaux ist Chiaravalle von Chienti (gen.
di Fiastra).
8) Schnaase V, 325. — Mothes S. 691 flF., 697. 689. — Enlart a. a. O.
^68 ^^^ Franziskanerkircben in Italien.
B. Die venezianischen Bettelmönchkirchen. Die
gemeinsame Eigenthümlichkeit dieser Gruppe, die neben den zwei
großen Bauten der Franziskaner und Dominikaner in Venedig selbst
die den Bettelmönchen angehörigen Kirchen in Treviso , Padua,
Verona und Vicenza umfaßt, beruht
Erstens auf der Anlage einer gleichen Anzahl von Gewölben
im Seitenschiffe, wie im Mittelschiffe ;
Zweitens in der Anwendung von säulenartigen Rundpfeilern;
Drittens in dem polygonen Abschluß des Chores und der an-
grenzenden vier oder sechs Altarräume.
Wenn ich in der ersten Auflage dieses Buches die Kirchen
der Frari, S. Giovanni e Paolo in Venedig und S. Agostino in
Padua als die frühesten Bauten dieses Stiles betrachtet habe, so ist
dies nach von mir angestellten archivalischen Forschungen nicht
mehr möglich. Vielmehr zeigt es sich, daß diese Denkmäler nur
die größten , eine vorangehende Entwicklung abschließenden Er-
scheinungen sind. Noch vorhandene Kirchen in Verona , Vicenza
und Treviso verdeutlichen uns die vorhergehenden Stufen solcher
Entwicklung, über die Bestimmtes auszusagen aber vorläufig nicht
möglich ist, da wir nicht wissen, welche Rolle in ihr die ursprüng-
lichen im XIII. Jahrhundert errichteten Bauten der Frari und S. Gio-
vanni e Paolo gespielt haben. Wir beginnen gleichwohl die Be-
trachtung mit jenen größten Werken der gothischen Periode im
venezianischen Gebiete und lassen die anderen folgen.
S. Agostino in Padua existirt nicht mehr und leider ebenso-
wenig eine ausführliche Beschreibung, die zu endgültigen Schlüssen
berechtigen würde. Wir wissen nur, daß sie 1226 oder 1227 ge-
gründet, 1275 um 40 Fuß erweitert und 1303 verändert wurde. ^) Es
ist wohl wahrscheinlich, daß der erste alte Bau, da er 1275 um
^) Nach Rossetti: Descrizione di Padova. Padova 1776, S. 3. — Moschini:
Guida, Venezia 181 7. — Brandolese: Pitture, Sculture etc. di Padova 1795. — Vergl.
Selvatico, Ricci, Marchese. — Schnaase S. 129. — Mothes S. 477. Ob das von
Moschini erwähnte Manuskript des p. ^laestro Valerio Moschetta: eine Beschreibung
der Kirchen v. J. 1585, noch vorhanden? Moschini macht darauf aufmerksam, daß
in des p. de Lignamini Buch über die Inschriften eine Stelle sich finde, wonach einer
alten Tradition zufolge er für gewiß halte, daß der Baumeister dieser Kirche jener
gewesen sei, dessen Grab im Kirchhofe folgendes Epigraph zeige : Magister Leonardus
Murarius qui dicitur Rocalica, Selvatico schreibt demselben , den er Boccaleca nennt,
S. Steffano in Carrara bei Padua zu. Von demselben Leonardo soll 1284 der Saal des
Palazzo della Ragione gemacht sein.
Die Gewölbebauten. Der einfache Cisterziensertypus. 369
40 Fuß erweitert werden konnte, eine andere Disposition zeigte, als
der Neubau 1 3 1 3 , der in der Anzahl der Joche mit den Frari
stimmt, in der Anzahl von Kapellen aber nach der Beschreibung
Rossetti's , der bei der Aufzählung der Bilder sagt : ,seguono le
due cappelle laterali all' altar maggiore*, mit Giovanni e Paolo. ^)
Haben wir uns den alten Bau vielleicht im Grundriß S. Francesco
und S. Antonio zu Padua ähnlich zu denken ?
Daß aber S. Giovanni e Paolo eher auf das Vorbild der
Frari zurückgeht, als umgekehrt, geht aus der weiteren Distanz der
Säulen, der niedrigeren Erhebung der Seitenschiffe, der regelmäßigen
Anordnung der Fenster, der vorgeschrittenen Ausbildung der
Kapitale, Gliederungen und Lisenen hervor, sowie aus den von mir
im Archiv zu Venedig aufgefundenen Notizen der Grazie, nach
welchen die Kirche drei Jahre später als die Frari neu gebaut
wurde, nämlich 1333.'^) Zuerst war 1234 von Jacopo Tiepolo der
Bauplatz geschenkt worden, auf dem zunächst eine Kapelle S. Da-
niele erbaut wurde, dann 1246 (nach Ablaßbrief) S. Giovanni e Paolo
begonnen ward. Von diesem alten Bau ist vielleicht Nichts mehr
erhalten, er machte dem Neubau 1333 Platz, dessen Chor und
Querschiff 1368 vollendet waren. Erst 1395 wird der östliche Theil
mit den Mitteln des Niccolö Leone, erst 1430 das Ganze vollendet.^)
So dürfen wir, wie denn bisher meist geschehen, den Franziskanern
auch hier die Führung zuerkennen, wie sie eine solche ja ver-
^) Man bemerke, daß er den Altar der einen Kap. 1304 geweiht sein läßt, was
vielleicht darauf schließen läßt, daß 1303 zunächst der Chor verändert worden war.
Beachtenswerth auch, daß er nach einer Mittheilung des P. Domenico Federici auf
Kosten des ,Francesco Novello ultimo signore di Padova' den Chor von einem Federigo
Tedesco 1395 mit Fresken bemalen läßt. Er findet dessen Manier der des Giotto ver-
wandt. Brandolese wendet sich gegen diese Behauptung : dieser Novelli sei erst Anfang
des XV. Jahrhunderts gestorben, ein anonymes Manuskript gäbe die Fresken, der An-
sicht des Girolamo Campagnola folgend , dem Guariento. Wie es mit dem Novello
sich verhält , weiß ich nicht , doch hat Rossetti mit seinem schwerlich erfundenen
Federigo Tedesco die größere Glaubwürdigkeit für sich — nur die Jahreszahl dürfte
irrthümlich sein. In der Pinakothek zu Forli findet sich ein ,, Federigo Todesco"
bezeichnetes, 1420 datirtes Bild, das offenbar xmter dem Einflüsse des Gentile ent-
standen ist. Vergl. meinen Aufsatz im „Kunstfreund" 1885, S. 313,
*) Vergl. meine ,, Studien zur ital. Kunstgesch. im XIV. Jahrh. Repert. für
Kunstw." XVni. S. 81 ff.
^) Fabbriche Conspicue di Venezia vol. 11. — "Wiebeking Taf. 72. — Runge
n, 13. 21. — Marchese I, 103. (3. Ausg.) — Selvatico : Sulla arch. e scult. in Venezia
1847. S. 104. Maaße nach Schnaase: 290 F. lang, 80 F. breit.
Thode, Franz von Assisi.
24
370 Die Franziskanerkirchen in Italien.
muthlich auch im Süden des Apennin und in Bologna über-
nommen haben.
Was Sansovino in seiner Venezia uns von der Entstehung der
S. Maria gloriosa dei Frari erzählt , giebt uns ein lebhaftes
Bild von dem Wetteifer, mit dem die reichsten Geschlechter den
neuen Mönchen ihre Kirchen zu bauen begannen. Ein Mitglied der
Familie Gradenigo errichtete vier Säulen mit den dazu gehörigen
Mauern , ein Giustiniani zwei weitere , ein Anguie eine siebente,
der Condottiere Paolo Savello die Gewölbe. Ein Viara, der später
Mönch wurde, gab 16000 Dukaten für den Bau des Thurmes,
dessen obere Hälfte nach seinem Tode von Mailändern und Leuten
aus der Manza vollendet ward. Diese Angaben beziehen sich aber
nicht auf den ersten umgekehrt orientirten Bau, der am 5. April
1250 begründet wurde, sondern auf den Neubau, der nach den von
mir aufgefundenen Dokumenten 1330 zur Zeit des Dogen Francesco
Dandolo begonnen und, nachdem 1361 der Chor und das erste
Joch des Längsschiffes vollendet war, erst 1407 ganz ausgeführt war.
Jacopo Ceilega fing 1361 den Campanile an zu bauen, den 1396
sein Sohn Pietro Paolo vollendete.^) Auf eine genauere Beschreibung
der gewaltigen Kirche (Abb. 62. 63) brauchen wir uns nicht ein-
zulassen : das Längshaus hat sechs Joche, deren letztes nach Cister-
zienserart um drei Stufen erhöht zum Chore gezogen ist, in den
Seitenschiffen ebensoviele oblonge Gewölbe, das Querschiff neben
der Vierung je drei oblonge Gewölbe in jedem Arme. Die Haupt-
apsis ist sechsseitig, die drei Kapellen auf jeder Seite derselben
(links ist noch eine vierte angebaut) sind vierseitig geschlossen. Die
Seitenschiffe sind halb so breit als das Mittelschiff, die Maaße im
Längsschiffe stimmen fast genau mit S. Giovanni e Paolo überein.
Die Rundpfeiler stehen auf achteckigen Basen und haben achteckige
niedrige Kapitale mit Knospenblättern. Die OberHchter waren ehe-
mals wohl rund. Der Chor zeigt reich gegliederte Bündelpfeiler
am Eingange der Hauptapsis, sowie die reiche Anlage zweifach
und zugleich horizontal getheilter hoher Fenster. Das Betonen des
^) Sansovino: Venezia descritta. 1581, S. 65. — Boschini: Descrizione 1674.
— Dass. 1733. — Ritratto di Venezia 1705 (Baseggio). — Zanotto : Giiida 1863. —
Selvatico: sulla architt. S. 98. — Ricci II, 168. — Schnaase VIT, 127. — Lübke
S. 629. — Mothes S. 800. — Pietro Paoletti: l'Architettura del Rinascimento in Venezia.
1893. — Thode im Rep. für Kunstwiss. XVIII. S. 82. — Abb. Willis: remarks
pl. VII und Streets Brick and marbles S. 132.
Die Gewölbebauten. Der einfache Cisterziensertypus.
371
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Vertikalen, des Aufstrebens, des nach unseren Begriffen eigent-
lichen Wesens der Gothik verleiht dem Ganzen bei der echt italie-
nischen Weiträumigkeit einen eigenartig bedeutenden, an die nordisch-
deutsche Kunst gemahnenden Charakter.
Wie weit die Kirche der Frari den fast gleichzeitigen Bau der
Dominikaner beeinflußt hat, kann zweifelhaft bleiben, jedenfalls aber
zeigt S. Giovanni e Paolo eine so große Verwandtschaft, daß
man sie eine direkte Nachfolgerin von S. Maria gloriosa nennen
kann. Das Aufwärtsstreben ist in ihr noch stärker betont, der Ge-
sammteindruck des Inneren ist ein
entschieden luftigerer, freierer, die
Säulen sind schlanker, die Spitz-
bogen höher, die Kapitale ent-
wickelter. Die Oberlichter bilden
Gruppen von drei einfachen spitz-
bogigen Fenstern, die des Chores
zeigen die horizontale Gliederung
noch reicher durchgeführt. Ueber
der Vierung erhebt sich eine Kuppel,
die Zahl der Kapellen, die, wie
die Hauptapsis , siebenseitig ge-
schlossen sind, ist hier vier, die
Kreuzarme haben einfache Gewölbe,
das Langhaus nur fünf Joche. Das
Ganze bezeichnet demnach S. Maria
gloriosa gegenüber eine Verein-
fachung in der Anlage bei fort-
geschrittener Ausbildung der Details.
In naher Verwandtschaft mit
den Frari steht die herrliche Dominikanerkirche S. Anastasia in
Verona, ja, vielleicht ist sie deren Vorgängerin. Der Bau begann
1261, wurde 1295 unterbrochen und 1307 wieder von GugHelmo
Castelbarco aufgenommen, dem als Beförderer Domenico Marzari
folgte. Erst 1422 war die Kirche vollendet, 1538 erfolgte ein Um-
bau.^) Das sechsjochige Langhaus mit seinen hier auf attischen
Abb. 63. S. Maria dei Frari in Venedig.
^) Vergl. unter den oben (S. 333) bei S. Fermo citirten Gulden besonders Pergico's-
Descrizione. — Essenwein, M. d. C. C. 1860, S. 39 ff. (Abb.). — Schnaase VII, S. 129
(Grdr.). — Lübke S. 629. — Mothes S. 477. — Maaße nach Schnaase: 285 F. lang,.
78 F. breit.
24*
372 Die Franziskanerkirchen in Italien.
Basen stehenden Säulen erinnert wie der vierseitige Abschluß der
Altarräume an die Frari, während die Anordnung von drei quadra-
tischen Jochen im Querschiffe, die beschränkte Anzahl von vier
Kapellen Beziehungen zu S. Giovanni e Paolo zeigt.
Im Jahre 1303 oder 1304 ward mit den vom Papst Benedikt XI.
bewilligten und hinterlassenen Geldern S. Niccolö in Treviso
begonnen , welche den Dominikanern gehörige Kirche nach einer
Unterbrechung von 13 18 — 1348 von Niccolö da Imola, demselben,
der an den Frari thätig gewesen war, 1352 vollendet wurde. ^) Das
sechsjochige Mittelschiff und das Querhaus des luftigen Baues hat
eine flache (jetzt moderne) Decke, die Seitenschiffe sind gewölbt.
Die Haupttribuna ist neunseitig, die beiden an dieselbe anstoßenden
Kapellen sind sechsseitig, die zwei folgenden Kapellen viereckig
geschlossen. In jedem Joche befinden sich zwei schmale hohe
Fenster, Der kleineren Stadt entsprechend ist das Ganze einfacher
gehalten als die Bauten in Venedig.
In derselben Stadt Treviso entstand 1306 S. Francesco,
die , wie die eben erwähnte Kirche , Kreuzform und fünf Kapellen
hat. Das Längsschiff wurde, nachdem der Bau unterbrochen worden
war, von der Familie der Rinaldi gebaut.^)
Endlich sind in diese Gruppe, worauf noch nicht aufmerksam
gemacht worden ist, die zwei Kirchen S. Lorenzo und S. Corona
in Vicenza einzureihen. S. Lorenzo existirte schon, bevor sie
die Minoriten erhielten, da sie vor 1185 erwähnt wird, doch datirt
ihre jetzige Gestalt von dem Neubau im Jahre 1280. Das Portal
ward 1344 auf Kosten des Pietro Marano, genannt il Nano, von
einem frate Pace da Lugo ausgeführt, 148 1 der Klosterhof gebaut.
1796 wurde die Kirche geschlossen, 1838 wieder geöffnet.^) Auch
hier sind deutliche Beziehungen zu S. Maria gloriosa dei Frari.
Das fünQochige Längsschiff hat kräftige Rundpfeiler, deren Kapitale
aus zwei Reihen von Knospenblättern und achtseitigem Abakus
bestehen , das Querschiff wird durch drei quadratische Gewölbe
gebildet ; an die fünfseitig geschlossene Hauptapsis lehnen sich bloß
^) Federici: Memorie trevigiane 1803, S. 173 ff. — Mothes S. 482 f., der auch
eine Chronik des Andrea de Redunsio bei Muratori : Rer. Ital. vol. I benutzte. Maaße
nach Schnaase: 274 F. lang, 79 F. breit.
^) Federici, a. a. O. S. 207. Ich habe die Kirche nicht selbst gesehen.
') Vergl. Descriz. di Vicenza. (Vendramin) 1779. — Ciscato: Guida di Vicenza
1870. — Mothes giebt die Baugeschichte nicht vollständig, S. 472.
Die Gewölbebauten. Der einfache Cisterziensertypus. 373
zwei rechtwinklig geschlossene Kapellen. Die Oberlichter sind rund.
Die Fassade mit einem gothischen Portal, über welches ein
Renaissancegiebel gelegt ist , hat im unteren Theile sieben rund-
bogige Blenden, in welche unten vier Sarkophage mit Baldachinen
gesetzt sind , in dem oberen mit Giebeln abgeschlossenen Stock-
werk eine Rosette und fünf kleinere Rundfenster.
Die Dominikanerkirche S. Corona, die 1260 gegründet wurde,
1300 die Fassade erhielt, hat Umbauten namentlich im Chor er-
litten. Das dreischiffige Längsschiff hat vier Joche, dann folgte
das jetzt mit zu ihm gezogene Kreuzschiff, das früher, wie es
scheint, nicht über das Hauptschiff auslud und auf das vermuthlich
drei Kapellen sich öffneten , die jetzt ein schmales zweites Quer-
schiff bilden. Die runden Pfeiler haben abgestumpfte Würfel-
kapitale. Die Fassade ist durch Strebepfeiler dreigetheilt , hat ein
gutes gothisches Portal, links und rechts ein schmales spitzbogiges
Fenster, darüber ein Radfenster und zwei kleinere Rundfenster, oben
Spitzbogenfries. ^)
Ob S.Francesco inRovigo, deren Bau 1 296 von Obizzo U.
begonnen, 1 300, als schon Chor und Querschiff fertig waren, unter-
brochen und erst 1430 vollendet wurde, direkte Beziehung zu vene-
zianischen oder mailändischen Bauten hat, kann ich leider nicht
sagen, da ich die Kirche nicht kenne. Aus den Bemerkungen bei
Bartoli^) kann ich nur entnehmen, daß sie fünf Kapellen an der
östlichen Seite des Querschiffes hatte.
C. Die lombardischen Bettelmönchkirchen. Die
lombardischen Bettelmönchkirchen bilden wie die venezianischen
für sich eine Gruppe ; lehnen sich diese , wie ich im Hinblick auf
den polygonalen Abschluß der Kapellen vermuthen möchte , an
deutsche Cisterzienserkirchen an, so wird für die ersteren offenbar
die Ordenskirche Chiaravalle bei Mailand das Vorbild. Charakte-
ristisch für sie, wie für mehrere sich ihnen anschließende Bauten
ist die Bereicherung des Grundrisses durch Kapellenreihen am
Längsschiffe, die Anordnung quadrater Kreuzgewölbe im Mittel-
schiff, denen je zwei in den Seitenschiffen entsprechen, der gerade
^) Vergl. dieselben Guiden und Mothes' Beschreibung S. 480, die, was den
Grundriß anbetrifft, den späteren Umbau nicht berücksichtigt und ein zweischiffiges
Querhaus verzeichnet.
^) Bartoli: Le pitture etc. di Rovigo, Venezia 1793, S. 58. — Mothes S. 480.
374 ^'^ Franziskanerkirchen in Italien.
Abschluß des Chores und der Kapellen und endlich die An-
wendung des mit Halbsäulen belegten Pfeilers. Wir haben gesehen,
wie in verschiedenen Kirchen , namentlich in S. Ambrogio , das
quadratische Gewölbe, das durch die sechstheiligen Gewölbe ein-
zelner Bauten vorbereitet worden war, fast gleichzeitig auftritt,
wie in Chiaravalle ; daß das hier angewandte System des Chores
mit seinen Kapellen Beifall fand , bezeugen neben den zu be-
sprechenden Bauten in Pavia auch andere, z. B. die modernisirte
Carmine in Mailand. Die Pfeiler mit Halbsäulen aber waren schon
in Modena angewandt worden, — ob etwa auch ursprünglich, wie
in den meisten anderen Cisterzienserkirchen Italiens (Chiaravalle bei
Ancona, Fossanuova etc.) in Chiaravalle, so daß die eigenthümlich
massige runde Form hier aus einer späteren Zeit herrührte, wie
im Dome zu Cremona.?
Leider existirt die bedeutendste Franziskanerkirche in diesen
Gegenden, S. Francesco in Mailand, nicht mehr. Man wird
wohl nicht fehlgehen, schreibt man ihr, wie den Frari in Venedig,
eine besondere Bedeutung für die Entwicklung der lombardischen
Baukunst in der nächsten Zeit zu. Zumal wir wissen, daß sie
nächst dem Dome die größte Kirche Mailands war, im XIII. Jahr-
hundert also thatsächlich die größte ! Was ich aus Latuada's
Descrizione di Milano und aus dem Guida vom Jahre 1796 ent-
nehmen konnte, ist Folgendes : im Januar 1256 erhielten durch den
Erzbischof Leone da Perego die Minoriten , die anfangs S. Maria
Fulcorina besaßen, die alte, schon zu Zeiten des heiUgen Ambrosius
existirende basilica Naborriana, in der die Gebeine des Gervasius,
Protasius, Naborre und Feiice bestattet lagen. Wann der neue
Bau begonnen wurde , ist nicht bekannt , doch dürfte es jedenfalls
bald nach der Besitzergreifung geschehen sein. Eine alte, auch
von Latuada angeführte Beschreibung von Torri schildert ihn fol-
gendermaßen: ,,Die Franziskanerbasilika besteht, wie sie heutigen
Tages bewundert wird , aus drei Schiffen , auf beiden Seiten mit
zwölf Bogen geschmückt und mit ebenso vielen Säulen aus Back-
stein (nach einer Berichtigung des in der Ambrosiana befindlichen
Manuskriptes : aus Stein) mit rothen korinthischen Kapitalen." Der
Chor hatte viereckige Kapellen. In der Nacht auf den 6. September
1688 brachen die Gewölbe ein, und nun wurde sie von Neuem
gebaut und um drei Joche verkürzt." In diesem restaurirten Zu-
stande sah sie Latuada, der die Schönheit des korinthischen Stiles
Die Gewölbebauten. Der einfache Cisterziensertypus. ^yc
in ihr ebenso bewundert, wie die Größe. Er klagt nur darüber,
daß die Seitenkapellen nicht schön geordnet waren und nicht alle
beendet seien, und erhofft von den nächsten Jahren die Vollendung. —
Der Guida von 1796 erwähnt außerdem, daß die großartige gothische
Sakristei 1357 auf Kosten eines Giacomo, genannt Comello, d.h.
Giacomello de' Taverni gebaut und ganz mit Fresken geschmückt
worden sei, die ein klares Zeugniß davon ablegten, wie hoch schon
in jenen Zeiten die Kunst gestanden.^) — So kärglich die Nach-
richten sind, so genügen sie doch, uns einen höchst großartigen
Begriff von der Kirche zu geben. Ein Längsschiff von zwölf
Arkaden! Jedenfalls hatte das Mittelschiff sechs quadratische Ge-
wölbe, die Seitenschiffe die doppelte Anzahl. Waren die Stützen
wirklich Säulen mit gothischen BlattkapitäJen } oder kann man unter
jColonne' auch Pfeiler verstehen.? Wie war der Chor.? Haben wir
ihn uns zu denken, wie in S. Francesco in Pavia? Vergebens sieht
man sich nach Aufschluß um — die einzige Kirche, die in ihrem
abnorm langen Längsschiffe etwas an jene Beschreibungen erinnert,
S. Francesco in Cremona, die jetzt als Hospital benutzt wird,
hat gerade in den Chortheilen im XVII. oder XVIII. Jahrhundert
eine vollständige Veränderung erfahren. Trotz dieser aber lohnt sie
den Besuch: es ist ein Längsschiff, das gar kein Ende zu nehmen
scheint. (Abb. 64.) Erhalten sind vom alten Bau nur die vierzehn
quadratischen Kreuzgewölbe der Seitenschiffe (vielleicht waren es
einst sogar fünfzehn, da erst nach dem fünfzehnten, das jetzt zu-
gebaut ist, das moderne schmale Querschiff, das an den Armen
ebenso wie der lange Chor rund geschlossen ist, ausladet) und im
Mittelschiffe vier sechstheilige quadratische Gewölbe, die auf einen
Einfluß der Bauten in Piacenza schließen lassen, und ein aus zwei in-
einander greifenden sechstheiligen Gewölben bestehendes Joch, das
drei Seitenkapellen entspricht, zunächst der Fassade. Die derben,
schmucklosen Pfeiler und rundbogigen Arkaden sind modern, wohl
auch die jetzt runden Quergurte. Das Mittelschiff ist ein wenig
höher als die Seitenschiffe. Die Hauptfassade ist modern. Die
Seitenfront zeigt noch die später zugemauerten einfachen, spitz-
bogigen Oberlichter. Nach Flaminio di Parma ist die Kirche 1290
^) Torre: ritratto di Milano. Milano 17 14. S. 187 ft". — Latuada: Descrizione di
Milano 1738. IV, S. 226. — Bianconi; Guida 1787. — Guida di Milano (Sirtori).
II. Ausg. 1796. S. 331. — Bossi: Guida di Milano 18 18. S. 159.
376
Die Franziskanerkirchen in Italien.
erbaut worden, in den Guiden habe ich keine näheren Angaben
gefunden. ^)
Von S. Francesco in Turin ist Nichts mehr erhalten, auch
kenne ich keine eingehendere Beschreibung. Es war eine drei-
schiffige Kirche.^)
Mit größerer Sicherheit läßt sich unter der modernen, wohl
im letzten Jahrhundert vollzogenen Verkleidung die alte Gestalt der
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Abb. 6c. S. Francesco in Pavia.
Abb. 64. S. Francesco in Cremona.
Kirche S. Francesco in Pavia noch erkennen — offenbar hatte
sie ganz denselben Grundriß wie S. Maria del Carmine ebendaselbst:
ein Langhaus mit vier quadratischen Jochen, die doppelte Anzahl
quadratischer Gewölbe in den Seitenschiffen und ebenso viel recht-
winklige Kapellen. (Abb. 65.) Das Querschiff, nicht über die letzteren
ausladend, bestand aus einer oblongen Vierung und aus zwei dem
Quadrat sich nähernden Kreuzgewölben. Der viereckige Chor hat
^) Flaminio di Parma : Memorie istoriche delle chiese et della provincia di Bologna.
Parma 1760, I, S. 325. •=— Panni: distinto rapporto delle dipinture etc. 1762. —
Guida von Picenardi 1820. — Maisen: Cremona illustrata. Milano 1865.
^) Guida di Torino 1753. S. 84.
Die Gewölbebauten. Der einfache Cisterziensertypus. 377
vier Kapellen zur Seite. Erhalten sind von den Gewölben nur die
der Seitenschiffe und zwei Joche des Mittelschiffes. Als Stützen
dienen jetzt schwere Rundsäulen mit barocken Kapitalen, jedoch
sind an dem der Vierung nächsten Gewölbe noch vier kreuzförmige
Pfeiler mit Halbsäulen zu sehen, nach denen wir uns, dabei S. Maria
del Carmine zum Vergleich herbeiziehend, die anderen rekonstruiren
können. Die Quergurte waren breitgespannte, der Rundung sich
nähernde Spitzbogen , die dem Ganzen einen etwas gedrückten
Charakter verliehen haben müssen. Die dreigetheilte Fassade da-
gegen ist hoch, schlank und mit hohen Fialen und einem Kreuzungs-
bogenfries geschmückt. In der Mitte befand sich ein jetzt zu-
gemauertes großes, reich mit fünf rosettenverzierten Bändern ge-
rahmtes Fenster , unter dem fünf Scheinrundfenster waren. Die
Seitentheile ihrerseits sind durch eine aus drei Rundstäben be-
stehende Lisene halbirt ; über dem unteren Geschosse mit moderner
Thüre läuft ein den untern Theil der Mittelfenster kreuzender, also
später hinzugefügter breiter Streifen, der mit sternförmigen Back-
steinornamenten geziert ist. Ein Blick auf die Seitenfront zeigt,
daß die Kapellenanlage alt ist, da ihre Details in allen mit dem
sonstigen Aeußeren übereinstimmen. Jede Kapelle hatte zwei hohe
spitzbogige Fenster, das Mittelschiff und der Chor rundbogige Ober-
lichter. ^) — S. Francesco ist offenbar das Vorbild für S. Maria
del Carmine geworden, die im Detail, in der reicher gestalteten
fünftheiligen Fassade einen Fortschritt bezeichnet, im Grundriß sich
genau an die Bettelmönchkirche hält.
Lübke setzt die Entstehung beider Kirchen zu früh. Erst 1260
dürfte S. Francesco entstanden sein, als die Franziskaner den Park
von Mirabello, in dem sie bisher gewohnt, verließen und in die
Stadt zogen, S. Maria del Carmine nach Malaspina, der sich auf
Fornari's Klosterchronik beruft, 1273. Genau denselben Typus muß
ferner die jetzt verfallene und zu Wohnungen und Magazinen ver-
wendete Kirche S. Tommaso zu Pavia gehabt haben.
Die Beziehung dieser Bauten zu Chiaravalle ist trotz der reicheren
Kapellenanlage, der Vereinfachung der Chorkapellen noch ersichtlich,
doch fehlen uns die Mittelglieder. Sollten wir ein solches in dem
1) Vergl. Förster II, 46. — Kugler III, 560. — Lübke M. d. C. C. 1860, S. 163.
— Schnaase VII, 191. — Mothes S. 494. — Abb. Nohl : Tagebuch S. 61. — Street
208. — Lose und Grüner: Terracotta architecture PI. 12. Maaße: Msch. 9,87, Ssch.
4,33, Sdist. 4,05, Querschiffausladung 7,02 m.
378 Die Franziskanerkirchen in Italien.
ältesten Bau der C e r t o s a bei Pavia sehen dürfen ? ^) Mir scheint,
nicht allein einzelne Details, sondern auch der Grundriß ist dem von
S. Francesco merkwürdig verwandt. Nimmt man die letzten zwei
Joche der Querarme mit den Apsiden, sowie das abschließende Ge-
wölbe des Chores hinweg, so bleibt jene soeben besprochene An-
lage eines aus vier quadratischen Jochen und Kapellenanbauten be-
stehenden Längshauses, ein aus drei Jochen bestehendes Querhaus,
viereckige Apsis mit vier Seitenkapellen.''') Beim 1390 begonnenen
Neubau wäre dann das Alte zu einem harmonischen Ganzen um-
geschaffen, wären die Pfeiler umgestaltet, die Seitenschiffe mit
oblongen Gewölben versehen, die Kuppel in erneuter Erinnerung an
Chiaravalle errichtet, das Kreuzschiff und der Chor erweitert und
reicher gestaltet, endlich alles Detail einheitlich neu gebildet worden.
Freilich kann das, so lange uns nicht neue Dokumente darüber auf-
klären, Nichts als Vermuthung bleiben, und es ist ebensowohl denk-
bar, daß die Certosa statt ursprünglich für die Bauten in Pavia das
Vorbild gewesen zu sein, vielmehr in einer gewissen Beschränkung
sich an dieselben anlehnt.
Während so in Pavia , das eine Zeitlang der Hauptsitz archi-
tektonischer Thätigkeit in der Lombardei wird, noch im XIV. Jahr-
hundert das quadratische Gewölbe besonders bevorzugt wird, macht
dieses in Mailand an Bauten, wie S. Pietro de Gessate (1344 ge-
gründet) und S. Maria delle Grazie (um 1400) dem oblongen Platz,
wodurch die Seitenschiffe in den gleichmäßigen Rhythmus hinein-
gezogen werden, doch bleibt die Vorliebe für Kapellenreihen.
Wäre es erlaubt, aus der jetzigen Gestalt der Kirche des
heiligen Franz in Fe rrara einen Rückschluß auf die ehemalige
gothische zu ziehen, so müßte man dieselbe in eine Reihe mit den
Bauten in Pavia setzen. Selbst aber wenn der neue Grundriß ohne
Rücksicht auf früher Vorhandenes entworfen wäre , so hätte doch
eine kurze Erwähnung dieses schönen Renaissancebaues an dieser
Stelle ihre Berechtigung, da eine Beziehung zu jenen Kirchen nicht
abzuleugnen ist. Die Anlage im Grundriß entspricht abgesehen
davon , daß die Kreuzarme noch über die Kapellenreihen ausladen
und die Hauptapsis halbrund geschlossen ist, fast vollständig S. Fran-
1) Jenen Bau, auf den die Inschrift am Grabe des 1402 verstorbenen Gian Galeazzo
hinweist: CoUapsa templa restituit, nova magnifice et opulenter coenobia extruxit.
^) Deren ersten beide jetzt durch ein Joch erweitert sind.
Die Gewölbebauten. Der einfache Cisterziensertypus. 379
cesco in Pavia. An Stelle der Kreuzgewölbe befinden sich im
Mittel- und Kreuzschifife flache Kuppeln, ebensolche kleinere in den
Seitenschiffen, in den Kapellen Tonnengewölbe. Etwas schwer-
fällige jonische Säulen mit ornamentirtem Halse tragen die Rund-
arkaden, korinthische Pilaster die Eingangsbögen der Kapellen.
Dieser Neubau wurde unter Ercole I. am 3. August 1494 begonnen,
der Tradition nach von Giovanni Batista Benvenuti genannt l'Orto-
lano, nach dem Guida von 1844 eher von dessen Onkel Pietro,
nach Cittadella von Biagio Rosselli. Die älteste Kirche war, nach
einer Schenkung des Landes durch Giacomo Torello di Salinguerra
1245, errichtet worden; 1264 beschloß man Vergrößerung, die 1344
vollendet war. Unter den Gönnern befand sich ein Alberto d'Este,
der von dem Baumeister Bartolini Ploti da Novara eine der Maria
und dem heiligen Jakobus geweihte Kirche bauen Heß. ^)
D. Die Gewölbekirchen in Mittel- und Süditalien. Um
die Mitte des XIII. Jahrhunderts entstehen in Toskana die ersten
gothischen Gewölbekirchen und zwar zeigt bereits die, so weit be-
kannt, früheste, dem Niccolö Pisano zugeschriebene S. Trinitä in
Florenz (1250) die Anlehnung an das durch die Bettelmönche be-
reits weit verbreitete Cisterziensersystem , nämlich fünf geradlinig
geschlossene Chorkapellen, ein aus drei Kreuzgewölben bestehendes
Querschiff und auffallender Weise ein aus fünf Jochen bestehendes
fünfschiffiges Längshaus mit Pfeilern. Mit S. Maria novella, die
an Stelle einer älteren von Fra Sisto und Ristoro nach 1244 er-
richteten, vermuthlich den umbrisch-toskanischen Typus zeigenden
Kirche 1278 begonnen, 1307 im Osttheil, 1349 im Innern vollendet
wurde, tritt dann zuerst der norditalienische Typus der Bettelmönch-
kirchen im Süden des Apennins auf. Ohne daß bestimmte Vor-
bilder angeführt werden könnten, läßt sich doch manche Beziehung
zu lombardischen Bauten finden, so in dem Aeußeren, in der An-
wendung des durch Halbsäulen belebten Pfeilers. Die Gewölbeanlage
dagegen entspricht mehr dem venezianischen Systeme: den nicht
ganz quadratischen sechs Jochen des Mittelschiffes entsprechen eben-
soviel oblonge Seitengewölbe, wie dies gleichzeitig auch am Dome
^) Pitture e sculture di Ferrara 1770. — Frizzi: Guida 1787. — Awento: il
servitore di piazza. Guida 1838. — Indice manuale di Ferrara 1844. — Lübke S. 694.
— Cittadella: Guida 1873. S. 103.
380 Die Franziskanerkirchen in Italien.
von Arezzo (begonnen 1277), in S. Remigio in Florenz der Fall ist
und im ganzen Süden zur Regel wird. Das QuerschifF hat drei
quadratische Joche und neben den fünf viereckigen Kapellen an
der Ostseite auch an den Enden der Arme je eine Kapelle. ^) Daß
der Dom von Prato (begonnen 1 3 1 7) seinen Chor mit den vier
Seitenkapellen S. Maria nachbildete, scheint mir sehr wahrscheinlich.
Eine weitere Entwicklung von S. Maria novella bezeichnen die
Dominikanerkirchen in Rom und Neapel. Hatten die Minoriten
sich begnügt, die ihnen 1250 überwiesene alte Basilika S. Maria
in Aracoeli zu Rom 1252 durch Kapellenanbauten am Längs-
schiff und Neubau eines großen viereckigen Chores zu erweitern,
ohne an Stelle der alten Holzdecke Wölbungen zu setzen und
ohne die rundbogigen Archivolten zu verändern^), so führten die
Predigermönche an Stelle der alten Basilianerinnenkirche S. Maria
sopra Minerva einen vollständigen Neubau auf, der, am 24. Juni
1280 begonnen, vermuthlich von den damals in Rom anwesenden
Fra Sisto und Ristoro geleitet wurde. Er verräth denn auch ent-
schiedenen Anschluß an die Florentiner Kirche, zeigt eine ähnliche
Gewölbeanlage im sechsjochigen Längsschiffe, die gleichen Pfeiler,
zugleich aber eine Erweiterung durch die Anlage von Kapellen-
reihen, die wiederum an die Lombardei erinnern. Die Haupttribune
ist dreiseitig geschlossen."^) Daß S. D omenico in Neapel daraut
den in Rom entwickelten Grundriß übernimmt, ist selbst heute,
nach so vielen Restaurirungen und Umbauten in den Jahren 1446,
1455, 1605, 1670, 1732, 1752, 1804, 1853, deutlich zu erkennen.
Das Längshaus hat sieben Joche, und Kapellenreihen, das Mittel-
schiff eine Holzdecke , das Querschiff jetzt niedere Tonnengewölbe
auf dem Kreuzarme (ursprünglich jedenfalls drei quadratische Ge-
wölbe). Der Chor war ehemals viereckig geschlossen, ebenso ver-
^) Für die Baugeschichte und eingehendere Beschreibung, die hier überflüssig
-wäre , vergl. Marchesi I , S. 59 , Fantozzi's Guida , Richa's chiese di Firenze. —
Schnaase VII, 141. — Lübke S. 624. — H. Semper: Uebersicht der Gesch. Toskanischer
Skulptur. Zürich, Bürkli 1869, S. 38. Nach alter Beschreibung von Boselli: le chiese
di Firenze. — Mothes S. 757. Abb. Wiebeking Taf. 51 u. 85. Maaße nach Fantozzi:
315 F. 1. Msch, 40 F. br. Ssch. lo^/^.
2) Wadding: Annal. III. .Bd. 1251, S. 261 ff. — Mothes S. 707. — P. F. Casi-
miro : Memorie istoriche della chiesa e convento di S. M. in araceli. Rom 1736.
^) Vergl. Marchese I, S. 49. — Platner: Beschr. Roms III, 3, 505. — Masetti :
S. M. sopra Minerva. Rom 1858. — Schnaase VII, 142. — Lübke S. 624. — Mothes
S. 711. — Abb. bei d'Agincourt Taf. XLII, 65, 68 u. 73.
Die Gewölbebauten. Der einfache Cisterziensertypus. 38 1
muthlich jede der im XV. Jahrhundert umgebauten vier Neben-
kapellen. Der Bau begann 1283, nachdem schon 1255 ein Umbau der
123 1 von den Mönchen übernommenen Kirche stattgefunden hatte. ^)
Von Franziskanerkirchen , die ferner in diese Reihe gehören,
weiß ich, bei meiner Unkenntniß der Bauten in Apulien und Cala-
brien, nur S. Francesco in Ascoli zu erwähnen, die nach dem
Grundriß bei Schulze und den Beschreibungen bei Orsini, Mothes etc.
ein dreischiffiges, aus fünf Jochen bestehendes Langhaus mit acht-
eckigen Pfeilern, eine Kuppel über der Vierung und ein Querschiff,
an das sich im Osten drei, im Norden und Süden je zwei polygone
Chorschlüsse legen, hat. Im Aeußeren bildet sie durch diese reiche
Gestaltung, zu der noch zwei schlanke Thürme kommen, ein leben-
diges Ganzes. Nach Orsini haben die Tribünen hier, wie in Chiara-
valle bei Mailand, ein oberes Stockwerk.^) Ob der zum Jahre 1252
in einem Manuskript genannte Antonio Vipera der Architekt oder
bloß Protektor der Bauunternehmung war, bleibt zweifelhaft.')
Dieser Kirche verwandt soll nach Mothes und Ricci S. Fran-
cesco in Fermo sein. Ueberhaupt scheint die Mark Ancona,
wie dies sich später auch in der Skulptur und Malerei äußert, starke
Einflüsse von Norditalien her erfahren zu haben. Die Kirche des
Francesco in Ancona selbst, die, leider jetzt ganz umgewandelt,
nur noch in ihrem 1455 errichteten reichen, barock - gothischen
Portal von Giorgio da Sebenico Interesse erweckt, war eine drei-
schiffige gewölbte Pfeilerkirche. Vom Bischof Niccolö gebaut, wurde
sie am 15. August 1323 geweiht.*) Zu den älteren Ordensbauten
jener Gegend gehören : die von Maestro Antonio di Jacopo gebaute
Kirche in San Severino, die bereits 1247 (Breve Innocenz' IV.)
im Bau begriffene zu Osimo, die 1300 begonnene in Treja.
Spätere sind: S.Francesco zu Arcevia (1351), Monte Ottone
(um 1351), Fallerone mit reicher Backsteindekoration, Ripa-
transone — die fast alle gänzlich modernisirt sind.^)
1) Förster II, 99. — Lübke : M. d. C. C. 1860, S. 222 (Grundriß). — Nohl
S. 273. — Schnaase VII, S. 541. — Mothes S. 645. — Wiebeking Taf. 47.
*) Schulz II, 5. III, I. — Orsini: descriz. della cittä di Ascoli Perugia 1790,
S. 105. — Corboni: Memorie 1830. — Ricci: Memorie della arti et del Piceno 1834.
S. 42. — Mothes S. 752.
^) Carducci: Memorie di Ascoli 1853, S. 131.
*) Baglioni: Storia della chiesa di S. F. — Guida di Ancona 1821, S. 16. —
Ricci: Memorie I, S. 76.
^) Ricci: Memorie 1, S. 42 und S. 76.
ß82 Die Franziskanerkirchen in Italien.
Wie die älteste Kirche der Franziskaner in Rom: S.Fran-
cesco a ripa, die ursprünglich den Benediktinern angehörte und
123 1 vom Grafen Ridolfo dell' Anguillara vergrößert und hergestellt,
später von einer Lelia Biscia erweitert wurde, gewesen, ist aus der
jetzigen Gestalt, die sie im XVI. Jahrhundert von Mattia de Rossi
erhielt, nicht mehr zu schließen. Es ist ein kleiner dreischiffiger
Bau mit Kapellenreihen, einem durch eine Kuppel gekennzeichneten,
nicht ausladenden Querschiff und einer flachen rechtwinkligen
Chornische. ')
Nachdem wir im Einzelnen die Bettelmönchkirchen in den ver-
schiedenen Gebieten Italiens einer Betrachtung unterzogen haben
und es uns gelungen ist, einzelne Gruppen zu sondern, kann es
nun, werfen wir einen kurzen Blick zurück, nicht schwer fallen,
einen einheitlichen Zusammenhang in der zahllosen Menge der Bau-
ten zu finden. Sie alle , mit Ausnahme der wenigen Kirchen , die
dem romanischen Basilikenstile folgen, gehen in ihrer ursprünglichen
Gestaltung auf die Cisterzienseranlagen zurück , die sie theils , wie
in Umbrien und Toskana, entsprechend den Intentionen der Ordens-
stifter und dem im Lande entstandenen Ideal vollständig und selb»
ständig vereinfachen und umgestalten, theils fast treulich wieder-
holen, wie in Venedig, theils erweitern, wie in der Lombardei
und einzelnen Kirchen des Südens. Die bewußte Nachbildung ging
sogar so weit, daß allerdings an der größeren Mehrzahl der Kirchen
in Mittelitalien wie im Norden das einfachere System der östlichen
Kapellenanlage befolgt erscheint, die Gruppe bolognesischer Kirchen
aber auch die reichere Kathedralenanlage von den französischen
Cisterziensern übernimmt. Nur die von letzteren wiederholt nament-
lich in Deutschland angewandte Form eines eckig geschlossenen
Chorumgangs hat .keine Nachahmung in Italien gefunden. Diese
Thatsache aber des engen Anschlusses an den Orden des Bernhard
von Clairvaux darf uns gewiß als äußeres Sinnbild des geistigen
Verhältnisses erscheinen, das zwischen demselben und dem Franzis-
kanerthum besteht. So können wir es denn auch nicht als Zufall
betrachten , daß es die Franziskaner sind , welche im Norden wie
^) Vergl. Titi: Ammaestramento utile e curioso di Roma. 1686, — Titi: De-
scrizione di Roma 1763. — Roma modema. 1741. — Vasi: Itinerario istruttivo di
Roma. 1791. — V. Bunsen u. Platner: Beschr. Roms III, 3, S. 650.
Schlußbetrachtung. 383
im Süden die allgemeine Norm für den Kirchenbau festsetzen, die
Dominikaner dieselbe erst von ihnen empfangen. Auch das ist tiet
begründet : das Dominikanerthum ist eben der empfangende Theil,
wie auf dem Gebiete der Ordensdisziplin, so auf dem der Bau-
thätigkeit !
Auffallend aber bleibt es, daß wir eine Nachahmung der Cister-
zienserkirchen durch die Minoriten nur in Italien finden, während
im Norden der Alpen die Bettelmönche, ohne sich Vorbilder zu
nehmen, frei einen neuen Stil entwickeln, der, nur den Bedürfnissen
Rechnung tragend, vor dem italienischen eine größere Originalität
voraus hat. Das Hauptgewicht fällt hier auf den Chor, der, von
derselben Breite wie das Schiff, tief und geräumig und meist poly-
gon geschlossen ist. Mehr als in Italien befleißigt man sich, mög-
lichst billig und einfach zu bauen, läßt daher fast immer das Quer-
schiff wie den Thurm weg und gestaltet das zuweilen selbst nur
zweischiffig angelegte Haus sehr einfach. So sind diese Kirchen
in folgerichtigerer Weise aus den eigentlichen Anschauungen: aus
dem die Predigt in den Vordergrund setzenden Gottesdienst der
Bettelmönche hervorgegangen — den größeren Reiz der Mannig-
faltigkeit, die vollendetere Schönheit der Verhältnisse haben die
italienischen voraus.
In Deutschland bilden fernef die Bettelmönchbauten ein in sich
gesondertes Ganze , — in Italien haben sie bestimmenden Einfluß
auf die Entwicklung des gothischen Stiles ausgeübt, wie wir an
vielen Beispielen gesehen haben. Mit ihnen verbreiten sich die
Elemente nordischer Gothik, die sich aber schon bei der Aufnahme
dem südlichen Raumgefühle, wie dem vorzüglich in der Lombardei
heimischen und hier besonders gebildeten stilistischen Prinzipe an-
bequemen müssen. Man kann wohl behaupten, daß, abgesehen
von der an die ältere romanische Kunst sich anschließenden und
selbständig sich aus derselben entwickelnden Bauthätigkeit, wie wir
sie z. B. an den Domen von Siena und Lucca gewahren, abgesehen
von der stark nordischen Richtung, die sich bei dem Bau der Certosa
und des Domes von Mailand am Ende der gothischen Periode
geltend macht, die gesammte in vollem Sinne so zu nennende
gothische Architektur Italiens bedingt ist und ihr Gepräge erhalten
hat durch die Bettelmönchbauten Norditaliens, ja daß deren Ein-
fluß noch weiter hinaus auf manche Renaissancewerke sich erstreckt.
Folgte nicht Brunnellesco, als er mit S. Lorenzo den ersten Schritt
284 ^*^ Franziskanerkirchen in Italien.
in die neue Zeit hineinthat, im Entwürfe des Grundrisses dem Vor-
bilde von Bauten, wie S. Maria novella? Wird man nicht in der
Kirche der Servi zu Siena an die venezianischen Kirchen erinnert?
Es würde zu weit fuhren, wollte man einzelne andere Kirchen, wie
z. B. S. Pietro in Modena, den Dom von Faenza, S. Maria in vado
in Ferrara, S. Agostino in Rom zum Vergleiche heranziehen. Schließ-
lich spielen diese Bauten doch keine hervorragende Rolle in der
Renaissancekunst. Das große Streben des XV. Jahrhunderts geht
nach anderen Idealen !
Bei Weitem bedeutungsvoller — und darauf sei noch einmal
am Schlüsse hingewiesen — werden die unscheinbaren einschiffigen
Kirchen in Umbrien und Toskana, deren künstlerische Schönheit
in der einfachsten Harmonie des Raumes, in den Verhältnissen der
Höhe zur Breite und Länge beruht. Sie sollten im Quattrocento
in glänzender Weise weiter leben. Es ist wohl kein Zufall , daß
gerade von Florenz die Baumeister ausgehen, die ihr geniales Können
an die scheinbar so wenig lohnende Aufgabe gaben, durch die
denkbar größte Einfachheit zu wirken. Es handelt sich hier freilich
nicht um eine getreue Nachbildung der den Bettelmönchkirchen
eigenthümlichen Grundrisse — vielmehr verschwinden jene kleinen,
die einfach große Wirkung beeinträchtigenden Kapellen neben dem
Chor, um einen neuen Platz an den Seiten des Langhauses zu
finden — aber hätte Leone Battista Alberti seine Kirche S. Andrea
in Mantua, die gewiß den einen Höhepunkt der Renaissance be-
zeichnet, wie der Plan Bramante's für S. Pietro den andern, schaffen
können, ohne seine Schule in den lehrreichen Kirchen der Franzis-
kaner wie Dominikaner durchgemacht zu haben ? Wir haben be-
reits oben eine Reihe von herrlichen Renaissancewerken, wie S. Fran-
cesco in monte bei Florenz, S. Francesco della vigna in Vene-
dig, S. Pietro in montorio in Rom erwähnt. Die Zahl dieser Bauten
ließe sich leicht vermehren. Ein Blick auf die Reihe der Kirchen,
die Burckhardt als flachgedeckte, einschiffige in seiner Geschichte
der Renaissance (S. 130) zusammenstellt, ein Blick auf die Namen
ihrer Erbauer genügt, ihre Bedeutung zu erfassen. Da finden wir
Giuliano's di Sangallo S. Maria Maddalena dei Pazzi, Jacobo Sanso-
vino's S. Marcello , Antonio's di Sangallo des Jüngeren S. Spirito
in Rom, eine ganze Anzahl Kirchen in Neapel.^) Und weiter hinaus
^) Auch eine Zeichnung des Antonio da Sangallo in den Uffizien (nicht ausgestellt
Nr. 503): der Grundriß einer kleinen einschiffigen Kirche mit Kapellenreihen ist für
Schlußbetrachtung. 385
eröffnet sich der Ausblick auf jenen Typus der gewölbten ein-
schiffigen Kirche, der, im XVI. Jahrhundert von den Jesuiten be-
vorzugt, der für die ganze katholische Welt gültige wird.
Zu ausschließlich, scheint mir, pflegt man jetzt den Zentralbau
als das eigentliche Ideal der Renaissancebaukunst aufzufassen. Mehr
noch als die soeben angedeuteten historischen Thatsachen beweist
die vollendet großartige Wirkung einschiffiger Kirchen, wie S. An-
drea in Mantua, daß gleichberechtigt neben jenen das in diesen
ausgesprochene Ideal zu setzen ist. Findet im Zentralbau die nordisch
italienische, die lombardische Kunst, ihren höchsten Ausdruck, so
bezeichnet die einschiffige Renaissancekirche die Spitze der für
Toskana charakteristischen Bauentwicklung. Wer aber die letztere
in ihrer Bedeutung und Eigenthümlichkeit verfolgen möchte, würde
seinen Ausgangspunkt von den ersten Kirchen der Franziskaner zu
nehmen haben. Und fehlte es ihm nicht an Muth , veraltete Be-
griffe durch neue zu ersetzen , so würde er angesichts dieser die
innersten Eigenthümlichkeiten der Renaissance schon vorahnenden
und ausgestaltenden Bauten das Wörtlein ,gothisch' fallen lassen.
Was wollen denn die wenigen Spitzbogen bedeuten, gegenüber
der von allem Detail absehenden, allein auf eine freie, harmonische
einheitliche Raumwirkung hinzielenden Anlage des Ganzen } Spricht
aus jenen oder nicht vielmehr aus diesem der künstlerische Geist
des Urhebers wie der Zeit? Im Norden mag man mit Recht von
einer italienischen Gothik sprechen, aber im Norden wird auch die
neue Aera der Kunst nicht gezeitigt: viel schwächer und daher
fremden Einflüssen mehr unterworfen zeigt sich hier der innere
Drang nach einem neuen gewaltigen Aufschwung der künstlerischen
Anschauung , der unwiderstehlich und unbeirrt in Toskana zum
Lichte drängt. Was Wunder daher , wenn jenes reiche , aber ein-
gewanderte Geschlecht der gewölbten Bettelmönchkirchen bald kraft-
los ausstarb, die im heimischen Boden wurzelnde schlichte Bevölke-
rung der holzgedeckten , einfachen toskanischen Bauten aber die
herrlichste, kräftigste Nachkommenschaft hatte, die ein wichtiges
Glied in dem großen Verband der Kunst einer vorgeschritteneren
Zeit bilden sollte. Ja, wenn man freilich Giotto einen gothischen
Künstler nennen will, dann hat man auch das Recht, die Kirchen
eine Franziskanerkirche (zu Pitignano) bestimmt. (H. Brockhaus : Das Hospital S. Spirito
zu Rom. Rep. f. Kw. VII. Bd. S. 443.)
Thode, Franz von Assisi. 2e
386 Die Franziskanerkirchen in Italien.
des Franz in Pistoja, in Pisa und sonst in Toskana gothisch zu
nennen. Es ist derselbe Geist, der aus ihnen in einer anderen
Sprache zu uns spricht, wie aus den Fresken in Assisi — derselbe
neue Geist, der künstlerisch sein Höchstes in der Blüthe der
Renaissance giebt.
Betrachten wir in der toskanischen Kunst die Zeit von 1200
bis 1 500 als eine einheitliche, eng zusammenhängende Entwicklung,
so olifenbart sich uns dasselbe Gesetz, das uns aus der Anschauung
der antiken Kunst klar geworden : daß die neuen Prinzipien als
fundamentale Grundlagen des Ganzen zuerst in der Architektur aus-
gesprochen werden , durch sie bedingt erst die Skulptur und die
Malerei ins Leben treten. Was den Pisani, wie Giotto, als den
Vertretern der neuen Kunst vorangeht und als die eigentlichste
Grundlage derselben betrachtet werden muß, ist die zuerst schöpfe-
risch von den Franziskanern, dann von den Dominikanern in Um-
brien und Toskana ausgeübte Bauthätigkeit. Und durch diese
wird der Weg für die spätere Entwicklung deutlich genug schon
vorgezeichnet — so wenig Platz diese Bauten für Anbringung pla-
stischer Werke boten , so wenig günstig sie für eine gesetzmäßige
Ausbildung der Skulptur waren, so vielseitig kamen sie den Bedürf-
nissen der Malerei entgegen. Die wesentlichsten Bedingungen für
diese waren ja in ihnen vorhanden: große Flächen, die eine Be-
lebung verlangten, und ein helles Licht, das die volle Anschauung
des Dargestellten ermöglichte. Wir würden nur schon Gesagtes
wiederholen , wollten wir darauf hinweisen , wie Cimabue , Giotto
und alle seine Schüler ihre Hauptaufgaben und ihre Schulung in
den Bettelmönchkirchen gefunden haben, deren Wände noch heute
überall den Schnmck zahlreicher Wandgemälde tragen, wie ihnen
nicht allein der Raum für die Gestaltung eines großen monumen-
talen Stiles , sondern auch ein großer neuer Stoff in der reich-
haltigen Legende des Franz und in denen seiner Nachfolger von
den armen , scheinbar die Kunst so wenig fördernden Mönchen
gegeben wurde. Hier kam es nur darauf an, zu zeigen , daß der
neuen Epoche der zeichnenden Künste auch ein neuer Baustil vor-
angeht, mit dem die toskanische Kunst ihren eigentlichen Anfang
nimmt. Mag man immerhin mit den Bauten Brunellesco's um
1400 die , Renaissance' beginnen lassen, dann aber sich recht be-
wußt werden , daß diese Renaissance nur das zweite Stadium der
großen Kunstbewegung ist, in die damit als neues Element nun
Schlußbetrachtung. 287
die Nachahmung der Antike tritt. Oder man lasse, da man sich
gewöhnt hat, eben jene Bewegung Renaissance zu nennen und der
Ausdruck durch die Tradition geheiHgt erscheint, man lasse sie mit
dem Bau von S. Francesco beginnen und scheide deren erste große
von fremden Einflüssen unabhängige aus dem Geiste der Zeit und
auf toskanischem Gebiete erstehende Phase von einer zweiten,
die mit dem erneuten Studium der alten Kunst um 1400 anhebt.
Als erste Zeugen und Denkmäler der Renaissance werden dann die
Bettelmönchkirchen in Mittelitalien in ganz anderem Lichte als bisher
erscheinen, wird in ihm plötzlich ein Etwas uns entgegentreten,
was uns bisher kaum aufgefallen ist : ein wunderbar erhabenes , in
seiner Kindheit schon die volle Kraft des reiferen Alters ver-
sprechendes Gefühl für die in ihren einfachsten Formen erfaßte
Harmonie des Raumes und der Verhältnisse.
25'
ZWEITES BUCH
DAS FRANZISKANERTHUM
UND SEINE
BEDEUTUNG FÜR DIE ITALIENISCHE KUNST
ERSTER ABSCHNITT
DIE FRANZISKANER
I. Erste Entwicklung und Gestaltung des Ordens.
„Ein neues Geschlecht ist vom Himmel gestiegen, das neue
Wunder verrichtet," so sang in einem Hymnus auf Franziskus der
Freund des Ordens, Gregor IX. Und wahrlich, wunderbar genug
mußte den Zeitgenossen der Siegeszug dieses Heeres bettelnder
Mönche erscheinen, das plötzlich aus dem Boden gestiegen war,
die heiligen Rechte und Pflichten der christlichen Religion der Welt
in Erinnerung zu bringen. Der Traum eines weltentrückten
Schwärmers schien sich zu verwirklichen : die Menschheit über das
Irdische hinweg zu reiner Gottanschauung sich erheben zu wollen.
Aber es schien nur so ! Schon Franz selbst hatte es erfahren
müssen, daß er sich getäuscht, als er zur Regel für eine große
Genossenschaft machen wollte, was nur das Vorrecht seiner indi-
viduellen, eigenthümlich und großartig angelegten Natur war. Ein
Franziskanerthum , wie er es sich dachte, war und blieb eine Un-
möglichkeit. Und doch wie immer es geworden, im Kampfe mit
seinem eigensten Prinzipe, hat es eine außerordentliche Bedeutung
gewonnen und die größten Namen des XIII. und XIV. Jahr-
hunderts haben ihm einen Nimbus verliehen , der nimmer ver-
schwinden wird.^)
Eine menschliche Genossenschaft ohne jeden, selbst nur gemein-
schaftlichen Besitz ! Das war ein niemals zu verwirklichender
Gedanke. Darin lag von vornherein der Keim zu dem inneren
*) Da ich in diesem Kapitel mich nur auf das Allgemeine beschränken mußte,
durfte ich von einer Ausarbeitung auf Grund der neueren Forschungen absehen.
392
Die Franziskaner.
Zwiespalt, der von den Tagen des Franz an bis ins XVI. Jahr-
hundert die Einheit des Ordens gefährdet, ihn mit sich selbst und
mit der Kirche in mannichfache Kämpfe verflicht. Ganz von
selbst mußten zwei Partheien entstehen : eine , die streng und un-
erbittlich an der Forderung absoluter Armuth festhielt, eine andere,
die, freieren Anschauungen huldigend, den allgemeinen Verhältnissen
und Bedürfnissen sich akkommodirte. Jener Johannes de Capeila,
dessen Pläne Franz, vom Orient zurückgekehrt, vereitelte, war wohl
der erste , der unter dem Vorwande, eine Kongregation von Ere-
miten zu gründen , von Honorius III. eine Milderung der Regel zu
erlangen suchte. Und kaum war der zuerst nach dem Tode des
Franz erwählte Ordensgeneral Johannes Parens 1232 gestorben, so
kam die höchste Gewalt in die Hände des weltlich gesinnten
Elias, der trotz des langen vertrauten Umganges mit Franz doch
so wenig dessen Gesinnungen überkommen hatte.') Zwar geschah
es nur, den Ordensstifter zu ehren, daß er in Deutschland und in
anderen Ländern starke Geldbeiträge zum Bau der Kirche S. Fran-
cesco eintreiben ließ, aber schon das war ganz gegen den Sinn des
einfachen Mannes , der in der bloßen Erde hatte begraben werden
wollen. Was aber die Mönche mehr empörte, war sein hoch-
fahrendes Leben , das recht im Sinne eines großen Kirchenfürsten
war. Davon weiß Salimbene in seinem ,libcr de praelato' Manches
zu erzählen.'^) Der General habe ein Wohlleben geführt, einen vor-
züglichen Koch sich gehalten, von feingekleideten Knaben sich be-
dienen lassen , das Reiten dem Gehen vorgezogen , darüber aber
dann die Ordensangelegenheiten vernachlässigt, die Klöster nie
visitirt und ein sehr barsches Benehmen den Provinzialministern
gegenüber gehabt. Was aber noch schlimmer war, er zeigte sich
bestechlich, nahm viele unnütze Leute als Mönche auf und be-
förderte Unwürdige zu höheren Stellen. So riß binnen Kurzem eine
große Regellosigkeit ein: man sah Brüder einzeln, statt zu zweien
gehen und lange Barte und weite Kutten mit großen Kapuzen tragen.
Anfangs empörten sich nur ernstere Männer gegen diese Ver-
wilderung. Der Beste neben Franz, Antonius von Padua, der
^) Wie Voigt nachgewiesen hat, ist Johannes bis 1232 General, diesem folgt
Elias bis 1239 (so nach Jordanus von Giano und Salimbene.) Abhdl. d. phil.-hist.
Kl. der k. Sachs. Ges. d. W. 1870. V. Bd.
*) Fragmente in den Mon. hist. ad prov. Parmensem. Chronika. Parma 1857.
S. 403 flf.
Erste Entwicklung und Gestaltung des Ordens. 3^3
gewaltige Volksprediger, der aus dem Heimathslande des Dominikus
nach Italien gekommen war, um der thätigste Mitarbeiter des
Mannes von Assisi zu werden, hat den Verfall der Zucht nicht
mehr erlebt. Er war im Jahre 1231 gestorben.^) Aber jener
Caesarius von Speier, den einst Elias selbst im Orient dem
Orden gewonnen hatte und der als Minister in Deutschland so
Großes gewirkt, trat als Vorkämpfer der Sitten- und Lebensstrenge
dem Ordenshaupt entgegen und nach ihm wird diese erste Oppo-
sitionspartei die der Caesarener genannt. Der UnglückHche
mußte seine Widersetzlichkeit mit einer zweijährigen Gefangenschaft
im Kerker büßen und wurde von ihr einzig durch den Tod
befreit. Sein Wächter erschlug ihn in dem unseligen Wahne, er
wolle entfliehen.-) Elias selbst aber fiel kurz darauf seinen Gegnern
zum Opfer und ward 1239 abgesetzt. Da seine Versuche einer
Aussöhnung mit dem Papste mißglückten, ging er schließlich 1244
ganz in das feindliche Lager Friedrich's II. über, der ihn als ,dilec-
tus familiaris et fidelis noster' mit Aufträgen nach dem Orient
schickte.'^) Auf dem Sterbelager soll er sich mit der Kirche aus-
gesöhnt haben.
Inzwischen waren die Streitigkeiten zwischen den Anhängern
der laxeren Richtung, die fratres de communitate genannt
wurden , und denen der strengeren, die den Beinamen der z e 1 a -
tores oder spirituales erhielten, fortgegangen, wobei sich
aber der Sieg mehr den ersteren zuwandte.^) Entschieden ward er
unter dem Generalate des Crescentius (1244 — 1247) durch ein
Privileg Innocenz' IV. vom Jahre 1245, in welchem dem Orden der
^) Vergl. über ihn: Enrico Salvagnini: S. A. di P. e i nuovi tempi. Turin 1887. —
P. Hilaire de Paris: St. A, de Padoue, sa legende primitive. Montreuil sur Mer. 1890. —
E. Lempp : A. v. P. in Zeitschrift für Kirchengeschichte XI. Und das schöne, meinem
Buche über Franz nachfolgende Werk dieses Nachfolgers des Franz von C. de Mandach :
St. Antoine de Padoue et l'art italen. Paris 1899.
*) Jordanus. A. a. O.
ä) Petrus de Vinea: Epistolae. Basileae 1566. lib. III cap. XV. — Vergl. auch
Wadding. in. Bd. z. J. 1239 u. 1244.
*) Vergl. zum Folgenden: Hase: Kirchengeschichte. X. Aufl. 1877. S. 317 ff.
— Neander: AUgem. Gesch. der christl. Religion u. Kirche. IL Aufl. V. Bd.
S. 386 und an einigen anderen Stellen. — Herzog, Real-Encyclopädie f. phil. Th. u.
K. IV, S. 466 ff. Vor Allem aber P. Ehrle : Die Spiritualen im Archiv für Litteratur
und Kirchengeschichte Bd. I. — Die Frage der Geschichte der spiritualen Bewegungen
spielt in der neueren Franziskanerlitteratur eine große Rolle.
■ygA Die Franziskaner.
unumgänglich erforderliche Besitz von Grund und Boden, Gebäuden,
Geräthschaften und Büchern zugestanden wurde, jedoch in der Art,
daß die Mönche scheinbar nur den Nießbrauch hatten , der Papst
selbst aber den Besitz.^) Das war ein Nothbehelf, so gut er sich
darbot. Die Spiritualen konnten sich damit nicht zufrieden geben
und erhoben ihr Haupt von Neuem, als der strenggesinnte
Johannes von Parma General ward (1247 — 1256). Ihr schwär-
merischer Eifer, dessen Spitze sich unmerklich gegen die Kirche
selbst zu richten begann, fand reiche Nahrurig an den Prophe-
zeiungen des Joachim, die sie zu ihrem Glaubensartikel erhoben.
Dieser, der 1202 gestorbene Abt von Floris, hatte die Weissagungen
vom Falle Babylons, von dem Kommen des Antichrist und manche
andere Stellen aus den Propheten auf die gegenwärtigen Zeiten be-
zogen. Die Rettung erhoffte er, ein von glühender Phantasie be-
seelter Mystiker und Freund des kontemplativen Lebens, von dem
allem Weltlichen entsagenden Mönchsthum. Drei Weltalter unter-
schied er : das Zeitalter Gottes des Allmächtigen , dargestellt im
Alten Testament, dasjenige des Sohnes Gottes und der Fleisch-
werdung des Wortes als ewiger Weisheit, endlich das dritte des
heiligen Geistes, in dem die göttliche Liebe in der reinen Kontem-
plation des Mönchsthums allherrschend wird. Der erste Vorbote
dieses letzten Zeitalters sei Benedikt gewesen, aber eigentlich be-
ginnen werde es erst im Jahre 1260.^) Mit dem Siege ihrer aposto-
lischen Ideen, glaubten die Zelanten, werde die Vollendung jener
Prophezeiungen eintreten. Johannes von Parma selbst war ein
Joachite und jener Mönch Gerhard von BorgoSanDonnino,
der die Ideen des Joachim 1253 in seinem ,Introductorius in Evan-
gelium aeternum' zu einer kirchenfeindlichen Häresie umgestaltete
und für das neue dritte Zeitalter auch ein neues Evangelium des
h. Geistes erwartete, war sein Freund.^) Als aber das Jahr 1260
vorbeiging, ohne daß die geweissagte Offenbarung des h. Geistes
sich vollzog, mögen Manche, die anfangs fanatisch begeistert waren.
1) Emm. Roderici nova Col. privilegiorum apost. Regularium mendicantium et
non mend. Antwerpen 1623. p. 13.
2) Concordia Veteris et Nov. Test. Venedig 15 19. Expos, in Apocal. Venedig
1519. — Vergl. besonders Renan : Joachim de Flore in den Etudes d'histoire reli-
gieuse. (Paris 1884.)
**) Vergl. Salimbene. A. a. O. z. J. 1253 S. 233 f. — Reste der Schrift bei
Argentre: Col. judiciorum de novis error. Paris 1728 T. I p. 163.
Erste Entwicklung und Gestaltung des Ordens. 395
schwankend geworden sein. So erzählt uns Salimbene , daß er
früher auch an Joachim geglaubt, aber nach dem Tode Friedrich's II.,
der als Antichrist doch erst 1260 hätte sterben sollen, ganz jene
Ansichten aufgegeben und beschlossen habe, nichts Anderes mehr
zu glauben, als was er sähe.^)
Als Vertreter der orthodox kirchlichen Anschauung scheinen
sich zunächst die Dominikaner aufgeworfen zu haben , die auch
später vielfach die Päpste gegen die spiritualen Anmaßungen ver-
theidigen. Die Disputation zwischen dem gewaltigen Franziskaner-
prediger Hugo de Bareola und dem Dominikaner Petrus de Apulia,
von der Salimbene berichtet, mag nur Eine unter Vielen gewesen
sein.^) Mit dem ganzen Gewicht dogmatischer Weisheit aber trat
die Universität von Paris in der Streitschrift des Wilhelm von
St. A m o u r : ,de periculis novissimorum temporum' nicht allein
den Zelantes, sondern dem Bettelmönchwesen überhaupt entgegen.
Es war der Hauptschlag, den die erbitterten .magistri' von Paris
gegen die übermüthigen Mönche, die sich als Lehrer an der Uni-
versität zwischen sie eingedrängt hatten, ausführten. Aber er wurde
vom Papste Alexander selbst vereitelt, der die Schrift verdammte
und den Verfasser, der sich mit Geist in Rom selbst vertheidigte,
des Landes verwies. Mit der Feder antwortete Bonaventura,
der , ohne Joachite zu sein , doch der strengeren Richtung an-
gehörte und seit 1256 Generalminister war, in seiner Abhandlung
,de paupertate Christi', indem er zugleich in seinem Rundschreiben
an die Minister eine strenge Reform des Ordens anordnete.^) Da-
mit schien in der That eine Vermittlung der beiden Partheien ge-
funden zu sein, doch war es kein eigentlicher Friede. Nach dem
Tode Bonaventura's 1274 gewann wieder die mildere Richtung an
Einfluß und erhielt ihre Bestätigung in einer Bulle Nicolaus' III. von
1279 (Exivit qui seminat) , die aber zu gleicher Zeit den An-
schauungen der Zelantes von der absoluten Armuth Christi Rech-
nung trägt.
Einzelne, wie der exzentrische Gefühlsmensch Peter Johann
^) A. a. O. S. 131.
2) A. a. O. S. 77.
^) Opera. Ausgabe Peltier, Paris. Bd. XIV. — Vergl. namentlich die .statuta
capituli provincialis Narbonensis' v. J. 1260, bei Rodulphus: Hist. ser. lib. 11. S. 239
und E. Renan: Etudes S. 217 ff. — Reuter: Geschichte der religiösen Aufklärung.
II S. 171 ff.
2q6 Die Franziskaner.
von Oliva, waren dennoch damit nicht zufrieden. Dieser kühne
Denker und Verfechter der ursprünglichen Strenge der Regel wandte
sich direkt gegen den römischen Antichrist und entwickelte die
Ideen des Abtes Joachim selbständig weiter. Er hat eine für diese
Zeiten sehr freie, bedeutende historische Anschauung der geistigen
Entwicklung des Christenthumes und glaubt in seiner Zeit ein neues
Weltalter anbrechen zu sehen, mit dem eine Erneuerung und Ver-
tiefung des christlichen Lebens anhebt. Er unterscheidet sieben
Zeitalter der Kirche : i . Gründung durch Christus, die apostolische
Zeit. 2. Bewährung durch das Leiden der Märtyrer. 3. Entwick-
lung und Vertheidigung des Glaubens im Kampfe mit den Häre-
tikern. 4. Zeit der Anachoreten. 5. Das gemeinsame Leben der
Mönche und Kleriker. 6. Erneuerung des evangelischen Lebens
durch Franz, Wiederaufbau der Kirche. 7. Die Sabbathszeit reiner
kontemplativer Anschauung der zukünftigen Herrlichkeit.^) Obgleich
Petrus Johannes 1283 zum Widerrufen seiner Schriften gezwungen
wurde, haben diese doch auf lange Zeit hinaus ihren Einfluß in dem
Orden behalten, wie z. B. Bartholomäus Pisanus jene Theorie der
sieben Zeitalter noch 1399 in seinem ,liber conformitatum' nur
wenig verändert wiederbringt. Eine besondere Verbreitung und
Wirkung aber scheinen sie im Süden Frankreichs, diesem alten
Heerde kühner Neuerungen, gehabt zu haben.
Hier nämlich entsteht im Anfang des XIII. Jahrhunderts, nach-
dem Clemens V. den vergeblichen Versuch gemacht , einen Aus-
gleich herzustellen, der nur dazu führte, daß die Spiritualen sich
einen eigenen General wählten, zu Gunsten der strengeren Regel
eine neue Bewegung. Diese wurde Anfangs von Johann XXII.
gemeinsam mit Michael von Cesena, der seit 13 16 die Ober-
leitung des Ordens hatte, zu unterdrücken versucht. Nachdem
einige der sich widersetzenden Führer, unter denen der feurige
Ubertino da Casale besonders genannt sein will, gefangen ge-
nommen waren, erließ der Papst seine Bulle : quorundam exigit, in
welcher er in milder Weise die Irrigen auf den rechten Weg zurück-
zuführen sucht. Die Hauptfrage, in Betreff der Tracht, entscheidet
er im Sinne Nikolaus' III., daß nämlich die diesbezüglichen Bestim-
^) Vergl. Wadding Bd. V. z. J. 1297. ^- 34- — ^^^- 2. J- 1297, ^^ welchem
Petrus stirbt. — Ein Auszug seines Buches : Postilla super Apocalypsim bei Baluzzi :
Miscellanea I, p. 213.
Erste Entwicklung und Gestaltung des Ordens. 397
mungen den Oberen des Ordens zuständen und diesen zu gehorchen
sei. Indem Michael selbst für die Kutten eine engere, einfachere
Form verordnete, glaubte er die Schwierigkeiten zu heben, doch
zeigte es sich binnen Kurzem , daß es sich schließlich um ganz
andere Dinge handelte. Die Eiferer in Italien gingen in Schaaren
Zuflucht suchend nach Sizilien und sonderten sich nur in um so
schrofferer Weise ab. Nach wenigen Jahren 1321 brach das Feuer
abermals in Carcassonne aus. Ein Beguine, der, wie seine Genossen-
schaft überhaupt, in die engste Beziehung zu dem Minoritenorden
getreten war, ward wegen häretischer Ansichten über die ,,pau-
pertas Christi" gefangen genommen, und seiner Sache nahmen
sich die Franziskaner an. Abermals traten sich Dominikaner und
Minoriten entgegen. Die Sache bekam bald eine ungewöhnliche
Bedeutung. Es handelte sich um die Frage, ob Christus und die
Apostel irgend welches Eigenthum gehabt oder nicht. Die Mino-
riten beriefen sich auf die Bulle Nikolaus' III. und sprachen Johann
das Recht ab , dieselbe zu glossiren oder von ihr abzugehen.
Letzterer antwortete damit , daß er sich dies Recht in der Bulle
von 1322 (24. März) : quia nonnunquam vindizirte. Michael stellte
sich an die Spitze der Spiritualen und wandte sich auf einem
Generalkapitel in Perugia gegen den Papst. Dieser, von der Pariser
Universität berathen entschied in der Bulle : quum inter nonnullos
(11. Dez. 1323) dahin, daß die Behauptung, Christus und die Apostel
hätten kein Eigenthum gehabt, Häresie sei. Die Inquisition übte
ihre Rechte und Minoriten, wie Fratricellen „sind auf dem Scheiter-
haufen dafür gestorben, daß sie nichts besitzen wollten". ^)
Es würde zu weit führen, diese Dinge eingehend zu verfolgen.
Erwähnenswerth aber ist es, daß Michael eine Stütze an Ludwig
dem Baiern fand, daß der ganze Streit, in die politischen Mißhellig-
keiten verflochten, zum offenen Kampfe gegen das Papstthum ward.
Und es ist kein Zufall, daß einer der Kämpfer auf Seiten Michael's
und der weltUchen Herrschaft Wilhelm von Occam war, der
große Bahnbrecher des neuen Nominalismus und der erste Vor-
gänger der Baco von Verulam und Hobbes.^) Die alte Häresie der
^) Hase: Kirchengesch, S. 318.
^) Vgl. sein Compendium erronim Joannis Papae. Für diesen ganzen Streit s. bei
Wadding die betreffenden Jahre und Gudenatz: Michael von Caesena. Breslau 1876.
Vergl. auch: P. Ehrle: Die Spiritualen im Archiv für Litt, und Kirchengeschichte des
Mittelalters II.
398
Die Franziskaner.
Waldenser, aus der Franziskus selbst hervorgegangen, scheint in
dieser Zelantenbewegung nur in veränderter Gestalt wieder ihr
Haupt zu erheben, was für die Auffassung des Franz selbst inter-
essant genug ist. Er ist schließlich doch, ohne in seiner nur auf
das Positive gerichteten Begeisterung und in seiner kindlichen An-
erkennung der Autorität sich dessen bewußt zu sein, nichts Anderes
als ein von der Kirche zu Gnaden angenommener Häretiker ge-
wesen und Die, welche die ganze praktische Konsequenz seiner
Lehre zogen, mußten in offenen Widerspruch gegen die Hierarchie
gerathen.
Nachdem der Gegensatz zwischen den zwei Richtungen des
Ordens seine Höhe erreicht, milderte er sich allmählich unter Bene-
dict XII. und Clemens VI. Man gab auf beiden Seiten in Etwas
nach, bis das Konzil zu Konstanz sich 141 5 dazu verstand, die
strengere Richtung als einen besonderen Zweig der Minoriten an-
zuerkennen. Und zwar war dies jene Verbindung von Spiritualen,
welche, im Spoletaner Thal ansässig, den Namen der fratres
strictioris observantiae oder kurz der Observanten erhalten
hatten. Sie war um 1336 von Johann des Vallees gegründet
worden und hatte in Gentile von Spoleto und Paolucci von Foligno
Männer besessen, welche sich die Reform der Regel hatten an-
gelegen sein lassen. Nach ihren hölzernen Sandalen wurden sie
Zoccolanti genannt, welche Bezeichnung dem Volke bis auf den
heutigen Tag geläufig geblieben ist. Eine eigentliche Versöhnung
aber kam erst auf dem Generalkapitel von 1430 zu Stande, obgleich
auch fernerhin die Anhänger der milderen Partei, die Conven-
tualen, nicht nachließen, jene Brüder zu verfolgen, die an der
ursprünglichen Regel festhielten. Die strenge Scheidung tritt dann
im Einzelnen durch eine Bulle Leo's X. im Jahre 15 17 ein, in wel-
cher es jeder Parthei gestattet wird, sich einen eigenen Superior,
der von den Observanten Minister, von den Conventualen Magister
generalis genannt wird, zu wählen.
Das waren die wechselvollen Schicksale des eigentlichen Mino-
ritenordens in den ersten zwei Jahrhunderten , welche allein uns
hier interessiren. Aus dem Orden aber gingen eine ganze Anzahl
verwandter Sekten hervor, von denen sich verschiedene bei Salim-
bene erwähnt finden. Eine kurze Betrachtung derselben mag dazu
dienen, das eigenthümliche Streben der Menschheit nach genossen-
schaftlichen Verbänden im XIII. Jahrhundert, das in dem Städte-
Erste Entwicklung und Gestaltung des Ordens. 399
Wesen eine so hervorragende Rolle spielt, in helleres Licht zu
rücken. Es war nur natürlich , daß das Beispiel des Franz viele
phantastische Köpfe, zumeist Thoren ohne inneren sittlichen Halt,
zur Nachahmung anreizte. So entstand jene Verbindung der sac-
cati, die Gregor X. in Lyon auflöste, jene andere der britti in
der Mark Ancona, die von Alexander IV. mit sonstigen Eremiten
zu einer Kongregation verbunden wurden. Es waren, wie Salimbene
spöttisch sagt, Leute, welche mit den Aeußerlichkeiten zugleich den
Geist des Franziskanerthums angenommen zu haben glaubten: ,,Wer
immer irgend eine neue Regel machen will, erbettelt sich Etwas
vom Orden des heiligen Franziskus, die Sandalen oder den Strick,
oder sogar die Kutte." ^) Toller trieben es die sogenannten Aposto-
liker in Parma, deren Kongregation geradezu eine Karrikatur des
Minoritenordens gewesen sein muß. Ihr Stifter war Gherardo
Segarelli, nach Salimbene's humoristischer Schilderung ein halb
verrückter Kerl. Er will in Allem Christus nachahmen, legt sich
sogar in die Wiege und benimmt sich da ganz nach Kinderart. Er
läuft wie toll herum, immerwährend rufend: „thut Buße, thut Buße",
fordert auf dem Lande die Leute auf, sich in fremden Weinbergen
an den Trauben satt zu essen und ist dabei von so schwankendem,
ungewissem Wesen, daß er eine Einladung mit den Worten : „ent-
weder ich komme oder komme nicht" beantwortet. Er gewinnt
sich einen ganz unmoralischen Gesellen, der Famulus bei den Mino-
riten war, und sammelt allmählich auch andere Anhänger. Die
Sinnlosigkeit findet bei den Leuten Gefallen. Dabei thut die Ge-
sellschaft gar Nichts: sie beten nicht, sie predigen nicht, sie ver-
walten nicht kirchliche Funktionen, sie hören nicht Beichte, ertheilen
keine guten Rathschläge , sind aber am Weitesten davon entfernt,
gute Beispiele zu geben. Zum Glück fehlt ihnen jede Organisation.
Erst ein gewisser Guido Putagius stört die köstliche Freiheit und
reißt die Herrschaft an sich. Die Folge ist ein förmlicher Kampf
mit einer anderen Abtheilung in der Mark Ancona. Wie die un-
mündigen Kinder benehmen sie sich. Sind sie mit Gerhard zu-
sammen, so thun sie Nichts als beständig ,pater, pater, pater' singen.
Die Tracht der Apostel — darin bestand schließlich der ganze
Witzl^) Der arme Narr Gerhard mußte seine Verrücktheit 1300
^) A. a. O. S. 108. Der Gründer der Saccati war jener oben erwähnte Hugo
de Bareola.
^) Salimbene a. a. O. S. 112 ff.
400
Die Franziskaner.
mit dem Feuertode büßen , denn inzwischen hatte die Sache doch
einen bedenklichen Anstrich bekommen. Mit Dolcino von No-
vara war ein energischer Mann an die Spitze der Apostelbrüder
getreten, der sich die alten gefährlichen Waffen der Patarener an-
eignete und sie mit erneuter Kraft gegen die römische Kirche führte.
Er zog endlich zum wirklichen Kampf gegen das ihn bedrohende
Inquisitionsheer aus und verleugnete, 1367 auf dem Berge Zebello
eingeschlossen, seine Ueberzeugung selbst angesichts des qualvollsten
Hungertodes, dem er endlich erlag, keinen Augenblick.^)
Eine eigentliche Abzweigung der Minoriten bildeten die Cla-
rener, die, von einem An gel us de Cingulo geleitet, 1294 von
Coelestin V. die Bestätigung ihrer Kongregation, die sich ganz dem
Eremitenleben widmete, erhielten. Sie wurden 1477 wieder mit
dem Mutterorden vereinigt.^)
Im XVI. Jahrhundert endlich ward die alte Regel und das
eigentliche Bettelmönchwesen durch den zuerst 1526, dann 1528
bestätigten Kapuzinerorden erneuert. Der Abfall dieser Mönche
entstand zunächst aus einer sehr geringfügigen Ursache : sie hatten
eine von derjenigen der Minoriten abweichende Ansicht über die
Form der Kapuze, die Franz getragen. Unter der Leitung des
Matteo de Bassi, dem fördernd Lodovico a Fossombruno zur
Seite trat, nahmen sie zunächst nur eine gesonderte Stellung ein,
gewannen aber sehr schnell. Dank der Zuvorkommenheit der Kurie,
Verbreitung und große Bedeutung als Freunde und Prediger des
Volkes. Der spitzen pyramidalen Kapuze, die mit der thatsächlich
ältesten Darstellung des Franz in Subiaco übereinstimmt, verdanken
sie den Namen.
Welch' eingreifender Art immer die inneren Streitigkeiten inner-
halb des kaum begründeten Minoritenordens gewesen sein mögen,
haben sie doch dessen beispiellos schneller Verbreitung weit über
alle zivilisirten Länder keinen Eintrag gethan. Waren schon aut
dem Kapitel von 1221 dreitausend Brüder versammelt, so zählte
der Orden zweiundvierzig Jahre nach seines Stifters Tode bereits
8000 Klöster mit 200,000 Mönchen. Jedes Jahr des XIII. Jahr-
hunderts sieht neue Klöster, neue Kirchen entstehen. Die Mino-
riten zusammen mit den Dominikanern bildeten eine Macht, die
^) Vgl. Hase, Kirchengesch. S. 360 und die dort angegebene Litteratur.
*) Vgl. Gonzaga: De origine Seraph, rel. Franc. Venedig 1603.
Erste Entwicklung und Gestaltung des Ordens. 40 1
fortan der Kirche die größten Dienste leistete. Fanden die Letzte-
ren ihre Thätigkeit vorzugsweise in dem Kampfe gegen die Ketzer,
so wirkten die Ersteren mehr auf friedlichem Wege für die Er-
weiterung und Befestigung des Glaubens im Volke. Beide aber
wurden vom Papstthum in der ausgedehntesten Weise zu wichtigen
Missionen benutzt. Was im XII. Jahrhundert die Cisterzienser ge-
wesen waren: geheime und offizielle Boten der Päpste in Sachen
der äußeren und inneren Politik, wurden jetzt die Bettelmönche.
Innocenz IV. namentlich bediente sich in allen seinen Unternehmun-
gen gegen Friedrich II. der Franziskaner, die, wie Leo treffend be-
merkt hat, für den Papst dieselbe Bedeutung hatten, wie die tyran-
nischen Ritter in der Art des Ezzelin für den Kaiser. ^) Der Kampf
zwischen den Guelfen und den Ghibellinen nimmt in dieser Zeit
Etwas von dem Kampfe zwischen dem orthodoxen Katholizismus
und den Häretikern an, als deren schlimmster ja Friedrich II. selbst
angesehen wurde. Die • Gegnerschaft der Franziskaner in Sizilien,
die das Volk aufwiegelten und zum Abfall zu bewegen suchten,
war für Friedrich eine so gefährliche, daß schon im Jahre 1229 der
Reichsverweser Rainald sie aus dem Königreiche vertrieben hatte.
Ein in der Briefsammlung des Petrus de Vinea erhaltenes Schreiben
beklagt sich auf das Bitterste über das Aergerniß, welches die
Bettelmönche durch ihre bodenlose Anmaßung dem Klerus selbst
geben. ^) Zu gleicher Zeit predigt im Norden Antonius von Padua
gegen den entsetzlichen Ezzelin, wie die Legende will : mit solchem
Erfolge, daß der Tyrann, von den mächtigen Worten im Innersten
ergriffen, Buße thut und sich bessert. Ein Franziskaner Clarellus
schreitet später als Fahnenträger dem Heere voraus, das Padua
gegen den erbitterten Feind sendet. Ein anderer : Leo, der später
Erzbischof von Mailand ward, befehligte die 1233 gegen den Kaiser
ausgesandten Truppen. **) Angesichts dieser feindlichen Stellung,
welche das Minoritenthum den Hohenstaufen gegenüber einnimmt,
berührt uns um so wohlthuender, was Salimbene vom Bruder Alber-
tinus da Verona zu erzählen weiß. Als Dieser davon hört, daß der
arme gefangene König Enzio dem Verhungern nahe sei, geht er
zum Gefängniß hin und bittet die Wächter, doch aus Liebe zu
^) Vergl. Leo: Geschichte Italiens 1829. 11. Bd. S. 308, 338. Vergl. auch andere
Stellen.
2) Epistolae. Basileae 1566. lib. I, cap. XXXVII. S. 233 ff.
^) Salimbene S. 202 und S. 35.
Thode, Franz von Assisi. 26
402
Die Franziskaner.
Gott dem Gefangenen Speise zu geben. Als sie es verweigern,
schließt er mit ihnen einen Pakt: ,,Ich werde mit Euch Würfel
spielen und wenn ich gewinne, habe ich die Erlaubniß, Jenem zu
essen zu geben." So geschieht es, er gewinnt und bringt dem
Könige mit liebreichem Tröste auch die ersehnte Nahrung. Das
war echt im Geiste des Franz gehandelt. ^)
Neben der Thätigkeit in der Heimath fanden die Franziskaner
aber wie die Dominikaner auch ihren besonderen Beruf in der
Mission unter den Heiden. Als Abgesandte der Kirche erscheinen
sie bei den Mongolen und vor Tschengys Khan. In Indien, China
predigen sie das Evangelium und werden zugleich die Vermittler
der neuen Handelsbeziehungen zwischen dem fernen Osten und
Westen. Aus ihren Erzählungen lernte das Abendland zuerst die
orientalischen Religionen, namentlich den Buddhaismus kennen, der
selbständig neben dem Muhamedanismus der spanischen Araber einen
gewissen Einfluß auf die Anschauungen der christlichen Denker ge-
wonnen zu haben scheint.^
Ihre eigentliche Bedeutung liegt aber immer in ihrem einfluß-
reichen Wirken für das Volk in den heimischen Ländern. Aus
ihrer Verbreitung, aus der zahlreichen Nachfolge, die sie selbst
unter den Fürsten fanden, kann man auf die allgemeine Liebe und
Verehrung, die sie genossen, einen vollgültigen Rückschluß machen.
Unter den großen Namen, welche den Tertiarierorden zieren, seien
nur wenige erwähnt : die heilige Elisabeth, Ludwig der Heilige von
Frankreich, Bela IV. von Ungarn, Karl II. und Robert von Sizilien,
Kaiser Karl IV. ; neben den Fürsten vielleicht der Dichter der gött-
lichen Komödie, der Entdecker Amerikas. Andrerseits konnte es
aber auch an einer an sich machtlosen, aber innerlich erbitterten
gegen die Bettelmönche gerichteten Oppositionsparthei nicht fehlen.
Sie traten mit ihrer Berechtigung zu predigen und die Beichte zu hören
den Ansprüchen des Klerus entgegen und erregten durch ihre von
den Päpsten bevorzugte, vom Volke geschützte Stellung die Eifersucht
sowohl der älteren Orden, als auch der wissenschaftlichen Anstalten,
^) Salimbene S. 156. — Vergl. S. 163 Ansichten über Friedrich II.: wäre er
ein guter Katholik gewesen und hätte Gott und die Kirche geliebt, so würde er wenige
seines Gleichen unter den Herrschern der Welt gehabt haben. Dabei weiß S. die
schauerlichsten Geschichten vom Kaiser zu erzählen.
^) Vergl. Ozanam: Dante et la philosophie catholique, Paris 1839. Ital. Uebers.
Neapel 1841. S. 199 ff.
Erste Entwicklung und Gestaltung des Ordens. 403
wie namentlich der Universität von Paris, die nach heftigen Kämpfen
schließlich geradezu die hohe Schule der Bettelmönche wurde. Vor
Allem konnte es den ordinirten Geistlichen nicht gleichgültig sein,
daß die Gemeinde es vorzog, den unbekannten, wandernden Mön-
chen ihre Sünden anzuvertrauen und deren lebendiger, verständlicher
Predigt zuzulaufen, verlor doch dadurch ihr geistiger und weltlicher
Einfluß in der erschreckendsten Weise. Manche Klage drang bis
zum päpstlichen Throne, verhallte aber meistens ungehört. Dem
Ingrimm der Benediktiner leiht Matthäus Paris Worte; er empört
sich über die Unverschämtheit dieser neuen Mönche , welche ,,die
echten und von den heiligen Brüdern, nämlich dem heiligen Bene-
dikt und Augustinus , eingesetzten Orden und ihre Bekenner ver-
achten, ihren Orden aber allen Anderen voransetzen. Denn roh,
einfältig, halbe Laien, ja sogar Bauern nennen sie die Cisterzienser,
die schwarzen Brüder aber Uebermüthige und Epikuräer.**^) Muß
man hierbei auch auf die partheiHche Stellung des Chronisten Rück-
sicht nehmen, so liegt doch wohl Vielem, was er sagt. Wahres zu
Grunde. Die strenge Lebensweise der ersten Brüder hatte sich
bei der Mehrzahl sehr rasch verloren, das Betteln war zur Forma-
lität und das Leben in den Klöstern ein recht erträgliches, ja opu-
lentes geworden. Das beste Zeugniß dafür legt der Franziskaner
Salimbene ab, der mit überraschender Naivetät immer wieder auf
die vortrefflichen Mahlzeiten , die er hier und da genossen , zu
sprechen kommt, ja alle Qualitäten eines Feinschmeckers bei der
Beschreibung der Gerichte, der Weine entwickelt. Er weiß Wunder-
dinge von dem guten Leben, das er in Frankreich geführt, zu er-
zählen. Den französischen Rothwein findet er nicht so schmack-
haft, wie den italienischen, aber den weißen rühmt er sehr. Vom
Genuß desselben leiden nur trauriger Weise die Augen. Dann gehen
die Mönche wohl früh zu dem die Messe zelebrirenden Priester und
bitten ihn, doch Wasser in ihre Augen zu tröpfeln, auf welches
Verlangen einmal ein Bruder den guten Rath gab: thut Wasser in
den Wein , nicht in die Augen ! Die germanische Sitte des Zu-
trinkens, die er bei Engländern beobachtet, hat ihm einen sehr
merkwürdigen Eindruck hinterlassen.^) Von der richtigen Demuth
^) Historia major. London 1640. S. 612.
^) S. 90. Vergl. S. 96 die Beschreibung eines Essens, das Ludwig den Mönchen
giebt, S. 195 das Mahl des Legaten Octavianus, S. 119, wie er sich die vom Legaten
Philippus übersandten Fische trefflich schmecken läßt, u. andere Stellen.
26*
404
Die Franziskaner.
ist der gute Salimbene auch ziemlich entfernt: er rühmt sich seiner
vornehmen Verwandten und ist sehr geschmeichelt, wenn er bei
berühmten Kirchenfürsten einen Ehrenplatz an der Tafel erhält oder
sonst ausgezeichnet wird. ^) Er wird sich aber kaum in besonderer
Weise von den anderen Mönchen unterschieden haben. Wie die
Fürsten reichgekleidet kommen 1246 die Franziskanerabgesandten
des Papstes in London herangeritten. Ueber die Pracht ihrer
Kirchen, die Unverschämtheit, mit der sie die vornehmen Leute
wie das Volk an sich ziehen, als ob Niemand sehg werden könne,
denn durch sie, über ihre schlaue Kunst, Allen Geld abzulocken,
kann sich Matthäus Paris nicht genug empören. ^) Ein Ferrarese
Matulinus erzählt einst dem Salimbene, was für Dinge er von den
Franziskanern gehört: ,,Wißt, daß ihr Minoriten und Prediger-
brüder zum Hasse und Aergerniß der Kleriker und Weltpriester ge-
reicht: neulich aß ich bei dem Bischof von Forli und da waren
viele Kleriker und Priester, die mitspeisten; die sagten viel Uebles
über euch, unter Anderem — daß ihr gern mit den Frauen sprächet
und sie anschautet, was doch gegen die Schrift ist." Worauf Salem-
bene ihm erwidert: ,, Kümmere dich um deine Fehler, nicht um
die Anderer," und die Vorwürfe von den Franziskanern auf die
vornehme Gesellschaft und die Bischöfe zurückwendet. ^)
Von dieser starken Strömung gegen die Bettelmönche legen
auch einige Lieder Zeugniß ab , die in der Zeit der Streitigkeiten
über die ,paupertas Christi' entstanden , sich scharf und schneidig
gegen die Verherrlichung der Armuth wenden. Es wird von ihnen
noch später die Rede sein. Ihren eigentlichen Sitz aber scheint
diese Opposition der verständigen und weltlich gebildeten Leute in
Florenz gehabt zu haben. Der scharfen, nüchternen Verstandes-
kritik dieser allzeit wegen ihres Skeptizismus bekannten Stadt konnte
die Gefühlsschwärmerei und der Wunderglaube solcher exaltirter
Franziskaner nicht sonderlich sympathisch sein. Die florentiner
Bettelmönche selbst machten sich über die Uebertreibungen Anderer
lustig. Der außerordentlich begabte Predigerbruder Johannes
de Vicentia, der aber vor aller der ihm in Norditalien zu Theil
gewordenen Verehrung förmlich wahnsinnig geworden war, machte
*) S. 208. 195. Vergl. auch A. Dove: Aus den Aufzeichnungen eines Bettel-
mönches. Im Neuen Reich 1873. I. Bd. S. 449 ff.
2) A. a. O. S. 722 und S. 612.
ä) S. 214 ff.
Erste Entwicklung und Gestaltung des Ordens. 405
allerlei böse Erfahrungen bei diesen spottlustigen Leuten. Als er
denselben seinen Besuch angemeldet hatte, sagten sie: „Gott be-
hüte uns davor, daß er hierher komme, denn, wie wir gehört haben,
weckt er die Todten auf und wir sind schon so Viele , daß die
Stadt uns nicht mehr fassen kann." Ein Witzbold von einem Fran-
ziskaner Deustesalvet verhöhnte ihn in der unmanierlichsten Weise.
Ein Florentiner Magister zu Bologna, Boncompagnus , aber giebt
ihn dem öffentlichen Gelächter Preis , indem er laut verheißt , er
wolle gleich dem Johannes Wunder thun und zwar: fliegen. Die
Menschen steigen in Schaaren nach S. Maria in monte hinauf, wo
Boncompagnus, der sich Flügel angeklebt hat, wartet. Lange Zeit
schaut er die Bürger an und schauen diese ihn an. Dann sagt er
mit ruhiger Ergebenheit: ,,Geht mit dem göttlichen Segen und
lasset euch genügen das Antlitz des Boncompagni gesehen zu
haben." ^) Nun, denselben Spott, dem hier ein Dominikaner aus-
gesetzt war, werden auch die Franziskaner von Seiten der witzigen
Florentiner reichlich zu erdulden gehabt haben. Erhob sich doch
der sein Leben lang von den Minoriten beschäftigte Giotto , der
ein Florentiner wenn je Einer war, in einer Canzone über die Armuth
gegen die Verehrung dieser als sonderlicher Tugend. Wenn dem-
nach die Anmaßungen der Mönche ebensowohl bei unpartheiischen,
verständigen Leuten und den Verwaltungen der Städte, als bei den
persönlich interessirten Klerikern, Universitäten und älteren Orden
einen heftigen Widerspruch hervorriefen, so konnte das doch ihrem
Einflüsse wenig schaden, und dieser ist zunächst trotz aller Locke-
rung der ersten Regel ein durchaus wohlthätiger gewesen. Die
Ideen der allgemeinen christlichen Liebe, der Demuth und Ent-
sagung, die inbrünstige Christus und Maria dargebrachte Verehrung
haben Wunder gewirkt. Und aus dem echten, herrlichen Geiste
des Stifters ging auch die Frieden bringende Thätigkeit der Volks-
prediger hervor. Wie sie dem einzelnen Verzweifelten die innere
Ruhe wieder geschenkt, so hat ihr Wort: ,pax vobiscum' zu unzähligen
Malen streitende Partheien getrennt, sind sie als rechte Friedens-
engel zwischen die aufgeregten Faktionen der Städte getreten, und
vor ihren begeisterten Versöhnungsreden sind aller Orten die Waffen
zu Boden gefallen.
Das große Erbe des Franziskus, der Enthusiasmus für die
1) Salimbene S. 36 ff.
4o6
Die Franziskaner.
edelsten Ideale der Religion, ist das Gemeingut des Volkes gewor-
den. Man muß die Berichte der Chroniken lesen, um einen Begriff
von dem fast fieberischen Glaubenseifer zu erhalten, der namentlich
die südlichen Nationen in jener Zeit ergriffen. Alle Augenblicke
sammeln sich die Leute zu Prozessionen auf den Straßen zusammen,
ein Mönch stellt sich an ihre Spitze, und singend zieht man in die
Kirche. Im Jahre 1233 zur Zeit des Hallelujah namentlich scheint
eine unglaubliche Bewegung durch Italien gegangen zu sein: die
Einwohnerschaft ganzer Dörfer macht sich auf ,trunken von gött-
licher Liebe', Zweige und Fackeln in den Händen. Früh und Mit-
tags und Abends erschallen Predigten. Da schreitet wohl ein schwarz
gekleideter Mönch, mit langem Barte, in einer mit einem großen
Kreuze verzierten Tunika voran und bläst schreckenerregend auf
langer Tuba. Kommt er auf einen Platz oder zu einer Kirche, so
predigt er in der Volkssprache und lobt die Dreieinigkeit, wobei
immer das Volk singend einfällt.^) Was muß es für ein Anblick
gewesen sein, als im Jahre 1260 Jung und Alt, die Vornehmen wie
die Niedern, entblößt durch die Straßen liefen, mit Geißeln sich
züchtigend ! Die aufgeregte Phantasie des Volkes , das ja zum
Theile den großen Wunderthäter Franz noch selbst gekannt hatte,
sah in allen Ereignissen Wunder und Geheimnisse. Der Drang,
das Uebersinnliche hier schon auf Erden zu sehen und zu spüren,
machte Betrüger und Narren zu Heiligen. Unter den Vielen, die
auf kurze Zeit von sich reden machten , giebt es kaum eine so
charakteristische Erscheinung, als jenen Weinträger und Trinker
Albertus von Cremona, von dem Salimbene erzählt. Das
war ein schreiender Unfug! Auf die Kunde, daß an seinem Sarge
Wunder geschehen , strömen die Leute in festlichen Prozessionen
herbei. Die Priester nutzen das aus, lassen ihn in den Kirchen
abbilden und stecken dankbar das Geld ein, welches der thörichte
Haufe bringt. Als gegen den Wahnsinn eingeschritten wird, empört
sich die Menge und beschimpft die Bettelmönche: ,,lhr glaubt, daß
Niemand anders Wunder thun könne, als eure Heiligen; aber ihr
täuscht euch, wie es bei Jenem offenbar wird!" Schließlich erhalten
die Parmenser einen Finger von dem Wunderrbann als Reliquie,
die unter Jubel in den Dom getragen wird. Dort kommt es heraus,
daß der angebliche Finger ein Stück Knoblauch war ! — Aehnliche
^) Diese Schilderung bei Salimbene S. 30.
Die wissenschaftlichen Bestrebungen der Franziskaner. 407
Heilige waren der Pilger Antonius in Padua, in Ferrara ein gewisser
Armannus Punzilovus. ^) So kehrten sich die Geister , welche vor
Allem die Franziskaner heraufbeschworen, gegen sie selbst — aller-
dings ohne ihnen auch nur auf kurze Dauer etwas anhaben zu
können. Mit dem Wunderglauben ging der Glaube an Prophe-
zeiungen Hand in Hand. Neben dem großen Lichte des Joachim
von Floris und dem des geheimnißvollen Michael Scotus, dem
Freunde Friedrich's II., flammte eine ganze Menge kleinerer aller
Orten auf Man blickte eine Zeit lang athemlos zu ihnen empor und
verlor dann plötzlich das Interesse über anderen neuen Erscheinungen.
Diese ganze Exaltation der Gemüther aber hängt im Grunde ge-
nommen eng mit der Verehrung des Franziskus zusammen. Sie
war eine ebenso heilsame wie gefährliche Folge der Gefuhlsreligion
der Franziskaner, Neben dem wunderbar verklärenden Einfluß, den
diese auf Dichtung, Kunst und die theologische Philosophie ausgeübt,
wäre es unrecht, nicht auch kurz wenigstens ihre unerfreulichen
Seiten berücksichtigt zu haben. Mit um so größerer Freude und
Befriedigung können wir uns nun den Lichtseiten zuwenden und
zwar uns zunächst aus dem lärmenden Volkshaufen in die stille
Einsamkeit des Denkers retten und uns dort sammeln, ehe wir uns
mit der lebendigeren Gesellschaft der Dichter und Künstler be-
freunden.
IL Die wissenschaftlichen Bestrebungen der Franziskaner.
Es kann nichts Anderes, als ein kurzer Ueberblick über ein
bis jetzt noch allzuwenig durchforschtes Gebiet sein, was im Fol-
genden gegeben wird, ein schwacher Versuch , gemeinschaftliche
Eigenthümlichkeiten in den Anschauungen der großen Franziskaner-
gelehrten aufzufinden und ihre besondere Bedeutung für die fernere
Entwicklung der Wissenschaft zu betonen.
Dem feurigen Stifter des Ordens selbst hatte jeder Sinn für
die dialektische Behandlung dogmatischer Fragen gefehlt. Für ihn
existirte das Problem, das seit einem Jahrhundert alle gebildeten
Geister bewegte , nicht. Selbst der Versuch , die göttlichen Offen-
barungen des Christenthums in Einklang zu setzen mit den For-
derungen menschlichen Verstandes, lag ihm ferne. Er lebte mit sich
einig in der reinen Anschauung des Göttlichen und fand die volle
^) Salimbene S. 274.
4o8 Die Franziskaner.
Befriedigung in dem Einen herrschenden Gefühl der Liebe — das
Ideal des „vir contemplativus", des die Welt und sich selbst ver-
gessenden Mystikers. Unter den ungebildeten Leuten aus dem
Volke, die Nichts von Syllogismen und Distinktionen wußten, suchte
er seine Schüler und wünschte, daß die fratres minores ungelehrt
seien und blieben und sich an der göttlichen Liebe allein genügen
ließen. Doch konnte das eben nichts Anderes als ein frommer
Wunsch bleiben. Es ging damit, wie bereits oben hervorgehoben
wurde, wie mit dem Ideale vollkommener Armuth. Schon bei
seinen Lebzeiten traten viele gelehrte Leute in den Orden ein —
um nur zwei zu nennen : Alexander von Haies und Antonius von
Padua. Dann nahm die Sache ihren nothwendigen Verlauf: der Mino-
ritenorden durfte neben dem der Dominikaner, der von Anfang an
als Vertheidiger des Dogmas die Verpflichtung zu einem Wirken
durch Gelehrsamkeit übernommen hatte, nicht zurückbleiben, und
stand auch fortan die Mehrzahl der Franziskaner nicht auf der
Durchschnittshöhe der geistigen Bildung der Predigermönche , so
wetteiferten doch die hervorragenden Lehrer beider Orden an tiefem
und umfänglichem Wissen mit einander. Die bald eintretende
Spannung zwischen ihnen mag besonders durch den Hochmuth,
mit dem die gelehrten Inquisitoren auf die ungebildeteren Minoriten
herabschauten, verstärkt worden sein, und es gereichte den letzteren
zur besonderen Genugthuung, wenn einer der Ihren, wie jener Hugo
von Bareola über den Gegner Petrus von Apulien den Sieg davon
getragen hatte. In seinem Selbstbewußtsein äußerte sich Hugo
später: ,, Diese guten Leute rühmen sich immer ihrer Wissenschaft
und behaupten, daß nur in ihrem Orden der Quell der Weisheit
gefunden wird." Diesmal, Gott sei Dank, können sie nicht sagen,
sie hätten es mit Idioten zu thun gehabt." ^) Mit den Dominikanern
bemächtigten sich bald die Franziskaner eines Lehrstuhls an der
Universität zu Paris, freilich nicht, ohne daß diese den Ein-
dringlingen den heftigsten Wideretand entgegengesetzt hätte. Die
Predigermönche hatten einen günstigen Augenblick, als gerade die
hohe Schule der Gelehrsamkeit in ihren Rechten verletzt worden
war und Magister und Scholaren ausgezogen waren, benutzt, sich
einzudrängen und behaupteten sich, ebenso wie die Franziskaner,
die ihnen bald folgten, gegen alle Anfeindungen. 1251 und in den
^) Salimbene S. lo8.
Die wissenschaftlichen Bestrebungen der Franziskaner. 409
folgenden Jahren kam der Kampf zu öffentlichem Ausbruch. Wilhelm
von St. Amour publizirte 1254 seine Schrift ,de periculis novissi-
morum temporum', und Innocenz IV. neigte sich auf die Seite der
Gegner. Aber sein Nachfolger Alexander IV. entschied zu Gunsten
der Bettelmönche, — und fortan wurden Diese die Führer der
theologischen Wissenschaft.
Der erste bedeutende Franziskaner, dessen Lehre Bonaventura
und Thomas von Aquino gelauscht haben, war Alexander von
Haies, der doctor irrefragibilis , welcher nach Peter von Poitiers
der nächste Kommentator von des Petrus Lombardus vier Büchern
der Sentenzen wurde, — dieses Grundsteins der ganzen scholastischen.
Gelehrsamkeit des XIII. Jahrhunderts. Nun läßt sich innerhalb der
Franziskanerwissenschaft eine ältere und jüngere Richtung unter-
scheiden. Die erstere, im XIII. Jahrhundert durch Bonaventura ver-
treten, entwickelt, durch die Gefühlsmacht des Franziskus gehoben,
mit Hülfe der Platonischen Ideenlehre die älteren mystischen An-
schauungen zu einem vollkommneren System , die jüngere im An-
fang des XIV. Jahrhunderts durch Duns Scotus eingeleitet, in Wilhelm
von Occam gipfelnd, tritt als Skeptizismus und neuer Nominalismus
der realistischen Scholastik entgegen. Beide finden sich gleichsam
vorgebildet in Franziskus selbst: die mystische in seinem Gefühls-
leben, die skeptische in seiner ihrem eigentlichen Gehalte nach
antikatholischen Anschauung von der freien Berechtigung indivi-
dueller religiöser Ueberzeugung gegenüber der kirchlichen Autorität.
Denn es muß hier wiederum hervorgehoben werden, daß der in
der Bestätigung des Minoritenordens zwischen der Kirche und den
Waldensern vollzogene Kompromiß die Verbindung zweier hete-
rogener Elemente war. Franz selbst ist sich dessen gar nicht be-
wußt geworden, die mildere Parthei seiner Nachfolger akkommodirte
sich selbst im Abfall von der strengeren Regel den geheimen
Forderungen kirchlicher Hierarchie, die Spiritualen aber, je strenger
sie an den eigentlichen Intentionen des Stifters festhielten, mußten
mit der Verstandeskritik derselben zur offenen Opposition gegen
die Kirche gelangen. Die Päpste geriethen nothwendig gegenüber
diesen zwei Folgerungen , die aus der Religion des Franz ge-
zogen wurden, in eine schwierige Situation. Da Franz einmal, wie
er war, heilig gesprochen worden, mußte der strengeren Auf-
fassung seiner Anschauungen ebenso gut wie der milden die Be-
rechtigung zugestanden werden, und doch wollte dieselbe sich nicht
4IO
Die Franziskaner.
dem kirchlichen Dogma anbequemen. Ein ungewisses Schwanken,
was zu thun sei, macht sich in den Bullen Nikolaus' III. wie Jo-
hannes' XXII. deutlich bemerkbar. Man giebt der einen Parthei
Recht und dann wiederum der anderen Recht, behält aber die
volle Sympathie doch für die gut katholischen ,fratres de communi-
tate'. Der Konflikt spitzt sich im Laufe des XIII. Jahrhunderts zu,
Bonaventura nimmt eine vermittelnde Stellung ein. Während er in
der Praxis den Spiritualen Recht giebt, vertritt er als Theoretiker
doch den strenggläubigen Standpunkt der fratres de communitate.
Im Anfang des XIII. Jahrhunderts, als es in Avignon zu offenem
Kampfe kommt, zieht die Zelantenpartei die bis dahin kaum ge-
ahnte letzte Konsequenz ihrer Lehrmeinung: die Opposition gegen
Papstthum und Hierarchie und wird sich derselben in den Schriften
Wilhelm's von Occam, des venerabilis inceptor, bewußt, der
Anfangs Lehrer in Paris, später seit 1328 am Hofe des gastfreund-
lichen Ludwig von Bayern sich aufhielt.
Dieser Bruch mit dem Papstthum wird zugleich der Bruch mit
der Scholastik , denn waren schon die alten Nominalisten , gleich
der erste : Roscellin , in Opposition zur Rechtgläubigkeit getreten,
so stürzt, wie Lange in seiner Geschichte des Materialismus betont
hat, die analytische Denkweise Occam's die Hierarchie der Begriffs-
welt. Er bahnt, ein Revolutionär in der Mönchskutte, die neue
Weltanschauung der Baco von Verulam , Hobbes und Locke an.
Der gesunde Menschenverstand erhob sich über die spitzfindigen
Grübeleien , die vergeblich das Wissen und den Glauben zu ver-
einen suchten. Mit der Herrschaft der Realität der allgemeinen
Ideen, zu deren Verherrlichung Thomas von Aquino sein gewaltiges
Gebäude der , summa totius thcologiae' errichtet, war es vorbei,
mochten auch inferiore Nachbeter von dessen imposanter ge-
schlossener Weisheit mit kraftlosem Arme sie zu vertheidigen
suchen. Die sinnlichen Einzeldinge waren für Occam das einzig
Substantielle , die allgemeinen Ideen Nichts als zusammenfassende
Ausdrücke für dieselben. Mit diesem Grundzuge seiner Denkweise
hängt es innig zusammen, daß er den Bund der Philosophie mit
der Theologie für eine Unmöglichkeit halten mußte, daß er die
Religion auf das Gebiet der Praxis zu verlegen wagte. ^)
^) Vergl. die Quaestiones super libros IV Sententianim Centiloquium theol.
Lyon 1495.
Die wissenschaftlichen Bestrebungen der Franziskaner. 41 1
An Bedeutung ihm nicht vergleichbar, hat doch Duns Scotus,
der doctor subtilis, der in Oxford, Paris und Köln gelehrt hat und
1208 gestorben ist, Etwas von dem Geiste des Occam. Auch er
hat die Unvereinbarkeit der Verstandeserkenntniß mit der göttlichen
Offenbarung erkannt, aber auf andere Weise den Ausweg zu finden
geglaubt, innerhalb der Grenzen, welche der kirchliche Glaube
gebot. ^) Sah er auf der einen Seite in den Offenbarungen Gottes
einen willkürlichen Akt desselben , so ließ er auf der anderen den
Menschen ursprünglich frei sein, was ihm von seinen Gegnern den
Vorwurf des Pelagianismus zuzog. Statt wie Occam die Wirklich-
keit der Universalia selbst zu leugnen, hielt er am Realismus fest,
fand aber in seiner Spitzfindigkeit eine neue, geklügelte Auffassung
für das Verhältniß der Einzeldinge zu den allgemeinen Ideen, indem
er das Allgemeine sowohl der Möglichkeit, als der Wirklichkeit
nach in den Objekten gegründet sein ließ. Das Allgemeine wie
das Einzelne löste sich ihm schließlich in ein Gemeinsames : die
Realität auf, — welche Ansicht doch als ein gewissermaßen ver-
hehlter Nominalismus von derjenigen Occam's nicht allzu weit ent-
fernt ist. Seine Tendenz richtete sich direkt gegen Thomas von
Aquino , und dessen Anhänger haben den Fehdehandschuh auf-
genommen. In den unfruchtbaren Streitigkeiten der Thomisten und
Scotisten werden die letzten Kräfte der Scholastik aufgebraucht.
Früher aber noch als Duns Scotus und Wilhelm von Occam
hat ein großer Denker, der die Franziskanerkutte trug, aber mit
seinem Orden zerfallen ist, von einsamer Höhe hingewiesen auf
eine Art der Naturerforschung, die seinen Zeitgenossen das Hirn-
gespinnst eines Wahnsinnigen schien: Roger Bacon. Er hat
Geheimnisse in der Natur geahnt, die man erst in diesen zwei
letzten Jahrhunderten belauscht und der Menschheit zu Nutzen ver-
werthet hat. Er, der Erste, hat im Drange nach der Erkenntniß
den Weg des Heiles in der experimentellen Beobachtung erkannt.
Unverstanden, in bitterem Kampfe ist er zu Grunde gegangen. Ein
Franziskaner, ja ! ist Roger Bacon gewesen — was er aber gewesen,
dankt er wohl nur zum kleinen Theil den Franziskanern.^)
So wichtig die Betrachtung dieser oppositionellen Franziskaner-
^) Vergl. die Quaestiones in libros IV Sent. in den Opera (Wadding, Lyon 1639).
^) "Vergl. das Opus malus. Ausgabe von 1733, London. — Opera. Brewer.
London 1859.
412
Die Franziskaner.
Philosophie für die Geschichte des modernen menschlichen Denkens
ist, so wenig Bedeutung hat sie doch für die Geschichte der mo-
dernen Kunst. Es möge genügen, nur kurz noch auf die merk-
würdige Thatsache hinzuweisen, daß der Anstoß, den Franz in-
direkt zur Entwicklung einer neuen philosophischen Weltanschauung
gegeben, zu gleicher Zeit in Wirkung tritt, wie der Anstoß, den
die Entwicklung einer neuen künstlerischen Weltanschauung ihm
verdankt. Zu derselben Zeit fast, in welcher Occam seine ,quaestiones
super libros quattuor Sententiarum' und sein ,centiloquium' schreibt,
malt Giotto seine Fresken in den italienischen Franziskanerkirchen.
Ist es zu kühn, ein Gemeinsames in den Bestrebungen der beiden
großen Neuerer zu sehen.'' Aeußert sich nicht in Beiden der ge-
sunde Menschenverstand gegenüber der alten Beschränktheit des
Formelwesens ? Suchen sie nicht Beide ihr Heil in dem sinnlichen
Erfassen der konkreten Einzeldinge der Außenwelt? Sind sie nicht
Beide Naturalisten im guten Sinne des Wortes .? Ich meine : eine
und dieselbe Kraft hat den Künstler und den Denker hervorgerufen;
die wunderbare, in Franziskus am stärksten pulsirende Kraft jener
Zeit, die man am kürzesten die Kraft des individuellen Gefühles
nennen darf Ihre erste Wirkung ist, daß das Individuum sich als
solches Gott, der Natur und dem Menschen gegenüber bewußt
wird, die zweite, daß es dieses Bewußtsein in seinem Denken sub-
jektiv der Außenwelt gegenüber geltend macht. Indem es die
Dinge so auffaßt , wie sie ihm erscheinen , werden sie ihm zur
Realität und verflüchtigt sich das Allgemeine der Gattung zu einem
Begriff, der nur als Norm des individuellen Denkens Wirklichkeit
erhält. Eben diese neue Weltanschauung hat im Denker Occam,
wie im Maler Giotto sich zuerst offenbart! Während sie aber bei
Jenem zunächst das Alte zerstörend und negirend auftritt, er-
scheint sie bei Diesem positiv schöpferisch.
Ist es uns aber so gelungen, den ersten Antrieb zu der neuen
Denkrichtung in dem Gefühlsleben des Franz aufzufinden, so werden
wir von diesem Gesichtspunkte aus auch dem großen mystischen
Franziskanerphilosophen des XIII. Jahrhunderts und damit der älteren
mystischen Franziskanertheologie gerecht werden können.^) Johannes
^) Es existirt eine ziemlich große Litteratur über ihn, aus der ich nur die für
unsere Zwecke bequem zu benutzenden Bücher herausgreife : Ozanam : Dante et la
Philosophie catholique. Ital. Uebers. Neapel 1841. — Ders. ; Italiens Franziskaner-
dichter. Uebers. v. Julius, Münster 1853. S. 108. — W. C. Hollenberg: Studien
Die wissenschaftlichen Bestrebungen der Franziskaner. 413
Fidanza Bonaventura, 1221 zu Balneoregium geboren und als
dreijähriger Knabe durch die Fürbitte des Franz aus einer schweren
Krankheit gerettet, hat im 22. Lebensjahre, das Gelübde seiner
Mutter zu erfüllen, die Minoritenkutte angezogen und sich fortan
der strengsten Askese befleißigt. 1243 bereits ward er von den
Oberen nach Paris gesandt, wo er den Unterricht des Alexander
von Haies bis 1245 genoß. Zu gleicher Zeit, als Thomas von Aquino
die Ehre des doctoratus erfuhr: 1253 erhielt er einen Lehrstuhl der
Theologie und 1256 das Generalat des Ordens, für den er in den
Kapiteln zu Narbonne 1260, zu Pisa 1263, zu Paris 1266, zu Assisi
1269, zu Pisa 1272 in der thatkräftigsten Weise sorgte. Die ihm
1265 angebotene Würde eines Erzbischofs von York lehnte er
demüthig ab, wie er überhaupt den Vorschriften des Franz in seinem
ganzen Leben durchaus gerecht geworden ist. Zur Zeit des Konzils
1274 ist er, der doctor seraphicus, von seinen Zeitgenossen tief
beklagt, in Lyon gestorben,
Bonaventura's Bedeutung liegt nicht in einer, kaum nach-
weisbaren, Anregung, die seine platonisch -dialektische Weltan-
schauung gegeben hätte, sondern in der praktischen Wirkung, die
seine Mystik auf das individuelle Empfinden und damit auf das
individuelle Bewußtsein seiner Zeitgenossen hervorgebracht. Mit
ihr beschleunigte und verstärkte er die Strömung , die von Fran-
ziskus ausgegangen war. Wenn auch nur ein Vermittler, hat er
doch als solcher und als Mensch von edelster Vornehmheit einen
hervorragenden Einfluß auf die Dichtung und Kunst Italiens ge-
wonnen. Ist doch deren Inhalt jene glühende, göttliche Liebe, die,
an der Feuerseele des Franziskus entzündet, dem Dichter ein neues
beglückendes Ideal wird , die aus den sinnlichen Banden heraus
Dante zu der Schlußerscheinung der ,vita nuova' und weiter im
himmelanstrebenden Fluge durch Hölle und Fegefeuer zur ewigen
Gottesanschauung emporführt. Die Anschauung, die Contemplatio,
das ist das Streben, das Endziel jeder mystischen Gottesverehrung.
Aus dem Worte schon ließe sich auf das künstlerische Element,
das ihr eigen, schließen. So hoch sich schließlich der Mystiker in
dem grenzenlosen Gefühl des Einsseins mit Gott über alle Wirk-
zu Bonaventura. Berlin 1862. — Es ist jetzt eine neue Ausgabe der Werke in Italien
veröffentlicht (Ratio Novae Collect. Opp. S. B. Turin 1874). Ich benutze die Ausgabe:
Paris Peltier, die in den sechziger Jahren erschienen.
414
Die Franziskaner.
lichkeit der Zeit und des Raums erhebt, so ruft er sich doch, um
zu solcher Höhe zu gelangen , zuerst die Bilder vor die Seele , in
deren Anschauung er die zerstreuten Geisteskräfte zur einheit-
lichen Thätigkeit sammelt. Das ist die erste Stufe der Erkenntniß
Gottes, wie Bonaventura dieselbe in seinem ,Itinerarium mentis in
Deum' bespricht : als Erkenntniß Gottes aus den Geschöpfen und
seinem Sein in der Schöpfung. Die Anschauung, die sich kraft
der sensualitas mit der materia beschäftigt, ^) nun — diese niederste
contemplatio ist doch zugleich die des bildenden Künstlers , und
die Seelenkräfte , die Bonaventura sich bei ihr äußern läßt , der
sensus und die imaginatio sind die maßgebenden Faktoren beim
künstlerischen Schaffen. Von der Außenwelt ab aber wendet sich der
Mystiker, auf der zweiten Stufe Gott aus seinem eigenen Geiste zu
erkennen. Die eigene intelligentia wird das Objekt der durch den
Spiritus sich vollziehenden Anschauung. Diese Stufe aber kann
recht gut wohl zugleich den Standpunkt des denkenden Dichters
bezeichnen. Die letzte höchste Erkenntniß Gottes aber wird in der
Spekulation über Gott als absolutes Sein und höchstes Gut erreicht.
Die mens vertieft sich in die direkte Anschauung des Göttlichen.
Und mit dieser Thätigkeit läßt sich wohl keine andere Kunst eher
vergleichen , als jene , welche die christliche Phantasie allein von
jeher in die himmlischen Sphären verwiesen hat, in welcher die
ewige Harmonie mehr als in den anderen Ausdruck hienieden ge-
funden hat: die Musik. So läßt es sich, ohne daß man darüber
selbst zum Mystiker zu werden brauchte, wohl behaupten, daß der
Mystiker alle Eigenschaften des Künstlers in sich trägt. Was
Wunder, wenn er auf bildende Kunst, Dichtkunst und Musik an-
regend und bildend gewirkt?
Der Mystizismus aber mußte mit seiner sinnlichen Neigung
zur bildlichen Veranschaulichung der göttlichen Offenbarungen von
Beidem : dem Uebernatürlichen und dem Natürlichen in der christ-
lichen Religion sich Bilder machen. So kam er auf der einen
Seite zur Allegorie, auf der anderen zur lebhaften Anschauung des
Erdenlebens Christi und seiner Nachfolger. Hatte die ältere Mystik,
deren Begründer Dionysius Areopagita war, in ihren hauptsäch-
lichsten Vertretern Richard von St. Victor und Hugo von St. Victor
ihr Wesentliches in der biblischen Allegorie gefunden, so tritt bei
1) Opera Peltier : Bd. XII. S. 3 l.
Die Predigt der Franziskaner. 415
Bonaventura , oder, falls man die ,meditationes vitae Christi', wie
nicht mit Unrecht geschieht, Diesem abspricht, bei einem ihm nahe-
stehenden Franziskaner, dem in dieser Beziehung Bernhard von
Clairvaux bedeutungsvoll vorangegangen war, auch die menschlich
natürliche Betrachtungsweise in ihre Rechte. Im Volke durch Fran-
ziskus wachgerufen, fand sie mächtige Nahrung namentlich durch
jenes vielgelesene Buch Bonaventura's, das wir noch näher kennen
lernen werden. Die Dichtkunst zuerst neben der Predigt nahm die
Anregung auf und wirkte dann ihrerseits wiederum im Verein mit
Bonaventura's Schriften auf die bildende Kunst.') Binnen Kurzem
ward die mystisch - natürliche Kontemplation ein Gemeingut des
Volkes, und in jugendlicher Schöne feiert in Poesie und Bildwerken
das Neue Testament seine Auferstehung. Neben dem evangelischen
Stoff aber erhielt dann auch die Allegorie in einer neuen sinn-
licheren, dem Volke verständlicheren Form einen Ehrenplatz in
Dichtung und Kunst. Zugleich gewann die Verehrung der Maria,
die während des XII. Jahrhunderts immer stärker um sich gegriffen
hatte, einen ganz besonderen Aufschwung durch die Franziskaner,
der sich namentlich in der Dichtung Jacopone's offenbart. Ja man
könnte sagen, sie tritt für eine Zeit selbst vor den Kultus Christi
in den Vordergrund. Die von Bonaventura behauptete ,unbefleckte
Empfängniß' ward später Partheisache der Scotisten gegenüber den
Thomisten. Größeren Werth aber als die Dogmen hatte fiir Kunst
und Dichtung die fast menschliche Liebe, mit der Franziskus,
Bonaventura und andere große Männer des Volkes an der Mutter
Gottes hingen.
Im Anschluß an diese zweifache Richtung der Franziskaner-
mystik sollen dann später einerseits die Darstellungen der christ-
lichen Legende, andrerseits die allegorischen Darstellungen der
jugendlichen italienischen Kunst betrachtet werden, nachdem zu-
nächst noch ein Blick auch auf die Predigt und die Dichtung der
Franziskaner geworfen wurde.
III. Die Predigt der Franziskaner.
,,Ich han ouch ein amt: predigen ist min amt", sagt Berthold
von Regensburg einmal, als er von dep verschiedenen Pflichten der
^) Hierauf hat auch H. Hettner in seiner erwähnten Studie über die Franziskaner
in der Kunstgeschichte besonders aufmerksam gemacht.
Ai6 Die Franziskaner.
Menschen redet. Die Predigt war der eigentliche Beruf des Fran-
ziskaners. Als Petrus Waldus die Berechtigung der freien Predigt
gefordert, hatte er nur dem allgemeinen Wunsche des Volkes Aus-
druck gegeben. Durch Franz war die Kirche sich bewußt geworden,
was ihr selbst und was dem Volke Noth that, und sie entsandte
in den Bettelmönchen die volksthümlichen Verkündiger der christ-
lichen Lehre. Solche Predigt hat es von Neuem dargethan , wie
einst in den apostolischen Zeiten, daß das Evangelium von Anfang
an für die Armen an Geist bestimmt war, daß es unerschöpfliche
Segnungen der Menschheit immer von Neuem bringt, wenn es nur
seinem eigensten Inhalte nach einfach und lauter verkündet wird.
Sein schlichtes Ethos umfaßt in dem kurzen Satze: ,, Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst" Alles, was den Menschen in seinem
Erdenleben glücklich, frei und groß machen kann. Alle Normen
des Handelns und Denkens erstehen aus diesem Einen Grund-
prinzipe. Jede christliche Moralpredigt ist eine Predigt von der
Liebe — und hat es jemals solche lautere Predigten von der Liebe
gegeben, so waren es die der Franziskaner ! In Franz herrscht nur Ein
Gefühl : die Liebe, und dieses hat er mitgetheilt, wohin er gekommen.
Dieses hat ihm im Sturm die Herzen eines ganzen Volkes erobert,
weil es unwiderstehlich , weil es die besten Gefühle in jedem Ein-
zelnen erweckte. Wie ein warmer Sonnenschein strömte es über
die Welt und Jeder, der Arme wie der Reiche, durfte sich un-
gestraft an seiner Kraft erfreuen. Die Menschheit eilte in's Freie
hinaus, und da schien Alles verwandelt wie nach langer, grauer
Regenzeit : in leuchtendem Grün prangten die Bäume und Sträucher,
in bunten Farben blühten die Blumen, über den blauen Himmel
zogen die luftigen weißen Wolkengebilde und die dunklen Wälder
schallten wieder vom Sänge der Vögel. Wie schön war doch die
Welt, wie glücklich der Mensch, sie mit allen seinen Sinnen ge-
nießen zu dürfen — wie gütig der Gott, der ihm Alles zur Freude
geschaiTen ! Da ward der Gedanke zum Jubel und der Jubel zum
Gebet und das Gebet zum Vorsatz, den liebenden Schöpfer wieder
zu lieben, ihm die Güte zu vergelten, die er dem Menschen angethan.
Der Gottesdienst selbst verließ die geweihten Stätten der Kirche,
hinaus in die Natur zu treten — von dem frischen Athemzuge in
ihr gestärkt und geläutert , kehrte er wieder zurück. So oft wir
von den Predigten der Bettelmönche lesen, hören wir, daß sie im
Freien gehalten wurden, daß Tausende sich auf dem Felde draußen
Die Predigt der Franziskaner. 417
vor der Stadt um den geliebten Prediger versammelten. Da war
es ihm möglich, durch den steten Hinweis auf die Natur bei seinen
Zuhörern jene innige Befriedigung hervorzurufen, die jede nahe Be-
rührung mit derselben gewährt, es war ihm möglich, in Wort und
Geberde durch den Vergleich und den Hinweis jene Anschaulichkeit
der Rede zu erreichen, die allzeit die größte Wirkung auf das Volk
gehabt hat. Und dasselbe Gefühl, als befänden wir uns unter freiem
Himmel, haben wir noch heute, wenn wir jene Reden des Bruder
Berthold von Regensburg lesen , die uns eine so lebendige An-
schauung von der Franziskanerpredigt überhaupt geben.
Die Predigt war in der vorhergehenden Zeit von den gottes-
dienstlichen Mysterien fast ganz in den Hintergrund gedrängt worden
und hatte allmählich einen durchaus doktrinären Charakter an-
genommen. Schon, daß sie in Latein gehalten wurde, verhinderte
ihre Popularität. Dazu aber kam , daß man sich immer mehr in
einer allen Regeln des gesunden Menschenverstandes zuwider-
laufenden Weise der spitzfindigsten, gesuchtesten Worterklärungen
befleißigte, die schließlich Nichts als ein müßiges Spiel übergelehrter
Leute wurden. Die außerordentliche Kenntniß der heiligen Schrift
verleitete dazu, verborgene Beziehungen zwischen den verschiedensten
Aussprüchen herauszufinden. Alles und Jedes, was im Alten Testa-
ment zu lesen war, mit Rücksicht auf das Neue zu deuten. Der
ganze einfache Inhalt der Bibel ward zu einem unauflöslichen Knäuel
von unklar symbolisch und allegorisch durch einander gezogenen
Ideen verwirrt. Man erschrickt vor der ungeheuerlichen Unnatur
solchen Verfahrens , beschäftigt man sich mit den Predigten selbst
so hervorragender Männer wie Innocenz' III. Die Pflichtenlehre und
die gemüthsvolle Betrachtung von Christi Leben verflüchtete sich
vor dieser mühseligen , undankbaren Verstandesarbeit — das Volk
konnte für solcherlei unpraktische Geistesprodukte nicht das ge-
ringste Verständniß haben.
Daneben hat es gewiß allezeit eine volksthümlichere Predigt
gegeben, aber diese war, wie uns der Beschluß des Lateranensischen
Konzils von 121 5 deutlich zeigt, immer mehr abhanden gekommen
und sehr wahrscheinlicher Weise von der herrschenden dogmatischen
Denkweise des Klerus gleichfalls angekränkelt. Nur außerordent-
liche Vorkommnisse , bei denen es sich um eine wahrhafte Auf-
regung des Volkes handelte, zeitigten auch eigentliche Volkspredigten.
Bei ungewöhnlichen Naturereignissen mochte die Mahnung zur Buße
Thode, Franz von Assisi. 27
411
Die Franziskaner.
lauter und eindringlicher erschallen, die Aufforderung zu den von
Gott selbst gewollten Kreuzzügen wußte in zündenden Worten den
heiligen Muth zu entflammen. Aber das Alles genügte nicht — das
Volk verlangte, wie es von jeher gethan, die tägliche Aufmunterung,
es wollte in dem sinnlichen Drange seines Gefühles dessen Be-
friedigung in einer faßbaren Darstellung aller seiner Pflichten, in einer
bilderreichen Veranschaulichung der christlichen Legenden finden,
es wollte seine eigenen Prediger haben, die seine Sprache redeten,
die an seinen Schmerzen und Freuden theilnähmen, es wollte strenge
und doch milde Sittenmahner — die Franziskaner haben dies Alles,
was das Volk ersehnte, erfüllt. Daher ihr beispielloser Einfluß!
Von Franz selbst sind leider, aber sehr erklärlicher Weise,
ebensowenig wie von seinen vielen ausgezeichneten Schülern Pre-
digten erhalten. Wer in den Werken des Antonius von Padua und
Bonaventura auf die ,sermones' stößt, voll freudiger Erwartung an
ihr Studium geht, wird sich bitter enttäuscht finden, da diese Pre-
digten sich so gut wie gar nicht von jenen oben besprochenen
geklügelten Verstandeserzeugnissen unterscheiden. Unmöglich kön-
nen das jene Volksreden gewesen sein , die der nach Franz von
Allen am meisten bewunderte und geliebte Antonius vor den
Thoren der Stadt Padua gehalten. Obgleich ein Spanier von Ge-
burt, so erzählt die alte vita ^), sprach er doch das Italienische so
fließend, als wäre er nie außerhalb Italiens gewesen. Seine gelehrte
Bildung befähigte ihn, den Dominikanern gleich, sich in siegreiche
Disputationen mit den Ketzern einzulassen, zugleich aber wußte er
das ungebildete Volk bis in's tiefste Innere zu erschüttern. Erfuhr
es davon, daß er predigen würde, so brach es schon in der Nacht
vorher in entfernten Städten und Flecken auf und eilte beim Licht
der Fackeln nach dem Felde dicht bei Padua, wo er zu reden
pflegte. An dreißig Tausend Menschen konnte man da versammelt
sehen, die Kaufleute schlössen ihre Läden, so lange er sprach, ver-
gaßen Gewinn und Handel und liefen mit den Frauen und Kindern
hinaus. Hatte er dann geendigt, so war er in Gefahr, von allen
den Leuten erdrückt zu werden , die sich glücklich schätzten,
konnten sie nur sein Gewand berühren, und starke Männer mußten
dem Andrang wehren. Ergriffen von den mahnenden Worten eilte
^) In den Opera S. Francisci und S. Antonii. Hsg. v. J. de la Haye. Regens-
burg. 1739. Cap. XIII, auch Cap. XII.
Die Predigt der Franziskaner. 4IQ
man in die Kirchen, die Sünden zu beichten, so daß der Beicht-
stühle und der Priester nicht genug waren.
Und er war nur Einer, freilich der Größte, unter den gottes-
begeisterten Männern , denen das Volk zuströmte. Salimbene hat
uns die Namen von Einzelnen erhalten, von einem Girardus de
Modena^), einem Fr. Hugo de Bareola, der von den Lom-
barden Hugo de Montepesulano genannt wurde und ,, Wunderdinge
zu sagen wußte von dem Himmelshofe , nämlich der Glorie des
Paradieses, und Schreckliches von den höllischen Strafen", von
dem Dominikaner Johannes von Vicenza; mit besonderer
Bewunderung aber spricht er vom Bruder Berthold von Regens-
burg, dessen Ruhm über die Alpen gedrungen war. Es ist ein
glückliches Geschick, daß Sammlungen von Berthold's Reden, deut-
schen und lateinischen, sich erhalten haben. Diese herrlichen Werke,
die für immer eine Zierde der deutschen Litteratur bleiben, haben
neben der sprachlichen und litterarischen Bedeutung den größten
Werth für den Kulturhistoriker, der nur aus ihnen einen Begriff
sich bilden kann, welcher Art die Volkspredigt der großen Franzis-
kaner gewesen sei. Und , läßt sich hinzufügen , sie können noch
jetzt als Muster wirksamer Volkspredigten gelten und verdienten
noch heute von den Kanzeln unserer Dorfkirchen gelesen zu wer-
den. Sie würden von Neuem mit ihrer keine Mühe scheuenden
echten und allgemeinen christlichen Liebe, ihrer praktischen Moral
Gutes wirken *vie vor sechshundert Jahren, da sie ihrem Geiste
nach jung geblieben sind, wie das Evangelium, das sie verkünden.
Sie haben dieselbe Eindringlichkeit wie Luthers Predigten, aber vor
diesen objektiv betrachtet noch dies Eine voraus, daß sie eine
gültige und anerkannte allgemeine Glaubensanschauung, die schließ-
lich trotz der Verehrung der Heiligen, trotz Fegefeuer und trotz
der sieben Sakramente ebenso gut protestantisch als katholisch ist,
verkündigen. Die Polemik richtet sich gegen die Sünden allein,
nicht gegen irrige Auffassungen der Lehre, und ist nicht gerade
solche Polemik vom echt christlichen Standpunkte aus, dem die
guten Werke nur als Ausfluß der guten Gesinnung schätzen s werth
erscheinen, allein von praktischem Nutzen für die weniger gebildeten
Klassen, heute so gut wie ehemals } — Berthold hat in Regensburg
seine Erziehung bei dem edlen David genossen, ist schon vor 1246
1) Chronik S. 35.
27*
A20 ^^^ Franziskaner.
Mönch geworden, hat dann seit 1250 in Alemannien, im Elsaß, der
Schweiz , in Oesterreich , Schlesien , Mähren , Böhmen gewirkt und
ist 1272 gestorben.
Eine christlich humane Gesinnung — darin liegt der Zauber
und die Bedeutung seiner Predigten ! Als wichtige erhaltene Bei-
spiele volksthümlichen Wirkens verlangen sie hier nähere Be-
achtung, da dieselbe Gesinnung der Kunst der Worte, wie der
bildenden Kunst ihr eigenstes Gepräge giebt , da solche Predigt
nicht nur ein Analogon der Malerei Giotto's ist, sondern lebendig
fördernden Antheil an deren Entstehung genommen hat. Sie vor
Allem hat im Volke die kindliche Freude an der Natur und die
herzlich einfältige Liebe zu dem Bruder Christus genährt und ge-
steigert, die der Ausgangspunkt der neueren christlichen Kunst
wurde. Betrachten wir daher zunächst den Gehalt, später die
künstlerische Form der Franziskanerpredigt Berthold's. ^) Zweierlei
scheint mir besonders charakteristisch für sein Christenthum zu
sein: die natürlich sinnliche Auffassung der Glaubenslehre einerseits
und andrerseits die vergeistigte Auffassung der praktischen Aeuße-
rungen wahren Christenthums. Mit Hülfe der ersteren, in der er
sich dem geistigen Vermögen seiner Hörer akkommodirte , hob er
die zweite.
So mußte denn das Volk, sollten die guten Ermahnungen nicht
fruchtlos bleiben, zunächst eine klare Anschauung von dem Ver-
hältniß des Menschen zu Gott gewinnen. Der Schöpfer in seiner
höchsten Majestät ist ein König, der über alle Könige auf Erden
an Macht und Reichthum erhaben ist. Sein Himmelreich ist so
weit und so schön, daß ,,alliu disiu werlt ist eine kleine dinc wider
dem himelriche". Da regiert er nun mit großen Freuden und
Wonnen und Ehren. Um aber sich selbst recht voll zu genießen,
schuf er in seiner ewigen Liebe die Engel und die Menschen. Von
den Engeln jedoch fiel ein Theil in Hochmuth und ward von ihm
verstoßen aus dem Palast. Der suchte ihm nun Feindschaft zu
erregen und verführte auch die Menschen zum Ungehorsam. Deß-
wegen aber liebt der mächtige Herrscher diese noch immer und
sucht sie wieder in sein Reich und an seinen Hof zu ziehen, denn
^) Nach der Ausgabe von Pfeiffer und Strobl : B. v. R. Vollst. Ausgabe seiner
Predigten. "Wien, 1862. 80. Braumüller. — Vergl. Scherer: Literaturgeschichte III. Aufl.
S. 234 ff., wo weitere Literaturangaben. Unkel's B. v. R. konnte ich leider nicht benutzen.
Die Predigt der Franziskaner. 42 1
„ein künic hat gar gerne vil Volkes und ist des fro daz er vil ge-
sindes hät".^) Und dem Menschen ist das wohl möglich, da er
„freie Willkür" hat, das Gute oder das Böse zu thun, und Gott
selbst in seiner grenzenlosen Güte Mensch geworden ist, die Sünde
Adam's zu sühnen und den Weg zum Himmelreiche im heiligen
Christenglauben zu weisen. Wer nun die Gebote befolgt, sich vor
Sünden hütet und solche, wenn er sie gethan, bereut und büßt,
Der wird zur Seligkeit aufgenommen, wer es nicht thut. Der fährt
in die Hölle. Wie es aber dreierlei Volk am Hofe des irdischen
Königs giebt, ,,povelvoik, groze herren und fürsten",^) so auch am
Himmelshofe. Je nach den Verdiensten richtet sich dort das An-
sehen. Die Apostel sind die großen Fürsten, die Heiligen die vor-
nehmen Herren und die Mehrzahl der Frommen bildet das niedere
Volk. Aber selbst ein kleines Winkelchen ,, hinter der Thüre"
droben im Palast zu erringen, bedarf es großer Treue im Dienste
hier auf Erden. ■^) Von der Herrlichkeit der Stadt verkündete Jo-
hannes in der Apokalypse: ,,die müre was gar hoch und alliu von
edelem golde, und die in der stat waren, daz waren allez künige
und heten alle kleider an als die sunne , und was allez von über-
grozem richtuom, ir kleider und ir spise der engele mäz. Die müre
diu was zwelf tusent raste hoch und als dicke und als lanc und
was von smaragden und karfunkeln. Als groze freude und gezierde,
des waz alles wunder da von übergrozer und von und als edeler
Wirtschaft: unser koche kunnen rehte nihts nit dar wider".*) Die
Freuden, welche der Himmel hat, sind wie die herrlichsten, wohl-
schmeckenden Speisen: ewige Jugend, Erfüllung jedes Wunsches,
Freude ohne Trauer, Reichthum ohne Armuth, Leben ohne Tod, Ge-
sundheit ohne Krankheit, Liebe ohne Haß, Schönheit ohne Makel. ^)
Ist Gott aber ein König, so ist der „juncherre" Christus sein
königlicher Sohn und Maria eine ,,küniginne". „Die woneten also
üf dem Ertriche mit so gar vollebrähten tugenden, daz ir fueze an
allen stoup bliben fri vor allen tegelichen Sünden an gedenken, an
Worten und an werken."**)
1) I, S. 124.
2) II, s. 212.
3) I, S. 274.
*) n, 243.
*) I, 220 fif. II, 244.
•) I, 429.
422 Die Franziskaner.
Findet Alles, was schön und herrlich zu denken ist, seine Ver-
wirklichung im Himmel, so ist das höllische Reich, das vom Teufel
und seinen Heerschaaren bewohnt wird, so voller Qualen und Jam-
mer, daß kein Mensch es sich ausdenken mag. Aber mit so er-
schütternden Worten Berthold das ausgemalt hat, so allgemein
bleibt er doch in der Schilderung. Von den verschiedenartigen
Martern des Inferno weiß er Nichts, immer ist es nur die unsag-
bare Gluth des Feuers, die den Verdammten droht, sind es glühende
Spieße, mit denen sie durchbohrt werden. ^) Aber er hat auch da-
mit die erwünschte Wirkung des größten Entsetzens hervorgerufen.
Er sagt dann wohl: ,,als der dise stat anzunte unde diu alle samt
ein hus waere , so waerez doch niht danne ein fiwer. Also ist ez
ouch umbe dich, mensche. Ob din hüt unde din här, diniu ougen
unde din munt unde houbet und aller din lip, bein und fleisch und
alliu diniu gelider und alle dine ädern, daz daz allez saro.t ein
durchsihtic fiwer waere, als ein isen daz durchsmolzen unde durch-
gluewet ist; ich spriche noch mer: als ob alliu disiu werlt niht mer
waere dan ein einigez fiwer von ertriche unz an den himmel unde
der mitten in dem fiure waere : also wol dem waere , so ist dem
wol hundertstund wirs, der in der helle ist."^) Ein anderes Mal
spricht er von dem Fluchen und Zanken, das ein Verdammter gegen
den Anderen anheben wird. Der Vater wird sein Kind und das
Kind den Vater verfluchen. ^) Vergeblich werden sie den Tod an-
rufen, sie zu erlösen. — Die Entscheidung, wohin die Seele kommt,
fällt gleich nach dem Tode, da werden die guten und bösen Thaten
abgewogen, und müht sich der Teufel seine Seele herabzudrücken,
so ist der Engel auch nicht müßig. Das endgültige Gericht aber
hält der ewige König erst am feierlichen jüngsten Gerichtstage.
Gott hat dies Alles nun in zweierlei Weise offenbart: den
Geistlichen hat er das Alte und Neue Testament, den Laien aber
zwei andere ,,gr6ziu buoch" gegeben, nämlich den Himmel und die
Erde , aus denen sie alle Weisheit lesen sollen : ,,an der erden bi
dem tage, an dem himel bi der naht". Mit dieser Anschauung
hängt es dann auch zusammen, daß Berthold die Bibel selbst mit
Hülfe sehr schlichter Naturvergleiche einfach erklärt, die Natur aber
') n, 5-
2) I, 127.
^) I, 193. Das erinnert an die ähnlich ausgeführte Szene in dem Gedichte
Giacomino's da Verona, Vgl. unten.
Die Predigt der Franziskaner. 423
immer in innige Beziehung zur christlichen Lehre bringt. So er-
zählt er denn auf der einen Seite die Geschichten des Alten Testa-
ments recht dramatisch, frei und ganz so, als wären sie unter den
Verhältnissen und Sitten seiner Zeit vor sich gegangen, auf Christi
Leben selbst kommt er verhältnißmäßig selten und immer nur kurz
zu sprechen, dann aber mit besonderer Rührung.^) So wenn er
von dem Schmerze der Mutter Gottes spricht : ,,unde wie möhte
unser frouwe genesen sin, do ir ein als edel kint starp, der keiser
aller künige was und an dem sie al vil übergrozer tugend erkante,
alse billich was.? Und alse vil er geedelt unde gehoehet über alle
menschen was , als vil gienc ir sin manicvaltiu martel naeher an
daz herze danne einer andern muoter." Oder an anderer Stelle:
,,S6 leget er dir sinen morgen für, daz in die jüden vintlichen
viengen, und ungetriuwelichen verraten wart und üf sinen nacken
geslagen wart und an manigen enden gewizet wart unde mit eime
rore ein durniu kröne üf sin houbet gedrücket wart und under sin
ougen gespiet wart. Nu sich sünder, daz leget dir der almehtige
got allez für, daz er daz allez durch dinen willen erliten habe
des morgens an dem heiligen karfritage, dar umbe daz du der
Ewigen martel über wurdest, ob du selbe woltest. Gewinnet hiute
wären riuwen unde weinet von herzen juwer sünde. Ja hat er vil
manigen zäher durch juch geläzen üz sinem heiligen libe sines vil
reinen bluotes, des ein tropfe tiurre ist danne himelriche und
ertriche. Die mit den ougen niht geweinen mügen die weinen mit
dem herzen. Des dritten males leit er dir für sinen mittentag, do
man in an die spange nagelte des heren kriuzes ; do man im swene
nagele sluoc durch sine hende unde durch bede sine füeze einen etc.
Da mant er sie nü sunderlichen bi allen den noeten unde bi den
hamerslegen unde bi sinen heiligen fünf wunden , bi sinen ruofen,
die er ruofte gein dem sünder unde bi dem jämer unde bi der
klage , die unser frouwe häte. Jr junge werlt , hüetet juch durch
den almehtigen got vor sünden!"^)
Dann wieder, wo es sich um biblische Gleichnisse handelt,
weiß er sie in der einfachsten, verständlichsten Weise darzulegen,
wie in jener herrlichen Predigt von den fünf Pfunden,^) die der
^) I, S. 428. Vergl. Z.B. Gideon: I, 37. Josua: I, 183. Herrlichkeit Salomonis
höfisch geschildert: I, 174.
') I, 370.
3) Nr. 2. I, S. 1 1 ff.
424
Die Franziskaner.
Herr von seinem getreuen Knechte zurückerhält (Matth. 25, 14 — 30).
Da prägt er dieselben seinen Hörern an den fünf Fingern ein und
ermahnt sie, bei diesen allzeit an die fünf Pfunde zu denken. Diese
aber sind ihm : der Leib, das Amt, die Zeit, das irdische Gut, die
Liebe zum Nächsten. Immer stehen die anschaulichsten Vergleiche
zu Gebote : die Sünden sind bald die Mordäxte , mit denen der
Teufel uns bedroht, bald die Schlingen, die er als Jäger uns legt,
bald Ankläger vor Gott, bald Wolken, die die Sonne verhüllen,
bald Ritter des Satans. Die Sünde an sich ist die Krankheit, die
der Genuß des Apfels dem Adam und seinen Nachfolgern verschafft
hat. Die Seele ist die Wirthin des Leibes,^) das Leben des Menschen
wird einer Wanderung durch einen Wald verglichen. ^) Der Mensch
trägt als Abbild Gottes auf seinem Antlitz die Bezeichnung ,homo
dei*: die zwei Augen sind die zwei o, die Nase ist das m „schone
mit driu stebelinen", das Ohr ist das d, die Nasenlöcher bilden
,,ein kriechsch" e, der Mund ist i."^) Auf der andern Seite wiederum
geht er von der Natur aus und kommt durch sie auf die christ-
lichen Anschauungen. Er prägt den Hörern ein, daß sie beim
Anblick der vier Sterne des großen Wagens an die vier Tugenden :
den Glauben, die Liebe, die Hoffnung, die Stätigkeit denken sollen,
welche die Räder des Wagens sind, auf dem die Seele gen Himmel
gelangt. Die sieben Planeten gemahnen an die sieben Tugenden.
Und Aehnliches ließe sich in Fülle beibringen. Das sind sym-
bolische und allegorische Vorstellungen, wie sie Jedermann ver-
ständlich und schließlich eine Nothwendigkeit für den christlichen
Glauben sind. Solche Vergleiche wird auch Franz in seiner Predigt
angewandt haben.
Wie Franz aber hat auch Berthold eine durchaus poetische
Naturauffassung, die sich nicht mehr wie die alte Troubadourpoesie
auf ein kraftloses, eintöniges Erwähnen vom nahenden Frühling,
singenden Vögeln und grünen Bäumen beschränkt, sondern in feiner
Beobachtung und warmer Empfindung mit derjenigen Walther's
von der Vogelweide wetteifert. Man höre ihn davon sprechen, daß
der Mensch so wenig einen Begriff von der Schönheit Gottes habe,
als das Kind im Mutterleibe von der Herrlichkeit der Welt: ,,als
')
n,
128.
')
I,
37.
')
I,
404.
Die Predigt der Franziskaner. 425
wenic als daz kind empfinden mac der gezierde aller, da der
almehtige got die werlt mite gezieret hat, mit dem firmamente,
unde wie er daz gezieret hat mit der sunnen unde mit dem edeln
Sternen schine , mit edelheit der steine unde mit maniger hande
varwe unde mit ir kraft unde maniger hande riehen waete unde
mit maniger hande würze unde mit maniger hande liehten blüete-
varwe unde gesmac der würze unde der blüete unde der bluomen,
und alle die genaemeheit und alle die lustliche freude , die diu
werlt hat von der sumerwunne unde von vogelsange und von seiten-
klange unde von andern süezen stimmen , unde die freude , die
menschen anblic git!"^)
Da fangen wohl die Geschöpfe selbst an zu sprechen : ,,So
möhte aller vogeline sanc unde harpfen klanc wol sprechen, ob sie
künden sprechen : ,unser manicvalte wünnecliche stimme und unser
süezen stimme die haben wir von uns selber niht : wir haben sie
von dem, des diu sele begernde ist: ich suoche den gehimen an
allen kreatiuren, an aller bluomen varwe und an aller würze krefte."-)
Dieses warme Gemüthsleben , das ein so inniges , persönliches
Verhältniß zu Gott hervorruft, brachte zugleich eine Verinnerlichung
der christlichen Anschauungen mit sich , die als eine direkte Vor-
bereitung auf die Reformation betrachtet werden muß. Der Geist
von Berthold's Moral ist ebenso lauter und frei, als ihre Anwendung
auf das Leben praktisch ist. Die christliche Gesinnung, die Liebe
oder wie er sie nennt : die Minne ist das Wesentliche , die guten
Werke sind ihr Ausfluß. Die Reaktion gegen jene Ueberschätzung
der äußern Verdienste, die mit den Kreuzzügen und mannigfachen
Pilgerfahrten herrschend geworden war, äußert sich nirgends treffen-
der als in diesen Predigten. Ein gottgefälliges Leben, aufrichtiger
Glaube, Liebeswerke taugen mehr, als alle Fahrten nach Rom oder
zum h. Jakob nach Compostella oder zu den Preußen. Berthold
wird nicht müde gegen die Scheingerechtigkeit und falsche Be-
friedigung, die solch äußerliches Gebahren mit sich bringt, zu
kämpfen. Wer nicht von den Sünden läßt. Dem ist es Nichts nutz,
mag er auch noch so viele Klöster oder Spitäler bauen, noch so
oft fasten und Almosen geben. Ein einziges Pater noster, das ein
^) I, S. 223. Vgl. I, 389. Femer besonders I, 49. 157. 374. 506. Vgl. na-
mentlich die schöne Stelle über den Nutzen der Pflanzen: I, 49.
') I, 157.
426 Die Franziskaner.
Tugendhafter in Andacht betet , ist mehr werth , als viele Fahrten
über's Meer, die ein Liebloser macht. Das gesunde, kräftige Gefühl
des Franziskaners empört sich über die nutzlose Zeitverschwendung
mit solchen angeblich Gott gefälligen Pilgerschaften. Die Messe
daheim trägt denselben Segen für den Gläubigen in sich : ,,Maniger
loufet hinnen gein Compustellä ze Sant Jacobe unde loufet dar unde
dannen daz er niemer messe gehoeret, unde gent danne mit gamel
unde mit gelehter unde sprechent halt eteliche selten iemer dehein
pater noster. Daz rede ich dar umbe niht daz ich sante Jacobe
sine bilgerine enpfüeren welle : da waer ich ze kranc zuo. Jedoch
möhtest du in einiger messe m^r gnaden erwerben, danne daz du
ze Compustelle loufest unde her wider. Nu waz vindest du ze
Compustelle.? daz tuost du sant Jäcobes houbet. Daz ist vil guot:
ez ist ein toter schedel, daz bezzer teil ist da ze himele."^)
Einer derartigen klar verständigen Anschauung mußte es ferner
weniger um die Hervorhebung der Wunderthaten der Heiligen als
um deren guten Lebenswandel zu thun sein. So finden wir auch
nirgends eine Bezugnahme auf die übernatürlichen Zeichen, welche
der ,,guote sant Alexius oder der guote sant Bernhart oder der
guote sant Uolrich" gethan, sondern die Heiligen werden nur als
Muster und Vorbilder edler Tugenden hingestellt. Ja Berthold geht
so weit zu sagen, daß die Menschen auf Erden, wenn sie nur gott-
gefällig leben. Etwas selbst vor den Heiligen im Himmel voraus
haben, nämlich, daß sie noch in der Lage sind, ihre christlichen
Verdienste zu mehren, was Jenen versagt bleibt.^) Damit hängt
dann auch zusammen, daß er Nichts von der Prädestination hält.
Gott weiß wohl, was aus dem Menschen wird, aber er hat ihm die
freie Willkür zu thun und zu lassen, was er will, gegeben. „Got
wais wol wer verlorn sol werden oder wehalden. Darumb wizt
aber nieman verloren , das es got wol wais. Zu geleicher weis,
man fürt ainen hyn und wil jn haben, das sich ich wol, das man
jn hachen wil, darumb hachet man jn nicht, das ich wais, man
hachet jn darumb das er es verdient hat."^) Durchgeistigt ist
endlich auch seine Auffassung der kirchlichen Mysterien. Was er
über die Beichte gesagt hat, gehört zum Herrlichsten, was zu ihrer
1) I, S. 493- Vgl. auch I, S. 52, 137. 138. 384. 445. 455. 459. 460. II, 20. 112.
153. 177. 248 u. a. m.
2) Vgl. I, S. 22. 23. 97.
3) Vgl. n Anhang. U, S. 688. Vgl. I, 50. 492. H, 17.
Die Predigt der Franziskaner. 427
Vertheidigung vorgebracht werden kann. Die Reue und Buße be-
dingen einander. Aus dem Formelwesen der Messe und der anderer
Sakramente aber zieht er den lebendigen Geist hervor, indem er
dem Laien die Bedeutung aller einzelnen Handlungen in schlichten
Worten erklärt.^) Die sieben Heiligkeiten sind ihm die sieben
Arzeneien, die Christus als gütiger Arzt während seiner Lebenszeit
auf Erden bereitet hat. Sie retten von den Krankheiten der Sünden,
Den Priestern , die sie ertheilen , gebührt die größte Ehrerbietung,
wie er denn überhaupt den Klerus als Ganzes immer verherrlicht,
mag er sich auch gerade wegen dessen geweihten Amtes mit be-
sonderer Schärfe gegen die sündigen Priester wenden.
Der Kampf gegen die Sünde aber füllt sein ganzes Leben aus.
Es ist ergreifend zu lesen, wie unermüdlich, mit welcher Liebe und
Eindringlichkeit ei' das Volk zu bessern sucht. Er wählt den dazu
einzig förderlichen Weg rastloser, liebevoller, praktischer Ermahnung
und furchtbarer Drohung mit den Strafen des Jenseits. Er kennt
der Sünde gegenüber keine Schonung, unterläßt es aber nie, dem
Sünder helle Worte des Trostes in dem Hinweis auf die himmlische
Barmherzigkeit zu geben. Man muß es lesen , wie er sich mit
seinem ganzen Herzen empört gegen den Neid und Haß, die Un-
keuschheit, die Hochfahrt, die Trägheit, den Lug und Betrug, die
böse Nachrede, den Zorn, die Gefräßigkeit und wie die Laster alle
heißen. Ueberall greift er direkt in's Menschenleben hinein. Die
jungen Leute warnt er vor der Wollust, die Frauen vor der Eitel-
keit, die Alten vor der Habsucht. An deutlichen Beispielen zeigt
er es dem Kaufmann, dem Schneider, dem Schuhmacher, dem Gast-
wirth, wodurch sie täglich sündigen. Jeder Einzelne mußte sich
davon getroffen fühlen, weil er seine Leute und alle ihre Fehler
so genau kannte. Da war nicht von der Sünde im Allgemeinen
die Rede, sondern von den Vergehen jedes Einzelnen in Worten
und Gedanken. Und Keiner konnte sich beklagen, daß dem Einen
zu viel, dem Andern zu wenig geschähe. Denn wie er den Bauer
und kleinen Handwerksmann mit Donnerworten anließ, so warf er
auch dem Kaiser die Ungerechtigkeit seiner Urtheile, dem Ritter
die Schändlichkeit seiner Gewaltthaten, dem Geistlichen seine Hab-
sucht und Hochfahrt vor. Die Sünde aber, die ihm von allen die
2) Vgl. die diesem Zwecke gewidmeten Predigten I, XX. S. 289. I, XXXI.
S. 488. I, XXXVI. S. 566. II, XLV. S. 81.
A2S Die Franziskaner.
Schlimmste dünkt, gegen die er fast in jeder Predigt die Schalen
seines Zorns ausgießt, ist die Habsucht, die zu hinterlistigem Be-
trug führt. Alle andern lassen Gott wohl dann und wann ,,ge-
ruowen", die ,,gitekeit" nimmer. ,,Pfi, gitiger, wie gar dich got
verteilet hat vor allen den sündern, die diu werlt je gewan oder
jemer mer gewinnen mac. Du bist also schedelich, daz manic
tüsent sele verlorn werdent von dinen schulden." Denn das unrecht
erworbene Gut, das dem Betrogenen nicht voll wiedererstattet wird,
wird auch Denen, die es erben, bis ins vierzigste Glied zur Sünde —
und Alle müssen zur Hölle fahren, wenn sie nicht Buße thun.
Dafür giebt es aber keine andere Buße, als Alles wiederzugeben
und zu erstatten, sonst können selbst alle Heiligen, selbst Maria
den Sünder nicht erretten. Offenbar ist die Habsucht in der
empörendsten Form ein ganz besonders hervorragendes Laster der
Zeit gewesen, das mit dem sich Vermehren des Wohlstandes, mit
der Ausbreitung des Handels zugleich sich eingestellt hatte. Auch
Walther von der Vogelweide redet in seinem Spruche:
Die wisen rätent, swer ze himelriche welle
von der ,,verschampte unmäze gitekeit".^)
So übereifrig und maßlos sich aber des Berthold Zorn über
die Sünde äußert, so kommt er doch aus einer edlen humanen
Gesinnung, die uns den Prediger persönlich ebenso liebgewinnen
macht, wie sein Volk ihn geliebt hat. Den Klagen des Armen
und Unterdrückten machte er ein Ende, wenn er ihm tröstend
sagte, daß vor Gott alle Menschen gleich sind, daß die Freuden
des Himmels nicht nach den irdischen Rangstufen gegliedert sind.
Er schützte das niedere Volk vor den Gewaltthaten der Großen,
indem er diese zur Verantwortung vor Gottes Stuhl zog. Wer
viel auf dieser Welt empfangen hat, hat auch die größere Ver-
pflichtung, sein Pfund so zu verwalten, daß er es dem Herrn
wiedererstatten könne. Nur schwer vermögen wir in unserer Zeit
die Bedeutung, die solche tröstenden Hinweise für jene Tage hatte,
in denen Gewalt vor Recht ging, zu erkennen. Es lag aber eine
große Kraft in Vergleichen wie diesem: wie die verschiedenen
Engelchöre im Himmelreiche einander verpflichtet sind, die niederen
den höheren und umgekehrt, so auch die Stände auf Erden; die
Pfaffen, Mönche und weltlichen Herren sollen Sorge tragen für die
1) Deutsche Klassiker des Mittelalters. I, Bd. W. v. d. V. Nr. 138, S. 247.
Die Predigt der Franziskaner. 429
Handwerksleute, Kaufleute, Bauern und Aerzte, wie diese wiederum
Jenen Dienste schulden./) In solcher gegenseitiger Verpflichtung
findet Jeder sein Recht und seine Genugthuung. Wer sich aber
über sein Amt und seinen Stand hinaus erhebt, stört die Ordnung,
in der allein wahres Christenthum heimisch sein kann. Dem Volk
widerfährt sein Recht so gut, wie den vornehmen Ständen. So
räth er den Reichen Gerechtigkeit und Milde gegen die Unter-
gebenen, gegen die Dienstboten, verpflichtet aber diese wiederum
zu treuem, redlichen Dienste. Sein Ideal ist, den Frieden Gottes
schon auf dieser Erde in Liebe und Gerechtigkeit herrschen zu
sehen. Der Krieg und das Turnier sind ihm ein Greuel.^) Durch
Predigten wie die des Berthold mußte ein neues Christenthum, eine
Religion des Volkes, wenn nicht geschaffen, so doch in wunder-
barer Weise bestärkt, gekräftigt werden.
Wenden wir uns nun noch zu einer kurzen Betrachtung der
Form und des Vortrages seiner Reden, so drängt sich uns unwill-
kürlich ein Vergleich mit der italienischen Kunst des Trecento auf.
Wie in den Bildern Giotto's erleichtert eine klare, scharfe Ein-
theilung, die in höchst verständiger Weise aus dem Stoffe selbst
gewonnen wird, das Verständniß. Durch Wiederholungen, kurzes
Zusammenfassen der Resultate erhält Berthold das Gefühl für die
Gliederung stets wach. Seine Sprache ist einfach, die Sätze sind
eher kurz als lang, die Redeweise ist bilderreich. Wie aber in den
Gemälden des Trecento, so liegt auch hier die eigentliche Kunst
in dem dramatischen Element. Will Berthold auf einen bestimmten
Begriff besonderen Nachdruck verlegen, so weiß er durch vor-
bereitende, umschreibende Sätze die Spannung der Zuhörer immer
mehr zu erhöhen, bis er endlich das Ding mit dem Namen nennt.
Oder er wendet fast als rhythmisch zu bezeichnende Wiederholungen
einzelner Sätze an. Hat er den Höhepunkt erreicht, so breitet er
sich aus, zieht naheliegende Vergleiche aus der Natur und dem
Leben herbei, worauf er dann meist in direkter Weise auf die
Hörer selbst übergeht und diese zu einer Bethätigung der geschil-
derten Tugenden oder zum Vermeiden der Sünde auffordert. Oder
er läßt sich selbst scheinbar Einwürfe von den Anwesenden machen,
die er dann widerlegt. Spricht er von dem Verbote, am Sonntag
') I, 141 ff.
2) I, 91. 176 und öfters.
430
Die Franziskaner.
zu tanzen, so fällt ihm Einer in die Rede: „Bruoder Berhtold,
rede waz du wellest! wir mügen ungetanzet niht sin." Oder Einer
rechtfertigt sich vor ihm: ,,Owe, bruoder Berhtold! ja züge ich
min kint vil gerne, so wil ez mir niht volgen. Ich hän allez daz
versuochet daz ich künde oder mohte, unde kundez nie geziehen."
Durch solche Mittel macht er die Sache recht anschaulich, wie er
andrerseits bemüht ist, durch das Zitiren historisch berühmter Per-
sönlichkeiten, wie Cäsar, Cato, Alexander, besonderes Interesse zu
erregen. Zugleich vermittelt er den Ungebildeten die wissenschaft-
lichen Anschauungen der Zeit; besonders was Naturerscheinungen
betrifft. In drastischer Weise weiß er alle Vorgänge des täglichen
Lebens zu schildern, wie auch alle seine Vergleiche sehr wirksam
und allgemein verständHch sind.
Daß zu dem Allen noch eine ungewöhnliche Gabe der Rede,
ein durch Gebärden und Mienenspiel unterstützter höchst leb-
hafter Vortrag kommt, ergiebt sich aus der Form der Predigten
und dem gewaltigen Aufsehen, das sie machten, von selbst.
Nach dem einen Berthold von Regensburg aber dürfen wir
die Franziskaner, was die Predigt, ihre Form und ihren Gehalt
betrifft, überhaupt beurtheilen, mag es auch so reich begabte Männer,
wie ihn, nicht viele gegeben haben. Franziskus selbst wird ähn-
lich zum Volke gesprochen haben, nur noch dichterischer, noch
liebeglühender. Die sinnliche, anschauliche Auffassung der Religion
und des Lebens, verbunden mit einer tiefinnerlichen Glaubensüber-
zeugung und -begeisterung hat eben diesseits und jenseits der
Alpen die Bettelmönche zu wahren Freunden des Volkes gemacht,
durch ihre Predigt auf Humanität und Kunst gewirkt.
IV. Die Dichtung der Franziskaner.
Aus ihrer sangesfrohen Heimath hervortretend und sich ver-
breitend, hatte die provengalische Dichtkunst in der zweiten Hälfte
des zwölften Jahrhunderts wie in Deutschland, so auch in Italien
Bewunderung und Nachahmung gefunden. Schon 1162 erschienen
Troubadours in Turin, denen bald viele Andere, wie Bernhard von
Ventadour, Cadenet, Rambault de Vaquinas, Vidale folgten. An
den Höfen der italienischen Großen schallten die Liebesgesänge
wieder , und auch in den Städten feierte man der Minne frohe
Feste. Jene Gelage, jene Umzüge in den Straßen, an denen Franz
Die Dichtung der Franziskaner. 43 I
selbst als Jüngling so großes Gefallen fand, sind ein Abglanz der
romantischen Lebensfreude, die wie ein Schimmer ungetrübten
Glückes die Blüthezeit des Ritterthums umwebt. Als dann das
lärmende Waffengeklirr der Albigenserkriege in den sorglosen Jubel
der Provence hineindröhnte, als die Noth und der Ernst des Lebens
über die Großen, wie über das Volk hereinbrach, haben viele der
kunstgeübten Sänger sich in das benachbarte Land geflüchtet, wo
man ihren Kanzonen und Balladen ein willigeres, dankbareres
Gehör lieh. Der glänzende Hof Friedrich's II. in Sizilien bot eine
verlockende Zufluchtsstätte. Der Kaiser selbst, seine Söhne Enzio
und Manfred, sein großer Kanzler Petrus de Vinea haben gedichtet
und gesungen, und Stimmen wie die Ruggerone's, Odo's und
Guido's delle Colonne, Arrigo Testa's, Jacopo's de Lendino haben
ihnen geantwortet. Zu gleicher Zeit zogen im Norden Troubadours
von Hof zu Hof, unter ihnen als berühmtester jener Sordello von
Mantua, der Karl von Anjou gegen Manfred begleitete.^)
Behielt Anfangs die französische Sprache, welche der Italiener
unschwer verstand, die Oberhand, so gelangte doch bald auch das
Italienische zu seinem Rechte. Die französische Poesie auf der
einen, die Franziskanerdichtung und -predigt auf der andern Seite,
haben im Laufe des XIII. Jahrhunderts dem Vulgare seine eben-
bürtige Stellung neben dem Latein verschafft. Dante's Göttliche
Komödie verkündete nur den schon lange vorher, zunächst auf
dem Felde der Poesie entschiedenen Sieg der Volkssprache. Die
große , allgemeine , in Franz gipfelnde volksthümliche Bewegung
schenkte Italien auch seine Sprache.
Die höfische Dichtung aber mußte bald in dem Lande der
Städte ihren eigentlichen Charakter verlieren. Ihre Ideale waren
ja nicht die Ideale des italienischen Volkes, das anders liebte und
dachte, als das französische. Die Sagen vom König Artus und
seiner Tafelrunde, vom Gral und seinen Rittern haben wohl überall
im Kreise vornehmer Herren und Frauen lebhaftes Interesse erregt
und sind, von den höheren Kreisen ausgehend, in das Volk gedrungen,
einen Wolfram von Eschenbach haben sie nicht gefunden, ebenso-
^) Vergleiche für diesen Abschnitt im Allgemeinen: Tiraboschi: Storia della
letteratura. Florenz 1865 — 73, III u. IV. B. — Demattio : le lettere in Italia prima
di Dante. Innsbruck 1871. — Bartoli: I primi due secoli della Letteratura Italiana.
Milano 1880. Ds. Storia della literatura It. Florenz 1879. II. Bd. — Gaspary: Gesch.
der It. Lit. Berlin 1885. I. Bd.
432
Die Franziskaner.
wenig wie die Verherrlichung der Frauen einen Walther von der
Vogelweide. Man spürt es an den Liedern der italienischen Dichter
jener Zeit, daß sie nur einer Mode zu Liebe in höfischer Weise
singen. Und nicht lange währt es, so wandelt der Geist des
Volkes das Fremde in selbständiger Weise zu etwas Neuem um. Die
sehr wunderliche Mischung von sinnlichem Verlangen und geistiger
Resignation, welche den französischen Liebesliedern ihr Gepräge
verleiht, war etwas dem Italiener Heterogenes. Entweder seine
Liebe ist sinnlich wirklich oder sie ist philosophisch abstrakt.
Beides kommt in der Dichtung der zweiten Hälfte des XIII. Jahr-
hunderts zum Ausdruck und zwar besonders in Bologna und in
Toscana. In Guido Guinicelli's Canzonen verschwindet der Gegen-
stand der Liebe vollständig, um einer wissenschaftlich - philo-
sophischen Betrachtung der Begriffe der Liebe an sich und des
Schönen Platz zu machen. Scholastische Gelehrsamkeit, tiefsinniges
Grübeln spricht aus den Gedichten Fra Guittone's d'Arezzo, Guido
Cavalcanti's. Letzterer aber ist zugleich der Sänger jener reizenden,
naturfrischen Pastorells, die von Catull's Lebenslust sprühen:
Era in pensier d'amor, quand' io trovai
und
In un boschetto trovai pastorella.
Diese urwüchsige, in anschaulichen Bildern redende Poesie hat
in Toscana in Ciacco dell' Anguillara und Folgore de San Gemignano
noch andere treffliche Vertreter. Heiterkeit, Lachen, Natur —
darin liegt, wie Bartoli richtig sagt, ihre Bedeutung. Im Ganzen
aber steht sie zwar nicht an künstlerischem Werth , aber doch an
Ausbreitung zurück hinter jener philosophisch grübelnden Richtung,
die recht eigentlich eine Dichtung der gebildeten Klassen ist.
Die unabhängige, genialere Volkspoesie ist auf anderem Boden
erwachsen: auf dem Boden der neuen Gefühlsreligion des Volkes
und — die Franziskaner sind ihre Vertreter. Weil sie ursprüng-
lich an keine fremden, von außen gekommenen Formen gebunden
war, weil ihr Inhalt allein das Gefühlsleben des Einzelnen ist und sie
daher auch nur an das Gefühl appellirt, überragt sie an künstlerischer
Kraft bei Weitem jene höfisch-wissenschaftliche Poesie und gewinnt
auf die Kultur ihres Volkes einen höchst bedeutenden Einfluß. Wie
die Predigt, wird sie von einem beseligenden Liebesgefühl inspirirt
und entflammt mit ihren glühenden Worten den christlichen
Glauben. Wie die Predigt aber vertritt auch sie eine sinnlich
Die Dichtung der Franziskaner. 433
natürliche Auffassung desselben. Anschauliche Bilder sind ihr
auch dort eigenthümlich , wo sie in das Bereich übersinnlich
mystischen Erlebens sich verliert.
Ozanam erwarb sich das Verdienst, in trefflicher, lebensvoller
Weise die Dichtung der Franziskaner einheitlich zu betrachten ^),
nachdem schon Görres einen Dithyrambus auf den Troubadour
Franz verfaßt, der, mehr Gedicht als Prosa, es wohl verdiente
mit in der Reihe von Jacopone's Liedern aufgeführt zu werden.^)
Der Gründer des Ordens war selbst in dem Dichten von Lob-
gesängen den Seinen vorangegangen. Zwei seiner nächsten Schüler
folgten dem Beispiel. Der eine ist jener Fra Pacifico, der,
ehe er Minorit ward, ein Troubadour war und als ,rex versuum'
vom Kaiser selbst gekrönt worden war.^) In welcher Weise er
später seine weltliche Kunst zur Verherrlichung Gottes angewandt,
ist leider nicht bekannt , da keine Lieder von ihm erhalten sind.
Der andere aber ist Thomas von Celano, der zwar in latei-
nischer Sprache, aber aus echt volksthümlicher Empfindung heraus
das gewaltige, sturmdurchwehte ,Dies irae, dies illa', diesen ergreifen-
den Mahnruf, dessen tiefer Ton dem Schalle der Glocken zu ver-
gleichen ist, gesungen haben soll.*) Was in der nächstfolgenden
Zeit von Hymnen auf Franziskus gedichtet worden, hält sich meist
im kirchlichen Schema, doch verleugnet sich auch in ihnen nicht
das innige Gefühl, das mit seinem Andenken verknüpft war. Ein
Dichter aber ist auch Bonaventura gewesen. Seine mystischen
Schriften, sein Leben des S. Franziskus verrathen eine reiche
^) A. F. Ozanam. Les Poetes Franciscains en Italic au treizieme siecle. Paris
1852. 8^. Uebersetzung von N. H. Julius : Italiens Franziskanerdichter. Münster 1853.
^) Vergl, jetzt J. Della Giovanna : Francesco Giullare im Giomale storico della
letteratura Italiana XXV. Er weist nach , daß der Wortlaut des Sonnenhymnus , wie
er uns erhalten, nicht der ursprüngliche der Improvisation des Franz sein dürfte.
^) Thomas von Celano. II vita. in, cap. 49, S. 158. Erat in Marchia Anconi-
tana saecularis quidam sui oblitus, et Dei nescius qui se totum prostituerat vanitati.
Vocabatur nomen ejus rex versuum , eo quod princeps foret lasciva cantantium et in-
ventor saecularium cantionum : ut paucis dicam , usque adeo gloria mundi extulerat
hominem, quod ab imperatore fuerat pomposissime coronatus. — Danach Bonaventura.
Cap. IV, 9 , der neu nur hinzufügt , daß die Begegnung des Franz mit Pacifico bei
Castrum S. Severini stattgefunden habe.
■*) B. Pisanus schreibt es ihm mit einem ,dicitur' zuerst zu (lib. conf. I fr. XI.
p. Ilo). Doch wissen Jordanus und Salimbene Nichts davon, was bedenklich macht.
Vgl. Vogt: Denkwürdigkeiten etc. — Auch das .fregit victor virtualis' und das .Sancti-
tatis nova signa' sollen von Thomas sein.
Thode, Frani von Assisi. 28
434
Die Franziskaner.
poetische Begabung; unter den wenigen zum Theil und mit Vor-
behalt ihm zuzuschreibenden lateinischen Gedichten findet sich
neben hergebracht Allegorisirendem manches Herrliche. Vor Allem
in der ,Philomela', welche die in gläubiger Anschauung des Lebens
und Leidens Christi versunkene Seele verherrlicht, in der schwung-
vollen Aufforderung, ganz dem Kreuze zu leben, welche beginnt:
recordare sanctae crucis , und in dem ,Lob der seligen Jungfrau
Maria'. ^)
Indeß : nicht in der Sprache der Gelehrten, sondern in der des
Volkes haben die Franziskaner ihr Eigenstes gegeben, und ist uns
abgesehen von Jacopone's Liedern auch nur Weniges erhalten, so
sind wir doch berechtigt, aus dem interessanten Gedichte eines
norditalienischen Mönches zu schließen, daß neben jenem Größten
viele andere Angehörige des Ordens die Poesie gepflegt. Es wäre
auch anders kaum denkbar, da ja Einbildungskraft und Gefühl in
gleicher Weise durch ihre Religion befruchtet wurden. Jenes Werk
aber , das von Ozanam der Vergessenheit entzogen wurde , giebt
eine Schilderung der Hölle und des Paradieses und ist von einem
Bruder Giacomino da Verona in veronesischer Mundart
geschrieben. Er behandelt den heiligen Stoff in der Weise, wie
die ,chansons de geste' der Zeit die Sagen und Fabeln der großen
Helden, und appellirt wie diese an die sinnliche Einbildungskraft
wenig gebildeter Leute. Hält er bei der ausführlichen Schilderung
der reichen Himmelsstadt einen fast prosaisch zu nennenden, ruhig
erzählenden Ton inne, so gewinnt seine Darstellung bei der Be-
schreibung der Hölle einen größeren, dramatischen Schwung. Er
will Furcht und Entsetzen erregen, und das gelingt ihm Dank seiner
drastischen Art ganz vortrefflich. Bisweilen verschmäht er es nicht,
so wenig wie später Dante, durch derbe Komik seine Hörer noch
mehr an sich zu fesseln, sie inmitten der gräßlichen Szenen einen
Augenblick aufathmen zu lassen.
Wie er es selbst sagt, liegt seiner Schilderung des himmlischen
Jerusalem die Vision des Johannes in der Apokalypse zu Grunde.
Es ist die viereckige , ummauerte Stadt mit je drei Thoren auf
jeder Seite, von Gold, Perlen und edlen Steinen schimmernd, von
Engeln mit Flammenschwertern bewacht. Mit Gold, Silber und
Krystall sind die Straßen gepflastert, die Häuser aus schimmernd
1) Opera Peltier XIV, S. 162. 172.
Die Dichtung der Franziskaner. 435
weißem Marmor, sind blau und golden bemalt. Da giebt es weder
Mond noch Sonne, das Antlitz des Herrn allein erleuchtet sie. Wer
aus den Wassern und Brunnen der Stadt trinkt, kann nie mehr
sterben. Durch ihre Mitte aber läuft ein schöner Strom, von
üppigem Grün umgeben, aus dem Bäume, Lilien, Rosen, Veilchen
ihre Düfte entsenden. Sein Wasser verjüngt die Alten, der Genuß
der Früchte, die an den Bäumen hängen, heilt jegliche Krankheit.
Die ganze Stadt ist von Wohlgeruch erfüllt. StiegUtze , Nachti-
gallen und andere schöne Vögel singen Tag und Nacht in den
Gebüschen in herrlicheren Weisen, als Violinen, Lauten und
Schalmeien.
Hat der Dichter so bereits in der Beschreibung seinem Gefühl
für die Natur und seiner Phantasie freien Lauf gelassen, so stellt
er sich im Folgenden, wie Berthold von Regensburg und wie
Bonaventura^), die Gemeinschaft der Heiligen als das Gefolge eines
großen Königs vor. Inmitten des immer grünenden Gartens, vor
dem Thron sind sie versammelt, die heiligen Ritter. Da sind die
Patriarchen und die Propheten in grüne, weiße und blaue Gewänder
gekleidet, die Apostel auf goldenen und silbernen Thronen, die
Märtyrer rothc Rosen im Haar, die Bekenner, die Jungfrauen, deren
liebliche Schaar an Ehren und Schönheit hervorleuchtet. Sie Alle
singen dem Herrn Lob und Preis, so daß von dem harmonischen
Zusammenklingen der Stimmen Himmel, Luft und Erde erfüllt ist.
Der Anblick von des Herrn strahlendem Antlitz, das Sonne, Mond
und alle Sterne verdunkelt, verleiht ihnen so selige Freude, daß
sie verjüngt, mit grünendem Herzen, strahlenden Augen die Hände
zum Tanze sich reichen und die Füße hüpfend bewegen. So leben
sie in ewiger Freude, Trost und Frieden, Einer dem Andern dienend,
ihr Glück allein in der Anschauung Gottes findend, dem sich früh
und Abends die für die Menschen betenden Cherubim in großen
Prozessionen nahen. Zur rechten Seite Christi aber, des ruhm-
vollen Barons, thront Maria, die königliche Maid., schöner als die
Blume auf der Wiese und die kaum erschlossene Rose. Vor ihr
neigt sich allezeit mit höfischem Gruß die himmlische Schaar und
singt ihr zu Ehren Lieder, so herrlich, wie es keine Kreatur aus-
zudenken vermag. Zum Danke aber schmückt sie ihre getreuen
Ritter mit duftenden Kränzen und schenkt ihnen Rosse und Zelter.
') Diaeta Salutis. Opera, Peltier. Bd. Vin.
28*
436 I^iß Franziskaner.
Die Rosse sind falb, weiß die Zelter, sie laufen schneller als die
Hirsche und überseeische Winde, und die Bügel, Sättel und Zügel
sind von Gold und leuchten von Smaragden. Um die Ausrüstung
ganz zu vollenden, schenkt sie den Treuen eine weiße Fahne, auf
der ihr Sieg über den treulosen Löwen, den Satan, dargestellt ist.
Glücklich Alle, die in Gemeinschaft der blumengeschmückten Hei-
ligen solcher Herrin immer dienen mögen ! Darum bitten wir Alle
sie selbst, daß sie von Christus unsere Aufnahme in das Paradies
erbitte.
Die „istoria" von der Stadt Babylon beginnt mit einer kurzen
Einleitung, in welcher der gute Zweck der grauenvollen Schilderung
auseinandergesetzt wird. Der Fürst der Hölle ist Lucifer, seine
große , von jeglichem Uebel erfüllte Stadt liegt in den Tiefen der
Unterwelt. Von Pech und Schwefel ist sie entbrannt, und gösse
man alles Meer in sie aus, es würde im Feuer zergehen wie
geschmolzenes Wachs. Giftige Gewässer fließen durch sie hin, von
Gestrüpp der Nesseln und Dornen, das schneidender ist als Schwerter,
ist sie umgeben. Ein Himmel von Metall überwölbt sie, ragende
Felsen und Berge umstarren sie. Oben ist eine Pforte, die von
vier Wächtern: Triphon, Mahomet, Barachin und Satan behütet
wird. Auf hohem Thurme wacht bei Tag und Nacht eine Schild-
wache, mit lautem Rufe zur sorgsamen Aufmerksamkeit ermahnend,
daß Keiner entwische. Mit Freuden aber, wie zum Triumphe, wird
der nahende Sünder aufgenommen. Man bindet ihm die Hände
und die Füße und bringt ihn unter Schlägen vor den König. Er
wird in's Geföngniß geworfen , einen Brunnen , der tiefer ist , als
der Himmel von der Erde ei;itfernt ist. Gestank erfüllt denselben;
Eidechsen, Basilisken, Schlangen, Nattern, Drachen sind da in Un-
zahl. Mit großen Stöcken hauen die Teufel , die hundertmal
schwärzer als Kohlen sind , auf ihr Opfer ein. Ihr Anblick ist so
fürchterlich, daß man lieber von Dornen gepeitscht von Rom bis
nach Spanien liefe, ehe man solcher Gesellschaft begegnete. Aus
ihrem Munde sprüht Feuer, sie tragen Hörner an den Köpfen, ihre
Hände sind rauh, sie heulen wie die Wölfe und bellen wie die
Hunde. Sie werfen den Sünder in Wasser, das so eisig ist, daß
er lieber wieder im Feuer wäre, und ist er im Feuer, so sehnt er
sich nach dem Wasser. Dann kommt ein schrecklicher Koch,
Beelzebub, der ihn wie ein schönes Schwein an einen Bratspieß
steckt und röstet, mit einer guten und feinen Sauce von Wasser,
Die Dichtung der Franziskaner. 437
Salz, Ruß, Essig, Galle und Gift begießt und so als Speise dem
Höllenfürsten bringt. Als Der sie probirt hat, schimpft er den
Boten aus: ,, Dafür gebe ich nicht eine trockene Feige, denn das
Fleisch ist roh und das Blut zu frisch. Gleich kehre wieder zurück
und sage jenem Schuft von Koch, daß der Braten mir nicht gut
gelungen dünkt und daß er ihn umgekehrt wieder in das Feuer
stecke und einen Tag und Nacht lang darin brennen lasse. Und
ohne Umschweife sag ihm in meinem Namen, daß er mir ihn lieber
gar nicht wieder schicke, sondern immer darin lasse, und daß er
ja nicht nachlässig und faul sich zeige, sonst verdient er es selbst
wohl, dasselbe Uebel und noch mehr zu erleiden." — Das Feuer
selbst aber läßt sich nicht schildern, da es über menschliches
Denken schrecklich ist : es wirft keinen Schein, sondern ist schwarz
und stinkend. Es ist so viel schlimmer als das Feuer auf Erden,
als dieses schlimmer ist, denn ein gemaltes Feuer. ^) Die Teufel
rufen einander zu, es zu schüren, der eine hämmert Eisen, der
andere gießt Erz, andere laufen herum und martern die Sünder.
Oder sie sammeln sich mit Waffen jeder Art in der Hand unter
Anführung eines Riesenteufels, gleich Jagdhunden den Sünder zu
hetzen, dem nirgends Zuflucht, nirgends Rettung geboten wird.
Haben sie ihn erwischt, so werfen sie ihn auf den Boden und
stechen und schlagen ihn nach Herzenslust, ziehen einen Strick
durch seine Nase und schleifen ihn mit sich fort. Da sind nicht
Eltern, nicht Nachbarn, nicht Freunde, die ihm zu Hilfe kommen.
In herzzerreißenden Worten verflucht er die Stunde, in der ihn die
Mutter geboren und fleht die Seinen an, ihm zu helfen. Aber für
den Verdammten giebt es keine Rettung mehr. Und treffen sich
Vater und Sohn in der Hölle, so verwünschen sie sich gegenseitig;
der Sohn sagt: ,,Gott, der im Himmel die Krone trägt, verfluche
dir, Vater, die Seele und den Körper. Denn so lange ich auf der
Erde war, hast du mich nicht gezüchtigt, sondern zu größerem
Uebel aufgemuntert; Gold und Silber hast du mir bewilligt, daher
ich nun in schrecklich grausame Arme geworfen bin. Ich weiß
es und erinnere mich wohl, wie du mich mit Schlägen verfolgtest,
that ich's mit Recht oder Unrecht, wenn ich unsern Nachbarn und
Freund nicht betrog." Und der Vater antwortet: „O verfluchter
^) Diesen dem Augustinus entlehnten Vergleich liebte auch Berthold von Regens-
burg anzuwenden, z. B. I, 127 und öfters.
/
438 Die Franziskaner.
Sohn, wegen des Guten, was ich dir wollte, bin ich hierher ver-
setzt; Gott habe ich verlassen und mich selbst, da ich Wucher
und schändlichen Diebstahl betrieb. Viel Mühen erlitt ich immer
bei Tag und Nacht , um dir Burgen , Thürme und Paläste , die
Berge und Felder und Wälder und Weinberge und Grundstücke
zu erwerben, daß es dir während deines Lebens wohl ergehe ! So
groß war das Denken und die Mühe um dich, du viel süßer Sohn,
daß Gott mich verdammt! Denn der Armen Gottes gedachte ich
nicht mehr, so daß sie vor Hunger und Durst auf der Straße
starben. Närrisch und verrückt aber scheine ich wahrlich, da nichts
es mir frommt zu klagen und mich zu zerschlagen, denn voll
bezahlt bin ich wirklich mit so reichlicher Münze, daß sie vierfach
gilt." Dann stürzen sie auf einander los, mit solcher Wuth, daß
am liebsten Einer dem Andern das Herz im Leibe auffräße. —
Schlimmeres vermag der Dichter den Hörern nicht zu sagen , so
wendet er sich zum Schluß mit der Aufforderung an sie, ihre
Sünden zu bereuen und so der Hölle zu entgehen.
Gedichte, wie diese, die mit glühenden Farben und mit dra-
matischem Schwünge die letzten Dinge, Himmel und Hölle, schil-
derten, hat es gewiß in jenen Zeiten in großer Anzahl gegeben —
mußten die Bettelmönche, namentlich die Franziskanerprediger
doch gerade in solchen Schilderungen das beste Mittel sehen, das
Volk zu rühren und zu ergreifen.^) Unter ihrem Einflüsse ent-
standen die phantastischen Visionen von der Unterwelt, die, bei
Matthäus Paris und anderen Chronisten der Zeit verzeichnet, uns
einen lebendigen Einblick in das Schaffen der durch Bußpredigten
aufgeregten Einbildungskraft des Volkes gewähren. Als Dante
seine ,, Divina commedia" dichtet, verleiht er nur dieser speziellen
Richtung dichterischer Thätigkeit, diesen im Volke verbreiteten
Anschauungen den ewigen Gehalt. Gedichte wie die des Giacomino
sind die direkten Vorläufer des gewaltigen Werkes.
Wann Giacomino gelebt, ist noch nicht festgestellt. Mussafia
vermuthet, im Anfang des XIV. Jahrhunderts. Er schreibt ihm mit
großer Wahrscheinlichkeit auch noch einige andere kleinere Poesieen
zu, so ein echt Franziskanisches Liebeslied : .dell' amore di Gesü',
eine empfindungsvolle Betrachtung der Gebrechlichkeit mensch-
^) Sal. Chronik S. 97 von Hugo de Bareola: Mirabilia dicebat de coelesli curia,
id est de gloria paradisi et terribilia de infemalibus poenisl
Die Dichtung der Franziskaner. 439
liehen Lebens, bei der man lebhaft an ein Lied Jacopone's gemahnt
wird^), ein Lob der Jungfrau Maria, eine Bitte an dieselbe und
eine Schilderung des jüngsten Gerichtes.-) So eingehend dies
letztere Gedicht die Schrecken des Augenblicks schildert, so ist es
doch nicht reich an bildlich anschaulichen Motiven. Neu scheint
mir nur der festliche Empfang der Auserwählten zu sein : die Hei-
ligen und Tugenden , Michael mit seiner Schaar ziehen ihnen in
weißen Gewändern entgegen und reichen ihnen Kränze von Rosen.
Zu dem Orden der Humiliaten gehört der 1288 und 1291
erwähnte Fra Bonvesin della Riva, dessen Gedichte J. Bekker
nach einem in Berlin befindlichen Manuskripte herausgegeben hat.'')
Er darf wohl hier erwähnt werden, da die ,laudes de virgine Maria',
die Unterredung des Sünders mit Maria, namentlich die Aufforderung
zum Almosengeben echte Franziskanerempfindung verrathen. Auch
die Wahl mancher Stoffe läßt den Einfluß der Franziskaner er-
kennen: so der zwei sogenannten ,Kontraste', in denen erzählt
wird, wie die Seele des Sünders zum todten Körper zurückkehrt
und ihm Vorwürfe macht, wie die Seele des Gerechten ihm dankt.*)
Auch der andern beiden, in denen Seele und Körper nach erfolgtem
Richterspruch Wechselreden halten.'') Jene Anschauung des Hie-
ronymus von den fünfzehn Wunderzeichen, welche dem jüngsten
Gerichte vorangehen, der, wie es scheint, die Minoriten besondere
Aufmerksamkeit geschenkt haben, ist von Fra Bonvesin in latei-
nischen Versen behandelt worden.") Seine zwei bedeutendsten
Gedichte im Volgare aber sind ein , Zwiegespräch zwischen dem
Satan und Maria' und ,das jüngste Gericht'. In ersterem beklagt
sich der Teufel darüber, daß Maria ihm die Sünder entreiße.
Warum sie sich wohl der Menschen, aber nicht seiner, der doch
nur einmal gesündigt, erbarme? Sie hält ihm vor, daß er aus
^) Ich meine Jacopone's Lied: O vita penosa, in der Venezianischen Ausgabe 16 17
die n. Sat. im I. Buch.
2) Mussafia: Sitzungsberichte der k. k. Ak. d. W. Phil.-hist. Kl. 1864. Bd. XL VI
S. 1 1 3 ff- Hier auch ein kritischer Text des Gedichtes von Paradies und Hölle, welches
von Ozanam ungenau publizirt war.
ä) Monatsberichte der k. Preuss. Ak. d. W. 1850. S. 322 ff. 438 ff. — 1851,
S. I — 217.
*) A, a. O. S. 142. 143.
<*) A, a. O. S. 144. 145.
^) A. a. O. S. 379. Vergl. Antonius v. Padua : Sermones in den Opera (Regens-
burg 1739), S. 50fr. — Bonaventura: Diaeta Salutis. Opera Peltier Bd. VIII.
440 Die Franziskaner.
Hochmuth und aus freiem Willen gefehlt, worauf er ein sonder-
bares Verdienst sich zuschreibt : ohne ihn hätte sie nicht die Ehre
gehabt, die Mutter Christi zu werden. Er beschwert sich über die
Ungerechtigkeit Gottes gegen die gefallenen Engel, was die Himmels-
königin mit dem Hinweis auf deren freien Willen zurückweist.
Endlich, da sie sich seiner nicht erbarmt, droht er erbittert, der
Erde wilden Kampf zu bereiten. An Fra Giacomino erinnert in
manchen Dingen das andere Gedicht vom jüngsten Tage , in dem
er die Hölle und den Himmel ähnlich beschreibt, ja jene drama-
tische Szene des Höllenzwistes zwischen Vater und Sohn seiner-
seits bringt.^) Die große Lebendigkeit und Anschaulichkeit der
Schilderung geht ihm freilich ab. Von vortheilhafter Seite zeigt
er sich in der Erzählung von Fabeln wie jener des Streites
zwischen Mücke und Ameise und zwischen Rose und Veilchen,
welch' letzterer von der Lilie zu Gunsten des Veilchens ent-
schieden wird.^)
Neben den beiden erwähnten Dichtern verdient ein dritter,
Pietro da Barsegape, noch genannt zu werden, von dessen
Lebensumständen Nichts bekannt ist. Vermuthlich war auch er
Mönch und lebte um die Mitte des XIII. Jahrhunderts. Seine
gereimte , biblische Geschichte' in Volgare geschrieben, die von
Biondelli publizirt worden ist, zeigt weder in der Sprache noch in
der Auffassung besondere Originalität und entbehrt bis auf die
Klage der Maria am Kreuz jeder phantasievollen Ausschmückung.^)
Finden wir so auch im Norden Italiens eine neue religiöse
Dichtung, so bleibt doch deren eigentliche Heimath Umbrien, das-
selbe Land, in dem seit des Franziskus Zeit die religiöse Erregung
immer neuen Ausdruck gewann. In Umbrien ist jene volksthüm-
liche Dichtung der , Lau da' entstanden, des populären religiösen
Liedes, das, in den Momenten ekstatischer Begeisterung gedichtet,
von Mund zu Mund sich fortpflanzte und ebensowohl bei der
Arbeit und im stillen Heim als auf Pilgerfahrten von ganzen
Schaaren gesungen wurde. Schwerlich wird man von einem be-
stimmten ersten Erfinder dieser Form sprechen können: sie ist
1) A. a. O. S. 185 ff.
2) A. a. O. 1851. S. 3, 85.
^) Biondelli: Studii linguistici. Milano, Bernardoni. 1856. S. 193 ff. Tobler weist
anläßlich des 1884 von ilim publizirten Gedichts Uguccione's von Lodi (Das Buch des
Ugugon da Laodho, Berlin) nach, daß Barsegape dieses benutzt hat.
Die Dichtung der Franziskaner. 44 1
entstanden, wie das Volkslied überhaupt entsteht — ausgebildet
aber ward sie offenbar von jenen ,Disciplinati di Gesü Cristo', von
jenen Schaaren in Säcke gekleideter, mit Asche bestreuter Geißler,
die dem fanatischen Eremiten Ranieri Fasani aus Perugia folgten
und singend, weinend, mit Stricken ihr Fleisch zerreißend und Blut
vergießend durch das Land zogen und Buße predigten. Die Be-
wegung ging weit über die Grenzen Umbriens hinaus , in allen
Städten Italiens erschienen plötzlich die jammervollen Gestalten.
Als aber der eigentliche Sturm vorüber war, bildeten sich aus
dieser Schaar von Flagellanten Laiengenossenschaften, welche sich
,Laudesi' nannten. Von ihnen ward fortan die Lauda, das geist-
liche Volkslied, das somit unzweifelhaft aus des Franziskus Be-
wegung hervorgegangen ist, gepflegt, von ihnen auch die drama-
tische Form desselben und damit das dramatische italienische
Mysterium ausgebildet.^) Von den erhaltenen Laudensammlungen
ist leider bisher wenig publizirt, doch ist es uns gestattet, die leb-
hafteste Anschauung von dieser Dichtungsart aus den Liedern des
größten Franziskanerdichters , des Jacopone da Todi, zu ge-
winnen. Durch ihn erhielt die Form eine hervorragende Bedeutung.
In der Sakristei des Domes von Prato hängt ein wenig beach-
tetes Bild, das auf den ersten Blick fast abstoßend wirkt, bei
näherer Betrachtung aber im Beschauer eine tiefe Rührung erweckt.
(Abb. 66.) Es stellt einen hageren alten Bettelmönch vor, der mit
kurzer, enger Kutte bekleidet, wehmüthigen Blickes herausschaut.
Schwere Seelenleiden haben ihre Spur auf seinem Antlitz zurück-
gelassen. In den Händen hält er ein Buch, auf dem zu lesen ist:
ke farai fratre Japone hör se giunto al paraone.
Unten aber trägt die Tafel die Inschrift : Beato Jacopo da
Todi. Wäre das Bild nicht zweifellos am Anfange des XV. Jahr-
hunderts entstanden und zwar, wie ich glaube, von der Hand des
Antonio Vite, dem man die schwächeren unter den Fresken einer
Marienkapelle im Dome zuschreibt, könnte man glauben, ein wirk-
liches Portrait vor sich zu sehen, so individuell und lebenswahr
sind die derben Züge des breiten Kopfes. Ist dies aber auch nicht
1) Monaci: Riv. Fil. Rom. I, S. 235 ff. 250 ff. II, 29 ff. — D'Ancona: Origini
del Teatro in Italia. Florenz 1877. I, 105 f. — Mazzatinti: Giomale Fil. Rom. III,
85 ff. — Des G. Minoglio : Laude de' Disciplinati di S. Maria. Turin 1880 standen
mir nicht zur Verfügung.
442
Die Franziskaner.
der Fall, so fällt es doch schwer, hat man das Bild einmal gesehen,
sich fernerhin den leidenden, gottseligen Sänger anders zu denken.
Jenes Lied hat er im Kerker geschrieben.
Wie Franziskus ist Jacopo dei Benedetti ^) durch eine, sein
Innerstes erschütternde Erfahrung aus einem weltlichen Dingen
nachgehenden Leben mit Gewalt herausgerissen worden. Er hatte
die Rechte in Bologna studirt und, in seine Vaterstadt Todi zurück-
gekehrt, eine schöne und vornehme Gattin heimgeführt. Als bald
darauf 1268 die öffentlichen Spiele gefeiert wurden, begrub vor
seinen Augen eine zusammenbrechende Tribüne die geliebte Frau —
von diesem Augenblicke an verwandelte sich all sein Denken !
Wie ein Narr lief er, in Lumpen gehüllt, durch die Straßen und
beging die tollsten Dinge. Aus der Verzweiflung aber stieg, einer
Blume gleich, die aus dem Sumpf sich erhebt, eine von allen
irdischen Freuden sich lossagende, religiöse Begeisterung, die ihn
endlich 1278 in's Kloster der Franziskaner trieb. Auch er, wie
Franz , warf all sein Hab und Gut von sich und predigte dem
erstaunten Volke sein überschwängliches Gefühl. Die Minoriten,
die ihn aufzunehmen zögerten, solleft durch zwei Lieder, die er
ihnen vorwies, bewogen worden sein, ihm Zuflucht im Kloster
zu gönnen.
Das eine : ,cur mundus militat sub vana gloria' besingt die
Vergänglichkeit irdischen Ruhmes, das andere: ,udite nova pazzia'
ist das Siegeslied des göttlicher Narrheit sich ergebenden Mannes,
der unter dem Kreuze sein Heil sucht :
Fort mit allen Syllogismen,
Kettenschlüssen und Sophismen,
Fort Problem' und Aphorismen
Und die Spintisirerei.
^) Ausgaben seiner Gedichte 1490. Florenz. Bonacorsi. — 1495. Brescia, Misini.
— 15 14. Venedig, Benalius. — 1556. Wiederabdruck der von 151 4. — 1558. Rom,
Salviano. — 1615. Napoli, Scoriggio. — 1617. Venedig, Missirini, die ich hauptsächlich
benutzt. — Femer Nachträge : Alessandro da Mortara : Poesie inedite. 1 8 1 9. — Nannucci :
Manuele della literatura I, S. 392 ff. u. a. m. Vergl. Ozanam. A. a. O. S. 154. —
Böhmer: Roman. Studien. I. Bd. 71 — 75. S. 123 ff. — Tobler im Jahrbuch f. rom.
Phil. II, S. 52. III, S. 187. — Uebersetzungen : M. von Diepenbrock. Geistl. Blumen-
strauß. Sulzbach. 11. Ausg. 1852. — Mohnicke: Kirchen- und litterar. - histor. Studien
und Mitth. Stralsund 1825. Bd. I. — C. Schlüter und W. Storck: Ausgewählte Ge-
dichte Jacopone's. Münster 1864. Ein bisher unbekanntes Manuskript der Gedichte
J's. ist aus der Hamiltonsammlung nach Berlin gekommen in die k. Bibliothek.
Die Dichtung der Franziskaner. 443
Will von Plato weg mich wenden,
Mag den Athem er verschwenden,
Zu erweisen aller Enden
Eine winz'ge Lumperei.
Will verschmähn die feinen Künste,
Aristoteles' Gespinnste,
Denn sie bringen nicht Gewinnste
Und zumeist ist's Ketzerei.^)
An Entsagung, Buße und Selbstverachtung hat er mehr voll-
bracht, als Menschen möglich zu sein scheint. Die laxere Auf-
fassung der Regel mußte seinen Zorn erregen , so schloß er sich
der strengeren Richtung der Spiritualen an und begrüßte mit Jubel
die Wahl des Eremiten Peter von Morrone als Coelestin V. zum
Papste in dem Liede :
Che farai, Pier da Morrone
Ci venuto al paragone
Vederemo el lavorato
Che en cella ai contemplato.*)
Als aber Coelestin nach fünf Monaten schon abdankte und
Bonifaz VIII. den päpstlichen Stuhl bestieg , schloß sich Jacopone
dessen Gegnern, den Kardinälen Colonna, an und mußte in Folge
dessen die ganze Rache des Papstes fühlen. Dessen Antwort auf
die verwegenen, von sittlichem Zorne eingegebenen Satiren :
O papa Bonifazio
Molto hai giocato al mondo*)
und
O papa Bonifatio
lo porto il tuo prefatio'*)
war die Einkerkerung des kühnen Dichters im Jahre 1298.
Wer Bonifaz VIII. in Schutz nimmt, muß, wie Ozanam, Jacopone
so gut es geht zu entschuldigen versuchen, wer aber Dante's herbes
Urtheil über den Papst gerecht findet, kann den Dichter nur be-
wundern wegen der beispiellos kühnen Sprache, die er dem Mäch-
tigsten gegenüber führt, und wegen der Standhaftigkeit, mit der er
seine freie Gesinnung gewahrt hat. Während die Colonna fußfällig
die Verzeihung erflehten und erhielten, hatte er nur stolz bittende
^) Lib. I, Sat. I. Uebersetzung von Schlüter und Storck, S. 6.
*) Die folgenden Zitate beziehen sich auf die Venezianische Ausgabe: lib. I. Sat. 15.
*) Ausgabe von 1558.
*) Ebendas.
444
Die Franziskaner.
Verse; auch das Jubeljahr 1300, dessen Segen ihn empfahen zu
lassen er in ergreifenden Worten den unerbittlichen Gegner bat^),
verging, ohne ihm Befreiung zu bringen. Erst der Tod Bonifazens
öffnete 1303 die Thüren des Kerkers. Im Kloster zu Collazone
verlebte er, mit Giovanni de Alvernia in inniger Freundschaft ver-
bunden, die letzten Lebensjahre und starb 1306. ,,Man sagt und
glaubt, daß dieser selige Jacopone von Liebe zu Christus gestorben
und daß aus allzugroßer Liebe sein Herz zersprungen sei. Wie er
denn auch, da er viele Jahre vor seinem Tode beständig weinte,
auf die Frage , warum er so beständig weine , geantwortet hat :
,Ich weine, weil die Liebe nicht geliebt ist.' Das größte Glück,
welches die Seele in diesem Leben haben kann, ist, wenn sie be-
ständig mit Gott und in Gott beschäftigt ist, und zu diesem Zu-
stande glaubt man, sei seine Seele durchgedrungen."^)
Dieser große Thor Jacopone ist einer der größten Dichter ge-
wesen, die Italien hervorgebracht hat. ^) Eine ungestüme, leiden-
schaftliche Natur, aus der bei jeder Berührung das Feuer lodernd
emporfährt, hat er sein ganzes Fühlen und Sehnen in zahllosen
Liedern voll und ungetrübt ergossen, die bald wie ein mächtiger
Kampfesruf, bald wie berauschende Liebesworte tönen. Der Wohl-
laut seiner dem Volke abgelauschten Sprache macht ganz ver-
gessen , wie ungefüge und widerwillig sie sich noch in strenge
Formen binden läßt. Wie ein frischer Strom über trotzig sich
stemmende Felsblöcke bricht sie sich Bahn. Die Ursprünglichkeit,
die Wahrheit der Empfindungen berührt wunderbar neu und er-
greifend, wird man auch häufig genug noch an die gefühllosen
Reimereien der Troubadours und an deren Wortgespiele erinnert,
in das Jacopone, wie d'Ancona treffend bemerkt, regelmäßig ver-
fallt, wenn er im höheren Stil schaffen will. Das Wesentliche bleibt
doch das durchaus Subjektive in seiner Dichtung. Man nimmt an
den persönlichen Erlebnissen, den Kämpfen und Siegen seines be-
wegten Innern vollen Antheil und lebt sie mit ihm durch. Aus
einer Anfangs verzweifelten, dann schwermüthigen Weltanschauung,
der das Leben nur Ein großer Todtentanz ist, schwingt sich die
^) Lib. I, Sat. 17. Lo Pastor per mio peccato.
2) Böhmer, a. a. O. S. 132. Nach dem einen Pariser Manuskript.
^) Vergl. die sachliche und gemäßigte Würdigung der Dichtkunst Jacopone's,
gegen deren Ueberschätzung Protest erhoben wird, von d'Ancona : Studi sulla letteratura
Italiana, Ancona 1884, S. i ff.
Die Dichtung der Franziskaner. 44 c
Sehnsucht, dem Phönix gleich, der Sonne ewiger Liebe entgegen.
Eine Reihe tiefsinniger, trauernder Betrachtungen über die Ver-
gänglichkeit des irdischen Lebens und seiner Güter darf uns wohl
in die erste Zeit grübelnder innerer Einkehr versetzen.
Mensch, zu denken mach dich dran,
Woher kommt dir denn dein Rühmen?
Mensch, bedenk aus was wir sind,
Was wir waren, was wir werden,
Und wohin wir kehren müssen.
Mach dich dran, dem nachzusinnen.
Bist entstanden ja aus faulem
MenschenstofFe, beug das Haupt!
Wenn du's Leben richtig anschaust,
Hast du nichts, drob zu frohlocken.
Bist aus niedrem Stoff gebildet.
Und in Weinen nur gezeitigt,
Bist in Elend umgegangen,
Mußt zur Asche wiedrum kehren.
Bist gekommen wie ein Pilgrim,
Nackt und arm, elendiglich,
Und beim Antritt deiner Wand'rung
Weinen war dein erster Sang. ^)
Was ist, fragt er in einem andern Liede, aus allen den Männern
geworden, die groß und herrlich bei ihrem Leben waren.? Wo ist
der edle Salomo , wo der unbesiegliche Samson , wo der schöne
Absalon , wo der liebenswerthe Jonathan , wo der erhabene Kaiser
Caesar, wo der glänzende Xerxes, wo der beredte Tullius, wo der
Denker Aristoteles } Alle sind sie mit so großen Reichen , so
trotziger Gewalt, solcher tiefer Weisheit in einem Augenblick ver-
schwunden. Drum ein Thor, der sein Herz an die Dinge dieser
Welt hängt , statt sie zu verachten. ^) Das ergreifendste dieser
Lieder : ,0 vita penosa', läßt das ganze Leben des Menschen von
^) Sat. V. lib. I. — Gereimte Uebersetzung bei Schlüter und Storck , S. 24.
Meine Uebersetzung giebt die Reime nicht wieder. Selbst die vortrefflichen Ueber-
tragungen des Kardinals von Diepenbrock , Schlüter's und Storck's zeigen , daß der
eigene Zauber von Jacopone's einfacher Sprache und Gedanken sehr leidet durch die
Reime. Eine möglichst wortgetreue Uebersetzung allein kann einen annähernd rich-
tigen Begriff von seinen Dichtungen geben und darum , nicht um religiöse Erbauung,
ist es uns ja hier zu thun. Eine Ausnahme mache ich beim ,stabat mater speciosa'.
*) Cur mundus militat sub vana gloria. Daniel, Thesaurus hymnologicus 11, 379. —
Vgl. Ozanam, S. 165, wo auch deutsche Uebersetzung von Dreves.
446
Die Franziskaner.
der Geburt bis zum Tode am Blicke vorüberziehen. Mit dem
Eintritt in das Dasein beginnt die Klage. Welche Sorgen bereitet
das Kind der Mutter.? Vor Kälte fröstelnd muß sie in der Nacht
sich erheben, das hungrige zu nähren. In seinem Unverstände
schreit es ohne Unterlaß und ohne Noth. Sie aber, keinen Rath
sich wissend , glaubt in Herzensangst , es werde sterben , und , die
Lampe in der zitternden Hand , sucht sie vergeblich die Ursache
seines Wimmerns zu entdecken und ihm Hülfe zu bringen. Dann
kommen die mühsamen Jahre des Lernens, der kostspielige Verkehr
des Jünglings mit seinen Altersgenossen, der den Eltern bittere
Sorgen bereitet, später das unablässige sich Abarbeiten und Mühen
für die eigene Familie. Krankheit stellt sich ein, die Doktor-
rechnungen nehmen kein Ende. Das Gemüth wird verzagt und
unzufrieden, keine Jahreszeit ist ihm recht, die Gedanken lassen in
der Nacht nicht mehr schlafen. Endlich kommt das hülflose Alter
und wozu das Alles } — Um von Würmern gefressen zu werden ! ^) —
So war das Leben noch nie geschildert worden , in so drastischen
Bildern, in so hoffnungslos schneidender Weise, aus solch seelischer
Verzweiflung heraus ! Das ist der Schrei eines tödtlich getroffenen
Menschen , der seine Wunden aufreißt , in grimmigem Vergnügen
sich an ihrem Anblick zu weiden. Wer sich fragt, wo und wann
jene grausam ironische Stimmung, die der Welt die Darstellungen
des Siegers Tod und der Todtentänze geschenkt, zuerst in künst-
lerischer Form an's Licht hervorgebrochen sei — in diesen Liedern
Jacopone's möge er die Antwort suchen ! ^)
Die mystische Vereinigung der Seele mit Gott, die Bonaventura
auf dem gewundenen Wege der Spekulation erstrebte, erringt sich
Jacopone mit dem ungestümen Drange seiner leidenschaftlichen
Seele. Dennoch aber reizt es ihn oft, den Ideen seines großen
Ordensbruders nachzugehen, von ihnen auf seiner Wanderung sich
führen zu lassen , sie in Liedern zu verherrlichen. Die Himmels-
leiter, auf deren Stufen die Tugenden stehen, der Kampf der
Tugenden und Laster, die vier Schlachten der Seele, die fünf
Schilde der Geduld und so viele andere allegorische Bilder müssen
ihm dienen, Unaussprechliches faßHch zu machen.^) Ergreifende
1) Sat. II. lib. I.
2) Man vergl. den Abschnitt über die Todesdarstellungen weiter unten.
^) Vgl- seinen Traktat, die sogenannten ,Detti' und viele Gedichte, namentlich die
Cantici des II. Buches in den Poesie spirituali.
Die Dichtung der Franziskaner. 447
Vergleiche zeichnen vor den anderen besonders jene Gesänge aus,
welche die Armuth feiern. Wir werden sie später in anderm Zu-
sammenhange kennen lernen. Dann aber wieder findet er die ein-
fachsten, rührendsten Worte für das irdische Leben Christi, in
dessen Anschauung er sein Liebesgefühl kräftigt und erhebt, und
er entnimmt der Natur die Bilder zarter Mutterliebe, schneidenden
Mutterschmerzes. So lebendig war vielleicht, abgesehen von Franz,
das menschliche Leben und Leiden des Herrn noch nie geschildert
worden. Das ,Stabat mater dolorosa' ist wohl Jedem bekannt, aber
die herrlichen Lieder von der , Geburt Christi', von der ,Anbetung
der heiligen drei Könige', von , Christi Leiden', von der »Himmel-
fahrt Maria', dürfen wohl neben ihm genannt werden.^) Ganz
sicher sind sie von Mund zu Mund gegangen und Lieblingslieder
des Volkes geworden. Ein Beispiel wenigstens zu geben , möge
dem ,stabat mater speciosa' in der von Diepenbrock'schen Ueber-
setzung hier eine Stelle vergönnt sein :
An der Krippe stand die hohe
Mutter, die so selig frohe,
Wo das Kindlein lag auf Streu.
Und durch ihre freudetrunkne.
Ganz in Andachtsgluth versunkne
Seele drang ein Jubelschrei.
Welches freud'ge, sel'ge Scherzen
Spielt im unbefleckten Herzen
Dieser Jungfrau - Mutter froh.
See!' und Sinne jubelnd lachten
Und frohlockten im Betrachten,
Dies ihr Kind sei Gottes Sohn.
Wessen Herz nicht freudig glühet,
Wenn er Christi Mutter siehet
In so hohem Wonnetrost?
Wer wohl könnte ohn' Entzücken
Christi Mutter hier erblicken,
Wie ihr Kindlein sie liebkost?
^) Vergl. besonders III, 4. Ogni uom con alegrezza novella. III, 5. Ne la
degna stalla del dolce bambino Gli angli cantano d'intomo al piccolino. III , 6.
O vergin piü che femina. III, 7. Dolce amor Christo hello. III, 12. Donna del
paradiso. III, 13. Or si incomincia il duro pianto. III, 21. Canti giojosi e dolce
melodia. Das höchst reizvolle Lied: Di' Maria dolce, con quanto disio (bei Nannucci)
ist nach d'Ancona (Studi sulla lett. 1884, S. i ff.) aus dem XV. Jahrhundert von
Fra Giovanni Dominici.
448 Die Franziskaner.
Wegen seines "Volkes Sünden
Muß sie zwischen Thränen finden
Christum frosterstarrt auf Stroh ;
Sehen ihren süßen Knaben
Winseln und Anbetung haben
In dem Stalle kalt und roh.
Und dem Kindlein in der Krippe
Singt der Himmelschaaren Sippe
Ein unendlich Jubellied;
Und der Jungfrau und dem Greisen
Fehlen Worte, um zu preisen,
Was ihr staunend Herz hier sieht.
Eia Mutter, Quell der Liebe,
Daß auch ich der Inbrunst Triebe
Mit dir fühle, fleh ich, mach!
Laß mein Herz in Liebesgluthen
Gegen meinen Gott hinfluthen,
Daß ich ihm gefallen mag.
Heil'ge Mutter, das bewirke;
Präge in mein Herz und wirke
Tief ihm Lebenswunden ein;
Mit dem Kind, dem Himmelssohne,
Der auf Stroh liegt mir zum Lohne,
Laß mich theilen alle Pein;
Laß mich seine Freud' auch theilen.
Bei dem Jesulein verweilen
Meines Lebens Tage all :
Laß mich dich stets brünstig grüßen.
Laß des Kindleins mich genießen
Hier in diesem Jammerthal.
O mach allgemein dies Sehnen,
Und laß niemals mich entwöhnen
Von so heil'gem Sehnsuchtsstrahl.
Jungfrau aller Jungfrau'n, Hehre,
Nicht dein Kindlein mir verwehre
Laß mich's an mich ziehn mit Macht.
Laß das schöne Kind mich wiegen,
Das den Tod kam zu besiegen
Und das Leben wiederbracht!
Laß an ihm mit dir mich letzen.
Mich berauschen im Ergötzen,
Jubeln in der Wonne Tanz!
Gluthentflammet von der Minne
Schwinden staunend mir die Sinne
Ob solches Verkehres Glanz !
Die Dichtung der Franziskaner. 449
Laß vom Kindlein mich bewachen,
Gottes Wort mich rüstig machen,
Fest mich in der Gnade stehn.
Und wenn einst der Leib verweset,
Laß die Seele dann erlöset
Deines Sohnes Antlitz sehn ! ')
Die Rettung aus diesem Leben suchte der Dichter in dem
heißen Streben der Seele nach einem höheren, unwandelbaren Gute.
Seine Bitte ist überreich erfüllt worden. Sein Dasein ward zu Einem
glühenden , göttlichen Liebesliede. Aus dem Kampfe mit dem
Körper, dem Knechte des Lasters, geht, in der Tugend wahre
Freiheit sich erwerbend, seine Seele siegreich hervor. -) Vom Feuer
himmlischer Liebe entzündet geht sie als Braut aus, ihren Bräutigam
Christus zu suchen. Vor seiner Thüre bittet sie um Einlaß :
Oeffne mir Jesus, mein Leben. ^)
Dann ruft sie die Freundinnen, mit ihr den Freund zu suchen •
Laßt uns zur Wiese gehn, um ihn zu werben,
Im Blumenschmuck ein Lager ihm bereiten.
Mit schönen Rosen wollen wir's ihm röthen
Und lauernd nach ihm ausspähn aller Orten.
O kommt herbei, ihr meine schönen Mädchen,
Den Schooß mit Rosen pflückend Euch zu füllen!
Kommt der Geliebte, tragt bedachtsam Sorge,
Daß er nicht weggeh', nein gefangen bleibe.*)
Die frohe, selige Liebe vereinigt sie alle zum Reigen :
Jedweder Liebende, der liebt den Herrn,
Zum Tanze komme und zum Liebessange!
Zum Tanze komm' er froh und liebesselig,
Des Sehnens voll nach Dem, der ihn geschaffen.
Sein Herz entflammt von brennend heißer Liebe
Sei ganz verwandelt von so großen Gluthen. *)
^) Ich habe dies Lied hier ganz mitgetheilt , weil es , meisterlich übersetzt , eine
lebendige Anschauung von der höchst persönlichen , bilderreichen Franziskanerpoesie
giebt. Dabei aber kann ich mich doch eines gewissen Zweifels nicht erwehren, ob es
thatsächlich von Jacopone und nicht vielmehr von einem Andern in Nachahmung des
Stabat mater dolorosa gedichtet ist.
^) Lib. IV, 33. Udite una entenzone. Lib. V, 4. O libertä subietta.
^) Lib. VI, 29. Aprimi Jesu vita mia.
*) Lib. VI, 40.
*) Lib. VI, 43. Ciascuno Amante che ama il Signore. Gereimte Uebersetzung
bei Schüler und Storck, S. 335. — Vergl. die ähnlichen VI, 37. Bene morrö d'amore.
VII, 8. Nol mi pensai giammai.
Thode, Franz von Assisi. 20
450
Die Franziskaner.
In diesen Gluthen aber verzehrt sich das Herz selbst : lebend
stirbt es und sterbend lebt es.
In Gluth mich Liebe senkte,
In Gluth mich Liebe senkte ! ^)
Die Liebe schlägt ihm im heißen Kampfe Wunden , bis Christus
selbst sein Sehnen stillt und es in die ewige Liebesgemeinschaft
mit ihm aufnimmt.^) Da löst sich endlich alles Denken, alles Fühlen,
alles Dichten in einem Schrei der Liebe auf:
O Liebe, Liebe, Jesus mein Verlangen,
O Liebe, dich umfassend will ich sterben,
O Liebe, Liebe, die ich halt' umfangen,
O Liebe, Liebe, Tod möcht' ich erwerben,
O Liebe, Lieb', in dich ganz aufgegangen
Umfaß ich dich und darf dich ganz ererben:
Sieh meine Kraft in Scherben,
Weiß nicht, wo ich mich finde.
Mich senk' in die Abgründe
Die Liebe deiner Hand. ^)
Für solches zeit- und raumloses Gefühl aber gab es keine Worte
weiter. ,,Man sagt und glaubt, daß dieser selige Jacopone vor
Liebe zu Christus gestorben und daß vor allzugroßer Liebe sein
Herz zersprungen sei!" —
Ob alle die zahlreichen Lieder der venezianischen Ausgabe
wirklich von Jacopone sind, erscheint sehr zweifelhaft. Eine kritische
Sichtung derselben steht noch aus, doch vermutheten Ozanam und
Adolfo Bartoli mit Recht, daß Manches darunter andern als
Dichter bekannten Franziskanern, wie Fra Ugo Panziera da
Prato, Fra Francesco da Fabriano und Fra Angelo
^) Das berühmte Lied: ,In foco amor mi mise', das irrthümlicher Weise lange,
bis auf die jüngste Zeit noch häufig, Franz selbst zugeschrieben wurde, obgleich schon
Affo: Dissertazione de' Cantici volgari di S. F., Guastalla, 1778, das endgültig wider-
legt hatte, dem dann auch Diepenbrock, a. a. O. S. 355, und Schlosser (Die Lieder
des h. F. 1 842, S. 26 f.) beistimmen. Es befindet sich unter Jacopone's Poesie VII, 6.
Vergl. S. Bemardini Opera, Venedig, I59l- T. IV. Sermones IV. — Acta S. S.
Oct. n, S. 1003. — Poeti del primo secolo. Florenz 1816, II. Bd. Ozanam a. a. O.,
S. 78 (mit Uebers.). Chavin: Storia di S. F., S. 322. Hase: F. v. A. S. 151 (Uebers.).
Schlüter und Storck, S. 345.
*) Amor di caritate. Op. Bernardini a. a. O. Chavin , Storia di S. F. S. 324.
^) Uebers. Schlüter und Storck, S. 309, die ich oben benutze.
Die Dichtung der Franziskaner. 45 I
da Camerino, von denen uns sonst Nichts erhalten ist , an-
gehören dürfte.^)
Der gesammten Franziskanerdichtung sind, wie wir gesehen
haben , vor Allem zwei Dinge eigenthümlich : sie geht aus einer
starken Gemüthsbewegung des Einzelnen hervor und sucht durch
sinnlich anschauliche Bilder eine solche im Volke hervorzurufen.
Sie unterscheidet sich darin in Nichts von der Predigt. In beiden,
Predigt wie Dichtung, aber macht sich als nothwendige Folge des
Inhaltes und des Zweckes in sehr charakteristischer Weise ein dra-
matisches Element in der Form geltend und dieses ist es , was
eigentlich bestimmend für den ersten Eindruck wirkt. Darin liegt
das Neue, das den Leser, der sich mit Dichtung und Predigt des
frühen Mittelalters beschäftigt hat und nun zu den Reden des Bert-
hold von Regensburg und den Liedern des Jacopone gelangt, so
überraschend berührt. Dieses dramatische Element aber ist es
ebenso, das der Kunst Giotto's ein von der vorangehenden so ver-
schiedenes Gepräge verleiht. Fast unwillkürlich drängt sich da der
Gedanke auf, ob nicht auch die Mysterien, die im XIII. Jahr-
hundert zuerst in Italien beliebt wurden, auf die Anregung der
Franziskaner zurückgehen.? Jene Weihnachtsfeier, die Franziskus
in dem Drange seines sinnlich religiösen Gefühles in Greccio ver-
anstaltete, wird schon von Salimbene geradezu als ,,repraesentatio"
bezeichnet.^) Thomas von Celano erzählt, wie Franz das Evan-
gelium gelesen , wie das Volk mit Singen eingefallen sei , wie er
dann vor der Krippe niedergekniet sei, ja das Kindlein selbst in den
Armen gehalten habe. (Abb. 6y.) Das ist offenbar ein kirchliches
Mysterium so gut wie irgend eines der späteren gewesen, zugleich
aber das früheste, von dem wir aus Italien Kunde haben. ^) In
Frankreich und in Deutschland haben derartige Aufführungen schon
früher stattgefunden : wir wissen von lateinischen Mysterien aus dem
XII. Jahrhundert, welche die Anbetung der heiligen drei Könige,
den Bethlehemitischen Kindermord, die Auferstehung Christi und
*) Bei Ozanam die Bemerkung S. 265 , daß nach Wadding in der Bibliothek
Chigi in einem Codex (577) neben verschiedenen Gedichten von Jacopone auch solche
von Ugo sich befinden. Vergl. d'Ancona : Studi suUa lett. Ital. S. i ff.
2) Chronik S. 132.
^) Gewöhnlich bezeichnet man als das erste ein 1243 in Padua aufgeführtes.
29*
452
Die Franziskaner.
seine Erscheinung in Emmaus, sowie die Parabel von den klugen
und thörichten Jungfrauen veranschaulichen. ^)
Nun hat Ozanam die Vermuthung aufgestellt, daß in einer
Reihe von Gedichten Jacopone's die ersten Versuche der italienischen
Volksbühne vorliegen , und zwar neben jenen erwähnten , für die
kirchlichen Feste bestimmten Dichtungen besonders in einzelnen
Canzonen, die den Dialog verschiedener Personen enthalten.^) Ist
in dem Liede : ,San Francesco sia laudato' die epische Form trotz
der Wechselrede zwischen Franz, der Armuth und dem Dichter
noch gewahrt ^), so tritt in einem Dialoge über den , Sündenfall und
die Erlösung' das dramatische Element bereits stark in den Vorder-
grund.*) Als sprechende Personen werden eingeführt: der Dichter,
die Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit, Gott Vater, Gott Sohn, ein
Engel , Maria , Tugenden , die Seligkeiten , der Mensch. Durchaus
aber für die Deklamation berechnet scheint die Klage der Maria
unter dem Kreuze, welche beginnt : ,Donna del Paradiso' und bruch-
stückweise von Ozanam gegeben ward.*^) Mag man auch bezweifeln,
ob es nicht schon vor Jacopone Mysterien in der Volkssprache
gegeben hat , ob nicht namentlich die dramatischen Gesänge der
Laudesi für Aufführungen bestimmt waren , so läßt sich doch die
Bedeutung dieser Gedichte für eine Werthschätzung der Fran-
ziskanerpoesie auch auf dem Gebiete der Mysteriendichtung nicht
ableugnen. ^) Es scheint mir durchaus wahrscheinlich , daß jene
kirchlichen Aufführungen der Passion und Auferstehung Christi 1243
im Prä della Valle bei Padua von den gerade hier besonderes An-
sehen genießenden Minoriten in Szene gesetzt worden sind , daß
die zunächst folgenden uns bekannten Darstellungen 1261 in
Treviso, 1264 in Rom, 1298 und 1304 in Cividale, 1304 in Florenz
*) Vergl. Klein's Gesch. des ital. Dramas. Leipzig, Waigel l866. I. Bd. S. 12,
wo ausführlichere Litteraturangaben zu finden sind.
2) A. a. O. S. 251 ff.
3) Lib. III, 24.
^) Lib. II, 2.
^) Lib. III, 12. Vergl. damit das Zwiegespräch zwischen Maria und dem Kreuz
in einer dramatisirenden Dichtung, die von Mazzatinti : Poesie religiöse del secolo XIV.
Bologna 1881. S. 79 publizirt ist.
*) Tiraboschi, St. della lett. Ital. 1807 P. IV p. II, p. 419 und Ebert: Studien
zur Gesch. des m. a. Dramas. Jahrb. f. rom. u. engl. Litt. 1864. V. Bd. S. 51 ff. sind
der Ansicht, die Mysterien des XIII. Jahrhunderts seien noch lateinisch gewesen.
Die Dichtung der Franziskaner. 453
wenigstens allgemein auf die Anregungen der Bettelmönche zurück-
gehen. ^)
In dieser Ansicht bestärkt mich jenes im Mittelalter weit ver-
breitete, dem Bonaventura zugeschriebene Buch: die ,Medita-
tiones vitae Christi', das, wie die Mysterien, in ausführlicher,
ausschmückender Weise den Vorgang der wichtigsten Ereignisse
in Christi Leben neu erzählt. -j Wenn es freilich auch , nach der
Ansicht vieler Forscher und nach meinem eigenen Dafürhalten,
schwerlich von Bonaventura selbst geschrieben ward, so ist es doch
unzweifelhaft das Werk eines Franziskaners und liefert einen wich-
tigen Beitrag zu den Franziskaneranschauungen. Jacopone da Todi
hat es gekannt und benützt, und nach ihm dürften wohl viele
andere, besonders dramatische Dichter dasselbe gethan haben.
Seinerseits lehnt es sich in der Einleitung, welche den Streit
zwischen der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, der Wahrheit und
dem Frieden vor dem Throne Gottes und dessen Entscheidung zu
Gunsten des Erlösungswerkes Christi schildert , an Bernhard von
Clairvaux an — ein Stoff, der sich auch in sogenannten Moralitäten
der Troubadours behandelt findet, z. B. von Guillaume Herman
und Etienne Langton, Erzbischof von Canterbury.'^) Der Verfasser
der ,meditationes' verweilt mit besonderer Vorliebe bei der ein-
gehenden Schilderung der Jugendgeschichte und der Passion Christi
und weiß in spannender und dramatischer Weise neben den Haupt-
vorgängen von den besonderen Erlebnissen der Maria, Magdalena
und der Jünger zu erzählen. Im Grunde genommen spielt nicht
Christus, sondern Maria die Hauptrolle, ihre Freude und Schmerz,
was sie gethan und gesprochen, tritt stets in den Vordergrund.
Dasselbe Hervorheben der Maria, ein ganz verwandtes Ausdehnen
der evangelischen Geschichten und deren gleiche gefühlsvolle Auf-
fassung aber begegnet uns in den ältesten der uns erhaltenen
dramatischen Spiele in italienischer Sprache. Dieselben , , D e v o -
zione del Giovedi Santo' und ,Devozione del Venerdl
^) Vergl. darüber: Ebert a. a. O. — Klein a. a. O. S. 153 ff. — Quellen: Muratori
Script, rer. ital, VIII, 375 (Padua), XXIV. 1205. (Cividale.) — Muratori: Antiq. Ital.
II. Diss. 29: de spectaculis et ludis publicis medii aevi.
2) Bonaventura: opera Peltier 1868. XII. Bd. S. 509 ff.
^) Meditationes cap. II. — De la Rue: Essais historiques sur les Bardes et les
Trouveres. Caen 1834. II, p. 52 und III, p. 10. — Vergl. auch das oben erwähnte
Gedicht Jacopone's II, 2 und eine Stelle in Berthold's Predigten I, S. 199.
aca Die Franziskaner.
Santo' genannt, behandeln die Passion und dürften nach Palermo
und Ebert spätestens in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts
entstanden sein.') Sie stehen noch in engster Verbindung mit
dem Kultus und wurden zweifelsohne in der Kirche selbst auf-
geführt. Die Bühne : talamo befand sich im Mittelschiff und hatte
verschiedene Abtheilungen für die verschiedenen Orte der Hand-
lung. Der Chor bezeichnet Jerusalem. Daß aber für solche Pas-
sionsmysterien sich damals bereits eine ganz sichre Norm festgestellt
hatte, geht daraus hervor, daß der Verfasser bei seinen Anwei-
sungen oft hinzufügt: „wie üblich", „wie bekannt". Der Priester
liest das Evangelium, und die szenische Darstellung unterbricht
ihn nun beständig und führt gleichsam das Grundthema in Wort
und Handlung aus. Da wir später noch auf diese dichterische
Ausbildung der christlichen Legende im Zusammenhange mit der
bildenden Kunst zu sprechen kommen werden, genügt es hier auf
die wenn auch allgemeinen , doch beachtenswerthen Beziehungen
zwischen den Meditationes und Devozioni hingewiesen zu haben.
In einem anderen Mysterium „von einem Mönche, der sich in den
Dienst Gottes begab", das sich gleichfalls bei Palermo (S. 337)
findet und offenbar für spezielle Klosteraufführungen bestimmt
war, handelt es sich um einen Jüngling, der ebenso grausam und
so ungerührt wie Salimbene seine Eltern verläßt und von einem
greisen Eremiten in das einsame Leben der Selbstentsagung ein-
geweiht wird.
Die wenigen uns erhaltenen Denkmale erlauben es demnach
freilich nicht, bestimmt zu sagen, wie weit das Franziskanerthum
an der Ausbildung der Mysterien betheiligt gewesen ist. Der Ver-
muthung aber, daß ihm deren erste Einführung verdankt worden
ist, vermag man sich schwer zu entziehen, hält man Alles das
zusammen, was über die Art der Popularisirung religiöser An-
schauungen im Vorhergehenden gesagt ist. Kirchliche Aufführungen
liegen so recht im Geiste des Ordens.
In Jacopone's Liedern hat die Franziskanerdichtung ihren Höhe-
punkt erreicht — während er die letzten sang, schrieb Dante
fern von der geliebten Heimathstadt die Divina commedia. Es
^) Publ. bei Palermo: I Manoscritti Palatini di Firenze. Firenze l86o, vol. II,
S. 272. — Vergl. die Besprechung bei Ebert, Klein und Bartoli. — Wie sie uns vor-
liegen, sind sie eine 1375 gefertigte paduanische Uebersetzung des römischen Originals.
Die Dichtung der Franziskaner. 455
hat nicht an Stimmen gefehlt, die dieses Riesenwerk einen Fran-
ziskanergesang genannt haben. ^) Das ist zu weit gegangen —
aber etwas Wahres liegt doch darin! Die religiöse Begeisterung,
die, von Franziskus ausgegangen, ein Gemeingut des italienischen
Volkes geworden war, hat auch dies erhabene Lied zur Verherr-
lichung der himmlischen Liebe hervorgerufen. Das edel Mensch-
liche der ,vita nuova' ist nur ein eigenartiger genialer Ausdruck
jener Humanität, die, wie wir gesehen haben, der hervorstechende
Zug des Franziskanerthums ist. Das anschaulich Sinnliche wie
das Mystische in den Predigten und Gedichten des letzteren findet
sich, als Ausdruck eines mächtigen Geistes , in der Göttlichen
Komödie wieder. Und gerade hieraus erklärt es sich, daß ein so
tiefsinniges Werk eine so beispiellose Popularität gewinnen konnte.
Und liegt dem Ganzen auch die Weltanschauung des Thomas von
Aquino, der allein dem klaren Denker Dante den großen, einheit-
lichen Zusammenhang zu geben vermochte, zu Grunde, so hat ihm
den Geist und die Sprache der Liebe doch Bonaventura geschenkt.
Dieser ,amor divino', der in den unbeschreiblichen Gesängen des
Paradieses durch ewiges Licht dem Einen Unfaßlichen entgegen-
schwebt, verdankt die Kraft seiner Schwingen dem reichen Gefühls-
leben des Franziskanerthums. In Dante kommen die beiden Strö-
mungen der italienischen Poesie im XIII. Jahrhundert: die philo-
sophische Troubadourdichtung und die mystische Dichtung der
Franziskaner zusammen, aber wie die letztere stärker und ursprüng-
licher war, so verlieh sie auch der Divina commedia den eigent-
lich künstlerischen , ewigen Gehalt. Sie lehrte den Dichter jene
Kraft erfassen, die ihn hinanzieht, die in der bewundernd liebenden
Verehrung der Jungfrau des Himmels gewiß wird — ,,das ewig
Weibliche" ! Mit größerem Rechte als Guido Cavalcanti ist Jaco-
pone der Vorläufer des Dichters zu nennen, der die Schrecken
der Hölle und die Seligkeit des Himmels an sich erfahren. So
mag mit Recht die Betrachtung der Franziskanerpoesie zuletzt zu
dem Werke hinaufstreben, das deren Vollendung geworden.
Die kurze Betrachtung hat uns gelehrt, wie Predigt und Dich-
tung des neuen Ordens derselben Mittel sich bedient haben , um
^) Vergl. aber auch G. Mestica's Aufsatz: San Francesco, Dante e Giotto in der
Nuova Antologia II S. T. XXVII. 1881. S. I ff., 403 ff., XXVIH S. 38. Hier ist der
Einfluß des Franziskanerthums auf Dante auf das richtige Maaß zurückgeführt.
456
Die Franziskaner.
eine kräftige und für lange hinaus wirkungsvolle Religiosität im
Volke zu erwecken. Daß aber auch eine dritte Kunst, die Musik,
den Bund der anderen beiden vervollständigt hat , ist durchaus
wahrscheinlich, wenn man auch noch nicht im Stande ist, im Ein-
zelnen festzustellen, welche Fortschritte diese Kunst, die mehr als
irgend eine andere dazu berufen schien , der mystischen Gefühls-
schwärmerei der Franziskaner Ausdruck zu verleihen, dem Orden
zu danken hat. Franz selbst ja wußte Gott seine Liebe nicht
herrlicher darzubringen , als im Gesänge , und seine tiefsten Em-
pfindungen machten sich in Tönen Luft. Wie empfänglich sein
Ohr für Musik gewesen , bezeugt eine von Thomas von Celano
mitgetheilte rührende Geschichte :
,,In der Zeit , als er seine Augen zu heilen bei Reate ver-
weilte, rief er einen seiner Genossen, der in seinem früheren welt-
lichen Leben Zitharista gewesen war und sprach zu ihm : Bruder,
die Söhne dieser Welt verstehen nicht die göttlichen Mysterien.
Denn die Musikinstrumente , die einst für göttliche Lobgesänge
bestimmt waren , verwendet menschliche Begierde zu sinnlicher
Wollust der Ohren. Ich wünschte, Bruder, du borgtest dir heim-
lich eine Zither und brächtest sie her, meinem schmerzerfüllten,
kranken Körper durch ein ehrliches Lied etwas Trost zu ver-
leihen." Dem antwortet der Bruder: ,,Ich schäme mich des nicht
wenig, o Vater, aus Furcht, daß nicht die Leute argwöhnen, ich
werde durch meinen leichten Sinn dazu verführt." Darauf der
Heilige: ,,Also unterlassen wir es, Bruder! Es ist gut, viel zu
unterlassen, damit es nicht der guten Meinung zu Schaden gereiche."
In der folgenden Nacht aber, als der h. Mann wachte und über
Gott sann, ertönte plötzlich eine Zither in wunderbarer Harmonie
und süßesten Melodieen, ohne daß Jemand zu sehen war, aber
der Wechsel der Tonstärke machte das Vorübergehen und das
Zurückkehren des Zitharöden bemerkbar. Als aber sein Geist sich
wieder zu Gott geweijdet hatte , kam ein solches Entzücken mit
jenem süßtönenden Gesänge über den Vater, daß er die Erde ver-
lassen zu haben glaubte." ^)
Die Musik der Franziskaner wird, wie die Dichtung, in einen
bestimmten Gegensatz zu dem weltlichen Sänge der Troubadours,
der sich nach den alten Nachrichten einer ausnehmenden Beliebt-
^) II Leg. III, 66. S. l86f. — Danach Bonaventura cap. V, S. 756.
Die Dichtung der Franziskaner. 457
heit in Italien erfreute ^) , getreten sein , sie wird die tiefere be-
geisterte Empfindung vor demselben vorausgehabt haben. Salim-
bene namentlich lehrt uns, mit welcher Vorliebe die Musik in den
Klöstern betrieben wurde. Als hervorragende Künstler erwähnt er
einen Frater Henricus Pisanus, einen reichbegabten Mann, der
sein Lehrer im Gesänge gewesen und später Minister in Griechen-
land war: ,,er verstand zu schreiben, zu miniiren, was Einige, weil
das Buch mit minium illuminirt wird , auch illuminiren nennen,
Noten zu schreiben , die herrlichsten und ergötzlichsten canti zu
erfinden, sowohl modulirte, d. h. fracti, als firmi. Er selbst war
ein feierlicher Sänger. Er hatte eine so mächtige und wohl-
klingende Stimme, daß er mit ihr den ganzen Chor ausfüllte. Eine
Violine aber spielte er, die feinfühlig, sehr hoch und hell, süß,
weich und ergötzlich über alles Maaß war." ^) Er hat viele Kanti-
lenen und viele Sequenzen gemacht, die Salimbene einzeln auf-
führt.'*) — Ein anderer bedeutender Sänger und Komponist war
ein Frater Vita inLucca, der gleichfalls, im Jahre 1239, Salim-
bene unterrichtet hat. ,,Er war der beste Sänger der Welt zu
seiner Zeit in beiderlei Gesänge , dem cantus firmus und fractus.
Er hatte eine anmuthige , feine Stimme , die ergötzlich zu hören
war. Da gab es keinen noch so Strengen , der ihn nicht gern
gehört hätte. Er sang vor den Bischöfen, Erzbischöfen, Kardi-
nälen und dem Papst und wurde gern von ihnen gehört. Wenn
Jemand sprach, während Bruder Vita sang, ertönte sogleich jenes
Wort des Ecclesiasticus (32): ,non impedias musicam'. So auch
wenn zuweilen eine Nachtigall oder eine Amsel im Gebüsch oder
auf einem Zaune sang, gab sie Jenem nach, wenn er singen wollte,
und hörte ihm begierig zu , ohne sich vom Flecke zu bewegen,
und nahm erst dann ihren Gesang wieder auf, und so tönten denn
in wechselndem Gesänge ergötzend und süß die Stimmen wieder.
Dabei war er so höflich betreffs seines Gesanges, daß er sich nie-
mals , sei es mit Angegriffenheit der Stimme oder mit Heiserkeit
oder aus einem anderen Grunde, entschuldigte, wenn man ihn bat
zu singen. So fanden jene Verse, die man zu zitiren gewöhnt ist,
auf ihn keine Anwendung:
^) Vergl. Salimbene an verschiedenen Stellen, namentlich S. 21, wo er von seinen
musikalischen Verwandten spricht.
^) Salimbene. S. 64.
^) Quillam (?) habebat — ich vermuthe statt dessen ,,viellam".
458
Die Franziskaner.
Omnibus hoc vitium est cantoribus inter amicos
Ut nunquam inducant amicum cantare rogati.
Seine Mutter und Schwester waren vortreffliche , ergötzliche
Sängerinnen. Er machte jene Sequenz : ,,ave mundi — spes
Maria", die Worte und den Gesang. Auch machte er viele Kanti-
lenen im cantus melodiatus oder fractus, an denen sich die Welt-
geistlichen ungemein ergötzen."^)
Neben diesen bedeutendsten Sängern erwähnt Salimbene noch
einige andere, einen Frater Johanninus de Ollis ^), einen
Frater Guidolinus Januarius von Parma*^) und Andere mehr.
Die Liebe zur Musik, die in den Klöstern gepflegt wurde,
spricht aber auch aus den Gedichten und Liedern der Franzis-
kaner : wo immer die Freuden des Himmels geschildert werden,
wird auch von der unaussprechlichen Süßigkeit der Engelmusik
gesprochen. Die Seelen, die zur Liebesgemeinschaft mit Christus
gelangt sind, haben nur einen Ausdruck ihres Glückes : ihn singend
im Reigentanze zu verehren. Singende, musizirende und tanzende
Engel umgeben fortan auf den Bildern des Paradieses, des Jüng-
sten Gerichtes, der Himmelfahrt Maria, der Krönung Maria, kurz
auf allen den Darstellungen himmlischer Feste die Herrscher des
Himmels. Und welche Pflege die Musik bis auf unsere Zeiten in
der Hauptkirche des Franz in Assisi erhalten , beweist der noch
ungehobene Reichthum an werthvollen Musikmanuskripten im
Archive daselbst. In derselben Kirche aber wird Jedwedem, der
dem Heiligen nachsinnt, das volle Verständniß für Diesen erst
werden , wenn die Orgel zu spielen beginnt und die Wellen des
Chorgesanges durch die mächtigen, dunklen Wölbungen fluthen.
In solchen Augenblicken allein geht dem in dichtendes Träumen
versunkenen Geiste die Ahnung auf, was die glühende, tief inner-
liche Gefühlsauffassung des christlichen Glaubens der Menschheit
geschenkt. Auf dieses Bettlers Zauberruf der Liebe ist im Früh-
lingslicht edler, christlicher Menschlichkeit ein leuchtendes Reich
der Schönheit erstanden !
^) Sal. S. 64 ff. Er verließ verschiedene Male den Minoritenorden und trat endlich
bei den Benediktinern ein, lebte lange Zeit bei dem Erzbischof in Ravenna Philippus
und starb in Mailand, wo er bei den Franziskanern bestattet wurde.
^) Sal. S. 128: bene sciebat musicam et bene cantabat,
^) S. 318: optime cantabat in cantu melodiato , id est cantu fracto , et de cantu
firmo melius cantabat, quam vecem haberet, quia valde gracilem vocem habebat.
ZWEITER ABSCHNITT
DIE KÜNSTLERISCHE NEUGESTALTUNG
DER CHRISTLICHEN DARSTELLUNGEN
I. Das Leben Christi.
Nur ein Versuch kann es sein , der im Folgenden gemacht
wird, die Neugestaltung des biblischen Stoffes durch die frühe
toskanische Kunst im Zusammenhang mit den das Volk erfüllenden
Anschauungen des Franziskanerthums zu schildern. Zu lückenhaft
ist noch die Kenntniß der zeichnenden Künste im frühen Mittel-
alter, zu wenig erforscht der Zusammenhang der einzelnen, gleiche
Gegenstände behandelnden Werke , als daß man in vielen Fällen
mit Bestimmtheit sagen könnte, welches denn die neuen Motive
und Gedanken sind, die ein Meister vor dem anderen voraus hat.^)
Die Zeit und Mühe sparende Anschauung aber, daß von dem
XI. Jahrhundert bis zu dem Auftreten der Pisani und Giotto's
wenigstens auf dem Gebiete der Malerei unter der allgewaltigen
Herrschaft des byzantinischen Schematismus eine vollständige
Stagnation geherrscht habe, ist dem richtigen Gefühl für eine
^) Immer mehr bricht sich auch die Ueberzeugung Bahn , daß das ,Malerbuch
vom Berge Athos', das von Didron und Schäfer herausgegeben wurde , durchaus nicht
maßgebend für die ältere mittelalterliche Kunst und deren Ikonographie ist. Es finden
sich darin eine Anzahl Darstellungen und Motive , die nachweislich erst im XV. Jahr-
hundert überhaupt vorkommen imd zwar im Abendlande. Bayet hat in der Revue
archeologique (III S. Mai und Juni 1884, S. 324. Notice siur le peintre Manuel Pan-
selinos) die Entstehung sogar in das XVIII. Jahrhundert gesetzt, die Quellen der Kom-
pilation aber in's späte Mittelalter. Vergleiche jetzt Heinrich Brockhaus : Die Kunst
in den Athosklöstern.
400 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
organische, geschichtliche Entwicklung gewichen. Fortan bleibt es
eine der lohnendsten, aber auch schwierigsten Aufgaben, dem all-
mählichen Anwachsen besonderer nationaler Kunstbestrebungen
nachzugehen. Unschwer lassen sich schon jetzt im XIII. Jahrhundert
auf italienischem Boden in Toskana einerseits , in Rom andrerseits
die Anfänge lokaler Stilrichtungen bemerken. Individuelle Natur-
anschauung, so befangen sie auch noch sein mag, macht sich
geltend — und zwar vermögen wir sie , wie oben betont worden
ist, am Ersten an Kunstwerken zu würdigen, die seltene oder ganz
neue Stoffe , wie die Franzlegende , behandeln. Zu gleicher Zeit
aber fällt es auf, wie voll von Vorurtheilen gerade in der Gestaltung
der am häufigsten wiederkehrenden Darstellungen der Madonna,
Christi, der biblischen Geschichten der Künstler noch in der ersten
Hälfte des XIII. Jahrhunderts ist. Das, was man sich gewöhnt hat,
byzantinische Formgebung zu nennen. Hegt wie ein Bann auf ihm —
ist es auch nicht immer byzantinisch, so doch ein trockener Schema-
tismus der Zeichnung und der Komposition! Ganz allmählich nur
beginnt man sich von ihm zu befreien. Schöpft Niccolö Pisano
aus dem Studium der Antike eine neue Anschauung der Formen,
schafft er aus seiner leidenschaftlichen Natur heraus in ganz neuer
Weise belebte , ja auch komponierte Szenen , so folgt er in der
Anordnung doch noch im Wesentlichen der älteren Kunst, die in
der That durch Jahrhunderte hindurch sich begnügt hatte, an be-
stimmten Kompositionen festzuhalten. Selbst der gewaltige Genius
des Cimabue zersprengt die letzteren nicht und verleiht ihnen nur
einen ganz frischen, mächtigen Geist. Giotto und neben ihm Gio-
vanni Pisano war es vorbehalten , die neue sinnliche Religions-
auffassung der Franziskanerdichter und -prediger in Kunstwerke
umzusetzen. An dem Stoffe der Franziskuslegende geschult und
durch dessen Bewältigung stark und sicher geworden, zeichnet
Giotto's Hand, inspirirt von dem in ihm allmächtigen Naturgefühl
der Zeit, in kühner und neuer Weise die Bilder der neutestament-
lichen Vorgänge an die Wände des Kirchleins in der Arena zu
Padua. Auf einen Vergleich der wichtigsten Darstellungen aus dem
Leben Christi und der Maria, die er und seine Schule, sowie die
Sienesen des Trecento geschaffen , mit der Franziskanerdichtung
soll sich im Wesentlichen die folgende Untersuchung beschränken.
Die sich daraus für andere Stoffe ergebenden Folgerungen lassen
sich unschwer ziehen. Von vornherein aber sei bemerkt, daß ich
Die Kindheit Christi. 46 1
durchaus nicht behaupten will, die angeführten litterarischen Stellen
seien direkt bestimmend für die Kunstwerke gewesen , sondern
mit diesen nur auf die besonders durch die Predigt verbreiteten,
maßgebenden allgemeinen Anschauungen hinweisen will. Die
folgenden Ausführungen sollen demnach nur näher erläutern, was
in dem einleitenden Kapitel über Franz und die Kunst bemerkt
wurde , daß deren Aufschwung an jene menschlich natürliche
Anschauung Christi und seines Lebens anknüpft, wie sie zuerst
durch die Franziskaner in Predigt und Liedern allgemein wird, daß
es das tiefe, gemüthvoUe Erfassen des Menschen Christus und seiner
Mutter Maria ist, welches das eigentlich gestaltende Element der
neuen christlichen Kunst der Renaissance wird.
Die Kindheit Christi.
1. Die Verkündigung. Die zahlreichen älteren Darstellungen
zeigen Maria meist unter einer Halle sitzend oder stehend, wie sie
dem Gruß des von links herantretenden oder knieenden Gabriel
lauscht. Auf dem Bilde in der Arena zuerst ist auch sie, wie der
Engel, in feierlicher Andacht auf die Kniee gesunken. Ziemlich
ausführlich schildern die ,meditationes' die Szene. Gabriel eilt,
nachdem er den Auftrag von Gott empfangen , zur Jungfrau und
kündet ihr die Botschaft. Erschrocken verharrt sie zuerst in
Schweigen, fragt dann aber zweifelnd, wie solch Wunder geschehen
möge. ,,Nun betrachte, wie sorgsam und weise der Engel sie be-
lehrt und seine Worte setzt, indem er sich verehrend vor seiner
Herrin mit sanftem und heiterm Antlitz neigt, getreulich seine Bot-
schaft ausrichtet und eifrig auf die Worte der Herrin Acht giebt,
um angemessen antworten und dazu in wunderbarer Weise den
Willen des Herrn ausführen zu können. Und wie die Herrin furcht-
sam und demüthig mit verschämtem Antlitz, vom Engel überrascht,
dasteht und nicht unversehens durch jene Worte übermüthig ge-
macht wird, noch sich etwas dünkt." Dann beugt sie die
Kniee und faltet die Hände: ,,fiat mihi secundum verbum tuum".
Auch Gabriel kniet nieder, erhebt sich dann, neigt sich vor ihr und
verschwindet.^) Stellt Giotto diesen letzten feierlichen Augenblick
dar, so ist der frühere, in dem Maria sich voll Scham und Furcht
gleichsam in sich selbst zurückzuziehen versucht, in dem recht im
^) Meditationes vitae Christi Bonaventura Peltier Bd. XII, cap. IV, S. 515.
462 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
Geiste jener Erzählung gehaltenen empfindungs vollen Bilde Simone
Martini's und Lippo Memmi's in den Uffizien veranschaulicht.'^)
Tiefes Gefühl und wie dort eine poetische Auffassung des mit zier-
lichem Kranze geschmückten Himmelsboten macht sich auch in dem
bekannten Bilde Ambrogio Lorenzetti's in Siena geltend. Seit Giotto
aber begegnet man öfters Darstellungen der Verkündigung , auf
denen Maria kniet. Das wesentlich Neue, das fast nirgends herr-
licher als auf Donatello's ReHef in S. Croce zu Florenz entgegen-
tritt, ist die höchst innige und gemüthvolle Beziehung zwischen der
Jungfrau und dem Boten.
2. Die Heimsuchung. Die Meditationes wissen von der
eigentlichen Begegnung nichts Anderes zu erzählen , als daß die
Frauen sich umarmen , schildern dann aber ausführlicher den Auf-
enthalt Joseph's und Maria's bei Zacharias und Elisabeth mit jenen
Details, die auch die Legenda aurea nach der ,,hystoria scholastica"
hat, wie Maria der Freundin dient und, als Johannes geboren wird,
diesen von der Erde aufhebt. So finden wir hier auch keine
Parallele zu den reicheren Darstellungen des Vorgangs , die zuerst
Niccolö Pisano an seiner Kanzel zu Siena, dann Giotto in Padua
und Assisi gegeben. ^) Beide Künstler nämlich , wie dann auch
Andrea Pisano an der Baptisteriumthüre in Florenz, lassen die Um-
armung der beiden Frauen, die in älteren Denkmälern die ganze
Komposition ausmacht, in Gegenwart von begleitenden Frauen ge-
schehen. Die Hinzufügung derselben erklärt sich wohl einfach aus
dem Verlangen nach einer belebteren Ausfüllung des Raumes.
3. Die Geburt Christi. ,,Als aber", erzählen die Medi-
tationes nach einer Vision, die einem Franziskaner zu Theil geworden
war, „die Stunde des Gebarens, um Mitternacht am Tage des
Herrn, gekommen war, erhob sich die Jungfrau und lehnte sich an
eine Säule, die dort war; Joseph aber saß traurig, vielleicht weil
er nicht vermochte, das Nothwendige zuzurüsten. Er stand also
auf und nahm von dem Heu der Krippe und warf es vor die Füße
der Herrin und wandte sich nach einer andern Seite : da aber ver-
ließ der Sohn Gottes den Mutterleib. Und die Mutter
neigte sich sogleich, hob ihn auf und umarmte ihn süßer Liebe
1) Phot. Brogi.
^) A. Schulz: Die Legende vom Leben der Jungfrau Maria. Leipzig 1878, S. 57
nennt irrthümlich als erste solche die des Andrea Pisano.
Die Kindheit Christi. 463
voll, legte ihn auf ihren Schooß. — — — Dann wickelte sie ihn
in den Schleier ihres Hauptes und legte ihn in die Krippe. Und
da steckten der Ochs und der Esel , die Kniee beugend , ihre
Schnauzen über die Krippe, schnaubend, als hätten sie Vernunft
und wüßten, daß der so gar ärmlich bedeckte Knabe bei so großer
Kälte der Wärme bedürfe. Die Mutter aber niederknieend betete
an und sprach, Gott Dank sagend: ,,ich sage dir Dank, Herr und
heiliger Vater, der Du mir deinen Sohn gegeben hast, und ich
bete Dich an , ewiger Gott , und Dich des lebendigen Gottes und
meinen Sohn." Joseph aber verehrte ihn in gleicher Weise und
nahm den Sattel des Esels und zog aus ihm ein Kissen von Wolle
heraus und legte dasselbe neben die Krippe, damit Maria sich
darauf setze. Sie aber setzte sich dort nieder und legte den Sattel
unter den Ellenbogen und so blieb sie da, die Herrin der Welt,
ihren Blick immer auf die Krippe, die Augen und ihre ganze Liebe
auf ihren geliebtesten Sohn gerichtet. — — — Als so der Herr
geboren war, betete die Menge der Engel, die da war, ihren Herrn
an und gingen sogleich zu den Hirten, die in der Nähe vielleicht
eine Meile weit waren und verkündeten ihnen die Geburt und auch
den Ort. Dann stiegen sie mit Lob und Jubelgesängen gen
Himmel auf, ihren Genossen das Gleiche zu verkündigen. So kam
der ganze himmlische Hof freudig, nachdem sie ein großes Fest
gemacht und Lobgesänge und Dankesbezeugungen Gott dem Vater
dargebracht. Alle so viele da waren, ein Chor nach dem andern,
das Antlitz ihres Herrn und Gottes zu sehen, und beteten ihn und
auch seine Mutter mit jeglicher Ehrerbietung an und ließen ihre
Loblieder erschallen. Es kamen auch die Hirten und beteten ihn
an, erzählend, was sie von den Engeln gehört. Die Mutter aber
bewahrte klug Alles, was von ihm gesagt ward, in ihrem Herzen,
jene aber gingen in Freuden fort. Beuge auch du das Knie, da
du es so lange verschoben und bete den Herrn deinen Gott an
und dann seine Mutter und grüße ehrerbietig den heiligen Greis
Joseph.^)"
Erst ganz allmählich ist die Kunst dazugekommen, dieser
innigen Szene ihren ewigen Gehalt zu verleihen. Wie stark die
ältere Tradition war, zeigen noch Giotto's Werke, die ihr im
Wesentlichen folgen. Die Geburt war immer mit der Verkündigung
1) Cap. VII. S. 519 f.
464 ^^^ künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
an die Hirten im Bild verbunden und demzufolge die Komposition
sehr locker gefugt gewesen. Auf halber Höhe eines Berges sieht
man Maria liegen, selten sitzen; hinter ihr ist die Krippe mit dem
Christkind, auf das Ochs und Esel schauen. Zwei Frauen baden
unten auf der einen Seite das Kind, auf der andern sitzt der
schlafende Joseph. In halber Höhe des Berges an der Seite stehen
einige Hirten, die erstaunt zu den Engeln emporschauen, welche
die Botschaft bringen. Nur ganz ausnahmsweise beschäftigt sich
die Mutter mit dem Kinde. Gerade in dem Verhältniß der Beiden
aber sucht die neuere Kunst, wie die Franziskanerdichtung, den
eigentlichen Mittelpunkt der Handlung. Die Nebenszene der das
Kind badenden Frauen verschwindet^), wohl unter dem Einfluß der
immer mehr sich geltend machenden Anschauung von der , un-
befleckten Empfängniß' der Maria. Noch Niccolö Pisano hält sich
an der Kanzel des Baptisteriums zu Pisa an die Tradition , Gio-
vanni Pisano aber in den Reliefs der Pisaner Kanzel und der zu
Pistoja bringt etwas mehr Leben in die Stellung der Jungfrau,
indem er sie das Tuch von dem in der Krippe liegenden Kinde
lüften läßt, ein Motiv, das auch noch Orcagna auf dem Altar zu
Orsanmichele hat. Auf Giotto's Darstellung in Padua ist nur eine
noch von den helfenden Frauen vorhanden, und diese steht der
zwar nach alter Weise liegenden Jungfrau, die aber hier sich bereits
liebevoll um das Kind bemüht, bei, dieses in die Krippe zu legen.
Der schlafende Joseph, die Hirten rechts und die Engel sind noch
beibehalten. Alterthümlicher erscheint dagegen die Szene auf dem
Fresko der Unterkirche von S. Francesco — die Hirten, die Bade-
szene erinnern an den alten Typus. Nur, daß Maria das gewickelte
Kind in den Armen hält und liebevoll anschaut und Engeischaaren
es betend verehren , spricht von der neuen Zeitströmung. Einen
weiteren Schritt thut Taddeo Gaddi in der Capella Baroncelli in
S. Croce zu Florenz. Da sitzt Maria unter einer Hütte, die schon
von Giotto eingeführt wurde, und drückt das Kind an die Brust.
Tiefsinnig betrübt — ob aus dem in den ,meditationes' angegebenen
Grunde oder aus einem andern.? — sitzt daneben Joseph. Ein
Hirt schaut über den Felsen herüber, zwei Engel fliegen in der
^) Vergl. über dieses Motiv : Didron : Manuel d'iconographie chretienne (Maler-
buch vom Berge Athos), S. 158. Es geht auf eine Legende des Simeon Metaphrastos
zurück.
Die Kindheit Christi. 465
Höhe. Aehnlich ist das kleine Bild Taddeo's in der Berliner
Gallerie (1080) und ebendaselbst eines von Bernardo da Firenze
(1064), auf denen die Mutter das Kind säugt. Giottino oder jener
Schüler Giotto's , der die Grabkapelle der Strozzi in S. Maria
novella ausgemalt, läßt seinerseits Maria betend neben der Krippe
sitzen. Ueber dem Berge in gewohnter Weise die Engel, von
denen einige den links befindlichen Hirten erscheinen. Ebenso ist
die Szene auf dem großen Orcagna zugeschriebenen Altarwerke in
der Londoner National Gallery, das aus S. Piero maggiore stammt,
dargestellt. Ein weiterer Schritt wird am Ende des XIV. Jahr-
hunderts gethan : Maria ist auf die Kniee gesunken und betet das
nackte Kind an, während auch Joseph sich verehrend naht. Zuerst
ist mir das Motiv auf einer der kleinen Tafeln von Taddeo Gaddi
in der Akademie zu Florenz , weiter auf der Predella des großen
Altarwerkes von Bernardo Daddi ebendort, auf einem Fresko des
Ugolino di Prete Ilario im Chor des Domes zu Orvieto (v. J. 1364)
und auf dem Predellenbild der Verkündigung in Fresko vor-
gekommen, die, das Werk eines späten Nachfolgers des Simone
Martini, an der Eingangswand von S. Maria novella sich befindet.
Zunächst übernimmt es dann Masolino auf seinem Fresko in der
Kollegiatkirche zu Castiglione d'OIona und Lorenzo Monaco auf
einem der kleinen Bildchen, die jetzt im hintersten Zimmer der
Akademie zu Florenz sind, und dem trefflichen Bilde in S. Gio-
vanni dei Cavalieri ebendaselbst. Hettner glaubte irrthümlicher
Weise, daß es zuerst von Gentile da Fabriano in der Predella zu
seiner , Anbetung der heiligen drei Könige' in der Florentiner
Akademie angewandt sei.^) Es scheint aber offenbar zuerst von
Giotto gebracht worden zu sein. Eigenthümlicher Weise heißt
es im Malerbuche vom Berge Athos: Maria, kniee nd, legt
das Kind in die Krippe — womit die älteren Denkmäler nicht
übereinstimmen. Jedenfalls wird das Motiv von 1400 an aber auch
in der florentinischen Kunst ganz allgemein, besonders durch die
herrlichen Werke Fra Filippo's und Luca's della Robbia.'^) Nun
nähern sich auch die Hirten betend dem Kinde, und damit ist die
Einheitlichkeit der Komposition erreicht. Erst aus diesen Werken
^) Kleine Schriften. Die Franziskaner in der Kunstgeschichte. S. 319.
^) Ich möchte hier darauf hinweisen, daß speziell Luca della Robbia in seiner
Kunst von Jacopone beeinflußt worden sein dürfte, da ein Manuskript von des Letzteren
Liedern in Paris (Nat. bibl. 8146) ursprünglich im Besitze Luca's sich befand.
Thode, Franz von Assisi. -iq
^^ß Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
spricht in voller Reinheit der lieblich natürliche Gedanke von der
mütterlichen Liebe und der demüthigen Verehrung zugleich, die
Maria für das Kindlein hegt — erst damals erhalten Jacopone's
Lieder ihren vollen Wiederschein in der bildenden Kunst.
Jenes oben wiedergegebene Lied ,stabat mater speciosa' ist
nur eines unter mehreren. Man lese ferner die II. Ode im
III. Buch : ,per li tuoi gran valori', das herrliche Weihnachtslied :
jOgni uom con alegrezza novella' (III, 4) und die fünfte Ode, die
folgendermaßen beginnt :
1. In dem würdig hehren Stall des süßen Kindleins
Singen um den Kleinen rings geschaart die Engel.
2. Die geliebten Engel singen hell und rufen
Alle in Verehrung scheu und unterthänig
Vor dem Kindlein, der Erwählten Herrn und Fürsten,
Der in stechend scharfen Dornen nackend liegt.
7. Der entsproßt Maria's Blut, der zarte Körper,
Ward in Obhut unschuldreinen Freunden:
Joseph und der Maid Maria übergeben,
Die verwundrungsvoll das kleine Kindlein anschaun.
8. O du großer kleiner Jesus, unsre Liebe,
Wer dich so gesehen zwischen Ochs und Esel,
Wie sie blasend Deine heil'ge Brust anschnaubten,
Hätte nie geglaubt Dich des Dreiein'gen Sohn ! ')
Am anschaulichsten aber schildert das achte Lied des dritten
Buches die Szene :
Str. II. Als die Mutter ihn geboren,
Gottes großes kleines Söhnlein,
Großes Leuchten ihr erschien da
Ob dem fleischgewordnen Worte.
^) Vergl. auch Bonaventura's Philomela. Bd. XIV. S. 162:
Felix, qui tum temporis matti singulari
Potuisset precibus, ita famulari
Ut in die sineret semel osculari
Suum dulcem parvulum eique jocari.
O quam libens balneum ei praeparassem
O quam libens humeris aquam apportassem
In hoc libens Virgini semper ministrassem
Pauperisque parvuli pannulos lavassem.
Hier also das ältere Motiv des Bades.
Die Kindheit Christi. 467
12. Und Maria kniete nieder,
Betete es an, das Söhnlein,
Darauf nahm sie's in die Arme,
Drückte es an sich umarmend.
13. Ihre eignen Linnen nahm sie,
Wickelte darein das Söhnlein,
Legt es auf den Boden nieder
Mitten zwischen Ochs und Esel.
14. Und in Eintracht beide schritten
Hin zu ihm, da sie gesehen.
Daß der Herr, er, der AUmächt'ge,
Gar der Wärme so bedürftig.
15. Und sogleich zu Boden warfen
Dankbar nieder sich die Thiere,
Streckten vorwärts ihre Köpfe
Ueber solche schöne Liebe.
17. Joseph aber benedeiet
Stand für sich gar sehr betrübet.
Wie durchbohrt von großem Mitleid,
Daß zu helfen ihm versagt war.
18. Auf das Kindlein blickt er nieder,
Und das Kindlein gab ihm Tröstung,
Schenkt ihm wieder innern Frieden
Für die Qual, die er drob hatte.
19. Hier ertönen süße Sänge
Von den himmlisch heil'gen Engeln,
Alle kommen sie zusammen
Vor das Kind, es anzubeten.
Aus dem Vergleiche der Dichtung mit den Kunstwerken ergiebt
sich im Allgemeinen die Thatsache, die uns auch die Kunstent-
wicklung bei den Griechen lehrt, daß die bildende Kunst viel mehr
Zeit dazu gebraucht hat, die religiösen Anschauungen der Zeit
wiederzugeben, als die Dichtkunst, und daß sie daher, zum Theil
wenigstens, der Anleitung der letzteren folgte. Im Besonderen aber
erhalten wir eine ansprechende Aufklärung über zwei Details in
den Bildern der Geburt Christi. Joseph wird häufig so traurig und
sinnend dargestellt, weil er inniges Mitleid mit Mutter und Kind
hat und doch nicht zu helfen weiß. Die Thiere aber strecken die
Schnauzen so dicht zum Christkind hin, es in rührendem Mitgefühl
zu wärmen. Möglich, daß die dichterische Auffassung ihrerseits
wieder aus den älteren Darstellungen entsprungen ist.
30*
4.68 Di^ künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
4. Die Anbetung der h. drei Könige. Bereits Hettner
hat darauf hingewiesen, wie bestimmend die Franziskanerpoesie für
die bildliche Darstellung dieser Szene geworden ist.^) Das Neue
in der Komposition besteht darin , daß , während in der ältesten
Zeit die drei Könige laufend auf das Kind zueilten , später wohl
der älteste das Knie beugte und ihm das Gefäß darreichte'^), jetzt
die Beziehung zwischen Christus und den ihn Verehrenden inniger
wird, daß der vorderste König nämlich seinen Fuß küßt. Zugleich
beginnt man einzusehen, welch' malerischen Vorwurf das reiche
Gefolge der Weisen bildet. Der Fußkuß aber spielt eine beson-
dere Rolle in der ausführlichen Schilderung der Szene, welche die
Meditationes bringen:
„Es kamen also jene drei Könige mit einer großen Menge
und vornehmem Geleit, und da sind sie vor jener Hütte, in welcher
der Herr Jesus geboren wurde. Die Herrin hört das Geräusch
und den Lärm und nimmt den Knaben zu sich. Jene treten in
das Häuschen ein und beugen die Kniee und beten den Herrn,
den Knaben Jesus, ehrfürchtig an. Sie ehren ihn als König und
beten ihn als Herrn an. Sieh, wie groß ihr Glaube war! — Sie
knieen also vor ihm , reden mit der Herrin , sei es durch einen
Dolmetscher oder selbst : denn sie waren ja Weise und verstanden
vielleicht die hebräische Sprache. Sie fragen sie aus über Alles,
was den Knaben angeht. Die Herrin erzählt, und sie glauben ihr
Alles. Betrachte sie gut, denn ehrfürchtig und höfHch sprechen
und hören sie. Betrachte auch die Herrin , denn schamhaft in
Worten, die Augen zur Erde gesenkt und mit ehrfürchtiger Scheu
spricht sie ; es ergötzt sie nicht, zu reden, noch gesehen zu werden.
Der Herr aber gab ihr Kraft bei diesem großen Werke; denn
Jene repräsentirten die gesammte Kirche aus den Heiden. Be-
trachte auch den Knaben Jesus: noch spricht er nicht, sondern
verharrt in reifer Betrachtung und Würde, wie voller Einsicht,
und schaut wohlwollend Jene an, und sie erfreuen sich sehr
an ihm, sowohl an seinem geistigen Anblick, gleichsam inner-
lich belehrt und erleuchtet von ihm, als auch an seinem körper-
lichen Anblick, denn er war schön vor den Menschensöhnen. End-
lich als sie großen Trost empfangen, bieten sie ihm Gold, Weih-
1) A. a. o. S. 319.
^) Vergl. Didron: Manuel S. 159.
Die Kindheit Christi. 469
rauch und Myrrhen an, öffnen ihre Schätze und bringen sie ihm
dar, ein Tuch oder einen Teppich vor den Füßen des Herrn Jesus
ausbreitend — nämlich Jeder von ihnen alles drei in größter Fülle,
vorzüglich das Gold. Denn sonst für kleine Gaben hätten sie
nicht die Schatzbehälter zu öffnen brauchen, denn eine Kleinigkeit
hätten wohl ihre Seneschalle zur Hand gehabt. Und dann küßten
sie voll Ehrfurcht und Frömmigkeit seine Füße. Wie , wenn da
der weiseste Knabe, sie noch mehr zu trösten und in der Liebe
zu ihm zu befestigen, ihnen auch die Hand zum Kusse gereicht
hätte? Auch bezeichnete er sie und segnete sie. Jene aber
nahmen sich verbeugend Abschied und kehrten mit großer
Freude heim.^)"
Der Erste, welcher den Fußkuß darstellt, ist Niccolö Pisano
an der Kanzel im Dome zu Siena, während er noch auf derjenigen
zu Pisa in alter Weise den König das Geschenk hatte darreichen
lassen. Ihm folgt Giovanni Pisano auf den Reliefs in Pisa und
Pistoja, dann Giotto, mit seinem vornehm ernsten Fresko in Padua,
auf welchem neben Maria Joseph und ein die Geschenke in Em-
pfang nehmender Engel, hinter den Königen ein Diener mit zwei
Kamelen sich befindet. Etwas größeres Gefolge zeigt schon das
Bild in S. Francesco zu Assisi, auf dem Christus den ihn küssen-
den König segnet. (Abb. 68.) Dann übernimmt Taddeo Gaddi das
Motiv (Baroncellikapelle), und von nun an wird es ganz allgemein.
Dramatische Aufführungen, gleich dem 1336 von den Dominikanern
in Mailand veranstalteten Dreikönigsfest, mögen, wie Ebert bemerkt,
so ausnehmend figurenreiche Darstellungen, wie das berühmte Werk
Gentile's in der Akademie zu Florenz, die Bilder A. Vivarini's und
Pisanello's in Berlin, Lorenz© Monaco's Bild im Korridor der
Uffizien (28) und andere mehr inspirirt haben."^)
5. Die Darstellung im Tempel. „Am vierzigsten Tage",
erzählen die Meditationes , „gehen die Eltern mit dem Kinde nach
Jerusalem in den Tempel. Da kommt Simeon, erkennt Christus
in seinem prophetischen Geiste und betet knieend ihn an. Der
Knabe aber segnet ihn und neigt sich, die Mutter anschauend, als
^) A. a. O. Cap. IX. S. 522 f. Sich und seine Leser zu berahigen , fügt der
Verfasser der med. hinzu, daß die Jungfrau das Gold wohl den Armen gegeben habe,
Christus aber selbst wie ein Armer dasselbe als Almosen empfangen habe. Echt
Franziskanisch! Vergl. auch Jacobus a Voragine Leg. aurea, cap. 37.
ä) Vergl. Muratori: Rer. ital. Script. T. XII, col. 1017 f. — Ebert: a. a. O. S. 53.
470 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
wolle er zu Jenem gehen. Da reicht sie ihn dem Simeon. Dieser
aber, freudig und ehrerbietig ihn in seinen Armen empfangend,
erhob sich , lobte Gott und sprach : Jetzt läßt Du Deinen Knecht
in Frieden gehen, o Herr etc. Er prophezeite von seinem Leiden.
Es kam aber herzu auch die Prophetin Anna und betete ihn an
und sprach in gleicher Weise über ihn. Maria aber darüber sich
wundernd, bewahrte Alles in ihrem Herzen. Dann streckte der
Knabe Jesus die Arme nach der Mutter aus und kehrte zu ihr
zurück. Darauf schreiten sie in einer Prozession zum Altare , die
heute noch in der ganzen Welt dargestellt wird. Voran schreiten
lebhaft die beiden ehrwürdigen Greise, Joseph und Simeon, sich an
der Hand haltend und mit großem Frohlocken jubelnd Psalmen
singend. Es folgt die Mutter, den König Jesus tragend, und Anna
geleitet sie, zur Seite gehend, in ehrerbietigem Jubel und in unsag-
barer Freude den Herrn lobend. — Als sie aber zum Altar ge-
kommen sind, kniet die Mutter in Ehrfurcht nieder und bringt ihren
geliebtesten Sohn Gott seinem Vater dar , indem sie spricht :
Nimm, erlauchtester Vater, Deinen Eingeborenen, den ich Dir nach
dem Gebot Deines Gesetzes darbringe, der der erstgeborene der
Mutter ist. Aber ich bitte Dich, Vater, daß Du ihn mir wieder-
giebst. Und indem sie aufsteht, setzt sie ihn auf den Altar. ^)"
So wenig Giotto's mächtiges Bild in Padua kompositionell von
den Darstellungen der älteren Kunst im Großen und Ganzen ver-
schieden ist, so weit überragt es sie doch in der geistigen Auf-
fassung. Wie das Kind von den Armen des ehrwürdigen Simeon
zur Mutter strebt, die still verlangend die Hände nach ihm aus-
streckt, wie in der Stellung und in dem gesenkten Haupt und Blick
der Anna das prophetische Ahnen zur Anschauung gebracht ist,
ist so einfach, wie unübertrefflich. Figurenreicher und gleichfalls
an schönen Motiven reich ist das Bild in S. Francesco zu Assisi.
Was in der obigen Schilderung das Charakteristische ist: die ein-
gehende Art, mit der die zwischen Maria, dem Kinde und Simeon
vorgehende Handlung geschildert wird, ist auch das, worin der
Hauptwerth dieser die späteren Darstellungen beeinflussenden
Werke liegt.^)
1) Cap. XI. S. 524.
^) In der früheren Kunst besteht die Komposition fast immer nur aus vier Per-
sonen, so auch auf Niccolo Pisano's Kanzel in Siena. Auf der Kanzel in Pisa ist sie,
offenbar der Nachbildung des auf den Satyr gelehnten indischen Bacchus zu Liebe,
Die Kindheit Christi. 471
6. Die Flucht nach Egypten und Heimkehr. Lesen
wir in den Meditationes gar Nichts über den Kindermord, den
Giotto in Padua und Assisi in dramatisch bewegter Weise, aber mit
Anlehnung an ältere Vorbilder gemalt hat, so bringen sie auch
keine neuen Züge für die Flucht nach Egypten; das alte Schema
der Komposition, nach welchem Joseph den Esel führt, auf dem
Maria mit dem Kinde sitzt, ein Engel voran fliegt, ist von Giotto
übernommen worden, der die Familie außerdem von Mägden und
Knechten begleitet werden läßt.^) Die sehr selten, vielleicht zuerst
von Giotto in der Unterkirche zu Assisi dargestellte ,Heimkehr
von Egypten' aber wird von den Meditationes, nachdem von dem
Aufenthalte im fremden Lande die Rede gewesen ist, ausführUch
geschildert.-) Sieben Jahre hatten sie in der Stadt Heliopolis als
Fremdlinge, arm und dürftig, in einem kleinen Hause gelebt. Joseph
beschäftigte sich mit Zimmerarbeit, Maria verdiente sich durch
Nähen ihren Unterhalt, und der Knabe trägt die fertigen Arbeiten
zu den Auftraggebern. Wie oft mag er da herbe Worte gehört,
wie oft Hunger gelitten haben, wenn auch zuweilen gute Frauen
sich der Armen erbarmen. Endlich ermahnte ein Engel Joseph zur
Heimkehr in's Vaterland. ,,In der Frühe am folgenden Tage wirst
du einige gute Frauen und auch Männer aus der Stadt kommen
sehen, die ihnen bis vor das Thor folgen, ihrer versöhnenden und
heiligen Unterhaltung noch sich zu freuen. Denn sie hatten ihren
Aufbruch mehrere Tage vorher in der Nachbarschaft verkündet —
denn sie kehren nun heim, und Joseph schreitet mit den Männern
voraus und die Herrin folgt weiter zurück mit den Frauen. Du
aber nimm den Knaben an der Hand und gehe in der Mitte, der
Mutter voraus , denn hinter sich wird sie ihn nicht lassen wollen.
Als sie aber vor dem Thore sind , duldet Joseph die Begleitung
nicht länger. Da aber ruft Einer von Jenen, ein Reicher, ihre
Armuth bemitleidend, den Knaben, daß er ihm einige Denare zur
der hier als Priester auftritt , erweitert. S. Dobbert : Die Pisani , in Dohme : Kunst u.
Künstler HI, S. 8.
^) Das ist übrigens kein ganz neuer Zug. Auch in der Litteratur (vergl. Schulz
a. a. O. S. 22) wird von einigen Mägden und Knechten gesprochen.
^) Vielleicht ist die Szene auf dem von Coelestin IL (1143 — 44) geschenkten
Silberantipendium in Citta di Castello (d' Agincourt : Sculpture P. XXI, 1 3) dargestellt.
Vergl, Schulz a. a. O. S. 65. Da trägt Joseph das Kind auf der Schulter, Maria folgt
auf dem Esel.
472 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
Bestreitung der Ausgaben gäbe. Es scheut sich der Knabe, es
anzunehmen, dennoch aus Liebe zur Armuth streckt er die Hand
aus, nimmt ehrerbietig das Geld an und sagt seinen Dank: so
thaten auch mehrere Andere. EndHch nachdem sie Diesen gedankt,
sagen sie Allen Lebewohl und setzen ihren Weg fort." Vielleicht
hat einer der guten Leute ihnen auch einen Esel gegeben, auf dem
der Christusknabe reiten konnte. Auf dem Heimwege treffen sie
in der Wüste den kleinen Johannes, besuchen dann Elisabeth und
langen endlich in Nazareth an.^) Dort leben sie ärmlich weiter;
der Knabe mag da wohl der Mutter kleine Dienste gethan, ihr
Wasser zugetragen und mit dem kleinen Johannes Evangelista, der
damals fünf Jahre alt war, verkehrt haben.
Giotto hat auf seinem Fresko den Augenblick dargestellt, in
welchem die h. Familie die Thore der Stadt verläßt. Joseph
schreitet, den Knaben an der Hand, voraus, dann folgt Maria, von
drei Frauen geleitet.^)
Von Interesse ist auch die Erzählung von dem Zusammen-
treffen der beiden Knaben Christus und Johannes in der Wüste,
da dasselbe in verschiedenen Kunstwerken des XV. Jahrhunderts
dargestellt wird , so z. B. auf einem Fresko des Lorenzo di San
Severino von 1416 in S. Giovanni zu Urbino, auf einem Bilde des
Jacopo Sellajo in der Galerie zu Berlin, auf einem von Bode dem
Verrocchio zuertheilten ebendaselbst^), auf einem kleinen Gemälde
Pinturichio's im Monte di pietä zu Rom, einem florentinischen
Bilde im Louvre (Nr. 494) und auf Andrea's del Sarto Fresko
in den Scalzi.
7. Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Schon in der
trefflichen Komposition der Oberkirche in Assisi macht sich in der
Anordnung der links und rechts sitzenden Schriftgelehrten, in der
Durchgeistigung des Christusknaben ein bedeutender Fortschritt
gegen die früheren Darstellungen bemerkbar, so daß der Schritt
von ihr zu Giotto's Bild in Padua kein großer erscheint. Später
in Assisi gestaltet Letzterer die Szene reicher, gerade nicht zu ihrem
Vortheil. Der lehrende Knabe mußte für die Kunst immer die
Hauptsache bleiben : darin unterscheidet diese sich von der Dich-
1) Cap. xin s. 528.
2) Phot. Alinari.
3) Galerie Nr. 93 und 94. S. auch Jahrb. der Preuß. Kunstsamml. III, S, 249
mit Abb.
Die Passion Christi. 473
tung, welche das Hauptgewicht auf den Schmerz, die Ueberraschung
und Freude der Mutter legt. Als die Eltern den Knaben ver-
missen, eilt Maria, nach ihm zu fragen, durch die Häuser und betet
in angsterfüllten Worten zu Gott. Endlich finden sie ihn im
Tempel. ,,Da, als sie ihn sah, freudig bewegt, wie zu neuem Leben
erstanden, kniete sie nieder und dankte unter Thränen Gott. Der
Knabe Jesus aber, als er die Mutter gewahrt, kommt zu ihr; da
nimmt sie ihn zwischen die Arme und drückt und küßt ihn süß
und legt ihr Antlitz an seines und hält ihn lange in ihrem Schooße
und findet endlich Ruhe, da sie ihn hat." Dann kehren sie nach
Nazareth zurück.^)
Konnte auch im Bilde die rührende Szene, wie Mutter und
Kind sich wieder haben, nicht dargestellt werden, das harmvolle
Sehnen und Verlangen der Maria ward schon von Giotto in
ergreifender Weise wiedergegeben.
Dieser Vorgang ist der letzte, der von dem Dichter der Medi-
tationes ausführlich behandelt wird, die Taufe Christi, sein folgen-
des Lehren und Wunderwirken erzählt er nur kurz im Anschlüsse
an die Evangelien. Erst die Leidensgeschichte bietet seiner Phan-
tasie neuen, fruchtbaren Stoff. Es ist ihm darin nicht anders
gegangen als dem Künstler.
Die Passion Christi.
I. Der Abschied von Maria in Bethanien. Die bil-
dende Kunst hat diese rührenden Szenen nur ganz ausnahmsweise
dargestellt — obgleich sie eine nicht unbedeutende Rolle in der
italienischen Dichtung gespielt zu haben scheinen und, frei aus der
Phantasie geschaffen, voll reicher poetischer Empfindung sind.
Wenn sie in den Meditationes noch auf die kurzen, aber rührenden
Reden der Maria und Magdalena beschränkt sind, die den Herrn
zurückzuhalten suchen, und auf die Mittheilung, die Jesus ihnen
von seinem nahen Leiden und Sterben macht, so erscheinen sie in
der aus dem XIV. Jahrhundert stammenden ,Devozione del giovedl
Santo' in ausführlichster Weise behandelt.^ Das Mysterium beginnt
1) Med. cap. XIV. S. 530.
2) F. Palermo: I Manoscritti Palatini. Firenze 1860. II. Bd. S. 272 ff. Ueber
den Einflufi, den das Mysterium auf die Kunst gehabt, vergl. Springer: Mitth. der k. k.
C. C. 1860, S. 125 ff. und C. Meyer: Vierteljahrsschrift f. K. u. L. der Renaissance
I, S. 162. Neuerdings: Weber: Geistl, Schauspiel und bild. Kunst.
474 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
damit, daß Maria mit Magdalena und Martha dem von Jerusalem
kommenden Christus entgegengeht und ihn mit liebend tadelnden
Worten empfängt, weil er sein Leben den ihn heimlich verfolgen-
den Feinden ausgesetzt. Er verweist sie auf den Willen Gottes
und umarmt sie. Dann setzen sie sich zu Tisch. Maria bleibt
immer bei ihm, küßt ihn und hört nicht auf, ihn zärtlich: ,mein
Sohn' zu nennen. An der Tafel befindet sich auch Lazarus. Dann
ruft Christus Magdalena bei Seite, die knieend ihn anhört :
O meine Tochter Magdalena,
Ich möchte Dich von Herzen bitten:
Laß meine Mutter Dir empfohlen sein:
Ich scheide noch an diesem Tage,
Denn gehen will ich nach Jerusalem.
Gefangen werde ich vom wilden Volke
Und zu dem Tod am Kreuz verdammt.
Und darob wird der Schmerz so groß sein,
Den meine Mutter fühlen wird betrübt,
Daß er ihr bis zum Herzen dringt.
Drum bleib mit ihr zu jeder Zeit,
Du und Johannes auch, mein theurer Bruder,
Und dieses halte ganz geheim.
So lange bis man mich gefangen nimmt.
Magdalena antwortet :
Mein Herr und Gott, ich bin bereit,
Alles zu thun, was Du befiehlst.
O weh mir, bitter, trostlos, traurig,
Das wird ein böser Tag für mich!
Weh mir, mein Meister, wie verlassen bin ich!
Und Deine Mutter auch, elend und leidend
Wird sie, erfährt's sie erst, mein güt'ger Meister!
Dann kehrt Christus zu den Andern zurück, Magdalena aber
bleibt. Maria kommt zu ihr und fragt sie, was der Herr ihr gesagt.
Sie aber versagt die Antwort. Da eilt die Mutter und fallt vor
Christus nieder und bittet ihn, ihr doch sein Leiden zu vertrauen.
Da hebt er sie mild auf und kündet ihr das Traurige. Wie todt
fallt sie zu Boden. Dann von Christus aufgehoben, ruft sie :
Nicht nenne nun mich mehr Maria,
Da ich Dich selbst verlieren soll, mein Sohn!
Kein Weib empfand je größere Leiden,
Wie giebst Du's zu, Du höchster Gott?
Du sei gesegnet, Sohn, seit Du geboren.
Seit ich in meinem Leibe Dich getragen.
Die Passion Christi. 475
Von Schmerz überwältigt sinken Beide zur Erde. Dann erhebt
sich Maria und fällt vor Judas auf die Kniee, der sie ruhig knieen
läßt, und bittet ihn, auf den Herrn Acht zu geben. Doppelsinnig
antwortet er:
Nicht thut es Noth, mich gar so sehr zu bitten,
Denn was zu thun ich habe, weiß ich wohl.
Dann bittet sie auch Petrus, worauf sie mit Martha und Magda-
lena zu Christus geht. Der bezeugt ihr seine Ehrerbietung, umarmt
sie und macht Miene fortzugehen. Ihr Verlangen, ihn noch bis zu
den Thoren der Stadt begleiten zu dürfen, gewährt er. Dann, als
die Mutter vergeblich ihn gebeten, sie bei sich zu behalten, nehmen
sie herzbrechenden Abschied. Vor Schmerz sinken sie zusammen.
Dann erhebt sich Christus und geht durch ein anderes Thor nach
Jerusalem hinein. Er läßt ihr zum Trost den Engel Gabriel , bis
er ihr Johannes senden könne. Zum letzten Male ruft sie dem
Sohne nach :
O Du mein heißgeliebter Sohn,
O Du mein anmuthvoller Sohn,
Durch welches Thor bist Du hineingegangen, .
O Du mein Sohn, Du meine ganze Freude,
So ohne Trost bist Du geschieden!
Sagt mir, ihr Frauen, bei der Liebe Gottes
Wohin mein Sohn gegangen ist?
Gabriel und die Frauen trösten sie. Sie wirft sich vor Magda-
lena und Martha nieder und fleht sie an , sie nicht zu verlassen.
Dann kehren sie nach Bethanien heim.
Im Innersten ergreifend wirkt diese schmucklos natürliche und
dabei so hoheitsvolle Dichtung schon beim Lesen — welchen Ein-
druck muß sie, lebhaft und natürlich dargestellt, in der szenischen
Aufführung ausgeübt haben. Dabei aber muß man annehmen, daß
den Passionsspielen dieser Abschied nicht allen gemeinsam gewesen
ist — sonst wäre er doch öfter auf Kunstwerken dargestellt worden.
Nur zwei italienische Bilder habe ich gefunden, die ihn wieder-
geben , und zwar hängt das eine , welches , wie mir scheint , ein
Werk des Pier Francesco Sacchi ist, in der Franziskanerkirche zu
Pavia. Es ist der AugenbHck gewählt, in dem Christus, um zu
scheiden, auf die Kniee vor der Mutter niedergesunken ist, die, von
Magdalena gehalten, ihn segnet. Hinter Christus steht Lazarus. Das
andere, ein Werk des Caroto in S. Bernardino zu Verona, zeigt
Maria, wie sie sich mit entsetztem Ausdruck zu dem links knieen-
476 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
den Christus wendet, während von rechts Magdalena, gefolgt von
mehreren Frauen, mit leidenschaftlich ausgestreckten Armen herbei-
eilt. Im Hintergrunde sieht man Lazarus und mehrere Männer.^)
Daß beide Bilder in Franziskanerkirchen hängen, ist wohl kein
bloßer Zufall. Außerdem stellt noch ein Kupferstich Robetta's
(B. 9) die Szene dar.
2. Das Abendmahl und die Fußwaschung. Die kurze
Besprechung in den Meditationes ist ohne wesentliche Bedeutung
für die Kenntniß der allmählichen Entwickelung und Veränderung
der Kompositionen. Es handelte sich für den Schriftsteller hier
offenbar mehr um eine kulturhistorische Studie. Er macht darauf
aufmerksam, daß Christus und seine Jünger nach der antiken Sitte
am Boden gesessen hätten und zwar je zu drei an jeder Seite des
quadraten Tisches, Christus an einer Ecke, daß sie das Lamm
stehend gegessen und erst dann sich gesetzt. Eine größere An-
schaulichkeit gewinnt er erst wieder bei der Fußwaschung : „da neigt
sich die höchste Majestät und der Meister der Demuth beugt sich
bis zu den Füßen des Tisches und kniet, während Jene sitzen. Mit
den eignen Händen wäscht, trocknet und küßt er ihrer Aller Füße." ^)
In der Devozione des Gründonnerstags fehlen beide Szenen ganz.
Von Interesse ist es, daß das erste in einem Refektorium ge-
malte Abendmahl sich in dem Kloster von S. Croce befindet, und
daß gerade dieses mit seiner breit gestreckten Anordnung für alle
folgenden florentiner Künstler bis auf Lionardo maaßgebend wird.
Nicht mit Unrecht geben Crowe und Cavalcaselle es dem Taddeo
Gaddi, der aber vielleicht an ein Werk Giotto's angeknüpft hat. ^)
3. Christus in Gethsemane und die Gefangen-
nahme, Geißelung und Dornenkrönung. Auch diese Vor-
gänge schildern die Meditationes sehr kurz und sachlich, gleichsam
als drängten sie zu dem Augenblick, in dem Maria wieder auftritt.
In der Devozione hält sich die Handlung ziemlich genau an die
^) A. Schulz: Leg. der Maria S. 66 führt dieses Bild neben andern, deutschen
Kunstwerken an ; die deutsche Kunst hat die Szene öfter dargestellt. Vergl. auch Otto :
Handbuch der kirchl. Kunstarch. V. Aufl. I, S. 532.
2) Cap. LXXIII, S. 596.
^) Phot. Alinari. — Vergl. Riegel: Darstellung des Abendmahls i. d. tose. K.
Hannover 1869, S. 31. — Crowe. I, S. 299. — Die Nebeneinanderordnung der Jünger,
aller bis auf Judas, hinter dem Tische übrigens auch schon früher, z. B. auf dem Relief
des Gruamons über dem Portal von S. Giovanni fuorcivitas in Pistoja.
Die Passion Christi. 477
biblische Geschichte und fügt nur eine interessante Episode ein :
als Christus gegeißelt worden, ruft er Johannes zu sich und sendet
ihn mit dem Auftrag aus , Maria zu suchen und zu holen. Dieser
geht und fragt die Frauen, ob sie Maria nicht gesehen, der er die
traurigste Kunde zu bringen habe. Magdalena begegnet ihm, er
bittet sie , ihn doch zur Mutter Christi zu begleiten , da er allein
nicht den Muth habe. Dann kommt Maria ahnungsvoll aufgeregt
und erfährt von Magdalena, daß Jesus an jener Stelle zur Kreuzigung
vorbeigeführt werden solle.
4. Die Kreuztragung. Von Giotto's Bild in Padua bis zu
Raphael's Spasimo di Sicilia findet in der Darstellung der Kreuz-
tragung eine beständige Steigerung des Affektes statt. Mit Giotto
gelangten alle Künstler zur Einsicht, daß nicht Christus allein Gegen-
stand des Interesses sein dürfe, sondern daß sich sein Leiden, in
dem Schmerze der Mutter wiedergespiegeit , erst in seiner ganzen
Furchtbarkeit dem Beschauer vergegenwärtigen lasse. Hatte die
ältere Kunst sich meist darauf beschränkt, den kreuztragenden
Christus allein inmitten einer Schaar von Soldaten seinen Weg ziehen
oder wenigstens Maria und Johannes nur stille, ruhige Beobachter
sein zu lassen, so sind Giotto und Simone Martini ^) die Ersten, die
das eindrucksvolle dramatische Motiv einfuhren, wie die schmerzlich
bewegte Maria roh und gewaltsam von Kriegsknechten zurückge-
drängt wird, Christus aber den Blick zu ihr zurückwendet. Ist aber
hier die Verzweiflung der Frauen noch gemäßigt, so findet sie
schon auf dem Bilde des Lorenzettischülers in Assisi, auf denen des
Niccolö di Pietro Gerini in der Sakristei von S. Croce und in der
Kapelle des heiligen Bonaventura in S. Francesco zu Pisa lebhafteren
Ausdruck. Auf Darstellungen des XV. Jahrhunderts sehen wir Maria
in qualvoller Angst zu Boden sinken, immer mehr nähert sie sich
dem Sohne, dessen Theilnahme an dem Leiden der Mutter zugleich
immer mehr wächst, bis Raphael das Höchste ausspricht: unter
der Last des Kreuzes ist Christus selbst zu Boden gesunken und
dicht neben ihm, so daß sie ihn fast erreichen kann, kniet, von den
Freunden gehalten, Maria in ohnmächtiger Sehnsucht die Hände
nach dem geliebten Sohne ausstreckend , als wollte sie ihm das
Kreuz abnehmen !
Was aber die bildende Kunst erst um 1 500 erreicht, die drama-
^) Paris. Louvre 260.
478 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
tische und wohlabgewogene Darstellung des höchsten Affektes, haben
zweihundert Jahre früher schon die Dichter erfaßt. Nur mit weni-
gen Worten schildern die Meditationes die Kreuztragung , aber in
ihnen das WesentHche : „Betrachte ihn nun hier gut, wie er dahin
geht unter das Kreuz gebückt und heftig keucht. Und da seine
traurige Mutter ihm wegen der Menge des Volkes nicht nahen und
ihn nicht sehen konnte, ging sie einen Anderen kürzeren Weg mit
Johannes und ihren Begleiterinnen, um so den Andern zuvorkommend
sich ihm nähern zu können. Als sie aber vor dem Thore der
Stadt am Kreuzwege ihm begegnete und ihn von der Last so großen
Holzes gedrückt sah, was sie zuvor nicht gesehen, da ward sie halb-
todt vor Beklemmung und konnte ihm kein Wort sagen." ^)
Etwas anders ward der Vorgang in der Devozione dargestellt.
Christus kommt mit dem Kreuze auf der Schulter, gefolgt von den
Schachern und von einigen Frauen. Zu ihnen wendet er sich und
spricht die Worte : Weinet nicht über mich , sondern über euch
und eure Kinder. Dann zu dem Volke gewendet, prophezeit er
Schaden und Zerstörung. Und noch während er das sagt, nähert
er sich der Stelle, wo Maria mit Magdalena und Johannes steht,
bis sie sich gegenüber sind. Da wirft sich Maria an seinen Hals,
ihn zu umarmen, und Christus wirft das Kreuz auf die Erde. Aber
die Juden treiben sie zurück, und sie klagt laut und erinnert das
Volk an die Weissagung des Jesajas. Und als sie das gesagt, will
sie das Kreuz erfassen, aber die Juden treiben sie zurück. Sie sinkt
wie todt mit Christus zu Boden. Das benutzen die Juden und
bringen Jesus fort. Da wendet sie sich, als sie ihn nicht mehr sieht,
zu den Frauen :
Ihr seht, o Frauen, welche große Schmerzen
Die Mutter fühlt, traurig und ohne Trost.
Sie haben ihn mir genommen, meinen Glanz,
Und traurig mich mir selbst gelassen.
Weh mir, der Schmerz brennt mir im Herzen,
Ein böser Tag ist dieser mir erschienen!
Sagt mir, ihr Frauen, sagt mir gütig,
Wohin ist er gegangen? zeigt den Weg mir!
Der Schmerz der Mutter Maria ist der Mittelpunkt der Szene
— durch die Darstellung der Maria hat auch in der bildenden
Kunst die Kreuztragung erst ihre eigentliche künstlerische Bedeutung
erhalten.
1) Cap. LXXVn S. 604.
Die Passion Christi. 47g
Von Interesse ist es , daß die Meditationes in einem späteren
Kapitel (LXXXVII, S. 617), als die Frauen zum Grabe Christi gehen
und dabei der Kreuztragung Christi gedenken , zuerst einen Ge-
danken aussprechen, den Martin Schongauer als Hauptmotiv auf
seinem großen Kupferstiche, nach ihm Raphael verwendet. „Hier,"
sagen die Frauen , ,, wandte er sich zu den Weibern , hier legte er
ermüdet das Kreuz nieder und auf jenen Stein stützte er
sich einen kurzen Augenblick."
Die Idee, den kreuztragenden Christus allein und als Brustbild
darzustellen , taucht erst im XV. Jahrhundert auf und zwar, soviel
ich sehe, zuerst in Oberitalien auf
5. Die Kreuzanheftung. Die Devozione fährt fort : Maria,
Johannes und Magdalena kommen zur Schädelstätte. Als der Pre-
diger das Zeichen giebt, nageln ihm die Juden die eine Hand an,
dann die andere. Darauf heben sie ihn empor. — Ausführlicher
schildern die Meditationes den Vorgang, indem sie die verschiedene
Art angeben, in der er an's Kreuz geheftet worden sein könne.
Zunächst die eine : Einige befestigen das Kreuz in der Erde, Andere
bereiten die Nägel und Hammer, Andere die Leitern, Andere ziehen
ihn aus. Da erbarmt sich Maria seiner Blöße und verhüllt sie mit
ihren Haaren. Dann werden zwei Leitern hinten angelehnt, auf
denen die Henker emporsteigen, eine dritte kleine vorne bis in die
Höhe, wo die Füße angenagelt werden sollen. Auf dieser muß er
emporsteigen und er thut es demüthig ohne Widerspruch. Dann
ziehen die Schergen seine Arme aus und nageln sie fest , und so
hängt der nach unten ziehende schwere Körper bloß an den Händen,
bis auch die Füße mit einem Nagel befestigt werden. ,,Es giebt
aber auch welche , die glauben , daß er nicht auf diese Weise ge-
kreuzigt worden sei, sondern während das Kreuz auf der Erde lag,
und daß sie ihn dann aufgerichtet und das Kreuz in der Erde be-
festigt hätten. Gefällt dies mehr, so betrachte nun, wie sie ihn er-
greifen, verächtlich wie den verworfensten Räuber und ihn wüthend
an der Erde auf das Kreuz werfen, seine Arme erfassen und sie
gewaltsam ausdehnen und in grausamster Weise ans Kreuz heften.
Sieh auch, wie dasselbe mit den Füßen geschieht, die sie ausdehnten,
so gewaltsam sie nur es vermochten. ^)"
Sehr selten nur hat die italienische Kunst diesen Vorgang her-
1) Cap. LXXVIII, S. 605.
480 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
gestellt. Unter den wenigen Darstellungen aber sind mir als früheste
ein Bild in der Art des Cimabue in Berlin (1042), auf dem Christus
nackt die Leiter hinansteigend und von einem Manne oben gezogen
dargestellt ist, und ein anderes von Martino di Bartolomeo in der
Akademie zu Siena (117, Predelle) bekannt, auf dem der vor dem
Kreuze stehende Christus von einem auf einer Leiter stehenden
Manne gehalten wird , indessen zwei andere ihm das Gewand aus-
ziehen, ein vierter ihn geißelt. Einen etwas späteren Augenblick
wählt Fra Giovanni Angelico auf einem Fresko in einer der Zellen
zu S. Marco in Florenz. Hier steht der Heiland, ganz entsprechend
der obigen Schilderung, vor dem Kreuze auf einer kleinen Leiter
und zwei auf andern Leitern daneben befindliche Schergen sind im
Begriffe, seine Hände anzunageln. — Der Moment vor der Anhef-
tung ist auf einem Fresko Pacchiarotto's (?) in der Akademie zu
Siena dargestellt : noch liegt das Kreuz am Boden, ein Mann zieht
Christus das Gewand aus, zwei andere mißhandeln ihn, indeß, wie
auch auf den andern Bildern Maria, Johannes und die Frauen klagend
dabeistehen. — Der zweiten Version folgt Pordenone auf seinem
bewegten Fresko im Dome zu Cremona, welche darstellt, wie Chris-
tus auf das am Boden liegende Kreuz geschnürt wird. ^)
6. Die Kreuzigung. Wohl auf keinem andern Gebiete der
Darstellungen christlicher Geschichte hat sich der direkte Einfluß
des Franziskus so bedeutend geltend gemacht, als auf dem der
Kreuzigung Christi. Der Kultus des Kruzifixus, den er, selbst
ein Abbild des Gekreuzigten, hervorgerufen, hat der Kunst schon
fast unmittelbar nach seinem Tode einen mächtigen Impuls gegeben.
Giunta malt im Auftrage des Elias 1236 ein Kruzifix für S. Fran-
cesco in Assisi ^) , ein anderes für S. Maria degli Angeli , um die-
selbe Zeit für S. Chiara in Lucca Berlinghieri das Diptychon mit
der Kreuzigung, das jetzt in der Akademie von Florenz sich be-
findet. Aus dem Anfang des Jahrhunderts stammt auch ein wunder-
liches, rohes Kruzifix in S. Francesco zu Pistoja. Für S. Francesco
in Perugia hat jener Meister des Franziskus das riesige Kruzifix
geschaffen, das jetzt in der Gallerie von Perugia hängt, in S. Fran-
cesco zu Arezzo befindet sich noch heute das ihm ähnliche mäch-
tige des Margaritone, ein anderes in S. Francesco zu Castiglione
^) So auch im Malerbuch. Didron, S. 194.
^) Innocenz IV. weiht 1253 „cruces in variis Conventus partibus depictas". Angeli:
CoUis Paradisi tit. XXI.
Die Passion Christi. 48 1
Fiorentino. Cimabue hat in Assisi den Auftrag erhalten, das eigen-
thümHche Bild des Gekreuzigten für S. Chiara zu malen, in zwei
monumentalen Werken in der Kirche S. Francesco die Kreuzigung
dargestellt. *) Einem seiner Zeitgenossen verdankt S. Croce in
Florenz das große Kruzifix im Korridor der Sakristei, einem Nach-
folger des Giunta S. Francesco in Pisa eine merkwürdige gleiche
Darstellung. Für Franziskanerkirchen sind fast alle die Kruzifixe
des XIII. Jahrhunderts geschaffen worden, mit denen das Studium
der Darstellung der Kreuzigung in der neueren Kunst zu beginnen
hat. Macht sich doch schon in den Arbeiten des Giunta eine neue
naturalistische Auffassung Christi geltend. Letzterer steht nicht
mehr wie auf den früheren Bildern, z. B. den Kruzifixen in S. Marta
zu Pisa, in S. Michele zu Lucca, in S. Chiara zu Assisi, in S. Giuglia
zu Lucca, in S. Sepolcro zu Pisa, in Sarzana, im Dom zu Spoleto,
in der Pieve zu Arezzo, in S. Giuliano zu Castiglione Fiorentino,
starr aufrecht, auch schaut der Kopf nicht mit offenen Augen en
face heraus, sondern es wird versucht, das Hängen des schwer
lastenden Körpers durch eine leichte Ausbiegung desselben deuthch
zu machen, und der Kopf mit geschlossenen Augen sinkt auf die
Schulter herab. ^) Damit ist das fortan herrschende neue Ideal für
das Kruzifix gefunden : der t o d t e Christus ! Die nächste Zeit über-
treibt die ausgebogene Haltung des Körpers, wie die Kruzifixe des
Margaritone, des Meisters des Franziskus, des Cimabue, das kleine
in der Sakristei von S. Francesco zu Assisi befindliche Bild , das
im Kapitel des Domes von Pistoja aufbewahrte, das in S. Pierino
zu Pisa, das des Deodati Ordandi in der Akademie zu Lucca be-
weisen. Zugleich hat sich ein gewisses Schema für die scharf und
trocken angegebene Anatomie des Körpers herausgebildet, das zuerst
Niccolö Pisano auf seiner Kanzel zu Pisa, dann Cimabue in Assisi
in mächtiger, neuer Formenauffassung kraftvoll überwindet. Niccolö
läßt auch zuerst die Füße mit einem Nagel an den Stamm ge-
heftet sein, während sie auf den erwähnten anderen Bildern noch
^) Nach Vasari malte er auch einen Chr. a. K. zwischen Maria und Johannes für
S Francesco in Pisa. I, 255.
*) Diese Kopfhaltung ist schon auf früheren Arbeiten des X. Jahrhunderts be-
merkbar, ist aber für Italien damals etwas Neues. Die bisher allgemeine Ansicht, jene
Kruzifixe -wären die Arbeiten einer verkommenen, untergehenden Kunst, scheint mir
durchaus irrthümlich — sie zeugen vielmehr sehr deutlich von neuen Anschauungen
und neuer formender Kraft.
Thode, Franz von Assisi. ) ^1
482 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
getrennt angenagelt sind. ^) Giotto , ebenso wie Giovanni Pisano,
folgt ihm darin und findet, zu gleicher Zeit wie auch Giovanni in
seinen Reliefs in Pistoja und Pisa, eine neue gemäßigtere und
fortan bestimmende Lösung für die Haltung des Körpers, indem
er diesen ein wenig herabsinken, gleichsam in die Kniee fallen läßt.
Zugleich verschwinden im Laufe des XIII. Jahrhunderts die dem
Kruzifixe beigegebenen kleinen Passionsszenen, und es erhalten sich
nur die Brustbilder von Maria und Johannes am Ende der Kreuz-
arme. Die lateinische Form des Kreuzes wird zwar für die Kruzifixe
noch beibehalten, aber auf eigentlichen Darstellungen der Kreuzi-
gung verschwindet sie seit Giotto fast vollständig und macht der
T Form Platz : nur die Inschrifttafel ragt in der Mitte über die Kreuz-
arme hervor. So viel ich weiß, wendet sie Niccolö Pisano zuerst
auf der Kanzel in Pisa an, dann Giotto in Padua und Assisi.
Sicher aber geschah diese Veränderung nicht aus bloßer künst-
lerischer Willkür, sondern ward durch allgemeine Anschauungen be-
dingt. Und zwar war früher die Annahme, das Kreuz habe die
TForm gehabt und der Körper sei mit drei Nägeln befestigt ge-
wesen, wie es scheint, ein Glaubenssatz der Waldenser gewesen
und als solcher allgemein gemißbilligt worden. ^) Sind etwa auch
hierin die Franziskaner als Vermittler zwischen den Ketzern und
der Kirche eingetreten.? Es ist mir leider nicht gelungen, irgend
welchen Aufschluß darüber aus den litterarischen Quellen zu ge-
winnen. Eines aber steht fest : die neue Auffassung des Crucifixus
und der Eifer, mit dem sich die Kunst des Duecento daran macht,
es zu verherrlichen, läßt sich nur aus den Anschauungen des Franz
erklären, und die Wandlung ist sehr charakteristisch fiir seinen und
seines Ordens Geist : ,,die Idee von der Unsterblichkeit Gottes und
der Freiwilligkeit des Leidens Jesu", die, wie Otte sagt ^), der Auf-
fassungsweise des älteren Typus zu Grunde liegt , weicht dem
menschlichen Mitgefühl für den in unaussprechlichen Leiden ge-
storbenen Menschensohn.
^) Einige vereinzelte Beispiele der drei Nägel giebt es schon aus dem XI. Jahr-
hundert. Otte und aus'm Weerth : Zur Ikonographie des Crucifixus. Bonner Jahr-
buch XLVI, 148.
*) Vergl. Hnrter's Gesch. Innocenz' III., 11. Aufl. 1842. 11. Bd., S. 244 A. 491,
wo der Hinweis auf die maßgebende Stelle in Lucas Tudensis: contra Waldenses.
II, 10. II. Ausgabe in der Bibl. Patr. max. Lyon 1677.
«) A. a. O. I, S. 537.
Die Passion Christi. 483
Dieser neuen Auffassung aber entspricht es nun ferner, wenn
der Gläubige selbst zum Zeugen des Leidens wird, knieend am
Kreuzesstamm niedersinkt, den Heiland zu verehren. So ließ sich
Elias auf dem Kruzifix des Giunta darstellen , so erscheint die
Domina Benedicta auf dem in Chiara, so vor Allem Franz auf
denen in Arezzo und Perugia. Damit ist aber der erste Schritt
geschehen zu einer Neugestaltung auch jener Devotionsbilder, die
Christus am Kreuze zwischen Maria und Johannes zeigen. Der
Mutter und dem Lieblingsjünger gesellt sich der knieende Franz,
und bald folgen ihm andere Heilige unter den Kreuzesstamm, zuerst
seine großen Jünger Bonaventura , Ludwig , Antonius von Padua,
dann bald auch Dominicus mit seinen Ordensgenossen, und so
entwickelt sich jene nach Wunsch des Stifters mehr oder weniger
figurenreiche Komposition des von Heiligen umgebenen
Gekreuzigten.^)
Nicht minder aber erfährt unter dem Einflüsse der Franzis-
kaneranschauungen die dramatische Darstellung der Kreuzigung
eine durchgreifende Veränderung. Auch diese wird erst jetzt
künstlerisch lebensfähig, da Das, was ihren eigensten höchsten
Inhalt ausmacht : der Affekt , ans Tageslicht tritt. Wohl hatten
schon Kunstwerke des XI. und XII. Jahrhunderts versucht, den
Schmerz der Maria und Johannes, die meist allein von den Freunden
Christi links und rechts vom Kreuze stehen, auszudrücken, wohl
hatte man den Vorgang selbst durch die schematischen Gestalten
des Mannes mit dem Ysopstab und den Longinus mit der Lanze,
dann auch durch die um den Mantel würfelnden Soldaten und die
Versammlung der anderen Krieger zu beleben versucht — aber
dadurch hatte die dargestellte Begebenheit noch keine Wirklichkeit
für den Beschauer! Das Ganze erscheint als eine symboHsche
Handlung, Christus als der Gott, dessen körperUches Leiden nicht
wirklich ist, Maria und Johannes weinen nur darüber, daß er von
ihnen geschieden ist. Auch ist kein bestimmter Augenblick wieder-
zugeben versucht: zu gleicher Zeit giebt man ihm zu trinken und
öffnet man seine Seite. Die allegorisirende und symbolische Zu-
that der Personifikationen der Sonne und des Mondes, der Erde,
der Schlange kennzeichnen den andeutenden Charakter dieser Dar-
stellungen.
^) Man vergl. die oben S. 94 angeführten Bilder.
484 Di^ künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
Im Laufe des XIII. Jahrhunderts vollzieht sich nun die Wand-
lung: alles Allegorisirende und SymboHsche verschwindet, Alles
wird Wirklichkeit und Leben. Die letzten Worte : „Es ist voll-
bracht" sind verhallt. Christus ist gestorben, als Mensch, der
namenlose Schmerzen gelitten : die Mutter , die mitfühlend Alles
selbst an sich erfährt, bricht, vom Uebermaaß des Schrecklichen
überwältigt, nun da er ihr ganz genommen, ohnmächtig zusammen,
Johannes und die andere Maria suchen sie aufrecht zu erhalten,
weinend ist Magdalena am Kreuzesstamm niedergesunken,^) In
gemischten Gefühlen schaut die Schaar der Schergen hinauf, und
die gierigen Soldaten streiten sich um den Mantel. Wie Vögel
aber umflattern verzweifelte Engel klagend und schreiend den
todten Herrn. ,
Ob nun die Darstellung klein oder figurenreich, ob Christus
allein oder inmitten der Schacher dargestellt ist, ob wenige Krieger
zur Seite stehen oder das Bild ganz erfüllt ist von Reitern und
Fußsoldaten — das Wesentliche, die Wiedergabe eines wirklichen
und zwar des fruchtbarsten Momentes, des Affektes in seinen ver-
schiedenartigen Aeußerungen ist ihnen fortan allen gemein. Schon
Berlinghieri's steifes, so alterthümlich scheinendes Bild in der Aka-
demie zu Florenz zeigt in der Gruppe der von den Frauen gehal-
tenen Maria die ersten Spuren der neuen Auffassung, Niccolö
Pisano an der Kanzel zu Pisa giebt ihr einheitlichen, fast wilden
Ausdruck, aus den halb verloschenen Fresken Cimabue's in der
Oberkirche zu Assisi weht der Athem einer fessellosen Leidenschaft,
Giotto verleiht dieser in Padua und Assisi (Abb. 69) Maaß, ohne sie
doch zu schwächen. Wir brauchen die Entwicklung nicht weiter
zu verfolgen ; der Grundton bleibt derselbe ! Bemerkenswerth nur
erscheint die Thatsache, daß, gegenüber der einfacheren, aber
bedeutenderen Kompositionsweise der Kreuzigung bei den Floren-
tinern im XIV. Jahrhundert, die Sienesen von dem Vorbilde Duccio's
und A. Lorenzetti's, dessen Gemälde in S. Francesco zu Siena an
dramatischem Leben mit denen Giotto's wetteifern kann, abgehen
und dieselbe mit Figuren in einer fast wirren Weise überhäufen,
als könnten sie sich nicht genug thun. Man vergleiche die Fresken
^) Das Zusammenbrechen der Maria ist einmal schon im XII. Jahrhundert in
Deutschland dargestellt , auf einem der Gemälde in Schwarzrheindorf. Aus'm Weerth :
Wandmalereien des MAs. in den Rheinlanden. T. XXVIII. Vergl. Otte , a. a. O.
s. 539.
Die Passion Christi. 485
in der Kapelle degli Spagnuoli, im Camposanto zu Pisa, in der
Unterkirche zu Assisi.^)
Fragen wir uns nun aber, wodurch es den Künstlern gelungen,
unser innerstes Empfinden durch ihre Darstellungen der Kreuzigung
so mächtig aufzurütteln , so lautet hier , wie bei Betrachtung der
Kreuztragung, die Antwort: durch den Schmerz der Maria! Und
der Schmerz der Maria ist es, den Jacopone in seinem wunder-
baren ,Stabat mater dolorosa' besungen, dem Bonaventura die
ergreifendsten Worte verliehen, den zu schildern Pietro da Barsegape
den einförmigen Lauf seiner biblischen Dichtung einmal unter-
bricht -), der in der Devozione der Grundton ist, der Bohifacio VIII.
zu einem Liede begeistert hat ^) : der Schmerz der Mutter, welcher
der geliebteste Sohn in grausamen Martern genommen wird !
,, Welche Zunge," sagt Bonaventura, ,, könnte aussprechen, welcher
Verstand fassen die Schwere Deiner Leiden , selige Jungfrau ; die
Du Allem dem Erwähnten gegenwärtig, anwesend und in jeder
Weise theilhaft geworden, das benedeiete und heiligste Fleisch, das
Du so keusch empfangen, so süß genährt und mit Milch getränkt,
so oft an Deinen Busen gelehnt, so oft von Lippe zu Lippe geküßt,
mit erglühendem Antlitze betrachtet. Du mußtest sehen, wie es jetzt
von Geißelhieben zerrissen, jetzt von Dornen durchbohrt, jetzt vom
Rohre geschlagen , jetzt mit Faustschlägen zerhauen , jetzt mit
Nägeln durchbohrt an den Stamm des Kreuzes geheftet und schwer
herabhängend zerfleischt, jetzt verspottet mit Galle und Essig
getränkt ward!"*) Maria's Klage aber erklingt ergreifend in Jaco-
pone's Liede : ,or si incomincia lo duro pianto', in dem auch
erwähnt wird , wie die beiden Marien die geängstigte Mutter
umfangen. Und dann in dem herrlichen andern : , Donna del
Paradiso'.^^)
^) Auch einzelne Norditaliener haben diese Vorliebe , z. B. Altichieri in S. An-
tonio zu Padua, jener Michele da Verona, von dem eine Kreuzigung in S. Stefano in
Mailand, eine andere in S. Maria in Vanzo in Padua hängt etc.
2) Biondelli a. a. O. S. 296.
^) Nannucci: Manuele d. lit. I, S. 421: Stava la vergin sotto della cruce.
*) Lignum vitae. Opera. Bd. XII, S. 77. — Vergl. auch das lat. Gedicht ,de
sancta cruce' Bd. XIV, S. 17, eine schwungvolle Aufforderung, ganz dem Kreuze zu
leben. Femer auch den ,Stimulus Amoris' in demselben Bande, eine Schrift, in der
durch die Betrachtung der Passion die wahre Gluth der Liebe der Seele zu ihrem
Bräutigam, die Kontemplation, wachgerufen werden soll, voll leidenschaftlicher Ekstase.
^) in, 13.
486 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
O Sohn, die Seele entfloh Dir,
O Sohn der Gramverlornen,
Das Licht ist mir verschwunden,
Des Herzens bin beraubt ich.
Wehe, mein Sohn, so schuldlos,
Du meine leuchtende Sonne,
In andere Welten gingst Du,
Wie seh ich Dich verdunkelt.
O Sohn, so weiß, so rosig,
O Sohn, so ohne Gleichen,
O Sohn, wo find' ich Stütze,
Allein ließ'st Du das Herz mir.
O Sohn, so weiß und helle.
So fröhlich anzuschauen,
Ach warum hat die Welt doch
Dich höhnend so verschmäht?
O Sohn, so süß und lieblich,
O Sohn der Leidensvollen,
Wie haben doch die Leute
Dir Uebles angethan!
„Es stand die Mutter," sagen die Meditationes, ,, zwischen seinem
Kreuze und dem der Schacher und wandte nicht die Augen von
dem Sohne ab und litt Qualen wie er selbst und betete mit ganzem
Herzen zum Vater. — O was litt da die Seele der Mutter, als sie
so qualvoll ihn kraftlos werden, erschlaffen, weinen und sterben
sah ! Ich meine, daß sie wohl vor der Menge der Beängstigungen
ganz ohne Bewußtsein, wie unbeweglich oder halbtodt war, jetzt
noch viel mehr, als da sie ihm begegnete, wie er das Kreuz trug."
Als dann, nachdem die Menge fortgegangen, eine Schaar von Be-
waffneten kommt und Christus sowie den Schachern die Beine zer-
schlagen will, fleht sie in rührenden Worten um Mitleid. Aber
vergeblich: Longinus, der später Bekehrte, öffnet die Seite. ,,Da
fiel die Mutter halbtodt in die Arme der Magdalena. Johannes,
von Schmerz getrieben, faßte Kraft und erhob sich gegen Jene und
sprach : ihr ungerechten Leute, warum seid ihr so gottlos } Sehet
ihr nicht, daß er todt ist.? Wollt ihr auch seine traurigste Mutter
tödten.? Weichet von hinnen, denn wir wollen ihn begraben.^)"
Eine ganz eigenartige Darstellung der Kreuzigung muß die des
') Cap. LXXVIII— LXXX, S. 608 ff.
Die Passion Christi. 487
schon oft angeführten Mysteriums gewesen sein. Als Christus am
Kreuze in die Höhe gehoben worden ist, sagt er :
O ihr, die ihr auf diesem Weg vorbeigeht,
Gebt Acht, ob jemals solche Wuth ihr sähet.
Als die sie angethan dem Sohn der traurigen Maria,
Denn unter großen Schmerzen geben Tod sie mir.
Verzeih ihnen Vater, denn sie wissen nicht, was sie thun,
Mit der großen Qual, die sie mir geben wollen.
Hierauf bittet Maria das Kreuz, ihn zu schonen. Es folgt die
Predigt und das Gespräch mit den beiden Mördern. Dann stehen
die Todten auf und huldigen Christus, der die Pforten der Hölle
gesprengt. Maria klagt über die Juden , die grausamer seien als
die Todten, und wendet sich zu Magdalena :
Dich bitt' ich, theure Tochter Magdalena,
Sprich ein wenig mit dem Sohne,
Denn gar zu groß ist ach! mein Leiden.
Vielleicht spricht die geliebte Lilie, er zu dir.
Nicht bin ich mehr Maria an Gnade reich!
So groß ward die Verbannung mir,
Daß er zu diesem Schacher sprach.
Um mich Betrübte aber nicht sich kümmert.
Magdalena folgt der Bitte und Christus empfiehlt der Mutter
Johannes als Sohn und sie dem Johannes , worauf Dieser vor ihr
niederkniet und sie tröstet. Maria wendet sich zum Volk, dann
zu Christus :
O du mein Sohn, geliebter Sohn,
Wie läßt du mich so ohne Trost,
Mein Sohn, der ach so theuer mir,
Wie bleib ich traurig, schmerzensvoll,
Dein Haupt ist ganz voll Dornen,
Dein Antlitz blutgebadet.
Keinen als dich will ich zum Sohn,
O süßer Duft, geliebte Lilie!
Sie umfaßt das Kreuz und sinkt wie todt nieder. Die Predigt
beginnt von Neuem, bis Christus ruft: Mein Gott, mein Gott,
warum hast Du mich verlassen.? Das hört der Vater und spricht
zu den Engeln :
Von der Erde hör' ich eine laute Stimme,
Die mich zu großem Mitleid hat bewegt,
Denn von dem Kreuze schreit mein Sohn,
Daß ihm geschehen große Grausamkeit
488 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
Von jenem Volke, das so wüthig ist
Und voll von Neid und großem Unrecht!
Eilt schnell, in meinem Namen ihn zu trösten
Und bleibt bei ihm, bis er gestorben.
Da fliegen die Engel herab und einer spricht zu den anderen:
Schaut euch ein wenig um, ihr sel'gen Engel,
Ob ihr erkennet unsern Schöpfer,
Ans Kreuz geschlagen sind dort drei.
Der in der Mitten bleich und ohne Farbe
Hat angenagelt Hand' und Füße,
Mir scheint, das sei der güt'ge Herr.
Nicht weiß ich's, ob's der Sohn Gottvaters ist.
Denn ihn beweint so sehr die leidensvolle Mutter.
Drei andere Engel erkennen ihn und der eine sagt :
Laßt schnell uns zu ihm gehen,
Sein Blut am Kreuz auffangen.
Da kommt auch der Teufel hervor, muß aber vor den Engeln
an den Fuß des Kreuzes weichen. Auf Christi Ruf: „Mich dürstet",
wird ihm Essig mit Galle unter höhnenden Worten gereicht, die
Maria laut beklagt. Der Teufel versucht, Christus zu verführen,
und nähert sich ihm nach den Worten : „Es ist vollbracht", mit
verlockenden Reden: ,, Steige vom Kreuze und rette dich", aber
Christus weist ihn zurück. Longinus öffnet dem Sterbenden die
Seite und erkennt ihn weinend als wahren Gott an. Dann befiehlt
der Sohn seinem Vater den Geist und stirbt. Der Teufel fährt in
die Tiefe. Maria und Johannes brechen in Klagen aus. Sie wirft
sich an's Kreuz und fällt wie todt zu Boden.
So reich diese szenische Darstellung, dem schauenslustigen und
die Abwechslung verlangenden Volke zu Liebe, ausgeschmückt ist,
so bildet doch ihr Hauptmotiv wiederum der Schmerz der Maria.
Die reizende Fabel von der Entsendung der Engel aber klingt fast
wie eine Dichtung auf die kleinen Himmelsboten in Giotto's Bildern.
Auf die dogmatischen Anschauungen der Franziskaner von dem
Sterben Christi am Kreuze und deren Verherrlichung in der Kunst
soll weiter unten unter der Aufschrift: ,der Baum des Lebens'
eingegangen werden.
7. Die Kreuzabnahme. Was von der Kreuztragung und
der Kreuzigung gesagt worden ist, gilt auch für die Kreuzabnahme
und die folgenden Szenen der Passion : ihre Darstellung erhält ein
neues Gepräge. Zeigten die älteren Kunstwerke, z. B. die an der
Die Passion Christi. 48g
Thüre von Monreale, an der von S. Paolo außerhalb Roms, die
Fresken ebendaselbst, das Relief des Antelami im Dom zu Parma
eine sehr einfache Komposition ^) , so macht sich im XII. und
XIII. Jahrhundert in Toscana eine bewegtere Auffassung geltend.
Während nämlich dort Christus noch mit einem Arme am Kreuze
hängt, den eben der auf der Leiter stehende Joseph lösen will,
Nikodemus den Körper umfaßt, Maria entweder ruhig dabeisteht
oder die linke Hand Christi an die Wange drückt, Magdalena und
Johannes meist unbetheiligt zuschauen, ist schon auf dem Kruzifix
von S. Marta in Pisa, an der Kanzel von S. Leonardo bei Florenz-),
dann auf dem Kruzifix im Dom zu Pistoja'% den (S. 218) be-
sprochenen Bildern vom Meister des Franziskus in Perugia und in
der Unterkirche zu Assisi die Szene lebendiger gegeben. Christus,
mit dem Oberkörper vom Kreuze sinkend, wird von dem auf der
Leiter stehenden Nikodemus gehalten, während Joseph rechts
knieend die Nägel aus den Füßen zieht. Maria, zuweilen auf einem
Schemel stehend, küßt des Sohnes Haupt, Magdalena daneben hält
seinen rechten Arm, Johannes auf der andern Seite den linken.
Figurenreicher noch wird die Darstellung auf Niccolö Pisano's
Relief in S. Martino zu Lucca, indem mehr Frauen und rechts
Soldaten auftreten.*) An dieser Form halten im Allgemeinen die
Sienesen fest, wie Duccio's Dombild und das Fresko in der Unter-
kirche zu Assisi, das eine große Aufregung zeigt, lehren. Giotto
und seine ganze Schule hat, wie schon Crowe bemerkt hat, die
Kreuzabnahme gar nicht dargestellt.'^)
Mehr der späteren Darstellungsweise des XV. Jahrhunderts,
die in Daniele's da Volterra Kreuzabnahme in S. Trinitä de' monti
zu Rom gipfelt, als deren ersten Vorläufer sich aber das sehr
lebendige Bild Simone Martini's im Antwerpener Museum (N. 260)
ansehen läßt, entspricht die Erzählung der Meditationes , erinnern
auch einzelne Züge an die übliche Komposition der Zeit. Nachdem
Nikodemus und Joseph von Arimathia herzugekommen die Freunde
begrüßt und mit ihnen den Gekreuzigten verehrt haben , werden
1) Vergl. Abb. bei d'Agincourt : Skulphir Taf. XIV, Malerei Taf. XCVI. — Kunst-
historische Bilderbogen Taf. 108. Nr. 4,
*) Förster: Beiträge z. neueren Kunstgeschichte 1835. Taf. I.
^) Alinari Phot.
*) Schnaase. VII. 286. — Kunsthist. Bilderb. 108, 6. — Förster: a. a. O. Taf. I.
*) Crowe und Cavalcaselle, D. A. II, S. 218.
4QO Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
zwei Leitern an den Seiten des Kreuzes einander gegenüber
angelehnt, Joseph steigt auf die an der rechten Seite und bemüht
sich, den Nagel aus der Hand zu ziehen. ,,Aber das ist schwer,
weil der Nagel dick und lang und tief im Holze befestigt ist und
ohne starken Druck der Hand des Herrn es nicht geschehen kann.
Als er herausgerissen, winkt Johannes Joseph zu, ihm den Nagel
zu reichen, daß ihn die Herrin sehe. Dann zieht Nikodemus den
andern aus der linken Hand heraus und giebt den Nagel gleich-
falls an Johannes. Darauf stieg Nikodemus herab und ging zu
dem Nagel der Füße.^) Joseph aber stützte den Körper des Herrn ;
selig aber Joseph darum, daß er den Leichnam des Herrn um-
armen zu dürfen gewürdigt ward. Dann erfaßte die Herrin voll
Ehrerbietung die herabhängende rechte Hand und legte sie an ihr
Antlitz, betrachtet sie und küßt sie unter heftigen Thränen und
schmerzlichen Seufzern. Als aber auch der Nagel der Füße heraus-
gezogen ist, steigt Joseph ein wenig herab, und Alle empfangen
den Leichnam des Herrn und legen ihn auf die Erde.^)
8. Die Beweinung. „Die Herrin," fährt die Erzählung
fort, ,, nimmt das Haupt mit den Schultern in ihren Schooß, Magda-
lena aber die Füße , bei denen sie einst solche Gnade erfahren.
Die Anderen stehen herum ; Alle erheben laute Klage über ihn :
denn Alle beklagen ihn, den Eingeborenen, aufs Bitterlichste."
Maria widersetzt sich Anfangs der Bitte des Joseph, Christus zu
begraben, da sie sich nicht von dem Anblick der Wunden trennen
kann. Endlich fügt sie sich den Bitten des Johannes. ,,Da be-
gannen Johannes und Nikodemus und die Anderen den Körper
einzuwickeln und mit Leinen zu versehen, wie es die Sitte der
Juden war. Die Herrin aber hielt immer sein Haupt in ihrem
Schooße, das sie zu versehen sich vorbehalten, und Magdalena die
Füße. Als sie aber an die Schenkel bis nahe an die Füße ge-
kommen waren , sagt Magdalena : ,ich bitte euch , ihr wollet mir
erlauben, die Füße zu versehen, bei denen ich Barmherzigkeit
erlangt habe.' Und da sie es zuließen, hielt sie seine Füße." Da
kann sie sich vor Schmerz und Weinen nicht lassen. ,,Dann
nimmt Maria von ihm Abschied : ,0 Du mein Sohn , in meinem
*) Also hier wird auch nur von einem Nagel gesprochen — wie es auch Niccolo
Pisano darstellt.
2) Cap. LXXXI, S. 609.
Die Passion Christi. 491
Schooße halte ich Dich todt : gar hart ist die Trennung Deines
Todes ; fröhHch und ergötzend war der Verkehr zwischen uns
Beiden, und ohne Zank und Beleidigung haben wir unter den
Anderen gelebt, und dennoch wardst Du, mein süßester Sohn, wie
Einer , der schädlich , getödtet. Treu , mein Sohn , habe ich Dir
gedient, und Du mir, aber in diesem Deinem schmerzensvoUen
Kampfe wollte der Vater Dir nicht helfen und ich konnte es
nicht. Dich selbst hast Du aufgegeben aus Liebe zum mensch-
lichen Geschlechte, das Du erlösen wolltest. Hart und allzu qual-
voll ist diese Erlösung , deren ich mich doch erfreue , da sie die
Menschen errettet. Aber bei Deinen Schmerzen und Deinem Tode
bin ich tief betrübt, da ich weiß, daß Du niemals gesündigt und
ohne Grund so bitterlich mit so schmählichstem Tode getödtet
bist. So ist, o mein Sohn, also wirklich unser Bund gelöst, und
ich muß mich jetzt von Dir trennen. Begraben werde ich Dich,
Deine traurigste Mutter; aber dann, wohin werde ich gehen? Wo
werde ich weilen, mein Sohn.'' Wie könnte ich ohne Dich leben.?*
Lieber würde ich mit Dir begraben, daß, wo immer Du seist, auch
ich mit Dir sei. Doch da es mit dem Körper nicht möglich, so
werde ich doch mit dem Geiste begraben; meine Seele werde ich
im Grabhügel mit Deinem Körper begraben, sie überlasse ich Dir,
sie empfehle ich Dir. O mein Sohn, wie angstvoll ist solche
Trennung ! ^)' Und wiederum mit der Fülle der Thränen wusch
.sie das Antlitz des Sohnes, viel besser, als Magdalena die Füße.
Dann aber trocknete sie sein Antlitz und küßte den Mund und die
Augen und wickelte sein Haupt in ein Schweißtuch und hüllte es
sorgfältig ein. Endlich segnete sie ihn wiederum. Dann fallen sie
Alle auf die Kniee , ihn anzubeten und seine Füße zu küssen,
nehmen ihn auf und tragen ihn zum Grabmal. Die Herrin hielt
das Haupt und die Schultern, Magdalena die Füße; die Uebrigen
aber standen in der Mitte." Als dann die Anderen Abschied
genommen, bleiben Maria und Johannes am Grabe, bis es Nacht
wird und Johannes mit ihr in sein Haus zurückkehrt.^)
^) Vergl. Bonaventvira : Officium de Compassione B. M. V. Bd. XIV. S. 227.
Dum de cruce depositus ad tumulum portatur, inter dolores anxios, portantes sie affatur:
Sustinete paululum, quod dolorem meum plangam et meum dilectissimum deosculer:
mihi meum dilectissimum subtrahere nolite. Si sepeliri debeat, me secum sepelite.
Accessit sie, exanimis se super corpus jecit et sacrum vultum lacrymis rigando madefecit.
2) Cap, LXXXn, S. 610.
4Q2 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
Ich habe die rührende Erzählung , obgleich sie Beides : die
Beweinung und die Grablegung behandelt, nicht trennen
wollen, da man so einen tieferen Eindruck von den Schmerzens-
szenen, wie sie die Phantasie der Franziskaner sich dachte, erhält.
Die Dichtung vermag besser, als beschreibende Worte es könnten,
die Seelenstimmung zu schildern, die Giotto's Bilde in der Ober-
kirche zu Assisi und dem in der Arena einen ewigen Gehalt giebt.
Dobbert sagt mit Recht, daß wilder Seelenschmerz selten so hin-
reißend wiedergegeben worden.^) Auf beiden Darstellungen um-
fängt Maria knieend den Oberkörper ihres Sohnes, dort hält Magda-
lena sitzend seine Füße im Schooße, hier küßt sie dieselben knieend;
dort halten zwei Frauen die Hände, während Johannes in Ver-
zweiflung die Arme zurückwerfend sich herabbiegt, hier ist er selbst
auf die Kniee gesunken , die Hand seines Herrn zu küssen. In
seinem späteren Werke Verstand es der Künstler den im früheren
Bilde übertriebenen Schmerzensausdruck in den Köpfen zu mäßigen,
ohne ihn doch zu schwächen. Da mir ältere Darstellungen der
Beweinung unbekannt blieben, vermag ich nicht zu sagen, wie weit
Giotto sich an seine Vorgänger angeschlossen hat. Den verwandten
Kompositionen der Grablegung aber konnte er ähnliche Züge ent-
nehmen : daß Maria das Antlitz des Herrn küßt , weinend die
anderen Freunde sich ihm nahen. Wie leidenschaftlich empfindungs-
voll schon Künstler des XIII. Jahrhunderts die Szene dachten, lehren
das Kruzifix in Pistoja und die Reste des Wandgemäldes in der
Unterkirche zu Assisi, auf dem Maria ohnmächtig, von den Frauen
gehalten, neben dem Grabe niedergesunken ist. Die .Grablegung'
behält auch in Giotto's Schule noch den Vorzug vor der .Be-
weinung', wie denn die Lorenzctti in Assisi, Giottino in der Cap.
di S. Silvestro in S. Croce, Niccolö di Pietro Gerini auf dem Bilde
der Akademie in Florenz den Augenblick wählten, in dem von
Joseph und Nikodemus der Leichnam auf einem Tuche in den
Sarkophag gesenkt wird und die Frauen sich herandrängen, ihn
noch einmal zu umarmen, zu küssen, ehe er ihren Blicken ent-
schwindet.
Etwas abweichend , aber dem Geiste nach durchaus überein-
stimmend mit der Auffassung der Meditationes und den erwähnten
Bildern, stellt die Devozione des Charfreitags die beiden Szenen
1) Dohme: K. u. K. III. Giotto. S. 27. Abb. S. 33.
Die Passion Christi. 493
dar, mit denen sie abschließt. Als der Leichnam vom Kreuze
genommen, sinkt Maria in der Mitte, Johannes zu Raupten, Magda-
lena zu seinen Füßen nieder, und die Mutter küßt unter Klagen
ihm das Haupt , die Augen , das Antlitz , den Mund , die Hände,
die Seite und den ganzen Körper. Dann weist sie die durch-
bohrten Hände Johannes, der mit Thränen antwortet : ,das sind die
heiligen Hände, mit denen er uns Alle zu segnen pflegte, — das,
o Magdalena, sind die heiligen Füße, über die du so heftig geweint '
Auch Magdalena bricht in Klagen aus. Dann wendet sich die
Madonna zum Volke :
Ich bin die Mutter, traurig, trostlos
Und ganz verlassen, ohne Rath.
Und keine Frau war doch so reich an Trost,
Bevor gestorben mir mein Sohn.
Da kommt der Engel und überredet sie, Christus begraben
zu lassen:
O Engel Gabriel, so hehr und herrlich.
Mit welchen Freuden kamst Du einst zu mir,
Vom heil'gen Geiste selbst geleitet!
Wo ist der Sohn, den Du mir brachtest?
Weh mir, er ist vom Blute ganz benetzt!
Wo ist nun das Versprechen, das Du mir gegeben?
Du sagtest, daß ich reich an Gnade,
Und nun — ist jeder Tropfen Blut von mir gewichen.^)
Endlich folgt sie den Bitten des Engels und des Johannes.
Joseph und Nikodemus legen den Leichnam in das Grab und Maria,
Johannes und Magdalena kehren heim. Auf dem Wege zeigt Maria
den Frauen die Nägel :
Herrinnen, Frauen! seht in Hulden,
Ob jemals solche Grausamkeit geschah,
Wie der betrübten Maria Sohn
Von diesen falschen Hunden, den Judäern.
Die nagelten an's Kreuze meine Hoffnung
Mit diesen starken, spitz'gen Nägeln —
O bittrer Schmerz der Mutter ohne Tröstung,
Die mit den eignen Augen ihn so sterben sah!
^) Vergl. ganz ähnlich Bonaventura: De compassione officium, a. a. O. lectio III:
Filii praesentia mater destituta , Gabrielem Angelum sie est allocuta : Ave plena gratia
mihi protulisti, nunc amaritudine sum repleta tristi. Subsequenter inquiens: Dominus
est tecum, heu! jacet in tumulo nee est ultra mecum. Omnis benedictio quam tu spo-
pondisti mihi fit contraria propter mortem Christi.
494 Di^ künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
O guten Leute, bitten will ich euch,
Daß meinen Rath ihr höret,
Daß jedem Menschen ihr verzeihen sollt
Und länger nicht mehr trotzig bleibet.
An Christi Tod sollt ihr gedenken,
Wollt ihr von ihm gerettet werden.
Denn Er vergab Dem, der den Tod ihm gab!
Hier soll die Menge der Zuhörer laut rufen : „laßt uns ver-
geben!" Darauf kehren Maria und Johannes nach Jerusalem zurück,
und die Devozione endet.
Aus der Beweinung und Grablegung Christi heraus sind nun
noch einige Kompositionen entstanden, die, in der früheren Kunst
unbekannt, fortan eine wichtige Stellung in dem großen Kreise der
christlichen Devotionsbilder einnehmen. Ich meine diejenigen der
,Pietä', die aus dem geschichtlichen Vorgange das einzelne Motiv
der Maria, die den auf ihrem Schooße liegenden Christus beweint,
herausnimmt und gesondert als eine allgemeine und ewige Ver-
bildlichung höchsten Mutterschmerzes hinstellt und jene Komposi-
tionen, die Christus, den Schmerzensmann, im Grabe sitzend zeigen.
Die älteste mir bekannte Darstellung der P i e t ä ist die auf
einem in der Pinakothek zu Bologna (159) befindlichen Altarwerke
des Jacopo degli Avanzi. Viel später erst, am Ende des XV. Jahr-
hunderts, und zwar, wie es scheint, von der nordischen Kunst über-
nommen, erscheinen auch die Brustbilder der weinenden ,mater
dolorosa', deren eines, vielleicht das älteste, von Antonello da
Messina in der Akademie zu Venedig (Nr. 349) aufbewahrt wird.
Auch der Christuskopf alsEcce homo erscheint erst im XV. Jahr-
hundert. Hingegen haben wir Darstellungen des Heilands als
Schmerzensmann schon aus dem Trecento. In diesem auch
wird der im Grabe sitzende Christus ein Lieblingsvorwurf
der Kunst , namentlich als Mittelstück von Predellen oder auf Sar-
kophagen. Häufig halten ihn Maria, Johannes, auch Nikodemus
und Magdalena, oder Engel. Die frühesten nachweisbaren derartigen
Darstellungen dürften die auf Simone Martini's Altarbild in der
Akademie zu Pisa und auf jenem dem Ugolino zugeschriebenen
Bilde der Sakristei von S. Croce zu Florenz sein. ^)
9. Die Auferstehung, Christi Erscheinungen und
^) Vergl. auch Grabmäler aus der Schule der Pisani ; so z. B. das des Tommaso
Pisano im Camposanto zu Pisa.
Die Passion Christi. 495
die Himmelfahrt. Der folgenden Erzählung der Meditationes
brauchen wir, nun wir eine Anschauung von ihrer Auffassung er-
halten haben, nicht mehr im Einzelnen nachzugehen, um so mehr,
als die Kunst seit Giotto sich für die verschiedenen Erscheinungen
Christi weniger erwärmt hat. Eine Ausnahme bildet nur das ,Noli
me tangere', das in erhebender Weise von Giotto in Padua und
im Bargello zu Florenz, von einem seiner Schüler ganz ähnlich in
der Unterkirche zu Assisi dargestellt worden ist und ein immer
beliebter Gegenstand der Malerei bleibt. Nach den Meditationes
(cap. LXXXVIII) ist es Maria, die den Herrn veranlaßt, sich Mag-
dalena zu zeigen. Dagegen verliert sich die im früheren Mittel-
alter häufig gegebene Darstellung von den ,drei' Frauen am Grabe*
fast ganz. Nur selten auch wird die von den Meditationes sehr aus-
führlich geschilderte Erscheinung Christi vor Maria abgebildet ^), ver-
hältnißmäßig selten auch Christus im Limbus. Ueber die Auf-
erstehung erfahren wir nichts Besonderes von dem Franziskaner.
Auch macht die Komposition zunächst keine großen Fortschritte :
von den Giottesken wurde Christus meist in ziemlich steifer Weise
emporschwebend dargestellt, oder er steigt en face aus dem Grabe.
Das allgemein menschliche Interesse tritt hier gegenüber den Dar-
stellungen der Passion entschieden zurück, und das verleugnet sich
auch in der Kunst nicht. In der Himmelfahrt macht sich der neue
Aufschwung der rehgiösen Begeisterung mehr bemerkbar. Schon
in der Oberkirche zu Assisi ließ Giotto, die langweilige Symmetrie
der älteren Komposition zu vermeiden , Christus statt en face , im
Profil zum Himmel aufschweben, wobei er sich vielleicht des anderen
alteri Typus des , aufsteigenden' Heilands erinnert haben mag. In
Padua läßt er ihn auf einer Wolke von Engeischaaren geleitet nach
oben fahren , und unten sind Maria und die Apostel anbetend auf
die Kniee gesunken. Kehren auch seine Nachfolger häufig zu der
sehr bewegungslosen , von vorne gesehenen Figur Christi zurück,
^) Cap. LXXXVI S. 616. Chr. erscheint ihr in weißen Kleidern, sie kniet vor
ihm nieder, umarmt und herzt ihn. Sie fragt, ob er noch Schmerzen habe und lobt
Gott , als sie hört , daß alles irdische Leiden nun abgethan. Im Folgenden wird dann
cap, 89 erzählt, wie er Joseph von Arimathia aus dem Gefängniß befreit, ihn küßt und
in sein Haus zurückbringt , wie er durch sein Erscheinen Jakobus von dem Gelübde,
nicht zu essen , befreit und ihm selbst das Brot reicht , wie er Petrus erscheint und
diesem verzeiht. Dann ohne besondere Merkwürdigkeit der Auffassung die Erscheinung
vor den Zwölfen, in Emmaus, vor Thomas, am See Tiberias, vor den Fünfzig.
496 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
SO halten sie doch daran fest, die Zurückbleibenden knieen zu lassen,
und lieben es , jubelnde Engel dem triumphirend heimkehrenden
Erlöser als Geleit zu geben. Da zeigt sich wieder derselbe Geist,
wie in der Schilderung der Meditationes.
Dieselben nämlich erzählen den Vorfall so ^) : ,, Endlich als
alle Mysterien erfüllt waren, begann der Herr Jesus von ihnen er-
hoben zu werden und durch seine Kraft gen Himmel zu fahren.
Da fielen die Mutter und alle die Andern zu Boden nieder. Die
Herrin sprach : Mein Sohn gebenedeiet , gedenke mein ! Nur der
Trennung wegen konnte sie die Thränen nicht zurückhalten : doch
freute sie sich sehr, daß sie ihren Sohn so hehr gen Himmel eilen
sah. In gleicher Weise sprechen auch seine Jünger: Herr, für
Dich haben wir Alles verlassen, sei unsrer eingedenk! Er selbst
aber, mit erhobenen Händen, heiterem Antlitz und freudig, nach
königlicher Weise gekrönt und geschmückt, ward im Triumphe gen
Himmel getragen." Dorthin hat inzwischen Michael die Botschaft
gebracht, daß der Herr nahe. Da eilen ihm alle die Engeischaaren
entgegen, und triumphirend zieht er mit ihnen und den Erzvätern
in die zum ersten Male wieder geöffnete Himmelsburg ein, die rings-
um von Hallelujah erschallt. Er kniet vor dem ewigen Vater
nieder und dankt ihm. Der aber läßt ihn sich zu seiner Rechten
setzen. Und die himmlischen Heerschaaren begehen das herrlichste,
seligste Fest !
IL Die letzten Dinge.
Das wirksamste Mittel, das die Franziskaner- und Dominikaner-
prediger anwandten, die Gemüther zu erschüttern, war, wir wir ge-
sehen haben, der Hinweis auf den Tag des Jüngsten Gerichtes, auf
das Paradies und die Hölle. Gleichwohl nun sind uns anschauliche
Beschreibungen der ewigen Freuden und Qualen, abgesehen von den
Gedichten Giacomino's, in der italienischen Literatur des XIII. Jahr-
hunderts nicht erhalten, und wir können uns nur aus den künst-
lerischen Darstellungen selbst einen Begriff von der Art, wie die
Predigt geschildert hat, machen. Gerade aber der Umstand, daß
etwa seit 1300 neben den Bildern des Jüngsten Gerichtes umfäng-
liche Einzeldarstellungen der Hölle und des Paradieses beliebt wer-
den, weist auf eine neue populäre und sinnliche Anschauung der
1) Cap. XCVII, S. 624.
Die letzten Dinge. 497
zukünftigen Dinge hin, die offenbar von den Bettelmönchen lebhaft
befördert worden ist. Zuerst ist es Giotto gewesen, der im Palazzo
der Signoria Inferno und Paradiso in großen Kompositionen dar-
gestellt hat, seinem Beispiele folgte Orcagna in der Kapelle Strozzi
in S. Maria novella und nach Vasari's Bericht in S. Croce ; ein un-
bekannter Meister schuf neben dem Jüngsten Gericht im Campo-
santo zu Pisa das Fresko der Unterwelt, und ein andrer namenloser
Künstler das Paradies und die Hölle in S. Francesco zu Terni.
Gegenüber Jessen's Annahme von einem prädominirenden Ein-
fluß byzantinischer Kunst im Abendlande haben Springer und Voß
überzeugend nachgewiesen, daß die abendländische Kunst die Kom-
position des Jüngsten Gerichtes fast durchaus unabhängig ent-
wickelt hat, und daß auch von einem allgemeinen Typus innerhalb
derselben nicht die Rede sein kann. ^) Mehr als andere Darstel-
lungen mußte das großen Raum beanspruchende Gericht kompo-
sitioneil von der ihm angewiesenen Oertlichkeit bedingt sein. In
Italien repräsentiren vor Giotto das Fresko in S. Angelo in Formis,
dasjenige in Toscanella, die Reliefs des Niccolö Pisano und das
Mosaik des Tafi im florentiner Baptisterium die originale einhei-
mische, das Mosaik in Torcello die eingewanderte byzantinische Auf-
fassung. Giotto nun ist in seinem mächtigen Bilde der Kapelle in
Padua im Wesentlichen der ersteren gefolgt, der zweiten hat er nur
den vom Weltenrichter ausgehenden Feuerstrom der Hölle entlehnt.
Sein Christus in der von Engeln umgebenen Glorie öffnet die
Rechte, weist mit der Linken ab, wie es schon in S. Angelo, dann
in Florenz dargestellt war. Niccolö Pisano 's Beispiel folgt er, wenn
er darunter in der Mitte zwischen den Ketzern und Verdammten
zwei Engel das Kreuz halten läßt, das, hier deutlich als das Kreuz,
an dem Christus gestorben, charakterisirt , jene oben besprochene
Form des T mit der Tafel darüber zeigt. Kommen ferner auch
die zur Seite Christi thronenden Apostel schon früher vor, so zeigt
ihre freiere Anordnung, wie die einheitliche Raumauffassung des
ganzen Bildes überhaupt doch die neuen, bedeutenden Prinzipien
von Giotto's Kunst. Neu ist auch die Gestaltung der in gedrängten
Massen — , schiere', wie Jacopone sagt — über den Aposteln
^) P. Jessen: Die Darstellung des Weltgerichts. Berlin 1883. — A. Springer
Repert. f. Kunstw. 1884. VII, S. 375 f. — Georg Voß: Das j. Gericht. Leipzig.
Seemann 1884. — F. X. KLraus: Die Wandgemälde der S. Georgskirche zu Oberzell.
Freiburg 1884.
Thode, Franz von Assisi. ' ^2
4q8 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
fliegenden gewappneten Engel, die recht im Geiste der Zeit das Kriegs-
heer des Himmelskönigs bilden. Maria im Strahlenglanze leitet ihre
Mutter Anna, umgeben von einer Schaar von Heiligen, links auf-
wärts zum Heiland, darunter führen Engel die betenden Geretteten,
zu denen sich noch andere kleine, eben der Erde entsteigende Selige
gesellen. Daneben überreicht Enrico Scrovegni das Modell der
Kapelle drei Frauen , in denen wohl die drei Kardinaltugenden :
Glaube, Liebe und Hoffnung zu sehen sind. Rechts inmitten des
Feuers aber, in dem zahllose Unselige die verschiedensten Martern
erleiden, sitzt Lucifer und verschlingt "die Verdammten.
Zeigt sich dann auf Orcagna's Bilde in S. Maria novella ein
Fortschritt, insofern die Hölle gesondert dargestellt und nur die
verschiedene Wirkung des Richterspruchs auf die Ketzer und Ver-
dammten geschildert wird, so erreicht diese einheitlichere Kompo-
sition ihre volle Ausbildung in dem Fresko des Camposanto, dessen
gewaltige Leidenschaft immer von Neuem das größte Staunen er-
regt. Wohl nur aus der gesteigerten Verehrung, die man der
Himmelskönigin entgegenbrachte, ist es zu erklären, daß hier Maria
in einer Glorie ebenbürtig neben dem König Christus erscheint.
Demüthig, wie Eine, die, selbst erhöht, vor Beschämung nicht die
Bestrafung Anderer anzusehen vermag, senkt sie den Blick. Gleich
zornigen Gedanken des Herrn fahren die gewappneten Engel auf
die verzweifelt rechts sich zusammendrängenden Verdammten ein,
während nur Ein Gefühl der innigen Verehrung die Schaar der
Heiligen und Seligen links zu Christus aufschauen läßt. In banger
Erwartung und Schmerz verharren die zwölf Apostel , über denen
Engel die Leidenswerkzeuge tragen, zu Seiten Christi und Maria.
Unter Letzteren aber schwebt die wunderbare, von vier Engeln ge-
bildete Kreuzesgruppe.
Mit diesen Fresken in Padua und Pisa ist der Darstellung des
Jüngsten Gerichtes bis auf Michelangelo die weitere Entwicklung
vorgeschrieben: befreit von der störenden Zuthat des Inferno und
Paradiso gewinnt sie an Kraft und Bedeutung. Dagegen sterben
die losgelösten Theile allmählich ab. Nur Fra Angelico vermag
sich noch nicht ganz von den älteren Anschauungen loszureißen,
die sonstige Kunst des Quattrocento verschmäht es, warnend die
künstlerisch doch unmögHchen Höllenstrafen und Lucifer dem Volke
vorzuhalten.
Wie Berthold von Regensburg in seinen Predigten im Wesent-
Die letzten Dinge. 499
liehen nur von einer Art des Leidens in der Hölle: von dem
Feuer zu erzählen weiß, so hat die germanische Kunst, wie Jessen
bemerkt, nicht, gleich der italienischen, Höllendarstellungen hervor-
gebracht. Daraus läßt sich umgekehrt wiederum mit großer Wahr-
scheinHchkeit schließen, daß gerade die italienischen Bettelmönche
mit ungestümer Phantasie die höllischen Qualen ihren Hörern ein-
zeln auseinandergesetzt haben. Darauf weist ja auch Giacomino's
Gedicht mit seiner drastischen Erzählungsweise hin. Volksthüm-
liche Anschauungen vom Satan mögen so eine bestimmte Form er-
halten haben: der struppige, riesige Teufel mit dem thierischen
Kopfe , der die Verdammten verschlingt und der , wie Giacomino
schaurig komisch erzählt, sich wohl gar über die schlechten Braten
beschwert, die verschiedene Art der Bestrafung der sieben Tod-
sünden, die klar gegliedert auf dem Fresko in Pisa erscheinen, die
Hervorhebung einzelner großer teuflischer Charaktere, wie Mahomet
und andere. Solche Anschauungen sind sicher Gemeingut des
italienischen Volkes gewesen und von Dante ebensowohl wie von
Giotto künstlerisch gestaltet worden. Die Höllendarstellungen des
Letzteren in Florenz und in Padua gehen zeitlich der Divina com-
media voraus. Hält sich dann Andrea Orcagna in S. Maria novella
genau an Dante's Beschreibung, so äußern sich unabhängig von
dieser die allgemein gültigen Ideen vom Inferno wiederum in Pisa
und in Terni. Nicht in den Werken der großen Kirchenschrift-
steller des XIII. Jahrhunderts, die man vergeblich darauf hin unter-
sucht, ^) sondern in den leider nicht auf uns gekommenen Predigten
von Männern , wie Hugo de Bareola , der ,, Wunderlinge von dem
himmlischen Hof, das heißt: der Glorie des Paradieses, und Ent-
setzliches von den höllischen Strafen zu sagen wußte", werden wir
die Erklärung , die Quelle der Darstellungen des Inferno finden. ^)
Der ,, himmlische Hof", diese Benennung bezeichnet aber auch
treffend die Auffassungen des Paradieses. ^) Vermögen wir uns von
Giotto's Komposition im Palazzo Signoria kein deutliches Bild mehr
^) Man vergl. z. B. Bonaventura's Opusculum: Diaeta Salutis. Bd. VIII. Für
das Jüngste Gericht werden die 15 Vorzeichen des Hieronymus erwähnt, die Oeffhung
der Bücher, die sententia und executio. Die Hölle nicht bildlich geschildert. Das
Paradies als apokalyptische Stadt und die himmlische Gemeinschaft als Hofstaat.
2) Salimbene. Chronik S. 97.
'') Vergl. dazu unten: Maria als Himmelskönigin. Auch die von Palermo publi-
zirte Allegorie: La corte di Dio. Palermo: Allegorie cristiane dei primi tempi della
32*
500 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
zu machen, so bietet uns doch Orcagna's Fresko einen Ersatz. Ein
Seitenstück zur Krönung Maria's, versetzt es uns mitten in den
himmlischen Pallast des Königs Christus und dient so gleichsam
zur Illustration jener Auffassung des Berthold, die wir oben kennen
gelernt. Auf hohem Throne sitzen feierlich, die Kronen auf dem
Haupt, Christus und Maria, und links und rechts in regelmäßigen
Reihen hintereinander geordnet umgiebt sie der Hofstaat von Heili-
gen und Engeln. Die von Gold und Edelstein schimmernden Mauern
des himmlischen Jerusalems, die im frühen Mittelalter das Paradies
bezeichnen, haben wir hinter uns gelassen und sind bis zur Curia
selbst durchgedrungen. Für das Volk, das sich von dem höchsten
Ideal des Glanzes und der Herrlichkeit : von dem Hofe des irdischen
Kaisers erzählen ließ, ward auch das himmlische Paradies als ein
Kaiserhof dargestellt, zu dem aber ein Jeder, selbst der Aermste
Zutritt hat, befolgt er die Gebote des Herrn hier auf der Erde.
Das Paradies des Dante war für eine andere höher gebildete Klasse
der Menschheit geschrieben.
III. Die Mariendarstellungen.
Seit dem Jahre 1269, in welchem Bonaventura auf dem Kon-
vent von Assisi die Verordnung gegeben, erscholl allabendlich von
den Thürmen der Franziskanerkirchen der Glockengruß des ,Ave
Maria' und weckte zum Lobe der Jungfrau bald alle die unzähhgen
Stimmen der christlichen Kirchen überhaupt. Er erweckte aber
zugleich in dem Volke eine innigere liebende Verehrung der Mutter
Christi, die in Deren neuer künstlerischer Verherrlichung fortan
ihren ewigen Ausdruck gefunden hat. Schon lange hatte der
Marienkultus immer mehr der Herzen sich bemächtigt. Die ritter-
liche Verehrung der Frauen, der durch die Kreuzfahrer vermittelte
Einfluß des Morgenlandes hatten das Ihrige dazu beigetragen. Die
christliche Frau, froh aller der Vortheile und Rechte, die ihr das
Christenthum verschafft, brachte ihren Dank der Mutter des Hei-
lands dar. Als Vermittlerin und Fürbitterin vertrat Diese freund-
lich und mitleidig das arme ringende und leidende Menschen-
geschlecht vor dem höchsten Richterstuhl, und ihren Lieblingen,
favella. Firenze 1856. — Femer: La cour du Paradis bei Barbazan - Meon : Fabliaux
et contes. Paris 1805. III, S. 128. — La ballata del Paradiso bei Sorio: opuscoli
religiosi, Modena (t.V.) habe ich leider nicht einsehen können.
Die Mariendarstellungen. 50I
wie dem frommen, liebereichen Bernhard von Clairvaux, zeigte sie
sich huldvoll schon auf dieser Erde. Was so in allen Herzen lebte,
haben die Franziskaner mit überströmenden Gefühlen in Liedern
und Predigten ausgesprochen. Das reine , edle Menschliche , das
sie in ihrer schlichten, empfindungsvollen Religionsauffassung suchten,
trat ihnen in den Freuden und Schmerzen der Maria fast noch
näher, als in dem Lebenswandel des Gottmenschen selbst. Maria
zu verstehen und zu lieben, bedurfte es Nichts, als volles, warmes
Gefühl. So bildet, wie wir gesehen haben, in den Meditationes,
wie in den Liedern Jacopone's und in den Mysterien , Maria den
eigentlichen Mittelpunkt. Erst mit dem Eintreten des ewig Weib-
lichen erhält aber auch die Kunst ihr höchstes Ideal. Durch Maria
und an Maria lernt sie den Ausdruck tiefster Empfindung. Maria
ist die eigentliche Hauptfigur, die Heilige der Renaissancekunst.
Als sie ihr hehres Werk auf Erden vollbracht hat, schwingt sie
sich aus Raphael's Bilde von San Sisto in die unendlichen Höhen,
in die fortan der Faustische Mensch emporstreben muß, sie ahnend
zu schauen.
Unzweifelhaft ist die mächtigste Anregung zur künstlerischen
Verherrlichung der Maria von den Franziskanern ausgegangen, darf
man dabei auch nicht vergessen, daß auch die anderen Orden, wie
die Serviten, die Dominikaner, deren Bestrebungen ja vielfach mit
denen der Minoriten parallel gehen, viel zu ihr beigetragen haben. ^)
Eine allgemeine Verbreitung der Marienbilder tritt im Laufe
der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts ein, und eben zu der Zeit
beginnt man die Kirchen mit zyklischen Darstellungen der Marien-
legende zu schmücken, die bisher nur ausnahmsweise in miniirten
Codices, z. B. in der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts als Illu-
stration von Werinhers' von Tegernsee ,Gedicht vom Leben der
Maria' nachweisbar sind. Neben den italienischen Franziskaner-
dichtungen und Kompilationen, wie der ,Legenda aurea' des Jacobus
a Voragine, entstehen eine Reihe von deutschen Gedichten, so die
vom Ritter Konrad von Fußesbrunn, von Philipp dem Karthäuser
und andere-), die aber für unsere Zwecke weniger in Betracht
kommen. Zweierlei Auffassungen der Jungfrau sind für die Dich-
^) So beschlossen die Serviten 1233, daß ihre heiligen Gebäude mit einem Bilde
der Maria versehen werden sollten. Archangelo Gianio : Annales Ord. Servorum B. M.
V. T. I. Lib, I, 7, S. 23. Vergl. Kugler: Kleine Schriften. I, S. 32, A. i.
2) Vergl. darüber Schultz. Legende der Maria, S. 6.
C02 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
tung und Predigt, in nächster Folge für die Kunst des XIII. und
XIV. Jahrhunderts charakteristisch : einmal erscheint sie als die
irdische Mutter Jesu , die alle menschlichen Freuden und Leiden
durchmacht, das andere Mal als Fürstin des Himmels, die, von
Christus selbst gekrönt, herrschend an seiner Seite thront. Zu
weit würde es führen, wollten wir auch die Darstellungen ihrer
Legende selbst hier einzeln betrachten, nur die Entwicklung
der Marienbilder und einiges sonst Wichtige möge kurz erörtert
werden.
I, Die Darstellungen der Maria mit dem Kinde.
In der älteren Kunst war Maria entweder allein, mit betend erhobenen
Armen stehend dargestellt worden oder steif en face sitzend, das
ebenso sitzende, segnende und herausschauende bekleidete Kind
auf dem Schooße tragend , ohne es zu halten : die willen - und
gefühllose Gottesträgerin. Erst in der ersten Hälfte des XIII. Jahr-
hunderts macht sich eine leise Veränderung darin geltend, daß sie
nun das segnende, halb nach links gewandte Kind auf dem Schooße
oder dem linken Arme hält, selbst den Kopf halb nach rechts dreht
und mit der rechten Hand eine steife Bewegung macht, als wolle
sie auf Christus hinweisen, i) Dieser Typus wird zum Ausgangs-
punkte für eine Reihe bedeutender toskanischer Werke, in denen
die neue menschliche Auffassung zuerst Ausdruck gewinnt. Man
bezeichnet dieselben wohl am kürzesten als die thronenden
Madonnen.^) Maria, eine mächtige Erscheinung, den Mantel über
den Kopf gezogen, halb nach rechts gewandt, sitzt in ganzer Figur
sichtbar auf hohem , reichverziertem Thron mit hoher Lehne. Ihr
Kopf ist etwas nach rechts gewandt und gesenkt, mit der Linken
hält sie das nach halblinks gewandt sitzende bekleidete, segnende
Kind. Hinter dem Thron oder zu dessen Seiten knieen oder stehen
meist Engel. Innerhalb dieses allen gemeinsamen Schemas aber
macht sich eine Entwicklung nach belebterer natürlicher Dar-
stellung geltend. Auf den nach meinem Dafürhalten ältesten Bildern,
nämlich dem 122 1 von Guido da Siena gemalten von S. Domenico
^) Vergl. z. B. Fresko des Conxolus im Sacro Speco zu Subiaco (d'Agincourt.
100. Fig. I.). — Griech. Mad. ebendas. T. 87. — Madonna im Dom von Siena.
^) S. Ausführliches über die Entwicklung dieser Darstellung in meinen „Studien
zur Geschichte der ital. Kunst im XIII. und XIV. Jahrh. im Rep. für Kunstw." 1890.
Bd. xm, S. Iff.
Die Mariendarstellungen. 503
zu Siena^), den ihm gleichfalls zugeschriebenen in der Akademie
daselbst, der ehemals in S. Francesco befindlichen Madonna des
Margaritone in der Pinakothek zu Arezzo^), dem frühen Bilde Cima-
bue's in der Florentiner Akademie^) und dessen übermalter Ma-
donna in S. Chiara zu Assisi, bewegt Maria in der älteren Weise
die rechte Hand, als wiese sie auf das Kind hin/) Auf seinen
späteren Bildern, dem aus S. Francesco zu Pisa stammenden in
Paris *), dem in S. Maria novella *) (womit das ehemals in S. Croce,
jetzt in der Nationalgallerie zu London befindliche zu vergleichen ist)
läßt Cimabue Maria mit der Rechten das rechte Bein Christi halten,
der hier auch schon natürlicher mit etwas eingezogenem linken Bein
sitzt und auch nicht mehr die Rolle hält, die übrigens auch Guido
von Siena bereits weggelassen hatte.') Eine weitere Stufe bezeichnet
Cimabue's Fresko in der Unterkirche zu Assisi.^) Das viel leben-
diger blickende Kind faßt mit der Hand die Linke der Mutter und
setzt den rechten Fuß in ihre Rechte, welches Motiv auch die dem
Coppo di Marcovaldo in den Servi zu Siena zugeschriebene Dar-
stellung aufweist.**) Auf dem Bilde in der Kirche der Servi in
Bologna hat es sich sogar erhoben und faßt, während es den
rechten Fuß in Maria's Hand setzt, mit der Rechten deren Mantel
am Halse. ^*^) Aehnlich zeigt das Bild in Orsanmichele in Florenz,
das offenbar eine von Lorenzo Monaco gefertigte Kopie des
ehemals daselbst befindlichen von Bernardo Daddi ist, wie das
Kind lebhaft bewegt mit der Rechten den Mantel der Mutter
^) Jetzt im Palazzo publico. Der Versuch , die Jahreszahl als 1281 zu lesen, ist
mißglückt. Man hat nicht beachtet, daß das Bild um 1300 und zwar vermuthlich von
Duccio übermalt worden ist. Abb. d'Agincourt Taf. 107. — Rosini T. IV.Crowe I, S. 15a
2) Phot. Alinari.
3) Phot. Alinari.
*) Den Typus zeigt auch die bei Rosini abgeb. Madonna in der Opera zu Pisa.
— Vergl. auch die Madonna des Montano d'Arezzo (?) in Montevergine bei Avellino.
Crowe u. Cav. D. A. I, S. 159.
«) Phot. Braun.
") In allen Handbüchern der Kunstgeschichte abgebildet.
') Dieser Stufe gehört auch die Mad. Deodati Orlandi's in der Ak. zu Lucca an.
Das Kind hält hier die Rolle. Brustbild.
8) Phot. Lunghi 19. S. Abb. 33.
») Vom Jahre 1261. Vergl. Crowe u. Cav. D. A. I, S. 165. Vasari I, S. 206.
Rosini Taf. VI.
10) Phot. Alinari.
C04 ^is künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
faßt. ^) Auf Duccio's Dombild in Siena sitzt es zwar ruhiger, aber
Maria senkt zärtlicher, tiefer das Haupt. ^) Fehlen die Engel auf
Guido's Bilde in der Akademie und bei Margaritone gänzlich, so er-
scheinen sie in kleinen Figuren zu je drei angeordnet über dem
Rahmen des Guido in S. Domenico, schweben ganz unvermittelt, nur
zwei an der Zahl, auf dem Coppo'schen Bilde, stehen zu je vier auf
dem von Cimabue in der Akademie, zu je drei auf dem in Paris zu
Seiten des Thrones, denselben haltend, und knieen zu je drei auf
dem in S. Maria novella und in Orsanmichele. In Assisi sind sie
bedeutend größer geworden und nur vier im Ganzen. Bei Duccio
schauen je zwei theilnahmsvoll belebt über die Lehne, den gleichen
Platz nehmen zwei auf dem Bilde in Bologna ein. — Der Kom-
position nach entspricht diesem alten Typus der toskanischen
Madonnen das Mosaik in Crisogono zu Rom und das kleine Fresko
in S. Maria in Trastevere, obgleich die Haltung der Figuren hier
viel steifer, alterthümlicher ist und die Verhältnisse schlanker
gehalten sind.
Eine neue Reihe von Marienbildern, denen in mancher
Beziehung Madonnenstatuen des Niccolö, namentlich aber des Gio-
vanni Pisano vorangehen, die eine größere Natürlichkeit, eine innigere
menschliche Beziehung zwischen Mutter und Kind in dem gegen-
seitigen sich Anschauen zeigen, beginnt mit Giotto. Selbst in Dessen
alterthümlichem Bilde der Akademie zu Florenz, auf dem die ruhige
Haltung der Maria, welche mit beiden Händen das sitzende seg-
nende Christkind hält, noch an Cimabue's mittleren Stil erinnert,
findet sich, abgesehen von der naturwahreren Zeichnung, manches
Neue : so hat der Thron hier eine gothische Form mit Spitzgiebel,
Maria ist nicht mehr so geneigt, sondern fast aufrecht. Die Engel
zu Seiten des Thrones, unter denen Heilige erscheinen, sind per-
spektivisch in drei Reihen angeordnet, zwei Engel knieen, Vasen
mit Blumen haltend , vorn. Die Wandlung ist etwa dieselbe , die
sich in dem Kruzifixus geltend macht : die geschwungene Haltung
Maria's sowohl wie Christi, die doch ihrerseits einen Fortschritt
^) Nach Vasari (I, S. 455) war hier ein Bild von Ugolino. Milanesi Comm, S. 463
bringt die Rechnungen und Belege für ein Bild des Bemardo Daddi von 1346 und
I347' Ich kann hier nur die Hand Lorenzo Monaco's erkennen. Daddi mag Ugolino
kopirt haben und Lorenzo wieder Daddi. Die Komposition weist auf etwa 1300 hin,
der Vogel in Christi Hand ist Zuthat eines der beiden Kopisten.
-) Dohme: K. u. K. III, Dobbert: Duccio S. 9.
Die Mariendarstellungen. cqc
zu Leben und Natur bezeichnete, weicht der geraden und zugleich
wird die Lebenswahrheit gesteigert. Entschiedenen Fortschritt
bezeichnet die Halbfigur der Madonna in der Oberkirche zu Assisi,
und zwar ist das Wesentliche hier, daß der kühne Versuch gemacht
wird, das Christkind im Profil mit lebhaftem Ausdruck die Mutter
ansehen zu lassen, die ihrerseits es ruhig auf ihren beiden Händen
hält und fast aufrechten Kopfes herausschaut.^) (Abb. 70.) Auch
trägt Maria hier zum ersten Male ein loses Kopftuch. Natürlicher be-
wegt noch erscheint das in ein Tuch gewickelte Kind, das einen
Finger in den Mund steckt, auf dem Bilde der Sakristei in S. Peter
zu Rom. An das Gemälde in Bologna erinnert Giotto's ehemals eben-
daselbst, jetzt in Bolognas Pinakothek befindUche Madonna. Hier
erhebt sich Christus etwas, setzt den einen Fuß auf ihre rechte Hand,
hält sich vorn am Gewände fest und greift mit der Rechten nach
ihrem Gesichte. Man sieht: von Bild zu Bild wird die Beziehung
zwischen Mutter und Kind, die Bewegung des Kindes lebendiger.^)
Zwei andere Bilder, das eine im Besitze von Mr. Murray in London,
das andere ein fünftheiliges Altarbild in der Sakristei von S. Croce
bezeichnen etwa dieselbe Stufe. Ist das erste, das höchst interessante
Werk eines Malers um 1300 auch etwas alterthümlicher , so zeigt
es doch das Christkind in gleicher Weise bewegt, wie das andere.
Jesus, auf der linken Hand der Maria sitzend, faßt mit der Rechten
vorn ihren Mantel, mit der Linken ihre rechte Hand.*) Dieselbe
Phase auch bezeichnen die, wie mir dünkt, unter Giotto's Einfluß
entstandenen Madonnen der Cosmaten in S. Maria in Araceli,
S. Maria in Trastevere und S. Maria maggiore in Rom.*)
Im Allgemeinen läßt sich sagen, daß die Schule Giotto's im
Laufe des XIV. Jahrhunderts das zärtliche Verhältniß der Mutter
zum Kinde nicht gerade in besonders neuer Weise zu schildern
versucht, machen sich auch Fortschritte bemerkbar. Taddeo Gaddi
zuerst, dessen Bild in Berlin noch eine Giotto's Bilde in Assisi
verwandte Auffassung zeigt, läßt auf seinen Gemälden in S. Felicitä
^) Phot. Alinari. Daß das Kind die Mutter vom am Gewände faßt, ist gleich-
falls wohl ein neuer Gedanke Giotto's.
^) Maria hat ein weißes, um das Kinn gebundenes Kopftuch. Dies entlehnte der
Bolognese Vitalis in seinem Bilde von 1345.
ä) Stilistisch, in der Zeichnung, erinnert es sehr an Giotto's Madonna in der Ober-
kirche zu Assisi, ist aber etwas später entstanden.
*) Die letzte abgeb. bei Cicognara: Storia della scultura. Venedig 1816. I, Taf. 20.
co6 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
zu Florenz, in S. Giovanni zu Pistoja und in S. Pietro a Megognano
bei Poggibonsi das Kind mit einem Vogel spielen, ein Motiv,
das, fast zu gleicher Zeit von Pietro Lorenzetti (Bild in der Aka-
demie zu Siena), von Nino Pisano in den ihm zugeschriebenen Statuen
in S. Maria novella und im Museum zu Arezzo, dann von Stefano
Florentino (?) und Agnolo Gaddi gebracht, bald sehr beliebt wird.^)
Jener Stefano aber hat in dem jetzt zerstörten kleinen Tabernakel
beim Ponte alla Carraja in Florenz nach Vasari's Beschreibung eine
eigenthümliche, sonst im XIV. Jahrhundert gar nicht wiederkehrende
Komposition gegeben : der nähenden Maria reicht der bekleidet
sitzende Christusknabe einen Vogel. Eine von Rosini nach einem
Bilde im Privatbesitz zu Pisa gegebene Abbildung zeigt eine ganz
übereinstimmende Darstellung: Christus sitzt links auf niedrigem
Schemel neben Maria, die sich eben im Nähen eines Röckchens
unterbricht, und reicht ihr den Vogel und Kirschen. Oben fliegen
zwei anbetende Engel. ^) Einen Fortschritt und originelle Auf-
fassung bezeichnen einige Giovanni da Milano zugeschriebene Bilder,
welche, die einzigen Beispiele des XIV. Jahrhunderts, das Kind halb-
nackt (nur von einem Tuche bekleidet) und besonders lebendig be-
wegt darstellen. Auf der Lunette von S. Niccolö in Prato steckt es
nach Kinderart den Finger in den Mund.^) Eine Blume hält es auf
dem Altarbild Bernardo Daddi's in der Akademie zu Florenz. Da-
neben findet sich wohl auch ein Zettel in seiner Hand.*) Das
Altarwerk eines Giovanni da Rimini von 1345 in der Gallerie zu
Urbino zeigt es im Begriffe, der Mutter auf den Schooß zu klettern.
Sehen wir also auch in Florenz ein entschiedenes Streben nach
Natur und Wahrheit, so hat doch gleichzeitig die sienesische Malerei
^) Stefano: Rosini Bd. II, 127. — Bernardo Daddi: Großes Altarbild in der
Akademie, Florenz. Phot. Brogi. — Agnolo Gaddi: S. Spirito, Florenz. Rosini
II, 166. — Ders. ebendas. : Maria mit Kind, Giotto zugeschrieben. Alinari. — Vergl.
auch Lippo Dalmasio. Bologna, S. Domenico. — Giovanni da Pisa. Rosini Taf. XII. —
Spinello: Akademie, Florenz u. a. mehr. Später namentlich in der umbrischen Schule.
^) Vasari I, 451. — Rosini II, 12. Diese Kopie (?) stammt der Zeichnung nach
aus dem XV. Jahrhundert. Bild in Prato, Gallerie Nr. 18. Phot. Alinari.
^) Phot. Alinari. — Vergl. auch Bild im Klosterhofe von S. Maria del Carmine
in Florenz. Hier streckt Christus sehnend beide Händchen nach der Mutter aus.
*) Bild im Klosterhofe von S. Maria novella , das Crowe dem Gaddi , ich aber
Giottino (Meister der Silvesterkapelle in S. Croce) geben möchte. Phot. Alinari. —
Altarbild in Sakristeikapelle von S. Croce, wo über Maria die acht kleinen Figuren der
Tugenden fliegen. Phot. Alinari.
Die Mariendarstellungen. 507
viel entschiedener und freier die Anschauung der Zeit zum Aus-
druck gebracht. Auf der einen Seite feiert sie in mächtigen,
figurenreichen Kompositionen die Madonna als Königin des
Himmels inmitten eines großen Hofstaates, auf der andern Seite
als zärtliche Mutter, die für Nichts Blick hat als für ihren zarten
Knaben. Duccio mit seiner großen Maestä im Dome gab das
eine Vorbild : da schaarten sich in Doppelreihen von je sechs die
Heiligen um den von Engeln umgebenen Thron. Weiter wird
dann von Simone Martini und von Lippo Memmi in den Palazzi
publici zu Siena und S. Gimignano die Komposition ausgebildet.
Auf zierlich reichem gothischen Throne unter einem weitaus-
gespannten, von acht die Stelle von Edelknaben vertretenden Engeln
oder Heiligen gehaltenen Baldachin sitzt Maria, mit der Krone
geschmückt , in kostbarem Brokatgewande : in Siena weicher und
empfindungsvoller das Haupt etwas zu Christus neigend, bei Lippo
Memmi steif und feierlich en face.^) Mit der Linken hält sie das
bekleidete Kind stehend auf ihren Knieen. Es setzt ,ganz en face'
den rechten Fuß auf ihre Hand, segnet mit der Rechten und hält
in der Linken einen Zettel. Zwei Engel stehen mit gekreuzten
Armen zur Seite und schauen es an ; in Siena sieht man außerdem,
wie auf Giotto's Bilde in der Akademie, vorn zwei andere knieen,
welche Schalen mit Blumen hochhalten. Links und rechts aber
stehen in langer Reihe Heilige und hinter ihnen Engel. Man könnte
glauben, einer feierlich abgemessenen höfischen Zeremonie beizu-
wohnen — so dachte sich etwa Berthold von Regensburg den
Himmelshof! Recht als Königin spricht auch in der Inschrift Maria
zu der Versammlung.
Aehnliche Auffassung zeigen die verschiedenen Statuen, welche
Niccolo Pisano und seine Schule geschaffen. Von Sternen, dem
Monde und Himmelsglorie umgeben hat sie, so viel ich weiß,
zuerst Lippo Dalmasio auf einem Bilde in London (Nat. Gall. 152)
dargestellt, etwa gleichzeitig auch jener Maler, der das Altarbild
der Kapelle Rinuccini in S. Croce gemalt. Letzterer, der, offenbar
ein schwächerer Meister als Giovanni di Milano, der Nachfolger
Desselben in der Ausschmückung der Kapelle wird, umgiebt die
Madonna mit Sternen und läßt ihre Füße auf dem Mond ruhen.
^) Phot. Lombardi. Abb. bei Lübke, Gesch. der it. M. I, 171. Mitteltheil des
Bildes in Siena bei Dobbert in Dohme K. u. K. III, S. 25.
co8 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
ein Motiv, das erst über ein Jahrhundert später zumeist in Deutsch-
land beliebt wird. Diese Darstellungen bleiben aber ganz ver-
einzelt — erst am Ende des Quattrocento beginnen Künstler in
NorditaHen (Mantegna, Giovanni Bellini und Schüler) die Madonna
in den Wolken häufiger zu malen an.
Neben jenen drei großen sienesischen Bildern sind uns eine
Reihe von Werken aus dem Anfange des XIV. Jahrhunderts erhalten,
welche mehrfach, meist fünfgetheilt in der Mitte die Mutter
Gottes , zu ' den Seiten Heilige in halben Figuren darstellen. Ge-
meinsam ist den Madonnen die weiche , empfindungsvolle Neigung
des Hauptes und das häufig schleierartige Kopftuch unter dem
Mantel. Halb nach rechts gewandt halten sie mit beiden Händen
das häufig halbnackte, bloß in ein Tuch gehüllte sitzende Christ-
kind , das die Enden seines Gewandes aufrafft ^) oder den Schleier
der Mutter an sich zieht ^) oder wohl auch Blumen hält.^) An
solche früheren Werke lehnt sich auch Pietro Lorenzetti in seinem
Bilde zu Arezzo *) an , während er auf anderen , wie denen zu
S. Ansano bei Siena, in Cortona und in den Offizien das Allgemeine
der Komposition, den Thron und die nebenstehenden Engel jenen
älteren Cimabue'schen Werken nachbildet.^) Der Fortschritt zeigt
sich bei ihm darin, daß er, wie Giotto, das Kind die Mutter ansehen
läßt; in Florenz faßt es dieselbe am Kinn^), in S. Ansano wendet
es sich wie erstaunt zum h. Antonius.
Aber über diese Stufe geht Ambrogio Lorenzetti weit hinaus.
Was die Franziskanerdichter mit den zartesten Worten gepriesen,
das höchste Mutterglück, wagte er mit seinem Pinsel zu verbild-
lichen. Für die Franziskanerkirche in Siena hat er Maria gemalt, wie
sie dem auf ihren Händen ruhenden, von weißem Tuche wenig um-
hüllten, kräftigen Kinde die Nahrung reicht. (Abb. 71.) Mit liebenden
Augen sieht sie es an, recht wohlgemuth wendet Jesus in fröh-
^) Duccio's Richtung : Siena, Akad. 23.
2) Altarbild des Ugolino? Sakristei S. Croce. Nr. 6. Alinari 10859. — Segna:
Castiglione Fiorentino. — Im Stile des Segna: Prato, S. Francesco. Alinari 11 539. —
P. Lorenzetti: Cittä di Castello, Gallerie.
^) Duccio's Richtung : Siena, Akad. — Simone Martini : Siena, Ak.
^) Pieve. Phot. Alinari.
^) Cortona, Kathedrale. Phot. Alinari. — Uffizien, Phot. Alinari.
^) So auch bei Simone Martini : Orvieto , Domopera. — Bamaba da Modena :
Modena, Gall.
Die Mariendarstellungen. 509
lichem Behagen von der Mutterbrust weg den Blick aut den Be-
schauer und stemmt die Beinchen gegen der Mutter Arm. Natür-
lichkeit oder Empfindung, man weiß nicht, was man mehr an diesem
Bilde bewundern soll ! Diese Maria lebte zu den Zeiten Ambrogio's
in Siena. Hat er auch die folgenden Verse Jacopone's gekannt.''
Maria, o wie ward Dir,
Als Du ihn so erseh'n.
Mußtest versengt Du da nicht
Vor Liebe ganz vergeh'n?
Hast Du verzehrt Dich selbst nicht.
Wenn Du ihn still beschaut,
In seinem Fleisch verhüllet
Die Gottheit selbst erschaut?
Wenn an der Brust er saugte,
Welche Lieb' that er Dir an.!"
Das Unermeßliche konnte
Die Milch von Dir empfahn ?
Wenn Du die Brust ihm reichtest,
Und mit ihm scherztest froh:
Wurd'st Du nicht ganz verzehret
Von solcher Liebesloh?*)
Das Motiv selbst war nicht ganz neu. An der Fassade von
S. Maria in Trastevere, an den Bronzethüren von Ravello war es
im XII. Jahrhundert schon behandelt worden, aber erst in dem uns
beschäftigenden Zeitraum seit der Mitte des XIV. Jahrhunderts ge-
winnt es größere Verbreitung. Eben um dieselbe Zeit wie Ambro-
gio's Bild mag das kleine Bild Lippo Memmi's in Berlin entstanden
sein. ^) Bald nachher tauchte die Darstellung der Madonna del
Latte auch anderwärts auf Nino Pisano stellt sie in einer Statue
für S. Maria della Spina in Pisa dar , Lippo Dalmasio auf einem
Bilde im Collegio di Spagna und einem andern bei Rosini ab-
gebildeten, Barnaba da Modena auf einem Bilde in Ripoli und auf
dem in S. Francesco zu Pisa befindlichen, Fra Paolo auf dem Ge-
mälde der Gallerie zu Modena, ein dem Altichieri verwandter Meister
in den Eremitani zu Padua, Spinello Aretino in S. Bernardo zu
'■) III, 6. O vergin piü che femina. Str. 25 — 28.
^) Gallerie N. 1072. Von ihm auch das gleiche Motiv in S. Agostino zu S.
Gimignano.
CIO Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
Arezzo, ein Zeitgenosse von ihm in einer Terracotta über dem Seiten-
portal des Domes ebendaselbst, i)
Aber Ambrogio hat der sienesischen Schule auch ein anderes
schönes Vorbild in einem Gemälde der Akademie hinterlassen, auf
dem sich Christus innig Wange an Wange an die Mutter schmiegt
und sie umhalst ^), ein Motiv, das überraschender Weise schon auf
dem sehr mit Unrecht unbeachteten Diptychon des Berlinghieri in
der Akademie zu Florenz erscheint. Solche zarte , weiche Em-
pfindung entsprach der sienesischen Gemüthsart mehr als der floren-
tinischen. Aber Siena gab sein Bestes schon im XIV. Jahrhundert
und verharrte nun in der Folgezeit bei den altgewohnten Motiven,
während in Florenz seit dem Beginn des Quattrocento mit der
Kunst im Allgemeinen auch das Madonnenbild sich mehr und mehr
vervollkommnet. Damals nämlich fängt man an, Christus ganz nackt
darzustellen und findet neue Ausdrucksweisen für das Verhältniß
zwischen Mutter und Kind. Mit Gentile da Fabriano und dessen
kleinem Bilde in der Casa della pia misericordia in Pisa beginnt,
wie Hettner bemerkt hat, jene Darstellung von der ihr Kind
anbetenden Mutter, die gleichzeitig in Norditalien von Jaco-
bello del Fiore (wohl unter dem Einfluß Gentile's) gebracht wird ^),
in der umbrischen Schule in den Werken Piero's della Francesca,
Fiorenzo's di Lorenzo, Pinturichio's und Perugino's so häufig wieder-
kehrt und durch Baldovinetti , Luca della Robbia u. A. in Florenz
eingebürgert wird. Filippo Lippi gesellt der Gruppe den kleinen
Johannes zu , und so kommt die Zeit heran , in der Raphael seine
ewig jungen Madonnen malt. So unendlich erhaben an Schönheit
und Formvollendung dieselben über die oben betrachteten alten
Bilder sind — in Einem stimmen sie mit jenen überein: in der Em-
pfindung ! Dasselbe Ideal, das Ambrogio Lorenzetti vorschwebt, das
Ideal jener alten Franziskanerdichter, ist das Ideal Raphael's in
seiner Jugendzeit. Zu Raphael's Madonnen del Granduca und di
Casa Tempi, paßt ebensowohl wie zu Ambrogio's Bildern, was die
Meditationes in einfach herrlichen Worten sagen:
1) Nlno. Abb. Cicognara I, 12. — Lippo (i) Phot. Alinari 10561. (2) Rosini I,
S. 20. — Auf die späteren Darstellungen einzugehen, würde zu weit führen.
*) Phot. Lombardi. — Das gleiche Motiv auf einem vielleicht älteren, dem Segna
nahestehenden Bilde in der Akademie zu Lucca und auf einem späteren in Empoli's
Kathedrale, das im Geschmacke des Bartolo di Maestro Fredi ist.
^) Bilder in Bergamo: GaU. I, 21 und Mailand: Brera 166.
Die Mariendarstellungen. 511
„O Gott ! Mit welcher Unruhe und Sorgfalt leitete die Mutter
den Knaben, daß er des Kleinsten nicht entbehrte. Mit welcher
Ehrerbietung und Vorsicht und mit welcher Scheu berührte sie ihn,
den sie als ihren Gott und Herrn erkannte, hob sie ihn knieend
auf und legte sie ihn in die Wiege. Mit welcher Fröhlichkeit, Ver-
trauen und mütterlicher Würde umarmte , küßte , drückte sie ihn
süß an sich, wie freute sie sich an ihm, der ja ihr Sohn war. Wie
oft vertiefte sie sich eifrig in den Anblick seines Antlitzes, jedes
einzelnen Theils seines heiligsten Körpers 1 Wie ernst und scham-
haft umhüllte sie mit Binden die zarten Glieder ! Denn wie sie über
Alles demüthig war, so war sie auch über Alles klug: so diente
sie ihm emsig im Wachen und im Schlafen, als er ein kleines Kind
noch war und als er erwachsen. Wie gerne nährte sie ihn ! Kaum
konnte es geschehen, ohne daß sie beim Nähren eines solchen
Sohnes eine große, anderen Frauen so nicht bekannte Süßigkeit
verspürte". ^)
Ueber der Mutter aber hat dann wieder Raphael ebensowenig,
wie seine alten Vorgänger , wie Cimabue , Simone Martini, Giotto,
die Himmelsherrscherin zu feiern vergessen. Auch ihm hat sie sich
in aller Herrlichkeit auf dem Throne gezeigt — bis seinem Blicke
selbst dieser, bis seinem Geiste Zeit und Raum entschwand, bis die
sixtinische Madonna ward !
2. Die Legende der Maria und sonstige Marien-
darstellungen. Es war nur eine natürliche Folge des Auf-
schwunges, welchen der Marienkultus nahm, daß neben den Madon-
nenbildern auch der Legende der Jungfrau von der Kunst eine
besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, und die Franziskaner
scheinen auch hierfür die Anregung gegeben zu haben. Schuf doch
in ihrem Auftrag Cimabue im Chor von S. Francesco zu Assisi den
ersten bedeutenden Zyklus der letzten Ereignisse in Maria's Leben,
wobei er sich allerdings für einzelne Darstellungen an ältere Vor-
bilder halten konnte. Giotto erzählt in Padua ihre Jugendgeschichte,
in der jetzt übertünchten Kapelle der Tosinghi und Spinelli in
S. Croce die Hauptereignisse ihres Lebens bis zur Himmelfahrt^),
und seinem Beispiel folgten Taddeo Gaddi in der Baroncellikapelle,
Giovanni da Milano in der Rinuccinikapelle zu S. Croce, Giottino
1) Kap. X, S. 524.
2) Vasari I, 374.
e 1 2 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
in dem ältesten Chiostro von S. Maria novella. Weiter Orcagna
mit seinen Reliefs am Hochaltar zu Orsanmichele, und zwar schon
im XV. Jahrhundert, aber stilistisch fast noch ein Trecentist, schil-
derte Taddeo Bartoli in S. Francesco zu Pisa und im Palazzo pu-
blico zu Siena, Ottaviano Nelli im Rathshause zu Foligno die wich-
tigsten Vorgänge.
Auf die Entwicklung der einzelnen Kompositionen einzugehen,
ist hier nicht der Platz, nur auf zwei Darstellungen möge kurz hin-
gewiesen werden: die Himmelfahrt und die Krönung Maria.
Noch Cimabue hatte die erstere in der Weise dargestellt, daß
man unten um das offene Grab die zwölf Apostel versammelt sieht,
dahinter in drei steifen Reihen zahllose Heilige , oben aber Maria,
wie sie liebend von Christus umfangen neben Diesem in einer Man-
dorla , die von vielen Engeln getragen wird , gen Himmel fährt. •^)
Die Schule von Siena hat daraus eine neue herrliche Komposition
gemacht, indem sie den unteren Theil wegläßt und nur den Jubel
der himmlischen Heerschaaren schildert , welche in ihrer Mitte die
Jungfrau, in einer Glorie sitzend, gen Himmel tragen. Die ältesten
Denkmale dieser Szene , die bis 1 500 in Siena besonders beliebt
bleibt, sind der reizende Lippo Memmi in der Münchner Pinakothek
und ein vermuthlich nicht ihm, sondern Pietro Lorenzetti zu-
zuschreibendes ähnliches Bild der Akademie zu Siena. Die Dar-
stellung Pietro's in der Apsis der Pieve von Arezzo kann man sich
nur aus der Beschreibung Vasari's (I, 474) in Gedanken ähnlich
rekonstruiren. Sienesischen Einfluß verräth auch die von Vasari
fälschlich dem Simone Martini zugeschriebene Darstellung im Campo
Santo zu Pisa, die, wie ich glaube, von Francesco Traini gemalt
ist, und Orcagna's Relief in Orsanmichele.*) Das Hauptmotiv
bildet immer der frohe Festesreigen der singenden und musiziren-
den Engel , wie er von Jacopone in einem herrlichen Liede ge-
schildert wird, nur daß auf den Bildern der Augenblick des Em-
porschwebens zum Himmel, im Gedichte der Eintritt in den himm-
lischen Hof selbst — nicht unähnlich dem Fresko Cimabue's —
wiedergegeben ist.
^) S. S. 226. Aehnlich in der Komposition (nur die Heiligen sind weggelassen),
ist das alterthümliche, aber sicher in der ersten Hälfte des XV. Jahrhunders entstandene
Fresko in der Unterkirche in Subiaco. D'Agincourt CXXVI, 4.
^) In Siena selbst und Umgebung begegnet man häufig solchen Bildern.
Die Mariendarstellungen. 513
Laßt frohe Lieder, süße Melodieen
Uns Alle weihn der niederen Maria.
Maria niedrig hob sich in den Himmel,
Ein Fest begehn die Engel dort im Ew'gen,
Sie Alle neigen sich, sie Alle eifern,
Recht höfisch fein die Königin zu ehren.
O süße Kön'gin, heil'ge Kaiserin,
Du einz'ge unter Frauen, holder Phönix,
Laß schmecken mich mit Dir, was Du genossen.
So wie man sagt, als auf dem Weg Du wärest.
Als Du verlassen diese dunkle Erde,
Froh Dir entgegen kam der große König,
Da flohen alle Feinde in die Tiefe,
Da sie erfüllt die Prophezeiung sahen.
Getreue Ihr der freudenreichen Jungfrau,
Eilt schnell dahin, bevor sie noch entschwunden.
Und kündet es den reinen Schaaren droben.
Daß zu Maria's Preise sie sich rüsten!
Aufmerkend steht ein Jeder, heit'res Lachen
Bereit auf seinem Antlitz, schweigend wartend.
Doch wie Du kommst, ertönt es: Friede! Friede!
Maria Dir, Du glücklich sel'ge Jungfrau.
Die heil'gen Tugenden, Erzengel, Engel
Als erste Schaaren kommen Dich zu grüßen, *
Demüthig beugten sie vor Dir sich Alle
Und riefen: Heil der niederen Maria!
Die Herrlichkeiten und die sel'gen Mächte,
Die Fürstenthümer auch im Bund der Liebe,
Wer sie umschlungen alle so gesehen.
Der hörte nimmer auf, zu benedei'n Dich!
Die Königin geht mitten durch die Throne,
Den Cherubim vorbei eilt die Seraph'sche,
Mit all der Schaar bringt süße Dankesworte
Die göttlich hehre Frau dem Weltenschöpfer.
Ihr Seraphim versenkt in große Liebe,
Ihr wandeltet fiir sie die süßen Verse :
Statt Sanctus, Sanctus tönte Sancta, Sancta
Von Euren Lippen nach dem Wunsch des Herrn.
Des empire'schen Himmels weite Straßen
Durcheilte Gabriel entflammt vom Feuer,
Der sel'ge Bote, rief zu Dem und Jenem :
Sie ist's, der ich die hohe Botschaft brachte!
Thode, Frani von Assisi. 33
CIA Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
Und die Propheten frohes Fest begingen,
Sie kamen jubelnd Alle, sie zu grüßen,
Und David sang, denn vom Gefängniß hatte
Sie Alle ja befreit die reine Jungfrau.
Die Patriarchen festgeschlossen standen
In Reih und Glied geschaart mit ihrem Banner,
Und als den großen Lichtschein sie gewahrten.
Verließ ein jeder eilend seinen Posten.
Von allen Chören warst Du da umgeben,
Mit süßem Sang erfaßt und aufgehoben.
Und an die Seite Deines Sohnes setzten
Sie Dich und ehrten Dich als ew'ge Göttin.
Maria süße, mildgesinnte, fromme,
Mit Dank verherrlicht von so hehren Schaaren,
Wer Dich nicht lobt, der hat den Weg verloren,
Zu Psalmensang nach oben zu gelangen.^)
Alle Herrlichkeit des Himmels, Gesang und Saitenspiel der
Engel, ein dichtes Gedränge der Heiligen umgiebt aber auch die
Krönung der Maria. Das arme irdische Weib wird zur Herr-
scherin des Himmels und der Würde theilhaftig, auf gleichem Throne
mit dem Herrn zu sitzen. Noch auf dem Mosaik in S. Maria in
Trastevere erscheint sie ruhig thronend neben dem sie umfassenden
Christus, pie erste Darstellung der Krönung der Maria aber ist
Torriti's Mosaik in S. Maria maggiore vom Jahre 1295. Und
gerade dieses Werk verdankt dem Franziskanerpapst Nicolaus IV.
und dessen Kardinal Colonna seine Entstehung und reiht zuerst
die beiden HeiHgen Franz und Antonius von Padua ebenbürtig
unter die alten Apostel Paulus , Petrus , Johannes den Täufer und
Johannes den Evangelisten ein. In alterthümlicher Weise noch
sitzen Mutter und Sohn beisammen. In der Linken hält Letzterer
das offene Buch, mit der Rechten setzt er Maria, die erstaunt die
Hände öffnet, die Krone auf. Eine Schaar kleiner Engel fliegt
rechts und links unterhalb des mächtigen Thrones, in gleichen kleinen
Verhältnissen stehen steif links und rechts die Heiligen. ^) Einen
Fortschritt bezeichnet das angeblich von Gaddo Gaddi komponirte
Mosaik über dem Mittelportal im Dom zu Florenz. Hier hat sich
^) B. III, 21. Canti giojosi e dolce melodia.
■^) Abb. Gutensohn u. Knapp , Taf. 46. — Valentini : La patriarcale basilica
Liberiana 1839, Taf. 55. — D'Agincourt. Taf. XVIII, 18. — Lübke: Gesch. d. M.
I, S. 96.
Die Mariendarstellungen. 515
Christus der Maria zugewandt, welche die Arme über der Brust
kreuzt und die Rechte erstaunt bewegt, und setzt ihr mit der
Linken die Krone auf, während er sie mit der Rechten segnet. Die
vier EvangeHstensymbole umgeben den Thron und zu beiden Seiten
befinden sich musizirende Engel. ^) Zu ihrem vollen Rechte aber
verhilft erst Giotto der neuen Komposition auf seinem fünftheiligen
Altarbilde der Capeila Baroncelli in S. Croce zu Florenz. Da
drängt sich hinter den knieenden musizirenden Engeln die unzähl-
bare Menge der Heiligen um den Thron, auf dem der jugendlich
ideale Christus, nach dem Vorbilde von Gaddi's Mosaik nach Unks
gewandt, mit beiden Händen der sich neigenden Maria, welche die
Hände kreuzt, die Krone aufsetzt. Das merkwürdige Bild trägt recht
deutlich, wie jene Madonnen Simone Martini's und Lippo Memmi's,
das Gepräge einer höfischen Zeremonie und wird darin, wie in der
Komposition, namentlich der Hauptgruppe, bestimmend für die zahl-
reichen gleichen Darstellungen des XIV. Jahrhunderts. So zunächst
für das dem Ugolino da Siena zugeschriebene Altarwerk in der
Akademie von Florenz, für Giottino's Fresko in der Unterkirche
von Assisi, das Bildchen Bernardo's da Firenze in Berlin (1064)
und in der Folge für viele andere. Dagegen hält sich Barna's Bild
am Tabernakel in S. Giovanni in Laterano mehr an die ältere ein-
fache Weise, nach welcher Christus nur mit Einer Hand die Krone
hält. -) Höfisches Ceremoniell , aber in etwas von Giotto verschie-
dener Weise, kennzeichnet auch die Handlung auf einem von
d'Agincourt publizirten Bilde des Barnaba da Modena. Hier kniet
Maria inmitten von musizirenden Engeln vor Christus, der unter
einem Baldachine sitzt. Knieend wird Maria auch auf bolognesi-
schen Bildern des Jacobus Pauli und Vitale dargestellt^), während
in Toscana dies Motiv zuerst von Fra Filippo im Dom zu Spoleto
eingeführt wird. Mehr einer Kirchenversammlung als einem Hof-
staat aber gleicht die Menge der perspektivisch reihenweis angeord-
neten, auf Bänken sitzenden Heiligen, die auf dem Fresko eines
unbekannten Meisters in der IV. Kapelle links in S. Petronio zu
Bologna der Krönung beiwohnen. Diese wird im Beisein des
^) Phot. Alinari.
2) D'Agincourt T. CXXVII.
**) Jacobus Pauli: Bologna, S. Giacomo maggiore. Vitale: Bologna, S. Salvatore.
Malvasia: Felsina pittrice I, S. 8 spricht von einer ,,Incoronata" vom Jahre 1244, die
sich im Refektorium von S. Francesco zu Bologna befunden habe.
33*
5i6 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
dahinter thronenden Gottvaters in der Höhe vollzogen, inmitten
zahlloser Schaaren von Engeln. ^)
Indessen hier wie auch sonst sollte nur die erste Entwicklung
der neuen Komposition angedeutet, nicht ein vergleichendes Studium
derselben vorgenommen werden. Wichtig aber ist es, zu betonen,
daß seit Torriti's Mosaik immer wieder und ganz besonders die
Krönung Maria für den Schmuck der Franziskanerkirchen bestimmt
gewesen ist, so daß sich die Annahme nicht zurückweisen läßt, die
Franziskaner hätten zuerst die Idee dieses himmlischen Vorgangs
erfaßt und verbreitet. ^)
Nicht das Gleiche läßt sich von einigen andern Mariendarstel-
lungen sagen, die auch um 1300 entstanden sind und kurz hier er-
wähnt werden müssen. Da ist zunächst die Reihe jener Miseri-
cordiabilder zu nennen, auf denen Maria als Himmelskönigin
auftritt, wie sie ihren Mantel ausbreitet über knieende Mönche und
Laien. Das älteste mir bekannte ist das von einem Schüler Lippo
Memmi's gemalte, im Dome zu Orvieto befindliche und das ähn-
liche Gemälde auf dem Hauptaltar von S. Maria della Misericordia
zu Arezzo. Aus derselben Zeit aber stammen auch eine Reihe von
Reliefs mit derselben Darstellung. Eine andere Komposition, die
im XIV. Jahrhundert mit Bildern des Agnolo Gaddi in Figline bei
Prato (via Cantagallo) , eines späten Giottisten in S. Francesco zu
Pescia, des Luca Thome in der Akademie zu Siena und des Gennaro
di Cola in der Gallerie zu Neapel auftaucht, ist die der Anna
s e 1 b d r i 1 1. Anna hält Maria auf ihrem Schooße, diese das Christ-
kind. Steif, wie Agnolo Gaddi die Gruppe gegeben, erscheint sie
auch auf Masaccio's Bilde in der Akademie zu Florenz. Mit Sanso-
vino's Gruppe in S. Agostino zu Roma und mit Lionardo's herr-
lichem Bilde im Louvre erreicht sie die Höhe der Vollendung.
Eher als von diesen ließe sich von gewissen Darstellungen der
Maria als Fürbitterin, die nur in der umbrischen Kunst vor-
kommen, behaupten, daß sie speziell den Franziskaneranschauungen
und zwar den späteren des h. Bernhardin von Siena entsprossen
sind. Ich meine speziell jene Pestbilder des XV. Jahrhunderts, auf
denen Maria den erzürnten Heiland abhält, die Pfeile des Ver-
1) Phot. Alinari.
2) Jene Madonnenbilder, auf denen über Maria's Haupt zwei eine Krone haltende
Engel schweben, scheinen erst im XV. Jahrhundert sich zu verbreiten.
Die Mariendarstellungen. 517
derbens auf das Volk abzusenden, wie deren eines von Buonfigli
in S. Francesco, ein anderes in S. Fiorenzo zu Perugia hängt.
Zu jener Zeit auch erscheinen — allerdings ganz vereinzelt
und nur in Umbrien — sehr eigenthümliche Kompositionen, die
lebhaft an jene oben erwähnten Lieder des XIV. Jahrhunderts, die
,Kontraste' zwischen Maria und Teufel , erinnern : Maria entreißt
durch ihre Intervention den Krallen des Satans ein gefährdetes
Kind, das dessen angsterfüllte Mutter vergeblich vor Jenem zu
retten versucht. Derartige Bilder sind mir eines von Niccolö
Alunno in der Gallerie Colonna zu Rom, ein anderes von Melanzio
in der kleinen Sammlung von S. Leonardo zu Montefalco und ein
drittes von Gerino da Pistoja in S. Agostino zu Borgo San Sepolcro
vorgekommen.
Noch ließen sich wohl einige andere eigenartige Mariendarstel-
lungen hier anführen, doch würde dies ohne eine besondere Berück-
sichtigung gerade der Franziskaneranschauungen geschehen. Alles,
was wir besprochen, reicht vollauf hin zu erkennen, welche höchste
Anregung der Marienkultus durch Franz und seinen Orden erhalten.
Man darf wohl kühn behaupten, daß die beiden Idealauffassungen der
Maria , so wie sie für die ganze Renaissancekunst bestanden , für
alle Zeiten künstlerisch bestehen werden : das Ideal der liebenden
irdischen Mutter und das Ideal der königlichen Herrscherin des
Himmels , von den Franziskanern in Dichtung und Predigt zuerst
allgemein gültig ausgesprochen und verherrlicht worden sind. Damit
aber hatte die italienische Kunst ihr höchstes Ideal erhalten.
Anhang: lieber einige Heiligen- und Legendendarstellungen.
Neben der Passion Christi, den letzten Dingen und dem Leben
der Maria, neben den Legenden der Ordensheiligen namentlich des
Antonius von Padua und der Chiara, dann auch des Bernhardin
von Siena finden wir als künstlerischen Schmuck der Franziskaner-
kirchen noch einige andere zyklische Darstellungen, die wenigstens
kurz genannt zu werden verdienen, mit Vorliebe verwerthet. Zu-
nächst hängt es mit der mystischen, von Bonaventura verbreiteten
Anschauung des Franziskus als siebentem Engel der Apokalypse,
von der oben (S. 96 ff.) schon gesprochen worden ist , zusammen,
daß die Minoriten eine besondere Verehrung für den heiligen
Michael hatten. So malte schon Cimabue in der Oberkirche von
ei8 Die künstlerische Neugestaltung der christlichen Darstellungen.
Assisi die auf Diesen bezüglichen Begebenheiten der Apokalypse,
so schilderte er dessen Legende in zwei großen Wandgemälden
später in einer Kapelle von S. Croce in Florenz. Vermuthlich be-
zogen sich auch die apokalyptischen Bilder, die Giotto nach Vasari
in S. Chiara in Neapel schuf, auf den Erzengel. ^) Später schmückte
Spinello eine Kapelle mit Fresken, die Michael's Legende zeigen, in
S. Francesco zu Arezzo.
Der andre Stoff ist die Legende vom heiligen Kreuze,
deren künstlerische Verherrlichung von dem Kreuzeskultus der
Franziskaner hervorgerufen wurde. Agnolo Gaddi hat sie im Chor
von S. Croce, Cennino Cennini in einer Seitenkapelle von S. Fran-
cesco zu Volterra, endlich Piero della Francesca in S. Francesco
zu Arezzo dargestellt.
Neben diesen beiden, recht eigentlich in den Minoritenkirchen
einheimischen Zyklen, findet man in denselben auch mit Vorliebe
den beiden Johannes und der Magdalena, dem Nikolaus und Anto-
nius gewidmete und mit Darstellungen aus deren Legenden ge-
schmückte Kapellen.
^) Vasari I, 390.
DRITTER ABSCHNITT
DIE ALLEGORISCHEN DARSTELLUNGEN
Mit dem Einflüsse, den die Franziskanermystik auf eine neue
künstlerische Auffassung der christlichen Legende ausgeübt, hat sie
noch nicht ihre vollen Kräfte ausgegeben. Nicht allein die großen
Träger der christlichen Ideen hat sie aus dem Himmel auf die
Erde zurückgeführt , sondern den Ideen selbst Fleisch und Blut,
ihnen , um sie besser verstehen zu können , ein menschliches
Aussehen verliehen. Das war nun freilich nichts Neues. Neben
die Symbole, auf welche anfangs die christliche Kunst ganz beschränkt
war, traten bald, theil weise direkt an die Antike sich anlehnend,
theilweise selbstständig erfunden, Personifikationen physisch-mytho-
logischer Art und ethischer Begriffe.^) Das Verdienst der neuen
volksthümlichen Mystik liegt nun darin, daß sie, bestrebt, dem
Volke abstrakte Begriffe möglichst handgreiflich verständlich zu
machen, bemüht ist, dieselben durch allgemein verständliche, an-
schauliche Bilder zu ersetzen. Damit hat sie der Kunst einen reichen
Stoff, wenn auch nicht zugeführt, so doch leichter verwerthbar
zubereitet. In dem Grade als die Personifikationen zunahmen,
nahmen die Symbole ab. Der außerordentliche Reichthum von
allegorischen Darstellungen der Tugenden und Laster, der uns
namentlich an den Grabdenkmälern des XIII. und XIV. Jahrhunderts
entgegentritt, hängt innig mit der neuen naturfreundlichen An-
schauung zusammen. Wie weit die Bettelmönche im Einzelnen
diesen Geschmack befördert , läßt sich mit Sicherheit nicht sagen ;
^) Vgl. darüber Piper: Mythologie der christlichen Kunst. Weimar 1851. —
J. B. Pitra: Spicilegium Solesmense. II, in. Paris 1855. — Otto: Hdb. d. Kunst-
Arch. V. Aufl. I, S. 481fr., 499 ff.
C20 Die allegorischen Darstellungen.
daß es geschehen, kann man wohl daraus vermuthen, daß weitaus
die größte Mehrzahl der Denkmäler, deren ständiger Schmuck die
allegorischen Frauengestalten sind, sich in den Bettelmönchkirchen
befindet. Eine andere durchaus volksthümliche Allegorie, diejenige
des jHerrscher Tod', hat, wie in einem besonderen Kapitel aus-
geführt werden soll, von dem Franziskanerthum ihren Ausgang
genommen. Neben, diesen eigentlich volksthümlichen Personi-
fikationen aber entstehen besondere Allegorieen innerhalb der
Klostermauern, die, bloß fiir die Ordensangehörigen erfiinden, im
Besonderen auch nur fiir Diese verständlich waren und blieben. Es
sind sinn- und beziehungsreiche bildliche Darlegungen bestimmter
dogmatischer Anschauungen oder mystischer Vorgänge, gewisser-
maßen Illustrationen eines Textes, der uns meist nicht erhalten ist,
dessen allgemeinen Inhalt wir aber mit unserer Kenntniß der Zeit
ungefähr errathen können. Was bei den Franziskanern Allegorieen
der Ordensgelübde waren, waren bei den Dominikanern Allegorieen
auf die Thätigkeit des Ordens. In S. Francesco zu Assisi einer-
seits, in S. Maria novella zu Florenz andrerseits haben sie ihre
größte künstlerische Verherrlichung gefunden. Aber die Kunst hat
mit dem zähen, widerstrebenden Stoffe wenig anzufangen gewußt.
Sie sträubte sich, zur Magd der Herrin Wissenschaft zu werden,
auf ihr edelstes Vorrecht, allgemein verständlich zu sein, zu Gunsten
denkender, aber nicht empfindender Einzelner zu verzichten. Wo
immer an das Gefiihl und damit an die große Masse appellirt
wurde, wie mit der Darstellung der Vermählung des Franz mit der
Armuth, durch welche ein an sich unschwer verständlicher Vorgang
geschildert werden sollte, athmete sie auf und machte sich die Pflicht
zum Vergnügen. Im Allgemeinen aber kann man sich eines Ge-
fühles des Bedauerns nicht erwehren, sieht man sie in vergeblichem
Kampfe mit den Fesseln, die ein anscheinend herzloses Mönchthum
ihr angelegt hat. Und doch , bedenkt man , was dieses ihr Gutes
erwiesen, wie es selbst die Kunst erst befreit hat, so wird man
beruhigt sich sagen: der Tribut, den die Kunst in den Kloster-
allegorieen ihren Befreiern darbringt, steht in gar keinem Verhältniß
zu der Größe der genossenen Wohlthaten.
Im Folgenden werden zunächst die Klosterallegorieen der
Franziskaner, nämlich die Allegorieen der Ordensgelübde' und die
Kreuzesallegorieen, dann die volksthümlichen Allegorieen des Todes
besprochen werden.
Die Armuth. 52 1
I. Die Allegorieen der Franziskaner -Gelübde und der Triumph
des Heiligen Franz.
Ueber dem Grabe des Heiligen in der Unterkirche zu S. Fran-
cesco hat Giotto an den vier Feldern des Kreuzgewölbes die drei
Gelübde des Ordens : die Armuth, den Gehorsam, die Keuschheit,
sowie die Glorie des Franziskus dargestellt. Jedes Bild ist von
einem mit Laubwerk geschmückten Rahmen umgeben, in dem vier-
eckige Medaillons mit Brustbildern von Engeln sich befinden.
I. Die Armuth.
Das Bild stellt die Verlobung des Franziskus mit der Armuth dar.
(Abb. 72.) In der Mitte auf felsigem Boden steht in Dornengestrüpp
die hagere, mit einem zerfetzten und geflickten, von einem Stricke
gegürteten Gewände bekleidete Figur der heiligen Armuth. Ueber
ihr blühen Rosen und Lilien. Kraftlos, wie gebrochen hängen ihre
Flügel herab, das ernste Gesicht mit den ältlichen Zügen trägt die
Spuren von Leiden und Entsagung. Mit ruhigem, aber scheuem
Blick schaut sie auf Franz, der, freundlich und liebevoll ihr be-
gegnend, links herantritt und ihr an den vierten Finger der rechten
Hand den Ring ansteckt. In der Mitte zwischen Beiden, etwas
dahinter, steht Christus, der in Sinnen verloren den Arm der Braut
dem Freunde zuführt. Rechts von ihr stehen zwei Frauen , die
vordere einen Kranz und drei Flammen im Haar, in der Rechten
ein Herz haltend : ,die Caritas', die hintere, die eine Handbewegung
macht, als hätte sie eben der Armuth den Ring gegeben, den diese
in der Linken hält : ,die Spes'. Eine gedrängte Schaar von großen
Engeln wartet hinter Franz und den Tugenden , ernst und auf-
merksam den Vorgang betrachtend. In der Mitte unten bellt ein
Hund die Armuth an, ein Knabe holt mit der Rechten aus, sie mit
einem Steine zu werfen. Ein anderer schlägt mit einem Stabe
nach ihr. Im Vordergrunde links faßt ein Engel einen Jüngling
am Arme, der eben einem greisen Bettler seinen Mantel schenkt,
und weist ihn auf den feierlichen Vorgang hin. Entsprechend sucht
ein anderer Engel rechts einen vornehmen Mann, der einen Falken
auf der Hand trägt, zu bewegen, an dem Vorbild des Franz sich
ein Beispiel zu nehmen, doch vergebens, denn er macht eine verächt-
liche Handbewegung. Auch seine zwei Gefährten zeigen sich
ungerührt. Der eine, im Begriffe fortzugehen, schaut scheu zurück
C22 I^i^ allegorischen Darstellungen.
und umschließt ängstlich mit beiden Händen seinen Geldbeutel, der
andere dahinter, ein Mönch, scheint ihn mit scheelen Blicken an-
zusehen und faßt sich mit einer krampfhaften Bewegung an die
Brust. — In der Höhe aber über der Mittelgruppe fliegen zwei
Engel gen oben. Der links trägt ein Gewand und einen Beutel,
der rechts das Modell eines thurmartigen Gebäudes mit einem
Garten. Die Hände Gottes langen von oben herab, die Gaben in
Empfang zu nehmen.
Im Rahmen unterhalb des Bildes sind folgende Verse eines
Hymnus undeutlich, zum Theil zerstört zu lesen:
sie contemnitur
dum spernit mundi gaudia
veste vili contegitur
Querit celi solatia
tur duris sentibus
mundi carens divitiis
rosis plena virentibus
_______ ant
celestis spes et Caritas
et angeli coadjuvant
ut placeat necessitas
hanc sponsam Christus tribuit
Francisco ut custodiat
nam omnis eam re (spuit)
1)
lieber die eigentliche Bedeutung des allegorischen Vorganges
können wir keinen Augenblick im Zweifel sein, hätten wir selbst
nicht die feierhchen Strophen Dante's erhalten, in denen er die Ent-
sagung des Franz und seine Verachtung aller irdischen Güter feiert :
Denn mit dem Vater stritt er, jung an Jahren
Für eine Frau, vor der der Freuden Thor
Die Menschen fest, wie vor dem Tod verwahren.
Bis vor dem geistlichen Gericht und vor
Dem Vater sie zur Gattin er sich wählte,
Und täglich lieber hielt, was er beschwor.
Sie, Deß beraubt, der sich ihr erst vermählte,
Blieb ganz verschmäht, mehr als elfhundert Jahr,
Da bis zu diesem ihr der Freier fehlte.
^) Es glückte mir, diese bis jetzt nicht beachteten Inschriften wenigstens theil-
weise zu entziffern, mit Hülfe jener alten Manuskriptbeschreibung im Archive, die sie
ihrerseits schon unvollkommen und fehlerhaft wiedergiebt.
Die Armuth. 523
Obgleich durch sie Amiklas in Gefahr
So sicher ruht, als Dessen Stimm' erklungen,
Des Mächt'gen, der der Erd' ein Schrecken war;
Obgleich sie standhaft, kühn und unbezwungen,
Als selbst Maria unten blieb, sich dort
An Christi Kreuz zu ihm emporgeschwungen.
Allein nicht mehr in Räthseln red' ich fort:
Franziskus und die Armuth sieh in ihnen,
Die dir geschildert hat mein breites Wort.
Der Gatten Eintracht, ihre frohen Mienen
Und Lieb' und Wunder und der süße Blick
Erweckten heil'gen Sinn, wo sie erschienen.^)
Wer diese Verse liest, möchte wohl mit Schnaase geneigt sein,
in ihnen das Vorbild zu sehen , an das sich Giotto gehalten. In-
dessen hat Dobbert mit Recht darauf hingewiesen, daß das Bild
von der .Vermahlung der Armuth mit Franz' schon lange vor
Dante eine weite Verbreitung gehabt habe, daß die Verse, wie das
Fresko, von einander unabhängig auf eine dem ganzen Orden
geläufige Vorstellung zurückgehen dürften. -) Ob diese durch
Franz selbst begründet worden ist, läßt sich mit Sicherheit nicht
sagen. Indessen ist es sehr möglich ! Jene von Franz vor Inno-
cenz III. erzählte Parabel von dem armen Weibe, das, in der Wüste
lebend, ihre Kinder dem königlichen Gatten zuschickt, der sie freudig
aufnimmt, hat Hase in Uebereinstimmung mit einer Erklärung in
den Schriften des Franz, so gedeutet : die arme Frau sei die Armuth
selbst, der König Christus, und unter den Söhnen seien die Apostel,
Anachoreten und Mönche zu verstehen. Das ist wohl sehr ein-
leuchtend, mag auch jene Erklärung ganz zweifellos, wie mir scheint,
mit Unrecht dem Franz selbst zugeschrieben werden, da doch Thomas
von Celano in der II. Legende und die ,tres socii' noch in der
armen Frau den Franziskus selbst, in den Söhnen die fratres minores
sehen. ^) Auch das bleibt zweifelhaft, ob das Gebet zur Erlangung
der Armuth, das in den Opera sich befindet, von Franz selbst ist.
Es beginnt: ,,Die Armuth ist die Königin Aller. Mein frommer
Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner und der Herrin Armuth ;
denn auch ich werde von Liebe zu ihr gequält und kann ohne
1) Paradies XI, Ges. 58—84. Uebers. Streckfuß.
2) Schnaase: Gesch. d. K. VII, S. 37. — Dobbert: Giotto. Dohme: K. u. K.
III, S. 10 fF. — Auch Woltmann-Woermann : Gesch. d. M. I, S. 430.
^) Hase, F. v. A. S. 39. — Francisci opera S. 84. — Th. II, Leg. I, 11,
S. 30. — T, s. cap. IV, S. 736. — Bon. Cap. III, S. 749.
C24 ^^^ allegorischen Darstellungen.
sie keine Ruhe finden. Mein Herr, Du weißt es, der Du mich in
sie hast verheben lassen. Aber sie sitzt in Traurigkeit, von Allen
vertrieben, ,,die Herrin der Völker ist gleichsam zur Wittwe
geworden;" niedrig und verächtlich, sie, die doch die Königin aller
Tugenden; auf einem Misthaufen sitzt sie und klagt, daß alle ihre
Freunde sie verachtet haben und zu Feinden geworden sind; und
sie zeigen so, daß sie selbst schon lange Ehebrecher geworden,
nicht Gatten mehr sind." ^)
Das Bild von der Vermählung selbst läßt sich mit Bestimmt-
heit zuerst in der II. Legende des Thomas nachweisen, in der es
heißt: ,,Sie, die Vertraute des Sohnes Gottes, die schon lange von
dem ganzen Erdkreise vertrieben, sucht er und trachtet danach,
sich ihr in unwandelbarer Liebe zu verloben. So ward er zum
Liebhaber ihrer Gestalt und verließ nicht allein Vater und Mutter,
daß er inniger an ihr hänge und sie beide Eines wären im Geiste,
sondern ließ auch alles ihm Eigene fahren. Dann umfängt er sie
in keuscher Umarmung und duldet es selbst nicht eine Stunde,
nicht ihr treuer Gatte zu sein." -) Bonaventura nimmt diese Schilde-
rung auf, und bald nachher findet sie einen Widerhall in Jacopone's
Liedern. In dem einen derselben : ,San Francesco sia laudato',
begegnen sich Franz und die Armuth im Walde :
Als er in einen Wald getreten, nähert sich ihm plötzlich die
Armuth, in Gestalt eines ehrbaren Weibes, mit verklärtem Körper.
Ruhelos erscheint sie ihm, wie eine verschmähte Frau, einsam und
ermüdet ging sie, denn sie war schon viel gewandert. Als sie ihn
erblickt, tritt sie an seine Seite, aber Franz zieht sich zurück und
klagt sich selbst der Sünde an, daß man ihn so allein getroffen
habe. Denn er glaubte, als sie sich auf ihn zubewegte, sie sei ein
Weib, und erschrak heftig vor Scham bei dem Gedanken, sie suche
ihn auf Dann grüßte er sie: ,, Göttliches Feuer vom heiligen
Geiste entflammt möge Dich brennen!" Sie erwidert: ,, Bruder,
freundlich klingt Dein Gruß. Sag' aus welchem Grunde Du so
allein gehst .^" Und er: ,, Armuth zu suchen bin ich ausgegangen,
denn den Reichthum habe ich von mir geworfen. Nun will ich so
lange gehen und sie rufen, bis ich ihr begegne." Es folgt nun
ein Zwiegespräch, in dem die Armuth sich zu erkennen giebt.
Franz preist die glückliche Stunde, sie aber ermahnt ihn, nicht zu
^) Opera. P. I. Oratio de obtinenda paupertate.
^) III, I, S. 90. Danach Bon. cap. VII, S. 760. — Auch sonst öfters, z. B. III, 16. S. 1 12.
Die Armuth. 525
früh zu frohlocken, denn trotzdem, daß sie mager und müde, sei
sie doch schwer zu tragen. Aber seinem Drängen vermag sie nicht
zu widerstehen und sie verlangt endlich , daß er sie zur Frau
nehme. Mit ihr aber müsse er sich auch ihrer sieben Schwestern
annehmen. Das sind die Caritas, der Gehorsam, die Demuth, die
Enthaltsamkeit, die Keuschheit, die Geduld, endlich die Hoffnung,
die ihre ,Cameriera und Messagiera' sei. Als Franz es freudig ver-
spricht, fordert sie ihn auf, in beständiger Eintracht mit ihr zu
leben, und verheißt ihm endlich, daß er in ihrer und der Tugenden
Gesellschaft zu Christo gelangen werde. ••)
Lebhafter als Dante's Verse gemahnt diese Schilderung an
Giotto's Bild. Von den sieben Begleiterinnen sind wenigstens zwei:
die Caritas und ,die Dienerin und Botin' Hoffnung erschienen.
Dazu aber hat sich die Schaar der Engel gesellt. Der tiefe Sinn,
der darin liegt, daß gerade die Liebe und die Hoffnung als tröstende
Freundinnen der Armuth beistehen, wird Niemand entgehen. Auch
der Haß der Welt ist in dem kläffenden Hunde und den erbitterten
Knaben sehr verständlich angedeutet. Nur über die Erklärung der
beiden Gruppen im Vordergrunde ist man nicht ganz einig — daß
links an dem Beispiele des Almosen gebenden Jünglings gezeigt
wird, wie man die Forderungen der Armuth vollbringt, rechts im
Gegensatze dazu an den drei Männern, was davon abhält, erscheint
zwar klar, aber die letzteren hat man verschieden aufgefaßt. Es
scheint mir im höchsten Grade wahrscheinlich, daß in ihnen die
drei Laster: Geiz, Neid und Hochmuth, die Dante wiederholt als
eng zusammengehörig in einem Athem nennt, gekennzeichnet sind.^)
Durch den Falken und die verächtliche Handbewegung ist der Erste
als ,superbus' deutlich charakterisirt, der Zweite als ,avarus' durch
die sorgsam ängstliche Art, mit der er den Beutel hält, der Dritte
durch die krampfhafte Handbewegung, die recht drastisch das
würgende Gefühl im Herzen ausdrückt, als ,invidiosus*. Daß gerade
der Neidische in Mönchskutte erscheint, ist sehr bezeichnend und
höchst absichtsvoll, da ja der arme Mönch der Gefahr dieses Lasters
besonders ausgesetzt war.^)
1) III, 24. Ode.
2) Vergl. z. B. Inferno VI, 74 und XV, 68.
^) So kann ich Lübke und Dobbert durchaus nicht beistimmen, wenn sie in der
Figur einen zur Milde ermahnenden Mönch sehen. Die Hand weist nicht hin, sondern
packt die Brust.
C26 Die allegorischen Darstellungen.
In den Gaben, welche die Engel gen Himmel tragen, sind wohl
nur allgemein die irdischen Güter der Kleidung, des Geldes, der
Wohnung zu sehen, deren sich der Verlobte der Armuth entäußert.
Man könnte sie ja unschwer auch auf Franz selbst deuten, keines-
falls aber als Stiftung jener weltlich gesinnten Leute unten, wie
Woltmann will. ^)
Die großartige Einfachheit der Komposition, die Sicherheit und
Schärfe der Charakteristik und die tiefinnerliche Empfindung weisen
diesem Werke Giotto's den ersten Platz unter den allegorischen
Darstellungen des XIV. Jahrhunderts an. Im Gegensatze zu den
anderen Allegorieen der Gelübde wirkt es unmittelbar verständlich
und ergreifend. Der Grund dafür ist hauptsächlich darin zu suchen,
daß die Armuth nicht, wie die Keuschheit und der Gehorsam, eine
geistige Eigenschaft, sondern ein äußerlich sich geltend machender
Lebensumstand ist. Ein tugendhafter Mensch unterscheidet sich
im Aeußeren nicht von einem Lasterhaften : den Armen erkennt
man sofort an der dürftigen Kleidung und dem kümmerlichen Aus-
sehen. So stellt die Allegorie der Armuth nur den Armen selbst
dar, den einzelnen Repräsentanten an Stelle des Begriffes, während
Allegorieen der Tugenden, von deren menschlichen Trägern ge-
trennt, symbolisch ihre Eigenart kennzeichnender Attribute be-
dürfen, welche, mehr oder weniger willkürlich erfunden, den Be-
schauer auf Kosten der freien künstlerischen Empfindung zu grübeln
zwingen. Die Armuth als ein von außen an den Menschen heran-
tretender Umstand läßt sich aber andrerseits in Gedanken unschwer
von dem Individuum trennen. Dieses tritt zu ihr gleichsam in
ein objektives Verhältniß, während die Tugend als subjektive Eigen-
schaft von ihrem Besitzer nicht zu trennen ist. Wo diese vereinzelt
als Zustand dargestellt wird , vertritt sie den Besitzer selbst und
erhält, vorausgesetzt, daß eine Zeit sich über die Art ihrer Sym-
bolisirung einig ist, die künstlerische Berechtigung. Wo immer
sie aber handelnd dargestellt wird, tritt der Widerspruch, der darin
liegt, daß eine subjektive Eigenschaft in ein objektives Verhältniß
zu ihrem Träger geräth, zu Tage. Die Allegorieen der Keuschheit
und des Gehorsams, die wir betrachten werden, sind künstlerische
^) Gesch. d. Mal. I, S. 431. — Das Gebäude ist offenbar kein Kloster, sondern
der Palast eines Vornehmen , also auch nicht wie Cristofani : St. d. Ass. I, S. 200 will,
das Symbol der ,vita contemplativa'.
Die Armuth. 527
Unmöglichkeiten und lassen daher den Beschauer kalt, wenn sie
ihn nicht gar abstoßen, die Allegorie der Armuth aber ist künst-
lerisch denkbar und wirkt ergreifend. Denn nähme man selbst der
Armuth den Heiligenschein, ließe man Christus und die Engel weg,
d. h. vernichtete man selbst die Elemente, welche die Illusion der
Allegorie hervorbringen, so bliebe immer eine künstlerisch wirk-
same Handlung, die an das Gefühl des Beschauers appellirte. Wer,
ohne etwas davon zu wissen, daß hier die Armuth dargestellt sei,
der sich Franz verlobt , vor das Bild träte , würde durch den An-
blick des rührend merkwürdigen Schauspieles , welches die Ver-
lobung eines Jünglings mit einer armen, elenden Frau bietet, be-
wegt werden. Ganz von selbst würde er dazu kommen, der Szene
einen tieferen Sinn unterzulegen, durch die künstlerische Empfindung
hindurch erst zu dem geheimen geistigen Gehalte dringen. Vor
den andern Allegorieen aber bleibt die künstlerische Empfindung
ganz aus, und stellt sich sogleich die Reflektion ein. Und durch
die Reflektion ist man noch nie zu künstlerischer Empfindung
durchgedrungen.
Aus dem Gesagten ergiebt sich leicht, warum die italienische
Kunst nach Giotto die Vermählung des Franz mit der Armuth
öfters, die Allegorieen des Gehorsams und der Keuschheit nur ganz
selten und dann nur als Einzelfiguren behandelt hat. Zunächst hat
Giotto selbst an dem Gewölbe der Capeila Bardi in S. Croce die
Brustbilder der Frauen dargestellt. Da sieht man die Armuth in
zerrissenem Gewände, geflügelt, vor einem Dornstrauch mit Rosen,
wie sie einen Stab in der Hand vor einem rechts bellenden Hunde-
kopf zu entweichen scheint. — Aehnlich mag das jetzt zerstörte
Medaillon, das in einem der Gewölbezwickel des Chores von San
Francesco zu Pisa von Taddeo Gaddi gemalt war, gewesen sein. —
Das Tafelbild in der von Giovanni da Milano ausgemalten Kapelle
Rinuccini in S. Croce zeigt unter den Heiligen zu Seiten der Ma-
donna auch Franz, dem die kleine Figur der Armuth fliegend den
Ring ansteckt. — Ueber dem Heiligen fliegt letztere auf dem
Robbiarelief in S. Girolamo fuori bei Volterra. ^) — Die Handlung
der Verlobung selbst, aber vielleicht so wie bei Giovanni da Milano,
ist von Lorenzo di Bicci über der Thüre des Klosters S. Onofrio
^) Vasari II, S. 197. Kommentar. — Abb. Plön: St. Frangois. S. 162.
PI. XIV.
C2S Die allegorischen Darstellungen.
di Fuligno gemalt worden. ^) — Von der Hand eines Schülers des
Fra Filippo sehen wir sie auf einem kleinen Bildchen der Münchner
Pinakothek dargestellt.^) Da hält Franz nach rechts gewandt stehend
mit der Linken die Hand der mit weißem Hemde, zerrissenem,
grauen Rocke und weißem Kopftuche bekleideten alten Frau Armuth
und steckt ihr den Ring an. — Ebenso einfach ist die Szene auf
einer trefflichen, aber mit Unrecht dem Pollajuolo zugeschriebenen
Handzeichnung der Sammlung Malcolm in London dargestellt.^) —
Endlich ist ein dem Nelli verwandtes Bildchen in dem Christ-
lichen Museum des Vatikan zu erwähnen , das die Begegnung des
Franz mit den drei Frauen darstellt und weiter unten noch er-
wähnt wird.
Höchst interessant wird es immer bleiben, daß derselbe Giotto,
der als Künstler ein so herrliches Zeugniß seines dramatischen
Talentes in der Allegorie der Armuth hinterlassen, als Mensch sich
gegen die Verherrlichung dieser Franziskanertugend erhoben hat.
Sein praktischer Verstand wehrte sich, die Anschauungen des Fran-
ziskanerthums , für das er doch fast sein ganzes Leben lang thätig
gewesen, als allgemein gültige anzuerkennen. In einem langen
Gedichte, das beginnt: ,molti son quei che lodan povertade', be-
kämpft er den Kultus der Armuth.*) Unfreiwillige Armuth führe
nur zu Trug, Lug und Sittenlosigkeit , die freiwillige vertrage sich
nicht mit feiner Sitte und Bildung. Wenn der Herr selbst sie
empfohlen, so sei mehr auf den tiefen Sinn, als auf den Wortlaut
seiner Rede zu geben. Was für ihn und sein Werk nothwendig
und heilsam gewesen, sei es darum noch nicht für seine unvoll-
kommenen Nachfolger. Unter dem heuchlerischen Scheine der
Armuth verberge sich, wie die Erfahrung lehre, nur Habsucht. Mit
noch größerer Erbitterung wendet sich ein andrer Canzone, der
früher irrthümlich dem Guido Cavalcanti zugeschrieben wurde, nach
Demattio's Vermuthung aber zwei Jahrhunderte später anzusetzen
wäre , wovon ich nicht überzeugt bin , gegen die mit Unrecht so
1) Vasari II, S. 52.
^) Früher Pollajuolo genannt. Crowe: Art des Matteo da Gualdo.
^) Weißgehöhte Bisterzeichnung. Descriptive catalogue von Robinson 1876.
S. 6. N. 10.
*) Zuerst von Rumohr : Ital. Forschungen II , S. 51 publizirt , dann von Rosini
in der Storia della Pittura, I. Bd. — Pnicchi: Raccolta di poesie, II. Bd. — Vasari
(Milanesi) I, 426. — Uebersetzung in meinem „Giotto".
Die Armuth. 529
genannte .Tugend'.^) Sie sei schlimmer selbst als der Tod und
raube, was höher als das Leben, den Ruhm. Der Arrre, sei er
so großherzig und edel wie er wolle, werde doch verächtlich be-
handelt. Jegliches Laster sei die Folge der Besitzlosigkeit, nur
Heuchler vermöchten sie zu loben. Christus war nicht arm, son-
dern unermeßlich reich, da ihm Alles zu Gebote stand. — Solche
leidenschaftliche Lieder klingen wie die Erwiderung feingebildeter,
weltlicher Männer auf die jubelnden Ergüsse eines Jacopone. In
einem reizenden Gesänge : ,0 amor di povertade', erzählt Dieser,
wie die Armuth in zweierlei Gestalt, als äußere und innere, an der
Wiege Christi gestanden, wie Jesus eine solche Liebe zu ihr ge-
faßt, daß er bis zu seinem Kreuzestode sich nimmer mehr von ihr
getrennt. Wie sie dann verlassen durch die Welt gewandert sei
und um Aufnahme bei den Prälaten, Mönchen, Eremiten, Nonnen
gefleht habe, aber überall zurückgewiesen worden sei, bis Franziskus
sich ihr verlobt.^) Derart gestaltete Jacopone nur eine ganz all-
gemeine Franziskaneranschauung dichterisch, die zuerst bei Bona-
ventura in der vita S. Francisci und in den Meditationes auftaucht,
dann bei den ,tres socii' wiederkehrt: die allegorische Verbildlichung
der Armuth Christi. Die Armuth dient Jesus schon, als er noch
im Mutterleibe verborgen; als er geboren, nimmt sie ihn in der
Krippe auf, begleitet ihn auf allen seinen Wegen und schwingt
sich, als selbst Maria unten stehen bleibt, als treueste Freundin zu
ihm am Kreuzesstamme auf, daß er in ihren Armen nackt und
arm aus dem Leben gehe. ^)
Mehr noch aber als dieses Lied des Jacopone, mag ein anderes
jene Florentiner zum Widerspruche gereizt haben, das ich nach
^) Publ. : Poeti del primo secolo. Florenz 181 6. II. Bd. S. 300. — <. Rime di
Cavalcanti. Florenz 1813, S. 42. — Vergl. Amone: Le rime di Guido C. Florenz.
Sansoni 1881. — Demattio: Le lettere in Italia. — Ein anderes Gedicht über die
Armuth von Monte Andrea in den Poeti del primo secolo 11 , 35, von Pucci in den
Rime di Cino, S. 465. Vergl. d'Ancona: Studii sulla letteratura Ital., S. i ff., der auch
noch ein unedirtes, in der Laurentiana befindliches anführt.
2) III C. 9. Uebersetzung : Schlüter und Storck, S, 48 f.
^) T. socii, cap. II, S. 730. — Franz Op. : Oratio pro obtinenda paupertate. —
Bon. VII, S. 760. — Meditationes: Passim. — Ausfuhrlich später beiß. Pisanus: Liber
Conformitatum II B. IV fr. S. 152. — Das ,,Sacrum commercium beati francisci cum
domina Paupertate", welches dem Giovanni da Parma zugeschrieben wird, enthält die
Wanderung des Franz und seiner ersten Schüler zur Armuth auf einem Berge und
bringt — nicht die volksthümliche Vermählung — sondern eine ausführliche Darlegung
Thode, Franz von Assisi. -ia
530 Die allegorischen Darstellungen.
Schlüter's Üebersetzung hier ganz hersetzen möchte, um einen
deutlicheren Begriff von jener Stimmung, aus der die Allegorie der
Armuth hervorgegangen, zu geben. ^)
Inn'ge Sehnsucht nach der Armuth,
Dir sei unser Herz geweiht.
Armuth stille geht und leise,
Schwester Demuth, deine Gleise;
Dir genügt zu Trank und Speise
Nur ein Näpfchen alle Zeit.
Armuth wünscht sich dies, nichts weiter,
Wasser nur und Brot und Kräuter;
Kommt ein Gast ihr, hält sie heiter
Noch ein Körnchen Salz bereit.
Armuth geht auf sichern Steigen,
Weil nicht Haß und Groll ihr eigen.
Bangt nicht, wenn sich Räuber zeigen,
Da sie Nichts zu rauben beut.
Armuth klopfet an die Thüren,
Ohne Korb und Sack zu führen,
Denn sie will als Gab' erküren
Speise nur und Trank für heut.
Armuth hat nicht Dach noch Hütte,
Wo sie sich ein Lager schütte,
Keinen Tisch in Hauses Mitte
Hat sie, noch ein Oberkleid.
Armuth darf in Frieden sterben
Ohne Testament und Erben,
Sieht Verwandte nicht entfärben
Beim Vermächtniß sich im Streit.
Armuth, wonnigliches Trachten,
Darf die ganze Welt verachten;
Nicht nach ihrem Gute schmachten
Wird ein Erb' in Lüsternheit.
Armuth, liebe, holde Kleine,
Bist der Himmelssassen eine,
Von den ird'schen Sachen keine
Senkt ins Herz dir Wunsch und Neid.
der Gebote der Armuth für den Orden in Wechselreden zwischen Franz und der Po-
vertä. Die alte italienische Üebersetzung wurde 1848 von Enrico Bindi und Pietro
Fanfani, neuerdings 1901 (Florenz) von Salvatore Minocchi publizirt: ,,Le mistiche
nozze di S. f. e madonna Povertä.
^) II B. 4. Schlüter und Storck, S, 209.
Die Armuth. 531
Armuth, die mit trüben Sinnen
Geht, um Güter zu gewinnen,
Kann der Trübsal nie entrinnen,
Nimmer finden Trost im Leid.
Armuth hebt zu höchsten Siegen,
Führt ein Leben voll Vergnügen,
Ihr zu Füßen sieht sie liegen,
Was sie der Verachtung weiht.
Armuth trägt nicht Müh' und Sorgen
Um Gewinnen und um Borgen,
Spendet mild, und nie auf morgen
Denkt sie, noch auf Abendzeit.
Armuth wallt mit leichtem Gange,
Lebt vergnügt in niederm Range,
Um die Heimath nimmer bange,
Geht sie von Gepäck befreit.
Armuth, die der Falschheit ferne,
Thut das Gut' und thut es gerne
Und erhofft jenseits der Sterne
Einen Platz der Seligkeit.
Armuth, Königin an Stande,
Hältst in Herrschaft du die Lande,
Alles legst du dir in Bande,
Dem Verachtung du geweiht.
Armuth, hoher Weisheit Kunde,
Dir wird stets Verlust zum Funde,
Bannst den Willen du zu Grunde,
Steigt er frei in Herrlichkeit.
Armuth, wer dir ganz ergeben,
Dem gehört das ew'ge Leben,
Ihn will Christus einst erheben,
Der jedwede Täuschung scheut.
Armuth, du bist so vollkommen
Und zu solcher Höh' gekommen.
Daß du schon Besitz genommen
Von der ew'gen Seligkeit.
Armuth mit der Anmuth Zügen,
Immer reich und voll Vergnügen,
Wer darf als unwürdig rügen
Liebe, die sich dir geweiht.
34^
C22 Die allegorischen Darstellungen.
Armuth, innig dein begehret,
Wessen Herz dich liebt und ehret,
Quelle du, die nie geleeret,
Reichlich fließt für alle Zeit.
Armuth gehet und befehdigt
Eitlen Reichthum stets und predigt,
Daß man seiner sich entledigt.
Da ja Nichts ihm Dauer leiht.
Armuth lacht der Erdenschätze
Und der hohen Ehrenplätze,
Wo sind, spricht sie, eure Schätze,
Mächt'ge der Vergangenheit ?
Armuth, wer dich hält umschlossen.
Läßt die Welt und ihre Possen
Und bestrebt sich unverdrossen.
Daß Verachtung ihm sich beut.
Armuth ist es, gar Nichts haben,
Erdengüter nicht, noch Gaben,
Nicht an eignem Werth sich laben,
Theilen Christi Herrlichkeit.
2. Die Keuschheit.
Die Mitte auf Giotto's Fresko (Abb. 73) nimmt ein von Mauern
mit Eckthürmen umschlossener hoher, zinnengekrönter Thurm ein,
auf dem über einem Glockengestell eine weiße Fahne weht. In einem
Fenster gewahrt man die betend nach links gewandte, nur als
Brustbild sichtbare Frau Keuschheit (S. Castitas) , deren Kopf mit
einem weißen Tuche bedeckt ist. Zwei Engel, der eine eine Krone,
der andere eine Palme bringend, schweben zu ihr heran. Außer-
halb der Festung sieht man im Ganzen sieben geflügelte grau-
bärtige Krieger, die, gewappnet, in der einen Hand den Schild, in
der andern eine Geißel als trutzige Wächter dastehen. In der
Mitte vorn hält ein Engel einen nackten Jüngling in einem Marmor-
bassin. Ein zweiter Engel gießt Wasser über sein Haupt, und zwei
andere warten mehr rechts, eine Mönchskutte bereit haltend. Aus
dem Innern der Festung aber reichen zwei Frauen dem Jünghng,
die eine, die Reinheit (S. Munditia), eine weiße Fahne, die andere
mit einem Helm auf dem Kopf, die Tapferkeit (S. Fortitudo), einen
Schild. Links in der Ecke giebt Franziskus einem zwischen einem
alten Laien und einer Frau heraufschreitenden Mönche die Hand.
Die Keuschheit. 533
Von zwei hinter ihm stehenden Engeln hält der eine den An-
kommenden ein Kreuz entgegen. In der rechten Ecke kämpfen
drei Engel mit den Waffen Christi: einem Speer, Gefäß, Kreuz
und Nägeln gegen Dämonen, die den Berg hinabflüchten. Eine
geflügelte Person in Mönchskutte, die Buße (penitentia), unterstützt
sie und richtet den Dreizack gegen die Sinnenliebe (amor). Diese
ist als Jüngling mit Flügeln und Krallenfüßen dargestellt, hat eine
Binde um die Augen, einen Rosenkranz im Haar und eine Schnur,
an der Herzen hängen, sowie einen Köcher um den Leib gebunden.
Eine teuflische Figur hinter ihr wird von dem als Gerippe dar-
gestellten Tod mit der Sichel in der Hand verjagt, eine dritte, die
jimmunditia' mit Schweinskopf, ist hingestürzt. Der Sinn des Ganzen
ist klar, das Gleichniß aber im Einzelnen logisch zu erklären, fällt
schwer. Auch die theilweise sehr verstümmelte Inschrift giebt
keinen wesentlichen Anhalt. Von den fünf Strophen des Hymnus
sind die ersten beiden unklar:
et castitati oranti
victoria coron(aque)
datur caritatem.
hanc querens sc astringere
honestatem secreto
loco datur pertinere
si fortitudo protegit.^)
dum castitas protegitur
per virtuosa munera
nam contra hostes tegitur
per passi Christi vulnera
defendit penitentia
castigando se crebrius
mortis reminiscentia
dum mentem pulsat sepius
fratres sorores advocat
incontinentes conjuges
cunctos ad eam provocat
Franciscus.
Die Unklarheit dieser Allegorie entspringt offenbar aus dem
Mangel an Logik, den schon das Programm, dem Giotto zu folgen
hatte, aufwies. Selbst eine einheithche Handlung würde vermuth-
^) So (offenbar sehr falsch) nach der alten Manuskriptbeschreibung. — Die drei
folgenden Strophen konnte ich nach der Inschrift selbst korrigiren.
534 ^^^ allegorischen Darstellungen.
lieh aus den oben angegebenen Gründen einen befriedigenden
künstlerischen Eindruck nicht hervorgebracht haben. So aber, da
eine doppelte Handlung, nämlich der Kampf gegen die Laster und
die Aufnahme in den Orden neben einander gestellt sind, geräth
der denkende Betrachter in völlige Verwirrung. Immerhin, wenn
auch nicht logisch, läßt sich der Gedankengang des Gleichnisses
leidlich klar verfolgen. Der Verfasser desselben denkt sich eine
Festung der Keuschheit. Diese Festung, und darin liegt schon eine
große Unbestimmtheit, ist nicht symbolisch für den Leib des ein-
zelnen keuschen Menschen oder etwa für den Franziskanerorden
genommen, sondern scheint ganz allgemein der Aufenthaltsort der
Keuschen zu sein. Seine Herrin, man könnte auch denken, seine
Wächterin, ist die Keuschheit; die unreinen Begierden suchen sich
der Festung zu bemächtigen, werden aber von der Buße, dem Ge-
danken an den Tod und dem durch die Waffen Christi angedeuteten
Glauben vertrieben. Die Keuschheit als Siegerin erhält den Palm-
zweig und die Krone. Da nahen neue Schaaren, die unter ihrem
Zeichen kämpfen wollen. Es sind die drei Orden des Franz, re-
präsentirt durch die drei den Berg ersteigenden Leute. Franz selbst,
gleichsam der Gesandte und Thorhüter der Keuschheit, empfängt
sie. Wer aber in ihre Heerschaaren aufgenommen sein will, muß
eine strenge Disziplin der Buße durchmachen. Schon erwartet ihn
einer der ergrauten Krieger, die züchtigende Geißel in der Hand.
Dann muß er sich dem Bade der Reinigung unterziehen, einer
zweiten Taufe, und erhält von der Reinheit und der Tapferkeit die
Fahne der Keuschheit und den Schild, an Stelle der Rüstung die
Kutte. So wird er ein Streiter gegen die feindlichen Mächte der
Sinnenlust, aber auch als solcher muß er erneuten Prüfungen sich
unterziehen, denn jener andere Krieger verbirgt im Rücken die
Geißel. Dies ungefähr der Inhalt der Allegorie, die man nur im
Allgemeinen bestimmen darf, will man nicht seine Zeit mit unnützem
Grübeln vergeuden. Denn schon in den Kriegern die Personifikationen
bestimmter Begriffe zu sehen, scheint mir unmöglich. ^)
Von besonderem Interesse ist in diesem Bilde nur die Idee
des Kampfes der Keuschheit mit dem abenteuerlichen, halb antik
gedachten, halb dämonischen Amor, der, in der Folgezeit von
^) Cristofani hält sie für Symbole der ernsten und schweren Gedanken, mit denen
sich der Mensch schützen muß, um in Keuschheit zu leben.
Der Gehorsam. 535
Petrarca besungen, später mit Hülfe antik- mythologischer Vorstel-
lungen reich und phantastisch geschildert, auch in andern Kunst-
werken, wie namentlich Perugino's Bild im Louvre, wiederkehrt.^)
Die Allegorie Giotto's aber als Ganzes steht vereinzelt da. An
der Decke der Kapelle in S. Croce stellte er die Keuschheit im
Thurme allein dar. Schon Taddeo Gaddi läßt diese Charakterisirung
fallen und giebt ihr in S. Francesco zu Pisa eine Lilie und Veilchen
in die Hand.
3. Der Gehorsam.
In einer gothischen Halle, an deren Hinterwand in der Mitte
das Bild des gekreuzigten Christus zu sehen ist, sitzt, in eine Mönchs-
kutte und dunklen Mantel gehüllt, ein Joch aut den Schultern und
geflügelt, in der Gestalt einer alten Frau, der Gehorsam (S. Obe-
dientia). (Abb. 74.) Mit der Rechten legt sie einem vor ihr knieenden
Mönche das Joch auf, das dieser mit beiden Händen erfaßt, und be-
rührt , Schweigen gebietend , mit dem Zeigefieger der Linken den
Mund. Links neben ihr sitzt die Klugheit (S. Prudentia), eine gekrönte
Frau mit doppeltem, einem alten und einem jugendlichen Gesichte.
In der Rechten hält sie einen Zirkel , mit der Linken wendet sie
dem Mönche einen Spiegel zu. Vor ihr steht eine globusartige
Scheibe, wohl ein Astrolabium, unter einem Gehäuse. Ihr entspricht
auf der andern Seite die knieende Demuth (S. Humilitas), eine
mädchenhafte Erscheinung, welche die Augen senkt und in der
Rechten eine Kerze trägt. Im Vordergrund der Halle kniet links
ein Engel, der einen von zwei knieenden Novizen an der Hand
hält und auf den Gehorsam hinweist, während rechts ein Engel
vergeblich einen Kentauren zu beschwichtigen und zum Gehorsam zu
fuhren sucht. Letzterer, ein Mischgebilde mit menschlichem Ober-
körper, den Vorderbeinen eines Pferdes und dem Leibe und Hinter-
beinen eines Panthers, bäumt sich mit einer Geberde des Abscheus
zurück. Je eine Schaar von knieenden Engeln, deren vorderster
ein Füllhorn hält, schließt die Komposition links und rechts ab.
Ueber der Halle aber wird der heiHge Franziskus, der einen Kreuzes-
stab hält, von zwei Händen an dem Joche, das mit Stricken an
seinen Schultern befestigt ist, in die Höhe gezogen. Neben ihm
^) Vergl. hierzu meine Ausführungen über Francesco da Barberino in meiner
Monographie über Giotto.
cßö Die allegorischen Darstellungen.
knieen zwei auf ihn weisende Engel, die Schriftrollen halten. ^) Die
Inschrift unter dem Fresko lautet:
virtus obedientie
jugo Christi perficitur
cujus jugo decentie
obediens efficitur
aspectum non mortificat
sed viventis sunt opera
linguam silens clarificat
cordi scrutatur opera
comitatur prudentia
futura quae prospicere
seit simul et presentia
in retro jam deficere
quasi per sexti circulum
agenda cuncta regulat
et per virtutis speculum
obedientie trepidat
se deflectit humilitas
presumptionis nescia
cujus in manu clari(tas)
virtute con
Der Sinn der Darstellung ergiebt sich unschwer. Nur Selbst-
erkenntniß und Selbsterniedrigung schaffen den wahren Gehorsam,
der schweigend sich fügt im Hinblick auf das Vorbild Christi.
Dem Gehorsamen wird die Fülle der himmlischen Gnade aus der
Hand der Engel zu Theil, ja er wird, wie Franz selbst, durch
eben den Gehorsam gen Himmel gezogen. Willig, wie die beiden
Novizen, wird er dem Engel folgen, nicht übermüthig und fleischlich
gesinnt, wie der Kentaur, sich sträuben.
Das Bild des Joches, der Bibel selbst entnommen, war, wie
aus Stellen von Bonaventura's vita und Aussprüchen des Frater
Aegidius hervorgeht, ein zur Charakteristik des Gehorsams allgemein
angewandtes. ^) Auch die Attribute der Tugenden sind die ge-
bräuchlichen, wie denn Giotto selbst die , Prudentia' in Padua in
gleicher Weise dargestellt hatte. ^) Eine nähere Erklärung ver-
^) Auf der einen steht: tollite jugum auf der andern: . . . jam . . . stum
crucem penitentie.
2) Kap. VI, S. 757. — B. Pisanus fr. VIII. — Vergleiche auch das Rehef des
Gehorsams an der Fassade von S. Bemardino in Perugia.
'') Das Doppelgesicht, der Spiegel bleiben bis auf Raphael die beliebtesten Sym-
bole. Daneben die Schlange.
Begegnung des Franz mit den Tugenden. 537
langt nur die Figur des Kentauren, die nach Crowe Stolz, Neid
und Habsucht , nach Schnaase die rohe Willkür , nach Lübke und
Dobbert ungebändigten Trotz, nach Weltmann die Hoffahrt, nach
Piper ^) den Eigenwillen bezeichnet. Aus einigen Stellen der Reden
des Antonius von Padua scheint mir hervorzugehen, daß man den
Kentauren in jener Zeit symbolisch für den , Superbus', den Hoch-
müthigen, setzte. Auch den Panther nennt er ein Bild des Superbus,
so daß die Verbindung des Kentaurenkörpers mit dem Pantherleibe
nicht auffallen kann. ^)
In S. Croce stellt Giotto den Gehorsam als einzelne Figur
eines Mönches, der auf den Schultern das Joch trägt, mit der
Linken ein Buch hält , mit der Rechten Schweigen gebietet , ganz
ähnlich dar , ebenso Taddeo Gaddi in S. Francesco zu Pisa , der
daneben gleichfalls als Einzelgestalten die Demuth und die Klug-
heit mit Büchern als Attributen malte. Auf dem erwähnten Bilde
in München aber ist als Seitenstück zur , Verlobung der Armuth'
eine Szene gegeben, in der ein alter Franziskaner einem Neophyten
das Joch auflegt.
Eine eigenartige Darstellung der Begegnung des Franz mit
den drei Franziskanertugenden, deren hier zum Schlüsse
Erwähnung geschehen mag, geht auf eine zuerst von Thomas von
Celano in der II. Legende, danach von Bonaventura mitgetheilte
Erzählung zurück. Als Franz in seinem letzten Lebensjahre von
Reate nach Siena ging , erschienen ihm plötzlich am Wege drei
arme Frauen, ,,Sie waren aber im Wuchs , Alter und Antlitz so
ähnlich , daß man hätte glauben können , die drei Gestalten wären
aus einer Form gemacht worden. Als der h. Franz herankommt,
neigen sie ehrerbietig das Haupt und begrüßen ihn in solch' neuer,
herrlicher Weise: , Willkommen, Herrin Armuth*. Sogleich ward
der Heilige von unausprechlicher Freude erfüllt, wie Einer, der
keinen Gruß von den Menschen lieber empfing, als den, welchen
jene ihm zuerkannt." Da bittet er den ihn begleitenden Arzt, den
Frauen einen Almosen zu reichen. Als sie, ein Stück weitergegangen,
sich umdrehen, ist Nichts mehr von den Frauen auf der ganzen
^) Mythologie der christl. Kunst I, S. 400.
*) Opera. Sermones Dominieales. Dom. I. in Quadr. S. 137. Per Centaurum
superbus designatur. — Ebendas. dorn. XVII , p. Tr. S. 290 : pardus huius mundi
superbima variis peccatonmi maculis respersum significat.
C7g Die allegorischen Darstellungen.
Ebene zu sehen. ^) Bonaventura fügt hinzu, die Frauen seien wohl
zu deuten als Armuth , Keuschheit und Gehorsam. ^) Als solche
symbolisirt erscheinen sie auch auf zwei Bildern, deren eines, wenn
nicht von Ottaviano Nelli selbst, doch ihm sehr nahe stehend, im
Christlichen Museum des Vatikans (M, 2.) bewahrt wird, das andere
in der Sammlung Demidoff sich befand. ^) Auf beiden ist dargestellt,
wie Franz, hinter dem ein Begleiter steht, der mittelsten der drei
Frauen, der Armuth, den Ring an den Finger steckt. Die Keusch-
heit hält eine Lilie oder einen Zweig, der Gehorsam trägt das Joch.
Auf dem Bilde im Vatikan kommt oben aus den Wolken eine
segnende Hand, auf dem andern sieht man die drei Frauen gen
Himmel schweben. Eine spätere Darstellung, wohl von der Hand
Andrea Brescianinos, sah ich auf einer Auktion bei Lepke in Berlin
am 13. April 1886.
Alle drei Allegorien umgeben fliegend den Heiligen auf dem
Robbiarelief in S. Girolamo bei Volterra, vielleicht auch auf einem
Bilde Cennini's in Castel Fiorentino, das ich nicht gesehen habe. ^)
Auch auf einem der von Giotto gemalten Fresken, welche im Kloster
gegenüber San Francesco in Rimini die Geschichte der h. Michelina
erzählten , waren sie nach Vasari zu sehen , wie sie die Kutte des
Franz in der Luft schwebend trugen.
4. Der Triumph des Heiligen Franz.
Auf dem vierten Gewölbefresko der Unterkirche in Assisi sieht
man auf einem reichen Throne von einer Strahlenglorie umgeben
den Ordensstifter im Diakonengewand sitzend, in der Rechten einen
Kreuzesstab, in der Linken ein Buch. Ueber ihm steht ein rothes
Banner, auf dem ein Kreuz und sieben Sterne zu sehen sind.
Rings um den Sitz ergehen sich in seligem Reigen Engel , andere
blasen Posaunen, vier eilen nach vorn heraus mit Lilien in der
Hand. (Abb. 75.) Die Inschrift lautet:
_ _ renovat
jam normam Evangelicam
Franciscus cunctis praeparat
viam salutis celicam
^) Th. V. C. II. ni, Kap. 37. S. 140.
2) Kap. VII, S. 761.
^) Abb. bei Rosini, Atlas Taf. XXV.
*) Crowe u. Cav. II, S. 54.
Der Triumph des heiligen Franz. 539
paupertatem dum reparat
castitatem angelicam
obediendo comparat
trinitatem deificam
coronatus virtutibus
ascendit regnaturus
his cumulatus fructibus
procedit jam securus
cum angelorum cetibus
et Christi profecturus
formam quam tradit fratribus
Sit quisque sequuturus.
Waren schon auf den alten Portraits des Franz von Berlinghieri^
denen in S. Maria degli Angeli, S. Croce und Siena Engel über
ihm erschienen, so versetzt ihn doch erst Giotto auf den Himmels-
thron , der ja nach der Vision eines Bruders ehemals dem Lucifer
angehört hatte und ihm aufbewahrt ward. ^) Erst jetzt wird er nach
Bonaventura's Vorgang als „Fahnenträger Christi" aufgefaßt, der
in die Schaar der Ewigen aufgenommen ist. Das Kreuz und die
sieben Sterne scheinen auf die sieben Kreuzerscheinungen hinzu-
deuten, die ihm nach Bonaventura und Jacopone zu Theil ge-
worden."^) „O Franziskus, Du Armer, Du neuer Patriarch, Du
trägst ein neues Banner, das mit dem Kreuz bezeichnet." Einem
triumphirenden Feldherrn gleich, gehen ihm Engel mit Lilien voran,
Posaunen , Cymbeln und Schalmeien erschallen zu seinem Ruhme.
Daneben aber gewahrt man den Engelreigen, der, hier vielleicht
mit zum ersten Male dargestellt, der anmuthvolle Ausdruck ewiger
Seligkeit und ewiger Lust ist. Unwillkürlich erinnert man sich
dabei an die reizenden Lieder Jacopone's, welche die gläubigen
Seelen zum Tanze auffordern :
Ciascüno amante, che ama il Signore
Vegna a la danza, cantando d'Amore,
An jenes andere:
bene morrö d'amore,
und das dritte:
') I. 393-
2) S. oben S. 134. Vergl. B. Pis. lib. conf. III fr. IX, S. 221 v.
^) Bon. cap. XIII, S. 779. — Jac. III, 23: ,0 Francesco poverello'. Vergl.
auch III, 25 : ,0 Francesco da Dio amato', in dem er als Feldherr im Kampfe gegen
den alten Erbfeind gefeiert wird. — Auch Rodulphus (s. Anhang III) nennt dieses
Bild den „Triumph" des Franz.
tAO Die allegorischen Darstellungen.
nol mi pensai giamai
di danzar alla danza
ma la tua inamoranza
Jesu lo mi fe fare. ^)
An Giotto's Fresko erinnert das Bild im ehemaligen Refektorium
von S. Francesco in Pistoja, das irrthümlich dem Capanna zu-
geschrieben wird. Auch hier thront Franz als Diakon, von Engel-
schaaren umgeben, welche aber hier deutlich in die drei Hierarchieen
geschieden sind. In der Höhe schweben links und rechts blaue und
rothe Seraphim, darunter bewegen sich gekränzte Engel im Reigen,
auf dem blumigen Boden unten aber knieen musizirende Engel. ^)
Eine andre Art der Verherrlichung zeigt Taddeo Gaddi's Fresko
in Pisa. Hier sitzt Franz zwischen den Allegorieen des Glaubens
und der Hoffnung, ein Buch auf den Knieen, in dem zu lesen:
,tres ordines hie ordinat'. — Taddeo Bartoli auf einem Bilde der
Pinakothek zu Perugia zeigt ihn von Seraphim umgeben mit er-
hobenen Händen auf drei zu Boden gestürzten Personen stehend.
Die eine, ein Mann, läßt den Dolch fallen; die andere ist ein
Jüngling in reichem Gewände, eine Kette im Haar, die dritte eine
Nonne, neben der ein Geldbeutel liegt. ^) Offenbar sollte damit
Franz als Sieger über den Unfrieden, die Hoffarth und die Habsucht
gefeiert werden. — Aehnlich allegorisch ist eine Darstellung des
Sassetta*), die den Heiligen vor einer Seraphimglorie, von den
Allegorieen der Ordensgelübde umschwebt, zeigt. Er steht auf
einem am Boden liegenden Krieger, vor dem ein Löwe ruht. Da-
neben sitzt links eine Frau, die den rechten Arm auf ein Schwein
stützt, in der Linken einen Spiegel hält, rechts eine andere Frau
mit einer Art Druckerpresse und einem Thiere. Mrs. Jameson faßt
die so besiegten Feinde als Hochmuth, Wollust und Häresie auf.
Eine andere Symbolik verrathen das erwähnte Robbiarelief in
Volterra und das Fresko aus Domenico Ghirlandajo's Schule im
Noviziat zu S. Croce. Gleich Christus steht hier Franz auf der
Weltkugel , auf dem letzteren überdies von vier Heiligen umgeben
und von knieenden Novizen verehrt.^)
1) VI, 43. Uebers. Schlüter u. Storck, S. 335. — VI, 37. — VII, 8. Uebers.
von Schlüter u. Storck, S. 280.
2) Phot. Alinari.
3) Sala di T. Bartoli. N. 5.
*) Abb. Rosini, Atlas. Jameson: Legends of the monastic orders S. 250.
5) Phot. Alinari.
Franz als Ordensstifter. 541
Sonstige Kunstwerke zeigen ihn schwebend, wie er die Stigmata
weist , oder von Engeln umgeben in den Anblick des Kruzifixus
vertieft, wie das Filippino Lippi in London zugeschriebene Ge-
mälde^), oder auch in der Mitte von Heiligen, wie Catena's Gemälde
in S. Giovanni e Paolo zu Venedig und Fogolino's Bild im Dom
zu Pordenone.^)
Anzureihen wären hier noch die Darstellungen des
Franz als Ordensstifter.
Die älteste dürfte die vom Padre Angeli erwähnte sein, die
sich ehemals über der Thür des Refektoriums in Assisi befand.
Hier stand Franz inmitten seiner zwölf Jünger. Wohl im Hinter-
grunde sah man, wie der Teufel den Judas unter ihnen, den frater
Johannes de Capella, erwürgt.'^) Erhalten sind uns nur spätere
Werke, so ein Bild in der Art des Filippo Lippi in BerHn, das
Franz auf einem Throne zeigt, wie er der h. Chiara und ihren
Nonnen in Gegenwart des Bischofs Ludwig und des Stephanus die
Regel reicht.*) Auf dem Robbiarelief in Volterra übergiebt er sie
dem h. Lucchese und seiner Gattin, auf einem Gemälde des Zingaro
in S. Lorenzo zu Neapel den Repräsentanten der beiden Haupt-
orden. Alle drei Orden sind auf dem Fresko aus der Schule Man-
tegna's im Chiostro von S. Antonio zu Padua ^) und auf einem von
Bartsch und Passavant nicht erwähnten Stiche des G. A. da Brescia
im British Museum vertreten.
Anhang: Die apokalyptischen Darstellungen. An
zwei Stellen bereits ist von der Deutung des Franz auf Michael
und den siebenten Engel der Apokalypse die Rede gewesen
1) Nat. Gall. 598.
^) Auf ersterem zwischen Ludwig und Bonaventura, auf letzterem zwischen Jo-
hannes d. T. und DanieL
8) CoUis Paradisi. Tit. XXVHI, S. 38.
■*) Gallerie 1131.
*) Inschrift aus dem bekannten Hymnus
Tres ordines hie ordinat
primumque fratrum nominal
minorum pauperumque
Fit dominarum medius
sed penitentium tertius
sexum capit utrumque.
542 Die allegorischen Darstellungen.
{S.g6ff., 232) und auf sie kann hier hingewiesen werden, betrachten
wir kurz die Darstellungen der Medaillons an den Diagonalgurten
der Gewölbe über dem Hochaltar der Unterkirche zu Assisi. Solche
Medaillons befinden sich je 8 an jedem Gurte. Am Schlußsteine
ist Gottvater mit Buch und Schlüssel dargestellt (Apok. cap.I, 14. 18).
Es folgen, immer die vier sich entsprechenden Medaillons zusammen
betrachtet :
I. I. ödes Erdreich unter goldnem Himmel. Symbolisch bezüg-
lich auf das Erdbeben? Ap. cap. VI, 12. 2. nicht mehr
kenntlich. 3. ein Sarkophag oder Altar. 4. das Lamm.
II. I — 4. Die vier Evangelistensymbole, cap. IV.
III. Die vier Reiter, cap. VI. i. auf rothem Pferde, ein Schwert
schwingend. 2. auf weißem Pferde, eine Krone auf dem
Haupte mit dem Bogen. 3. auf schwarzem Pferde, mit einer
Waage. 4. der Tod als Skelett auf grauem Pferde, in der
Rechten einen Gegenstand schwingend.
IV. Vier Engel. Ap. VII, i. i. nicht recht erkennbar. 2. ein
Tuch schwingend. 3 . rufend. 4. mit offenem Buch (cap. X, v. 8. ?).
V. Vier Engel. Die Bewegung derselben undeutlich. Nur der
eine hat ein Szepter und eine Kugel, ein anderer einen
Schlüssel.
VI. Drei Posaunen blasende Engel, cap. VIII, 2. Der vierte
herausweisend.
VII. Vier Engel, deren jeder einen zottigen Thierkopf in der Hand
hält. Auf cap. XIII bezüglich?
VIII. Drei Posaunen blasende Engel. Der vierte erhebt die Hände.
An den Schmalseiten der Gurte befinden sich gleichfalls je
8 Medaillons, im Ganzen also 64. Die acht sich entsprechenden
haben immer die gleiche Darstellung.
I. Geflügelte Leuchter, cap. I, 12. 13.
II. 7 geflügelte lampenartige Scheiben. Sollen es die cap. IV, 5
erwähnten Fackeln sein? Oder die Schalen V, 8 ? Im achten
Felde ein Engel.
III. Acht Greise, Aelteste. cap. 5.
IV. Ebenso.
V. Ebenso.
VI. Acht betende Engel, cap. 8.
VIL Ebenso.
VIII. Ebenso.
Die Kreuzesallegorieen. 543
In den die Fresken einrahmenden ornamentalen Streifen sind
je 23 Medaillons mit Brustbildern von Engeln und zwar sind darin
die 9 Hierarchieen zweimal dargestellt und außerdem 5 Engel. Von
oben angefangen folgen sich (die beiden Hälften entsprechen sich) :
1. Seraphim, geflügelter Kopf.
2. Cherubim. Doppelkopf: bärtig und jugendlich.
3. Thron. Als wirklicher Thron symbolisirt.
4. Dominatio. Mit Zettel.?
5. Principatus mit Schwert und Schild.
6. Potestas mit Stab.
7. Eckmedaillon: Engel ohne Attribut.
8. Virtus.!* mit Kugel und Stab.
9. Ebenso.
10. Engel, der einen undeutlichen Gegenstand anschaut (eine
Figur?).
1 1. Engel mit Keule.
12. Mittelmedaillon unten: mit Schwert und Schild.
Wir finden hier, abweichend von der Anordnung bei Dante,
der an Stelle der throni die potestates setzt, die alte Eintheilung
des Dionysios Areopagita, der auch Bonaventura in seinen Schriften
folgt. Lassen sich leider auch nicht mit Sicherheit alle Hierarchieen
in den Fresken unterscheiden, so ist es doch von Interesse, wenig-
stens die symbolische Darstellung der Cherubim, die gleich der
Prudentia, weil sie an Wissen alle anderen übertreffen, einen Doppel-
kopf haben, und der , throni' kennen zu lernen.^)
IL Die Kreuzesallegorieen.
Der Aufschwung, den Dank Franziskus und seinem Orden der
Kultus des Kreuzes genommen, äußert sich auf dem Gebiete der
Kunst nicht allein in der neuen Gestaltung des Kruzifixes und der
Passionsszenen, die wir oben in's Auge gefaßt haben, sondern auch
in einigen allegorischen Verherrlichungen. Leider ist das merk-
würdigste Denkmal dieser Art , die nach Vasari von Stefano , dem
^) Vergl. Bonaventura, Bd. Xu. Itinerarium mentis in Deum cap. IV. — Ebenso
Soliloquium S. 91. — Bd. I. über I. sententiarum. II. B. de creatione. — Bd. VIII.
Compendium Theologicae veritatis. Wo überall von der Thätigkeit der Engel, aber
Nichts von ihrer symbolischen Darstellung gesagt wird. — Dante : convito 11 , 4 — 6.
Paradiso 28, 16 — 78, 97 — 126.
544 Die allegorischen Darstellungen.
vortrefflichsten Schüler Giotto's, gemalte Glorie in der Tribuna der
Unterkirche zu Assisi nicht erhalten geblieben, und die auf uns
gekommenen Beschreibungen genügen nicht, uns eine deutliche Vor-
stellung von der Komposition zu geben, aber einige andere Dar-
stellungen gewähren uns einen neuen Einblick in die Franziskaner-
anschauungen.
I. Die Kreuzesglorie in Assisi.
,,Dann ging er nach Assisi," erzählt Vasari von Stefano, „und
begann in Fresko eine Darstellung der himmlischen Glorie, in der
Nische der Hauptkapelle der Unterkirche von S. Francesco, wo der
Chor ist; und, obgleich er sie nicht vollendete, sieht man doch in
dem, was er gemacht, so große Sorgfalt angewandt, daß man sie
größer gar nicht verlangen könnte. . Man sieht in diesem Werke
einen Kreis von Heiligen beiderlei Geschlechtes begonnen, von so
schöner Mannigfaltigkeit in den Zügen der Jünglinge, der Männer
mittleren Alters und der Greise, daß man es nicht besser sich
wünschen könnte : und diese seligen Geister lassen eine ausnehmend
süße und so einheitliche Behandlung erkennen, daß es fast unmög-
lich scheint, daß sie in jenen Zeiten von Stefano angewandt sei,
und doch hat er es gemacht. Gleichwohl sind von den Figuren
dieses Kreises nur die Köpfe vollendet; über ihnen ist ein Chor
von Engeln, die mannigfach und spielend bewegt sind und mit
Geschick theologische Figuren in den Händen tragen ; sie alle sind
nach einem gekreuzigten Christus hingewandt, der sich in der
Mitte des Werkes befindet, oberhalb des Kopfes eines h. Franziskus,
der in der Mitte einer unzähligen Menge von Heiligen steht. Außer-
dem machte er in den das ganze Werk säumenden Friesstreifen
einige Engel, deren jeder in der Hand eine von jenen Kirchen
trägt, von denen der h. Johannes Evangelista in der Apokalypse
schreibt ; und diese Engel sind mit solcher Anmuth ausgeführt, daß
ich staune , wie in jenem Zeitalter sich Einer gefunden , der es so
gut verstanden. Es begann Stefano dies Werk mit aller Voll-
kommenheit auszuführen und es wäre ihm gelungen; aber er wurde
gezwungen, es unvollendet zu lassen und nach Florenz einiger
Geschäfte von Wichtigkeit wegen zurückzukehren." ^)
Eine ausführlichere, aber sehr wirre und undeutliche Schilderung,
^) Vasari I, S. 450 f.
Die Kreuzesglorie in Assisi. 545
die ich im Anhange V. ganz gebe, fand ich in der alten Manu-
skriptbeschreibung. Dieser zufolge wäre das Fresko , das seiner
Stilähnlichkeit mit Giotto's Werken wegen vielfach Diesem selbst
zugeschrieben werde , ein Werk des Puccio Capanna und zeige
einen Fortschritt gegenüber Giotto namentlich in der besseren
Zeichnung der Köpfe. Erwähnt wird zunächst, daß das Kruzifix
mit zwei Flügeln versehen war, und daß über ihm eine Art von
Weltkugel mit drei Kreisen nach Art eines Astrolabiums sich befand.
An den Kreisen waren Flügel und die Inschriften: INRI, A und
Q und T. Ebenso befand sich eine weltkugelartige Scheibe, in
der eine wie ein Weihrauchfaßdeckel gestaltete Krone zu sehen
war, zu Füßen des Kreuzes und dieselbe ward von zwei schweben-
den Engeln getragen. Darunter nun steht Franziskus in Mitten von
je etwa 40 Heiligen, von denen, wie es scheint, nur die Köpfe aus-
geführt waren. Unter ihnen wird ein Bischof mit einem Diadem,
ein Bruder mit einem Diadem , der mit dem Kopf nach unten
herabzuschweben scheint und einen Kelch hält, erwähnt, ferner
einer, der eine Königskrone hält, einer, der mit einer Feder in
die Hand zu schreiben scheint. Dann werden Engel genannt: wo
sie sich befanden, ist schwer herauszufinden. Einer derselben hält
eine Kirche und eine Scheibe, die wie ein Spiegel oder heiliges
Antlitz aussieht, ein anderer ein Tuch, ein dritter einen Stuhl. Im
Fries sind halbfigurige Engel, in der Art von Cherubim mit sechs
Flügeln, die verschiedene Arten Kirchen halten. Am Eingangs-
bogen waren acht Medaillons mit folgenden Halbfiguren :
1. Ein geflügelter Greis mit einem Buche und einem Spiegel,
2. ein Jüngling mit einer Waage,
3. ein bewaffneter Greis,
4. ein Wasser mischender Jüngling,
5. ein Greis mit einem Spiegel und einem Buch,
6. ein Jüngling mit einem Galgen,
7. eine Frau mit einem Thurm auf dem Kopfe,
8. eine Frau mit zwei Flaschen in der Hand.
Den tieferen Sinn dieser Kreuzesallegorie aufzufinden, ist mir
nicht gelungen. Die Schriften der Franziskaner haben mir keinen
Aufschluß gewährt. Aber selbst der sehr gelehrte Minorit Rodulphus,
der mit den Ideen des Ordens doch sicher vertraut war, sagt bei
seiner Beschreibung von San Francesco : ,,Im Chor der Haupt-
kapelle ist ein treffliches Gemälde, was nach Einigen von der
Thode, Franz von Assisi. -yc
5^6 Die allegorischen Darstellungen.
Hand und Erfindung des Puccio Capanna sein soll, und von Niemand
bisher, so viel ich weiß, hinreichend verstanden worden ist."^)
2. Der Baum des Lebens.
Irrthüml icher Weise hat man bisher die Kreuzesallegorie, die
Taddeo Gaddi im Refektorium von S. Croce zu Florenz gemalt hat
und jene andere, die sich in dem von S. Francesco zu Pisa befindet,
eine Darstellung der Wurzel Jesse genannt. Auf den ersten Blick
erinnert allerdings der Kreuzesbaum mit seinen Zweigen an die
Darstellungen dieser, aber bei näherer Betrachtung und vergleicht
man einige andere ähnHche Bilder, bemerkt man, daß man es hier
mit etwas ganz Anderem zu thun hat. Es ist eine Allegorie des
Holzes des Lebens , von dem die Offenbarung Johannis spricht
cap. XXII, 2 : ,, Mitten auf ihrer Gasse und auf beiden Seiten des
Stroms stand Holz des Lebens, das trug zwölferlei Früchte, und
brachte seine Früchte alle Monate; und die Blätter des Holzes
dienten zu der Gesundheit der Heiden." Schon frühe hatte man
in der christlichen Kirche begonnen, eine geheime Beziehung zwischen
dem Lebensbaum des Paradieses und dem Kreuze Christi zu finden.^)
Aus dem XII. Jahrhundert ist ein darauf bezüglicher Hymnus des
Adam von St. Victor erhalten , eine eigentlich ausgeführte alle-
gorische Behandlung aber erfuhr der Gedanke erst durch das „lignum
vitae", eine Schrift des Bonaventura, in welcher Dieser das Leben
Christi betrachtet, und auf diese Schrift gehen die erwähnten Bilder
zurück, wie sie selbst es bezeugen.'^) Findet sich doch am Fuße
des Kreuzes die Figur des Bonaventura, der im Begriffe steht, auf
einen Zettel seine Betrachtungen niederzuschreiben. Der Apoka-
lypse folgend denkt Bonaventura sich einen Baum mit zwölf Zweigen:
jeder Zweig trägt vier Früchte , und jede Frucht bedeutet einen
Vorfall aus Christi Leben. Ganz entsprechend ist der Baum in
der Kunst dargestellt worden. Von dem Kreuze, an welchem
Christus hängt und über dem das Sinnbild des Pelikans angebracht
ist, gehen auf jeder Seite sechs Zweige aus, die mit den auf Bona-
ventura bezüglichen Inschriften versehen sind und Früchte tragen.
Da die Anordnung der letzteren, sowie die sonstigen Zuthaten
^) Hist. Ser. Rel. lib. II, auf einer der folgenden Seiten nach p. 247.
2) Vergl. Piper: Der Baum des Lebens. Berlin 1863. (Aus dem Evangel. Kalender.)
3) Bonav. Opera. Bd. XII.
Der Baum des Lebens. 5^7
auf den einzelnen Bildern verschieden sind , müssen wir diese be-
sonders betrachten.
Das älteste Denkmal ist ein alterthümliches Bild in der Aka-
demie zu Florenz, das man auf den ersten Blick in das XIII. Jahr-
hundert setzen möchte , gewahrte man nicht bei näherem Zu-
sehen , daß sich in der Zeichnung bereits der Einfluß Giotto's
geltend macht. Offenbar ist es von einem Künstler gefertigt, der,
obgleich ein Zeitgenosse von Jenem, doch mit den älteren Traditionen
noch nicht gebrochen hat. Es ist nicht unmöglich, daß er mit
jenem Pacino di Buonaguida zu identifiziren ist , der eine Tafel :
,, Christus am Kreuze zwischen Maria und Johannes", jetzt gleich-
falls in der Akademie (ebds. N. 18), gemalt hat.^) Die charakte-
ristischen Merkmale der Typen: eine vortretende Stirn, auffallend
klobig an der Kuppe verdickte Nasen, auch die Formen der kurz-
fingrigen Hände kehren in beiden Bildern wieder, nur daß sie auf
dem bezeichneten, das demnach später anzusetzen wäre, noch stärker
ausgebildet sind. Wie ich vermuthe , stammt die Darstellung des
Lebensbaumes aus einem Klarissinnenkloster.
Es ist eine sehr eingehende Illustration der Bonaventura'schen
Schrift. Ganz unten sind die Szenen aus der Geschichte der ersten
Eltern , welche unter dem Baume der Erkenntniß spielen , dar-
gestellt: wie Gott Adam, wie er Eva schafft, wie er ihnen ver-
bietet von den Früchten zu essen, wie sie, allein gelassen, versucht
werden, wie Eva dem Adam den Apfel reicht, wie sie vor Gott
fliehen, wie der Engel sie vertreibt. Dazwischen sieht man an der
siebenten Stelle den Brunnen, aus dem die vier Paradiesesströme
kommen. Darüber erhebt sich nun der Kreuzesbaum, neben dessen
Fuße links Moses sitzt und Franziskus mit einem Zettel kniet ^),
rechts Johannes der Evangelist als Verfasser der Ofl'enbarung mit
einem Zettel sitzt und die h. Chiara kniet. In der Mitte unter der
Wurzel in einer Höhle befand sich eine jetzt weggekratzte Heiligen-
figur, vermuthlich Bonaventura. An jedem der zwölf Zweige des
Baumes aber hängen an Stelle der Früchte vier Medaillons, in
^) Darauf machte mich Herr Baron E. von Liphardt aufmerksam. Das Bild des
Pacino ist bezeichnet: Symon Prbter S. Flor. fec. pigi h öp' a Pacino Bonaguide Ano
dni MCCCX. Wie ich glaube, lassen sich noch die Spuren von zwei folgenden X
bemerken, so daß die Jahreszahl 1330 zu lesen wäre.
^) Mit der Inschrift: mi absit gloriari nisi in cruce domini nostri.
o5
C48 Die allegorischen Darstellungen.
denen immer je eine Begebenheit aus Christi Leben in miniatur-
artiger Weise wiedergegeben ist. Die Geschichte beginnt mit dem
untersten Zweige links, setzt sich auf dem entsprechenden rechts
fort, geht auf den zweiten links über und steigt so allmähUch
zur Höhe empor. Die Darstellungen entsprechen Bonaventura's
48 Früchten.
I. Zweig links, bezeichnet : praeclaritas originis.
1 . Bonaventura : Jesus ex Deo genitus. Gott auf dem Thron
läßt aus seiner Brust die kleine Figur Christi in Strahlen
nach Maria in Nr. 3 ausgehen.
2. B. : Jesus praefiguratus. Links erscheint Gott im Fluge,
auf einem Felsen die kleine Figur Christi, rechts stürzt
eine heidnische Götzenstatue zusammen.
3. B. : Jesus emissus coelitus. Die Verkündigung. Links
steht der Engel , rechts Maria , an deren Hals der kleine
Christus hinaufklettert. Rechts die Heimsuchung.
4. B. : Jesus e Maria natus. Maria kniet an der Krippe , in
der das Kind liegt. Vorn sitzt Joseph. Hinten erscheint
der Engel den Hirten.
I. Zweig rechts, bezeichnet : humilitas conversationis.
5. B.: Jesus conformis patribus. Ein Priester beschneidet den
Knaben, den Maria auf dem Altare hält.
6. B. : Jesus tribus magis monstratus. Die drei Könige vor
dem Kinde, der älteste reicht knieend ein Gefäß.
7. B. : Jesus submissus legibus. Die Darstellung im Tempel.
Maria reicht den Knaben an Simeon.
8. B. : Jesus regno fugatus. Der Kindermord. Links Herodes
auf dem Thron. Ein Soldat spießt ein Kind. Rechts gehen
Joseph und Maria fort.
II. Zweig links, bezeichnet: celsitudo virtutis.
9. B. : Jesus baptizatus. Johannes tauft knieend den im Jordan
stehenden Christus. Rechts geht Christus in die Wüste.
10. B. : Jesus ab hoste tentatus. 3 Engel beten auf dem Berge
Christus an. Unten liegt der Teufel.
11. B.: Jesus signis mirificus. Heilung eines Blinden und der
Teich von Bethesda.
12. B.: Jesus transfiguratus. Christus steht zwischen Moses
und Elias. Vorn liegen die drei Jünger.
Der Baum des Lebens. 549
II. Zweig rechts, bezeichnet: plenitudo pietatis.
13. B.: Jesus pastor solHcitus. Links kniet Christus auf einem
Berge, vor dem drei Jünger stehen. Rechts geht er begleitet
von vier Thieren : Hirsch, Hase, Widder und Bär.
14. B. : Jesus fletu rigatus. Christus erweckt den im Grabe
sitzenden Lazarus. Leute heben den Deckel ab.
15. B.: Jesus rex orbis agnitus. Christus reitet auf dem Esel
auf das Thor von Jerusalem zu. Leute breiten Kleider
vor ihm aus.
16. B. : Jesus panis sacratus. Christus feiert das Abendmahl.
Links vorn wäscht er Petrus die Füße.
III. Zweig links, bezeichnet: confidentia in periculis.
17. B. : Jesus dolo verumdatus. Judas empfängt von zwei
sitzenden Leuten den Sündensold.
18. B. : Jesus orans prostratus. Christus spricht vorn mit den
zwölf liegenden Jüngern. Dahinter liegt er betend und
Blut schwitzend auf der Erde.
19. B. : Jesus turba circumdatus. Während Judas ihn küßt,
wird er gefangen genommen.
20. B. : Jesus vinculis ligatus. Links hängt Judas, an dem ein
Teufel zerrt. Rechts führt ein Soldat Christus fort, dem
Petrus folgt.
III. Zweig rechts, bezeichnet: patientia in: {? unleserlich).
21. B. : Jesus notis incognitus. Er steht von Soldaten gehalten
vor Pilatus. Links sprechen zwei Leute mit dem sitzen-
den Petrus.
22. B, : Jesus vultu velatus. Er steht von Soldaten gehalten
vor Pilatus. Ein Knecht schlägt ihn.
23. B. : Jesus Pilato traditus. Er steht in weiß gekleidet, von
Soldaten gehalten, vor Pilatus. Links Petrus.
24. B.: Jesus morte damnatus. Zwei Männer geißeln ihn an
der Säule. Rechts sitzt auf dem Thron Pilatus mit Zettel.
IV. Zweig links, bezeichnet: constantia (folgendes unleserlich).
25. B. : Jesus spretus ab omnibus. Er sitzt links. Zwei Männer
verehren ihn knieend, zwei andere drohen mit den Fäusten.
Rechts trägt er das Kreuz.
26. B. : Jesus cruci elevatus. Christus am Kreuz. Links stehen
Maria und Johannes, rechts ein Mann mit Schild, der mit
cco Die allegorischen Darstellungen.
drei andern spricht. Ein knieender Mann schlägt den Nagel
durch Christi Füße.
27. B.: Jesus junctus latronibus. Am Kreuze zwischen den
beiden Schachern. Links Maria, rechts Johannes.
28. B. : Jesus feile et aceto potatus. Am Kreuze zwischen
Maria und Johannes. Maria reicht ihm den Ysop.
IV. Zweig rechts, bezeichnet: victoria in (folgendes Wort unleserlich).
29. B. : Jesus sol morte pallidus. Am Kreuz. Oben Sonne
und Mond verdunkelt. Links spricht Johannes mit Maria,
rechts ein erstaunt aufschauender Mann und zwei Soldaten.
30. B. : Jesus translanceatus. Am Kreuze. Links Maria und
Johannes und betend zu ihm aufschauender Mann. Rechts
Longinus und anderer Soldat.
31. B. : Jesus cruore madidus. Maria und Magdalena sitzend
halten den Leichnam auf dem Schooße. Petrus hält seine
Füße, Johannes seine Hand. Dahinter zwei andere Frauen.
Oben die Halbfigur Christi zwischen zwei Engeln.
32. B.: Jesus intumulatus. Am Sarkophage sitzen drei Wächter
schlafend.
V. Zweig links, bezeichnet : Resurrectionis novitas.
33. B. : Jesus triumphans mortuus. Christus, in der Linken
Fahne, zieht einen alten Mann und eine Frau aus dem
Limbus.
34. B. : Jesus resurgens beatus. Vorn sitzt der Engel auf dem
Grabe, an dem drei Wächter schlafen. Hinten segnet
Christus die knieende Magdalena.
35. B.: Jesus doctor praecipuus. Christus, einen eigenthüm-
lichen Stab in der Hand, steht zwischen vier Jüngern auf
einem Berge.
36. B. : Jesus orbi praelatus. Er segnet vier vor ihm knieende
Jünger, deren vorderster ein offenes Buch hält.
V. Zweig rechts, bezeichnet: Ascensionis sublimitas.
37. B. : Jesus ductor exercitus. Er erscheint in der Höhe
segnend in runder Mandorla, unten acht Brustbilder von
Aposteln.
38. B. : Jesus coelo levatus. Er sitzt segnend auf einem von
fünf Engeln gehaltenen Throne, links Maria. Unten nahen
fünf Heilige betend (Brustbilder).
Der Baum des Lebens. 551
39. B.: Jesus largitor spiritus. Pfingstfest. Petrus sitzt in der
Mitte von 10 Jüngern. Rothe Zungen und Strahlen kommen
von oben.
40. B. : Jesus laxans reatus. Oben Brustbild Christi in Glorie.
Unten die Brustbilder der Maria und der Apostel, über
denen rechts ein Dämon in der Luft schwebt.
VI. Zweig links, bezeichnet: Equitas judicii,
41. B. : Jesus testis veridicus. Er sitzt segnend mit Buch in
einer Mandorla. Links und rechts je ein posaunender
Engel. Unten stehen die Todten aus den Särgen auf.
42. B.: Jesus judex iratus. Er erscheint in Mandorla zwischen
zwei Brustbildern von Aposteln. Links nackte anbetende
Selige, rechts Teufelsrachen, in dem die Verdammten.
43. Jesus Victor magnificus. Er erscheint wie dort, beide Hände
gesenkt, zwischen zwei Aposteln. Die mit Ketten um-
wundenen Verdammten werden nach unten einem teuflischen
Ungeheuer zu gerissen.
44. B. : Jesus sponsus ornatus. Er krönt die neben ihm sitzende
Maria. Unten die zwölf Apostel.
VI. Zweig rechts, bezeichnet: Eternitas regni.
45. B.: Jesus rex regis filius. Er befindet sich inmitten der
kreisförmig angeordneten Apostel, unter denen Maria.
46. B. : Jesus liber signatus. Er sitzt links oben mit Buch,
rechts noch einmal die Hand erhebend. Unten sieben
Apostelköpfe sichtbar.
47. B.: Jesus fontalis radius. Er schwebt in der Luft, unten
neun Apostelköpfe und Maria.
48. B. : Jesus finis optatus. Hier geht der letzte Zweig , statt
in einem Medaillon zu enden, nach oben in einer die ganze
Breite der Tafel einnehmenden Komposition aus, welche
das Ganze krönt: die Himmelsglorie. Das Holz bildet ge-
wissermaßen das große Gestühl , auf dem in drei Reihen
hinter einander Heilige, immer durch einen Engel getrennt,
wie auf Orcagna's Bild in S. Maria novella, sitzen. Darüber
thront rechts Christus, die Rechte erhebend, die Linke auf
dem Buche, links Maria die Hände erhebend. Ihnen zunächst
befindet sich ein jugendlicher HeiHger, in dem vielleicht
Franziskus zu sehen ist, zwischen zwei großen Seraphim.
CC2 Die allegorischen Darstellungen.
Ausführlicher dürfte das Leben Christi selten geschildert worden
sein. Wie man sieht , erscheinen hier einige Szenen , die sonst
nicht dargestellt worden sind. Eine wesentliche Vereinfachung der
Komposition begegnet uns in dem sicher nicht viel später ent-
standenen Fresko Taddeo Gaddi's in S. Croce. Sowohl die Dar-
stellungen des Protevangeliums , wie der christlichen Legende sind
weggelassen. Am Fuß des Kreuzes sehen wir Franz, der es
knieend umschlingt, links die Gruppe der drei Frauen, welche die
umsinkende Maria halten, Johannes, der zu Christus aufschaut, und
die knieende kleinere Figur der Stifterin. Rechts sitzt Bonaventura
als Bischof schreibend, und hinter ihm stehen der Bischof Ludwig,
der h. Dominikus mit der Lilie und Antonius von Padua. Die
achtundvierzig Thesen des Bonaventura sind auf die Zweige selbst
geschrieben, und in den vom Laube gebildeten acht Medaillons
oder Früchten stehen jene oben angegebenen allgemeinen zusammen-
fassenden Sprüche. An den Enden der Zweige aber sieht man
dieselben Figuren der zwölf Propheten und Vorgänger Christi,
welche die Zettel mit dem Wortlaute ihrer Weissagungen halten.
In dem Laubwerk der untersten und obersten Zweige knieen die
vier Evangelisten. Matthäus mit folgendem Zettel : ,,liber genera-
tionis Jesu", Marcus : ,,initium evangelii Jesu Christi", Lucas : ,,fuit
in diebus Herodis" etc., Johannes : „in principio erat verbum" etc.
Die Vorläufer Christi sind links : Jeremias , Ezechiel , Zacharias,
David, Johannes der Täufer, Hiob, rechts Jesajas, Hosea, Joel,
Abdias und zwei andere.
Durchaus an das Vorbild des Gaddi hielt sich der Meister von
Pistoja, nur daß als Heilige rechts unter dem Kreuzesstamm hier
neben Bischof Ludwig die beiden Johannes erscheinen, welchen die
Stifter einen Mann und eine Frau empfehlen. Ein Zettel oben am
Kreuze besagt: ,,lignum vitae in medio paradisi afferens fructus
duodecim."
Aehnlich scheint auch eine Komposition in S. Agnese fuori le
mura bei Rom gewesen zu sein, von der d'Agincourt Taf 135 eine
flüchtige Zeichnung giebt. Unter dem Kreuze knieen drei Mönche,
rechts stehen vier Heilige mit Zetteln, links ist die Gruppe der
Maria. An jedem Zweige sind drei Früchte angegeben, links und
rechts vom Baume vier Rundmedaillons, in denen Halbfiguren von
zwei jugendlichen HeiHgen , Moses und einem Bischof Die Pro-
pheten mit Zetteln erscheinen in dem ornamentalen Rahmen des
Der Baum des Lebens. 553
Ganzen. Näheres läßt sich nicht angeben. Während aber dies
Fresko schon dem XV. Jahrhundert angehört, finden wir eine Ver-
werthung von Bonaventura's lignum vitae im XIV. Jahrhundert noch
in dem ,liber conformitatum' des Bartholomäus Pisanus. ^) Ein
Holzschnitt zeigt hier den Lebensbaum mit zwanzig Zweigen ; an
deren jedem hängen zwei Früchte, welche mit den entsprechenden
Thesen, die nicht genau mit denen Bonaventura's übereinstimmen,
bezeichnet sind. Unten sind die Halbfiguren von Franz und Bartholo-
mäus zu sehen. Der Inschrift eines am Fuße des Baumes be-
festigten Zettels nach, welche besagt: ,,Francisci sequens dogmata
supremi creatoris", scheint es die Ansicht des Verfassers gewesen,
daß die Allegorie vom Lebensbaum auf Franz selbst zurückgeht.
Einfacher ist ein Fresko von einem Schüler Mantegna's (Mon-
tagnana ?) an einem Pfeiler rechts vom Chor in S. Antonio zu Padua.
Hier hängt Christus an einem Baume mit zwölf Zweigen, in denen
die Brustbilder der zwölf Weissagenden zu sehen sind.-) Unten
stehen vier Heilige. — Die von Piper angeführte Zeichnung in
einem Codex des lignum vitae von Bonaventura zu London (British
Museum, Cod. Arundel 83) habe ich nicht vergleichen können.
Auf einzelne verwandte nordische Darstellungen des ,arbor
vitae et mortis', die Otte erwähnt , mag hier zum Vergleiche nur
kurz hingewiesen werden.^) Auf einem Silberrelief aus dem Grabe
des Erzbischofs Heinrich von Vinstigen (gest. 1286) im Dome zu
Trier trägt der Baum auf der einen Seite statt der Früchte Todten-
schädel , auf der andern Engelsköpfchen *) , in dem Meßbuche des
Berthold Furtmayer von 1480 Aepfel und Hostien.'^) Auch ver-
dienen einige von Piper angegebene Darstellungen kurz genannt zu
werden : so das als Lebensbaum gestaltete Kruzifix , das an dem
Grabdenkmal der h. Elisabeth sich befand, ein Glasgemälde in
Leyden^ auf dem, wie in jenem oben beschriebenen Bilde, der
Sündenfall unter dem lignum vitae, oben Christus thronend zu sehen
ist, sowie eine Steinskulptur im Christlichen Museum zu Trier.®)
^) Erwähnte Ausgabe von 1513. S. 4 verso.
*) Es sind hier Joel, Zacharias, Arnos, Jonas, Habakuk, Jesajas, Hosea, Salomon,
Moses, Ezechiel, Jeremias und David.
') Hdb. der kirchl. Kunst-Archäologie.
*) Aus'm Werth: Denkmäler Taf. LVII, 6.
^) Förster: Denkmäler, Malerei III, l.
") Jene eigenthümliche KreuzesaUegorie im Hotel Cluny zu Paris (abgeb. bei
Du Somerard: Les arts du moyen äge. Ser. I pl. XXXVII), in der die Kreuzesarme
554 D'^ allegorischen Darstellungen.
3. Die Kreuzesnachfolge.
Auf dem Titelblatte von des Bartholomäus Pisanus „conformi-
tates", in denen das Leben des Franz in Parallele zu dem Christi
gesetzt wird, befindet sich ein Holzschnitt, der Franz zeigt, wie er,
ein Kreuz über der Schulter tragend , dem kreuztragenden Herrn
folgt, der sich nach ihm umschaut. In wenigen Strichen wird da-
mit eine treffende Charakteristik seines Lebenswandels und -inhalts
gegeben , der ja in nichts Anderem bestand , als in der Befolgung
jenes Spruches : ,,Will mir Jemand nachfolgen , der verleugne sich
selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach."
(Matth. 16, 24.) —
Daneben ist noch ein kleines , unzweifelhaft von Giovanni di
Paolo gemaltes Bild in der Gallerie zu Parma (No. 423) zu er-
wähnen, auf dem sich unter zahlreichen anderen heiligen Kreuzes-
trägern , die sich um Christus schaaren , auch Franziskus befindet.
Anschließen möchte ich hier noch eine vereinzelt vorkommende
Darstellung, welche Christus stehend zeigt, wie er seinen getreuen
Nachfolger Franz (in kleiner Figur) aufrecht vor sich hält, gleichsam
als sein Kind. Sie ist auf einem Glasfenster der Oberkirche zu
Assisi zu sehen und dient hier als Pendant zu der stehend das
Christkind tragenden Maria. ')
III. Die Todesallegorieen.
So alt das Christenthum ist, so alt ist auch das wehmüthige
Sinnen über die Vergänglichkeit der irdischen Dinge. Der Glaube,
daß das menschliche Leben nur eine Vorbereitung, eine Bedingung
des jenseitigen sei, trieb die Anachoreten, die Eremiten und Mönche,
den Sorgen und nichtigen Freuden des weltlichen Verkehrs zu ent-
fliehen, in asketischen Uebungen jedes weltliche Verlangen in sich
zu ersticken, in ständigem Gedenken der zukünftigen Dinge sich
über die gegenwärtigen zu erheben. Der Gedanke an den Tod,
der aller Schönheit, allem Reichthum, allen Ehren ein jähes Ende
bereitet, die Betrachtung des verwesenden Körpers, der ein Fraß
der Würmer wird, ging nur der Sehnsucht, der Hoffnung auf ein
menschliche Hände erhalten haben , deren eine die Synagoge enthauptet , die andere
die Kirche krönt , findet ein Pendant in einem Fresko in S. Petronio , Bologna
(I. Kapelle links.)
1) Farbige Abb. in Plon's Werk PI. XIII zu S. 153.
Die Kreuzesnachfolge. Die Todesallegorieen. 555
ewiges, seliges Dasein voraus. — Jenen alten Einsiedlern des Orients,
die in den ersten Jahrhunderten des Christenthums gesondert vom
Menschenverkehr in gläubigem Vertrauen durch Entsagung das Heil
zu erlangen glaubten, hat wohl weniger das Bild der ewigen Qualen,
als das der ewigen Freuden vor der Seele gestanden. So haben
sie auch schwerlich eine solche Entsetzen erregende Anschauung
vom Tode gehabt, als das spätere Mittelalter, oder wenn sie
diese besessen, haben sie sie doch nicht der großen Menge des
Volkes mittheilen und einimpfen können. Das blieb den Asketen
einer späteren Zeit vorbehalten ! Erst im XII. Jahrhundert erschallen
lauter mahnend und warnend Predigerstimmen im Abendlande, die
der alten christlichen Anschauung von der Eitelkeit alles Irdischen
scharfen und erregten Ausdruck verleihen. ^) Jetzt zuerst gewinnt
sie dichterische Gestaltung, jetzt erst greifbare Formen. Recht
vernehmlich und eindringlich kündet sie von einer gährenden Un-
zufriedenheit des Volkes mit den bestehenden Zuständen. Denn
aus den Liedern geistlicher Dichter, die sie aussprechen, klingt
nicht allein die geistliche Opposition gegen den weltlichen Luxus
der Vornehmen und Reichen, nein! die Stimme des Volkes selbst,
das auch in den kirchlichen Institutionen keinen Trost mehr fand
und seine Zuflucht zu dem asketischen Lebensideal nahm. Halb
ein Ritter, halb ein Mönch hat Heinrich von Molk am Ende des
XII. Jahrhunderts die scharfen Waffen seiner gedankenreichen Kunst
in zornigen Satyren gegen die Mißbräuche seiner Zeit gerichtet.
Mit der dramatischen Gewalt, die erst viel später den Todes-
darstellungen der neuen christlichen Kunst ein so erschütterndes
Gepräge verleihen sollte, schildert er Szenen, in denen der Gedanke
der jVanitas vanitatum' furchtbar triumphirt, in denen der verwesende
Leichnam selbst die Rolle des Mahners übernimmt.^) Und zu der-
selben Zeit verbreitete sich in Gedichten ,die Legende von den
drei Lebenden und den drei Todten', in der erzählt wird, wie dem
^) Vergl. für das Folgende , Woltmann : Holbein , II. Aufl. S. 240 , wo ausführ-
lichere Litteraturangaben. — Otte: Hdb. I, S. 503. — Das zuletzt erschienene spanische
Buch des Fernandez Mferino : La danza macabre. Madrid 1884 (Caspar). — Femer
Th. Frimmel: Beiträge zu einer Iconographie des Todes. Mitth. der k. k. C. C. 1884.
S. XXXIX ff. CXXXVf. CCIVf. 1885. S. Vllf. Für unsere Zwecke besonders
wichtig: Vigo : Le danze macabre in Italia. Livomo 1878.
2) Vergl. Scherer, Gesch. der deutschen Litt. III. Ausg. 1885. S. 84. — Werke,
hrsg. von Heinzel, Berlin 1867.
5 c6 Die allegorischen Darstellungen.
Einsiedler Makarius drei Todte erscheinen , auf die er mit Worten
der Ermahnung drei vornehme Männer, die des Weges kommen,
hinweist. Zu gleicher Zeit auch müssen die dem Bernhard von
Clairvaux zugeschriebenen Hymnen entstanden sein , die von der
Verachtung der Welt, von dem schnell vorübergehenden Rausche
irdischer Lust, von der Gewalt des Todes predigen:
Ubi sunt qui ante nos in hoc mundo fuere
Veni ad tumulos, si eos vis videre :
Cineres et vermes sunt, cames computruere ;
Surge, surge, vigila, semper esto paratus.^)
Besonders in dem Orden , der die alte Strenge des Benedikt
zugleich mit der alten Askese wiederanstrebte, bei den Cisterziensern,
scheint die Idee von der Vergänglichkeit poetisch gestaltet worden
zu sein. Neben den Liedern Bernhards haben wir Stanzen über
den Tod von einem Cisterzienser Thibaud de Marly, ein Gedicht
über den Tod von einem anderen, Dans Helinand. Aber diese
Lieder des XII. Jahrhunderts sind gleichsam nur die ersten Wind-
stöße, die dem gewaltigen Sturme vorangehen. Wie eine wilde
Begeisterung, über den Tod selbst Herr zu werden, kommt es in
Italien über das Volk , und aus der Aufregung heraus erklingen
gleich Schlachtgesängen der mächtige Ruf des Thomas von Celano :
,Dies irae, dies illa', die Lieder Jacopone's.
Wir haben gesehen, welcher Art die Wirkung der Franziskaner-
predigten gewesen, welche Zwecke sie verfolgten. Ebenso sinnlich
anschaulich, wie sie von Himmel und Hölle zu erzählen wußten,
werden sie auch von dem Tode gesprochen haben. Ebenso wie
der Teufel wird auch der Tod unter dem Einflüsse solcher Schil-
derungen bestimmte Form und Gestalt in der Anschauung des
Volkes erlangt haben. Ein volksthümlich satyrisches Element spricht
aus den Liedern , wie aus den künstlerischen Darstellungen : der
Gedanke an die Gleichberechtigung aller Menschen, ebensowohl
vor dem Throne Gottes , wie angesichts des Todes. So furchtbar
der letztere auch der Phantasie, die von der Furcht vor dem Jen-
seits gequält ist, erscheinen mag, für den Armen und Elenden auf
dieser Erde hat seine Vorstellung doch etwas Tröstliches. Die
niederen Stände rächen sich mit einem gewissen grausamen Be-
*) Du Meril : Poesies populaires latines du moyen age. Paris , Firmin Didot.
1847. p. 125 — 127. 100. p. 155.
Die Todesallegorieen. 557
hagen für die scheinbare Ungerechtigkeit, die ihnen hier auf der
Erde widerfährt, an den höheren, begünstigten Klassen, indem sie
diesen das Bild vorhalten , wie der Tod Alles zerstört und ver-
nichtet, was jene vor den anderen auszeichnet. Die Todesallegorieen,
die im XII. Jahrhundert entstehen, in dem folgenden an Verbreitung
und dramatischer Gestaltung zunehmen, sind ein beredter Ausdruck
jener Volksbewegung , die wir mit dem Namen der Humanität zu
kennzeichnen versucht haben. Die Vermuthung, daß sie von dem
Franziskanerthum besonders ausgebildet worden sind, liegt nach
Allem, was über dasselbe gesagt worden ist, sehr nahe. Versuchen
wir dafür noch näher eingehende Beweise beizubringen.
Von den Todesdarstellungen der Kunst läßt sich, sehen wir
von einigen vereinzelten Kunstwerken des frühen Mittelalters ab,
im Allgemeinen sagen, daß sie in drei auch zeitlich auf einander
folgende Gruppen zerfallen. Die älteste darf man als die der Alle-
gorieen von der Vergänglichkeit der irdischen Dinge bezeichnen.
Hier tritt der Tod selbst nicht auf, sondern nur der Todte. Die
zweite umfaßt die Darstellungen des Herrschers Tod , die dritte
diejenigen des Todtentanzes. Den Bildern gehen die Dichtungen
zeitlich voraus. So entsprechen der ersten Gruppe die Legende
von den drei Lebenden und den drei Todten und die Hymnen und
Canzonen der Cisterzienser, der zweiten die Lieder Jacopone's und
seiner toskanischen Zeitgenossen und Nachfolger, der dritten die
Verse der ,danse macabre'. ^)
Die ältesten Darstellungen der Allegorie der Vergäng-
lichkeit begegnen uns auf den byzantinischen Kompositionen des
, Eremitenlebens', deren uns eine in einer Tafel des Emanuel Tzan-
furnari im Christlichen Museum des Vatikans erhalten ist. '^) Da
sehen wir mit erschreckt erhobenen Händen einen Einsiedler vor
einem Sarkophage stehen, in dem ein verwesender Leichnam liegt.
Das Bild wird in das XI. Jahrhundert versetzt. Ob auf so frühe
Zeit auch jene im Malerbuche vom Berge Athos erwähnte Allegorie,
die sehr abstrakt in der Mitte die Welt als gekrönten Greis, dann
kreisförmig angeordnet die vier Jahreszeiten, die zwölf Monate und
die sieben Altersstufen verbildlichte, zurückgeht, ist nicht mit Be-
^) Es ist noch nicht entschieden , wann und wo diese besondere Dichtung ent-
standen ist. Daß sie aber der malerischen Darstellung vorangeht, nicht erst aus dieser
hervorgeht, scheint mir unzweifelhaft.
2) Abb. d'Agincourt Taf. LXXXII. Woltmann : Gesch. d. Mal. I, S. 231.
cc8 Die allegorischen Darstellungen.
stimmtheit zu sagen. Eine Erweiterung erfährt jene Szene aus
dem Leben der Eremiten in der Darstellung der ,Legende von den
drei Todten', die vielleicht schon im XII., sicher im XIII. Jahr-
hundert im Abendlande populär wird und auf eine Entstehung im
Orient schließen läßt. Hettner vergleicht treffend mit derselben
die Geschichte von dem Königssohn Josaphat, dem auf einsamem
Wege angesichts der Aussätzigen und Krüppel die Erkenntniß von
der Nichtigkeit des Irdischen aufgeht. ^) Dessen Geschichte ist, wie
aus zwei französischen Uebersetzungen des XIII. Jahrhunderts sich
ergiebt, in dieser Zeit ein vielgelesenes Volksbuch gewesen '^), wie ihr
auch der Bildhauer des Baptisteriums zu Parma die Parabel vom
Baume des Lebens entlehnt hat.^) Erst im XIV. Jahrhundert in
dem Fresko des Camposanto zu Pisa aber» schildert die italienische
Kunst jene Szene, in der drei vornehme Reiter erschreckt vor den
drei Leichnamen stehen bleiben, auf die der Eremit Makarius sie
hinweist. Aus derselben Zeit etwa stammt ein Bildchen im Christ-
lichen Museum des Vatikan, auf dessen Predelle ein halb verwester
Körper dargestellt ist, mit welchem sich Schlangen und Skorpione
zu thun machen. Des beschränkten Raumes wegen konnte von
den drei Lebenden rechts nur einer knieend dargestellt werden,
dem links der Eremit entspricht.'') Dem Ende des Jahrhunderts
gehört das bekannte Fresko in der Scala santa im Sacro speco zu
Subiaco an.^)
Nur der kompositionellen Zusammengehörigkeit halber sind
diese Bilder schon jetzt erwähnt worden. Zeitlich voran geht ihnen
das höchst interessante Fresko Giötto's in der Unterkirche von
S. Francesco zu Assisi. (Abb. 76.) Auch dieses ist Nichts als eine
Allegorie der Vergänglichkeit , aber aus einem anderen Gedanken-
^) Italienische Studien. Braunschweig 1879. S. 132.
*) F. Liebrecht: Des h. Johannes von Damaskus Barlaam und Josaphat. Münster
1847. — Gui de Cambrai. Gedicht publ. von Meyer und Zotenberg in der ,Bibliothek
des litterarischen Vereins in Stuttgart'. — Fragments d'une ancienne traduction fran-
gaise de Barlaam et Josaphat faite sur le texte grec au commencement du XIII^ siecle,
publ. V. P. Meyer, Bibl. de l'ecole de Chartes VI Serie II.
2) Vergl. Schnaase: Geschichte d. b. K. VII, S. 262 und die dort angegebene
Litteratur.
*) Schrank D, Abb. d'Agincourt Taf. CXVII. Unter den Heiligen, die Maria
verehren , ist Franz — das Bild war demnach vermuthlich für eine Franziskaner-
Kirche gemalt.
6) D'Agincourt. Taf. CXXVI, 7.
Die Todesallegorieen. 559
gange heraus geschaffen worden. An Stelle des mahnenden Eremiten
ist Franziskus getreten, der damit sichtbarlich auf diesem ältesten
italienischen Todesbilde als der Nachfolger jener alten Asketen und
zugleich als der Prediger einer neuen Anschauung vom Tode hin-
gestellt wird. Er steht an face herausschauend, erhebt die Rechte
und berührt mit der Linken ein neben ihm aufrecht stehendes
Skelett, das auf dem Schädel eine Krone trägt, welche, wie es
scheint, im Begriffe ist, herabzufallen. Mit Dobbert und Vigo muß
man in dem Bilde eine Darstellung der Vergänglichkeit sehen, nicht
des Herrschers Tod selbst.^) Das geht unzweifelhaft aus einem
anderen, ganz ähnlichen Fresko im alten Kapitelsaal von S. Antonio
zu Padua hervor. Hier befinden sich an der südlichen Wand Reste
von Wandmalereien, die von Crowe und Cavalcaselle, Gonzati und
Schnaase mit Unrecht dem Giotto zugeschrieben werden , da sie
doch alle Merkmale jener späteren Meister: Altichieri und Avanzo,
welche die Kapellen des h. Felix und Georg ausgemalt haben,
tragen. Neben den Gestalten des Daniel und Jesajas sind rechts
Reste der Figur des Antonius von Padua erhalten, der mit der
Rechten auf ein gesondert daneben dargestelltes Skelett weist, in
der Linken einen Zettel hält mit dem Spruche : ,,homo igitur con-
sumtus atque nudatus quaeso ubi est (Hiob. c. XIV v. 10). Mortuus
pro nobis est." Zu den Füßen des Leichnams liegt ein Cartellino,
auf dem zu lesen ist: „memor esto judicii mei, sie enim erit et
tuum. Heri mihi hodie tibi (Eccles. XXXVIII, 23)".-) Der Todte
selbst also redet den Beschauer an. Offenbar sind die zwei Bilder
aus den gleichen Anschauungen des Franziskanerthums erstanden.
Weht doch aus ihnen derselbe Geist uns entgegen, wie aus Jaco-
pone's Gedicht : ,cur mundus militat sub vana gloria', von dem oben
(S. 445) gesprochen worden ist, und mehr noch aus dem anderen:
quando t'alegri o huomo de altura
das schon Vigo in seine Betrachtung der Todtentanzdichtungen auf-
genommen hat : ^)
1) Dobbert. Giotto. K. u. K. III, S. 17. — Vigo a. a. O. S. 18.
•^) Crowe u. Cav. D. A. I, S. 242. — Schnaase VII, S. 369. — Lübke. Mitth.
d. k. k. C. C. V, S. 10. — Woltmann S. 430. — Dobbert S. 30. — Gonzati: La
basilica di S. Antonio I, 265. Abb. Taf. zu S. 267. Die Verhältnisse, Typen und
Gewandbehandlung weichen durchaus von der Art Giotto 's ab.
^) A. a. O. S. 81. — In der Venezianischen Ausgabe IV, 10.
560 Die allegorischen Darstellungen.
Wenn du dich freust, o Mensch, an deiner Größe,
So geh', auf's Grab zu richten die Gedanken.
Und nur auf dieses wende deine Blicke,
Und denke wohl daran, daß du mußt kehren
Zu der Gestalt zurück, die dir erscheinet
Am Menschen, der da liegt im dunklen Grabe.
Nun fragt der Lebende den Todten, wohin seine schönen Ge-
wänder, wohin der zierliche Schmuck des Haares, wohin die Augen,
wohin die Nase, wohin die Zunge, die Lippen, die Arme gekommen
sind. Und Wehklagen über den schlechten Gebrauch , den er als
Lebender von allen diesen Zierden des Körpers gemacht , erklingt
als Antwort von dem Todten. Der Aufforderung, sich zu erheben,
die Waffen und den Schild zu nehmen, vermag er nicht mehr nach-
zukommen. Nicht vermögen die Verwandten ihm mehr zu helfen,
nur Eines kann er noch : den der Weltlust ergebenen Menschen
warnen ! ^)
Aehnlich spricht in andern Liedern jener Zeit die Seele , die
zurückkehrt zu dem Körper, ihm Vorwürfe zu machen, mit der
verlassenen, verwesten irdischen Hülle. ^)
Was aber jenes Fresko in Assisi besonders interessant macht,
ist der Umstand , daß hier ganz im Sinne der Menge die Krone
als Symbol irdischer Größe auf dem Kopfe des Skeletts erscheint.
Es liegt darin recht deutlich eine Appellation an das Volk: selbst
der König muß sterben ! Wie dies auch aus einem angeblich von
Franz selbst an die Podestä, Konsuln, Richter und Magistrate, also
die Repräsentanten der städtischen Macht, gerichteten Briefe spricht,
welcher beginnt :
,, Bedenkt und seht, wie der Tod in eihgen Märschen hinter
Euch herkommt. Darum bitte ich Euch mit aller der größten
Verehrung inmitten der Sorgen und Unruhen dieser Welt, in die
Ihr verwickelt seid, nicht Gottes zu vergessen und sein Gesetz
nicht zu verachten; denn wer Gott vergißt und sein Gesetz von
sich zurückweist, ist verflucht und vergessen. Und wenn der Tag
des Todes kommen wird , wird ihm genommen werden , was er
zu besitzen glaubte, und je weiser und mächtiger sie in der
^) Vergl. ein Lied Guittone's : Rime di Fra Guittone. Firenze, Valeriani 1828
II, Nr. 210. S. 211,
'^) So in zwei anderen Poesieen Jacopone's , in den sogenannten ,contrasti di un
vivo e morto', die angeblich auf Bernhard von Clairvaux zurückgehen. Vigo S. 85.
Die Todesallegorieen. 56 1
Welt gewesen sind, desto mehr werden sie in der Hölle gequält
werden." ^)
Der König aber, der im Grabe liegt, tritt auch in dem sicher von
einem Franziskaner gedichteten ,ballo della morte' (vergl. unten),
den Vigo. publizirt hat, sprechend auf:
Nehmt Euch ein Beispiel, arme Erdensöhne,
An mir, der einst die Königskrone trug
Und jetzt erleiden muß die höH'schen Qualen
Und ewig mich denselben anbequemen.
Wer Sinnenlüste nur zu suchen ausgeht
Und es verschmähet, fromm und gut zu leben,
Deß Seele wird, kommt erst die letzte Stunde,
Zur Hölle gehn, der Körper zu den Würmern.
Die praktische Wirkung solcher Moralpredigt, die sich des
Hinweises auf den Tod bedient, lernen wir recht deutlich aus den
Versen des Brunetto Latini im Tesoretto kennen. Nachdem er die
vanitas vanitatum, offenbar in direkter Nachahmung von Jacopone's
Lied: ,cur mundus militat*, sich vor die Seele gerückt, geht er zu
den ,,frati santi", den Franziskanern und beichtet ihnen. '^)
Nur ein kleiner Schritt war es, von solchen Allegorieen der Ver-
gänglichkeit zur Personifizirung des Todes, zu seiner Verbildlichung
als Herrscher Tod zu gelangen. Jacopone selbst hat ihn gethan
in seinem Cantico : ,Non tardate, o peccatori'. Er, der Gelehrte,
erinnert sich der ,pallida mors' des Horaz, aber seine Phantasie
malt sie sich in grauenvoller Weise aus : „häßlich , düster und un-
gestaltet". „Da kommt der Tod und macht sterben die Ritter,
wie die Frauen und die Junker; die Brüder und die Schwestern
sinken hin zur Erde, die Priester und die Laien, die Häßlichen
und die Schönen. Und auf so schnellen Füßen naht er, daß
Keiner seine Ankunft spürt. Da ist es nicht möglich, ihm aus-
zuweichen, sehen wir ihn kommen, nach keiner Seite steht die Flucht
^) Opera. I, p. 10 f. Auch bei Prudenzano: Francesco d'Assisi. Neapel IV. Aufl.
1882 S. 146. — Vergleiche mit den oben erwähnten Fresken auch die von Vigo S. 31
angeführten in der Riviera di Orta und in Omegna.
^) Tesoretto. Ausg. von Zannoni, Florenz 1824, cap. XX, v. 45 ff. Vers 53
spricht er von der Todesstunde:
ahi Deo, quante fiate
Ne porta le corone,
Come hasse persone.
Beispiele: Cäsar, Samson, Alexander, Absalon, Salomon und Hektor.
Thode, Franz von Assisi. -ig
562 Die allegorischen Darstellungen.
uns offen. Dem Tode entgegen müssen wir gehen. — Wir alle
laufen ihm entgegen, der Lahme, wie der gut zu laufen weiß, Tag
und Nacht ohne zu ruhen. — Eben noch saht ihr den Menschen,
geschmückt , strahlend und voll Ruhmes , den Kopf erhoben , stolz
und kühn gehen — und schon liegt er verächtlich da., häßlich,
todt und niedrig, und das verwesende Fleisch nagen die Würmer.
— Gar hoch zu loben ist der Tod , denn Jedem läßt er nach
Gerechtigkeit widerfahren und vergilt jedem Menschen nach dem
Bösen, wie nach dem Guten, das er gethan. Den einen sendet er
in die Hölle, den andern in die Seligkeit. — Darum laßt ab von
der nichtigen Eitelkeit und thut Buße. Denn wie Staub, der in der
Luft zerfliegt , vergeht die irdische Pracht vor dem Tode ! — Es
kommt der Tod und sendet seine Pfeile nach Willkür, und Alle
müssen dann Rechenschaft ablegen. Wer aber gut gelebt, der
braucht ihn nicht zu fürchten." ^)
Mehr als irgend ein anderes verräth dieses dramatische , an
wirkungsvollen Kontrasten reiche Gedicht die allgemeine, durch
die Bettelmönche geförderte Stimmung, aus welcher Bilder wie
der , Triumph des Todes' in Pisa, das Fresko in Subiaco, jenes im
ehemaligen Ospedale zu Palermo hervorgegangen sind. Mag die
Gestalt des Todes selbst verschieden dargestellt worden sein, die
Anschauung jenes gewaltthätigen , kein Geschlecht, keinen Stand
verschonenden Eingreifens ist dieselbe. „Laida scura e sfigurita"
fährt er als Weib , die Sense in der Hand , auf dem mächtigen
Pisaner Fresko in die Freuden der Welt hinein, über Leichen hin-
weg stürmt er auf dem in Subiaco als grausiger Reiter, seine Sense
schwingend, auf zwei Jünglinge zu, deren einen er schon mit dem
Schwerte trifft, mit dem Bogen eilt er in dem Palermitaner Bilde
auf einem Pferdegeripp in jagender Hast über die von Pfeilen ge-
troffenen Großen der Erde hin zu den ahnungslos die Gegenwart
genießenden Reichen. Vor dem Grabe als Skelett, ein Herrscher
in vornehmem Mantel, steht er inmitten von unheimlichen Gehülfen,
welche mit Pfeilen die weltlich sich Vergnügenden erlegen, in der
Kirche des h. Bernardino von Siena in Clusone. ^) An jener der
Madonna della neve in Pisogne am Lago d'Iseo aber eilen Leute
jeden Standes auf den Feind zu, der sie mit Pfeilschüssen empfängt,
*) Lib. IV, cantico 9.
^) Vallardi: Trionfo e Danza alla morte. Milano 1859.
Die Todesallegorieen. 563
während auf der andern Seite angesichts der von Christus und Maria
selbst geleiteten Schaar der Frommen ihm der Bogen zerbricht.
Dies letztere Gemälde, das ich nur aus der Beschreibung Vallardi's
kenne , scheint mir geradezu direkt an Jacopone's Gedicht sich
anzulehnen, da es, wie dieses, die Gegenüberstellung der Guten
und Bösen, ja mehr noch neben Christus fünf allegorische Figuren
zeigt , deren Namen zwar nicht erhalten sind , die aber vielleicht
einige der von Jacopone im letzten Verse angeführten sind :
Nun laßt uns bitten unsem Herrn,
Und seine Mutter auch, die Jungfrau,
Zu geben Frieden uns und Liebe,
Den Glauben, Mitleid und die Hoffnung,
Die Kraft sowie den guten Willen,
Schon hier auf Erden solche Buße
Zu thun, daß an dem Tag des Scheidens
Das ew'ge Leben wir erringen.*)
Das Auffallende, daß unter den Schlechten nur kirchliche
Würdenträger, unter den Guten nur weltliche Große erscheinen,
veranlaßte Gabriele Rosa, in der Darstellung die Aeußerung einer
ghibellinischen Empfindung zu sehen. — Ob auch jene Prozessionen
von dem Tode verfallenen Leuten auf dem Fresko von Clusone
und dem in Penzolo di Valle auf Anschauungen, wie sie Jacopone
gehabt, zurückgehen, muß dahingestellt bleiben. -)
Eine dem Jacopone ganz verwandte Anschauung verrathen zwei
von Vigo nicht angeführte Gedichte. Das eine von Cino da Pistoja,
das beginnt : , O morte della vita privatrice ' nennt den Tod gleich-
falls ,oscura di laida sembianza'.
,,Du bist der grimmigste Feind des Menschen und machst neues
*) Die gesperrten Worte sind als Allegorieen groß geschrieben im ital. Texte,
welcher lautet;
Or preghiamo 11 pio Signore
E la vergine sua madre,
Che ci dia Pace et Amore,
Fede Spene e Charitate,
Forza e buona Volontate
Di far qui tal penitentia
Che nel dl de la partentia
Vita aggiamo gloriosa.
Ueber das Fresko vergl. Vallardi, a. a. O. — Vigo, a. a. O. S. 25. — Angeblich im
Stile des Borgognone.
2) Vergl. Vigo, a. a. O. S. 29.
36*
564 Di^ allegorischen Darstellungen.
und altes Leiden aufschreien. Weinen und Schmerz erzeugst du,
deßhalb will ich dich tadeln. Denn wenn der Mensch Freude und
Glück bei seiner neuen Gattin in dieser Welt findet, läßt du ihn
kaum kurze Zeit froh leben, nein ziehst ihn zu Boden." Dann
schildert er den Tod auch als Bogenschützen. ^) Nicht minder
leidenschaftlich klingen die Verse, die früher dem Cavalcanti zu-
geschrieben wurden :
„Düsterer, finsterer Tod, — siehe, wohin führst du und läßt
du sinken so viele schöne und würdige Geschöpfe } Dann hebst
du sie auf und verfährst mit ihnen nach deinem Willen, du machst
sie einer dunklen Grube zu laufen und überwindest, du Grausamer,
Rauher und Liebloser, Mann wie Frau, beide so schön und zart."'')
Durch Petrarca taucht dann ein neues Bild des »Herrschers
Tod' auf. Er stellt ihn sich als Sieger auf dem Triumphwagen, dem
die Unterlegenen folgen, vor. Auch diese dichterische Allegorie
hat ihre künstlerische Verherrlichung gefunden, ohne doch so
populär zu werden wie die dramatische ältere.^)
Aus den geschilderten asketischen Anschauungen ist endlich
als dritte Form der Todesdarstellungen neben den AUegorieen der
Vergänglichkeit und denen des Herrschers Tod der Todtentanz
hervorgegangen, in welchem die schneidende Ironie ihren Höhe-
punkt erreicht. Nur ganz vereinzelt begegnen wir ihm in der
Dichtung und Kunst Italiens, seine eigentliche Heimath hat er
im Norden gefunden. Dennoch verdient mit Vigo darauf hin-
gewiesen zu werden, daß die Idee des Todtentanzes ganz im All-
gemeinen wenigstens gleichzeitig mit den Aufführungen in Frankreich
und England in einem Gedichte von Jacopo oder Pietro di Dante
Alighieri erscheint.^) Daß sie aus den Anschauungen der Bettel-
mönche hervorgegangen, erscheint mir zweifellos, und zwar möchte
ich im Hinblick auf jene Todeslieder des Jacopone und die volks-
thümlichere Denkweise der Franziskaner überhaupt vermuthen, daß
^) Vita e memorie di M. Cino da Pistoja. Pistoja, Ciampi 1826. Canzone XXIX.
S. 261.
^) Poeti del primo secolo della lingua italiana. II. Bd. S. 330.
^) Vergl. Vigo S. 45 ff. , der aber den verschiedenen Charakter der Todesdar-
stellungen nicht recht scharf unterscheidet. Kunstwerke: Vanni in Siena, Akad. —
Costa in S. Giacomo in Bologna. — Reliquienschrein in Graz. — Pomareda's Stich
von 1748 nach Tizian etc.
*) Vigo S. 76. Rime di M. Cino da Pistoja. Firenze 1862, S. 208.
Die Todesallegorieen. 565
auch in diesem Falle die Letzteren Anfangs die Gebenden , die
Dominikaner die Nehmenden sind. Unleugbar bleibt es freilich,
daß die uns erhaltenen Todtentänze in Deutschland zumeist in
Dominikanerklöstern sich befinden. Zu streng darf man in diesem
Falle, wie in anderen, zwischen den beiden Orden nicht unter-
scheiden, aber daran festhalten muß man immer, daß die kultur-
geschichtlich bedeutungsvollen Ideen und Vorstellungen doch fast
durchweg von dem Orden des Franziskus ausgehen.^) Auch die
volksthümlichen Allegorieen vom Tode dürften, wie alle diese
Darlegungen erweisen, ihre eigentliche dramatische Gestaltung Franz
und den Franziskanern verdanken.
') Hinweisen möchte ich hier auch darauf, daß der von Vigo S. 125 publizierte
,ballo della morte', das einzige italienische Todtentanzgedicht, offenbar von einem Fran-
ziskaner geschrieben ist, da der Tod nur für den fra minore tröstende Worte hat.
SCHLUSS
Wir sind am Schlüsse unserer Betrachtungen angelangt — sei
es uns vergönnt, noch einmal einen kurzen Blick rückwärts zu
werfen, noch einmal die große Bewegung, die wir in Franz zu
verstehen und würdigen versucht, im Großen in's Auge zu fassen!
In der gewaltigen, alle Grenzen des Egoismus überschreiten-
den, alle Bande individueller Beschränkung fallen lassenden Gestalt
des predigenden Bettlers von Assisi tritt gleichsam sichtbar in
seiner vollen Bestimmtheit das Streben, der Wille einer ganzen
Zeit hervor. Er ist der Repräsentant der als Ganzes zu einer in
sich begründeten , selbstständigen Stellung aufstrebenden großen
unteren Masse des Volkes , des dritten Standes , zu gleicher Zeit
aber auch der Repräsentant jedes Einzelnen aus dieser Masse, wie
er sich seiner selbst, seiner Rechte auf Gott und die Welt bewußt
wird. Mit Franz und in Franz erfährt die mittelalterliche Mensch-
heit die volle Gewalt der jedem Einzelnen innewohnenden Gefühls-
kraft, und diese innere Erfahrung führt eine von den dogmatischen
Allgemeinbegriffen sich befreiende erste Erkenntniß des eigenen
Wesens mit sich. Aber wie der Genius über den ihn umgebenden
Verhältnissen und Menschen , schwebt Franz über dieser seiner
Zeit — als das vollendete Ideal, in dem seine Mitwelt das Beste,
was sie unbewußt anstrebt, in lichter Klarheit und Reinheit ver-
einigt sieht. Für Franz sind die Schranken , welche die Formen
der Erkenntniß : Zeit und Raum zwischen den einzelnen Individuen
errichteten , gefallen : er hat sich Eines gefühlt mit der ganzen
Natur , mit dem allen Erscheinungen zu Grunde liegenden Einen,
Untheilbaren. Nach Jesus von Nazareth hat es Keinen gegeben,
der in gleicher , ewig wunderbarer Weise seines Ich's sich ent-
Schlußbetrachtung. 567
äußert, das höchste Gebot: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich
selbst", fast sein ganzes Leben hindurch erfüllt hat. Wenn je ein
Mensch den Beinamen des Heiligen verdient hat , so ist es Franz
von Assisi. Er hat die im Himmel erträumte Seligkeit schon auf
Erden genossen — das Leiden dieses Seins verschwand ihm, und
das reinste Glück ist ihm in dem Gefühle ewiger Liebe, des Eins-
seins mit Gott und der Natur, in der Freiheit stiller Kontem-
plation, die, über die Erscheinungen erhot)en, das Wesen der Dinge
selbst betrachtete, zu Theil geworden.
Der innere Drang der Menschheit jener Zeit führte zur Kon-
templation. Nach unruhvollen Jahrhunderten des Kampfes Aller
gegen Alle, nach den aufregenden, verwirrenden Unternehmungen
der Kreuzzüge , begann man sich auf sich selbst zu besinnen.
Innerhalb der sicheren Mauern der Städte brachte die allmählich
um sich greifende friedliche Beschäftigung mit Handel und Hand-
werk, der Behagen und häusliche Sammlung gestattende Wohlstand
eine Stimmung des Gemüthes mit sich , die dem Denken und
Empfinden günstig war. Wie sie sich bei den Bürgern geltend
machte, so nicht minder in jenen Mönchsorden, die, wie die
Cisterzienser, im Gegensatz zu den im äußeren Thun und Treiben
aufgegangenen älteren Benediktinerabzweigungen zu größerer Ein-
fachheit , zu einem stillen , der Betrachtung gewidmeten Leben in
die Einsamkeit sich flüchteten. Der Einzelne begann über die
Heilswahrheiten der christlichen Religion nachzusinnen, selbst in
ein persönliches Verhältniß zu ihnen zu treten. Da mußte es
offenbar werden, wie wenig doch die Formen des Religionskultus
mit ihrer großen , für das Allgemeine bestimmten schematischen
Anordnung , die Seelennoth befriedigen konnten , wie fremd die
Bestrebungen des päpstlichen Stuhles und der Geistlichkeit den
Bedürfnissen des seiner selbst sich bewußt werdenden Volkes waren.
Die Empörung über das rücksichtslos egoistische Verfahren der
Kirche trieb Viele den aus dem Orient gekommenen Sekten in die
Arme , die dem einzelnen Gläubigen mehr thätigen Antheil und
intimere Beziehung zur Religionsausübung versprachen. Lauter
nnd lauter ward der Ruf nach einer Reform der Kirche — man
begann sich das Recht, die Bibel zu lesen und zu interpretiren, zu
predigen, kurz höchst persönlich seinem Christus zu nahen, anzu-
maaßen. Noch aber sträubte sich Rom , die Rechte des Volkes
anzuerkennen, und verfolgte die Freigesinnten als Häretiker, bis es.
r68 Schlußbetrachtung.
im entscheidenden Augenblicke zu hellerer Einsicht gelangt, einem
dieser Volksprediger, Franz von Assisi, der, wie wir zu zeigen ver-
sucht, recht eigentlich aus dem feindlichen Lager der Waldenser
kommt, für ihn und seinen Orden gewährt, was die große Masse
für sich ganz in Anspruch zu nehmen begann.
Damit nun vollzog sich die Reform; das Volk erhielt, was es
gewollt : die Predigt , ein volksthümliches Christenthum , und die
reichsten Segnungen waren die Folge. Der Bürgerstand war zu
Rechte anerkannt , wie von dem Staate , so von der Kirche. Er
konnte fortan seine eigensten Kräfte entfalten. Seine Ideale hießen:
Frieden und Gesittung.
Auf die einsamen Höhen der Selbstverleugnung und welt-
abgeschiedener Kontemplation konnte freilich die Masse ihrem
geliebten Führer nicht folgen — aber sie erreichten, von seinem
Beispiel vorwärts gezogen, doch Punkte, die, über dem Gewirr und
Geräusch des täglichen Lebens erhaben, die Möglichkeit ruhigerer
Sammlung und Betrachtung und den freieren Ausblick auf die
mannigfachen Erscheinungen der Natur gestatteten. Die Be-
geisterung mußte nach Ausdruck suchen: und so entstand ein
künstlerisches Streben in Worten, Tönen und Formen.
Eine volksthümliche, einfach natürliche, von inniger Liebe und
Begeisterung eingegebene Auffassung der christlichen Religion, wie
sie täglich von Franz und seinen Schülern zum bilderreichen Aus-
druck in Predigt und Dichtung gebracht wurde , hat die neuere
christliche Kunst in's Leben gerufen. Jene Neigung zur Kontem-
plation konnte in wunderbar schneller Weise das Studium der
Natur befördern , weil durch die mystischen Anschauungen des
Franziskanerthums das Gefühl voll und ganz erwärmt ward für
eben diese Natur, in der man das Abbild Gottes sah. Dann kam
die persönliche Verehrung für Franz hinzu , die Begeisterung,
welche die Darstellung seiner Person und seiner für künstlerisches
Nachempfinden so geeigneten Legende immer auf's Neue in dem
recht eigentlich aus dem naiven Volke hervorgehenden Künstler
hervorrief. Es kam hinzu, daß bei dem unglaublich schnellen
Anwachsen der Bettelmönchorden unaufhörlich durch anderthalb
Jahrhunderte hindurch unzählige Kirchen und Klöster gebaut, mit
Fresken, Altargemälden, Skulpturen, Denkmälern jeder Art ge-
schmückt werden mußten. Ein weites, allen Kräften vollen Spiel-
raum lassendes Feld der Thätigkeit hatte sich für die Kunst eröffnet.
Schlußbetrachtung. 569
Wird man sich des großen Zusammenhanges , der zwischen den
reUgiösen Bestrebungen des Bettelmönchwesens und der neu auf-
strebenden künstlerischen Thätigkeit im XIII. und XIV. Jahrhundert
besteht, recht bewußt, so muß es dann dem Betrachter der Kunst
des Quattrocento in Italien auch wohl deutlich werden, daß diese
letztere durchaus auf jener ersteren beruht, nur eine weitere Stufe
zu der in Leonardo's, Raphael's und Michelangelo's Werken erreichten
Vollendung bildet. Wir haben hier eine große geschlossene Ent-
wicklung vor uns auf dem Gebiete der Skulptur und Malerei, aber
eben sowohl auch, wie wir für Toskana, diesen heimischen Boden
der Renaissance, nachgewiesen haben, auf dem der Architektur.
Die Ideale einer volksthümlichen christlichen Kunst, wie sie Raphael
in blendender Reine und unnahbarer Herrlichkeit hinstellt, sind die-
selben geblieben, die schon dem Pisano, dem Giotto vorgeschwebt.
Wer , wie wohl geschehen ist , den Niccolö Pisano einen letzten
Ausläufer einer antikisirenden süditalienischen Kunst zu nennen
vermag, kann kein Auge haben für die gewaltsame frohe Jugend-
lichkeit seiner aus echt toskanischer religiöser und künstlerischer
Gefühls- und Gestaltungskraft hervorgegangenen Werke. Der muß
mit demselben Rechte Cimabue, dessen Kreuzigung in Assisi die-
selbe jugendliche fast fessellose Leidenschaftlichkeit wie Niccolö
Pisano's ReHef im Baptisterium zu Pisa zeigt, der muß schließlich
Giotto die letzten Worte einer sterbenden Richtung sprechen
lassen ! Indessen doch diese drei Namen die ersten jener langen
Reihe sind, denen Toskana, denen Florenz den nie vergänglichen
Ruhm, die Heimath der Renaissance zu sein, verdankt!
Dann, im XIV. Jahrhundert, könnte es scheinen, stockt nach
den außerordentlichen Thaten Giotto's die Entwicklung — aber
mir dünkt, es scheint auch bloß so. Für eine Weile mag der große
Neuerer, wie alle Neuerer vor ihm und nach ihm, den Boden, dem
er fast die ganze Kraft entzogen, steril gemacht haben ; aber dennoch
treibt es die Kunst vorwärts. Jener Stefano Fiorentino , von dem
wir nur durch Vasari wissen, muß ein großer bedeutender Künstler
gewesen sein, Vasari's Giottino geht, wenn auch nicht in drama-
tischer Gestaltung, so doch in vollerer Ausbildung der Typen und
Figuren über Giotto hinaus und bereitet seinerseits Orcagna's
Schönheitsstreben vor. Dann bricht das XV. Jahrhundert an, und
ein gewaltiger Schritt geschieht. Ghiberti allein scheint eine Ver-
mittlerrolle zu spielen, indessen die Masaccio , Brunellesco und
C70 Schlußbetrachtung.
Donatello sich gleichsam gewaltsam von allem Vorhergehenden
losreißen.
Es kann keine Frage sein, daß um I4CO eine neue Phase in
der Entwicklung eintritt, und es hat das nichts Verwunderliches.
Auf zwei Jahrhunderte hinaus hatte jene Reform des Franz stark
und nachhaltig gewirkt — da begannen in Italien neue Ideale das
Volk mächtig zu locken und anzuziehen. Petrarca und Boccaccio
sind die ersten, welche sie voraus verkünden, erst um die Wende
des Jahrhunderts aber werden sie das Gemeingut Aller. Die
Bewegung der Humanität, wie wir die Volksbewegung des XII.
und XIII. Jahrhunderts zu bezeichnen gewagt, schlägt eine neue
Richtung in dem ,Humanismus' ein. Hatte man bis dahin das
Evangelium und die Natur zu Führern auf dem Wege zur Wahr-
heit und Schönheit genommen , so gesellt sich jetzt ein dritter zu
jenen Beiden hinzu : die Antike. Die Schriften der alten Philo-
sophen, Dichter und Geschichtsschreiber entsteigen zu gleicher Zeit
mit den Tempeln und Statuen dem Schutt der Vergangenheit, und
diese durch Erhabenheit, Schönheit und Alter verehrungswürdigen
Reste werden die Vorbilder für den Denker, den Dichter und den
Künstler. Zur guten Zeit — namentlich für die Künstler, denn
viel zu scharf vorgezeichnet, zu ausgeprägt schon war die Rich-
tung der toskanischen Kunst auf ein bestimmtes christlich-modernes,
im guten Sinne naturalistisches Ideal, als das sie in eine sklavische
Nachahmung der alten Denkmäler hätte verfallen können. Aber
etwas Wesentliches, was nothwendig war für den Fortschritt,
konnte die Antike lehren : das Formale ! Halb wissenschaftlicher,
halb künstlerischer Art ist ihr Einfluß : auf der einen Seite fordert
sie zu einem eingehenden Studium der Perspektive, auf der anderen
zu dem des Nackten auf. Hat die erste Periode bis 1400 bereits
die Ziele, den Inhalt und Charakter der Renaissancekunst
festgestellt, so beschäftigt sich die zweite mit der vielseitigen Durch-
bildung und Ausbildung der Form, wie sie nur durch eingehen-
des Studium der Natur, d. h. der Anatomie und Perspektive im
Allgemeinen , des Individuums und der Landschaft im Besonderen
erreicht werden konnte. Die dadurch erworbene Sicherheit, Mannig-
faltigkeit und Körperlichkeit der Darstellung läßt den Abstand der
Quattrocentokunst von der des Trecento größer erscheinen, als er
es in der That ist. Das Wesentliche bleibt doch immer die volks-
thümliche Religionsanschauung, der Geist, welcher die Kunst
Schlußbetrachtung. 571
beseelt — und dieser, wie wir ihn unter dem Einflüsse und im
Zusammenhange mit dem Franziskanerthum betrachtet haben, ist
durch alle äußerlichen Modifikationen und Wandlungen hindurch
derselbe — von jener typisirenden Richtung des XIII. und XIV. Jahr-
hunderts an, welche den Affekt aus Mangel an Naturkenntniß nur
in mehr oder weniger allgemeiner Form zum Ausdruck bringt,
durch die naturalistische Kunst des Quattrocento, welche mit der
Form das Individuelle zur Hauptsache macht, hindurch zu der lichten
Höhe der Blüthezeit, in welcher die siegreich beherrschte Form den
Ideen dienstbar, die Form zum adäquaten Ausdruck des Inhalts wird.
Trotz des Einflusses der Antike ist auch im Quattrocento die
Kunst eine rein christliche. Sie nimmt von der Antike an , was
ihr heilsam ist , bleibt aber doch , was sie ist. Wo antike Stoffe
benutzt worden sind , geschah es nur aus Kuriosität , ja , es war,
wenn man will, eine Abirrung. So ist auch die Zahl antik-mytho-
logischer oder geschichtlicher Darstellungen eine verschwindend
geringe. Erst als die Höhe überschritten ist, im XVI. Jahrhundert,
beginnt das Antikisiren im eigentlichen , zu gehaltloser Spielerei
führenden Sinne. Daß die Architektur, in der das formale Element
überwiegt, am stärksten von der humanistischen Begeisterung be-
einflußt wird, erklärt sich leicht, daß aber auch in ihr im Wesent-
Hchen schon vorhandene Prinzipien , vor Allem das einer freieren
Harmonie der Raumverhältnisse, nur weiter gebildet werden, haben
wir gesehen.
So gestaltet sich nach Allem die Anschauung der Entwicklung
der Renaissancekunst von 1200 bis 1500 als eine ihrem innersten
Wesen nach einheitliche , nur in zwei Phasen sich vollziehende,
deren zweiter das Eintreten antiken formalen Einflusses wesentlich ist.
In eben jenen Jahren aber, in denen die Kraft der durch Fran-
ziskus innerhalb der katholischen Geschichte vollzogenen Reform
in ewigen Meisterwerken der Kunst ihre herrlichsten Früchte erzielte,
empfing Luther in Rom die bestimmenden Eindrücke, die ihn zum
Protestanten machten. Drei Jahrhunderte nach Franz verlangte
das Volk eine 'neue Reform , und diesmal sollte die katholische
Kirche diese nicht mehr zu der ihren machen. Zu groß war die Kluft
geworden, als daß man sich über sie hinweg hätte vereinigen
können — und das Volk , welches sich diesmal erhob , war das
germanische. Ein anderer Reformator auch als Franz war Luther.
So tief in seinem Erleben, so begeistert von seinem Christenthum,
C72 Schlußbetrachtung.
so ganz erfüllt von seiner Glaubensüberzeugung, wie Jener, aber eben
als der Sohn einer anderen Zeit und eines anderen Volkes ein so
ganz Anderer: ein mit allen Waffen des Geistes gewappneter Streiter,
der voll heiligen Zornes gegen den Trug und den Mißbrauch aus-
zog, zu gleicher Zeit vernichtend und aufbauend — er vielmehr
als Franz jenem Engel der Apokalypse zu vergleichen ! Und doch
Eines haben die beiden größten Nachfolger Christi gemeinsam :
die übergewaltige Gefühlsmacht , mit der sie Wunder gewirkt.
Nicht in einem Athem mit ihnen darf man jenen finstern Zeit-
genossen Luther's: Ignatius Loyola nennen, wenn schon auch ihm
der Beiname eines Reformators hat verliehen werden können. Was
er gewesen und gewollt, kann Jeder errathen, der die prunkvolle,
übertrieben erregte und doch an wahrer Empfindung arme Kunst
der Jesuiten und der Gegenreformation , die bis ins XVII. Jahr-
hundert in den katholischen Ländern geherrscht, betrachtet. Auch
sie hat wohl Großes, Merkwürdiges hervorgebracht, aber es fehlt
ihr die ernste Weihe innerer Wahrhaftigkeit, welche die in Luther
und in Franz gipfelnden Bewegungen ihren geistigen Erzeugnissen
verliehen. Denn wie sich an Franz die Entfaltung und Blüthe der
bildenden Kunst, so schließt sich an Luther diejenige einer anderen
Kunst, der Musik. Wie in Giotto die begeisterte Gefühlskraft des
Franziskus, so hat in Bach die tiefe Glaubensmacht Luther's den
vollen, künstlerischen Ausdruck gefunden. Und wie auf Giotto die
große Zeit der italienischen bildenden Kunst, so folgt auf Bach
die gewaltige Entwicklung der deutschen Musik.
Franz und Luther! Wann wird der Dritte kommen .f* Die
Zeit ist reif und wer sein Ohr öffnet, der hört den verlangenden
Ruf des Volkes, diesmal des vierten Standes, der seine Rechte für
sich fordert. Was Anderes als neue Glaubenskraft , als neue
Kräftigung des Gefühles verlangt es} Wer hilft ihm.!* Die Mensch-
heit bedarf von Neuem eines Franziskus, eines Luther !
ANHANG
I. Die Quellen zur Geschichte des Franz. ^)
Vier Lebensbeschreibungen des Franz von Assisi sind uns aus dem
XIII. Jahrhundert erhalten , und diese allein , die ersten drei noch von
seinen Zeitgenossen geschrieben, dürfen die Grundlage einer histo-
rischen Betrachtung bilden, wenn auch vergleichend die Mittheilungen
vor allem des Jordanus von Giano, dann einiger anderer Schriftsteller
der Zeit, wie Jacobus de Voragine, Matthäus Paris, Jordanus, Vincentius
von Beauvais, Jacobus de Vitriaco herzugezogen werden müssen. Erst
seit kurzer Zeit ist die historische Kritik auch auf diesen Stoff angewandt
worden, nachdem durch Jahrhunderte hindurch in zahllosen Biographieen
des Heiligen ohne Auswahl die älteren Angaben des XIII. Jahrhunderts
mit den an neuen Erfindungen und Legenden reichen Darstellungen der
zwei folgenden Jahrhunderte vermischt worden waren und so ein buntes
Ganzes entstanden war. Die erste kritische Sichtung des im Laufe der
Zeit übermäßig angewachsenen Stoffes unternahm der gelehrte und sorg-
fältige Konstantin Suysken, als er in den Acta sanctorum (Antw. 1786.
T. II. p. 683 — 798) drei der älteren Biographieen neu publizirte und in
seinem Kommentar in Sonderheit die Angaben in Wadding's Annalen
einer genauen Prüfung unterzog. Blieb seine Auffassung des Franziskus
auch noch immer weit entfernt von der Würdigung der geschichtlichen
Persönlichkeit , so gebührt ihm doch der Dank für die einsichtsvolle
Verarbeitung und klärende Vergleichung der älteren Literatur. Ein weiterer
Schritt konnte erst von protestantischer Seite geschehen, wie ihn denn
Hase in seinem „Lebensbild des Franz von Assisi" (Leipzig 1856) that.
Dem hervorragenden Geschichtsschreiber der christlichen Kirche und Vor-
kämpfer freier protestantischer Forschung gelang es, mit kühner und
sicherer Hand das dichte Netz unbewußter und willkürlicher Erdichtung
zu zerreißen und der geschichtlichen Betrachtung den freien, ungehinderten
^) Diesen Abschnitt habe ich unverändert , nur durch einige neuere litterarische
Angaben bereichert, stehen lassen, wie er in der ersten Auflage dieses Buches gegeben
war, und füge gesondert in einem zweiten Kapitel die Kritik der neueren Quellen-
forschung hinzu.
^^6 Anhang.
Ausblick auf das inhaltsreiche Leben des merkwürdigen Mannes zu er-
schließen. In entscheidender Weise verstand er es, die Umbildung wirk-
licher Vorgänge zu wunderbaren Ereignissen in der fortschaffenden Ein-
bildungskraft des Volkes und der die Absicht verrathenden lehrhaften
Anschauung der Franziskaner anschaulich darzulegen und aus der späteren
Legende den eigentlichen Kern loszulösen. Unter seiner Polemik aber,
so gerechtfertigt sie der katholischen Auffassung gegenüber war, hat doch
der unschuldige Veranlasser derselben, Franz selbst, etwas zu leiden
gehabt, hat dessen geistige und moralische Bedeutung nicht die volle
Würdigung erhalten, — der große Mensch verschwand zuweilen hinter
dem Gründer des Bettelmönchordens und behielt nicht immer die volle
Sympathie seines Biographen für sich. Größere Gewißheit über einzelne
Thatsachen des Lebens gewann dann Georg Voigt aus den Notizen der
„Denkwürdigkeiten des Minoriten Jordanus von Giano", die er 1870 in
dem V. Bd. der Abhandl. der phil.-hist, Klasse der K. Sächsischen Ge-
sellschaft der Wissenschaften zum ersten Male veröffentlichte, und Cristo-
fani aus den Urkunden seiner Heimathsstadt Assisi, die er in den „Storie
di Assisi" (II. Ausg. 1875. Assisi, Sensi) verwerthete. In letzter Zeit
erschien dann Ernest Renan's geistvolle Studie in den „nouvelles fitudes
d'histoire religieuse" (Paris, Ldvy 1884) und die vortreffliche, kurze
Biographie des Franz von Ruggero Bonghi (Cittä di Castello 1884), in
der ein klares, übersichtliches, von allen konfessionellen Streitigkeiten
absehendes Lebensbild entworfen wurde. Hier auch wurde, wenn auch
in sehr beschränkter Weise, zum ersten Male die zweite Legende des
Thomas von Celano verwerthet, die, obgleich 1806 in Rom publizirt,
früheren Schriftstellern entgangen war.
Wenden wir uns nun zu einer vergleichenden Betrachtung der ältesten
Quellen, so wird sich ergeben, daß man bisher die Beziehungen, die
zwischen ihnen bestehen, die doch von größter Wichtigkeit für ihre Be-
nutzung und Kritik sind, nicht richtig erkannt hat.
Die älteste ist unzweifelhaft die sogenannte I. vita von Thomas
von Celano, die, wie die Vorrede sagt, auf Befehl des Papstes Gregor IX.
von Einem geschrieben wurde, der viel „aus dem Munde des Franz selbst
gehört", anderes „von treuen und bewährten Zeugen" erfahren hat. Sie
ist, wie schon von Suysken, dessen Publikation in den Acta SS. Oct.
II. Bd. wir folgen, dann von allen späteren Biographen angenommen wird,
zwischen 1228 und 1230 geschrieben, da sie wohl die im ersteren Jahre
erfolgte Kanonisation, nicht aber die Uebertragung des Leichnams in die
neue Kirche S. Francesco (1230 erfolgt) enthält.^) Daß sie von Thomas
von Celano geschrieben sei, beruht auf keinem alten authentischen Zeug-
^) Neuere Ausgabe mit ital. Uebersetzung von Amoni. Rom 1880.
Die Quellen zur Geschichte des Franz. 577
nisse, sondern nur auf einer bei Wadding zuerst aufgestellten Vermuthung,
der aber die größte Wahrscheinlichkeit nicht abzusprechen ist. ^) Wenn
Tholuck in den Vermischten Schriften (Th. I. S. iio) sie dem Johannes
oder Thomas von Ceperano, einem römischen Notar, zuweisen möchte, so
ist dem zu entgegnen, daß wir bis jetzt noch vollständig im Unklaren über
die Existenz dieses Mannes sind. Zwar hat Voigt als Titel eines Buches
bei Potthast (Bibl. Hist. p. 707): „speculum vitae S. Francisci, auctore
Th. Ceperano ed. Bosquierius, Coloniae 1623, in 8*^" gefunden, und die
Angabe, daß dieser 1245 gelebt (a. a. O. S. 455). Doch bezweifelt
schon Bonghi (S. 88) die Richtigkeit dieser Angabe, indem er darauf
hinweist, daß Suysken (a. a. O. p. 550) offenbar dasselbe Werk unter
anderm Titel angiebt: „Antiquitates Franciscanae seu speculum vitae beati
Francisci et sociorum ejus, auctoribus FF. Fabiano et Hugelino et aliis
minoritis D. Francisco coaevis. Bosquierius. 1623." Hase, dem es selbst
vorgekommen zu sein scheint, nennt es, ohne den Titel anzugeben, eine
,freie Ueberarbeitung' des älteren Speculum. (S. 15. A.) Die BoUan-
disten wissen aus einer alten Chronik, daß jener Tommaso da Ceperano
für Crescentius eine Legende geschrieben, und stimmen darin mit Wad-
ding überein, fügen aber nach derselben Quelle hinzu, daß dieselbe von
einem Fr. Francesco da Bessa ergänzt worden sei, während Wadding
davon weiß, daß ein Bernardo da Bessa selbstständig eine längere Legende
geschrieben. Sei dem wie ihm sei, wir werden sehen, daß uns schwer-
lich irgend eine wichtige vita fehlt, daß die nicht erhaltenen Biographieen
wahrscheinlicher Weise nichts Anderes als Wiederholungen der dem
Thomas von Celano ' zugeschriebenen gewesen. Auf Eines aber ist schon
hier aufmerksam zu machen, daß stilistisch ein entschiedener Unterschied
zwischen der I. und II. vita des Thomas von Celano besteht, der Satzbau
und die Ausdrucksvveise in der ersteren ungemein einfach und klar, in
der zweiten schwülstig und verworren ist, was aber wohl seine Erklärung
darin finden mag, daß die I. Legende als reine Erzählung besonders für
das Volk, die II. Legende als Charakteristik des Franz für die gebildeteren
Kreise geschrieben war. Es ist sehr wahrscheinlich , wie Bonghi will,
daß dieser Thomas von Celano einer von den gelehrten Leuten war, die
nach der I. Legende in den Orden eintraten, als Franz von seiner Reise
nach Spanien zurückkehrte.
Die I. vita nun , die von allen den größten Anspruch auf Glaub-
^) Den verschiedenen Nachrichten zufolge hatte Thomas vier Legenden geschrieben,
I. kurz für den Chorgebrauch (wohl die nach Codex in Assisi bei Papini: Notizie
sicure della morte di S. F. Foligno 1824. S 239), 2. eine auf Befehl Gregor's IX.
(die man in der unsrigen erkennt), 3. eine auf Antrieb des Crescentius 1244 (nach
Salimbene Chron. Parma 1857, p. 60, wie man annimmt: die sogen. II. vita des
Thomas) , 4. eine auf Antrieb des Joannes Parmensis , der 1 247 Generalminister wird.
Thode, Franz von Assisi. 37
5/8 Anhang.
Würdigkeit hat, fand eine fast getreue Nachfolge in einer anonymen
Legende, die Suysken in einem Codex eines Isaak Vossius gefunden und
in seinem Kommentar mit verwerthet hat. Dieselbe ist nach 1230 ge-
schrieben, da sie die Uebertragung des Leichnams enthält, hat aber
nur für diesen einen Punkt originale Bedeutung. Ebenso ist das latei-
nische Carmen, das Cristofani nach einem Codex in Assisi publizirt hat
(II piü antico poema della vita di S. F. d' Assisi. Prato 1882), Nichts
als eine Versifizirung der L vita. Wenn er annimmt, es sei vor 1230
entstanden, so muß ich ihm mit Bonghi widersprechen, da es ganz
zweifellos ist, daß der Dichter, nur verschwindend weniges Neues hinzu-
fügend, sich eben ganz an Thomas hält und so mit demselben Zeitpunkt
wie Dieser abschließt. Auch die Dedikation an Gregor IX, kann, jener
vita nachgebildet, nicht bestimmend für die zeitliche Fixirung sein. Da-
gegen scheint es mir sehr beachtenswerth, daß, wenn auch, wie Cristofani
bemerkt, Elias öfters mit Verehrung genannt wird, doch die so überaus
wichtige, Demselben vom sterbenden Franz ertheilte Segnung weggelassen
ist, was offenbar ebenso wenig zufällig ist, wie in der späteren vita. Der
Dichter schrieb also schon zu einer Zeit, in der des Elias Abfall vom
Orden bereits sich vollzogen, also sicher nach 1239, in welchem Jahre
er abgesetzt worden ist. Ob jener Frate Giovanni da Kant, der 1243
ein ehemals in der Bibliothek von S. Croce befindliches Gedicht „de
mysteriis rerum quae fiunt in Ecclesia" verfaßte und 1256 als Kaplan
Alexander's IV. Diesem ein Gedicht über das Leben der Chiara widmete,
das seinerseits, wie Cristofani sagt, in hohem Grade mit der Legende
der Heiligen übereinstimmt, auch Verfasser unseres Poems ist, scheint
mir mit Cristofani sehr wahrscheinlich , wenn auch noch nicht erwiesen.
Auch Bonghi, der Zweifel daran zu haben scheint, sieht einen Ausländer
in ihm. ^) Da er aber nur das von Thomas schon Gesagte wiederholt,
kommt er für die Forschung so gut wie gar nicht in Betracht.
Einen neuen Anstoß erhielt die Lebensschilderung Franzens durch
den Generalminister Crescentius, der 1244 auf dem Generalkapitel zu
Genua verschiedene Jünger des Heiligen aufforderte , neues Material für
Biographieen zu sammeln. Auf diesen Antrieb hin erschien die so-
genannte II. vita des Thomas von Celano, als „Memoriale in
Desiderio Animae de gestis et verbis sanctissimi patris nostri Francisci",
die bis 1246 vollendet gewesen sein muß, da sie von den gleich zu
erwähnenden „tres socii" benutzt wird. Sie ward zum ersten Male 1806
^) Von 1230 an ist er Provinzialminister von Sachsen, kleidet 1234 die h. Agnes
von Böhmen zur Aebtissin ihres Klosters ein, sammelt 1246 Subsidien für die Kirche
in England und ist 1256 Kaplan Alexander's IV. — Vergl. unten im folgenden Kapitel
S. 593 ^ic "leue über den Verf. Henricus Pisanus aufgestellte Hypothese.
Die Quellen zur Geschichte des Franz. 579
in Rom, dann, was auch Bonghi entgangen, vom Canonico Amoni 1880
mit italienischer Uebersetzung publizirt. Zu gleicher Zeit, nur etwas später,
an den III. Id. des August 1246 in Greccio vollendeten die drei Jünger
des Franz: Fr. Leone, Fr. Rufino und Fr. Angelo ihre „Legen da", die
zuerst von den BoUandisten (Acta SS. Oct. IL S. 725), dann 1831 in
Pesaro (Nobili), 1856 in Recanati (Morici, ital. Uebers.), 1880 mit einer
alten ital. Uebersetzung vom Canonico Amoni publizirt wurde. ^)
Endlich 1 2 6 1 schrieb Bonaventura auf Bitten des Generalkapitels
zu Narbonne im J. 1260 seine „vita", die fortan als die eigentlich
klassische zahlreiche Ausgaben erlebt hat.
Wie verhalten sich nun diese vier Lebensbeschreibungen zu ein-
ander? Es lag wohl in dem Stoffe selbst, daß schon der erste Biograph,
statt eine zusammenhängende historische Schilderung des Lebensganges
zu geben, diesen zusammenhängend eigentlich nur bis zu des Franz
Rückkehr von Rom, wo er von Innocenz die Erlaubniß zu predigen
erhalten, erzählt Dann kommt er auf die Wesenseigenthümlichkeiten des
Heiligen zu sprechen und ordnet die äußeren Begebenheiten den aus jenen
gewonnenen größeren Gesichtspunkten unter, bis er mit der Schilderung
der Stigmatisation im IL Buche wieder den historischen Faden aufnimmt
und nun bis zum Tode und zur Kanonisation des Franz fortspinnt. Dann
zählt er die nach dem Ableben erfolgten Wunder auf. Seine Schreib-
weise ist einfach natürlich.
Die IL Legende soll ein Nachtrag sein. Sie vermeidet es, irgend
etwas in der ersten Gesagtes zu wiederholen und bringt durchweg Neues,
und zwar im ersten kürzeren Theile zur Bekehrungsgeschichte des Franz,
im IL und III. Theile zu einer durch zahlreiche kleine Geschichten illustrirten
eingehenderen Würdigung der hervorragenden Tugenden Desselben. Da
handelt es sich zunächst um die Gaben der Weissagung (der ganze
IL Theil), dann um die Armuth (III, Kap. i — 28), die Mildthätigkeit (III,
29 — 37) > das Beten (III, 38 — 44), sein Verhältniß zur h. Schrift (III,
45 — 48), die Art und Wirkung seiner Predigt (III, 49 — 54), sein Ver-
hältniß zu den Frauen (III, 55 — 56), seine Standhaftigkeit gegenüber
Versuchungen (III, 57-64), die Fröhlichkeit seines Geistes (III, 65 — 70),
seinen Abscheu vor Heuchelei und Hochmuth (III , 70 — 73), seine
Demuth (III, 74 — 87), seinen Gehorsam (III, 88 — 94), seine Abneigung
vor Müßiggang (95 — 98), seine Anschauung vom Priesterthum (99 — 100),
seine Liebe zur Natur (loi — 107), seine Liebe zu den Menschen (108
^) Neuerdings 1898 von Faloci Pulignani in Foligno. — In den Acta SS. lautet
das Datum 1247; doch ist, wie schon Wadding nachgewiesen, 1246 richtiger, da Cres-
centius 1247 stirbt. In des Amoni Ausgabe ist im lateinischen Text 1246 offenbar
durch Druckfehler in 1266, im italienischen in 1226 verwandelt.
37^
58o Anhang.
bis 115), zu seinem Orden (116 — 124), seine Verehrung für Christus,
Maria, Engel und Heilige (125 — 131), die Auffassung der Mönchsregel
(132 — 136). Daran schließt sich endlich die Erzählung von seinem Ende
und ein im Namen der Genossen ausgesprochenes Gebet. In demselben
heißt es: „Supplicamus etiam toto cordis affectu, benignissime pater pro
illo filio tuo, qui nunc et olim devotus tua scripsit praeconia." Daraus
geht hervor, daß auch jene erste Legende von Demselben, also wohl
sicher von Thomas von Celano stammt. Aus einer Stelle des Vorworts
aber, die so lautet: „Continet in primis hoc opusculum quaedam conver-
sionis facta mirifica, quae in legendis dudum de ipso confectis non
fuerunt apposita, quoniam ad auctoris notitiam minime pervenerunt",
läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit schließen, daß die früheren
Legenden, vermuthlich jene I. vita und die kürzere für den Chorgebrauch,
von Einem Autor, d. h. Thomas von Celano waren, zugleich aber, daß
die „legenda trium sociorum" noch nicht existirte.
Auch ein Vergleich der letzteren mit der II. vita ergiebt mit Sicher-
heit, daß die Tres socii später schreiben, da sie alle jene neuen Fakta
der Bekehrungsgeschichte der II. Legende, zum Theil im Wortlaute an-
klingend, meist ausführlicher und in einem feiner verarbeiteten Zusammen-
hang wiederbringen, ihrerseits aber Vieles hinzufügen, was Thomas nicht
hat. Dabei gehen sie von einem etwas anderen Standpunkte aus, indem
sie absichtlich , wie in der Vorrede betont wird ^) , weniger Gewicht auf
die Wunder legen, als auf die pragmatische Verknüpfung der Umstände
und Begebenheiten in der Bekehrungsgeschichte, die demnach auch den
größten Theil ihres Buches einnimmt und eine geschichtliche Verarbei-
tung der Berichte der I. und II. Legende, sowie einiger neuer Thatsachen
bringt. Dabei zeigen sie sich wohl unterrichtet über die Ordensangelegen-
heiten, über die Bestätigung der Regel durch Honorius III., über die
Aussendung der Minister, des Generalkapitels von 12 19. Ihre Berichte
beruhen zum Theil nach ihrer eigenen Angabe auf Mittheilungen der
Brüder Philippus, lUuminatus de Reate, Masseus de Marignano und Jo-
hannes, der indirekt durch Fr. Aegidius Manches von Franz erfahren.
Bonaventura endlich faßte, was bei der geringen Berücksichtigung
der IL Legende bisher nicht erkannt worden, die drei erwähnten Bio-
graphieen zusammen und baute aus ihnen die seinige auf. Ein in's Ein-
zelne gehender Vergleich beweist , wie genau , zum großen Theile wört-
lich, er sich an die II. Legende gehalten, deren Erzählungen er nur in
einen anderen Zusammenhang bringt. Mit größter Kunstfertigkeit hat
er alle zusammen gewebt, so daß es den Anschein hat, als hätte er
^) Non content! narrare solum miracula, quae sanctitatem non faciunt sed ostendunt,
sed etiam secretae conversationis ejus insignia.
Die Quellen zur Geschichte des Franz. 58 1
frei geschaffen und komponirt, während er doch im Wesentlichen überall
selbst in allgemeinen Betrachtungen nur die älteren Ideen und Worte
wiederholt. Dabei ist es denn höchst interessant zu sehen, wie, ab-
gesehen von den Wundern, die Thomas als solche selbst schon bringt,
auch die bei Jenem noch einfachen Begebenheiten in wunderbare ver-
wandelt werden, wie Alles und Jedes eine Vorbedeutung, einen geheimen
Sinn, eine wunderbare Beziehung zu anderen Dingen erhält, worauf wir
oben oft im Einzelnen zu sprechen gekommen sind. Verwundern könnte
es, daß Bonaventura nirgends seine doch so gründlich ausgenutzten Quellen
zitirt hat und sich begnügt, nur auf seinen Verkehr mit Zeitgenossen des
Franz in Assisi hinzuweisen, doch muß man bedenken, daß jene älteren,
Viten wohlbekannt waren und ihre Ausnutzung ganz selbstverständlich
erscheinen mußte. Was Bonaventura neu hinzubringt, ist vergleichsweise
wenig, verdient aber hier kurz aufgezählt zu werden, da eine Kritik
darauf Rücksicht zu nehmen hat:
Kap. I. 6. Die Kreuzerscheinung, die Franz vor seiner eigentlichen Be-
kehrung zu Theil wird, angeblich von ihm selbst vor seinem Tode
mitgetheilt.
Kap. II. 4. Wie der Bischof ihm nach der Lossagung vom Vater das
kreuzförmige Gewand übergiebt.
Kap. IL 5. Wie er von Rom heimkehrend durch den Kuß einen Aus-
sätzigen heilt.
Kap. III. 4. Die Erweiterung der Vision des Silvester. Da flüchtet vor
dem Anblick des Franz , aus dessen Mund ein riesiges Kreuz aus-
geht, ein Drache.
Kap. III. 7. Der Traum des Papstes Innocenz von der wachsenden Palme.
Kap. IV. 7. Das Mitleid, das ein Sarazene über zwei Brüder empfindet.
Kap. IV. 8. Wie Franz den Kreuzträger Moricus in Assisi durch das
Oel einer geweihten Lanze heilt.
Kap. IV. 9. Von der Vorliebe des Franz für das Zeichen des Thau.
Kap. IV. IG. Von der wunderbaren Speisung der 5000 zum Kapitel
versammelten Brüder.
Kap. IV. II. Wie er die von Elias verlorene Regel nochmals schreibt.
Kap. V. IG. Wie ihm, in den Sümpfen bei Padua irrend, in der Nacht
der Weg durch himmlisches Licht erhellt wird.
Kap. VII. IG. Wie er bei Reate, einen Arzt zu belohnen, in wunder-
barer Weise dessen zerfallenes Haus herstellt.
Kap. VIII. 5. Wie ihm einst bei Siena eine Heerde Schaafe zuläuft
Kap. VIII. 6. Wie das Schaf, das er bei sich hielt, die Messe mitfeierte.
Kap. VIII. 8. Wie er in den venezianischen Sümpfen Vögel schweigen
macht.
582 Anhang.
Kap. VIII. II. Wie ihn die Vögel begrüßen, als er auf dem Berge
Alvernia anlangt,
Kap. IX. 2. Sein Fasten zu Ehren des Petrus und Paulus.
Kap. IX. 6. 7. Wie der Sultan befohlen, jeden Christen zu enthaupten.
Auch wird hier zuerst erwähnt, daß der ihn nach Egypten be-
gleitende Bruder lUuminatus war. Ferner ist die Erzählung von der
Feuerprobe neu.
Kap. X. 3. Wie die Brüder ihn in Kreuzesform über die Erde erhoben
sehen.
Kap. XI. 4. Die Geschichte vom Edlen von Celano.
Kap. XI. 7. Wie er die Gedanken eines zweifelnden Freundes erräth.
Kap. XII, 2. Wie er von Silvester und Chiara bewogen wird, zu predigen.
Kap. XII. 5. Wie ein Scholar in Paris eine Schwalbe schweigen macht
im Namen des Franz.
Kap. XII. 6. Wie er bei Gaeta vom Schiffe predigt.
Kap. XII. 7. Wie er vor Honorius predigen soll und seine Predigt ganz
vergessen hat.
Kap. XII. 10. Heilung des Knaben in Reate.
Kap. XII. II. Heilung des Knaben in Orte.
Kap. XII. 13. Heilung des Mädchens in Bevagna.
Kap. XII. 15. Heilung des Knaben in Bologna.
Kap. XII. 17. Heilung des Besessenen in Cittä di Castello.
Kap. XIII. 4. Wie er dem Bruder Illuminatus das Wunder der Stigmati-
sation erzählt.
Kap. XIII. 6. Wie durch das Blut seiner Wunden im Gebiete von Reate
die Thiere geheilt wurden.
Kap. XIII. 7. Wie das schlimme Wetter in der Gegend von Alvernia
nach der Stigmatisation aufhört,
Kap. XIII. 8. Wie er durch seine Berührung einem halb erfrorenen
Bauern die Wärme wieder giebt.
Kap. XIV. 2. Wie er in der Krankheit die Versuchung eines Bruders
abweist,
Kap. XIV. 7. Wie die Schwalben seinen Tod feiern.
Kap. XV. 4. Die Bekehrung des Hieronymus.
Kap. XV. 5. Die Beisetzung in S. Giorgio.
Kap. XVI. 2. Die Vision Gregor's IX., sowie einige Wunder.
Zweierlei ergiebt sich hieraus: daß Bonaventura besonders reichlich
Nachrichten aus Reate erhielt und dann, daß er direkt oder indirekt
Mancherlei vom Fra Illuminatus gehört. In der allgemeinen Anlage hält
er sich an das Vorbild der I. Legende und der Tres socii und erzählt
historisch zusammenhängend das Leben nur bis zu Franz' Rückkehr von
Rom und Niederlassung bei S. Maria degli Angeli. Dann faßt er das
Die Quellen zur Geschichte des Franz. 583
Uebrige, wie die I. und 11. Legende, unter allgemeine Gesichtspunkte
zusammen, indem er von der Strenge seines Lebens, seiner Demuth,
seinem Gehorsam, seiner Armuth, seiner Liebe zur Natur und den Menschen
wie zu Gott, seiner Freudigkeit für den Herrn zu leiden, von der Art
und Wirkung seines Gebetes, der Kenntniß der heiligen Schrift und der
Gabe der Prophezeiung, von seiner Predigt und Wunderkraft spricht,
woran sich schließlich die Erzählung der Stigmatisation , seiner letzten
Tage, seiner Kanonisation und Uebertragung und, wie in der I. Legende,
die Aufzählung der nach dem Tode bewirkten Wunder schließt. Die
poetische Anschauungsart, die lebendige bildliche Darstellung, die bilder-
reiche Sprache machen das Ganze zu einem wohllautenden, von innigster
Empfindung durchglühten Gedichte. Das W'ichtigste, was der Vergleich mit
den früheren Viten ergiebt, ist dies, daß Bonaventura Das, was er neu bringt,
thatsächlich selbst hinzufügt, nicht etwa irgend einer unbekannten älteren
vita entlehnt, und daraus wiederum ist man berechtigt zu schließen, daß der
wesentliche Inhalt der Legendenschreibung vor ihm in den drei älteren Bio-
graphieen zu finden ist. Mag es demnach auch noch andere Viten von jenem
Thomas (?) de Ceperano oder Bernardo di Bessa gegeben haben, so wird in
ihnen schwerlich viel Anderes enthalten gewesen sein, als wir aus den drei
älteren Legenden wissen, sonst hätte es Bonaventura sicher mit ver\verthet.
Daß Dieser aber mit Vorsicht von der Forschung zu benutzen, das
Hauptgewicht derselben auf die erste Legende des Thomas zu verlegen
ist, ergiebt sich aus dem Gesagten von selbst.
Wie aber von Bonaventura die ältere zeitgenössische Biographie
des Franz, so ward wiederum seine vita in den folgenden zwei Jahr-
hunderten mannigfach umgewandelt durch Männer, für die es sich gar
nicht mehr um das Historische, sondern rein um das W'underleben eines
durch die Zeit immer mehr dem menschlichen Treiben entrückten Heiligen
handelte. Da entstanden zunächst im XIV. Jahrhunderte jene reizvollen
„fioretti di San Francesco"^), die in einfacher volksthümlicher Sprache,
vielleicht beredter als alles Andere, durch Jahrhunderte hindurch dem
Volke von dem geliebten Manne erzählen, der es so gut mit Allen ge-
meint — in denen Dessen Geist vielleicht wahrhaftiger und lebendiger
fortgelebt hat, als in allen anderen Zeugnissen. Dann schrieb in schroffem
Gegensatze zu diesem lieblichen Buche Bartholomäus seine gekünstelten
„ Conformitates b. Ser. Patris Francisci ad vitam Jesu Christi"^), die, von
^) Erste Ausgabe Vicenza 1476. 4, der zahlreiche andere namentlich in Venedig
bald folgen. Ich benutze die Ausgabe Florenz (Tartini) 171 8. Verschiedene neuere
Ausgaben. Lat. Ausgabe: Floretum S. Francisci. Ed. Sabatier, Paris.
^) 1399 ^o™ Generalkapitel genehmigt. Erste Ausgabe ohne Jahreszahl in Venedig.
Dann Mailand 15 10 (Gotardus Ponticus). Femer von Mapellus hsg. 15 13 Mailand, —
die von mir benutzte. Endlich von Bucchius 1590, Bologna.
584 Anhang.
der gewiß berechtigten Anschauung der großen Verwandtschaft zwischen
Christus und Franziskus ausgehend, in spitzfindigster, dürrster Weise die
Aehnlichkeit auch in dem Lebenslauf Beider erzwingen. Mit Recht
empörte sich dagegen der jugendlich kräftige lutherische Protestantismus,
und Luther selbst schrieb die Vorrede zu dem Büchlein: „Der Barfuser
Münche Eulenspiegel und Alcoran"^), in dem die Behauptungen des
Bartholomäus mit meist sehr kurzen, aber nicht sehr zartfühlenden An-
merkungen versehen sind, und der Teufel bei Weitem mehr, als der liebe
Gott sich mit Franz zu thun macht. -) — Eine ähnliche Erbitterung
athmet ein anderes, wenig bekanntes Büchlein, das zuerst 17 01 in
Amsterdam als „Les avantures de la Madona et de Fran^ois d'Assisi",
dann öfters 1707, 1745, 1750, endlich 1882 neu erschien unter dem
Titel: „Les aventures galantes de la Madone avec ses d^vots suivies
de Celles de Fran^ois d'Assisi par J. B. Renoult. Paris." Darin wird
mit dem tiefsten Hasse gegen das Papstthum die Verehrung der „rö-
mischen" Madonna, dann ohne jedes Gefühl von Schonung und Ge-
rechtigkeit der Glaube an den heiligen Franz, dessen Stigmatisation und
den Portiunculaablaß gegeißelt. — Erst dem XV. Jahrhundert scheint das
„Speculum vitae B. Francisci et sociorum ejus"^) anzugehören, das noch
bis auf die jüngsten Zeiten eine unberechtigte Rolle in den Biographieen
spielt, obgleich ich darauf hinweisen möchte, daß Manches, von dem
man bisher annahm, es erscheine erst hier, doch auf die II. Legende
des Thomas zurückgeht.
Bald entstehen auch die ersten Chroniken des Ordens, so zuerst die
, Chronica viginti quattuor generalium ordinis S. F."*), die vermuthlich
noch im XIV. Jahrhundert geschrieben wurde, dann die noch nicht ver-
öffentlichte, von Wadding und Suysken im Manuskript benutzte des
Marianus Florentinus, die bis i486 reicht, dann die „Seraphica historia"
des Petrus Rodulphus vom Jahre 1586^), des Marco da Lisboa Chronik
^) Erste von mir benutzte Ausgabe: Hans Lufft, Wittenberg 1542, 4. — Freie
Uebertragung von Capeila, Frankfurt 1542. — Abdruck: Deventer 165 1. — Ferner die
bei Hase angegebenen französischen Fortbildungen: L'Alcoran des Cordeliers. Genf
1556, 1560, 1578, 1589. — Geschrieben von Erasmus Alberus.
^) Dagegen wieder Sedulius : Apologeticus adv. Alcoranum Franciscanorum , Ant-
werpen 1607.
^) Erste Ausgabe Venedig 1504 (Simon de Luere). Abdruck: Metis 1590. —
Freie Ueberarbeitungen nach Hase: Spoelberch, Antwerpen 1620 und die erwähnte von
Bosquierius, Köln 1623. — S. Näheres hierüber im folgenden Kapitel.
*) S. jetzt in den Analecta Francescana III, 328 ff.
^) Historiarum Seraphicae religionis libri III a F. Petro Rodulphio Tossinianensi
Con, Fran. Venetiis apud Franciscum de Franciscis Senensem 1586. Ich fand das
seltene Buch in der Wiener Hofbibliothek.
Die Quellen zur Geschichte des Franz. 585
aus der Mitte des XVI. Jahrhunderts in spanischer Sprache ^), des Franzis-
kus Gonzaga „opus de origine Seraphicae religionis Franciscanae" (Venedig
1603), in der eine Besprechung aller der Klöster der Minoriten sich
findet. Weiter das große Annalenwerk des Lukas Wadding, das 1625 in
Lugdunum in acht Bänden, dann von J. M. Fonseca herausgegeben in
zweiter Auflage in 18 Bänden 1731 in Rom erschien. Femer des
Fortunatus Hueber: „Menologium", München 1698, des Sedulius „Historia
seraphica B. P. Francisci, Antwerpen" aus dem Anfange des XVII. Jahr-
hunderts und desselben „Imagines".
Daneben entstehen in der Folgezeit dann eine ganze Anzahl
von Biographieen , an deren Spitze ein Gedicht in Hexametern zu er-
wähnen ist: „Seraphicae in divi Francisci vitam Christiano Carmine
editae, Cracoviae 1594", das ähnlich wie jenes ältere im Stile der
Aeneis anhebt:
Inclyta magnanimi canimus ducis acta Minorum.
Die umfassendste Lebensbeschreibung bringt zuerst Candide Cha-
lippe: La vie de S. Frangois, Paris 1728, die 1837 in einer Uebersetzung
in Rom neu erschien. Später des Papini : Storia di S. Francesco. Fo-
ligno 1825.
Fast zu gleicher Zeit erschienen die Bücher des Chavin de Malan:
Histoire de S. Frangois, Paris 1841 und des Vogt: H. Franz, Tübingen
1840, von denen das erstere, besonders verbreitet, 1879 in einer italie-
nischen Uebersetzung von Cesare Guasti erschienen ist, die mannig-
facher Verbesserungen wegen vorzuziehen ist. Daneben verdienen noch
Delecluze : St. Gregoire VII. , St. Frangois et Thomas d'Aquin , Paris,
Labitte, 1 844 ; F. Prudenzano : Francesco d'Assisi e il suo secolo, Napoli
1858 (IV. von mir benutzte Ausgabe 1882), das der Darstellung der Zeit
und des Einflusses, den Franz auf die Kultur, Politik und geistige Ent-
wicklung derselben gehabt, gewidmet ist, des L. Palomes : Storia di S. Fran-
cesco, Palermo 1874 und des Panfilo da Magliano: Storia compendiosa
di S. Francesco e de' Francescani, Rom 1874 — 76.
Zu berücksichtigen sind auch die verschiedenartigen Aufsätze der
von 1878 — 82 in fünf Bänden erschienenen Zeitschrift: II settimo cen-
tenario della nascitä di S. F. Assisi, Sensi. Alle die zuletzt erwähnten
Biographieen, vom katholischen Standpunkte geschrieben, sind in den Augen
des Forschers mehr Erbauungsbücher, als Geschichtswerke, so viel Gutes
und Treff"liches sie enthalten mögen. Natürlich ist mit den angegebenen
^) Marcus de Lisboa: Las tres partes de las Chronicas antiquas de la Orden
di S. Fr. Salamanca 1626. — Daga: Quarta parte de la Chronica Generals de n, P. S.
F. Valladolid 161 1. — Deutsche Uebers. durch Kurtz, München 1620.
586 Anhang.
Werken die ausgedehnte Franziskanerlitteratur bei weitem nicht erschöpft,
doch kommen sie allein im Wesentlichen in Betracht.-')
Die Werke des h. Franz , d. h. eine wenig Raum in Anspruch
nehmende Zusammenstellung seiner Regel , der Briefe , Poesieen , des
Testamentes und kürzerer Aussprüche, sind öfters publizirt worden: am
besten von de la Haye, Paris (Rouillard 1641, dasselbe Lyon 1653,
Abdruck Pedeponti 1739, den ich benutze), von Der Burg, Köln 1849
und zuletzt vom Collegium Bonaventurae, Quaracchi 1904.-)
Der Geschichtschreiber des Franz aber hat in erster Linie die
I. Legende des Thomas, in zweiter die spätere vita desselben und die
der Tres socii, in dritter des Bonaventura Werk zu berücksichtigen.
IL Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung.
I. Wie die Verwirrung entstand.
Seitdem die vorstehende Quellenkritik, die ich, wegen des besseren
Verständnisses für die seit 1885 angestellten Untersuchungen und im
Folgenden gebrachten Darlegungen, unverändert stehen lasse, von mir ge-
geben ward, ist eine große, ja kaum mehr übersehbare Litteratur über
die Quellenfrage entstanden. Bis jetzt, wie ich gleich vorausschicken
darf, mit sehr wenigen positiven Resultaten. Vielmehr ist durch vor-
gefaßte Meinungen und Hyperkritik eine Verwirrung hervorgebracht
worden, aus der es kaum mehr einen Ausweg zu geben schien — ein
trauriges Beispiel für die Verirrungen, in die man geräth, wenn man, auf
Neues erpicht und von bestimmten Voraussetzungen besessen, die nöthige
Rücksicht auf Traditionen bei Seite setzt und sich dem Einfachen und
natürlich Gegebenen verschließt.
Ich kann auf diese umfängliche Litteratur im Einzelnen nicht ein-
gehen, so wenig wie auf eine alles Einzelne berücksichtigende Kritik der
zahlreichen verschiedenen Hypothesen. Dies hieße ein zweites großes
und, wie mir dünkt, unnöthiges Buch schreiben. Auch liegt für mich,
da gerade mein Werk doch in gewissem Sinne den Anstoß zu allen
folgenden Erscheinungen gegeben hat, kein Grund vor, es durch kompen-
diöse Auseinandersetzungen mit diesen seines Charakters zu berauben
und den Leser durch das Labyrinth mit hindurchzuschleppen, sondern
^) Wer sich über die sonstige Litteratur unterrichten will , mag sich an Marcel-
lino's da Civezza: Saggio di Bibliografia, Prato 1879 wenden. Auch in der ital. Aus-
gabe von Chavin eine ausführlichere, wenn auch nicht komplete Zusammenstellung.
2) Aeltere Ausgaben: 1624 Salamanca, 1623 Antwerpen (Plantin, durch Lukas
Wadding), femer andere in Mailand und Alexandria. Die Kritik der Opuscula hat
neuerdings Walter Goetz am eingehendsten gegeben. Vergl. den folgenden Abschnitt.
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. tS?
es genügt, meine eigene Meinung, die ich mir aus dem qualvollen Studium
jener Untersuchungen und aus der erneuten Prüfung der Quellen gebildet
habe, in Kürze darzulegen.
Nur die wichtigsten Thatsachen der zuerst durch Sabatier aufgestellten
neuen Behauptungen und der dann weiter in Zustimmung und Kampf
hervorgerufenen Meinungen wollen verzeichnet sein. ^)
Der Ausgangspunkt von Sabatier's langem Irrwege, aus dessen
äußerster Sackgasse er selbst neuerdings wiederum umgedreht ist, war die
Wahrnehmung, daß Das, was das Vorwort der „Drei Genossen" verheißt,
von der ihnen zugeschriebenen Legende nicht erfüllt wird, daß es nicht
zu der Legende paßt. Es sagt nämlich: „non content! narrare solum
miracula, quae sanctitatem non faciunt sed ostendunt, sed etiam sanctae
conversationis ejus insignia, et pii beneplaciti voluntatem ostendere cu-
pientes, ad laudem et gloriam summi Dei et dicti Patris sanctissimi
atque aedificationem volentium ejus vestigia imitari, Quae tamen
per modum legendae non scribimus, cum dudum de vita
sua et miraculis, quae per eum Dominus operatus est,
sint confertae legendae. Sed velut de amoeno prato
quosdam flores, qui arbitrio nostro sunt pulchriores,
excerpimus, continuantem historiam non sequentes, sed
multa seriöse relinquentes, quae in praedictis legendis
sunt posita tarn veridico quam luculento sermone; quibus
haec pauca, quae scribimus, poteritis facere inseri, si vestra discretio
viderit esse justum. Credimus enim, quod si venerabilibus viris, qui prae-
fatas confecerunt legendas, haec nota fuissent, ea minima praeterissent,
nisi saltem pro parte ipsa suo decorassent eloquio, et posteris ad memo-
riam reliquissent."
Der folgende Text, statt diese Ankündigung wahr zu machen, statt
nämlich bloß neues Material in aneinandergereihten Einzelthatsachen und
-erzählungen („quosdam flores") den früher geschriebenen Legenden hinzu-
zufügen, bringt im Anschluß an des Thomas L Legende, wie diese, eine
fortlaufende Historie. Aus dieser Inkongruenz zog Sabatier den Schluß,
die Legenda trium sociorum läge unvollständig vor, und glaubte die nicht
erhaltenen Theile in dem Speculum vitae sancti francisci et sociorum
ejus zu erkennen.
In dem Speculum vitae (Ausgaben von 1504 und 1509) nämlich
unterschied er — und hier liegt das Verdienstvolle seiner Forschungen —
^) Einen Ueberblick geben : Michele Faloci Pulignani : Gli storici di S. Francesco.
Foligno 1899. — Walter Goetz: Franz von Assisi in „Neue Jahrbücher für das klass.
Alterthum, Geschichte und deutsche Litteratur" 1900. V.Band. — Salvatore Minocchi:
La quistione Francescana. Turin 1902.
588 Anhang.
jüngere und ältere Bestandtheile. Die letzteren, 1 1 8 Kapitel, stellte er auf
Grund eingehenden Studiums der Handschriften als das in diesen mit
„Speculum perfectionis" bezeichnete Werk fest und zugleich die Meinung
auf, dessen Verfasser sei Franzens vertrauter Schüler Leo, einer der Tres
socii. Den Beweis hierfür glaubte er durch folgende Thatsachen erbracht :
I. Ubertino da Casale (ungefähr 1259 — 1338), der leidenschaftliche Spi-
rituale, erwähnt in seinem Arbor vitae crucifixae Jesu (1305 verfaßt, Aus-
gabe Venedig 1485) öfters Aufzeichnungen Leo's über Franz. 2. Aus
zwei Kapiteln (i und 11) im Speculum geht hervor, daß dessen Verfasser
mit Franz auf einem Berge war , als Franz die Regel schrieb : und die
Begleiter Franzens damals waren Leo und ein andrer Bruder. 3. Einige
erhaltene Schriften Leo's stimmen geistig mit dem Speculum überein.
Hierzu kam die Entdeckung einer Notiz in der freilich aus dem XV. Jahr-
hundert stammenden Handschrift 1743 der Biblioth^que Mazarin in Paris,
welche besagt, daß das Speculum am 1 1 . Mai 1227 in S. Maria in Portiun-
cula vollendet wurde. (Da Sabatier selbst an die Richtigkeit dieser An-
gabe — die ganz ausgeschlossen ist — nicht mehr glaubt ^), brauchen
wir auf sie kein Gewicht zu legen.) Alle ausführlichen Darlegungen
Sabatier's findet man in seiner Ausgabe des Speculum: Speculum per-
fectionis seu S. Francisci Assisiensis Legenda antiquissima auctore fratre
Leone. Paris 1898.
Die Vermuthung, dieses angeblich von Leo verfaßte Speculum per-
fectionis habe den verschollenen Theil und damit den Hauptinhalt der
Legenda trium sociorum gebildet, d. h. Leo's ältere Schrift sei 1246 in
dieser gleichsam zum zweiten Male veröffentlicht worden, schien ihre volle
Bestätigung zu erhalten. Im Jahre 1856 hatte der Padre Stanislao Mel-
chiorri nach einem jetzt verlorenen Kodex, der von Achillei Muzio nach
einem älteren 1577 kopiert worden war, die Legenda trium sociorum
mit einem Appendix von 62 Kapiteln veröffentlicht (nach ihm Leopoldo
Amoni, Rom 1880). Die Padri Marcellino da Civezza und Teofilo
Domenichelli erkannten in dieser bereicherten Fassung die bisher vermißte
vollständige Legende der drei Genossen. Die Uebersetzung des italieni-
schen Textes jener hinzugefügten Kapitel in's Latein ergab die Überein-
stimmung mit den entsprechenden Erzählungen im Speculum perfectionis,
der Widerspruch zwischen dem Vorwort und dem Texte der Tres socii
war gehoben, denn eben jene einzelnen Erzählungen des Appendix waren
als „flores quidam" zu bezeichnen — kurz : die bisher bekannte Legenda
trium sociorum war nur ein Bruchstück, wie Sabatier vermuthet hatte, und
die wiederhergestellte vollständige Legende wurde von den beiden Padri
1899 herausgegeben: „La leggenda di S. Francesco scritta da tre suoi
^) Vergl. The Weekly Register 1900. p. 750.
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. 589
compagni pubblicata per la prima volta nella vera sua integritä dai Padri
Marcellino da Civezza e Teofilo Domenichelli, Roma. ^)
Hatten nun diese Behauptungen Recht, so trat eine vollständige Um-
kehrung des Verhältnisses der ältesten Quellen zu einander ein. Dann
mußte Thomas von Celano entthront und an seine Stelle der Bruder Leo,
resp. die Tres socii, gesetzt werden. Und so kam es auch : das Speculum
perfectionis wurde für die älteste und glaubwürdigste Quelle gehalten,
dann folgte die I. vita des Thomas, hierauf die Legenda trium sociorum
und zuletzt, abhängig von dieser, die II. vita des Thomas. Denn längst
war die vielfache Übereinstimmung der II. vita mit den Tres socii be-
kannt, und es ergab sich weiter, daß eine solche auch zwischen der
II. vita und den neu aufgefundenen Bestandtheilen der Tres socii herrscht.
Sabatier suchte ausführlich den Beweis zu führen, daß Thomas in seiner
IL Legende das Speculum verwerthet habe.
Die Folgerungen, die aus dieser „Umwerthung" der Quellen gezogen
wurden, waren weitgehende, aber wie mir scheint, übertriebene. Das
Licht , in dem Franz von Assisi , sein Wesen und Wollen im Speculum
erscheint, ist freilich ein etwas anderes, als das, in dem ihn uns die
I. vita des Thomas zeigt. Aber indem auf die Abweichungen ein viel
zu starkes Gewicht gelegt wurde, gewann der schon zu Lebzeiten des
Heiligen eingetretene Streit zwischen einer strengen und einer laxen Rich-
tung, der später zwischen den Spiritualen und Konventualen zu einem so
erbitterten ward und nicht aufgehört hat, die Anhänger des Mannes von
Assisi in zwei Lager zu scheiden, durch Sabatiers Behauptungen neues
und eigenthümliches Leben.
Hatte nämlich das Speculum als älteste Quelle, als Zeugniß eines
Franz ganz nahe stehenden, ganz in seine Intentionen eingeweihten Bru-
ders: des Leo, recht, so konnte die I. vita als eine Partheischrift, die, unter
dem Einfluß des Elias entstanden, die Sache der Laxen gegenüber den
Zelanten, deren Führer Leo war, vertrat, erscheinen, so haben die Spiri-
tualen recht gehabt, sich als die wahren Nachfolger des Franz zu be-
zeichnen, so war ihre zu Häresieen führende, der Kirche gefährliche und
von der Kirche bekämpfte Richtung das eigentliche Franziskanerthum. Die
in meinem Buche zuerst aufgestellte Behauptung, Franz habe an die
Waldenser angeknüpft, sein Christenthum sei der Kirche gefährlich gewesen
und nur der Weisheit Innocenz' III. und der positiven -Wesensanlage des
Heiligen habe die Kirche es verdankt, wenn diese gefahrdrohende Be-
wegung in ihr geheiligtes Bereich übergeleitet wurde", gewann eine mäch-
^) Vergl. Sabatier: De l'authenticite de la Legende de saint F. dite des trois
Compagnons. Revue historique. 1901. Bd. 75.
590 Anhang.
tige Bestätigung. Hatte ich es doch auf S. 370 (II. Auflage S. 398) direkt
ausgesprochen: „Die alte Häresie der Waldenser, aus der Franziskus selbst
hervorgegangen, scheint in dieser Zelantenbewegung (im Anfang des
XIV. Jahrhunderts) nur in veränderter Gestalt wieder ihr Haupt zu erheben,
was für die Auffassung des Franz selbst interessant genug ist. Er ist schließ-
lich doch nichts Anderes als ein von der Kirche zu Gnaden angenommener
Häretiker gewesen und Die , welche die ganze praktische Konsequenz
seiner Lehre zogen, mußten in offenen Widerspruch gegen die Hierarchie
gerathen." Wohl bemerkt! habe ich diese Auffassung gewonnen, ohne
das Speculum perfectionis als eine älteste und wichtigste Quelle zu be-
trachten, bloß auf Grund der I. und II. vita des Thomas ! Schon hieraus
kann man entnehmen, daß schließlich auf das Speculum nicht so viel an-
kommt, als man neuerdings, alle Fragen ungebührlich zuspitzend, behauptet.
In demselben Jahre wie mein Buch, 1885, erschien Karl Müller's
Arbeit: „Die Anfänge des Minoritenordens und der Bußbruderschaften".
In ihm ward die ursprüngliche Absicht des Franz dahin gedeutet, eine
Gemeinschaft und Art der Bußbruderschaften zu begründen als „eine freie
Vereinigung von Brüdern, Genossen, die durch das gemeinsame Band
eines religiösen Ideals von besonderer Färbung und vorzüglich eines und
desselben kirchlichen Berufs zusammengehalten sind." Meine und Müller's
Meinungen sind von Sabatier aufgenommen, aber in's Extreme getrieben
worden. Ich zitiere Walther Goetz: „Daß Franz ein Vorkämpfer einer
individualistischen Religiosität , ein Gegner der mittelalterlichen Kirche,
eine Art Vorreformator gewesen, knüpfte zwar enge an Gedanken Thode's
an, steigerte sie aber zugleich auf ein Bedenken erregendes Maß."
Sabatier gelangte dazu, Franz in einen Gegensatz zur Kurie gerathen
zu lassen, und Mandonnet^), der noch über Sabatier hinausging, machte
aus Franzens Absicht einer freien Vereinigung diejenige einer großen
Bruderschaft aller Seelen, einer franziskanischen Welt.
Es konnte nicht ausbleiben, daß gegen solche Meinungen energischer
Widerspruch sich erhob — ich nenne nur Raffaele Mariano: Francesco
d'Assisi e alcuni dei suoi piü recenti biografi, Neapel 1896, und Faloci
Pulignani: Gli storici di S. Francesco, sowie andere zahlreiche Arbeiten
in den Miscellanea Francescana und Arnold E. Berger in den Biographischen
Blättern 1896. II. Bd. — und ich selbst, der ich sie mit veranlaßt, konnte
in Sabatier's und Mandonnet's Meinungen nur Übertreibungen gewahren,
denen beizustimmen mir unmöglich war. Vielmehr mußte ich sie als
Entstellungen des Bildes, das ich "von dem Heiligen entworfen und an
dem ich heute noch- festhalte, betrachten.
^) Les origines de l'Ordo de Poenitentia. Compte rendu du IV Congres scienti-
fique international des Catholiques 1897, 5. Section S. 183 — 215.
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. 591
Gerade aber durch jene dem Speculum zuerkannte Bedeutung müßte
auch Sabatier sich veranlaßt sehen, von seinen extremen Ansichten zu
lassen, denn das Speculum giebt wohl mir, nicht aber ihm recht. In welchem
Sinne, darüber belehrt die vortreffliche Abhandlung von Walter Goetz : „Die
ursprünglichen Ideale des h. Franz von Assisi" in der Historischen Viertel-
jahrschrift 1903. Deren ersten Satz freilich: „Die Gründung des h. Franz
hatte, ohne daß er sich vielleicht darüber ganz klar war, bereits im An-
fang eine mönchische Richtung: der spätere erste Orden war in einer
primitiven Form der Kern der Bewegung," möchte ich nicht unterschreiben.
Vielmehr würde ich so sagen: der gottbegeisterte Mann handelte anfangs
aus keinen anderen Motiven, als aus dem Zwange der Bethätigung seines
von Liebe zu Gott und der Welt erfüllten Wesens, und als sich zuerst
Jünger ihm gesellten, dachte er sich deren Thätigkeit wie die eigene, als
evangelische Predigt im Geiste und nach Art der Apostel. Erst als seine
Anhängerschaft wuchs, sah er sich zu einer Organisation genöthigt, die bei
seiner unbedingten Willfahrigkeit den kirchlichen Institutionen gegenüber
unter deren Einfluß zu einer mönchischen Institution werden mußte. Was
Goetz aber im Folgenden sagt, findet meine volle Zustimmung: „Parallel
mit der Vergrößerung der Mitgliederschaft und der Thätigkeit hat sich
schon im Laufe des ersten Jahrzehnts eine den Ordenscharakter stärker
anzeigende Verfassung entwickelt. Die Erkenntniß von der Nothwendigkeit
einer Neuorganisation ist Franz zum Bewußtsein gekommen, als 12 19/1220
in seiner Abwesenheit Verwirrung im italienischen Ordensgebiet entstand;
er erbittet sich dazu die Hilfe der Kurie, und der Kardinal von Ostia
wirkt in den nächsten Jahren bei der Neuordnung mit. Dabei ergiebt
sich ein Widerspruch — nicht zwischen inniger Religiosität und hier-
archischer Selbstsucht, sondern zwischen den hochgespannten Idealen des
Heiligen und dem praktischen Sinne des Kardinals, der aber dennoch
das Werk mit ehrlichem Antheil zu fördern bestrebt ist. Derselbe Wider-
spruch tritt in den letzten Jahren des Heiligen innerhalb des Ordens
hervor als natürliche Folge der zu hoch gestellten Anforderungen. Es ist
der tragische Konflikt im Leben des Heiligen, wenn er die Unerfüllbar-
keit seines Ideals erleben muß." Man vergleiche hiermit, was ich auf
den Seiten 28 und 38 oben, wie schon in der ersten Auflage dieses
Buches gesagt, und man wird die Übereinstimmung mit Goetz' aus neuen
gründlichsten Studien gewonnener Meinung nicht verkennen können, Goetz
aber hat seine Meinung sich gebildet auf Grund eben der Anerkennung
des Speculum perfectionis als einer, wenn auch nicht frühesten, so doch
frühen Quelle,
Demnach steht die Sache so: Meine Auffassung des Hei-
ligen wird in keiner Weise durch die neuerdings dem
Speculum und der Legenda trium sociorum zuerkannte
592 Anhang.
Bedeutung berührt oder verändert. Die älteste Quelle
bleibt die I. vita des Thomas und auf diese vor Allem
habe ich meine Auffassung und Schilderung begründet,
mit Hinzuziehung in zweiter Linie der II. vita, welche ja
den Inhalt desSpeculum im Wesentlichen in sich schließt,
und mit bloß ergänzender Verwerthung der Tres socii.
Daher konnte ich meine Lebens- und Wesensschilderung
des h. Franz, von geringfügigen Kleinigkeiten abgesehen,
in dieser zweiten Auflage beibehalten, wie ich sie in
der ersten gegeben.
Wenn ich im Folgenden meine Meinung über das Verhältniß der
Quellen zu einander äußere, so hat dies daher auch nur einen allgemein
methodologischen Werth.
2. Die ältesten Zeugnisse über die Quellen zur Ge-
schichte des Franz.
Führen wir zunächst die ältesten Zeugnisse über die Biographieen des
h. Franz an.^) Da ist an erster Stelle Bernardo da Bessa zu erwähnen,
der in seinem um 1275 geschriebenen „liber de laudibus" folgende vier
Biographen anführt:
1. Thomas von Celano,
2. Johannes, Notar des apostolischen Stuhles (die Legende be-
ginnend: „quasi Stella"),
3. Julian von Speyer,
4. Bonaventura,
Sehr beachtenswerth ist, daß die Legenda trium sociorum nicht ge-
nannt wird. Da Bernardo, der in nahen Beziehungen zu Bonaventura
stand, ja vielleicht Dessen Sekretär war, wohl unterrichtet gewesen sein
muß, liegt der Schluß, daß es zu seiner Zeit eine Legenda trium sociorum
noch nicht gab, sehr nahe.
Die zwei Viten des Thomas sind bekannt. Ein drittes Werk des
Thomas, das verschollen war, ist vom P. van Ortroy bei den Kapuzinern
in Marseille aufgefunden und veröffentlicht worden : der Traktat von den
Wundern.^) Ein viertes war die kurze für den Chorgebrauch. — Dazu
kommt die Legende in Versen, welche P. Edouard d'Alengon auf
Grund eines Manuskriptes in Versailles als die Arbeit eines Magister
^) Vergl. hierzu Salvatore Minocchi : La „Legenda trium sociorum"; nuovi studj
suUe fonti biografiche di S. Francesco d'Assisi. Archivio storico italiano 1899. 1900. —
Michele Faloci Pulignani: Gli storici di S. Francesco. Foligno 1899.
*) Traite des Miracles in den Analecta Bollandiana 1899. t. XVIIL
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. 593
Henricus feststellte.^) In diesem Henricus erkannte Novati den Frater
Henricus Pisanus.-)
Die Legende des Julian von Speyer wurde von P. F. d'Araules in
den von den Bollandisten publizierten und von ihnen dem Giovanni
da Ceperano zugeschriebenen Bruchstücken nachgewiesen.^) Sie steht in
Abhängigkeit von Thomas. Demnach ist von den Biographieen , welche
Bernardo da Bessa erwähnt, nur die des Notarius Johannes noch nicht
bekannt, denn eine kleine Chorlegende in Toulouse, die vom P. d'Alengon
veröffentlicht wurde, ist im besten Falle nur ein Extrakt aus der ver-
schollenen Legende des Johannes (zu Anfang heißt es: „ex gestis ejus
quae incipiunt: Quasi Stella") und ist nach Minocchi's Behauptung viel-
mehr von Celano abhängig,*) Wadding nennt ihn Giovanni da Ceperano
(der auch angeführte Vorname Tommaso da Ceperano erklärt sich aus
einer Verwechslung mit Tommaso da Celano).
Es folgt auf Bonaventura die Schrift „de laudibus beati Francisci"
von eben jenem Bernardo da Bessa um 1275, 1897 in Rom vom P.
Ilarino von Luzern und in den Analecta Franciscana (Quaracchi) veröffent-
licht. In den biographischen Theilen ist das Buch von Thomas abhängig.
Die nächsten Mittheilungen über die Biographen des h. Franz er-
halten wir von der um 1333 verfaßten Cronaca delle Tribolazioni des
Angelo Clareno. ^) Clareno sagt, daß vier Männer das Leben des Heiligen
geschrieben haben:
1 . Johannes,
2. Thomas von Celano,
3. Bonaventura,
4. Bruder Leo.
Dieselbe Liste wird auch in dem etwa gleichzeitigen Anonimo
Capponiano, den Minocchi entdeckte, gegeben. *)
Also erst im Anfang des XIV. Jahrhunderts, um 1330, weiß man
von einer Legende, die Leo verfaßt hat! Daß man den von Thomas
abhängigen Julian von Speyer nicht mehr nennt, ist leicht begreiflich.
Am Ende des XIV. Jahrhunderts endlich, in den Conformitates , ist
die Liste noch umfangreicher geworden. Sie zitiren
^) Miscellanea Francescana. Foligno 1889. vol. IV.
2) Miscellanea Francescana. Foligno 1890. vol. V.
3) P. d'Araules: La vie de Saint Antoine de Padoue. Bordeaux 1899. —
D'Alengon : de legenda Sancti Francisci a Juliano a Spira conscripta. Spicilegium Fran-
ciscanum. Rom 1 900.
*) Herausgegeben von d'Alengon im Spicilegium Franciscanum. Rom 1899.
^) Zum größten Theile publizirt vom P. Ehrle im Archiv für Litteratur und
Kirchengeschichte. 1885. Bd. II. Zum Theil von Prof. Tocco, Archivio storico ital. 1885.
*) Rivista critica e storica di studj religiosi. Florenz 1901. FV.
Thode, Franz von Assisi. og
594 Anhang.
1 . Bonaventura,
2. Legenda antiqua (oder Legenda vetus),
3. Tres socii,
4. Thomas de Celano II vita,
5. Bernardo da Bessa,
6. Speculum perfectionis.
Jetzt erst also werden die Tres socii angeführt! Ist die Legenda
antiqua die I. vita des Thomas oder ein anderer Ausdruck für das Speculum
oder die Leggenda antica des Capponiano? Das ist nicht ohne Weiteres
zu bestimmen. Die Chronik der XXIV Generale versteht unter leggenda
antica den Thomas von Celano. Wir kommen hierauf später zurück.
Versteht Bartholomäus Pisanus unter den Tres socii oder unter dem
Speculum perfectionis die von Clareno angeführte, von Leo verfaßte
Lebensbeschreibung? Vermuthlich ist das Speculum identisch mit Leo's
Schrift.
Die zunächst aus den Aussagen des Bernardo Bessa, des Angelo
Clareno und der Conformitates sich natürlich ergebende Schlußfolgerung
ist diese:
Bis gegen Ende des XIII. Jahrhunderts sind nur die
Legenden des Thomas von Celano, des Giovanni und des
Bonaventura (sowie die weniger bedeutende des Julian von Speyer)
bekannt. Diejenige des Leo (vermuthlich das Speculum
perfectionis) tritt erst im Anfange des XIV. Jahrhunderts
auf und noch später (erst Ende dieses Jahrhunderts ge-
nannt) die der Tres socii, von welcher, was zu beachten ist,
Handschriften erst aus dem XV. Jahrhundert bekannt sind.
Hiermit ist ein erster fester Grund und Boden gegeben. Es fragt
sich, ob die Quellenkritik die hier angedeutete zeitliche Aufeinanderfolge
der Legenden bestätigt.
3. Die einzigen als Quellen wichtigen alten Legenden
sind die I. und IL vita des Thomas von Celano.
Unbestritten bleibt, nachdem der aller besonnenen Kritik Hohn
sprechende Versuch Sabatier's, sein Speculum perfectionis an die erste
Stelle zu setzen, vollständig gescheitert ist, die Thatsache, daß des Thomas
I. vita die früheste, etwa 1228/1229 entstandene Lebensbeschreibung des
Heiligen ist.^) Ein großer Streit der Meinungen aber herrscht noch über
^) Das endgültige, alle Umstände am eingehendsten berücksichtigende Wort hier-
über hat Walter Goetz gesprochen : Die Quellen zur Geschichte des h. Franz von Assisi
in Zeitschr. für Kirchengeschichte XXIV. Band u. ff. — Vergl. aber auch: Tilemann;
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. ^gt
die Entstehungszeit des Speculum, über sein Verhältniß zu der II. vita des
Thomas und zu den Tres socii, sowie über die Legenda trium sociorum.
Was die letztere angeht, so hat sich weitaus die Mehrzahl der Forscher
dafür entschieden, daß die neuerdings veröffentlichte sogenannte „voll-
ständige" Legende nicht die ursprüngliche, sondern eine Kompilation ist.
Ich schließe mich dieser Ansicht durchaus an : ein eingehender Vergleich
beweist als unzweifelhaft, daß die hinzugefügten Theile nichts Anderes
als eine Verarbeitung und Verschmelzung der betreffenden Texte der
II. vita und des Speculum sind.
Bezüglich des Speculum aber scheint die Meinung, daß ein Theil
desselben alt sei, zum Siege zu gelangen. Salvatore Minocchi hat diesen
Theil näher bestimmt, indem er nachwies, daß viele Kapitel des Werkes
Quellen der II. vita des Thomas sind, während viele andere auf Thomas
zurückzuführen sind.*) Auf Grund solcher Feststellungen nahm er die
Ausscheidung des Alten vor. Als eine Bestätigung seiner Meinung durfte
er die Entdeckung einer angeblichen ersten Redaktion des Speculum
durch Fr. Lionardus Lemmens im Archiv von S. Isidoro in Rom freudig
begrüßen, denn diese Redaktion entsprach im Wesentlichen dem von ihm
als alt ausgeschiedenen Theil. Sie enthält Nichts von spiritualer Polemik
und dürfte vor 131 8 anzusetzen sein.^) — Von allen Forschem hält nur
Della Giovanna an seiner Meinung fest, das Speculum gehöre durchweg
dem XIV. Jahrhundert an. ^)
Nun hat Minocchi weiter aber die Meinung aufgestellt, jener alte
Theil des Speculum sei die wahre Legenda trium sociorum und die
bisher so genannte (die „unvollständige") sei nichts Anderes als die bisher
vermißte Legende des Notar Johannes (von Ceperano). Als Beweise
bringt er hierfür Folgendes: i. Bernardo da Bessa, der doch nicht die
Legenda trium sociorum, sondern Johannes als eine seiner Quellen zitirt,
bringt wiederholt Stücke aus der sogenannten Legende der drei Genossen.
2. Diese allein zitirt die Bullen und Privilegien, die dem Orden zu Theil
wurden. Wer käme da eher als Verfasser in Betracht, als der Notar der
päpstlichen Kurie, Johannes? 3. Die Abhängigkeit von der I. vita des
Thomas würde so begreiflich. 4. Der Verfasser steht den Partheiungen
Das Spec. Perf. und die Legenda trium sociorum. Leipzig 1902. — Faloci Pulignani:
Miscellanea Francescana VII, S. 146 ff.
^) In den Nuovi studj suUe fonti biographiche di S. F. Archivio storico italiano
1899 und 1900.
-) Documenta antiqua Franciscana ed. Fr. Leonardus Lemmens. Pars II. Speculum
perfectionis (Redactio I). Quaracchi 1901.
^) S. Francesco d'Assisi Giullare e le Landes Creaturarum. Im Giomale storico
della Letteratura Italiana 1895. Bd. XXV. — Intomo alla piü antica leggenda di
S. F. d. A. In derselben Zeitschrift. 1899. Bd. XXXII.
38*
596 Anhang.
im Orden ganz unpartheiisch gegenüber. Diese Argumente haben un-
zweifelhaft etwas sehr Bestechendes. Wie aber erklärt Minocchi, daß alle
Manuskripte der Legenda trium sociorum den Prolog haben: den Brief,
in welchem die drei Genossen sich als Verfasser bekennen? Er nimmt
an, daß der Prolog, jener Brief der drei Genossen, ursprünglich den
Anfang des Speculum bildete, daß dann das Speculum einen anderen
Prolog erhielt und der Brief an das Ende gesetzt wurde, daß in den
Codices (als Beispiel wird der Kodex von Ognissanti angeführt) auf das
Speculum die Legende des Giovanni folgte und so der Brief zum Prolog
dieser, also die Legende des Giovanni fälschlich zur Legenda trium
sociorum gestempelt ward. Endlich weist er darauf hin, daß Bemardo
da Bessa sage: die Legende des Giovanni habe begonnen: quasi Stella
matutina, und im Codex Vaticanus 7339 beginne die Legende mit einem
zweiten Prolog, dessen Anfang laute: „perfulgidus ut lucifer et sicut
Stella matutina".
Es läßt sich nicht leugnen, daß Minocchi's Hypothese, ebenso wie
ihre Begründung geistreich ist. Wäre sie wahr, dann besäßen wir alle
von Bemardo da Bessa erwähnten frühesten Biographieen des h. Franz.
Aber unmittelbar drängt sich die Frage auf: wenn es eine Legende der
drei Genossen (nämlich der alte Theil des Speculum) gab und sie von
Thomas in seiner IL vita als Quelle benutzt ward, wie erklärt es sich,
daß Bemardo da Bessa sie nicht nennt?
Und hier kommen wir, wie mir dünkt, in den Brennpunkt der
kritischen Frage ! Läßt uns schon das mangelnde Zeugniß Bernardo's die
Annahme, es habe zu seinen Zeiten eine Legenda trium sociorum gegeben,
als sehr bedenklich erscheinen, so wird diese Bedenklichkeit zum Un-
glauben, wenn wir die Thatsache scharf in's Auge fassen, daß Bona-
ventura's Legende, also die entscheidende Legende,
welche die früheren Zeugnisse von Franzens Leben ver-
arbeitete, keinerlei Hinweis auf die Existenz des Specu-
lum (also das angebliche Werk Leo's oder der drei Genossen)
enthält!! Hätte es ein so wichtiges Dokument von unmittelbaren
Jüngern des Franz gegeben — und wären es auch nur noch nicht redi-
girte Einzelberichte gewesen — , wie hätte der General des Ordens, der
Verherrlicber des Heiligen, der Dessen endgültige Lebensbeschreibung ver-
faßte, sie nicht kennen, nicht benutzen sollen? Einen Partheistandpunkt
als Erklärung dafür anführen zu wollen, hieße sowohl den Charakter Bona-
ventura's ganz verkennen, als, selbst Partheilichkeit vorausgesetzt, das
Unwahrscheinlichste behaupten. Denn jener vorausgesetzte alte Theil des
Speculum enthält nichts Partheiisches.
Wenn Bonaventura das Speculum nicht benutzt hat, so heißt das
so viel, als: er hat es nicht gekannt, und da es weiter undenkbar ist, daß
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. tg^
er es nicht hätte kennen müssen, so giebt es nur eine Schlußfolgerung:
das Speculum hat zu seinen und Bernardo da Bessa's
Zeiten nicht existirt.
Nur eine Einwendung könnte hier erhoben werden; Das Speculum
sei die Quelle der II. vita des Thomas gewesen, sei gleichsam in dieser
aufgegangen und Bonaventura habe es nicht nothwendig gehabt, auf diese
Quelle zurückzugreifen, da Thomas ihren Inhalt bereits litterarisch ver-
arbeitet hatte. Denkbar, aber sehr unwahrscheinlich, denn soweit war
Bonaventura doch gewiß Historiker, daß er die unmittelbaren Zeugen hätte
zu Worte kommen lassen, namentlich was die Worte und Reden des
Heiligen betrifft. Und immer würde es unbegreiflich bleiben, daß Bernardo
da Bessa eine Legende von solcher prfmärer Bedeutung nicht genannt.
Kurz : ich sehe keinen anderen Weg natürlicher Entscheidung, als die
Behauptung: das Speculum hat im XIII. Jahrhundert noch nicht existirt.
Was aber lehrt uns die Prüfung Bonaventura's weiter bezüglich der
Legenda trium sociorum? Nichts Anderes, als dies: auch die Legende
der Drei Genossen hat zu Bonaventura's Zeiten nicht
existirt. Und hier muß ich meine eigene frühere Ansicht berichtigen.
Denn in der ersten Auflage dieses Buches behauptete ich zwar schon
die Abhängigkeit der Tres socii von des Thomas II. vita, ließ die legenda
trium sociorum aber doch unmittelbar nach dieser, also vor Bonaventura
entstehen.
Ein erneuter Vergleich nämlich ergab mir Folgendes. Bonaventura,
der im Wesentlichen an Thomas' I. und IL vita sich hält, stimmt aller-
dings zuweilen im einzelnen Wortlaut mit den Tres socii überein, aber
eine genaue Prüfung belehrt darüber, daß nicht er die Tres socii ab-
geschrieben, sondern daß die Tres socii ihn benutzt haben. Dies ergiebt
sich erstens daraus, daß häufig in Bonaventura's vita der Wortlaut der
Texte des Thomas und der Tres socii in einer Weise mit einander ver-
woben ist, die Bonaventura als einen mühselig und sklavisch kopirenden
Kompilator erscheinen ließe, was, unvereinbar mit einem Geiste, wie dem
Bonaventura's, höchst befremden müßte, und zweitens aus der entscheidenden
Thatsache : Alles, was in der Legenda trium sociorum als neu gegenüber
der Vita des Thomas auftritt, findet sich nicht bei Bonaventura und doch
enthält dieses Neue gar viele Mittheilungen, die Bonaventura hätten
interessiren müssen, die er nicht hätte umgehen können, in seine Bio-
graphie aufzunehmen. Daß er nur Das bringt, was dem Thomas und den
Drei Genossen gemein ist, beweist, daß er die Legenda trium sociorum
nicht gekannt; dieselben Argumente, wie die das Speculum betreffenden,
sind auch hier maßgebend: die Legende hat zu Bonaventura's Zeiten
nicht existirt. Das Schweigen Bernardo da Bessa's bestätigt dies.
Damit fällt aber auch die Hypothese Minocchi's, die sogenannte
598 Anhang.
Legende der Tres socii sei die verschollen geglaubte Legende des Notar
Giovanni. Welcher Art diese gewesen, ist noch nicht mit Bestimmtheit
zu sagen. Ist die von d'Alengon publizirte Chorlegende wirklich ein
Auszug aus ihr, • dann dürfte ihr, als einer von Thomas von Celano ab-
hängigen Schrift, keine besondere Bedeutung zukommen. Und daß sie
eine solche nicht besessen, scheint auch Bonaventura zu beweisen. Von
dem Neuen, was er, verglichen mit seiner Hauptquelle: Thomas, bringt,
hat er offenbar das Meiste selbst gesammelt ; nur Weniges könnte er der
Legende des Giovanni entlehnt haben.
So zeigt es sich denn mit voller Ersichtlichkeit, daß Thomas
von Celano vor Bonaventura der einzige, den Stoff
schöpferisch gestaltende und vertrauenswürdige Bio-
graph des h. Franz war. Und dies begreift sich leicht. Alle
vorhandenen glaubwürdigen Berichte der Jünger des
Heiligen und der Zeugen seines Lebenswerkes wurden
eben von ihm gesammelt und verarbeitet. Die IL vita
aber ist zugleich die den Socii verdankte Schilderung
von dem Heiligen, man könnte sie mit einem gewissen
Rechte die Legenda sociorum nennen. Denn, achten wir
genau auf die Worte des Prologs und des Epilogs, so sind es ja die
Socii selbst — nicht Thomas a Celano — , denen das Werk von dem
Generalkapitel und vom Generalminister Crescentius in Auftrag gegeben
worden ist. Spricht doch zu Anfang und am Ende eine Mehrzahl von
es Ueberreichenden von sich und erwähnen sie doch neben sich den
Mann, der es niedergeschrieben hat. Thomas war der Redakteur, er
verarbeitete das ihm von den Socii gelieferte Material.^)
Man höre die ersten Worte des Prologes : Placuit sanctae universitati
olim capituli generalis et vobis, reverendissime pater, non sine divini
dispensatione consilii parvitati nostrae injungere, ut gesta vel etiam
dicta gloriosi patris nostri Francisci nos, quibus ex assidua conver-
satione illius et mutua familiaritate plus ceteris diutinis experimentis
innotuit, ad consolationem praesentium, et posterorum memoriam scriba-
remus. Und weiter gegen den Schluß des Prologs hin heißt es, mit Be-
ziehung auf die früheren Arbeiten des Thomas: Continet in primis hoc
opusculum quaedam conversionis facta mirifica, quae in legendis dudum
de ipso confectis non fuerunt apposita, quoniam ad auctoris notitiam
minime pervenerunt.
^) Bis in welche Wildaiß eine verirrte Kritik sich versteigen kann, zeigt Sabatier's
Behauptung: „Avec une habilite que je me dispenserai de qualifier, Thomas de Celano
parla ä fagon ä suggerer a ses lecteurs l'idee que la seconde Vie avait ete faite en
coUaboration avec les socii" ! ! ! Opuscules de crit. hist. III S. 70.
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. 59g
In der kleinen Einleitung zum IL Theil der II. vita dann spricht
Thomas selbst (Singularform): Extimo autem, beatum franciscum speculum
quoddam sanctissimum dominicae sanctitatis et imaginem perfectionis
illius etc.
Und am Schluß des Ganzen lesen wir (wieder die Mehrzahl): Suppli-
camus (wir, nämlich die Genossen) etiam toto cordis affectu, beni-
gnissime pater, pro illo filio tuo, qui nunc et olim devotus
tua scripsit praeconia. Hoc ipse opusculum etsi non digne pro
meritis, pie tamen pro viribus coUigens, una nobiscum tibi offert et
dedicat. Dignanter illum ab omni malo conserva et libera, merita sancta
in illo adaugens.
Daß bei dieser Gelegenheit die Socii, unter denen doch ganz gewiß
auch Leo als Franz nächststehender Jünger sich befand, heimlich Material
zurückgehalten, ist sehr unwahrscheinlich, da sie selbst ja das Werk ver-
fassen und in offiziellem Sinne. Sie werden mitgetheilt haben, was sie
mitzutheilen hatten. Das zeigt sich recht deutlich, wenn man sieht, wie
wenig Neues Bonaventura hinzuzufligen fand, was er sich von einzelnen
früher nicht Befragten, wie vor Allem Illuminatus, einholte. Das Material,
über das die Socii verfügten, veröffentlichten sie durch die litterarisch
geschulte Feder des Thomas, und Dieser hat sich gewissenhaft seiner
Aufgabe erledigt, was ganz ersichtlich ist, da die Auffassung der Jünger
des Franz in der IL vita deutlicher hervortritt, als in der I. vita, woraus
sich der vielbesprochene, scheinbar gegen früher etwas veränderte Stand-
punkt des Biographen erklärt. Dessen Glaubwürdigkeit wird gerade
durch diese Erscheinung in das hellste Licht gerückt. Daß einer
oder der andere Mitarbeitende seine Berichte, vielleicht auch Dies oder
Jenes, was von Thomas nicht verarbeitet ward, für sich niedergeschrieben
hat, ist denkbar und wahrscheinlich, ja im einzelnen Falle bei Leo nach-
weisbar, und daß Derartiges in die spätere kompilirende Litteratur des
XIV. Jahrhunderts aufgenommen ward, werden wir später noch sehen.
Aber eine als Ganzes abgefaßte Legende — wie die sogenannte
Legenda trium sociorum oder das Speculum — gab es nicht. Das
ergiebt sich aus allem Vorhergesagten in einer, wie mir scheint, unwider-
leglichen Weise.
Die Legenda sociorum und das Speculum waren in
der IL vita, die man vita der Socii nennen kann, ent-
halten.
Alles Wissenswerthe bezüglich des Heiligen und der
Auffassung, die seine Jünger von ihm hatten, ist in den
einzigen wahren Quellen, den beiden Viten des Thomas,
zu finden. Nur Weniges tritt ergänzend zu ihnen hinzu.
6oo Anhang.
4. Das Speculum perfectionis und die Legenda trium
sociorum sind Erzeugnisse des XIV. Jahrhunderts.
Es bleibt nun noch die Frage, die freilich von nebensächlicher
Bedeutung ist, zu beantworten: wann und wie entstanden das Speculum
und die Legenda trium sociorum?
Was zunächst das Speculum anbetrifft, so verdanken wir Sabatier
selbst, der eine so große bedenkliche Verwirrung in der Quellenkunde und
-kritik des h. Franz angerichtet hat, alle bestimmenden Hinweise auf dessen
Entstehung. Della Giovanna, der noch heute daran festhält, diese falle
in das XIV. Jahrhundert, hat nach meinem Dafürhalten ganz recht. Alles
weist darauf hin, dass die Geburtsstätte des Speculum perfectionis, welches
als älterer Bestandtheil von Sabatier aus dem späteren Speculum vitae
herausgeschält ward, Avignon und das Geburtsdatum die Zeit der großen,
in Avignon zum Austrag kommenden Spiritualenbewegung gewesen ist.
Ehe ich dies begründe — und ich möchte bemerken, daß ich
meine Meinung, so wie ich sie hier vortrage, mir gebildet, ehe ich
Della Giovanna's Darlegungen kannte — sehe ich mich genöthigt, eine
von mir im Vorhergehenden noch nicht berücksichtigte Behauptung zurück-
zuweisen. Sabatier und nach ihm die meisten Forscher sind davon über-
zeugt, das Speculum sei von Thomas in seiner II. vita benutzt worden.
Die Abhängigkeit dieser vom Speculum sei erwiesen. Ich bestreite dies
auf das Entschiedenste.
Vergleicht man beide Werke, so ergiebt sich, daß weitaus der größte
Theil des Speculum (in der Sabatier'schen umfänglichen Fassung) dem
Inhalt nach, vielfach auch dem Wortlaute nach, in der II. vita enthalten
ist. Das Hauptargument, das für die Priorität des Speculum geltend
gemacht wird, wird erkannt in der einfach natürlichen Erzählerweise, die
sich von der gekünstelten und spekulirenden Darstellungsart des Thomas
vortheilhaft unterscheide und jene Unmittelbarkeit besitze, die eben nur
dem Miterlebenden eigenthümlich sei. Dies klingt sehr überzeugend,
beruht aber auf irrigen Voraussetzungen. Charakteristisch für das Spe-
culum ist die viel größere Ausführlichkeit der Erzählung und die Mit-
theilung längerer Reden des Heiligen, während Thomas die Thatsachen
sehr gedrängt giebt, zumeist nur sehr kurze Aussprüche des Franz anführt
und Beides zum Ausgangspunkt einer Betrachtung macht. In eben jenen
Eigenthümlichkeiten erweist sich aber das Speculum als spätere Legenden-
dichtung. Augenzeugen, wie Die, denen Thomas seine Angaben ver-
dankt, berichten von Thatsachen, wissen auch wohl besonders bedeutungs-
volle Worte anzuführen und schmücken im Sinne des Wunderbaren aus, die
künstlerisch gestaltende Fassung pflegt ihnen aber nicht eigenthümlich zu
sein, wenigstens nicht in der Weise, wie wir sie im Speculum finden.
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. 6oi
Diese tritt erst ein, wenn ein Erzähler mit einem ihm und der All-
gemeinheit bereits vertrauten Stoffe frei walten kann, wenn eine Be-
herrschung und Objektivirung des Stoffes eingetreten ist. Das Geheimniß-
volle verschwindet und macht dem Natürlichen Platz. Der Gegenstand
ist ein dem Volke wohlbekannter, und man behandelt ihn volks-
thümlich. Die Phantasie bethätigt sich dichterisch, malt die Umstände
mit Behaglichkeit aus und läßt den Helden möglichst viel selbst sprechen.
Man hat sich ein so deutliches Bild von ihm gemacht, kennt ihn so
gut, daß man unschwer aus seinem Geist heraus solche Reden erfindet —
wie es eben der Dichter thut, der die Persönlichkeit klar erschaut.
Dichtung und nicht Historie, eine spätere Phase in der Legenden-
schreibung, nicht eine frühe! Das Speculum nimmt eine Mittelstellung
zwischen den Viten des XIII. Jahrhunderts und den Fioretti ein. Die
Fioretti bezeichnen nur einen noch weiteren Schritt in der dichterischen
Gestaltung des Stoffes. Keine einzige der Subtilitäten Sabatier's, welche
die Abhängigkeit des Thomas von dem Speculum beweisen sollen —
und ich habe sie alle nachgeprüft und glaube behaupten zu dürfen, daß
ich den Vergleich noch viel weiter bis in alle Einzelheiten durchgeführt
habe — ist beweisend. In den meisten Fällen vielmehr ließe sich der
Spieß umdrehen — doch mag ich auf die minutiae, die vielfach nach
willkürlichem Belieben für oder gegen die Abhängigkeit geltend
gemacht werden können, nicht eingehen. Es genügt die Versicherung,
daß ich sie gründlich beachtet habe. Sie beweisen Nichts, sage ich —
wohl aber ist jene von mir angeführte Thatsache, daß die Ausführlich-
keit und die Anführung längerer Reden nicht auf frühere, sondern spätere
Legendenentstehung deutet, beweisend. Kurz angeführte Thatsachen und
kurze dicta der IL vita werden von dem Speculum ausgesponnen und
zu gefälligeren und verständlicheren Erzählungen verarbeitet.
Ein Zweites aber kommt noch hinzu. Eine Anzahl von Kapiteln
des Sabatier'schen Speculums, etwa 30, finden sich ihrem Inhalt nach
nicht bei Thomas. Eine näherere Betrachtung erweist, daß fast alle
im spiritualen Geiste die Observanz: die Strenge der Regel, die durch
Zeugnisse belegt wird, betreffen, daß sie die Portiuncula, die Nieder-^
lassungen, die Einfalt (nicht Gelehrsamkeit), den Dienst bei den Aus-
sätzigen, die Aussendung der Brüder, die falschen Prediger behandeln.
Wenn das Speculum von Thomas benutzt wurde, warum hat er diese
Angaben nicht in seine Vita aufgenommen? Die einzige Erklärung, die in
Folge dessen auch nicht ausbleiben konnte, war diese : Thomas ließ jene
Dinge absichtlich, von einem den Zelänten nicht günstigen Partheistand-
punkte aus, weg. So ? Nun wäre das allenfalls denkbar, wenn die II. vita
den Charakter einer Partheischrift hätte. Dies ist aber durchaus nicht
der Fall, vielmehr, wenn man deren Standpunkt kennzeichnen will, muß
602 Anhang.
man niit Minocchi sagen: „sie ist den Zelanten überaus günstig." Was
sich, wie wir schon sahen, daraus erklärt, daß sie ja eine, von Thomas
nur redigirte Schrift der Socii ist. Es ist schlechterdings nicht einzu-
sehen, warum Thomas jene Kapitel hätte weglassen sollen, er, der offenbar,
wie die Reichhaltigkeit der II. vita erweist. Alles aufnahm, was er erlangen
konnte. Also, auch von dieser Seite betrachtet, erscheint die Annahme,
Thomas habe das Speculum gekannt, als höchst willkürlich, ja als falsch.
Rufen wir uns die oben angeführten Argumente gegen die Existenz
des Speculums in der Zeit vor Bonaventura und vor Bernardo da Bessa
in Erinnerung, so müssen wir demnach mit Bestimmtheit erklären: auch
der Vergleich des Speculums mit der II. vita ergiebt, daß die Sabatier'-
sche Behauptung die Dinge auf den Kopf stellt. Nicht Thomas benützt
das Speculum, sondern das Speculum bringt eine Ausführung der IL vita.
Und zwar gilt diese Meinung ebensogut (und aus denselben Gründen)
für die von Lemmens publizirte und von Minocchi angenommene so-
genannte I. redactio, also den angeblichen ältesten Theil, wie für das
Sabatier'sche Speculum. Und die Schrift nennt sich Speculum,
anknüpfend an den Ausspruch des Thomas in der kleinen
Einleitung zum II. Theil der II. vita (s. oben). Selbst der Titel
ist nicht originell, sondern stammt von Thomas !
Was aber endlich das Argument anbetrifft, die im Speculum häufig
wiederkehrenden Worte: „nos qui fuimus cum eo" zeugten doch ersicht-
lich für seine Abfassung durch einen der Genossen des Franz, so kann
man diese Worte ebensogut als sehr verdächtig betrachten, als absicht-
lich darauf berechnet, Glaubwürdigkeit für ein Buch zu erwecken, das,
eine neue Schöpfung, doch für alt gelten wollte.
Nach Widerlegung der Einwände, die aus einem falsch konstruirten
Verhältnisse der beiden Schriften zu einander zu machen wären, dürfen
wir getrost die Entstehungszeit des Speculums (ich widerhole : auch der an-
geblichen früheren Fassung) in den Anfang des XIV. Jahrhunderts verlegen.
Gerade jene Kapitel, welche den aus Thomas entnommenen hinzugefügt
sind, geben uns den deutlichsten Aufschluß über den Charakter der Schrift.
Was unrichtiger Weise von Thomas behauptet wurde, gilt von ihr: sie
ist im Dienste von Partheiinteressen geschrieben. Sie ist ein Kampfes-
werkzeug der Spiritualen. In jenen hinzugefügten Kapiteln, welche die
strenge Observanz predigen, liegt ihr Schwerpunkt — und die mit des
Thomas Berichten vorgenommenen Veränderungen und Ausschmückungen
dienen häufig keinem anderen Zwecke, als die Ansichten der Zelanten
durch Wort und Wirken des Ordensstifters zu heiligen.
Einen näheren Hinweis auf die Zeit, in welcher das Speculum (wie
Minocchi meint, erweitert, wie ich meine) verfaßt worden ist, giebt uns
der von Minocchi entdeckte älteste datierte, in S. Maria in Portiuncula
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. 603
geschriebene Codex von Ognissanti : 131 8. Es ist die Zeit des heißesten
Streites der Spiritualen. Ausgefochten ward dieser vor allem in Avignon,
und nach Avignon führen uns alle Spuren , suchen wir den Entstehungs-
ort des Speculum. Ich darf hier auf die Ausführungen Sabatiers in
seiner Einleitung zur Ausgabe des Speculum verweisen (pag. CLII ff.).
Zunächst ist zu bemerken, daß das Speculum schon in der Hand-
schrift von 13 18, dann aber auch fernerhin als ein Theil einer Sammlung
von Schriften, welche die Interessen der Spiritualen vertreten, auftritt.
Beachten wir die Angaben, die uns über die Art dieser Sammlung Auf-
schluß geben, und insonderheit den Wortlaut der Einleitung in dem Codex
Vaticanus 4354! Nach dem Titel: Incipit antiqua legenda sanctissimi
patris nostri francisci et aliorum beatorum fratrum sui ordinis und nach
einer religiösen Betrachtung heißt es:
Quamquam autem praeclara vitae ipsius opera per venerabilem et
autenticum virum dominum et magistrum fratrem Bonaventuram stilo
venustissimo sint descripta, plura tamen valde notabilia et utilia, zelum
caritatis, humilitatis et paupertatis, necnon circa praedictorum et regulae
totius observationem intentionem et voluntatem ipsius sancti exprimentia
tam in legenda veteri, de qua idem frater Bonaventura saepius longas
orationes et passus de verbo ad verbum in sua legenda posuit, quam
etiam ex dictis veridicis sanctorum sociorum b. Francisci per vivos pro-
batos ordinis redactis in scriptis, quorum sociorum vita sancta et miracula,
quibus post mortem eos magnificavit Altissimus, ipsorum dicta et testimonia
credibilia reddit in imis quum essem studens in Avinione reperi ; quorum
aliqua pro mea interdum devotione movenda seu potius excutienda pigritia
collegi et inferius annotavi.
Posui autem primo rara et ardua facta seu miracula patris nostri
quae in legenda nova, ut praedicitur, non habentur: quorum quaedam
in libro Reverendi patris et domini fratris Friderici archiepiscopi Rigensis ^)
ordinis nostri studiosissimi viri et ejusdem ordinis maxime zelatoris ac
totius justitiae amatoris reperi, Quaedam vero sumpta et reparata sunt
de legenda veteri ipsius sancti quam et generalis minister me praesente
et aliquoties legente fecit sibi et fratribus legi ad mensam in Avinione
ad ostendendum eam esse veram utilem et autenticam atque bonam.
Nonnulla vero sumpta de scriptis sanctorum sancti praedicti sociorum vitam
sancti et gesta sociorumque sanctorum ejus exprimentia quorum in ipsis
nomina exprimuntur. Demum etiam quaedam de sancto Antonio rara
scripsi et de sancto fratre Johanne de Alvernia ac de aliis quorum memoria
in benedictione est et nomina scripta sunt in libro vitae.
Deprecor autem eos ad quorum usum devotionis haec papirus vel
^) Der sich wiederholt und lange in Avignon aufhielt.
6o4 Anhang.
exemplatum ipsius deveniet, quam, non tamquam novum opus vel com-
pilationem faciens, sed ab aliis posita et formata transcribens coUegi, suae
me devotionis, orationis et naeriti facere dignentur participem amore
Domini nostri Jesu Christi cui est honor et gloria in saecula saeculorum.
Amen.
Aus diesen Darlegungen geht zunächst hervor, daß die Sammlung
als Ergänzung zu Bonaventura's vita, welche die legenda nova genannt
wird, dienen sollte. Als seine beiden Vorlagen nennt der Schreiber im
ersten Abschnitt die legenda vetus, aus der Bonaventura Vieles wört-
lich entnommen — das kann also nur die eine der beiden Viten des
Thomas sein — und Aussagen der Genossen des Franz, welche
Aussagen von bewährten Männern des Ordens redigirt
und aufgezeichnet worden sind.
In den Ausführungen des zweiten Absatzes nennt er drei Vorlagen
(die vierte: über den h. Antonius und Johannes von Alvemia geht uns
hier Nichts an): i. Einiges aus einem Buche des Erzbischofs von Riga.
2. Anderes aus der legenda vetus, welche der Generalminister bei Tisch
in Avignon als die authentische vorlesen ließ und 3. Einiges aus den
Aufzeichnungen der Socii, das Leben des Heiligen und die gesta sociorum
(so im MS. Berlin) behandelnd. Hier wird also den beiden obengenannten
Vorlagen eine dritte : das Buch des Erzbischofs hinzugefügt. Vergleicht
man den Inhalt des Kodex mit diesen Angaben, so zeigt es sich, daß
die legenda vetus nichts Anderes sein kann als das Speculum perfectionis.
Im ersten Absatz aber wird mit legenda vetus doch zweifellos die eine
vita des Thomas gemeint. Auch sonst findet man, z. B. in der Chronik
der XXIV Generäle, unter „legenda antiqua" des Thomas Legende
verstanden. Nun ist aber im Kodex Nichts aus der vita des Thomas
kopirt. Wie ist dieser Widerspruch zu heben? Doch wohl nur so, daß
die zuerst genannte alte Legende nicht dieselbe ist, wie die später er-
wähnte, daß der Schreiber die Exzerpte, die er aus Thomas gemacht,
trotz seiner Verheißung nicht in die Sammlung aufnahm, sondern sich
auf eine Abschrift der Erzählungen aus dem Speculum, der andern alten
Legende, beschränkte. Wie dem auch sei : die Legende, die im Kloster
zu Avignon vorgelesen wurde, war das Speculum. Hierüber kann schwer-
lich ein Zweifel sein, und ebenso wenig darüber, daß man mit ihm be-
stimmte Zwecke verfolgte.
Man hatte dabei ein zwar nicht schlechtes, aber vielleicht nicht ganz
ruhiges Gewissen, war jedoch resolut. „Der Generalminister ließ bei Tisch
diese Legenda antiqua vorlesen , um zu beweisen, daß sie wahr,
nützlich, authentisch und gut sei." Der Sinn dieser Worte ist
doch so klar, wie man sich Etwas nur denken kann. Man braucht Nichts
zu beweisen, was anerkannt ist: die Legende in dieser Form war nicht
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. 605
anerkannt : man glaubte ihr nicht , man hielt sie für schädlich , für eine
Fälschung, für nicht gut. Wie aber hätte man dies thun können, wenn
sie schon im XIII. Jahrhundert existirt hätte und die Quelle des Thomas
und damit indirekt auch des Bonaventura gewesen wäre? Es war eine
neu auftauchende vita, die Gegner der Spiritualen glaubten nicht an ihr
Alter. „Wie konnte sie so lange unbekannt bleiben?" werden sie gefragt
haben, „wo sind eure Beweise?"
Der Generalminister antwortete mit Beweisen. Suchen wir dahinter
zu kommen, welcher Art diese waren, so nähern wir uns der Entstehung
des Speculum noch mehr. Es ist Ubertino da Casale gewesen, auf Dessen
Mittheilungen sie zurückzugehen scheint. Dieser leidenschaftliche Vor-
kämpfer der strengen Observanz sagt 1305 in seinem Arbor vitae cruci-
fixae Jesu, daß er vom Frater Conrado de Offida Nachrichten empfangen
habe, die Dieser direkt vom Bruder Leo (und vom Bruder Masseo und
Cesolo) erhalten. An andern (9) Stellen führt er nach schriftlichen und
mündlichen Aussagen des Bruder Leo Aussprüche strengen spiritualen
Charakters vom h. Franz an, und zwar sind dieselben im Speculum zu
finden und gehören zu den Kapiteln, die in des Thomas' II. vita nicht
enthalten sind. Offenbar verdankt Ubertino auch diese Mittheilungen
dem Bruder Konrad und weiß von Rotuli, auf denen Leo Aufzeichnungen
über Franz gemacht. Diese Rotuli, die sich in S. Chiara befanden, sind
vor 1305, als Ubertino schreibt, zum Theil wenigstens abhanden ge-
kommen, ja vielleicht verloren.
Sechs Jahre später , 1 3 1 1 , als Ubertino sich in Avignon gegen die
Anklagen seiner Gegner von der laxen Richtung zu vertheidigen hat, recht-
fertigt er sich mit dem Hinweis auf „scripta" von der Hand Leo's, die
er gelesen und über die er von alten Vätern des Ordens (also offenbar
wieder Conrado de Offida) gehört, auf „dicta fratris Leonis manu sua con-
scripta sicut ab ore sancti patris audivit et ego ipse audivi a pluribus
aliis sociis beati Francisci quos vidi", auf ein Buch von der Hand Leo's
in dem Schrank der Brüder zu Assisi und auf die Rotuli Leo's, die er,
Ubertino, besitzt, also inzwischen aufgefunden und erworben haben muß. ^)
Also Ubertino's Gewährsmann für die strengen Anschauungen des
h. Franz ist des Leo Schüler Konrad, alle wesentlichen Mittheilungen über
Leo's Aufzeichnungen von den dicta des Heiligen hat er von ihm, doch
besitzt er selbst einige Rotuli des Leo im Jahre 1 3 1 1 , die er — wie
Della Giovanna hervorhebt — auffallender Weise nicht zeigen will propter
vitandum legendi tedium. Jene „scripta" des Leo werden auch von anderer
Seite (von Fra Giovanni Olivi, der 1297 starb, und von B. Francesco
^) Vergl. die Prozeßverhandlungen bei P. Ehrle : Zur Vorgeschichte des Konzils
von Vienne. Im Archiv für Litteratur und Kirchengeschichte, ü. u. HL Band.
6o6 Anhang.
da Fabriano, der 1322 starb und Leo selbst gekannt hat) erwähnt, und
wir kennen sie heute. Es sind i. das Buch: die kurze „intentio regulae"
und 2. die Verba S. Francisci (aus sechs kurzen Paragraphen bestehend),
herausgegeben von Lemmens. ^) Nun ist Eines doch klar : Ubertino hat
nur diese beiden Schriften, das Speculum aber noch nicht gekannt, wie
hätte er diese für seine Ansichten wichtigste Bestätigung sonst nicht in
reichstem Maße ausgenützt, wie nicht immer wieder auf diese entscheidende
alte Legende hingewiesen? Und gar, wenn das Speculum oder wenigstens
ein größerer Theil desselben Leo oder die Socii zum Verfasser gehabt?
Sehr mit Recht hat Della Giovanna dies hervorgehoben. So gut wie der
gänzliche Mangel einer Erwähnung im XIIL Jahrhundert, beweist Uber-
tino's Schweigen, daß das Speculum 131 1 noch nicht existirte. Die
wenigen mit dem Speculum übereinstimmenden Erzählungen in dem Arbor
vitae sind nicht dem Speculum entnommen, sondern das Speculum hat
sie dem Arbor entlehnt und dieser der Intentio regulae des Leo. Rufen
wir uns nun die oben zitirten Worte des Vaticanus 4354 von den „durch
bewährte Männer des Ordens redigirten und aufgeschriebenen Aussagen der
Genossen des Franz", die der Schreiber in Avignon exzerpirte, in Er-
innerung ! Offenbar sind diese „probati viri ordinis" Ubertino und Konrad
von Offida, und in den Besitz von Deren Aufzeichnungen sind die Spiri-
tualen in Avignon gekommen. Bedenken wir ferner, daß jener Mönch
in Avignon die Legenda antiqua des Thomas' von Celano kannte, so
scheint mir alle gewünschte Aufklärung über die Entstehung des Speculum
gegeben. Der Vorgang dürfte, wie folgt, gewesen sein.
Die durch Ubertino vermittelten Aufzeichnungen des Leo gaben die
Veranlassung zur Abfassung einer dem Geiste der Spiritualen entsprechenden
Legende. Neben den Schriften des Leo hatte man noch einiges andere
Material von Aussagen der Jünger des Heiligen, und zwar vermuthlich
in einer bereits durch Konrad und Ubertino redigirten Form ; die weitaus
größte Fülle von Material, das in der offiziellen Legende Bonaventura's
nicht verwerthet war, fand man aber in der IL vita des Thomas, die
durch Bonaventura's Legende in das Dunkel der Vergessenheit gerathen
war. Man stellte, indem man des Thomas gedrängte und sentenziöse
Darstellungsweise in eine ausführliche, leicht verständliche und durch
die ausgesponnenen Reden des Franz besonders fesselnde verwandelte,
alles dies Unbekannte zusammen und nannte die Sammlung, den Aus-
druck dem Thomas entlehnend, das Speculum perfectionis.
Dieses war die alte Legende, die der Generalminister bei Tisch
vorlesen ließ , und man sieht , er hatte , wenn nicht der Form , so doch
dem Inhalt nach Recht, sie für authentisch zu erklären, denn in der That
^) Documenta antiqua franciscana. I. Scripta fratris Leonis. Quaracchi 1901.
Kritische Betrachtung der neueren Quellenforschung. 607
war sie aus lauter alten Quellen hergeleitet und durfte der nova legenda
des Bonaventura gegenüber als alt bezeichnet werden. Ja, mit einem
gewissen Rechte konnte auch die siegreiche Formel: „nos qui cum eo
fuimus" Leo entlehnt und möglichst oft angebracht werden, denn die Er-
zählung des Thomas ging ja auf die Berichte der Socii zurück.^) Diese
Formel hatte den bestimmten Zweck, „ad ostendendum eam esse veram
utilem et autenticam atque bonam". Damit die Legende aber auch äußer-
lich gleichsam die Weihe des h. Franz empfange, ließ man sie, wie der
Kodex Ognissanti lehrt, 1318 von S. Maria in Portiuncula, welchem Heilig-
thum zugleich im Texte die höchste Bedeutung zuerkannt wurde, ausgehen.
Und so erklärt sich Alles. Es erklärt sich , daß im Vaticanus zwei
verschiedene Legenden als Legenda antiqua bezeichnet werden und daß
auch fernerhin dieser Titel sowohl dem Thomas als dem Speculum ertheilt
wird. Es erklärt sich, daß sich im Speculum eine Anzahl Kapitel finden,
welche Thomas nicht hat — während umgekehrt das Auslassen dieser
Kapitel durch Thomas, wäre Dieser der Ausnützende gewesen, unverständlich
wäre. Es erklärt sich die spirituale Tendenz. Es erklärt sich endlich
die Ueberschrift des Speculum, die schon im Kodex Ognissanti zu finden
ist : Istud opus compilatum est per modum legendae ex quibusdam antiquis
quae in diversis locis scripserunt et scribi fecerunt seu retulerunt socii
beati Francisci. Denn deutlich sind hier die drei Quellen, aus denen
das Werk hergeleitet wurde, genannt Mit Dem, was die Socii selbst
schrieben, sind die scripta Leonis gemeint, mit Dem, was sie schreiben
ließen, die IL vita des Thomas, mit Dem, was auf ihre Aussagen zurück-
geht, die verhältnißmäßig wenigen Berichte, die weder Leo noch Thomas
entlehnt sind und bisher noch nicht auf bestimmte Persönlichkeiten zurück-
geführt werden können.
Neuer und sicherer Aufschluß — dies ist das Endresultat der Unter-
suchung — über Franz wird uns also nur von den wenigen auf Leo
zurückgehenden Mittheilungen, die man jetzt in den Scripta Leonis be-
quem zusammengestellt findet, gewährt. Alles Andere (von jenen wenigen
den Autor noch nicht verrathenden Angaben abgesehen) kennen wir
schon, und zwar in zuverlässigerer früherer Form aus Thomas. Demnach
hat das Speculum, nachdem es die Alleinherrschaft hatte gewinnen wollen,
wieder in die bescheidene Stellung eines sekundären und zudem in be-
stimmtem Geiste gefärbten Zeugnisses herabzusinken.
Es bleibt nur noch die Frage nach der Entstehung der so-
genannten Legenda trium sociorum. Schon von Anderen, namentlich von
^) Ich kann also H. Boehmer: Besprechung des Speculum perfectionis in der
Histor. Vierteljahrsschrift 1904. Bd. VII. S. 75 nicht zustimmen, wenn er aus der
Formel auf das Alter der betreffenden Kapitel schließt.
6o8 Anhang.
van Ortroy ^), P. Lemmens und Walter Goetz ist der kompilatorische und
späte Charakter dieser Schrift nachgewiesen worden, so daß ich mich hier-
über sehr kurz fassen kann. Was man von dem Speculum nicht in dem
Sinne sagen kann, ist von ihr zu behaupten: sie ist eine Fälschung aus dem
XIV. Jahrhundert, eine Fälschung, denn sie behauptet mit Ostentation, ein
Originalwerk der drei Genossen Leo, Rufinus und Angelus zu sein, denn
der solche Namen nennende und 1246 3. Iden des August datirte Brief ist
ihr vorangesetzt. Ob dieser Brief alt ist und, wie Lemmens will, ursprüng-
lich mit des Thomas II. vita in Beziehung stand, oder ob auch er eine
Fälschung , wie ich mit Goetz anzunehmen geneigt- bin , bleibe dahin-
gestellt. Sicher aber scheint mir Lemmens' Ansicht Viel für sich zu
haben, wenn er annimmt, daß die Legende — und zwar auch sie im
Wesentlichen mit Benutzung der Viten des Thomas, was ich schon in der
ersten Auflage dieses Buches feststellte — in der Absicht verfaßt worden
ist, ein biographisches Supplement zu dem Speculum zu bilden. Dann
müßte sie unmittelbar nach dem Speculum entstanden sein, doch wäre
schließlich auch eine etwas frühere Entstehung denkbar.^)
Schluß.
Ich fasse die Resultate der Untersuchung zusammen. Deren metho-
discher Gang war dieser: zuerst die alten Zeugnisse über die Legenden
hervorzuheben und daraus einen allgemeinen Schluß auf deren Entstehungs-
zeiten zu ziehen, dann aber das Verhältniß der Legenden zu einander
kritisch zu prüfen und ihnen Aufschlüsse zu entnehmen. Der Beweis
für die Richtigkeit der festgestellten Thatsachen liegt in der Ueberein-
stimmung der Folgerungen der ersten und der zweiten Untersuchung.
Und es hat sich auf diesem Wege ergeben:
1. Alle zuverlässige Kenntniß vom Leben und Wesen
desFranz ist in den beidenViten desThomas von Celano
enthalten, deren zweite alle Berichte der Jünger des
Franz in sich schließt. Ergänzend hierzu treten nur die
kurzen Aufzeichnungen des Bruder Leo, die in Dessen
neuerdings veröffentlichten Scripta enthalten sind, und
die von Bonaventura gebrachten, bei Thomas noch
fehlenden Berichte von Schülern des Franz.
2. Das Speculum perfectionis, erst im Anfang des
XIV. Jahrhunderts entstanden, bringt eine Ausgestaltung
^) La Legende de S. F. dite Legenda trium sociorum. In Analecta Bollandiana
1900. Bd. XIX.
^) Ueber das Verhältniß der Tres Socii zum Anonymus Perusinus vergl. W. Goetz :
Zeitschr. für Kirchengeschichte XXV. S. 33.
Urkunden zur Geschichte der Kirche S. Francesco in Assisi. 609
der Legenden des Thomas, die mit den Aufzeichnungen
des Leo und einigen anderen verquickt sind, und ist mit
spiritualer Tendenz verfaßt. — Die Legenda trium so-
ciorum, als Supplement zum Speculum entstanden, ist,
wiederum mit Ausnutzung der Viten des Thomas ab-
gefaßt, als Fälschung zu bezeichnen, da sie mit dem An-
spruch auftritt, gleichzeitig mit der IL vita des Thomas
geschrieben worden zu sein.
Hieraus aber, wie schon oben gesagt, erklärt es sich, daß ich meine
frühere Darstellung des Franz in dieser zweiten Auflage unverändert stehen
lassen konnte und meine Auffassung von ihm die gleiche geblieben ist,
wie früher. Es muß ausgesprochen werden: Noch steht es beim Alten!
Die gesammte umfängliche Litteratur, die seit zwanzig Jahren entstanden
ist, hat, wenn sie auch dazu führte, Manches betreffend die alte Litteratur
über Franz festzustellen, nämlich vor Allem den alten Kern des Speculum
vitae: das Speculum perfectionis und die späte Ansetzung der Tres socii, —
sowie gute Ausgaben der alten Schriftwerke zu veranlassen, was mit be-
sonderem Dank anerkannt werden soll, nichts für die Kenntniß des
Heiligen Wichtiges und Neues ergeben. Und ich kann nicht umhin, im
Hinblick auf alle die zahllosen mühevollen und verwickelten Unter-
suchungen auszurufen: welche verschwendete Zeit, welch' vergeudeter
Scharfsinn! Wie viel für die Geschichtswissenschaft Wichtigeres hätte
mit der hier aufgewendeten Arbeitskraft geleistet werden können!
in. Urkunden zur Geschichte der Kirche S. Francesco in Assisi.
I. Landschenkungsurkunde.
Sie ist im IL Bande der „Instrumenta diversa pertinentia ad S. con-
ventum" unter Nummer I. enthalten und lautet :
In Dei nomine Amen, Millesimo CCXXVIII indictione prima IUI
Kalendas Aprilis Gregorio papa Villi et frederico Imperatore existenti-
bus dedit tradidit cessit delegavit et donavit simpliciter et irrevocabiliter
inter vivos simon Puzarelli fratri helye recipienti pro domino Gregorio
papa nono pettam unam terre positam in voc(abulo) coUis inferni in
comitatu ass(isiensis) cui I (primo) et II (secundo) via III (tertio) ecclesie
sancte Agathe Uli (quarto) filiorum Bonomi vel si qui alii sunt confines
cum introitu et exitu suo et cum omnibus quae supra se et infra se
habet in integrum et cum onmi jure et actione usu seu requisitione sibi
de ipsa re competenti ad habendum tenendum possidendum faciendum
omnes utilitates et usus fratrum in ea videlicet locum Oratorium vel
ecclesiam pro beatissimo corpore sancti francisci vel quicquid ei de ipsa
Thode, Franz von Assisi. 39
6lO Anhang.
re placuerit et in perpetuum quam rem se suo nomine constituit possi-
dere donec corporaliter intraverit possessionem in quam intrandi licen-
tiam sua auctoritate concessit promictens non dedisse jus vel actionem
de ea alicui quod si apparuerit eum dedisse promisit defendere suis
pignoribus et expensis renunctiando juri patronatus omnique auxilio le-
gum ipsi competenti vel competituro. Et promisit per se et suos here-
des dicto fratri helye recipienti pro Dno papa nono Gregorio contra
non facere vel fecisse sed defendere dictam rem ab omni litigante per-
sona omni tempore suis pignoribus et expensis in curia vel extra sub
pena dupli ipsius rei habita compensatione meliorationis et existimationis
qua soluta vel non hoc totum semper sit firmum.
Factum in domo dicti symonis presentibus et vocatis testibus dno
Guidone judice communis Ass(isiensis) petro tedaldi Sommo Gregoris
petro capitanie tiberio petri andrea agrestoli jacobo bartoli.
Ego paulus not(arius) rogatus his interfui et sss. (subscripsi)
et auct(enticavi).
2. Vertrag über Lieferung und Wiederersetzung von
Steinblöcken.
Die in demselben Bande unter N. III befindliche Urkunde lautet:
In Dei nomine Amen. Anno domini millesimo ducentesimo trice-
simo nono indictione XII tempore Dominorum Gregorii pape noni et
Frederici Romanorum imperatoris die V exeunte mense Majo frater Helias
dominus et custos ecclesie sancti Francisci Asisinatis et frater Jacobus
de Mevag(na) sindicus et procurator dicte ecclesie et conventus ipsius
presentibus consentientibus et volentibus fratribus dicti conventus nomine
ipsius ecclesie et conventus pro se ipsis et eorum successoribus con-
venerunt et promiserunt Sanguonio et Tome filiis olim domini Ufreducij
Sanguonis stipulantibus pro se ipsis et suis heredibus reficere et refici
facere Omnibus sumptibus et pecunia ipsius ecclesie et conventus tan-
tumdem murum ad arenam et calcem et lapides in domo predictorum
fratrum posita in civitate Asisii quantus fuit ille murus unde accepti et
remoti fuerunt tribertini magni et ad illum modum et paragium reducere
ipsum murum quantus fuit ille de dictis tribertinis quos quidem triber-
tinos fuerunt confessi et asseruerunt coram me notario "et testibus suscriptis
recepisse et habuisse a dictis fratribus Sanguonio et tomasse pro opere
et muris dicte ecclesie renunciantes exceptioni tribertinorum non recep-
torum et non habitorum pro quibus tribertinis promiserunt sepedictis
Sanguonio et Tome reficere et refici facere dictum murum de bono opere
et legale sumptibus dicte ecclesie ut dictum est supra omni condictione
et exceptione remotis et dampna et expensos reficere pro predictis exi-
Des Rodulphus Beschreibung der Kirche S. Francesco in Assisi. 6ll
gendis sub obligatione bonorum dicte ecclesie et pena dupli extimat dicti
operis et pena soluta vel non hec sint omnia rata latera dicti domus justa
via usque et justa heredes Rufini Panzi.
Actum apud dictam ecclesiam sancti francisci in quadam camera
ipsius ecclesie presentibus ad hoc vocatis testibus Magistro paulo Lu-
prandi domino leonardo Marangonis et fratre Janne de Laudis et aliis
pluribus.
Ego Petrus imperiali auctoritate not(arius) hiis interfui et rogatus ut
supra legitur scripsi et autenticavi.
Ich gebe den Text nach den Originalen auf Grund einer Vergleichung
mit neueren vorhandenen Kopieen.
IV. Des Rodulphus Beschreibung der Kirche San Francesco in Assisi.
Die Beschreibung findet sich in des Petrus Rodulphus Historiarum
Seraphicae religionis libri tres (Venetiis apud Franciscum de Franciscis
Senensem 1586) im II, Buche S. 247 ff. und lautet folgendermaßen:
In custodia Assisi est celeberrimum et augustum illud templum, quod
est praecipuum coenobium totiusque Ordinis caput, nee structura toto
orbe hujusce Ordinis invenitur, quae hanc superet, moenia enim alta sunt
€t profunda magnis lapidibus, arena et calce interstrata. Fundamenta in
viscera terrae quaesita, vix tandera post octo et centum altitudinis pedes
non satis comraoda sunt inventa. Gregorius IX suramus Pontifex pri-
marium jecit lapidem Prope chorum a superiore parte est com-
pluvium ex grandioribus saxis, aquas per fistulas ferreas procul ejiciens:
in ingressu vero est pulchrum peristyllum. Nihil habet haec structura
commune cum eo ordine quem Vitruvius architectus instituit
sed opus Theutonicum est. Structoris nomen non reperi. Scio tamen,
quod frater Hellas homo rerum gerendarum prudens ejus curam egit
a principio, turres campanarias construxit, in quibus campanas imposuit
et campanam ad convocandum populum factam ipsemet campanam Prae-
dicatoris, et passim seniores sie appellant, et campanam Primae, in quarum
una haec verba excusa leguntur:
A. D. MCCXXXIX Fr. Elias fecit fieri. Bartholomaeus Pisanus me
fecit cum Loteringio filio ejus. Ora pro nobis Beate Francisce. Ave
Maria gratia plena. AUeluja.^) Duas alias campanas, quae non multis
^) Ich trage hier nach, daß der Loteringius wohl derselbe ist, dem Kaiser Friedrich
1242 das Bürgerrecht in Sizilien und die Erlaubnis zu heirathen gab. Er war 10 Jahre
im Castello veteri in Calabrien und hatte die Absicht, immer in Sizilien zu bleiben
(Winkelmann: Acta Imperii inedita. Tituli XIII. Innsbruck 1880 p. 683). Er hat
noch 1263 gelebt, denn damals gießt er eine Glocke für Cefalü (Saunas: due inscrizioni
cefalutane. Archivio storico Siciliano. N. S. IV. Jahrg. p. 336.)
39*
6 1 2 Anhang^ ■
ab hinc annis disruptae sunt, fieri fecit idem F. Helias. Pro constructione
autem hujus monasterii et templi variis modis coepit pecunias exigere :
primum enim pecuniarias collectas indixit provinciis; posuit quoque con-
cam illara marmoream, in quam adventantes horaines pönerent pecuniam,
ex quo non modica turbatio inter discipulos B. Francisci suborta est.
Divisum est templum illud in tria segmenta juxta tria vota Religio-
nis, quam profitemur. Inferior ecclesia designat sanctam obedientiam,
quae altis defixa est radicibus. Ibi conditum est sacrum corpus beati
patris Francisci cum multis aliis Beatis. Factum est delubrum ex omni
parte firmissimum parietibus, lateribus instratis, ut furibus adimeretur in-
sidiandi facultas. Ad eum locum datur aditus per vias subterraneas et
per secretos cuniculos, qui satis latent
Quod spectat ad secundam ecclesiam, quae est instar oratorii, pauper-
tatem in humilitate fundatam designans, omnibus idem pie orantibus
afflat insolitam pietatem; cujus pavimentum variis coloratis et vermicu-
latis lapidibus intertextum est. At testudo seu fornix instar cupae vel
dolii, cum certis quibusdam figuris exquisita arte absoluta est: dicunt
eas factas a Giotto Florentino majori ex parte, quem constat sui tem-
poris omnium pictorum fuisse nobilissimum. In illis exprimitur vita Christi
Jesu, quae variis depictae coloribus, omnino admirandae sunt et exco-
lendae. In testudine sunt quatuor trianguli eleganti ordine compositi.
In superiori parte ad chorum est beatus Franciscus velut princeps in
sella reclinatoria , indutus veste egregia, cujus capiti affixa sunt haec
verba, Gloriosus Franciscus. Ibi quoque extat vexillum cum septem
stellis et angelis circumstantibus atque buccinis clangentibus eo specta-
culo quo triumphus famae pingi solet egregie perpolita et politissima arte
perfecto. In altero triangulo dextrorsum est porticus ambulatoria in pro-
spectu cum columnis et in medio est figura veste subnigra induta cum
alis et diademate quadrato quae figura manu dextera tenet jugum, ac
laeva supponit digitum labello instar silentii; ad pedes in signum exi-
miae humilitatis est Frater quidam, qui accipit jugum et propriis im-
ponit humeris; super caput figurae est haec nota, Sancta Obedientia.
Hinc pendet ad caput crucifixus, sed solum apparet corpus et plaga
lateralis, a qua erumpit magnus fluvius sanguinis. Dextrorsum est Pru-
dentia biceps cum his notis Sancta Prudentia; habet diadema cum
sex inscriptis faciebus: est media figura, sub qua est Angelus ductor
ejus, et duae aliae figurae, et respicientes junctis manibus prae se ferunt
magnam religionem. Ex altero latere est consimilis figura cum subjectis
verbis Sancta Humilitas: tenet accensam faculam. Ad pedes est
Angelus et semihomo et semicanis. In altero triangulo est arx cum
turribus hinc inde, et in medio turris veluti Gerrum (an crates viminea?)
et terminus, et in apice est fenestra, et caput mulieris cum subscriptione
Des Rodulphus Beschreibung der Kirche S. Francesco in Assisi. 613
Sancta Castitas. Adstant duo Angeli, quorum alter exhibet regnuin,
alter vero palmam. Ad pedes gerrii sunt duae figurae, quaelibet tenet
manum extensam extra muros, et aspergit aquam super caput denudatae
figurae. Alter Angelus lavat dictam figuram instar balneatoris : super has
duas figuras, quae tenent vestem Angelo leguntur haec verba Sancta
Munditia. Ex altera parte Sancta Fortitudo. A latere est
Angelus lavans, et homo armis cinctus cum parraula in bracchio et multis
aliis figuris: Amor etPoenitentia. Sub Amore est homo transfigura-
tus cum his notulis Munditia; quae propellitur ab altera figura cum
his literis Mors. In altero triangulo est figura velata, praeter manus et
dimidiam partem bracchii: manus autem sunt extensae, et accipiunt
munera quae duo Angeli offerunt. Angelus a latere dextro , et offert
vestem, et marsupium: altera offert praetorium: subter vero quaedam
subjacet mulier subcincta, et nudatis intra vepres pedibus, quae quantum
ex facie, ex vultu, ex oculis, et ex fronte suspicari possumus, repraesentat
dominam paupertatem, quam in sponsam suam beatus Franciscus accipit.
Christus vero a latera manum interjungit, atque ejus dextram contingit,
cum hac inscriptione Sancta Paupertas.
In choro Capellae majoris est quaedam egregia pictura quam dicunt
quidam fuisse manus et ingenii monumentum Priscii Capannae a nemine,
quod ego sciam, adhuc satis intellecta. Communis tamen omnium est
sententia, ab eodem Giotto fuisse expressam quamvis prae se ferat nescio
quid majoris elegantiae et dignitatis. Suc hoc fornice modo est altare
majus, ubi est tabernaculum pro custodia sanctissimae Eucharistiae ele-
ganter elaboratum atque opera venerabilis Fr. Matthaei Assisiatis con-
structum. Altare vero circumquaque ferreis quibusdam insertis cratibus
et ansulis intortis vallatum est: sub ara in abdito et secessu conditum
est venerabile illud corpus beati Patris ; ubi alias furinum, sive locus erat,
in quo fures et improbi homines publice suspendebantur , vulgo dictus
Collis infern i. Nee abs re dignum puto, quia sicut Christus in Cal-
variae monte conditus est, ut nobis suo exemplo significaret nulla esse
ossa, nuUos homines, nullos denique daemoniacos adeo damnatos et des-
peratos, in quos si intret Christus non vivificet: sie beatus Franciscus,
Domino concedente, voluit et vivens et moriens in cunctis esse Christi-
formis. Ante fores sacrarii sunt multae et hae quidem insignes et egregiae
picturae, et ut ferunt , manu Antonii Cavallini expressae, qui adeptus est
nomen Cavallini, quia optima arte fingebat caballos. Ante cancellos illius
capellae in angulo est sepulcrum cum crate ferrea, ubi dicunt condita
esse quatuor corpora sociorum beati Francisci.
Adsunt quoque in inferiori Ecclesia sive Oratorio multe capelle et
quidem pulchre et egregiae. Primo est capella S. Catherine Cardinalis
Aegidii Cariglii Albemotii Hispani, cum multis figuris S. Catherinae.
6 14 Anhang.
Hie Cardinalis obiit in surburbano servatumque est corpus ejus in monte
Cimino, deinde Assisium translatum est. Hie Cardinalis construxit arcem
Spoleti natura et situ loci tum humana ope munitissimam , ex qua tota
vallis Spoletana visitur. Hie laceratum Ecclesie regnum, et a tyrannis
ferme totum usurpatum singulari virtute reeuperavit ac resarcivit; quam-
vis nonnulli ossa ejus in Ecclesia S. Martini supra Viturnium in Monte
Cimino reeondita dicant. Fortasse ibi prirao servatum est cadaver, deinde
Assisium translatum fuit. Vidit autem iste corpus B. Franeisei, postea
reliquit conventui eentura millia aureos. Deinde est eapella D. Antonii,
ubi est sepulerum cujusdam Dueis Spoleti, qui dicebatur Blascus eratque
de domo Cardinalis Aegidii, cum subjeetis versibus:
Magnanimus miles prudens pius egregiusque
Cultor justitiae, rigidi servator honesti
Blascus Fernandi, pacis compertor amatae,
Hispanus natus morum venustate praeclarus;
Anconitanae Marchio Marchiae tempore multo
Rector Bononiae, dux Spoletanus habetur.
Inclytus iste Senator bellique maximus actor.
Proditus hie burgo Luci mutatur ibidem,
Et genitor Grazias acerba morte peremptus.
Hicque jacent ambo genitor genitusque dicti,
Quos Deus Elisiis proponat sedibus almis.
In capite Ecclesiae e regione Sepulehri Divi Franeisei tumulata est
Regina Cypri, quae reliquit sacro conventui dueenta millia aureorum et
puleherrimum vas porphyreticum absque base sive pediculo quo modo
loco pilae utuntur ad aquam lustralem, qua homines pie asperguntur.
Sed quantum spectat ad superiorem Eeelesiam est usque adeo ele-
ganter constructa, ut nihil pulchrius videri possit illo seculo, nee struetura
hujus ordinis invenitur in toto orbe : suas habet portas congrua dimensione
venustas mediam ceteris ampliorem, in tecto stellae affixae aureae, et
color impressus aereus veram coeli faciem aemulatur. Sunt in choro
sedilia ex materia nobili, arte quam voeant Tarsieam, seulpturis et imagini-
bus insignia, quem ferunt Samsonis opere eonstruetum, cujus expressa
imago conspieitur. In hujus ingressu supra januam est ibi oeulus vitreus,
unde transmittitur lumen in morem Cyelopis latepatens in morem trianguli,
in quo est imago vera, ut dieunt, beati Franeisei opere Mosaico inter-
texto, opus, ni fallor, Cimaboni. ^) Inter utramque Eeelesiam est spatium
oetipedale, ne populus ambulans super pavimentum superioris Ecclesiae
impedimento sit ceteris in Ecclesia inferiori. Innititur autem pavimentum
superioris Ecclesiae lignis abiegnis. Portam inferioris Ecclesiae Samson
portica quadam egregia exornavit tecto inclusa, ob repentinos imbres, ut
^) Die Beschreibung hier etwas verwirrt. Dies Portal ist das der Unterkirche.
Beschreibung der Glasmalereien in S. Francesco zu Assisi. 615
hae litterae declarant : Fr. Franciscus Samson Generalis Minonim fieri fecit
MCCCCLXXXVII. Circumcirca sunt Xu turtes teretes : et in unaquaque
illarum est inferior testudo petrae granitae rubeae, in memoriam XII Apo-
stolorum ignis Spiritus sancti ardorem praetendentis. Tribuna vero est
albi lapidis in honorem beatae Virginis. Sunt quoque in superiori Ec-
clesiae quaedam picturae egregia manu Cimaboni et Giotti elaboratae.
Chorus quoque cum subselliis manu Dominici Sanseverinatis Umbri opere
intertexto, opera et sumptu magistri Francisci Sansonis Generalis, ut in-
scriptio affixa declarat magnifice fabrefactus. Nostro tempore Organa
constructa sunt a magistro Petro Antonio Nucerino Generali.
Superest modo ut de sacri Conventus structura nonnuUa subjiciamus:
habet enim profundas radices et altissima fundaraenta propter torrentem
inundantem. Sixtus IV Pontifex domum collabentem et ruinam minantem
fortissimo muro, quasi rostro quodam vallavit anno MCCCCLXXX et
hodie quoque nomen ipsius retinet. Alteram partem Conventus constnii
fecit frater Elias, ut aperte declarant figurae quaedam et inscriptiones
cisternae prioris impluvii. Innocentius IV Papa fecit constnii alteram
partem reliquam Cardinalis Aegidius, quem supra memoravimus.
Haec sunt, quae mihi dicenda erant circa insignem, admirandam
et numquam satis laudatam structuram hujusce memorabilis Tempil. Op-
tima enim dispositio consurgit, cum partes omnes in se ipsis bene dis-
positae fuerint, et alterae cum alteris congruo loco conveniant. Quamvis
beatus Pater Franciscus verus ditissimae paupertatis amator praeceperit
in cunctis paupertatem servandam, ut fratres tanquam peregrini et advenae
despicerent amplas domos atque templa magnifica.
V. Beschreibung der Glasmalereien in S. Francesco zu Assisi.
Eine Beschreibung der Kirche San Francesco in Assisi wäre un-
vollständig, würde nicht auch den zahlreichen Glasfenstem eine besondere
Berücksichtigung geschenkt. Es geschieht dies hier im Anhange , weil
durch ein näheres Eingehen auf diese interessanten Arbeiten der Gang
unserer der Ausschmückung der Kirche gewidmeten historischen Betrach-
tung allzu sehr gehemmt worden wäre. Man hat sich bisher damit
begnügt, kurz darauf hinzuweisen, daß die vorhandenen Glasmalereien
zu den ältesten in Italien gehören, und zwar aus dem XIV. Jahrhundert
stammen. Unsere Betrachtung wird ergeben, daß unter ihnen eine Anzahl
sogar schon in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts entstanden ist,
daß wie an den Wandgemälden auch an den Fenstern eine allmähliche
Entwicklung von primitiven Anfängen zu technisch immer größerer Voll-
kommenheit zu konstatiren ist, daß die zusammengehörigen Wandgemälde
und Glasfenster fast durchweg auch gleichzeitig entstanden sind, daß man
6l6 Anhang.
für viele der letzteren vermuthen darf, daß ihre Zeichnung auf die Maler
zurückgeht. Namen von Glasmalern sind uns nicht erhalten. Zwar giebt
Fea in seiner Descrizione (S. ii) an, daß in der Kapelle der h. Katharina
Bonino von Assisi mit seinen Schülern Angeletto und Pietro di Gubbio
thätig gewesen seien, daß jener Angeletto auch die Fenster der Kapelle
des h. Ludwig gemacht, — doch vermag ich nicht zu sagen, auf welcher
Quelle diese Nachrichten beruhen. ^) Von Angeletto wissen wir nur, daß
er 1327 ein Glasfenster für den Dom von Orvieto machte. Auch Gio-
vanni Bonino d'Assisi und Pietro waren daselbst thätig — es klingt ja
nicht unwahrscheinlich, daß ein Meister, der in Assisi zu Hause war, für
S. Francesco gearbeitet, ja es ist sehr wahrscheinlich, aber Urkunden, die
es bestätigten, habe ich so wenig wie Fratini im Archive finden können.
Die von Guardabassi in seinem Indice-Guida dell' Umbria (S. 15) er-
wähnten Glasmaler: Fra Antonio dell' Alvergna, Fra Bartolommeo di Pian
Castagnajo, Fra Gualberto Giotti, die in der Oberkirche thätig gewesen
sein sollen, müssen wohl in einer Weise beglaubigt sein, da Guardabassi
sie schwerlich sonst anführen würde, welchen Antheil sie aber an der Aus-
schmückung der Kirche gehabt, giebt er nicht an. ^) Dagegen sind zwei
andere von ihm erwähnte Künstler in den Ausgabebüchern nachzuweisen :
Francesco di Terranuo va und Valentino daUdine.^) Ersterer
erscheint zuerst 1476, dann in den ersten neunziger Jahren bis 1494 mit
der Reparatur der Fenster beschäftigt, und zwar beziehen sich die An-
gaben alle auf die Bleifassungen. Valentino da Udine aber reparirt mit
päpstlichen Geldern 1476 — 79 die Fenster der Oberkirche und ist, wie
es scheint, noch 1484 damit beschäftigt,*) Dann 1561 hat wiederum
eine Restauration durch einen Franzosen und unter Gregor XVI. durch
Bertini aus Mailand stattgefunden.
Was uns aber in viel höherem Grade interessiert, als diese Angaben,
ist ein höchst merkwürdiges Manuskript im Archive : ein Traktat über die
Glasmalerei, der von einem seiner Kunst sich hoch rühmenden Antonio
da Pisa verfaßt worden ist. Offenbar ist dieser Antonio, der so selbst-
bewußt auftritt, kein anderer als jener gleichnamige Glasmaler, der sich
1395 auf dem herrlichen Fenster über der zweiten Südthüre des Domes
von Florenz nennt. ■^) Sicherlich ist Antonio in Assisi thätig gewesen,
^) Auch Rosini: Storia della pittura I, S. 180 giebt an, daß Angeletto das Fenster
der Kapelle S. Lodovico gemacht, wohl auf Fea's Angabe hin.
^) Papini und Fratini (S. 212) wissen Nichts von ihnen.
^) Schon Papini (Notizie sicure S. 219) erwähnt die beiden. Dann auch Fratini
(S. 212). — Vergl. die Ausgabebücher, das eine 1491 — 1495, das andere 1472 — 1479.
^) Diese letzte Jahreszahl allein führt Papini an.
^) Vergl. Hans Semper: Die farbigen Glasscheiben im Dom von Florenz. Mitth.
der k. k. Zentralkommission 1872. XVII. B. S. 19 ff. Er sagt: 1395, doch las
ich 1394.
Beschreibung der Glasmalereien in S. Francesco zu Assisi. 617
Vergleicht man aber jenes in einem reichen, vollen Goldton gehaltene,
aus vielen kleinen Stücken zusammengesetzte Fenster, das nach Agnolo
Gaddi's Zeichnung gemacht ist und vier Farben: ein besonders bevor-
zugtes Goldgelb , ein leuchtendes Smaragdgrün , ein kräftiges Roth und
tiefes Blau zeigt, mit den Fenstern von S. Francesco, so wird man keine
Analogieen finden. Es könnte sich der Zeit nach höchstens um die
Scheiben der Kapelle Albornoz oder Martini handeln. Aber hier ist die
Technik , sowie die Farbenskala eine durchaus andere. Es kann keine
Frage sein, daß Antonio unter den Meistern jener Zeit in Italien den
ersten Rang einnimmt — farbenprächtiger dürfte schwerlich ein anderes
Glasgemälde sein , als das in Florenz. Der Traktat nun , der von aller-
größter Wichtigkeit für die Geschichte und Technik der Glasmalerei ist,
ist von Fratini in seinem Buche (S. 213) publiziert worden, aber bisher
unbeachtet geblieben, wie es scheint. ^)
Bleiben uns nach dem Allen die in Assisi beschäftigten Glasmaler
noch in Dunkel gehüllt, so lohnt es doch, ihre Arbeiten kurz in's Auge
zu lassen. Ich beschreibe sie nach der zeitlichen Aufeinanderfolge, die
sich bei eingehendem Studium wohl mit Sicherheit festsetzen läßt.
1. Die ältesten Fenster in der Unterkirche.
In der kleinen Kap eile neben dem Thurme befindet sich ein
zweigetheiltes Fenster, das auf der 1. Hälfte einen Apostel (mit modernem
Kopf) unter einem einfachen gothischen Baldachin, darunter eine Scheibe
mit drei weißen Rosetten, auf der rechten in fünf Medaillons einen Engel
mit Szepter , den segnenden Christus , Paulus und zwei Rosetten , sowie
Einrahmung von Flechtwerk zeigt. Der Stil der Figuren ist noch nicht
als Cimabuesk zu bezeichnen, ganz alterthümlich ; so auch die Zusammen-
setzung aus lauter kleinen Stücken, das romanische Ornament. Derselben
Zeit (II. Hälfte des XIII. Jahrhunderts) gehört das Mittelfenster der Jo-
hanneskapelle an. Es zeigt unter Aediculen: Zacharias, Johannes den
Täufer, den Verkündungsengel und Christus, außerdem zweimal das Wappen
der Orsini.
2. Das südliche Querschiff der Oberkirche.
Zwei Fenster. Das Fenster links enthält in Vierpässen auf der linken
Hälfte in sieben Darstellungen die Schöpfungsgeschichte, auf der rechten
den Sündenfall, die Vertreibung aus dem Paradiese, die Arbeit Adam's
und Eva's, das Opfer Kain's und Abel's, den Brudermord, die Verfluchung
Kain's und die Verhöhnung Noäh. — Im Fenster rechts je vier Heilige
auf jeder Hälfte und darüber Maria mit Kind. — In der Zeichnung der
schmächtigen Figürchen noch alterthümlicher als Cimabue.
^) Er ist neuerdings von Dr. Robert Brück im Repert. für Kunstwissenschaft mit
deutscher Uebersetzung und Erläuterungen herausgegeben worden.
6l8 Anhang.
3. Der Chor der Oberkirche.
Das Fenster in der Mitte ist ganz modern. Das links, zweigetheilt,
hat in jeder Hälfte neun Darstellungen in viereckigen Feldern, in der
linken: alttestamentarische Szenen, unter denen ich die Himmelfahrt des
Elias, Tobias mit dem Engel, Jonas aus dem Wallfisch ausgeworfen, das
Opfer Isaak's feststellen konnte, in der rechten die Passion: die Kreuz-
tragung, Christus am Kreuz (modern), Christus in Emmaus (modern), die
Auferstehung, die Engel auf dem Grabe, Noli me tangere, die Bekehrung
des Thomas, die Himmelfahrt und das Pfingstfest. — Das Fenster rechts
zeigt auf der linken Hälfte den zwölfjährigen Christus im Tempel, die
Taufe, die Verklärung, die Vertreibung der Wechsler, den Einzug in
Jerusalem, die Fußwaschung, das Abendmahl, Gethsemane, und den Judas-
kuß, auf der rechten alttestamentarische Geschichten, darunter Szenen aus
David's und Abraham's Leben.
Die Darstellungen sind im Stile Cimabue's gehalten und jedenfalls
also zur Zeit entstanden, als er seine Fresken hier malte.
4. Das nördliche Querschiff der Oberkirche.
In dem Rundfenster oben: Christus umgeben von Engeln, darunter
Maria und die 12 Apostel. Das Fenster links hat keine figürlichen Dar-
stellungen, nur verschiedenartig gemusterte Medaillons. — Das Fenster
rechts zeigt alttestamentarische Szenen auf der linken Seite , auf der
rechten sechs Erscheinungen Christi : vor den zwölf Jüngern, in Emmaus,
auf dem Wege nach Emmaus, vor Petrus und vor den zwei Frauen. —
Hier macht sich wie in den vorhergehenden die Stilrichtung Cimabue's
geltend.
5. Das Längsschiff der Oberkirche.
a. Die Fenster der linken Wand von der Vierung aus gezählt.
1. Fenster. Oben sind Ornamente, unten je eine Heiligen-
figur: der blondbärtige Jakobus und ein graubärtiger
Apostel. — Vielleicht nach Zeichnung von Cimabue.
2. Links und rechts je sechs Szenen aus der Geschichte der
Apostel in oblongen Vierpaßmedaillons. — Von derselben
Hand wie das vorhergehende.
3. Je fünf Darstellungen aus der Geschichte der Apostel. —
Von derselben Hand.
4. Auf der linken Hälfte: die Legende des Franz in sechs
Bildern: in San Damiano, Heilung des Bartholomäus von
Narni, Vision Innocenz' IIL, Vögelpredigt, Stigmatisation
(zwei Bilder). Auf der rechten Seite : sechs Darstellungen aus
dem Leben des h. Antonius.
Beschreibung der Glasmalereien in S. Francesco zu Assisi. 619
b. Die Fenster der rechten Wand.
1. Auf der linken Seite: alterthümliche Darstellungen aus der
Jugendgeschichte Christi (schwer zu enträthseln). Rechts:
Szenen aus dem XV, Jahrhundert.
2. Sechs Heilige, aus dem XV. Jahrhundert, zum Theil modern.
3. Stark restaurirt. Links: drei Engel und Christus, der Franz
schwebend vor sich hält. Rechts: drei Engel und Maria
mit Kind. In demselben Stile wie die an der linken Wand.
4. Links und rechts in je fünf Feldern je zwei Heilige neben
einander, Apostel, Bischöfe und Diakonen.
Wir haben hier also in der Oberkirche die Thätigkeit von drei oder
vier Malern anzunehmen. Die Fenster des Längsschiflfes scheinen ab-
gesehen von b I und 2 von einem Künstler ausgeführt, der nach Vorlagen
von den Schülern des Cimabue gearbeitet hat. Er hat eine Vorliebe für
etwas kraftlose, blasse Farben, namentlich Gelb und Grün, und erreicht
lange nicht die malerische Wirkung der Chor- und Querschifffenster.
6. Die Kapelle des h. Nikolaus in der Unterkirche.
1. Fenster links. Auf der linken Seite: der h, Vincentius, Augu-
stinus, Victorinus. Auf der rechten: Franz, ein Bischof und
Rufinus. Darüber Wappen der Orsini.
2. Mittleres Fenster. Links: Giovanni Gaetano Orsini, von Franz
empfohlen, ein Bischof und Wappen. Rechts : Christus, Nikolaus
und Wappen.
3. Fenster rechts. Links: Stephanus, Franz, Gregorius, Wappen.
Rechts: Laurentius, Antonius von Padua, Hieronymus, Wappen.
Sie dürften gleichzeitig mit den Fresken entstanden sein, sind aber
alterthümlicher in der Zeichnung.
7. Die Magdalenenkapelle.
1. Fenster links. Auf der linken Seite: Christus, Magdalena,
Maria Kleofas, Maria Salome. Rechts : Maria mit Kind, Maria
Magdalena und zwei Legendenszenen derselben.
2. Fenster rechts. Links: Noli me tangere, Christus als Gärtner
und Magdalena, Christus erscheint den drei Frauen, Christus
segnet sie. Rechts: Christus zu Tisch bei dem Pharisäer,
Auferweckung des Lazarus, Maria und Martha knieen vor
Christus, die Fußsalbung. — Viel farbenprächtiger als die
vorhergehenden. Im Stile des frühen Giotto.
8. Die Kapelle des Antonius von Padua.
1. Fenster links. Mit sechs Legendenszenen des Heiligen.
2. Fenster rechts. Mit vier Legendenszenen.
Miniaturhaft feine, kleine Gemälde mit abgewogenen Kompositionen
von großer Zierlichkeit, in dem ausgebildeten freien Stile Giotto's.
620 Anhang.
9. Die Kapelle des h. Ludwig.
1. Fenster links. Die Evangelistensymbole oben. Links: Ludwig
Bischof, Engel, König Ludwig. Rechts : Christus, Engel, Franz.
2. Fenster rechts. Links: Maria als Königin, Engel, Antonius
V. P. (Kopf im XV. Jahrhundert restaurirt). Rechts : König
Ludwig, Engel, Kardinal Gentile (bez. dominus Gentilis).
Unten sein Wappen.
Zweite Hälfte des XIV. Jahrhunderts. Von hellem Gesammteindruck,
viel Weiß und viel Gelb angewandt.
IG. Die Kapelle der h. Katharina.
1. Fenster links. Sechs Heilige, darunter Antonius.
2. Fenster in der Mitte. Sechs Heilige, darunter Agnes, Franz,
Chiara.
3. Fenster rechts. Sechs Heilige.
Das mittlere Fenster, wie es scheint, von andrer Hand, als die beiden
zur Seite. Giottesk im Stile. Erste Hälfte des XIV. Jahrhunderts. Wie
mir scheint, früher als die der beiden vorher erwähnten Kapellen.
11. Die Kapelle des h. Martin.
1 . Fenster links. Links : Gregor, Franz, Rufinus. Rechts : Martin,
Nikolaus und Stefanus.
2. Mittleres Fenster. Links: Christus, h. Krieger und „Gentilis
Cardinalis". Rechts: Maria, Petrus, Martin.
3. Fenster rechts. Links: Hieronymus, Damianus, Antonius
V. Padua. Rechts: Paulus, Martin und Laurentius.
Wohl nach Zeichnung des Simone Martini, die farbenprächtigsten
Fenster der Unterkirche.
12. Einzelnes in der Johanneskapelle. In dem Fenster
links: Hieronymus und Maria mit Kind aus der zweiten Hälfte
des XV. Jahrhunderts.
13. Längshaus der Oberkirche b. i. Auf der rechten Seite des
Fensters: Maria mit Kind unter Baldachin und der betende
h. Onofrius. — Fenster b. 2 , unter den sechs Heiligenfiguren :
Paulus, ein Bischof, Laurentius, Hieronymus von derselben
Hand, wie die in b. i, und zwar offenbar alle nach Zeichnungen
des Fiorenzo di Lorenzo, dessen Typen und Eigenthüm-
lichkeiten genau erkennbar sind.
Vielleicht sind die unter 1 1 und 1 2 erwähnten Glasmalereien des
Quattrocento diejenigen, welche die Mönche nach Fratini's Angabe im
XVII. Jahrhundert aus den Domen von Foligno und Perugia kauften.
14. Einige moderne Zuthaten: in der Johanneskapelle ein
Johannes der Täufer, in b. i ein Christus und in b. 2 Petrus
und ein Bischof.
Die Kreuzesglorie in S. Francesco zu Assisi, Puccio Capanna etc. 62 1
VI. Die Kreuzesglorie in S. Francesco zu Assisi, Puccio Capanna,
der „Meister der h. Chiara" und der Maler Cola.
Wir lassen hier die im Texte erwähnte alte Beschreibung des nicht
mehr erhaltenen Gemäldes , das angeblich nach Vasari Stefano in der
Tribuna der Unterkirche gemalt, folgen. Sie befindet sich in jenem
Manuskript des Archives zu Assisi, das wir als „alte Beschreibung" zitirt
haben und welches die Arbeit eines Lodovico da Castello und des
Adone Doni kompilirte, also Angaben aus der zweiten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts bringt. Darin steht Folgendes zu lesen: „Nella cup-
pola o nicchio overo Tribuna sopra il Choro gli 6 un principio di pit-
tura: su nel colmo in messo gli ^ un Crocifisso con ale due, sopra la
testa del quäle sono tre circoli finiti in un campo tan^ chiaro, con
l'ombra dal messo in su, b quasi tondo come un mappamondo, li detti
circoli sono a foggia d'Astrolabio commessi l'uno nell' altro; ma quello
nel messo b d'oro con 17 pietre pretiose ornato; gli altri due sono di
colore di tan^ oscuro, et ciascun circolo dalle bände ha due ale pic-
cole di color di mocerchio (?); gli sono ancora lettere; nel messo delli
due circoli : I. N. R. I., dentro a quel d'oro gli b scritto : vi : ta : . Di
fuora a quel d'oro che viene ad avere dentro alli due A et (|) overo Tf^.
A' piedi del detto crocifisso c'un tondo a foggia d'un raondo, in messo
del quäle b un Regno de similitudine d'un coperchio di toribula, sono
due Angeli distesi \ dimostrano con le mani teuere il detto tondo solo
con una mano per uno, tengono il detto tondo uno di qua e di lä;
sotto gli b un S. Francesco con le braccia et manto largo al filo della
centura si dal lato destro , come dal sinistro ; per ciascuna parte sono
circa 40 busti cio6 teste de frati, suore, huomini, femine, molti huo-
mini monachi. A man destra gli b un Vescovo, cio6 il quarto o quinto
ma assai giovane et tutte con le diademe, ma un frate a man sinistra
con la Diadema al paro del Vescovo incontro sopra la mano o braccio
destro par che venghi dal cielo col capo in giü quasi, in mano destra
ha un callice come coppa; poi un altro par che tenga una corona da
Re, uno altro pare che scriva con la penna in mano. Poi un tondo
senza niente nel fregio. Dali' altro canto sinistro nel medesimo modo
ed a un filo gli t un angelo che nella mann destra tiene una chiesa e
nella sinistra un tondo , come un specchio come un volto santo ; l'altro
un Panigello ; l'altro una sedia. Poi un tondo nel fregio con la figura a
sedere in nuvola la mano sinistra sopra del genochio sinistro, porge la
mano col pugno over braccio. Nel fregio che fa omamento atorno sono
nel partimento messi Angeli in foggia di cherubini circa 6, tre per banda,
e tutti tengono variate sorti de chiese nelle mani avanti il petto, et
ancora nelle spalle sono 6 ale. Nel volto sotto il cordone nel fregio
che fa omamento atorno sono nel partimento messe figure; quadri per
622 Anhang.
traverso sono quattro per lato : dal settentrione un vecchio con le ale,
un libro et specchio; piü a basso un giovane con le bilancie; sotto un
vecchio annato; sotto et ultimo un giovane che meschia aqua. Verso il
mezzo giorno : un vecchio con specchio e libro in mano ; poi piü a
basso un giovane con le forche; piü a basso una donna un torre in
capo, piü a basso et ultimo una donna con due ampolle in mano.
Questa opera della Tribuna alcuni dicono non esser di mano di
Jotto, ma piü presto de Puccio Capanna d'Assisi, quäl fu poco dopo
Jotto. Gli ornamenti de Jotto esser questi medesimi , h ben vero , che
queste teste sono molto megliore de le altre che fece Jotto. Perö si
va dubitando che sieno sue et non de Puccio ; perch^ Puccio Capanna
par che venisse poco dopo Jotto , il che si dimostra che vivesse poco,
il dimostra per le poche opere che si vedono di lui, le opere son
queste. Un quadro assai grande quäle e sopra la grate della chiesa di
S'*- Chiara dove stanno a vedere la messa le suore , dove gli h una
historia d'un miracolo che S**- Chiara resuscita un Putto , dove gli sono
assai figure d'ogni sorte, cioe donne, huomini, frati, Preti; tra l'altre vi
sono certe donne con vestimenti di quel tempo bellissimi et le teste si
vedono bene over tutti ritratti dal vero et ben fatti, et quell' oppenione
ha m. Dono d'Assisi che sia molto meglior di Jotto et d'ognun di
quel tempo; nella detta opera gli sono ancora certe teste in scurto
molto belle et fra l'altre gli b un Prete con le mani gionte in sutto
scurto, che in effetto dimostra esser l'autore di grande ingegno et arte;
et di piü in su fatti li casamenti et una chiesa molto contrafatta in
prospettiva, le quäl prospettive sono si ben fatte et tirate, che a questi
tempi si crede non si potria meglioriare molto. M'"- Dono d'Assisi b
d'oppenione che costui havesse la vera via della prospettiva, perch^ gli
altri hano usato tal arte ben sono stati dopo lui molto tempo. Questo
quadro b molto bello in vero et non b finito: vi sono in un cantone
quattro figure che sole hano le teste, che b tagliata la calcina et non
sono mai State finite come ancora stä. Vi sono ancora delle opere di
questo Puccio in una facciata d'un portone cio6 : sopra d'ogni canto siede
depinta la madona con il figliol in braccio, da man destra S. Francesco
e da man sinistra s'*- Chiara, ancora si mantengono bene. Quel s. Fran-
cesco ha una bella testa. Questo Portone e fra San Roffino et santa
Chiara a messo viaggio nella Strada. Ancora in una facciata d'una casa,
quäle b nella strada per andare da S. Francesco a la Piazza; fra le due
fontane a man sinistra nella strada detta Portica gli ä nella facciata una
fenestra della casa della fraternitä di S. Gregorio dove a man destra gli
b un Christo alla colona che '1 flagellano; sopra un altro quadro con
un crocefisso da man sinistra gli ä una madona a sedere con il figliol
in braccio, il quäl putto ha una testa che par vivo e che non li manca
Die Kreuzesglorie in S. Francesco zu Assisi, Puccio Capanna etc. 623
senon il parlare, tanto ä ben fatto; dalla man destra della madona una
Santa chaterina e dalla sinistra una santa Chiara."
Was diese Nachrichten über Capanna betrifft, so sind sie nicht dem
Vasari entnommen, sondern Dieser scheint, wie Dono von Assisi, eine
lokale Tradition mitzutheilen. Vasari nämlich (I, 404) erwähnt unter den
vielen Werken, die er Capanna zuertheilt, auch diesen Christus an der
Säule und die Maria zwischen Katharina und Chiara in der Strada Portica,
weiß aber Nichts davon, daß Capanna auch das Fresko in S. Francesco
gemalt, welches er vielmehr dem Stefano Fiorentino zuertheilt, auch nicht,
daß er in S. Chiara gearbeitet. Jenes Fresko, welches die Erweckung
eines Knaben darstellte, theilt er vielmehr seinem Giottino zu (I, S. 627),
erwähnt seinerseits auch die Schönheit der Frauen, den zierlichen Kopf-
putz und das Zeitkostüm. Ob er mit der „Madorma zwischen Franz und
einem Heiligen", die er an dem zum Dom führenden Stadtthor anführt
und gleichfalls Giottino giebt, dasselbe Bild meint, was unsere Alte Be-
schreibung dem Capanna giebt (Maria zwischen Franz und Chiara), kann
zweifelhaft bleiben.
Der Künstler Puccio Capanna, der, wie Vasari selbst will, in Assisi
gelebt und eines frühen Todes gestorben ist, ist uns noch ganz in Nebel
gehüllt. Vasari giebt ihm stilistisch durchaus verschiedene Werke —
auf seine Angaben ist nicht der mindeste Verlaß. Aber auch die An-
gaben der Alten Beschreibung helfen uns nicht viel weiter, da sie offen-
bar ganz willkürlich jene Werke dem Künstler zuschreibt. In S. Chiara
ist das Wunder der Heiligen nicht mehr sichtbar; über dem Gitter im
rechten Querschiff sind nur wenige Reste von zwei Fresken erhalten.
Darunter aber befindet sich, zwar auch sehr zerstört, aber doch noch
einigermaßen zu erkennen und zu beurtheilen in fresco: „Der Tod der
Chiara". Was die Alte Beschreibung vom ,Wunder' sagt, namentlich be-
treffs der Gebäude, paßt wohl auch auf dieses Bild, und wir dürfen an-
nehmen, daß es von demselben Meister herrührt. Dieser aber muß
hiernach offenbar in früher Zeit bei Giotto gelernt haben , da er ganz
in Dessen ältester Manier weiter arbeitet. Er hat ziemlich derbe, läng-
liche Köpfe mit auffallend großen Ohren, röthlich blondem Haar, eine
große Vorliebe für Architektur und eine der Franzlegende in der Ober-
kirche entsprechende, etwas überfüllte Kompositionsart. Zweifellos hat
derselbe Künstler, den ich kurz den ,Meister der h. Chiara' nennen will,
auch die Gewölbe der Vierung in derselben Kirche ausgeführt, und
es muß bloß verwundern, daß weder die Alte Beschreibung noch Vasari
dieselben erwähnen. Auf den vier Feldern ist die Verehrung von je zwei
weiblichen Heiligen, die unter Baldachinen, von Engeln umgeben, stehen,
dargestellt. Es sind: Maria mit dem Kinde und Chiara, Caecilia und
Lucia, Agnes und die h. Klarissin Agnes, Katharina und Margareta. Hier
624 Anhang.
kann man den Einfluß von Giotto's AUegorieen nicht wohl verkennen. —
Nach allen Merkmalen des Stiles ist der Künstler auch der Verfertiger
eines kleinen Triptychons in der Kapelle der h. Agnes derselben Kirche,
welches auf dem Mittelbilde den Crucifixus zwischen Maria und Johannes
und einen knieenden Kardinal, auf dem linken Flügel die h. Chiara und
eine knieende Nonne, auf dem rechten einen h. Bischof und die h. Agnes
zeigt. Hier kehren ganz dieselben charakteristischen Typen wieder. —
Dasselbe muß nun aber ferner auch von jenem in der Alten Beschreibung
erwähnten Fresko der „Maria mit Kind zwischen Franz und Chiara" ge-
sagt werden, das heute noch über dem Portal der jetzigen Confraternitä
di San Crispino (Straße zwischen S. Chiara und S. Maria nuova) sich be-
findet.^) Die Madonna an der Fassade der Kirche des h. Gregor da-
gegen ist aus dem XV. Jahrhundert.
Wir können also diesem ,Meister der h. Chiara' einige Werke mit
Bestimmtheit zuschreiben und ihn als einen lokalen mittelmäßigen Schüler
Giotto's kennzeichnen. Ihm sehr nahe verwandt, aber wohl etwas später
ist ein anderer lokaler Maler, dessen Namen uns unter einem Fresko an
einem Portal neben der alten Kirche S. Lorenzo (auf dem Wege zur
Burg über der Stadt) erhalten ist. Dort findet sich die Bezeichnung
„Chola pictor". Es ist eine Madonna zwischen Lorenzo und Franz, die
so viele Beziehungen zu den vorhergenannten Bildern hat, daß ich lange
schwankend war, ob sie nicht von demselben Maler, nur aus späterer
Zeit, herrühre. Indessen ist das doch mindestens zweifelhaft. Diesem
Cola gebe ich außerdem die Seitenbilder zu einem „Christus am Kreuz" in
der Compagnia S. Rufino, darstellend die Geißelung und Beweinung
Christi. Das Hauptbild: „der Crucifixus von Maria, Johannes, Magdalena
Und Franz beklagt" ist ein sehr ausgezeichnetes Florentiner Bild, das mir
von Giottino, der, wie wir gesehen haben, ja vermuthlich in Assisi thätig
war, zu sein scheint. — Die Krönung Maria ebendaselbst über dem
Portal ist eine Nachahmung Giottino's, schwerlich von Cola. Diesem
aber ist schließlich mit Wahrscheinlichkeit noch das große Fresko in der
Confraternitä delle Stigmate zu geben: Christus am Kreuz, links Maria
von zwei Frauen gehalten, Antonius von Padua und ein knieender Bruder,
rechts Johannes, Franz und ein Heiliger.
Entweder also ist der ,Meister der h. Chiara' derselbe wie Cola, nur
in jüngeren Jahren , oder Cola ist ein in nahen Beziehungen zu ihm
stehender Maler, vielleicht sein Schüler gewesen.
Die sonstigen Freskenreste und Bilder aus dem XIV. Jahrhundert
in Assisi (Municipio und an verschiedenen Häusern der Stadt, auch in
S. Pietro etc.) sind ganz untergeordneter Art.
^) In der Leibung außerdem ein h. Blasius und eine zerstörte Figur. Daneben
Reste eines h. Christoph.
INDEX
(Die Künstlernamen sind gesperrt gedruckt. M. = Maler. B. = Bildhauer. A. = Architekt.
K. = Kupferstecher. Gl. = Glasmaler. Gg. = Glockengießer. I. = Intarsiator. Gs. = Goldschmied.
Hs. = Holzschnitzer. Arch. ^ Architektur.)
A.
Abälard XVIII.
Acerenza: Dom, Arch. 363.
Acciacca ferro, Pier Ant. und
Franc. Hs. 303.
Adam von S. Victor 546.
Adone Doni, M. 106. 205. 291. 303.
Adrian, der h., Darst. 272.
Aegidius, Fr. 17. 536. 580.
Agnes, h., Darst. 272. 620. 624.
Agnes Sciffi 31.
Agnolo, Fr. 43.
Agnolo da Siena, A. 275. 338.
Agnolo di Gabriello, A. 2II.
Agostino da Bergamo, A. 356.
Agostino da Siena, A. 338.
Agostino di Duccio, B. 89. 95.
Aladil 36.
Albert von Verona, B. 346.
Alberti, L. B., A. 341. 384.
Albertinelli, Mariotto, M. 95.
Albertinus von Verona 40.
Albertus von Cremona 406.
Albertus de Pinalto, A. 355.
Alberus, Erasmus 170. 584.
Albigenser, die 34, 431.
Albomoz, Egiditis, Kardinal 209. 299.
Alegretto Nuzi, M. 154.
Alessandro, Gs. 211.
Alessi, Galeazzo, A. 213. 322.
Alexander III., Papst, XVI.
Alexander IV., Papst, 43. 84. 202. 208.
325- 329. 355- 399. 409.
Alexander, Bischof h., Darst. 239.
Alexander von Haies 408. 409. 413.
Thode, Franz von Assisi.
Alexis, der h. 5.
Alighieri, Dante, s. Dante.
Alighieri, Jacopo di Dante 564.
Alighieri, Pietro di Dante 564.
Alkameel 36.
Allegorieen, Darst.: Avaritia 525. 540.
Baum des Lebens 95. 546 — 553.
Caritas 498. 521. 525.
Fides 498. 540.
Fortitudo 532.
Franziskanergelübde: Armuth 521 — 532.
Gehorsam 535 — 535. Keuschheit
532—535.
Franziskanertugenden und Franz 537.
Himiilitas 535.
Immunditia 533.
Invidia 525.
Ira 540.
Kreuzesallegorieen 287. 543 ff. 621.
Luxuria 533.
Munditia 532.
Penitentia 533.
Prudentia 535.
Spes 498. 521. 540.
Superbia 179. 525 537. 540.
Tod 533. 554—565-
Todtentanz 564.
Tugenden und Laster 519.
Vanitas 180.
Vergänglichkeit 533. 557 ff.
Voluptas 179. 540.
Allori, Alessandro, M. 91.
Altamura: S. Maria, Arch. 319.
Altichieri, M. 485. 509. 559.
40
626
Index.
Alttestamentarische Darst. 241 — 244. 617.
618.
Alunno, Niccolo, M. 93. 95. 174. 291.
301. 517.
Alvernia, Kirchen und Kloster 105. 315.
325 ff.
Ambrogio, A. 212.
Amor, Darst. 533.
Ancona, S. Francesco, Arch. 381.
Andrea, A. 210. 211.
Andrea Brescianino, M. 538.
Andrea, l'Ingegno, M. 291.
Andreas Pisanus, Gg. 330.
Andreas von Ungarn 36.
Andriolo , A. 356.
Angelo, Fr. 579.
Angelo da Camerino, Fr. 450.
Angelus de Cingulo 400.
Angelus deCivitä vecchia. Gg. 330.
Angelus domine Pichre 4.
Angioletto da Gubbio, Gl. 291. 299.
616.
Anguie, Familie der 370.
Anguillara, Ridolfo dell' 382.
Annibaldi, Riccardo 204.
Antelami, B. 489.
Antike, die 63. 5 70 f.
Antonello da Messina, M. 494.
Antonio da Pisa, Gl. 616.
Antonio dell' Alvernia, Gl. 616.
Antonio di Jacopo, A. 381.
Antonio di Vincenzo, A. 354. 359.
Antonio Lombardo, A. 212.
Antonius, Eremita h., Darst. 95. 99. 301.
302. 327. Leg. 301. 518.
Antonius von Padua, h. 64: 355. 392. 401.
408. 418 f. Darst. 73. 82. 88. 143.
177. 248. 272. 283. 291. 293. 294.
298. 327. 483. 514- 537. 552. 559.
619. Leg. 619.
Antonius der Pilger 407.
Antwerpen: Gallerie 489.
Apokalyptische Darst. 97 ff. 228 — 231. 518.
541.
Apollonio da Ripatransone, Hs.
302.
Apostel, Darst. 225. 271. 272. 618.
Apostoliker, die 399.
Aquasparta, S. Francesco, Arch. 333.
Aquila : S. Chiara 95.
Arbona: S. Maria di, Arch. 358.
Arcevia: S. Francesco, Arch. 381,
Architektur 62. 65. 305 — 387.
Architekturvorschriften der Franz. 3 10 f.
Ardetb, Conte 202.
Arezzo: Dom 94. 510. Arch. 350. 380.
Pieve 481. 508. 512.
Pinakothek 79. 503. 506.
S. Bemardo 510.
S. Francesco 80. 94. 126. 175. 177. 480.
518. Arch. 332.
S. Maria della Misericordia 516.
Vescovado 94.
Aristoteles 56.
Arnold von Brescia XVIII.
Arnolfo di Cambio, A. 184. 204. 205.
279- 339- 340.
Ascoli: S. Francesco, Arch. 381.
Assisi : Carceri, Kloster 323.
Dom 195. 318.
Hausfresko 175.
Minervatempel 117. 187.
Palazzo publico 117.
Rivotorto, Kirche 27. 324.
S. Chiara 120. 193. 236. 289. 481. 503.
Fresken 289. 623. Arch. 329.
S. Crispino, Confratemita 624.
S. Damiano 10. 12. 31. 120. 150. Arch.
315 f.
S. Francesco, AUgem. 130. 184 ff.
Unterkirche, Arch. 190 — 194.
Vorhalle 21 2.
Südportal 194.
Thüren 213.
Tribuna 287. 303. 544 ff- 621 f.
Chorgestühl 302.
Grabkapelle 214.
Südliches Querschiff. Kap. S. Se-
bastian 213. 303.
Wandmalereien 303.
Fresko XV. Jahrh. 301.
Grabmal Specchio 298.
Grabmal des Joh. v. Brienne 205.
297.
Kap. Antonius Eremita 301.
Kap. Katharina 299 f. 620.
Mittelschiff. Franzlegende 77. 105.
109 ff. 146. 182 f. 2 16 f.
Passion Christi 217 f. 477.
Kanzel 208.
Fresko über Kanzel 287. 515.
Kap. h. Martin 219 ff. 620,
Thurmkapelle 617.
Kapelle h. Ludwig 209. 303. 620.
Index.
627
Assisi : S. Francesco, Mittelschiff.
Kap. h. Antonius von Padua 290.
619.
Kap. h. Valentinus 290.
Kap. h. Magdalena 282 — 287. 619.
Nördliches Querschiff. Giotto : AUe-
gorieen 275. 286. 521 — 539.
542 f.
Altar 208.
Tabernakel 213.
Cimabue, Madonna 81. 235 f. und
öfters.
Giotto : Jugendgeschichte Christi
276 — 281. 462. 464. 469.
470. 471-
Simone Martini : Maria , Heilige
294.
Lippo Memmi : Mönche 294.
Giotto : zwei Wunder des Franz
164 — 166.
Giotto: Allegorie des Todes 558 f.
P. Lorenzetti , Schule : Passion
Christi 148. 150. 294 ff.
Spagna: Tafelbild 291.
Kap. h. Nikolaus 268 — 275. 281.
619.
Kap. h. Johannes d. T. 268. 620.
Sakristei, Kruzifix 78. Franzporträt
76, 105 ff. 216. Schränke 303.
Neue Sakristei 210.
Oberkirche. Architektur 194 — 196.
Fassade 195.
Portal 195.
Dach 212.
Längshaus. Fresken aus A. und N.
Testament 240 — 251. 472 und
öfters.
Franzlegende 1 1 4 — 163.254 — 267.
Giotto: Maria und Kind 505.
Deckengemälde 81.
Glasfenster 105. 146. 212. 554.
618 f. 620.
Kanzel 289. 298.
Querschiff und Chor. Fresken 96.
220 — 236 und öfters.
Päpstlicher Thron 208.
Giunta: Kruzifix 94. 199. 216. 480.
Glasfenster 6 1 7 f.
Chorgestühl 302.
Arkaden vor der Kirche 212.
Campanile 196. 200.
Caniposanto 194. 212,
Assisi : S. Francesco.
Kapelle S. Bemhardin 213.
Kloster 208 ff. Substruktionen 208.
Alter Hof 209. Grosser Hof 206.
209. 303. Franzlegende 303.
Treppenanlage 213. Dormitorium
211. Fremdengebäude 213. In-
fermeria 209. 210. Refektorium
210. 541. Kleines Refektorium
289. 294. 303. Palestra 283.
Sixtus IV. Statue 210.
S. Giorgio 117. 197. 329.
S. Gregorio 624.
S. Lorenzo 624.
S. Maria degli Angeli 91. 480. Arch.
320 — 323. Porziuncula 12. 16. 38.
45. 156. 175. Arch. 170 ff. 320 f.
Rosenkapelle 175 ff. Franzporträt 77.
S. Pietro 22. 193. Arch. 3I7ff.
S. Rufino, Compagnia 624.
S. Stigmata, Confratemitä delle 624.
Augustiner, die 34.
Augustinus 437. Darst. 285. 619.
Avanzi, Jacopo degli, M. 494.
Avanzo, M. 559.
Ave Maria-Läuten 500.
Aversa : Dom, Arch. 363.
Bach, Joh. Seb., Mus. 572.
Baco von Veriilam 397.
Bacon, Roger 56. 410. 411.
Baldovinetti, Alessio, M. 510.
Balducci, Matteo, M. 94.
Bari: S. Niccolö, Arch. 343.
Barna, M. 94. 515.
Barnaba da Modena, M. 509. 515.
Barsegape, Pietro da 440 f. 485.
Bartholomäus Pisanus, Fr. 200, 396. 583
und passim. Darst. 553. 554.
Bartholomäus Tridentinus 178.
Bartolini Ploti da Novara, A. 379.
Bartolo di maestro Fredi, M. 510.
Bartolommeo, Fra, M. 95. 181.
Bartolommeo da Pian Castagnajo,
Gl. 616.
Bartolommeo da Ponte, A. 356.
Basaiti, Marco, M. 88. 93.
Basilisk, Darst. 208.
Bassano, die M. von 91.
Bassi, Matteo de', Kapuz. 85. 400.
40*
628
Index.
Bastian!, Lazzaro, M. 96.
BattifoUe, Simone, Conte di 326.
Beaumont, El. Comtesse de 5.
Bela IV. von Ungarn 402.
Belli, Pasquale, A. 214.
Bellini, Giovanni, M. 150. 508.
Bellini, Jacopo, M. 150.
Benaglio, Girolamo, M. 88.
Benedetto da Majano, B. 89. 104.
106, 124. 126. 133. 150. 153. 168.
Benedetto da Rovezzano, B. 556.
Benedict, der h. 71. 92. 102. 171. 248.
275- 321. 394.
Benedict XI,, Papst 372.
Benedict XII., Papst 398.
Benedicta, Klarissin 237.
Benedictus, Maurer 355.
Benedictus von Arezzo, Fr. 170.
Benozzo Gozzoli, M. 90. 95. 104. 106.
117. 118. 119. 122. 125. 130. 133.
142. 153. 169, 180. 181. 274.
Bergamo: Akademie 88. 510.
Bischöfl. Palais 106.
S. Francesco 76. Arch. 314.
S. Spirito 150.
Berlin: Gemäldegallerie 88. 93. 94. 95. 134.
165. 180. 465. 469. 472. 480. 505.
509. 515- 541.
Kupferstichkabinet 180.
Skulpturensammlung 124.
Berlinghieri von Lucca, M. 74. 77. 80.
104, 105. 146. 480. 484. 510.
Berlinghieri, Graziadio Bischof 334.
Bernardino von Perugia, M. 95.
Bemardino von Siena, h. 97.' 174. 322. 323.
324. 516. Darst. 177. 213. 517.
Bernardo da Bessa, Fr. 583. 592 ff.
Bernardo di Lorenzo, A. 211.
Bernhard von Clairvaux XVIII. 308. 309.
364. 382. 415. 453. 501. 556. 560.
Bernhard von Quintavalle, Fr. 14. 15. 76.
Bernhard von Ventadour 430.
Berthold von Regensburg, Fr. 415. 417.
419—430. 435- 453. 498 500. 507.
Bertini, Gl. 616.
Bibbiena: S. Lorenzo 150.
Bicci, Lorenzo dei, M. 126. 168. 527.
Bistocchi, Galeotto di 316.
Blasco, Grafen von 302.
Blasius, der h., Darst. 624,
Boccaccio 274. 570.
Boldrini, N., Holzschneider 149. 150.
Bologna: Akademie 91. 93. 95 (3). 494.
CoUegio di Spagna 509.
S. Domenico 94. Arch. 355. 506.
S Francesco 106. 124. 126. 131. 133.
141. 150. 154. 160. 515. Arch. 312.
313. 314. 344. 351 ff.
S. Giacomo maggiore, 515. 564. Arch. 359.
S. Giovanni in monte 92.
S. Maria dei Servi 237. 359. 503.
S. Martino maggiore. Arch. 350. 359.
S. Petronio 88. 515. 553. Arch. 359 f.
S. Salvatore 515.
S. Stefano 95.
Bonaventura, Fr. 28. 53. 64. 98. 310. 323.
326. 338. 395. 409. 410. 4i3f- 418.
433. 446. 453. 455- 485. 500. 529.
539- 548. 579 ff- 587—609 u. passim.
Darst. 177. 483. 541. 547- 552-
Boncompagnus, Magister 405.
Bonfario, Baldo Piombino und Gattin Si-
billa 357.
Bonifaz VIII. 443. 485.
Bonifazio Veronese, M. 93 (3.)
Bonino von Assisi, Gl. 299. 616.
Bonvesin della Riva, Fr. 439 f.
Borgognone, Ambrogio, M. 150. 563.
Borgo San Sepolcro : S. Agostino 517.
S. Chiara 94.
Botticelli, Sandro, M. 89.90. Schule
95. 180.
Bourlemont, Familie 4.
Bramante, A. 384.
Brescia: S. Domenico, Arch. 349.
S. Francesco 82. 96. Arch. 349 f.
S. Maria dei Carmine, Arch. 349.
S. Nazaro 91.
Brescianino, Andrea, M. 538.
Brienne, Johann von 36. 297 f.
Brienne, Walther von 7, 8.
Britti, die (Sekte) 399.
Brizi, Giuseppe, A. 214.
Brüssel: Gallerie 189.
Brunetto Latini 561.
Brunellesco, A. 335. 340. 383. 569.
Buddha 49.
Buddhaismus 402.
Buffalmacco, M. 282. 291. 299.
Buonfigli, M. 517.
Buonfiglio, Rudolf von Siena 337.
Busati, Andrea, M. 88. 95.
Index.
629
C.
Cadenet, Troubadour 430.
Caecilie, h., Darst. 240. 623.
Caesarener, die 393.
Caesarius von Speier 37. 38. 393.
Cagli: S. Francesco 163.
Calvi, Niccolo 202. 329.
Campello, s. Filippo da.
Campolongo, Bart. 357.
Capanna, Puccio, M. 105. 115. 171.
174. 282. 287. 291. 294. 540. 545.
621 ff.
Capella, Johannes de, Fr. 17. 37. 289.
Capua: S. Angelo in Formis 497.
Carattoli, Pietro, A. 330.
Cärdi, Lodovico de Cigoli, M.
91- 93-
Cardinius, Johannes u. Antonius 335.
Carmeliter, die 306.
Caroto, Giovanni, M. 475.
Carracci, Lodovico, M. 91. 93.
Casamari bei Veroli, Arch. 367.
Cascia, S. Francesco, Arch. 331.
Castagno, Andrea, M. 90. Richtung
94- 95-
Castelbarco, Guglielmo 333. 371.
Castel Fiorentino 538.
Castelfranco : Collegiata 9 1 .
Castiglione d'Olona: Collegiatkirche 465.
Arch. 350.
Castiglione Fiorentino : S. Francesco 79.
149 (2). 480. 508. S. Giuliano 481,
Catena, Vincenzo, M. 541.
Cattaneo, Pietro, Fr. 14. 36. 37. 38. 322.
Cavalcanti, Guido 432. 455. 528. 564.
Cavalcanti, Andrea di Lazzaro di
Buggiano, A. 335.
Cavallini, Pietro, M. 105. 251. 295.
Ceccolo di Giovanni, M. 301.
Ceilega, Jacopo, A. 370.
Cennino Cennini, M. 518. 538.
Cesena: Dom, Arch. 350.
Chantilly, Musee 196.
Chateau Beaumont 106.
Chiara, die h. 12. 31. 47. 329. Darst. 79.
92. 157. 177. 273. 283. 291. 293. 294.
302. 541. 547. 624. Leg. 168. 623.
Chemnitius, Martin 170.
Chiaravalle von Chienti, Arch. 367.
Chiaravalle bei Mailand 206. 340. 358.
Arch. 364 f. 373.
Chiaravalle bei Sinigaglia 367. 374.
Chiusi, Orlando Graf von 43.
Chiüsi, Tarlato Graf von 326.
Christoph von Bozen, A. 355.
Christophanus, Gs. 211.
Christusdarstellungen. Christus 248. 273. 285.
Abendmahl 476.
Abschied von Maria in Bethanien 473.
Anbetung der h. 3 Könige 245. 278.
45 •• 468 f.
Auferstehung 451. 494.
Bethlehemitischer Kindermord 279. 451.
Beweinung 94. 246. 490 f.
Darstellung im Tempel 245. 279 476 f.
Domenkrönung 476.
Ecce homo, Kopf 494.
Erscheinungen 494. Emmaus 452. Mag-
dalena 494.
Flucht nach Egypten 93. 245 und die
Heimkehr 279. 471.
Fusswaschung 476.
Geburt 244. 278. 325. 327. 462 f.
Gefangennahme 286. 476.
Geißelung 246. 476.
Gleichnis der 10 Jungfrauen 452.
Gethsemane 93. 290. 476.
Grablegung 94. 492.
Heimsuchung 244. 278. 463 f.
Hochzeit zu Cana 245.
In Cathedra 95.
Kreuz und Heilige 94. 283. 288. 302.
326. 483. 624 (3).
• Kreuzabnahme 78. 489 ff.
Kreuzanheftung 479.
Kreuzigung 94. 222. 227. 246. 280.
480—488.
Kreuztragend 479.
Kreuztragung 246. 477 ff.
Kruzifix 77. 78. 94. 120. 156. 236. 240.
480 ff.
Lazari Aufer^veckung 246.
Leben, Cyklus 244 — 247. 548 ff. 618.
619.
Passion 217 f. 294 ff.
Pfingstfest 247.
Pietä 494.
Schmerzensmann im Grabe 95. 325. 494.
Taufe 245.
Transfiguration 223.
Verkündigung Maria 194. 244. 274. 461 f.
Weltenrichter 94.
Zwölfjährig im Tempel 245. 279. 472 f.
630
Index.
Ciacco deir A.nguillara 432. ,
Ciantori, Bemardino dei 115.
Cimabue, M. 220 — 240. 460. 569. 618
und passim. Fresken, Unterkirche Assisi
216. 217 flf. Fresken, Oberkirche 94.
220 — 240. 512. Kruzifix in S. Chiara,
Assisi 236. 481. Mariendarst. 81.
235 — 237. 503. Michaellegende, S.
Croce, Florenz 238.
Cimabue, Schule 240—251. — Art
des 480.
Cino da Pistoja 563.
Cisterzienser, die 65. 401.556. Bauten 306 ff.
344 f. 364 ff. und passim.
Cittä di Castello: Gallerie 95. 508.
S. Croce, Arch. 333.
S. Domenico, Arch. 333.
S. Francesco, Arch. 333.
Clairvaux, Arch. 354. 360.
Clarello, Fr., A. 355.
Clarellus, Fr. 401.
Clarener, die 400.
Clareno, Angelo 593 ff.
Clarissinnen, die 31.
Clemens, h., Darst. 301.
Clemens V., Papst 329. 396.
Clemens VI., Papst 398.
Cluniacenser, die 308. 321.
Clusone: S. Bemardino 562. 563.
Coda, Benedetto, M. 180.
Coelestin IL, Papst 471.
Coelestin V,, Papst 400. 443.
Coelestinereremiten, die 85. 400.
Cola, M. 624.
Colonne, Guido und Odo delle 431.
Columbus 402.
Comello, Giacomo de' Taverni gen. 375,
Compatre, Giovanni 329.
Conformitates des Barth. Pisanus 583 und
passim.
Conrado de Offida, Fr. 605 ff.
Conventualen, die 398.
Conxolus, M. 73. 103. 502.
Coppo di Marcovaldo, M. 503. 504
Correggio, M. 89. 91. 93.
Cortona: Dom 508.
S. Domenico, Arch. 332.
S. Francesco, Arch. 312. 332.
S. Niccolo 95.
Cosmas, Jacobus, B. 208.
Cosmaten, die, B. 73. 208. 505.
Costa, Lorenzo, M. 94. 95. 564.
Credi, Lorenzo, M. 95.
Cremona: Dom 374. 480.
S. Francesco, Arch. 314. 375.
Crescentius, General Fr. 393. 577. 578.
Crispolto da Bettona, Hs. 209. 298.
302.
Cristofano da Gualdo, Gs. 2II,
Cristofano di Ricomanno, B. 212.
Cristoforo Moro 342.
Crivelli, Carlo, M. 88.
Cronaca, il, A. 342.
Cyrillus, der h. 321.
D.
Daddi, Bernardo, M. 465. 503. 506.
Damianus, h., Darst. 620.
Dandolo, Francesco, Doge 370.
Daniel, Darst. 541. 559.
Daniele da Volterra, M. 489.
Dans Helinand 556.
Dante Alighieri 48. 57- 59- 179- 235.402.
413. 431. 438. 454 f. 499. 522. 525.
543-
Danti, Giulio, A. 322.
David von Augsburg 419.
Deodatus Orlandi, M. 481. 503.
Deruta: S. Francesco, Arch. 333.
Deustesalvet, Fr. 405.
Devozioni, die 453 f. und öfters.
Diephold von Apulien 7.
Dinge, die letzten, Darst. 496 — 500.
Dionysius Areopagita 414. 543-
Disciplinati di Gesü Cristo, die 441.
Dolcino von Novara 400.
Domenico von Sanseverino, Hs. 302.
Domenico Veneziano, M. 88. 89.90.
99-
Dominicaner, die XXII. 65. 395. 379. 565
und passim. Darst. 94.
Dominicus, der h. 25. 32. 33. 34. 93- I77 f-
Darst. 83. 93. 94. 248. 483. 552. Be-
gegnung mit Franz 177.
Dominicus Bartolus 326.
Donatello, B. 462. 570.
Donato Veneziano, M. 95.
Doni, Adone, M. 106. 205. 291. 303.
Dotti, Francesco, A. 355.
Drei Lebende und drei Todte, Legende 555.
557 ff.
Dresden: Gallerie 91. 93. 501. 511.
Dublin: National Gallery 93.
Duccio, M. 489. 504. 507. 508.
Index.
631
Duns Scotus 409. 411.
Dupres, Giov., B. 71. 340.
Dy ck , van , M. 93.
Egidius, Maurer 355.
Elias, Fr. 29. 35. 37. 38. 44. 46. 47- 4».
94. 184. 185. 197. 199 f. 206. 216.
392 f.
Elisabeth, die h. 402. Darst. 273. 293. 294.
Empoli : Kathedrale 510.
Engel, Darst. 223. 226. 227. 228. 248.
285. 543-
Enzio, König 401. 431.
Ercole I. Este 379.
Eschenbach, Wolfram von 431.
Este, Alberto d' 379.
Ercole I. 379.
Eugen IV. 326.
Eugenius, h., Darst. 301.
Eusebio di S. Giorgio, M. 95. 150.
Evangelisten, die vier, Darst. 231. 301, 552.
Evangelistensymbole, die, Darst. 73.
Ezechiel, Vision des, Darst. 75.
Ezzelino Romano 355. 401.
Fabriano: Samml. Fomari 149.
Samml. Rosei 149.
S. Domenico, Arch. 350.
Faenza: Dom, Arch. 384.
Fallerone: S. Francesco, Arch. 381,
Faloppia, Giov., M. 352.
Fano : S. Maria nuova 88.
Fasani, Ranieri 441.
Federigo Tedesco, M. 369.
Felitiano , M. 211.
Ferentino: S. Maria, Arch. 367,
Fermo: S. Francesco, Arch. 381.
Ferri, Luigi, A. 322.
Ferrara; Samml. Costabili. 95.
Samml. Lombardi 95.
S. Francesco, Arch. 378.
S. Maria in vado, Arch. 384,
Ferraresische Schule, M. 94.
Figline bei Prato 516.
Filippo da Campello, A. 199. 201.
202. 203. 206. 207. 208. 303. 329.
331.
Filippo, Fr. 37. 38.
Finiguerra, Maso, K. 95.
Fiorenzo di Lorenzo, M. 510, 620.
Fioretti di S. Francesco 43. 583.
Florenz : Akademie. Berlinghieri 80. 146.
480. 510. Botticelli 90, Cimabue 236.
503. Daddi 465. 506. Gaddi, Agnolo
465. Gaddi, Taddeo 106. 122, 124.
125. 128. 136. 144. 153. 167. Gen-
tile da Fabriano 465. 469. Giotto 504.
Lorenzo Monaco 465. Masaccio 516
Niccolo di Pietro Gerini 492. Pacino
di Bonaguida 547. Paolino, Fra 94.
Sogliani 94. Ugolino? 515. Meister des
XV. Jahrh. 94.
Baptisterium 462. 497.
Bargello 95. 495- 497- 499-
Berenson, Mr. 106.
Demidoff, Samuel, einst. 538.
Dom 251. 514.
Loggia dei Lanzi 126.
Loggia in Piazza S. Maria novella 180.
Orsanmichele 464. 503. 512,
Palazzo Pitti 95. 510.
Palazzo Signoria 126.
S. Ambrogio 126. 149. 153.
S. Croce. Arch. 239. 339. Benedetto da Ma-
jano 124. 126. 133. 150. 153. 168.
Cimabue, Michaelkap. 238 f. 340.
Daddi 465. Domenico Veneziano 88.
90. Donatello 462. Franz-Porträt 80.
Gaddi, T. Baroncelli Kap. 464. 409-
511. Gaddi, A. Chorfresken 518.
Giotto, Kap. Bardi 122. 125. 132.
143. Giotto, Kap. Peruzzi 288.
Giotto, Kap. Tosinghi und Spinelli
511. Giottino, Silvester Kap. 288.
493. Giovanni da Milano, Rinuccini
Kap. 506. 507. 511. 527. Kap.
Medici 340. Bilder in Sakristei und
Korridor 477. 481. 494. 505. 514.
Fresken des Hofes 106, 122. 124,
144. 168. 179. Refektorium, Fresken
und Bilder 95. 240. 275. 476. 552.
Noviziat 540. Fassadenfresko 126.
168.
S. Felicita 507.
S. Francesco al monte 342. 384.
S. Giovanni di calza 95.
S. Giovanni dei Cavalieri 465.
S. Jacopo 94.
S. Leonardo fuori 489.
S. Lorenzo, Arch. 383.
S. Marco 90. 95. 480.
632
Index.
Florenz :
S. Maria del Carmine 506.
S. Maria novella, Arch, 379 f. Cimabue
236. 503 u. öfters. Giottino 465.
506. 512. Orcagna 4.97. 498. 500.
Simone Martini, Schule 465. Spa-
nische Kap. 485.
S. Maria sopra l'Amo 205.
S, Maria Maddalena dei Pazzi, Arch. 384.
S. Miniato, Arch. 343.
S. Onofrio di Fuligno 527.
S. Piero maggiore 465.
S. Remigio, Arch 380.
S. Simone 240.
S. Spirito 506. .
S. Trinitä, Arch. 379. Ghirlandajo 122.
126. 133. 149. 150. 153. 165.
Uccello 89. 105.
Scalzi 472.
Uffizien 90. 93. 240. 288. 384. 462.
469. 508.
Florenz, Schule von, M. 106(2).
Fogolino, Marcello, M. 541.
Folgere di San Gimignano 432.
Foligno : Palazzo publico 512.
S. Domenico, Arch. 333.
S. Francesco, Arch. 333.
Forli: Pinakothek 95. 369.
S. Mercuriale, Arch. 350.
Fossanuova, Cist.-Kirche 367. 374.
Franchi, Bart. 335.
Francesco Acciaccaferro, Hs. 303.
Francesco da Barberino 535.
Francesco da Bessa, Fr. 577.
Francesco da Fabriano, Fr. 450,
Francesco da Firenze, A. 322.
Francesco di Cola, A. 356,
Francesco di Corrado, Steinmetz 209.
Francesco di Giorgio, M. 338.
Francesco di Muscio, Steinmetz 209.
Francesco di Pietrasanta, B. 212.
Francesco di Terranuova, Gl. 616.
Francia, Francesco, M. 89. 91.93(3).
95 (3).
Francia, Giacomo, M. 95(2).
Franco, Matteo 126.
Franz von Assisi, Darstellungen.
Allegorische Darst. Gelübde u. Triumph
275. 286. 521 — 539. Kreuzesnach-
folge 554. Franz und Todter 558 f.
Als Schildträger 88. Wappen 89
Als Ordensstifter 541. Mit Christus-
kind 554. Fahnenträger Christi 539.
Franz von Assisi, Darstellungen.
Attribute 84. 87 ff.
' Bildnisse 67 ff.
Büßer 92.
In Devotionsbildern 93 ff.
Inmitten seiner 12 Apostel 289.
In Landschaft 92.
Tracht 85.
Legende: Almosen spendend 112. 168.
Aussendung der Jünger 113.
Befreiung des Häretikers Petrus 162.
Begegnung mit Dominicus 105. 177.
Begegnung mit den 3 Tugenden 537.
Beichte der vom Tode Erweckten 161.
Bekehrung des Hieronymus 155.
. Bekleidung des Armen 117.
Beweinung des F. vor S. Damiano 157.
Canonisation 158.
Erweckung des aus dem Fenster ge-
fallenen Kindes 164.
Erweckung des verschütteten Jünglings
166.
Gebet in San Damiano II i (2). 119.
Geburt 181.
Heilungen 107. 108. 113. 160,
Huldigung 11 7 f.
Innocenz III. bewilligt die Predigt 105.
112. 124,
Jüngereinkleidung 168.
Krankenpflege 113.
Kreuzerscheinung 1 34.
Lämmerbefreiung 113.
Lossagung vom Vater 109. iii. 112.
120.
Martyrium der Brüder in Marokko 167.
Musik hörend 169. 456 f.
Orakelwort des Evangeliums 112.
Portiuncula -Ablaß und Rosenlegende
170—177.
Predigt vor Honorius III. 142.
Regelabfassung 168.
An Schandsäule 114.
Seesturmbeschwichtigung 113.
Stigmatisation 83. 105. 109. iio. m.
113. 144. 296.
Vor Sultan 113. 131.
Tod HO. 112. 113. 151.
Tod des Edlen von Celano 140.
Tränkung des Durstigen 137.
Versuchung durch ein Mädchen 134.
Index.
633
Franz von Assisi: Legende.
Vertreibung der Dämonen zu Arezzo
129.
Vision des Augustinus 154.
Vision des Bischofs von Assisi 154.
Vision Gregor's IX. 159.
Vision Innocenz' III. 105. 109 in.
123. (Palmbaum 124.)
Vision des Monaldus zu Arles 113. 143.
Vision des Fr. Pacificus 169.
Vision des Palastes 1 1 8.
Vision des Petrus und Paulus 168
Vision eines Knaben 168.
Vision des Thrones 128.
Vision des feurigen Wagens in. 126.
Vögelpredigt 109. in. 112. 138.
Wahl der Kutte 112.
Weihnachtsfeier zu Greccio in. 113.
134. 451.
Fratres de Communitate 393.
Fratres strictioris observantiae 398.
Friedrich I XVIII.
Friedrich II. 97. 206. 232. 393. 395. 401.
402. 407, 431.
Fuccio fiorentino, B. 205. 297.
Fungai, M. 94. 95.
Furtmayer, Berthold 553.
Gaddi, Agnolo, M. 506. 516 518. 617.
Gaddi, Gaddo, M. 115. 251. 514.
Gaddi, Giovanni, M. 276. 288.
Gaddi, Taddeo, M. Allgem. 276. 277.
282. Marienbilder 505 f. Berlin, Gall.
165. 465. 505. Franzlegende in Akad.,
Florenz 106. 122. 124. 125. 128. 136.
143. 144. 167. Florenz, S. Croce, Kap.
Baroncelli 464. 469. 511. S. Croce, Re-
fektorium 95. 476. Florenz, S. Felicitä
506. Pisa, S. Francesco 105. 126. 527.
535- 537. 540. Pistoja, S.Giovanni 506.
Gaddi, Schule, M. 94.
Gaeta: S. Giuseppe, Arch. 319
Galassü, Galassi, M. 94.
Gambacoili, Familie 337.
Garcia, Grafen von 302.
Ganghereto: S. Francesco 79.
Garofalo, il, M. 93. 94. 95.
Gasparino d'Antonio di Ruberto
di Foligno, Gs. 208.
Gatta, Bart., M. 91 149 (2).
Gennaro di Cola, M. 516.
Gentile von Assisi 7.
Gentile da Fabriano, M. 149. 151.
465. 469. 510. Richtung 149.
Gentile da Spoleto 398.
Genua: Grabmal Tom. Campofregoso 212.
Palazzo bianco 96.
Georg, h., Darst. 87. 272.
Gerardus de Fracheto, Fr. 178.
Gerardus de Modena, Fr. 419.
Gerhard von Borgo San Donnino, Fr. 97.
394.
Gericht, jüngstes, Darst. 94. 497 ff.
Gerini, Niccolo di Pietro, M. 477.
492.
Gerino da Pistoja, M. 517.
Germanus, A. 348.
Ghiberti, Lorenzo, B. 216. 569.
Ghirlandajo, Dom., M. 104. 106. 122.
126. 133. 149 (2)- 150. 153- 165.
Schule 540.
Ghirlandajo, Rid., M. 93.
Giacomino da Verona, Fr. 434 ff. 440. 496.
Giacomo di Pietra santa, B. 211. 212.
Giolfino, Schule des, M. 106. 122.
128. 133. 160. 169. 177.
Giordano di Giano, Fr. ll. 530 u. passim.
Giorgio da Sebenico, B. 381.
Giorgione, M. 91, 180.
Giottino (Maso di Stefano), M. 270.
283. 287. 289. 290. 465. 506. 512.
515. 569. 623.
Giotto, M. Allgem. 62. 63. 69. 86. 87.
100. 412. 429. 451. 460. 476. 596.
Arch, 202. Dichter 405. 528. Jugend-
stil 86. 251 — 267. Marienbilder 504.
505. Assisi, AUegorieen 275. 521 bis
539- 558 f. Assisi, Franzlegende 115
— 163. 254 — 267. Assisi, Leben
Christi 276 ff. 461 — 500. Assisi, Mag-
dalenen-Kap. 282 — 287. Assisi, Nico-
laus-Kap. 268 — 275. Florenz, Bargello
497. Florenz, S. Croce, Kap. Bardi 122.
125. 132. 143. 144. 147. 153. 154.
527. 535- 537- Kap. Peruzzi 267.
Krönung Maria 515. München, Kreu-
zigung 94. Neapel, Apok. Darst. 518.
Padua. Arena-Kap. 461 — 500. Rom,
S. Peter 268. 270. Ravenna, Rimini,
Fresken 104. 538. Giottos Porträt 274.
Giotto, Schule, M. 94.
Giovanni, Fra, A. 334, 351.
634
Index.
* Giovanni undAntonio daMurano,
M. 95-
Giovanni Antonio da Brescia, K.
541.
Giovanni, Fra, da Fiesole, M. 89.
90. 95- 134. 180 (2). 480. 498.
Giovanni da Milano, M. 255. 276.
506. 507. 511. 527.
Giovanni da Parma, Dichter 529.
Giovanni da Rimini, M. 506.
Giovanni di Gaiso, A. 342.
Giovanni di Paolo, M. 144. 554.
Giovanni di Piero, M. 94.
Giovanni di Pier Jacopo, J. 303.
Girgenti: S. Niccolö, Arch. 319.
Giunta Pisano, M. 76. 94. 199. 216.
220 und öfters.
Giustiniani, Familie 370.
Giustiniani, Lorenz, der h., Darst. 96.
Gomario, Daniele 333.
Gonzaga, Francesco, Fr. 585.
Gracius, A. 355-
Gradenigo, Familie 370.
Grafenberg, Wirent von 56.
Grancey, de, Familie 5.
Gravedona: S. Francesco, Arch. 343.
Graz : Domschatz 564.
Graziani, Fra Raimondo da Cotignola 334.
Greccio: Kloster S. Francesco 74. 325.
Gregor, der h., Darst. 73. 619. 620.
Gregor IX., Papst 33. 43- 47- 4». 7i- 72.
75- 97- 197- 199- Darst. 159. 226.
394.
Gregor X., Papst 399.
Gregor XIII, Papst 319.
Gregorius von Neapel 37.
Greif, Vogel, Darst. 208.
Gruamons, B. 476.
Gualandi, Familie 336.
Gualberto Giotti, Gl. 616.
Gualdo Tadino : S. Francesco, Arch. 331.
Guariento, M. 369.
Guastavillani, Familie 354.
Gubbio : Dom, Arch. 343.
S. Agostino, Arch. 343.
S. Francesco, Arch. 350.
Guercino, M. 91. 92. 93.
Guete in Spanien : S. Francesco 83.
Guglielmo Agnelli, A. 333.
Guglielmo de Marcilla, Gl. 170.
Guido, Bischof von Assisi 24.
Guido da Siena, M. 217. 502. 504.
Guidolinus Januarius von Parma,
Musiker 458
Guinicelli, Guido, Dichter 432.
Guinigi, Paolo 333.
Guittone, Fra, d'Arezzo, Dichter 432, 560.
H.
Hadrian, der h., Darst. 272.
Hadrian IV., Papst XVIII.
Hadrian VI., Papst 27.
Heinrich, Bischof von Mailand 365.
Heinrich der Cluniacenser 19.
Heinrich von Molk 555.
Heinrich von Vinstigen 553.
Helena, h., Darst. 285.
Henricus Pisanus, Musiker 457, 578.
593-
Herman, Guillaume, Dichter 453.
Hieronymus, der h., Darst. 87. 92. 94. 96.
99. 620.
Hieronymus Bartholomaei, A. 213.
Hiob, Darst. 73.
Hobbes 397. 410.
Hölle, die, Darst. 422. 436 ff. 499.
Honorius III., Papst 5. 29. 31. 33. 38. 39.
142. 172. 392.
Hueber, Fortunatus 585.
Hugo de Bareola, Fr. 395. 408. 419. 499.
Hugo de Hergilpo, Fr. 290.
Hugo von Ostia, Kardinal 33. 34. 38. 80.
Hugo von S. Viktor 414.
J-
Jacobaea da Septemsoliis 73.
Jacobus Britii de plebe S. Stephani 327.
Jacobello del Fiore, M. 510.
Jacobus Pauli, M. 515.
Jacobus de Vitriaco 36 u. öfters.
Jacopo di Bevagna, Fr. 201. 204.
Jacopo de Lendino, Dichter 431.
Jacopo da Pola, A. 355.
Jacopo Tedesco, A. 185. 186. 199.
203. 205. 206. 329. 332.
Jacopo Torriti, M. 82. 89. 251.
Jacopone da Todi, Dichter 27. 57. 64. 97.
439. 441—450. 452. 453. 455. 465.
466 f. 485. 509. 512. 524. 529 ff.
539. 556. 559 f. Darst. 441.
Jesajas, Darst. 559.
Jesuiten, die 30. 385.
Ilario da Viterbo, M. 175.
lUuminatus, Fr. 36. 43. 44. 132. 580. 582.
Index.
635
Innocenz III, Papst XVI. XX. 18. 21. 22.
23. 33. 36. 71- 97. 184. 417. Darst.
123 f.
Innocenz IV., Papst 201. 202. 288. 319.
325. 381. 393. 401. 449.
Joachim von Floris 83. 97. 179. 394 f. 396.
Johannes s. auch Giovanni.
Johannes XXII., Papst 410.
Johannes d. Ev. Darst. 514. 518. 547.
Johannes d. T. Darst. 87. 90. 92. 95. 248.
272. 514. 541. 617.
Johannes de Capeila, Fr. 17. 37. 289. 392.
Johannes von Ceperano, Fr. 577. 592 ff.
Johannes de Civitä vecchia, Gg. 330.
Johannes von Greggio 41.
Johannes von Kent, Fr. 31. 578.
Johannes von Olivola, A. 342.
Johannes von Parma, General, Fr. 394. 577.
Johannes Pisanus, Gg. 330.
Johannes de Sancto Paolo, Bischof 22.
Johan des Vall^es 398.
Johannes von Vicenza 404. 4 19.
Johanninus de Ollis, Musiker 458.
Jordanus, Dominikaner 178.
Josaphat und Barlaam, Legende 49. 558.
Julian von Speyer 592 ff.
K.
Kapuziner, die 85, 400.
Karl II. von Sizilien 402.
Karl IV. 402.
Karl von Anjou 236. 363. 431.
Katharer, die XVIII. 24.
Katharina, h., Darst. 291. 293. Leg. 300 f.
Verlob. 95. 18 1.
Kentaur, Darst. 535 ff.
Kirchenväter, die vier, Darst. 249. 301.
Klara, h. s. Chiara.
Konrad, Bischof von Assisi 171, 172.
Konrad von Fußesbrunn 501.
Konrad von Lichtenau, Abt 21.
Konstanz, Konzil 398.
Kopenhagen: Gallerie 93.
Kreuz, Legende vom h., Darst, 518.
Lando, Ubertino 362.
Langres, Herzöge von 5.
Langton, Etienne, Erzb. v. Canterbury 453.
Lapo, A. 204. 206.
Lauda, die 440.
Laudesi, die 441. 452.
Laurentius, h. Darst. 248. 290. 619. 620.
624.
Lazarus, Darst. 285.
Lecce : S. Niccolö e Cataldo, Arch. 319.
Lelia Biscia 382.
Lelli, Familie 290.
Leo X., Papst 398.
Leo, Fr. 43. 579. 588—609 passim.
Leone, Niccolö 369.
Leone da Perego, Erzb, v. Mailand 374.
401.
Leopold von Österreich 36.
Liberale, M. 96. 105.
Liberius, Papst 321.
Licinio da Pordenone, M. 96. 480.
Lille: Mus^e Wicar 181.
Lionardo, h., Darst. 302,
Lionardo, Fr. 54.
Lionardo Boccaleca, A. 368.
Lionardo di Pietrasanta, B. 212.
Lionardo da Vinci, M. 273. 286. 476.
516.
Lippi, Filippino, M. 89. 90. 95(2).
541.
Lippi, Fra Filippo, M, 89. 95. 465.
510. 515. Schule 515. 528. 537. 541.
Lippo Dalmasio, M. 506. 507, 509.
Lippo Memmi, M 80. 94. 115. 462,
507, 509. 512.
Locke 410.
Lodovico da Castello, Fr. 205.
Lodovico a Fossombruno 400.
Löwe, Darst. 208,
London: British Museum 150. 180. 181. 553.
National Gallery 88. 90 (2). 93. 95. 465.
503. 507. 541,
Samml. Lady Eastlake 93.
Samml. John Malcolm 528.
Samml. Murray 95. 140, 505,
Samml. Lord O verstone 95,
Lorenzetti, Ambrogio, M. 88, 94.
168, 462, 508 f. 510.
Lorenzetti, Pietro, M. 150. 506, 508.
Schule 95. 294 ff, 477. 512.
Lorenzo Monaco, M, 465. 469. 503.
Lorenzo di San Severino, M. 472.
Lotheringius Pisanus Gg. 200.
Loyola, Ignatius von 92. 572.
Luca Thome, M. 516.
Lucca: Gallerie 481, 503. 510,
S. Chiara 480.
S. Francesco, Arch. 333,
636
Index.
Lucca :
S. Giulia 481.
S. Martino, 489, Arch. 383.
S, Michele 481.
S. Pietro 95.
Lucca, Schule von, M. 95.
Lucchese, h., Darst. 541.
Lucia, h., Darst. 623.
Ludwig, h., Bischof 73. 402. Darst. 177.
283. 291. 293. 298. 301. 511.552.620.
Ludwig, h. König, Darst. 293. 294. 620.
Ludwig von Bayern 397. 410.
Luprandi, Paulus, A. 204.
Luther 170. 419. 571. 572. 584.
M.
Macrino d'Alba, M. 149(2).
Madrid: Gallerie 169. 477.
Magdalena, h , Darst. 87. 92. 239. 272,
293. 327. Leg. 283 ff. 518. 619.
Maglione da Pisa, A. 363.
iSIahomet, Darst. 499.
Majano, Benedetto da, B. 89 — 104.
106. 124. 126, 133. 150. 153. 168.
Mailand: Brera 510.
Dom, Arch. 383.
S. Ambrogio, Arch. 206. 366 f. 374.
S. Francesco, Arch. 344. 375 f.
S. Maria del Carmine, Arch. 374.
S. Maria delle Grazie, Arch. 378.
S. Nazaro, Arch. 206.
S. Pietro de' Gessati, Arch. 378.
S. Stefano 485.
Makarius, Eremit 556. 558.
Malatesta, Sismondo 341.
Manfred 431.
Manfredi, Fr. Andrea, A. 359.
Manichäer, die XVIU. 24.
Mantegna, Andrea, M. 348. 508.
Schule 541. 553.
Mantua: S. Andrea, Arch. 384. 385.
S. Domenico, Arch. 348.
S. Francesco, Arch. 314. 347 f.
Marano, Pietro, gen. il Nano 372.
Marburg: S. Elisabeth 553.
Marcimana, Familie 342.
Marco da Brescia, A. 351.
Marco da Lisboa 584.
Margarethe, h., Darst. 96. 623.
Margaritone, M. 79 ff. 83. 94. 105.
240. 480. 503.
Maria, Darst. Allgem. 248.
mit Kind 156. 235. 236. 248. 504 — 511.
mit Kind und Heilige 274. 275. 291.
294. 296. 301. 316. 623. 624.
Anna selbdritt 516.
Conversazione, santa 93.
Empfängniß 95.
Fürbitterin 516.
Geburt 227.
Glorie 226.
Heimsuchung 244. 278. 463 f.
Himmelfahrt 78. 94. 226. 512 f.
Kampf mit dem Teufel 517.
Krönung 94. 287. 514 f. 624.
Krönung durch Engel 5 1 6.
Sposalizio 227.
Tod 225.
Verkündigung 194. 244. 274. 461 f.
Mater dolorosa 447. 494.
Misericordiabilder 516.
Thomas, Gürtelempfang 325.
Maria Aegyptiaca, h., Darst. 95. 239. 272.
283 ff
Maria Cleofas 619.
Maria, Moses Schwester, Darst. 285.
Maria von Antiochien, Tochter Joh. von
Brienne's 298.
Marianus Floren tinus 584.
Marino da Pisa, A. 342.
Marinus, Fr. 170,
Martelli, Gir., M. 174. 303.
Martha, h., Darst. 285.
Martin, h., Darst. I18. 620. Leg. 292. 293.
Martin IV., Papst 78. 289.
Martino, Fra, M. 288. 289. 298.
Martino di Bartolommeo, M. 480.
Marzari, Domenico 371.
Masaccio, M. 516. 569.
Maso di Stefano, M. 277. S. Giottino.
Masolino, M, 465.
Massegne, Pier e Paolo delle, B.
106 124. 126. 131. 133. 141. 150.
154. 160. 354.
Masseo, Fr. 43. 44. 45. 170. 580.
Massone, M. 93.
Masuccio, A. 342.
Matras, Cos., A. 340.
Matteo da Gualdo, M. 175. 528.
Matthäus, h„ Darst. 285.
Matthäus von Nami, Fr. 37.
Matulinus von Ferrara 404
Mazzetto, Dominikaner 335.
Index.
637
Mazzolino da Ferrara, M. 93.
Medici, Cosimo u. Lorenzo dei 126. 342.
Meister des Franziskus, M. 77. 94.
104. 109 ff. 216 f. 219. 223. 480.
Meister der h. Chiara, M. 623 f.
Melanzio da Montefalco, M. 517.
Melormus, M. 76.
Merghuliesi, Nikolaus 317.
Messina: S. Francesco 150.
Michael, h. 96. 97. 98. 144. 132 Darst
73. 94. 156. 228—331. Leg. 156.
228 — 231.
Michael Scotus 407.
Michael von Cesena XXI. 396.
Michelangelo Buonarroti, A. 63.
150- 234. 342. 498.
Michele da Verona, M. 485.
Michelino, h. 538.
Michelozzo, A. 323.
Minello, Giovanni, A. 356.
Mino da Torrita, M. 217.
Modena: Dom, Arch. 367.
Gallerie 94. 509.
Samml, Graf Montecucoli 74.
S. Francesco, Arch. 347.
S. Pietro, Arch. 384.
Monaldus, Fr. 143.
Mbngiardini, Giovanni di 202.
Monreale bei Palermo 489.
Montagna, Barth. M. 150.
Montagnana, M. 553.
Montano d'Arezzo, M. 505.
Monte acuto, Graf von 76,
Monte Andrea 529.
Montefiore, Gentile di, Kardinal 290. 291.
292. 260.
Monte Ottone: S. Francesco, Arch. 381.
Monte vergine bei Avellino 504.
Montefalco: Gallerie 517.
S. Fortunato 176.
S. Francesco 90. 106. 117, 118. 119.
125. 130. 133. 136. 140. 153. 180.
181. 274. Arch. 332.
Montfort, Simon von 23.
Montone: S. Francesco, Arch. 332.
Moretto, il, M. 91. 96.
Morico, Piccardus 199.
Moriconi, Familie 3.
Moritus, Fr. 17.
Moro, Cristoforo 342.
Moses, Darst. 547.
München: Alte Pinakothek 94 (2). 147.
510. 512. 528. 537.
Murano, Giov. u. Ant. da, M. 95.
Murillo, M. 93.
Muro, Giovanni di. Fr. general 268. 275.
Musik 456 ff. 572.
Mysteriendichtung 441. 451 ff.
N.
Napoleon I. 347.
Nami : Pal. publico 149.
Speco di S. Francesco 324.
Neapel: Gallerie 516.
S. Chiara 95. 518. Arch. 341.
S. Domenico, Arch. 380.
S. Lorenzo maggiore 541. Arch. 363.
Neapel, Schule von, M. 140.
Nelli, Ottaviano, M. 299. 301. 512.
528- 538.
Nicolaus, h. Darst. Leg. 270 — 272. 275.
518. 619. 620.
Nicolaus III., Papst 269. 395. 396. 410,
Nicolaus IV., Papst 82. 202, 269. 322.
350- 514.
Nicolaus de Bettona, A. 209. 298.
Nicolaus de Civita vecchia. Gg. 330
Nicolaus Johannis, Maurer 355.
Nicoletto da Modena, K. 150.
Niccolo Alunno, M. 93. 95. 174. 291.
301. 517.
Niccolo da Foligno 108. ■
Niccolo da Imola, A. 372.
Niccolo Leone 369.
Niccolo da Prato 335.
Niccolo da San Severino, Hs. 303.
Niccolo d'Ugolino da Gubbio, Hs.
213. 303-
Nocera : Dom 93.
S. Francesco, Arch. 333.
Norbert von Xanten 31.
Novello, Francesco 369.
Nuzi, Alegretto, M. 154.
O.
Obizzo II. von Este 373.
Observanten, die 398.
Occam, Wilhelm von XXI. 397. 409. 410.
411. 412.
Octavian, Kardinal 403.
Oddo, Benediktiner 73. 322.
Olerius, Paulus, A. 342.
638
Index.
Oliva, Pater Joh. von 396.
Oraegna 561.
Onofrius, h., Darst, 327.
Orcagna, Andrea, M. B. 288.464.465.
497. 498. 500- 512. 569.
Orlando, Graf von Chiusi 43. 325.
Orsini, Familie 79.
Orsini, Napoleone, Kardinal 268, Darst.
269 fF. 619.
Orsini, Giov. Gaetano, Kardinal 201. 269.
275. 338. Darst. 269 ff 619.
Ortolano, Giov. Benvenuti, M. 379.
Orvieto : Dom 465. 508. Arch. 266. Opera
508.
Osimo: S. Francesco, Arch. 381.
Otto IV. XVI. 27.
Ov erb eck, M. 174.
Pacchiarotto, M. 95. 480.
Pace da Faenza, M. 299. 301.
Pace da Lugo, Fra, A. 372.
Pacifico, Fr. 98. 433.
Pacino da Bonaguida 547.
Padua: Gallerie 93. 95.
Palazzo della Ragione 368.
S. Agostino, Arch. 368.
S. Antonio 88. 89. 485. 54i. 553- 559-
Arch. 344. 351. 355 ff.
S. Francesco, Arch. 105. 357.
Eremitani 509. Arch. 334.
S. Maria dell' Arena 89. 281. 286. 461
bis 500 passim. 536.
S. Maria in Vanzo 485.
S. Stefano in Carrara bei, Arch. 368.
Padua, Schule von, M. 88.
Palermo, Ospedale 562.
Palladio, Andrea, A. 342.
Palma vecchio, M. 93 (4).
Palmezzano, Marco, M. 95.
Pancius von Toulonj A. 342.
Panselinos, Manuel, M. 459.
Panther, Darst. 537.
P a o 1 i n o , Fra, M. 94.
Paolino da Gubbio, J. 302.
Paolo, Fra, da Modena 509.
Paolucci von Foligno 398.
Paradies, Darst. 421. 436 f. 499.
Parens, Johannes Fr. 199. 392.
Parini, K. 83.
Paris, Matthäus 4. 21. 28. 34. 71. 138. 403
und passim.
Paris: Hotel Cluny 553.
Louvre: Fra Bartolommeo 56. l8l. Ber-
nardino von Perugia 95. Bonifazio
93. Botticelli 180. Giotto 124. 125.
140. Lionardo 516. Massone 93.
Perugino 535. Schule 149. Pesellino?
149. Siena, Schule 94. Simone Mar-
tini 477. Uccello 274.
Sammlung Clarendon 106.
Parma: Baptisterium 75. 146. 558.
Dom 489.
Gallerie 180. 283. 554.
S. Francesco, Arch. 314. 345 f. 362.
Parri Spinelli, M. 175.
Pasquale Belli, A. 214.
Patarener, die XVIII. 24. 25. 400.
Patriarchen, die, Darst. 249.
Paul IL, Papst 211.
Paulus, h., Darst. 96. 225. 247. 514. 620.
Paulus Luprandi, A. 204.
Paulus Olerius, A. 342.
Pauperes catholici 23.
Pavia: Certosa, Arch. 378.
S. Francesco 475. Arch. 375. 376f. 379.
S. Maria del Carmine, Arch. 377.
S. Tommaso, Arch. 377.
Penzolo di Valle 563.
Pergardus di Hugo, Maurer 355.
Perugia: Pal. vescovile, Arch. 193.
Pinakothek 77. 78. 79. 87. 95. 124.
149 (2). 150- 217. 540,
S. Bemardino 536.
S. Fiorenzo 517.
S. Francesco 79. 168. 480. 516. Arch.
330 f.
Perugino, Pietro, M. 88. 91. 95 (2).
149. 168. 322. 510. 535. Schule
149.
Pesaro : S. Francesco 93. 1 50.
Pescia: S. Francesco 74. 105. 107. 146.
516. Arch. 335.
S. Maria in Piazza, Arch. 335.
Pesellino, il, M. 149.
Pestbilder 516.
Peter von Bruis 19.
Peter von Poitiers 409.
Petersburg: Ermitage 93. 95.
Petrarca 274. 564. 570.
Petroni, Niccolaccio 338.
Petronius, h., Darst. 95.
Petrus, h., Darst. 95. 96. 247. 257. 283.
285. 514. Leg. 223 f.
Index.
639
Petrus martyr, h., Darst. 248.
Petrus von Apulien 395. 408.
Petrus Lombardus 409.
Philippus, Fr. 16. 580.
Philippus, Fr., Minister von Toskana 43.
Philipp der Karthäuser 501.
Philippus, Legat 403.
Philippus de Campello s. Filippo.
Piacenza: S. Francesco 150. Arch. 312.
360 f.
S. Maria del Carmine, Arch. 362.
Pica, Mutter des Franz 3. 4. 99. 321.
Piccolomini, Girol. 338.
Piediluco : S. Francesco, Arch. 332.
Pier Antonio da Modena, A, 356.
Pier Antonio da San Severino, Hs.
303-
Pier Damiano, Bischof von Sabino 282.
Pier di Damiano, Maurer 209.
Piero della Francesca, M. 89. 94.
151. 510. 518.
Piero di Franchino, A. 337.
Pietramala, Herren von 332.
Pietrasanta, die Meister von, B.
211. 212.
Pietro, A. 212.
Pietro Cattaneo, Fr. 14. 36. 37. 38. 322.
Pietro da Brensa, A. 359.
Pietro da Gubbio, Gl. 299. 616.
Pietro di Sacco Tancredi 337.
Pilustri, Paolo, Fra 335.
Pintelli, Baccio, A. 211. 212. 342.
Pinturicchio, il, M. 177. 472. 510.
Pisa: Akademie 82. 494.
Baptisterium 464. 469. 470. 481. 484.
497- 569.
Camposanto 124. 125. I40. 464. 469.
482. 485. 494. 497. 498. 512. 558.
562.
Casa della Misericordia 510.
Dom 239.
Privatbesitz 506.
S. Caterina 79. 105. Arch. 333.
S. Domenico 94.
S. Francesco 79. 105. 126. 240. 477.
481. 505. 527. 535. 537. 540. Arch.
336 f.
S. Maria della Spina 509.
S. Marta 481. 489.
S. Pierino 481,
S. Sepolcro 481.
Pisano, Andrea, B. 462,
Pisano, Giovanni, B. 275. 278. 335.
460. 464. 469. 504.
Pisano, Niecola, B. Allg. 63. 278.
460. Pisaner Kanzel 464. 469. 470. 481.
484. 497. 569. Siena, Kanzel 462. 469.
470. 497. Lucca, Relief 489. Marien-
bilder 504. 507. Arch. 331. 332. 333.
379.
Pisano, Nino, B. 506. 509.
Pisano, Tommaso, B. 494.
Pisanus, Andreas, Gg. 330.
Pisanus, Lotheringius, Gg. 200.
Pius II., Papst 211. 322.
Pisogne, Madonna della neve 562.
Pistoja: Dom 481. 489. 492.
S. Andrea 279. 464. 469.
S. Domenico, Arch. 335.
S. Francesco 80. 94. 105. 106. 114. 117.
120. 124. 130. 132. 136. 150. 168.
180. 509. 512. 540. 552. Arch. 334.
S. Giovanni fuorcivitas 476. 506.
Pitignano : S. Francesco, Arch. 385.
Poggibonsi: S. Pietro a Megognano 506.
Poletti, Luigi, A. 322.
Poliziano, Angelo 126.
Pollajuolo, Ant., M. 528.
Pomareda, K. 564.
Pomponio Amaltheo, M. 151.
Pontano , Tebaldo di Todi , Bischof von
Assisi 282. ^84. 285.
Pontigny. Cist, Kirche 312. 354. 360.
Pordenone, Licinio da, M. 96. 480.
Pordenone: Dom 541.
Porträtkunst 274.
Praemonstratenser, die 31.
Prato: Dom 136. 441. Arch. 380.
Gallerie 95.
S. Domenico, Arch. 335.
S. Francesco, Arch. 333. 508.
S. Niccolo 506.
S. Lodovico, Oratorio 149. 150.
Propheten, die, Darst. 249. 301. 552.
553-
Providoni, M. 174.
Puciarello Gangloli, Maurer 209.
292.
Pulci, Luigi 126.
Punzilovus, Armannus 407.
Putagius, Guido 399.
Puzarelli, Simon 197.
640
Index.
R.
Raimondi, Marcantonio, K. 92. 150,
Rainold, Reichsverweser 401.
Rambault de Vaqueiros, Dichter 430.
Raphael, M. 62. 63. 90. 99. 273. 477.
479- 50T. 510.
Ravello : Dom 509.
S. Agostino, Arch. 319.
Ravenna: S. Agata 95.
S. Francesco 104.
Raymerius de Mariano 170.
Raymund von Toulouse 23.
Reggio: S. Francesco, Arch. 347.
Remis 170.
Reni, Guido, M. 91, 93,
Rezzonico: S. Maria, Arch. 343.
Richard, von, S. Viktor 414.
Rimini: Dom 180.
S. Francesco 104. 538. Arch. 341.
Rinaldi, Familie 372.
Ripatransone : S. Francesco, Arch. 381.
Ripoli 509.
Ristoro, Fr. A. 379. 380.
Rivelli, M. 88.
Riviera di Orto 561.
Robbia, Andrea della, B. 149. 150.
180. 325. 326. 327.
Robbia, Giovanni della, B, 327.
Robbia, Luca della, B. 89. 465. 510.
Robbia, Schule, B. 91. 150. 325. 527.
538. 540. 541.
Robert von Neapel 292.
Robert von Sizilien 402.
Robetta, K. 476.
Rocalica, Leonardo, A. 368.
Rochus, h., Darst. 291. 316.
Rom: Gallerie Chigi 95.
Gallerie Colonna 517.
Gallerie Doria 93 (2).
Gallerie Sciarra (einst) ' 93.
Monte di pieta (einst) 472.
Pyramide des Cestius 224.
Quirinal, Rossebändiger 241.
S. Agnese fuori 552.
S. Agostino 516. Arch. 384,
S. Crisogono 504.
S. Francesco a ripa 73. 105. 382.
S. Giovanni in Laterano 82. 515.
S, Marco 165.
S. Marcello 384.
S. Maria in Araceli 505. Arch. 380.
Rom:
S. Maria maggiore 82. 250. 251. 505.
514.
S. Maria sopa Minerva, Arch. 380.
S. Maria in Trastevere 504. 505. 509.
514.
S. Paolo fuori 489.
S. Pietro 268. 270. 384.
S. Pietro in Montorio 150. Arch. 342.
384.
S. Prassede 343.
S. Spirito, Arch. 384.
S. Trinitä de' monti 489.
S. Vincenzo ed Anastasia 367.
Septizonium 163.
Trajanssäule 163.
Vatikan: Christi. Museum 77. 78. 79. 95.
105. 149. 154. 528. 538. 557.
Rosa, h., Darst. 177. 273.
Roscellin 410.
Roselli, Biagio, A. 379.
Rosselli, Cosimo, M. 89. 126. 149.
153-
Rossi, Matthia de', A. 382.
Rovere, Giuliano delle 210.
Rovezzano, s. Benedetto da.
Rovigo: S. Francesco 373.
Rubens, M. 93.
Rubbiani, A. 352,
Rufino, Fr. 579.
Rufinus, h., Darst. 273. 284. 291. 620.
Ruggerone, Dichter 431.
Rusticus, Abt. 318.
Rusutti, Filippo, M. 250. 251.
s.
Sabbatinus, Fr. 17.
Sabinus, h., Darst. 273.
Saccati, die 399.
Sacchi, Pier Francesco, M. 475.
Salimbene 12 392. 395. 403 f. 454 und
öfters.
Salinguerra, Giacomo Torello di 379.
Salo : S. Bernardino, Arch. 343.
Salvadore d'Antonio, M. 150.
Sangallo, Antonio di, A. 384.
Sangallo, Antonio di, der J., A. 384.
Sangallo, Giuliano di, A. 384.
San Gemini : S. Francesco, Arch. 343.
S. Maria bei 509.
San Gimignano : Pal. publice 507.
S. Agostino 509.
Index.
641
Sanmichele, Michele, A. 334.
San Leone: Dom, Arch. 319.
Sano di Pietro, M. 87. 88.
San Severino: S. Francesco, Arch. 381.
Sanson, Francesco Nani gen., Fr. 194. 2 II.
212 302, 338.
Sansovino, Andrea, B. 516.
Sansovino, Jacopo, B. A. 342.
Santacroce, Girolamo di, M. 96.
105.
Santa Fiora, Contessa di 326.
Santi, Giovanni, M. 163.
Sarto, Andrea del, M. 169. 472.
Sarzana 481.
Sarziano, Zoccolantenkloster 79.
Sassetta, il, M. 106. 540.
Savello, Paolo 370.
Schmidt, Valentin, A. 356.
Schongauer, Martin, K. 479.
Sciffi, Agnes 31.
Sciffi, Chiara, s. Chiara.
Sciffi, Ortolana 31.
Scrovegni, Enrico, Darst. 498.
Sebastian, der h., Darst. 87. 96. 291. 316.
Sedulius, Fr. 584.
Segarelli, Gherardo 399.
Segna, M. 508. 510.
Segni, Rinaldo dei conti di 204.
Sellajo, Jacopo, M. 472.
Semitecolo, Niccolö, M. 106. 122.
154.
Sermei, Cesare Caval., M., 290. 303
Serviten, die 306. 501.
Sforza, Francesco 290.
Sibyllen, die, Darst. 291.
Siena: Akademie, Franzbildniß 79. 81. 105.
III. Stigmatisation 146. Duccio 503.
508. Fungai 95. Guido 503. Lippo
Memmi 512. A. Lorenzetti 462. 510.
P. Lorenzetti 506. 512. Luca Thome
516. Martino di Bartolommeo 480.
Simone Martini 468. Pacchiarotto 480.
Sano di Pietro 87. A. Vanni 564.
Baptisterium 462.
Dom 266. 316. 383. 469. 470. 482. 497.
502. Arch. 266. 383. Opera 88.
144. 489. 504. 507.
Palazzo publice 502. 507. 512.
S. Ansano 508.
S. Domenico 502. Arch. 337.
S. Francesco 168, 508. Arch. 332. 337.
339-
Thode, Franz von Assisi.
Siena :
S. Maria dei Servi 94. 503. Arch. 384.
S. Spirito 94.
Siena, Schule von, M. 94. 95. 105.
III und öfters.
Signorelli, Luca, M. 95. 124.
Silvester, Fr. 15. 130.
Simone Martini, M. 291 — 294. 462.
465. 477. 489. 494. 507- 508. 620.
Simone Napoletano, M. 95.
Sinigaglia, Kapuzinerkloster bei 80.
Siponto: Dom, Arch. 319.
Sisto, Fra, A. 379. 380.
Sixtus IV., Papst 208. 210. 211. 302.
Sogliani, M. 94.
Sordello von Mantua, Dichter 43 1.
Spagno, lo, M. 95 (2). 291.
Specchi, Niccolo 298.
Speculum S. Francisci und spec. perfectionis
169. 584. 587 — 609 passim.
Spello : S. Francesco 332.
Spinello Aretino, M. 94. 115. 126.
506. 509. 518.
Spiritualen, die 393.
Spoleto? Dom 481. 515.
S. Domenico, Arch. 336.
Spoleto, Grafen von 302.
Squarzione, M. 105.
Stanislaus, h.. Leg. Darst. 288.
Stefaneschi, Jacopo Gaetano, Kard. 268.
Stefano, Maurer 209. 292.
Stefano d'Asssi, Hs. 303.
Stefano Fiorentino, M. 216. 276. 283.
287. 506. 544 ff- 569-
Stefano Tedesco, Gl.? 210.
Stephanus, h.. Leg. Darst. 291. 541. 619.
620,
Strauss, Vogel, Darst. 230.
Stropeto, Grafen von 290.
Subiaco : S. Scolastica 208.
Sacro Speco 71. 83. 85. 103. 171. 207.
502. 512. 558. 562.
Suso xxm.
Sylvester, Fr. 130.
T.
Taddeo Bartoli, M. 149. 150. 512,
540.
Tafi, Andrea, M. 497.
Tarano : S. Francesco, Arch. 336.
Tatti, Jacopo, s. Sansovino.
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642
Index.
Temi: S. Francesco 95. 497. 499. Arch.
331.
S. Maria delle Grazie 95.
Terracina, FraTommaso da, A. 363.
Tertiarier, die 31.
Testa, Arrigo, Dichter 431.
Thau, das Zeichen des 98.
Thibaud de Marly, Dichter 556.
Thifernate, Francesco, M. 95.
Theobald, Bischof von Assisi 170. 172.
Theodoricus de Apolda 179.
Thomas, Gürtelspende an, Darst. 94.
Thomas von Aquino 56. 96. 410. 411.
413. 455-
Thomas von Celano 433. 556. 576 ff. 587
bis 609 und passim.
Thomas von Ceperano (?) 577.
Thomas Spalatensis 69.
Tiberio d'Assisi, M. 95. 175. 176.
302. 316. 323.
Tiepolo, Jacopo 369.
Tintoretto, M. 91.
Tizian, M. 89. 91. 149. 150, 564.
Tobias mit dem Engel, Darst. 239.
Tommaso da Firenze, J. 302.
Tommaso da Terracina, Fr., A. 363.
Torcello: Dom 497,
Torriti, Jacopo, M. 82. 89. 251.514.
Toscanella: S. Pietro 497.
Traini, Francesco, M. 512.
Trani: S. Maria Immaculata, Arch. 319.
Treja: S. Francesco, Arch. 381.
Tres Socii: Legende. 579 ff. 587—609 und
passim.
Trevi: S. Francesco, Arch. 333.
Treviso: S. Francesco, Arch. 372.
S. Niccolo, Arch. 372.
Trier: Dom 553.
Museum 553.
Trinci, Paolo 324.
Troubadours, die 54. 57- 58. 424. 43o.
Tschengis Khan 402.
Tullius, Meister, M. 83.
Turin: Gallerie 149. 150.
S. Francesco 376.
Tzarnfurnari, Emanuel, M, 557.
u.
Ubertino da Casale 396. 605 ff.
Uccello, Paolo, M. 89. 105.
Udine, Amatheo da 151.
Uffreducii, Sanguonius und Thomas 201.
Ugo Panziera, Fra 450.
Ugolino da Siena, M. 494. 504. 508.
515.
Ugolino di Prete Ilario, M. 465.
Ulbertino di Lanfranchus, A. 355.
Urbino: Gallerie 506.
S. Francesco 151.
S. Giovanni 472.
Urbino, Herzöge von 290.
V.
Vagnuzzo di Francesco d'Assisi 301,
Vaison, Kirchen in 320.
Valentino da Udine, Gl. 616.
Vanni, Andrea, M. 564.
Venedig: Akademie 88 90. 95 (3). 96.
106. 122. 154. 494.
Museo Correr 82.
S. Francesco della Vigna 88. 105. Arch.
342. 384.
S. Giobbe, Arch. 342.
S. Giovanni e Paolo 541. Arch. 369 f.
371.
S. Marco 83. 179. 356.
S. Maria del Carmine, Arch. 350.
S. Maria gloriosa dei frari 91. Arch. 370.
S. Maria dei miracoli 92.
S. Silvestro 96.
S. Stefano, Arch. 350.
Venedig, Schule von, M, 180.
Venosa: S. Trinitä, Arch. 363.
Vercelli: S. Andrea, Arch. 207.
Veronese, Paolo, M. 91.
Verona: Gallerie 88.
Kap. del Commune 96.
S. Anastasia, Arch. 371 f.
S. Bemardino 105. 106. 122. 128. 133.
160. 169. 177. 475- Arch. 334.
S. Eufemia, Arch, 334.
S. Fermo, Arch. 333.
Verrocchio, Andrea, B. M. 472.
Verulam, Baco von 410.
Viara, Familie 370.
Vicenza: S. Corona, Arch. 373,
S. Lorenzo, Arch. 372.
Victorinus, h., Darst. 273. 291. 619.
Vidale, Troubadour 430,
Vignola, Giac. B, de, A. 322.
Vincentius, h. 619.
Vinea, Petrus de 32. 401. 431.
Vinstigen, Heinrich von, Erzb. 553.
Vipera, Antonio, A. ? 381.
Visconti, Federigo, Erzb. v. Pisa 336
Vita, Frate in Lucca, Musiker 457.
Vitale da Bologna, M. 505. 515.
Vita, Antonio, M, 136. 441.
Viterbo: S. Maria della veritä, Arch. 331.
Viti, Timoteo, M. 93.
Vittore Pisanello, M. 469.
Vittoria, Alessandro, B. 88.
Vivarini, Alvise, M. 90. 469.
Vivarini, Bartolommeo M. 95.
Volterra: S. Francesco 518. Arch. 333.
S. Girolamo 527. 538. 540. 541,
Voragine, Jacobus a 98. 501.
W.
Waldenser, die XVIII. XX. 18 ff. 51. 398.
409. 482. 568.
Waldus, Petrus 7. 18. 19. 21. 23. 416.
Walther, Herzog von Athen 297.
Index. 643
Walther von der Vogelweide 53. 54- 425-
428. 432.
Wenzeslaus von Böhmen 202,
Werinher von Tegemsee, Dichter 501.
Wilhelm von St. Amour 395. 409.
Wolfram von Eschenbach 431.
Z.
Zacharias, h., Darst. 617.
Zaganelli, Francesco, M. 93. 95.
Zalfanus, Petrus, Fr. 170.
Zambonus, Maurer 355.
Zampa, Franceschino, A. 213.
Zelatores, die 393.
Ziani, Marco 342.
Zingaro, Antonio, M. 541.
Zoccolanti, die 398.
Zurlengo, Antonio 349,
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Tafel 5.
Abb. 8. Franz predigt den Vögeln.
Giotto: Fresko in Assisi.
Tafel 6.
Abb. 9. Bildniß des Franz im Sacro Speco zu Subiaco.
Tafel 7.
Abb. 10. Bildniß des Franz in S. Maria degli Angeli bei Assisi.
Tafel 8.
Abb. II. Bildniß des Franz. Schule von Siena.
Akademie zu Siena.
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Tafel II.
Abb. 16. Die Vertreibung der Dämonen aus Arezzo.
Giotto: Fresko in Assisi.
Tafel 12.
Abb. 17. Die wunderbare Tränkung des Durstigen.
Giotto: Fresko in Assisi.
Tafel 13.
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Abb. 28. Die Unterkirche von S. Francesco in Assisi.
Abb. 30. Die Oberkirche von S. Francesco in Assisi.
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Tafel 21.
Abb. 32. Das Südportal und Vestibül der Unterkirche S. Francesco in Assisi.
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Tafel 26.
Abb. 40. Das Grabmal des Gian Gaetano Orsini in der Unterkirche von S. Francesco zu Assisi.
Abb. 41. Die h. Magdalena und der Bischof Tebaldo Pontano.
Giotto: Fresko in der Unterkirche von S. Francesco zu Assisi.
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Tafel 29.
Abb. 46. Die Kirche S. Pietro in Assisi.
Abb. 47. Die Kirche S. Maria degli Angeli bei Assisi.
Tafel 30.
Abb. 48. Die Kirche S. Chiara in Assisi.
Abb. 55. Die Kirche S. Croce in Florenz.
Tafel 31,
Tafel 32.
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Tafel 33.
Abb. 68. Die Anbetung der h. drei Könige.
Giotto : Fresko in der Unterkirche ru Assisi.
Abb. 69. Die Kreuzigung Christi.
Giotto: Fresko in der Unterkirche S. Francesco zu Assisi.
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Tafel 35.
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Tafel 39.
Abb. 76. Allegorie der Vergänglichkeit.
Giotto: Fresko in der Unterkirche S. Francesco zu Assisi.
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