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Full text of "Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien"

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FRANZ  VON  ASSISI 

UND  DIE  ANFÄNGE  DER 

KUNST  DER  RENAISSANCE 

IN  ITALIEN 


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FRANZ  VON  ASSISI 


UND  DIE  ANFÄNGE  DER 


KUNST  DER  RENAISSANCE 


IN  ITALIEN 


VON 


HENRY  THODE 


ZWEITE,   VERBESSERTE   AUFLAGE 


BERLIN 
G.  GROTE'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG 

1904 


A/ 


ÜBERSETZUNGSRECHT  WIE  ALLE  ANDEREN  RECHTE  VORBEHALTEN. 


DRUCK  VON  FISCHER  &  WITTIG  IN  LEIPZIG. 


VORWORT  ZUR  ERSTEN  AUFLAGE 

Dieses  Buch  ist  die  Frucht  eines  längeren  Aufenthaltes  in 
ItaHen.  So  zahllos,  so  verschiedenartig  die  Eindrücke  waren,  welche 
Natur  und  Kunst  auf  den  Wandernden  hervorbrachten,  nirgends  hat 
er  in  seinem  Innersten  sich  tiefer  ergriffen  gefühlt,  als  in  Assisi, 
der  Heimath  jenes  großen  Mannes,  in  dem  wie  in  keinem  anderen 
der  tiefste,  geheimnißvollste  Geist  des  Christenthumes  sich  seiner 
selbst  bewußt  geworden  und  leuchtend  in  die  Erscheinung  getreten 
ist.  In  des  Franziskus  stiller  Grabeskirche  glaubte  ich  die  Be- 
deutung, die  dieser  Mensch  und  sein  grenzenloses  Gefühl  für  die 
Menschheit  und  ihr  ideales  Streben  gewonnen  hat,  zu  ahnen,  ja 
lebendig  in  mir  selbst  zu  empfinden.  Die  halbbekannten  schlichten 
Legenden ,  die  ich  hier  wieder  las ,  die  alten  Fresken  ringsum  an 
den  Wänden,  vor  denen  ich  Stunden,  Tage  verbrachte,  erschienen 
mir  in  einem  neuen  Lichte,  —  ein  geheimnißvoller  Zusammenhang 
zwischen  Franz  von  Assisi  und  Giotto ,  zwischen  dem  Wesen  und 
Inhalt  des  Franziskanerthums  einerseits  und  der  jugendlichen  toska- 
nischen  Kunst  andrerseits  ward  mir  klar! 

Als  ich  zum  zweiten,  zum  dritten  Male  nach  Assisi  zurück- 
kehrte, geschah  es  mit  einem  intimeren  Verständniß,  vielseitigerer 
Kenntniß  jenes  Jahrhunderts,  dem  Franz  angehörte.  Es  begleitete 
mich  die  Erinnerung  anjacopone's  Lieder,  an  Bonaventura's  mystische 
Schriften,  an  des  Berthold  von  Regensburg  Predigten;  die  Erinnerung 
auch  an  alle  die  großen  dem  Heiligen  geweihten  Kirchen  Italiens, 
an  eine  unübersehbare  Menge  von  Kunstwerken,  die  ihn  und  seine 
Legende  darstellen,  an  die  christliche  Kunst  des  Trecento  überhaupt. 
Die  mannigfachen  Beziehungen  zwischen  der  italienischen  Kultur 
des  dreizehnten  und  vierzehnten  Jahrhunderts  und  dem  Wirken 
und  den  Anschauungen  des  Franziskus  ergaben  sich  in  großem 
Zusammenhange. 


TTT  Vorwort. 


Dann  für  länger  in  die  Heimath  zurückgekehrt,  ging  ich  an  die 
Arbeit,   den  überreichen  Stoff  zu  sichten  und  zu  ordnen,   zugleich 
mir   eine    möglichst   eingehende  Kenntniß    der  älteren  italienischen 
Litteratur,  namentlich  derjenigen  der  Franziskaner,  ferner  aber  auch 
der  neueren  kritischen  Forschungen  auf  diesem  Gebiete  zu  erwerben. 
Daß    dieselbe   nicht   ohne    große  Lücken   bleiben    konnte,    werden 
alle  Diejenigen,    welche   den  Umfang   und    die  Schwierigkeit   eines 
solchen  Studiums  selbst  kennen  gelernt  haben,  zu  verzeihen  wissen. 
Nur    allzuwohl   bin    ich    mir    bewußt ,    für  wie   manche  Versäumniß 
mich   die  Forscher   auf  dem  Gebiete   der  Kirchen-  und  Litteratur- 
geschichte  zur  Rechenschaft  ziehen  dürften  ~  bewußt  aber  zugleich, 
nach    möglichster  Vollständigkeit    wenigstens    gestrebt    zu    haben. 
Während  dieser  Studien  selbst  verdanke  ich  die  erfreuendste  Auf- 
munterung  und   die   kräftigende  Ueberzeugung ,    mit  vielen  meiner 
Anschauungen    nicht    allein    zu    stehen,    sondern   unabhängig   von 
anderen  Historikern  den  ihren  doch  vielfach  ähnliche  Gesichtspunkte 
gefunden   zu    haben,    vor   Allem   Hermann   Hettner's   kurzem, 
aber     inhaltreichem    Aufsatz:    „Die    Franziskaner     in     der    Kunst- 
geschichte" (Kleine  Schriften,    Braunschweig,  Vieweg  1884,  früher 
in  Nord  und  Süd,  Bd.  XIX,   1881  veröffentlicht),   den  kurz  charak- 
terisirenden   Bemerkungen    Anton    Springer 's    (in   den   Kunst- 
historischen Briefen,  Prag  1857  und  im  Textbuch  zu  Seemann's  Kunst- 
historischen Bilderbogen),    Ernest    Renan's  Aufsatz   über  Franz 
von  Assisi  (Nouvelles  Etudes  d'histoire  religieuse,  Paris,  Levy  1884) 
und  den  von  Cristofani  wiedergegebenen  feinsinnigen  Betrachtungen 
einer  in  Rom  heimischen  Dame  (II  settimo  centenario  della  nascita  di 
S.  Francesco  d' Assisi.    Assisi,  Sensi  1881,  IV.  Bd.,  S.  i  ff.).    Daneben 
wäre  wohl  dieses  oder  jenes  Kapitel  in  mancher  von  katholischem 
Standpunkte   geschriebenen  Biographie   des  Heiligen,    auch  in  dem 
zuletzt   erschienenen   Prachtwerk   „Saint   Frangois   d'Assisi"    (Paris, 
Plön   1885),    das    aber   von    besonderem   Interesse    nur    durch    die 
große  Fülle  von  Reproduktionen  aller  auf  Franz  bezüglichen  Kunst- 
werke ist,  anzuführen,  unterschiede  sich  nicht  meine  geschichtliche 
Betrachtung   des   Mannes,    der  Zeit   und   der  Kunst   durchaus   von 
derjenigen   solcher   zum  Theil    mit   hohem  Schwünge   und   warmer 
Begeisterung    geschriebener,     aber    mehr    oder   weniger    mystischer 
Verherrlichungen.     Gerade   was  das  Geschichtliche,   die  historische 
Kritik  betrifft,  durfte  ich  auf  dem  durch  Hase  gewonnenen  sicheren 
Boden   weiterbauen    und,    von  jedem    konfessionellen  Standpunkte 


Vorwort.  VII 

absehend,   zu  einer,  wie  ich  hoffe,  wohl  begründeten,  gerechteren 
Würdigung  des  großen  ,, Menschen"  Franz  gelangen. 

Dem  Charakter  des  Buches  schien  es  mir  angemessen ,  wenn 
ich  es  mit  möglichst  einfachen,  aber  instruktiven  und  die  alten 
Originale  getreu  wiedergebenden  Abbildungen  versah.  Nicht  um 
eine  kostspielige  Publikation  der  Kunstwerke  konnte  es  sich  handeln, 
sondern  eben  um  den  Text  erläuternde  Illustrationen  und  zwar 
solche,  die  genügten,  dem  Leser  eine  Anschauung  der  Kompositionen, 
auf  die  es  im  Wesentlichen  ankommt,  zu  geben.  Das  Material  zu 
eingehenden  stilkritischen  Vergleichen  kann  nur  eine  mit  allen 
Mitteln  moderner  Technik  hergestellte  große  Pubhkation  der  wich- 
tigen Fresken  zu  Assisi  gewähren  —  möchte  dieselbe  nicht  zu 
lange  mehr  auf  sich  warten  lassen ! 

Berlin,  im  Oktober  1885. 

Henry  Thode. 


VORWORT  ZUR   ZWEITEN  AUFLAGE 

Neunzehn  Jahre  sind  verflossen,  seitdem  dieses  Buch  erschien. 
Lange  unbeachtet,  ja  todtgeschwiegen,  hat  es  allmählich  und  müh- 
sam seinen  Weg  machen  müssen,  bis  es  zur  allgemeineren  Kenntniß 
gelangt  ist.  Inzwischen  erlebte  die  1894  von  Paul  Sabatier  ver- 
öffentlichte Vie  de  St.  Frangois  mehr  als  dreißig  Auflagen.  Wer 
sie  liest,  erfährt  Nichts  davon,  daß  ihr  ein  deutsches  Werk,  dieses 
mein  Werk  vorangegangen,  in  dem  die  von  Sabatier  geltend  ge- 
machte neue  Auffassung  des  Mannes  von  Assisi  bereits  gegeben, 
nämlich  der  Versuch  gemacht  worden  war.  Dessen  Bild,  von  allen 
konfessionellen  Trübungen  befreit,  nach  seiner  rein  menschlichen 
Herrlichkeit  in  schlichten  Zügen  zu  zeichnen  und  den  großen  Wohl- 
thäter  der  Menschheit  in  seiner  geschichtlichen  Stellung  und  Be- 
deutung für  die  Welt  zu  würdigen.  Konnte  ich,  bei  aller  Berück- 
sichtigung des  Unterschiedes  im  Charakter  der  beiden  Bücher,  nicht 
umhin,  mich  über  die  Ungleichartigkeit  ihres  Schicksals  zu  ver- 
wundern, so  beeinträchtigte  dies  doch  in  keiner  Weise  meine  Freude, 
an  der  begeisterten  Aufnahme  der  durch  ihre  lebhafte  und  aus- 
schmückende Darstellungsweise  fesselnden  französischen  Biographie, 


VIII  Vorwort. 

auch  seitens  meiner  Landsleute,  zu  gewahren,  in  wie  hohem  Grade 
die  verständnißvolle  Theilnahme  für  Franz  von  Assisi  gewachsen 
ist.     Meine    hiermit   neu    auftretende  Arbeit    darf  ihrer  gewiß  sein. 

Trotzdem  eine  ungemein  umfangreiche,  ja  kaum  mehr  zu  be- 
herrschende Litteratur  während  der  letzten  zwei  Jahrzehnte  in 
Sonderheit  über  die  Quellen  zur  Geschichte  des  Franziskus  ent- 
standen ist,  habe  ich  an  meiner  Darstellung  von  Dessen  Wesen 
und  Leben  Nichts  zu  ändern,  außer  in  einigen  Kleinigkeiten,  über 
welche  Karl  Müller's  verdienstvolle  1885  erschienene  Forschungen: 
,,Die  Anfänge  des  Minoritenordens  und  der  Bußbruderschaften"  be- 
lehrten. So  manche  interessante  einzelne  Bestimmungen  über  die 
frühesten  und  späteren  Biographen  durch  sorgfältige  Untersuchungen 
und  Prüfung  des  Handschriftenmateriales ,  um  welche  sich  Sabatier 
sehr  verdient  gemacht  hat,  gewonnen  werden  konnten,  so  hat  sich  — 
dies  muß  mit  aller  Bestimmtheit  ausgesprochen  werden  —  Neues 
für  die  Kenntniß  des  Heiligen  so  gut  wie  gar  nicht  ergeben.  Die 
zahllose  Meinungen  und  Hypothesen  hervorrufende  Behauptung 
Sabatier's,  das  von  ihm  scharfsinnig  rekonstruirte  und  nachgewiesene 
Speculum  perfectionis  sei  eine  älteste  wichtigste  Quelle,  welche  an 
Bedeutung  Thomas  von  Celano  übertreffe,  ist  irrig  und  irrig  war 
die  von  den  Franziskanern  Marcellino  da  Civezza  und  Teofilo  Do- 
menichelli  gemeinsam  mit  Sabatier  behauptete  Entdeckung  einer 
,, vollständigen"  Legende  der  Tres  Socii.  Hier  liegen  merkwürdige 
und  lehrreichste  Zeugnisse  dafür  vor,  wohin  bestimmte  Voraus- 
setzungen und  Hyperkritik  führen  und  welche  Vergeudung  von 
Zeit  und  Geist  sie  veranlassen  können.  Nach  allen  bis  zur  Er- 
schöpfung geführten  Verhandlungen  bleibt  es  nach  meinen  im  An- 
hang (S.  586 — 609)  gegebenen  Darlegungen  einfach  dabei,  daß  des 
Thomas  von  Celano  zwei  Viten  die  fast  Alles  in  sich  schließenden 
entscheidenden  Quellen  unserer  Kenntniß  von  Franz  sind,  und  eben 
ihnen  entnahm  ich  das  Thatsächliche  und  die  Auffassung  für  meine 
Darstellung.  Wenn  ich  die  Legenda  trium  sociorum,  die  ich  als 
abhängig  von  Thomas  schon  früher  erkannt,  jetzt  mit  Anderen  für 
eine  spätere,  als  Fälschung  entstandene  Kompilation  halte,  so  ändert 
das  insofern  Nichts,    als  ich  sie  nur  nebensächlich  angeführt  habe. 

Eine  Darlegung  und  Kritik  der  gesammten  neueren  Quellen- 
forschung, an  welcher  sich  neben  Sabatier  vornehmlich  die  beiden 
genannten  Franziskaner ,  Mandonnet ,  P.  d'Alengon ,  P.  d'Araules, 
van  Ortroy,  Faloci-Pulignani,  P.  L.  Lemmens,  Tocco,  Della  Giovanna, 


Vorwort.  IX 

Salvatore  Minocchi,  P.  Ehrle,  Walter  Goetz,  Tilemann  und  H.  Boehmer 
betheiligten,  bringe  ich  mit  den  entsprechenden  Citaten  ihrer  Arbeiten 
im  zweiten  Abschnitt  des  Anhanges. 

Als  dauernden  werthvollen  Besitz  der  Litteratur  begrüßen  wir 
—  um  nur  die  wichtigsten  anzugeben  —  eine  Anzahl  von  Quellen- 
publikationen :  die  seit  1 898  von  Sabatier  in  Paris  veranstalteten 
Ausgaben  des  Speculum  perfectionis ,  des  Floretum  S.  Francisci, 
der  Actus  B.  Francisci  et  sociorum  ejus  und  des  Fratris  Francisci 
Bartholi  de  Assisio  tractatus  de  indulgentia  S.  Mariae  de  Portion- 
cula,  die  Ausgaben  der  Legenda  trium  sociorum  seitens  Michael 
Faloci-Pulignani's  (FoHgno  1898),  der  Legende  des  Julian  von 
Speyer  seitens  d'Araules'  (La  vie  de  St.  Antoine  de  Padoue,  Paris 
1899),  des  „Traktates  von  den  Wundern"  von  Thomas  von  Celano 
seitens  van  Ortroy's,  des  Bernardo  da  Bessa  ,,de  laudibus"  durch 
den  P.  Ilarino  von  Luzern  (Rom  1897),  der  Chorlegende  des  Johannes 
durch  d'AIengon  (Spicilegium  franciscanum  1899),  der  Cronica 
tribulationum  des  Angelo  Clareno  durch  P.  Ehrle  (Archiv  für  Litt, 
und  Kirchengeschichte  1885,  II.  Band)  und  durch  Tocco  (Archivio 
storico  italiano  1885),  der  Scripta  fratris  Leonis,  des  Speculum 
perfectionis  (I.  redactio)  und  der  Extractiones  de  legenda  antiqua 
durch  P.  Lemmens  (Documenta  antiqua  Francescana,  Quarachi,  seit 
1901)  und  der  Opuscula  S.  Francisci  durch  das  Collegium  Bona- 
venturae  (Quarachi   1904). 

In  diesen  Veröffentlichungen ,  die  in  mehrfachen  schon  ver- 
heißenen anderen  Nachfolge  finden  werden ,  zeitigt  die  seit  zwei 
Jahrzehnten  eingetretene  intensive  Beschäftigung  mit  dem  Heiligen 
sehr  willkommene  Früchte.  —  Von  sonstigen  umfänglichen  Publi- 
kationen seien  die  Miscellanea  Francescana  (Foligno,  seit  1886)  und 
die  Analecta  Francescana  (Quarachi  seit  1886)  erwähnt.  So  viel 
über  die  Franz  von  Assisi  selbst  betreffende  Litteratur. 

Der  kunstgeschichtHche  Theil  dieses  Buches  hat  manche  Ver- 
besserungen und  Erweiterungen  erfahren.  Die  neuere  Litteratur 
wurde  beachtet  und  benutzt ,  soweit  dies  der  Rahmen  der  Arbeit 
erlaubte  und  meine  Ansichten,  was  freilich  in  allen  Hauptsachen 
nicht  der  Fall,  Aenderungen  erfahren  haben.  Für  die  nähere  Be- 
gründung eigener  neuer  Meinungen  darf  ich  auf  andere  Arbeiten 
von  mir,  namentlich  auf  meine  Monographie  über  Giotto  (1899)  und 
auf  meine  Studien  zur  Geschichte  der  italienischen  Kunst  im  XIII. 
und  XIV.  Jahrhundert  (im  Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  Bd.  XI, 


X  Vorwort. 

XIII  und  XVIII)  verweisen.  Nicht  in  dem  Maße,  wie  ich  es  ge- 
wünscht, konnte  ich  den  Abschnitt  über  die  Architektur  durch- 
arbeiten. Es  fehlte  mir  die  Zeit,  in  Sonderheit  Enlart's  Behauptungen 
(Origines  frangaises  de  l'Architecture  gothique  en  Itahe.  Toulouse 
1893)  im  Einzelnen  nachzugehen.  Doch  durfte  ich  mich  damit 
trösten,  daß  meine  grundsätzlichen  Aufstellungen  durch  Enlart's  viel 
weiter  gehende  Studien  zumeist  eine  Bestätigung  gefunden  haben 
und  der  Gesichtspunkt,  von  dem  aus  ich  die  Monumente  betrachtet 
und  geordnet,  in  einem  Buche  wie  diesem  sein  volles  Recht  behält. 

Die  werthvolle  Ergänzung,  die  es  durch  das  Werk  von  C.  de 
Mandach:  St.  Antoine  de  Padoue  et  l'art  Italien  (Paris  1899)  er- 
hielt, begrüßte  ich  mit  besonderer  Dankbarkeit. 

Ueberhaupt  und  was  das  Ganze  betrifft,  hatte  ich  mich  zu  ent- 
scheiden, ob  ich  mein  Buch  in  weitgehendem  Sinne  umarbeiten  oder 
ihm  seinen  früheren  Charakter,  denjenigen  einer  zu  mancher  Kritik, 
aber  vielleicht  auch  zu  mancher  Freude  Anlaß  gebenden  jugend- 
lichen Arbeit  lassen  sollte.  Ich  wählte  das  zweite  und  hoffe,  daß 
das  Alte,  zumal  ihm  von  meinem  werthgeschätzten  Herrn  Verleger 
ein  stattlicheres  Aussehen  verliehen  ward,  mit  nicht  gealterter 
Freudigkeit  im  Geiste  des  Franz  wirken  wird.  Denn  auf  das  Wirken 
dieses  Geistes  kommt  es  an  —  wer  immer  ihn  lauter  verkündigt, 
dient  den  mehr  als  je  wiederum  in  unserer  Zeit  bedrohten  Idealen 
christlich -germanischer  Kultur. 

Heidelberg,  im  August  1904. 

Henry  Thode. 


INHALT 

Seite 

Vorwort V 

Einleitung XV 

I.  Theil:  Franz  von  Assisi  und  sein  Einfluß  auf  die  italienische  Kunst. 
I.  Abschnitt:  Franz  von  Assisi. 

I.  Die  Geschichte  seiner  Bekehrung 3 

II.  Die  Anfänge  des  Ordens .  13 

III.  Weitere  Entwicklung  des  Ordens 27 

IV.  Die  letzten  Lebensjahre  des  Franz  und  sein  Ende 39 

V.  Zur  Charakteristik  des  Franz 48 

VI.  Franz  und  die  Kunst 59 

n.  Abschnitt:  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

I.  Die  ältesten  Bildnisse 67 

II.  Die  späteren  Darstellungen  des  Franziskus 85 

III.  Die  Darstellungen  der  Legende 100 

1.  Die  ältesten  Darstellungen 106 

2.  Giotto  und  die  Kunst  des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts     .     .  114 

3.  Die  spätere  Legendendichtung  und  ihre  Darstellungen      .     .  169 

III.  Abschnitt:  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

I.  Beschreibung  des  Bauwerks 184 

II.  Die  Baugeschichte  nach  den  älteren  Quellen 197 

III.  Die  künstlerische  Ausschmückung  der  Kirche 214 

1.  Die  ältesten  Denkmäler  der  Malerei 214 

2.  Die  Werke  des  Cimabue 220 

3.  Die  Schule  Cimabue's 240 

4.  Giotto  und  seine  Schüler 251 

5.  Die  Sienesen 291 

6.  Sonstige  Werke  der  Plastik  und  Malerei 297 

IV.  Abschnitt :  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

I.  Allgemeine  Bemerkungen 305 

II.  Die  ersten  Niederlassungen 314 

m.  Die  holzgedeckten  Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana  ....  328 

IV.  Die  norditalienischen  Gewölbebauten 343 

1.  Der  Basilika -Typus '  345 

2.  Der  Kathedralentypus 350 

3.  Der  einfache  Cisterziensertypus 364 

A.  Cisterzienserbauten  in  Italien 364 

B.  Die  venezianischen  Bettelmönchkirchen 368 

C.  Die  lombardischen  Bettelmönchkirchen 373 

D.  Die  Gewölbekirchen  in  Mittel-  und  Süd -Italien    ....  379 


XII  Inhalt. 

Seite 

II.  Theil :  Das  Franziskanerthum  und  seine  Bedeutung  für  die  italienische 
Kunst. 
I.  Abschnitt:  Die  Franziskaner. 

I.  Erste  Entwicklung  und  Gestaltung  des  Ordens 391 

II.  Die  wissenschaftlichen  Bestrebungen  der  Franziskaner     .     .     .  407 

III.  Die  Predigt  der  Franziskaner 415 

IV.  Die  Dichtung  der  Franziskaner 430 

IL  Abschnitt:   Die   künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Dar- 
stellungen. 

I.  Das  Leben  Christi 459 

1.  Die  Kindheit  Christi 461 

2.  Die  Passion  Christi 473 

IL  Die  letzten  Dinge 496 

III.  Die  Mariendarstellungen 500 

1.  Die  Darstellungen  der  Maria  mit  dem  Kinde 502 

2.  Die  Legende  der  Maria  und  sonstige  Mariendarstellungen    .  511 
Anhang:  Ueber  einige  Heiligen-  und  Legendendarstellungen    .  517 

in.  Abschnitt:  Die  allegorischen  Darstellungen. 

I.  Die  Allegorieen   der  Franziskaner- Gelübde  und   der  Triumph 

des  heiligen  Franz 521 

1.  Die  Armuth 521 

2.  Die  Keuschheit 532 

3.  Der  Gehorsam 535 

4.  Der  Triumph  des  heiligen  Franz 538 

Franz  als  Ordenstifter 541 

Anhang:  Die  apokalyptischen  Darstellungen 541 

IL  Die  Kreuzesallegorieen 543 

1.  Die  Kreuzesglorie  in  Assisi 344 

2.  Der  Baum  des  Lebens 546 

3.  Die  Kreuzesnachfolge 554 

III.  Die  Todesallegorieen 554 

Schluß 566 

Anhang. 

L  Die  Quellen  zur  Geschichte  des  Franz 575 

IL  Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung 586 

III.  Urkunden  zur  Geschichte  der  Kirche  S.  Francesco  in  Assisi     .     .     .  609 

IV.  Des  Rodulphus  Beschreibung  der  Kirche  S.  Francesco  in  Assisi  .     .  611 
"-   V.  Beschreibung  der  Glasmalereien  in  S.  Francesco  zu  Assisi    .     .     .     .  615 

VI,  Die  Kreuzesglorie  in  S.  Francesco   zu  Assisi,  Puccio  Capanna,   der 

„Meister  der  h.  Chiara"  und  der  Maler  Cola 621 


VERZEICHNISS 
DER  ABBILDUNGEN  UND  GRUNDRISSE 

1.  Giotto:   Franz   schenkt   einem  Armen   seinen  Mantel.     Fresko   in 

der  Oberkirche  S.  Francesco,  Assisi Taf.  i 

2.  „        Franz  sagt  sich  von  seinem  Vater  los.     Ebendaselbst     .  ,,  i 

3.  „        Innocenz   III.    ertheilt  Franz   die  Erlaubniß  zu  predigen. 

Ebendaselbst 2 

4.  „        Franz  predigt  vor  Honorius  III.     Ebendaselbst   ....  ,,  2 

5.  „        Franz  vor  dem  Sultan.     Ebendaselbst „  3 

6.  „        Die  Stigmatisation.     Fresko  in  S.  Croce  zu  Florenz    .     .  ,,  3 

7.  „         Der  Tod  des  Franziskus.     Ebendaselbst      ......  ,,  4 

8.  „         Franz   predigt   den   Vögeln.     Fresko  in   der  Oberkirche 

S.  Francesco „  5 

9.  Unbekannter  Meister:  Bildniß  des  Franz  im  Sacro  Speco  zu  Subiaco  ,,  6 

10.  Meister  des  Franziskus:  Bildniß  des  Franz  in  S.  Maria  degli  Angeli 

bei  Assisi 7 

11.  Schule  von  Siena:  Bildniß  des  Franz.     Akademie,  Siena      ...  „  8 

12.  Giotto:   Wie  dem  Jüngling  gehuldigt  ward.    Fresko  in  der  Ober- 

kirche S.  Francesco  zu  Assisi „  9 

13.  „        Die  Vision  des  Palastes.     Ebendaselbst „  9 

14.  „         Die  Vision  Innocenz'  III.    Ebendaselbst „  10 

15.  „        Die  Vision  des  feurigen  Wagens.     Ebendaselbst 10 

16.  „        Die  Vertreibung  der  Dämonen  aus  Arezzo.    Ebendaselbst  ,,  11 

17.  „         Die  wunderbare  Tränkung  des  Durstigen.     Ebendaselbst  ,,  12 

18.  ,,        Die  Erscheinung  des   Franz   auf  dem   Kapitel    zu  Arles. 

Ebendaselbst „  13 

19.  „        Die  Stigmatisation.     Ebendaselbst ,,  13 

20.  ,,         Die  Vision  des  Augustinus  und   des  Bischofs  von  Assisi. 

Ebendaselbst ,,  14 

21.  „        Die  Bekehrung  des  Hieronymus.    Ebendaselbst ,  14 

22.  ,,        Die  Vision  Gregor's  IX.     Ebendaselbst „  15 

23.  ,,        Die  Befreiung  des  Häretikers  Petrus.     Ebendaselbst   .     .  „  15 

24.  Andrea  della  Robbia:  Franz  und  Dominikus.     Relief  an  der  Halle 

auf  der  Piazza  S.  Maria  novella  zu  Florenz ,,  16 

25.  Kirche  und  Kloster  S.  Francesco  in  Assisi ,  17 

26.  Kirche  S.  Francesco  in  Assisi.     Südansicht ■,  18 

27.  Grundriß  der  Unterkirche  S.  Francesco  zu  Assisi S.    191 

28.  Innenansicht  derselben  Unterkirche Taf.    19 

29.  Grundriß  der  Oberkirche S.    195 

30.  Innenansicht  derselben Taf    19 

31.  Ansicht  der  Kirche  S.  Francesco  in  Assisi  von  Westen  ....  ,,20 

32.  Portal  der  Unterkirche  zu  Assisi ,,  21 

33.  Cimabue:  Madonna.     Fresko  in  der  Unterkirche  zu  Assisi  ...  ,,22 

34.  Cimabue's  Schule:  Das  Opfer  Isaak's.    Fresko  in  der  Oberkirche  „  23 

35.  „  Die  Geburt  Christi.     Ebendaselbst ,23 

36.  Giotto:   Jacob  am  Lager  Isaak's.     Ebendaselbst »24 

37.  „        Der  Tod  des  Edlen  von  Celano.     Ebendaselbst      ...  ,,24 


XIV  Verzeichniß  der  Abbildungen  und  Grundrisse. 

38.  Giotto :   Chiara   und   ihre  Nonnen  beweinen  vor  S.  Damiano  den 

todten  Franz.     Ebendaselbst Taf.    25 

39.  Giotto  (?) :  Ein  Wunder  des  heil.  Nikolaus.    Fresko  in  der  Unter- 
kirche zu  Assisi ,,      25 

40.  Unbekannter   Meister:    Das   Grabmal    des   Gian   Gaetano   Orsini. 
Ebendaselbst „      26 

41.  Giotto:   Die   heil.  Magdalena  und   der  Bischof  Tebaldo  Pontano. 

Ebendaselbst „      26 

42.  ,,        Die  Kommunion  der  heil.  Magdalena.     Ebendaselbst .     .  ,,27 

43.  Unbekannter   Meister:     Das   Grabmal    des  Johann    von   Brienne. 
Ebendasfelbst „28 

44.  Giotto :   Franz  betet   in   S.  Damiano.     Fresko  in  der  Oberkirche 

zu  Assisi „      28 

45.  Grundriß  von  S.  Pietro  in  Assisi S.   317 

46.  Die  Fassade  von  S.  Pietro  in  Assisi Taf.    29 

47.  Die  Kirche  S.  Maria  degli  Angeli  bei  Assisi „29 

48.  Die  Kirche  S.  Chiara  in  Assisi ,,30 

49.  Grundriß  der  Kirche  S.  Francesco  zu  Perugia S.    330 

50.  ,,          von  S.  Francesco  zu  Pistoja ,,   335 

51.  ,,          von  S.  Francesco  zu  Pisa „   336 

52.  ,,          von  S.  Domenico  zu  Siena ,,   336 

53.  „          von  S.  Francesco  zu  Siena ,,   337 

54.  „          von  S.  Croce  zu  Florenz „   338 

55.  Ansicht  von  S.  Croce  zu  Florenz Taf.    30 

56.  Grundriß  von  S.  Francesco  zu  Parma S.   346 

57.  „          von  S.  Francesco  zu  Memtua ,,   349 

58.  „          von  S.  Francesco  zu  Bologna „   353 

59.  „          von  S.  Francesco  zu  Padua „   357 

60.  ,,          von  S.  Francesco  zu  Piacenza „   361 

61.  ,,          von  Chiaravalle  bei  Mailand „   365 

62.  Ansicht  von  S.  Maria  dei  Frari  in  Venedig Taf.    31 

63.  Grundriß  von  S.  Maria  dei  Frari S.   371 

64.  ,,          von  S.  Francesco  zu  Cremona „   376 

65.  ,,          von  S.  Francesco  zu  Pavia ,,   376 

66.  Antonio  Vite:  Jacopone  da  Todi.    Bild  in  der  Sakristei  des  Domes 

zu  Prato Taf    32 

67.  Giotto :   Die  Weihnachtsfeier   zu  Greccio.     Fresko  in   der  Ober- 

kirche S.  Francesco  zu  Assisi »32 

68.  „        Die  Anbetung  der  heil,  drei  Könige.    Fresko  in  der  Unter- 

kirche zu  Assisi ,,      33 

69.  ,,        Kreuzigung  Christi.     Ebendaselbst ,33 

70.  „        Maria  mit  dem  Kind.    Fresko  in  der  Oberkirche  zu  Assisi  „      34 

71.  Ambrogio  Lorenzetti:  Maria  mit  dem  Kinde.    Gemälde  in  S.  Fran- 
cesco zu  Siena „      34 

72.  Giotto:   Allegorie  der  Armuth.    Fresko  in  der  Unterkirche  S.  Fran- 

cesco zu  Assisi ,,      35 

73.  „         Allegorie  der  Keuschheit.     Ebendaselbst ,,36 

74.  „        Allegorie  des  Gehorsams.     Ebendaselbst .,37 

75.  „        Die  Glorie  des  Franz.     Ebendaselbst ,,38 

76.  ,,        Allegorie  der  Vergänglichkeit.    Fresko  in  der  Unterkirche 

zu  Assisi ,,      39 


EINLEITUNG 


Die  Geschichte  des  menschHchen  Geschlechtes  vollzieht  sich  in 
einzelnen  großen  Bewegungen  der  Entwicklung.  So  weit  entfernt 
die  Wissenschaft  auch  noch  sein  mag,  diese  auf  allen  Gebieten 
menschlichen  Werdens  dem  Zusammenhang  nach  selbst  zu  erkennen, 
so  deutlich  ahnt  sie  ihn  doch,  so  erfolgreich  ist  sie  bestrebt,  die  un- 
sichtbaren Fäden,  die  von  Gedanke  zu  Gedanke,  von  That  zu  That 
Eines  an  das  Andere  binden,  aufzufinden  und  zu  verfolgen.  Der 
Forscher,  welcher  sich  die  Geschicke  der  Menschheit,  diesen  an 
Fragen  und  Räthseln  reichsten  Theil  der  allgemeinen  Naturgeschichte 
zum  Studium  gemacht  hat,  muß  ebenso  wohl  wie  jener,  der  die 
Veränderungen  der  anorganischen  Materie  betrachtet,  bestrebt  sein, 
an  Stelle  willkürlicher  Katastrophen  vielseitig  bedingte,  allmählich 
sich  vorbereitende  Wandlungen  anzunehmen.  Was  ihm  seine  Auf- 
gabe aber  erschwert,  bleibt  irrimer,  daß  er  sich  der  allgemeinen  Ver- 
ständlichkeit zu  Liebe  zu  einer  systematischen  Gliederung  verstehen 
muß,  daß  er  gezwungen  wird,  Abschnitte  zu  machen,  die  das  orga- 
nische Ganze  grausam  in  einzelne  Theile  zerlegen.  Der  unendliche 
Reichthum  der  Erscheinungen  selbst  an  solchem  herausgerissenen 
Theile  zwingt  ihn  von  Neuem  zu  zerlegen  und  schließlich  mag  er 
wohl  glauben,  im  kleinsten  Theile  ein  in  sich  abgeschlossenes,  selbst- 
thätiges  Ganze  zu  sehen,  da  es  doch  nur  Bedeutung  hat  im  weiten 
Zusammenhange  des  Ganzen.  Und  wieder  auf  der  anderen  Seite 
lassen  sich  doch  nur  aus  dem  eingehenden  Studium  der  Details 
durch  Rückschluß  die  ersten  Grundbedingungen  für  die  Würdigung 
und  Kenntniß  der  großen  bewegenden  Kräfte  schaffen.  Der  einzelne 
Mensch  in  seinem  Lebensgange,  in  seiner  körperlichen  und  geistigen 
Entwicklung,  in  seinem  Verhältniß  zur  Außenwelt  wird  so  der  Aus- 
gangspunkt zur  geschichtlichen  Betrachtung  des  Menschengeschlechtes 
überhaupt.  Je  größer  die  geistige  Bedeutung  eines  Einzelnen  und 
mit  ihr  sein  Einfluß,  desto  wichtiger  wird  seine  Kenntniß  dem  Ge- 

Thode,  Franz  von  Assisi.  TT 


XVIII Einleitung. 

Schichtsschreiber  —  und  so  hat  derselbe  schHeßlich  Recht,  da  er 
einmal  gezwungen  ist,  Abschnitte  zu  machen,  sie  mit  dem  Auftreten 
der  größten  und  einflußreichsten  Männer  zusammenfallen  zu  lassen. 
Er  nimmt  dabei  freilich  die  Wirkung,  die  sie  als  Repräsentanten 
einer  bestimmten  Richtung  ausüben,  als  Eintheilungsgrund,  während 
doch  die  Richtung  selbst  in  ihrer  genetischen  Entwicklung  als  ein- 
heitlicheres Ganze  die  eigentliche  Norm  abgeben  sollte  —  aber  prak- 
tische Rücksichten  nöthigen  ihn  wohl  noch  auf  lange  Zeit  hinaus  dazu. 

Der  Name  eines  einzelnen  großen  Mannes  steht  auch  an  der 
Spitze  dieses  Buches  —  mit  eben  jenem  Rechte,  mit  dem  man  die 
gemeinschaftliche  Bestrebung  eines  Theiles  der  menschlichen  Ge- 
sellschaft nach  dem  Namen  des  Mannes  bezeichnet,  in  dem  sie  sich 
gleichsam  ihrer  selbst  bewußt  wird ,  in  dem  sie  ihre  Verkörperung 
erhält,  durch  welchen  sie  die  Herrschaft  über  andere  Elemente  der 
Zeit  und  damit  den  Einfluß  auf  die  folgende  gewinnt.  Nur  in 
einem  solchen  Manne  läßt  sie  sich  erfassen  und  verstehen.  Er 
gleicht  der  Blüthe,  an  der  man  vor  Allem  die  Pflanze  erkennt,  nach 
der  man  sie  zu  nennen  liebt,  die  für  das  größere  oder  mindere 
Wohlgefallen  an  ihr  maßgebend  wird.  Und  wie  das  farbige,  duf- 
tende Gebilde  nur  entsteht,  wenn  die  Pflanze  dem  Höhepunkt  ihrer 
Entwicklung  sich  nähert,  wie  es  des  wärmenden  Sonnenlichtes  be- 
darf, sich  voll  zu  entfalten,  und  wie  es  endlich  zur  Bedingung  wird 
für  die  Frucht,  so  der  menschliche  Genius ! 

In  Franz  von  Assisi  gipfelt  eine  große  Bewegung  der  abend- 
ländischen christlichen  Welt,  eine  Bewegung,  die  nicht  auf  das 
religiöse  Gebiet  beschränkt,  sondern  universell  im  eigentlichsten 
Sinne  die  vorbereitende  und  treibende  Kraft  der  modernen  Kultur 
ist.  Sie  mit  einem  kurzen  Worte  zu  bezeichnen,  möchte  ich  sie 
die  Bewegung  der  Humanität  nennen.  Sie  beginnt  im 
XII.  Jahrhundert,  erreicht  ihren  Höhepunkt  in  Franz  um  1200  und 
erstreckt  ihre  Wirkung  bis  etwa  in  die  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts 
hinaus,  um  welche  Zeit  die  durch  sie  geförderte  neue  Bewegung 
des  Humanismus  und  der  Reformation  einsetzt.  Sie  mit  wenigen 
Worten  schon  hier  Eingangs  zu  kennzeichnen  —  so  ist  ihr  Inhalt 
die  Befreiung  des  Individuums,  das  in  einer  subjektiven  harmoni- 
schen Gefühlsauffassung  der  Natur  und  der  Religion,  im  Großen 
und  Ganzen  noch  innerhalb  der  Schranken  des  katholischen  Glau- 
bens, aber  unbewußt  doch  schon  über  dieselben  hinausstrebend, 
seine  Rechte  gegenüber  der  Allgemeinheit  sich  erobert.    Sie  äußert 


Einleitung.  XIX 

sich  in  dem  Emporkommen  des  Bürgerstandes,  der  sich  mit  seinen 
neuen  Anschauungen  der  Natur  und  Religion  auch  neue  Formen 
des  sozialen  Lebens,  wie  des  kirchlichen  Kultus  schafft.  Wie  sie 
auf  der  einen  Seite  das  Lehnswesen  sammt  seiner  dichterischen 
Verherrlichung  untergräbt,  die  phantastischen  Ideale  der  Kreuzzüge 
stürzt  und  an  der  scholastischen  Philosophie  wenigstens  zu  rütteln 
beginnt,  so  schenkt  sie  auf  der  anderen  Seite  der  Menschheit  die 
ersten  Bedingungen  einer  persönlichen  Freiheit,  einer  neuen  geist- 
lichen Poesie,  einer  neuen  Kunst  und  die  erste  Vorahnung  allgemeiner 
Denkfreiheit.  Die  innerste  Triebkraft,  die  solche  Wunder  zu  Wege 
bringt,  ist  das  erwachende  starke  individuelle  Gefühl.  Dieses  Ge- 
fühl aber  scheint  in  einem  einzigen  Menschen,  Franz  von  Assisi,  als 
glühende,  tiefinnerliche  Liebe  zu  Gott,  der  Menschheit  und  der 
Natur  gleichsam  zu  gipfeln.  Von  einer  Schilderung  dieses  merk- 
würdigen Mannes,  der  weniger  als  ein  Heiliger  der  katholischen 
Kirche  denn  vielmehr  als  der  Träger  einer  weltbewegenden  Idee 
die  Verehrung  aller  Nachgeborenen  verdient,  hat  die  Betrachtung 
dieses  jugendfrischen  Lebens,  das  die  alten  Formen  zerbricht,  aus- 
zugehen. So  viel  über  Franz  geschrieben  worden  ist,  die  volle 
Gerechtigkeit  ist  ihm  noch  nicht  widerfahren  —  möge  dieses  Buch 
als  ein  Versuch ,  den  bedeutenden  Mann  aus  dem  engen  Rahmen 
der  Kirchengeschichte  als  Mittelpunkt  in  das  frohe,  vielbewegte 
Treiben  einer  neue  Ziele  anstrebenden  Zeit  zu  versetzen,  dazu  bei- 
tragen. Der  begeisterte  Verkündiger  der  Humanität  erhalte  seine 
vollen  Rechte  als  Vertreter  der  ganzen  Bewegung. 

Die  mannigfachen  Verzweigungen  derselben  aber  und  damit 
sie  selbst  nach  ihrem  ganzen  Umfange  zu  erfassen  und  darzustellen, 
erforderte  vielseitigere  Kenntnisse,  als  sie  dem  Verfasser  zu  Gebote 
stehen.  So  weit  es  ihm  möglich  war,  hat  er  die  verschiedenartigen 
Bestrebungen  der  Zeit  im  Allgemeinen  anzudeuten  gesucht,  im 
Einzelnen  und  eingehend  nur  die  Bewegung,  wie  sie  sich  auf  dem 
Gebiete  der  Kunst  geltend  macht,  studirt.  Und  die  Berechtigung 
dazu  ergiebt  sich  aus  dem  Stoffe  selbst.  So  reichhaltig  die  Aeuße- 
rungen  der  neuen  Geistesrichtung  sind ,  den  beredtesten  Ausdruck 
gewinnt  dieselbe  doch  in  der  Kunst.  Diese  ist  ihre  größte,  herr- 
lichste Frucht.  Sie  geht  der  Verwirklichung  des  neuen  Ideals  auf 
politischem  und  wissenschaftlichem  Gebiete  voraus,  wie  die  Morgen- 
röthe  der  Sonne.  Das  erstgeborene  unter  den  Kindern  christlich- 
humaner Weltanschauung,    herangewachsen   zu   einer  Zeit,    da   die 

n* 


XX  Einleitung. 

anderen  noch  unmündig,  lehrt  sie  die  jugendHch  -  enthusiastische 
Gesinnung  der  Menschheit,  der  sie  entsproßt,  deutUcher  erkennen 
und  schätzen. 

Des  Franziskus  Leben  fällt  in  die  Zeit,  welche  die  mittelalter- 
lichen Ideale  des  weltlichen  Lehnsstaates  und  der  geistlichen 
Hierarchie  zur  Reife  gelangt  sieht.  Im  Kampfe  mit  einander  waren 
Beide  groß  und  stark  geworden,  im  Kampfe  standen  sich  ihre  Ver- 
treter, der  Kaiser  und  Papst  gegenüber,  als  Beide  den  Gipfel  ihrer 
Macht  erreicht,  im  Kampfe  sollten  sie  von  der  Höhe  abwärts 
schreiten.  Von  einem  Sieg  der  einen  Gewalt  kann  nicht  die  Rede 
sein :  die  Gegner  der  Hohenstaufen  waren  eben  ein  Alexander  III. 
und  ein  Innocenz  III.  Und  doch  einen  kurzen  Augenblick  mochte 
es  scheinen,  als  habe  der  Stellvertreter  Christi  sich  noch  um  eine 
Stufe  höher  geschwungen,  als  der  römische  Kaiser  —  in  jenem 
Augenblick,  als  Innocenz  III.  seinem  gegen  die  Hohenstaufen  er- 
hobenen Schützling,  dem  Weifen  Otto  IV.,  in  Rom  die  Krone  auf- 
setzte. Da  durfte  er  glauben,  das  Szepter  der  Welt  in  der  Hand 
zu  tragen.  Der  Vertreter  der  größten  weltlichen  Macht  erkannte 
seine  Oberherrschaft  an,  sein  Richterspruch  erklang  gebietend  am 
französischen  und  englischen  Hofe,  seine  Legaten  vertraten  siegreich 
die  Ansprüche  des  Papstthums  in  den  nordischen  Reichen,  die 
morgenländische  Kirche  huldigte  seit  der  Errichtung  des  byzan- 
tinischen Kaiserthums  dem  römischen  Bischöfe.  Es  war  ein  kurzer 
berauschender  Traum !  Nur  wenige  Tage  —  und  der  demüthige 
Weife  schien  der  herrischen  Hohenstaufen  einer  geworden  zu  sein, 
der  mit  der  Krone  auch  alle  Rechte  und  Pflichten  des  deutschen 
Kaisers  übernommen.  Und  zur  selben  Zeit  erhob  sich  mit  bei- 
spielloser Kühnheit  das  südfranzösische  Volk  gegen  die  heihgen 
Satzungen  der  Kirche  selbst! 

Wie  groß  aber  immer  der  Gegensatz  zwischen  Papst  und 
Kaiser  gewesen ,  innige  Bande  vereinten  doch  den  Lehnsstaat  und 
die  Hierarchie  zu  einem  gemeinsamen  Ganzen.  Die  vornehmen 
kirchlichen  Würdenträger  waren  zugleich  die  Träger  weltlicher 
Lehen  und  den  Rangstufen  der  weltlichen  Großen  entsprachen  die 
der  kirchlichen  Großen.  Die  Gemeinschaftlichkeit  der  Bestrebungen 
trat  nirgends  leuchtender  und  erhebender  zu  Tage ,  als  in  den 
Kreuzzügen.  Da  weiß  man  thatsächlich  nicht,  waren  dieselben 
mehr  weltliche  oder  geistliche  Unternehmungen.  Sie  bleiben  eben 
die  Kraftäußerung  der  gesammten  christlichen  Welt  gegenüber  der 


Einleitung.  XXI 

mohamedanischen  Macht  des  Orients.  Wie  aber  auf  geistigem  Ge- 
biete das  Ritterthum  seine  Verherrlichung  in  der  Poesie  des  Minne- 
gesanges und  der  Heldendichtung  fand,  eine  Blüthe  der  weltlichen 
Poesie  an  den  Fürstenhöfen  sich  entfaltete,  so  wob  die  scholastische 
Gelehrsamkeit  der  Universitäten,  unter  denen  Paris  die  erste  Stelle 
behauptete,  einen  Glorienschein  um  das  Haupt  der  Hierarchie.  Bei 
dieser  innigen  Verschmelzung  der  beiden  Gewalten  mußte  jeder 
Schlag,  der  gegen  eine  derselben  ausgeführt  wurde,  auch  gegen 
die  andere  gerichtet  sein.  Die  Bewegung,  die  eben  in  der  Zeit 
der  höchsten  Blüthe  des  mittelalterlichen  Wesens  drohend  ihr  Haupt 
erhebt  und  ihre  Stimme  mitten  hinein  in  die  lärmende  Selbst- 
vergötterung der  feudalen  und  der  hierarchischen  Verfassung  er- 
schallen läßt,  wendet  sich  zugleich  gegen  die  erstere,  wie  gegen 
die  letztere.  Sie  geht  von  dem  Volke  aus,  das,  bisher  kaum  be- 
achtet, sich  aus  der  Stellung  des  rechtelosen,  dienenden  Gesellen 
zu  selbstständiger,  Achtung  verlangender  Thätigkeit  erhob.  Die 
Kreuzzüge  sind  es  gewesen,  die  es  vom  zwingenden  Banne  lösten, 
die  auf  die  äußeren  Lebensbedingungen,  wie  die  Denkweise  be- 
freiend gewirkt  haben.  Die  häufige  direkte  Berührung  mit  der 
Kultur  des  Morgenlandes  hob  schnell  und  dauernd  den  bisher  kaum 
gekannten  Handel  zu  einer  ungeahnten  Bedeutung  und  befreite 
zugleich  die  Geister  von  der  einseitigen  Befangenheit  vaterländischer 
Sitte  und  Anschauung.  Wie  die  Kreuzfahrer  den  üppigen  Luxus 
des  orientalischen  Lebens  kennen  und  bewundern  lernten,  so  wurden 
sie  binnen  kurzem  auch  mit  der  so  sehr  von  der  ihrigen  ab- 
weichenden Weltanschauung  und  Religion  vertraut  gemacht,  die 
ihnen  wohl  sündhaft  und  ketzerisch  erschien,  aber  doch  in  Achtung 
gebietender  Weise  das  vollgültige  Recht  der  Existenz  dem  Christen- 
thum  gegenüber  aufrecht  erhielt.  Als  einmal  erst  der  regelmäßige 
Verkehr  zwischen  den  Städten  des  Abend-  und  des  Morgenlandes 
hergestellt  war,  wanderten  nicht  nur  die  Handelsartikel  des  letzteren 
über  Italien  nach  Deutschland  und  Frankreich,  sondern  auch  pro- 
fane Künste  und  Wissenschaften,  wie  religiöse  Meinungen.  Im 
Laufe  des  XII.  Jahrhunderts  erlangen  daher  einerseits  die  Städte 
einen  außerordentlichen  Aufschwung  und  mit  ihnen  die  Handel  und 
Gewerbe  treibenden  Stände,  andrerseits  entstehen  zugleich  Sekten, 
die ,  zumeist  die  altketzerischen  Anschauungen  der  Manichäer  zur 
Schau  tragend,  in  direkte  Opposition  zur  römischen  Kirche  treten. 
Die  Verbreitung    und    Bedeutung    derselben   muß    größer   gewesen 


XXII Einleitung. 

sein,  als  es  die  Kirche  selbst  zugestehen  mochte.  Man  spürt  das 
deutlich  an  der  gewaltigen  Kraftanstrengung,  die  sie  im  Anfang  des 
XIII.  Jahrhunderts  machen  muß,  ihrer  Herr  zu  werden. 

Was  für  die  Hohenstaufen  die  italienischen  Städte,  waren  für 
die  Päpste  derselben  Zeit  die  Ketzergemeinden.  Und  es  ist  wohl 
mehr  als  Zufall,  daß  die  großen  Kommunen  Norditaliens  zugleich 
die  eigentlichen  Sitze  der  Patarener,  Katharer  oder  wie  man  diese 
Feinde  kirchlicher  Autorität  nennen  mochte,  waren.  Der  erste 
Herold  der  neuen  Zeit  ist  jener  Arnold  von  Brescia,  der  laut  und 
vernehmlich  gegen  den  weltlichen  Besitz  der  Kirche  predigt  und 
die  Römer  zur  Wiedereinsetzung  eines  Senats  und  Wiederherstellung 
altrömischer  Unabhängigkeit  in  Feuerreden  entflammte.  Hadrian  IV. 
und  Friedrich  I.  vollzogen  gemeinsam  an  ihm  das  Gericht :  er  ward 
1 1 5  5  gehängt  und  verbrannt.  Die  Volkssache  hatte  ihren  ersten 
Märtyrer.  Jener  Arnold  aber  hatte  zu  den  Füßen  Abälards  ge- 
sessen —  auch  in  der  Wissenschaft,  in  Abälards  Streben,  dem 
natürlichen  Verstände  zu  seinem  Rechte  zu  verhelfen ,  ebensowohl, 
wie  in  der  allgemeinen  Menschenliebe  seines  großen  Gegners  Bern- 
hard von  Clairvaux  flammt  ein  neues  junges  Gefühl  auf  Dann 
kurze  Zeit  darauf  erfolgt  das  erste  bedeutende  aggressive  Vorgehen 
Mailands  und  der  ihm  verbündeten  lombardischen  Städte  gegen 
den  Kaiser,  und  die  Auflehnung  der  Waldenser  in  der  Provence 
gegen  die  Hierarchie.  Das  lehrt  uns  zugleich  den  Heerd  der  Volks- 
bewegung kennen:  das  nördliche  Italien  und  das  angrenzende  Süd- 
frankreich. Der  Grund,  warum  sie  gerade  hier  zum  Ausbruch  kam, 
ist  unschwer  zu  finden.  Hatte  doch  Italien  während  der  vorher- 
gehenden Jahrhunderte  immer  eine  Sonderstellung  innegehabt.  Nicht 
wie  in  den  Ländern  nördlich  der  Alpen  waren  hier  die  Spuren 
römischer  Kultur  von  den  Pferdehufen  der  germanischen  Heere  zer- 
treten und  verwischt  worden,  sondern  ein  guter  Theil  der  römischen 
Institutionen,  der  Rechtsverhältnisse  wie  der  Munizipalverfassungen, 
hatte  sich  unter  der  durchsichtigen  Hülle  der  germanischen  Lehens- 
verfassung erhalten.  Wie  das  Volk  selbst  ein  wunderliches  Gemisch 
einheimischer  römischer  und  eingewanderter  longobardischer  Ele- 
mente bildete,  so  auch  seine  Verfassung.  Ein  Lehensstaat  in  seiner 
strengen  logischen  Ausbildung  hatte  niemals  daraus  werden  können. 
Der  Kaiser,  der  fern  in  Deutschland  lebte  und  regierte,  repräsentirte 
wohl  den  geheiligten  Herrscher,  aber  ein  eigentlicher  Oberlehns- 
herr,   in   dessen  Person   ein   vielgliedriges  System   seinen  höchsten 


Einleitung.  XXIII 

Abschluß  erreichte,  war  er  für  ItaHen  nicht.  Eine  mehr  oder  weniger 
repubhkanische  Selbstregierung  konnte  sich  seit  der  Zeit  der  Ottonen, 
welche  die  Zeit  der  Exemtionen  vom  Grafenbann  gewesen  war,  in 
den  Städten  ungestört  entwickeln.  Erschien  dann  der  Kaiser  mit 
seinem  Heere  diesseits  der  Alpen ,  so  konnten  die  Konflikte  nicht 
ausbleiben ,  der  Gewalt  mußte  zeitweilig  das  dem  Volke  stets  be- 
wußte Recht  weichen.  Kaum  aber  war  er  wieder  den  Blicken  ent- 
schwunden, war  Alles  wieder  beim  Alten  und  die  vorübergehenden 
Störungen  vermochten  die  freiheitliche  Entwicklung  nicht  zu  hemmen. 
Im  Gegentheile  lernte  man  bald  den  Hader  zwischen  Papst  und 
Kaiser  benutzen  und  trieb  eine  egoistische  Politik,  deren  Prinzip 
nicht  die  Befolgung  eines  geheihgten  Staatsrechtes,  sondern  die 
möglichst  gewandte  Ausbeutung  jeglicher  Situation  in  partikularisti- 
schem  Interesse  war.  Als  Folge  ergab  sich,  daß  die  Stadtbevölkerung 
bald  wie  dem  Kaiser,  so  auch  dem  Papste  gegenüber  eine  ziemlich 
unabhängige  Stellung  gewann,  daß  sie,  gesucht  von  beiden  Gewalten, 
ohne  wesentliche  Gefährdung  einer  freieren  Auffassung  auf  weltlich 
politischem,  wie  geistlich  religiösem  Gebiete  huldigen  durfte.  So 
erklärt  sich  denn  auch  die  anscheinend  wunderbare  Thatsache,  daß 
das  eigentliche  Heimathsland  der  päpstlichen  Macht  mit  seinen 
schnell  zu  außerordentlicher  Kraft  und  Wohlhabenheit  gelangten 
großen  Städten  der  Hierarchie  gegenüber  eine  unabhängigere 
Stellung  einnahm,  als  die  ferneren  großen  Reiche  des  Westens. 
Und  daß  dies  in  Sonderheit  für  das  nördliche  Italien  gilt,  ergiebt 
sich  wiederum  aus  der  wichtigen  Mittelstellung  desselben  zwischen 
Rom  und  Deutschland.  So  kam  es,  daß  um  1200  die  durch  die 
Kreuzzüge  gezeitigte  revolutionäre  Bewegung  eben  hier  und  in 
dem  benachbarten  Südfrankreich  zum  Ausbruch  kam  und  zwar  in 
offenem  Kampfe  zugleich  gegen  den  Lehensstaat  und  die  römisch- 
katholische Kirche  sich  richtete. 

Vertreten  aber  die  Angegriffenen  ein  Prinzip,  nämlich  dasjenige 
einer  schematisch  verallgemeinernden  Gliederung  der  Menschheit 
in  Freie  und  Unfreie,  so  liest  man  aus  den  Aufschriften  der  Banner 
der  Angreifenden  unschwer  einen  anderen  Wahlspruch  heraus :  das 
freie  Recht  des  Individuums ! 

Der  Sieg  der  Städte  entschied  zu  Gunsten  der  äußeren  sozialen 
Berechtigung  des  Bürgerthums  neben  den  privilegirten  Klassen  der 
Fürsten  und  Ritter.  Von  um  so  größerer  Bedeutung  wurde  nun 
die  Entscheidung    auf  dem   geistigen  Gebiete.     Es  schien  sich  nur 


XXIV  Einleitung. 

um  zwei  Möglichkeiten  zu  handeln:  entweder  die  Opposition  ward 
von  der  Kirche  vollständig  zu  Boden  geworfen ,  oder  sie  erwarb 
sich  eine  selbstständige  Berechtigung.  Bei  näherem  Einsehen  zeigt 
es  sich  deutlich,  daß  Beides  unmöglich  war:  keine  wenn  auch  noch 
so  große  Gewalt  vermochte  die  gerechten  Forderungen  des  zum 
Selbstbewußtsein  erwachenden  dritten  Standes  zum  Schweigen  zu 
bringen,  wie  andererseits  die  Ziele  desselben  zu  unbestimmt  waren, 
als  daß  die  Bewegung  eine  einheitliche,  selbstständig  sich  regelnde 
hätte  werden  können.  Da  trat,  von  der  ewigen  Gesetzmäßigkeit 
folgerechter  geschichtlicher  Entwicklung  hervorgerufen,  Franz  von 
Assisi  auf,  der  aus  seinem  die  Entscheidung  ahnenden  und  voll- 
ziehenden genialen  Vermögen  das  versöhnende  Wort  fand !  Er 
leitete  die  fortschrittliche  ungestüme  Strömung  in  ein  abgegrenztes 
Flußbett  und  erwarb  sich  so  das  ewige  Verdienst ,  sie  vor  einer 
unzeitigen  Zertheilung  bewahrt,  ihre  Kräfte  gesammelt  und  auf  ein 
einheitliches  Ziel  hin  gerichtet  zu  haben.  Das  Ziel  ist  die  Ver- 
innerlichung  des  Menschen,  das  segensvoll  einschränkende  Bett  die 
christliche  Lehre  und  die  erste  bedeutende  Verwerthung  der  kon- 
zentrirten  Kraft  kommt  der  Kunst  zu  Gute ! 

Der  nachgebende  Theil  aber  beim  Friedensschluß  der  zwei 
Partheien  war  die  römische  Kirche.  Es  ist  nicht  mehr  und  nicht 
weniger  als  eine  Reform  derselben,  welche  dieser  Friedensstifter 
unmerklich  und  ohne  einen  Widerspruch  zu  finden ,  bewirkte.  Er 
selbst,  seiner  ganzen  Natur  nach  der  Freiheitsbewegung  angehörend 
und  aus  dieser  hervorgegangen,  aber  nach  seiner  idealistischen  An- 
lage in  positivem  Glauben  ein  Verehrer  der  von  Gott  selbst  ge- 
stifteten Kirche,  übertrug  die  Anschauungen  einer  volksthümlichen 
Religion ,  einer  allem  Dogmatischen  fremden ,  rein  im  subjektiven 
Gefühl  wurzelnden  Liebe  zu  Gott,  einer  dem  hierarchischen  Prinzip 
zuwiderlaufenden  persönlichen  Nachfolge  Christi  in  die  römische 
Kirche  selbst.  Als  Innocenz  III.  1208  Franziskus  und  allen  seinen 
Jüngern  das  Recht  der  freien  Predigt  gewährte,  gewährte  er  zu 
gleicher  Zeit  dem  Volke  seine  Forderungen ,  denn  das  Recht  der 
freien  Predigt,  das  heißt  eines  persönlichen  Verhältnisses  zur  Bibel 
und  Lehre ,  war  es  ja  vor  Allem  gewesen ,  was  die  Waldenser  für 
sich,  für  das  Volk  verlangt.  Indem  Franziskus  und  sein  die  Volks- 
elemente in  sich  aufnehmender  Orden  es  sich  zur  Aufgabe  machte, 
den  Bedürfnissen  des  Einzelnen  durch  die  Predigt  Genüge  zu  thun, 
wurde  zwar  das  in  seiner  allgemeinen  Durchführung  überhaupt  un- 


Einleitung.  XXV 

mögliche  Verlangen  modifizirt ,  aber  das  eigentliche  Wesentliche : 
ein  volksthümliches  Christenthum  geschaffen.  Die  Kluft,  die  zwischen 
den  aristokratischen  Institutionen  des  Klerus  und  des  Benediktiner- 
mönchswesens einerseits  und  der  großen  Menge  der  Laien  andrer- 
seits gähnte,  ward  durch  die  demokratische  Institution  der  Bettel- 
mönche überbrückt.  Die  Hierarchie  mußte  sich  zu  der  Aufnahme 
dieses  heterogenen  Elementes  verstehen,  wie  der  Lehensstaat  zu 
der  Anerkennung  der  Städte.  Und  wie  die  Städte,  so  wurden  die 
Bettelorden  in  den  folgenden  Jahrhunderten  die  eigentlichen  Träger 
neuer  Zivilisation  und  Bildung.  Die  Beiden  gehen  demnach  auch 
Hand  in  Hand :  die  Städte  werden  die  Heimath  der  predigenden 
Mönche  und  die  volksthümliche  Religion  der  letzteren  wird  die 
Religion  der  Städte.     Jeder  Theil  giebt  und  jeder  empfängt. 

Es  kann  keine  Frage  sein ,  daß  die  Folge  dieser  Wandlung 
eine  Kräftigung  und  Vertiefung  des  Christenthums  gewesen  ist.  Was 
man  Gegentheiliges  sagen  mag,  beruht  auf  einer  Ueberschätzung 
aller  jener  Erzählungen  von  Unglauben,  Ketzerthum,  Materialismus, 
welche  die  zumeist  von  Geistlichen  geschriebenen  Chroniken  der 
Zeit  bringen.  Gewiß  ist  es  wahr,  daß  das  Sektenwesen  durch  die 
Franziskaner  und  Dominikaner  nicht  erstickt  worden  ist,  daß  der 
Wohlstand  in  den  Städten  vielfach  mit  dem  Genußleben  auch  Gleich- 
gültigkeit gegen  die  Religion  und  Skeptizismus  hervorbrachte  — 
im  Großen  und  Ganzen  aber  herrschte  doch  ein  tief  und  wahr 
empfundener  christlicher  Glaube,  der  vor  jenem  des  frühen  Mittel- 
alters eine  größere  Innerlichkeit  und  eine  größere  Gefühlswärme 
voraus  hat.  Das  bezeugt  nicht  allein  die  beispiellose  Verbreitung 
der  Bettelraönchorden ,  die  Größe  und  der  reiche  Schmuck  ihrer 
zahllosen  Kirchen,  sondern  auch  die  kirchliche  Litteratur,  die  in 
dem  größten  Gedichte  jener  Zeit  ausgesprochene  Weltanschauung 
und  die  bildende  Kunst.  Das  Alles  aber  berechtigt  uns,  jene  volks- 
thümliche Bewegung  als  die  der  christlich-katholischen 
Humanität  zu  bezeichnen.  Wie  sich  dann  in  ihrem  Verlaufe 
neben  den  positiven  Errungenschaften,  welche  man  dem  Fran- 
ziskanerthum  in  Gesittung  und  Kunst  dankt,  wiederum  aus  ihm 
eine  der  Kirche  sich  feindselig  entgegenstellende  Richtung  entwickelt, 
wird  später  noch  seine  Berücksichtigung  finden.  In  den  Bestrebungen 
Michael's  von  Caesena  und  Wilhelm's  von  Occam  macht  sich  in 
höchst  konsequenter  Weise  hundert  Jahre  später  die  Erkenntniß 
geltend,    daß   jene   durch  Franz  bewirkte  Reform  der  Kirche  doch 


XXVI  Einleitung. 

nichts  anderes  als  einen  für  die  Dauer  unmöglichen  Kompromiß 
zwischen  zwei  heterogenen  Elementen,  der  geistlichen  Autorität  und 
der  geistigen  Freiheit,  bedeute.  Und  damit  beginnt  ein  erneuter 
Kampf  mit  Rom,  dessen  Verlauf  unser  Thema  nicht  mehr  berührt. 
Noch  Eines  aber  muß  in  Erwähnung  gezogen  werden.  Welche 
Rolle  spielt  denn  bei  dieser  Neugestaltung  der  Verhältnisse  jener 
andere  Bettelmönchorden  der  Dominikaner,  der  doch  meist  an  Be- 
deutung dem  der  Franziskaner  verglichen  wird .?  Die  Antwort  ist : 
eine  untergeordnete !  Vor  allem  ist  Dominikus  nicht  wie  Franz 
aus  dem  Volke  und  seinen  Bestrebungen  hervorgewachsen  —  er 
ist  nicht  wie  dieser  ein  Repräsentant  der  volksthümlichen  An- 
schauungen. Von  dem  Standpunkte  orthodoxen  Kirchenglaubens 
aus  kommt  er,  dem  Ketzerwesen  in  Südfrankreich  oppositionell 
gegenüberstehend ,  zu  der  selbstständigen  Ueberzeugung ,  nur  die 
Volkspredigt  helfe  der  Kirche  aus  der  Gefahr.  Aber  seine  Predigt 
richtet  sich  mit  den  Waffen  des  Dogmas  gegen  die  Irrlehren  und 
vertheidigt  die  Hierarchie.  Er  steht  partheiisch  auf  der  Seite  von 
Rom,  während  Franz  ein  unpartheiischer  Vermittler  ist.  So  gründet 
er  auch  anfangs  keinen  eigentlich  neuen  Orden,  sondern  nimmt  die 
Regel  der  Augustiner  an.  Erst  später  unter  dem  Einfluß  und  nach 
dem  Vorbilde  der  Minoriten-Kongregation  entsteht  die  Bettelmönch- 
gemeinde der  Dominikaner.  Fortan  sind  bei  Beiden  die  Gelübde 
dieselben,  die  Thätigkeit  besteht  bei  Beiden  in  der  Predigt  —  aber 
der  Geist  ist  ein  ganz  verschiedener !  Die  Dominikaner  werden  nur 
scheinbar  Freunde  des  Volkes ,  nicht  mit  dem  Herzen ,  —  sie  ver- 
treten die  alte  hierarchische  Form  des  Christenthumes  und  ge- 
brauchen zur  Vertheidigung  derselben  die  Waffen  der  Inquisition, 
welche  die  Kurie  vertrauensvoll  in  ihre  Hände  gelegt  hat.  Die 
Liebe  des  Volkes  haben  sie  nie  in  dem  Grade,  wie  die  Franziskaner 
besessen ,  weil  sie  kein  wirkliches  Verständniß  für  dasselbe  hatten. 
Daß  gleichwohl  auch  sie  gewaltige  Volksprediger  gewesen  sind,  daß 
auch  sie  Bedeutendes  gewirkt ,  wird  Niemand  leugnen ,  aber  ihr 
eigentlicher  Beruf  ist  der  wissenschaftliche  Kampf  gegen  Ketzer 
aller  Art.  Ihre  scholastische  Weisheit  bezeichnet  den  Höhepunkt 
der  mittelalterlichen  Theologie  und  ragt  in  eine  Zeit  hinein,  die, 
wie  wir  gesehen  haben,  bereits  ganz  anderen  Idealen  nachging.  Es 
ist  bedeutsam,  daß  erst  im  Verlaufe  des  XIV.  Jahrhunderts  auch  sie 
unter  den  siegreichen  Einfluß  der  Humanitätsbewegung  geriethen, 
aber   gleichsam    gezwungen,    nicht   wie   die   Franziskaner  Anführer 


Einleitung. XXVII 

und  Vorkämpfer  derselben.  Die  Mystik  des  Franz  und  seiner  großen 
Schüler  war  eine  befreiende  That,  die  Mystik  der  Tauler,  Suso  nur 
die  Vorbereitung  auf  eine  solche ! 

So  bleibt  dem  Franziskus  die  weltgeschichtliche  Bedeutung,  die 
wir  kurz  zu  skizziren  versucht.  Wenden  wir  uns  nun  zu  ihm  selbst, 
zu  seinem  Leben  und  Wirken,  um  in  diesem  einerseits  die  Be- 
stätigung für  das  Gesagte  zu  finden,  andererseits  die  Eigenart  der 
geistigen  Stimmung  der  Zeit  besser  kennen  zu  lernen !  Eine  neue 
Biographie  des  Franz  erscheint  zudem  trotz  der  grundlegenden 
Lebensbeschreibung  von  Hase  ^),  die  zuerst  glänzend  und  siegreich 
gegenüber  den  zahlreichen  Verherrlichungen  des  Heiligen  der  histo- 
rischen Kritik  zu  ihrem  Rechte  verhalf,  trotz  Bonghi's  interessanter 
Studie  -),  welche  die  von  Vogt  neu  gelieferten  Beiträge  ^)  verwerthete, 
nicht  überflüssig.  Sie  ist  auf  eine  eingehende  Vergleichung  und 
Kritik  der  drei  Hauptquellen,  deren  Verhältniß  zu  einander  zugleich 
mit  einer  kurzen  Geschichte  der  Franziskanerlitteratur  im  Anhang  A 
eine  besondere  Besprechung  finden  soll,  gegründet.  Jene  Quellen  sind: 
I.  Die  I.  vita  des  Franz  von  Thomas  von  Celano.  Vor  1230. 
II.  Die  II.  vita  von  ebendemselben.  Zwischen  1244  und  1246 
III.  Die  vita  des  Bonaventura.  1261. 
Erst  Bonghi  hat  auf  die  ganz  in  Vergessenheit  gerathene  II.  vita 
wieder  aufmerksam  gemacht,  sie  aber  zu  wenig  ausgenutzt,  obgleich 
sie  doch  namentlich  für  die  Kenntniß  von  Franziskus'  Charakter 
die  wichtigste  Quelle,  zugleich  aber  auch  deßwegen  von  besonderer 
Bedeutung  ist,  weil  Bonaventura  das  Meiste,  was  man  bisher  für 
neu  von  ihm  beigebracht  glaubte,  ihr  entnimmt. 

Haben  wir  aber  erst  Franz  selbst  und  sein  Leben  näher  kennen 
gelernt,  so  werden  wir  eingehender  dem  vielverzweigten  Einfluß, 
den  er  und  sein  Orden  auf  die  Entwicklung  der  großen  christlichen 
Kunst  in  Italien  ausgeübt,  unsere  Aufmerksamkeit  zuwenden. 


^)  Franz  v.  Assisi.     Ein  Lebensbild.     Leipzig   1856.     8**. 
*)  Francesco  d' Assisi.     Cittä  di  Castello   1884.     8°. 

'^)  Denkwürdigkeiten   des  Minoriten  Jordanus   von  Giano.     Abhdl,  der  phil.  hist. 
Kl.  der  K.  Sachs.  Ges.  der  W.     V.  Bd.      1870. 


ERSTES  BUCH 

FRANZ  VON  ASSISI 


UND  SEIN 


EINFLUSS  AUF  DIE  ITALIENISCHE  KUNST 


Thode,  Franz  von  Assisi. 


ERSTER  ABSCHNITT 

FRANZ  VON  ASSISI 


I.  Die  Geschichte  seiner  Bekehrung. 

Im  Jahre  1 1 8 1  ward  einem  wohlhabenden  Kaufmann  von  Assisi, 
dem  Petrus,  Sohn  des  Bernardone,  während  er  gerade  Geschäfte 
halber  in  Frankreich  weilte,  von  seiner  Frau  Pica  ein  Sohn  geboren, 
den  sie  Johannes  nannte.^)  Des  Knäbleins  künftige  Bedeutung  soll 
nach  der  Erzählung  der  späteren  Legende  ihm  schon  am  Tage  der 
Namengebung  von  einem  fremden  Pilger,  der  damit  vielleicht  seinen 
Dank  für  ein  empfangenes  Almosen  ausdrücken  wollte,  vorausgesagt 
worden  sein,  wie  auch  der  Mutter  stolze  Hoffnungen,  zur  Zeit  als 
das  Kind  bereits  herangewachsen  war,  in  prophetischen  Worten  dem 
Zweifel  der  Nachbarn  gegenüber  sich  Luft  machten.  Sie  war  es, 
die  in  dem  kindlichen  Gemüthe  die  warme  Herzensempfindung,  den 
frohen  Sinn  und  die  reine  Begeisterung  für  alles  Edle  pflegte  und 
entwickelte,  mag  auch  der  Vater,  der  von  den  alten  Biographen 
nur  als  hartherzig  und  habgierig  geschildert  wird,  nicht  gar  so 
schlimm  gewesen  sein.  Wenn  er  sich  später  von  dem  ungerathenen 
Sohne,  der  das  väterliche  Gut  für  nichts  werth  zu  halten  und,  dem 
gesitteten  Berufe  sich  entziehend,  ein  Vagabundenleben  zu  führen 
schien,  lossagte,  zeugt  dies  doch  weniger  von  einem  verdorbenen 
Charakter,  als  von  einer  Erbitterung,  die  man  dem  um  seine  schönsten 
Hoffnungen  betrogenen)  Manne  wohl  zugute  halten  muß.  Es  ist 
ihm  nur  gegangen,  wie  manchen  anderen  rechtlichen,  aber  von  be- 
schränkten Anschauungen  verblendeten  Vätern,  die  in  sich  selbst  nicht 


^)  Noch   bleibt   es   zweifelhaft,    ob   das   Geburtsjahr    n8i    oder    1182    ist.      Mir 
scheint  das  erstere  wahrscheinlicher.     "Vergl.  A.  am  Schlüsse  des  Kapitels. 


Franz  von  Assisi. 


die  Erklärung  finden  für  die  ungewöhnliche  und  Bedeutendes 
versprechende  Anlage  des  Sohnes  und,  in  thörichtem  Wahne 
sie  bekämpfend,  die  eigene  Autorität  untergraben. 

Es  ist  viel  darüber  gestritten  worden,  woher  die  Familie  des 
Franz  eigentlich  stamme,  doch  haben  die  Forschungen  Cristofanis 
wenigstens  das  eine  mit  Sicherheit  ergeben,  daß  ältere  Ge- 
schichtsschreiber, die  sie  von  den  Moriconi  in  Lucca  und  Pisa  her- 
leiten, ihr  Gebäude  auf  den  Sand  gesetzt  haben,  und  daß  man  wohl 
die  Nachkommen  des  Pietro  bis  ins  vierte  GHed  verfolgen  kann, 
von  seinen  Vorfahren  aber  eben  nur  den  Namen  des  Vaters  kennt. 
Eher  dürfte  eine  Möglichkeit  vorhanden  sein,  die  Genealogie  mütter- 
licherseits festzustellen:  da  bringt  Papini  die  Mittheilung,  daß  in 
dem  von  P.  Claudius  Frassen  gegebenen  Kommentar  zu  einer  1703 
erschienenen  Ausgabe  der  Regel  der  Tertiarier  die  Bemerkung  sich 
finde,  Pica  stamme  aus  der  edlen  Familie  der  Bourlemont  in  der 
Provence,  in  deren  Archive  der  Ehekontrakt  zwischen  ihr  und  Pietro 
di  Bernardone  noch  erhalten  sei.  ^)  Sehr  Vieles  läßt  mich  vermuthen, 
daß  diese  Annahme  der  Wahrheit  entspricht.  Zunächst  wird  im 
Carmen  die  Mutter  ,, honesta"  genannt,  im  Gegensatz  zu  dem  als 
„institor"  erwähnten  Vater,  ferner  Franz  bei  Matthäus  Paris  als 
,,generis  nobilitate  praeclarus"  bezeichnet,  und  die  von  Cristofani 
publizierten  Urkunden  nennen  seinen  Bruder  regelmäßig  ,,Angelus 
domine  Piche"  oder  ,,di  madonna  Pica",  was  gegen  die  sonst  all- 
gemeine Sitte  der  Beifügung  des  Vaternamens  verstößt  und  irgend- 
wie ,  vielleicht  am  besten  durch  die  vornehme  Abstammung  der 
Mutter,  erklärt  werden  muß.'^)  Ferner  wird  es  uns  so  leicht  ver- 
ständlich, wie  es  gekommen,  daß  Franz  der  französischen  Sprache 
mächtig  war  und  dieselbe  mit  Vorliebe  anwandte,  trieb  ihn  sein 
Herz,  dem  Herrn  Lob  zu  singen.  Dies  besonders  weist  darauf  hin, 
daß  er  in  ihren  Lauten  schon  in  frühem  Kindesalter  die  innigen 
und  begeisterten  Gebete  der  Mutter  nachzusprechen  lernte.  Schwerlich 
dürfte  gerade  darin  der  Vater  sein  Lehrmeister  gewesen  sein.  Mag 
sich  nun  auch,  wie  aus  einer  Bemerkung  der  ,,tres  socii"  hervor- 
geht^),   der  fremden  Zunge  gegenüber   der  Italiener   nie   ganz  ver- 


^)  Notizie  sicure  della  morte  di  S.  Francesco.     Fuligno   1824.     S.   225  ff. 

^)  Cristofani:  il  piü  antico  poema.  Prato  1882.  S.  6.  —  Matthäus  Paris: 
Historia  major.     London   1640.    S.  399.  —  Cristofani:  Storie  di  Assisi  II.  Ed.  I,  S.  78. 

^)  Kap.  I,  S.  726:  quia  libenter  lingua  gallica  loqüebatur,  licet  eam  loqui  nesciret. 
Vergl.  Th.  I  Leg.  III,  S.  688.  —  Th.  II  Leg.  I,  c.  8.  II,  c.  6.  —  Die  Zitate  beziehen 


Die  Geschichte  seiner  Bekehrung.  c 

leugnet  haben,  so  mußte  dieselbe  ihm  doch  wohl  geläufig  sein, 
wenn  er  immer  auf  ,, Gallisch  sang".  Neben  diesen  mehr  äußer- 
lichen Gründen  könnte  man,  aber  freilich  mit  allem  Vorbehalt,  noch 
einen  aus  seinen  inneren  Eigenschaften,  aus  der  Temperaments-  und 
Gemüthsanlage  gezogenen  geltend  machen.  Bis  in  die  Zeiten  seines 
schweren  Leidens  hat  er  den  unverwüstlichen  Frohsinn,  der  sonst 
meist  nur  ein  glückliches  Vorrecht  der  Kindheit  zu  sein  pflegt,  be- 
halten, eine  sorglose  Heiterkeit  und  angeborene  Offenheit  des  Wesens, 
wie  sie  vor  allen  Völkern  dem  glücklichen  Südfranzosen,  dem  zum 
Reflektieren  geneigten  Italiener  aber  vielleicht  nicht  in  gleichem 
Maaße  beschieden  ist.  Gerade  darin  aber  liegt,  wie  mir  dünkt, 
einer  der  hervorragendsten  Charakterzüge  des  Mannes.  An  den  Süd- 
franzosen auch  werden  wir  gemahnt,  lesen  wir  in  der  I.  Legende, 
wie  drastisch  sich  bei  ihm  die  innere  Aufregung  und  Begeisterung 
in  Gebärden  kundgab,  wie  er,  vor  Honorius  predigend,  „gleich 
einem  Tanzenden  die  Füße  bewegte"  —  in  jenen  häufig  über  alles 
Maaß  hinausgehenden  Bewegungsäußerungen,  die  sich  von  der  leb- 
haften, aber  stets  doch  gehalteneren  Gebärdensprache  des  Italieners 
zu  unterscheiden  scheinen.  ^)  Beachten  wir  endlich  und  vor  Allem, 
daß  auch  die  religiöse  Ueberzeugung  des  Franz,  wie  später  ge- 
schildert werden  soll,  auf  direkte  Beziehung  zu  den  Sekten  der 
Provence  schließen  läßt,  so  kann  man  sich  der  Annahme  nicht  ver- 
schließen, daß  französisches  Blut  in  seinen  Adern  gerollt,  und  daß 
der  Süden  Frankreichs  ein  halbes  Anrecht  hat ,  den  frohen ,  gott- 
begeisterten Mann  mit  unter  seine  besten  Söhne  zu  rechnen.^) 


sich  durchweg  für  die  I.  Legende  des  Thomas,  sowie  für  die  vite  der  tres  socii  und 
des  Bonaventura  auf  den  Text  in  den  Acta  Sanctorum  Oktob.  T.  11,  für  Thomas  II. 
Legende  auf  Amonis  Ausgabe  Rom   1880. 

1)  Th.  I  Leg.  cap.  IX,  S.   703. 

■-)  Ein  wunderliches  Buch,  das  allen  mir  bekannten  Biographen  entgangen  zu  sein 
scheint,  verdient  hier  der  Kuriosität  wegen  genannt  zu  werden:  Genealogie  curieuse  de 
sainct  Frangois  d'Assise.  Nancy,  Cayon-Liebault,  1863.  Es  enthält  im  Abdruck  eine 
am  10.  Juni  1666  angefertigte  „Kopie  der  Kopie  eines  alten  Manuskriptes".  Da  wird 
erzählt,  wie  F.  nach  Frankreich  kommt,  in  einem  Dorfe  Villey  bei  Issurtelle  eine  Kirche 
weiht,  dann  in  einer  Vision  seinen  Stammbaum  erhält,  von  dem  er  eine  Abschrift  an 
einen  Herrn  de  Grancey  gab.  Folgt  der  Stammbaum,  der  mit  Chlodwig  beginnt;  durch 
die  Herzöge  von  Langres  gelangt  man  auf  eine  Elisabeth  Comtesse  de  Beaumont, 
die  mit  einem  römischen  Senator  verheiratet  war.  Von  ihnen  stammen  der  h.  Gregor, 
der  h.  Alexis  und  Bemardone,  der  Großvater  des  Franz !  —  Beaumont  klingt  sehr  ähn- 
lich wie  Bourlemont.     Sollte  da  irgendeine  geheime  Beziehung  sein? 


Franz  von  Assisi. 


Die  Thatsache,  daß  der  eigentliche  Taufname  Giovanni  hinter 
dem  „Francesco"  verschwand ,  erklärt  sich  uns  am  leichtesten  aus 
der  damals  seltenen  Sprachenkenntniß  des  Knaben,  den  seine  Alters- 
genossen, wie  deren  Eltern,  mit  dem  von  selbst  sich  ergebenden 
Spitznamen:  ,,der  Franzose"  rufen  mochten,  welche  Gewohnheit  dann 
zur  Regel  ward,  so  daß  der  besondere  Name  auch  den  besonderen 
Mann  bezeichnete.^)  Den  ersten  Unterricht  bekam  er,  wie  Bona- 
ventura sagt,  von  Geistlichen  in  S.  Giorgio,  das  beste  Theil  der  Er- 
ziehung aber  behielt  wohl  die  Mutter,  bis  er,  der  Tradition  des 
Hauses  folgend,  vom  Vater  in  den  Kaufmannsberuf  eingeführt  wurde 
und  seine  Thätigkeit  im  väterlichen  Tuchladen  fand.  ^)  Und  würde 
es  nicht  berichtet,  so  könnte  man  es  doch  aus  seiner  frohen  Ge- 
müthsart  schließen,  daß  er  die  freien  Stunden  in  ausgelassener,  unter- 
nehmungslustiger GeselHgkeit  verbrachte.  Ja,  es  scheint  sehr  glaub- 
lich, wenn  die  älteste  vita  erzählt,  er  habe  alle  Altersgenossen  in 
tollen  Streichen  übertroffen  und  die  Rolle  des  Anführers  gespielt, 
auch  das  Vermögen  seines  Vaters  nach  Herzenslust  zu  verschwen- 
derischen Ausgaben  für  gewählte  Kleidung  und  allerlei  Vergnügungen 
ausgenutzt.  Sein  anmuthiges,  bewegliches  Wesen  aber  verlockte 
Manchen  zum  Schaden  auf  falsche  Wege.  Dies  Alles  suchen  dann 
später  Thomas  in  der  II.  Legende,  die  tres  socii  und  am  meisten 
Bonaventura  zu  vertuschen  —  nach  ihnen  wäre  er  der  feingesittetste, 
wohlgefälligste  Jüngling  gewesen !  Doch  spürt  man  die  gute  Ab- 
sicht, jeden  Makel  aus  seinem  Leben  zu  tilgen,  und  so  behält  die 
ältere  Schilderung  ihr  Recht.  Zumal  da  uns  diese  die  plötzliche 
Änderung  in  den  Anschauungen,  ohne  welche  die  spätere  Gesinnung 
des  bekehrten  Franz  psychologisch  unmöglich  zu  erklären  wäre, 
verständlich  darlegt. 

Mitten  in  die  gedankenlosen,  sinnlichen  Freuden  seines  Lebens 
griff  eine  höhere  Gewalt  und  warf  ihn  auf  das  Krankenlager.  Lange 
Zeit  verging,  bis  er,  auf  den  Stab  gestützt,  im  Hause  umhergehen, 
bis  er  endlich  wieder  ins  Freie  hinaustreten  konnte.  Da  schien  die 
ganze  Welt  verändert :  die  üppige  Schönheit  der  Felder,  die  Lieb- 
lichkeit der  weinbewachsenen  Berge  konnte  ihn  nicht  wahrhaft  er- 
götzen,   verwundert   betrachtete    er    sich    selbst!      Die    bittere,    in 


^)  Dies  ist  das  Ausschlaggebende  für  Thomas  in  seiner  II.  Leg.  cap.  I,  während 
die  T.  s.  cap.  I,  den  Vater  selbst,  als  er  von  Frankreich  zurückkehrte,  ,, Giovanni"  mit 
„Francesco  vertauschen  lassen." 

2)  Th.  II  Leg.  I,  cap.  I.  —  T.  s.  cap.  I,  S.  724.  —  Bon.  I,  S.  744. 


Die  Geschichte  seiner  Bekehrung. 


leidensvollen  Zeiten  erkaufte  Erkenntniß  von  der  Vergänglichkeit 
der  Dinge  war  plötzlich  über  ihn  gekommen,  wie  über  so  Viele  vor 
ihm  und  nach  ihm,  in  Augenblicken  verzweifelter  Angst  und  in 
Stunden  langen  Sinnens!  Wer  uns  doch  etwas  erhalten  hätte  von 
den  Gesprächen,  in  denen  die  Mutter,  am  Schmerzenslager  sitzend, 
dem  Sohne  Trost  zu  geben  wußte  —  hat  sie  ihm  damals  nicht 
vielleicht  auch  von  jenem  Petrus  Waldus  erzählt,  der,  durch  den 
jähen  Tod  des  Freundes  plötzlich  zum  Bewußtsein  der  Werthlosig- 
keit  irdischer  Güter  gekommen,  seine  Habe  von  sich  gethan  hatte 
und  arm  hinausgewandert  war? 

Im  tiefsten  Grunde  verändert,  auf  Ernsteres  gerichtet  waren  wohl 
seit  jener  Krankheit  die  Gedanken  des  Jünglings,  doch  wuchs  mit 
den  Kräften  auch  der  Thatendrang  neu  empor,  der  sich  nur  andere 
Ziele  als  zuvor  suchte.  Vielleicht  geschah  es  damals,  daß  er  mit 
in  den  Kampf  gegen  Perugia  zog  und  gefangen  wurde.  Da  zeigte 
er  sich  im  Kerker  so  wohlgemuth  und  heiter,  daß  sich  die  Genossen 
über  ihn  verwunderten.  Ja,  wenn  er  seine  Fröhlichkeit  wirklich  mit 
den  Worten  erklärt  hat,  ,,daß  man  ihn  noch  einst  in  der  ganzen 
Welt  verehren  würde",  so  zeugt  das  von  einem  fast  übermüthigen 
Bewußtsein  der  erneuten  Stärke.  Daneben  aber  äußert  sich  das 
liebevolle  Gemüth  in  der  besonderen  Berücksichtigung,  die  er  einem 
bei  den  Anderen  verhaßten  Mitgefangenen  zutheil  werden  läßt^),  wie 
in  der  freiwilligen  Gabe,  die  er,  nach  Assisi  zurückgekehrt,  dem  armen 
Soldaten ,  des  eigenen  Mantels  sich  beraubend ,  gewährt.  ^)  Die 
schönste,  erste  Frucht  des  eigenen  Leidens  war  das  Mitleid  mit  dem 
Anderer.  So  fiel  es  ihm  schwer  auf  die  Seele,  als  er  einst  einen 
Armen  ohne  Almosen  aus  dem  Laden  geschickt,  und  eiligst  lief  er 
ihm  nach,  das  Versäumte  gut  zu  machen.^)  Bei  alledem  aber 
scheint  ihn  ein  innerer  Drang  zu  den  Waffen  getrieben  zu  haben, 
von  denen  lauter  als  sonst  im  Jahre  1204,  zwei  Jahre  nach  dem 
Kriege  mit  Perugia,  auch  Assisi  widerhallte.*)  Ein  Vornehmer, 
Gentile,  rüstete  sich  in  den  Krieg  zu  ziehen,  der  seit  einigen  Jahren 
zwischen  Walther  von  Brienne  und  Diephold  in  Apulien  entbrannt 
war.     War   es   die  Wanderlust,    die   übermächtig   in   dem  Jüngling 


1)  Th.  n  Leg.  I,   I.  —  T.  s.  cap.  I,  S.  724. 

2)  Th.  II  Leg.  I,  2.  —  T.  s.  cap.  I,  724.  —  B.  I,  S.  744. 

3)  Th.  I  Leg.  m,   17.  —  T.  s.  a.  a.  O.  —  B.  a.  a.  O. 

*)  Vgl.  für  die  Zeitbestimmung  Cristofani :  St.  d.  A.  I,  S.  90  und  Bonghi :  Francesco 
d' Assisi  S.  10  u.  75.  Die  T.  s.  sagen  Cap.  I:  post  paucos  vero  annos,  i.  e.  nach  der  Krankheit. 


8  Franz  von  Assisi. 


sich  regte,  war  es  die  Sucht,  sich  auszuzeichnen,  einem  höheren 
Ehrgeiz,  als  ihn  der  väterliche  Laden  befriedigen  konnte,  zu  folgen, 
oder  waren  es  schon  damals  Zerwürfnisse  mit  dem  Vater,  die  ihm 
das  Leben  daheim  verleideten  —  Franz  rüstet  sich  reiche  Kleidung 
zu  und  macht  sich  bereit,  dem  Mitbürger  zu  folgen.  So  feurig  an- 
geregt von  kriegerischem  Muthe  ist  sein  Geist,  daß  ihm  im  Traume 
sogar  die  Waffen  erscheinen  ^),  und  den  verwunderten  Genossen 
sagt  er  in  stolzem  Selbstgefühle,  daß  ihm  bestimmt  sei,  noch  ein 
großer  Fürst  zu  werden.^)  Doch  sollte  es  nicht  zur  Ausführung 
des  Vorhabens  kommen ,  mag  nun  der  am  1 1 .  Juni  des  Jahres 
erfolgte  Tod  Walthers  die  kriegerischen  Freunde  in  Assisi  ab- 
gehalten ,  oder  Franz  selbst ,  wie  die  I.  Legende  will ,  eingesehen 
haben,  solch  irdischen  Zwecken  gewidmeter  Dienst  sei  seiner  nicht 
würdig.^)  Er  kehrte  zu  Spoleto  um  und  kam  in  die  Heimath 
zurück.  Die  Ideale,  denen  er  im  Streben  nach  Waffenruhm  und 
kriegerischer  Ehre  zu  dienen  geglaubt,  verloren  ihren  Schimmer, 
und  er  begann  mit  feinerem  Ohre  auf  die  innere  Stimme  zu  lauschen, 
die,  nun  besser  verstanden,  zu  ganz  Anderem  zu  bereden  schien. 
Selbst  inmitten  der  Freunde,  die  den  Heimgekehrten  froh  als  den 
Ihrigen  wieder  begrüßen  und  ihn,  nach  der  Sitte  der  Zeit,  zu  ihrem 
Herrn  erwählen,  daß  er  ihnen  ein  reiches  Mahl  bereite,  verläßt  ihn 
nicht  das  stille  Sinnen.  Als  sie  lärmend  und  singend  durch  die 
Straßen  ziehen,  folgt  er,  ihr  Anführer,  das  Zeichen  seiner  Würde: 
den  Stab  in  der  Hand,  in  Gedanken  vertieft  und  theilnahmlos,  so 
daß  es  den  tollen  Gesellen  endlich  zu  arg  wird  und  sie  ihn  neckend 
fragen,  warum  er  "doch  so  nachdenklich  sei,  ob  er  wohl  gar  daran 
denke,  eine  Frau  zu  nehmen?  Da  flammt  es  in  ihm  auf,  und  das 
Geheimniß  kommt  zutage :  ,,Die  Wahrheit  sprecht  ihr,  denn  ich  sann 
darüber,  eine  Braut  zu  erwählen  und  zwar  eine  edlere,  reichere  und 
schönere,  als  ihr  sie  je  gesehen!"  Die  Freunde  mochten  lachen,  es 
war  ihm  voller  Ernst  —  die  Braut,  die  all  sein  Denken  gefangen 
nahm,  war  die  Armuth.*) 


^)  Als  Vorbedeutung  bei  Th.  I  Leg.  I,  S.  685.  —  II  Leg.  I,  2.  —  T.  s.  a.  a.  O.  — 
B.  a.  a.  O. 

2)  Th.  II  Leg.  I,  2.  —  T.  s.  a.  a.  O. 

^)  Letzteres  wird  erst  bei  Th.  II  Leg.  I,  2  und  danach  bei  den  T.  s.  a.  a.  O. 
versinnbildlicht  durch  das  Traumgesicht,  in  dem  Christus  ihn  auffordert,  doch  statt 
einem  Diener  dem  Herrn  selbst  zu  dienen. 

4)  Th.  I  Leg.  I,  S.  686.  —  Th.  II  Leg.  I,  3.  —  T.  s.  I,  S.  725. 


Die  Geschichte  seiner  Bekehrung. 


Es  hatte  nur  des  öffentlichen  Anstoßes  gebraucht,  den  lange 
geplanten  Entschluß  zur  That  werden  zu  lassen.  Dem  liebsten  Ge- 
nossen verrieth  er  in  Räthselworten  das  Geheimniß  von  einem  köst- 
lichen Schatze,  den  er  gefunden,  und  führte  ihn  mit  sich  aus  der 
Stadt  hinaus  zu  der  einsamen  Höhle,  in  der  er  die  ersten  aufregen- 
den Erfahrungen  vollständiger  seelischer  Entrückung  im  Gebete 
machte.  Da  fand  seine  glühende  Seele  die  ganze  Befriedigung,  die 
befreiende  Erhebung,  nach  der  sie  sich  schon  so  lange  gesehnt  — 
er  spürte  es,  daß  das  einzige  Glück  im  Sichselbstvergessen,  in  der 
Liebesbethätigung  für  Andere  läge.  Fortan  wird  er  der  Wohlthäter 
der  Armen:  verwundert  läßt  es  die  Mutter  in  Abwesenheit  des  Vaters 
geschehen,  daß  er  ein  reichliches  Mahl  für  die  Bedürftigen  im  eige- 
nen Hause  herrichtet  —  verwundert  läßt  sie  ihn  ziehen,  als  er,  dem 
lästigen  Zwange  der  heimathlichen  Sitte  zu  entgehen ,  nach  Rom 
pilgert,  um  sich  dort  selbst  den  Armen  gleich  zu  machen.  Mit  ver- 
schwenderischer Hand  spendet  er  dem  Apostelfürsten  Geschenke  und 
setzt  sich  dann  in  den  Lumpen  eines  Bettlers  vor  die  Kirche,  wo  er 
mit  der  Schaar  der  Besitzlosen  die  vorbeigehenden  Kirchgänger  an- 
bettelt. Das  war  nicht  bloße  jugendliche  Exzentrizität,  die,  schnell 
befriedigt,  schnell  verging,  sondern  die  erste  Verwirklichung  einer 
Selbsterniedrigung,  wie  sie  fortan  der  Grundzug  seines  Denkens 
wird,  wie  sie  begreiflich  nur  ist  bei  einer  Natur,  für  die  nicht  die 
mittlere  mäßige  Gemüthsbewegung,  in  der  sich  große  geistige  Auf- 
regungen ausgleichen,  die  eigentlich  normale  war,  die  vielmehr  ohne 
Gefahr  für  sich  selbst  beständig  in  jenen  hohen,  unruhigen  Regionen 
der  Exaltation  lebte,  in  denen  die  Denkfreiheit  gewöhnlicher 
Menschen  die  Lebenskraft  verliert. 

Nur  Armen  zu  helfen  aber  war  eine  zu  leichte  Aufgabe,  es 
verlangte  ihn  zur  Befestigung  in  seiner  Entsagung  nach  stärkeren 
Prüfungen.  Den  heftigsten  Abscheu,  den  er  noch  empfunden,  den 
Widerwillen  gegen  jene  entsetzliche  Krankheit  des  Aussatzes,  die 
mit  den  Schiffen  der  Kreuzfahrer  aus  dem  Orient  gekommen  war, 
zu  überwinden,  mochte  ihm  wohl  als  die  heilsamste  Übung  in  seinem 
neuen  Lebenswandel  erscheinen.  Und  als  er  nur  das  erste  Mal 
seiner  so  Herr  geworden  war,  daß  er  vom  Pferde  zu  steigen  und 
solch  einem  unglücklichen  Kranken  mit  dem  Almosen  zugleich  die 
Liebesbezeugung  eines  Kusses  zu  schenken  vermochte,  da  war  es 
dann  kein  weiter  Weg  mehr  zum  Besuche  der  Krankenhäuser,  denen 
er  bald  ein  liebreich  dienender  Freund  und  Wohlthäter  ward.     Der 


lO  Franz  von  Assisi. 


Verkehr  mit  dem  Elend  aber  zeitigte  immer   mehr  die    edle,    reihe 
Menschlichkeit  seines  von  Liebe  überströmenden  Herzens.^) 

Die  ausgesprochene  Dienstbeflissenheit  seiner  fiommen  Ge- 
danken tritt  besonders  zu  Tage  in  der  Vorsorge,  die  er  für  die  Aus- 
schmückung ärmlicher  Kirchen  hat.  Es  scheint  ihm  geradezu  ans 
Herz  gegriffen  zu  haben,  als  er  auf  einem  seiner  einsamen  Spazier- 
gänge den  ganz  verfallenen,  kleinen  Bau  von  S.  Damiano  unweit 
der  Stadt  gewahrte.  Schnell  faßte  er  den  Entschluß,  dem  vernach- 
lässigten Gotteshause  wieder  zu  Ehren  zu  verhelfen.  Er  eilt,  ohne 
des  Unrechts  zu  gedenken,  das  er  seinem  Vater  thut,  Scharlachtuche 
in  Foligno  zu  verkaufen  und  giebt  auch  sein  Pferd  hin,  um  nur 
mehr  Geld  zu  erlangen.  Das  bringt  er  dem  erstaunten  Priester  zur 
Wiederherstellung  und  nöthigen  Ausstattung  der  Kirche,  der  selbst 
das  Oel  in  der  ewigen  Lampe  fehlte.  Als  Jener  es  nicht  annehmen 
will,  wirft  er  es  zum  Fenster  hinein.  So  ungefähr  erzählt  die 
I.  Legende  den  Vorfall,  und  so  wird  es  wohl  geschehen  sein.  Erst 
in  den  späteren  ,,vite",  denen  Bonaventura  folgt,  erhält  Franziskus 
vom  Kruzifixe  selbst  den  Auftrag,  die  Kapelle  herzustellen,  was  sich 
dann  sinnbildlich  gar  gut  verwenden  ließ.  Höchst  bezeichnend  für 
Franzens  Charakter  ist  die  Art,  wie  er  hier  mit  dem  Gelde  verfährt 
—  noch  immer  ist  er,  freilich  nur  in  guter  Absicht,  was  er  schon 
früher  war,  ein  Verschwender,  dem  mit  der  Achtung  vor  dem  Golde 
auch  die  Achtung  vor  des  Vaters  mühevollem  Erwerbe  zu  fehlen 
schien.  Was  Wunder,  daß  diesem,  der  den  Sonderlichkeiten  des 
Sohnes  schon  lange  genug  nachgesehen  hatte ,  die  Sache  endlich 
doch  zu  arg  wurde ,  als  er  seine  Güte  mißbraucht  glaubte.  Gar 
manche  ernste  Ermahnung,  die  oft  zu  heftigstem  Tadel  wurde,  mag 
nichts  gefruchtet  haben.  Als  nun  aber  diesmal  Franziskus  gar  nicht 
nach  Hause  kam,  sondern  bei  jenem  Priester  blieb,  empörte  sich 
Petrus  und  lief  mit  den  Nachbarn  und  Freunden  nach  der  Kirche. 
Da  entwich  der  Jüngling  und  verbarg  sich  einen  ganzen  Monat 
lang  in  einem  abgelegenen  Räume  des  Hauses,  von  irgend  einem 
Bediensteten  spärlich  mit  Speisen  versehen.     Das  harte  Leben  aber 


^)  Man  vergl.  für  alles  vorhergehende  Th,  II  Leg.  I,  4.  5.  —  T.  s.  I,  S.  726  f.  — 
B.  I,  S.  745  f.  —  Die  innerlichen  Erfahrungen  werden  alle  in  Zwiegesprächen  mit  Gott 
symbolisiert.  Das  Wunderbare  in  dem  plötzlichen  Verschwinden  des  Aussätzigen  wird 
von  Th.  II  betont,  von  den  T.  s.,  die  doch  Th.  II  benutzen,  offenbar  absichtlich  weg- 
gelassen, von  B.  in  den  Vordergrund  gerückt.  Über  die  Zeitfolge  der  einzelnen  Dinge 
ließe  sich  streiten,  doch  kommt  es  schließlich  wenig  darauf  an. 


Die  Geschichte  seiner  Bekehrung.  1 1 

konnte,  statt  sie  zu  brechen,  seine  überzeugungsvolle  Begeisterung 
nur  steigern,  bis  er,  der  feigen  Zurückgezogenheit  sich  schämend, 
endlich  wieder  ans  Licht  hervortrat  und  sich  den  Schimpf-  und 
Hohnreden  der  Bürger  furchtlos  aussetzte.  Sie  hielten  ihn  für  toll 
und  wahnsinnig  und  verfolgten  ihn  mit  Steinwürfen.  Kaum  hörte 
der  Vater  von  seinem  Erscheinen,  als  er  sich  auf  ihn  stürzte,  ihn 
mißhandelte  und  in  einem  dunklen  Räume  des  Hauses  einsperrte. 
Da  war  der  Unfriede  eingekehrt,  alle  Ermahnungen  fruchteten  so 
wenig  wie  Schläge,  selbst  die  Mutter  vermochte,  als  der  Gatte  ab- 
wesend war,  mit  ihrem  liebevollen  Flehen  nichts  zu  erreichen.  Den 
Sohn  wenigstens  vor  körperlicher  Züchtigung  zu  schützen,  ließ  sie 
ihn  frei,  was  er  benutzte,  den  alten  Schlupfwinkel  wieder  aufzu- 
suchen. Als  der  Vater,  zurückgekehrt,  ihn  nicht  mehr  daheim  fand, 
ließ  er  die  Gattin  ihre  Unvorsichtigkeit  hart  entgelten  und  erbat 
sich,  als  er  keinen  Rath  mehr  wußte,  gesetzliche  Hilfe  von  den  Kon- 
suln der  Stadt.  Diese  verwiesen  ihn,  da  Franz  sich  in  den  Dienst 
Gottes  begeben,  an  des  Bischofs  Autorität,  welcher  sich  der  Jüng- 
ling auch  demüthig  unterwarf.  Er  erstattete  auf  dessen  Befehl  dem 
Vater  das  Geld  wieder,  das  zu  behalten  er  bisher  wohl  als  ein  gott- 
gefälliges Beginnen  betrachtet,  und  fügte  demselben  die  Gewänder, 
mit  denen  er  bekleidet  war,  bei.  Da  haben  wohl  der  Bischof,  wie 
auch  Petrus  eingesehen,  daß  eine  Glaubensmacht  in  diesem  Men- 
schen war,  gegen  die  jeder  Widerstand  sich  vergeblich  erwies  —  der 
Erstere  nahm  sich  erbarmend  des  Nackten  an,  der  Andere  überließ 
ihn  fortan  sich  selbst.  An  seiner  Statt  wählte  sich  Franz  einen  Armen 
zum  Vater,  durch  dessen  Segen  er  den  Fluch  des  leiblichen  Vaters 
zu  entkräften  hoffte.^) 

Wie  immer  man  die  felsenfeste  Ueberzeugung,  die  schrankenlose 
Begeisterung  des  jungen  Mannes  für  sein  Ideal  bewundern  mag  — 
vielleicht  möchte  für  Manchen  in  diesen  Vorfällen  ein  leiser  Miß- 
klang bleiben :  die  Widersetzlichkeit  gegen  den  Vater !  Indessen 
wer  wagt  dem  Sohne  aus  ihr  ein  Verbrechen  zu  machen !  Ist  es 
uns  doch  heute  nicht  mehr  vergönnt,  einen  Blick  in  die  Verhältnisse 
zu  thun,  aus  denen  sich  mit  stürmischer  Gewalt  der  Jüngling  losriß, 
lassen  sich  doch  Naturen  wie  die  seine  überhaupt  nicht  mit  dem 
gewöhnlichen  Maßstabe  messen.  Die  volle  Sympathie  des  Herzens, 
die   wir   ihm   während    seines    ganzen  Lebens   fortan  ungetrübt  be- 

^)  Im  wesentlichen  nach  Th.  I  und  den  T.  s.  erzählt,  obgleich  Alles  ähnlich 
auch  in  der  II.  Legende  wiederkehrt  und  B.  das  meiste  wiederholt. 


12  Franz  von  Assisi. 


wahren,  berechtigt  dazu,  uns  auch  in  diesem  Kampfe  zwischen  Vater 
und  Sohn  auf  des  Letzteren  Seite  zu  stellen.  Was  in  der  Lebens- 
geschichte eines  Salimbene  verletzend  berührt,  der  jähe,  rücksichts- 
lose Bruch  mit  dem  Elternhause,  erscheint  in  der  Entwicklung  eines 
Franz  nothwendig  und  in  milderem  Lichte.  Ob  Dieser  sich  nicht 
selbst  in  den  Jahren  reiferer  Anschauung  mit  leiser  Wehmuth  jener 
leidenschaftlichen  Zeit  erinnert  hat,  in  welcher  er  die  geistige  Frei- 
heit so  gewaltsam  sich  erringen  mußte? 

Sich  selbst  und  seinem  Berufe  überlassen,  wanderte  nun  Franz 
in  ärmlichem  Gewände  aus  der  Stadt,  in  der  Freudigkeit  seines  Ge- 
müthes  das  Lob  Gottes  singend.  Selbst  die  Mißhandlung  von  Räubern, 
die  ihn,  als  er  sich  stolz  den  Herold  Gottes  nannte,  verspottend  in 
den  Schnee  warfen,  vermochte  den  Jubel  seines  Herzens  nicht  zu 
unterdrücken.  Als  Küchenjunge  diente  er  in  einem  Kloster  und  er- 
hielt endlich  in  Gubbio  von  einem  Freunde  eine  Tunika  zum  Ge- 
schenk. Dann  scheint  er  wieder  heimgekehrt  zu  sein  und  beginnt 
die  Kirche  S.  Damiano  auszubauen,  als  wüßte  er,  daß  sie  der  Auf- 
enthaltsort für  seine  Nachfolgerin  Chiara  und  deren  Schwestern 
werden  sollte.^)  Noch  überkommt  ihn  wohl  ein  Gefühl  der  Scham, 
als  er  bettelnd  in  ein  Haus  schreiten  will,  vor  dem  die  Bekannten 
ihr  Spiel  treiben,  doch  überwindet  er  es  schnell  und  bald  erschallt 
laut  seine  Stimme,  die  Bürger  auffordernd,  ihm  Steine  zum  Bau  zu 
bringen:  ,,Wer  mir  einen  Stein  giebt,  wird  einen  Lohn  empfangen, 
wer  mir  zwei  Steine  giebt,  wird  zweifachen  Lohn  empfangen."^) 
Dann  schleppt  er  die  Lasten  auf  seinen  eigenen  Schultern  hinab 
und  rastet  nicht,  bis  er  das  Gotteshaus  hergestellt  hat.  Eine  Zeit- 
lang läßt  er  es  sich  gefallen,  daß  der  Priester  für  seinen  kärglichen 
Unterhalt  sorgt,  bald  aber  scheint  ihm  auch  dies  zu  viel  und  er 
fängt  an,  sich  selbst  seine  tägliche  Nahrung  zu  erbetteln.  Als  darauf 
S.  Damiano  fertig  geworden,  kommt  er  einer  anderen  baufälligen 
Kirche  S.  Pietro  zu  Hilfe,  endlich  der  kleinen  Kapelle  der  Mutter 
Gottes,  die  Portiuncula  genannt  wurde. ^)     Dies  geschah  im  dritten 


^)  Der  einfache  Hinweis  auf  die  Thatsache  in  Th.  I  Leg.  cap.  III,  S.  689  ver- 
wandelt sich  ohne  weiteres  in  der  II  Leg.  I,  8  und  bei  den  T.  s.  cap.  II,  S.  730  in 
eine  Prophezeiung,  die  er  damals  ausgesprochen  hätte. 

2)  Th.  II  Leg.  I,  9.  —  T.  s.  II,  S.  730. 

^)  Vergl.  über  diese  Bauten  und  die  ihnen  gemeinsamen  architektonischen  Be- 
sonderheiten, das  spitzbogige  an  den  südfranzösischen  Stil  erinnernde  Tonnengewölbe, 
weiter  unten  den  Abschnitt:  Die  Architektur  der  Franziskanerkirchen. 


Die  Anfänge  des  Ordens.  i? 


Jahre  nach  dem  Beginn  seiner  Bekehrung,  das  will  sagen  1209,  wie 
Bonghi  überzeugend  nachgewiesen  hat.^) 

II.  Die  Anfänge  des  Ordens. 

Aller  Hindernisse  ungeachtet  hatte  der  mächtige,  enthusiastische 
Drang  nach  Selbsterniedrigung  und  Demüthigung  vor  Gott  den  Jüng- 
ling die  Grenzen  der  hergebrachten  Sitte  überschreiten  lassen  — 
liest  man  die  alten  Legenden,  so  kommt  man  bei  der  Schilderung 
des  rastlosen  Vorwärtseilens  seiner  stürmischen  Natur  fast  nicht 
zu  Athem.  Und  doch  muß  es  für  ihn  selbst  Augenblicke  der  Ruhe 
und  Überlegung  gegeben  haben,  als  endlich  die  Mauern  der  ver- 
fallenen Kirchen  wiederhergestellt  waren  und  er  nach  neuer  Thätig- 
keit  im  Dienste  Gottes  auszuschauen  gezwungen  war.  Mit  dem 
Schichten  von  Steinen  konnte  der  inneren  Sehnsucht  nicht  Genüge 
gethan  werden,  den  Armen  und  Kranken  zu  helfen,  fehlte  ihm,  der 
selber  nichts  zum  Leben  hatte,  das  Nöthigste !  Da  hörte  er  einst  das 
Evangelium  von  der  Aussendung  der  Jünger  lesen :  „Gehet  aber  und 
prediget  und  sprechet :  das  Himmelreich  ist  nahe  herbei  gekommen. 
—  Ihr  sollt  nicht  Gold,  noch  Silber,  noch  Erz  in  euren  Gürteln 
haben;  auch  keine  Tasche  zur  Wegfahrt,  auch  nicht  zwei  Röcke, 
keine  Schuhe,  auch  keinen  Stecken."  (Matth.  10,  7.  9 — 10.)  Das 
gab  ihm,  was  er  ersehnte :  den  apostolischen  Lebenszweck  der  Predigt. 
„Dies  ist's,  was  ich  will",  sprach  er,  „dies  ist's,  was  ich  suche,  dies 
begehre  ich  mit  allen  Kräften  der  Seele  zu  thun."  Und  wörtlich  voll- 
zog er  das  Gebot,  löste  die  Sandalen  von  den  Füßen,  legte  den 
Stab  aus  der  Hand,  gürtete  sich  den  Strick  um  und  machte  sich  aus 
dem  rauhesten,  ärmlichsten  Stoffe  eine  Tunika  in  der  Form  des 
Kreuzes.     Dann  brach  er  auf  und  begann  zu  predigen  in  derselben 


^)  S.  77.  Th.  I  Leg.  m,  S.  690.  —  Die  Schwierigkeit  der  Zeitbestimmung  liegt 
darin ,  dafi  von  Thomas  von  Celano ,  den  T.  s.  und  Giordano  di  Giano  an  den  ver- 
schiedenen Stellen  die  Epoche  der  Bekehrung  verschieden  angesetzt  ist.  Sie  unterscheiden: 
Anfang  und  Entscheidung  derselben,  zwischen  welchen  ein  Zeitraum  von  3  Jahren  liegt. 
Ein  Vergleich  der  andern  Zeitangaben :  er  wird  25  Jahre  alt  bis  zur  Bekehrung  (Th.  I 
Leg.  I) ,  er  stirbt ,  nachdem  20  Jahre  seit  derselben  vergangen  (Th.  I  Leg.  11 ,  ■  c.  I, 
S.  707))  er  geht  im  13.  Jahre  seiner  Bekehrung  nach  Ägypten  (wohin  er  12 19  gegangen 
sein  muß)  Th.  I  Leg.  VII,  S.  699.  B.  IX,  S.  767  —  dies  deutet  Alles  auf  1206,  als 
Jahr,  in  welchem  die  Bekehrung  begonnen,  zurück  (Jordanus  sagt  p.  516:  1207), 
während  die  T.  s.,  wenn  sie  sagen,  im  11.  Jahre  seien  die  Minister  zuerst  ausgeschickt 
worden,  die  Vollendung  der  Bekehrung  meinen  (also  12 10  oder  1209.  —  T.  s.  IV,  S.  739)- 


14  Franz  von  Assisi. 


Kirche,  in  der  er  als  Knabe  gelernt,  mit  einfachen  Worten  —  aber 
dieselben  drangen  wie  glühendes  Feuer  in  die  Tiefen  des  Herzens 
und  erfüllten  Alle  mit  Bewunderung.  Was  mußte  das  für  eine  Gabe 
der  Rede  sein,  der  selbst  die  früheren  Freunde  und  Bekannten,  denen 
er  zum  Spott  geworden  war,  nicht  widerstehen  konnten !  Denn  wie 
sein  steter  Gruß,  der  stete  Anfang  seiner  Predigt  das  versöhnende 
Wort :  der  Herr  gebe  dir  Frieden !  war,  so  brachte  er  wirklich  solchen 
Frieden  mit  sich,  daß  selbst  alte  Widersacher  des  Grolles  in  herz- 
licher Umarmung  vergaßen.^) 

Die  Zeit  der  Vorbereitung  war  vorbei,  die  lange  im  Innern  ge- 
hegte Liebe  und  Begeisterung  fand  Befreiung  nach  außen  in  dem 
mit  sich  fortreißenden  Strome  der  Worte,  die  aus  dem  Herzen  kamen 
und  zu  Herzen  gingen.  Und,  können  wir  hinzusetzen,  die  eigenste 
Begabung  hatte  das  Feld  ihrer  wirksamsten  Thätigkeit  in  der  Predigt 
gefunden ! 

Was  die  Eltern  zu  dieser  neuen  Wendung  in  dem  Leben  ihres 
Sohnes  gesagt,  verräth  keine  Silbe  der  Biographen,  die  auch  fernerhin 
kein  Wort  mehr  für  sie  haben.  Und  doch  wäre  da  sicher,  wenig- 
stens von  der  Mutter,  so  viel  zu  erzählen  gewesen ! 

Kaum  aber  hatte  Franz  zu  predigen  angefangen,  als  er  auch 
schon  Nachfolger  und  rückhaltlose  Bewunderer  fand.  Und  damit 
begann  für  ihn  die  große  Täuschung  seines  Lebens,  deren  er  sich 
wohl  manchmal  bewußt  geworden  sein  mag,  ohne  sie  jedoch  je 
in  ihrem  ganzen  Umfange  erkannt  zu  haben  —  der  irrige  Glaube 
nämlich,  daß  eine  Lebensauffassung,  die  seiner  individuellen,  fest  in 
sich  begründeten  Anlage  entsprach,  nach  ihrer  ganzen  Reinheit  sich  in 
Andere  verpflanzen  ließe,  das  Gemeingut  und  Prinzip  einer  großen 
Genossenschaft  werden  könne.  Damals  konnte  er  es  freilich  noch 
nicht  ahnen,  welche  schnelle  Ausdehnung  die  letztere  gewinnen 
würde,  als  der  erste  Jünger,  ein  schlichter  Mann  aus  Assisi,  der,  in 
der  I.  Legende  ohne  Namen  erwähnt,  wohl  derselbe  Petrus  Catanei 
ist,  den  die  tres  socii  als  zweiten  Schüler  anführen,  sich  zu  ihm  ge- 
sellte.^) Für  die  ,,drei  Genossen"  ist  der  erste :  Bernhard  von  Quinta- 
valle,  der  lange  schon  mit  Verwunderung  die  Sinnesänderung  des 
Jünglings  beobachtet  hatte  und  ihm  nun  eine  Unterkunft  in  seinem 
Hause  gewährte.     Da  ward  er  Zeuge  von  dessen  nächtlichen  Gebeten 


1)  Th.  I  Leg.  m,  IV,  S.  690. 

2)  I  Leg.  rV,  S.  691.  —  T.  s.  III,  S.  731. 


Die  Anfänge  des  Ordens.  15 

und  beschloß,  hingerissen  von  solch  gottseligem  Wandel  in  Worten 
und  Werken,  dem  Beispiel  zu  folgen.  Auf  seine  Frage,  was  er  thun 
und  wie  er  über  seine  irdischen  Güter  verfügen  solle,  verwies  ihn 
Franz  auf  das  Wort  Christi :  ,, Willst  du  vollkommen  sein,  so  gehe, 
verkaufe  Alles,  was  du  hast,  und  gieb  es  den  Armen  und  du  wirst 
einen  Schatz  im  Himmel  haben."  ^)  So  kurz  erzählt  die  erste  Legende 
den  Vorfall,  der  schon  in  der  zweiten  und  bei  den  tres  socii,  offenbar 
mit  Benutzung  jener  ersten  Offenbarung,  die  Franz  allein  zutheil 
geworden  war,  ausführlicher  geschildert  wird.  Diesen  zufolge  gehen 
Beide  in  die  Kirche  des  h.  Nikolaus  und  erhalten  dort  nach  der  Sitte 
der  Zeit  durch  zufälliges  Öffnen  der  Bibel  Orakelantworten  des  Evan- 
geliums, die  neben  jenem  erwähnten  Spruche  die  zwei  anderen  bringen : 
,,und  gebot  ihnen,  daß  sie  nichts  bei  sich  trügen  auf  dem  Wege" 
(Mark.  6,  8)  und :  ,,will  mir  Jemand  nachfolgen,  der  verleugne  sich 
selbst  und  nehme  sein  Kreuz  auf  sich  und  folge  mir"  (Matth.  16,  24). 
In  diesen  Sprüchen  aber  habe  Franz  die  Lebensregel  für  sich  und 
seine  Genossenschaft  erkannt.^)  Daß  er  als  Grundlage  des  Gott  wohl- 
gefälligen Lebens  die  Armuth  angesehen  und  seine  ersten  Schüler 
bestimmte,  sich  ihr  ganz  zu  widmen,  ergiebt  sich  jedenfalls  mit 
Sicherheit  aus  seiner  genugsam  ersichtlichen  eigenen  Ueberzeugung. 
So  ging  denn  Bernhard  hin  und  verschenkte  all  sein  Hab  und 
Gut.  Dessen  war  ein  Priester,  namens  Silvester,  Zeuge,  dem  einst 
Franz  die  Steine  für  den  Bau  von  S.  Damiano  abgekauft  hatte.  Der 
dachte  die  Gelegenheit  zu  benutzen  und  forderte  Jenen  auf,  ihm  nun, 
da  er  es  habe,  die  Steine  besser  zu  bezahlen.  Willig  ging  Franz  darauf 
ein.  Den  Priester  aber  kam  nach  wenigen  Tagen  die  Reue  an,  daß 
er,  obgleich  schon  so  alt,  noch  immer  am  Zeitlichen  hänge,  während 
dieser  Jüngling  sich  genügen  lasse  an  Gottes  Liebe.  Ein  Traumbild 
von  einem  bis  zum  Himmel  ragenden  Kreuze,  das  aus  Franziskus' 
Munde  ging,  bestärkte  seine  Verehrung  für  den  vorher  Verachteten, 
und  nach  kurzer  Zeit  gesellte  er  sich  den  Schülern  bei.*^)     Die  Zahl 


1)  Th.  I  Leg.  IV,  S.  691. 

')  Th.  n  Leg.  I,  10.  —  T.  s.  m,  S.  732.  —  Beide  wurden  wohl  durch  die 
Worte:  „ipse  mihi  dominus  revelavit,  ut  deberem  vivere  secundum  formam  Evangelii", 
die  Th.  I  aus  dem  Testament  des  Franz  zitiert,  bestimmt,  den  Vorgang  der  Offenbarung 
selbst  zu  erfinden. 

3)  Silvesters  Bekehrung  berichten  erst  Th.  II  Leg.  III,  64.  S,  164  und  T.  s.  III, 
S.  732.  — B.  schmückt  das  Traumgesicht  noch  aus:  vor  dem  Kreuze  flieht  ein  Drache, 
der  Assisi  umlagert  hielt.     lU,  S.   748. 


l6  Franz  von  Assisi. 


derselben    ward    durch   Ägidius,    gleichfalls    einen   Einwohner   von 
Assisi,    erweitert   und    bald    nachher,    nach    der   I.  Legende,    durch 
Philippus  und  einen  Ungenannten.     Mit   ihnen    mag   sich    wohl   für 
Franz  auch  die  Sorge  eingestellt  haben,    wie    es    den   wenigen  ein- 
fachen Leuten  in  der  Welt  gehen  werde,  in  die  er  sie  hinaussenden 
wollte.    In  seiner  tiefen  Bekümmerniß  läßt  die  I.  Legende  den  jugend- 
lichen Vater  der  kleinen  Genossenschaft  durch  Gott  selbst  getröstet 
werden,  der  ihm  weissagend  die  Menge  Derer,  die  später  die  Regel 
zu  der  ihrigen  machen  sollten,  zeigt.     So  spricht  er  den  Genossen 
Muth  ein:  ,,Seid  getrost,  ihr  Theuersten,  und  freut  euch  im  Herrn, 
und  werdet  nicht  traurig,  wenn  ihr  gleich  so  wenige  scheint!"    Dann 
sendet  er  sie,  als  noch  ein  achter  hinzugekommen,  seines  Missions- 
berufes nun  ganz  sicher,  zu  zweien  in  die  vier  Weltrichtungen  und 
mit  dem  Auftrag:  „Geht,  ihr  Theuersten,  je  zu  zweien,  in  die  ver- 
schiedenen Theile  der  Welt  und  verkündet  den  Menschen  Friede  und 
Buße  für  Erlassung  der  Sünden;  und  seid  geduldig  in  der  Trübsal 
und  sicher,  daß  der  Herr  sein  Vorhaben  und  Versprechen  erfüllen 
wird.    Wenn  sie  euch  fragen,  so  antwortet  demüthig,  und  segnet,  die 
euch  verfolgen,    denen  die   euch   beleidigen  und  Uebles  nachreden, 
sagt  Dank,    weil    euch    dafür    das    ewige  Königreich  bereitet  ist."^) 
Mit  diesen  echt  christlichen  Worten  entläßt  er  sie  —  hier,  wie  in 
Allem,  was  die  Schüler  von  seinen  Worten  erhalten  haben,  tritt  eine 
tiefinnerliche  Kenntniß  des  Bibelwortes,  ein  so  lauteres  und  ursprüng- 
liches Nachempfinden  der  Lehren  und  Anweisungen  Christi  hervor, 
wie  es   nur  in   einem  kindlich  vertrauensvollsten  Herzen   entstehen 
konnte.     Und   wer   erst   dieses  Herz   einmal  verstanden  hatte ,    der 
mußte    mit   unlöslichen  Banden   der  Liebe    und  Verehrung   an  den 
jugendlichen  Prediger  geknüpft  sein,  der  in  freiem  Fluge  sich  über 
die  kleinlichen  Rücksichten  der  Eigenliebe  erhoben  hatte,  obgleich 
er  in  den  Jahren  stand,  in  denen  sonst  dieselbe  Führer  und  Lehrer 
zu  sein  pflegt. 

Es  waren  wohl  nur  kurze  Wanderungen  in  der  Umgegend,  auf 
denen  die  Brüder,  mehr  im  Einzelnen  lehrend  und  bekehrend  als 
predigend,  auftraten.  Bald  waren  sie  wieder  vor  der  Portiuncula 
versammelt,  nach  der  I.  Legende  vom  Zuge  des  Herzens  und  durch 
Gottes  Hand  zu  gleicher  Zeit  heimgeführt,  von  welcher  wunderbaren 


ä)  Th.  I  Leg.  IV.     Die  Vision:  veniunt  Francigenae,  festinant  Hispani,  Theuto- 
nici  et  Anglici  currunt!     S.  691. 


Die  Anfänge  des  Ordens.  17 

Begebenheit  freilich  die  tres  socii  und  offenbar  mit  Absicht  schweigen.^) 
Ein  Jeder  mußte  da  von  seinen  Erlebnissen  erzählen,  so  wenig  er- 
freulich dieselben  auch  sein  mochten,  da  die  Leute  sie  zumeist  für 
Narren  oder  Betrunkene  gehalten  hatten.  Nur  selten  hatte  sich 
eine  Stimme  hören  lassen  wie  die :  ,, entweder  sie  streben  höchste 
Vollkommenheit  um  Gottes  Willen  an  oder  sie  sind  sicher  wahn- 
sinnnig,  denn  verzweifelt  scheint  ihr  Leben,  da  sie  kärglich  sich 
nähren,  mit  nackten  Füßen  laufen  und  mit  den  schlechtesten  Ge- 
wändern angethan  sind*'.^)  Sie  alle  nämlich  hatten,  selbst  in  der 
Tracht,  das  Beispiel  ihres  Vaters  nachgeahmt.  War  ihnen  aber  diese 
gemeinschaftlich,  so  war  ihnen  auch  sicher  schon  zu  jener  Zeit,  zumal 
als  noch  vier  Jünger  sich  zu  ihnen  gesellten,  unter  denen  Sabbatinus, 
Moritus  und  Johannes  de  Capella  erwähnt  werden,  eine  wenn  auch 
noch  so  allgemeine  Norm  des  Lebens  gemein.  Die  tres  socii  er- 
zählen, daß  Franz  mehrere  Regeln  gegeben,  ehe  er  die  eigentliche 
für  alle  Zeit  bestimmende  fixiert  habe*.  Es  sind  wohl  zunächst  nichts 
Anderes  als  die  Vorschriften  der  Armuth  und  eine  Zusammenstellung 
von  Bibelsprüchen  gewesen.  Vergebens  widersetzte  sich  der  wohl- 
meinende Bischof  von  Assisi  dieser  gänzlichen  Besitzlosigkeit,  deren 
Werth  für  den  wahren,  vom  Irdischen  unabhängigen  Nachfolger 
Christi  Franz  in  schlichten  Worten  überzeugend  ihm  entgegenzu- 
halten wußte. 

So  lebte  denn  in  inniger  Liebe  die  kleine  Gemeinde  beisammen, 
die  von  dem  Volke  der  Umgegend  „die  büßenden  Brüder  von  Assisi" 
genannt  wurde. ^)  Des  Tags  über  hieß  sie  Franz  fleißig  beten  und 
mit  ihren  Händen  arbeiten,  da  er  im  Müßiggang  den  Feind  der  Seele 
sah,  in  der  Nacht  aber  erhoben  sie  sich,  abermals  unter  Thränen  und 
Seufzern  zu  beten.  Einer  diente  dem  Andern  und  war  willig  zu 
jedem  Gehorsam.  Wer  mit  Worten  den  Freund  verletzte,  warf  sich 
demüthig  zu  Boden  nieder,  und  Jener  mußte  den  Fuß  auf  ihn  setzen, 
ob  er  sich  auch  weigerte.  Nichts  Eigenes  besaßen  sie  und  was  sie 
bettelnd  erhielten,  theilten  sie  mit  den  Armen.  Da  keine  Sorge  um 
Irdisches  ihnen  oblag,  waren  ihre  Herzen  fröhlich  und  ganz  auf  den 
Herrn  gerichtet.*)  So  konnte  es  dem  glücklichen  Franz  wohl  scheinen, 

1)  Th.  I  Leg.  IV,  S.  692.  —  T.  s.  III,  S.  732  f.  —  B.  III,  S.  749.  —  Die  t.  s. 
lassen  den  Auszug  schon  erfolgen,  als  es  im  ganzen  erst  vier  Brüder  sind. 

2)  T.'s.  in,  S.  732. 
8)  T.  s.  ebds. 

*)  T.  s.  III,  S.  734. 
T  h  o  d  e ,  Franz  von  Assisi.  2 


Franz  von  Assisi. 


in  der  apostolischen  Armuth  das  von  allen  Sorgen  und  Leiden  der 
Welt  befreiende,  allgemeine  christlidie  Prinzip  als  Rettungsmittel 
einer  vergänglichen  Interessen  nachjagenden  Menschheit  zu  bieten. 
Und  das  zu  einer  Zeit,  in  der  ein  ausgedehnter  Handel  in  täglich 
wachsenden,  mächtigen  Städten  ungeahnte  Reichthümer  anhäufte,  in 
der  das  Trachten  und  Sinnen  mit  immer  glücklicherem  Erfolge  auf 
vielseitigen  Erwerb  gerichtet  war!  Und  dennoch,  wer  den  Schwärmer 
von  Assisi  einen  Thor  nannte,  der  ahnte  nicht,  welche  tiefe  Weisheit 
der  Ethik  aus  seinem  Siegesglauben  sprach,  dem  heute  und  immerdar 
sein  Recht  widerfahren  muß,  das  Recht  einer  schrankenlosen  An- 
erkennung und  Bewunderung.  Für  sich,  für  den  einzelnen  Menschen 
hat  er  das  Höchste  erreicht,  —  darf  auch  der  nicht  gleich  ihm  be- 
gnadigte Mensch,  der  hindernden  Besitz  nicht  wegwirft,  sondern 
trotz  desselben  und  mit  ihm  die  edelsten  Pflichten  selbstloser 
Nächstenliebe  erfüllt,  des  Christenthums  tröstlich  gewiß  sein. 

Liest  man  die  rührende  Schilderung,  welche  die  tres  socii  von 
diesem  friedlich-harmonischen  Zusammenleben  der  Brüder  machen, 
so  erinnert  man  sich  unwillkürlich  jener  Armen  von  Lyon,  die  sich 
dreißig  Jahre  früher  an  Petrus  Waldus  angeschlossen.  Schon 
Hurter  in  seiner  Geschichte  Innocenz'  III. ^)  und  Schmieder  in  seinem 
Aufsatz:  ,, Petrus  Waldus  und  Franz  von  Assisi"^)  haben  das  Ge- 
meinsame in  den  Bestrebungen  der  beiden  Männer  betont:  Beide 
machen  die  Predigt  des  Evangeliums  zu  ihrem  Berufe,  Beide  nehmen 
die  Gebote  Christi  zum  alleinigen  Gesetz,  im  Bibelworte,  nicht  in 
der  Tradition  ihr  Heil  suchend.  Beide  halten  sich  an  den  Buchstaben 
der  Schrift,  ohne  darüber  den  Sinn  zu  vernachlässigen.  Beide  er- 
streben die  Vollkommenheit  in  der  Nachfolge  Christi,  ohne  zur  An- 
schauung des  Seligwerdens  nur  durch  den  Glauben  gelangt  zu  sein. 
Die  Bedeutung,  welche  der  Begriff  des  an  den  Wortlaut  der  Bibel  sich 
anschließenden  ,, apostolischen  Lebens"  in  jenen  Zeiten  plötzlich  ge- 
winnt, legt  Zeugniß  ab  von  einer  allmählich  sich  vorbereitenden,  mit 
den  Waldensern  zuerst  in  der  ganzen  Konsequenz  der  Verwirklichung 
hervortretenden  Reaktion,  die  sich  gegen  das  vielgliedrig  ausgebildete 
System  eines  durch  weltliche  und  geistliche  Macht  ausgezeichneten 
Klerus  erhebt.  Die  von  den  eigentlichen  Berufspflichten  abziehenden 
politischen  und  zugleich  irdisch  sinnlichen  Interessen  der  GeistHchen 


1)  n.  Aufl.  1844.  IV.  Bd.  S.  239  ff. 

«)  Ev.  Kirch.-Ztg.  1854.  Bd.  54.  S.  273  ff. 


Die  Anfänge  des  Ordens.  iq 


hatten  sie  den  Bedürfnissen  des  Volkes  entfremdet.  Ueber  den 
großen,  weltbewegenden  Fragen  des  Katholizismus  war  der  Einzelne, 
der,  christlich  erzogen,  von  seiner  Kirche  auch  Trost  und  Erhebung 
in  seinen  ganz  persönlichen  Leiden  verlangte,  vergessen  worden. 
Ihm  brachte  der  momentane  Sieg  des  Papstthums  über  den  Kaiser 
ebensowenig  Frieden,  wie  eine  jeweilige  glückliche  Besitznahme  der 
Mathildischen  Güter  durch  Papst  oder  Kaiser.  Im  Kampfe  um  das 
heilige  Land  für  Zeiten  bis  zum  Fanatismus  begeistert  und  durch 
die  Aufregungen  eines  ungewohnten  Lebens  betäubt,  vergaß  er  wohl 
das  unbefriedigte  Gefühl  seines  Herzens,  doch  war  das  nur  ein 
kurzer  Rausch,  dem  allzuschnell  die  Ernüchterung  folgen  mußte. 
Die  Glaubensgüter  der  Kirche  allein  vermochten  nicht  die  innere 
Leere,  die  sich  nach  allen  den  kriegerischen  Zerstreuungen  der  Zeit 
mit  doppelter  Stärke  fühlbar  machte,  auszufüllen.  Dazu  war  nur 
Eines  gut:  die  Predigt,  der  direkte  Einfluß  des  christlichen  Wortes, 
das  mit  seiner  einfachsten,  höchsten  Moral  Jedem  das  brachte,  was 
er  suchte.  Und  gerade  die  Predigt  war  dem  Volke  abhanden  ge- 
kommen. Das  sagt  mit  klaren  Worten  das  IV.  Lateranensische 
Konzil  in  seinem  lo.  Kapitel:  de  praedicatoribus  instituendis ,  zu 
einer  Zeit,  als  man  den  Elrebsschaden  der  Kirche  endlich  er- 
kannt hatte. 

Es  war  das  praktische  Bedürfniß,  welches  Männer  wie  Peter  von 
Bruis  und  den  Cluniacenser  Heinrich,  das  Petrus  Waldus,  das  Fran- 
ziskus zur  Verkündigung  des  göttlichen  Wortes  aufforderte  —  in 
ihnen  erhebt  sich,  als  erstes  Flammenzeichen  eines  neuen  Christen- 
thumes,  das  eingeborene  religiöse  Gefühl  des  Volkes,  das  aus  sich 
selbst  und  für  sich  selbst  die  Verkündiger  des  Evangeliums  schafft, 
welche  des  Volkes  Sprache  und  Gedanken  reden.  So  hätte  es  wohl 
auch  nichts  Wunderbares,  daß  in  verschiedenen  Ländern,  nur  durch 
wenige  Jahrzehnte  getrennt,  zwei  Männer  mit  so  gleich  gerichteten 
Lebensanschauungen  erstanden,  spräche  nicht  Vieles  für  einen  ge- 
heimen Zusammenhang  zwischen  Beiden.  Mir  scheint,  mit  der 
Anerkennung  bloß  einer  allgemeinen  Verwandtschaft  ist  die  Sache 
nicht  abgethan. 

Zunächst  ist  zu  bemerken,  daß  —  was  immer  hierüber  neuer- 
dings gesagt  worden  ist  —  die  Idee  des  Mönchthums  anfangs 
Franz  ganz  fern  liegt,  daß  erst  mit  dem  Augenblicke,  als  seine  Ge- 
nossenschaft in  die  Institutionen  der  Kirche  aufgenommen  wird,  sie 
die   Gesetze   und    Pflichten   einer  Ordensgemeinde   übernimmt.     Im 


20  Franz  von  Assisi. 


Gegentheil  tritt  die  ganz  nach  außen  sich  richtende  Thätigkeit  und  das 
Wanderleben  des  Franz,  wie  das  der  Waldenser,  in  direkten  Wider- 
spruch zu  dem  von  der  Welt  abgewandten ,  in  sich  geschlossenen 
Klosterleben.  Hier  das  dem  Wohle  der  eigenen  Seele  gewidmete 
Gebet,  dort  die  Predigt,  welche  die  eigenen  inneren  Erfahrungen 
zum  Besten  Anderer  verwerthet.  Aus  einer  anderen  Auffassung  auch 
als  derjenigen  des  Mönchthums  geht  bei  Petrus  und  Franz  der  Begriff 
der  Armuth  hervor,  nämlich  aus  der  Idee  apostolischer  Besitzlosig- 
keit. Es  handelte  sich  hier  anfangs  nur  um  den  Einzelnen,  der, 
wollte  er  wirklich  arm  sein,  auf  die  Almosen  der  Menschen  ange- 
wiesen war.  Daß  nur  der  arme  Prediger  wirklich  imstande  sei,  den 
Dienst  Gottes  treulich  zu  erfüllen,  erwiesen  die  Waldenser  aus  der 
Stelle  2  Tim.  2,  4^),  und  ganz  dasselbe  bringt  auch  Franz  vor  dem 
Bischof  vor:  ,,Herr,  wollten  wir  irgendwelchen  Besitz  haben,  so 
thäten  uns  Waffen  noth,  uns  zu  beschützen.  Denn  daraus  entstehen 
Streitfragen  und  Zwiste,  durch  welche  die  Liebe  zu  Gott  und  dem 
Nächsten  vielfach  verhindert  wird,  und  daher  wollen  wir  nichts  Zeit- 
liches in  diesem  Leben  besitzen."'^)  Dann  entnahm  ferner  Franz, 
ehe  er  noch  daran  dachte,  die  päpstliche  Genehmigung  einzuholen, 
das  freie  Recht  der  Predigt  der  heiligen  Schrift  und  that  damit  nur 
das  Gleiche,  was  den  Waldensern  von  der  Kirche  als  Häresie  an- 
gerechnet wurde  und  weßwegen  sie  den  bittersten  Verfolgungen  aus- 
gesetzt waren.  Macht  aber  die  Uebereinstimmung  in  diesen  ganz 
wesentlichen  Hauptpunkten  schon  sehr  geneigt,  eine  direkte  Be- 
ziehung zwischen  den  Armen  von  Lyon  und  denen  von  Assisi  an- 
zunehmen, so  tragen  dazu  in  nicht  geringerem  Grade  Einzelheiten 
und  äußerliche  Züge  bei.^)  ,,Zu  je  zweien  gehen  sie  herum",  sagt 
Walther  Mapes  von  den  Waldensern,  welche  so,  wie  die  Jünger  des 
Franz,  die  Vorschrift  Christi  (Mark.  6,  7)  wörtlich  befolgten.*)  Die- 
selbe Bibelstelle  war  für  Beide  auch  in  der  Wahl  der  Tracht  maß- 
gebend, wie  denn  der  Beschreibung  nach  die,,cappae  quasi  religionis" 
der  Häretiker  den  Franziskanerkutten  ähnlich  gewesen  sein  müssen, 
nämlich  einfache,  nur  gegürtete  Gewänder,  die  ohne  Unterkleid  ge- 


^)  Vergl.  Dieckhoff:  Die  Waldenser  im  Mittelalter.     Göttingen  185 1. 
«)  T.  s.  III,  S.  733- 

^)  Vergl.  die  Details  über  die  Tracht  und  Sitten  der  Waldenser  bei  Dieckhoff. 
*)  De   Christ.   Eccl.   successione   et   statu   ed.  II.  London  1682.     S.   II2:  Bini  et 
bini  circumeunt. 


Die  Anfänge  des  Ordens.  21 

tragen  wurden.^)  Sehr  wahrscheinlicher  Weise  war  auch  der  Gruß 
der  Waldenser,  wenn  sie  ein  Haus  betraten :  „pax  huic  domui",  da 
sie  den  Spruch,  aus  dem  die  Stelle  entlehnt  ist,  sonst  ja  zur  Regel 
ihres  Wanderlebens  erkoren.^)  Und  ,,pax  huic  domui"  verkündet 
der  Zettel,  den  Franz  auf  dem  ältesten  erhaltenen  Bildnisse  in  Subiaco 
in  der  Hand  trägt,  als  rührendes  Zeugnis  dafür,  wie  unzertrennlich 
von  der  Erscheinung  dieses  Friedensboten  der  Friedensgruß  war. 

Wie  könnte  es  nach  dem  Allen  zweifelhaft  bleiben,  daß  in  dem 
fernen  Städtchen  Assisi  Petrus  Waldus  einen  Anhänger  und  Nach- 
folger gefunden,  der  nur,  weil  er  zugleich  der  katholischen  Kirche 
heilig  war,  bisher  als  solcher  nicht  erkannt  wurde?  Die  Lösung 
des  Räthsels  dürfte  sich  unschwer  ergeben,  bedenkt  man,  daß  eben 
jener  italienische  Waldenser  „der  Franzose"  genannt  wurde,  daß 
sein  Vater  in  Geschäftsbeziehung  zu  Frankreich  stand,  daß  seine 
Mutter  aller  Vermuthung  nach  aus  dem  Süden  Frankreichs  stammte. 
Ob  er  in  jungen  Jahren  selbst  in  seiner  eigentlichen  Heimath  ge- 
wesen? Oder  ob  nicht  vielleicht  die  Mutter  zu  jenen  zahlreichen 
Anhängerinnen  des  Waldus  gehört,  von  denen  wir  wissen,  und  ihre 
innerste  Überzeugung  auf  den  geliebten  Sohn  übertragen?  Mögen 
auch  die  alten  Biographen  nichts  von  alledem  erzählen  —  was 
Wunder,  da  durch  des  Papstes  Segen  Franziskus  der  herrlichste, 
gläubigste  Herold  der  Kirche  geworden,  Petrus  aber  mit  dem 
Fluche  behaftet  als  Häretiker  zugrunde  gegangen  und  vergessen  war! 

Gar  eigene  Gedanken  mögen  Innocenz  III.  bewegt  haben,  als 
im  Jahre  1210  ein  unbekannter,  ärmlicher  Mann  mit  elf  Genossen 
vor  ihm  erschien  und  um  das  Recht  der  freien  Predigt  bat!  Er 
wird  denselben  schwerlich  so  verächtlich  zurückgewiesen  haben,  wie 
Matthäus  Paris  es  in  der  Form  einer  derben  Anekdote  erzählt.^) 
Er  war  ein  viel  zu  feiner  Menschenkenner,  als  daß  er,  über  das 
vernachlässigte  Aeußere  eines  Franziskus  spottend,  ihm  den  Rath  ge- 
geben, die  Gesellschaft  der  Schweine  aufzusuchen,  zu  denen  er  mehr 
gehöre,  als  zu  den  Menschen.  Es  war  nur  natürlich,  daß  das  Zu- 
sammentreffen zweier  Männer,  wie  Innocenz  III,  und  Franz,  binnen 


^)  Ursbergische  Chronik  des  Abtes  Konrad  von  Lichtenau.  Straßburg  1609. 
S.  243. 

^)  Luk.  10,  5:  „Wo  ihr  in  ein  Haus  kommt,  da  sprechet  zuerst:  Friede  sei  in 
diesem  Hause.  —  In  demselben  Hause  aber  bleibet,  esset  und  trinket,  was  sie  haben. 
Denn  ein  Arbeiter  ist  seines  Lohnes  werth." 

*)  a.  a.  O.  S.  329. 


22  Franz  von  Assisi. 


kurzem  den  Anlaß  zu  allerlei  Legenden  gab.  Die  älteste  vita  weiß 
noch  von  nichts  Anderem,  als  daß  Letzterer  den  Bischof  von  Assisi 
in  Rom  vorfand,  der  sich  wie  früher  seiner  freundlich  annahm  und 
ihn  dem  Bischof  Johannes  de  Sancto  Paulo  zuführte.  Dieser  rieth 
anfangs  dazu,  daß  Franz  Mönch  oder  Eremit  werde,  ließ  sich  aber 
von  Dessen  abweichenden  Ansichten  überzeugen  und  empfahl  die 
gute  Sache  dem  Papst.  Nach  reiflicher  Überlegung  gab  Innocenz 
dem  Unternehmen  seinen  Segen  und  sprach:  ,,Geht  mit  dem  Herrn, 
ihr  Brüder,  und  predigt  Allen  Buße,  wie  Gott  es  euch  einzugeben 
sich  herablassen  wird!  Wenn  aber  der  allmächtige  Gott  euch  an 
Zahl  und  Gnade  bereichert  haben  wird,  so  bringt  mir  solche  freudige 
Botschaft,  und  dann  werde  ich  euch  mehr  als  dies  gewähren  und 
mit  mehr  Ruhe  Größeres  euch  anvertrauen."^) 

Es  war  demnach,  wie  auch  aus  der  erst  später  erfolgten  Ge- 
nehmigung einer  bestimmten  Regel  hervorgeht,  nichts  Anderes  als 
die  Erlaubniß  zu  predigen,  die  Innocenz  den  Armen  von  Assisi 
mündlich  ertheilte,  wenn  er  ihnen  auch  zugleich  wohl  allgemeine 
Vorschriften  für  ihr  Leben  gegeben.  Erst  bei  den  tres  socii  und 
danach  bei  Bonaventura  wird  eine  förmliche  Bestätigung  der  Regel 
und  die  Aufnahme  der  Prädikanten  in  den  Stand  der  Kleriker 
daraus,  die  durch  die  Tonsur  besiegelt  worden  sei.^)  Mit  sicherem 
und  glücklichem  Griff  hat  der  Papst  durch  seine  dem  Franz  er- 
wiesene Milde  eine  Bewegung  für  die  Kirche  gewonnen,  die  gefahr- 
bringend, weil  vom  Volke  ausgehend,  und  ursprünglich  gegen  die- 
selbe gerichtet  war.  Der  Schritt  war  von  unermeßlichen  Folgen.  Die 
große  Masse  des  Volkes  wurde  von  Neuem  der  Kirche  gewonnen, 
die  Kirche  von  Neuem  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  populär.  Mit 
denselben  Waffen,  welche  die  drohende  unzufriedene  Menge  gegen 
die  kirchlichen  Institutionen  geführt,  wurde  sie  besiegt  und  unter- 
worfen, mit  den  Waffen  der  Predigt  göttlichen  Wortes  und  der 
Verzichtleistung  auf  irdische  Güter.  Die  Worte  des  Franziskus 
haben  mehr  bewirkt  gegen  die  Häretiker,  als  die  Schwerter  der 
Kreuzfahrer  im  südlichen  Frankreich.  Und  es  hat  sich  in  jener  Zeit 
wahrlich  nicht  allein  um  die  Bezwingung  zerstreuter,  unbedeutender 
Sektierer  gehandelt,  sondern  um  die  Bewältigung  der  ersten  großen 
sozialen  Bewegung  im  christlichen  Staate.     Zum  ersten  Male  erklang 


1)  Th.  I  Leg.  V,  S.  693. 

2)  T.  s.  IV,  S.  737.  —  B.  III,  S.  750. 


Die  Anfänge  des  Ordens.  23 

aus  den  unteren  Schichten  der  Bevölkerung  heraus  der  Ruf  nach 
Freiheit,  zum  ersten  Male  machte  das  Individuum  laut  und  fordernd 
sein  Recht  gegenüber  der  Allgemeinheit  geltend.  Aber  die  Spitze 
dieser  Bewegung  kehrte  sich  gegen  die  geistliche  Regierung.  Sie 
im  Keime  zu  ersticken,  hätte  die  Gewalt  selbst  eines  Simon  von 
Montfort  nie  ausgereicht,  der  gläubigen  Begeisterung  und  christlichen 
Liebe  des  Volksmannes  Franziskus,  an  dessen  Vorbild  dann  auch 
Dominikus  sich  anschloß,  ist  es  gelungen. 

Die  ganze  Bedeutung  des  Augenblickes,  in  dem  er  Franz  seinem 
Herzensdrange  zu  folgen  erlaubte,  wird  selbst  einem  Innocenz  nicht 
bewußt  geworden  sein;  daß  er  aber  mitten  in  den  drängenden 
Sorgen  des  Albigenserkrieges  erkannte,  die  Waffen  allein  thäten  es 
nicht,  ist  zweifellos.  Hatte  er  ja  gerade  um  jene  Zeit  auch  einer 
Abzweigung  der  Waldenser,  den  pauperes  catholici,  den  Segen  der 
Kirche  ertheilt  und  den  in  Rom  erscheinenden  Beschützer  der  Albi- 
genser,  Raymund  von  Toulouse,  gütig  aufgenommen.  So  umschreibt 
jene  in  der  II.  Legende  und  bei  den  tres  socii  aufkommende  Er- 
zählung von  dem  Traumbild,  in  dem  der  Papst  den  Franziskus  ge- 
wahrte, wie  er  die  wankende  Lateranensische  Basilika,  d.  h.  die 
römische  Kirche  stützte,  in  sinniger  Weise  bezeichnend  des  Papstes 
ahnungsvolle  Einsicht  in  die  brennende  Frage  der  Zeit.^) 

Nur  Eines  könnte  hierbei  noch  unerklärlich  bleiben!  Wie 
ist  denn  der  in  waldensischen  Anschauungen  erzogene  Franz  dazu 
gekommen,  ohne  weiteres  sich  für  die  Kirche  zu  erklären.?  Darauf  läßt 
sich  vor  Allem  erwiedern,  daß  Franz  seiner  ganzen  Anlage,  seinem 
liebeglühenden  Herzen  nach  nicht  für  den  Kampf,  sondern  für 
den  Frieden  geboren  war.  ,,Ihm  war  nicht  die  Lehre,  sondern  die 
Person  Christi,  nicht  das  künftige  Seligwerden,  sondern  das  gegen- 
wärtige Seligsein  das  Wesentliche."  Seine  durchaus  von  dem  ernst 
verständigen  Waldus  abweichende  Gemüthsart  kann  nicht  besser  ge- 
kennzeichnet werden,  als  es  Schmieder  gethan  hat:-)  ,,So  erwies 
sich  Franz  als  ein  Prediger  des  seligen  Lebens,  Waldus  als  ein 
Prediger  des  h.  Gebotes;  Franz  predigte  die  Liebe  Christi,  Waldus 
das  Gesetz  des  Herrn;  Franz  strömte  die  Freude  der  Kinder 
Gottes    aus,    Waldus    strafte    die    Sünden    der   Welt;    Franz    zog 


1)  Th.  n  Leg.  I,  II,  S.  32.  —  T.  s.  cap.  IV,  S.  736  f.  —  B.  IE,  S.  750.  B. 
hat  auch  noch  ein  anderes  Traumbild  von  der  Palme,  die  Innocenz  zwischen  seinen 
Füßen  hervor  sich  zum  mächtigen  Baume  entfalten  sieht. 

2)  a.  a.  O.  S.  288. 


24 


Franz  von  Assisi. 


die  Heilsbegierigen  an  und  ließ  die  Anderen  ruhig  ihre  Straße 
ziehen;  Waldus  griff  den  ungöttlichen  Sinn  der  Gottlosen  an  und 
erbitterte  die  Priester."  Einer  so  durchaus  positiven  Natur,  wie 
Franz  es  war,  lag  die  Opposition  gegen  die  Kirche  fern.  Dazu 
kommt  dann  noch,  daß  er  in  dem  Bischof  von  Assisi,  Guido,  einen 
besonders  einsichtigen,  mild  gesinnten  Beschützer  und  Freund  ge- 
wann, der  als  Mittler  die  Beziehungen  zwischen  der  Kirche  und  der 
individuellen  Glaubensüberzeugung  aufrecht  erhielt  und  wohl  auch 
Derjenige  gewesen  ist,  der  Franz  bewogen  hat,  zu  einer  Zeit,  in  der 
er  selbst  sich  für  ihn  verwenden  konnte,  nach  Rom  zu  kommen. 

So  mochte  denn  die  kleine  Gemeinde,  getröstet  und  befestigt 
in  ihrem  Berufe,  mit  erbaulichen  Gesprächen  über  die  Güte  des 
Papstes  den  Heimweg  antreten.  Der  Himmel  selbst  schien  sie  in 
Schutz  zu  nehmen,  denn  als  sie  am  Abend  des  ersten  Tages  ver- 
geblich nach  Nahrung  sich  umsahen,  trafen  sie  einen  Mann,  der 
ihnen  Brot  schenkte.^)  Dann  blieben  sie  vierzehn  Tage  in  der  Um- 
gegend von  Ostia  an  einem  ganz  verlassenen  Platze,  wo  sie  ,,mit 
der  h.  Armuth  sich  zu  befreunden"  begannen,  und  zogen  endlich 
weiter  in  das  heimathliche  Spoletaner  Thal,  in  welchem  Franz  alsbald 
den  Beschluß  faßte,  öffentlich  das  Wort  Gottes  zu  verkündigen. 
Und  gerade  dort  that  es  noth,  da  sich  in  jener  Gegend  die  sonst  zu- 
meist in  Norditalien,  namentlich  im  Mailändischen  weit  verzweigte 
Sekte  der  Patarener  oder  Katharer  ausgebreitet  hatte.  Deren  Häresie 
war  von  der  waldensischen  durchaus  verschieden  und  tastete  die 
hervorragendsten  Dogmen  der  Kirche  selbst  an.  Ihre  Anschauungen, 
mit  der  Zeit  mannigfachen  Veränderungen  unterworfen,  gingen 
doch  ursprünglich  auf  den  Manichäismus  zurück,  dessen  Grund- 
prinzip die  Annahme  zweier  Urkräfte,  einer  guten  und  einer  bösen, 
ihnen  immer  geblieben  war.  Von  den  byzantinischen  Kaisern  unter- 
drückt und  bedrängt,  hatten  sie  auf  geheimnißvollen  Wegen  sich 
nach  dem  Westen  gezogen  und  lebten  unter  verschiedenen  Namen 
in  Italien  und  Frankreich  weiter.  Ihnen  Allen  gemeinsam  blieb  die 
direkte  Opposition  gegen  Alles,  was  „katholische  Kirche"  hieß.  Sie 
verwarfen  mit  den  Sakramenten  die  gesamte  kirchliche  Ordnung 
und  hatten  zum  Theil  sehr  wirre  Begriffe  über  Christus  und  seinen 
Scheinleib.     Offenbar  deutet  auf  diese  Sekten  Thomas  hin,  wenn  er 


■')  So  Th,  I  Leg.  V,    S.  693.  —  Bei  B.  natürlich   schon   als  Wunder:  der  Mann 
verschwindet  sogleich,  cap.  IV,  S.  750. 


Die  Anfänge  des  Ordens.  2  5 

Franz  wie  ein  Licht  in  die  Finsterniß,  die  über  jene  Gegend  ge- 
kommen, scheinen  läßt  —  von  der  Bekehrung  der  „Patarener" 
geradezu  spricht  das  Carmen.')  So  schnell  sollten  sich  die  Ab- 
sichten des  Papstes  verwirklichen! 

Irrig  freilich  wäre  es,  anzunehmen,  Franz  habe  gleich  Dominikus 
seinen  eigentlichen  Beruf  auch  fernerhin  hauptsächlich  in  der  Be- 
kehrung Abtrünniger  gesehen.  Nicht  die  Irrgläubigen,  sondern  Alle, 
die  den  Namen  des  Christen  führten,  ohne  den  christlichen  Geist  zu  be- 
sitzen, suchte  fortan  seine  Predigt  in  den  Häusern  der  Reichen,  wie 
in  den  Hütten  der  Armen  auf.  War  doch  sein  Geist  zu  dogmati- 
schen Spitzfindigkeiten  allzuwenig  geschaffen,  als  daß  er  an  Glaubens- 
kontroversen mit  Ketzern  hätte  Gefallen  finden  können.  Ohne  die 
aber  ging  es  einmal  nicht  ab.  Für  ihn  gab  es  nur  einen  Glauben, 
den  Glauben  seines  Herzens  —  und  der  war  freilich  auch  stark 
genug.  Andersdenkende  zu  zwingen! 

Schon  diese  erste  Wanderung  von  Stadt  zu  Stadt  erwies  die 
übergewaltige  Wirkung  seiner  Rede.  Wie  ein  Mensch  aus  einer 
anderen  Zeit  erschien  er  den  erstaunten  Leuten  —  Männer  wie 
Frauen,  Kleriker  wie  Laien,  Gelehrte  wie  Ungelehrte  strömten 
zusammen,  ihn  zu  sehen  und  zu  hören.  Der  Apostel  einer  war 
wieder  erstanden,  in  schlichten  Worten,  aber  mit  überirdischer  Be- 
redsamkeit die  Menschen  aus  ihrem  dumpfen  Dasein  emporzurütteln 
zu  neuem  tiefen  Empfinden.  Dem  Manne,  der  Alles  von  sich  ge- 
worfen hatte  und  um  Almosen  an  den  Thüren  bettelte,  mußte  wohl 
Jeder  glauben,  wenn  er  von  der  Seligkeit  der  Entsagung  kündete. 
Was  Demuth  sei,  lernten  sie  von  ihm,  der  rauhen  Worten  und  Be- 
schimpfungen nur  mit  Liebe  begegnete.  Was  mußte  der  hartherzige 
Reiche  denken,  sah  er,  wie  die  Armen  dem  Bettler  dankten  — 
welchen  Trost  der  Arme  empfinden,  hörte  er  von  seinem  Leidens- 
gefährten die  Armuth  das  köstlichste  aller  irdischen  Güter  nennen! 
Dem  Prediger,  der  nicht  bloß  Worte  machte,  sondern  dieselben  an 
sich  selbst  alle  erfüllte,  konnte  es  Niemand  verwehren,  Moral  zu 
lehren.  Da  verstummte  der  Spott  und  beugte  sich  der  stolze  Sinn. 
Drang  doch  durch  allen  Tadel,  durch  alle  die  schonungslosen  Er- 
mahnungen versöhnend  und  wiederaufrichtend  der  süße  Ton  einer 
Liebe  hindurch,  die  dem  Reuigen  wahrhaft  himmlischen  Trost  ver- 
hieß.   Weil  Alles  Natur  in  seiner  Rede,  Alles  Empfindung  war,  und 


1)  Th.  I  Leg.  V,  S.  694.  —  Carmen  S.   146. 


26  Franz  von  Assisi. 


diese  Empfindung  aus  dem  reinsten,  von  Liebe  zu  Gott  und  den 
Menschen  überströmenden  Herzen  kam,  mußte  er  eine  Wirkung  auf 
die  Zuhörer  ausüben,  die  wir  uns  gar  nicht  groß  genug  vorstellen 
können.  Die  Biographen,  die  beispiellos  schnelle  Verbreitung  seines 
Ordens,  zahllose  legendarische  Geschichten  bezeugen  es.  Die  Be- 
geisterung gab  ihm  im  Augenblicke  selbst  die  Worte,  und  das  Auge, 
die  Hand,  der  ganze  Körper,  beseelt  und  belebt  vom  Gedanken,  ward 
zur  Sprache.  Von  seiner  Redeweise  theilt  die  II.  Legende  einiges 
Charakteristische  mit :  Wenn  auch,  das  Evangelium  verkündend,  Franz 
den  einfachen  Leuten  in  einfacher  und  sachlicher  Weise  predigte, 
wie  Einer,  der  wohl  weiß,  es  handle  sich  mehr  um  die  Kraft,  als 
um  Worte,  so  brachte  er  doch  vor  geistig  gebildeten  und  ver- 
ständnißvolleren  Hörern  wunderbare  und  tiefe  Gedanken  hervor; 
in  kurzen  Worten  gab  er  Unaussprechliches  zu  verstehen  und  riß, 
die  Worte  mit  feurigen  Gebärden  und  Bewegungen  begleitend,  die 
Hörer  mit  sich  in  himmlische  Sphären.  —  Einst  sagte  ein  Arzt,  ein 
gelehrter  und  beredter  Mann,  von  ihm:  ,, Während  ich  die  Predigten 
Anderer  Wort  für  Wort  behalten  kann,  entfliehen  meinem  Gedächtniß 
allein  die  Äußerungen  des  h.  Franziskus,  und  präge  ich  mir  etwas 
davon  dem  Gedächtnifi  ein,  so  scheinen  es  mir  nicht  mehr  die  Worte 
zu  sein,  die  zuvor  von  seinen  Lippen  geflossen."^)  Es  fehlte  eben 
dem  Arzte  die  Empfindung,  der  Ausdruck,  die  Gebärde!  Die  Rede 
war  der  ganze  Mann. 

Dazu  kam  noch,  daß  er  des  Volkes  Sprache  zu  dem  Volke 
redete,  nicht  die  gelehrte  Kirchensprache  des  Latein,  sondern 
das  junge  Italienisch,  das  sich,  aus  seiner  bescheidenen  Ver- 
borgenheit hervortretend,  bald  nach  diesen  Zeiten  und  zumeist  in 
Franziskanerliedern  seine  Stellung  als  Schriftsprache  neben  der 
älteren  Schwester  erobern  sollte.  In  diesen  vertrauten,  freundschaft- 
lichen Lauten  klang  auch  das  Evangelium  des  Neuen  Testamentes 
so  neu  und  beglückend  an  das  Ohr  des  Volkes.  Es  war,  als  hätte 
Franziskus  das  Alles  miterlebt,  wenn  er  von  dem  Geliebten  seiner 
Seele  sprach,  von  dem  armen  Christus,  wie  der  als  Knäblein  in  der 
Krippe  gelegen,  wie  ihn  die  Mutter  geherzt  und  geküßt,  wie  die 
drei  reichen  Könige  gekommen,  ihm  zu  huldigen,  wie  er  dann  arm 
und  demüthig  mit  den  Jüngern  im  Lande  umhergezogen,  wie  er  arm 
und    verachtet    am  Kreuze    gehangen!      So    hatte    das  Volk    seinen 


1)  Th.  II  Leg.  III,  50,  S.   160. 


Weitere  Entwicklung  des  Ordens.  27 

Heiland  noch  gar  nicht  gekannt,  so  trauHch  nahe  war  er  ihm  noch 
nie  gekommen.  Eine  andere,  rein  menschhche  Auffassung  von  Christi 
Erdenleben  mußte  unter  dem  Einfluß  solcher  Predigten  mächtig  um 
sich  greifen,  die  Wirkung  eine  ungeheure  sein.  Nicht  allein  der 
Moral  und  der  Kirche,  vor  Allem  der  Literatur  und  der  Kunst  kam 
sie  zugute. ■•)  Doch  davon  sollen  noch  viele  Seiten  dieses  Buches 
handeln — jetzt  gilt  es  zunächst,  den  wunderbaren  Mann  auf  seinem 
weiteren  Lebenswege  zu  begleiten. 


III.  Weitere  Entwicklung  des  Ordens. 

Als  Franz  mit  den  Seinen  nach  Assisi  zurückgekehrt  war,  ließ 
er  sich  an  einem  Rivo  torto  (damals  Rigus  tortus)  genannten,  ein- 
samen Orte  im  Thale  unterhalb  der  Stadt  nieder.  Dort  lebten  sie 
in  einer  engen  kleinen  Hütte,  die  ihnen  kaum  genügenden  Platz  bot, 
dem  Gebete  und  der  Arbeit  obliegend,  zurückgezogen  von  dem 
Lärm  der  Welt.  Und  doch  schlug  dieser  einst  laut  an  ihre  Zelle. 
Otto,  der  Deutschen  Kaiser,  früher  der  Schützling,  jetzt  als  Nach- 
folger und  Erbe  der  Politik  Heinrichs  VI.  der  Gegner  des  Papstes, 
zog  mit  einem  glänzenden  Gefolge  an  der  Behausung  des  großen 
unbekannten  Bettlers  vorbei,  der,  ungelockt  von  dem  höchsten  welt- 
lichen Prunk,  sich  begnügte,  dem  Herrscher  einen  Bruder  in  den 
Weg  zu  senden,  mit  mahnenden  Worten  der  Vergänglichkeit  alles 
irdischen  Ruhmes.  Und  kaum  waren  diese  verhallt,  da  verschwanden 
auch  die  blitzenden  Waffen  wieder  und  die  Stille  des  Gebetes 
kehrte  zurück.-) 

Ein  muthwilliger  Bauer,  der  sich  und  seinem  Esel  Platz  schaffte 
in  der  Hütte,  vertrieb  endlich  die  Einsiedler,  und  sie  wählten  sich 
die  Portiuncula  zum  Aufenthalt^),  die  fortan  ihre  eigentliche  Heimath 
wurde,  da  Franz  sie  vor  Allem  liebte  und  hochhielt.     Gerne  über- 


^)  Obgleich  uns  keine  Predigten  von  Franz  erhalten  sind,  so  entbehrt  die  obige 
Schilderung  nicht  der  Begründung.  Diese  menschliche  Auffassung  der  evangelischen 
Geschichten  entspricht  so  durchaus  dem  Wesen  des  Franz,  tritt  in  den  Schriften  seiner 
Schüler,  namentlich  bei  Bonaventura,  Giacopone  so  charakteristisch  heri'or,  daß  sie  jeden- 
falls auf  Franz  selbst  zurückgeht. 

2)  Bloß  bei  Th.  I  Leg.  VI,  S.  696. 

®)  Von  allen  Biographen  erwähnt. 


28  Franz  von  Assisi. 


ließen  ihnen  die  Benediktiner  vom  Berge  Subasio  die  Kirche,  in 
deren  Umgebung  sich  bald  elende  Zellen  von  Holz  erhoben.^) 

Von  diesem  Zeitpunkte  an  werden  die  Nachrichten  über  die 
äußeren  Lebensereignisse  des  Franz  sehr  dürftig.  Anstatt  ihn 
auf  seinen  Wanderungen  zu  begleiten,  vertiefen  sich  die  Biographen 
in  eine  Schilderung  seiner  Tugenden  und  der  wunderwirkenden  Kraft 
seines  Gebetes. 

Es  geht  aus  Allem  hervor,  daß  die  folgenden  zehn  Jahre,  in 
denen  der  Orden  eine  überraschende  Verbreitung  erhielt,  von  Franz 
benutzt  wurden,  predigend  durch  das  ganze  Land  zu  wandern. 
Wenn  Matthäus  Paris  besonders  von  seiner  Thätigkeit  in  Rom  zu 
erzählen  weiß,  so  lehren  doch  viele  Stellen  der  Legenden,  daß  er 
sich  nicht  auf  das  mittlere  Italien  beschränkte,  sondern  ebensowohl 
den  Norden  wie  den  Süden  durchzog.  Von  einer  Reise  nach  Frank- 
reich soll  ihn  der  Bischof  von  Ostia  mit  dem  Hinweise  auf  die 
ernsten  Pflichten,  die  er  daheim  habe,  abgehalten  haben. ^)  In  ver- 
schiedenen Zwischenräumen  ist  er  dann  immer  wieder  nach  dem 
Ausgangspunkt  seiner  Thätigkeit,  der  Portiuncula,  zurückgekehrt,  von 
neuen  Anhängern  begleitet.  Unmerklich  nahm  die  apostolische 
Predigergenossenschaft  mehr  und  mehr  den  Charakter  einer  Ordens- 
gemeinschaft an.  Die  wachsende  Zahl  der  Mitglieder  dieser  Ge- 
meinde verlangte  von  selbst  die  eingehendere  Feststellung  einer 
ihnen  gemeinsamen  Regel ,  wie  die  Feststellung  bestimmter  Tage 
im  Jahre,  an  denen  die  weit  Verstreuten  sich  zusammenfanden,  über 
ihre  Thätigkeit  Bericht  ablegen  und  in  der  gegenseitigen  Ermahnung 
und  Prüfung  eine  Befestigung  ihres  Glaubens  und  ihrer  Ueberzeugung 
erlangen  durften.  Wann  Franz  zuerst  diese  zweimal  im  Jahre  wieder- 
kehrenden Kapitel,  die  bei  der  Portiuncula  abgehalten  wurden,  fest- 
gesetzt habe,  ist  uns  nicht  überliefert.  Es  scheint,  daß  am  Feste 
des  h.  Michael  nicht  Alle  zu  kommen  verpflichtet  waren,  zu  Pfingsten 
aber  Niemand  fernbleiben  durfte.  Dann  gab  er  Denen,  die  er  für 
würdig  und  fähig  hielt,  die  Erlaubniß  zu  predigen  und  sandte  sie 
in  verschiedene  Gegenden  aus.^)  Die  Erfahrung  mochte  es  lehren, 
daß  diese  wandernden  Prediger  mißgünstig  von  dem  Klerus  ange- 
sehen  wurden,    in    dessen  Rechte    sie    als   Fremdlinge    einzugreifen 


^)  Vergl.  unten  die  Besprechung  der  ältesten  Franziskaner  -  Niederlassungen. 

2)  Th.  I  Leg.  IX,  S.  704. 

3)  T.  s.  IV,  S.  738  ff. 


Weitere  Entwicklung  des  Ordens.  2Q 

schienen.  Daher  wurde  es  Franz  nicht  müde,  den  Seinen  die 
größte  Ehrfurcht  vor  den  Priestern  der  Kirche  einzuprägen  und 
ihnen  stets  von  Neuem  die  Demuth  zu  empfehlen,  die  allein  imstande 
war,  das  Vorurtheil  zu  entkräften.^)  Er  selbst  ging  mit  dem  Bei- 
spiele voran.  Als  einst  der  Bischof  von  Imola  seine  Bitte  um  die 
Erlaubniß  zu  predigen  kurz  mit  den  Worten  abgefertigt  hatte:  ,,es 
genügt,  Bruder,  daß  ich  meinem  Volke  predige",  neigte  er  das  Haupt 
und  ging  von  dannen.  Doch  bald  nachher  erscheint  er  wieder: 
,,Herr,  wenn  ein  Vater  seinen  Sohn  aus  der  einen  Thür  vertrieben 
hat,  so  soll  er  durch  die  andere  wieder  eintreten."  Worauf  der 
Bischof  ihn  gerührt  in  die  Arme  schließt  und  seine  Bitte  gewährt.^) 
Die  Ordensregel,  wie  sie  später  von  Honorius  gebilligt  worden, 
beginnt  sich  in  diesen  Zeiten  zu  entwickeln'^),  da  sich  zwischen  den 
beiden  Regeln,  wie  sie  in  den  Werken  des  Franz  enthalten  ist,  kein 
wesentlicher  Unterschied  zeigt.*)  Noch  im  Jahre  1216  handelt  es 
sich ,  nach  der  Aussage  des  Jacobus  von  Vitry,  um  eine  primitive 
Organisation;  eine  neue  beginnt  vor   1218.^) 

Die  Regel  beginnt  damit,  daß  Franz  dem  Papst  und  der 
römischen  Kirche  Gehorsam  verspricht.  Ersterer  fügte  hinzu,  daß 
die  anderen  Brüder,  welche  fratres  minores,  Minderbrüder,  genannt 
werden,  nach  dem  demüthigen  Wunsche  des  Franz,  gehalten  seien. 
Diesem  und  seinen  Nachfolgern  zu  gehorchen.  Nur  die  Provinzial- 
minister  dürfen  Novizen  aufnehmen.  Wer  eintreten  will,  muß  seine 
Güter  verkaufen  und  den  Armen  geben.  Nach  Ablauf  des  Probe- 
jahres,   während    dessen  er  sich  in  den  Tugenden,    namentlich  der 


1)  T.  s.  IV,  S.  738. 

2)  Th.  II  Leg.  III,  85.  S.  212.  —  B.  IV,  S.  758. 

^)  Bon.  erzählt,  wie  Franz  die  neue  Regel  in  der  Einsamkeit  geschrieben,  dann 
dem  Elias  übergeben  habe.  Dieser  habe  sie  verloren  und  Franz  durch  göttliche  In- 
spiration sie  noch  einmal  in  ganz  gleicher  Weise  niedergeschrieben  (S.  635).  Später 
heißt  es,  Elias  habe  sich  gegen  die  Regel  als  zu  streng  gewehrt,  Gott  selbst  aber  ver- 
kündet, sie  sei  nach  Seinem  Willen  Das  zeugt  von  einer  Zeit,  in  der  es  schon  zwei 
Regeln,  eine  strengere  und  eine  mildere  gab.     Vergl.  Hase  S.  57. 

*)  Vergl.  auch  Lucae  Holstenii  Codex  Regularum  monasticarum  ed.  Brochie 
T.  ni  p.  22  (Aug.  Vind.  1759 f.)  und  Karl  Müller:  Die  Anfänge  des  Minoritenordens 
und  der  Bussbruderschaften.      1885. 

^)  Vergl.  die  neuesten  beweisenden  Forschungen  von  Walter  Goetz:  „Die  ur- 
sprünglichen Ideale  des  h.  Franz  von  Assisi"  in  Historischer  Vierteljahrschrift  1903. 
S,  19  ff.  Im  Wesentlichen  bestätigen  dieselben  gegenüber  Sabatiers  und  Mandonnets 
Meinungen  meine  Auffassung. 


30  Franz  von  Assisi. 


Demuth  geübt,  wird  er  zum  Gelübde  zugelassen.  Er  erhält  eine 
Kutte.  Nur  wer  es  nothwendig  hat,  darf  Sandalen  tragen.  Die 
Hausarbeit  wird  als  Mittel  gegen  den  Müßiggang  geboten.  Die 
Gebetsstunden,  die  Fasten  werden  festgestellt,  die  Feier  des  kirch- 
lichen Gottesdienstes  nach  der  Kirche  geregelt.  An  der  Spitze 
des  Ordens  steht  der  Generalminister,  dem  Alle  Gehorsam  schuldig 
sind.  Unter  ihm  die  Vorsteher  der  verschiedenen  Provinzen,  die 
Provinzialen  und  Guardiane.  Diese  haben  den  Generalminister  zu 
wählen.  In  einem  der  Kardinäle  der  römischen  Kirche  hat  der 
Orden  sich  einen  Protektor  zu  erbitten.  Alle  drei  Jahre  findet 
ein  Generalkapitel  statt,  auf  dem  die  Provinzialen  zu  erscheinen 
haben.  Ein  solches  kann  auch  zu  anderer  Zeit,  wenn  es  geboten 
dünkt,  vom  General  berufen  werden.  Die  Brüder  sollen  den 
Bischöfen  gegenüber  demüthige  Unterwerfung  zeigen.  Der  Mönchs- 
orden hat  in  strenger  Sonderung  von  dem  der  Nonnen  zu  leben. 
Die  drei  Hauptregeln  aber  sind :  strikter  Gehorsam ,  Keuschheit 
und  Armuth.  Darin  stimmt  der  neue  Orden  mit  den  älteren  überein, 
nur  daß  die  Armuth  hier  viel  weitgehender  gefaßt  wird:  ,,Die 
Brüder  sollen  sich  nichts  aneignen,  weder  Haus,  noch  Feld,  noch 
was  es  sei,  sondern,  gleich  Pilgern  und  Fremdlingen  in  dieser  Welt, 
dem  Herrn  in  Armuth  und  Demuth  dienend,  gehen  und  Almosen 
suchen  mit  Zuversicht  und  ohne  Scham ;  denn  der  Herr  hat  sich 
arm  für  uns  in  dieser  Welt  gemacht."  Der  Gehorsam  wird  in  der 
strengsten  Form  geboten.  Franz  selbst  hat  jenes  verhängnißvolle 
Beispiel  des  Gehorsamen  ausgesprochen,  an  das  sich  später  die 
Jesuiten  hielten :  „Nimm  einen  leblosen  Körper  und  setze  ihn  wohin 
du  willst;  du  wirst  sehen,  daß  er  der  Bewegung  nicht  widerstrebt, 
nicht  murrt  über  die  Lage,  nicht  verlangt,  losgelassen  zu  werden. 
Wenn  man  ihn  auf  die  Cathedra  erhebt,  so  wird  er  nicht  nach  oben, 
sondern  nach  unten  blicken,  in  Purpur  gekleidet,  um  so  bleicher 
erscheinen.  Dies  ist  der  wahrhaft  Gehorsame."^)  In  christlicher 
Liebe  sollen  die  Vorgesetzten  für  die  Untergebenen  sorgen.  Nur 
der  General  darf  den  Brüdern  die  Erlaubniß  zur  Predigt  ertheilen, 
die  wohlbedacht,  keusch  und  kurz  sein  soll.  Endlich  wird  gegen- 
seitige Demuth  und  Liebe,  Sorge  für  die  Kranken,  Milde  mit  den 
Sündern  in  warmen  Worten  empfohlen. 


1)  So  zuerst  bei  Th.  11  Leg.  III,  89.  S.  218.     Danach  hat  es  dann  wörtlich  Bon. 

VI,  s.  758. 


Weitere  Entwicklung  des  Ordens.  3  I 

Nicht  allein  aber  Jünglinge  und  Männer  waren  es,  die  ihre 
Familie  und  ihr  Hab  und  Gut  im  Stiche  ließen,  Franz  zu  folgen, 
sondern  auch  Jungfrauen  und  Frauen.  Es  geschah  im  Jahre  12 12, 
daß  die  Tochter  eines  vornehmen  Mannes  in  Assisi,  Chiara  Sciffi, 
dem  Zuge  ihres  Herzens  nicht  widerstehend,  nach  S.  Maria  degli 
Angeli  kam,  wo  sie  Franz  ihre  Sehnsucht,  sich  ganz  Gott  zu  weihen, 
offenbarte.  In  der  Nacht  auf  den  Palmsonntag,  den  sie  mit  den 
anderen  Frauen  festlich  begangen,  verläßt  sie  das  väterliche  Haus, 
entflieht  zur  Portiuncula,  beraubt  sich  vor  dem  Altar  der  Maria  der 
reichen  Gewänder  und  des  Schmuckes  ihres  Haares  und  wird  dann 
von  ihrem  Berather  in  das  Benediktinerkloster  von  S.  Paolo  bei  Bastia 
gebracht.  Nach  kurzem  Aufenthalt«^  daselbst  gesellt  sie  sich  zu  den 
Schwestern  von  S.  Angelo  di  Panzo  auf  dem  Berge  Subasio  und 
erhält  12 13  eine  eigene  Heimat  in  S.  Damiano.  Bald  folgen  ihr 
die  Schwester  Agnes  und  die  Mutter  Ortolana,  und  der  Orden  der 
Klarissinnen  ist  begründet.*)  Die  Verbreitung  desselben  zunächst 
in  Italien,  binnen  kurzem  auch  in  andern  Ländern,  wetteifert  mit 
dem  der  Minoriten. 

Ungewiß  bleibt  es  noch  immer,  wann  Franz  die  dritte  Institu- 
tion, die  Gemeinde  der  Brüder  und  Schwestern  der  Buße,  die 
später  allgemein  die  Tertiarier  genannt  wurden ,  ins  Leben  gerufen. 
Mit  Müller  müssen  wir  annehmen,  daß  dies  nicht  vor  1220  ge- 
schehen ist.  Am  12.  Dezember  1221  erhält  sie  ihre  Billigung  von 
Honorius.2)  Es  war  ein  Ding  der  Unmöglichkeit,  alle  die  Männer 
und  Frauen,  welche,  hingerissen  von  der  Predigt  des  Mönchs  Diesem 
zu  folgen  entschlossen  waren,  in  den  eigentlichen  Orden  aufzu- 
nehmen, und  doch  verlangte  die  Menge,  an  den  Gnadengütern  des- 
selben theilhaben  zu  dürfen.  So  blieb  nichts  übrig,  als  eine  Ge- 
meinschaft innerhalb  der  weltlichen  Gesellschaft  der  Laien  zu 
gründen,  die  durch  gewisse  Pflichten  einer  strengeren  Religions- 
übung allein  verbunden  war.  Öer  Gedanke  war  an  sich  nicht  neu. 
Schon  zu  Norberts  von  Xanten  Lebzeiten,  in  der  ersten  Hälfte  des 
XII.  Jahrhunderts,  hatte  sich  dem  Prämonstratenserorden  eine  ähn- 


')  Leben  der  h.  Klara,  2  Jahre  nach  ihrem  Tode,  wie  Cristofani  annimmt,  viel- 
leicht von  Giovanni  di  Kant  geschrieben:  Acta  SS.  Aug.  II,  p.  755.  —  Cristofani, 
Poema.  S.  XIV  f.  —  Ds.  Storie  di  Assisi  I,  S.   142  fr. 

*)  Acta  SS.  Okt.  n,  S.  633.  —  Bonghi  S.  79.  —  Karl  Müller:  Die  Anfänge  des 
Minoritenordens.  Vergl.  auch  Götz :  Die  ursprünglichen  Ideale  des  h.  Franz  von  Assisi.  — 
Die  Regel:  Francisci  opera  II. 


32 


Franz  von  Assisi. 


liehe  Laienverbindung  angeschlossen^),  die  sich  seinerseits  wohl 
Dominikus,  unabhängig  von  Franz,  zum  Vorbild  nahm,  da  er  die 
Gemeinschaft  seiner  später  gleichfalls  ,,fratres  de  poenitentia"  ge- 
nannten Laienbrüder  stiftete.  Der  volksthümliche  Charakter  des 
Franziskanerthumes  tritt  nirgends  so  deutlich  hervor,  als  in  dieser 
Institution,  die  bald  eine  ungeahnte  Bedeutung  in  Italien  gewann, 
nicht  allein  für  die  Popularität  der  Minoriten,  sondern  ebensowohl 
für  die  lebendige  Kenntniß  der  Bibel,  für  eine  Ausgleichung  der 
Stände  und  eine  Milderung  der  kriegerischen  Neigungen.  Eine  ge- 
meinsame Tracht  war  nicht  geboten,  doch  behielten  Viele  auch  in 
der  Folgezeit  ein  schlichtes  graues  Gewand  oder  wenigstens  den 
Strick  unter  der  weltlichen  Kleidung,  die  möglichst  einfach  sein 
sollte,  bei.  Ein  Jeder  durfte  im  Besitze  weltlicher  Güter,  in  seiner 
bürgerlichen  Stellung  bleiben,  nur  ward  er  verpflichtet,  ungerecht 
erworbenes  Gut  herauszugeben,  mit  seinem  Nächsten  sich  zu  ver- 
söhnen und  getreuHch  die  Gebote  Christi  zu  erfüllen.  Sie  mußten 
sich  häufigerem  Fasten  unterziehen,  bestimmte  Gebetsstunden  ein- 
halten, täglich  eine  Messe  hören,  von  weltlichen  Vergnügungen, 
wie  Gelagen,  Schauspielen  und  Tänzen,  sich  fern  halten.  Christliche 
Liebe  sollte  der  Inhalt  aller  ihrer  Gefühle  und  Gedanken  sein. 
Streitigkeiten  wurden  von  Ordensleuten  oder  von  Bischöfen  ge- 
schlichtet. Waffen  zu  tragen  war  nur  ausnahmsweise  erlaubt,  der 
häufige  Besuch  der  Kranken,  Wohlthätigkeit  im  weitesten  Sinne 
geboten. 

Welche  Ausdehnung  auch  dieser  Stand  der  Tertiarier  gewonnen, 
verkündet  mit  klagenden  Worten  ein  Brief,  der  unter  denen  des 
Petrus  de  Vinea  veröffentlicht  ist  und  in  dem  es  heißt:  es  gibt 
kaum  Einen,  der  nicht  entweder  der  Laiengemeinde  des  Franziskus 
oder  Dominikus  angehörte!^)  Mag  dies  stark  übertrieben  sein,  so 
bleibt  es  nichtsdestoweniger  erweislich,  daß  binnen  kurzem  Könige 
und  Fürsten,  wie  die  große  Menge  des  Bürgerstandes,  sich  mit  dem 
Stricke  umgürtet  haben  und  damit  die  strengen  Schranken  zwischen 
dem  Mönchthume  und  den  Laien  fielen.  Ersteres  hatte  fortan  eine 
versteckte  Macht  hinter  sich,  wie  vergleichsweise  das  moderne 
stehende  Heer  eine  in  den  Waffen  geschulte  Volksmasse. 


1)  Hurter,  Gesch.  Innoc.  IV,  S.   146. 

2)  Epistolarum  Petri    de  Vincis   libri  VI,    Basileae    1566,    lib.  I,    cap.    XXXVII. 
S.  233.     Vergl.  Hase  S.  69 :  ein  Brief  des  bischöflichen  Klerus,  nicht  des  Petrus  selbst. 


Weitere  Entwicklung  des  Ordens.  33 

Aus  der  Bedeutung,  welche  in  kurzer  Zeit  der  Minoritenorden 
gewonnen  hatte,  allein  schon  wäre  es  zu  schließen,  daß  Franz  früher 
als  1223,  in  welchem  Jahre  Honorius  III.  seine  Regel  bestätigte, 
von  Neuem  um  Rath  und  Maßregeln  sich  an  den  päpstlichen  Stuhl  ge- 
wendet. Verschiedenes  weist  darauf  hin,  daß  er  es  im  Jahre  12 16 
that.  Da  er  von  Innocenz  nur  eine  mündliche  Approbation  erhalten, 
ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  er  dem  neuen  Papste  kurz  nach  dessen 
Antritt  wiederum  sich  und  seine  Gemeinde  empfahl,  und  zwar  zu 
einer  Zeit,  in  der  das  Lateranensische  Konzil  tagte,  das  in  einer 
seiner  Sitzungen  aussprach :  es  dürfen  keine  neuen  Orden  mehr  ge- 
gründet werden !  Was  er  erreicht,  weiß  man  nicht  —  vermuthlich 
eine  erneute  mündliche  Approbation,  da  12 19  in  einem  Schreiben 
Honorius  sich  der  Minoriten  annimmt.  Offenbar  konnte  der  Papst 
angesichts  jenes  Paragraphen  des  Konzils  nichts  Weiteres  thun  und 
verschob  die  förmliche  Bestätigung  der  Regel  auf  spätere  Zeit.  Da- 
mals zuerst  scheint  Franz  in  dem  Kardinal  Hugo  von  Ostia,  dem 
späteren  Gregor  IX.,  einen  Freund  gewonnen  zu  haben,  da  ihn  der- 
selbe nach  der  I.  Legende  vor  den  Papst  geführt.  Die  Rede,  die 
Franz  bei  dieser  Gelegenheit  hielt,  machte  den  tiefsten  Eindruck 
auf  die  gesamte  erlauchte  Versammlung.^) 

Es  war  wohl  auch  in  jenem  Jahre,  daß  sich  Dominikus  und 
Franz  in  Rom  sahen.  Ersterer  war  dahin  gekommen,  die  Be- 
stätigung seiner  Regel  zu  erhalten,  die  ihm  am  Tage  vor  Weih- 
nachten in  einer  Bulle  gewährt  wurde.  Wenn  Hase  sich  gegen 
ein  persönliches  Zusammentreffen  der  beiden  Männer  ausgesprochen 
hat,  so  wird  er  durch  die  II.  Legende  widerlegt,  die  höchst 
sachlich  und  glaubhaft  davon  berichtet.  Die  spätere  Sage  im 
Liber  Conformitatum  und  Speculum  schmückt  dann  nur  legen- 
darisch das  Faktum  aus.     Thomas  erzählt,  wie  Beide  beim  Bischof 


^)  Bis  auf  Hase  und  noch  länger  hielt  man  daran  fest,  12 16  sei  die  Regel  appro- 
biert worden.  Dem  widerspricht  der  Wortlaut  der  Regel  von  1223.  —  Von  einer 
Predigt,  die  Franz  vor  Honorius  gehalten  und  von  der  Befreundung  mit  Kardinal  Hugo 
erzählt  die  I.  Leg.  IX,  703.  Die  IL  Leg.  I,  17  S.  42  hat  die  päpstliche  Bestätigung 
des  Hugo  als  Protektors  des  Ordens.  Die  T.  s.  IV,  S.  739  erzählen  dasselbe  ziemlich 
wirr,  so  daß  eine  chronologische  Reihenfolge  nicht  herauszufinden.  Nach  ihnen  müßte 
man  die  Anordnung  eines  Protektorats  über  den  Orden  schon  vor  12 19  annehmen, 
nämlich  vor  der  ersten  Aussendung  der  Minister  ins  Ausland.  Doch  scheint  es  erst 
1221  bestimmt  worden  zu  sein,  worüber  unten  mehr.  Dagegen  scheint  es  natürlich, 
die  Erzählung  der  I.  Leg.,  die  B.  dann  wiederholt,  auf  dieses  erste  Erscheinen  des  Franz 
vor  Honorius,  das  ich  für  durchaus  wahrscheinlich  halte,  zu  beziehen. 

T  h  o  d  e ,  Franz  von  Assisi.  3 


34 


Franz  von  Assisi. 


von  Ostia  waren,  der  ihnen  den  Vorschlag  machte,  sie  sollten 
doch  ihren  Brüdern  gestatten ,  geistliche  Würden  anzunehmen, 
um  so  erfolgreicher  wirken  zu  können.  Da  entsteht  ein  Wett- 
streit der  Demuth  zwischen  ihnen,  wer  darauf  antworten  solle. 
Endlich  thut  es  Dominikus  und  weist  das  Anerbieten  zurück, 
Franziskus  folgt  seinem  Beispiel:  ,,Herr,  meine  Brüder  sind  die 
Kleinen  genannt,  damit  sie  nicht  sich  herausnehmen.  Große  zu 
werden."  Als  sie  darauf  voneinander  Abschied  nehmen  müssen, 
bittet  Dominikus  Franz  um  seinen  Strick,  den  Dieser  nach  langem 
Widerstreben  ihm  gibt.  Dann  reichen  sie  sich  die  Hände,  Einer 
dem  Anderen  sich  hold  empfehlend,  und  Dominikus  sagt:  ,,Ich 
wollte,  Bruder  Franz,  dein  und  mein  Orden  würden  einer  und  wir 
lebten  nach  gleicher  Regel  in  der  Kirche !"  Später  aber  äußert  er 
Anderen  gegenüber:  ,,In  Wahrheit  sage  ich  euch,  daß  diesem 
h.  Manne  Franziskus  alle  übrigen  Mönche  folgen  sollten,  so  groß  ist 
die  Vollkommenheit  seiner  Heiligkeit."  Daß  diese  erhebende  Be- 
gegnung der  zwei  in  ihrer  Wirksamkeit  gleich  eingreifenden,  in  ihrem 
Wesen  so  verschiedenen  Männer  wirklich  stattgefunden,  scheint  mir 
durchaus  glaubhaft,  wie  denn  auch  erst  nach  diesem  Jahre  in  des 
Dominikus  Verordnungen  die  apostolische  Armuth  ihren  Platz  ge- 
funden zu  haben  scheint.^)  War  auch  der  Spanier  zu  ähnlichen  An- 
schauungen, wie  Franz  sie  hatte,  durch  seine  Thätigkeit  als  Be- 
kehrungsprediger der  Albigenser  gekommen,  so  hatte  er  doch  mit 
seinen  Jüngern  die  Chorregel  der  Augustiner  annehmen  müssen, 
während  Franz,  jeder  Tradition  ledig,  von  Anfang  an  die  absolute  Be- 
sitzlosigkeit zur  Regel  gemacht  hatte.  So  war  bei  dem  Zusammen- 
treffen in  Rom  Dominikus  der  Empfangende,  Franziskus  der 
Gebende. 

Möglicherweise  hat  sich  das  Anliegen,  das  Franz  dem  neuen 
Papste  vorzutragen  hatte,  auf  die  Erlaubniß  bezogen,  Prediger,  die 
ihm  geeignet  schienen,    auf  dem  von  nun  an  wahrscheinlich  regel- 


^)  Jordanus  vita  S.  Dominici  (Acta  SS.  Aug.  I,  p.  554)  sagt  vom  i.  General- 
kapitel zu  Bologna  1220:  Tunc  ordinatum  est  ne  possessiones  vel  reditus  de  caetero 
tenerent  fratres  nostri,  sed  et  iis  renuntiarent,  quos  habuerant  in  partibus  Tholosanis. 
Es  ist  lange  ein  Streit  darüber  geführt  worden  zwischen  Dominikanern  und  Franzis- 
kanern. Erstere  behaupten,  daß  diese  Verfügung  nur  eine  Bestätigung  einer  älteren 
sei  —  bringen  dafür  aber  keine  ausschlaggebenden  Gründe.  Für  unsere  Ansicht  spricht 
es,  daß  Honorius  noch  in  seiner  Bulle  von  1216  dem  Orden  ,,alle  gegenwärtigen  und 
zukünftigen  Besitzungen"  bestätigt. 


Weitere  Entwicklung  des  Ordens.  35 

mäßig  gehaltenen  Generalkapitel  zu  Pfingsten  zur  Mission  im  Aus- 
lande zu  bestimmen.  Er  nannte  sie  ministri.  Zum  ersten  Male, 
so  weit  wir  unterrichtet  sind,  scheint  es  12 18  geschehen  zu  sein, 
daß  ein  solcher,  nämlich  Elias,  in  den  Orient  gesandt  ward.^)  Auf 
dem  Kapitel  12 19  werden  dann  Brüder  nach  Italien  sowohl  als 
Deutschland,  Ungarn  und  in  andere  Länder  geschickt-),  mit  einem  Ge- 
leitschreiben des  Papstes,  in  dem  sie  den  Prälaten  empfohlen 
wurden.^)  Vielleicht  schon  früher  waren  fünf  Brüder  nach  Spanien 
und  von  da  nach  Marokko  gewandert,  wo  sie  den  Märtyrertod  er- 
litten hatten.  Die  Kunde  davon  mag  Franz  selbst  den  Wunsch 
eingegeben  haben,  nach  Spanien  zu  gehen.  Thomas  in  der  I.  Le- 
gende berichtet,  daß  er  schon  aufgebrochen  war,  aber  durch  eine 
Krankheit  zurückgehalten  wurde,  woraus  dann  Bonaventura  mit 
leichter  Wortverschiebung  macht,  er  sei  bis  nach  Spanien  ge- 
kommen, Wadding  und  fast  alle  folgenden  Schriftsteller,  ausge- 
nommen Bonghi,  haben  darauf  fortgebaut,  ohne  daß  irgendeine 
andere  Quelle  es  verbürgte.*) 

Sollte  aber  Franz  auch  das  Martyrium,  nach  dem  er  ein  glühen- 
des Verlangen  trug,  versagt  bleiben,  so  war  es  ihm  doch  vergönnt, 
unter  den  Heiden  das  Evangelium  zu  predigen.  Schon  im  Jahre 
12 12  hatte  er  sich  eingeschifft,  um  nach  Syrien  überzusetzen,  ward 
aber  von  widrigen  Winden  an  die  dalmatinische  Küste  verschlagen, 
wo  er  froh  sein  mußte,  ein  Schiff  zu  finden,  das  ihn  nach  Ancona 
zurückbrachte.^)  Die  Vermuthung  scheint  mir  sehr  nahe  zu  liegen, 
daß  Franz  zu  diesem  Schritte  durch  die  Kunde  von  dem  Kreuzzuge 


^)  Giordano  di  Giano  a.  a.  O.  96.  Voigt  meint  12 18,  was  auch  sehr  wahr- 
scheinlich. 

*)  T.  s.  IV,    S.  739:    II    Jahre  nach   Beginn   des   Ordens.  —  Giordano  a.  a.  O. 

P-   517. 

*)  datiert  11.  Juni  1219.  Wadding  Ann.  I  p.  301.  Chann:  storia  di  S,  F. 
S.  155  verlegt  auch  zwei  an  sich  bedenkliche  angebliche  Briefe  des  Franz  in  diese  Zeit. 
Dagegen  hat  sich  schon  Bonghi  mit  gewichtigen  Gründen  gewehrt.     S.  80.  A.  89. 

*)  Th.  I  cap.  VII,  S.  699:  bonus  deus  —  cum  jam  ivisset  versus  Hispaniam  in 
faciem  restitit  et  ne  ultra  procederet,  aegritudine  intentata  eum  a  coepto  itinere  revo- 
cavit.  —  Bon.  IX,  S.  767,  der  sich  zum  Theil  wörtlich  an  den  Bericht  des  Thomas 
schließt:  cum  jam  usque  in  Hispaniam  perrexisset  etc.     So  entsteht  Geschichte. 

^)  Th.  I,  cap,  VII,  S.  699  sagt:  sexto  anno  conversionis  suae,  was  so  viel  heißt 
als  12 12,  da  in  der  I.  Leg.  die  conversio  ins  Jahr  1206  verlegt  wird.  S.  oben.  — 
Danach  B.  a.  a.  O.  An  beiden  Orten  die  Erzählung  von  den  die  Mannschaft  rettenden 
Nahrungsmitteln,  die  ein  unbekannter  Mann  Franz  mitgegeben. 

3* 


36  Franz  von  Assisi. 


der  Kinder,  der  in  jenem  Jahre  stattfand,  bewogen  wurde.  Ein 
Theil  derselben,  die  von  Deutschland  gekommenen,  hatten  am 
26.  August  von  Genua  aus  die  sinnlose,  beschwerliche  Reise  nach 
Brindisi  fortgesetzt  und  höchst  wahrscheinlicher  Weise  den  Weg  durch 
das  Spoletaner  Thal  genommen.  Da  mag  Franz  diese  unglückseligen 
Opfer  eines  ruchlosen  Fanatismus  gesehen  und,  wie  Innocenz,  sich 
gesagt  haben:  ,, Diese  Kinder  machen  uns  zu  schänden;  indeß  wir 
schlafen,  ziehen  sie  munter  aus,  das  heilige  Land  zu  gewinnen!"^) 
Mit  bloßen  Gefühlen  aber  war  es  bei  Franz  nicht  gethan  und  so 
hatte  er  sich  selbst,  der  Kinder  eines,  zur  heiligen  Pilgerschaft  auf- 
gemacht. 

Endlich  bald  nach  Pfingsten  sollte  ihm  sein  Herzenswunsch 
erfüllt  werden.  Zu  jener  Zeit  lag  ein  Kreuzfahrerheer  bei  Damiette 
unter  der  Führung  des  Königs  Johann  von  Brienne  und  Leopolds 
von  Oesterreich.  Andreas  von  Ungarn,  welcher  der  eigentliche 
Vorkämpfer  gewesen,  war  in  die  Heimath  zurückgekehrt,  während 
die  beiden  Anderen  nach  Aegypten  zogen.  Anfangs  waren  sie 
glücklich  gewesen  und  am  5.  November  12 19  in  den  Besitz  Da- 
miettes  gelangt,  dann  hatten  die  Gegner  große  Vortheile  über 
sie  errungen,  so  daß  später  im  Frieden  vom  18.  August  1221  alle 
Eroberungen,  auch  Damiette,  wieder  verloren  gingen  und  sie  un- 
verrichteter  Dinge  heimkehren  mußten.  Begleitet  von  einem  Ge- 
nossen, nach  Giordano  Pietro  Cattaneo,  nach  Bonaventura  Illumi- 
natus,  erschien  Franziskus  bei  dem  Kreuzheere  und  machte  sich 
unverweilt  zu  dem  Sultan  Alkamil,  der  seinem  12 18  gestorbenen 
Vater  Aladil  gefolgt  war,  auf.  Der  Landessprache  unkundig,  ward 
er,  wie  seine  Minister  in  Deutschland  und  Ungarn,  mißhandelt. 
Doch  kam  er  beständig:  Sultan,  Sultan!  rufend  zu  dem  Fürsten, 
der  von  milder  Gemütsart  wie  Aladil,  ihn  ehrenvoll  aufnahm  und 
ihn  gerne  hörte.  Bald  jedoch  mochte  Franz  die  Zwecklosigkeit 
seiner  Bemühungen  einsehen  und  verließ ,  in  der  Hoffnung ,  das 
Martyrium  zu  erleiden,  getäuscht  den  mohammedanischen  Hof  und 
bald    darauf  Aegypten.-)      Ehe    er    geschieden,    soll    er    nach    der 


^)  Ueber  den  Kreuzzug  vergl.  Hurter:   Gesch,  Innoc.  II,  S.  483  ff. 

^)  So  wird  das  Ereigniß  übereinstimmend  von  den  wichtigsten  Quellen  dargestellt: 
Th.  I  Leg.  VII,  S.  699.  —  Giordano  a.  a.  O.  S.  520.  —  Jacobus  de  Vitriaco,  der 
selbst  in  Ägypten  war:  Historia  Occidentalis  cap.  38  (in  den  Acta  SS.  S.  618).  — 
Anonymer  Fortsetzer  der  Historia  Tyrii  (zwischen  1275  und  95  schreibend)  in  den 
Acta  SS.  S.  613. 


Weitere  Entwicklung  des  Ordens.  37 

II.  Legende  des  Thomas  warnend  den  Christen  ihre  Niederlage, 
die  1221  stattfand,  vorausgesagt  haben. i)  Es  war  kaum  anders 
denkbar,  als  daß  sich  die  Phantasie  der  Franziskaner  bald  das 
Zusammentreffen  ihres  Vaters  mit  dem  grausamen  Sultan  in  ihrer 
Weise  ausschmückte.  Klingt  des  Bonaventura  Erzählung  von  der 
Feuerprobe,  die  Franz  zu  bestehen  sich  angeboten,  noch  wohl 
glaublich,  so  bringt  der  Liber  Conformitatum  und  das  Speculum 
reine  Erdichtungen.^)  Danach  erhält  er  die  Erlaubniß,  im  Lande 
zu  predigen,  und  der  Sultan  selbst,  im  Herzen  schon  bekehrt, 
empfängt  auf  dem  Sterbebette  von  zwei  Franziskanern  die  Taufe. 
Aus  jener  Feuerprobe  aber  ist  die  Legende  von  dem  Flammenlager 
entstanden,  auf  das  er  ein  Weib,  das  ihn  verführen  will,  auffordert, 
ihm  zu  folgen. 

Seine  baldige  Heimkehr  nach  Italien  scheint,  wie  zuerst  Voigt 
nach  Giordanos  Bericht  erwies,  durch  Unruhen  im  Orden  veranlaßt 
worden  zu  sein.  Die  ersten  Streitigkeiten  hatten  sich  sofort  er- 
hoben, als  das  Haupt  fehlte.  Zwei  Vikare  hatte  Franz  vor  seiner 
Abreise  bestellt.  Der  eine,  Matthäus  von  Narni,  sollte  die  neuen 
Brüder  in  Assisi  aufnehmen,  der  andere,  Gregorius  von  Neapel,  zur 
Inspektion  in  Italien  umherreisen.  Ersterer  benutzte  seine  Stellung, 
strengeres  Fasten  einzuführen,  ein  Frate  Filippo  wußte  sich  zu- 
gunsten der  Clarissinnen  ein  Breve  vom  Papst  zu  verschaffen  — 
was  aber  das  Gefährlichste  war,  Johannes  de  Capella,  der  in  späterer 
Zeit  wohl  in  Erinnerung  an  diese  Vorgänge  meist  als  der  Judas 
unter  den  Jüngern  des  Franz  aufgefaßt  wurde  und  sich  nach  Gior- 
dano,  wie  Jener,  erdrosselt  haben  soll,  hatte  sich  vom  Orden  ab- 
gesondert. Aussätzige  um  sich  gesammelt  und  vom  Papste  eine 
Bestätigung  erbeten.'*)  Es  muß  ein  schwerer  Schlag  für  Franz  ge- 
wesen sein,  solche  Nachrichten  zu  empfangen  —  gewaltsam  wurde 
er  aus  seinem  Himmel,  in  dem  nur  Liebe  und  Eintracht  herrschte, 
in  die  wirkliche  Welt  der  Zwiste  herabgerissen.  Mit  Pietro,  sowie 
Elias  und  Cesarius  von  Speier,  den  Elias  im  Oriente  für  den  Orden  ge- 
wonnen, kehrte  er  bekümmerten  Herzens  heim  und  ging,  wie  es  scheint, 


1)  Th.  II  Leg.  n,  2  S.  50. 

*)  Als  solche  schon  von  Suysken  nachgewiesen.  —  Vergl.  auch  Hase  S.  78. 

^)  Voigt  sieht  in  ihm  denselben  Johannes,  der  nach  Salimbene  p.  1 10  eine  Con- 
gregatio  heremitarum  machte  und  identifiziert  ihn  zugleich  mit  einem  Johannes,  der 
nach  "Wadding  12 19  an  der  Kurie  intrigierte,  um  eine  Milderung  in  der  Regel  zu 
erlangen. 


38  Franz  von  Assisi. 


direkt  nach  Rom,  wo  er  sich  von  Honorius  die  Bestätigung  des 
Kardinals  Hugo  von  Ostia  als  Protektor  des  Ordens  erbat. ^)  Johannes 
de  Capella  wurde  vom  Papst  abgewiesen  und  jenes  dem  Fra  Filippo 
ertheilte  Breve  widerrufen.-) 

Dann  fand  zu  Pfingsten  des  Jahres  1221  ein  großes  Kapitel 
statt,  von  dem  uns  Giordano  als  Augenzeuge  berichtet.  Gegen  3000 
Menschen  erschienen  zu  demselben  und  lagerten  auf  der  bloßen 
Erde  in  der  Umgebung  der  Portiuncula.  Die  Bevölkerung  versorgte 
sie  überreichlich  mit  Nahrungsmitteln.  Der  ungewohnte  Anblick 
solchen  waffenlosen  Lagers,  in  dem  man  Nichts  als  Gebete  hörte, 
lockte  die  Vornehmen  der  Gegend,  sowie  die  Mitglieder  des  päpst- 
lichen Hofes,  der  sich  damals  in  Perugia  aufhielt,  herbei.  Auf  dieser 
Versammlung  entschlossen  sich  von  Neuem  Viele  nach  Deutschland 
zu  ziehen,  als  ihr  Minister  ward  Cesarius  von  Speier  erwählt,  ihrer 
einer  war  Giordano.  Zu  gleicher  Zeit  wäre  Franz,  so  heißt  es,^) 
von  seiner  Stellung  als  General  des  Ordens  zurückgetreten  und 
hätte  Pietro  di  Cataneo  gewählt,  doch  ist  dies  irrig.  Cataneo  ist 
schon  im  März  1221  gestorben.  So  blieb  Franz  wohl  an  der 
Spitze  der  Gemeinschaft,  und  erst  1224  folgte  ihm  EHas.  Wir 
erfahren  von  Giordano ,  daß  Franz  selbst  sich  so  krank  und 
schwach  fühlte,  daß  er  Elias  an  seiner  Stelle  das  Wort  führen 
ließ,  Es  war  wohl  nicht  körperliches  Leiden  allein,  das  ihn  quälte, 
er  fühlte  sich  auch  geistig  niedergeschlagen  und  müde.  Zu  viele 
bittere  Erfahrungen  mögen  es  ihm  klar  gemacht  haben,  daß  er  von 
Unmöglichem  geträumt  hatte :  von  der  selbstlosen  Eintracht  einer 
großen  Genossenschaft,  daß  er  die  Menschen  falsch  beurtheilt,  weil 
er  sich  selbst,  den  Ausnahmsmenschen,  zum  Maßstab  genommen.  Die 
Hoffnungsfreudigkeit  seiner  Lebensanschauungen  war  erschüttert.  In 
bitteren  Stunden  muß  ihm  sein  Lebenszweck  verfehlt  erschienen  sein.^) 


^)  So  nahmen  es  Voigt  und  Bonghi  an ,  und  es  hat  durchaus  die  innere  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich,  daß  dies  erst  jetzt  geschah. 

^)  Giordano   12.    13. 

8)  Th.  II  Leg.  III,  81.  S.  206. 

*)  Ich  schließe  dies  mit  Bonghi  aus  einer  in  den  Opera  erhaltenen  meditazione, 
in  der  Franz  sich  entschuldigt,  daß  er  sich  den  Pflichten  eines  Ministers  und  mit  ihnen 
der  trüben  Aufgabe,  die  sündigen  Brüder  zu  strafen,  entzogen  habe.  —  Alle  von  Sabatier 
und  Mandonnet  aufgestellten  Behauptungen  von  einem  Konflikt  des  Franz  mit  der 
Kurie  sind  zurückzuweisen.  Ich  darf,  ohne  auf  diese  Frage  überhaupt  einzugehen,  auf 
die  Uebereinstimmung  der  Ausführungen  von  Walter  Götz  (a.  a.  O.)  mit  meiner  Dar- 
legung verweisen. 


Die  letzten  Lebensjahre  des  Franz  und  sein  Ende.  39 

Von  einer  solchen  Enttäuschung,  die  sich  in  seinem  Testament  aus- 
spricht, konnte  sich  eine  Natur,  wie  die  des  Franz,  die  nur  im  Sonnen- 
schein des  Friedens  sich  zu  entfalten  und  zu  leben  vermochte,  wohl 
nie  wieder  ganz  erholen.  Fortan  zieht  er  sich  immer  mehr  auf  sich 
selbst  und  auf  Gott  zurück  und  vollendet,  worin  er  einzig  den 
Frieden  wiedererlangen  mochte,  die  höchste,  reine  Ausbildung  seines 
eigenen  inneren  Menschen.  So  liebevoll  er  auch  für  den  Orden  noch 
bemüht  ist,  überläßt  er  dessen  Leitung  doch  anderen  Händen,  ver- 
schafft demselben  aber  selbst  noch  die  erste  Bedingung  einer  fer- 
neren gedeihlichen  Entwicklung,  die  förmliche  Bestätigung  der  Regel 
durch  den  Papst.  Sie  ward  ihm  in  einer  Bulle  vom  30.  Januar  1223 
zu  theil.  Honorius  selbst  bezeichnete  diese  erste  schriftliche  Appro- 
bation bloß  als  eine  Bestätigung  der  Approbation  seines  Vorgängers 
und  vermied  so  den  Vorwurf,  gegen  die  Bestimmungen  des  Late- 
rankonzils einen  neuen  Orden  ins  Leben  gerufen  zu  haben.  Der 
Orden  der  Minoriten  hatte  seine  rechtliche  Stellung  neben  dem 
Benediktinerorden  und   dessen    zahlreichen  Abzweigungen  erhalten. 


IV.   Die  letzten  Lebensjahre  des  Franz  und  sein  Ende. 

Seit  seiner  Bekehrung  war  das  Leben  des  Franziskus  getheilt 
gewesen  zwischen  Predigt  und  Gebet,  in  den  letzten  Jahren  scheint 
es  immer  mehr  in  letzterem  aufgegangen  zu  sein.  Der  Kampf  mit 
mancherlei  Widerwärtigkeiten,  die  bitteren  Enttäuschungen,  die  er 
erfahren,  hatten  ihn  in  sich  selbst  zurückgescheucht  und  die  Flammen 
seines  in  Liebe  zu  Christus  erglühenden  Herzens  nur  stärker  genährt. 
Hatte  er  schon  früher  in  Stunden  der  Verzückung  dem  Himmel  sich 
nahe  gefühlt,  so  entschwand  jetzt  immer  ferner  und  ferner  die  Erde 
seinen  Blicken.  Wie  getrennt  vom  Körper  für  Stunden,  ja  Tage 
führte  der  Geist  ein  von  allen  irdischen  Beziehungen  gelöstes  Da- 
sein. Aus  den  engen  Schranken  der  Sinnlichkeit  schwang  er  sich 
zu  einem  zeit-  und  raumlosen  Gefühl  empor,  das  er  selbst  die  Liebe 
Christi  nannte.  Es  war  die  Vollendung  dessen,  was  er  auf  Erden 
erstrebt,  das  Vorerfahren  der  ewigen  Seligkeit.  Erstaunt  und  er- 
schreckt vor  solch  ungeheurem  Gefühlsleben,  solch  übersinnlich 
sinnlicher  Glaubenswonne  sucht  man  vergeblich  die  Worte,  sie  zu 
schildern.  Die  alten  Legenden  halfen  sich,  so  gut  sie  konnten :  von 
der  Gebeteskraft   emporgezogen   sahen   ihn   die   Jünger   zu    nacht- 


40  Franz  von  Assisi. 


lieber  Stunde  über  die  Erde  erhoben  schweben,  von  Strahlen  des 
ewigen  Lichtes  umflossen  schien  eine  Wolke  ihn  zu  entführen,  gleich 
Elias  nahm  ihn  ein  feuriger  Wagen  auf.  Wer  möchte  ihnen  die 
bilderreiche  Sprache  verargen!  Ein  solches  Gebet  mußte  zur  Vision 
werden.  Allzu  leicht  nur  gewöhnt  sich  der  kalt  verständige  Mensch 
in  seinem  wohl  geregelten  Dasein  daran,  für  das  zur  Ekstase  ge- 
steigerte psychische  Leben  nur  spöttische  Blicke  zu  haben.  Mit 
dem  Geisteskranken  hat  er  Mitleid,  für  den  Uebergeistigten  nur  ein 
Lächeln  vornehmer  Herablassung  —  dieses  unfehlbare  Zeichen  einer 
Anmaßung,  welche  eine  ärmlich  beschränkte  Anschauung  der  un- 
endlichen Fülle  der  Lebenserscheinungen  verräth.  Er  sollte  feiner 
unterscheiden!  Wohl  giebt  es  eine  bacchantische,  frech  erzwungene 
Erregtheit,  die  Widerwillen  und  Abscheu  vor  der  vernunftlosen 
Komödie  erregt  —  die  Geschichte  christlicher  Sekten  selbst  noch 
in  jüngster  Zeit  bringt  Beispiele  genug  dafür!  Wer  aber  möchte 
mit  ihr  die  enthusiastische  Schwungkraft  eines  edlen  und  reinen 
Herzens,  welche  den  Bannkreis  der  Gesetze  dieser  sichtbaren  Welt 
durchbricht,  verwechseln.?  Aus  einem  edlen  und  reinen  Herzen 
aber,  wenn  je  es  eines  gegeben,  erstand  auch  jenes  überschwäng- 
liche  Gefühl  der  Gottesgemeinschaft,  das  Franz  über  die  Leiden 
seines  elenden,  geknechteten  Körpers  erhob. 

Denn  siech  und  leidend  hat  er  die  letzten  Jahre  verbracht.  Er 
selbst  hat  es  eingesehen,  daß  er  viel  gegen  seinen  Bruder,  den 
Körper,  gesündigt  (multum  peccatum  in  fratrem  corpus).^)  Nun  kam 
die  Zeit,  in  der  er  es  büßen  sollte.  Mit  ergreifender  Ergebung,  ja 
mit  Freuden  hat  er  alle  Schmerzen  ertragen.  Dieselben  erschienen 
ihm  nicht  als  Feinde,  sondern  als  Freunde,  und,  wie  die  Thiere  auf 
dem  Felde  und  die  Vögel,  nannte  er  sie  Schwestern.''^)  Sie  waren 
ihm  von  Gott  gesandt  und  als  Gottesboten  nahm  er  sie  auf.  In- 
sonderheit von  einem  schweren  Augenleiden  sprechen  die  alten 
Biographen,  das  häufig  ärztliche  Behandlung  erforderte.  So  mußte 
er  einst  mit  einem  glühenden  Eisen  von  den  Ohren  bis  zu  den  Augen 
gebrannt  werden,  was  Anlaß  zu  der  reizenden  Erzählung  gab,  das 
Feuer  selbst  habe  sich  dem  Freunde  aller  Geschöpfe  freundlich  er- 
wiesen und  ihm  keine  Schmerzen  zugefügt.  ,,Mein  Bruder  Feuer", 
hatte  er  gesagt,  „vor  allen  andern  Dingen,  die  auf  Schönheit  Anspruch 


1)  T.  s.  I,  S.  728. 

2)  Th.  II  Leg.  III,  38.  S.  300. 


Die  letzten  Lebensjahre  des  Franz  und  sein  Ende.  41 

machen,  hat  dich  der  Allmächtige  wirksam,  schön  und  nützlich  ge- 
schaffen. Sei  mir  in  dieser  Stunde  geneigt,  sei  mir  freundlich,  weil 
ich  immer  dich  im  Herrn  geliebt.  Ich  bitte  den  großen  Herrn,  der 
dich  geschaffen,  daß  er  deine  Hitze  mäßige  zu  sanftem  Brennen, 
so  daß  ich's  ertragen  kann."  Dann  versichert  er  lächelnd,  es  habe 
nicht  geschmerzt,  und  erstaunt  bricht  der  Arzt  in  die  Worte  aus: 
„Fast  glaube  ich,  daß  zur  ursprünglichen  Unschuld  Der  zurückgekehrt, 
nach  dessen  Willen  selbst  das  Wilde  sanft  geworden."^)  Dieses 
Mannes  Blick  hatte  die  Tiefen  und  Wunder  heiligen  Wesens 
ergründet ! 

Mit  den  eigenen  Leiden  ward  auch  das  Nachempfinden  der 
Leiden  Christi  immer  lebendiger  in  Franz.  Seinen  erstaunten  Jüngern 
schien  er  schon  auf  dieser  Erde  in  innigem,  ja  irdischem  Verkehr 
mit  Christus  zu  stehen.  Er  selbst  konnte,  wie  es  scheint,  die  Er- 
innerung an  das  Erdenleben  seines  Heilandes  nicht  oft,  nicht  lebendig 
genug  sich  wachrufeij.  So  beging  er  einst,  drei  Jahre  vor  seinem 
Tode,  zu  Greccio  das  Weihnachtsfest  in  ganz  besonderer  Weise.  In 
einer  einsam  im  Walde  gelegenen  Kirche  bereitete  er  mit  einem 
treuen  Anhänger  Johannes  eine  Krippe,  ließ  den  Ochsen  und  Esel 
herbeifuhren  und  feierte  dann  im  Beisein  vielen  Volkes  die  heilige 
Nacht  und  den  Knaben  von  Bethlehem,  dessen  Namen  er  vor  süßer 
Empfindung  kaum  auszusprechen  vermochte.  Jener  Johannes  will 
es  gesehen  haben,  wie  er,  vor  der  Krippe  knieend,  das  Kind  selbst 
in  den  Armen  gehalten. 

Das  klingt  wie  eine  Vorbereitung  auf  das  Ereigniß,  welches 
seinem  Leben  nach  dem  Glauben  der  Zeit,  wie  nach  dem  bis  auf 
den  heutigen  Tag  herrschenden  Glauben  der  katholischen  Kirche 
die  höchste  Weihe  verlieh :  die  Stigmatisation.  Selbst  des  Wunder- 
baren entkleidet,  bezeichnet  sie  doch  den  Höhepunkt  seiner  geistigen 
Entwicklung.  Wer  von  ihr  erzählen  will,  muß  sich  an  die  alten 
Legenden  halten. 

Wie  Franziskus  einst  in  seinen  Jugendjahren  von  einem  Bibel- 
worte die  Vorschrift  für  sein  ganzes  Leben  erhalten,  so  wandte 
er  sich  jetzt  im  Gefühle,  daß  seinen  Tagen  bald  ein  Ende  gesetzt 
werde,  wiederum  an  das  Orakelwort  des  Evangeliums.  Aufs  Neue 
wollte  er  sich  versichern,  auf  welchem  Wege  er  das  ewige  Heil 
erlangen  könnte.     Und  als  er  dreimal  das  Buch  aufgeschlagen,  be- 


^)  Th.  II  Leg.  III,   102.  S.  238  —  danach  B.  V,  S.  755. 


42 


Franz  von  Assisi. 


gegnete  ihm  dreimal  die  Passion  des  Herrn.  Da  wurde  er  dessen 
froh,  daß  er  durch  Leiden  sich  die  Seligkeit  erwerben  solle.  ^) 

Zwei  Jahre  vor  seinem  Tode  zog  er  sich  in  die  Einsamkeit  auf 
den  Berg  Alvernia  zurück,  der  unfern  Bibbiena  mit  seinem  be- 
waldeten Gipfel  sich  über  die  umliegenden  Höhen  erhebt  und  eine 
weite  Aussicht  über  fruchtbare  Thäler  gewährt.  Wie  alle  Orte,  die 
Franz  geliebt,  zeichnet  sich  auch  Alvernia  durch  einsame,  großartige 
Naturschönheit  aus.  Steil  fällt  in  zerklüfteten  Felsen  die  höchste 
Spitze  des  Berges  nach  den  niedrigeren  Hügeln ,  die  sich  zu  ihm 
hinziehen,  ab.  Droben  aber  prangen  im  frischesten,  hellsten  Grün 
mächtige  Buchen,  vermischt  mit  dunklem  Nadelholz.  Man  könnte 
sich  in  den  fernen  deutschen  Norden  versetzt  fühlen,  schweifte  nicht 
rings  der  Blick  über  die  kahlen  Bergzüge  des  Apennin  und  bliebe  er 
nicht  drunten  in  den  Thälern  an  den  trotzig  gehäuften  Steinmassen 
italienischer  Städte  haften.  Es  ist  ein  Platz,  wie  geschaffen  zur 
inneren  Erhebung  und  Befreiung,  mag  man  von  schroffen  Felsvor- 
sprüngen hinabschauen  in  die  nahen  und  doch  so  fernen  Tiefen, 
aus  denen  eine  üppige  grüne  Kultur  heraufleuchtet,  oder  unter  den 
Bäumen  ausgestreckt  durch  die  schwanken  Zweige  hindurch  in  die 
unermeßliche  Bläue  dringen,  in  welche  seit  jeher  die  Sehnsucht 
der  Menschheit  hinaufgestrebt  hat.  Und  die  Vögel  singen  da  oben, 
als  hätten  sie  alle  sich  aus  dem  ganzen  Lande  dahin  gezogen! 

Dort  sah  Franziskus  in  göttlicher  Vision  einen  Mann  wie  einen 
Seraphim  in  der  Luft  über  sich  stehen,  mit  ausgestreckten  Händen 
und  geschlossenen  Füßen  an  ein  Kreuz  geheftet.  Zwei  Flügel  er- 
hoben sich  über  dem  Haupte,  zwei  waren  zum  Fliegen  ausgestreckt, 
zwei  endlich  verhüllten  den  ganzen  Körper.  Von  Schreck  und 
Freude  erfaßt,  sann  er  dem  Bilde  nach,  was  es  bedeute  —  da  be- 
gannen an  seinen  Händen  und  Füßen  die  Nägelmale  zu  erscheinen 
und  eine  Wunde  an  der  Seite.  Die  Zeichen  waren  wirklichen 
Nägeln,  gewölbt  an  der  einen,  spitz  an  der  anderen  Seite,  zu  ver- 
gleichen. ^) 

Was  uns  hier  und  bei  den  tres  socii  noch  ziemlich  einfach 
berichtet  wird,  ward,  wie  es  nur  natürlich  erscheint,  zunächst  von 


^)  Dies  steht  wie  eine  Prophezeiung  in  der  I.  Leg.,  ohne  direkte  Verbindung 
mit  der  Stigmatisation  selbst.  Bonaventura  bringt  beide  Ereignisse  in  unmittelbaren 
Zusammenhang,  in  Anlehnung  an  die  I.  Leg. 

2)  Nach  L  Leg.  II,   i.  S.   708  f.  —  T.  s.  V  S.  741. 


Die  letzten  Lebensjahre  des  Franz  und  sein  Ende.  43 

Bonaventura,  dann  von  der  späteren  Legende  immer  reicher  aus- 
geschmückt. Der  erstere  hält  sich  im  Wortlaut  abwechselnd  an 
Thomas  und  an  die  drei  Genossen,  fügt  seinerseits  aber  hinzu,  daß 
das  Ereigniß  am  Feste  des  h.  Michael  stattgefunden  habe,  daß 
sich  mit  Franz  ein  Genosse  auf  dem  Berge  aufhielt,  und  daß 
Franz  auf  den  Rath  des  Illuminatus  sich  entschlossen,  die  Begeben- 
heit den  Seinen  zu  erzählen,  womit  die  spätere  allgemeine  Kenntniß, 
für  welche  die  früheren  Biographen  keinen  Aufschluß  geben, 
erklärt  werden  sollte.  Eine  Anzahl  Wunder  halfen  den  Glorien- 
schein vergrößern.  Die  Fioretti  wissen  dann  bereits  sehr  viel 
mehr.  Sie  scheinen  die  Vision  eines  Bruder  Philippus ,  Ministers 
von  Toscana,  zu  kennen,  die  in  einem  Manuskripte  von  1282  in 
Assisi  geschildert  wird. ')  Einzelnes  dürfte  historisch  glaubwürdig 
sein,  so :  daß  Orlando,  der  Graf  von  Chiusi,  Franz  den  Berg  Alvernia 
zum  Aufenthalt  angewiesen,  daß  Letzterer  sich  in  Begleitung  seiner 
Jünger  Masseo,  Leone  und  Agnolo  dahin  begeben.  Auf  dem  Wege 
erfrischt  er  einen  durstigen ,  ihn  geleitenden  Bauern  durch  den 
Trunk  aus  einer  Quelle,  die  er  gleich  Moses  aus  dem  Felsen  ruft. 
Nach  mancherlei  Visionen  und  Anfechtungen  erfolgt  die  Stigmati- 
sation ,  wobei  der  ganze  Berg  in  Flammen  zu  stehen  scheint ,  so 
daß  im  Thale  rastende  Kaufleute  sich  aus  dem  Schlummer  zur 
Weiterreise  erheben,  da  sie  glauben,  die  Sonne  sei  aufgegangen. 
Die  Fioretti  haben  nun  auch  erfahren,  was  das  von  Bonaventura 
angedeutete  Geheimniß  war,  das  der  Seraphim  Franz  mitgetheilt: 
es  ist  das  Versprechen,  daß  Diesem  vergönnt  sei,  jährlich  an  seinem 
Todestage  die  Seelen  der  Brüder  aus  dem  Fegefeuer  zu  befreien. 
Wir  brauchen  die  Legende  nicht  weiter  zu  verfolgen.  Auch 
wäre  es  zwecklos,  deren  poetische  Erzählung  auf  dem  Wege 
nüchterner  Kritik  zu  widerlegen.  Das  ist  bereits  von  Hase  in  der 
ausführlichsten  Weise  geschehen  und  hieße  nur  dessen  Ausführungen 
wiederholen.^)     Wem  der  Wunderglaube  einmal  Bedürfniß  ist,  der 

^)  Publ.  von  Suysken  in  den  Analecta  §  XI,  S.  860.  Auch  stimmen  sie  in 
manchen  Punkten  mit  dem  unten  zu  erwähnenden  Addio  di  S.  Francesco  des  Frate 
Masseo  überein. 

^)  Ganz  kurz  sei  auf  das  Wesentliche  dabei  hingewiesen.  (Hase  a.  a.  O.  S.  143.) 
Eigentliche  Zeugen ,  die  aussagten :  wir  haben  die  Wundmale  gesehen ,  giebt  es  außer 
Elias  (Schreiben  an  die  fernen  Brüder  bei  Wadd.  II,  p.  149)  nicht.  Auch  die  Päpste 
Gregor  IX  und  Alexander  IV  in  ihren  Breven  gegen  die  in  Mähren  und  in  Castilien 
sich  erhebende  Opposition  wider  den  Stigmataglauben  (Wadd.  II,  1237  S.  429.  — 
IV,    1259    S.    102)    treten    als    solche    nicht    auf,    obgleich    es    hier    so    geboten    schien. 


44 


Franz  von  Assisi. 


läßt  sich  von  reinen  Vernunftgründen  doch  nicht  überzeugen ,  und 
schHeßlich  versteht  der  Eine  nur  unter  dem  Bilde  dasselbe,  was 
der  Andere  glaubt:  daß  nämlich  die  Tage  auf  dem  Berge  Alvernia 
thatsächlich  den  Höhepunkt  in  dem  geistigen  Leben  des  Franziskus 
bezeichnen.  In  ekstatischem  Gebete ,  in  fieberischer  Verzückung 
muß  ihm  die  Gemeinschaft  mit  Christus  im  Leben  und  Leiden  zur 
vollen  Wirklichkeit  geworden  sein,  in  ,, seraphischen  Gluthen"  seine 
Seele  sich  zu  einer  Gottanschauung  und  Vergöttlichung  erhoben 
haben,  die  man  wohl  ferne  ahnen,  aber  nicht  schildern  kann. 

Zur  Erde  zurückgekehrt  zog  er  dann  zu  erneuten  Leiden  ins 
Thal  und  zu  den  Menschen  hinab,  nachdem  er  in  ergreifender 
Weise  von  seinen  auf  dem  Berge  bleibenden  Genossen  Abschied 
genommen.  In  einer  erst  kürzlich  zum  Vorschein  gekommenen 
Gedenkschrift  des  Masseo  mag  uns  eine  Erinnerung  an  seine 
Scheidensworte  erhalten  sein ,  die  wohl  zu  dem  Bilde  passen ,  das 
uns  die  alten  Legenden  von  dem  Manne  geben.  Nachdem  er  den 
Seinen  den  geweihten  Berg  zu  dauerndem  Aufenthalte  und  Ver- 
ehrung empfohlen,  besteigt  er  den  Esel,  den  ihm  der  Graf  von 
Chiusi  geschickt,  da  seine  Körperkräfte  nicht  zum  Gehen  auslangten, 
und  verläßt  unter  Thränen  die  Freunde  und  den  stillen  geweihten 
Ort,  an  dem  ihm  Gott  solche  Gnade  erwiesen. 

,, Verharret  in  Frieden,  theuerste  Söhne,  Gott  segne  euch, 
theuerste  Söhne,  behüte  euch  Gott!  Ich  trenne  mich  von  euch 
mit  dem  Körper,  aber  ich  lasse  euch  mein  Herz.  Ich  gehe  von 
hinnen  mit  meinem  Bruder,  dem  Lamm  Gottes,  und  gehe  von  hinnen 
nach  S.  Maria  degli  Angeli  und  hierher  werde  ich  nicht  mehr 
zurückkehren.     Ich  scheide,    behüte   euch  Alle  Gott,    behüte    euch 


Elias  weiß  ebensowenig  wie  Matthäus  Paris  (S.  341)  von  der  Erscheinung  des  Seraph, 
vielmehr  sagen  Beide,  die  Wundenmale  seien  kurz  (15  Tage)  vor  dem  Tode  erschienen, 
Letzterer  auch,  sie  seien  nach  demselben  wieder  verschwunden.  Daß  Franz  sie  sich 
selbst  beigebracht,  ist  nicht  zu  denken,  viel  eher,  daß  Elias  es  gethan.  Dann  erklärt 
sich  leicht  die  überhastete  Bestattung,  die  schon  am  Morgen  der  Nacht  erfolgt,  in  der 
Franz  gestorben,  die  fieberhafte  Eile,  mit  der  Elias  bei  der  Uebertragung  den  Leichnam 
der  aufgeregten  Menge  entführt  (1230).  Auf  das  Zeugniß  und  die  Wirksamkeit  des 
Elias  geht  schließlich  Alles  zurück!  —  Anzumerken  wäre  dann  nur  noch,  daß  Bona- 
ventura in  seinem  Itinerarium  mentis  in  Deum  (opera  Peltier.  Paris  1868.  Bd.  XII, 
S.  21)  angiebt,  er  habe  von  der  Erscheinung  durch  den  Genossen  des  Franz  erfahren, 
der  damals  mit  ihm  war.  Das  dürfte  Illuminatus  sein,  dem  offenbar  Bonaventura  das 
Meiste  von  dem  Neuen,  was  er  in  seiner  vita  bringt,  verdankt.  Im  Addio  (vgl.  unten) 
ist  Illuminatus  mit  Franz  in  Alvernia. 


Die  letzten  Lebensjahre  des  Franz  und  sein  Ende.  45 

Gott!  Behüte  dich  Gott,  Berg,  behüte  dich  Gott,  behüte  dich 
Gott,  Berg  Alverna,  behüte  dich  Gott,  Berg  der  Engel,  behüte 
dich  Gott,  Theuerster,  behüte  dich  Gott !  Theuerster  Bruder  Falke, 
ich  danke  dir  für  die  Liebe,  die  du  mir  erzeigt,  behüte  dich 
Gott!  Behüte  dich  Gott,  ragender  Fels,  nimmer  mehr  werde  ich 
hierher  kommen ,  dich  zu  besuchen.  Behüte  dich  Gott ,  Fels ,  be- 
hüte dich  Gott,  behüte  dich  Gott,  behüte  dich  Gott,  Fels,  denn 
in  deine  Tiefen  hast  du  mich  aufgenommen,  daß  der  Dämon  ver- 
spottet draußen  blieb ;  nimmer  wieder  werden  wir  uns  sehen.  Be- 
hüte Dich  Gott ,  S.  Maria  degli  Angioli ,  ich  empfehle  Dir  diese 
meine  Söhne,  Mutter  des  ewigen  Wortes." 

Dann  schied  er  und  verfolgte  den  Weg  nach  dem  Monte  Acuto 
über  den  Monte  Arcoppe  und  Foresto.  Auf  der  Höhe  daselbst 
noch  blieb  er  stehen,  stieg  vom  Esel  ab,  kniete  nieder,  das  Gesicht 
nach  Alvernia  gewandt,  that  ein  heißes  Gebet  und  rief  das  letzte 
Lebewohl : 

,, Behüte  dich  Gott,  Berg  Gottes,  heiliger  Berg,  mons  coagulatus, 
mons  in  quo  bene  placitum  est  Deo  habitare.  Behüte  dich  Gott, 
Berg  Alverna !  Gott  Vater,  Gott  Sohn,  Gott  h.  Geist  segne  dich, 
bleibe  in  Frieden,  denn  nimmer  sehen  wir  uns  wieder."  ^) 

Wie  abwesend  im  Geiste  zieht  er  durch  das  Thal  und  bemerkt 
es  nicht ,  wie  er  durch  Borgo  San  Sepolcro ,  dessen  Bevölkerung 
ihn  zu  sehen  und  berühren  herbeieilt,  gelangt  ist.  ^)     Bei  den  Aus- 


^)  Publ.  in  Amonis  Ausgabe  der  II.  vita  des  Thomas,  S.  314.  Es  ist  weder 
angegeben ,  woher  diese  Schrift  stammt ,  noch  wodurch  sie  beglaubigt  ist.  Doch  trägt 
sie   bis   zu   einem   gewissen   Grade    die  Glaubwürdigkeit   in   sich   selbst.     Sie   begiimt: 

Gesü,    Maria;    Speranza   mia.     Fr.  Masseo   peccatore pace   e   salute   a   tutti  li 

fratelli.  Schluss :  lo  Fra  Masseo  ho  scritto  tutto.  Dio  ci  benedica.  Dieser  Masseus 
ist  wohl  derselbe,  auf  dessen  Zeugniß  indirekt  der  Portiuncula- Ablaß  zurückgeht,  ver- 
muthlich  der  um  1280  gestorbene  (vgl.  Suysken  Comment.  S.  88 1).  Die  Schrift  hat 
offenbar  den  bestimmten  Zweck,  das  Kloster  Alvernia  besonders  zu  empfehlen,  gemäß 
dem  Wunsche  des  Franz.  Davon  abgesehen,  mögen  jene  Worte  des  Abschieds,  aus 
der  Erinnerung  niedergeschrieben,  doch  ein  Bild  von  der  eigenthümlichen  Redeweise  des 
Franz  geben.  Sie  erinnern  lebhaft  an  die  Fioretti,  die  Diesen  auch  stets  in  ähnlichen, 
meist  dreifachen  Wiederholungen  sprechen  lassen.  Liegt  dem  nicht  eine  glaubwürdige 
Volkstradition,  die  auch  aus  manchen  anderen  Einzelheiten  der  Fioretti  sehr  frisch 
und  lebendig  spricht,  zu  Grunde?  Solch'  merkwürdige  Ausdrucksweise  gerade  mußte 
im  Gedenken  des  Volkes  fortleben. 

-)  Th.  II  Leg.  III,  41.  S.  148.  Danach  bei  B.  Die  Fioretti  verlegen  mit  Recht, 
wie  es  scheint,  diesen  Vorfall,  wie  die  Heilung  eines  achtjährigen  Knaben  in  Cittä  di 
Castello,  in  diese  Zeit  seiner  Heimkehr. 


Aß  Franz  von  Assisi. 


sätzigen  kehrt  er  ein,  denn  von  Neuem  strebt  er  in  stärker  er- 
wachtem Mitgefühl,  die  Menschen  seine  Liebe  empfinden  zu  lassen ; 
wie  in  den  Jugendjahren  zog  es  ihn  wieder  zu  den  Aussätzigen, 
zu  den  Armen  —  aber  der  kranke  Körper  versagte  ihm  seine 
Dienste,  die  Kräfte  waren  gebrochen.  Mit  wunderbarer  Geduld 
und  Freudigkeit  ertrug  er  die  Schmerzen  und  wollte  lange  von 
der  Strenge  des  Lebens  nicht  weichen.  Zweifelnd  wandte  er  sich 
endlich  an  einen  Genossen  mit  der  Frage ,  ob  es  wohl  kein  Un- 
recht wäre,  dem  Körper  Sorge  angedeihen  zu  lassen.  Der  traf  das 
Richtige :  ,, Kannst  du  deinem  Körper,  o  Vater,  das  Zeugniß  geben, 
daß  er  sich  immer  gehorsam  erwiesen  im  Dienste  des  Herrn.?" 
Freudig  bejahte  der  Kranke  es.  Da  fuhr  der  Bruder  fort:  ,,Wo 
bleibt  dann,  Vater,  deine  Freigebigkeit,  wo  dein  frommer  Dank? 
Ist  es  nicht  recht,  daß  du  solchem  Freunde,  der  sich  so  oft  für 
dich  dem  Tode  ausgesetzt,  in  so  großer  Noth  hilfst.'"'  Von  Stunde 
an  unterwarf  sich  Franz  der  ärztlichen  Behandlung  und  den  An- 
ordnungen der  Freunde :  ,, Freue  dich,  Bruder  Körper,  und  schone 
meiner,  denn  sieh,  schon  handle  ich  freudig  nach  deinem  Wunsche, 
freudig  eile  ich,  dir  in  deinen  Schmerzen  zu  Hülfe  zu  kommen."^) 
Aber  selbst  ärztHcher  Beistand  vermochte  Nichts  mehr.  Vergeblich 
unterzog  er  sich  in  Rieti  schmerzhaften  Operationen,  vergeblich 
suchte  er  in  Siena  Heilung.  Sein  Körper  magerte  ab ,  der  Magen 
war  durch  das  lange  Kranksein  geschwächt,  die  Leber  verdorben. 
Oft  spie  er  Blut.  Vier  Brüder  sorgten  mit  Aufopferung  und  Liebe 
für  ihn,  endlich  hielt  es  Elias  für  gerathen,  ihn  in  die  Heimath  zu 
bringen.  Das  geschah  im  Frühjahr  1226.  Anfangs  verlebte  er 
einige  Zeit  in  der  Nähe  von  Cortona ,  dann ,  als  die  Beine  und 
Füße  anzuschwellen  begannen  und  der  Magen  kaum  mehr  Speise 
aufzunehmen  vermochte ,  bat  er  den  Freund ,  ihn  nach  Assisi  zu 
bringen.  Wie  im  Triumphe  geleitete  jubelnd  das  Volk  den  kranken, 
geliebten  Mann  in  die  Stadt.  Entsetzliches  muß  er  damals  aus- 
gestanden haben,  da  er,  der  muthige  Gotteskämpfer,  einem  Bruder 
verrieth,  jedwedes  Martyrium  würde  ihm  leichter  sein,  als  noch 
drei  Tage  solche  Schmerzen  zu  ertragen.  Sein  letztes  Wort  aber 
blieb  immer :  Gottes  Wille  geschehe ! 

Als  er  endlich  die  Todesstunde  herannahen  fühlte,  ließ  er  sich 
nackt  auf  den  Boden  legen,  um  nackend  und  arm  aus  dem  Leben 


1)  Th.  n  Leg.  III,  137.  S.  296. 


Die  letzten  Lebensjahre  des  Franz  und  sein  Ende.  47 

zu  gehen.  Als  aber  der  Guardian  ihm  im  Namen  des  h.  Gehorsams 
befahl,  mit  einer  fremden  Kutte  sich  bekleiden  zu  lassen,  gehorchte 
er  und  brach  in  jubelnde  Worte  aus,  da  er  erkannte,  wie  er  seiner 
Herrin  Armuth  bis  zuletzt  die  Treue  bewahrt.  ^)  Dann  segnete  er, 
des  Augenlichtes  beraubt  mit  den  Händen  tastend,  das  Haupt  des 
Elias  und  alle  die  Brüder,  die  weinend  und  schluchzend  ihn  um- 
standen :  „Lebt  wohl ,  alle  ihr  Brüder,  in  der  Furcht  des  Herrn 
und  bleibet  immer  in  Christo,  denn  eine  große  Prüfung  wird  über 
euch  kommen  und  die  Heimsuchung  naht.  Glücklich  Die,  welche 
in  dem,  was  sie  begonnen,  verharren  werden,  künftiges  Aergerniß 
wird  Manche  von  ihnen  trennen !  Ich  aber  eile  zum  Herrn ,  zu 
meinem  Herrn,  dem  ich  fromm  im  Geist  gedient,  habe  ich  Vertrauen 
zu  gehen."  Aus  dem  bischöflichen  Palaste  ließ  er  sich  nach 
der  Portiuncula  bringen  und  verbrachte  die  letzten  Tage  in  Lob- 
gesängen. Die  Geschöpfe  alle ,  selbst  den  Tod ,  forderte  er  Gott 
zu  preisen  auf  und  ermahnte  sie  in  Worten,  die  er  selbst  einst 
gedichtet,  zur  göttlichen  Liebe.  „Willkommen  sei  mein  Bruder 
Tod !"  Dann  brach  er  in  die  Worte  des  siebenundsiebzigsten 
Psalmes  aus:  ,,Ich  schreie  mit  meiner  Stimme  zu  Gott,  zu  Gott 
schreie  ich  und  Er  erhöret  mich."  Als  er  noch  die  Brüder  ge- 
tröstet und  ihnen  die  Armuth  zum  letzten  Male  empfohlen,  bat  er, 
ihm  das  Leiden  des  Herrn  nach  dem  Evangelium  Johannes  zu 
lesen  und  ließ  sich  mit  Asche  bestreuen,  da  bald  ja  sein  Körper 
Staub  und  Asche  sein  werde.  Dann  kam  die  letzte  Stunde,  in  der 
,,die  reine  Seele  vom  Fleische  sich  löste  und  in  den  Abgrund 
himmlischer  Klarheit  einging,  der  Körper  aber  im  Herrn  entschlief".^) 
An  den  Abendstunden  des  4.  October  1226  war  Franziskus 
gestorben,  die  Nacht  verging  den  Brüdern  und  allem  Volke  in  Lob- 
gesängen —  ,,es  war  als  hielten  die  Engel  Wache".  Früh  am 
andern  Morgen  ward  der  Leichnam  an  dem  Kloster  der  Chiara, 
die  mit  ihren  Schwestern  den  letzten  Abschied  vom  geliebten  Vater 
nahmen,  vorbei  nach  der  Stadt  gebracht  und  in  S.  Giorgio  bestattet. 
Die  Wunder,  die  an  seinem  Grabe  geschahen,  das  allgemeine  Ver- 
langen der  Gläubigen  veranlaßten  zwei  Jahre  später  Gregor  IX.,  den 
Mann  des  Volkes  heilig  zu  sprechen.    Der  Papst  selbst  mit  großem 


')  Th.  II  Leg.  in,   139.  S.   304.  —  B.  XIV,  S.   780. 

^)  Vergl.  für  alles  Vorhergehende  die  I.  Legende,  für  Einzelnes  auch  die  11.  Leg.  III, 
cap.   139,  S.   302  ff. 


48  Franz  von  Assisi. 


Gefolge  vollzog  am  16.  Juli  1228  die  Kanonisation.  ^)  In  demselben 
Jahre  ward  der  Grundstein  zur  Kirche  des  Heiligen  gelegt,  die  1230 
so  weit  gediehen  war,  daß  in  festlichem  Gepränge  der  Leichnam 
in  sie  überführt  werden  konnte.  Dabei  kam  es  zu  Unruhen,  man 
wollte  offenbar  noch  einmal  den  geliebten  Todten  sehen.  Im 
Tumulte  brachte  Elias  mit  seinen  Brüdern  den  Sarg  in  die  Kirche 
und  ließ  die  Thüren  schließen.^)  Seit  jenem  Augenblicke  hat  man 
bis  auf  den  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts  nicht  gewußt,  wo  Franz 
bestattet  sei.  Die  Sage  ging,  er  stehe  unten  in  einer  in  den  Fels 
gehauenen  Unterkirche,  aufrecht  und  wie  lebendig,  die  Hände  im 
Gebete  zum  Himmel  erhoben.  Als  man  im  Jahre  1818  Nach- 
forschungen anstellte,  fand  man  die  Gebeine  im  nackten  Felsen 
beigesetzt,  wie  er  es  selbst  nach  Dante's  herrlichen  Versen  gewollt. 

Als  Der,  der  ihn  berufen,  aus  der  Pein 
Zur  Wonn'  ihn  rief,  den  Lohn  hier  zu  erwerben, 
Daß  er  sein  Knecht  war  niedrig,  arm  und  klein, 
Empfahl  er  noch,  als  seinen  rechten  Erben, 
Den  Brüdern  seine  Frau,  ihm  lieb  und  werth, 
Zu  treuer  Lieb  im  Leben  und  im  Sterben. 
Eh'  ihrem  Schooß,  die  Seele  schon  verklärt. 
Entfloh,  heimkehrend  zu  des  Vaters  Reiche, 
Ward  nur  die  Erd'  als  Sarg  von  ihm  begehrt.'') 


V.  Zur  Charakteristik  des  Franz. 

Dort  sah  man  einer  Sonne  Glanz  entbrennen. 
Gleich  der  am  Ganges  klar  im  heil'gen  Licht. 
Nicht  möge  man  den  Ort  Ascesi  nennen, 
Denn  wenig  sagt,  wer  also  ihn  benennt. 
Nein,  was  er  war,  giebt  Orient  zu  erkennen. 

Dem  aus  dem  Ganges  aufsteigenden  Tagesgestirn  hat  Dante, 
der  poetischen  Anschauung  älterer  Zeiten  vom  Sonnenaufgang  ge- 
denkend, den  Franziskus  verglichen.  Ein  heutiger  Dichter  dürfte 
mit  Recht  "dasselbe  Bild  mit  denselben  Versen  anwenden  und  doch 
einen  ganz  anderen  Sinn  hineinlegen.  In  unsern  Tagen,  in  denen 
sich   mit   so    besonderem  Eifer   das  Interesse   der  alten  Kultur  und 


^)  Vergl.  für  die  kleinen  und  ausführlichen  Details  Th.  I  Legende,    die  T.  s. 
B.  cap.  XV. 

2)  Vergl.  Bulle  Gregors  16.  Juni  1230  bei  Wadd.  II,  p.  234. 

3)  Uebers.  Streckfuß.     Braunschweig   1858.     Paradies  XI,    109 — 117. 


Zur  Charakteristik  des  Franz. 


49 


Religion  der  Inder  zuwendet ,  drängt  ein  Vergleich  des  Gründers 
der  buddhistischen  Religion  mit  dem  Stifter  des  Minoritenordens 
sich  unwillkürlich  auf.  Buddha  und  Franz !  Beide  haben  sich  im 
Gegensatze  zu  einem  im  Formelwesen  und  Kastengeist  erstarrten 
Kultus  erhoben,  Beide  sind  aus  der  Sinnlichkeit  eines  üppigen 
Genußlebens  durch  erschütternde  Todesahnungen  emporgerissen 
worden ,  Beiden  ist  die  vollkommene  Armuth  als  das  Mittel  zur 
Befreiung  von  allem  Irdischen  erschienen.  Beide  haben  eine  Ver- 
tiefung geistiger  Betrachtung  erreicht,  die  bis  zur  absoluten  Herr- 
schaft über  den  Körper,  ja  bis  zu  dessen  Verneinung  und  Ab- 
tödtung  geführt  hat.  An  Beide  hat  sich  eine  Gemeinde  heimath- 
loser,  wandernder  Bettelmönche  geschlossen,  die  ihre  Lehren  durch 
die  Länder   trug   und    binnen  kurzem   die  Welt  zu  erfüllen  schien. 

Und  dennoch  welch'  weitgreifender  Unterschied!  Der  Eine 
nach  Allem,  was  man  vermuthen  darf,  ein  Denker,  der  im  eigenen 
Innern  die  ewigen  Gesetze  eines  in  sich  bestehenden ,  sich  selbst 
gestaltenden  Weltganzen  suchte  und  fand,  der  Andere  ein  Dichter, 
der  aus  sich  herausstrebend  dem  ewigen  Ideal  eines  Gottmenschen, 
Schöpfers  und  Erhalters  der  Welt,  zujubelte.  Für  Beide  ver- 
schwindet die  wirkliche  Welt,  aber  der  Eine  zieht  sich  von  ihr 
ganz  nur  auf  sich  zurück,  der  Andere  verläßt  sich  selbst  mit  ihr 
und  schwingt  sich  über  sie  empor.  Von  Buddha  unter  dem  Baume 
der  Erkenntniß  bleibt  schließlich  Nichts  als  das  Denken,  von  Franz 
auf  dem  Berge  Alvernia  Nichts  cils  das  Fühlen  übrig.  Die  Folge 
ist  gewesen ,  daß  die  geistigen  Errungenschaften  des  Buddha  nur 
der  Besitz  einer  privilegirten  Minderzahl  geworden  sind,  aber  auf 
Jahrtausende  hinaus  gewirkt  haben,  die  Anschauungen  des  Franz 
sogleich  ein  Gemeingut  des  Volkes  wurden,  aber  nach  wenigen 
Jahrhunderten  von  fortgeschritteneren  abgelöst  worden  sind.  Was 
Originalität  und  Bedeutung  des  Denkens  anbetrifft,  dürfte  sich  Franz 
schwerlich    mit   dem    indischen   Religionsstifter   vergleichen   lassen. 

Welch'  ein  eigenthümliches  Zusammentreffen,  daß  um  dieselbe 
Zeit,  als  die  Legende  des  Franz  ein  Volksbuch  wird,  auch  Buddhas 
sagenhafte  Lebensschilderung  in  der  Form  der  novellistischen  Er- 
zählung von  Josaphat  und  Barlaam  ein  lebhaftes  Interesse  im 
Westen  findet !  ^) 


^)  Vergl.  den    Nachweis,    daß   Josafat    Buddha    bei    Liebrecht:    Jahrbuch    f.  rom. 
und  engl.  Literatur  II,   314.  —  Uebersetzung  von  Liebrecht.     Münster  1847. 
Thode,  Franz  von  Assisi.  4 


50 


Franz  von  Assisi. 


Franziskus  ist  durchaus  Gemüthsmensch.  Alle  seine  Gefühle 
konnten  so  ursprünglich,  so  stark  und  einheitlich  sich  nur  geltend 
machen ,  weil  sie  durch  keine  Zweifel  anregende  Verstandeskritik 
schon  im  Entstehen  gehindert  wurden.  Seine  Religion  war  Gefühl, 
die  Predigt,  in  der  er  sie  verkündete,  wirkte  durch  das  Gefühl, 
sein  Verhältniß  zu  den  Menschen  und  der  Natur  war  durch  das 
Gefühl  bedingt.  Sein  Leben  ist  ein  großer  Dithyrambus  auf  das 
Gefühl.  Darin  allein  liegt  die  Erklärung  für  seinen  gewaltigen 
Einfluß.  Mitten  hinein  in  den  Kampf  dogmatisch  idealer  und 
egoistisch  realer  Interessen  erscholl  der  Friedensruf  reiner  Mensch- 
lichkeit, und  Unzählige  hielten  verwundert  ob  dieser  Kunde  inne, 
ließen  die  Waffen  fallen  und  beugten  die  Knie  vor  dem  kühn  auf 
dem  Schlachtfelde  selbst  errichteten  Altar  der  neuen  Göttin. 

Eine  sorgfältige,  edle  Erziehung  muß  solchem  Gefühl  die  rechten 
Bahnen  und  Ziele  gewiesen  haben.  Man  glaubt  die  leitende  zarte 
Frauenhand  zu  spüren.  Dann  kam  der  Kampf  der  idealen  geistigen 
Richtung  mit  der  ungebändigten  Sinnlichkeit  einer  bis  zur  Exaltation 
lebendigen  Natur  —  ein  Kampf  auf  Leben  und  Tod,  der  dank 
der  Schwächung  des  Körpers  durch  Siechthum  mit  der  vollständigen 
Niederlage  der  Sinnlichkeit  endete.  Nicht  einmal  Bedingungen 
durfte  dieselbe  noch  wagen,  der  Sieger  diktirte  seine  Alleinherrschaft. 
Unvermerkt  hat  sich  der  unterliegende  Theil  doch  gerächt.  Die 
Sinnlichkeit  hat  sich  in  das  geistige  Wesen  des  Franz  gerettet  und 
seinen  Glaubensanschauungen  ihr  Gepräge  gegeben.  Die  Lebhaftig- 
keit der  Auffassung,  die  Empfänglichkeit  für  alle  äußeren  Eindrücke, 
die  starke  Einbildungskraft  machten  seine  Religion  zu  einer  über- 
sinnlich sinnlichen.  Indem  er  sich  selbst  zum  Himmel  aufschwingen 
wollte ,  zog  er  ihn  zu  sich  herab.  Sein  Gott ,  sein  Christus ,  seine 
Maria  haben  Fleisch  und  Blut,  er  glaubt  sie  schon  auf  dieser  Erde 
zu  berühren  und  liebend  zu  umfangen.  Sie  sind  ihm  immer  nahe, 
in  jeder  Blume,  in  jedem  Thiere,  in  jedem  Menschen  ahnt  er  ihre 
Gegenwart.  Man  könnte  glauben,  er  sei  selbst  Zeuge  von  Christi 
irdischem  Wandel,  dessen  Lehren  und  Leiden  gewesen,  so  lebhaft 
und  greifbar  wirklich  erschienen  ihm  die  Vorstellungen  seiner  Phan- 
tasie. Im  Ueberschwange  sinnlichen  Dranges  baut  er  zum  Weih- 
nachtsfest die  Krippe  auf  und  läßt  Ochs  und  Esel  herzuführen. 
Wenn  er  den  Namen  des  Knaben  von  Bethlehem  ausspricht, 
scheinen  ihm  die  Laute  im  Munde  süßen  Geschmackes  voll.  Kurz, 
sein  Glaube  selbst  ist  ihm  zum  Genuß  geworden! 


Zur  Charakteristik  des  Franz.  c  j 

Daß  er  die  Grenzen  des  Aesthetischen  in  seinen  Aeußerungen 
manchmal  überschritten,  ist  fast  anzunehmen.  Was  aber  versöhnt 
mit  dem  Uebermaß,  ist  die  durch  Nichts  zu  erschütternde  Ueber- 
zeugung  von  der  Aufrichtigkeit  seines  inneren  Lebens.  Niemand 
wird  ihm  vorwerfen  können,  mit  demselben  gespielt  zu  haben  — 
wäre  er  ein  Schauspieler  gewesen,  so  würde  er  nach  kurzer  Zeit 
der  Rache  eines  in  seinen  besten  Gefühlen  getäuschten  Volkes 
zum  Opfer  gefallen  sein.  Vielmehr  ist  er  in  seiner  religiösen  Ueber- 
zeugung  so  durchaus  wahr,  daß  er  sich  ihr  ohne  Zaudern  und  Be- 
denken aufgeopfert  haben  würde.  Sein  Leben  lang,  selbst  durch  die 
Prüfung  tiefer  Enttäuschungen  hindurch,  ist  er  ein  Kind  geblieben, 
aber  zugleich  als  Mann  in  feuriger,  thatkräftiger  Begeisterung  für 
seinen  kindlichen  Glauben  an  Gott  und  die  Menschheit  eingetreten. 

Zu  allen  Zeiten  haben  Männer  von  solch  übergroßer  Gewalt 
der  Seele  ihre  Befriedigung  nur  in  der  öffentlichen  Verkündigung 
einer  Religion ,  wessen  Geistes  dieselbe  auch  sei ,  gefunden.  So 
war  es  auch  fiir  Franz  das  Gebot  einer  inneren  Nothwendigkeit, 
daß  er  der  Prediger  der  Sittlichkeit  im  höchsten  Sinne  wurde. 
Die  von  den  Waldensern  überkommene  neue  christliche  Form  der 
Ethik  füllte  er  mit  dem  Inhalt  seines  reichen  Herzens  aus,  und 
die  Liebe  zu  Gott  und  den  Menschen,  wie  sie  in  voller  Reinheit 
nur  der  von  allen  irdischen  Sorgen  befreite  Nachfolger  der  besitz- 
losen Apostel  in  sich  erziehen  kann,  ward  die  Losung  seines  Lebens. 

Fortan  geht  sein  Gefühl  einzig  in  ihr  auf! 

Wie  seine  Liebe  sich  in  der  schrankenlosen  Hingebung  an  den 
Nächsten,  in  der  Sorge  für  dessen  geistiges  wie  leibliches  Wohl,  in 
warmem  Mitleid ,  in  demüthiger  Selbsterniedrigung  äußerte ,  lehrt 
jede  Seite  seiner  Lebensbeschreibungen.  Seine  Moral  trat  gerade 
darin  manchmal  in  schroffen  Widerspruch  zur  kirchlichen.  So  hielt 
er  es  von  seinem  freieren  Standpunkte  aus  nicht  für  unrecht,  einer 
armen  Frau,  in  Ermangelung  jeder  anderen  Gabe,  das  zu  seinen 
Lektionen  erforderliche  Neue  Testament  zu  schenken,  damit  sie 
durch  dessen  Verkauf  ihrer  Nothdurft  abhelfen  könne.  ^)  Oft  hat  er 
sich  selbst  des  ärmlichen  Gewandes  beraubt,  um  Aermere  damit 
zu  beglücken  —  selbst  wenn  der  leidende  Körper  der  warmen 
Hülle   so    dringend    bedurfte.-)     Den  Aussätzigen    brachte    er  nicht 


1)  Th.  II  Leg.  III,  35.     S.  138. 
')  Th.  II  Leg.  III,  Cap.   28—37. 


52 


Franz  von  Assisi. 


allein  Trost  in  liebreichen  Worten,  sondern  bethätigte  seine  brüder- 
liche Liebe  in  herzlichen  Bezeugungen  und  in  demüthig  eifriger 
Pflege.  In  Milde  ermahnte  er  die  Brüder,  die  sich  ein  Fehl  hatten 
zu  Schulden  kommen  lassen,  und  strafte  mit  Strenge  nur  Aeusse- 
rungen  des  Hasses  und  der  Missgunst  zwischen  ihnen.  Trieben  sie 
es  mit  den  Kasteiungen  zu  arg,  so  erbarmte  sich  sein  Herz  ihrer 
und  er  scheute  sich  dann  nicht,  durch  eigenes  Beispiel  ihnen  die 
schwere  Aufgabe  zu  erleichtern.  Wie  er  denn  einst  in  der  Nacht 
einen  vor  Hunger  fast  sterbenden  Bruder  den  Tisch  bereiten  läßt, 
selbst  zu  essen  beginnt  und  so  den  übertriebenen  Bedenken  des 
asketischen  Genossen  ein  Ende  macht.  Menschlich  und  schön  sind 
die  Worte ,  die  er  hinzufügt :  ,,Die  Liebe ,  nicht  die  Speise ,  diene 
euch  zum  Beispiel,  denn  diese  gehorcht  nur  der  Lüsternheit,  jene 
dem  Geiste."^)  Die  Nachsicht,  die  er  für  Andere,  die  Strenge,  die 
er  gegen  sich  selbst  hatte,  zeugt  von  wahrhaft  erhabener  christ- 
licher Gesinnung,  die  sich  nicht  an  den  todten  Buchstaben  hielt, 
sondern  an  den  lebendig  machenden  Geist. 

Seine  Lebhaftigkeit  riß  ihn  da  manchmal  zu  Dingen  hin,  die 
sehr  befremdend  erscheinen  können,  aber,  wie  man  keinen  Augen- 
blick vergessen  darf,  die  nothwendige  Folge  seiner  überlebendigen 
Einbildungskraft  sind.  So  ließ  er  sich  einmal,  als  er  in  einer  Krank- 
heit dem  armen,  leidenden  Körper  die  Wohlthat  kräftiger  Nahrung 
hatte  zu  Theil  werden  lassen,  nackt  an  einem  Stricke  durch  die 
Straßen  ziehen  und  auf  den  Armensünderstein  erheben ,  damit  er 
sich  so  den  Leuten  zum  Spotte  und  Hohn  für  seine  fleischliche 
Gesinnung  bloßstelle.^)  Aus  Demuth  ordnete  er  sich  selbst  einem 
Guardian  unter  und  nannte  er  seine  Jünger  die  Minderbrüder,  sich 
selbst  den  kleinsten  unter  ihnen. ^)  Er  wollte  nicht,  daß  seine 
Söhne  kirchliche  Würden  annähmen,  wie  er  selbst  auch  nur  die 
Weihe  eines  Diakons  empfangen  hat.  Ein  Gott  wohlgefälliger 
Lebenswandel  aber,  meinte  er,  werde  mit  drei  Dingen  ausgefüllt: 
mit  frommem  Denken,  frommem  Sprechen  und  fleißigem  Arbeiten. 
Daher  verwendete  er  die  Stunden,  die  nicht  dem  Gebet  oder  der 
Predigt  gewidmet  waren,  zur  Handarbeit,  deren  Ertrag  den  Armen 
zu  Gute   kam.     ,,Wenn   wir   arbeiten,    fallen  wir  Andern  nicht  zur 


1)  Th.  II  Leg.  I,   15.     S.  38.     Darnach  bei  B.  V,  S.   755. 

2)  Th.  I  Leg.  VII,  S.  698.  —  B.  VI.  S.  757. 

3)  Th.  II  Leg.  III,  79.  S.  204. 


Zur  Charakteristik  des  Franz.  53 

Last  und  halten  das  Herz  und  die  Zunge  davon  ab,  herum- 
zuschweifen."^)  Sein  Leben  lang  ist  er  nicht  einen  Augenblick 
müßig  gewesen,  und  so  hat  er  auch  nie  den  Frohsinn  verloren, 
der  ihn  schon  in  der  Jugend  allen  Menschen  lieb  machte.  Eine 
reine  Heiterkeit  schien  ihm  nicht  allein  Bedürfniß,  sondern  zugleich 
eine  gute  Wehr  gegen  die  Anfechtungen  des  Teufels.-) 

So  demüthig,  klein  und  arm,  wie  er  sich  den  Menschen  gegen- 
über zeigte,  beugte  er  sich  auch  vor  Gott.  Mit  ganzer  Seele  und 
allen  Kräften  bot  er  sich  täglich  in  heißem,  innigem  Gebete  seinem 
Schöpfer  dar.  Seine  Seele  dürstete  nach  dem  Herrn  und  die 
Sprache  war  zu  arm,  seine  Liebe  zu  des  Menschen  Sohn  aus- 
zudrücken. Am  liebsten  zog  er  sich  in  einsame  Kirchen  oder 
Wälder  zurück,  den  Gefühlen  freien  Raum  zu  lassen.  Kam  aber 
die  Inbrunst  des  Gebetes  in  der  Oeffentlichkeit  über  ihn,  so  hielt 
er  den  Mantel  vor  sich  oder  bedeckte  mit  dem  Aermel  das  Antlitz, 
in  tiefes  Schweigen  versunken.  Wußte  er  sich  ganz  allein,  so 
erfüllte  er  den  Hain  mit  Seufzen,  vergoß  Thränen  und  schlug  sich 
die  Brust.  Da  hielt  er  scheinbar  Zwiegespräche  mit  dem  Freunde 
und  Verlobten  seiner  Seele.  „Welche  Süßigkeit  da  über  ihn  kam.? 
Niemand  weiß  es.  Dann  schien  er  nicht  ein  Betender  mehr,  sondern 
selber  ganz  Gebet  zu  sein."  Kehrte  er  wieder  zu  den  Genossen 
zurück,  so  achtete  er  sorgfältig  darauf,  daß  Keiner  ihm  anmerke, 
welcher  Gnade  er  theilhaftig  geworden.  Denn,  sagte  er:  „Wenn 
ein  Knecht  Gottes  im  Gebet  irgend  welche  Tröstung  vom  Herrn 
erhält,  so  soll  er,  ehe  er  zu  beten  aufhört,  die  Augen  zum  Himmel 
erheben  und  mit  gefalteten  Händen  zu  Gott  sprechen :  Solchen 
Trost  und  solche  Süßigkeit  hast  Du  Herr  mir  dem  Sünder  und 
Unwürdigen  vom  Himmel  gesandt,  und  ich  erstatte  sie  Dir  zurück, 
daß  Du  sie  mir  aufhebst,  denn  ich  bin  ein  Dieb  an  Deinem  Schatze." 
Wer  ihn  im  Gebete  antrifft,  wie  einst  ein  Bischof,  mochte  wohl 
gleichsam  von  überirdischer  Gewalt  hinweggetrieben  werden,  den 
frommen  Mann  nicht  zu  stören.-^) 

Was  Wunder,    wenn  man  glaubte,  solches  Fürbitten  bei  Gott 


1)  Th.  n  Leg.  III,  95  f.    S.  228  f. 

*)  Th.  II  Leg.  III,  Cap.  65  ff.  S.  186  f.  Das  Sauersehen  war  ihm  zuwider.  Die 
tristitia,  gegen  die  er,  wie  viele  Schriftsteller  der  Zeit :  Bonaventura,  Dante  und  Andere 
sich  öfters  empört,  scheint  eine  Art  Weltschmerz  gewesen  zu  sein.  (Vergl.  auch  manche 
Lieder  des  Walther  von  der  Vogelweide.) 

3)  Für  das  Gebet:  Th.  II  Leg.  III,  Cap.  38—43.     B.  Cap.  X. 


54  Franz  von  Assisi. 


vermöge  selbst  in  den  gewöhnlichen  Gang  der  Dinge  einzugreifen! 
Die  Zeiten  Christi  schienen  wiedergekehrt  zu  sein,  denn  Wunder 
über  Wunder  geschahen,  wo  immer  der  heilige  Mann  mit  seinem 
Gebete  eintrat.  Als  Wunderthäter  vor  Allem  hat  ihn  die  katholische 
Kirche  verehrt,  und  die  alten  Legenden  sind  voll  von  derartigen 
Geschichten ,  die  ein  Jeder  nach  seinem  Gutdünken  glauben  oder 
sich  zu  deuten  versuchen  mag.  Auch  die  Gabe  der  Prophezeihung 
war  ihm  vom  Himmel  beschieden  worden.  Manches  voraus- 
sagende Wort  erklärt  sich  wohl  leicht  aus  seinem  feinen  Mitgefühl, 
mit  dem  er  sich  in  die  Seele  Anderer  versetzt,  wie  er  z.  B.  einst, 
ermüdet  auf  einem  Esel  reitend,  die  Gedanken  seines  Jüngers 
Leonardo  errieth,  der,  aus  vornehmer  Familie  entstammt,  ihn  doch 
zu  Fuße  begleiten  mußte  und  sich  im  Innern  über  solch  ungerechte 
Vertheilung  der  Loose  empörte.  Anderes,  in  der  Verzückung  ge- 
sprochen, war  an  sich  Orakelwort  oder  wirkte  als  solches  I 

Die  Liebe  zu  Gott  aber  übertrug  sich  auf  dessen  Geschöpfe,  auf 
die  ganze  Natur.  Die  Thiere  gesamt,  groß  und  klein,  die  Pflanzen, 
die  Sterne,  Sonne  und  Mond  waren  seine  ,, Brüder  und  Schwestern". 
Mit  gleicher  Liebe  umfing  er  sie  alle.  Das  tiefe,  innige  Verständniß 
für  die  Natur  war  ihm  angeboren,  vertieft  ward  es  durch  seinen 
Glauben.  Es  ist  in  jenen  Zeiten  eine  Frühlingsstimmung  über  die 
Menschen  gekommen ,  die  Welt  fing  an  zu  blühen  und  von  dem 
Sänge  der  Vögel  wiederzuhallen !  Was  in  den  Liedern  der  Pro- 
vence sich  schüchtern  hervorwagte,  was  nördlich  der  Alpen  in 
Walthers  von  der  Vogelweide  Sängen  freier  in  der  frischen  Luft 
aufathmete,  tritt  in  keinem  Anderen  so  voll  und  mächtig  zu  Tage, 
als  in  Franz  von  Assisi  —  die  heitere  und  sinnige  Freude  an  der 
Natur,  die  liebevolle  Beobachtung  des  farbenprangenden  Daseins, 
die  selig  frohe  Lust  an  all  dem  Klingen  und  Singen  in  der  Natur. 
,,Die  Saaten  und  Weinberge,  Felsen  und  Wälder,  und  all  der 
Schmuck  der  Felder,  die  fließenden  Wasser  und  das  Grün  der 
Gärten,  die  Erde,  das  Feuer,  die  Luft  und  die  Winde  fordert  er 
in  aufrichtigster  Liebe  zur  Liebe  zu  Gott  auf  und  ermahnt  sie, 
fröhlich  den  Herrn  zu  preisen."^)  ,,Den  holzfällenden  Brüdern 
verbot  er  den  ganzen  Baum  zu  fällen,  daß  er  die  Hoffnung  habe 
wieder  zu  treiben;  dem  Gärtner  befiehlt  er,  nicht  die  dem  Garten 
angrenzenden  Theile   umzugraben,    damit   zu   ihrer   Zeit    das  Grün 


1)  Th.  I  Leg.  X,  S.  705  f. 


Zur  Charakteristik  des  Franz. 


55 


der  Kräuter  und  die  Anmuth  der  Blumen  von  der  Schönheit  des 
Vaters  Aller  künden  möchten :  ein  Gärtchen  im  Garten  läßt  er  ab- 
stecken für  duftende  und  blühende  Pflanzen,  damit  sie  dem  Be- 
schauenden die  ewige  Lieblichkeit  ins  Gedächtniß  riefen ;  er  sammelt 
die  Würmer  vom  Wege,  daß  sie  nicht  von  dem  Fuße  zertreten 
werden,  und  den  Bienen  läßt  er  in  der  Winterzeit  Honig  und 
süßen  Wein  auftischen,  daß  sie  nicht  Hungers  sterben."  Vor  Allem 
aber  liebte  er  die  geduldigen  Schafe  und  dachte  bei  ihrem  Anblick 
des  unschuldigen  Lammes  Gottes.  So  kauft  er  einmal  mit  seinem 
Mantel  zwei  Schafe,  die  zur  Schlachtbank  geführt  werden  sollten, 
vom  Tode  los  und  nimmt  er  das  eine  Lamm,  das  er  vereinsamt 
mitten  zwischen  Ziegen  weidend  auf  seinem  Wege  findet,  mit  sich 
heim.  ^)  Die  Thiere  aber  vergalten  seine  Liebe  dankbar  mit  ver- 
traulicher Anhänglichkeit,  sie  legten  die  Scheu  ab  und  gesellten 
sich  zu  ihm.  Die  Unschuld  des  Paradieses  schien  wiedergekehrt, 
wie  Görres  so  schön  sagt.  Die  Rothkehlchen  holen  von  seinem 
kärglich  besetzten  Tische  die  Brodkrumen-),  der  Fasan,  dem  er 
das  Leben  gerettet,  läßt  sich  nicht  von  ihm  trennen  und  freut  sich 
seiner  Liebkosungen.  Der  Hase,  den  er  von  der  Schlinge  befreit, 
flüchtet  sich  in  seinen  Schooß "') ,  die  Vögel ,  die  er  auf  dem  Felde 
fand,  bleiben  ruhig  sitzen  und  lauschen  die  Hälse  reckend  seiner 
Predigt.*)  „Singe,  meine  Schwester  Grille,  und  lobe  jubelnd  Gott 
den  Schöpfer",  sagte  er  zu  der  Cicade,  und  sie  flog  auf  seine 
Hand  und  begann  ihr  feines  Zirpen."^)  In  Alvernia  begrüßten  ihn 
die  Vögel  mit  fröhlichem  Sänge,  und  nächtlich  zur  Stunde  des 
Gebetes  weckte  ihn  der  ,, Bruder"  Falke,  der  nahe  der  Zelle  auf 
einem  Baum  nistete.  Als  aber  seine  letzte  Stunde  gekommen  war, 
begannen  die  Schwalben  um  seine  Zelle  zu  kreisen  und  sangen 
ihm  das  Sterbelied. 

In  der  ganzen  Natur  sah  Franz  nur  den  Abglanz  der  Allmacht 
und  Herrlichkeit  Gottes:  „Im  Schönen  erkennt  er  den  Schönsten, 
alles  Gute  ruft  ihm  zu:  der  uns  gemacht  hat,  ist  der  Beste;  auf 
den  Spuren,  die  den  Dingen  eingedrückt  sind,  folgt  er  überall  dem 
Geliebten,    macht   sich    aus  Allem  eine  Treppe,    auf  der  er  empor 


1)  Th.  I  Leg.  IX,  S.  705. 

2)  Th.  n,  Leg.  n,   16.     S.   78. 

8)  Th.  n  Leg.  m,   106.     S.  243. 

*)  Vergl.  unten  Bonaventura's  Schilderung  bei   Besprechung   der  Fresken  Giottos. 

"*)  Th.  II  Leg.  III,   107.     S.  244. 


56 


Franz  von  Assisi. 


zum  Throne  gelangt."  ^)  Thomas  von  Celano  bedient  sich  in  diesen 
letzten  Worten  des  Bildes,  das  für  die  philosophisch  -  religiöse  An- 
schauung des  XIII.  Jahrhunderts  recht  eigentlich  das  Schlagwort 
wird,  soll  das  Verhältniß  des  Menschen  zu  der  sonstigen  Schöpfung 
bezeichnet  werden.  In  den  Werken  des  Thomas  von  Aquino  und 
Bonaventura  namentlich  wird  dieselbe  Metapher  zur  Versinnbild- 
lichung des  innern  Vorganges  der  Gotteserkenntniß  häufig  angewandt. 
Bleibt  auch  die  letztere  immer  der  Endzweck,  so  verräth  sich  doch 
in  solchen  Anschauungen  der  geheime  innere  Zug  der  Zeit  zur 
Beobachtung  und  zum  Studium  der  Natur.  Der  mundus  sensibilis 
beginnt  neben  dem  spekulirenden  Menschen  und  Gott  eine  selbst- 
ständige Stellung  und  volle  Beachtung  zu  beanspruchen.  Noch 
ehe  Aristoteles  mit  seinen  ausgebreiteten  Kenntnissen  den  suchenden 
Scholastikern  zu  Hülfe  kommt,  hat  Franz  in  den  Naturgeschöpfen 
und  Naturkräften  seine  Brüder  und  Schwestern  erkannt  und  seinem 
Volke  die  Augen  geöffnet  für  die  Herrlichkeit  und  Mannichfaltig- 
keit  der  Schöpfung.  Fortan  gewinnt  der  Franziskanerorden  eine 
ganz  besondere  Bedeutung  für  die  Entwicklung  einer  neuen  Natur- 
anschauung und  scheint  gegenüber  den  Dominikanern  etwas  von 
dem  frischen ,  ursprünglichen  Verständnisse  seines  Stifters  über- 
kommen zu  haben,  das  im  Kampfe  gegen  die  bequeme  Autorität 
des  alten  griechischen  Philosophen  in  Roger  Bacon's  Genius  bahn- 
brechend hervortritt.  Ist  es  nicht  höchst  bezeichnend,  daß  die 
Gewalt,  welche  Franz  über  die  Geschöpfe  zu  haben  schien,  wohl 
seinen  Schülern  eine  wunderbare  dünkte ,  daß  Keiner  aber  daran 
gedacht,  ihn  gleich  so  vielen  der  Zeitgenossen  einen  Magus  zu 
nennen  —  das  Wunderbare  selbst  erschien  bei  ihm  natürlich !  Die 
Ursprünglichkeit  seiner  Natur  und  seines  Gefühles  stand  in  direktem 
Gegensatz  zur  großen  geheimnißvollen  Kunst  der  Magie  —  und 
aus  dieser  Ursprünglichkeit  eines  genialen  Menschen  allein  läßt  sich 
der  unermeßliche  Einfluß,  den  er  gehabt,  erklären. 

Er  war  kein  Magier ,  sondern  ein  Dichter !  Nur  ein  Lied  ist 
uns  von  ihm  erhalten,  der  herrliche  Sonnengesang !  Was  man  ihm 
sonst  noch  zugeschrieben ,  ist  nur  in  seinem  Sinne ,  nicht  von  ihm 
selbst  gedichtet  worden.  Und  bezeugten  es  nicht  die  alten  Bio- 
graphen an  zahlreichen  Stellen,  daß  er  Gott  ,, Loblieder  zu  singen 
pflegte",    man   könnte    es  mit  Sicherheit  aus  seiner  ganzen  Anlage 


1)  Th.  II  Leg.  III,   loi.     S.  236. 


Zur  Charakteristik  des  Franz. 


57 


schließen,  daß  seine  Seele  in  begeisterten  Liedern  überströmen 
mußte.  Es  wird  ihm  um  die  Form  nicht  sehr  zu  thun  gewesen 
sein,  sondern  in  rhythmischen,  nicht  künstlich  gebauten  Worten 
und  Tönen  wird  er,  dem  inneren  Impulse  folgend,  seinen  Em- 
findungen  Luft  gemacht  haben.  Er  sang  wie  sein  Bruder,  der 
Vogel ,  ein  Troubadour  Gottes ,  von  der  Liebe  zum  Schöpfer  und 
der  Natur,  nicht  an  Fürstenhöfen,  sondern  draußen  unter  freiem 
Himmel ,  wenn  er  wandernd  durch  die  Welt  zog.  In  den  jungen 
Jahren  freilich,  als  er  noch  im  Kreise  froher  Genossen  bei  fröh- 
lichem Gelage  der  Minne  gedachte,  mag  irdischen  Frauen  sein 
Loblied  erklungen  sein.  Dann  aber  war  es  ihm  ergangen,  wie  dem 
Ritter  Wirent  von  Grafenberg,  er  hatte  die  Frau  Welt  von  der 
Schauder  erregenden  Rückseite  gesehen ,  und  fortan  galt  seine 
Minne  einer  hehreren  Frauen,  der  Armuth.  Wie  so  vieles  Andere, 
weist  auch  seine  frohe  Sangeslust  auf  seine  ursprüngliche  Heimath, 
auf  die  dichtende  und  singende  Provence  hin,  wenn  auch  diese  ihre 
Troubadours  schon  längst  an  die  Fürstenhöfe  in  Italien  entsandt 
hatte  und  Franz  auch  hier  sie  hätte  kennen  lernen  können.  Er- 
zählt uns  doch  Thomas,  daß  er  in  der  Freudigkeit  seines  Herzens 
immer  in  französischer  Sprache  gesungen : 

,,Die  süßeste  Melodie  des  Geistes ,  die  in  ihm  glühte ,  trat  in 
französischen  Lauten  nach  außen,  und  die  Ader  göttlichen  Flüsterns, 
die  verstohlen  sein  Ohr  aufnahm,  brach  in  französische  Jubelworte 
aus.  Dann  begleitete  er  sich  wohl  zum  Scheine  selbst  auf  der 
Viola,  bisweilen  nahm  er,  wie  wir  es  mit  unsern  Augen  gesehen, 
ein  Stück  Holz  von  der  Erde  auf,  legte  es  auf  den  linken  Arm 
und  hielt  in  der  Rechten  einen  mit  einem  Faden  gespannten  Stab. 
Den  zog  er  über  das  Holz  wie  auf  einer  Viola  und  sang,  die 
passenden  Gesten  dazu  machend,  auf  Französisch  vom  Herrn. 
Häufig  endeten  diese  Dreischrittstänze  in  Thränen  und  der  Jubel 
verkehrte   sich   in   eine  Mitleidsklage   um  das  Leiden  des  Herrn."  ^) 

Welch'  ein  ergreifendes  Bild !  Das  ist  dieselbe  ,, göttliche  Toll- 
heit", die  später  Giacopone  da  Todi  zum  Dichter  machte,  die 
Italien  mit  einer  Fülle  herrlicher,  gefuhlswarmer  religiöser  Lieder 
beschenkt  hat,  ehe  noch  Dante's  göttliche  Stimme  erklungen.  Mit 
Franz  erhebt  sich  eine  geistliche  Volkspoesie  in  Italien,  die,  obwohl 
nicht  unbeeinflußt  von  ihnen,  doch  in  schroffen  Gegensatz  zu  den 


1)  Th.  n  Leg.  III,  67.     S.  li 


eg  Franz  von  Assisi. 


spitzfindigen  Spielereien  der  Troubadours  tritt  und  im  Fluge  alle 
Herzen  für  sich  gewinnt ,  weil  sie ,  nur  aus  dem  Gefühl  geboren, 
nur  an  das  Gefühl  appellirt.  Zum  ersten  Male  in  der  Volkssprache 
erschallt  das  Lob  Gott  in  des  Franziskus  Lied  von  der  Sonne,  das 
er  nach  Thomas'  II  Legende  kurz  vor  dem  Tode  gedichtet.  ^)  Es 
lautet : 

Höchster,  allmächtiger,  gütiger  Herr! 

Dein  ist  das  Lob,  die  Herrlichkeit,  die  Ehre  und  jegliche  Segnung, 

Dir  allein  gebühren  sie 

Und  kein  Mensch  ist  würdig,  dich  zu  nennen. 

Gelobt  sei,  mein  Herr,  mit  allen  deinen  Geschöpfen, 

Vornehmlich  mit  unsrer  Frau  Schwester,  der  Sonne, 

Die  den  Tag  wirkt  und  uns  leuchtet  durch  ihr  Licht; 

Und  sie  ist  schön  und  strahlend  mit  großem  Glänze, 

Von  dir,  o  Höchster,  trägt  sie  das  Sinnbild. 

Gelobt  sei  mein  Herr  durch  unsern  Bruder  den  Mond  und  die  Sterne, 

Am  Himmel  hast  du  sie  gebildet  so  klar  und  funkelnd  und  schön. 

Gelobt  sei  mein  Herr  durch  unsern  Bruder  den  Wind 

Und  durch  die  Luft  und  die  Wolken,  durch  heitre  und  jegliche  Wittrung, 

Durch  welche  du  deinen  Geschöpfen  Erhaltung  schenkst. 

Gelobt  sei  mein  Herr  durch  unsern  Bruder  das  Wasser, 

Das  sehr  nütz  ist  und  demüthig  und  köstlich  und  keusch. 

Gelobt  sei  mein  Herr  durch  unsern  Bruder  das  Feuer, 

Durch  das  du  die  Nacht  erhellst, 

Und  es  ist  schön  und  freudig  und  sehr  stark  und  gewaltig. 

Gelobt  sei  mein  Herr  durch  unsere  Schwester  die  Mutter  Erde, 

Die  uns  versorgt  und  ernährt 

Und  mannichfache  Früchte  hervorbringt  und  bunte  Blumen  und  Kräuter. 

Gelobt  sei  mein  Herr  durch  Die,  welche  verzeihen  um  deiner  Liebe  willen 

Und  Schwachheit  ertragen  und  Trübsal. 

Glückselig  Die,  welche  sie  ertragen  werden  in  Frieden, 

Denn  von  dir,  o  Höchster,  sollen  sie  gekrönt  werden. 

Gelobt  sei  mein  Herr  durch  unsern  Bruder  den  leiblichen  Tod, 

Dem  kein  lebender  Mensch  entrinnen  kann. 

Wehe  Denen,  die  in  Todsünden  sterben  werden. 

Selig  Die,  so  sich  in  deinen  heiligsten  Willen  finden, 

Denn  der  zweite  Tod  kann  ihnen  nichts  Böses  anthun. 

Lobet  und  benedeiet  meinen  Herrn  und  dankt  ihm 

Und  dienet  ihm  in  großer  Demuth!') 


^)  Th.  II  Leg.  III,  138.  S.  302.  Laudes  de  creaturis  tunc  quasdam  composuit,  et 
eas  utcumque  ad  creatorem  laudandum  accendit. 

^)  Man  kannte  früher  nur  die  etwas  versclüedenen  Fassungen:  die  im  üb.  Conf. 
( 1 5 1 3  fol.  1 80)  und  eine  Uebersetzung  aus  dem  Portugiesischen  des  Marcos  de  Lisboa 
(Chronik.      Uebers.  von   Diola    1566).      Erstere   bei    Crescimbeni:    Istoria   della    volgar 


Franz  und  die  Kunst. 


59 


Es  ist  sein  Schwanengesang  gewesen !  All  sein  Sinnen  und 
Trachten,  der  ganze  Mensch  hat  seinen  Ausdruck  in  den  wenigen 
Versen  gefunden.  Sie  sind  aber  zugleich  der  Weckruf  einer  neuen 
Zeit,  der,  in  der  Morgendämmerung  erschollen,  ein  ganzes  Volk  zu 
hehrem  Tagewerk  aufrief.  Da  begannen  sich  tausend  Hände  zu 
rühren  und  im  Wetteifer  zu  schaffen,  unter  frohem  Gesänge  begann 
die  Arbeit ,  und  als  die  Mittagssonne  niederstrahlte ,  erhob  sich 
schimmernd  in  ihrem  Glänze  das  vollendete  Werk:  die  neue  christ- 
liche Kunst! 


VI.  Franz  und  die  Kunst. 

Franz  von  Assisi  hat,  indem  er  das  religiöse  Leben  neugestaltete, 
vertiefte  und  erwärmte,  den  weitesten  Einfluß  zugleich  auf  die 
Kultur  im  Allgemeinen,  auf  Dichtung  und  Kunst  im  Besonderen 
gewonnen.  Er  selbst  ist  ein  Dichter  und  Künstler  gewesen,  seine 
Auffassung    der    christlichen  Religion    war    eine    dichterische   und 


poesia  1698.  Vol.  I,  Lib.  I,  c.  10,  letztere  bei  Wadding  in  den  Opera  Franc.  Vergl. 
Ireneo  Affö  Diss.  de'  Cantici  volgari  di  S.  F.  Guastalla  1778.  F.  Paoli:  S.  F.  d' Assisi, 
poeta  cantore.  Torino  1843.  Bearbeitung  von  L.  S.  Kosegarten  (J.  B.  Rousseau: 
Purpurviolen  der  Hh.  Bd.  III,  1835).  Uebersetzungen :  Schlosser,  die  Lieder  des  h. 
F.  V.  A.  Fkfr.  1842,  Diepenbrock,  geistl.  Blumenstrauss,  Sulzbach,  2  a.  1852.  S.  355, 
welch'  ersterer  zuerst  Verszeilen  absonderte ,  dann  bei  Hase :  F.  v.  A.  S.  88  f. ,  der 
besser  gliederte,  bei  Böhmer  in  der  Zeitschrift  Damaris  1864  S.  319  und  bei  Ozanam : 
les  poetes  Franciscains  en  Italie.  1852.  D.  Uebersetz.  von  Julius  1853.  Dann  brachte 
Fanfani  in  seiner  Uebersetzung  des  letzteren  Werkes  (Prato  1854)  die  Abschrift  einer 
alten  ital.  Handschrift  in  Assisi  (von  1255),  welche  die  älteste  ist.  Wieder  abgedruckt 
bei  Demattio :  Le  lettere  in  Italia  prima  di  Dante.  Innsbruck  und  Verona  1871,  S.  157. 
Endlich  stellte  mit  besonderer  Berücksichtigung  derselben,  sowie  drei  späterer  Hand- 
schriften, Ed.  Böhmer  den  Text  her  (Romanische  Studien.  Straßburg,  I.  Bd.  1871 — 75, 
S.  118.  Vergl.  auch  Monaci  in  Crestomazia  italiana  dei  primi  secoli.  Cittä  di  Castello  1889. 
I  fasc.  S.  29 — 31).  An  diesen  hält  sich  meine  Uebersetzung  oben,  für  welche  ich  Hases 
poetische  Diction  verwerthen  zu  dürfen  glaubte.  Mit  Hase  übersetze  ich  das  ,,per"  mit 
durch  und  verweise  dafür  auf  eine  Stelle  bei  Bonaventiura,  opera  Peltier  Bd.  I  I.  lib.  sent. 
S.  69 :  laudare  Deum  per  creaturas  est  cognoscere  per  creaturas ,  cognoscere  autem 
Deum  per  creaturam  est  elevari  a  cognitione  creaturae  ad  cognitionem  Dei ,  quasi  per 
scalam  mediam.  Auch  muß  das  per,  wo  es  sonst  in  deiiiselben  Gedichte  vorkommt 
(Zeile  8,  15,  19  und  24),  mit  ,, durch",  nicht  mit  ,,fiir"  übersetzt  werden.  Das  Lied 
lehnt  sich  also  offenbar  an  Psalm  148,  wie  Grion  (Propugn.  I  605)  und  D'Ancona  (Nuova 
Antol.  S.  n  t.  21.  p.  197)  bemerkt  haben.  —  Die  glühendste  dichterische  Verherrlichung 
des  Franz  ist  Görres'  Schrift:  Der  h.  F.  ein  Troubadour.     Straßburg  1828. 


6o  Franz  von  Assisi. 


künstlerische  und  so  weit  sie  gedrungen,  hat  sie  auf  die  Kunst 
gewirkt.  Den  geheimen  und  noch  verborgenen  Drang  der  Zeit  zur 
Natur  hat  er  der  Menschheit  zum  Bewußtsein  gebracht,  ihm  den 
reichsten  Ausdruck  in  Worten  und  Werken  verHehen  und  so  mit 
der  sicheren  Hand  des  Genies  die  Führerschaft  übernommen.  Seine 
Bedeutung  läßt  sich  in  wenigen  Worten  kennzeichnen :  er  hat  das 
bis  dahin  unter  geistiger  Bevormundung  gehaltene  individuelle  Ge- 
fühl erlöst  und  ihm  für  alle  Zeiten  die  selbstständige  Berechtigung 
erworben !  Das  hieß  so  viel  als  eine  geistige  Befreiung  des  Volkes 
in  sozialer,  wie  in  religiöser  Beziehung.  Das  Christenthum  des 
Franz  predigte  Beides  zu  derselben  Zeit :  die  Gleichheit  der  Men- 
schen vor  Gott  und  das  direkte  persönliche  Verhältniß  jedes  ein- 
zelnen Menschen  zum  Schöpfer.  Mit  Franziskus  wurden  diese  An- 
schauungen, die  bis  dahin  nur  von  Häretikern  ausgesprochen  waren, 
von  der  Kirche  selbst  zugelassen.  Damit  war  die  letztere  einer 
gefahrdrohenden  Bewegung  Herr  geworden.  Die  Ideen  persönlicher 
Freiheit  durften  fortan  sich  ungestraft  ihres  Bestehens  erfreuen  und 
konnten  sich,  innerhalb  der  kirchlichen  Grenzen  erhalten,  in  ge- 
sunder Weise  entwickeln,  da  sie  nicht  durch  Opposition  zu  Aus- 
schreitungen verführt  wurden,  wie  es  bei  den  Sekten  in  Frankreich 
und  Norditalien  der  Fall  gewesen  war.  Der  dritte  Stand  erhielt 
damit  die  Bedingungen  einer  kräftigen  und  normalen  Existenz. 
Die  Religion  der  Franziskaner  fand,  richtig  erfaßt  als  Religion  des 
Bürgerthumes,  eine  dankbare  Aufnahme  in  den  Städten.  Der  neue 
Orden  schob  sich  zwischen  den  Klerus  und  das  Mönchthum  der 
Benediktiner  ein,  wie  das  Bürgerthum  zwischen  den  Adel  und  die 
Landbevölkerung.  Hand  in  Hand  sind  die  Bürger  und  Bettelmönche 
mit  einander  groß  geworden.  Durch  sie  beide  auch  die  Kunst ! 
Was  der  Mönch  predigte,  gestaltete  der  Bürger.  Die  religiösen 
Empfindungen,  die  bei  dem  einen  zur  Kunst  der  Worte  wurden, 
wurden  beim  andern  zur  bildenden  Kunst.  So  entwickelte  sich  die 
innigste  Wechselbeziehung  zwischen  der  Predigt  und  der  Kunst. 
Dazu  kommt  dann  ferner,  daß  dem  weitgreifenden  Bedürfniß  der 
Bettelorden  nach  großen  Kirchen  und  Klöstern  und  deren  Aus- 
schmückung die  Mittel  entgegenkamen,  die  sich  im  Besitze  der 
täglich  reicher  werdenden  Bürgerschaft  angesammelt  hatten.  Aus 
den  Händen  der  Mönche,  die  in  der  Predigt  eine  alle  Zeit  in  An- 
spruch nehmende  Thätigkeit  gefunden  haben,  geht  die  Kunst- 
ausübung   in    die    der   Laien   über   und   wird   zum    Gewerbe.      So 


Franz  und  die  Kunst.  6l 


wächst  aus  den  Beziehungen  der  Mönche  zu  den  Bürgern  der 
moderne  Künstler  hervor. 

Diese  sozialen  Veränderungen  aber  bezeichnen  nur  die  eine 
Richtung,  welche  der  schöpferische  Einfluß  des  Franz  genommen, 
die  andere  ist  auf  geistigem  Gebiete  zu  suchen.  Mit  ihm  und 
durch  ihn  vollzieht  sich  ein  Umschwung  in  den  religiösen  An- 
schauungen. Was  oben  von  der  Sinnlichkeit  seiner  Religion  gesagt 
ist,  schließt  die  Charakteristik  seiner  neuen  christlichen  Auffassung 
in  sich:  er  hat  die  Religion  mit  der  Natur  versöhnt,  die  Einheit 
zwischen  beiden  hergestellt.  Die  Liebe  füllte  den  Abgrund  aus, 
der  unübersteigbar  zwischen  Gott  und  der  Welt  zu  gähnen  schien. 
Wie  stark  noch  war  der  Gegensatz  in  den  Liedern  der  geistlichen 
und  der  weltlichen  Sänger  des  XII.  Jahrhunderts  empfunden  worden! 
Die  irdische  Minne,  welche  als  schönsten  Schmuck  die  Freude  an 
der  Natur  trug,  war  mit  dem  göttlichen  Fluche  der  Sündhaftigkeit 
beladen  und  erschien  dem  Verehrer  der  Gottesminne  ein  Gräuel. 
Da  kam  der  Dichter,  der  in  der  irdischen  Liebe  nur  den  Abglanz 
der  göttlichen ,  der  in  allem  Vergänglichen  nur  ein  Gleichniß  des 
Ewigen,  der,  eins  sich  fühlend  mit  Allem  was  lebt  und  webt,  in 
der  Schöpfung  den  harmonischen  Ausdruck  und  das  Bild  Gottes 
erkannte.  Die  alte  Tageshelle  der  antiken  Kultur  ging  von  Neuem 
auf,  aber  unter  den  Strahlen  einer  wärmeren  Sonne,  der  christlichen 
Liebesmoral,  der  Einen  alles  umfassenden  göttlichen  Liebe.  Die 
Einheit  von  Gott  und  Welt  ist  der  Grundgedanke  in  des  Franziskus 
Predigt  gewesen,  er  ist  von  seinen  Schülern  binnen  Kurzem  über 
die  Welt  verbreitet  worden  und  hat  allüberall  freudige  Aufnahme 
gefunden  —  damit  auch  die  Grundbedingung  der  modernen  Welt- 
anschauung,   die  Grundbedingung  vor  Allem  der  modernen  Kunst. 

Es  vollzog  sich  dasselbe,  was  vor  vielen  Jahrhunderten  die 
griechische  Kunst  ins  Leben  rief  Die  Götter  wurden  zu  Menschen 
und  die  Menschen  zu  Göttern!  Bis  auf  die  Zeiten  des  Franz  war 
über  dem  Gott  Christus  der  Mensch  Christus  kaum  verstanden 
worden,  jetzt  trat  der  Mensch  Christus  in  den  Vordergrund:  das 
bedeutete  zu  gleicher  Zeit  eine  Vergöttlichung  des  Menschen.  Jetzt 
erst  konnte  die  christliche  Kunst  sich  zur  Freiheit  erheben,  da  sie  nur 
ein  Ideal  aus  dem  menschlich  Natürlichen  herauszubilden  brauchte, 
um  das  Göttliche  zu  versinnbildlichen.  Indem  Franz  die  verachtete 
und  mißhandelte  Natur  in  ihre  Rechte  als  Vermittlerin  zwischen 
Gott  und  Mensch  wieder  einsetzte,  hat  er  dem  christlichen  Künstler 


62  Franz  von  Assisi. 


die  einzig  ächte  Lehrerin  gewiesen.  Indem  er  die  Geheimnisse 
des  christlichen  Glaubens  in  den  natürlichen  Vorgängen  von  Christi 
irdischem  Lebenswandel  veranschaulicht  sah,  hat  er  den  alten  Stofif 
der  christlichen  Legende  als  einen  gleichsam  ganz  neuen  der  Kunst 
zugeführt.  Die  kindliche,  rein  menschliche  Auffassung  der  evange- 
lischen Geschichte,  die  glühende  Liebe  zu  dem  in  Demuth  seiner 
Gottheit  entsagenden  Menschen  Christus  ist  es  gewesen,  die  seiner 
Predigt,  der  Predigt  seiner  Jünger  eine  so  beispiellose  Wirkung 
verschaffte.  Das  innerste  Gefühl  der  Zuhörer  ward  in  Mitleid  und 
Liebe  aufgeregt,  so  oft  der  begeisterte  Redner  die  lebensvollen 
Bilder  der  biblischen  Ereignisse  einfach  und  wahr  vor  ihrem 
geistigen  Auge  vorüberziehen  ließ.  Denn  Bilder  verlangte  das  un- 
gebildete Volk,  an  das  sich  die  Franziskaner  zumeist  wendeten,  die 
Bilder  prägten  sich  einfach  und  treu  ihrem  Gedächtnisse  ein,  und 
als  so  erst  einmal  Christus  als  leiblicher  Bruder  der  Vertraute  und 
Freund  jedes  Einzelnen  geworden  war,  da  konnte,  ja  mußte  auch 
der  Künstler  ihn  als  solchen  in  der  erhabenen  Einfalt  menschlicher 
Natürlichkeit  schildern.  Da  malte  dann  Giotto  seine  lebensfrischen, 
ungezwungenen  Fresken  in  der  Arena  zu  Padua  —  kurz,  erstand 
die  Kunst  der  Renaissance ! 

Denn  die  Renaissance  oder  besser  gesagt  die  neue  christliche 
Kunst  beginnt  im  XIII.  Jahrhundert  —  damals  schon  machen  sich 
ihre  wesentlichen  Grundzüge  in  Toscana  geltend !  Von  Giotto  bis 
Raphael  vollzieht  sich  eine  einheitliche  Entwicklung,  der  eine  einheit- 
liche Weltanschauung  und  Religionsauffassung  zu  Grunde  liegt. 
Eine  gothische  Kunst,  die  bis  1400  reichte,  absondern  zu  wollen 
von  der  mit  1400  beginnenden  Renaissance,  wie  es  in  den  Lehr- 
büchern der  Kunstgeschichte  noch  meist  geschieht,  heißt  den  Or- 
ganismus des  Ganzen  verkennen.  Man  mag  die  gothischen  Bauten 
von  Toscana  in  gewisser  Beziehung  im  Zusammenhange  mit  der 
nordisch-gothischen  Architektur  betrachten  —  für  Malerei  aber  und 
Plastik  darf  man  nicht  die  spätmittelalterliche  Kunstübung  von 
derjenigen  der  Renaissance  abgrenzen  und  unterscheiden.  Ja,  wie 
wir  sehen  werden,  trägt  die  toscanische  Architektur  des  XIII.  und 
XIV.  Jahrhunderts  bereits  die  eigentlichen  Prinzipien  der  sogenannten 
Renaissancekunst  zur  Schau :  die  freie  Harmonie  der  Raumverhält- 
nisse ,  die  auch  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert  das  ihr  wesentlich 
Charakteristische  ausmacht.  Die  gothische  Form  der  Konstruktion 
hängt   ihr  nur  wie  ein  loses  Gewand    um,    das   sie  dann   um   1400 


Franz  und  die  Kunst.  63 


ohne  Schwierigkeiten  und  ohne  Bedauern  mit  einem  Male  vollständig 
abwirft,  um  an  seiner  Statt  die  griechisch-römische  Hülle  um- 
zunehmen. Toscana,  aber  auch  nur  dieses,  wird  im  XIII.  Jahr- 
hundert der  Ausgangspunkt  einer  Kunstbewegung,  die  fortan,  mit 
großen  Wellenschlägen  um  sich  greifend,  stetig  und  sicher  vorwärts 
schreitet.  Erst  später  wird  auch  das  nördliche  Italien  von  ihr  erfaßt. 
Die  Lebenskraft  aber  der  toscanischen  Kunst,  die  durch  Franz 
bewegt  ward  sich  zu  äußern,  liegt  in  dem  starken  individuellen 
Gefühl  für  die  Natur,  das  durchaus  selbständig  und  selbstthätig 
auftritt.  Was  die  Antike  beigetragen  zu  der  Entwicklung,  ist  nichts 
als  eine  formelle  Anweisung  und  praktische  Belehrung.  Daher  mußte 
auch  gerade  die  Kunst ,  für  welche  das  Formelle  und  Praktische 
eine  besonders  hervortretende  Bedeutung  hat,  die  Architektur,  be- 
sonders stark  unter  ihren  Einfluß  gerathen,  die  Plastik  schon  weit 
weniger,  die  Malerei  so  gut  wie  gar  nicht.  In  ihrem  Lernbedürfniß 
wenden  sich  die  Meister  der  Kindheitszeit  der  Kunst,  Niccolö  Pisano 
und  die  gleichzeitigen  Maler  um  Rath  an  die  Denkmäler  älterer 
Kunst,  ohne  doch  auf  etwas  Anderes  auszugehen,  als  auf  das  Er- 
lernen einer  ihrem  Ausdrucksbedürfniß  entsprechenden  Sprache.^) 
Giotto  aber,  der  hierin  bestimmend  fiir  die  weitere  Entwicklung  des 
XrV.  Jahrhunderts  wird,  kehrt  bei  voller  Einsicht  in  das,  was  Noth 
thut,  zur  direkten  Beobachtung  der  Natur  zurück,  die  dann  zu 
einer  Zeit,  als  die  Architektur  willig  von  der  Antike  die  Formen 
entlehnt,  in  den  Werken  der  zeichnenden  Künste  einen  erneuten 
Aufschwung  nimmt  und  diesen  ihren  selbstständigen,  eigenartigen 
Charakter  verleiht.  Mag  auch  im  Einzelnen  der  Bildhauer  und  Maler 
antiken  Vorbildern  manchen  wichtigen  Hinweis  —  namentlich  auf 
die  Nothwendigkeit  eines  sorgfältigen  Studiums  des  Nackten,  sowie 
auf  die  Möglichkeiten  bestimmter  stilistischer  Darstellungsformen  — 
verdanken,  mag  er  häufig  unter  dem  Bann  der  allgemeinen  humanisti- 
schen Begeisterung  stehen,  im  Großen  und  Ganzen  geht  er  doch 
unbekümmert  in  der  seit  dem  XIII.  Jahrhundert  vorgeschriebenen 
Bahn  vorwärts,  bis  das  Ziel  in  Raphaels  und  Michelangelos  Werken 
erreicht  ist.  Was  aber  dieser  ganzen  Entwicklung  gemeinsam  ist, 
eine  Religion  und  Natur  in  harmonischen  Einklang  setzende  An- 
schauung,   wurzelt   in  Franz    von   Assisi.      Nicht   als   sollte   Dieser 


^)  Vergl.    hierüber    meine    Studien    zur    Gesch.    der    ital.    Kunst   im    XIII.   Jahrh. 
im  Repertorium  fiir  Kunstwissenschaft  XIII.     1890.    S.  I  ff .     Insbesondere  S.  18 — 24. 


64  Franz  von  Assisi. 


damit  geradezu  zum  Schöpfer  der  neueren  christlichen  Kunst  ge- 
macht werden  —  aber  er  und  sein  Orden  haben  durch  Vertiefung 
und  Veranschaulichung  des  christlichen  Glaubens,  durch  die  Popu- 
larisirung  desselben  die  eine  Hauptbedingung  für  die  große  christ- 
liche Kunst  erst  geschaffen. 

Drei  Hauptfaktoren  nämlich  scheinen  mir  für  deren  Entstehung 
in  Betracht  zu  kommen:  die  ursprüngliche,  eingeborene  und  wieder- 
erweckte künstlerische  Anlage  des  toscanischen  Volksstammes ,  die 
günstigen  äußeren  Umstände  desselben  im  Duecento  und  die  Ge- 
fühlsherrschaft  einer  subjektiven  Religionsanschauung.  Das  erste 
Element  ist  gleichsam  das  empfangende,  das  letzte  das  befruchtende, 
während  in  der  glücklichen  äußeren  Lage  die  Bedingung  der  ge- 
deihlichen Entwicklung  liegt.  Läßt  sich  nun  der  künstlerische  Genius 
eines  Einzelnen  so  wenig  wie  der  eines  Volkes  an  sich  definiren,  so 
gewinnt  neben  der  Kenntniß  der  allgemein  fördernden  Verhältnisse 
die  Analyse  des  Faktors,  welcher  die  Schaffenskraft  dieses  Genius 
entfesselt  und  gestaltet,  ein  um  so  größeres  Interesse,  als  sie  den 
Rückschluß  auf  den  letzteren  selbst  gestattet  und  dadurch  den  ge- 
heimen Vorgang  künstlerischen  Schaffens  in  helleres  Licht  rückt. 
Nun  trifft  es  sich  im  XIII.  Jahrhundert  so,  daß  der  von  Alters  her 
in  höchstem  Grade  künstlerisch  begabte  Volksstamm  der  Etrusker, 
der  durch  die  Mischung  mit  dem  jungen,  phantasievollen  Germanen- 
thum  eine  Neubelebung  seiner  Einbildungskraft  gewonnen  hatte, 
am  stärksten  von  der  geistigen  Bewegung  getroffen  wird,  deren 
eigentlicher  Träger  Franziskus  ist.  Seine  sowie  die  von  ihm  be- 
einflußten Anschauungen  seines  Ordens  näher  kennen  zu  lernen,  ist 
daher  unerläßlich  für  den  Geschichtsschreiber  der  italienischen  Kunst. 

Von  zahllosen  begeisterten  Mönchen  ist  das  neue  Christenthum 
des  Franz  in  die  Welt  getragen  worden.  Predigten,  Lieder,  volks- 
thümliche  Schriften,  theologische  und  philosophische  Werke  haben 
es  verkündet.  Drei  hervorragende  Männer:  Antonius  von  Padua, 
der  Volksredner,  Bonaventura,  der  mystische  Denker,  Jacopone, 
der  gottbegeisterte  Dichter,  sind  die  vornehmsten  Apostel  des 
Franziskanerthums  in  Italien  gewesen.  Sie  Alle,  wie  neben  ihnen 
tausend  andere ,  weniger  bedeutende ,  verherrlichen  die  Liebe ,  die 
Einheit  von  Gott  und  Welt,  das  rein  Menschliche  im  Gottmenschen 
Christus  —  und  zwar  in  einfacher,  dem  Volke  verständlicher,  dabei 
bilderreicher  anschaulicher  Sprache.  Die  Lieder  Giacopones  sind 
ebenso  populär  gewesen,  wie  Bonaventura's  meditationes  vitae  Christi, 


Franz  und  die  Kunst.  65 


am  stärksten  aber  hat  die  Predigt  gewirkt.  Wie  einst  der  grie- 
chischen, eilt  auch  der  neueren  bildenden  Kunst  eine  Kunst  der 
Dichtung  und  der  Rede  voraus. 

Die  Dominikaner,  deren  Bestrebungen  weniger  auf  die  Erziehung 
des  Volkes  und  die  Verinnerlichung  des  Glaubens,  als  auf  die  Be- 
siegung der  Häretiker  und  die  verstandesgemäße  Begründung  der 
christlichen  Dogmen  ausgehen,  unterstützen  doch,  den  Franziskanern 
nacheifernd  und  vielfach  von  ihnen  beeinflußt,  deren  Wirksamkeit. 
Auch  unter  ihnen  hat  es  bedeutende  Volksprediger  gegeben,  auch 
sie  haben  der  Kunst  in  dem  Bau  und  der  Ausschmückung  ihrer 
Kirchen  große  Aufgaben  gestellt.  Aber  ihr  Einfluß  ist  verglichen 
mit  dem  der  Minoriten  ein  mehr  äußerlich  wirksamer,  die  neuen 
maßgebenden  Ideen  kommen  von  Diesen. 

Fassen  wir  zum  Schlüsse  schon  hier  die  erste  Entwicklung  der 
neueren  Kunst  auf  den  verschiedenen  Gebieten  ins  Auge,  so  ergiebt 
sich ,  daß  nach  dem  Tode  des  Franz  zuerst  wie  immer  unter  den 
Künsten  die  Architektur  einen  bedeutenden  und  eigenartigen  Auf- 
schwung nimmt.  Da  die  Bettelorden  im  Gegensatz  zu  allen  früheren 
recht  eigentlich  städtische  Orden  sind,  so  entsteht  binnen  kurzem 
eine  ganz  erstaunlich  reiche  bauliche  Thätigkeit,  da  in  jeder  Stadt, 
wie  in  jedem  Flecken  ein  kirchlicher  Raum  für  die  Mönche  ge- 
schaffen werden  muß.  Die  bescheidenen  kleinen  Kirchen,  die  zuerst 
in  äußerster  Einfachheit  errichtet  werden,  müssen  bald  größeren 
Bauten  Platz  machen,  da  der  Zulauf  des  Volkes  und  zugleich  das 
RepräsentationsgefLihl  der  Orden  von  Jahr  zu  Jahr  wächst.  Wie 
später  eingehend  nachgewiesen  wird,  übernimmt  der  Minoritenorden, 
nach  ihm  derjenige  der  Prediger  das  Vorbild  für  seine  Kirchen 
den  verschiedenen  Systemen  der  Cistercienserbauten  und  bildet  sie 
schöpferisch  um.  Während  der  Norden  Italiens  sich  mehr  empfangend 
verhält,  ersteht  in  Toscana  ein  durchaus  einfacher,  aber  originaler 
Stil,  der  seinerseits  maßgebend  auf  die  zeichnenden  Künste  ein- 
wirkt, indem  er  mit  seinen  großen  ungegliederten  Wandflächen,  die 
zur  Dekoration  auffordern,  die  Freskomalerei  vor  Allem  befördert, 
dagegen  der  Plastik  keinen  bedeutenden  Platz  einzuräumen  weiß. 
Letzterer  kommt  die  neue  Art  des  Kultus,  in  dem  die  Predigt  eine 
so  hervorragende  Rolle  spielt,  zunächst  nur  in  so  ferne  zu  Gute,  als 
das  Bedürfniß  nach  freistehenden  Kanzeln  sich  immer  stärker  be- 
merkbar macht  und  in  deren  plastischer  Ausschmückung  dem  Bild- 
hauer eine  besonders  lohnende  und  große  Anforderungen  stellende 

Thode,  Franz  von  Assisi.  C 


66  Franz  von  Assisi. 


Aufgabe  gegeben  wird,  der  sich  dann  bald  die  andere  der  Grab- 
mälerskulptur,  die  ihren  Hauptsitz  in  den  Bettelmönchkirchen  findet, 
gesellt.  Beide  aber,  Malerei  und  Plastik,  beginnen  um  die  Mitte 
des  XIII.  Jahrhunderts  ihr  großes  Werk.  Nur  der  Mangel  ein- 
gehender Kenntniß  hat  es  bisher  verhindert,  daß  man  neben  den 
Werken  der  Pisani  die  Elemente  der  neuen  künstlerischen  Auf- 
fassung auch  in  den  Bildern  ihrer  Zeitgenossen  entdeckte.  Weniger 
auffallend  als  in  den  Reliefs  der  Pisaner  und  Sieneser  Kanzeln,  sind 
sie  dennoch  vorhanden  und  zwar  am  faßlichsten  in  den  Darstellungen 
des  Franz  und  seiner  Legende  zu  sehen.  Denn  diese  werden  ge- 
wissermaßen die  Vorschule  der  neuen  Malerei.  Das  allgemeine 
Verlangen  nach  bildlicher  Verherrlichung  des  Heiligen  bietet  den 
Künstlern  einen  neuen,  großen  und  dankbaren  Stoff  Da  für  den- 
selben keine  von  Alters  her  geheiligte  Tradition  zu  berücksichtigen 
war,  ward  der  Maler  direkt  auf  die  Beobachtung  des  Lebens  hin- 
gewiesen. Die  bilderreichen,  poetischen  Legenden  des  Thomas  und 
Bonaventura,  die  schnell  und  allgemein  ein  beliebtes  Lese-  und 
Erbauungsbuch  wurden,  regten  und  leiteten  die  Phantasie  an.  Die 
so  geübten  Kräfte  wurden  dann  um  1300  nach  einigen  voran- 
gegangenen Versuchen,  das  Kruzifix  und  Marienbild  umzugestalten, 
auf  die  Neugestaltung  des  biblischen  Stoffes  überhaupt,  so  wie  sie 
das  Franziskanerthum  vorschrieb,  verwandt. 

Aus  diesen  Gesichtspunkten  ergiebt  sich  die  Eintheilung,  welche 
den  folgenden  eingehenden ,  das  Allgemeine  begründenden  Unter- 
suchungen zu  Grunde  liegt.  In  dem  ersten  Haupttheile  wird  der 
direkte  Einfluß  des  Franz  auf  die  Kunst  in  drei  Abschnitten  be- 
handelt. Der  erste  beschäftigt  sich  mit  den  Darstellungen  des 
Franz  und  seiner  Legende,  der  zweite  mit  der  ersten  Entwicklung 
der  Kunst  in  der  Hauptkirche  des  Heiligen  in  Assisi ,  der  dritte 
mit  der  Architektur  der  Bettelmönchkirchen  in  Italien.  Der  zweite 
Haupttheil  wird  die  Anschauungen  des  Franziskanerthums  in  ihrer 
Bedeutung  für  die  Kunst  darlegen  und  zwar  im  ersten  Abschnitt 
dieselben  nach  ihren  verschiedenen  Aeußerungen  in  Lehre,  Predigt 
und  Dichtung,  im  zweiten  die  dadurch  bedingte  Neugestaltung  der 
biblischen  Darstellungen,  im  dritten  die  Franziskaner  -  Allegorien 
behandeln. 


ZWEITER  ABSCHNITT 

DIE  DARSTELLUNGEN  DES  FRANZ  UND 
SEINER  LEGENDE 


I.  Die  ältesten  Bildnisse. 

Je  lebhafter  unser  Interesse  durch  Schilderungen  eines  be- 
deutenden Menschen,  mit  dessen  geistiger  Eigenart  wir  uns  vertraut 
gemacht  haben,  angeregt  wird,  desto  lebhafter  macht  sich  zugleich 
der  Wunsch  geltend,  uns  sein  Aeußeres  zu  veranschaulichen.  Erst 
wenn  wir  auch  von  diesem  ein  deutliches  Bild  gewonnen,  können 
wir  uns  ganz  der  Täuschung  hingeben,  ihn  persönlich  zu  kennen, 
seine  Beziehungen  zu  anderen  Menschen,  den  Einfluß,  den  er  durch 
Blick,  Bewegung  und  Sprache  auf  sie  ausgeübt,  wie  andrerseits 
die  Wirkung  der  Außendinge  auf  ihn  selbst  mit  eigenen  Augen 
beobachtet  zu  haben.  Glücklich  die  Zeit,  in  der  die  großen  In- 
dividualitäten auch  Künstler  fanden,  die  mit  divinatorischem  Blick 
und  mit  freier  Hand  ein  innerstes  Wesen  im  Bilde  der  äußeren 
Züge  wiederzugeben  vermochten.  Es  mag  ja  nicht  wenig  zu  dem 
Verrüfe  des  „dunklen"  Mittelalters  beigetragen  haben,  daß  wir  zu- 
meist nur  alten  vergilbten  Urkunden  und  Chroniken  unsere  Vor- 
stellungen von  den  geschichtlichen  Charakteren  entnehmen,  diese  uns 
aber  fast  nirgends  in  Bildnissen  näher  treten,  daß  die  bedeutenden 
Männer,  Päpste  wie  Kaiser,  deren  Thaten  und  Gedanken  Jahrhunderte 
beherrschten,  uns  nur  wie  durch  einen  Nebel  erscheinen  und  ihre 
Personen  hinter  ihren  Prinzipien  verschwinden.  Wie  anders  kommt 
der  geschichtlichen  Betrachtung  des  Alterthums  die  griechisch- 
römische Kunst  zu  gute,  wie  anders  treten  uns  die  neueren  Zeiten 
entgegen,  seitdem  mit  der  größeren  Freiheit  der  Individualität  deren 

5* 


68  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Bedeutung  auch  künstlerisch  sich  voll  entfalten  durfte.  Freilich 
soll  die  Zeit  erst  kommen,  in  welcher  die  Entwicklung  des  künst- 
lerischen Vermögens  in  der  Portraitbildnerei  einheitlich  verfolgt 
werden  kann.  Damit  aber  wird  sich  wiederum  eine  Vertiefung  der 
kunstgeschichtlichen  Anschauung  ergeben,  wie  sie  bis  jetzt  noch 
nicht  möglich  ist*. 

Es  ist  nicht  als  Zufall  anzusehen,  daß  die  ersten  eigentlichen 
Portraits  der  neueren  Malerei  Bildnisse  des  Mannes  von  Assisi  sind, 
dessen  Leben  wir  betrachtet  haben.  Die  verschiedensten  Be- 
dingungen wirkten  zusammen,  daß  seine  mächtige  Persönlichkeit 
den  Impuls  gab  zu  den  Versuchen,  eine  Aufgabe  zu  lösen,  in 
welcher  der  eigentliche  Charakter,  die  Vorbedingung  einer  neuen 
Kunstrichtung  bereits  ausgesprochen  ist.  War  es  in  erster  Linie 
der  Einfluß  seines  Wanderlebens  durch  ganz  Italien  gewesen,  der 
sich  so  stark  überall  geäußert  hatte,  das  immer  gleiche  Einsetzen 
seiner  Persönlichkeit  für  seine  Ueberzeugung,  so  kann  es  uns  nicht 
wundern,  daß  das  Volk,  welches  seiner  Predigt  gelauscht,  die  Person 
des  Franz  von  seiner  Sache  nicht  mehr  zu  trennen  vermochte.  Das 
Bild  des  von  Gott  begeisterten  Mannes  im  unscheinbaren  Gewände 
lebte  unauslöschlich  in  den  Herzen  fort  —  er  war  in  dem  durch 
so  viele  verschiedenartige  Interessen  getheilten  Lande  vielleicht  der 
Einzige,  dem  Alle  gleiche  Beachtung  schenkten  —  die  erste  wahr- 
haft populäre  Erscheinung  der  neuen  Zeit !  Und  dieser  persönliche 
Freund  eines  ganzen  Volkes  wurde  schon  zwei  Jahre,  nachdem  er 
gestorben,  als  noch  die  Meisten,  die  ihn  gekannt,  am  Leben  waren, 
aus  seiner  niederen  Stellung  zu  dem  Range  eines  Heiligen  erhoben, 
zu  dem  fortan  die  Menge  wie  zu  einem  halben  Gotte  aufschauen 
und  beten  konnte.  Dem  Kultus,  halb  und  halb  der  Erinnerung 
waren  die  Bilder  geweiht,  die  nicht  allein  in  Kloster  und  Kirche, 
sondern,  wie  eine  Erzählung  von  Bonaventura  es  beweist^),  auch  in 
den  stillen  Räumen  der  Privathäuser  sein  Andenken  lebendig  er- 
hielten. Es  mußte  also  der  Künstler,  dem  die  Aufgabe  ward,  Franz 
darzustellen,  sein  Bestes  thun,  den  Heiligen  so  wiederzugeben,  wie 
der  Mensch  in  der  Erinnerung  fortlebte.  So  entstanden  binnen 
Kurzem  zahlreiche  Portraits  desselben,  die  ersten  Versuche  eines 
großen  künstlerischen  Strebens  und  dessen  erste  Zeugnisse. 

^)  Cap.  XVI.  S.  784.  In  urbe  Roma  matröna  quaedam  morum  claritate  ac  pa- 
rentum  gloria  nobilis  S.  Franciscum  in  suum  elegerat  advocatum  ipsius  habens  depictam 
imaginem  in  secreto  cubiculo,  ubi  patrem  in  abscondito  exorabat. 


Die  ältesten  Bildnisse.  ßg 


Wunderbar  genug,  daß  damit  der  Kunst  gleich  die  allerhöchste 
Aufgabe  gestellt  wurde,  für  die  sie  in  einer  Zeit,  als  Giovanni  Pisano 
und  Giotto  noch  nicht  das  erlösende  und  entscheidende  Wort  in 
dem  direkten  Anschluß  an  die  Natur  gefunden,  in  gar  keiner 
Weise  vorbereitet  war.  Die  alten ,  verschwärzten  Bildnisse ,  an 
denen  die  Meisten  interesselos  vorübergehen  mögen,  sind  doch 
von  größter  Wichtigkeit  als  die  frühesten  Vorboten  der  Verwirk- 
lichung hoher  neuer  Ideale ! 

Primitiv  genug  sind  freilich  diese  ersten  Versuche,  einen  ein- 
zelnen Menschen  im  Abbilde  künstlerisch  wiedergeben  zu  wollen, 
und  Jeder,  der  mit  den  Anforderungen  einer  vorgeschrittenen  An- 
schauung an  sie  heranträte,  würde  arg  enttäuscht  werden.  Das  mag 
schon  Giotto  empfunden  haben,  als  er,  die  Ueberlieferung  bei  Seite 
setzend,  in  den  Werken  seines  reiferen  Alters  einen  neuen  Ideal- 
typus des  Heiligen  schuf,  der  im  Quattrocento  im  nördlichen 
Italien  der  allein  herrschende  werden  sollte,  im  mittleren  Italien 
sich  wenigstens  Gleichberechtigung  erwarb,  bis  die  spätere  Kunst 
im  XVI.  Jahrhundert  wieder  die  alte  Tradition  aufnahm  und  fortan 
zur  Norm  und  Regel  machte.  Ein  eigentliches  Portrait  aber,  das 
sei  schon  hier  gesagt,  in  dem  uns  wirklich  lebendig  der  ganze 
Mensch  entgegenträte ,  war  das  XIII.  Jahrhundert  noch  nicht  fähig 
zu  schaffen  —  die  Bildnisse,  die  uns  aus  diesem  erhalten  sind, 
bewahren  uns  die  Züge  des  Heiligen  nur  in  ganz  allgemeiner,  mehr 
oder  weniger  schematisirender  Art,  fühlen  wir  auch  aus  ihr  das 
redliche  Bestreben,  mehr  zu  sein,  heraus.  Eine  feste  Basis  für  ihre 
Beurtheilung  zu  gewinnen,  gilt  es  zunächst  zu  erfahren,  was  uns 
die  Zeitgenossen  von  dem  Aussehen  des  Franz  zu  erzählen  wissen. 

Als  Franziskus  sich  1220  in  Bologna  aufhielt  und  durch  seine 
Predigten  diese  Stadt  der  Gelehrten,  in  der  zu  jener  Zeit  Tausende 
von  Jünglingen  unter  den  berühmtesten  Lehrern  dem  Studium  des 
Rechts  sich  hingaben,  in  die  größte  Bewegung  versetzte,  befand 
sich  unter  den  Zuhörern  auch  der  Archidiaconus  und  Studirende 
Thomas  Spalatensis,  dessen  Bericht  uns  erhalten  ist.  Nachdem  er 
den  Feuereifer  des  Mönches  und  die  Gewalt  der  Rede  geschildert, 
sagt  er:  ,, schmutzig  war  sein  Gewand,  verächtlich  seine  Person 
und  unschön  sein  Antlitz."^)     Ausführlicher  ist  Thomas  von  Celano 


^)  Sigonius:  de  Episcopis  Bononiensibus.     Bononiae   1586.     ad.  a.  1220.  —  Auch 
Speculum  S.  F.  p.  215.  —  Bei  Wadding:  Annales  Minorum  II  Ed.  1731  I.  Bd.   1220. 


70  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

in  seiner  I.  Legende^),  der  zunächst  von  den  geistigen  Eigenthümlich- 
keiten  des  Franz  spricht  und  dann  fortfährt:  ,,er  war  von  heiterm 
Antlitze ,  von  gütigem  BHcke ,  frei  von  Feigheit ,  wie  von  Unver- 
schämtheit ;  seine  Statur  war  mäßig  groß ,  eher  klein ,  der  Kopf 
von  mittlerer  Größe  und  rund,  das  Gesicht  länglich  zugleich  und 
vorgebaut,  die  Stirn  klein  und  eben,  die  Augen  mäßig  groß,  schwarz 
und  einfältig,  die  Haare  schwarz,  die  Augenbrauen  geradlinig,  die 
Nase  fein,  gleichmäßig  und  gerade,  die  Ohren  abstehend  und  klein, 
die  Schläfen  eben;  die  Zunge  versöhnHch,  feurig  und  scharf;  die 
Stimme  gewaltig,  süß,  hell  und  klangreich ;  die  Zähne  geschlossen, 
gleichmäßig  und  weiß ;  die  Lippen  mäßig  und  fein,  der  Bart  schwarz, 
mit  spärlichem  Haar,  der  Hals  zart,  die  Schultern  gerade,  die  Arme 
kurz,  die  Hände  zart,  die  Finger  lang,  die  Nägel  vorstehend,  die 
Schenkel  schwach,  die  Füße  klein,  die  Haut  zart,  das  Fleisch  sehr 
spärlich ;  das  Gewand  rauh ,  der  Schlaf  sehr  kurz ,  die  Hand  sehr 
freigebig ;  und  weil  er  über  alle  Maßen  demüthig  war,  zeigte  er  in 
jeder  Beziehung  allen  Menschen  gegenüber  nur  Sanftmuth  und 
paßte  sich  den  Sitten  Aller  zu  ihrem  Nutzen  an.  Der  Heiligste 
unter  Heiligen,  unter  Sündern  gleichsam  einer  von  ihnen." 

Diese  jede  Einzelheit  berücksichtigende  Beschreibung  muß  auf- 
fällig erscheinen,  da  sie  nicht  klingt,  als  wäre  sie  nach  dem  Leben, 
sondern  vielmehr  nach  einem  Bilde  gemacht,  das  alle  jene  Details 
wohl  aufweisen  konnte.  Persönliche  Erinnerung  mag,  mit  der  zu 
Hülfe  genommenen  Betrachtung  eines  Portraits  vereint,  dem  ältesten 
Biographen  des  Heiligen  diese  kurz  und  abgerissen  neben  einander 
gestellten  Worte  diktirt  haben,  aus  denen  als  Wesentliches  hervor- 
geht, daß  Franz  eine  mittlere,  schmächtige  Figur,  schwarzes  Haar 
und  Bart  und  ein  länglich  ovales  Gesicht  von  freundlichem  Ausdruck 
gehabt.  Daß  er  klein  gewesen,  sagt  Thomas  auch  in  der  II.  Legende : 
persona  modicus.-)  Und  Franz  selbst  vergleicht  sich  mit  einer 
im  Traume  wahrgenommenen  kleinen ,  schwarzen  Henne ,  die  ihre 
Küchlein  nicht  alle  unter  den  Flügeln  bergen  konnte :  „ich  bin 
jene  Henne,  klein  von  Figur  und  schwarz!""^)    Einige  wenige  andere 


S.  337  und  Acta  SS.  Appendix  §  VII ,  S.  842 :  sordidus  erat  habitus  ejus ,  persona 
contemptibilis,  et  facies  indecora. 

^)  I  Leg.  X  S.  706.     Vgl.  danach  auch  Poema  CXXXII,  S.  240. 

2)  n  Leg.  I.  Cap.  S.  34. 

'^)  Th.  V.  Cel.  II  Leg.  I,  16.  S.  40.  Tres  socii  Cap.  IV  S.  739:  ego  sum  illa 
gallina,  statura  pusillus,  nigerque. 


Die  ältesten  Bildnisse. 


71 


Züge  zu  dem  Bilde  fügt  Matthäus  Paris  anekdotenhaft  übertreibend 
hinzu :  „als  der  Papst  Innocenz  III  am  erwähnten  Bruder  das  form- 
lose Gewand,  das  verächtliche  Antlitz,  den  wirren  Bart,  die  un- 
gepflegten Haare,  die  herabhängenden  schwarzen  Augenbrauen  sah, 
verachtete  er  ihn  und  sprach :  gehe  Bruder  und  suche  die  Schweine 
auf,  mit  denen  du  eher  als  mit  Menschen  zu  vergleichen  bist,  und 
wälze  dich  mit  ilinen  im  Schmutze."^) 

Wenden  wir  uns  nun  mit  so  gewonnener  Anschauung  zu  den 
Bildnissen  des  Franz ,  so  scheint  das  zweifellos  älteste  erhaltene 
ein  Fresko  im  Sacro  speco  von  Subiaco  (I)  zu  sein,  auf 
dessen  Bedeutung  nach  d'Agincourt  zuerst  Crowe  und  Cavalcaselle 
wieder  hingewiesen  haben  -)  (Abb.  9).  Nach  einer  Ueberlieferung 
hatte  im  Jahre  1222  die  Verehrung  für  den  alten  Begründer  des  abend- 
ländischen Mönchwesens  den  Stifter  des  seit  jenem  ersten  wirklich 
neuen,  großen  Ordens  bewogen,  die  Stätte,  wo  Benedikt  sich  dem 
einsamen  Dienste  Gottes  geweiht,  zu  besuchen.  Die  Erinnerung  an 
die  Monate,  die  er  hier  in  der  Einsamkeit  des  Gebirges  verbracht,  hat 
in  lieblicher  Legende  fortgelebt  und  verleiht  noch  heute  dem  stillen 
Kloster  einen  besonderen  Zauber.  Noch  heute  blühen  im  kleinen 
Garten  die  Rosen,  die  aus  dürrem  Dornengestrüpp  hervorgesproßt 
sein  sollen,  als  Franz  aus  innigem  Gefühle  der  Liebe  und  Be- 
wunderung für  den  Mann,  der  hier  dereinst  in  heißem  Kampfe  sein 
sündliches  Fleisch  gezüchtigt,  die  Sträucher  küßte  und  mit  dem 
Zeichen  des  Kreuzes  segnete.  Sie  sind  gleichsam  ein  Sinnbild  des 
neuen  Lebens,  das  Franz  dem  erstarrten  alten  Mönchthum  verlieh, 
wie  denn  Alles  in  Subiaco  die  Vergleiche  zwischen  den  beiden 
Männern  so  nahe  rückt. 

Dicht  über  dem  Garten,  tiefer  noch  als  die  Unterkirche  selbst 
gelegen,  befindet  sich  die  Kapelle  Gregor 's  IX.,  der  die  Kirche  neu 
geweiht,  Desselben,  der  als  Kardinal  von  Ostia  der  Protektor  und 
Freund  der  Franziskaner  gewesen,  der  ihren  Stifter  kanonisirte 
und    den  Grundstein   zu    seiner  Kirche   in  Assisi   legte.     Gewisser- 


^)  Historia  major.     London   1640  S.  339. 

*)  Einzelne  Portraits  des  F.  finden  sich  bei  den  verschiedenen  Geschichtsschreibern 
der  ital.  Malerei  erwähnt  —  namentlich  bei  Crowe  und  Cavalcaselle.  Eine  vergleichende 
Zusammenstellung  fehlte  bis  jetzt,  obgleich  Bonghi  durch  einen  in  seinem  Buche  wieder 
abgedruckten  Artikel  über  Dupre's  Statue  in  der  „Domenica  Letteraria"  vom  22.  Oktober 
1882  verschiedene  Mittheilungen  hervorgerufen  hatte,  die  im  Buche  S.  106  wieder- 
gegeben sind,  meist  aber  nur  unwichtige  Bilder  späterer  Zeit  erwähnen. 


"72  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

maßen  unter  des  Freundes  Schutze  erscheint  auch  hier  Fran- 
ziskus zum  ersten  Male  an  heihger  Stätte  dargestellt.^)  Noch 
ohne  Heiligenschein,  ohne  die  Wundenmale,  als  ,,Frater  Fran- 
ciscus"  bezeichnet,  steht  er  in  langer,  mit  derbem  Stricke  ge- 
gürteter Kutte,  mit  einer  steil  und  spitz  über  dem  Kopfe  in  die 
Höhe  stehenden  Kapuze,  in  der  nach  unten  ausgestreckten  Linken 
einen  Zettel  mit  der  Inschrift:  pax  huic  (domui),  die  Rechte  an 
der  Brust.  In  dem  klar  und  ruhig  en  face  herausschauenden,  blond- 
bärtigen Kopfe  ist  noch  nichts  von  jenem  asketischen  Elemente, 
das  die  meisten  späteren  Bilder  verunschönt,  zu  bemerken.  Die 
Züge  des  länglichen,  schmalen'  Gesichtes  mit  der  mittelhohen  Stirn, 
der  geraden  kräftigen  Nase,  den  großen  Augen  unter  wenig  ge- 
schwungenen Brauen,  dem  feinen  Mund  mit  den  schmalen  Lippen, 
sowie  der  dünne  Hals  stimmen  im  Wesentlichen  mit  des  Thomas 
Beschreibung  überein  —  nur  die  blonde  Haarfarbe,  die  schwerlich 
den  wiederholt  vorgenommenen  Restaurirungen  zur  Last  zu  legen 
ist,  überrascht.  Aus  den  äußeren  Zügen  das  Innere  lesen  zu  wollen, 
würde  freilich  vergeblich  sein,  läßt  sich  auch  wohl  die  Absicht,  im 
Blick,  in  dem  leicht  geöffneten  Munde  das  ekstatische  Wesen  an- 
zudeuten, nicht  ganz  verkennen.  Verächtlich  im  Aussehen  erscheint 
hier  jedenfalls  Franziskus  nicht,  viel  eher  von  Aufmerksamkeit  er- 
regender Vornehmheit,  die  sich  aber  ebensogut,  wie  die  Majestät 
zahlreicher  Mosaiken  der  vorhergehenden  Zeit,  aus  dem  Unvermögen 
der  Künstler,  Figuren  anders  als  starr  im  Ausdruck  und  in  der 
Bewegung  darzustellen,  erklärt.  Der  Zeitpunkt  der  Entstehung 
läßt  sich  mit  großer  Sicherheit  aus  einer  bisher  merkwürdiger  Weise 
nicht  gehörig  beachteten  Inschrift  feststellen,  die  unter  den  sicher 
von  gleicher  Hand  herrührenden  anderen  Fresken  der  Kapelle  sich 
befindet.^)    Nach  derselben  ist  die  Kapelle  im  II.  Jahre  des  Pontifikats 


^)  Abb.  bei  d'Agincourt:  Denkm.  d.  Malerei  Taf.  C,  5  u.  6.  Plon's  S.  Fran- 
gois  d'Assise.  Paris  1885.  S.  30.  —  Vergl.  Imageries  du  Sacro  Speco.  Rom  1855. 
Crowe  u.  Cavalcaselle  D.  A.  I ,  S.  75.  Schnaase :  Gesch.  d.  b.  K.  VII ,  S.  307  etc. 
Auch  Jannucelli:  Memorie  di  Subiaco  e  sua  badia.     Genova  1856. 

^)  Sie  lautet  (bei  d'Agincourt  ganz  unrichtig) :  hie  est  papa  Gregorius  olim  epi- 
scopus  hostiensis  qui  hanc  consecravit  ecclesiam. 

Pontificis  summi  fuit  anno  picta  secundo. 

Haec  domus  hie  primo  quo  summo  fuit  honore 

Hauserat  et  vitam  celestem  duxerat  idem 

Perque  duos  menses  sanctos  maceraverat  arctus. 

Julius  est  unus,  Augustus  fervidus  alter. 


Die  ältesten  Bildnisse. 


73 


Gregor's  gemalt  worden,  also  1228  und  zwar  offenbar  noch  vor 
der  Heiligsprechung  des  Franz,  die  am  16.  Juli  stattfand.  Jedenfalls 
sollte  das  Bildniß  eine  Erinnerung  an  den  beglückenden  Besuch 
sein,  auf  den  die  Friedensworte,  mit  denen  ja  Franz  die  Häuser  zu 
betreten  pflegte,  hinweisen.^)  Der  Künstler,  v;elcher  jenem  Conxolus, 
der  in  der  Unterkirche  die  Madonna  und,  wie  ich  bestimmt  glaube, 
auch  die  Geschichte  Benedikt's  gemalt,  sehr  nahe  steht,  gehört  der 
in  Rom  vor  den  Cosmaten  herrschenden  Richtung  an. 

Derselben  Richtung  und  wohl  auch  der  ersten  Hälfte  des 
XIII.  Jahrhunderts  entstammt  ein  anderes  Portrait  des  Franziskus, 
das  bis  jetzt  fast  unbekannt  zu  sein  scheint.  Es  befindet  sich  in 
der  angeblich  einst  von  ihm  bewohnten  Zelle,  die  hinter  dem  Chor 
von  S.  Francesco  a  ripa  in  Rom  als  einziger  Rest  des  alten 
Klosters  erhalten  ist  (II).  Der  Heilige,  eine  kleine  untersetzte  Figur 
mit  wiederum  länglichem  Gesichte  von  fast  weiblicher  Zartheit,  mit 
langer  Nase,  großen  dunklen  Augen  und  spärlichem  blonden  Barte, 
hält  in  der  Linken  ein  Buch,  in  dem  man  die  Worte  des  Evangeliums 
liest,  die  für  sein  Leben  bestimmend  geworden:  ,,qui  vult  venire 
post  me  abncget  se  ipsum  et  tollat  crucem",  in  der  Rechten  ein 
Kreuz.  Die  Wundenmale  und  der  Nimbus  bezeugen,  daß  das  Bild 
nach  1228  entstanden.  Von  allen  älteren  Bildnissen,  die  ich  kenne, 
zeigt  dieses  vielleicht  die  größte  Zartheit  in  den  Gesichtszügen, 
namentlich  in  dem  feinen ,  freundlichen  Mund ,  und  wirkt  am  ge- 
falligsten, wozu  auch  der  warme,  bräunliche  Ton  des  Inkarnates 
beitragen  mag.  Die  Kapuze,  hier  nicht  aufgerichtet,  hängt  etwas 
nach  unten  herab.  Es  ist  das  von  Wadding  erwähnte  Portrait,  das 
er  in  der  Sakristei  der  Kirche  sah  und  das  die  bis  auf  seine  Zeiten 
erhaltene  Tradition  als  Stiftung  der  Freundin  des  Heiligen,  der 
Domina  Jacobaea  de  Septemsoliis ,  erwähnte.-)     Jedenfalls  verdient 


Das  Folgende  habe  ich  nicht  im  Zusammenhang  entziflfem  können.  Das  Fresko 
stellt  dar,  wie  Gregor  hier  als  Bischof  (?),  hinter  dem  zwei  Geistliche  stehen,  den  Altar 
weiht.  Rechts  vom  Fenster  „Michael  prepositus  Paradisi",  ein  Rauchfaß  schwingend. 
In  der  Höhe  kniet  ein  Mönch  ,,Frater  Oddo  M*'",  wohl  der  Stifter  der  Kapelle  oder 
der  Malerei,  vor  einem  ihm  erscheinenden  Engel.  An  der  Decke  die  vier  Evangelisten- 
symbole und  ein  Cherubim.  Am  Eingang  der  Kapelle  der  heilige  Gregor,  die  Taube 
am  Ohr,  in  der  R.  Zettel:  vir  erat  in  terrabus  nomine  Job,  welch'  letzterer  unten  sitzt 
mit  Zettel:  egressus  sum  de  utero  matris  mee. 

^)  Vgl.  Th.  I  Leg.  IV  S.  690.     Poema  S.  no.     Vergl.  oben  S.  21. 

2)  Ann.  II,  S.  228.  W.  schließt  auf  spätere  Entstehung,  da  auf  zwei  Seiten- 
darstellungen   der   heilige  Antonius    von  Padua    und  Ludwig   dargestellt  seien.     Platner 


74  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

es,  mit  dem  zu  Subiaco  in  erster  Reihe  unter  den  glaubwürdigen 
Portraits  genannt  zu  werden. 

Eine  entschiedene,  allgemeine  Verwandtschaft  mit  dem  vorigen 
wiederum  zeigt  das  erst  seit  einer  kurzen  Reihe  von  Jahren  zum 
Vorschein  gekommene  Bild  in  S.  Francesco  zu  Pescia,  das 
inschriftlich  als  Werk  des  Bonaventura  Berlinghieri  vom 
Jahre  1235  beglaubigt  ist  (III).  Die  übertrieben  lange  Figur  des 
Heiligen  in  schwarzer,  mit  dem  Strick  gegürteter  Kutte  und  rund 
um  den  Kopf  liegender  Kapuze  scheint  mit  gesenkten  Füßen  in 
der  Luft  zu  schweben.  Sie  hält  in  der  Linken  ein  Buch  und  weist  in 
der  an  die  Brust  erhobenen  und  geöffneten  Rechten  das  Wundenmal. 
Das  Gesicht  ist  auch  hier  länglich,  der  an  den  Seiten  scharf  ab- 
geschnittene Bart  blond,  die  Nase  lang  und  spitz,  das  Auge  dunkel. 
Hinter  dem  Heiligen  erscheinen  zwei  halbfigurige  Engel,  links  und 
rechts  befinden  sich  kleine  Szenen  seiner  Legende.  Eine  alte  Kopie 
mit  derselben  Inschrift  bei  dem  Grafen  Montecuculi  in  Modena 
zeigt  eine  Abweichung  nur  in  der  etwas  abstehenden  Spitze  der 
Kapuze,  ebenso  die  von  d'Agincourt  publizirte  Wiederholung,  die 
sich  im  Vatikan  befand.  Die  Häufigkeit  der  Kopien  beweist  an 
sich  schon,  daß  man  auf  des  Berlinghieri  Portrait  einen  besonderen 
Werth  legte,  als  authentisches  Werk  eines  Zeitgenossen.  Da  es 
in  Manchem  mit  den  anderen  ältesten,  namentlich  in  der  Kopfform 
und  in  der  blonden  Haarfarbe,  übereinstimmt,  verdient  es  mit  ihnen 
den  Ehrenplatz.^) 

Ob  dieser  ältesten  Zeit  auch  das  von  Guardabassi  angeführte, 
bei  den  Franziskanern  in  hoher  Verehrung  stehende  Bildniß  im 
Romitorio  di  S.  Francesco  zu  Greccio  angehört,   das  den 


(Beschr.  Roms  HI,  3.  S.  650)  erwähnt  dieselben,  nennt  aber  statt  Antonius  Bemhardin 
von  Siena.  Ich  habe  die  beiden  Bilder,  die  offenbar  erst  später  mit  dem  Portrait 
des  Franz  verbunden  wurden,  nicht  gefunden. 

^)  Crowe  und  Cavalcaselle  halten  das  Bild  in  Modena ,  das  ich  nicht  kenne ,  für 
Copie.  D.  A.  I,  S.  132.  S.  Abb.  in  den  Atti  della  R.  Accademia  Lucchese  XIII, 
1845.  S.  349,  zu  eineih  Aufsatze  Michele  Ridolfi's.  Es  befand  sich  auf  der  Rocca 
von  Giuglia  der  Montecuculi.  (Bettinelli:  il  risorgimento  d'Italia.  Venezia  1781,  tom  IV. 
p.  II  p.  193,  a)  —  Das  Bild  im  Vatikan  von  Chattard's  Descrizione  nicht,  von 
Blainville:  travels  translated,  London  1845  HI,  125  in  der  Kapelle  Urban's  VIII  er- 
wähnt. Abb.  bei  d'Agincourt  XCVII,  I2.  —  Bei  Bonghi  a.  a.  O.  S.  i  lo  erwähnt 
Luigi  Zani  ein  im  Privatbesitze  (wo?)  befindliches  Bildniß  des  Franz,  bez.  anno  1235 
Bonaventura  da  Lucca  —  die  Aufgabe,  daß  es  auf  Kupfer  gemalt,  beweist  an  sich 
schon,  daß  es  eine  späte  Kopie  ist. 


Die  ältesten  Bildnisse. 


75 


Heiligen  darstellt,  wie  er  sich  mit  einem  weißen  Tuch  die  Thränen 
trocknet,  vermag  ich  nicht  zu  sagen,  da  ich  es  nicht  gesehen  (IV)\) 

Mit  Sicherheit  auch  ist  noch  immer  nicht  zu  bestimmen,  wann 
das  von  der  Lokalforschung  vielfach  besprochene  Bildniß  des  Franz 
im  Baptisterium  von  Parma  entstanden ,  da  es  besondere 
Schwierigkeiten  hat,  die  Entstehungszeit  der  Kuppel-,  wie  der 
unteren  Fresken  annähernd  festzusetzen  (V).  Ohne  Frage  aber  kann 
man  sagen,  daß  es  uns  einen  lebhafteren  Begriff  von  dem  Heiligen 
giebt,  als  die  meisten  andern  Portraits.  Eine  schmächtige,  kleine 
Figur  in  grauer  Kutte,  die  herabhängende  Kapuze  über  dem  Kopf, 
steht  er  etwas  gebückt  nach  vorne  gewandt,  in  der  gesenkten 
Linken  ein  Buch,  die  Rechte  in  sehr  kurzem  Aermel  wie  im  Ge- 
spräch zu  einem  rechts  an  face  befindlichen  großen  Seraphim  er- 
hoben, der  in  der  Weise  der  älteren  Kunst  mit  sechs  großen  Flügeln 
versehen  auf  zwei  Füßen  steht.  Der  Kopf,  sehr  derb  gezeichnet, 
hat  große  dunkle  Augen,  weitgewölbte  Brauen,  eine  etwas  gebogene 
Nase,  einen  graulichen  Bart.  Es  ist  die  Bewegung  der  Figur,  welche 
sie  lebendiger  erscheinen  macht :  so  kann  man  sich  den  Mönch  bei 
Predigten  zum  Volke  gewendet  vorstellen,  den  kleinen  ,, verächt- 
lichen" Mann  mit  den  häßlichen  Zügen  und  dem  Feuer  der  Be- 
redtsamkeit !  Man  hat  darüber  gestritten,  ob  der  Seraphim  zu  ihm 
gehört  —  das  erscheint  mir  zweifellos !  Dann  aber  hätten  wir  hier 
eine  ganz  eigenthümliche,  von  dem  eigentlich  Wichtigen  absehende 
Darstellung  der  Stigmatisation,  die  auf  eine  frühe  Entstehung  des 
Freskos  schließen  ließe.  Franz  hat  den  Heiligenschein,  aber  keine 
Wundenmale !  -) 

Ehe  wir  nun  zu  einer  anderen  Reihe  von  späteren  Bildern  über- 
gehen ,  verdient  eine  Bemerkung  hier  ihren  Platz ,  die  Wadding 
ohne   seine    Quelle    anzugeben    (I,    212)    macht,    nachdem    er   des 


^)  Indice  Guida  dell'  Umbria  1872,  S.  94  sagt,  es  stamme  aus  dem  XHI.  Jahrh. 

*)  Abb.  bei  Flaminio  di  Parma :  Memorie  istoriche  delle  chiese  d.  fr.  min.  della 
provincia  di  Bologna  1760.  II,  p.  160.  —  Ruta,  Guida  di  P.  1780,  auch  Flaminio, 
Ughelli,  Bordini,  Zappata  vertreten  die  alte  Tradition,  das  Bild  sei  1221  bei  Anwesenheit 
des  F.  gemacht  worden.  Dagegen  Aflfo ,  Storia  di  Parma  und  Bertoluzzi's  Guida  von 
1830  S.  210,  der  als  Entstehungszeit  etwa  1260 — 70  annimmt.  Des  Grazioli  Guida 
der  70er  Jahre  hält  ihn  gar  für  den  Ezechiel.  M,  Lopez  endlich:  II  battistero  di 
Parma  1864,  S.  108  f.  tritt  wieder  für  die  Entstehung  vor  1224  ein,  der  Heiligenschein 
sei  denkbar  schon  zu  Lebzeiten,  der  Seraphim  beziehe  sich  nicht  auf  F,  Vergl.  auch 
Schnaase  VII,  S.  322.     Crowe  und  Cavalcaselle  D.  A.  I,  S.  77. 


76  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Thomas  Beschreibung  angeführt :  ,,  dieselbe  bestätigen  die  alten 
Bildnisse,  die  auf  Befehl  des  Grafen  von  Monte  acuto  von  dem  in 
jener  Zeit  berühmtesten  griechischen  Maler  Melormus  gezeichnet 
wurden ,  während  der  heilige  Mann  unbeweglich  im  Gebete  ver- 
harrte." Von  jenem  Melormus  haben  wir,  so  viel  mir  bekannt, 
sonst  keine  Kunde  —  die  Tradition  aber  sah  in  einem  jetzt  nicht 
mehr  nachweisbaren,  von  Pasta  in  seinen  pitture  di  Bergamo  vom 
Jahre  1775  (S.  53)  in  S.  Francesco  daselbst  erwähnten  Portrait  die 
Wiederholung  jenes  in  dem  Hause  des  Grafen  von  Monte  acuto 
12 12  in  Florenz  gefertigten  (VI). 

Eine  neue  Auffassung  macht  sich  in  zwei  anderen  Bildnissen, 
dem  bekannten  in  der  Sakristei  von  S.  Francesco  zu  Assisi  und 
einem  sehr  ähnlichen  im  Christlichen  Museum  des  Vatikans  geltend, 
die  abweichend  von  den  zuerst  erwähnten  mehr  in  dem  alterthüm- 
lichen,  meist  byzantinisch  genannten  Stile  gehalten  sind.  Das  erstere, 
in  der  Sakristei  von  S.  Francesco  zu  Assisi  (VII),  wieder- 
holt abgebildet,  hat  bis  auf  unsere  Zeit  unverdienter  Weise  meist 
als  das  älteste  und  glaubwürdigste  Portrait  gegolten,  obgleich  schon 
Papini  nachgewiesen,  daß  es  nach  1253  entstanden  sein  muß,  da 
auf  zweien  der  vier  Legendenszenen,  die  es  enthält,^  der  säulchen- 
getragene  Altar  der  Unterkirche  mit  den  Reliquien  des  h.  Johannes, 
die  beide  Innocenz  erst  in  jenem  Jahre  weihte,  deutlich  zu  erkennen 
ist.  Die  durch  Nichts  beglaubigte,  seit  dem  Padre  Angeli  ungeprüft 
sich  weiter  vererbende  Annahme,  es  sei  von  Giunta  Pisano  gemalt, 
der,  wie  wir  unten  sehen  werden,  früher  1236  thatsächlich  in  Assisi 
thätig  gewesen,  fallt  damit  von  selbst ,  ebensowenig  aber  darf  man 
es  mit  Papini  dem  Cimabue  geben,  mit  dem  es  gar  Nichts  gemein 
hat.  Der  Name  des  Meisters  bleibt  vor  der  Hand  noch  unbekannt. 
Der  Typus  des  Kopfes  zeigt  hier,  wie  auf  dem  Bilde  im  Christ- 
lichen Museum  des  Vatikans  (VIII),  das  offenbar  von  derselben 
Hand  ist,  einen  auffallend  großen  runden  Schädel  mit  schmalem 
Haarkranz ,  ein  eingefallenes  Gesicht  mit  hohlen  Wangen ,  spitzer 
gerader  Nase ,  blondem  Barte.  Die  Figur  ist  lang.  Der  Heiligen- 
schein ist  fein  sternförmig  und  mit  Blattwerk  ornamentirt,  die 
Kapuze  liegt  kragenförmig  um  den  Hals.  In  der  Rechten  hält 
Franz  ein  Kreuz,  in  der  Linken  ein  Buch  mit  den  Worten :  ,,si  vis 
perfectus  esse  vade  vende  omnia  que  habes  et  da  pauperibus", 
jenes  Wort,  das  ihm  zu  Theil  wird,  als  er  mit  Bernhard  von  Quinta- 
valle  die  Bibel  befragt,  das,  wie  er  selbst  sagt,  das  Leben  und  die 


Die  ältesten  Bildnisse.  77 


Regel  auch  für  Alle,  die  sich  ihrer  Gemeinschaft  anschließen  sollten, 
geworden  ist.^)  Hier  tritt  das  Asketische  in  den  Zügen,  die  nur 
eine  ganz  allgemeine  Verwandtschaft  mit  den  drei  ältesten  Portraits 
haben ,  besonders  in  den  Vordergrund :  das  kümmerliche  Gesicht 
trägt  die  Spuren  eines  in  Kasteiungen  verbrachten  Lebens.  Auch 
erscheint  Franz  hier  älter.  Die  Spuren  der  Aehnlichkeit ,  die  man 
in  jenen  vielleicht  noch  finden  kann,  sind  hier  vor  dem  Bestreben, 
ein  Ideal  des  leidenden  Menschen  zu  schaffen,  bereits  mehr  ver- 
schwunden. Dasselbe  muß  von  dem  im  Vatikan  befindlichen,  durchaus 
gleichartigen  Bildniß  gesagt  werden,  das  nur  in  der  über  den  Kopf 
gezogenen'  Kapuze  eine  Verschiedenheit  aufweist.^) 

Bezüglich  des  länglichen  Gesichtsovales  mit  der  langen  spitzen 
Nase  nähert  sich  das  in  der  Sakristei  von  S.  Maria  degli  Angeli 
bei  Assisi  befindliche  Bild  des  Franz,  das  Lanzi  für  das  älteste 
hielt,  etwas  der  Auffassung  des  Berlinghieri  (IX).  Auch  di«  hinter 
dem,  einen  Hintergrund  bildenden  Teppich  in  halber  Figur  er- 
scheinenden Engel,  die  Stab  und  Scheibe  tragen,  erinnern  an 
Jenen ,  nur  macht  sich  hier  in  der  Zeichnung  der  Details  die 
Eigenart  eines  bestimmten  Künstlers  geltend,  dem  ich  mit  ziemlicher 
Sicherheit  eine  Reihe  anderer  Werke  zuschreiben  kann.  Es  ist 
offenbar  derselbe,  der  1273  das  in  der  Pinakothek  von  Perugia 
befindliche  Kruzifix  mit  dem  knieenden  Franziskus  gemalt,  derselbe, 
dem  daraufhin  mit  Sicherheit  die  Legende  des  Franziskus  an  der 
linken  Wand  der  Unterkirche  von  Assisi  zuertheilt  werden  muß, 
ein  in  Umbrien  thätiger  Zeitgenosse  des  Margaritone,  der  sich  in 
Manchem  Diesem  vergleichen  läßt,  aber  weicher  und  zarter  in  der 
Auffassung  ist.  Seine  Figuren  sind  von  einer  fast  elegant  zu 
nennenden  Schlankheit  mit  kleinen,  im  Ausdruck  lebhaften  Köpfen, 
in  größeren  Szenen,  wie  in  der  Unterkirche,  sehr  natürlich  und 
überraschend  frei  bewegt.  Unter  allen  Meistern  des  XIII.  Jahr- 
hunderts vor  Cimabue  scheint  er  mir  den  Ehrenplatz  zu  verdienen  — 
wir  bezeichnen  ihn,  dem  Vorgange  deutscher  Kunstgeschichte  folgend, 
am  besten  vorläufig  als:  ,, Meister  des  Franziskus",  da  die 
Bilder,    die  ich   bis  jetzt  von  ihm  gefunden,    alle  dem  Dienste  des 


1)  Thomas  I  Leg.  IV,  S.  691.     Tres  socii  III,  S.   732.     Bonav.  cap.  m,  S.  748. 

^)  Es  ist  etwas  kleiner  im  Format,  feiner  miniaturartig  ausgeführt  imd  die  Le- 
gendenszenen, wenn  auch  nicht  getreue  Kopien,  sind  hier  dieselben  wie  dort.  —  Bild 
in  Assisi  abgeb.  bei  Rosini  Storia  della  pittura  I,  S.  125.  Chavin:  Hist.  d.  S.  Frangois. 
Paris   1841.     Plön.  S.  Frangois  S.  385. 


yS  Die  Darstellungen  des  Franz  und    einer  Legende. 

Heiligen  geweiht  sind.  Das  wesentlich  Charakteristische  seiner 
Typen ,  woran  er  am  leichtesten  zu  erkennen ,  ist  neben  der  fein- 
rückigen  langen  Nase,  der  niedrigen  Stirne,  den  starken  Augenbrauen 
eine  auf  Tafelbildern  kräftig  weiß  aufgesetzte,  eigenthümliche  Falte 
unter  den  Augen,  die  vom  äußeren  Augenwinkel  ansetzend  ge- 
schwungen nach  den  Ohren  zu,  von  kleinen  Parallel -Fältchen  be- 
gleitet, verläuft.  Das  Werk,  in  dem  man  ihn  am  besten  kennen 
lernen  kann,  ist  das  große  Kruzifix  in  Perugia,  das,  mit:  ,,anno 
Domini  1272  tpr.  Gregorii  pp.  X"  bezeichnet,  aus  S.  Francesco 
daselbst  stammt  und  bisher  meist  dem  Margaritone  gegeben  wurde. 
Der  am  Fuß  des  Kreuzes  knieende  Franz,  hier  im  halben  Profile 
gesehen,  zeigt  die  unverkennbare  Verwandtschaft  mit  jenem  auf  der 
Vögelpredigt  in  der  Unterkirche  und  denselben,  nur  etwas  belebteren 
Typus,  wie  der  in  S.  Maria  degli  Angeli.  Ebenso  ein  kleineres 
Portrait  des  Franz,  der  halb  nach  rechts  gewandt  in  der  Rechten 
das  Kreuz,  in  der  Linken  ein  Buch  mit  den  Worten:  ,, Christo 
confixus  sum  cruci"  trägt,  jetzt  im  I.  Saale  der  Pinakothek 
zu  Perugia  (X).  Dasselbe  gehört  zu  zwei  kleinen  Darstellungen 
der  Kreuzabnahme  und  der  Himmelfahrt  Maria  und  hat  als  Pendant 
ein  Bildniß  des  heil.  Antonius  von  Padua,  dessen  Kopftypus 
genau  den  des  Bildes  in  den  Angeli  wiedergiebt.^)  Das  letztere, 
demnach  sicher  der  II.  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  angehörig, 
zeigt  Franz,  in  der  Linken  ein  offenes  Buch  mit  den  Worten: 
,,hic  mihi  viventi  lectus  fuit  et  morienti ",  woraus  die  ehemalige 
Bestimmung  der  Holztafel  hervorgeht,  mit  der  Rechten  in  der  Mitte 
vor  der  Brust  ein  Kruzifix  haltend.  Zum  ersten  Male  erscheint 
hier  die  Seitenwunde  entblößt.  Das  Haar  ist  braun ,  die  Figur 
übertrieben  lang,  die  Kapuze  liegt  kragenartig  um  den  Hals.  Eine 
Inschrift  unten  am  Vorhang  enthält  die  Verse : 

Me  Jesus  expresse  Dilectum  me  comprobat  esse 
Cuius  sie  me  Stigmata  Stigmata  meque  decorant 
Nemo  causetur  Sed  Christo  glorificetur 
Cui  placuit  dignis  Me  sie  attoUere  signis. 


^)  Avißer  diesen  Bildern  darf  man  dem  Meister  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  das 
in  der  Sakristei  der  Unterkirche  befindliche  zarte,  durch  seine  Vorliebe  für  die  blauen 
Farben  der  Gewänder  eigenthümlich  reizvolle  Kruzifix  mit  den  ganzen  Figuren  der  den 
Kopf  auf  die  Hand  stützenden  Maria  und  des  Johannes ,  sowie  vielleicht  auch  das 
Portrait  der  h.  Chiara  in  deren  Kirche  zuschreiben,  das  jetzt  freilich  ganz  übermalt 
ist.  Es  zeigt  acht  kleine  Szenen  ihrer  Legende  und  trägt  die  Inschrift:  factae  fuerunt 
istae  sub  anno  Dni   1283  indictione  XI  tempore  Dni  Martini  papae  quarti. 


Die  ältesten  Bildnisse.  ^q 


Verwandt,  aber  roher  und  wohl  auch  etwas  später  ist  ein 
kleines  Portrait  der  Pinakothek  in  Perugia,  das  Franz  in 
halber  Figur,  braunbärtig,  mit  beiden  Händen  ein  Buch  haltend, 
vor  Augen  führt  (XI).     Als  Pendant  dient  die  h.  Chiara.^) 

Je  weiter  das  XIII.  Jahrhundert  vorschreitet,  desto  mehr  be- 
festigt sich  das  asketische  Element,  namentlich  durch  die  zahl- 
reichen Portraits,  die  Margaritone  von  Arezzo  für  die  Fran- 
ziskanerklöster anzufertigen  hatte.  In  ihrer  Rohheit  freilich  sehr  ab- 
schreckend, wiederholen  sie  in  ermüdender  Weise  den  in  sich  er- 
starrten Typus  des  hageren  Mannes  mit  den  eingefallenen  Zügen, 
den  großen  dunklen  Augen,  der  langen  geraden  Nase,  den  stark- 
betonten Stirnfalten.  Die  Kutte,  in  enge  Falten  gezogen,  umgiebt 
knapp  den  ruhig  stehenden  Körper.  Die  nach  vorn  hängende 
Kapuze  rahmt  oval  das  längliche  Gesicht  ein.  In  der  Linken  trägt 
er  das  Buch,  die  Rechte  weist  mit  derselben  Bewegung  wie  bei 
Berlinghieri  das  Wundenmal  oder  hält  das  Kreuz.  Solche  Bilder 
befinden  sich  noch  heute  in  Rom  im  christlichen  Museum 
des  Vatikans'^)  (XII),  in  der  Akademie  zu  Siena'^)  (XIII),  in 
der  Pinacoteca  Bartolini  zu  Arezzo*)  (XIV) ,  früher  im 
Zoccolantenkloster  zu  Sarziano  bei  Arezzo*),  in  S.  Fran- 
cesco zu  Castiglione  Fiorentino*)  (XV),  in  S.  Fran- 
cesco zu  Ganghereto")  (XVI);  eines  in  S.  Francesco  zu 
Pisa,  welches  einst  von  Vasari  dem  Cimabue,  von  Crowe  und 
Cavalcaselle  dem  Margaritone  zuerkannt  ward,  ist  heute  dort  nicht 
mehr  nachzuweisen^)  (XVII).  Die  von  Vasari  und  dessen  Annotatoren 
erwähnten   Bildnisse    in   S.    Caterina    zu   Pisa   (XVIII)    und   im 


^)  Ein  von  Fratini  als  in  S.  Francesco  del  monte  bei  Perugia  befindlich  er- 
wähntes altes  Portrait,  das  angeblich  auf  dem  Holzdeckel  seines  Sarges  gemalt  sei 
und  ehemals  im  Besitze  der  Familie  Orsini  gewesen ,  habe  ich  daselbst  nicht  finden 
können. 

*)  Bez.  Margarit.  de  Aretio  me  fec.  Der  Kopf  etwas  nach  links  gesenkt,  Kapuze 
spitz  nach  rechts  abstehend. 

^)  I  Saal  Nr.  i8.     Bez.  Margarit.  de  Aretio  m.  f. 

*)  Bez.  Margarit.  de  Aretio.     Phot.  Alinari. 

^)  Eine  sehr  verschönerte  Abb.  findet  sich  in  der  Etruria  pittrice,  Firenze  1791, 
I,  Taf.  7. 

®)  Bez.  Margarit.  de  Aretio  me  fec. 

')  Vasari,  Ausgabe  Milanesi  I,  363  u.  Anmerk. 

*)  Vas.  I,  S.  251.     Crowe  und  Cavalcaselle  D.  A.  I,  S.  156. 


8o  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Kapuzinerkloster  bei  Sinigaglia  sind  nicht  erhalten^)  (XIX).  End- 
lich ist,  wie  auch  bisher  stets  anerkannt  worden,  das  große  Kruzifix 
in  S.  Francesco  zu  Arezzo,  auf  dem  am  Fuße  des  Kreuzes  Franz 
in  geknickter  Stellung ,  aber  von  ziemlich  lebendigem  Ausdruck, 
wie  er  die  Füße  Christi  küßt,  zu  sehen  ist,  ein  Werk  des  Mar- 
garitone.  Es  zeigt  entschiedene  Verwandtschaft  mit  dem  in  Perugia, 
zu  gleicher  Zeit  aber  auch  in  den  bei  weitem  derberen  Figuren 
die  verschiedene  Individualität  des  Aretiners. 

.  Von  einem  anderen  Meister  dagegen  scheint  mir  das  seit  Crowe 
und  Cavalcaselle  dem  Margaritone  zugeschriebene  Portrait  des  Franz 
in  S.  Croce  zu  Florenz  (XXI)  zu  sein ,  das ,  mit  zahlreichen 
Legendenszenen  ausgestattet,  in  der  Mitte  derselben  die  übertrieben 
lange  Figur  des  Heiligen  zeigt,  wie  er  in  der  Linken  das  Buch 
hält,  mit  der  Rechten  segnet.  Das  Gesicht  mit  dem  dunklen  Bart 
ist  besser  gezeichnet,  weniger  in  die  Länge  gezogen,  die  kurze 
Nase  hat  scharfe,  etwas  emporgezogene  Nasenflügel  und  die  großen, 
dunklen  Augen  sind  von  geschwungenen  Brauen  beschattet.  Die 
Kapuze  fällt  auf  die  linke  Schulter.  In  der  Höhe  steigt  er  noch 
einmal,  in  kleiner  Figur  gesehen,  zwei  Engeln  entgegen,  die  ihn  in 
Empfang  nehmen,  während  oben  eine  Hand,  die  einen  mit  nicht 
leserlicher  Schrift  bedeckten  Zettel  hält ,  erscheint.  Wenn  Vasari 
das  Bild  dem  Cimabue  giebt  und,  denselben  ehrend,  hinzufügt,  es 
zeige,  was  für  jene  Zeiten  etwas  ganz  Neues  sei,  Portraitähnlichkeit, 
so  ist  er  entschieden  im  Irrthum.  Wohl  aber  weisen  Technik  und 
Zeichnung  auf  das  letzte  Viertel  des  XIII.  Jahrhunderts  hin.  — 
Vielleicht  gehört  derselben  Hand  auch  das  Franzbildniß  in  San 
Francesco  zu  Pistoja  (XXII)  an ,  das  von  Tolomei  wohl  in 
Folge  der  mißverständlichen  Auffassung  einer  Stelle  im  Vasari,  der, 
ohne  den  Gegenstand  zu  erwähnen ,  ein  Bild  des  Lippo  Memmi 
auf  dem  Hochaltare  anführt,  diesem  Meister,  von  Crowe  und  Caval- 
caselle dem  Margaritone  gegeben  wurde.  ■^) 

Eine    andere    kleine  Darstellung    des  Franz  auf  einem  mit  Un- 
recht dem  Berlinghieri  zugeschriebenen  Diptychon  in  der  Akademie 


^)  Vas.  I,  S.  361  u.  Anm.  Letzteres  trug  angeblich  die  wohl  irrthümlich  ge- 
lesene Inschrift:  Margaritonis  devotio  me  fec.  —  Ebenda  wird  auch  noch  ein  im 
Handel  in  Florenz  befindliches  bez.  Bild,  das  1878  nach  auswärts  verkauft  wurde, 
erwähnt. 

2)  Tolomei:  Guida  di  Pistoja  1821.  S.  136.  Crowe  u.  Cavalcaselle.  D.  A.  I,  156, 
Es  befindet  sich  in  der  Capella  Bracciolini.     Vergl.  Vasari  I,  S.   556. 


Die  ältesten  Bildnisse.  8l 


zu  Florenz  zeigt  im  Typus  einige  Beziehungen  zu  dem  in  S.  Croce 
(XXIII).  Die  Haltung  erinnert  an  Margaritone's  Bilder,  von  denen 
es  aber  sonst  ganz  verschieden  ist. 

Größeres  Interesse  nimmt  ein  bisher  nicht  beachtetes  Gemälde 
aus  der  zweiten  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts,  das  wohl  von  der 
Hand  eines  sienesischen  Meisters  ist  und  sich  in  der  Akademie 
zu  Siena  (Nr.  330)  befindet,  in  Anspruch  (XXIV).  (Abb.  11.)  Der 
blondbärtige  Kopf  übertrifft  an  lebendiger  Natürlichkeit  den  in 
S.  Croce  und  zeigt  wie  dieser  in  den  besseren  Verhältnissen  einen 
Fortschritt  über  Margaritone  hinaus.  Die  Figur  ist  auch  hier  sehr 
lang,  die  Stellung  steif  befangen,  die  Kapuze  steht  hinter  dem 
Kopfe  etwas  in  die  Höhe.  In  der  Linken  hält  er  das  Buch,  in  der 
Rechten  ein  zierliches,  ornamentirtes  Kreuz.  Die  sichtbare  Seiten- 
wunde sendet  gleich  den  andern  Malen  Strahlen  aus.  Zu  den 
Seiten  befinden  sich  Szenen  der  Legende,  während  in  der  Höhe 
Christus,  zu  dem  Engel  verehrend  auffliegen,  erscheint.^) 

Derselbe  kürzere  Typus,  nur  in  Cimabue's  große,  derbe 
Formensprache  übertragen,  begegnet  nun  ferner  auf  dem  Fresko, 
das  derselbe  in  der  Unterkirche  von  Assisi  gemalt  (XXV). 
(Abb.  33.)')  Franz,  hier  der  schriftlichen  oder  mündlichen  Tradition 
gemäß  als  kleine,  mehr  untersetzte  Figur  gedacht,  steht,  in  beiden 
Händen  das  Buch  haltend,  en  face  neben  der  Madonna.  Ein  dicker 
Kranz  von  Haaren  umgiebt  den  Kopf,  von  dem  die  Kapuze  in  den 
Nacken  herab  gefallen  ist.  Aus  der  höheren  Kunstfertigkeit  allein 
erklärt  es  sich,  daß  wir  diesem  Bildniß  eine  größere  Lebenswahrheit 
und  Aehnlichkeit  zuzuschreiben  geneigt  sind,  daß  dasselbe  sich  mehr 
als  alle  anderen  unserm  Gedächtniß  einprägt,  so  wenig  Anspruch 
es  auch  darauf  machen  kann,  die  Züge  des  Heiligen  wirklich  wieder- 
zugeben. Es  trägt  eben  die  Glaubwürdigkeit  nur  in  sich  selbst  als 
Werk  eines  bedeutenden  Meisters.  Schon  das  Portrait  und  Brust- 
bild des  Franz  an  der  Decke  der  Oberkirche  zu  Assisi  (XXVI), 
von  einem  Schüler  gefertigt,  zeigt  wieder  das  allgemein  Typische 
des   hier  starkbärtigen  Mannes  mit  der  nach  links  herabhängenden 


^)  Welcher  Zeit  die  Inschrift  unten :  ,,S.  Franciscus"  und  eine  Art  Monogramm, 
das  aus  den  Buchstaben  CB  oder  GB  oder  CLB  geformt  ist,  angehörte,  vermochte  ich 
nicht  zu  entscheiden. 

'^)  Vergl.  die  ausführliche  Besprechung  imd  eine  Abbildung  des  Fresko  weiter 
unten  in  der  Beschreibung  von  S.  Francesco. 

T  h  o  d  e ,  Franz  von  Assisi.  6 


82  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Kapuze.^)  Auch  die  Bilder  der  Glasfenster  im  linken  Querschifif 
und  im  Längsschiff  der  Oberkirche  bringen  nichts  Neues  (XXVII. 
XXVIII). 

Endlich  zeigen  die  Mosaiken  des  J.  Torriti  im  Lateran 
(XXIX)  und  in  S.Maria  maggiore  zu  Rom  (XXX)  bereits  den 
Uebergang  zu  einer  anderen  Auffassung.  Auf  Anordnung  des  ehe- 
maligen Franziskaners,  Papst  Nicolaus'  IV.,  wurde  um  1290  das 
Apsismosaik  von  S.  Giovanni  erneuert  und  durch  die  kleinen  Figuren 
des  Franz  und  Antonius  bereichert.^)  Erscheint  hier  Franziskus 
noch  bärtig,  die  rechte  Hand  mit  dem  Wundenmale  erhebend,  im 
Profil,  so  giebt  ihn  Torriti  in  dem  1295  gefertigten  Mosaik  der 
Liberianischen  Basilika  in  gleicher  Stellung,  aber  bartlos,  womit 
also    zum   ersten  Male   kurz  vor  Giotto   die  Idealbildung   auftritt.'^) 

Damit  haben  wir  die  Bilder,  die  als  eigentlich  beabsichtigte 
und  alte  Portraits  des  Franz  zu  betrachten  sind,  erschöpft.  Einige 
andere  verdienen  nur  kurze  Erwähnung,  so  ein  kleines  Portrait  auf 
Kupfer  in  der  Akademie  zu  Pisa,  das  eine  übrigens  öfters  wieder- 
kehrende Nachahmung  aus  dem  XVII.  Jahrhundert  ist,  ein  zweites 
im  Museo  Correr  zu  Venedig,  das,  fein  und  vortrefflich  im  älteren 
Stile  ausgeführt  und  als  ,,vera  S.  Francisci  effigies"  bezeichnet,  wohl 
das  Bild  in  der  Sakristei  von  S.  Francesco  zum  Vorbild  hat,  aber 
der  Behandlung  nach  aus  dem  XV.  Jahrhundert  stammt,  das  Portrait 
in  S.  Francesco  zu  Brescia,  das  nach  seiner  jetzigen  Beschaffenheit 
nur  als  eine  späte  Nachahmung  des  Margaritone  zu  bezeichnen  ist 
und  andere  mehr.  Kehrt  in  diesen  Produkten  vorgeschrittener  Zeit 
wenigstens  der  alte  Typus  wieder,  so  sind  die  späteren  Werken 
in  Holzschnitten    beigegebenen    angeblichen  Portraits    ganz  willkür- 


^)  Ueber  den  Meister  vergl.  Näheres  unten  ebendaselbst.  Abb.  Plön :  St.  Fran- 
gois  S.  328. 

^)  Abb.  Gutensohn  u.  Knapp:  Denkmäler  d.  christl.  Religion.  Rom  1822. 
Taf.  46.  —  Ag.  Valentini  u.  F.  Gerardi:  La  patriarcale  basilica  Lateranense.  Rom 
1832  II,  Taf.   30.  —  D'Agincourt  XVm,    13. 

^)  Gutensohn  u.  Knapp ,  Taf.  46.  —  Valentini :  La  patr.  basilica  Liberiana. 
Rom  1839,  Taf.  55.  —  D'Agincourt  XVIII,  14.  —  Crowe  u.  Cavalcaselle  D.  A.  I  S.  81.  — 
Lübke ,  Gesch.  d.  ital.  Malerei  I,  96.  Von  einem  angeblichen  Versuche  des  Papstes 
Bonifacius ,  die  neuen  Heiligen ,  in  Sonderheit  Antonius  von  diesen  Ehrenplätzen  zu 
entfernen ,  berichtet  das  Speculum  S.  Francisci.  Die  Arbeiter ,  die  den  Antonius 
vernichten  und  an  seine  Stelle  den  h.  Gregor  setzen  sollten ,  wurden  angeblich  ge. 
waltsam  vom  Gerüst  herabgeschleudert.  S.  a.  Rodulphus:  Hist.  Ser.  relig.  Venedig 
1586,  lib.  I,  S.   77. 


Die  ältesten  Bildnisse.  83 


liehe  Schöpfungen,  wenn  sie  auch,  wie  der  in  Rodulphus'  Historia 
Seraphicae  religionis  mehrfach  abgedruckte  Holzschnitt,  der  das 
Brustbild  des  Heiligen  zeigt,  fälschlich  auf  alte  Vorbilder,  hier  z.  B. 
auf  Margaritone  zurückgeführt  werden.^)  Derart  mag  auch  der  auf 
einen  Kupferstich  des  XVIII.  Jahrhunderts  zurückgehende  Stich 
Parini's  gewesen  sein,  den  Mariotti  beschreibt,  und  der  nach  einer 
ergötzlichen  Bezeichnung  angeblich  das  von  einem  Peruginer  Meister 
Tullius  gelegentlich  des  ersten  Kapitels  in  S.  Maria  degli  Angeli 
12 19  gemachte  Konterfei  des  Franz  ist.  ^)  Nicht  genug  aber,  daß 
solche  Legenden  von  alten  Bildern  auftauchten,  weiß  schon  Bartholo- 
mäus Pisanus  davon  zu  erzählen,  daß  Franziskus,  noch  ehe  er  ge- 
boren ,  mit  Dominikus  auf  die  Weissagung  und  Veranlassung  des 
Abtes  Joachim  hin  in  S.  Marco  zu  Venedig  dargestellt  worden  sei.  ^) 
Wer  jetzt  daselbst  nach  Mosaiken,  die  Schuld  an  dieser  Geschichte 
sein  könnten ,  sucht ,  wird  in  dem  linken  Gange  der  Vorhalle  nur 
ein  aus  dem  Ende  des  XIII.  Jahrhunderts  stammendes  Bildniß  des 
Dominikus  und  eine  Stigmatisation  des  Franz  aus  dem  XVII.  Jahr- 
hundert finden. 

Fassen  wir  zum  Schlüsse  kurz  die  Resultate  unserer  Unter- 
suchung zusammen,  so  ergicbt  sich,  daß  uns  keines  der  alten 
Portraits  eine  wahrhaft  unmittelbare  Anschauung  des  Franz  gewährt, 
die  meiste  Glaubwürdigkeit  aber  die  von  Zeitgenossen  ausgeführten 
Bilder  in  Subiaco,  in  S.  Francesco  zu  Rom  und  in  S.  Francesco  zu 
Pescia  besitzen,  in  denen  uns  der  Heilige  als  ein  blondbärtiger, 
mittelgroßer  Mann  mit  schmalem  länglichem  Gesicht  entgegentritt. 
Um    die  Mitte    des  Jahrhunderts   beginnt   man  seinen  Charakter  in 

^)  Nach  der  Bez. :  „vera  beati  Francisci  effigies  ad  vivum  expressa  a  Margaritono 
Aretino.  Margariton  pictor  sie  finxit  imagine  viva.  Ast  animi  dotes  fingere  nemo  potest". 
Da  wird  Margaritone  selbst  sogar  zum  intimen  Freunde  des  Franz.  —  Vergl.  auch  Holz- 
schnitt in  den  Opera  S.  Francisci.  Hsg.  vom  Can,  Der  Burg.  Cöln  1842.  Fra  Salva- 
tore  Vitale:  Del  Monte  serafico  della  Vema,  Venedig  1628,  der  auch  von  einem 
Portrait  in  Guete  in  Spanien  spricht,  das  ein  jüdischer  Bildhauer  zum  Andenken 
an  Franz'  Aufenthalt  daselbst  12 14  gefertigt,  das  aber  nicht  ähnlich  sei.  (S.  44.) 
S.  Bonghi  a.  a.  O.  S.  107. 

2)  Lettere  pittoriche  1788.  S.  15.  Die  köstliche  Inschrift  lautet :  „lo  TuUio  pitore 
di  Peruggia  esendo  stato  guarito  da  questo  beato  huomo  F.  Francesco  d'Assisi  d'una 
grandissima  apoplesia  sono  andato  questo  anno  12 19  al  capitolo  delle  störe  alla  M. 
deli  Angeli  et  ho  fato  il  presente  suo  ritratto  sopra  di  lui  per  divocione  che  io  ho 
in  questo  beato  huomo."     Mariotti  selbst  äußert  alle  seine  Bedenken. 

^)  Liber  Conformitatum,  Mailänder  Ausg.  15 13  lib.  I  fr.  I  S.  12  u.  f.  Danach  in 
dem    Carmen   vitae   S.  F.  Crakau   1594.    II.  Gesang.     Wadding  Annalen  Bd.  I,    S.   16. 

6* 


84  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Starker  Betonung  des  Asketischen  hervorzuheben,  entfernt  sich  aber 
zu  gleicher  Zeit  mehr  von  der  PortraitähnHchkeit ,  bis  in  Margari- 
tone's  Bildern  dieselbe  fast  zur  Karrikatur  wird.  Zu  einer  größeren, 
aber  mehr  künstlerischen  Wahrheit  gelangen  dann  des  Cimabue 
Zeitgenossen  und  in  erhöhtem  Maaße  Dieser  selbst,  bis  mit  Torriti 
endlich  gegenüber  dem  Streben  nach  Aehnlichkeit  eine  Idealbildung 
sich  entwickelt.  Auffallend  bleibt  es,  daß  mit  des  Thomas  von 
Celano  Beschreibung  und  des  Mönches  eigenen  Worten  im  Wider- 
spruch Franz  fast  durchweg  blond  dargestellt  ist.  Wir  können 
daraus  nur  schließen,  wie  vorsichtig  man  selbst  den  ältesten,  aber 
mit  ungenügendem  Kunstvermögen  geschaffenen  Bildnissen  gegen- 
über sich  verhalten  muß.  Von  welcher  Wichtigkeit  sie  gleichwohl 
für  die  Geschichte  der  Kunst  sind,  geht  aus  dem  Vorhergehenden 
genügend  hervor.  Schon  Vasari  konnte  mit  Recht  diese  Portrait- 
kunst  eine  ,,cosa  nuova"  nennen. 

Bestimmend  aber  werden  jene  alten  Bilder  im  Wesentlichen 
für  die  ganze  folgende  Kunst  in  den  Attributen  des  Heiligen :  dem 
Buch,  das  durch  die  verschiedenartigen  Inschriften  als  Regel  ge- 
kennzeichnet ist,  und  dem  Kreuz,  als  treffendstem  symbolischen 
Ausdruck  für  sein  ganzes  Leben,  dessen  Inhalt  sich  ja  am  Kürzesten 
als  Verehrung  des  gekreuzigten  Heilandes  charakterisiren  läßt  und 
dessen  Höhepunkt  durch  die  räthselvolle  Kreuzigung  seines  Fleisches 
•bezeichnet  wird.  Als  wunderbare  Zeichen  seiner  Gottähnlichkeit 
werden  an  den  Händen  und  an  der  Seite  die  Wundenmale  sichtbar, 
die  er  häufig  mit  der  Rechten  dem  gläubigen  Verehrer  weist.  Die 
Bilder,  in  denen  sich  durch  Weglassen  derselben  der  Unglaube  an 
die  Stigmatisation  zeigte,  der  namentlich  in  gewissen  Theilen 
Deutschlands  und  Spaniens  im  XIII.  Jahrhundert  noch  herrschte, 
aber  auch  in  Italien  sich  geltend  machte,  standen  jedenfalls  an 
Zahl  weit  zurück.  Daß  es  solche  gab,  geht  aus  einer  Erzählung 
Bonaventura's ^)  hervor,  nach  welcher  auf  einem  Bildnisse  des 
Heiligen,  das  eine  römische  Dame  besaß,  die  vom  Maler  ,, ver- 
gessenen", vielmehr  wohl  mit  Absicht  weggelassenen  Stigmata  durch 
Wunder  erschienen.  In  einem  Breve  vom  Jahre  1259  beklagt  sich 
Alexander  IV.,  daß  man  in  Castilien  von  den  Gemälden  die  Kreuzes- 
male wegkratze  und  den  Malern  verbiete,   dieselben  anzubringen.  ^) 


1)  Cap.  XVI,  S.  784. 

2)  Wadding:  Annal.  IV,    1259.     S.  105. 


Die  späteren  Darstellungen  des  Franziskus.  85 


Die  Kutte  des  Heiligen,  deren  Form  namentlich  zur  Zeit  der 
Entstehung  des  Kapuzinerordens  zu  so  heftigen  Streitigkeiten  An- 
laß gab ,  erscheint  im  Ganzen  ziemlich  gleich  auf  den  ältesten 
Bildern :  meist  von  brauner,  dunkelgrauer  oder  schwärzlicher  Farbe 
fällt  sie,  durch  einen  vorn  herabhängenden  Strick  gegürtet,  bis  auf 
die  Füße  nieder  und  hat  bis  zu  den  Händen  reichende,  mittelweite 
Aermel.  Die  Kapuze,  in  Subiaco  hoch  und  spitz  über  dem  Kopfe 
emporstehend,  hängt  auf  den  späteren  Darstellungen  meist  seitwärts 
von  ihm  mäßig  lang  herab  oder  sie  ist  kragenartig  um  den  Hals 
gelegt.     Die  Füße  sind  nackt,  ohne  Sandalen.^) 


IL  Die  späteren  Darstellungen  des  Franziskus. 

Was    das   XIII.    Jahrhundert    vorbereitet    hatte,    trat    um    die 
Wende  des  neuen  glänzend  ans  Licht.     In  der  Legende  des  Franz 


^)  Näher  auf  die  Tracht  einzugehen,  ist  hier  nicht  der  Ort.  Nur  wenige  Bemer- 
kungen seien  mir  erlaubt.  Thomas  von  Celano  I ,  Cap.  II ,  S,  699  sagt ,  daß  F.  in 
der  ersten  Zeit  ein  „heremiticum  habitum"  trug  und  ,,accinctus  corrigia  et  baculimi  manu 
portans,  calceatis  pedibus  incedebat".  Dann,  nachdem  er  das  Evangelium  Matthäi  ge- 
hört: „solvit  protinus  calceamenta  de  pedibus,  baculum  deponit  e  manibus,  et  tunica 
una  contentus ,  pro  corrigia  funiculum  immutavit.  Parat  sibi  ex  tunc  tunicam ,  crucis 
imaginem  praeferentem ,  ut  in  ea  pulset  omnes  daemoniacas  phantasias"  etc.  —  Von 
den  drei  echten  Kutten  in  Assisi ,  Florenz  und  Alvemia  untersuchte  Antonius  Daga 
1621  die  erste,  fand  sie  aber  stark  beschnitten.  Die  Aermel  daran  waren  weiter,  als 
es  die  Observanten  damals  erlaubten.  Rodulphus  giebt  angeblich  nach  alten  Legenden 
folgende  Beschreibung  der  Kutte:  ,, tunica  B.  F.  fuit  pallentis  et  cinerei  coloris  qualem 
fuisse  tunicam  inconsutilem  Christi  quidam  affirmant.  Fuit  quoque  cniciformis  cuius 
longitudo  terram  non  attingebat,  latitudo  vero  manicarum  ad  extremos  digitorum  articulos 
perveniebat.  Capitium  quoque  quadratum  detulit,  tantae  quidem  longitudinis  quod  faciem 
operiret ,  qualem  habitum  deferre  consueverunt  agrestes  homines  illius  religionis.  — 
Bonaventura  als  General  giebt  1260  Bestimmungen  über  die  Tracht,  die  nicht  allgemein 
durchdringen.  Die  Kapuze  erhält  jene  zugespitzte  Form,  umschließt  oval  das  Gesicht 
und  fällt  fast  bis  zum  Gürtel  im  Nacken  hinten  herab ,  wie  wir  es  auf  den  Mosaiken 
in  Rom,  bei  Cimabue,  dann  auf  den  Fresken  Giotto's  in  der  Oberkirche  zu  Assisi  und 
später  meist  finden.  Die  Coelestinereremiten ,  die  1294  bestätigt,  aber  1302  wieder 
aufgelöst  wurden ,  versuchten  dagegen  von  Neuem  eine  Vereinfachung.  Endlich  sahen 
die  Kapuziner  (1525  durch  Matthäus  Bascius  gegr.,  1526  bestätigt)  ihr  Heil  in  der 
spitzigen,  pyramidalen  Kapuze  (cucuUa).  Das  Bild  in  Subiaco  giebt  ihnen  Recht,  wenn 
sie  dieselbe  für  die  älteste,  von  Franz  selbst  bevorzugte  Form  ansehen.  Näheres  darüber 
bei  Wadding  Bd.  I,  1208,  S.  47.  —  Annales  Capucinorum,  I.  Bd.  und  Zacharias 
Boverius :  Dissertazione  de  vera  habitus  forma  illius.  —  Gonzaga :  De  orig.  Ser.  Rel. 
1603.  S.  5f.  —  Acta  SS.  Oct.  U  B.  App.  §  8.  S.  577  f. 


86  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende, 

in  der  Oberkirche  zu  Assisi  entfaltete  sich  der  Genius  Giotto's  und 
schwebte,  die  alten  beengenden  Hüllen  fallen  lassend,  in  freiem 
Fluge  auf  kühnen  Bahnen  dem  Ziele  entgegen,  das  erst  Jahrhunderte 
später  erreicht  werden  sollte.  Was  ihn,  den  Jüngling,  der  an 
Wissen  arme,  an  Empfinden  reiche  Mönch  zu  Assisi  gelehrt  hatte, 
war  die  Liebe  zur  Natur,  die  er  fortan  zu  seiner  Lehrmeisterin 
machte.  Wir  werden  später  das  erste  Entstehen  des  innigen  Ver- 
hältnisses, das  die  beiden  Männer  verknüpfte  und  das  so  unendlich 
fruchtbar  werden  sollte,  belauschen  und  damit  dem  geheimnißvollen, 
auf  lange  hinaus  wirkenden  Einflüsse  des  Franz  näher  treten.  Hier 
gilt  es  zunächst  in  rascher  Aufeinanderfolge  die  Werke  der  ita- 
lienischen Kunst  bis  zu  ihrer  Blüthe  vorbeiziehen  zu  lassen  und  zu 
beobachten,  was  diese  Kunst  aus  der  Persönlichkeit  des  Mannes 
gemacht,  in  dessen  Portraits  ihr  die  erste  lehrreiche  Aufgabe  ge- 
stellt worden  war.  Da  wird  es  uns  aus  Tausenden  von  Bildern, 
auf  denen  Franziskus  wiederkehrt ,  klar  werden ,  wie  dessen  Ge- 
staltung auch  durch  die  folgenden  Jahrhunderte  hindurch  ein  ganz 
besonderes ,  für  die  Kunstentwicklung  bedeutungsvolles  Element 
bildet.  Der  Heilige,  dessen  eigenstes  Wesen  ganz  in  dem  aus 
tiefer  Innerlichkeit  begeistert  nach  Außen  tretenden  Gefühl  beruht, 
stellte,  so  oft  er  abgebildet  werden  sollte,  jedem  Künstler  eine 
große  Aufgabe.  Die  schlichte  Kutte,  die  leicht  und  reizlos  zu 
zeichnen  war,  erforderte  geringe  Aufmerksamkeit,  nur  in  der  Be- 
wegung und  im  Ausdruck  des  Kopfes  war  die  Charakteristik  zu 
geben.  Franz  gehört  zu  den  immer  wiederholten  Figuren,  an  denen 
die  Renaissancekunst  besonders  gelernt  hat.  Er  war  ein  Vorbild, 
wie  geschaffen  für  die  ersten  Studienzeiten  der  modernen  Malerei, 
deren  eigentHche  Bedeutung  ja  grade  in  der  äußeren  Wiedergabe 
des  innerlichen  Empfindens,  in  der  Charakteristik  liegt.  In  Franz 
war  eine  bestimmte  Individualität,  ein  Charakter  gegeben,  wie  deren 
im  Bereiche  der  christlichen  Kunst  nicht  viele  so  ausgeprägte  und 
zugleich  so  allgemein  verständliche  vorkommen.  Die  Attribute 
werden  bei  ihm  ganz  zur  Nebensache,  —  der  begabte  Maler  konnte 
sie  durchaus  entbehren  und  doch  durch  den  schwärmerisch  gläu- 
bigen Blick,  die  demüthige  Haltung  den  Heiligen  kennzeichnen, 
dessen  Andenken  ungetrübt  im  Bewußtsein  des  Volkes  weiterlebte. 
Mit  einigen  wenigen  anderen  Gestalten  ist  Franz  immer  wieder 
gleichsam  der  Prüfstein  der  fortschreitenden  Kunst  geworden,  an 
dem  sich  im  einzelnen  Falle  das  Stadium  derselben  erkennen  läßt. 


Die  späteren  Darstellungen  des  Franziskus.  87 

Wie  in  Johannes  dem  Täufer  die  asketisch  prophetische  Be- 
geisterung ,  in  Hieronymus  das  büßende  Denken  des  Alters ,  ii\ 
Sebastian  das  körperliche  Leiden  des  Jünglings ,  in  Magdalena  die 
reuige  Liebe  der  Sünderin,  in  Georg  der  gottbegeisterte  Muth  ge- 
schildert wird ,  so  in  Franz  die  schwärmerische  Glaubensseligkeit ! 
So  verschieden  die  Anforderungen ,  die  jede  der  Figuren  dem 
Künstler  stellt,  auch  sein  mögen,  was,  diesen  allen  gemeinschaftlich 
eigen,  so  wichtig  für  die  Kunstentwicklung  geworden,  ist  das 
psychische  Element,  dessen  höchsten  Anforderungen  die  Kunst 
nur  durch  höchste  Kraftanspannung  genügt.  Es  sind  Idealbildungen, 
wie  jede  religiöse  Kunst  sie  haben  muß,  will  sie  wirklich  die  Höhe 
erreichen  —  allgemein  verständlich  und  doch  individuell  stets  neu 
aufzufassen,  einheitlich  in  sich  und  doch  unerschöpflich  vielseitig 
anregend. 

Wer  allen  Wandlungen  nachgehen  wollte,  welche  die  Figur  des 
Franz  ir;  der  italienischen  Kunst  durchgemacht  hat,  seine  ver- 
schiedenen Gestaltungen  einzeln  betrachten  wollte,  würde  eine  Ge- 
schichte der  Kunst  selbst  zu  schreiben  haben,  da  es  wohl  schwerlich 
irgend  einen  Künstler  gegeben,  der  den  HeiHgen  nicht  wenigstens 
einmal  dargestellt.  Das  Allgemeine  und  Wesentliche,  zunächst  was 
die  Attribute,  dann  was  den  Typus,  endlich  was  seine  Stellung  auf 
Devotionsbildern,  seine  Beziehung  zu  andern  Heiligen  und  zu  Dar- 
stellungen der  christlichen  Geschichte  betrifft,  aus  der  wahrhaft 
verwirrenden  Fülle  kurz  hervorzuheben,  muß  genügen. 

War  Franz  schon  auf  den  alten  Portraits  meist  mit  dem  Kreuz 
und  dem  Buch  in  den  Händen  dargestellt  worden,  so  bleiben  diese 
Attribute  auch  in  der  ganzen  Folgezeit  und  auf  Werken  aller 
Schulen  ihm  meist  getreu.  Das  Buch  aber  durch  entsprechende 
Inschriften  als  Regel  zu  kennzeichnen,  giebt  man  bald  auf.  Nur 
auf  einem  Bilde  des  Sano  di  Pietro  in  der  Akademie  zu  Siena  und 
auf  einem  anderen  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  in  der  Gallerie  von 
Perugia  (Sala  di  T.  di  Bartoli)  liest  man  jene  des  Heiligen  Denken  und 
Leben  so  voll  aussprechende  und  in  dem  opusculum  de  vera  laetitia 
(Opera  S.  16)  von  ihm  selbst  kommentirte  Stelle:  ,,fratres  mi  autem 
assit  gloriari  nisi  in  cruce  domini  nostri  lesu  Christi  per  quem 
michi  mundus  crucifixus  est  et  ego  mundo"  (sie!  Galater  6,  14). 
Daneben  gewinnt  auch  jenes  alte  Motiv  des  Weisens  der  Wunde 
eine  allgemeine  Gültigkeit,  nur  daß  die  fortgeschrittene  Kunst,  um 
die  steife  Handhaltung  zu  vermeiden,  es  dahin  veränderte,  daß  die 


88  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Hand  an  die  Seitenwunde  faßt  oder  auf  dieselbe  deutet.  In  das 
Lesen  eines  Buches  oder  in  Anschauung  des  Kreuzes  vertieft  scheint 
er  besonders  von  nordischen  Malern  dargestellt  worden  zu  sein.^) 
Allgemein  aber  sucht  man  den  im  Kopfe  gegebenen  Ausdruck 
gläubiger  Ergebung  in  Gottes  Willen  durch  das  Falten  der  Hände 
oder  durch  deren  Kreuzung  über  der  Brust  zu  verstärken.  Zu- 
weilen erhebt  er  in  inbrünstigem  Gefühl  die  Arme  nach  oben  oder 
bewegt  sie  geradezu,  als  würde  ihm  die  Vision  des  Seraph  eben 
zu  Theil.  Am  Fuße  des  Kreuzes,  oft  auch  vor  dem  auf  der  Mutter 
Schooß  sitzenden  Christuskinde  beugt  er,  in  Andacht  und  Verehrung 
versunken,  die  Kniee.  Nur  einmal  auf  dem  schon  erwähnten  Bilde 
des  Sano  di  Pietro  fand  ich  den  Seraphim  in  seiner  Hand ,  ein 
Motiv,  das  vielleicht  auf  ältere  sienesische  Vorbilder  zurückgeht,  wie 
denn  Ambrogio  Lorenzetti  auf  einem  Bilde  in  der  Opera  del  duomo 
in  Siena  den  Seraphim  an  der  Seitenwunde  schwebend  anbringt. 
Der  späteren  Sitte  der  Franziskaner  entsprechend  sind  seine  Füße 
häufig  mit  Sandalen  bekleidet.  Die  Wunden  sind  durchweg  einfach 
wie  die  Christi  gebildet  —  ausnahmsweise  nur  sieht  man  die  von 
den  alten  Biographen  so  eingehend  beschriebenen  nageiförmigen 
Fleischauswüchse  auf  einem  Bilde  des  Crivelli  in  London.^)  In 
Umbrien  und  Toskana  bleibt  es  bis  tief  ins  XV.  Jahrhundert  hinein 
üblich,  wenn  auch  nicht  geboten,  sie  mit  Strahlen  zu  schmücken, 
wodurch  anfangs  wohl  nur  das  Augenmerk  stärker  auf  sie  gezogen 
werden  sollte.  Auffallen  aber  muß  es,  daß  sie  auf  manchen 
bolognesischen  Kunstwerken  des  XIV.  Jahrhunderts  und  einigen 
späteren  ganz  weggelassen  sind,  was  fast  auf  eine  Nichtanerkennung 
des  Wunders  in  der  gelehrten  Stadt  schließen  ließe ,  hätten  wir 
sonst  Kunde  davon.  ^)  Nur  kurz  erwähnt  zu  werden  verdient  die 
absonderliche  Darstellung  des  Heiligen  und  des  Antonius  von  Padua 
als   Schildträger   auf  einem    kleinen    Relief  im  Durchgang   zur 


*)  Vergl.  z.  B.  Basaiti.  Venedig,  Akad.  60.  —  Busati  ,  ebd.  81.  —  Domenico 
Veneziano.  Florenz,  S.  Croce.  —  Auch  bei  Penigino.  Fano,  S.  Maria  nuova.  —  Das 
Kreuz  betrachtend:  Benaglio.  Verona,  Akad.  282.  —  Rivelli.  Bergamo,  Lochis.  — 
AI.  Vittoria.    Venedig,    S.  Franc,  d.  Vigna.  —  Paduanische  Seh.?     Berlin,    Gall.  I182. 

2)  Nat.   Gall.  Abb.  bei  Plön:  S.  Frangois  S.   391. 

^)  Medaillon  neben  dem  rechten  Seitenportal  von  S.  Petronio.  —  Fresken  aus  der 
I.  Hälfte  des  XV.  Jahrh.  II.  Kap.  rechts  und  III.  Kap.  daselbst  links  (irrthümlich 
Buffalmacco  zugeschrieben).  —  Vergl.  auch  die  Intarsiadarstellung  auf  den  Schrankthüren 
der  Sakristei  des  Santo  in  Padua  (XV.  Jahrh.). 


Die  späteren  Darstellungen  des  Franziskus.  gg 

Sakristei  des  Santo  in  Padua  aus  dem  Ende  des  Quattrocento.  Da 
fuhrt  er  das  Wappen,  das  wir  auch  sonst  über  den  Eingangsthoren 
zahlreicher  Franziskanerklöster  sehen :  die  gekreuzt  übereinander- 
gelegten  gekreuzigten  Arme  Christi  und  Franzens,  eine  Darstellung, 
durch  welche  die  Anschauung  von  der  zuerst  durch  Bartholomäus 
Pisanus  öffentlich  ausgesprochenen  Konformität  des  Heilandes  mit 
seinem  Nachfolger  ihre  allgemeine  Bestätigung  erhielt. 

Als  Giotto  dazu  berufen  wurde,  in  Assisi  die  Legende  des 
Franz  in  zahlreichen  Bildern  darzustellen,  schloß  er  sich  der  älteren 
Kunst  an,  indem  er  dem  Heiligen  den  Bart  gab.  Erst  später,  als 
er  die  gleiche  Aufgabe  für  S.  Croce  in  Florenz  auszuführen  hatte, 
brach  er,  wie  vor  ihm  Torriti,  mit  der  Tradition  und  schuf  hier, 
wie  schon  in  den  Allegorien  der  Unterkirche,  die  besonders  dazu 
auffordern  mochten ,  den  idealen  jugendlichen  Typus.  Es  vollzog 
sich  damit  jene  entscheidenden  Kunstphasen  eigenthümliche  Ver- 
allgemeinerung des  individuell  Besonderen,  die  nicht  auf  Kosten 
des  Charakteristischen  geht,  vielmehr  dazu  dient,  dieses  auf  Grund 
einer  freieren  Anschauung  zur  idealen  Wesensverdeutlichung  zu  er- 
heben. Die  enthusiastische  Liebeskraft  wurde  im  Bilde  der  Jugend 
verdeutlicht.  Indessen  sollte  die  Neuerung  zunächst  keine  große 
Wirkung  haben,  da  die  Tradition  zu  mächtig  und  das  Volk  zu  sehr 
an  die  alte  portraitmäßige  Darstellung  seines  Heiligen  gewöhnt  war. 
Erst  im  Quattrocento  gewinnt  sie  eine  allgemeine  Bedeutung  und 
wird  im  nördlichen  Italien  geradezu  zur  Norm  bis  auf  Francia,  Titian 
und  Correggio  hin.^)  In  Umbrien  und  Toscana  aber  bleibt  immer  eine 
gewisse  Vorliebe  für  den  hergebrachten  bärtigen  Typus,  zugleich 
für  die  blonde  Farbe  der  Haare,  namentlich  in  Franzens  Heimath. 
Der  erste  nach  Giotto  wie  es  scheint,  der  diesen  in  Florenz  wieder 
bartlos  darstellt,  ist  ein  aus  dem  Norden  kommender  Künstler: 
Domenico  Veneziano ,  dessen  Beispiele  dann  in  der  Folgezeit  be- 
sonders Piero  della  Francesca,  Fra  Angelico,  Filippo  Lippi,  Botti- 
celli ,  Filippino ,  Rosselli ,  Luca  della  Robbia  und  seine  Schüler, 
Agostino  di  Duccio,  Benedetto  da  Majano  u.  A.  folgen.  Mit  Domenico 
Veneziano  aber  widerfährt  auch,  nachdem  schon  die  Trecentisten 
manchen  recht  achtungswerthen  Versuch  gemacht  hatten,  der  In- 
dividualität des  Franz  künstlerisch  ihr  Recht.  Mag  Paolo  Uccello 
in  seinen  untergegangenen  Fresken  in  S.  Trinitä  den  Heiligen  zuerst 


^)  Bei  Moretto  und  Romanino  ist  er  immer  bärtig. 


go  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 


in  völliger,  greifbarer  Körperlichkeit  und  Wirklichkeit  zu  gestalten 
versucht  haben,  die  Tiefe  der  Auffassung,  wie  sie  Domenico's  Fresko 
in  S.  Croce  verräth,  dürfte  ihm  kaum  zu  erreichen  gelungen  sein. 
Oder  ist  nicht  Domenico ,  sondern  Andrea  Castagno  der  Schöpfer 
des  Bildes  in  S.  Croce  gewesen?  Hier  erscheint  Franz  neben 
Johannes  dem  Täufer  in  wirksamstem  Vergleich  und  Gegensatz. 
Spricht  aus  beiden  Figuren  das  tiefste,  innerlichste  Erfülltsein  von 
einer  starken  Glaubensüberzeugung,  so  äußert  sich  diese  doch 
sehr  verschieden:  im  jugendlichen  Johannes  fast  fanatisch  lebendig 
nach  außen  sich  Bahn  brechend,  im  bejahrten  Franz  in  die  Tiefen 
des  Innern  sich  zurückziehend.^)  So  sollten  die  beiden  Heiligen 
ähnlich  neben  einander  auf  einem  der  herrUchsten  Werke  voll- 
endeter Kunst,  auf  Raphael's  Madonna  di  Foligno  wieder  bei 
einander  erscheinen,  der  eine  mit  Blick  und  Geberde  direkt  den 
Beschauer  zur  Verehrung  auffordernd,  der  andere  ganz  in  den 
Anblick  des  Himmelskindes  versunken,  wie  abwesend  und  nur  mit 
einer  deutenden  Bewegung  der  Hand  die  Beziehung  zur  äußeren 
Welt  noch  erhaltend.  —  Von  einem  Künstler,  der  wie  kein  Anderer 
dazu  berufen  war,  Franz  zu  verherrlichen,  sind  uns  leider  nur  wenige 
Darstellungen  erhalten,  von  Fra  Giovanni  da  Fiesole,  der,  wenn 
irgend  Einer,  ,, seraphisch  ganz  von  Gluthen"  dazu  bestimmt  schien, 
das  Wesen  des  Heiligen  tief  nachzuempfinden.  Es  wollte  'mir 
immer  ein  sonderbarer  Zufall  scheinen,  daß  er  statt  der  Franziskaner- 
kutte die  schwarz  und  weiße  Tracht  der  Dominikaner  getragen.  Er 
wäre  ein  Künstler  nach  dem  Herzen  des  Franziskus  gewesen ,  der 
besser  wohl  als  der  Feind  der  Ketzer  Dominikus  zum  Schutzpatrone 
seiner  Kunst  getaugt  hätte.  Lebt  doch  fast  in  jeder  der  Figuren 
Fra  Angelico's  des  Franz  Empfindung.^)  Seinem  Schüler,  dem 
lebensfrohen  Benozzo,  der  in  Montefalco  sein  Erzählertalent  an  der 
Legende  üben  konnte ,  ist  es  hingegen  nie  gelungen ,  die  fromme 
Andacht  in  ihrer  ganzen  Tiefe  zum  Ausdruck  zu  bringen  (vgl.  dessen 
Bild  in  London).      Das   war   die   Sache   anders   gearteter  Künstler, 


^)  Man  vergl.  damit  den  Franz  auf  Domenico's  Bild  in  den  Uffizien  N.  1 305 ; 
das  fälschlich  Castagno  genannte  Bild  in  der  Akademie  zu  Florenz,  in  dem  man  jetzt, 
wie  ich  in  der  I.Auflage  behauptet,  die  Hand  des  jugendlichen  Botticelli  erkennt; 
A.  Vivarini,  Venedig,  Akad.  (607) ;  das  irrthümlich  Filippino  zugeschriebene  in  London, 
Nat.-Gall.  598. 

^)  Siehe  die  herrliche  Figur  des  Heiligen  auf  der  Kreuzigung  in  S.  Marco  (Ra- 
dirung  von  Gaillard  in  Plon's  Werk). 


Die  späteren  Darstellungen  des  Franziskus.  qi 

wie  Francia's,  auf  dessen  Bildern  der  Heilige  oft  wiederkehrt  und 
in  stets  neuer,  bis  an  die  Grenzen  künstlerischer  Wahrheit  streifender 
Weise  dargestellt  ist,  wie  er  den  höchsten  Offenbarungen  mit  seinem 
ganzen  Sein  und  Wesen  sich  hingiebt.^)  Das  Ekstatische  zu  schildern 
war  eine  lohnende  Aufgabe  auch  für  Perugino.  Correggio  verstand 
es  wunderbar  in  seinem  Jugendbilde  in  Dresden  zu  veranschaulichen. 
Wohl  Keiner  aber  wußte  diese  fessellose  Inbrunst  der  Liebe  herr- 
licher im  Blick  und  in  der  Bewegung  wiederstrahlen  zu  lassen,  als 
Moretto  in  seinem  herrlichsten  Gemälde,  der  Krönung  der  Maria 
in  San  Nazaro  in  Brescia.  Wie  ruhig  und  gefaßt  erscheint  dagegen 
der  Heilige,  wenn  er  auf  Titian's  Madonna  di  Pesaro  in  der  Kirche 
der  Frari  zu  Venedig  die  Stifterfamilie  empfiehlt,  wie  traumumfangen 
und  in  sich  versunken  Giorgione's  Franz  auf  der  Madonna  von  Castel- 
franco !  Eine  andere  Seite  aber :  das  Leiden  heftigen  körperlichen 
Schmerzes ,  die  Kraftlosigkeit  des  schwachen  Körpers  bringt  be- 
sonders einer  der  Robbia  in  seiner  Statue  in  S.  Maria  degli  Angeli 
bei  Assisi  zum  Ausdruck,  als  solle  der  Heilige  an  dieser  Stätte 
seines  Triumphes  an  das  Mitleid  der  Gläubigen  appelliren  und  sie 
daran  gemahnen,  wie  viel  er  gleich  einem  anderen  Christus  auf  sich 
genommen,  um  ihnen  die  höchsten  Gnadengüter  zu  sichern. 

Noch  manches  der  sich  vertiefenden  Betrachtung  würdige  Kunst- 
werk ließe  sich  aufzählen,  genügte  es  nicht,  auf  die  verschiedenen 
Auffassungen  im  Allgemeinen  hingewiesen  zu  haben,  deren  nur  in 
großen  Zügen  skizzirte  Mannichfaltigkeit  wohl  rechtfertigt,  was  oben 
über  die  hervorragende  Bedeutung  der  Franzfigur  für  die  Kunst- 
entwickelung gesagt  worden  ist. 

Im  XVI.  Jahrhundert  gewinnt  die  nie  ganz  ausgestorbene  Tra- 
dition, daß  Franz  bärtig  gewesen,  wieder  erneute  und  allgemeine 
künstlerische  Gültigkeit.  Im  Norden  durch  die  Tintoretto,  Paolo 
Veronese  und  namentlich  die  Maler  von  Bassano,  in  Bologna  durch 
Lod.  Carraci,  Guido  Reni,  Guercino,  in  Florenz  durch  A.  Allori, 
Cardi  u.  A.  Gerade  den  Meistern  jener  Zeit,  die  es  nicht  satt  werden 
konnten,  ihre  Kunstfertigkeit  in  der  Wiedergabe  der  häufig  bis 
zum  Paroxismus  gesteigerten  Ekstase  zu  beweisen,  mußte  die  heilige 
Gestalt  recht  nach  dem  Herzen  sein,  da  sie  ihnen  Gelegenheit  gab, 
ihre  Fähigkeiten  von  der  besten  Seite  zu  zeigen.  Die  alte  Ein- 
fachheit und  Mäßigung  darf  man  von  ihnen  nicht  verlangen,   doch 


^)  Vgl.  namentlich  Bologna  Pinak.  371:  die  Empfangniß  Mariae. 


92  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

zeigt  sich  ihr  Vermögen,  den  Beschauer  durch  packende  Schilderung 
des  bis  zum  Aeußersten  getriebenen  Affektes  gefangen  zu  nehmen, 
wohl  nirgends  von  so  günstiger  Seite,  als  in  diesen  Darstellungen. 
Damit  hängt  es  wohl  zusammen,  daß  erst  jetzt  dem  Heiligen  als 
vollständig  in  sich  ausgeprägtem  Charakter  auch  das  Recht  einer 
gesonderten,  durchaus  in  sich  abgeschlossenen  Komposition  zu  Theil 
wird ,  wie  sie  Hieronymus ,  Johannes  der  Täufer,  Magdalena  schon 
früher  erlangt  hatten  :  aus  dem  Portrait  wird  durch  das  Zwischen- 
stadium der  Unter-  oder  Beiordnung  des  Heiligen  auf  Devotions- 
bildern endlich  eine  Darstellung,  in  welcher  er  allein,  aber  zugleich 
als  Träger  einer  Handlung  erscheint.  In  dem  oben  erwähnten 
Motive,  das  ihn  in  das  Lesen  des  Buches  oder  in  die  Anschauung 
des  Kreuzes  vertieft  schildert,  einerseits,  in  der  Stigmatisation 
andrerseits^)  sind  die  Vorbedingungen  für  diese  neue  Gestaltung 
gegeben,  für  welche  die  seit  lange  schon  der  Kunst  geläufige  Dar- 
stellung des  büßenden  Hieronymus,  mit  dem  Franz  ja  in  früheren 
Zeiten  so  gern  künstlerisch  in  Parallele  gestellt  wird,  bestimmend 
gewesen  sein  mag.  Der  Heilige  kniet  in  Waldeseinsamkeit,  von 
den  Schauern  einer  ernsten  Natur  umgeben,  in  inbrünstigem  Gebet 
vor  dem  Kruzifix ;  der  Hand  ist  soeben  die  heilige  Schrift  entfallen, 
ein  Todtenkopf  bezeugt  es,  welch'  tiefe  Gedanken  ihn  seine 
einzige  Zuflucht  in  der  Anschauung  des  erlösenden  Leidens  Christi 
suchen  lassen.^) 

Zum  ersten  Male  begegnet  diese  Auffassung  des  ,,  Franz  als 
Büßer"  in  einem  Stiche  Marcanton's  (B.  148.  P.  79),  auf  dem  aller- 
dings die  Beziehung  zur  Stigmatisation  in  der  wegschreitenden 
Figur  des  Leo  noch  sehr  ersichtlich  ist.  Aehnlich  auf  einem  etwa 
gleichzeitigen  Relief  in  der  Thürleibung  eines  Portales  von  S.  Maria 
dei  miracoli  in  Venedig. 

Der  mächtige  Aufschwung,  den  im  Gegensatz  zur  Reformation 
die  katholische  Kirche  dank  dem  Eintreten  des  neuen  Ordensgründers 
Ignatius  von  Loyola,  der  als  der  Dritte  Benedikt  und  Franziskus 
folgt,  genommen,  kam  auch  dem  Andenken  des  Letzteren  zu  Gute. 
Wo  immer  die  katholische  Reform  sich  geltend  machte,  in  Italien, 


^)  Manchmal  ist  es  schwer,  den  büßenden  Franz  und  die  Stigmatisation  zu  unter- 
scheiden, da  beide  Darstellungen  in  einander  übergehen,  wie  z.  B.  auf  Guercino's  Bild 
in  S.   Giovanni  in  monte  zu  Bologna. 

^)  Als  Pendant  erscheint  häufig,  ebenso  in  Anschauung  des  Kruzifixes  versunken, 
die  h.  Chiara. 


Die  späteren  Darstellungen  des  Franziskus.  93 

Spanien,  den  südlichen  Niederlanden,  fand  neben  dem  neuen  Vor- 
kämpfer der  kirchlichen  Hierarchie  auch  Franz  in  der  Kunst  eines 
Lod.  Carraci ,  Guido  Reni ,  Guercino  ebensogut ,  wie  in  der  eines 
Murillo,  eines  Rubens  und  van  Dyck  eine  erneute,  großartige  Ver- 
herrlichung —  ja  es  gab  Künstler,  wie  eben  jenen  Lodovico  Cardi 
da  Cigoli,  die  fast  ihr  ganzes  Leben  derselben  weihten.  Die  Ver- 
ehrung für  die  geistige  Bedeutung  des  Heiligen  konnte  ebenso 
wenig  aussterben,  als  die  Ausnutzung  der  unerschöpflich  lohnenden 
Aufgabe ,  die  deren  Schilderung  dem  phantasie  -  und  empfindungs- 
vollen Bildern  bot.^) 

Die  gesonderte,  dramatische  Darstellung  des  Büßers  Franz  war, 
wie  wir  gesehen  haben,  erst  die  Errungenschaft  einer  späteren 
Kunstphase.  In  den  früheren  Jahrhunderten  erscheint  er,  zumeist 
mit  allen  anderen  Heiligen  vereint  auf  den  Muttergottesbildern, 
anfangs  in  einer  einzelnen  Abtheilung  des  gothischen  Altarwerkes, 
dann  in  innigere  Beziehung  zu  Maria  und  Christus  tretend  un- 
mittelbar in  der  Nähe  derselben.  Anbetend  befindet  er  sich  unter 
den  frommen  Genossen,  denen  die  Himmelskönigin  in  den  Wolken 
sich  neigt.')  An  den  Familienszenen  der  norditalienischen  Kunst 
nimmt  er  Theil  und  erhält  die  frohe  Berechtigung,  mit  den  Hirten 
das  Christuskindlein  in  der  Krippe  liebend  zu  betrachten. **)  Cor- 
reggio  zeigt  ihn  uns  auf  seinem  Bilde  in  den  Uffizien  als  Getährte 
der  h.  Familie  bei  der  Flucht  nach  Egypten.  Den  eigentlich  für 
ihn  charakteristischen  Platz  aber  findet  er  als  mitleidender  Zuschauer 
in  den  Passionsvorgängen.  Mußte  er  auch  auf  Basaiti's  Darstellung 
des   Gebetes   in  Gethsemane    mit  Dominikus    abgesondert    wie   ein 


^)  Näher  auf  einzelne  Bilder  einzugehen ,  fiele  außer  den  Rahmen  dieser  Arbeit 
und  würde  sich  auch  wenig  verlohnen,  da  sich  aus  dem  Vergleich  der  im  Wesentlichen 
gleichlautenden  Darstellungen,  die  man  allenthalben  einsehen  mag,  für  unsere  Aufgabe 
außer  dem  Angedeuteten  wenig  Bedeutungsvolles  ergeben  dürfte.  —  S.  zahlreiche  Ab- 
bildungen in  Plon's :  St.  Frangois. 

^)  Mit  besonderer  Vorliebe  auch  später  in  der  bolognesischen  Kunst. 

**)  Z.  B.  Francia.  Rom,  Doria  II,  6.  —  Francia.  Früher  Rom,  Sciarra.  —  Mazzo- 
lino.  London,  Nat.-Gall.  82.  —  Timoteo  Viti.  Pesaro,  S.  Francesco.  —  Palma  vecchios 
Schule.  Dresden,  Gall.  233.  —  Palma.  Lady  Eastlake,  London.  —  Palma.  Berlin,  Gall. 
199.  —  Palma?  Kopenhagen,  Gall.  52.  —  Bonifazio.  Paris,  Louvre  74.  —  Bonifazio. 
Florenz,  Uffizien  13 19. 

Auf  Geburt:  Francia.  Bologna,  Pinak.  81.  —  Garofalo.  Rom,  Doria  II  Br.  61. 
—  Zaganelli.  Dublin,  Nat.-Gall.  —  Bonifazio.  Padua,  Gall.  I,  21.  —  Massone.  Paris, 
Louvre  261.  —  Alunno.    Nocera,  Domsakristei.  —  R.  Ghirlandajo.    Petersburg,  Ermitage. 


94  I^iß  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Wächter  vor  den  Rahmen  treten,  so  ist  er  sonst  häufig  mitten  unter 
den  leidtragenden  Freunden  bei  der  Kreuzigung^),  bei  der  Grab- 
legung^) und  bei  der  Beweinung  Christi.^)  Mit  Dominikus  und 
Michael  steht  er,  zu  dem  als  Weltenrichter  in  der  Luft  thronenden 
Heiland  emporschauend,  auf  dem  Denkmal  des  Taddeo  Pepoli  in 
S.  Domenico  zu  Bologna.  Auf  einem  Fresko  in  S.  Francesco  zu 
Pistoja  verehrt  er  mit  seinen  beiden  Genossen  den  in  der  Himmels- 
majestät erscheinenden  Herrn.  Oefters  auch  wohnt  er  der  Himmel- 
fahrt Mariae  bei^)  und  befindet  sich  fast  immer  unter  der  Schaar 
der  Heiligen ,  die  ihre  Krönung ,  sowie  das  jüngste  Gericht  ver- 
herrlicht. 

Er  ist  es  aber  ferner,  der  zuerst  den  Platz  der  Maria  Magdalena 
am  Fuße  des  Kruzifixes  einnehmen,  die  Füße  des  Herrn  küssen 
darf.  Hatte  er  doch  wie  kein  Anderer  die  Qualen  des  leidenden 
Menschensohnes  in  sich  nachgelitten,  die  Menschheit  neu  gelehrt, 
dem  Kreuze  in  Demuth  und  inbrünstiger  Verehrung  sich  zu  nahen. 
Die  Kruzifixe  des  Giunta  (auf  dem  statt  seiner  Elias  kniete),  des 
Meisters  des  Franziskus ,  des  Margaritone  wurden  der  Ausgangs- 
punkt für  jene  reiche  Reihe  von  Darstellungen  der  , .Verehrung  des 
Gekreuzigten",  die  neben  der  eigentlichen  Kreuzigung  eine  ge- 
sonderte Stelle  einnehmen.  Mit  Maria  und  Johannes  erscheint 
zuerst  Franz  am  Fuß  des  Stammes,  wie  er  in  den  Klagen  sein  Herz 
befreit,  erst  später  folgen  ihm  Dominikus,  Hieronymus  und  andere 
Glaubenszeugen.  Auf  den  meisten  derartigen  Gemälden  aber,  deren 
wichtigste  unten  angeführt  sind,  ist  Franz  neben  Christus  die  Haupt- 
person.^)    Jenes    merkwürdige  Bild    eines   alterthümlichen  Meisters 


^)  Cimabue  in  den  beiden  Kreuzigungen  der  Oberkirche  zu  Assisi.  Auch  später 
öfters,  z.  B.  auf  dem  großen  ferraresischen  Bilde  der  Kreuzigung  in  Modena,  Gall. 
Vergl.  auch  Sienesische  Schule.     Paris,  Louvre  488. 

^)  Ehemals  in  der  Gall.  Costabili  in  Ferrara  befindliches  Bild,  angeblich  Galasso 
Galassi,  mit  dem  es  nichts  zu  thun  hat,  jetzt  in  der  Gallerie. 

^)  Bild ,  vielleicht  jugendliches  Werk  des  Costa ,  bei  Sig.  Lombardi ,  Ferrara.  — 
Schule  Castagno's.     Florenz,  S.  lacopo.  —  Garofalo.     München,  Pin.  1080. 

*)  Lippo  Memmi.  München  986.  —  P.  della  Francesca  (vielmehr  B.  della  Gatta, 
wie  ich  glaube)  in  Borgo  S.  Sepolcro:  S.  Chiara.  —  Fungai.  Siena,  Servi.  —  Balducci. 
Siena,  S.  Spirito.  —  Bei  Thomas  Gürtelempfang :  Bild  des  XIV.  Jhs.  Florenz,  Akad.  — 
Fra  Paolino.  ebd.  —  Sogliani.  ebd. 

^)  Giotto.  München  981.  —  Giotto  Seh.  Pistoja,  S.  Francesco,  Sacristei.  — 
Spinello.  Arezzo,  S.  Francesco.  —  Spinello,  ebd.  Dom.  —  Gaddi  Schule.  Berlin  1103. 
—  Barna.  Arezzo,  Vescovado.  —  Giovanni  di  Piero.  Pisa,  S.  Domenico.  —  A.  Lorenzetti. 


Die  späteren  Darstellungen  des  Franziskus.  95 

aus  dem  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts  in  der  Akademie  zu 
Florenz  von  dem  wir  im  letzten  Theile  noch  ausführlicher  zu  reden 
haben,  zeigt  uns  daneben  als  ältestes  Denkmal  den  allegorisirenden 
Kreuzkultus  des  Franziskanerthums  bereits  in  höchst  reicher  Form 
ausgebildet.  Und  etwas  später,  auf  Taddeo  Gaddi's  Fresko  im 
Refektorium  von  S.  Croce,  tritt  die  wahre  Nachfolgerschaft  des 
Gekreuzigten  bei  den  Franziskanern  in  Gegensatz  und  Vergleich  zu 
jenen  den  Crucifixus  vorahnenden  und  verheißenden  Vätern  und 
Propheten  des  alten  Bundes,  die  in  den  Zweigen  des  Stammes 
erscheinen. 

Andere  Darstellungen,  auf  denen  Franz,  ohne  wirklich  innere 
Beziehung  seinem  Wesen  und  seinen  Anschauungen  nach  zu  ihnen 
zu  haben ,  erscheint ,  genügt  es  kurz  zu  erwähnen :  Christus  in 
Cathedra^),  Verlobung  der  h.  Katharina-),  Empfängniß  Mariae^), 
Christus  im  Grabe  sitzend  von  Heiligen  umgeben*),  Himmelfahrt 
der  Maria  Aegyptiaca."^)  Ferner  noch  die  folgenden,  auf  denen  er 
der  Glorifizirung  anderer  Heiligen  beiwohnt,  so  des  Antonius 
Abbas"),    Petrus^),    Markus**),   Petronius*),  Johannes  des  Täufers ^^), 


London  bei  Herrn  Murray.  —  Lorenzetti  Schule.  Vatikan,  Christi.  Mus.  —  Donato  Vene- 
ziano.  Venedig,  Ak.  —  Andrea  del  Castagno  Rieht.  Prato ,  Gall.  —  Finiguerra.  Pax. 
Bargello,  Florenz.  —  Agostino  di  Duccio:  Relief,  ebd.  —  Filippino.  Berlin,  Gall.  96. 
—  N.  Alunno.  Aquila,  S.  Chiara.  —  Perugino.  Florenz,  Calza.  —  Ders.  Perugia,  Gall.  — 
Bemardino  von  Perugia.  Paris,  Louvre,  —  Spagna.  Temi,  S.  Maria  delle  Grazie.  — 
Tiberio  d'Assisi.  Assisi,  S.  Francesco.  —  Palmezzano.  Forli,  Pinak.  Fresko.  —  Zaga- 
nelli.  Ravenna,  S,  Agata.  —  Francia:  Niello.  Bologna,  Ak.  —  Ders.  ebd.  373.  — 
G.  Francia  ebd.  —  G.  Francia.  Bologna,  S.  Stefano.  —  Man  vergl.  die  Nachfolger, 
die  Franz  als  Verehrer  des  Kreuzes  in  den  Dominikanern  hat,  namentlich  auf  Bildern 
des  Fra  Angelico  in  S.  Marco,  Florenz. 

^)  B.  Vivarini.    Venedig,   Akad.  614.  —  Simone  Napoletano?    Refekt.  S.  Chiara, 
Neapel. 

*)  Benozzo.     Temi,  S.  Francesco.  —  F.  Thifemate.     Citta  di  Castello,  Gall.  — 
Spagna.     Florenz,  Pitti.  —  Albertinelli.     Petersburg,  Ermitage. 

^)  Francia.     Bologna,  Akad.  —  Fra  Bartolomeo.     Louvre  56. 

*)  Signorelli.  Cortona,  S.  Niccolo.  —  Fungai.  Siena,  Ak.  Lünette  zu  Pachiarotto's 
Bild.  —  Credi.  London,  Lord  Overstone.  —  Botticelli  Schule.     Berlin   1125, 

*)  Sienes.  Seh.  Perugia,  Gall.  Sala  di  T.  Bartoli  II.  —  Filippino.  München  1008. 

^)  Eusebio.     Perugia,    Sala    del  Perugino.   —  Seh.  von  Lucca.     Lucca,    S.  Pietro 
(fälschlich  Palma  gen.).  —  Garofalo.     Rom,  Chigi. 

')  Giov.  u.  Ant.  da  Murano.     Padua,  Gall.  258. 

*)  Busati.    Venedig,  Ak.  84. 

*)  Costa.    Bologna,  Pin. 
^*>)  Filippo  Lippi.  London,  Nat.-Gall.  667. 


gß  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Sebastian  ^) ,    Hieronymus  ^) ,    Margarethe  ^) ,    Thomas    von   Aquino  *) 
und  Lorenzo  Giustiniani.^) 

Wichtiger  als  diese,  aus  bestimmten  Wünschen  der  Donatoren 
hervorgegangene  Zusammenordnung  des  Franz  mit  beliebigen  Hei- 
ligen ist  es,  das  Resultat  ins  Auge  zu  fassen,  welches  sich  aus  einer 
Vergleichung  der  zahllosen  Devotionsbilder,  die  ihn  zeigen,  in  Bezug 
auf  seine  immer  wiederkehrende  Stellung  neben  einigen  bestimmten 
Figuren  ergiebt,  da  sich  hierin  nicht  die  Willkür  der  Besteller, 
sondern  eine  bindende  Vorstellung  des  Franziskanerthums  äußert. 
Aus  den  alten  Lebensbeschreibungen  erfahren  wir,  daß  Maria, 
Michael,  Petrus  und  Paulus  es  sind,  für  welche  Franz  eine  besondere 
Verehrung  hatte,  an  die  er  sich  in  seinen  Gebeten  am  häufigsten 
und  liebsten  wandte.  Wir  werden  unten  noch  betrachten,  wie  man 
beim  Bau  von  S.  Francesco  in  Assisi,  bei  der  Weihe  der  Altäre  in 
der  Oberkirche  und  bei  der  Ausschmückung  des  Querschiffes  und 
Chores  durch  Cimabue  auf  diese  Devotion  Rücksicht  nahm,  hier 
ist  der  Ort,  die  begeisterten  Worte  des  Thomas  von  Celano  selbst 
zu  hören,  in  denen  er  sie  uns  schildert:  ,,mit  unsagbarer  Liebe 
umfaßte  Franziskus  die  Mutter  Jesu,  weil  sie  den  Herrn  der  Majestät 
uns  zum  Bruder  gegeben;  ihr  zollte  er  besondere  Lobgesänge,  ihr 
ergoß  er  sich  in  Bitten  und  brachte  ihr  Liebesbezeugungen  ent- 
gegen, wie  sie  in  solcher  Fülle  und  Innigkeit  die  menschliche 
Zunge  nicht  wiedergeben  kann.  Was  aber  am  meisten  freut:  er 
machte  sie  zur  Vertreterin  des  Ordens  und  stellte  unter  ihre  Fittiche, 
für  immer  sie  zu  hegen  und  zu  beschützen,  die  Söhne,  die  er  ver- 
lassen mußte."  ^)  —  „Vom  heiligen  Michael  aber  sagte  er  öfters, 
er  sei  vorzüglich  zu  ehren,  weil  er  das  Amt  die  Seelen  darzubringen 
habe;  zu  Ehren  des  heiligen  Michael  fastete  er  mit  großer  Ver- 
ehrung vierzig  Tage  zwischen  dem  Feste  der  Himmelfahrt  und  dem 
Festtage  Jenes,  denn  er  pflegte  zu  sagen :  ein  Jeder  sollte  zu  Ehren 
eines  so  großen  Fürsten  irgend  einen  Lobgesang  oder  eine  be- 
sondere Gabe  Gott  darbringen."  ^)  Den  Aposteln  aber  und  besonders 

^)  Filippino.  Genua,  Pal.  bianco.  —  Bastiani.  Venedig,  Ak. 

■^)  Liberale.  Verona,  Cap.  del  Commune. 

^)  Moretto.    Brescia,  S.  Francesco. 

*)  Girolamo  di  Sta.  Croce.    Venedig,  S.  Silvestro. 

^)  Pordenone.    Venedig,  Ak. 

6)  Th.  II  leg.  lU,    127.  S.  280.  —  Vergl.  Bon.  Cap.  IX  S.   766. 

"')  Th.  II  leg.  cap.  126.  S.  280.  Vergl.  auch  Wadding.  I.  Bd.  121 1  S.  103. 
Barth.  Pisani  Conformitates  I.  lib.  IV  fructus  S.  25  v. 


Die  späteren  Darstellungen  des  Franziskus.  97 

Petrus  und  Paulus  nahte  er  sich  mit  größter  Hingebung  der  glühenden 
Liebe  wegen,  die  sie  für  Christus  gehegt. 

Auch  in  den  wenigen  von  Franz  erhaltenen  Gebeten  kehrt 
neben  der  Mutter  Gottes  und  den  Tugenden  besonders  häufig 
Michael  wieder^),  der  in  seinem  Leben  eine  ganz  besondere  Rolle 
spielt.  Wallfahrtete  er  doch  einst  nach  dem  Heiligthume  des  Erz- 
engels auf  dem  Monte  Gargano,  und  ward  ihm  doch  die  Erscheinung 
des  Seraphim,  der  von  Vielen  für  Michael  selbst  gehalten  ward, 
an  dem  Diesem  geweihten  Tage  zu  Theil.  Es  kann  daher  nicht  ver- 
wundern, daß  er  bald  nach  seinem  Tode  in  eine  geheimnißvolle 
Beziehung  zu  dem  Engel  gesetzt  ward ,  die  künstlerisch  zuerst 
vielleicht  in  den  Fresken  von  S.  Francesco  ausgesprochen  wird. 
Den  gläubigen  Verehrern  nämlich  ward  der  Heilige  selbst  zur 
körperlichen ,  wunderbaren  Erscheinung  des  Michael ,  wie  sie  im 
siebenten  Kapitel  der  Apokalypse  vorausgesagt  erschien.  In  jenen 
Zeichen  und  Wunder  verlangenden  Zeiten  war  ja  durch  die  weit 
verbreiteten  Anschauungen  des  Abtes  Joachim,  auf  Grund  deren 
man  in  der  Gründung  der  beiden  Bettelmönchsorden  und  in  den  er- 
bitterten Kämpfen  zwischen  Innocenz  III.  und  Friedrich  II.,  zwischen 
Glauben  und  Skeptizismus,  die  Erfüllung  der  Weissagungen  in  der 
Offenbarung  sah ,  der  Zug  zum  Symbolischen  und  Allegorischen 
mächtig  gesteigert  worden.  So  hatte  schon  Gregor  IX.  in  seinem 
Hymnus  auf  Franziskus  Diesen  als  Kämpfer  Gottes  gegen  jenen 
Drachen,  der  von  Neuem  das  Haupt  erhoben ,  besungen !  *)  Dann  war 
von  einem  Gerhard  von  Borgo  San  Donnino,  der  aller  Wahrschein- 


1)  Opera  I  S,  18.  —  ebd.  II  cap.  XVIII  S.  27. 
*)  Caput  draconis  ultimum  Franciscus  princeps  inclytus 

Ultorem  ferens  gladium  Signiun  reale  bajulat 

Adversus  dei  populimi  Et  celebrat  conciliimi 

Excitat  bellum  septimum  Per  cuncta  mundi  climata 

Contra  caelum  erigitur  Contra  Draconis  Schismata 

Et  nititur  attrahere  Acies  trinas  ordinat 

Maximam  partem  syderum  Expeditorum  militum 

Ad  damnatorum  numerum  Ad  fugandum  exercitum 

Verum  de  Christi  latere  Et  tres  catervas  daemonum 

Novus  legatus  mittitur  Quas  draco  semper  roborat. 

In  cujus  sacro  corpore 
Vexillum  crucis  cemitur 
Nach  Barth.  Pis.  Lib.  conf.  lib.  I,  S.  4.  —  Vergl.  auch  das  Lied  Jacopone's  da  Todi : 
le  Poesie   spirituali.     Venedig  161 7,   lib.  III,    25,    der  ähnlich  Franz  als  Feldherm  im 
Kampfe  gegen  den  alten  Erbfeind  des  menschlichen  Geschlechtes  feiert. 
Thode,  Franz  von  Assisi.  ^  7 


gg  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

lichkeit  nach  die  1255  verdammte  Einleitung  zum  Evangelium 
aeternum  geschrieben  hat,  mit  Bestimmtheit  die  Prophezeiung  auf 
Franz  bezogen  worden,  und  schließlich  ward  diese  Anschauung  von 
Bonaventura  auf  dem  Generalkapitel  zu  Paris  im  Jahre  1266  öffentlich 
zu  einem  Glaubensartikel  des  Franziskanerthums  gemacht.-^)  So 
spricht  es  Letzterer  auch  in  dem  Vorworte  seiner  vita  aus  :  ,, Derart 
wird  Franz  auch  durch  die  wahrhaftige  Weissagung  des  anderen 
Freundes,  Verlobten,  Apostels  und  Evangelisten  Johannes  unter 
dem  Gleichniß  des  vom  Aufgang  der  Sonne  niedersteigenden  Engels, 
der  das  Zeichen  des  lebendigen  Gottes  trug,  bezeichnet.  Wie  denn 
bei  der  Oeffnung  des  sechsten  Siegels  Johannes  in  der  Apokalypse 
sagt :  ich  sah  einen  anderen  Engel  vom  Aufgang  der  Sonne  nieder- 
steigen, der  das  Zeichen  des  lebendigen  Gottes  trug.  Daß  dieser 
Bote  Gottes  Franziskus  gewesen,  der  Knecht  Gottes,  welcher  der 
Liebe  Christi,  unsrer  Nachahmung  und  der  Welt  Bewunderung 
werth  ist,  erfahren  wir  in  unbezweifeltem  Glauben,  wenn  wir  den 
Höhepunkt  ausnehmender  Heiligkeit  in  ihm  erkennen:  durch  sie 
war  er,  unter  Menschen  lebend,  ein  Befolger  engelhafter  Reinheit, 
durch  sie  ward  er  den  vollkommenen  Nachfolgern  Christi  zum 
Beispiel  gesetzt.  Dies  glaubensvoll  und  fromm  zu  empfinden,  be- 
wegt uns  nicht  allein  das  Amt,  das  er  gehabt :  zu  rufen ,  daß  man 
weine  und  klage  und  Säcke  anziehe,  und  durch  das  Bußezeichen 
des  Kreuzes  und  kreuzförmigen  Gewandes  das  T.  auf  die  Stirnen 
der  seufzenden  und  der  klagenden  Männer  zu  zeichnen ,  sondern 
es  bestätigt  dies  auch  in  unverbrüchlicher  Bezeugung  der  Wahrheit 
das  Zeichen  der  Aehnlichkeit  mit  dem  lebendigen  Gotte ,  nämlich 
dem  gekreuzigten  Christus,  das  seinem  Körper  eingedrückt  worden 
ist,  nicht  durch  Kraft  der  Natur  oder  Erfindung  der  Kunst,  sondern 
vielmehr  durch  die  zu  bewundernde  Macht  des  Geistes  des  leben- 
digen Gottes."  In  diesen  Worten  liegt  zugleich  die  geheimnißvolle 
Beziehung  auf  die  in  der  Apok.  7,  3  erwähnte  Versiegelung  der 
Knechte  Gottes,  die  von  Ezechiel  (9,  4)  prophezeit  worden  war  — 
das  T.  war,  wie  Bonaventura  dann  an  anderer  Stelle  erzählt,   zum 


^)  Vergl.  Renan:  nouvelles  iltudes  d'histoire  religieuse,  Paris.  Levy  1884,  S.  217. 
Barth.  Pis.  I  lib.  conf.  I  fr.  S.  9  u.  fr.  XXXI,  wo  erzählt  wird,  daß  Bonaventura  die 
Deutung  der  betreffenden  Stelle  der  Apokalypse  auf  Franz  geradezu  durch  göttliche 
Offenbarung  erhalten.  —  Wadding  Bd.  IV,  z.  J.  1266.  —  Auch  bei  Jacobus  a  Voragine, 
Bemhardin  von  Siena  (De  Evangel,  aeterno  Sermones  60  c.   i  §  7)  u.  A. 


Die  späteren  Darstellungen  des  Franziskus.  qq 

Zeichen  des  Franz  geworden,  das  er  wie  ein  Siegel  unter  seine 
Briefe  setzte  und  nicht  müde  ward,  den  Seinen  zu  empfehlen.^) 

So  kann  es  also  nicht  überraschen,  die  Verehrung  des  Michael 
mit  der  des  Franz  sich  verbinden  und  Beide  häufig  auf  Bildern 
vereint  zu  sehen.  Daß  aber  unser  Heiliger  auch  mit  Johannes 
verglichen  und  in  Parallele  gebracht  wurde,  ist  nicht  nur  der  von 
Thomas  von  Celano  ausgesprochenen  allgemeinen  Franziskaner- 
anschauung des  XIII.  Jahrhunderts,  sondern  wohl  auch  dem  künst- 
lerischen Gefühle  auf  Rechnung  zu  setzen,  das  in  den  gleichen 
Attributen  des  Kreuzes  die  Berechtigung  fand,  die  Träger  desselben 
neben  einander  zu  stellen.  Wenn  Thomas  in  der  künstlichen  Weise 
seiner  Zeit  den  Vergleichungspunkt  nicht  allein  in  der  Beiden  ge- 
meinsamen Bußpredigt  und  Bekehrung  der  Menschen,  sondern 
auch  in  den  prophetischen  Gaben,  die  Pica  wie  Elisabeth,  Franz 
wie  Johannes  besessen,  findet -J,  so  Hegt  dem  doch  eine  wohl  zu 
rechtfertigende  Empfindung  zu  Grunde,  die  sich  in  der  Kunst,  wie 
wir  bei  Betrachtung  der  Werke  des  Domenico  Veneziano  und 
Raphael  gesehen,  nur  glücklich  äußern  konnte.  Sicher  ist  auch 
der  Umstand,  daß  Franz  bei  der  Taufe  ursprünglich  den  Namen 
Johannes  empfing,  nicht  ohne  Bedeutung  gewesen. 

Daß  endlich  auch  Hieronymus  und  Antonius  der  Eremit  in 
nähere  Beziehungen  zu  Franz  gesetzt  wurden ,  ist  leicht  erklärlich, 
bedenkt  man,  wie  nahe  es  lag,  des  Franziskus  Leben  mit  der  Askese 
des  ersteren  zu  vergleichen.  Die  Darstellung  des  büßend  im  Walde 
knieenden  Hieronymus  forderte  den  Künstler  geradezu  von  selbst 
dazu  heraus,  in  zusammengesetzten  Altarwerken  ihm  als  Pendant 
den  in  einsamer  Landschaft  knieend  die  Stigmata  empfangenden 
Mönch  zu  geben. 

So  kann  man  denn  auf  Grund  eingehender  Untersuchungen 
wohl  mit  Recht  behaupten,  daß  Franziskus  nach  seinem  Tode  aber- 
mals zu  einem  neuen,  reichbewegten  Leben  in  der  Anschauung 
und  der  Kunst  der  kommenden  Jahrhunderte  erstanden  ist,  daß 
sein  innerer,  unablässiger,  weihevoller  Verkehr  mit  Christus,  Maria, 
den  Aposteln   und   Heiligen   in  Tausenden   von    Kunstwerken   dem 

^)  Bon.  S.  742.  —  Bon.  Cap.  IV  S.  752,  nach  Thomas  II.  leg  l.  III,  49  S.  160, 
erzählt,  daß  der  Fr.  Pacificus  mehrere  Male  gewürdigt  wurde,  ein  großes  Thau  auf  der 
Stirn  des  Heiligen  zu  sehen,  das  im  bunten  Wechselspiel  der  Farben  (wie  ein  Pfauen- 
auge) sein  Antlitz  mit  wunderbarer  Anmuth  schmückte. 

2)  Th.  n.  Leg.  I,  S.  8.     Vergl.  danach  Barth.  Pis.   i   lib.  Conf.  lü  S,   22. 


lOO  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Volke  versinnbildlicht  wurde,  in  welchem  die  Erinnerung  an  den 
treuen  Freund  und  Berather  damit  ungeschwächt  und  wahr  fortleben 
konnte.  Zugleich  aber,  daß  er  selbst  in  seinem  Abbilde  begeisternd 
und  vertiefend  dem  Künstler  der  hülfreichste  Lehrer  geworden, 
der,  um  unerschöpflich  zu  empfangen,  unerschöpflich  selbst  gab. 
Dieses  sein  inniges  Verhältniß  zur  Kunst  noch  näher  verstehen  und 
würdigen  zu  lernen,  gilt  es  nun  aber  vor  Allem,  die  Darstellungen 
seines  Lebens,  wie  sie  im  Anschlüsse  an  die  Legende  entstanden, 
ins  Auge  zu  fassen. 

III.   Die  Darstellungen  der  Legende. 

Das  erste  monumentale  Werk  der  neueren  Kunst  ist  Giotto's 
Franziskuslegende  in  der  Oberkirche  zu  Assisi !  Was  die  folgenden 
Jahrhunderte  entwickelt  und  zur  Blüthe  gezeitigt,  tritt  in  seinen 
ersten  Keimen  jugendfrisch  und  vielverheißend  allüberall  in  den 
zahlreichen  Fresken  hervor,  die  in  langen  Reihen  die  Wände  der 
lichten  Kirche  schmücken.  Wie  frische,  befreiende  Luft  weht  es 
aus  ihnen  entgegen,  es  öffnet  sich  wie  ein  Blick  in  sonnige,  reiche 
Gefilde.  Da  droben  im  stillen  Assisi  ist  ein  Versöhnungsfest,  das 
nicht  ergreifender,  nicht  freudiger  gedacht  werden  kann,  zwischen 
zwei  Freunden  gefeiert  worden,  die  sich  so  lange  verkannt,  dem 
Menschen  und  der  Natur.  Der  Mann,  der  mit  gleicher,  unendlicher 
Liebe  Beide  umfing,  Franz  war  es,  der  die  Hände  der  lange  Ent- 
fremdeten in  einander  legte  und  die  ersten  Segensworte  über  den 
neuen  Bund  sprach.  Das  wäre  ein  Bild  gewesen,  werth,  von  dem 
Meisterpinsel  Giotto's  gegenüber  jener  anderen  Vermählung  gemalt 
zu  werden,  die  Christus  zwischen  dem  Mönche  und  der  Armuth 
geschlossen. 

Was  Franziskus  selbst  in  seinem  Sonnenliede  gesungen,  ist  der 
erste  Ausdruck  jubelnder  Gewißheit  über  den  Besitz  der  Geliebten, 
sind  die  Bezeugungen  inniger,  ganz  sich  hingebender  Liebe  für  die 
Freundin,  deren  Schönheit  und  Liebreiz,  schon  lange  im  Stillen 
geahnt,  nun  siegreich  und  leuchtend  hervorbrach.  Dasselbe  Gefühl, 
das  diesem  Sänge  für  immer  eine  so  tief  ergreifende  Wirkung 
sichert,  wird  auch  aus  seinen  Predigten,  denen  ganz  Italien  gelauscht, 
hervorgeklungen  haben.  Mehr  noch  als  bittere  Reue  über  das 
eigene  sündliche  Streben,  Sehnsucht  nach  erlösender  Gnade  und 
Vorsätze   zu   sittlichem  Leben   werden   die  Hörer   nach  Hause   ge- 


Die  Darstellungen  der  Legende.  lOi 

nommen  haben :  ein  neues  Verständniß  für  die  Natur !  Im  heißen 
Kampfe  mit  dem  feindlichen  Nächsten  und  den  mannichfachen,  ver- 
wirrenden Anforderungen  der  Zeit  mochten  sie  plötzlich  inne  halten 
und  mit  den  Augen  des  liebreichen  Predigers  den  Frieden  und  die 
Schönheit  der  sie  umgebenden  Welt  gewahren,  die  sie  bisher  nur 
bekämpfen  zu  müssen  geglaubt.  Da  gewannen  die  grünen  Thäler, 
die  grauen  Berge  ein  anderes  Aussehen,  anders  klang  der  Sang 
der  Vögel,  heller  schien  die  Sonne  und  tiefer  erblaute  der  Himmel 
durch  die  wandernden  Wolken  hindurch.  Die  Liebe  zu  aller  der 
Herrlichkeit,  wie  sie  begeisternd  von  den  Lippen  des  Franziskus 
erscholl,  kam  über  sie.  So  ward  die  Verehrung  des  Ueberirdischen 
zur  Verehrung  Gottes  in  der  Natur.  Wer  möchte  es  jetzt  nach  so 
langer  Zeit  zu  schildern  wagen,  wie  das  Naturgefühl  unter  dem 
Einflüsse  solcher  Predigten  kräftig  hervorgelockt,  wie  es  durch  die 
im  Sinne  des  Lehrers  wirkenden  Schüler  genährt  worden  ist  und 
allmählich  immer  intensiver  weiter  um  sich  gegriffen  hat.  Nur 
ahnen  läßt  es  sich,  vertieft  man  sich  in  das  Studium  jener  Zeiten, 
in  denen  neben  der  grübelnden,  die  Philosophie  und  das  Christenthum 
verschmelzenden  Scholastik  das  innerste  Gemüthsleben  in  der  Mystik 
sich  mit  der  von  Gott  erfüllten  Natur  in  Einklang  zu  setzen  suchte. 
Fast  zur  Gewißheit  aber  wird  die  Ahnung,  daß  dem  Franziskus 
der  beste  Theil  der  neuen  Geistesrichtung  in  Italien  zu  danken  ist, 
betrachten  wir  deren  künstlerische  Aeußerungen. 

Wie  er  selbst  von  der  Kunst  gedacht,  verräth  uns  keine  Zeile 
der  Biographen,  nur  eine  alte  von  Marianus  und  nach  Diesem  von 
Wadding  wiedergegebene  Tradition  erzählt,  daß  er  einst  für  den 
Schmuck  der  kleinen  Kirche,  die  er  zwischen  S.  Gemini  und  Por- 
caria  zu  Ehren  der  Maria  erbaute,  gesorgt.  ,,Auf  dem  Antipendium 
des  Altares  ließ  er  mannichfache  Geschöpfe  malen :  Engel,  Knaben, 
Vögel ,  Bäume  und  Aehnliches ;  darunter  schrieb  er  die  folgenden 
Sprüche ,  in  denen  er  alle  Geschöpfe  zum  Lobe  des  Schöpfers 
aufforderte : 

Fürchtet  den  Herrn  und  gebt  ihm  Ehre  (Offenb.  14,  7). 
Würdig   ist  der  Herr  zu  empfangen  Lob  und  Ehre  (Offenb.  4,  1 1). 
Alle,  die  ihr  Gott  fürchtet,  lobet  ihn  (Ps.  135,  20). 
Gegrüßet  Maria,  gnadenreiche,  der  Herr  mit  dir  (Luc.  I,  28). 
Lobet  ihn,  Himmel  und  ganze  Erde  (Ps.  69,  35.  96,  11.   188,  i — 4). 
Lobet  alle  Flüsse  den  Herrn  (Ps.  98,  8.  Dan.  3,  78). 
Lobet  den  Herrn,  weil  er  gut  ist  (Ps.  147,   i.  Dan.  3,  89). 


I02  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Alle,  die  ihr  dies  leset,  segnet  den  Herrn. 

Alle  Geschöpfe  lobet  den  Herrn  (Ps.  145,   10.  Dan.  3,  57). 

Alles  Geflügel  des  Himmels,  lobet  den  Herrn  (Ps.  148,  10.  Dan.  3,  80). 

Alle  Knaben,  lobet  den  Herrn  (Ps.  148,   12). 

Jünglinge  und  Jungfrauen,  lobet  den  Herrn  (Ps.  148,   12). 

Würdig   ist   das  Lamm,    das  getödtet  ist,    zu  empfangen  Lob  und 

Ehre  (Ofifenb.  5,  12). 
Gesegnet  sei  die  heilige  Dreiheit  und  ungetheilte  Einheit. 
Heiliger  Erzengel  Michael,  vertheidige  uns  im  Kämpft) 

Die  Erzählung  erscheint  nicht  unglaubwürdig,  sieht  doch  dies 
Antipendium  geradezu  wie  eine  Illustration  des  Sonnengesanges 
aus !  Doch  nicht  genug,  daß  der  Heilige  indirekt  die  künstlerische 
Empfindung  durch  den  Einfluß  seines  Naturgefühles  beseelte,  so  bot 
er  auch  in  seinem  Leben  den  reichhaltigsten  Stoff,  auf  welchen  das- 
selbe angewendet,  durch  welchen  es  gebildet  werden  konnte.  Seit 
Jahrhunderten  hatten  in  nimmer  endenden  Wiederholungen  die 
Künstler  das  Leben  Christi,  der  Maria  und  der  Apostel  schildern 
müssen  und  hatten ,  auf  das  Recht  der  allein  seligmachenden  Ein- 
bildungskraft verzichtend ,  in  mehr  oder  weniger  starren ,  schema- 
tischen Formen  Einer  dem  Andern  folgend,  die  Kultusbilder  ge- 
schaffen, in  denen  fast  jede  Figur,  jede  Bewegung  durch  die  Tradition 
geheiligt,  vorgezeichnet  war.  Dazu  kam,  daß  die  Heiligen,  mit 
denen  der  christliche  Himmel  sich  bevölkert  hatte,  in  den  Augen 
der  Nachgeborenen  wohl  die  Vertreter  erhabener  Gedanken  waren, 
aber  außer  den  Wundern,  die  sie  gewirkt,  dem  Märtyrertod,  den 
Viele  erlitten,  war  an  die  wechselvollen  Schicksale  ihres  Lebens 
keine  lebendige  Erinnerung  geblieben,  die  einen  reicheren  Stoff 
der  Kunst  geboten  hätte.  Nur  Einer ,  und  gerade  der  ältere 
Vorgänger  des  Franz :  Benedikt  war  durch  die  Lebensbeschreibung 
des  Papstes  Gregor  auch  als  Mensch  in  dem  Verlaufe  seines  langen 
Lebens  dem  Volke  bekannt  und  vertraut  geworden.  Aus  seinem 
Orden,  der  ja  für  Jahrhunderte  die  Pflege  der  Wissenschaft  und 
mit  ihr  die  Schreib-  und  Illuminirkunst  ausschließlich  übernommen, 
waren  alle  die  zahlreichen  Codices  hervorgegangen,  in  denen  mit 
Liebe  und  Ausführlichkeit  die  fleißigen  Mönche  sein  Leben  in 
Miniaturen    schilderten.      Noch    zu    Zeiten    des   Franz    mag    jener 


^)  Ann.  I,    12 13    S.    156.      Vergl.    E.    Böhmer:    Francesco    d'Assisi    in    Damaris, 
Ztschr.  V.   Giesebrecht  u.  Böhmer   1864.  S.  304. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  103 

Freskencyklus  des  Conxolus  im  Sacro  Speco  entstanden  sein,  auf 
dessen  frische  und  unbefangene  Erzählungsweise  die  florentinische 
Kunst  der  Zeit  fast  ein  Recht  hätte,  eifersüchtig  zu  seinJ)  In  der 
Legende  des  Franz  war  nun  aber  plötzHch  den  Malern  ein  andrer, 
großer  Vorwurf  gegeben !  Alte  Vorbilder  gab  es  nicht,  der  Gegen- 
stand und  die  Empfindung  waren  neu.  Die  Biographien  des  Thomas 
von  Celano  und  Bonaventura  verrathen  es  in  jeder  Zeile,  wie  be- 
geisternd und  die  Phantasie  anregend  der  reiche  Stoff  war  —  die 
Dichter  bemächtigten  sich  seiner,  aber  selbst  die  Prosa  ward 
zur  Dichtung.  War  doch  in  deren  Held  eine  durchaus  eigen- 
artige, in  sich  geschlossene  Natur,  die  in  dem  ganzen  Zusammen- 
hange der  menschlichen  Gesellschaft  eine  gesonderte  Stellung  ein- 
nahm, gegeben  —  ein  Mensch,  dessen  Leben  und  Handlungen  nur 
der  vielseitige  harmonische  Ausdruck  eines  einheitlichen  Wesens 
war.  Die  Schilderung  dieses  Lebenswandels  verlangte  von  selbst 
die  dichterische  Abrundung,  die  Form  des  Epos.  Damit  aber  war 
der  Phantasie  der  freicste  Spielraum  gelassen ,  die  erste  Grund- 
bedingung für  das  Erwachen  und  die  gesunde  Entwickelung  der  jungen 
Kunst.  So  einfach  wie  die  Anschauungen  des  Franziskus,  so  ein- 
fach waren  die  Begebenheiten  seines  Lebens ;  der  Künstler  brauchte 
bloß  den  Erzählungen  der  Mönche  zu  lauschen  oder  des  Bona- 
ventura Werk  zu  lesen,  so  traten  die  Bilder  ungezwungen  vor  seine 
Seele.  Was  aber  die  schlichten  Vorfälle  so  reizvoll ,  so  geeignet 
für  künstlerische  Darstellung  machte,  war  der  geistige  Gehalt,  der 
allen  den  Episoden  zu  Grunde  lag.  Die  reinsten  Empfindungen 
des  menschlichen  Herzens  galt  es  zu  überzeugendem  Ausdruck  zu 
bringen,  allgemein  Menschliches  auch  allgemein  verständlich  zu 
schildern.  Dies  war  aber  nur  möglich,  wenn  der  Phantasie  eine 
liebevoll  eingehende  Beobachtung  des  Lebens  zu  Hülfe  kam.  So 
lag  demnach  auch  in  dem  Stoffe  selbst  die  unbedingte  und  drin- 
gende Aufforderung  zum  Studium  der  Natur,  wie  eine  solche  aus 
den  Anschauungen  Franzens  hervorging.  Der  Gegenstand  war  — 
es  kurz  noch  einmal  zusammenzufassen  —  neu  und  reichhaltig, 
regte   die   Einbildungskraft   an    und   verwies  den  Künstler   auf  die 


^)  Die  Bedeutung  dieser  Fresken  für  die  italienische  mittelalterliche,  speziell  die 
römische  Kunst,  ist  bis  jetzt  noch  lange  nicht  genug  gewürdigt  worden.  Vergl.  aber 
Max  Zimmermann:  Giotto  und  die  Kunst  Italiens  im  Mittelalter.  Leipzig  1899. 
1,  S.  254  ff. 


104  ^*®  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Natur  als  die  einzige  Lehrmeisterin.  Darin  liegt  seine  weittragende 
Bedeutung,  dies  muß  der  Gesichtspunkt  sein,  von  dem  aus  eine 
Vergleichung  der  Darstellungen  der  Legende  Franzens,  als  der 
ersten  grundlegenden  Schöpfungen  der  neueren  Kunst,  eine  hervor- 
ragende Wichtigkeit  gewinnt. 

Fast  das  ganze  XIII.  Jahrhundert  hindurch  überwiegt  das 
künstlerische  Interesse  an  der  portraitmäßigen  Gestaltung  des  Hei- 
ligen dasjenige  für  die  einzelnen  Lebensepisoden  desselben.  Wo 
solche  erscheinen  —  und  es  geschieht  zuerst  auf  Berlinghieri's 
Tafel  in  Pescia  —  bilden  sie  illustrationsartig  in  kleinen  Bilderchen 
eine  Art  Rahmen  für  die  große  Figur,  Miniaturenhaft  in  Aus- 
dehnung und  Ausführung  können  sie  trotz  mancher  lebensvollen 
Motive  noch  keinen  Anspruch  auf  große  künstlerische  Bedeutung 
machen  —  sie  sind  nichts  weiter  als  Vorstudien.  Seine  volle  Wirk- 
samkeit konnte  der  Stoff  erst  entfalten ,  als  ihm  größerer  Raum 
an  den  Wänden  der  Unterkirche  in  Assisi  gewährt  wurde,  als  die 
fast  lebensgroßen  Dimensionen  ein  eingehenderes  Naturstudium  be- 
dingten. In  der  That  verdienen  die  Fresken  des  Meisters  des 
Franziskus  in  mancher  Beziehung  bedeutungsvolle  Vorgänger  des 
gewaltigen  Werkes  genannt  zu  werden,  in  dem  Giotto  die  Normen 
der  neuen  Kunst  endgültig  feststellte.  Das  XIV.  Jahrhundert  steht 
dann  ganz  unter  dem  Einflüsse  desselben,  erst  im  XV.  macht  sich 
zuerst  durch  Benozzo  Gozzoli,  weiter  durch  Domenico  Ghirlandajo 
und  Benedetto  da  Majano  mit  der  freilich  ziemlich  unwesentlichen 
Erweiterung  der  Legende  auch  ein  Fortschritt  in  der  Komposition 
und  naturgemäßen  Durchbildung  der  Szenen  geltend,  bis  mit  der 
Abnahme  der  Vorliebe  für  cyklische  Darstellungen  eine  oberfläch- 
liche, handwerksmäßige  Uebung  eintritt,  die  nur  hier  und  da  ohne 
besonderen  Geist  und  ohne  Herz  in  den  Klosterhöfen  mit  ermüdender 
Ausführlichkeit  die  alten  Geschichten  wiederholt. 

Es  mag  wohl  wenige  Franziskanerkirchen  in  Italien  gegeben 
haben,  in  denen  nicht  im  Laufe  des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts 
die-  Legende  dargestellt  worden  wäre,  aber  so  verschwindend  auch 
die  Anzahl  der  uns  erhaltenen  Cyklen  im  Vergleiche  zu  den  durch 
Umbauten  und  Uebertünchung  verloren  gegangenen  erscheinen  mag, 
genügen  sie  doch,  uns  von  den  Phasen  der  Gesammtentwicklung 
der  Kunst  ein  ziemlich  deutliches  Bild  zu  geben.  Beklagenswerth 
bleibt  es  immer,  daß  die  von  Vasari  erwähnten  Fresken  Giotto 's 
in  S.  Francesco    zu   Ravenna    und   in  S.  Francesco    zu  Rimini,    die 


Die  Darstellungen  der  Legende.  IOC 

höchst  wahrscheinlicher  Weise  das  Leben  des  Heiligen  zeigten^), 
verschwunden,  noch  mehr,  daß  Paolo  Uccello's  Wandbilder  in 
S.  Trinitä  zu  Florenz  ^)  und  Squarzione's  Bilder  in  der  Vorhalle  von 
S.  Francesco  zu  Padua'^)  nur  aus  kurzen  Erwähnungen  bekannt  sind, 
von  anderen  weniger  bedeutenden  Werken  ganz  zu  schweigen.*) 
Die  wichtigsten  mir  bekannten  erhaltenen  cyklischen  Darstellungen 
der  Legende,  außer  denen  natürlich  zahlreiche  Einzelschilderungen 
mancher  Episode  berücksichtigt  werden  müssen,  sind  folgende: 
I.  Aus  dem  XIII.  Jahrhundert : 

1.  Berlinghieri.     Pescia,  S.  Francesco.     Tafelbild  von   1235. 

2.  Unbekannter   Meister.      Assisi ,    S.  Francesco ,    Sakristei. 

Tafelbild. 

3.  Derselbe.  Rom,  Christliches  Museum  des  Vatikan.  Tafelbild. 

4.  Meister  des  Franziskus.     Assisi,  Fresken  im  Längsschiff 

der  Unterkirche. 

5.  Glasfenster.     Assisi,  Oberkirche. 

6.  Meister  von  Siena.    Siena,  Akademie.    N.  303.    Tafelbild. 

7.  Margaritone?   Florenz,  S.  Croce,  Capella  Bardi.    Tafelbild. 

8.  Margaritone?    Pistoja,  S.  Francesco.    Tafelbild.    Nicht  von 

mir  gesehen. 
n.  Aus  dem  XIV.  Jahrhundert: 

9.  Giotto.     Assisi,  Oberkirche.     Fresken. 

10.  Giotto.     Florenz,   S.  Croce.     Fresken  der  Capella  Bardi. 

^)  Vasari  I,  388:  „alcune  storie  in  fresco  intomo  alla  chiesa".  Vasari  I,  392: 
„nella  chiesa  di  S.  Francesco  fece  moltissime  pitture." 

^)  Vasari  II,  206  :  ,,e  in  Santa  Trinitä,  sopra  alla  porta  sinistra  dentro  alla  chiesa, 
in  fresco ,  storie  di  S.  Francesco :  cio^  il  ricevere  delle  stimate ,  il  riparare  alla  chiesa 
reggendola  con  le  spalle,  e  lo  abbocarsi  con  San  Domenico." 

ä)  Ridolfi:  le  maraviglie  dell'arte,  Venedig  1648,  I,  S.  Iio.  —  Rossetti :  Descri- 
zione  di  Padova  1776,  S.  166,  zu  dessen  Zeiten  sie  überweißt  wurden.  Ein  Rest  davon, 
Franz  vor  Innocenz,  war  noch  zu  Brandolese's  (Guida  1795)  und  Moschini's  (Giiida 
18 17)  Zeit  zu  sehen. 

*)  Margaritone.  Vasari  I,  365:  in  Pisa,  S.  Catherina:  „in  una  tavoletta  un  S. 
F.  con  molte  storie  in  campo  d'oro."  —  Taddeo  Gaddi.  Pisa,  S.  Francesco.  Apsis. 
Vas.  I,  575.  —  Puccio  Capanna.  Bologna.  Wo?  Vasari  I,  S.  404:  ,,una  tavola  con 
la  passione  di  Cristo  e  storie  di  S.  F."  —  Liberale  di  Verona.  Vasari  V,  279:  ein 
Bild  für  die  Capella  di  S.  Bemardo  in  S.  Fermo,  Verona.  —  Taddeo  Gaddi.  Vas.  I, 
580:  Alvemia  in  der  Cap.  der  Stigmata  Fresken  (welchen  Inhalts?).  —  Girolamo  di 
S.  Croce.  Venedig,  S.  Francesco  della  vigna.  14  Episoden.  —  Waren  auch  die  ,, molte 
cose",  die  Cavallini  in  S.  Francesco  appresso  Ripa  in  Rom  malte  (Vas.  I,  S.  538), 
Darstellungen  aus  dem  Leben  des  Franz? 


Io6  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

1 1 .  Taddeo    Gaddi.      Florenz ,    Akademie.      Tafelbilder   vom 

Schrank  der  Sakristei  in  S.  Croce. 

12.  Florentiner  Meister.    Pistoja,  S.  Francesco.    Haupttribuna. 

Fresken. 

13.  Semitecolo.    Venedig,  Akademie.     Tafelbild. 

14.  Piero   e  Paolo   delle  Massegne.     Bologna,    S.  Francesco. 

Reliefs  am  Hauptaltar. 

15.  Pisaner  Meister.     Ottana  in  Sardinien,  Pfarrkirche.    Tafel- 

bild. 1) 

III.  Aus  dem  XV.  Jahrhundert: 

16.  Florentinische    Schule.      Anfang    des    XV.  Jahrhunderts. 

Florenz,  S.  Croce.     Chiostro  grande. 

17.  Stefano  di  Giovanni,   gen.  il  Sassetta.     Bild  des  h.  Franz 

bei  Mr.  Berenson  in  Florenz.  Legenden:  sechs  bei 
M.  Clarendon,  Paris,  je  eine  bei  Comte  de  Martel  in 
Chateau  Beaumont  und  in  Chantilly.  ^) 

18.  Benozzo    Gozzoli.     Montefalco,    S.  Francesco.     Tribuna. 

Fresken. 

19.  Benedetto  da  Majano.    Florenz,  S.  Croce.    Kanzelreliefs. 

20.  Domenico  Ghirlandajo.  Florenz,  S.  Trinitä.  Capella  Sassetti. 

IV.  Aus  dem  XVI.  Jahrhundert: 

21.  Giolfino's  Schule.    Verona,  S.  Bernardino.    Cap.  S.  Fran- 

cesco. 

22.  Adone  Doni.     Assisi,  S.  Francesco.     Chiostro  grande 
und  andere  weniger  bemerkenswerthe  Werke,  wie  die  Holzschnitte 
in    des  Rodulphus  Historia  Seraphicae   religionis   von   1586;    einige 
Freskenreste  im  Bischöflichen  Palais  zu  Bergamo  etc. 

I.    Die   ältesten   Darstellungen. 

Obgleich  schon  in  der  ersten  Biographie  des  Thomas  von 
Celano  eine  reiche  Fülle  von  malerisch  zu  verwerthenden  Begeben- 
heiten mitgetheilt  war,  beschränkte  sich  die  Kunst  Anfangs  nur  auf 
wenige  Darstellungen :  diese  wenigen  aber  sollten  die  Wunderkraft 
des   Heiligen    in    helles   Licht   setzen,    gewissermaßen   sein   Recht 


^)  Vergl.  Mittheilung  hierüber  von  Enrico  Brunelli  in  L'Arte  1903.  VI.  S.  384  ff. 

^)  S.  B.  Berensons  Artikel  in  „The  Magazine  1903,  III,  S.  3 ,  wo  gelegentlich 
der  Franzlegenden  über  den  Ausdruck  des  religiösen  Gefühles  in  der  Kunst  ge- 
handelt wird. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  I07 

darauf,  verehrt  und  angebetet  zu  werden,  den  Gläubigen  darlegen. 
Also  handelt  es  sich  zunächst  nicht  sowohl  um  Vorfalle  aus  seinem 
Leben,  als  um  die  Heilungen,  die  an  seinem  Sarge  stattfanden. 
Dieselben  treten  gleichberechtigt  neben  das  große  Wunder  der 
Stigmatisation  und  die  Vögelpredigt.  Historisch,  aber  nur  in  wenigen 
Bildern ,  von  der  Lossagung  vom  Vater  bis  zum  Tode  erzählend, 
geht  erst  der  Meister  des  Franziskus,  dann  der  Künstler  des  Bildes 
in  S.  Croce  vor,  der  seinerseits  nun,  inniger  vertraut  mit  Bonaven- 
tura's  Legende,  dieser  zahlreiche  Szenen  entnimmt,  und  zwar  zum 
Theil  auch  solche,  welche  später  nicht  mehr  dargestellt  werden.  So 
wächst  mit  der  Ausführlichkeit  der  Schilderung  zugleich  deren 
iij^erer  Zusammenhang,  ohne  daß  jedoch  die  volle  künstlerische 
Abrundung  des  Epos  erreicht  wird.  Das  blieb  Giotto  überlassen. 
Im  Folgenden  mögen  zunächst  kurz  die  vorgiottesken  Darstellungen 
besprochen  werden,  wobei  aber  ein  Vergleich  der  auch  von  Giotto 
gemalten  Szenen  auf  die  Betrachtung  von  dessen  Cyklus,  der  als 
der  eigentliche  Mittelpunkt  der  vergleichenden  Betrachtung  ge- 
nommen werden  muß,  verschoben  wird. 

In  der  Wahl  der  vier  Wunderheilungen  stimmen  die 
Künstler  der  Bilder  in  S.  Francesco  zu  Pescia,  in  der  Sakristei  der 
Kirche  zu  Assisi  und  im  Vatikan  überein,  nur  daß  das  zuerst  genannte 
außerdem  noch  die  Vögelpredigt  und  die  Stigmatisation  aufweist. 
Auch  auf  dem  in  S.  Croce  erscheinen  die  Wunder.  Das  erste  ist 
die  Heilung  des  verwachsenen  Mädchens,  dessen  Miß- 
gestaltung, ein  verdrehter  Hals  und  an  die  Schulter  angewachsener 
Kopf,  bei  der  Berührung  mit  der  Todtenlade  des  Franz  verschwand. 
Das  arme  Kind  ist  dargestellt,  wie  es  vor  dem  Sarg,  hinter  welcher 
Mönche  stehen,  sitzt,  während  die  Mutter  knieend  die  Hülfe  vom 
Himmel  erfleht.  An  zahlreichen  Zuschauern  vorbei  trägt  diese  es 
dann  daneben  auf  den  Schultern  fort.  ^) 


^)  Vgl.  Th.  I  Leg.  lib.  III,  c.  VIII  S.  719.  Eo  namque  die,  quo  sacrum  et 
sanctum  corpus  beatissimi  patris  Francisci  reconditum  fuit  velut  pretiosissimus  thesaunis, 
magis  supercoelestibus  aromatibus,  quam  terrenis  speciebus  inunclum,  apportata  est  puella 
quaedam  iam  per  annum  habens  coUum  monstruose  plicatum  et  caput  humero  adnexum, 
nee  poterat  nisi  ex  obliquo  sursum  respicere.  Quae  dum  sub  arca ,  in  qua  pretiosum 
sancti  reconditum  iacebat  corpus,  caput  aliquandiu  immisisset,  statim  meritis  sanctissimi 
viri  Collum  erexit ,  et  in  condecenti  statu  caput  extitit  reparatum  ita ,  quod  puella  ex 
subita  sui  mutatione  obstupefacta  nimis  coepit  fugere  ac  plorare.  Fovea  quaedam 
namque  apparebat  in  humero ,  cui  caput  fuerat  applicatum ,  propter  situm  quem  fecerat 
infirmitas  diutuma. 


I08  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Das  zweite  Wunder  ist  die  Heilung  des  Bartholomeus 
von  Narni,  eines  armen  Mannes,  der  durch  sechs  Jahre  lang  sich 
mit  einem  durch  gichtische  Leiden  vollständig  abgestorbenen  Beine 
abquälte  und  im  Traumgesicht  von  Franz  den  Befehl  erhielt,  in 
ein  Bad  zu  gehen.  Von  dem  Bischof  in  seinem  Glauben  be- 
stärkt, ward  er  von  Franz  selbst  dahin  geleitet  und  fand  hier  durch 
die  Handauflegung  des  unsichtbaren  Heiligen  Gesundung.^)  Auf 
allen  Darstellungen  sieht  man  Franz  selbst  knieend  das  Bein  des 
Kranken  anfassen ,  auf  der  andern  Seite  diesen  froh ,  die  Krücke 
über  der  Schulter  tragend,  von  dannen  eilen.  Nur  auf  dem  Bilde 
in  Rom  ist  das  Bad  als  kuppeiförmiges  Gebäude  aufgefaßt,  während 
der  Vorgang  sonst  in  felsiger  Gegend,  durch  welche  ein  Bach  fließt, 
vor  sich  geht. 

Als  drittes  Wunder  findet  sich  die  Teufelaustreibung  vor 
dem  Sarge  des  Franz.  Im  Beisein  von  erstaunten  Mönchen  ent- 
fliehen dem  Munde  einer  übertrieben  bewegt  sich  renkenden  Frau, 
die  von  einem  Manne  gehalten  wird,  die  kleinen  dämonischen  Un- 
holde. Bei  Berlinghieri  sieht  man  daneben  noch  einen  besessenen 
jungen  Mann,  dem  die  gleiche  Befreiung  zu  Theil  wird.  In  diesem 
darf  man  vielleicht  Pietro  von  Foligno  erkennen ,  der  auf  einer 
Pilgerfahrt  durch  einen  Trunk  Teuflisches  in  sich  aufgenommen 
hatte  und  erst  durch  die  Berührung  des  Grabes  geheilt  werden 
konnte.  Ob  unter  der  Frau  jene  von  Narni  gemeint  ist,  oder  eine 
der  ungenannten,  von  deren  Heilung  Thomas  spricht,  muß  dahin- 
gestellt bleiben.-) 

Die  vierte  Darstellung  zeigt  die  Heilung  eines  Krüppels, 
der  gelähmt  auf  allen  Vieren  vor  dem  Altar  des  HeiHgen  kniet  und 
im  Beisein  von  Mönchen  und  andern  Leuten  Erlösung  findet.  Ver- 
muthlich  ist  es  jener  Niccolö  von  Foligno,  der,  nachdem  er  ver- 
geblich   sein    Geld    den   Aerzten   verschwendet,    sich   endlich   zum 


^)  Th.  I  Leg.  ebds.  S.  702.  Cumque  venisset  ad  locum  et  balneum  fuisset 
ingressus,  manum  super  pedem  sensit  imponi  sibi,  et  aliam  super  tibiam,  ipsam  quietius 
extendentem.  Continuo  proinde  liberatus  de  balneo  exivit  laudans,  et  benedicens 
omnipotentiam    creatoris    et   b.  F.  servum  eius.     Vergl.  kürzer  Bon.  Cap.  XII,  S.  755. 

^)  Th.  I  Leg.  ebds. :  Veniens  quoque  ad  tumbam  sanctissimi  patris  furentibus 
daemonibus  et  crudelissime  discerpentibus  eum ,  claro  et  manifesto  miraculo  ad  tactum 
sepulchri  eius  mirifice  liberatus  est.  —  Zwei  Teufelaustreibungen,  die  er  selbst  voll- 
zieht, werden  bei  Thomas  I  Leg.  II,  Cap.  VIII,  S.  702,  danach  von  Bon.  Cap.  XII, 
S.   755   erzählt. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  109 

Grabe    des  Franz    tragen    ließ    und    hier    nach    einer  in  Gebet  ver- 
brachten Nacht  die  volle  Gesundheit  wiedererlangte.  ^) 

Auf  dreien  dieser  Szenen,  deren  Komposition  bei  den  ver- 
schiedenen Meistern  im  Wesentlichen  sehr  ähnlich  ist,  erscheint 
Franziskus  nicht  selbst,  doch  hatte  schon  Berlinghieri  ihnen  zwei 
andere  hinzugefugt,  in  denen  seine  Person,  nicht  sein  wunderreiches, 
unsichtbares  Wirken  die  Hauptsache  ist:  die  Vögelpredigt  und 
die  Stigmatisation.  Das  eine  Bildchen  zeigt  den  Heiligen,  wie 
er,  von  zwei  Männern  gefolgt,  bei  einem  Gebäude  nach  vorn  ge- 
wandt die  Hand  zu  Vögeln,  die  an  einem  Berge  auf  Bäumen 
sitzen,  ausstreckt;  auf  dem  anderen  kniet  er  betend  und  schaut 
von  dem  Berge  zu  dem  Seraphim  auf,  der  hier  noch  nicht  wie 
späterhin  Strahlen  entsendet.^)  Einen  weiteren  Schritt  thut  dann 
der  Meister  des  Franziskus  in  den  leider  arg  beschädigten,  theil- 
weise  ganz  zerstörten  Fresken  an  der  linken  Längswand  der  Unter- 
kirche zu  Assisi,  die  in  chronologischer  Folge  die  Lossagung 
vom  Vater,  die  Vision  des  Innocenz  III.,  die  Vögel - 
predigt,  Stigmatisation  und  den  Tod  des  Franz  schil- 
dern. Auf  die  Bedeutung  des  Künstlers  ist  schon  oben  aufmerksam 
gemacht  worden,  hier  kann  nun  bestimmter  betont  werden,  wie 
befreiend  der  neue  Stoff  auf  ihn  gewirkt  hat.  ^) 

I.  Rechte  Hälfte  zerstört.  Ein  Bischof  schlägt  seinen  Mantel  um 
den  nackten  Körper  des  in  geknickter  Stellung  nach  vorn  ge- 
wandt stehenden,  die  Hände  nach  oben  erhebenden  jugend- 
lichen Franz.  Links  Zuschauer.  Rechts  nur  noch  wenige  Reste 
einer  Figur,  in  der  wahrscheinlich  der  erzürnte  Vater  zu  sehen 
ist.  Obgleich  das  Nackte  noch  mißlungen  ist,  macht  sich  auf 
das  Entschiedenste  eine  gewisse  Feinfühligkeit  und  Lebens- 
beobachtung in  den  Figuren  geltend. 
II.  Rechts  liegt  der  Papst,  die  Tiara  auf  dem  Kopfe,  die  rechte 
Hand  erhebend,  in  weißem  Gewände  und  rothem  Mantel  auf 
einem  Lager,  dessen  Decke  mit  Rosetten  ornamentirt  ist.    Links 


1)  Th.  I  Leg.  III,  S.   719. 

2)  Abb.  Plön:  St.  Frangois,  S.  277. 

^)  Vergl.  oben  S.  86.  Eine  nähere  Beschreibung  erscheint  geradezu  geboten, 
da  man  sich  bisher  kaum  die  Mühe  gegeben ,  die  für  ihre  Zeit  treflFlichen  und  be- 
deutungsvollen Fresken  näher  anzusehen.  Nur  Fratini  wird  ihnen  von  seinem  Gesichts- 
punkte aus  gerecht. 


HO  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Reste  von  Franz,    der,    nach  halb  links  gewandt,   offenbar  die 
nicht  mehr  sichtbare  Kirche  stützte. 

III.  Franz,  von  einem  anderen  Mönche,  dessen  Kopr  im  XIV.  Jahr- 
hundert übermalt  worden  ist,  gefolgt,  predigt  nach  links  ge- 
wandt, die  Rechte  zum  Segnen  halb  vorgestreckt,  in  der  Linken 
ein  Buch  tragend,  den  Vögeln,  welche  sich  von  links  kommend 
unter  einem  Baume  versammelt  haben.  Franz  ist  sehr  gut 
und  natürlich  bewegt.  Wie  viel  weiter  ist  doch  dieser  Künstler 
schon  gekommen,  als  Berlinghieri  und  Margaritone,  die  steif 
und  in  Reih  und  Glied  in  verschiedenen  Reihen  übereinander 
die  Vögel  aufbauen. 

IV.  Links  nur  noch  Spuren  von  Franz.  Oben  schwebt  der  jugend- 
liche Seraphim  in  der  Stellung  des  Gekreuzigten,  hinter  jedem 
Arme  einen  Flügel,  zwei  andere  gekreuzt  vor  dem  Körper. 
Rechts  ein  Bergesabhang  mit  Pflanzen. 

V.  Franz  liegt,  den  Kopf  nach  halb  rechts  gewandt  im  Halbprofil, 
die  Augen  geschlossen,  die  Arme  längs  des  Körpers  aus- 
gestreckt, in  einer  durch  den  Strick  gegürteten  Kutte.  Hinter 
ihm  rechts  steht  ein  Mönch  im  Chorgewand ,  der  wohl  seine 
Linke  hält  und  das  Rauchfaß  schwingt.  Hinter  seinem  Haupte 
werden  drei  Mönche,  die,  wie  es  scheint,  Kerzen  halten,  sichtbar, 
vorn  die  Köpfe  von  drei  Knieenden,  deren  einer  weinend  die 
Hand  an  den  Kopf  legt.  Ein  vierter  daneben  berührt  mit  dem 
Zeigefinger  die  Seitenwunde  des  Heiligen  und  wendet  sich 
zu  dem  Nachbar  links,  der  erstaunt  über  den  Anblick  die 
Hand  erhebt,  i) 

Lebendigkeit  in  Blick  und  Geberde  zeichnen  diese  Bilder  vor- 
theilhaft  vor  den  sonstigen  Werken  der  Zeit  aus.  Es  ist  fast  nichts 
mehr  von  dem  Schematismus  der  älteren  Kunst  zu  bemerken,  son- 
dern Alles  spricht  von  Naturbeobachtung,  so  befangen  auch  die 
Zeichnung  im  Einzelnen  noch  ist.  Der  Fortschritt  gegenüber  den 
doch  mehr  oder  weniger  konventionellen  sonstigen  Gemälden,  die, 
stilistisch  dieselben  Merkmale  tragend,  dem  Meister  zugeschrieben 
werden  mußten,  verräth  deutlich  die  fördernde  Kraft  und  Anregung 
des  Stoffes  und  rechtfertigt  die  bedeutsame  Stellung,  die  bereits 
oben  dem  Meister  des  Franziskus  unter  den  Vorgängern  Cimabue's 
und  Giotto's  angewiesen  wurde. 


^)  Abb.  bei  Fea:  Descrizione  di  S.  Francesco  d'Assisi.     Rom  1820.     S.  23, 


Die  Darstellungen  der  Legende,  III 

So  kann  es  auch  nicht  Wunder  nehmen,  daß  der  Künstler, 
welcher  die  Zeichnungen  zu  den  Glasmalereien  des  ersten  Fensters 
rechts  im  Längsschiff  der  Oberkirche  machte,  in  der  Vögelpredigt, 
der  Vision  Innocenz'  III.  und  der  Stigmatisation  fast  getreu  jene 
Fresken  wiederholte.  An  Stelle  der  Lossagung  vom  Vater  freilich 
setzte  er,  offenbar  wiederum  recht  bedacht,  das  Wunderbare  in 
dem  Leben  des  Heiligen  zu  schildern,  die  Szene,  wie  Dieser  knieend 
vom  Kruzifix  in  S.  Damiano  den  Auftrag  erhält,  die  Kirche 
wiederherzustellen,  und  vertauschte  den  Tod  mit  der  Heilung  des 
Bartolommeo  von  Narni,  für  welchen  er  die  Vorlage  in  dem  Bilde 
der  Sakristei  fand.  Der  Zeichnung  nach  ist  er  zweifellos  ein  Zeit- 
genosse des  Meisters  des  Franziskus. 

Eine  wesentliche  Bereicherung  erhält  der  Cyklus  durch  den 
sienesischen  Maler,  der  in  der  Lebendigkeit  seiner  Schilderung,  in 
der  warmen  Begeisterung  für  seinen  Stoff,  in  der  Originalität  seiner 
Erfindung  ebenbürtig  neben  jenem  Künstler  genannt  zu  werden 
verdient.  Einige  Darstellungen  können  geradezu  mit  denen  Giotto's 
verglichen  werden,  ohne  daß  dies  zu  seinen  Ungunsten  ausfiele. 
Er  beginnt  die  Erzählung  mit  der  Lossagung  des  Jünglings,  der 
liebevoll  von  dem  hier  vor  einem  prächtigen  Gebäude  sitzenden 
Bischof  bekleidet  wird,  während  links  der  Vater,  umgeben  von 
anderen  Männern,  steht.  Es  folgt  die  Szene,  wie  Franz,  sehnsüchtig 
die  Hände  emporstreckend,  in  S.  Damiano  vor  dem  Crucifixus  kniet, 
der  wirklich  Fleisch  und  Blut  gewonnen  zu  haben  scheint  und  die 
Rechte  nach  ihm  hinstreckt.  Auf  der  Vision  des  Innocenz,  der 
hier  im  Vordergrunde  schläft,  wird  Franz  links  hinten  sichtbar,  wie 
er  mit  der  Rechten  einen  von  dem  Gebäude  sich  ablösenden, 
fallenden  Thurm  aufhält.  Anf  dem  nächsten  Bilde  schreitet  er, 
segnend  die  Hand  bewegend  und  in  gläubigem,  sehr  wahr  dar- 
gestellten Aufblick  nach  oben,  auf  die  vor  einem  bewachsenen 
Berge  am  Boden  versammelten  Vögel  zu.  Dann  sieht  man  ihn 
knieend  auf  einem  von  zwei  Engeln  gezogenen  Wagen  über  einem 
Gebäude,  in  dem  schlafende  Mönche  liegen,  in  der  Luft  fahren. 
Die  Stigmata  empfängt  er,  weit  die  Arme  ausstreckend,  durch  fünf 
Strahlen,  die  von  dem  oben  über  ihm  schwebenden  Seraphim  senk- 
recht herniedergehen.  Neu  ist  neben  jener  Vision  des  feurigen 
Wagens  die  Darstellung,  wie  er  in  Greccio  das  P  r  e  s  e  p  e  feierte. 
Vor  einem  Altare,  hinter  dem,  erstaunt,  aber  etwas  steif  die  Hände 
erhebend,  ein  Priester  zwischen  zwei  Diakonen  steht,  kniet  er,  das 


112  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

in  Windeln  in  der  Krippe  liegende  Christuskind  berührend.  Endlich 
gewahrt  man  den  auf  der  Bahre  liegenden  Heiligen,  hinter  dem 
zwei  Bischöfe,  umgeben  von  vielen  Mönchen,  die  Exequien  feiern. 
Wer  die  Bedeutung  der  Franzlegende  für  die  Kunst  sich  recht 
deutlich  machen  will,  braucht  bloß  diese  reizvollen,  lebendig  und 
gefühlsinnig  erzählten  Vorgänge  mit  den  Darstellungen  des  Lebens 
Christi  von  zeitgenössischen  sienesischen  Malern  zu  vergleichen ! 
So  verwandt  die  tief  religiöse  Auffassung  aller  dieser  Meister  auch 
ist,  zeichnen  sich  doch  die  Bilder  der  neuen  Legende  durch 
größere  Unmittelbarkeit  der  Anschauung  und  freieres  Walten  der 
Einbildungskraft  aus. 

Freilich  hatte  sie  hier  auch  einen  begabteren  Interpreten  ge- 
funden, als  Jener  war,  der  mit  zwanzig  Szenen  das  Altarbild  des 
Franz  in  S.  Croce  ausschmückte,  zum  ersten  Male  also  den  reichen 
Stoff  möglichst  zu  erschöpfen  versuchte.  Als  erstes  Bild  erscheint 
hier  die  Almosenspende:  der  junge  Franz  giebt  dem  ihm  be- 
gegnenden Armen  sein  Gewand,  während  links  ein  Mann  darauf 
hinweist.  Dann  bei  der  Lossagung  vom  Vater  sieht  man  ihn 
nackend ,  von  dem  sitzenden  Bischof  mit  einem  Mantel  verhüllt, 
auf  das  Gewand  weisen ,  das  er  zu  Boden  hat  fallen  lassen ;  Pier 
Bernardone,  hinter  dem  sich  Pica  befindet,  streckt  steif  die  Hand 
nach  rechts  aus.  Die  folgende  Darstellung,  die  später  niemals 
wiederkehrt,  aber  in  Bonaventura's  Schilderung  begründet  ist,  läßt 
sich  am  besten  als  ,,Wahl  der  Kutte"  bezeichnen.  Neben  dem 
links  sitzenden  Bischof  steht  vorn  der  jugendliche  Heilige,  der  mit 
einem  Stabe  die  in  Form  eines  liegenden  Kreuzes  aufrecht  auf  dem 
Boden  stehende  Kutte  berührt.  Auch  die  Szene,  wie  Franz  knieend 
vor  einem  Altar,  hinter  dem  ein  Priester  im  Begriffe  ist  ein  Buch 
zu  öffnen,  mit  dem  links  stehenden  Bernhard  das  Orakelwort 
des  Evangeliums  hört,  das  die  Grundlage  seiner  Regel  werden 
sollte ,  ist  von  der  späteren  Kunst ,  so  weit  wir  sie  kennen ,  nicht 
verwendet  worden.  Ihr  folgt  die  Bestätigung  der  Regel  durch 
Innocenz,  der  von  Bischöfen  umgeben  vorne  sitzt  und  das  Buch  in 
Empfang  nimmt,  das  der  vor  ihm  knieende  Franz  ihm  überreicht. 
Letzterer  ist  nur  von  einem  Mönche  und  einem  Laien  begleitet 
erschienen.  Dann  schildert  das  nächste  Bildchen :  die  Vögel- 
predigt  in  sehr  naiver,  noch  ganz  an  Berlinghieri  erinnernder 
Weise ,  wie  er  von  zwei  Mönchen  gefolgt  die  rechts  in  fünf 
Reihen  über  einander  steif  angeordneten  Vögel  segnet.    Ein  anderer, 


Die  Darstellungen  der  Legende.  1 1 3 

wiederum  nur  hier  dargestellter  Vorfall  ist  das  Wunder,  wie  Franz, 
nachdem  er  sich  in  Ancona  eingeschifft,  einen  großen  Seesturm 
erlebt  und  das  Schiff  durch  seine  Fürbitte  errettet  wird.  Da  sieht 
man  ihn  vielen  nackt  vor  ihm  knieenden,  flehend  die  Hände  er- 
hebenden Leuten  predigen.  Als  Prediger  auch,  von  Illuminatus 
begleitet,  erscheint  er  vor  dem  Sultan,  der  von  vielem  Volk  um- 
drängt auf  dem  Throne  sitzt.  Die  Weihnachtsfeier  in  Greggio 
ist  figurenreicher,  aber  nicht  so  lebhaft  und  dramatisch  den  Kern 
der  Sache  treffend  wie  in  Siena  wiedergegeben.  Franz  steht  hier, 
gesondert  von  dem  vorn  in  felsigem  Boden  liegenden  Christkinde, 
rechts  an  einem  Betpulte  von  Leuten  umgeben,  während  in  der 
Mitte  hinten  ein  Priester  am  Altare  die  Messe  celebrirt.  Neu  taucht 
in  der  Folge  die  Vision  des  Monaldus  auf:  neben  einer  Gruppe 
von  Mönchen  steht  links  der  bärtige  Franziskaner,  wohl  Antonius 
von  Padua,  dem  in  der  Luft  als  Brustbild  der  Heilige  erscheint. 
Die  Stigmatisation  ist  ähnlich  wie  bei  sonstigen  Bildern  der 
Zeit  dargestellt,  indem  nämlich  von  dem  rechts  fliegenden  Seraphim 
drei  Strahlen  nach  dem  Haupte  des  in  felsiger  Gegend  knieenden 
Franz  schießen ,  der  die  Arme  ausbreitend  erhebt.  Dann  weiter 
sind  wiederum  die  Exequien  geschildert:  ein  Geistlicher  zu 
Häupten  der  Bahre  liest  in  einem  Buche,  während  hinten  ein  Mönch 
das  Rauchfaß  schwingt,  andere  herumstehen  und  vorne  vier  Krüppel 
sitzen.  Zwei  Engel  tragen  die  Halbfigur  des  Verstorbenen  nach 
oben.  Für  die  Wunder,  die  Heilung  des  Mädchens,  des 
Lahmen,  die  Austreibung  der  Teufel  kann  auf  die  oben 
gegebene  Schilderung  verwiesen  werden ,  da  wie  sachlich  so  auch 
kompositioneil  die  Bildchen  sich  wenig  von  jenen  älteren  unter- 
scheiden. Von  größerem  Interesse  sind  einige  andere,  da  sie  nur 
auf  dem  Bilde  von  S.  Croce  erscheinen,  zunächst  eines,  welches 
ganz  allgemein  die  früheste  Thätigkeit  des  Franz  schildert,  wie  er 
nämlich  als  Krankenpfleger  sitzend  einen  Aussätzigen  auf  dem 
Schooße  hält,  daneben  rechts  noch  einmal  einem  zweiten  die  Füße 
wäscht.  Ein  anderes,  auf  dem  er  hinter  einem  Altar  stehend  zu 
einer  Schaar  von  nackten  Bettlern,  die  Stäbe  in  der  Hand  tragen, 
sich  wendet,  ist  als  Aussendung  der  Jünger  zu  deuten.  Dann 
fehlt  ferner  jene  rührende  Szene  nicht,  wie  er,  von  einem  seiner 
Schüler  begleitet,  dem  Hirten  begegnet,  der  zwei  Lämmer 
an  einem  Stabe  über  der  Schulter  trägt,  die  ihr  Leben  dem  Mit- 
leide des  Heiligen   verdanken   sollten.     Ein  weiteres  Bild   giebt  ihn 

Thode,  Franz  von  Assisi.  8 


114  ^'^  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 


nackt  an  eine  Schandsäule  gefesselt  sitzend,  einen  Strick 
um  den  Hals,  von  neugierigen  Männern  und  Frauen  betrachtet,  die 
er  auffordert,  ihn,  den  fleischlichen  Sünder,  der,  von  schwerer 
Krankheit  geprüft,  dem  strengen  Fasten  untreu  geworden,  zu  ver- 
achten. Welche  Vorgänge  endlich  in  den  zwei  übrigen  Bildern 
dargestellt  sind,  vermag  ich  nicht  zu  bestimmen.  Das  eine  zeigt 
eine  Volksmenge,  mit  einem  Diakon  an  der  Spitze,  die  von  einem 
Bischöfe,  neben  dem  noch  drei  andere  Würdenträger  sich  befinden, 
gesegnet  wird  —  das  zweite  die  Begegnung  eines  Hirten  mit  einem 
Mönche  (nicht  Franz). 

So  mühsam  eine  eingehende  Betrachtung  dieses  in  dunkler 
Kapelle  befindlichen  und  im  Laufe  der  Jahrhunderte  fast  ganz 
schwarz  gewordenen  Altarwerkes  ist,  so  wenig  lohnend  ist  sie  für 
Den,  der,  von  den  Fresken  in  Assisi  oder  den  Bildern  in  Siena 
kommend,  hier  ähnlich  werthvolle  Dokumente  der  jungen  auf- 
strebenden Kunst  zu  finden  hofft.  Das  sachliche  Interesse ,  das  es 
bietet,  muß  entschädigen  für  den  Mangel  an  lebens-  und  empfindungs- 
voller Schilderung.  Steif  und  konventionell  im  Geschmacke  der 
aussterbenden  älteren  Kunstrichtung  sind  die  Figürchen  neben 
einander  gestellt,  so  gut  wie  es  eben  ein  Maler  vermochte,  dem 
das  Dramatische  des  Stoffes  nicht  zum  Bewußtsein  kam  und  dem 
aus  Bonaventura's  phantasievollen  Erzählungen  nur  der  kahle  Kern 
des  Thatsächlichen  in  der  Erinnerung  haften  blieb. 

2.   Giotto  und  die  Kunst  des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts. 

Die  bisher  besprochenen  cyklischen  Darstellungen  der  Legende 
sind  der  Mehrzahl  nach  unabhängig  von  einander  entstanden.  Jeder 
Künstler  faßte  den  in  den  Lebensbeschreibungen  gebotenen  Text 
individuell  auf,  erst  Giotto  mit  seiner  künstlerischen  Bedeutung  und 
weitverbreiteten  Wirksamkeit  war  es  vorbehalten,  für  lange  Zeit  hinaus 
die  Kompositionsweise  zu  bestimmen,  bis  die  großen  Florentiner 
des  Quattrocento  die  neuen  Prinzipien  und  Anschauungen  auch  auf 
diesem  Gebiete  in  Anwendung  bringen.  Eine  fast  getreue  Wieder- 
holung einer  Anzahl  der  achtundzwanzig  großen  Fresken,  mit  denen 
der  Altmeister  in  der  Oberkirche  von  Assisi  am  Ende  des  XIII.  Jahr- 
hunderts die  unteren  Wandflächen  des  Längsschiffes  schmückte, 
tritt  uns  allerdings  bloß  in  S.  Francesco  zu  Pistoja  entgegen.  Hier 
findet  sich  in  dem  Chore,    zum  größten  Theile  zerstört  oder  noch 


Die  Darstellungen  der  Legende.  1 1 5 

von  der  Tünche  bedeckt  und  daher  von  der  Forschung  bisher  nicht 
berücksichtigt,  die  Legende  dargestellt.  So  viel  sich  erkennen  läßt, 
sind  bei  der  Ausführung  zwei  Meister  beschäftigt  gewesen,  deren 
einer,  derber  und  roher  in  Zeichnung  und  Behandlung,  schwerlich 
zu  bestimmen  sein  dürfte,  während  der  andere  ein  von  Giotto's 
frühem  Stil  beeinflußter  Florentiner  ist.^)  Nach  Vasari  hätte  Puccio 
Capanna  jene  Kapelle  ausgemalt,  doch  weiß  er  auch  von  einem  Bilde 
zu  erzählen,  das  Lippo  Memmi  für  den  Hauptaltar  geschaffen.-)  Wie 
es  scheint,  erhielt  der  Florentiner  1343  den  Auftrag  von  einem  Bernar- 
dino  dei  Ciantori,  der  einer  Inschrift  zufolge  die  Tribuna  in  diesem 
Jahre  mit  Fenstern,  Gemälden  etc.  schmücken  ließ,  mußte  aber  wohl 
die  Arbeit  unvollendet  lassen,  die  dann  von  einem  andern  schwächern 
Meister  —  ob  Puccio  Capanna,  ist  bei  dem  vollständigen  Mangel  an 
Kenntniß  dieses  Meisters  nicht  zu  sagen  —  vollendet  wurde.  Oder 
arbeitete  er,  was  dem  Stil  nach  wahrscheinlich,  schon  früher  und 
bezieht  sich  jener  Auftrag  nur  auf  die  von  dem  zweiten  Künstler 
gegebene  Vollendung.?' 

Daß  für  die  Giottisten  im  Uebrigen  weniger  die  Kompositionen 
Giotto's  in  Assisi,  als  dessen  spätere  in  S.  Croce  und  an  anderen 
Orten  ausgeführte  zum  Vorbild  geworden  sind,  darf  nicht  Wunder 
nehmen,  da  in  letzteren  sich  doch  die  freiere  Gestaltungsweise  des 
mit  den  Jahren  vorgeschritteneren  Meisters  geltend  macht,  welcher 
der  Schüler  sich  anschloß.  Unzweifelhaft  aber  ist  es,  daß  Giotto 
selbst  als  Jüngling  jene  Fresken  in  Assisi  geschaffen.  So  verdienst- 
voll die  Forschungen  sind,  die  Crowe  und  Cavalcaselle  angestellt, 
so  unbegreiflich  bleibt  es  doch ,  daß  sie  die  Franzlegende  einem 
Meister  von  der  Art  des  Gaddo  Gaddi  zuschreiben  konnten,  so 
unbegreiflich  auch,  daß  ein  Kunstkenner  wie  Rumohr  nur  an  Spinello 
Aretino  zu  denken  vermochte.  Mit  vollem  Rechte  hat  Dobbert 
Giotto  wieder  zu  seinem  Rechte  verholfen.'^)  Hätte  ein  Anderer 
als  Dieser  die  Bilder  gemalt  —  in  neuerer  Zeit  ist  irrthümlich  die 
Vermuthung  ausgesprochen  worden,  es  sei  ein  Sienese  gewesen  — 


*)  Von  letzterem  sicher:  Franz  in  S.  Damiano  und  die  eine  weibliche  Heilige 
an  der  Rückwand.  In  der  i.  Auflage  dieses  Buches  stellte  ich  die  Ansicht  auf,  der 
Künstler  sei  Lippo  Memmi.     Doch  bin  ich  von  ihr  zurückgekommen. 

2)  Vita  di  Giotto  I,  S.  403  und  I,  S.  556. 

^)  Rumohr:  Ital.  Forschungen,  Berlin  1827,  II>  S.  66.  —  Crowe  und  Cavalca- 
selle. It.  A.  I,  S.  344  ff-  D.  A.  I,  S.  181  ff.  —  Dobbert  in  Dohme's  Kunst  und 
Künstler  III,  Giotto  S.  6. 

8* 


1 16  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 


SO  wäre  eben  dieser  Andere  der  Begründer  der  neueren  Kunst  und 
von  Giotto's  größtem  Ruhme  bliebe  wenig  übrig  mehr.  Es  ist 
derselbe  Geist,  der  mächtig  und  überzeugend  aus  ihnen  spricht, 
wie  aus  den  Fresken  der  Kapelle  dell'Arena  in  Padua,  das  heißt 
der  Geist  der  neuen  Zeit !  Wer  sich  an  alterthümlichen  Formen  und 
Behandlung  stößt,  die  sich  so  leicht  und  logisch  von  selbst  er- 
klären, denkt  man  daran,  daß  es  ein  noch  an  Cimabue  und  dessen 
Richtung  anknüpfender  Künstler  war,  dem  hier  zum  ersten  Male 
vergönnt  wurde ,  die  eigenen  Gedanken  auszusprechen ,  muß  blind 
sein  für  die  Größe  der  Kunst,  die  aus  jeder  Komposition,  aus 
jeder  Figur,  aus  jeder  Geberde  spricht.  Wie  bestimmt  nicht 
allein  der  Geist,  sondern  ebenso  die  Zeichnung  jeden  Details  auf 
Giotto  hinweist,  wird  weiter  unten  bei  der  Beschreibung  von 
S.  Francesco  zur  Sprache  kommen.^)  Hier  gilt  es  nur  zu  zeigen, 
welchen  Einfluß  der  Stoff  auf  Giotto  gewonnen.  Selten  ist  es  uns 
wie  vor  diesen  Gemälden  gewährt,  den  Geheimnissen  künstlerischer 
Gestaltungskraft  nachzugehen,  zu  beobachten,  wie  der  Meister  un- 
beirrt von  früheren  Darstellungen  der  dichterischen  Anweisung 
allein  folgt  und  diese,  zu  gleicher  Zeit  durch  sie  beschränkt  und 
befreit,  zu  einer  künstlerischen  That  umgestaltet.  Bonaventura's 
vita  war  es,  welche  die  Mönche  dem  jungen  Künstler  in  die  Hand 
gaben,  daß  er  nach  ihr  des  Heiligen  Leben  schildere,  Bonaventura's 
Text  müssen  auch  wir  mit  den  Darstellungen  vergleichen,  wollen 
wir  diese  selbst  ebenso  wie  Giotto's  Verdienst  würdigen  lernen. 
Bei  Besprechung  der  einzelnen  Szenen  mögen  dann  kurz  auch  die 
zeitlich  späteren  Kunstwerke  ihre  Erwähnung  finden. 

I.  Wie  dem  Jüngling  gehuldigt  ward.  (Abb.  12.) 
,,Ein  sehr  einfältiger  Mann  in  Assisi,  der  aber,  wie  man  glaubt, 
von  Gott  selbst  belehrt  worden  war,  legte,  als  er  einst  dem  durch 
die  Stadt  wandelnden  Franz  begegnete,  den  Mantel  ab  und  breitete 
das  Gewand  vor  dessen  Füßen  aus :  versichernd ,  daß  Franz  noch 
jeder  Verehrung  würdig  sein  werde,  als  Einer,  dem  es  bestimmt  sei, 
in  nächster  Zeit  Großes  zu  wirken  und  deßwegen  von  der  Ge- 
sammtheit  der  Gläubigen  glorreich  geehrt  zu  werden."^)  Giotto 
bringt  den  Vorgang  selbst  zu  leicht  verständlichem  Ausdruck,  indem 

^)  Vergl.  Näheres  auch  in  meiner  Monographie  über  Giotto ,  in  den  Künstler- 
monographien, Velhagen  &  Klasing,   1899. 

^)  Cap.  1 ,  S.  744.  Die  Uebersetzung  hält  sich  durchweg  möglichst  an  den 
Wortlaut. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  117 

er  das  Außerordentliche  der  Begebenheit  in  ihrer  Wirkung  auf  je 
zwei  erstaunt  mit  einander  sprechende  Bürger,  die  symmetrisch 
links  und  rechts  angeordnet  sind,  verbildlicht.')  Die  Verehrung 
des  Huldigenden,  der  knieend  sein  Gewand  auf  die  Erde  breitet, 
liegt  deutlich  ausgesprochen  in  dem  Aufblicke  seiner  Augen  zu 
dem  jugendlichen  Franz,  der  eben  den  Fuß  auf  den  Mantel  setzt 
und  sich  mit  einer  allerdings  zu  allgemein  gehaltenen  Handbewegung 
zu  ihm  wendet.  Um  die  Oertlichkeit  näher  zu  bestimmen,  ver- 
suchte Giotto  den  Marktplatz  von  Assisi  wiederzugeben,  so  gut 
der  für  Perspektive  und  Größenverhältnisse  noch  wenig  geübte  Blick 
es  erlaubte.  Der  Tempel  der  Minerva  mußte  sich  freilich  eine 
etwas  phantasievolle  Behandlung  und  eine  Bereicherung  mit  den 
gothischen  Zuthaten  eines  von  reliefirten  Engeln  flankirten  Rund- 
fensters im  Giebel  und  eines  mosaizirten  Architravs  gefallen  lassen. 
Der  links  daran  stoßende  Palazzo  publico  zeigt  sehr  schöne,  wohl 
gleichfalls  Giotto's  eigene  architektonische  Ideen  verrathende  ge- 
theilte  Fenster,  von  denen  in  Wirklichkeit  jetzt  jedenfalls  nichts 
mehr  sichtbar  ist.  Das  Wesentliche  aber  bleibt  doch  der  Versuch, 
eine  bestimmte  Oertlichkeit  naturgetreu  darzustellen.  Daß  die 
Handbewegungen  bei  allem  Streben  nach  Lebenswahrheit  noch 
konventionell  bleiben,  darf  nicht  verwundern.  —  Eine  andere  Auf- 
fassung verräth  das  Fresko  in  Pistoja,  das,  sehr  zerstört,  nur  noch 
erkennen  läßt,  wie  Franz  aus  einem  Hause  auf  einen  die  Arme 
vor  ihm  kreuzenden  Mann  zuschreitet.  Später  giebt  Benozzo  in 
Montefalco  die  Szene  in  so  fern  verändert  wieder,  als  er  Franz 
von  hinten  auf  den  von  einem  Manne  vorn  ausgebreiteten  Mantel 
zukommen  läßt. 

2.  Die  Bekleidung  des  Armen.  (Abb.  i.)  Dieselbe 
wird  von  Bonaventura  nach  Thomas  und  den  tres  socii  fol- 
gendermaßen geschildert^):  ,,Als  Franz  die  Körperkräfte  wieder- 
erlangt und  sich  nach  seiner  Gewohnheit  schmuckvolle  Gewänder 
bereitet  hatte,  begegnete  er  einem  gewissen  vornehmen  Manne, 
der  edel  von  Geist,  aber  arm  und  schlecht  gekleidet  war.  Dessen 
Armuth  in  frommer  Regung  bemitleidend,  zog  er  selbst  sein  Gewand 


^)  Abb.  von  diesen  und  anderen  Fresken  bei  Plön,  S.  Frangois  d'Assise.  Photo- 
graphien von  diesem ,  wie  allen  sonstigen  Fresken  der  Oberkirche  von  Paolo  Lunghi 
und  Carloforti  in  Assisi ,  Alinari  in  Florenz.  Abb.  sämtlicher  Fresken  auch  in  meiner 
Monographie  über  Giotto. 

^)  Th.  II  Leg.  I,  2,  S.  nf.  —  T.  s.  Cap.   I,  S.   725.  —  B.  I,  S.   744. 


Ilg  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

aus  und  bekleidete  Jenen,  um  so  zu  gleicher  Zeit  die  doppelte 
Liebespflicht  zu  erfüllen,  das  Schamgefühl  des  vornehmen  Mannes 
zu  schonen  und  dem  Mangel  des  Armen  abzuhelfen."  Sinnig  ver- 
legt Giotto  den  Vorfall  in  die  Umgegend  der  Stadt,  die  man 
links  auf  einem  mit  Bäumen  bewachsenen  Berge  sieht.  Den  Raum 
besser  auszufüllen,  dachte  er  sich  Franz  von  dem  links  stehenden 
Pferde  abgestiegen,  wie  er  mit  freundlichem  Blicke  dem  älteren 
Manne,  der  ihn  anschaut,  den  Mantel  giebt,  in  dessen  Aermel  noch 
seine  rechte  Hand  steckt.  Verständlich  wird  die  Handlung  durch 
die  im  Blicke  wiederzugeben  versuchte  ,, fromme  Regung".  Die 
Bedeutung  fällt  damit  auf  das  geistige  Motiv  und  darin  zeigt  das 
Bild  den  großen  Fortschritt  gegen  jenes  oben  erwähnte  in  S.  Croce. 
Vollständig  der  Natur  abgelauscht  zugleich  aber  ist  die  Stellung 
des  Pferdes ,  das  die  Ruhepause  benutzt ,  sich  Gras  am  Boden  zu 
suchen.  Bei  Benozzo  machte  sich  die  Erinnerung  an  die  ähnliche 
Handlung  des  heiligen  Martin  und  deren  übliche  Darstellung  geltend : 
der  Jüngling  reicht  zu  Pferde  sitzend  dem  Armen  den  Mantel.  Als 
zweiten  Martin  hatte  den  mitleidsvollen  Franz  schon  früher  Thomas 
von  Celano  in  begeisterten  Worten  gepriesen. 

3.  Die  Vision  des  Palastes.  (Abb.  13.)  ,,In  der  fol- 
genden Nacht  aber,"  heißt  es  weiter,  ,,als  er  sich  dem  Schlummer 
ergeben,  zeigte  ihm  die  göttliche  Güte  einen  prächtigen  und  großen 
Palast  mit  kriegerischen  Waffen,  die  mit  dem  Zeichen  des  Kreuzes 
Christi  bezeichnet  waren ,  um  ihm  weissagend  zu  zeigen ,  daß  die 
Barmherzigkeit,  die  er  aus  Liebe  zum  höchsten  Könige  dem  armen 
Edlen  erwiesen,  mit  unvergleichlichem  Lohne  vergolten  werden  solle. 
Also  ward  ihm  auch ,  als  er  fragte :  wessen  alle  jene  Waffen  sein 
würden ,  in  höherer  Versicherung  die  Antwort :  ihm  und  seinen 
Soldaten  würden  sie  gehören."  In  der  ersten  Legende  des  Thomas 
von  Celano  war  das  Traumgesicht  als  solches  noch  schlicht  ge- 
schildert: das  eigene  Haus,  in  dem  er  sonst  nur  Ballen  von  Tuch 
zu  sehen  gewöhnt  war,  schien  Franz  mit  Waffen  gefüllt  zu  sein. 
Erst  bei  den  tres  socii  wird  es  dann  zum  reichen  Palaste,  und  der 
Herr  selbst  erscheint  ihm.  Nach  des  Thomas  II.  Legende  gewahrt 
er   zugleich    seine   Braut   von   wunderbarer  Schönheit.  1)  —  An  der 


1)  Th.  I  Leg.  I,  S.  685.  —  Suysken's  II  Leg.  §  5 ,  S,  564.  —  Anon.  Perus, 
ebd.  —  Tres  socii,  Cap.  I,  S.  725.  —  Th.  II  Leg.  I,  2,  S.  12.  —  Bon.  Cap.  I, 
S.  744.  —  Carmen,  S.  24. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  Hg 

Unmöglichkeit,  ein  Traumgesicht  bildlich  zu  schildern,  mußte  der 
Künstler  scheitern,  so  geschickt  er  es  auch  versuchte,  durch  die  auf 
den  großen  Palast  rechts  hinweisende  Bewegung  des  Heilandes, 
der  hinter  dem  Lager  des  links  schlafenden  Franz  steht,  das 
Außerordentliche ,  Visionäre  verständlich  zu  machen.  Die  ruhe- 
volle Lage  des  Letzteren,  der  das  Haupt  auf  die  rechte  Hand  gelegt 
hat,  zeugt  von  überraschender  Beobachtung,  während  andrerseits 
für  den  Entwurf  des  wahrhaft  prächtigen  Gebäudes,  das  natürlich 
höchst  wirklich  dasteht,  seiner  künstlerischen  Phantasie  freier  Spiel- 
raum gelassen  war.  Damit  verglichen  erscheint  die  Darstellung  im 
Klostergang  von  S.  Croce,  auf  welcher  Christus  in  halber  Figur  und 
in  der  Mandorla  ihm  erscheint,  ziemlich  ärmlich,  wenn  auch  die 
Vertauschung  der  bei  Giotto  zu  wenig  sichtbaren  Panzer  mit  Kreuzes- 
fahnen glücklich  zu  nennen  ist.  Benozzo  mochte  sich  wohl  des 
Bildes  Giotto 's  erinnern ,  gab  aber  dem  Prachtbau  die  bestimmte 
Gestalt  des  Palazzo  vecchio  in  Florenz. 

4.  Franz  in  S.  Damiano.  (Abb.  44.)  Deutlich  läßt  sich 
auch  hier  die  legendarische  Ausschmückung  einer  einfachen  That- 
sache  verfolgen.  Hatte  Thomas  in  seiner  ersten  Legende  nur 
zu  erzählen  gewußt ,  wie  Franz ,  beim  Anblick  des  zerfallenen 
Kirchleins  von  Mitleid  und  Frömmigkeit  bewegt,  beschlossen,  es 
wiederherzustellen ,  so  verwandelt  sich  der  innere  Wunsch  in  der 
II.  Legende  und  bei  den  tres  socii  in  die  wunderbare  Aufforderung 
durch  das  Kruzifix.  Und  so  erzählt  auch  Bonaventura  den  Vorfall :  ^) 
,,Als  er  eines  Tages,  um  nachzusinnen,  außerhalb  der  Stadt  an  der 
Kirche  des  h.  Damianus  vorbeiwandelte,  die  in  Folge  allzu  großen 
Alters  den  Einbruch  drohte,  und  von  dem  Geiste  getrieben  in 
dieselbe,  um  zu  beten,  eingetreten  war,  warf  er  sich  vor  dem  Bilde 
des  Gekreuzigten  nieder  und  ward  während  des  Betens  von  nicht 
geringem  Geistestroste  erfüllt.  Und  als  er  thränenden  Auges  zum 
Kreuze  des  Herrn  aufblickte,  hörte  er  mit  den  körperlichen  Ohren 
eine  Stimme ,  die  von  jenem  Kreuze  zu  ihm  ausging  und  dreimal 
sprach :  '  Franziskus ,  gehe  und  stelle  mein  Haus  wieder  her,  das, 
wie  du  siehst,  ganz  der  Zerstörung  anheimfällt.'  Erzitternd  staunte 
Franz ,  da  er  doch  allein  in  der  Kirche  war,  eine  so  wunderbare 
Stimme  zu  hören  und  fühlte  sich  im  Geiste  entrückt,  die  Wirkung 
der  göttlichen  Rede  im  Herzen  empfindend." 


>)  Th.  n  Leg.  I,  6.  —  B.  II,  S.  745. 


1 20  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Gab  es  auch  schon  vor  Giotto  auf  dem  Glasfenster  der  Ober- 
kirche und  auf  dem  Bilde  in  Siena  Darstellungen  des  Wunders,  so 
hielt  er  sich  dennoch  von  Nachahmung  frei  und  verstand  es,  was 
jenen  älteren  Meistern  noch  nicht  gelungen,  den  Vorgang  möglichst 
verständlich  zu  machen,  indem  er  die  verfallene  Kirche  selbst 
perspektivisch  gestaltete  und  Franz  in  derselben  knieend  mit  erstaunt 
erhobenen  Händen  nach  rechts  zu  dem  in  der  Apsis  vorn  etwas 
vorgeneigt  stehenden  Kruzifix  aufschauen  läßt.  Wie  in  Siena 
scheint  auch  hier  Christus  selbst  Leben  gewonnen  zu  haben,  aber 
nur  in  dem  etwas  vorgestreckten  Kopfe.  Die  Form  des  Kreuzes, 
die  aufrechte  Haltung  des  Heilandes  beweist,  daß  sich  Giotto  als 
ganz  direktes  Vorbild  jenes  alte  Kruzifix  von  S.  Damiano  nahm, 
das  noch  jetzt  in  S.  Chiara  in  Assisi  zu  sehen  ist.^)  Daß  er  der 
wirklichen  Kirche  S.  Damiano  nur  die  kleinen  Verhältnisse  für  seine 
Darstellung  entlehnte  und  sich  einen  Einblick  verschaffte,  indem 
er  die  Obermauern  auf  Säulen  ruhen  ließ ,  war  durch  die  Kom- 
position bedingt.  Eine  fast  getreue  Wiederholung  derselben  bringt 
der  Nachahmer  in  Pistoja.  In  den  späteren  Cyklen  findet  sich  die 
Szene  nicht. 

5.  Die  Lossagung  vom  Vater.  (Abb.  2.)  Die  Ge- 
schichte kehrt  in  allen  Legenden  ziemlich  gleichlautend  wieder, 
nur  daß  Thomas  sie  kürzer  behandelt,  und  Bonaventura  sich  daher 
an  die  Schilderung  der  tres  socii  anschließt.^)  ,,Dann  versuchte 
der  Vater  des  Fleisches  den  Sohn  der  Gnade,  des  Geldes  schon 
baar,  vor  den  Bischof  der  Stadt  zu  führen,  damit  er  in  Dessen 
Hände  verzichtend  das  väterliche  Gut  lege  und  Alles  wiedererstatte, 
was  er  habe.  Bereit,  es  zu  thun,  zeigt  Jener  sich  da  als  wahrer 
Liebhaber  der  Armuth.  V"or  den  Bischof  gekommen,  duldet  er 
kein  Säumen,  nicht  zaudert  er  in  Bedenken,  erwartet  und  macht 
nicht  erst  Worte,  sondern  legt  sogleich  alle  Gewänder  ab  und  er- 
stattet  sie  dem  Vater  zurück.     Da  fand   man  aber,    daß  der  Mann 


^)  In  dem  abgeschlossenen  Räume  neben  dem  vorderen  Querschiff.  Eine  gute 
Arbeit  aus  dem  XII.  Jahrhundert ,  wie  es  deren  ja  mehrere  sonst  in  Pisa  und  Lucca 
giebt :  Werke ,  die  mehr  als  andere  das  Volksthümliche  der  italienischen  Kunst  auch 
in  jenen  Zeiten  erkennen  lassen.  Die  zu  zweien  und  zu  dreien  gruppirten  Frauen 
neben  dem  Körper  Christi  hat  Giotto,  der  Deutlichkeit  wegen,  in  Maria  und  Johannes 
verwandelt.   —  Abb.  bei  Plön:  S.  Frangois  S.  23. 

2)  Th.  I  Leg.  II,  S.  687,  —  Suysken's  II  Leg.  §  6 ,  S.  569.  —  Anon.  Per. 
ebd.  —  Th.  II  Leg.  I,  7,  S.  23.  —  T.  s.  II.  —  Bon.  Cap.  II,  S.  746.  —  Carmen  S.  72. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  121 

Gottes  auf  dem  Fleische  unter  den  feinen  Kleidern  ein  Stück  Fell 
trug.  Dann,  trunken  von  wunderbarer  Gluth  des  Geistes,  wirft  er 
auch  das  Hüftentuch  fort,  entblößt  sich  gänzlich  öffentlich  vor  Allen 
und  sagt  zum  Vater :  '  Bis  jetzt  habe  ich  dich  meinen  Vater  auf 
Erden  genannt,  von  nun  aber  kann  ich  befriedigt  sagen:  Vater 
unser,  der  Du  bist  im  Himmel,  auf  den  ich  meinen  ganzen  Schatz 
und  die  Zuversicht  meiner  Hoffnung  gesetzt  habe.'  Wie  dies  der 
Bischof  sah  und  die  alles  Maß  übersteigende  Liebesgluth  in  dem 
Manne  Gottes  gewahrte,  stand  er  sogleich  auf,  nahm  ihn  unter 
Weinen  in  seine  Arme,  wie  er  denn  ein  frommer  und  guter  Mann 
war,  und  bedeckte  ihn  mit  dem  Mantel,  mit  dem  er  selbst  bekleidet 
war,  den  Seinen  befehlend,  daß  sie  ihm  Etwas  gäben,  die  Glieder 
seines  Körpers  zu  bedecken.  Gebracht  aber  ward  ihm  der  ärmliche 
und  geringe  Mantel  eines  Bauern  im  Dienste  des  Bischofs;  den 
nahm  er  an  mit  Dank  und  umgrenzte  ihn  in  Form  eines  Kreuzes 
mit  eigener  Hand  mit  einem  Stein,  der  zufällig  zur  Stelle  war,  so  aus 
demselben  eine  Bedeckung  für  den  gekreuzigten  und  armen,  halb- 
nackten Menschen  machend.  So  ward  der  Knecht  des  allerhöchsten 
Königs  nackt  zurückgelassen,  daß  er  dem  nackten,  gekreuzigten 
Herrn  folgen  könnte ,  den  er  liebte :  so  auch  mit  dem  Kreuze  be- 
wehrt, daß  er  seine  Seele  dem  Holze  des  Heiles  anvertraute,  Dank 
dessen  er  unversehrt  dem  Schiffbruch  der  Welt  entgehen  sollte." 
In  höchst  wirkungsvoller  Weise  hat  Giotto,  dem  ja  schon  einige 
andere  Meister  versuchend  vorangegangen  waren,  die  volle  Be- 
deutung dieser  Szene  schlagend  in  wenigen  Figuren  veranschaulicht. 
Man  muß  über  sein  dramatisches  Vermögen ,  über  die  Sicherheit 
erstaunen ,  mit  der  er  den  ganzen  Verlauf  der  Handlung  in  deren 
höchstem  Momente  eindrucksvoll  zusammenfaßt  —  es  ist  der  Augen- 
blick gewählt,  in  dem  der  nackte  Jüngling,  um  dessen  Blöße  der 
Bischof  den  Mantel  schlägt,  inbrünstig  betend  mit  erhobenen  Händen 
nach  oben  schaut,  ohne  noch  Blick  oder  Ohr  zu  haben  für  den  in 
äußerst  glücklichen  Kontrast  gesetzten  Vater,  der,  empört  die  hab- 
gierig geretteten  Gewänder  unter  dem  linken  Arme,  nur  von  einem 
anderen  Bürger  verhindert  wird,  den  Sohn  seine  Wuth  körperlich 
fühlen  zu  lassen.  Diese  Figur,  sowie  die  zwei  Knaben  links,  die 
in  dem  Schooße  noch  die  Steine  tragen,  mit  denen  sie  Franz  auf 
dem  Wege  hierher  verfolgt  ^),  vergegenwärtigen  dem  Beschauer  die 


^)  Von  Bonav.  kurz  vorher  erwähnt. 


122  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Vorfälle ,  welche  Franz  bewogen ,  sich  vom  irdischen  Vater  zu 
trennen,  wie  andrerseits  in  dem  zum  Begleiter  nach  rechts  ge- 
wandten Blicke  des  Bischofes  Dessen  vorausdenkende  Fürsorge  für 
den  Schutzbefohlenen  angedeutet  ist.  Zuschauende  Bürger  links 
hinter  Bernardone  vervollständigen  die  Szene,  die  durch  das 
segnende  Eingreifen  der  Hand  Gottes  in  der  Höhe  ihre  höchste 
Weihe  erhält.  Wenn  auch  an  den  Stellungen,  der  Zeichnung  des 
Nackten  noch  viel  auszusetzen,  so  verdient  die  Komposition  in 
ihrer  klaren,  scharfen  Zweitheilung,  die  Wiedergabe  der  ganz  ent- 
gegengesetzten Gemüthsbewegungen  in  Vater  und  Sohn  die  größte 
Bewunderung,  —  das  war  aber  auch  ein  Stoff,  der  zum  Höchsten 
herausforderte ! 

Als  Giotto  denselben  zum  zweiten  Male  in  der  Capella  Bardi 
zu  behandeln  hatte ,  behielt  er  das  Schema  im  Allgemeinen  bei, 
nur  aus  Raumrücksichten  die  Komposition  mehr  in  die  Breite 
ziehend.^)  Der  Oertlichkeit  verlieh  er  durch  den  im  Hintergrund 
angebrachten  bischöflichen  Palast  größere  Natur  Wahrheit.  Was 
aber  das  Wesentliche  ist,  er  spitzte  den  Gegensatz  hier  noch  stärker 
zu :  der  Vater  ist  heftiger,  leidenschaftlicher  bewegt,  so  daß  er  von 
zwei  Männern  gehalten  werden  muß ;  die  hier  auf  beide  Seiten  ver- 
legten Kinder  werden,  im  Begriff  zu  werfen,  von  einer  Frau  und 
einem  Manne  gezüchtigt  und  an  den  Haaren  zurückgehalten,  womit 
der  Umschlag  der  öffentlichen  Stimmung  zu  Gunsten  des  Franz  ge- 
kennzeichnet wird.  —  Danach  richtete  sich  dann  auch  Taddeo 
Gaddi  in  seinem  kleinen,  daher  an  Figuren  nicht  so  reichen  Bilde 
in  der  Akademie  von  Florenz,  und  der  Maler  der  Fresken  im 
Klosterhofe  von  S.  Croce.  Auch  des  Semitecolo  im  Ganzen  viel 
ruhiger  gehaltene  Darstellung  in  Venedig  unterscheidet  sich  nur 
in  Unwesentlichem :  des  Franz  Gewand  liegt  auf  der  Erde ,  vom 
Himmel  kommt  ein  Glorienschein  herab.  Benozzo  Gozzoli,  im  All- 
gemeinen an  Giotto's  Vorbild  sich  haltend,  stellt  Franz  en  face 
dar.  So  folgt  auch  der  Veroneser  Meister  in  S.  Bernardino  dem 
älteren  Schema.  Ganz  neu  konzipirt  erscheint  nur  Domenico  Ghir- 
landajo's  Wandbild  in  S.  Trinitä,  auf  dem  der  schroffe  Kontrast 
der  streitenden  Partheien  vermieden,  zugleich  aber  das  wirksame 
und  zum  unmittelbaren  Verständniß  doch  so  nothwendige  Motiv 
des  Gebetes    aufgegeben  ist.     Der  nackte  Knabe  kniet  nach  rechts 


1)  Abb.  Plön,  S.  25.     Phot.   Minari. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  I23 

gewandt  vor  dem  würdigen,  alten,  liebevoll  sich  zu  ihm  neigenden 
Bischof,  der  den  Mantel  um  ihn  schlägt.  Rechts  davon  eine 
Schaar  von  meist  theilnahmlosen  Zuschauern.  Links  der  Vater, 
den  Schlagriemen  in  der  Hand,  halb  verächtlich,  halb  gekränkt  auf 
den  Sohn  zuschreitend ,  von  einem  Manne  mit  eindringlicher  Ge- 
berde beschwichtigt.  Links  noch  andere  Zuschauer.  Mögen  auch 
die  herrlichen  Köpfe  einigermaßen  dafür  entschädigen,  die  Leiden- 
schaft und  Begeisterung  der  alten  Darstellungen  ist  hier  nicht  mehr 
zu  finden.  Franz  selbst  ist  ein  Knabe ,  wie  tausend  andere ,  aber 
nicht  der  von  Gott  erleuchtete,  vom  Feuer  der  Liebe  entflammte 
Herold  des  Höchsten.^) 

6.  Die  Vision  Innocenz  III.  (Abb.  14.)  Als  Innocenz  un- 
schlüssig war,  ob  er  Franz  die  Predigt  erlauben  solle,  ward  ihm 
ein  Traum  zu  Theil.  ,,Er  sah  nämlich  im  Traume  (wie  er  be- 
richtet hat),  wie  die  Lateranensische  Basilika  ganz  nahe  schon  dem 
Einbruch  sei;  ein  ärmlicher,  mittelgroßer  und  verächtlich  aussehender 
Mann  aber  hielt  sie,  mit  dem  eigenen  Rücken  sie  stützend,  aufrecht, 
daß  sie  nicht  falle.  Wahrlich,  sprach  er,  das  ist  Jener,  der  durch 
Werk  und  Lehre  die  Kirche  Christi  aufrecht  erhalten  wird." 

Die  Legende,  von  der  auch  Matthäus  Paris  nichts  weiß,  taucht 
erst  und  zwar  fast  genau  gleichlautend  in  Thomas'  II.  Leg.  und 
bei  den  tres  socii  auf,  welch'  ersterem  Bonaventura  seinerseits 
wörtlich  folgte.-)  Wie  wir  gesehen,  war  sie  schon  vor  Giotto 
wiederholt  dargestellt  worden,  doch  schuf  sie  Dieser  selbständig 
neu.  Rechts  liegt  in  seinem  auf  Säulen  ruhenden  Prunkgemach 
in  tiefem  Schlafe  Innocenz,  vor  dessen  Lager  zwei  Diener  sitzen, 
deren  einer  von  feinem  künstlerischen  Gefühl  dazu  bestimmt  ist, 
das  Augenmerk  des  Beobachters  besonders  auf  den  Papst  und  damit 
auf  dessen  bedeutungsvollen  Zustand  zu  lenken.  Er  schaut  nämlich 
aufmerksam  Innocenz  an ,  als  vernähme  er  die  im  Schlafe  ge- 
sprochenen Worte,  ohne  doch  das  Traumbild  links  zu  gewahren. 
Hier  steht  Franz,  die  Linke  in  die  Seite  gestützt,  die  Säulenvorhalle 
der  nach  rechts  fallenden  Kirche  mit  der  rechten  Hand  und  der 
rechten  Schulter  stützend.  Die  Kirche  aber,  leider  im  oberen 
Theile    nicht   mehr   erkennbar,    ist   zweifellos  eine  Reminiszenz,   ja 


1)  Phot.  Alinari. 

2)  Th.  II   Leg.  I,   II.  —  T.  s.  IV,    S.  737.  —   B.  III,    750.     Danach   auch  bei 
Malaspina  in  seiner  florentiner  Chronik, 


124  ^^^  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

bewußte  Wiedergabe  der  alten  Lateransbasilika,  da  sie  den  echt 
römischen  Basilikenstil  und  den  hohen,  mit  getheilten  Fenstern  ver- 
sehenen Thurm  zeigt.  Offenbar  sah  Giotto  selbst  ein ,  daß  trotz 
der  Diener  und  der  dem  Franz  zugewandten  Stellung  des  Papstes 
die  Darstellung  als  Traumbild  nicht  recht  verständlich  wurde,  denn 
auf  der  Predella  seiner  Stigmatisation  im  Louvre  (N.  192)  fügte 
er,  wie  auf  der  Vision  des  Palastes  Christus,  so  hier  als  vermittelnde 
Figur  Petrus  hinzu ,  der  an  das  Lager  herantretend  seinen  Nach- 
folger auf  die  Erscheinung  aufmerksam  macht.  ^)  Diese  Veränderung 
behielt  Taddeo  Gaddi  auf  seinem  Bildchen  der  Akademie  in  Florenz 
bei,  auf  dem  der  Papst  nach  links  liegt,  Franz  nur  den  oberen 
und  abbrechenden  Giebeltheil  der  Kirche  aufhält^),  ebenso  auch 
Benedetto  da  Majano  in  seinem  hübschen  Thonrelief  in  der  Berliner 
Skulpturensammlung,  auf  dem  im  Hintergrunde  die  zeitlich  voran- 
gehende Szene  dargestellt  ist,  wie  anfangs  Innocenz  den  Bettel- 
mönch von  sich  weist.  Giotto's  Nachahmer  in  Pistoja  dachte  sich, 
sonst  getreu  die  alte  Komposition  wiederholend,  an  des  Petrus  Stelle 
Christus  selbst,  während  Benozzo,  die  Brüder  Massegne  in  Bologna, 
Signorelli  in  der  Predella  seines  großen  Altarbildes  in  Perugia 
(Sala  di  Fiorenzo  di  Lorenzo  27)  frei  dem  älteren  Schema  der 
Komposition  folgen.  —  Die  Vision  des  Palmbaumes  fand 
ich  nur  im  Chiostro  von  S.  Croce  dargestellt. 

7.  Die  Bewilligung  der  Predigt.  (Abb.  3.)  ,, Darauf", 
fährt  Bonaventura  fort,  „bewilligte  er  das  Geforderte  und  ver- 
sprach noch  mehr  zuzugestehen ;  er  billigte  die  Regel ,  gab  ihnen 
den  Auftrag,  Buße  zu  predigen  und  ließ  allen  den  Laienbrüdern, 
die  den  Knecht  Gottes  begleitet  hatten,  kleine  Tonsuren  machen, 
damit  sie  frei  das  Wort  Gottes  predigten."  Da  verprachen  dann 
nach  den  tres  socii  Franz  und  die  Brüder  knieend  dem  Papste 
Gehorsam  und  Verehrung.^) 

Franz,  hier  zuerst  bärtig  dargestellt,  kniet,  vom  Papste  die  Regel 
in  Empfang  nehmend,  an  der  Spitze  der  elf  betend  knieenden 
Brüder,  deren  Anzahl  Bonaventura's  Bericht  entspricht.*)    Innocenz, 


1)  Abb.  Plön.  PI.  XXI,  S.  234. 

^)  Abb.  Plön.  Phot.  Alin.  So  auch  auf  dem  giottesken  Freskenrest  in  der  Kapelle 
des  Camposanto  in  Pisa  und  im  Hofe  von  S.  Croce  zu  Florenz. 

3)  Th.  I  Leg.  V  S.  692.  —  Anon.  Per.  s.  II,  S.  591,  —  Th.  II  Leg.  I,  11, 
S.  32.  —  Tres  socii  IV  S.  736  f.   —  Bon.  III,  S.   750.  —  Carmen  S.  142. 

*)  Später  richtet  sich  die  Zahl  meist  nach  der  Größe  der  Bildfläche. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  12  5 

der  rechts  auf  dem  Throne  sitzt,  segnet,  offenbar  sprechend,  die 
Mönche.  Neben  ihm  sitzen  zwei  Bischöfe,  hinter  ihm  stehen  zwei 
andere,  die  gespannt  zuschauen,  und  jene  beiden  bärtigen  Männer, 
die  auf  dem  vorangehenden  Bilde  an  seinem  Lager  Wache  hielten. 
Die  vortrefflich  einfache  Komposition  zeigt  wieder  die  klare  Glie- 
derung in  zwei  Theile.  Ihre  Bedeutung  aber  liegt  besonders  in 
dem  energischen  Bestreben,  in  Blick  und  Haltung  die  größte  Auf- 
merksamkeit aller  Betheiligten  auszudrücken.  Unverwandt  haften 
die  Augen  der  Bischöfe  an  Franz ,  die  der  Mönche  am  Papst ,  es 
ist,  als  würden  die  Gestalten  wie  erstarrt  im  Banne  gehalten  durch 
die  auf  Einen  Gedanken  konzentrirte  geistige  Thätigkeit.  Daneben 
macht  sich,  namentlich  bei  den  Franziskanern,  des  Künstlers  Be- 
streben geltend,  durch  verschiedenartige  Typen  verschiedene  In- 
dividualitäten zu  schildern  und  dadurch  Mannichfaltigkeit  in  die 
Gefahr  drohende  Monotonie  zu  bringen.  —  Durchaus  ähnlich,  selbst 
was  die  Halle  mit  der  auf  Konsolen  ruhenden  Rundbogengallerie 
betrifft,  ist  Giotto's  Predellenbildchen  zu  der  Stigmatisation  im 
Louvre  ^),  nur  mußten  hier  mehrere  Brüder  und  die  beiden  sitzenden 
Bischöfe  wegbleiben,  da  der  Raum  zu  beschränkt  war,  wie  auch 
auf  Taddeo  Gaddi's  Bildchen  in  der  florentiner  Akademie  bei 
gleicher  Anordnung  die  stehenden  Begleiter  des  Papstes  fortgelassen 
wurden.  Gleichfalls  verwandt  ist  dieselbe  Darstellung  von  einem 
giottesken  Maler  im  Camposanto  zu  Pisa.  Dagegen  gestattete  in 
der  Capeila  Bardi  die  größere  Breite  der  zu  bemalenden  Fläche 
Giotto ,  sich  mehr  auszudehnen  und  das  Gedrängte  der  Mönchs- 
gruppe zu  vermeiden.  ^)  Der  Papst,  hier  links  angebracht  zwischen 
den  beiden  sitzenden  Bischöfen,  segnet  Franz  und  reicht  ihm  die 
Rolle ,  auf  der  wie  bei  Taddeo  zu  lesen  ist :  „regula  minorum  fra- 
trum  hec  est.  S.  Domini  nostri  Jesu  Christi".  Die  Mönche  sind 
sämmtlich  bartlos.  Nicht  uninteressant  ist  es  zu  sehen ,  daß  sich 
Giotto  jene  beiden  bärtigen  Gefolgsleute  des  Papstes  noch  nicht 
aus  dem  Kopfe  geschlagen.  Er  verdoppelt  sie  hier  und  bringt  sie 
in  den  Vorhallen  an,  die  links  und  rechts  an  das  mit  einem  Giebel 
bekrönte  Gemach  anstoßen.  Giotto's  Einfluß  vermochte  sich  auch 
Benozzo  nicht  zu  entziehen,  als  er  dieselbe  Szene  in  ähnlicher  An- 
ordnung in  Montefalco  malte. 


1)  Abb.  Plön.  PI.  XXI,  S.  234. 

2)  Abb.  Plön.  PI.  XV,  S.  177.     Phot.  Alinari. 


126  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Der  Plastik  war  es  vorbehalten,  ein  anderes  Schema  der  Kom- 
position aufzubringen.  Offenbar  empfanden  die  Brüder  Massegne, 
als  sie  den  Altar  für  Bologna  machten ,  daß  es  unzulässig  sei ,  im 
Relief  die  Figuren  perspektivisch  vertieft  hintereinander  anzuordnen, 
und  zogen  es  daher  zum  Vortheile  von  deren  Deutlichkeit  vor, 
den  Papst  zwischen  den  Kardinälen  fast  en  face  in  der  Mitte  sitzen 
zu  lassen ,  während  Franz  und  seine  Genossen  knieend  von  rechts 
nahen.  Ganz  ähnlich,  nur  mit  allen  Mitteln  seiner  herrlichen,  vor- 
geschrittenen Kunst,  gestaltete  Benedetto  da  Majano  an  der  Kanzel 
von  S.  Croce  die  Szene.  Da  sitzt  zwischen  zwei  Kardinälen,  deren 
vorderer  rechts  sich  zu  einem  jungen  knieenden  Manne  wendet,  der 
Papst  halb  nach  links  gewandt  in  der  Mitte  und  segnet  den  vor  ihm 
knieenden  Franz ,  der  die  Regel  zu  lesen  scheint.  Zwei  Mönche 
sind  hinter  Diesem  niedergesunken,  zwei  andere  treten  dahinter 
eben  durch  die  Thür  ein.  Diese  äußerst  reizvoll  bewegte  Kom- 
position schwebte  dann  offenbar  Cosimo  Rosselli  vor,  als  er  die 
ganz  ähnliche  für  die  Predella  seiner  Himmelfahrt  in  S.  Ambrogio 
zu  Florenz  entwarf,  auf  der  nur  statt  zwei  sechs  Kardinäle  neben 
Innocenz  sitzen.  Als  endlich  Domenico  Ghirlandajo  die  Capella 
Sassetti  ausmalte ,  machte  er  aus  Giotto's  einfachem  Gemälde  in 
S.  Croce  eine  figurenreiche  Darstellung,  die  durch  die  zahlreiche 
Versammlung  des  päpstlichen  Hofes  einen  festlichen  Charakter  er- 
hielt. Da  sieht  man  rechts  auf  hohem  Throne  unter  dem  Baldachin 
den  Papst,  wie  er  mit  der  Rechten  segnend  dem  auf  einer  Stufe 
vor  ihm  knieenden  Franz  die  Regel  reicht.  In  zwei  Reihen,  deren 
vordere  dem  Beschauer  den  Rücken  zukehrt,  sitzen  links  die  Kirchen- 
fursten.  Zwischen  ihnen  knieen  hinter  Franz  zu  je  zweien  an- 
geordnet acht  Mönche.  Vorne  rechts  steht  Lorenzo  Medici  mit 
Gefolge ,  während  dessen  Söhne ,  von  Angelo  Poliziano ,  Matteo 
Franco  und  Luigi  Pulci  geführt,  eine  Treppe  heraufsteigen.  Im 
Hintergrunde  sieht  man  die  Piazza  von  Florenz  mit  der  Loggia 
dei  Lanzi  und  dem  Palazzo  vecchio.^) 

8.  Die  Vision  des  feurigen  Wagens.  (Abb.  15.)  Von 
den  älteren  Biographen  erzählt  nur  Thomas  in  der  ersten  Legende 


^)  Vergl.  A.  Warbiirg:  Bildnißkunst  und  florentinisches  Bürgerthum.  Leipzig. 
Einige  andere  von  Vasari  erwähnte,  angeblich  aber  die  Bestätigung  der  Regel  durch 
Honorius  III.  darstellende  Bilder  seien  kurz  genannt:  Taddeo  Gaddi  in  S.  Francesco 
zu  Pisa  (I,  575);  Spinello  Aretino  in  S.  Francesco  zu  Arezzo  (I,  681);  Lorenzo  di  Bicci 
an  der  Fagade  von  S.  Croce  zu  Florenz  (II,  S.  51). 


Die  Darstellungen  der  Legende.  127 

die  wunderbare  Begebenheit  und  an  seinen  Bericht  lehnt  sich  Bona- 
ventura an  ^) :  „Als  aber  die  Brüder  am  vorerwähnten  Orte  die 
Zeit  verbrachten,  betrat  der  heilige  Mann  an  einem  Sabbath  die 
Stadt  Assisi,  um,  wie  es  seine  Sitte  war,  in  der  Kathedrale  der- 
selben früh  am  nächsten  Morgen  zu  predigen.  Während  nun  der 
Gott  geweihte  Mann,  körperlich  entfernt  von  den  Söhnen,  im 
Gebet  zu  Gott  nach  seiner  Sitte  die  Nacht  in  einer  Hütte,  die  im 
Garten  der  Canonici  gelegen  war,  verbrachte,  siehe  da  trat  über 
die  Schwelle  des  Hauses  in  mitternächtiger  Stunde  zu  den  Brüdern, 
die  zum  Theil  ruhten,  zum  Theil  im  Gebet  verharrten,  ein  feuriger 
Wagen  von  wunderbarem  Glänze  umgeben  und  bewegte  sich  drei- 
mal hierhin  und  dorthin  durch  das  Haus;  auf  demselben  thronte 
eine  leuchtende  Kugel,  die  der  Sonne  gleich  die  Nacht  hell  machte. 
In  Erstaunen  gesetzt  sind  die  Wachenden,  aufgeweckt  zugleich  und 
erschreckt  die  Schlafenden,  und  nicht  minder  spürten  sie  die  Helle 
im  Herzen,  als  am  Körper,  da  Dank  der  Wirkung  des  wunderbaren 
Lichtes  Einem  des  Andern  Gewissen  nackt  und  offenkundig  er- 
schien. Denn  übereinstimmend,  da  Alle  wechselseitig  in  der  Anderen 
Herzen  schauten,  empfanden  sie  Alle  es  deutlich,  daß  der  heilige 
Vater  wohl  körperlich  ferne,  geistig  aber  gegenwärtig  sei  und  ver- 
klärt in  solchem  Bilde,  von  höheren  Lichtern  umstrahlt  und  von 
höheren  Gluthen  entflammt,  durch  übernatürliche  Kraft  ihnen  vom 
Herrn  auf  strahlendem  und  feurigem  Wagen  gezeigt  werde,  auf 
daß  sie  wie  wahre  Israeliten  Jenem  folgten,  der  von  Gott,  ein 
zweiter  Elias,  zum  Wagen  und  Wagenlenker  der  vom  Geist  er- 
füllten Männer  gemacht  war.  —  Als  aber  der  heilige  Mann  zu  den 
Brüdern  zurückgekehrt  war,  begann  er  die  Geheimnisse  ihres  Innern 
zu  durchforschen,  sie  zu  trösten  ob  jener  wunderbaren  Erscheinung 
und  Vieles  zu  weissagen  von  dem  Vorwärtsschreiten  des  Ordens." 
Wie  scholl  der  Meister  von  Siena  es  gethan,  versetzte  Giotto 
den  zweirädrigen  Wagen  in  die  Luft  und  stempelte  denselben  da- 
durch sogleich  zu  einer  wunderbaren  Erscheinung.  Hatte  sich  ihn 
Jener  aber  von  Engeln  gezogen  gedacht,  so  wählte  Giotto  Pferde. 
Die  von  Gott  erleuchtete  Anschauung  der  Mönche,  die  den  kugel- 
förmigen Glanz  symbolisch  für  den  Geist  ihres  Vaters  nehmen, 
mußte  vom  Künstler  zu  bildlicher  Wirklichkeit  umgewandelt  werden: 


1)  Th.  I  Leg.  Cap.  VI,  696.     Danach  Suysken  II.  leg.  §   12.   S.   595.  —  B.  IV, 
S.  751.  —  Carmen  S.   156. 


128  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

inmitten  der  Strahlen  sieht  man  den  betend  zum  Himmel  schauenden 
Franz.  Unten  stehen  rechts  zwei  Mönche  im  Gespräche,  der  eine 
den  andern  auf  die  Vision  weisend ;  ein  dritter  schreitet  nach  links, 
die  in  offenem  Gebäude  versammelten  Brüder  zu  wecken,  von 
denen  einer  bereits  aufmerksam  geworden  ist.  Das  prophetische 
Hellsehen  kommt  in  dem  Mönche  rechts  zu  großartig  überzeugender 
Darstellung,  und  in  der  verschiedenen  Lage  der  Schläfer  zeigt  sich 
feine  Naturbeobachtung,  während  die  rothen  Pferde  das  Studium 
der  Antike  verrathen.  Im  Ganzen  ist  die  Szene  sehr  ruhig,  ge- 
tragen aufgefaßt,  wozu  das  kleinere  Bild  Taddeo  Gaddi's  in  Florenz 
einen  scharfen  Kontrast  bildet.  Hier  fährt  der  Wagen,  ohne  daß 
irgend  eine  bewegende  Kraft  sichtbar,  mit  dem  die  Arme  nach  oben 
ausstreckenden  Franz  in  dem  Gemach  dicht  über  den  Köpfen  der 
vier  Mönche  hin,  von  denen  zwei  das  Gesicht  verhüllen,  um  sich 
vor  dem  Glänze  zu  schützen,  der  dritte  wie  traumbefangen  die 
Rechte  ausstreckt,  der  vierte  wachend  nach  dem  Heiligen  hinlangt. ^) 
Außerdem  fand  ich  die  Szene  nur  unter  den  Fresken  in  S.  Bernar- 
dino  zu  Verona,  mit  der  Neuerung,  daß  Franz  die  aufgeregt  zu 
ihm  aufschauenden  Mönche  segnet. 

9.  Die  Vision  des  Thrones.  Der  Reihenfolge  bei  Bona- 
ventura nach  hätte  hier  die  Erscheinung  des  Heiligen  in  Arles  ihren 
Platz  finden  sollen,  doch  mochte  Giotto  es  wohl  aus  künstlerischen 
Rücksichten  vermeiden  wollen,  neben  jene  eben  besprochene  Vision 
der  Mönche  eine  zweite  ähnliche  Darstellung  zu  setzen,  und  ließ 
daher  gleich  die  folgende  Geschichte  sich  anreihen,  die  Bonaventura 
nach  des  Thomas  von  Celano  zweiter  Legende  folgendermaßen 
erzählt  ^) : 

„Da  er  die  Demuth  ebenso  an  sich,  wie  an  allen  seinen  Unter- 
gebenen äußeren  Ehren  vorzog,  hielt  ihn  der  Freund  der  De- 
müthigen,  Gott  selbst,  höherer  Stellung  würdig,  wie  es  die  Vision 
zeigt,  die  der  Himmel  einem  Bruder,  einem  Manne  von  besonderer 
Tugend  und  Devotion  offenbarte.  Als  derselbe  nämlich  einst  den 
Mann  Gottes  begleitet  hatte  und  zugleich  mit  Diesem  in  einer  ver- 
lassenen Kirche  in  glühender  Hingebung  betete,  sah  er,  in  Ekstase 
gerathen,  unter  vielen  Stühlen  im  Himmel  einen,  der  würdevoller 
als    die    anderen   mit   kostbaren  Steinen   geschmückt  war  und  vom 


1)  Phot.  Alinari.     Abb.  Plön,  S,  381. 

'^)  Th.  II  Leg.  m,  63  S.  182.  —  B.  VL  S.  758. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  129 

Glorienschein  ganz  wiederstrahlte.  Verwundert  in  sich  über  den 
Strahlenglanz  des  erhabenen  Thrones  begann  er  in  ängstlichem 
Sinne  zu  forschen ,  wer  zu  demselben  sollte  erhoben  werden.  Da 
hörte  er  eine  Stimme ,  die  ihm  sagte :  dieser  Sitz  gehörte  einem 
der  gefallenen  Engel  an  und  wird  jetzt  für  den  demüthigen  Fran- 
ziskus aufbewahrt.  Als  dann  endlich  der  Bruder  aus  der  Verzückt- 
heit des  Gebetes  zu  sich  gekommen  war,  war  er  dem  Seligen,  der 
voran  hinausschritt,  wie  gewöhnlich  gefolgt.  Und  als  sie  des  Weges 
dahinschritten  und  in  wechselnder  Rede  von  Gott  sprachen ,  frug 
ihn  jener  Bruder,  der  Vision  eingedenk,  eifrig,  was  er  von  sich 
selbst  halte ,  worauf  der  demüthige  Knecht  Gottes  sprach :  ich 
scheine  mir  der  größte  der  Sünder." 

Vor  allen  anderen  scheint  diese  Begebenheit  für  die  künst- 
lerische Darstellung  besonders  ungeeignet,  wie  uns  eine  solche  auch 
nur  in  dieser  einzigen  zu  Assisi  erhalten  ist.  Die  an  sich  un- 
verständliche Anordnung  der  Stühle  im  Himmel  bleibt  störend  und 
unkünstlerisch  selbst  auf  dem  Fresko  Giotto's ,  der  in  richtigem 
Gefühle ,  die  Unwirklichkeit  derselben  zu  zeigen ,  jene  Stimme  in 
einem  Engel  personifizirte.  Dieser  schwebt  in  der  Höhe  im  Rücken 
des  Franz ,  also  unsichtbar  fiir  den  Heiligen ,  der  rechts  vor  dem 
Altar  im  Gebet  vertieft  kniet,  und  weist  dem  erstaunt  zu  ihrn  auf- 
schauenden knieenden  Bruder  mit  der  Linken  den  Thron  des 
Luzifer,  mit  der  Rechten  dessen  prädestinirten  Nachfolger.  So  an- 
muthig  und  fein  bewegt  der  schlanke  Gottesbote  gezeichnet,  so  in- 
brünstig das  Gebet  des  Heiligen  zum  Ausdruck  gebracht  ist  — 
die  schwere  Körperlichkeit  der  fünf  in  der  Luft  schwebenden 
gothischen  Stühle  beeinträchtigt  den  Genuß  der  Komposition. 

10.  Die  Vertreibung  der  Dämonen  aus  Arezzo.  (Abb.  16.) 
Auch  hier  folgt  Bonaventura  fast  wörtlich  des  Thomas  II.  Legende, 
die  zuerst  den  Vorfall  schildert.^)  ,,Es  traf  sich  einst,  daß  Franz 
nach  Arezzo  kam,  als  die  ganze  Bürgerschaft,  von  innerem  Kriege 
erschüttert ,  sich  gegenseitig  zu  vernichten  drohte.  In  der  Vor- 
stadt gastlich  aufgenommen  sah  er  aber  über  der  Stadt  frohlockende 
Dämonen  und  unten  verwirrte  Bürger,  die  sich  zu  gegenseitiger 
Vernichtung  entflammten.  Um  jene  aufrührerischen  luftigen  Ge- 
walten zu  verscheuchen ,  sandte  er  den  Bruder  Sylvester,  einen 
Mann    von    taubenhafter  Einfalt,    gleichsam  als  Herold  voraus    und 


1)  Th.  II  Leg.  III,  51   S.  162.  —  Bon.  VI,   758. 
Thode,  Franz  von  Assisi. 


130  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

sagte  ihm :  gehe  vor  das  Thor  der  Stadt  .  und  befiehl  kraft  des 
Gehorsams  im  Namen  des  allmächtigen  Gottes  den  Dämonen,  so- 
gleich hinauszugehen.  Es  eilt  der  wahrhaft  Gehorsame,  die  Befehle 
des  Vaters  zu  vollziehen,  und  mit  Lobgesängen  das  Antlitz  des 
Herrn  preisend  beginnt  er  vor  dem  Thore  der  Stadt  laut  zu  rufen : 
im  Namen  des  allmächtigen  Gottes  und  auf  den  Befehl  seines 
Knechtes  Franziskus ,  weicht  weit  aus  einander  von  hier,  alle  ihr 
Dämonen !  Sogleich  kehrt  die  Stadt  zum  Frieden  zurück  und  mit 
großer  Ruhe  stellen  alle  Bürger  unter  einander  die  Gesetze  des 
bürgerlichen  Umgangs  wieder  her.  Denn  als  die  rasende  Hoffahrt 
der  Dämonen ,  welche  jene  Stadt  gleichsam  umlagert  hatte  von 
allen  Seiten ,  ausgetrieben  war,  kam  die  Weisheit  des  Armen, 
nämlich  des  Franziskus  Demuth ,  zu  Hülfe ,  schenkte  den  Frieden 
wieder  und  rettete  die  Stadt." 

Spricht  auch  die  Legende  nicht  davon,  daß  Franz  bei  der  Be- 
schwörung selbst  zugegen  gewesen,  so  mußte  der  Künstler  ihn  doch, 
um  ihm  deren  Verdienst  vindiziren  zu  können ,  persönlich  daran 
theilnehmen  lassen.  Wie  er  es  gethan,  zeugt  von  seiner  Einsicht  wie 
von  seinem  wahren  und  tiefen  Verständnisse  für  den  Heiligen.  Dieser 
kniet  vor  einer  Kirche  links  hinter  dem  nach  rechts  gewandt  mit 
erhobener  Hand  die  Geister  beschwörenden  Sylvester  in  tiefes 
Gebet  versenkt,  das  so  zum  eigentlichen  Wunderthäter  wird.  Der 
Bruder  leitet  gleichsam  mit  seiner  Hand  die  Worte  des  Franz  zu 
den  teuflischen  Gestalten  empor,  die  mit  Geberden  der  Wuth  und 
Verzweiflung  über  Arezzo  aus  einander  stieben.  Eine  besonders 
schwierige  Aufgabe  war  es ,  diese  Stadt  darzustellen.  Giotto  that 
sein  Bestes ,  indem  er  hinter  der  Stadtmauer  auf  ansteigendem 
Terrain  Häuser  und  Thürme  eng  hinter  einander  aufbaute ,  wobei 
ihm  die  vor  den  Thoren  von  Assisi  angefertigten  Studien  von  Nutzen 
waren.  Ja  er  ging  noch  weiter  und  machte  den  ersten,  freilich 
mißglückten  Versuch,  die  Entfernung  der  Stadt  von  den  handelnden 
Personen  des  Vordergrundes  durch  eine  in  perspektivischer  Ver- 
kürzung gesehene  Figur,  die  aus  dem  vorderen  Thore  tritt ,  deut- 
licher zu  machen.  Besser  gelang  die  schräge  Hintersicht  der  Kirche 
links,  als  deren  Vorbild  unschwer  S.  Francesco  in  Assisi  zu  er- 
kennen ist.  —  Entzieht  sich  die  zerstörte  Darstellung  in  Pistoja, 
die  vermuthlich  dem  Fresko  in  Assisi  nachgebildet  war,  der  Be- 
trachtung, so  macht  sich  Giotto's  Einfluß  selbst  noch  in  Benozzo's 
Bilde  deutlich  bemerkbar,   auf  dem  nur  insofern  eine  Veränderung 


Die  Darstellungen  der  Legende.  131 

eintritt,  als  Sylvester  hier  hinter  dem  knieenden,  betenden  Franz 
erscheint.  Durchaus  verschieden  ist  die  Auffassung  der  Massegne. 
Da  sieht  man  Franz  und  den  Genossen  inmitten  der  aufgeregten 
Krieger  der  Stadt.  Ersterer  scheint  zwischen  einigen,  die  im  Begriff 
stehen  sich  zu  tödten,  Frieden  zu  stiften,  während  Sylvester  vor 
ihm  knieend  um  die  Austreibung  der  Dämonen  fleht. 

II.  Franz  vor  dem, Sultan.  (Abb.  5-)  Thomas  in  der 
ersten  Legende  weiß  nur  von  der  freundlichen  Aufnahme ,  die  der 
Sultan  Franz  bereitete,  und  von  des  Letzteren  Predigt  zu  erzählen 
und  stimmt  darin  überein  mit  dem  Berichte  des  Jacobus  de  Vitriaco. 
So  ist  es  auch  die  Predigt  allein,  die  auf  jenem  Bilde  in  S.  Croce 
dargestellt  ist.  Erst  Bonaventura  schildert  die  Feuerprobe  mit 
folgenden  Worten  ^) :  ,,Der  Knecht  Christi  aber,  von  höherer  Offen- 
barung erleuchtet,  sprach  :  '  Willst  du  mit  deinem  Volke  zu  Christus 
bekehrt  werden ,  so  will  ich  gern  aus  Liebe  zum  Herrn  bei  euch 
bleiben.  Doch  zögerst  du  des  Mahomet  Gesetz  für  den  Glauben 
an  Christus  aufzugeben,  so  befiehl,  daß  ein  sehr  großes  Feuer 
angezündet  werde ,  und  ich  werde  mit  deinen  Priestern  das  Feuer 
beschreiten,  damit  du  so  erkennest,  welcher  Glaube  als  der  gewissere 
und  heiligere  nicht  ohne  Verdienst  festzuhalten  sei.'  Ihm  erwiderte 
der  Sultan :  '  Nicht  glaube  ich ,  daß  irgend  einer  meiner  Priester, 
um  seinen  Glauben  zu  vertheidigen,  sich  dem  Feuer  aussetzen  oder 
irgend  welcher  Art  von  Marter  sich  unterziehen  möchte.'  Er  hatte 
nämlich  gesehen ,  daß  einer  seiner  Priester,  ein  erfahrener  und 
hochbejahrter  Mann,  als  er  jenes  Wort  gehört,  seinen  Blicken  ent- 
flohen war.  Da  erwiderte  ihm  der  h.  Mann :  '  Wenn  du  mir  in 
deinem  und  deines  Volkes  Namen  versprechen  willst,  Christus 
fortan  zu  verehren,  falls  ich  unverletzt  aus  dem  Feuer  herauskommen 
werde ,  so  will  ich  allein  ins  Feuer  schreiten ,  und  werde  ich  ver- 
brennen ,  so  soll  das  meinen  Sünden  allein  angerechnet  werden, 
wenn  mich  aber  die  göttliche  Kraft  beschützt,  so  erkennet  Christus, 
die  Kraft  und  Weisheit  Gottes,  als  den  wahren  Gott  und  als  den 
Herrn  und  Heiland  Aller  an.'  Der  Sultan  aber  antwortete,  er  wage 
nicht ,  diese  Wahl  anzunehmen ;  er  fürchtete  nämlich  den  Aufruhr 
des  Volkes.      Doch    bot  er  ihm  viele  kostbare  Geschenke    an,    die 


1)  Th.  I  Leg.  Vn,  S.  699.  —  Danach  II  Anon.  Leg.  §  16  S.  611.  —  B.  IX 
S.  767  f.  —  Vergl.  in  Suysken's  Kommentar  §  16,  S.  613  den  Bericht  der  Historia 
Tyrii  und  den  des  Jacobus  auf  S.  618.  —  Carmen  S.  188. 


132  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

aber  der  Mann  Gottes,  der  nicht  nach  weltlichen  Dingen,  sondern 
dem  Heile  der  Seelen    gierig  war,    alle  wie  Koth  verschmähte." 

Man  muß  Giotto's  meisterliche  Darstellung  der  Szene  gesehen 
haben,  um  zu  begreifen,  welch'  vortrefflichen  Vorwurf  dieselbe  der 
bildenden  Kunst  bot.  Als  echter  Dramatiker  erfaßte  Giotto  mit 
sicherem  Blick  hier  wie  in  der  Lossagung  vom  Vater  den  frucht- 
barsten Augenblick,  in  dem  das  Vorhergehende  zu  eben  so  deutlicher 
Anschauung  kommt,  wie  das  Folgende.  Das  Feuer  ist  angezündet 
und  Franz  in  schlichter,  gläubiger  Ergebenheit  bereit,  dasselbe  zu 
beschreiten.  Er  wartet  noch ,  zum  Sultan  schauend ,  auf  dessen 
Wink.  Da  vollzieht  sich  schon  das  Unerwartete :  in  eiliger  Be- 
wegung, scheu  zurückschauend,  flüchten  links  die  Magier,  deren 
Vorderster  mit  langem  weißen  Barte  der  Schilderung  Bonaventura's 
entspricht,  von  danncn.  Mit  fast  verächtlichem  Blicke  schaut  ihnen 
der  Bruder  Illuminatus,  der  hinter  Franz  steht,  nach,  während 
rechts  der  von  Trabanten  umgebene,  auf  prächtigem  Throne 
sitzende  Fürst  strenge ,  fast  erzürnt  auf  seine  Priester  blickt  und 
mit  der  Rechten  eine  Bewegung  nach  dem  Mönch  zu  macht ,  als 
wollte  er  sagen  :  D  e  r  kennt  die  Furcht  nicht.  Ein  mit  einer  Loggia 
geschmücktes  Gebäude  bildet  links  den  Hintergrund.  Immer  aufs 
Neue  muß  man  sich  verwundern,  mit  wie  wenig  Mitteln  hier  Alles 
gesagt  ist,  es  kann  nur  zweifelhaft  bleiben,  ob  der  Ausdruck  der 
Köpfe  oder  die  Bewegung  der  Figuren  trefflicher  geglückt  ist. 

Fast ,  meine  ich ,  muß  man  dieser  älteren  Komposition ,  die 
getreu  wiederholt  in  Pistoja  wiederkehrt,  den  Vorzug  vor  dem 
Fresko,  das  Giotto  in  der  Capeila  Bardi  malte,  geben.  Schwerlich 
dürfte  er  hier  von  dem  vortrefflichen  Schema  abgewichen  sein, 
wenn  nicht  die  verhältnißmäßig  größere  Breite  der  Bildfläche  eine 
Veränderung  verlangt  hätte.  So  sah  er  sich  genöthigt,  den  wiederum 
auf  reichem  Throne  sitzenden  Sultan  in  die  Mitte  zu  versetzen. 
Er  weist  mit  der  Rechten  auf  Franz,  der  mit  begeisterter  Geberde 
die  Rechte  erhebend  zu  ihm  aufschaut  und  im  Begriffe  ist,  in  das 
hochaufflackernde  Feuer  zu  schreiten,  während  rechts  von  ihm 
Illuminatus  ängstlich  betend  steht.  Vergeblich  blickt  der  Sultan 
vorwurfsvoll  auf  die  zwei  Magier,  vergeblich  sucht  ein  Mohr  sie 
zurückzuhalten :  von  innerster  Furcht  ergriffen  flieht  der  eine  nach 
links  und  hebt  im  Schreiten  der  zweite  das  Gewand ,  um  nicht 
das  Schreckliche  zu  sehen.  So  vortrefflich  auch  hier  die  Gemüths- 
bewegungen,  die  Furcht  auf  der  einen,  die  ekstatische  Begeisterung 


Die  Darstellungen  der  Legende.  133 

auf  der  anderen  Seite  zum  Ausdruck  kommen ,  so  bildet  doch, 
strenge  genommen,  Franz  nicht  mehr  den  eigentHchen  Mittelpunkt 
der  Handlung,  sondern  der  Sultan,  und  das  gereicht  dem  Ganzen 
zum  Schaden.  Dafür  ist  aber  wieder  eine  Gleichmäßigkeit  in  der 
Anordnung  der  Figuren  erreicht,  die  für  das  Auge  befriedigender 
wirkt,  als  die  schroffe  Dreitheilung  in  Assisi,  und  so  ist  es  gleich- 
wohl nicht  zu  verwundern ,  daß  die  bedeutendsten  Meister  an  das 
Schema  von  S.  Croce  sich  anlehnen.  So  zunächst  die  Brüder 
Massegne  in  Bologna,  die  nur  die  Gruppen  links  und  rechts  ver- 
tauschen ,  dann  Benedetto  da  Majano ,  dessen  harmonische ,  fein 
abgewogene  Darstellung  Giotto's  dramatisches  Feuer  freilich  ver- 
missen läßt.  Es  könnte  hier  noch  zweifelhaft  bleiben ,  ob  nicht 
doch  der  jugendliche  Magier  links,  hinter  dem  zwei  andere  mit 
Büchern  stehen ,  sich  entschließen  wird ,  den  Worten  des  in  der 
Mitte  thronenden  Sultans  Gehör  zu  geben,  der  mit  der  Rechten 
auf  das  Feuer,  mit  der  Linken  auf  Franz  weist.  Letzterer  steht 
still  ergeben,  nicht  wie  bei  Giotto  siegesfreudig,  betend  auf  der 
rechten  Seite,  von  seinem  Begleiter  erwartungsvoll  betrachtet.  Eng 
an  Giotto's  Auffassung  schließt  sich  dann  Domenico  Ghirlandajo 
an ,  der  Platz  für  das  Feuer  in  der  Mitte  gewinnt ,  indem  er  den 
Sultan ,  welcher  unter  einem  Baldachin  sitzt ,  in  den  Mittelgrund 
verlegt.  Zwei  Magier  sitzen ,  ähnlich  wie  bei  Benedetto ,  auf  den 
Stufen  des  Thrones.  Der  Sultan  und  Franz  haben  ganz  die  gleichen 
Bewegungen,  wie  in  S.  Croce.  Hinter  Letzterem  aber  knieen  hier 
betend  zwei  Mönche.  Links  entweichen  die  Magier,  der  vordere 
mit  entsetzter  Handbewegung  nach  rechts  zurückschauend,  von 
einem  vom  Rücken  gesehenen  jungen  Manne  auf  das  Feuer  hin- 
gewiesen. Zwei  florentinische  Bürger  sind  als  Zeugen  im  Hinter- 
grunde rechts  zugegen.  Auch  hier  läßt  sich  die  Bemerkung  machen, 
daß  in  künstlerischer  Auffassung  Giotto  hinter  Ghirlandajo  durchaus 
nicht  zurücksteht,  welcher  die  Fortschritte  entwickelter  Kunst  nur 
in  der  überzeugenderen  Raumwirkung  und  größeren  Formenfreiheit 
bewährt.  Wenig  interessant  ist  das  Fresko  in  Verona ,  auf  dem 
man  Franz  mit  sechs  Begleitern  neben  dem  Feuer  vor  dem  Sultan 
sieht,  der  Magier  links  in  keiner  Weise  das  Interesse  fesselt. 

Benozzo  aber  wählte,  dem  Speculum  folgend,  einen  anderen 
Stoff,  um  die  Glaubensfreudigkeit  des  Mönches  mitten  unter  den 
Muhamedanern  zu  schildern.  Er  stellt  in  Montefalco  dar,  wie  Franz, 
mit   seinem  Mönche    vor    dem    rechts    sitzenden  Sultan   erschienen, 


134  ^^^  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 


auf  dessen  Betreiben    durch   ein  junges  Mädchen   verfuhrt   werden 
soll,  das  im  Mittelgrunde  sichtbar  ist.^) 

12.  Die  Kreuzerscheinung  des  Franz.  Nur  Bona- 
ventura berichtet  mit  kurzen  Worten  von  derselben^):  ,,Da  wurde 
er  des  Nachts  gesehen,  wie  er  die  Arme  in  Form  eines  Kreuzes 
ausgestreckt,  mit  dem  ganzen  Körper  von  der  Erde  erhoben  und 
von  einer  leuchtenden  Wolke  umgeben  betete;  auf  daß  so  der 
wunderbare  den  Körper  umgebende  Glanz  Zeugniß  ablegte  von 
der  wunderbaren  Erleuchtung  im  Geiste.''  Der  Schilderung  des 
Bonaventura  zuwider,  der  Franz  in  einsamer  Natur  seinen  Gebeten 
obliegen  läßt,  ist  die  Szene  vor  ein  Stadtthor  verlegt,  vor  dem 
links  vier  erstaunte  Mönche  stehen,  die  zu  dem  rechts  in  einer 
Wolke  über  der  Erde  schwebenden  Heiligen  aufschauen.  Dieser 
breitet  die  Arme  aus  und  blickt  auf  Christus ,  der  segnend  aus 
Himmelssphären  sich  zu  ihm  neigt.  Daß  der  Heiland  selbst  dargestellt 
ist,  zeugt,  wie  schon  öfters  bemerkt  wurde,  von  dem  künstlerischen 
Bestreben,  die  bewegende  Ursache  der  wunderbaren  Erhebung 
bildlich  zu  vergegenwärtigen  und  damit  den  Sinn  der  Darstellung 
zu  veranschaulichen.  Waren  es  doch,  wie  es  in  dem  Texte  kurz 
zuvor  heißt,  Zwiegespräche  mit  dem  Herrn,  in  denen  er  sich  über 
die  irdischen  Gedanken  erhob.  Vortrefflich  ist  wiederum  die  geistige 
Erregung  der  Brüder  wiedergegeben :  während  einer  derselben  halb 
entsetzt  zurückfährt,  beugt  sich  der  andere  vor,  als  wollte  er  durch 
näheres  Anschauen  das  Geheimniß  ergründen.  Nur  einmal  noch 
auf  einem  kleinen  Bilde  des  Fra  Angelico  in  Berlin  (Gall.  N.  62) 
fand  ich  dieselbe  Szene ,  aber  ganz  unabhängig  von  Giotto  dar- 
gestellt.'^) Hier  sieht  man  die  Mönche  in  einem  geschlossenen 
Räume  theils  schlafend,  theils  mit  erstaunten  Geberden  nach  oben 
schauen ,  wo  dicht  unter  der  Decke  in  einer  Wolke  und  von 
Strahlenglorie  umgeben  Franz  mit  erhobenen  Armen  schwebt. 

13.  Die  Weihnachtsfeier  in  Greccio.  (Abb.  67.)  Eine 
höchst  ausführliche ,  farbenreiche  Erzählung  des  Thomas  'in  seiner 
Legende  liegt  der  folgenden  Schilderung  Bonaventura's  zu  Grunde. 
,,Es  geschah    aber  im  dritten  Jahre  vor  seinem  Tode,    daß  Franz, 


^)  Siehe   Speculum  I,    80.  —  B.  Pis.  I,   10.  —  Vgl.  damit    die   Erzählung,    wie 
Friedrich  IL,  um  ihn  zu  versuchen,  ein  Weib  zu  ihm  schickt. 

2)  B.  X,  S.  769. 

3)  Abb.  Plön.  S.  140. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  135 

um  die  gläubige  Verehrung  zu  wecken ,  bei  Castrum  Graecii  das 
Andenken  an  die  Geburt  des  Knäbleins  Christus  mit  größtmögHcher 
Feierlichkeit  zu  begehen  beschloß.  Damit  er  aber  nicht  der  Leicht- 
fertigkeit geziehen  werden  könnte,  erbat  und  erhielt  er  vom  Papste 
die  Erlaubniß,  ließ  eine  Krippe  zubereiten,  Stroh  herzubringen  und 
einen  Ochsen  und  einen  Esel  herbeiführen.  Herbeigerufen  werden 
die  Brüder,  herzu  kommt  das  Volk,  der  Wald  schallt  von  den 
Stimmen  wieder :  und  jene  verehrungswürdige  Nacht  wird  glänzend 
und  festlich  zugleich  gemacht  durch  zahllose  und  helle  Lichter, 
durch  voll  und  einstimmig  ertönende  Lobgesänge.  Da  stand  der 
Mann  Gottes  vor  der  Krippe,  von  frommer  Liebe  erfüllt,  von 
Thränen  besprengt  und  überströmend  vor  Freude.  Es  wird  die 
Messe  festlich  gefeiert  über  der  Krippe ,  der  Levite  des  Herrn : 
Franziskus  singt  das  heilige  Evangelium.  Dann  predigt  er  dem 
umstehenden  Volke  über  die  Geburt  des  armen  Königs,  den  er, 
so  oft  er  ihn  bei  Namen  nennen  wollte,  in  zarter  Liebesempfindung 
den  Knaben  von  Bethlehem  hieß.  Ein  tugend-  und  wahrhafter 
Krieger  aber,  der  aus  Liebe  zu  Christus  den  weltlichen  Kriegsdienst 
verlassen  und  in  innigem ,  vertrauten  Umgange  dem  Mann  Gottes 
verbunden  war,  der  Herr  Johannes  von  Graecium ,  hat  ausgesagt, 
er  habe  ein  gar  wohlgebildetes  Knäblein  in  jener  Krippe  schlummern 
sehen ;  das  habe  der  selige  Vater  Franziskus  mit  beiden  Armen 
umfaßt  und,  wie  es  geschienen,  aus  dem  Schlummer  erweckt.  Und 
wahrlich  diese  Vision  des  frommen  Kriegers  macht  nicht  allein  die 
Heiligkeit  Dessen ,  der  es  gesehen ,  glaubhaft ,  sondern  es  beweist 
sie  auch  die  Versicherung  der  Wahrheit  und  die  Wunder,  die  noch 
folgten,  bestätigen  sie."^) 

Was  noch  schlicht  mit  wenigen  Figuren  auf  dem  Bilde  der 
Akademie  zu  Siena,  detaillirter,  aber  unverständlich  auf  dem  zu 
S.  Croce  dargestellt  ward,  wird  bei  Giotto  entsprechend  der  aus- 
führlichen ,  lebendigen  Legende  Bonaventura's  eine  figurenreiche 
Komposition ,  die  von  den  vielseitigen  Studien  des  jugendlichen 
Künstlers  zeugt.  Im  Presbyterium  einer  Kirche,  das  hinten  durch 
eine  Marmorwand  mit  Kanzel  abgeschlossen  wird,  kniet  vor  dem 
Lesepult,  an  dem  die  Kerzen  brennen,  Franz  in  der  Diakonentracht 
nach  rechts   gewandt  und  hebt  das  in  ein  Tuch  gewickelte  Christ- 


1)  Th.  I   Leg.  X,    S.   706.  —   Danach   Anon.  n   Leg.  §  23,    S.  644.  —    Kurze 
Erwähnung  in  Th.  II  Leg.  —  Bon.  Cap.  X,  S.  770.  —  Carmen,  S.   246. 


136  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 


kind  aus  der  Krippe ,  vor  der  in  kleinen  Verhältnissen  Ochs  und 
Esel  liegen.  Rechts  unter  dem  Altarbaldachin  befinden  sich  Mönche 
und  ein  Priester,  der  erstaunt  auf  das  Wunder  herabblickt.  Links 
stehen  eine  Anzahl  vornehmer  Männer,  ganz  in  den  seltenen  An- 
blick versunken.  Dahinter  singen  Mönche  und  in  der  Thür  der 
Wand  erscheinen  Frauen.  Nicht  Johannes  allein  also,  der  wohl  in 
dem  Manne  links  zu  sehen  ist,  welcher  in  wortloser  Verwunderung 
die  Hände  faltet ,  wird  die  Vision  zu  Theil ,  sondern  allen  Näher- 
stehenden, nur  der  Mönche  eifriger  Chor  und  die  Frauen  scheinen 
nichts  davon  zu  ahnen,  was  vor  sich  geht.  Dem  Künstler  mußte 
es  unmöglich  scheinen,  den  wunderbaren  Vorgang  den  Blicken  der 
Umstehenden  zu  entziehen.  Besondere  Aufmerksamkeit  verdient 
in  diesem  Bilde  die  überraschende  Naturbeobachtung,  die  aus  den 
Figuren  der  singenden  Mönche  spricht,  und  der  merkwürdige 
Versuch  eines  Beleuchtungseffekts,  der  freilich  zaghaft  und  nur  wie 
andeutend  ausfällt. 

Der  einfacheren  älteren  Auffassung  nähert  sich  wieder  Taddeo 
Gaddi,  der  auf  dem  kleinen  Bildchen  in  der  Akademie  darstellt, 
wie  links  vor  einem  Altar  ein  h.  Diakon  nach  rechts  gewandt,  von 
einem  anderen  Geistlichen  unterstützt,  die  Messe  celebrirt,  die 
Anfangsworte  des  Evangeliums  Johannis  lesend,  während  rechts  vor 
der  Krippe  Franz  knieend  das  Christkind  herzt.  Figurenreicher, 
aber  unabhängig  von  Giotto  ist  die  Szene  im  Refektorium  von 
S.  Francesco  zu  Pistoja  von  einem  vermuthlich  daselbst  einheimischen 
Meister  geschildert,  dessen  kurze  Gestalten  mit  den  kleinen  Köpfen 
wohl  ein  spätgiotteskes ,  dabei  aber  doch  eigenthümliches  lokales 
Gepräge  tragen.^)  Die  Feierlichkeit  geht  hier  in  einer  Holzhütte, 
die  inmitten  des  Waldes  steht,  vor  sich.  Links  kniet  Franz  das 
Kind  haltend  an  der  Krippe ,  Johannes  schaut ,  ebenso  wie  ein 
Mönch  und  ein  Laie,  verwundert  auf  dasselbe  hin.  Im  Mittelgrund 
celebriren  ein  Priester  und  ein  Diakon  am  Altar  die  Messe,  rechts 
singen  fünf  Mönche  vor  einem  Lesepulte.    Bei  Benozzo  endlich  ist 


^)  Vgl.  Crowe  und  Cavalcaselle  D.  A.  I,  313.  Irgendwelche  Verwandtschaft  mit  den 
Fresken  im  ehemaligen  Refektorium  von  S.  Croce  kann  ich  nicht  finden.  Auch  ist 
der  Maler  dieser  Deckengemälde  ein  anderer,  als  jener,  der  die  Sakristei  und  Kapelle 
S.  Lodovico  ebenda  gemalt  hat.  Er  mag  um  1400  thätig  gewesen  sein,  da  seine  Bilder 
nicht  ganz  ohne  Beziehung  zu  den  Antonio  Vite  zugeschriebenen  Fresken  im  Dom 
von  Prato  sind.  Schwerlich  aber  hat  Letzterer  selbst  etwas  mit  ihnen  zu  thun.  Vergl. 
Tolomei:   Guida  di  Pistoja  S.  138.     C.  u.  C.  Ital.  A.  II.  S.   58. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  137 

wie  bei  Giotto  auf  die  zahlreiche  festliche  Versammlung,  unter  der 
sich  auch  Frauen  befinden,  das  Hauptgewicht  gelegt. 

14.  Die  wunderbare  Tränkung  des  Durstigen. 
(Abb.  17.)  Die  Darstellungen  dieses  Vorfalls  sowie  der  Vögelpredigt 
beanspruchten  weniger  Raum  und  wurden  daher  von  Giotto  an 
die  Eingangswand  verlegt,  obgleich  sie  Bonaventura  zufolge  schon 
früher  ihren  Platz  hätten  finden  müssen.  Des  Letzteren  Erzählung 
schließt  sich  fast  Wort  für  Wort  an  des  Thomas  zweite  Legende, 
die  zuerst  von  dem  Wunder  berichtet.^)  ,,Zu  einer  anderen  Zeit, 
als  der  Mann  Gottes  sich  in  eine  gewisse  Einöde  begeben  wollte, 
um  dort  ungehindert  der  inneren  Betrachtung  obzuliegen,  ritt  er, 
da  er  sich  schwach  fühlte,  auf  dem  Esel  eines  armen  Mannes. 
Und  während  an  dem  heißen  Sommertage  jener  Mann  dem  Diener 
Christi  folgend  den  Berg  hinanstieg,  begann  er,  von  dem  steilen 
und  langen  Wege  ermüdet  und  von  allzuheißem  Durste  erschöpft, 
dringlich  flehend  hinter  dem  Heiligen  zu  rufen :  ich  sterbe  vor 
Durst,  sprach  er,  wenn  ich  nicht  durch  die  Wohlthat  eines  Trunkes 
erfrischt  werde.  Ohne  Zaudern  sprang  der  Mann  Gottes  vom  Esel 
ab ,  beugte  die  Kniee  zur  Erde ,  streckte  die  Hände  zum  Himmel 
empor  und  hörte  nicht  auf  zu  beten ,  bis  er  wußte ,  er  sei  erhört. 
Als  endlich  das  Gebet  zu  Ende,  sprach  er  zum  Manne:  ,eile  zum 
Felsen ,  dort  wirst  du  lebendiges  Wasser  finden ,  das  dir  in  dieser 
Stunde  mitleidsvoll  Christus  aus  dem  Steine  zum  Trinken  hervor- 
rief O  staunenswerthe  Gnade  Gottes,  die  sich  so  leicht  seinen 
Knechten  neigt!  Es  trinkt  der  durstige  Mann  das  Wasser,  das 
durch  die  Wirkung  des  frommen  Gebetes  aus  dem  Fels  hervor- 
gebracht war,  und  aus  dem  härtesten  Stein  schöpft  er  den  Trank. 
Zuvor  war  da  kein  Quell  gewesen  noch  konnte  er,  wie  mit  Sorg- 
falt untersucht  worden,  später  gefunden  werden." 

Unter  allen  der  Natur  abgelauschten  Motiven,  die  in  Giotto 's 
Cyklus  so  überraschend  hervortreten ,  hatte  keines  einen  größeren 
Eindruck  auf  Vasari  hervorgebracht,  als  das  Trinken  des  durstigen 
Mannes.  ,, Unter  den  anderen",  sagt  er,  ,,ist  da  eine  ausnehmend 
schöne  Geschichte,  auf  der  ein  Verdürstender,  dessen  lebhaftes 
Verlangen  nach  Wasser  man  wahrnimmt,  zur  Erde  gebeugt  aus 
einem  Quell  trinkt ,  in  einer  so  großartig  und  bewundernswerth 
wiedergegebenen  Bewegung,    daß    es    eine  lebende  Person  zu  sein 


0  Th.  II  Leg.  II,   16.  S.   76.  —  B.  VII,  S.  762. 


138  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

scheint,  die  trinkt."^)  Auch  hier  mußte  der  Künstler,  wollte  er 
verständlich  sein,  das  Gebet  zugleich  mit  dessen  Wirkung  darstellen. 
Auf  einem  mit  Bäumen  bewachsenen,  felsigen  Berge  kniet  im 
Mittelgrund  Franz,  betend  den  Blick  und  die  Hände  erhebend, 
während  rechts  vorne  der  Mann,  der  Länge  nach  auf  dem  felsigen 
Boden  ausgestreckt,  auf  die  Hände  sich  stützend  von  dem  hervor- 
strömenden Wasser  trinkt.  Links  stehen  zwei  mit  einander  redende 
Mönche ,  deren  einer  den  Esel  hält.  Vasari's  Lobspruch  ist  ge- 
rechtfertigt:  die  Haltung  des  Trinkenden  ist  von  überraschender 
Natürlichkeit  und  Wirklichkeit,  so  daß  man  über  ihr  fast  vergißt, 
was  in  jener  Zeit  dazugehörte ,  auch  ein  Thier  so  treffend  lebens- 
wahr wiederzugeben,  wie  den  Esel  hier.  In  den  späteren  cyklischen 
Darstellungen  der  Legende  fehlt  diese  Begebenheit. 

15.  Die  Vögelpredigt.  (Abb.  8.)  Unerschöpflich  sind 
die  alten  Biographen  in  Erzählungen  von  der  innigen  Liebe,  mit 
welcher  Franz  alle  Thiere  als  Geschöpfe  Gottes  umfing.  Was  aber 
den  Zeitgenossen  wie  ein  Wunder  erschien  und  daher  in  der 
frühesten  Legendendarstellung  von  Berlinghieri  schon  wiedergegeben 
wird,  ist  die  Predigt,  welche  der  Mönch  den  Vögeln  hielt.  Selbst 
Matthäus  Paris,  der  doch  sonst  wenig  von  dem  Leben  des  Franz 
zu  berichten  weiß,  erzählt,  daß  Dieser,  von  den  Römern  verachtet, 
zum  Thore  zu  den  Vögeln,  die  ringsum  saßen  und  flogen :  Krähen, 
Weihen ,  Elstern  und  anderen  hinausschritt  und  zu  ihnen  sprach : 
,Ich  befehle  euch  im  Namen  Jesu  Christi,  den  die  Juden  gekreuzigt 
haben,  dessen  Predigt  die  elenden  Römer  verachteten,  daß  ihr  zu 
mir  kommt  und  das  Wort  des  Herrn  hört,  im  Namen  Dessen,  der 
euch  geschaffen  und  in  der  Arche  Noah  von  den  Wassern  der 
Sündfluth  befreit  hat.'  Und  sogleich  auf  seinen  Befehl  kam  die 
ganze  Menge  der  Vögel  heran  und  umgab  ihn ;  und  als  sie  stille 
geworden  und  zu  schwätzen  aufgehört,  hörten  sie  einen  halben 
Tag  lang  die  Worte  des  Mannes  Gottes  und  bewegten  sich  nicht 
von  der  Stelle,  sondern  schauten  immer  das  Antlitz  des  Predigers 
an.^)  Woher  Matthäus  diese  dem  Kern  nach  glaubliche  Geschichte 
genommen ,  warum  sie  von  den  alten  Biographen  nicht  erzählt 
wird ,  ist  nicht  zu  sagen ,  doch  stimmt  ihr  Inhalt  im  Allgemeinen 
überein  mit  der  Legende  der  Vögelpredigt  bei  Bevagna,  die  Bona- 


')  I,  S.  377- 

2)  A.  a.  O.  S.  340  f. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  13g 

Ventura  nach  Thomas'  erster  Legende  so  anmuthig  folgendermaßen 
bringt :  ^) 

„Als  er  sich  Bevagna  näherte,  kam  er  zu  einem  Orte,  an  dem 
eine  große  Menge  von  Vögeln  verschiedener  Art  zusammen- 
gekommen war:  als  der  Heilige  Gottes  dieselben  sah,  lief  er  eilig 
dahin  und  begrüßte  sie,  als  wären  sie  der  Vernunft  theilhaftig.  Sie 
aber  alle  erwarteten  ihn  und  wandten  sich  zu  ihm ,  so  daß  die, 
welche  auf  den  Gesträuchen  waren ,  die  Köpfchen  senkten ,  als  er 
sich  ihnen  näherte,  und  in  ungewohnter  Weise  sich  nach  ihm  hin- 
richteten, bis  er  zu  ihnen  heranschritt  und  sie  alle  eifrig  ermahnte, 
das  Wort  Gottes  zu  hören,  indem  er  sprach :  , Meine  Brüder  Vögel, 
gar  sehr  müßt  ihr  euren  Schöpfer  loben,  der  euch  mit  Federn  be- 
kleidet und  die  Flügel  zum  Fliegen  gegeben  hat;  die  klare  Luft 
wies  er  euch  zu  und  regiert  euch ,  ohne  daß  ihr  euch  zu  sorgen 
braucht.'  Als  er  ihnen  aber  dies  und  Aehnliches  sagte,  begannen 
die  Vögel,  in  wunderbarer  Weise  ihre  Freude  bezeugend,  die  Hälse 
zu  recken,  die  Flügel  auszubreiten,  die  Schnäbel  zu  öffnen  und 
aufmerksam  auf  ihn  zu  schauen.  Er  selbst  aber  in  wunderbarer 
Gluth  des  Geistes  schritt  mitten  durch  sie  hin  und  berührte  sie 
mit  seinem  Gewände ;  und  dennoch  bewegte  sich  keiner  von  der 
Stelle,  bis  er  das  Zeichen  des  Kreuzes  machte  und  ihnen  mit  dem 
Segen  des  Herrn  die  Erlaubniß  gab.  Da  flogen  sie  alle  zugleich 
von  dannen.  Dies  Alles  sahen  die  Genossen,  die  am  Wege  warteten. 
Als  der  einfältige  und  reine  Mann  zu  denselben  zurückgekehrt  war, 
begann  er  sich  selbst  der  Nachlässigkeit  zu  zeihen,  daß  er  bisher 
den  Vögeln  noch  nicht  gepredigt  habe." 

So  reizvoll  und  frei  im  Vergleiche  zu  der  steifen  Darstellung 
des  Berlinghieri  schon  die  Bilder  in  der  Unterkirche,  in  Siena,  in 
S.  Croce  erschienen,  so  weit  entfernt  waren  die  Maler  doch  noch, 
gleich  lebensvoll,  wie  den  Heiligen  selbst,  auch  die  Vögel  zu  ge- 
stalten. Das  blieb  Giotto  vorbehalten ,  bei  dem  die  Schaar  der 
rechts  unter  einem  Baum  versammelten,  dem  Leben  selbst  mit 
Liebe  nachgebildeten  Thierchen  auch  in  das  richtige  Größen- 
verhältniß  gegenüber  dem  links  stehenden ,  freundlich  segnend  zu 
ihnen  sich  wendenden  Franz  gesetzt  ist.  Erstaunt  schaut  links  von 
diesem    ein   Mönch ,    die  Rechte    erhebend ,    auf  das  Wunder.      So 


1)  Th.  I  Leg.  VII,  S.  699.  —  Danach  Anon.  II  Leg.  §  XVIII  S.   622.  —  Bon. 
Cap.  XII,  774.  —  Carmen  S.  194. 


140  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

einfach  die  Szene ,  so  herzergreifend  und  rührend  ist  sie.  Da  es 
aber  viele  verschiedene  Auffassungen  für  dieselbe  nicht  gab,  so 
unterscheiden  sich  die  sonst  noch  erhaltenen  Bilder  nur  wenig 
von  einander :  die  Predella  der  Stigmatisation  von  Giotto  im  Louvre, 
auf  der  mit  besonderer  Liebe  verschiedene  Vögelgattungen ,  als 
Rabe,  Hahn,  Ente,  Elster,  Stieglitz,  Schwalbe  und  andere  naturwahr 
dargestellt  sind^),  das  sehr  zerstörte  Gemälde  eines  giottesken 
Meisters  in  der  kleinen  Kapelle  des  Camposanto  zu  Pisa,  das  an- 
sprechende Bildchen  eines  Neapolitaners  aus  dem  XIV.  Jahrhundert 
im  Besitze  des  Herrn  F.  Murray  in  London,  das  neben  den  Vögeln 
auch  Vierfüßler  vor  Franz  versammelt  zeigt ,  und  das  Fresko 
Benozzo's  in  Montefalco. 

16.  Der  Tod  des  Edlen  von  Celano.  (Abb.  37.)  Erst 
bei  Bonaventura^)  taucht  die  Erzählung  von  diesem  Wunder  auf, 
was  um  so  mehr  erstaunen  muß,  als  sich  dasselbe  in  Celano, 
dem  Geburtsort  des  älteren  Biographen,  zugetragen.  ,,Zu  einer 
anderen  Zeit ,  als  er,  zurückgekehrt  von  jenseits  des  Meeres ,  um 
zu  predigen  nach  Celano  ging,  lud  ihn  ein  Edler  in  demüthig 
bittender  Frömmigkeit  mit  großer  Dringlichkeit  zur  Mahlzeit  ein. 
So  kam  er  denn  zu  des  Edlen  Haus  und  die  ganze  Familie  froh- 
lockte ob  des  Eintritts  der  armen  Gäste.  Bevor  sie  aber  die  Speise 
nahmen ,  brachte  in  gewohnter  Weise  der  fromm  gesinnte  Mann 
Gott  seine  Bitten  und  Lobgesänge  dar  und  stand  da  die  Augen 
gen  Himmel  erhoben.  Als  das  Gebet  beendigt,  rief  er  den  gütigen 
Wirth  vertraulich  bei  Seite  und  sprach  so  zu  ihm:  , Siehe  Bruder 
Wirth,  durch  dein  Bitten  besiegt  habe  ich  dein  Haus  betreten,  um 
zu  essen ;  meinen  Ermahnungen  nun  miß  du  schnell  Glauben  bei : 
sintemal  du  nicht  hier,  sondern  anderswo  essen  wirst.  Bekenne 
jetzt  deine  Sünden ,  vom  Schmerze  wahrer  Reue  zerknirscht :  und 
nicht  irgend  Etwas  bleibe  in  dir,  was  du  in  wahrhafter  Beichte 
nicht  kund  thuest.  Der  Herr  wird  dir's  heute  vergelten ,  daß  du 
mit  so  großer  Frömmigkeit  seine  Armen  aufgenommen  hast.'  So- 
gleich schenkte  jener  Mann  den  Reden  des  Heiligen  Glauben,  offen- 
barte dessen  Gefährten  alle  seine  Sünden  in  der  Beichte,  ver- 
fügte über  sein  Haus  und  bereitete  sich ,  so  gut  er  vermochte, 
den  Tod   zu  empfangen.     Endlich  traten  sie  ein  zur  Mahlzeit  und. 


1)  Abb.  Plön.  PI.  XXI,  S.  234. 
'■2)  C.  XI,  S.  771. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  14I 

während  die  Anderen  zu  essen  begannen ,  hauchte  plötzHch  der 
Wirth  seinen  Geist  aus,  dem  Worte  des  Mannes  Gottes  gemäß 
von  plötzlichem  Tode  hingerafft." 

Es  war  keine  erfreuliche  Aufgabe ,  diese  Erzählung  bildlich 
wiederzugeben :  das  eigentlich  Bedeutungsvolle  derselben ,  die  Pro- 
phezeiung, ließ  sich  nicht  darstellen.  Der  mit  dem  Texte  nicht 
vertraute  Beschauer  wäre  geneigt  zu  glauben,  ein  Sünder  habe  hier 
durch  jähes  Ende  seine  Strafe  gefunden.  Was  sich  wiedergeben 
ließ :  den  Schrecken  und  den  Schmerz  der  Umstehenden  über  das 
Ereigniß,  hat  Giotto  in  überzeugend  ergreifender  Weise  gebracht.^) 
Rechts  sehen  wir  den  vornehmen  Mann  auf  dem  Boden  liegen, 
von  einer  tief  bewegten  Frau  gehalten ,  die  vergeblich  in  seinen 
geliebten  Augen  noch  Leben  zu  finden  hofft.  Eine  zweite  zerkratzt 
kniecnd  in  wildem  Schmerzensausbruch  ihr  eigenes  Gesicht.  Drei 
andere  mit  aufgelösten  Haaren  eilen  herbei,  die  eine  ganz  in  den  An- 
blick der  Leiche  versunken ,  die  zweite  bedacht  der  verzweifelten 
Gattin  zu  helfen,  die  dritte  halb  neugierig,  halb  angstvoll  sich  vor- 
beugend. Dahinter  drängen  sich  die  Bediensteten  des  Hauses  heran. 
Links  aber  hinter  der  gedeckten  Tafel,  die  vor  einer  baldachinartig 
ausladenden  Holzwand  steht,  hat  sich  Franz  erhoben,  die  Rechte  auf 
dem  Tische,  die  Linke  in  ruhiger  Bewegung  zu  einem  Manne  aus- 
gestreckt, der  wie  Hülfe  suchend  sich  zu  ihm  wendet.  Ruhig 
gefaßt  auch  sitzt  weiter  links  der  Mönch.  Zum  ersten  Male  ward 
hier  Giotto  an  einem -neuen  Stoffe  die  Gelegenheit  geboten,  den 
Ausbruch  des  tiefsten  menschlichen  Schmerzes  darzustellen  —  es 
ist  ein  Wunder,  wie  es  ihm  gelungen.  Jede  Bewegung  ist  wahr 
und  ergreifend.  Da  ist  nichts  mehr  von  der  gefühllosen  Ueber- 
triebenheit,  wie  sie  der  vorangehenden  Kunst  eigen  gewesen;  so 
getragen  und  gemäßigt  ist  die  Ausdrucksweise,  daß  man  die  Größe 
der  Qualen  erst  nach  langer  Betrachtung  fassen  lernt.  Wo  hat 
der  junge  Maler  zuerst  solch  seelischem  Leiden  auf  seinem  Lebens- 
wege begegnen  müssen.?  In  diesem  Künstler  lebt  Etwas  vom 
griechischen  Geiste  neu  wieder  auf. 

Was  Giotto  absichtlich  vermieden,  die  Zweitheilung  des  Bildes, 
welche  die  Darstellung  doch  nicht  deutlicher  machen  konnte,  haben 
die  Massegne  angewandt :  da  sieht  man  links  Franz  mit  dem  Edlen 
sprechen,    rechts  Diesen    an  der  Tafel    inmitten  der  frohen  Gesell- 


1)  Abb.  bei  Otley:  Speciniens  of  the  early  Italian  school. 


142  Die  Darstellungen  des  ti'ranz  und  seiner  Legende. 

Schaft  zusammenbrechen.^)  Benozzo  Gozzoli  verwendete  das  Schema 
der  Komposition  für  Wiedergabe  einer  anderen  Legende.  Auch 
hier  wird  Franz,  von  gedeckter  Tafel  aufschauend,  an  der  links 
ein  Mönch  sitzt,  von  einem  Manne  auf  einen  Vorgang  im  Mittel- 
grunde rechts  aufmerksam  gemacht.  Dort  sitzt  ein  krankes  Mädchen, 
von  Genossinnen  umgeben.  Rechts  vorn  ist  es  noch  einmal  bei 
einer  alten  Frau  knieend  dargestellt. 

17.  Predigt  vor  Honorius  III.  (Abb.  4.)  Alle  Bio- 
graphen wissen  von  diesem  Ereigniß ,  aber  Bonaventura  allein  er- 
zählt ,  daß  Franz  die  studirte  Predigt  angesichts  der  päpstlichen 
Kurie  vergessen  und  aus  dem  Stegreife  gesprochen  habe.-)  ,,Denn 
als  er  einst  auf  Eingebung  des  Kardinals  von  Ostia  vor  dem  Papste 
und  den  Kardinälen  predigen  sollte  und  dem  Gedächtniß  eine  sorg- 
fältig ausgearbeitete  Rede  eingeprägt  hatte ,  vergaß  er,  als  er  in 
ihrer  Mitte  stand,  die  Worte  der  Erbauung  vorzubringen.  Alles  so 
vollständig,  daß  er  gar  Nichts  zu  reden  wußte.  Doch  als  er  dies 
in  wahrhafter  Demuth  kund  gethan  hatte,  wandte  er  sich  an  die 
Gnade  des  heiligen  Geistes  und  rief  sie  an  und  begann  sogleich 
von  so  wirksamen  Worten  überzufließen,  mit  so  zwingender  Kraft 
den  Geist  jener  erlauchten  Männer  zur  Zerknirschung  zu  bewegen, 
daß  es  offenbar  ward,  nicht  er,  sondern  der  heilige  Geist  habe 
gesprochen." 

Das  war  eine  neue,  dankbare  Aufgabe  für  den  Künstler:  es 
galt  die  Wirkung  einer  ergreifenden  Predigt  zu  schildern.  In  einer 
herrlichen  gothischen  Halle  thront  rechts  nach  halb  links  gewandt 
der  Papst ,  umgeben  von  drei  Kardinälen  auf  jeder  Seite ,  die  alle 
gespannt  den  Worten  des  links  stehenden  Heiligen  lauschen,  der 
mit  der  Rechten  eine  etwas  undeutliche  wie  nach  hinten  zurück- 
weisende Handbewegung  macht.  Nahe  neben  ihm  sitzt  in  Sinnen 
vertieft  ein  anderer  Mönch.  So  einheitlich ,  so  überzeugend  ist 
selten  wieder  die  Konzentration  der  Gedanken  auf  einen  Gegen- 
stand dargestellt  worden  —  man  glaubt  die  im  Innersten  packenden 
Worte  des  Bußpredigers  zu  hören,  hält  mit  den  Kirchenfürsten  den 
Athem  an ,  keines  derselben  zu  verlieren.  Wie  der  Papst ,  den 
vorgestreckten  Kopf  auf  die  eine  Hand  gestützt,  mit  seinen  Blicken 


1)  Abb.  Plön.  S.  248. 

2)  Th.  I   Leg.   IX.    S.  703.  —   Anon.  II   Leg.   §   18,    S.  626.  —   II  Leg.  I,   17 
S.  42.  —  T.  s,  IV,  S.  739.  —  Bon.  XII  S.  775.  —  Carmen  S.  218. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  I43 

das  geheimste  Denken  des  wunderbaren  Mannes  zu  ergründen  sucht, 
wie  sich  die  Aufregung  des  Kardinals  neben  ihm  in  der  unwillkür- 
lichen Handbewegung  äußert,  wie  dessen  Nachbar  und  der  Mönch 
in  Schmerz  und  Selbsterkenntniß  versunken  zu  Boden  schauen, 
das  zeugt  von  einer  Tiefe  der  Auffassung  des  menschlichen  Ge- 
müthes,  einem  Vermögen  für  geistige  Vorgänge  den  schlagendsten 
äußeren  Ausdruck  zu  treffen ,  wie  sie  nur  den  größten  unter  den 
Künstlern  eigen  sind. 

Wie  matt  erscheint  dagegen  des  Taddeo  Gaddi  Bild  in  Florenz, 
wie  ruhig,  wie  gelassen  beobachtend  sitzen  dort  der  Papst  und  die 
drei  Kardinäle,  wie  steif  trägt  rechts  Franz,  hinter  dem  sein  Be- 
gleiter steht,   seine  Predigt  vor! 

18.  Des  Franz  Erscheinung  auf  dem  Kapitel  zu 
Arles.  (Abb.  18.)  ,, Während  der  ausgezeichnete  Prediger  An- 
tonius, der  jetzt  auch  zu  den  herrlichen  Bekennern  Christi  gehört, 
über  den  Titel  des  Kreuzes :  lesus  Nazarenus  rex  ludaeorum  auf 
dem  Kapitel  zu  Arles  den  Brüdern  predigte,  sah  ein  Bruder  von 
bewährter  Tugend,  Monaldus  von  Namen,  auf  göttliche  Ermahnung 
nach  der  Thür  des  Kapitels  zurückschauend,  mit  seinen  körperlichen 
Augen  den  seligen  Franziskus,  der  in  die  Luft  erhoben  mit  gleichsam 
am  Kreuze  ausgestreckten  Armen  die  Brüder  segnete.  Alle  Brüder 
aber  fühlten  sich  von  so  großer  und  so  ungewohnter  Tröstung  des 
Geistes  erfüllt,  daß  ihnen  der  Geist  im  Innern  diese  als  sicheres 
Zeugniß  für  die  wahrhaftige  Anwesenheit  des  heiligen  Vaters  ge- 
währte ,  wäre  ihnen  dies  nicht  später  sowohl  durch  offenkundige 
Zeichen ,  als  auch  durch  die  Worte  desselben  heiligen  Vaters 
äußerlich   bezeugt  worden."^) 

Eine  größere,  in  schöner  gothischer  Halle  versammelte  Anzahl 
von  meist  nach  links  gewandt  auf  Bänken  und  auf  dem  Boden 
sitzenden  Mönchen  hört  bei  Giotto  den  Worten  des  links  stehenden 
Antonius  zu,  vor  dessen  Füßen  ein  Mönch  in  gleicher  Darstellung, 
wie  der  auf  dem  vorhergehenden  Bilde  hockt.  Links  vorne  sitzt 
Monaldus,  den  Kopf  auf  die  Hand  gestützt  ruhig  auf  Franz  schauend, 
der  dicht  hinter  den  Mönchen  vor  der  Thüre  wenig  über  den  Boden 
erhoben,  die  Arme  ausgebreitet  und  mit  der  Rechten  segnend, 
en  face  erscheint.     Auch  Antonius   scheint  ihn  gewahr  zu  werden. 


1)  Bon.  IV,  S.   752  nach  Th.  I  Leg.  VI,  S.  692.   —  S.  auch  Anon.  II  Leg.  §  12, 
S.   595.  —  Carmen  S.  160.  , 


144  ^^^  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

War  es  Absicht,  Wiederholungen  zu  vermeiden,  aber  die  Wirkung 
der  Predigt  ist  hier  nicht  so  lebendig  geschildert,  das  Ganze  un- 
gewöhnlich ruhig  gehalten.  Die  ungezwungene  Anordnung  der 
Hörer  zeugt  von  einem  Streben,  möglichst  natürlich  zu  sein  und 
den  Schematismus  der  älteren  Kunst  zu  vermeiden.  Auffallender 
Weise  kehrt  dann  Giotto  auf  dem  Fresko  in  S.  Croce  wieder  mehr 
zu  demselben  zurück ,  indem  er  die  Mönche  in  zwei  Reihen  an- 
ordnet, deren  vordere  vom  Rücken  gesehen  ist.  Demgemäß  wird 
ihnen  auch  Allen,  was  Giotto  wohl  aus  künstlerischen  Rücksichten 
jetzt  gerathener  schien,  die  Vision  des  Franz  zu  Theil,  der,  etwas 
stärker  bewegt ,  wie  dort  in  der  Thüre  erscheint.  Antonius  ist 
sonderbarer  Weise,  vermuthlich  damit  er  nicht  zu  sehr  das  Augen- 
merk auf  sich  ziehe,  links  in  den  Hintergrund  in  einen  Vorraum 
verlegt  worden ,  an  dessen  Rückwand  das  Bild  des  Gekreuzigten 
sich  befindet  und  in  dem  auch  noch  einige  andere  Mönche  sitzen. 
Fast  zu  theuer,  auf  Kosten  der  lebendigeren  Gruppirung,  scheint 
mir  hier  die  größere  Verständlichkeit  des  Visionären  in  dem  Vor- 
gange erkauft.  An  das  spätere  Fresko  schließt  sich  dann  Taddeo 
Gaddi  an,  bei  dem  Franz  lebhafter  im  Fluge  bewegt  in  Mitte  der 
sieben  Mönche  erscheint,  denen  links  Antonius  predigt.  Ganz  ver- 
wandt sind  auch  die  Darstellungen  im  Klosterhofe  von  S.  Croce 
und  auf  einem  Bildchen  des  Giovanni  di  Paolo  in  der  Opera 
del  duomo  zu  Siena. 

19.  Die  Stigmatisation.  Wir  stehen  vor  dem  Haupt- 
ereignisse in  dem  Leben  des  Franz,  jenem  wunderbaren  Vorgang, 
in  dem  die  geistige  Bedeutung  des  gottgeweihten  Mannes,  die  in 
Worten  und  Thaten  bewährte  Nachfolge  Christi ,  symbolisch  zu- 
sammengefaßt vom  Himmel  selbst  die  höchste  Weihe  erhielt.  Hören 
wir  hier  Bonaventura's  glaubensvolle  Schilderung,  um  uns  un- 
bekümmert um  die  Wirklichkeit  des  Berichteten  voll  in  die  Seele 
jener  gläubigen  Zeit,  in  die  Auffassung  der  Künstler  versetzen  zu 
können,  die  dies  größte  Wunder  in  Bildern  und  Skulpturen  dem 
Volke  zur  stets  sich  erneuernden  Verehrung  veranschaulichten. 
Nachdem  der  Biograph  erzählt ,  wie  Franz  sich  auf  den  Berg 
Alvernia  zurückgezogen,  zu  Ehren  Michael's  gefastet  und  mannich- 
fache  Verzückungen  erfahren  hat ,  fährt  er  fort :  ^) 

„Da  ward   es   durch   göttliche  Weissagung   seinem  Geiste   ein- 


1)  Cap.  vm,  s.  777. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  145 

gegeben ,  daß  ihm  durch  Oeffnen  des  Evangeliums  von  Christus 
offenbart  würde,  was  an  ihm  und  von  ihm  Gott  am  meisten  will- 
kommen sei.  Nachdem  er  daher  mit  vieler  Frömmigkeit  ein  Gebet 
vorausgeschickt,  nahm  er  das  heilige  Evangeliumbuch  vom  Altare 
und  ließ  es  im  Namen  der  heiligen  Dreieinigkeit  durch  seinen  Ge- 
nossen, einen  gottergebenen  und  heiligen  Mann  öffnen.  Als  er 
aber  bei  dreimaligem  Oeffnen  des  Buches  immer  auf  die  Leidens- 
geschichte Christi  stieß,  da  erkannte  wahrlich  der  von  seinem  Gott 
erfüllte  Mann,  daß,  wie  er  Christum  in  den  Thaten  seines  Lebens 
nachgeahmt,  er  ihm  auch  gleich  sein  solle  in  den  Betrübnissen  und 
Schmerzen  des  Leidens,  bevor  er  aus  dieser  Welt  hinüberginge.  . . , 
Als  er  daher  wiederum  von  seraphischen  Sehnsuchtsgluthen  zu  Gott 
getrieben  und  in  der  Süßigkeit  des  Mitleids  sich  ganz  in  Den  ver- 
setzte, der  aus  allzugroßer  Liebe  gekreuzigt  werden  sollte,  sah  er, 
als  er  um  die  Zeit  des  Festes  der  Erhöhung  des  heiligen  Kreuzes 
an  einem  Tage  früh  auf  einem  Abhang  des  Berges  betete,  einen 
Seraph,  der  sechs  feurige  und  strahlende  Flügel  hatte,  von  der 
Höhe  des  Himmels  herabkommen.  Und  als  er  im  schnellsten  Fluge 
in  der  Luft  nahe  zum  Manne  Gottes  gekommen,  erschien  zwischen 
den  Flügeln  das  Abbild  eines  gekreuzigten  Menschen,  der  in  Form 
eines  Kreuzes  und  an  ein  Kreuz  geheftet  die  Hände  und  Füße 
ausgestreckt  hatte.  Zwei  Flügel  erhoben  sich  über  seinem  Haupte, 
zwei  waren  zum  Fliegen  ausgespannt,  zwei  andere  aber  verhüllten 
den  ganzen  Körper.  Da  er  dies  sah,  erschrak  er  heftig,  und  eine 
Freude  gemischt  mit  Trauer  kam  über  sein  Herz.  Denn  er  ward 
fröhlich  ob  des  anmuthsvollen  Anblicks ,  da  er  sah ,  daß  Christus 
selbst  in  der  Gestalt  des  Seraph  ihn  anblickte ;  aber  die  Kreuz- 
anheftung  durchschnitt  seine  Seele  mit  dem  Schwerte  mitleidenden 
Schmerzes.  Er  verwunderte  sich  über  die  Maßen  über  den  An- 
blick der  so  unerforschlichen  Erscheinung :  wohl  wissend ,  daß  die 
Schwäche  des  Leidens  so  gar  nicht  übereinstimmt  mit  der  Un- 
sterblichkeit des  seraphischen  Geistes.  Endlich ,  da  Gott  es  ihm 
offenbarte,  erkannte  er  daraus,  daß  eine  solche  Erscheinung  durch 
göttliche  Vorsicht  seinen  Blicken  sich  darbiete,  damit  er  als  Freund 
Christi  vorauserkenne ,  daß  er  nicht  durch  das  Martyrium  des 
Fleisches,  sondern  durch  die  Brunst  des  Geistes  ganz  zur  Aehnlich- 
keit   des  gekreuzigten  Christus  verwandelt  werden  solle. 

So  ließ  die  Erscheinung,  als  sie  verschwunden,  eine  wunderbare 
Gluth  in  seinem  Herzen  zurück :    zugleich  aber  drückte  sie  seinem 

T  h  o  d  e ,  Franz  von  Assisi.  I  q 


146  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Fleisch  das  nicht  minder  wunderbare  Abbild  der  Zeichen  ein.  Denn 
sogleich  begannen  an  seinen  Händen  und  Füßen  die  Zeichen  der 
Nägel  zu  erscheinen ,  wie  er  sie  kurz  zuvor  an  dem  Bilde  des  ge- 
kreuzigten Mannes  gesehen.  Denn  in  die  Mitte  der  Hände  und 
Füße  geheftet  zeigten  sich  die  Nägel,  wie  denn  die  Nägelköpfe  in 
der  inneren  Seite  der  Hände  und  an  den  oberen  der  Füße  er- 
schienen und  ihre  Spitzen  gegenüber  zum  Vorschein  kamen.  Und 
die  Köpfe  der  Nägel  an  Händen  und  Füßen  waren  rund  und 
schwarz,  die  Spitzen  aber  länglich,  rückwärts  gedreht  und  wie  zurück- 
geschlagen, traten  aus  dem  übrigen  Fleische  selbst  hervor  und 
überragten  dasselbe.  Die  rechte  Seite  auch,  wie  von  einer  Lanze 
durchbohrt,  zeigte  eine  verharschte,  rothe  Wunde,  die,  oft  das 
heilige  Blut  ergießend,  die  Tunica  und  das  Hüfttuch  besprengte." 
Von  Berlinghieri  an  bis  auf  die  neuesten  Zeiten  ist  das  wunder- 
bare Ereigniß,  das  seit  Christi  Zeiten  seines  Gleichen  nicht  hatte, 
unzählig  oft  dargestellt  worden.  Es  würde  wenig  verlohnen,  alle 
die  mehr  oder  weniger  gelungenen  Kunstwerke  aufzuzählen  und 
zu  beschreiben ,  da  sie  im  Wesentlichen  nur  wenige  Verschieden- 
heiten zeigen,  wie  solche  ja  der  Stoff  an  sich  unmöglich  machte. 
Je  weiter  aber  die  Kunst  fortschritt,  desto  mehr  mußten  die  Künstler 
es  sich  angelegen  sein  lassen,  das  Wunderbare  des  äußeren  Vor- 
ganges in  den  Zügen  des  Heiligen  sich  abspiegeln  zu  lassen.  Die 
Verzückung ,  das  Staunen ,  ja  selbst  das  Leiden  des  räthselhaft 
Gekreuzigten  zu  schildern,  war  immer  wieder  eine  lohnende  Auf- 
gabe. Dazu  kam  die  verlockende  Aufforderung,  der  Phantasie  in 
der  Darstellung  der  wildeinsamen  Natur  vollen  Lauf  zu  lassen,  der 
Landschaft  eine  wichtige  Rolle  in  dem  Drama  einzuräumen.  Von 
größerem  gegenständlichen  Interesse  sind  nur  die  ersten  Versuche 
im  XIII.  Jahrhundert,  da  die  ganze  spätere  Kunst  bis  1500  an 
dem  von  Giotto  geschaffenen  Schema  den  Hauptmotiven  nach  fest- 
hält. So  sind  zunächst  folgende,  zum  Theil  schon  erwähnte  Dar- 
stellungen zu  vergleichen : 

1.  Fresko  im  Baptisterium  von  Parma. 

2.  Berlinghieri.     Pescia,   S.  Francesco. 

3.  Sienesische  Schule.     Siena,  Akademie  N.  16. 

4.  Sienesische  Schule.     Siena,  Akademie  N.  17. 

5.  Meister  des  Franz.     Fresko,  Unterkirche  in  Assisi. 

6.  Glasfenster  der  Oberkirche  zu  Assisi. 

7.  Margaritone .?    Florenz,  Akademie. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  147 

8.  Das  Bild  in  S.  Croce  in  Florenz. 

9.  Schule  von  Siena.     Siena,  Akademie  N.  303. 

10.  Zeitgenosse  Cimabue's.     München,  Pinakothek  N.  980. 

Ganz  für  sich  steht  das  Fresko  in  Parma,  das  im  eigentlichen 
Sinne  gar  nicht  die  Stigmatisation  darstellt.  Franz  (vgl.  oben  S.  75) 
steht  wie  predigend  oder  sprechend  neben  einem  stehenden  Seraph 
von  gleicher  Größe.  Man  hat  gezweifelt,  ob  beide  Figuren  in  Be- 
ziehung zu  einander  gedacht  sind  —  mir  scheint  es  unmöglich,  sie 
trennen  zu  wollen ,  da  sie  einestheils  kompositioneil  offenbar  zu 
einander  gehören,  anderntheils  der  Geflügelte  durchaus  nicht  analog 
auf  sonstigen  entsprechenden  Wandfeldern  wiederkehrt ,  sondern 
nur  einmal:  rechts  von  unserer  Darstellung  und  zwar  hier  selbstständig 
gedacht,  aber  zugleich  als  der  bestimmte  Seraph  der  Ezechiel'schen 
Vision  gekennzeichnet,  welch'  letztere  demnach  in  eine  Art  Parallele 
zu  der  des  Franz  gestellt  ist.  Von  dem  dramatischen  Vorgang 
freilich  ist  nicht  die  Rede,  was  für  eine  frühzeitige  Entstehung 
sprechen  dürfte. 

Die  anderen  Bilder  schildern  die  thatsächliche  Begebenheit 
und  stimmen  zunächst  darin  überein ,  daß  sie  alle  Franz  allein ,  in 
bergiger  Landschaft  unweit  seiner  verschiedenartig  dargestellten 
Zelle  oder  Kirche  knieend,  die  Vision  zu  Theil  werden  lassen.  Der 
Seraph  ist  einer  wörtlichen  Auffassung  der  Legende  zufolge  als 
eine  von  drei  Flügelpaaren  umgebene  jugendliche  Gestalt  in  ge- 
kreuzigter Stellung,  aber  ohne  Kreuz  gezeichnet.  Meist  schwebt 
er  senkrecht  über  Franz ,  der  anfangs  bei  Berlinghieri  die  Hände 
zum  Gebet  gefaltet  hat,  dann  dieselben  nach  oben  ausstreckt ;  nur 
auf  dem  Margaritone  zugeschriebenen  Bilde  der  Akademie  und  auf 
dem  in  S.  Croce  ist  er,  offenbar  in  der  künstlerisch  durchaus  zu 
billigenden  Absicht,  die  arge  Kopfverdrehung  des  Heiligen  zu  ver- 
meiden, mehr  nach  rechts  verlegt.  Anfangs  fehlen  die  Strahlen, 
welche  die  wunderbare  Uebertragung  der  Wundenmale  verdeutlichen 
sollen ,  gänzlich.  Erst  auf  den  beiden  erwähnten  Bildern  stellen 
sie  als  drei  breite  Streifen  die  direkte  Verbindung  zwischen  dem 
Seraph  und  dem  Verzückten  her  und  zwar  in  der  Art,  daß  sie  auf 
den  Heiligenschein  des  letzteren  fließen  und  so  gewissermaßen 
denselben  bilden.  Auf  dem  schon  öfters  erwähnten  Bilde  in  Siena 
dagegen  sind  es  fünf,  die  von  den  Füßen  des  Engels  ausgehend 
Franziskus'  Hände,  Füße  und  Seite  treffen.  Der  Künstler  des 
Münchencr  Gemäldes  hat  sie  als  rothe  Blutstrahlen  gedacht. 


148  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Den  verschiedenartigen  Versuchen  und  Auffassungen  seiner 
Vorgänger  machte  Giotto,  als  er  in  Assisi  das  Wunder  zuerst  dar- 
zustellen hatte,  ein  Ende,  indem  er  das  wesentliche  Schema  der 
Komposition  endgültig  feststellte.  (Abb.  19.)  Auf  felsigem  Boden 
am  Abhang  eines  mit  wenigen  Bäumen  bewachsenen  Berges,  an 
den  sich  links  eine  kleine  Kapelle  lehnt,  kniet  auf  dem  rechten 
Beine,  das  linke  vorgestellt,  Franziskus  und  empfängt,  die  Hände 
wie  erschreckt  öffnend  und  nach  oben  schauend,  die  dreifachen 
Strahlen,  die  von  den  Malen  des  großen  Engels  ausgehen,  der 
in  der  Stellung  des  Gekreuzigten ,  durch  den  Kreuznimbus  als 
Christus  gekennzeichnet,  rechts  in  der  Höhe  schwebt.  Im  Vorder- 
grunde rechts  sitzt  der  Genosse  vor  seiner  Zelle ,  in  das  Lesen 
eines  Buches  vertieft.  —  Neu  und  von  verständigem  künstlerischen 
Gefühle  eingegeben  ist  zunächst  die  Stellung  des  Heiligen,  die,  eine 
klare  Sonderung  der  Strahlen  ermöglichend,  fortan  vor  allen  anderen 
beliebt  bleibt,  neu,  daß  Christus  selbst  der  Erscheinende  ist,  neu 
endlich  die  Hinzufügung  des  Genossen.  Daß  die  letztere  nur  aus 
dem  Streben ,  die  Bildfläche  mehr  zu  beleben ,  hervorgegangen, 
zeigen  die  beiden  anderen  erhaltenen  Darstellungen  der  Stigmati- 
sation von  Giotto,  auf  denen  der  Bruder  nicht  erscheint,  das  Bild 
im  Louvre^),  das  im  Uebrigen  genau  dem  älteren  Fresko  ent- 
spricht, und  das  Wandgemälde  über  der  Capeila  Bardi.  (Abb.  6). 
Auf  letzterem  versucht  Giotto  dem  Franz  eine  andere  Stellung  zu 
geben :  nach  links  gewandt  knieend  wendet  er  sich  zum  Seraph 
nach  rechts  zurück,  die  Hände  wie  erschreckt  erhoben.  Christus 
erscheint  hier  am  Kreuze ,  die  strenge  schematische  Anordnung 
der  Flügel  weicht  einer  mehr  naturalistischen ,  freieren  Bewegung, 
indem  das  hintere  Schwingenpaar  abstehend  den  Körper  trägt, 
das  zweite  hinter  den  Armen  ausgespannt  ihn  in  der  Schwebe  hält, 
das  dritte  halb  vor  ihm  sich  öffnend  den  Flug  zu  hemmen  scheint. 
Auch  Taddeo  Gaddi  läßt  den  Mönch  fort  und  hält  sich  in  der 
Stellung  mehr  an  Giotto's  ältere  Werke.  Beeinflußt  von  dem  Bilde 
in  der  Oberkirche  ist  die  Stigmatisation  in  der  Unterkirche  zu 
Assisi,  die  Vasari  als  Arbeit  des  Meisters  selbst  bewunderte,  während 
sie  doch  unzweifelhaft  von  demselben  Künstler  ist,  der  die  ganze 
Passion  Christi  daselbst  im  Stile  der  Lorenzetti  gemalt.  Zwar  zeigt 
Christus    am  Kreuz    wie    in  jenem    Bilde    in    S.  Croce    eine   freiere 


1)  Abb.  Plön.  PI.  XXI,  S.   234. 


Die  Darstellungen  der  Legende,  149 

Anordnung  der  Flügel,  doch  verräth  die  etwas  ungeschickte,  ge- 
zwungene Stellung  des  Franz,  dessen  Züge  den  Ausdruck  des 
Leidens  tragen,  sowie  der  rechts  unfern  einer  etwas  zu  kleinen 
Kirche  sitzende,  lesende  Mönch  die  Anlehnung  an  Giotto's  Jugend- 
werk. Nicht  lange  nachher  mag  der  weitere  Schritt  geschehen 
sein,  den  Bruder  in  eine  direkte  Beziehung  zu  dem  Vorgang  zu 
setzen.  Schon  auf  einem  kleinen  Bildchen  der  Sienesischen  Schule 
aus  dem  XIV.  Jahrhundert  in  Brüssel  (Gall.  400)  ist  er  erschreckt 
die  Vision  gewahrend  dargestellt.  Wie  man  sieht,  ging  darin  un- 
gestört das  künstlerische  Gefühl  seinen  Weg,  ohne  auf  die  Tradition 
der  Legende  Rücksicht  zu  nehmen,  der  die  Augenzeugenschaft  des 
Mönches  geradezu  widerspricht.  Doch  mochte  den  Franziskanern, 
gegenüber  den  sich  wiederholt  geltend  machenden  Zweifeln  an 
der  Wirklichkeit  des  Wunders,  diese  Auffassung  nur  eine  will- 
kommene sein. 

So  wird  sie  auch,  als  die  einer  bewegten  dramatischen  Dar- 
stellung günstigste,  fast  allgemein  im  XV.  Jahrhundert,  das  durch 
einige  Darstellungen  Gentile's  da  Fabriano  würdig  eingeleitet  wird.^) 
Man  darf  sich  verwundern ,  wie  erfinderisch  die  Künstler  gewesen, 
immer  neue  Motive  für  das  Erstaunen ,  den  Schrecken ,  die  Be- 
wunderung des  Mönches  zu  finden,  der  anfangs  nur  eine  unwesent- 
liche Nebenfigur  gewesen.  Bald  kniet  er  vom  übernatürlichen 
Glänze  geblendet,  die  Hand  mit  den  Augen  beschattend'^),  bald  ist 
er  vom  Anblick  überwältigt  zu  Boden  niedergesunken^),  bald  eilt 
er  von  Grauen  gepackt  von  dannen.  *)  Nur  einmal  auf  einem 
Bilde  des  Perugino  in  Perugia  (Gall.,  Sala  del  Perugino)  erscheinen 
zwei  Mönche.  Franz  wird  wohl  zuweilen  dargestellt,  wie  er  im  Be- 
griffe ist,  sich  auf  die  Kniee  niederzulassen^),  meist  aber  kniet  er 
in  Verzückung.  Die  störend  steifen  Strahlen  verschwinden  mehr 
und    mehr.      Der    Seraph    erscheint    gewöhnlich    als    Christus    am 


^)  Bildchen  im  Besitze  des  Sigr«,  Fomai  in  Fabriano  und  ein  anderes  ebendaselbst 
bei  Sigfe.  Rosei. 

^)  B.  Gatta.  Castiglione  Fiorentino ,  S.  Francesco.  —  Macrino  d'Alba.  Turin, 
Gall.  —  Gentile.  Fabriano,  Fomai.  —  A.  della  Robbia.  Prato,  Oratorio  S.  Lodovico.  — 
Titian.  Holzschnitt  nach  T.,  von  Boldrini.  Pass.  VI.  S.  235,  59.  —  Gentile's  Rieht. 
Vatikan,  Christi.  Mus.  —  D.  Ghirlandajo.     Nami,  Stadthaus.    Predella. 

*)  D.  Ghirlandajo.  Florenz ,  S.  Trinitä.  —  Taddeo  Bartoli.  Perugia ,  Gall.  — 
Pesellino.     Paris,  Louvre  287.  —  Perugino,  Schule,  ebds.  431. 

*)  Cosimo  Rosselli.     Florenz,  S.  Ambrogio. 

^)  Gatta.    Castiglione  Fiorentino.  —  Macrino.     Turin,  Gall. 


I  CO  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende, 

Kreuz,  zuweilen  von  Seraphimköpfen  oder  Putten  umgeben^),  in 
einzelnen  Fällen  aber  ist  er  als  eigentlicher  Seraph-)  oder  als 
Christuskind  •^)  gedacht,  oder  es  zeigt  sich  an  seiner  Stelle  ein  von 
Glanz  umflossenes  einfaches  Kreuz*),  oder  endlich  er  verschwindet 
ganz,  wie  auf  dem  Gemälde  Giov.  Bellini's  in  S.  Francesco  zu 
Pesaro  und  auf  dem  Relief  über  dem  Portal  von  S.  Francesco  in 
Piacenza.  Nur  einmal,  auf  einem  Bilde  aus  der  Schule  des  Taddeo 
Bartoli  in  Perugia,  fand  ich  den  bevorzugten  Heiligen  des  Franz, 
dem  zu  Ehren  er  sich  auf  den  mons  Alvernia  zurückgezogen : 
Michael ,  gleichsam  Wacht  haltend ,  der  Vision  beiwohnen.  Sehr 
häufig  benutzen  die  Künstler  die  günstige  Gelegenheit,  ihre  Kenntniß 
der  Thiere  an  den  Tag  zu  legen ,  und  bevölkern  die  Waldes- 
einsamkeit mit  allerlei  Vierfüßlern,  wie  Hirschen,  Rehen  und  Bären, 
sowie  Vögeln,  unter  denen  der  Falke,  der  ja  nach  Bonaventura's 
reizender  Legende  in  inniger  Freundschaft  mit  ihm  lebte  und  ihn 
zur  nächtlichen  hora  durch  seinen  Gesang  aufmunterte,  besonders 
oft  wiederkehrt.^)  Wohl  Keiner  aber  hat  damit  einen  solchen  Miß- 
brauch getrieben,  wie  jener  Salvadore  d' Antonio,  der  für  S.  Fran- 
cesco in  Messina  die  Stigmatisation  gemalt.  Wie  Michelangelo 's 
Darstellung  derselben  ausgesehen,  die,  etwa  1497  für  einen  Barbier 
entworfen,  später  in  S.  Pietro  in  Montorio  zu  Rom  sich  befand, 
wissen  wir  leider  nicht  mehr,  —  nur  daß  sie  secondo  la  maniera 
antica  gemalt  war.*) 

Wie  dann  in  der  späteren  Kunst  der  Italiener  aus  der  Dar- 
stellung der  Stigmatisation  die  eines  der  Vergänglichkeit  der  Dinge 
nachsinnenden  Franz  hervorgeht,  ist  schon  berührt  worden.  Wo 
sie  das  Wunder  selbst  schildern ,  geschieht  es  mit  dem  ganzen 
Aufwand  überraschender  Lichteffekte,   die   ihrem  Sinne   entspricht. 


^)  D.  Ghirlandajo.  Florenz,  S.  Trinitä.  —  Borgognone.  Bergamo,  S.  Spirito.  — 
Macrino.     Turin,  Gall. 

^)  Andrea  della  Robbia.     Prato,  S.  Lodovico. 

^)  B.  Montagna.  (Stich)  P.   IV.  S.  157.  44.  —  Nicoletto  da  Modena  B.   27. 

*)  Eusebio.  Assisi,  S.  Damiano.  —  Tizian.  Boldrini's  Holzschnitt.  —  Marcan- 
ton's  Kupferstich  B.  97. 

^)  Schule  von  Siena.  Siena,  Ac.  16  u.  17.  —  P.  Lorenzetti.  Assisi,  S.  F.  — 
Fresko :  Pistoja ,  S.  Francesco.  —  Altar  der  Massegne ,  Bologna.  —  B.  da  Majano. 
S.  Croce.  —  D.  Ghirlandajo.  S.  Trinitä.  —  Gatta.  Castiglione  Fiorentino.  —  Robbia. 
Bibbiena,  S.  Lorenzo.  —  Jacopo  Bellini,  Skizzenbuch.     London,  British  Museimi, 

")  Vasari  VII,  149.  Vergl.  auch  Varchi's  Leichenrede  in  den  Quellenschr.  f. 
Kstgesch.  VI,  S.    106  und  Boissard :  Ant.  Rom.  (Top.  Romae)  lib.  I,  S.  10. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  151 

Da  schwebt  nicht  mehr  in  handgreiflicher  WirkHchkeit  der  Seraph 
herab ,  sondern  der  Himmel  selbst  öffnet  sich  in  blendendem 
Strahlenglanze ,  und  vor  dem  Anblick  des  in  weiten  Fernen 
schwebenden  Kreuzes  sinkt  überwältigt,  seiner  Sinne  fast  beraubt, 
der  Leidende  zurück.  Kaum  denkt  man  angesichts  solcher  pa- 
thetisch übertriebener  Darstellungen  noch  daran ,  daß  auch  schon 
Künstler  des  XV.  Jahrhunderts  dem  Vorgang  durch  eigenartige 
Beleuchtung  einen  besonderen  Reiz  zu  verleihen  gesucht,  eben  jene 
Meister,  die  mehr  wie  alle  anderen  dieser  Zeit  den  Zauber  des 
Lichtes  empfunden  zu  haben  scheinen:  Gentile  da  Fabriano  und 
Piero  della  Francesca.') 

20.  Der  Tod  des  Franziskus.  Das  Ende  des  Franz, 
den  Eindruck  seiner  rührenden  Abschiedsworte  auf  die  Brüder  zu 
schildern ,  hat  keiner  der  Künstler  außer  Giotto  versucht.  Die 
ernste  Todesfeier  schien  einen  wirkungsvolleren  Vorwurf  zu  bilden, 
zumal  sich  damit  die  Verehrung  der  Wundenmale,  die  Bekehrung 
jenes  zweiten  Thomas :  des  Ritters  Hieronymus  vereinigen  ließ. 
Giotto  nur  versuchte  es,  zeitlich  auf  einander  folgende  Begeben- 
heiten zu  verbinden ,  indem  er  im  Vordergrund  den  Augenblick 
des  Todes  selbst  wählt,  im  Mittelgrund  bereits  die  Geistlichen  und 
Mönche  zur  Feier  der  Exequien  versammelt  zeigt.  Wie  hätte  er 
sich  auch  dem  Eindrucke  von  Bonaventura's  tief  ergreifender 
Schilderung  entziehen  und  diese  der  allgemeineren  Darstellung  des 
Todtenamtes  opfern  können !  Daß  aber  etwas  künstlerisch  Un- 
zuträgliches in  einer  Zweitheilung,  in  diesem  allzugroßen  Gedränge 
von  Figuren  lag,  hat  er  offenbar  selbst  wohl  empfunden,  da  -er 
später,  ohne  die  Klage  um  den  Leichnam  aufzugeben,  das  Ganze 
zu  dessen  Vortheile  wesentlich  vereinfachte  und  konzentrirte.  .Doch 
hören  wir  zuerst  die  Worte  Bonaventura's-); 

,,Als  endlich  die  Stunde  seines  Hinscheidens  nahte,  ließ  er  alle 
Brüder,  die  an  dem  Orte  waren,  zu  sich  rufen  und  ermahnte  sie, 
mit  liebreichen  Worten  über  seinen  Tod  sie  tröstend,  in  väterlicher 
Zuneigung  zur  göttlichen  Liebe.     Ueber  die  Bewahrung  der  Geduld 


^)  In  den  oben  bereits  erwähnten  Bildern.  Vergl.  auch  des  Pomponio  Amatheo 
Bild  in  S.  Francesco  zu  Udine ,  das  schon  Vasari  (V  S.  1 20)  rühmend  erwähnt :  da  ist 
der  Aufgang  der  Sonne  dargestellt,  deren  erste  Strahlen  den  Heiligen  treffen, 

^)  Cap.  XIV.  S.  781,  genau  nach  Th.  II  Leg.  S.  306,  die  wiederum  auf  Th.  I 
Leg.  II  Cap.  III  S.  713  zurückgeht.  Bei  den  T.  s.  Cap.  V  S.  741  ganz  kurz  erwähnt.  — 
Carmen  S.   274  ff. 


IC2  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

und  der  Armuth  und  der  Treue  für  die  heilige  römische  Kirche 
predigte  er  ihnen,  allen  übrigen  Anordnungen  das  heilige  Evangelium 
voranstellend.  Da  aber  die  Brüder  alle  um  ihn  herumsaßen,  breitete 
er,  die  Arme  in  Kreuzesform  erhoben,  weil  er  dies  Zeichen  immer 
geliebt ,  die  Hände  über  sie  aus.  Und  alle  Brüder,  die  gegen- 
wärtigen wie  die  abwesenden ,  segnete  er  in  der  Kraft  und  dem 
Namen  des  Gekreuzigten.  Obendrein  aber  fügte  er  hinzu:  Lebt 
wohl,  ihr  Brüder  Alle,  in  der  Furcht  des  Herrn  und  bleibet  immer 
in  ihm.  Und  sintemalen  die  künftige  Versuchung  und  Prüfung 
nahe  ist:  glücklich  Die,  welche  verharren  werden  in  dem,  was  sie 
begonnen  haben.  Ich  aber  eile  zu  Gott,  dessen  Gnade  ich  Euch 
Alle  empfehle.  Und  als  so  die  liebliche  Ermahnung  erfüllt,  hieß 
der  von  Gott  geliebteste  Mann  ihm  das  Buch  des  Evangeliums 
bringen  und  verlangte,  daß  man  ihm  das  Evangelium  nach  Johannes, 
das  an  der  Stelle  beginnt:  ,,vor  dem  Tage  des  Paschahfestes" 
lese.  Er  selbst  aber,  so  gut  er  konnte,  brach  in  die  Worte  dieses 
Psalmes  aus:  ,,Ich  habe  mit  meiner  Stimme  zum  Herrn  geschrieen, 
mit  meiner  Stimme  habe  ich  zum  Herrn  gefleht"  und  führte  ihn 
bis  zum  Ende.  ,,Mich,"  sprach  er,  ,, erwarten  die  Gerechten,  bis 
du  mir  wiedervergiltst."  Endlich  als  alle  Geheimnisse  an  ihm  erfüllt 
waren  und  vom  Fleische  gelöst  die  heiligste  Seele  in  den  Abgrund 
göttlicher  Klarheit  versunken  war,  entschlief  der  selige  Mann  im 
Herrn.  Einer  aber  von  seinen  Brüdern  und  Schülern  sah  seine 
selige  Seele  in  Gestalt  eines  leuchtenden  Sternes,  auf  weißer  Wolke 
getragen,  über  viel  Wasser  in  geradem  Fluge  aufwärts  zum  Himmel 
geführt  werden :  wie  strahlend  vom  Glänze  erhabener  Heiligkeit 
und  erfüllt  von  dem  Reichthum  göttlicher  Weisheit  und  Gnade, 
Dank  welcher  der  heilige  Mann  sich  das  Recht  erworben,  in  den 
Ort  des  Lichtes  und  des  Friedens  einzugehen,  wo  er  ohne  Ende 
mit  Christus  ruht." 

Hatte  schon  der  Meister  des  Franz  in  der  Unterkirche,  im 
Gegensatz  zu  der  kalten  Darstellung  der  Exequien  auf  den  Bildern 
in  S.  Croce  und  Siena,  die  Trauer  der  Mönche  zu  schildern  ge- 
sucht, so  beansprucht  diese  bei  Giotto  das  Hauptinteresse.  Rings 
um  die  ruhig  und  feierlich  liegende  Leiche  sitzen  und  knieen  die 
Brüder,  von  stillem  aber  heftigstem  Schmerze  bewegt ;  da  faßt  der 
eine  seine  Hand,  der  andere  küßt  seinen  Fuß,  andere  verbergen 
das  Gesicht,  einer  links  endlich  richtet  den  Blick  nach  oben,  wo 
von  vier  schlanken  Engeln    die    in    runder  Mandorla    erscheinende 


Die  Darstellungen  der  Legende.  153 


Halbfigur  des  Heiligen,  der  die  Hände  öffnet,  gen  Himmel  getragen 
wird ,  begleitet  von  sechs  anderen  Himmelsboten ,  die  links  und 
rechts  schweben.  Im  Mittelgrunde  stehen  zwischen  Fackeln  tragenden 
Mönchen  ein  Geistlicher,  der  in  der  Linken  ein  Buch,  in  der  Rechten 
den  Sprengwedel  hält,  und  ein  Gehülfe,  der  das  geweihte  Wasser 
in  einem  Gefäße  trägt.  Zahlreiche  dicht  gedrängte  Mönche  um- 
geben sie.  So  bewundernswürdig  die  Szene  im  Vordergrund  em- 
pfunden und  komponirt  ist,  so  leidet  die  Komposition  doch  an 
Ueberfülle,  und  man  erkennt  den  großen  Fortschritt  Giotto's,  ver- 
gleicht man  damit  das  Fresko  in  S.  Croce.  (Abb.  7.)  Da 
gelangt  die  Bewegung  der  Mittelgruppe  klagender  Mönche,  die 
knieend  und  stehend  die  Bahre  umgeben  und  seine  Hände  und 
Füße  küssen,  zu  ruhiger  Ausgleichung  in  den  feierlich  stehenden, 
symmetrisch  zu  Häupten  und  Füßen  der  Leiche  angeordneten  Geist- 
lichen. Links  liest  in  Mitte  zweier  Chorknaben  ein  Priester  die 
Messe,  zwei  Laien  stehen  dahinter;  rechts  sieht  man  drei  Mönche 
mit  einer  Todtenfahne  und  zwei  Kerzen  und  hinter  ihnen  zwei 
andere.  In  der  Höhe  aber  tragen  vier  Engel  die  Halbfigur  des 
Franz  vom  Strahlenstern  umgeben  nach  oben,  was  erschreckt  einer 
der  Brüder  unten  gewahrt.  Neu  ist  der  Gedanke,  jenen  vornehmen 
Ungläubigen ,  dessen  Bekehrung  in  Assisi  noch  den  Gegenstand 
eines  gesonderten  Bildes  abgab,  schon  hier  mit  anzubringen.  Er 
kniet  vom  Rücken  gesehen  und  legt  die  Hand  in  die  Seitenwunde. 
Kein  Wunder,  daß  diese  meisterliche  Komposition  für  die  späteren 
Florentinischen  Künstler  im  Wesentlichen  maßgebend  blieb.  Ver- 
einfacht kehrt  sie  auf  Taddeo  Gaddi's  Bildchen,  reicher  gestaltet 
bei  Benozzo,  sowie  auf  der  Predella  Cosimo  Roselli's  in  S.  Ambrogio 
zu  Florenz  wieder.  Dann  auch  auf  der  Kanzel  Benedetto's  daMajano, 
der  die  Szene  in  eine  perspektivisch  gesehene  Kirche  verlegt  und 
zugleich  die  Anzahl  der  Figuren  in  der  Mittelgruppe  beschränkt. 
Domenico  Ghirlandajo  dagegen  hält  sich  in  der  Anordnung  ganz 
getreu  an  das  Fresko  in  S.  Croce :  selbst  die  zwei  Bürger  hinter 
dem  Bischof  sind  beibehalten,  wie  dort  sind  es  neun  Figuren,  die, 
um  die  Leiche  versammelt,  derselben  ihre  Liebe  und  zwar  meist 
in  ganz  ähnlichen  Geberden  bezeugen.  Nur  den  Hieronymus 
versetzte  er  in  dem  richtigen  Gefühle,  daß  er  bei  Giotto  eine  zu 
untergeordnete  Stellung  einnehme,  hinter  die  Bahre  und  Heß  ihn 
vorgebeugt  die  Wunde  befühlen.  Die  Vision,  die  als  solche  selbst 
hier    nicht    dargestellt    ist,    wird    offenbar    dem    mittleren    der    drei 


1 54  I^i^  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende, 

Chorknaben  rechts  zu  Theil.  —  Unabhängig  von  Giotto  entstanden 
die  Kompositionen  Semitecolo's  in  Venedig  (Akademie),  der  die 
von  einem  hinten  stehenden  Bischof  gefeierten  Exequien  des 
aus  den  Wunden  blutenden  Franz  schildert,  und  des  Altars  in 
Bologna,  auf  dem  der  konsekrirende  Bischof  im  Vordergrund 
vor  dem  Heiligen  erscheint.  Ein  umbrisches  Bildchen  dagegen 
im  Christlichen  Museum  des  Vatikans  (Seh.  IV,  i),  das  Alle- 
gretto's  Einfluß  zeigt,  schließt  sich  mehr  der  reichen  Darstellung 
in  Assisi  an. 

21.  Die  Vision  des  Augustinus  und  des  Bischofs 
von  Assisi.  (Abb.  20.)  ,, Minister  der  Brüder,"  heißt  es  weiter, 
,,in  der  terra  laboris  war  damals  ein  Bruder  Augustinus,  ein  Mann 
durchaus  heilig  und  gerecht;  dieser,  zur  letzten  Lebensstunde  ge- 
langt, rief  plötzlich,  nachdem  er  schon  lange  die  Sprache  verloren, 
so  daß  die  Umstehenden  es  hörten ,  und  sprach :  , erwarte  mich, 
Vater,  erwarte  mich;  siehe,  schon  komme  ich  mit  dir.*  Als  aber 
die  Brüder  fragten  und  sich  sehr  verwunderten,  zu  wem  er  so 
redete,  antwortete  er  kühn :  ,seht  ihr  nicht  unsern  Vater  Franziskus, 
der  gen  Himmel  geht.'"  Und  sogleich  folgte  seine  Seele,  aus  dem 
Fleische  wandernd ,  dem  heiligen  Vater.  Der  Bischof  von  Assisi 
hatte  einer  Wallfahrt  halber  sich  nach  dem  Oratorium  des  Michael 
auf  dem  Berg  Garganus  begeben ;  ihm  erschien  der  selige  Franz 
in  der  Nacht  seines  Hinscheidens  und  sprach :  ,siehe ,  ich  verlasse 
die  Welt  und  gehe  gen  Himmel.'  In  der  Frühe  sich  erhebend, 
erzählte  der  Bischof  den  Genossen,  was  er  gesehen,  und,  nach 
Assisi  zurückgekehrt,  erfuhr  er  mit  Bestimmtheit  auf  sein  eifriges 
Nachforschen,  daß  in  jener  Stunde,  in  welcher  es  ihm  durch  die 
Vision  bekannt  geworden,  der  selige  Vater  aus  dieser  Welt  ge- 
wandert war." 

Es  war  eine  schwierige  Aufgabe,  die  in  der  vereinigten  Dar- 
stellung dieser  beiden  Visionen  Giotto  gestellt  war  und  eine  be- 
friedigende Lösung  nicht  möglich,  um  so  weniger  als  der  Raum  be- 
schränkt war.  So  entschloß  er  sich,  das  Fresko  in  direkte  Beziehung 
mit  dem  vorhergehenden  zu  setzen,  die  Erscheinung,  die  dort  dem 
einen  Bruder  zu  Theil  ward,  zugleich  dem  Augustinus  und  dem 
Bischof  werden  zu  lassen.  Da  der  Traum  des  Bischofs  wenig 
Anziehendes  bot,  gab  er  Diesen  rechts  auf  seinem  Lager  nur  in 
halber  Figur  und  konzentrirte  das  Hauptinteresse  auf  die  andere 
Szene,  die,  phantasievoll  frei  erfunden,  wie  es  die  kurze  Erzählung 


Die  Darstellungen  der  Legende.  15c 

Bonaventura's  gestattete ,  zu  den  trefflichsten  Kompositionen  des 
ganzen  Cyklus  gehört.  In  einem  kirchenartigen  Raum  sieht  man 
Augustinus,  wie  er  eben,  von  einem  Mönche  gehalten,  von  über- 
irdischer Gewalt  gleichsam  und  innerer  Sehnsucht  zugleich  vom 
Lager  erhoben,  sitzend  die  Arme  nach  dem  gen  Himmel  fahrenden 
Vater  ausstreckt.  Erstaunt  und  betrübt  betrachten  ihn  die  um- 
stehenden Mönche ,  von  denen  einer  ihn  stützt.  Ein  anderer  naht 
sich  vorn  von  rechts  mit  fragender  Bewegung,  ein  dritter  rechts 
wird  die  Vision  gewahr  und  fährt  erstaunt  mit  der  Rechten  an  den 
Kopf.  Ergreifender,  wahrer  konnten  die  Worte  der  Sehnsucht  und 
Liebe:  ,, Erwarte  mich,  Vater,  ich  komme!"  nicht  zum  Ausdruck 
gebracht  werden.  Es  ist  wunderbar  zu  sehen,  zu  welcher  Freiheit 
der  Gestaltung  im  Laufe  der  Arbeit  Giotto  schon  vorgedrungen,  wie 
sicher,  ja  unfehlbar  er  die  inneren  Anschauungen  zu  monumentalen, 
ergreifenden  Darstellungen  zu  gestalten  wußte.  Und  solche  Kom- 
positionen sollte  ein  Meister  zweiten  Ranges  geschaffen  haben  .^ 
Was  bUebe  dann  von  Giotto's  Ruhme  übrig? 

Das  Fresko  der  Capeila  Bardi,  das  dieselben  Szenen  bringt, 
steht  hinter  diesem  ersten  glücklichen  Wurfe  weit  zurück.  Kommt 
hier  auch  der  Bischof  mehr  zu  seinem  Rechte,  der,  schlafend  auf 
dem  Lager  ausgestreckt,  vor  dem  zwei  Männer  sitzen,  die  Halbfigur 
des  die  Hände  erhebenden  Franz  erscheinen  sieht ,  so  geht  der 
Vision  des  Augustinus  der  Zauber  jener  überzeugenden  Unmittel- 
barkeit, die  Lebendigkeit  ab.  Warum  Giotto  wohl  den  Bruder 
hier  ruhig  betend  nach  rechts  gewandt  auf  dem  Lager  sitzen  läßt, 
an  dem  er  doch  früher  so  wahr  die  Sehnsucht  und  Aufregung 
eines  Sterbenden  gezeigt?  Gelassen  steht  die  Schaar  der  Mönche, 
welche  die  Exequien  zu  feiern  gekommen  sind,  am  Fußende,  nur 
einer  fährt  erstaunt  zurück,  woraus  erst  man  zu  schließen  berechtigt 
ist,  daß  Augustinus  eben  seine  Vision  mittheilt.  Das  bezeugt  auch 
der  lauschende  Kopf  eines  anderen  Mönches ,  der  hinter  Diesem 
sichtbar,  den  Vorhang  zurückzieht.  Der  Unterschied  der  beiden 
Kompositionen  liegt  darin,  daß  man,  um  die  in  S.  Croce  zu  verstehen, 
genau  den  Vorgang  kennen  muß ,  während  vor  dem  Bilde  in 
Assisi  Jeder  sogleich  fühlt,  es  stelle  die  beseligende  Vision  eines 
Sterbenden  vor. 

Spätere  Darstellungen  der  Legende  kenne  ich  nicht. 

22.  Die  Bekehrung  des  Hieronymus.  (Abb.  21.)  Die 
älteren    Biographen    wissen    Nichts    von    dieser    Begebenheit,    erst 


I  56  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Bonaventura  schildert  sie  folgendermaßen^):  „Die  Bürger  von  Assisi, 
so  viel  ihrer  kommen  wollten,  wurden  zugelassen,  jene  heiligen 
Stigmata  mit  ihren  Augen  zu  betrachten  und  mit  ihren  Lippen  zu 
küssen.  Einer  aber  unter  ihnen ,  ein  Edler,  gelehrt  und  klug, 
Hieronymus  von  Namen,  ein  sehr  berühmter  und  gefeierter  Mann, 
der  an  den  heiligen  so  gestalteten  Wundenmalen  gezweifelt  hatte 
und  ungläubig  war  wie  Thomas ,  bewegte  glühender  und  kühner 
angesichts  der  Brüder  und  der  anderen  Bürger  die  Nägel  und 
betastete  die  Seite  mit  seinen  eigenen  Händen,  damit  er,  indem  er 
jene  wahrhaftigen  Zeichen  der  Wunden  Christi  befühlend  berührte, 
jeden  Zweifel  aus  seinem  und  Aller  Herzen  wie  eine  Wunde  weg- 
schnitte. Deßwegen  er  auch  selbst  vielen  Anderen  zum  beständigen 
Zeugen  dieser  mit  solcher  Gewißheit  erkannten  Wahrheit  wurde 
und  sie  mit  einem  Eide  bei  Berührung  des  Allerheiligsten  befestigte. 
Die  Brüder  aber  und  Söhne,  die  zum  Ende  des  Vaters  herbei- 
gerufen waren,  weiheten  jene  Nacht,  in  welcher  der  holde  Bekenner 
Christi  abgeschieden  war,  derart  mit  göttlichen  Lobgesängen ,  daß 
es  schien ,  es  wären  nicht  die  Exequien  eines  Abgeschiedenen, 
sondern  eine  Engelwache." 

Es  lag  im  Stoffe,  daß  dies  Bild  der  Darstellung  von  Franziskus' 
Tode  sehr  ähnlich  ausfallen  mußte.  Der  Heilige  liegt  auf  der 
Bahre  und  vor  ihm  kniet  halb  nach  links  gewandt  der  vornehm 
gekleidete  Hieronymus  und  berührt  mit  der  Linken  die  Seitenwunde. 
Links  und  rechts  nahen  sich  einige  Bürger,  rechts  zuvorderst  ein 
Soldat,  der  auf  das  Wunder  hinweist.  Nahe  hinter  der  Leiche 
steht  dichtgedrängt  die  Schaar  der  Mönche,  Kerzen  in  den  Händen; 
ein  Priester,  von  zwei  Gehülfen  begleitet,  deren  einer  den  Spreng- 
wedel ins  geweihte  Wasser  taucht,  liest  die  Messe.  Zu  Häupten 
und  zu  Füßen  stehen  Mönche  in  Chorgewändern  mit  großen 
Fackeln.  Der  Querbalken  in  der  Höhe,  auf  welchem  Bilder  der 
Maria  mit  Kind ,  des  Gekreuzigten  und  des  Michael  nach  der 
Sitte  der  Zeit  angebracht  sind,  kennzeichnet  den  Raum  als  Inneres 
der  Portiuncula.  —  Auch  hier  hat  das  Verlangen,  die  Exequien 
nach  Bonaventura's  Vorgang  möglichst  festlich  zu  schildern ,  zu 
einer  Ueberfüllung  geführt,  die  der  Durchbildung  und  Lebendig- 
keit der  einzelnen  Figuren  etwas  geschadet  hat.  Daß  die  Be- 
kehrung   des    Hieronymus    später    von    Giotto    und    der    folgenden 

1)  XV,  S.   782. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  157 


Kunst  mit  der  Darstellung  des  Todes  verbunden  wird ,  ist  bereits 
bemerkt  worden. 

23.  Der  Leichnam  vor  San  Damiano.  (Abb.  36.)  „Als 
es  aber  Morgen  geworden ,  nahmen  die  Schaaren ,  die  zusammen 
gekommen  waren ,  Baumzweige ,  vervielfältigten  die  Wachskerzen 
und  trugen  unter  Hymnen  und  Gesängen  den  heiligen  Leichnam 
nach  der  Stadt  Assisi.  Als  sie  aber  an  der  Kirche  San  Damiano 
vorbei  kamen,  in  welcher  jene  edle  Jungfrau  Clara,  die  jetzt  verklärt 
im  Himmel  ist,  damals  eingeschlossen  mit  den  Jungfrauen  weilte, 
und  dort  ein  wenig  Halt  machten ,  boten  sie  den  heiligen ,  mit 
himmlischen  Perlen  geschmückten  Leichnam  jenen  heiligen  Jung- 
frauen dar,  ihn  zu  sehen  und  zu  küssen."*) 

Nur  eine  bildliche  Darstellung  dieser  Szene,  die  in  der  Kirche 
zu  Assisi,  ist  uns  erhalten,  aber  wir  brauchen  auch  keine  andere, 
den  Zauber  dieses  rührenden  Abschiedes  ganz  und  voll  zu  empfinden. 
Es  ist  wohl  das  herrlichste  aller  der  Bilder,  in  denen  Giotto  so  jung 
so  Bewundernswerthes  geschaffen,  und  immer  wieder  kehrt  man  zu 
ihm  zurück,  sich  von  ihm  entzücken  und  rühren  zu  lassen. 

Soeben  haben  die  Träger  der  Bahre,  vornehme  Bürger  von 
Assisi,  dieselbe  vor  der  reichen  Fassade  der  Kirche  niedergelassen, 
da  eilen  von  Liebe  und  Sehnsucht  getrieben  die  lieblichen,  jugend- 
lichen Nonnen  heraus,  von  dem  theuren  Vater  und  Freunde  für 
immer  Abschied  zu  nehmen.  Ihnen  voran  Clara  selbst,  die  den 
Blick  auf  die  stillen,  leblosen  Züge  des  Todten  gerichtet,  sich  zu 
ihm  neigt ,  mit  der  Linken  die  Seitenwunde  berührend ,  mit  der 
Rechten  seinen  Kopf  hebend.  Neben  ihr  ist  in  heißer  Liebesbrunst 
eine  Schwester  niedergesunken,  seine  Hand  zu  küssen.  Eine  dritte 
drückt  den  Mund  auf  das  Mal  des  Fußes,  während  sieben  andere 
thränenden  Blickes  aus  der  Dunkelheit  der  Kirche  hervoreilen, 
gleich  aufgescheuchten  Tauben,  wie  schön  gesagt  worden  ist.  Links 
steht  die  Schaar  der  Bürger  und  Mönche ,  Kerzen  in  der  Hand, 
deren  Schein  die  Kirche  hell  erleuchtet,  ein  Knabe  ist  auf  einen 
Baum  gestiegen ,  Zweige  zu  brechen.  Schlichter  und  ergreifender 
hätte  der  wortlose  Schmerz,  die  lautere  Liebe  dieser  gottgeweihten 
Jungfrauen  nicht  dargestellt  werden  können  —  noch  haben  sie  nicht 
die  Sprache  gefunden,  ihr  Leid  zu  klagen,  nur  der  Blick,  der  un- 
beweglich an  dem  Todten    hängt,    kündet  von  der  nach  Ausdruck 

1)  B.  XV,  s.  782. 


158  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

ringenden  Empfindung.  Bald  wird  sie  überströmen  in  Worten,  wie 
sie  ihnen  Thomas  von  Celano  in  den  Mund  gelegt:  „O  Vater, 
Vater !  Was  werden  war  nun  thun !  Warum  verläßt  du  uns  Un- 
glückliche ,  wem  überläßt  du  uns  so  vereinsamt }  Warum  hast  du 
uns  nicht  vor  dir  fröhlich  dahin  gesandt,  wohin  du  gehst,  statt 
uns  leidend  hier  so  im  Stiche  zu  lassen.?  Was  willst  du,  daß  wir 
so  eingeschlossen  in  diesem  Gefängniß  thun ,  da  du  beschlossen, 
niemals  mehr,  wie  du  pflegtest,  uns  zu  besuchen.?  Mit  dir  geht 
all  unsere  Tröstung  von  hinnen,  und  der  Welt  begraben  bleibt 
uns  kein  gleicher  Trost.  Wer  wird  fortan  uns  trösten  in  unserer 
so  großen  Armuth  an  Verdiensten  sowohl  als  Dingen  ?  O  Vater 
der  Armen ,  der  Armuth  Freund !  Wer  wird  fortan  in  der  Stunde 
der  Versuchung  uns ,  die  wir  so  zahllose  Versuchungen  schon  er- 
litten ,  beistehen ,  ein  sorglicher  Kenner  der  Versuchungen  >  Wer 
wird  fortan  uns  Geprüfte  in  der  Stunde  der  Prüfung  trösten,  ein 
Helfer  in  Prüfungen ,  die  allzu  sehr  uns  getroffen .?  O  bitterste 
Trennung,  o  feindliche  Entfernung !  O  allzu  entsetzlicher  Tod,  der 
du  Tausende  von  Söhnen  und  Töchtern,  solchen  Vaters  beraubt, 
vernichtest ,  der  du  dich  eilst ,  unwiderruflich  ihn  zu  entfernen, 
Dank  Dem  unsere  Bestrebungen,  so  gering  sie  auch  sind,  in  reichster 
Blüthe  standen  !"i) 

24.  DieKanonisation.  Die  Beschreibung  der  Festlichkeit, 
als  zu  weitläufig  zu  erzählen ,  unterläßt  Bonaventura.  Von  den 
anderen  Biographen  sagen  nur  die  tres  socii  in  kurzen  Worten : 
,,es  erfolgten  dann  diese  Dinge  in  der  Stadt  Assisi  in  Gegenwart 
von  vielen  Prälaten  und  namentlich  auch  von  Fürsten,  Baronen 
und  einer  unzähligen  Menge  Volkes  aus  allen  Theilen  der  Welt, 
die  eben  jener  Herr  und  Papst  zu  der  Feierlichkeit  im  Jahre  1228, 
im  zweiten  Jahre  seines  Pontifikates,  hatte  zusammenrufen  lassen."^) 
So  blieb  es  Giotto  überlassen,  nach  seinem  Gutdünken  die  Fest- 
lichkeit darzustellen.  Die  Heiligsprechung  gewissermaßen  zu  be- 
gründen, brachte  er  zugleich  einige  Figuren  an,  die  bei  dem  Sarko- 
phage, der  vorn  unten  steht,  Hülfe  suchen  und  in  deren  einer, 
die  vorne  liegt,  vielleicht  jenes  Mädchen  mit  dem  verwachsenen 
Kopf  zu  sehen  ist.     Leider  ist  die  kleinere  obere  Hälfte  des  Bildes 


1)  Th.  I  Leg.  lib.  II  cap.  IV,  S.   715  f.  —  Danach  kürzer  in  der  Anon.  II  Leg. 
§  29,  S.  672. 

■^)  T.  s.  XVIII,  S.   741. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  1 59 

total  zerstört.  Rings  um  die  Lade  ist  eine  große  Volksmenge 
versammelt :  links  stehen  zahlreiche  Männer,  hinten  einige  Mönche, 
rechts  sitzen  viele  Frauen,  die  zum  Theil  ihre  Kinder  mitgebracht 
haben.  Dahinter  rechts  sieht  man  drei  Bischöfe  und  einen  in 
traurige  Gedanken  vertieften  Mönch  sitzen,  hinter  denen  wiederum 
viel  Volk  sich  zusammendrängt.  Links  war  die  Kanzel ,  auf  der 
man  sich  den  Papst,  die  Heiligsprechung  vollziehend,  zu  denken  hat. 
Man  sieht,  wie  eifrig  der  Künstler  bemüht  war,  durch  wechselnde 
Handlung  und  Ausdruck  der  Köpfe,  durch  gruppenweise  Anordnung 
der  Figuren  die  allzuleicht  sich  ergebende  Monotonie  zu  vermeiden. 

Außer  dieser  Darstellung  der  Szene  kenne  ich  keine  andere. 

25.  Die  Vision  Gregor's  IX.  (Abb.  22.)  Eigentlich  hätte 
dieses  Bild  richtiger  seinen  Platz  vor  dem  eben  besprochenen  er- 
halten sollen,  da  die  Begebenheit  zeitlich  vorangeht  und  Gregor  ja 
erst  durch  die  Erscheinung  bewogen  wird,  Franz  heilig  zu  sprechen. 
Doch  hielt  sich  Giotto  an  die  thatsächliche  Reihenfolge  des  Bona- 
ventura, der  im  i.  Kapitel  der  Wunder  die  Vision,  von  der  alle 
früheren  Biographen  nichts  wissen,  folgendermaßen  berichtet^): 

,,Denn  der  Papst  Gregor  IX.  seligen  Angedenkens,  von  dem 
der  heilige  Mann  weissagend  vorausgesagt,  daß  er  zur  apostolischen 
Würde  erhoben  werden  sollte ,  trug ,  bevor  er  den  Fahnenträger 
des  Kreuzes  dem  Verzeichniß  der  Heiligen  beischrieb,  ein  Bedenken 
und  Zweifel  im  Herzen  über  die  Seitenwunde.  In  einer  Nacht  aber, 
wie  der  glückselige  Priester  selbst  unter  Thränen  berichtet  hat, 
erschien  ihm  der  selige  Franziskus  mit  scheinbar  strengem  Gesicht 
im  Traume:  und  das  Zaudern  seines  Herzens  der  Lüge  zeihend, 
erhob  er  den  rechten  Arm,  enthüllte  die  Wunde  und  forderte  eine 
Schale  von  ihm,  das  sprudelnde  Blut,  das  aus  der  Seite  floß,  auf- 
zufangen. Da  bot  ihm  in  der  Vision  der  Papst  die  verlangte  Schale, 
die  bis  zum  Rande  mit  dem  aus  der  Seite  hervorströmenden  Blute 
sich  zu  füllen  schien.  Von  da  an  begann  er  von  solcher  Verehrung 
für  jene  heilige  Wunde  bewegt  zu  werden  und  von  solchem  Eifer 
zu  erglühen,  daß  er  in  keiner  Weise  es  mehr  dulden  konnte,  daß 
irgend  Jemand  sich  herausnahm,  jene  schimmernden  heiligen  Zeichen 
durch  hochmüthige  Bekämpfung  zu  schwärzen,  ohne  ihn  mit  strengem 
Vorwurf  zu  verwunden." 

Auf  reichem  Lager,    das    mit  einem  Baldachin  überspannt  ist, 

1)  B.  XVI,  S.   784. 


l6o  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 


läßt  Giotto  den  Papst,  den  Kopf  auf  die  Hand  gestützt,  schlafen, 
mit  der  Rechten  die  Phiole  in  Empfang  nehmen,  die  ihm  der  hinten 
stehende  Franz,  der  mit  der  Rechten  seine  Wunde  entblößt,  reicht. 
Vorn  auf  dem  Boden  sitzen  vier  Diener,  der  eine  rechts  in  Schlaf 
versunken ,  ein  anderer  so  eben  wie  von  einem  Geräusch  erwacht, 
auch  der  dritte  aufmerksam  geworden  lauschend ,  der  vierte  links 
den  Rosenkranz  betend.  Wie  schon  früher  läßt  der  Künstler  also 
auch  hier  die  Vision  auf  unbewußt  sie  empfindende  Nebenpersonen 
wirken ,  wodurch  er  den  Beschauer  auf  das  Wunderbare  des  Vor- 
ganges aufmerksam  macht,  der  sonst  durchaus  wirklich  erscheinen 
würde.  Darin  aber  ganz  besonders  verräth  sich  das  feine  und  rein 
künstlerische  Gefühl  Giotto's,  welches  seine  Bilder  aus  der  Sphäre 
untergeordneter  Illustrationen  eines  als  bekannt  vorausgesetzten 
Textes  zu  selbständigen,  sich  aus  sich  selbst  erklärenden  Schöpfun- 
gen erhebt.  Die  Komposition  kam  ihm  wieder  in  Erinnerung,  als 
er  in  Santa  Croce  die  bereits  besprochene  Vision  des  Bischofs  von 
Assisi  malte.  Vielleicht  auch  hat  er  den  Vorfall  als  Traumbild, 
nicht  als  eigentliche  Vision  aufgefaßt,  da  er,  wie  später  der  Meister 
der  Fresken  in  Verona,  den  Heiligen  an  das  Bett  herantreten 
läßt.  Auf  dem  Altar  der  Massegne  erscheint  Dieser  in  der  Luft 
schwebend. 

26.  Die  Heilung  des  Mannes  von  Herda.  Wir  werden 
im  Folgenden  sehen ,  daß  Giotto ,  die  Wunderkraft  des  Heiligen 
nach  dessen  Tode  zu  schildern ,  nicht  jene  älteren  Darstellungen 
wiederholte,  die  ihm  weniger  Gelegenheit  bieten  mochten,  fesselnde 
Kompositionen  zu  entwerfen ,  und  zudem  meist  die  Anwesenheit 
des  Franz  selbst  vermissen  ließen ,  sondern  daß  er  sich  an  einige 
ausführliche  Schilderungen  Bonaventura's  hielt.  Zunächst  an  jene 
von  dem  Manne  in  Katalonien ,  der  eines  Nachts  auf  einsamem 
Wege,  für  einen  Andern  angesehen,  angefallen  und  schwer  ver- 
wundet wurde.  Der  eine  Arm  samt  der  Schulter  war  vom  Körper 
getrennt  worden  und  in  der  Brust  klaffte  eine  offene  Wunde.  Von 
den  Aerzten  aufgegeben,  von  seiner  Frau  selbst,  die  den  schlimmen 
Geruch  nicht  ertragen  konnte ,  vermieden ,  ging  er  dem  gewissen 
Tode  entgegen  und  suchte  seine  Hülfe  nur  noch  bei  seinem  ge- 
liebten Schutzheiligen  Franz.  ,,Und  siehe,  während  er  auf  seinem 
elenden ,  einsamen  Schmerzenslager  lag  und  wachend  laut  weh- 
klagend immer  wieder  den  Namen  des  Franziskus  rief,  stand  Einer 
bei   ihm  in  Gestalt  eines  Minoriten ,    der,    wie  ihm  schien ,  durch's 


Die  Darstellungen  der  Legende.  l6i 

Fenster  eingetreten  war;  Der  rief  ihn  beim  Namen  und  sprach: 
weil  du  Glauben  gehabt  hast  in  mich ,  siehe ,  so  wird  dich  der 
Herr  befreien.  Als  aber  der  Kranke  ihn  fragte,  wer  er  sei,  er- 
widerte er,  er  sei  Franziskus.  Und  sogleich  sich  ihm  nähernd  löste 
er  die  Binden  der  Wunden  und  salbte ,  wie  es  schien ,  alle  seine 
Wunden  mit  Salbe.  Sobald  er  aber  die  weiche  Berührung  jener 
heiligen  Wunden ,  die  durch  die  Kraft  der  Stigmata  des  Erlösers 
zu  heilen  vermochten ,  merkte ,  ward  die  Fäulniß  vertrieben ,  das 
Fleisch  wiederhergestellt  und  die  Wunden  zusammengefügt ,  und 
heil  und  unversehrt  erlangte  er  das  frühere  Wohlsein  wieder;  als 
das  geschehen,  schritt  der  selige  Vater  hinweg."  Da  ruft  der  Ge- 
nesene die  Frau,  die  kommt  mit  den  Nachbarn  und  alle  verwundern 
sich  über  das  Geschehene. 

Auf  andere ,  noch  glücklichere  Weise ,  wie  auf  dem  vorigen 
Bilde,  macht  Giotto  hier  diesen  Vorfall  verständlich.  Während 
links  zwei  Frauen,  das  Zimmer  verlassend,  dem  draußen  stehenden 
Arzte  sich  zuwenden ,  der  in  einer  Gebärde  des  Verzweifeins  die 
Hände  nach  unten  streckt,  ist  bereits  Franz,  von  zwei  Engeln  ge- 
folgt ,  deren  einer  das  Salbenbüchschen  hält ,  an  das  Lager  des 
Kranken  herangetreten  und  schließt  mit  der  Rechten  dessen  breite 
Seitenwunde,  von  der  er  die  Binden  gelöst  hat.  Von  den  Himmels- 
bewohnern geleitet,  scheint  er  sichtbarlich  aus  der  Höhe  her- 
niedergestiegen, dem  treuen  Bekenner  zu  helfen.  Der  scharfe 
Kontrast  zwischen  der  Ohnmacht  der  Menschen ,  die  den  Gatten 
und  Freund  aufgeben,  und  der  Kraft  des  Himmels,  die  ihn  rettet, 
verleiht  dem  Bilde  jenes  dramatische  Gepräge,  das  Giotto's  eigenstes 
Erbtheil  war. 

27.  Die  Beichte  der  vom  Tode  Erwachten.  Auch 
von  diesem  Wunder  weiß  erst  Bonaventura  zu  erzählen^):  ,,In  dem 
Kastrum  des  Berges  Maranus  dicht  bei  Benevent  war  eine  Frau, 
die  in  besonderer  Verehrung  am  h.  Franz  hing ,  den  Weg  alles 
Fleisches  gegangen.  Als  aber  die  Kleriker  bei  Nacht,  die  Exequien 
und  Vigilien  mit  Psalmen  zu  singen ,  zusammengekommen  waren, 
erhob  sich  plötzlich  Angesichts  Aller  die  Frau  auf  dem  Bette  und 
rief  Einen,  der  dabeistand,  nämlich  ihren  Pathen,  herbei,  und  sprach : 
,Ich  will  beichten,  Vater!  Denn  gestorben  bereits  sollte  ich  einem 
harten  Gefängniß    überantwortet   werden ,    da  ich  die  Sünden ,    die 


1)  B.  XVI,  S.  785. 

Thode,  Franz  von  Assisi. 


102  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

ich  dir  offenbaren  werde ,  noch  nicht  gebeichtet  hatte.  Aber  der 
h.  Franziskus,  dem  ich  lebend  mit  fromm  ergebenem  Sinne  gedient 
habe,  bat  für  mich,  und  so  ward  es  mir  bewilligt,  jetzt  zum  Körper 
zurückzukehren,  daß  ich  durch  Enthüllung  jener  Sünde  das  ewige 
Leben  mir  erwerbe.  Und  siehe  vor  euren  Augen  werde  ich,  habe 
ich  sie  geoffenbart ,  zur  versprochenen  Ruhe  eilen.'  Zitternd  also 
dem  zitternden  Priester  beichtend,  legte  sie  sich,  nachdem  sie  die 
Absolution  empfangen ,  ruhig  auf  das  Lager  zurück  und  entschlief 
selig  im  Herrn." 

Selbst  Giotto  mochte  es  nicht  recht  glücken,  diesen  für  bild- 
liche Wiedergabe  wenig  geeigneten  Vorfall  darzustellen.  Obgleich 
man  links  in  der  Höhe  Franz ,  für  die  Seele  betend ,  vor  Christus 
knieen  sieht,  obgleich  das  eigentlich  Wesentliche  durch  den  Engel, 
der  über  der  Beichtenden  schwebend  einen  Teufel  vertreibt,  näher 
zu  kennzeichnen  versucht  ist,  vermag  doch  das  Bild  nicht,  lebhafte 
Empfindungen  in  uns  hervorzurufen.  In  einem  hohen  Räume  sitzt 
nach  links  gewandt  die  Frau  auf  der  Bahre  und  vertraut  dem 
hinten  knieend  sich  zu  ihr  neigenden  alten  Beichtiger  ihr  Geheimniß. 
Rechts  stehen  fünf  zwischen  Klage  und  Erstaunen  schwankende 
Frauen  und  ein  Kind ,  links  eine  Anzahl  von  Geistlichen ,  die  mit 
Kerzen  zur  Feier  der  Exequien  gekommen  sind.  Stärker  noch 
wie  auf  dem  vorhergehenden  Fresko,  macht  sich  eine  Neigung  für 
übertrieben  lange  Gestalten  geltend. 

28.  Befreiung  des  Häretiker s  Petrus.  (Abb.  23.)  Ein 
der  Häresie  angeklagter  Mann,  Namens  Petrus,  war  unter  Gregor  IX 
gefangen  genommen  worden  und  wurde  vom  Bischof  von  Tibur 
in  dunklem  Gefängniß  bei  spärlicher  Kost  gehalten.  Da  er  aber 
in  sich  ging ,  jeglichen  falschen  Glauben  von  sich  that  und  sich 
dem  h.  Franz  empfahl,  erbarmte  sich  Gott  seiner.  ,,Denn  vor  der 
Nacht  seines  Festtages  um  die  Abenddämmerung  stieg  der  h.  Franz 
sich  erbarmend  in  den  Kerker  hinab ;  und  Jenen  bei  seinem  Namen 
rufend ,  befahl  er  ihm ,  schnell  sich  zu  erheben.  Der  aber  von 
Furcht  erschreckt,  wer  der  Fragende  sei,  hörte,  der  h.  Franziskus 
sei  da.  Und  als  er  sah ,  daß  durch  die  Kraft  der  Gegenwart  des 
h.  Mannes  die  Fesseln  seiner  Glieder  gebrochen  zu  Boden  fielen 
und  daß  die  Thüren  des  Kerkers  geöffnet  wurden,  da  die  Nägel 
von  selbst  heraussprangen,  und  der  Weg  hinauszugehen  ihm  offen 
stehe,  da  konnte  er  vor  Staunen  darüber,  daß  er  endlich  befreit, 
nicht   fliehen ,    sondern    erschreckte    an    der   Thüre    schreiend    alle 


Die  Darstellungen  der  Legende.  163 


Wächter.  Als  diese  dem  Bischof  gemeldet,  daß  er  befreit  von 
den  Fesseln  sei,  eilte  der  Priester,  nachdem  er  den  Vorgang  der 
Sache  erkannt,  fromm  und  bewegt  zum  Gefängniß  und  betete, 
offenkundig  die  Kraft  Gottes  erkennend ,  daselbst  den  Herrn  an. 
Die  Fesseln  wurden  auch  vor  den  Papst  und  die  Kardinäle  ge- 
bracht, die,  als  sie  sahen,  was  geschehen  war,  sehr  verwundert 
Gott  segneten.^) 

Dieses  Wunder,  das  nur  von  Bonaventura  erzählt  wird,  be- 
schließt den  Cyklus  der  Darstellungen  in  der  Oberkirche.  Giotto 
wählt  den  Augenblick,  in  dem  der  Gefangene  in  schlichtem  Ge- 
wände aus  dem  Thore  eines  runden  Baues ,  über  dem  eine  der 
Trajanssäule  nachgebildete  Säule  emporragt,  das  Fußeisen  in  der 
Hand,  dasselbe  dem  Bischof  weisend  hervortritt.  Zwei  Krieger 
stehen  Hnks  hinter  ihnen  und  machen  den  Letzteren ,  der  betend 
auf  den  Knieen  liegt,  auf  das  Wunder  aufmerksam.  Weiter  links 
stehen  vor  einem  eigenthümlichen  Gebäude  mit  durchbrochenem 
Thurme  fünf  Geistliche,  von  denen  der  eine  erstaunt  nach  oben 
blickend  die  gen  Himmel  fliegende  Gestalt  des  Heiligen  gewahrt. 
Die  Komposition ,  deren  Eindruck  durch  die  manierirte  Länge  der 
Figuren  etwas  beeinträchtigt  wird,  ist  vortrefflich  dramatisch  ent- 
worfen —  man  könnte  an  ihr  studiren ,  was  unter  dem  frucht- 
barsten Moment  zu  verstehen  ist.  Der  geistige  Urheber  des 
Wunders  mußte  selbst  noch  sichtbar  sein,  sollte  es  verständlich 
werden.  Die  Oertlichkeit  ward  durch  die  antiken  Bauwerke  (das 
Septizonium  des  Severus)  unschwer  als  Rom  bestimmt.  Eine  durch- 
aus andere  Lösung  der  Aufgabe  fand  Giovanni  Santi  auf  seinem 
Bilde  in  Cagli :  da  befreit  Franz  selbst,  von  einem  Engel  geleitet, 
aus  dem  Gefängniß  den  Bekehrten,  auf  dessen  Namen  sein  in  der 
Nähe  stehender  Schutzpatron  Petrus  hindeutet. 


So  ausführlich  in  den  achtundzwanzig  Fressen  Giotto's  in  der 
Oberkirche  zu  Assisi  die  Franziskuslegende  behandelt  erscheint, 
so  war  doch  damit  der  reiche  Stoff  noch  nicht  erschöpft.  Noch 
wußte  Bonaventura  durch  mancherlei  Erzählungen  die  Künstler  zu 
fesseln ,  und  so  scheint  es  geboten ,  ehe  die  Darstellung  einiger 
später  entstandenen  Legenden  ins  Auge  gefaßt  wird ,  den  be- 
sprochenen Werken    noch    eine  Reihe    anderer   in  der  Betrachtung 

»)  B.  XVI,  S.  790. 


104  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

folgen  zu  lassen,  die  das  Lebensbild  des  Heiligen  zu  einem  Ganzen 
abzurunden  vermögen. 

Die  Erweckung  des  aus  dem  Fenster  gefallenen 
Knaben,  ein  Wunder,  das  nur  Bonaventura  kennt ^):  ,,Das  kaum 
siebenjährige  Söhnchen  eines  Notares  in  der  Stadt  Rom ,  das  in 
kindlicher  Weise  der  Mutter,  die  zur  Kirche  des  h.  Markus  ging, 
zu  folgen  verlangte,  während  es  doch  von  ihr  zu  Hause  zu  bleiben 
gezwungen  wurde,  warf  sich  aus  einem  Fenster  des  Palastes  herab 
und  hauchte ,  durch  die  heftige  Erschütterung  zerschmettert ,  so- 
gleich den  Geist  aus.  Die  Mutter  aber,  welche  noch  nicht  weit 
fortgegangen  war,  kehrte  auf  das  Geräusch  des  Stürzenden ,  den 
jähen  Fall  des  theuren  Pfandes  der  Liebe  ahnend ,  schnell  zurück ; 
und  als  sie  den  Sohn  durch  so  bejammernswerthen  Fall  ihr  entrissen 
fand,  legte  sie  an  sich  selbst  die  rächenden  Hände  und  regte  durch 
Schmerzensgeschrei  die  ganze  Nachbarschaft  zur  Klage  auf.  Ein 
Bruder  aber  vom  Orden  der  Minoriten,  Namens  Raho,  der  sich 
dorthin  um  zu  predigen  begab ,  eilte  zu  dem  Knaben  hin  und 
sprach,  erfüllt  vom  Glauben  zum  Vater :  glaubst  du,  daß  der  Heilige 
Gottes :  Franz  deinen  Sohn  von  den  Todten  erwecken  kann.  Dank 
der  Liebe,  die  er  immer  zu  Christus  gehabt,  der  gekreuzigt  wurde, 
um  den  Menschen  das  Leben  wiederzuschenken }  Und  auf  die  Ant- 
wort Jenes,  er  glaube  fest  und  bekenne  es  im  Glauben  und  wolle 
für  immer  der  Knecht  des  Heiligen  sein ,  wenn  er  durch  Dessen 
Verdienst  ein  so  großes  Geschenk  von  Gott  zu  empfangen  ge- 
würdigt werde,  warf  sich  jener  Bruder  mit  dem  ihn  begleitenden 
Bruder  im  Gebet  nieder,  auch  die  anderen  auffordernd,  zu  beten. 
Als  dies  geschehen,  begann  der  Knabe  ein  wenig  den  Mund  zu 
öffnen,  erhob  sich  selbst  mit  offenen  Augen  und  erhobenen  Armen ; 
und  sogleich  wandelte  er  vor  Allen  unversehrt,  Dank  der  wunder- 
baren Kraft  des  Heiligen  dem  Leben  und  der  Gesundheit  zugleich 
wiedergeschenkt." 

Als  eine  Ergänzung  zur  Legende  der  Oberkirche  finden  wir 
diese  Begebenheit,  wie  die  folgende,  an  der  Schlußwand  des  rechten 
Querschiffes  der  Unterkirche  dargestellt  und  zwar  von  demselben 
Meister,  der  die  Kapelle  des  h.  Nikolaus  ausgemalt  hat  und  der 
wohl  kein  Anderer  als  Giotto  selbst  ist.^)    Dieser  sah  sich  hier  ge- 


1)  Cap.  XVI,  S.  '/86. 

-)  Vergl.  Beschreibung  von  S.  Francesco  w.  u.    Abb.  Plön.  PI.   XXVI,    S.   268. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  165 

nöthigt ,  wollte  er  verständlich  sein ,  zwei  verschiedene  Zeitpunkte 
der  Handlung  neben  einander  zu  schildern.  Links  fällt  aus  dem 
thurmartigen  Palaste  kopfüber  der  Knabe  herab.  Unten  aber  sieht 
man  ihn,  wie  er  wiedererweckt  zum  Leben  betend  sich  erhoben 
hat.  Dicht  hinter  ihm ,  mit  innigem  Blick  ihn  anschauend ,  kniet 
die  Mutter,  links  sind  drei  andere  Frauen ,  rechts  von  ihm  die 
beiden  Mönche  niedergesunken,  um  die  sich  im  Kreise  eine  große 
Menge  knieender  Frauen  versammelt  hat.  Vor  ihnen  befindet  sich 
im  Gebet  vertieft  der  Vater,  während  vor  der  Fassade  von  S.  Marco 
Leute  stehen,  von  denen  einer  gen  Himmel  schaut,  wo  eben  Franz 
von  einem  Engel  gefolgt  verschwindet.  Einige  andere  Zuschauer 
sieht  man  im  Hintergrund.  Die  Darstellung  läßt  das  rechte  drama- 
tische Leben  vermissen,  man  liest  auf  den  Gesichtern  wenig  mehr 
als  eine  dankbare  Frömmigkeit,  da  doch  der  wunderbare  Vorfall 
staunenswerth  genug  war,  die  Augenzeugen  in  lebhafte  Erregung 
zu  versetzen.  Dazu  macht  sich  eine  gewisse  Unklarheit  in  der  ge- 
drängten Anordnung  geltend. 

Einfacher  und  wirksamer  ist  des  Taddeo  Gaddi  kleines  Bildchen 
in  der  Berliner  Gallerie  (Nr.  1074)  komponirt,  obgleich  hier  die 
Handlung  in  drei  aufeinanderfolgenden  Momenten  geschildert  wird. 
Links  stürzt  aus  dem  Fenster  eines  Gebäudes  der  weiß  und  roth 
gekleidete  Knabe  herab.  .  Dann  sieht  man  ihn  unten,  in  ein  Leichen- 
tuch gehüllt,  liegen  und  neben  ihm  links  die  Mutter  knieen ,  die 
mit  emporgestreckten  Armen  zu  dem  ihr  erscheinenden  Franz 
betet,  während  rechts  die  beiden  Mönche  knieen,  hinten  eine  Frau. 
Doch  schon  ist  auch  das  Wunder  vollzogen:  hinter  der  Bahre  steht 
dankbar  betend  der  lebende  Knabe. 

Domenico  Ghirlandajo ,  der  das  Unkünstlerische  in  diesem 
Nebeneinander  empfand ,  versetzt  den  Sturz  des  Kindes  kaum 
erkennbar  in  die  perspektivisch  hinten  gesehene  Straße  und  be- 
schränkt sich  darauf,  den  Augenblick  der  Erweckung  wieder- 
zugeben. Er  läßt  den  durch  das  Machtwort  des  in  der  Höhe 
erscheinenden  halbfigurigen  Franz  soeben  erwachten  Knaben  auf 
der  Bahre  in  der  Mitte  sitzen ,  neben  der  zwei  Frauen  sitzen  und 
eine  dritte  erstaunt  die  Hände  bewegend  steht.  Links  kniet  mit 
aufgelösten  Haaren  die  betende  Mutter,  hinter  ihr  die  beliebte 
Schaar  florentiner  Bürger  und  Frauen,  denen  ganz  rechts  eine 
andere  entspricht.  Rechts  knieen  betend  aufschauend  die  Mönche. 
Wie  bei  Taddeo   ist  hier  keine  bestimmte  Figur  auf  den  Vater  zu 


l66  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

deuten.  Das  Ganze  geht  so  theilnahmlos  vor  sich,  daß  man  kaum 
glauben  sollte,   ein  bedeutsames  Wunder  sich  vollziehen  zu  sehen. 

Erweckung  des  durch  den  Einbruch  eines  Hauses 
Getödteten.  Die  Begebenheit,  die  eben  so  schwer  wie  die 
vorhergehende  bildlich  darzustellen  war,  wird  folgendermaßen  von 
Bonaventura  und  zwar  von  ihm  allein  berichtet^): 

,,In  der  Stadt  Suessa,  in  einem  Theile ,  der  ,Bei  den  Säulen' 
genannt  wird,  brach  plötzlich  ein  Haus  zusammen,  verschlang  einen 
Jüngling  und  tödtete  ihn  sofort.  Die  Männer  aber  und  Frauen, 
die ,  von  dem  Getöse  des  Zusammenbruchs  aufgeregt ,  von  allen 
Seiten  zusammenliefen ,  erhoben  hie  und  da  das  Holz  und  die 
Steine  und  gaben  der  unglücklichen  Mutter  den  todten  Sohn  zurück. 
Diese  aber,  von  bitterstem  Schluchzen  erfüllt,  rief  so  laut  sie  es 
konnte  mit  schmerzerfüllten  Worten:  ,H.  Franziskus,  h.  Franziskus, 
gieb  mir  meinen  Sohn  wieder'.  Nicht  allein  aber  sie,  sondern  alle 
Anwesenden  erflehten  mit  Ungestüm  die  Hülfe  des  seligen  Vaters. 
Da  aber  kein  Laut  noch  ein  Gefühl  in  ihm  war,  legten  sie  den 
Leichnam  auf  eine  Bahre  und  erwarteten  den  kommenden  Tag, 
ihn  zu  begraben.  Die  Mutter  jedoch ,  die  Glauben  an  den  Herrn 
hatte,  that  ein  Gelübde,  sie  wolle  den  Altar  des  h.  Franz  mit  einer 
neuen  Decke  bekleiden,  wenn  er  ihren  Sohn  ins  Leben  zurückriefe. 
Und  siehe  da ,  um  die  Mitternachtsstunde  begann  der  Jüngling  zu 
gähnen,  und  wie  die  Glieder  warm  wurden,  erhob  er  sich  lebendig 
und  unversehrt  und  brach  in  Worte  des  Lobes  aus.  Aber  auch 
den  Klerus,  der  zusammen  gekommen  war,  und  das  ganze  Volk 
forderte  er  auf,  Gott  und  dem  h.  Franz  mit  fröhlichem  Geiste  Lob 
und  Dank  darzubringen." 

In  zwei  Darstellungen,  die  links  und  rechts  von  dem  Eingang 
zur  Nikolauskapelle  sich  befinden ,  zerlegt  Giotto  die  Ereignisse 
der  Erzählung.  Auf  der  einen  sieht  man  neben  dem  eingebrochenen 
Hause  zwei  Männer  den  Leichnam  halten ,  der  von  drei  Bürgern 
traurig  betrachtet  wird,  während  die  Mutter  mit  aufgelösten  Haaren 
den  verlorenen  Liebling  küßt.  Hinter  ihr  stehen  klagend ,  an 
den  Haaren  sich  reißend  und  die  Wangen  zerkratzend,  drei  andere 
Frauen ,  noch  andere  Klagende  kommen  von  rechts.  Auch  hier 
macht  sich  eine  gewisse  Willkür  in  der  Anordnung  geltend ,  der 
Schmerz    ist   mit   großer  Leidenschaftlichkeit  dargestellt.     Auf  dem 


1)  B.  Cap.  XVI,  S.   786. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  167 

andern  Bilde  sehen  wir  eine  große  Anzahl  von  Klerikern  und 
Bürgern  links  vor  einem  Hause  mit  offener  Loggia,  in  der  Franz 
fliegend  den  sich  erhebenden  Todten  erfaßt  und  segnet ,  ver- 
sammelt. Ein  in  mißlungener  perspektivischer  Ansicht  zu  klein 
gerathener  Mann  weist  sie  zurück  auf  den  rechts  hinter  ihm  die 
Treppe  herabsteigenden  Erweckten,  dem  betend  die  Frauen  folgen. 
Rechts  vorne  wohnt  eine  Gruppe  von  Männern  dem  Vorgang  bei. 
Beide  Kompositionen  verrathen  die  Stileigenthümlichkeiten  Giotto's, 
lassen  sich  aber  an  Prägnanz  und  künstlerisch  harmonischer  Auf- 
fassung den  Fresken  der  Oberkirche  nicht  gleichstellen. 

Das  Martyrium  der  sieben  Brüder.  Obgleich  das  Ende 
der  sieben  gottbegeisterten  Franziskaner  nicht  eigentlich  mit  dem 
Leben  des  Franz  zusammenhängt,  hat  man  doch  frühe  angefangen, 
es  mit  in  die  Darstellungen  desselben  einzureihen  und  so  Franz 
selbst  in  der  Höhe  schwebend  erscheinen  und  seinen  Söhnen  in 
der  Stunde  des  Todes  durch  seine  Gegenwart  Muth  verleihen  zu 
lassen.  Die  Legende  selbst  weiß  Nichts  davon  zu  erzählen,  sie 
schildert  nur,  wie  sich  unter  Leitung  des  Daniel,  Ministers  von 
Calabrien,  die  Brüder  Samuel,  Angelus,  Donatus,  Leo,  Nikolaus 
und  Hugolinus ,  von  sehnlichem  Verlangen  nach  dem  Martyrium 
getrieben ,  nach  Afrika  in  die  Stadt  Septa  zu  den  Sarazenen  be- 
geben. Durch  Nichts  abgeschreckt  zu  predigen  und  vergeblich  vom 
Könige  zum  Widerruf  aufgefordert ,  befiehlt  Dieser  endlich  sie  zu 
tödten.  Da  lassen  sie  sich  von  Daniel ,  der  sie  umarmt  und  in 
ihrer  Gottergebenheit  stärkt,  segnen  und  schreiten  dann  muthig  in 
den  Palast  des  Königs.  „Sie  gingen  aber  in  großer  Freude  und 
den  Herrn  mit  unendlicher  Lust  der  Seele  lobend  dahin ,  gleich 
als  ob  sie  zu  einem  prächtigen  Mahle  geladen  wären.  Als  sie 
aber  zum  Ort  der  Todesstrafe  gekommen,  beugten  sie  ihren  Nacken, 
empfahlen  die  Seelen  dem  Herrn  und  erlangten  durch  Trennung 
der  Häupter  die  Krone  des  Märtyrerthums.  Ihre  heiligen  Köpfe 
aber  wurden  zermalmt  und  die  Körper  elendiglich  von  den  Kindern 
und  Sarazenen  zerstückelt."  ^) 

Die  zwei  ältesten  erhaltenen  Darstellungen  sind  ein  der  be- 
kannten Folge  angehöriges  Bildchen  des  Taddeo  Gaddi  in  der 
Akademie  zu  Florenz  und  die  Reste  eines  großen  Fresko  des  Am- 


^)  Nach  dem  Text  der  Legende  bei  Sedulius :  Historia  seraphica  vitae  B.  P.  Fran- 
cisci.     Antwerpiae   1613.     S.  175 — 77. 


l68  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

brogio  Lorenzetti  in  S.  Francesco  zu  Siena.  Auf  ersterem  schwingt 
soeben  der  Henker  das  Schwert,  einem  über  den  Leichen  anderer 
Mönche  knieenden  Mönch  den  Kopf  abzuschlagen.  Am  Leben  sind 
nur  noch  der  Hnks  stehende  Minister  und  ein  Bruder.  Rechts  zwei 
Soldaten.  Oben  erscheint  Franz  vor  einer  Glorie,  aus  der  Gottes 
Hand  kommt,  wie  er  auf  die  Schreckensszene  herabweist  und  für 
die  unglücklichen  Söhne  bittet.  Bewegter,  aufgeregter  schildert 
Lorenzetti  den  Vorfall.  Da  sitzt  der  barbarische  König  in  gothischer 
Halle,  das  Schwert  über  die  Kniee  gelegt,  auf  dem  Thron  und 
schaut  nach  links,  wo  vorne  ein  Henker  das  Schwert  gegen  einen 
von  drei  knieenden  Mönchen  schwingt,  während  im  Hintergrunde 
einige  Befehlshaber  zuschauen.  Franz  selbst  ist  hier  nicht  sichtbar. 
Wohl  aber  auf  dem  Relief  des  Benedetto  da  Majano,  das  unzweifel- 
haft die  vollendetste  bildliche  Darstellung  des  Vorganges  ist.  Hier 
sieht  man  auf  seinem  Thronsessel  rechts  den  Sultan  mit  einem 
seiner  Weisen  sprechen ,  während  links  ein  halbnackter  Mann  sein 
Schlächterhandwerk  betreibt.  Vier  Brüder  liegen  schon  enthauptet, 
dem  fünften  droht  der  Streich,  zwei  andere  knieen  gottergeben 
seitwärts.  Hinter  ihnen  stehen  einige  andere  Mönche.  Im  Hinter- 
grunde gewahrt  man  vor  einer  Kirche  Daniel,  wie  er  die  dem  Tod 
Geweihten  segnet,  während  Franz .  knieend  in  der  Höhe  von  den 
Händen  Gottes  die  Gewährung  seiner  Fürbitte  erhält.  —  Die  Fresken- 
reste  in  einer  Seitenkapelle  von  S.  Francesco  in  Pistoja  sind  zu 
gering,  als  daß  sich  Bestimmtes  über  die  Komposition  aussagen 
ließe,  und  von  den  Gemälden  Lorenzo's  di  Bicci  an  der  Fassade 
von  S.  Croce  und  Perugino's  in  S.  Francesco  zu  Perugia,  von  denen 
Vasari  spricht,  ist  Nichts  mehr  erhalten.^) 

Auf  den  Antheil,  den  Franz  an  den  in  sehr  geringer  Zahl 
erhaltenen  Darstellungen  des  Lebens  der  Chiara  hat,  namentlich 
auf  ihre  Weihe  zur  Himmelsbraut,  ist  nur  kurz  noch  hinzuweisen, 
auch  verdienen  eine  Anzahl  unwesentlicher  Begebenheiten,  die  in 
dem  ermüdend  ausgesponnenen  Cyklus  im  Klosterhofe  von  S.  Croce 
verbildlicht  wurden,  nur  flüchtige  Erwähnung:  wie  er  die  Regel 
schreibt,  Almosen  spendet,  verschiedene  seiner  Jünger  einkleidet, 
wie  Petrus  und  Paulus  ihm  erscheinen  und  den  Schatz  der  Armuth 
zusichern^),    wie  der  Knabe,    der   ihn  Nachts    vor  himmlischer  Er- 


1)  Vasari  II,  S.  51  und  III,  S,  580. 
-)  Fioretti  cap.  XIII. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  169 


scheinung  beten  sieht,  leblos  zu  Boden  gesunken'),  und  andere 
künstlerisch  und  inhaltlich  wenig  interessante  Dinge.  Bemerkens- 
werth  ist  nur,  daß  auch  jene  Vision  des  Pacificus,  in  der  Dieser 
zwei  sich  kreuzende  Schwerter  vor  dem  predigenden  Franz  er- 
scheinen sah,  hier  vorkommt.  Jenes  von  der  späteren,  namentlich 
spanischen  Kunst  mit  so  großer  Vorliebe  verwandte  Motiv  des  dem 
Saitenspiel  des  Engels  lauschenden  Heiligen,  das  auf  die  anmuthige 
Erzählung  Bonaventura's  zurückgeht"),  fand  ich  nur  einmal  in  dem 
uns  beschäftigenden  Zeitraum  und  dabei  nebensächlich  verwerthet 
in  dem  landschaftlichen  Hintergrunde  einer  Madonnendarstellung 
des  Andrea  del  Sarto,  die  sich  jetzt  im  Museum  zu  Madrid  befindet. 

3.    Die  spätere  Legendendichtung  und  ihre  Darstellungen. 

Im  Laufe  der  Zeit  ward  die  schon  bei  Bonaventura  an  wunder- 
baren Ereignissen  so  reiche  Lebensbeschreibung  des  Franz  noch 
durch  allerlei,  zum  Theil  in  dessen  Geiste,  zum  Theil  spitzfindig 
absichtlich  erfundene  Begebenheiten  erweitert  und  ausgeschmückt. 
Da  gewann  zunächst  in  der  ersten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts 
die  Ueberlieferung  von  dem  durch  Christus  selbst  ihm  bewilligten 
Portiuncula-Ablaß  eine  festere  Form.  Dann  entstand  das  für  die 
weiteren  Kreise  des  Volkes  bestimmte  Speculum,  das  mit  stärkerer 
Hervorhebung  des  Wunderbaren  den  Lebenslauf  des  gotterfüllten 
Menschen  neu  erzählte.  Endlich  verstieg  sich  jener  Bartholomäus 
Pisanus  zu  seinen  ,,conformitates",  in  denen  das  Leben  des  Franz 
nach  dem  Christi  umgemodelt  und  umgedeutet  wurde.  Im  All- 
gemeinen hat  diese  spätere  Dichtung  der  Kunst  verhältnißmäßig 
wenig  neue  Stoffe  zugeführt,  wenn  auch  die  Mönche  wiederholt  bei 
der  Ausschmückung  ihrer  Kirchen  den  Künstlern  statt  des  Bona- 
ventura das  Speculum  als  Richtschnur  in  die  Hand  gegeben  haben 
mögen.  So  geschah  es  unter  anderen  in  S.  Bernardino  zu  Verona, 
woselbst  die  Fresken  als  Erklärung  noch  jetzt  zum  großen  Theil 
den  Text  des  Speculums  tragen.  Doch  hat  auch  schon  Benozzo, 
wie  gezeigt  werden  soll,  einiges  Wenige  der  neuen  Franzlitteratur 
entlehnt.  Im  Wesentlichen  aber  folgt  die  Kunst  des  Quattrocento, 
wie  wir  gesehen,  Giotto  und  Bonaventura,  so  daß  in  diesem  Ab- 
schnitte nur  Einzelnes  ergänzend  nachzutragen  ist. 


1)  Fioretti  cap.  XVII. 

-)  B.  V,  S.  756  nach  Th.  II  Leg.  III,  66.     S.  186. 


I70  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

I.  Die  Darstellungen  der  Legende  des  Portiuncula- 
Ablasses.  Aus  dem  hellen  Reiche  poetisch  verklärter  Geschichte 
treten  wir  in  das  Halbdunkel  willkürlicher  Erfindung.  Keiner  der 
alten  Biographen  erwähnt  auch  nur  mit  einem  Worte  die'  wunder- 
bare Ertheilung  des  Ablasses  und  dennoch  ist  dieser,  als  historisch 
beglaubigt,  der  katholischen  Kirche  das  wichtigste  Faktum  in 
Franzens  Leben  geworden.  Unter  den  Anhängern  Luthers  sind  die 
Männer  zu  suchen,  die  zuerst  mit  Entrüstung  die  ganze  Geschichte 
eine  Fabel  nennen :  Erasmus  Alberus  und  Martinus  Chemnitius, 
denen  am  Ende  des  XVII.  Jahrhunderts  Remis  folgt.  ^)  Ist  auch  die 
Zahl  der  Gegner  eine  verschwindend  kleine  gegenüber  den  Gläubigen, 
so  ist  doch  die  Frage ,  wie  Hase  richtig  sagt ,  für  den  Historiker 
längst  entschieden.  Wer  mit  Aufmerksamkeit  in  Suysken's  Kom- 
mentar das  dort  am  bequemsten  zusammengestellte  Material  ver- 
gleicht, kommt  ohne  Wahl  zu  folgenden  allgemeinen  Resultaten. 

Die  alten  Lebensbeschreibungen  erwähnen  den  Ablaß  nicht 
und  die  Versuche ,  dies  Schweigen  zu  erklären ,  entbehren  jeder 
Berechtigung.  Es  finden  sich  ferner  keine  päpstlichen  Stiftungs- 
briefe. Erst  im  Jahre  1277  tauchen  allerlei  Zeugnisse  auf,  die  sich 
auf  einen  pater  Massäus  —  welcher  unter  den  so  genannten  Jüngern 
gemeint  sei ,  ist  nicht  herauszufinden  —  und  den  frater  Petrus 
Zalfanus  berufen.  Die  Erzählung  ist  hier  noch  einfach,  weiß  Nichts 
von  der  Erscheinung  Christi,  erwähnt  nur  die  einmalige  Bestätigung 
durch  den  Papst  und  die  Verkündigung  vor  den  sieben  Bischöfen.^) 
Dann  hört  man  erst  wieder  im  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts  von 
der  Legende  und  zwar  durch  einen  fälschlich  1327  datirten,  viel- 
mehr bald  nach  1307  geschriebenen  Brief  des  Theobald,  Bischofs 
von  Assisi.^)  Hier  wird  bereits  von  der  nächtlichen  Vision  des 
Franz  gesprochen,  die  ihn  veranlaßt,  zu  Honorius  zu  gehen  und 
von  Diesem  vollständigen  Ablaß  zu  erbitten.  Auf  dem  Heimwege 
erhält    er  in  einem  Traum    die   himmlische  Bestätigung.      In  einem 


^)  Albertus:  Der  Barfuser  Münche  Eulenspiegel.  Wittenberg.  1542.  —  Chemni- 
tius: examen  Conc.  Trid.  P.  IV,  c.  12.  —  Remis:  tractatus  brevis  historico-theologicus 
1697.  —   Ds.:  dissertatio  hist.  theol.     Köln.    1701. 

-)  Das  wesentlichste  Zeugniß  das  des  Benediktus  von  Arezzo  und  Raymerius  de 
Mariano  v.  J.   1299  in  einem  Codex  von   1325   in  Assisi. 

■')  Derselbe  ist  nämlich  benutzt  in  der  Chronica  Fabrianensis ,  die  ein  1322  ge- 
storbener Bruder  Franziskus  geschrieben.  Die  Stelle  könnte  allerdings  interpolirt  sein. 
Es    heißt    aber  vom    Irater  Marinus,    daß  er  ,,noviter  circa  annum   1307"  gestorben  sei. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  171 


Schreiben  des  Bischofs  Konrad  von  Assisi  1335  endHch  hat  die 
Geschichte  ihre  endgültige  Form  erhalten.  Hier  tritt  in  ganz  loser, 
unvermittelter  Weise  zu  dem  Bisherigen  die  Rosenlegende  hinzu, 
und  in  recht  geistloser  Art  ist  die  Handlung  dadurch  ausgedehnt, 
daß  zwei  Visionen  in  der  Kapelle  und  in  der  Folge  auch  zwei 
Bestätigungen  durch  den  Papst  erzählt  werden.')  Offenbar  ist  diese 
Legende  gemacht  worden  !  Die  außerordentliche  Verehrung,  welche 
der  Ort  genoß,  der  Zusammenlauf  des  Volkes  mag,  wie  Hase  be- 
merkt, das  Verlangen  hervorgerufen  haben,  der  Kirche  durch  den 
Ablaß  eine  noch  höhere  Bedeutung  und  Würde  zu  verleihen.  Im 
Volke  selbst  mögen  sich  die  wesentlichen  Bestandtheile  der  Erzählung 
gebildet  haben ,  die  dann  durch  jene  Schreiben  der  Bischöfe  eine 
bestimmtere  Form  erhielten.  Es  scheint  mir  nicht  unmöglich,  daß 
speziell  die  Rosenlegende,  welche  ja  an  die  ähnhche  in  Subiaco 
heimische  Benediktinerlegende  erinnert,  schon  vor  des  Franziskus 
Lebzeiten  in  irgend  einer  Weise  mit  dieser  Benediktiner -Nieder- 
lassung Portiuncula  in  Beziehung  gestanden.-)  Um  1335  also  erst 
hat  die  Geschichte  von  der  Ertheilung  des  Ablasses  an  Franz  ihre 
ausgeprägte  Form  erhalten.  Damit  geht  es  denn  wohl  zusammen, 
daß  ihre  älteste  künstlerische  Verherrlichung  etwa  in  die  Mitte  des 
XIV.  Jahrhunderts  anzusetzen  ist  —  nämlich  jenes  Fresko,  welches 
angeblich  Puccio  Capanna  an  der  Fassade  der  Portiuncula  gemalt 
haben  soll.  Noch  Giotto,  als  er  die  Oberkirche  ausschmückte,  hat 
offenbar  Nichts  von  dem  Ablaß  gewußt :  wie  hätte  er  sonst  ver- 
gessen dürfen,  solch'  bedeutungsvolles  Ereigniß  in  dem  Leben  des 
Franz  zu  verherrlichen.'' 

Ehe  wir  einen  kurzen  Blick  auf  die  Darstellungen  der  Legende 
werfen,  müssen  wir  diese,  wie  sie  im  Schreiben  Konrad's  ver- 
zeichnet ist,  aber  abgekürzt  erzählen.  Der  Bischof  verstand  es 
nicht  zu  schildern ,  wie  ein  Thomas  von  Celano  oder  ein  Bona- 
ventura —  die  Unwahrheit  rächte  sich  an  ihm !  Franz  ist  hier  nicht 
derselbe  Mensch,  der  uns  so  voll  Leben,  eine  so  ganz  in  sich  ab- 
geschlossene   und    verständliche    Natur    aus    den    älteren    Lebens- 


^)  Vielleicht  bezeichnet  des  Bartolus  Geschichte  des  Ablasses,  die  1470  in  Trevi 
gedruckt  sein  soll,  aber  schon  Anfang  des  XIV.  Jahrh.  geschrieben  sein  muß,  das 
Zwischenstadiura  zwischen  beiden  Briefen.  Auch  hier  die  doppelte  Bestätigung,  nur 
fehlt  noch  die  Geschichte  von  den  sieben  Bischöfen. 

-)  Vgl.  zur  Rosenlegende :  Gregor's  vita  des  heil.  Benedikt  in  den  Acta  SS.  März 
III.  Bd.    S.  278. 


1^2  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 


beschreibungen  entgegentritt,  sondern  ein  schemenhaftes  Werkzeug 
kirchHcher  Zwecke,  wie  tausend  Andere.  Welche  ihm  ganz  wider- 
sprechende Rolle  ist  in  dieser  Geschichte  dem  schlichten,  bescheidenen 
Manne  zugedacht !  Es  giebt  kein  lehrreicheres  Beispiel  dafür,  wie 
groß  der  Unterschied  zwischen  der  historisch  begründeten  und  nur 
volksthümlich  ausgeschmückten  Legende  und  der  künstlich  ge- 
zwungen erdachten  Legende  ist.  Die  alten  Biographieen  hat  sozu- 
sagen Franz  selbst  gemacht,  da  er  die  Biographen  unter  den  Bann 
seiner  großen  historischen  Persönlichkeit  zwang,  jene  Ablaßfabel 
ist  auf  Franz  gedichtet  worden.  Dort  lebendiger,  rascher  Fluß  der 
Erzählung,  farbenreiche  und  treffende  Schilderung,  hier  ermüdende 
Weitschweifigkeit,  trockener  prosaischer  Ton,  Unglaubwürdigkeit 
der  Handlung.  Man  sieht ,  es  kam  nur  auf  eines  an ,  den  Ablaß 
und  seine  Verkündigung  immer  von  Neuem  mit  fataler  Peinlichkeit 
zu  wiederholen,  als  ließen  sich  durch  Wiederholungen  die  un- 
sicheren Sachen  glaubhafter  machen.^) 

Als  Franz,  so  erzählt  die  Legende,  eines  Nachts  in  glühendem 
Gebete  in  seiner  Zelle  bei  der  Portiuncula  verweilte,  ward  ihm  ge- 
offenbart, daß  Christus  mit  Maria  und  vielen  Engeln  in  der  Kirche 
sich  befinde.  Er  eilt  dahin  und  wirft  sich  vor  dem  Altare  zu 
Boden  nieder.  Da  fordert  ihn  der  Heiland  auf,  eine  Bitte  zum 
Heile  des  menschlichen  Geschlechtes  zu  thun.  Franz  fleht  ihn  an, 
allen  Denen,  welche  die  Kirche  betreten,  Ablaß  von  ihren  Sünden 
zu  gewähren.  Als  Maria  selbst  sich  für  ihn  verwendet,  gewährt 
Christus  die  Bitte,  befiehlt  ihm  aber,  die  Bestätigung  in  Seinem 
Namen  vom  Papste  zu  verlangen.  Wohlgemuth  macht  sich  Franz 
am  anderen  Morgen  mit  dem  Bruder  Massäus  auf  und  geht  zu  dem 
damals  in  Perugia  befindlichen  Honorius  III.,  dem  er  sein  Anliegen 
vorträgt.  Als  Dieser  ihn  fragt,  auf  wie  viele  Jahre  der  Ablaß  sich 
erstrecken  solle,  erwidert  er:  ,, Heiliger  Vater,  es  gefalle  Eurer 
Heiligkeit  mir  nicht  Jahre,  sondern  Seelen  zu  geben."  Dann  erbittet 
er  vollständige  Indulgenz  im  Namen  Christi.  Nach  einigem  Zaudern 
sagt  Honorius :  fiat  in  nomine  Dei ,  und  läßt  sich  von  dem  Ent- 
schlüsse   auch  nicht    durch  die  Bedenken  der  Kardinäle   abbringen. 


1)  Brief  des  Theobald:  Acta  SS.  S.  879  ff.  —  Brief  des  Konrad  ebds.,  auch  bei 
B.  Pisanus  lib.  conf.  II.  B.  II.  S.  135 — 139.  Ital.  Uebersetzung  von  Pieraccino 
Pieri  von  Plorenz  1309,  publ.  in:  Sulla  indulgenza  della  Porziuncula,  testo  inedito  dal 
Trecento,  publ.  da  T^uigi  Lenzotti,  Modena  1872.  Danach  bei  Guasti:  La  basilica  di 
S.  M.   d.  Angeli.     Florenz   1882.     S.    15  ff. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  173 


„Darauf  beugt  der  heilige  Franziskus  sein  Haupt  vor  dem  Papste 
zur  Verehrung  und  geht  fort,  um  den  Palast  zu  verlassen  und  nach 
S.  Maria  degli  Angeli  zurückzukehren.  Als  ihn  der  Papst  so  weg- 
gehen sieht,  ruft  er  ihn  und  sagt:  ,0  einfältiger  Narr,  was  nimmst 
du  denn  mit  von  diesem  Ablaß } '  Antwortet  Franz :  ,Heiliger  Vater, 
mir  genügt  Euer  Wort  allein.  Ist  es  das  Werk  Gottes,  so  kommt 
es  Ihm  zu,  es  zu  offenbaren,  und  darüber  will  ich  kein  anderes 
Instrument  noch  eine  Bulle,  außer  daß  das  Papier  die  Jungfrau 
Maria,  der  Notar  Christus  sei  und  die  Engel  die  Zeugen.*  Auf 
dem  Heimwege  wird  ihm  dann  in  einem  Traumbilde  die  Gewißheit 
der  himmlischen  Bestätigung  des  Ablasses."  ^) 

Nach  der  Portiuncula  zurückgekehrt,  betet  darauf  einst  Franz 
Nachts  in  der  Zelle,  als  der  Teufel  ihm  naht  und  ihn  versuchen 
will.  Schnell  entkleidet  er  sich,  eilt  nackt  hinaus  und  wirft  sich 
in  die  Dornen,  sein  Fleisch  zu  züchtigen.  Siehe,  da  erscheint 
plötzlich  großes  Licht  um  ihn ,  und  an  dem  Strauße  fangen  rothe 
und  weiße  Rosen  zu  blühen  an,  und  eine  Schaar  von  Engeln  zieht 
an  ihm  vorbei  nach  der  Kirche  zu ,  ihn  auffordernd ,  eben  dahin 
zu  Christus  und  Maria  zu  kommen.  Im  Begriff  in  die  Zelle  zu 
eilen,  um  sich  anzukleiden,  sieht  er,  daß  er  bereits  durch  ein 
Wunder  mit  der  Tunika  versehen.  Da  bricht  er  zwölf  rothe  uud 
zwölf  weiße  Rosen  vom  Strauch  und  eilt  zur  Kapelle,  wobei  es 
ihm  scheint,  als  wäre  der  Weg  mit  seidenen  Stoffen  belegt.  Als 
er  die  Rosen  auf  den  Altar  legt,  gewahrt  er  über  ihm  Christus 
und  Maria.  Auf  die  Frage  des  Ersteren ,  warum  er  säume ,  den 
Wunsch  der  Mutter  Gottes  zu  erfüllen,  ersucht  er  den  Herrn,  ihm 
den  Tag  zu  bestimmen.  Auf  Bitten  der  Maria  nennt  Dieser  darauf 
die  Zeit  von  der  Vesper  des  l.  bis  zur  Vesper  des  2.  Augustes  und 
befiehlt  ihm,  zum  Papste  zu  gehen  und  ihm  als  Beleg  seiner  höheren 
Sendung  die  Rosen  zu  zeigen. 

Mit  drei  Genossen  macht  sich  Franz  am  nächsten  Tage  auf, 
kommt  nach  Rom ,  stellt  sich  mit  Verehrung  dem  Papste  vor  und 
überreicht  ihm  die  Rosen.  Nachdem  Honorius  Rath  gehalten  mit 
den  Kardinälen,  gewährt  er  Franz  den  Ablaß  für  den  bestimmten 
Tag  und  verspricht  ihm,  zu  diesem  die  Bischöfe  von  Assisi,  Perugia, 
Todi ,    Spoleto ,    Foligno ,    Nocera   und  Gubbio    zu   senden ,    damit 


^)  Soweit   geht   die   Erzählung   der   Legende   bei    Theobald.     Das   folgende,    die 
Bestimmung  des  Tages,  taucht  erst  bei  Bartolus  und  Konrad  auf. 


174  ^'^  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

sie  dem  Volke  die  Gnade  verkündeten.  Als  nun  der  Tag  nahte, 
ließ  Franz  eine  Kanzel  bauen  und  begab  sich  mit  den  Bischöfen 
auf  dieselbe.  Auf  ihre  Bitten  verkündete  er  dann  selbst  in  langer 
Predigt  dem  versammelten  Volke  den  Ablaß.  Da  erstaunten  Jene, 
denn  sie  hatten  nicht  geglaubt,  daß  die  Indülgenz  für  immer  und 
alle  Zeiten  gelten  sollte.  Einer  nach  dem  Andern  nimmt  das  Wort, 
um  Franz  entgegen  nur  lo  Jahre  Dauer  für  sie  festzustellen,  aber 
auf  göttlichen  Willen  verwandeln  sich  ihnen  unbewußt  die  eigenen 
Worte  und  sie  wiederholen  und  bekräftigen  wider  die  eigene  Ab- 
sicht, was  Franz  gesagt.  So  ward  der  Portiunculaablaß  veröffentlicht. 
Es  ist  wohl  nicht  nur  ein  Zufall ,  daß  diese  wenig  fesselnde 
Legende,  gleichsam  als  verdiente  sie  es  nicht,  von  einem  Künstler 
ersten  Ranges  nicht  dargestellt  worden  ist,  und  daß  die  mit  ihr 
sich  beschäftigenden  Bilder  uns  so  kalt  lassen,  wie  die  Erzählung 
selbst.  Der  Erste,  der  die  Ertheilung  der  Indülgenz  zu  malen 
hatte ,  war  nach  Vasari  Puccio  Capanna ,  dessen  Fresko  an  der 
Oberwand  der  Fassade  der  Portiuncula  schon  zu  des  Aretiners  Zeit 
arg  von  dem  Lampenqualm  geschwärzt  war.  ^)  In  einem  Briefe 
vom  II.  Januar  1492,  der  an  zwei  Bürger  von  Assisi  gerichtet  ist 
und  von  einem  Legat  von  1 2  Gulden  handelt ,  das  von  Mariotto 
di  Lodovico  d'Assisi  gestiftet  worden,  ,,um  jene  Devotion  oberhalb 
der  Thüre  der  glorreichsten  Jungfrau  Maria  zu  restauriren",  schlägt 
Bernhardin  von  Siena  vor,  das  Geld  lieber  zu  einem  neuen  Dor- 
mitorium  zu  verwenden ,  ,,das  nothwendiger  erscheint ,  als  jene 
Malereien,  die  mir  sehr  gefallen,  einmal  weil  sie  fromm  sind,  dann 
auch  wegen  des  Andenkens,  das  man  hat,  daß  unser  h.  Vater  selbst 
sie  habe  malen  lassen.  Denn  ich  fürchte ,  daß  besagte  Malereien 
durch  Retouchiren  verdorben  werden"  ^).  Offenbar  meint  er  jenes 
Fresko  des  Capanna,  doch  scheint  sein  frommer  Wunsch  nicht  in 
Erfüllung  gegangen  zu  sein ,  da  nach  Vasari  vermuthlich  in  eben 
jener  Zeit  Niccolö  Alunno  aus  Foligno  die  Fassade  bemalte.'^)  Ob- 
gleich dessen  Bild  wiederum  einer  neuen  Komposition  von  Martelli 
im  Jahre  1639,  die  1688  von  Providoni  restaurirt  wurde,  und 
letztere    endlich    im    vorigen   Jahrhundert    dem   Fresko    Overbeck's 


')  I,  s.  403. 

^)  Vergl.  Guasti:  a.  a.  O.  S.  93,  wo  der  Brief  nach  dem  Manuskripte  des  Gri- 
maldi:  Dissertazione  suU'  antica  chiesa  che  circondava  Portiuncula,  das  in  S.  M.  d.  A. 
aufbewahrt  wird,  publizirt  ist. 

3)  m,  s.  510. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  175 

weichen  mußte ,  erhalten  wir  doch ,  wie  Milanesi  und  Guasti  be- 
merkten, eine  Anschauung  von  Alunno's  Arbeit  aus  einem  der 
Fresken  Tiberio's  in  der  Capeila  delle  Rose,  auf  dem  die  alte 
Portiuncula  dargestellt  ist.  Darnach  sah  man  über  der  Thüre  von 
Engeln  umgeben  Christus  in  Wolken  thronen,  wie  er  mit  der 
Rechten  drei  Schlüssel ,  das  Symbol  des  Ablasses ,  der  tiefer  links 
knieenden  Maria  reicht,  unterhalb  welcher  Franz  in  reichem  pluviale 
kniet.  Neben  ihm  sieht  man  eine  betende  Frau,  rechts  die  drei 
knieenden  Genossen.  Vermuthlich  wiederholte  diese  Komposition 
nur  die  Grundzüge  des  Capanna'schen  Bildes. 

Später  als  letzteres,  nämlich  1393,  sind  die  kleinen  Seiten- 
kompositionen zu  der  in  der  Portiunculakapelle  befindlichen  Ver- 
kündigung entstanden,  die  früher  demselben  Meister  zugeschrieben 
wurde,  obgleich  neuere  Untersuchungen  eine  Inschrift  zu  Tage  ge- 
fördert haben,  nach  welcher  sie  vom  Prete  Ilario  da  Viterbo  gemalt 
ist.  ^)  In  fünf  Szenen,  deren  Darstellungen  uns  nur  aus  einem  ricordo 
des  Providoni  im  Archive  der  Kirche  bekannt  werden,  da  sie  selbst 
nicht  sichtbar  sind,  giebt  Ilario  die  Legende.-)  Da  ist  zunächst 
darge.stellt ,  wie  Franz  nackt  in  den  Dornen  steht,  dann  wie  ihn 
zwei  Engel  in  die  Kapelle  führen,  wie  er,  den  Blick  auf  die  Er- 
scheinung des  Christus  und  der  Maria  gerichtet,  vor  dem  Altar 
kniet,  auf  dem  Rosen  liegen,  wie  er  die  Rosen  dem  Papste  bringt, 
endlich  wie  der  Ablaß  verkündigt  wird.  —  Der  gleichen  Zeit  etwa 
mag  ein  Fresko  in  S.  Francesco  zu  Arezzo  angehören,  das  mir 
von  Parri  Spinelli  zu  stammen  scheint  und  Franz  zeigt,  wie  er 
nach  links  gewandt  betend  vor  der  Fassade  einer  Kirche  kniet,  über 
der  Christus  mit  Engeln  ihm  erscheint.  Ein  Engel  weist  ihn  auf 
den  Herrn  hin.  Obgleich  die  Darstellung  mit  keiner  der  Visionen 
genau  übereinstimmt,  ist  doch  offenbar  die  erste  gemeint  gewesen. 
Dann  wäre  ferner  ein  Fresko  an  einem  Hause  in  Assisi  zu  er- 
wähnen, das  von  einem  schwächlichen  Nachahmer  des  Benozzo  in 
der  Art  des  Matteo  da  Gualdo  gefertigt  wurde,  der  drei  Szenen 
auf  einer  Komposition  verbindet.  In  der  Höhe  erscheint  Christus 
sitzend,    in  der  Linken  den  Rosenkranz,    neben  ihm  Maria,    Beide 


*)  Vergl.  Guasti :  a.  a.  O.  S.  62  :  Istam  tabulam  fecit  fieri  Frater  Franciscus  de 
Sancto  Gemino  de  helemosinis  procuratis  A.  Domini  1393  incepta  de  mense  Augusti 
completa  de  mense  Novembris  in  istis  partibus  durante  guerra  et  caristia.  Presbiter 
Ylarius  de  Viterbo  pix. 

■^)  Vergl.  Guasti  a.  a.  O. 


176  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

umgeben  von  anbetenden  und  musizirenden  Engeln.  Unten  kniet 
Franz,  einen  Kranz  von  Rosen  haltend,  von  zwei  Engeln  berührt. 
Rechts  führt  ein  anderer  ihn  nach  links  dem  Altar  zu.  Links  reicht 
er  knieend  in  gothischer  Halle  dem  Papst,  der  von  Bischöfen  um- 
geben ist,  den  Kranz. 

Ihre  Verherrlichung  in  einem  Cyklus  größerer  Fresken  fand 
die  Legende  erst  durch  die  Hand  des  Tiberio  d'Assisi,  der  sie 
zweimal  und  zwar  fast  in  durchaus  gleicher  Weise :  1 507  in  der 
dicht  bei  S.  Maria  degli  Angeli  gelegenen  Capella  delle  Rose,  die 
an  dem  Orte  des  Wunders  erbaut  und  im  XV.  Jahrhundert  er- 
weitert worden  war,  und  15 12  in  einer  Kapelle  im  Vorhof  von 
S.  Fortunato  dicht  bei  Montefalco  malte.  Wie  Ilario  vertheilt  er 
die  Handlung  auf  fünf  Bilder  ^) : 
I.  Die  Geißelung.     Der  blondbärtige  Heilige   kniet  halbnackt,    in 

der   Rechten   die    Geißel,    vor   einer   Strohhütte   im  Gestrüpp. 

Links  (in  Montefalco  rechts)  von  ihm  stehen  zwei  Engel,    der 

eine  betend,  der  andere  die  Linke  in  die  Hüfte  gestemmt. 
II.  In   der  Mitte   von   zwei  Engeln,    deren  einer  auf  die  Rosen  in 

der  Hand    des  Franz  zeigt ,    während  der  andere  auf  die  nicht 

sichtbare  Kirche  weist,  schreitet  der  Heilige  gesenkten  Blickes 

in  einer  Landschaft  nach  rechts. 

III.  Hier  kniet  er  betend  die  Hände  erhebend  nach  halb  links  ge- 
wandt vor  dem  Altare,  über  dem  in  Wolken  der  segnende 
Christus  sitzend  erscheint.  Neben  Diesem  sitzt  die  Hände 
empfehlend  nach  Franz  ausgestreckt  links  Maria.  Eine  Schaar 
musizirender  Engel ,  die  in  der  üblichen  Perugino'schen  Weise 
angeordnet  sind,  umgiebt  sie,  zwei  andere  knieen  betend  links 
und  rechts  vom  Heiligen,  dessen  Rosen  auf  dem  Altar  liegen. 
Die  Vermittlung  der  Maria  kommt  hier  weniger  deutlich  zum 
Ausdruck  als  bei  Alunno. 

IV.  Vor  dem  rechts  in  einer  Halle  sitzenden  Papste,  der  erstaunt 
die  Rechte  erhebt,  kniet  Franz  und  reicht  ihm  die  Rosen  dar. 
Links  kniet  ein  anderer  Mönch.  Im  Mittelgrunde  sitzen  die 
Kardinäle  und  links  stehen  drei  Laien,  deren  vorderster  dem 
Beschauer  zugewandt  auf  den  Heiligen  weist.  ^) 


1)  Vergl.  für   die   Fresken   in  Assisi   die  Photographien  Carloforti's.  —  Beschrei- 
bungen auch  bei  Guasti:  a.  a.  O. 

2)  Abb.  Plön.  S.  117. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  177 

V.  Rechts   auf  einem  Gerüst  steht  nach  links  gewandt  eine  zahl- 
reiche knieende  Volksmenge,  Frauen  und  Männer,  unter  denen 
einige    im    Pilgergewande    predigen,    hinter   ihnen   die   sieben 
Bischöfe.     Rechts   vorn  stehen  Knaben,    links   und  im  Hinter- 
grunde   viele  Männer  vor  der  Fassade  der  Portiuncula,    neben 
welcher  links  noch  ein  vergittertes  Gebäude  sich  befindet.  ^) 
Viel  Erfreuliches  ist  von  diesen  Bildern  nicht  zu  sagen.    Sie  wieder- 
holen schlecht  und  recht  die  Stellungen  und  Typen  der  umbrischen 
Hauptmeister,  namentlich,  wie  mir  dünkt,  des  Pinturicchio.^) 

Etwas  später  ist  das  bedeutende  Glasfenster  von  S.  Francesco 
zu  Arezzo ,  das  Vasari  dem  Guglielmo  de  Marcilla  zuspricht,  ent- 
standen. Auf  ihm  sehen  wir  dargestellt,  wie  Franz  knieend,  inmitten 
zweier  Reihen  von  Kardinälen  nach  links  gewandt,  dem  thronenden 
Papste  die  Rosen  überreicht.  Rechts  knieen  seine  vier  Genossen. 
Endlich  mögen  noch  kurz  die  zwei  Bilder  aus  dem  Cyklus  in 
S.  Bernardino  zu  Verona  erwähnt  werden,  auf  deren  einem  die  Vision 
und  im  Hintergrunde  die  Geißelung  in  den  Dornen,  auf  dem  andern 
geschildert  ist,  wie  Franz  selbst,  ein  zweiter  Christus,  aus  dem  Lim- 
bus  die  Seelen  der  Sünder  emporzieht,  die  von  Engeln  nach  oben 
getragen  werden. 

2.  Die  Begegnung  des  Franz  mit  Dominikus.  Es 
kann  wohl  kein  Zweifel  mehr  darüber  sein,  daß  die  beiden  großen 
Ordensgründer  sich  selbst  persönlich  gekannt  und  wenigstens  ein- 
mal sich  gesehen  und  gesprochen  haben.  Bleibt  es  auch  mehr  als 
fraglich,  ob  Dominikus  im  Jahre  12 19  dem  ersten  Generalkapitel 
der  Franziskaner  beigewohnt,  wovon  erst  das  Speculum  und  Bar- 
tholomäus Pisanus  zu  erzählen  wissen,  so  verdient,  wie  bereits  oben 
erwähnt,  die  Angabe  des  Thomas  von  Celano,  der  in  seiner  II.  Leg. 
(III,  86,  S.  213)  von  einem  Zusammentreffen  in  Rom  zur  Zeit  des 
Honorius  berichtet,  gewiß  Glauben.  So  ist  es  auch  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  die  schon  im  XIII.  Jahrhundert  auftauchende  Legende 
von  der  Vision  des  Dominikus,  deren  bildliche  Darstellungen  wir 
hier  zu  vergleichen  haben,  an  jene  Erzählung  des  Thomas  an- 
knüpft  und  zugleich    ihre   Entstehung    der   Absicht   verdankt ,    das 


^)  Abb.  Plön.  S.  119. 

^)  Außerdem  sind  in  Assisi  noch  in  dem  an  die  Kapelle  stoßenden  kleinen 
Oratorium  von  derselben  Hand  in  größerem  Bilde  Franz  mit  seinen  Begleitern,  femer 
die  Heiligen  Chiara,  Antonius,  Bonaventura,  Ludwig,  Rosa  und  Bemhardin,  an  der 
Decke  Gottvater  gemalt. 

Thode,  Franz  von  Assisi.  12 


178  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

Gemeinsame  der  beiden  Orden  auf  ein  gemeinschaftliches  Handeln 
ihrer  Stifter  zurückzuführen.^)  Obgleich  der  Erste,  der  sie  berichtet, 
der  Bruder  Gerardus  de  Fracheto^),  als  Gewährsmann  den  General 
der  Dominikaner  Jordanus,  der  sie  durch  andere  Predigermönche 
von  einem  Gefährten  des  h.  Franz  erfahren,  geltend  macht,  erwähnt 
Jordanus  doch  den  wunderbaren  Vorfall  mit  keinem  Worte  in  seiner 
Biographie  des  Dominikus.  Dagegen  wird  die  Geschichte  auch  von 
dem  Zeitgenossen  des  Gerardus,  Theodoricus  de  Apolda^),  erzählt 
und  zwar  mit  der  Bemerkung,  man  wisse  von  ihr  durch  Franz 
selbst.  Wie  dem  auch  sei ,  so  verdanken  wir  die  meisten  Dar- 
stellungen der  Legende  doch  den  Dominikanern  und  zwar  tauchen 
sie  erst  im  XV.  Jahrhundert  auf. 

,,Als  nach  gewohnter  Sitte  Dominikus  des  Nachts  in  einer  Kirche 
wachte,"  erzählt  jener  Theodoricus,  ,,sah  er  den  zur  Rechten  des 
Vaters  sitzenden  Sohn  sich  im  Zorne  erheben,  um  alle  Sünder  der 
Erde  zu  tödten  und  Alle,  die  Ungerechtes  thäten,  zu  verderben. 
Er  stand  aber  schrecklich  anzusehen  in  der  Luft  und  schwang 
gegen  die  im  Argen  liegende  Welt  drei  Lanzen;  die  eine,  um 
damit  die  stolzen  Nacken  der  Hochmüthigen  zu  durchbohren,  die 
andere,  um  mit  ihr  die  Eingeweide  der  Habsüchtigen  auszuschütten, 
die  dritte,  um  mit  ihr  die  fleischlichen  Begierden  Ergebenen  zu 
durchstoßen.  Da  aber  Niemand  seinem  Zorne  widerstehen  konnte, 
eilte  gnädig  gesinnt  die  Jungfrau  und  Mutter  herbei  und  bat  ihn, 
seine  Füße  umfangend,  daß  er  Derer  schonte,  die  er  selbst  erlöst 
habe,  und  die  Gerechtigkeit  durch  Barmherzigkeit  mäßige.  Da 
sprach  der  Sohn  zu  ihr:  , siehst  du  nicht,  wie  viele  Beleidigungen 
mir  auferlegt  werden }  Meine  Gerechtigkeit  erträgt  so  viel  Schlechtes 
nicht  ungestraft.'  Darauf  spricht  die  Mutter:  ,Du,  der  Du  Alles 
weißt,  weißt  auch,  daß  es  einen  Weg  giebt,  auf  dem  Du  sie  zu 
Dir  führen  wirst.  Ich  habe  einen  treuen  Knecht,  den  Du  in  die 
Welt  senden  wirst,  daß  er  ihnen  deine  Worte  verkündige  und  sie 
zu  Dir,  dem  Heiland  Aller,  bekehrt  werden.  Auch  einen  andern 
Knecht  habe  ich,    den  ich  ihm  zum  Helfer  geben  werde,  damit  er 


^)  Vergl.  eine  Stelle  in  der  vita  S.  Dominici  von  Bartholomäus  Tridentinus.  Acta 
SS.  Aug.  T.  I,  p.  560.  Ferner  die  gemeinsame  Encyclica  der  beiden  Ordensgeneräle 
von  1255  bei  Wadding:  Annal.  T.  III  p.  380  ff.  Ausführlicheres  in  Suysken's  Kommentar, 
a.  a.  O.  §  XIV,  S.  605,  und  in  Hase's  Franz  von  Assisi. 

*)  Vitae  Fratrum  I,   l.     Acta  SS.  Aug.  I,  p.  442. 

^)  Acta  SS.  a.  a.  O.  p.  576.  —  Auch  bei  Suysken  a.  a.  O.  §  XIV,  S.  605. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  179 

in  gleicher  Weise  handle.'  Der  Sohn  sprach :  ,Siehe,  versöhnt  hat 
mich  Dein  Anblick.  Du  aber  zeige  mir  Die,  welche  Du  so  großer 
Aufgabe  bestimmen  willst.'  Da  brachte  die  Herrin  Mutter  dem 
Herrn  Jesus  Christus  den  seligen  Dominikus  dar.  Und  der  Herr 
sprach  zur  Mutter:  ,gut  und  eifrig  wird  er  vollbringen,  was  Du 
gesagt.'  Sie  brachte  ihm  auch  den  h.  Franz  dar,  den  der  Herr 
in  gleicher  Weise  lobte.  Dominikus  aber  betrachtete  aufmerksam 
in  der  Vision  den  heiligen  Genossen,  den  er  zuvor  nicht  gekannt 
hatte,  und  als  er  ihn  am  folgenden  Tage  in  der  Kirche  antraf,  er- 
kannte er  ihn  aus  dem ,  was  er  in  der  Nacht  gesehen  hatte ,  und 
mit  heiligen  Küssen  ihn  aufrichtig  umarmend,  sprach  er:  ,Du  bist 
mein  Genosse,  du  wirst  gleichen  Schritt  mit  mir  halten ;  stehen  wir 
zusammen,  dann  wird  kein  Gegner  etwas  wider  uns  vermögen.' 
Auch  erzählte  er  Jenem  die  Vision.  Von  da  an  sind  sie  ein  Herz 
und  eine  Seele  geworden  im  Herrn,  was  sie  auch  ihren  Nachfolgern 
für  ewig  zu  bleiben  geboten." 

Die  anmuthige  Erzählung  drückt  treffend  die  Anschauung  der 
Zeit  von  der  Bedeutung  der  beiden  mächtigen  Genossenschaften 
aus.  Wie  die  beiden  Männer  vom  Abte  Joachim  vorher  verkündet 
waren,  der  eine  als  eine  Taube,  der  andere  als  ein  Rabe,  wie  ihre 
Bilder  schon  vor  ihrer  Geburt  auf  sein  Betreiben  in  S.  Marco  zu 
Venedig  angefertigt  sein  sollten,  wie  sie  von  den  Päpsten  selbst 
als  die  zwei  großen  Lichter  gepriesen  wurden,  so  erschienen  sie 
auch  in  der  Phantasie  des  Volkes  vereint,  in  inniger  Liebe  ver- 
bunden. Wie  es  ja  auch  Dante  ausspricht  (Par.  XI,  40,  41): 
Von  Einem  Sprech  ich,  weil,  was  man  von  ihnen 
Auch  preisen  mag,  man  nie  vom  Andern  schweigt. 

Die  erste  mir  bekannte  Darstellung  dieser  Vereinigung  ist  in  dem 
Frcskencyklus  des  Hofes  von  S.  Croce  erhalten.  Da  tritt  noch 
ganz  die  wunderbare  Vision  in  den  Vordergrund.  Rechts  knieen 
Dominikus  und  Franz,  der  mit  geschlossenen  Augen  hier  als  der 
Träumende  aufgefaßt  erscheint,  neben  einander,  und  über  ihnen  in 
der  Luft  stehend  weist  Maria  Christus  auf  sie  hin.  Dieser  in 
schwebender  Bewegung  sticht  mit  drei  Lanzen  nach  den  Köpfen 
von  drei  Personen,  die  links  auf  einer  Rasenbank  vor  Bäumen 
sitzen.  Die  vorderste,  ein  Krieger  mit  Keule  und  Schild,  ver- 
sinnbildlicht den  Hochmuth,  die  zweite,  eine  Frau,  welche  einen 
Geldbeutel  umfassend  allzu  deutlich  ihre  Sinnesart  erkennen  läßt,  die 
Sinnenlust,  die  dritte,  eine  Frau,  die  in  der  Rechten  einen  Kamm 


l8o  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

haltend  sich  im  Spiegel  beschaut,  die  Eitelkeit  der  Welt.  Ob 
Paolo  Uccello's  Fresko  in  S.  Trinitä  die  Szene  ähnlich  darstellte, 
ist  nicht  bekannt. 

Ihre  eigentliche  Verherrlichung  findet  die  Begegnung  der  Mönche 
erst  durch  Fra  Angelico ,  der  auf  einem  reizenden  Bildchen  der 
Berliner  Galleric  zeigt^),  wie  Franz  und  Dominikus,  vor  der  Thüre 
einer  Kirche  auf  sich  zuschreitend,  sich  die  Hände  reichen.  Je  ein 
Gefährte  ist  Zeuge  des  erhebenden  Anblicks.  In  der  Luft  links 
oben  sieht  man  in  einer  Glorie  Christus  sitzen,  der  in  der  Linken 
zwei  Pfeile,  in  der  Rechten  einen  dritten  nach  Maria  hinhält,  welche, 
die  Linke  vor  der  Brust,  vor  ihm  kniet  und  auf  Dominikus  hin- 
weist. Ähnlich  erscheint  die  Begrüßung  auf  einer  kleinen  Zeichnung 
desselben  Meisters  im  Berliner  Kupferstichkabinet, 

Dem  Vorbild  seines  Lehrers  folgte  Benozzo  auf  einem  der 
Fresken  in  Montefalco ,  läßt  aber  hier  die  Freunde  sich  schon 
inniger  umarmen.^) 

Später  dann  tritt  die  eigentliche  Vision  in  den  Hintergrund 
und  man  begnügt  sich,  die  Umarmung  und  Liebesbezeugungen  der 
Beiden,  also  das  ohne  jedes  Wunderbare  verständliche  schöne 
Motiv  allein  zu  geben.  Am  herrlichsten  mag  es  wohl  Andrea 
della  Robbia  auf  seinem  Relief  in  der  Loggia  der  Piazza  di 
S.  Maria  Novella  in  Florenz  verstanden  haben,  einem  Werke,  das  zur 
Legende  Anlaß  gegeben,  die  Heiligen  hätten  sich  einst  in  jenem 
ehemaligen  Kloster  des  h.  Paulus  getroffen.'^)  (Abb.  24.)  Mög- 
lich immerhin,  daß  die  Darstellung  selbst  durch  eine  alte  Tradition 
des  Hospitals  hervorgerufen  wurde  und  ihrerseits  später  dieselbe 
wieder  befestigte.^)  Das  würde  noch  glaubhafter,  bezöge  sich  eine 
von  Wadding  nach  Marianus  gebrachte  Angabe  von  einer  ganz 
alten  gleichen  Darstellung  daselbst  auf  ein  älteres  Bild  und  nicht 
auf  jenes  Relief'"^)  —  Das  Zusammentreffen  der  Heiligen  allein 
schildert  auch  Fra  Angelico  auf  einem  Bildchen  der  Gallerie  in 
Parma  (429),  dann  ein  Schüler  Botticelli's  (Paris,  Louvre  186), 
Benedetto  Coda  (Rimini,  Dom),  ein  Venezianer  in  einer  Zeichnung 
zu  London  (Brit.  Mus. ,   Sloane  Collection,  fälschlich  Giorgione  zu- 


1)  Abb.  Plön.  a.  a.  O.  S.  100. 

^)  Abb.  bei  v.  Liitzow:  Kunstschätze  Italiens,   1885,  S.  355. 

^)  Abb.  auch  bei  Plön.  Heliogr.  S.  106. 

*)  Vergl.  Vasari  II,   i8of.  —  Annales  ord.  Praedicatorum   1756.    Bd.  I,  p.  272. 

'')  Wadding:    Annales  I.  Bd.,    S.  113,  der  die  Begegnung  ins  Jahr  1 2 1 1 , verlegt. 


Die  Darstellungen  der  Legende.  l8l 

geschrieben) ,  und  Fra  Bartolommeo  auf  dem  Hintergrunde  seines 
großen  Bildes  im  Louvre  (57),  das  die  Verlobung  des  Christkindes 
mit  Katharina  von  Siena  darstellt.^) 

3.  Die  Geburt  des  Franz  kenne  ich  nur  in  einer  Dar- 
stellung, dem  Fresko  Benozzo's  in  Montefalco ,  das  die  bewußte 
Nachbildung  der  Geburt  Christi  deutlich  verräth.  Der  Erzählung 
nach  litt  die  Mutter  an  heftigen  Wehen,  als  einst  ein  göttlicher 
Bote  in  Gestalt  eines  Pilgers  zu  ihr  trat  und  ihr  sagte,  sie  werde 
nicht  in  kostbarem  Gemache,  sondern  im  Stalle  den  Sohn  gebären. 
Den  Worten  folgend  sucht  sie  den  niedrigen  Aufenthaltsort  auf 
und  wird  dort  durch  die  schmerzlose  Geburt  des  Franziskus  be- 
glückt. Bei  Benozzo  nehmen,  entsprechend  der  Inschrift,  die  wohl 
im  XV.  Jahrhundert  an  jener  Örtlichkeit  angebracht  wurde: 

Hoc  Oratorium  fuit  bovis  et  asini  stabulum, 
In  quo  natus  est  Franciscus  mundi  speculum, 

die  beiden  Thiere  Theil  an  der  bewegten  Szene.  Eine  Frau  reicht 
einer  anderen  das  Kind,  während  eine  dritte  sich  am  Boden  zu 
thun  macht.     Links  tröstet  eine  vierte  die  Mutter. 


Eine  große  Reihe  von  Kunstwerken  ist  an  unsrem  Blick  vor- 
übergezogen. Schauen  wir  noch  einmal  zurück,  so  drängt  sich  uns 
der  Eindruck,  welche  Fülle  des  Neuen  und  Bedeutenden  mit  Franz 
und  seiner  Legende  der  Kunst  geschenkt  worden  war,  stärker  und 
überzeugender  auf.  Zuerst  gleich  nach  dem  Tode  des  populären 
Mannes  gewahrten  wir  allüberall  die  Versuche,  sein  Andenken  in 
zahlreichen  Bildnissen  lebendig  zu  erhalten,  das  eifrige  Bemühen, 
getreue  Portraits  zu  schaffen,  das  schließlich  im  Laufe  der  Zeit  dem 
Bestreben,  weniger  die  Züge,  als  das  Wesen  des  Mannes  idealistisch 
aufgefaßt  wiederzugeben,  weichen  muß.  Wir  haben  dann  gesehen, 
welche  wichtige  Rolle  die  asketische  Figur  des  Franz  in  der  weite- 
ren Kunstentwicklung  spielt,  von  welcher  Bedeutung  die  Aufgabe, 
eine  so  gewaltige  Innerlichkeit  im  Bilde  rein  äußerlich  darzustellen, 
für  den  Künstler  der  Renaissance  gewesen  ist.  Endlich  haben  wir 
in  der  Legende  des  Franz  den  ersten  großen  allgemein  verständ- 
lichen, populären  Stoff,  der  seit  der  evangelischen  Erzählung  von 
Christi  Leben  entstanden,    kennen  gelernt,    haben  ihn  auf  den  Be- 


^)  Vgl,  auch  Zeichnungen  desselben  in  London:    Brit.  Museum  und  Lille:  Musee 
Wicar  251. 


l82  Die  Darstellungen  des  Franz  und  seiner  Legende. 

gründer  der  neuen  Malerei  wirken  sehen !  Zu  Giotto  und  seinem 
Freskencyklus  in  der  Oberkirche  müssen  wir  noch  einmal  hier  zu- 
rückkehren. 

In  diesen  Werken  eines  jungen  Geistes,  der  mit  so  wunder- 
barer Sicherheit  in  der  Gestaltungskraft  das  Richtige  zu  trefifen 
wußte,  tritt  uns  die  volle  Überlegung  und  die  reife  Wahl  entgegen, 
die  sonst  nur  eine  Mitgift  des  höheren  Alters  zu  sein  pflegt.  Dieses 
Maßhalten  in  der  Darstellung  der  Leidenschaften ,  verbunden  mit 
dem  tiefen,  wahren  Nachempfinden  menschlichen  Fühlens,  wirkt 
immer  aufs  Neue  überraschend.  Giotto  hatte  die  glücklichste  An- 
lage des  Genies  in  der  Wiege  erhalten,  er  ist  von  vornherein  be- 
stimmt gewesen,  die  Natur  und  das  menschliche  Sein  in  ihr  mit 
einem  anderen  Blicke  zu  erfassen,  als  die  Künstler  vor  ihm.  Die 
Dinge  der  Außenwelt  vereinten  sich  eben  in  seinem  Auge  zu  einem 
Bilde,  dem  sein  lebhaftes  Gefühl  Wirklichkeit  verlieh.  Gewiß,  die 
starke  Begabung  war  vorhanden  —  was  aber  wollte  es  für  einen 
solchen  Geist  heißen,  in  früher  Jugend  alle  Kräfte  auf  eine  so 
große  Aufgabe  konzentriren  zu  müssen,  die  alle  seine  Fähigkeiten 
in  kurzer  Zeit  zum  Höchsten  entwickelte !  Sie  riß  ihn  mächtig  mit 
einem  Rucke  aus  der  beengenden,  schwülen  Atmosphäre  der  älteren 
Kunstrichtung  hinaus  in  die  freie  belebende  Himmelsluft.  In  kurzer 
Zeit  wuchsen  ihm  da  die  Flügel  zu  ungehemmtem  Fluge !  Wohl 
gab  es  Manches  in  der  Geschichte  des  Franz,  was  bildlich  wieder- 
zugeben fast  unmöglich  schien  —  ihm  diente  es  nur  zur  Übung, 
zwang  ihn,  sich  nach  Auswegen  umzusehen.  Die  mannichfachen 
rein  geistigen  Vorgänge  verständlich  zu  machen,  war  er  genöthigt, 
sich  Gestalten  zu  schaffen,  in  denen  er  sie  wiederspiegeln  Heß. 
Was  aber  so  künstlerisch  bedeutungsvoll  in  den  verschiedenen 
Szenen  war,  war  der  Gefühlsinhalt.  Von  allen  edlen  Empfindungen 
des  Herzens  giebt  es  wohl  keine  einzige,  die  der  Maler  nicht  hätte 
schildern  müssen :  Liebe ,  Mitleid ,  Glaube ,  Hoffnung ,  Dankbarkeit, 
Hingebung,  Bescheidenheit  wechseln  in  beglückender  Folge  mit 
einander  ab.  Doch  fehlen  neben  dem  Lichte  nicht  die  Schatten- 
seiten :  Furcht ,  Schrecken ,  Kummer,  Verzweiflung,  Wuth  —  man 
könnte  glauben,  jede  Herzensregung  in  Ausdruck  und  Geberde  der 
zahlreichen  Figuren  in  der  Freskenreihe  zu  finden.  Und  was  das 
Entscheidende  war :  frisch  und  unberührt  trat  das  künstlerische  Ge- 
fühl an  die  Darstellung  aller  dieser  Affekte  heran,  da  deren  Träger 
nicht    die   altgewohnten  Typen  der  biblischen  Geschichte ,    sondern 


Die  Darstellungen  der  Legende.  183 

neue  unbekannte  Persönlichkeiten  waren,  welche  näher  kennen  und 
lieben  zu  lernen  die  erste  Bekanntschaft  verlockte.  Dann  aber 
trat  für  die  Kunst  dasselbe  ein,  was  so  häufig  im  Leben  der  Fall : 
die  feinen  eingehenden  Beobachtungen,  zu  denen  das  fremde  un- 
gewohnte Wesen  des  neuen  Bekannten  aufgefordert  hatte,  kamen 
den  älteren  Freunden  zu  Gute ,  an  denen  man  nun  so  viele  neue 
Seiten  zu  entdecken  begann,  daß  sie  fast  andere  geworden  zu  sein 
schienen.  Das  Leben  des  Franz  in  Assisi  war  die  nothwendige  Vor- 
bedingung für  das  Leben  Christi,  das  Giotto  später  in  der  Arena 
zu  Padua  malte !  —  Doch  nicht  Menschen  allein  hatte  Giotto  in 
Assisi  kennen  zu  lernen,  die  Legende  gebot  auch  eine  innige  Be- 
schäftigung mit  der  Landschaft:  da  ging  der  junge  Meister  hinaus 
und  suchte,  freilich  noch  mit  ungefüger  Hand,  die  malerischen  Linien 
der  Berge,  den  Wuchs  der  Bäume  mit  dem  Stifte  zu  bannen.  Die 
Städte  mit  ihren  Häusern,  Thürmen  und  Mauern  galt  es  auf  engem 
Raum  zusammenzuschieben  und  ihnen  ein  deutliches,  individuelles 
Gepräge  zu  geben ,  damit  man  den  Ort  der  Handlung  erkenne. 
Mit  wachsender  Begeisterung  benutzt  Giotto  die  Gelegenheit,  seiner 
Neigung  zur  Architektur  die  Zügel  zu  lassen.  Kurz :  dem  Walten 
der  Phantasie  wie  dem  Naturstudium  gleich  günstig,  beides  in 
gleicher  Weise  bedingend  war  die  umfassende  Aufgabe,  die  dem 
Jüngling  gestellt  wurde.  Mehr  als  man  bisher  geahnt,  verdankt 
die  Kunst  dem  Franziskus.  Da  aber  Giotto  zugleich  ein  Genius 
war,  der,  wie  Wenige  berufen  zum  Höchsten,  doch  wieder  den  An- 
schauungen der  Zeit  Jenes  noch  so  nahe  stand,  darf  es  uns  auch 
nicht  Wunder  nehmen,  daß  seine  Darstellungen  der  Legende  an 
herzlicher  Einfalt,  wie  sie  dem  Stoffe  entsprach,  an  frischer  Ur- 
sprünglichkeit bei  weitem  alle  späteren  übertreffen,  so  ausgezeichnet 
durch  feineres  Erfassen  der  Natur  und  vollendetere  Wiedergabe  des 
Körperlichen  viele  der  letzteren  auch  sein  mögen.  Kein  Anderer 
ist  so  berufen  gewesen ,  ein  reines  Andenken  an  den  Armen  von 
Assisi  zu  erhalten,  als  Giotto.  Es  ist  vielleicht  nicht  zu  viel  be- 
hauptet, daß,  wer  Franz  wirklich  verstehen  will,  eine  innige  Kennt- 
niß  der  Fresken  in  Assisi  haben  muß! 


DRITTER  ABSCHNITT 

DIE  KIRCHE  SAN  FRANCESCO  IN  ASSISI 


I.   Beschreibung  des  Bauwerks. 

„In  jenen  Zeiten,"  erzählt  Vasari  im  Leben  des  Arnolfo  di 
Cambio  ^),  ,,da  kaum  der  Orden  der  Minderbrüder  des  h.  Fran- 
ziskus ,  der  im  Jahre  1 206  vom  Papste  Innocenz  III.  bestätigt 
worden ,  entstanden  war,  wuchs  nicht  allein  in  Italien ,  sondern 
in  allen  anderen  Theilen  der  Welt  derartig  die  Verehrung  für 
denselben,  wie  die  Zahl  der  Brüder,  daß  es  fast  keine  Stadt  von 
Bedeutung  gab,  die  ihnen  nicht  mit  den  größten  Kosten,  eine  jede 
nach  ihrem  Vermögen,  Kirchen  und  Klöster  gebaut  hätte.  So  hatte 
auch  Frate  Elia  zwei  Jahre  vor  dem  Tode  des  h.  Franziskus, 
während  der  Heilige  als  General  um  zu  predigen  auswärts  war,  er 
selbst  aber  Guardian  in  Assisi,  eine  Kirche  zu  Ehren  Unserer  Frau 
gebaut.  Als  nun  der  heilige  Franz  gestorben  war  und  die  ganze 
Christenheit  zusammeneilte ,  den  Leichnam  des  Heiligen  zu  be- 
suchen, der  im  Tode  und  im  Leben  als  solch'  ein  Freund  Gottes 
erkannt  worden  war,  und  Jeder  nach  seinem  Vermögen  dem  heiligen 
Orte  sein  Almosen  darbrachte,  wurde  angeordnet,  daß  die  erwähnte, 
vom  Frate  Elia  begonnene  Kirche  viel  größer  und  prächtiger  ge- 
macht werde.  Weil  aber  Mangel  an  guten  Baumeistern  war,  und  das 
geplante  Werk  einen  ausgezeichneten  verlangte,  da  es  auf  einem 
sehr  hohen  Hügel ,  an  dessen  Fuß  ein  reißender  Strom ,  genannt 
Tescio,  vorbeiströmt,  erbaut  werden  mußte,  wurde  nach  vielfacher 
Ueberlegung    als    bester   Baumeister    von   Allen,    die    sich    damals 


^)  I,  S.  279  ff.,  Ausg,  Milanesi. 


Beschreibung  des  Bauwerks.  185 

finden  ließen,  ein  Meister  Jacopo,  ein  Deutscher,  nach  Assisi  ge- 
bracht. Derselbe,  nachdem  er  die  Lage  in  Erwägung  gezogen  und 
den  Wunsch  der  Väter,  die  zu  diesem  Zwecke  ein  Generalkapitel 
veranstalteten ,  vernommen ,  zeichnete  einen  sehr  schönen  Entwurf 
für  Kirche  und  Kloster.  Er  entwarf  nämlich  im  Modell  drei  An- 
lagen. Die  eine  sollte  unter  der  Erde  gemacht  werden,  die  anderen 
beiden  sollten  zwei  Kirchen  werden.  Eine  derselben  auf  der  ersten 
Bodenfläche  sollte,  von  sehr  großem  Portikus  umgeben,  als  Platz 
dienen,  die  andere  als  Kirche;  und  von  der  ersten  sollte  man  zur 
zweiten  auf  einer  möglichst  bequemen  Treppenanlage  hinansteigen, 
die  um  die  Hauptkapelle  herumginge  und  in  zwei  Theile  geschieden 
ein  Knie  bildete,  um  so  gemächlicher  zur  zweiten  Kirche  zu  führen. 
Der  letzteren  gab  er  die  Gestalt  eines  T,  machte  sie  fünfmal  so 
lang,  als  sie  breit  ist  und  schied  die  eine  Raumabtheilung  von  der 
anderen  durch  große  Pilaster  von  Stein ;  über  diesen  führte  er  dann 
ausnehmend  kühne  Bogen  auf  und  zwischen  je  zweien  Kreuzgewölbe. 
Nach  so  verfertigtem  Modell  also  errichtete  er  diesen  wahrhaft 
gewaltig  großen  Bau  und  folgte  seinem  Plane  in  allen  Theilen, 
abgesehen  von  den  Kreuzarmen  oben,  die  in  die  Mitte  vor  die 
Tribüne  und  Hauptkapelle  gelegt  werden  und  Kreuzgewölbe  erhalten 
sollten.  Diese  nämlich  machten  sie  nicht  so,  wie  eben  gesagt  ist, 
sondern  als  halbrunde  Tonnengewölbe,  damit  sie  stärker  wären. 
Dann  errichteten  sie  vor  der  Hauptkapelle  der  Unterkirche  den 
Altar  und  bestatteten,  als  er  fertig  war,  unter  ihm  den  mit  großer 
Feierlichkeit  übertragenen  Leichnam  des  h.  Franz.  Und  da  die 
eigentliche  Grabstätte,  welche  den  Leichnam  des  glorreichen  Heiligen 
bewahrt,  in  der  ersten,  d.  h.  der  untersten  Kirche  ist,  die  von 
Keinem  betreten  wird  und  vermauerte  Thüren  hat,  wurde  um  den 
erwähnten  Altar  ein  sehr  großes  Eisengitter  mit  reichem  Schmuck 
von  Marmor  und  Mosaik  gelegt,  das  nach  dort  hinunterschaut.  An 
die  Umfassungsmauern  lehnen  sich  auf  der  einen  Seite  außen  zwei 
Sakristeien  und  ein  Campanile,  der  sehr  hoch,  nämlich  fünfmal  so 
hoch  als  breit  ist,  begleitend  an.  Letzterer  trug  oben  eine  sehr 
hohe,  achtseitige  Pyramide,  doch  wurde  sie  weggenommen,  da  sie 
einzubrechen  drohte.  Dieses  ganze  Werk  wurde  in  einem  Zeit- 
räume von  nicht  mehr  als  vier  Jahren  durch  das  Genie  des  Meisters 
Jacopo  des  Deutschen  und  die  eifrige  Betreibung  des  Frate  Elia 
zu  Ende  geführt;  nach  dem  Tode  des  letzteren  wurden,  damit  die 
so  große  Baumasse   nicht   mit  der  Zeit  einmal  einstürze,    rings  um 


l86  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

die  Ünterkirche  zwölf  sehr  kühne  Rundthürme  aufgeführt  und  in 
jedem  derselben  eine  Wendeltreppe,  die  vom  Boden  bis  zur  Spitze 
steigt.  Mit  der  Zeit  dann  sind  viele  Kapellen  und  andere  sehr 
reiche  schmückende  Zuthaten  gemacht  worden,  von  denen  es  nicht 
Noth  thut,  jetzt  noch  Weiteres  zu  erzählen,  da  dies  darauf  Be- 
zügliche für  jetzt  genügt ,  besonders  da  ja  Jeder  sehen  kann ,  was 
Alles  an  nützlichen  Dingen,  an  Verzierung  und  Verschönerung 
viele  Päpste,  Kardinäle,  Fürsten  und  andere  große  Persönlichkeiten 
in  ganz  Europa  dem  Werke  des  Meisters  Jacopo,  wie  es  ursprüng- 
lich war,  hinzugefügt  haben." 

So  viel  weiß  Vasari  von  der  Hauptkirche  des  Franziskus ,  die 
jetzt  noch,  seit  1500  fast  nicht  mehr  verändert,  eines  der  merk- 
würdigsten Monumente  der  kirchlichen  Kunst  in  Italien  bildet  und 
auf  die  Pilger  jeden  Standes  und  jeder  Sinnesart  eine  immer  neue 
Anziehungskraft  ausübt,  zu  erzählen.  Von  der  Bewunderung,  die 
er  für  die  Kühnheit  der  Konstruktion  zeigt,  wird  Jeder  ergriffen 
werden,  der,  nachdem  er  schon  von  dem  freien  Platze  in  Perugia 
aus  in  undeutlichen  Umrissen  in  der  Ferne  wie  an  den  Berg  ge- 
zaubert die  Kirche  gesehen,  sich  nach  kurzer  Fahrt  durch  das 
reiche,  blühende  Thal  auf  allmählich  ansteigendem  Pfade  der  Stadt 
des  heiligen  Franz  nähert.  Da  liegt  Assisi,  ein  schmaler,  lang- 
gestreckter grauer  Streifen  von  Häusern  auf  mittlerer  Höhe  des  mit 
silbern  schimmernden  Oliven  bewachsenen  Hügels,  der  nach  Osten 
sich  zu  den  kahlen  mächtigen  Massen  des  monte  Subasio  hinauf- 
zieht. Ueber  der  Stadt  ragt  auf  höher  ansteigender  Spitze  von 
starken  Mauern  umgürtet  mit  einzelnen  aus  langem  Verfall  noch 
emporstarrenden  Thürmen  die  Burg,  von  alten  Zeiten  kündend,  in 
denen  ein  anderes  Geschlecht,  ebenso  stark  im  Lieben  wie  im 
Hassen,  nachdem  es  eben  noch  die  friedensvollen  Worte  seines 
Apostels  mit  Andacht  gehört  und  mit  dem  Zeichen  des  Kreuzes 
vor  seinem  Altare  niedergesunken  war,  mit  bewaffneter  Hand  hinaus- 
eilte, die  Rechte  der  trutzigen  Stadt  im  Kampfe  mit  den  feindlichen 
Nachbarn  zu  wahren.  Darunter  weiter  rechts  nach  Osten  zu  scheint 
der  Stadt  gleichförmige  Häusermasse  Leben  zu  gewinnen :  da  steigen 
schlanke  Thürme  empor,  der  Kirchen  hohe  Dächer  heben  sich  über 
die  umgebenden  Bauten,  dort  liegt  der  alte  Dom  des  h.  Rufinus, 
dort  der  große  Platz  mit  dem  öffentlichen  Palast  der  Kommune  — 
und  dennoch  weilt  der  Blick  auch  dort  nicht  lange.  Immer  wieder 
kehrt  er  zum  äußersten  Ende  im  Westen   zurück,   wo  jäh  an  dem 


Beschreibung  des  Bauwerks.  187 

Abhänge  gelegen ,  in  dem  der  Hügel  zum  Thale  abfällt ,  auf  ge- 
waltigen, in  schlanken  Arkaden  sich  öffnenden  Substruktionen  die 
Umrisse  der  Kirche  des  Franz  mit  ihrem  spitzen  Giebel  und  ihrem 
Thurme  sich  vom  blauen  Himmel  abheben.  (Abb.  25.)  Nun  scheint  es, 
als  läge  hier  der  Schwerpunkt  des  Ganzen,  als  zöge  wie  in  feierlicher 
Prozession  das  gedrängte  Volk  der  Häuser,  gefolgt  von  den  Würden- 
trägern, die  sich  um  den  ehrwürdigsten,  den  Dom,  als  Mittelpunkt 
gesammelt,  in  langem  Zuge  hin  zu  S.  Francesco,  als  wende  von 
dieser  Stätte  des  Friedens  die  Burg  das  Antlitz  nach  der  anderen 
Seite  zu.  Und  schallen  dann  von  drüben  her  alle  die  kleinen  und 
großen  Glocken,  denen  im  Westen  die  tiefe,  mächtig  ergreifende 
Stimme  von  S.  Francesco,  sie  alle  übertönend,  entgegenklingt  — 
dann  überkommt  den  Wanderer  zum  ersten  Male  das  wunderbare, 
der  Zeit  und  dem  Räume  entrückende  Gefühl,  das  ihn  in  dieser  Stadt, 
die  nur  noch  von  Erinnerungen  lebt,  nicht  mehr  verlassen  soll. 

Denn  todt  und  leer  erscheinen  die  in  Windungen  auf-  und  ab- 
klimmenden kleinen  Gassen,  wie  die  große  Straße,  die  von  der 
Piazza  nach  S.  Francesco  führt.  Als  wäre  kein  lebendes  Wesen 
mehr  hinter  diesen  kalten  grauen  Mauern  zu  finden,  nur  selten 
sieht  man  ein  zum  Brunnen  wanderndes  Mädchen,  selten  nur  einen 
schwarzen  Priester,  einen  braunen  Mönch.  Drüben  auf  dem  Platze 
allein,  vor  der  ernsten,  zwischen  Häusern  eingezwängten  Säulenfront 
des  alten  Tempels  der  Minerva,  vor  dem  einst  Goethe  in  herrliche 
Worte  der  Bewunderung  ausbrach,  herrscht  einiges  Leben.  Da 
sammelt  sich  das  aus  der  Umgegend  gekommene  Landvolk  und 
läßt ,  in  eintönigem  Gespräch  sich  findend ,  die  Stunden  träge 
vorüberziehen.  Und  in  den  benachbarten  winkligen  Straßen  sitzen 
in  dunklen,  aber  offenen  Räumen  die  Frauen  webend,  in  mühsamer, 
nimmer  endender  Arbeit  ihr  kärgliches  Brod  verdienend.  Zu  strenge 
hat  es  die  Stadt  mit  dem  Gelübde  ihres  Heiligen  genommen  —  sie 
ist  so  arm  geworden,  fast  wie  er  es  war.  In  seiner  Zeit  da  muß 
es  freilich  anders  hier  ausgesehen  haben  —  nur  schwer  noch  kann 
man  sich  vorstellen,  wie  frohe,  bunt  gekleidete  Jünglinge  reicher 
Familien ,  unter  ihnen  der  noch  der  Welt  lebende  Franz  selbst, 
von  üppigem  Gelage  heimkehrend  die  Stadt  mit  ihrem  Singen  und 
Lärmen  erfüllt,  wie  in  den  Läden  fremde,  durch  ausgedehnten 
Handel  bezogene  Waaren  vornehme  Frauen  zum  Kaufe  lockten, 
wie  auf  dem  Marktplatze  die  Schaaren  geharnischter  Ritter  und 
Knappen  sich  sammelten,  in  Fehde  wider  Perugia  zu  ziehen  —  wie 


igg  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

lange  ist  das  her!  Nun  bringen  nur  die  Fremden  noch  und  die 
Pilger  Abwechslung  in  das  einförmige  Leben  der  selbstvergessenen 
Stadt,  und  diese  kümmern  sich  meist  wenig  um  dieselbe,  da  sie 
nur  gekommen,  die  Kirche  des  Franz  zu  sehen,  vor  ihren  alten 
Fresken  sich  zu  erstaunen,  oder  in  stiller  Verehrung  vor  seinem 
Altare  zu  beten. 

Gar  Manchem  mögen  die  Stunden,  die  er  dort  in  der  dunklen, 
vom  halben  Tageslicht  und  vom  Kerzenschein  spärlich  erhellten 
Unterkirche  zugebracht,  für  das  ganze  Leben  unvergeßlich  bleiben  — 
wohl  Jedem,  der  erfahren  vom  Wesen  und  vom  Leben  des  hier 
verehrten  Menschen,  ein  kaum  bewußtes,  aber  ahnend  empfundenes 
Verständniß  für  Dessen  Bedeutung  aufgegangen  sein.  „Allen,  die  sie 
betreten,  weht  es  wie  ein  Hauch  geheimnißvoller  Frömmigkeit  ent- 
gegen," sagt  schon  die  älteste  Beschreibung  der  Kirche.  Wer  aber 
während  längerer  Zeit  dem  großen  Wohlthäter  in  seinem  Heilig- 
thume  nachsinnen  darf,  den  ersten  so  Vieles  kündenden  und  ver- 
sprechenden Worten  einer  neuen  Kunst,  die  alle  Wände  mit  ihren 
Versuchen  bedeckt  hat ,  lauscht ,  in  Allem ,  was  ihn  in  Erinnerung 
und  Wirklichkeit  umgiebt,  die  Regungen  einer  über  dem  Grabe 
des  Heiligen  erstehenden  neuen  Zeit  spürt  —  den  weht  es  nicht 
wie  bloße  Frömmigkeit  an,  nein,  wie  der  frische  Windeshauch  er- 
wachender, junger  Erkenntniß ,  vor  der  die  dunklen  Mauern  fallen 
und  der  blaue  Himmel  sich  öffnet.  Was  man  beim  Klange  der 
Chöre  und  der  Orgel,  der  mächtig  von  den  Wölbungen  wiederhallt, 
empfindet,  wenn  rings  in  heißer  Inbrunst  das  schlichte  Volk  der 
Landleute  auf  den  kalten  Stein  niedergesunken  ist  und  durch  die 
Fenster  der  Tribüne  die  letzten  Sonnenstrahlen  blitzen,  ist  auch 
Verehrung,  wenn  auch  nicht  dem  wunderwirkenden  Heihgen,  so 
doch  dem  großen  Menschen  geweiht,  der  mehr  als  irgend  Einer 
die  höchste  Kraft  besessen,  sich  selbst  vergessend  Andere  zu  lieben. 

Welch'  starken  Einfluß  aber  auch  die  an  diesem  Orte  besonders 
lebhaft  geweckte  und  genährte  Erinnerung  an  Franz  auf  Gemüth 
und  Geist  ausüben  mag,  einen  nicht  geringen  Theil  der  innerlichen 
Bewegung  verdankt  der  Pilger  der  Wirkung,  welche  das  merkwürdige 
Bauwerk  auf  ihn  hervorbringt.  In  wunderbarer  Weise  ist  es  dem 
Baumeister  gelungen,  auf  den  mystisch  geheimnißvollen  Zauber  der 
dunklen,  grottenartigen  Unterkirche  die  Erhebung  zu  einer  freieren, 
lichten  und  luftigen  Atmosphäre  in  der  Oberkirche  folgen  zu  lassen. 
Befreiter    athmet   die  Brust   und   schweift  der  Blick   hinauf  zu  den 


Beschreibung- des  Bauwerks.  189 

breiten  hochgespannten  Gewölben.  Nun  hieße  es  freilich  zu  weit 
gehen,  wollten  wir  annehmen,  der  Architekt  habe  mit  Bewußtsein 
bei  dem  Entwürfe  des  Ganzen  symbolisch  Ideen  ausdrücken  wollen, 
die  nur  dem  späteren  Beschauer,  der  seine  Eindrücke  gern  in 
Worten  und  Vergleichen  wiedergeben  möchte,  sich  aufdrängen. 
So  wenig  -wie  nach  einer  im  XVI.  Jahrhundert  geläufigen  An- 
schauung in  der,  wie  man  damals  irrthümlich  noch  annahm,  drei- 
fachen Kirche  die  drei  Hauptgelübde  des  Franziskanerordens  ver- 
sinnbildlicht sind ,  so  wenig  dürfte  man  irgend  welche  andere 
geheimnißvolle  Beziehungen  zu  den  Anschauungen  des  Franz  in  der 
Anlage  finden.  Dem  Baumeister  galt  es  einfach,  den  schwierigen 
Bedingungen  des  abfallenden  Terrains  sich  fugend  über  einer  halb 
als  Unterbau,  halb  als  Kirche  selbst  gedachten  Unterkirche  in  großen, 
des  großen  HeiHgen  würdigen  Verhältnissen  Demselben  einen  Tempel 
zu  errichten.  Wie  er  die  Noth  zur  Tugend  zu  machen,  in  einfach 
mächtiger  Steinwirkung  die  beiden  Bauten  selbst  in  Einklang  und 
in  Gegensatz  zu  bringen  wußte,  darin  tritt  sein  bedeutendes  geniales 
Können  zu  Tage.  Betrachten  wir  etwas  näher,  wie  er  verfahren. 
Einem  Architekten  freilich  muß  es  überlassen  bleiben,  mit  Sicherheit 
die  einzelnen  Bauformen  aus  den  Bedingungen  des  Terrains  zu  er- 
klären, eingehend  das  Detail  zu  würdigen  —  fehlt  es  ja  doch  neben 
vielfachen  Beschreibungen  und  anregenden  Betrachtungen,  unter 
denen  wohl  die  von  Laspeyres  die  größte  Aufmerksamkeit  verdient, 
leider  noch  immer  an  genügenden  Aufnahmen.  Möchte  recht  bald 
von  berufener  Seite  diesem  Bedürfniß  abgeholfen  werden  und  die 
folgende  Beschreibung  mit  dazu  beitragen,  auf  einige  für  den  Bau 
und  seine  Geschichte  wesentliche  Punkte  aufmerksam  zu  machen,^) 


1)  Litteratur:  Vasari  I,  S.  297  S.  —  Rodulphus:  Historiarum  Seraphicae  religionis 
libri  tres.  Venetiis  1586.  —  Wadding:  Annalen.  Bd.  II,  1228,  S.  205;  1229,  S.  216. 
1230,  S.  230.  1235,  S.  397.  —  Padre  Angeli:  Collis  Paradisi  amoenitas  seu  sacri 
conventus  Assisiensis  libri  II.  Montefalco  1704.  —  D'Agincourt.  Taf.  XXXVI,  39 — 46. 
XXXVII,  1—8  (nicht  verläßlich).  —  Fea:  Descrizione  ragionata  della  sacrosancta  p. 
basilica  di  S.  Francesco  d'Assisi.  Roma  1820.  Abb,  —  N.  Papini:  Notizie  si'cure 
della  morte  sepoltura  canonizzazione  e  traslazione  di  S.  F.  Fuligna  1824.  —  Descrizione 
di  quanto  e  piü  notabile  nei  magnifici  sovraposti  templi  di  S.  F.  Assisi  1835,  ™it 
3  Taf.  —  Cicognara:  Storia  della  scultura.  Venedig  1813.  I,  S.  345.  Oktavausgabe 
III,  p.  178.  —  Ricci:  Storia  della  Architettura  Ital.  II,  55.  —  Kugler:  Gesch.  d.  Bank. 
III,  539.  —  Gailhabaud:  Monuments  III  (Abb.).  —  Knight;  Eccles.  Arch.  II,  Taf  19 
u.  20  (Abb.).  —  Bruschelli:  Assisi  cittä  serafica.  Orvieto  1824.  —  Laspeyres  in  Erb- 
kam's  Zeitschrift   für  Bauw.    Bd.  XXII,   1872,    S.  285  ff.   —   Schnaase  VII,    S.  107  ff. 


igo  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

Da  die  schriftliche  Ueberlieferung  vielfach  lückenhaft  und  verworren, 
auch  nicht  ohne  manche  Widersprüche  ist,  scheint  es  gerechtfertigt, 
wenn  wir  zunächst  die  Kirche  selbst  in  Augenschein  nehmen  und 
möglichst  unbefangen  aus  ihrer  Art  ihr  Werden  zu  erkennen 
versuchen,  ehe  wir  an  eine  kritische  Sichtung  der  litterarischen 
Quellen  gehen. 

Die  Lage,  die  sie  gegenüber  der  Stadt  einnimmt,  wie  das  Terrain 
bedingten  es  zunächst,  daß  die  Eingangsseite  nach  Osten,  der  Chor 
nach  Westen  gerichtet  wurde.  (Abb.  26.)  Vor  den  letzten  Häusern 
von  Assisi  breitet  sich  ein  ebener  Platz  aus,  auf  dessen  Niveau  die 
Oberkirche  sich  erhebt,  während  dicht  daneben  nach  Süden  das 
Terrain  abfällt  zu  einem  zweiten  von  der  Bergstraße  zuerst  erreichten 
tiefer  gelegenen  Platze,  von  dem  ein  südlicher  Eingang  (unterhalb  des 
ersten  Joches  der  oberen  Kirche)  in  die  untere  führt.  Ein  anderes 
Portal  geht  westlich  in  den  Vorhof  des  Klosters ,  der  sich  an  die 
Kirche  schließt,  eine  Doppeltreppe  zum  höheren  Platze.  Dieser  mit 
rundbogigen  Arkaden  auf  achteckigen  Pfeilern  geschmückte  untere 
Vorplatz  senkt  sich  seinerseits  wieder  nach  Osten  zu.  Unweit  der 
Kirche  südlich  fällt  das  Terrain  steil  ab  und  so  bedurften  die  hier 
weit  nach  Westen  sich  hinziehenden  Klostergebäude  einer  mächtigen 
Substruktion ,  die  vom  Thale  aus  einen  festungsartigen  Eindruck 
macht.  Dasselbe  war  im  Westen  der  Fall,  nur  daß  hier  zwischen 
dem  Chor  der  Kirche  und  dem  Absturz  des  Bodens  eine  größere 
Fläche  sich  ergab,  welche  nivelHrt  Platz  für  zwei  große  Höfe  bot, 
die  durch  einen  von  Süden  nach  Norden  sich  ziehenden  schmalen 
Gebäudetrakt  getrennt  werden.  Im  Norden  der  Kirche  war  genug 
Raum  für  die  Anlage  eines  kleinen  Kirchhofs  am  östlichen,  eines 
hofartigen  Raumes  am  westlichen  Ende.  An  letzteren  schließen  sich 
dann  die  begrenzendeh,  die  zwei  großen  Höfe  im  Norden  abschließen- 
den Klostergebäude  an. 

Die  Unterkirche  (Abb.  27.  28.)  war  ursprünglich  einschiffig 
mit  Querschiff  und  halbrunder  Aspis,  erhielt  aber  später  Kapellen- 
anbauten und  ein  zweites  am  östlichen  Ende  befindliches  Kreuzschiff. 


(Abb.)  —  Lübke:  Gesch.  d.  Arch.,  S.  623.  —  Guardabassi:  Indice,  S.  15  ff.  —  Mothes, 
Die  Baukunst  des  MA.  in  Italien,  S.  454.  —  Chavin  de  Malan:  Storia  di  S.  F.  Uebers. 
von  Guasti.  Prato  1879.  S.  371  ff.  —  Die  nach  dem  Erscheinen  der  I.  Auflage  dieses 
Buches  in  neueren  Handbüchern  der  Architektur  und  Kunstgeschichte  gegebenen  Be- 
sprechungen brauche  ich  nicht  im  Einzelnen  anzuführen,  —  Die  oben  im  Text  gegebenen 
Grundrisse  geben  mit  einigen  Korrekturen  die  Aufnahmen  Gailhabäud's  wieder. 


Beschreibung  des  Bauwerks. 


191 


—hN 


Vier  mächtige,  auf  etwas  flach  gespannten  breiten  Rundbogen 
ruhende  Kreuzgewölbe  überspannen  das  Langhaus.  Die  Quergurte 
und  Rippen  sind  breit,  bandartig,  rechtwinklig  und  setzen  unvermittelt 
in  der  geringen  Höhe  von  etwa  2,57  m  über  dem  Boden  auf  halben 
Rundpfeilern  auf,  welche  vor  die  mit  Rücksicht  auf  den  oberen 
Bau  sehr  massig  geformten  dicken  Mauern  gelegt  sind.  Jene  Pfeiler 
sind  übrigens  nicht  vollständig  rund,  sondern  bestehen  aus  drei  an 
einander  gelegten,  zusam- 
men fast  einen  runden  Um-  W 
fang  ergebenden  Drittel- 
rundpfeilern ,  deren  •  aller- 
dings sehr  wenig  auffallende 
und  daher  bisher  nicht  be- 
merkte Gliederung  den  Rip- 
pen ganz  allgemein  ent- 
spricht. Das  Kreuzgewölbe 
über  der  Vierung  liegt 
etwas  tiefer  als  die  Lang- 
hausgewölbe, die  nicht  qua- 
dratischen Querarme  haben 
Tonnen-,  die  Aspis  hat  ein 
halbes  Kuppelgewölbe.  Mas- 
sive thurmartige,  vor  die 
Mauer  gelegte  halbrunde 
Pfeiler,  die  bis  zum  Dach 
der  Oberkirche  emporstei- 
gen, dienen  als  Widerlage 
für  die  Gewölbe ;  es  sind 
zehn  am  Langhause,   zwei 

in  den  Ecken  der  Tribuna.  Die  beiden  zunächst  der  Fassade  be- 
findlichen sind  in  deren  breiten  Mauer  versteckt  und,  wohl  in  der 
Absicht,  über  die  Konstruktion  keinen  Zweifel  zu  lassen,  ein  Stück 
über  die  Mauer,  also  höher  als  die  anderen  emporgeführt.  Das 
erste  Joch  am  östlichen  Ende  des  Langhauses  ist  um  ein  Weniges 
kürzer  als  die  anderen  und  öffnet  sich  abweichend  in  Spitzbogen 
auf  das  Querschiff.  Dies  schon  ist  auffallend  und  läßt  darauf 
schließen,  daß  diese  Querarme  später  angebaut  sind.  Der  südliche, 
versehen  mit  einem  reichen,  spätere  Gothik  verrathenden  Portale, 
hat   ein   sechstheiliges  Gewölbe,    der  weiter   ausladende   nördliche, 


Abb.  27.     S.  Francesco  in  Assisi.     Die  Unterkirche. 


192 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


an  den  zwei  Kapellen  angebaut  sind,  ein  Tonnengewölbe.  Zu  weit 
gehen  hieße  es  nun  freilich,  wollte  man  mit  Papini  ^)  annehmen,  daß 
das  Langhaus  ehemals  nur  drei  Joche  gehabt  habe ;  wie  sollte  man 
sich  dann  den  Unterbau  flir  die  Oberkirche  hier  denken,  wie  den 
Eingang  zur  Unterkirche  ?  Einige  wenige  Freskenreste  an  der  Ost- 
wand, die  wohl  derselben  Zeit  wie  die  Wandgemälde  des  Lang- 
hauses angehören,  beweisen  zur  Genüge,  daß  dieses  Joch  schon 
ursprünglich  vorhanden  war;  vermuthlich  trat  man  vom  Platze  aus 
direkt  in  dasselbe  und  war  an  der  nördlichen  Seite  die  Mauer  des 
Langhauses  weitergeführt.  Der  späteren  Erweiterung  zu  einem  Quer- 
hause gehören  demnach  bloß  die  Spitzbögen  an.  Die  Veränderung 
mag  wohl  in  derselben  Zeit  vorgenommen  worden  sein,  als  man 
an  das  westliche  Querschiff  und  an  das  Längshaus  die  Kapellen 
anbaute. 

Zu  diesem  Zwecke  wurden  spitzbogige  Oeffnungen  in  die 
Mauern  eingebrochen,  ohne  daß  man  besondere  Rücksicht  auf  die 
alten  Wandmalereien  im  Langhause  genommen  hätte ,  die  dadurch 
zum  großen  Theile  zerstört  wurden.  So  würden  sich  auf  jeder 
Seite  drei  größere  Räume  ergeben,  die  im  Norden  auch  thatsäch- 
lich  ausgeführt  und  durch  eine  gerade,  an  den  Querarm  anschließende 
Mauer  abgeschlossen  sind.  Zwischen  ihnen  entstehen  durch  etwas 
vorgeführte  Mauern  drei  kleinere  Kapellen,  in  welche  von  Süden 
her  die  thurmartigen  Pfeiler  einspringen.  Im  Süden  verhinderte 
der  Campanile,  der  in  der  Mitte  von  den  beiden,  dem  Querschiff 
nächsten  Jochen  vortritt,  eine  gleich  regelmäßige  Anlage.  Westlich 
an  den  Thurm  ward  die  oblonge,  mit  einem  kleinen  Vorraum  auf 
die  Kapelle  des  südlichen  Querarms  sich  öffnende  Sakristei  gelegt, 
östlich  entstand  zunächst  eine  unregelmäßige,  geradlinig  geschlossene 
kleine  Kapelle,  dann  von  dieser  durch  einen  kleinen  Raum  getrennt 
die  dem  dritten  Joch  entsprechende  dreiseitig  geschlossene  größere 
Kapelle  des  h.  Martin  (H).  Wie  diese  sind  auch  die  an  die  west- 
lichen Querarme  angebauten,  am  weitesten  vorspringenden  Kapellen 
des  h,  Johannes  Ev.  (südlich  A)  und  des  h.  Nikolaus  (nördlich  B) 
dreiseitig  geschlossen.  Alle  diese  Anbauten  zeigen  den  vollständig 
entwickelten  gothischen  Stil,  einen  sehr  feinen  Geschmack  und  sehr 
sorgsame  Ausführung  in  den  Details.  Daß  sie  frühestens  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  stammen,  geht  aus  dem  Um- 


^)  Notizie  sicure  S.  191. 


Beschreibung  des  Bauwerks.  ig^ 

Stande  hervor,  daß,  wie  wir  weiter  unten  sehen  werden,  die  von. 
ihnen  zerstörten  Fresken  des  Langhauses  kaum  vor  den  sechziger 
oder  siebziger  Jahren  entstanden  sein  können.  Schwerer  ist  die 
zeitHche  Begrenzung  nach  der  anderen  Seite  hin  zu  bestimmen, 
doch  ergiebt  sich  aus  dem  Stile  ihrer  malerischen  Ausschmückung 
mit  Fresken  und  Glasfenstern  mit  größter  Wahrscheinlichkeit,  daß 
sie  kaum  später  als  das  erste  Jahrzehnt  des  XIV.  Jahrhunderts  an- 
zusetzen sind  —  also  es  vorläufig  allgemein  zu  fassen :  etwa  um 
1 300 !  Daß  sie  alle  einem  einheitlichen  Plane  entsprungen  und  nicht 
etwa  in  verschiedenen  Zeiträumen  entstanden,  geht  aus  der  überein- 
stimmenden Disposition,  wie  aus  dem  in  Allem  durchaus  ähnlich 
gebildeten  Detail  hervor,  das  einen  ganz  bestimmten  Charakter 
trägt  und  sich  wesentlich  von  dem  in  der  Oberkirche  befindlichen 
unterscheidet.  Während  hier  nämlich  die  Kapitale  der  die  Ge- 
wölbepfeiler begleitenden  Säulchen  aus  durchaus  nordisch  gothischen 
Knospenblättern  bestehen,  nur  ausnahmsweise  etwas  reichere  Wein- 
blattformen vorkommen,  sind  die  Kapitale  der  sehr  feinen  schlanken 
Gewölbeträger  in  den  Kapellen  durchaus  antikisirend  gehalten  und 
zwar  von  einer  Akkuratesse  und  Feinheit  der  Ausführung,  einem 
Geschmack  in  der  Gliederung  und  Disposition  der  kleinen ,  häufig 
Spiralen  entsendenden  Akanthusblätter,  die  mir  so  nur  an  den  Ar- 
beiten der  römischen  Architekten,  namentlich  denen  der  Kosmaten- 
schule  vorgekommen  ist  —  abgesehen  von  den  wohl  von  demselben 
Meister  entworfenen  Kapellen  von  S.  Chiara  und  S.  Pietro  in  Assisi 
und  dem  einzig  vom  alten  Bau  erhaltenen  Portale  des  erzbischöf- 
lichen Palastes  von  Perugia,  der  eine  durchaus  verwandte  Behand- 
lung zeigt.  Die  nicht  abzuleugnende  charakteristische  Beziehung 
zur  römischen  Kunst  des  XIII.  Jahrhunderts,  die  in  Kontrast  zu  der 
sonstigen  nordischen  Art  des  Baues  tritt ,  läßt  also  auf  einen  Bau- 
meister schließen,  der  seine  Studien  in  der  eigentlichen  Heimath  der 
Antike  gemacht.  Für  ihn  charakteristisch  ist  ferner  die  Vorliebe 
Rir  eine  Inkrustirung  der  Wände.  Das  in  der  Nähe  von  Assisi  ge- 
fundene Material  von  rothem  und  weißem  Stein  verlockte  von  selbst 
zu  farbig  wechselnder  Dekoration.  So  finden  wir  in  allen  den  er- 
wähnten Anbauten  die  unteren  Wandflächen  mit  schachbrettartigen 
oder  ausgesprochen  gothischen  stern-  und  vierpaßförmigen  Orna- 
menten verkleidet.  Diese  finden  sich  dann  als  besondere  Eigen- 
thümlichkeit  dieser  Gegend  häufig  nachgeahmt,  so  z.  B.  an  einigen 
Grabmälern  in  San  Pietro,  in  dem  kleinen  Camposanto  von  S.  Fran- 

Thode,  Franr  von  Assisi.  I3 


194 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


cesco ,  auch  in  den  Kapellen  am  östlichen  Querschiffe  und  sonst. 
Man  darf  daher  nicht  voreilig  aus  ihrem  Vorkommen  auf  eine 
Gleichzeitigkeit  der  sie  aufweisenden  Bauten  mit  jenen  Kapellen 
schließen,  in  denen  sie  zuerst  erscheinen.  Die  Fenster  sind  in  den 
polygonen  Anbauten  zweifach,  in  den  geradlinig  geschlossenen  vier- 
fach getheilt. 

Auf  die  Zeit  der  Erweiterung  der  Unterkirche  und  vermuthlich 
auf  die  Zeichnung  desselben  Baumeisters  wird  das  schöne  Südportal 
zurückzuführen  sein  (Abb.  32).  Es  hat  zwei  im  Kleeblattbogen 
geschlossene ,  durch  zwei  Rundstäbe  eingefaßte  Thüren ,  die  von 
einem  hohen  Spitzbogen  eingerahmt  werden,  welcher  an  der  Innern 
Seite  durch  zwei  Rundstäbe,  an  der  äußeren  durch  ein  vortretendes 
mit  Weinränken  verziertes,  von  kleinen  Konsolen  begleitetes  Glied 
abgeschlossen  wird.  Ein  großes,  ausnehmend  fein  und  zierlich  ge- 
arbeitetes Radfenster,  das  dem  Fenster  in  der  Oberkirche  und  dem 
in  S.  Chiara  gegenüber  einen  entschiedenen  Fortschritt  bezeichnet, 
und  zwei  kleinere  Fünfpässe  beleben  die  Felder.  Die  Kapitale  der 
Säulchen  haben  zumeist  knospenartig  geformte  Akanthusblätter. 
Im  XV.  Jahrhundert  ward  dann  dem  Portale  eine  Vorhalle  vor- 
gelegt, deren  schmales  Tonnengewölbe  auf  zwei  vorspringenden 
korinthischen  Renaissancesäulen  ruht,  die  auf  viereckigen  Posta- 
menten stehen  und  durch  ein  kräftig  vorspringendes  Band  in  der 
Mitte  umwunden  sind.  Ueber  dem  breiten  Rundbogen,  zu  dessen 
Seiten  die  Figuren  der  Verkündigung  in  Relief  sich  befinden,  läuft 
ein  mit  Fruchtkränzen  verzierter  Fries,  auf  den  ein  von  einem 
Eierstabe  begleitetes  Gesims  folgt.  Eine  Inschrift  besagt:  ,,Frater 
Franciscus  Sanson  generalis  minorum  fieri  fecit   1487." 

Schließlich  sind  noch  die  zwei  Anbauten  im  östlichen  Quer- 
schiff zu  bemerken:  die  am  nördlichen  Ende  gelegene,  den  er- 
wähnten Kapellen  am  rechten  Querschiff  analog  dreiseitig  ge- 
schlossene Kapelle  des  Kardinals  Albornoz  (J) ,  deren  Details 
etwas  üppiger,  aber  den  oben  beschriebenen  sehr  verwandt  sind, 
und  die  kleinere  und  niedrigere  östlich  davon  angebaute  Kapelle  (K). 

Man  könnte  dieselben  vielleicht  später  entstanden  denken  als 
1300,  als  eine  Nachbildung  der  früheren  Anbauten.  Doch  bleibt 
es  wahrscheinHcher ,  daß  wenigstens  die  Kapelle  Albornoz  gleich- 
zeitig mit  diesen  ist. 

In  der  Oberkirche  (Abb.  29.  30.)  ist  die  alte  einschiffige, 
kreuzförmige  Anlage  in  ihrer  vollen  Ursprünglichkeit  erhalten.  Fanden 


Beschreibung  des  Bauwerks. 


195 


wir  in  dem  ältesten  unteren  Bau  noch  durchgängig  den  Rundbogen, 
so  zeigt  sich  hier  in  einfachster,  aber  konsequenter  Weise  die  Gothik 
angewandt.  An  Stelle  der  gedrückten  dunklen  Gewölbe  dort  herrscht 
hier  freie,  lichte  Weiträumigkeit.  Vier  fast  quadrate  Gewölbefelder 
bilden  das  Langhaus ,  in  das  man  durch  einen  schmalen  tonnen- 
gewölbten Raum,  der  innerhalb  der  dicken  Fassadenmauer  aus- 
gespart ist,  eintritt,  drei  quadratische  Gewölbe  das  Querschifif.  Die 
Apsis  ist  aus  fünf  Seiten  des  Achtecks  gebildet.  Die  Gewölbeträger 
sind  halbe  Bündelpfeiler,  durch  fünf  Säulen  gegliedert,  welche  die 
kräftig  fiinfseitig  profilirten  Rippen  und 
Quergurte  tragen.  Die  Seitenmauern  sind  in 
ihrer  vollen  Dicke  nur  bis  zu  etwa  dreiviertel 
Höhe  der  Säulen ,  darüber  dünner  empor- 
gefuhrt,  so  daß  hier  vor  den  schwächeren 
Obermauern  Raum  für  eine  einfache  Gallerie 
entsteht.  Im  Querschiff  und  an  den  zwei 
ersten  Seiten  der  Apsis  hat  dieselbe  eine 
Belebung  durch  eine  Reihe  von  kleeblatt- 
förmigen Arkaden  auf  Säulchen  erhalten. 
Trotz  Schnaase,  welcher  diese  als  eine  Zu- 
that  des  XIV.  Jahrhunderts  betrachtet,  ge- 
hören sie  dem  ursprünglichen  Bau  an ,  da 
ihre  malerische  Dekoration,  in  Sonderheit 
die  Bemalung  der  Bögen  mit  Spitzgiebeln, 
wie  weiter  unten  gesehen  wird ,  von  der- 
selben Hand  herrührt,  die  in  der  zweiten 
Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  die  Oberkirche 
ausschmückte.  Auch  stimmt  die  einfache 
Form    der  Knospenkapitäle   mit  derjenigen 

der  sonstigen  Säulenkapitäle  überein.  Hohe ,  schlanke  zweitheilige 
Fenster  mit  ganz  einfachem  Vierblatt  im  oberen  Bogenfeld  gestatten 
dem  Lichte  vollen  Eintritt,  in  dem  Querschiffe  befinden  sich  ent- 
sprechend gebildete  viertheilige  Fenster.  Die  einfache  Fassade  mit 
großer  schöner  Rosette  und  mit  dem  von  einem  Konsolensims  ge- 
säumten Spitzgiebel,  der  ein  kleineres  einfaches  Rundfenster  enthält, 
schließt  sich  an  das  Vorbild  des  älteren  Domes  von  Assisi  an.  Das 
zweigetheilte  Portal,  das  in  der  Gliederung  dem  der  Unterkirche 
entspricht,  ist  einfacher  gebildet  und  dürfte,  der  ersten  Bauperiode 
angehörig,    jenem    nur    als   Vorbild    gedient   haben,    obgleich    die 

13* 


Abb.  39.     S.  Francesco  in  Assisi. 
Die  Oberkirche. 


Iq6  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

Möglichkeit,  daß  es  später  als  1253,  etwa  auch  um  1300  entstanden, 
nicht  ganz  auszuschließen  ist,  da  es  in  der  That  eine  etwas  vor- 
geschrittene Gothik  aufweist.  Ganz  romanisirend  ist  noch  der  mit 
Thierfiguren  geschmückte  untere  Sims,  sowie  die  Anordnung  der 
vier  Evangelistensymbole  zu  Seiten  der  Rosette.  Links  an  die 
Fassade  lehnt  sich  eine  dem  Stile  nach  dem  späten  XVI.  Jahrhundert 
angehörige  Loggia  mit  Eckthürmen  an,  in  deren  Mauern  noch  der 
alte  Strebebogen  erkennbar  ist,  rechts  eine  einfache  Mauer. 

Der  Campanile  erhebt  sich  in  vier  durch  Lisenen  belebten 
Stockwerken ,  hat  romanische  Doppelfensterchen ,  Rundbogenfries 
und  an  dem  Glockenstuhle  je  drei  rundbogige  Schallöffnungen. 

Fassen  wir  kurz  die  aus  der  Betrachtung  des  Baues  gewonnenen 
Resultate  zusammen ,  so  lassen  sich  im  Wesentlichen  drei  ver- 
schiedene, den  stilistischen  Wandlungen  entsprechende  Phasen  unter- 
scheiden:  die  älteste,  noch  eigentlich  romanische,  der  die  alten 
Theile  der  Unterkirche  und  Strebepfeiler,  die  einfach  gothische,  der 
die  Oberkirche,  und  die  entwickeltere  gothische,  der  die  Kapellen- 
anbauten, das  östliche  Querschiff,  die  Ueberwölbung  des  westlichen 
Querschiffes  der  Unterkirche  und  die  Portale  angehören.  Versuchen 
wir  jetzt  diese  Thatsachen  mit  der  schriftlichen  Ueberlieferung  in 
Einklang  zu  setzen.  Dabei  wird  sich  ergeben,  daß,  wie  das  Leben 
des  Franz,  so  auch  die  Baugeschichte  seiner  Kirche  eine  legendarische 
Entwickelung  seit  Jahrhunderten  erfahren  hat  und  eine  kritische 
Sichtung  der  Quellen  in  den  meisten  Punkten  der  Tradition  wider- 
sprechende Resultate  ergiebt. 

Die  Einzigen,  die  den  freilich  nur  spärlichen  archivalischen 
Quellen  gerecht  geworden  sind,  waren  Papini  und  neuerdings  Fratini, 
dessen  Beschreibung  und  Geschichte  der  Kirche  wohl  im  Wesent- 
lichen auf  des  verstorbenen  Cristofani  Forschungen  zurückgehen. 
Erneute  Untersuchungen ,  die  ich  im  Archive  vorgenommen ,  und 
die  mir  bei  der  längere  Zeit  in  ihm  herrschenden  vollständigen 
Unordnung  durch  die  gütige  Hülfe  des  Prof.  Alessandri  erleichtert 
wurden,  haben  verhältnißmäßig  wenig  Neues  ergeben  und  lassen 
mich  befürchten ,  daß  thatsächlich  dort  kein  weiterer  Aufschluß 
über  den  Bau  und  die  künstlerische  Ausschmückung  der  Kirche  in 
den  ersten  Jahrhunderten  zu  holen  ist.  Sieht  es  nicht  wie  eine 
Ironie  des  Schicksals  aus,  daß  zahllose  Notizen  in  den  Rechnungs- 
büchern uns  über  die  Thätigkeit  von  unbedeutenden  Handwerkern 
im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert  unterrichten,  der  Name  Giotto  oder 


Die  Baugeschichte  nach  den  älteren  Quellen.  197 

Cimabuc  aber  kein  einziges  Mal  erscheint,  daß  wir  genau  bestimmen 
können ,  in  welchem  Jahre  die  Bleifassungen  der  Fenster  erneuert 
worden  sind,  aber  ganz  im  Ungewissen  bleiben,  wann  jene  gewaltigen, 
für  die  Geschichte  der  Kunst  so  überaus  wichtigen  Fresken  ent- 
standen sind,  die  alle  Wände  bedecken  ?  Indessen,  was  wir  erfahren, 
genügt  doch  manche  Punkte  aufzuklären,  annähernde  Bestimmungen 
zu  machen,  wenn  wir,  was  Papini  und  Fratini  in  dem  Maße  nicht 
vermocht,  zugleich  die  Denkmäler  selbst  mit  in  die  kritische  Be- 
trachtung ziehen.  Die  mannichfachen  Behauptungen,  die  seit  Vasari 
aufgestellt  wurden,  alle  einzeln  zu  widerlegen,  würde  keinen  Zweck 
haben :  was  positiv  beglaubigt  ist ,  mag  im  Folgenden  in  den 
Vordergrund  gestellt  werden. 

II.   Die  Baugeschichte  nach  den  älteren  Quellen. 

Zwei  Jahre  waren  vergangen,  seit  Franz  gestorben  und  in  der 
alten  Kirche  S.  Giorgio  bestattet  worden  war,  da  kam  Papst 
Gregor  IX.  selbst  nach  Assisi,  auf  Grund  der  Zeugnisse  und  Wunder, 
die  von  allen  Seiten  her  gesammelt  und  berichtet  wurden,  ihn  in 
die  Zahl  der  Heiligen  aufzunehmen.  Am  16.  Juli  1228  ward  mit 
größtem  Pomp  die  Kanonisation  vollzogen,  und  am  folgenden  Tage 
legte  Gregor  selbst  den  ersten  Stein  zum  Bau  der  Kirche  S.  Fran- 
cesco. Die  alte  Legende,  die  bis  auf  unsere  Tage  sich  erhalten, 
erzählt,  daß  Franz  selbst  den  Wunsch  ausgesprochen  habe,  an  der 
vcrachtetsten  Stelle  der  Stadt,  dort  wo  die  Verbrecher  hingerichtet 
wurden ,  auf  dem  collis  inferni  begraben  zu  werden ,  und  daß  an 
diesem  Orte,  der  nun  zum  collis  Paradisi  wurde,  auch  der  Bau  zu 
seinen  Ehren  errichtet  ward.  Es  ist  aber  eine  Legende,  wie  so 
viele  andere,  die  durch  eine  alte  Urkunde  entkräftet  wird,  aus  der 
hervorgeht,  daß  schon  Anfang  1228  der  Bau  geplant  war,  und  daß 
ein  Privatmann  Simon  Puzarelli  den  Mönchen  zur  beliebigen  Ver- 
wendung ,,  eines  Oratoriums  oder  einer  Kirche  für  den  seligen 
Leichnam  des  heiligen  Franziskus  oder  was  immer  sie  machen 
wollen"  ein  ihm  gehöriges  Stück  Land  geschenkt.  (Vergl.  die 
Urkunde  im  Anhang  II.)  Der  ,,Frater  Elias",  der  auch  hiernach 
also  wie  nach  den  Denkwürdigkeiten  des  Jordanus  von  Giano^) 
damals    noch    nicht    General    des    Ordens    war,    erscheint    hier   als 


^)  Vergl.  Georg  Vogt:  D.  D.  des  Minoriten  J.  v.  G.  Abhdl.  der  phil.-hist,  Klasse 
der  k.  Sachs.  Ges.  der  Wissenschaften.     Leipzig   1870. 


igg  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

„recipiens  pro  papa  gregorio".  Am  31.  Juli  1229  macht  ein  Mo- 
naldus  Leonardi  eine  weitere  Schenkung  von  Land.^)  Andere 
Bürger  befolgen  das  Beispiel  nach  erhaltenen  Urkunden  in  den 
Jahren  1241,  1242,  1248,  1249,  1250.^)  In  einer  Bulle  vom  21.  Ok- 
tober 1228  nimmt  Gregor  das  zuerst  von  der  Bürgerschaft  dem 
päpstlichen  Stuhle  geschenkte  Land  an  und  verleiht  der  neuen 
Basilika  das  Recht  der  Immunität.'^)  Dasselbe  bestätigt  er  am 
22.  April  1230  und  bestimmt,  daß  die  Kirche  fortan  „caput  et 
mater"  des  ganzen  Ordens  sein  sollte.'')  Inzwischen  scheint  der 
Bau  rüstig  fortgeschritten  zu  sein,  da  der  Papst,  nachdem  Pfingsten 
1230  das  Generalkapitel  in  Assisi  abgehalten  worden  war,  in  einer 
Bulle  vom  16.  Mai  1230  die  Uebertragung  des  Leichnams  in  die 
Kirche  anordnen  konnte,  welche  am  25.  Mai  1230  feierlich  vollzogen 
wurde.  Hören  wir  die  Worte  des  alten  Biographen  des  Franz,  der 
des  Thomas  von  Celano  Legende  bearbeitete  und  fortsetzte  und 
von  Suysken  mit  Thomas  von  Ceperano  identifizirt  wurde. ^) 

„Im  Jahre  des  Herrn  1230,  als  eine  nicht  geringe  Anzahl 
Brüder  zur  Uebertragung  des  Heiligen  und  zur  Feier  des  General- 
kapitels aus  den  verschiedensten  Theilen  der  Welt  in  genannter 
Stadt  sich  versammelt  hatten,  sandte  der  schon  erwähnte,  ihnen 
besonders  zugethane  Vater,  der  Papst  Gregor,  auf  dessen  persönliche 
Gegenwart  bei  dieser  Feierlichkeit  der  Uebertragung  man  gehofft 
hatte,  der  aber  damals  durch  andere  dringende  Kirchengeschäfte 
abgehalten  wurde,  einige  feierliche  Boten  mit  Briefen  dahin,  in 
denen  er  nicht  allein  den  zwingenden  Grund  seiner  unerwarteten 
Abwesenheit  erklärte,  sondern  auch  den  Söhnen,  die  er  mit  väter- 
licher Liebe  tröstete,  die  Mittheilung  von  der  Auferweckung  eines 
Todten  durch  den  heiligen  Franziskus  machte.  Dazu  sandte  er 
durch  dieselben  Boten  ein  goldenes  Kreuz,  das  köstlich  mit  Gemmen- 
arbeit geschmückt  war,  aber  zugleich  ein  Stück  Holz  vom  Kreuze 
des  Herrn ,  das  kostbarer  als  alles  Gold  ist ,  enthielt ;  außerdem 
Schmuckgewänder  und  einige  für  den  Gebrauch  des  Altars  bestimmte 
Gefäße,  sowie  sehr  würdige  Gewänder  für  den  festlichen  Gebrauch. 


^)  Instrumenta  diversa  pertinentia  ad  vS.  Conventum.    Bd.  II,   1228 — 1229.    N.  II, 
")  In  demselben  Bande. 

^)  Sammlung    der   Bullen..    I.  Bd.  —  Abgedr.  bei    Padre  Angeli:    CoUis  Paradisi 
lib.  II,  p.  8. 

*)  Ebds.     Angeli:  ebds. 

'')  Acta  Sanctorum.     App.   §  32.     S.  681. 


Die  Baugeschichte  nach  den  älteren  Quellen.  199 

Und  alle  diese  sehr  kostbaren  Dinge  wies  er  der  Basilika  des 
heiligen  Franz  zu,  die,  von  aller  niedern  Jurisdiktion  eximirt,  unter 
seiner  Autorität  gebaut  wurde,  und  deren  ersten  Stein  er  selbst 
gelegt.  Aber  auch  andere  nicht  geringe  Geschenke  als  Beiträge 
zum  Bau  sowohl,  wie  zu  der  bevorstehenden  Feierlichkeit  gab  er  her. 
So  wurde  der  heiligste  Leichnam  zu  der  außerhalb  der  Mauern  der 
Stadt  gebauten  Kirche  an  einem  Sabbath  am  8.  Tage  der  Kaienden 
des  Juni  mit  so  festlicher  Zurüstung  übertragen,  daß  es  in  kurzen 
Worten  nicht  beschrieben  werden  kann;  und  so  groß  war  die 
Menge  des  Volkes,  die  zu  diesem  Feste  der  Uebertragung  zu- 
sammengeströmt war,  daß  die  Stadt  sie  nicht  fassen  konnte  und 
sie  wie  Heerden  schaarenweise  ringsum  auf  den  Feldern  lagerten." 
Von  den  Unruhen,  welche  die  Zeremonien  störten,  wird  hier  nichts 
lautbar;  doch  erfahren  wir  davon  aus  einer  Bulle  Gregor's  vom 
16.  Juni,  in  der  er  sich  über  die  ihm  und  dem  Heiligen  angethane 
Schmach  bitter  beklagt.  Bewaffnete  waren  in  die  Prozession  ein- 
gebrochen, sie  hatten  den  Leichnam  entführt,  die  Thore  der  Kirche 
dem  Volke  verschlossen  und  Franz  im  Innern  begraben.  Aus 
welchem  Grunde  diese  Gewaltthätigkeit  geschah,  ist  noch  nicht  recht 
aufgeklärt:  wie  es  scheint,  fürchtete  man  einen  gewaltsamen  Raub 
der  kostbaren  Reliquie  von  feindlicher  Seite.  Oder  wollte  Elias  es 
vermeiden,  daß  das  Volk  noch  einmal  den  wundengezierten  Leib 
des  Heiligen  sähe.''  Jedenfalls  wird  diese  Thatsache  in  dem  Jahr- 
hunderte dauernden  späteren  Streit  über  den  Ort,  wo  Franz  begraben 
liege,  vielfach  zu  allerlei  Vermuthungen  und  Legenden  ausgenutzt. 
Die  nächste  Nachricht  über  die  Kirche  ist  uns  von  Angeli 
erhalten,  der  hier  angeblich  ein  altes  Manuskript  benutzte,  das 
Papini  ebenso  wenig  wie  Cristofani  und  mir  bekannt  ist  und  sich 
offenbar  nicht  mehr  im  Archive  befindet.  Danach  ernannte  Johannes 
de  Parentibus ,  der  in  der  That  nach  Jordanus  und  Salimbene  bis 
1232  General  war,  im  Namen  des  Papstes  den  Piccardus  Morico 
zum  Verwalter  der  Kirchenbaugelder  unter  der  Verpflichtung,  mit 
Philippus  Campellus  zu  partizipiren  und  dem  Kardinal  Protektor 
Rechenschaft  abzulegen.  Gerade  diese  Notiz  aber  ist  von  großer 
Wichtigkeit,  da  aus  ihr  hervorgeht,  daß  also  schon  vor  1232 
Philippus  de  Campello  der  Baumeister  ist,  von  einem  Jacobus  aber 
nichts  verlautet.  Wie  weit  der  Bau  der  Oberkirche  im  Jahre  1236 
gefördert  war,  ist  nicht  genau  zu  sagen.  Man  hat  gewöhnlich  aus 
einem   1236  bezeichneten  Kruzifix,  das  Giunta  für  Elias  gemalt  und 


200  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


das  sich  auf  dem  Querbalken  der  Oberkirchc  befand,  geschlossen, 
daß  diese  schon  in  jenem  Jahre  eingewölbt,  ja  vollendet  war. 
Ersteres  ist  wahrscheinlich,  für  letztere  Annahme  ist  jenes  Kruzifix 
nicht  entscheidend.^)  Sicher  ist,  daß  in  jenen  Jahren  Elias  besonders 
in  Deutschland  eifrig  Geld  für  den  Bau  eintreiben  ließ ,  wovon 
Jordanus  zu  erzählen  weiß.  Daß  diese  Geldeintreibungen  viele  der 
Brüder  sehr  erbitterten,  daß  die  Zeloten  in  ihrer  Wuth  die  am 
Eingange  der  Kirche  für  Beiträge  aufgestellte  Marmorschale  zer- 
störten ,  mag  auf  glaubwürdiger  Tradition  beruhen ,  wird  aber  von 
Wadding  irrthümlich  schon  zum  Jahre  1229  erzählt.^)  Die  Annahme 
Angeli's,  daß  von  Elias  die  12  Thürme  erst  hinzugefügt  worden 
seien ,  stützt  sich  auf  Nichts ,  vielmehr  werden  dieselben  in  den 
Anfang  des  Baues  zu  versetzen  sein.  Wohl  aber  muß  in  dem  Jahre 
1239  der  Campanile  vollendet  gewesen  sein,  da  damals  die  Glocken 
gefertigt  wurden,  deren  Inschriften  uns  erhalten  sind.'')  Die  eine 
lautete:  ,,A.  D.  1239  Fr.  Elias  fecit  fieri  Bartholomaeus  Pisanus 
me  fecit  cum  Loteringio  filio  ejus.  Ora  pro  nobis  Beate  Francisce. 
Ave  Maria  gratia  plena.  Alleluja."  Die  andere:  „Anno  D.  1239. 
Papac  gregorii  tempore  Noni  Caesaris  ac  potentissimi  Friderici. 
O  Francisce  pie,  fratris  studio  sed  Heliae.  Christus  regnat,  Christus 
vincit.  Christus  imperat  mentem  Sanctam,  Spontaneam,  Honorem 
deo  et  Patriae  liberationem.  Cum  fit  Campana,  quae  dicitur  Italiana, 
Bartholomaeus  Pisanus  fecit  cum  Lotharingio  filio  ejus.  Ave  Maria 
gratia  plena  Dominus  tecum ,  benedicta  tu  in  Mulieribus ,  et  bene- 
dictus  fructus  ventris  tui."  Nach  Rodulphus  wurde  noch  eine  dritte 
auf  Elias'  Betreiben  gefertigt,  während  Salimbene  (lib.  d.  praelato 
a.  a.  O.  S.  406)  fünf  erwähnt,  ,,von  denen  jenes  ganze  Thal  in  er- 
götzendem Zusammenklang  erfüllt  wurde".*)  Die  kleineren  Glocken 
scheinen  von  Peruginer  Künstlern  ausgeführt  zu  sein,  die  1243  ^^ 
einer  Urkunde  quittiren. '^) 

')  Es  ward  1623  entdeckt.  "Wadding  I,  S.  397.  Morrona:  Pisa  illustrata  II,  S.  126. 

'■^)  Rodulphus  Hist.  Ser.  Rel.  II,  p.  247.     Annales  II,  B.  1229.     S.  216. 

•')  Rodulphus  a.  a.  O.  II,  S.  247.  Danach  bei  Wadding  II,  S.  398  und  Angeli; 
Collis  Par.  tit.  XVII,  S.   30. 

^)  Pisa  war  damals  für  seine  vortrefflichen  Glockengießer  bekannt.  Man  vergl. 
die  Erzählung  bei  Salimbene,  a.  a.  O.  S.  341  z.  J.  1285,  wie  die  Parmenser  einen 
Meister  von  Pisa  berufen,  damit  er  ihnen  eine  Riesenglocke  gieße,  die  bis  Reggio 
und  Borgo  San  Donnino  vernehmbar  sei,  wie  der  Glockengießer  als  großer  Baron 
angethan  ankommt  und  der  Guß  mißlingt. 

■'')  Instrumenta  diversa  etc.     Bd.   II.     N.  VII. 


Die  Baugeschichte  der  älteren  Quellen.  2OI 

Daß  noch  im  Jahre  1239  an  der  Kirche  selbst  gebaut  wurde,  be- 
weist eine  bisher  nur  von  Papini  und  Mothes  beachtete  Urkunde,  die 
aber  namentlich  von  Letzterem,  wie  später  besprochen  wird,  voll- 
ständig falsch  gelesen  worden  ist  (vgl.  ihren  Wortlaut  im  An- 
hange 11).^)  Dieselbe  behandelt  einen  Vertrag,  der  zwischen  Elias 
und  dem  Syndikus  und  Prokurator  von  S.  Francesco :  frate  Jacopo 
von  Bevagna  einerseits  und  den  Brüdern  Sanguonius  und  Thomas 
Uffreducii ,  einer  auch  sonst  in  Urkunden  häufig  vorkommenden 
Familie  von  Assisi,  am  26.  Mai  1229  abgeschlossen  wurde,  wonach 
sich  die  Ersteren  verpflichteten,  die  Travertinblöcke,  die  sie  zum 
Bau  von  S.  Francesco  einem  Jenen  gehörigen  Gebäude  entnommen 
haben ,  wieder  zu  ersetzen.^)  Aus  dem  folgenden  Jahrzehnt  fehlen 
dann,  abgesehen  von  einer  Urkunde  vom  4.  Oktober  1246,  in 
welcher  die  Umgränzung  des  Platzes  vor  der  Kirche  bestimmt  wird-^), 
alle  Nachrichten,  bis  Innocenz  IV.,  nachdem  er  am  13.  Februar  1252 
eine  Bulle  mit  der  Verheißung  des  Ablasses  von  einem  Jahre  und 
40  Tagen  für  Alle,  welche  die  Kirche  am  Tage  des  Heiligen  und 
während  der  vierzehn  folgenden  Tage  besucht,  erlassen,  selbst  nach 
Assisi  kam  und  in  Gegenwart  der  Kardinäle  Rinaldo  dei  conti 
di  Segni ,  Riccardo  Annibaldi  und  Giangaetano  degli  Orsini  am 
25.  Mai  1253  die  Kirchen  weihte.^)  Im  Wesentlichen  waren  diese 
gewiß  jetzt  vollendet,  doch  wie  es  scheint,  auch  noch  nicht  ganz, 
da  Innocenz  IV.  in  einem  von  Angeli  publizirten  Brief  an  Frater 
,,Philippus  de  Campello  Ordinis  Minorum  Magister  et  Praepositus 
operis  Eccl.  S.  F."  Diesem  gestattet,  Almosen  in  Geld  anzunehmen 
und  für  die  Kirche  zu  verwenden.  Leider  ist  die  betreffende  Stelle 
zu  allgemein  gehalten,  als  daß  man  ihr  Näheres  entnehmen  könnte.'^) 


')  Instrumenta  a.  a.  O.     N.  III. 

^)  Die  Quittung  der  Brüder  Uffreducii  fand  ich  in  demselben  Bande  der  Instru- 
menta —  vom  29.  Oktober   1266.     N.  XXVIII. 

^)  Instrumenta  Bd.  II,  IV.  Vergl.  auch  ein  anderes  vom  15.  März  1235,  in  dem 
beschlossen  wird,  behufs  Erweiterung  des  Platzes  zwei  Häuser  abzureißen. 

*)  Die  alte  falsche  Annahme,  die  Weihe  habe  1235  stattgefunden  (Wadding),  ist 
schon  im  Collis  Paradisi  und  in  den  Acta  sanctorum  endgültig  widerlegt  worden. 

'')  Die  Stelle  lautet  vollständig :  Hinc  est ,  quod  cum  venerabilis  Ecclesia  S.  F. 
Assisiatis  nondum  sit  decenti ,  prout  convenit ,  opere  consumata ,  Nos  cupientes  ob 
reverentiam  S.  ejusdem  seduli  apud  Deum  pro  populo  Christiane  Patroni,  dictam  Eccle- 
siam ,  et  nobili  compleri  structura ,  et  insignis  praeeminentia  operis  decorari ,  ut  obla- 
tiones  in  pecunia,  tu  et  alii  qui  Prepositi  operis  ejusdem  Ecclesiae  pro  tempore  fuerint, 
ad  Altaria  ipsius  Ecclesiae ,   ac  alias  etiam  pro  eodem  opere  recipere  valeatis ,  in  idem 


202  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

In  der  folgenden  Zeit  hören  wir  so  gut  wie  Nichts  mehr  von  dem 
Bau.  Daß  Philippus  de  Campello  den  Altar  dem  heiligen  Stanislaus 
errichtet,  der  1253  hier  kanonisirt  worden  war,  geht  aus  einem  bei 
Angeli  angeführten  Briefe  Alexander's  IV.  (VII.  Kai.  Febr.  1256) 
hervor,  doch  überläßt  derselbe  Autor  sich  gleich  darauf  durchaus 
unbegründeten  Vermuthungen ,  wenn  er  denselben  Baumeister  bei 
dieser  Gelegenheit  den  Anbau  der  Kapellen  vorschlagen  läßt.^)  Es 
muß  dem  entgegen  betont  werden,  daß  wir  keine  authentischen 
Nachrichten  über  den  Anbau  besitzen,  und  daß  es  nur  mehr  oder 
weniger  alte  Traditionen  sind,  denen  die  verschiedenen  Schriftsteller 
folgen ,  wenn  sie  als  Baumeister  Philippus  de  Campello  oder,  wie 
es  Cristofani  in  seinem  Guida  im  Hinblick  auf  das  östliche  Quer- 
schiff der  Unterkirche  thut,  Giotto  nennen. 

Von  Interesse  aber  für  die  Baugeschichte  sind  von  den  zahl- 
reichen, meist  Privilegien  gewährenden  päpstlichen  Bullen  der 
folgenden  Zeit,  die  alle  hier  zu  erwähnen  keinen  Zweck  hätte,  eine 
vom  15.  Juli  1254  datirte,  in  welcher  Innocenz  IV.  der  Kirche  das 
Recht  ertheilt,  werthvolle  Geräthe,  Gewänder  und  Bücher  zu  besitzen, 
sowie  zwei  andere  von  Alexander  IV.  erlassene ,  aus  denen  wir 
Einiges  über  die  zum  Bau  der  Kirche  gelieferten  Geldbeiträge  er- 
fahren. Aus  der  ersteren  vom  18.  März  1255  nämlich  geht  hervor, 
daß  Wenzeslaus,  König  von  Böhmen,  solche  nach  Assisi  gesandt, 
sein  Vermittler  aber ,  ein  conte  d'Ardetb ,  nicht  die  ganze  Summe 
den  Mönchen  ausgezahlt ,  wozu  nun  seine  Witwe  und  seine  Söhne 
angehalten  wurden.  Die  andere  vom  15.  Dezember  1260  betreibt 
die  Auszahlung  der  von  den  Christen  in  Marocco  für  den  Bau  ge- 
sandten Summen,  die  zwei  Kaufleute  in  Genua :  Niccolö  Calvo  und 
Giovanni  di  Mongiardino  unterschlagen  hatten.  Endlich  ist  noch 
eine  Bulle  Nicolaus'  IV.  zu  erwähnen  (12.  Mai  1288),  in  der  er  der 
Kirche  Geschenke  (namentlich  Stoffe)  zuweist,  sowie  eine  andere 
vom  15.  Mai  1288,  in  der  er  anordnet,  daß  die  in  S.  Francesco 
und  der  Portiuncula  gespendeten  Almosen  in  Anbetracht  dessen, 
daß  die  Erhaltung  der  Kirche  S.  Francesco  nicht  geringe  Kosten 
mache,  hierfür  verwendet  würden. 


opus  totaliter  et  fideliter  expendendas,  prout  Ven.  Frater  noster  Ostien.  et  Velletren. 
Episcopus  vel  alius  Romanae  Ecclesia  cardinalis ,  qui  Ordinis  Fratrum  Minorum  pro- 
tector  extiterit,  ordinanduin,  vel  disponendum  duxerit,  et  indulgemus  etc.  Collis  Parad. 
II.  Th.  S.  20. 

1)  Collis  Parad.  Tit.  XXV.     S.   35  f. 


Die  Baugeschichte  nach  den  älteren  Quellen.  203 

Damit  sind  die  schriftlich  erhaltenen  Nachrichten  über  die  Ent- 
stehung der  merkwürdigen  Kirche  erschöpft ;  die  wenigen  Verän- 
derungen, die  sie  in  den  folgenden  Jahrhunderten  erfuhr,  sollen 
weiter  unten  kurz  im  Zusammenhang  mit  der  Besprechung  des 
Klosters  erwähnt  werden.  Was  besonders  auffällt,  bleibt  immer, 
daß  kein  altes  Dokument  uns  den  Namen  des  Baumeisters  der 
Unterkirche  erhalten  hat.  Die  einzige  auf  denselben  bezügliche  An- 
gabe findet  sich  bei  Vasari ,  der  ihn  Jacopo  Tedesco  nennt ,  und 
auf  Vasari  allein  stützt  sich  die  Angabe  aller  Schriftsteller,  die  bis 
auf  den  heutigen  Tag  von  S.  Francesco  gesprochen.  Es  verdient 
dies  scharf  hervorgehoben  zu  werden,  da  man  bisher  geglaubt,  der 
Padre  Angel i  habe  noch  eine  Urkunde  gekannt,  in  der  jener  Jacopo 
erwähnt  gewesen.  Dies  war  aber  bestimmt  nicht  der  Fall  —  auch 
Angeli  folgt,  wie  er  selbst  deutlich  genug  sagt,  Vasari's  Angaben 
und  schmückt  dieselben  in  der  Absicht,  den  Vorgang  pragmatisch 
anschaulich  zu  schildern,  nur  reicher  aus.  Die  Worte  Vasari's :  „es 
wurde  nach  vielfacher  Ueberlegung  als  bester  Baumeister  von  Allen, 
die  sich  damals  finden  ließen,  ein  Meister  Jacopo  Tedesco  nach 
Assisi  gebracht",  dienten  ihm  offenbar  als  Grundlage  für  seine  be- 
lebte Erzählung,  wie  eine  Konkurrenz  ausgeschrieben  und  wie 
dann  der  Bau  begonnen  wurde. ^)  Von  Philipp  de  Campello  aber 
weiß  Vasari  Nichts,  und  doch  erscheint  Filippo  schon  um  1232, 
also  in  der  Zeit,  als  man  die  Oberkirche  begann,  als  Leiter  des 
Baues  und  bleibt  es  bis  zum  Jahre  1253.  Das  darf  uns  billig  miß- 
trauisch machen  gegen  des  Aretiners  Angaben,  die  ja,  namentlich 
was  das  XIII.  und  XIV.  Jahrhundert  anbetrifft,  nur  mit  der  größten 


^)  CoUis  Paradisi  Tit.  IV.  S.  4.  Impossibile ,  nedum  difficile  cunctis  videbatur 
in  tarn  arduo  situ  tot  inter  vortices ,  voragines  et  scopulos ,  per  amoenum  aliquod 
magnilicum  et  durabile  excitandum  fore  aedificium.  Quisque  (ut  in  similibus  evenire 
solet)  suam  proferebat  sententiam  ,  objectionem ,  praedictionem.  At  impavidum  Heliae 
ingenium  totum  S.  Patris  datum  amori  incumbens  gloriae ,  nil  trepidabant.  Accito 
proptera  ex  Germania  omnium  Architectonices  peritorum  illius  aevi  peritissimo  Jacobo 
Alemanno ,  ut  refert  Georgius  Vasarius  in  vitis  pictorum  et  architectorum  t.  prim. 
in  vita  Amolfi  9  convocatisque  aliis  in  eadem  arte  versatis ,  quos  inter  adhuc  juvenis 
devotione  ductus  adfuit  Philippus  de  Campello  qui  postea  Ordinem  ingressus  est,  et 
post  Jacobum  praedictum  totius  operis  Praefectus  est  constitutus.  Considerato  emensoque 
situ ,  variis  propositis  exemplaribus  perpensisque  schematibus ,  omnes  iudicio  Jacobi 
steterunt;  et  quintodecima  Mensis  Maji  die  1228  fundamentis  fodiendis  multiplex 
imposita  fuit  manus.  CoUem  undique  artilices  occuparunt,  quidam  scindendis  scopulis, 
alii  eruendis  petris,  alii  ceteris  praeparandis  materialibus  addicti.     Etc. 


204 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


Vorsicht  aufgenommen  werden  dürfen.  Ja ,  wäre  es  freilich ,  wie 
Mothes  mit  ungerechtfertigten  Ausfällen  gegen  seine  Vorgänger  als 
klar  und  zweifellos  hinstellt,  wirkHch  erwiesen,  daß  eine  Urkunde 
den  Jacopus  von  Merania  als  Baumeister  nenne,  dann  wäre  Vasari 
gerechtfertigt.  Wie  Jeder  aber  aus  dem  im  Anhange  gegebenen 
Text  derselben  erkennen  kann ,  handelt  es  sich  hier  um  nichts 
weniger  als  einen  Baumeister  Jacopus  de  Merania,  sondern  um  den 
Syndikus  und  Prokurator  von  S.  Francesco :  Jacopo  von  Bevagna, 
einer  unweit  Assisi  gelegenen  Stadt.  Dieselbe  Urkunde  lehrt  uns 
aber  einen  anderen  Architekten  als  anwesenden  Zeugen  kennen ;  den 
Magister  Paulus  Luprandi,  der  demnach  vermuthlich  unter  Philipp 
de  Campello  arbeitete. 

Woher  hat  also  Vasari  seinen  Jacopo  genommen ,  aus  alten 
Ueberlieferungen  oder  ist  er  nur  ein  Gebilde  seiner  Phantasie.''  Für 
letzteres  ließe  sich  wohl  Manches  geltend  machen !  Ist  doch  die 
ganze  Biographie  Arnoifo's  di  Cambio,  wie  archivalische  Forschungen 
ergeben  haben,  ein  mehr  oder  weniger  willkürlich  erfundener  Roman, 
der  sich  am  Besten  erklären  läßt  aus  der  Absicht,  das  Auftreten 
des  gothischen  Stiles,  der  für  Vasari  ja  der  barbarische  deutsche 
ist,  in  Florenz  zu  begründen.  Arnolfo,  den  er  als  Architekten  dem 
Maler  Cimabue,  also  als  Neuerer  vergleicht,  ist  für  ihn  der  Sohn 
eines  Lapo,  dem  er  in  vielfach  sich  widersprechender  Ausführung  eine 
Anzahl  Bauten  zuschreibt,  die  früher  als  Arnoifo's  Kirchen  den 
gothischen  Stil  zeigen.  In  die  Reihe  derselben  gehört  S.  Fran- 
cesco, und  so  wird  Lapo  mit  dem  Architekten  dieses  Baues  iden- 
tifizirt  und  sein  eigentHcher  Name  aus  der  florentinischen  Abkürzung 
als  Jacopo  wiederhergestellt.  Daß  er  ihn  dann  zum  Deutschen 
macht,  ist  leicht  verständlich,  da  S.  Francesco  ja  für  ihn  die  erste 
deutsch -gothische  Kirche  in  Italien  ist.  In  dieser  Weise  ließe  sich 
ohne  besondere  Schwierigkeiten  die  Entstehung  des  Jacopo  Tedesco 
bei  Vasari  erklären.  Daß  er  mit  Lapo  eine  bestimmte  Persönlich- 
keit im  Auge  hatte,  ist  leicht  möglich,  es  kann  ja  neben  jenem 
Lapo ,  der  als  Genosse  des  Arnolfo  in  Siena  erwähnt  wird ,  noch 
ein  anderer  Baumeister  Lapo  existirt  haben,  von  dem  er  Einiges 
gehört.  Daß  Arnoifo's  Vater  aber  nicht  Lapo ,  sondern  Cambio 
hieß,  ist  längst  erwiesen  und  damit  noch  deutlicher  gezeigt,  daß 
die  ganze  Erzählung  von  Jacopo  oder  Lapo  Tedesco  zum  größten 
Theile  Erfindung  ist. 

Auf  der  anderen  Seite  aber  wäre  es  eben  so  wohl  auch  denk- 


Die  Baugeschichte  nach  den  älteren  Quellen.  205 


bar,  daß  Vasari's  Erzählung  vom  Vater  Arnolfo's  eine  alte  Tradition 
in  Assisi  entgegenkam,  die  als  Baumeister  der  Franziskuskirche  einen 
Jacobus  nannte.  Dies  könnte  eine  Bestätigung  finden  in  einem 
leider  nicht  vollständig  erhaltenen  Manuskript  des  Archives  da- 
selbst, das  eine  bis  jetzt  für  die  Geschichte  der  Kirche  noch  nicht 
ausgenutzte  Beschreibung  derselben  enthält.  Dasselbe,  wohl  im 
XVII.  Jahrhundert  geschrieben,  geht,  wie  aus  einigen  Stellen  ersichtlich, 
auf  ein  anderes,  damals  im  Archive  befindliches  1570  geschriebenes 
Manuskript  eines  Fra  Lodovico  di  Castello  zurück ,  das  ich  jetzt 
nicht  mehr  aufzufinden  vermochte,  ^)  Nun  könnte  es  scheinen, 
als  kenne  der  Schreiber  die  ,,vite"  des  Vasari  nicht,  da  er  viele 
abweichende  Bestimmungen  bringt,  doch  scheint  es  auch  nur,  da 
er  in  diesen  offenbar  dem  von  Vasari  unabhängigen  Fra  Lodovico 
folgt,  andrerseits  aber  wiederholt  Vasari  abschreibt,  wie  bei  der 
Beschreibung  des  Denkmales  der  Königin  von  Cypern ,  als  dessen 
Verfertiger  er  Fuccio  nennt,  dem  er  wie  Vasari  auch  die  1229  ge- 
baute Kirche  S.  Maria  sopra  l'Arno  zuschreibt.  So  kommt  wohl 
auch  die  Notiz :  der  Baumeister  von  S.  Francesco  sei  ,,Jacomo 
Todesco ,  trovandosi  all'  hora  in  Italia  di  gran  fama  de  Pittore  et 
Architettore"  von  Jenem  her,  und  beweist  für  unsere  Zwecke  Nichts. 
Viel  wichtiger  ist  es  zu  wissen,  daß  eine  andere  alte  ausführliche 
Beschreibung  der  Kirche,  die  höchst  ungerechtfertigter  Weise  ganz 
in  Vergessenheit  gerathen  ist.  Nichts  von  dem  Baumeister  weiß. 
Petrus  Rodulphus  in  seinen  historiarum  Seraphicae  religionis  libris 
tres  sagt :  ,, Dieser  Bau  hat  nichts  gemein  mit  jenem  Stile,  den  Vi- 
truvius  als  Architekt  feststellte,  sondern  ist  ein  Teutonisches  Werk. 
Den  Namen  des  Erbauers  habe  ich  nicht  gefunden."  -)     Wenn  schon 

*)  Papini ,  der  es  einige  Male  in  den  Notizie  sicure  erwähnt ,  ohne  es  doch  aus- 
zunutzen, scheint  auch  nur  die  von  mir  erwähnte  freie  Kopie,  in  der  auch  ein  anderes 
Manuskript  des  Malers  Adone  Doni  für  die  Beschreibung  der  Fresken  der  Oberkirche 
verwerthet  wird,  zu  kennen.  Sie  erhielt  i.  J.  1822  Randglossen,  die  neben  einigen 
archivalischen  Notizen  namentlich  Vasari's  Angaben  vergleichend  hinzusetzen.  Eine 
ganze  Reihe  von  Blättern,  darunter  leider  das  Titelblatt  und  der  Anfang,  fehlen.  Die 
übrigen  sind  ungeordnet  und  bringen  häufig  Wiederholungen,  so  daß  man  annehmen 
möchte,  der  Kopist  habe  nur  vorläufig  alle  wichtigen  Notizen  zusammenstellen  wollen, 
um  später  daraus  ein  Ganzes  zu  machen.  Ich  werde  das  Manuskript  im  Texte  einfach 
als  ,,alte  Beschreibung"  zitiren. 

*)  Lib.  II  p.  247.  Vergl.  die  im  Anhange  III  ihrer  Bedeutung  wegen  vollständig 
gegebene  Beschreibung  von  S.  Francesco ,  die  Wadding  nicht  überall  genau  in  seinen 
Annalen  II,  S.  397  zu  1235  wiedergab.  Ich  benutzte  ein  Exemplar  des  höchst  seltenen 
Werkes  des  Rodulphus  in  der  Wiener  Hofbibliothek. 


2o6  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

ein  mit  dem  Archive  von  S.  Francesco  so  vertrauter  und  so  gründ- 
licher Schriftsteller,  wie  Rodulphus  es  zweifelsohne  gewesen,  ein 
Zeitgenosse  des  Vasari  selbst,  so  bestimmt  behauptet,  Nichts  von 
dem  Baumeister  erfahren  zu  haben,  so  wird  es  geradezu  zur  Un- 
möglichkeit, behaupten  zu  wollen,  Vasari  habe  auf  Grund  irgend 
einer  jetzt  verlorenen  Urkunde  oder  einer  allgemein  herrschenden 
Tradition  Jacopo  Tedesco  zum  Architekten  von  S.  Francesco  ge- 
macht. Urkunde  wie  Tradition  wäre  sicher  dem  mit  Assisi  innig 
vertrauten  Franziskaner  Rodulphus  eher  noch  bekannt  gewesen,  als 
dem  in  Assisi  fremden  Aretiner.  So  wird  uns  die  zuerst  aus- 
gesprochene Vermuthung :  der  Jacopo  Tedesco  sei  eine  Erfindung 
Vasari's,  die  vielleicht  in  irgend  welcher  Beziehung  zu  einem  uns 
nicht  mehr  bekannten  Baumeister  Lapo  steht,  fast  zur  absoluten 
Gewißheit. 

Ich  meine  demnach ,  der  Name  des  Jacopo  Tedesco  sei  aus 
der  Baugeschichte  der  Franziskuskirche,  wie  der  allgemeinen  Kunst- 
geschichte zu  streichen.  Damit  aber  fallen  auch  alle  die  müßigen 
Erfindungen  einer  späteren  Zeit :  die  Sage,  daß  jener  Deutsche  im 
Gefolge  Friedrich's  II.  nach  Italien  gekommen  und  von  Jenem  auf 
Wunsch  des  Elias  nach  Assisi  geschickt  worden  sei ,  sowie  jene 
andere ,    die  Philipp   de  Campello  sogar  zum  Sohne  Jacob's  macht. 

Was  hätte  denn  Letzterer  auch  Neues  aus  Deutschland  mit- 
gebracht.? Alles  was  gothisch  ist:  die  Oberkirche  vor  Allem  ist  ja 
unter  Leitung  des  Philipp  gebaut  worden !  Des  Jacobus  Antheil  am 
Bau  würde  sich  auf  die  romanische  Unterkirche  beschränken ,  und 
da  möchte  man  sich  doch  vergeblich  fragen,  was  an  derselben 
Deutsches  sei.?  Nun  wir  befreit  von  der  verwirrenden  Tradition 
aus  dem  Denkmal  selbst  unsere  Schlüsse  ziehen  dürfen ,  werden 
wir  ohne  Mühe  diesem  seine  richtigere  Stellung  anweisen  können. 
Alles,  wie  mir  däucht,  deutet  darauf  hin,  daß  der  Baumeister  der 
Kirche  seine  Schule  in  der  Lombardei  durchgemacht.  Nur  in  Mai- 
land und  Umgegend  begegnen  wir  diesen  mächtigen  lastenden  Kreuz- 
gewölben über  den  eigenthümlich  flach  gespannten  Rundbögen, 
dort  auch  der  kreuzförmigen  Anlage,  wie  den  massigen  Rundpfeilern. 
Bauten  wie  die  1221  geweihte  Kirche  Chiaravalle  bei  Mailand,  wie 
die  um  1200  in  ihren  Gewölben  veränderte  S.  Ambrogio,  bezeich- 
nen genau  die  Stufe  der  lombardischen  Bauentwicklung,  auf  der 
auch  die  Unterkirche  in  Assisi  steht.  Besonders  lebhaft  aber  wurde 
ich  an  die  letztere  in  S.  Nazaro  in  Mailand  erinnert,  einer  freilich 


Die  Baugeschichte  nach  den  älteren  Quellen.  207 

später  modernisirten  Kirche,  die  aber  die  alte  kreuzförmige  Anlage 
und  Anordnung  der  Gewölbe  noch  erkennen  läßt.  Ja,  ich  möchte 
noch  weiter  gehen  und  behaupten,  daß  auch  die  Oberkirche  in  ihren 
räumlichen  Verhältnissen  am  meisten  an  die  eben  erwähnten  Bauten 
gemahnt ,  wenn  auch  das  Detail*  hier  bereits  einen  Fortschritt  und 
eine  nähere  Beziehung  zu  nordischen  Formen  zeigt.  Eine  solche 
aber  macht  sich  ja  auch  schon  an  der  von  12 19 — 24  gebauten  Kirche 
S.  Andrea  zu  Vercelli  bemerkbar,  wo  zwar  die  Fenster  noch  rund- 
bogig  gehalten ,  die  Scheidebögen  aber  spitz  sind ,  und  die  Pfeiler 
ähnliche  Halbsäulen  mit  ähnlichen  Knospenkapitälen  haben.  So, 
glaube  ich ,  kommt  auch  Filippo  de  Campello  aus  der  Lombardei 
und  verwerthet  seine  dort  gemachten  Erfahrungen  in  origineller, 
durch  die  Terrainschwierigkeiten  bedingter  Weise.  Ob  er  nicht 
schließlich  wie  die  Oberkirche  so  auch  die  Unterkirche  gebaut  .-* 

Die  gesammte  Anlage  findet,  so  viel  ich  weiß,  nur  ein  einziges 
Seitenstück  in  Italien,  und  zwar  wunderbarer  Weise  in  der  frühesten 
Kirche  des  älteren  ersten  großen  Gründers  der  Mönchsorden, 
des  h.  Benedikt  in  Subiaco.  In  räumlicher  Ausdehnung  freilich 
muß  die  letztere  weit  zurückstehen ,  doch  sind  auch  hier  an  steil 
abfallender  Bergeslehne  zwei  Kirchen  über  einander  gebaut,  und 
ähnlich  wie  in  Assisi  weht  es  den  Besucher  wie  ,,geheimnißvolle 
Frömmigkeit"  an !  Ja  der  mystische  Eindruck  ist  hier  noch  größer, 
da  von  der  unteren  Kirche,  an  deren  Nordseite  in  zwei  Stockwerken 
unregelmäßige  Kapellen  in  den  Fels  gehauen  sind,  eine  unregel- 
mäßige Treppe  in  noch  größere  Tiefen  zu  andern  Kapellen  hinab- 
führt und  so  ein  wundersamer  Durchblick  durch  wechselnd  dunkle 
und  beleuchtete  gewölbte  Räume  möglich  wird.  Auch  hier  nur 
freilich  in  scheinbar  willkürlicher  Aufeinanderfolge  über  runden 
oder  spitzen  Bögen  breite  Kreuzgewölbe,  auch  hier  die  zweifelslose 
Beziehung  zu  lombardischen  Bauten !  Wenn  es  nicht  Dokumente 
gäbe,  die  dem  Bau  ein  höheres  Alter  vindiziren,  den  unteren  Raum 
mit  seinen  Rundbögen  1052,  den  oberen  mit  dem  Spitzbogen- 
gewölbe 1066  entstehen  lassen,  würde  ich  nicht  zögern,  die  Um- 
gestaltung des  Sacro  Speco  etwa  in  dieselbe  Zeit  zu  setzen  wie 
S.  Francesco,  ja  eine  Beziehung  zwischen  beiden  Kirchen  für  nicht 
undenkbar  zu  halten.  Seit  D'Agincourt  hat  man  sich  leider  nicht 
mehr  wirklich  eingehend  mit  dem  interessanten  Bau ,  der  so  vieles 
Räthselhafte  hat,  beschäftigt.  Ob  eine  kritische  Untersuchung  nicht 
ergeben    würde ,    daß    besonders    das    obere    Oratorium    im  Anfang 


2o8  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

des  XIII.  Jahrhunderts  Veränderungen  erfahren ,  zu  jener  Zeit 
zwischen  1220  und  1235  ,  als  die  Cosmaten  Jacobus  und  seine 
Söhne  den  herrlichen  Hof  in  S.  Scholastica  bauten? 

Ehe  wir  nun  im  Folgenden  einen  kurzen  Blick  auf  die  Bau- 
geschichte auch  des  Klosters  von  S.  Francesco  werfen,  sind  noch 
drei  Werke  in  der  Kirche  zu  erwähnen ,  die  ihrem  Stile  nach  der 
ersten  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  angehören :  der  Altar  der  Unter- 
kirche, die  Kanzel  ebendaselbst  und  der  päpstliche  Thron  in  der 
oberen.  Alle  diese  Werke,  über  deren  Verfertiger  sich  bis  auf  eine 
Notiz  Nichts  im  Archiv  und  in  den  Beschreibungen  findet,  zeigen 
einen  durchaus  im  Stile  der  Cosmaten  gehaltenen  feinen  Mosaiken- 
schmuck und  erinnern  auch  in  der  Arbeit  der  meist  gedrehten  Säul- 
chen an  jene  römischen  Künstler.  Der  schöne  Altartisch  ruht 
auf  20  mit  Kleeblattbögen  verbundenen  kurzen  Säulen  ^)  und  war 
ehemals  mit  einer  Umfriedigung  versehen,  die  sich  jetzt  in  der 
Oberkirche  befindet  und  aus  zwölf  achtseitigen  antikisirenden  Säulen, 
die  ein  gerades  mosaizirtes  Gebälk  tragen,  besteht.  Das  die  letz- 
teren verbindende  Eisengitter  wurde  am  Ende  des  XV.  Jahrhunderts 
von  einem  Gasparino  d'Antonio  verfertigt.-)  Die  Kanzel  diente 
früher  als  Altar  des  h.  Stanislaus  und  dürfte  daher  identisch  mit 
dem  in  dem  oben  erwähnten  Breve  Alexander's  genannten  Werke 
des  Philippus  sein.  Die  einfache  m.ensa  der  Oberkirche  ist  mit 
Mosaiken  ornamentirt.  Der  von  Einigen  ohne  jede  Berechtigung 
dem  Fuccio  zugeschriebene  Thron,  der  unter  einem  mit  Krabben 
verzierten,  auf  Säulen  ruhenden  Spitzgiebelbaldachin  steht,  hat  eine 
spitze  Lehne,  als  Armbrüstungen  zwei  Löwen,  und  trägt  unten  am 
Schemel  die  Relieffiguren  eines  Löwen,  Greifen  und  Basilisken,  so- 
wie die  Inschrift :  super  Aspidem  et  Basiliscum  ambulabis  et  con- 
culcabis  Leonem  et  Draconem. 

Daß  der  Bau  des  Klosters  Schritt  hielt  mit  dem  der  Kirche, 
dürften  wir  voraussetzen,  selbst  wenn  uns  nicht  aus  der  ältesten 
Zeit   sechs    mächtige  Kreuzgewölbe   erhalten  wären ,    die  ganz  den- 


^)  Phot.  Alinari. 

^)  Dieser  Gasparino  d'Antonio  de  Ruberto  de  Foligno  kommt  in  den  erhaltenen 
Ausgabebüchern  (Miscellanea  1472 — 1523,  und  Ausgabebuch  1467 — 97)  von  1476  bis 
1481  (24.  Juli)  wiederholt  vor.  Daß  er  jenes  Eisengitter  gefertigt,  entnehme  ich  der 
alten  Beschreibung.  Es  ist  derselbe  Künstler,  der  sich  in  einer  von  Fratini  (S.  280) 
ganz  publizirten  Urkunde  vom  6.  Juni  1479  verpflichtet,  im  Auftrage  Sixtus'  IV.  das 
Reliquiarium  für  den  ,,Camoscio"  des  Franz  zu  verfertigen. 


Die  Baugeschichte  nach  den  älteren  Quellen.  209 

jenigen  der  Unterkirche  entsprechen  und  offenbar  den  südlichen 
Theil  des  westlich  an  der  Kirche  gelegenen  Hofes  bildeten.  Um  ihn 
legten  sich  im  Norden,  Westen  und  Süden  die  Baulichkeiten,  die 
jetzt  noch,  freilich  ganz  verändert,  erhalten  sind.  Auch  die  mäch- 
tigen Substruktionen  des  vorspringenden  südlichen  Theiles  zeigen 
noch  die  Spuren  des  alten  Baues,  der  sicher  anstatt  der  rund- 
bogigen  wenigstens  zum  großen  Theile  spitzbogige  Oeffnungen  auf- 
wies, in  welche  Säulchen  mit  antikisirenden  Kapitalen  gesetzt  waren. 
Einige  wenige  derselben  sind  erhalten.  Eine  Erweiterung  erhielt 
das  Kloster  durch  den  vom  Kardinal  Albornoz  errichteten  Bau  der 
Infermeria  nuova,  die  westlich  an  den  großen  Hof  anstieß  und  noch 
heute  in  dem  Wappen  des  Kardinals  und  in  wenigen  spitzbogigen 
Fenstern  an  das  XIV.  Jahrhundert  erinnert.  In  einem  mit  L  be- 
zeichneten Ausgabebuch,  das  mit  1352  beginnt,  befinden  sich  mehrere 
darauf  bezügliche  Notizen,  zuerst  vom  30.  Juli  1354,  dann  öfters 
bis  zum  Jahre  1361,  einige  auch  in  einem  anderen  Ausgabebuche: 
vom  17.  November  1377,  an  welchem  Tage  die  Infermeria  gepflastert 
wird.  Als  Werkmeister  wird  ein  Nicolaus  deBictonio  (Bettona) 
erwähnt,  der  im  Jahre  1360  mit  dem  Bau  eines  Claustrum  beschäf- 
tigt erscheint,  für  das  ein  Francesco  di  Corrado,  Francesco  di  Muscio 
und  Piero  di  Damiano  die  Säulen  ausführten.  ^)  Ob  dies  nur  eine 
Restaurirung  des  alten  Hofes  oder  die  Anlage  eines  neuen,  etwa 
des  jetzt  von  der  Infermeria  umschlossenen  hofartigen  Raumes,  ge- 
wesen ist,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden.  Bis  1442  hören  wir 
dann  nichts  mehr  von  dem  Bau ,  da  nur  wenige  Reste  eines  Aus- 
gabenbuches aus  dieser  Zeit  erhalten  sind.  In  jenem  Jahre  aber 
ordnet  der  päpstliche  Legat  am  21.  Dezember  an,  daß  fortan  zur 
Verwaltung  der  eingehenden  Almosen,  die  zur  Erhaltung  von  Kirche 
und  Kloster  verwandt  werden  sollen ,  zwei  Bürger  mit  dem  Titel : 
„maestri  dell'  opera  di  S.  Francesco"  angestellt  werden.  1446 
wird  dann  hinter  der  Apsis  der  Unterkirche  von  Maurern  aus  Pe- 
rugia  und  Cittä   di  Castello   ein  Gebäude  errichtet,    das  ,,armario" 


^)  Vergl.  libro  di  spese  1352 — 64.  Notizen  vom  16.  Mai,  vom  29.  Dez.  1360 
und  4.  Dez.  1360.  —  Der  Niccolo  da  Bettona  wird  noch  im  Sept.  1362  erwähnt.  — 
Ein  am  14.  Mai  und  24.  Nov.  1355  erwähnter  Puciarello  Gungloli  und  ein  Stephanus 
sind  wohl  als  Maurer  an  der  Infermeria  und  in  der  Capella  S.  Martini  thätig  gewesen.  — 
Vergl.  auch  Fratini  S.  188  ff.,  der  irrthümlich  statt  des  Niccolo  da  Bettona  einmal  einen 
Crispolto  nennt,  der  aber  erst  i486  als  Mitarbeiter  an  dem  Chorgestühl  der  Unter- 
kirche auftritt. 

Thode,  Franz  von  Assisi.  I4 


2IO  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

genannt  und  von  Fratini  richtig  als  neue  Sakristei  gedeutet  wird. ') 
Dasselbe  bestand  noch  zu  Zeiten  des  Vasari ,  der  unter  dem  Bilde 
der  Stigmatisation  die  jetzt  vermauerte  Thüre,  die  zur  Sakristei 
führte,  erwähnt. 

Eine  wirklich  umfassende  Bauthätigkeit  aber  trat  erst  wieder 
ein ,  als  Sixtus  IV.  den  päpstlichen  Stuhl  bestieg ,  ein  Papst ,  der, 
aus  dem  Franziskanerorden  hervorgegangen,  seine  Verehrung  für 
Franz  und  dessen  Kirche  in  Assisi  stets  hegte  und  thatkräftig  be- 
wies. In  zwei  Bullen  vom  12.  November  147 1  und  13.  Januar  1472 
kam  er  den  Wünschen  der  Mönche,  die  zur  Restaurirung  der  Kirche 
nothwendig  des  Geldes  bedurften,  willig  entgegen  und  sandte  selbst, 
wie  ein  von  Fratini  S.  263  publizirter  Brief  seines  Nepoten  Giuliano 
della  Rovere  vom  8.  November  1472  angiebt,  1000  Dukaten  ,,per 
compimento  della  fabrica".  Zugleich  befiehlt  er,  zwei  Bürger  zu 
wählen,  die  zugleich  mit  einem  ,, Maestro  Andrea"  die  Sorge  für 
den  Bau  übernehmen  sollen.  Da  galt  es  vor  Allem,  die  ungenügend 
fundirte  Infermeria  nach  Westen  und  Süden  hin  durch  neue  Sub- 
struktionen  zu  stützen  und  die  Gewölbe  zu  erneuern,  und  zur  Er- 
innerung an  dieses  große  Werk  ward  die  noch  heute  schon  weit  vom 
Thale  aus  sichtbare  Statue  des  Papstes  an  der  Südwestecke  der  Unter- 
mauern angebracht.  Zu  gleicher  Zeit  aber  ward  das  alte  Refektorium, 
das  im  Süden  des  großen  Hofes  gelegen  war,  erweitert  und  ge- 
wölbt, und  letzterer  selbst  umgebaut.  An  die  Westseite  der  Kirche 
sich  anschließend ,  besteht  er  aus  sechs  Arkaden  auf  jeder  Seite, 
die  unten  auf  achtseitigen  Pfeilern  mit  antikisirend  gothischen  Ka- 
pitalen, im  oberen  Stockwerk  auf  kleineren  Renaissancekomposit- 
säulen ruhen  (Abb.  31).  Eine  Inschrift  verkündet  in  folgenden 
Versen  den  Ruhm  des  Bauherrn : 

Inclita  sum  quercus  quondam  lustrata  triumphis 
Quam  Lelli  Caesar  dederat  .  .  .  maximus  olim 
Et  licet  oscura  fuerim  labentibus  annis 
Nunc  summo  quartus  decoravit  Sixtus  honore. 

In  der  Mitte  befindet  sich  das  Wappen  und  die  Jahreszahl  1474. 
Dem  Sixtus  IV.  auch  verdankt  das  Kloster  die  doppelte,  zur  Ober- 


^)  Fratini  S.  256  f.  Ein  Stefano  tedesco  fertigt  die  Fenster.  Ich  habe  dieses 
Ausgabebuch  nicht  finden  können  und  folge  daher  Fratini ,  dem  zufolge  damals  auch 
fünf  Bogen  des  Campanile  und  ein  Rundfenster  der  Oberkirche  zunächst  dem  Altare 
reparirt  wurden. 


Die  Baugeschichte  nach  den  älteren  Quellen.  2 1 1 

kirche  führende  Treppenanlage ,  die  außen  neben  der  Tribüne 
angebracht  wurde,  sowie  eine  Anzahl  anderer  werthvoller  Be- 
reicherungen der  Kirche,  von  denen  noch  die  Rede  sein  wird. 

Jener  oben  im  Briefe  erwähnte  Meister  Andrea  scheint  an 
dem  Bau  der  Substruktionen  thätig  gewesen  zu  sein,  wie  aus  einem 
von  Fratini  nicht  berücksichtigten  Ausgabenbuche  von  1472  hervor- 
geht, wo  er  erwähnt  wird:  ,,per  far  la  scarpa  di  San  Francesco". 
Daß  der  Hauptleitcr  der  neuen  Bauten  Baccio  Pintelli  gewesen, 
erfahren  wir  nur  aus  Vasari,  der  seine  Thätigkeit  in  Assisi  ins  Jahr 
1480  setzt.  ^)  Nun  scheint  es  aber,  daß  Vasari  wie  in  so  vielen 
anderen  Fällen  auch  hier  Baccio  mit  einem  anderen  Architekten 
verwechselt.  Die  Forschungen  Müntz's  haben  nämlich  ergeben, 
daß  die  von  Sixtus  IV.  nach  Assisi  gesandten  Baumeister:  jener 
Giacomo  da  Pietrasanta,  der  für  Pius  II.  die  Benediktions- 
loge und  unter  Paul  II.  einen  Theil  des  Palastes  von  S.  Marco  ge- 
macht, und  der  Florentiner  Bernardo  di  Lorenzo  sind.  Aus 
den  Urkunden  geht  hervor,  daß  sie  1472  (vor  dem  30.  Juni)  und 
1473  in  Assisi  waren  und  Kirche  und  Kloster  auf  die  nothigen 
Restaurationen  hin  untersuchten.  Sie  mögen  im  Großen  und  Ganzen 
die  Anordnungen  für  den  Bau  gegeben,  jener  Meister  Andrea  aber 
ihn  ausgeführt  haben.-) 

Zu  gleicher  Zeit  wie  der  Papst  Sixtus  IV.  aber  zeigte  sich  auch 
der  1475  erwählte  General  des  Ordens  Francesco  Nani,  genannt 
Samson ,    eifrig   bemüht   flir  die  Erhaltung   und  Verschönerung  von 


*)  Von  einzelnen  Notizen ,  die  ich  gefunden ,  seien  hier  noch  erwähnt :  libro  di 
spese  bez.  mit  1467:  Am  27.  Juli  1473  erhält  ein  Maler  Felitiano  für  die  Bemalung 
zweier  Wappen  des  Kardinals  von  San  Sisto  und  des  Kardinals  von  San  Pietro  18  lire.  — 
Miscellaneen  1472 — 1523:  ein  maestro  Agnolo  di  Gabriello  baut  eine  Camera  papale. 
1477 — 78  erhält  ein  Maestro  Alisandro  orfo  öfters  Zahlungen  für  Anfertigung  eines 
Tabernakels,  an  dem  auch  Gasparre  thätig  ist.  —  Ein  Magister  Christophanus  1487 
macht  Wappen  des  Sixtus ,  auch  Gefäße.  Es  ist  wohl  derselbe  Cristofano  da  Gualdo, 
der  am  20.  Okt.  1494  in  dem  libro  di  spese  1491 — 95  als  Zeuge  bei  der  Abschätzung 
der  Reparatur  der  Fenster  erscheint. 

*)  Müntz:  Les  arts  ä  la  cour  des  papes,  III.  Bd.,  S.  72.  Dokumente  S.  208: 
1472.  30.  Juni.  Magistro  Jacobo  de  Petrasancta  et  magistro  Bernardo  Laurentii  de 
Florentia  muratoribus  florenos  de  camera  XXV  pro  expensis  quas  superioribus  diebus 
fccerunt  eundo  de  S.  D.  N.  papae  mandato  Asisium  (sie)  ad  videndum  aedificium 
ecclesiae  sancti  Francisci  et  eins  necessariam  reparationem.  1473.  20.  Febr.  Magistro 
Jacopo  de  Petrasancta  muratori  quem  S,  D.  N.  papa  misit  ad  inspiciendum  necessariam 
reparationem  monasterii  Sancti  Francisci  de  Asisio  pro  eins  expensis  etc.  florenos 
XXVIII  et  bol.  LIII. 

14* 


212  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

S.  Francesco  zu  sorgen.  Er  läßt  an  der  Oberkirche  neue  Leitungen 
für  den  Abfluß  des  Regenwassers  fertigen,  das  Dach  sowohl  als 
die  Fenster  repariren^)  und  (angeblich  nach  Zeichnung  des  Baccio 
Pintelli)  von  einem  maestro  Francesco  di  Pietrasanta  für 
225  Goldscudi  das  Vestibül  vor  der  Unterkirche  errichten.^)  (Abb.  32.) 
Hat  Müntz  Recht,  jenen  oben  erwähnten  Giacomo  den  Sohn  des 
Cristofano  di  Ricomanno  zu  nennen ,  so  ist  dieser  Francesco ,  der 
auf  dem  von  Milanesi  publizirten  Stammbaum  angegeben  ist,  sein 
Bruder.  Es  ist  derselbe  Francesco,  der  in  früheren  Jahren  seinem 
Onkel  Lionardo  in  Genua  bei  der  Ausführung  des  Grabmales  für 
den  Dogen  Tommaso  de  Campofregoso  geholfen.-^)  Dem  General 
Samson  auch  verdankt  man  die  Wiederherstellung  des  kleinen 
Kirchhofes,  der  an  der  Nordostecke  der  Unterkirche  gelegen  ist.^) 
Zwei  Lombarden :  die  Meister  Pietro  und  Ambrogio  erscheinen 
1487 — 90  daran  thätig.  •')  Er  bildet  ein  Oblongum,  in  das  die 
Kapelle  des  Kardinals  Albornoz  einspringt,  hat  unten  weitgespannte 
Rundbogen  auf  achteckigen  Backsteinpfeilern,  im  oberen  Stock- 
werke einfache  niedrige  Pfeiler,  die  ganz  niedrige  Bögen  und  dar- 
über das  Holzdach  tragen.  Die  Inkrustation  der  Wände  entspricht 
der  im  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts  in  den  Kapellen  angewendeten 
und  läßt  wohl  auf  eine  etwa  gleichzeitige  Entstehung  des  Kirch- 
hofes schließen,  wenn  auch  ein  Grab  (des  Ventura  Ranaldi  mit  der 
Jahreszahl  1245)  auf  eine  frühere  hindeuten  könnte.")  Vor  jenem 
Kirchhofe,  schon  im  Jahre  1468,  waren  die  Arkaden,  die  gleichfalls 
aus  Rundbogen  auf  rohen  achtseitigen  Pfeilern  bestehen,  auf  dem 
Platze  vor  der  Unterkirche  gebaut  worden,  und  zwar  unter  Mit- 
wirkung jenes  Ambrogio  von  einem  maestro  Antonio    diLom- 


^)  Dokument,  das  lose  in  dem  libro  di  spese  liegt,   welches  mit   145 1   anfängt. 

^)  Ich  habe  das  betreffende  Dokument  nicht  selbst  gesehen,  doch  ist  wohl  nicht 
daran  zu  zweifeln,  da  schon  Papini:  Not.  sie.  S.  293  und  später  Fratini  (S.  272)  die 
Angabe  bringen. 

3)  Vasari  Mil.  VI,  S.  104.  —  Giomale  ligustico   1884.     XI,  S.  463. 

*)  Phot.  Alinari. 

■^)  Libro  di  spese ,  das  mit  1467  bezeichnet  ist.  Ambrogio  ist  offenbar  derselbe, 
der  1468  mit  Antonio  Lombardo  die  Arkaden  vor  der  Kirche  baut,  und  erscheint  in 
Rechnungen  1497  ^^^^  ^498  mit  Reparaturen  an  der  Infermeria  betraut.  Pietro  kommt 
als  Zeuge  noch  einmal  am  7.  Sept  1493  vor  (libro  di  spese  149 1 — 95,  in  dem  die 
Reparaturrechnungen  für  die  Fenster  enthalten  sind). 

*)  Sonst  fand  ich  nur  spätere  Daten:  1329  (Mucutius  Putins),  1330,  1337  (Mag. 
Johannes  magistri  Symonis). 


Die  Baugeschichte  nach  den  älteren  Quellen.  213 

bardia.  ^)  Zu  der  Ausführung  der  von  Samson  geplanten  Er- 
weiterung des  Klosters  an  der  Südwestecke  ist  es  nicht  gekommen  ^), 
dagegen  erhielten  in  der  Capeila  S.  Bernardini,  die  südlich 
gegenüber  dem  Portal  der  Unterkirche  gelegen  ist,  die  Tertiarier 
im  Jahre  1488  eine  schon  lange  erwünschte  Kapelle,  die  nach 
einer  Inschrift  von  zwei  Baumeistern  aus  Assisi,  Franceschino 
Zampa  und  Hieronymus  Bartholomei,  ausgeführt  wurde. 
Das  Innere  bewahrt  nichts  mehr  von  seiner  früheren  Ausstattung, 
aber  die  von  korinthischen  Pilastern  eingerahmte  Fassade  ist  mit 
ihrem  reichen,  aber  etwas  roh  ausgeführten  Portale  erhalten.  Dieses 
hat  zwei  Eingänge  zwischen  derb  mit  kandelaberförmigen  Orna- 
menten gezierten  Pilastern,  die  über  zweifachem  Architrav  und 
mit  Blattwerk  verziertem  Fries  eine  halbrunde  Lünette  tragen,  in 
welcher  der  h.  Bernhardin  mit  zwei  anbetenden  Engeln  in  Relief 
dargestellt  ist.^) 

Mit  den  weiteren  Schicksalen  der  Kirche  und  des  Klosters  uns 
eingehend  zu  beschäftigen ,  würde  zu  weit  fuhren.  Bei  Fratini 
findet  sich  das  Wesentliche  Alles  zusammengestellt,  doch  haben 
thatsächlich  dife  letzten  Jahrhunderte  Veränderungen  bloß  in  den 
Klosterräumen  bewirkt,  und  auch  diese  haben  keine  große  Wichtig- 
keit. Kurz  zu  erwähnen  wäre  nur,  daß  die  geschnitzten  Thüren 
der  Unterkirche  1546  von  einem  Niccolö  da  Gubbio  hergestellt 
wurden,  das  neue  Tabernakel  des  Altares  1570  von  Galeazzo 
Alessi  entworfen,  1609  ^uf  Kosten  des  Königs  von  Spanien  das 
neue  dormitorium  errichtet,  im  weiteren  Verlaufe  des  XVII.  Jahr- 
hunderts die  Kapelle  des  h.  Sebastian  in  der  Unterkirche  und  der 
südliche  für  die  Fremden  bestimmte  Theil  des  Klosters  ausgebaut 
wurde.  Als  dann  im  Jahre  181 8  nach  mühsamen  Nachgrabungen 
der  Leichnam  des  Franz  unter  dem  Hauptaltar  in  seiner  Felsen- 
gruft aufgefunden  worden  war  und  durch  dies  große  Ereigniß  selbst 
der  Kaiser  Franz  I.  18 19  nach  Assisi  gezogen  wurde,  beschlossen 
die  Frati,  nun  die  alte  Legende  wahr  zu  machen,  die  schon  zur 
Zeit  Vasari's   und  selbst  früher  behauptet  hatte,    unter  der  Kirche 


^)  Das  geht  aus  einer  Notiz  im  libro  di  spese  von  1467  hervor. 

^)  Vergl.  den  Brief  des  Generals  vom  2.  März  1496 ,  der  bei  Fratini  S.  273 
publizirt  ist. 

^)  Die  Inschrift  lautet:  huius  porte  ad  apicem  usque  Franciscus  patronus  pro 
anima  sua  auxit  opus  Francischino  Zampa  Iheronimoque  Bartholomei  auctoribus  Asisien- 
sibus   1488. 


214 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


befinde  sich  eine  dritte  unterirdische  Kapelle,  in  welcher  der  Heilige 
begraben  sei,  oder,  wie  Andere  wollten,  aufrecht  betend  stehe. 
Giuseppe  Brizi  und  Pasquale  Belli  bauten  die  neue  Unterkirche, 
die  im  Oktober  1824  eingeweiht  wurde.  Veränderungen  erlitt  die 
Kirche  schließlich  in  neuester  Zeit ,  als  ihre  Erhaltung  nach  1 860 
einer  königlichen  Kommission  anvertraut  wurde,  im  Jahre  1870  die 
Gemälde  restaurirt,  die  Barockaltäre  und  Orgel  entfernt,  die  Chor- 
stühle der  Oberkirche  in  das  Kloster  versetzt  wurden.  Im  Jahre 
1877  kehrten  dann  nach  17  jähriger  Verbannung  die  Padri  Con- 
ventuali  in  die  Kirche  zurück  und  erhielten  einen  Theil  des  Klosters 
wenigstens  wieder,  dessen  größere  Hälfte  jetzt  als  Stätte  der  Er- 
ziehung .für  die  heranwachsende  neue  Generation  dient. 


III.   Die  künstlerische  Ausschmückung  der  Kirche. 

I.   Die  ältesten  Denkmäler  der  Malerei. 

Gewaltig  und  innerlich  ergreifend  wie  die  Kirche  des  heiligen 
Franz  durch  ihre  Architektur  wirkt,  gewinnt  sie  doch  ihre  höchste 
Bedeutung  durch  den  reichen  Schmuck  von  Malereien,  die  alle 
ihre  Wände  überziehen,  und  wer  sich  mit  Liebe  in  deren  An- 
schauung versenkt,  dem  wird  das  wunderbare  Geheimniß  des  künst- 
lerischen Werdens  hier  vielleicht  klarer  und  deutlicher  sich  offen- 
baren, als  an  irgend  einem  anderen  Orte  der  Welt.  S.  Francesco 
in  Assisi  ist  recht  eigentlich  die  Wiege  der  neueren  Kunst,  die 
hier  zuerst  schüchtern,  dann  immer  freier  und  ungehemmter  die 
Sprache  zu  finden  beginnt,  welche,  unermeßlich  reich  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  ausgebildet,  das  Höchste  allgemein  verständlich  aus- 
zudrücken vermochte,  was  die  Menschheit  sonst  nur  ahnend  em- 
pfunden hat.  In  San  Francesco  wird  das  Losungswort  gefunden 
für  die  neue  künstlerische  Bewegung :  das  Studium  der  Natur !  Wie 
es  dazu  gekommen,  wie  gerade  in  der  von  Franz  ausgehenden, 
die  Phantasie  anregenden  Frömmigkeit,  in  der  Wiedergabe  seiner 
in  engster  Wechselbeziehung  zur  Natur  stehenden  Legende  der 
erste  Impuls  gegeben  wurde,  haben  wir  bereits  betrachtet.  Hier 
gilt  es  nur  noch  einmal  im  Zusammenhange  zu  verfolgen ,  wie  bis 
auf  Giotto's  entscheidendes  Auftreten  in  der  Oberkirche  von  S.  Fran- 
cesco selbst  dasselbe  vorbereitet  wird,  wie  in  den  ersten  Dar- 
stellungen   des    Lebens    des    Heiligen    bereits    das    neue    formende 


Die  ältesten  Denkmäler  der  Malerei.  2 1 5  . 

Element  sich  geltend  macht,  wie  dieses  sich  dann  in  der  Unter- 
kirche bestimmter  gestaltet  und  in  die  obere  emporsteigend  immer 
freier  sich  ausbildet.  Daß  wir  von  Schritt  zu  Schritt  durch  hundert 
Jahre  hindurch  den  Werdegang  zu  verfolgen  vermögen,  berechtigt 
uns,  die  Fresken  in  Assisi,  von  so  verschiedenen  Meistern  sie  auch 
geschaffen  sind,  im  Zusammenhange  hier  zu  betrachten,  wobei  wir 
für  Manches  auf  den  vorhergehenden  Abschnitt  verweisen  können. 
Nicht  genug  freilich  ist  es  zu  beklagen ,  daß ,  abgesehen  von  zwei 
zu  erwähnenden  kurzen  Notizen,  das  Archiv  uns  keinerlei  Aufschluß 
über  die  in  Assisi  beschäftigten  Maler  gewährt  und  wir  demnach 
bei  der  UnzuverlässigkeitVasari's  und  der  Ungenauigkeit  der  ältesten 
Quellen  ganz  darauf  angewiesen  sind,  aus  den  Werken  selbst  die 
Meister  und  die  annähernde  Zeit  der  Entstehung  zu  bestimmen.^) 
Schon  die  alte  handschriftliche  Beschreibung  bringt  ebenso  wie 
Rodulphus  in  Ermangelung  archivalischer  Nachweise  fast  durchweg 
Vasari's  Angaben  wieder,  so  auch  im  großen  Ganzen  der  Padre 
Angeli,  der  das  Neue,  was  er  giebt,  nur  willkürlich  erfunden.  So 
schleppen  sich  die  alten  Traditionen  weiter,  bis  Rumohr  denselben 


^)  Litteratur:  Ghiberti:  Commentarii.  Vasari.  Ausg.  Lemonnier  I,  S.  XVIII  u.  XX. 

—  Vasari.  I.  Ausgabe  1550.  I,  S.  128.  141.  152.  —  Vasari.  II.  Aufl.  Ausg. 
Milanesi.  —  Alte  handschriftliche  Beschreibung  nach  Lodovico's  dl  Castello  Manuskript 
von  1570  und  nach  Adone  Doni.  —  Rodulphus:  Hist.  Ser.  religionis  libri  tres.  1586. 
Venetiis.  —  Danach  nicht  ganz  genau  die  Angaben  bei  Wadding:  Annales  II.  Bd. 
J.  1235.  S.  397  ff.  —  Padre  Angeli:  Collis  Paradisi  1704.  —  Baldinucci:  Notizie  de' 
professori  del  disegno  (1681  — 1728).  Ausg.  Mailand  181 1.  —  Lanzi:  Storia  della 
pittura  (1789).  Ausg.  Bassano  1809,  —  D'Agincourt;  Histoire  de  l'art.  Paris  181 1 
— 23.  D.  Ausg.  von  Quandt  1840.  —  Fea:  Descrizione.  1820.  —  Bruschelli :  Assisi 
Citta  serafica.  1824.  —  Papini:  Notizie  sicure  1842.  —  Kugler:  Tübinger  Kunstblatt. 
1827.  Beschr.  der  Fresken.  —  Rumohr:  Ital.  Forschungen  1827 — 31.  Berlin.  — 
Descrizione  di  S.  F.  Assisi  1835.  —  Rosini:  Storia  della  pittura.  1839  —  54.  — 
Chavin  de  Malan:  vie  de  St.  Frangois.     1841.     Ital.  Uebers.  von  Guasti.     Prato   1879. 

—  Kugler :  Gesch.  d.  Malerei.  III.  Ausg.  1 866.  —  Crowe  und  Cavalcaselle :  Gesch. 
d.  ital.  Malerei.  D.  Uebers.  von  Jordan  1869.  Ital.  Ausg.  1875  u.  ff.  —  Förster: 
Gesch.  der  ital.  Kunst.  11.  Bd.  1870.  —  Ders.  Denkmale  ital.  Malerei.  —  Guardabassi: 
Indice.  1872.  —  Rio:  L'art  chretien.  II.  Aufl.  Paris  1874.  —  Schnaase:  Gesch.  d.  b. 
Künste.  II.  Aufl.  VII.  Bd.  1876.  —  Cristofani:  Storie  d'Assisi.  Assisi  1875.  — 
Ds.  Guide  d'Assise.  1877.  —  Lübke:  Gesch.  d.  ital.  Malerei.  1878.  —  Dobbert 
in  Dohme's  Kunst  und  Künstler.  Bd.  III.  1878.  —  Woltmann  -  Woermann :  Gesch. 
d.  ital.  Malerei.  1879.  —  Fratini:  Storia  della  basilica.  Prato  1882.  —  Burckhardt: 
Cicerone.  V.  Aufl.  1884.  Von  neuerer  seit  der  I.  Auflage  erschienener  Literatur  hebe 
ich  nur  hervor:  Strzygowski:  Cimabue  und  Rom.  Wien  1888.  —  Thode:  Giotto. 
Künstlermon.    Bielefeld   1899.  —  Max  Zimmermann:   Giotto.     Leipzig  1899. 


2i6  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

entgegentretend  kühn  das  Kritische  des  eigenen  Blickes  geltend 
macht  und  Crowe  und  Cavalcaselle  sämmtliche  Wandmalereien  einer 
eingehenden  Prüfung  unterziehen,  die  bis  jetzt  die  sachlichste  ge- 
blieben, wenn  sie  in  einzelnen  wichtigen  Punkten  auch  eine  ent- 
scheidende Widerlegung  durch  Dobbert  gefunden  hat.  Wir  werden 
im  Einzelnen  sehen,  wie  die  moderne  Kritik  sich  Vasari's  Angaben 
gegenüber  verhält,  vorauszuschicken  ist  nur,  daß  Vasari,  wie  er 
selbst  versichert,  1563  in  Assisi  gewesen  und  damals  also  seine  in 
der  zweiten  Auflage  verwertheten  Studien  gemacht  hat,  während 
er  in  der  ersten  nur  das  Wenige  mittheilt,  was  Ghiberti  in  seinen 
Commentarii  ausgesprochen.  Dieser  nämlich  erwähnt  die  Thätig- 
keit  Giotto's  mit  den  Worten:  „er  malte  in  der  Kirche  von  Assisi 
im  Orden  der  Minoriten  fast  den  ganzen  unteren  Theil,  er  malte 
in  S.  Maria  degli  Angeli",  und  weiß  von  Stefano ,  daß  „in  der 
Kirche  von  Assisi  von  seiner  Hand  begonnen  eine  Glorie  ist,  mit 
vollendeter  und  sehr  großer  Kunst  ausgeführt ;  dieselbe  hätte,  wenn 
sie  vollendet  worden  wäre,  jeden  edeln  Geist  verwundern  machen".^) 

Das  älteste  Denkmal  der  Malerei  in  der  Kirche  ist,  seitdem 
das  1236  von  Giunta  für  den  Frater  Elias  gefertigte  Kruzifix  ver- 
schwunden, das  schon  oben  (S.  76)  besprochene  Portrait  des 
heiligen  Franz,  das,  vermuthlich  bald  nach  1253  entstanden, 
kaum  einem  bestimmten  Meister  zugeschrieben  werden  kann  und 
nach  den  übertrieben  bewegten ,  eckigen  Figuren  noch  ganz  der 
älteren  befangenen  Richtung  angehört. 

Ein  bedeutender  Fortschritt  gegen  die  letztere  aber  tritt  bereits 
in  den  halb  verloschenen  Fresken  an  den  Wänden  des 
Längsschiffes  in  der  Unterkirche  zu  Tage.  Die  ungerechte 
Zerstörung,  die  sie  um  1300 -durch  das  rücksichtslose  Durchbrechen 
der  Wände  erlitten,  sowie  die  Schwierigkeit,  sie  bei  der  Dunkelheit 
des  Raumes  zu  erkennen,  hat  bis  zum  heutigen  Tage  verhindert, 
daß  sie  ihrem  Werthe  entsprechend  geschätzt  wurden.  Und  doch 
hatte  schon  Vasari  erzählt,  daß  Cimabue  hier  ,,in  Gesellschaft 
einiger  griechischer  Meister  einen  Theil  der  Gewölbe  und  an  den 
Wänden  das  Leben  Jesu  Christi  und  das  des  Franziskus  gemalt; 
in  welchen  Gemälden    er  jene    griechischen  Maler  weit  hinter  sich 


^)  Dipinse  nella  chiesa  d'Asciesi ,  nell'  ordine  de'  frati  Minori ,  quasi  tutta  la 
parte  di  sotto ,  dipinse  a  S.  Maria  degli  Angeli  in  Asciesi.  —  Stefano :  nella  chiesa 
dAsciesi  e  di  sua  mano  cominciata  una  gloria,  fatta  con  perfetta  e  grandissima  arte  la 
quäle  arebbe,  se  fosse  stata  finita,  fatto  maravigliere  ogni  gentile  ingegno. 


Die  ältesten  Denkmäler  der  Malerei. 


217 


zurückließ".^)  Entschieden  hatte  Vasari  Recht,  die  Thätigkeit  ver- 
schiedener Hände  in  den  Bildern  zu  erkennen,  da  die  Darstellungen 
aus  dem  Leben  Christi  freier  und  fortgeschrittener  sind,  als  die 
der  Legende  des  Franz.  Auch  die  zuerst  von  Fea  ohne  jede  Be- 
gründung aufgestellte  Behauptung,  die  häufig  bei  anderen  Schrift- 
stellern, selbst  noch  bei  Fratini  wiederkehrt,  daß  Mino  da  Torrita 
und  Guida  da  Siena  die  Verfertiger  gewesen ,  hat  wohl  dies  eine 
Wahre  an  sich,  daß  zwei  Künstler  zu  unterscheiden  sind.  Es  wäre 
überflüssig,  noch  einmal  die  Folge  der  Franziskusbilder  zu  be- 
schreiben^), wohl  aber  muß  hier  wiederholt  betont  werden,  daß  in 
allen  eine  ausgesprochene  Beobachtung  des  Lebens  und  der  Natur, 
eine  in  jener  Zeit  überraschende  Einfachheit  und  Wahrheit  der 
Bewegungen,  eine  vom  alten  Schematismus  schon  entfernte  Fein- 
fuhligkeit  in  der  Zeichnung  der  Köpfe,  der  Wiedergabe  momentanen 
Ausdruckes  sich  geltend  macht,  wenn  auch  das  Nackte  noch  sehr 
mißlungen,  die  Faltengebung  steif,  das  Maaß  der  Gestalten  überlang 
erscheint.  Was  bei  den  Bildern  selbst  der  vorangehenden  Jahr- 
zehnte noch  so  schwer,  ja  fast  unmöglich  erscheint :  aus  den  Werken 
eine  bestimmte  Künstlerindividualität  heraus  zu  erfassen,  ergiebt 
sich  hier  von  selbst.  Wir  sahen,  daß  demselben  Meister  einige 
andere  Bilder,  das  eine  Kruzifix  in  Perugia  sogar  mit  großer 
Sicherheit  zuzuschreiben  sind ,  und  daß  er  als  begabter  direkter 
Vorgänger  Cimabue's  die  Aufmerksamkeit  in  hohem  Grade  auf  sich 
zieht.^  Von  ,, griechischer  Manier",  wie  Vasari  will,  ist  schwerlich 
noch  Etwas  hier  zu  erkennen,  aber  auch  der  Vergleich  mit  Giunta, 
wie  Crowe  und  Cavalcaselle  ihn  vornehmen,  ist  sicher  unbillig. 
Lassen  nun  aber  die  Franziskusdarstellungen  einen  zart  em- 
pfindenden, auf  Grazie  und  Anmuth  ausgehenden  Künstler  voraus- 
setzen, so  macht  sich  im  Leben  Christi  eine  größere  Breite  und 
Derbheit,  zugleich  aber  auch  eine  größere  Monumentalität  geltend. 
Von  den  sechs  Bildern  zeigen  uns  vier  figürliche  Darstellungen,  von 
denen  leider  nur  immer  eine  Hälfte  erhalten  ist. 

I.    (von   der   Eingangsseite    aus)    Nur   die    rechten   Theile    noch 
vorhanden :    eine    Anzahl    von    Männern    stehen    nach    einem 


^}  I,  S.  251.  Vergl.  die  Besprechung  der  Bilder  bei  Crowe  It.  A.  I,    S,  256  u. 
Fratini  S.  35. 

2)  S.  oben  S.  109  f. 

3)  S.  oben  S.  77  f. 


21 8  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

links   befindlichen   Kreuze    zu    gewandt,    an   das    eine   Leiter 
angelehnt  ist. 

2.  Wohl  die  linke  Seite  der  vorigen  Komposition:  die  Gruppe 
der  Frauen.  Maria  steht  mit  etwas  gesenktem  Haupte  in  fast 
weißem  Untergewande ,  blauem  Mantel  nach  rechts  gewandt, 
rechts  von  ihr  Johannes  in  rothem  Untergewande,  hellem 
Mantel.  Links  drei  Frauen,  von  denen  die  eine  den  Kopf 
auf  die  Hand  stützt.  Ganz  rechts  oben  noch  der  rechte  Arm 
des  gekreuzigten  Christus  zu  erkennen.  Oben  die  Inschrift : 
ecce  mater  tua.  Es  ist  demnach  der  Augenblick  der  Kreu- 
zigung dargestellt,  in  dem  Christus  seinem  Lieblingsjünger 
die  Mutter  empfiehlt. 

3.  Die  rechte  Hälfte  der  Kreuzabnahme.  Von  dem  auf  der 
Leiter  von  einem  graubärtigen  Manne  gehaltenen  Leichname 
ist  nur  noch  der  Körper  ohne  Hals  und  Kopf  sichtbar.  Rechts 
von  ihm  steht  Johannes,  die  linke  Hand  Christi  küssend, 
weiter  unten  davor  kniet  Joseph  von  Arimathia,  in  der  rechten 
Hand  einen  Hammer,  mit  der  Linken  wie  es  scheint  be- 
schäftigt, den  Nagel  aus  den  Füßen  herauszuziehen.  Weiter 
rechts  dahinter  eine  Frau.  Die  sehr  lebhaften  Farben,  nament- 
lich ein  kräftiges  Roth,  sind  noch  jetzt  gut  erhalten.  Was 
hier  noch  zu  sehen ,  stimmt  selbst  in  den  Typen  der  Köpfe 
genau  überein  mit  dem  oben  (S.  78)  erwähnten  kleinen  Bilde 
der  Gallerie  in  Perugia  Nr.  22,  das  sicher  von  dem  Meister 
des  Franziskus  gemalt  worden  ist. 

4.  Die  Beweinung  Christi.  Der  Heiland,  von  dem  nur  noch  der 
Oberkörper  sichtbar  ist,  liegt  rechts  auf  einem  Stein  aus- 
gestreckt. Links  scheint  die  ohnmächtig  werdende  Maria  von 
drei  Frauen  gehalten  zu  werden.  Hinter  Christus  sieht  man 
Johannes,  in  der  Höhe  sind  Engel  sichtbar.  Eine  Ueberschrift 
besagt:  mulieres  sedentes  ad  monumentum. 

5.  Hier  scheinen  Bauten  in  einer  Landschaft  dargestellt  gewesen 
zu  sein,  ohne  Figuren. 

6.  Hatte  keine  Figuren ,  sondern  nur  kreisförmige  Ornamente. 
Die  Rahmen  der  Bilder,    die  Gurte,    Rippen  und  Einfassungen 

der  Gewölbe  sind  mit  romanischen  Ornamenten  verziert :  meist 
geometrischer  Art,  wie  Zickzacklinien,  Schachbrettmuster,  Rosetten, 
daneben  auch  stilisirte  Blätter  und  Ranken.  Auch  das  Gewölbe 
über  der  Vierung  hatte,  wie  einige  geringe  Reste  am  unteren  Ende 


Die  ältesten  Denkmäler  der  Malerei.  219 


zweier  Rippen  zeigen ,  eine  gleiche  Dekoration ,  ehe  Giotto  seine 
Allegorien  hier  malte ;  daß  das  QuerschifF  bemalt  gewesen,  möchte 
ich  bezweifeln ,  da  der  einzige  erhaltene  Theil  älterer  Fresken : 
Cimabuc's  Madonna  mit  den  Engeln,  schon  einer  späteren  Zeit 
angehört.^) 

Was  sich  mit  Bestimmtheit  aus  dem  Stile  der  Darstellungen 
von  Christi  Passion  ergiebt ,  ist ,  daß  sie  von  einem  Künstler  ge- 
schaffen wurden,  der  zwischen  dem  Meister  des  Franziskus  und 
Cimabue,  wie  er  sich  in  seinen  weiter  unten  besprochenen  Fresken 
der  Oberkirche  zeigt,  mitten  inne  steht.  Ohne  die  Großartigkeit 
und  Sicherheit  der  letzteren  in  der  Zeichnung  zu  erreichen,  zeigen 
sie  doch  ebenso  viel  Verwandtschaft  mit  ihnen,  wie  mit  des  Fran- 
ziskus Legendenbildern.  Verglichen  mit  diesen  sind  die  Figuren 
derber,  breiter,  untersetzter,  die  Köpfe  größer  und  energischer  ge- 
zeichnet, mit  jenen  starkknochigen  Nasen ,  die  Cimabue  liebt ;  die 
Gewänder  fallen  in  kunstvoller  gelegten,  massigeren  Falten.  Vasari's 
Behauptung,  daß  Cimabue  selbst  als  junger  Mann  an  der  Ausmalung 
der  Unterkirche  beschäftigt  gewesen,  hat  demnach  eine  gewisse 
Wahrscheinlichkeit  Rir  sich ,  wenn  ich  ihm  auch  nicht  mit  voller 
Bestimmtheit  die  Passion  zuschreiben  möchte.  Es  ist  durchaus 
glaublich,  daß  seine  Jugendwerke  so  ausgesehen  haben,  ehe  er  zur 
vollen  Entwicklung  gelangte  —  dann  aber  wäre  jener  unbekannte 
Meister  des  Franziskus  sein  direkter  Lehrer  gewesen.  Damit  würde 
auch  die  Zeit  der  Entstehung  der  Fresken  vollständig  überein- 
stimmen. Das  Kruzifix  in  Perugia,  das  den  Franzdarstellungen  so 
durchaus  verwandt  ist,  ward  1272  gemalt.  Ende  der  sechziger, 
Anfang  der  siebziger  Jahre  mögen  auch  diese  entstanden  sein. 
Demnach  würde  Cimabue  etwa  im  Alter  von  zwanzig  Jahren  die 
Arbeit  seines  Vorgängers  vollendet  haben.  Nur  durch  den  Namen 
Giunta's  verführt,  hat  man  bisher  die  Wandmalereien  zu  früh,  schon 
in  die  Mitte  des  Jahrhunderts  verlegt. 

Die  Vermuthung  der  Autorschaft  Cimabue's  gewinnt  aber  noch 
an  Wahrscheinlichkeit,  vergleichen  wir  nun  die  ältesten  Fresken 
der  Oberkirche ,  die ,  wie  mir  scheint ,  bald ,  vielleicht  unmittelbar 
nach  der  Vollendung  derjenigen  in  der  Unterkirche  in  Angriff 
genommen  wurden. 


^)  Vergl.  für   die  Ornamentik   die   unvollendeten  Studien   von  Andreas  Aubert  in 
der  Zeitschr.  f.  bild.  Kunst.    N.  F.,  S.  185  ff.,  285  ff. 


220  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

2.  Die  Werke  des  Cimabue. 
Die  Fresken  im  Querschiff  und  Chor  der  Oberkirche. 
Mit  großem  Unrecht  hat  man  bisher  seit  Vasari  das  Hauptinteresse 
den  bibhschen  Darstellungen  im  Langhause  und  den  Gewölbe- 
malereien zugewandt.  Nur  die  traurige  Erhaltung  der  Fresken  im 
Querschiff  und  im  Chor  kann  dies  einigermaßen  entschuldigen, 
obgleich  selbst  die  Reste  noch  ein  beredtes  Zeugniß  ablegen  von 
der  weit  höheren  Bedeutung,  welche  diese  Werke  für  die  Geschichte 
der  Kunst  und  für  die  Kenntniß  Cimabue's  haben.  Um  kurz  das 
Resultat  wiederholter  eingehender  Untersuchungen  vorwegzunehmen : 
es  scheint  mir  zweifellos,  daß  bis  auf  wenige  kleine  Theile  das 
Querschiff  und  der  Chor  von  Cimabue  selbst,  das  Längshaus  nur  von 
Dessen  Schülern  ausgeschmückt  worden  ist.  Und  ferner :  jene  Dar- 
stellungen haben  den  Ausgangspunkt  zu  bilden  für  eine  Würdigung 
des  großen  Vorgängers  von  Giotto.  Vasari  selbst,  der  mit  Aus- 
nahme der  Franzlegende  die  ganze  Oberkirche  von  Cimabue  aus- 
malen läßt,  ward  wohl  nur  durch  die  zu  seiner  Zeit  schon  eingetretene 
Zerstörung  jener  wichtigsten  Fresken  verhindert,  sie  zu  ihrem  Vor- 
theile  genau  mit  denen  des  Langhauses  zu  vergleichen.  Dann 
brachte  Padre  Angeli  die  für  die  ganze  Folgezeit  verhängnißvolle 
Meinung  auf,  der  nördliche  Kreuzarm  und  der  Chor  sei  von  Giunta 
bemalt  worden,  jenem  Pisaner  Meister,  der  so  eine  durch  Nichts 
gerechtfertigte  Bedeutung  für  die  Entwicklung  toskanischer  Kunst 
erhielt.  Wie  man  gerade  auf  Giunta  gerieth ,  ist  leicht  zu  ver- 
stehen —  man  mag  seinen  alten  echten  Kruzifixus,  welcher  sich 
in  der  Oberkirche  befand,  mit  dem  großen  Fresko  der  Kreuzigung 
Christi  im  nördlichen  Querschiff  verwechselt  haben,  und  kam  dann 
höchst  logisch  dazu ,  demselben  Künstler  auch  die  anderen  Dar- 
stellungen zuzuschreiben.  Wie  fest  dies  Vorurtheil  sich  eingebürgert, 
zeigen  selbst  Crowe  und  Cavalcaselle ,  die  doch  so  richtig  ver- 
schiedene Hände  in  den  Fresken  des  Längshauses  erkannt,  im 
rechten  Kreuzschiff  und  Chor  aber  im  Wesentlichen  Giunta's  Manier 
und  nur  im  südlichen  Arm  einen  an  Cimabue  gemahnenden  Fort- 
schritt gewahren.^)  Einen  Fortschritt  finde  auch  ich  allerdings, 
aber  nur  innerhalb  der  Entwicklung  eines  und  desselben  Meisters, 
der  mit  dem  nördlichen  Querschiff  beginnend  im  Verlaufe  der 
Arbeit   immer    freier   und   bedeutender   seine  Individualität   heraus- 


1)  Ital.  Ausgabe.     I,  S.  261.    S.  318  ff.  D.  A.  I,  S.  142. 


Die  Werke  des  Cimabue.  22 1 


gestaltet,  bis  diese  in  der  großen  Kreuzigung  des  linken  Quer- 
schiffes ihr  Höchstes  ausspricht.^)  Wer  sich  davon  überzeugen  will, 
darf  freilich  nicht  die  Mühe  scheuen,  aus  den  erhaltenen  Resten 
sich  geistig  das  Ganze  zu  rekonstruiren.  Daß  dies  wohl  möglich 
ist,  mag  die  Beschreibung  im  Folgenden  zeigen. 

Die  Hauptursache  der  starken  Zerstörung  der  Fresken  ist  in 
der  Feuchtigkeit  zu  sehen ,  die  namentlich  unter  den  Fenstern 
geradezu  vernichtend  gewirkt  hat.  Da  sich  von  den  Farben  nur 
wenige  Reste  erhalten  haben,  machen  die  Bilder  jetzt  durchaus  den 
Eindruck  von  Negativen :  das  Fleisch  und  die  hellen  Theile  über- 
haupt sind  schwarz  geworden,  die  Schatten  aber  und  alle  dunklen 
Parthien  erscheinen  nunmehr  licht,  und  zwar  von  einer  Art  Thon- 
farbe.  Reste  des  kräftig  blauen  Hintergrundes  sind  noch  überall 
sichtbar.  Daß  die  unteren  Theile  am  stärksten  gelitten,  erklärt 
sich  daraus,  daß  bis  auf  die  neueste  Zeit  hier  die  Chorstühle  standen, 
welche  die  Luft  ab.sperrten  und  dadurch  den  durch  die  Nässe 
hervorgebrachten  Prozeß  beschleunigten.^)  An  vielen  Stellen  läßt 
sich  deutlich  sehen ,  wie  konservirend  ein  freier  Luftzug  gewirkt ; 
so  sind  z.  B.  rechts  auf  der  großen  Kreuzigung  im  südlichen 
Querschifif  die  Füße  einiger  Männer  besonders  gut  in  den  Farben 
konservirt,  weil  hier  innerhalb  der  Wanddecke  über  einer  dort  be- 
findlichen Thürc  etwas  freier  Raum  ist,  in  dem  die  Luft  zirkuliren 
kann.  Die  Gurte  und  Gewölbe  sind  in  den  Farben  ziemhch  wohl 
erhalten ,  die  Säulen  und  deren  Kapitale  aber,  die  durchweg  einen 
rothen  Grund  haben ,  weisen  nur  noch  Reste  der  ehemaligen  Be- 
malung auf  Neben  der  Feuchtigkeit  trägt  aber  auch  der  sehr 
dünne  Intonaco  Schuld  an  der  Zerstörung.  Offenbar  hatte  Cimabue 
noch  keine  großen  Erfahrungen  in  der  Technik  der  Wandmalerei ; 
schon  für  die  Gemälde  des  Längshauses  wird  ein  stärkerer  Intonaco 
angewendet;  am  stärksten  tritt  er  endlich  in  Giotto's  Fresken  auf 
So  sehen  wir  auch  in  rein  technischer  Beziehung  innerhalb  der 
Mauern  von  S.  Francesco  Giotto's  neuen  Stil  durch  mancherlei 
Erfahrungen  hindurch  sich  vorbereiten. 

Vielleicht    dürfte   es    nach    diesen   Vorbemerkungen   Manchem 


*)  An  dieser  Meinung  halte  ich  trotz  Zimmermann's  Behauptung  (a.  a.  O.  S.  209  ff.), 
im  rechten  Querschiffe  habe  ein  älterer  Meister  gearbeitet,  fest. 

'^)  In  der  Höhe  derselben  sind  zahlreiche  Sgraffiti  zu  sehen,  Kritzeleien  der 
Mönche ,  welche ,  die  Zeit  zu  verbringen ,  ihre  Namen  auf  diese  Weise  verewigten, 
darunter  manche  noch  aus  dem  XV.  Jahrhundert. 


222  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

kühn  erscheinen,  aus  so  erloschenen  Fresken  noch  den  Stil  und 
die  Formen  eines  bestimmten  Meisters  erkennen  zu  wollen,  doch 
ist  dies  in  der  That  durchaus  nicht  gewagt.  Nach  kurzer  Uebung 
des  Auges  läßt  sich  nicht  allein  die  Komposition  in  ihren  großen 
Zügen,  sondern  auch  die  Zeichnung  in  den  Typen  und  Gewändern 
der  Figuren  erkennen,  die  gleichsam  in  ihrem  Knochengerüst  viel- 
fach erhalten  sind.  Wir  beginnen  die  Betrachtung  mit  den  offenbar 
ältesten  Darstellungen  im  nördlichen  Kreuzarm. 
I.    Das  nördliche  Querschiff. 

A.  Ostwand:  i.  Die  Kreuzigung.^)  In  der  Mitte  hängt  Christus, 
den  stark  ausgebogenen  Körper  mit  vier  Nägeln  befestigt, 
am  Kreuze.  Auf  jeder  Seite  schweben  sechs  heftig  bewegte 
Engel.  Drei  derselben  fangen  das  Blut  in  Schalen  auf,  die 
anderen  legen  schmerzbewegt  die  Hände  an  den  Kopf  oder 
erheben  sie  klagend.  Am  Fuße  des  Kreuzes  kniet  ein 
heiliger  Mönch,  wohl  Franz.  Links  steht  ein  Soldat,  die 
Lanze  erhebend,  rechts  ein  Mann,  der  ein  Rohr  mit  Schwamm 
zu  Christus  emporreicht.  Weiter  links  sieht  man  von  drei 
Frauen  umgeben  Maria  ohnmächtig  werdend,  dahinter  zahl- 
reiche Köpfe.  Rechts  stehen  dicht  geschaart  neben  einander 
bärtige  Männer,  von  denen  einer  lebhaft  die  Hand  nach 
Christus  ausstreckt.  —  Zeigt  die  untere  Hälfte  noch  ganz 
die  ruhige  Gruppenordnung  der  älteren  Kunst,  so  tritt  in 
den  Engeln,  die  außerordentlich  bewegt  eine  getragene, 
aber  gewaltige  Leidenschaftlichkeit  verrathen,  etwas  durchaus 
Neues  auf,  eine  Innerlichkeit  und  Kraft  der  Empfindung, 
wie  man  sie  gewohnt  ist  erst  in  Giotto's  Schöpfungen  zu 
finden  —  es  sind  die  ersten  Boten  einer  anderen  Zeit. 
Glücklicher  Weise  ist  der  Kopf  des  Christus  zunächst  rechts 
fliegenden  Engels  so  wohl  erhalten,  daß  wir  aus  ihm  mit 
Sicherheit  darauf  schließen  können,  daß  der  Künstler  der- 
selbe ist,  der  in  der  Unterkirche  die  Madonna  mit  den 
Engeln  geschaffen,  die  von  allen  Schriftstellern  bisher  mit 
Recht  dem  Cimabue  gegeben  wurde.    Die  stark  ausgebogene 


^)  Abgeb.  nach  Fea's  Angabe  im  Magazzeno  toscano  di  pitture,  Ediz.  di  Livorao 
und  bei  d'Agincourt :  Taf.  CII,  4,  welcher  das  Haar  Christi  mißverstehend  demselben 
ein  Kopftuch  giebt  und  auch  den  bartlosen  Kopf  des  Franz,  der  jetzt  nicht  mehr 
erhalten  ist,  wiedergiebt. 


Die  Werke  des  Cimabue.  223 


Stellung  von  Christi  Körper,  dessen  breite  kräftige  Zeich- 
nung von  derjenigen  der  Kruzifixe  Giunta's  durchaus  ab- 
weicht, erinnert  an  die  Werke  Margaritone's  und  seiner 
Zeitgenossen.  Die  unteren  Figuren  zeigen  vielfache  und 
nahe  Beziehungen  zu  denen  der  Passion  in  der  Unterkirche, 
stehen  aber,  namentlich  was  die  derben  Formen  der  Köpfe, 
das  Verhältniß  derselben  zu  den  kürzeren  Gestalten  be- 
trifft, bereits  in  größerem  Gegensatz  zu  den  Bildern  des 
Meisters  des  Franziskus.  *) 

Darüber  an  der  Mauerwand  unter  der  Gallerie  befinden 
sich  sechs  Heilige ,  von  denen  nur  der  eine  bärtige  mit 
Kreuzstab  und  ein  anderer  jugendlicher  noch  einigermaßen 
zu  erkennen  sind.  Ueber  den  Bögen  der  Gallerie  sind 
Halbfiguren  von  Engeln,  welche  die  Rechte  vor  die  Brust 
erheben,  in  der  Linken  Szepter  halten. 

2.  In  der  Lünette :  Die  Transfiguration.  Noch  erkenn- 
bar sind  Christus  in  der  Mandorla,  links  und  rechts  eine 
knieendc  Figur,  unten  die  drei  schlafenden  Jünger,  von 
denen  der  in  der  Mitte  befindliche  die  Hand  erhebt. 

B.    Nordwand.     Unten  drei  Darstellungen : 

1.  Sehr  zerstört.  Die  ganze  Bildfläche  wird  von  einer 
bergig  felsigen  Landschaft  ausgefüllt,  links  befindet  sich 
ein  kirchenartiges  Gebäude.  Viele  Kopf  an  Kopf  ge- 
drängte Männer  mit  Lanzen  in  der  Hand  kommen  links 
und  rechts  den  Berg  herab. 

2.  Die  Kreuzigung  Petri.  In  der  Mitte  hängt  Petrus  mit 
dem  Kopfe  nach  unten  am  Kreuze,  rechts  stehen  drei 
mit  Nimben  versehene  Figuren,  links  eine  dichtgedrängte 
Schaar  von  Menschen.  Dahinter  links  wird  eine  Pyra- 
mide, bei  welcher  der  Künstler  offenbar  an  die  des 
Cestius  gedacht ,  rechts  ein  phantastischer  pyramidaler 
Bau    von   mehreren  Stockwerken  mit  Fenstern    sichtbar. 


^)  Aus  der  besseren  Erhaltung ,  der  schwachen  Zeichnung  und  den  frisch  ge- 
zogenen Umrissen  geht  deutlich  hervor,  daß  einige  Theile  später,  wohl  im  XVI.  Jahr- 
hundert ,  restaurirt  worden  sind :  so  der  Oberkörper  und  Kopf  der  Maria ,  die  damals 
einen  rothen  Mantel  erhielt,  das  Gewand  und  der  Mantel  der  sie  links  haltenden 
Frau ,  die  Beine  des  Mannes  mit  dem  Ysop  und  die  fast  ganz  zerstörte  neben  diesem 
sitzende  Figur. 


224 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


3.  Die  Beschwörung  des  Simon  Magus.^)  In  der  Mitte  be- 
findet sich  ein  wie  aus  vier  Leitern  aufgebautes  Holz- 
gerüst, über  welchem  Simon  mit  einem  Kranz  im  Haare 
von  fünf  Dämonen  mit  langen  Ohren ,  Thierköpfen  und 
Fledermausflügeln  schwebend  getragen  wird.  Links  steht 
Petrus ,  die  Rechte  beschwörend  erhoben ,  neben  ihm 
kniet  ein  bärtiger  Mann,  der  nach  rechts  oben  weist. 
Dahinter  links  sind  Häuser,  rechts  ein  Gebäude  mit  ge- 
wölbtem, segeiförmigem  Dach,  das  auf  vier  Säulen  ruht 
(wie  es  auf  Bildern  jener  Zeit  ja  häufig  vorkommt).  — 
An  der  oberen  Wand  ist  links  vom  Fenster  eine  bärtige 
Heiligenfigur  mit  erhobener  rechter  Hand,  rechts  ein 
gerüsteter  Heiliger  mit  Stirnreifen  im  Haar  undeutlich 
zu  erkennen. 

C.    Westwand.     Unten  zwei  Darstellungen : 

1.  Vor  einem  tabernakelartigen  Bau,  aus  vier  schlanken 
Säulen  bestehend,  die  über  Rundbogen  ein  spitzes  Dach 
tragen,  steht  Petrus,  die  Rechte  nach  rechts  ausstreckend, 
wo  zahlreiche  Personen  sitzen  und  stehen,  über  denen 
Teufel  in  der  Luft  fliegen.  Links  sieht  man  zwei  bärtige 
und  einen  jugendlichen  Heiligen,  im  Hintergrunde  einige 
Gebäude.  Vermuthlich  ist  der  Tod  des  Ananias  und 
der  Saphira  dargestellt.  Mehr  als  durch  die  zuletzt  er- 
wähnten Gemälde  ist  es  hier  und  beim  folgenden  möglich, 
ein  Bild  von  der  Eigenart  des  Meisters  zu  gewinnen. 
Es  sind  höchst  bedeutende  Figuren ,  großartig  einfach 
und  ruhig,  in  Haltung  und  Bewegung  von  jener  sicheren 
bewußten  Majestät,  die  im  XIII.  Jahrhundert  nur  bei 
Cimabue  begegnet. 

2.  Vor  einem  wie  es  scheint  achteckig  gedachten  Gebäude 
mit  Kuppel,  an  welches  ein  an  das  Pantheon  erinnernder 
Portikus  mit  Spitzgiebel  auf  vier  kanellirten  Säulen  gelegt 
ist,  steht  Petrus  nach  rechts  gebeugt,  die  Hände  offenbar 
nach  einer  nicht  erhaltenen,  vielleicht  knieenden  Figur 
ausgestreckt.  Rechts  ist  eine  Gruppe  von  Männern,  links 
ein  jugendlicher,  wie  es  scheint,  bartloser  Heiliger.    Links 


^)  Abgeb.  bei  D'Agincourt  CII,   i   u.   2. 


Die  Werke  des  Cimabue.  225 


und  rechts  dahinter  je  ein  Gebäude.  Dargestellt  ist 
offenbar  die  Heilung   des  Lahmen    vor   der  Tempelthür. 

Unter  der  Gallerie  sind  sechs  Heilige  zu  sehen,  deren 
erster  langbärtig  mit  Schwert  als  Paulus  gekennzeichnet 
ist.  Von  den  anderen  sind  nur  zwei  jugendliche  erhalten. 
Es  sind ,  wie  an  der  Ostwand ,  offenbar  Apostel ,  ruhig 
statuarisch  stehende  Figuren.  In  der  Lünette  sind  nur 
wenige  Reste  vorhanden :  in  der  Mitte  ist  noch  ein  Thron 
erkennbar,  umgeben  von  den  Evangelistensymbolen,  von 
denen  nur  der  Ochse  zu  konstatiren  ist. 

Aus  dem  Gesagten  ergiebt  sich,  daß  das  nördliche 
Querschiff  dem  Petrus  geweiht  war.  Alle  Fresken  sind 
von  einer  und  derselben  Hand ,  wenn  auch  die  zuletzt 
beschriebenen  den  Stil  ausgeprägter,  die  Zeichnung  der 
Typen  bestimmter  und  breiter  erkennen  lassen.  Daß 
diese  durchaus  mit  denen  Cimabue's  übereinstimmen, 
soll  unten  noch  näher  begründet  werden. 

II.    Der  Chor. 

An  den  unteren  Thcilen  der  fünf  Wände  befinden  sich  Dar- 
stellungen aus  den  letzten  Zeiten  der  Maria,  der  die  Tribüne 
geweiht  war.     Wir  beginnen  auf  der  linken  Seite : 

1.  Die  letzten  Augenblicke   der  Maria.      Die   Szene   ist    durch 

einen  mit  Cosmatenmosaik  verzierten  Rahmen ,  von  dem 
drei  Ampeln  herabhängen ,  eingeschlossen.  Padre  Angeli 
sieht  in  ihr  die  ,, ultima  valetudo  Mariae",  Cavalcaselle  den 
Besuch  der  Apostel.  Die  Jungfrau  liegt  von  den  zwölf 
sitzenden  Jüngern  umgeben  mit  gekreuzten  Armen,  er- 
hobenem Kopfe,  offenen  Augen  auf  dem  Lager,  an  dessen 
Fußende  rechts  etwas  höher  eine  hochaufgerichtete  bär- 
tige Figur  steht ,  welche  wie  predigend ,  in  der  Linken 
eine  Rolle,  die  rechte  Hand  ausstreckt.  Offenbar  nehmen 
seine  Worte  die  Aufmerksamkeit  der  Anwesenden  in  An- 
spruch. 

2.  Der  Tod  der  Maria.     In  der  oberen  Hälfte  des  Bildes  steht 

Christus,  durch  den  Kreuznimbus  gekennzeichnet,  ein  Kind 
mit  Heiligenschein ,  also  die  Seele  der  Maria ,  im  Arm. 
Links  und  rechts  befindet  sich  ein  in  drei  Reihen  an- 
geordneter Heiligenchor.      In  der  Mitte    gegen    unten   sieht 

Thode,  Franz  von  Assisi.  IC 


226  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

man  noch  die  untere  Hälfte  der  liegenden  Maria,    die  von 
den  Aposteln  umgeben  war. 

3.  Hier  ist  der  päpstliche  Thron  angebracht,  hinter  dem  in 
Medaillons  die  Brustbilder  der  zwei  um  die  Kirche  ver- 
dienten Päpste  Gregor  IX.  und   Innocenz  IV.  gemalt   sind. 

4.  Die  Himmelfahrt  der  Maria. ^)  In  der  Mitte  unten  befindet 
sich  ein  Sarkophag,  mit  einem  Gewand  bedeckt,  auf  welchem 
Punkte  (die  Rosen.?)  angegeben  sind.  Zur  Seite  sind  je 
sechs  Apostel  zu  dreien  angeordnet,  darüber  die  ganze 
Breite  ausfüllend  drei  Reihen  von  Heiligen,  deren  unterste 
einfache  Heiligenscheine ,  die  zweite  Kronen ,  die  dritte 
Tiaren  trug.  Darüber  in  einer  von  vier  Engeln  gehaltenen 
Glorie  gewahrt  man  Christus  en  face  und  neben  ihm  Maria 
sitzen,  die  ihr  Haupt  an  das  seine  legt.  Die  Haltung  der 
Beiden  ist  nicht  mehr  mit  vollständiger  Sicherheit  fest- 
zustellen ,  doch  dürfte  d'Agincourt  recht  gesehen  haben. 

5.  Die  Glorie  der  Maria.  In  der  Mitte  oben  befindet  sich  ein 
großer  hölzerner  Thron,  wie  er  aus  sonstigen  Bildern  Ci- 
mabue's  bekannt  ist.  Auf  demselben  sitzt  links  Maria,  beide 
Hände  öffnend,  rechts  Christus,  der  in  der  Linken  ein  Buch 
hält  und  mit  der  Rechten  segnet.  Zu  beiden  Seiten  sind 
Reihen  von  Heiligen,  die  zum  Theil  Diademe,  zum  Theil 
Tiaren  tragen,  darüber  Engel.  Unten  befinden  sich  Mönche 
und  gleich  oberhalb  derselben  in  zwei  Reihen  Heilige  ohne 
Abzeichen. 

An  der  Hinterwand  der  Gallerie  sind  rechts  drei  Heilige, 
den  Tiaren  nach  zu  schließen :  Bischöfe  mit  Büchern,  links 
drei  Heilige  mit  Zetteln  dargestellt.  Darüber  sieht  man 
innerhalb  gemalter  Archivolten  auf  der  linken  Seite  Maria 
die  Hände  erhebend  zwischen  zwei  Engeln,  auf  der  rechten 
in  der  Mitte  eine  Figur  mit  gekreuzten  Armen  (Maria.?), 
links  einen  sich  derselben  zuneigenden  jugendlichen  Heiligen, 
hinter  dem  ein  anderer  bärtiger  steht,  und  rechts  einen 
Mann ,  der  mit  einer  Axt  auf  vor  ihm  stehende  Tafeln  zu 
schlagen  scheint. 

Am    schwersten  zu  rekonstruiren  sind  die  Fresken  in  den 
Lünetten.     In    der   links    befindlichen  scheint  oben  die  Geburt 


^)  Abgeb.  bei  D'Agincourt  CII,  3. 


Die  Werke  des  Cimabue. 


227 


der  Maria  dargestellt  zu  sein  :  man  erkennt  noch  eine  im  Bette 
liegende  heilige  Frau,  zu  der  eine  andere  mit  Nimbus  geschmückte 
Figur  tritt.  Darunter  ist  die  Verlobung  von  Joseph  und  Maria 
erzählt :  unter  einem  von  vier  Leuten  getragenen  Baldachin 
schreiten  die  Beiden,  Joseph  mit  dem  Stab  in  der  Hand,  aut 
dem  ein  Vogel  sitzt,  nach  rechts.  —  In  der  Lünette  rechts  ist 
oben  noch  zu  sehen ,  wie  der  Engel  dem  in  einer  Landschaft 
sitzenden  Joachim  erscheint.  Darunter  werden  zwei  mit  Nim- 
ben  versehene  Personen  von  einem  Engel  zu  einem  unter  einer 
Aedicula  sitzenden  Heiligen  geführt.  (Das  Opfer  Joachims.?) 
Endlich  sind  noch  in  den  Leibungen  der  Nischen  Heiligen- 
figuren in  Medaillons  und  in  den  Fensterleibungen  je  acht 
stehende  Heilige  und  vier  Brustbilder  von  Engeln  zu  erwähnen, 
die  aber  alle  zu  sehr  zerstört  sind,  um  einzeln  benannt  werden 
zu  können. 

III.  Das  südliche  Querschiff,  das  dem  heiligen  Michael  geweiht  ist. 
A.  Die  Ostwand  zeigt  wie  die  des  nördlichen  Kreuzarmes  eine 
figurenreiche  Kreuzigung,  die  ich  zur  Unterscheidung  von 
der  andern  kurz  die  zweite  nennen  will.^)  In  der  Mitte 
hängt  Christus  am  Kreuz  mit  getrennt  angenagelten  Füßen, 
einem  nicht  mehr  so  stark  wie  dort  ausgebogenen  Körper, 
um  die  Hüften  ein  nach  rechts  flatterndes  Tuch.  Links 
und  rechts  schweben  je  sieben  Engel  (rechts  jetzt  nur  noch 
fünf  sichtbar),  von  denen  drei  die  Schalen  unter  die  Wun- 
den halten,  die  andern  klagend  die  Hände  an  das  Gesicht 
legen ,  weit  ausstrecken  oder  erheben.  Unten  kniet ,  wie 
es  scheint,  der  heilige  Franz.  Links  steht  eine  Frau  in 
großartig  aufgeregter  Bewegung,  die  Arme  nach  oben 
werfend  und  ausschreitend,  daneben  links,  etwas  nach  links 
sich  wendend,  ein  Heiliger  (Johannes  ?),  die  Linke  erhoben, 
mit  der  Rechten  Maria's  Hand  fassend,  die  weiter  links 
steht  und  die  Linke  an  die  Brust  legt.  Dann  folgen  links 
drei  Frauen ,  die  erste  mit  gefaltet  gesenkten  Händen ,  die 
zweite  mit  der  Linken  das  Auge  trocknend  und  die  Rechte 
erhebend,  die  dritte  mit  erhobener  rechter  Hand.  Dahinter 
zahlreiche  Köpfe.  ^)  —  Rechts    vom  Kreuze    steht  ein  Hei- 


1)  Phot.  Alinari, 

')  Von  dieser  Gruppe  eine  ungenaue  Abb.  bei  d'Agincourt  CII,  8. 

15* 


228  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

liger,  der  mit  der  Linken  seinen  Mantel  hält,  die  Rechte  in 
schmerzvoller  Bewegung  hoch  nach  oben  ausstreckt,  hinter 
ihm  ein  Mann,  der  Schild  und  Lanze  hält,  und  ein  anderer 
gleichfalls  mit  erregter  Handbewegung.  Weiter  rechts  eine 
ganze  Schaar  von  Männern.  Das  Ganze  ist  eine  Dar- 
stellung von  zündender  Gewalt,  und  ich  stehe  nicht  an,  sie 
für  Cimabue's  größtes  Werk  zu  halten. 

An  der  Hinterwand  der  Empore  sind  drei  mächtige  Engel 
abgebildet,  welche  die  Linke  am  Gewand ,  in  der  Rechten 
einen  Stab  vor  der  Brust  halten  und  große  aus  rothen 
Schwungfedern  und  weißen  Deckfedern  bestehende  Flügel 
tragen.  Diese,  wie  die  Pendants  auf  der  andern  Seite,  sind 
von  allen  Bildern  am  besten  erhalten ,  so  zwar ,  daß  selbst 
die  rothe  Haarfarbe  noch  erkennbar  ist. 
In  der  Lünette  ist  gar  Nichts  mehr  erhalten. 
Die   Fresken    der    andern    beiden   Wände    stellen   Szenen   aus 

der   Apokalypse    vor   und    sind    sachlich    ebenso    interessant,    wie 

künstlerisch. 

B.  Südwand. 

I.  In  der  Mitte  nach  oben  zu  sieht  man  in  einer  Mandorla 
einen  Altar,  auf  dem  ein  Kind  mit  Kreuznimbus  zu 
liegen  scheint,  umgeben  von  vier  Medaillons  mit  den 
Evangelistensymbolen.  Rings  um  die  Mandorla  erscheinen 
dicht  hintereinander  gereiht,  alle  in  vorgebeugter  Haltung, 
die  24  Aeltesten,  mit  Diademen  oder  Tiaren  geschmückt 
(die  12  links  sind  noch  zu  zählen).  Zwischen  ihnen  in 
der  Mitte  unten  stehen  zwei  vasenartige  Gefäße,  und 
unter  diesen  wird  ein  nach  links  bewegter  Engel  mit 
Buch  (?)  sichtbar ,  zu  dem  sich  von  links  und  rechts  je 
eine  heilige  Figur  neigt.  Außerdem  sind  auf  beiden 
Seiten  noch  zwei  Engel  zu  sehen.  Außerhalb  des  Kranzes 
der  24  Aeltesten  befinden  sich  oben  noch  je  vier  Köpfe 
mit  Nimben ,  darüber  links  drei ,  rechts  vier  Engel.  — 
Offenbar  illustrirt  diese  figurenreiche  Darstellung  das 
4.  und  5.  Kapitel  der  Apokalypse :  das  Gesicht  von  dem 
Thron  der  Majestät,  um  den  auf  Stühlen  die  vierund- 
zwanzig Aeltesten  saßen  und  die  vier  lobpreisenden 
Thiere.     In   der  Figur   unten   aber   ist  der  starke  Engel 


Die  Werke  des  Cimabue.  229 


zu  sehen ,  der  mit  großer  Stimme  predigte :  „Wer  ist 
würdig ,  das  Buch  aufzuthuen  und  seine  Siegel  zu 
brechen?"    Derselbe  wird  als  Michael  gedeutet. 

2.  Vor  einer  aus  rothen  Häusern  bestehenden  Stadt,  die 
mit  öiner  in  vier  Ecken  gebrochenen  Mauer  umgeben  ist, 
stehen  vier  Engel  mit  großen  Flügeln,  jeder  ein  Füllhorn 
im  linken  Arme  haltend.  Links  und  rechts  befindet 
sich  je  ein  hochragender,  mit  Bäumen  bewachsener  Berg. 
Links  oben  ist  die  Sonne,  in  der  Mitte  ein  fliegender 
Engel  bemerkbar.  —  Der  Darstellung  liegen  die  Verse 
I  bis  3  des  7.  Kapitels  der  Apokalypse  zu  Grunde : 
„Und  darnach  sähe  ich  vier  Engel  stehen  auf  den  vier 
Ecken  der  Erde ,  die  hielten  die  vier  Winde  der  Erde, 
auf  daß  kein  Wind  über  die  Erde  bliese,  noch  über  das 
Meer,  noch  über  einige  Bäume.  Und  ich  sähe  einen 
andern  Engel  aufsteigen  von  der  Sonne  Aufgang,  der 
hatte  das  Siegel  des  lebendigen  Gottes  und  schrie  mit 
großer  Stimme  zu  den  vier  Engeln,  welchen  gegeben  ist 
zu  beschädigen  die  Erde  und  das  Meer." 

3.  In  einer  Mandorla,  unter  welcher  ein  Thronsessel  oder 
Altar  steht,  sitzt  Christus,  die  Rechte  erhoben,  von  acht 
posaunenden  Engeln  umgeben,  von  denen  die  vier  links 
befindlichen,  da  sie  gut  erhalten  sind,  besonders  wichtig 
für  die  Bestimmung  des  Meisters  sind.  Ueber  dem  Altar 
fliegt  rechts  ein  Engel,  der  ein  Rauchfaß  schwingt.  Unten 
knieen  zahlreiche  Figuren,  unter  denen  Mönche,  vielleicht 
auch  Franz ,  zu  erkennen  sind.  —  Zweifellos  handelt  es 
sich  hier  um  das  in  Kap.  7  und  8  geschilderte  Gesicht 
der  Versiegelung  der  Heiligen :  ,,Und  da  er  das  siebente 
Siegel  aufthat,  ward  eine  Stille  in  dem  Himmel,  bei  einer 
halben  Stunde.  Und  ich  sähe  sieben  Engel,  die  da  traten 
vor  Gott ,  und  ihnen  wurden  sieben  Posaunen  gegeben. 
Und  ein  anderer  Engel  kam  und  trat  bei  den  Altar  und 
hatte  ein  goldenes  Rauchfaß ;  und  ihm  war  viel  Räuch- 
werk  gegeben ,  daß  er  gäbe  zum  Gebet  aller  Heiligen, 
auf  den  goldenen  Altar  vor  dem  Stuhl." 

An  den  schmalen  Wandräumen  neben  dem  Fenster 
sind  links  noch  Reste  von  großen  übereinander  angeord- 
neten   stehenden  Engeln   erhalten.     In    der  Leibung   der 


230 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


Fenster  waren  vierzehn  Brustbilder  von  Engeln,  von  denen 
acht  recht  gut  erhalten  sind.  Sie  haben  alle  ein  Unter- 
gewand mit  reicher  Borte,  einen  Mantel  über  der  linken 
Schulter,  in  der  Linken  das  Szepter,  die  Rechte  vor 
der  Brust.  • 

C.  Westwand. 

1.  Links  hinter  einer  in  Thoren  geöffneten  Mauer  mit 
Thürmen  und  Zinnen  sieht  man  eine  in  gewaltsamer 
Weise  in  sich  zusammenstürzende  Stadt.  Aus  dem  Thore 
links  schauen  Leute  heraus,  rechts  glaube  ich  Teufelchen 
in  Flammen  zu  gewahren.  In  der  Mitte  rechts  steht  ein 
Vogel,  zweifellos  ein  Strauß^),  links  davon  die  Karrikatur 
einer  menschlichen  Figur,  hinter  der  drei  ähnliche  andere 
mit  ausgestreckten  Armen  zu  sehen  sind.  Links  oben 
sind  die  Sphären  des  Himmels  angegeben  und  Reste 
eines  Engels.  Von  einer  fast  ganz  zerstörten  Inschrift 
ist. noch  zu  lesen: 

aedes  Dni  descendens erit  draco. 

Es  ist  die  Illustration  von  Kap.  i8  der  Offenbarung, 
der  Fall  Babylons :  ,,Und  darnach  sähe  ich  einen  andern 
Engel  nieder  fahren  vom  Himmel,  der  hatte  eine  große 
Macht  und  die  Erde  ward  erleuchtet  von  seiner  Klarheit. 
Und  schrie  aus  Macht  mit  großer  Stimme:  ,Sie  ist  ge- 
fallen ,  sie  ist  gefallen ,  Babylon  die  große  und  eine  Be- 
hausung der  Teufel  geworden  und  ein  Behältniß  aller 
unreinen  und  feindseligen  Vögel." 

2.  Die  ganze  Bildfläche  ist  wie  von  Flammen  oder  Fluthen 
durchweht,  die  nach  rechts  oben  schlagen.  In  der  Mitte 
sitzt  ein  Engel,  der  einen  rechts  neben  ihm  befindlichen 
Heiligen  nach  links  auf  Etwas  aufmerksam  macht.  In 
den  Wellen  sind  deutlich  Fische  zu  erkennen.     Auf  zwei 


^)  Der  Strauß  als  unreiner  Vogel.  Man  vergl.  eine  Stelle  in  den  Predigten  des 
Antonius  von  Padua ,  wo  er  dem  Heuchler  verglichen  wird :  Struthio ,  quae  pennas 
habet ,  sed  propter  corporis  sui  magnitudinem  volare  non  potest ,  hypocritam  significat, 
qui  terrenorum  amore  et  onere  aggravatus  sub  penna  falsae  religionis  se  mentitur  ac- 
cipitrem  volatu  contemplationis.  (Siehe  die  sermones  Dominieales :  Dom.  I  in  Qua- 
dragesima.  Opera  S.  Antonii.  Ausg.  des  J.  de  la  Haye.  Stadt  am  Hof.  1739.  S.  137. 
—  Vergl.  ähnliche  Stellen  ebend. :  Expositio  mystica  in  lib.  Job.  cap.  39.  S.  461  und 
Dominica  X  post  Trinitatem  S.   259.) 


Die  Werke  des  Cimabue.  23 1 

Stellen  der  Offenbarung  könnte  diese  Darstellung  bezogen 
werden,  entweder  auf  Kap.  18,  V.  21  :  „Und  ein  starker 
Engel  hob  einen  großen  Stein  auf  als  einen  Mühlstein, 
warf  ihn  ins  Meer  und  sprach:  ,Also  wird  mit  einem 
Sturm  verworfen  die  große  Stadt  Babylon,  und  nicht 
mehr  erfunden  werden'  —  oder  auf  Kap.  22,  1  :  ,,Und 
er  zeigte  mir  einen  lauteren  Strom  des  lebendigen 
Wassers,  klar  wie  ein  Krystall ;  der  ging  von  dem  Stuhle 
Gottes  und  des  Lammes."  Im  ersteren  Falle,  der  mir 
wahrscheinlicher  dünkt,  ständen  also  die  beiden  zuletzt 
erwähnten  Fresken  in  direktem  Zusammenhange. 

Unter  der  Gallerie  sind,  wie  auf  der  Ostwand,  drei 
Engel  zu  sehen,  außerdem  aber  noch  über  den  Bögen 
sechs  Halbfiguren  von  Engeln,  die  in  den  Händen  eine 
ovale  Scheibe  halten,  auf  der  eine  Art  Thurm  abgebil- 
det ist. 

An  der  Lünette  sieht  man  in  der  Höhe  drei  parallel 
nach  links  ausschreitende  Engel,  deren  vorderster  einem 
Drachen  den  Speer  in  den  Rachen  stößt.  Rechts  von 
demselben  andere  Dämonen.  ^) 

Schließlich  haben  wir  noch 

IV.    das  Vierungsgewölbe  zu  betrachten,  an  welchem  die  vier  Evan- 
gelisten, auf  hohen  Stühlen  sitzend,  zu  sehen  sind. 

1.  Matthäus,  langbärtig,  in  blauem  Mantel,  stützt  den  linken 
Arm  auf  das  Schreibpult  und  hält  in  der  Rechten  ein  Buch. 
Von  oben  kommt  ein  Engel  herab ,  der  die  Rechte  nach 
des  Apostels  Kopfe  ausstreckt.  Rechts  eine  hohe,  ineinander 
geschachtelte  Gebäudegruppe. 

2.  Markus,  bärtig,  in  blauem  Gewände,  die  Linke  mit  Buch 
auf  dem  Pult,  in  der  Rechten  die  Feder.  Rechts  liegt  der 
Löwe.  Oben  ein  Engel ,  der  dexf  Evangelisten  am  Kopfe 
berührt.  Rechts  eine  in  gedrängter  Gebäudeanordnung  ge- 
gebene Ansicht  von  Rom.^) 

3.  Der    blondbärtige    Lukas    schreibt    in    ein  Buch,    oben    ein 


^)  Abb.  bei  d'Agincourt  CX,  I  —  ziemlich  verläßlich ,  wenn  auch  Michael  jetzt 
nicht  mehr  so  deutlich  erkennbar  ist  und  die  Ueberreste  der  Dämonen  etwas  willkürlich 
gegeben  sind. 

*)  Vergl.  Strzygowski :  Cimabue  und  Rom.     S.   87. 


232 


Die  Kirche  Saxi  Francesco  in  Assisi. 


Engel.  Rechts  vom  Pult  der  Ochse  und  weiter  rechts  das 
Gebäude. 

Johannes,  bärtig,  mit  beiden  Händen  ein  geöffnetes  Buch 
haltend.  Rechts  der  Adler.  Das  Schreibpult  hier  links. 
Rechts  ein  Gebäude,  vor  dem  ein  an  das  Pantheon  oder 
den  Minerventempel  in  Assisi  erinnernder  spitzgiebliger  Por- 
tikus sich  befindet. 


Drei  Heiligen :  Maria ,  Petrus  und  Michael  wurden  die  drei 
Altäre  der  Oberkirche  geweiht ,  und  das  ist  sicher  kein  Zufall ,  da, 
wie  wir  oben  gesehen  haben,  gerade  sie  es  sind,  für  welche  Franz 
eine  besondere  Devotion  hatte.  Aber  mehr  noch :  die  Darstellung 
des  heil.  Michael  und  der  auf  ihn  bezüglichen  apokalyptischen 
Szenen  wird  zu  gleicher  Zeit  eine  symbolische.  Sah  man  doch  in 
Franz  selbst  die  Weissagung  von  dem  siebenten  Engel  der  Apo- 
kalypse erfüllt.^)  So  deuten  denn  die  Fresken  auf  das  Anbrechen 
einer  neuen  Zeit,  auf  die  Befreiung  der  Kirche,  auf  den  Kampf 
der  drei  Orden  des  Franz  gegen  den  Drachen  des  Häretikerthums 
hin.  Diese  großen  Gedanken  aber  würdig  wiederzugeben,  ward 
der  bedeutendste  Maler  jenes  Jahrhunderts,  dem  Franziskus  seinen 
Stempel  aufgeprägt,  bestimmt:  Cimabue.  Ihm  und  keinem  andern 
sind  alle  die  besprochenen  Fresken  zuzuweisen.  Schon  in  der  ersten 
Kreuzigung  begegneten  wir  einer  großen.  Neues  schaffenden  In- 
dividualität, im  Verlaufe  der  Arbeit  hat  diese  sich  immer  be- 
deutender, immer  erfolgreicher  bis  zu  der  Kreuzigung  des  Südarmes 
entwickelt.  Da  gilt  es  nun  freilich  wohl  zu  unterscheiden  zwischen 
Originalität  der  Erfindung  und  Selbständigkeit  der  künstlerischen 
Empfindung.  Die  Szenen  aus  dem  Leben  des  Petrus  und  der 
Maria  sind  im  Großen  und  Ganzen  wohl  nur  mit  frischer  Kraft 
wiederholte  ältere  typische  Darstellungen,  wie  sie  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  sich  ausgebildet.  Als  Ganzes  dürften  sie  kaum  viel 
Neues  bringen,  aber  in  jeder  einzelnen  Figur,  in  jeder  Bewegung 
macht    sich    eine    früher    ungekannte    Energie    der   Auffassung,    ein 


^)  S.  oben  S.  96  ff.  Man  vergl.  auch  die  gekünstelte  Auslegung  der  apoka- 
lyptischen Stelle  bei  B.  Pis.  conf.  lib.  I.  fr.  I  S.  9  v.  Darnach  bedeutet  das  große 
Erdbeben  die  Verfolgung  der  Kirche  durch  Friedrich  II. ,  die  schwarze  Sonne  den 
Papst ,  der  im  Dunkeln  gelebt ,  bis  man  ihn  in  Venedig  fand ,  der  blutige  Mond  die 
durch  die  Tödtung  des  Geistlichen  befleckte  Kirche,  das  Fallen  der  Sterne  den  Abfall 
vieler  Prälaten,  die  vier  Engel  die  vier  Ordnungen  der  Heiligen. 


Die  Werke  des  Cimabue.  233 


bewußtes  Streben  nach  Monumentalität  geltend.  Das  sind  nicht 
mehr  die  zaghaft  schreitenden,  in  ungewisser  Kraftlosigkeit  stehen- 
den, mechanisch  ihren  Willen  äußernden  Gestalten,  sondern  ihrer 
Kraft  und  deren  Anwendung  bewußte  Menschen.  Gemäßigt  selbst 
in  Momenten  scheinbar  fesselloser  Leidenschaft ,  erinnern  sie  an 
die  Werke  später  antiker  Kunst,  so  weit  auch  das  Ideal  des  Künst- 
lers von  dem  in  jenen  ausgesprochenen  entfernt  zu  sein  scheint. 
Die  Köpfe  zeigen  die  Formen ,  die  schematisch  sich  bis  zu  dieser 
Zeit  fortgepflanzt,  ins  Große,  Ideale  übersetzt,  und  verrathen  ein 
das  Größte  anstrebendes  Schönheitsgefühl  des  Künstlers,  das  nur 
durch  den  traditionellen  Bann  verhindert  wird,  sich  frei  zu  offen- 
baren. Sie  sind  uns  wohl  bekannt  von  den  Madonnenbildern  des 
Cimabue  her,  aber  auch  nur  von  diesen,  da  kein  anderer  Künstler 
des  XIII.  Jahrhunderts  auch  nur  annähernd  eine  solche  Breite  der 
Zeichnung  erreichte.  Es  ist,  wie  dort,  der  bedeutende  starkknochige 
Typus  mit  der  kurzen  Stirn  und  der  in  breiter  Fläche  bügelartig 
ansetzenden  breitrückigen ,  gebogenen  Nase,  deren  Wurzel  etwas 
eingeschnitten  ist,  deren  Flügel  breit  geschwungen  sind.  Wie  dort 
gewahren  wir  hier  die  großen  Augen  mit  den  wenig  gewölbten  Brauen 
und  den  leicht  geschwollenen  Unterlidern,  die  hohe  Oberlippe,  den 
Mund  mit  den  etwas  herabgezogenen  Winkeln,  das  kurze  gerundete 
Kinn.  Auch  die  sonstigen  Charakteristika  der  Cimabue'schen  Fi- 
guren :  die  zurückweichende  untere  Gesichtshälfte,  die  unten  etwas 
zugespitzten,  oben  voll  gerundeten,  abstehenden  Ohren,  die  langen 
Hände  mit  den  knochenlosen  dünnen  Fingern  und  dem  scharf  an- 
setzenden dünnen  Daumen ,  das  perrückenartig  aufsitzende  Haar, 
das  in  breiten  Wellen  behandelt  ist ,  erscheinen  alle  auf  diesen 
Fresken  der  Oberkirche.  Und  zwar  macht  sich  in  solchen  Details  ein 
allmählicher  Fortschritt  geltend ,  obgleich  das  Wesentliche  auch 
schon  in  den  ersten  Bildern  vollständig  deutlich  zu  erkennen  ist. 
Was  aber  nicht  mit  Worten  sich  bestimmen  läßt  und  schließlich 
doch  das  Maßgebende  bleibt :  in  allen  Fresken  tritt  dem  Beschauer 
jene  große  Einfachheit  und  jene  Einheitlichkeit  der  Gestaltungskraft 
entgegen,  die  nur  die  Meister  ersten  Ranges  besitzen.  Die  wenigen 
von  Schülerhand  ausgeführten  Theile :  die  Engel  nämlich  an  der 
Gallerie  des  Südschiffes  und  in  der  Fensterleibung  daselbst,  zeigen 
am  deutlichsten  den  Abstand ,  der  zwischen  der  Größe  und  der 
Mittelmäßigkeit  liegt.  Da  kehren  wohl  die  Typen ,  die  Falten  der 
Gewandung  wieder,    aber  es  fehlt  der  Geist,  der  sie  beseelt.     Der 


234 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


eine  der  hier  unter  Cimabue  beschäftigten  Künstler  vergröbert  die 
Formen,  indem  er  sie  übertreibt  (die  halbfigurigen  Engel  über  den 
Bögen  und  eine  Anzahl  derjenigen  in  der  Leibung),  der  andere,  in- 
dem er  sie  abschwächt,  dehnt  sie  zu  manierirter  Länge  (die  Engel 
an  der  Empore). ')  Wer  sich  aber  mit  Ernst  und  Geduld  in  diese 
verloschenen  Freskenreste  vertieft  hat  und  dann  ins  Längshaus 
hinaustritt ,  wird  keinen  Augenblick  mehr  zweifeln  können ,  wo 
Cimabue  selbst  thätig  gewesen  ist ! 

Wenn  nun  aber  die  Schaffenskraft  des  großen  Florentiner 
Meisters  in  der  größeren  Anzahl  der  besprochenen  seltenen  Kom- 
positionen durch  den  zwingenden  Einfluß  älterer  Vorbilder  gehemmt 
werden  mochte,  so  zeigt  sie  an  dem  gewohnteren  Stoffe  der  Kreu- 
zigung, der  als  solcher  dem  Künstler  größere  Freiheit  ließ,  ihr 
ganzes  Können.  Nach  diesen  gewaltigen  Darstellungen,  namentlich 
der  zweiten ,  die  selbst  in  ihren  Resten  noch  erschütternd  wirkt 
wie  wenige  andere  Werke,  muß  Giotto's  Vorgänger  beurtheilt 
werden,  will  man  ihm  gerecht  werden.  Da  tritt  er  uns  entgegen 
als  der  Erste  in  der  langen  Reihe,  deren  Letzter  Michelangelo  sein 
sollte.  Da  fühlt  man  zum  ersten  Male  den  tiefen  Athemzug  der 
Florentiner  Kunst.  Diese  Größe,  diese  Gewalt  der  Leidenschaft,  hat 
selbst  Giotto  nie  erreicht,  wohl  aber  erfährt  man  es  angesichts  dieser 
Kreuzigung,  wer  es  zuerst  ihm  gelehrt,  für  tiefen  Seelenschmerz 
und  innere  Verzweiflung  den  ewig  wahren  Ausdruck  zu  finden. 
Wie  ein  Sturm  von  dramatischem  Leben  und  Seelenaufregung 
braust  es  durch  das  Bild.  Zum  ersten  Male  in  der  neueren  Kunst 
tritt  das  Innerste  überzeugend  und  packend  nach  außen  —  vielleicht 
nie  wieder  so  überraschend ,  so  ursprünglich ,  bis  auf  den  Maler 
der  Sixtinischen  Kapelle.  In  jener  einzigen  Figur  der  Magdalena, 
die  in  verzweifeltem  Seelenschmerz  aufschreiend  die  Arme  zum  Hei- 
land aufreckt,  als  wollte  sie  ihn  dem  Tod  abringen  und  zurück  ins 
Leben  ziehen,  liegt  eine  neue  Welt.  Noch  steht  freilich  un- 
künstlerisch eng  gedrängt,  wie  in  der  älteren  Zeit,  die  Schaar  der 
Krieger  rechts  unter  dem  Kreuz,  aber  aus  ihr  heraus  lösen  sich 
gleich  Trägern  der  allgemeinen  Empfindung  einzelne  Gestalten, 
aus  denen  das  Gefühl  unbeschränkt  nach  außen  drängt,  und  in 
den  Lüften    oben,    wo    die  Engel    flattern,    hat  Alles  Sprache   und 


^)  Man  vergleiche  auch  die  Hände  und  man  wird  nicht  zweifeln,  daß  hier  Schüler 
thätig  sind. 


Die  Werke  des  Cimabue.  235 


Bewegung    gewonnen.      So    ringt    sich    aus   dem    Alten    das    Neue 
empor  I 

Tritt  nun  aber  dieser  Kampf  auch  nirgends  in  seinen  Gegen- 
sätzen so  deutlich  hervor,  als  in  der  Kreuzigung,  so  zeigt  es  sich 
in  höherem  oder  geringerem  Grade  doch  auch  in  den  andern 
Fresken,  wie  die  erstarrten  alten  Formen  zu  enge  werden  für  den 
neuen  Inhalt,  wie  die  Figuren  von  innen  heraus  zu  größerer  Körper- 
lichkeit sich  neu  gestalten  —  es  scheint,  als  habe  Cimabue  solchen 
Fortschritt  nicht  dem  Studium  der  Natur  im  Einzelnen,  sondern 
einem  angeborenen  divinatorischen  Empfinden  verdankt,  das  sich 
ein  eigenes  Geschlecht  idealisirter  Gestalten  schuf,  welche  wahr  in 
sich ,  in  ihrem  Denken  und  ihrem  Fühlen  doch  anders  sind ,  als 
die  Menschen,  die  wir  sehen.  Diese  treten  erst  bei  Giotto  auf,  in 
den  so  lebensvoll  erzählenden  Bildern  der  Geschichte  des  Fran- 
ziskus, die  sich  fast  unmittelbar  neben  Cimabue's  Schöpfungen  be- 
finden ,  und  waren  dazu  angethan ,  die  letzteren  fast  vergessen  zu 
machen.     Sagt  es  ja  Dante  in  kurzen  Worten: 

Credette  Cimabue  nella  pittura 

Tener  lo  campo,  ed  ora  ha  Giotto  il  grido.^) 

Den  Einen  rühmen,  heißt  nicht  den  Andern  deß wegen  herab- 
setzen !  Das  Eine  aber  verlangen  die  Fresken  in  dem  Querschiff 
und  Chor  der  Oberkirche  S.  Francesco,  daß  ihrem  Schöpfer  neben 
Giotto  der  Ehrenplatz  eingeräumt  wird  als  Begründer  der  Tos- 
kanischen  Malerei,  wie  als  Vollender  derselben  neben  Raphael  auch 
Michelangelo  gleichberechtigt  erscheint. 

Von  größtem  Interesse  wäre  es,  den  Zeitpunkt  zu  wissen,  um 
den  Cimabue  in  Assisi  arbeitete ,  da  uns  aber  keinerlei  diesbezüg- 
liche Nachrichten  erhalten  sind ,  müssen  wir  aus  dem  Vergleiche 
seiner  Werke  eine  annähernde  Bestimmung  zu  erlangen  suchen.  In 
dieselbe  Zeit  ungefähr,  wie  die  Bilder  der  Oberkirche,  fällt  offenbar 
die  herrliche  Madonna  in  dem  nördlichen  Kreuzarm  der 
unteren  Kirche,  die,  von  Giotto  verschont,  neben  dessen 
Bildern  aus  Christi  Legende  sich  befindet.  (Abb.  33.)  Die  Jungfrau 
sitzt  ein  wenig  nach  rechts  gewandt  auf  einem  Throne,  der  von  vier 
großen  Engeln  gehalten  wird,  und  hält  das  sitzende  Christkind,  das 
lebendig  nach  links  schauend  mit  der  Rechten  segnet.  Rechts  davon 
steht  en  face  der  h.  Franz.    Vergleichen  wir  diese  Darstellung  mit 


^)  Fegefeuer  XI,  94 — 95. 


236 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


den  zwei  bekannten  großen  Madonnenbildern  des  Cimabue  in  S.  Maria 
Novella  und  in  der  Florentiner  Akademie,  so  können  wir  keinen 
Augenblick  zweifeln,  daß  sie  später  als  diese  entstanden  ist.  In  den 
Köpfen,  die  hier  eine  rundere,  vollere  Form  haben,  wie  in  den 
Bewegungen  herrscht  viel  größere  Freiheit,  die  Augen  blicken 
lebendiger,  die  Gewandung  ist  weniger  gequält  behandelt  und  fällt 
in  freieren  einfacheren  Falten ,  die  Fleischbehandlung  ist  weicher 
und  verschmolzener,  nicht  mehr  von  jener  harten,  alle  Züge  scharf 
akzentuirenden  alterthümlichen  Weise.  In  diesem  Werke  läßt  sich 
Cimabue's  Schönheitsideal  am  ungetrübtesten  genießen.  Den  Ver- 
hältnissen der  Figuren  aber  ebenso  wie  der  runden  Form  der  Köpfe 
nach  scheint  es  mir  den  Wandbildern  der  Oberkirche  näher  zu 
stehen  als  jenen  Tafelbildern,  wenn  die  Möglichkeit  auch  nicht  aus- 
geschlossen ist,  daß  seit  der  Ausfühung  der  Fresken  einige  Zeit 
vergangen  war.  Leider  wissen  wir  nun  aber  nur  wenig  Bestimmtes 
von  der  Entstehungszeit  der  bekannteren  Bilder  des  Meisters:  nur 
für  das  eine  derselben  ist  uns  ein  Anhaltspunkt  gegeben.  Es  mag, 
wie  Vasari  selbst  erwähnt,  eine  wahre  Tradition  der  Geschichte  zu 
Grunde  liegen ,  daß  König  Karl  von  Anjou  auf  seinem  Durchzug 
durch  Florenz,  der  1267  stattfand,  dem  für  S.  Maria  Novella  be- 
stimmten Bilde  im  Atelier  Cimabue's  seine  Huldigung  darbrachte,  — 
wie  dem  auch  sei,  dem  Stile  nach  gehört  es  sicher  in  des  Künstlers 
mittlere  Zeit.  Alle  beide  Gemälde  aber  scheinen  mir  früher  als  die 
Fresken  der  Oberkirche  entstanden,  so  daß  man  deren  Entstehung 
wohl  frühestens  in  die  siebziger  Jahre  und  zwar  nach  Cimabues 
Aufenthalt  in  Rom  1272,  eher  noch  aber  in  das  folgende  Jahrzehnt 
versetzen  muß. 

Diese  Wandbilder  gestatten  uns  nun  aber  ferner,  dem  Cimabue 
einige  andere  Werke  zuzuschreiben,  die  bisher  wenig  Beachtung 
gefunden  haben  —  zunächst  ein  großes  Kruzifix  im  Chor  von 
S.  Chiara  in  Assisi.  Christus  entspricht  hier  in  der  Stellung, 
in  dem  bedeutenden  Typus  des  Kopfes,  in  der  Ausbiegung  des 
Körpers,  in  den  Körperverhältnissen  und  in  der  Draperie  des  vorn 
geknüpften  Hüftentuches  durchaus  dem  Christus  der  früheren 
Kreuzigung  in  S.  Francesco ,  nur  sind  die  Beine  in  einer  ganz 
eigenthümlichen  Weise  verkürzt.  Offenbar  ist  daran  nicht  eine 
Verzeichnung  Schuld ,  da  sonst  der  Kopf  und  die  Figur  sehr  pro- 
portionirt  und  sicher  gezeichnet  sind,  sondern  eine  bestimmte  Ab- 
sicht des  Künstlers,    der  die  Untersicht  des  vermuthlich  auf  einem 


Die  Werke  des  Cimabue.  237 


Querbalken  schräg  aufgestellten  Kruzifixes  berücksichtigend,  durch 
die  Verkürzung  die  richtige  Wirkung  auf  den  Beschauer  hervor- 
bringen wollte,  und  so  als  der  erste  unter  den  neueren  Malern 
den  kühnen  Versuch  einer  perspektivischen  Darstellung  wagte,  über 
deren  Richtigkeit  es  jetzt  schwer  ist  ein  Urtheil  zu  fällen.  An  den 
Kreuzenden  befinden  sich  die  ganzen  Figuren  der  Maria  und  des 
Johannes ,  an  der  Spitze  Maria  die  Hände  öffnend.  Am  Fuße  des 
Kreuzes  links  kniet  ganz  klein  die  h.  Benedicta,  rechts  eine  andere 
Nonne.     Eine  Inschrift  besagt: 

Dna  Benedicta  post 
Ciaram  p»  abb»  me  fecit. 

Die  Hoffnung,  daraus  eine  annähernde  Zeitbestimmung  zu  gewinnen, 
verwirkUcht  sich  nicht,  da,  wie  das  ,,beata"  in  der  Bezeichnung  bei 
der  Stifterin  lehrt,  das  Kruzifix  erst  nach  dem  am  16.  März  1260 
stattgefundenen  Tode  der  Aebtissin  wohl  auf  Kosten  eines  Legates 
angefertigt  wurde ,  und  es  demnach  ungewiß  bleibt ,  ob  dies  un- 
mittelbar nachher  oder  später  geschah.  ^) 

Dieselbe  Kirche  bewahrt  ein  anderes  Bild ,  das  selbst  nach 
seiner  gänzlichen  Uebermalung  und  Modernisirung  noch  den  großen 
Stil  Cimabue's  erkennen  läßt,  eine  Madonna,  die  etwas  nach 
rechts  gewandt  und  nach  rechts  herausschauend  das  Kind  auf  dem 
linken  Arme  hält  und  die  Rechte  erhebt.  Hinter  ihr  halten  zwei 
schwebende  Engel  einen  grünen  Teppich.  Die  Komposition  erinnert 
an  ein  ähnliches  Marienbild,  das  sich  in  den  Servi  zu  Bo- 
logna befindet  und  bisher  meist  diesem  oder  jenem  alten  bolog- 
nesischen  Künstler  zugeschrieben  wurde,  wie  mir  dünkt  aber  dem 
Cimabue  sehr  nahesteht  und  zwar  den  Werken  aus  dessen  mittlerer 
Zeit.  Maria  sitzt  hier  etwas  nach  rechts  gewandt,  auf  einem  Thron, 
der  fast  ganz  so  gestaltet  ist  wie  der  auf  den  Bildern  von  S.  Maria 
novella  und  Assisi,  und  hält  das  stehend  nach  links  schreitende 
Kind,  das  mit  der  Rechten  nach  dem  Mantel  der  Mutter  am  Halse 
langt.  Zwei  ungewöhnlich  kleine  Engel  sind  in  halber  Figur  hinter 
der  Lehne  des  Stuhles  sichtbar.  Uebermalt  und  beschädigt  ließe 
es  sich  doch  wohl  den  runden  vollen  Typen,  der  großen  Lebhaftig- 
keit des  Kindes,  der  freieren  Gewandbehandlung  nach  zwischen  die 
Madonna  von  S.  Maria  novella  und  die  in  S.  Francesco  einreihen.^) 

^)  Auch   hier   halte   ich    an   meiner   Ansicht   gegenüber  Zimmermann ,    der   nicht 
Cimabue's  Hand  erkennen  will,  fest. 
2)  Phot.  Alinari. 


238 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


Endlich  scheinen  mir  noch  die  Fresken  der  als  fünfte  rechts 
vom  Chor  befindlichen  Kapelle  des  Michael  in  S.  Croce  zu 
Florenz,  die  bisher  ganz  allgemein  der  Schule  Giotto's  zu- 
geschrieben wurden,  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  dem  Cimabue 
zuertheilt  werden  zu  müssen.^)  Offenbar  sind  es  die  spätesten  der 
von  ihm  erhaltenen  Werke,  gerade  deßwegen  aber  besonders  in- 
teressant. Zwei  größere  Kompositionen  schmücken  die  Wände. 
Die  auf  der  rechten  Seite,  leider  stark  beschädigt,  zeigt  den  Kampf 
der  Engel  gegen  den  Drachen ,  also  denselben  Gegenstand ,  den 
wir  schon  in  S.  Francesco  fanden.  Wie  dort  vollzieht  sich  auch 
hier  der  Kampf  innerhalb  der  unten  deutlich  begrenzten  Himmels- 
sphäre. In  leichtbeschwingter  Bewegung  tritt,  als  Vorkämpfer  durch 
besondere  Größe  ausgezeichnet,  Michael  nach  rechts  gewandt  auf 
den  zu  ihm  aufzischenden  Drachen ,  aus  dessen  Hals  sechs  kleine 
Köpfe  wachsen.  Vollständig  gerüstet,  in  der  Linken  das  Schwert 
und  einen  runden  kleinen  Schild,  schwingt  er  die  Lanze  gegen  den 
Erbfeind.  Drei  andere  Engel  in  fast  paralleler  Bewegung  nach 
links  hin  ausschreitend ,  aber  nach  rechts  mit  den  Lanzen  aus- 
holend ,  kämpfen  in  zweiter  Reihe  gegen  kleinere  Dämonen ,  die 
von  dem  Himmel  auf  die  Erde  niederstürzen,  und  hinter  ihnen 
erscheint  ein  drittes  Glied  enger  geschaarter  Engel ,  von  denen 
man  nur  die  Köpfe  sieht.  Die  Typen  zeigen  alle  Eigenthümlich- 
keiten  des  Cimabue'schen  Stiles;  was  von  demselben  abweicht,  ist 
nur  die  größere  Schlankheit  und  Leichtigkeit  der  Figuren  Den 
Fresken  in  Assisi  verglichen  herrscht  hier  eine  größere  Grazie  und 
Anmuth,  ein  Streben  nach  vornehmer  und  zarter  Eleganz.  Dies 
aber  scheint  mir  nicht  im  Widerspruche  mit  Cimabue's  sonstigem 
frühern  Stile  zu  stehen ,  sondern  nur  eine  für  eine  spätere  Zeit 
höchst  charakteristische  Entwicklung  zu  bezeichnen.  Tritt  una  doch 
dasselbe  Hinneigen  zu  weicherer,  fast  empfindsamer  Auffassung 
schon  schlagend  in  der  Madonna  von  Assisi  entgegen,  mit  welcher 
auch  die  Formen  die  größte  Verwandtschaft  zeigen. 

Von  einer  anderen  neuen  Seite  aber  lehrt  uns  das  zweite 
Fresko  an  der  linken  Wand ,  welches  das  Wunder  auf  dem  Berge 
Gargano  zum  Vorwurf  hat,  den  Meister  kennen.  Zwei  in  der  Legende 
zeitlich  geschiedene  Momente  sind  hier  in  einer  Darstellung  ver- 
einigt.    Links    sehen    wir  den  Gargano,    der  mit  dem  Bogen,    den 


^)  Ich  verdanke  diesen  Hinweis  der  Güte  des  Herrn  Baron  von  Liphardt  in  Florenz. 


Die  Werke  des  Cimabue. 


239 


er  in  der  Linken  hochhält,  soeben  nach  dem  auf  der  Höhe  eines 
Berges  in  der  Mitte  hinten  stehenden  Ochsen  geschossen  hat.  Neben 
ihm  steht  links  ein  nach  oben  schauender  Hirt  in  kurzem  Rock, 
der  in  der  Rechten  einen  Stab  hält,  mit  der  Linken  die  Augen 
beschattet,  rechts  ein  nach  halb  rechts  gewandter  Mann  in  kurzem 
braunen  Rock ,  der  erstaunt  die  Hände  emporhebt  und  auf  den 
unbesonnenen  Schützen  blickt,  der  sich  von  seinem  Zorn  hat  ver- 
leiten lassen,  auf  das  ihm  entlaufene  Thier,  das  nicht  zurückkehren 
will,  zu  schießen.  Auf  der  rechten  Seite  der  Darstellung  erscheint 
Michael  in  halber  Figur  dem  graubärtigen  mit  gefalteten  Händen 
vor  ihm  knieenden  Bischof,  hinter  welchem  zahlreiche  Leute :  Geist- 
liche, Laien  und  Frauen  knieen,  und  theilt  ihm  mit,  daß  jener  Ort 
ihm  heilig  und  von  Gargano  entweiht  worden  sei.  ^)  —  In  dieser 
Darstellung  ist  Nichts  mehr  von  byzantinischem  Schematismus  zu 
erkennen.  So  eckig  die  Figuren  auch  erscheinen  mögen,  gewahrt 
man  doch  deutlich,  daß  Cimabue  hier  vollständig  frei  geschaffen 
und  direkt  an  die  Vorbilder  in  der  Natur  sich  gehalten  hat.  Das 
beweisen  die  natürlichen  lebhaften  Geberden  der  Hirten ,  deren 
Tracht,  am  meisten  aber  das  bewußte  Streben,  in  den  verschiedenen 
Figuren  auch  verschiedene  Individualitäten  zu  geben.  In  der  That 
zeigt  fast  jeder  Kopf  einen  eigenartigen  Typus.  Damit  aber  hat 
der  Künstler  sich  zu  wirkHchcr  Freiheit  durchgerungen,  freilich 
zum  Theil  auf  Kosten  der  getragenen  Großartigkeit  seiner  früheren 
Werke. 

An  der  Fensterwand  sind  noch  Reste  einer  ganz  von  ihren 
Haaren  umkleideten  Magdalena  und  des  Bischofs  Alexander  er- 
halten.-) Vermuthlich  sind  die  Fresken  Ende  der  neunziger  Jahre 
oder  1300  entstanden,  bevor  Cimabue  nach  Pisa  ging,  dort  das 
Mosaik  im  Dome  auszuführen,  an  dem  er  1302  beschäftigt  war. 
Dies  beweist  dann  ferner,  daß  der  1294  begonnene  Bau  von  S.  Croce 
um  jene  Zeit  schon  bis  zur  Vollendung  des  Chores  mit  den  Kapellen 
und  voraussichtlich  auch  des  Querschiffes  vorgeschritten  war. 

Aus  allem  Gesagten  ersehen  wir,  daß  der  erste  große  Floren- 


1)  Vergl.  Acta  Sanctorum  VIII.  Band.  29.  Sept.  Auch  B.  Riehl:  S.  Michael 
und  S.  Georg  in  der  bildenden  Kunst  1883,  dem  aber  unsere  ikonographisch  wichtigen 
Fresken  unbekannt  geblieben  sind. 

'^)  Ob  auch  die  Glasfenster  nach  Zeichnungen  Cimabue's  entstanden ,  wage  ich 
nicht  zu  entscheiden.  Jedenfalls  erinnern  sie  lebhaft  an  ihn.  Dargestellt  ist  die  Ver- 
kündigung und  Tobias  mit  dem  Engel.     Es  sind  die  ältesten  Glasgemälde  der  Kirche. 


240  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

tincr  Maler  seine  eigentliche  Erziehung  den  bedeutenden  Aufgaben 
dankt,  die  ihm  der  Orden  des  Franz  zuerst  in  Assisi,  dann  in  Pisa 
und  in  Florenz  stellte  —  daß  besonders  in  den  Franziskanerkirchen 
uns  die  Werke  von  ihm  erhalten  sind ,  an  denen  wir  den  Gang 
seiner  Entwicklung  verfolgen  können,  sein  allmähliches  Fortschreiten 
von  der  Nachahmung  älterer  Vorbilder  zu  einem  eigenartigen,  an- 
fangs herb  aber  großartig  idealisirenden,  dann  enger  an  die  Natur 
sich  schließenden,  anmuthigeren  Stile.  ^) 


3.    Die   Schule    Cimabue's. 

Das  Längshaus  der  Oberkirche.  Nach  der  eingehenden 
Prüfung  der  Wandgemälde  im  Querschiff  und  Chor  und  der  dadurch 
gewonnenen  schärferen  Kenntniß  von  des  Meisters  Stil  werden  wir 
Crowe  und  Cavalcaselle  nur  durchaus  Recht  geben  können,  wenn 
sie  in  den  Darstellungen  des  Alten  und  Neuen  Testamentes,  die  in 
zwei  Reihen  den  oberen  Theil  der  Wände  schmücken,  nicht  Ci- 
mabue's Hand ,  sondern  nur  die  seiner  Schüler  erkannten.  Auch 
nicht  eine  einzige  Figur  in  dem  ganzen  Cyklus  trägt  den  großen, 
charakteristischen  Typus  des  Florentiner  Meisters.  Vielmehr  zeigt 
sich  dessen  Art  hier  theilweise  abgeschwächt  und  verkleinert,  theil- 
weise  nach  einer  bestimmten  naturalistischen  Richtung  hin  entwickelt. 
Stimme  ich  demnach  mit  der  Ansicht  der  verdienstvollen  Geschichts- 
schreiber der  italienischen  Malerei  im  Allgemeinen  durchaus  überein, 
so  hat  mich  doch  ein  wiederholtes  Studium  der. Fresken,  was  die 
hier  beschäftigten  Meister  anbetrifft,  zu  etwas  abweichenden  Re- 
sultaten  geführt.      Leider    haben    auch   diese  Wandmalereien    stark 


^)  Ob  das  für  S.  Francesco  in  Pisa  bestimmte  Bildniß  des  h.  Franz ,  das  noch 
jetzt  sich  dort  befinden  soll,  von  Cimabue  oder  von  Margaritone  ist,  kann  ich  nicht 
sagen ,  da  es  mir  nicht  geglückt ,  dasselbe  zu  sehen.  —  Von  den  drei  Kruzifixen  in 
S.  Croce  ist  das  eine  im  Gange  sicher  nicht  von  ihm,  sondern  von  einem  Zeitgenossen, 
ein  zweites  in  der  Sakristei  dem  frühem  Stile  Giotto's  nahe  stehend ,  ein  drittes  eben- 
daselbst (Alinari  1 1 1 34)  alterthümlicher  und  mehr  an  Margaritone  erinnernd.  —  Von 
Cimabue  selbst  aber  könnte  möglicher  Weise  der  jetzt  im  Refektorium  aufgestellte, 
sehr  klägliche  Freskenrest  eines  Johannes  des  Täufers  sein.  Ihm  nur  nahe  verwandt 
ist  die  Madonna  mit  Engeln  ebendaselbst  (ehemals  an  der  Stadtmauer).  —  Die  kleinere 
Madonna  in  der  Akademie,  die  h.  Caecilia  in  den  Uffizien  und  der  h.  Petrus  in 
S.  Simone  haben  nichts  mit  ihm  zu  thun.  —  Vergl.  Weiteres  über  Cimabue  in  meinem 
Aufsatz:  „Sind  uns  Werke  von  Cimabue  erhalten?"  im  Repertorium  für  Kunstwissen- 
schaft.    XUI,  S.  25  ff. 


Die  Schule  Cimabue's. 


241 


durch  die  Feuchtigkeit  gelitten ,  jedoch  in  anderer  Weise  als  dit 
besprochenen.  Die  Farben  sind  hier  in  den  erhaltenen  Theilen 
noch  zu  sehen,  jene  chemische  Zersetzung  und  Veränderung  hat  bei 
ihnen  nicht  stattgefunden,  dagegen  ist  der  Wandbewurf  zum  großen 
Theile  ganz  abgefallen,  so  daß  die  nackte  Mauer  zu  Tage  tritt. 
Was  zerstört  ist,  ist  gänzlich  zerstört,  was  erhalten  ist,  verhältniß- 
mäßig  gut  und  ursprünglich  erhalten.  An  der  rechten  Wand  sind, 
vom  Querschiff  an  beginnend,  in  zwei  Reihen  Szenen  des  Alten, 
an  der  linken  Szenen  des  Neuen  Testamentes  dargestellt,  darunter 
läuft  der  Streifen  mit  der  Legende  des  h.  Franz.  Da  die  Fresken 
trotz  sorgsamer,  die  Feuchtigkeit  absperrender  Ausbesserung  der 
zerstörten  Theile  mit  einem  besonderen  cementartigen  Bewürfe  von 
Jahr  zu  Jahr  der  Vernichtung  mehr  entgegengehen  und  ihre  bis- 
herige Beschreibung  nicht  durchweg  genügen  kann,  bespreche  ich 
zunächst  die  Kompositionen  selbst.') 
I.   Die   rechte  Längswand. 

A.  Die  obere  Reihe  neben  den  Fenstern. 

1.  Die  Schöpfung.  In  der  Mitte  oben  erscheint  die  Halb- 
figur des  christusartig  dargestellten  Gottvaters,  der  mit 
der  Rechten  segnend  ganz  en  face  innerhalb  einer  runden, 
mit  betenden  halbfigurigen,  kleinen  Engeln  geschmückten 
Glorie,  die  den  durch  Sterne,  Sonne  und  Mond  gekenn- 
zeichneten Himmelsstreifen  umgiebt,  erscheint.  Von  die- 
sem geht  in  der  Mitte  die  Taube,  links  in  ovaler 
Mandorla  der  von  Strahlen  umleuchtete  Helios  als  antik 
gedachter  nackter  Jüngling,  rechts  in  gleicher  Glorie  die, 
wie  es  scheint,  sitzende  nackte  (zum  Theil  zerstörte)  Luna 
aus.  Darunter  ist  in  der  Mitte  das  Meer  mit  deutlich 
unterschiedenen  Fischen  (Aal ,  Haifisch  u.  a.),  links  das 
Land  zu  sehen,  auf  dem  zwei  Widder  und  ein  Ochse, 
sowie  Vögel  auf  Bäumen  sich  befinden.  Die  Figur  des 
Helios  scheint  auf  ein  antikes  Vorbild  zurückzugehen 
und  erinnert  in  der  ausschreitenden  Stellung  an  einen 
der  Rosselenker  auf  dem  Quirinal. 

2.  Die  Erschaffung  Adam's.  Sehr  zerstört.  Links  sitzt  Gott- 
vater die  Rechte  ausstreckend    auf  einer  großen   blauen 


^)  Vgl.  Crowe  und  Cavalcaselle.     Ital.  Ausg.  I,  S.  325  fF.,  wo  eine  ausführlichere 
Beschreibung  gegeben  ist.     Photographien  von  Lunghi,  Carloforti,  Alinari. 
Thode,  Franz  von  Assisi.  16 


242 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


Kugel,  rechts  liegt  Adam,  die  Linke  auf  den  Boden  ge- 
stützt, die  Rechte  erhoben. 

3.  Die  Erschaffung  Eva's.  Links  sitzt  wiederum  Gottvater 
auf  der  Weltkugel  etwas  nach  links  gewandt,  nach  halb 
rechts  sich  wendend,  in  der  Linken  eine  Rolle,  mit  der 
Rechten  segnend.  Rechts  befindet  sich  in  halb  sitzender 
Stellung  Adam,  den  Kopf  schlafend  auf  die  linke  Hand 
gestützt;  aus  seiner  Hüfte  steigt  in  halber  Figur  sichtbar 
Eva  im  Gebet  zu  Gott  aufschauend  hervor.  Dahinter 
Sträuche  und  Bäume.  Die  rechte  Hälfte  der  Komposition 
hat  stark  gelitten. 

4.  Der  Sündenfall.  Die  rechte  Seite  fast  ganz  zerstört. 
Sichtbar  noch  in  der  Mitte  der  obere  Theil  des  Baumes, 
um  welchen  die  zur  (nicht  erhaltenen)  Eva  sich  richtende 
Schlange  mit  Frauenkopf  sich  windet.  Links  steht  Adam 
en  face ,  die  Rechte  vor  der  Scham ,  den  Kopf  em- 
pfindsam etwas  nach  rechts  gesenkt. 

5.  Die  Vertreibung  aus  dem  Paradiese.  Ein  lebhaft  aus- 
schreitender (sehr  beschädigter)  Engel,  der  in  springender 
Bewegung  den  Hnken  Fuß  schwebend  in  der  Luft  vor- 
streckt, drängt  mit  den  Händen  die  Sünder  nach  rechts. 
Adam  eilt,  die  Linke  deklamatorisch  erhebend,  die  Rechte 
vor  dem  Feigenblatt,  von  dannen,  während  Eva  sich  im 
Schreiten  noch  umschaut.      Im  Hintergrund  Palmbäume. 

6.  Total  zerstört,  die  dargestellte  Szene  aus  der  alten  Be- 
schreibung, die  überall  nur  ganz  kurz  den  Inhalt  angiebt, 
zu  entnehmen :  ,,Wie  Gott  zur  Bewachung  des  Paradieses 
und  des  Baumes  des  Lebens  einen  Cherubim  hinsetzte 
mit  einem  flammenden  Schwert  in  der  Hand." 

7.  Total  zerstört.  Alte  Beschreibung :  ,,Wie  Kain  auf  dem 
Altare  ein  Bündel  darbrachte  und  Abel  die  erste  Frucht 
von  der  Heerde,  und  über  den  Köpfen  hat  jeder  seinen 
Namen." 

8.  Brudermord.  Fast  ganz  zerstört.  Erkennbar  nur  noch 
die  rechte  untere  Körperhälfte  des  auf  dem  Boden  liegen- 
den Abel's.  Links  Reste  der  zum  Fortschreiten  sich 
wendenden  Figur  Kain's.  Rechts  hinten  ein  Berg  mit 
einigen  Bäumen. 


Die  Schule  Cimabue's. 


243 


B.    Die  untere  Reihe. 

9.  Der  Bau  der  Arche  Noäh.  Links  steht,  nach  halb  rechts 
gewandt,  in  weißem  Untergewande,  rothem  Mantel,  mit 
weißem  Bart  und  langem  Haar  Noah,  die  Hände  wie  er- 
staunt zu  der  segnend  hinter  einer  Mandorla  erscheinen- 
den Hand  Gottes  erhebend.  Gleich  daneben  rechts  sitzt 
er  auf  ornamentirtem  Stuhl,  die  Rechte  befehlend  nach 
rechts  ausgestreckt,  wo  zwei  Männer  in  kurzen  Kitteln 
mit  nackten  Beinen  einen  schräg  stehenden  Balken,  auf 
dem  der  eine  rechts  oben  steht,  zersägen.  Rechts  unten 
behaut  ein  dritter  (sehr  zerstört)  einen  Balken. 

10.  Die  Arche  Noäh.  Sehr  zerstört.  Erkennbar  links  noch 
ein  Theil  der  kassettirten  Arche,  in  der  eine  Figur  sicht- 
bar ist.  Auf  dem  Dache  sitzt  ein  Vogel,  aus  einer  Oeff- 
nung  schaut  ein  Löwe  heraus.  Ein  Widder  springt  über 
ein  nach  dem  Schiffe   hingelegtes  Brett. 

11.  Das  Opfer  Isaak's.  (Abb.  34.)  In  der  alten  Beschreibung 
fälschlich :  ,,Wie  nach  Beendigung  der  Sündfluth  Noah  aus 
der  Arche  ging."  Abraham ,  mächtig  nach  rechts  aus- 
schreitend, den  linken  Fuß  auf  das  Postament  des  Altares 
stellend,  auf  dem  gefesselt  der  knieende  Isaak  sitzt,  packt 
mit  der  Linken  dessen  Kopf  und  schwingt  in  der  Rechten 
ein  krummes  Schwert.  Eine  rechts  oben  aus  Sphären 
erscheinende  Hand,  zu  der  er  aufblickt,  hemmt  sein 
Vorhaben.  Der  linke  Theil  sehr  zerstört.  Oben  Reste 
eines  Berges  mit  Gebäuden. 

12.  Die  drei  Engel  erscheinen  Abraham.  Fast  ganz  zerstört. 
Schattenhaft  zu  erkennen  sind  noch  rechts  die  drei  Engel, 
deren  vorderster  einen  Stab  hält  und  die  Rechte  aus- 
streckt, sowie  der  Kopf  des  links  knieenden  Patriarchen. 

13.  Isaak  segnet  Jakob.  (Abb.  35.)  Von  dem  alten  Beschreiber 
falsch  erklärt.  Isaak  (sehr  zerstört)  liegt  mit  dem  Kopfe 
nach  links  in  einem  Gemache  auf  einem  mit  Vorhängen 
versehenen  Bette  und  faßt  mit  der  Linken  die  mit  Fell  be- 
kleidete rechte  Hand  des  von  rechts  herantretenden  Jakob, 
der  in  der  Linken  eine  Schüssel  mit  einem  Thier  hält 
und,  getreu  den  Worten  der  Schrift,  auch  den  Hals  mit 
Fell  umgeben  hat.  Links  neben  ihm  sieht  man  (ziemlich 
zerstört)  Rebekka,  die  auf  Isaak  schaut. 

16* 


244  ^^^  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

14.  Isaak  segnet  Esau.  Isaak  liegt,  ähnlich  wie  dort  (hier 
aber  besser  erhalten)  in  rothem  Untergewand  und  blauem 
Mantel  auf  dem  Lager.  Blinden  Auges  langt  er  mit  der 
Linken  nach  hinten  und  erhebt  wie  sprechend  die  Rechte. 
Von  hinten  tritt  Esau  heran,  in  der  Linken  eine  Schale, 
in  der  Rechten  einen  Löffel ,  wie  um  dem  Vater  die 
Speise  zu  reichen.  Neben  ihm  rechts  steht  die  starr  er- 
wartungsvoll auf  Isaak  schauende  Rebckka ,  einen  Krug 
in  den  Händen.  Rechts  tritt  Jakob  (sehr  zerstört)  in  die 
Thüre  herein. 

15.  Joseph  in  der  Zisterne.  Sehr  zerstört.  Man  sieht  rechts, 
wie  Joseph  von  zwei  Männern  an  den  Armen  aus  der 
Zisterne  gezogen  wird.  Rechts  dahinter  die  Köpfe  von 
zwei  Brüdern  noch  erhalten.  Links  einige  (nur  sehr 
undeutlich  erkennbare)  Männer,  hinter  denen  ein  Hügel, 
auf  dem  Schafe  weiden ,  sichtbar  ist 

16.  Die  Brüder  vor  Joseph.  Vor  einem  palastartigen  Ge- 
bäude mit  vorspringenden  Baikonen  sitzt  rechts  in  rothem 
Gewand  und  blauem  Mantel  Joseph ,  dessen  Kopf  ganz 
zerstört  ist ;  neben  ihm  steht,  wenig  erhalten,  ein  Krieger. 
Links  knieen  die  elf  Brüder,  zuvorderst  der  bittend  auf- 
schauende Benjamin ,  auf  den  ein  von  ganz  links  eilig 
heranschreitender  Mann,  der  in  der  Linken  den  ge- 
fundenen Becher  hochhält,  hinweist. 

II.    Die    linke    Längswand. 
A.    Die  obere  Reihe. 

a.  Die  Verkündigung.  Sehr  zerstört.  Rechts  steht  Maria, 
in  der  gesenkten  Linken  Buch  und  die  Rechte  erhebend, 
von  ihrem  Sitze  vor  dem  Hause  auf  Links  stand  der 
Engel  mit  erhobener  Rechten. 

b.  Die  Heimsuchung  (nach  der  alten  Beschreibung).  Total 
zerstört.  Nur  oben  schwache  Reste  von  Gebäuden  erhalten. 

c.  Die  Geburt  Christi.  (Abb.  36.)  Maria  liegt  etwas  nach  links 
gewandt,  gegen  einen  Hügel  gelehnt,  auf  ausgebreitetem 
Gewände,  die  Linke  vor  der  Brust  und  die  Rechte  auf 
dem  Knie.  Links  von  ihr  in  der  Höhe  ihres  Kopfes 
ruht  (sehr  zerstört)  das  gewickelte  Kind  in  der  Krippe, 
hinter  welcher  in  einer  Grotte  die  Köpfe  des  Esels  und 


Die  Schule  Cimabue's.  245 


Ochsen  erscheinen.  Links  darunter  sitzt  Joseph,  den 
Kopf  auf  die  linke  Hand  gestützt,  die  Rechte  auf  dem 
Knie.  Rechts  stehen  zwei  Hirten,  von  Schafen  umgeben, 
und  schauen  zu  einem  über  und  hinter  Maria  zu  ihnen 
gewandt  fliegenden  Engel,  der  in  der  Linken  einen  Schrift- 
zettel hält  und  mit  der  Rechten  segnet.  Weiter  oben 
drei  andere  Engel,  von  denen  der  eine  sich  zu  Christus 
neigt,  die  beiden  anderen  anbetend  nach  oben  schauen. 

d.  Die  Anbetung  der  h.  drei  Könige  (nach  der  alten  Be- 
schreibung). Fast  ganz  zerstört.  Nur  noch  Reste  von 
der  rechts  sitzenden  Maria  und  unzusammenhängende 
kleine  Theile  von  den  Königen  erhalten. 

e.  Die  Darstellung  im  Tempel.  Stark  zerstört.  Vor  einem 
auf  gewundenen  Säulen  ruhenden  Tabernakel  sieht  man 
von  links  Simeon ,  das  Kind  auf  dem  Arme,  auf  die 
Altarstufe  treten.  Hinter  ihm  links  Reste  einer  anderen 
Figur  (Hanna).  Rechts  steht  Maria  (Kopf  gut  erhalten) 
die  Hände  nach  Christus  bewegend ;  neben  ihr  schreitet 
Joseph  die  Linke  ausstreckend  heran. 

f  Die  Flucht  nach  Egypten.  Fast  ganz  zerstört.  Nur  rechts 
noch  Reste  von  Joseph,  der  den  Esel  zu  schieben  scheint. 

g.  Der  zwölfjährige'Christus  im  Tempel.  Sehr  zerstört.  Sicht- 
bar ist  gegen  links  der  vor  einer  Exedra  sitzende  Christus, 
der  die  Linke  auf  ein  Buch  hält  und  die  Rechte  erhebt. 
Ganz  rechts  Reste  von  den  Figuren  der  heranschreitenden 
Eltern  und  wenige  Spuren  der  sitzenden  Schriftgelehrten. 

h.  Die  Taufe  Christi.  Sehr  zerstört.  Einigermaßen  erhalten 
ist  nur  der  in  der  Mitte  en  face  in  einem  durch  Fische 
belebten  Wasser  stehende  Christus,  über  welchem  die 
Taube  schwebt.  Rechts  die  untere  Hälfte  des  Täufers 
auf  einer  Felserhöhung ,  links  zwei  etwas  nach  rechts 
geneigt  das  Gewand  Christi  haltende  Engel. 

B.    Die  untere  Reihe. 

i.  Die  Hochzeit  zu  Cana.  Hauptsächlich  im  oberen  Theile 
und  hier  sehr  zerstört.  Im  Vordergrunde  sind  Diener 
bei  großen  antik  gedachten  Urnen  beschäftigt :  der  eine, 
ganz  rechts  nach  hinten  gewandt,  hält  zwei  Gefäße  in  die 
Höhe,    ein    anderer    in  der  Mitte   nimmt   eben  ein  zwei- 


246  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

henkeliges  großes  Gefäß  von  der  Schulter,  ein  dritter  links 
gießt  das  seine  in  eine  leere  Amphora  aus  und  schaut  dabei 
auf  den  links  dahinter  sitzenden  (fast  ganz  zerstörten) 
Christus.  Im  Hintergrund  der  Tisch,  auf  dem  zahlreiche 
Becher,  Kelche,  Teller  und  Gebäcke  zu  sehen  sind  und 
an  dem  hinten  in  der  Mitte  die  mit  reichem  Kopfputz 
gezierte  Braut,  links  (sehr  zerstört)  Maria,  rechts  der  mit 
seinem  Nachbarn  sich  unterhaltende  Bräutigam  sitzt. 

k.  Die  Auferweckung  des  Lazarus.  Fast  ganz  zerstört.  Links 
unten  befanden  sich,  wie  es  scheint,  eine  liegende  Figur 
und  darüber  auf  etwas  höherem  Terrain  zwei  stehende 
(die  vordere  in  weiß  und  gelb :  Petrus  ?). 

1.  Die  Gefangennahme.  Gut  erhalten.  Christus,  in  der  ge- 
senkten Linken  eine  Rolle,  steht  in  der  Mitte  en  face, 
rechts  von  einem  häßlichen  Kerl  in  kurzem  Kittel,  hinter 
dem  viel  Juden  und  Soldaten  stehen,  gehalten,  Hnks  von 
dem  stark  ausschreitenden  Judas  umfangen  und  geküßt. 
Er  segnet  mit  der  Rechten  den  links  unten  knieenden 
Malchus,  dessen  Ohr  eben  der  zu  Christus  aufschauende 
Petrus  abschneidet.  Links  dahinter  viele  Krieger  und 
andere  Leute, 
m.  Die  Geißelung.  Fast  ganz  zerstört.  Nur  links  noch 
Reste  von  stehenden  Männern  und  das  nackte  Bein 
eines  nach  links  ausschreitenden  Soldaten. 

n.  Die  Kreuztragung.  Sehr  zerstört.  Christus  schreitet,  das 
Kreuz  tragend ,  nach  links ,  rechts  gefolgt  von  zwei  mit 
Nimbus  versehenen  Figuren.  Ein  gleich  dem  Engel  auf 
der  ,, Vertreibung  Adam's  und  Eva's"  springend  aus- 
schreitender Soldat  zieht  ihn ,  nach  links  weisend ,  vor- 
wärts.    Dahinter  einige  andere  Figuren. 

o.  Die  Kreuzigung.  Sehr  zerstört,  bloß  die  Gruppe  rechts 
einigermaßen  konservirt.  In  der  Mitte  hängt  Christus  — 
nur  wenig  erhalten  —  am  Kreuz,  neben  dem  jetzt  nur 
noch  rechts  zwei  klagende  Engel  fliegen.  Links  waren 
drei  heilige  Figuren,  rechts  Johannes  und  zwei  Frauen, 
deren  eine  schmerzbewegt  die  rechte  Hand  an  den  Kopf 
legt,  während  sie  die  Linke  erhebt. 

p.  Die  Beweinung  Christi.  Ziemlich  gut  konservirt.  Christus, 
wagerecht    aasgestreckt ,    wird    links    von    der  knieenden 


Die  Schule  Cimabue's.  247 


Maria  gehalten  und  von  ihrem  rechten  Beine  gestützt. 
Johannes  weiter  rechts  sich  beugend  küßt  seine  linke 
Hand,  Magdalena  knieend  seinen  linken  Fuß.  Hinter 
Johannes  noch  eine  andere  Frau,  die,  weinend  die  Hand 
an  die  Wange  gelegt,  Christus  anschaut.  Ganz  links  eine 
andere  sehr  zerstörte  Heilige.  Dahinter  stehen  links  auf 
höherem  Terrain  zwei  Frauen  ohne  Nimben.  Rechts  der 
jugendliche  Nikodemus,  der  heranschreitend  die  Hand 
an  den  Kopf  legt ,  und  der  die  Hände  faltende  ruhig 
stehende  Joseph  von  Arimathia.  Zwei  Frauen  kommen 
im  Mittelgrund  hinten  im  Gespräch  heran.  In  der  Luft 
ein  klagender  Engel.  Abbildung  bei  D'Agincourt  CX,  4 
und  bei  Lübke  I,  95. 
q.  Die  Frauen  am  Grabe.  Sehr  zerstört.  Man  erkennt  noch 
den  rechts  auf  dem  Grabe  sitzenden  weißgewandeten 
Engel ,  links  die  heranschreitenden  Frauen ,  von  denen 
eine  die  Salbenbüchse  trägt.  Vorn  liegen  die  schlafenden 
Soldaten.     Abbildung  bei  D'Agincourt  CX,  7. 

III.  Die   Eingangswand. 

r.  Die  Himmelfahrt.  Im  unteren  Theile  sehr  zerstört.  In 
der  Höhe  schwebt  Christus  mit  erhobenen  Armen ,  bis  zu 
den  Knieen  sichtbar,  unten  von  Wolken  verhüllt,  zu  dem 
durch  Kreise  gekennzeichneten  Himmel  empor.  Unten 
in  der  Mitte  etwas  höher  als  die  anderen  befindet  sich 
ein  Engel ,  der  die  Hände  wie  erstaunt  öffnet.  Rechts 
fünf  mit  Ausnahme  eines  Einzigen  durchweg  nach  oben 
schauende  Apostel.     Links  Reste  anderer  Apostel. 

s.  Das  Pfingstfest.  Mittelmäßig  erhalten.  Vor  einem  gothi- 
schen  Gebäude,  das  sich  mit  drei  Giebeln  über  Rund- 
bogen nach  vorn  öffnet,  sitzen  Maria  und  die  zwölf 
Apostel  und  zwar  so,  daß  hinten  en  face  Maria  zwischen 
vier  Aposteln,  links  und  rechts  je  zwei  und  endlich  vier 
andere  vom  Rücken  gesehen  vorne  erscheinen,  alle  sehr 
ruhig  theils  in  die  Höhe  schauend,  theils  zu  einander 
gewandt.  Von  oben  schießen  aus  einer  runden  Glorie 
Strahlen  und  die  Taube  herab. 
Darüber  befinden  sich  die  Brustbilder  des  graubärtigen,  mit  der 
Stola   bekleideten  Petrus    en  face    und   des   bärtigen  Paulus  in  Me- 


248  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

daillons.  Ueber  der  Thür  erscheint  in  rundem  Medaillon  die  wenig 
nach  rechts  gewandte  Madonna,  die,  nach  halb  links  herausschauend, 
auf  dem  linken  Arm  das  mit  einem  Hemdchen  und  einem  ärmellosen 
rothen  Obergewand  bekleidete  Kind  hält,  das  die  Rechte  an  der 
Mutter  Brust  legt  und  zu  ihr  aufschaut.  (Abb.  70.)  Links  und  rechts 
ist  je  ein  kleineres  Medaillon  mit  der  Halbfigur  eines  in  Roth  und 
Blau  gekleideten  Engels,  der  in  der  Hand  einen  Stab  hält. 

An  den  Leibungen  des  in  der  Mauerdicke  befindlichen  Ein- 
gangsbogcns  befinden  sich,  zu  je  zwei  gruppirt,  16  Heilige,  jeder 
unter  einem  von  antikisirenden  Säulen  und  Pilastern  getragenen 
gemalten  Rundbogen.     Es  sind  : 

L.    I.  Ein  blonder  und  ein  graubärtiger  Bischof. 

2.  Petrus  Martyr  und  Dominikus. 

3.  Stark  zerstört.     Zwei  Diakone. 

4.  Zwei  Frauen  mit  Palmen. 

R.    I.  Der  blondbärtige  Franz  mit  Buch  und  Chiara. 

2.  Der  blondbärtige  Antonius  von  Padua  und  der  graubärtige 
Benedikt  mit  Buch. 

3.  Der  h.  Laurentius  und  ein  anderer  Diakon. 

4.  Ein  h.  König  und  links  eine  zerstörte  Figur. 

In  den  Vierpässen  des  ornamental  geschmückten,  vor  dem  er- 
wähnten schmalen  Gewölbe  befindlichen  ersten  Bogens  die  Brust- 
bilder von  heiligen  Frauen. 

IV.    Die    Deckengewölbe. 

Zwei  derselben :  das  I.  und  III.  (von  der  Vierung  aus  gezählt) 
haben  gesternten  blauen  Grund.  Das  II.  ist  durch  reich  ornamen- 
tirte  Diagonalbänder  getheilt :  aus  einer  zierlichen  Vase  steigt 
Rankenwerk  empor,  das  dicht  über  derselben  sich  erweiternd  eine 
Art  Mandorla  bildet,  in  welcher  ein  flügelloser,  mit  Blumenpflücken 
oder  dem  Verzehren  von  Trauben  beschäftigter  nackter  Putte  steht. 
In  den  Zwickeln  der  Felder  sieht  man  je  zwei  Engel  mit  erhobenen 
Flügeln,  in  der  Linken  eine  Kugel,  in  der  Rechten  ein  Szepter,  die 
Füße  auf  einer  Kugel.  In  der  Mitte  befinden  sich  Medaillons  mit 
Brustbildern  von:  i.  Christus,  in  Roth  und  Blau,  in  der  Linken 
Rolle,  mit  der  Rechten  segnend.  2.  Johannes  der  Täufer,  in  Roth 
und  Gelb,  die  rechte  Hand  erhoben,  die  Linke  bewegt,  mit  röthlich 
blonden  Haaren.  3.  Maria,  den  blauen  Mantel  über  dem  Kopf,  die 
Linke    erhoben ,    die  Rechte    vor    der  Brust ,    nach    halb   rechts  ge- 


Die  Schule  Cimabue's.  249 


wandt.  4.  Franz,  blondbärtig,  beide  Hände  etwas  erhebend,  ideali- 
sirter  Typus. 

In  dem  IV.  Gewölbe  sind  die  Felder  durch  Streifen  mit  Ranken- 
werk, in  dem  kleine  Brustbilder  der  verschiedensten  geflügelten 
Thiere  angebracht  sind,  eingerahmt  und  mit  den  Darstellungen  der 
vier  Kirchenväter  geschmückt.  Jeder  derselben  befindet  sich  links 
auf  einem  mosaizirten  Thronsessel  an  einem  Schreib-  oder  Lese- 
pult, während  rechts  in  einem  nischenartigen  Gebäude  je  ein  Mönch 
sitzt.  In  den  Zwickeln  oben  erscheint  über  Wolken  das  Brustbild 
eines  einem  geflügelten  Christus  gleichenden  Mannes.  I.  Hieronymus 
in  Weiß  und  Roth,  graubärtig,  im  Bischofsornat,  liest  in  einem 
Buche,  das  er  auf  dem  Tische  hält;  der  bärtige  Mönch  ist  gleich- 
falls in  die  Lektüre  vertieft.  2.  Ambrosius  in  Gelb  und  Blau,  grau- 
bärtig ,  hält  die  Linke  auf  der  Brust ,  die  Rechte  auf  dem  Buche ; 
der  jugendliche  Mönch  liest.  3.  Gregor  in  Blau  und  Roth,  bartlos, 
die  linke  Hand  auf  dem  Lesepult,  die  Rechte  auf  dem  Schooße, 
lauscht  der  vor  seinem  Ohr  schwebenden  Taube ;  der  jugendliche 
Mönch  schreibt.  4.  Augustinus  in  Gelb,  Roth  und  Blau  hat  die 
Linke  auf  den  Schooß  gelegt  und  bewegt  sprechend  die  Rechte, 
der  jugendliche  Mönch  hört  auf  ihn  und  steht  im  Begriffe,  nach- 
zuschreiben. —  Diese  Fresken  sind  gut  erhalten,  so  gut,  daß  man 
anfangs  annimmt,  sie  seien  restaurirt,  was  sich  bei  näherer  Be- 
sichtigung nicht  zu  bestätigen  scheint.  Die  schwarzen  Mönchskutten 
sind  durch  die  Feuchtigkeit  in  blaue  verwandelt  worden. 

Zu  erwähnen  sind  endlich  in  der  Leibung  jedes  Fensters  noch 
je  14  Brustbilder  von  Heiligen  innerhalb  eines  ornamentalen  Rahmens. 
An  den  der  Vierung  zunächst  befindlichen  Fenstern :  Propheten  mit 
Zetteln ,  im  folgenden  Paar :  Patriarchen  und  Krieger,  im  dritten : 
Päpste,  Bischöfe  und  einige  Franziskaner,  im  vierten :  Frauen. 


Aus  der  Beschreibung  der  Fresken  erhellt  zur  Genüge ,  wie 
schwer,  ja  unmöglich  es  ist,  ein  endgültiges  Urtheil  darüber  zu  ge- 
winnen, wie  viele  verschiedene  Meister  sie  gefertigt  und  welches 
der  Antheil  eines  Jeden  ist.  Nur  mit  der  größten  Vorsicht  dürfen 
Meinungen  geäußert  werden.  Was  sich  mit  Sicherheit  sagen  läßt, 
ist  zunächst  nur,  daß  unter  den  jetzt  noch  erhaltenen  Darstellungen 
keine  einzige  von  Cimabue  selbst  herrührt '),  und  daß  sich  im  Großen 

^)  Zimmermann  will  Cimabue's  Hand  in  dem  Besuch  der  Engel  bei  Abraham 
erkennen,  worin  ich  ihm  nicht  beistimmen  kann. 


250 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


und  Ganzen  zwei  verschiedene  Richtungen  geltend  machen,  eine 
ältere,  die,  den  Stil  Jenes  abschwächend,  seine  Schule  und  Be- 
ziehungen zu  in  Rom  thätigen  Meistern  verräth,  und  eine  jüngere, 
die  ganz  neue  Elemente  in  Komposition,  wie  Formenbildung  und 
Technik  bringt.  Der  ersteren  gehören  sämmtliche  Wandbilder  in 
den  von  der  Vierung  an  gezählt  zwei  ersten  Gewölben ,  sowie  die 
oberen  Reihen  in  den  folgenden  an,  der  jüngeren  an  der  rechten 
Wand  die  vier  Darstellungen  aus  Jakob's  und  Joseph's  Leben ,  an 
der  linken  die  vier  aus  dem  Leben  Christi :  der  Zwölfjährige  im 
Tempel,  die  Taufe,  die  Beweinüng  und  die  Frauen  am  Grabe,  alle 
Fresken  der  Eingangswand  und  die  vier  Kirchenväter. 

Wenden  wir  zunächst  der  älteren  Richtung  unsere  Aufmerksam- 
keit zu,  so  lassen  sich  innerhalb  der  gemeinsamen  Eigenthümlich- 
keit ,  die  in  der  Anlehnung  an  ältere  Vorbilder  und  Nachahmung 
des  Cimabue'schen  Stiles  besteht,  doch  vielleicht  die  Merkmale  ver- 
schiedener Individualitäten  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  unter- 
scheiden. Derjenige  Künstler,  der  dem  florentinischen  Altmeister 
am  nächsten  steht,  hat  die  Malereien  an  den  Wänden  und  den  Ge- 
wölben der,  von  der  Vierung  aus  gerechnet,  zwei  ersten  Gewölbe- 
joche, also  die  Schöpfungsgeschichte,  die  Szenen  aus  Noah's  und 
Abraham's  Leben,  die  Szenen  aus  der  Kindheit  Christi,  die  Hochzeit 
zu  Cana,  die  Gefangennahme  und  die  Geißelung,  vermuthlich  aber 
mit  einem  Anderen  (Fresken  der  unteren  Reihe)  zusammen  aus- 
geRihrt.  Es  ist  ein  Meister,  von  dekorativer  Begabung,  an  Geist 
und  Bedeutung  Cimabue  aber  nicht  zu  vergleichen.  Die  Typen, 
weit  entfernt  Dessen  Größe  und  Würde  zu  besitzen,  erscheinen  bei 
den  Männern  alterthümlicher,  bei  den  Frauen  beschränkt  liebens- 
würdiger; die  Gewandbehandlung  ist  kleinlicher  mehr  im  alten  Stile, 
die  Bewegung  unfreier  und  steifer.  In  den  figürlichen  Darstellungen 
tritt  eine  gewisse  Aengstlichkeit  und  eine  Scheu  vor  energischer 
dramatischer  Gestaltung  auf,  eine  in  sich  gehaltene  Befangenheit, 
die  Nichts  von  Cimabue's  Energie  hat. 

Wenn  Crowe  und  Cavalcaselle  bei  den  Deckenbildern  an 
Rusutti's  Mosaik  im  Portikus  von  S.  Maria  maggiore  erinnert  werden, 
so  kann  ich  ihnen  darin  nur  Recht  geben.  Auch  mir  erscheint  die 
Verwandtschaft  sehr  groß.  Es  begegnen  uns  dort  nicht  allein  die 
gleichen  Köpfe  mit  dem  charakteristischen  reichen,  völlig  anliegenden 
Haare ,  den  weit  geöffneten  Augen ,  dem  runden  Kinne  und  dem 
namentlich  bei  den  Frauen  sehr  kleinen  Munde,  sondern  auch  sehr 


Giotto  und  seine  Schüler. 


251 


ähnliches  Kolorit :  das  eigenartige  helle  Blau,  die  lichten,  meist  ge- 
brochenen Gewandfarben,  der  etwas  orangefarbene  Fleischton  mit 
bläulichen  Schatten  und  weißen  Lichtern.  Mit  Bestimmtheit  jenen 
dem  Vasari  unbekannten  Mosaizisten  Filippo  Rusutti  zu  nennen,  ver- 
bietet uns  gleichwohl  noch  immer  die  Vorsicht,  die  bei  dem  Studium 
der  vorgiottesken  Kunst  so  dringend  geboten  erscheint.  Max  Zimmer- 
mann glaubt  neuerdings  in  dem  Künstler  nicht  Rusutti ,  sondern 
Jacopo  Torriti,  den  Schöpfer  der  Mosaiken  in  der  Lateranskirche 
und  in  S.  Maria  maggiore  zu  Rom,  Hermanin  den  Pietro  Cavallini 
(und  Torriti)  zu  erkennen. 

Ein  zweiter  (oder  besser:  dritter)  Künstler  der  älteren  Richtung 
scheint  die  vier  oberen  Wandbilder  rechts  in  den  von  der  Fassade 
aus  gezählt  zwei  ersten  Gewölbejochen  (Vertreibung  aus  dem 
Paradiese ,  Kain  und  Abel)  und  links  die  Darstellung  im  Tempel, 
die  Flucht,  die  Kreuztragung  und  Kreuzigung  gemalt  zu  haben. 
Max  Zimmermann's  Annahme,  die  Vertreibung  und  Kain  und  Abel 
seien  auch  von  Torriti's  Hand,  die  genannten  Bilder  aus  dem  Leben 
Christi  aber  gehörten  der  jüngeren  Richtung  an,  scheint  mir  nicht 
überzeugend.  Hervorgehoben  aber  verdient  zu  werden,  daß  einige 
der  Darstellungen  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  dem  von  Vasari 
dem  Gaddo  Gaddi  zugeschriebenen  Mosaik  der  Krönung  Maria's  im 
Dom  von  Florenz  haben.  Dies  gilt  namentlich  von  der ,, Kreuzigung", 
die  schließlich  auch  mit  in  die  Reihe  der  Werke  älterer  Richtung 
gehört,  wenn  sich  in  ihr  auch  ein  gewisser  Fortschritt  zu  dokumen- 
tieren scheint.  Macht  demnach  die  ungleiche  Erhaltung  der  Fresken 
ein  endgültiges  Urtheil  darüber,  wie  viele  Künstler  bei  der  Aus- 
führung der  erwähnten  Bilder  thätig  gewesen,  und  welches  der 
Antheil  eines  Jeden  ist,  unmöglich,  so  läßt  sich  das  Eine  doch  be- 
haupten, daß  die  Gemälde  von  etwas  jüngeren  Zeitgenossen  des 
Cimabue  und  zwar,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  von  mehreren 
angefertigt  worden  sind. 

4.  Giotto  und  seine  Schüler. 
Die  erste  Thätigkeit  Giotto's  in  der  Oberkirche. 
Auf  neue  Prinzipien  stoßen  wir  erst,  wenn  wir  die  letzten  alttestamen- 
tarischen, sowie  die  letzten  Bilder  aus  Christi  Geschichte,  die  Kirchen- 
väter, die  Heiligen  im  Eingangsbogen  und  die  Madonna  in's  Auge 
fassen.  Hier  trat  ganz  zweifellos  eine  neue  Kraft  auf,  deren  Be- 
deutung   uns    gleich    die    Szenen    aus    Isaak's    und    Joseph's   Leben 


252 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


schlagend  erkennen  lassen.  Im  schärfsten  Kontrast  zu  der  un- 
bedeutenden Aufgeregtheit  der  vorangehenden  Kompositionen  er- 
scheint hier  ein  wahrhaft  antikes  Maßhalten ,  eine  sichere  Ein- 
fachheit der  Bewegung,  eine  von  jeder  Ueberfülle  freie  Klarheit 
in  der  Komposition ;  die  Gewänder  fallen  leichter  und  natürlicher, 
was  aber  vor  Allem  in  die  Augen  tritt,  ist  der  durchaus  andere 
Gesichtstypus.  Daß  die  erwähnten  Darstellungen  alle  von  einer 
Hand  sind ,  kann  für  Jeden ,  der  sie  eingehend  und  wiederholt 
vergleicht ,  kaum  zv/eifelhaft  sein ,  nur  läßt  sich  wohl  in  ihnen 
eine  gewisse  Entwicklung  verfolgen.  So  muß  man  betonen,  daß 
die  ,, Darstellung  der  zwölf  Brüder  vor  Joseph"  ungeschickter  und 
alterthümlicher  wirkt,  als  die  Jakobsbilder,  daß  auch  das  ,,Pfingst- 
fest"  und  ,, Christi  Himmelfahrt"  in  den  Typen  noch  mehr  an 
Cimabue's  Schulrichtung  gemahnt,  daß  eine  gewisse  Ungleichheit 
nicht  zu  verkennen  ist.  Es  ist  augenscheinlich  ein  junger  Künstler, 
der  sich  hier  versucht ,  dessen  angebornes  Talent  sich  in  einer 
neuen  Auffassung  der  Dinge  und  Menschen  bereits  überall  äußert, 
der  aber  noch  mit  dem  zwingenden  Einflüsse  der  vorangegangenen 
Kunst  ringt.  Offenbar  haben  Werke  der  Antike  einen  großen  Ein- 
fluß auf  ihn  gehabt,  die  Gewandbehandlung,  das  würdevoll  Ruhige 
der  Alten  hat  einen  unauslöschlichen  Eindruck  in  ihm  hinterlassen, 
unter  dem  er  nun  die  Frauengestalten  im  Hintergrunde  der  Be- 
weinung, Figuren  wie  Rebekka,  Isaak,  Jakob  und  Esau  schafft.  So 
strebt  er  auch  danach,  den  Köpfen  die  harmonisch  einfachen  antiken 
Züge  zu  verleihen,  wobei  er  freilich  häufig  in  Konflikt  mit  den 
traditionellen  Formen  geräth,  wie  denn,  höchst  lehrreich  auf  einem 
und  demselben  Bilde  zu  vergleichen,  die  ,, Brüder  vor  Joseph"  noch 
die  etwas  gebogene  Form  der  Nase  zeigen ,  während  der  Soldat 
rechts  von  Jenem  bereits  den  antikisirenden  Typus  hat.  Zu  den 
Einflüssen  des  älteren  Lehrers  und  der  Antike  kommt  aber  als 
drittes  Element  noch  die  Beobachtung  der  Natur,  von  der  am 
stärksten  vielleicht  auf  der  ,, Beweinung"  die  schmerzbewegten 
Freunde  Christi  zeugen,  deren  Züge  der  Maler  in  dem  Bestreben, 
wahr  zu  sein ,  theilweise  verzerrt.  Die  zeitliche  Aufeinanderfolge 
der  Fresken  zu  bestimmen,  erscheint  mir  zu  gewagt,  obgleich  sich 
Vermuthungen  wohl  aufstellen  ließen  —  es  genügt,  jene  durch  das 
Befolgen  verschiedener  Prinzipien  hervorgebrachte  Ungleichheit 
hervorgehoben  zu  haben  und  im  Folgenden  nur  noch  das  gemein- 
same Charakteristische  zu  betonen. 


Giotto  und  seine  Schüler.  253 

Dabei  handelt  es  sich  zunächst  um  jenen,  wie  wir  ihn  kurz 
nennen  dürfen,  antikisirenden  Gesichtstypus,  der  namentlich  nach 
den  jugendlich  bartlosen  Männer-  und  den  Frauenköpfen  (vcrgl.  be- 
sonders die  Heiligen  am  Bogen)  folgendermaßen  gekennzeichnet 
werden  kann :  längliche  Gesichtsform ,  etwas  gewölbte  mittelhohe 
Stirn ,  deren  Profillinie  die  ganz  gerade ,  wie  gemeißelte  Nase  mit 
scharfem  Rücken  und  etwas  gekniffenen  kleinen  Flügeln  fortsetzt, 
scharf  gezeichnete,  wenig  gewölbte  Augenbrauen,  große,  etwas  starr 
blickend  geöffnete  Augen,  durch  eine  scharfe  Falte  hervorgehobene 
untere  Augenlider,  ziemlich  volle  Backen,  die  Oberlippe  mit  eckig 
gezeichneter  Mittelvertiefung,  voller  Mund  mit  wenig  herabgezogenen 
Winkeln ,  kräftiges  Kinn ,  rundlich  geschwungene ,  unten  spitz  ver- 
laufend angewachsene  Ohren.  Die  Hände  sind  in  sehr  charakte- 
ristischer Weise  wie  durch  eine  ringartige  Falte  von  den  ganz  runden 
knöchellosen  Armen  geschieden  und  haben  mittcUange,  etwas  knö- 
cherne, wenig  zugespitzte  Finger,  einen  dünnen  Daumen,  der  vom 
Handteller  durch  scharf  gezeichnete  Linien  gesondert  ist.  Das  Haar 
ist  im  Gegensatz  zur  älteren  Manier  schon  wiederholt  als  Ganzes 
behandelt.  Die  Köpfe  der  bejahrten  Männer  zeigen  alle  eigen- 
thümliche  über  der  Nase  aufsteigende,  dann  gerundet  den  Augen- 
brauen parallel  laufende  Stirnfalten,  über  denen  noch  andere  hori- 
zontal liegen,  sowie  stark  betonte  Falten  von  der  Nase  zum  Mund. 
Am  ausgeprägtesten  tritt  uns  der  neue  Stil ,  den  man  am  besten 
als  einen  plastischen  bezeichnen  könnte,  wie  er  denn  höchst 
wahrscheinlich  auch  auf  das  Studium  antiker  Skulpturen  zurück- 
geht, in  der  Madonna  über  der  Thür  entgegen.  Bemerkenswerth 
ist  ferner  die  Vorliebe  für  reiche  Architektur ,  die  zum  Theil ,  wie 
in  dem  ,,Pfingstfest",  ausgeprägt  gothische  Formen  zeigt,  und 
schließlich  die  Farbenbehandlung.  Der  helle  Ton  der  andern  Fres- 
ken ist  hier  einem  tieferen  kräftigeren  gewichen,  die  grüne  Schatten- 
untermalung  ist  dunkler,  das  aufgehöhte  Roth  in  den  Wangen 
lebhafter  und  mehr  hervortretend. 

Fragen  wir  nun,  wer  dieser  jugendliche  bedeutende,  ganz  neue 
Elemente  in  die  Kunst  einführende  Künstler  ist,  der  als  der  Letzte 
von  Cimabue's  Nachfolgern  in  der  Oberkirche  zu  malen  anfängt,  so 
bleibt  kaum  ein  Zweifel  übrig :  es  ist  derselbe ,  der ,  nachdem  er 
die  oberen  Fresken  beendigt  hat,  in  den  unteren  die  Franziskus- 
legende zu  schildern  beginnt,  kein  anderer  als  Giotto.  Wenn 
Crowe    und   Cavalcaselle.,    denen    das  Neue    in  jenen  Darstellungen 


254 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


nicht  entging,  Gaddo  Gaddi  zu  ihrem  Urheber  machen  wollen,  so 
ist  das  eine  in  Nichts  begründete  Vermuthung.  Sind  selbst,  wie 
Vasari  will,  die  unteren  Mosaiken  im  Portikus  von  S.  Maria  Mag- 
giore  zu  Rom  Werke  jenes  Künstlers,  so  beweist  das  doch  Nichts, 
da  sie,  um  1308  entstanden,  offenbar  nur  den  Einfluß  von  Giotto 
selbst  zeigen,  ohne  doch  an  Bedeutung  entfernt  an  die  großartigen 
Franziskusdarstellungen  reichen  zu  können.  Die  Kompositionsweise 
ist  verwandt,  das  ist  aber  auch  Alles.  Wir  haben  diese  lebensvollen, 
herrlichen  Darstellungen  der  Legende  des  Franz  schon  ausflihrlich 
besprochen  und  gesehen,  daß  sie  Giotto  rauben  so  viel  hieße,  als 
Diesem  seinen  Ehrenplatz  als  Begründer  der  modernen  Malerei 
nehmen  und  an  seine  Stelle  einen  unbekannten  anderen  Maler  setzen. 
Hier  gilt  es  nun,  sie  noch  auf  die  stilistischen  Eigenthümlichkeiten 
hin  zu  prüfen. 

Die   Legende    des   heiligen   Franz. 

Jener  oben  geschilderte  antikisirende  Typus  nämlich  ist,  wie 
ein  eingehender  Vergleich  zwingend  ergiebt,  der  auch  für  die  Franz- 
legende eigentlich  charakteristische,  nur  daß  er  hier  kräftiger  und 
etwas  freier  ausgebildet  zur  vollen  Herrschaft  gelangt.  Im  Verlaufe 
der  Arbeit  erfährt  er  geringe  Modifikationen,  die  namentlich  in  einer 
Verfeinerung  der  einzelnen  Formen,  einer  größeren  Bestimmtheit  der 
Konturen  bestehen.  So  wird  besonders  der  Nasenrücken  immer 
schärfer  und  erscheint  in  seinem  Ansätze  schließlich  so  schmal,  daß 
die  Augenbrauen  sich  fast  berühren.  Zugleich  wird  die  Nase 
spitzer,  werden  ihre  Flügel  kräftiger  ausgebildet.  Die  Beobachtung 
der  Natur  macht  sich  im  Uebrigen  nicht  in  der  Wiedergabe  verschie- 
dener menschlicher  Typen,  sondern  hauptsächlich  in  dem  Ausdrucke 
der  Köpfe  und  in  den  Bewegungen  geltend ,  weniger  im  Physiolo- 
gischen ,  als  im  Psychologischen.  Wir  können  die  innerhalb  der 
Franziskuslegende  sich  vollziehende  Wandlung  vielleicht  am  besten 
bezeichnen  als  einen  Uebergang  von  einem  mehr  plastischen  Stile 
wiederum  zu  einem  mehr  malerischen. 

Wie  aber  die  Formen ,  so  wird  auch  der  Ausdruck  der  Köpfe 
immer  lebensvoller  und  verschiedenartiger,  wird  die  Bewegung  immer 
freier  und  bezeichnender.  Es  ließe  sich  wohl  viel  darüber  schreiben, 
wie  zu  gleicher  Zeit  mit  der  wachsenden  Bedeutung  des  Auges  für 
die  Verdeutlichung  der  seelischen  Zustände  auch  die  Handbewe- 
gungen   immer    prägnanter   dieselbe    verrathen.      Dabei    bildet    sich 


Giotto  und  seine  Schüler,  255 


eine  Vorliebe  für  gewisse  Stellungen  der  Hand  aus,  die  Giotto  sein 
ganzes  Leben  hindurch  behält  und  die  für  seinen  Stil  geradezu 
charakteristisch  werden.  Sie  treten  schon  in  der  Franzlegende 
kenntlich  als  eine  Art  Manier  auf,  wie  deren  ja  fast  jeder  Künstler 
eine  zu  besitzen  pflegt,  und  verdienen  als  kennzeichnende  Merk- 
male seiner  Werke  kurz  hier  erwähnt  zu  werden. 

1.  Die  Bewegung  des  Sprechens:  Die  Hand  etwas  gesenkt  und 
geöffnet,  mit  dem  Teller  dem  Beschauer  zugewandt,  der  Ring- 
finger und  der  kleine  Finger  sind  etwas  nach  innen  gebogen.') 

2.  Die  Bewegung  des  Erstaunens :  Die  Hand  ebenso  gestellt,  nur 
nach  oben  erhoben.-) 

3.  Die  hinweisende  Bewegung :  Die  Hand  wagerecht  mit  ge- 
schlossenen Fingern ,  abstehendem  Daumen ,  halb  von  der 
Rückenseite  gesehen.  ■^) 

Außerdem  kehrt  öfter  das  Motiv  des  auf  die  Hand  gestützten 
Kinnes  wieder,  wobei  der  Zeigefinger  an  der  Backe  liegt.'*) 

Man  könnte  dies  als  unwesentliche  Nebendinge  betrachten,  was 
sie  freilich  auch  nur  sind ,  doch  äußert  sich  in  ihnen  in  faßbarer 
Weise  die  eigenthümliche  Manier  eines  Meisters,  dessen  Charakte- 
ristik freilich  aus  ganz  anderen  Momenten  gewonnen  wird.  Schon 
aus  diesen  scheinbar  kleinlichen  Merkmalen  aber  ließe  sich  mit  Be- 
stimmtheit sagen,  daß  ein  und  derselbe  Künstler  den  ganzen  Cyklus 
der  Franzlegende   geschaffen,    spräche   nicht  auch  Alles  sonst:    die 


^)  Beispiele:  Erweckung  des  Mädchens,  Unterkirche.  Christus  im  Tempel,  Unter- 
kirche. Der  hintere  Mann  rechts  auf  der  ,, Huldigung",  Christus  auf  ,, Traum  des  Franz", 
der  Sultan  auf  der  „Feuerprobe",  Franz  in  der  „Vögelpredigt",  die  Krieger  auf  der 
„Bekehrung  des  Hieronymus",  Franz  auf  „Tod  des  Edlen  von  Celano". 

2)  Mönch  auf  „Ekstase  des  Franz",  Mann  links  auf  „Presepe",  Mönch  auf  „Vögel- 
predigt", Kardinal  auf  „Predigt  vor  Honorius",  Franz  auf  ,,Tod  des  Edlen  von  Celano", 
Mönch  auf  der  „Stigmatisation",  Priester  auf  ,, Befreiung  des  Petrus".  Mann  auf  ,,Tanz 
der  Herodias",  S.  Croce.  Johannes  der  Täufer  auf  Baroncellibild.  Christus  im  Tempel, 
Unterkirche.  Darstellung  im  Tempel,  Unterkirche.  Dieselbe,  Padua.  Christus  im 
Tempel,  Padua.     Engel  auf  Allegorie  der  Armuth.    Engel  auf  Allegorie  des  Gehorsams. 

^)  Franz  und  Mann  auf  der  „Huldigung",  Kind  auf  ,, Lossagung  vom  Vater", 
Mönch  auf  ,, Vision  des  Thrones",  Mönch  auf  ,, Vision  des  Monaldus",  Bürger  auf 
„Franz'  Beweinung  vor  S.  Damiano". 

')  Bei  einzelnen  Schülern,  namentlich  Taddeo  Gaddi  und  Giovanni  da  Milano, 
kehren  dieselben  Bewegungen  wieder ,  aber  lange  nicht  so  ausdrucksvoll ,  wie  auch  die 
Zeichnung  der  Hände  anders  ist  und  jenes  nervöse  Gefühl  vermissen  läßt.  Bei  Giotto 
sind  die  Finger  knochig,  etwas  zugespitzt,  mit  Vorliebe  etwas  nach  der  Handfläche  zu 
gekrümmt. 


2C6  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

Kompositionsweise ,  die  Typen ,  die  Gewandung ,  die  Architektur, 
die  Technik  dafür.  Daß  die  letzten  drei  Darstellungen  gewisser- 
maßen von  allen  anderen  abweichen,  ist  wiederholt  betont  worden 
und  ist  nicht  abzuleugnen.  Die  Abweichung  aber  liegt  bloß  in 
einem  Punkte :  in  den  Verhältnissen  der  Figuren ,  die  hier  viel 
schlanker,  übertrieben  lang  erscheinen.  Rumohr  ward  dadurch 
namentlich  bestimmt,  den  ganzen  Cyklus  Giotto  abzusprechen, 
Andere  wie  Crowe  und  Cavalcaselle  wollen  gerade  nur  in  diesen 
Darstellungen  Dessen  Hand  erkennen.  Nun  kann  es  kaum  ein 
Zweifel  sein,  daß  auch  sie  auf  Giotto's  Zeichnung  zurückgehen,  da 
alle  Details,  alle  F'ormen  genau  den  früheren  Fresken  entsprechen. 
Ist  die  Ausführung  auf  die  Rechnung  eines  Anderen  zu  setzen.? 
Wie  gelangte  er  selbst  plötzlich  zu  diesem  Manierismus.?  War  es 
etwa  ein  absichtliches  Experiment?  Glaubte  er  in  einer  größeren 
Schlankheit  der  Verhältnisse  der  Natur  näher  zu  kommen,  oder 
äußerte  sich  darin  thatsächlich  eine  gewisse,  durch  die  lange  an- 
dauernde Thätigkeit  hervorgebrachte  Manier.?^)  Es  ist  mir  nicht 
gelungen,  eine  genügende  Erklärung  dieser  Eigenthümlichkeit  zu 
finden.  Thatsache  ist  es ,  daß  nicht  allein  die  letzten  drei  Bilder, 
sondern  auch  einige  vorangehende  schwächer  und  weniger  be- 
deutend in  Zeichnung  und  Empfindung  sind. 

Die  erste  Wanderung  längs  dieser  Freskenreihen,  welche  der 
Besucher  von  San  Francesco  mit  Bonaventura's  Legende  des  Heiligen 
in  der  Hand  vornehmen  sollte,  wird  ihn  zunächst  über  der  Thcil- 
nahme  an  dem  Inhalt  des  Dargestellten  kaum  zu  einer  kritischen 
Betrachtung  der  Eigenthümlichkciten  der  künstlerischen  Gestaltung 
gelangen  lassen.  Gerade  daß  ihn  solche  Kritik  im  Stiche  läßt  und 
daß  er  unwiderstehlich  als  ein  Miterlebender  in  die  geschilderten 
Ereignisse  hineingezogen  wird,  daß  er  ganz  unmittelbar  Wesen  und 
Handeln  des  unvergleichlichen  hier  gefeierten  Mannes  persönlich 
erfährt ,  läßt  ihm  dann  aber ,  am  Schlüsse  aus  seiner  Versenkung 
erwacht,  zum  Bewußtsein  kommen,  wie  groß  die  ja  doch  noch  in 


1)  Daß  die  eisten  drei  Bilder  der  Legende  durch  eine  ^jrößere  Weichheit  der 
Behandlung  von  den  andern  abweichen ,  findet  seine  einfache  Erklärung  darin ,  daß  sie 
allein  noch  nicht  gereinigt  worden  sind ,  während  alle  anderen  durch  Waschen  und 
Putzen  nicht  allein  den  Staub,  sondern  wohl  auch  die  ursprüngliche  Epidermis  verloren 
haben,  so  daß  jetzt  die  grünen  Schatten,  die  rothen  Fleischtöne  und  die  weißen  Lichter 
schroff  und  unvermittelt  neben  einander  stehen,  wodurch  die  Formen  härter  erscheinen, 
als  sie  es  ursprünglich  waren. 


Giotto  und  seine  Schuler.  257 


primitiven  Formen  sich  äußernde  Kunst  sein  muß,  welche  solche 
Wirkung  auf  ihn  hervorbrachte.  Staunend  fragt  er  sich,  durch 
welche  Mittel  Giotto  des  Betrachtenden  Phantasie  derartig  zu  bannen 
gewußt  hat.  Von  einer  so  einnehmenden ,  durch  alle  die  voll- 
kommensten Mittel  der  Darstellung  erreichten  Täuschung  idealer 
Wirklichkeit ,  wie  sie  das  Abendmahl  eines  Lionardo ,  die  Tapeten 
eines  Raphael  dem  Betrachter  aufzwingen,  kann  doch  hier  nicht  die 
Rede  sein :  wie  unvollkommen  verglichen  mit  solchen  Schöpfungen 
erscheint  die  Bildung  der  menschlichen  Gestalt,  wie  wenig  mannig- 
faltig die  Charakteristik  der  Typen ,  wie  ungelöst  die  Bewegung, 
wie  zaghaft  die  Modellirung  in  Licht  und  Schatten,  wie  mangelhaft 
und  nur  andeutend  die  Perspektive,  wie  unausgebildet  die  Technik! 
Und  trotz  aller  dieser  Mängel  ein  so  starker,  echt  künstlerischer 
Eindruck  auf  die  Seele !  Dem  Sinnenden  darf  es  hier  zur  Er- 
kenntniß  gelangen ,  daß ,  so  herrlich  und  bedeutungsvoll  das  Ver- 
mögen überzeugender  Naturnachbildung  sein  mag,  es  doch  noch 
einen  höheren  Faktor  im  künstlerischen  Schaffen  giebt  und  dieser 
für  Jeden,  welchem  wirklich  zu  schauen  vergönnt  ist,  der  eigent- 
lich künstlerisch  erregende  ist :  die  aus  freiester  Kraft  der  Selbst- 
entäußerung hervorgehende  Fähigkeit,  in  aller  Erscheinung  durch 
den  Schleier  der  Individualität  hindurch  das  allgemein  Mensch- 
liche, jedem  Einzelnen  aus  innerer  Erfahrung  Vertraute  im  Gefühls- 
leben zu  entdecken  und  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Ob  nun  die 
äußere  Erscheinung  zu  entzückender  Wirklichkeitsvorspiegelung  ge- 
steigert ist ,  wie  bei  Raphael  und  Lionardo ,  oder  ob  sie  nur  all- 
gemein angedeutet  und  daher  eine  stärkere  Bethätigung  unserer 
eigenen  Phantasie  verlangend  erscheint  wie  bei  Giotto ,  hier  wie 
dort  wird  unsere  Seele  in  eine  von  allem  Bezug  auf  unsere  Per- 
sönlichkeit befreite  Stimmung  versetzt,  weil  hier  wie  dort  rein 
menschliche  innere  Vorgänge  mit  unwiderstehlicher  Gewalt  uns 
mitgetheilt  werden. 

Aus  solcher  genialer  Gefühlskraft  entdeckte  Giotto  eine  neue 
Welt  in  der  Natur,  fand  er  seine  künstlerische  Sprache.  Gewiß 
war  der  Drang  nach  Ausdruck  eines  leidenschaftlich  bewegten  Ge- 
müthes  bei  Cimabue  nicht  schwächer,  aber  dieser  wahrlich  auch 
geniebegabte  Meister  war  noch  im  Wahne ,  alte  Formen ,  deren 
Schönheit  erst  ihm  wirklich  aufging,  von  innen  heraus  beseelen 
und  zu  neuer  Bedeutung  erheben  zu  können.  Was  gewaltigem 
Streben    gelingen    konnte ,    war    ihm   gelungen.     Sein  Schaffen  erst 

T  h  o  d  e ,  Franz  von  Assisi.  I  y 


258  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

aber  konnte  erweisen ,  daß  andere  Wege  eingeschlagen  werden 
mußten,  denn  sein  Ideal  war  keiner  weiteren  Ausbildung  fähig. 
Das  byzantinische  Formenschema  war  wie  eine  nur  einen  einzigen 
Ausdruck,  nämlich  den  erhabener  Feierlichkeit,  veranschaulichende 
Maske;  Giotto's  Sehnen  nahm  sie  von  dem  Antlitz  der  Natur  hin- 
weg, in  deren  unendlich  wechselndem  Ausdruck  er  die  Offenbarung 
seines  eigenen  Wesens  erkannte.  Was  er  seine  Zeitgenossen  sehen 
lehrte ,  mochte  Diesen ,  wie  auch  Manchem  heute ,  nun  zunächst 
freilich  weniger  schön,  weniger  groß,  weniger  geheimnißvoll  dünken: 
dem  in  Antlitz,  Gestalt  und  Gewandung  sich  verbildlichenden  Ueber- 
menschlichen  der  Cimabue'schen  Figuren  gegenüber  gestellt,  mußte 
Giotto's  schlichter  und  kleiner  gebildeter  Menschentypus  fast  un- 
scheinbar und  nüchtern  wirken.  Gewiß  hat  es  auch  nicht  an  Solchen 
gefehlt,  welche,  an  das  leidenschaftliche  Pathos  Cimabue's  gewöhnt, 
den  Schwung  dramatischen  Lebens  vermißten  und  in  der  Natür- 
lichkeit der  Anordnung  einen  Mangel  an  Sinn  für  hohen  Stil  ge- 
wahrten ! 

Bald  aber  mußte  man  erkennen,  daß  diese  anspruchslose  Aus- 
drucksweise des  ohne  Vorurtheil  den  Eindrücken  der  Außenwelt  sich 
hingebenden  jungen  Meisters  in  unendlich  viel  reicherer  Weise 
menschliches  Sein  und  Handeln ,  in  viel  mannigfacherer  und  ver- 
tiefterer  Art  seelisches  Leben  veranschaulichte  und  daß  sie  einen 
wohl  anderen,  aber  nicht  minder  ausgeprägten  Stil  schuf,  als  es 
der  byzantinisirende  gewesen  war.  Einen  Stil,  denn  auch  hier  ward 
ein  Typisches  geschaffen.  Die  Naturnachbildung  ward  idealen  Vor- 
stellungen höchsten,  allgemeinen  Menschenthums,  welches  eben  nur 
im  Typischen  zu  veranschaulichen  war,  dienstbar  gemacht.  Jene 
Vorstellungen  aber  wurzelten  durchaus  im  Gefühl.  Indem  die 
Natur  direkt  zum  Interpreten  desselben  erhoben  wird,  vollzieht  sich 
die  wunderbare  bildnerische  Verwandlung  des  Gefühles  in  Er- 
scheinung. Was  man  als  Stil  bezeichnet:  die  Darstellung  des 
Typischen  wird  bei  Giotto  nicht  mehr,  wie  es  wesentlich  der  Fall 
in  der  byzantinischen  Manier  war ,  in  dem  äußeren  Faktor  der 
Symmetrie,  sondern  in  dem  inneren  Faktor  einheitlicher  Gemüths- 
stimmung  gesucht.  Die  Symmetrie,  auf  welche,  da  sie  das  grund- 
legende Gesetz  der  Einheitsverdeutlichung  ist,  kein  Künstler  Ver- 
zicht leisten  kann,  muß  doch  vor  der  höheren  Einheit  des  Seelen- 
ausdruckes zurücktreten,  sie  bestimmt  unser  ästhetisches  Empfinden 
nur  in  uns  unbewußter  Weise.     Man  achtet  so  wenig  auf  sie,  wie 


Giotto  und  seine  Schüler.  259 


man  beim  Erklingen  einer  Melodie  auf  deren  Takteintheilung 
merkt. 

Was  zuerst,  im  Vergleich  mit  den  Werken  vorhergehender 
Kunstübung,  in  Giotto's  Gemälden  uns  auffällt:  die  Freiheit  in  der 
Anordnung  der  Figuren ,  erklärt  sich  hieraus.  Keine  allgemeine 
Regel  hat  ihn  bei  der  Komposition  bestimmt,  wie  es  bei  seinen 
Vorgängern  der  Fall.  Wohl  gewahrt  man  bei  näherer  Prüfung, 
daß  das  scheinbar  ganz  Ungezwungene  in  dem  Nebeneinander  der 
Figuren,  des  Landschaftlichen  und  Architektonischen  in  kunstvoll- 
ster Weise  gebunden  ist  durch  geheime  Bande  symmetrischer 
Gruppierung,  daß  bald  durch  einfache  Hervorhebung  der  Mitte 
zwischen  sich  entsprechenden  Seiten,  bald  durch  bloße  Gegenüber- 
stellung von  zwei  Gruppen ,  bald  durch  pyramidale  Anordnung, 
bald  durch  diagonale  Scheidung,  häufig  genug  auch  durch  Ver- 
bindung solcher  verschiedener  Konstruktionen  Klarheit  und  Ueber- 
sichtlichkeit  in  das  belebte  Ganze  gebracht  wird ,  aber  in  jedem 
einzelnen  Falle  wird  diese  grundlegende  Eintheilung  neu  und  in 
eigenthümlicher  Weise  aus  den  Bedingungen  des  Vorwurfs  heraus 
gewonnen. 

Neben  dieser  erstaunlichen  Mannigfaltigkeit  der  Kompositions- 
weisen erscheint  als  zweites  Charakteristisches  die  Beschränkung, 
welche  Giotto ,  verglichen  mit  den  byzantinisirenden  Meistern ,  in 
der  Zahl  der  Figuren  sich  auferlegt.  Zeigen  freilich  manche  Ge- 
mälde ,  wie  namentlich  der  Tod ,  die  Kanonisation  und  die  Be- 
kehrung des  heiligen  Hieronymus,  daß  er  sich  noch  nicht  ganz 
von  den  Traditionen  befreit  hat,  so  ist  doch  im  Allgemeinen  sein 
Streben  nach  Vereinfachung  in  bedeutsamer  Weise  thätig.  Dieses 
geht  wiederum  aus  seinem  Bedürfniß  nach  einheitlichem  Gefühls- 
ausdruck ,  aus  seiner  eminenten  dramatischen  Begabung  hervor. 
Mit  vollkommener  Deutlichkeit  und  in  seiner  inneren  Nothwendig- 
keit  soll  der  zu  schildernde  Vorgang  zur  Darstellung  gelangen. 
Dies  bedingt  die  absolute  Veranschaulichung  der  äußeren  oder 
inneren  Bethätigung  Aller  an  demselben.  Bloß  Raum  ausfüllende, 
unbetheiligte  Gestalten,  wie  sie  in  wolkenartig  gedrängten  Massen 
hinter  den  Hauptaktoren  auf  den  byzantinischen  Bildern  zu  er- 
scheinen pflegen,  finden  hier  keinen  Platz.  Selbst  wo  eine  Menge 
vorgeführt  wird,  erscheint  sie  nicht,  wie  dort,  als  Opernchor,  son- 
dern besteht  sie  aus  lauter  einzelnen  mitwirkenden  Individualitäten. 
So    giebt    es    wohl   noch    neben    den    Hauptträgern    der    Handlung 

17* 


26o  I^ic  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

Nebenfiguren,  aber  jede  derselben  verlangt  als  bedeutungsvoll  für 
das  Verständniß  des  Ganzen,  weil  sie,  die  Wirkung  der  Handlung 
verdeutlichend,  die  Handlung  selbst  erst  erkennen  läßt,  die  Auf- 
merksamkeit. Eine  solche  Belebung  der  Darstellung  bis  in  jede 
Einzelheit  hinein  war  aber  nur  möglich ,  wenn  der  Künstler  den 
entscheidenden  Moment  eines  Vorganges,  denjenigen,  welcher  gleich- 
sam das  Vorhergehende  und  das  Nachfolgende  in  sich  schließt, 
zur  Veranschaulichung  wählte.  Nur  in  ihm  war  die  Möglichkeit 
jenes  einheitlichen  Ausdruckes  gegeben.  Aus  der  Wahl  dieses 
Momentes ,  welche  nicht  die  Folge  einer  auf  ästhetische  Wirkung 
ausgehenden  Reflexion,  sondern  die  unmittelbare  Folge  eines  stärk- 
sten konzentrirten  Nachempfindens  des  in  der  Legende  Geschil- 
derten ist,  geht  die  Gesammtanordnung  und  die  Bestimmung  der 
Anzahl  der  Figuren  hervor.  In  einer  äußerlich  deutlich  gemachten 
inneren  Beziehung  der  Gefühle  verschiedener  Individualitäten  auf 
eine  diese  Gefühle  weckende,  weil  aus  ihnen  entspringende  Hand- 
lung, mag  sie  nun  einen  sanft  oder  stark  erregten  Charakter  tragen, 
ist  demnach  jene  höhere  Einheit  erreicht,  welche  wir  als  das 
Wesentliche  von  Giotto's  Stil  erkannten.  Mit  unbegreiflicher  Kunst 
hat  er,  wie  der  Vergleich  der  Legende  mit  den  Gemälden  lehrt, 
es  verstanden,  selbst  höchst  widerstrebenden  Stoff  zu  einer  Bedeu- 
tung für  das  Gemüth  zu  erheben,  indem  er  in  Sonderheit  bei  Wun- 
derwirkungen nicht  das  Wunder,  sondern  die  es  hervorbringende 
Seelenkraft  zum  Brennpunkt  der  Darstellung  macht.  Man  betrachte 
z.  B.  die  Vertreibung  der  Dämonen  aus  Arezzo,  erscheint  da  nicht 
die  ganze  Beschwörungsszene  wie  eine  Ausstrahlung  des  in  alle 
Tiefen  der  Seele  sich  verlierenden  Gebetes  des  Franz }  Welche 
Genialität  spricht  sich  aus  in  der  doch  so  einfachen  Anordnung 
des  in  sich  gekauerten  knienden  Heiligen  hinter  dem  Bruder,  dessen 
erhobener  Arm  gleichsam  die  Bewegung  des  Betenden  in  die  Ge- 
bärde der  Beschwörung  überträgt !  Wie  begreiflich  wird  die  Er- 
scheinung des  in  Kreuzform  über  der  Erde  schwebenden  Entzück- 
ten aus  der  im  Blick  und  in  den  Armen  sich  äußernden  himmel- 
wärts strebenden  Sehnsucht !  Wie  merkwürdig  liegt  es  in  den 
betenden  Händen  auf  der  ,, Tränkung  des  Durstigen"  ausgesprochen, 
daß  diese  Bitte  das  Herabsenden  einer  Gabe  von  oben  erfleht,  wie 
sie  als  herabströmender  Quell  daneben  dem  Bauern  zu  Theil  wird! 
Mit  diesen  Betrachtungen  aber  sind  wir  schon  zu  einer  Ver- 
tiefung  in    einzelne    Motive    der    Gemälde    gelangt.     Was    wir    von 


Giotto  und  seine  Schüler.  26 1 


dem  Ganzen  ausgesagt,  gilt  auch  für  sie,  daß  Giotto's  Schaffen, 
verglichen  mit  der  Kunst  des  XIII.  Jahrhunderts ,  auf  Grund  der 
Naturbeobachtung  eine  Vereinfachung,  Individualisirung  und  Ver- 
innerlichung  bringt.  Die  Vereinfachung  zeigt  sich  bei  den  Figuren 
in  einer  energischen  Beschränkung  auf  möglichst  wenige,  aber 
charakteristische,  den  organischen  Zusammenhang  der  Formen  her- 
vorhebende Linien,  und  auf  eine  schlichte,  aber  die  Bewegung  der 
Gestalt  scharf  kennzeichnende  Faltengebung  der  Gewänder,  bei  der 
Architektur,  wenn  auch  hier  noch  ein  Zuviel  herrscht,  in  der  klaren 
und  übersichtlichen  Anordnung  einzelner,  einheitlich  gestalteter  Ge- 
bäude, bei  dem  Landschaftlichen,  welches  freilich  der  älteren  Kunst 
am  meisten  verwandt  bleibt,  in  dem  Streben  nach  Zusammenhang 
im  Aufbau  des  felsigen  Terrains.  —  Die  Individualisirung  geht, 
was  rein  die  äußere  Erscheinung  des  Menschen  betrifft,  nicht  über 
das  bescheidene  Maß  einer  sehr  allgemeinen  Kennzeichnung  der 
Altersstufen  hinaus.  Der  mit  Monotonie  vorherrschende  männliche 
Typus,  nur  durch  kleine  Unterschiede  in  der  FleischfüUe  modifizirt, 
ist  der  bartlose.  Die  selten  vorkommenden  bärtigen  Köpfe  zeigen, 
wie  die  Engelfiguren,  noch  deutliche  Beziehung  zum  byzantinischen 
Schema.  Als  Ausnahmen  zu  bezeichnen  sind  einige  wenige  Ver- 
suche einer  absonderlichen  Gesichtsbildung ,  wie  der  Typus  des 
den  Mantel  ausbreitenden  Mannes  auf  dem  ersten  Bilde  und  das 
auch  sonst  noch  einige  Mal  wiederkehrende  Profil  mit  der  kurzen, 
etwas  aufgeworfenen  Nase  des  Bürgers  rechts  auf  demselben  Fresko, 
welches  sein  weibliches  Analogon  in  der  „Kanonisation"  findet.  Bei 
den  Frauen  zeigt  sich  das  Unterscheidende  vornehmlich  in  der 
Tracht  der  meist  weich  und  groß  gewellten  Haare.  Der  Mangel 
an  Abwechslung  und  Charakteristik  der  äußeren  Formelemente 
wird  nun  aber  in  solcher  Weise  durch  die  Fülle  verschiedener  Be- 
wegungsmotive aufgehoben,  daß  man  ihn  erst  bei  näherer  kritischer 
Prüfung  entdeckt.  Im  Inneren,  nicht  im  Aeußeren  findet  Giotto 
das  Entscheidende  der  Wesensunterschiede ,  und  so  geht  sein 
Streben  nach  Individualisirung  denn  in  einer  Verdeutlichung  der 
seelischen  Vorgänge  auf. 

An  Kraft,  Reichthum  und  Prägnanz  charakteristischer  Veran- 
schaulichung des  Seelenlebens  —  das  lehrt  schon  die  Franzlegende 
—  kommt  er  nicht  nur  den  größten  späteren  Meistern  dramatischer 
Schilderung  gleich,  sondern  —  man  darf  es  wohl  behaupten  — 
übertrifft  er  sie  alle.     Es    giebt    keine  Gemüthsregung ,    welche    er. 


202  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

aus  der  Fülle  seines  eigenen  erregbarsten  Wesens  schöpfend,  nicht 
in  zwingend  überzeugender  Weise  im  Bilde  zu  uns  reden  ließe. 
Die  ungeheure  Intensität  seines  inneren  Erlebens  verlangt  und  ge- 
stattet ihm  eine  Konzentration  des  Ausdruckes ,  die  dem  pathe- 
tischen Uebertreiben  der  Bewegungen  in  der  byzantinischen  Kunst 
jenes  Maaß  der  Geberdensprache  gegenüber  stellt ,  welches  das 
bedeutsamste  Merkmal  des  neuen  Stiles  ist.  Findet  durch  solche 
Mäßigung  die  ästhetische  Anforderung,  welche  die  bildende  Kunst 
in  ihrem  rein  räumlichen  Prinzip  an  den  Künstler  stellt ,  nämlich 
alle  Bewegungsdarstellung  zu  Gunsten  eines  Dauernden  zu  bän- 
digen, ihre  Erfüllung,  so  wird  zugleich  die  Phantasie  des  Beschauers 
durch  den  Eindruck  gespannter  latenter  Kraft  in  den  dargestellten 
Handelnden  zur  ergänzenden  belebenden  Thätigkeit,  welche  das 
Räumliche  in  Zeitliches  umsetzt,  gezwungen.  Das  Maaßhalten  in 
der  Geberde  aber  wurde  möglich  erst  durch  Giotto's  Entdeckung 
des  unendlichen  Reichthums  physiognomischer  Sprache.  Der  Fülle 
der  mit  unbegreiflicher  Schärfe  des  Blickes  dem  Leben  abgelausch- 
ten Motive  in  Haltung  und  Bewegung  des  Körpers ,  der  Hände 
und  des  Kopfes  entspricht  die  Ausdrucksmannigfaltigkeit  des  vor 
allem  im  Blick  des  Auges  mit  unbedingter  Gewalt  an  die  Ober- 
fläche dringenden  inneren  Lebens.  Wie  unbegrenzt  die  Meister- 
schaft Giotto's  in  solcher  Charakteristik  des  Empfindens  war,  lehrt 
jede  Figur  des  Cyklus.  Man  sehe  auf  dem  ersten  Bilde  die  wohl- 
wollend gelassene  Betrachtung  der  Männer  links  der  ärgerlichen 
Verwunderung  derer  rechts  gegenüber  gestellt ,  das  freundliche 
demüthige  Gebahren  des  Jünglings.  Wie  ist  in  dem  seinen  Mantel 
verschenkenden  Franz  die  Mischung  von  Mitleid  und  zarter  Scheu, 
den  Anderen  zu  verletzen ,  in  dem  sich  vom  Vater  lossagenden 
Sohne  feierlicher  Entschluß,  in  dem  Vater  ohnmächtige,  zum  Hasse 
sich  steigernde  Erbitterung  eines  harten  Herzens,  wie  in  den  vor 
Innocenz  III.  knieenden  Mönchen  Zuversicht  auf  Erfüllung  der  Bitte 
und  vertrauensvolles  Erwarten,  wie  das  erhabene  Bewußtsein  eines 
großen  Erlebnisses  in  dem  die  Vision  des  feurigen  Wagens  ge- 
wahrenden Manne,  wie  die  Gewißheit  heiliger  Aufgabe  in  dem  die 
Dämonen  beschwörenden  Bruder  geschildert !  Wie  unmittelbar 
spricht  aus  der  Darstellung  der  Feuerprobe  vor  dem  Sultan  die 
ängstliche  Erwartung  der  Magier,  die  Verachtung  des  Bruders,  das 
demüthige  Verlangen  des  Franz,  seinen  Glauben  zu  bewähren,  und 
die  vorwurfsvolle  Strenge  des  Sultans ,    in  der  Weihnachtsfeier  die 


Giotto  und  seine  Schüler.  263 


gerührte  Theilnahme  der  Anwesenden ,  in  der  Vögelpredigt  die 
zarte  Liebe  des  den  Thieren  holden  Predigers  ,  in  der  Vision  des 
Augustinus  das  sehnsüchtige  Verlangen ,  dem  verlorenen  Freunde 
zu  folgen,  in  der  Heilung  des  Mannes  von  llerda  die  Rathlosigkeit 
des  Arztes,  in  der  Beichte  der  Wittwe  das  Grausen  und  Schau- 
dern der  sie  Umgebenden  zu  uns !  Will  man  aber  des  Meisters 
ganzes  Können  erfassen,  so  vergleiche  man  die  verschiedenen  Dar- 
stellungen derselben  oder  verwandter  Affekte  und  Stimmungen  und 
beachte  die  Feinheit  der  Unterschiede.  Wiederholt  sehen  wir  das 
Gebet  veranschaulicht,  jedesmal  aber  ist  die  in  ihm  sich  aus- 
drückende Seelenbewegung  als  eine  andere  durch  Haltung  und 
Mimik  gekennzeichnet.  Erfüllt  den  in  San  Damiano  knieenden 
Jüngling  kindliche  Ehrfurcht  und  Verwunderung,  so  drückt  sich  im 
Gebet  auf  der  ,, Vision  des  Thrones"  demüthige  Scheu  aus. 
Aeußerste  Kraftanstrengung  des  Glaubens  macht  die  Bitte  von 
Arezzo  zur  wunderwirkenden ,  während  die  Gewähr  des  Wunders 
dem  für  den  Durstigen  Betenden  im  freudigen  Aufschwünge  des 
Gefühles  bereits  zum  Bewußtsein  kommt.  Weiter  vertiefe  man  sich 
in  den  Vergleich  der  verschiedenen  Darstellungsweisen ,  welche 
Giotto  für  aufmerksames  Zuhören ,  besonders  auf  der  Predigt  vor 
Honorius  und  der  Erscheinung  in  Arles  gefunden,  —  wie  er  hier- 
für alle  Möglichkeiten  von  schärfster  Verstandesauffassung  bis  zu 
träumerischer  Entrückung  entdeckte  — ,  oder  in  die  Wiedergabe 
des  Erstaunens  —  von  kalter  Abwendung  bis  zu  sehnlichem  Hin- 
gezogensein —  oder  in  die  Ausdrucksformen  für  ekstatische  Er- 
hebung !  Vor  Allem  aber  vielleicht  wird  die  Betrachtung  der  Dar- 
stellung des  Schmerzes  den  Betrachter  mit  rückhaltloser  Bewunde- 
rung für  diese  große  Kunst  erfüllen.  Welche  Steigerung  des 
Empfindens  ist  in  der  um  den  Edlen  von  Celano  sich  schaarenden 
Frauengruppe  gegeben :  von  bloßer  Betroffenheit  zu  bewegtem  Mit- 
gefühl und  weiter  zu  einer  mit  Neugier  und  Grauen  vermischten 
krampfhaften  Erregtheit  in  der  zu  den  Füßen  des  Todten  knieen- 
den Frau ,  endlich  zu  der  Gattin  wortloser  Verzweiflung ,  welche 
in  den  geliebten  Augen  das  entschwundene  Leben  sucht !  Welche 
ergreifende  inbrünstige  Hingebung  beflügelt  den  Schritt  der  aus 
San  Damiano  herauseilenden  Nonnen ,  die  zu  thränenreichem  Ab- 
schied von  ihrem  Führer  und  Tröster,  wie  von  einer  noch  von  ihm 
ausgehenden  Liebeskraft  zu  ihm  gezogen ,  über  die  Bahre  sich 
beugen ,    mit    welcher    feierlichen    Stille   umgiebt    ein    tiefstes    Ver- 


264  ^^^  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

sunkensein  in  unaussprechliches  Leid  den  kaum  erst  der  Brüder- 
gemeinde entrissenen  Heiligen !  — 

In  sich  mußte  der  Schöpfer  dieser  Werke  Alles ,  was  er  uns 
so  mittheilte,  erlebt  haben.  Der  Blick  auf  diese  Bilder  dringt 
durch  sie  hindurch  in  das  unendlich  bewegte  Seelenleben  Giotto's. 

Welch'  scharf  prüfender  Verstand  und  welch'  hohe  ordnende 
Vernunft  aber  dem  Meister  für  die  formale  Gestaltung  des  durch 
Inspiration  innerlich  Erschauten  zu  Diensten  standen,  wird  aus  jeder 
Einzelheit  seiner  Werke  offenbar.  Eine  klare ,  unbeirrbare  Natur- 
beobachtung wird  im  Geiste  schlichter  Wahrhaftigkeit  die  Vermitt- 
lerin zwischen  Idee  und  Darstellungsform.  Alles  Wesentliche  hier- 
über ist  schon  in  den  vorausgehenden  Ausführungen  enthalten. 
Bemerkt  zu  werden  hierzu  verdient  aber  doch ,  wie  der  Künstler 
unwillkürlich  freudig  jede  Gelegenheit  benutzt,  von  seinem  Ver- 
hältniß  zur  Natur  gleichsam  ein  Bekenntniß  abzulegen ,  indem  er 
genreartige  Motive  im  dramatischen  Sinne  verwendet.  Schon 
Vasari  fand  den  am  Quell  trinkenden  Bauer  von  außerordentlich 
drastisch-natürlicher  Wirkung,  das  Gleiche  darf  man  von  den 
singenden  Mönchen  in  der  ,, Weihnachtsfeier  zu  Grcggio",  von  dem 
Gespräch  der  Frauen  mit  dem  Arzte  auf  der  ,, Heilung  des  Mannes 
von  Ilerda",  von  der  Beichtszene  auf  dem  „Wunder  der  wieder- 
erweckten Frau"  und  so  manchem  anderen  einzelnen  Motive  (be- 
sonders den  verschiedenen  Darstellungen  Schlafender)  behaupten. 
Auch  die  Szenen  der  hohen  Geistlichkeit  am  päpstlichen  Hofe  und 
die  Zeremonien  des  Klerus  gelegentlich  des  Todes  des  Franz  dürfen 
als  ähnUche  Zeugnisse  von  des  Malers  reiner  Freude  an  seinem 
Vermögen  objektiver  Beobachtung  betrachtet  werden. 

Wie  weit  aber ,  so  müssen  wir  uns  fragen ,  erstreckt  sich  die 
Naturnachbildung  auch  auf  die  räumliche  Umgebung  des  Menschen.? 
Hier  fällt  nun  als  charakteristisch  auf,  daß,  so  überraschend  lebens- 
wahr die  Thiere :  Pferd ,  Esel  und  Vögel  wiedergegeben  werden, 
die  Landschaftsdarstellung  keinen  großen  Fortschritt  über  die  by- 
zantinische Manier  aufweist.  Giotto  läßt  sich  an  den  durch  scharfe 
Kantenabsätze  gegliederten  traditionellen  Felsenhöhen,  auf  welchen 
einzelne  kleine  Bäume  —  nur  einmal  auf  der  ,, Vögelpredigt"  er- 
scheint ein  reicher  durchgebildeter  und  mehr  individualisirter 
Baum  —  von  gleicher  vager  Form  stehen ,  genügen.  Das  über- 
kommene Vorurtheil,  daß  der  Landschaft  keine  Bedeutung  neben 
dem  Menschlichen  gebühre  und  daß  mit    einer    bloßen  Andeutung 


Giotto  und  seine  Schüler.  265 


genug  geschehen  sei ,  und  zugleich  vielleicht  die  Hülflosigkeit ,  in 
welcher  sich  ein  primitives  Können,  den  Schwierigkeiten  der  Luft- 
perspektive gegenüber  an  dem  Auffinden  einer  Gesetzmäßigkeit  der 
Darstellung  verzweifelnd,  befand,  hielten  ihn  von  einer  Beschäftigung 
mit  dieser  überreichen  Erscheinungswelt  ab. 

Hingegen  wandte  er  sich  mit  verdoppeltem  Eifer  dem  eine 
deutliche  Raumwirkung  leichter  ermöglichenden  Architektonischen 
zu.  Phantasie  und  Wirklichkeitsstudium  vereinigen  sich  zu  einem 
ungemein  vielseitigen,  immer  Neues  erzeugenden  Schaffen  auf  diesem 
Gebiete.  Eine  ganze  Stufenreihe  von  durchaus  unwirklichen  Ge- 
staltungen bis  zu  Gebäuden ,  welche  bestimmte ,  zum  Theil  noch 
heute  vorhandene  Werke  wiedergeben,  zeigt  sich  unserem  über  die 
Freskenreihe  hingleitenden  Blick.  Sind  die  eigenthümlichen ,  wie 
aus  Holz  errichteten  mehrstöckigen,  kanzeiförmigen,  phantastischen 
Bauten  mit  Loggien  und  Treppen  noch  aus  den  künstlich  ineinander 
geschachtelten  Architekturen  der  byzantinischen  Malerei  hervor- 
gegangen, so  tritt  etwas  durchaus  Anderes  in  den  sehr  verschieden- 
artigen, deutlich  die  gründliche  Beschäftigung  mit  dem  gothischen 
Stil  verrathenden  Gebilden  hervor.  Auch  bei  ihnen  handelt  es  sich 
wohl  zum  Theil ,  wie  in  den  thron-  und  kapellenartigen  Anlagen 
um  willkürliche  Erfindung.  In  anderen,  nämlich  den  vorn  offenen, 
von  Säulen  getragenen  Innenräumen,  aber  dürfte  man  freie  Nach- 
bildungen der  zuerst  im  lithurgischen  Drama,  dann  in  den  ,,Devo- 
zioni"  auf  der  Bühne  aus  Holz  errichteten  Dekorationen,  in  welchen 
abwechselnd  die  Handlung  spielte,  gewahren,  für  welche  Annahme 
auch  die  öfters  vorn  angebrachten  Vorhänge,  von  denen  in  alten 
szenischen  Angaben  die  Rede  ist ,  sprechen.  Ja ,  mir  scheint ,  daß 
diese  auf  den  Fresken  angebrachten  Baulichkeiten  eine  überraschend 
anschauliche  Vorstellung  von  eben  jenen  Bühneneinrichtungen  geben. 
Daneben  sehen  wir  endlich  in  den  freilich  miniaturhaft  abbreviirend 
gehaltenen  Durchschnitten  von  Basiliken,  in  höherem  Grade  aber 
in  den  schönen  gewölbten  Hallen  eine  unmittelbare  Annäherung 
an  die  Realität.  Ja  letztere  gelangt  im  Einzelnen,  wie  in  dem 
Palast  auf  dem  ersten  Fresko ,  in  der  Choransicht  einer  Kirche 
auf  der  ,, Vertreibung  der  Dämonen"  und  in  der  Kirchenfassade 
auf  der  ,, Beweinung  Francisci  durch  die  Nonnen"  fast  ganz  zum 
Siege ,  wenn  auch  das  Größenverhältniß  zu  den  Figuren  ein 
viel  zu  kleines  ist.  Direkte ,  wenn  auch  freie  Nachahmung  be- 
stimmter Vorbilder  finden   wir  in  den  antiken  Bauten  des  Minerva- 


206  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

tempels  (erstes  Fresko),  des  Septizoniums  und  der  Trajanssäule 
(letztes  Fresko). 

Kein  Zweifel ,  daß  Giotto  schon  in  so  frühen  Jahren  das  leb- 
hafteste Interesse  für  die  Baukunst  hatte  und  sich  mit  Entwürfen 
im  Geiste  des  toskanischen  Inkrustationsgeschmackes  beschäftigte. 
Die  von  ihm  gezeichnete  Fassade  von  San  Damiano  erscheint  wie 
ein  Vorläufer  der  Domfassaden  in  Orvieto  und  Siena.  Spricht  sich 
demnach  in  diesen  architektonischen  Hintergründen  eine  künst- 
lerische Vorliebe  aus,  so  dienen  sie  doch  zugleich  ganz  wesentlich 
dem  Maler  zur  Raumverdeutlichung.  Ein  sehr  bewußtes  und  zu 
höchst  bemerkenswerthen  Resultaten  führendes  Streben  nach  Dar- 
stellung des  Perspektivischen  ist  erkennbar.  Die  Konstruktionen 
desselben  erstrecken  sich  freilich  noch  nicht  auf  ganze  Darstellungen, 
sondern  bleiben  auf  die  einzelnen  Baulichkeiten  beschränkt,  zeigen 
aber  hier  Konsequenz  und  Berechnung,  welche  es  zu  überzeugender 
Raumwirkung  bringt.  Ja  er  darf  kühne  Dinge,  wie  die  Verkürzung 
der  Kreuzgewölbe  auf  der  ,, Predigt  vor  Honorius",  die  Verjüngung 
der  Konsolenrundbogen  auf  ,, Franz  vor  Innocenz",  den  schrägen 
Einblick  in  eine  Halle  auf  der  , .Erscheinung  in  Arles",  die  Ver- 
schiebung der  Kassetten  an  der  gewölbten  Decke  auf  dem  ,,Tod 
des  Edlen  von  Celano"  wagen ,  ohne  unser  Gefühl  zu  befremden. 
Nur  durch  mit  Ernst  betriebene  und  für  höchst  wichtig  gehaltene 
Studien  wurde  dies  möglich;  wie  eingenommen  er  von  denselben 
war,  zeigt  ein  nebensächliches  Detail :  die  perspektivische  Ansicht 
der  als  Rahmen  der  Bilder  gemalten  Konsolenfriese. 

Mit  solchen  Bestrebungen  innig  verknüpft  erscheint  schließlich 
eine  Modellirung  der  Erscheinungen  in  Licht  und  Schatten ,  wie 
sie  wiederum  der  byzantinisirenden  Kunst  gegenüber  etwas  ganz 
und  entscheidend  Neues  ist.  Auch  hierin  bleibt  Giotto  innerhalb 
gewisser  Grenzen,  deren  Ueberschreitung  eine  der  größten  Thaten 
Masaccio's  und  der  Quattrocentokunst  wurde,  doch  bedeutet  seine 
Entdeckung  die  Aufstellung  des  später  nur  weiterentwickelten  Prin- 
zipes.  Indem  er  die  Lichtwirkung  von  einer  bestimmten  Stelle 
ausgehen  läßt,  gewinnt  er  einen  wichtigsten  Faktor  für  die  Ein- 
heitlichkeit des  Ganzen.  Jene  Stelle  aber  wählt  er  mit  genialer 
Berücksichtigung  des  für  die  Komposition  Günstigen  und  des  im 
Vorwurf  sich  natürlich  ihm  Darbietenden.  Die  ersten  Versuche 
einer  charakterisirenden  Unterscheidung  zwischen  Freilicht  und 
Binnenlicht    sind    in    diesen  Wandbildern    zu  finden ,    zugleich  aber 


Giotto  und  seine  Schüler.  267 


auch  die  ersten,  sehr  kühnen  Wagnisse,  künstliche  Lichtwirkungen 
darzustellen ,  wie  die  in  dieser  Hinsicht  besonders  merkwürdigen 
Fresken  der  „Weihnachtsfeier  in  Greccio"  und  der  „Beweinung  des 
Franz  von  San  Damiano"  lehren. 

Alle  diese  die  Gesetze  der  Raumwirkung  erschließenden  Neue- 
rungen in  der  architektonischen  Umgebung,  in  Perspektive  und  im 
Licht  sind  aber  schließlich  alle  doch  eben  nur  Mittel  zu  einem 
höheren  Zweck.  Sie  dienen  dem  gewaltigen  Ausdrucksbedürfniß 
der  Seele  eines  Künstlers,  welcher  als  der  erste  die  Erscheinung 
voll  und  ganz  als  Offenbarung  inneren  Wesens  erfaßte,  und  dessen 
Stil  aus  solcher  Durchdringung  von  Seele  und  Natur  entstand ! 

So  sieht  man,  fassen  wir  in  Kürze  noch  einmal  Alles  zusammen, 
Giotto  im  Anfange  seiner  Laufbahn,  halb  noch  Schüler,  halb  schon 
Meister,  durch  das  Studium  der  Natur  und  der  Antike  sich  von 
den  alten  Traditionen  befreiend  anfangs  an  den  letzten  Darstellungen 
aus  dem  großen  Cyklus  der  alt-  und  neutestamentarischen  Szenen, 
dann  an  dem  neuen,  der  Phantasie  freien  Spielraum  lassenden, 
reichen  Stoffe  der  Franziskuslegende  seine  Schule  durchmachen.^) 
Wir  sehen  ihn  von  Schritt  zu  Schritt  mehr  Herrschaft  über  die 
Formensprache,  größere  Sicherheit  in  der  Zeichnung,  freieren  Aus- 
druck für  die  Darstellung  der  verschiedensten  inneren  Empfindungen, 
bedeutendere  Leichtigkeit  in  der  Komposition  gewinnen.  So  hat 
sich  in  der  Oberkirche  von  Assisi  die  großartige  Wandlung  der 
Kunst  zuerst  in  Cimabue's  ahnend  den  Weg  vorzeichnenden  Fresken, 
dann ,  nachdem  eine  kurze  Pause  der  Erschlaffung  eingetreten ,  in 
Giotto 's  die  Natur  und  Antike  zu  Lehrmeistern  nehmenden  Studien 
vollzogen.  Das  Wesentliche  ist  bereits  geschehen  —  fortan  hat 
Giotto  nur,  die  eigene  Individualität  bewahrend  und  die  gewonnenen 
Erfahrungen  benutzend ,  in  stetem  Zusammenhang  seinen  Stil  zu 
entwickeln ,  bis  er  das  Leben  des  Johannes  in  S.  Croce  schildern 
und  damit  den  Höhepunkt  seiner  Kunst  erreichen  kann.^) 


^)  Es  scheint  angebracht,  hier  nochmals  jene  oberen  Fresken  Giotto's  anzuführen. 
Es  sind :  R.  Längswand  Nr.  13,  14,  15,  16  (die  Bilder  aus  dem  Leben  Jakob's  und  Joseph's) ; 
1.  Längswand,  g.  (der  zwölfjährige  Christus  im  Tempel),  h.  (die  Taufe  Christi),  p.  (die 
Beweinung  Christi)  und  q.  (die  Frauen  am  Grabe) ;  Eingangswand  r  und  s  (Himmelfahrt, 
Pfingstfest,  Petrus,  Paulus,  Maria  mit  Kind  und  Engel) ;  femer  die  Heiligen  im  Eingangs- 
bogen  und  die  Kirchenväter  an  der  Decke. 

-)  Vergl.  mit  der  oben  gegebenen  Analyse  von  Giotto's  Jugendstil  die  sehr  be- 
achtenswerthe  Schrift  von  J.  J.  Tikkanen ;  Der  malerische  Stil  Giotto's  (Helsingfors  1884) 


268  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

Die  Stadien  der  Entwicklung  weiter  zu  verfolgen ,  sollen  uns 
die  Fresken  der  Unterkirche  dienen,  in  die  wir  nun  wieder  hinab- 
steigen. Zuvor  aber  gilt  es  noch  ungefähr  den  Zeitpunkt  zu  be- 
stimmen, in  dem  Giotto  zuerst  nach  Assisi  gekommen.  Halten  wir 
daran  fest,  daß  er  damals  noch  sehr  jung  gewesen  sein  muß,  daß 
sein  im  Jahre  1300  für  den  Kardinal  Stefaneschi  in  Rom  gefertigtes 
Altarbild  in  S.  Peter  bereits  einen  Fortschritt  gegen  die  Fresken 
bedeutet,  so  läßt  sich  das  Eine  ziemlich  sicher  behaupten,  daß  er 
vor  1298,  in  welchem  Jahre  er  nach  Rom  kommt,  zum  ersten  Male 
in  Assisi  gewesen  sein  muß,  daß  also  die  Bilder  der  Oberkirche  im 
Anfang  der  neunziger,  vielleicht  zum  Theil  schon  Ende  der  achtziger 
Jahre  entstanden  sind.^)  Zeitlich,  aber  auch  stilistisch  schließen 
sich  ihnen  die  Fresken  der  Nikolauskapelle  in  der  Unterkirche  an. 

Die   Kapelle    des   h.  Nikolaus  (S.  191.     Plan:  B). 

Diese  wie  die  südlich  gelegene  Kapelle  des  h.  Giovanni 
Batista  (Plan:  A)  sind  von  dem  1342  gestorbenen  Kardinal  Na- 
poleone  Orsini  gestiftet  und  mit  künstlerischem  Schmucke  versehen 
worden.^)  Von  letzterem  ist  in  der  Johanniskapelle  Nichts  erhalten 
als  einige  Glasfenster;  Wandgemälde  scheinen  niemals  dagewesen 
zu  sein  und  die  Nische  hinter  dem  Altar  wartet  noch  heute  auf 
das  Grabmal  des  Stifters.  Jene  ältesten  Glasgemälde  aber,  die  jetzt 
neben  anderen  aus  dem  XV.  Jahrhundert  und  einigen  ganz  modernen 
sich  befinden  und  das  Wappen  der  Orsini  zeigen,  sind  für  die 
Datirung  der  Kapelle  von  großer  Wichtigkeit.  Sie  zeigen  nämlich 
einen  durchaus  primitiven  Stil ,  die  Zusammensetzung  aus  vielen 
kleinen  Stücken  und  ein  rein  romanisches  Ornament,  und  sind 
zweifellos   noch    im   XIII.  Jahrhundert   entstanden.      Der  Zeichnung 

und  die  soeben  im  Repert.  für  Kunstw.  (XXVII,  221)  erscheinenden  Studien  „zur 
Stilbildung  der  Trecentomalerei"  von  O.  Wulff. 

^)  Woher  Vasari  die  dann  nach  ihm  von  Rodulphus  (II,  S.  185)  wiederholte 
Angabe  hat ,  daß  der  General  Giovanni  di  Muro  Giotto  nach  Assisi  berufen  habe, 
ist  nicht  zu  sagen.  Wäre  sie  glaubwürdig,  so  fiele  ein  Aufenthalt  Giotto's  in  Assisi 
zwischen  1296  u.  1304. 

^)  Diese  Bestimmung  bereits  in  einem  alten  Verzeichniß  der  Grabmäler  in  der 
Kirche  vom  Jahre  1569,  das  eine  Kopie  einer  älteren  Handschrift  vom  Jahre  1509  ist 
(im  Archive  von  S  Francesco) :  ,Item  nella  Cappella  de  San  Joan  Baptista  —  sta  nella 
porta  della  sacrestia  verso  330  Giono  (sie !).  La  fece  fare  il  signor  Napolion  —  nepote 
de  papa  Nicolo  terzo :  nella  quäle  ella  volse  esser  sepellito'  und :  ,Item  nella  Capeila 
di  sancto  Nicolo  sta  seppelito  il  corpo  del  Sigre  Gioan  fratello  del  detto  Sig""«  Napo- 
lione  Cardinale,  quäl  capella  ancora  esso  signor  Napolione  fece  edificare.'  —  Danach 
in  der  Alten  Beschreibung  und  bei  allen  folgenden  Autoren. 


Giotto  und  seine  Schüler.  269 


nach  könnte  man  sie  noch  für  vorcimabuesk  halten,  doch  darf  man 
nicht  vergessen ,  daß  gerade  in  den  untergeordneten  Künsten  der 
alte  Stil  sich  meist  länger  erhält.  Später  als  die  neunziger  Jahre 
des  XIII.  Jahrhunderts  aber  möchte  ich  ihre  Entstehung  nicht  an- 
setzen —  was  für  die  Gemälde  gilt,  gilt  aber  auch  vermuthlich 
für  die  Kapelle ,  da  eine  Uebertragung  der  Scheiben  hierher  nicht 
wahrscheinlich  ist !  ^) 

Einen  etwas  vorgeschritteneren  Stil  dagegen  zeigen  die  Glas- 
fenstcr  der  Nikolauskapelle ,  auf  denen  neben  dem  Wappen  der 
Orsini  jener  Stifter  Napoleone  selbst  als  Bischof  in  mittlerem  Lebens- 
alter (Inschrift :  fec.  fieri  hoc  opus)  und  sein  Bruder  Giovanni  Gaetano 
(bez  dns.  Johs)  in  jugendlichem  Alter  dargestellt  sind.  Ein  noch 
deutlicheres  Bild  von  den  Brüdern  aber  gewinnen  wir  aus  dem 
Fresko  über  dem  Eingange,  auf  dem  sie  von  Franz  und  Nikolaus 
dem  Heiland  empfohlen  werden.  Giovanni  Gaetano  (bez.  ,Johannes 
Gactanus',  in  der  Stola  des  Diakonus)  sieht  hier  noch  fast  wie  ein 
Knabe  von  etwa  achtzehn  Jahren  aus,  während  der  Kardinal  etwa 
ein  Dreißiger  sein  dürfte.  Daraus  und  aus  dem  Stil  wird  es  uns 
möglich,  die  Entstehung  der  Fresken,  welche  die  Wände  schmücken, 
annähernd  um  die  Mitte  der  neunziger  Jahre  des  XIU.  Jahrhunderts 
anzusetzen.  Offenbar  gedachte  Napoleone  Orsini  durch  diesen 
Freskencyklus  das  Andenken  zugleich  seines  Verwandten,  des  1280 
gestorbenen  Papst  Nikolaus  III.  und  des  Nikolaus  IV.,  des  ehe- 
maligen Franziskanerprovinzials,  der  ihn  zum  Kardinal  gemacht  und 
1292  gestorben  war,  zu  feiern.^) 

Durch  diese  Datirung  aber  gewinnen  die  Wandgemälde  ein  ganz 
besonderes  Interesse :  sie  sind  zu  einer  Zeit  entstanden ,  als  Giotto 
selbst,  der  große  Neuerer,  noch-  ganz  jung  war,  sie  zeigen  zu  den 
Fresken  der  Oberkirche  sehr  nahe  Beziehungen,  aber  doch  eine 
größere  Freiheit  und  weisen  neben  einigen  Schwächen  der  Zeichnung 
höchst  bedeutende  Qualitäten  auf     Da  kann  es  sich  eigentlich  nur 


^)  Eine  kurze  Beschreibung  und  geschichtliche  Würdigung  der  für  die  Kenntniß 
der  italienischen  Glasmalerei  höchst  wichtigen  farbigen  Fenster  in  S.  Francesco  zu 
Assisi  wird  im  Anhange  IV  gegeben  werden. 

-)  Napoleone  wird  1288  Kardinal,  f  1342  in  Avignon,  1300  ist  er  als  Legat  in 
Umbrien.  Giovanni  Gaetano  wird  13 16  Kardinal  und  f  1355  (nach  Cardella).  Vergl. 
Ciacconius:  vitae  et  res  gestae  Pontificum  II,  S.  268,  413.  —  Eggs:  Purpura  docta. 
Monachi  1714.  I,  S.  247,  311.  —  Cardella;  Memorie  storiche  di  Cardinali  1792.  II, 
S.   33,   III. 


270 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


um  die  Fragen  handeln :  ist  Giotto  selbst  oder  ein  verwandter 
Künstler,  der  schon  damals  alle  die  Errungenschaften  des  neuen 
Giotto'schen  Stils  sich  zu  eigen  gemacht,  ihr  Verfertiger  ?  Letzteres 
erscheint  ziemlich  unglaublich ,  bedenkt  man ,  wie  weit  selbst  ein 
Taddeo  Gaddi  in  seinen  viel  späteren  Werken  hinter  dem  Meister 
zurücksteht !  Und  ein  Schüler  sollte  —  und  zwar  noch  vor  Ent- 
stehung der  Arenafresken  —  bereits  im  Stande  gewesen  sein, 
Gestalten  zu  schaffen,  wie  die  großartig  frei  bewegten,  schön  ge- 
wandeten  Apostclfiguren  der  Sakramentskapelle  ?  Er  müßte  sie  den 
ganz  verwandten  zwölf  Aposteln  auf  Giotto's  Bild  in  S.  Peter,  die 
ihres  Gleichen  sonst  nicht  haben  in  der  florentinischen  Kunst  jener 
Zeit,  frei  nachgebildet  haben  —  und  selbst  das  wäre  wenig  glaublich! 
Stilistisch  sind  die  Fresken  zweifelsohne  am  meisten  der  Franz- 
legende und  dem  Bilde  in  Rom  (1298— 1300)  verwandt,  nur  daß 
in  den  Szenen  der  Nikolauslegende  die  Figuren  viel  kürzer  ge- 
halten sind,  die  Bewegung  steifer,  das  Detail  weniger  fein,  ja  bis- 
weilen verzeichnet  ist.  Die  Einzelfiguren  in  ihrer  statuarischen 
Haltung,  wie  ihrer  weichfließenden  Gewandung,  in  den  sicher  en 
face  gezeichneten  Köpfen ,  in  dem  zarten  malerischen  Geschmack 
heller  Farben,  in  den  weichen  transparenten  Tönen  des  Inkarnates 
sind  von  bedeutender  Wirkung,  ja  in  der  verklärten  Menschlichkeit 
Christi,  wie  in  der  scharfen  Portraitcharakteristik  der  Orsini  zeigen 
sich  die  entscheidenden  Erscheinungen  eines  neuen  Ideales,  welches 
die  Kunst  der  Renaissance  eben  keinem  Anderen  als  Giotto  ver- 
dankt. In  ihm  muß  ich  den  Schöpfer  dieser  Malereien  gewahren, 
dem  vielleicht  ein  Mitarbeiter  geholfen  hat.  Durchaus  mit  Unrecht 
hat  man  bisher  aus  einer  Stelle  bei  Vasari  den  Schluß  gezogen,  der 
Künstler  sei  Giottino.  Vasari  spricht  ganz  ausdrücklich  davon,  daß 
Dieser  die  noch  erhaltenen  Fresken  über  der  Kanzel  der  Unter- 
kirche gefertigt,  beschreibt  sie  auch  richtig  und  irrt  sich  nur  darin, 
daß  er  den  Bischof  Stanislaus  für  den  Bischof  Nikolaus  nimmt.  ^)  — 
Betrachten  wir  jetzt  kurz  die  Gemälde,  welche  das  schmale  Tonnen- 
gewölbe am  Eingange  der  Kapelle  und  die  daran  stoßenden  zwei 
Wandseiten  in  vier  Reihen  schmücken.^) 
Das  Tonnengewölbe : 
I.  In  einem  Gebäude  liegen,  dem  Hungertode  nahe,  der  unglück- 
liche Vater  und  seine  drei  Töchter,   welche  Nikolaus  vor  der 


^)  I,  627.     Vergl.  Näheres  weiter  unten. 

^)  Von  mehreren  giebt  es  Photographieen  von  Alinari. 


Giotto  und  seine  Schüler.  27 1 


Schande  bewahren  sollte.  Der  jugendhche  HeiHge  steht  en  face 
rechts  auf  der  Schwelle  und  reicht,  wie  es  scheint,  einen  Korb 
in  das  Zimmer  herein. 

2.  Ganz  zerstört,  nur  noch  Reste  eines  Schiffes  sichtbar. 

3.  Vor  einer  reichen,  bunten  gothischen  Kirchenfassade,  die  an 
jene  auf  Giotto 's  Fresko  in  der  Oberkirche  dargestellte  von 
S.  Damiano  erinnert,  steht  der  Heilige  und  segnet  einen  jungen 
Mann,  einen  um  dessen  Hals  gelegten  Strick  haltend.  Zwei 
Leute  rechts  schauen  zu.  Links  stehen  sechs  Männer,  von 
denen  sich  mehrere  einen  Strick  um  den  Hals  halten.  (Abb.  39.) 

4.  Ein  jugendlich  bartloser  und  ein  blondbärtiger  Apostel,  beide 
eine  Rolle,  der  erstere  außerdem  ein  Kreuz  in  der  Hand. 

5.  Vor  einem  reich  gestalteten  Stadtthore  ist  eben  ein  Henker 
im  Begriffe  den  einen  von  drei  knieenden  Jünglingen,  die  un- 
gerecht von  einem  Konsul  zum  Tode  verurtheilt  waren,  zu 
enthaupten,  als  der  von  links  herantretende  Bischof  Nikolaus 
ihm  ins  Schwert  fällt.     Rechts  stehen  zwei  Bürger. 

6.  Ganz  zerstört,  nur  Reste  eines  Schiffes  erhalten. 

7.  In  einer  Halle  mit  gerader,  auf  feinen  Säulchen  ruhender  Decke 
liegt  schlafend  der  Kaiser  Konstantin.  Nikolaus  schwebt  mit 
sprechend  erhobenen  Händen  auf  ihn  zu  und  befiehlt  ihm,  die 
drei  gefangenen  Feldherrn  Nepotianus,  Ursus  und  Apilius  los- 
zugeben. Diese  sieht  man  unten  hinter  einem  vergitterten 
Fenster,  vor  dem  ein  großer  Holzkäfig  steht.  Die  Stellung 
des  Kaisers  ist  wenig  bestimmt  angegeben,  die  Bewegung  des 
Bischofs  etwas  matt. 

8.  Zwei  jugendliche  Apostel. 

Rechte  Wand : 

9.  Lünette.  Links  steht  der  Heilige  und  faßt  mit  der  Linken 
ein  auf  dem  Boden  sitzendes  Mädchen ,  es  zum  Leben  er- 
weckend. Dahinter  kniet  eine  betende  Frau  und  steht  ein 
Mann  mit  krampfhaft  geschlossenen  Händen. 

10.  Ein  am  Hofe  des  Königs  der  Sarazenen  gefangen  gehaltener 
Knabe  steht  eben  im  Begriffe,  dem  rechts  an  gedeckter  Tafel 
sitzenden  Herrscher  einen  Kelch  zu  reichen,  als  Nikolaus  von 
oben  herabfliegt  und  ihn  am  Haare  faßt,  um  ihn  zu  entführen. 
Links  steht  ein  anderer  Knabe  vor  zwei  bei  der  Mahlzeit 
sitzenden  Männern. 


272  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

11.  Der  Heilige,  hinter  dem  eine  erstaunte  Frau  und  ein  Mann 
sichtbar  sind,  bringt  mit  beiden  Händen  ihn  haltend  den 
Knaben,  der  noch  den  Kelch  trägt,  der  erstaunten  Familie 
zurück,  die  gerade  bei  Tische  sitzt.  Höchst  lebhaft  sind  die 
Empfindungen  der  verschiedenen  Betheiligten  wiedergegeben. 
Der  Vater  umfaßt  mit  beiden  Armen  den  Sohn ,  die  Mutter 
streckt  die  Arme  nach  ihm  aus,  dankend  schaut  ein  Jüngling 
mit  gefalteten  Händen  gen  Himmel,  ein  Mönch  hebt  erstaunt 
die  Arme. 

12.  Petrus  mit  den  Schlüsseln,  Andreas  graubärtig  mit  Rolle  und 
Kreuz  und  ein  blondbärtiger  Apostel  mit  Buch. 

Linke  Wand: 

13.  Lünette.  Ein  aufgeregt  nach  rechts  tretender  Mann  schwingt 
in  der  Rechten  eine  Geißel  gegen  das  in  einem  Tabernakel 
befindliche  Brustbild  des  heiligen  Nikolaus.  Es  ist  der  Jude, 
der  sich  an  dem  Heiligen  rächt,  weil  Dieser  ihn  nicht  vor 
Räubern,  die  ihn  ausgeplündert,  geschützt  hat.  Wie  der  Heilige 
ihm  das  Gestohlene  zurückerstattet,  ist  nicht  dargestellt. 

Die  Felder  14,  15  und  16  haben  keine  figürlichen  Danstellungen, 
sondern  sind  einfach  blau  gestrichen. 

Eingangs  wand : 

17.  In  der  Höhe  über  dem  Eingangsbogen  steht  in  der  Mitte  in 
einem  gothischen  Tabernakel ,  das  an  die  Tabernakel  mit 
Heiligen  in  der  Capella  Bardi  erinnert ,  Christus ,  eine  schöne 
ernste  Erscheinung,  in  der  Linken  Buch,  die  Rechte  erhebend. 
Links  führt  Franz,  die  Linke  erhebend,  den  knieenden  bart- 
losen Kardinal  Napoleon,  rechts  Nikolaus  den  jugendlichen 
Giovanni  Gaetano  zu  ihm. 

18.  Links.  Maria  Aegyptiaca  (oder  Magdalena)  stehend  in  einer 
Felsenhöhle,  betend,  ganz  in  ihre  Haare  gehüllt. 

19.  Rechts,  Johannes  der  Täufer  in  felsiger  Landschaft,  in  der 
Linken  Zettel,  die  Rechte  ausgestreckt. 

20.  und  21.  Zwei  Apostel  mit  Büchern. 

Endlich  in  der  Leibung  des  Eingangsbogens :  auf  jeder  Seite  sechs 
Heilige  in  voller  Figur.  Rechts :  Antonius  von  Padua,  bartlos,  mit 
Buch;  Franz  mit  Buch  und  Kreuz;  der  jugendliche  Adrianus,  in 
der  Rechten  ein  Kreuz ;  der  jugendliche  Georgius  mit  Schild  und 
Lanze ,    auf  Drachen  stehend ;  die  heilige  Agnes ,    als  Königin ,    ein 


Giotto  und  seine  Schüler.  273 


Lamm  haltend  und  die  heilige  Rosa  (?),  einen  Rosenkranz  im 
Haar.  —  Links:  Graubärtiger  Bischof  „Ruphynus" ;  Bischof  Nikolaus ; 
jugendlicher  Bischof  Sabinus;  graubärtiger  Victorinus ;  die  heiHge 
Chiara  mit  der  Lilie  und  die  heilige  Elisabeth  von  Ungarn  (i^)  mit 
Lilie  und  Buch. 

Endlich  sind  noch  in  den  Fensterleibungen  zahlreiche  Brust- 
bilder, zumeist  von  Bischöfen,  erhalten. 

Nicht  in  den  Legenden,  sondern  in  den  Heiligenfiguren  ist  das 
für  die  Entwickclung  des  Giotto'schen  Genius  Bedeutende  zu  sehen. 
Noch  herrscht  eine  statuarische  Feierlichkeit  in  den  einfach  groß 
gehaltenen  Gestalten,  aber,  mit  der  Steifheit  einzelner  in  frühester 
Zeit  ausgeführter  Heiliger  in  der  Oberkirche  verglichen,  erscheinen 
sie  ausdrucksvoll  bewegt.  Ein  Streben  nach  Fülle  und  Weichheit, 
in  den  breiten  abgerundeten  Gesichtsformen  und  in  dem  lang  ge- 
zogenen Faltenzug  der  Gewänder  bemerkbar,  beginnt  die  Härte 
und  Schärfe  der  in  der  Franzlegende  angewandten  Formensprache 
zu  überwinden,  ohne  doch  ihrer  schon  ganz  Herr  zu  werden.  Die 
besonders  der  Darstellung  der  Frauen  zu  Gute  kommende  Wandlung 
läßt  sich  als  ein  Fortschritt  vom  Plastischen  zum  Malerischen  be- 
zeichnen. Damit  hängt  die  Aufhellung  des  Tones  zusammen:  mit 
vollem  Bewußtsein,  Widerspruch  gegen  die  zähe,  trübe  Fleischfarbe 
der  Byzantiner  erhebend,  geht  Giotto  in  der  ganz  hellen,  licht- 
grauen ,  transparenten  Stimmung  des  Inkarnates  fast  in's  Extrem. 
Als  der  Inbegriff  des  so  und  zugleich  aus  viel  stärkerer  Individuali- 
sirung  gewonnenen  bedeutenden  Ideales  darf,  aus  der  Mitte  aller 
dieser  würdigen  Männer  und  vornehmen ,  zart  sinnigen  Frauen 
herausgehoben ,  die  schon  erwähnte  Gestalt  Christi ,  welcher  sich 
die  Orsini's  nahen ,  bezeichnet  werden.  Ernst  und  Milde  in  dem 
von  weichem  Haar  umschlossenen  länglichen  Antlitz,  sanft  bewegt 
in  feierlicher  Ruhe  tritt  uns  die  hohe  Erscheinung  entgegen.  Aus 
den  fernen  Höhen  des  byzantinischen  goldenen  Himmels  hat  sie 
Giotto ,  vom  Geiste  des  Franz  beseelt  und  als  Künstler  dem  Re- 
formator folgend,  wieder  auf  die  Erde,  zu  den  Menschen  als  ihren 
Bruder  herabgeführt.  Mit  dem  ergriffenen  bewundernden  Blicke 
Napoleone  Orsini's  schauen  auch  wir  zu  ihr  empor,  die  Offen- 
barungen ahnend,  welche  der  Schöpfer  dieses  Bildes  uns  über 
Leben  und  Leiden  des  Erlösers  zu  bringen  bestimmt  ist. 

Dem  von  diesem  Augenblicke  an  die  Phantasie  der  italienischen 
Künstler    bis    auf  Lionardo    und   Raphael    beherrschenden   idealen 

Thode,  Franz  von  Assisi.  lg 


274  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

Typus  Christi  zur  Seite  gestellt  sind  aber  in  den  Orsini's  die 
frühesten  wirklich  als  solche  zu  bezeichnenden  Bildnisse  der  italie- 
nischen Malerei.  Zum  ersten  Male  durften  die  Besteller  eines  Ge- 
mäldes sich  selbst  nicht  in  einer  nur  symbolischen  Weise  an- 
gedeutet, sondern  in  ihrer  individuellen  Erscheinung  charakteristisch 
wiedergegeben  erkennen.     Die  Porträtmalerei  nimmt  ihren  Anfang! 

Als  Abschluß  der  Fresken  in  der  Nikolauskapelle  entstanden 
zu  Seiten  des  in  sie  führenden  Portales  die  zwei ,  schon  früher 
(S.  i66)  von  uns  betrachteten  Darstellungen  der  Erweckung  des 
Jünglings  von  Suessa  und  darüber  die  Verkündigung.  Auch  die 
ornamentale  Einfassung  erweist  sie  als  zu  den  Nikolauslegenden 
gehörig.  In  der  Erweckungsszene  treten  uns  weitere  Versuche 
Giotto's  in  der  Porträtkunst  entgegen.  Die  meisten  Köpfe  sind 
dem  Skizzenbuche  des  Künstlers  entnommen,  welcher  sehr  dankens- 
werthe  Objekte  seines  Studiums  offenbar  unter  den  Brüdern  des 
Klosters  von  S.  Francesco  gefunden  hat.  Mit  dem  vollen  Anspruch 
darauf,  unmittelbar  als  Bildnisse  bekannt  zu  werden,  machen  sich 
die  vier  den  todten  Knaben  betrachtenden  Männer  geltend.  In 
dem  vordersten  wäre  nach  einer  in  Assisi  herrschenden  Tradition 
Giotto  selbst  zu  sehen.  Diese  Annahme  aber  ist  eine  willkürliche 
und  offenbar  aus  einer  Bemerkung  Vasari's  entstanden ,  welcher 
sagt,  daß  auf  einem  Bilde  in  diesem  Theil  der  Kirche  der  Meister 
sich  selbst  abkonterfeit  habe.  Schon  das  Alter  des  Dargestellten 
schließt  die  Berechtigung  einer  solchen  Vermuthung  aus.  Wohl 
aber  scheint  mir  die  Aehnlichkeit  mit  den  Giottobildnissen  von 
Uccello  (Louvre)  und  Gozzoli  (Montefalco)  dafür  zu  sprechen,  daß 
der  merkwürdige  Kopf  des  dritten  Mannes  in  jener  Gruppe,  die 
auffallende  Physiognomie  mit  der  großen  langen  Nase,  die  Züge 
des  Meisters,  welcher  nach  Petrarca's  und  Boccaccio's  Aussagen 
unschön  war,  uns  vor  Augen  führt.^) 

Das  Altarbild,  das  sich  über  dem  Grabe  des  Orsini  befindet, 
ist  zweifellos  von  demselben  Künstler,  der  die  Wandbilder  gemacht 
hat.  Es  zeigt  in  der  Mitte  die  halbe  Figur  der  Maria,  welche  das 
stehende,  sie  vorne  an  der  Brust  fassende  Kind  hält,  links  die  Halb- 
figur des  Nikolaus,  rechts  die  des  Franz.  In  diesem  Tafelbilde 
aber  finde  ich  viele  der  Eigenthümlichkeiten  einer  im  Refektorium 
von  S.  Croce  zu  Florenz  befindlichen  fünftheiligen  Altartafel  wieder, 


^)  Vergl.  Näheres  hierüber  in  meiner  Monographie  über  Giotto  S.  55  ff.    Auch  Abb. 


Giotto  und  seine  Schüler. 


275 


welche  die  Halbfiguren  der  Maria  mit  Kind,  Johannes  des  Täufers, 
Petrus,  Nikolaus  und  Benedikt  enthält  und,  wie  mir  scheint,  von 
Giotto  in  dieser  frühen  Periode  seines  Schaffens  gemalt  worden  ist.^) 

Vasari  weiß  von  der  Sakramentskapelle  zu  erzählen,  daß  sie 
ein  Werk  seines  Agnolo  von  Siena  sei,  und  daß  von  ihm  auch  das 
Grabmal  des  Giovanni  Gaetano  stamme.  (Abb.  40.)  Auch 
diese  Angabe  ist  mit  größter  Vorsicht  aufzunehmen,  da  offenbar  ein 
längerer  Zeitraum  zwischen  dem  Bau  der  Kapelle  und  der  Anfertigung 
des  Monumentes  liegt.  Giovanni  ist  nach  Ciacconius  und  Eggs  im 
Jahre  1339,  nach  Cardella  erst  1355  gestorben.  Das  schlichte 
Denkmal  zeigt  ihn  in  ziemlich  jugendlichem  Alter  in  einer  Nische 
ruhend;  zwei  schlanke  Engel,  welche  ihre  Vorbilder  in  Werken 
des  Giovanni  Pisano    haben ,    ziehen  den  Vorhang  von  ihm  zurück. 

Die  Fresken  an  dem  Kreuzgewölbe  der  Vierung 
der  Unterkirche,  die  drei  Ordensgelübde:  Armuth,  Gehorsam 
und  Keuschheit,  sowie  die  Glorie  des  Heiligen,  die  wir  später  noch 
bei  Besprechung  der  Franziskaner- Allegorieen  eingehender  betrachten 
werden,  zeigen  einen  mehr  vorgeschrittenen  Stil.  Es  wäre  von 
höchster  Wichtigkeit  für  die  ungemein  schwierige  Chronologie  der 
Werke  Giotto's,  wäre  ihr  Entstehungstermin  urkundlich  bekannt. 
Dies  ist  aber  nicht  der  Fall.  Wahrscheinlich  aber  bleibt  es, 
daß  die  nach  Vasari  und  Rodulphus  von  dem  Ordensgeneral 
Giovanni  di  Muro  (1296 — 1304)  an  Giotto  ertheilten  Aufträge  sich 
auf  die  Allegorieen  (und  vielleicht  auch  auf  die  in  der  Nähe  be- 
findlichen Darstellungen  aus  dem  Jugendleben  Christi)  bezogen.  Da 
die  Fresken  dem  Stile  nach  wohl  vor  jenen  in  der  Arenakapelle 
(1306)  anzusetzen  sind,  ergäbe  sich  die  Zeit  zwischen  Giotto's 
Aufenthalt  in  Florenz  und  in  Padua,  also  zwischen  1302  und  1306. 
Gegenüber  den  mächtigen,  derberen  Formen  der  Paduanischen 
Figuren  macht  sich  in  den  Allegorieen  eine  feinere  zierliche  Emp- 
findung geltend ,  die  Profile  sind  länger ,  spitziger ,  von  großer 
Schönheit,  die  Gewänder  reicher  im  Fluß  mit  länger  gezogenen 
Falten.  Auch  in  der  Farbe  machen  sich  Elemente  eines  zarteren 
Geschmackes  geltend,  aus  denen  in  der  jüngsten  Zeit  einzelne 
Forscher  geradezu  schließen  wollten,  nur  die  Zeichnung  sei  von 
Giotto,  die  Ausführung  aber  von  einem  Sienesen.^)    Allerdings  läßt 

^)  Früher   in   der  Sakristei,    auf  Goldgrund.      Die   kleinen   Medaillons   oben   mit 
Christus  und  vier  Seraphim  von  einem  Quattrocentisten  in  der  Art  des  Baldovinetti. 
2)  Zuerst  Carl  Frey:  Die  Loggia  dei  Lanzi.     Berlin,  W.  Hertz   1885.     S.   58. 

18* 


276  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

sich  die  Vermuthung,  daß  ein  Schüler  Giotto's  hier  mit  thätig 
gewesen  ist,  nicht  ganz  zurückweisen,  nur  möchte  ich  die  Mit- 
betheiHgung  desselben  auf  ein  einziges  Bild :  die  Glorie  des  h.  Franz 
beschränkt  sehen,  das  durch  die  derben  Formen  und  den  starren 
Ausdruck  unvortheilhaft  von  den  anderen  absticht.  Sienesische 
Eigenthümlichkeiten  aber  vermag  ich  nicht  herauszufinden. 

Die  Darstellungen  aus  dem  Jugendleben  Christi 
an  dem  Tonnengewölbe    des  nördlichen  Querschiffes. 

Erst  Crowe  und  Cavalcaselle ,  denen  sich  Dobbert  und 
Lübke  angeschlossen  haben ,  nahmen  für  Giotto  deren  Autorschaft 
in  Anspruch,  nachdem  durch  Jahrhunderte  hindurch  Vasari's 
unbestimmte  Angaben  allerlei  irrthümliche  Meinungen  veranlaßt 
hatten.  Dieser  nämlich  sagt  im  Leben  des  Taddeo  Gaddi,  daß 
Giovanni  da  Milano  gemalt  habe  ,in  Ascesi  la  tribuna  dell'altar 
maggiore ,  dove  fece  un  Crocifisso ,  la  nostra  Donna  e  Santa 
Chiara,  e  nelle  facciate  e  dalle  bände  istorie  della  nostra  donna'.^) 
Dem  gegenüber  läßt  sich  von  vorneherein  behaupten ,  daß  diese 
Angaben  irrthümlich  sein  müssen.  In  der  Tribüne  befand  sich  ur- 
sprünglich allerdings  eine  Kruzifixdarstellung,  aber  das  war  eine 
große  allegorische  Komposition,  die  Vasari  selbst  an  anderer  Stelle 
dem  Stefano  Fiorentino  zuschreibt.^)  Ferner  sind  —  wörtlich  ge- 
nommen —  mit  den  , facciate'  und  , bände'  doch  die  Wände  der 
Tribüne  selbst  gemeint,  nicht  die  des  Querschiffs,  und  endlich  sind 
die  erwähnten  Bilder  thatsächlich  nicht  Szenen  aus  dem  Leben  der 
Maria,  sondern  aus  dem  Leben  Christi.  Viel  eher  könnte  man  aus 
einem  dritten  Passus,  in  dem  nach  den  Allegorieen  ganz  allgemein 
die  Fresken  der  angrenzenden  Wände  erwähnt  werden,  schließen, 
Vasari  habe  auch  in  diesen  Werke  Giotto's  gesehen."^)  Mit  der  Zeit 
wird  die  Konfusion  noch  größer.  Der  Padre  Angeli  liest  den  Vasari 
falsch  und  macht  aus  Giovanni  da  Milano  den  Giovanni  Gaddi, 
Sohn  des  Taddeo.^)  Angeli  aber  wiederum,  welcher  ,Jo.  Gaddus' 
druckt,  veranlaßt  die  irrthümliche  Entstehung  eines  Giacomo  Gaddi, 


')  I,  s.  585. 

^)  I,  s.  451- 

^)  I,  S.  379.  Wobei  er  freilich  irrthümlicher  Weise  die  Stigmatisation  des  Franz 
auch  als  Giotto's  Werk  bewundert. 

^)  CoUis  Paradisi  S.  35.  An  der  betreffenden  Stelle  bei  Vasari  wird  nämlich 
von  den  beiden  Giovanni  gesprochen ;  zweifellos  aber  bezieht  sich  das  entscheidende : 
,il  quäl  Giovanni'  auf  den  Mailänder. 


Giotto  und  ^eine  Schüler. 


277 


der  somit  von  Fea  in  die  Kunstgeschichte  eingeführt  wird.^)  Der 
Verfasser  der  Descrizione  vom  Jahre  1835  seinerseits,  der  offenbar 
nichts  von  einem  Giacomo  wußte,  sah  Fea's  Angabe  als  ein  Ver- 
sehen an  und  setzte  getrost  an  Stelle  des  unbekannten  Giacomo 
den  wohlbekannten  Taddeo  Gaddi,  der  auch  in  Folge  dessen  von 
Autoren  wie  Guardabassi,  Fratini,  Cristofani  bis  in  die  jüngste  Zeit 
angeführt  wird ,  während  Rumohr  und  Kugler  wieder  auf  die  erste 
Quelle  zurückgehend  von  Neuem  Giovanni  da  Milano  nannten.  Ich 
habe  das  geschichtliche  Werden  der  verschiedenen  Benennungen 
hier  mitgetheilt ,  weil  es  ein  höchst  lehrreiches  Beispiel  dafür  ist, 
wie  scheinbar  völlig  aus  der  Luft  gegriffene  Attributionen  durchaus 
logisch  entstehen.  Der  Einzige,  der  die  Darstellungen  der  vita  Christi 
Giotto's  Werke  nennt,  ist  Rodulphus.^) 

Jedenfalls  läßt  sich  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  sagen,  daß 
keiner  der  uns  bekannten  Schüler  Giotto's,  weder  Giovanni  da  Mi- 
lano, noch  Taddeo  Gaddi,  noch  Maso  di  Stefano  sie  gemalt  hat. 
Entweder  sie  sind  von  Giotto  selbst  oder  einem  uns  unbekannten 
Nachahmer,  der  ihm  zum  Verwechseln  ähnlich  sieht.  Man  kann 
durchaus  mit  Recht  hervorheben ,  daß  die  Kompositionen  hinter 
den  gleichen  Darstellungen  in  Padua  zurückstehen,  daß  man  an 
ihnen  die  volle  Energie  der  Gestaltungskraft,  die  Breite  der  Zeich- 
nung, die  Kraft  der  Farbe  in  etwas  vermißt,  daß  sich  in  ihnen  wie 
in  den  Allegorieen  eine  Neigung,  lieblich  und  graziös  zu  sein, 
geltend  macht.  Auf  der  anderen  Seite  aber  muß  man  auf  das 
Entschiedenste  bemerken ,  daß  sie  hoch  über  den  Arbeiten  eines 
Giovanni  da  Milano ,  eines  Taddeo  Gaddi  stehen ,  daß  sie  in  der 
Zeichnung  stärker  an  Giotto's  beglaubigte  Werke,  als  an  die  irgend 
eines  seiner  Schüler  erinnern  und  daß  sie  unbedingt  von  derselben 
Hand  wie  die  Ordensallegorieen  sind.  Das  heißt  aber  nichts 
Anderes ,  als  daß  sie  Giotto  selbst  zuerkannt  werden  müssen ,  in 
dessen  Entwickelung  sie  eine  wichtige  Phase ,  nämlich  die  des 
Ueberganges  zum  Stil  der  Arenafresken  bezeichnen. 

Die  Erzählung  beginnt  an  der  nördlichen  Wand,  wo  über  dem 
Eingang  zur  Nikolauskapelle  die  Verkündigung  dargestellt  ist,  und 
setzt  sich  dann  an  dem  Tonnengewölbe  fort.  In  drei  Reihen  über- 
einander   ordnet  Giotto    die  Bilder    an   und   trennt  sie  durch  einen 


^)  A.  a.   O.  S.  12.     Danach  auch  bei  Bnischelli  im  Guida. 
2)  A.  a.  O.  S.  398. 


278  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

gemalten  Rahmen,  welcher  durch  größere  und  kleinere,  Propheten- 
brustbilder enthaltende  gothische  Vierpässe  in  geometrisch  gerahmte 
Felder  mit  zierlichen  Akanthusmotiven  und  mit  kleinen  Köpfen  in 
Medaillons  gegliedert  ist. 

Die  Heimsuchung  wird  uns  als  erstes  Gemälde  —  welches  in 
einer  alten  Zeichnung  der  Uffizien  kopirt  erscheint  —  vor  Augen 
geführt.  Aus  ihrem  Hause  hervorgeeilt  empfängt,  inniger  Bewun- 
derung voll,  Elisabeth  die  feierlich  und  vornehm  heranschreitende, 
von  vier  Begleiterinnen  gefolgte  Jungfrau.  Das  Bewußtsein  ihrer 
Gottgeweihtheit  läßt  Maria  in  einer  fast  starren  Unnahbarkeit  die 
scheue  Huldigung  der  älteren  Frau  aufnehmen.  Die  aus  solcher 
Konzeption  hervorgegangene  Gehaltenheit  der  Bewegungen  verleiht 
der  Komposition  einen  an  die  antiken  Werke  edelster  Zeit  ge- 
mahnenden Charakter. 

Selige  Heiterkeit  ist  dagegen  die  Stimmung,  welche  Giotto  aus 
der  Darstellung  der  Geburt  Christi  zu  uns  sprechen  läßt.  Mit 
Giovanni  Pisano,  dessen  für  Sant  Andrea  in  Pistoja  1301  gefertigte 
Kanzel  er  gewiß  gekannt  hat,  wetteifert  er  in  lebendiger  Natürlich- 
keit der  Auffassung ,  ja  übertrifft  ihn  hierin ,  denn  er  läßt  Maria 
das ,  wie  bei  den  Pisani ,  in  Windeln  gewickelte  Kind ,  welches  in 
den  älteren  Kunstwerken  in  der  Krippe  liegend  gezeigt  wurde,  auf 
ihre  Arme  nehmen  und  gestaltet  die  bis  dahin  in  öder  Nacktheit 
gegebene  Felsenumgebung  durch  Einfügung  einer  schuppenartigen 
Hütte  wohnlicher.  Die  Schaaren  jubelnder  Engel,  welche  hier,  wie 
schon  in  der  Oberkirche  mit  einem  in  Nebel  sich  auflösenden 
Unterkörper  gezeichnet  sind,  sind  reicher,  wie  in  Wolken,  gruppirt. 
In  der  Szene  der  Hirten  und  der  den  apokryphen  Evangelien  ent- 
nommenen Gruppe  der  hilfreichen  frommen  Gelome  und  Salome 
erscheinen,  wie  bei  Giovanni  Pisano,  die  in  Niccolö  Pisano's  Werken 
gegebenen  Motive  ausgebildet. 

Die  immer  noch  sich  bemerkbar  machende  Vorliebe  für  Archi- 
tektur veranlaßt  Giotto ,  in  der  Anbetung  der  h.  drei  Könige  der 
Madonna  inmitten  von  zwei  dienenden  Engeln  ihren  Platz  im 
Portikus  eines  zierlichen  Gebäudes  anzuweisen  (Abb.  68).  Mit 
königlicher  Würde  trägt  sie  das  Kind,  welches  den  greisen,  hier 
wie  bei  Niccolö  Pisano  seinen  Fuß  küssenden  Verehrer  segnet. 
Noch  halten  sich  scheu  die  zwei  anderen  Weisen  mit  ihren  die 
Kamele  zügelnden  und  geleitenden  Dienern  in  einiger  Entfernung 
zurück. 


Giotto  und  seine  Schüler.  279 


In  eine  den  Geist  Arnolfo  di  Cambio 's  athmende  Kirche  führt 
uns  die  nächste  Darstellung,  die  den  Augenblick  vergegenwärtigt, 
in  welchem  der  greise  Simeon  dem  Himmel  seine  Dankbarkeit,  das 
Kind  in  den  Armen  halten  zu  dürfen,  im  Blicke  bezeugt  und  Maria 
verlangend  die  Hände  nach  diesem  ausstreckt.  Zahlreiche  An- 
wesende, unter  denen  in  prophetischer  Haltung  Hannah  steht, 
schließen  sich  wie  ein  antiker  Chor  den  Hauptfiguren  der  Handlung 
an.  Auch  hier  durfte  Giotto  ältere  Motive  in  einem  neuen,  freien 
Sinne  verwerthen. 

Es  folgt  die  Flucht  nach  Egypten,  in  welcher  genrehafte 
Momente,  wie  der  den  Esel  stachelnde  Jüngling,  die  mit  beschwer- 
tem Kopfe  wandelnde  Frau  und  das  durch  ein  um  die  Mutter  ge- 
schlungenes Tuch  vor  dem  Fallen  gesicherte  Kind  mit  hohem 
künstlerischen  Sinn  der  sanften  Feierlichkeit  der  Stimmung  unter- 
geordnet sind. 

In  furchtbaren  Kontrast  hierzu  tritt  die  erregte  Szene  des 
bethlehemitischen  Kindermordes.  Mit  der  gleichen  Naivetät,  wie  die 
Pisani,  von  deren  Darstellungen  er  ausging,  hat  Giotto  diesen 
grauenhaften  Vorwurf  behandelt.  Er  benutzt  ihn,  sein  dramatisches 
Vermögen  in  dem  mannigfachen  Schmerzensausdrucke  der  zu 
wilder  Verzweiflung  getriebenen  Mütter  zu  offenbaren  und  sucht, 
ohne  Furcht  vor  Ueberladung,  der  Komposition  durch  im  Hinter- 
grund geschaarte  Fußsoldaten  und  Reiter  der  heftigen  Bewegung 
gleichsam  einen  Damm  zu  setzen. 

Dann  werden  wir  zur  heiligen  Familie  zurückgeführt,  deren 
von  der  Kunst  selten  behandelte  Heimkehr  aus  Egypten  in  schlichter 
Weise  geschildert  wird.  In  der  Stadtansicht,  welche  die  Hälfte  des 
Raumes  ausfüllt,  stellt  der  Künstler  die  Fortschritte  zur  Schau,  die 
er  seit  den  Fresken  der  Oberkirche  im  Architektonischen  ge- 
macht hat. 

Auch  das  nächste  Gemälde  giebt  einen  und  zwar  noch  höheren 
Beleg  hierfür  in  dem  wiederum  an  Arnolfos  Stil  erinnernden,  in 
schönsten  Verhältnissen  gehaltenen  Raum,  in  welchem  der  zwölf- 
jährige Christus  einer  grösseren  Anzahl  von  Schriftgelehrten  die 
Wahrheit  kündet.  Die  sehr  ausgesprochene  Symmetrie  der  An- 
ordnung scheint  hier  dem  Problem  klarer  Raumbildung  zu  dienen, 
welches  mit  Hülfe  eines  ziemhch  hoch  gewählten,  die  Rückenansicht 
der  vorderen  Figuren  erlaubenden  Augenpunktes  zu  lösen  versucht 
wird.    Die  deutlich  bemerkbaren  zu  Grunde  liegenden  theoretischen 


28o  I^iß  Kirche  San  Francesco  in  Assisi, 

Konstruktionen   bezeichnen    eine    seit   der  Thätigkeit   in  der  Ober- 
kirche erreichte  höhere  Stufe  der  Anschauung. 

Den  Erzählungen  aus  der  Kindheit  Christi  ist,  da  noch  Platz 
an  den  Wänden  frei  blieb ,  die  Kreuzigung  hinzugefügt  (Abb.  69). 
Von  jammernden  Engeln,  gleich  Vögeln  umflattert,  erscheint  unseren 
Blicken  zum  ersten  Male  das  aus  der  Seele  des  Künstlers  aus- 
gestrahlte Bild  des  erlösenden  Dulders.  Verschwunden  ist  die  er- 
schreckend grauenhafte  Vorstellung  des  in  krampfhafter  Krümmung 
die  ausgestandenen  Qualen  noch  verrathenden  Körpers,  wie  sie  im 
XIII.  Jahrhundert  bis  auf  Cimabue  geherrscht  hatte.  Nur  die  über- 
langen Verhältnisse  des  schmächtigen  Leibes  und  das  bis  zu  den 
Knieen  reichende  Hüftentuch  zeigen  noch  den  Zusammenhang  mit 
der  Tradition.  Was  hier  zu  uns  spricht,  ist  ein  anderes :  nicht  die 
Qual  gewaltsamen  Sterbens ,  sondern  die  heiligende  Friedenskraft 
des  Todes  drückt  sich  in  der  leise  zusammensinkenden  Bewegung 
der  fast  aufrechten  Gestalt,  in  dem  sanft  nach  vorn  sich  senkenden, 
vom  Haare  überwallten  Haupte  aus.  Der  letzte  Blick  des  nun  er- 
loschenen Auges  scheint  die  Treuen  drunten  gesegnet  zu  haben. 
Der  Schmerz,  den  droben  am  Kreuze  die  Liebe  überwunden,  über- 
wältigt die  noch  an  die  Erde  gefesselten  verlassenen  Liebenden, 
Nur  Maria  ist  durch  tiefe  Ohnmacht  dem  Leben  entrückt,  für  kurze 
Augenblicke  in  der  Abkehr  von  dieser  Welt  dem  Sohne  verbunden, 
in  den  Anderen  ringt  Liebe  und  Leid  in  verzweifeltem  Kampfe. 
Schon  aber  verwandelt  sich  die  Stätte  unergründlichen  Martyriums 
in  die  Stätte  des  Weltenheiles.  Durch  Thränen  hindurch  erschaut 
Magdalena  die  That  der  Erlösung,  wunderbar  erwachte  Glaubens- 
kraft bewegt  den  heidnischen  Hauptmann  zum  Aufblick  nach  oben, 
und  während  in  banger  Scheu  die  Anstifter  der  ungeheuerlichen 
That  von  dannen  drängen ,  nahen  als  Vertreter  der  gesammten 
Menschheit ,  Zuflucht  und  Rettung  suchend ,  der  heilige  Franz  und 
die  Seinen. 

Nach  solchen  Offenbarungen  vermag  uns  die  schon  früher 
(S.  164)  besprochene  Darstellung  eines  von  Franz  bewirkten  Wunders, 
die  Erweckung  des  aus  dem  Fenster  gestürzten  Kindes  an  der  nörd- 
lichen Querwand  nicht  viel  zu  sagen.  Das  eigenthümliche  Fresko 
an  der  Westwand ,  welches  Franz  neben  einem  gekrönten  Skelett 
zeigt ,  wird"  uns  erst  später  in  dem  Abschnitt  über  die  Allegorieen 
beschäftigen. 

Vergleichen   wir   diesen   ersten   bescheidenen  Cyklus   der  Dar- 


Giotto  und  seine  Schüler.  28 1 


Stellungen  aus  Christi  Leben  mit  dem  späteren,  die  ganze  Erlösungs- 
geschichte umfassenden  in  Padua,  so  wirken  die  Bilder  in  Assisi  fast 
befangen.  Mit  zarter  Scheu  naht  sich  Giotto  dem  Stoffe,  er  möchte 
die  heiligen  Gestalten  der  Berührbarkeit  entziehen,  sie  wie  verklärt 
nur  in  einer  gewissen  Entfernung  zeigen,  während  er  uns  in  Padua 
ein  stärkstes  Miterleben  zumuthet.  Dort  in  der  Arenakapelle  ist  er 
durchaus  Dramatiker ,  hier  ein  Legendenerzähler  im  Sinne  der 
umbrischen  Laudendichter,  wenn  auch  an  Vollendung  künstlerischen 
Ausdruckes  und  an  Größe  des  Stilgefühles ,  welches  die  Gefühls- 
schwclgerei  jener  naiven  Lieder  und  Dialoge  nicht  zuläßt,  weitaus 
sie  übertreffend.  In  der  größeren  Ausführlichkeit  der  Schilderung 
und  in  dem  freien  lyrischen  Sichhingeben  an  Stimmungen  dürfte  es 
begründet  erscheinen,  daß  manches  sinnige,  ja  bezaubernde  Motiv 
hier  erfunden  wurde,  welches  in  den  Fresken  zu  Padua  keine  Auf- 
nahme erhalten  konnte.  Der  Unterschied  macht  sich  auch  im 
Koloristischen  bemerkbar.  War  in  der  Nikolauskapelle  das  Streben 
nach  lichter  Wirkung  ersichtlich ,  hatte  sich  das  Bleiche ,  ja  fast 
Kraftlose  der  Farbengebung  in  den  Arbeiten  des  römischen  Aufent- 
haltes (1298 — 1300)  in  eine  wärmere  und  lebendigere  Farben- 
stimmung verwandelt,  so  geht  der  Meister  jetzt  auf  eine  noch 
höhere  malerische  Wirkung  aus,  indem  er  aber  doch  die  Lokal- 
farben ,  das  Blau ,  Kirschroth ,  Moosgrün  und  Gelb  ungemein  sanft 
im  Lichte  abtönt  und  ihnen  eine  zarte  Transparenz  verleiht.  So 
wird  die  Farbenharmonie,  deren  Eindruck  dem  einer  blühenden 
Frühlingswiese  gleicht,  zum  vollkommenen  Ausdruck  des  die  Kom- 
positionen beseelenden  Geistes.  Die  Gestalten  sind  noch  schlank, 
aber  besser  abgewogen  in  den  Verhältnissen,  die  Typen  zeigen 
eine  längere  Bildung  der  Nase,  als  in  den  vorhergehenden  Werken, 
die  Männerköpfe,  namentlich  die  älteren,  haben  an  Kraft  gewonnen. 
In  jeder  Beziehung  erscheint  der  Stil  als  ein  Uebergang  von  der 
Jugendperiode,  an  welche  auch  noch  der  Figurenreichthum  gemahnt, 
zu  der  Meisterschaft  der  reiferen  Zeit,  wie  sie  in  dem  Cyklus  der 
Arenakapelle  sich  geltend  macht.  — 

Von  einigen  Heiligenfiguren,  die  unter  Giotto's  Bildern  an  der 
nördlichen  und  östlichen  Wand  sich  befinden,  wird  weiter  unten  bei 
Simone  Martini  die  Rede  sein ,  wenn  wir  den  in  Assisi  thätigen 
Sienesen  unsere  Aufmerksamkeit  zuwenden.  Zunächst  aber  handelt 
es  sich  darum ,  Giotto  und  seinen  Schülern  noch  weiter  nachzu- 
gehen. 


282  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

Die   Magdalenenkapelle. 

Diese  an  das  Querschiff  anstoßende  Endkapelle  des  Längs- 
schiffes (s.  Plan  auf  S.  191  :  C)  ist  nach  der  allgemein  verbreiteten 
Anschauung  von  Tebaldo  Pontano  di  Todi,  der  von  13 14  bis  1329 
Bischof  von  Assisi  war,  gestiftet  worden,  und  zwar  stützt  sich 
Fea,  der  dies  zuerst  ausspricht  und  dem  sich  Papini  anschliefjt, 
auf  das  Wappen ,  welches  ein  dreifaches  weißes  Thor  (Brücke  ?) 
auf  rothem  Grunde  zeigt.  Unsere  älteste  Quelle :  die  Alte  Be- 
schreibung dagegen  nennt  als  Stifter  den  Pier  Damiano,  Bischof 
von  Sabino ;  Angeli  aber  sagt ,  daß  der  Raum  zur  Zeit  des  Ge- 
neralates  von  Bonaventura  geweiht  worden,  ohne  anzugeben,  worauf 
er  sich  stützt.  Zweimal  sehen  wir  auf  den  Wandbildern  den 
frommen  Mann ,  der  den  Raum  mit  Fresken  geschmückt ,  einen 
Greis  mit  hageren  freundlichen  Zügen  knieend  dargestellt,  das  eine 
Mal  wie  er  die  Hand  seiner  Schutzpatronin  erfaßt,  ein  Käppchen 
auf  dem  Kopfe  und  in  weit  fallendem  Mantel  (Abb.  41) ,  das 
andere  Mal  im  Bischofsornat.  —  Leider  hat  man  also  hier  keinen 
bestimmten  Anhaltspunkt  für  die  Datirung  der  höchst  interessanten 
Wandgemälde,  welche  das  Leben  der  Maria  Magdalena,  die  hier, 
wie  zumeist  schon  in  jener  Zeit,  zu  einer  und  derselben  Heiligen 
mit  der  Maria  Aegyptiaca  geworden  ist,  darstellen.  Die  älteste  An- 
gabe eines  bestimmten  Meisters :  und  zwar  des  Buffalmacco,  findet 
sich  erst  bei  Angeli,  der  vermuthlich  den  Vasari  falsch  gelesen  oder 
willkürlich  interpretirt  hat.  Letzterer  nämlich  spricht  im  Leben  des 
genannten  Künstlers  allerdings  von  zwei  Kapellen,  die  er  in  der 
Unterkirche  ausgemalt  habe :  einmal  1 302  die  Kapelle  der  heiligen 
Katharina,  das  andere  Mal  die  Kapelle  des  Kardinals  Alvaro.^)  Nun 
ist  aber  die  Capella  Albornoz  mit  der  Kapelle  der  Katharina  eine 
und  dieselbe !  Möglich,  daß  Vasari  thatsächlich  unter  der  letzteren 
die  der  Magdalena  verstanden  hat.  Jedenfalls  hilft  uns  eine  solche 
Vermuthung  nicht  weiter,  da  wir  von  Buffalmacco's  Kunstweise 
noch  absolut  Nichts  wissen.  Crowe  und  Cavalcaselle,  die,  wie  Förster, 
den  ausgesprochenen  Giottesken  Charakter  der  Bilder  hervorheben, 
haben  Puccio  Capanna  als  ältesten  Schüler  Giotto's,  Guardabassi 
und  Fratini  dagegen  Taddeo  Gaddi  vorgeschlagen.  Muß  es  denn 
aber  ein  Schüler  gewesen  sein,  spricht  nicht  Alles  dafür,  daß  der 
Meister   selbst   hier   thätig   gewesen,    daß    sicher   der  Entwurf  der 

^)  I,  S,  507  und  517. 


Giotto  und  seine  Schüler.  283 


Darstellungen,  zum  größten  Theile  aber  auch  die  Ausführung  von 
ihm  ist?  Ihr  Stil  ist  von  solcher  Größe,  ihr  Geist  von  solcher 
Erhabenheit,  daß  sie  einzig  mit  den  Wandbildern  der  Arenakapelle 
verglichen  werden  können.  Wärmer  und  satter  in  den  Farben  als 
die  Allegorien  und  die  Szenen  aus  dem  Leben  Christi  im  Quer- 
schifF  gehalten,  stehen  sie  in  allen  ihren  Eigenthümlichkeiten  mitten 
innen  zwischen  diesen  und  den  Arbeiten  in  Padua.  Demnach  wären 
sie  kurz  vor  1306  entstanden.  Zweifelhaft,  ob  Giotto  die  Fresken 
selbst  ausgeführt,  dürfte  nur  ihr  Kolorit  machen.  Der  vielfach  zu 
Tage  tretende  Verdegrund  giebt  dem  Inkarnat  etwas  für  den  Meister 
ungewöhnlich  Schweres,  andrerseits  sind  die  darauf  gesetzten  Töne 
auffallend  warm  roth.  Auch  vielen  Gewändern  ist  ein  besonders 
kräftiges ,  tiefes  Zinnoberroth  eigenthümlich ,  das  mir  auf  sonstigen 
Werken  Giotto's  nicht  vorgekommen  ist  —  kurz  es  bleibt  immerhin 
denkbar,  daß  ein  sehr  begabter  Schüler  mitgearbeitet  hat,  will  man 
nicht  besser  annehmen,  daß  jene  Erscheinungen  für  eine  bestimmte 
Phase    in    dem    Entwicklungsgange  Giotto's   charakteristisch   sind,*) 

Betrachten  wir  jetzt  kurz  die  Gemälde.-) 
Linke  Wand  : 

1 .  Oben :  Maria  Aegyptiaca  kniet  betend  nach  rechts  gewandt  vor 
dem  an  einem  Altare  stehenden,  ihr  die  Kommunion  reichenden 
Bischof  Zosimo.  Links  schauen  drei  Geistliche  zu.  Vier  Engel 
tragen  in  der  Höhe  die  Heilige  in  einer  Mandorla  gen  Himmel. 
Einfach,  aber  höchst  bedeutend  komponirt.    (Abb.  42.) 

2.  Das  Festmahl  beim  Pharisäer.  In  einer  Halle  sitzt  links  an  der 
Schmalseite  eines  gedeckten  Tisches  Christus,  mit  der  Rechten 


^)  Eine  nahe  Beziehung  zu  den  Fresken  der  Magdalenakapelle  zeigt  die  in  einem 
jetzt  als  Palestra  ver\vandten  Räume  des  Klosters  befindliche  Darstellung  des  von 
Engeln  umflatterten  gekreuzigten  Christus,  zu  dessen  Seiten  neben  Maria  und  Johannes 
die  Heiligen  Chiara ,  Bischof  Ludwig ,  Antonius  von  Padua ,  Petrus  stehen.  Es  ist 
ein  höchst  bedeutendes  Werk,  das  man  doch  schwer  Giotto  selbst  zuschreiben  mag, 
aber  von  einem  Schüler  ersten  Ranges,  dem  Kolorit  nach  eben  jenem  Meister,  der 
mit  in  der  Magdalenakapelle  thätig  gewesen  ist,  gefertigt  sein  muß.  Es  sind  große, 
monumentale  Gestalten,  höchst  würdig  imd  bedeutend  in  Ausdruck  und  Drapirung  der 
Gewänder.  Was  ist  das  für  ein  Schüler  Giotto's  ?  Puccio  Capanna,  Stefano  Fiorentino  ? 
Vorläufig  kann  man  nur  zwecklos  hin  und  her  rathen.  Derselbe  ISIeister  scheint  mir 
eine  in  der  Gallerie  zu  Parma  •  befindliche  Madonna  (Nr.  446)  gemalt  zu  haben.  Man 
hat  wohl  auch  an  den  sogenannten  Giottino  gedacht,  doch  weichen  dessen  Typen  ent- 
schieden von  denen  der  Magdalenenkapelle  ab. 

*)  Vgl.  Photographieen  von  Carloforti  und  Alinari. 


284  ^^^  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

auf  die  seinen  Fuß  küssende  knieende  Magdalena  weisend. 
Hinter  dem  Tische  sieht  man  den  nachdenklich  Christus  an- 
schauenden Wirth,  Petrus,  einen  zweiten  Pharisäer  und  Johannes. 
Drei  Knaben  warten  dienend  auf.  Großartig  in  Bewegung  und 
Ausdruck,  durchaus  Giotto's  würdig  und  in  seinem  Stile. 

3.  Die  Auferweckung  des  Lazarus.  Dem  Fresko  der  Arena  sehr 
verwandt.  Von  links  schreitet  Christus ,  gefolgt  von  anderen 
Jüngern ,  feierlich  heran  und  streckt  segnend  die  Rechte  aus. 
Vor  ihm  knieen  die  Schwestern,  rechts  aber  halten  zwei  Männer, 
deren  einer  den  Mantel  um  das  Untergesicht  und  die  Nase  ge- 
schlagen hat,  den  stehenden  in  Leinen  gewickelten  Erweckten. 
Erstaunt  fährt  dahinter  mit  erhobenen  Armen,  in  echt  Giottesker 
Bewegung,  ein  älterer  Mann  zurück.  Vorn  will  eben  ein  Mohr 
das  eine  Ende  des  von  einem  Knaben  getragenen  Sargdeckels 
aufheben.  Auch  hier  kann  man  nicht  gut  zweifelhaft  sein. 
Alles  weist  auf  Giotto  selbst  hin. 

4.  Ein  graubärtiger  Bischof  (Rufinus.?,  Zosimo.^),  der  die  Hand 
auf  den  Kopf  eines  knieenden  Bischofs  legt. 

5.  Eine  nach  halb  links  gewandte  weibliche  Heilige. 

Rechte  Wand  : 

6.  Oben :  Ueber  einer  felsigen  Landschaft  tragen  zwei  Engel  die 
knieende,  betende  Maria  Magdalena,  die  in  ihr  Haar  gehüllt 
ist,  gen  Himmel. 

7.  Das  Noli  me  tangere.  Auf  felsigem  Boden  kniet  rechts  Magda- 
lena, sehnsüchtig  die  Hände  nach  dem  in  Strahlenglorie  davon- 
schreitenden  Heiland  ausstreckend,  der  mit  der  etwas  mangel- 
haft verkürzten  Rechten  sie  zurückweist ,  in  der  Linken  eine 
Hacke  hält.  Zwei  Engel  fliegen  über  ihnen  nach  rechts.  Links 
sitzen  zwei  andere  größere  Himmelsboten,  deren  Köpfe  ganz 
zerstört  sind,  auf  dem  Sarkophag.  Die  Szene  ist  hier  fast  noch 
lebendiger  geschildert  als  in  Padua,  wo  die  Komposition  übrigens 
fast  genau  so  wiederkehrt. 

8.  Das  Wunder  des  Kaufmanns  von  Marseille.  Ueber  ein  bewegtes 
Meer  fahrt,  von  zwei  Engeln  geführt,  ein  Nachen,  in  dem  man 
Maria,  Martha,  Lazarus  und  zwei  andere  Heilige  sieht,  in  den 
durch  einen  Leuchtthurm  und  ein  Stadtthor  charakterisirten 
Hafen  von  Marseille  ein.  Links  im  Vordergrunde  liegt  schlafend 
die  Frau    des  Kaufmanns  auf  der  Insel.     Ein  Schiffer  in  einem 


Giotto  und  seine  Schüler.  285 

Kahne  naht  sich  ihr.  Giotto  hat  hier  den  kühnen  Versuch  ge- 
macht, eine  ausgedehnte  landschaftliche  Szenerie  zu  geben. 
Nicht  übel  gelang  ihm  die  Perspektive  was  die  Gesammtansicht 
betrifft,  aber  er  vernichtete  ihre  Wirkung  vollständig  dadurch, 
daß  er  den  Nachen  mit  den  Heiligen  im  Mittelgrund,  um  ihn 
als  das  Wesentliche  hervorzuheben,  viel  zu  groß  zeichnete. 
Dieser  grobe  Verstoß  gegen  alle  künstlerische  Wahrscheinlich- 
keit schreckt  den  Beschauer  zuerst  geradezu  ab,  bei  näherem 
Zusehen  jedoch  findet  man,  daß  Großes  gewollt  und  geplant  ist, 
aber  selbst  ein  Giotto  an  den  übergroßen  Schwierigkeiten  der 
Perspektive  scheitern  mußte. 
9.  Die  heilige  Magdalena ,  die  mit  der  Rechten  den  knieenden 
alten  Stifter  hält.  (Abb.  41.)  Letzterer  ist  zweifellos  dieselbe 
Figur,  wie  der  Bischof  in  4, 

10.  Die  Halbfigur  eines  Engels  mit  Kugel  in  der  Hand. 
Eingangswand : 

11.  Ueber  dem  Bogen:  Zosimo  giebt  der  aus  einer  Höhle  heraus- 
schauenden Magdalena  sein  rothes  Gewand. 

Fensterwand :  Heilige.  Links :  Frau  mit  einem  Tambourin  (})  in 
der  Hand,  bezeichnet:  , Maria  soror  Moisy';  ältere  heilige  Frau 
in  einem  hemdartigen,  Brust  und  Arme  freilassenden  Gewände, 
mit  langem  Haar.  Rechts :  Die  heilige  Helena  mit  einem  spitzen 
Hut  auf  dem  Kopfe,  bezeichnet  ,Elena  mater' ;  weibliche  Heilige 
mit  Palme. 

Leibung  der  Eingangsöffnung,  an  jeder  Seite  sechs  Heilige.  Links: 
Petrus  mit  Zettel:  ,obedire  oportet  deo  magis  quam  hominibus'; 
Matthäus ;  jugendliche  Heilige  in  hemdartigem  kurzen  weißen 
Rock,  ein  Kreuz  umarmend;  blondbärtiger  Krieger;  ein  Engel; 
weibliche  Heilige.  Rechts:  graubärtiger  Heiliger;  Patriarch  oder 
Prophet ;  Patriarch  {}) ,  wie  es  scheint  eine  Art  Kugel  oder 
Globus  in  der  Hand ;  Augustinus ;  weibliche  Heilige ;  weibliche 
Heilige,  die  eine  Rose  hält. 

An  der  Decke  in  vier  Medaillons :  Christus ,  die  Rechte  erhebend, 
in  der  Linken  Rolle ;    Martha ;  Lazarus ;  Magdalena  mit  Gefäß. 

In  der  Leibung  des  Fensters :  weibliche  Heiligenbrustbilder,  in  der 
der  Kapelleneingänge:  Franziskanerköpfe. 
Eine  Stimmung   tiefen  Ernstes  und  feierlicher  Getragenheit  ist 

den   Darstellungen,    welche    einen   Fortschritt    zu    immer   größerer 


286  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

Einfachheit  und  MonumentaHtät  verrathen,  im  Ganzen,  wie  in  jeder 
einzelnen  Gestalt  aufgeprägt.  Der  holdselige  Erzähler  der  Legende 
von  der  Kindheit  Christi  erhebt  sich  zum  Schwünge  hymnischer 
Verherrlichung  des  im  Menschlichen  sich  offenbarenden  Göttlichen. 
In  welchem  anderen  Werke  ist  der  Kuß  der  Sünderin  zu  solcher 
Bedeutung  eines  Weiheaktes  erhoben  worden,  wie  hier  in  der  Dar- 
stellung, welche  die  Wirkung  des  Gotteswortes  von  der  alle  Schuld 
aufhebenden  Liebe  auf  die  ergriffenen  Seelen  zeigt  .^  Hat  dieses 
Bild  an  unbegreiflicher  Tiefe  des  Ausdruckes  den  Vergleich  mit 
Lionardo's  Abendmahl  zu  scheuen.?  Es  gehört  zu  den  ewigen 
Wundern  der  Kunst!  Die  Auferweckung  Lazari  —  man  kann  un- 
schlüssig sein,  ob  man  die  Erfindung  hier  oder  in  Padua  höher 
stellen  soll !  Was  Giotto  dort  verbessern  zu  können  glaubte ,  war 
nur  die  dramatische  und  formal  aesthetische  Beziehung  der  Gruppe 
links  zu  derjenigen  rechts.  An  überzeugender  Veranschaulichung 
der  Gebetesinbrunst  der  beiden  Frauen  konnte  kaum  Höheres  ge- 
geben werden,  wenn  der  Meister  auch  in  Padua  mit  großer  Kühn- 
heit das  Knieen  in  ein  Liegen  verwandelte.  Und  weiter:  an  der 
herrlichen  Verkörperung  menschlichen  Sehnens,  wie  sie  in  dem 
,, Rühre  mich  nicht  an"  gegeben  wird,  war  kaum  noch  Etwas  zu 
verändern,  nur  den  Strahlenkranz  des  verklärten  Leibes,  den  er 
gleichsam  durch  die  Siegesfahne  ersetzte,  ließ  Giotto  in  Padua  fort 
und  milderte  den  Ausdruck  in  Christi  Antlitz  zu  menschUcher  Theil- 
nahme.  Mit  den  durch  mächtige,  aber  doch  schlichte  Gewandung 
drapirten,  von  starkem,  blühendem  Leben  erfüllten  Heiligengestalten 
schloß  Giotto  seine  Arbeit  ab. 

Kehrt  man  aus  dieser  Kapelle  zur  Betrachtung  der  Allegorieen 
über  dem  Hauptaltare  zurück,  so  drängen  sich  dem  Beschauer 
viele  Vergleichungspunkte  auf:  dieselben  charakteristischen  bärtigen 
Männertypen,  die  sich  besonders  dem  Gedächtniß  eingeprägt,  be- 
gegnen auf  dem  Bilde  der  Keuschheit,  wie  überall  in  der  Ein- 
rahmung der  Geschichte  Christi.  Auch  die  Engelköpfe  sind  stilistisch 
sehr  verwandt.  Immer  klarer  wird  es  uns,  daß  alle  diese  Fresken 
des  Querschiffes,  der  Nikolauskapelle  und  der  Capeila  Pontano  auf 
einen  geistigen  Urheber,  auf  Giotto  zurückzuführen  sind,  daß  sich 
in  ihnen  seine  frühe  Entwickelung  im  Allgemeinen  erfassen  läßt :  in 
der  Nikolauskapelle  der  Uebergang  von  dem  jugendlichen  Stile  der 
Oberkirche  zu  einem  reiferen ,  der  in  den  Fresken  an  der  Vierung 
und  am  Tonnengewölbe  des  Querschiffes  sich  ausgebildet  zeigt  und 


Giotto  und  seine  Schüler,  287 


in  den  auf  diese  folgenden  Gemälden  der  Magdalenenkapelle  endlich 
die  Erhebung  zu  größerer,  die  Paduaner  Zeit  vorbereitenden  Breite, 
Wucht  und  Macht  der  Formensprache.  Bei  dem  Allen  bleibt  Manches 
noch  räthselhaft  und  der  Antheil  der  Schüler  schwer  zu  bestimmen. 
Man  kommt  über  die  Vermuthungen  nicht  hinaus  und  darf,  der  noth- 
wendig   gebotenen  Vorsicht    wegen ,    auch    nur  bei  solchen  bleiben. 

Die  Tribuna  der  Unterkirche  soll  nach  Ghiberti,  dessen 
Angabe  Vasari  folgt,  ein  Schüler  Giotto's:  Stefano  Fiorentino 
mit  einer  allegorischen  Darstellung,  in  deren  Mitte  sich  der  ge- 
kreuzigte Christus  befand,  ausgemalt  haben. ^)  Das  unvollendete 
Fresko  mußte  1623  einem  Jüngsten  Gericht  des  Cavaliere  Sermei 
weichen ,  und  so  sind  wir  für  die  Rekonstruktion  der  Darstellung, 
von  der  später  bei  Besprechung  der  Franziskaner- Allegorieen  aus- 
führlicher die  Rede  sein  wird,  auf  die  bei  Vasari  und  in  der  Alten 
Beschreibung  enthaltenen  Angaben  angewiesen.  In  der  letzteren 
heißt  es:  der  Stil,  namentlich  der  Kopftypen,  habe  Etwas  gehabt, 
was  über  Giotto  hinausgegangen  sei  und  an  einen  Schüler,  etwa 
Puccio  Capanna,  denken  lasse  —  eine  Ansicht,  welche  Rodulphus 
referirt.  Erhalten  dagegen  sind  die  Werke  eines  anderen  Giotto- 
Schülers : 

Die  Fresken  über  der  Kanzel,  welche  von  Vasari ,  wie 
erwähnt  worden  ist,  dem  Giottino  zugeschrieben  werden.  Dar- 
gestellt ist  an  der  hinteren  Wand  der  Nische  die  Krönung  der 
Maria.  Die  Jungfrau  sitzt  in  blauem  Untergewand  und  Mantel  mit 
gekreuzten  Armen  auf  einem  Thron  neben  Christus ,  der  ihr  die 
Krone  aufsetzt.  Links  und  rechts  befinden  sich  Schaaren  von 
Engeln,  die  leider  bis  auf  die  röthlich  blonden  Köpfe  zerstört  sind. 
Mit  Recht  behauptet  der  Aretiner  Künstler-Biograph,  daß  dieselben 
„so  graziös,  von  so  schöner  Empfindung  in  den  Köpfen,  so  süß 
und  zart  sind,  daß  sie,  rechnet  man  die  diesem  Maler  eigene  Ver- 
schmolzenheit  der  Farben  hinzu,  zeigen,  daß  er  allen  Künstlern, 
die  bis  dahin  gelebt,  gleichgekommen  sei".^)    In  der  That  zeichnet 


^)  Vasari  Lemonnier  I,  S.  XX. :  nella  chiesa  d'Asciesi  e  di  sua  mano  cominciata 
una  gloria,  fatta  con  perfetta  e  grandissima  arte,  la  quäle  arebbe,  se  fosse  stata  finita, 
fatto  maravigliere  ogni  gentile  ingegno.  Vasari  (I.  Ausg.)  Florenz  1550.  I,  S.  152.  — 
Vas.  Mil.  I,  450. 

^)  I,  S.  627.  In  Ascesi  ancora  nella  chiesa  di  sotto  di  S.  Francesco,  dipinse 
sopra   il    pergamo    non   vi    essendo    altro    luogo    che    non  fasse  dipinto ,    in  un  arco    a 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


sich  dies  Bild  durch  ein  besonderes  Schönheitsgefühl  und  durch 
eine  eigenartig  weiche  Farbenstimmung  aus.  Es  steht  in  der  Mitte 
zwischen  Giotto's  Fresken  der  Peruzzikapelle  und  Orcagna's  Paradies 
und  hat,  wenn  irgend  ein  sonstiges  Werk,  Anspruch  darauf,  dem 
Meister  der  Silvesterkapelle  in  S.  Croce,  den  Vasari  Giottino  nennt, 
gegeben  zu  werden.  Auch  die  zwei  in  der  Leibung  der  Nische 
befindlichen  Darstellungen  aus  dem  Leben  des  1253  hier  in  Assisi 
von  Innocenz  IV.  kanonisirten  Stanislaus,  den  Vasari  mit  dem 
h.  Nikolaus  verwechselt,  sprechen  durchaus  dafür  und  erinnern 
ihrerseits  in  Typen  und  Farbe  an  das  tiefgestimmte  Bild  der  ,, Be- 
weinung Christi"  in  dem  Korridor  der  Uffizien.  Die  eine  zeigt  den 
graubärtigen  Bischof,  wie  er  umgeben  von  betenden  Männern  vor 
einer  Kirche  einen  nackten  Jüngling  an  beiden  Händen  erfaßt,  der 
aus  einem  Grabe  emporsteigt.  Das  andere  schildert  sein  Martyrium : 
vor  der  Tribüne  einer  Kirche  liegt  er  knieend,  ein  Mann  reißt  ihm 
den  Kopf  ab ,  ein  anderer  links  schwingt  den  abgerissenen  Arm, 
ein  dritter  rechts  ein  Bein,  ein  vierter  neigt  sich  zu  ihm  hinunter. 
Offenbar  von  anderer  Hand,  bei  Weitem  nicht  so  trefflich  ge- 
zeichnet, aber  von  ungemein  lebhafter  Empfindung  beseelt  ist  das 
unter  dem  letzteren  Bilde  befindliche  kleine  Fresko  eines  Christus 
am  Kreuz  zwischen  der  klagenden  Maria  und  Johannes.  Daß  Fea 
es  dem  Giovanni,  dem  Sohne  Taddeo  Gaddi's  gab,  beruht 
wohl  auf  einer  Verwechslung  dieses  Kruzifixes  mit  der  Giotto'schen 
Kreuzigung  im  nördlichen  Querschiff.  Fea  ist  auch  der  erste,  der 
eine  in  einem  Inventar  des  Archivs  befindliche  Notiz  von  einem 
Maler  Fra  Martino  entdeckt  und  auf  diese  Fresken  bezogen  hat. 
Irrthümlicher  Weise  sind  ihm  alle  späteren  Schriftsteller  bis  auf 
Fratini  gefolgt  —  und  so  hat  der  Martinus  eine  Bedeutung  erlangt, 
die ,  wie  ich  glaube ,  ihm  nicht  im  Entferntesten  zukommt.  Die 
Notiz    nämlich ,    die    unten    mitgetheilt    wird  ^) ,    da  auch  Fratini  sie 


coronazione  di  Nostra  Donna  con  molti  Angeli  intomo,  tanto  graziosi  e  con  bell'  arie 
nei  volti,  ed  in  modo  dolci  e  delicati,  che  mostrano  con  la  solita  unione  de'  colori  (11 
che  era  proprio  di  questo  pittore)  lui  avere  tutti  gli  altri  insin'  allora  stati  paragonato ; 
e  intomo  a  questo  arco  fece  alcune  storie  di  S,  Niccolo. 

^)  Inventar   (bez.  337  v.  J.   1338.     Die   folgenden  Notizen  auf  S.  3  hinzugefügt). 

Anno  Domini  MCCCXLVII  die  IX  madii  reassignavit  frater  Martinus  pictor 
fratri  Stephano  sacriste  XVI  uncias  de  azuro  et  duas  libras  et  X  uncias  de  cinabro 
coram  fratre  Michaela  custode  fratre  Johanne  loli  frate  odduto  fratre  Bartholomeo  et 
Johanne  tabae  (?). 

Item   habuit   frater  Martinus   pictor   de  azurro  X  sacristie  pro  pergulo  ubi  predi- 


Giotto  und  seine  Schüler.  289 


nicht  ganz  genau  wiedergiebt,  sagt  mit  größter  Bestimmtheit  und 
Klarheit  aus,  daß  wiederholt  der  Bruder  Martin  im  Jahre  1344  und 
1347  blaue  Farbe  erhält  und  zwar  einmal  zur  Bemalung  der  Kanzel 
in  der  oberen  Kirche.  Hierbei  konnte  es  sich  aber,  da  diese  ja 
mit  Reliefs  geschmückt  ist,  nur  um  eine  ornamentale  dekorative 
Bemalung  handeln,  wie  denn  Reste  einer  solchen  auch  erhalten 
sind.  Es  läßt  sich  noch  jetzt  mit  Sicherheit  sagen,  daß  die  Säulchen 
und  Zierglieder  blau,  das  Blattwerk  golden  waren.  Beschränkt  sich 
hier  also  die  Thätigkeit  des  Martinus  auf  eine  Bemalung  von 
Skulpturen,  so  dürften  auch  die  Malereien,  die  er  im  Refektorium 
des  Klosters  ausgeführt  hat,  nicht  mit  den  Fresken  zu  identifiziren 
sein ,  die  noch  zur  Zeit  des  Padre  Angeli  existirten ,  jetzt  ver- 
schwunden sind.  Sie  stellten  Maria  mit  dem  Kinde  und  mit 
Franz,  umgeben  von  Ordensheiligen  und  seinen  zwölf  Aposteln  dar, 
deren  einer,  jener  Giovanni  di  Capella,  als  Judas  vom  Teufel  an  der 
Gurgel  gepackt  ward.  Ebenso  entbehrt  Fea's  Annahme,  der  Mönch 
habe  die  bereits  früher  besprochene  Kreuzigung  im  nördlichen 
Querschiff  und  die  daselbst  befindliche  von  Simone  Martini  her- 
rührende Madonna  mit  Kind  gemalt,  jeder  Begründung.  Wiederholt 
muß  hervorgehoben  werden,  daß  Vasari  in  Bezug  auf  die  Fresken 
über  der  Kanzel  der  unteren  Kirche  eine  Meinung  geäußert,  die 
durch  stilkritische  Vergleiche  durchaus  gerechtfertigt  wird.  Giottino 
scheint  in  der  That  in  Assisi  thätig  gewesen  zu  sein,  wenn  auch 
außer  diesen  Bildern  sonst  Nichts  mehr  erhalten  ist,  was  auf  seine 
Hand  zurückgeht.^) 

Nachdem  wir  im  Vorhergehenden  die  Thätigkeit  Giotto's  und 
seiner  Schüler,  soweit  sie  noch  heute  in  der  Unterkirche  zu  Assisi 


catur  in  superiori  ecclesia  tres  uncias.  Et  hoc  fuit  de  voluntate  custodis  vicarii  et 
plurium  discretorum. 

Item  anno  Domini  MCCCXLIUI  die  XVII  madii  habuit  frater  Martinus  pictor 
da  azurro  quindecim  uncias.  Et  hoc  de  mandato  et  voluntate  fratris  Thome  vagnoli 
custodis  ipso  presente  et  fratribus  Jacobo  camimiis,  Stephano  dompne  pacis  Jacobo 
Joanis  pro  pictura  refectorii. 

Vergl.  Fea  Descr.  S.  11  und   13.  —  Fratini  S.  165  f. 

^)  Die  von  Vasari  erwähnten  Fresken  in  S.  Chiara  zu  Assisi  und  eine  Madonna 
über  dem  Thore  beim  Dome  sind  nicht  erhalten.  Man  hat  auch  hier  Vasari  falsch 
gelesen  und  seine  Autorität  dafür  geltend  gemacht,  daß  Giottino  die  Gewölbefresken 
über  dem  Chor  in  S.  Chiara  (die  hh.  Jungfrauen)  gemalt  habe,  während  doch  von  einem 
Wunder  der  Heiligen:  der  Erweckung  eines  todten  Knaben,  die  Rede  ist.  Vas.  I,  S.  627. 
Thode,  Franz  von  Assisi.  ig 


290 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


nachzuweisen  ist,  ins  Auge  gefaßt,  wenden  wir,  ehe  wir  die  Ar- 
beiten der  sienesischen  Schule  betrachten,  unsere  Aufmerksamkeit 
noch  kurz  den  Kapellen  zu ,  die  nördlich  an  das  Längsschiff  in 
einer  Flucht  mit  der  Magdalenenkapelle  sich  anschließen.  Da  folgt 
dieser  zunächst  ein  kleinerer  Raum : 

Die  Kapelle  des  heiligen  Valentin  us  (s. Plan S.  191:  D), 
die  nach  der  Alten  Beschreibung  von  den  Grafen  von  Stropeto 
gegründet  wurde.  In  ihr  ist  der  1302  gestorbene  Minister  von 
England,  Hugo  de  Hergilpo,  bestattet.^) 

Die  Kapelle  des  heiligen  Antonius  von  Padua 
(s.  Plan :  E).  Diese  ist  nach  einer  Angabe  des  alten  Registers 
der  Grabmäler,  ebenso  wie  die  Kapelle  des  heiligen  Ludwig  und 
die  des  heiligen  Martin,  vom  Kardinal  Gentile  de  Montefiore  1300 
gebaut  worden.  Die  Alte  Beschreibung  hat  dieselbe  Angabe,  fügt 
aber  hinzu,  daß  sie,  wie  das  (jetzt  nicht  mehr  vorhandene)  Wappen 
beweise,  später  der  Familie  Lelli  angehörte  und  von  dieser  an  die 
Herren  von  Pesaro  und  1474  an  den  Herzog  von  Urbino  über- 
gegangen sei.  Der  Padre  Angeli  behauptet,  ohne  die  Quelle  an- 
zugeben, daß  Giottino  sie  mit  Fresken  geschmückt,  die  dann  aber 
im  Jahre  16 10  von  Sermei  übermalt  worden  seien.  Die  im  feinsten 
Giotto'schen  Stile  gehaltenen  Glasgemälde  stellen  die  Legende  des 
Heiligen  dar. 

Die  Kapelle  des  heiligen  Laurentius  (Plan :  F)  ist 
nach  der  Alten  Beschreibung  von  Francesco  Sforza,  dem  Herzog 
von  Mailand,  oder  von  einem  Bruder  Francesco's,  dem  Bischof  von 
Viterbo  gestiftet  worden,  für  welche  letztere  Behauptung  nach  einer 
Notiz  des  Annotators  das  Missale  Zeugniß  ablege,  welches  der 
Bischof  der  Sakristei  für  diese  Kapelle  gegeben.  Dies  ist  zeitlich 
nicht  denkbar.  Es  könnte  sich  höchstens  um  irgend  eine  Dotation 
handeln.  Die  Fresken :  Reste  eines  ,, Christus  in  Gethsemane"  und 
des  ,,  Martyriums  des  S.  Lorenzo",  sehr  roh  und  ungeschickt, 
stammen  vielleicht  von  derselben  Hand ,  wie  die  weiter  unten  zu 
besprechenden  Wandbilder  der  Katharinenkapelle. 

Die  Kapelle  des  heiligen  Ludwig  (jetzt  Stephanus). 
(Plan:  G.)      Nach   übereinstimmendem   Zeugniß    der  alten  Quellen, 


^)  Grabplatte:  f  hie  jacet  frater  Hugo  de  Hergilpo  anglicus  magister  in  sacra 
theologia  quondam  minister  Anglie  qui  obüt  III  idus  Septembris  anno  dni  MCCC 
secundo  orate  pro  anima  ejus. 


Die  Sienesen. 


291 


sowie  nach  dem  Wappen  der  Glasfenster  ist  sie  von  dem  Kardinal 
Gentile  wenn  nicht  erbaut,  so  doch  ausgeschmückt  worden.  Zweifel- 
haft bleibt  es,  wann  sie  zuerst  geweiht  worden,  da  der  Bischof  Ludwig 
erst  13 17  kanonisirt  wurde.  Daß  der  Stifter,  dessen  Leichnam  13 12 
von  Lucca  hierher  überführt  wurde,  hier  bestattet  liegt,  sagt  schon 
das  alte  Register  der  Grabdenkmäler.^)  Im  Jahre  1573  (Vertrag 
vom  12.  Mai)  erhielt  Dono  dei  Doni,  Maler  in  Assisi,  von  der 
Genossenschaft  von  S.  Stefano  den  Auftrag,  sie  mit  Fresken  aus 
dem  Leben  des  Stephanus  zu  schmücken.^)  Es  ist  bekannt,  daß 
durch  lange  Zeit  seit  Padre  Angeli's  unbegründeter  Behauptung 
die  Ansicht  geherrscht  hat,  jener  räthselhafte  Andrea  von  Assisi, 
,ringegno',  habe  die  Sibyllen  an  der  Wölbung  gemalt,  bis  Rumohr, 
der  irrthümlicher  Weise  Lanzi  dafür  verantwortlich  machte ,  die 
Angaben  als  ganz  willkürliche  Phantasieen  nachwies.^)  Die  Glas- 
fenster, die  nach  Fea's  unerwicsener  Behauptung  von  Angioletto 
da  Gubbio  sein  sollen,  sind  dem  Style  nach  in  der  zweiten  Hälfte 
des  XIV.  Jahrhunderts  ausgeführt.  —  Früher  befand  sich  hier  auch 
ein  Altarbild  des  Niccolö  Alunno,  welches  (nach  der  Alten  Be- 
schreibung) Christus,  umgeben  von  Maria,  Franz,  Chiara,  Sebastian, 
Victorinus,  Rufinus  und  Rochus  zeigte,  ganz  zerstört,  aber  schon 
zu  Papini's  Zeiten  beseitigt  war.  Später  kam  an  dessen  Stelle  das 
jetzt  in  der  Kapelle  S.  Giovanni  aufgehängte  Bild  des  Spagna 
vom  Jahre  15 16:  Maria  mit  Kind  zwischen  Katharina,  Franz,  einer 
weiblichen  Heiligen  links,  König  Ludwig,  Chiara  und  Antonius 
von  Padua  rechts.*) 

5.   Die  Sienesen. 

Die  Kapelle  des  heiligen  Martin  (Plan:  H),  die  gleichfalls 
vom  Kardinal  Gentile  da  Montefiore  gestiftet  wurde,  ist  mit  Fresken 
geschmückt,  welche  nach  Vasari  (I,  S.  404)  von  Puccio  Capanna, 
nach  anderen  älteren  Schriftstellern  von  Giotto  oder  Buffalmacco 
ausgeführt  wurden,  seit  Fea  aber  mit  Recht  dem  Simone  Martini 
zugeschrieben    werden.      Es   ist   eine  merkwürdige  Thatsache,    daß 


^)  Vgl.  über  Gentile:  Ciacconius  a.  a.  O.  II,  S.  328.  —  Eggs  a.  a.  O.  I,  S.  259.  — 
Cardella  II,  S.  56. 

*)  Der  Vertrag  bei  Fratini  S.  312. 
*)  Ital.  Forschungen  III,  324 — 330. 
■*)  Phot.  Carloforti. 

19* 


292 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


nicht  allein  der  vornehmste  Begründer  der  Florentiner  Kunst  in 
Assisi  thätig  gewesen  ist,  sondern  auch  sein  Zeitgenosse,  der  große 
Sienese  Simone.  Ueber  den  Zeitpunkt  von  des  Letzteren  Aufenthalt 
in  Assisi  ist  Nichts  bekannt,  nur  läßt  sich  aus  der  Darstellung  des 
heiligen  Ludwig,  des  Bischofs,  schließen,  daß  er  nach  13 17,  dem 
Jahre  von  dessen  Kanonisation ,  stattfand.^)  Offenbar  also  hatte 
Gentile  testamentarisch  ein  Legat  zu  Gunsten  der  Kirche  in  Assisi 
bestimmt."^)  Die  ausführlichen  Besehreibungen  der  Fresken  bei  Crowe 
und  Cavalcaselle,  Dobbert  und  Agnes  Gosche  überheben  uns  einer 
genaueren  Schilderung.  ^)  In  zehn  Bildern  wird  das  Leben  des 
heiligen  Martin  erzählt. 

1 .  Martin ,  auf  einem  großen ,  etwas  ungeschickt  bewegten 
Schimmel  reitend,  theilt  seinen  Mantel  mit  einem  Bettler,  der 
aus  einem  Stadtthor  ihm  folgt. 

2.  Christus,  mit  dem  Mantel  angethan,  erscheint  von  Engeln 
umgeben  dem  schlafenden  Jüngling. 

3.  Martin  wird  zum  Ritter  geschlagen.  Der  Kaiser  umgürtet 
ihn  mit  dem  Schwerte,  ein  Knappe  legt  ihm  den  Sporn  an. 
Gefolge  und  Musikanten  wohnen  der  Szene  bei. 

4.  Martin  weist  die  ihm  vom  Kaiser  Julian  angebotenen  Ge- 
schenke zurück,  im  Vertrauen  auf  das  Kreuz,  das  er  in  der 
Linken  hält. 


^)  Noch  1355  wird  in  der  Kapelle  gearbeitet.  Im  Ausgabenbuch  befindet  sich 
eine  Notiz:  1355.  24.  Nov.  erhalten  puciarellus  gangloli  und  stephanus  Geld  „pro 
duobus  diebus ,  quibus  juvaverunt  ad  laborandum  in  Capella  sei  Martini",  Die  beiden 
Männer  sind  sonst  als  Maurer  am  Bau  der  Infermeria  thätig  (Notiz  vom  13.  Mai  1355 
ebendas.).     Offenbar  handelt  es  sich  um  Reparaturen. 

^)  Agnes  Gosche  in  ihrer  Schrift  über  Simone  Martini  (Leipzig  1899)  hat  neuer- 
dings die  Vermuthung  aufgestellt,  daß  Gentile  nur  die  Kapelle  selbst  gestiftet  habe,  die 
Malereien  aber  im  Auftrage  des  den  Franziskanern  freundlich  gesinnten  König  Robert 
von  Neapel ,  des  Bruders  des  Bischofs  Ludwig ,  ausgeführt  worden  seien.  Die  von  ihr 
geltend  gemachten  Argumente  sind  nicht  stichhaltig  der  entscheidenden  Thatsache  gegen- 
über, daß  Kardinal  Gentile  als  Stifter  auf  dem  einen  Bilde  dargestellt  ist  und  auch 
sein  "Wappen  unter  den  Malereien  sich  befindet.  —  Als  Entstehungszeit  wären,  wie  sie 
nachweist,  die  Jahre  1318 — 20  oder  1322 — 25/26  oder  1333 — 39  denkbar.  Wenn  sie 
sich  für  den  letzten  Termin  entscheidet,  so  dürfte  hiergegen  die  Erwägung,  daß  es  sich 
eben  um  ein  Legat  des  schon  13 12  gestorbenen  Gentile  handelte,  bedenklich  machen. 
Die  Frage  ist  noch  nicht  zu  beantworten. 

3)  C.  u.  C.  D.  A.  II,  243.  —  Dobbert,  K.  u.  K.  III.  B.  S.  31.  A.  Gosche  a.  a.  O. 
Man  vergleiche  auch  die  von  Carloforti  und  von  Alinari  gefertigten  Photographieen. 


Die  Sienesen. 


293 


5.  Die  Auferweckung  eines  Verstorbenen. 

6.  Den  in  Verzückung  versunkenen  Bischof  Martin  mahnt  ein 
Archipresbyter  an  das  Abhalten  der  Messe. 

7.  Der  Kaiser  Valentinian  verehrt  knieend  den  ihn  segnenden 
Martin  in  einer  Halle. 

8.  Dem  die  Messe  zelebrirenden  Heiligen  schmücken  Engel  die 
nackten  Arme  mit  Edelsteinen.  Ueber  ihm  schwebt  eine  feurige 
Kugel. 

9.  Der  Tod  des  Heiligen.  Zwei  Diakone  knieen  bei  dem  am 
Boden  Liegenden.  Ein  Geistlicher,  umgeben  von  Volk,  liest 
die  Sterbegebete.    Oben  tragen  Engel  die  Seele  zum  Himmel. 

10.  Die  Exequien,  die  in  Gegenwart  einer  heiligen  Frau,  singender 
Kleriker  und  Laien  ein  heiliger  Bischof  in  einer  gothischen 
Kirche  feiert. 

11.  An  der  Eingangswand:  unter  einem  gothischen  Baldachin 
reicht  der  heilige  Martin  dem  knieenden  bartlosen  Kardinal 
die  Hand. 

In  der  Leibung  des  Eingangsbogens  acht  Heilige: 

12.  König  Ludwig  und  Ludwig  der  Bischof 

13.  Die  heilige  Chiara  und  Elisabeth  (?). 

14.  Antonius  von  Padua  und  Franz. 

15.  Magdalena  und  Katharina. 

Außerdem  Brustbilder  von  Heiligen  in  den  Fensterleibungen. 

Eine  Fülle  von  schönen  Einzelzügen,  Anmuth  und  Zierlichkeit 
der  Bewegung,  eine  ungemein  zarte  Empfindung,  ein  ausgesprochener 
Sinn  für  weiche  Linienführung,  realistische  Momente  und  die  Ver- 
herrlichung vornehmer  höfischer  Sitte  zeichnen  diese  Wandbilder 
aus.  Vielleicht  nirgends  kann  man  den  Unterschied  zwischen  dem 
männlichen,  dramatisch  bewegten  Genius  Giotto's  und  dem  weib- 
lichen lyrischen  Element  der  Martini'schen  Kunst  schlagender 
erfassen ,  als  hier  in  Assisi.  Besonders  lehrreich  aber  ist  es  zu 
sehen ,  wie  Simone  gleichwohl  von  Giotto  lernt ,  wie  er  Dessen 
konzentrirte ,  geschlossene  Kompositionen  nachzubilden  versucht, 
wie  er  sich  Dessen  Art,  die  Vorgänge  in  schöne  gothische  Archi- 
tekturen zu  verlegen,  zu  eigen  macht,  wie  er  selbst  für  einzelne 
Bewegungen  Vorbilder  in  den  Darstellungen  der  Franzlegende  findet. 

Schon  Vasari  hat  aber  dem  Simone  auch  jene  wenigen  Halb- 
figuren   im   nördlichen   Querschiffe,    die   sich   unter   dem 


294 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


Wunder  des  Franz  befinden,  zuertheilt.^)  Es  sind  die  Heiligen 
Franz,  König  Ludwig,  Elisabeth,  Chiara,  Antonius,  ferner  Maria 
mit  Kind  und  zwei  Frauen,  besonders  zarte,  empfindungsvolle  Ge- 
stalten mit  langen  schmalen  Köpfen.  Daß  sie  theilweise,  wie  Vasari 
will,  von  Lippo  Memmi  vollendet  seien,  ist  nicht  wahrscheinlich, 
da  sie  durchaus  gleichartig  im  Style  gehalten.  Hiergegen  könnte 
Lippo  die  Halbfiguren  der  fünf  betenden  Mönche  gemacht  haben, 
die  unter  der  Madonna  Cimabue's  sichtbar  sind.  Von  den  „storiette" 
und  dem  ,,crocifisso  fatto  a  guisa  d'albero  di  croce"  im  Refektorium 
ist  Nichts  mehr  vorhanden.-) 

Ausgesprochen  sienesische  Eigenthümlichkeiten  zeigen  auch  die 
Fresken  im  südlichen  Querschiff,  welche  die  Leidens- 
geschichte Christi  darstellen.  Die  alten,  ziemlich  eingehenden 
Angaben  Vasari's ,  nach  denen  die  Passionsszenen  von  Puccio  Ca- 
panna,  die  große  Kreuzigung  von  Pietro  Cavallini  und  die  Stig- 
matisation des  Franz  von  Giotto  sind ,  haben  sich  bis  auf  Crowe 
und  Cavalcaselle  erhalten.^)  Erst  diese  hervorragenden  Forscher 
wiesen  solch'  irrthümliche  Auffassung  zurück  und  betonten  mit 
Recht,  daß  nur  eine  Hand  hier  beschäftigt  gewesen  und  zwar  die 
eines  Sienesen :  Pietro  Lorenzetti's.  Ihrer  Ansicht  schloß  sich 
Dobbert  an.  Nun  kann  es  in  der  That  keine  Frage  sein,  daß  der 
Styl  der  Malereien  lebhaft  an  den  des  Lorenzetti  erinnert,  doch 
scheint  es  mir  zu  weit  gegangen,  sie  Pietro  selbst  zuschreiben  zu 
wollen.  Nach  meinem  Dafürhalten  sind  sie  nur  die  Arbeit  eines 
Diesem  sehr  nahe  stehenden  Schülers,  der  nicht  ganz  auf  der  Höhe 
seines  Meisters  sich  befindet,  aber  dessen  Manier  durchweg  sich 
angeeignet  hat.  So  lebendig  die  figurenreichen  Darstellungen  kom- 
ponirt,  mit  so  interessanten  besonders  bemerkenswerthen  realisti- 
schen, genrehaften  Zügen  sie  ausgestattet  sind,  so  eindrucksvolle 
gewaltsame  und  phantastische  Typen  und  Motive  sie  enthalten, 
so  macht  sich  doch  in  den  Gestalten  ein  Mangel  an  original  künst- 
lerischer Formenkraft,  eine  etwas  gesuchte,  übertriebene  Empfindung 
geltend.  Die  Typen  sind  die  Typen  Pietro's,  aber  manierirt,  mit 
charakteristisch  klobig  an  der  Spitze  verdickten  Nasen.  Es  fehlt 
überall  an  der  Sorgfalt,  der  Präzision,  welche  dem  großen  Künstler 


')  I,  S.  557. 

2)  Vas.  I,  S.  558. 

3)  Vas.  I,  S.  403.  379.   540- 


Die  Sienesen. 


295 


eigen  sind.     Nichtsdestoweniger  bieten  die  Fresken,  was  die  Kom- 
positionen anbetriiTt,  ein  hervorragendes  Interesse.    Sie  beginnen  mit 

1.  Christi  Einzug  in  Jerusalem.  Gefolgt  von  den  aus  der  Tiefe 
heranschreitenden,  paarweise  angeordneten  Aposteln,  reitet 
Christus  segnend  dem  Thor  der  Stadt  entgegen,  aus  dem 
eine  dichte  Menge  von  Männern  hervorquillt.  Kinder  breiten  in 
lebhaften  Bewegungen  Gewänder  unter  der  sehr  lebendig  auf- 
gefaßten Eselin ,  neben  der  ihr  Füllen  schreitet ,  aus ,  andere 
pflücken  im  Hintergrunde  Zweige  von  einem  Baume.  Der 
Gegensatz  zwischen  der  feierlichen  Gestalt  des  Erlösers  und  der 
aufgeregten,  drastisch  geschilderten  Menge  ist  sehr  wirkungs- 
voll ,  der  Fanatismus  der  langbärtigen  Pharisäer  von  unheim- 
licher Großartigkeit. 

2.  Das  Abendmahl.  In  einer  mit  antiken  Putten  geschmückten 
Architektur  sitzen  um  einen  Tisch  herum ,  zum  Theil  von 
hinten  gesehen  die  Apostel,  unter  ihnen  lauernd  verborgen 
Judas,  der  auf  den  ihm  vom  hinten  befindlichen  Christus  über 
den  Tisch  gereichten  Bissen  hinstiert.  Links  eine  merkwürdige 
Genreszene,  in  welcher  der  erfindungsreiche  und  auf  die  Wirk- 
lichkeit gerichtete  Geist  des  Künstlers  sich  besonders  deutlich 
offenbart :  ein  Diener ,  der ,  in  Gesellschaft  von  Katze  und 
Hund,  mit  dem  Reinigen  der  Teller  beschäftigt  ist,  wird  von 
einem  Anderen  von  dem  Vorgang  im  Saale  unterrichtet. 

3.  Die  Fuß  Waschung.  Christus  wäscht  Petrus,  der  an  seinen 
Kopf  mit  der  Hand  fährt,  die  Füße.  Die  anderen  Apostel 
schauen ,  in  zum  Theil  nachlässigen ,  sehr  gut  beobachteten 
natürlichen  Stellungen  zu,  einer  löst  sich  die  Sandale. 

4.  Die  Gefangennahme.  Die  Krieger  drängen  sich  von  links 
durch  eine  Gartenpforte  kommend,  um  Christus,  dem  sich 
Judas  mit  unheimlicher  Geberde  naht.  Die  Jünger  verschwinden, 
sich  flüchtend,  hinter  einen  Hügel,  nur  Petrus  ist  geblieben 
und  dringt  auf  Malchus  ein. 

5.  Judas'  Selbstmord.  Der  Verräther,  dem  die  Eingeweide  heraus- 
quellen, hängt  an  einem  Balken. 

6.  Die  Geißelung.  In  Gegenwart  des  antik  gedachten,  zwischen 
zwei  Kriegern  thronenden  Pilatus,  wird  Christus  von  zwei 
Schergen  mit  Ruthen  gestrichen.  Aus  dem  Fenster  eines 
Palastes  schaut  eine  Frau  mit  einem  Knaben,  der  auf  der 
Balustrade    einen   Affen    laufen    läßt.     Wieder    ein   lebendiges 


296  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

kleines  Genrebild,  auch  hier  wieder  auf  der  Architektur  nackte 
Putten. 

7.  Die  Kreuztragung.  Christus,  gefolgt  von  den  Frauen  und 
Reitern,  ist  aus  dem  Stadtthore  hervorgeschritten.  Vor  ihm 
werden  die  zwei  Schacher  nach  Golgatha  geführt.  Befehlende, 
lebhaft  bewegte  Reiter  bilden  die  Spitze  des  Zuges. 

8.  Die  Kreuzigung.  Eine  sehr  figurenreiche  Komposition  mit 
zahlreichen  Reitern  und  Fußsoldaten.  Christus  am  Kreuz  von 
klagenden  Engeln  umflattert.  Das  Fresko  ist  in  seinen  mitt- 
leren Theilen    durch    einen    später   eingebauten  Altar  zerstört. 

9.  Christus  im  Limbus.  Mit  mächtiger  Bewegung  schreitet  er 
über  die  zu  Boden  gesunkene  affenartige  Gestalt  des  Teufels 
mit  Federmausflügeln  hinweg  und  reicht  einem  von  Anderen 
gefolgten  Patriarchen  mit  phantastischem  reichem  Haar-  und 
Bartschmuck  die  rettende  Hand. 

10.  Die  Kreuzabnahme.  Nikodemus,  Johannes  und  die  Frauen 
fangen  den  eben  vom  Kreuze  gelassenen  Leichnam  mit  schmerz- 
licher Bewegtheit  in  ihren  Armen  auf  Joseph  löst  eben  den 
Nagel  aus  den  Füßen,  welche  Magdalena  küßt. 

1 1 .  Die  Grablegung,  Die  Freunde  lassen  unter  Bezeugungen  von 
Schmerz  und  Zärtlichkeit  den  Leichnam  in  den  Sarkophag 
hinab. 

12.  Die  Auferstehung.  Von  zwei  Engelphalangen  verehrt  steigt 
Christus  aus  dem  Sarkophage,  vor  dem  tief  in  Schlummer 
versenkt  —  wiederum  in  vorzüglich  der  Natur  abgelauschten 
Stellungen  —  die  Krieger  schlafen. 

Außerdem  sind  noch  folgende  Darstellungen  zu  sehen : 

13.  Die  Stigmatisation.  Vor  einem  Felsen  empfangt,  erschreckten 
Blickes,  knieend  Franz  die  Wundenmale  von  dem  schwebenden 
Christus.  Auf  einem  Felsblock  der  Falke.  Rechts  vor  der 
Kapelle  der  Bruder  in  Lesen  vertieft. 

14.  Madonna  mit  Franz  und  Johannes  (unten  die  Kreuzigung), 
darüber  Christus  am  Kreuz  und  das  Bildniß  des  Stifters,  eines 
bartlosen  Bürgers  von  etwa  40  Jahren,  neben  dem  das  Wappen 
(springender  Löwe  in  Gold  auf  weißem  Felde). 

15.  Die  Brustbilder  von  vier  Heiligen  unterhalb  der  Kreuzabnahme. 
Von  derselben  Hand   endlich   ist  auch  das   in  der  Kapelle  des 

heiligen   Johannes    befindliche    Tafelbild,    welches    Maria   mit   dem 


Sonstige  Werke  der  Plastik  und  Malerei.  297 

Kinde  zwischen  Johannes  dem  Täufer  und  Franz  darstellt.  —  Vasari 
hat  darauf  hingewiesen,  daß  das  erwähnte  Wappen  jenes  des  Walter, 
Herzogs  von  Athen,  sei,  was  spätere  Schriftsteller  veranlaßte.  Diesen 
selbst  in  dem  links  auf  der  Kreuzigung  befindlichen  heiligen  Ritter 
zu  Pferde  zu  sehen,  aber  diese  Vermuthung,  die  Vasari  selbst  mit 
aller  Vorsicht  als  solche  hinstellt,  entbehrt  jeder  Begründung.  Wer 
der  Stifter  gewesen,  in  welchem  Jahr  die  Fresken  ausgeführt  worden 
sind,  bleibt  unbekannt. 

6.    Sonstige  Werke  der  Plastik  und  Malerei. 

Neben  den  Malereien,  welche  das  XIV.  Jahrhundert  in  S.  Fran- 
cesco entstehen  sieht,  sind  auch  einige  Werke  der  Skulptur  zu 
nennen.  Das  Grabmal  des  Giovanni  Gaetano  Orsini  ist  bereits 
(S.  275)  erwähnt  worden.  Einer  etwas  älteren  Zeit,  etwa  um  1300, 
scheint  jenes  größere  Denkmal  anzugehören,  das  als  Grabmal  der 
Königin  von  Cypern  gilt.^)  Es  befindet  sich  im  östlichen 
Querschiffe  (Abb.  43).  Auf  einem  durch  sieben,  ein  antikisirendes 
Gesims  tragende  Pilaster  gegliederten  Unterbau  liegt  unter  einem 
hohen,  im  Kleeblattbogen  geschlossenen  Giebel  ausgestreckt  die 
Figur  des  Verstorbenen ,  vor  welcher  zwei  sehr  übertrieben ,  ja 
manierirt  lebhaft  bewegte  Engel  den  Vorhang  wegziehen.  Ueber  ihr 
ist  links  ein  Löwe  angebracht,  oberhalb  dessen  eine  weibliche  Figur 
mit  übergeschlagenen  Beinen  sitzt,  rechts  etwas  höher  eine  Maria 
mit  dem  Kind.  Es  ist  bekannt,  daß  Vasari  dies  Werk  seinem 
Fuccio  zuschreibt.  Offenbar  folgte  er  zugleich  der  in  Assisi 
herrschenden  Tradition,  wenn  er  es  das  Grabmal  einer  Königin 
von  Cypern  nennt,  wie  es  als  solches  auch  schon  in  dem  Registro 
delle  sepolture,  also  1 509  angeführt  wird.  Auf  jeden  Fall  darf  man 
es  schwerlich  früher  als  um  das  Ende  des  XIII.  Jahrhunderts  ansetzen, 
da  es  den  Einfluß  der  Pisani,  des  Niccolö  sicher,  wenn  nicht  sogar 
schon  den  des  Giovanni  zeigt.  Es  ist  eine  ziemlich  derbe,  un- 
gelenke Arbeit  irgend  eines  lokalen  Künstlers  zweiten  oder  dritten 
Ranges.  Was  die  daselbst  begrabene  Persönlichkeit  betrifft,  so 
scheint  Papini's  Annahme,  daß  es  der  König  von  Jerusalem,  Johann 
von  Brienne  sei,  die  größte  Wahrscheinlichkeit  für  sich  zu  haben.  2) 
Papini  stützt  sich  nämlich  einerseits  auf  das  Zeugniß  des  Bartholo- 


1)  Phot.  Alinari. 

*)  Notizie  sicure.     S.  329. 


298  Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

maeus  Pisanus  in  den  Conformitates  (fructus  8) ,  andrerseits  auf 
das  Wappen,  welches  in  jedem  der  vier  durch  ein  Kreuz  gebildeten 
Felder  ein  von  vier  Kreuzen  umgebenes  Rad  mit  eingezeichnetem 
Kreuze  zeigt.  Johann  von  Brienne,  der  selbst  die  Franziskanerkutte 
trug,  ist  1237  ii^  Konstantinopel  gestorben;  wann  sein  Leichnam 
herübergebracht  wurde,  ist  unbekannt.  Vielleicht  geschah  dies  auf 
Veranlassung  seiner  Tochter  Maria,  Fürstin  von  Antiochien,  die 
bald  in  Ptolemais,  bald  in  Cypern,  endlich  seit  1268  in  Italien  lebte 
und  hier  ihre  Rechte  auf  das  Königreich  Jerusalem  an  Karl  von 
Anjou  abtrat.  Möglich,  daß  daraus  die  Legende  entstanden  ist, 
eine  Königin  von  Cypern  sei  hier  begraben,  als  deren  Geschenk 
man  auch  die  unweit  des  Eingangs  aufgestellte  große  Vase  be- 
trachtete, die  sie,  mit  Gold  gefüllt,  der  Kirche  des  heiligen  Franz 
gespendet  habe. 

Etwas  später  als  dies  Denkmal  ist  das  ähnliche,  aber  reichere 
daneben  befindliche  Grabmal  des  Niccolö  Specchi,  das 
keine  Figuren,  sondern  nur  einen  krabbenbesetzten  Giebel  auf 
gewundenen  Säulen  zeigt,  die  auf  einem  mit  vielen  Säulchen  ge- 
schmückten Unterbau  stehen.^) 

Näher  läßt  sich  die  Entstehungszeit  der  Kanzel  in  der 
oberen  Kirche  bestimmen,  die,  wie  wir  gesehen  haben,  bereits 
1347  so  weit  fertig  war,  daß  sie  vom  Bruder  Martinus  bemalt 
werden  konnte.  Sie  ist  fünfseitig,  durch  gewundene  Säulchen,  die 
ein  reich  antikisirendes  Gesims  tragen ,  gegliedert ,  an  drei  Seiten 
mit  den  Relieffiguren  der  Heiligen  Franz,  Ludwig  und  Antonius 
geschmückt ,  und  ruht  auf  einer  mit  Akanthusblättern  besetzten 
Konsole.  *)  Diese  Arbeit  nun  zeigt  in  allen  Details  eine  große 
Uebereinstimmung  mit  den  Resten  jener  Kanzel,  die  an  einer  Ecke 
des  Marktplatzes  von  Assisi  erhalten  ist.  Diese  letztere  aber  ist 
nach  der  in  einem  Ausgabenbuch  erhaltenen  Notiz  von  einem 
Nicolaus    da    Batteno    gemacht   worden.^)      So  scheint  es  mir 


^)  Das  Wappen  zeigt  drei  Ringe.  Papini  sagt,  es  bleibe  zweifelhaft,  ob  etwa 
hier  die  Königin  selbst  begraben  liege,  oder  ob  es  das  für  den  in  Perugia  bestatteten 
Martin  IV  (f  1285)  bestimmte  Denkmal  sei.  Andere  behaupten,  ein  Niccolo  Specchi 
ruhe  darin.     Phot.  Alinari. 

2)  Phot.  Alinari. 

^)  Ausgabenbuch,  bez.  L.  (1352 — 1364):  Item  die  XXI  dicti  mensis  magistro 
nicolao  de  bictonio  pro  opere  pulpiti  platee  communis  ass.  im  flor.  etc.  Vergl.  auch 
Fratini  S.  188,  wo  er  irrthümlich  Crispolto  da  Bettona  genannt  wird. 


Sonstige  Werke  der  Plastik  und  Malerei.  299 

sehr  wahrscheinlich,  daß  Dieser  auch  der  Verfertiger  der  Kanzel 
in  der  Oberkirche  ist. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  und  später  er- 
hielten zwei  Kapellenanbauten  der  Unterkirche  malerischen  Schmuck. 
Die  ältere  und  größere  ist 

Die  Kapelle  der  heiligen  Katharina  oder  del  Croce- 
fisso  an  dem  östlichen  Querschiffe  (Plan:  J),  die  vom  Kardinal 
Egidius  Albornoz,  eben  jenem  Wohlthäter  der  Kirche,  welcher, 
wie  wir  gesehen  haben,  1353  die  neue  Infermeria  errichtete,  gebaut 
sein  soll.  Hier  ward  er  1367  bestattet.^)  Gegenüber  den  Be- 
hauptungen der  älteren  Schriftsteller  neige  ich,  wie  bereits  oben 
bei  Beschreibung  der  Architektur  bemerkt  wurde,  zu  der  Annahme, 
daß  auch  diese  Kapelle  zu  gleicher  Zeit  wie  die  bereits  besprochenen 
entstanden  ist,  und  daß  der  Kardinal  sie  nur  ausgeschmückt  hat. 
Solche  Vermuthung,  die  sich  im  Wesentlichen  auf  die  Gleichartigkeit 
der  Architektur  und  Anlage  stützt,  wird  durch  die  Glasfenster  be- 
stärkt, die  offenbar  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts 
entstanden  und  alterthümlicher  im  Stile,  als  die  in  den  Kapellen 
des  heiligen  Antonius  und  Ludwig,  sind.  Woher  Fea  die  Nachricht 
nimmt,  sie  seien  von  Bonino  von  Assisi  mit  seinen  Schülern 
Angeletto  und  Pietro  di  Gubbio  gefertigt,  weiß  ich  nicht.*) 
Sind  die  Glasfenster  aber  früher  als  1354,  so  sind  die  Fresken 
offenbar  viel  später,  nämlich  aus  dem  ersten  Drittel  des  XV.  Jahr- 
hunderts. Sie  sind  Arbeiten  eines  herzlich  schwachen  umbrischen 
Künstlers,  der  vielfach  Anklänge  an  die  Werke  des  Ottaviano  Nelli 
bringt,  ohne  doch  nur  entfernt  auf  Dessen  Höhe  zu  stehen.  Es 
begegnen  in  seinen  Bildern  sehr  derbe  Typen  neben  überzierlichen 
empfindsamen  Frauenköpfen,  die  Bewegungen  sind  ungeschickt,  die 
Behandlung  ist  roh.  Papini  meinte  in  dem  Meister  den  Pace  da 
Faenza  erkennen  zu  dürfen ,  der  in  dem  bereits  öfter  erwähnten 
Ausgabenbuche  am  21.  Dezember  1354  erwähnt  wird,  doch  kann 
von  Pace  ebensowenig  die  Rede  sein,  wie  von  Buffalmacco,  welchen 
Vasari  die  Kapelle  Katharina  ausmalen  läßt.**)  Nur  des  ikono- 
graphischen  Interesses  wegen ,  welches  die  Bilder  haben ,  seien  sie 
kurz  im  Folgenden  beschrieben. 


^)  Registro  delle  sepolture.  —  Alte  Beschreibung. 
*)  Descrizione  S.  11. 

^)  I,    S.  507    u.  517.      Vergl.    auch    Crowe   u.    Cavalcaselle.      It.  A.    II,    75    und 
D.  A.  I,  S.  323.     Sie  setzen  die  Malereien  zu  früh  in  das  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts. 


300 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


Rechte  Wand: 

1.  Katharina  vor  Maxentius.  Sie  steht  gen  Himmel  weisend  vor 
dem  von  Trabanten  umgebenen,  auf  dem  Throne  sitzenden 
Kaiser.  Vor  ihr  sitzen  Leute  am  Boden.  Rechts  tanzen  Jüng- 
Hnge  und  Mädchen  zum  Klange  der  Mandolinen  einen  Reigen, 
wobei  die  Vordersten,  eben  auf  Katharina  aufmerksam  ge- 
worden, inne  zu  halten  scheinen. 

2.  Katharina,  die  Krone  auf  dem  Haupte,  kniet  vor  einem  Altar 
und  küßt  ein  Marienbild ,  das  ihr  ein  Mann  in  grauer  Kutte 
hinreicht.  Rechts  sinkt  sie,  vor  dem  Altar  knieend,  ohnmächtig 
zurück,  während  Maria  mit  dem  Kinde  ihr  erscheint  und  dieses 
ihr  den  Ring  an  den  Finger  steckt. 

Linke  Wand : 

3.  Neben  dem  rechts  thronenden  Kaiser  steht  Katharina,  nach 
oben  weisend ,  mit  mehreren  links  sitzenden  Philosophen ,  die 
sinnend  zuhören,  disputirend. 

4.  In  der  Mitte  befinden  sich  die  Philosophen  im  Feuer.  Rechts 
zuschauende  Leute.  Links  Männer,  die  mit  einem  Knaben,  der 
einen  Zettel  hält,  beschäftigt  sind. 

Leibung  des  Eingangsbogens. 

5.  Links  kniet  die  Heilige,  von  Schergen  am  Rücken  gepackt,  dem 
Rade  zugewandt,  das  von  zwei  Engeln  mit  Schwertern  zerstört 
wird.  Die  Henkersknechte  entfliehen.  Aus  einem  Fenster  schaut 
der  Kaiser  zu. 

6.  Vor  einem  Gebäude  mit  Renaissancehalle ,  aus  welcher  der 
Kaiser  befehlend  herausschaut,  hat  soeben  ein  Henker  der 
betend  am  Boden  liegenden  Katharina  den  Kopf  abgeschlagen 
und  steckt  das  Schwert  in  die  Scheide,  darüber  lassen  schwe- 
bende Engel  den  Leichnam  der  Heiligen  in  ein  Grab  nieder, 
das  sich  auf  einem  Berge  befindet.  ^) 

7.  In  einem  Gefängniß  rechts  kniet  Faustina,  die  Gemahlin  des 
Maxentius  vor  der  Heiligen.  Links  draußen  wartet  ihr  Gefolge 
mit  den  Pferden. 

8.  Ein  Henker  schlägt  der  in  einer  Landschaft  knieenden  Faustina 
in  Gegenwart  von  zuschauenden  Leuten  den  Kopf  ab.  Darüber 
sieht  man,  wie  auf  Befehl  des  rechts  in  das  Schlafgemach  ein- 
tretenden Kaisers   der  Fürstin    die  Brust   mit    einer  Zange   ab- 


1)  Phot.  Alinarl. 


Sonstige  Werke  der  Plastik  und  Malerei.  ^oi 

geknififen    wird,     während    ein    andrer    Scherge    sie    an    den 
Haaren  zieht.  ^) 
9.  Drei  HeiHge :    der  Bischof  Ludwig ,    Eugenius   und    ein   dritter 

Bischof. 
10.  Vor  dem  Papste  Clemens  kniet  der  Stifter,   ein  alter  Mann  in 
Kardinalstracht.     Links  ein  Bischof.     Rechts  Franz. 

In  den  Fensterleibungen:  Brustbilder  von  den  vier  Evangelisten, 
den  Kirchenvätern,  Propheten  und  Aposteln. 

Verwandt  im  Stile  und  ungefähr  aus  derselben  Zeit  wie  diese 
Fresken  ist  ein  Wandbild  im  südlichen  vorderen  Quer- 
schiffe unweit  des  Portals.  Es  stellt  Maria  auf  einem  mit  Sta- 
tuetten der  Tugenden  geschmückten  Throne  dar,  in  der  Linken 
eine  Lilie,  mit  der  Rechten  das  einen  Stieglitz  haltende  stehende 
Kind  fassend.  Links  steht  Antonius  Eremita  und  Franz,  rechts  ein 
Bischof.  Auch  der  Meister  dieser  Darstellung  ist  dem  Ottaviano 
Nelli  verwandt ,  wie  man  denn  vielfach  Nelli  selbst  als  Verfertiger 
genannt  hat.  Fea  dagegen  weiß  —  offenbar  auf  eine  jetzt  nicht  mehr 
sichtbare  Bezeichnung  oder  ein  Dokument  gestützt  —  als  Namen 
des  Meisters :  Ceccolo  di  Giovanni  anzugeben  und  bemerkt 
dazu,  Niccolö  Alunno  habe  das  Fresko  um  das  Jahr  1500  retouchirt.^) 

Offenbar  später  als  die  anderen  Kapellen  ist  die  Kapelle 
des  Antonius  Abbas  entstanden,  die  östlich  an  das  vordere 
Querschiff  stößt  (Plan:  K).  Heutzutage  ist  Nichts  mehr  von  den 
Fresken  zu  sehen,  die,  nach Vasari  angeblich  von  Pace  da  Faenza 
ausgeführt,  an  ihren  Wänden  die  Geschichte  des  Heiligen  dar- 
stellten.^) Die  Nachricht  des  Aretiners  erscheint  in  diesem  Falle 
sehr  glaubwürdig ,  da ,  wie  erwähnt ,  in  einem  Ausgabenbuch  am 
21.  Dezember  1354  ,,Pace  pittore"  angeführt  wird.^)  Freilich  müßte 
dann  Pace  sich  längere  Zeit  in  Assisi  aufgehalten  haben,  da  eine 
bereits  von  Fea  publizierte  Notiz  besagt,  daß  ein  Vagnuzzo  di  Fran- 
cesco   d'Assisi    in   seinem  Testament   vom    2.  August   1360  achtzig 


1)  Phot.  Alinari. 

2)  Descr.  S.  10.     Phot.  Alinari. 

^)  I,  S.  405.  Dicesi  che  costui  lavoro  in  Ascesi  in  fresco ,  nella  cappella  di 
Sant'  Antonio  alcune  istorie  ddla  vita  di  quel  Santo ,  per  un  duca  di  Spoleti  ch'e 
sotterrato  in  quel  luogo  con  un  suo  figliuolo;  essendo  stati  morti  in  certi  sobborghi 
d'Ascesi  combattendo ,  secondo  che  si  vede  in  una  lunga  inscrizione  che  e  nella  cassa 
del  detto  sepolcro. 

*)  Ausgabenbuch  L.     Er  erhält  fünf  Gulden.     Vergl.  auch  Fratini  S.  193. 


302 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


Gulden  hinterläßt,  die  Kapelle  mit  Gemälden  zu  schmücken.  ^)  Das 
noch  vorhandene  Tafelbild :  ein  ,, Christus  am  Kreuze"  zwischen 
Lionardo  ,  Antonius  Eremita ,  Franz  und  Chiara  ist  von  T  i  b  e  r  i  o 
d' Assisi.^)  Die  Grabdenkmäler  —  in  architektonisch  eingefaßten 
Rundnischen  auf  ruhenden  Löwen  stehende  Sarkophage  mit  roh 
gearbeiteten  Figuren  der  Verstorbenen  —  bergen  die  Reste  der  zwei 
im  Hinterhalte  gefallenen  Grafen  von  Spoleto ,  Blasco  und  Garcia. ") 

Nur  wenige  andere  Werke  bleiben  zu  erwähnen  übrig,  wollen 
wir  das  Bild  von  der  Ausschmückung  der  Kirche  in  Assisi  voll- 
enden, nämlich  die  Chorgestühle  der  Unter-  und  der  Oberkirche. 
Das  erstere  einfachere  ist  in  den  Jahren  1467 — 1471  entstanden,  wie 
die  Notizen  in  einem  Ausgabenbuch  lehren.  Zuerst  ist  ein  maestro 
Paolino  da  Gubbio  daran  thätig,  dann  am  20.  Dezember  1467 
tritt  ,,Apollonio  de  giovanni  dalle  ripe  transune"  (Ripatransone) 
ein,  als  dessen  Gehülfe  1468  wiederholt  Crispolto  da  Bettona 
genannt  wird.  Am  6.  November  1468  endlich  erscheint  als  Mit- 
arbeiter Tom  maso  da  Fiorenza,  dem  die  ,,quadri  di  prospettiva" 
übertragen  werden.     Im  April   1471   war  die  Arbeit  vollendet.'*) 

Das  längere  Zeit  in  einem  Räume  des  Klosters  aufbewahrte 
Chorgestühl  der  oberen  Kirche  übertrifft  an  reichem  bild- 
nerischen Schmucke  bei  Weitem  das  andere.  Die  obere  Reihe  der 
Sitze  zeigt  über  Muschelnischen  gothische  Giebel  mit  Renaissance- 
Blattwerk  und  an  den  Lehnen  breit  und  großartig  gezeichnete 
Brustbilder.  Diese  stellen  neben  der  Verkündigung ,  den  Portraits 
Sixtus'  IV.  und  des  Stifters  Generals  Sanson  die  bedeutendsten 
Franziskaner  dar.  Die  untere  Reihe  der  Sitze  hat  statt  der  figür- 
lichen Intarsien  Darstellungen  der  verschiedensten  Art.  Eine  In- 
schrift nennt  uns  den  Stifter  und  den  Künstler : 

M.  F.  Sanson  Generalis   fieri    curavit   dominicus   de  Sancto  Severino   me  fecit 

MCCCCCI. 

Wie  lange  Domenico  von  San  Severino  an  diesem  durch 
Geschmack  und  Feinheit  gleich  ausgezeichnetem  Werke  gearbeitet. 


^)  Fea.  S.  1 1 :  Vagniutius  Francisci  de  Assisio  reliquit  Capellae  s.  Antonii  in 
ecclesia  s.  Francisci  pro  picturis  et  aliis  ornamentis  fiendis  octuaginta  florenos  auri  etc. 
1360.     Rogat.  Angelus    qu.  D.  Mutii    de    Assisio    not.    rog.  —  Vergl.  Fratini    S.   198. 

2    Phot.  Alinari. 

3)  Phot.  Alinari. 

*  S.  Ausgabenbuch  v.  J.  1467  (geht  bis  1490).  Nach  dem  obigen  sind  die 
älteren  Angaben,  auch  die  bei  Fratini  S.  266,  zu  ergänzen. 


Sonstige  Werke  der  Plastik  und  Malerei.  303 

bezeugt  ein  Ausgabenbuch  im  Archive.  Bereits  am  3.  August  1491 
wird  der  Vertrag  mit  dem  ,magister  dominicus',  der  hier  der  Sohn 
eines  Antonius  von  Sanseverino  genannt  wird,  abgeschlossen.  Als 
Preis  werden  770  Dukaten  festgesetzt.  Als  Gehülfen  finden  sich 
erwähnt :  Niccolö,  der  Bruder  des  Meisters,  Pierantonio  und  Fran- 
cesco Acciaccaferro,  Giovanni  di  Pier  Jacopo,  alle  aus  Sanseverino 
stammend.  ■^) 

Dies  Chorgestühl  ist  das  letzte  große  künstlerisch  vollendete 
Werk,  das  die  Kirche  des  Franz  entstehen  sieht.  Was  die  folgenden 
Jahrhunderte  noch  geschaffen :  die  Holzschnitzereien  an  den  Thüren 
der  Unterkirche,  von  Niccolö  d'Ugolino  von  Gubbio  1550 
gefertigt,  die  Fresken  Dono's  dei  Doni  in  der  Ludwigskapelle, 
im  großen  Klosterhofe  (Leben  des  Franz),  im  kleinen  Refektorium 
(das  Abendmahl),  die  Wandmalereien  des  Cesar  Sermei  von 
Orvieto  und  des  Girolamo  Martelli  von  Assisi  in  dem  süd- 
lichen vorderen  Querschiff,  in  der  hier  angebauten  kleinen  Kapelle 
des  h.  Sebastian ,  in  der  Tribüne  und  in  der  Sakristei ,  die  von 
Stefano  d'Assisi  1626  gefertigten  Sakristeischränke  vermögen 
nach  Allem,  was  wir  gesehen,  unser  Interesse  nicht  mehr  zu  fesseln. 


Ehe  wir  aber  die  Basilika  verlassen,  werfen  wir  noch  einmal 
einen  Blick  auf  ihre  erste  Geschichte ,  auf  den  gewaltigen  Auf- 
schwung, welchen  die  Kunst  in  ihren  Mauern  genommen,  zurück. 
Wir  haben  gesehen,  wie  unter  der  eifrigsten  Betheiligung  nicht 
allein  der  italienischen,  sondern  auch  der  fernen  nordischen  Ver- 
ehrer des  Heiligen  schnell  und  kühn  der  merkwürdige  Bau  sich  in 
der  ersten  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  erhob  —  eines  der  frühesten 
gothischen  Denkmäler  in  Italien.  Nicht  ein  Deutscher,  nicht  der 
fabelhafte  Jacopo  des  Vasari  ist  der  Erbauer  gewesen,  sondern 
Filippo  de  Campello,  dessen  Heimath  dem  Stile  nach  in  der  Lom- 
bardei zu  suchen  ist.  Noch  während  an  der  Kirche  gebaut  wird, 
werden  bereits  die  Maler  herbeigerufen,  sie  zu  schmücken.  Dem 
Giunta  von  Pisa,  der  1236  für  Elias  ein  Kruzifix  fertigte,  ist  jener 
andere  unbekannte  gefolgt,  der  das  alterthümliche  Portrait  des 
Franz  geschaffen.  In  den  sechziger  und  siebziger  Jahren  desselben 
Jahrhunderts  ist  dann  der  Meister  des  Franziskus  thätig,  die  Wände 


^)  Ausgabenbuch,  das  mit  1491  beginnt  und  bis  1498  geht.  Bis  zum  18.  Nov. 
werden  die  einzelnen  Posten ,  die  bis  dahin  663  Dukaten  ausmachen ,  aufgeführt.  — 
Vgl.  auch  Fratini  S.  277. 


304 


Die  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 


der  Unterkirche  mit  den  Bildern  aus  dem  Leben  des  Franz  und 
Christi  zu  zieren,  vielleicht  mit  Hülfe  des  jugendlichen  Cimabue, 
der  hierauf  in  den  achtziger  Jahren  den  Chor  und  das  Querschiff 
der  oberen  Kirche  ausmalt  und  die  gewaltigen  Werke  schafft,  an 
denen  eine  Reihe  von  Schülern  lernt,  die  ihrerseits  das  Langhaus 
mit  biblischen  Szenen  schmücken.  Aus  ihrer  Mitte  heraus  aber 
erhebt  sich  mit  seiner  neuen  Anschauung  der  Natur,  mit  seinem 
Studium  der  Antike  Giotto,  der  die  letzten  Fresken  an  den  Wänden 
oben  vollendet  und  dann  allein  zurückbleibt,  um  in  achtundzwanzig 
Bildern  das  Leben  des  Franz  zu  dem  großen  neuen  Stoffe  der 
christlichen  Kunst  und  damit  sich  selbst  zum  Begründer  der  großen 
neuen  christlichen  Kunst  herauszubilden.  Die  Thätigkeit,  die  er  in 
der  Oberkirche  gefunden,  setzt  er  dann  bis  in  das  erste  Jahrzehnt 
des  XIV.  Jahrhunderts  mit  Unterbrechung  in  der  unteren  fort :  die 
Fresken  der  Nikolauskapelle,  der  Magdalenenkapelle,  des  nördlichen 
Querschiffs ,  der  Vierung  entstehen  vermuthlich  in  dem  Zeitraum 
bis  1306.  Ob  Giotto  es  nicht  nach  Allem  auch  vielleicht  gewesen, 
der,  damals  schon  mit  Liebe  und  Begeisterung  architektonischen 
Studien  ergeben,  die  vielleicht  um  einige  Jahre  früher  als  1300 
entstandenen  Kapellen  gebaut  hat.?'  Nur  vermuthungsweise  darf 
dies  geäußert  werden,  aber  wie  mir  dünkt,  spricht  wohl  eine  große 
Wahrscheinlichkeit  dafür,  daß  derselbe  Künstler,  der  in  jenen  Jahren 
die  innere  Ausschmückung  leitete,  auch  die  Neubauten  entworfen 
hat.  Aus  der  Zahl  seiner  Schüler  tritt  nur  ein  uns  dem  Namen 
nach  bekannter  hervor:  Giottino,  der  die  Fresken  über  der  Kanzel 
gemacht  —  Andere  wie  Stefano  und  Buffalmacco  bleiben  in  Dunkel 
gehüllt.  Aber  Giotto's  Einfluß  äußert  sich  auch  in  den  Fresken- 
cyklen,  die  Simone  Martini,  die  ein  Schüler  des  Pietro  Lorenzetti  in 
Assisi  malten  —  er  klingt  in  späten  umbrischen  Schularbeiten,  wie 
den  Bildern  der  Kapelle  S.  Katharina,  aus.  So  kann  man  mit  Recht 
wohl  sagen,  daß  Giotto  mit  seiner  Kunst  der  Kirche  seinen  Geist 
eingeprägt,  daß  seine  Kunst,  wie  sie  hier  aus  der  seiner  Vorgänger 
kühn  emporgewachsen  ist,  hier  ihre  eigentliche  Heimath  gefunden 
hat.  Franz  von  Assisi  und  Giotto  sind  die  beiden  Namen,  die 
man  gerührt  und  dankbar  in  der  stillen  Kirche  verehrt  —  die 
segnende  Hand  des  Franz  hat  über  der  jungen  Kunst  geschwebt, 
ihre  Jugendjahre  geleitet,  ihr  die  großen  Ziele  gewiesen  —  die 
Kirche,  in  der  er  begraben,  ward  die  Wiege  der  neuen  christ- 
lichen Kunst ! 


VIERTER  ABSCHNITT 

DIE  FRANZISKANERKIRCHEN  IN  ITALIEN 


I.  Allgemeine  Bemerkungen. 

Ein  Studium  der  italienischen  Bettelmönchkirchen  ist  fast 
gleichbedeutend  mit  einem  Studium  der  gothischen  Architektur 
in  Italien.  Dem  einfach  gewaltigen  Bau  in  Assisi,  dessen  Entstehung 
und  Eigenthümlichkeit  wir  im  vorhergehenden  Abschnitt  betrachtet 
haben,  folgte  in  schnellem  Aufeinander  die  Gründung  von  Kirchen 
in  fast  allen  großen  wie  kleinen  Städten  des  Landes.  Allüberall 
entstanden  Niederlassungen,  anfangs  nur  von  wenigen  Mönchen 
bewohnt,  klein  und  unscheinbar,  schwer  zu  entdecken  inmitten  der 
großen,  reichen  Stätten  des  Kultus  und  der  trotzig  ragenden  Burgen 
und  Paläste  des  kriegerischen  Adels  —  als  aber  bald  in  einer  fast 
ohne  Gleichen  in  der  Geschichte  dastehenden  Weise  sich  die  Zahl 
der  armen ,  bettelnd  von  Haus  zu  Haus  ziehenden  Brüder  mehrte, 
genügten  die  dürftigen  Zellen  nicht  mehr,  sie  aufzunehmen.  Aus 
den  ersten  eiligen  Niederlassungen  wurden  Klöster,  aus  den  Bet- 
kapellen Kirchen,  welche  bald,  um  die  Menge  der  Gläubigen  fassen 
zu  können,  Verhältnisse  gewannen,  die  weitaus  die  anfangs  gewohnten 
Maße  überschritten  und  mit  denen  der  Kathedralen  und  Metropolitan- 
kirchen  wetteiferten.  Vergebens  traten  der  alten  Einfachheit  er- 
gebene ,  wahre  Nachfolger  des  heiligen  Franz  der  zunehmenden 
Prachtliebe  entgegen  —  die  Macht  und  Bedeutung  des  Ordens 
verlangte  ihren  Ausdruck  auch  nach  außen  hin !  Schon  Franz  selbst 
hatte  gegen  das  Verlangen  nach  Repräsentation  und  Bequemlichkeit 
zu  kämpfen  gehabt,  gegen  die  reiche  Anlage  der  Klöster  geeifert 
und  war  einst  in  Bologna   nicht   bei  den  Seinen  eingekehrt,    allzu- 

Thode,  Franz  von  Assisi.  20 


3o6  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

entrüstet  über  das  „Haus  der  Brüder",  das  er  sofort  selbst  den 
Kranken  zu  verlassen  befahl,  wie  er  selbst  auch  nie  wieder  in  die 
Zelle  zurückkehrte,  die  ein  Bruder  ,,des  Franziskus  Zelle"  genannt 
hatte,  als  läge  schon  darin  ein  unrechtmäßiger  Anspruch  auf  Besitz,  i) 
,,Ist  das,"  hatte  er  in  Bologna  ausgerufen,  ,,der  Wohnsitz  der  armen 
Evangelischen.?  Sind  das  die  großen  stolzen  Paläste  der  kleinen 
Brüder  ?  Dies  Haus  erkenne  ich  nicht  als  das  unsere  an,  nicht  halte 
ich  Die  für  meine  Brüder,  die  in  ihm  bleiben.  Darum  befehle  ich 
ernst,  daß  Alle,  die  den  Namen  der  Minderbrüder  behalten  wollen, 
unverzüglich  hinausgehen  und  den  Reichen  dieser  Zeit  ihre  Be- 
hausung überlassen."  —  Es  war  mit  dem  Verbote  gegangen,  wie 
mit  dem  der  Gelehrsamkeit.  Dem  Einzelnen  durfte  es  ein  Herzens- 
bedürfniß,  ein  Ideal  werden,  nicht  nur  arm  im  Geist  zu  leben,  wie 
es  das  Evangelium  vorschrieb,  sondern  auch  ohne  Besitz  äußerer 
Güter  und  äußerer  Stellung :  der  Gesammtheit  war  das  nicht  möglich. 
Sie  hatte  Aufgaben  der  Menschheit  gegenüber,  die  ohne  die  Hülfe 
vielseitig  ausgebildeter  geistiger  Thätigkeit,  ohne  die  Waffen  scharfen 
Verstandes  ebensowenig  zu  lösen  waren,  wie  ohne  die  Mittel  einer 
imponirenden ,  Großes  versprechenden  äußeren  Erscheinung.  So 
sehen  wir  bald  die  Franziskaner-Gelehrten  als  voll  bewährte  Streiter 
auf  dem  Kampfplatz  der  großen  Universitäten  auftreten,  so  sehen 
wir  die  Franziskaner -Prediger  ihres  Amtes  in  mächtigen,  weiten 
Kirchen  walten,  in  die  sich  zu  Tausenden  die  ihre  alten  Kultus- 
stätten verlassende  Menge  drängt. 

Die  italienische  Baukunst  des  XIII.  Jahrhunderts  läßt  sich  kurz 
als  die  Baukunst  der  Franziskaner  und  Dominikaner  bezeichnen  — 
in  ihren  Kirchen  ersteht  und  bildet  sich  die  Gothik  aus.  Was  die 
Karmeliter  und  Serviten  daneben  schaffen,  kommt  verhältnißmäßig 
wenig  in  Betracht.  Im  vorhergehenden  Jahrhundert  waren  es  die 
Cisterzienser  gewesen,  von  denen  ein  bedeutender  und  weithin 
wirkender  Impuls  ausgegangen  war;  doch  war  dieser  auch  in 
mancher  Beziehung  ein  sehr  eingreifender  gewesen,  so  steht  die 
Zahl  und  Größe  ihrer  Kirchen  doch  weit  hinter  derjenigen  der 
Bettelmönchbauten  zurück.  Waren  doch  die  Bettelmönchorden  die 
ersten,  die  in  den  Städten  ihren  eigentHchen  Sitz  aufschlugen,  die, 
damit  die  Abgesondertheit  des  Klosterlebens  aufgebend,  in  enge 
mannigfache  Beziehung    zu    dem  Volke   traten,   das  seinerseits  nun 


1)  Th.  n  Leg.  III,  c.  2—5.     S.  92  flf. 


Allgemeine  Bemerkungen.  307 


die  große  Aufgabe  übernahm ,  den  geistlichen  Freunden  würdige 
Stätten  der  Wirksamkeit  zu  schaffen  und  auszustatten.  Hatten  die 
besitzlosen  Orden  nicht  selbst  das  Geld,  weit  ausgebreitete  Kloster- 
anlagen, große  Kirchen  zu  bauen  —  jeder  Bettler  schätzte  sich 
glücklich,  sein  Scherflein  dazu  beizutragen!  Der  Reiche  hatte  wie 
der  Arme  die  schrankenloseste  Verehrung  für  diese  Mönche,  welche 
die  liebevollen  Berather  des  Einen  und  des  Anderen  waren.  So 
finden  wir  denn  auch  die  Kirchen  des  Franz  und  Dominikus  im 
kleinsten  Flecken  ebenso  gut  wie  in  der  größten  Stadt  und  dürfen  uns 
über  ihre  verschiedenartige  Gestalt  und  Ausdehnung  nicht  wundern. 
Der  bescheidene  einschiffige  Bau  im  Landstädtchen  mit  seiner  Holz- 
decke, seinen  einfachen  Mauern,  seiner  schlichten  Fassade  ist  er- 
klärlich ,  wie  die  riesengroße  vielschiffige ,  kapellenreiche  Gewölbe- 
kirche in  der  reichen  Handelsstadt.  Die  Ausdehnung  und  Ausstattung 
der  Kirchen  steht  durchweg  in  der  engsten  Wechselbeziehung  zu 
der  Größe,  dem  Reichthum  des  Ortes.  Man  könnte  so  weit  gehen 
zu  sagen :  die  Bedeutung,  der  Wohlstand  eines  solchen  im  XIII.  Jahr- 
hundert läßt  sich  nach  den  Kirchen  der  Bettelmönchsorden  bemessen. 
Von  einem  in  Italien  allgemein  für  die  Bauten  gültigen  formellen 
Prinzip  in  dem  Sinne,  wie  es  für  die  Cisterzienser  möglich  gewesen 
war,  kann  daher  nicht  die  Rede  sein.  Wir  werden  sehen,  daß  gleich- 
wohl gewisse  Eigenthümlichkeiten  den  meisten  Bauten  gemeinsam 
sind,  daß  sich  Gruppen  innerhalb  des  Ganzen  ausscheiden  lassen, 
zugleich  aber  auch,  daß  wir  in  der  Betrachtung  die  Franziskaner 
und  Dominikaner  nicht  gesondert  behandeln  können,  da  sie  —  in 
ihrer  geistigen  Richtung  und  Thätigkeit  so  verschieden  —  in  dem 
Bau  ihrer  Kirchen  dieselben  Zwecke  und  Ideale  verfolgen.  Dabei 
ist  es  natürlich  schwer  zu  sagen,  welcher  der  beiden  Orden  zuerst 
gewisse  Typen  des  Grundrisses,  wie  z.  B.  den  umbrisch-toskanischen, 
aufbringt,  schließlich  ist  dies  auch  nicht  von  großer  Wichtigkeit. 
Der  erste  maßgebende  Anstoß  erfolgt  im  Allgemeinen  doch  von 
Assisi  und  Umbrien  aus,  und  damit  spricht  die  größere  Wahrschein- 
lichkeit dafür,  daß  auf  diesem  Gebiete  die  Franziskaner  die  maß- 
gebenden gewesen  sind.  Die  wechselseitigen  Einflüsse  zu  be- 
stimmen, wird  im  Verlaufe  der  Arbeit  wiederholt  Gelegenheit  sein. 
Vergleicht  man  die  Mehrzahl  der  Bettelmönchkirchen  in  Italien, 
so  stellt  sich  zunächst  heraus,  daß  ihnen  fast  durchweg  eine  gewisse 
Anlage  der  Osttheile  gemeinsam  ist,  und  zwar  ist  es  jene  Anlage 
eines   von  Kapellen   flankirten  Altarhauses,    die   bereits    früher  den 


3o8  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

Cisterziensern  eigenthümlich  gewesen.  So  kann  es  auch  keine  Frage 
sein,  daß  die  Baukunst  der  Cisterzienser,  nicht  allein  was  den 
Kirchengrundriß ,  sondern  auch  was  die  Konstruktion  einzelner 
Theile  anbetrifft ,  das  Vorbild  gegeben  hat ,  an  welches  sich  die 
Bettelmönche  in  Italien  hielten.  Von  einer  kleinen  Gruppe  von 
Kirchen  abgesehen,  welche  den  traditionellen  Typus  der  romanischen 
Basilika  beibehält,  lassen  sich  sämmtliche  Bauten  der  Franziskaner 
und  Dominikaner,  sowohl  die  gewölbten  norditalienischen ,  wie  die 
holzgedeckten  einfacheren  umbrisch  -  toskanischen ,  auf  die  Grund- 
formen der  Cisterzienser  zurückführen.  Die  nachfolgende  Be- 
trachtung der  einzelnen  Werke  kann  in  dieser  Beziehung  im  Großen 
und  Ganzen  nur  bestätigen ,  was  im  Einzelnen  schon  Schnaase, 
Burckhardt  und  Springer  bemerkt  haben ,  dürfte  aber  auf  Grund 
einer  mehr  zusammenfassenden  und  vielseitigeren  Vergleichung 
auch  ein  allgemeineres  Resultat  ergeben,  nämlich  die  Thatsache, 
daß  die  italienische  Gothik  überhaupt  ihren  wesentlichen  Charakter 
der  Cisterziensergothik  verdankt,  daß  diese,  wenn  auch  vielfach 
modifizirt  und  umgewandelt,  doch  anregend  und  bestimmend  wird 
für  die  italienische  Baukunst  des  XIII.  und  XIV.  Jahrhunderts.  Die 
Vermittlerrolle  aber  zwischen  Frankreich  und  Italien  spielt  der 
Orden  der  Franziskaner. 

Auch  in  diesem  Falle  kann  man  an  Stelle  eines  scheinbar  will- 
kürlichen Spiels  des  Zufalls  das  ewige  Gesetz  innerlich  konsequenter 
Entwicklung  erkennen.  Weil  der  Franziskanerorden  der  Nach- 
folger und  Erbe  der  Cisterzienser  wird ,  übernimmt  er  mit  vielen 
Vorschriften  und  Eigenthümlichkeiten  der  letzteren  auch  die  Grund- 
form von  deren  Gotteshäusern  —  und  weil  er  verbunden  mit  der 
Dominikanergemeinde  die  geistige  Führung  des  Volkes  und  die 
eigentliche  kulturelle  Gewalt  in  Italien  für  zwei  Jahrhunderte  er- 
langt, wird  die  Baukunst  der  Bettelmönche,  die  aus  derjenigen  der 
Cisterzienser  entstanden  ist,  die  Baukunst  ganz  Italiens.  Den  Zu- 
sammenhang deutlich  zu  erkennen,  sei  es  an  dieser  Stelle  vergönnt, 
einen  Blick  rückwärts  zu  werfen  und  die  Beziehungen  zu  prüfen, 
die  zwischen  dem  Orden  des  Bernhard  von  Clairvaux  und  dem- 
jenigen des  Franz  vorhanden  sind.  Offenbar  nehmen  die  Cister- 
zienser zwischen  der  aristokratischen  Genossenschaft  des  älteren 
Benediktinerthums,  wie  es  seine  vollste  Ausbildung  in  den  Clunia- 
zensern  erreicht  hat,  und  der  demokratischen  Gemeinde  der  Bettel- 
mönche eine  Mittelstellung  ein.    Suchen  sie,  hierin  noch  ganz  unter 


Allgemeine  Bemerkungen.  300 


dem  Banne  der  Tradition,  auf  der  einen  Seite  ihr  Heil  in  dem 
abgeschlossen  von  der  Welt  zurückgezogenen,  einsamen  Leben  auf 
dem  Lande,  welches  der  Arbeit  und  dem  Gebete,  der  inneren 
Kontemplation  geweiht  ist,  so  macht  sich  andrerseits  in  ihrer 
Organisation  ein  neues  demokratisches  Prinzip  geltend :  an  Stelle 
der  Regierung  eines  einzelnen  Abtes  tritt  für  sie  als  gesetzgebender 
Körper  das  Generalkapitel ,  auf  welchem  die  Vertreter  der  ver- 
schiedenen Klöster  gleichberechtigt  erscheinen.  Diese  positive  Er- 
rungenschaft einer  neuen  Zeit  kommt  dem  später  entstehenden 
Orden  zu  Gute :  sicherlich  ist  die  Verfassung  der  Franziskaner 
Nichts  als  eine  Fortbildung  der  Cisterzienserverfassung.  Aber  auch 
die  einzelnen  Normen  der  Armuth ,  des  Gehorsams ,  der  Askese 
finden  sich  bei  den  Cisterziensern  in  einer  Weise  ausgebildet,  die 
lebhaft  an  die  strengen  Satzungen  des  Franz  erinnert,  wie  ja  auch 
die  vertiefte  religiöse  Auffassung  eines  Bernhard  nur  wenig  sich 
von  der  des  Franz  unterscheidet.  Daß  trotzdem  eine  große  Kluft 
zwischen  den  beiden  Orden  liegt,  daß  ihre  eigentliche  Tendenz 
eine  ganz  verschiedene  ist ,  erklärt  sich ,  wie  wir  oben  gesehen 
haben,  daraus,  daß  ursprünglich  Franz  nicht  aus  den  Anschauungen 
des  älteren  Ordens,  sondern  vielmehr  aus  der  Opposition  gegen 
das  hierarchische  Wesen,  aus  den  Sekten  hervorgeht,  welche  das 
apostolische  Leben  und  die  Thätigkeit  der  Predigt  für  sich  ver- 
langen. So  läßt  sich  denn  der  Einfluß  der  Cisterzienser  auf  den 
Franziskanerorden  wohl  am  ersten  dahin  definiren  und  erklären: 
als  die  Gemeinde  des  Franz  im  vollen  Bewußtsein  ihrer  neuen, 
von  allem  früheren  Mönchswesen  verschiedenen  religiösen  Aufgabe 
des  in  Armuth  verbrachten,  der  Predigt  gewidmeten  apostolischen 
Lebens  nach  Normen  sucht,  die  für  ihre  Organisation  bestimmend 
sein  sollen,  entlehnt  sie  dieselben  dem  Orden  der  Cisterzienser, 
dessen  Strenge  und  altchristliche  Reinheit  ihrem  Ideale  am  nächsten 
kommen  dürfte. 

Die  Satzungen  der  Bethätigung  äußerster  Armuth  nun  aber, 
die  Franz  auch  für  die  Bauten  des  Ordens  gewahrt  wissen  wollte, 
gehören  mit  in  die  Reihe  der  bereits  von  den  Cisterziensern 
normirten.  Bekannt  sind  deren  älteste  Vorschriften  für  das  Gottes- 
haus :  es  soll  einfach,  ohne  jeden  Schmuck  sein,  ohne  farbige  Fenster, 
ohne  Wandgemälde,  ohne  kostbare  Geräthe,  ohne  Thürme.  Bekannt 
sind  Bernhards  gegen  die  reiche  Ausstattung  der  Kirchen  gerichteten 
Worte.    Bekannt  sind  endlich  zahlreiche  Bauten,  in  denen  dieses  Ein- 


3IO  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

fachheitsprinzip    verwirklicht   erscheint. ')     Ob    auch  der  Orden  der 
Franziskaner  schon  während  der  ersten  Jahrzehnte  seines  Bestehens 
ähnliche  bestimmte  Vorschriften  für  den  Bau  gehabt ,  erscheint  an- 
gesichts der  sehr  verschiedenen  Bauten  mehr  als  zweifelhaft.    Jeden- 
falls sehen  wir  an  den  ältesten  Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana  das 
Bestreben  nach  möglichster  Schlichtheit  mit  Erfolg  durchgeführt.    Zu 
gleicher  Zeit   aber  entstehen  in  Norditalien  bereits  sehr  großartige 
Gotteshäuser,  wie  dies  bei  der  rasch  zunehmenden  Devotion  in  den 
reichen    großen    Städten    nicht   verwunderlich    ist.     Die    ersten    be- 
stimmteren Normen  für  den  Kirchenbau  stellt  Bonaventura  1260  in 
seinen  „statuta  capituli  generalis  Narbonensis"  fest,  und  diese  sind 
zum  Theil  geradezu  eine  Wiederholung  der  Cistenzienservorschriften : 
man  höre  die  entsprechenden  Paragraphen ! 
§  8.   Die  Kirchen   sollen  nicht  gewölbt  werden,    außer  über  dem 
Hauptaltar   und   nur  mit  Bewilligung  des  Generalministers.  ^) 
§   15.   Da  aber  eine  überflüssige  und  sehenswürdige  Ausstattung  der 
Armuth  widerspricht,  ordnen  wir  an,  daß  man  je  nach  dem 
Brauch    des  Ortes  streng  vermeide,    die  Gotteshäuser  durch 
Bilder,  getriebene  Arbeiten,  Fenster  und  Säulen,  ebenso  durch 
besondere  Länge   und  Breite    zu   einer  Sehenswürdigkeit   zu 
machen.  ^) 
§16.   Auch    sollen    ferner    nirgends  Glockenthürme  in  Gestalt  von 

einzelstehenden  Thürmen  errichtet  werden.^) 
§  17.  Auch  sollen  ferner  nirgends  mit  figürlichen  Darstellungen 
geschmückte  oder  bunt  bemalte  Fenster  gemacht  werden, 
das  eine  in  dem  Hauptfenster  hinter  dem  großen  Altare  aus- 
genommen, das  die  Bilder  des  Crucifixus,  der  heiligen  Jung- 
frau, des  heiligen  Franz  und  Antonius  enthalten  darf.  ^) 


^)  Vergl.  besonders  Schnaase  V,  S.  3 1 1  f.  und  Dohme :  Die  Kirchen  des  Zister- 
zienserordens in  Deutschland.  Leipzig,  1869.  Otte:  Handbuch  der  christl.  Kunst- 
Archäologie.     V.  Aufl.  I,  S.  113  f. 

*)  Rodulphus :  Hist.  ser.  Rel.  lib.  II,  S.  239 :  §  8.  a  modo  testudinate  Ecclesiae 
non  fiant,  nisi  super  altare  absque  licentia  generalis  ministri. 

^)  Cum  autem  curiositas  et  superfluitas  directe  obvient  paupertati,  ordinamus  quod 
aedificiorum  curiositas  in  picturis,  celaturis,  fenestris  et  columnis  et  hujusmodi  in  longi- 
tudine  latitudine  secundum  loci  consuetudinem  arctius  evitetur. 

*)  Campanilia  etiam  ad  modum  turris  de  caetero  nusquam  fiant. 

*)  Vitrine  quoque  historiate  vel  picturate  de  cetero  nusquam  fiant,  excepto  quod 
in  principali  vitrea  post  majus  altare  possint  haberi  imagines  Crucifixi ,  B.  virginis, 
B.  Francisci  et  B.  Antonii. 


Allgemeine  Bemerkungen.  311 


§18.   Auch    sollen   weder   auf  dem   Altare,    noch    sonst    irgendwo 
kostbare    oder    sehenswerthe    Tafelbilder    aufgestellt   werden. 
Und  falls  trotzdem  derartige  Glasfenster  oder  Bilder  gemacht 
worden   sind ,    sollen   sie  durch  die  Provinzialvisitatoren  ent- 
fernt werden.    Wer  aber  diese  Bestimmung  oder  diesen  Para- 
graphen übertritt,  soll  streng  bestraft  werden,  und  die  Oberen 
sollen    unwiderruflich   von    den   Stellen    vertrieben    werden, 
falls   sie    nicht   durch    den  Generalminister  wieder  eingesetzt 
werden.  ^) 
§  21.   Ebenso  sollen  Räuchergefäße ,  Kreuze,  Kannen  und  sonstige 
Geräthschaften    oder   Bildwerke    von   Gold    oder   Silber   bei 
Gehorsam  entfernt  werden  und  bei  demselben  Gehorsam  der- 
artiges   nicht    ferner   behalten   werden,    abgesehen   von   den 
Kreuzen    oder  sonstigen  vorerwähnten  Dingen,    in  denen  zu 
verehrende  Reliquien   sich   befinden,    und   von   der  Hostien- 
büchse oder  dem  sonstigen  Gefäß,  das,  wie  es  Sitte  ist,  zur 
Aufnahme  von  Christi  Leib   bestimmt  ist;    und  weiter  sollen 
die   Kelche    einfach    gearbeitet    sein    und    das    Gewicht   von 
2^/2  Mark  nicht  überschreiten.-) 
§  22.   Auch   soll  man  nicht  mehr  Kelche  als  Altäre  besitzen,    aus- 
genommen   einen    für    den   Konvent,    und   dazu    sollen    die 
Kustoden  und  Guardiane  beim  Gehorsam  gehalten  sein.  ^) 
Der  praktische  Erfolg  dieser  Anordnungen,  die  in  Deutschland 
strenger  befolgt  worden  zu  sein  scheinen,  war  in  Italien  offenbar  ein 
geringer.     Waren  doch  gerade  am  Ende  des  XIII.  und  am  Anfang 
des  XIV.  Jahrhunderts    zahlreiche  Maler   in  S.  Francesco  zu  Assisi 
thätig,   die  Fenster,    Wände  und  Altäre  der  Kirche  mit  Bildern  zu 


^)  Item  tabule  sumptuosae  seu  curiosae  super  altare  vel  alibi  de  cetero  nulle  fiant. 
Et  si  de  cetero  hujus  modi  vitree  vel  tabule  sie  facte  fuerint,  per  visitatores  provin- 
ciarum  amoveantur.  Qui  autem  fuerint  transgressores  ipsius  constitutionis  vel  Paragraphi, 
graviter  puniantur,  et  principales  de  locis  irrevocabiliter  expellantur,  nisi  per  generalem 
Ministrum  fuerint  restituti. 

^)  Item  thuribula,  cruces,  ampuUae,  et  quaecumque  vasa,  vel  imagines  de  auro, 
vel  argento  per  obedientiam  amoveantur  et  de  coetero  per  eandem  obedientiam  nulla- 
tenus  habeantur,  nisi  in  crucibus  vel  aliis  de  praedictis  essent  aliquae  reliquiae  vene- 
randae ,  vel  nisi  esset  pixis ,  vel  aliquod  vasculum  pro  Christi  corpore  (ut  moris  est) 
reponendo ,  et  de  caetero  calices  simplices  fiant  in  opere  et  pondus  duarum  marcarum 
et  dimidiae  non  excedant. 

^)  Nee  plures  calices  quam  altaria  habeantur,  excepto  uno  pro  conventu  et  ad 
haec  custodes  et  Guardiani  per  obedientiam  teneantur. 


312 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


schmücken.  Freilich  genoß  ja  diese  Hauptkirche  des  Ordens  eine 
Sonderstellung  —  aber  um  nur  einige  andere  Beispiele  anzuführen  : 
der  ältere  Campanile  von  S.  Francesco  zu  Bologna  stammt  aus  dem 
Jahre  1261,  um  1278  beginnt  man  die  Gewölbekirche  in  Piacenza. 
Was  vermochte  schließlich  die  Autorität  selbst  eines  Bonaventura 
gegen  die  Ausschmückung  der  Kirchen  mit  Gemälden,  kostbaren 
Geräthen  und  Stoffen  in  einer  Zeit,  als  sich  die  mächtig  empor- 
strebende Kunst,  die  von  jenem  Franziskanerthum  die  höchsten 
Anregungen  erhielt,  als  sich  die  Freude  der  Menschheit  an  Farbe 
und  Form  keine  Fesseln  mehr  anlegen  ließ ! 

In  Bezug  auf  die  Ausstattung  der  Kirchen  also  haben  die  neu 
für  die  Franziskaner  ins  Leben  getretenen  Cisterzienserverordnungen 
keinen  dauernden  Einfluß  gehabt  —  wohl  aber  ward  beim  Bau  der 
Kirchen  die  Cisterzienseranlage  der  Ostparthien  ein  fast  durchweg 
nachgeahmtes  Vorbild.  Es  ist,  wie  erwähnt,  jene  Anlage  eines 
geradlinig  geschlossenen  Altarhauses,  das  links  und  rechts  von 
geradlinig  geschlossenen  Kapellen  flankirt  ist,  jene  Anlage,  die 
vielleicht  zuerst  schon  in  Citeaux,  sicher  dann  in  Fontenay  auftrat 
und  die  an  den  Cisterzienserkirchen  am  häufigsten  wiederkehrende 
ist.  Sie  findet  sich  fortan  nun  auch  an  den  Bettelmönchkirchen 
in  Italien,  und  zwar  im  Norden  wie  im  Süden.  Der  Unterschied 
der  norditalienischen  und  der  umbrisch-toskanischen  Bauten  besteht 
nur  darin,  daß  die  ersteren  auch  die  dreischiffige  Anlage  und  die 
Wölbung  beibehalten,  die  letzteren  ein  einfaches  Längsschiff  mit 
hölzerner  Decke  erhalten ,  eine  Form ,  die  offenbar  aus  dem  Ver- 
langen nach  größtmöglicher  Einfachheit  hervorgegangen  ist.  Gerade 
in  dieser  einfachen  Form  aber,  bei  der  die  Wirkung  allein  durch 
die  Raumverhältnisse  hervorgebracht  wird ,  zeigt  sich  ein  neues 
architektonisches  Prinzip,  das  mit  der  Gothik  eigentlich  gar  nichts 
zu  thun  hat,  vielmehr  bereits  das  eigentliche  Prinzip  der  Renaissance- 
kunst ist.  Es  tritt  als  solches  in  einen  gewissen  Gegensatz  zu  der 
thatsächlich  gothischen  Baukunst  des  nördlichen  Italiens  und  will 
daher  gesondert  betrachtet  sein.  Schon  an  dem  nächst  S.  Fran- 
cesco in  Assisi  frühesten  Bau:  der  1230  gegründeten  Kirche 
S.  Francesco  in  Cortona  geht  in  Toskana  das  von  den  Cisterziensern 
Ueberkommene  in  einem  neuen  Ganzen  auf,  während  es  seine 
Eigenthümlichkeit  im  Norden  durchweg  noch  auf  lange  bewahrt. 
Im  Norden  auch  findet  eine  andere  Anlage  der  Cisterzienser,  näm- 
lich   die    am    frühesten   in  Pontigny  angewendete    französische  Ka- 


Allgemeine  Bemerkungen.  313 


thedralenanlage ,  deren  Eigenthümlichkeit  in  einem  Chorumgange 
mit  radianten  Kapellen  besteht,  Nachahmung.  Wir  werden  in  einer 
Anzahl  von  bolognesischen  Bauten,  die  sich  um  S.  Francesco  in 
Bologna  gruppiren ,  den  schlagenden  Beweis  dafür  erhalten ,  wie 
vielseitig  bestimmend  die  Baukunst  des  älteren  Ordens  für  die  der 
Franziskaner  geworden  ist. 

Nach  diesen  kurzen ,  ganz  im  Allgemeinen  orientirenden  Be- 
merkungen mag  eine  Betrachtung  der  Franziskanerkirchen  am  Platze 
sein.  Natürlich  kann  es  sich  dabei  nicht  um  eine  vollständige  Auf- 
zählung und  Geschichte  aller  in  Italien  vorhandenen  Denkmäler 
handeln ,  sondern  nur  um  eine  Würdigung  der  verschiedenen  bau- 
geschichtlichen Entwickelungen  nach  ihren  Hauptmonumenten.  Unter 
den  älteren,  für  diesen  Zweck  wichtigen  litterarischen  Hülfsmitteln 
ist  neben  Wadding's  Annalen  des  F.  Franziskus  Gonzaga  Werk : 
de  origine  Seraphicae  religionis  Franciscanae  (Venedig  1603)  zu 
berücksichtigen ,  wenn  sich  dasselbe  auch  weniger  mit  den  Bauten 
selbst,  als  mit  der  Gründung  der  ersten  Niederlassungen  beschäftigt, 
ferner  die  leider  zum  Theil  schwer  zugängliche  Litteratur  der  Guiden. 
Unter  den  neueren  Geschichtsschreibern  der  Architektur  bringt 
neben  Ricci,  Lübke,  Schnaasc  namentlich  Mothes  in  seiner  ,, Bau- 
kunst des  Mittelalters  in  Itahen"  manches  Wichtige  bei.^)  Wo  es 
nicht  ausdrücklich  anders  bemerkt  wird ,  beruhen  meine  Beschrei- 
bungen und  Angaben  auf  von  mir  selbst  vor  und  in  den  Kirchen 
gemachten  Studien.  Deren  spezieller  Aufgabe  mußte  es  natürlich 
entsprechen,  mehr  Gewicht  auf  den  Grundriß  und  die  allgemeinen 
wichtigsten  Merkmale,  als  auf  die  Details  zu  legen,  deren  kritische 
Würdigung  und  intime  Betrachtung  schließlich  nur  Sache  eines 
praktisch  erfahrenen  Architekten  sein  kann.  So  wollen  auch  die 
fast  durchweg  auf  eigenen  Aufnahmen  beruhenden,  schematisch 
gezeichneten  Grundrisse  einer  Anzahl  von  interessanten  Kirchen 
Nichts  als-  Hülfsmittel  zum  Vergleich  sein.  -)  Eingehender  behandelt 
wurden  nur  Bauten,  die,  bisher  weniger  bekannt  und  beachtet,  einen 
ehrenvollen  Platz  in  der  Geschichte  der  Architektur  verdienen,  in 
Sonderheit  solche,    deren  Kenntniß  durch  ihre  jetzige  Verwendung 

^)  Eine  gewisse  Vorsicht  bei  der  Benutzung  dieses  Buches  erscheint  allerdings 
geboten,  wenn  es  auch  nicht  verwundem  darf,  daß  bei  der  ungeheuren  Fülle  der  be- 
trachteten Bauten  sich  im  Einzelnen  bei  der  Beschreibung  und  Datirung  manche  Irr- 
thümer  finden. 

^)  Sie  sind  alle  im  Verhältniß  von   i  :  1000  gezeichnet. 


314  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

zu  profanen  Zwecken  erschwert  wird.  Es  gehören  dazu  eine  An- 
zahl norditalienischer  Kirchen ,  die  in  der  Napoleonischen  Zeit  in 
Nutzbauten  umgewandelt  worden  sind.  Dienen  doch  verschiedene 
dieser  ehemaligen  Andachtsstätten  der  friedlichsten  aller  mittelalter- 
lichen Korporationen  heute  als  Magazine  für  Waffen  und  Wehr  der 
italienischen  Armee.  Bunte  Waffenröcke  und  Ausstattungsstücke 
jeder  Art  füllten  bis  vor  kurzem  die  herrliche  Kirche  zu  Bologna, 
dichte  Reihen  von  Geschützen  diejenige  zu  Mantua.  In  anderen,  wie 
in  Parma  und  Bergamo,  büßen  dort,  wo  einst  in  stillen  Stunden  die 
Verzeihung  für  den  Sünder  erfleht  wurde ,  Zuchthäusler  ihre  Ver- 
brechen. In  der  Kirche  zu  Cremona  dagegen,  die  als  Hospital  dient, 
stehen  längsgereiht  im  luftigen  Räume  die  Betten  der  Kranken  — 
eine  Verwendung ,  gegen  welche  wohl  der  Mann  selbst ,  der  sein 
höchstes  Glück  darin  fand,  die  Aussätzigen  zu  pflegen,  Nichts  ein- 
zuwenden hätte.  In  manchen  Städten  endlich,  wie  in  Mailand,  Genua, 
Turin  ist  Nichts  mehr  von  den  Kirchen  des  heiligen  Franz  zu  sehen  — 
leider  häufig  nicht  einmal  eine  Beschreibung,  die  genügte,  sie  voll- 
ständig in  Gedanken  zu  rekonstruiren.  Besser  daran  ist  der  Forscher 
im  mittelitalienischen  Gebiete,  da  hier  die  Ordenskirchen  überall, 
selbst  in  den  kleinsten  Ortschaften,  und  zwar  zum  Theil  unverändert 
erhalten  sind  und  mit  wenigen  Ausnahmen,  wie  z.  B.  die  von  Pisa 
und  Lucca,  noch  heute  dem  Kultus  dienen. 

Da  die  Bauten  von  Umbrien  und  Toskana  gegenüber  den  nord- 
italienischen eine  besondere  in  sich  geschlossene  Gruppe  bilden,  der 
Süden  aber  keine  besonderen  Eigenthümlichkeiten  aufweist,  zerfällt 
eine  Betrachtung  der  Monumente  logisch  in  zwei  Haupttheile,  deren 
erster  mit  den  holzgedeckten ,  deren  zweiter  mit  den  Gewölbe- 
kirchen sich  beschäftigt.  Vorausgeschickt  aber  muß  eine  Be- 
sprechung der  ältesten,  von  Franz  selbst  gegründeten  und  be- 
wohnten Klöster  werden,  wie  der  an  die  Hauptkirche  des  Ordens 
sich  anschließenden  Bauten. 


II.  Die  ersten  Niederlassungen. 

Drei  Kirchen  sind  es,  die  in  der  Bekehrungsgeschichte  des 
jungen  Kaufmannssohnes  von  Assisi  eine  bedeutsame  Rolle  spielen : 
S.  Damiano ,  S.  Pietro  und  S.  Maria  in  Portiuncula.  Bereits  bei 
der  Schilderung  seines  Lebens  haben  wir  gesehen ,  welche  ge- 
schichtliche  Wichtigkeit    die   von   den   ältesten   Quellen   berichtete 


Die  ersten  Niederlassungen.  315 

Restaurirung  dieser  durch  die  Zeit  halb  zerstörten  alten  Bauten 
hatte,  welche  für  die  Gründung  der  drei  Orden  vorbildliche  Be- 
deutung dieser  Vorgang  in  der  Auffassung  der  nächsten  Nachfolger 
gewann.  Etwas  Geheimnißvolles  bleibt  aber  auch  für  uns  noch  in 
diesen  Dingen!  Wie  kommt  es,  daß  gerade  jene  Kirchen  überein- 
stimmende bauliche  Eigenthümlichkeiten  zeigen,  die,  ohne  Zu- 
sammenhang mit  der  gesammten  vorangehenden  italienischen  Kunst, 
in  enger  Beziehung  zu  französischen  Bauten  der  Zeit  stehen.!*  Wie 
kommt  es,  daß  nicht  allein  die  erwähnten  drei  Kirchen  jene  dem 
Süden  Frankreichs  fast  ausschließHch  damals  eigenthümliche  Form 
der  Wölbung:  das  spitzbogige  Tonnengewölbe  zeigen,  sondern  auch 
jene  älteste  Kapelle,  die  Franz  selbst  auf  dem  Berge  Alvernia  sich 
gebaut,  daß  eine  ähnliche,  nur  nicht  so  ausgesprochene  Form  in 
einer  der  kleinen  Zellen  seines  frühesten  Lieblingsaufenthaltes,  der 
Carceri,  wiederkehrt?  Es  ist  eine  merkwürdige  Thatsache,  für  die 
sich  eine  Erklärung  schwer  finden  läßt  —  so  Vieles  weist  darauf 
hin,  daß  Franz  wie  seinen  Namen,  so  sein  Wesen  dem  Süden 
Frankreichs  verdankt,  verdankt  er  ihm  etwa  auch  die  Kenntniß 
eigenartiger  architektonischer  Konstruktionen  und  die  Fähigkeit,  sie 
selbst  auszuführen.^  Angesichts  jener  Bauten  kann  man  daran  fast 
nicht  zweifeln  und  doch,  wie  der  mich  führende  Mönch  bei  der 
Beschreibung  der  Portiuncula,  ohne  meine  Gedanken  zu  ahnen,  mir 
sagte  —  »war  der  Heilige  kein  Maurer"!  Wie  konnte  er  dann 
technisch  nicht  gerade  nahe  liegende  Gewölbekonstruktionen  an- 
wenden, er  selbst,  wie  die  alten  Biographen  wollen,  die  Steine 
herbeischleppend  und  schichtend,  nicht  ruhend,  bis  er  die  Arbeit 
vollendet?^)  Erklärende  Vermuthungen  müssen  ohne  jeden  that- 
sächlichen  Werth  bleiben.  In  irgend  einer  Weise  muß  Franz  sich, 
und  zwar  schwerlich  durch  Anschauung  allein  gebildete,  technische 
Fertigkeiten  erworben  haben,  die  er  wiederholt  in  seinem  Leben 
verwerthet  hat.  In  der  Regel  hatte  er  ja  auch  nur  mit  kleinen 
Verhältnissen  zu  thun,  nur  S.  Pietro  hat  größere  Dimensionen. 

Wer  aus  Giotto's  Fresko  in  der  Oberkirche  zu  Assisi,  welches 
die  Beweinung  des  todten  Franz  vor  San  Damiano  schildert 
(Abb.  38),  sich  eine  Vorstellung  von  dieser  Kirche  machen  wollte, 
würde  eine  sehr  falsche  Anschauung  gewinnen.  Man  könnte  sich 
wohl   keinen   größeren  Gegensatz    denken,    als   den  zwischen  jener 

^)  S.  oben  S.   12. 


3i6  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

an  die  Dome  von  Siena  und  Orvieto  erinnernden  Fassade  und  der 
Wirklichkeit.  Es  ist  ein  schmaler,  oblonger,  vorn  mit  spitzbogigem, 
im  hinteren  Drittel  mit  rundbogigem  Tonnengewölbe  gedeckter 
kapellenartiger  Raum  mit  rund  geschlossener  Apsis,  viereckigen, 
rechts  vom  Chor  gesondert  sich  anschließenden,  mit  runden  Tonnen- 
gewölben gedeckten  Seitenräumen,  einer  in  der  Mitte  der  rechten 
Wand  heraustretenden,  wieder  spitzbogig  gewölbten  Kapelle.  Rechts 
von  der  Kirche,  nach  dem  kleinen  Vorhof  zu  geöffnet,  befindet  sich 
eine  dem  heiligen  Girolamo  1516  von  Galcotto  de'  Bistocchi  ge- 
weihte Kapelle  mit  den  15 17  von  Tiberio  d'Assisi  gefertigten  Fresken 
einer  Madonna  mit  Heiligen  und  der  zwei  Heiligen  Rochus  und 
Sebastian  von  1522.  Die  einfache  spitzgieblig  geschlossene  Fassade 
der  Kirche  befaßt  jetzt  diese  Kapelle  mit  ein,  während  sie  ur- 
sprünglich auf  die  eigentliche  Kirche  beschränkt  war,  wie  das  vier- 
eckige Portal  und  das  Rundfenster  darüber  zeigen.  Links  an  die 
Kirche  schließt  sich  der  kleine  Hof  mit  den  einst  von  Chiara  und 
ihren  Nonnen  bewohnten  kleinen,  fast  durchweg  in  den  letzten 
Jahrhunderten  erneuerten  Klosterräumen  an.  Das  Dormitorium  mit 
Chor  befindet  sich  über  der  Kirche  selbst,  das  Refektorium,  über 
welchem  die  Infermeria  liegt,  an  der  Ostseite  des  Hofes.  ^)  —  Man 
kann  nun  fragen,  was  von  der  zuerst  1030  erwähnten  Kapelle  er- 
halten ist  und  worin  deren  Wiederherstellung  durch  Franziskus  be- 
stand. (Abb.  44.)  Cristofani  hat  in  seiner  ausführlichen  Geschichte 
und  Beschreibung  der  Kirche  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  nach- 
gewiesen, daß  ihr  ältester  Theil  der  hintere,  welcher  von  der  Apsis 
bis  zu  dem  jetzigen  Hochaltar  reicht,  der  spitzbogig  überwölbte  aber 
später  hinzugekommen  sei,  und  läßt  Franz  nur  ausbessern,  nicht 
selbst  wirklich  bauen.  ^)  Mag  er  in  dem  ersten  Theil  seiner  Be- 
hauptung auch  Recht  haben  —  und  das  verschiedene  Niveau  des 
Bodens,  die  verschiedene  Höhe  der  Gewölbe  weist  sicher  auf  zwei 
Bauperioden  hin  — ,  so  muß  ich  doch,  gestützt  auf  die  Vergleichung 
mit  den  noch  zu  besprechenden  anderen  Bauten,  es  als  sehr  wahr- 
scheinlich betonen,  daß  gerade  die  spitzbogig  gewölbten  Theile  den 
Antheil  bezeichnen,  den  Franz  an  der  Wiederherstellung  gehabt. 
,, Nachdem  der  Heilige  Gottes  die  erwähnte  Kirche  hergestellt," 


1)  Abb.  in  Vincenzo    Bini's    Assisi    (Orvieto   1824)  Taf.  VIII  —  XII    (Chor,    Ora- 
torium, Dormitorium,  Refektorium,  Infermeria). 

^)  Storia  della  chiesa  e  chiostro  di  S.  Damiano.     Assisi,  Sensi.      1882.     S.   50  ff. 


Die  ersten  Niederlassungen.  3 1 7 

erzählt  Thomas  von  Celano ,  „wanderte  er  an  einen  anderen  Ort 
nahe  bei  der  Stadt  Assisi,  wo  er  eine  gewisse  Kirche,  die  fast  zer- 
stört war,  wieder  aufzubauen  begann,  und  nicht  ließ  er  von  dem 
guten  Vorhaben  ab,  bis  er  Alles  zur  Vollendung  gebracht."*)  Bona- 
ventura weiß  ihren  Namen :  ,,er  begab  sich  an  die  Wiederherstellung 
einer  einst  dem  heiligen  Petrus  geweihten  Kirche ,  die  weiter  von 
der  Stadt  ab  gelegen  war,  aus  besonderer  Verehrung,  die  er  in  der 
Reinheit  aufrichtigen  Glaubens  fiir  den  Apostelfürsten  hegte."  Nun 
giebt  es  in  der  That  dicht  bei  dem  südlichen  Stadtthore  eine  Kirche 
S.  P  i  e  t  r  o  ,  deren  Architektur  auf  jene  Zeit  hinweist,  doch  will  für 
ihre  Lage  das,,longius  a  civitate  distans"  nicht  recht  passen.  Dennoch 
muß  sie  die  von  den  alten  Biographen  gemeinte  sein,  da  in  der 
weiteren  Umgebung  von  Assisi  keine  andere  existirt,  die  dem 
Petrus  geweiht  gewesen,  und  ein  kleiner  Mangel 
der  Genauigkeit  in  der  Ortsangabe  bei  dem  nicht 
in  Assisi  heimischen  Bonaventura  nicht  über- 
raschen kann,  zumal  S.  Pietro  im  XII.  Jahrhundert 
thatsächlich  noch  außerhalb  der  Stadtmauern 
lag.  Es  ist  ein  dreischiffiger  Bau  mit  einem 
nicht  über  ihn  ausladenden  Querhause,  mit  einer 
Kuppel  über  der  Vierung  und  einer  halbrunden 
Apsis,  die  an  einen  oblongen  Chorraum  gelegt 
ist.     Die  Seitenschiffe  sind  diesem  entsprechend    .,,      ^  „.      .... 

'^  Abb.  45.  S.  Pietro  in  Assisi. 

Über  das  Querschiff  verlängert  und  hier  gerade 
geschlossen.  Sechs  einfache,  viereckige  Pfeiler  mit  ganz  schlichter 
simsartiger  Bekrönung  tragen  weitgerundete  Spitzbogen,  die  man 
aber  auf  den  ersten  Blick  noch  fiir  rund  halten  würde.  Das 
Mittelschiff  ist  von  einem  etwas  zugespitzten  Tonnengewölbe,  das 
durch  acht  fast  ganz  verhehlte  Quergurte  gegliedert  wird ,  be- 
deckt.^) Die  Seitenschiffe  haben  je  drei  etwas  niedrigere  flach- 
runde Tonnengewölbe,  die,  durch  flache  Rundquergurte  geschieden, 
der  Längenrichtung  folgen.  Die  aus  Backsteinen  konstruirte ,  auf 
Pendentifs  ansetzende  Kuppel  ruht  über  vier  Bögen ,  von  denen 
die  zwei  nach  dem  Querschiff  sich  öffnenden  breitgespannte 
Spitzbögen   sind ,    die  anderen    beiden   aber  rund ,    also  nicht  ganz 


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»)  I  Leg.  III  S.  689. 

^)  Mittelschiff  nach  Laspeyres  6,70  m  lichte  Weite;  nördliches  Seitenschiff  4,40; 
südliches  3,80  m. 


3 1 8  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

dem  zugespitzten  Tonnengewölbe  entsprechend.  Im  Chor  und  den 
Querschiffen  befinden  sich  runde  Tonnengewölbe,  in  den  Quer- 
schiifen  als  eine  direkte  Fortsetzung  der  Seitenschiffgewölbe.  Am 
linken  Querschiffe  ist  später  eine  gothische  viereckige  Kapelle  an- 
gebaut worden,  die  in  ihren  Details,  namentlich  den  das  Kreuz- 
gewölbe tragenden  Eckleisten  mit  antikisirenden  Kapitalen,  lebhaft 
an  die  späteren  Kapellenanbauten  der  Unterkirche  von  S.  Fran- 
cesco ,  die  wir  in  die  Zeit  um  1 300  verlegten ,  erinnert  und  ver- 
muthlich  von  demselben  Architekten  gebaut  wurde.  ^)  Sein  Licht 
erhält  das  Längsschiff  im  Wesentlichen  durch  die  Radfenster  der 
Fassade  und  ganz  schmale  kleine  rundbogige  Fenster  in  den  Seiten- 
wänden, der  Chor  durch  ein  zweigetheiltes  rundbogiges  Fenster. 

Die  Fassade,  welche  nach  einer  querlaufenden  Inschrift  im  Jahre 
1268  zur  Zeit  des  Abtes  Rusticus  ausgeführt  wurde  ^),  schließt  sich 
an  die  in  Assisi  seit  der  Domfassade  üblichen  an,  deren  Haupt- 
vorbild der  Dom  geworden.  (Abb.  46.)  In  zwei  Geschossen  sich 
erhebend,  die  mit  Rundbogenfries  abgeschlossen  sind,  ist  sie  oben 
wagerecht  geschlossen  und  durch  Lisenen  in  drei  Theile  getheilt. 
Von  den  drei  rundbogig  gebildeten  Portalen  ist  das  mittlere  größte 
von  zwei  Rundstäben  eingefaßt,  deren  Kapitale  das  eine  mit  vier 
Vögeln,  das  andere  mit  zwei  Löwen  in  flachem  Relief  geschmückt 
sind ,  und  mit  einem  Rahmen ,  der  ebenso  wie  der  Thürsturz  mit 
zierlichen  Rankenreben  ornamentirt  ist,  umgeben.  Drei  reiche  und 
schön  gearbeitete  Radfenster,  die  noch  durchaus  rundbogig  ge- 
halten sind,  beleben  das  obere  Stockwerk.  —  Die  Seitenfassaden 
sind  ganz  schlicht,  die  Apsis  ist  durch  zwei  Lisenen  mit  Bogenfries 
gegliedert.  Ein  viereckiger  Campanile  erhebt  sich  über  dem  Ende 
des  rechten  Seitenschiffes. 

Die  Gründungszeit  dieser  zu  einem  Benediktinerkloster  ge- 
hörigen Kirche  ist  unbekannt.  Laspeyres,  welcher  sie  in  seinem 
höchst  werthvollen  Aufsatze  über  die  Baudenkmale  Umbriens^)  be- 
spricht und  beschreibt,  bemerkt,  daß  sie  zuerst  1029  erwähnt  wird. 
Die  Mönche  nahmen  in  der  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  die  Regel 


^)  Die  in  ihr  erhaltenen  Freskenreste  sind  von  einem  schwachen  lokalen  Meister 
des  XIV.  Jahrhunderts,  von  dem  sich  auch  sonst  Fresken  zu  Assisi  finden. 

^)  Pastor  Petre  gregis  Christi  fidissime  regis  hie  fidei  pure  populus  stans  sit  tibi 
eure  hoc  opus  est  actum  post  partum  virgine  factum  mille  ducenteni  sunt  octo  sex 
quoque  deni  tempore  abbatis  Rustici. 

3)  Erbkam's  Zeitschrift  für  Bauwesen   1872.     Bd.  XXII  S.  284. 


Die  ersten  Niederlassungen.  31g 

der  Cisterzienser  an  und  wurden  1577  von  Gregor  XIII.  gezwungen, 
das  Kloster  zu  verlassen.  In  welche  Jahre  die  Verwandlung  der 
älteren  Kirche  in  die  Form,  die  wir  heute  gewahren,  zu  legen  ist, 
muß  zweifelhaft  bleiben,  da  sich  die  Zahl  der  Inschrift  offenbar  nur 
auf  die  Fassade  bezieht,  jedenfalls  vor  1253,  in  welchem  Jahre  sie 
von  Innocenz  IV.  gelegentlich  seiner  Anwesenheit  in  Assisi  geweiht 
wird.  ^)  Auch  dürfte  es  uns  billiger  Weise  überraschen ,  der  Kon- 
struktion von  Tonnengewölben  in  einer  Zeit  zu  begegnen,  in  der 
durch  die  Bauten  von  S.  Francesco  und  S.  Chiara  das  Kreuzgewölbe 
in  Assisi  schon  gang  und  gäbe  geworden  war;  andrerseits,  wollten 
wir  der  Legende  Glauben  schenken,  die  Franz  mit  dem  Bau  in 
Verbindung  bringt,  befänden  wir  uns,  wie  gesagt,  in  der  Lage,  er- 
klären zu  müssen,  wie  er  im  Stande  gewesen,  ohne  Werkmeister 
zu  sein,  die  technischen  Schwierigkeiten  der  südfranzösischen  früh- 
gothischen  Bauweise  zu  bewältigen. 

Eines  aber  muß  bestimmt  hervorgehoben  werden:  daß  S.  Pietro, 
was  seine  Gewölbeanlage  betrifft,  eine  in  Italien  ziemlich  vereinzelt 
stehende  Erscheinung  ist.  Eine  Beziehung  zu  den  apulischen  Bauten, 
wie  z.  B.  S.  Maria  Immaculata  in  Trani,  S.  Maria  Assunta  in  Altamura, 
S.  Giuseppe  in  Gaeta,  in  denen  vorzugsweise  das  halbe  Tonnen- 
gewölbe angewandt  ist,  dürfte  schwerlich  anzunehmen  sein.  Spitz- 
bogige  Tonnengewölbe  kenne  ich  nur  in  einigen  normannischen 
Kirchen,  wie  in  der  Kathedrale  zu  Siponto ,  der  1066  vollendeten 
Kirche  S.  Agostino  zu  Ravello ,  einer  kleineren  Kirche  S.  Niccolö 
bei  Girgenti,  in  S.  Niccolö  e  Cataldo  in  Lecce  u.  a.,  und  außerdem 
in  der  Kathedrale  von  S.Leone  im  Urbinatischen ,  die  1173  neu 
gebaut  wurde.  Daß  die  letztgenannte,  eine  alte  Basilika,  die  im 
erwähnten  Jahre  (?)  und  zwar,  wie  ich  mit  Schnaase  annehme,  unter 
französischem  Einflüsse  in  eine  Pfeilerkirche  mit  spitzbogigen  Tonnen- 
gewölben im  Mittelschiff  und  Querschiff  umgewandelt  wurde,  eine 
vorbildliche  Bedeutung  für  S.  Pietro  gewonnen,  wäre  nicht  un- 
denkbar, aber  auch  nicht  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  zu  be- 
haupten, da  sie  in  der  reicheren  Pfeilerbildung,  in  den  ausgesprochenen 
Spitzarkaden,  in  dem  Kreuzgewölbe  der  Vierung  eine  vorgeschritte- 
nere Gothik  repräsentirt,  als  S.  Pietro,  in  welcher  gleichsam  zaghaft 
der  neue  Stil  versucht  wird.^)    Das  ungewisse  Schwanken  zwischen 


^)  Cristofani:  Storie  di  Assisi  I,  S.  173. 

2)  Schnaase  VII,  S.  87.     Mothes:  S.  441.  —  d'Agincourt  XXXVI,  20  u.  21. 


320 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


Spitz-  und  Rundbogen ,  der  einfache  viereckige  Pfeiler  kehrt  aber, 
ebenso  wie  die  EigenthümHchkeit ,  daß  die  Gurte  der  spitz- 
bogigen  Gewölbe  rund  gehalten  sind ,  häufig  in  Kirchen  der  Pro- 
vence im  XIII.  Jahrhundert  wieder.  ^)  Die  Annahme  eines  be- 
stimmenden, von  diesen  ausgehenden  Einflusses  wird  daher  schwerlich 
abzuweisen  sein. 

Die  dritte  Kirche ,  welche  der  heilige  Franz  wiederherstellte, 
dieselbe,  in  der  er,  durch  die  einfachen  Worte  des  Evangehums 
ergriffen,  für  immer  sich  der  Armuth  weihte,  die  seine  und  seiner 
Jünger  eigentliche  Heimath  wurde :  die  Portiuncula,  die  heute 
noch  klein  und  unscheinbar  in  Mitten  der  gewaltigen  Basilika 
S.  Maria  degli  Angeli  als  segenspendendes  Heiligenthum  verehrt 
wird,  gehörte  dereinst  den  Benediktinermönchen  vom  Berg  Subasio. 
,,Vor  alten  Zeiten  erbaut,"  erzählt  Thomas  von  Celano,  ,,lag  sie 
verlassen  damals  und  wurde  von  Niemand  mehr  besucht.  Als  sie 
der  Heilige  Gottes  so  zerstört  sah,  ward  er  von  frommem  Mitleid 
bewegt,  da  er  vor  Verehrung  für  die  Mutter  aller  Güte  glühte,  und 
begann  daselbst  dauernd  sich  aufzuhalten.  Es  geschah  aber,  daß 
das  dritte  Jahr  nach  seiner  Bekehrung  begann ,  nachdem  er  die 
schon  erwähnte  Kirche  wiederhergestellt."  Fast  wörtlich  wiederholt 
dies  Bonaventura.  Es  ist  ein  ganz  kleines ,  oblonges ,  mit  spitz- 
bogigem  Tonnengewölbe  überwölbtes  Kirchlein  mit  halbrunder  Apsis, 
spitzem  Dach ,  einer  einfachen  runden  Thüre  an  der  Fassade  und 
einer  gleichen  an  der  einen  Seitenwand. '^)  Sie  wurde  der  Mittel- 
punkt des  ersten  Klosters,  das  Franz  für  sich  und  seine  Jünger 
gründete,  und  damit  die  Wiege  des  ganzen  Ordens.  Gar  einfach 
muß  diese  erste  Niederlassung  gewesen  sein,  an  deren  Stelle  sich 
jetzt  die  mächtige  Kirche  mitten  im  fruchtbaren,  reich  angebauten 
Thale  erhebt.  Von  den  schmucklosen  kleinen  Hütten,  in  denen  die 
Brüder  jeder  einzeln,  um  ungestörter  dem  Gebete  und  den  Selbst- 
prüfungen obliegen  zu  können ,  lebten ,  wäre  wohl  wenig  zu  sagen 
gewesen ,    wäre    uns    selbst   eine  Anschauung  in  alten  Abbildungen 


^)  Man  vergl.  die  Kirchen  von  Vaison  und  andere ,  sowie  den  betreffenden  Ab- 
schnitt bei  Schnaase  IV,  S.  487  ff. 

2)  Abb.  bei  d'Agincourt  XXXVI,  26—29.  Wadding  z.  J.  1213.  I,  S.  156, 
weiß  nach  Marianus  von  einer  anderen  kleinen  Kirche  zu  erzählen,  die  Franz  zwischen 
S.  Gemini  und  Porcaria  zu  Ehren  der  Maria  erbaut  habe  ,,in  Allem  der  Kirche  S.  Maria 
degli  Angeli  gleich". 


Die  ersten  Niederlassungen.  32 1 

erhalten  wordep.^)  War  schon  das  Heiligthum  selbst  so  klein  und 
ärmlich,  wie  mußten  es  erst  die  Zellen  sein!^)  Eine  derselben,  in 
welcher  der  alten  Tradition  nach  der  Heilige  gestorben  ist,  be- 
findet sich,  in  eine  Kapelle  verwandelt,  unweit  der  Portiuncula  selbst, 
mit  eingeschlossen  in  die  große  Basilika ;  eine  andere  unterhalb  der 
Rosenkapelle. 

Schwer  fällt  es,  sich  heutzutage  in  jene  Zeiten  zurückzuversetzen, 
erblickt  man  die  umfänglichen  Bauten,  die  in  der  Aufeinanderfolge 
der  Jahrhunderte  diesem  berühmten  Wallfahrtsorte  sein  imponirendes 
jetziges  Gepräge  gegeben.  Welches  immer  der  historische  Werth 
des  Portiuncula- Ablasses  sein  mag,  sein  Ansehen  ist  von  Jahr  zu 
Jahr  gestiegen,  und  für  die  Tausende,  die  ihn  zu  suchen  kommen, 
ist  die  Kirche  gerade  groß  genug.  Nach  einer  alten  Tradition,  die 
in  Salvator  Vitali's  ,,Paradisus  Seraphicus"  (Mailand  1645)  ihren 
schriftlichen  Ausdruck  gefunden,  waren  es  zuerst  vier  Eremiten, 
die  vom  heiligen  Cyrillus  mit  einem  Bruchstück  vom  Grabe  der 
Maria  nach  Italien  gesandt  und  vom  Papste  Liberius  in's  Spoletaner 
Thal  gewiesen,  der  Maria  ein  Heiligthum  gründeten,  das  mit  einem 
Bilde  der  Himmelfahrt  Maria  geschmückt  und  später,  nachdem  es 
Benedikt  576  für  seinen  Orden  erhalten,  S.  Maria  degli  Angeli  ge- 
nannt wurde.  ^)  Es  war  kein  eigentliches  Kloster,  nur  eine  , portiun- 
cula terreni'.  Die  Kluniazenser,  dann  die  Cisterzienser  besaßen  sie, 
bis  1075  die  Mönche  sich  in  die  Abtei  des  Monte  Subasio  zurück- 
zogen und  das  zerfallene  Kirchlein  sich  selbst  überließen.  Pica,  so 
sagt  die  Legende,  pflegte  dort  zu  beten  und  empfing  dort  die  Ge- 


^)  Die  Ansicht  des  ersten  Klosters,  die  nach  einer  Zeichnung  des  Providoni  dem 
„CoUis  Paradisi"  des  Padre  Angeli  beigegeben  ist,  beruht  natürlich  vollständig  auf 
Phantasie. 

^)  Lehrte  Franz  doch  nach  Th.  v.  Cel.  11  Leg.  (III,  2.  S.  92)  die  Seinen  ärmliche 
Behausungen  zu  machen ,  aus  Holz ,  nicht  aus  Stein ,  und  sie  als  Hütten  in  einfachster 
schmuckloser  Form  zu  bilden. 

^)  Vergl.  hierfür  und  für  die  folgende  Beschreibung  vor  Allem  Cesare  Guasti's 
besonders  eingehendes  Buch:  La  basilica  di  S.  M.  degli  A.  Firenze  (Ricci)  1882.  — 
Bamabe:  La  Porti oncule.  Foligno  (Campitelli)  1884.  —  Sowie  die  älteren  Manuskripte: 
Bartoli  über  indulgentiae  S.  M.  de  Angelis  (1325).  Grimaldi:  Dissertazione  (1804),  ein 
Memoriale  aus  dem  XVIII.  Jahrh.  —  Femer  Salvatore  Vitali:  Paradisus  Seraphicus. 
Portiuncula  sacra.  Milano  1645.  —  Angeli's  CoUis  Paradisi  1704.  —  Cristofani:  Guida 
und  Storie  di  Assisi.  —  Da  Solero,  P.  Amadeo :  Gloria  della  sacra  Porziuncula.  Perugia 
1858.  —  Perilli:  Relazione  storica  sul  risorgimento  della  Basilica  degli  Angeli.  n.  Ausg. 
Rom   1842. 

Thode,  Franz  von  Assisi.  2i 


322 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


wißheit,  einen  Sohn  zu  gebären.  Und  für  Diesen  wurde  es  nun, 
nachdem  er  es  restaurirt  und  von  den  Benediktinern  erhalten,  die 
eigentliche  Heimath.  Von  einer  ersten  baulichen  Vergrößerung 
durch  Pietro  Cattaneo ,  die  von  Franz  gemißbilligt  und  zerstört 
wurde,  erzählt  schon  Thomas  von  Celano.^)  Dann  trat  nach  dem 
Tode  des  Franz  eine  erneuerte  Erweiterung  ein,  vermuthlich  der 
Neubau  einer  die  Portiuncula  einschließenden  Kirche,  der  von 
Nikolaus  IV.  (s.  Breve  bei  Wadding)  1288  erweitert  und  geschmückt 
wurde.  Was  Cristofani  in  seinem  Guida  wohl  nach  Grimaldi  von 
ihrer  Kreuzform  sagt,  entbehrt  jeder  historischen  Begründung.  Wir 
wissen  nur  aus  einem  vom  24.  Februar  1333  datirten  Briefe  des 
Oddo  von  einer  Loggia :  ,,logia  supra  portam  sacri  loci  de  Portiun- 
cula", die  gleichzeitig  Bartoli  ,,miri  operis  fabricata"  nennt  und 
noch  Pius  II.  am  11.  Juli  1460  in  einem  Breve  erwähnt.  Von  ver- 
schiedenen Altären  und  einem  Bilde  der  Himmelfahrt  über  dem 
Hauptaltar  spricht  Vitalis  auf  Grund  ganz  alter  Beschreibungen. 
Im  XV.  Jahrhundert  aber  schon  bestand  ein  Chor,  der  wahrschein- 
lich als  erste  Erweiterung  an  die  Hinterwand  des  Kirchleins  an- 
gebaut und  durch  Perugino  mit  einer  durch  den  späteren  Abbruch 
des  Anbaus  theilweise  zerstörten,  jetzt  arg  restaurirten  Kreuzigung 
geschmückt  wurde.  Er  findet  sich  noch  auf  Pro vidoni 's  Abbildung 
im  Collis  Paradisi  (p.  46)  und  wurde  1700  zerstört.  Daß  ein  anderer 
Laienchor  über  der  Kirche  von  Bernardino  da  Siena  1438  gebaut 
worden  sei,  wie  Grimaldi  wohl  nach  der  ,,Umbria  Serafica"  (z.  J. 
1438)  will,  hat  keine  historische  Begründung.  Im  Jahre  1569  wird 
dann  von  Giacomo  Barozzi  de  Vignola  der  große  jetzige  Bau  be- 
gonnen, nach  dessen  Tode  (am  7.  Juli  1573)  von  Galeazzo  Alessi 
und  später  von  GiuHo  Danti  fortgesetzt  und  vollendet.-) 

Die  triumphale  Kirche  S.  Maria  degli  Angeli  (Abb.  47)  hat 
ein  dreischiffiges,  von  je  fünf  Kapellen  flankirtes  Langhaus  mit  Rund- 


1)  II  Leg.  III  2  S.  92. 

-)  Maaße  nach  Cristofani  L.  127  m,  Br.  64  m.  Grundriß  bei  Bamabe.  Vergl. 
Egnatio  Danti :  Le  due  regele  della  prospettiva  pratica  di  J.  B.  de  Vignola.  Roma 
Zanetti. — Baldinucci.  Florenz  1728  III  p.  32I — 326.  Die  Daten  nach  Guasti:  ^^/g  1569 
Grundsteinlegung,  Chor  1622  angefangen.  Sakristei  1624.  Zwischen  1637  und  1639 
der  4.  Pfeiler  der  Kuppel  errichtet.  Von  1678 — 84  der  Campanile  (capomaestro  dess. 
Francesco  da  Firenze),  1776 — 1777  Bleidach  der  Kuppel.  27.  Okt.  1791  schlägt  Blitz 
in  Kuppel.  1831  und  1832  verursachten  Erdbeben  Einbrüche.  Im  Breve  vom  26.  Febr. 
1836  bestimmt  Gregor  XVI.  Restauration  (Luigi  Poletti  und  Luigi  Ferri)  8.  Sept.  1840 
neue  Weihung. 


Die  ersten  Niederlassungen.  323 

bogen  auf  Pfeilern.  In  der  Mitte  des  nicht  ausladenden  Querschiffes 
erhebt  sich  eine  großartige  Kuppel.  Der  sehr  tiefe  Chor,  neben  dem 
links  gesondert  ein  kleiner  Chor,  rechts  die  Sakristei  liegt,  ist  mit 
einer  halbrunden  Apsis  geschlossen.  Oestlich  von  der  Sakristei 
befindet  sich  der  Garten ,  in  dem  die  dornenlosen  Rosen  blühen, 
und  dicht  bei  ihm  die  Capeila  delle  Rose,  welche  die  kleine  Zelle 
des  Franz ,  in  der  der  Versucher  ihm  nahe  trat ,  einschließt.  An- 
geblich (nach  Bartoli)  war  es  Bonaventura,  der  ein  kleines  Oratorium 
über  ihr  bauen  ließ,  dem  dann  1435  Bernhardin  von  Siena  einen 
etwas  größeren  Raum  hinzufügte,  der  wie  jenes  von  Tiberio  d'Assisi 
ausgemalt  wurde  (s.  o.  S.  176).  Südlich  von  der  Kirche  aber  er- 
streckt sich  das  Kloster,  das  1288  vergrößert,  in  den  Jahren  1527, 
1559  und  1606  ausgebaut  wurde,  nachdem  schon  1473  Bernhardin 
von  Siena  eine  von  einem  ,,ser  Mariotto"  hinterlassene  Summe  von 
200  Gulden  dazu  verwendet  hatte,  ein  im  Bau  begriffenes  Dormi- 
torium  zu  vollenden.^)  161 5 — 20  und  1640  wurden  Anbauten  zur 
Aufnahme  der  Fremden  ausgeführt.  Unter  den  für  das  Kloster 
thätigen  Künstlern  befindet  sich  nach  Vasari  auch  Michelozzo,  der 
i486  einen  Aquädukt  baute.  Doch  kehren  wir  nach  dieser  Exkursion 
in  spätere  Zeiten  zu  Franz  und  seinen  anderen  ersten  Nieder- 
lassungen zurück. 

Wer  einen  wahrhaft  ergreifenden  Einblick  in  das  stille  Gott 
geweihte  Leben  des  Franz  in  den  ersten  Zeiten  nach  seiner  Be- 
kehrung thun  will ,  der  versäume  es  nicht ,  auf  steil  am  Monte 
Subasio  ansteigendem  Pfade  von  Assisi  aus  nach  den  Carceri  zu 
wandern,  jenem  in  jäh  abfallender  Schlucht  mitten  im  üppigsten 
Grün  versteckten  Heiligthum.  Es  ist  ein  Platz  wie  geschaffen  zur 
Selbstbetrachtung  und  Weltvergessenheit :  eingezwängt  zwischen  die 
Berge,  die  vortretend  den  Ausblick  auf  die  Städte  Assisi  und  Spello 
versperren,  dabei  doch  aus  seiner  Verborgenheit  hinausschauend 
auf  das  in  der  Tiefe  grünende  Thal.  Wie  die  Portiuncula  erhielt 
Franz  auch  diesen  Ort  von  den  Benediktinern  und  schuf  damit  für 
sich  und  seine  Anhänger  eine  andere  heimliche  Stätte,  in  welcher 
er  mit  ihnen  beglückenden  und  reinigenden  Betrachtungen  ungestört 
nachhängen  konnte.  Bartholomäus  Pisanus  erzählt  uns,  daß  die 
Zellen  der  Brüder  hier  aus  geflochtenen  Baumzweigen  gebildet 
waren.     Was    aus    der   ältesten  Zeit  noch  erhalten  ist,    sind  einige 


^)  Bemhardin's  Brief  bei  Guasti  a.  a.  O.  S.  93. 


324 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


kleine  Räume,  deren  einer,  die  in  den  Steingrund  vertiefte  Lager- 
stätte des  Heiligen  umschließend ,  wieder  mit  einem  spitzbogigen 
Tonnengewölbe  gedeckt  ist.  Die  übrigen  wenig  Interesse  bietenden 
Baulichkeiten,  die  sich  an  einen  kleinen  Hof  anschließen,  stammen 
wohl  zumeist  von  der  nach  1376  von  P.  Paolo  Trinci  angeordneten 
Vergrößerung,  der  ein  Dormitorium  mit  acht  Zimmern  baute.  Einer 
alten  Tradition  zufolge  fügte  dann  Bernhardin  von  Siena  ein  zweites 
kleines  Dormitorium  hinzu  und  errichtete  das  mit  einem  Tonnen- 
gewölbe gedeckte  Kirchlein,  das  nach  Anderen  auf  Franz  selbst 
zurückgeht,  jedenfalls  aber  schwerlich  später  als  im  XIV.  Jahrhundert 
entstanden  ist.  ■^)  Es  ist  wenig,  was  der  Forscher  hier  erfährt,  desto 
mehr  aber,  was  der  in  stille  Erinnerung  vertiefte  Wanderer  em- 
pfindet, hört  er  von  dem  ganz  allein  zurückgebliebenen  Bruder  mit 
liebevoller  Ausführlichkeit  alle  die  sinnigen  alten  Legenden  erzählt, 
die  mit  ihm  das  einzig  Lebendige  in  dieser  Einsamkeit  sind  —  wie 
auf  das  Gebet  des  Mannes ,  dem  die  Natur  als  ihrem  Liebling  ge- 
horchte, der  mächtig  in's  Thal  abstürzende  Waldstrom  sein  Rauschen 
eingestellt,  um  nicht  die  schwache  Stimme  des  betenden  Bruders 
zu  übertönen ;  wie  die  Vögel  auf  der  grünen  Eiche  sich  versammelt, 
seinen  Segen  zu  empfangen ;  wie  blitzend  aus  der  Erde  hervor  ihm 
der  ersehnte  Brunnen  entgegen  gesprudelt;  wie  scheu  aus  diesem 
frommen  Kreise  der  Teufel  sich  in  die  Bergestiefen  geflüchtet! 

Dann  wieder  hinabsteigend  in's  Thal  finden  wir  einen  anderen 
Lieblingsaufenthalt  des  Franz,  an  dem  er  mit  den  ersten  beiden 
Jüngern  lange  verweilte,  wo  sich  die  anderen  Alle  zu  ihm  fanden, 
der  eigentliche  Sitz  der  jungen  Gemeinde ,  bevor  sie  sich  in 
Portiuncula  niederließ,  das  Sanctuarium  von  Rivotorto,  — 
jetzt  eine  neu  über  einem  kleinen  Oratorium  des  Heiligen  er- 
richtete Kirche,  an  deren  Stelle  vor  dem  i.  J.  1853  erfolgten  Erd- 
beben eine  ältere  um  1640  vollendete,  1645  geweihte  stand,  von 
deren  schlichter  Fassade  und  tonnengewölbtem  dreischiffigen  Innern 
wir  einen  Begriff  aus  zwei  Abbildungen  bei  Bini  (Taf.  XVIII  und  XIX) 
erhalten  können. 

Nicht  aus  eigener  Anschauung  bekannt  ist  mir  der  sogenannte 
Speco  oder  Eremo  di  S.  Francesco,  der  ungefähr  12  Kilo- 
meter von  Narni  entfernt  als  zeitweiliger  Wohnort  desselben  ver- 
ehrt wird.     Es  ist  eine  Grotte,  in  deren  Nähe  sich  eine  kleine  mit 


1)  Abb.  bei  Bini  a.  a.  O.  T.  XIII— XVII. 


Die  ersten  Niederlassungen.  325 

einigen  Wandgemälden  des  XIV.  Jahrhunderts  geschmückte  Kapelle 
befindet.  In  den  Stein  gehauen  auch  sind  die  wenigen  Räume : 
das  Dormitorium ,  Oratorium  und  Refektorium ,  die  als  Wohnort 
des  h.  Franz  in  dem  Kloster  bei  Greggio,  das  il  monte  di 
S.  Francesco  heißt,  verehrt  werden.  Doch  würde  es  zu  weit 
führen,  wollten  wir  alle  die  Plätze  in  Italien  aufsuchen,  die  durch 
die  Erinnerung  an  einen  vorübergehenden  Aufenthalt  des  Franz 
geweiht  sind ,  da  sie  kein  kunstgeschichtliches ,  sondern  nur  ein 
religiöses  Interesse  haben.^)  Zu  einem  Orte  aber,  der  in  den 
Augen  des  gläubigen  Katholiken  fast  die  größte  Bedeutung  unter 
allen  Heiligthümern  des  Franz  hat ,  müssen  auch  wir  pilgern ,  zu 
dem  hoch  auf  dem  Berge  Alvernia  gelegenen  Kloster,  das  auf 
der  Stelle  erbaut  worden,  an  welcher  Franz  die  Vision  des  Seraphs, 
der  ihm  das  Siegel  der  vollendeten  Christusähnlichkeit  aufdrückte, 
hatte.  Treten  wir,  auf  ermüdend  steilen  Pfaden  zu  der  Höhe  ge- 
langt ,  nach  kurzem ,  eine  Welt  von  Schönheit  umfassenden  Blick 
durch  das  Thor  in  den  kleinen  Vorhof  ein ,  so  liegt  gerade  vor 
uns  die  kleine  Kirche  degli  Angioli,  die,  der  Tradition  nach  vom 
Grafen  Orlando  nach  Zeichnung  des  Franz  oder  von  Franz  selbst 
gebaut,  jedenfalls  der  älteste  Theil  des  ganzen  Klosters  ist.  Sie 
ist  mit  spitzbogigem  Tonnengewölbe  bedeckt,  also  wiederum  in 
dem  wie  es  scheint  Franz  eigenthümlichen  Stil,  und  wurde  nach 
Wadding  unter  Innocenz  1252  erweitert.-)  Mehrere  Werke  der 
späteren  Robbiaschule :  eine  , Geburt  Christi',  eine  Darstellung  des 
im  Grabe  von  Maria  und  Johannes  gehaltenen  Christus,  sowie  eine 
.Madonna  della  Cintola'  von  Andrea  bilden  ihren  Hauptschmuck.  — 
Von  der  ursprünglichen  Anlage  des  Klosters ,  rechts  von  der  er- 
wähnten Kirche,  ist  in  dem  jetzigen,  um  zwei  Höfe  sich  gruppirenden 
Komplex  von  Baulichkeiten  Nichts  mehr  zu  erkennen.  Wir  wissen 
nur,  daß  Alexander  IV.  in  einer  Bulle  vom  Jahre  1255,  10.  April, 
den  mons  Alverniae  in  seinen  besonderen  Schutz  nimmt  und  an- 
ordnet,    daß     einige    Brüder     beständig     daselbst     leben. ^)      Am 

^)  Wer  sich  über  sie  unterrichten  will,  möge  zu  einem  Buche  des  P.  Ambrogio 
Mariani:  Reminiscenze  d'un  pellegrino  (Firenze   1882)  greifen. 

2)  Die  drei  Quergurte  stammen  wohl  von  der  Restauration  her.  Außen  befindet 
sich  neben  einem  angeblich  dem  Grafen  Orlando  angehörigen  Wappen  mit  drei  Bildern 
eine  der  Schrift  nach  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  stammende  Inschrift:  ,S.  Baldasarre 
di  Franciescho  de  Chatani  da  Chiusi  e  suorum',  also  eine  Begräbnißstätte.  —  Vgl. 
Wadding:  Annal.  I,  S.  156. 

3)  Wadding  z.  J.   1255.     III.  Bd.  —  Chavin:  Vie  de  S.  F.     S.  345. 


2  20  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

20.  August  1260  findet  dann  im  Beisein  von  Bonaventura  und 
sieben  Bischöfen  die  Einweihung  der  Kirche  als  , Santa  Maria  degli 
Angeli  e  di  San  Francesco'  statt.^)  Im  Jahre  1264  baute  Simone 
Conte  di  BattifoUe  e  di  Poppi  an  der  Stelle,  wo  Franz  die  Stigmata 
erhalten,  die  kleine,  mit  zwei  Kreuzgewölben  gedeckte  ,Chiesa  delle 
Stimate',  die  viel  später  durch  einen  langen,  mit  späten  Fresken 
geschmückten  Gang  mit  der  an  die  Chiesa  degli  Angeli  rechtwinklig 
stoßenden  größten  Kirche  verbunden  wurde. ^)  In  ihrer  Mitte  be- 
findet sich  der  geweihte  Fleck,  der  durch  ein  die  Stigmatisation 
darstellendes  Relief,  offenbar  eine  Florentiner  Arbeit  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts ,  bezeichnet  ist.  An  der  Altarwand 
prangt  ein  prachtvoller  großer  Andrea  della  Robbia:  Christus  am 
Kreuz ,  zu  dessen  Seite  Maria ,  Johannes ,  Franz  und  Hieronymus 
zu  sehen  sind. 

Die  dritte  größte  Kirche  endlich,  die  jetzt  den  Mittelpunkt  der 
ganzen  unregelmäßigen  Anlage  bildet,  wurde  1348  von  Tarlato, 
Graf  von  Chiusi  und  Pietramala,  und  Giovanna  seiner  Gemahlin, 
contessa  di  Santa  Fiora  begonnen  ^),  aber  erst  im  XV.  Jahrhundert 
von  der  Signoria  von  Florenz ,  welche  von  Eugen  IV.  das  Pro- 
tektorat erhalten  hatte,  vollendet.  Nach  Wadding's  Angaben,  die 
mit  Vorsicht  aufzunehmen  sind,  wurde  der  Chor  im  Jahre  1465, 
die  Kirche  selbst  von  Dominicus  Bartolus  i486,  von  demselben  der 
Thurm  1490  (nach  Chavin  I489)  errichtet.  Es  ist  ein  einschiffiger, 
aus  vier  Jochen  bestehender  Raum  mit  zwei  kleinen  Kapellen- 
ausbauten links ,  einem  rechts ,  und  kleinem  rechtwinkligen  Chor. 
Ein  Portikus  mit  Kreuzgewölbe  auf  einfachen  viereckigen  Pfeilern 
ist  vor  die  Fassade  und  die  rechte  Seitenwand  gelegt. 

Zahlreiche  Werke  der  Robbia  bilden  den  Schmuck  der  Altäre, 


^)  Wadding  I,  S.  156.  Vitale:  Chronica  Seraphici  montis.  Pag.  188.  —  Fra 
Lino  Moroni:  Descrizione  e  storia  del  sacro  Monte  della  Vernia.     Florenz   1621. 

^)  Die  schon  von  Chavin  gegebene  Inschrift  lautet:  A.  D.  1264  feria  5,  post 
festum  Assumptionis  gloriose  virginis  Marie  comes  Simon  filius  illustris  viri  comitis 
Guidonis  Dei  gratia  in  Tuscia  palatinus  fecit  fundari  istud  Oratorium  ad  honorem  beati 
Francisci  ut  ipse  cui  in  loco  isto  Seraph  apparuit  sub  anno  Domini  1225  infra  octavam 
nativitatis  ejusdem  virginis  et  corpori  ejus  impressit  Stigmata  Jesu  Christi  consignet  eum 
gratia  Spiritus  sancti. 

^)  Inschrift  an  Fassade:  f  A.  d.  1348  nobilis  miles  dominus  Tarlatus  de  Petra 
mala  et  domina  comitissa  Johanna  de  Sancta  Fiora  uxor  ejus  edificari  fecerunt  istam 
ecclesiam  ad  honorem  beate  Marie  semper  virginis.  —  Ueber  dem  Eingangsthor  die 
Wappen  von  Florenz,  Eugen  IV.  und  der  Genossenschaft  der  ,Arte  della  Lana'. 


Die  ersten  Niederlassungen.  327 

vor  Allem  die  entzückenden  Darstellungen  der  Verkündigung  und  der 
Geburt  Christi  von  Andrea  in  zwei  hübschen  Renaissancekapellen, 
die  nach  Inschrift  1479  von  einem  Jacobus  Britii  de  plebe  Sancti 
Stephani' gegründet  wurden.  Ferner  von  demselben  Meister  eine  große 
jHimmelfahrt  Christi',  eine  weniger  bedeutende  Maria  mit  Kind  und 
den  Heiligen  Onofrius,  Antonius  Eremita,  Franz  und  Magdalena, 
sowie  zwei  Statuen  des  Franz  und  Antonius  von  Padua.  Von 
Giovanni  della  Robbia  dürfte  die  in  der  Endkapelle  des  Portikus 
befindliche  Beweinung  Christi  herrühren. 

Verschiedene  kleine  Kapellen  endlich  vollenden  die  malerische, 
auf  unebenem  Terrain  vertheilte  Klosteranlage,  an  den  Sonntagen 
auch  noch  heute  das  Ziel  von  großen  Schaaren  der  Thalbewohner, 
die  unverdrossen  im  Sonnenbrande  den  mühsamen  Weg  von  vier 
Stunden  zurücklegen,  um  droben,  dem  Rufe  der  kleinen  Glocken 
folgend,  in  dem  Segen  bringenden  Kirchlein  ihres  geliebten  Heiligen 
hinzuknieen  und  zu  beten,  dann  aber  in  mannigfachen  Gruppen 
gelagert  die  mitgebrachten  einfachen  Erfrischungen  zu  genießen, 
der  erquickenden  Schattenkühle  unter  den  wunderbar  herrlichen 
Buchen  sich  zu  erfreuen.  Es  ist  gut  sein  da  droben,  und  von  allen 
Stätten,  an  denen  das  Gedächtniß  des  Heiligen  lebt,  doch  die  alier- 
herrlichste. 

Nach  dem  Aufenthalte  und  den  verzehrenden  innerlichen  Er- 
fahrungen auf  Alvernia  eilt  das  Leben  des  Franz  schneller  dem 
Ende  entgegen.  Krank  liegt  er  in  Siena  danieder,  als  die  Brüder 
seinen  Rath  suchen  für  einen  Klosterbau.  Ob  uns  seine  Meinung 
nun  wirklich  in  den  von  Wadding  überlieferten  Worten  erhalten 
ist ,  dürfte  schwer  zu  entscheiden  sein ,  doch  finden  sie  hier,  am 
Schlüsse  der  Besprechung  der  ersten  Franziskanerniederlassungen, 
wohl  mit  Recht  ihre  Stelle,  da  sie,  glaubwürdig  an  sich,  uns  noch 
einmal  vergegenwärtigen  können,  wie  einfach  dieselben  waren,  wie 
weit  entfernt  von  der  Großartigkeit  der  Anlagen ,  denen  wir  im 
folgenden  Abschnitt  unsere  Aufmerksamkeit  zuwenden.  „Die 
Brüder,"  erwiderte  er  den  fragenden  Abgesandten,  ,, sollen  gehen 
und  einen  großen  Graben  machen  lassen  im  Umkreis  des  Stück 
Landes,  welches  sie  für  die  Anlage  der  Aedicula  erhalten  haben, 
und  es  anstatt  der  Mauern  mit  einem  guten  Zaune  umgeben  und 
einfriedigen  zum  Zeichen  der  heiligen  Armuth  und  Demuth.  Auch 
sollen  sie  ärmliche  Hütten  bauen  lassen  aus  Lehm  und  Holz  und 
einige  Zellen,    in    denen    die  Brüder    bisweilen    beten    können   und 


328  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

arbeiten,  damit  sie  ehrlicher  leben  und  den  Müssiggang  vermeiden. 
Die  Kirchen  auch  sollen  sie  enger  bauen,  denn  weder  der  Predigten 
wegen,  noch  einer  anderen  Veranlassung  halber  dürfen  sie  schmuck- 
reiche Tempel  von  großer  Geräumigkeit  oder  Masse  bauen."  ^) 
Dem  schlichten  Vorbild  der  Portiuncula  mögen  alle  jene  ersten 
Niederlassungen  in  den  verschiedenen  Städten  Italiens  gefolgt 
sein  —  fast  überall  finden  wir  sie  zuerst  außerhalb  der  Städte  er- 
wähnt, bis  die  zu  groß  gewordene  Zahl  der  Mönche  dem  Drängen 
der  Bevölkerung  nachgiebt  und  das  von  reichen  Freunden  ge- 
schenkte Land  wie  die  von  den  Bischöfen  ihnen  zugewiesenen 
Kirchen  innerhalb  der  Mauern  in  Besitz  nimmt.  Damit  beginnt 
dann  auch  bald  der  Bau  größerer  Kirchen,  die  nichts  mehr  gemein 
haben  mit  jener  ersten  eigenartigen  Reihe  von  Bauten,  die,  wie  wir 
gesehen  haben,  von  Franz  selbst  bis  in  die  architektonische  Eigen- 
thümlichkeit  der  Gewölbe  hinein  festgestellt  wurden. 


III.  Die  holzgedeckten  Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana. 

♦Der  im  Jahre  1228  begonnene  Bau  von  S.  Francesco  in 
Assisi,  den  wir  ausführlicher  schon  betrachtet  haben,  gab  das 
erste  Zeichen  für  die  Errichtung  zahlreicher  anderer  Kirchen  in 
ganz  Italien.  Daß  er  gleichwohl  nur  für  wenige  vorbildlich  ge- 
worden ist ,  mag  seinen  Grund  darin  haben ,  daß  der  kapellenlose 
einfache  Raum  den  Bedürfnissen  der  mönchischen  Religionsübungen 
nicht  entsprach,  daneben  auch  darin,  daß  eine  noch  größere  Ein- 
fachheit angestrebt  wurde,  die  vielleicht  durch  bestimmtere  Vor- 
schriften geboten  wurde.  Jedenfalls  scheinen  nur  zwei  oder  drei 
Kirchen  in  Umbrien  jenem  Hauptbau  des  Ordens  nachgebildet 
worden  zu  sein,  am  unzweifelhaftesten  jene  der  geliebten  Schülerin 


^)  Die  Stelle  findet  sich  bei  "Wadding  z.  J.  1226  II,  S.  128,  nach  Barth.  Pis. 
lib.  conf.  XII,  23  fr.  16.  Vergl.  auch  Speculum  S.  F.  I.  c.  10.  Vadant  et  faciant 
mitti  magnam  carbonariam  in  circuitu  terrae ,  quam  pro  aediculae  situ  acceperunt ,  et 
pro  muro  bona  sepe  circumdent  et  circumvallent  in  signum  sanctae  paupertatis  et  humi- 
litatis.  Domos  etiam  construi  faciant  pauperculas  ex  luto  et  lignis  et  aliquas  cellulas, 
in  quibus  fratres  possint  aliquando  orare  et  laborare  ad  majorem  honestatem  et  ad  vitan- 
dam  otiositatem ;  Ecclesias  etiam  angustiores  aedificare  debent ;  nee  enim  sermonum  ergo 
aut  alia  quacumque  occasione  templa  speciosa  aut  magnae  capacitatis  vel  molis  aedificare 
debent.  Carbonaria  offenbar  das  italienische  Carbonaja ,  das  neben  der  ursprünglichen 
Bedeutung  auch  , Stadtgraben'  bezeichnet. 


Die  holzgedeckten  Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana.  329 

des  Franz:  der  heiligen  Chiara  in  Assisi  geweihte.^)  Seit 
12 12  hatte  diese  mit  ihren  Nonnen  in  San  Damiano  gewohnt. 
Dann ,  als  der  Raum  daselbst  bei  deren  rasch  sich  mehrenden 
Anzahl  viel  zu  klein  wurde,  erbaten  die  Schwestern  sich  die 
dem  Kapitel  gehörige  Kirche  S.  Giorgio ,  die  ihnen  durch  Ver- 
mittlung des  Kaplans  Alexander's  IV.,  Giovanni  Compatre,  späteren 
Bischofs  von  Anagni,  1257  überlassen  wurde. ^)  Filippo  da  Campello 
wird  beauftragt  —  demnach  1257,  nicht  1253,  wie  Schnaase  und 
Mothes  wollen  —  die  neue  Kirche  zu  bauen,  die  1260  so  weit 
vollendet  war,  daß  in  diesem  Jahre  Alexander  IV.  in  einem  an  die 
Bischöfe  von  Assisi,  Perugia  und  Spoleto  gerichteten,  von  Subiaco 
am  9.  September  datirten  Breve  die  Uebertragung  des  Leichnams 
der  1255  heilig  gesprochen  Chiara  anordnen  konnte,  welcher  Akt 
am  3.  Oktober  unter  großer  Betheiligung  der  Bevölkerung  stattfand. 
Fünf  Jahre  später  weihte  Clemens  V.  die  Kirche.  Erst  damals 
dürfte  der  Bau  also  wohl  wirklich  beendigt  gewesen  sein.  Urkund- 
lich ist ,  so  viel  ich  weiß ,  Filippo  de  Campello  als  Urheber  des- 
selben nicht  nachgewiesen ;  noch  der  ,Collis  Paradisi'  nennt  anstatt 
seiner  Jacopo  Alemanno  (Tit.  LI,  S.  104) ,  doch  erscheint  es  sehr 
wahrscheinlich,  daß  der  Vollender  von  S.  Francesco,  der,  wie  wir 
sahen,  1253  dort  noch  thätig  war,  auch  diese  der  Oberkirche  des 
Heiligen  treu  nachgebildete  Kirche  baute.  Sie  ist  wie  jene  ein- 
schiffig mit  Querschifif  und  polygonem  Chor  und  zeigt  dieselbe 
Bildung  der  Gurte,  Leisten  und  Gewölbe.  Die  am  Ende  des 
Längsschiffes  links  angebaute  Kapelle  der  heiligen  Agnes  verräth 
den  später  ausgebildeten  Stil  der  Kapellen  an  der  Unterkirche, 
dieselben  antikisirenden  Kapitale  der  Gewölbeträger,  ähnliche  in- 
krustirte  Marmorbekleidung.  Auch  die  Fassade  (Abb.  48)  wiederholt 
diejenige  von  S.  Francesco,  nur  daß  hier  das  Portal  einfach  und  rund- 
bogig,  das  gothische  Radfenster  im  Detail  etwas  verschieden  ist. 
Mit  Schnaase  kann  ich  in  den  mächtigen  auf  der  Erde  aufsitzenden 
Strebebögen    nur    eine    sklavische  Nachahmung    der   dort    richtiger 


1)  Vergl.  Wadding,  Bd.  IV,  z.  J.  1260,  S.  146.  —  Bruschelli  (Bini)  S.  37  ff., 
wo  auch  Abb.  der  Fassade  Taf.  IV.  —  Laspeyres  in  Erbkam's  Bauschrift  a.  a.  O. 
S.  292.  —  Schnaase  VII,  S.  113.  —  Cristofani:  Guida,  S.  30.  —  Cristofani:  Storia 
di  S.  Damiano,  S.  109  ff.  —  Derselbe:  Storie  di  Assisi,  S.  171.  —  Mothes,  S.  454.  — 
Guardabassi:  Indice  guida,  S.  14.  —  Photographieen  Alinari,  Lunghi,  Carloforti. 

^)  Instrument  wiedergegeben  in  einer  Bulle  Alexander's  IV.  im  Kloster  von  S.  Chiara, 
angefertigt  in  Gegenwart  des  Bischofs  von  Assisi:  Niccolo  di  Carbio  oder  Calvi. 


330 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


motivirten  erblicken,  da  das  abfallende  Terrain,  das  Burckhardt  zur 
Erklärung  nimmt ,  auf  der  Nordseite  gar  nicht ,  auf  der  Südseite 
nur  wenig  in  Betracht  kommt. 

Früher  als  S.  Chiara  aber  entstand  ein  anderer  Bau,  der,  wie 
mir  scheint,  zweifellos  die  Hauptkirche  in  Assisi  zum  Vorbild  nahm, 
es  ist  die  Kirche  S.  Francesco  in  Perugia,  deren  ursprüng- 
liche Gestalt  selbst  unter  dem  1748  nach  Zeichnungen  des  Pietro 
Carattoli  aufgeführten  Neubau  erkennbar,  aber  so  viel  ich  weiß 
noch    nie    berücksichtigt    worden    ist.^)     Ueber   die  Entstehungszeit 

ist  nichts  Genaueres  bekannt ,  ein 
Guida  von  1784  sagt:  um  1230.  Jeden- 
falls fällt  sie  vor  1286,  da  eine  ihrer 
Glocken  mit:  ,1286  Magister  Joannes 
pisani  me  fecit,  bezeichnet  ist.''*)  Der 
moderne  Bau  folgt  dem  alten  Grund- 
riß und  ist  nur  über  die  alte  Fassade, 
von  welcher  der  untere  Theil  noch 
innerhalb  des  Neubaues  erhalten,  um 
ein  Stück  verlängert.  Es  war  eine 
einschiffige  Kirche  mit  drei  Kreuz- 
gewölben, deren  Spannung  sich  noch 
aus  den  alten ,  wenig  vortretenden 
Strebepfeilern  entnehmen  läßt  (drei 
auf  jeder  Seite),  mit  einfachem  Quer- 
schiffe und  einem  in  •''/g  geschlossenem 
polygonen  Chor,  der,  wie  in  Assisi, 
unmittelbar  auf  das  Querschiff  folgt. 
Außen  sind  in  die  Ecken  desselben 
zwei  halbrunde  thurmartige ,  jenen  in  Assisi  ähnliche  Strebepfeiler 
gestellt.  Die  Fenster  waren  einfach  spitzbogig.  An  der  Südseite 
des  Längsschiffes  befindet  sich ,  an  das  Querschiff  anstoßend ,  eine 


1 I 

Abb.  49.  Die  Kirche  S.  Francesco  zu  Perugia. 


^)  Vergl.  Guida  al  forestiere  per  la  cittä  di  Perugia.  1784  (Costantini)  S.  299. 
—  Guida  di  Perugia  von  Raffaele  Gambini  1826.  —  Mariotti,  lettere  pittoriche  peru- 
gine,  erwähnt  S.  59  eine  ,descrizione  della  chiesa  di  S.  Francesco',  die  ich  nicht  ein- 
gesehen habe.  —  Guardabassi:  Indice  guida  S.  175.  —  Auf  meinem  Grundrisse  gebe 
ich  die  modernen  Anbauten  in  punktirten  Linien  an. 

^)  Guardabassi  a.  a.  O.  Eine  andere  bez.:  1352  Magister  Angelus  et  filii  ejus 
Nicolaus  et  Joannes  de  Urbe  veteri  me  fecerunt.  Eine  dritte:  1405  Magistri  Joannes 
et  Andreas  Pisani  me  fecerunt. 


Die  holzgedeckten  Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana.  331 


mit  rothen  und  weißen  Steinen  inkrustirte  gothische  Kapelle  mit 
rundbogig  geschlossenen  Doppelfenstern,  die  etwa  aus  dem  Anfang 
des  XIV.  Jahrhunderts  stammt.  Am  nördlichen  Querschiffe  ist  das 
Gewölbe  des  abfallenden  Terrains  wegen  durch  zwei  Strebebögen 
gestützt.  —  Die  im  Innern  nicht  in  völliger  Breite  erhaltene  untere 
Hälfte  der  alten  Fassade  zeigt  eine  ganz  ungewöhnliche  Inkrustirung 
in  weißem  und  rothem  Stein.  In  der  Mitte  befindet  sich  unter 
einer  von  gothischen  Halbsäulchen  getragenen  rundbogigen  Blend- 
arkade ein  rundbogiges  Portal,  über  dem  ein  kleines  Radfenster 
angebracht  ist,  links  und  rechts  davon  waren  innerhalb  eines  vier- 
eckigen einrahmenden,  mit  runden  Medaillons  geschmückten  Streifen, 
der  die  ganze  Wandfläche  umspannt,  je  zwei  rundbogige  Nischen, 
unter  denselben  eine  Reihe  von  vertieften  fensterartigen ,  im  Klee- 
blattbogen geschlossenen  Feldern  —  das  Ganze  also  ein  wunder- 
liches ornamentales  Gebilde. 

Von  anderen  Kirchen,  die  vielleicht  auf  S.  Francesco  in  Assisi 
zurückgehen ,  möchte  ich  vermuthungsweise  die  gleichnamige  in 
Terni  erwähnen,  die  jetzt  ganz  modernisirt  dreischiffig  ist,  jeden- 
falls aber  früher,  wie  die  mit  ihren  Tragleisten  erhaltenen  alten 
Gewölbe  beweisen ,  ein  aus  drei  Jochen  bestehendes ,  einfaches 
Hauptschiff,  ein  Querschiff  und  eine  an  ein  Chorgewölbe  sich 
schließende  Apsis  hatte.  Sie  soll  1265  gebaut,  1445  durch  die 
Seitenschiffe  vergrößert  worden  sein,  nach  Guardabassi  (S.  314), 
der  seinerseits  auch  die  Verwandtschaft  mit  dem  Bau  in  Assisi 
betont. 

Ferner  die  aus  dem  XIII.  Jahrhundert  stammende  S.  Francesco 
in  Gualdo  Tadino,  die  später  verändert  wurde  und  eine  Kuppel 
erhielt,  ursprünglich  aber  zwei  Gewölbe  im  einfachen  Längsschiffe, 
Gewölbe  an  der  Vierung ,  rechts  eine  Art  Kreuzarm  mit  zwei 
hintereinander  geordneten  Kreuzgewölben,  und  einen  siebenseitigen 
Chor  besaß.  Guardabassi  (S.  95)  vermuthet,  wohl  auf  diese  ent- 
schiedene Verwandtschaft  mit  den  Bauten  in  Assisi  hin,  in  dem 
Architekten  den  Philippus  de  Campello. 

Ob  die  dem  Niccolö  Pisano  zugeschriebene  Dominikanerkirche 
in  Viterbo,  S.  Maria  della  veritä,  Beziehungen  zu  S.  Fran- 
cesco hat ,  muß  ich  dahingestellt  sein  lassen ,  da  ich  leider  keine 
Notizen  über  sie  besitze  und  nur  durch  die  Beschreibung  bei 
Mothes  (S.  749)  veranlaßt  werde,  sie  hier  zu  erwähnen.  —  Ver- 
muthlich  lehnt  sich  auch  S.  Francesco  in  Cascia,  die  gewölbt 


332 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


ist,  die  Kreuzform  und  eine  Fassade  von  1428  hat,  an  den  Haupt- 
bau des  Ordens  an.^) 

Die  wenigen,  bisher  erwähnten  Bauten  stehen  inmitten  der 
großen  Anzahl  der  sonstigen  Franziskaner-  und  Dominikanerkirchen 
vereinzelt  da:  während  noch  an  S.  Francesco  in  Assisi  gebaut 
ward,  vielleicht  schon  vorher  entstand  ein  anderer,  der  für  Mittel- 
italien eigentlich  charakteristische  Typus,  den  wir  jetzt  zu  be- 
trachten haben. 

Welcher  Art  die  erste,  später  durch  Arnolfo's  Bau  verdrängte, 
1221  gegründete  Kirche  in  Florenz  gewesen,  wissen  wir  nicht, 
ebensowenig  wie  die  1228  zuerst  in  neue  Form  gebrachte  Ordens- 
kirche in  Siena  oder  die  1228  geweihte  in  Spello  beschaffen  ge- 
wesen. Da  die  meisten  Bauten  schon  im  XIII.  Jahrhundert  eine 
einmalige  oder  zweimalige  Umgestaltung  erfuhren ,  ist  es  bis  jetzt 
unmöglich ,  sie  chronologisch  zu  betrachten  —  sicher  steht  fest, 
daß  bereits  in  der  ersten  Hälfte  desselben  Jahrhunderts  der  Typus 
ausgebildet  war  und  später  mit  den  zunehmenden  Größenverhält- 
nissen die  einmal  feststehende  Anlage  nur  reicher  ausgestattet  wurde. 
Die  ursprüngliche  Form  zeigt  ein  einfaches  oblonges  Schiff  mit 
hölzernem  Dachstuhl  und  mit  einer  viereckigen,  von  einem  Kreuz- 
gewölbe bedeckten  Apsis ,  die  meist  von  zwei  kleineren ,  ebenso 
gewölbten  und  gradlinig  geschlossenen  Kapellen  flankirt  ist.  Die 
einfachste  Form  ohne  Kapellen,  die  hier  nur  flache  Altarnischen 
sind,  zeigt  S.  Francesco  in  Arezzo,  die  später  an  der  Hnken 
Wand  einen  aus  zwei  Jochen  bestehenden  Kapellenausbau  erhalten 
hat,  und  S.  Francesco  in  Monte falco,  deren  Apsis  allerdings, 
wohl  in  Nachahmung  von  Assisi,  wie  jene  in  S.  Francesco  zu 
M  o  n  t  o  n  e  und  P  i  e  d  i  1  u  c  o  fünfseitig  geschlossen  ist,  deren  einem 
Schiff  aber  bei  einem  Neubau  im  XIV.  Jahrhundert  das  eine  Seiten- 
schiff rechts  hinzugefügt  wurde.  Die  entwickeltere  Form  mit  zwei 
Kapellen  hat  die  Kirche  in  Cortona,  die  1230,  nach  Mothes'  An- 
sicht vielleicht  von  Jacobus,  auf  Anlaß  des  Elias,  der  hier  1253  be- 
stattet wurde,  begonnen  wurde  -),  die  Niccolö  Pisano  zugeschriebene 
S.  Domenico,  die  von  den  Herren  von  Pietramala  um  die  Mitte 
des  XIII.  Jahrhunderts    gestiftet  ward ,    die    gleichnamige  Kirche    in 


^)  Guardabassi :  Indice  S.  40. 

2)  Mothes  S.   74.     Vergl.  Ricci:    Storia    dell'  Arch.  11 ,    58.     Nach  Inschrift   erst 
am  4.  April  1374  geweiht. 


Die  holzgedeckten  Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana.  333 

Cittä  di  Castello,  deren  jetzige  Gestalt  freilich  von  dem  Um- 
bau im  Jahre  1395  stammt^),  die  jetzt  ganz  barocke  S.  Francesco 
ebendaselbst^),  S.  Francesco  in  Prato,  in  Volterra  und 
andere  mehr.^)  Die  Dominikanerkirche  S.  Catharina  in  Pisa, 
ein  Bau  von  größeren  Dimensignen,  der  um  1253  nach  Zeichnung 
von  Guglielmo  Agnelli  vollendet  war,  zeigt  den  gleichen  Typus 
und  erhielt  wohl  erst  später  den  kreuzschiffigen,  aus  vier  Kapellen 
bestehenden  Ausbau  rechts.*)  Ob  auch  S.  Francesco  in 
Lucca,  die  1435  von  Paolo  Guinigi  neu  gebaut  wurde,  vermag 
ich  nicht  zu  sagen,  da  ich  das  Innere  nicht  gesehen.  Die  Chorapsis 
ist  modern.  Von  norditahenischen  Kirchen  ist  hier  S.  Fermo  in 
Verona  zu  erwähnen ,  welche  alte ,  aus  dem  VIII.  Jahrhundert 
stammende  Kirche  die  Franziskaner  1265  (nach  anderen  Angaben 
1261)  erhielten.  In  den  Jahren  13 12  und  13 13  auf  Kosten  des 
Guglielmo  di  Castelbarco  neu  gebaut,  erhielt  sie  durch  den  Prior 
Daniele  Gomario  13 19  die  herrliche  Holzdecke  und  die  äußere 
Gestaltung."*)  Der  Chor  ist  fünfseitig,  die  Kapellen  sind  recht- 
winklig, zwei  an  das  Schiff  gelegte  Kapellen  mit  Kreuzgewölben 
bilden  eine  Art  Querschiff,  das  namentlich  im  Aeußeren  als  solches 
charakterisirt  ist  durch  eine  mit  einem  Spitzgiebel  versehene  Fassade. 
Die  Hauptfassade    hat    drei  Stockwerke,    deren    unterstes   mit  dem 


^)  Erbkam.  A.  a.  O.  S.  73.  1395  Umbau  beschlossen,  Bau  24.  Dez.  1400 
begomien,  1424  vollendet,  1426  geweiht.  Guardabassi  S.  50:  1269  begonnen,  1724 
modemisirt.  Mancini :  Istruzione  storico  pittorica  per  visitare  le  chiese  e  palazzi  di  Citta 
di  Castello.  Perugia  1832.  Muzi:  Memorie  ecclesiastiche  e  civili  di  Cittä  di  Castello 
1842 — 44- 

^)  Ebds.  Im  XVin.  Jahrhundert  umgebaut.  Die  angeblich  1 2 1 3  von  Franz  selbst 
gegründete  Kirche  S.  Croce  außerhalb  der  Stadt  ist  ganz  umgebaut. 

')  Vergl.  dazu  noch  Guardabassi:  Aquasparta  (1290);  Deruta:  S.  Francesco; 
Foligno :  S.  Francesco  und  S.  Domenico ;  Nocera :  S.  Francesco ;  Trevi :  S.  Francesco 
und  andere  kleinere. 

*)  Vergl.  Morrona:  Pisa  illustrata  1792  II,  S.  105.  Der  Platz  vor  der  Kirche 
1274  geweiht,  1366  erweitert.  Der  Vergrößerungsbau  wurde  1348  durch  die  Pest 
unterbrochen.  —  Guida  di  Pisa  von  Giuseppe  Nistri  1852.  S.  214.  —  Marchese : 
Memorie  dei  piü  insigni  etc.  Domenicani  I,  S.  81.  —  Ricci  II,  60.  —  Mothes  S.  749. 
Fassade  1262  von  Niccolo  Pisano  und  Guglielmo.  — 

'')  Vergl.  Ricreazione  pittorica  di  Verona,  1720.  —  Descrizione  di  Verona  von 
J.  B.  da  Persico  1820.  —  Gius,  M.  Rossi:  Nuova  Guida  di  Verona  1854.  —  Lübke: 
G.  d.  A.  S.  629.  —  Mothes  S.  483.  —  Kugler  II,  72.  —  Abb.  der  Decke  Semper 
Stil  II,  Taf.  22.  —  Fassade  bei  Nohl:  Tagebuch  einer  ital.  Reise.  Stuttgart  1866. 
I,  S.  67. 


334  ^^^  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

rundbogigen  Portal ,  mit  einer  in  Kleeblattbogen  verbundenen 
Lisenengliederung  und  einer  kleinen  Gallerie  von  Spitzarkaden 
auf  gekuppelten  Säulchen  geschmückt  ist,  deren  zweites  vier  hohe 
schmale  gothische  Fenster  enthält  und  deren  drittes  mit  einem 
dreigetheilten  modernen  Fenster .  durch  einen  Spitzgiebel  ab- 
geschlossen ist.  An  der  Nordseite  ein  Portal  mit  einer  auf  zwei 
Säulen  ruhenden  Vorhalle.  Die  fünf  Seiten  des  Chores  sind  mit 
Spitzgiebeln  und  Fialenthürmchen  reich  geschmückt.  Der  bis  zur 
Höhe  des  Daches  aus  Steinen,  darüber  aus  Ziegeln  gebaute  Thurm 
mit  hohem  Dache  hat  dreigetheilte  rundbogige  Fenster.  —  Da- 
neben zu  erwähnen  ist  S.  Eufemia  in  Verona  mit  ihrem  holz- 
gedeckten Riesenlangschiff,  einem  wenig  ausladenden  Querschiffe, 
einem  großen  Chor  und  zwei  kleinen,  diesen  begleitenden  vier- 
seitig geschlossenen  Kapellen.  Ueber  der  Vierung  jetzt  eine 
moderne  Flachkuppel.  Die  Seitenfassade  hat  Lisenen  und  Spitz- 
bogenfries, die  Hauptfassade  Spitzgiebel,  gothisches  Portal  und  zwei 
jetzt  zugemauerte  hohe  Renaissancefenster.  Ferner  S.  Bernardino 
ebendaselbst,  ein  einschiffiger  flachgedeckter  Bau  mit  einer  an's 
Chorquadrat  anschließenden  fünfseitigen  Apsis.  An  der  rechten 
Wand  zunächst  der  Fassade  sind  vier  Joche  mit  Kreuzgewölben 
angebaut,  mit  ebensovielen  daran  sich  schließenden  Kapellen,  von 
denen  zwei  fünfseitig  geschlossene  gothisch ,  die  anderen  später 
sind.  Am  Ende  der  rechten  Wand  öffnet  sich  die  vielbewunderte, 
reizvolle ,  von  Sanmichele  erbaute  Capella  dei  Pellegrini.  Die 
Fassade  hat  Spitzgiebel,  Renaissanceportal  und  zwei  schmale  hohe 
spitzbogige  Fenster.^) 

Eine  weitere  Entwicklung  des  umbrisch-toskanischen  Typus 
begegnet  uns  an  S.  Francesco  in  Pistoja.  Diese  Kirche,  ehe- 
mals S.  Maria  Maddalena  geweiht,  wurde  1250  vom  Bischof 
Graziadio  Berlinghieri  (nach  Andern  1265)  den  etwa  1220  nach 
Pistoja  gekommenen  Mönchen  überlassen.  1289  dann  beschloß 
man  den  alten  Bau  zu  zerstören  und  einen  neuen  zu  errichten,  der 
1294    begonnen    und    erst    15 12    (9/5.)    von    Fra   Raimondo    Gra- 


^)  Verglichen  muß  auch  die  Kirche  der  Eremitani  in  Padua  werden,  die 
1260  neugebaut  wurde,  1264  den  jetzigen  Chor  erhielt  und  1309  abermals  von  dem 
Augustinereremiten  Fra  Giovanni  neu  gestaltet  wurde.  Vergl.  Moschini :  Guida  di  Padua. 
18 17.  —  Brandolese:  Pitture  Sculture  Architetture  di  Padova.  1795.  —  Rossetti : 
Descrizione  etc.      1776.  —  Selvatico:    Guida   1869.  —  Mothes  ausfuhrlich  S.  432  f,  — 


Die  holzgedeckten  Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana. 


335 


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ziani  da  Cotignola  geweiht  worden  ist.^)  Der  Tradition  nach  soll 
ein  deutscher  Architekt  thätig  gewesen  sein.  Die  Fassade  ist  vom 
Jahre  17 17.  Der  Bau  besteht  aus  einem  einschiffigen  Langhause 
mit  Holzdecke ,  quadratischen  gewölbten  Kreuzarmen ,  einer  in 
weitgespanntem  Rundbogen  sich  öffnenden  oblongen  Vierung  mit 
Kreuzgewölbe  und  einem  viereckigen  Chor  mit  je  zwei  Kapellen 
zur  Seite,  deren  erste  links  nach  Inschrift  13 14  von  Nikolaus 
Merghuliesi  gestiftet  wurde.  Das  Kreuzschiff  und  die  vermehrte 
Anzahl  der  Kapellen  finden  wir  in  Pistoja  auch  bei  S.  Domenico, 
deren  Entstehungszeit  unbekannt  ist.  Nach  Vasari  ward  sie  von 
Giovanni  Pisano  im  Auftrage  des  Niccolö  da 
Prato  1303  restaurirt,  13  80  vom  Monsignor 
Bartolommeo  Franchi  vergrössert.^)  Den 
Giovanni  läßt  Vasari  auch  die  Kirche  S.  Do- 
menico in  Prato  bauen,  die  1281  unter 
Leitung  des  Fra  Paolo  Pilustri  begonnen, 
später  von  1300  an  durch  Fra  Mazzetto  ge- 
fördert wurde.  •^) 

Derselben  Stufe  der  Entwicklung  wie 
die  Bauten  in  Pistoja  gehört  auch  S.  Fran- 
cesco in  Pescia  an,  die  ein  Querschiff, 
aber  nur  zwei  Kapellen  neben  dem  Chor 
hat  und  im  XVI.  Jahrhundert  eine  Umwand- 
lung erfuhr ,  nachdem  schon  im  XIV.  Jahr- 
hundert das  Längsschiff  links  durch  drei 
Kapellen  erweitert  worden  war,  deren  erste 

ganz  im  Stile  der  Schule  Brunellesco's  inschriftlich  145 1  von  Johannes 
und  Antonius  Cardinius ,  höchst  wahrscheinlicher  Weise ,  wie  ich 
glaube ,  durch  Andrea  di  Lazzaro  Cavalcante  aus  Buggiano  er- 
richtet wurde ,  der  in  Pescia  die  Kirche  S.  Maria  in  Piazza  gebaut 
hat.  An  der  modernisirten  Fassade  ist  noch  ein  romanischer 
Bogenfries,     unter    dem    abenteuerliche,    phantastische    Thiere    in 


Abb.  50.  Die  Kirche  S.  Francesco 
in  Pistoja. 


*)  Nach  Tolomei:  Guida  di  Pistoja  1821,  S.  130.  Vergl.  V.  Papinii  Etniria 
francescana  II.  Bd.     (Bei  Mothes  nicht  ganz  genaue  Datirung)  S.  751. 

^)  Vasari  I,  313.  —  Tolomei  S.  108.  —  Mothes  S.  780,  der,  ohne  ihre  Quelle 
zu  nennen,  eine  Version  angiebt,  nach  welcher  Sisto  und  Ristoro  sie   1280  gebaut. 

^)  Vasari  I,  313.  —  Marchese  I,  93.  —  Schnaase  S.  144.  —  Mothes  S.  756. 
Falscher  Grundriß  bei  Wigbeking:  Bürgerliche  Baukunde  S.  73.  —  Runge:  Beiträge 
J,  26.  37. 


336 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


Relief  angebracht  sind,    sowie  ein  rundbogiges  romanisches  Portal 
erhalten.^) 

Ein  weiterer  Schritt  vorwärts  geschieht  mit  S.  Francesco 
in  Pisa  (Abb.  51),  S.  Domenico  und  S.  Francesco  in  Siena. 
Die  Verhältnisse  wachsen  in's  Gewaltige,  das  weiter  ausladende 
Querschiff  verliert  seine  Gewölbe  und  erhält  offnen  Dachstuhl,  die 
Zahl    der   vier  Kapellen    steigt   in    den    ersten    beiden  Kirchen    auf 


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Abb.  51.    S.  Francesco  in  Pisa. 


Abb.  52.     S.  Domenico  in  Siena.     (Nach  Lübke.) 


sechs,  in  der  letzterwähnten  auf  acht.  Im  Jahre  1221  waren  die 
ersten  Franziskaner  nach  Pisa  gekommen,  und  ihre  erste  Kirche 
wäre  nach  Morrona  auf  das  Querschiff  der  jetzigen  beschränkt  ge- 
wesen. 1278  predigte  in  ihr  nach  einer  urkundlichen  Notiz  der  Erz- 
bischof  von  Pisa  Federigo  Visconti,  im  Jahre  1300  wurde  der  Neu- 
bau inschriftlich  vollendet.^)     Die  Kreuzarme  öffnen  sich  hier  in  je 


^)  Vergl.  die  Kreuzschiffanlage  auch  bei  S.  Domenico  zu  Spoleto  und  S.  Fran- 
cesco in  Tarano.     S.  Guardabassi's  Indice. 

^)  Lange  Militairmagazin.  Morrona:  Pisa  ill.  III,  S.  47.  Die  Inschrift  lautet: 
Anno    domini    1300    nobiles    de    domo    Gualandorum    concesserunt    liberalit.    fratribus. 


Die  holzgedeckten  Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana. 


337 


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zwei  Spitzbögen ,  die  in  der  Mitte  aut  einem  achteckigen  Pilaster 
ruhen,  nach  der  Vierung  zu.  Im  Chor  ist  ein  viergetheiltes ,  mit 
bunten  Glasscheiben  geschmücktes  Fenster.  Die  zugemauerten 
Lichter  im  Langschiff  sind  zvveigetheilt.  Die  Fassade  ist  modern, 
der  viereckige ,  frei  über  der  Ecke  des  linken  Querschiffes  auf- 
setzende schlanke  Thurm  erhebt  sich  in  drei  Stockwerken  mit 
zwei-  und  dreigetheilten  Fenstern. 

S.  Domenico  in  Siena  (Abb.  52)  gehörte  seit  1225  den 
Predigermönchen  an  und  ward  schon  vor  1293  vergrößert,  da  in 
diesem  Jahre  die  Kommune  das 
Holz  für  das  Dach  bewilligte.  Nach 
einem  Beschluß  von  1361  (2  5./4.) 
wurde  der  Chor  für  5000  Fiorini 
neu  gebaut.  1445  und  1531  brannte 
das  Dach  ab.  1490  erbaut  Pietro 
di  Sacco  Tancredi  den  Campanile  '), 
der  nach  dem  Guida  von  1862  aber 
schon  1340  errichtet  worden  war.  In 
weit  gespannten  Rundbogen  öffnet 
sich  das  Langhaus  nach  dem  Quer- 
schiff. Die  Kapellen  nehmen  mit 
der  Entfernung  vom  Chor  an  Breite 
ab.  Die  hohen  spitzbogigen  Fenster 
sind  jetzt  zugemauert,  vom  alten 
Klosterhot  sind  noch  einige  acht- 
seitige Pfeiler  erhalten. 

S.  Francesco  in  Siena, 
eine  ehemals  dem  heiligen  Pietro 
geweihte  Parochie ,  wurde  1236 
vom  Bischof  Buonfiglio  den  Fran- 
ziskanern überlassen,  welche  die  Kirche  1246  erweiterten.  Schon 
1249  (24./4.)   beschloß    man    sie    neu    zu    bauen.      1250    ward    der 


Abb.  53.  S.  Francesco  in  Siena.  (Nach  Lübke.) 


S.  Francisci  pro  remedio  animar.  suar.  parenttimque  suor.  ut  precidi  faciant  marmora 
de  monte  ipsor.  pro  consumanda  Ecclesia  Patrum.  —  1342  erhalten  die  Gambacorti  die 
Haupttribune  zugestanden.  143 1  wird  als  primo  operajo  Piero  di  Franchino  erwähnt.  — 
Vergl.  auch  Nistri:  Nuova  Guida  di  Pisa   1852.     S.  219. 

^)  Guida  di  Siena  1832  (Fern)  —  Siena  fe  ü  suo  territorio ,  Siena  1862  (Sordi- 
muti).  —  Lübke,  Mitth.  der  k.  k.  C.  C.  1860  S.  195.  (Grundriß.)  —  Mothes  S.  759 
(nennt  1492  als  Datiun  des  Thurmbaues). 

Thode,  Franz  von  Assisi.  22 


338 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien, 


lilm><ISffl 


Chor,  1289  die  Fassade,  um  deren  Fertigstellung  1268  (16./11.)  die 
Mönche  die  Signoria  angehen,  errichtet,  und  in  demselben  Jahre 
die  Konsekration  vorgenommen.  Am  13.  März  1336  wurde  nach 
Vasari  (I,  433)  vom  Kardinal  Gaetano  Orsini  der  erste  Stein  zu  einer 
neuen  Kirche    gelegt,    die  angeblich  Agostino  und  Agnolo  bauten. 

Milanesi  wie  Mo- 
thes  nehmen  mit 
Recht  an,  daß  dies 
wahrscheinlich  irr- 
thümlich  und  der 
Kardinal  von  Gaeta 
1326  die  Kirche 
vielmehr  geweiht 
habe.  1336  baut 
NiccolaccioPetroni 
den  ersten  Kreuz- 
gang^),  1475  bis 
1484  (2. /9.)  fertigte 
Francesco  di  Gior- 
gio eine  neue 
Decke,  1476  der 
uns  bereits  von 
Assisi  her  bekannte 
Frate  Francesco 
Nani  gen.  Sansone 
Bresciano  nach 
Zeichnung  von 
Francesco  di  Gior- 
gio die  zwei  klei- 
nen Höfe,  15 17 
entsteht  aufKosten 
des  Girolamo  Pic- 
colomini  der  erste  große  Kreuzgang,  1639  die  Infermeria.  Am 
23.  August  1655  zerstört  eine  Feuersbrunst  das  Dach  der  Kirche 
und   viele    Bilder.      1765    wird    der   Campanile    neu    gebaut.^)     Die 


Abb.  54.     S.  Croce  in  Florenz. 


^)  Nach  Inschrift  über  dem  erhaltenen  gothischen  Portal :  S.  Niccholacii  de  Petro- 
nibus  et  heredum  anno  domini   1336. 

^)  Vergl.  die  oben  erwähnten  Guiden.  Lübke  a.  a.  O.  —  Mothes  S.  759.  — 
Wadding  II,  S.  129  z.  J.    1226,  läßt  das  Kloster  von  Bonaventura  bauen. 


Die  holzgedeckten  Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana.  339 

Kirche  ist  wie  die  letzterwähnten  ein  riesiger  Backsteinbau  mit  acht 
Kapellen  neben  dem  Chor  und  außerdem  zwei  später  hinzugefügten 
an  der  Westseite  des  linken  Kreuzarmes.  Die  Fassade,  deren  Stein- 
inkrustirung  nur  im  untersten  Theile  angefangen  erscheint,  hat  ein 
aus  dem  Anfange  des  XVI.  Jahrhunderts  stammendes  Portal.  Die 
Höfe  zeigen  zierliche  toskanische  Kompositsäulen. 

In  den  eben  besprochenen  einfachen,  aber  durch  mächtige 
Raumwirkung  höchst  ausgezeichneten  Bauten  haben  wir  gewisser- 
maßen die  letzte  Vorstufe  zu  der  gewaltigsten  Bettelmönchkirche 
in  Mittelitalien,  zu  S.  Croce  in  Florenz.^)  Wohl  mag  der 
Mangel  an  hinreichenden  Geldern  mit  der  Grund  davon  gewesen 
sein,  weßhalb  eine  Wölbung,  wie  S.  Maria  novella  sie  erhalten, 
hier  nicht  zur  Ausführung  gelangte,  doch  wäre  S.  Croce  selbst  ge- 
wölbt, so  müßte  doch  immer  ihre  nahe  Verwandtschaft  mit  Kirchen 
wie  S.  Francesco  in  Siena  hervorgehoben  werden ,  da  gerade  die 
reiche  Anlage  von  Kapellen  neben  dem  Chor  —  es  sind  hier  zehn  — 
das  eigentlich  Charakteristische  bleibt.  Aus  den  Riesenverhältnissen 
des  Baues  ergab  sich  von  selbst  die  Nothwendigkeit,  von  einem  ein- 
fachen Längsschiffe  abzusehen  und  eine  Dreitheilung  vorzunehmen. 
Die  Freiheit,  die  Arnolfo  di  Cambio  dadurch  für  die  Dachkon- 
struktion erhielt ,  benutzte  er  dazu ,  einzelne  Dächer  über  jedem 
Kompartiment  der  Seitenschiffe  anzubringen.  Auch  dürfte  er  nur 
dadurch,  daß  er  von  vornherein  auf  Gewölbe  verzichtete,  auf  die 
Anlage  eines  so  breiten,  imposanten  Mittelschiffes  gerathen  sein. 
Die  sieben  weitgespannten  Spitzbögen,  über  denen  eine  schlichte 
auf  Konsolen  ruhende  Gallerie  von  Holz  entlang  läuft,  werden  von 
schlanken  achteckigen  Pfeilern  getragen,  deren  Kapitale,  dem  ganz 
auf  das  Große ,  Einfache  gehenden  Stile  entsprechend ,  ein  zwei- 
reihig geordnetes  einfaches,  fast  rohes  Blattwerk  zeigen.  Die  drei- 
seitig geschlossene  Hauptapsis,  die  mit  den  zwei  zunächst  liegenden 
Kapellen  der  Breite  des  Mittelschiffes  entspricht,  öffnet  sich  in  der 
Höhe  des  Dachstuhls,  während  die  Kapellen  daneben,  niedriger,  nur 
die  halbe  Höhe  der  Seitenschiffe  haben.  Die  Fenster  des  Längs- 
schiffes ,  Querschiffes  und  Chores  sind  hoch ,  schlank  und  zwei- 
getheilt.  An  die  Querarme  ist  im  Norden  und  Süden  je  eine  aus 
zwei  Jochen    bestehende    Kapelle    gelegt ,    je    eine    andere    an    ihre 


^)  Im   Gegensatz   zu  Lübke ,    der   die  Kirchen   zu  Siena   von  S.  Croce   beeinflußt 
glaubt:  Gesch.  d.  Arch.    S.  Francesco  in  Siena  ist  wohl  jedenfalls  früher     als  S.  Croce. 

22* 


340  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

Westseite.  Die  Anlage  der  Sakristei  (mit  polygoner  Apsis)  am 
rechten  Querarm  in  einer  Axe  mit  den  Chorkapellen,  sowie  des 
großen  Hofes  an  der  Südseite  der  Kirche ,  der  mit  seinen  Rund- 
bögen auf  achteckigen  Pfeilern  wohl  auch  auf  Arnolfo  zurückgeht, 
erinnert  entschieden  an  Cisterzienserbauten  —  man  vergleiche  da- 
mit z.  B.  die  durchaus  ähnliche  Disposition  der  Klosterräume  in 
Chiaravalle  bei  Mailand !  Ausführlicher  von  dem  großartigen  Werke, 
seinen  späteren  Anbauten ,  Brunellesco's  Kapelle  der  Pazzi ,  Des- 
selben großem  Hof  und  Michelozzo's  am  Ende  des  neben  der 
Sakristei  vorbeiführenden  Korridors  errichteten  Kapelle  der  Medici 
zu  reden ,  hieße  den  Rahmen  dieser  Arbeit  überschreiten.  Der 
schlanke  Thurm  trägt  über  der  Glockenstube,  deren  Spitzbogen- 
öffnungen von  Spitzgiebeln  überragt  werden ,  einen  hohen  vier- 
seitigen Helm  mit  einer  auf  Konsolen  ausladenden  Gallerie  und 
darüber  einen  achtseitigen  Aufsatz  mit  Spitzgiebeln.  Nach  Villani 
und  Vasari  begann  Arnolfo  di  Cambio  im  Jahre  1 294  den  mächtigen 
Bau,  der  in  einem  Dekret  der  Kommune  von  1295  (8./4.)  erwähnt 
wird,  nachdem  am  5.  Mai  der  erste  Stein  gelegt  worden  war  an 
Stelle  der  älteren  Kirche,  welche  die  1221  hier  angesiedelten 
Franziskaner  im  April  1252  errichtet  hatten.  Daß  schon  um  1300 
der  Chor,  die  Kapellen  und  das  Querschiff  fertig  waren,  geht  aus 
den  Fresken  des  Cimabue  in  der  Kapelle  des  heiligen  Michael  her- 
vor (s.  oben  S.  238  f).  Auch  bemerkt  Villani,  daß  der  Bau  mit 
Chor  und  Kapellen  begonnen  wurde.  1320  begann  der  Dienst, 
doch  war  die  Kirche  noch  nicht  vollendet,  da  1332  darüber  ge- 
klagt wird,  daß  die  Stadt  die  Mittel  zum  Bau  entzogen  habe. 
1341  und  1383  scheint  dann,  wie  Frey  nach  Inschriften  an  Balken 
konstatiert  hat,  eine  Ausbesserung  des  Daches  oder  Neubedachung 
vorgenommen  worden  zu  sein.  Erst  1383  wird  eine  Kommission 
für  den  Weiterbau  ernannt  und  nicht  eher  als  1442  erfolgte  die 
Weihe ,  1 566  eine  Restauration  durch  Vasari.  Die  unausgeführte 
Fassade  wurde  1857  — 1863  von  Cos.  Matras  und  Dupres  aus- 
geführt.^) 

Mit  S.  Croce,    könnte    man   glauben,   sei  das  letzte  Wort  ge- 
sprochen worden,    mit   ihr  habe  die  von  der  kleinsten  einfachsten 


^)  Vergl.  Vasari  I,  285.  Villani  VIII,  7.  Gaye:  Carteggio  I,  428.  Moise:  S.  Croce. 
Firenze  1845.  Fantozzi:  Nuova  Guida  1842.  Lübke:  M.  d.  C.  C.  1860,  S.  172 
(Durchschnitt).  Kugler  III,  S.  547.  Schnaase  VII,  S.  147.  Mothes  S.  761.  Frey: 
Die  Loggia  dei  Lanzi  in  Florenz.     S.   70  ff. 


Die  holzgedeckten  Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana.  341 

Kapellenform  ausgehende  Entwicklung  ihren  Höhepunkt  erreicht! 
Was  die  räumliche  Ausdehnung  und  den  eigentlichen  Typus  be- 
trifft, ist  dies  sicher  richtig  —  daß  aber  gerade  die  von  uns  be- 
trachtete Reihe  von  Bauten  mit  ihrem  einfachen  Prinzipe  eine 
weitere  Bauentwicklung  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert ,  jene  von 
Toskana  ausgehende  so  bedeutungsvolle  Form  der  einschiffigen 
Renaissancekirche  vorbereitet ,  erscheint  mir  nicht  minder  über- 
zeugend. Dieser  Punkt  wird  weiter  unten  seine  genügende  Be- 
rücksichtigung finden ,  betont  aber  muß  schon  hier  werden ,  daß 
mit  der  Ausbildung  des  Typus ,  mit  der  allmählichen  Erweiterung 
der  Verhältnisse  auch  die  künstlerische  Bedeutung  der  Kirchen  ge- 
wachsen war.  Das  Problem  ist  das  denkbar  einfachste ,  zugleich 
aber  das  fruchtbarste,  die  Renaissance  des  spätem  XV.  Jahrhunderts 
am  entschiedensten  vorbereitende.  Es  ist  die  von  allen  Nebenrück- 
sichten freie ,  idealste  Ausbildung  der  Raumverhältnisse ,  die  in 
diesen  Kirchen  eine  so  gewaltige  Wirkung  erzielt,  daß  man  sich 
anfangs  verwundert  fragt,  worin  denn  ihr  Zauber  beruhen  möge. 
Aus  diesen  schmucklosen  Bauten  scheint  mir  ein  größeres  künst- 
lerisches Können  zu  sprechen,  als  wohl  aus  den  meisten  nord- 
italienischen Gewölbebauten :  freier  und  in  ganz  modernem  Geiste 
schafft  der  toskanische  frisch  erwachende  Kunstsinn  Neues  nach 
neuen ,  klar  empfundenen  Prinzipien ,  die  eine  grundlegende  Be- 
deutung für  das  Quattrocento  gewinnen ,  in  dem  dann  für  den 
fertigen  Gedanken  die  entsprechende  Formsprache  in  dem  antiken 
Elemente  gefunden  wird.  Da  verschwindet  auch  noch ,  was  für 
den  Gesammteindruck  kleinlich  und  störend  war:  das  Cisterzienser- 
system  der  östlichen  Kapellen.  Indem  diese  nun  ihren  Platz  an 
den  Seiten  des  Langhauses  erhalten,  gewinnt  man  die  Möglichkeit, 
dasselbe  harmonisch  reizvoll  zu  gliedern ,  ohne  der  eigentlichen 
Idee  des  einheitlichen  ungetheilten  Raumes  zu  nahe  zu  treten. 
Nicht  bloßer  Zufall  ist  es ,  daß  L.  B.  Alberti  für  seinen  Ruhmes- 
tempel des  Sigismondo  Malatesta,  für  S.  Francesco  in  Rimini 
die  alte  Form  der  Franziskanerkirche  beibehält,  in  der,  wie  es 
scheint,  jene  Kapellenanlage  in  überraschendem  Gegensatze  zu  den 
sonstigen  uns  bekannten  Bettelmönchbauten  bereits  als  ursprüng- 
liche Anlage  vorhanden  gewesen  ist.  Ein  Analogon  dazu  bietet, 
so  weit  ich  zu  urtheilen  vermag,  nur  die  Kirche  der  S.  Chiara 
in  Neapel,  die  gleichfalls  einschiffig  ist,  je  zehn  Seitenkapellen 
und  ein  Querschiff  hat.    Sie  wurde  13 10  gegründet,   1328  vollendet. 


342  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

1552  von  Giovanni  di  Gaiso  im  Innern  umgewandelt.^)  —  Fast 
noch  deutlicher  aber  tritt  uns  die  Beziehung  der  einschiffigen  Re- 
naissancekirchen zu  den  Bettelmönchkirchen  in  Cronaca's  S.  Fran- 
cesco al  monte  zu  Florenz,  jener  lieblichen  Kirche  der  padri 
riformati,  die  an  Stelle  der  älteren  nach  14 17  begonnenen,  von 
Cosimo  und  Lorenzo  Medici  dotirten,  aber  bis  1490  unvollendet 
gebliebenen  um  1500  entstand,  entgegen.  ,La  bella  villanella' 
pflegte  sie  mit  trefl'endem  Ausdruck  Michelangelo  zu  nennen ,  er, 
der  in  späteren  Jahren  den  Auftrag  erhielt,  eine  ähnliche  Kirche 
der  padri  riformati,  die  sie  1472  empfangen  und  um  1500  von  Baccio 
Pintelli  (?)  neu  hatten  bauen  lassen:  S.  Pietro  in  montorio  in 
Rom,  mit  Fresken  zu  schmücken.  Endlich  wird  derselbe  echt 
florentinische  Baugedanke  von  Jacopo  Sansovino  1534  nach  Venedig 
verpflanzt,  als  er  den  Franziskanern  die  Zeichnung  für  den  Neubau 
von  S.  Francesco  della  vigna,  eine  einschiffige  Kirche  mit 
fünf  von  toskanischen  Pilastern  gerahmten  Kapellen ,  einem  nicht 
ausladenden  Querschiff  und  tiefem  viereckigen  Chor,  entwarf.-)  So 
haben  wir  also  in  Franziskanerkirchen  selbst  die  bindenden  Glieder 
zwischen  der  einen  großen  Richtung  der  Renaissancebaukunst, 
deren  Ideal  die  einschiffige  Kirche  ist,  und  dem  älteren  Typus 
der  umbrisch- toskanischen  Bettelmönchkirchen  erhalten.  Wir 
werden  auf  diesen  Zusammenhang  noch  einmal  zu  sprechen  kommen, 
wenn  wir  erst  die  norditalienischen  Gewölbebauten ,  welche  die 
andere  große  Gruppe  der  Bettelmönchkirchen  ausmachen ,  kennen 
gelernt  haben. 

Ehe  wir  aber  zu  der  Betrachtung  derselben  übergehen,  möchte 


^)  Aeltere  Schriftsteller  wollten  sie  Masuccio  II.  geben,  nachdem  ein  Deutscher 
angeblich  sich  unfähig  bewiesen.  Mothes  S.  647  neigt  dazu,  sie  von  Johann  von  Oli- 
vola  und  Paulus  Olerius  oder  von  Pancius  von  Toulon  bauen  zu  lassen.  Französische 
Elemente  machen  sich  entschieden  geltend. 

^)  Die  Fassade  ward  1562  von  Palladio  hinzugefügt.  Es  war  dort  nach  1253, 
in  welchem  Jahre  (am  8./6.)  Marco  Ziani  testamentarisch  den  Grund  und  Boden  hinter- 
lassen ,  eine  Kirche  gebaut  worden ,  die  im  XIV.  Jahrhundert  durch  einen  auf  Kosten 
der  Familie  Marcimana  nach  Zeichnung  eines  Marino  da  Pisa  errichteten  Neubau  ersetzt 
wurde.  Aus  gothischer  Zeit  erhalten  ist  noch  der  hübsche  Klosterhof  mit  rundbogigen, 
weitgespannten  Arkaden  auf  zierlichen  Säulchen.  Vergl.  die  gelegentlich  der  ,Frari' 
w.  u.  zitirten  Guiden.  —  S.  Giobbe,  gleichfalls  dem  Orden  gehörig ,  ward  in  der 
zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  gegründet,  aber  nicht  von  Cristoforo  Moro,  wie 
Sansovino  will,  da  Dieser  nur  das  Kloster  erweiterte  und  die  Kirche,  namentlich  die 
Kapelle  des  h.  Bemhardin,  ausschmückte.     Vergl.  Moschini,  Guida,    18 15. 


Die  norditalienischen  Gewölbebauten.  343 

ich  einer  kleinen ,  dem  Franz  geweihten  Kirche  in  Gravedona 
am  Comer  See  gedenken ,  die  von  Lübke  zuerst  bemerkt  und  be- 
schrieben wurde.  ^)  Es  ist  ein  einschiffiger  Bau  ohne  Querschiff, 
wohl  aus  dem  Anfang  des  XV.  Jahrhunderts ,  mit  dreiseitig  ge- 
schlossener Haupttribune  und  zwei  rechtwinkligen  Kapellen  daneben. 
Was  ihn  merkwürdig  macht,  ist  die  Anordnung  von  fünf  Spitz- 
bögen ,  über  denen  das  Holzdach  ruht ,  und  die  ihrerseits  über 
Pfeilern  aufsteigen ,  die  von  den  Mauern  nach  innen  vortreten. 
Lübke  findet  diese  Konstruktion  zuerst  in  S.  Prassede  in  Rom  und 
in  S.  Miniato  bei  Florenz  angewandt,  wozu  sich  noch  S.  Niccolö 
in  Bari  fügen  ließe.  Doch  sind  es  dort  überall  Rundbögen ,  die 
auf  freistehenden  Pfeilern  des  Mittelschiffes  ruhen  und  über  denen 
das  Holzdach  hinweggeht.  S.  Maria  bei  Rezzonico,  in  der  er  genau 
dieselbe  Anlage  als  ehemals  vorhanden  annimmt,  kenne  ich  nicht, 
wohl  aber  einige  andere  genau  mit  dem  in  Gravedona  überein- 
stimmende Bauten,  die  ich  bisher  als  charakteristisch  für  Gubbio 
angesehen.  Es  ist  zunächst  der  Dom  daselbst,  der  ein  Schiff  mit 
zehn  derartigen  Spitzgurten  und,  wie  jene  Kirche,  einen  fünfseitigen, 
außen  dreiseitig  geschlossenen  Chor  hat.  Die  zwischen  den  Pfeilern 
entstandenen  Nischen  sind  jetzt  als  Kapellen  benutzt  und  halbrund 
innerhalb  der  geraden  Längsmauer  abgeschlossen.  Der  Thurm  er- 
hebt sich  über  der  Vierung.  Ferner  S.  Agostino,  wo  sich  sieben 
solche  Gurtbogen  befinden,  die  Apsis  aber  einfach  viereckig  ist. 
Dazu  dürfte  wohl  auch  S.  Francesco  in  S.  Gemini  zu  rechnen 
sein.-)  Eine  ähnliche  Anlage  wie  in  Gravedona  fand  ich  neuer- 
dings aber  auch  in  Norditalien:  in  S.  Bernardino  zu  Salö  am 
Gardasee. 

IV.  Die  norditalienischen  Gewölbebauten. 

Hatten  wir  in  Toskana  aus  kleinen  Anfängen  heraus  einen 
bestimmten  Typus  der  Bettelmönchkirchen  sich  konsequent  ent- 
wickeln sehen,  die  Entwicklung  bis  zu  ihrem  Höhepunkt  verfolgen 
können,  so  begegnen  wir  im  Norden  nicht  derselben  Erscheinung. 
Es  ist  als  hätte  mit  der  Entfernung  von  Assisi  auch  der  Einfluß, 
welchen  das  neue  Ideal  der  Armuth  gehabt,  abgenommen,  als  hätte 
man    die   Vorschriften ,    die    Franz    den    Seinen    gegeben ,    weniger 


»)  M.  der  C.  C.   1866,  S.   118. 

*)  Ich  kenne  diese  Kirche  nur  aus  Guardabassi's  Indice  S.  91. 


344 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


Streng    aufgefaßt.      Schon    kurz    nach    seinem  Tode    erheben    sich, 
ihn    zu  ehren,    mächtige,    reiche  Tempel,    die  einen  merkwürdigen 
Gegensatz     zu     den     schHchten    mittehtahenischen    Bauten    bilden. 
Dieselbe  Stadt  Bologna ,    die    stolz    darauf  war ,    den   großen  Zeit- 
genossen  des  Mannes   von  Assisi ,  Dominikus ,    für    immer   als  den 
Ihrigen    zu    besitzen,    sah   schon  von   1230  an  einen  Bau  zu  Ehren 
des   Franz    erstehen ,    welcher    den    Stil    der    französischen    Kathe- 
dralen   nach  Italien   verpflanzte.     Vielleicht  war  es  eben  der  Wett- 
streit ,    in    den    hier    zum    ersten    Male    die    beiden    großen    Orden 
traten,  der  die  Minoriten  veranlaßte,  allen  Traditionen  entgegen  in 
ihrer    Kirche    die   Bedeutung    ihrer   Gemeinde    den    Dominikanern 
gegenüber  in  monumentaler  Weise  geltend  zu  machen.    Zu  gleicher 
Zeit  fast  wuchs  in  Padua  die  Kirche  des  heiligen  Antonius  empor. 
Die    Mitte    des   Jahrhunderts    fand    Franziskaner    und    Dominikaner 
mit  dem  Bau  ihrer  Tempel  in  Venedig  beschäftigt,  und  alle  anderen 
Kirchen    der  Stadt    überflügelnd  entstand  in  Mailand  S.  Francesco. 
Was    auf  den    ersten  Blick   befremdlich    erscheint,    die  große  Ver- 
schiedenheit in  dem  äußeren  Auftreten  der  neuen  Orden  im  Norden 
und  im  Süden,  erklärt  sich  dennoch  leicht.     Die  umbrischen  Berg- 
städtchen lassen  sich  eben  nicht  vergleichen  mit  den  großen,  reichen 
und  mächtigen  Zentren  des  Handels  und  Lebens  in  NorditaUen  — 
die   Stunde   für   Florenz    und  Siena    hatte    noch   nicht   geschlagen, 
nur  Pisa   durfte  es  wagen ,    mit  den  lombardischen  Städten  es  auf- 
zunehmen.    Die  Begeisterung,  welche  in  Mailand,  Parma,  Bologna, 
Venedig,    wie    überall,    die  Menschheit    für  die    unscheinbaren  und 
doch    in    diesen   Zeiten    des    Kampfes    Aller    gegen    Alle    so    trost- 
reichen ,    so    ergreifenden    Anschauungen    des    Franz    erfaßt    hatte, 
äußerte  sich  hier,  wo  alle  Mittel  gegeben  waren,  in  dem  Bau  groß- 
artiger   Stätten ,    in    denen    Reiche    und    Mächtige    dem   Ideale    der 
Armuth    huldigten.      Und    dazu    kommt,    daß    die    ersten   Nieder- 
lassungen   der  Bettelmönche    hier   in    eine  Zeit    fallen ,    in  der  eine 
bedeutende ,    neue    Formen    suchende    und   bildende    Bauthätigkeit 
in  voller  Bewegung    ist.     Seit  einem  Jahrhundert  fast  ist  die  Lom- 
bardei beschäftigt  damit,  die  Probleme  der  Gewölbebildung  zu  lösen, 
die  Cisterzienser  haben  neue  Formen  und  Ideen  mit  sich  gebracht 
—  erst   1221    ist  Chiaravalle   bei  Mailand   fertig  geworden,    das  so 
großen  Einfluß    in    der  Lombardei    gewinnen    sollte   —    kurz    man 
wartete    nur  auf  die  Gelegenheit ,    die  reichen  und  vielseitigen  Er- 
fahrungen  praktisch  zu  verwerthen ,    als  diese  nun  zum  gegebenen 


Die  Gewölbebauten.     Der  Basilika-Typus.  ^45 

Augenblick  eintrat.  Das  Volk  verlangte  und  bezahlte  große  Kirchen, 
die  Architekten  sorgten  dafür,  daß  sie  auch  reich  gegliedert  und 
schön  wurden ,  und  die  Bettelmönche  ließen  es  sich  wohl  ge- 
fallen. So  sehen  wir  überall  Leben  und  Thätigkeit.  Man  macht 
die  verschiedenartigsten  Versuche  in  der  neuen  Bauweise :  das 
Losungswort  für  die  Verarbeitung  und  Durchbildung  des  gothischen 
Stiles  ist  gegeben  und  Norditalien  ist  es ,  das  diesen  in  seiner 
für  ganz  Italien  charakteristischen  Eigenart  an  den  Bettelmönch- 
kirchen entwickelt. 

Bei  deren  näheren  Betrachtung  können  wir  im  Ganzen  zwei 
große  Kategorieen  unterscheiden.  Die  erste  umfaßt  Bauten,  die 
sich  im  Grundriß  noch  an  die  alte  Basilikaform  halten,  die  zweite 
solche,  in  denen  Cisterzienserbauten  nachgebildet  werden,  und  zwar 
nach  den  zwei  verschiedenen  Grundsystemen  in  zweifacher  Weise, 
indem  man  sich  entweder  an  den  Kathedralentypus  mit  dem  reich 
gegliederten  Chor  oder  an  den  Typus  der  einfacheren  Chorkapellen- 
anlage hielt.  Die  Bauten  der  ersten  Kategorie  sind  gewissermaßen 
Uebergangsbauten ,  die  anderen  bringen  und  entwickeln  die  neuen 
Grundformen  der  italienischen  gothischen  Kirchenanlagen.  Aus  den 
folgenden  Ausführungen  scheint  mir  aber  deutlich  hervorzugehen, 
daß  die  italienische  Gothik  überhaupt  ihrem  wesentlichen  Charakter 
nach  sich  direkt  an  die  Baukunst  der  Cisterzienser  anlehnt ,  daß 
die  Cisterzienser  die  bestimmenden  Ideen  gegeben,  die  Bettelmönche 
sie  ausgebildet  haben.  Das  einzig  wirklich  Neue ,  was  die  Gothik 
in  Italien  erfährt,  ist  die  Verbindung  des  seit  den  klassischen  Zeiten 
im  Süden  stets  beliebt  gebUebenen  Kuppelbaues  mit  den  Cister- 
ziensergrundrissen. 

I.    Der   Basilika-Typus. 

Die  zuerst  hier  zu  erwähnende  Kirche ,  vielleicht  der  erste 
größere  Bau  der  Franziskaner  im  Norden,  ist  S.  Francesco  del 
prato  in  Parma.  Ueber  die  Geschichte  ihrer  Entstehung  sind 
wir  nicht  genau  unterrichtet.  Wir  wissen  nur,  daß  gleich  nach 
1226,  dem  Todesjahr  des  HeiUgen ,  der  Konvent  mit  Oratorium 
und  Hospital  errichtet  und  (nach  Malaspina)  1250  vollendet  wurde. 
Michele  Lopez  läßt  den  Bau  1230  beginnen,  spätestens  1298  voll- 
endet sein,  und  zwar  auf  Grund  des  ,Chronicon  Parmense'  (1858 
p.  106),  das  1398  ,ecclesiam  novam  Fratrum  Minorum*  erwähnt. 
Daraus  können  wir  schließen,  daß  der  von  Flaminio  di  Parma  auf 


346 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


■  -  - joj,. 


Grund  alter  Quellen  in's  Jahr  1380  verlegte  Bau  nur  eine  Erwei- 
terung bezweckte,  nicht  Neubau  war.  1398  ist  die  Umgebungs- 
mauer (.?)  vollendet.  Von  1443  haben  wir  eineNotitz:  ,incepti  sunt 
pilones  de  quadredo  in  Ecclesia  Minorum  S.  Francisci  de  Parma'. 
1460  ward  das  Radfenster  vom  Tagliapietra  Albert  von  Verona 
eingeliefert.  1806  wurde  die  Kirche  Kaserne,  wenige  Jahre  später 
Casa  di  forza.^)  Es  kann  kein  Zweifel  sein ,  daß  die  Anlage  und 
wesentlichsten  Bestandtheile  auf  das  XIII.  Jahrhundert,  vielleicht  so- 
gar auf  die  erste  Hälfte  desselben  zurückgehen.  Dafür  scheinen 
mir  namentlich  die  kleinen  rundbogigen  Fenster  im  Mittelschiff, 
die  noch  durchaus  romanisch  sind,  zu  sprechen. 
Aus  der  Zeit  des  Neubaues  im  XIV.  Jahrhundert 
dürften  die  Kapellenanbauten  am  rechten  Seiten- 
schiff, sowie  die  polygone  Gestaltung  der  Ap- 
siden stammen,  ob  auch  die  spitzen  Scheidbögen, 
wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Unter  Napoleon  I. 
wurde,  um  Raum  zu  gewinnen,  eine  Decke  in 
der  Mitte  eingezogen  und  die  Kirche  durch  eine 
Ausfüllung  der  Arkaden  mit  Mauerwerk  in  drei 
gesonderte  Räume  getheilt.  Sie  ist  eine  drei- 
schiffige  Basilika  mit  offenen  Dachstühlen,  fünf 
mächtigen  hohen  Spitzbogen  auf  kräftigen  Rund- 
pfeilern mit  einfachen  Gesimskapitälen ,  fünf- 
seitig geschlossener  Hauptapsis  mit  achttheiligem 
Gewölbe  und  zweireihig  angeordneten  spitz- 
bogigen  Fenstern,  und  zwei  kleineren  vierseitig 
geschlossenen  Seitenkapellen  (das  siebentheilige 
Gewölbe  nur  in  der  rechts  erhalten).  Die  erste  der  fün'f  Arkaden 
an  der  Eingangsseite  hat  nur  die  halbe  Spannweite  der  anderen. 
Am   rechten  Seitenschiffe   sind   zunächst  vier  größere  quadratische. 


Abb.  56.    S.  Francesco  in 
Parma. 


^)  Flaminio  di  Parma:  Memorie  istoriche  delle  chiese  e  dei  conventi  dell'  osser- 
vante  e  riformata  provincia  di  Bologna.  Parma  1760,  S.  163.  (1398  completus  fuit 
murus  Ecclesiae  fratrum  Minorum,  quam  coepit  facere  F.  Joannis  Quaglia  de  Parma.)  — 
Affo:  II  Parmigiano  Servitor  di  Piazza.  Parma  1796.  —  Donati:  nuova  Descriz. 
1824.  —  Bertoluzzi:  nuovissima  Guida.  1830  (sagt:  1233  bezogen  die  Mönche  das 
Kloster,  Bau  erst  gegen  1238  vollendet;  aufweiche  Quellen  hin?)  —  Michele  Lopez: 
II  battistero  di  Parma.  1864,  S.  28.  —  Malaspina:  nuova  Guida  III.  ed.  1869.  — 
Martini:  Guida.  Grazioli  (70er  Jahre).  —  Mothes  S.  455.  — Verhältnisse  nach  eigner 
Messung  ungefähr:  Mittelsch.  9,72  m,  Seitensch.  3,90,  Pfeilerdst.  9,72  m. 


Die  Gewölbebauten.    Der  Basilika -Typus.  347 


dann  fünf  schmale  oblonge  Kapellen  angebaut,  in  denen  zum  Theil 
die  alten  Kreuzgewölbe  mit  Rundrippen  erhalten  sind.  (Abb.  56.) 
Neben  der  rechten  Seitenapsis  der  Campanile.  Die  Fassade ,  fast 
ganz  von  modernen  Fensteröffnungen  durchlöchert ,  hat  spitzen 
Giebel ,  vier  Strebepfeiler,  in  denen  je  eine  gothische  Nische  sich 
befindet ,  ein  größeres  rundbogiges ,  durch  drei  Rundstäbe  mit 
gothischen  Kapitalen  gegliedertes  Mittelportal ,  ein  kleineres ,  in 
jüngster  Zeit  sorgfältig  restaurirtes  ähnliches  rechts.  In  der  Höhe 
das  Glücksrad :  ,,ruota  della  fortuna". 

Haben  wir  in  diesem  frühen  Bau  noch  das  ausgesprochene 
Streben  nach  möglichster  Einfachheit,  so  zeigt  S.  Francesco  in 
dem  benachbarten  M  o  d  e  n  a ,  die  erst  im  XIV.  Jahrhundert  ihre 
jetzige  Gestalt  erhielt,  bei  derselben  Grundanlage  einer  dreischiffigen 
Basilika  mit  einer  um  zwei  Joche  hinausgeschobenen  dreiseitigen 
Hauptapsis  und  zwei  ebenso  geschlossenen  Seitenapsiden  eine  reiche 
Gewölbeanlage.  Die  neun  (inklusive  des  Chores  elf)  Joche  des 
Mittelschiffes  sind  ungewöhnlich  schmal  oblong,  die  Stützen  ein- 
fache viereckige  Pfeiler.  Die  modernisirte  Fassade  hat  ein  spitz- 
bogiges  Portal  und  Radfenster. 

Ob  die  Kirche  der  Franziskaner  in  Reggio,  die  nach 
Salimbene  im  Jahre  1285*)  begonnen  wurde,  mit  den  eben  be- 
sprochenen Bauten  zusammenhängt,  vermag  ich  nicht  zu  sagen, 
wohl  aber  zeigt  eine  Verwandtschaft  die  seit  dem  Anfang  des  Jahr- 
hunderts als  Arsenal  dienende  Kirche  S.Francesco  inMantua. 
Da  diese  wenig  bekannt  ist,  wird  eine  Beschreibung  nicht  über- 
flüssig erscheinen.  Wohl  erhalten  ist  von  dem  Bau  nur  das 
Aeußere:  die  stattliche,  durch  Strebepfeiler  dreigetheilte  Fassade 
mit  schönem  gothischem  Steinportal ,  zwei  hohen  schmalen  ein- 
fachen gothischen  Fenstern,  einem  reizvollen  Radfenster,  sich 
kreuzendem  Rundbogenfries  und  einem  Spitzgiebel  mit  achtseitigen 
Fialen.  Rechts  schließt  sich  die  Seitenwand  der  ersten  großen 
Kapelle  daran.  Die  rechte  Seitenfront  wird  belebt  durch  die  runden 
Abschlüsse    der  fünf  Kapellen  und  die  an  Stelle  eines  Querschiffes 


^)  Salimbene :  Chronik  in  den  ,Monuraenta  historica  ad  provincias  Pamiensem 
et  Placentinam  pertinentia'.  Parma  1857,  S.  346.  „1285  inchoata  est  fundari  ecclesia 
fratrum  Minorum  de  Regio ;  et  frater  Gilinus  de  Conrado  de  Regio  primum  lapidem 
posuit  ibi  in  pilastro  anteriori ,  juxta  viam ,  quae  est  prope  domum  ecclesiae  sancti 
Jacobi  in  VI  feria  infra  octavam  Pentecostes  scilicet  XVIII  die  mensis  maji  XV 
Kalendas  Junii." 


348  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

hervortretende  große  Kapelle ,  die  eine  Fassade  mit  kräftigen 
fialenbekrönten  Eckpfeilern,  Kleeblattbogenfries,  zwei  im  Kleeblatt- 
bogen geschlossenen  hohen  Fenstern  und  einer  Rosette  hat  und 
den  Details  nach  wohl  aus  derselben  Zeit  wie  die  Hauptfassade 
stammen  könnte.  Auch  der  Thurm  ist  alt.  Wer,  durch  diesen 
reichen  Gesammteindruck  gespannt,  das  Innere  betritt,  wird  sehr 
enttäuscht.  Dasselbe  hat  durch  eine  eingespannte  Decke,  zu  deren 
Stützung  in  der  Mitte  der  Kirche  Pfeiler  angebracht  wurden ,  ein 
zweites  Stockwerk  erhalten.  Diesem  neuesten  Umbau  unseres  Jahr- 
hunderts muß  aber  schon  früher  ein  anderer  vorangegangen  sein, 
der  den  alten  Pfeilern  korinthische  Pilaster  vorlegte,  die  alten  Kreuz- 
gewölbe im  zweiten  Seitenschiffe  rechts  in  Kuppelgewölbe  um- 
wandelte und  den  Chor  umgestaltete.  Mit  Sicherheit  läßt  sich  nur 
sagen,  daß  der  älteste  Bau  jedenfalls  eine  dreischiffige  Pfeilerkirche 
von  acht  Jochen  mit  einer  größeren  Mittelapsis  und  zwei  viereckig 
geschlossenen  Seitenapsiden  war.  (Abb.  57.)  Die  Pfeiler  hatten,  wie 
zwei  Reste  im  rechten  Seitenschiff  beweisen,  Halbsäulen  mit  niedrigen, 
an  der  Ecke  abgefasten  Kapitalen  vorgelegt.  Die  Haupttribune 
hat  jetzt  eine  Kuppel  und  runde  Concha.  Bis  auf  zwei  sind  alle 
Scheidbögen  rund  —  vielleicht  erst  vom  Umbau  her  — ,  die  Quer- 
gurte spitzbogig.  Die  Gewölbe  des  Hauptschiffes  sind  oblong,  die 
der  Seitenschiffe  fast  quadratisch.  Nun  befindet  sich  aber  rechts 
noch  ein  zweites  Seitenschiff,  an  das  sich  zunächst  eine  große 
oblonge,  dann  fünf  rundgeschlossene,  schließlich  eine  gleichsam  den 
einen  Arm  eines  Querschiffes  bildende  große  Kapelle  anschließen. 
Dieser  entspricht  am  linken  Seitenschiff  die  Sakristei  in  der  Anlage. 
Erscheint  es  auch  von  vornherein  wahrscheinlicher ,  daß  solche 
Unregelmäßigkeit  Folge  eines  späteren  Ausbaues  ist ,  zumal  das 
Aeußere  eine  vorgeschrittene  Gothik  zeigt,  so  haben  sich  mir  doch 
keine  bestimmten  Anzeichen  ergeben ,  die  ein  Urtheil  möglich 
machten.  —  Von  der  Baugeschichte  ist  Nichts  bekannt,  als  daß 
1304  ein  gewisser  Germanus  den  Bau  vollendet.^) 


^)  Nach  Carlo  d'Arco:  delle  arti  e  degli  artefici  di  Mantova  notizie.  Mantova 
1857,  vol.  I,  S.  92.  Die  Gulden  des  Cadioli :  Descrizione  etc.  Mantova  1763  und 
Susan! :  Nuovo  prospetto  etc.  di  Mantova  1 8 1 8  enthalten  nichts  die  Baugeschichte 
Betreffendes.  —  Fassade:  bei  Runge:  Beiträge  zur  Kenntniß  der  Backstein  -  Arch. 
Italiens.  Neue  Folge.  Berlin  1853.  XVI,  I.  Zu  bemerken  ist  im  Chore  ein  großes 
Fresko  ganz  im  Stile  Mantegna'«.  S.  Domenico  habe  ich  leider  nicht  im  Innern  be- 
sichtigen können.     Es  scheint  wenig  mehr  von  seiner  ehemaligen  Gestalt  zu  haben. 


Die  Gewölbebauten.     Der  Basilika -Typus. 


349 


Einen  Schluß  auf  die  alte  Gestalt  des  Chores  an  der  Kirche 
zu  Mantua  würde  uns  nun  vielleicht  S.  Francesco  in  Brescia 
gestatten,  erführen  wir  nicht  aus  einer  alten  Notiz,  daß  deren  Chor 
ein  gothischer  Neubau  des  XV.  Jahrhunderts  ist.  Hier  ist  das  drei- 
schiffige  Innere ,  das  aus  sieben  Jochen  bestand ,  im  letzten  Jahr- 
hundert durchaus  verändert  worden  (dorische  Säulen  mit  Rund- 
bogen ,  Stichkappengewölbe) ,  nur  die  Haupttribune ,  die  von  zwei 
rechtwinkligen  kleineren  Apsiden ,  ganz  wie  in  Mantua ,  flankirt 
wird,  ist  erhalten.  Sie  be- 
steht aus  einem  quadrati- 
schen, einem  darauf  folgen- 
den ganz  schmalen  oblongen 
Gewölbe  und  einer  fünfseiti- 
gen Concha.  Wie  war  sie 
ursprünglich.?  Jedenfalls  we- 
niger tief,  aber  ob  recht- 
winklig oder  polygon.-*  Am 
linken  Seitenschiffe  befinden 
sich  sechs  Kapellen,  von 
denen  die  vierte  aus  gothi- 
scher Zeit  stammt,  die  fünfte 
und  sechste  außen  eine  hüb- 
sche Renaissanceverkleidung 
mitPilastern  hat.  DerThurm 
ist  alt  erhalten,  auch  die 
Fassade  im  Wesentlichen. 
Sie  ist  dreigetheilt ,  hat  ein 
feingegliedertes  rundbogiges 

Portal  mit  Knospenkapitälen,  die  sich  als  Sims  bis  zu  den  Strebe- 
pfeilern fortsetzen,  ein  großes  Radfenster,  einen  sich  kreuzenden 
Rundbogenfries  und  zwei  moderne  viereckige  Fenster.  Nach  Mal- 
vezzi's  Chronik  ist  die  Kirche  1265  vollendet,  1470  der  Chor  neu 
von  Antonio  Zurlengo  gebaut  worden.^) 

Schließlich   ist  an  dieser  Stelle  die  Kirche  S.  Francesco  in 


c — ^- -/^-  -)«r ---;♦- 

A'  ,'*'^,  lAi.-'-  '• 


Abb.  57.    S.  Francesco  In  Mantua. 


^)  Le  pitture  e  scolture  dl  Brescia.  1760.  —  Pitture  ed  altri  oggetti  di  belle 
arti  di  Brescia.  1834.  (Cavalieri.)  —  San  Domenico,  1223  gegründet,  ist  161 1  total 
verändert  und  umgebaut  worden.  —  Dagegen  scheint  S.  Maria  del  Carmine  in  der 
Anlage  S.  Francesco  verwandt  gewesen  zu  sein.  (Sieben  Joche,  goth.  Säulen,  modemer 
tiefer  Chor,  sechs  alte  barockisirte  viereckige  Kapellen  am  rechten  Schiffe.) 


3  Co  I^Jc  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

G  u  b  b  i  o  zu  nennen,  die  ebenso  wie  einige  andere  oben  erwähnte 
Bauten  derselben  Stadt  entschiedene  Beziehungen  zu  Norditalien 
aufweist.  Jetzt  im  Innern  vollständig  barockisirt  ist  doch  die  drei- 
schiffige  Gesammtanlage  mit  drei  fünfseitigen  Apsiden  erhalten ;  die 
achteckigen  Pfeiler,  die,  wie  in  Modena,  ziemlich  eng  (halbe  Breite 
des  Mittelschiffes)  gestellt  sind  —  nur  die  ersten  zwei  haben  größere 
Distanz  —  dürften  alt  sein,  tragen  aber  jetzt  Rundarkaden.  Die 
Seitenschiffgewölbe  erreichten  fast  die  Höhe  derjenigen  des  Mittel- 
schiffs. Die  dreigetheilte  Fassade  hat  ein  rundbogiges  Portal,  einen 
horizontalen  Spitzbogenfries  und  ein  jetzt  zugemauertes  Radfenster. 
Die  Seitenwand  und  die  Apsiden  sind  durch  Lisenen  mit  Rundbogen- 
fries gegliedert  und  haben  hohe,  schmale  gothische  Fenster.  An  der 
Nordseite  ist  ein  rundbogiges  Doppel-Portal.  Der  über  der  südlichen 
Apsis  sich  erhebende  eigenthümliche  Thurm  ist  oblong  achtseitig. 
Aus  einem  Breve  Nicolaus'  IV.  geht  hervor,  daß  Kirche  und  Konvent 
1292  vollendet  waren. ^) 

Eine  Anzahl  anderer  Kirchen,  die,  was  das  Festhalten  an  der 
alten  romanischen  einfachen  BasiUkaanlage  betrifft,  Verwandtschaft 
mit  den  oben  besprochenen  zeigen,  vergleichend  mit  in  Betrachtung 
zu  ziehen,  würde  zu  weit  führen,  zumal  die  Uebereinstimmung 
hier  nur  eine  sehr  oberflächliche  ist  und  sich  nicht  auf  die  An- 
lage der  Gewölbe  und  die  Bildung  der  Details  erstreckt,  von 
irgend  welchem  näheren  Zusammenhange  also  nicht  die  Rede  sein 
kann.^)   • 

2.  Der  Kathedralentypus. 

Mit  diesem  kurzen  Namen  wollen  wir  eine  Gruppe  von  Kirchen 
bezeichnen,  deren  Charakteristisches  der  Chorumgang  mit  Kapellen- 


1)  Guardabassi:  Indice.  S.  99.  Maaße:  Msch.  7,29,  Ssch.  4,59,  Pfdist.  3,05. 
Auch  die  im  XVII.  Jahrhundert  umgebaute  Kirche  des  hl.  Dominicus  in  Fabriano 
mit  einer  siebenseitigen  Apsis  und  einer  reichen  Lisenengliederung  mit  Spitzgiebelchen 
im  Aeußeren  wäre  vielleicht  hier  mit  zu  erwähnen. 

*)  Vergl.  z.  B.  die  1325  vollendete  holzgedeckte  Säulenbasilika  S.  Stefano,  sowie 
S.  Maria  del  Carmine  in  Venedig,  welch'  letztere  in  der  Anlage  doppelter  (nicht  mehr 
erhaltener)  Gewölbe  an  mailändische  Bauten  erinnert  (1208 — 1250).  Femer  S.  Martino 
maggiore  in  Bologna,  eine  aus  dem  XIV.  Jahrh.  stammende  Pfeilerbasilika,  den  Dom 
in  Arezzo,  der  nach  1277  gebaut  wurde  (Pfeiler,  fiinfseitige  Hauptapsis,  rechtwinklige 
Seitenapsiden),  den  Dom  von  Cesena  um  1350  (Pfeiler  mit  vorgelegten  Halbsäulen, 
Haupttribuna  der  von  S.  Francesco  in  Brescia  ähnlich),  S.  Mercuriale  in  Forli,  und  zahl- 
reiche Gewölbekirchen   in   kleineren  Städten  der  Lombardei,   z.  B.  Castiglione  d'Olona. 


Die  Gewölbebauten.    Der  Kathedralentypus.  351 

kränz  ist.  Es  kann  kaum  zweifelhaft  sein ,  daß  dieser  zum  ersten 
Male  in  Norditalien  mit  der  Kirche  S.  Francesco  in  Bologna, 
die  von  1236 — 1260  gebaut  ward,  auftritt.  Sie  ist  es,  die  für  die 
gesammte  Entwicklung  der  Gothik  in  Bologna  bestimmend  wirkt 
und  ihren  Einfluß  selbst  noch  bei  der  Feststellung  des  Kirchen- 
planes für  S.  Petronio  geltend  macht;  daß  man  dies  früher  nicht 
erkannt  und  ihrer  Bedeutung  bis  zum  Erscheinen  der  ersten  Auf- 
lage dieses  Buches  nicht  gerecht  geworden,  liegt  wohl  hauptsächlich 
daran ,  daß  sie  als  Militärdepot  lange  Zeit  schwer  zugänglich  war, 
bis  sie  in  neuerer  Zeit,  wiederhergestellt  und  nun  viel  bewundert, 
auch  zum  Gegenstand  mancher  Untersuchungen  gemacht,  dem  Be- 
suche geöffnet  wurde.  Der  von  Lübke  in  den  Mittheilungen  der 
Zentralkommission  gegebene  Grundriß  ist  sehr  verfehlt,  somit 
auch  die  danach  gemachte  Beschreibung  Schnaase's  nicht  genau.  ^) 
Mothes  erwähnt  wie  Jene  Nichts  von  dem  wichtigen  Kapellenkranz 
und  hat  irrthümliche  Angaben  über  die  Gewölbe.  Es  kann  daher 
nicht  verwundern,  daß  man  früher  auch  nicht  darauf  aufmerksam 
geworden  ist,  daß  der  im  Jahre  1267  begonnene  Chor  von  S,  Antonio 
in  Padua  nur  in  Nachahmung  der  älteren  Minoritenkirche  zu  Bologna 
entstanden  ist. 

Ueber  die  Baugeschichte  sind  wir  ziemlich  genau  unterrichtet. 
Alle  älteren  Guiden  nennen  als  Zeit  der  Entstehung  1236  oder 
1240,  derjenige  von  1755  als  Baumeister  den  Marco  Bresciani,  und 
damit  stimmen  die  neueren  Forschungen  Ghirardacci's  überein,  der 
Gonzati's  Behauptung,  ein  Franziskaner  Fra  Giovanni  habe  den  Bau 
geleitet,  widerlegt  und  beweist ,  daß  Marco  da  Brescia  der  eigent- 
liche Architekt  gewesen  sei  und  jener  Giovanni  nur  die  Reparaturen 
zweier  eingestürzter  Bögen  125 1  bis  1256  ausgeführt  habe.^) 
1845  wurde  die  Kirche  restaurirt  und  polychrom  bemalt  und  wurde 


*)  1860,  S.  168.  In  seiner  Gesch.  d.  Arch.  S.  629  berichtigt  Lübke  selbst  die 
falsche  Zeichnung  der  Gewölbe,  weiß  aber  nicht,  daß  der  Hauptfehler  in  dem  Weg- 
lassen des  Kapellenkranzes  besteht.  —  Schnaase  VII,  S.   126. 

*)  Pietro  Lamo:  Graticola  di  Bologna  ossia  Descriz.  etc.  fatta  lanno  1560. 
Bologna  1844.  —  Le  pitture  di  Bologna.  IV.  Ed.  1755  (Longhi).  Pitture,  sculture 
ed  architecttire  di  Bologna  (Longhi)  1776.  (Dass.  Ausg.  v.  1792.)  —  Gualandi:  tre 
Giomi  in  Bologna  lü,  Ausz.  1865.  —  In  den  Guiden  von  1820  u.  1825  findet  sich 
Nichts,  da  zu  jener  Zeit  S.  Francesco  Dogana  war.  —  Mothes  S.  457.  —  Von  der 
neueren  Litt,  vergl.  Alfonso  Rubbiani :  La  chiesa  di  S.  F.  1886.  —  Abb.  der  Fassade 
bei  Runge:  Beiträge  I.  Folge  Bl.  2?,  31,  33  unzuverlässig.  —  Maaße:  Msch.  10,20  ra, 
Ssch.  6  m,  Pfdist.   5,26,  Kapellentiefe  4,45,  Pfeilerdurchmesser  1,62. 


352 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


in  den  letzten  Jahren  des  XIX.  Jahrhunderts  von  Rubbiani  wieder- 
hergestelh.  War  es  aber  auch  ein  Italiener,  der  dem  Bau  vor- 
gestanden ,  so  zeigt  dieser  dennoch  durchaus  französischen  Stil. 
Wenn  es  bei  anderen  gothischen  Monumenten  Italiens  oft  zweifelhaft 
bleiben  kann,  wie  weit  in  ihnen  ein  fremder  Einfluß  sich  geltend 
macht,  hier  kann  keine  Frage  darüber  sein.  Das  System  des  Chor- 
umganges mit  Radialkapellen  ist  ein  in  jenen  frühen  Zeiten  Frank- 
reich durchaus  eigenthümliches;  wo  wir  es  in  Deutschland  finden  — 
und  zwar  mit  wenigen  Ausnahmen  wie  z.  B.  am  Magdeburger  Dom, 
am  Dom  zu  Cöln  begegnet  es  uns  hier  erst  später  im  XIV.  Jahr- 
hundert —  ist  es  entlehnt,  während  es  dort  sich  bereits  in  den 
romanischenBauten  konsequent  entwickelt  hatte.  Auf  welche  spe- 
ziellen Vorbilder  S.  Francesco  in  Bologna  zurückzuführen  ist,  wird 
sich  ergeben,  wenn  wir  den  Eau  einer  genaueren  Betrachtung 
unterziehen. 

Es  ist  eine  dreischiffige  Pfeilerkirche  mit  sieben  Jochen,  nicht 
ausladendem  Querschiff,  halbkreisförmigem  Chor  mit  Umgang  und 
neun  viereckigen  niedrigen  Radialkapellen.  (Abb.  58.)  Die  über 
das  Längsschiff  ausladenden  Kreuzarme  sind  wohl  erst  später  im 
XVII.  Jahrhundert  angebaut-^),  ebenso  die  sechs  Anbauten  am  linken 
Seitenschiff,  von  denen  nur  die  auf  das  zweite  Joch  (vom  Eingang 
aus  gezählt)  sich  öffnende  fünfseitig  geschlossene  Kapelle  des  heiligen 
Bernhardin  der  späteren  Gothik  angehört.^)  Das  Mittelschiff  hat 
am  Eingange  zunächst  ein  oblonges,  dann  drei  quadratische  sechs- 
theilige Gewölbe,  denen  in  den  Seitenschiffen  die  doppelte  Anzahl 
quadratischer  Gewölbe  entspricht.  Die  ziemlich  niedrigen  sieben 
Arkaden  ruhen  auf  achteckigen  Pfeilern  mit  simsartigen  Deckplatten, 
über  denen  als  Träger  der  Gewölbe  dreiseitige  Lisenen  mit  gothi- 
schen Blattkapitälen  emporsteigen.  Der  mittlere  Transversalgurt 
der  sechstheiligen  Gewölbe  ruht  auf  einfachen  schwächeren  Pilastern. 


^)  Mothes  zweifelt,  ob  dies  nicht  schon  bei  der  Reparatur  von  125 1  — 1256 
geschah. 

^)  Nach  dem  Guida  von  1755  um  1440  gebaut  und  mit  Fresken  von  1450  ge- 
schmückt, die  in  dem  Gruida  von  1776  1456  datirt  und  in  dem  von  1792  einem  Giovanni 
da  Modena  zugeschrieben  werden,  der  die  daselbst  befindliche  Tafel  mit  Bemhardin 
von  Siena  (mit  Legendendarstellungen)  1451  gemalt.  Pietro  Lamo  erwähnt  gegenüber 
der  Sakristeithüre  ein  Fresko:  Geburt  Johannes  des  Täufers  ,,di  mano  di  Giovanni 
Faloppia  da  Modena,  e  per  cose  antiche  sono  belle,  e  furono  fatte  l'anno  1428."  Es 
ist  dies  ein  sonst  unbekannter  Meister,  dessen  Namen  hier  aber  sicherlich  nicht  er- 
funden ist. 


Die  Gewölbebauten.    Der  Kathedralentypus. 


353 


In  den  Seitenschiffen  Pilaster.  Wie  viel  hier  auf  Rechnung  der 
Restauration  kommt,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Im  Haupt- 
schiffe einfache  spitzbogige  Fenster.  Das  quadratische  Gewölbe 
der  Vierung  ruht  auf  Pfeilern ,  von  welchen  die  am  Längsschiff 
(restaurirt)  mit  vier  von  Akanthuskapitälen  bekrönten  Pilastern  be- 
legt sind,  am  Chor  die  alte  Gliederung  mit  fünf  Rundstäben  be- 
wahren. Die  Kapitale  der  letzteren  haben  rechts  gothischcs  Blatt- 
werk ,  links  eigenthümliche 
sirenenartige  Vögel.  Der  Chor 
mit  zehnfachem  Gewölbe  hat 
noch  die  alten  Pfeiler  mit  vier 
größeren  und  vier  dazwischen 
gestellten  kleineren  Rundstä- 
ben. An  den  Kapitalen  finden 
sich  einfache  schilfartige  Blät- 
ter, Lilien,  Knospenblätter, 
einmal  auch  zwei  Drachen  mit 
ochsenartigen  Köpfen,  die  sich 
beißen.  Die  Bögen  sind  hoch, 
lanzettförmig,  die  Fenster  ein- 
fach spitzbogig,  in  der  Höhe 
kleine  Rundfenster;  der  Chor- 
umgang ist  niedriger  als  die 
Seitenschiffe.  Die  sphärisch 
angelegten  Kapellen ,  deren 
hinterste  später  umgewandelt 
worden  ist,  sind  niedrig.  Als 
Träger  der  Gewölbe  des  Um- 
gangs dienen  verschiedenartig 
gestaltete  Pfeiler,  die  theils 
fünfseitig    aus    dem    Achteck 


Abb.  58.     S.  Francesco  in  Bologna. 


gebildet,  theils  mit  Rundstäben  gegliedert  sind.    Einige  Male  finden 
sich  an  ihrer  Stelle  Konsolen,  von  denen  mehrere  modern. 

Das  Aeußere  der  Kirche  zeigt  Lisenen  und  Spitzbogenfries, 
Strebemauern  über  dem  Seitenschiff,  der  Chor  über  den  Kapellen 
ein  vollständig  nordisch  ausgebildetes  System  von  Strebebögen.  Von 
den  zwei  Thürmen  stößt  der  ältere  kleinere,  1261  gebaute,  mit 
einfachen  Fenstern  versehen,  an  die  Ostseite  des  rechten  Querschiffes ; 
der  spätere,   der  reicher  drei-   und   zweigetheilte  Fenster  zeigt  und 

Thode,  Franz  von  Assisi.  2^ 


354 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


1397  vom  Capo  maestro  Antonio  di  Vincenzo  gebaut  wurde,  steht 
etwas  weiter  rechts. 

Die  Fassade,  unorganisch  hoch  über  die  Schiffe  hinausgebaut 
und  zu  hoch  im  Verhältniß  zur  Breite ,  hat  spitzen  Giebel ,  Strebe- 
pfeiler, in  der  Mitte  eine  spitzbogige  Thüre  mit  spitzem  Giebel, 
darüber  zwei  spitzbogige  hohe,  schmale  Fenster,  ähnliche  kleinere 
unten  zur  Seite.  Ferner  in  der  Höhe  drei  Rosetten  und  über  der 
mittleren  zwei  kleinere  rundbogige  Doppelfensterchen.  Als  Ab- 
schluß dient  ein  Spitzbogenfries  über  eingelegten  runden,  kleinen 
Marmormedaillons.  Offenbar  stammt  die  Hauptsache  von  einem 
Umbau,  der  nach  einer  Notiz  Pietro  Lamo's  der  Familie  der  Guasta- 
villani  verdankt  wird  und  daher  wohl  in  das  Ende  des  XIV.  Jahr- 
hunderts zu  setzen  ist,  da  die  Stifter  vermuthlicfi  dieselben  waren, 
die  1388  bei  den  Brüdern  Massegne  den  reichverzierten  Altar  be- 
stellten. Vielleicht  bezieht  sich  die  Angabe  des  Guida  von  1792  :  die 
Kirche  sei  1383  wieder  gebaut  worden,  auf  die  Fassade. 

Der  Gesammteindruck  des  Innern  ist  ein  sehr  harmonischer, 
dabei  so  nordisch  -  gothischer,  wie  ich  ihn  in  keiner  andern  italie- 
nischen Kirche  erhalten.  Die  Verhältnisse  sind  schlank,  das  Auf- 
streben ist  deutlich  ausgesprochen,  das  Mittelschiff  überragt  hoch 
die  Seitenschiffe,  das  Ganze  entspricht  deutlich  den  frühgothischen 
Kirchen  Frankreichs ,  an  die  nicht  allein  das  Chorsystem ,  sondern 
auch  die  sechstheiligen  Gewölbe  und  die  Details,  die  Pfeilerbildung, 
die  Strebesysteme,  die  Kapitale  auf  das  Entschiedenste  erinnern. 
Und  zwar  muß  ich  das  direkte  Vorbild  in  französischen  Cisterzienser- 
bauten  wie  denen  in  Clairvaux  und  Pontigny  sehen.  Hier  findet 
sich  die  seltene,  sonst  mir  nicht  bekannte  Eigenthümlichkeit ,  daß 
der  halbkreisförmige  Chor  neun  Radialkapellen  hat,  welche  die 
Gestalt  von  sphärischen  Vierecken  haben  und  zusammen  außen  eine 
fortlaufende  halbkreisförmige  Außenmauer  bilden.^)  Die  Ueberein- 
stimmung  gerade  in  dieser  Eigenthümlichkeit  der  Form  und  Anlage 
der  Kapellen  läßt  für  mich  keinen  Zweifel  übrig,  daß  hier  eine 
direkte  Entlehnung  stattgefunden  hat  —  ein  besonders  interessantes 
und  schlagendes  Bei-spiel  mehr  dafür,  daß  die  Bettelmönche  in  ihrer 
Bauthätigkeit  treue  Nachfolger  der  Cisterzienser  sind. 

Dabei  könnte   nur  die  eine  Frage  entstehen :    haben  die  Fran- 


^)  Grundrisse  bei  VioUet-le-Duc :  Dict.  rais.  de  l'architecture  frangaise  I.  B.  S.  267 
(Clairvaux)  und  S.   272  (Pontigny). 


Die  Gewölbebauten.    Der  Kathedralentypus.  355 

ziskaner  direkt  entlehnt ,  oder  schließt  sich  ihre  Kirche  nicht  an 
die  ältere  Kirche  S.  Domenico  in  Bologna  an.?  Ich  glaube, 
daß  die  letztere  Annahme  ausgeschlossen  ist,  da  es  von  vornherein 
nicht  wahrscheinlich  ist,  daß  das  Bauwerk,  wäre  es  so  vollendet 
und  reich  gewesen,  eine  so  vollständige  Umwandlung  erfahren  hätte, 
wie  Francesco  Dotti  sie  1730  vornahm.  Was  aber  vom  alten  Bau 
erhalten  ist :  der  Chorschluß ,  der  allerdings  nach  meinem  Dafür- 
halten die  allergrößeste  Verwandtschaft  mit  S.  Francesco  zeigt,  ist 
zweifellos  viel  später,  wohl  erst  im  XV.  Jahrhundert  entstanden. 
Damals  hat  man  offenbar  geplant,  die  ältere  Kirche  auszubauen 
und  zu  erweitern  und  für  den  Chor  sich  an  das  Vorbild  der  Mino- 
ritenkirche  zu  halten.  Der  Chor  scheint  neunscitig  beabsichtigt 
gewesen  zu  sein  mit  Umgang  und  neun  Radialkapellen,  von  denen 
an  der  Nordseite  außen  noch  drei  erhalten  sind,  eine  vierte  in  den 
Neubau  hineingezogen  wurde.  Das  ausladende  Querschifif  sollte 
polygonen  Abschluß  erhalten,  wie  der  achtseitige  Schluß  am  nörd- 
lichen Arm  beweist,  der,  wie  in  S.  Francesco,  kräftige  ^V^  Strebe- 
pfeiler, die  rundbogig  verbunden  sind,  aufweist.  Das  krönende 
Gesims  ist  durchaus  antikisirend  und  stammt  wohl  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  Quattrocento.  Aus  dem  Allen  geht  hervor,  daß  der 
Franziskanerkirche  die  Priorität  zukommt. 

Wenige  Jahre  vor  dem  Beginn  von  S.  Francesco  in  Bologna 
war  in  Padua  der  Grundstein  zu  S.  Antonio,  der  gewaltigen 
Kirche  des  1231  gestorbenen,  1232  kanonisirten  größten  Anhängers 
des  Franz :  Antonius  gelegt  worden.  Die  durch  Ezzelino  erregten 
Unruhen  hemmten  jedoch  den  Fortgang  des  Baues,  bis  1256  Ale- 
xander IV.  einen  Ablaß  zu  dessen  Gunsten  erließ,  der  nun  in 
den  folgenden  Jahren,  in  denen  verschiedene  Baumeister  erwähnt 
werden^),  rüstig  vorwärts  gebracht  wurde.  Am  27.  September  1267 
wurde  der  Grund  zum  Chorschluß  gelegt,  13 10  der  Heilige  über- 
—  / 

^)  1263  Egidius  murarius,  Sohn  des  Mag.  Gracius;  Ulbertinus,  Sohn  des  Lan- 
franchus ;  Nicolaus  murarius ,  Sohn  des  Johannes ;  Pergardus ,  Sohn  des  Hugo ,  alle 
aus  Mantua.  1264  Benedictus  murarius  aus  Verona  und  Zambonus  aus  Como.  1266 
Albertus  de  Pinalto.  1292  Fra  Clarello.  1307  Fra  Jacopo  von  Pola.  Vgl.  die  aus- 
führliche Baugeschichte  bei  Mothes  S.  460  flf. ,  der  alle  älteren  Arbeiten ,  unter  denen 
ich  nur  Gonzati's  vorzügliche  Monographie:  la  Basilica  di  S.  Antonio,  Padua  1853, 
Essenwein  in  M.  der  C.  C.  1863,  S.  69  flf.,  erwähne,  anführt.  Schnaase  VII,  133  ff. 
(Abb.),  Lübke  S.  442  (Abb.),  Guida  della  Bas.  di  S.  Antonio  und  die  bei  S.  Agostino 
erwähnte  Literatur  der  Guiden,  sowie  Abb,  bei  Gally  Knight  II,  21.  Runge  11,  14. 
Nach  Lübke:  Breite   112  F.,  Länge  316  F. 

/  23* 


356  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

tragen.      1350   war    die   Kirche    vollendet.      1377    beginnt   Magister 
Andriolo  aus  Venedig  die  Capella  S.  Feiice.     1424  wird  die  siebente 
Kuppel    gebaut,    1434   der   Kreuzgang   von    Christoph   von   Bozen. 
1448    restaurirt   man    die   Fassade.      1481 — 90    entsteht   der  Kreuz- 
gang   des   Noviziats.     1470    wurde    die   Kapelle   des   Heiligen   von 
Bartolomeo    da  Ponte   und   1498    von  Agostino    da  Bergamo   nach 
Entwurf   des  Pier  Antonio  von  Modena,  dann   1500  und   1532  aus- 
geschmückt.   15 19  wird  der  große  Kreuzgang  von  Giovanni  Minello 
und  Francesco  di  Cola  gebaut,   165 1  der  Chor  umgestaltet  und  1745 
die  Reliquienkapelle    hinter   dem  Chor   vollendet.      1862  findet  Re- 
stauration   durch  Valentin    Schmidt    statt.      Eine    eingehende    Be- 
schreibung   des    bekannten  Bauwerks   wäre   überflüssig,    wohl  aber 
muß    darauf  hingewiesen    werden,    daß    Essenwein    doch    nicht    so 
ganz  Recht  hat,  wenn  er  sagt,  die  Kirche  sei  weniger  ein  Bau  des 
Ordens   als   der  Stadt  Padua ,    ebensowenig  wie  Mothes ,    der  noch 
weiter   gehend   meint,    daß   sie  als  Bau  nicht  der  norditalienischen 
Tiefebene ,    sondern   ganz   Italien    angehöre.      Eine    so    wunderbare 
Wirkung    die  Verbindung    der    großartigen   byzantinischen    Kuppel- 
anlage   mit    dem    französischen  Chorsysteme   hervorbringt,    so   läßt 
sich   diese    doch    auf  den    bestimmenden  Einfluß,    den   zwei  nord- 
italienische Kirchen   in  dem  Verlauf  ihrer  langen  Baugeschichte  auf 
sie  gehabt,    zurückführen.     So   wie  sie  uns  jetzt  erscheint,    gehört 
sie    der   allgemeinen   Anlage    nach   in   den  Kreis   der  Bettelmönch- 
kirchen, die  sich  mit  S.  Francesco  in  Bologna  an  das  reiche  Cister- 
ziensersystem    anschließen.      Welcher   Art    der    ursprüngliche    Plan 
gewesen,    ehe    man   1263    den   Bau    über    das  Querschiff  fortführte 
und   nun   für    den  Chor    iene  Kirche    zum  Vorbild   nahm ,    ist  jetzt 
wohl  sehr  schwer  zu  bestimmen.     Schnaase  nimmt  an,  daß  an  die 
sechste  Kuppel   sich  eine  einfache  Concha  anschließen  sollte.     Das 
ist  denkbar,  doch  würde  dies  nicht  vielleicht  schon  eine  Erweiterung 
des   ersten   Planes    bedeuten,    und    bestand    nicht   vielleicht    dieser 
bloß    in    einem   Längsschiffe   und    Querschiffe ,    an    das    sich    ohne 
weiteres   der  Chorraum  —  der   wie   immer   gestaltete  Chor  —  an- 
schloß.?    Oder  war  die  Kreuzgestalt  thatsächlich  vollständig  durch- 
geführt.?     Mit   S.   Marco    in   Venedig   hat    S.   Antonio    schließlich 
doch    nur    die  Kuppeln   gemein :    der  Grundriß    der  Kirche   scheint 
mir    zu   verschieden,    als    daß    man   ihn    nur   als    eine   Erweiterung 
des  Längsschiffes  von  S.  Marco  auffassen  könnte,  bei  der  man  dem 
lombardischen  Gewölbesystem  gefolgt  wäre.     Ist  nicht  in  dem  letz- 


Die  Gewölbebauten.    Der  Kathedralentypus. 


357 


teren  doch  schon  von  vornherein  der  Charakter  der  Bettelmönch- 
kirche ausgesprochen.''  Ich  glaube  dies  bejahen  und  damit  ein 
stärkeres  Gewicht  auf  die  Grundrißanlage,  als  auf  die  Kuppeln 
legen  zu  müssen. 

Zur  Bekräftigung  meiner  Ansicht  ziehe  ich  die  Kirche  S.  Fran- 
cesco in  Padua  zum  Vergleich  heran,  die  in  der  allgemeinen 
Disposition  wenigstens  noch  den  alten  Bau  errathen  läßt,  wenn  sie 
gleich  im  Jahre  1420  auf  Kosten  des  Baldo  Bonfario  Piombino  von 
Urbino  und  seiner  Gattin  Sibilla  einen  gründlichen  Umbau  erfuhr.^) 
Wann  sie  gegründet ,  wissen  wir  nicht  genau ,  doch  lassen  die  er- 
haltenen Theile :  die  Seitenfassade,  Kreuzgang  und  Thurm  mit  Be- 
stimmtheit auf  die  erste  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  schließen. 
Ebenso  bestimmt  läßt  sich  von  Außen  die 
Kreuzform  der  Kirche  bestimmen,  im  Innern 
die  Gewölbeanlage  wenigstens  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit.  (Abb,  59.)  Wie  heute 
bestand  das  Längsschiff  jedenfalls  auch 
früher  aus  zwei  quadratischen  Jochen  im 
mittleren  Theil  und  doppelt  so  vielen  in 
den  Seitenschiffen.  Die  Kapellenreihen  wur- 
den 1420  hinzugefügt.  Das  Querschiff  hat 
eine  quadratische  Vierung  und  quadratische 
Arme,  alle  drei  jetzt  mit  sternförmigen  Ge- 
wölben ;  der  weit  hinausgeschobene  Chor 
aber  verräth  Nichts  mehr  von  der  alten 
Gestalt.  Als  Stützen  der  Gewölbe  im  Längsschiffe  wechseln  jetzt 
Pfeiler  mit  gothischen,  auf  hohen  Postamenten  stehenden  Säulchen 
ab,  welch'  letztere  nach  Rossetti  von  einem  Bartolommeo  Campo- 
longo geschenkt  wurden.  Die  Seitenfront  hat,  wie  der  schlanke 
Glockenthurm ,  dessen  Aufsatz  ächteckig  ist ,  Lisenen  und  Rund- 
bogenfries, der  Hof  Rundbogen  auf  gothischen  Säulen  mit  niedrigen 
Kapitalen  (mit  Eckblättern).  Der  Grundriß,  wie  wir  ihn  rekonstruirt, 
zeigt  eine  auffallende  Verwandtschaft  mit  dem  des  älteren  Baues 
von  S.  Antonio.     Fraglich    bleibt    es   freilich  noch  immer,    wie  der 


V          .              '       ,'>          "»"v"       V              1           ' 

:—i. . .  .J  Am. . .V'_j; ..  4-1^ 

.... .  .I^.  .  . .  .        1       ^. 

Abb.  59.    S.  Francesco  in  Padua. 


^)  Vergl.  Moschini :  Guida  per  Padova,  Venezia  1817,  S.  106,  der  das  Testament 
vom  9.  Sept.  14 10  anfuhrt  gegen  Rossetti:  Descrizione  etc.  di  Padova  1776,  der  den 
Stifter  Bonifacio  Piombino  nennt.  Auch  Selvatico:  Guida  di  Padova.  1869.  S.  156. 
In  Brandolese's  Guida  von  1795  Nichts  über  den  Bau.  —  Mothes  S.  462.  —  Maaße: 
Msch.    10,80  m,  Ssch.  5,40  m,  Säulendist.  4,75  m. 


358  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

Chor  gestaltet  gewesen.  Suchen  wir  aber  nach  ähnUchen  Anlagen 
in  Norditalien,  so  treffen  wir,  strenge  genommen,  nur  auf  eine 
einzige,  die  zeitlich  vorangeht.  Es  ist  die  Cisterzienserkirche  Chiara- 
valle  bei  Mailand,  auf  deren  unten  (S.  365)  folgende  Beschreibung 
hier  verwiesen  werden  muß.  Bei  ihr  allein,  so  viel  mir  bekannt, 
findet  sich  damals  die  gleiche  Anlage  des  Längsschiffes,  verbunden 
mit  dem  aus  drei  quadratischen  Jochen  gebildeten,  vortretenden 
Querschiff,  eine  Eigenthümlichkeit,  in  welcher  das  eigentlich  Wesent- 
liche jener  Bauten  in  Padua  zu  sehen  ist.  In  Chiaravalle  jedoch 
bildet  der  Chor  ein  quadratisches  Joch.  Man  könnte  einwenden : 
aber  das  Charakteristische  dieser  Cisterzienserkirche  liegt  doch  in 
den  neben  dem  Chor  angelegten  sechs  rechtwinkligen  Kapellen,  die 
zweifellos  an  S.  Francesco  in  Padua  sich  nicht  befanden.!^  Ich  kann 
darauf  nur  erwidern,  daß  Chiaravalle  ursprünglich  jene  Kapellen 
nicht  hatte,  dieselben  vielmehr,  was  bis  jetzt  noch  nicht  bemerkt 
worden  ist ,  aber  später  nachgewiesen  werden  soll ,  höchst  wahr- 
scheinlicher Weise  erst  Zuthaten  einer  späteren  Zeit  sind.  Damit 
aber  gewinnt  meine  Vermuthung ,  daß  der  Grundriß  der  Paduaner 
Kirchen  sich  an  den  des  Cisterzienserbaues  anlehnt,  sehr  an  Glaub- 
würdigkeit, zumal  wir  ja  fast  überall  bei  den  Franziskanerbauten 
den  Anschluß  an  den  früheren  Ordensstil  bemerkt  haben.  Daß 
das  Langhaus  dort  vier,  hier  nur  zwei  Joche  aufweist,  ist  von  keiner 
Bedeutung.  ^) 

Damit  aber  hätten  wir  für  die  ursprüngliche  Disposition  von 
S.  Antonio  wie  S.  Francesco ,  gleichviel  welcher  Bau  den  anderen 
beeinflußt  hat,  einen  befriedigenden  Aufschluß  durch  den  Nachweis 
des  Zusammenhangs  mit  der  lombardischen  Kunst  gewonnen  und 
können  nun  getrost  S.  Marco  seinen  Einfluß  in  der  gewaltigen 
Kuppelanlage  äußern  lassen.  Das  Wesentliche  bleibt,  daß  also 
S.  Antonio  ursprünglich  als  Ordenskirche  der  Minoriten,  wie  die 
meisten  anderen,  der  Cisterzienseranlage  folgt,  und  zwar  der  ein- 
facheren ;  merkwürdig  genug,  daß  dann  später  der  Chor  die  reichere 
Form  erhält.  Und  hier  kehren  wir  zurück  zu  der  Betrachtung 
dieses  Chores,  der  wie  erwähnt  jenem  von  S.  Francesco  in  Bologna 
nachgebildet    wurde.     Er   ist   sieben-  oder  vielmehr  neuntheilig  ge- 


*)  Ein  gleiches  kurzes  Längsschiff  findet  sich  in  der  1208  gestifteten  Cisterzienser- 
kirche S.  Maria  d'Arbona  in  den  Abnizzen.  Schnaase  VII,  S.  538.  Mothes  S.  698,  der 
die  Seitenkapellen  am  Chor  wie  am  Seitenschiffe  für   1257  entstanden  hält. 


Die  Gewölbebauten.    Der  Kathedralentypus.  359 


schlössen,  hat  gleichfalls  einen  Umgang  und  dieselbe  nicht  ganz 
glückliche  Disposition  der  neun  viereckigen  Kapellen.  Die  Pfeiler 
mit  vorgelegten  Halbsäulen  sind  nicht  ganz  so  konsequent  angelegt 
wie  dort.  Das  Gewölbe  des  Chores  ist  hier  ein  stern-  oder  kuppei- 
förmiges fünfzehntheiliges.  ^)  Das  Aeußere  der  merkwürdigen  Kirche 
bezeichnet  einen  nicht  glücklichen  Kompromiß  zwischen  den  ver- 
schiedenen stilistischen  Elementen  des  Baues  und  braucht  uns  hier 
nicht  länger  zu  beschäftigen.  Wir  wenden  uns  vielmehr  gleich  zu 
einigen  anderen  Kirchen,  die,  obgleich  nicht  den  Bettelmönchen 
eigen,  doch  an  dieser  Stelle,  als  mehr  oder  weniger  freie  Nach- 
ahmungen von  S.  Francesco  in  Bologna,  genannt  zu  werden  verdienen. 

Schon  Schnaase  hat  darauf  hingewiesen ,  daß  die  Kirche  der 
Servi,  sowie  S.  Martino  maggiore  und  S.  Giacomo  maggiore  ähnlich 
angelegt  sind ,  vermochte  aber  nicht  den  Vergleich  treffend  durch- 
zuführen, da  er  eine  falsche  Anschauung  von  dem  Chorsystem  in 
S.Francesco  hatte.  Die  älteste  ist  die  1267  begonnene,  13 15  er- 
öffnete, 1483  vonPietro  daBrensa  veränderte  S. Giacomo  maggiore 
zu  Bologna,  die  jetzt  modernisirt,  ursprünglich,  nach  der  drei- 
getheilten  Fassade  zu  schließen ,  wohl  drei  Schiffe ,  ein  nicht  aus- 
ladendes Querhaus  und  einen  neuntheiligen  Chor  mit  Umgang  und 
viereckigen  Kapellen  hatte,  wie  S.  Francesco.  Der  Chorumgang 
und  die  Kapellen  sind  außen  in  reicherer  Weise  mit  Spitzgiebeln 
gestaltet.'^)  Die  Servitenkirche,  1383  vom  frate  Andrea  Man- 
fredi,  und  zwar  vom  Chor  aus  begonnen,  entfernt  sich  weiter  von 
dem  Vorbilde.  Der  Chorumgang  hat  neun  Joche,  doch  sind  von 
den  neun  Kapellen  nur  die  drei  hintersten  wirkliche  viereckige 
Kapellen,  die  sechs  anderen  nur  nischenartige  Räume.  Der  Lang- 
hausbau mit  seinen  neun  Gewölbejochen  und  seinen  Säulen  hat 
Nichts  mehr  mit  S.  Francesco  zu  thun.  S.  Martino  aber,  eine  drei- 
schiffige  Kirche  ohne  Querhaus  mit  einer  polygonen  Apsis,  hat  gar 
keine  Beziehungen  zur  Bettelmönchkirche. 

Wohl  aber  —  und  dies  ist  von  größerem  Interesse  —  spielte 
die  Franziskanerkirche  wieder  ihre  Rolle,  als  man  1388  beschließt, 
S.  Petronio  zu  bauen,  und  1 390  von  A.  Manfredi  und  Antonius, 
dem  Sohn  des  Vincentius,  die  Zeichnung  und  das  Modell  entwerfen 


^)  Wohl  nachgebildet  in  dem  jüngeren  Gewölbe  von  S.  Francesco  zu  Padua. 
^)  Man  vergleiche  für  die  Details  Mothes  S.  473,  der  irrthümliche  Angaben  hat: 
dreischiffiges  Langhaus,  dreischiffiges  Querhaus ! 


360  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

läßt,  nach  welchem  in  demselben  Jahre  das  Werk  begonnen  wird. 
Der  ursprüngliche,  später  nicht  zur  Vollendung  gelangte  Riesenplan  ^), 
der  mit  seinem  dreischiffigen ,  von  Kapellen  begleiteten  Langhause 
und  Querhause  und  mit  seiner  mächtigen  Kuppel  an  Größe  der 
Raumverhältnisse  und  Reichthum  der  Gliederung  Alles  übertreffen 
sollte,  was  bisher  in  Italien  geschaffen  worden  war,  zeigt  in  der 
Anlage  des  Chores  ein  entschiedenes  Zurückgehen  auf  S.  Francesco, 
ein  Umstand,  der  bedeutungsvoll  dafür  spricht,  welchen  wichtigen 
Antheil  Manfredi ,  der  schon  in  den  Servi  seine  Vorliebe  für  jenes 
System  gezeigt,  bei  der  Konzeption  des  gesammten  Baues  gehabt 
haben  dürfte.  Dabei  freilich  blieb  er  weit  entfernt  von  einer 
sklavischen  Nachahmung,  da  er  anstatt  neun  Kapellen  zwölf,  und 
zwar  die  ersten  drei  auf  jeder  Seite  parallel  neben  einander  anlegt, 
entsprechend  den  zwei  quadratischen  Jochen,  um  die  er  den  geraden 
sechstheiligen  Chorschluß  hinausschiebt :  das  eigentlich  Wesentliche 
aber,  die  viereckige  Form  der  Kapellen  und  die  rund  dieselbe  nach 
außen  begrenzende  Umfassungsmauer  behält  er  bei.  So  sehen  wir 
in  höchst  überraschender  Weise  das  französische  Cisterziensersystem 
durch  Vermittlung  der  Franziskaner  in  dem  vielleicht  bedeutendsten 
Bauwerke  italienischer  Gothik  ein  neues  Dasein  gewinnen ,  freilich 
nur  ein  Scheindasein ,  da  ja  bis  heute  S.  Petronio  noch  der  Voll- 
endung harrt.  Wer,  ohne  S.  Francesco  zu  kennen,  zufällig  auf  die 
Verwandtschaft  der  weit  entlegenen  Cisterzienserbauten  zu  Clairvaux 
und  Pontigny  mit  den  Kirchen  von  Bologna  aufmerksam  geworden 
wäre,  hätte  wahrlich  von  einem  sonderbaren  Zufalle  reden  können  — 
für  uns  bietet  dieselbe  vielmehr  einen  neuen  interessanten  Beleg 
für  das  häufig  so  Räthselhafte,  aber  immer  doch  so  Stetige,  Gesetz- 
mäßige in  der  fortschreitenden  Entwicklung  des  Werdens.  Unter- 
liegt doch  die  Kunst  denselben  ewigen  Gesetzen  organischer  Fort- 
bildung ,  wie  die  Natur  selbst ,  Gesetzen ,  auf  deren  Wesen  wir 
durch  Vergleichung  und  Zusammenstellung  einzelner  erkannter 
Thatsachen  mit  wachsender  Erkenntniß  immer  mehr  und  mehr 
schließen  können,  deren  Entstehung  und  eigentlicher  Gehalt  aber 
dem  Menschen  stets  ein  Räthsel  bleiben  wird. 

Eine  entferntere  Beziehung  als  die  eben  erwähnten  Bauten  hat 
S.  Francesco    in   Piacenza  zu  der  merkwürdigen  Kirche  in  Bo- 


^)  Bei    Schnaase  VII,    177.      Lübke   629.   —  Vergl.   bei   Mothes:    S.  496  ff.    die 
Geschichte  und  Litteraturangaben. 


Die  Gewölbebauten.    Der  Kathedralentypus. 


361 


logna.  (Abb.  60.)  Die  Aehnlichkeit  liegt  hauptsächlich  in  den  ver- 
wandten Raumverhältnissen :  namentlich  der  bedeutenden  Höhe  des 
Mittelschiffes,  sowie  in  der  Fensteranlage  des  Chores.  Doch  behält 
von  der  eigentlichen  Anlage  des  letzteren  der  Baumeister  nur  die 
allgemeine  Idee  des  Umgangs  mit  Kapellen  bei  und  versucht  sie 
selbstständig  zu  verwerthen ,  was  freilich  entschieden  mißglückte. 
Ob  sein  Plan  durch  räumliche  Verhältnisse  bedingt  wurde  oder  für 
ihn  die  Absicht  maßgebend  ward ,  von  dem  Längsschiffe  aus  den 
Blick  in  die  Kapellen  zu  ermöglichen ,  jedenfalls  ordnet  er  vier 
nach  außen  vierseitig  geschlossene,  innen  sieben- 
theilig gewölbte  Kapellen  in  einer  fast  geraden 
Linie  neben  einander  hinter  dem  Chor  an,  der 
selbst  in  */jo  geschlossen  ist.  ^)  Dadurch  ergiebt 
sich  auch  fiir  den  sechstheiligen  Umgang  eine 
große  Unregelmäßigkeit  in  den  Gewölben.  Vom 
Querschiff  an  gerechnet  treten  zuerst  zwei  fast 
quadratische  Gewölbe  auf,  dann  folgen  zwei 
fünftheilige ,  endlich  viertheilige.  Demnach 
kommt  auf  die  Mitte  des  Chores  hinten  ein 
Pfeiler  und  die  Wand,  welche  die  zwei  mittleren 
Kapellen  scheidet,  zu  stehen.  Die  Pfeiler  des 
Chores ,  welche  die  an  Bologna  erinnernden 
gestelzten,  lanzettförmigen  Bögen  tragen,  sind, 
abgesehen  von  den  zwei  vordersten  achteckigen, 
rund  und  mit  einem  einfachen  Kapital ,  über 
dem  die  Rippen  direkt  aufsetzen,  versehen.  Vor 
die  Mauerpfeiler  der  Kapellen  sind  drei  Halb- 
säulen mit  ganz  niedrigen  Kapitalen  gelegt,  deren  Blätter  meist 
knospenförmig  oder  spiralförmig  an  den  Ecken  gebogen  sind.  Die 
runden  Dienste  der  Kapellen  haben  gleichfalls  Blattkapitälchen.  Ueber 
den  in  vier  eigenthümlichen  Rundbogen  geschlossenen  einfachen 
Fenstern  sind  wie  in  Bologna  Rundfenster.  Das  Längsschiff  hat  vier 
große  quadratische  Joche,  ebenso  viele  oblonge  Gewölbe  befinden 
sich  in  den  Seitenschiffen.  Das  Querschiff  ladet  nicht  aus,  hat  aber 
die   volle  Höhe   des  Mittelschiffes.     Die  sehr  weitgespannten  Spitz- 


Abb.  60.     S.  Francesco  in 
Piacenza. 


^)  Es  sind  genau  genommen  zwei  ideelle,  durch  die  Eingangsbögen  gegebene,  in 
stumpfem  Winkel  sich  treffende  Linien,  an  denen  je  zwei  Kapellen  liegen.  Diese  splbst 
aber  sind  genau  der  Längsrichtung  der  Kirche  entsprechend  gestaltet,  so  daß  sie  eine 
ganz  unregelmäßige  polygone  Gestalt  haben. 


202  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

bögen  ruhen  auf  Rundpfeilern  —  was  an  S.  Francesco  im  benach- 
barten Parma  erinnert  —  und  die  Gewölbe  auf  Lisenen,  die  von  zwei 
Runddiensten  begleitet  sind.  Die  Quergurte  sind  fast  rund  gespannt; 
die  Rippen  zeigen  schilfblattförmige  Profilirung.  An  der  Oberwand 
sind  in  jedem  Joche  zwei  eigenthümliche ,  oben  ganz  flachbogig 
endigende  (fast  viereckige)  Fenster  mit  Maßwerk,  das  in  fünf  Bogen 
oben  abgeschlossen  ist,  geschmückt ;  unter  ihnen  je  eine  kleine  spitz- 
bogige  Nische,  über  ihnen  je  ein  Rundfenster.  Das  Mittelschiff  wirkt 
frei  und  hoch,  in  den  Seitenschiffen  erscheinen  die  oblongen  Gewölbe 
ebenso  störend  wie  im  Dom  zu  Florenz ,  doch  macht  das  Ganze 
einen  entschieden  monumentalen  großartigen  Eindruck.  —  Die  durch 
Lisenen  dreigetheilte ,  mit  zierlichen  Fialen  gekrönte  Fassade  ragt 
mit  den  drei  Rundfenstern,  wie  in  Bologna,  oben  über  die  Schiffe 
hinweg.  Das  rundbogige,  reich  gegliederte  Portal  ist  alt  und  zeigt 
in  der  Ausführung  des  Details  eine  selten  hohe  Vollendung.  Die 
kleinen  im  Laubwerke  der  Kapitale  kletternden ,  mit  Thieren  spie- 
lenden Putti  sind  von  unvergleichlicher  Grazie  und  Schönheit.  Nach 
ihnen  und  nach  der  Lunette  mit  der  Stigmatisirung  des  Heiligen 
zu  schließen,  ist  das  Portal  im  XV.  Jahrhundert  entstanden.  Zwei 
spitzbogige  Fenster  an  den  Seiten  zeigen  wieder  das  eigenthümlich 
ausgezackte  Maßwerk,  in  dem  wie  an  den  Fenstern  der  Seitenfront 
eine  Neigung  zum  Kielbogen  hervortritt.  Die  Seitenfassade  hat 
ein  ausgebildetes  Strebebogensystem. 

Das  ganze  Bauwerk  ist  eine  wunderliche  Mischung  verschiedener 
Elemente.  Erinnert  der  Chor  an  die  Bolognesischen  Bauten ,  so 
verräth  die  Anlage  der  Gewölbe  und  das  Detail  der  Fenster  offen- 
bar Kenntniß  der  venezianischen  Kirchen.  Es  wäre  von  großem 
Interesse,  Näheres  von  der  Baugeschichte  zu  ergründen.  Ich  habe 
nur  in  Erfahrung  bringen  können,  daß  ein  Ubertino  Lando  für  den 
Bau  im  Jahre  1278  Häuser  und  Land  hergiebt  und  daß  dieser  1806 
restaurirt  wurde.  Zur  Ausführlichkeit  meiner  Beschreibung  be- 
stimmten mich  die  vielfach  unrichtigen  oder  unzureichenden  An- 
gaben bei  Lübke.^) 

Von  S.  Francesco  offenbar  beeinflußt  ist  S.  Maria  del 
Carmine  in  Piacenza,  mit  vier  quadratischen  Gewölben  im 
Mittelschiffe ,    vier   oblongen  in  den  Seitenschiffen.     Das  Querschiff 


^)  Cattanei :  Descr.  di  Piacenza  1828,   S.    13.  —  Schrabelli:  Guida.     Lodi   1841, 
S.  57.  —  Vergl.  M.  d.  C.  C.   1860,    S.   165.  —  Schnaase  VII,   12.  —  Mothes  S.  476. 


Die  Gewölbebauten.    Der  Kathedralentypus.         '  363 

ladet  nicht  aus.  Der  Chor  ist  hier  einfach  viereckig.  Von  den 
bei  Lübke  und  Mothes  erwähnten,  im  halben  Achteck  geschlossenen 
acht  Seitenkapellen  des  Längsschiffes  konnte  ich  nichts  gewahren.^) 
Am  linken  Seitenschiffe  sind  zwei  ziemlich  große  fünfseitige  Kapellen 
angebaut. 

Schließlich  begegnet  uns  noch  im  Süden  ein  Franziskanerbau, 
der,  ohne  von  Bologna  beeinflußt  zu  sein,  ein  ganz  verwandtes, 
hier  gleichfalls  direkt  von  Frankreich  übernommenes  Chorsystem 
aufweist :  S.  Lorenzo  maggiore  in  Neapel. 

Diese  Kirche  bestand  schon  vor  1234,  in  welchem  Jahre  sie 
die  Minoriten  erhielten,  und  wurde,  nachdem  sie  1232  durch  ein 
Erdbeben  zerstört  worden  war,  von  Fra  Tommaso  da  Terracina 
sammt  der  Fassade  restaurirt.  Mit  dem  Entwurf  des  1265  be- 
schlossenen Neubaues  betraute  Carl  I.  nach  Vasari  den  Maglione 
von  Pisa,  doch  wurde  die  Arbeit  erst  1280  in  Angriff  genommen, 
1300  geweiht,  1324  vollendet.^)  1580  ward  eine  gerade  Wand  vor 
den  Chor  gelegt,  im  XIII.  Jahrhundert  die  Fassade  verändert.  Es 
ist  eine  kreuzförmige  Kirche  mit  flachen  Decken  im  Langhaus  und 
Querschiff,  deren  einfache  Gestaltung  an  die  umbrischen  und  tos- 
kanischen  Bauten  erinnert  und  daher  wohl  mit  Vasari's  Angaben 
in  Einklang  zu  bringen  ist.  Vermuthlich  hatte  Maglione  den  Chor 
nach  Art  der  größeren  Bettelmönchkirchen  in  seiner  Heimath  mit 
rechtwinkligem  Chor  und  Seitenkapellen  versehen  wollen,  als  1280 
eine  Veränderung  in  dem  Plane  eintrat  und  der  Chor  nun  nach 
französischem  Muster,  vielleicht  von  einem  französischen  Baumeister, 
ausgeführt  wurde.  Er  hat  einen  Umgang  mit  neun  Radialkapellen, 
die  innen  fünfseitig  sind  und  nach  außen  dreiseitig  vortreten. 
Kräftige  Halbsäulen,  die  vor  die  Pfeiler  gelegt  sind,  mit  zweireihigen 
Blattkapitälen  tragen  die  Rippen.  Die  polygonen  Kapellen  erinnern 
hier  direkt  an  französische  Kathedralen,  was  uns  nicht  überraschen 
kann,  da  ein  Anjou  der  Stifter  des  Baues  war  und  sich  französische 
Einflüsse  in  fast  allen  gothischen  Bauten  Neapels  geltend  machen. 
War  doch  dies  System  des  Umgangs  mit  Kapellen ,  wie  Schnaase 
und  Mothes  bemerkt  haben,  schon  in  dem  Dome  zu  Acerenza,  in 
S.  Trinitä  zu  Venosa  und  in  Aversa  aufgetreten,  hier  freilich  noch 


^)  M.  d.  C.  C,  S.   164.  —  Mothes  S.  476. 

**)  Ricci  II,  64.  —  Schulz:  Denkmäler  Unteritaliens  III,  38.  —  Kugler  III, 
581.  —  Das  Obige  nach  Mothes  S.  644.  —  Schnaase  VII,  539.  —  Ganz  falscher 
Grundriß  bei  Wiebeking,  Bürg.  Bauk.  Taf.   74. 


'jQa  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

in  der  einfacheren  romanischen  Form  mit  nur  drei  Kapellen,  wie 
sie  im  XI.  und  XII.  Jahrhundert  in  der  Auvergne  und  in  Burgund 
die  verbreitete  ist.^) 

3.  Der  einfache  Cisterziensertypus. 

Die  Gruppe  von  Kirchen,  zu  deren  Betrachtung  wir  jetzt 
schreiten,  hat,  worauf  Schnaase  und  Burckhardt  im  Allgemeinen  schon 
aufmerksam  gemacht  haben,  wie  die  der  vorhergehenden  sich  Ordens- 
kirchen der  Cisterzienser  zum  Vorbild  genommen.  Sie  folgen  derselben 
einfachen  Anlage,  die,  wie  wir  bereits  sahen,  schon  den  Baumeistern 
in  Umbrien  vorschwebte,  als  sie  die  ersten  Bettelmönchkirchen  ent- 
warfen. Jedoch  wird  diese  im  Norden  nicht  wie  dort  vereinfacht, 
sondern  getreu  befolgt,  ja  im  Einzelnen  sogar  reicher  entwickelt. 
Als  neues  Element  tritt  zuweilen  die  Kuppel  über  der  Vierung 
hinzu ,  für  welche  die  italienische  Kunst  von  jeher  eine  Vorliebe 
gehabt,  in  anderen  Bauten  erhält  das  dreischiffige  Längshaus 
Kapellenreihen.  Daß  aber  diese  bestimmte  Form  sich  nicht  auf 
Norditalien  beschränkte ,  sondern  nach  Florenz ,  Rom ,  ja  Neapel 
verbreitete,  erklärt  sich  daraus,  daß  sie  auf  der  einen  Seite  den 
Bedürfnissen  der  Bettelmönche  besonders  entsprach  und  andrerseits, 
geräumig  und  stattlich  zu  gleicher  Zeit,  sich  am  besten  für  die 
größeren  Städte  eignete,  für  die  sie  —  im  Gegensatz  zu  den 
umbrisch  -  toskanischen  —  auch  zuerst  bestimmt  und  geschaffen 
war.  Innerhalb  des  Ganzen  aber  lassen  sich  wieder  zwei  Gruppen 
von  Kirchen  gesondert  betrachten :  die  venezianischen ,  die  am 
kürzesten  als  Säulenkirchen  bezeichnet  werden  mögen,  und  die  lom- 
bardischen, welche  Pfeilerkirchen  sind.  Ehe  wir  jedoch  beide  näher 
in's  Auge  fassen,  scheint  es  geboten,  einen  kurzen  Blick  auf  die 
Cisterzienserbauten  in  Italien  zu  werfen ,  die  einen  so  großen  Ein- 
fluß auf  die  Entwicklung  der  gothischen  Architektur  in  diesem 
Lande  gewinnen  sollten. 

A.  Cisterzienserbauten  in  Italien.  Der  bedeutendste 
derselben  ist  Chiaravalle  bei  Mailand.  Das  Kloster  ward  von 
Bernhard  von  Clairvaux,  der  im  Jahre  1134  bis  in  den  Anfang  1135 


^)  Vergl.  von  neuerer  Litteratur  vor  Allem:  C.  Enlart:  Origines  francaises  de 
l'architecture  gothique  en  Italic.  Toulouse  1893.  Acerenza:  Grundriß,  Schultz  XXX. 
V.  (I,  317).    Venosa  XLIII,  3  (I,  321  f.). 


Die  Gewölbebauten.    Der  einfache  Cisterziensertypus. 


365 


sich   in  Mailand    aufhielt,    gegründet,    die  Kirche    nach  einer  noch 
vorhandenen  Inschrift  1221   geweiht.^)     In  welchen  Jahren,  ob  noch 
im  XII.  oder  XIII.  Jahrhundert    sie    errichtet    worden ,    geht    daraus 
noch  nicht  klar  hervor.^)    Sie  zeigt  die  übliche  Kreuzform,  hat  ein 
Mittelschiff  von   vier   quadratischen  Jochen,  doppelt   so    viele  qua- 
dratische Kreuzgewölbe    in  den  etwa  halb  so  hohen  Seitenschiffen, 
eine   Kuppel    mit   Thurm    über    der  Vierung ,    gewölbte   ausladende 
Querarme,   einen  quadratischen  Chor  und  zu  dessen  Seiten  je  drei 
Kapellen  mit  zwei  Geschossen.    An  den 
rechten  Kreuzarm  schließt  sich  die  aus 
drei  Gewölben  bestehende  oblonge  Sa- 
kristei   mit    funfseitiger  Apsis,    an   das 
südliche  Seitenschiff  der  nur  theilweise 
erhaltene  Klosterhof  an.    Man  hat,  wie 
ich  glaube,  die  erste  Bauthätigkeit  von 
einer  im  XIII.  Jahrhundert  (wann?)  vor- 
genommenen   Restaurirung    zu    unter- 
scheiden,  welche   in   die  ursprüngliche 
romanische  Anlage  gothische  Elemente 
brachte,  die  ersten  Arkaden  links  und 
rechts   im  Längsschiffe  und  die  Bogen 
der  Vierung^),    sowie    die    thürartigen 
Eingänge  vom  Querschiff  in  die  Seiten- 
schiffe  spitzbogig  machte:   ob  die  Ka- 
pellen  zu  Seiten    des  Chores    mit  den 
großen   rein   gothischen  Fenstern   und 
dem   Kreuzungsbogenfries    außen ,    ebenso    wie    die    Sakristei ,    die 
offenbar    derselben   Zeit    gehört,    dieser   ersten    Restaurirung   oder 


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Abb.  61.    Chiaravalle  bei  Mailand 


^)  Sie  lautet:  Anno  gratie  MCXXXV  XI.  Kl'  febr'  constructu(m)  e(st)  hoc 
monasteriu(m)  a  b(ea)to  B(er)nardo  abb(at)e  Clareval'  MCCXXI  co(n)secrata  e(st)  eccl(esi)a 
Isla  a  d(omi)no  henrico  Mediolanensi  archiep(iscop)o  VI  nonnis  maji  i(n)  hono(r)e 
s(an)c(t)e  Ma(r)ie  clareval'. 

^)  Michele  Caffi :  Dell'  Abbazia  di  Chiaravalle  in  Lombardia.  Milano ,  Gnocchi. 
1842.  —  Kugler  II,  48.  —  Förster  I,  243.  —  Ricci  II,  183  und  212.  —  Schnaase 
Vn,  102.  —  Lübke  S.  440.  —  Mothes  S.  449.  —  Neuerdings  Enlart:  a.  a.  O.  Abb. 
nur  des  Aeußeren:  Gally  Knight  II,  Taf.  4,  Hinteransicht.  —  Wiebeking  Taf.  76.  — 
Grüner:  The  terracotta  architecture  of  North  Italy  1867.  Taf.  3  u.  4.  —  Mothes:  Bau- 
lexikon I,    S.   534.  —Maße:    Msch.   8,60  m,    Ssch.   3,80,    Pfdist.  3,80,  Pfdurchm.   1,90. 

*)  Die  alten  runden  Arkaden  sind  zugemauert  über  den  Spitzbogen  noch  zu 
erkennen. 


^ß^  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

einer  zweiten,  noch  späteren  angehört,  muß  fraglich  bleiben.  Es 
ist  sehr  wahrscheinlich ,  daß  alle  diese  Veränderungen  gleichzeitig 
sind  mit  dem  interessanten  Kuppelthurm,  der  sicher  eine  zweite 
Bauperiode  bezeichnet.  Ursprünglich  mag  auch  die  Vierung,  wie 
in  den  nordischen  Cisterzienserkirchen ,  ein  Kreuzgewölbe  gehabt 
haben,  oder  vielleicht,  dem  italienischen  Geschmack  entsprechend, 
eine  einfache  Kuppel ,  wie  die  Cisterzienserbauten  auf  römischem 
Gebiete.  Die  Kapellen  neben  dem  Chor,  die  1613  im  Innern 
ganz  verändert  wurden,  gehören  ersichtlich  nicht  der  ersten,  son- 
dern der  zweiten  gothischen  Bauperiode  an,  wie  dies  namentlich 
außen  sichtbar  wird,  wo  sie  sich  mit  ansteigendem  Dache  an  die 
Querschiffswand  anlehnen.  Sie  sind  ungewöhnlich  hoch  und  auf- 
fallender Weise  jetzt  in  zwei  Stockwerke  geteilt,  deren  oberes  das 
alte  Kreuzgewölbe  bewahrt.  Offenbar  ist  die  mittlere  Decke  erst 
später,  vielleicht  161 3,  eingespannt  worden.^)  Die  Stützen  sind 
massige  Rundpfeiler,  über  denen  als  Gewölbeträger  durch  drei 
Halbsäulen  gegliederte  Pilaster  aufsteigen ,  welche  abgeschrägte 
Würfelkapitäle  haben.  Die  großen  Gewölbe  sind  ziemlich  flach 
zwischen  etwas  gedrückte  Rundbogengurte  gespannt.  In  den  Seiten- 
schiffen setzen  die  Kreuzgewölbe  ohne  Rippen  und  Gurte  auf 
Wandpfeilern  auf,  vor  welche  eine  Halbsäule  gelegt  ist.  Die  ziem- 
lich kleinen  Oberlichter  sind  einfach,  die  drei  Fenster  des  Chores 
hoch,  schlank  und  rundbogig,  die  der  Kapellen  meist  modernisirt. 
Ueber  die  niedrigen  Seitenschiffe  gehen  kompakte  Strebemauern. 
Die  Querschiffsfassade  hat  Rundfenster.  An  der  ganz  modernisirten 
Hauptfassade  ist  nur  das  alte  Hauptportal  erhalten.  —  Der  Kreuz- 
gang, von  dem  nur  Reste  in  einzelnen  spitzbogigen  Arkaden  er- 
halten sind,  ist,  wie  das  jetzt  als  Schreinerwerkstätte  dienende 
riesige,  aus  fünf  Jochen  bestehende  Refektorium,  wohl  in  der  zweiten 
Bauperiode  entstanden.  Den  Gesammtbau  könnte  man  am  besten 
als  eine  italienische  Uebersetzung  eines  französischen  Werkes  kenn- 
zeichnen. —  Das  spezifisch  Französische  tritt  vielleicht  am  deut- 
lichsten in  den  kleinen,  von  italienischer  Gewohnheit  ganz  ab- 
weichenden Grabkapellen  unfern  des  nördlichen  Querarmes  hervor. 
Angesichts  der  Gewölbebildung  aber  und  der  Disposition,  sowie 
jener  eigenthümlichen ,  etwas  gedrückten  Form  des  Rundbogens 
fühlt  man  sich  auf  das  Lebhafteste  an  S.  Ambrogio  in  Mailand  er- 


^)  Vergl.  übrigens  w.  u.  die  gleiche  Anlage  in  S.  Francesco  zu  Ascoli. 


Die  Gewölbebauten.     Der  einfache  Cisterziensertypus.  367 

innert  und  ist  versucht,  einen  Einfluß  seitens  dieser  Kirche  anzu- 
nehmen. Von  II 30 — 60  ward  an  S,  Ambrogio  gebaut,  um  1200  die 
Kuppel  erneuert  und  wohl  zugleich  die  Ueberwölbung  der  Seiten- 
schiffe —  ob  auch  der  Mittelschiffe }  —  in  Angriff  genommen.  Vor 
II 84,  dem  Jahre  der  Einweihung,  scheint  auch  der  Neubau  des 
Domes  von  Modena,  der  in  der  Gewölbedisposition  Aehnlichkeit 
mit  den  beiden  erwähnten  Kirchen  zeigt,  vollendet  gewesen  zu  sein, 
obgleich  es  mir  nicht  ganz  unmöglich  dünkt,  die  Gewölbeentstehung 
später  anzusetzen. 

Welchen  Einfluß  diese  Bauten  —  und  nicht  zum  mindesten 
Chiaravalle  —  mit  der  ihnen  gemeinsamen  Anlage  quadratischer 
Gewölbe  auf  die  lombardische  Gothik  des  XIII.  und  XIV.  Jahrhunderts 
gehabt,  soll  später  betrachtet  werden,  zunächst  gilt  es,  das  zweite, 
zwischen  Ancona  und  Sinigaglia  gelegene  Chiaravalle  kurz 
in's  Auge  zu  fassen.  Dasselbe,  im  Jahre  11 72  gegründet^),  zeigt 
den  vollständig  ausgesprochenen  Spitzbogenstil,  der  in  diesem  Falle, 
wie  ich  mit  Mothes  annehmen  möchte,  wohl  eher  auf  deutsche,  als 
französische  Vorbilder  hinweist.  Das  Langhaus  hat  hier  sechs 
oblonge  Kreuzgewölbe,  denen  ebensoviel  quadratische  in  den  Seiten- 
schiffen entsprechen,  die  Vierung  ein  quadratisches,  der  linke  Kreuz- 
arm drei ,  der  rechte  zwei  oblonge  Gewölbe.  Neben  dem  vier- 
eckigen Chor  liegen  nur  am  nördlichen  Querarm  drei  viereckige 
Kapellen.     Die  Pfeiler  haben  vier  Halbsäulen  vorgelegt.^) 

An  anderen  Kirchen  der  Cisterzienser  in  Italien,  über  die  man 
Näheres  jetzt  in  Enlarts  Werk  über  die  französischen  Ursprünge 
der  italienischen  Gothik  findet :  Fossanuova  bei  Anagni,  C  a  s  a  - 
mari  bei  Veroli,  S.  Maria  in  Ferentino  begegnet  die  Kuppel 
über  der  Vierung;  neben  dem  Chor  sind  zwei  oder  drei  Kapellen 
angebracht.  Die  Pfeiler  hatten  in  Fossanuova  vorgelegte  Halb- 
säulen.'^)  S.  Vincenzo  ed  Anastasia  bei  Rom  (1221  neu  ge- 
weiht) hat  am  Ende  des  XII.  Jahrhunderts  den  Cisterzienserchor 
mit  vier  Kapellen  erhalten  (Mothes  Fig.  20). 


^)  Vergl.  Schnaase  VIT,  S.  87.  —  Ricci:  Mem.  stör.  I,  S.  34.  —  Mothes  S.  440.  — 
Eulart.  —  Abb.  bei  d'Agincourt  Taf.  XXXVI,  23—25.  XLU,  5.  LXIV,  13.  LXVIU, 
30.    LXX,   IG.   II.     LXXni,   17.     31,  41,  43. 

®)  Ein  drittes  Tochterkloster  von  Clairvaux  ist  Chiaravalle  von  Chienti  (gen. 
di  Fiastra). 

8)  Schnaase  V,  325.  —  Mothes  S.  691  flF.,  697.  689.  —  Enlart  a.  a.  O. 


^68  ^^^  Franziskanerkircben  in  Italien. 

B.  Die  venezianischen  Bettelmönchkirchen.  Die 
gemeinsame  Eigenthümlichkeit  dieser  Gruppe,  die  neben  den  zwei 
großen  Bauten  der  Franziskaner  und  Dominikaner  in  Venedig  selbst 
die  den  Bettelmönchen  angehörigen  Kirchen  in  Treviso ,  Padua, 
Verona  und  Vicenza  umfaßt,  beruht 

Erstens  auf  der  Anlage  einer  gleichen  Anzahl  von  Gewölben 
im  Seitenschiffe,  wie  im  Mittelschiffe ; 

Zweitens   in   der  Anwendung   von    säulenartigen  Rundpfeilern; 

Drittens  in  dem  polygonen  Abschluß  des  Chores  und  der  an- 
grenzenden vier  oder  sechs  Altarräume. 

Wenn  ich  in  der  ersten  Auflage  dieses  Buches  die  Kirchen 
der  Frari,  S.  Giovanni  e  Paolo  in  Venedig  und  S.  Agostino  in 
Padua  als  die  frühesten  Bauten  dieses  Stiles  betrachtet  habe,  so  ist 
dies  nach  von  mir  angestellten  archivalischen  Forschungen  nicht 
mehr  möglich.  Vielmehr  zeigt  es  sich,  daß  diese  Denkmäler  nur 
die  größten ,  eine  vorangehende  Entwicklung  abschließenden  Er- 
scheinungen sind.  Noch  vorhandene  Kirchen  in  Verona ,  Vicenza 
und  Treviso  verdeutlichen  uns  die  vorhergehenden  Stufen  solcher 
Entwicklung,  über  die  Bestimmtes  auszusagen  aber  vorläufig  nicht 
möglich  ist,  da  wir  nicht  wissen,  welche  Rolle  in  ihr  die  ursprüng- 
lichen im  XIII.  Jahrhundert  errichteten  Bauten  der  Frari  und  S.  Gio- 
vanni e  Paolo  gespielt  haben.  Wir  beginnen  gleichwohl  die  Be- 
trachtung mit  jenen  größten  Werken  der  gothischen  Periode  im 
venezianischen  Gebiete  und  lassen  die  anderen  folgen. 

S.  Agostino  in  Padua  existirt  nicht  mehr  und  leider  ebenso- 
wenig eine  ausführliche  Beschreibung,  die  zu  endgültigen  Schlüssen 
berechtigen  würde.  Wir  wissen  nur,  daß  sie  1226  oder  1227  ge- 
gründet, 1275  um  40  Fuß  erweitert  und  1303  verändert  wurde. ^)  Es 
ist   wohl    wahrscheinlich,    daß   der  erste   alte  Bau,    da  er   1275  um 


^)  Nach  Rossetti:  Descrizione  di  Padova.  Padova  1776,  S.  3.  —  Moschini: 
Guida,  Venezia  181 7.  —  Brandolese:  Pitture,  Sculture  etc.  di  Padova  1795.  —  Vergl. 
Selvatico,  Ricci,  Marchese.  —  Schnaase  S.  129.  —  Mothes  S.  477.  Ob  das  von 
Moschini  erwähnte  Manuskript  des  p.  ^laestro  Valerio  Moschetta:  eine  Beschreibung 
der  Kirchen  v.  J.  1585,  noch  vorhanden?  Moschini  macht  darauf  aufmerksam,  daß 
in  des  p.  de  Lignamini  Buch  über  die  Inschriften  eine  Stelle  sich  finde,  wonach  einer 
alten  Tradition  zufolge  er  für  gewiß  halte,  daß  der  Baumeister  dieser  Kirche  jener 
gewesen  sei,  dessen  Grab  im  Kirchhofe  folgendes  Epigraph  zeige :  Magister  Leonardus 
Murarius  qui  dicitur  Rocalica,  Selvatico  schreibt  demselben ,  den  er  Boccaleca  nennt, 
S.  Steffano  in  Carrara  bei  Padua  zu.  Von  demselben  Leonardo  soll  1284  der  Saal  des 
Palazzo  della  Ragione  gemacht  sein. 


Die  Gewölbebauten.    Der  einfache  Cisterziensertypus.  369 

40  Fuß  erweitert  werden  konnte,  eine  andere  Disposition  zeigte,  als 
der  Neubau  1 3 1 3 ,  der  in  der  Anzahl  der  Joche  mit  den  Frari 
stimmt,  in  der  Anzahl  von  Kapellen  aber  nach  der  Beschreibung 
Rossetti's ,  der  bei  der  Aufzählung  der  Bilder  sagt :  ,seguono  le 
due  cappelle  laterali  all'  altar  maggiore*,  mit  Giovanni  e  Paolo. ^) 
Haben  wir  uns  den  alten  Bau  vielleicht  im  Grundriß  S.  Francesco 
und  S.  Antonio  zu  Padua  ähnlich  zu  denken  ? 

Daß  aber  S.  Giovanni  e  Paolo  eher  auf  das  Vorbild  der 
Frari  zurückgeht,  als  umgekehrt,  geht  aus  der  weiteren  Distanz  der 
Säulen,  der  niedrigeren  Erhebung  der  Seitenschiffe,  der  regelmäßigen 
Anordnung  der  Fenster,  der  vorgeschrittenen  Ausbildung  der 
Kapitale,  Gliederungen  und  Lisenen  hervor,  sowie  aus  den  von  mir 
im  Archiv  zu  Venedig  aufgefundenen  Notizen  der  Grazie,  nach 
welchen  die  Kirche  drei  Jahre  später  als  die  Frari  neu  gebaut 
wurde,  nämlich  1333.'^)  Zuerst  war  1234  von  Jacopo  Tiepolo  der 
Bauplatz  geschenkt  worden,  auf  dem  zunächst  eine  Kapelle  S.  Da- 
niele erbaut  wurde,  dann  1246  (nach  Ablaßbrief)  S.  Giovanni  e  Paolo 
begonnen  ward.  Von  diesem  alten  Bau  ist  vielleicht  Nichts  mehr 
erhalten,  er  machte  dem  Neubau  1333  Platz,  dessen  Chor  und 
Querschiff  1368  vollendet  waren.  Erst  1395  wird  der  östliche  Theil 
mit  den  Mitteln  des  Niccolö  Leone,  erst  1430  das  Ganze  vollendet.^) 
So  dürfen  wir,  wie  denn  bisher  meist  geschehen,  den  Franziskanern 
auch   hier   die  Führung   zuerkennen,    wie   sie    eine    solche  ja   ver- 


^)  Man  bemerke,  daß  er  den  Altar  der  einen  Kap.  1304  geweiht  sein  läßt,  was 
vielleicht  darauf  schließen  läßt,  daß  1303  zunächst  der  Chor  verändert  worden  war. 
Beachtenswerth  auch,  daß  er  nach  einer  Mittheilung  des  P.  Domenico  Federici  auf 
Kosten  des  ,Francesco  Novello  ultimo  signore  di  Padova'  den  Chor  von  einem  Federigo 
Tedesco  1395  mit  Fresken  bemalen  läßt.  Er  findet  dessen  Manier  der  des  Giotto  ver- 
wandt. Brandolese  wendet  sich  gegen  diese  Behauptung :  dieser  Novelli  sei  erst  Anfang 
des  XV.  Jahrhunderts  gestorben,  ein  anonymes  Manuskript  gäbe  die  Fresken,  der  An- 
sicht des  Girolamo  Campagnola  folgend ,  dem  Guariento.  Wie  es  mit  dem  Novello 
sich  verhält ,  weiß  ich  nicht ,  doch  hat  Rossetti  mit  seinem  schwerlich  erfundenen 
Federigo  Tedesco  die  größere  Glaubwürdigkeit  für  sich  —  nur  die  Jahreszahl  dürfte 
irrthümlich  sein.  In  der  Pinakothek  zu  Forli  findet  sich  ein  ,, Federigo  Todesco" 
bezeichnetes,  1420  datirtes  Bild,  das  offenbar  xmter  dem  Einflüsse  des  Gentile  ent- 
standen ist.     Vergl.  meinen  Aufsatz  im  „Kunstfreund"   1885,  S.  313, 

*)  Vergl.  meine  ,, Studien  zur  ital.  Kunstgesch.  im  XIV.  Jahrh.  Repert.  für 
Kunstw."  XVni.  S.  81  ff. 

^)  Fabbriche  Conspicue  di  Venezia  vol.  11.  —  "Wiebeking  Taf.  72.  —  Runge 
n,  13.  21.  —  Marchese  I,  103.  (3.  Ausg.)  —  Selvatico :  Sulla  arch.  e  scult.  in  Venezia 
1847.     S.   104.     Maaße  nach  Schnaase:   290  F.  lang,  80  F.  breit. 


Thode,  Franz  von  Assisi. 


24 


370  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

muthlich    auch    im    Süden    des    Apennin    und    in    Bologna    über- 
nommen haben. 

Was  Sansovino  in  seiner  Venezia  uns  von  der  Entstehung  der 
S.  Maria  gloriosa  dei  Frari  erzählt ,  giebt  uns  ein  lebhaftes 
Bild  von  dem  Wetteifer,  mit  dem  die  reichsten  Geschlechter  den 
neuen  Mönchen  ihre  Kirchen  zu  bauen  begannen.  Ein  Mitglied  der 
Familie  Gradenigo  errichtete  vier  Säulen  mit  den  dazu  gehörigen 
Mauern ,  ein  Giustiniani  zwei  weitere ,  ein  Anguie  eine  siebente, 
der  Condottiere  Paolo  Savello  die  Gewölbe.  Ein  Viara,  der  später 
Mönch  wurde,  gab  16000  Dukaten  für  den  Bau  des  Thurmes, 
dessen  obere  Hälfte  nach  seinem  Tode  von  Mailändern  und  Leuten 
aus  der  Manza  vollendet  ward.  Diese  Angaben  beziehen  sich  aber 
nicht  auf  den  ersten  umgekehrt  orientirten  Bau,  der  am  5.  April 
1250  begründet  wurde,  sondern  auf  den  Neubau,  der  nach  den  von 
mir  aufgefundenen  Dokumenten  1330  zur  Zeit  des  Dogen  Francesco 
Dandolo  begonnen  und,  nachdem  1361  der  Chor  und  das  erste 
Joch  des  Längsschiffes  vollendet  war,  erst  1407  ganz  ausgeführt  war. 
Jacopo  Ceilega  fing  1361  den  Campanile  an  zu  bauen,  den  1396 
sein  Sohn  Pietro  Paolo  vollendete.^)  Auf  eine  genauere  Beschreibung 
der  gewaltigen  Kirche  (Abb.  62.  63)  brauchen  wir  uns  nicht  ein- 
zulassen :  das  Längshaus  hat  sechs  Joche,  deren  letztes  nach  Cister- 
zienserart  um  drei  Stufen  erhöht  zum  Chore  gezogen  ist,  in  den 
Seitenschiffen  ebensoviele  oblonge  Gewölbe,  das  Querschiff  neben 
der  Vierung  je  drei  oblonge  Gewölbe  in  jedem  Arme.  Die  Haupt- 
apsis  ist  sechsseitig,  die  drei  Kapellen  auf  jeder  Seite  derselben 
(links  ist  noch  eine  vierte  angebaut)  sind  vierseitig  geschlossen.  Die 
Seitenschiffe  sind  halb  so  breit  als  das  Mittelschiff,  die  Maaße  im 
Längsschiffe  stimmen  fast  genau  mit  S.  Giovanni  e  Paolo  überein. 
Die  Rundpfeiler  stehen  auf  achteckigen  Basen  und  haben  achteckige 
niedrige  Kapitale  mit  Knospenblättern.  Die  OberHchter  waren  ehe- 
mals wohl  rund.  Der  Chor  zeigt  reich  gegliederte  Bündelpfeiler 
am  Eingange  der  Hauptapsis,  sowie  die  reiche  Anlage  zweifach 
und  zugleich  horizontal  getheilter  hoher  Fenster.    Das  Betonen  des 


^)  Sansovino:  Venezia  descritta.  1581,  S.  65.  —  Boschini:  Descrizione  1674. 
—  Dass.  1733.  —  Ritratto  di  Venezia  1705  (Baseggio).  —  Zanotto :  Giiida  1863.  — 
Selvatico:  sulla  architt.  S.  98.  —  Ricci  II,  168.  —  Schnaase  VIT,  127.  —  Lübke 
S.  629.  —  Mothes  S.  800.  —  Pietro  Paoletti:  l'Architettura  del  Rinascimento  in  Venezia. 
1893.  —  Thode  im  Rep.  für  Kunstwiss.  XVIII.  S.  82.  —  Abb.  Willis:  remarks 
pl.  VII  und  Streets  Brick  and  marbles  S.  132. 


Die  Gewölbebauten.    Der  einfache  Cisterziensertypus. 


371 


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Vertikalen,  des  Aufstrebens,  des  nach  unseren  Begriffen  eigent- 
lichen Wesens  der  Gothik  verleiht  dem  Ganzen  bei  der  echt  italie- 
nischen Weiträumigkeit  einen  eigenartig  bedeutenden,  an  die  nordisch- 
deutsche Kunst  gemahnenden  Charakter. 

Wie  weit  die  Kirche  der  Frari  den  fast  gleichzeitigen  Bau  der 
Dominikaner  beeinflußt  hat,  kann  zweifelhaft  bleiben,  jedenfalls  aber 
zeigt  S.  Giovanni  e  Paolo  eine  so  große  Verwandtschaft,  daß 
man  sie  eine  direkte  Nachfolgerin  von  S.  Maria  gloriosa  nennen 
kann.  Das  Aufwärtsstreben  ist  in  ihr  noch  stärker  betont,  der  Ge- 
sammteindruck  des  Inneren  ist  ein 
entschieden  luftigerer,  freierer,  die 
Säulen  sind  schlanker,  die  Spitz- 
bogen höher,  die  Kapitale  ent- 
wickelter. Die  Oberlichter  bilden 
Gruppen  von  drei  einfachen  spitz- 
bogigen  Fenstern,  die  des  Chores 
zeigen  die  horizontale  Gliederung 
noch  reicher  durchgeführt.  Ueber 
der  Vierung  erhebt  sich  eine  Kuppel, 
die  Zahl  der  Kapellen,  die,  wie 
die  Hauptapsis ,  siebenseitig  ge- 
schlossen sind,  ist  hier  vier,  die 
Kreuzarme  haben  einfache  Gewölbe, 
das  Langhaus  nur  fünf  Joche.  Das 
Ganze  bezeichnet  demnach  S.  Maria 
gloriosa  gegenüber  eine  Verein- 
fachung in  der  Anlage  bei  fort- 
geschrittener Ausbildung  der  Details. 

In  naher  Verwandtschaft  mit 
den  Frari  steht  die  herrliche  Dominikanerkirche  S.  Anastasia  in 
Verona,  ja,  vielleicht  ist  sie  deren  Vorgängerin.  Der  Bau  begann 
1261,  wurde  1295  unterbrochen  und  1307  wieder  von  GugHelmo 
Castelbarco  aufgenommen,  dem  als  Beförderer  Domenico  Marzari 
folgte.  Erst  1422  war  die  Kirche  vollendet,  1538  erfolgte  ein  Um- 
bau.^)    Das   sechsjochige    Langhaus    mit    seinen   hier    auf  attischen 


Abb.  63.    S.  Maria  dei  Frari  in  Venedig. 


^)  Vergl.  unter  den  oben  (S.  333)  bei  S.  Fermo  citirten  Gulden  besonders  Pergico's- 
Descrizione.  —  Essenwein,  M.  d.  C.  C.  1860,  S.  39  ff.  (Abb.).  —  Schnaase  VII,  S.  129 
(Grdr.).  —  Lübke  S.  629.  —  Mothes  S.  477.  —  Maaße  nach  Schnaase:  285  F.  lang,. 
78  F.  breit. 

24* 


372  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

Basen  stehenden  Säulen  erinnert  wie  der  vierseitige  Abschluß  der 
Altarräume  an  die  Frari,  während  die  Anordnung  von  drei  quadra- 
tischen Jochen  im  Querschiffe,  die  beschränkte  Anzahl  von  vier 
Kapellen  Beziehungen  zu  S.  Giovanni  e  Paolo  zeigt. 

Im  Jahre  1303  oder  1304  ward  mit  den  vom  Papst  Benedikt  XI. 
bewilligten  und  hinterlassenen  Geldern  S.  Niccolö  in  Treviso 
begonnen ,  welche  den  Dominikanern  gehörige  Kirche  nach  einer 
Unterbrechung  von  13 18 — 1348  von  Niccolö  da  Imola,  demselben, 
der  an  den  Frari  thätig  gewesen  war,  1352  vollendet  wurde. ^)  Das 
sechsjochige  Mittelschiff  und  das  Querhaus  des  luftigen  Baues  hat 
eine  flache  (jetzt  moderne)  Decke,  die  Seitenschiffe  sind  gewölbt. 
Die  Haupttribuna  ist  neunseitig,  die  beiden  an  dieselbe  anstoßenden 
Kapellen  sind  sechsseitig,  die  zwei  folgenden  Kapellen  viereckig 
geschlossen.  In  jedem  Joche  befinden  sich  zwei  schmale  hohe 
Fenster,  Der  kleineren  Stadt  entsprechend  ist  das  Ganze  einfacher 
gehalten  als  die  Bauten  in  Venedig. 

In  derselben  Stadt  Treviso  entstand  1306  S.  Francesco, 
die ,  wie  die  eben  erwähnte  Kirche ,  Kreuzform  und  fünf  Kapellen 
hat.  Das  Längsschiff  wurde,  nachdem  der  Bau  unterbrochen  worden 
war,  von  der  Familie  der  Rinaldi  gebaut.^) 

Endlich  sind  in  diese  Gruppe,  worauf  noch  nicht  aufmerksam 
gemacht  worden  ist,  die  zwei  Kirchen  S.  Lorenzo  und  S.  Corona 
in  Vicenza  einzureihen.  S.  Lorenzo  existirte  schon,  bevor  sie 
die  Minoriten  erhielten,  da  sie  vor  1185  erwähnt  wird,  doch  datirt 
ihre  jetzige  Gestalt  von  dem  Neubau  im  Jahre  1280.  Das  Portal 
ward  1344  auf  Kosten  des  Pietro  Marano,  genannt  il  Nano,  von 
einem  frate  Pace  da  Lugo  ausgeführt,  148 1  der  Klosterhof  gebaut. 
1796  wurde  die  Kirche  geschlossen,  1838  wieder  geöffnet.^)  Auch 
hier  sind  deutliche  Beziehungen  zu  S.  Maria  gloriosa  dei  Frari. 
Das  fünQochige  Längsschiff  hat  kräftige  Rundpfeiler,  deren  Kapitale 
aus  zwei  Reihen  von  Knospenblättern  und  achtseitigem  Abakus 
bestehen ,  das  Querschiff  wird  durch  drei  quadratische  Gewölbe 
gebildet ;  an  die  fünfseitig  geschlossene  Hauptapsis  lehnen  sich  bloß 


^)  Federici:  Memorie  trevigiane  1803,  S.  173  ff.  —  Mothes  S.  482  f.,  der  auch 
eine  Chronik  des  Andrea  de  Redunsio  bei  Muratori :  Rer.  Ital.  vol.  I  benutzte.  Maaße 
nach  Schnaase:  274  F.  lang,  79  F.  breit. 

^)  Federici,  a.  a.  O.  S.  207.     Ich  habe  die  Kirche  nicht  selbst  gesehen. 

')  Vergl.  Descriz.  di  Vicenza.  (Vendramin)  1779.  —  Ciscato:  Guida  di  Vicenza 
1870.  —  Mothes  giebt  die  Baugeschichte  nicht  vollständig,  S.  472. 


Die  Gewölbebauten.    Der  einfache  Cisterziensertypus.  373 

zwei  rechtwinklig  geschlossene  Kapellen.  Die  Oberlichter  sind  rund. 
Die  Fassade  mit  einem  gothischen  Portal,  über  welches  ein 
Renaissancegiebel  gelegt  ist ,  hat  im  unteren  Theile  sieben  rund- 
bogige  Blenden,  in  welche  unten  vier  Sarkophage  mit  Baldachinen 
gesetzt  sind ,  in  dem  oberen  mit  Giebeln  abgeschlossenen  Stock- 
werk eine  Rosette  und  fünf  kleinere  Rundfenster. 

Die  Dominikanerkirche  S.  Corona,  die  1260  gegründet  wurde, 
1300  die  Fassade  erhielt,  hat  Umbauten  namentlich  im  Chor  er- 
litten. Das  dreischiffige  Längsschiff  hat  vier  Joche,  dann  folgte 
das  jetzt  mit  zu  ihm  gezogene  Kreuzschiff,  das  früher,  wie  es 
scheint,  nicht  über  das  Hauptschiff  auslud  und  auf  das  vermuthlich 
drei  Kapellen  sich  öffneten ,  die  jetzt  ein  schmales  zweites  Quer- 
schiff bilden.  Die  runden  Pfeiler  haben  abgestumpfte  Würfel- 
kapitale.  Die  Fassade  ist  durch  Strebepfeiler  dreigetheilt ,  hat  ein 
gutes  gothisches  Portal,  links  und  rechts  ein  schmales  spitzbogiges 
Fenster,  darüber  ein  Radfenster  und  zwei  kleinere  Rundfenster,  oben 
Spitzbogenfries.  ^) 

Ob  S.Francesco  inRovigo,  deren  Bau  1 296  von  Obizzo  U. 
begonnen,  1 300,  als  schon  Chor  und  Querschiff  fertig  waren,  unter- 
brochen und  erst  1430  vollendet  wurde,  direkte  Beziehung  zu  vene- 
zianischen oder  mailändischen  Bauten  hat,  kann  ich  leider  nicht 
sagen,  da  ich  die  Kirche  nicht  kenne.  Aus  den  Bemerkungen  bei 
Bartoli^)  kann  ich  nur  entnehmen,  daß  sie  fünf  Kapellen  an  der 
östlichen  Seite  des  Querschiffes  hatte. 

C.  Die  lombardischen  Bettelmönchkirchen.  Die 
lombardischen  Bettelmönchkirchen  bilden  wie  die  venezianischen 
für  sich  eine  Gruppe ;  lehnen  sich  diese ,  wie  ich  im  Hinblick  auf 
den  polygonalen  Abschluß  der  Kapellen  vermuthen  möchte ,  an 
deutsche  Cisterzienserkirchen  an,  so  wird  für  die  ersteren  offenbar 
die  Ordenskirche  Chiaravalle  bei  Mailand  das  Vorbild.  Charakte- 
ristisch für  sie,  wie  für  mehrere  sich  ihnen  anschließende  Bauten 
ist  die  Bereicherung  des  Grundrisses  durch  Kapellenreihen  am 
Längsschiffe,  die  Anordnung  quadrater  Kreuzgewölbe  im  Mittel- 
schiff, denen  je  zwei  in  den  Seitenschiffen  entsprechen,  der  gerade 


^)  Vergl.  dieselben  Guiden  und  Mothes'  Beschreibung  S.  480,  die,  was  den 
Grundriß  anbetrifft,  den  späteren  Umbau  nicht  berücksichtigt  und  ein  zweischiffiges 
Querhaus  verzeichnet. 

^)  Bartoli:  Le  pitture  etc.  di  Rovigo,  Venezia  1793,    S.  58.  —  Mothes  S.  480. 


374  ^'^  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

Abschluß  des  Chores  und  der  Kapellen  und  endlich  die  An- 
wendung des  mit  Halbsäulen  belegten  Pfeilers.  Wir  haben  gesehen, 
wie  in  verschiedenen  Kirchen ,  namentlich  in  S.  Ambrogio ,  das 
quadratische  Gewölbe,  das  durch  die  sechstheiligen  Gewölbe  ein- 
zelner Bauten  vorbereitet  worden  war,  fast  gleichzeitig  auftritt, 
wie  in  Chiaravalle ;  daß  das  hier  angewandte  System  des  Chores 
mit  seinen  Kapellen  Beifall  fand ,  bezeugen  neben  den  zu  be- 
sprechenden Bauten  in  Pavia  auch  andere,  z.  B.  die  modernisirte 
Carmine  in  Mailand.  Die  Pfeiler  mit  Halbsäulen  aber  waren  schon 
in  Modena  angewandt  worden,  —  ob  etwa  auch  ursprünglich,  wie 
in  den  meisten  anderen  Cisterzienserkirchen  Italiens  (Chiaravalle  bei 
Ancona,  Fossanuova  etc.)  in  Chiaravalle,  so  daß  die  eigenthümlich 
massige  runde  Form  hier  aus  einer  späteren  Zeit  herrührte,  wie 
im  Dome  zu  Cremona.? 

Leider  existirt  die  bedeutendste  Franziskanerkirche  in  diesen 
Gegenden,  S.  Francesco  in  Mailand,  nicht  mehr.  Man  wird 
wohl  nicht  fehlgehen,  schreibt  man  ihr,  wie  den  Frari  in  Venedig, 
eine  besondere  Bedeutung  für  die  Entwicklung  der  lombardischen 
Baukunst  in  der  nächsten  Zeit  zu.  Zumal  wir  wissen,  daß  sie 
nächst  dem  Dome  die  größte  Kirche  Mailands  war,  im  XIII.  Jahr- 
hundert also  thatsächlich  die  größte !  Was  ich  aus  Latuada's 
Descrizione  di  Milano  und  aus  dem  Guida  vom  Jahre  1796  ent- 
nehmen konnte,  ist  Folgendes :  im  Januar  1256  erhielten  durch  den 
Erzbischof  Leone  da  Perego  die  Minoriten ,  die  anfangs  S.  Maria 
Fulcorina  besaßen,  die  alte,  schon  zu  Zeiten  des  heiUgen  Ambrosius 
existirende  basilica  Naborriana,  in  der  die  Gebeine  des  Gervasius, 
Protasius,  Naborre  und  Feiice  bestattet  lagen.  Wann  der  neue 
Bau  begonnen  wurde ,  ist  nicht  bekannt ,  doch  dürfte  es  jedenfalls 
bald  nach  der  Besitzergreifung  geschehen  sein.  Eine  alte,  auch 
von  Latuada  angeführte  Beschreibung  von  Torri  schildert  ihn  fol- 
gendermaßen: ,,Die  Franziskanerbasilika  besteht,  wie  sie  heutigen 
Tages  bewundert  wird ,  aus  drei  Schiffen ,  auf  beiden  Seiten  mit 
zwölf  Bogen  geschmückt  und  mit  ebenso  vielen  Säulen  aus  Back- 
stein (nach  einer  Berichtigung  des  in  der  Ambrosiana  befindlichen 
Manuskriptes :  aus  Stein)  mit  rothen  korinthischen  Kapitalen."  Der 
Chor  hatte  viereckige  Kapellen.  In  der  Nacht  auf  den  6.  September 
1688  brachen  die  Gewölbe  ein,  und  nun  wurde  sie  von  Neuem 
gebaut  und  um  drei  Joche  verkürzt."  In  diesem  restaurirten  Zu- 
stande sah  sie  Latuada,  der  die  Schönheit  des  korinthischen  Stiles 


Die  Gewölbebauten.    Der  einfache  Cisterziensertypus.  ^yc 

in  ihr  ebenso  bewundert,  wie  die  Größe.  Er  klagt  nur  darüber, 
daß  die  Seitenkapellen  nicht  schön  geordnet  waren  und  nicht  alle 
beendet  seien,  und  erhofft  von  den  nächsten  Jahren  die  Vollendung.  — 
Der  Guida  von  1796  erwähnt  außerdem,  daß  die  großartige  gothische 
Sakristei  1357  auf  Kosten  eines  Giacomo,  genannt  Comello,  d.h. 
Giacomello  de'  Taverni  gebaut  und  ganz  mit  Fresken  geschmückt 
worden  sei,  die  ein  klares  Zeugniß  davon  ablegten,  wie  hoch  schon 
in  jenen  Zeiten  die  Kunst  gestanden.^)  —  So  kärglich  die  Nach- 
richten sind,  so  genügen  sie  doch,  uns  einen  höchst  großartigen 
Begriff  von  der  Kirche  zu  geben.  Ein  Längsschiff  von  zwölf 
Arkaden!  Jedenfalls  hatte  das  Mittelschiff  sechs  quadratische  Ge- 
wölbe, die  Seitenschiffe  die  doppelte  Anzahl.  Waren  die  Stützen 
wirklich  Säulen  mit  gothischen  BlattkapitäJen }  oder  kann  man  unter 
jColonne'  auch  Pfeiler  verstehen.?  Wie  war  der  Chor.?  Haben  wir 
ihn  uns  zu  denken,  wie  in  S.  Francesco  in  Pavia?  Vergebens  sieht 
man  sich  nach  Aufschluß  um  —  die  einzige  Kirche,  die  in  ihrem 
abnorm  langen  Längsschiffe  etwas  an  jene  Beschreibungen  erinnert, 
S.  Francesco  in  Cremona,  die  jetzt  als  Hospital  benutzt  wird, 
hat  gerade  in  den  Chortheilen  im  XVII.  oder  XVIII.  Jahrhundert 
eine  vollständige  Veränderung  erfahren.  Trotz  dieser  aber  lohnt  sie 
den  Besuch:  es  ist  ein  Längsschiff,  das  gar  kein  Ende  zu  nehmen 
scheint.  (Abb.  64.)  Erhalten  sind  vom  alten  Bau  nur  die  vierzehn 
quadratischen  Kreuzgewölbe  der  Seitenschiffe  (vielleicht  waren  es 
einst  sogar  fünfzehn,  da  erst  nach  dem  fünfzehnten,  das  jetzt  zu- 
gebaut ist,  das  moderne  schmale  Querschiff,  das  an  den  Armen 
ebenso  wie  der  lange  Chor  rund  geschlossen  ist,  ausladet)  und  im 
Mittelschiffe  vier  sechstheilige  quadratische  Gewölbe,  die  auf  einen 
Einfluß  der  Bauten  in  Piacenza  schließen  lassen,  und  ein  aus  zwei  in- 
einander greifenden  sechstheiligen  Gewölben  bestehendes  Joch,  das 
drei  Seitenkapellen  entspricht,  zunächst  der  Fassade.  Die  derben, 
schmucklosen  Pfeiler  und  rundbogigen  Arkaden  sind  modern,  wohl 
auch  die  jetzt  runden  Quergurte.  Das  Mittelschiff  ist  ein  wenig 
höher  als  die  Seitenschiffe.  Die  Hauptfassade  ist  modern.  Die 
Seitenfront  zeigt  noch  die  später  zugemauerten  einfachen,  spitz- 
bogigen  Oberlichter.     Nach  Flaminio  di  Parma  ist  die  Kirche  1290 


^)  Torre:  ritratto  di  Milano.  Milano  17 14.  S.  187  ft".  —  Latuada:  Descrizione  di 
Milano  1738.  IV,  S.  226.  —  Bianconi;  Guida  1787.  —  Guida  di  Milano  (Sirtori). 
II.  Ausg.    1796.    S.  331.  —  Bossi:   Guida  di  Milano   18 18.     S.   159. 


376 


Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 


erbaut  worden,  in  den  Guiden  habe  ich  keine  näheren  Angaben 
gefunden.  ^) 

Von  S.  Francesco  in  Turin  ist  Nichts  mehr  erhalten,  auch 
kenne  ich  keine  eingehendere  Beschreibung.  Es  war  eine  drei- 
schiffige  Kirche.^) 

Mit  größerer  Sicherheit  läßt  sich  unter  der  modernen,  wohl 
im  letzten  Jahrhundert  vollzogenen  Verkleidung  die  alte  Gestalt  der 


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Abb.  6c.    S.  Francesco  in  Pavia. 


Abb.  64.     S.  Francesco  in  Cremona. 

Kirche  S.  Francesco  in  Pavia  noch  erkennen  —  offenbar  hatte 
sie  ganz  denselben  Grundriß  wie  S.  Maria  del  Carmine  ebendaselbst: 
ein  Langhaus  mit  vier  quadratischen  Jochen,  die  doppelte  Anzahl 
quadratischer  Gewölbe  in  den  Seitenschiffen  und  ebenso  viel  recht- 
winklige Kapellen.  (Abb.  65.)  Das  Querschiff,  nicht  über  die  letzteren 
ausladend,  bestand  aus  einer  oblongen  Vierung  und  aus  zwei  dem 
Quadrat  sich  nähernden  Kreuzgewölben.     Der  viereckige  Chor  hat 


^)  Flaminio  di  Parma :  Memorie  istoriche  delle  chiese  et  della  provincia  di  Bologna. 
Parma  1760,  I,  S.  325.  •=—  Panni:  distinto  rapporto  delle  dipinture  etc.  1762.  — 
Guida  von  Picenardi   1820.  —  Maisen:  Cremona  illustrata.     Milano   1865. 

^)  Guida  di  Torino   1753.     S.  84. 


Die  Gewölbebauten.    Der  einfache  Cisterziensertypus.  377 

vier  Kapellen  zur  Seite.  Erhalten  sind  von  den  Gewölben  nur  die 
der  Seitenschiffe  und  zwei  Joche  des  Mittelschiffes.  Als  Stützen 
dienen  jetzt  schwere  Rundsäulen  mit  barocken  Kapitalen,  jedoch 
sind  an  dem  der  Vierung  nächsten  Gewölbe  noch  vier  kreuzförmige 
Pfeiler  mit  Halbsäulen  zu  sehen,  nach  denen  wir  uns,  dabei  S.  Maria 
del  Carmine  zum  Vergleich  herbeiziehend,  die  anderen  rekonstruiren 
können.  Die  Quergurte  waren  breitgespannte,  der  Rundung  sich 
nähernde  Spitzbogen ,  die  dem  Ganzen  einen  etwas  gedrückten 
Charakter  verliehen  haben  müssen.  Die  dreigetheilte  Fassade  da- 
gegen ist  hoch,  schlank  und  mit  hohen  Fialen  und  einem  Kreuzungs- 
bogenfries  geschmückt.  In  der  Mitte  befand  sich  ein  jetzt  zu- 
gemauertes großes,  reich  mit  fünf  rosettenverzierten  Bändern  ge- 
rahmtes Fenster ,  unter  dem  fünf  Scheinrundfenster  waren.  Die 
Seitentheile  ihrerseits  sind  durch  eine  aus  drei  Rundstäben  be- 
stehende Lisene  halbirt ;  über  dem  unteren  Geschosse  mit  moderner 
Thüre  läuft  ein  den  untern  Theil  der  Mittelfenster  kreuzender,  also 
später  hinzugefügter  breiter  Streifen,  der  mit  sternförmigen  Back- 
steinornamenten geziert  ist.  Ein  Blick  auf  die  Seitenfront  zeigt, 
daß  die  Kapellenanlage  alt  ist,  da  ihre  Details  in  allen  mit  dem 
sonstigen  Aeußeren  übereinstimmen.  Jede  Kapelle  hatte  zwei  hohe 
spitzbogige  Fenster,  das  Mittelschiff  und  der  Chor  rundbogige  Ober- 
lichter. ^)  —  S.  Francesco  ist  offenbar  das  Vorbild  für  S.  Maria 
del  Carmine  geworden,  die  im  Detail,  in  der  reicher  gestalteten 
fünftheiligen  Fassade  einen  Fortschritt  bezeichnet,  im  Grundriß  sich 
genau  an  die  Bettelmönchkirche  hält. 

Lübke  setzt  die  Entstehung  beider  Kirchen  zu  früh.  Erst  1260 
dürfte  S.  Francesco  entstanden  sein,  als  die  Franziskaner  den  Park 
von  Mirabello,  in  dem  sie  bisher  gewohnt,  verließen  und  in  die 
Stadt  zogen,  S.  Maria  del  Carmine  nach  Malaspina,  der  sich  auf 
Fornari's  Klosterchronik  beruft,  1273.  Genau  denselben  Typus  muß 
ferner  die  jetzt  verfallene  und  zu  Wohnungen  und  Magazinen  ver- 
wendete Kirche  S.  Tommaso  zu  Pavia  gehabt  haben. 

Die  Beziehung  dieser  Bauten  zu  Chiaravalle  ist  trotz  der  reicheren 
Kapellenanlage,  der  Vereinfachung  der  Chorkapellen  noch  ersichtlich, 
doch  fehlen  uns  die  Mittelglieder.     Sollten  wir  ein  solches  in  dem 

1)  Vergl.  Förster  II,  46.  —  Kugler  III,  560.  —  Lübke  M.  d.  C.  C.  1860,  S.  163. 
—  Schnaase  VII,  191.  —  Mothes  S.  494.  —  Abb.  Nohl :  Tagebuch  S.  61.  —  Street 
208.  —  Lose  und  Grüner:  Terracotta  architecture  PI.  12.  Maaße:  Msch.  9,87,  Ssch. 
4,33,  Sdist.  4,05,  Querschiffausladung  7,02  m. 


378  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

ältesten  Bau  der  C  e  r  t  o  s  a  bei  Pavia  sehen  dürfen  ?  ^)  Mir  scheint, 
nicht  allein  einzelne  Details,  sondern  auch  der  Grundriß  ist  dem  von 
S.  Francesco  merkwürdig  verwandt.  Nimmt  man  die  letzten  zwei 
Joche  der  Querarme  mit  den  Apsiden,  sowie  das  abschließende  Ge- 
wölbe des  Chores  hinweg,  so  bleibt  jene  soeben  besprochene  An- 
lage eines  aus  vier  quadratischen  Jochen  und  Kapellenanbauten  be- 
stehenden Längshauses,  ein  aus  drei  Jochen  bestehendes  Querhaus, 
viereckige  Apsis  mit  vier  Seitenkapellen.''')  Beim  1390  begonnenen 
Neubau  wäre  dann  das  Alte  zu  einem  harmonischen  Ganzen  um- 
geschaffen, wären  die  Pfeiler  umgestaltet,  die  Seitenschiffe  mit 
oblongen  Gewölben  versehen,  die  Kuppel  in  erneuter  Erinnerung  an 
Chiaravalle  errichtet,  das  Kreuzschiff  und  der  Chor  erweitert  und 
reicher  gestaltet,  endlich  alles  Detail  einheitlich  neu  gebildet  worden. 
Freilich  kann  das,  so  lange  uns  nicht  neue  Dokumente  darüber  auf- 
klären, Nichts  als  Vermuthung  bleiben,  und  es  ist  ebensowohl  denk- 
bar, daß  die  Certosa  statt  ursprünglich  für  die  Bauten  in  Pavia  das 
Vorbild  gewesen  zu  sein,  vielmehr  in  einer  gewissen  Beschränkung 
sich  an  dieselben  anlehnt. 

Während  so  in  Pavia ,  das  eine  Zeitlang  der  Hauptsitz  archi- 
tektonischer Thätigkeit  in  der  Lombardei  wird,  noch  im  XIV.  Jahr- 
hundert das  quadratische  Gewölbe  besonders  bevorzugt  wird,  macht 
dieses  in  Mailand  an  Bauten,  wie  S.  Pietro  de  Gessate  (1344  ge- 
gründet) und  S.  Maria  delle  Grazie  (um  1400)  dem  oblongen  Platz, 
wodurch  die  Seitenschiffe  in  den  gleichmäßigen  Rhythmus  hinein- 
gezogen werden,  doch  bleibt  die  Vorliebe  für  Kapellenreihen. 

Wäre  es  erlaubt,  aus  der  jetzigen  Gestalt  der  Kirche  des 
heiligen  Franz  in  Fe  rrara  einen  Rückschluß  auf  die  ehemalige 
gothische  zu  ziehen,  so  müßte  man  dieselbe  in  eine  Reihe  mit  den 
Bauten  in  Pavia  setzen.  Selbst  aber  wenn  der  neue  Grundriß  ohne 
Rücksicht  auf  früher  Vorhandenes  entworfen  wäre ,  so  hätte  doch 
eine  kurze  Erwähnung  dieses  schönen  Renaissancebaues  an  dieser 
Stelle  ihre  Berechtigung,  da  eine  Beziehung  zu  jenen  Kirchen  nicht 
abzuleugnen  ist.  Die  Anlage  im  Grundriß  entspricht  abgesehen 
davon ,  daß  die  Kreuzarme  noch  über  die  Kapellenreihen  ausladen 
und  die  Hauptapsis  halbrund  geschlossen  ist,  fast  vollständig  S.  Fran- 


1)  Jenen  Bau,  auf  den  die  Inschrift  am  Grabe  des  1402  verstorbenen  Gian  Galeazzo 
hinweist:  CoUapsa  templa  restituit,  nova  magnifice  et  opulenter  coenobia  extruxit. 
^)  Deren  ersten  beide  jetzt  durch  ein  Joch  erweitert  sind. 


Die  Gewölbebauten.     Der  einfache  Cisterziensertypus.  379 

cesco  in  Pavia.  An  Stelle  der  Kreuzgewölbe  befinden  sich  im 
Mittel-  und  Kreuzschifife  flache  Kuppeln,  ebensolche  kleinere  in  den 
Seitenschiffen,  in  den  Kapellen  Tonnengewölbe.  Etwas  schwer- 
fällige jonische  Säulen  mit  ornamentirtem  Halse  tragen  die  Rund- 
arkaden, korinthische  Pilaster  die  Eingangsbögen  der  Kapellen. 
Dieser  Neubau  wurde  unter  Ercole  I.  am  3.  August  1494  begonnen, 
der  Tradition  nach  von  Giovanni  Batista  Benvenuti  genannt  l'Orto- 
lano,  nach  dem  Guida  von  1844  eher  von  dessen  Onkel  Pietro, 
nach  Cittadella  von  Biagio  Rosselli.  Die  älteste  Kirche  war,  nach 
einer  Schenkung  des  Landes  durch  Giacomo  Torello  di  Salinguerra 
1245,  errichtet  worden;  1264  beschloß  man  Vergrößerung,  die  1344 
vollendet  war.  Unter  den  Gönnern  befand  sich  ein  Alberto  d'Este, 
der  von  dem  Baumeister  Bartolini  Ploti  da  Novara  eine  der  Maria 
und  dem  heiligen  Jakobus  geweihte  Kirche  bauen  Heß.  ^) 

D.  Die  Gewölbekirchen  in  Mittel-  und  Süditalien.  Um 
die  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  entstehen  in  Toskana  die  ersten 
gothischen  Gewölbekirchen  und  zwar  zeigt  bereits  die,  so  weit  be- 
kannt, früheste,  dem  Niccolö  Pisano  zugeschriebene  S.  Trinitä  in 
Florenz  (1250)  die  Anlehnung  an  das  durch  die  Bettelmönche  be- 
reits weit  verbreitete  Cisterziensersystem ,  nämlich  fünf  geradlinig 
geschlossene  Chorkapellen,  ein  aus  drei  Kreuzgewölben  bestehendes 
Querschiff  und  auffallender  Weise  ein  aus  fünf  Jochen  bestehendes 
fünfschiffiges  Längshaus  mit  Pfeilern.  Mit  S.  Maria  novella,  die 
an  Stelle  einer  älteren  von  Fra  Sisto  und  Ristoro  nach  1244  er- 
richteten, vermuthlich  den  umbrisch-toskanischen  Typus  zeigenden 
Kirche  1278  begonnen,  1307  im  Osttheil,  1349  im  Innern  vollendet 
wurde,  tritt  dann  zuerst  der  norditalienische  Typus  der  Bettelmönch- 
kirchen im  Süden  des  Apennins  auf.  Ohne  daß  bestimmte  Vor- 
bilder angeführt  werden  könnten,  läßt  sich  doch  manche  Beziehung 
zu  lombardischen  Bauten  finden,  so  in  dem  Aeußeren,  in  der  An- 
wendung des  durch  Halbsäulen  belebten  Pfeilers.  Die  Gewölbeanlage 
dagegen  entspricht  mehr  dem  venezianischen  Systeme:  den  nicht 
ganz  quadratischen  sechs  Jochen  des  Mittelschiffes  entsprechen  eben- 
soviel oblonge  Seitengewölbe,  wie  dies  gleichzeitig  auch  am  Dome 


^)  Pitture  e  sculture  di  Ferrara  1770.  —  Frizzi:  Guida  1787.  —  Awento:  il 
servitore  di  piazza.  Guida  1838.  —  Indice  manuale  di  Ferrara  1844.  —  Lübke  S.  694. 
—  Cittadella:   Guida   1873.     S.    103. 


380  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

von  Arezzo  (begonnen  1277),  in  S.  Remigio  in  Florenz  der  Fall  ist 
und  im  ganzen  Süden  zur  Regel  wird.  Das  QuerschifF  hat  drei 
quadratische  Joche  und  neben  den  fünf  viereckigen  Kapellen  an 
der  Ostseite  auch  an  den  Enden  der  Arme  je  eine  Kapelle.  ^)  Daß 
der  Dom  von  Prato  (begonnen  1 3 1 7)  seinen  Chor  mit  den  vier 
Seitenkapellen  S.  Maria  nachbildete,  scheint  mir  sehr  wahrscheinlich. 
Eine  weitere  Entwicklung  von  S.  Maria  novella  bezeichnen  die 
Dominikanerkirchen  in  Rom  und  Neapel.  Hatten  die  Minoriten 
sich  begnügt,  die  ihnen  1250  überwiesene  alte  Basilika  S.  Maria 
in  Aracoeli  zu  Rom  1252  durch  Kapellenanbauten  am  Längs- 
schiff und  Neubau  eines  großen  viereckigen  Chores  zu  erweitern, 
ohne  an  Stelle  der  alten  Holzdecke  Wölbungen  zu  setzen  und 
ohne  die  rundbogigen  Archivolten  zu  verändern^),  so  führten  die 
Predigermönche  an  Stelle  der  alten  Basilianerinnenkirche  S.  Maria 
sopra  Minerva  einen  vollständigen  Neubau  auf,  der,  am  24.  Juni 
1280  begonnen,  vermuthlich  von  den  damals  in  Rom  anwesenden 
Fra  Sisto  und  Ristoro  geleitet  wurde.  Er  verräth  denn  auch  ent- 
schiedenen Anschluß  an  die  Florentiner  Kirche,  zeigt  eine  ähnliche 
Gewölbeanlage  im  sechsjochigen  Längsschiffe,  die  gleichen  Pfeiler, 
zugleich  aber  eine  Erweiterung  durch  die  Anlage  von  Kapellen- 
reihen, die  wiederum  an  die  Lombardei  erinnern.  Die  Haupttribune 
ist  dreiseitig  geschlossen."^)  Daß  S.  D  omenico  in  Neapel  daraut 
den  in  Rom  entwickelten  Grundriß  übernimmt,  ist  selbst  heute, 
nach  so  vielen  Restaurirungen  und  Umbauten  in  den  Jahren  1446, 
1455,  1605,  1670,  1732,  1752,  1804,  1853,  deutlich  zu  erkennen. 
Das  Längshaus  hat  sieben  Joche,  und  Kapellenreihen,  das  Mittel- 
schiff eine  Holzdecke ,  das  Querschiff  jetzt  niedere  Tonnengewölbe 
auf  dem  Kreuzarme  (ursprünglich  jedenfalls  drei  quadratische  Ge- 
wölbe).    Der  Chor  war  ehemals  viereckig  geschlossen,  ebenso  ver- 


^)  Für  die  Baugeschichte  und  eingehendere  Beschreibung,  die  hier  überflüssig 
-wäre ,  vergl.  Marchesi  I ,  S.  59 ,  Fantozzi's  Guida ,  Richa's  chiese  di  Firenze.  — 
Schnaase  VII,  141.  —  Lübke  S.  624.  —  H.  Semper:  Uebersicht  der  Gesch.  Toskanischer 
Skulptur.  Zürich,  Bürkli  1869,  S.  38.  Nach  alter  Beschreibung  von  Boselli:  le  chiese 
di  Firenze.  —  Mothes  S.  757.  Abb.  Wiebeking  Taf.  51  u.  85.  Maaße  nach  Fantozzi: 
315  F.  1.     Msch,  40  F.  br.     Ssch.   lo^/^. 

2)  Wadding:  Annal.  III.  .Bd.  1251,  S.  261  ff.  —  Mothes  S.  707.  —  P.  F.  Casi- 
miro :  Memorie  istoriche  della  chiesa  e  convento  di  S.  M.  in  araceli.     Rom  1736. 

^)  Vergl.  Marchese  I,  S.  49.  —  Platner:  Beschr.  Roms  III,  3,  505.  —  Masetti : 
S.  M.  sopra  Minerva.  Rom  1858.  —  Schnaase  VII,  142.  —  Lübke  S.  624.  —  Mothes 
S.  711.  —  Abb.  bei  d'Agincourt  Taf.  XLII,  65,  68  u.   73. 


Die  Gewölbebauten.    Der  einfache  Cisterziensertypus.  38 1 

muthlich  jede  der  im  XV.  Jahrhundert  umgebauten  vier  Neben- 
kapellen. Der  Bau  begann  1283,  nachdem  schon  1255  ein  Umbau  der 
123 1  von  den  Mönchen  übernommenen  Kirche  stattgefunden  hatte. ^) 

Von  Franziskanerkirchen ,  die  ferner  in  diese  Reihe  gehören, 
weiß  ich,  bei  meiner  Unkenntniß  der  Bauten  in  Apulien  und  Cala- 
brien,  nur  S.  Francesco  in  Ascoli  zu  erwähnen,  die  nach  dem 
Grundriß  bei  Schulze  und  den  Beschreibungen  bei  Orsini,  Mothes  etc. 
ein  dreischiffiges,  aus  fünf  Jochen  bestehendes  Langhaus  mit  acht- 
eckigen Pfeilern,  eine  Kuppel  über  der  Vierung  und  ein  Querschiff, 
an  das  sich  im  Osten  drei,  im  Norden  und  Süden  je  zwei  polygone 
Chorschlüsse  legen,  hat.  Im  Aeußeren  bildet  sie  durch  diese  reiche 
Gestaltung,  zu  der  noch  zwei  schlanke  Thürme  kommen,  ein  leben- 
diges Ganzes.  Nach  Orsini  haben  die  Tribünen  hier,  wie  in  Chiara- 
valle  bei  Mailand,  ein  oberes  Stockwerk.^)  Ob  der  zum  Jahre  1252 
in  einem  Manuskript  genannte  Antonio  Vipera  der  Architekt  oder 
bloß  Protektor  der  Bauunternehmung  war,  bleibt  zweifelhaft.') 

Dieser  Kirche  verwandt  soll  nach  Mothes  und  Ricci  S.  Fran- 
cesco in  Fermo  sein.  Ueberhaupt  scheint  die  Mark  Ancona, 
wie  dies  sich  später  auch  in  der  Skulptur  und  Malerei  äußert,  starke 
Einflüsse  von  Norditalien  her  erfahren  zu  haben.  Die  Kirche  des 
Francesco  in  Ancona  selbst,  die,  leider  jetzt  ganz  umgewandelt, 
nur  noch  in  ihrem  1455  errichteten  reichen,  barock  -  gothischen 
Portal  von  Giorgio  da  Sebenico  Interesse  erweckt,  war  eine  drei- 
schiffige  gewölbte  Pfeilerkirche.  Vom  Bischof  Niccolö  gebaut,  wurde 
sie  am  15.  August  1323  geweiht.*)  Zu  den  älteren  Ordensbauten 
jener  Gegend  gehören :  die  von  Maestro  Antonio  di  Jacopo  gebaute 
Kirche  in  San  Severino,  die  bereits  1247  (Breve  Innocenz'  IV.) 
im  Bau  begriffene  zu  Osimo,  die  1300  begonnene  in  Treja. 
Spätere  sind:  S.Francesco  zu  Arcevia  (1351),  Monte  Ottone 
(um  1351),  Fallerone  mit  reicher  Backsteindekoration,  Ripa- 
transone  —  die  fast  alle  gänzlich  modernisirt  sind.^) 

1)  Förster  II,  99.  —  Lübke :  M.  d.  C.  C.  1860,  S.  222  (Grundriß).  —  Nohl 
S.  273.  —  Schnaase  VII,  S.  541.  —  Mothes  S.  645.  —  Wiebeking  Taf.  47. 

*)  Schulz  II,  5.  III,  I.  —  Orsini:  descriz.  della  cittä  di  Ascoli  Perugia  1790, 
S.  105.  —  Corboni:  Memorie  1830.  —  Ricci:  Memorie  della  arti  et  del  Piceno  1834. 
S.  42.  —  Mothes  S.  752. 

^)  Carducci:  Memorie  di  Ascoli   1853,  S.    131. 

*)  Baglioni:  Storia  della  chiesa  di  S.  F.  —  Guida  di  Ancona  1821,  S.  16.  — 
Ricci:  Memorie  I,  S.  76. 

^)  Ricci:  Memorie  1,  S.  42  und  S.  76. 


ß82  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

Wie  die  älteste  Kirche  der  Franziskaner  in  Rom:  S.Fran- 
cesco a  ripa,  die  ursprünglich  den  Benediktinern  angehörte  und 
123 1  vom  Grafen  Ridolfo  dell'  Anguillara  vergrößert  und  hergestellt, 
später  von  einer  Lelia  Biscia  erweitert  wurde,  gewesen,  ist  aus  der 
jetzigen  Gestalt,  die  sie  im  XVI.  Jahrhundert  von  Mattia  de  Rossi 
erhielt,  nicht  mehr  zu  schließen.  Es  ist  ein  kleiner  dreischiffiger 
Bau  mit  Kapellenreihen,  einem  durch  eine  Kuppel  gekennzeichneten, 
nicht  ausladenden  Querschiff  und  einer  flachen  rechtwinkligen 
Chornische. ') 


Nachdem  wir  im  Einzelnen  die  Bettelmönchkirchen  in  den  ver- 
schiedenen Gebieten  Italiens  einer  Betrachtung  unterzogen  haben 
und  es  uns  gelungen  ist,  einzelne  Gruppen  zu  sondern,  kann  es 
nun,  werfen  wir  einen  kurzen  Blick  zurück,  nicht  schwer  fallen, 
einen  einheitlichen  Zusammenhang  in  der  zahllosen  Menge  der  Bau- 
ten zu  finden.  Sie  alle ,  mit  Ausnahme  der  wenigen  Kirchen ,  die 
dem  romanischen  Basilikenstile  folgen,  gehen  in  ihrer  ursprünglichen 
Gestaltung  auf  die  Cisterzienseranlagen  zurück ,  die  sie  theils ,  wie 
in  Umbrien  und  Toskana,  entsprechend  den  Intentionen  der  Ordens- 
stifter und  dem  im  Lande  entstandenen  Ideal  vollständig  und  selb» 
ständig  vereinfachen  und  umgestalten,  theils  fast  treulich  wieder- 
holen, wie  in  Venedig,  theils  erweitern,  wie  in  der  Lombardei 
und  einzelnen  Kirchen  des  Südens.  Die  bewußte  Nachbildung  ging 
sogar  so  weit,  daß  allerdings  an  der  größeren  Mehrzahl  der  Kirchen 
in  Mittelitalien  wie  im  Norden  das  einfachere  System  der  östlichen 
Kapellenanlage  befolgt  erscheint,  die  Gruppe  bolognesischer  Kirchen 
aber  auch  die  reichere  Kathedralenanlage  von  den  französischen 
Cisterziensern  übernimmt.  Nur  die  von  letzteren  wiederholt  nament- 
lich in  Deutschland  angewandte  Form  eines  eckig  geschlossenen 
Chorumgangs  hat  .keine  Nachahmung  in  Italien  gefunden.  Diese 
Thatsache  aber  des  engen  Anschlusses  an  den  Orden  des  Bernhard 
von  Clairvaux  darf  uns  gewiß  als  äußeres  Sinnbild  des  geistigen 
Verhältnisses  erscheinen,  das  zwischen  demselben  und  dem  Franzis- 
kanerthum  besteht.  So  können  wir  es  denn  auch  nicht  als  Zufall 
betrachten ,    daß    es    die  Franziskaner  sind ,  welche  im  Norden  wie 


^)  Vergl.  Titi:  Ammaestramento  utile  e  curioso  di  Roma.  1686,  —  Titi:  De- 
scrizione  di  Roma  1763.  —  Roma  modema.  1741.  —  Vasi:  Itinerario  istruttivo  di 
Roma.    1791.  —  V.  Bunsen  u.  Platner:  Beschr.  Roms  III,   3,  S.  650. 


Schlußbetrachtung.  383 


im  Süden  die  allgemeine  Norm  für  den  Kirchenbau  festsetzen,  die 
Dominikaner  dieselbe  erst  von  ihnen  empfangen.  Auch  das  ist  tiet 
begründet :  das  Dominikanerthum  ist  eben  der  empfangende  Theil, 
wie  auf  dem  Gebiete  der  Ordensdisziplin,  so  auf  dem  der  Bau- 
thätigkeit ! 

Auffallend  aber  bleibt  es,  daß  wir  eine  Nachahmung  der  Cister- 
zienserkirchen  durch  die  Minoriten  nur  in  Italien  finden,  während 
im  Norden  der  Alpen  die  Bettelmönche,  ohne  sich  Vorbilder  zu 
nehmen,  frei  einen  neuen  Stil  entwickeln,  der,  nur  den  Bedürfnissen 
Rechnung  tragend,  vor  dem  italienischen  eine  größere  Originalität 
voraus  hat.  Das  Hauptgewicht  fällt  hier  auf  den  Chor,  der,  von 
derselben  Breite  wie  das  Schiff,  tief  und  geräumig  und  meist  poly- 
gon  geschlossen  ist.  Mehr  als  in  Italien  befleißigt  man  sich,  mög- 
lichst billig  und  einfach  zu  bauen,  läßt  daher  fast  immer  das  Quer- 
schiff wie  den  Thurm  weg  und  gestaltet  das  zuweilen  selbst  nur 
zweischiffig  angelegte  Haus  sehr  einfach.  So  sind  diese  Kirchen 
in  folgerichtigerer  Weise  aus  den  eigentlichen  Anschauungen:  aus 
dem  die  Predigt  in  den  Vordergrund  setzenden  Gottesdienst  der 
Bettelmönche  hervorgegangen  —  den  größeren  Reiz  der  Mannig- 
faltigkeit, die  vollendetere  Schönheit  der  Verhältnisse  haben  die 
italienischen  voraus. 

In  Deutschland  bilden  fernef  die  Bettelmönchbauten  ein  in  sich 
gesondertes  Ganze ,  —  in  Italien  haben  sie  bestimmenden  Einfluß 
auf  die  Entwicklung  des  gothischen  Stiles  ausgeübt,  wie  wir  an 
vielen  Beispielen  gesehen  haben.  Mit  ihnen  verbreiten  sich  die 
Elemente  nordischer  Gothik,  die  sich  aber  schon  bei  der  Aufnahme 
dem  südlichen  Raumgefühle,  wie  dem  vorzüglich  in  der  Lombardei 
heimischen  und  hier  besonders  gebildeten  stilistischen  Prinzipe  an- 
bequemen müssen.  Man  kann  wohl  behaupten,  daß,  abgesehen 
von  der  an  die  ältere  romanische  Kunst  sich  anschließenden  und 
selbständig  sich  aus  derselben  entwickelnden  Bauthätigkeit,  wie  wir 
sie  z.  B.  an  den  Domen  von  Siena  und  Lucca  gewahren,  abgesehen 
von  der  stark  nordischen  Richtung,  die  sich  bei  dem  Bau  der  Certosa 
und  des  Domes  von  Mailand  am  Ende  der  gothischen  Periode 
geltend  macht,  die  gesammte  in  vollem  Sinne  so  zu  nennende 
gothische  Architektur  Italiens  bedingt  ist  und  ihr  Gepräge  erhalten 
hat  durch  die  Bettelmönchbauten  Norditaliens,  ja  daß  deren  Ein- 
fluß noch  weiter  hinaus  auf  manche  Renaissancewerke  sich  erstreckt. 
Folgte  nicht  Brunnellesco,  als  er  mit  S.  Lorenzo  den  ersten  Schritt 


284  ^*^  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

in  die  neue  Zeit  hineinthat,  im  Entwürfe  des  Grundrisses  dem  Vor- 
bilde von  Bauten,  wie  S.  Maria  novella?  Wird  man  nicht  in  der 
Kirche  der  Servi  zu  Siena  an  die  venezianischen  Kirchen  erinnert? 
Es  würde  zu  weit  fuhren,  wollte  man  einzelne  andere  Kirchen,  wie 
z.  B.  S.  Pietro  in  Modena,  den  Dom  von  Faenza,  S.  Maria  in  vado 
in  Ferrara,  S.  Agostino  in  Rom  zum  Vergleiche  heranziehen.  Schließ- 
lich spielen  diese  Bauten  doch  keine  hervorragende  Rolle  in  der 
Renaissancekunst.  Das  große  Streben  des  XV.  Jahrhunderts  geht 
nach  anderen  Idealen ! 

Bei  Weitem  bedeutungsvoller  —  und  darauf  sei  noch  einmal 
am  Schlüsse  hingewiesen  —  werden  die  unscheinbaren  einschiffigen 
Kirchen  in  Umbrien  und  Toskana,  deren  künstlerische  Schönheit 
in  der  einfachsten  Harmonie  des  Raumes,  in  den  Verhältnissen  der 
Höhe  zur  Breite  und  Länge  beruht.  Sie  sollten  im  Quattrocento 
in  glänzender  Weise  weiter  leben.  Es  ist  wohl  kein  Zufall ,  daß 
gerade  von  Florenz  die  Baumeister  ausgehen,  die  ihr  geniales  Können 
an  die  scheinbar  so  wenig  lohnende  Aufgabe  gaben,  durch  die 
denkbar  größte  Einfachheit  zu  wirken.  Es  handelt  sich  hier  freilich 
nicht  um  eine  getreue  Nachbildung  der  den  Bettelmönchkirchen 
eigenthümlichen  Grundrisse  —  vielmehr  verschwinden  jene  kleinen, 
die  einfach  große  Wirkung  beeinträchtigenden  Kapellen  neben  dem 
Chor,  um  einen  neuen  Platz  an  den  Seiten  des  Langhauses  zu 
finden  —  aber  hätte  Leone  Battista  Alberti  seine  Kirche  S.  Andrea 
in  Mantua,  die  gewiß  den  einen  Höhepunkt  der  Renaissance  be- 
zeichnet, wie  der  Plan  Bramante's  für  S.  Pietro  den  andern,  schaffen 
können,  ohne  seine  Schule  in  den  lehrreichen  Kirchen  der  Franzis- 
kaner wie  Dominikaner  durchgemacht  zu  haben  ?  Wir  haben  be- 
reits oben  eine  Reihe  von  herrlichen  Renaissancewerken,  wie  S.  Fran- 
cesco in  monte  bei  Florenz,  S.  Francesco  della  vigna  in  Vene- 
dig, S.  Pietro  in  montorio  in  Rom  erwähnt.  Die  Zahl  dieser  Bauten 
ließe  sich  leicht  vermehren.  Ein  Blick  auf  die  Reihe  der  Kirchen, 
die  Burckhardt  als  flachgedeckte,  einschiffige  in  seiner  Geschichte 
der  Renaissance  (S.  130)  zusammenstellt,  ein  Blick  auf  die  Namen 
ihrer  Erbauer  genügt,  ihre  Bedeutung  zu  erfassen.  Da  finden  wir 
Giuliano's  di  Sangallo  S.  Maria  Maddalena  dei  Pazzi,  Jacobo  Sanso- 
vino's  S.  Marcello ,  Antonio's  di  Sangallo  des  Jüngeren  S.  Spirito 
in  Rom,  eine  ganze  Anzahl  Kirchen  in  Neapel.^)    Und  weiter  hinaus 

^)  Auch  eine  Zeichnung  des  Antonio  da  Sangallo  in  den  Uffizien  (nicht  ausgestellt 
Nr.  503):    der  Grundriß    einer  kleinen   einschiffigen  Kirche  mit  Kapellenreihen  ist  für 


Schlußbetrachtung.  385 


eröffnet  sich  der  Ausblick  auf  jenen  Typus  der  gewölbten  ein- 
schiffigen Kirche,  der,  im  XVI.  Jahrhundert  von  den  Jesuiten  be- 
vorzugt, der  für  die  ganze  katholische  Welt  gültige  wird. 

Zu  ausschließlich,  scheint  mir,  pflegt  man  jetzt  den  Zentralbau 
als  das  eigentliche  Ideal  der  Renaissancebaukunst  aufzufassen.  Mehr 
noch  als  die  soeben  angedeuteten  historischen  Thatsachen  beweist 
die  vollendet  großartige  Wirkung  einschiffiger  Kirchen,  wie  S.  An- 
drea in  Mantua,  daß  gleichberechtigt  neben  jenen  das  in  diesen 
ausgesprochene  Ideal  zu  setzen  ist.  Findet  im  Zentralbau  die  nordisch 
italienische,  die  lombardische  Kunst,  ihren  höchsten  Ausdruck,  so 
bezeichnet  die  einschiffige  Renaissancekirche  die  Spitze  der  für 
Toskana  charakteristischen  Bauentwicklung.  Wer  aber  die  letztere 
in  ihrer  Bedeutung  und  Eigenthümlichkeit  verfolgen  möchte,  würde 
seinen  Ausgangspunkt  von  den  ersten  Kirchen  der  Franziskaner  zu 
nehmen  haben.  Und  fehlte  es  ihm  nicht  an  Muth ,  veraltete  Be- 
griffe durch  neue  zu  ersetzen ,  so  würde  er  angesichts  dieser  die 
innersten  Eigenthümlichkeiten  der  Renaissance  schon  vorahnenden 
und  ausgestaltenden  Bauten  das  Wörtlein  ,gothisch'  fallen  lassen. 
Was  wollen  denn  die  wenigen  Spitzbogen  bedeuten,  gegenüber 
der  von  allem  Detail  absehenden,  allein  auf  eine  freie,  harmonische 
einheitliche  Raumwirkung  hinzielenden  Anlage  des  Ganzen }  Spricht 
aus  jenen  oder  nicht  vielmehr  aus  diesem  der  künstlerische  Geist 
des  Urhebers  wie  der  Zeit?  Im  Norden  mag  man  mit  Recht  von 
einer  italienischen  Gothik  sprechen,  aber  im  Norden  wird  auch  die 
neue  Aera  der  Kunst  nicht  gezeitigt:  viel  schwächer  und  daher 
fremden  Einflüssen  mehr  unterworfen  zeigt  sich  hier  der  innere 
Drang  nach  einem  neuen  gewaltigen  Aufschwung  der  künstlerischen 
Anschauung ,  der  unwiderstehlich  und  unbeirrt  in  Toskana  zum 
Lichte  drängt.  Was  Wunder  daher ,  wenn  jenes  reiche ,  aber  ein- 
gewanderte Geschlecht  der  gewölbten  Bettelmönchkirchen  bald  kraft- 
los ausstarb,  die  im  heimischen  Boden  wurzelnde  schlichte  Bevölke- 
rung der  holzgedeckten ,  einfachen  toskanischen  Bauten  aber  die 
herrlichste,  kräftigste  Nachkommenschaft  hatte,  die  ein  wichtiges 
Glied  in  dem  großen  Verband  der  Kunst  einer  vorgeschritteneren 
Zeit  bilden  sollte.  Ja,  wenn  man  freilich  Giotto  einen  gothischen 
Künstler  nennen  will,    dann  hat  man  auch  das  Recht,    die  Kirchen 


eine  Franziskanerkirche  (zu  Pitignano)  bestimmt.    (H.  Brockhaus :  Das  Hospital  S.  Spirito 
zu  Rom.     Rep.  f.  Kw.  VII.  Bd.  S.  443.) 

Thode,  Franz  von  Assisi.  2e 


386  Die  Franziskanerkirchen  in  Italien. 

des  Franz  in  Pistoja,  in  Pisa  und  sonst  in  Toskana  gothisch  zu 
nennen.  Es  ist  derselbe  Geist,  der  aus  ihnen  in  einer  anderen 
Sprache  zu  uns  spricht,  wie  aus  den  Fresken  in  Assisi  —  derselbe 
neue  Geist,  der  künstlerisch  sein  Höchstes  in  der  Blüthe  der 
Renaissance  giebt. 

Betrachten  wir  in  der  toskanischen  Kunst  die  Zeit  von  1200 
bis  1 500  als  eine  einheitliche,  eng  zusammenhängende  Entwicklung, 
so  olifenbart  sich  uns  dasselbe  Gesetz,  das  uns  aus  der  Anschauung 
der  antiken  Kunst  klar  geworden :  daß  die  neuen  Prinzipien  als 
fundamentale  Grundlagen  des  Ganzen  zuerst  in  der  Architektur  aus- 
gesprochen werden ,  durch  sie  bedingt  erst  die  Skulptur  und  die 
Malerei  ins  Leben  treten.  Was  den  Pisani,  wie  Giotto,  als  den 
Vertretern  der  neuen  Kunst  vorangeht  und  als  die  eigentlichste 
Grundlage  derselben  betrachtet  werden  muß,  ist  die  zuerst  schöpfe- 
risch von  den  Franziskanern,  dann  von  den  Dominikanern  in  Um- 
brien  und  Toskana  ausgeübte  Bauthätigkeit.  Und  durch  diese 
wird  der  Weg  für  die  spätere  Entwicklung  deutlich  genug  schon 
vorgezeichnet  —  so  wenig  Platz  diese  Bauten  für  Anbringung  pla- 
stischer Werke  boten ,  so  wenig  günstig  sie  für  eine  gesetzmäßige 
Ausbildung  der  Skulptur  waren,  so  vielseitig  kamen  sie  den  Bedürf- 
nissen der  Malerei  entgegen.  Die  wesentlichsten  Bedingungen  für 
diese  waren  ja  in  ihnen  vorhanden:  große  Flächen,  die  eine  Be- 
lebung verlangten,  und  ein  helles  Licht,  das  die  volle  Anschauung 
des  Dargestellten  ermöglichte.  Wir  würden  nur  schon  Gesagtes 
wiederholen ,  wollten  wir  darauf  hinweisen ,  wie  Cimabue ,  Giotto 
und  alle  seine  Schüler  ihre  Hauptaufgaben  und  ihre  Schulung  in 
den  Bettelmönchkirchen  gefunden  haben,  deren  Wände  noch  heute 
überall  den  Schnmck  zahlreicher  Wandgemälde  tragen,  wie  ihnen 
nicht  allein  der  Raum  für  die  Gestaltung  eines  großen  monumen- 
talen Stiles ,  sondern  auch  ein  großer  neuer  Stoff  in  der  reich- 
haltigen Legende  des  Franz  und  in  denen  seiner  Nachfolger  von 
den  armen ,  scheinbar  die  Kunst  so  wenig  fördernden  Mönchen 
gegeben  wurde.  Hier  kam  es  nur  darauf  an,  zu  zeigen ,  daß  der 
neuen  Epoche  der  zeichnenden  Künste  auch  ein  neuer  Baustil  vor- 
angeht, mit  dem  die  toskanische  Kunst  ihren  eigentlichen  Anfang 
nimmt.  Mag  man  immerhin  mit  den  Bauten  Brunellesco's  um 
1400  die  , Renaissance'  beginnen  lassen,  dann  aber  sich  recht  be- 
wußt werden ,  daß  diese  Renaissance  nur  das  zweite  Stadium  der 
großen  Kunstbewegung   ist,    in   die    damit    als    neues  Element  nun 


Schlußbetrachtung.  287 


die  Nachahmung  der  Antike  tritt.  Oder  man  lasse,  da  man  sich 
gewöhnt  hat,  eben  jene  Bewegung  Renaissance  zu  nennen  und  der 
Ausdruck  durch  die  Tradition  geheiHgt  erscheint,  man  lasse  sie  mit 
dem  Bau  von  S.  Francesco  beginnen  und  scheide  deren  erste  große 
von  fremden  Einflüssen  unabhängige  aus  dem  Geiste  der  Zeit  und 
auf  toskanischem  Gebiete  erstehende  Phase  von  einer  zweiten, 
die  mit  dem  erneuten  Studium  der  alten  Kunst  um  1400  anhebt. 
Als  erste  Zeugen  und  Denkmäler  der  Renaissance  werden  dann  die 
Bettelmönchkirchen  in  Mittelitalien  in  ganz  anderem  Lichte  als  bisher 
erscheinen,  wird  in  ihm  plötzlich  ein  Etwas  uns  entgegentreten, 
was  uns  bisher  kaum  aufgefallen  ist :  ein  wunderbar  erhabenes ,  in 
seiner  Kindheit  schon  die  volle  Kraft  des  reiferen  Alters  ver- 
sprechendes Gefühl  für  die  in  ihren  einfachsten  Formen  erfaßte 
Harmonie  des  Raumes  und  der  Verhältnisse. 


25' 


ZWEITES  BUCH 

DAS  FRANZISKANERTHUM 


UND  SEINE 


BEDEUTUNG  FÜR  DIE  ITALIENISCHE  KUNST 


ERSTER  ABSCHNITT 

DIE  FRANZISKANER 


I.  Erste  Entwicklung  und  Gestaltung  des  Ordens. 

„Ein  neues  Geschlecht  ist  vom  Himmel  gestiegen,  das  neue 
Wunder  verrichtet,"  so  sang  in  einem  Hymnus  auf  Franziskus  der 
Freund  des  Ordens,  Gregor  IX.  Und  wahrlich,  wunderbar  genug 
mußte  den  Zeitgenossen  der  Siegeszug  dieses  Heeres  bettelnder 
Mönche  erscheinen,  das  plötzlich  aus  dem  Boden  gestiegen  war, 
die  heiligen  Rechte  und  Pflichten  der  christlichen  Religion  der  Welt 
in  Erinnerung  zu  bringen.  Der  Traum  eines  weltentrückten 
Schwärmers  schien  sich  zu  verwirklichen :  die  Menschheit  über  das 
Irdische  hinweg  zu  reiner  Gottanschauung  sich  erheben  zu  wollen. 
Aber  es  schien  nur  so !  Schon  Franz  selbst  hatte  es  erfahren 
müssen,  daß  er  sich  getäuscht,  als  er  zur  Regel  für  eine  große 
Genossenschaft  machen  wollte,  was  nur  das  Vorrecht  seiner  indi- 
viduellen, eigenthümlich  und  großartig  angelegten  Natur  war.  Ein 
Franziskanerthum ,  wie  er  es  sich  dachte,  war  und  blieb  eine  Un- 
möglichkeit. Und  doch  wie  immer  es  geworden,  im  Kampfe  mit 
seinem  eigensten  Prinzipe,  hat  es  eine  außerordentliche  Bedeutung 
gewonnen  und  die  größten  Namen  des  XIII.  und  XIV.  Jahr- 
hunderts haben  ihm  einen  Nimbus  verliehen ,  der  nimmer  ver- 
schwinden wird.^) 

Eine  menschliche  Genossenschaft  ohne  jeden,  selbst  nur  gemein- 
schaftlichen Besitz !  Das  war  ein  niemals  zu  verwirklichender 
Gedanke.     Darin   lag    von    vornherein    der   Keim    zu    dem    inneren 


*)  Da  ich   in   diesem  Kapitel   mich   nur  auf  das  Allgemeine  beschränken  mußte, 
durfte  ich  von  einer  Ausarbeitung  auf  Grund  der  neueren  Forschungen  absehen. 


392 


Die  Franziskaner. 


Zwiespalt,  der  von  den  Tagen  des  Franz  an  bis  ins  XVI.  Jahr- 
hundert die  Einheit  des  Ordens  gefährdet,  ihn  mit  sich  selbst  und 
mit  der  Kirche  in  mannichfache  Kämpfe  verflicht.  Ganz  von 
selbst  mußten  zwei  Partheien  entstehen :  eine ,  die  streng  und  un- 
erbittlich an  der  Forderung  absoluter  Armuth  festhielt,  eine  andere, 
die,  freieren  Anschauungen  huldigend,  den  allgemeinen  Verhältnissen 
und  Bedürfnissen  sich  akkommodirte.  Jener  Johannes  de  Capeila, 
dessen  Pläne  Franz,  vom  Orient  zurückgekehrt,  vereitelte,  war  wohl 
der  erste ,  der  unter  dem  Vorwande,  eine  Kongregation  von  Ere- 
miten zu  gründen ,  von  Honorius  III.  eine  Milderung  der  Regel  zu 
erlangen  suchte.  Und  kaum  war  der  zuerst  nach  dem  Tode  des 
Franz  erwählte  Ordensgeneral  Johannes  Parens  1232  gestorben,  so 
kam  die  höchste  Gewalt  in  die  Hände  des  weltlich  gesinnten 
Elias,  der  trotz  des  langen  vertrauten  Umganges  mit  Franz  doch 
so  wenig  dessen  Gesinnungen  überkommen  hatte.')  Zwar  geschah 
es  nur,  den  Ordensstifter  zu  ehren,  daß  er  in  Deutschland  und  in 
anderen  Ländern  starke  Geldbeiträge  zum  Bau  der  Kirche  S.  Fran- 
cesco eintreiben  ließ,  aber  schon  das  war  ganz  gegen  den  Sinn  des 
einfachen  Mannes ,  der  in  der  bloßen  Erde  hatte  begraben  werden 
wollen.  Was  aber  die  Mönche  mehr  empörte,  war  sein  hoch- 
fahrendes Leben ,  das  recht  im  Sinne  eines  großen  Kirchenfürsten 
war.  Davon  weiß  Salimbene  in  seinem  ,libcr  de  praelato'  Manches 
zu  erzählen.'^)  Der  General  habe  ein  Wohlleben  geführt,  einen  vor- 
züglichen Koch  sich  gehalten,  von  feingekleideten  Knaben  sich  be- 
dienen lassen ,  das  Reiten  dem  Gehen  vorgezogen ,  darüber  aber 
dann  die  Ordensangelegenheiten  vernachlässigt,  die  Klöster  nie 
visitirt  und  ein  sehr  barsches  Benehmen  den  Provinzialministern 
gegenüber  gehabt.  Was  aber  noch  schlimmer  war,  er  zeigte  sich 
bestechlich,  nahm  viele  unnütze  Leute  als  Mönche  auf  und  be- 
förderte Unwürdige  zu  höheren  Stellen.  So  riß  binnen  Kurzem  eine 
große  Regellosigkeit  ein:  man  sah  Brüder  einzeln,  statt  zu  zweien 
gehen  und  lange  Barte  und  weite  Kutten  mit  großen  Kapuzen  tragen. 
Anfangs  empörten  sich  nur  ernstere  Männer  gegen  diese  Ver- 
wilderung.    Der  Beste  neben  Franz,  Antonius  von  Padua,  der 


^)  Wie  Voigt  nachgewiesen  hat,  ist  Johannes  bis  1232  General,  diesem  folgt 
Elias  bis  1239  (so  nach  Jordanus  von  Giano  und  Salimbene.)  Abhdl.  d.  phil.-hist. 
Kl.  der  k.  Sachs.  Ges.  d.  W.   1870.    V.  Bd. 

*)  Fragmente  in  den  Mon.  hist.  ad  prov.  Parmensem.  Chronika.  Parma  1857. 
S.  403  flf. 


Erste  Entwicklung  und  Gestaltung  des  Ordens.  3^3 

gewaltige  Volksprediger,  der  aus  dem  Heimathslande  des  Dominikus 
nach  Italien  gekommen  war,  um  der  thätigste  Mitarbeiter  des 
Mannes  von  Assisi  zu  werden,  hat  den  Verfall  der  Zucht  nicht 
mehr  erlebt.  Er  war  im  Jahre  1231  gestorben.^)  Aber  jener 
Caesarius  von  Speier,  den  einst  Elias  selbst  im  Orient  dem 
Orden  gewonnen  hatte  und  der  als  Minister  in  Deutschland  so 
Großes  gewirkt,  trat  als  Vorkämpfer  der  Sitten-  und  Lebensstrenge 
dem  Ordenshaupt  entgegen  und  nach  ihm  wird  diese  erste  Oppo- 
sitionspartei die  der  Caesarener  genannt.  Der  UnglückHche 
mußte  seine  Widersetzlichkeit  mit  einer  zweijährigen  Gefangenschaft 
im  Kerker  büßen  und  wurde  von  ihr  einzig  durch  den  Tod 
befreit.  Sein  Wächter  erschlug  ihn  in  dem  unseligen  Wahne,  er 
wolle  entfliehen.-)  Elias  selbst  aber  fiel  kurz  darauf  seinen  Gegnern 
zum  Opfer  und  ward  1239  abgesetzt.  Da  seine  Versuche  einer 
Aussöhnung  mit  dem  Papste  mißglückten,  ging  er  schließlich  1244 
ganz  in  das  feindliche  Lager  Friedrich's  II.  über,  der  ihn  als  ,dilec- 
tus  familiaris  et  fidelis  noster'  mit  Aufträgen  nach  dem  Orient 
schickte.'^)  Auf  dem  Sterbelager  soll  er  sich  mit  der  Kirche  aus- 
gesöhnt haben. 

Inzwischen  waren  die  Streitigkeiten  zwischen  den  Anhängern 
der  laxeren  Richtung,  die  fratres  de  communitate  genannt 
wurden ,  und  denen  der  strengeren,  die  den  Beinamen  der  z  e  1  a  - 
tores  oder  spirituales  erhielten,  fortgegangen,  wobei  sich 
aber  der  Sieg  mehr  den  ersteren  zuwandte.^)  Entschieden  ward  er 
unter  dem  Generalate  des  Crescentius  (1244 — 1247)  durch  ein 
Privileg  Innocenz'  IV.  vom  Jahre  1245,  in  welchem  dem  Orden  der 


^)  Vergl.  über  ihn:  Enrico  Salvagnini:  S.  A.  di  P.  e  i  nuovi  tempi.  Turin  1887.  — 
P.  Hilaire  de  Paris:  St.  A,  de  Padoue,  sa  legende  primitive.  Montreuil  sur  Mer.  1890.  — 
E.  Lempp :  A.  v.  P.  in  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte  XI.  Und  das  schöne,  meinem 
Buche  über  Franz  nachfolgende  Werk  dieses  Nachfolgers  des  Franz  von  C.  de  Mandach : 
St.  Antoine  de  Padoue  et  l'art  italen.     Paris   1899. 

*)  Jordanus.     A.  a.  O. 

ä)  Petrus  de  Vinea:  Epistolae.  Basileae  1566.  lib.  III  cap.  XV.  —  Vergl.  auch 
Wadding.     in.  Bd.  z.  J.   1239  u.   1244. 

*)  Vergl.  zum  Folgenden:  Hase:  Kirchengeschichte.  X.  Aufl.  1877.  S.  317  ff. 
—  Neander:  AUgem.  Gesch.  der  christl.  Religion  u.  Kirche.  IL  Aufl.  V.  Bd. 
S.  386  und  an  einigen  anderen  Stellen.  —  Herzog,  Real-Encyclopädie  f.  phil.  Th.  u. 
K.  IV,  S.  466  ff.  Vor  Allem  aber  P.  Ehrle :  Die  Spiritualen  im  Archiv  für  Litteratur 
und  Kirchengeschichte  Bd.  I.  —  Die  Frage  der  Geschichte  der  spiritualen  Bewegungen 
spielt  in  der  neueren  Franziskanerlitteratur  eine  große  Rolle. 


■ygA  Die  Franziskaner. 


unumgänglich  erforderliche  Besitz  von  Grund  und  Boden,  Gebäuden, 
Geräthschaften  und  Büchern  zugestanden  wurde,  jedoch  in  der  Art, 
daß  die  Mönche  scheinbar  nur  den  Nießbrauch  hatten ,  der  Papst 
selbst  aber  den  Besitz.^)  Das  war  ein  Nothbehelf,  so  gut  er  sich 
darbot.  Die  Spiritualen  konnten  sich  damit  nicht  zufrieden  geben 
und  erhoben  ihr  Haupt  von  Neuem,  als  der  strenggesinnte 
Johannes  von  Parma  General  ward  (1247 — 1256).  Ihr  schwär- 
merischer Eifer,  dessen  Spitze  sich  unmerklich  gegen  die  Kirche 
selbst  zu  richten  begann,  fand  reiche  Nahrurig  an  den  Prophe- 
zeiungen des  Joachim,  die  sie  zu  ihrem  Glaubensartikel  erhoben. 
Dieser,  der  1202  gestorbene  Abt  von  Floris,  hatte  die  Weissagungen 
vom  Falle  Babylons,  von  dem  Kommen  des  Antichrist  und  manche 
andere  Stellen  aus  den  Propheten  auf  die  gegenwärtigen  Zeiten  be- 
zogen. Die  Rettung  erhoffte  er,  ein  von  glühender  Phantasie  be- 
seelter Mystiker  und  Freund  des  kontemplativen  Lebens,  von  dem 
allem  Weltlichen  entsagenden  Mönchsthum.  Drei  Weltalter  unter- 
schied er :  das  Zeitalter  Gottes  des  Allmächtigen ,  dargestellt  im 
Alten  Testament,  dasjenige  des  Sohnes  Gottes  und  der  Fleisch- 
werdung  des  Wortes  als  ewiger  Weisheit,  endlich  das  dritte  des 
heiligen  Geistes,  in  dem  die  göttliche  Liebe  in  der  reinen  Kontem- 
plation des  Mönchsthums  allherrschend  wird.  Der  erste  Vorbote 
dieses  letzten  Zeitalters  sei  Benedikt  gewesen,  aber  eigentlich  be- 
ginnen werde  es  erst  im  Jahre  1260.^)  Mit  dem  Siege  ihrer  aposto- 
lischen Ideen,  glaubten  die  Zelanten,  werde  die  Vollendung  jener 
Prophezeiungen  eintreten.  Johannes  von  Parma  selbst  war  ein 
Joachite  und  jener  Mönch  Gerhard  von  BorgoSanDonnino, 
der  die  Ideen  des  Joachim  1253  in  seinem  ,Introductorius  in  Evan- 
gelium aeternum'  zu  einer  kirchenfeindlichen  Häresie  umgestaltete 
und  für  das  neue  dritte  Zeitalter  auch  ein  neues  Evangelium  des 
h.  Geistes  erwartete,  war  sein  Freund.^)  Als  aber  das  Jahr  1260 
vorbeiging,  ohne  daß  die  geweissagte  Offenbarung  des  h.  Geistes 
sich  vollzog,  mögen  Manche,  die  anfangs  fanatisch  begeistert  waren. 


1)  Emm.  Roderici  nova  Col.  privilegiorum  apost.  Regularium  mendicantium  et 
non  mend.     Antwerpen   1623.    p.   13. 

2)  Concordia  Veteris  et  Nov.  Test.  Venedig  15 19.  Expos,  in  Apocal.  Venedig 
1519.  —  Vergl.  besonders  Renan :  Joachim  de  Flore  in  den  Etudes  d'histoire  reli- 
gieuse.     (Paris   1884.) 

**)  Vergl.    Salimbene.     A.  a.  O.  z.  J.   1253  S.  233  f.   —    Reste   der   Schrift   bei 

Argentre:  Col.  judiciorum  de  novis  error.     Paris  1728  T.  I  p.    163. 


Erste  Entwicklung  und  Gestaltung  des  Ordens.  395 

schwankend  geworden  sein.  So  erzählt  uns  Salimbene ,  daß  er 
früher  auch  an  Joachim  geglaubt,  aber  nach  dem  Tode  Friedrich's  II., 
der  als  Antichrist  doch  erst  1260  hätte  sterben  sollen,  ganz  jene 
Ansichten  aufgegeben  und  beschlossen  habe,  nichts  Anderes  mehr 
zu  glauben,  als  was  er  sähe.^) 

Als  Vertreter  der  orthodox  kirchlichen  Anschauung  scheinen 
sich  zunächst  die  Dominikaner  aufgeworfen  zu  haben ,  die  auch 
später  vielfach  die  Päpste  gegen  die  spiritualen  Anmaßungen  ver- 
theidigen.  Die  Disputation  zwischen  dem  gewaltigen  Franziskaner- 
prediger Hugo  de  Bareola  und  dem  Dominikaner  Petrus  de  Apulia, 
von  der  Salimbene  berichtet,  mag  nur  Eine  unter  Vielen  gewesen 
sein.^)  Mit  dem  ganzen  Gewicht  dogmatischer  Weisheit  aber  trat 
die  Universität  von  Paris  in  der  Streitschrift  des  Wilhelm  von 
St.  A m  o  u r :  ,de  periculis  novissimorum  temporum'  nicht  allein 
den  Zelantes,  sondern  dem  Bettelmönchwesen  überhaupt  entgegen. 
Es  war  der  Hauptschlag,  den  die  erbitterten  .magistri'  von  Paris 
gegen  die  übermüthigen  Mönche,  die  sich  als  Lehrer  an  der  Uni- 
versität zwischen  sie  eingedrängt  hatten,  ausführten.  Aber  er  wurde 
vom  Papste  Alexander  selbst  vereitelt,  der  die  Schrift  verdammte 
und  den  Verfasser,  der  sich  mit  Geist  in  Rom  selbst  vertheidigte, 
des  Landes  verwies.  Mit  der  Feder  antwortete  Bonaventura, 
der ,  ohne  Joachite  zu  sein ,  doch  der  strengeren  Richtung  an- 
gehörte und  seit  1256  Generalminister  war,  in  seiner  Abhandlung 
,de  paupertate  Christi',  indem  er  zugleich  in  seinem  Rundschreiben 
an  die  Minister  eine  strenge  Reform  des  Ordens  anordnete.^)  Da- 
mit schien  in  der  That  eine  Vermittlung  der  beiden  Partheien  ge- 
funden zu  sein,  doch  war  es  kein  eigentlicher  Friede.  Nach  dem 
Tode  Bonaventura's  1274  gewann  wieder  die  mildere  Richtung  an 
Einfluß  und  erhielt  ihre  Bestätigung  in  einer  Bulle  Nicolaus'  III.  von 
1279  (Exivit  qui  seminat) ,  die  aber  zu  gleicher  Zeit  den  An- 
schauungen der  Zelantes  von  der  absoluten  Armuth  Christi  Rech- 
nung trägt. 

Einzelne,  wie  der  exzentrische  Gefühlsmensch  Peter  Johann 


^)  A.  a.  O.  S.   131. 

2)  A.  a.  O.  S.   77. 

^)  Opera.  Ausgabe  Peltier,  Paris.  Bd.  XIV.  —  Vergl.  namentlich  die  .statuta 
capituli  provincialis  Narbonensis'  v.  J.  1260,  bei  Rodulphus:  Hist.  ser.  lib.  11.  S.  239 
und  E.  Renan:  Etudes  S.  217  ff.  —  Reuter:  Geschichte  der  religiösen  Aufklärung. 
II  S.    171  ff. 


2q6  Die  Franziskaner. 


von  Oliva,  waren  dennoch  damit  nicht  zufrieden.  Dieser  kühne 
Denker  und  Verfechter  der  ursprünglichen  Strenge  der  Regel  wandte 
sich  direkt  gegen  den  römischen  Antichrist  und  entwickelte  die 
Ideen  des  Abtes  Joachim  selbständig  weiter.  Er  hat  eine  für  diese 
Zeiten  sehr  freie,  bedeutende  historische  Anschauung  der  geistigen 
Entwicklung  des  Christenthumes  und  glaubt  in  seiner  Zeit  ein  neues 
Weltalter  anbrechen  zu  sehen,  mit  dem  eine  Erneuerung  und  Ver- 
tiefung des  christlichen  Lebens  anhebt.  Er  unterscheidet  sieben 
Zeitalter  der  Kirche :  i .  Gründung  durch  Christus,  die  apostolische 
Zeit.  2.  Bewährung  durch  das  Leiden  der  Märtyrer.  3.  Entwick- 
lung und  Vertheidigung  des  Glaubens  im  Kampfe  mit  den  Häre- 
tikern. 4.  Zeit  der  Anachoreten.  5.  Das  gemeinsame  Leben  der 
Mönche  und  Kleriker.  6.  Erneuerung  des  evangelischen  Lebens 
durch  Franz,  Wiederaufbau  der  Kirche.  7.  Die  Sabbathszeit  reiner 
kontemplativer  Anschauung  der  zukünftigen  Herrlichkeit.^)  Obgleich 
Petrus  Johannes  1283  zum  Widerrufen  seiner  Schriften  gezwungen 
wurde,  haben  diese  doch  auf  lange  Zeit  hinaus  ihren  Einfluß  in  dem 
Orden  behalten,  wie  z.  B.  Bartholomäus  Pisanus  jene  Theorie  der 
sieben  Zeitalter  noch  1399  in  seinem  ,liber  conformitatum'  nur 
wenig  verändert  wiederbringt.  Eine  besondere  Verbreitung  und 
Wirkung  aber  scheinen  sie  im  Süden  Frankreichs,  diesem  alten 
Heerde  kühner  Neuerungen,  gehabt  zu  haben. 

Hier  nämlich  entsteht  im  Anfang  des  XIII.  Jahrhunderts,  nach- 
dem Clemens  V.  den  vergeblichen  Versuch  gemacht ,  einen  Aus- 
gleich herzustellen,  der  nur  dazu  führte,  daß  die  Spiritualen  sich 
einen  eigenen  General  wählten,  zu  Gunsten  der  strengeren  Regel 
eine  neue  Bewegung.  Diese  wurde  Anfangs  von  Johann  XXII. 
gemeinsam  mit  Michael  von  Cesena,  der  seit  13 16  die  Ober- 
leitung des  Ordens  hatte,  zu  unterdrücken  versucht.  Nachdem 
einige  der  sich  widersetzenden  Führer,  unter  denen  der  feurige 
Ubertino  da  Casale  besonders  genannt  sein  will,  gefangen  ge- 
nommen waren,  erließ  der  Papst  seine  Bulle :  quorundam  exigit,  in 
welcher  er  in  milder  Weise  die  Irrigen  auf  den  rechten  Weg  zurück- 
zuführen sucht.  Die  Hauptfrage,  in  Betreff  der  Tracht,  entscheidet 
er  im  Sinne  Nikolaus'  III.,  daß  nämlich  die  diesbezüglichen  Bestim- 


^)  Vergl.  Wadding  Bd.  V.  z.  J.  1297.  ^-  34-  —  ^^^-  2.  J-  1297,  ^^  welchem 
Petrus  stirbt.  —  Ein  Auszug  seines  Buches :  Postilla  super  Apocalypsim  bei  Baluzzi : 
Miscellanea  I,  p.   213. 


Erste  Entwicklung  und  Gestaltung  des  Ordens.  397 

mungen  den  Oberen  des  Ordens  zuständen  und  diesen  zu  gehorchen 
sei.  Indem  Michael  selbst  für  die  Kutten  eine  engere,  einfachere 
Form  verordnete,  glaubte  er  die  Schwierigkeiten  zu  heben,  doch 
zeigte  es  sich  binnen  Kurzem ,  daß  es  sich  schließlich  um  ganz 
andere  Dinge  handelte.  Die  Eiferer  in  Italien  gingen  in  Schaaren 
Zuflucht  suchend  nach  Sizilien  und  sonderten  sich  nur  in  um  so 
schrofferer  Weise  ab.  Nach  wenigen  Jahren  1321  brach  das  Feuer 
abermals  in  Carcassonne  aus.  Ein  Beguine,  der,  wie  seine  Genossen- 
schaft überhaupt,  in  die  engste  Beziehung  zu  dem  Minoritenorden 
getreten  war,  ward  wegen  häretischer  Ansichten  über  die  ,,pau- 
pertas  Christi"  gefangen  genommen,  und  seiner  Sache  nahmen 
sich  die  Franziskaner  an.  Abermals  traten  sich  Dominikaner  und 
Minoriten  entgegen.  Die  Sache  bekam  bald  eine  ungewöhnliche 
Bedeutung.  Es  handelte  sich  um  die  Frage,  ob  Christus  und  die 
Apostel  irgend  welches  Eigenthum  gehabt  oder  nicht.  Die  Mino- 
riten beriefen  sich  auf  die  Bulle  Nikolaus'  III.  und  sprachen  Johann 
das  Recht  ab ,  dieselbe  zu  glossiren  oder  von  ihr  abzugehen. 
Letzterer  antwortete  damit ,  daß  er  sich  dies  Recht  in  der  Bulle 
von  1322  (24.  März) :  quia  nonnunquam  vindizirte.  Michael  stellte 
sich  an  die  Spitze  der  Spiritualen  und  wandte  sich  auf  einem 
Generalkapitel  in  Perugia  gegen  den  Papst.  Dieser,  von  der  Pariser 
Universität  berathen  entschied  in  der  Bulle :  quum  inter  nonnullos 
(11.  Dez.  1323)  dahin,  daß  die  Behauptung,  Christus  und  die  Apostel 
hätten  kein  Eigenthum  gehabt,  Häresie  sei.  Die  Inquisition  übte 
ihre  Rechte  und  Minoriten,  wie  Fratricellen  „sind  auf  dem  Scheiter- 
haufen dafür  gestorben,  daß  sie  nichts  besitzen  wollten".  ^) 

Es  würde  zu  weit  führen,  diese  Dinge  eingehend  zu  verfolgen. 
Erwähnenswerth  aber  ist  es,  daß  Michael  eine  Stütze  an  Ludwig 
dem  Baiern  fand,  daß  der  ganze  Streit,  in  die  politischen  Mißhellig- 
keiten verflochten,  zum  offenen  Kampfe  gegen  das  Papstthum  ward. 
Und  es  ist  kein  Zufall,  daß  einer  der  Kämpfer  auf  Seiten  Michael's 
und  der  weltUchen  Herrschaft  Wilhelm  von  Occam  war,  der 
große  Bahnbrecher  des  neuen  Nominalismus  und  der  erste  Vor- 
gänger der  Baco  von  Verulam  und  Hobbes.^)     Die  alte  Häresie  der 


^)  Hase:  Kirchengesch,  S.  318. 

^)  Vgl.  sein  Compendium  erronim  Joannis  Papae.  Für  diesen  ganzen  Streit  s.  bei 
Wadding  die  betreffenden  Jahre  und  Gudenatz:  Michael  von  Caesena.  Breslau  1876. 
Vergl.  auch:  P.  Ehrle:  Die  Spiritualen  im  Archiv  für  Litt,  und  Kirchengeschichte  des 
Mittelalters  II. 


398 


Die  Franziskaner. 


Waldenser,  aus  der  Franziskus  selbst  hervorgegangen,  scheint  in 
dieser  Zelantenbewegung  nur  in  veränderter  Gestalt  wieder  ihr 
Haupt  zu  erheben,  was  für  die  Auffassung  des  Franz  selbst  inter- 
essant genug  ist.  Er  ist  schließlich  doch,  ohne  in  seiner  nur  auf 
das  Positive  gerichteten  Begeisterung  und  in  seiner  kindlichen  An- 
erkennung der  Autorität  sich  dessen  bewußt  zu  sein,  nichts  Anderes 
als  ein  von  der  Kirche  zu  Gnaden  angenommener  Häretiker  ge- 
wesen und  Die,  welche  die  ganze  praktische  Konsequenz  seiner 
Lehre  zogen,  mußten  in  offenen  Widerspruch  gegen  die  Hierarchie 
gerathen. 

Nachdem  der  Gegensatz  zwischen  den  zwei  Richtungen  des 
Ordens  seine  Höhe  erreicht,  milderte  er  sich  allmählich  unter  Bene- 
dict XII.  und  Clemens  VI.  Man  gab  auf  beiden  Seiten  in  Etwas 
nach,  bis  das  Konzil  zu  Konstanz  sich  141 5  dazu  verstand,  die 
strengere  Richtung  als  einen  besonderen  Zweig  der  Minoriten  an- 
zuerkennen. Und  zwar  war  dies  jene  Verbindung  von  Spiritualen, 
welche,  im  Spoletaner  Thal  ansässig,  den  Namen  der  fratres 
strictioris  observantiae  oder  kurz  der  Observanten  erhalten 
hatten.  Sie  war  um  1336  von  Johann  des  Vallees  gegründet 
worden  und  hatte  in  Gentile  von  Spoleto  und  Paolucci  von  Foligno 
Männer  besessen,  welche  sich  die  Reform  der  Regel  hatten  an- 
gelegen sein  lassen.  Nach  ihren  hölzernen  Sandalen  wurden  sie 
Zoccolanti  genannt,  welche  Bezeichnung  dem  Volke  bis  auf  den 
heutigen  Tag  geläufig  geblieben  ist.  Eine  eigentliche  Versöhnung 
aber  kam  erst  auf  dem  Generalkapitel  von  1430  zu  Stande,  obgleich 
auch  fernerhin  die  Anhänger  der  milderen  Partei,  die  Conven- 
tualen,  nicht  nachließen,  jene  Brüder  zu  verfolgen,  die  an  der 
ursprünglichen  Regel  festhielten.  Die  strenge  Scheidung  tritt  dann 
im  Einzelnen  durch  eine  Bulle  Leo's  X.  im  Jahre  15 17  ein,  in  wel- 
cher es  jeder  Parthei  gestattet  wird,  sich  einen  eigenen  Superior, 
der  von  den  Observanten  Minister,  von  den  Conventualen  Magister 
generalis  genannt  wird,  zu  wählen. 

Das  waren  die  wechselvollen  Schicksale  des  eigentlichen  Mino- 
ritenordens  in  den  ersten  zwei  Jahrhunderten ,  welche  allein  uns 
hier  interessiren.  Aus  dem  Orden  aber  gingen  eine  ganze  Anzahl 
verwandter  Sekten  hervor,  von  denen  sich  verschiedene  bei  Salim- 
bene  erwähnt  finden.  Eine  kurze  Betrachtung  derselben  mag  dazu 
dienen,  das  eigenthümliche  Streben  der  Menschheit  nach  genossen- 
schaftlichen Verbänden   im  XIII.  Jahrhundert,    das   in   dem  Städte- 


Erste  Entwicklung  und  Gestaltung  des  Ordens.  399 

Wesen  eine  so  hervorragende  Rolle  spielt,  in  helleres  Licht  zu 
rücken.  Es  war  nur  natürlich ,  daß  das  Beispiel  des  Franz  viele 
phantastische  Köpfe,  zumeist  Thoren  ohne  inneren  sittlichen  Halt, 
zur  Nachahmung  anreizte.  So  entstand  jene  Verbindung  der  sac- 
cati,  die  Gregor  X.  in  Lyon  auflöste,  jene  andere  der  britti  in 
der  Mark  Ancona,  die  von  Alexander  IV.  mit  sonstigen  Eremiten 
zu  einer  Kongregation  verbunden  wurden.  Es  waren,  wie  Salimbene 
spöttisch  sagt,  Leute,  welche  mit  den  Aeußerlichkeiten  zugleich  den 
Geist  des  Franziskanerthums  angenommen  zu  haben  glaubten:  ,,Wer 
immer  irgend  eine  neue  Regel  machen  will,  erbettelt  sich  Etwas 
vom  Orden  des  heiligen  Franziskus,  die  Sandalen  oder  den  Strick, 
oder  sogar  die  Kutte." ^)  Toller  trieben  es  die  sogenannten  Aposto- 
liker  in  Parma,  deren  Kongregation  geradezu  eine  Karrikatur  des 
Minoritenordens  gewesen  sein  muß.  Ihr  Stifter  war  Gherardo 
Segarelli,  nach  Salimbene's  humoristischer  Schilderung  ein  halb 
verrückter  Kerl.  Er  will  in  Allem  Christus  nachahmen,  legt  sich 
sogar  in  die  Wiege  und  benimmt  sich  da  ganz  nach  Kinderart.  Er 
läuft  wie  toll  herum,  immerwährend  rufend:  „thut  Buße,  thut  Buße", 
fordert  auf  dem  Lande  die  Leute  auf,  sich  in  fremden  Weinbergen 
an  den  Trauben  satt  zu  essen  und  ist  dabei  von  so  schwankendem, 
ungewissem  Wesen,  daß  er  eine  Einladung  mit  den  Worten :  „ent- 
weder ich  komme  oder  komme  nicht"  beantwortet.  Er  gewinnt 
sich  einen  ganz  unmoralischen  Gesellen,  der  Famulus  bei  den  Mino- 
riten  war,  und  sammelt  allmählich  auch  andere  Anhänger.  Die 
Sinnlosigkeit  findet  bei  den  Leuten  Gefallen.  Dabei  thut  die  Ge- 
sellschaft gar  Nichts:  sie  beten  nicht,  sie  predigen  nicht,  sie  ver- 
walten nicht  kirchliche  Funktionen,  sie  hören  nicht  Beichte,  ertheilen 
keine  guten  Rathschläge ,  sind  aber  am  Weitesten  davon  entfernt, 
gute  Beispiele  zu  geben.  Zum  Glück  fehlt  ihnen  jede  Organisation. 
Erst  ein  gewisser  Guido  Putagius  stört  die  köstliche  Freiheit  und 
reißt  die  Herrschaft  an  sich.  Die  Folge  ist  ein  förmlicher  Kampf 
mit  einer  anderen  Abtheilung  in  der  Mark  Ancona.  Wie  die  un- 
mündigen Kinder  benehmen  sie  sich.  Sind  sie  mit  Gerhard  zu- 
sammen, so  thun  sie  Nichts  als  beständig  ,pater,  pater,  pater'  singen. 
Die  Tracht  der  Apostel  —  darin  bestand  schließlich  der  ganze 
Witzl^)     Der   arme  Narr  Gerhard    mußte    seine  Verrücktheit   1300 

^)  A.  a.  O.    S.    108.     Der  Gründer   der  Saccati    war   jener    oben    erwähnte   Hugo 
de  Bareola. 

^)  Salimbene  a.  a.  O.  S.  112  ff. 


400 


Die  Franziskaner. 


mit  dem  Feuertode  büßen ,  denn  inzwischen  hatte  die  Sache  doch 
einen  bedenklichen  Anstrich  bekommen.  Mit  Dolcino  von  No- 
vara  war  ein  energischer  Mann  an  die  Spitze  der  Apostelbrüder 
getreten,  der  sich  die  alten  gefährlichen  Waffen  der  Patarener  an- 
eignete und  sie  mit  erneuter  Kraft  gegen  die  römische  Kirche  führte. 
Er  zog  endlich  zum  wirklichen  Kampf  gegen  das  ihn  bedrohende 
Inquisitionsheer  aus  und  verleugnete,  1367  auf  dem  Berge  Zebello 
eingeschlossen,  seine  Ueberzeugung  selbst  angesichts  des  qualvollsten 
Hungertodes,  dem  er  endlich  erlag,  keinen  Augenblick.^) 

Eine  eigentliche  Abzweigung  der  Minoriten  bildeten  die  Cla- 
rener,  die,  von  einem  An  gel  us  de  Cingulo  geleitet,  1294  von 
Coelestin  V.  die  Bestätigung  ihrer  Kongregation,  die  sich  ganz  dem 
Eremitenleben  widmete,  erhielten.  Sie  wurden  1477  wieder  mit 
dem  Mutterorden  vereinigt.^) 

Im  XVI.  Jahrhundert  endlich  ward  die  alte  Regel  und  das 
eigentliche  Bettelmönchwesen  durch  den  zuerst  1526,  dann  1528 
bestätigten  Kapuzinerorden  erneuert.  Der  Abfall  dieser  Mönche 
entstand  zunächst  aus  einer  sehr  geringfügigen  Ursache :  sie  hatten 
eine  von  derjenigen  der  Minoriten  abweichende  Ansicht  über  die 
Form  der  Kapuze,  die  Franz  getragen.  Unter  der  Leitung  des 
Matteo  de  Bassi,  dem  fördernd  Lodovico  a  Fossombruno  zur 
Seite  trat,  nahmen  sie  zunächst  nur  eine  gesonderte  Stellung  ein, 
gewannen  aber  sehr  schnell.  Dank  der  Zuvorkommenheit  der  Kurie, 
Verbreitung  und  große  Bedeutung  als  Freunde  und  Prediger  des 
Volkes.  Der  spitzen  pyramidalen  Kapuze,  die  mit  der  thatsächlich 
ältesten  Darstellung  des  Franz  in  Subiaco  übereinstimmt,  verdanken 
sie  den  Namen. 

Welch'  eingreifender  Art  immer  die  inneren  Streitigkeiten  inner- 
halb des  kaum  begründeten  Minoritenordens  gewesen  sein  mögen, 
haben  sie  doch  dessen  beispiellos  schneller  Verbreitung  weit  über 
alle  zivilisirten  Länder  keinen  Eintrag  gethan.  Waren  schon  aut 
dem  Kapitel  von  1221  dreitausend  Brüder  versammelt,  so  zählte 
der  Orden  zweiundvierzig  Jahre  nach  seines  Stifters  Tode  bereits 
8000  Klöster  mit  200,000  Mönchen.  Jedes  Jahr  des  XIII.  Jahr- 
hunderts sieht  neue  Klöster,  neue  Kirchen  entstehen.  Die  Mino- 
riten  zusammen    mit   den  Dominikanern    bildeten    eine  Macht,    die 


^)  Vgl.  Hase,  Kirchengesch.  S.  360  und  die  dort  angegebene  Litteratur. 
*)  Vgl.  Gonzaga:  De  origine  Seraph,  rel.  Franc.     Venedig  1603. 


Erste  Entwicklung  und  Gestaltung  des  Ordens.  40 1 

fortan  der  Kirche  die  größten  Dienste  leistete.  Fanden  die  Letzte- 
ren ihre  Thätigkeit  vorzugsweise  in  dem  Kampfe  gegen  die  Ketzer, 
so  wirkten  die  Ersteren  mehr  auf  friedlichem  Wege  für  die  Er- 
weiterung und  Befestigung  des  Glaubens  im  Volke.  Beide  aber 
wurden  vom  Papstthum  in  der  ausgedehntesten  Weise  zu  wichtigen 
Missionen  benutzt.  Was  im  XII.  Jahrhundert  die  Cisterzienser  ge- 
wesen waren:  geheime  und  offizielle  Boten  der  Päpste  in  Sachen 
der  äußeren  und  inneren  Politik,  wurden  jetzt  die  Bettelmönche. 
Innocenz  IV.  namentlich  bediente  sich  in  allen  seinen  Unternehmun- 
gen gegen  Friedrich  II.  der  Franziskaner,  die,  wie  Leo  treffend  be- 
merkt hat,  für  den  Papst  dieselbe  Bedeutung  hatten,  wie  die  tyran- 
nischen Ritter  in  der  Art  des  Ezzelin  für  den  Kaiser.  ^)  Der  Kampf 
zwischen  den  Guelfen  und  den  Ghibellinen  nimmt  in  dieser  Zeit 
Etwas  von  dem  Kampfe  zwischen  dem  orthodoxen  Katholizismus 
und  den  Häretikern  an,  als  deren  schlimmster  ja  Friedrich  II.  selbst 
angesehen  wurde.  Die  •  Gegnerschaft  der  Franziskaner  in  Sizilien, 
die  das  Volk  aufwiegelten  und  zum  Abfall  zu  bewegen  suchten, 
war  für  Friedrich  eine  so  gefährliche,  daß  schon  im  Jahre  1229  der 
Reichsverweser  Rainald  sie  aus  dem  Königreiche  vertrieben  hatte. 
Ein  in  der  Briefsammlung  des  Petrus  de  Vinea  erhaltenes  Schreiben 
beklagt  sich  auf  das  Bitterste  über  das  Aergerniß,  welches  die 
Bettelmönche  durch  ihre  bodenlose  Anmaßung  dem  Klerus  selbst 
geben.  ^)  Zu  gleicher  Zeit  predigt  im  Norden  Antonius  von  Padua 
gegen  den  entsetzlichen  Ezzelin,  wie  die  Legende  will :  mit  solchem 
Erfolge,  daß  der  Tyrann,  von  den  mächtigen  Worten  im  Innersten 
ergriffen,  Buße  thut  und  sich  bessert.  Ein  Franziskaner  Clarellus 
schreitet  später  als  Fahnenträger  dem  Heere  voraus,  das  Padua 
gegen  den  erbitterten  Feind  sendet.  Ein  anderer :  Leo,  der  später 
Erzbischof  von  Mailand  ward,  befehligte  die  1233  gegen  den  Kaiser 
ausgesandten  Truppen.  **)  Angesichts  dieser  feindlichen  Stellung, 
welche  das  Minoritenthum  den  Hohenstaufen  gegenüber  einnimmt, 
berührt  uns  um  so  wohlthuender,  was  Salimbene  vom  Bruder  Alber- 
tinus  da  Verona  zu  erzählen  weiß.  Als  Dieser  davon  hört,  daß  der 
arme  gefangene  König  Enzio  dem  Verhungern  nahe  sei,  geht  er 
zum   Gefängniß    hin    und    bittet    die  Wächter,    doch    aus  Liebe    zu 


^)  Vergl.  Leo:  Geschichte  Italiens  1829.  11.  Bd.  S.  308,  338.  Vergl.  auch  andere 
Stellen. 

2)  Epistolae.     Basileae   1566.      lib.  I,  cap.  XXXVII.     S.  233  ff. 
^)  Salimbene  S.  202  und  S.  35. 
Thode,  Franz  von  Assisi.  26 


402 


Die  Franziskaner. 


Gott  dem  Gefangenen  Speise  zu  geben.  Als  sie  es  verweigern, 
schließt  er  mit  ihnen  einen  Pakt:  ,,Ich  werde  mit  Euch  Würfel 
spielen  und  wenn  ich  gewinne,  habe  ich  die  Erlaubniß,  Jenem  zu 
essen  zu  geben."  So  geschieht  es,  er  gewinnt  und  bringt  dem 
Könige  mit  liebreichem  Tröste  auch  die  ersehnte  Nahrung.  Das 
war  echt  im  Geiste  des  Franz  gehandelt.  ^) 

Neben  der  Thätigkeit  in  der  Heimath  fanden  die  Franziskaner 
aber  wie  die  Dominikaner  auch  ihren  besonderen  Beruf  in  der 
Mission  unter  den  Heiden.  Als  Abgesandte  der  Kirche  erscheinen 
sie  bei  den  Mongolen  und  vor  Tschengys  Khan.  In  Indien,  China 
predigen  sie  das  Evangelium  und  werden  zugleich  die  Vermittler 
der  neuen  Handelsbeziehungen  zwischen  dem  fernen  Osten  und 
Westen.  Aus  ihren  Erzählungen  lernte  das  Abendland  zuerst  die 
orientalischen  Religionen,  namentlich  den  Buddhaismus  kennen,  der 
selbständig  neben  dem  Muhamedanismus  der  spanischen  Araber  einen 
gewissen  Einfluß  auf  die  Anschauungen  der  christlichen  Denker  ge- 
wonnen zu  haben  scheint.^ 

Ihre  eigentliche  Bedeutung  liegt  aber  immer  in  ihrem  einfluß- 
reichen Wirken  für  das  Volk  in  den  heimischen  Ländern.  Aus 
ihrer  Verbreitung,  aus  der  zahlreichen  Nachfolge,  die  sie  selbst 
unter  den  Fürsten  fanden,  kann  man  auf  die  allgemeine  Liebe  und 
Verehrung,  die  sie  genossen,  einen  vollgültigen  Rückschluß  machen. 
Unter  den  großen  Namen,  welche  den  Tertiarierorden  zieren,  seien 
nur  wenige  erwähnt :  die  heilige  Elisabeth,  Ludwig  der  Heilige  von 
Frankreich,  Bela  IV.  von  Ungarn,  Karl  II.  und  Robert  von  Sizilien, 
Kaiser  Karl  IV. ;  neben  den  Fürsten  vielleicht  der  Dichter  der  gött- 
lichen Komödie,  der  Entdecker  Amerikas.  Andrerseits  konnte  es 
aber  auch  an  einer  an  sich  machtlosen,  aber  innerlich  erbitterten 
gegen  die  Bettelmönche  gerichteten  Oppositionsparthei  nicht  fehlen. 
Sie  traten  mit  ihrer  Berechtigung  zu  predigen  und  die  Beichte  zu  hören 
den  Ansprüchen  des  Klerus  entgegen  und  erregten  durch  ihre  von 
den  Päpsten  bevorzugte,  vom  Volke  geschützte  Stellung  die  Eifersucht 
sowohl  der  älteren  Orden,  als  auch  der  wissenschaftlichen  Anstalten, 


^)  Salimbene  S.  156.  —  Vergl.  S.  163  Ansichten  über  Friedrich  II.:  wäre  er 
ein  guter  Katholik  gewesen  und  hätte  Gott  und  die  Kirche  geliebt,  so  würde  er  wenige 
seines  Gleichen  unter  den  Herrschern  der  Welt  gehabt  haben.  Dabei  weiß  S.  die 
schauerlichsten  Geschichten  vom  Kaiser  zu  erzählen. 

^)  Vergl.  Ozanam:  Dante  et  la  philosophie  catholique,  Paris  1839.  Ital.  Uebers. 
Neapel  1841.     S.   199  ff. 


Erste  Entwicklung  und  Gestaltung  des  Ordens.  403 

wie  namentlich  der  Universität  von  Paris,  die  nach  heftigen  Kämpfen 
schließlich  geradezu  die  hohe  Schule  der  Bettelmönche  wurde.  Vor 
Allem  konnte  es  den  ordinirten  Geistlichen  nicht  gleichgültig  sein, 
daß  die  Gemeinde  es  vorzog,  den  unbekannten,  wandernden  Mön- 
chen ihre  Sünden  anzuvertrauen  und  deren  lebendiger,  verständlicher 
Predigt  zuzulaufen,  verlor  doch  dadurch  ihr  geistiger  und  weltlicher 
Einfluß  in  der  erschreckendsten  Weise.  Manche  Klage  drang  bis 
zum  päpstlichen  Throne,  verhallte  aber  meistens  ungehört.  Dem 
Ingrimm  der  Benediktiner  leiht  Matthäus  Paris  Worte;  er  empört 
sich  über  die  Unverschämtheit  dieser  neuen  Mönche ,  welche  ,,die 
echten  und  von  den  heiligen  Brüdern,  nämlich  dem  heiligen  Bene- 
dikt und  Augustinus ,  eingesetzten  Orden  und  ihre  Bekenner  ver- 
achten, ihren  Orden  aber  allen  Anderen  voransetzen.  Denn  roh, 
einfältig,  halbe  Laien,  ja  sogar  Bauern  nennen  sie  die  Cisterzienser, 
die  schwarzen  Brüder  aber  Uebermüthige  und  Epikuräer.**^)  Muß 
man  hierbei  auch  auf  die  partheiHche  Stellung  des  Chronisten  Rück- 
sicht nehmen,  so  liegt  doch  wohl  Vielem,  was  er  sagt.  Wahres  zu 
Grunde.  Die  strenge  Lebensweise  der  ersten  Brüder  hatte  sich 
bei  der  Mehrzahl  sehr  rasch  verloren,  das  Betteln  war  zur  Forma- 
lität und  das  Leben  in  den  Klöstern  ein  recht  erträgliches,  ja  opu- 
lentes geworden.  Das  beste  Zeugniß  dafür  legt  der  Franziskaner 
Salimbene  ab,  der  mit  überraschender  Naivetät  immer  wieder  auf 
die  vortrefflichen  Mahlzeiten ,  die  er  hier  und  da  genossen ,  zu 
sprechen  kommt,  ja  alle  Qualitäten  eines  Feinschmeckers  bei  der 
Beschreibung  der  Gerichte,  der  Weine  entwickelt.  Er  weiß  Wunder- 
dinge von  dem  guten  Leben,  das  er  in  Frankreich  geführt,  zu  er- 
zählen. Den  französischen  Rothwein  findet  er  nicht  so  schmack- 
haft, wie  den  italienischen,  aber  den  weißen  rühmt  er  sehr.  Vom 
Genuß  desselben  leiden  nur  trauriger  Weise  die  Augen.  Dann  gehen 
die  Mönche  wohl  früh  zu  dem  die  Messe  zelebrirenden  Priester  und 
bitten  ihn,  doch  Wasser  in  ihre  Augen  zu  tröpfeln,  auf  welches 
Verlangen  einmal  ein  Bruder  den  guten  Rath  gab:  thut  Wasser  in 
den  Wein ,  nicht  in  die  Augen !  Die  germanische  Sitte  des  Zu- 
trinkens,  die  er  bei  Engländern  beobachtet,  hat  ihm  einen  sehr 
merkwürdigen  Eindruck  hinterlassen.^)     Von  der  richtigen  Demuth 

^)  Historia  major.     London   1640.     S.  612. 

^)  S.  90.  Vergl.  S.  96  die  Beschreibung  eines  Essens,  das  Ludwig  den  Mönchen 
giebt,  S.  195  das  Mahl  des  Legaten  Octavianus,  S.  119,  wie  er  sich  die  vom  Legaten 
Philippus  übersandten  Fische  trefflich  schmecken  läßt,  u.  andere  Stellen. 

26* 


404 


Die  Franziskaner. 


ist  der  gute  Salimbene  auch  ziemlich  entfernt:  er  rühmt  sich  seiner 
vornehmen  Verwandten  und  ist  sehr  geschmeichelt,  wenn  er  bei 
berühmten  Kirchenfürsten  einen  Ehrenplatz  an  der  Tafel  erhält  oder 
sonst  ausgezeichnet  wird.  ^)  Er  wird  sich  aber  kaum  in  besonderer 
Weise  von  den  anderen  Mönchen  unterschieden  haben.  Wie  die 
Fürsten  reichgekleidet  kommen  1246  die  Franziskanerabgesandten 
des  Papstes  in  London  herangeritten.  Ueber  die  Pracht  ihrer 
Kirchen,  die  Unverschämtheit,  mit  der  sie  die  vornehmen  Leute 
wie  das  Volk  an  sich  ziehen,  als  ob  Niemand  sehg  werden  könne, 
denn  durch  sie,  über  ihre  schlaue  Kunst,  Allen  Geld  abzulocken, 
kann  sich  Matthäus  Paris  nicht  genug  empören.  ^)  Ein  Ferrarese 
Matulinus  erzählt  einst  dem  Salimbene,  was  für  Dinge  er  von  den 
Franziskanern  gehört:  ,,Wißt,  daß  ihr  Minoriten  und  Prediger- 
brüder zum  Hasse  und  Aergerniß  der  Kleriker  und  Weltpriester  ge- 
reicht: neulich  aß  ich  bei  dem  Bischof  von  Forli  und  da  waren 
viele  Kleriker  und  Priester,  die  mitspeisten;  die  sagten  viel  Uebles 
über  euch,  unter  Anderem  —  daß  ihr  gern  mit  den  Frauen  sprächet 
und  sie  anschautet,  was  doch  gegen  die  Schrift  ist."  Worauf  Salem- 
bene  ihm  erwidert:  ,, Kümmere  dich  um  deine  Fehler,  nicht  um 
die  Anderer,"  und  die  Vorwürfe  von  den  Franziskanern  auf  die 
vornehme  Gesellschaft  und  die  Bischöfe  zurückwendet.  ^) 

Von  dieser  starken  Strömung  gegen  die  Bettelmönche  legen 
auch  einige  Lieder  Zeugniß  ab ,  die  in  der  Zeit  der  Streitigkeiten 
über  die  ,paupertas  Christi'  entstanden ,  sich  scharf  und  schneidig 
gegen  die  Verherrlichung  der  Armuth  wenden.  Es  wird  von  ihnen 
noch  später  die  Rede  sein.  Ihren  eigentlichen  Sitz  aber  scheint 
diese  Opposition  der  verständigen  und  weltlich  gebildeten  Leute  in 
Florenz  gehabt  zu  haben.  Der  scharfen,  nüchternen  Verstandes- 
kritik dieser  allzeit  wegen  ihres  Skeptizismus  bekannten  Stadt  konnte 
die  Gefühlsschwärmerei  und  der  Wunderglaube  solcher  exaltirter 
Franziskaner  nicht  sonderlich  sympathisch  sein.  Die  florentiner 
Bettelmönche  selbst  machten  sich  über  die  Uebertreibungen  Anderer 
lustig.  Der  außerordentlich  begabte  Predigerbruder  Johannes 
de  Vicentia,  der  aber  vor  aller  der  ihm  in  Norditalien  zu  Theil 
gewordenen  Verehrung  förmlich  wahnsinnig  geworden  war,  machte 


*)  S.  208.    195.     Vergl.    auch    A.  Dove:    Aus    den    Aufzeichnungen    eines   Bettel- 
mönches.    Im  Neuen  Reich   1873.     I.  Bd.  S.  449  ff. 
2)  A.  a.  O.  S.   722  und  S.  612. 
ä)  S.  214  ff. 


Erste  Entwicklung  und  Gestaltung  des  Ordens.  405 

allerlei  böse  Erfahrungen  bei  diesen  spottlustigen  Leuten.  Als  er 
denselben  seinen  Besuch  angemeldet  hatte,  sagten  sie:  „Gott  be- 
hüte uns  davor,  daß  er  hierher  komme,  denn,  wie  wir  gehört  haben, 
weckt  er  die  Todten  auf  und  wir  sind  schon  so  Viele ,  daß  die 
Stadt  uns  nicht  mehr  fassen  kann."  Ein  Witzbold  von  einem  Fran- 
ziskaner Deustesalvet  verhöhnte  ihn  in  der  unmanierlichsten  Weise. 
Ein  Florentiner  Magister  zu  Bologna,  Boncompagnus ,  aber  giebt 
ihn  dem  öffentlichen  Gelächter  Preis ,  indem  er  laut  verheißt ,  er 
wolle  gleich  dem  Johannes  Wunder  thun  und  zwar:  fliegen.  Die 
Menschen  steigen  in  Schaaren  nach  S.  Maria  in  monte  hinauf,  wo 
Boncompagnus,  der  sich  Flügel  angeklebt  hat,  wartet.  Lange  Zeit 
schaut  er  die  Bürger  an  und  schauen  diese  ihn  an.  Dann  sagt  er 
mit  ruhiger  Ergebenheit:  ,,Geht  mit  dem  göttlichen  Segen  und 
lasset  euch  genügen  das  Antlitz  des  Boncompagni  gesehen  zu 
haben."  ^)  Nun,  denselben  Spott,  dem  hier  ein  Dominikaner  aus- 
gesetzt war,  werden  auch  die  Franziskaner  von  Seiten  der  witzigen 
Florentiner  reichlich  zu  erdulden  gehabt  haben.  Erhob  sich  doch 
der  sein  Leben  lang  von  den  Minoriten  beschäftigte  Giotto ,  der 
ein  Florentiner  wenn  je  Einer  war,  in  einer  Canzone  über  die  Armuth 
gegen  die  Verehrung  dieser  als  sonderlicher  Tugend.  Wenn  dem- 
nach die  Anmaßungen  der  Mönche  ebensowohl  bei  unpartheiischen, 
verständigen  Leuten  und  den  Verwaltungen  der  Städte,  als  bei  den 
persönlich  interessirten  Klerikern,  Universitäten  und  älteren  Orden 
einen  heftigen  Widerspruch  hervorriefen,  so  konnte  das  doch  ihrem 
Einflüsse  wenig  schaden,  und  dieser  ist  zunächst  trotz  aller  Locke- 
rung der  ersten  Regel  ein  durchaus  wohlthätiger  gewesen.  Die 
Ideen  der  allgemeinen  christlichen  Liebe,  der  Demuth  und  Ent- 
sagung, die  inbrünstige  Christus  und  Maria  dargebrachte  Verehrung 
haben  Wunder  gewirkt.  Und  aus  dem  echten,  herrlichen  Geiste 
des  Stifters  ging  auch  die  Frieden  bringende  Thätigkeit  der  Volks- 
prediger hervor.  Wie  sie  dem  einzelnen  Verzweifelten  die  innere 
Ruhe  wieder  geschenkt,  so  hat  ihr  Wort:  ,pax  vobiscum' zu  unzähligen 
Malen  streitende  Partheien  getrennt,  sind  sie  als  rechte  Friedens- 
engel zwischen  die  aufgeregten  Faktionen  der  Städte  getreten,  und 
vor  ihren  begeisterten  Versöhnungsreden  sind  aller  Orten  die  Waffen 
zu  Boden  gefallen. 

Das    große    Erbe    des    Franziskus,     der   Enthusiasmus    für    die 


1)  Salimbene  S.  36  ff. 


4o6 


Die  Franziskaner. 


edelsten  Ideale  der  Religion,  ist  das  Gemeingut  des  Volkes  gewor- 
den. Man  muß  die  Berichte  der  Chroniken  lesen,  um  einen  Begriff 
von  dem  fast  fieberischen  Glaubenseifer  zu  erhalten,  der  namentlich 
die  südlichen  Nationen  in  jener  Zeit  ergriffen.  Alle  Augenblicke 
sammeln  sich  die  Leute  zu  Prozessionen  auf  den  Straßen  zusammen, 
ein  Mönch  stellt  sich  an  ihre  Spitze,  und  singend  zieht  man  in  die 
Kirche.  Im  Jahre  1233  zur  Zeit  des  Hallelujah  namentlich  scheint 
eine  unglaubliche  Bewegung  durch  Italien  gegangen  zu  sein:  die 
Einwohnerschaft  ganzer  Dörfer  macht  sich  auf  ,trunken  von  gött- 
licher Liebe',  Zweige  und  Fackeln  in  den  Händen.  Früh  und  Mit- 
tags und  Abends  erschallen  Predigten.  Da  schreitet  wohl  ein  schwarz 
gekleideter  Mönch,  mit  langem  Barte,  in  einer  mit  einem  großen 
Kreuze  verzierten  Tunika  voran  und  bläst  schreckenerregend  auf 
langer  Tuba.  Kommt  er  auf  einen  Platz  oder  zu  einer  Kirche,  so 
predigt  er  in  der  Volkssprache  und  lobt  die  Dreieinigkeit,  wobei 
immer  das  Volk  singend  einfällt.^)  Was  muß  es  für  ein  Anblick 
gewesen  sein,  als  im  Jahre  1260  Jung  und  Alt,  die  Vornehmen  wie 
die  Niedern,  entblößt  durch  die  Straßen  liefen,  mit  Geißeln  sich 
züchtigend !  Die  aufgeregte  Phantasie  des  Volkes ,  das  ja  zum 
Theile  den  großen  Wunderthäter  Franz  noch  selbst  gekannt  hatte, 
sah  in  allen  Ereignissen  Wunder  und  Geheimnisse.  Der  Drang, 
das  Uebersinnliche  hier  schon  auf  Erden  zu  sehen  und  zu  spüren, 
machte  Betrüger  und  Narren  zu  Heiligen.  Unter  den  Vielen,  die 
auf  kurze  Zeit  von  sich  reden  machten ,  giebt  es  kaum  eine  so 
charakteristische  Erscheinung,  als  jenen  Weinträger  und  Trinker 
Albertus  von  Cremona,  von  dem  Salimbene  erzählt.  Das 
war  ein  schreiender  Unfug!  Auf  die  Kunde,  daß  an  seinem  Sarge 
Wunder  geschehen ,  strömen  die  Leute  in  festlichen  Prozessionen 
herbei.  Die  Priester  nutzen  das  aus,  lassen  ihn  in  den  Kirchen 
abbilden  und  stecken  dankbar  das  Geld  ein,  welches  der  thörichte 
Haufe  bringt.  Als  gegen  den  Wahnsinn  eingeschritten  wird,  empört 
sich  die  Menge  und  beschimpft  die  Bettelmönche:  ,,lhr  glaubt,  daß 
Niemand  anders  Wunder  thun  könne,  als  eure  Heiligen;  aber  ihr 
täuscht  euch,  wie  es  bei  Jenem  offenbar  wird!"  Schließlich  erhalten 
die  Parmenser  einen  Finger  von  dem  Wunderrbann  als  Reliquie, 
die  unter  Jubel  in  den  Dom  getragen  wird.  Dort  kommt  es  heraus, 
daß  der  angebliche  Finger  ein  Stück  Knoblauch  war !  —  Aehnliche 


^)  Diese  Schilderung  bei  Salimbene  S.  30. 


Die  wissenschaftlichen  Bestrebungen  der  Franziskaner.  407 

Heilige  waren  der  Pilger  Antonius  in  Padua,  in  Ferrara  ein  gewisser 
Armannus  Punzilovus.  ^)  So  kehrten  sich  die  Geister ,  welche  vor 
Allem  die  Franziskaner  heraufbeschworen,  gegen  sie  selbst  —  aller- 
dings ohne  ihnen  auch  nur  auf  kurze  Dauer  etwas  anhaben  zu 
können.  Mit  dem  Wunderglauben  ging  der  Glaube  an  Prophe- 
zeiungen Hand  in  Hand.  Neben  dem  großen  Lichte  des  Joachim 
von  Floris  und  dem  des  geheimnißvollen  Michael  Scotus,  dem 
Freunde  Friedrich's  II.,  flammte  eine  ganze  Menge  kleinerer  aller 
Orten  auf  Man  blickte  eine  Zeit  lang  athemlos  zu  ihnen  empor  und 
verlor  dann  plötzlich  das  Interesse  über  anderen  neuen  Erscheinungen. 
Diese  ganze  Exaltation  der  Gemüther  aber  hängt  im  Grunde  ge- 
nommen eng  mit  der  Verehrung  des  Franziskus  zusammen.  Sie 
war  eine  ebenso  heilsame  wie  gefährliche  Folge  der  Gefuhlsreligion 
der  Franziskaner,  Neben  dem  wunderbar  verklärenden  Einfluß,  den 
diese  auf  Dichtung,  Kunst  und  die  theologische  Philosophie  ausgeübt, 
wäre  es  unrecht,  nicht  auch  kurz  wenigstens  ihre  unerfreulichen 
Seiten  berücksichtigt  zu  haben.  Mit  um  so  größerer  Freude  und 
Befriedigung  können  wir  uns  nun  den  Lichtseiten  zuwenden  und 
zwar  uns  zunächst  aus  dem  lärmenden  Volkshaufen  in  die  stille 
Einsamkeit  des  Denkers  retten  und  uns  dort  sammeln,  ehe  wir  uns 
mit  der  lebendigeren  Gesellschaft  der  Dichter  und  Künstler  be- 
freunden. 

IL   Die  wissenschaftlichen  Bestrebungen  der  Franziskaner. 

Es  kann  nichts  Anderes,  als  ein  kurzer  Ueberblick  über  ein 
bis  jetzt  noch  allzuwenig  durchforschtes  Gebiet  sein,  was  im  Fol- 
genden gegeben  wird,  ein  schwacher  Versuch ,  gemeinschaftliche 
Eigenthümlichkeiten  in  den  Anschauungen  der  großen  Franziskaner- 
gelehrten aufzufinden  und  ihre  besondere  Bedeutung  für  die  fernere 
Entwicklung  der  Wissenschaft  zu  betonen. 

Dem  feurigen  Stifter  des  Ordens  selbst  hatte  jeder  Sinn  für 
die  dialektische  Behandlung  dogmatischer  Fragen  gefehlt.  Für  ihn 
existirte  das  Problem,  das  seit  einem  Jahrhundert  alle  gebildeten 
Geister  bewegte ,  nicht.  Selbst  der  Versuch ,  die  göttlichen  Offen- 
barungen des  Christenthums  in  Einklang  zu  setzen  mit  den  For- 
derungen menschlichen  Verstandes,  lag  ihm  ferne.  Er  lebte  mit  sich 
einig   in  der  reinen  Anschauung  des  Göttlichen  und  fand  die  volle 


^)  Salimbene  S.  274. 


4o8  Die  Franziskaner. 


Befriedigung  in  dem  Einen  herrschenden  Gefühl  der  Liebe  —  das 
Ideal  des  „vir  contemplativus",  des  die  Welt  und  sich  selbst  ver- 
gessenden Mystikers.  Unter  den  ungebildeten  Leuten  aus  dem 
Volke,  die  Nichts  von  Syllogismen  und  Distinktionen  wußten,  suchte 
er  seine  Schüler  und  wünschte,  daß  die  fratres  minores  ungelehrt 
seien  und  blieben  und  sich  an  der  göttlichen  Liebe  allein  genügen 
ließen.  Doch  konnte  das  eben  nichts  Anderes  als  ein  frommer 
Wunsch  bleiben.  Es  ging  damit,  wie  bereits  oben  hervorgehoben 
wurde,  wie  mit  dem  Ideale  vollkommener  Armuth.  Schon  bei 
seinen  Lebzeiten  traten  viele  gelehrte  Leute  in  den  Orden  ein  — 
um  nur  zwei  zu  nennen :  Alexander  von  Haies  und  Antonius  von 
Padua.  Dann  nahm  die  Sache  ihren  nothwendigen  Verlauf:  der  Mino- 
ritenorden  durfte  neben  dem  der  Dominikaner,  der  von  Anfang  an 
als  Vertheidiger  des  Dogmas  die  Verpflichtung  zu  einem  Wirken 
durch  Gelehrsamkeit  übernommen  hatte,  nicht  zurückbleiben,  und 
stand  auch  fortan  die  Mehrzahl  der  Franziskaner  nicht  auf  der 
Durchschnittshöhe  der  geistigen  Bildung  der  Predigermönche ,  so 
wetteiferten  doch  die  hervorragenden  Lehrer  beider  Orden  an  tiefem 
und  umfänglichem  Wissen  mit  einander.  Die  bald  eintretende 
Spannung  zwischen  ihnen  mag  besonders  durch  den  Hochmuth, 
mit  dem  die  gelehrten  Inquisitoren  auf  die  ungebildeteren  Minoriten 
herabschauten,  verstärkt  worden  sein,  und  es  gereichte  den  letzteren 
zur  besonderen  Genugthuung,  wenn  einer  der  Ihren,  wie  jener  Hugo 
von  Bareola  über  den  Gegner  Petrus  von  Apulien  den  Sieg  davon 
getragen  hatte.  In  seinem  Selbstbewußtsein  äußerte  sich  Hugo 
später:  ,, Diese  guten  Leute  rühmen  sich  immer  ihrer  Wissenschaft 
und  behaupten,  daß  nur  in  ihrem  Orden  der  Quell  der  Weisheit 
gefunden  wird."  Diesmal,  Gott  sei  Dank,  können  sie  nicht  sagen, 
sie  hätten  es  mit  Idioten  zu  thun  gehabt."  ^)  Mit  den  Dominikanern 
bemächtigten  sich  bald  die  Franziskaner  eines  Lehrstuhls  an  der 
Universität  zu  Paris,  freilich  nicht,  ohne  daß  diese  den  Ein- 
dringlingen den  heftigsten  Wideretand  entgegengesetzt  hätte.  Die 
Predigermönche  hatten  einen  günstigen  Augenblick,  als  gerade  die 
hohe  Schule  der  Gelehrsamkeit  in  ihren  Rechten  verletzt  worden 
war  und  Magister  und  Scholaren  ausgezogen  waren,  benutzt,  sich 
einzudrängen  und  behaupteten  sich,  ebenso  wie  die  Franziskaner, 
die  ihnen  bald  folgten,  gegen  alle  Anfeindungen.     1251   und  in  den 


^)  Salimbene  S.    lo8. 


Die  wissenschaftlichen  Bestrebungen  der  Franziskaner.  409 

folgenden  Jahren  kam  der  Kampf  zu  öffentlichem  Ausbruch.  Wilhelm 
von  St.  Amour  publizirte  1254  seine  Schrift  ,de  periculis  novissi- 
morum  temporum',  und  Innocenz  IV.  neigte  sich  auf  die  Seite  der 
Gegner.  Aber  sein  Nachfolger  Alexander  IV.  entschied  zu  Gunsten 
der  Bettelmönche,  —  und  fortan  wurden  Diese  die  Führer  der 
theologischen  Wissenschaft. 

Der  erste  bedeutende  Franziskaner,  dessen  Lehre  Bonaventura 
und  Thomas  von  Aquino  gelauscht  haben,  war  Alexander  von 
Haies,  der  doctor  irrefragibilis ,  welcher  nach  Peter  von  Poitiers 
der  nächste  Kommentator  von  des  Petrus  Lombardus  vier  Büchern 
der  Sentenzen  wurde,  —  dieses  Grundsteins  der  ganzen  scholastischen. 
Gelehrsamkeit  des  XIII.  Jahrhunderts.  Nun  läßt  sich  innerhalb  der 
Franziskanerwissenschaft  eine  ältere  und  jüngere  Richtung  unter- 
scheiden. Die  erstere,  im  XIII.  Jahrhundert  durch  Bonaventura  ver- 
treten, entwickelt,  durch  die  Gefühlsmacht  des  Franziskus  gehoben, 
mit  Hülfe  der  Platonischen  Ideenlehre  die  älteren  mystischen  An- 
schauungen zu  einem  vollkommneren  System ,  die  jüngere  im  An- 
fang des  XIV.  Jahrhunderts  durch  Duns  Scotus  eingeleitet,  in  Wilhelm 
von  Occam  gipfelnd,  tritt  als  Skeptizismus  und  neuer  Nominalismus 
der  realistischen  Scholastik  entgegen.  Beide  finden  sich  gleichsam 
vorgebildet  in  Franziskus  selbst:  die  mystische  in  seinem  Gefühls- 
leben, die  skeptische  in  seiner  ihrem  eigentlichen  Gehalte  nach 
antikatholischen  Anschauung  von  der  freien  Berechtigung  indivi- 
dueller religiöser  Ueberzeugung  gegenüber  der  kirchlichen  Autorität. 
Denn  es  muß  hier  wiederum  hervorgehoben  werden,  daß  der  in 
der  Bestätigung  des  Minoritenordens  zwischen  der  Kirche  und  den 
Waldensern  vollzogene  Kompromiß  die  Verbindung  zweier  hete- 
rogener Elemente  war.  Franz  selbst  ist  sich  dessen  gar  nicht  be- 
wußt geworden,  die  mildere  Parthei  seiner  Nachfolger  akkommodirte 
sich  selbst  im  Abfall  von  der  strengeren  Regel  den  geheimen 
Forderungen  kirchlicher  Hierarchie,  die  Spiritualen  aber,  je  strenger 
sie  an  den  eigentlichen  Intentionen  des  Stifters  festhielten,  mußten 
mit  der  Verstandeskritik  derselben  zur  offenen  Opposition  gegen 
die  Kirche  gelangen.  Die  Päpste  geriethen  nothwendig  gegenüber 
diesen  zwei  Folgerungen ,  die  aus  der  Religion  des  Franz  ge- 
zogen wurden,  in  eine  schwierige  Situation.  Da  Franz  einmal,  wie 
er  war,  heilig  gesprochen  worden,  mußte  der  strengeren  Auf- 
fassung seiner  Anschauungen  ebenso  gut  wie  der  milden  die  Be- 
rechtigung zugestanden  werden,  und  doch  wollte  dieselbe  sich  nicht 


4IO 


Die  Franziskaner. 


dem  kirchlichen  Dogma  anbequemen.  Ein  ungewisses  Schwanken, 
was  zu  thun  sei,  macht  sich  in  den  Bullen  Nikolaus'  III.  wie  Jo- 
hannes' XXII.  deutlich  bemerkbar.  Man  giebt  der  einen  Parthei 
Recht  und  dann  wiederum  der  anderen  Recht,  behält  aber  die 
volle  Sympathie  doch  für  die  gut  katholischen  ,fratres  de  communi- 
tate'.  Der  Konflikt  spitzt  sich  im  Laufe  des  XIII.  Jahrhunderts  zu, 
Bonaventura  nimmt  eine  vermittelnde  Stellung  ein.  Während  er  in 
der  Praxis  den  Spiritualen  Recht  giebt,  vertritt  er  als  Theoretiker 
doch  den  strenggläubigen  Standpunkt  der  fratres  de  communitate. 
Im  Anfang  des  XIII.  Jahrhunderts,  als  es  in  Avignon  zu  offenem 
Kampfe  kommt,  zieht  die  Zelantenpartei  die  bis  dahin  kaum  ge- 
ahnte letzte  Konsequenz  ihrer  Lehrmeinung:  die  Opposition  gegen 
Papstthum  und  Hierarchie  und  wird  sich  derselben  in  den  Schriften 
Wilhelm's  von  Occam,  des  venerabilis  inceptor,  bewußt,  der 
Anfangs  Lehrer  in  Paris,  später  seit  1328  am  Hofe  des  gastfreund- 
lichen Ludwig  von  Bayern  sich  aufhielt. 

Dieser  Bruch  mit  dem  Papstthum  wird  zugleich  der  Bruch  mit 
der  Scholastik ,  denn  waren  schon  die  alten  Nominalisten ,  gleich 
der  erste :  Roscellin ,  in  Opposition  zur  Rechtgläubigkeit  getreten, 
so  stürzt,  wie  Lange  in  seiner  Geschichte  des  Materialismus  betont 
hat,  die  analytische  Denkweise  Occam's  die  Hierarchie  der  Begriffs- 
welt. Er  bahnt,  ein  Revolutionär  in  der  Mönchskutte,  die  neue 
Weltanschauung  der  Baco  von  Verulam ,  Hobbes  und  Locke  an. 
Der  gesunde  Menschenverstand  erhob  sich  über  die  spitzfindigen 
Grübeleien ,  die  vergeblich  das  Wissen  und  den  Glauben  zu  ver- 
einen suchten.  Mit  der  Herrschaft  der  Realität  der  allgemeinen 
Ideen,  zu  deren  Verherrlichung  Thomas  von  Aquino  sein  gewaltiges 
Gebäude  der  , summa  totius  thcologiae'  errichtet,  war  es  vorbei, 
mochten  auch  inferiore  Nachbeter  von  dessen  imposanter  ge- 
schlossener Weisheit  mit  kraftlosem  Arme  sie  zu  vertheidigen 
suchen.  Die  sinnlichen  Einzeldinge  waren  für  Occam  das  einzig 
Substantielle ,  die  allgemeinen  Ideen  Nichts  als  zusammenfassende 
Ausdrücke  für  dieselben.  Mit  diesem  Grundzuge  seiner  Denkweise 
hängt  es  innig  zusammen,  daß  er  den  Bund  der  Philosophie  mit 
der  Theologie  für  eine  Unmöglichkeit  halten  mußte,  daß  er  die 
Religion  auf  das  Gebiet  der  Praxis  zu  verlegen  wagte.  ^) 


^)  Vergl.    die     Quaestiones    super    libros    IV    Sententianim    Centiloquium    theol. 
Lyon   1495. 


Die  wissenschaftlichen  Bestrebungen  der  Franziskaner.  41 1 

An  Bedeutung  ihm  nicht  vergleichbar,  hat  doch  Duns  Scotus, 
der  doctor  subtilis,  der  in  Oxford,  Paris  und  Köln  gelehrt  hat  und 
1208  gestorben  ist,  Etwas  von  dem  Geiste  des  Occam.  Auch  er 
hat  die  Unvereinbarkeit  der  Verstandeserkenntniß  mit  der  göttlichen 
Offenbarung  erkannt,  aber  auf  andere  Weise  den  Ausweg  zu  finden 
geglaubt,  innerhalb  der  Grenzen,  welche  der  kirchliche  Glaube 
gebot.  ^)  Sah  er  auf  der  einen  Seite  in  den  Offenbarungen  Gottes 
einen  willkürlichen  Akt  desselben ,  so  ließ  er  auf  der  anderen  den 
Menschen  ursprünglich  frei  sein,  was  ihm  von  seinen  Gegnern  den 
Vorwurf  des  Pelagianismus  zuzog.  Statt  wie  Occam  die  Wirklich- 
keit der  Universalia  selbst  zu  leugnen,  hielt  er  am  Realismus  fest, 
fand  aber  in  seiner  Spitzfindigkeit  eine  neue,  geklügelte  Auffassung 
für  das  Verhältniß  der  Einzeldinge  zu  den  allgemeinen  Ideen,  indem 
er  das  Allgemeine  sowohl  der  Möglichkeit,  als  der  Wirklichkeit 
nach  in  den  Objekten  gegründet  sein  ließ.  Das  Allgemeine  wie 
das  Einzelne  löste  sich  ihm  schließlich  in  ein  Gemeinsames :  die 
Realität  auf,  —  welche  Ansicht  doch  als  ein  gewissermaßen  ver- 
hehlter Nominalismus  von  derjenigen  Occam's  nicht  allzu  weit  ent- 
fernt ist.  Seine  Tendenz  richtete  sich  direkt  gegen  Thomas  von 
Aquino ,  und  dessen  Anhänger  haben  den  Fehdehandschuh  auf- 
genommen. In  den  unfruchtbaren  Streitigkeiten  der  Thomisten  und 
Scotisten  werden  die  letzten  Kräfte  der  Scholastik  aufgebraucht. 

Früher  aber  noch  als  Duns  Scotus  und  Wilhelm  von  Occam 
hat  ein  großer  Denker,  der  die  Franziskanerkutte  trug,  aber  mit 
seinem  Orden  zerfallen  ist,  von  einsamer  Höhe  hingewiesen  auf 
eine  Art  der  Naturerforschung,  die  seinen  Zeitgenossen  das  Hirn- 
gespinnst  eines  Wahnsinnigen  schien:  Roger  Bacon.  Er  hat 
Geheimnisse  in  der  Natur  geahnt,  die  man  erst  in  diesen  zwei 
letzten  Jahrhunderten  belauscht  und  der  Menschheit  zu  Nutzen  ver- 
werthet  hat.  Er,  der  Erste,  hat  im  Drange  nach  der  Erkenntniß 
den  Weg  des  Heiles  in  der  experimentellen  Beobachtung  erkannt. 
Unverstanden,  in  bitterem  Kampfe  ist  er  zu  Grunde  gegangen.  Ein 
Franziskaner,  ja !  ist  Roger  Bacon  gewesen  —  was  er  aber  gewesen, 
dankt  er  wohl  nur  zum  kleinen  Theil  den  Franziskanern.^) 

So  wichtig  die  Betrachtung  dieser  oppositionellen  Franziskaner- 


^)  Vergl.  die  Quaestiones  in  libros  IV  Sent.  in  den  Opera  (Wadding,  Lyon  1639). 
^)  "Vergl.    das    Opus   malus.      Ausgabe   von    1733,    London.    —    Opera.     Brewer. 
London  1859. 


412 


Die  Franziskaner. 


Philosophie  für  die  Geschichte  des  modernen  menschlichen  Denkens 
ist,  so  wenig  Bedeutung  hat  sie  doch  für  die  Geschichte  der  mo- 
dernen Kunst.  Es  möge  genügen,  nur  kurz  noch  auf  die  merk- 
würdige Thatsache  hinzuweisen,  daß  der  Anstoß,  den  Franz  in- 
direkt zur  Entwicklung  einer  neuen  philosophischen  Weltanschauung 
gegeben,  zu  gleicher  Zeit  in  Wirkung  tritt,  wie  der  Anstoß,  den 
die  Entwicklung  einer  neuen  künstlerischen  Weltanschauung  ihm 
verdankt.  Zu  derselben  Zeit  fast,  in  welcher  Occam  seine  ,quaestiones 
super  libros  quattuor  Sententiarum'  und  sein  ,centiloquium'  schreibt, 
malt  Giotto  seine  Fresken  in  den  italienischen  Franziskanerkirchen. 
Ist  es  zu  kühn,  ein  Gemeinsames  in  den  Bestrebungen  der  beiden 
großen  Neuerer  zu  sehen.''  Aeußert  sich  nicht  in  Beiden  der  ge- 
sunde Menschenverstand  gegenüber  der  alten  Beschränktheit  des 
Formelwesens  ?  Suchen  sie  nicht  Beide  ihr  Heil  in  dem  sinnlichen 
Erfassen  der  konkreten  Einzeldinge  der  Außenwelt?  Sind  sie  nicht 
Beide  Naturalisten  im  guten  Sinne  des  Wortes .?  Ich  meine :  eine 
und  dieselbe  Kraft  hat  den  Künstler  und  den  Denker  hervorgerufen; 
die  wunderbare,  in  Franziskus  am  stärksten  pulsirende  Kraft  jener 
Zeit,  die  man  am  kürzesten  die  Kraft  des  individuellen  Gefühles 
nennen  darf  Ihre  erste  Wirkung  ist,  daß  das  Individuum  sich  als 
solches  Gott,  der  Natur  und  dem  Menschen  gegenüber  bewußt 
wird,  die  zweite,  daß  es  dieses  Bewußtsein  in  seinem  Denken  sub- 
jektiv der  Außenwelt  gegenüber  geltend  macht.  Indem  es  die 
Dinge  so  auffaßt ,  wie  sie  ihm  erscheinen ,  werden  sie  ihm  zur 
Realität  und  verflüchtigt  sich  das  Allgemeine  der  Gattung  zu  einem 
Begriff,  der  nur  als  Norm  des  individuellen  Denkens  Wirklichkeit 
erhält.  Eben  diese  neue  Weltanschauung  hat  im  Denker  Occam, 
wie  im  Maler  Giotto  sich  zuerst  offenbart!  Während  sie  aber  bei 
Jenem  zunächst  das  Alte  zerstörend  und  negirend  auftritt,  er- 
scheint sie  bei  Diesem  positiv  schöpferisch. 

Ist  es  uns  aber  so  gelungen,  den  ersten  Antrieb  zu  der  neuen 
Denkrichtung  in  dem  Gefühlsleben  des  Franz  aufzufinden,  so  werden 
wir  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  auch  dem  großen  mystischen 
Franziskanerphilosophen  des  XIII.  Jahrhunderts  und  damit  der  älteren 
mystischen  Franziskanertheologie  gerecht  werden  können.^)  Johannes 


^)  Es  existirt  eine  ziemlich  große  Litteratur  über  ihn,  aus  der  ich  nur  die  für 
unsere  Zwecke  bequem  zu  benutzenden  Bücher  herausgreife :  Ozanam :  Dante  et  la 
Philosophie  catholique.  Ital.  Uebers.  Neapel  1841.  —  Ders. ;  Italiens  Franziskaner- 
dichter.      Uebers.   v.    Julius,    Münster  1853.      S.   108.  —   W.  C.  Hollenberg:    Studien 


Die  wissenschaftlichen  Bestrebungen  der  Franziskaner.  413 

Fidanza  Bonaventura,  1221  zu  Balneoregium  geboren  und  als 
dreijähriger  Knabe  durch  die  Fürbitte  des  Franz  aus  einer  schweren 
Krankheit  gerettet,  hat  im  22.  Lebensjahre,  das  Gelübde  seiner 
Mutter  zu  erfüllen,  die  Minoritenkutte  angezogen  und  sich  fortan 
der  strengsten  Askese  befleißigt.  1243  bereits  ward  er  von  den 
Oberen  nach  Paris  gesandt,  wo  er  den  Unterricht  des  Alexander 
von  Haies  bis  1245  genoß.  Zu  gleicher  Zeit,  als  Thomas  von  Aquino 
die  Ehre  des  doctoratus  erfuhr:  1253  erhielt  er  einen  Lehrstuhl  der 
Theologie  und  1256  das  Generalat  des  Ordens,  für  den  er  in  den 
Kapiteln  zu  Narbonne  1260,  zu  Pisa  1263,  zu  Paris  1266,  zu  Assisi 
1269,  zu  Pisa  1272  in  der  thatkräftigsten  Weise  sorgte.  Die  ihm 
1265  angebotene  Würde  eines  Erzbischofs  von  York  lehnte  er 
demüthig  ab,  wie  er  überhaupt  den  Vorschriften  des  Franz  in  seinem 
ganzen  Leben  durchaus  gerecht  geworden  ist.  Zur  Zeit  des  Konzils 
1274  ist  er,  der  doctor  seraphicus,  von  seinen  Zeitgenossen  tief 
beklagt,  in  Lyon  gestorben, 

Bonaventura's  Bedeutung  liegt  nicht  in  einer,  kaum  nach- 
weisbaren, Anregung,  die  seine  platonisch -dialektische  Weltan- 
schauung gegeben  hätte,  sondern  in  der  praktischen  Wirkung,  die 
seine  Mystik  auf  das  individuelle  Empfinden  und  damit  auf  das 
individuelle  Bewußtsein  seiner  Zeitgenossen  hervorgebracht.  Mit 
ihr  beschleunigte  und  verstärkte  er  die  Strömung ,  die  von  Fran- 
ziskus ausgegangen  war.  Wenn  auch  nur  ein  Vermittler,  hat  er 
doch  als  solcher  und  als  Mensch  von  edelster  Vornehmheit  einen 
hervorragenden  Einfluß  auf  die  Dichtung  und  Kunst  Italiens  ge- 
wonnen. Ist  doch  deren  Inhalt  jene  glühende,  göttliche  Liebe,  die, 
an  der  Feuerseele  des  Franziskus  entzündet,  dem  Dichter  ein  neues 
beglückendes  Ideal  wird ,  die  aus  den  sinnlichen  Banden  heraus 
Dante  zu  der  Schlußerscheinung  der  ,vita  nuova'  und  weiter  im 
himmelanstrebenden  Fluge  durch  Hölle  und  Fegefeuer  zur  ewigen 
Gottesanschauung  emporführt.  Die  Anschauung,  die  Contemplatio, 
das  ist  das  Streben,  das  Endziel  jeder  mystischen  Gottesverehrung. 
Aus  dem  Worte  schon  ließe  sich  auf  das  künstlerische  Element, 
das  ihr  eigen,  schließen.  So  hoch  sich  schließlich  der  Mystiker  in 
dem    grenzenlosen  Gefühl   des  Einsseins   mit  Gott  über   alle  Wirk- 


zu  Bonaventura.  Berlin  1862.  —  Es  ist  jetzt  eine  neue  Ausgabe  der  Werke  in  Italien 
veröffentlicht  (Ratio  Novae  Collect.  Opp.  S.  B.  Turin  1874).  Ich  benutze  die  Ausgabe: 
Paris  Peltier,  die  in  den  sechziger  Jahren  erschienen. 


414 


Die  Franziskaner. 


lichkeit  der  Zeit  und  des  Raums  erhebt,  so  ruft  er  sich  doch,  um 
zu  solcher  Höhe  zu  gelangen ,  zuerst  die  Bilder  vor  die  Seele ,  in 
deren  Anschauung  er  die  zerstreuten  Geisteskräfte  zur  einheit- 
lichen Thätigkeit  sammelt.  Das  ist  die  erste  Stufe  der  Erkenntniß 
Gottes,  wie  Bonaventura  dieselbe  in  seinem  ,Itinerarium  mentis  in 
Deum'  bespricht :  als  Erkenntniß  Gottes  aus  den  Geschöpfen  und 
seinem  Sein  in  der  Schöpfung.  Die  Anschauung,  die  sich  kraft 
der  sensualitas  mit  der  materia  beschäftigt,  ^)  nun  —  diese  niederste 
contemplatio  ist  doch  zugleich  die  des  bildenden  Künstlers ,  und 
die  Seelenkräfte ,  die  Bonaventura  sich  bei  ihr  äußern  läßt ,  der 
sensus  und  die  imaginatio  sind  die  maßgebenden  Faktoren  beim 
künstlerischen  Schaffen.  Von  der  Außenwelt  ab  aber  wendet  sich  der 
Mystiker,  auf  der  zweiten  Stufe  Gott  aus  seinem  eigenen  Geiste  zu 
erkennen.  Die  eigene  intelligentia  wird  das  Objekt  der  durch  den 
Spiritus  sich  vollziehenden  Anschauung.  Diese  Stufe  aber  kann 
recht  gut  wohl  zugleich  den  Standpunkt  des  denkenden  Dichters 
bezeichnen.  Die  letzte  höchste  Erkenntniß  Gottes  aber  wird  in  der 
Spekulation  über  Gott  als  absolutes  Sein  und  höchstes  Gut  erreicht. 
Die  mens  vertieft  sich  in  die  direkte  Anschauung  des  Göttlichen. 
Und  mit  dieser  Thätigkeit  läßt  sich  wohl  keine  andere  Kunst  eher 
vergleichen ,  als  jene ,  welche  die  christliche  Phantasie  allein  von 
jeher  in  die  himmlischen  Sphären  verwiesen  hat,  in  welcher  die 
ewige  Harmonie  mehr  als  in  den  anderen  Ausdruck  hienieden  ge- 
funden hat:  die  Musik.  So  läßt  es  sich,  ohne  daß  man  darüber 
selbst  zum  Mystiker  zu  werden  brauchte,  wohl  behaupten,  daß  der 
Mystiker  alle  Eigenschaften  des  Künstlers  in  sich  trägt.  Was 
Wunder,  wenn  er  auf  bildende  Kunst,  Dichtkunst  und  Musik  an- 
regend und  bildend  gewirkt? 

Der  Mystizismus  aber  mußte  mit  seiner  sinnlichen  Neigung 
zur  bildlichen  Veranschaulichung  der  göttlichen  Offenbarungen  von 
Beidem :  dem  Uebernatürlichen  und  dem  Natürlichen  in  der  christ- 
lichen Religion  sich  Bilder  machen.  So  kam  er  auf  der  einen 
Seite  zur  Allegorie,  auf  der  anderen  zur  lebhaften  Anschauung  des 
Erdenlebens  Christi  und  seiner  Nachfolger.  Hatte  die  ältere  Mystik, 
deren  Begründer  Dionysius  Areopagita  war,  in  ihren  hauptsäch- 
lichsten Vertretern  Richard  von  St.  Victor  und  Hugo  von  St.  Victor 
ihr  Wesentliches  in  der  biblischen  Allegorie  gefunden,   so  tritt  bei 


1)  Opera  Peltier :  Bd.  XII.  S.   3  l. 


Die  Predigt  der  Franziskaner.  415 

Bonaventura ,  oder,  falls  man  die  ,meditationes  vitae  Christi',  wie 
nicht  mit  Unrecht  geschieht,  Diesem  abspricht,  bei  einem  ihm  nahe- 
stehenden Franziskaner,  dem  in  dieser  Beziehung  Bernhard  von 
Clairvaux  bedeutungsvoll  vorangegangen  war,  auch  die  menschlich 
natürliche  Betrachtungsweise  in  ihre  Rechte.  Im  Volke  durch  Fran- 
ziskus wachgerufen,  fand  sie  mächtige  Nahrung  namentlich  durch 
jenes  vielgelesene  Buch  Bonaventura's,  das  wir  noch  näher  kennen 
lernen  werden.  Die  Dichtkunst  zuerst  neben  der  Predigt  nahm  die 
Anregung  auf  und  wirkte  dann  ihrerseits  wiederum  im  Verein  mit 
Bonaventura's  Schriften  auf  die  bildende  Kunst.')  Binnen  Kurzem 
ward  die  mystisch  -  natürliche  Kontemplation  ein  Gemeingut  des 
Volkes,  und  in  jugendlicher  Schöne  feiert  in  Poesie  und  Bildwerken 
das  Neue  Testament  seine  Auferstehung.  Neben  dem  evangelischen 
Stoff  aber  erhielt  dann  auch  die  Allegorie  in  einer  neuen  sinn- 
licheren, dem  Volke  verständlicheren  Form  einen  Ehrenplatz  in 
Dichtung  und  Kunst.  Zugleich  gewann  die  Verehrung  der  Maria, 
die  während  des  XII.  Jahrhunderts  immer  stärker  um  sich  gegriffen 
hatte,  einen  ganz  besonderen  Aufschwung  durch  die  Franziskaner, 
der  sich  namentlich  in  der  Dichtung  Jacopone's  offenbart.  Ja  man 
könnte  sagen,  sie  tritt  für  eine  Zeit  selbst  vor  den  Kultus  Christi 
in  den  Vordergrund.  Die  von  Bonaventura  behauptete  ,unbefleckte 
Empfängniß'  ward  später  Partheisache  der  Scotisten  gegenüber  den 
Thomisten.  Größeren  Werth  aber  als  die  Dogmen  hatte  fiir  Kunst 
und  Dichtung  die  fast  menschliche  Liebe,  mit  der  Franziskus, 
Bonaventura  und  andere  große  Männer  des  Volkes  an  der  Mutter 
Gottes  hingen. 

Im  Anschluß  an  diese  zweifache  Richtung  der  Franziskaner- 
mystik sollen  dann  später  einerseits  die  Darstellungen  der  christ- 
lichen Legende,  andrerseits  die  allegorischen  Darstellungen  der 
jugendlichen  italienischen  Kunst  betrachtet  werden,  nachdem  zu- 
nächst noch  ein  Blick  auch  auf  die  Predigt  und  die  Dichtung  der 
Franziskaner  geworfen  wurde. 

III.   Die  Predigt  der  Franziskaner. 

,,Ich  han  ouch  ein  amt:  predigen  ist  min  amt",  sagt  Berthold 
von  Regensburg  einmal,  als  er  von  dep  verschiedenen  Pflichten  der 


^)  Hierauf  hat  auch  H.  Hettner  in  seiner  erwähnten  Studie  über  die  Franziskaner 
in  der  Kunstgeschichte  besonders  aufmerksam  gemacht. 


Ai6  Die  Franziskaner. 


Menschen  redet.  Die  Predigt  war  der  eigentliche  Beruf  des  Fran- 
ziskaners. Als  Petrus  Waldus  die  Berechtigung  der  freien  Predigt 
gefordert,  hatte  er  nur  dem  allgemeinen  Wunsche  des  Volkes  Aus- 
druck gegeben.  Durch  Franz  war  die  Kirche  sich  bewußt  geworden, 
was  ihr  selbst  und  was  dem  Volke  Noth  that,  und  sie  entsandte 
in  den  Bettelmönchen  die  volksthümlichen  Verkündiger  der  christ- 
lichen Lehre.  Solche  Predigt  hat  es  von  Neuem  dargethan ,  wie 
einst  in  den  apostolischen  Zeiten,  daß  das  Evangelium  von  Anfang 
an  für  die  Armen  an  Geist  bestimmt  war,  daß  es  unerschöpfliche 
Segnungen  der  Menschheit  immer  von  Neuem  bringt,  wenn  es  nur 
seinem  eigensten  Inhalte  nach  einfach  und  lauter  verkündet  wird. 
Sein  schlichtes  Ethos  umfaßt  in  dem  kurzen  Satze:  ,, Liebe  deinen 
Nächsten  wie  dich  selbst"  Alles,  was  den  Menschen  in  seinem 
Erdenleben  glücklich,  frei  und  groß  machen  kann.  Alle  Normen 
des  Handelns  und  Denkens  erstehen  aus  diesem  Einen  Grund- 
prinzipe.  Jede  christliche  Moralpredigt  ist  eine  Predigt  von  der 
Liebe  —  und  hat  es  jemals  solche  lautere  Predigten  von  der  Liebe 
gegeben,  so  waren  es  die  der  Franziskaner !  In  Franz  herrscht  nur  Ein 
Gefühl :  die  Liebe,  und  dieses  hat  er  mitgetheilt,  wohin  er  gekommen. 
Dieses  hat  ihm  im  Sturm  die  Herzen  eines  ganzen  Volkes  erobert, 
weil  es  unwiderstehlich ,  weil  es  die  besten  Gefühle  in  jedem  Ein- 
zelnen erweckte.  Wie  ein  warmer  Sonnenschein  strömte  es  über 
die  Welt  und  Jeder,  der  Arme  wie  der  Reiche,  durfte  sich  un- 
gestraft an  seiner  Kraft  erfreuen.  Die  Menschheit  eilte  in's  Freie 
hinaus,  und  da  schien  Alles  verwandelt  wie  nach  langer,  grauer 
Regenzeit :  in  leuchtendem  Grün  prangten  die  Bäume  und  Sträucher, 
in  bunten  Farben  blühten  die  Blumen,  über  den  blauen  Himmel 
zogen  die  luftigen  weißen  Wolkengebilde  und  die  dunklen  Wälder 
schallten  wieder  vom  Sänge  der  Vögel.  Wie  schön  war  doch  die 
Welt,  wie  glücklich  der  Mensch,  sie  mit  allen  seinen  Sinnen  ge- 
nießen zu  dürfen  —  wie  gütig  der  Gott,  der  ihm  Alles  zur  Freude 
geschaiTen !  Da  ward  der  Gedanke  zum  Jubel  und  der  Jubel  zum 
Gebet  und  das  Gebet  zum  Vorsatz,  den  liebenden  Schöpfer  wieder 
zu  lieben,  ihm  die  Güte  zu  vergelten,  die  er  dem  Menschen  angethan. 
Der  Gottesdienst  selbst  verließ  die  geweihten  Stätten  der  Kirche, 
hinaus  in  die  Natur  zu  treten  —  von  dem  frischen  Athemzuge  in 
ihr  gestärkt  und  geläutert ,  kehrte  er  wieder  zurück.  So  oft  wir 
von  den  Predigten  der  Bettelmönche  lesen,  hören  wir,  daß  sie  im 
Freien  gehalten  wurden,  daß  Tausende  sich  auf  dem  Felde  draußen 


Die  Predigt  der  Franziskaner.  417 

vor  der  Stadt  um  den  geliebten  Prediger  versammelten.  Da  war 
es  ihm  möglich,  durch  den  steten  Hinweis  auf  die  Natur  bei  seinen 
Zuhörern  jene  innige  Befriedigung  hervorzurufen,  die  jede  nahe  Be- 
rührung mit  derselben  gewährt,  es  war  ihm  möglich,  in  Wort  und 
Geberde  durch  den  Vergleich  und  den  Hinweis  jene  Anschaulichkeit 
der  Rede  zu  erreichen,  die  allzeit  die  größte  Wirkung  auf  das  Volk 
gehabt  hat.  Und  dasselbe  Gefühl,  als  befänden  wir  uns  unter  freiem 
Himmel,  haben  wir  noch  heute,  wenn  wir  jene  Reden  des  Bruder 
Berthold  von  Regensburg  lesen ,  die  uns  eine  so  lebendige  An- 
schauung von  der  Franziskanerpredigt  überhaupt  geben. 

Die  Predigt  war  in  der  vorhergehenden  Zeit  von  den  gottes- 
dienstlichen Mysterien  fast  ganz  in  den  Hintergrund  gedrängt  worden 
und  hatte  allmählich  einen  durchaus  doktrinären  Charakter  an- 
genommen. Schon,  daß  sie  in  Latein  gehalten  wurde,  verhinderte 
ihre  Popularität.  Dazu  aber  kam ,  daß  man  sich  immer  mehr  in 
einer  allen  Regeln  des  gesunden  Menschenverstandes  zuwider- 
laufenden Weise  der  spitzfindigsten,  gesuchtesten  Worterklärungen 
befleißigte,  die  schließlich  Nichts  als  ein  müßiges  Spiel  übergelehrter 
Leute  wurden.  Die  außerordentliche  Kenntniß  der  heiligen  Schrift 
verleitete  dazu,  verborgene  Beziehungen  zwischen  den  verschiedensten 
Aussprüchen  herauszufinden.  Alles  und  Jedes,  was  im  Alten  Testa- 
ment zu  lesen  war,  mit  Rücksicht  auf  das  Neue  zu  deuten.  Der 
ganze  einfache  Inhalt  der  Bibel  ward  zu  einem  unauflöslichen  Knäuel 
von  unklar  symbolisch  und  allegorisch  durch  einander  gezogenen 
Ideen  verwirrt.  Man  erschrickt  vor  der  ungeheuerlichen  Unnatur 
solchen  Verfahrens ,  beschäftigt  man  sich  mit  den  Predigten  selbst 
so  hervorragender  Männer  wie  Innocenz'  III.  Die  Pflichtenlehre  und 
die  gemüthsvolle  Betrachtung  von  Christi  Leben  verflüchtete  sich 
vor  dieser  mühseligen ,  undankbaren  Verstandesarbeit  —  das  Volk 
konnte  für  solcherlei  unpraktische  Geistesprodukte  nicht  das  ge- 
ringste Verständniß  haben. 

Daneben  hat  es  gewiß  allezeit  eine  volksthümlichere  Predigt 
gegeben,  aber  diese  war,  wie  uns  der  Beschluß  des  Lateranensischen 
Konzils  von  121 5  deutlich  zeigt,  immer  mehr  abhanden  gekommen 
und  sehr  wahrscheinlicher  Weise  von  der  herrschenden  dogmatischen 
Denkweise  des  Klerus  gleichfalls  angekränkelt.  Nur  außerordent- 
liche Vorkommnisse ,  bei  denen  es  sich  um  eine  wahrhafte  Auf- 
regung des  Volkes  handelte,  zeitigten  auch  eigentliche  Volkspredigten. 
Bei  ungewöhnlichen  Naturereignissen  mochte  die  Mahnung  zur  Buße 

Thode,  Franz  von  Assisi.  27 


411 


Die  Franziskaner. 


lauter  und  eindringlicher  erschallen,  die  Aufforderung  zu  den  von 
Gott  selbst  gewollten  Kreuzzügen  wußte  in  zündenden  Worten  den 
heiligen  Muth  zu  entflammen.  Aber  das  Alles  genügte  nicht  —  das 
Volk  verlangte,  wie  es  von  jeher  gethan,  die  tägliche  Aufmunterung, 
es  wollte  in  dem  sinnlichen  Drange  seines  Gefühles  dessen  Be- 
friedigung in  einer  faßbaren  Darstellung  aller  seiner  Pflichten,  in  einer 
bilderreichen  Veranschaulichung  der  christlichen  Legenden  finden, 
es  wollte  seine  eigenen  Prediger  haben,  die  seine  Sprache  redeten, 
die  an  seinen  Schmerzen  und  Freuden  theilnähmen,  es  wollte  strenge 
und  doch  milde  Sittenmahner  —  die  Franziskaner  haben  dies  Alles, 
was  das  Volk  ersehnte,  erfüllt.     Daher  ihr  beispielloser  Einfluß! 

Von  Franz  selbst  sind  leider,  aber  sehr  erklärlicher  Weise, 
ebensowenig  wie  von  seinen  vielen  ausgezeichneten  Schülern  Pre- 
digten erhalten.  Wer  in  den  Werken  des  Antonius  von  Padua  und 
Bonaventura  auf  die  ,sermones'  stößt,  voll  freudiger  Erwartung  an 
ihr  Studium  geht,  wird  sich  bitter  enttäuscht  finden,  da  diese  Pre- 
digten sich  so  gut  wie  gar  nicht  von  jenen  oben  besprochenen 
geklügelten  Verstandeserzeugnissen  unterscheiden.  Unmöglich  kön- 
nen das  jene  Volksreden  gewesen  sein ,  die  der  nach  Franz  von 
Allen  am  meisten  bewunderte  und  geliebte  Antonius  vor  den 
Thoren  der  Stadt  Padua  gehalten.  Obgleich  ein  Spanier  von  Ge- 
burt, so  erzählt  die  alte  vita  ^),  sprach  er  doch  das  Italienische  so 
fließend,  als  wäre  er  nie  außerhalb  Italiens  gewesen.  Seine  gelehrte 
Bildung  befähigte  ihn,  den  Dominikanern  gleich,  sich  in  siegreiche 
Disputationen  mit  den  Ketzern  einzulassen,  zugleich  aber  wußte  er 
das  ungebildete  Volk  bis  in's  tiefste  Innere  zu  erschüttern.  Erfuhr 
es  davon,  daß  er  predigen  würde,  so  brach  es  schon  in  der  Nacht 
vorher  in  entfernten  Städten  und  Flecken  auf  und  eilte  beim  Licht 
der  Fackeln  nach  dem  Felde  dicht  bei  Padua,  wo  er  zu  reden 
pflegte.  An  dreißig  Tausend  Menschen  konnte  man  da  versammelt 
sehen,  die  Kaufleute  schlössen  ihre  Läden,  so  lange  er  sprach,  ver- 
gaßen Gewinn  und  Handel  und  liefen  mit  den  Frauen  und  Kindern 
hinaus.  Hatte  er  dann  geendigt,  so  war  er  in  Gefahr,  von  allen 
den  Leuten  erdrückt  zu  werden ,  die  sich  glücklich  schätzten, 
konnten  sie  nur  sein  Gewand  berühren,  und  starke  Männer  mußten 
dem  Andrang  wehren.    Ergriffen  von  den  mahnenden  Worten  eilte 


^)  In  den  Opera  S.  Francisci  und  S.  Antonii.     Hsg.  v.  J.  de  la  Haye.     Regens- 
burg.   1739.  Cap.  XIII,  auch  Cap.  XII. 


Die  Predigt  der  Franziskaner.  4IQ 

man  in  die  Kirchen,    die  Sünden  zu  beichten,   so  daß  der  Beicht- 
stühle und  der  Priester  nicht  genug  waren. 

Und  er  war  nur  Einer,  freilich  der  Größte,  unter  den  gottes- 
begeisterten Männern ,  denen  das  Volk  zuströmte.  Salimbene  hat 
uns  die  Namen  von  Einzelnen  erhalten,  von  einem  Girardus  de 
Modena^),  einem  Fr.  Hugo  de  Bareola,  der  von  den  Lom- 
barden Hugo  de  Montepesulano  genannt  wurde  und  ,, Wunderdinge 
zu  sagen  wußte  von  dem  Himmelshofe ,  nämlich  der  Glorie  des 
Paradieses,  und  Schreckliches  von  den  höllischen  Strafen",  von 
dem  Dominikaner  Johannes  von  Vicenza;  mit  besonderer 
Bewunderung  aber  spricht  er  vom  Bruder  Berthold  von  Regens- 
burg, dessen  Ruhm  über  die  Alpen  gedrungen  war.  Es  ist  ein 
glückliches  Geschick,  daß  Sammlungen  von  Berthold's  Reden,  deut- 
schen und  lateinischen,  sich  erhalten  haben.  Diese  herrlichen  Werke, 
die  für  immer  eine  Zierde  der  deutschen  Litteratur  bleiben,  haben 
neben  der  sprachlichen  und  litterarischen  Bedeutung  den  größten 
Werth  für  den  Kulturhistoriker,  der  nur  aus  ihnen  einen  Begriff 
sich  bilden  kann,  welcher  Art  die  Volkspredigt  der  großen  Franzis- 
kaner gewesen  sei.  Und ,  läßt  sich  hinzufügen ,  sie  können  noch 
jetzt  als  Muster  wirksamer  Volkspredigten  gelten  und  verdienten 
noch  heute  von  den  Kanzeln  unserer  Dorfkirchen  gelesen  zu  wer- 
den. Sie  würden  von  Neuem  mit  ihrer  keine  Mühe  scheuenden 
echten  und  allgemeinen  christlichen  Liebe,  ihrer  praktischen  Moral 
Gutes  wirken  *vie  vor  sechshundert  Jahren,  da  sie  ihrem  Geiste 
nach  jung  geblieben  sind,  wie  das  Evangelium,  das  sie  verkünden. 
Sie  haben  dieselbe  Eindringlichkeit  wie  Luthers  Predigten,  aber  vor 
diesen  objektiv  betrachtet  noch  dies  Eine  voraus,  daß  sie  eine 
gültige  und  anerkannte  allgemeine  Glaubensanschauung,  die  schließ- 
lich trotz  der  Verehrung  der  Heiligen,  trotz  Fegefeuer  und  trotz 
der  sieben  Sakramente  ebenso  gut  protestantisch  als  katholisch  ist, 
verkündigen.  Die  Polemik  richtet  sich  gegen  die  Sünden  allein, 
nicht  gegen  irrige  Auffassungen  der  Lehre,  und  ist  nicht  gerade 
solche  Polemik  vom  echt  christlichen  Standpunkte  aus,  dem  die 
guten  Werke  nur  als  Ausfluß  der  guten  Gesinnung  schätzen s werth 
erscheinen,  allein  von  praktischem  Nutzen  für  die  weniger  gebildeten 
Klassen,  heute  so  gut  wie  ehemals }  —  Berthold  hat  in  Regensburg 
seine  Erziehung  bei  dem  edlen  David  genossen,  ist  schon  vor  1246 

1)  Chronik  S.   35. 

27* 


A20  ^^^  Franziskaner. 


Mönch  geworden,  hat  dann  seit  1250  in  Alemannien,  im  Elsaß,  der 
Schweiz ,  in  Oesterreich ,  Schlesien ,  Mähren ,  Böhmen  gewirkt  und 
ist   1272  gestorben. 

Eine  christlich  humane  Gesinnung  —  darin  liegt  der  Zauber 
und  die  Bedeutung  seiner  Predigten !  Als  wichtige  erhaltene  Bei- 
spiele volksthümlichen  Wirkens  verlangen  sie  hier  nähere  Be- 
achtung, da  dieselbe  Gesinnung  der  Kunst  der  Worte,  wie  der 
bildenden  Kunst  ihr  eigenstes  Gepräge  giebt ,  da  solche  Predigt 
nicht  nur  ein  Analogon  der  Malerei  Giotto's  ist,  sondern  lebendig 
fördernden  Antheil  an  deren  Entstehung  genommen  hat.  Sie  vor 
Allem  hat  im  Volke  die  kindliche  Freude  an  der  Natur  und  die 
herzlich  einfältige  Liebe  zu  dem  Bruder  Christus  genährt  und  ge- 
steigert, die  der  Ausgangspunkt  der  neueren  christlichen  Kunst 
wurde.  Betrachten  wir  daher  zunächst  den  Gehalt,  später  die 
künstlerische  Form  der  Franziskanerpredigt  Berthold's.  ^)  Zweierlei 
scheint  mir  besonders  charakteristisch  für  sein  Christenthum  zu 
sein:  die  natürlich  sinnliche  Auffassung  der  Glaubenslehre  einerseits 
und  andrerseits  die  vergeistigte  Auffassung  der  praktischen  Aeuße- 
rungen  wahren  Christenthums.  Mit  Hülfe  der  ersteren,  in  der  er 
sich  dem  geistigen  Vermögen  seiner  Hörer  akkommodirte ,  hob  er 
die  zweite. 

So  mußte  denn  das  Volk,  sollten  die  guten  Ermahnungen  nicht 
fruchtlos  bleiben,  zunächst  eine  klare  Anschauung  von  dem  Ver- 
hältniß  des  Menschen  zu  Gott  gewinnen.  Der  Schöpfer  in  seiner 
höchsten  Majestät  ist  ein  König,  der  über  alle  Könige  auf  Erden 
an  Macht  und  Reichthum  erhaben  ist.  Sein  Himmelreich  ist  so 
weit  und  so  schön,  daß  ,,alliu  disiu  werlt  ist  eine  kleine  dinc  wider 
dem  himelriche".  Da  regiert  er  nun  mit  großen  Freuden  und 
Wonnen  und  Ehren.  Um  aber  sich  selbst  recht  voll  zu  genießen, 
schuf  er  in  seiner  ewigen  Liebe  die  Engel  und  die  Menschen.  Von 
den  Engeln  jedoch  fiel  ein  Theil  in  Hochmuth  und  ward  von  ihm 
verstoßen  aus  dem  Palast.  Der  suchte  ihm  nun  Feindschaft  zu 
erregen  und  verführte  auch  die  Menschen  zum  Ungehorsam.  Deß- 
wegen  aber  liebt  der  mächtige  Herrscher  diese  noch  immer  und 
sucht  sie  wieder  in  sein  Reich  und  an  seinen  Hof  zu  ziehen,  denn 


^)  Nach  der  Ausgabe  von  Pfeiffer  und  Strobl :  B.  v.  R.  Vollst.  Ausgabe  seiner 
Predigten.  "Wien,  1862.  80.  Braumüller.  —  Vergl.  Scherer:  Literaturgeschichte  III.  Aufl. 
S.  234  ff.,  wo  weitere  Literaturangaben.    Unkel's  B.  v.  R.  konnte  ich  leider  nicht  benutzen. 


Die  Predigt  der  Franziskaner.  42 1 

„ein  künic  hat  gar  gerne  vil  Volkes  und  ist  des  fro  daz  er  vil  ge- 
sindes  hät".^)  Und  dem  Menschen  ist  das  wohl  möglich,  da  er 
„freie  Willkür"  hat,  das  Gute  oder  das  Böse  zu  thun,  und  Gott 
selbst  in  seiner  grenzenlosen  Güte  Mensch  geworden  ist,  die  Sünde 
Adam's  zu  sühnen  und  den  Weg  zum  Himmelreiche  im  heiligen 
Christenglauben  zu  weisen.  Wer  nun  die  Gebote  befolgt,  sich  vor 
Sünden  hütet  und  solche,  wenn  er  sie  gethan,  bereut  und  büßt, 
Der  wird  zur  Seligkeit  aufgenommen,  wer  es  nicht  thut.  Der  fährt 
in  die  Hölle.  Wie  es  aber  dreierlei  Volk  am  Hofe  des  irdischen 
Königs  giebt,  ,,povelvoik,  groze  herren  und  fürsten",^)  so  auch  am 
Himmelshofe.  Je  nach  den  Verdiensten  richtet  sich  dort  das  An- 
sehen. Die  Apostel  sind  die  großen  Fürsten,  die  Heiligen  die  vor- 
nehmen Herren  und  die  Mehrzahl  der  Frommen  bildet  das  niedere 
Volk.  Aber  selbst  ein  kleines  Winkelchen  ,, hinter  der  Thüre" 
droben  im  Palast  zu  erringen,  bedarf  es  großer  Treue  im  Dienste 
hier  auf  Erden.  ■^)  Von  der  Herrlichkeit  der  Stadt  verkündete  Jo- 
hannes in  der  Apokalypse:  ,,die  müre  was  gar  hoch  und  alliu  von 
edelem  golde,  und  die  in  der  stat  waren,  daz  waren  allez  künige 
und  heten  alle  kleider  an  als  die  sunne ,  und  was  allez  von  über- 
grozem  richtuom,  ir  kleider  und  ir  spise  der  engele  mäz.  Die  müre 
diu  was  zwelf  tusent  raste  hoch  und  als  dicke  und  als  lanc  und 
was  von  smaragden  und  karfunkeln.  Als  groze  freude  und  gezierde, 
des  waz  alles  wunder  da  von  übergrozer  und  von  und  als  edeler 
Wirtschaft:  unser  koche  kunnen  rehte  nihts  nit  dar  wider".*)  Die 
Freuden,  welche  der  Himmel  hat,  sind  wie  die  herrlichsten,  wohl- 
schmeckenden Speisen:  ewige  Jugend,  Erfüllung  jedes  Wunsches, 
Freude  ohne  Trauer,  Reichthum  ohne  Armuth,  Leben  ohne  Tod,  Ge- 
sundheit ohne  Krankheit,  Liebe  ohne  Haß,  Schönheit  ohne  Makel. ^) 
Ist  Gott  aber  ein  König,  so  ist  der  „juncherre"  Christus  sein 
königlicher  Sohn  und  Maria  eine  ,,küniginne".  „Die  woneten  also 
üf  dem  Ertriche  mit  so  gar  vollebrähten  tugenden,  daz  ir  fueze  an 
allen  stoup  bliben  fri  vor  allen  tegelichen  Sünden  an  gedenken,  an 
Worten  und  an  werken."**) 


1)  I,  S.  124. 

2)  II,  s.  212. 

3)  I,    S.    274. 

*)  n,  243. 

*)  I,   220  fif.      II,   244. 

•)  I,  429. 


422  Die  Franziskaner. 


Findet  Alles,  was  schön  und  herrlich  zu  denken  ist,  seine  Ver- 
wirklichung im  Himmel,  so  ist  das  höllische  Reich,  das  vom  Teufel 
und  seinen  Heerschaaren  bewohnt  wird,  so  voller  Qualen  und  Jam- 
mer, daß  kein  Mensch  es  sich  ausdenken  mag.  Aber  mit  so  er- 
schütternden Worten  Berthold  das  ausgemalt  hat,  so  allgemein 
bleibt  er  doch  in  der  Schilderung.  Von  den  verschiedenartigen 
Martern  des  Inferno  weiß  er  Nichts,  immer  ist  es  nur  die  unsag- 
bare Gluth  des  Feuers,  die  den  Verdammten  droht,  sind  es  glühende 
Spieße,  mit  denen  sie  durchbohrt  werden.  ^)  Aber  er  hat  auch  da- 
mit die  erwünschte  Wirkung  des  größten  Entsetzens  hervorgerufen. 
Er  sagt  dann  wohl:  ,,als  der  dise  stat  anzunte  unde  diu  alle  samt 
ein  hus  waere ,  so  waerez  doch  niht  danne  ein  fiwer.  Also  ist  ez 
ouch  umbe  dich,  mensche.  Ob  din  hüt  unde  din  här,  diniu  ougen 
unde  din  munt  unde  houbet  und  aller  din  lip,  bein  und  fleisch  und 
alliu  diniu  gelider  und  alle  dine  ädern,  daz  daz  allez  saro.t  ein 
durchsihtic  fiwer  waere,  als  ein  isen  daz  durchsmolzen  unde  durch- 
gluewet  ist;  ich  spriche  noch  mer:  als  ob  alliu  disiu  werlt  niht  mer 
waere  dan  ein  einigez  fiwer  von  ertriche  unz  an  den  himmel  unde 
der  mitten  in  dem  fiure  waere :  also  wol  dem  waere ,  so  ist  dem 
wol  hundertstund  wirs,  der  in  der  helle  ist."^)  Ein  anderes  Mal 
spricht  er  von  dem  Fluchen  und  Zanken,  das  ein  Verdammter  gegen 
den  Anderen  anheben  wird.  Der  Vater  wird  sein  Kind  und  das 
Kind  den  Vater  verfluchen.  ^)  Vergeblich  werden  sie  den  Tod  an- 
rufen, sie  zu  erlösen.  —  Die  Entscheidung,  wohin  die  Seele  kommt, 
fällt  gleich  nach  dem  Tode,  da  werden  die  guten  und  bösen  Thaten 
abgewogen,  und  müht  sich  der  Teufel  seine  Seele  herabzudrücken, 
so  ist  der  Engel  auch  nicht  müßig.  Das  endgültige  Gericht  aber 
hält  der  ewige  König  erst  am  feierlichen  jüngsten  Gerichtstage. 

Gott  hat  dies  Alles  nun  in  zweierlei  Weise  offenbart:  den 
Geistlichen  hat  er  das  Alte  und  Neue  Testament,  den  Laien  aber 
zwei  andere  ,,gr6ziu  buoch"  gegeben,  nämlich  den  Himmel  und  die 
Erde ,  aus  denen  sie  alle  Weisheit  lesen  sollen :  ,,an  der  erden  bi 
dem  tage,  an  dem  himel  bi  der  naht".  Mit  dieser  Anschauung 
hängt  es  dann  auch  zusammen,  daß  Berthold  die  Bibel  selbst  mit 
Hülfe  sehr  schlichter  Naturvergleiche  einfach  erklärt,  die  Natur  aber 


')  n,  5- 
2)  I,  127. 

^)  I,    193.     Das    erinnert    an    die    ähnlich    ausgeführte    Szene    in    dem    Gedichte 
Giacomino's  da  Verona,     Vgl.  unten. 


Die  Predigt  der  Franziskaner.  423 


immer  in  innige  Beziehung  zur  christlichen  Lehre  bringt.  So  er- 
zählt er  denn  auf  der  einen  Seite  die  Geschichten  des  Alten  Testa- 
ments recht  dramatisch,  frei  und  ganz  so,  als  wären  sie  unter  den 
Verhältnissen  und  Sitten  seiner  Zeit  vor  sich  gegangen,  auf  Christi 
Leben  selbst  kommt  er  verhältnißmäßig  selten  und  immer  nur  kurz 
zu  sprechen,  dann  aber  mit  besonderer  Rührung.^)  So  wenn  er 
von  dem  Schmerze  der  Mutter  Gottes  spricht :  ,,unde  wie  möhte 
unser  frouwe  genesen  sin,  do  ir  ein  als  edel  kint  starp,  der  keiser 
aller  künige  was  und  an  dem  sie  al  vil  übergrozer  tugend  erkante, 
alse  billich  was.?  Und  alse  vil  er  geedelt  unde  gehoehet  über  alle 
menschen  was ,  als  vil  gienc  ir  sin  manicvaltiu  martel  naeher  an 
daz  herze  danne  einer  andern  muoter."  Oder  an  anderer  Stelle: 
,,S6  leget  er  dir  sinen  morgen  für,  daz  in  die  jüden  vintlichen 
viengen,  und  ungetriuwelichen  verraten  wart  und  üf  sinen  nacken 
geslagen  wart  und  an  manigen  enden  gewizet  wart  unde  mit  eime 
rore  ein  durniu  kröne  üf  sin  houbet  gedrücket  wart  und  under  sin 
ougen  gespiet  wart.  Nu  sich  sünder,  daz  leget  dir  der  almehtige 
got  allez  für,  daz  er  daz  allez  durch  dinen  willen  erliten  habe 
des  morgens  an  dem  heiligen  karfritage,  dar  umbe  daz  du  der 
Ewigen  martel  über  wurdest,  ob  du  selbe  woltest.  Gewinnet  hiute 
wären  riuwen  unde  weinet  von  herzen  juwer  sünde.  Ja  hat  er  vil 
manigen  zäher  durch  juch  geläzen  üz  sinem  heiligen  libe  sines  vil 
reinen  bluotes,  des  ein  tropfe  tiurre  ist  danne  himelriche  und 
ertriche.  Die  mit  den  ougen  niht  geweinen  mügen  die  weinen  mit 
dem  herzen.  Des  dritten  males  leit  er  dir  für  sinen  mittentag,  do 
man  in  an  die  spange  nagelte  des  heren  kriuzes ;  do  man  im  swene 
nagele  sluoc  durch  sine  hende  unde  durch  bede  sine  füeze  einen  etc. 
Da  mant  er  sie  nü  sunderlichen  bi  allen  den  noeten  unde  bi  den 
hamerslegen  unde  bi  sinen  heiligen  fünf  wunden ,  bi  sinen  ruofen, 
die  er  ruofte  gein  dem  sünder  unde  bi  dem  jämer  unde  bi  der 
klage ,  die  unser  frouwe  häte.  Jr  junge  werlt ,  hüetet  juch  durch 
den  almehtigen  got  vor  sünden!"^) 

Dann  wieder,  wo  es  sich  um  biblische  Gleichnisse  handelt, 
weiß  er  sie  in  der  einfachsten,  verständlichsten  Weise  darzulegen, 
wie   in  jener   herrlichen  Predigt   von    den   fünf  Pfunden,^)    die   der 


^)  I,  S.  428.    Vergl.  Z.B.  Gideon:  I,  37.    Josua:  I,  183.    Herrlichkeit  Salomonis 
höfisch  geschildert:  I,   174. 
')  I,  370. 
3)  Nr.  2.     I,  S.  1 1  ff. 


424 


Die  Franziskaner. 


Herr  von  seinem  getreuen  Knechte  zurückerhält  (Matth.  25,  14 — 30). 
Da  prägt  er  dieselben  seinen  Hörern  an  den  fünf  Fingern  ein  und 
ermahnt  sie,  bei  diesen  allzeit  an  die  fünf  Pfunde  zu  denken.  Diese 
aber  sind  ihm :  der  Leib,  das  Amt,  die  Zeit,  das  irdische  Gut,  die 
Liebe  zum  Nächsten.  Immer  stehen  die  anschaulichsten  Vergleiche 
zu  Gebote :  die  Sünden  sind  bald  die  Mordäxte ,  mit  denen  der 
Teufel  uns  bedroht,  bald  die  Schlingen,  die  er  als  Jäger  uns  legt, 
bald  Ankläger  vor  Gott,  bald  Wolken,  die  die  Sonne  verhüllen, 
bald  Ritter  des  Satans.  Die  Sünde  an  sich  ist  die  Krankheit,  die 
der  Genuß  des  Apfels  dem  Adam  und  seinen  Nachfolgern  verschafft 
hat.  Die  Seele  ist  die  Wirthin  des  Leibes,^)  das  Leben  des  Menschen 
wird  einer  Wanderung  durch  einen  Wald  verglichen.  ^)  Der  Mensch 
trägt  als  Abbild  Gottes  auf  seinem  Antlitz  die  Bezeichnung  ,homo 
dei*:  die  zwei  Augen  sind  die  zwei  o,  die  Nase  ist  das  m  „schone 
mit  driu  stebelinen",  das  Ohr  ist  das  d,  die  Nasenlöcher  bilden 
,,ein  kriechsch"  e,  der  Mund  ist  i."^)  Auf  der  andern  Seite  wiederum 
geht  er  von  der  Natur  aus  und  kommt  durch  sie  auf  die  christ- 
lichen Anschauungen.  Er  prägt  den  Hörern  ein,  daß  sie  beim 
Anblick  der  vier  Sterne  des  großen  Wagens  an  die  vier  Tugenden : 
den  Glauben,  die  Liebe,  die  Hoffnung,  die  Stätigkeit  denken  sollen, 
welche  die  Räder  des  Wagens  sind,  auf  dem  die  Seele  gen  Himmel 
gelangt.  Die  sieben  Planeten  gemahnen  an  die  sieben  Tugenden. 
Und  Aehnliches  ließe  sich  in  Fülle  beibringen.  Das  sind  sym- 
bolische und  allegorische  Vorstellungen,  wie  sie  Jedermann  ver- 
ständlich und  schließlich  eine  Nothwendigkeit  für  den  christlichen 
Glauben  sind.  Solche  Vergleiche  wird  auch  Franz  in  seiner  Predigt 
angewandt  haben. 

Wie  Franz  aber  hat  auch  Berthold  eine  durchaus  poetische 
Naturauffassung,  die  sich  nicht  mehr  wie  die  alte  Troubadourpoesie 
auf  ein  kraftloses,  eintöniges  Erwähnen  vom  nahenden  Frühling, 
singenden  Vögeln  und  grünen  Bäumen  beschränkt,  sondern  in  feiner 
Beobachtung  und  warmer  Empfindung  mit  derjenigen  Walther's 
von  der  Vogelweide  wetteifert.  Man  höre  ihn  davon  sprechen,  daß 
der  Mensch  so  wenig  einen  Begriff  von  der  Schönheit  Gottes  habe, 
als    das  Kind   im  Mutterleibe   von  der  Herrlichkeit  der  Welt:    ,,als 


') 

n, 

128. 

') 

I, 

37. 

') 

I, 

404. 

Die  Predigt  der  Franziskaner.  425 

wenic  als  daz  kind  empfinden  mac  der  gezierde  aller,  da  der 
almehtige  got  die  werlt  mite  gezieret  hat,  mit  dem  firmamente, 
unde  wie  er  daz  gezieret  hat  mit  der  sunnen  unde  mit  dem  edeln 
Sternen  schine ,  mit  edelheit  der  steine  unde  mit  maniger  hande 
varwe  unde  mit  ir  kraft  unde  maniger  hande  riehen  waete  unde 
mit  maniger  hande  würze  unde  mit  maniger  hande  liehten  blüete- 
varwe  unde  gesmac  der  würze  unde  der  blüete  unde  der  bluomen, 
und  alle  die  genaemeheit  und  alle  die  lustliche  freude ,  die  diu 
werlt  hat  von  der  sumerwunne  unde  von  vogelsange  und  von  seiten- 
klange  unde  von  andern  süezen  stimmen ,  unde  die  freude ,  die 
menschen  anblic  git!"^) 

Da  fangen  wohl  die  Geschöpfe  selbst  an  zu  sprechen :  ,,So 
möhte  aller  vogeline  sanc  unde  harpfen  klanc  wol  sprechen,  ob  sie 
künden  sprechen :  ,unser  manicvalte  wünnecliche  stimme  und  unser 
süezen  stimme  die  haben  wir  von  uns  selber  niht :  wir  haben  sie 
von  dem,  des  diu  sele  begernde  ist:  ich  suoche  den  gehimen  an 
allen  kreatiuren,  an  aller  bluomen  varwe  und  an  aller  würze  krefte."-) 

Dieses  warme  Gemüthsleben ,  das  ein  so  inniges ,  persönliches 
Verhältniß  zu  Gott  hervorruft,  brachte  zugleich  eine  Verinnerlichung 
der  christlichen  Anschauungen  mit  sich ,  die  als  eine  direkte  Vor- 
bereitung auf  die  Reformation  betrachtet  werden  muß.  Der  Geist 
von  Berthold's  Moral  ist  ebenso  lauter  und  frei,  als  ihre  Anwendung 
auf  das  Leben  praktisch  ist.  Die  christliche  Gesinnung,  die  Liebe 
oder  wie  er  sie  nennt :  die  Minne  ist  das  Wesentliche ,  die  guten 
Werke  sind  ihr  Ausfluß.  Die  Reaktion  gegen  jene  Ueberschätzung 
der  äußern  Verdienste,  die  mit  den  Kreuzzügen  und  mannigfachen 
Pilgerfahrten  herrschend  geworden  war,  äußert  sich  nirgends  treffen- 
der als  in  diesen  Predigten.  Ein  gottgefälliges  Leben,  aufrichtiger 
Glaube,  Liebeswerke  taugen  mehr,  als  alle  Fahrten  nach  Rom  oder 
zum  h.  Jakob  nach  Compostella  oder  zu  den  Preußen.  Berthold 
wird  nicht  müde  gegen  die  Scheingerechtigkeit  und  falsche  Be- 
friedigung, die  solch  äußerliches  Gebahren  mit  sich  bringt,  zu 
kämpfen.  Wer  nicht  von  den  Sünden  läßt.  Dem  ist  es  Nichts  nutz, 
mag  er  auch  noch  so  viele  Klöster  oder  Spitäler  bauen,  noch  so 
oft  fasten  und  Almosen  geben.     Ein  einziges  Pater  noster,  das  ein 


^)  I,    S.  223.     Vgl.  I,    389.     Femer   besonders    I,    49.    157.   374.   506.     Vgl.  na- 
mentlich die  schöne  Stelle  über  den  Nutzen  der  Pflanzen:  I,  49. 
')  I,    157. 


426  Die  Franziskaner. 


Tugendhafter  in  Andacht  betet ,  ist  mehr  werth ,  als  viele  Fahrten 
über's  Meer,  die  ein  Liebloser  macht.  Das  gesunde,  kräftige  Gefühl 
des  Franziskaners  empört  sich  über  die  nutzlose  Zeitverschwendung 
mit  solchen  angeblich  Gott  gefälligen  Pilgerschaften.  Die  Messe 
daheim  trägt  denselben  Segen  für  den  Gläubigen  in  sich :  ,,Maniger 
loufet  hinnen  gein  Compustellä  ze  Sant  Jacobe  unde  loufet  dar  unde 
dannen  daz  er  niemer  messe  gehoeret,  unde  gent  danne  mit  gamel 
unde  mit  gelehter  unde  sprechent  halt  eteliche  selten  iemer  dehein 
pater  noster.  Daz  rede  ich  dar  umbe  niht  daz  ich  sante  Jacobe 
sine  bilgerine  enpfüeren  welle :  da  waer  ich  ze  kranc  zuo.  Jedoch 
möhtest  du  in  einiger  messe  m^r  gnaden  erwerben,  danne  daz  du 
ze  Compustelle  loufest  unde  her  wider.  Nu  waz  vindest  du  ze 
Compustelle.?  daz  tuost  du  sant  Jäcobes  houbet.  Daz  ist  vil  guot: 
ez  ist  ein  toter  schedel,  daz  bezzer  teil  ist  da  ze  himele."^) 

Einer  derartigen  klar  verständigen  Anschauung  mußte  es  ferner 
weniger  um  die  Hervorhebung  der  Wunderthaten  der  Heiligen  als 
um  deren  guten  Lebenswandel  zu  thun  sein.  So  finden  wir  auch 
nirgends  eine  Bezugnahme  auf  die  übernatürlichen  Zeichen,  welche 
der  ,,guote  sant  Alexius  oder  der  guote  sant  Bernhart  oder  der 
guote  sant  Uolrich"  gethan,  sondern  die  Heiligen  werden  nur  als 
Muster  und  Vorbilder  edler  Tugenden  hingestellt.  Ja  Berthold  geht 
so  weit  zu  sagen,  daß  die  Menschen  auf  Erden,  wenn  sie  nur  gott- 
gefällig leben.  Etwas  selbst  vor  den  Heiligen  im  Himmel  voraus 
haben,  nämlich,  daß  sie  noch  in  der  Lage  sind,  ihre  christlichen 
Verdienste  zu  mehren,  was  Jenen  versagt  bleibt.^)  Damit  hängt 
dann  auch  zusammen,  daß  er  Nichts  von  der  Prädestination  hält. 
Gott  weiß  wohl,  was  aus  dem  Menschen  wird,  aber  er  hat  ihm  die 
freie  Willkür  zu  thun  und  zu  lassen,  was  er  will,  gegeben.  „Got 
wais  wol  wer  verlorn  sol  werden  oder  wehalden.  Darumb  wizt 
aber  nieman  verloren ,  das  es  got  wol  wais.  Zu  geleicher  weis, 
man  fürt  ainen  hyn  und  wil  jn  haben,  das  sich  ich  wol,  das  man 
jn  hachen  wil,  darumb  hachet  man  jn  nicht,  das  ich  wais,  man 
hachet  jn  darumb  das  er  es  verdient  hat."^)  Durchgeistigt  ist 
endlich  auch  seine  Auffassung  der  kirchlichen  Mysterien.  Was  er 
über  die  Beichte  gesagt  hat,  gehört  zum  Herrlichsten,  was  zu  ihrer 


1)  I,  S.  493-    Vgl.  auch  I,  S.  52,  137.  138.  384.  445.  455.  459.  460.  II,  20.  112. 
153.   177.  248  u.  a.  m. 

2)  Vgl.  I,  S.  22.  23.  97. 

3)  Vgl.  n  Anhang.     U,  S.  688.     Vgl.  I,   50.  492.     H,   17. 


Die  Predigt  der  Franziskaner.  427 

Vertheidigung  vorgebracht  werden  kann.  Die  Reue  und  Buße  be- 
dingen einander.  Aus  dem  Formelwesen  der  Messe  und  der  anderer 
Sakramente  aber  zieht  er  den  lebendigen  Geist  hervor,  indem  er 
dem  Laien  die  Bedeutung  aller  einzelnen  Handlungen  in  schlichten 
Worten  erklärt.^)  Die  sieben  Heiligkeiten  sind  ihm  die  sieben 
Arzeneien,  die  Christus  als  gütiger  Arzt  während  seiner  Lebenszeit 
auf  Erden  bereitet  hat.  Sie  retten  von  den  Krankheiten  der  Sünden, 
Den  Priestern ,  die  sie  ertheilen ,  gebührt  die  größte  Ehrerbietung, 
wie  er  denn  überhaupt  den  Klerus  als  Ganzes  immer  verherrlicht, 
mag  er  sich  auch  gerade  wegen  dessen  geweihten  Amtes  mit  be- 
sonderer Schärfe  gegen  die  sündigen  Priester  wenden. 

Der  Kampf  gegen  die  Sünde  aber  füllt  sein  ganzes  Leben  aus. 
Es  ist  ergreifend  zu  lesen,  wie  unermüdlich,  mit  welcher  Liebe  und 
Eindringlichkeit  ei'  das  Volk  zu  bessern  sucht.  Er  wählt  den  dazu 
einzig  förderlichen  Weg  rastloser,  liebevoller,  praktischer  Ermahnung 
und  furchtbarer  Drohung  mit  den  Strafen  des  Jenseits.  Er  kennt 
der  Sünde  gegenüber  keine  Schonung,  unterläßt  es  aber  nie,  dem 
Sünder  helle  Worte  des  Trostes  in  dem  Hinweis  auf  die  himmlische 
Barmherzigkeit  zu  geben.  Man  muß  es  lesen ,  wie  er  sich  mit 
seinem  ganzen  Herzen  empört  gegen  den  Neid  und  Haß,  die  Un- 
keuschheit,  die  Hochfahrt,  die  Trägheit,  den  Lug  und  Betrug,  die 
böse  Nachrede,  den  Zorn,  die  Gefräßigkeit  und  wie  die  Laster  alle 
heißen.  Ueberall  greift  er  direkt  in's  Menschenleben  hinein.  Die 
jungen  Leute  warnt  er  vor  der  Wollust,  die  Frauen  vor  der  Eitel- 
keit, die  Alten  vor  der  Habsucht.  An  deutlichen  Beispielen  zeigt 
er  es  dem  Kaufmann,  dem  Schneider,  dem  Schuhmacher,  dem  Gast- 
wirth,  wodurch  sie  täglich  sündigen.  Jeder  Einzelne  mußte  sich 
davon  getroffen  fühlen,  weil  er  seine  Leute  und  alle  ihre  Fehler 
so  genau  kannte.  Da  war  nicht  von  der  Sünde  im  Allgemeinen 
die  Rede,  sondern  von  den  Vergehen  jedes  Einzelnen  in  Worten 
und  Gedanken.  Und  Keiner  konnte  sich  beklagen,  daß  dem  Einen 
zu  viel,  dem  Andern  zu  wenig  geschähe.  Denn  wie  er  den  Bauer 
und  kleinen  Handwerksmann  mit  Donnerworten  anließ,  so  warf  er 
auch  dem  Kaiser  die  Ungerechtigkeit  seiner  Urtheile,  dem  Ritter 
die  Schändlichkeit  seiner  Gewaltthaten,  dem  Geistlichen  seine  Hab- 
sucht und  Hochfahrt  vor.     Die  Sünde  aber,   die  ihm  von  allen  die 


2)  Vgl.  die   diesem  Zwecke   gewidmeten   Predigten  I,    XX.  S.  289.     I,    XXXI. 
S.  488.     I,  XXXVI.  S.  566.     II,  XLV.  S.  81. 


A2S  Die  Franziskaner. 


Schlimmste  dünkt,  gegen  die  er  fast  in  jeder  Predigt  die  Schalen 
seines  Zorns  ausgießt,  ist  die  Habsucht,  die  zu  hinterlistigem  Be- 
trug führt.  Alle  andern  lassen  Gott  wohl  dann  und  wann  ,,ge- 
ruowen",  die  ,,gitekeit"  nimmer.  ,,Pfi,  gitiger,  wie  gar  dich  got 
verteilet  hat  vor  allen  den  sündern,  die  diu  werlt  je  gewan  oder 
jemer  mer  gewinnen  mac.  Du  bist  also  schedelich,  daz  manic 
tüsent  sele  verlorn  werdent  von  dinen  schulden."  Denn  das  unrecht 
erworbene  Gut,  das  dem  Betrogenen  nicht  voll  wiedererstattet  wird, 
wird  auch  Denen,  die  es  erben,  bis  ins  vierzigste  Glied  zur  Sünde  — 
und  Alle  müssen  zur  Hölle  fahren,  wenn  sie  nicht  Buße  thun. 
Dafür  giebt  es  aber  keine  andere  Buße,  als  Alles  wiederzugeben 
und  zu  erstatten,  sonst  können  selbst  alle  Heiligen,  selbst  Maria 
den  Sünder  nicht  erretten.  Offenbar  ist  die  Habsucht  in  der 
empörendsten  Form  ein  ganz  besonders  hervorragendes  Laster  der 
Zeit  gewesen,  das  mit  dem  sich  Vermehren  des  Wohlstandes,  mit 
der  Ausbreitung  des  Handels  zugleich  sich  eingestellt  hatte.  Auch 
Walther  von  der  Vogelweide  redet  in  seinem  Spruche: 

Die  wisen  rätent,  swer  ze  himelriche  welle 
von  der  ,,verschampte  unmäze  gitekeit".^) 

So  übereifrig  und  maßlos  sich  aber  des  Berthold  Zorn  über 
die  Sünde  äußert,  so  kommt  er  doch  aus  einer  edlen  humanen 
Gesinnung,  die  uns  den  Prediger  persönlich  ebenso  liebgewinnen 
macht,  wie  sein  Volk  ihn  geliebt  hat.  Den  Klagen  des  Armen 
und  Unterdrückten  machte  er  ein  Ende,  wenn  er  ihm  tröstend 
sagte,  daß  vor  Gott  alle  Menschen  gleich  sind,  daß  die  Freuden 
des  Himmels  nicht  nach  den  irdischen  Rangstufen  gegliedert  sind. 
Er  schützte  das  niedere  Volk  vor  den  Gewaltthaten  der  Großen, 
indem  er  diese  zur  Verantwortung  vor  Gottes  Stuhl  zog.  Wer 
viel  auf  dieser  Welt  empfangen  hat,  hat  auch  die  größere  Ver- 
pflichtung, sein  Pfund  so  zu  verwalten,  daß  er  es  dem  Herrn 
wiedererstatten  könne.  Nur  schwer  vermögen  wir  in  unserer  Zeit 
die  Bedeutung,  die  solche  tröstenden  Hinweise  für  jene  Tage  hatte, 
in  denen  Gewalt  vor  Recht  ging,  zu  erkennen.  Es  lag  aber  eine 
große  Kraft  in  Vergleichen  wie  diesem:  wie  die  verschiedenen 
Engelchöre  im  Himmelreiche  einander  verpflichtet  sind,  die  niederen 
den  höheren  und  umgekehrt,  so  auch  die  Stände  auf  Erden;  die 
Pfaffen,  Mönche  und  weltlichen  Herren  sollen  Sorge  tragen  für  die 


1)  Deutsche  Klassiker  des  Mittelalters.     I,  Bd.  W.  v.  d.  V.    Nr.  138,  S.  247. 


Die  Predigt  der  Franziskaner.  429 

Handwerksleute,  Kaufleute,  Bauern  und  Aerzte,  wie  diese  wiederum 
Jenen  Dienste  schulden./)  In  solcher  gegenseitiger  Verpflichtung 
findet  Jeder  sein  Recht  und  seine  Genugthuung.  Wer  sich  aber 
über  sein  Amt  und  seinen  Stand  hinaus  erhebt,  stört  die  Ordnung, 
in  der  allein  wahres  Christenthum  heimisch  sein  kann.  Dem  Volk 
widerfährt  sein  Recht  so  gut,  wie  den  vornehmen  Ständen.  So 
räth  er  den  Reichen  Gerechtigkeit  und  Milde  gegen  die  Unter- 
gebenen, gegen  die  Dienstboten,  verpflichtet  aber  diese  wiederum 
zu  treuem,  redlichen  Dienste.  Sein  Ideal  ist,  den  Frieden  Gottes 
schon  auf  dieser  Erde  in  Liebe  und  Gerechtigkeit  herrschen  zu 
sehen.  Der  Krieg  und  das  Turnier  sind  ihm  ein  Greuel.^)  Durch 
Predigten  wie  die  des  Berthold  mußte  ein  neues  Christenthum,  eine 
Religion  des  Volkes,  wenn  nicht  geschaffen,  so  doch  in  wunder- 
barer Weise  bestärkt,  gekräftigt  werden. 

Wenden  wir  uns  nun  noch  zu  einer  kurzen  Betrachtung  der 
Form  und  des  Vortrages  seiner  Reden,  so  drängt  sich  uns  unwill- 
kürlich ein  Vergleich  mit  der  italienischen  Kunst  des  Trecento  auf. 
Wie  in  den  Bildern  Giotto's  erleichtert  eine  klare,  scharfe  Ein- 
theilung,  die  in  höchst  verständiger  Weise  aus  dem  Stoffe  selbst 
gewonnen  wird,  das  Verständniß.  Durch  Wiederholungen,  kurzes 
Zusammenfassen  der  Resultate  erhält  Berthold  das  Gefühl  für  die 
Gliederung  stets  wach.  Seine  Sprache  ist  einfach,  die  Sätze  sind 
eher  kurz  als  lang,  die  Redeweise  ist  bilderreich.  Wie  aber  in  den 
Gemälden  des  Trecento,  so  liegt  auch  hier  die  eigentliche  Kunst 
in  dem  dramatischen  Element.  Will  Berthold  auf  einen  bestimmten 
Begriff  besonderen  Nachdruck  verlegen,  so  weiß  er  durch  vor- 
bereitende, umschreibende  Sätze  die  Spannung  der  Zuhörer  immer 
mehr  zu  erhöhen,  bis  er  endlich  das  Ding  mit  dem  Namen  nennt. 
Oder  er  wendet  fast  als  rhythmisch  zu  bezeichnende  Wiederholungen 
einzelner  Sätze  an.  Hat  er  den  Höhepunkt  erreicht,  so  breitet  er 
sich  aus,  zieht  naheliegende  Vergleiche  aus  der  Natur  und  dem 
Leben  herbei,  worauf  er  dann  meist  in  direkter  Weise  auf  die 
Hörer  selbst  übergeht  und  diese  zu  einer  Bethätigung  der  geschil- 
derten Tugenden  oder  zum  Vermeiden  der  Sünde  auffordert.  Oder 
er  läßt  sich  selbst  scheinbar  Einwürfe  von  den  Anwesenden  machen, 
die  er  dann  widerlegt.     Spricht  er  von  dem  Verbote,  am  Sonntag 


')  I,  141  ff. 

2)  I,  91.   176  und  öfters. 


430 


Die  Franziskaner. 


zu  tanzen,  so  fällt  ihm  Einer  in  die  Rede:  „Bruoder  Berhtold, 
rede  waz  du  wellest!  wir  mügen  ungetanzet  niht  sin."  Oder  Einer 
rechtfertigt  sich  vor  ihm:  ,,Owe,  bruoder  Berhtold!  ja  züge  ich 
min  kint  vil  gerne,  so  wil  ez  mir  niht  volgen.  Ich  hän  allez  daz 
versuochet  daz  ich  künde  oder  mohte,  unde  kundez  nie  geziehen." 
Durch  solche  Mittel  macht  er  die  Sache  recht  anschaulich,  wie  er 
andrerseits  bemüht  ist,  durch  das  Zitiren  historisch  berühmter  Per- 
sönlichkeiten, wie  Cäsar,  Cato,  Alexander,  besonderes  Interesse  zu 
erregen.  Zugleich  vermittelt  er  den  Ungebildeten  die  wissenschaft- 
lichen Anschauungen  der  Zeit;  besonders  was  Naturerscheinungen 
betrifft.  In  drastischer  Weise  weiß  er  alle  Vorgänge  des  täglichen 
Lebens  zu  schildern,  wie  auch  alle  seine  Vergleiche  sehr  wirksam 
und  allgemein  verständHch  sind. 

Daß  zu  dem  Allen  noch  eine  ungewöhnliche  Gabe  der  Rede, 
ein  durch  Gebärden  und  Mienenspiel  unterstützter  höchst  leb- 
hafter Vortrag  kommt,  ergiebt  sich  aus  der  Form  der  Predigten 
und  dem  gewaltigen  Aufsehen,  das  sie  machten,  von  selbst. 

Nach  dem  einen  Berthold  von  Regensburg  aber  dürfen  wir 
die  Franziskaner,  was  die  Predigt,  ihre  Form  und  ihren  Gehalt 
betrifft,  überhaupt  beurtheilen,  mag  es  auch  so  reich  begabte  Männer, 
wie  ihn,  nicht  viele  gegeben  haben.  Franziskus  selbst  wird  ähn- 
lich zum  Volke  gesprochen  haben,  nur  noch  dichterischer,  noch 
liebeglühender.  Die  sinnliche,  anschauliche  Auffassung  der  Religion 
und  des  Lebens,  verbunden  mit  einer  tiefinnerlichen  Glaubensüber- 
zeugung und  -begeisterung  hat  eben  diesseits  und  jenseits  der 
Alpen  die  Bettelmönche  zu  wahren  Freunden  des  Volkes  gemacht, 
durch  ihre  Predigt  auf  Humanität  und  Kunst  gewirkt. 

IV.   Die  Dichtung  der  Franziskaner. 

Aus  ihrer  sangesfrohen  Heimath  hervortretend  und  sich  ver- 
breitend, hatte  die  provengalische  Dichtkunst  in  der  zweiten  Hälfte 
des  zwölften  Jahrhunderts  wie  in  Deutschland,  so  auch  in  Italien 
Bewunderung  und  Nachahmung  gefunden.  Schon  1162  erschienen 
Troubadours  in  Turin,  denen  bald  viele  Andere,  wie  Bernhard  von 
Ventadour,  Cadenet,  Rambault  de  Vaquinas,  Vidale  folgten.  An 
den  Höfen  der  italienischen  Großen  schallten  die  Liebesgesänge 
wieder ,  und  auch  in  den  Städten  feierte  man  der  Minne  frohe 
Feste.     Jene  Gelage,  jene  Umzüge  in  den  Straßen,  an  denen  Franz 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  43  I 

selbst  als  Jüngling  so  großes  Gefallen  fand,  sind  ein  Abglanz  der 
romantischen  Lebensfreude,  die  wie  ein  Schimmer  ungetrübten 
Glückes  die  Blüthezeit  des  Ritterthums  umwebt.  Als  dann  das 
lärmende  Waffengeklirr  der  Albigenserkriege  in  den  sorglosen  Jubel 
der  Provence  hineindröhnte,  als  die  Noth  und  der  Ernst  des  Lebens 
über  die  Großen,  wie  über  das  Volk  hereinbrach,  haben  viele  der 
kunstgeübten  Sänger  sich  in  das  benachbarte  Land  geflüchtet,  wo 
man  ihren  Kanzonen  und  Balladen  ein  willigeres,  dankbareres 
Gehör  lieh.  Der  glänzende  Hof  Friedrich's  II.  in  Sizilien  bot  eine 
verlockende  Zufluchtsstätte.  Der  Kaiser  selbst,  seine  Söhne  Enzio 
und  Manfred,  sein  großer  Kanzler  Petrus  de  Vinea  haben  gedichtet 
und  gesungen,  und  Stimmen  wie  die  Ruggerone's,  Odo's  und 
Guido's  delle  Colonne,  Arrigo  Testa's,  Jacopo's  de  Lendino  haben 
ihnen  geantwortet.  Zu  gleicher  Zeit  zogen  im  Norden  Troubadours 
von  Hof  zu  Hof,  unter  ihnen  als  berühmtester  jener  Sordello  von 
Mantua,  der  Karl  von  Anjou  gegen  Manfred  begleitete.^) 

Behielt  Anfangs  die  französische  Sprache,  welche  der  Italiener 
unschwer  verstand,  die  Oberhand,  so  gelangte  doch  bald  auch  das 
Italienische  zu  seinem  Rechte.  Die  französische  Poesie  auf  der 
einen,  die  Franziskanerdichtung  und  -predigt  auf  der  andern  Seite, 
haben  im  Laufe  des  XIII.  Jahrhunderts  dem  Vulgare  seine  eben- 
bürtige Stellung  neben  dem  Latein  verschafft.  Dante's  Göttliche 
Komödie  verkündete  nur  den  schon  lange  vorher,  zunächst  auf 
dem  Felde  der  Poesie  entschiedenen  Sieg  der  Volkssprache.  Die 
große ,  allgemeine ,  in  Franz  gipfelnde  volksthümliche  Bewegung 
schenkte  Italien  auch  seine  Sprache. 

Die  höfische  Dichtung  aber  mußte  bald  in  dem  Lande  der 
Städte  ihren  eigentlichen  Charakter  verlieren.  Ihre  Ideale  waren 
ja  nicht  die  Ideale  des  italienischen  Volkes,  das  anders  liebte  und 
dachte,  als  das  französische.  Die  Sagen  vom  König  Artus  und 
seiner  Tafelrunde,  vom  Gral  und  seinen  Rittern  haben  wohl  überall 
im  Kreise  vornehmer  Herren  und  Frauen  lebhaftes  Interesse  erregt 
und  sind,  von  den  höheren  Kreisen  ausgehend,  in  das  Volk  gedrungen, 
einen  Wolfram  von  Eschenbach  haben  sie  nicht  gefunden,  ebenso- 


^)  Vergleiche  für  diesen  Abschnitt  im  Allgemeinen:  Tiraboschi:  Storia  della 
letteratura.  Florenz  1865 — 73,  III  u.  IV.  B.  —  Demattio :  le  lettere  in  Italia  prima 
di  Dante.  Innsbruck  1871.  —  Bartoli:  I  primi  due  secoli  della  Letteratura  Italiana. 
Milano  1880.  Ds.  Storia  della  literatura  It.  Florenz  1879.  II.  Bd.  —  Gaspary:  Gesch. 
der  It.  Lit.     Berlin  1885.     I.  Bd. 


432 


Die  Franziskaner. 


wenig  wie  die  Verherrlichung  der  Frauen  einen  Walther  von  der 
Vogelweide.  Man  spürt  es  an  den  Liedern  der  italienischen  Dichter 
jener  Zeit,  daß  sie  nur  einer  Mode  zu  Liebe  in  höfischer  Weise 
singen.  Und  nicht  lange  währt  es,  so  wandelt  der  Geist  des 
Volkes  das  Fremde  in  selbständiger  Weise  zu  etwas  Neuem  um.  Die 
sehr  wunderliche  Mischung  von  sinnlichem  Verlangen  und  geistiger 
Resignation,  welche  den  französischen  Liebesliedern  ihr  Gepräge 
verleiht,  war  etwas  dem  Italiener  Heterogenes.  Entweder  seine 
Liebe  ist  sinnlich  wirklich  oder  sie  ist  philosophisch  abstrakt. 
Beides  kommt  in  der  Dichtung  der  zweiten  Hälfte  des  XIII.  Jahr- 
hunderts zum  Ausdruck  und  zwar  besonders  in  Bologna  und  in 
Toscana.  In  Guido  Guinicelli's  Canzonen  verschwindet  der  Gegen- 
stand der  Liebe  vollständig,  um  einer  wissenschaftlich  -  philo- 
sophischen Betrachtung  der  Begriffe  der  Liebe  an  sich  und  des 
Schönen  Platz  zu  machen.  Scholastische  Gelehrsamkeit,  tiefsinniges 
Grübeln  spricht  aus  den  Gedichten  Fra  Guittone's  d'Arezzo,  Guido 
Cavalcanti's.  Letzterer  aber  ist  zugleich  der  Sänger  jener  reizenden, 
naturfrischen  Pastorells,  die  von  Catull's  Lebenslust  sprühen: 

Era  in  pensier  d'amor,  quand'  io  trovai 
und 

In  un  boschetto  trovai  pastorella. 

Diese  urwüchsige,  in  anschaulichen  Bildern  redende  Poesie  hat 
in  Toscana  in  Ciacco  dell'  Anguillara  und  Folgore  de  San  Gemignano 
noch  andere  treffliche  Vertreter.  Heiterkeit,  Lachen,  Natur  — 
darin  liegt,  wie  Bartoli  richtig  sagt,  ihre  Bedeutung.  Im  Ganzen 
aber  steht  sie  zwar  nicht  an  künstlerischem  Werth ,  aber  doch  an 
Ausbreitung  zurück  hinter  jener  philosophisch  grübelnden  Richtung, 
die  recht  eigentlich  eine  Dichtung  der  gebildeten  Klassen  ist. 

Die  unabhängige,  genialere  Volkspoesie  ist  auf  anderem  Boden 
erwachsen:  auf  dem  Boden  der  neuen  Gefühlsreligion  des  Volkes 
und  —  die  Franziskaner  sind  ihre  Vertreter.  Weil  sie  ursprüng- 
lich an  keine  fremden,  von  außen  gekommenen  Formen  gebunden 
war,  weil  ihr  Inhalt  allein  das  Gefühlsleben  des  Einzelnen  ist  und  sie 
daher  auch  nur  an  das  Gefühl  appellirt,  überragt  sie  an  künstlerischer 
Kraft  bei  Weitem  jene  höfisch-wissenschaftliche  Poesie  und  gewinnt 
auf  die  Kultur  ihres  Volkes  einen  höchst  bedeutenden  Einfluß.  Wie 
die  Predigt,  wird  sie  von  einem  beseligenden  Liebesgefühl  inspirirt 
und  entflammt  mit  ihren  glühenden  Worten  den  christlichen 
Glauben.      Wie    die   Predigt    aber    vertritt    auch    sie    eine    sinnlich 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  433 

natürliche  Auffassung  desselben.  Anschauliche  Bilder  sind  ihr 
auch  dort  eigenthümlich ,  wo  sie  in  das  Bereich  übersinnlich 
mystischen  Erlebens  sich  verliert. 

Ozanam  erwarb  sich  das  Verdienst,  in  trefflicher,  lebensvoller 
Weise  die  Dichtung  der  Franziskaner  einheitlich  zu  betrachten  ^), 
nachdem  schon  Görres  einen  Dithyrambus  auf  den  Troubadour 
Franz  verfaßt,  der,  mehr  Gedicht  als  Prosa,  es  wohl  verdiente 
mit  in  der  Reihe  von  Jacopone's  Liedern  aufgeführt  zu  werden.^) 
Der  Gründer  des  Ordens  war  selbst  in  dem  Dichten  von  Lob- 
gesängen den  Seinen  vorangegangen.  Zwei  seiner  nächsten  Schüler 
folgten  dem  Beispiel.  Der  eine  ist  jener  Fra  Pacifico,  der, 
ehe  er  Minorit  ward,  ein  Troubadour  war  und  als  ,rex  versuum' 
vom  Kaiser  selbst  gekrönt  worden  war.^)  In  welcher  Weise  er 
später  seine  weltliche  Kunst  zur  Verherrlichung  Gottes  angewandt, 
ist  leider  nicht  bekannt ,  da  keine  Lieder  von  ihm  erhalten  sind. 
Der  andere  aber  ist  Thomas  von  Celano,  der  zwar  in  latei- 
nischer Sprache,  aber  aus  echt  volksthümlicher  Empfindung  heraus 
das  gewaltige,  sturmdurchwehte  ,Dies  irae,  dies  illa',  diesen  ergreifen- 
den Mahnruf,  dessen  tiefer  Ton  dem  Schalle  der  Glocken  zu  ver- 
gleichen ist,  gesungen  haben  soll.*)  Was  in  der  nächstfolgenden 
Zeit  von  Hymnen  auf  Franziskus  gedichtet  worden,  hält  sich  meist 
im  kirchlichen  Schema,  doch  verleugnet  sich  auch  in  ihnen  nicht 
das  innige  Gefühl,  das  mit  seinem  Andenken  verknüpft  war.  Ein 
Dichter  aber  ist  auch  Bonaventura  gewesen.  Seine  mystischen 
Schriften,    sein    Leben    des    S.  Franziskus    verrathen    eine    reiche 


^)  A.  F.  Ozanam.  Les  Poetes  Franciscains  en  Italic  au  treizieme  siecle.  Paris 
1852.    8^.    Uebersetzung  von  N.  H.  Julius :    Italiens  Franziskanerdichter.     Münster  1853. 

^)  Vergl,  jetzt  J.  Della  Giovanna :  Francesco  Giullare  im  Giomale  storico  della 
letteratura  Italiana  XXV.  Er  weist  nach ,  daß  der  Wortlaut  des  Sonnenhymnus ,  wie 
er  uns  erhalten,  nicht  der  ursprüngliche  der  Improvisation  des  Franz  sein  dürfte. 

^)  Thomas  von  Celano.  II  vita.  in,  cap.  49,  S.  158.  Erat  in  Marchia  Anconi- 
tana  saecularis  quidam  sui  oblitus,  et  Dei  nescius  qui  se  totum  prostituerat  vanitati. 
Vocabatur  nomen  ejus  rex  versuum ,  eo  quod  princeps  foret  lasciva  cantantium  et  in- 
ventor  saecularium  cantionum :  ut  paucis  dicam ,  usque  adeo  gloria  mundi  extulerat 
hominem,  quod  ab  imperatore  fuerat  pomposissime  coronatus.  —  Danach  Bonaventura. 
Cap.  IV,  9 ,  der  neu  nur  hinzufügt ,  daß  die  Begegnung  des  Franz  mit  Pacifico  bei 
Castrum  S.  Severini  stattgefunden  habe. 

■*)  B.  Pisanus  schreibt  es  ihm  mit  einem  ,dicitur'  zuerst  zu  (lib.  conf.  I  fr.  XI. 
p.  Ilo).  Doch  wissen  Jordanus  und  Salimbene  Nichts  davon,  was  bedenklich  macht. 
Vgl.  Vogt:  Denkwürdigkeiten  etc.  —  Auch  das  .fregit  victor  virtualis'  und  das  .Sancti- 
tatis  nova  signa'  sollen  von  Thomas  sein. 

Thode,  Frani  von  Assisi.  28 


434 


Die  Franziskaner. 


poetische  Begabung;  unter  den  wenigen  zum  Theil  und  mit  Vor- 
behalt ihm  zuzuschreibenden  lateinischen  Gedichten  findet  sich 
neben  hergebracht  Allegorisirendem  manches  Herrliche.  Vor  Allem 
in  der  ,Philomela',  welche  die  in  gläubiger  Anschauung  des  Lebens 
und  Leidens  Christi  versunkene  Seele  verherrlicht,  in  der  schwung- 
vollen Aufforderung,  ganz  dem  Kreuze  zu  leben,  welche  beginnt: 
recordare  sanctae  crucis ,  und  in  dem  ,Lob  der  seligen  Jungfrau 
Maria'.  ^) 

Indeß :  nicht  in  der  Sprache  der  Gelehrten,  sondern  in  der  des 
Volkes  haben  die  Franziskaner  ihr  Eigenstes  gegeben,  und  ist  uns 
abgesehen  von  Jacopone's  Liedern  auch  nur  Weniges  erhalten,  so 
sind  wir  doch  berechtigt,  aus  dem  interessanten  Gedichte  eines 
norditalienischen  Mönches  zu  schließen,  daß  neben  jenem  Größten 
viele  andere  Angehörige  des  Ordens  die  Poesie  gepflegt.  Es  wäre 
auch  anders  kaum  denkbar,  da  ja  Einbildungskraft  und  Gefühl  in 
gleicher  Weise  durch  ihre  Religion  befruchtet  wurden.  Jenes  Werk 
aber ,  das  von  Ozanam  der  Vergessenheit  entzogen  wurde ,  giebt 
eine  Schilderung  der  Hölle  und  des  Paradieses  und  ist  von  einem 
Bruder  Giacomino  da  Verona  in  veronesischer  Mundart 
geschrieben.  Er  behandelt  den  heiligen  Stoff  in  der  Weise,  wie 
die  ,chansons  de  geste'  der  Zeit  die  Sagen  und  Fabeln  der  großen 
Helden,  und  appellirt  wie  diese  an  die  sinnliche  Einbildungskraft 
wenig  gebildeter  Leute.  Hält  er  bei  der  ausführlichen  Schilderung 
der  reichen  Himmelsstadt  einen  fast  prosaisch  zu  nennenden,  ruhig 
erzählenden  Ton  inne,  so  gewinnt  seine  Darstellung  bei  der  Be- 
schreibung der  Hölle  einen  größeren,  dramatischen  Schwung.  Er 
will  Furcht  und  Entsetzen  erregen,  und  das  gelingt  ihm  Dank  seiner 
drastischen  Art  ganz  vortrefflich.  Bisweilen  verschmäht  er  es  nicht, 
so  wenig  wie  später  Dante,  durch  derbe  Komik  seine  Hörer  noch 
mehr  an  sich  zu  fesseln,  sie  inmitten  der  gräßlichen  Szenen  einen 
Augenblick  aufathmen  zu  lassen. 

Wie  er  es  selbst  sagt,  liegt  seiner  Schilderung  des  himmlischen 
Jerusalem  die  Vision  des  Johannes  in  der  Apokalypse  zu  Grunde. 
Es  ist  die  viereckige ,  ummauerte  Stadt  mit  je  drei  Thoren  auf 
jeder  Seite,  von  Gold,  Perlen  und  edlen  Steinen  schimmernd,  von 
Engeln  mit  Flammenschwertern  bewacht.  Mit  Gold,  Silber  und 
Krystall    sind   die  Straßen  gepflastert,    die  Häuser  aus  schimmernd 


1)  Opera  Peltier  XIV,  S.  162.   172. 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  435 

weißem  Marmor,  sind  blau  und  golden  bemalt.  Da  giebt  es  weder 
Mond  noch  Sonne,  das  Antlitz  des  Herrn  allein  erleuchtet  sie.  Wer 
aus  den  Wassern  und  Brunnen  der  Stadt  trinkt,  kann  nie  mehr 
sterben.  Durch  ihre  Mitte  aber  läuft  ein  schöner  Strom,  von 
üppigem  Grün  umgeben,  aus  dem  Bäume,  Lilien,  Rosen,  Veilchen 
ihre  Düfte  entsenden.  Sein  Wasser  verjüngt  die  Alten,  der  Genuß 
der  Früchte,  die  an  den  Bäumen  hängen,  heilt  jegliche  Krankheit. 
Die  ganze  Stadt  ist  von  Wohlgeruch  erfüllt.  StiegUtze ,  Nachti- 
gallen und  andere  schöne  Vögel  singen  Tag  und  Nacht  in  den 
Gebüschen  in  herrlicheren  Weisen,  als  Violinen,  Lauten  und 
Schalmeien. 

Hat  der  Dichter  so  bereits  in  der  Beschreibung  seinem  Gefühl 
für  die  Natur  und  seiner  Phantasie  freien  Lauf  gelassen,  so  stellt 
er  sich  im  Folgenden,  wie  Berthold  von  Regensburg  und  wie 
Bonaventura^),  die  Gemeinschaft  der  Heiligen  als  das  Gefolge  eines 
großen  Königs  vor.  Inmitten  des  immer  grünenden  Gartens,  vor 
dem  Thron  sind  sie  versammelt,  die  heiligen  Ritter.  Da  sind  die 
Patriarchen  und  die  Propheten  in  grüne,  weiße  und  blaue  Gewänder 
gekleidet,  die  Apostel  auf  goldenen  und  silbernen  Thronen,  die 
Märtyrer  rothc  Rosen  im  Haar,  die  Bekenner,  die  Jungfrauen,  deren 
liebliche  Schaar  an  Ehren  und  Schönheit  hervorleuchtet.  Sie  Alle 
singen  dem  Herrn  Lob  und  Preis,  so  daß  von  dem  harmonischen 
Zusammenklingen  der  Stimmen  Himmel,  Luft  und  Erde  erfüllt  ist. 
Der  Anblick  von  des  Herrn  strahlendem  Antlitz,  das  Sonne,  Mond 
und  alle  Sterne  verdunkelt,  verleiht  ihnen  so  selige  Freude,  daß 
sie  verjüngt,  mit  grünendem  Herzen,  strahlenden  Augen  die  Hände 
zum  Tanze  sich  reichen  und  die  Füße  hüpfend  bewegen.  So  leben 
sie  in  ewiger  Freude,  Trost  und  Frieden,  Einer  dem  Andern  dienend, 
ihr  Glück  allein  in  der  Anschauung  Gottes  findend,  dem  sich  früh 
und  Abends  die  für  die  Menschen  betenden  Cherubim  in  großen 
Prozessionen  nahen.  Zur  rechten  Seite  Christi  aber,  des  ruhm- 
vollen Barons,  thront  Maria,  die  königliche  Maid.,  schöner  als  die 
Blume  auf  der  Wiese  und  die  kaum  erschlossene  Rose.  Vor  ihr 
neigt  sich  allezeit  mit  höfischem  Gruß  die  himmlische  Schaar  und 
singt  ihr  zu  Ehren  Lieder,  so  herrlich,  wie  es  keine  Kreatur  aus- 
zudenken vermag.  Zum  Danke  aber  schmückt  sie  ihre  getreuen 
Ritter  mit  duftenden  Kränzen  und  schenkt  ihnen  Rosse  und  Zelter. 


')  Diaeta  Salutis.     Opera,  Peltier.  Bd.  Vin. 

28* 


436  I^iß  Franziskaner. 


Die  Rosse  sind  falb,  weiß  die  Zelter,  sie  laufen  schneller  als  die 
Hirsche  und  überseeische  Winde,  und  die  Bügel,  Sättel  und  Zügel 
sind  von  Gold  und  leuchten  von  Smaragden.  Um  die  Ausrüstung 
ganz  zu  vollenden,  schenkt  sie  den  Treuen  eine  weiße  Fahne,  auf 
der  ihr  Sieg  über  den  treulosen  Löwen,  den  Satan,  dargestellt  ist. 
Glücklich  Alle,  die  in  Gemeinschaft  der  blumengeschmückten  Hei- 
ligen solcher  Herrin  immer  dienen  mögen !  Darum  bitten  wir  Alle 
sie  selbst,  daß  sie  von  Christus  unsere  Aufnahme  in  das  Paradies 
erbitte. 

Die  „istoria"  von  der  Stadt  Babylon  beginnt  mit  einer  kurzen 
Einleitung,  in  welcher  der  gute  Zweck  der  grauenvollen  Schilderung 
auseinandergesetzt  wird.  Der  Fürst  der  Hölle  ist  Lucifer,  seine 
große ,  von  jeglichem  Uebel  erfüllte  Stadt  liegt  in  den  Tiefen  der 
Unterwelt.  Von  Pech  und  Schwefel  ist  sie  entbrannt,  und  gösse 
man  alles  Meer  in  sie  aus,  es  würde  im  Feuer  zergehen  wie 
geschmolzenes  Wachs.  Giftige  Gewässer  fließen  durch  sie  hin,  von 
Gestrüpp  der  Nesseln  und  Dornen,  das  schneidender  ist  als  Schwerter, 
ist  sie  umgeben.  Ein  Himmel  von  Metall  überwölbt  sie,  ragende 
Felsen  und  Berge  umstarren  sie.  Oben  ist  eine  Pforte,  die  von 
vier  Wächtern:  Triphon,  Mahomet,  Barachin  und  Satan  behütet 
wird.  Auf  hohem  Thurme  wacht  bei  Tag  und  Nacht  eine  Schild- 
wache, mit  lautem  Rufe  zur  sorgsamen  Aufmerksamkeit  ermahnend, 
daß  Keiner  entwische.  Mit  Freuden  aber,  wie  zum  Triumphe,  wird 
der  nahende  Sünder  aufgenommen.  Man  bindet  ihm  die  Hände 
und  die  Füße  und  bringt  ihn  unter  Schlägen  vor  den  König.  Er 
wird  in's  Geföngniß  geworfen ,  einen  Brunnen ,  der  tiefer  ist ,  als 
der  Himmel  von  der  Erde  ei;itfernt  ist.  Gestank  erfüllt  denselben; 
Eidechsen,  Basilisken,  Schlangen,  Nattern,  Drachen  sind  da  in  Un- 
zahl. Mit  großen  Stöcken  hauen  die  Teufel ,  die  hundertmal 
schwärzer  als  Kohlen  sind ,  auf  ihr  Opfer  ein.  Ihr  Anblick  ist  so 
fürchterlich,  daß  man  lieber  von  Dornen  gepeitscht  von  Rom  bis 
nach  Spanien  liefe,  ehe  man  solcher  Gesellschaft  begegnete.  Aus 
ihrem  Munde  sprüht  Feuer,  sie  tragen  Hörner  an  den  Köpfen,  ihre 
Hände  sind  rauh,  sie  heulen  wie  die  Wölfe  und  bellen  wie  die 
Hunde.  Sie  werfen  den  Sünder  in  Wasser,  das  so  eisig  ist,  daß 
er  lieber  wieder  im  Feuer  wäre,  und  ist  er  im  Feuer,  so  sehnt  er 
sich  nach  dem  Wasser.  Dann  kommt  ein  schrecklicher  Koch, 
Beelzebub,  der  ihn  wie  ein  schönes  Schwein  an  einen  Bratspieß 
steckt   und  röstet,    mit  einer  guten  und  feinen  Sauce  von  Wasser, 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  437 

Salz,  Ruß,  Essig,  Galle  und  Gift  begießt  und  so  als  Speise  dem 
Höllenfürsten  bringt.  Als  Der  sie  probirt  hat,  schimpft  er  den 
Boten  aus:  ,, Dafür  gebe  ich  nicht  eine  trockene  Feige,  denn  das 
Fleisch  ist  roh  und  das  Blut  zu  frisch.  Gleich  kehre  wieder  zurück 
und  sage  jenem  Schuft  von  Koch,  daß  der  Braten  mir  nicht  gut 
gelungen  dünkt  und  daß  er  ihn  umgekehrt  wieder  in  das  Feuer 
stecke  und  einen  Tag  und  Nacht  lang  darin  brennen  lasse.  Und 
ohne  Umschweife  sag  ihm  in  meinem  Namen,  daß  er  mir  ihn  lieber 
gar  nicht  wieder  schicke,  sondern  immer  darin  lasse,  und  daß  er 
ja  nicht  nachlässig  und  faul  sich  zeige,  sonst  verdient  er  es  selbst 
wohl,  dasselbe  Uebel  und  noch  mehr  zu  erleiden."  —  Das  Feuer 
selbst  aber  läßt  sich  nicht  schildern,  da  es  über  menschliches 
Denken  schrecklich  ist :  es  wirft  keinen  Schein,  sondern  ist  schwarz 
und  stinkend.  Es  ist  so  viel  schlimmer  als  das  Feuer  auf  Erden, 
als  dieses  schlimmer  ist,  denn  ein  gemaltes  Feuer. ^)  Die  Teufel 
rufen  einander  zu,  es  zu  schüren,  der  eine  hämmert  Eisen,  der 
andere  gießt  Erz,  andere  laufen  herum  und  martern  die  Sünder. 
Oder  sie  sammeln  sich  mit  Waffen  jeder  Art  in  der  Hand  unter 
Anführung  eines  Riesenteufels,  gleich  Jagdhunden  den  Sünder  zu 
hetzen,  dem  nirgends  Zuflucht,  nirgends  Rettung  geboten  wird. 
Haben  sie  ihn  erwischt,  so  werfen  sie  ihn  auf  den  Boden  und 
stechen  und  schlagen  ihn  nach  Herzenslust,  ziehen  einen  Strick 
durch  seine  Nase  und  schleifen  ihn  mit  sich  fort.  Da  sind  nicht 
Eltern,  nicht  Nachbarn,  nicht  Freunde,  die  ihm  zu  Hilfe  kommen. 
In  herzzerreißenden  Worten  verflucht  er  die  Stunde,  in  der  ihn  die 
Mutter  geboren  und  fleht  die  Seinen  an,  ihm  zu  helfen.  Aber  für 
den  Verdammten  giebt  es  keine  Rettung  mehr.  Und  treffen  sich 
Vater  und  Sohn  in  der  Hölle,  so  verwünschen  sie  sich  gegenseitig; 
der  Sohn  sagt:  ,,Gott,  der  im  Himmel  die  Krone  trägt,  verfluche 
dir,  Vater,  die  Seele  und  den  Körper.  Denn  so  lange  ich  auf  der 
Erde  war,  hast  du  mich  nicht  gezüchtigt,  sondern  zu  größerem 
Uebel  aufgemuntert;  Gold  und  Silber  hast  du  mir  bewilligt,  daher 
ich  nun  in  schrecklich  grausame  Arme  geworfen  bin.  Ich  weiß 
es  und  erinnere  mich  wohl,  wie  du  mich  mit  Schlägen  verfolgtest, 
that  ich's  mit  Recht  oder  Unrecht,  wenn  ich  unsern  Nachbarn  und 
Freund   nicht   betrog."     Und   der  Vater  antwortet:    „O  verfluchter 


^)  Diesen  dem  Augustinus  entlehnten  Vergleich  liebte  auch  Berthold  von  Regens- 
burg anzuwenden,  z.  B.  I,   127  und  öfters. 

/ 


438  Die  Franziskaner. 


Sohn,  wegen  des  Guten,  was  ich  dir  wollte,  bin  ich  hierher  ver- 
setzt; Gott  habe  ich  verlassen  und  mich  selbst,  da  ich  Wucher 
und  schändlichen  Diebstahl  betrieb.  Viel  Mühen  erlitt  ich  immer 
bei  Tag  und  Nacht ,  um  dir  Burgen ,  Thürme  und  Paläste ,  die 
Berge  und  Felder  und  Wälder  und  Weinberge  und  Grundstücke 
zu  erwerben,  daß  es  dir  während  deines  Lebens  wohl  ergehe !  So 
groß  war  das  Denken  und  die  Mühe  um  dich,  du  viel  süßer  Sohn, 
daß  Gott  mich  verdammt!  Denn  der  Armen  Gottes  gedachte  ich 
nicht  mehr,  so  daß  sie  vor  Hunger  und  Durst  auf  der  Straße 
starben.  Närrisch  und  verrückt  aber  scheine  ich  wahrlich,  da  nichts 
es  mir  frommt  zu  klagen  und  mich  zu  zerschlagen,  denn  voll 
bezahlt  bin  ich  wirklich  mit  so  reichlicher  Münze,  daß  sie  vierfach 
gilt."  Dann  stürzen  sie  auf  einander  los,  mit  solcher  Wuth,  daß 
am  liebsten  Einer  dem  Andern  das  Herz  im  Leibe  auffräße.  — 
Schlimmeres  vermag  der  Dichter  den  Hörern  nicht  zu  sagen ,  so 
wendet  er  sich  zum  Schluß  mit  der  Aufforderung  an  sie,  ihre 
Sünden  zu  bereuen  und  so  der  Hölle  zu  entgehen. 

Gedichte,  wie  diese,  die  mit  glühenden  Farben  und  mit  dra- 
matischem Schwünge  die  letzten  Dinge,  Himmel  und  Hölle,  schil- 
derten, hat  es  gewiß  in  jenen  Zeiten  in  großer  Anzahl  gegeben  — 
mußten  die  Bettelmönche,  namentlich  die  Franziskanerprediger 
doch  gerade  in  solchen  Schilderungen  das  beste  Mittel  sehen,  das 
Volk  zu  rühren  und  zu  ergreifen.^)  Unter  ihrem  Einflüsse  ent- 
standen die  phantastischen  Visionen  von  der  Unterwelt,  die,  bei 
Matthäus  Paris  und  anderen  Chronisten  der  Zeit  verzeichnet,  uns 
einen  lebendigen  Einblick  in  das  Schaffen  der  durch  Bußpredigten 
aufgeregten  Einbildungskraft  des  Volkes  gewähren.  Als  Dante 
seine  ,, Divina  commedia"  dichtet,  verleiht  er  nur  dieser  speziellen 
Richtung  dichterischer  Thätigkeit,  diesen  im  Volke  verbreiteten 
Anschauungen  den  ewigen  Gehalt.  Gedichte  wie  die  des  Giacomino 
sind  die  direkten  Vorläufer  des  gewaltigen  Werkes. 

Wann  Giacomino  gelebt,  ist  noch  nicht  festgestellt.  Mussafia 
vermuthet,  im  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts.  Er  schreibt  ihm  mit 
großer  Wahrscheinlichkeit  auch  noch  einige  andere  kleinere  Poesieen 
zu,  so  ein  echt  Franziskanisches  Liebeslied :  .dell'  amore  di  Gesü', 
eine    empfindungsvolle    Betrachtung    der   Gebrechlichkeit    mensch- 


^)  Sal.  Chronik  S.  97  von  Hugo  de  Bareola:   Mirabilia  dicebat  de  coelesli  curia, 
id  est  de  gloria  paradisi  et  terribilia  de  infemalibus  poenisl 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  439 

liehen  Lebens,  bei  der  man  lebhaft  an  ein  Lied  Jacopone's  gemahnt 
wird^),  ein  Lob  der  Jungfrau  Maria,  eine  Bitte  an  dieselbe  und 
eine  Schilderung  des  jüngsten  Gerichtes.-)  So  eingehend  dies 
letztere  Gedicht  die  Schrecken  des  Augenblicks  schildert,  so  ist  es 
doch  nicht  reich  an  bildlich  anschaulichen  Motiven.  Neu  scheint 
mir  nur  der  festliche  Empfang  der  Auserwählten  zu  sein :  die  Hei- 
ligen und  Tugenden ,  Michael  mit  seiner  Schaar  ziehen  ihnen  in 
weißen  Gewändern  entgegen  und  reichen  ihnen  Kränze  von  Rosen. 
Zu  dem  Orden  der  Humiliaten  gehört  der  1288  und  1291 
erwähnte  Fra  Bonvesin  della  Riva,  dessen  Gedichte  J. Bekker 
nach  einem  in  Berlin  befindlichen  Manuskripte  herausgegeben  hat.'') 
Er  darf  wohl  hier  erwähnt  werden,  da  die  ,laudes  de  virgine  Maria', 
die  Unterredung  des  Sünders  mit  Maria,  namentlich  die  Aufforderung 
zum  Almosengeben  echte  Franziskanerempfindung  verrathen.  Auch 
die  Wahl  mancher  Stoffe  läßt  den  Einfluß  der  Franziskaner  er- 
kennen: so  der  zwei  sogenannten  ,Kontraste',  in  denen  erzählt 
wird,  wie  die  Seele  des  Sünders  zum  todten  Körper  zurückkehrt 
und  ihm  Vorwürfe  macht,  wie  die  Seele  des  Gerechten  ihm  dankt.*) 
Auch  der  andern  beiden,  in  denen  Seele  und  Körper  nach  erfolgtem 
Richterspruch  Wechselreden  halten.'')  Jene  Anschauung  des  Hie- 
ronymus  von  den  fünfzehn  Wunderzeichen,  welche  dem  jüngsten 
Gerichte  vorangehen,  der,  wie  es  scheint,  die  Minoriten  besondere 
Aufmerksamkeit  geschenkt  haben,  ist  von  Fra  Bonvesin  in  latei- 
nischen Versen  behandelt  worden.")  Seine  zwei  bedeutendsten 
Gedichte  im  Volgare  aber  sind  ein  , Zwiegespräch  zwischen  dem 
Satan  und  Maria'  und  ,das  jüngste  Gericht'.  In  ersterem  beklagt 
sich  der  Teufel  darüber,  daß  Maria  ihm  die  Sünder  entreiße. 
Warum  sie  sich  wohl  der  Menschen,  aber  nicht  seiner,  der  doch 
nur   einmal   gesündigt,    erbarme?     Sie    hält   ihm   vor,    daß    er  aus 


^)  Ich  meine  Jacopone's  Lied:  O  vita  penosa,  in  der  Venezianischen  Ausgabe  16 17 
die  n.  Sat.  im  I.  Buch. 

2)  Mussafia:  Sitzungsberichte  der  k.  k.  Ak.  d.  W.  Phil.-hist.  Kl.  1864.  Bd.  XL  VI 
S.  1 1 3  ff-  Hier  auch  ein  kritischer  Text  des  Gedichtes  von  Paradies  und  Hölle,  welches 
von  Ozanam  ungenau  publizirt  war. 

ä)  Monatsberichte  der  k.  Preuss.  Ak.  d.  W.  1850.  S.  322  ff.  438  ff.  —  1851, 
S.   I — 217. 

*)  A,  a.  O.  S.  142.   143. 

<*)  A,  a.  O.  S.  144.  145. 

^)  A.  a.  O.  S.  379.  Vergl.  Antonius  v.  Padua :  Sermones  in  den  Opera  (Regens- 
burg  1739),   S.  50fr.  —  Bonaventura:  Diaeta  Salutis.  Opera  Peltier  Bd.  VIII. 


440  Die  Franziskaner. 


Hochmuth  und  aus  freiem  Willen  gefehlt,  worauf  er  ein  sonder- 
bares Verdienst  sich  zuschreibt :  ohne  ihn  hätte  sie  nicht  die  Ehre 
gehabt,  die  Mutter  Christi  zu  werden.  Er  beschwert  sich  über  die 
Ungerechtigkeit  Gottes  gegen  die  gefallenen  Engel,  was  die  Himmels- 
königin mit  dem  Hinweis  auf  deren  freien  Willen  zurückweist. 
Endlich,  da  sie  sich  seiner  nicht  erbarmt,  droht  er  erbittert,  der 
Erde  wilden  Kampf  zu  bereiten.  An  Fra  Giacomino  erinnert  in 
manchen  Dingen  das  andere  Gedicht  vom  jüngsten  Tage ,  in  dem 
er  die  Hölle  und  den  Himmel  ähnlich  beschreibt,  ja  jene  drama- 
tische Szene  des  Höllenzwistes  zwischen  Vater  und  Sohn  seiner- 
seits bringt.^)  Die  große  Lebendigkeit  und  Anschaulichkeit  der 
Schilderung  geht  ihm  freilich  ab.  Von  vortheilhafter  Seite  zeigt 
er  sich  in  der  Erzählung  von  Fabeln  wie  jener  des  Streites 
zwischen  Mücke  und  Ameise  und  zwischen  Rose  und  Veilchen, 
welch'  letzterer  von  der  Lilie  zu  Gunsten  des  Veilchens  ent- 
schieden wird.^) 

Neben  den  beiden  erwähnten  Dichtern  verdient  ein  dritter, 
Pietro  da  Barsegape,  noch  genannt  zu  werden,  von  dessen 
Lebensumständen  Nichts  bekannt  ist.  Vermuthlich  war  auch  er 
Mönch  und  lebte  um  die  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts.  Seine 
gereimte  , biblische  Geschichte'  in  Volgare  geschrieben,  die  von 
Biondelli  publizirt  worden  ist,  zeigt  weder  in  der  Sprache  noch  in 
der  Auffassung  besondere  Originalität  und  entbehrt  bis  auf  die 
Klage  der  Maria  am  Kreuz  jeder  phantasievollen  Ausschmückung.^) 

Finden  wir  so  auch  im  Norden  Italiens  eine  neue  religiöse 
Dichtung,  so  bleibt  doch  deren  eigentliche  Heimath  Umbrien,  das- 
selbe Land,  in  dem  seit  des  Franziskus  Zeit  die  religiöse  Erregung 
immer  neuen  Ausdruck  gewann.  In  Umbrien  ist  jene  volksthüm- 
liche  Dichtung  der  ,  Lau  da'  entstanden,  des  populären  religiösen 
Liedes,  das,  in  den  Momenten  ekstatischer  Begeisterung  gedichtet, 
von  Mund  zu  Mund  sich  fortpflanzte  und  ebensowohl  bei  der 
Arbeit  und  im  stillen  Heim  als  auf  Pilgerfahrten  von  ganzen 
Schaaren  gesungen  wurde.  Schwerlich  wird  man  von  einem  be- 
stimmten   ersten    Erfinder    dieser   Form    sprechen    können:    sie   ist 


1)  A.  a.  O.  S.  185  ff. 

2)  A.  a.  O.   1851.  S.  3,  85. 

^)  Biondelli:  Studii  linguistici.  Milano,  Bernardoni.  1856.  S.  193  ff.  Tobler  weist 
anläßlich  des  1884  von  ilim  publizirten  Gedichts  Uguccione's  von  Lodi  (Das  Buch  des 
Ugugon  da  Laodho,  Berlin)  nach,  daß  Barsegape  dieses  benutzt  hat. 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  44 1 

entstanden,  wie  das  Volkslied  überhaupt  entsteht  —  ausgebildet 
aber  ward  sie  offenbar  von  jenen  ,Disciplinati  di  Gesü  Cristo',  von 
jenen  Schaaren  in  Säcke  gekleideter,  mit  Asche  bestreuter  Geißler, 
die  dem  fanatischen  Eremiten  Ranieri  Fasani  aus  Perugia  folgten 
und  singend,  weinend,  mit  Stricken  ihr  Fleisch  zerreißend  und  Blut 
vergießend  durch  das  Land  zogen  und  Buße  predigten.  Die  Be- 
wegung ging  weit  über  die  Grenzen  Umbriens  hinaus ,  in  allen 
Städten  Italiens  erschienen  plötzlich  die  jammervollen  Gestalten. 
Als  aber  der  eigentliche  Sturm  vorüber  war,  bildeten  sich  aus 
dieser  Schaar  von  Flagellanten  Laiengenossenschaften,  welche  sich 
,Laudesi'  nannten.  Von  ihnen  ward  fortan  die  Lauda,  das  geist- 
liche Volkslied,  das  somit  unzweifelhaft  aus  des  Franziskus  Be- 
wegung hervorgegangen  ist,  gepflegt,  von  ihnen  auch  die  drama- 
tische Form  desselben  und  damit  das  dramatische  italienische 
Mysterium  ausgebildet.^)  Von  den  erhaltenen  Laudensammlungen 
ist  leider  bisher  wenig  publizirt,  doch  ist  es  uns  gestattet,  die  leb- 
hafteste Anschauung  von  dieser  Dichtungsart  aus  den  Liedern  des 
größten  Franziskanerdichters ,  des  Jacopone  da  Todi,  zu  ge- 
winnen.   Durch  ihn  erhielt  die  Form  eine  hervorragende  Bedeutung. 

In  der  Sakristei  des  Domes  von  Prato  hängt  ein  wenig  beach- 
tetes Bild,  das  auf  den  ersten  Blick  fast  abstoßend  wirkt,  bei 
näherer  Betrachtung  aber  im  Beschauer  eine  tiefe  Rührung  erweckt. 
(Abb.  66.)  Es  stellt  einen  hageren  alten  Bettelmönch  vor,  der  mit 
kurzer,  enger  Kutte  bekleidet,  wehmüthigen  Blickes  herausschaut. 
Schwere  Seelenleiden  haben  ihre  Spur  auf  seinem  Antlitz  zurück- 
gelassen. In  den  Händen  hält  er  ein  Buch,  auf  dem  zu  lesen  ist: 
ke  farai  fratre  Japone  hör  se  giunto  al  paraone. 

Unten  aber  trägt  die  Tafel  die  Inschrift :  Beato  Jacopo  da 
Todi.  Wäre  das  Bild  nicht  zweifellos  am  Anfange  des  XV.  Jahr- 
hunderts entstanden  und  zwar,  wie  ich  glaube,  von  der  Hand  des 
Antonio  Vite,  dem  man  die  schwächeren  unter  den  Fresken  einer 
Marienkapelle  im  Dome  zuschreibt,  könnte  man  glauben,  ein  wirk- 
liches Portrait  vor  sich  zu  sehen,  so  individuell  und  lebenswahr 
sind  die  derben  Züge  des  breiten  Kopfes.    Ist  dies  aber  auch  nicht 


1)  Monaci:  Riv.  Fil.  Rom.  I,  S.  235  ff.  250  ff.  II,  29  ff.  —  D'Ancona:  Origini 
del  Teatro  in  Italia.  Florenz  1877.  I,  105  f.  —  Mazzatinti:  Giomale  Fil.  Rom.  III, 
85  ff.  —  Des  G.  Minoglio :  Laude  de'  Disciplinati  di  S.  Maria.  Turin  1880  standen 
mir  nicht  zur  Verfügung. 


442 


Die  Franziskaner. 


der  Fall,  so  fällt  es  doch  schwer,  hat  man  das  Bild  einmal  gesehen, 
sich  fernerhin  den  leidenden,  gottseligen  Sänger  anders  zu  denken. 
Jenes  Lied  hat  er  im  Kerker  geschrieben. 

Wie  Franziskus  ist  Jacopo  dei  Benedetti  ^)  durch  eine,  sein 
Innerstes  erschütternde  Erfahrung  aus  einem  weltlichen  Dingen 
nachgehenden  Leben  mit  Gewalt  herausgerissen  worden.  Er  hatte 
die  Rechte  in  Bologna  studirt  und,  in  seine  Vaterstadt  Todi  zurück- 
gekehrt, eine  schöne  und  vornehme  Gattin  heimgeführt.  Als  bald 
darauf  1268  die  öffentlichen  Spiele  gefeiert  wurden,  begrub  vor 
seinen  Augen  eine  zusammenbrechende  Tribüne  die  geliebte  Frau  — 
von  diesem  Augenblicke  an  verwandelte  sich  all  sein  Denken ! 
Wie  ein  Narr  lief  er,  in  Lumpen  gehüllt,  durch  die  Straßen  und 
beging  die  tollsten  Dinge.  Aus  der  Verzweiflung  aber  stieg,  einer 
Blume  gleich,  die  aus  dem  Sumpf  sich  erhebt,  eine  von  allen 
irdischen  Freuden  sich  lossagende,  religiöse  Begeisterung,  die  ihn 
endlich  1278  in's  Kloster  der  Franziskaner  trieb.  Auch  er,  wie 
Franz ,  warf  all  sein  Hab  und  Gut  von  sich  und  predigte  dem 
erstaunten  Volke  sein  überschwängliches  Gefühl.  Die  Minoriten, 
die  ihn  aufzunehmen  zögerten,  solleft  durch  zwei  Lieder,  die  er 
ihnen  vorwies,  bewogen  worden  sein,  ihm  Zuflucht  im  Kloster 
zu  gönnen. 

Das  eine :  ,cur  mundus  militat  sub  vana  gloria'  besingt  die 
Vergänglichkeit  irdischen  Ruhmes,  das  andere:  ,udite  nova  pazzia' 
ist  das  Siegeslied  des  göttlicher  Narrheit  sich  ergebenden  Mannes, 
der  unter  dem  Kreuze  sein  Heil  sucht : 


Fort  mit  allen  Syllogismen, 
Kettenschlüssen  und  Sophismen, 
Fort  Problem'  und  Aphorismen 
Und  die  Spintisirerei. 


^)  Ausgaben  seiner  Gedichte  1490.  Florenz.  Bonacorsi.  —  1495.  Brescia,  Misini. 
—  15 14.  Venedig,  Benalius.  —  1556.  Wiederabdruck  der  von  151 4.  —  1558.  Rom, 
Salviano.  —  1615.  Napoli,  Scoriggio.  —  1617.  Venedig,  Missirini,  die  ich  hauptsächlich 
benutzt.  —  Femer  Nachträge :  Alessandro  da  Mortara :  Poesie  inedite.  1 8 1 9.  —  Nannucci : 
Manuele  della  literatura  I,  S.  392  ff.  u.  a.  m.  Vergl.  Ozanam.  A.  a.  O.  S.  154.  — 
Böhmer:  Roman.  Studien.  I.  Bd.  71 — 75.  S.  123  ff.  —  Tobler  im  Jahrbuch  f.  rom. 
Phil.  II,  S.  52.  III,  S.  187.  —  Uebersetzungen :  M.  von  Diepenbrock.  Geistl.  Blumen- 
strauß. Sulzbach.  11.  Ausg.  1852.  —  Mohnicke:  Kirchen-  und  litterar.  - histor.  Studien 
und  Mitth.  Stralsund  1825.  Bd.  I.  —  C.  Schlüter  und  W.  Storck:  Ausgewählte  Ge- 
dichte Jacopone's.  Münster  1864.  Ein  bisher  unbekanntes  Manuskript  der  Gedichte 
J's.  ist  aus  der  Hamiltonsammlung  nach  Berlin  gekommen  in  die  k.  Bibliothek. 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  443 

Will  von  Plato  weg  mich  wenden, 

Mag  den  Athem  er  verschwenden, 

Zu  erweisen  aller  Enden 

Eine  winz'ge  Lumperei. 

Will  verschmähn  die  feinen  Künste, 

Aristoteles'  Gespinnste, 

Denn  sie  bringen  nicht  Gewinnste 

Und  zumeist  ist's  Ketzerei.^) 

An  Entsagung,  Buße  und  Selbstverachtung  hat  er  mehr  voll- 
bracht, als  Menschen  möglich  zu  sein  scheint.  Die  laxere  Auf- 
fassung der  Regel  mußte  seinen  Zorn  erregen ,  so  schloß  er  sich 
der  strengeren  Richtung  der  Spiritualen  an  und  begrüßte  mit  Jubel 
die  Wahl  des  Eremiten  Peter  von  Morrone  als  Coelestin  V.  zum 
Papste  in  dem  Liede : 

Che  farai,  Pier  da  Morrone 
Ci  venuto  al  paragone 
Vederemo  el  lavorato 
Che  en  cella  ai  contemplato.*) 

Als  aber  Coelestin  nach  fünf  Monaten  schon  abdankte  und 
Bonifaz  VIII.  den  päpstlichen  Stuhl  bestieg ,  schloß  sich  Jacopone 
dessen  Gegnern,  den  Kardinälen  Colonna,  an  und  mußte  in  Folge 
dessen  die  ganze  Rache  des  Papstes  fühlen.  Dessen  Antwort  auf 
die  verwegenen,  von  sittlichem  Zorne  eingegebenen  Satiren : 

O  papa  Bonifazio 
Molto  hai  giocato  al  mondo*) 
und 

O  papa  Bonifatio 

lo  porto  il  tuo  prefatio'*) 

war  die  Einkerkerung  des  kühnen  Dichters  im  Jahre   1298. 

Wer  Bonifaz  VIII.  in  Schutz  nimmt,  muß,  wie  Ozanam,  Jacopone 
so  gut  es  geht  zu  entschuldigen  versuchen,  wer  aber  Dante's  herbes 
Urtheil  über  den  Papst  gerecht  findet,  kann  den  Dichter  nur  be- 
wundern wegen  der  beispiellos  kühnen  Sprache,  die  er  dem  Mäch- 
tigsten gegenüber  führt,  und  wegen  der  Standhaftigkeit,  mit  der  er 
seine  freie  Gesinnung  gewahrt  hat.  Während  die  Colonna  fußfällig 
die  Verzeihung  erflehten  und  erhielten,   hatte  er  nur  stolz  bittende 


^)  Lib.  I,  Sat.   I.     Uebersetzung  von  Schlüter  und  Storck,  S.  6. 

*)  Die  folgenden  Zitate  beziehen  sich  auf  die  Venezianische  Ausgabe:  lib.  I.  Sat.  15. 

*)  Ausgabe  von  1558. 

*)  Ebendas. 


444 


Die  Franziskaner. 


Verse;  auch  das  Jubeljahr  1300,  dessen  Segen  ihn  empfahen  zu 
lassen  er  in  ergreifenden  Worten  den  unerbittlichen  Gegner  bat^), 
verging,  ohne  ihm  Befreiung  zu  bringen.  Erst  der  Tod  Bonifazens 
öffnete  1303  die  Thüren  des  Kerkers.  Im  Kloster  zu  Collazone 
verlebte  er,  mit  Giovanni  de  Alvernia  in  inniger  Freundschaft  ver- 
bunden, die  letzten  Lebensjahre  und  starb  1306.  ,,Man  sagt  und 
glaubt,  daß  dieser  selige  Jacopone  von  Liebe  zu  Christus  gestorben 
und  daß  aus  allzugroßer  Liebe  sein  Herz  zersprungen  sei.  Wie  er 
denn  auch,  da  er  viele  Jahre  vor  seinem  Tode  beständig  weinte, 
auf  die  Frage ,  warum  er  so  beständig  weine ,  geantwortet  hat : 
,Ich  weine,  weil  die  Liebe  nicht  geliebt  ist.'  Das  größte  Glück, 
welches  die  Seele  in  diesem  Leben  haben  kann,  ist,  wenn  sie  be- 
ständig mit  Gott  und  in  Gott  beschäftigt  ist,  und  zu  diesem  Zu- 
stande glaubt  man,  sei  seine  Seele  durchgedrungen."^) 

Dieser  große  Thor  Jacopone  ist  einer  der  größten  Dichter  ge- 
wesen, die  Italien  hervorgebracht  hat. ^)  Eine  ungestüme,  leiden- 
schaftliche Natur,  aus  der  bei  jeder  Berührung  das  Feuer  lodernd 
emporfährt,  hat  er  sein  ganzes  Fühlen  und  Sehnen  in  zahllosen 
Liedern  voll  und  ungetrübt  ergossen,  die  bald  wie  ein  mächtiger 
Kampfesruf,  bald  wie  berauschende  Liebesworte  tönen.  Der  Wohl- 
laut seiner  dem  Volke  abgelauschten  Sprache  macht  ganz  ver- 
gessen ,  wie  ungefüge  und  widerwillig  sie  sich  noch  in  strenge 
Formen  binden  läßt.  Wie  ein  frischer  Strom  über  trotzig  sich 
stemmende  Felsblöcke  bricht  sie  sich  Bahn.  Die  Ursprünglichkeit, 
die  Wahrheit  der  Empfindungen  berührt  wunderbar  neu  und  er- 
greifend, wird  man  auch  häufig  genug  noch  an  die  gefühllosen 
Reimereien  der  Troubadours  und  an  deren  Wortgespiele  erinnert, 
in  das  Jacopone,  wie  d'Ancona  treffend  bemerkt,  regelmäßig  ver- 
fallt, wenn  er  im  höheren  Stil  schaffen  will.  Das  Wesentliche  bleibt 
doch  das  durchaus  Subjektive  in  seiner  Dichtung.  Man  nimmt  an 
den  persönlichen  Erlebnissen,  den  Kämpfen  und  Siegen  seines  be- 
wegten Innern  vollen  Antheil  und  lebt  sie  mit  ihm  durch.  Aus 
einer  Anfangs  verzweifelten,  dann  schwermüthigen  Weltanschauung, 
der    das  Leben    nur  Ein   großer  Todtentanz  ist,    schwingt  sich  die 


^)  Lib.  I,  Sat.  17.     Lo  Pastor  per  mio  peccato. 

2)  Böhmer,  a.  a.  O.     S.  132.     Nach  dem  einen  Pariser  Manuskript. 

^)  Vergl.  die  sachliche  und  gemäßigte  Würdigung  der  Dichtkunst  Jacopone's, 
gegen  deren  Ueberschätzung  Protest  erhoben  wird,  von  d'Ancona :  Studi  sulla  letteratura 
Italiana,  Ancona  1884,  S.  i  ff. 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  44  c 

Sehnsucht,  dem  Phönix  gleich,  der  Sonne  ewiger  Liebe  entgegen. 
Eine  Reihe  tiefsinniger,  trauernder  Betrachtungen  über  die  Ver- 
gänglichkeit des  irdischen  Lebens  und  seiner  Güter  darf  uns  wohl 
in  die  erste  Zeit  grübelnder  innerer  Einkehr  versetzen. 

Mensch,  zu  denken  mach  dich  dran, 
Woher  kommt  dir  denn  dein  Rühmen? 

Mensch,  bedenk  aus  was  wir  sind, 
Was  wir  waren,  was  wir  werden, 
Und  wohin  wir  kehren  müssen. 
Mach  dich  dran,  dem  nachzusinnen. 

Bist  entstanden  ja  aus  faulem 
MenschenstofFe,  beug  das  Haupt! 
Wenn  du's  Leben  richtig  anschaust, 
Hast  du  nichts,  drob  zu  frohlocken. 

Bist  aus  niedrem  Stoff  gebildet. 
Und  in  Weinen  nur  gezeitigt, 
Bist  in  Elend  umgegangen, 
Mußt  zur  Asche  wiedrum  kehren. 

Bist  gekommen  wie  ein  Pilgrim, 
Nackt  und  arm,  elendiglich, 
Und  beim  Antritt  deiner  Wand'rung 
Weinen  war  dein  erster  Sang.  ^) 

Was  ist,  fragt  er  in  einem  andern  Liede,  aus  allen  den  Männern 
geworden,  die  groß  und  herrlich  bei  ihrem  Leben  waren.?  Wo  ist 
der  edle  Salomo ,  wo  der  unbesiegliche  Samson ,  wo  der  schöne 
Absalon ,  wo  der  liebenswerthe  Jonathan ,  wo  der  erhabene  Kaiser 
Caesar,  wo  der  glänzende  Xerxes,  wo  der  beredte  Tullius,  wo  der 
Denker  Aristoteles }  Alle  sind  sie  mit  so  großen  Reichen ,  so 
trotziger  Gewalt,  solcher  tiefer  Weisheit  in  einem  Augenblick  ver- 
schwunden. Drum  ein  Thor,  der  sein  Herz  an  die  Dinge  dieser 
Welt  hängt ,  statt  sie  zu  verachten.  ^)  Das  ergreifendste  dieser 
Lieder :   ,0  vita  penosa',    läßt  das  ganze  Leben  des  Menschen  von 


^)  Sat.  V.  lib.  I.  —  Gereimte  Uebersetzung  bei  Schlüter  und  Storck ,  S.  24. 
Meine  Uebersetzung  giebt  die  Reime  nicht  wieder.  Selbst  die  vortrefflichen  Ueber- 
tragungen  des  Kardinals  von  Diepenbrock ,  Schlüter's  und  Storck's  zeigen ,  daß  der 
eigene  Zauber  von  Jacopone's  einfacher  Sprache  und  Gedanken  sehr  leidet  durch  die 
Reime.  Eine  möglichst  wortgetreue  Uebersetzung  allein  kann  einen  annähernd  rich- 
tigen Begriff  von  seinen  Dichtungen  geben  und  darum ,  nicht  um  religiöse  Erbauung, 
ist    es   uns   ja    hier   zu   thun.     Eine  Ausnahme  mache  ich  beim  ,stabat  mater  speciosa'. 

*)  Cur  mundus  militat  sub  vana  gloria.  Daniel,  Thesaurus  hymnologicus  11,  379.  — 
Vgl.   Ozanam,  S.  165,  wo  auch  deutsche  Uebersetzung  von  Dreves. 


446 


Die  Franziskaner. 


der  Geburt  bis  zum  Tode  am  Blicke  vorüberziehen.  Mit  dem 
Eintritt  in  das  Dasein  beginnt  die  Klage.  Welche  Sorgen  bereitet 
das  Kind  der  Mutter.?  Vor  Kälte  fröstelnd  muß  sie  in  der  Nacht 
sich  erheben,  das  hungrige  zu  nähren.  In  seinem  Unverstände 
schreit  es  ohne  Unterlaß  und  ohne  Noth.  Sie  aber,  keinen  Rath 
sich  wissend ,  glaubt  in  Herzensangst ,  es  werde  sterben ,  und ,  die 
Lampe  in  der  zitternden  Hand ,  sucht  sie  vergeblich  die  Ursache 
seines  Wimmerns  zu  entdecken  und  ihm  Hülfe  zu  bringen.  Dann 
kommen  die  mühsamen  Jahre  des  Lernens,  der  kostspielige  Verkehr 
des  Jünglings  mit  seinen  Altersgenossen,  der  den  Eltern  bittere 
Sorgen  bereitet,  später  das  unablässige  sich  Abarbeiten  und  Mühen 
für  die  eigene  Familie.  Krankheit  stellt  sich  ein,  die  Doktor- 
rechnungen nehmen  kein  Ende.  Das  Gemüth  wird  verzagt  und 
unzufrieden,  keine  Jahreszeit  ist  ihm  recht,  die  Gedanken  lassen  in 
der  Nacht  nicht  mehr  schlafen.  Endlich  kommt  das  hülflose  Alter 
und  wozu  das  Alles }  —  Um  von  Würmern  gefressen  zu  werden !  ^)  — 
So  war  das  Leben  noch  nie  geschildert  worden ,  in  so  drastischen 
Bildern,  in  so  hoffnungslos  schneidender  Weise,  aus  solch  seelischer 
Verzweiflung  heraus !  Das  ist  der  Schrei  eines  tödtlich  getroffenen 
Menschen ,  der  seine  Wunden  aufreißt ,  in  grimmigem  Vergnügen 
sich  an  ihrem  Anblick  zu  weiden.  Wer  sich  fragt,  wo  und  wann 
jene  grausam  ironische  Stimmung,  die  der  Welt  die  Darstellungen 
des  Siegers  Tod  und  der  Todtentänze  geschenkt,  zuerst  in  künst- 
lerischer Form  an's  Licht  hervorgebrochen  sei  —  in  diesen  Liedern 
Jacopone's  möge  er  die  Antwort  suchen !  ^) 

Die  mystische  Vereinigung  der  Seele  mit  Gott,  die  Bonaventura 
auf  dem  gewundenen  Wege  der  Spekulation  erstrebte,  erringt  sich 
Jacopone  mit  dem  ungestümen  Drange  seiner  leidenschaftlichen 
Seele.  Dennoch  aber  reizt  es  ihn  oft,  den  Ideen  seines  großen 
Ordensbruders  nachzugehen,  von  ihnen  auf  seiner  Wanderung  sich 
führen  zu  lassen ,  sie  in  Liedern  zu  verherrlichen.  Die  Himmels- 
leiter, auf  deren  Stufen  die  Tugenden  stehen,  der  Kampf  der 
Tugenden  und  Laster,  die  vier  Schlachten  der  Seele,  die  fünf 
Schilde  der  Geduld  und  so  viele  andere  allegorische  Bilder  müssen 
ihm    dienen,    Unaussprechliches    faßHch    zu  machen.^)     Ergreifende 


1)  Sat.  II.  lib.  I. 

2)  Man  vergl.  den  Abschnitt  über  die  Todesdarstellungen  weiter  unten. 

^)  Vgl-  seinen  Traktat,  die  sogenannten  ,Detti'  und  viele  Gedichte,  namentlich  die 
Cantici  des  II.  Buches  in  den  Poesie  spirituali. 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  447 

Vergleiche  zeichnen  vor  den  anderen  besonders  jene  Gesänge  aus, 
welche  die  Armuth  feiern.  Wir  werden  sie  später  in  anderm  Zu- 
sammenhange kennen  lernen.  Dann  aber  wieder  findet  er  die  ein- 
fachsten, rührendsten  Worte  für  das  irdische  Leben  Christi,  in 
dessen  Anschauung  er  sein  Liebesgefühl  kräftigt  und  erhebt,  und 
er  entnimmt  der  Natur  die  Bilder  zarter  Mutterliebe,  schneidenden 
Mutterschmerzes.  So  lebendig  war  vielleicht,  abgesehen  von  Franz, 
das  menschliche  Leben  und  Leiden  des  Herrn  noch  nie  geschildert 
worden.  Das  ,Stabat  mater  dolorosa'  ist  wohl  Jedem  bekannt,  aber 
die  herrlichen  Lieder  von  der  , Geburt  Christi',  von  der  ,Anbetung 
der  heiligen  drei  Könige',  von  , Christi  Leiden',  von  der  »Himmel- 
fahrt Maria',  dürfen  wohl  neben  ihm  genannt  werden.^)  Ganz 
sicher  sind  sie  von  Mund  zu  Mund  gegangen  und  Lieblingslieder 
des  Volkes  geworden.  Ein  Beispiel  wenigstens  zu  geben ,  möge 
dem  ,stabat  mater  speciosa'  in  der  von  Diepenbrock'schen  Ueber- 
setzung  hier  eine  Stelle  vergönnt  sein : 

An  der  Krippe  stand  die  hohe 
Mutter,  die  so  selig  frohe, 

Wo  das  Kindlein  lag  auf  Streu. 
Und  durch  ihre  freudetrunkne. 
Ganz  in  Andachtsgluth  versunkne 

Seele  drang  ein  Jubelschrei. 
Welches  freud'ge,  sel'ge  Scherzen 
Spielt  im  unbefleckten  Herzen 

Dieser  Jungfrau  -  Mutter  froh. 
See!'  und  Sinne  jubelnd  lachten 
Und  frohlockten  im  Betrachten, 

Dies  ihr  Kind  sei  Gottes  Sohn. 
Wessen  Herz  nicht  freudig  glühet, 
Wenn  er  Christi  Mutter  siehet 

In  so  hohem  Wonnetrost? 
Wer  wohl  könnte  ohn'  Entzücken 
Christi  Mutter  hier  erblicken, 

Wie  ihr  Kindlein  sie  liebkost? 


^)  Vergl.  besonders  III,  4.  Ogni  uom  con  alegrezza  novella.  III,  5.  Ne  la 
degna  stalla  del  dolce  bambino  Gli  angli  cantano  d'intomo  al  piccolino.  III ,  6. 
O  vergin  piü  che  femina.  III,  7.  Dolce  amor  Christo  hello.  III,  12.  Donna  del 
paradiso.  III,  13.  Or  si  incomincia  il  duro  pianto.  III,  21.  Canti  giojosi  e  dolce 
melodia.  Das  höchst  reizvolle  Lied:  Di'  Maria  dolce,  con  quanto  disio  (bei  Nannucci) 
ist  nach  d'Ancona  (Studi  sulla  lett.  1884,  S.  i  ff.)  aus  dem  XV.  Jahrhundert  von 
Fra  Giovanni  Dominici. 


448  Die  Franziskaner. 


Wegen  seines  "Volkes  Sünden 
Muß  sie  zwischen  Thränen  finden 

Christum  frosterstarrt  auf  Stroh  ; 
Sehen  ihren  süßen  Knaben 
Winseln  und  Anbetung  haben 

In  dem  Stalle  kalt  und  roh. 
Und  dem  Kindlein  in  der  Krippe 
Singt  der  Himmelschaaren  Sippe 

Ein  unendlich  Jubellied; 
Und  der  Jungfrau  und  dem  Greisen 
Fehlen  Worte,  um  zu  preisen, 

Was  ihr  staunend  Herz  hier  sieht. 
Eia  Mutter,  Quell  der  Liebe, 
Daß  auch  ich  der  Inbrunst  Triebe 

Mit  dir  fühle,  fleh  ich,  mach! 
Laß  mein  Herz  in  Liebesgluthen 
Gegen  meinen  Gott  hinfluthen, 

Daß  ich  ihm  gefallen  mag. 
Heil'ge  Mutter,  das  bewirke; 
Präge  in  mein  Herz  und  wirke 

Tief  ihm  Lebenswunden  ein; 
Mit  dem  Kind,  dem  Himmelssohne, 
Der  auf  Stroh  liegt  mir  zum  Lohne, 

Laß  mich  theilen  alle  Pein; 
Laß  mich  seine  Freud'  auch  theilen. 
Bei  dem  Jesulein  verweilen 

Meines  Lebens  Tage  all : 
Laß  mich  dich  stets  brünstig  grüßen. 
Laß  des  Kindleins  mich  genießen 

Hier  in  diesem  Jammerthal. 
O  mach  allgemein  dies  Sehnen, 
Und  laß  niemals  mich  entwöhnen 

Von  so  heil'gem  Sehnsuchtsstrahl. 
Jungfrau  aller  Jungfrau'n,  Hehre, 
Nicht  dein  Kindlein  mir  verwehre 

Laß  mich's  an  mich  ziehn  mit  Macht. 
Laß  das  schöne  Kind  mich  wiegen, 
Das  den  Tod  kam  zu  besiegen 

Und  das  Leben  wiederbracht! 
Laß  an  ihm  mit  dir  mich  letzen. 
Mich  berauschen  im  Ergötzen, 

Jubeln  in  der  Wonne  Tanz! 
Gluthentflammet  von  der  Minne 
Schwinden  staunend  mir  die  Sinne 

Ob  solches  Verkehres  Glanz ! 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  449 

Laß  vom  Kindlein  mich  bewachen, 
Gottes  Wort  mich  rüstig  machen, 

Fest  mich  in  der  Gnade  stehn. 
Und  wenn  einst  der  Leib  verweset, 
Laß  die  Seele  dann  erlöset 

Deines  Sohnes  Antlitz  sehn ! ') 

Die  Rettung  aus  diesem  Leben  suchte  der  Dichter  in  dem 
heißen  Streben  der  Seele  nach  einem  höheren,  unwandelbaren  Gute. 
Seine  Bitte  ist  überreich  erfüllt  worden.  Sein  Dasein  ward  zu  Einem 
glühenden ,  göttlichen  Liebesliede.  Aus  dem  Kampfe  mit  dem 
Körper,  dem  Knechte  des  Lasters,  geht,  in  der  Tugend  wahre 
Freiheit  sich  erwerbend,  seine  Seele  siegreich  hervor.  -)  Vom  Feuer 
himmlischer  Liebe  entzündet  geht  sie  als  Braut  aus,  ihren  Bräutigam 
Christus  zu  suchen.  Vor  seiner  Thüre  bittet  sie  um  Einlaß : 
Oeffne  mir  Jesus,  mein  Leben.  ^) 

Dann  ruft  sie  die  Freundinnen,  mit  ihr  den  Freund  zu  suchen  • 

Laßt  uns  zur  Wiese  gehn,  um  ihn  zu  werben, 
Im  Blumenschmuck  ein  Lager  ihm  bereiten. 
Mit  schönen  Rosen  wollen  wir's  ihm  röthen 
Und  lauernd  nach  ihm  ausspähn  aller  Orten. 

O  kommt  herbei,  ihr  meine  schönen  Mädchen, 
Den  Schooß  mit  Rosen  pflückend  Euch  zu  füllen! 
Kommt  der  Geliebte,  tragt  bedachtsam  Sorge, 
Daß  er  nicht  weggeh',  nein  gefangen  bleibe.*) 

Die  frohe,  selige  Liebe  vereinigt  sie  alle  zum  Reigen : 

Jedweder  Liebende,  der  liebt  den  Herrn, 
Zum  Tanze  komme  und  zum  Liebessange! 
Zum  Tanze  komm'  er  froh  und  liebesselig, 
Des  Sehnens  voll  nach  Dem,  der  ihn  geschaffen. 
Sein  Herz  entflammt  von  brennend  heißer  Liebe 
Sei  ganz  verwandelt  von  so  großen  Gluthen.  *) 


^)  Ich  habe  dies  Lied  hier  ganz  mitgetheilt ,  weil  es ,  meisterlich  übersetzt ,  eine 
lebendige  Anschauung  von  der  höchst  persönlichen ,  bilderreichen  Franziskanerpoesie 
giebt.  Dabei  aber  kann  ich  mich  doch  eines  gewissen  Zweifels  nicht  erwehren,  ob  es 
thatsächlich  von  Jacopone  und  nicht  vielmehr  von  einem  Andern  in  Nachahmung  des 
Stabat  mater  dolorosa  gedichtet  ist. 

^)  Lib.  IV,  33.     Udite  una  entenzone.     Lib.  V,  4.     O  libertä  subietta. 

^)  Lib.  VI,  29.     Aprimi  Jesu  vita  mia. 

*)  Lib.  VI,  40. 

*)  Lib.  VI,  43.  Ciascuno  Amante  che  ama  il  Signore.  Gereimte  Uebersetzung 
bei  Schüler  und  Storck,  S.  335.  —  Vergl.  die  ähnlichen  VI,  37.  Bene  morrö  d'amore. 
VII,  8.     Nol  mi  pensai  giammai. 

Thode,  Franz  von  Assisi.  20 


450 


Die  Franziskaner. 


In  diesen  Gluthen  aber  verzehrt  sich  das  Herz  selbst :  lebend 
stirbt  es  und  sterbend  lebt  es. 

In  Gluth  mich  Liebe  senkte, 
In  Gluth  mich  Liebe  senkte !  ^) 

Die  Liebe  schlägt  ihm  im  heißen  Kampfe  Wunden ,  bis  Christus 
selbst  sein  Sehnen  stillt  und  es  in  die  ewige  Liebesgemeinschaft 
mit  ihm  aufnimmt.^)  Da  löst  sich  endlich  alles  Denken,  alles  Fühlen, 
alles  Dichten  in  einem  Schrei  der  Liebe  auf: 

O  Liebe,  Liebe,  Jesus  mein  Verlangen, 
O  Liebe,  dich  umfassend  will  ich  sterben, 
O  Liebe,  Liebe,  die  ich  halt'  umfangen, 
O  Liebe,  Liebe,  Tod  möcht'  ich  erwerben, 
O  Liebe,  Lieb',  in  dich  ganz  aufgegangen 
Umfaß  ich  dich  und  darf  dich  ganz  ererben: 

Sieh  meine  Kraft  in  Scherben, 

Weiß  nicht,  wo  ich  mich  finde. 

Mich  senk'  in  die  Abgründe 

Die  Liebe  deiner  Hand.  ^) 

Für  solches  zeit-  und  raumloses  Gefühl  aber  gab  es  keine  Worte 
weiter.  ,,Man  sagt  und  glaubt,  daß  dieser  selige  Jacopone  vor 
Liebe  zu  Christus  gestorben  und  daß  vor  allzugroßer  Liebe  sein 
Herz  zersprungen  sei!"  — 

Ob  alle  die  zahlreichen  Lieder  der  venezianischen  Ausgabe 
wirklich  von  Jacopone  sind,  erscheint  sehr  zweifelhaft.  Eine  kritische 
Sichtung  derselben  steht  noch  aus,  doch  vermutheten  Ozanam  und 
Adolfo  Bartoli  mit  Recht,  daß  Manches  darunter  andern  als 
Dichter  bekannten  Franziskanern,  wie  Fra  Ugo  Panziera  da 
Prato,    Fra    Francesco    da    Fabriano    und   Fra   Angelo 


^)  Das  berühmte  Lied:  ,In  foco  amor  mi  mise',  das  irrthümlicher  Weise  lange, 
bis  auf  die  jüngste  Zeit  noch  häufig,  Franz  selbst  zugeschrieben  wurde,  obgleich  schon 
Affo:  Dissertazione  de'  Cantici  volgari  di  S.  F.,  Guastalla,  1778,  das  endgültig  wider- 
legt hatte,  dem  dann  auch  Diepenbrock,  a.  a.  O.  S.  355,  und  Schlosser  (Die  Lieder 
des  h.  F.  1 842,  S.  26  f.)  beistimmen.  Es  befindet  sich  unter  Jacopone's  Poesie  VII,  6. 
Vergl.  S.  Bemardini  Opera,  Venedig,  I59l-  T.  IV.  Sermones  IV.  —  Acta  S.  S. 
Oct.  n,  S.  1003. — Poeti  del  primo  secolo.  Florenz  1816,  II.  Bd.  Ozanam  a.  a.  O., 
S.  78  (mit  Uebers.).  Chavin:  Storia  di  S.  F.,  S.  322.  Hase:  F.  v.  A.  S.  151  (Uebers.). 
Schlüter  und  Storck,  S.  345. 

*)  Amor    di   caritate.     Op.  Bernardini  a.  a.  O.     Chavin ,    Storia  di  S.  F.  S.  324. 

^)  Uebers.  Schlüter  und  Storck,  S.   309,  die  ich  oben  benutze. 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  45  I 

da   Camerino,    von    denen    uns    sonst   Nichts    erhalten   ist ,    an- 
gehören dürfte.^) 

Der  gesammten  Franziskanerdichtung  sind,  wie  wir  gesehen 
haben ,  vor  Allem  zwei  Dinge  eigenthümlich :  sie  geht  aus  einer 
starken  Gemüthsbewegung  des  Einzelnen  hervor  und  sucht  durch 
sinnlich  anschauliche  Bilder  eine  solche  im  Volke  hervorzurufen. 
Sie  unterscheidet  sich  darin  in  Nichts  von  der  Predigt.  In  beiden, 
Predigt  wie  Dichtung,  aber  macht  sich  als  nothwendige  Folge  des 
Inhaltes  und  des  Zweckes  in  sehr  charakteristischer  Weise  ein  dra- 
matisches Element  in  der  Form  geltend  und  dieses  ist  es ,  was 
eigentlich  bestimmend  für  den  ersten  Eindruck  wirkt.  Darin  liegt 
das  Neue,  das  den  Leser,  der  sich  mit  Dichtung  und  Predigt  des 
frühen  Mittelalters  beschäftigt  hat  und  nun  zu  den  Reden  des  Bert- 
hold von  Regensburg  und  den  Liedern  des  Jacopone  gelangt,  so 
überraschend  berührt.  Dieses  dramatische  Element  aber  ist  es 
ebenso,  das  der  Kunst  Giotto's  ein  von  der  vorangehenden  so  ver- 
schiedenes Gepräge  verleiht.  Fast  unwillkürlich  drängt  sich  da  der 
Gedanke  auf,  ob  nicht  auch  die  Mysterien,  die  im  XIII.  Jahr- 
hundert zuerst  in  Italien  beliebt  wurden,  auf  die  Anregung  der 
Franziskaner  zurückgehen.?  Jene  Weihnachtsfeier,  die  Franziskus 
in  dem  Drange  seines  sinnlich  religiösen  Gefühles  in  Greccio  ver- 
anstaltete, wird  schon  von  Salimbene  geradezu  als  ,,repraesentatio" 
bezeichnet.^)  Thomas  von  Celano  erzählt,  wie  Franz  das  Evan- 
gelium gelesen ,  wie  das  Volk  mit  Singen  eingefallen  sei ,  wie  er 
dann  vor  der  Krippe  niedergekniet  sei,  ja  das  Kindlein  selbst  in  den 
Armen  gehalten  habe.  (Abb.  6y.)  Das  ist  offenbar  ein  kirchliches 
Mysterium  so  gut  wie  irgend  eines  der  späteren  gewesen,  zugleich 
aber  das  früheste,  von  dem  wir  aus  Italien  Kunde  haben. ^)  In 
Frankreich  und  in  Deutschland  haben  derartige  Aufführungen  schon 
früher  stattgefunden :  wir  wissen  von  lateinischen  Mysterien  aus  dem 
XII.  Jahrhundert,  welche  die  Anbetung  der  heiligen  drei  Könige, 
den   Bethlehemitischen  Kindermord,    die  Auferstehung  Christi    und 


*)  Bei  Ozanam  die  Bemerkung  S.  265 ,  daß  nach  Wadding  in  der  Bibliothek 
Chigi  in  einem  Codex  (577)  neben  verschiedenen  Gedichten  von  Jacopone  auch  solche 
von  Ugo  sich  befinden.     Vergl.  d'Ancona :  Studi  suUa  lett.  Ital.  S.  i  ff. 

2)  Chronik  S.  132. 

^)  Gewöhnlich  bezeichnet  man  als  das  erste  ein   1243  in  Padua  aufgeführtes. 

29* 


452 


Die  Franziskaner. 


seine  Erscheinung  in  Emmaus,    sowie  die  Parabel  von  den  klugen 
und  thörichten  Jungfrauen  veranschaulichen.  ^) 

Nun  hat  Ozanam  die  Vermuthung  aufgestellt,  daß  in  einer 
Reihe  von  Gedichten  Jacopone's  die  ersten  Versuche  der  italienischen 
Volksbühne  vorliegen ,  und  zwar  neben  jenen  erwähnten ,  für  die 
kirchlichen  Feste  bestimmten  Dichtungen  besonders  in  einzelnen 
Canzonen,  die  den  Dialog  verschiedener  Personen  enthalten.^)  Ist 
in  dem  Liede :  ,San  Francesco  sia  laudato'  die  epische  Form  trotz 
der  Wechselrede  zwischen  Franz,  der  Armuth  und  dem  Dichter 
noch  gewahrt  ^),  so  tritt  in  einem  Dialoge  über  den  , Sündenfall  und 
die  Erlösung'  das  dramatische  Element  bereits  stark  in  den  Vorder- 
grund.*) Als  sprechende  Personen  werden  eingeführt:  der  Dichter, 
die  Gerechtigkeit,  die  Barmherzigkeit,  Gott  Vater,  Gott  Sohn,  ein 
Engel ,  Maria ,  Tugenden ,  die  Seligkeiten  ,  der  Mensch.  Durchaus 
aber  für  die  Deklamation  berechnet  scheint  die  Klage  der  Maria 
unter  dem  Kreuze,  welche  beginnt :  ,Donna  del  Paradiso'  und  bruch- 
stückweise von  Ozanam  gegeben  ward.*^)  Mag  man  auch  bezweifeln, 
ob  es  nicht  schon  vor  Jacopone  Mysterien  in  der  Volkssprache 
gegeben  hat ,  ob  nicht  namentlich  die  dramatischen  Gesänge  der 
Laudesi  für  Aufführungen  bestimmt  waren ,  so  läßt  sich  doch  die 
Bedeutung  dieser  Gedichte  für  eine  Werthschätzung  der  Fran- 
ziskanerpoesie auch  auf  dem  Gebiete  der  Mysteriendichtung  nicht 
ableugnen.  ^)  Es  scheint  mir  durchaus  wahrscheinlich ,  daß  jene 
kirchlichen  Aufführungen  der  Passion  und  Auferstehung  Christi  1243 
im  Prä  della  Valle  bei  Padua  von  den  gerade  hier  besonderes  An- 
sehen genießenden  Minoriten  in  Szene  gesetzt  worden  sind ,  daß 
die  zunächst  folgenden  uns  bekannten  Darstellungen  1261  in 
Treviso,   1264  in  Rom,   1298  und  1304  in  Cividale,   1304  in  Florenz 


*)  Vergl.  Klein's  Gesch.  des  ital.  Dramas.  Leipzig,  Waigel  l866.  I.  Bd.  S.  12, 
wo  ausführlichere  Litteraturangaben  zu  finden  sind. 

2)  A.  a.  O.  S.  251  ff. 

3)  Lib.  III,  24. 
^)  Lib.  II,  2. 

^)  Lib.  III,  12.  Vergl.  damit  das  Zwiegespräch  zwischen  Maria  und  dem  Kreuz 
in  einer  dramatisirenden  Dichtung,  die  von  Mazzatinti :  Poesie  religiöse  del  secolo  XIV. 
Bologna   1881.  S.  79  publizirt  ist. 

*)  Tiraboschi,  St.  della  lett.  Ital.  1807  P.  IV  p.  II,  p.  419  und  Ebert:  Studien 
zur  Gesch.  des  m.  a.  Dramas.  Jahrb.  f.  rom.  u.  engl.  Litt.  1864.  V.  Bd.  S.  51  ff.  sind 
der  Ansicht,  die  Mysterien  des  XIII.  Jahrhunderts  seien  noch  lateinisch  gewesen. 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  453 

wenigstens  allgemein  auf  die  Anregungen  der  Bettelmönche  zurück- 
gehen. ^) 

In  dieser  Ansicht  bestärkt  mich  jenes  im  Mittelalter  weit  ver- 
breitete,  dem  Bonaventura  zugeschriebene  Buch:  die  ,Medita- 
tiones  vitae  Christi',  das,  wie  die  Mysterien,  in  ausführlicher, 
ausschmückender  Weise  den  Vorgang  der  wichtigsten  Ereignisse 
in  Christi  Leben  neu  erzählt. -j  Wenn  es  freilich  auch ,  nach  der 
Ansicht  vieler  Forscher  und  nach  meinem  eigenen  Dafürhalten, 
schwerlich  von  Bonaventura  selbst  geschrieben  ward,  so  ist  es  doch 
unzweifelhaft  das  Werk  eines  Franziskaners  und  liefert  einen  wich- 
tigen Beitrag  zu  den  Franziskaneranschauungen.  Jacopone  da  Todi 
hat  es  gekannt  und  benützt,  und  nach  ihm  dürften  wohl  viele 
andere,  besonders  dramatische  Dichter  dasselbe  gethan  haben. 
Seinerseits  lehnt  es  sich  in  der  Einleitung,  welche  den  Streit 
zwischen  der  Barmherzigkeit  und  Gerechtigkeit,  der  Wahrheit  und 
dem  Frieden  vor  dem  Throne  Gottes  und  dessen  Entscheidung  zu 
Gunsten  des  Erlösungswerkes  Christi  schildert ,  an  Bernhard  von 
Clairvaux  an  —  ein  Stoff,  der  sich  auch  in  sogenannten  Moralitäten 
der  Troubadours  behandelt  findet,  z.  B.  von  Guillaume  Herman 
und  Etienne  Langton,  Erzbischof  von  Canterbury.'^)  Der  Verfasser 
der  ,meditationes'  verweilt  mit  besonderer  Vorliebe  bei  der  ein- 
gehenden Schilderung  der  Jugendgeschichte  und  der  Passion  Christi 
und  weiß  in  spannender  und  dramatischer  Weise  neben  den  Haupt- 
vorgängen von  den  besonderen  Erlebnissen  der  Maria,  Magdalena 
und  der  Jünger  zu  erzählen.  Im  Grunde  genommen  spielt  nicht 
Christus,  sondern  Maria  die  Hauptrolle,  ihre  Freude  und  Schmerz, 
was  sie  gethan  und  gesprochen,  tritt  stets  in  den  Vordergrund. 
Dasselbe  Hervorheben  der  Maria,  ein  ganz  verwandtes  Ausdehnen 
der  evangelischen  Geschichten  und  deren  gleiche  gefühlsvolle  Auf- 
fassung aber  begegnet  uns  in  den  ältesten  der  uns  erhaltenen 
dramatischen  Spiele  in  italienischer  Sprache.  Dieselben  ,  ,  D  e  v  o  - 
zione  del  Giovedi  Santo'  und  ,Devozione  del  Venerdl 


^)  Vergl.  darüber:  Ebert  a.  a.  O.  —  Klein  a.  a.  O.  S.  153  ff.  —  Quellen:  Muratori 
Script,  rer.  ital,  VIII,  375  (Padua),  XXIV.  1205.  (Cividale.)  —  Muratori:  Antiq.  Ital. 
II.  Diss.  29:  de  spectaculis  et  ludis  publicis  medii  aevi. 

2)  Bonaventura:  opera  Peltier  1868.  XII.  Bd.  S.   509  ff. 

^)  Meditationes  cap.  II.  —  De  la  Rue:  Essais  historiques  sur  les  Bardes  et  les 
Trouveres.  Caen  1834.  II,  p.  52  und  III,  p.  10.  —  Vergl.  auch  das  oben  erwähnte 
Gedicht  Jacopone's  II,  2  und  eine  Stelle  in  Berthold's  Predigten  I,  S.   199. 


aca  Die  Franziskaner. 


Santo'  genannt,  behandeln  die  Passion  und  dürften  nach  Palermo 
und  Ebert  spätestens  in  der  ersten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts 
entstanden  sein.')  Sie  stehen  noch  in  engster  Verbindung  mit 
dem  Kultus  und  wurden  zweifelsohne  in  der  Kirche  selbst  auf- 
geführt. Die  Bühne :  talamo  befand  sich  im  Mittelschiff  und  hatte 
verschiedene  Abtheilungen  für  die  verschiedenen  Orte  der  Hand- 
lung. Der  Chor  bezeichnet  Jerusalem.  Daß  aber  für  solche  Pas- 
sionsmysterien sich  damals  bereits  eine  ganz  sichre  Norm  festgestellt 
hatte,  geht  daraus  hervor,  daß  der  Verfasser  bei  seinen  Anwei- 
sungen oft  hinzufügt:  „wie  üblich",  „wie  bekannt".  Der  Priester 
liest  das  Evangelium,  und  die  szenische  Darstellung  unterbricht 
ihn  nun  beständig  und  führt  gleichsam  das  Grundthema  in  Wort 
und  Handlung  aus.  Da  wir  später  noch  auf  diese  dichterische 
Ausbildung  der  christlichen  Legende  im  Zusammenhange  mit  der 
bildenden  Kunst  zu  sprechen  kommen  werden,  genügt  es  hier  auf 
die  wenn  auch  allgemeinen ,  doch  beachtenswerthen  Beziehungen 
zwischen  den  Meditationes  und  Devozioni  hingewiesen  zu  haben. 
In  einem  anderen  Mysterium  „von  einem  Mönche,  der  sich  in  den 
Dienst  Gottes  begab",  das  sich  gleichfalls  bei  Palermo  (S.  337) 
findet  und  offenbar  für  spezielle  Klosteraufführungen  bestimmt 
war,  handelt  es  sich  um  einen  Jüngling,  der  ebenso  grausam  und 
so  ungerührt  wie  Salimbene  seine  Eltern  verläßt  und  von  einem 
greisen  Eremiten  in  das  einsame  Leben  der  Selbstentsagung  ein- 
geweiht wird. 

Die  wenigen  uns  erhaltenen  Denkmale  erlauben  es  demnach 
freilich  nicht,  bestimmt  zu  sagen,  wie  weit  das  Franziskanerthum 
an  der  Ausbildung  der  Mysterien  betheiligt  gewesen  ist.  Der  Ver- 
muthung  aber,  daß  ihm  deren  erste  Einführung  verdankt  worden 
ist,  vermag  man  sich  schwer  zu  entziehen,  hält  man  Alles  das 
zusammen,  was  über  die  Art  der  Popularisirung  religiöser  An- 
schauungen im  Vorhergehenden  gesagt  ist.  Kirchliche  Aufführungen 
liegen  so  recht  im  Geiste  des  Ordens. 

In  Jacopone's  Liedern  hat  die  Franziskanerdichtung  ihren  Höhe- 
punkt erreicht  —  während  er  die  letzten  sang,  schrieb  Dante 
fern    von    der    geliebten   Heimathstadt    die    Divina    commedia.      Es 


^)  Publ.  bei  Palermo:  I  Manoscritti  Palatini  di  Firenze.  Firenze  l86o,  vol.  II, 
S.  272.  —  Vergl.  die  Besprechung  bei  Ebert,  Klein  und  Bartoli.  —  Wie  sie  uns  vor- 
liegen, sind  sie  eine  1375  gefertigte  paduanische  Uebersetzung  des  römischen  Originals. 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  455 

hat  nicht  an  Stimmen  gefehlt,  die  dieses  Riesenwerk  einen  Fran- 
ziskanergesang genannt  haben. ^)  Das  ist  zu  weit  gegangen  — 
aber  etwas  Wahres  liegt  doch  darin!  Die  religiöse  Begeisterung, 
die,  von  Franziskus  ausgegangen,  ein  Gemeingut  des  italienischen 
Volkes  geworden  war,  hat  auch  dies  erhabene  Lied  zur  Verherr- 
lichung der  himmlischen  Liebe  hervorgerufen.  Das  edel  Mensch- 
liche der  ,vita  nuova'  ist  nur  ein  eigenartiger  genialer  Ausdruck 
jener  Humanität,  die,  wie  wir  gesehen  haben,  der  hervorstechende 
Zug  des  Franziskanerthums  ist.  Das  anschaulich  Sinnliche  wie 
das  Mystische  in  den  Predigten  und  Gedichten  des  letzteren  findet 
sich,  als  Ausdruck  eines  mächtigen  Geistes ,  in  der  Göttlichen 
Komödie  wieder.  Und  gerade  hieraus  erklärt  es  sich,  daß  ein  so 
tiefsinniges  Werk  eine  so  beispiellose  Popularität  gewinnen  konnte. 
Und  liegt  dem  Ganzen  auch  die  Weltanschauung  des  Thomas  von 
Aquino,  der  allein  dem  klaren  Denker  Dante  den  großen,  einheit- 
lichen Zusammenhang  zu  geben  vermochte,  zu  Grunde,  so  hat  ihm 
den  Geist  und  die  Sprache  der  Liebe  doch  Bonaventura  geschenkt. 
Dieser  ,amor  divino',  der  in  den  unbeschreiblichen  Gesängen  des 
Paradieses  durch  ewiges  Licht  dem  Einen  Unfaßlichen  entgegen- 
schwebt, verdankt  die  Kraft  seiner  Schwingen  dem  reichen  Gefühls- 
leben des  Franziskanerthums.  In  Dante  kommen  die  beiden  Strö- 
mungen der  italienischen  Poesie  im  XIII.  Jahrhundert:  die  philo- 
sophische Troubadourdichtung  und  die  mystische  Dichtung  der 
Franziskaner  zusammen,  aber  wie  die  letztere  stärker  und  ursprüng- 
licher war,  so  verlieh  sie  auch  der  Divina  commedia  den  eigent- 
lich künstlerischen ,  ewigen  Gehalt.  Sie  lehrte  den  Dichter  jene 
Kraft  erfassen,  die  ihn  hinanzieht,  die  in  der  bewundernd  liebenden 
Verehrung  der  Jungfrau  des  Himmels  gewiß  wird  —  ,,das  ewig 
Weibliche" !  Mit  größerem  Rechte  als  Guido  Cavalcanti  ist  Jaco- 
pone  der  Vorläufer  des  Dichters  zu  nennen,  der  die  Schrecken 
der  Hölle  und  die  Seligkeit  des  Himmels  an  sich  erfahren.  So 
mag  mit  Recht  die  Betrachtung  der  Franziskanerpoesie  zuletzt  zu 
dem  Werke  hinaufstreben,  das  deren  Vollendung  geworden. 


Die  kurze  Betrachtung  hat  uns  gelehrt,  wie  Predigt  und  Dich- 
tung   des    neuen  Ordens    derselben  Mittel  sich  bedient  haben ,    um 


^)  Vergl.  aber  auch  G.  Mestica's  Aufsatz:  San  Francesco,  Dante  e  Giotto  in  der 
Nuova  Antologia  II  S.  T.  XXVII.  1881.  S.  I  ff.,  403  ff.,  XXVIH  S.  38.  Hier  ist  der 
Einfluß  des  Franziskanerthums  auf  Dante  auf  das  richtige  Maaß  zurückgeführt. 


456 


Die  Franziskaner. 


eine  kräftige  und  für  lange  hinaus  wirkungsvolle  Religiosität  im 
Volke  zu  erwecken.  Daß  aber  auch  eine  dritte  Kunst,  die  Musik, 
den  Bund  der  anderen  beiden  vervollständigt  hat ,  ist  durchaus 
wahrscheinlich,  wenn  man  auch  noch  nicht  im  Stande  ist,  im  Ein- 
zelnen festzustellen,  welche  Fortschritte  diese  Kunst,  die  mehr  als 
irgend  eine  andere  dazu  berufen  schien ,  der  mystischen  Gefühls- 
schwärmerei der  Franziskaner  Ausdruck  zu  verleihen,  dem  Orden 
zu  danken  hat.  Franz  selbst  ja  wußte  Gott  seine  Liebe  nicht 
herrlicher  darzubringen ,  als  im  Gesänge ,  und  seine  tiefsten  Em- 
pfindungen machten  sich  in  Tönen  Luft.  Wie  empfänglich  sein 
Ohr  für  Musik  gewesen ,  bezeugt  eine  von  Thomas  von  Celano 
mitgetheilte  rührende  Geschichte : 

,,In  der  Zeit ,  als  er  seine  Augen  zu  heilen  bei  Reate  ver- 
weilte, rief  er  einen  seiner  Genossen,  der  in  seinem  früheren  welt- 
lichen Leben  Zitharista  gewesen  war  und  sprach  zu  ihm :  Bruder, 
die  Söhne  dieser  Welt  verstehen  nicht  die  göttlichen  Mysterien. 
Denn  die  Musikinstrumente ,  die  einst  für  göttliche  Lobgesänge 
bestimmt  waren ,  verwendet  menschliche  Begierde  zu  sinnlicher 
Wollust  der  Ohren.  Ich  wünschte,  Bruder,  du  borgtest  dir  heim- 
lich eine  Zither  und  brächtest  sie  her,  meinem  schmerzerfüllten, 
kranken  Körper  durch  ein  ehrliches  Lied  etwas  Trost  zu  ver- 
leihen." Dem  antwortet  der  Bruder:  ,,Ich  schäme  mich  des  nicht 
wenig,  o  Vater,  aus  Furcht,  daß  nicht  die  Leute  argwöhnen,  ich 
werde  durch  meinen  leichten  Sinn  dazu  verführt."  Darauf  der 
Heilige:  ,,Also  unterlassen  wir  es,  Bruder!  Es  ist  gut,  viel  zu 
unterlassen,  damit  es  nicht  der  guten  Meinung  zu  Schaden  gereiche." 
In  der  folgenden  Nacht  aber,  als  der  h.  Mann  wachte  und  über 
Gott  sann,  ertönte  plötzlich  eine  Zither  in  wunderbarer  Harmonie 
und  süßesten  Melodieen,  ohne  daß  Jemand  zu  sehen  war,  aber 
der  Wechsel  der  Tonstärke  machte  das  Vorübergehen  und  das 
Zurückkehren  des  Zitharöden  bemerkbar.  Als  aber  sein  Geist  sich 
wieder  zu  Gott  geweijdet  hatte ,  kam  ein  solches  Entzücken  mit 
jenem  süßtönenden  Gesänge  über  den  Vater,  daß  er  die  Erde  ver- 
lassen zu  haben  glaubte."  ^) 

Die  Musik  der  Franziskaner  wird,  wie  die  Dichtung,  in  einen 
bestimmten  Gegensatz  zu  dem  weltlichen  Sänge  der  Troubadours, 
der   sich  nach  den  alten  Nachrichten  einer  ausnehmenden  Beliebt- 


^)  II  Leg.  III,  66.  S.    l86f.   —  Danach  Bonaventura  cap.  V,  S.   756. 


Die  Dichtung  der  Franziskaner.  457 


heit  in  Italien  erfreute  ^) ,  getreten  sein ,  sie  wird  die  tiefere  be- 
geisterte Empfindung  vor  demselben  vorausgehabt  haben.  Salim- 
bene  namentlich  lehrt  uns,  mit  welcher  Vorliebe  die  Musik  in  den 
Klöstern  betrieben  wurde.  Als  hervorragende  Künstler  erwähnt  er 
einen  Frater  Henricus  Pisanus,  einen  reichbegabten  Mann,  der 
sein  Lehrer  im  Gesänge  gewesen  und  später  Minister  in  Griechen- 
land war:  ,,er  verstand  zu  schreiben,  zu  miniiren,  was  Einige,  weil 
das  Buch  mit  minium  illuminirt  wird ,  auch  illuminiren  nennen, 
Noten  zu  schreiben ,  die  herrlichsten  und  ergötzlichsten  canti  zu 
erfinden,  sowohl  modulirte,  d.  h.  fracti,  als  firmi.  Er  selbst  war 
ein  feierlicher  Sänger.  Er  hatte  eine  so  mächtige  und  wohl- 
klingende Stimme,  daß  er  mit  ihr  den  ganzen  Chor  ausfüllte.  Eine 
Violine  aber  spielte  er,  die  feinfühlig,  sehr  hoch  und  hell,  süß, 
weich  und  ergötzlich  über  alles  Maaß  war."  ^)  Er  hat  viele  Kanti- 
lenen  und  viele  Sequenzen  gemacht,  die  Salimbene  einzeln  auf- 
führt.'*) —  Ein  anderer  bedeutender  Sänger  und  Komponist  war 
ein  Frater  Vita  inLucca,  der  gleichfalls,  im  Jahre  1239,  Salim- 
bene unterrichtet  hat.  ,,Er  war  der  beste  Sänger  der  Welt  zu 
seiner  Zeit  in  beiderlei  Gesänge ,  dem  cantus  firmus  und  fractus. 
Er  hatte  eine  anmuthige ,  feine  Stimme ,  die  ergötzlich  zu  hören 
war.  Da  gab  es  keinen  noch  so  Strengen ,  der  ihn  nicht  gern 
gehört  hätte.  Er  sang  vor  den  Bischöfen,  Erzbischöfen,  Kardi- 
nälen und  dem  Papst  und  wurde  gern  von  ihnen  gehört.  Wenn 
Jemand  sprach,  während  Bruder  Vita  sang,  ertönte  sogleich  jenes 
Wort  des  Ecclesiasticus  (32):  ,non  impedias  musicam'.  So  auch 
wenn  zuweilen  eine  Nachtigall  oder  eine  Amsel  im  Gebüsch  oder 
auf  einem  Zaune  sang,  gab  sie  Jenem  nach,  wenn  er  singen  wollte, 
und  hörte  ihm  begierig  zu ,  ohne  sich  vom  Flecke  zu  bewegen, 
und  nahm  erst  dann  ihren  Gesang  wieder  auf,  und  so  tönten  denn 
in  wechselndem  Gesänge  ergötzend  und  süß  die  Stimmen  wieder. 
Dabei  war  er  so  höflich  betreffs  seines  Gesanges,  daß  er  sich  nie- 
mals ,  sei  es  mit  Angegriffenheit  der  Stimme  oder  mit  Heiserkeit 
oder  aus  einem  anderen  Grunde,  entschuldigte,  wenn  man  ihn  bat 
zu  singen.  So  fanden  jene  Verse,  die  man  zu  zitiren  gewöhnt  ist, 
auf  ihn  keine  Anwendung: 


^)  Vergl.  Salimbene  an  verschiedenen  Stellen,  namentlich  S.  21,  wo   er  von  seinen 
musikalischen  Verwandten  spricht. 
^)  Salimbene.     S.  64. 
^)  Quillam  (?)  habebat  —  ich  vermuthe  statt  dessen  ,,viellam". 


458 


Die  Franziskaner. 


Omnibus  hoc  vitium  est  cantoribus  inter  amicos 
Ut  nunquam  inducant  amicum  cantare  rogati. 

Seine  Mutter  und  Schwester  waren  vortreffliche ,  ergötzliche 
Sängerinnen.  Er  machte  jene  Sequenz :  ,,ave  mundi  —  spes 
Maria",  die  Worte  und  den  Gesang.  Auch  machte  er  viele  Kanti- 
lenen  im  cantus  melodiatus  oder  fractus,  an  denen  sich  die  Welt- 
geistlichen ungemein  ergötzen."^) 

Neben  diesen  bedeutendsten  Sängern  erwähnt  Salimbene  noch 
einige  andere,  einen  Frater  Johanninus  de  Ollis ^),  einen 
Frater  Guidolinus  Januarius  von  Parma*^)  und  Andere  mehr. 

Die  Liebe  zur  Musik,  die  in  den  Klöstern  gepflegt  wurde, 
spricht  aber  auch  aus  den  Gedichten  und  Liedern  der  Franzis- 
kaner :  wo  immer  die  Freuden  des  Himmels  geschildert  werden, 
wird  auch  von  der  unaussprechlichen  Süßigkeit  der  Engelmusik 
gesprochen.  Die  Seelen,  die  zur  Liebesgemeinschaft  mit  Christus 
gelangt  sind,  haben  nur  einen  Ausdruck  ihres  Glückes :  ihn  singend 
im  Reigentanze  zu  verehren.  Singende,  musizirende  und  tanzende 
Engel  umgeben  fortan  auf  den  Bildern  des  Paradieses,  des  Jüng- 
sten Gerichtes,  der  Himmelfahrt  Maria,  der  Krönung  Maria,  kurz 
auf  allen  den  Darstellungen  himmlischer  Feste  die  Herrscher  des 
Himmels.  Und  welche  Pflege  die  Musik  bis  auf  unsere  Zeiten  in 
der  Hauptkirche  des  Franz  in  Assisi  erhalten ,  beweist  der  noch 
ungehobene  Reichthum  an  werthvollen  Musikmanuskripten  im 
Archive  daselbst.  In  derselben  Kirche  aber  wird  Jedwedem,  der 
dem  Heiligen  nachsinnt,  das  volle  Verständniß  für  Diesen  erst 
werden ,  wenn  die  Orgel  zu  spielen  beginnt  und  die  Wellen  des 
Chorgesanges  durch  die  mächtigen,  dunklen  Wölbungen  fluthen. 
In  solchen  Augenblicken  allein  geht  dem  in  dichtendes  Träumen 
versunkenen  Geiste  die  Ahnung  auf,  was  die  glühende,  tief  inner- 
liche Gefühlsauffassung  des  christlichen  Glaubens  der  Menschheit 
geschenkt.  Auf  dieses  Bettlers  Zauberruf  der  Liebe  ist  im  Früh- 
lingslicht edler,  christlicher  Menschlichkeit  ein  leuchtendes  Reich 
der  Schönheit  erstanden ! 


^)  Sal.  S.  64  ff.  Er  verließ  verschiedene  Male  den  Minoritenorden  und  trat  endlich 
bei  den  Benediktinern  ein,  lebte  lange  Zeit  bei  dem  Erzbischof  in  Ravenna  Philippus 
und  starb  in  Mailand,  wo  er  bei  den  Franziskanern  bestattet  wurde. 

^)  Sal.  S.  128:  bene  sciebat  musicam  et  bene  cantabat, 

^)  S.  318:  optime  cantabat  in  cantu  melodiato ,  id  est  cantu  fracto ,  et  de  cantu 
firmo  melius  cantabat,  quam  vecem  haberet,  quia  valde  gracilem  vocem  habebat. 


ZWEITER  ABSCHNITT 

DIE  KÜNSTLERISCHE  NEUGESTALTUNG 
DER  CHRISTLICHEN  DARSTELLUNGEN 


I.   Das  Leben  Christi. 

Nur  ein  Versuch  kann  es  sein ,  der  im  Folgenden  gemacht 
wird,  die  Neugestaltung  des  biblischen  Stoffes  durch  die  frühe 
toskanische  Kunst  im  Zusammenhang  mit  den  das  Volk  erfüllenden 
Anschauungen  des  Franziskanerthums  zu  schildern.  Zu  lückenhaft 
ist  noch  die  Kenntniß  der  zeichnenden  Künste  im  frühen  Mittel- 
alter, zu  wenig  erforscht  der  Zusammenhang  der  einzelnen,  gleiche 
Gegenstände  behandelnden  Werke ,  als  daß  man  in  vielen  Fällen 
mit  Bestimmtheit  sagen  könnte,  welches  denn  die  neuen  Motive 
und  Gedanken  sind,  die  ein  Meister  vor  dem  anderen  voraus  hat.^) 
Die  Zeit  und  Mühe  sparende  Anschauung  aber,  daß  von  dem 
XI.  Jahrhundert  bis  zu  dem  Auftreten  der  Pisani  und  Giotto's 
wenigstens  auf  dem  Gebiete  der  Malerei  unter  der  allgewaltigen 
Herrschaft  des  byzantinischen  Schematismus  eine  vollständige 
Stagnation    geherrscht    habe,    ist    dem    richtigen    Gefühl    für    eine 


^)  Immer  mehr  bricht  sich  auch  die  Ueberzeugung  Bahn ,  daß  das  ,Malerbuch 
vom  Berge  Athos',  das  von  Didron  und  Schäfer  herausgegeben  wurde ,  durchaus  nicht 
maßgebend  für  die  ältere  mittelalterliche  Kunst  und  deren  Ikonographie  ist.  Es  finden 
sich  darin  eine  Anzahl  Darstellungen  und  Motive ,  die  nachweislich  erst  im  XV.  Jahr- 
hundert überhaupt  vorkommen  imd  zwar  im  Abendlande.  Bayet  hat  in  der  Revue 
archeologique  (III  S.  Mai  und  Juni  1884,  S.  324.  Notice  siur  le  peintre  Manuel  Pan- 
selinos)  die  Entstehung  sogar  in  das  XVIII.  Jahrhundert  gesetzt,  die  Quellen  der  Kom- 
pilation aber  in's  späte  Mittelalter.  Vergleiche  jetzt  Heinrich  Brockhaus :  Die  Kunst 
in  den  Athosklöstern. 


400       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

organische,  geschichtliche  Entwicklung  gewichen.  Fortan  bleibt  es 
eine  der  lohnendsten,  aber  auch  schwierigsten  Aufgaben,  dem  all- 
mählichen Anwachsen  besonderer  nationaler  Kunstbestrebungen 
nachzugehen.  Unschwer  lassen  sich  schon  jetzt  im  XIII.  Jahrhundert 
auf  italienischem  Boden  in  Toskana  einerseits ,  in  Rom  andrerseits 
die  Anfänge  lokaler  Stilrichtungen  bemerken.  Individuelle  Natur- 
anschauung, so  befangen  sie  auch  noch  sein  mag,  macht  sich 
geltend  —  und  zwar  vermögen  wir  sie ,  wie  oben  betont  worden 
ist,  am  Ersten  an  Kunstwerken  zu  würdigen,  die  seltene  oder  ganz 
neue  Stoffe ,  wie  die  Franzlegende ,  behandeln.  Zu  gleicher  Zeit 
aber  fällt  es  auf,  wie  voll  von  Vorurtheilen  gerade  in  der  Gestaltung 
der  am  häufigsten  wiederkehrenden  Darstellungen  der  Madonna, 
Christi,  der  biblischen  Geschichten  der  Künstler  noch  in  der  ersten 
Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  ist.  Das,  was  man  sich  gewöhnt  hat, 
byzantinische  Formgebung  zu  nennen.  Hegt  wie  ein  Bann  auf  ihm  — 
ist  es  auch  nicht  immer  byzantinisch,  so  doch  ein  trockener  Schema- 
tismus der  Zeichnung  und  der  Komposition!  Ganz  allmählich  nur 
beginnt  man  sich  von  ihm  zu  befreien.  Schöpft  Niccolö  Pisano 
aus  dem  Studium  der  Antike  eine  neue  Anschauung  der  Formen, 
schafft  er  aus  seiner  leidenschaftlichen  Natur  heraus  in  ganz  neuer 
Weise  belebte ,  ja  auch  komponierte  Szenen ,  so  folgt  er  in  der 
Anordnung  doch  noch  im  Wesentlichen  der  älteren  Kunst,  die  in 
der  That  durch  Jahrhunderte  hindurch  sich  begnügt  hatte,  an  be- 
stimmten Kompositionen  festzuhalten.  Selbst  der  gewaltige  Genius 
des  Cimabue  zersprengt  die  letzteren  nicht  und  verleiht  ihnen  nur 
einen  ganz  frischen,  mächtigen  Geist.  Giotto  und  neben  ihm  Gio- 
vanni Pisano  war  es  vorbehalten ,  die  neue  sinnliche  Religions- 
auffassung der  Franziskanerdichter  und  -prediger  in  Kunstwerke 
umzusetzen.  An  dem  Stoffe  der  Franziskuslegende  geschult  und 
durch  dessen  Bewältigung  stark  und  sicher  geworden,  zeichnet 
Giotto's  Hand,  inspirirt  von  dem  in  ihm  allmächtigen  Naturgefühl 
der  Zeit,  in  kühner  und  neuer  Weise  die  Bilder  der  neutestament- 
lichen  Vorgänge  an  die  Wände  des  Kirchleins  in  der  Arena  zu 
Padua.  Auf  einen  Vergleich  der  wichtigsten  Darstellungen  aus  dem 
Leben  Christi  und  der  Maria,  die  er  und  seine  Schule,  sowie  die 
Sienesen  des  Trecento  geschaffen ,  mit  der  Franziskanerdichtung 
soll  sich  im  Wesentlichen  die  folgende  Untersuchung  beschränken. 
Die  sich  daraus  für  andere  Stoffe  ergebenden  Folgerungen  lassen 
sich  unschwer  ziehen.     Von  vornherein  aber  sei  bemerkt,  daß  ich 


Die  Kindheit  Christi.  46 1 


durchaus  nicht  behaupten  will,  die  angeführten  litterarischen  Stellen 
seien  direkt  bestimmend  für  die  Kunstwerke  gewesen ,  sondern 
mit  diesen  nur  auf  die  besonders  durch  die  Predigt  verbreiteten, 
maßgebenden  allgemeinen  Anschauungen  hinweisen  will.  Die 
folgenden  Ausführungen  sollen  demnach  nur  näher  erläutern,  was 
in  dem  einleitenden  Kapitel  über  Franz  und  die  Kunst  bemerkt 
wurde ,  daß  deren  Aufschwung  an  jene  menschlich  natürliche 
Anschauung  Christi  und  seines  Lebens  anknüpft,  wie  sie  zuerst 
durch  die  Franziskaner  in  Predigt  und  Liedern  allgemein  wird,  daß 
es  das  tiefe,  gemüthvoUe  Erfassen  des  Menschen  Christus  und  seiner 
Mutter  Maria  ist,  welches  das  eigentlich  gestaltende  Element  der 
neuen  christlichen  Kunst  der  Renaissance  wird. 

Die  Kindheit  Christi. 
1.  Die  Verkündigung.  Die  zahlreichen  älteren  Darstellungen 
zeigen  Maria  meist  unter  einer  Halle  sitzend  oder  stehend,  wie  sie 
dem  Gruß  des  von  links  herantretenden  oder  knieenden  Gabriel 
lauscht.  Auf  dem  Bilde  in  der  Arena  zuerst  ist  auch  sie,  wie  der 
Engel,  in  feierlicher  Andacht  auf  die  Kniee  gesunken.  Ziemlich 
ausführlich  schildern  die  ,meditationes'  die  Szene.  Gabriel  eilt, 
nachdem  er  den  Auftrag  von  Gott  empfangen ,  zur  Jungfrau  und 
kündet  ihr  die  Botschaft.  Erschrocken  verharrt  sie  zuerst  in 
Schweigen,  fragt  dann  aber  zweifelnd,  wie  solch  Wunder  geschehen 
möge.  ,,Nun  betrachte,  wie  sorgsam  und  weise  der  Engel  sie  be- 
lehrt und  seine  Worte  setzt,  indem  er  sich  verehrend  vor  seiner 
Herrin  mit  sanftem  und  heiterm  Antlitz  neigt,  getreulich  seine  Bot- 
schaft ausrichtet  und  eifrig  auf  die  Worte  der  Herrin  Acht  giebt, 
um  angemessen  antworten  und  dazu  in  wunderbarer  Weise  den 
Willen  des  Herrn  ausführen  zu  können.  Und  wie  die  Herrin  furcht- 
sam und  demüthig  mit  verschämtem  Antlitz,  vom  Engel  überrascht, 
dasteht  und  nicht  unversehens  durch  jene  Worte  übermüthig  ge- 
macht wird,  noch  sich  etwas  dünkt."  Dann  beugt  sie  die 
Kniee  und  faltet  die  Hände:  ,,fiat  mihi  secundum  verbum  tuum". 
Auch  Gabriel  kniet  nieder,  erhebt  sich  dann,  neigt  sich  vor  ihr  und 
verschwindet.^)  Stellt  Giotto  diesen  letzten  feierlichen  Augenblick 
dar,  so  ist  der  frühere,  in  dem  Maria  sich  voll  Scham  und  Furcht 
gleichsam  in  sich  selbst  zurückzuziehen  versucht,  in  dem  recht  im 


^)  Meditationes  vitae  Christi  Bonaventura  Peltier  Bd.  XII,  cap.  IV,  S.   515. 


462        Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

Geiste  jener  Erzählung  gehaltenen  empfindungs vollen  Bilde  Simone 
Martini's  und  Lippo  Memmi's  in  den  Uffizien  veranschaulicht.'^) 
Tiefes  Gefühl  und  wie  dort  eine  poetische  Auffassung  des  mit  zier- 
lichem Kranze  geschmückten  Himmelsboten  macht  sich  auch  in  dem 
bekannten  Bilde  Ambrogio  Lorenzetti's  in  Siena  geltend.  Seit  Giotto 
aber  begegnet  man  öfters  Darstellungen  der  Verkündigung ,  auf 
denen  Maria  kniet.  Das  wesentlich  Neue,  das  fast  nirgends  herr- 
licher als  auf  Donatello's  ReHef  in  S.  Croce  zu  Florenz  entgegen- 
tritt, ist  die  höchst  innige  und  gemüthvolle  Beziehung  zwischen  der 
Jungfrau  und  dem  Boten. 

2.  Die  Heimsuchung.  Die  Meditationes  wissen  von  der 
eigentlichen  Begegnung  nichts  Anderes  zu  erzählen ,  als  daß  die 
Frauen  sich  umarmen ,  schildern  dann  aber  ausführlicher  den  Auf- 
enthalt Joseph's  und  Maria's  bei  Zacharias  und  Elisabeth  mit  jenen 
Details,  die  auch  die  Legenda  aurea  nach  der  ,,hystoria  scholastica" 
hat,  wie  Maria  der  Freundin  dient  und,  als  Johannes  geboren  wird, 
diesen  von  der  Erde  aufhebt.  So  finden  wir  hier  auch  keine 
Parallele  zu  den  reicheren  Darstellungen  des  Vorgangs ,  die  zuerst 
Niccolö  Pisano  an  seiner  Kanzel  zu  Siena,  dann  Giotto  in  Padua 
und  Assisi  gegeben.  ^)  Beide  Künstler  nämlich ,  wie  dann  auch 
Andrea  Pisano  an  der  Baptisteriumthüre  in  Florenz,  lassen  die  Um- 
armung der  beiden  Frauen,  die  in  älteren  Denkmälern  die  ganze 
Komposition  ausmacht,  in  Gegenwart  von  begleitenden  Frauen  ge- 
schehen. Die  Hinzufügung  derselben  erklärt  sich  wohl  einfach  aus 
dem  Verlangen  nach  einer  belebteren  Ausfüllung  des  Raumes. 

3.  Die  Geburt  Christi.  ,,Als  aber",  erzählen  die  Medi- 
tationes nach  einer  Vision,  die  einem  Franziskaner  zu  Theil  geworden 
war,  „die  Stunde  des  Gebarens,  um  Mitternacht  am  Tage  des 
Herrn,  gekommen  war,  erhob  sich  die  Jungfrau  und  lehnte  sich  an 
eine  Säule,  die  dort  war;  Joseph  aber  saß  traurig,  vielleicht  weil 
er  nicht  vermochte,  das  Nothwendige  zuzurüsten.  Er  stand  also 
auf  und  nahm  von  dem  Heu  der  Krippe  und  warf  es  vor  die  Füße 
der  Herrin  und  wandte  sich  nach  einer  andern  Seite :  da  aber  ver- 
ließ   der   Sohn   Gottes    den  Mutterleib. Und    die  Mutter 

neigte   sich    sogleich,    hob    ihn    auf  und   umarmte  ihn  süßer  Liebe 


1)  Phot.  Brogi. 

^)  A.  Schulz:  Die  Legende  vom  Leben  der  Jungfrau  Maria.     Leipzig  1878,  S.  57 
nennt  irrthümlich  als  erste  solche  die  des  Andrea  Pisano. 


Die  Kindheit  Christi.  463 


voll,  legte  ihn  auf  ihren  Schooß.  —  —  —  Dann  wickelte  sie  ihn 
in  den  Schleier  ihres  Hauptes  und  legte  ihn  in  die  Krippe.  Und 
da  steckten  der  Ochs  und  der  Esel ,  die  Kniee  beugend ,  ihre 
Schnauzen  über  die  Krippe,  schnaubend,  als  hätten  sie  Vernunft 
und  wüßten,  daß  der  so  gar  ärmlich  bedeckte  Knabe  bei  so  großer 
Kälte  der  Wärme  bedürfe.  Die  Mutter  aber  niederknieend  betete 
an  und  sprach,  Gott  Dank  sagend:  ,,ich  sage  dir  Dank,  Herr  und 
heiliger  Vater,  der  Du  mir  deinen  Sohn  gegeben  hast,  und  ich 
bete  Dich  an ,  ewiger  Gott ,  und  Dich  des  lebendigen  Gottes  und 
meinen  Sohn."  Joseph  aber  verehrte  ihn  in  gleicher  Weise  und 
nahm  den  Sattel  des  Esels  und  zog  aus  ihm  ein  Kissen  von  Wolle 
heraus  und  legte  dasselbe  neben  die  Krippe,  damit  Maria  sich 
darauf  setze.  Sie  aber  setzte  sich  dort  nieder  und  legte  den  Sattel 
unter  den  Ellenbogen  und  so  blieb  sie  da,  die  Herrin  der  Welt, 
ihren  Blick  immer  auf  die  Krippe,  die  Augen  und  ihre  ganze  Liebe 
auf  ihren  geliebtesten  Sohn  gerichtet.  —  —  —  Als  so  der  Herr 
geboren  war,  betete  die  Menge  der  Engel,  die  da  war,  ihren  Herrn 
an  und  gingen  sogleich  zu  den  Hirten,  die  in  der  Nähe  vielleicht 
eine  Meile  weit  waren  und  verkündeten  ihnen  die  Geburt  und  auch 
den  Ort.  Dann  stiegen  sie  mit  Lob  und  Jubelgesängen  gen 
Himmel  auf,  ihren  Genossen  das  Gleiche  zu  verkündigen.  So  kam 
der  ganze  himmlische  Hof  freudig,  nachdem  sie  ein  großes  Fest 
gemacht  und  Lobgesänge  und  Dankesbezeugungen  Gott  dem  Vater 
dargebracht.  Alle  so  viele  da  waren,  ein  Chor  nach  dem  andern, 
das  Antlitz  ihres  Herrn  und  Gottes  zu  sehen,  und  beteten  ihn  und 
auch  seine  Mutter  mit  jeglicher  Ehrerbietung  an  und  ließen  ihre 
Loblieder  erschallen.  Es  kamen  auch  die  Hirten  und  beteten  ihn 
an,  erzählend,  was  sie  von  den  Engeln  gehört.  Die  Mutter  aber 
bewahrte  klug  Alles,  was  von  ihm  gesagt  ward,  in  ihrem  Herzen, 
jene  aber  gingen  in  Freuden  fort.  Beuge  auch  du  das  Knie,  da 
du  es  so  lange  verschoben  und  bete  den  Herrn  deinen  Gott  an 
und  dann  seine  Mutter  und  grüße  ehrerbietig  den  heiligen  Greis 
Joseph.^)" 

Erst  ganz  allmählich  ist  die  Kunst  dazugekommen,  dieser 
innigen  Szene  ihren  ewigen  Gehalt  zu  verleihen.  Wie  stark  die 
ältere  Tradition  war,  zeigen  noch  Giotto's  Werke,  die  ihr  im 
Wesentlichen  folgen.    Die  Geburt  war  immer  mit  der  Verkündigung 


1)  Cap.  VII.    S.  519  f. 


464       ^^^  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

an  die  Hirten  im  Bild  verbunden  und  demzufolge  die  Komposition 
sehr  locker  gefugt  gewesen.  Auf  halber  Höhe  eines  Berges  sieht 
man  Maria  liegen,  selten  sitzen;  hinter  ihr  ist  die  Krippe  mit  dem 
Christkind,  auf  das  Ochs  und  Esel  schauen.  Zwei  Frauen  baden 
unten  auf  der  einen  Seite  das  Kind,  auf  der  andern  sitzt  der 
schlafende  Joseph.  In  halber  Höhe  des  Berges  an  der  Seite  stehen 
einige  Hirten,  die  erstaunt  zu  den  Engeln  emporschauen,  welche 
die  Botschaft  bringen.  Nur  ganz  ausnahmsweise  beschäftigt  sich 
die  Mutter  mit  dem  Kinde.  Gerade  in  dem  Verhältniß  der  Beiden 
aber  sucht  die  neuere  Kunst,  wie  die  Franziskanerdichtung,  den 
eigentlichen  Mittelpunkt  der  Handlung.  Die  Nebenszene  der  das 
Kind  badenden  Frauen  verschwindet^),  wohl  unter  dem  Einfluß  der 
immer  mehr  sich  geltend  machenden  Anschauung  von  der  , un- 
befleckten Empfängniß'  der  Maria.  Noch  Niccolö  Pisano  hält  sich 
an  der  Kanzel  des  Baptisteriums  zu  Pisa  an  die  Tradition ,  Gio- 
vanni Pisano  aber  in  den  Reliefs  der  Pisaner  Kanzel  und  der  zu 
Pistoja  bringt  etwas  mehr  Leben  in  die  Stellung  der  Jungfrau, 
indem  er  sie  das  Tuch  von  dem  in  der  Krippe  liegenden  Kinde 
lüften  läßt,  ein  Motiv,  das  auch  noch  Orcagna  auf  dem  Altar  zu 
Orsanmichele  hat.  Auf  Giotto's  Darstellung  in  Padua  ist  nur  eine 
noch  von  den  helfenden  Frauen  vorhanden,  und  diese  steht  der 
zwar  nach  alter  Weise  liegenden  Jungfrau,  die  aber  hier  sich  bereits 
liebevoll  um  das  Kind  bemüht,  bei,  dieses  in  die  Krippe  zu  legen. 
Der  schlafende  Joseph,  die  Hirten  rechts  und  die  Engel  sind  noch 
beibehalten.  Alterthümlicher  erscheint  dagegen  die  Szene  auf  dem 
Fresko  der  Unterkirche  von  S.  Francesco  —  die  Hirten,  die  Bade- 
szene erinnern  an  den  alten  Typus.  Nur,  daß  Maria  das  gewickelte 
Kind  in  den  Armen  hält  und  liebevoll  anschaut  und  Engeischaaren 
es  betend  verehren ,  spricht  von  der  neuen  Zeitströmung.  Einen 
weiteren  Schritt  thut  Taddeo  Gaddi  in  der  Capella  Baroncelli  in 
S.  Croce  zu  Florenz.  Da  sitzt  Maria  unter  einer  Hütte,  die  schon 
von  Giotto  eingeführt  wurde,  und  drückt  das  Kind  an  die  Brust. 
Tiefsinnig  betrübt  —  ob  aus  dem  in  den  ,meditationes'  angegebenen 
Grunde  oder  aus  einem  andern.?  —  sitzt  daneben  Joseph.  Ein 
Hirt    schaut   über    den  Felsen    herüber,    zwei  Engel    fliegen   in  der 


^)  Vergl.  über  dieses  Motiv :  Didron :  Manuel  d'iconographie  chretienne  (Maler- 
buch vom  Berge  Athos),  S.  158.  Es  geht  auf  eine  Legende  des  Simeon  Metaphrastos 
zurück. 


Die  Kindheit  Christi.  465 


Höhe.  Aehnlich  ist  das  kleine  Bild  Taddeo's  in  der  Berliner 
Gallerie  (1080)  und  ebendaselbst  eines  von  Bernardo  da  Firenze 
(1064),  auf  denen  die  Mutter  das  Kind  säugt.  Giottino  oder  jener 
Schüler  Giotto's ,  der  die  Grabkapelle  der  Strozzi  in  S.  Maria 
novella  ausgemalt,  läßt  seinerseits  Maria  betend  neben  der  Krippe 
sitzen.  Ueber  dem  Berge  in  gewohnter  Weise  die  Engel,  von 
denen  einige  den  links  befindlichen  Hirten  erscheinen.  Ebenso  ist 
die  Szene  auf  dem  großen  Orcagna  zugeschriebenen  Altarwerke  in 
der  Londoner  National  Gallery,  das  aus  S.  Piero  maggiore  stammt, 
dargestellt.  Ein  weiterer  Schritt  wird  am  Ende  des  XIV.  Jahr- 
hunderts gethan :  Maria  ist  auf  die  Kniee  gesunken  und  betet  das 
nackte  Kind  an,  während  auch  Joseph  sich  verehrend  naht.  Zuerst 
ist  mir  das  Motiv  auf  einer  der  kleinen  Tafeln  von  Taddeo  Gaddi 
in  der  Akademie  zu  Florenz ,  weiter  auf  der  Predella  des  großen 
Altarwerkes  von  Bernardo  Daddi  ebendort,  auf  einem  Fresko  des 
Ugolino  di  Prete  Ilario  im  Chor  des  Domes  zu  Orvieto  (v.  J.  1364) 
und  auf  dem  Predellenbild  der  Verkündigung  in  Fresko  vor- 
gekommen, die,  das  Werk  eines  späten  Nachfolgers  des  Simone 
Martini,  an  der  Eingangswand  von  S.  Maria  novella  sich  befindet. 
Zunächst  übernimmt  es  dann  Masolino  auf  seinem  Fresko  in  der 
Kollegiatkirche  zu  Castiglione  d'OIona  und  Lorenzo  Monaco  auf 
einem  der  kleinen  Bildchen,  die  jetzt  im  hintersten  Zimmer  der 
Akademie  zu  Florenz  sind,  und  dem  trefflichen  Bilde  in  S.  Gio- 
vanni dei  Cavalieri  ebendaselbst.  Hettner  glaubte  irrthümlicher 
Weise,  daß  es  zuerst  von  Gentile  da  Fabriano  in  der  Predella  zu 
seiner  , Anbetung  der  heiligen  drei  Könige'  in  der  Florentiner 
Akademie  angewandt  sei.^)  Es  scheint  aber  offenbar  zuerst  von 
Giotto  gebracht  worden  zu  sein.  Eigenthümlicher  Weise  heißt 
es  im  Malerbuche  vom  Berge  Athos:  Maria,  kniee nd,  legt 
das  Kind  in  die  Krippe  —  womit  die  älteren  Denkmäler  nicht 
übereinstimmen.  Jedenfalls  wird  das  Motiv  von  1400  an  aber  auch 
in  der  florentinischen  Kunst  ganz  allgemein,  besonders  durch  die 
herrlichen  Werke  Fra  Filippo's  und  Luca's  della  Robbia.'^)  Nun 
nähern  sich  auch  die  Hirten  betend  dem  Kinde,  und  damit  ist  die 
Einheitlichkeit  der  Komposition  erreicht.     Erst  aus  diesen  Werken 


^)  Kleine  Schriften.     Die  Franziskaner  in  der  Kunstgeschichte.     S.   319. 

^)  Ich    möchte    hier    darauf  hinweisen,    daß  speziell  Luca  della  Robbia  in  seiner 
Kunst  von  Jacopone  beeinflußt  worden  sein  dürfte,  da  ein  Manuskript  von  des  Letzteren 
Liedern  in  Paris  (Nat.  bibl.   8146)  ursprünglich  im  Besitze  Luca's  sich  befand. 
Thode,  Franz  von  Assisi.  -iq 


^^ß       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 


spricht  in  voller  Reinheit  der  lieblich  natürliche  Gedanke  von  der 
mütterlichen  Liebe  und  der  demüthigen  Verehrung  zugleich,  die 
Maria  für  das  Kindlein  hegt  —  erst  damals  erhalten  Jacopone's 
Lieder  ihren  vollen  Wiederschein  in  der  bildenden  Kunst. 

Jenes  oben  wiedergegebene  Lied  ,stabat  mater  speciosa'  ist 
nur  eines  unter  mehreren.  Man  lese  ferner  die  II.  Ode  im 
III.  Buch :  ,per  li  tuoi  gran  valori',  das  herrliche  Weihnachtslied : 
jOgni  uom  con  alegrezza  novella'  (III,  4)  und  die  fünfte  Ode,  die 
folgendermaßen  beginnt : 

1.  In  dem  würdig  hehren  Stall  des  süßen  Kindleins 
Singen  um  den  Kleinen  rings  geschaart  die  Engel. 

2.  Die  geliebten  Engel  singen  hell  und  rufen 
Alle  in  Verehrung  scheu  und  unterthänig 

Vor  dem  Kindlein,  der  Erwählten  Herrn  und  Fürsten, 
Der  in  stechend  scharfen  Dornen  nackend  liegt. 


7.  Der  entsproßt  Maria's  Blut,  der  zarte  Körper, 
Ward  in  Obhut  unschuldreinen  Freunden: 
Joseph  und  der  Maid  Maria  übergeben, 

Die  verwundrungsvoll  das  kleine  Kindlein  anschaun. 

8.  O  du  großer  kleiner  Jesus,  unsre  Liebe, 

Wer  dich  so  gesehen  zwischen  Ochs  und  Esel, 
Wie  sie  blasend  Deine  heil'ge  Brust  anschnaubten, 
Hätte  nie  geglaubt  Dich  des  Dreiein'gen  Sohn ! ') 

Am   anschaulichsten   aber  schildert  das  achte  Lied  des  dritten 
Buches  die  Szene : 

Str.  II.   Als  die  Mutter  ihn  geboren, 

Gottes  großes  kleines  Söhnlein, 
Großes  Leuchten  ihr  erschien  da 
Ob  dem  fleischgewordnen  Worte. 


^)  Vergl.  auch  Bonaventura's  Philomela.  Bd.  XIV.  S.  162: 
Felix,  qui  tum  temporis  matti  singulari 
Potuisset  precibus,  ita  famulari 
Ut  in  die  sineret  semel  osculari 
Suum  dulcem  parvulum  eique  jocari. 
O  quam  libens  balneum  ei  praeparassem 
O  quam  libens  humeris  aquam  apportassem 
In  hoc  libens  Virgini  semper  ministrassem 
Pauperisque  parvuli  pannulos  lavassem. 
Hier  also  das  ältere  Motiv  des  Bades. 


Die  Kindheit  Christi.  467 


12.  Und  Maria  kniete  nieder, 
Betete  es  an,  das  Söhnlein, 
Darauf  nahm  sie's  in  die  Arme, 
Drückte  es  an  sich  umarmend. 

13.  Ihre  eignen  Linnen  nahm  sie, 
Wickelte  darein  das  Söhnlein, 
Legt  es  auf  den  Boden  nieder 
Mitten  zwischen  Ochs  und  Esel. 

14.  Und  in  Eintracht  beide  schritten 
Hin  zu  ihm,  da  sie  gesehen. 

Daß  der  Herr,  er,  der  AUmächt'ge, 
Gar  der  Wärme  so  bedürftig. 

15.  Und  sogleich  zu  Boden  warfen 
Dankbar  nieder  sich  die  Thiere, 
Streckten  vorwärts  ihre  Köpfe 
Ueber  solche  schöne  Liebe. 

17.  Joseph  aber  benedeiet 

Stand  für  sich  gar  sehr  betrübet. 
Wie  durchbohrt  von  großem  Mitleid, 
Daß  zu  helfen  ihm  versagt  war. 

18.  Auf  das  Kindlein  blickt  er  nieder, 
Und  das  Kindlein  gab  ihm  Tröstung, 
Schenkt  ihm  wieder  innern  Frieden 
Für  die  Qual,  die  er  drob  hatte. 

19.  Hier  ertönen  süße  Sänge 

Von  den  himmlisch  heil'gen  Engeln, 
Alle  kommen  sie  zusammen 
Vor  das  Kind,  es  anzubeten. 

Aus  dem  Vergleiche  der  Dichtung  mit  den  Kunstwerken  ergiebt 
sich  im  Allgemeinen  die  Thatsache,  die  uns  auch  die  Kunstent- 
wicklung bei  den  Griechen  lehrt,  daß  die  bildende  Kunst  viel  mehr 
Zeit  dazu  gebraucht  hat,  die  religiösen  Anschauungen  der  Zeit 
wiederzugeben,  als  die  Dichtkunst,  und  daß  sie  daher,  zum  Theil 
wenigstens,  der  Anleitung  der  letzteren  folgte.  Im  Besonderen  aber 
erhalten  wir  eine  ansprechende  Aufklärung  über  zwei  Details  in 
den  Bildern  der  Geburt  Christi.  Joseph  wird  häufig  so  traurig  und 
sinnend  dargestellt,  weil  er  inniges  Mitleid  mit  Mutter  und  Kind 
hat  und  doch  nicht  zu  helfen  weiß.  Die  Thiere  aber  strecken  die 
Schnauzen  so  dicht  zum  Christkind  hin,  es  in  rührendem  Mitgefühl 
zu  wärmen.  Möglich,  daß  die  dichterische  Auffassung  ihrerseits 
wieder  aus  den  älteren  Darstellungen  entsprungen  ist. 

30* 


4.68       Di^  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

4.  Die  Anbetung  der  h.  drei  Könige.  Bereits  Hettner 
hat  darauf  hingewiesen,  wie  bestimmend  die  Franziskanerpoesie  für 
die  bildliche  Darstellung  dieser  Szene  geworden  ist.^)  Das  Neue 
in  der  Komposition  besteht  darin ,  daß ,  während  in  der  ältesten 
Zeit  die  drei  Könige  laufend  auf  das  Kind  zueilten ,  später  wohl 
der  älteste  das  Knie  beugte  und  ihm  das  Gefäß  darreichte'^),  jetzt 
die  Beziehung  zwischen  Christus  und  den  ihn  Verehrenden  inniger 
wird,  daß  der  vorderste  König  nämlich  seinen  Fuß  küßt.  Zugleich 
beginnt  man  einzusehen,  welch'  malerischen  Vorwurf  das  reiche 
Gefolge  der  Weisen  bildet.  Der  Fußkuß  aber  spielt  eine  beson- 
dere Rolle  in  der  ausführlichen  Schilderung  der  Szene,  welche  die 
Meditationes  bringen: 

„Es  kamen  also  jene  drei  Könige  mit  einer  großen  Menge 
und  vornehmem  Geleit,  und  da  sind  sie  vor  jener  Hütte,  in  welcher 
der  Herr  Jesus  geboren  wurde.  Die  Herrin  hört  das  Geräusch 
und  den  Lärm  und  nimmt  den  Knaben  zu  sich.  Jene  treten  in 
das  Häuschen  ein  und  beugen  die  Kniee  und  beten  den  Herrn, 
den  Knaben  Jesus,  ehrfürchtig  an.  Sie  ehren  ihn  als  König  und 
beten  ihn  als  Herrn  an.  Sieh,  wie  groß  ihr  Glaube  war!  —  Sie 
knieen  also  vor  ihm ,  reden  mit  der  Herrin ,  sei  es  durch  einen 
Dolmetscher  oder  selbst :  denn  sie  waren  ja  Weise  und  verstanden 
vielleicht  die  hebräische  Sprache.  Sie  fragen  sie  aus  über  Alles, 
was  den  Knaben  angeht.  Die  Herrin  erzählt,  und  sie  glauben  ihr 
Alles.  Betrachte  sie  gut,  denn  ehrfürchtig  und  höfHch  sprechen 
und  hören  sie.  Betrachte  auch  die  Herrin ,  denn  schamhaft  in 
Worten,  die  Augen  zur  Erde  gesenkt  und  mit  ehrfürchtiger  Scheu 
spricht  sie ;  es  ergötzt  sie  nicht,  zu  reden,  noch  gesehen  zu  werden. 
Der  Herr  aber  gab  ihr  Kraft  bei  diesem  großen  Werke;  denn 
Jene  repräsentirten  die  gesammte  Kirche  aus  den  Heiden.  Be- 
trachte auch  den  Knaben  Jesus:  noch  spricht  er  nicht,  sondern 
verharrt  in  reifer  Betrachtung  und  Würde,  wie  voller  Einsicht, 
und  schaut  wohlwollend  Jene  an,  und  sie  erfreuen  sich  sehr 
an  ihm,  sowohl  an  seinem  geistigen  Anblick,  gleichsam  inner- 
lich belehrt  und  erleuchtet  von  ihm,  als  auch  an  seinem  körper- 
lichen Anblick,  denn  er  war  schön  vor  den  Menschensöhnen.  End- 
lich als  sie  großen  Trost  empfangen,    bieten  sie  ihm  Gold,   Weih- 


1)  A.  a.  o.  S.  319. 

^)  Vergl.  Didron:  Manuel  S.  159. 


Die  Kindheit  Christi.  469 


rauch  und  Myrrhen  an,  öffnen  ihre  Schätze  und  bringen  sie  ihm 
dar,  ein  Tuch  oder  einen  Teppich  vor  den  Füßen  des  Herrn  Jesus 
ausbreitend  —  nämlich  Jeder  von  ihnen  alles  drei  in  größter  Fülle, 
vorzüglich  das  Gold.  Denn  sonst  für  kleine  Gaben  hätten  sie 
nicht  die  Schatzbehälter  zu  öffnen  brauchen,  denn  eine  Kleinigkeit 
hätten  wohl  ihre  Seneschalle  zur  Hand  gehabt.  Und  dann  küßten 
sie  voll  Ehrfurcht  und  Frömmigkeit  seine  Füße.  Wie ,  wenn  da 
der  weiseste  Knabe,  sie  noch  mehr  zu  trösten  und  in  der  Liebe 
zu  ihm  zu  befestigen,  ihnen  auch  die  Hand  zum  Kusse  gereicht 
hätte?  Auch  bezeichnete  er  sie  und  segnete  sie.  Jene  aber 
nahmen  sich  verbeugend  Abschied  und  kehrten  mit  großer 
Freude  heim.^)" 

Der  Erste,  welcher  den  Fußkuß  darstellt,  ist  Niccolö  Pisano 
an  der  Kanzel  im  Dome  zu  Siena,  während  er  noch  auf  derjenigen 
zu  Pisa  in  alter  Weise  den  König  das  Geschenk  hatte  darreichen 
lassen.  Ihm  folgt  Giovanni  Pisano  auf  den  Reliefs  in  Pisa  und 
Pistoja,  dann  Giotto,  mit  seinem  vornehm  ernsten  Fresko  in  Padua, 
auf  welchem  neben  Maria  Joseph  und  ein  die  Geschenke  in  Em- 
pfang nehmender  Engel,  hinter  den  Königen  ein  Diener  mit  zwei 
Kamelen  sich  befindet.  Etwas  größeres  Gefolge  zeigt  schon  das 
Bild  in  S.  Francesco  zu  Assisi,  auf  dem  Christus  den  ihn  küssen- 
den König  segnet.  (Abb.  68.)  Dann  übernimmt  Taddeo  Gaddi  das 
Motiv  (Baroncellikapelle),  und  von  nun  an  wird  es  ganz  allgemein. 
Dramatische  Aufführungen,  gleich  dem  1336  von  den  Dominikanern 
in  Mailand  veranstalteten  Dreikönigsfest,  mögen,  wie  Ebert  bemerkt, 
so  ausnehmend  figurenreiche  Darstellungen,  wie  das  berühmte  Werk 
Gentile's  in  der  Akademie  zu  Florenz,  die  Bilder  A.  Vivarini's  und 
Pisanello's  in  Berlin,  Lorenz©  Monaco's  Bild  im  Korridor  der 
Uffizien  (28)  und  andere  mehr  inspirirt  haben."^) 

5.  Die  Darstellung  im  Tempel.  „Am  vierzigsten  Tage", 
erzählen  die  Meditationes ,  „gehen  die  Eltern  mit  dem  Kinde  nach 
Jerusalem  in  den  Tempel.  Da  kommt  Simeon,  erkennt  Christus 
in  seinem  prophetischen  Geiste  und  betet  knieend  ihn  an.  Der 
Knabe  aber  segnet  ihn  und  neigt  sich,   die  Mutter  anschauend,  als 


^)  A.  a.  O.  Cap.  IX.  S.  522  f.  Sich  und  seine  Leser  zu  berahigen ,  fügt  der 
Verfasser  der  med.  hinzu,  daß  die  Jungfrau  das  Gold  wohl  den  Armen  gegeben  habe, 
Christus  aber  selbst  wie  ein  Armer  dasselbe  als  Almosen  empfangen  habe.  Echt 
Franziskanisch!    Vergl.  auch  Jacobus  a  Voragine  Leg.  aurea,  cap.   37. 

ä)  Vergl.  Muratori:  Rer.  ital.  Script.  T.  XII,  col.  1017  f.  —  Ebert:  a.  a.  O.  S.  53. 


470       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

wolle  er  zu  Jenem  gehen.  Da  reicht  sie  ihn  dem  Simeon.  Dieser 
aber,  freudig  und  ehrerbietig  ihn  in  seinen  Armen  empfangend, 
erhob  sich ,  lobte  Gott  und  sprach :  Jetzt  läßt  Du  Deinen  Knecht 
in  Frieden  gehen,  o  Herr  etc.  Er  prophezeite  von  seinem  Leiden. 
Es  kam  aber  herzu  auch  die  Prophetin  Anna  und  betete  ihn  an 
und  sprach  in  gleicher  Weise  über  ihn.  Maria  aber  darüber  sich 
wundernd,  bewahrte  Alles  in  ihrem  Herzen.  Dann  streckte  der 
Knabe  Jesus  die  Arme  nach  der  Mutter  aus  und  kehrte  zu  ihr 
zurück.  Darauf  schreiten  sie  in  einer  Prozession  zum  Altare ,  die 
heute  noch  in  der  ganzen  Welt  dargestellt  wird.  Voran  schreiten 
lebhaft  die  beiden  ehrwürdigen  Greise,  Joseph  und  Simeon,  sich  an 
der  Hand  haltend  und  mit  großem  Frohlocken  jubelnd  Psalmen 
singend.  Es  folgt  die  Mutter,  den  König  Jesus  tragend,  und  Anna 
geleitet  sie,  zur  Seite  gehend,  in  ehrerbietigem  Jubel  und  in  unsag- 
barer Freude  den  Herrn  lobend.  —  Als  sie  aber  zum  Altar  ge- 
kommen sind,  kniet  die  Mutter  in  Ehrfurcht  nieder  und  bringt  ihren 
geliebtesten  Sohn  Gott  seinem  Vater  dar ,  indem  sie  spricht : 
Nimm,  erlauchtester  Vater,  Deinen  Eingeborenen,  den  ich  Dir  nach 
dem  Gebot  Deines  Gesetzes  darbringe,  der  der  erstgeborene  der 
Mutter  ist.  Aber  ich  bitte  Dich,  Vater,  daß  Du  ihn  mir  wieder- 
giebst.     Und  indem  sie  aufsteht,  setzt  sie  ihn  auf  den  Altar. ^)" 

So  wenig  Giotto's  mächtiges  Bild  in  Padua  kompositionell  von 
den  Darstellungen  der  älteren  Kunst  im  Großen  und  Ganzen  ver- 
schieden ist,  so  weit  überragt  es  sie  doch  in  der  geistigen  Auf- 
fassung. Wie  das  Kind  von  den  Armen  des  ehrwürdigen  Simeon 
zur  Mutter  strebt,  die  still  verlangend  die  Hände  nach  ihm  aus- 
streckt, wie  in  der  Stellung  und  in  dem  gesenkten  Haupt  und  Blick 
der  Anna  das  prophetische  Ahnen  zur  Anschauung  gebracht  ist, 
ist  so  einfach,  wie  unübertrefflich.  Figurenreicher  und  gleichfalls 
an  schönen  Motiven  reich  ist  das  Bild  in  S.  Francesco  zu  Assisi. 
Was  in  der  obigen  Schilderung  das  Charakteristische  ist:  die  ein- 
gehende Art,  mit  der  die  zwischen  Maria,  dem  Kinde  und  Simeon 
vorgehende  Handlung  geschildert  wird,  ist  auch  das,  worin  der 
Hauptwerth  dieser  die  späteren  Darstellungen  beeinflussenden 
Werke  liegt.^) 

1)  Cap.  XI.  S.  524. 

^)  In  der  früheren  Kunst  besteht  die  Komposition  fast  immer  nur  aus  vier  Per- 
sonen, so  auch  auf  Niccolo  Pisano's  Kanzel  in  Siena.  Auf  der  Kanzel  in  Pisa  ist  sie, 
offenbar   der   Nachbildung    des    auf  den   Satyr   gelehnten    indischen  Bacchus   zu  Liebe, 


Die  Kindheit  Christi.  471 


6.  Die  Flucht  nach  Egypten  und  Heimkehr.  Lesen 
wir  in  den  Meditationes  gar  Nichts  über  den  Kindermord,  den 
Giotto  in  Padua  und  Assisi  in  dramatisch  bewegter  Weise,  aber  mit 
Anlehnung  an  ältere  Vorbilder  gemalt  hat,  so  bringen  sie  auch 
keine  neuen  Züge  für  die  Flucht  nach  Egypten;  das  alte  Schema 
der  Komposition,  nach  welchem  Joseph  den  Esel  führt,  auf  dem 
Maria  mit  dem  Kinde  sitzt,  ein  Engel  voran  fliegt,  ist  von  Giotto 
übernommen  worden,  der  die  Familie  außerdem  von  Mägden  und 
Knechten  begleitet  werden  läßt.^)  Die  sehr  selten,  vielleicht  zuerst 
von  Giotto  in  der  Unterkirche  zu  Assisi  dargestellte  ,Heimkehr 
von  Egypten'  aber  wird  von  den  Meditationes,  nachdem  von  dem 
Aufenthalte  im  fremden  Lande  die  Rede  gewesen  ist,  ausführUch 
geschildert.-)  Sieben  Jahre  hatten  sie  in  der  Stadt  Heliopolis  als 
Fremdlinge,  arm  und  dürftig,  in  einem  kleinen  Hause  gelebt.  Joseph 
beschäftigte  sich  mit  Zimmerarbeit,  Maria  verdiente  sich  durch 
Nähen  ihren  Unterhalt,  und  der  Knabe  trägt  die  fertigen  Arbeiten 
zu  den  Auftraggebern.  Wie  oft  mag  er  da  herbe  Worte  gehört, 
wie  oft  Hunger  gelitten  haben,  wenn  auch  zuweilen  gute  Frauen 
sich  der  Armen  erbarmen.  Endlich  ermahnte  ein  Engel  Joseph  zur 
Heimkehr  in's  Vaterland.  ,,In  der  Frühe  am  folgenden  Tage  wirst 
du  einige  gute  Frauen  und  auch  Männer  aus  der  Stadt  kommen 
sehen,  die  ihnen  bis  vor  das  Thor  folgen,  ihrer  versöhnenden  und 
heiligen  Unterhaltung  noch  sich  zu  freuen.  Denn  sie  hatten  ihren 
Aufbruch  mehrere  Tage  vorher  in  der  Nachbarschaft  verkündet  — 
denn  sie  kehren  nun  heim,  und  Joseph  schreitet  mit  den  Männern 
voraus  und  die  Herrin  folgt  weiter  zurück  mit  den  Frauen.  Du 
aber  nimm  den  Knaben  an  der  Hand  und  gehe  in  der  Mitte,  der 
Mutter  voraus ,  denn  hinter  sich  wird  sie  ihn  nicht  lassen  wollen. 
Als  sie  aber  vor  dem  Thore  sind ,  duldet  Joseph  die  Begleitung 
nicht  länger.  Da  aber  ruft  Einer  von  Jenen,  ein  Reicher,  ihre 
Armuth  bemitleidend,  den  Knaben,  daß  er  ihm  einige  Denare  zur 


der  hier  als  Priester  auftritt ,  erweitert.  S.  Dobbert :  Die  Pisani ,  in  Dohme :  Kunst  u. 
Künstler  HI,  S.  8. 

^)  Das  ist  übrigens  kein  ganz  neuer  Zug.  Auch  in  der  Litteratur  (vergl.  Schulz 
a.  a.  O.  S.  22)  wird  von  einigen  Mägden  und  Knechten  gesprochen. 

^)  Vielleicht  ist  die  Szene  auf  dem  von  Coelestin  IL  (1143 — 44)  geschenkten 
Silberantipendium  in  Citta  di  Castello  (d' Agincourt :  Sculpture  P.  XXI,  1 3)  dargestellt. 
Vergl,  Schulz  a.  a.  O.  S.  65.  Da  trägt  Joseph  das  Kind  auf  der  Schulter,  Maria  folgt 
auf  dem  Esel. 


472       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

Bestreitung  der  Ausgaben  gäbe.  Es  scheut  sich  der  Knabe,  es 
anzunehmen,  dennoch  aus  Liebe  zur  Armuth  streckt  er  die  Hand 
aus,  nimmt  ehrerbietig  das  Geld  an  und  sagt  seinen  Dank:  so 
thaten  auch  mehrere  Andere.  EndHch  nachdem  sie  Diesen  gedankt, 
sagen  sie  Allen  Lebewohl  und  setzen  ihren  Weg  fort."  Vielleicht 
hat  einer  der  guten  Leute  ihnen  auch  einen  Esel  gegeben,  auf  dem 
der  Christusknabe  reiten  konnte.  Auf  dem  Heimwege  treffen  sie 
in  der  Wüste  den  kleinen  Johannes,  besuchen  dann  Elisabeth  und 
langen  endlich  in  Nazareth  an.^)  Dort  leben  sie  ärmlich  weiter; 
der  Knabe  mag  da  wohl  der  Mutter  kleine  Dienste  gethan,  ihr 
Wasser  zugetragen  und  mit  dem  kleinen  Johannes  Evangelista,  der 
damals  fünf  Jahre  alt  war,  verkehrt  haben. 

Giotto  hat  auf  seinem  Fresko  den  Augenblick  dargestellt,  in 
welchem  die  h.  Familie  die  Thore  der  Stadt  verläßt.  Joseph 
schreitet,  den  Knaben  an  der  Hand,  voraus,  dann  folgt  Maria,  von 
drei  Frauen  geleitet.^) 

Von  Interesse  ist  auch  die  Erzählung  von  dem  Zusammen- 
treffen der  beiden  Knaben  Christus  und  Johannes  in  der  Wüste, 
da  dasselbe  in  verschiedenen  Kunstwerken  des  XV.  Jahrhunderts 
dargestellt  wird ,  so  z.  B.  auf  einem  Fresko  des  Lorenzo  di  San 
Severino  von  1416  in  S.  Giovanni  zu  Urbino,  auf  einem  Bilde  des 
Jacopo  Sellajo  in  der  Galerie  zu  Berlin,  auf  einem  von  Bode  dem 
Verrocchio  zuertheilten  ebendaselbst^),  auf  einem  kleinen  Gemälde 
Pinturichio's  im  Monte  di  pietä  zu  Rom,  einem  florentinischen 
Bilde  im  Louvre  (Nr.  494)  und  auf  Andrea's  del  Sarto  Fresko 
in  den  Scalzi. 

7.  Der  zwölfjährige  Jesus  im  Tempel.  Schon  in  der 
trefflichen  Komposition  der  Oberkirche  in  Assisi  macht  sich  in  der 
Anordnung  der  links  und  rechts  sitzenden  Schriftgelehrten,  in  der 
Durchgeistigung  des  Christusknaben  ein  bedeutender  Fortschritt 
gegen  die  früheren  Darstellungen  bemerkbar,  so  daß  der  Schritt 
von  ihr  zu  Giotto's  Bild  in  Padua  kein  großer  erscheint.  Später 
in  Assisi  gestaltet  Letzterer  die  Szene  reicher,  gerade  nicht  zu  ihrem 
Vortheil.  Der  lehrende  Knabe  mußte  für  die  Kunst  immer  die 
Hauptsache   bleiben :    darin  unterscheidet  diese  sich  von  der  Dich- 


1)  Cap.  xin  s.  528. 

2)  Phot.  Alinari. 

3)  Galerie  Nr.  93  und  94.     S.  auch  Jahrb.  der    Preuß.  Kunstsamml.  III,    S,  249 
mit  Abb. 


Die  Passion  Christi.  473 


tung,  welche  das  Hauptgewicht  auf  den  Schmerz,  die  Ueberraschung 
und  Freude  der  Mutter  legt.  Als  die  Eltern  den  Knaben  ver- 
missen, eilt  Maria,  nach  ihm  zu  fragen,  durch  die  Häuser  und  betet 
in  angsterfüllten  Worten  zu  Gott.  Endlich  finden  sie  ihn  im 
Tempel.  ,,Da,  als  sie  ihn  sah,  freudig  bewegt,  wie  zu  neuem  Leben 
erstanden,  kniete  sie  nieder  und  dankte  unter  Thränen  Gott.  Der 
Knabe  Jesus  aber,  als  er  die  Mutter  gewahrt,  kommt  zu  ihr;  da 
nimmt  sie  ihn  zwischen  die  Arme  und  drückt  und  küßt  ihn  süß 
und  legt  ihr  Antlitz  an  seines  und  hält  ihn  lange  in  ihrem  Schooße 
und  findet  endlich  Ruhe,  da  sie  ihn  hat."  Dann  kehren  sie  nach 
Nazareth  zurück.^) 

Konnte  auch  im  Bilde  die  rührende  Szene,  wie  Mutter  und 
Kind  sich  wieder  haben,  nicht  dargestellt  werden,  das  harmvolle 
Sehnen  und  Verlangen  der  Maria  ward  schon  von  Giotto  in 
ergreifender  Weise  wiedergegeben. 

Dieser  Vorgang  ist  der  letzte,  der  von  dem  Dichter  der  Medi- 
tationes  ausführlich  behandelt  wird,  die  Taufe  Christi,  sein  folgen- 
des Lehren  und  Wunderwirken  erzählt  er  nur  kurz  im  Anschlüsse 
an  die  Evangelien.  Erst  die  Leidensgeschichte  bietet  seiner  Phan- 
tasie neuen,  fruchtbaren  Stoff.  Es  ist  ihm  darin  nicht  anders 
gegangen  als  dem  Künstler. 

Die  Passion  Christi. 
I.  Der  Abschied  von  Maria  in  Bethanien.  Die  bil- 
dende Kunst  hat  diese  rührenden  Szenen  nur  ganz  ausnahmsweise 
dargestellt  —  obgleich  sie  eine  nicht  unbedeutende  Rolle  in  der 
italienischen  Dichtung  gespielt  zu  haben  scheinen  und,  frei  aus  der 
Phantasie  geschaffen,  voll  reicher  poetischer  Empfindung  sind. 
Wenn  sie  in  den  Meditationes  noch  auf  die  kurzen,  aber  rührenden 
Reden  der  Maria  und  Magdalena  beschränkt  sind,  die  den  Herrn 
zurückzuhalten  suchen,  und  auf  die  Mittheilung,  die  Jesus  ihnen 
von  seinem  nahen  Leiden  und  Sterben  macht,  so  erscheinen  sie  in 
der  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  stammenden  ,Devozione  del  giovedl 
Santo'  in  ausführlichster  Weise  behandelt.^    Das  Mysterium  beginnt 

1)  Med.  cap.  XIV.  S.   530. 

2)  F.  Palermo:  I  Manoscritti  Palatini.  Firenze  1860.  II.  Bd.  S.  272  ff.  Ueber 
den  Einflufi,  den  das  Mysterium  auf  die  Kunst  gehabt,  vergl.  Springer:  Mitth.  der  k.  k. 
C.  C.  1860,  S.  125  ff.  und  C.  Meyer:  Vierteljahrsschrift  f.  K.  u.  L.  der  Renaissance 
I,  S.  162.     Neuerdings:  Weber:  Geistl,  Schauspiel  und  bild.  Kunst. 


474       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

damit,  daß  Maria  mit  Magdalena  und  Martha  dem  von  Jerusalem 
kommenden  Christus  entgegengeht  und  ihn  mit  liebend  tadelnden 
Worten  empfängt,  weil  er  sein  Leben  den  ihn  heimlich  verfolgen- 
den Feinden  ausgesetzt.  Er  verweist  sie  auf  den  Willen  Gottes 
und  umarmt  sie.  Dann  setzen  sie  sich  zu  Tisch.  Maria  bleibt 
immer  bei  ihm,  küßt  ihn  und  hört  nicht  auf,  ihn  zärtlich:  ,mein 
Sohn'  zu  nennen.  An  der  Tafel  befindet  sich  auch  Lazarus.  Dann 
ruft  Christus  Magdalena  bei  Seite,  die  knieend  ihn  anhört : 

O  meine  Tochter  Magdalena, 

Ich  möchte  Dich  von  Herzen  bitten: 

Laß  meine  Mutter  Dir  empfohlen  sein: 

Ich  scheide  noch  an  diesem  Tage, 

Denn  gehen  will  ich  nach  Jerusalem. 

Gefangen  werde  ich  vom  wilden  Volke 

Und  zu  dem  Tod  am  Kreuz  verdammt. 

Und  darob  wird  der  Schmerz  so  groß  sein, 

Den  meine  Mutter  fühlen  wird  betrübt, 

Daß  er  ihr  bis  zum  Herzen  dringt. 

Drum  bleib  mit  ihr  zu  jeder  Zeit, 

Du  und  Johannes  auch,  mein  theurer  Bruder, 

Und  dieses  halte  ganz  geheim. 

So  lange  bis  man  mich  gefangen  nimmt. 

Magdalena  antwortet : 

Mein  Herr  und  Gott,  ich  bin  bereit, 

Alles  zu  thun,  was  Du  befiehlst. 

O  weh  mir,  bitter,  trostlos,  traurig, 

Das  wird  ein  böser  Tag  für  mich! 

Weh  mir,  mein  Meister,  wie  verlassen  bin  ich! 

Und  Deine  Mutter  auch,  elend  und  leidend 

Wird  sie,  erfährt's  sie  erst,  mein  güt'ger  Meister! 

Dann  kehrt  Christus  zu  den  Andern  zurück,  Magdalena  aber 
bleibt.  Maria  kommt  zu  ihr  und  fragt  sie,  was  der  Herr  ihr  gesagt. 
Sie  aber  versagt  die  Antwort.  Da  eilt  die  Mutter  und  fallt  vor 
Christus  nieder  und  bittet  ihn,  ihr  doch  sein  Leiden  zu  vertrauen. 
Da  hebt  er  sie  mild  auf  und  kündet  ihr  das  Traurige.  Wie  todt 
fallt  sie  zu  Boden.     Dann  von  Christus  aufgehoben,  ruft  sie : 

Nicht  nenne  nun  mich  mehr  Maria, 
Da  ich  Dich  selbst  verlieren  soll,  mein  Sohn! 
Kein  Weib  empfand  je  größere  Leiden, 
Wie  giebst  Du's  zu,  Du  höchster  Gott? 
Du  sei  gesegnet,  Sohn,  seit  Du  geboren. 
Seit  ich  in  meinem  Leibe  Dich  getragen. 


Die  Passion  Christi.  475 


Von  Schmerz  überwältigt  sinken  Beide  zur  Erde.  Dann  erhebt 
sich  Maria  und  fällt  vor  Judas  auf  die  Kniee,  der  sie  ruhig  knieen 
läßt,  und  bittet  ihn,  auf  den  Herrn  Acht  zu  geben.  Doppelsinnig 
antwortet  er: 

Nicht  thut  es  Noth,  mich  gar  so  sehr  zu  bitten, 
Denn  was  zu  thun  ich  habe,  weiß  ich  wohl. 

Dann  bittet  sie  auch  Petrus,  worauf  sie  mit  Martha  und  Magda- 
lena zu  Christus  geht.  Der  bezeugt  ihr  seine  Ehrerbietung,  umarmt 
sie  und  macht  Miene  fortzugehen.  Ihr  Verlangen,  ihn  noch  bis  zu 
den  Thoren  der  Stadt  begleiten  zu  dürfen,  gewährt  er.  Dann,  als 
die  Mutter  vergeblich  ihn  gebeten,  sie  bei  sich  zu  behalten,  nehmen 
sie  herzbrechenden  Abschied.  Vor  Schmerz  sinken  sie  zusammen. 
Dann  erhebt  sich  Christus  und  geht  durch  ein  anderes  Thor  nach 
Jerusalem  hinein.  Er  läßt  ihr  zum  Trost  den  Engel  Gabriel ,  bis 
er  ihr  Johannes  senden  könne.  Zum  letzten  Male  ruft  sie  dem 
Sohne  nach : 

O  Du  mein  heißgeliebter  Sohn, 

O  Du  mein  anmuthvoller  Sohn, 

Durch  welches  Thor  bist  Du  hineingegangen,    . 

O  Du  mein  Sohn,  Du  meine  ganze  Freude, 

So  ohne  Trost  bist  Du  geschieden! 

Sagt  mir,  ihr  Frauen,  bei  der  Liebe  Gottes 

Wohin  mein  Sohn  gegangen  ist? 

Gabriel  und  die  Frauen  trösten  sie.  Sie  wirft  sich  vor  Magda- 
lena und  Martha  nieder  und  fleht  sie  an ,  sie  nicht  zu  verlassen. 
Dann  kehren  sie  nach  Bethanien  heim. 

Im  Innersten  ergreifend  wirkt  diese  schmucklos  natürliche  und 
dabei  so  hoheitsvolle  Dichtung  schon  beim  Lesen  —  welchen  Ein- 
druck muß  sie,  lebhaft  und  natürlich  dargestellt,  in  der  szenischen 
Aufführung  ausgeübt  haben.  Dabei  aber  muß  man  annehmen,  daß 
den  Passionsspielen  dieser  Abschied  nicht  allen  gemeinsam  gewesen 
ist  —  sonst  wäre  er  doch  öfter  auf  Kunstwerken  dargestellt  worden. 
Nur  zwei  italienische  Bilder  habe  ich  gefunden,  die  ihn  wieder- 
geben ,  und  zwar  hängt  das  eine ,  welches ,  wie  mir  scheint ,  ein 
Werk  des  Pier  Francesco  Sacchi  ist,  in  der  Franziskanerkirche  zu 
Pavia.  Es  ist  der  AugenbHck  gewählt,  in  dem  Christus,  um  zu 
scheiden,  auf  die  Kniee  vor  der  Mutter  niedergesunken  ist,  die,  von 
Magdalena  gehalten,  ihn  segnet.  Hinter  Christus  steht  Lazarus.  Das 
andere,  ein  Werk  des  Caroto  in  S.  Bernardino  zu  Verona,  zeigt 
Maria,  wie  sie  sich  mit  entsetztem  Ausdruck  zu  dem  links  knieen- 


476       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

den  Christus  wendet,  während  von  rechts  Magdalena,  gefolgt  von 
mehreren  Frauen,  mit  leidenschaftlich  ausgestreckten  Armen  herbei- 
eilt. Im  Hintergrunde  sieht  man  Lazarus  und  mehrere  Männer.^) 
Daß  beide  Bilder  in  Franziskanerkirchen  hängen,  ist  wohl  kein 
bloßer  Zufall.  Außerdem  stellt  noch  ein  Kupferstich  Robetta's 
(B.  9)  die  Szene  dar. 

2.  Das  Abendmahl  und  die  Fußwaschung.  Die  kurze 
Besprechung  in  den  Meditationes  ist  ohne  wesentliche  Bedeutung 
für  die  Kenntniß  der  allmählichen  Entwickelung  und  Veränderung 
der  Kompositionen.  Es  handelte  sich  für  den  Schriftsteller  hier 
offenbar  mehr  um  eine  kulturhistorische  Studie.  Er  macht  darauf 
aufmerksam,  daß  Christus  und  seine  Jünger  nach  der  antiken  Sitte 
am  Boden  gesessen  hätten  und  zwar  je  zu  drei  an  jeder  Seite  des 
quadraten  Tisches,  Christus  an  einer  Ecke,  daß  sie  das  Lamm 
stehend  gegessen  und  erst  dann  sich  gesetzt.  Eine  größere  An- 
schaulichkeit gewinnt  er  erst  wieder  bei  der  Fußwaschung :  „da  neigt 
sich  die  höchste  Majestät  und  der  Meister  der  Demuth  beugt  sich 
bis  zu  den  Füßen  des  Tisches  und  kniet,  während  Jene  sitzen.  Mit 
den  eignen  Händen  wäscht,  trocknet  und  küßt  er  ihrer  Aller  Füße."  ^) 
In    der  Devozione    des  Gründonnerstags   fehlen  beide  Szenen  ganz. 

Von  Interesse  ist  es,  daß  das  erste  in  einem  Refektorium  ge- 
malte Abendmahl  sich  in  dem  Kloster  von  S.  Croce  befindet,  und 
daß  gerade  dieses  mit  seiner  breit  gestreckten  Anordnung  für  alle 
folgenden  florentiner  Künstler  bis  auf  Lionardo  maaßgebend  wird. 
Nicht  mit  Unrecht  geben  Crowe  und  Cavalcaselle  es  dem  Taddeo 
Gaddi,    der  aber  vielleicht  an  ein  Werk  Giotto's  angeknüpft  hat.  ^) 

3.  Christus  in  Gethsemane  und  die  Gefangen- 
nahme, Geißelung  und  Dornenkrönung.  Auch  diese  Vor- 
gänge schildern  die  Meditationes  sehr  kurz  und  sachlich,  gleichsam 
als  drängten  sie  zu  dem  Augenblick,  in  dem  Maria  wieder  auftritt. 
In   der  Devozione    hält   sich    die  Handlung   ziemlich    genau   an  die 


^)  A.  Schulz:  Leg.  der  Maria  S.  66  führt  dieses  Bild  neben  andern,  deutschen 
Kunstwerken  an ;  die  deutsche  Kunst  hat  die  Szene  öfter  dargestellt.  Vergl.  auch  Otto : 
Handbuch  der  kirchl.  Kunstarch.    V.  Aufl.  I,  S.   532. 

2)  Cap.  LXXIII,  S.  596. 

^)  Phot.  Alinari.  —  Vergl.  Riegel:  Darstellung  des  Abendmahls  i.  d.  tose.  K. 
Hannover  1869,  S.  31.  —  Crowe.  I,  S.  299.  —  Die  Nebeneinanderordnung  der  Jünger, 
aller  bis  auf  Judas,  hinter  dem  Tische  übrigens  auch  schon  früher,  z.  B.  auf  dem  Relief 
des  Gruamons  über  dem  Portal  von  S.  Giovanni  fuorcivitas  in  Pistoja. 


Die  Passion  Christi.  477 


biblische  Geschichte  und  fügt  nur  eine  interessante  Episode  ein : 
als  Christus  gegeißelt  worden,  ruft  er  Johannes  zu  sich  und  sendet 
ihn  mit  dem  Auftrag  aus ,  Maria  zu  suchen  und  zu  holen.  Dieser 
geht  und  fragt  die  Frauen,  ob  sie  Maria  nicht  gesehen,  der  er  die 
traurigste  Kunde  zu  bringen  habe.  Magdalena  begegnet  ihm,  er 
bittet  sie ,  ihn  doch  zur  Mutter  Christi  zu  begleiten ,  da  er  allein 
nicht  den  Muth  habe.  Dann  kommt  Maria  ahnungsvoll  aufgeregt 
und  erfährt  von  Magdalena,  daß  Jesus  an  jener  Stelle  zur  Kreuzigung 
vorbeigeführt  werden  solle. 

4.  Die  Kreuztragung.  Von  Giotto's  Bild  in  Padua  bis  zu 
Raphael's  Spasimo  di  Sicilia  findet  in  der  Darstellung  der  Kreuz- 
tragung  eine  beständige  Steigerung  des  Affektes  statt.  Mit  Giotto 
gelangten  alle  Künstler  zur  Einsicht,  daß  nicht  Christus  allein  Gegen- 
stand des  Interesses  sein  dürfe,  sondern  daß  sich  sein  Leiden,  in 
dem  Schmerze  der  Mutter  wiedergespiegeit ,  erst  in  seiner  ganzen 
Furchtbarkeit  dem  Beschauer  vergegenwärtigen  lasse.  Hatte  die 
ältere  Kunst  sich  meist  darauf  beschränkt,  den  kreuztragenden 
Christus  allein  inmitten  einer  Schaar  von  Soldaten  seinen  Weg  ziehen 
oder  wenigstens  Maria  und  Johannes  nur  stille,  ruhige  Beobachter 
sein  zu  lassen,  so  sind  Giotto  und  Simone  Martini  ^)  die  Ersten,  die 
das  eindrucksvolle  dramatische  Motiv  einfuhren,  wie  die  schmerzlich 
bewegte  Maria  roh  und  gewaltsam  von  Kriegsknechten  zurückge- 
drängt wird,  Christus  aber  den  Blick  zu  ihr  zurückwendet.  Ist  aber 
hier  die  Verzweiflung  der  Frauen  noch  gemäßigt,  so  findet  sie 
schon  auf  dem  Bilde  des  Lorenzettischülers  in  Assisi,  auf  denen  des 
Niccolö  di  Pietro  Gerini  in  der  Sakristei  von  S.  Croce  und  in  der 
Kapelle  des  heiligen  Bonaventura  in  S.  Francesco  zu  Pisa  lebhafteren 
Ausdruck.  Auf  Darstellungen  des  XV.  Jahrhunderts  sehen  wir  Maria 
in  qualvoller  Angst  zu  Boden  sinken,  immer  mehr  nähert  sie  sich 
dem  Sohne,  dessen  Theilnahme  an  dem  Leiden  der  Mutter  zugleich 
immer  mehr  wächst,  bis  Raphael  das  Höchste  ausspricht:  unter 
der  Last  des  Kreuzes  ist  Christus  selbst  zu  Boden  gesunken  und 
dicht  neben  ihm,  so  daß  sie  ihn  fast  erreichen  kann,  kniet,  von  den 
Freunden  gehalten,  Maria  in  ohnmächtiger  Sehnsucht  die  Hände 
nach  dem  geliebten  Sohne  ausstreckend ,  als  wollte  sie  ihm  das 
Kreuz  abnehmen ! 

Was  aber  die  bildende  Kunst  erst  um  1 500  erreicht,  die  drama- 


^)  Paris.     Louvre  260. 


478       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 


tische  und  wohlabgewogene  Darstellung  des  höchsten  Affektes,  haben 
zweihundert  Jahre  früher  schon  die  Dichter  erfaßt.  Nur  mit  weni- 
gen Worten  schildern  die  Meditationes  die  Kreuztragung ,  aber  in 
ihnen  das  WesentHche :  „Betrachte  ihn  nun  hier  gut,  wie  er  dahin 
geht  unter  das  Kreuz  gebückt  und  heftig  keucht.  Und  da  seine 
traurige  Mutter  ihm  wegen  der  Menge  des  Volkes  nicht  nahen  und 
ihn  nicht  sehen  konnte,  ging  sie  einen  Anderen  kürzeren  Weg  mit 
Johannes  und  ihren  Begleiterinnen,  um  so  den  Andern  zuvorkommend 
sich  ihm  nähern  zu  können.  Als  sie  aber  vor  dem  Thore  der 
Stadt  am  Kreuzwege  ihm  begegnete  und  ihn  von  der  Last  so  großen 
Holzes  gedrückt  sah,  was  sie  zuvor  nicht  gesehen,  da  ward  sie  halb- 
todt  vor  Beklemmung  und  konnte  ihm  kein  Wort  sagen."  ^) 

Etwas  anders  ward  der  Vorgang  in  der  Devozione  dargestellt. 
Christus  kommt  mit  dem  Kreuze  auf  der  Schulter,  gefolgt  von  den 
Schachern  und  von  einigen  Frauen.  Zu  ihnen  wendet  er  sich  und 
spricht  die  Worte :  Weinet  nicht  über  mich ,  sondern  über  euch 
und  eure  Kinder.  Dann  zu  dem  Volke  gewendet,  prophezeit  er 
Schaden  und  Zerstörung.  Und  noch  während  er  das  sagt,  nähert 
er  sich  der  Stelle,  wo  Maria  mit  Magdalena  und  Johannes  steht, 
bis  sie  sich  gegenüber  sind.  Da  wirft  sich  Maria  an  seinen  Hals, 
ihn  zu  umarmen,  und  Christus  wirft  das  Kreuz  auf  die  Erde.  Aber 
die  Juden  treiben  sie  zurück,  und  sie  klagt  laut  und  erinnert  das 
Volk  an  die  Weissagung  des  Jesajas.  Und  als  sie  das  gesagt,  will 
sie  das  Kreuz  erfassen,  aber  die  Juden  treiben  sie  zurück.  Sie  sinkt 
wie  todt  mit  Christus  zu  Boden.  Das  benutzen  die  Juden  und 
bringen  Jesus  fort.  Da  wendet  sie  sich,  als  sie  ihn  nicht  mehr  sieht, 
zu  den  Frauen : 

Ihr  seht,  o  Frauen,  welche  große  Schmerzen 

Die  Mutter  fühlt,  traurig  und  ohne  Trost. 

Sie  haben  ihn  mir  genommen,  meinen  Glanz, 

Und  traurig  mich  mir  selbst  gelassen. 

Weh  mir,  der  Schmerz  brennt  mir  im  Herzen, 

Ein  böser  Tag  ist  dieser  mir  erschienen! 

Sagt  mir,  ihr  Frauen,  sagt  mir  gütig, 

Wohin  ist  er  gegangen?  zeigt  den  Weg  mir! 

Der  Schmerz  der  Mutter  Maria  ist  der  Mittelpunkt  der  Szene 
—  durch  die  Darstellung  der  Maria  hat  auch  in  der  bildenden 
Kunst  die  Kreuztragung  erst  ihre  eigentliche  künstlerische  Bedeutung 
erhalten. 


1)  Cap.  LXXVn  S.   604. 


Die  Passion  Christi.  47g 


Von  Interesse  ist  es ,  daß  die  Meditationes  in  einem  späteren 
Kapitel  (LXXXVII,  S.  617),  als  die  Frauen  zum  Grabe  Christi  gehen 
und  dabei  der  Kreuztragung  Christi  gedenken ,  zuerst  einen  Ge- 
danken aussprechen,  den  Martin  Schongauer  als  Hauptmotiv  auf 
seinem  großen  Kupferstiche,  nach  ihm  Raphael  verwendet.  „Hier," 
sagen  die  Frauen ,  ,, wandte  er  sich  zu  den  Weibern ,  hier  legte  er 
ermüdet  das  Kreuz  nieder  und  auf  jenen  Stein  stützte  er 
sich   einen    kurzen    Augenblick." 

Die  Idee,  den  kreuztragenden  Christus  allein  und  als  Brustbild 
darzustellen ,  taucht  erst  im  XV.  Jahrhundert  auf  und  zwar,  soviel 
ich  sehe,  zuerst  in  Oberitalien  auf 

5.  Die  Kreuzanheftung.  Die  Devozione  fährt  fort :  Maria, 
Johannes  und  Magdalena  kommen  zur  Schädelstätte.  Als  der  Pre- 
diger das  Zeichen  giebt,  nageln  ihm  die  Juden  die  eine  Hand  an, 
dann  die  andere.  Darauf  heben  sie  ihn  empor.  —  Ausführlicher 
schildern  die  Meditationes  den  Vorgang,  indem  sie  die  verschiedene 
Art  angeben,  in  der  er  an's  Kreuz  geheftet  worden  sein  könne. 
Zunächst  die  eine  :  Einige  befestigen  das  Kreuz  in  der  Erde,  Andere 
bereiten  die  Nägel  und  Hammer,  Andere  die  Leitern,  Andere  ziehen 
ihn  aus.  Da  erbarmt  sich  Maria  seiner  Blöße  und  verhüllt  sie  mit 
ihren  Haaren.  Dann  werden  zwei  Leitern  hinten  angelehnt,  auf 
denen  die  Henker  emporsteigen,  eine  dritte  kleine  vorne  bis  in  die 
Höhe,  wo  die  Füße  angenagelt  werden  sollen.  Auf  dieser  muß  er 
emporsteigen  und  er  thut  es  demüthig  ohne  Widerspruch.  Dann 
ziehen  die  Schergen  seine  Arme  aus  und  nageln  sie  fest ,  und  so 
hängt  der  nach  unten  ziehende  schwere  Körper  bloß  an  den  Händen, 
bis  auch  die  Füße  mit  einem  Nagel  befestigt  werden.  ,,Es  giebt 
aber  auch  welche ,  die  glauben  ,  daß  er  nicht  auf  diese  Weise  ge- 
kreuzigt worden  sei,  sondern  während  das  Kreuz  auf  der  Erde  lag, 
und  daß  sie  ihn  dann  aufgerichtet  und  das  Kreuz  in  der  Erde  be- 
festigt hätten.  Gefällt  dies  mehr,  so  betrachte  nun,  wie  sie  ihn  er- 
greifen, verächtlich  wie  den  verworfensten  Räuber  und  ihn  wüthend 
an  der  Erde  auf  das  Kreuz  werfen,  seine  Arme  erfassen  und  sie 
gewaltsam  ausdehnen  und  in  grausamster  Weise  ans  Kreuz  heften. 
Sieh  auch,  wie  dasselbe  mit  den  Füßen  geschieht,  die  sie  ausdehnten, 
so  gewaltsam  sie  nur  es  vermochten.  ^)" 

Sehr  selten  nur  hat  die  italienische  Kunst  diesen  Vorgang  her- 


1)  Cap.  LXXVIII,  S.  605. 


480       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

gestellt.  Unter  den  wenigen  Darstellungen  aber  sind  mir  als  früheste 
ein  Bild  in  der  Art  des  Cimabue  in  Berlin  (1042),  auf  dem  Christus 
nackt  die  Leiter  hinansteigend  und  von  einem  Manne  oben  gezogen 
dargestellt  ist,  und  ein  anderes  von  Martino  di  Bartolomeo  in  der 
Akademie  zu  Siena  (117,  Predelle)  bekannt,  auf  dem  der  vor  dem 
Kreuze  stehende  Christus  von  einem  auf  einer  Leiter  stehenden 
Manne  gehalten  wird ,  indessen  zwei  andere  ihm  das  Gewand  aus- 
ziehen, ein  vierter  ihn  geißelt.  Einen  etwas  späteren  Augenblick 
wählt  Fra  Giovanni  Angelico  auf  einem  Fresko  in  einer  der  Zellen 
zu  S.  Marco  in  Florenz.  Hier  steht  der  Heiland,  ganz  entsprechend 
der  obigen  Schilderung,  vor  dem  Kreuze  auf  einer  kleinen  Leiter 
und  zwei  auf  andern  Leitern  daneben  befindliche  Schergen  sind  im 
Begriffe,  seine  Hände  anzunageln.  —  Der  Moment  vor  der  Anhef- 
tung ist  auf  einem  Fresko  Pacchiarotto's  (?)  in  der  Akademie  zu 
Siena  dargestellt :  noch  liegt  das  Kreuz  am  Boden,  ein  Mann  zieht 
Christus  das  Gewand  aus,  zwei  andere  mißhandeln  ihn,  indeß,  wie 
auch  auf  den  andern  Bildern  Maria,  Johannes  und  die  Frauen  klagend 
dabeistehen.  —  Der  zweiten  Version  folgt  Pordenone  auf  seinem 
bewegten  Fresko  im  Dome  zu  Cremona,  welche  darstellt,  wie  Chris- 
tus auf  das  am  Boden  liegende  Kreuz  geschnürt  wird.  ^) 

6.  Die  Kreuzigung.  Wohl  auf  keinem  andern  Gebiete  der 
Darstellungen  christlicher  Geschichte  hat  sich  der  direkte  Einfluß 
des  Franziskus  so  bedeutend  geltend  gemacht,  als  auf  dem  der 
Kreuzigung  Christi.  Der  Kultus  des  Kruzifixus,  den  er,  selbst 
ein  Abbild  des  Gekreuzigten,  hervorgerufen,  hat  der  Kunst  schon 
fast  unmittelbar  nach  seinem  Tode  einen  mächtigen  Impuls  gegeben. 
Giunta  malt  im  Auftrage  des  Elias  1236  ein  Kruzifix  für  S.  Fran- 
cesco in  Assisi  ^) ,  ein  anderes  für  S.  Maria  degli  Angeli ,  um  die- 
selbe Zeit  für  S.  Chiara  in  Lucca  Berlinghieri  das  Diptychon  mit 
der  Kreuzigung,  das  jetzt  in  der  Akademie  von  Florenz  sich  be- 
findet. Aus  dem  Anfang  des  Jahrhunderts  stammt  auch  ein  wunder- 
liches, rohes  Kruzifix  in  S.  Francesco  zu  Pistoja.  Für  S.  Francesco 
in  Perugia  hat  jener  Meister  des  Franziskus  das  riesige  Kruzifix 
geschaffen,  das  jetzt  in  der  Gallerie  von  Perugia  hängt,  in  S.  Fran- 
cesco zu  Arezzo  befindet  sich  noch  heute  das  ihm  ähnliche  mäch- 
tige   des  Margaritone,    ein   anderes  in  S.  Francesco  zu  Castiglione 

^)  So  auch  im  Malerbuch.     Didron,  S.  194. 

^)  Innocenz  IV.  weiht  1253  „cruces  in  variis  Conventus  partibus  depictas".  Angeli: 
CoUis  Paradisi  tit.  XXI. 


Die  Passion  Christi.  48 1 


Fiorentino.  Cimabue  hat  in  Assisi  den  Auftrag  erhalten,  das  eigen- 
thümHche  Bild  des  Gekreuzigten  für  S.  Chiara  zu  malen,  in  zwei 
monumentalen  Werken  in  der  Kirche  S.  Francesco  die  Kreuzigung 
dargestellt.  *)  Einem  seiner  Zeitgenossen  verdankt  S.  Croce  in 
Florenz  das  große  Kruzifix  im  Korridor  der  Sakristei,  einem  Nach- 
folger des  Giunta  S.  Francesco  in  Pisa  eine  merkwürdige  gleiche 
Darstellung.  Für  Franziskanerkirchen  sind  fast  alle  die  Kruzifixe 
des  XIII.  Jahrhunderts  geschaffen  worden,  mit  denen  das  Studium 
der  Darstellung  der  Kreuzigung  in  der  neueren  Kunst  zu  beginnen 
hat.  Macht  sich  doch  schon  in  den  Arbeiten  des  Giunta  eine  neue 
naturalistische  Auffassung  Christi  geltend.  Letzterer  steht  nicht 
mehr  wie  auf  den  früheren  Bildern,  z.  B.  den  Kruzifixen  in  S.  Marta 
zu  Pisa,  in  S.  Michele  zu  Lucca,  in  S.  Chiara  zu  Assisi,  in  S.  Giuglia 
zu  Lucca,  in  S.  Sepolcro  zu  Pisa,  in  Sarzana,  im  Dom  zu  Spoleto, 
in  der  Pieve  zu  Arezzo,  in  S.  Giuliano  zu  Castiglione  Fiorentino, 
starr  aufrecht,  auch  schaut  der  Kopf  nicht  mit  offenen  Augen  en 
face  heraus,  sondern  es  wird  versucht,  das  Hängen  des  schwer 
lastenden  Körpers  durch  eine  leichte  Ausbiegung  desselben  deuthch 
zu  machen,  und  der  Kopf  mit  geschlossenen  Augen  sinkt  auf  die 
Schulter  herab.  ^)  Damit  ist  das  fortan  herrschende  neue  Ideal  für 
das  Kruzifix  gefunden  :  der  t  o  d  t  e  Christus !  Die  nächste  Zeit  über- 
treibt die  ausgebogene  Haltung  des  Körpers,  wie  die  Kruzifixe  des 
Margaritone,  des  Meisters  des  Franziskus,  des  Cimabue,  das  kleine 
in  der  Sakristei  von  S.  Francesco  zu  Assisi  befindliche  Bild ,  das 
im  Kapitel  des  Domes  von  Pistoja  aufbewahrte,  das  in  S.  Pierino 
zu  Pisa,  das  des  Deodati  Ordandi  in  der  Akademie  zu  Lucca  be- 
weisen. Zugleich  hat  sich  ein  gewisses  Schema  für  die  scharf  und 
trocken  angegebene  Anatomie  des  Körpers  herausgebildet,  das  zuerst 
Niccolö  Pisano  auf  seiner  Kanzel  zu  Pisa,  dann  Cimabue  in  Assisi 
in  mächtiger,  neuer  Formenauffassung  kraftvoll  überwindet.  Niccolö 
läßt  auch  zuerst  die  Füße  mit  einem  Nagel  an  den  Stamm  ge- 
heftet sein,    während  sie  auf  den  erwähnten  anderen  Bildern  noch 


^)  Nach  Vasari  malte  er  auch  einen  Chr.  a.  K.  zwischen  Maria  und  Johannes  für 
S  Francesco  in  Pisa.     I,  255. 

*)  Diese  Kopfhaltung  ist  schon  auf  früheren  Arbeiten  des  X.  Jahrhunderts  be- 
merkbar, ist  aber  für  Italien  damals  etwas  Neues.  Die  bisher  allgemeine  Ansicht,  jene 
Kruzifixe  -wären  die  Arbeiten  einer  verkommenen,  untergehenden  Kunst,  scheint  mir 
durchaus  irrthümlich  —  sie  zeugen  vielmehr  sehr  deutlich  von  neuen  Anschauungen 
und  neuer  formender  Kraft. 

Thode,  Franz  von  Assisi.  )  ^1 


482       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

getrennt  angenagelt  sind.  ^)  Giotto ,  ebenso  wie  Giovanni  Pisano, 
folgt  ihm  darin  und  findet,  zu  gleicher  Zeit  wie  auch  Giovanni  in 
seinen  Reliefs  in  Pistoja  und  Pisa,  eine  neue  gemäßigtere  und 
fortan  bestimmende  Lösung  für  die  Haltung  des  Körpers,  indem 
er  diesen  ein  wenig  herabsinken,  gleichsam  in  die  Kniee  fallen  läßt. 
Zugleich  verschwinden  im  Laufe  des  XIII.  Jahrhunderts  die  dem 
Kruzifixe  beigegebenen  kleinen  Passionsszenen,  und  es  erhalten  sich 
nur  die  Brustbilder  von  Maria  und  Johannes  am  Ende  der  Kreuz- 
arme. Die  lateinische  Form  des  Kreuzes  wird  zwar  für  die  Kruzifixe 
noch  beibehalten,  aber  auf  eigentlichen  Darstellungen  der  Kreuzi- 
gung verschwindet  sie  seit  Giotto  fast  vollständig  und  macht  der 
T  Form  Platz :  nur  die  Inschrifttafel  ragt  in  der  Mitte  über  die  Kreuz- 
arme hervor.  So  viel  ich  weiß,  wendet  sie  Niccolö  Pisano  zuerst 
auf  der  Kanzel  in  Pisa  an,  dann  Giotto  in  Padua  und  Assisi. 
Sicher  aber  geschah  diese  Veränderung  nicht  aus  bloßer  künst- 
lerischer Willkür,  sondern  ward  durch  allgemeine  Anschauungen  be- 
dingt. Und  zwar  war  früher  die  Annahme,  das  Kreuz  habe  die 
TForm  gehabt  und  der  Körper  sei  mit  drei  Nägeln  befestigt  ge- 
wesen, wie  es  scheint,  ein  Glaubenssatz  der  Waldenser  gewesen 
und  als  solcher  allgemein  gemißbilligt  worden.  ^)  Sind  etwa  auch 
hierin  die  Franziskaner  als  Vermittler  zwischen  den  Ketzern  und 
der  Kirche  eingetreten.?  Es  ist  mir  leider  nicht  gelungen,  irgend 
welchen  Aufschluß  darüber  aus  den  litterarischen  Quellen  zu  ge- 
winnen. Eines  aber  steht  fest :  die  neue  Auffassung  des  Crucifixus 
und  der  Eifer,  mit  dem  sich  die  Kunst  des  Duecento  daran  macht, 
es  zu  verherrlichen,  läßt  sich  nur  aus  den  Anschauungen  des  Franz 
erklären,  und  die  Wandlung  ist  sehr  charakteristisch  fiir  seinen  und 
seines  Ordens  Geist :  ,,die  Idee  von  der  Unsterblichkeit  Gottes  und 
der  Freiwilligkeit  des  Leidens  Jesu",  die,  wie  Otte  sagt  ^),  der  Auf- 
fassungsweise des  älteren  Typus  zu  Grunde  liegt ,  weicht  dem 
menschlichen  Mitgefühl  für  den  in  unaussprechlichen  Leiden  ge- 
storbenen Menschensohn. 


^)  Einige  vereinzelte  Beispiele  der  drei  Nägel  giebt  es  schon  aus  dem  XI.  Jahr- 
hundert. Otte  und  aus'm  Weerth :  Zur  Ikonographie  des  Crucifixus.  Bonner  Jahr- 
buch XLVI,   148. 

*)  Vergl.  Hnrter's  Gesch.  Innocenz'  III.,  11.  Aufl.  1842.  11.  Bd.,  S.  244  A.  491, 
wo  der  Hinweis  auf  die  maßgebende  Stelle  in  Lucas  Tudensis:  contra  Waldenses. 
II,   10.   II.     Ausgabe  in  der  Bibl.  Patr.  max.  Lyon   1677. 

«)  A.  a.  O.     I,  S.   537. 


Die  Passion  Christi.  483 


Dieser  neuen  Auffassung  aber  entspricht  es  nun  ferner,  wenn 
der  Gläubige  selbst  zum  Zeugen  des  Leidens  wird,  knieend  am 
Kreuzesstamm  niedersinkt,  den  Heiland  zu  verehren.  So  ließ  sich 
Elias  auf  dem  Kruzifix  des  Giunta  darstellen ,  so  erscheint  die 
Domina  Benedicta  auf  dem  in  Chiara,  so  vor  Allem  Franz  auf 
denen  in  Arezzo  und  Perugia.  Damit  ist  aber  der  erste  Schritt 
geschehen  zu  einer  Neugestaltung  auch  jener  Devotionsbilder,  die 
Christus  am  Kreuze  zwischen  Maria  und  Johannes  zeigen.  Der 
Mutter  und  dem  Lieblingsjünger  gesellt  sich  der  knieende  Franz, 
und  bald  folgen  ihm  andere  Heilige  unter  den  Kreuzesstamm,  zuerst 
seine  großen  Jünger  Bonaventura ,  Ludwig ,  Antonius  von  Padua, 
dann  bald  auch  Dominicus  mit  seinen  Ordensgenossen,  und  so 
entwickelt  sich  jene  nach  Wunsch  des  Stifters  mehr  oder  weniger 
figurenreiche  Komposition  des  von  Heiligen  umgebenen 
Gekreuzigten.^) 

Nicht  minder  aber  erfährt  unter  dem  Einflüsse  der  Franzis- 
kaneranschauungen die  dramatische  Darstellung  der  Kreuzigung 
eine  durchgreifende  Veränderung.  Auch  diese  wird  erst  jetzt 
künstlerisch  lebensfähig,  da  Das,  was  ihren  eigensten  höchsten 
Inhalt  ausmacht :  der  Affekt ,  ans  Tageslicht  tritt.  Wohl  hatten 
schon  Kunstwerke  des  XI.  und  XII.  Jahrhunderts  versucht,  den 
Schmerz  der  Maria  und  Johannes,  die  meist  allein  von  den  Freunden 
Christi  links  und  rechts  vom  Kreuze  stehen,  auszudrücken,  wohl 
hatte  man  den  Vorgang  selbst  durch  die  schematischen  Gestalten 
des  Mannes  mit  dem  Ysopstab  und  den  Longinus  mit  der  Lanze, 
dann  auch  durch  die  um  den  Mantel  würfelnden  Soldaten  und  die 
Versammlung  der  anderen  Krieger  zu  beleben  versucht  —  aber 
dadurch  hatte  die  dargestellte  Begebenheit  noch  keine  Wirklichkeit 
für  den  Beschauer!  Das  Ganze  erscheint  als  eine  symboHsche 
Handlung,  Christus  als  der  Gott,  dessen  körperUches  Leiden  nicht 
wirklich  ist,  Maria  und  Johannes  weinen  nur  darüber,  daß  er  von 
ihnen  geschieden  ist.  Auch  ist  kein  bestimmter  Augenblick  wieder- 
zugeben versucht:  zu  gleicher  Zeit  giebt  man  ihm  zu  trinken  und 
öffnet  man  seine  Seite.  Die  allegorisirende  und  symbolische  Zu- 
that  der  Personifikationen  der  Sonne  und  des  Mondes,  der  Erde, 
der  Schlange  kennzeichnen  den  andeutenden  Charakter  dieser  Dar- 
stellungen. 


^)  Man  vergl.  die  oben  S.  94  angeführten  Bilder. 


484       Di^  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 


Im  Laufe  des  XIII.  Jahrhunderts  vollzieht  sich  nun  die  Wand- 
lung: alles  Allegorisirende  und  SymboHsche  verschwindet,  Alles 
wird  Wirklichkeit  und  Leben.  Die  letzten  Worte :  „Es  ist  voll- 
bracht" sind  verhallt.  Christus  ist  gestorben,  als  Mensch,  der 
namenlose  Schmerzen  gelitten :  die  Mutter ,  die  mitfühlend  Alles 
selbst  an  sich  erfährt,  bricht,  vom  Uebermaaß  des  Schrecklichen 
überwältigt,  nun  da  er  ihr  ganz  genommen,  ohnmächtig  zusammen, 
Johannes  und  die  andere  Maria  suchen  sie  aufrecht  zu  erhalten, 
weinend  ist  Magdalena  am  Kreuzesstamm  niedergesunken,^)  In 
gemischten  Gefühlen  schaut  die  Schaar  der  Schergen  hinauf,  und 
die  gierigen  Soldaten  streiten  sich  um  den  Mantel.  Wie  Vögel 
aber  umflattern  verzweifelte  Engel  klagend  und  schreiend  den 
todten  Herrn.  , 

Ob  nun  die  Darstellung  klein  oder  figurenreich,  ob  Christus 
allein  oder  inmitten  der  Schacher  dargestellt  ist,  ob  wenige  Krieger 
zur  Seite  stehen  oder  das  Bild  ganz  erfüllt  ist  von  Reitern  und 
Fußsoldaten  —  das  Wesentliche,  die  Wiedergabe  eines  wirklichen 
und  zwar  des  fruchtbarsten  Momentes,  des  Affektes  in  seinen  ver- 
schiedenartigen Aeußerungen  ist  ihnen  fortan  allen  gemein.  Schon 
Berlinghieri's  steifes,  so  alterthümlich  scheinendes  Bild  in  der  Aka- 
demie zu  Florenz  zeigt  in  der  Gruppe  der  von  den  Frauen  gehal- 
tenen Maria  die  ersten  Spuren  der  neuen  Auffassung,  Niccolö 
Pisano  an  der  Kanzel  zu  Pisa  giebt  ihr  einheitlichen,  fast  wilden 
Ausdruck,  aus  den  halb  verloschenen  Fresken  Cimabue's  in  der 
Oberkirche  zu  Assisi  weht  der  Athem  einer  fessellosen  Leidenschaft, 
Giotto  verleiht  dieser  in  Padua  und  Assisi  (Abb.  69)  Maaß,  ohne  sie 
doch  zu  schwächen.  Wir  brauchen  die  Entwicklung  nicht  weiter 
zu  verfolgen ;  der  Grundton  bleibt  derselbe !  Bemerkenswerth  nur 
erscheint  die  Thatsache,  daß,  gegenüber  der  einfacheren,  aber 
bedeutenderen  Kompositionsweise  der  Kreuzigung  bei  den  Floren- 
tinern im  XIV.  Jahrhundert,  die  Sienesen  von  dem  Vorbilde  Duccio's 
und  A.  Lorenzetti's,  dessen  Gemälde  in  S.  Francesco  zu  Siena  an 
dramatischem  Leben  mit  denen  Giotto's  wetteifern  kann,  abgehen 
und  dieselbe  mit  Figuren  in  einer  fast  wirren  Weise  überhäufen, 
als  könnten  sie  sich  nicht  genug  thun.    Man  vergleiche  die  Fresken 


^)  Das  Zusammenbrechen  der  Maria  ist  einmal  schon  im  XII.  Jahrhundert  in 
Deutschland  dargestellt ,  auf  einem  der  Gemälde  in  Schwarzrheindorf.  Aus'm  Weerth : 
Wandmalereien   des   MAs.    in   den  Rheinlanden.     T.  XXVIII.     Vergl.  Otte ,    a.  a.  O. 

s.  539. 


Die  Passion  Christi.  485 


in    der  Kapelle    degli  Spagnuoli,    im  Camposanto    zu  Pisa,    in    der 
Unterkirche  zu  Assisi.^) 

Fragen  wir  uns  nun  aber,  wodurch  es  den  Künstlern  gelungen, 
unser  innerstes  Empfinden  durch  ihre  Darstellungen  der  Kreuzigung 
so  mächtig  aufzurütteln ,  so  lautet  hier ,  wie  bei  Betrachtung  der 
Kreuztragung,  die  Antwort:  durch  den  Schmerz  der  Maria!  Und 
der  Schmerz  der  Maria  ist  es,  den  Jacopone  in  seinem  wunder- 
baren ,Stabat  mater  dolorosa'  besungen,  dem  Bonaventura  die 
ergreifendsten  Worte  verliehen,  den  zu  schildern  Pietro  da  Barsegape 
den  einförmigen  Lauf  seiner  biblischen  Dichtung  einmal  unter- 
bricht -),  der  in  der  Devozione  der  Grundton  ist,  der  Bohifacio  VIII. 
zu  einem  Liede  begeistert  hat  ^) :  der  Schmerz  der  Mutter,  welcher 
der  geliebteste  Sohn  in  grausamen  Martern  genommen  wird ! 
,, Welche  Zunge,"  sagt  Bonaventura,  ,, könnte  aussprechen,  welcher 
Verstand  fassen  die  Schwere  Deiner  Leiden ,  selige  Jungfrau ;  die 
Du  Allem  dem  Erwähnten  gegenwärtig,  anwesend  und  in  jeder 
Weise  theilhaft  geworden,  das  benedeiete  und  heiligste  Fleisch,  das 
Du  so  keusch  empfangen,  so  süß  genährt  und  mit  Milch  getränkt, 
so  oft  an  Deinen  Busen  gelehnt,  so  oft  von  Lippe  zu  Lippe  geküßt, 
mit  erglühendem  Antlitze  betrachtet.  Du  mußtest  sehen,  wie  es  jetzt 
von  Geißelhieben  zerrissen,  jetzt  von  Dornen  durchbohrt,  jetzt  vom 
Rohre  geschlagen ,  jetzt  mit  Faustschlägen  zerhauen ,  jetzt  mit 
Nägeln  durchbohrt  an  den  Stamm  des  Kreuzes  geheftet  und  schwer 
herabhängend  zerfleischt,  jetzt  verspottet  mit  Galle  und  Essig 
getränkt  ward!"*)  Maria's  Klage  aber  erklingt  ergreifend  in  Jaco- 
pone's  Liede :  ,or  si  incomincia  lo  duro  pianto',  in  dem  auch 
erwähnt  wird ,  wie  die  beiden  Marien  die  geängstigte  Mutter 
umfangen.  Und  dann  in  dem  herrlichen  andern :  , Donna  del 
Paradiso'.^^) 


^)  Auch  einzelne  Norditaliener  haben  diese  Vorliebe ,  z.  B.  Altichieri  in  S.  An- 
tonio zu  Padua,  jener  Michele  da  Verona,  von  dem  eine  Kreuzigung  in  S.  Stefano  in 
Mailand,  eine  andere  in  S.  Maria  in  Vanzo  in  Padua  hängt  etc. 

2)  Biondelli  a.  a.  O.  S.  296. 

^)  Nannucci:  Manuele  d.  lit.  I,  S.  421:   Stava  la  vergin  sotto  della  cruce. 

*)  Lignum  vitae.  Opera.  Bd.  XII,  S.  77.  —  Vergl.  auch  das  lat.  Gedicht  ,de 
sancta  cruce'  Bd.  XIV,  S.  17,  eine  schwungvolle  Aufforderung,  ganz  dem  Kreuze  zu 
leben.  Femer  auch  den  ,Stimulus  Amoris'  in  demselben  Bande,  eine  Schrift,  in  der 
durch  die  Betrachtung  der  Passion  die  wahre  Gluth  der  Liebe  der  Seele  zu  ihrem 
Bräutigam,  die  Kontemplation,  wachgerufen  werden  soll,  voll  leidenschaftlicher  Ekstase. 

^)  in,  13. 


486       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

O  Sohn,  die  Seele  entfloh  Dir, 
O  Sohn  der  Gramverlornen, 
Das  Licht  ist  mir  verschwunden, 
Des  Herzens  bin  beraubt  ich. 

Wehe,  mein  Sohn,  so  schuldlos, 
Du  meine  leuchtende  Sonne, 
In  andere  Welten  gingst  Du, 
Wie  seh  ich  Dich  verdunkelt. 

O  Sohn,  so  weiß,  so  rosig, 
O  Sohn,  so  ohne  Gleichen, 
O  Sohn,  wo  find'  ich  Stütze, 
Allein  ließ'st  Du  das  Herz  mir. 

O  Sohn,  so  weiß  und  helle. 
So  fröhlich  anzuschauen, 
Ach  warum  hat  die  Welt  doch 
Dich  höhnend  so  verschmäht? 

O  Sohn,  so  süß  und  lieblich, 
O  Sohn  der  Leidensvollen, 
Wie  haben  doch  die  Leute 
Dir  Uebles  angethan! 

„Es  stand  die  Mutter,"  sagen  die  Meditationes,  ,, zwischen  seinem 
Kreuze  und  dem  der  Schacher  und  wandte  nicht  die  Augen  von 
dem  Sohne  ab  und  litt  Qualen  wie  er  selbst  und  betete  mit  ganzem 
Herzen  zum  Vater.  —  O  was  litt  da  die  Seele  der  Mutter,  als  sie 
so  qualvoll  ihn  kraftlos  werden,  erschlaffen,  weinen  und  sterben 
sah !  Ich  meine,  daß  sie  wohl  vor  der  Menge  der  Beängstigungen 
ganz  ohne  Bewußtsein,  wie  unbeweglich  oder  halbtodt  war,  jetzt 
noch  viel  mehr,  als  da  sie  ihm  begegnete,  wie  er  das  Kreuz  trug." 
Als  dann,  nachdem  die  Menge  fortgegangen,  eine  Schaar  von  Be- 
waffneten kommt  und  Christus  sowie  den  Schachern  die  Beine  zer- 
schlagen will,  fleht  sie  in  rührenden  Worten  um  Mitleid.  Aber 
vergeblich:  Longinus,  der  später  Bekehrte,  öffnet  die  Seite.  ,,Da 
fiel  die  Mutter  halbtodt  in  die  Arme  der  Magdalena.  Johannes, 
von  Schmerz  getrieben,  faßte  Kraft  und  erhob  sich  gegen  Jene  und 
sprach :  ihr  ungerechten  Leute,  warum  seid  ihr  so  gottlos }  Sehet 
ihr  nicht,  daß  er  todt  ist.?  Wollt  ihr  auch  seine  traurigste  Mutter 
tödten.?     Weichet  von  hinnen,  denn  wir  wollen  ihn  begraben.^)" 

Eine  ganz  eigenartige  Darstellung  der  Kreuzigung  muß  die  des 


')  Cap.  LXXVIII— LXXX,  S.  608  ff. 


Die  Passion  Christi.  487 


schon    oft  angeführten  Mysteriums  gewesen  sein.     Als  Christus  am 
Kreuze  in  die  Höhe  gehoben  worden  ist,  sagt  er : 

O  ihr,  die  ihr  auf  diesem  Weg  vorbeigeht, 

Gebt  Acht,  ob  jemals  solche  Wuth  ihr  sähet. 

Als  die  sie  angethan  dem  Sohn  der  traurigen  Maria, 

Denn  unter  großen  Schmerzen  geben  Tod  sie  mir. 

Verzeih  ihnen  Vater,  denn  sie  wissen  nicht,  was  sie  thun, 

Mit  der  großen  Qual,  die  sie  mir  geben  wollen. 

Hierauf  bittet  Maria  das  Kreuz,  ihn  zu  schonen.  Es  folgt  die 
Predigt  und  das  Gespräch  mit  den  beiden  Mördern.  Dann  stehen 
die  Todten  auf  und  huldigen  Christus,  der  die  Pforten  der  Hölle 
gesprengt.  Maria  klagt  über  die  Juden ,  die  grausamer  seien  als 
die  Todten,  und  wendet  sich  zu  Magdalena : 

Dich  bitt'  ich,  theure  Tochter  Magdalena, 
Sprich  ein  wenig  mit  dem  Sohne, 
Denn  gar  zu  groß  ist  ach!  mein  Leiden. 
Vielleicht  spricht  die  geliebte  Lilie,  er  zu  dir. 
Nicht  bin  ich  mehr  Maria  an  Gnade  reich! 
So  groß  ward  die  Verbannung  mir, 
Daß  er  zu  diesem  Schacher  sprach. 
Um  mich  Betrübte  aber  nicht  sich  kümmert. 

Magdalena  folgt  der  Bitte  und  Christus  empfiehlt  der  Mutter 
Johannes  als  Sohn  und  sie  dem  Johannes ,  worauf  Dieser  vor  ihr 
niederkniet  und  sie  tröstet.  Maria  wendet  sich  zum  Volk,  dann 
zu  Christus : 

O  du  mein  Sohn,  geliebter  Sohn, 
Wie  läßt  du  mich  so  ohne  Trost, 
Mein  Sohn,  der  ach  so  theuer  mir, 
Wie  bleib  ich  traurig,  schmerzensvoll, 
Dein  Haupt  ist  ganz  voll  Dornen, 
Dein  Antlitz  blutgebadet. 
Keinen  als  dich  will  ich  zum  Sohn, 
O  süßer  Duft,  geliebte  Lilie! 

Sie  umfaßt  das  Kreuz  und  sinkt  wie  todt  nieder.  Die  Predigt 
beginnt  von  Neuem,  bis  Christus  ruft:  Mein  Gott,  mein  Gott, 
warum  hast  Du  mich  verlassen.?  Das  hört  der  Vater  und  spricht 
zu  den  Engeln : 

Von  der  Erde  hör'  ich  eine  laute  Stimme, 
Die  mich  zu  großem  Mitleid  hat  bewegt, 
Denn  von  dem  Kreuze  schreit  mein  Sohn, 
Daß  ihm  geschehen  große  Grausamkeit 


488       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

Von  jenem  Volke,  das  so  wüthig  ist 
Und  voll  von  Neid  und  großem  Unrecht! 
Eilt  schnell,  in  meinem  Namen  ihn  zu  trösten 
Und  bleibt  bei  ihm,  bis  er  gestorben. 

Da  fliegen  die  Engel  herab  und  einer  spricht  zu  den  anderen: 

Schaut  euch  ein  wenig  um,  ihr  sel'gen  Engel, 

Ob  ihr  erkennet  unsern  Schöpfer, 

Ans  Kreuz  geschlagen  sind  dort  drei. 

Der  in  der  Mitten  bleich  und  ohne  Farbe 

Hat  angenagelt  Hand'  und  Füße, 

Mir  scheint,  das  sei  der  güt'ge  Herr. 

Nicht  weiß  ich's,  ob's  der  Sohn  Gottvaters  ist. 

Denn  ihn  beweint  so  sehr  die  leidensvolle  Mutter. 

Drei  andere  Engel  erkennen  ihn  und  der  eine  sagt : 

Laßt  schnell  uns  zu  ihm  gehen, 
Sein  Blut  am  Kreuz  auffangen. 

Da  kommt  auch  der  Teufel  hervor,  muß  aber  vor  den  Engeln 
an  den  Fuß  des  Kreuzes  weichen.  Auf  Christi  Ruf:  „Mich  dürstet", 
wird  ihm  Essig  mit  Galle  unter  höhnenden  Worten  gereicht,  die 
Maria  laut  beklagt.  Der  Teufel  versucht,  Christus  zu  verführen, 
und  nähert  sich  ihm  nach  den  Worten :  „Es  ist  vollbracht",  mit 
verlockenden  Reden:  ,, Steige  vom  Kreuze  und  rette  dich",  aber 
Christus  weist  ihn  zurück.  Longinus  öffnet  dem  Sterbenden  die 
Seite  und  erkennt  ihn  weinend  als  wahren  Gott  an.  Dann  befiehlt 
der  Sohn  seinem  Vater  den  Geist  und  stirbt.  Der  Teufel  fährt  in 
die  Tiefe.  Maria  und  Johannes  brechen  in  Klagen  aus.  Sie  wirft 
sich  an's  Kreuz  und  fällt  wie  todt  zu  Boden. 

So  reich  diese  szenische  Darstellung,  dem  schauenslustigen  und 
die  Abwechslung  verlangenden  Volke  zu  Liebe,  ausgeschmückt  ist, 
so  bildet  doch  ihr  Hauptmotiv  wiederum  der  Schmerz  der  Maria. 
Die  reizende  Fabel  von  der  Entsendung  der  Engel  aber  klingt  fast 
wie  eine  Dichtung  auf  die  kleinen  Himmelsboten  in  Giotto's  Bildern. 

Auf  die  dogmatischen  Anschauungen  der  Franziskaner  von  dem 
Sterben  Christi  am  Kreuze  und  deren  Verherrlichung  in  der  Kunst 
soll  weiter  unten  unter  der  Aufschrift:  ,der  Baum  des  Lebens' 
eingegangen  werden. 

7.  Die  Kreuzabnahme.  Was  von  der  Kreuztragung  und 
der  Kreuzigung  gesagt  worden  ist,  gilt  auch  für  die  Kreuzabnahme 
und  die  folgenden  Szenen  der  Passion :  ihre  Darstellung  erhält  ein 
neues  Gepräge.     Zeigten  die  älteren  Kunstwerke,    z.  B.  die  an  der 


Die  Passion  Christi.  48g 


Thüre  von  Monreale,  an  der  von  S.  Paolo  außerhalb  Roms,  die 
Fresken  ebendaselbst,  das  Relief  des  Antelami  im  Dom  zu  Parma 
eine  sehr  einfache  Komposition  ^) ,  so  macht  sich  im  XII.  und 
XIII.  Jahrhundert  in  Toscana  eine  bewegtere  Auffassung  geltend. 
Während  nämlich  dort  Christus  noch  mit  einem  Arme  am  Kreuze 
hängt,  den  eben  der  auf  der  Leiter  stehende  Joseph  lösen  will, 
Nikodemus  den  Körper  umfaßt,  Maria  entweder  ruhig  dabeisteht 
oder  die  linke  Hand  Christi  an  die  Wange  drückt,  Magdalena  und 
Johannes  meist  unbetheiligt  zuschauen,  ist  schon  auf  dem  Kruzifix 
von  S.  Marta  in  Pisa,  an  der  Kanzel  von  S.  Leonardo  bei  Florenz-), 
dann  auf  dem  Kruzifix  im  Dom  zu  Pistoja'%  den  (S.  218)  be- 
sprochenen Bildern  vom  Meister  des  Franziskus  in  Perugia  und  in 
der  Unterkirche  zu  Assisi  die  Szene  lebendiger  gegeben.  Christus, 
mit  dem  Oberkörper  vom  Kreuze  sinkend,  wird  von  dem  auf  der 
Leiter  stehenden  Nikodemus  gehalten,  während  Joseph  rechts 
knieend  die  Nägel  aus  den  Füßen  zieht.  Maria,  zuweilen  auf  einem 
Schemel  stehend,  küßt  des  Sohnes  Haupt,  Magdalena  daneben  hält 
seinen  rechten  Arm,  Johannes  auf  der  andern  Seite  den  linken. 
Figurenreicher  noch  wird  die  Darstellung  auf  Niccolö  Pisano's 
Relief  in  S.  Martino  zu  Lucca,  indem  mehr  Frauen  und  rechts 
Soldaten  auftreten.*)  An  dieser  Form  halten  im  Allgemeinen  die 
Sienesen  fest,  wie  Duccio's  Dombild  und  das  Fresko  in  der  Unter- 
kirche zu  Assisi,  das  eine  große  Aufregung  zeigt,  lehren.  Giotto 
und  seine  ganze  Schule  hat,  wie  schon  Crowe  bemerkt  hat,  die 
Kreuzabnahme  gar  nicht  dargestellt.'^) 

Mehr  der  späteren  Darstellungsweise  des  XV.  Jahrhunderts, 
die  in  Daniele's  da  Volterra  Kreuzabnahme  in  S.  Trinitä  de'  monti 
zu  Rom  gipfelt,  als  deren  ersten  Vorläufer  sich  aber  das  sehr 
lebendige  Bild  Simone  Martini's  im  Antwerpener  Museum  (N.  260) 
ansehen  läßt,  entspricht  die  Erzählung  der  Meditationes ,  erinnern 
auch  einzelne  Züge  an  die  übliche  Komposition  der  Zeit.  Nachdem 
Nikodemus  und  Joseph  von  Arimathia  herzugekommen  die  Freunde 
begrüßt   und   mit   ihnen    den  Gekreuzigten  verehrt  haben ,    werden 


1)  Vergl.  Abb.  bei  d'Agincourt :  Skulphir  Taf.  XIV,  Malerei  Taf.  XCVI.  —  Kunst- 
historische Bilderbogen  Taf.  108.  Nr.  4, 

*)  Förster:  Beiträge  z.  neueren  Kunstgeschichte   1835.  Taf.  I. 

^)  Alinari  Phot. 

*)  Schnaase.    VII.  286.  —  Kunsthist.  Bilderb.  108,  6.  —  Förster:  a.  a.  O.  Taf.  I. 

*)  Crowe  und  Cavalcaselle,    D.  A.  II,  S.   218. 


4QO       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

zwei  Leitern  an  den  Seiten  des  Kreuzes  einander  gegenüber 
angelehnt,  Joseph  steigt  auf  die  an  der  rechten  Seite  und  bemüht 
sich,  den  Nagel  aus  der  Hand  zu  ziehen.  ,,Aber  das  ist  schwer, 
weil  der  Nagel  dick  und  lang  und  tief  im  Holze  befestigt  ist  und 
ohne  starken  Druck  der  Hand  des  Herrn  es  nicht  geschehen  kann. 
Als  er  herausgerissen,  winkt  Johannes  Joseph  zu,  ihm  den  Nagel 
zu  reichen,  daß  ihn  die  Herrin  sehe.  Dann  zieht  Nikodemus  den 
andern  aus  der  linken  Hand  heraus  und  giebt  den  Nagel  gleich- 
falls an  Johannes.  Darauf  stieg  Nikodemus  herab  und  ging  zu 
dem  Nagel  der  Füße.^)  Joseph  aber  stützte  den  Körper  des  Herrn ; 
selig  aber  Joseph  darum,  daß  er  den  Leichnam  des  Herrn  um- 
armen zu  dürfen  gewürdigt  ward.  Dann  erfaßte  die  Herrin  voll 
Ehrerbietung  die  herabhängende  rechte  Hand  und  legte  sie  an  ihr 
Antlitz,  betrachtet  sie  und  küßt  sie  unter  heftigen  Thränen  und 
schmerzlichen  Seufzern.  Als  aber  auch  der  Nagel  der  Füße  heraus- 
gezogen ist,  steigt  Joseph  ein  wenig  herab,  und  Alle  empfangen 
den  Leichnam  des  Herrn  und  legen  ihn  auf  die  Erde.^) 

8.  Die  Beweinung.  „Die  Herrin,"  fährt  die  Erzählung 
fort,  ,, nimmt  das  Haupt  mit  den  Schultern  in  ihren  Schooß,  Magda- 
lena aber  die  Füße ,  bei  denen  sie  einst  solche  Gnade  erfahren. 
Die  Anderen  stehen  herum ;  Alle  erheben  laute  Klage  über  ihn : 
denn  Alle  beklagen  ihn,  den  Eingeborenen,  aufs  Bitterlichste." 
Maria  widersetzt  sich  Anfangs  der  Bitte  des  Joseph,  Christus  zu 
begraben,  da  sie  sich  nicht  von  dem  Anblick  der  Wunden  trennen 
kann.  Endlich  fügt  sie  sich  den  Bitten  des  Johannes.  ,,Da  be- 
gannen Johannes  und  Nikodemus  und  die  Anderen  den  Körper 
einzuwickeln  und  mit  Leinen  zu  versehen,  wie  es  die  Sitte  der 
Juden  war.  Die  Herrin  aber  hielt  immer  sein  Haupt  in  ihrem 
Schooße,  das  sie  zu  versehen  sich  vorbehalten,  und  Magdalena  die 
Füße.  Als  sie  aber  an  die  Schenkel  bis  nahe  an  die  Füße  ge- 
kommen waren ,  sagt  Magdalena :  ,ich  bitte  euch ,  ihr  wollet  mir 
erlauben,  die  Füße  zu  versehen,  bei  denen  ich  Barmherzigkeit 
erlangt  habe.'  Und  da  sie  es  zuließen,  hielt  sie  seine  Füße."  Da 
kann  sie  sich  vor  Schmerz  und  Weinen  nicht  lassen.  ,,Dann 
nimmt   Maria    von    ihm  Abschied :    ,0  Du    mein  Sohn ,    in  meinem 


*)  Also  hier  wird  auch  nur  von  einem  Nagel  gesprochen  —  wie  es  auch  Niccolo 
Pisano  darstellt. 

2)  Cap.  LXXXI,  S.  609. 


Die  Passion  Christi.  491 


Schooße  halte  ich  Dich  todt :  gar  hart  ist  die  Trennung  Deines 
Todes ;  fröhHch  und  ergötzend  war  der  Verkehr  zwischen  uns 
Beiden,  und  ohne  Zank  und  Beleidigung  haben  wir  unter  den 
Anderen  gelebt,  und  dennoch  wardst  Du,  mein  süßester  Sohn,  wie 
Einer ,  der  schädlich ,  getödtet.  Treu ,  mein  Sohn ,  habe  ich  Dir 
gedient,  und  Du  mir,  aber  in  diesem  Deinem  schmerzensvoUen 
Kampfe  wollte  der  Vater  Dir  nicht  helfen  und  ich  konnte  es 
nicht.  Dich  selbst  hast  Du  aufgegeben  aus  Liebe  zum  mensch- 
lichen Geschlechte,  das  Du  erlösen  wolltest.  Hart  und  allzu  qual- 
voll ist  diese  Erlösung ,  deren  ich  mich  doch  erfreue ,  da  sie  die 
Menschen  errettet.  Aber  bei  Deinen  Schmerzen  und  Deinem  Tode 
bin  ich  tief  betrübt,  da  ich  weiß,  daß  Du  niemals  gesündigt  und 
ohne  Grund  so  bitterlich  mit  so  schmählichstem  Tode  getödtet 
bist.  So  ist,  o  mein  Sohn,  also  wirklich  unser  Bund  gelöst,  und 
ich  muß  mich  jetzt  von  Dir  trennen.  Begraben  werde  ich  Dich, 
Deine  traurigste  Mutter;  aber  dann,  wohin  werde  ich  gehen?  Wo 
werde  ich  weilen,  mein  Sohn.''  Wie  könnte  ich  ohne  Dich  leben.?* 
Lieber  würde  ich  mit  Dir  begraben,  daß,  wo  immer  Du  seist,  auch 
ich  mit  Dir  sei.  Doch  da  es  mit  dem  Körper  nicht  möglich,  so 
werde  ich  doch  mit  dem  Geiste  begraben;  meine  Seele  werde  ich 
im  Grabhügel  mit  Deinem  Körper  begraben,  sie  überlasse  ich  Dir, 
sie  empfehle  ich  Dir.  O  mein  Sohn,  wie  angstvoll  ist  solche 
Trennung !  ^)'  Und  wiederum  mit  der  Fülle  der  Thränen  wusch 
.sie  das  Antlitz  des  Sohnes,  viel  besser,  als  Magdalena  die  Füße. 
Dann  aber  trocknete  sie  sein  Antlitz  und  küßte  den  Mund  und  die 
Augen  und  wickelte  sein  Haupt  in  ein  Schweißtuch  und  hüllte  es 
sorgfältig  ein.  Endlich  segnete  sie  ihn  wiederum.  Dann  fallen  sie 
Alle  auf  die  Kniee ,  ihn  anzubeten  und  seine  Füße  zu  küssen, 
nehmen  ihn  auf  und  tragen  ihn  zum  Grabmal.  Die  Herrin  hielt 
das  Haupt  und  die  Schultern,  Magdalena  die  Füße;  die  Uebrigen 
aber  standen  in  der  Mitte."  Als  dann  die  Anderen  Abschied 
genommen,  bleiben  Maria  und  Johannes  am  Grabe,  bis  es  Nacht 
wird  und  Johannes  mit  ihr  in  sein  Haus  zurückkehrt.^) 


^)  Vergl.  Bonaventvira :  Officium  de  Compassione  B.  M.  V.  Bd.  XIV.  S.  227. 
Dum  de  cruce  depositus  ad  tumulum  portatur,  inter  dolores  anxios,  portantes  sie  affatur: 
Sustinete  paululum,  quod  dolorem  meum  plangam  et  meum  dilectissimum  deosculer: 
mihi  meum  dilectissimum  subtrahere  nolite.  Si  sepeliri  debeat,  me  secum  sepelite. 
Accessit  sie,  exanimis  se  super  corpus  jecit  et  sacrum  vultum  lacrymis  rigando  madefecit. 

2)  Cap,  LXXXn,  S.  610. 


4Q2       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

Ich  habe  die  rührende  Erzählung ,  obgleich  sie  Beides :  die 
Beweinung  und  die  Grablegung  behandelt,  nicht  trennen 
wollen,  da  man  so  einen  tieferen  Eindruck  von  den  Schmerzens- 
szenen,  wie  sie  die  Phantasie  der  Franziskaner  sich  dachte,  erhält. 
Die  Dichtung  vermag  besser,  als  beschreibende  Worte  es  könnten, 
die  Seelenstimmung  zu  schildern,  die  Giotto's  Bilde  in  der  Ober- 
kirche zu  Assisi  und  dem  in  der  Arena  einen  ewigen  Gehalt  giebt. 
Dobbert  sagt  mit  Recht,  daß  wilder  Seelenschmerz  selten  so  hin- 
reißend wiedergegeben  worden.^)  Auf  beiden  Darstellungen  um- 
fängt Maria  knieend  den  Oberkörper  ihres  Sohnes,  dort  hält  Magda- 
lena sitzend  seine  Füße  im  Schooße,  hier  küßt  sie  dieselben  knieend; 
dort  halten  zwei  Frauen  die  Hände,  während  Johannes  in  Ver- 
zweiflung die  Arme  zurückwerfend  sich  herabbiegt,  hier  ist  er  selbst 
auf  die  Kniee  gesunken ,  die  Hand  seines  Herrn  zu  küssen.  In 
seinem  späteren  Werke  Verstand  es  der  Künstler  den  im  früheren 
Bilde  übertriebenen  Schmerzensausdruck  in  den  Köpfen  zu  mäßigen, 
ohne  ihn  doch  zu  schwächen.  Da  mir  ältere  Darstellungen  der 
Beweinung  unbekannt  blieben,  vermag  ich  nicht  zu  sagen,  wie  weit 
Giotto  sich  an  seine  Vorgänger  angeschlossen  hat.  Den  verwandten 
Kompositionen  der  Grablegung  aber  konnte  er  ähnliche  Züge  ent- 
nehmen :  daß  Maria  das  Antlitz  des  Herrn  küßt ,  weinend  die 
anderen  Freunde  sich  ihm  nahen.  Wie  leidenschaftlich  empfindungs- 
voll schon  Künstler  des  XIII.  Jahrhunderts  die  Szene  dachten,  lehren 
das  Kruzifix  in  Pistoja  und  die  Reste  des  Wandgemäldes  in  der 
Unterkirche  zu  Assisi,  auf  dem  Maria  ohnmächtig,  von  den  Frauen 
gehalten,  neben  dem  Grabe  niedergesunken  ist.  Die  .Grablegung' 
behält  auch  in  Giotto's  Schule  noch  den  Vorzug  vor  der  .Be- 
weinung', wie  denn  die  Lorenzctti  in  Assisi,  Giottino  in  der  Cap. 
di  S.  Silvestro  in  S.  Croce,  Niccolö  di  Pietro  Gerini  auf  dem  Bilde 
der  Akademie  in  Florenz  den  Augenblick  wählten,  in  dem  von 
Joseph  und  Nikodemus  der  Leichnam  auf  einem  Tuche  in  den 
Sarkophag  gesenkt  wird  und  die  Frauen  sich  herandrängen,  ihn 
noch  einmal  zu  umarmen,  zu  küssen,  ehe  er  ihren  Blicken  ent- 
schwindet. 

Etwas  abweichend ,  aber  dem  Geiste  nach  durchaus  überein- 
stimmend mit  der  Auffassung  der  Meditationes  und  den  erwähnten 
Bildern,    stellt   die  Devozione    des  Charfreitags    die    beiden  Szenen 


1)  Dohme:  K.  u.  K.  III.  Giotto.  S.  27.  Abb.  S.   33. 


Die  Passion  Christi.  493 


dar,  mit  denen  sie  abschließt.  Als  der  Leichnam  vom  Kreuze 
genommen,  sinkt  Maria  in  der  Mitte,  Johannes  zu  Raupten,  Magda- 
lena zu  seinen  Füßen  nieder,  und  die  Mutter  küßt  unter  Klagen 
ihm  das  Haupt ,  die  Augen ,  das  Antlitz ,  den  Mund ,  die  Hände, 
die  Seite  und  den  ganzen  Körper.  Dann  weist  sie  die  durch- 
bohrten Hände  Johannes,  der  mit  Thränen  antwortet :  ,das  sind  die 
heiligen  Hände,  mit  denen  er  uns  Alle  zu  segnen  pflegte,  —  das, 
o  Magdalena,  sind  die  heiligen  Füße,  über  die  du  so  heftig  geweint ' 
Auch  Magdalena  bricht  in  Klagen  aus.  Dann  wendet  sich  die 
Madonna  zum  Volke : 

Ich  bin  die  Mutter,  traurig,  trostlos 

Und  ganz  verlassen,  ohne  Rath. 

Und  keine  Frau  war  doch  so  reich  an  Trost, 

Bevor  gestorben  mir  mein  Sohn. 

Da  kommt  der  Engel  und  überredet  sie,  Christus  begraben 
zu  lassen: 

O  Engel  Gabriel,  so  hehr  und  herrlich. 

Mit  welchen  Freuden  kamst  Du  einst  zu  mir, 

Vom  heil'gen  Geiste  selbst  geleitet! 

Wo  ist  der  Sohn,  den  Du  mir  brachtest? 

Weh  mir,  er  ist  vom  Blute  ganz  benetzt! 

Wo  ist  nun  das  Versprechen,  das  Du  mir  gegeben? 

Du  sagtest,  daß  ich  reich  an  Gnade, 

Und  nun  —  ist  jeder  Tropfen  Blut  von  mir  gewichen.^) 

Endlich  folgt  sie  den  Bitten  des  Engels  und  des  Johannes. 
Joseph  und  Nikodemus  legen  den  Leichnam  in  das  Grab  und  Maria, 
Johannes  und  Magdalena  kehren  heim.  Auf  dem  Wege  zeigt  Maria 
den  Frauen  die  Nägel : 

Herrinnen,  Frauen!  seht  in  Hulden, 

Ob  jemals  solche  Grausamkeit  geschah, 

Wie  der  betrübten  Maria  Sohn 

Von  diesen  falschen  Hunden,  den  Judäern. 

Die  nagelten  an's  Kreuze  meine  Hoffnung 

Mit  diesen  starken,  spitz'gen  Nägeln  — 

O  bittrer  Schmerz  der  Mutter  ohne  Tröstung, 

Die  mit  den  eignen  Augen  ihn  so  sterben  sah! 


^)  Vergl.  ganz  ähnlich  Bonaventura:  De  compassione  officium,  a.  a.  O.  lectio  III: 
Filii  praesentia  mater  destituta ,  Gabrielem  Angelum  sie  est  allocuta :  Ave  plena  gratia 
mihi  protulisti,  nunc  amaritudine  sum  repleta  tristi.  Subsequenter  inquiens:  Dominus 
est  tecum,  heu!  jacet  in  tumulo  nee  est  ultra  mecum.  Omnis  benedictio  quam  tu  spo- 
pondisti  mihi  fit  contraria  propter  mortem  Christi. 


494       Di^  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

O  guten  Leute,  bitten  will  ich  euch, 

Daß  meinen  Rath  ihr  höret, 

Daß  jedem  Menschen  ihr  verzeihen  sollt 

Und  länger  nicht  mehr  trotzig  bleibet. 

An  Christi  Tod  sollt  ihr  gedenken, 

Wollt  ihr  von  ihm  gerettet  werden. 

Denn  Er  vergab  Dem,  der  den  Tod  ihm  gab! 

Hier  soll  die  Menge  der  Zuhörer  laut  rufen :  „laßt  uns  ver- 
geben!" Darauf  kehren  Maria  und  Johannes  nach  Jerusalem  zurück, 
und  die  Devozione  endet. 

Aus  der  Beweinung  und  Grablegung  Christi  heraus  sind  nun 
noch  einige  Kompositionen  entstanden,  die,  in  der  früheren  Kunst 
unbekannt,  fortan  eine  wichtige  Stellung  in  dem  großen  Kreise  der 
christlichen  Devotionsbilder  einnehmen.  Ich  meine  diejenigen  der 
,Pietä',  die  aus  dem  geschichtlichen  Vorgange  das  einzelne  Motiv 
der  Maria,  die  den  auf  ihrem  Schooße  liegenden  Christus  beweint, 
herausnimmt  und  gesondert  als  eine  allgemeine  und  ewige  Ver- 
bildlichung höchsten  Mutterschmerzes  hinstellt  und  jene  Komposi- 
tionen, die  Christus,  den  Schmerzensmann,  im  Grabe  sitzend  zeigen. 

Die  älteste  mir  bekannte  Darstellung  der  P  i  e  t  ä  ist  die  auf 
einem  in  der  Pinakothek  zu  Bologna  (159)  befindlichen  Altarwerke 
des  Jacopo  degli  Avanzi.  Viel  später  erst,  am  Ende  des  XV.  Jahr- 
hunderts, und  zwar,  wie  es  scheint,  von  der  nordischen  Kunst  über- 
nommen, erscheinen  auch  die  Brustbilder  der  weinenden  ,mater 
dolorosa',  deren  eines,  vielleicht  das  älteste,  von  Antonello  da 
Messina  in  der  Akademie  zu  Venedig  (Nr.  349)  aufbewahrt  wird. 
Auch  der  Christuskopf  alsEcce  homo  erscheint  erst  im  XV.  Jahr- 
hundert. Hingegen  haben  wir  Darstellungen  des  Heilands  als 
Schmerzensmann  schon  aus  dem  Trecento.  In  diesem  auch 
wird  der  im  Grabe  sitzende  Christus  ein  Lieblingsvorwurf 
der  Kunst ,  namentlich  als  Mittelstück  von  Predellen  oder  auf  Sar- 
kophagen. Häufig  halten  ihn  Maria,  Johannes,  auch  Nikodemus 
und  Magdalena,  oder  Engel.  Die  frühesten  nachweisbaren  derartigen 
Darstellungen  dürften  die  auf  Simone  Martini's  Altarbild  in  der 
Akademie  zu  Pisa  und  auf  jenem  dem  Ugolino  zugeschriebenen 
Bilde  der  Sakristei  von  S.  Croce  zu  Florenz  sein.  ^) 

9.  Die   Auferstehung,    Christi   Erscheinungen    und 


^)  Vergl.  auch  Grabmäler  aus  der  Schule  der  Pisani ;   so  z.  B.  das  des  Tommaso 
Pisano  im  Camposanto  zu  Pisa. 


Die  Passion  Christi.  495 


die  Himmelfahrt.  Der  folgenden  Erzählung  der  Meditationes 
brauchen  wir,  nun  wir  eine  Anschauung  von  ihrer  Auffassung  er- 
halten haben,  nicht  mehr  im  Einzelnen  nachzugehen,  um  so  mehr, 
als  die  Kunst  seit  Giotto  sich  für  die  verschiedenen  Erscheinungen 
Christi  weniger  erwärmt  hat.  Eine  Ausnahme  bildet  nur  das  ,Noli 
me  tangere',  das  in  erhebender  Weise  von  Giotto  in  Padua  und 
im  Bargello  zu  Florenz,  von  einem  seiner  Schüler  ganz  ähnlich  in 
der  Unterkirche  zu  Assisi  dargestellt  worden  ist  und  ein  immer 
beliebter  Gegenstand  der  Malerei  bleibt.  Nach  den  Meditationes 
(cap.  LXXXVIII)  ist  es  Maria,  die  den  Herrn  veranlaßt,  sich  Mag- 
dalena zu  zeigen.  Dagegen  verliert  sich  die  im  früheren  Mittel- 
alter häufig  gegebene  Darstellung  von  den  ,drei' Frauen  am  Grabe* 
fast  ganz.  Nur  selten  auch  wird  die  von  den  Meditationes  sehr  aus- 
führlich geschilderte  Erscheinung  Christi  vor  Maria  abgebildet  ^),  ver- 
hältnißmäßig  selten  auch  Christus  im  Limbus.  Ueber  die  Auf- 
erstehung erfahren  wir  nichts  Besonderes  von  dem  Franziskaner. 
Auch  macht  die  Komposition  zunächst  keine  großen  Fortschritte : 
von  den  Giottesken  wurde  Christus  meist  in  ziemlich  steifer  Weise 
emporschwebend  dargestellt,  oder  er  steigt  en  face  aus  dem  Grabe. 
Das  allgemein  menschliche  Interesse  tritt  hier  gegenüber  den  Dar- 
stellungen der  Passion  entschieden  zurück,  und  das  verleugnet  sich 
auch  in  der  Kunst  nicht.  In  der  Himmelfahrt  macht  sich  der  neue 
Aufschwung  der  rehgiösen  Begeisterung  mehr  bemerkbar.  Schon 
in  der  Oberkirche  zu  Assisi  ließ  Giotto,  die  langweilige  Symmetrie 
der  älteren  Komposition  zu  vermeiden ,  Christus  statt  en  face ,  im 
Profil  zum  Himmel  aufschweben,  wobei  er  sich  vielleicht  des  anderen 
alteri  Typus  des  , aufsteigenden'  Heilands  erinnert  haben  mag.  In 
Padua  läßt  er  ihn  auf  einer  Wolke  von  Engeischaaren  geleitet  nach 
oben  fahren ,  und  unten  sind  Maria  und  die  Apostel  anbetend  auf 
die  Kniee  gesunken.  Kehren  auch  seine  Nachfolger  häufig  zu  der 
sehr   bewegungslosen ,    von    vorne    gesehenen  Figur  Christi  zurück, 


^)  Cap.  LXXXVI  S.  616.  Chr.  erscheint  ihr  in  weißen  Kleidern,  sie  kniet  vor 
ihm  nieder,  umarmt  und  herzt  ihn.  Sie  fragt,  ob  er  noch  Schmerzen  habe  und  lobt 
Gott ,  als  sie  hört ,  daß  alles  irdische  Leiden  nun  abgethan.  Im  Folgenden  wird  dann 
cap,  89  erzählt,  wie  er  Joseph  von  Arimathia  aus  dem  Gefängniß  befreit,  ihn  küßt  und 
in  sein  Haus  zurückbringt ,  wie  er  durch  sein  Erscheinen  Jakobus  von  dem  Gelübde, 
nicht  zu  essen ,  befreit  und  ihm  selbst  das  Brot  reicht ,  wie  er  Petrus  erscheint  und 
diesem  verzeiht.  Dann  ohne  besondere  Merkwürdigkeit  der  Auffassung  die  Erscheinung 
vor  den  Zwölfen,  in  Emmaus,  vor  Thomas,  am  See  Tiberias,  vor  den  Fünfzig. 


496       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

SO  halten  sie  doch  daran  fest,  die  Zurückbleibenden  knieen  zu  lassen, 
und  lieben  es ,  jubelnde  Engel  dem  triumphirend  heimkehrenden 
Erlöser  als  Geleit  zu  geben.  Da  zeigt  sich  wieder  derselbe  Geist, 
wie  in  der  Schilderung  der  Meditationes. 

Dieselben  nämlich  erzählen  den  Vorfall  so  ^) :  ,, Endlich  als 
alle  Mysterien  erfüllt  waren,  begann  der  Herr  Jesus  von  ihnen  er- 
hoben zu  werden  und  durch  seine  Kraft  gen  Himmel  zu  fahren. 
Da  fielen  die  Mutter  und  alle  die  Andern  zu  Boden  nieder.  Die 
Herrin  sprach :  Mein  Sohn  gebenedeiet ,  gedenke  mein !  Nur  der 
Trennung  wegen  konnte  sie  die  Thränen  nicht  zurückhalten :  doch 
freute  sie  sich  sehr,  daß  sie  ihren  Sohn  so  hehr  gen  Himmel  eilen 
sah.  In  gleicher  Weise  sprechen  auch  seine  Jünger:  Herr,  für 
Dich  haben  wir  Alles  verlassen,  sei  unsrer  eingedenk!  Er  selbst 
aber,  mit  erhobenen  Händen,  heiterem  Antlitz  und  freudig,  nach 
königlicher  Weise  gekrönt  und  geschmückt,  ward  im  Triumphe  gen 
Himmel  getragen."  Dorthin  hat  inzwischen  Michael  die  Botschaft 
gebracht,  daß  der  Herr  nahe.  Da  eilen  ihm  alle  die  Engeischaaren 
entgegen,  und  triumphirend  zieht  er  mit  ihnen  und  den  Erzvätern 
in  die  zum  ersten  Male  wieder  geöffnete  Himmelsburg  ein,  die  rings- 
um von  Hallelujah  erschallt.  Er  kniet  vor  dem  ewigen  Vater 
nieder  und  dankt  ihm.  Der  aber  läßt  ihn  sich  zu  seiner  Rechten 
setzen.  Und  die  himmlischen  Heerschaaren  begehen  das  herrlichste, 
seligste  Fest ! 

IL  Die  letzten  Dinge. 

Das  wirksamste  Mittel,  das  die  Franziskaner-  und  Dominikaner- 
prediger anwandten,  die  Gemüther  zu  erschüttern,  war,  wir  wir  ge- 
sehen haben,  der  Hinweis  auf  den  Tag  des  Jüngsten  Gerichtes,  auf 
das  Paradies  und  die  Hölle.  Gleichwohl  nun  sind  uns  anschauliche 
Beschreibungen  der  ewigen  Freuden  und  Qualen,  abgesehen  von  den 
Gedichten  Giacomino's,  in  der  italienischen  Literatur  des  XIII.  Jahr- 
hunderts nicht  erhalten,  und  wir  können  uns  nur  aus  den  künst- 
lerischen Darstellungen  selbst  einen  Begriff  von  der  Art,  wie  die 
Predigt  geschildert  hat,  machen.  Gerade  aber  der  Umstand,  daß 
etwa  seit  1300  neben  den  Bildern  des  Jüngsten  Gerichtes  umfäng- 
liche Einzeldarstellungen  der  Hölle  und  des  Paradieses  beliebt  wer- 
den,   weist   auf  eine  neue  populäre  und  sinnliche  Anschauung  der 


1)  Cap.  XCVII,  S.  624. 


Die  letzten  Dinge.  497 


zukünftigen  Dinge  hin,  die  offenbar  von  den  Bettelmönchen  lebhaft 
befördert  worden  ist.  Zuerst  ist  es  Giotto  gewesen,  der  im  Palazzo 
der  Signoria  Inferno  und  Paradiso  in  großen  Kompositionen  dar- 
gestellt hat,  seinem  Beispiele  folgte  Orcagna  in  der  Kapelle  Strozzi 
in  S.  Maria  novella  und  nach  Vasari's  Bericht  in  S.  Croce ;  ein  un- 
bekannter Meister  schuf  neben  dem  Jüngsten  Gericht  im  Campo- 
santo  zu  Pisa  das  Fresko  der  Unterwelt,  und  ein  andrer  namenloser 
Künstler  das  Paradies  und  die  Hölle  in  S.  Francesco  zu  Terni. 

Gegenüber  Jessen's  Annahme  von  einem  prädominirenden  Ein- 
fluß byzantinischer  Kunst  im  Abendlande  haben  Springer  und  Voß 
überzeugend  nachgewiesen,  daß  die  abendländische  Kunst  die  Kom- 
position des  Jüngsten  Gerichtes  fast  durchaus  unabhängig  ent- 
wickelt hat,  und  daß  auch  von  einem  allgemeinen  Typus  innerhalb 
derselben  nicht  die  Rede  sein  kann.  ^)  Mehr  als  andere  Darstel- 
lungen mußte  das  großen  Raum  beanspruchende  Gericht  kompo- 
sitioneil von  der  ihm  angewiesenen  Oertlichkeit  bedingt  sein.  In 
Italien  repräsentiren  vor  Giotto  das  Fresko  in  S.  Angelo  in  Formis, 
dasjenige  in  Toscanella,  die  Reliefs  des  Niccolö  Pisano  und  das 
Mosaik  des  Tafi  im  florentiner  Baptisterium  die  originale  einhei- 
mische, das  Mosaik  in  Torcello  die  eingewanderte  byzantinische  Auf- 
fassung. Giotto  nun  ist  in  seinem  mächtigen  Bilde  der  Kapelle  in 
Padua  im  Wesentlichen  der  ersteren  gefolgt,  der  zweiten  hat  er  nur 
den  vom  Weltenrichter  ausgehenden  Feuerstrom  der  Hölle  entlehnt. 
Sein  Christus  in  der  von  Engeln  umgebenen  Glorie  öffnet  die 
Rechte,  weist  mit  der  Linken  ab,  wie  es  schon  in  S.  Angelo,  dann 
in  Florenz  dargestellt  war.  Niccolö  Pisano 's  Beispiel  folgt  er,  wenn 
er  darunter  in  der  Mitte  zwischen  den  Ketzern  und  Verdammten 
zwei  Engel  das  Kreuz  halten  läßt,  das,  hier  deutlich  als  das  Kreuz, 
an  dem  Christus  gestorben,  charakterisirt ,  jene  oben  besprochene 
Form  des  T  mit  der  Tafel  darüber  zeigt.  Kommen  ferner  auch 
die  zur  Seite  Christi  thronenden  Apostel  schon  früher  vor,  so  zeigt 
ihre  freiere  Anordnung,  wie  die  einheitliche  Raumauffassung  des 
ganzen  Bildes  überhaupt  doch  die  neuen,  bedeutenden  Prinzipien 
von  Giotto's  Kunst.  Neu  ist  auch  die  Gestaltung  der  in  gedrängten 
Massen    —    , schiere',    wie    Jacopone    sagt    —    über    den    Aposteln 


^)  P.  Jessen:    Die   Darstellung   des   Weltgerichts.     Berlin   1883.  —  A.  Springer 
Repert.    f.   Kunstw.   1884.     VII,    S.  375  f.    —   Georg  Voß:    Das   j.  Gericht.     Leipzig. 
Seemann   1884.  —  F.  X.  KLraus:    Die  Wandgemälde   der  S.  Georgskirche  zu  Oberzell. 
Freiburg   1884. 

Thode,  Franz  von  Assisi.  '  ^2 


4q8        Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

fliegenden  gewappneten  Engel,  die  recht  im  Geiste  der  Zeit  das  Kriegs- 
heer des  Himmelskönigs  bilden.  Maria  im  Strahlenglanze  leitet  ihre 
Mutter  Anna,  umgeben  von  einer  Schaar  von  Heiligen,  links  auf- 
wärts zum  Heiland,  darunter  führen  Engel  die  betenden  Geretteten, 
zu  denen  sich  noch  andere  kleine,  eben  der  Erde  entsteigende  Selige 
gesellen.  Daneben  überreicht  Enrico  Scrovegni  das  Modell  der 
Kapelle  drei  Frauen ,  in  denen  wohl  die  drei  Kardinaltugenden : 
Glaube,  Liebe  und  Hoffnung  zu  sehen  sind.  Rechts  inmitten  des 
Feuers  aber,  in  dem  zahllose  Unselige  die  verschiedensten  Martern 
erleiden,  sitzt  Lucifer  und  verschlingt  "die  Verdammten. 

Zeigt  sich  dann  auf  Orcagna's  Bilde  in  S.  Maria  novella  ein 
Fortschritt,  insofern  die  Hölle  gesondert  dargestellt  und  nur  die 
verschiedene  Wirkung  des  Richterspruchs  auf  die  Ketzer  und  Ver- 
dammten geschildert  wird,  so  erreicht  diese  einheitlichere  Kompo- 
sition ihre  volle  Ausbildung  in  dem  Fresko  des  Camposanto,  dessen 
gewaltige  Leidenschaft  immer  von  Neuem  das  größte  Staunen  er- 
regt. Wohl  nur  aus  der  gesteigerten  Verehrung,  die  man  der 
Himmelskönigin  entgegenbrachte,  ist  es  zu  erklären,  daß  hier  Maria 
in  einer  Glorie  ebenbürtig  neben  dem  König  Christus  erscheint. 
Demüthig,  wie  Eine,  die,  selbst  erhöht,  vor  Beschämung  nicht  die 
Bestrafung  Anderer  anzusehen  vermag,  senkt  sie  den  Blick.  Gleich 
zornigen  Gedanken  des  Herrn  fahren  die  gewappneten  Engel  auf 
die  verzweifelt  rechts  sich  zusammendrängenden  Verdammten  ein, 
während  nur  Ein  Gefühl  der  innigen  Verehrung  die  Schaar  der 
Heiligen  und  Seligen  links  zu  Christus  aufschauen  läßt.  In  banger 
Erwartung  und  Schmerz  verharren  die  zwölf  Apostel ,  über  denen 
Engel  die  Leidenswerkzeuge  tragen,  zu  Seiten  Christi  und  Maria. 
Unter  Letzteren  aber  schwebt  die  wunderbare,  von  vier  Engeln  ge- 
bildete Kreuzesgruppe. 

Mit  diesen  Fresken  in  Padua  und  Pisa  ist  der  Darstellung  des 
Jüngsten  Gerichtes  bis  auf  Michelangelo  die  weitere  Entwicklung 
vorgeschrieben:  befreit  von  der  störenden  Zuthat  des  Inferno  und 
Paradiso  gewinnt  sie  an  Kraft  und  Bedeutung.  Dagegen  sterben 
die  losgelösten  Theile  allmählich  ab.  Nur  Fra  Angelico  vermag 
sich  noch  nicht  ganz  von  den  älteren  Anschauungen  loszureißen, 
die  sonstige  Kunst  des  Quattrocento  verschmäht  es,  warnend  die 
künstlerisch  doch  unmögHchen  Höllenstrafen  und  Lucifer  dem  Volke 
vorzuhalten. 

Wie  Berthold  von  Regensburg  in  seinen  Predigten  im  Wesent- 


Die  letzten  Dinge.  499 


liehen  nur  von  einer  Art  des  Leidens  in  der  Hölle:  von  dem 
Feuer  zu  erzählen  weiß,  so  hat  die  germanische  Kunst,  wie  Jessen 
bemerkt,  nicht,  gleich  der  italienischen,  Höllendarstellungen  hervor- 
gebracht. Daraus  läßt  sich  umgekehrt  wiederum  mit  großer  Wahr- 
scheinHchkeit  schließen,  daß  gerade  die  italienischen  Bettelmönche 
mit  ungestümer  Phantasie  die  höllischen  Qualen  ihren  Hörern  ein- 
zeln auseinandergesetzt  haben.  Darauf  weist  ja  auch  Giacomino's 
Gedicht  mit  seiner  drastischen  Erzählungsweise  hin.  Volksthüm- 
liche  Anschauungen  vom  Satan  mögen  so  eine  bestimmte  Form  er- 
halten haben:  der  struppige,  riesige  Teufel  mit  dem  thierischen 
Kopfe ,  der  die  Verdammten  verschlingt  und  der ,  wie  Giacomino 
schaurig  komisch  erzählt,  sich  wohl  gar  über  die  schlechten  Braten 
beschwert,  die  verschiedene  Art  der  Bestrafung  der  sieben  Tod- 
sünden, die  klar  gegliedert  auf  dem  Fresko  in  Pisa  erscheinen,  die 
Hervorhebung  einzelner  großer  teuflischer  Charaktere,  wie  Mahomet 
und  andere.  Solche  Anschauungen  sind  sicher  Gemeingut  des 
italienischen  Volkes  gewesen  und  von  Dante  ebensowohl  wie  von 
Giotto  künstlerisch  gestaltet  worden.  Die  Höllendarstellungen  des 
Letzteren  in  Florenz  und  in  Padua  gehen  zeitlich  der  Divina  com- 
media  voraus.  Hält  sich  dann  Andrea  Orcagna  in  S.  Maria  novella 
genau  an  Dante's  Beschreibung,  so  äußern  sich  unabhängig  von 
dieser  die  allgemein  gültigen  Ideen  vom  Inferno  wiederum  in  Pisa 
und  in  Terni.  Nicht  in  den  Werken  der  großen  Kirchenschrift- 
steller des  XIII.  Jahrhunderts,  die  man  vergeblich  darauf  hin  unter- 
sucht, ^)  sondern  in  den  leider  nicht  auf  uns  gekommenen  Predigten 
von  Männern ,  wie  Hugo  de  Bareola ,  der  ,, Wunderlinge  von  dem 
himmlischen  Hof,  das  heißt:  der  Glorie  des  Paradieses,  und  Ent- 
setzliches von  den  höllischen  Strafen  zu  sagen  wußte",  werden  wir 
die  Erklärung ,  die  Quelle  der  Darstellungen  des  Inferno  finden.  ^) 
Der  ,, himmlische  Hof",  diese  Benennung  bezeichnet  aber  auch 
treffend  die  Auffassungen  des  Paradieses.  ^)  Vermögen  wir  uns  von 
Giotto's  Komposition  im  Palazzo  Signoria  kein  deutliches  Bild  mehr 


^)  Man  vergl.  z.  B.  Bonaventura's  Opusculum:  Diaeta  Salutis.  Bd.  VIII.  Für 
das  Jüngste  Gericht  werden  die  15  Vorzeichen  des  Hieronymus  erwähnt,  die  Oeffhung 
der  Bücher,  die  sententia  und  executio.  Die  Hölle  nicht  bildlich  geschildert.  Das 
Paradies  als  apokalyptische  Stadt  und  die  himmlische  Gemeinschaft  als  Hofstaat. 

2)  Salimbene.     Chronik  S.  97. 

'')  Vergl.  dazu  unten:  Maria  als  Himmelskönigin.  Auch  die  von  Palermo  publi- 
zirte  Allegorie:    La    corte  di  Dio.     Palermo:    Allegorie  cristiane  dei  primi  tempi  della 

32* 


500       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

zu  machen,  so  bietet  uns  doch  Orcagna's  Fresko  einen  Ersatz.  Ein 
Seitenstück  zur  Krönung  Maria's,  versetzt  es  uns  mitten  in  den 
himmlischen  Pallast  des  Königs  Christus  und  dient  so  gleichsam 
zur  Illustration  jener  Auffassung  des  Berthold,  die  wir  oben  kennen 
gelernt.  Auf  hohem  Throne  sitzen  feierlich,  die  Kronen  auf  dem 
Haupt,  Christus  und  Maria,  und  links  und  rechts  in  regelmäßigen 
Reihen  hintereinander  geordnet  umgiebt  sie  der  Hofstaat  von  Heili- 
gen und  Engeln.  Die  von  Gold  und  Edelstein  schimmernden  Mauern 
des  himmlischen  Jerusalems,  die  im  frühen  Mittelalter  das  Paradies 
bezeichnen,  haben  wir  hinter  uns  gelassen  und  sind  bis  zur  Curia 
selbst  durchgedrungen.  Für  das  Volk,  das  sich  von  dem  höchsten 
Ideal  des  Glanzes  und  der  Herrlichkeit :  von  dem  Hofe  des  irdischen 
Kaisers  erzählen  ließ,  ward  auch  das  himmlische  Paradies  als  ein 
Kaiserhof  dargestellt,  zu  dem  aber  ein  Jeder,  selbst  der  Aermste 
Zutritt  hat,  befolgt  er  die  Gebote  des  Herrn  hier  auf  der  Erde. 
Das  Paradies  des  Dante  war  für  eine  andere  höher  gebildete  Klasse 
der  Menschheit  geschrieben. 

III.   Die  Mariendarstellungen. 

Seit  dem  Jahre  1269,  in  welchem  Bonaventura  auf  dem  Kon- 
vent von  Assisi  die  Verordnung  gegeben,  erscholl  allabendlich  von 
den  Thürmen  der  Franziskanerkirchen  der  Glockengruß  des  ,Ave 
Maria'  und  weckte  zum  Lobe  der  Jungfrau  bald  alle  die  unzähhgen 
Stimmen  der  christlichen  Kirchen  überhaupt.  Er  erweckte  aber 
zugleich  in  dem  Volke  eine  innigere  liebende  Verehrung  der  Mutter 
Christi,  die  in  Deren  neuer  künstlerischer  Verherrlichung  fortan 
ihren  ewigen  Ausdruck  gefunden  hat.  Schon  lange  hatte  der 
Marienkultus  immer  mehr  der  Herzen  sich  bemächtigt.  Die  ritter- 
liche Verehrung  der  Frauen,  der  durch  die  Kreuzfahrer  vermittelte 
Einfluß  des  Morgenlandes  hatten  das  Ihrige  dazu  beigetragen.  Die 
christliche  Frau,  froh  aller  der  Vortheile  und  Rechte,  die  ihr  das 
Christenthum  verschafft,  brachte  ihren  Dank  der  Mutter  des  Hei- 
lands dar.  Als  Vermittlerin  und  Fürbitterin  vertrat  Diese  freund- 
lich und  mitleidig  das  arme  ringende  und  leidende  Menschen- 
geschlecht  vor   dem    höchsten  Richterstuhl,    und    ihren  Lieblingen, 

favella.  Firenze  1856.  —  Femer:  La  cour  du  Paradis  bei  Barbazan - Meon :  Fabliaux 
et  contes.  Paris  1805.  III,  S.  128.  —  La  ballata  del  Paradiso  bei  Sorio:  opuscoli 
religiosi,  Modena  (t.V.)  habe  ich  leider  nicht  einsehen  können. 


Die  Mariendarstellungen.  50I 


wie  dem  frommen,  liebereichen  Bernhard  von  Clairvaux,  zeigte  sie 
sich  huldvoll  schon  auf  dieser  Erde.  Was  so  in  allen  Herzen  lebte, 
haben  die  Franziskaner  mit  überströmenden  Gefühlen  in  Liedern 
und  Predigten  ausgesprochen.  Das  reine ,  edle  Menschliche ,  das 
sie  in  ihrer  schlichten,  empfindungsvollen  Religionsauffassung  suchten, 
trat  ihnen  in  den  Freuden  und  Schmerzen  der  Maria  fast  noch 
näher,  als  in  dem  Lebenswandel  des  Gottmenschen  selbst.  Maria 
zu  verstehen  und  zu  lieben,  bedurfte  es  Nichts,  als  volles,  warmes 
Gefühl.  So  bildet,  wie  wir  gesehen  haben,  in  den  Meditationes, 
wie  in  den  Liedern  Jacopone's  und  in  den  Mysterien ,  Maria  den 
eigentlichen  Mittelpunkt.  Erst  mit  dem  Eintreten  des  ewig  Weib- 
lichen erhält  aber  auch  die  Kunst  ihr  höchstes  Ideal.  Durch  Maria 
und  an  Maria  lernt  sie  den  Ausdruck  tiefster  Empfindung.  Maria 
ist  die  eigentliche  Hauptfigur,  die  Heilige  der  Renaissancekunst. 
Als  sie  ihr  hehres  Werk  auf  Erden  vollbracht  hat,  schwingt  sie 
sich  aus  Raphael's  Bilde  von  San  Sisto  in  die  unendlichen  Höhen, 
in  die  fortan  der  Faustische  Mensch  emporstreben  muß,  sie  ahnend 
zu  schauen. 

Unzweifelhaft  ist  die  mächtigste  Anregung  zur  künstlerischen 
Verherrlichung  der  Maria  von  den  Franziskanern  ausgegangen,  darf 
man  dabei  auch  nicht  vergessen,  daß  auch  die  anderen  Orden,  wie 
die  Serviten,  die  Dominikaner,  deren  Bestrebungen  ja  vielfach  mit 
denen  der  Minoriten  parallel  gehen,  viel  zu  ihr  beigetragen  haben. ^) 

Eine  allgemeine  Verbreitung  der  Marienbilder  tritt  im  Laufe 
der  zweiten  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  ein,  und  eben  zu  der  Zeit 
beginnt  man  die  Kirchen  mit  zyklischen  Darstellungen  der  Marien- 
legende zu  schmücken,  die  bisher  nur  ausnahmsweise  in  miniirten 
Codices,  z.  B.  in  der  ersten  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  als  Illu- 
stration von  Werinhers'  von  Tegernsee  ,Gedicht  vom  Leben  der 
Maria'  nachweisbar  sind.  Neben  den  italienischen  Franziskaner- 
dichtungen und  Kompilationen,  wie  der  ,Legenda  aurea'  des  Jacobus 
a  Voragine,  entstehen  eine  Reihe  von  deutschen  Gedichten,  so  die 
vom  Ritter  Konrad  von  Fußesbrunn,  von  Philipp  dem  Karthäuser 
und  andere-),  die  aber  für  unsere  Zwecke  weniger  in  Betracht 
kommen.     Zweierlei  Auffassungen   der  Jungfrau   sind  für  die  Dich- 


^)  So  beschlossen  die  Serviten  1233,  daß  ihre  heiligen  Gebäude  mit  einem  Bilde 
der  Maria  versehen  werden  sollten.  Archangelo  Gianio :  Annales  Ord.  Servorum  B.  M. 
V.  T.  I.     Lib,   I,  7,  S.  23.     Vergl.  Kugler:  Kleine  Schriften.     I,  S.  32,  A.  i. 

2)  Vergl.  darüber  Schultz.     Legende  der  Maria,  S.  6. 


C02        Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

tung  und  Predigt,  in  nächster  Folge  für  die  Kunst  des  XIII.  und 
XIV.  Jahrhunderts  charakteristisch :  einmal  erscheint  sie  als  die 
irdische  Mutter  Jesu ,  die  alle  menschlichen  Freuden  und  Leiden 
durchmacht,  das  andere  Mal  als  Fürstin  des  Himmels,  die,  von 
Christus  selbst  gekrönt,  herrschend  an  seiner  Seite  thront.  Zu 
weit  würde  es  führen,  wollten  wir  auch  die  Darstellungen  ihrer 
Legende  selbst  hier  einzeln  betrachten,  nur  die  Entwicklung 
der  Marienbilder  und  einiges  sonst  Wichtige  möge  kurz  erörtert 
werden. 

I,  Die  Darstellungen  der  Maria  mit  dem  Kinde. 
In  der  älteren  Kunst  war  Maria  entweder  allein,  mit  betend  erhobenen 
Armen  stehend  dargestellt  worden  oder  steif  en  face  sitzend,  das 
ebenso  sitzende,  segnende  und  herausschauende  bekleidete  Kind 
auf  dem  Schooße  tragend ,  ohne  es  zu  halten :  die  willen  -  und 
gefühllose  Gottesträgerin.  Erst  in  der  ersten  Hälfte  des  XIII.  Jahr- 
hunderts macht  sich  eine  leise  Veränderung  darin  geltend,  daß  sie 
nun  das  segnende,  halb  nach  links  gewandte  Kind  auf  dem  Schooße 
oder  dem  linken  Arme  hält,  selbst  den  Kopf  halb  nach  rechts  dreht 
und  mit  der  rechten  Hand  eine  steife  Bewegung  macht,  als  wolle 
sie  auf  Christus  hinweisen,  i)  Dieser  Typus  wird  zum  Ausgangs- 
punkte für  eine  Reihe  bedeutender  toskanischer  Werke,  in  denen 
die  neue  menschliche  Auffassung  zuerst  Ausdruck  gewinnt.  Man 
bezeichnet  dieselben  wohl  am  kürzesten  als  die  thronenden 
Madonnen.^)  Maria,  eine  mächtige  Erscheinung,  den  Mantel  über 
den  Kopf  gezogen,  halb  nach  rechts  gewandt,  sitzt  in  ganzer  Figur 
sichtbar  auf  hohem ,  reichverziertem  Thron  mit  hoher  Lehne.  Ihr 
Kopf  ist  etwas  nach  rechts  gewandt  und  gesenkt,  mit  der  Linken 
hält  sie  das  nach  halblinks  gewandt  sitzende  bekleidete,  segnende 
Kind.  Hinter  dem  Thron  oder  zu  dessen  Seiten  knieen  oder  stehen 
meist  Engel.  Innerhalb  dieses  allen  gemeinsamen  Schemas  aber 
macht  sich  eine  Entwicklung  nach  belebterer  natürlicher  Dar- 
stellung geltend.  Auf  den  nach  meinem  Dafürhalten  ältesten  Bildern, 
nämlich  dem   122 1  von  Guido  da  Siena  gemalten  von  S.  Domenico 


^)  Vergl.  z.  B.  Fresko  des  Conxolus  im  Sacro  Speco  zu  Subiaco  (d'Agincourt. 
100.  Fig.  I.).  —  Griech.  Mad.  ebendas.  T.  87.  —  Madonna  im  Dom  von  Siena. 

^)  S.  Ausführliches  über  die  Entwicklung  dieser  Darstellung  in  meinen  „Studien 
zur  Geschichte  der  ital.  Kunst  im  XIII.  und  XIV.  Jahrh.  im  Rep.  für  Kunstw."  1890. 
Bd.  xm,  S.  Iff. 


Die  Mariendarstellungen.  503 


zu  Siena^),  den  ihm  gleichfalls  zugeschriebenen  in  der  Akademie 
daselbst,  der  ehemals  in  S.  Francesco  befindlichen  Madonna  des 
Margaritone  in  der  Pinakothek  zu  Arezzo^),  dem  frühen  Bilde  Cima- 
bue's  in  der  Florentiner  Akademie^)  und  dessen  übermalter  Ma- 
donna in  S.  Chiara  zu  Assisi,  bewegt  Maria  in  der  älteren  Weise 
die  rechte  Hand,  als  wiese  sie  auf  das  Kind  hin/)  Auf  seinen 
späteren  Bildern,  dem  aus  S.  Francesco  zu  Pisa  stammenden  in 
Paris  *),  dem  in  S.  Maria  novella  *)  (womit  das  ehemals  in  S.  Croce, 
jetzt  in  der  Nationalgallerie  zu  London  befindliche  zu  vergleichen  ist) 
läßt  Cimabue  Maria  mit  der  Rechten  das  rechte  Bein  Christi  halten, 
der  hier  auch  schon  natürlicher  mit  etwas  eingezogenem  linken  Bein 
sitzt  und  auch  nicht  mehr  die  Rolle  hält,  die  übrigens  auch  Guido 
von  Siena  bereits  weggelassen  hatte.')  Eine  weitere  Stufe  bezeichnet 
Cimabue's  Fresko  in  der  Unterkirche  zu  Assisi.^)  Das  viel  leben- 
diger blickende  Kind  faßt  mit  der  Hand  die  Linke  der  Mutter  und 
setzt  den  rechten  Fuß  in  ihre  Rechte,  welches  Motiv  auch  die  dem 
Coppo  di  Marcovaldo  in  den  Servi  zu  Siena  zugeschriebene  Dar- 
stellung aufweist.**)  Auf  dem  Bilde  in  der  Kirche  der  Servi  in 
Bologna  hat  es  sich  sogar  erhoben  und  faßt,  während  es  den 
rechten  Fuß  in  Maria's  Hand  setzt,  mit  der  Rechten  deren  Mantel 
am  Halse.  ^*^)  Aehnlich  zeigt  das  Bild  in  Orsanmichele  in  Florenz, 
das  offenbar  eine  von  Lorenzo  Monaco  gefertigte  Kopie  des 
ehemals  daselbst  befindlichen  von  Bernardo  Daddi  ist,  wie  das 
Kind    lebhaft    bewegt    mit    der    Rechten    den    Mantel    der   Mutter 


^)  Jetzt  im  Palazzo  publico.  Der  Versuch ,  die  Jahreszahl  als  1281  zu  lesen,  ist 
mißglückt.  Man  hat  nicht  beachtet,  daß  das  Bild  um  1300  und  zwar  vermuthlich  von 
Duccio  übermalt  worden  ist.    Abb.  d'Agincourt  Taf.  107.  —  Rosini  T.  IV.Crowe  I,  S.  15a 

2)  Phot.  Alinari. 

3)  Phot.  Alinari. 

*)  Den  Typus  zeigt  auch  die  bei  Rosini  abgeb.  Madonna  in  der  Opera  zu  Pisa. 
—  Vergl.  auch  die  Madonna  des  Montano  d'Arezzo  (?)  in  Montevergine  bei  Avellino. 
Crowe  u.  Cav.  D.  A.  I,  S.  159. 

«)  Phot.  Braun. 

")  In  allen  Handbüchern  der  Kunstgeschichte  abgebildet. 

')  Dieser  Stufe  gehört  auch  die  Mad.  Deodati  Orlandi's  in  der  Ak.  zu  Lucca  an. 
Das  Kind  hält  hier  die  Rolle.     Brustbild. 

8)  Phot.  Lunghi   19.     S.  Abb.  33. 

»)  Vom  Jahre  1261.  Vergl.  Crowe  u.  Cav.  D.  A.  I,  S.  165.  Vasari  I,  S.  206. 
Rosini  Taf.  VI. 

10)  Phot.  Alinari. 


C04       ^is  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

faßt.  ^)  Auf  Duccio's  Dombild  in  Siena  sitzt  es  zwar  ruhiger,  aber 
Maria  senkt  zärtlicher,  tiefer  das  Haupt. ^)  Fehlen  die  Engel  auf 
Guido's  Bilde  in  der  Akademie  und  bei  Margaritone  gänzlich,  so  er- 
scheinen sie  in  kleinen  Figuren  zu  je  drei  angeordnet  über  dem 
Rahmen  des  Guido  in  S.  Domenico,  schweben  ganz  unvermittelt,  nur 
zwei  an  der  Zahl,  auf  dem  Coppo'schen  Bilde,  stehen  zu  je  vier  auf 
dem  von  Cimabue  in  der  Akademie,  zu  je  drei  auf  dem  in  Paris  zu 
Seiten  des  Thrones,  denselben  haltend,  und  knieen  zu  je  drei  auf 
dem  in  S.  Maria  novella  und  in  Orsanmichele.  In  Assisi  sind  sie 
bedeutend  größer  geworden  und  nur  vier  im  Ganzen.  Bei  Duccio 
schauen  je  zwei  theilnahmsvoll  belebt  über  die  Lehne,  den  gleichen 
Platz  nehmen  zwei  auf  dem  Bilde  in  Bologna  ein.  —  Der  Kom- 
position nach  entspricht  diesem  alten  Typus  der  toskanischen 
Madonnen  das  Mosaik  in  Crisogono  zu  Rom  und  das  kleine  Fresko 
in  S.  Maria  in  Trastevere,  obgleich  die  Haltung  der  Figuren  hier 
viel  steifer,  alterthümlicher  ist  und  die  Verhältnisse  schlanker 
gehalten  sind. 

Eine  neue  Reihe  von  Marienbildern,  denen  in  mancher 
Beziehung  Madonnenstatuen  des  Niccolö,  namentlich  aber  des  Gio- 
vanni Pisano  vorangehen,  die  eine  größere  Natürlichkeit,  eine  innigere 
menschliche  Beziehung  zwischen  Mutter  und  Kind  in  dem  gegen- 
seitigen sich  Anschauen  zeigen,  beginnt  mit  Giotto.  Selbst  in  Dessen 
alterthümlichem  Bilde  der  Akademie  zu  Florenz,  auf  dem  die  ruhige 
Haltung  der  Maria,  welche  mit  beiden  Händen  das  sitzende  seg- 
nende Christkind  hält,  noch  an  Cimabue's  mittleren  Stil  erinnert, 
findet  sich,  abgesehen  von  der  naturwahreren  Zeichnung,  manches 
Neue :  so  hat  der  Thron  hier  eine  gothische  Form  mit  Spitzgiebel, 
Maria  ist  nicht  mehr  so  geneigt,  sondern  fast  aufrecht.  Die  Engel 
zu  Seiten  des  Thrones,  unter  denen  Heilige  erscheinen,  sind  per- 
spektivisch in  drei  Reihen  angeordnet,  zwei  Engel  knieen,  Vasen 
mit  Blumen  haltend ,  vorn.  Die  Wandlung  ist  etwa  dieselbe ,  die 
sich  in  dem  Kruzifixus  geltend  macht :  die  geschwungene  Haltung 
Maria's    sowohl    wie   Christi,    die    doch   ihrerseits    einen  Fortschritt 


^)  Nach  Vasari  (I,  S.  455)  war  hier  ein  Bild  von  Ugolino.  Milanesi  Comm,  S.  463 
bringt  die  Rechnungen  und  Belege  für  ein  Bild  des  Bemardo  Daddi  von  1346  und 
I347'  Ich  kann  hier  nur  die  Hand  Lorenzo  Monaco's  erkennen.  Daddi  mag  Ugolino 
kopirt  haben  und  Lorenzo  wieder  Daddi.  Die  Komposition  weist  auf  etwa  1300  hin, 
der  Vogel  in  Christi  Hand  ist  Zuthat  eines  der  beiden  Kopisten. 

-)  Dohme:  K.  u.  K.  III,  Dobbert:  Duccio  S.  9. 


Die  Mariendarstellungen.  cqc 


zu  Leben  und  Natur  bezeichnete,  weicht  der  geraden  und  zugleich 
wird  die  Lebenswahrheit  gesteigert.  Entschiedenen  Fortschritt 
bezeichnet  die  Halbfigur  der  Madonna  in  der  Oberkirche  zu  Assisi, 
und  zwar  ist  das  Wesentliche  hier,  daß  der  kühne  Versuch  gemacht 
wird,  das  Christkind  im  Profil  mit  lebhaftem  Ausdruck  die  Mutter 
ansehen  zu  lassen,  die  ihrerseits  es  ruhig  auf  ihren  beiden  Händen 
hält  und  fast  aufrechten  Kopfes  herausschaut.^)  (Abb.  70.)  Auch 
trägt  Maria  hier  zum  ersten  Male  ein  loses  Kopftuch.  Natürlicher  be- 
wegt noch  erscheint  das  in  ein  Tuch  gewickelte  Kind,  das  einen 
Finger  in  den  Mund  steckt,  auf  dem  Bilde  der  Sakristei  in  S.  Peter 
zu  Rom.  An  das  Gemälde  in  Bologna  erinnert  Giotto's  ehemals  eben- 
daselbst, jetzt  in  Bolognas  Pinakothek  befindUche  Madonna.  Hier 
erhebt  sich  Christus  etwas,  setzt  den  einen  Fuß  auf  ihre  rechte  Hand, 
hält  sich  vorn  am  Gewände  fest  und  greift  mit  der  Rechten  nach 
ihrem  Gesichte.  Man  sieht:  von  Bild  zu  Bild  wird  die  Beziehung 
zwischen  Mutter  und  Kind,  die  Bewegung  des  Kindes  lebendiger.^) 
Zwei  andere  Bilder,  das  eine  im  Besitze  von  Mr.  Murray  in  London, 
das  andere  ein  fünftheiliges  Altarbild  in  der  Sakristei  von  S.  Croce 
bezeichnen  etwa  dieselbe  Stufe.  Ist  das  erste,  das  höchst  interessante 
Werk  eines  Malers  um  1300  auch  etwas  alterthümlicher ,  so  zeigt 
es  doch  das  Christkind  in  gleicher  Weise  bewegt,  wie  das  andere. 
Jesus,  auf  der  linken  Hand  der  Maria  sitzend,  faßt  mit  der  Rechten 
vorn  ihren  Mantel,  mit  der  Linken  ihre  rechte  Hand.*)  Dieselbe 
Phase  auch  bezeichnen  die,  wie  mir  dünkt,  unter  Giotto's  Einfluß 
entstandenen  Madonnen  der  Cosmaten  in  S.  Maria  in  Araceli, 
S.  Maria  in  Trastevere  und  S.  Maria  maggiore  in  Rom.*) 

Im  Allgemeinen  läßt  sich  sagen,  daß  die  Schule  Giotto's  im 
Laufe  des  XIV.  Jahrhunderts  das  zärtliche  Verhältniß  der  Mutter 
zum  Kinde  nicht  gerade  in  besonders  neuer  Weise  zu  schildern 
versucht,  machen  sich  auch  Fortschritte  bemerkbar.  Taddeo  Gaddi 
zuerst,  dessen  Bild  in  Berlin  noch  eine  Giotto's  Bilde  in  Assisi 
verwandte  Auffassung  zeigt,  läßt  auf  seinen  Gemälden  in  S.  Felicitä 


^)  Phot.  Alinari.  Daß  das  Kind  die  Mutter  vom  am  Gewände  faßt,  ist  gleich- 
falls wohl  ein  neuer  Gedanke  Giotto's. 

^)  Maria  hat  ein  weißes,  um  das  Kinn  gebundenes  Kopftuch.  Dies  entlehnte  der 
Bolognese  Vitalis  in  seinem  Bilde  von   1345. 

ä)  Stilistisch,  in  der  Zeichnung,  erinnert  es  sehr  an  Giotto's  Madonna  in  der  Ober- 
kirche zu  Assisi,  ist  aber  etwas  später  entstanden. 

*)  Die  letzte  abgeb.  bei  Cicognara:  Storia  della  scultura.  Venedig  1816.    I,  Taf.  20. 


co6       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

zu  Florenz,  in  S.  Giovanni  zu  Pistoja  und  in  S.  Pietro  a  Megognano 
bei  Poggibonsi  das  Kind  mit  einem  Vogel  spielen,  ein  Motiv, 
das,  fast  zu  gleicher  Zeit  von  Pietro  Lorenzetti  (Bild  in  der  Aka- 
demie zu  Siena),  von  Nino  Pisano  in  den  ihm  zugeschriebenen  Statuen 
in  S.  Maria  novella  und  im  Museum  zu  Arezzo,  dann  von  Stefano 
Florentino  (?)  und  Agnolo  Gaddi  gebracht,  bald  sehr  beliebt  wird.^) 
Jener  Stefano  aber  hat  in  dem  jetzt  zerstörten  kleinen  Tabernakel 
beim  Ponte  alla  Carraja  in  Florenz  nach  Vasari's  Beschreibung  eine 
eigenthümliche,  sonst  im  XIV.  Jahrhundert  gar  nicht  wiederkehrende 
Komposition  gegeben :  der  nähenden  Maria  reicht  der  bekleidet 
sitzende  Christusknabe  einen  Vogel.  Eine  von  Rosini  nach  einem 
Bilde  im  Privatbesitz  zu  Pisa  gegebene  Abbildung  zeigt  eine  ganz 
übereinstimmende  Darstellung:  Christus  sitzt  links  auf  niedrigem 
Schemel  neben  Maria,  die  sich  eben  im  Nähen  eines  Röckchens 
unterbricht,  und  reicht  ihr  den  Vogel  und  Kirschen.  Oben  fliegen 
zwei  anbetende  Engel. ^)  Einen  Fortschritt  und  originelle  Auf- 
fassung bezeichnen  einige  Giovanni  da  Milano  zugeschriebene  Bilder, 
welche,  die  einzigen  Beispiele  des  XIV.  Jahrhunderts,  das  Kind  halb- 
nackt (nur  von  einem  Tuche  bekleidet)  und  besonders  lebendig  be- 
wegt darstellen.  Auf  der  Lunette  von  S.  Niccolö  in  Prato  steckt  es 
nach  Kinderart  den  Finger  in  den  Mund.^)  Eine  Blume  hält  es  auf 
dem  Altarbild  Bernardo  Daddi's  in  der  Akademie  zu  Florenz.  Da- 
neben findet  sich  wohl  auch  ein  Zettel  in  seiner  Hand.*)  Das 
Altarwerk  eines  Giovanni  da  Rimini  von  1345  in  der  Gallerie  zu 
Urbino  zeigt  es  im  Begriffe,  der  Mutter  auf  den  Schooß  zu  klettern. 
Sehen  wir  also  auch  in  Florenz  ein  entschiedenes  Streben  nach 
Natur  und  Wahrheit,  so  hat  doch  gleichzeitig  die  sienesische  Malerei 


^)  Stefano:  Rosini  Bd.  II,  127.  —  Bernardo  Daddi:  Großes  Altarbild  in  der 
Akademie,  Florenz.  Phot.  Brogi.  —  Agnolo  Gaddi:  S.  Spirito,  Florenz.  Rosini 
II,  166.  —  Ders.  ebendas. :  Maria  mit  Kind,  Giotto  zugeschrieben.  Alinari.  — Vergl. 
auch  Lippo  Dalmasio.  Bologna,  S.  Domenico.  —  Giovanni  da  Pisa.  Rosini  Taf.  XII.  — 
Spinello:  Akademie,  Florenz  u.  a.  mehr.     Später  namentlich  in  der  umbrischen  Schule. 

^)  Vasari  I,  451.  —  Rosini  II,  12.  Diese  Kopie  (?)  stammt  der  Zeichnung  nach 
aus  dem  XV.  Jahrhundert.     Bild  in  Prato,  Gallerie  Nr.  18.     Phot.  Alinari. 

^)  Phot.  Alinari.  —  Vergl.  auch  Bild  im  Klosterhofe  von  S.  Maria  del  Carmine 
in  Florenz.     Hier  streckt  Christus  sehnend  beide  Händchen  nach  der  Mutter  aus. 

*)  Bild  im  Klosterhofe  von  S.  Maria  novella ,  das  Crowe  dem  Gaddi ,  ich  aber 
Giottino  (Meister  der  Silvesterkapelle  in  S.  Croce)  geben  möchte.  Phot.  Alinari.  — 
Altarbild  in  Sakristeikapelle  von  S.  Croce,  wo  über  Maria  die  acht  kleinen  Figuren  der 
Tugenden  fliegen.     Phot.  Alinari. 


Die  Mariendarstellungen.  507 


viel  entschiedener  und  freier  die  Anschauung  der  Zeit  zum  Aus- 
druck gebracht.  Auf  der  einen  Seite  feiert  sie  in  mächtigen, 
figurenreichen  Kompositionen  die  Madonna  als  Königin  des 
Himmels  inmitten  eines  großen  Hofstaates,  auf  der  andern  Seite 
als  zärtliche  Mutter,  die  für  Nichts  Blick  hat  als  für  ihren  zarten 
Knaben.  Duccio  mit  seiner  großen  Maestä  im  Dome  gab  das 
eine  Vorbild :  da  schaarten  sich  in  Doppelreihen  von  je  sechs  die 
Heiligen  um  den  von  Engeln  umgebenen  Thron.  Weiter  wird 
dann  von  Simone  Martini  und  von  Lippo  Memmi  in  den  Palazzi 
publici  zu  Siena  und  S.  Gimignano  die  Komposition  ausgebildet. 
Auf  zierlich  reichem  gothischen  Throne  unter  einem  weitaus- 
gespannten, von  acht  die  Stelle  von  Edelknaben  vertretenden  Engeln 
oder  Heiligen  gehaltenen  Baldachin  sitzt  Maria,  mit  der  Krone 
geschmückt ,  in  kostbarem  Brokatgewande :  in  Siena  weicher  und 
empfindungsvoller  das  Haupt  etwas  zu  Christus  neigend,  bei  Lippo 
Memmi  steif  und  feierlich  en  face.^)  Mit  der  Linken  hält  sie  das 
bekleidete  Kind  stehend  auf  ihren  Knieen.  Es  setzt  ,ganz  en  face' 
den  rechten  Fuß  auf  ihre  Hand,  segnet  mit  der  Rechten  und  hält 
in  der  Linken  einen  Zettel.  Zwei  Engel  stehen  mit  gekreuzten 
Armen  zur  Seite  und  schauen  es  an ;  in  Siena  sieht  man  außerdem, 
wie  auf  Giotto's  Bilde  in  der  Akademie,  vorn  zwei  andere  knieen, 
welche  Schalen  mit  Blumen  hochhalten.  Links  und  rechts  aber 
stehen  in  langer  Reihe  Heilige  und  hinter  ihnen  Engel.  Man  könnte 
glauben,  einer  feierlich  abgemessenen  höfischen  Zeremonie  beizu- 
wohnen —  so  dachte  sich  etwa  Berthold  von  Regensburg  den 
Himmelshof!  Recht  als  Königin  spricht  auch  in  der  Inschrift  Maria 
zu  der  Versammlung. 

Aehnliche  Auffassung  zeigen  die  verschiedenen  Statuen,  welche 
Niccolo  Pisano  und  seine  Schule  geschaffen.  Von  Sternen,  dem 
Monde  und  Himmelsglorie  umgeben  hat  sie,  so  viel  ich  weiß, 
zuerst  Lippo  Dalmasio  auf  einem  Bilde  in  London  (Nat.  Gall.  152) 
dargestellt,  etwa  gleichzeitig  auch  jener  Maler,  der  das  Altarbild 
der  Kapelle  Rinuccini  in  S.  Croce  gemalt.  Letzterer,  der,  offenbar 
ein  schwächerer  Meister  als  Giovanni  di  Milano,  der  Nachfolger 
Desselben  in  der  Ausschmückung  der  Kapelle  wird,  umgiebt  die 
Madonna   mit  Sternen   und   läßt   ihre  Füße    auf  dem  Mond  ruhen. 


^)  Phot.  Lombardi.     Abb.  bei  Lübke,    Gesch.  der  it.  M.  I,   171.     Mitteltheil  des 
Bildes  in  Siena  bei  Dobbert  in  Dohme  K.  u.  K.  III,  S.  25. 


co8        Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

ein  Motiv,  das  erst  über  ein  Jahrhundert  später  zumeist  in  Deutsch- 
land beliebt  wird.  Diese  Darstellungen  bleiben  aber  ganz  ver- 
einzelt —  erst  am  Ende  des  Quattrocento  beginnen  Künstler  in 
NorditaHen  (Mantegna,  Giovanni  Bellini  und  Schüler)  die  Madonna 
in  den  Wolken  häufiger  zu  malen  an. 

Neben  jenen  drei  großen  sienesischen  Bildern  sind  uns  eine 
Reihe  von  Werken  aus  dem  Anfange  des  XIV.  Jahrhunderts  erhalten, 
welche  mehrfach,  meist  fünfgetheilt  in  der  Mitte  die  Mutter 
Gottes ,  zu  '  den  Seiten  Heilige  in  halben  Figuren  darstellen.  Ge- 
meinsam ist  den  Madonnen  die  weiche ,  empfindungsvolle  Neigung 
des  Hauptes  und  das  häufig  schleierartige  Kopftuch  unter  dem 
Mantel.  Halb  nach  rechts  gewandt  halten  sie  mit  beiden  Händen 
das  häufig  halbnackte,  bloß  in  ein  Tuch  gehüllte  sitzende  Christ- 
kind ,  das  die  Enden  seines  Gewandes  aufrafft  ^)  oder  den  Schleier 
der  Mutter  an  sich  zieht  ^)  oder  wohl  auch  Blumen  hält.^)  An 
solche  früheren  Werke  lehnt  sich  auch  Pietro  Lorenzetti  in  seinem 
Bilde  zu  Arezzo  *)  an ,  während  er  auf  anderen ,  wie  denen  zu 
S.  Ansano  bei  Siena,  in  Cortona  und  in  den  Offizien  das  Allgemeine 
der  Komposition,  den  Thron  und  die  nebenstehenden  Engel  jenen 
älteren  Cimabue'schen  Werken  nachbildet.^)  Der  Fortschritt  zeigt 
sich  bei  ihm  darin,  daß  er,  wie  Giotto,  das  Kind  die  Mutter  ansehen 
läßt;  in  Florenz  faßt  es  dieselbe  am  Kinn^),  in  S.  Ansano  wendet 
es  sich  wie  erstaunt  zum  h.  Antonius. 

Aber  über  diese  Stufe  geht  Ambrogio  Lorenzetti  weit  hinaus. 
Was  die  Franziskanerdichter  mit  den  zartesten  Worten  gepriesen, 
das  höchste  Mutterglück,  wagte  er  mit  seinem  Pinsel  zu  verbild- 
lichen. Für  die  Franziskanerkirche  in  Siena  hat  er  Maria  gemalt,  wie 
sie  dem  auf  ihren  Händen  ruhenden,  von  weißem  Tuche  wenig  um- 
hüllten, kräftigen  Kinde  die  Nahrung  reicht.  (Abb.  71.)  Mit  liebenden 
Augen   sieht   sie   es   an,    recht   wohlgemuth   wendet  Jesus  in  fröh- 


^)  Duccio's  Richtung :  Siena,  Akad.  23. 

2)  Altarbild  des  Ugolino?  Sakristei  S.  Croce.  Nr.  6.  Alinari  10859.  —  Segna: 
Castiglione  Fiorentino.  —  Im  Stile  des  Segna:  Prato,  S.  Francesco.  Alinari  11 539.  — 
P.  Lorenzetti:  Cittä  di  Castello,  Gallerie. 

^)  Duccio's  Richtung :  Siena,  Akad.  —  Simone  Martini :  Siena,  Ak. 

^)  Pieve.  Phot.  Alinari. 

^)  Cortona,  Kathedrale.  Phot.  Alinari.  —  Uffizien,  Phot.  Alinari. 

^)  So  auch  bei  Simone  Martini :  Orvieto ,  Domopera.  —  Bamaba  da  Modena : 
Modena,  Gall. 


Die  Mariendarstellungen.  509 


lichem  Behagen  von  der  Mutterbrust  weg  den  Blick  aut  den  Be- 
schauer und  stemmt  die  Beinchen  gegen  der  Mutter  Arm.  Natür- 
lichkeit oder  Empfindung,  man  weiß  nicht,  was  man  mehr  an  diesem 
Bilde  bewundern  soll !  Diese  Maria  lebte  zu  den  Zeiten  Ambrogio's 
in  Siena.     Hat   er   auch   die  folgenden  Verse  Jacopone's   gekannt.'' 

Maria,  o  wie  ward  Dir, 
Als  Du  ihn  so  erseh'n. 
Mußtest  versengt  Du  da  nicht 
Vor  Liebe  ganz  vergeh'n? 

Hast  Du  verzehrt  Dich  selbst  nicht. 
Wenn  Du  ihn  still  beschaut, 
In  seinem  Fleisch  verhüllet 
Die  Gottheit  selbst  erschaut? 

Wenn  an  der  Brust  er  saugte, 
Welche  Lieb'  that  er  Dir  an.!" 
Das  Unermeßliche  konnte 
Die  Milch  von  Dir  empfahn  ? 

Wenn  Du  die  Brust  ihm  reichtest, 
Und  mit  ihm  scherztest  froh: 
Wurd'st  Du  nicht  ganz  verzehret 
Von  solcher  Liebesloh?*) 

Das  Motiv  selbst  war  nicht  ganz  neu.  An  der  Fassade  von 
S.  Maria  in  Trastevere,  an  den  Bronzethüren  von  Ravello  war  es 
im  XII.  Jahrhundert  schon  behandelt  worden,  aber  erst  in  dem  uns 
beschäftigenden  Zeitraum  seit  der  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  ge- 
winnt es  größere  Verbreitung.  Eben  um  dieselbe  Zeit  wie  Ambro- 
gio's Bild  mag  das  kleine  Bild  Lippo  Memmi's  in  Berlin  entstanden 
sein.  ^)  Bald  nachher  tauchte  die  Darstellung  der  Madonna  del 
Latte  auch  anderwärts  auf  Nino  Pisano  stellt  sie  in  einer  Statue 
für  S.  Maria  della  Spina  in  Pisa  dar ,  Lippo  Dalmasio  auf  einem 
Bilde  im  Collegio  di  Spagna  und  einem  andern  bei  Rosini  ab- 
gebildeten, Barnaba  da  Modena  auf  einem  Bilde  in  Ripoli  und  auf 
dem  in  S.  Francesco  zu  Pisa  befindlichen,  Fra  Paolo  auf  dem  Ge- 
mälde der  Gallerie  zu  Modena,  ein  dem  Altichieri  verwandter  Meister 
in   den  Eremitani   zu  Padua,    Spinello   Aretino    in  S.  Bernardo    zu 


'■)  III,  6.     O  vergin  piü  che  femina.   Str.   25  —  28. 

^)  Gallerie   N.   1072.     Von   ihm    auch   das   gleiche   Motiv   in   S.  Agostino   zu   S. 
Gimignano. 


CIO       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

Arezzo,  ein  Zeitgenosse  von  ihm  in  einer  Terracotta  über  dem  Seiten- 
portal des  Domes  ebendaselbst,  i) 

Aber  Ambrogio  hat  der  sienesischen  Schule  auch  ein  anderes 
schönes  Vorbild  in  einem  Gemälde  der  Akademie  hinterlassen,  auf 
dem  sich  Christus  innig  Wange  an  Wange  an  die  Mutter  schmiegt 
und  sie  umhalst  ^),  ein  Motiv,  das  überraschender  Weise  schon  auf 
dem  sehr  mit  Unrecht  unbeachteten  Diptychon  des  Berlinghieri  in 
der  Akademie  zu  Florenz  erscheint.  Solche  zarte ,  weiche  Em- 
pfindung entsprach  der  sienesischen  Gemüthsart  mehr  als  der  floren- 
tinischen.  Aber  Siena  gab  sein  Bestes  schon  im  XIV.  Jahrhundert 
und  verharrte  nun  in  der  Folgezeit  bei  den  altgewohnten  Motiven, 
während  in  Florenz  seit  dem  Beginn  des  Quattrocento  mit  der 
Kunst  im  Allgemeinen  auch  das  Madonnenbild  sich  mehr  und  mehr 
vervollkommnet.  Damals  nämlich  fängt  man  an,  Christus  ganz  nackt 
darzustellen  und  findet  neue  Ausdrucksweisen  für  das  Verhältniß 
zwischen  Mutter  und  Kind.  Mit  Gentile  da  Fabriano  und  dessen 
kleinem  Bilde  in  der  Casa  della  pia  misericordia  in  Pisa  beginnt, 
wie  Hettner  bemerkt  hat,  jene  Darstellung  von  der  ihr  Kind 
anbetenden  Mutter,  die  gleichzeitig  in  Norditalien  von  Jaco- 
bello  del  Fiore  (wohl  unter  dem  Einfluß  Gentile's)  gebracht  wird  ^), 
in  der  umbrischen  Schule  in  den  Werken  Piero's  della  Francesca, 
Fiorenzo's  di  Lorenzo,  Pinturichio's  und  Perugino's  so  häufig  wieder- 
kehrt und  durch  Baldovinetti ,  Luca  della  Robbia  u.  A.  in  Florenz 
eingebürgert  wird.  Filippo  Lippi  gesellt  der  Gruppe  den  kleinen 
Johannes  zu ,  und  so  kommt  die  Zeit  heran ,  in  der  Raphael  seine 
ewig  jungen  Madonnen  malt.  So  unendlich  erhaben  an  Schönheit 
und  Formvollendung  dieselben  über  die  oben  betrachteten  alten 
Bilder  sind  —  in  Einem  stimmen  sie  mit  jenen  überein:  in  der  Em- 
pfindung !  Dasselbe  Ideal,  das  Ambrogio  Lorenzetti  vorschwebt,  das 
Ideal  jener  alten  Franziskanerdichter,  ist  das  Ideal  Raphael's  in 
seiner  Jugendzeit.  Zu  Raphael's  Madonnen  del  Granduca  und  di 
Casa  Tempi,  paßt  ebensowohl  wie  zu  Ambrogio's  Bildern,  was  die 
Meditationes  in  einfach  herrlichen  Worten  sagen: 


1)  Nlno.  Abb.  Cicognara  I,  12.  —  Lippo  (i)  Phot.  Alinari  10561.  (2)  Rosini  I, 
S.  20.  —  Auf  die  späteren  Darstellungen  einzugehen,  würde  zu  weit  führen. 

*)  Phot.  Lombardi.  —  Das  gleiche  Motiv  auf  einem  vielleicht  älteren,  dem  Segna 
nahestehenden  Bilde  in  der  Akademie  zu  Lucca  und  auf  einem  späteren  in  Empoli's 
Kathedrale,  das  im  Geschmacke  des  Bartolo  di  Maestro  Fredi  ist. 

^)  Bilder  in  Bergamo:   GaU.  I,  21  und  Mailand:  Brera   166. 


Die  Mariendarstellungen.  511 


„O  Gott !  Mit  welcher  Unruhe  und  Sorgfalt  leitete  die  Mutter 
den  Knaben,  daß  er  des  Kleinsten  nicht  entbehrte.  Mit  welcher 
Ehrerbietung  und  Vorsicht  und  mit  welcher  Scheu  berührte  sie  ihn, 
den  sie  als  ihren  Gott  und  Herrn  erkannte,  hob  sie  ihn  knieend 
auf  und  legte  sie  ihn  in  die  Wiege.  Mit  welcher  Fröhlichkeit,  Ver- 
trauen und  mütterlicher  Würde  umarmte ,  küßte ,  drückte  sie  ihn 
süß  an  sich,  wie  freute  sie  sich  an  ihm,  der  ja  ihr  Sohn  war.  Wie 
oft  vertiefte  sie  sich  eifrig  in  den  Anblick  seines  Antlitzes,  jedes 
einzelnen  Theils  seines  heiligsten  Körpers  1  Wie  ernst  und  scham- 
haft umhüllte  sie  mit  Binden  die  zarten  Glieder !  Denn  wie  sie  über 
Alles  demüthig  war,  so  war  sie  auch  über  Alles  klug:  so  diente 
sie  ihm  emsig  im  Wachen  und  im  Schlafen,  als  er  ein  kleines  Kind 
noch  war  und  als  er  erwachsen.  Wie  gerne  nährte  sie  ihn !  Kaum 
konnte  es  geschehen,  ohne  daß  sie  beim  Nähren  eines  solchen 
Sohnes  eine  große,  anderen  Frauen  so  nicht  bekannte  Süßigkeit 
verspürte".  ^) 

Ueber  der  Mutter  aber  hat  dann  wieder  Raphael  ebensowenig, 
wie  seine  alten  Vorgänger ,  wie  Cimabue ,  Simone  Martini,  Giotto, 
die  Himmelsherrscherin  zu  feiern  vergessen.  Auch  ihm  hat  sie  sich 
in  aller  Herrlichkeit  auf  dem  Throne  gezeigt  —  bis  seinem  Blicke 
selbst  dieser,  bis  seinem  Geiste  Zeit  und  Raum  entschwand,  bis  die 
sixtinische  Madonna  ward ! 

2.  Die  Legende  der  Maria  und  sonstige  Marien- 
darstellungen. Es  war  nur  eine  natürliche  Folge  des  Auf- 
schwunges, welchen  der  Marienkultus  nahm,  daß  neben  den  Madon- 
nenbildern auch  der  Legende  der  Jungfrau  von  der  Kunst  eine 
besondere  Aufmerksamkeit  geschenkt  wurde,  und  die  Franziskaner 
scheinen  auch  hierfür  die  Anregung  gegeben  zu  haben.  Schuf  doch 
in  ihrem  Auftrag  Cimabue  im  Chor  von  S.  Francesco  zu  Assisi  den 
ersten  bedeutenden  Zyklus  der  letzten  Ereignisse  in  Maria's  Leben, 
wobei  er  sich  allerdings  für  einzelne  Darstellungen  an  ältere  Vor- 
bilder halten  konnte.  Giotto  erzählt  in  Padua  ihre  Jugendgeschichte, 
in  der  jetzt  übertünchten  Kapelle  der  Tosinghi  und  Spinelli  in 
S.  Croce  die  Hauptereignisse  ihres  Lebens  bis  zur  Himmelfahrt^), 
und  seinem  Beispiel  folgten  Taddeo  Gaddi  in  der  Baroncellikapelle, 
Giovanni  da  Milano  in  der  Rinuccinikapelle  zu  S.  Croce,    Giottino 


1)  Kap.  X,  S.  524. 

2)  Vasari  I,  374. 


e  1 2        Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

in  dem  ältesten  Chiostro  von  S.  Maria  novella.  Weiter  Orcagna 
mit  seinen  Reliefs  am  Hochaltar  zu  Orsanmichele,  und  zwar  schon 
im  XV.  Jahrhundert,  aber  stilistisch  fast  noch  ein  Trecentist,  schil- 
derte Taddeo  Bartoli  in  S.  Francesco  zu  Pisa  und  im  Palazzo  pu- 
blico  zu  Siena,  Ottaviano  Nelli  im  Rathshause  zu  Foligno  die  wich- 
tigsten Vorgänge. 

Auf  die  Entwicklung  der  einzelnen  Kompositionen  einzugehen, 
ist  hier  nicht  der  Platz,  nur  auf  zwei  Darstellungen  möge  kurz  hin- 
gewiesen werden:  die  Himmelfahrt  und  die  Krönung  Maria. 

Noch  Cimabue  hatte  die  erstere  in  der  Weise  dargestellt,  daß 
man  unten  um  das  offene  Grab  die  zwölf  Apostel  versammelt  sieht, 
dahinter  in  drei  steifen  Reihen  zahllose  Heilige ,  oben  aber  Maria, 
wie  sie  liebend  von  Christus  umfangen  neben  Diesem  in  einer  Man- 
dorla ,  die  von  vielen  Engeln  getragen  wird ,  gen  Himmel  fährt.  •^) 
Die  Schule  von  Siena  hat  daraus  eine  neue  herrliche  Komposition 
gemacht,  indem  sie  den  unteren  Theil  wegläßt  und  nur  den  Jubel 
der  himmlischen  Heerschaaren  schildert ,  welche  in  ihrer  Mitte  die 
Jungfrau,  in  einer  Glorie  sitzend,  gen  Himmel  tragen.  Die  ältesten 
Denkmale  dieser  Szene ,  die  bis  1 500  in  Siena  besonders  beliebt 
bleibt,  sind  der  reizende  Lippo  Memmi  in  der  Münchner  Pinakothek 
und  ein  vermuthlich  nicht  ihm,  sondern  Pietro  Lorenzetti  zu- 
zuschreibendes ähnliches  Bild  der  Akademie  zu  Siena.  Die  Dar- 
stellung Pietro's  in  der  Apsis  der  Pieve  von  Arezzo  kann  man  sich 
nur  aus  der  Beschreibung  Vasari's  (I,  474)  in  Gedanken  ähnlich 
rekonstruiren.  Sienesischen  Einfluß  verräth  auch  die  von  Vasari 
fälschlich  dem  Simone  Martini  zugeschriebene  Darstellung  im  Campo 
Santo  zu  Pisa,  die,  wie  ich  glaube,  von  Francesco  Traini  gemalt 
ist,  und  Orcagna's  Relief  in  Orsanmichele.*)  Das  Hauptmotiv 
bildet  immer  der  frohe  Festesreigen  der  singenden  und  musiziren- 
den  Engel ,  wie  er  von  Jacopone  in  einem  herrlichen  Liede  ge- 
schildert wird,  nur  daß  auf  den  Bildern  der  Augenblick  des  Em- 
porschwebens  zum  Himmel,  im  Gedichte  der  Eintritt  in  den  himm- 
lischen Hof  selbst  —  nicht  unähnlich  dem  Fresko  Cimabue's  — 
wiedergegeben  ist. 


^)  S.  S.  226.  Aehnlich  in  der  Komposition  (nur  die  Heiligen  sind  weggelassen), 
ist  das  alterthümliche,  aber  sicher  in  der  ersten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunders  entstandene 
Fresko  in  der  Unterkirche  in  Subiaco.     D'Agincourt  CXXVI,  4. 

^)  In  Siena  selbst  und  Umgebung  begegnet  man  häufig  solchen  Bildern. 


Die  Mariendarstellungen.  513 

Laßt  frohe  Lieder,  süße  Melodieen 
Uns  Alle  weihn  der  niederen  Maria. 

Maria  niedrig  hob  sich  in  den  Himmel, 
Ein  Fest  begehn  die  Engel  dort  im  Ew'gen, 
Sie  Alle  neigen  sich,  sie  Alle  eifern, 
Recht  höfisch  fein  die  Königin  zu  ehren. 

O  süße  Kön'gin,  heil'ge  Kaiserin, 

Du  einz'ge  unter  Frauen,  holder  Phönix, 

Laß  schmecken  mich  mit  Dir,  was  Du  genossen. 

So  wie  man  sagt,  als  auf  dem  Weg  Du  wärest. 

Als  Du  verlassen  diese  dunkle  Erde, 
Froh  Dir  entgegen  kam  der  große  König, 
Da  flohen  alle  Feinde  in  die  Tiefe, 
Da  sie  erfüllt  die  Prophezeiung  sahen. 

Getreue  Ihr  der  freudenreichen  Jungfrau, 
Eilt  schnell  dahin,  bevor  sie  noch  entschwunden. 
Und  kündet  es  den  reinen  Schaaren  droben. 
Daß  zu  Maria's  Preise  sie  sich  rüsten! 

Aufmerkend  steht  ein  Jeder,  heit'res  Lachen 
Bereit  auf  seinem  Antlitz,  schweigend  wartend. 
Doch  wie  Du  kommst,  ertönt  es:  Friede!  Friede! 
Maria  Dir,  Du  glücklich  sel'ge  Jungfrau. 

Die  heil'gen  Tugenden,  Erzengel,  Engel 

Als  erste  Schaaren  kommen  Dich  zu  grüßen,  * 

Demüthig  beugten  sie  vor  Dir  sich  Alle 

Und  riefen:  Heil  der  niederen  Maria! 

Die  Herrlichkeiten  und  die  sel'gen  Mächte, 
Die  Fürstenthümer  auch  im  Bund  der  Liebe, 
Wer  sie  umschlungen  alle  so  gesehen. 
Der  hörte  nimmer  auf,  zu  benedei'n  Dich! 

Die  Königin  geht  mitten  durch  die  Throne, 
Den  Cherubim  vorbei  eilt  die  Seraph'sche, 
Mit  all  der  Schaar  bringt  süße  Dankesworte 
Die  göttlich  hehre  Frau  dem  Weltenschöpfer. 

Ihr  Seraphim  versenkt  in  große  Liebe, 

Ihr  wandeltet  fiir  sie  die  süßen  Verse : 

Statt  Sanctus,  Sanctus  tönte  Sancta,  Sancta 

Von  Euren  Lippen  nach  dem  Wunsch  des  Herrn. 

Des  empire'schen  Himmels  weite  Straßen 
Durcheilte  Gabriel  entflammt  vom  Feuer, 
Der  sel'ge  Bote,  rief  zu  Dem  und  Jenem : 
Sie  ist's,  der  ich  die  hohe  Botschaft  brachte! 

Thode,  Frani  von  Assisi.  33 


CIA       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

Und  die  Propheten  frohes  Fest  begingen, 
Sie  kamen  jubelnd  Alle,  sie  zu  grüßen, 
Und  David  sang,  denn  vom  Gefängniß  hatte 
Sie  Alle  ja  befreit  die  reine  Jungfrau. 

Die  Patriarchen  festgeschlossen  standen 
In  Reih  und  Glied  geschaart  mit  ihrem  Banner, 
Und  als  den  großen  Lichtschein  sie  gewahrten. 
Verließ  ein  jeder  eilend  seinen  Posten. 

Von  allen  Chören  warst  Du  da  umgeben, 
Mit  süßem  Sang  erfaßt  und  aufgehoben. 
Und  an  die  Seite  Deines  Sohnes  setzten 
Sie  Dich  und  ehrten  Dich  als  ew'ge  Göttin. 

Maria  süße,  mildgesinnte,  fromme, 
Mit  Dank  verherrlicht  von  so  hehren  Schaaren, 
Wer  Dich  nicht  lobt,  der  hat  den  Weg  verloren, 
Zu  Psalmensang  nach  oben  zu  gelangen.^) 

Alle  Herrlichkeit  des  Himmels,  Gesang  und  Saitenspiel  der 
Engel,  ein  dichtes  Gedränge  der  Heiligen  umgiebt  aber  auch  die 
Krönung  der  Maria.  Das  arme  irdische  Weib  wird  zur  Herr- 
scherin des  Himmels  und  der  Würde  theilhaftig,  auf  gleichem  Throne 
mit  dem  Herrn  zu  sitzen.  Noch  auf  dem  Mosaik  in  S.  Maria  in 
Trastevere  erscheint  sie  ruhig  thronend  neben  dem  sie  umfassenden 
Christus,  pie  erste  Darstellung  der  Krönung  der  Maria  aber  ist 
Torriti's  Mosaik  in  S.  Maria  maggiore  vom  Jahre  1295.  Und 
gerade  dieses  Werk  verdankt  dem  Franziskanerpapst  Nicolaus  IV. 
und  dessen  Kardinal  Colonna  seine  Entstehung  und  reiht  zuerst 
die  beiden  HeiHgen  Franz  und  Antonius  von  Padua  ebenbürtig 
unter  die  alten  Apostel  Paulus ,  Petrus ,  Johannes  den  Täufer  und 
Johannes  den  Evangelisten  ein.  In  alterthümlicher  Weise  noch 
sitzen  Mutter  und  Sohn  beisammen.  In  der  Linken  hält  Letzterer 
das  offene  Buch,  mit  der  Rechten  setzt  er  Maria,  die  erstaunt  die 
Hände  öffnet,  die  Krone  auf.  Eine  Schaar  kleiner  Engel  fliegt 
rechts  und  links  unterhalb  des  mächtigen  Thrones,  in  gleichen  kleinen 
Verhältnissen  stehen  steif  links  und  rechts  die  Heiligen.  ^)  Einen 
Fortschritt  bezeichnet  das  angeblich  von  Gaddo  Gaddi  komponirte 
Mosaik  über  dem  Mittelportal  im  Dom  zu  Florenz.     Hier  hat  sich 


^)  B.  III,  21.     Canti  giojosi  e  dolce  melodia. 

■^)  Abb.  Gutensohn  u.  Knapp ,  Taf.  46.  —  Valentini :  La  patriarcale  basilica 
Liberiana  1839,  Taf.  55.  —  D'Agincourt.  Taf.  XVIII,  18.  —  Lübke:  Gesch.  d.  M. 
I,  S.  96. 


Die  Mariendarstellungen.  515 


Christus  der  Maria  zugewandt,  welche  die  Arme  über  der  Brust 
kreuzt  und  die  Rechte  erstaunt  bewegt,  und  setzt  ihr  mit  der 
Linken  die  Krone  auf,  während  er  sie  mit  der  Rechten  segnet.  Die 
vier  EvangeHstensymbole  umgeben  den  Thron  und  zu  beiden  Seiten 
befinden  sich  musizirende  Engel.  ^)  Zu  ihrem  vollen  Rechte  aber 
verhilft  erst  Giotto  der  neuen  Komposition  auf  seinem  fünftheiligen 
Altarbilde  der  Capeila  Baroncelli  in  S.  Croce  zu  Florenz.  Da 
drängt  sich  hinter  den  knieenden  musizirenden  Engeln  die  unzähl- 
bare Menge  der  Heiligen  um  den  Thron,  auf  dem  der  jugendlich 
ideale  Christus,  nach  dem  Vorbilde  von  Gaddi's  Mosaik  nach  Unks 
gewandt,  mit  beiden  Händen  der  sich  neigenden  Maria,  welche  die 
Hände  kreuzt,  die  Krone  aufsetzt.  Das  merkwürdige  Bild  trägt  recht 
deutlich,  wie  jene  Madonnen  Simone  Martini's  und  Lippo  Memmi's, 
das  Gepräge  einer  höfischen  Zeremonie  und  wird  darin,  wie  in  der 
Komposition,  namentlich  der  Hauptgruppe,  bestimmend  für  die  zahl- 
reichen gleichen  Darstellungen  des  XIV.  Jahrhunderts.  So  zunächst 
für  das  dem  Ugolino  da  Siena  zugeschriebene  Altarwerk  in  der 
Akademie  von  Florenz,  für  Giottino's  Fresko  in  der  Unterkirche 
von  Assisi,  das  Bildchen  Bernardo's  da  Firenze  in  Berlin  (1064) 
und  in  der  Folge  für  viele  andere.  Dagegen  hält  sich  Barna's  Bild 
am  Tabernakel  in  S.  Giovanni  in  Laterano  mehr  an  die  ältere  ein- 
fache Weise,  nach  welcher  Christus  nur  mit  Einer  Hand  die  Krone 
hält.  -)  Höfisches  Ceremoniell ,  aber  in  etwas  von  Giotto  verschie- 
dener Weise,  kennzeichnet  auch  die  Handlung  auf  einem  von 
d'Agincourt  publizirten  Bilde  des  Barnaba  da  Modena.  Hier  kniet 
Maria  inmitten  von  musizirenden  Engeln  vor  Christus,  der  unter 
einem  Baldachine  sitzt.  Knieend  wird  Maria  auch  auf  bolognesi- 
schen  Bildern  des  Jacobus  Pauli  und  Vitale  dargestellt^),  während 
in  Toscana  dies  Motiv  zuerst  von  Fra  Filippo  im  Dom  zu  Spoleto 
eingeführt  wird.  Mehr  einer  Kirchenversammlung  als  einem  Hof- 
staat aber  gleicht  die  Menge  der  perspektivisch  reihenweis  angeord- 
neten, auf  Bänken  sitzenden  Heiligen,  die  auf  dem  Fresko  eines 
unbekannten  Meisters  in  der  IV.  Kapelle  links  in  S.  Petronio  zu 
Bologna    der   Krönung    beiwohnen.      Diese    wird    im   Beisein    des 

^)  Phot.  Alinari. 

2)  D'Agincourt  T.  CXXVII. 

**)  Jacobus  Pauli:  Bologna,  S.  Giacomo  maggiore.  Vitale:  Bologna,  S.  Salvatore. 
Malvasia:  Felsina  pittrice  I,  S.  8  spricht  von  einer  ,,Incoronata"  vom  Jahre  1244,  die 
sich  im  Refektorium  von  S.  Francesco  zu  Bologna  befunden  habe. 

33* 


5i6       Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

dahinter  thronenden  Gottvaters  in  der  Höhe  vollzogen,  inmitten 
zahlloser  Schaaren  von  Engeln.  ^) 

Indessen  hier  wie  auch  sonst  sollte  nur  die  erste  Entwicklung 
der  neuen  Komposition  angedeutet,  nicht  ein  vergleichendes  Studium 
derselben  vorgenommen  werden.  Wichtig  aber  ist  es,  zu  betonen, 
daß  seit  Torriti's  Mosaik  immer  wieder  und  ganz  besonders  die 
Krönung  Maria  für  den  Schmuck  der  Franziskanerkirchen  bestimmt 
gewesen  ist,  so  daß  sich  die  Annahme  nicht  zurückweisen  läßt,  die 
Franziskaner  hätten  zuerst  die  Idee  dieses  himmlischen  Vorgangs 
erfaßt  und  verbreitet.  ^) 

Nicht  das  Gleiche  läßt  sich  von  einigen  andern  Mariendarstel- 
lungen sagen,  die  auch  um  1300  entstanden  sind  und  kurz  hier  er- 
wähnt werden  müssen.  Da  ist  zunächst  die  Reihe  jener  Miseri- 
cordiabilder  zu  nennen,  auf  denen  Maria  als  Himmelskönigin 
auftritt,  wie  sie  ihren  Mantel  ausbreitet  über  knieende  Mönche  und 
Laien.  Das  älteste  mir  bekannte  ist  das  von  einem  Schüler  Lippo 
Memmi's  gemalte,  im  Dome  zu  Orvieto  befindliche  und  das  ähn- 
liche Gemälde  auf  dem  Hauptaltar  von  S.  Maria  della  Misericordia 
zu  Arezzo.  Aus  derselben  Zeit  aber  stammen  auch  eine  Reihe  von 
Reliefs  mit  derselben  Darstellung.  Eine  andere  Komposition,  die 
im  XIV.  Jahrhundert  mit  Bildern  des  Agnolo  Gaddi  in  Figline  bei 
Prato  (via  Cantagallo) ,  eines  späten  Giottisten  in  S.  Francesco  zu 
Pescia,  des  Luca  Thome  in  der  Akademie  zu  Siena  und  des  Gennaro 
di  Cola  in  der  Gallerie  zu  Neapel  auftaucht,  ist  die  der  Anna 
s  e  1  b  d  r  i  1 1.  Anna  hält  Maria  auf  ihrem  Schooße,  diese  das  Christ- 
kind. Steif,  wie  Agnolo  Gaddi  die  Gruppe  gegeben,  erscheint  sie 
auch  auf  Masaccio's  Bilde  in  der  Akademie  zu  Florenz.  Mit  Sanso- 
vino's  Gruppe  in  S.  Agostino  zu  Roma  und  mit  Lionardo's  herr- 
lichem Bilde  im  Louvre  erreicht  sie  die  Höhe  der  Vollendung. 

Eher  als  von  diesen  ließe  sich  von  gewissen  Darstellungen  der 
Maria  als  Fürbitterin,  die  nur  in  der  umbrischen  Kunst  vor- 
kommen, behaupten,  daß  sie  speziell  den  Franziskaneranschauungen 
und  zwar  den  späteren  des  h.  Bernhardin  von  Siena  entsprossen 
sind.  Ich  meine  speziell  jene  Pestbilder  des  XV.  Jahrhunderts,  auf 
denen   Maria   den    erzürnten   Heiland    abhält,    die    Pfeile    des   Ver- 


1)  Phot.  Alinari. 

2)  Jene  Madonnenbilder,  auf  denen  über  Maria's  Haupt  zwei  eine  Krone  haltende 
Engel  schweben,  scheinen  erst  im  XV.  Jahrhundert  sich  zu  verbreiten. 


Die  Mariendarstellungen.  517 


derbens  auf  das  Volk  abzusenden,  wie  deren  eines  von  Buonfigli 
in  S.  Francesco,  ein  anderes  in  S.  Fiorenzo  zu  Perugia  hängt. 

Zu  jener  Zeit  auch  erscheinen  —  allerdings  ganz  vereinzelt 
und  nur  in  Umbrien  —  sehr  eigenthümliche  Kompositionen,  die 
lebhaft  an  jene  oben  erwähnten  Lieder  des  XIV.  Jahrhunderts,  die 
,Kontraste'  zwischen  Maria  und  Teufel ,  erinnern :  Maria  entreißt 
durch  ihre  Intervention  den  Krallen  des  Satans  ein  gefährdetes 
Kind,  das  dessen  angsterfüllte  Mutter  vergeblich  vor  Jenem  zu 
retten  versucht.  Derartige  Bilder  sind  mir  eines  von  Niccolö 
Alunno  in  der  Gallerie  Colonna  zu  Rom,  ein  anderes  von  Melanzio 
in  der  kleinen  Sammlung  von  S.  Leonardo  zu  Montefalco  und  ein 
drittes  von  Gerino  da  Pistoja  in  S.  Agostino  zu  Borgo  San  Sepolcro 
vorgekommen. 

Noch  ließen  sich  wohl  einige  andere  eigenartige  Mariendarstel- 
lungen hier  anführen,  doch  würde  dies  ohne  eine  besondere  Berück- 
sichtigung gerade  der  Franziskaneranschauungen  geschehen.  Alles, 
was  wir  besprochen,  reicht  vollauf  hin  zu  erkennen,  welche  höchste 
Anregung  der  Marienkultus  durch  Franz  und  seinen  Orden  erhalten. 
Man  darf  wohl  kühn  behaupten,  daß  die  beiden  Idealauffassungen  der 
Maria ,  so  wie  sie  für  die  ganze  Renaissancekunst  bestanden ,  für 
alle  Zeiten  künstlerisch  bestehen  werden :  das  Ideal  der  liebenden 
irdischen  Mutter  und  das  Ideal  der  königlichen  Herrscherin  des 
Himmels ,  von  den  Franziskanern  in  Dichtung  und  Predigt  zuerst 
allgemein  gültig  ausgesprochen  und  verherrlicht  worden  sind.  Damit 
aber  hatte  die  italienische  Kunst  ihr  höchstes  Ideal  erhalten. 


Anhang:   lieber  einige  Heiligen-  und  Legendendarstellungen. 

Neben  der  Passion  Christi,  den  letzten  Dingen  und  dem  Leben 
der  Maria,  neben  den  Legenden  der  Ordensheiligen  namentlich  des 
Antonius  von  Padua  und  der  Chiara,  dann  auch  des  Bernhardin 
von  Siena  finden  wir  als  künstlerischen  Schmuck  der  Franziskaner- 
kirchen noch  einige  andere  zyklische  Darstellungen,  die  wenigstens 
kurz  genannt  zu  werden  verdienen,  mit  Vorliebe  verwerthet.  Zu- 
nächst hängt  es  mit  der  mystischen,  von  Bonaventura  verbreiteten 
Anschauung  des  Franziskus  als  siebentem  Engel  der  Apokalypse, 
von  der  oben  (S.  96  ff.)  schon  gesprochen  worden  ist ,  zusammen, 
daß  die  Minoriten  eine  besondere  Verehrung  für  den  heiligen 
Michael  hatten.     So  malte  schon  Cimabue  in  der  Oberkirche  von 


ei8        Die  künstlerische  Neugestaltung  der  christlichen  Darstellungen. 

Assisi  die  auf  Diesen  bezüglichen  Begebenheiten  der  Apokalypse, 
so  schilderte  er  dessen  Legende  in  zwei  großen  Wandgemälden 
später  in  einer  Kapelle  von  S.  Croce  in  Florenz.  Vermuthlich  be- 
zogen sich  auch  die  apokalyptischen  Bilder,  die  Giotto  nach  Vasari 
in  S.  Chiara  in  Neapel  schuf,  auf  den  Erzengel.  ^)  Später  schmückte 
Spinello  eine  Kapelle  mit  Fresken,  die  Michael's  Legende  zeigen,  in 
S.  Francesco  zu  Arezzo. 

Der  andre  Stoff  ist  die  Legende  vom  heiligen  Kreuze, 
deren  künstlerische  Verherrlichung  von  dem  Kreuzeskultus  der 
Franziskaner  hervorgerufen  wurde.  Agnolo  Gaddi  hat  sie  im  Chor 
von  S.  Croce,  Cennino  Cennini  in  einer  Seitenkapelle  von  S.  Fran- 
cesco zu  Volterra,  endlich  Piero  della  Francesca  in  S.  Francesco 
zu  Arezzo  dargestellt. 

Neben  diesen  beiden,  recht  eigentlich  in  den  Minoritenkirchen 
einheimischen  Zyklen,  findet  man  in  denselben  auch  mit  Vorliebe 
den  beiden  Johannes  und  der  Magdalena,  dem  Nikolaus  und  Anto- 
nius gewidmete  und  mit  Darstellungen  aus  deren  Legenden  ge- 
schmückte Kapellen. 

^)  Vasari  I,  390. 


DRITTER  ABSCHNITT 

DIE  ALLEGORISCHEN  DARSTELLUNGEN 


Mit  dem  Einflüsse,  den  die  Franziskanermystik  auf  eine  neue 
künstlerische  Auffassung  der  christlichen  Legende  ausgeübt,  hat  sie 
noch  nicht  ihre  vollen  Kräfte  ausgegeben.  Nicht  allein  die  großen 
Träger  der  christlichen  Ideen  hat  sie  aus  dem  Himmel  auf  die 
Erde  zurückgeführt ,  sondern  den  Ideen  selbst  Fleisch  und  Blut, 
ihnen ,  um  sie  besser  verstehen  zu  können ,  ein  menschliches 
Aussehen  verliehen.  Das  war  nun  freilich  nichts  Neues.  Neben 
die  Symbole,  auf  welche  anfangs  die  christliche  Kunst  ganz  beschränkt 
war,  traten  bald,  theil weise  direkt  an  die  Antike  sich  anlehnend, 
theilweise  selbstständig  erfunden,  Personifikationen  physisch-mytho- 
logischer Art  und  ethischer  Begriffe.^)  Das  Verdienst  der  neuen 
volksthümlichen  Mystik  liegt  nun  darin,  daß  sie,  bestrebt,  dem 
Volke  abstrakte  Begriffe  möglichst  handgreiflich  verständlich  zu 
machen,  bemüht  ist,  dieselben  durch  allgemein  verständliche,  an- 
schauliche Bilder  zu  ersetzen.  Damit  hat  sie  der  Kunst  einen  reichen 
Stoff,  wenn  auch  nicht  zugeführt,  so  doch  leichter  verwerthbar 
zubereitet.  In  dem  Grade  als  die  Personifikationen  zunahmen, 
nahmen  die  Symbole  ab.  Der  außerordentliche  Reichthum  von 
allegorischen  Darstellungen  der  Tugenden  und  Laster,  der  uns 
namentlich  an  den  Grabdenkmälern  des  XIII.  und  XIV.  Jahrhunderts 
entgegentritt,  hängt  innig  mit  der  neuen  naturfreundlichen  An- 
schauung zusammen.  Wie  weit  die  Bettelmönche  im  Einzelnen 
diesen  Geschmack  befördert ,    läßt  sich  mit  Sicherheit  nicht  sagen ; 


^)  Vgl.  darüber  Piper:  Mythologie  der  christlichen  Kunst.  Weimar  1851.  — 
J.  B.  Pitra:  Spicilegium  Solesmense.  II,  in.  Paris  1855.  —  Otto:  Hdb.  d.  Kunst- 
Arch.     V.  Aufl.     I,  S.  481fr.,  499  ff. 


C20  Die  allegorischen  Darstellungen. 

daß  es  geschehen,  kann  man  wohl  daraus  vermuthen,  daß  weitaus 
die  größte  Mehrzahl  der  Denkmäler,  deren  ständiger  Schmuck  die 
allegorischen  Frauengestalten  sind,  sich  in  den  Bettelmönchkirchen 
befindet.  Eine  andere  durchaus  volksthümliche  Allegorie,  diejenige 
des  jHerrscher  Tod',  hat,  wie  in  einem  besonderen  Kapitel  aus- 
geführt werden  soll,  von  dem  Franziskanerthum  ihren  Ausgang 
genommen.  Neben,  diesen  eigentlich  volksthümlichen  Personi- 
fikationen aber  entstehen  besondere  Allegorieen  innerhalb  der 
Klostermauern,  die,  bloß  fiir  die  Ordensangehörigen  erfiinden,  im 
Besonderen  auch  nur  fiir  Diese  verständlich  waren  und  blieben.  Es 
sind  sinn-  und  beziehungsreiche  bildliche  Darlegungen  bestimmter 
dogmatischer  Anschauungen  oder  mystischer  Vorgänge,  gewisser- 
maßen Illustrationen  eines  Textes,  der  uns  meist  nicht  erhalten  ist, 
dessen  allgemeinen  Inhalt  wir  aber  mit  unserer  Kenntniß  der  Zeit 
ungefähr  errathen  können.  Was  bei  den  Franziskanern  Allegorieen 
der  Ordensgelübde  waren,  waren  bei  den  Dominikanern  Allegorieen 
auf  die  Thätigkeit  des  Ordens.  In  S.  Francesco  zu  Assisi  einer- 
seits, in  S.  Maria  novella  zu  Florenz  andrerseits  haben  sie  ihre 
größte  künstlerische  Verherrlichung  gefunden.  Aber  die  Kunst  hat 
mit  dem  zähen,  widerstrebenden  Stoffe  wenig  anzufangen  gewußt. 
Sie  sträubte  sich,  zur  Magd  der  Herrin  Wissenschaft  zu  werden, 
auf  ihr  edelstes  Vorrecht,  allgemein  verständlich  zu  sein,  zu  Gunsten 
denkender,  aber  nicht  empfindender  Einzelner  zu  verzichten.  Wo 
immer  an  das  Gefiihl  und  damit  an  die  große  Masse  appellirt 
wurde,  wie  mit  der  Darstellung  der  Vermählung  des  Franz  mit  der 
Armuth,  durch  welche  ein  an  sich  unschwer  verständlicher  Vorgang 
geschildert  werden  sollte,  athmete  sie  auf  und  machte  sich  die  Pflicht 
zum  Vergnügen.  Im  Allgemeinen  aber  kann  man  sich  eines  Ge- 
fühles des  Bedauerns  nicht  erwehren,  sieht  man  sie  in  vergeblichem 
Kampfe  mit  den  Fesseln,  die  ein  anscheinend  herzloses  Mönchthum 
ihr  angelegt  hat.  Und  doch ,  bedenkt  man ,  was  dieses  ihr  Gutes 
erwiesen,  wie  es  selbst  die  Kunst  erst  befreit  hat,  so  wird  man 
beruhigt  sich  sagen:  der  Tribut,  den  die  Kunst  in  den  Kloster- 
allegorieen  ihren  Befreiern  darbringt,  steht  in  gar  keinem  Verhältniß 
zu  der  Größe  der  genossenen  Wohlthaten. 

Im  Folgenden  werden  zunächst  die  Klosterallegorieen  der 
Franziskaner,  nämlich  die  Allegorieen  der  Ordensgelübde'  und  die 
Kreuzesallegorieen,  dann  die  volksthümlichen  Allegorieen  des  Todes 
besprochen  werden. 


Die  Armuth.  52 1 


I.    Die   Allegorieen    der  Franziskaner -Gelübde   und   der  Triumph 

des  Heiligen  Franz. 

Ueber  dem  Grabe  des  Heiligen  in  der  Unterkirche  zu  S.  Fran- 
cesco hat  Giotto  an  den  vier  Feldern  des  Kreuzgewölbes  die  drei 
Gelübde  des  Ordens :  die  Armuth,  den  Gehorsam,  die  Keuschheit, 
sowie  die  Glorie  des  Franziskus  dargestellt.  Jedes  Bild  ist  von 
einem  mit  Laubwerk  geschmückten  Rahmen  umgeben,  in  dem  vier- 
eckige Medaillons  mit  Brustbildern  von  Engeln  sich  befinden. 

I.  Die  Armuth. 
Das  Bild  stellt  die  Verlobung  des  Franziskus  mit  der  Armuth  dar. 
(Abb.  72.)  In  der  Mitte  auf  felsigem  Boden  steht  in  Dornengestrüpp 
die  hagere,  mit  einem  zerfetzten  und  geflickten,  von  einem  Stricke 
gegürteten  Gewände  bekleidete  Figur  der  heiligen  Armuth.  Ueber 
ihr  blühen  Rosen  und  Lilien.  Kraftlos,  wie  gebrochen  hängen  ihre 
Flügel  herab,  das  ernste  Gesicht  mit  den  ältlichen  Zügen  trägt  die 
Spuren  von  Leiden  und  Entsagung.  Mit  ruhigem,  aber  scheuem 
Blick  schaut  sie  auf  Franz,  der,  freundlich  und  liebevoll  ihr  be- 
gegnend, links  herantritt  und  ihr  an  den  vierten  Finger  der  rechten 
Hand  den  Ring  ansteckt.  In  der  Mitte  zwischen  Beiden,  etwas 
dahinter,  steht  Christus,  der  in  Sinnen  verloren  den  Arm  der  Braut 
dem  Freunde  zuführt.  Rechts  von  ihr  stehen  zwei  Frauen ,  die 
vordere  einen  Kranz  und  drei  Flammen  im  Haar,  in  der  Rechten 
ein  Herz  haltend :  ,die  Caritas',  die  hintere,  die  eine  Handbewegung 
macht,  als  hätte  sie  eben  der  Armuth  den  Ring  gegeben,  den  diese 
in  der  Linken  hält :  ,die  Spes'.  Eine  gedrängte  Schaar  von  großen 
Engeln  wartet  hinter  Franz  und  den  Tugenden ,  ernst  und  auf- 
merksam den  Vorgang  betrachtend.  In  der  Mitte  unten  bellt  ein 
Hund  die  Armuth  an,  ein  Knabe  holt  mit  der  Rechten  aus,  sie  mit 
einem  Steine  zu  werfen.  Ein  anderer  schlägt  mit  einem  Stabe 
nach  ihr.  Im  Vordergrunde  links  faßt  ein  Engel  einen  Jüngling 
am  Arme,  der  eben  einem  greisen  Bettler  seinen  Mantel  schenkt, 
und  weist  ihn  auf  den  feierlichen  Vorgang  hin.  Entsprechend  sucht 
ein  anderer  Engel  rechts  einen  vornehmen  Mann,  der  einen  Falken 
auf  der  Hand  trägt,  zu  bewegen,  an  dem  Vorbild  des  Franz  sich 
ein  Beispiel  zu  nehmen,  doch  vergebens,  denn  er  macht  eine  verächt- 
liche Handbewegung.  Auch  seine  zwei  Gefährten  zeigen  sich 
ungerührt.    Der  eine,  im  Begriffe  fortzugehen,  schaut  scheu  zurück 


C22  I^i^  allegorischen  Darstellungen. 


und  umschließt  ängstlich  mit  beiden  Händen  seinen  Geldbeutel,  der 
andere  dahinter,  ein  Mönch,  scheint  ihn  mit  scheelen  Blicken  an- 
zusehen und  faßt  sich  mit  einer  krampfhaften  Bewegung  an  die 
Brust.  —  In  der  Höhe  aber  über  der  Mittelgruppe  fliegen  zwei 
Engel  gen  oben.  Der  links  trägt  ein  Gewand  und  einen  Beutel, 
der  rechts  das  Modell  eines  thurmartigen  Gebäudes  mit  einem 
Garten.  Die  Hände  Gottes  langen  von  oben  herab,  die  Gaben  in 
Empfang  zu  nehmen. 

Im    Rahmen    unterhalb    des   Bildes    sind    folgende  Verse    eines 
Hymnus  undeutlich,  zum  Theil  zerstört  zu  lesen: 

sie  contemnitur 

dum  spernit  mundi  gaudia 
veste  vili  contegitur 
Querit  celi  solatia 

tur  duris  sentibus 

mundi  carens  divitiis 
rosis  plena  virentibus 


_______  ant 

celestis  spes  et  Caritas 

et  angeli  coadjuvant 

ut  placeat  necessitas 

hanc  sponsam  Christus  tribuit 

Francisco  ut  custodiat 

nam  omnis  eam  re  (spuit) 

1) 

lieber  die  eigentliche  Bedeutung  des  allegorischen  Vorganges 
können  wir  keinen  Augenblick  im  Zweifel  sein,  hätten  wir  selbst 
nicht  die  feierhchen  Strophen  Dante's  erhalten,  in  denen  er  die  Ent- 
sagung des  Franz  und  seine  Verachtung  aller  irdischen  Güter  feiert : 

Denn  mit  dem  Vater  stritt  er,  jung  an  Jahren 
Für  eine  Frau,  vor  der  der  Freuden  Thor 
Die  Menschen  fest,  wie  vor  dem  Tod  verwahren. 
Bis  vor  dem  geistlichen  Gericht  und  vor 
Dem  Vater  sie  zur  Gattin  er  sich  wählte, 
Und  täglich  lieber  hielt,  was  er  beschwor. 
Sie,  Deß  beraubt,  der  sich  ihr  erst  vermählte, 
Blieb  ganz  verschmäht,  mehr  als  elfhundert  Jahr, 
Da  bis  zu  diesem  ihr  der  Freier  fehlte. 


^)  Es  glückte  mir,  diese  bis  jetzt  nicht  beachteten  Inschriften  wenigstens  theil- 
weise  zu  entziffern,  mit  Hülfe  jener  alten  Manuskriptbeschreibung  im  Archive,  die  sie 
ihrerseits  schon  unvollkommen  und  fehlerhaft  wiedergiebt. 


Die  Armuth.  523 


Obgleich  durch  sie  Amiklas  in  Gefahr 
So  sicher  ruht,  als  Dessen  Stimm'  erklungen, 
Des  Mächt'gen,  der  der  Erd'  ein  Schrecken  war; 
Obgleich  sie  standhaft,  kühn  und  unbezwungen, 
Als  selbst  Maria  unten  blieb,  sich  dort 
An  Christi  Kreuz  zu  ihm  emporgeschwungen. 
Allein  nicht  mehr  in  Räthseln  red'  ich  fort: 
Franziskus  und  die  Armuth  sieh  in  ihnen, 
Die  dir  geschildert  hat  mein  breites  Wort. 
Der  Gatten  Eintracht,  ihre  frohen  Mienen 
Und  Lieb'  und  Wunder  und  der  süße  Blick 
Erweckten  heil'gen  Sinn,  wo  sie  erschienen.^) 

Wer  diese  Verse  liest,  möchte  wohl  mit  Schnaase  geneigt  sein, 
in  ihnen  das  Vorbild  zu  sehen ,  an  das  sich  Giotto  gehalten.  In- 
dessen hat  Dobbert  mit  Recht  darauf  hingewiesen,  daß  das  Bild 
von  der  .Vermahlung  der  Armuth  mit  Franz'  schon  lange  vor 
Dante  eine  weite  Verbreitung  gehabt  habe,  daß  die  Verse,  wie  das 
Fresko,  von  einander  unabhängig  auf  eine  dem  ganzen  Orden 
geläufige  Vorstellung  zurückgehen  dürften.  -)  Ob  diese  durch 
Franz  selbst  begründet  worden  ist,  läßt  sich  mit  Sicherheit  nicht 
sagen.  Indessen  ist  es  sehr  möglich !  Jene  von  Franz  vor  Inno- 
cenz  III.  erzählte  Parabel  von  dem  armen  Weibe,  das,  in  der  Wüste 
lebend,  ihre  Kinder  dem  königlichen  Gatten  zuschickt,  der  sie  freudig 
aufnimmt,  hat  Hase  in  Uebereinstimmung  mit  einer  Erklärung  in 
den  Schriften  des  Franz,  so  gedeutet :  die  arme  Frau  sei  die  Armuth 
selbst,  der  König  Christus,  und  unter  den  Söhnen  seien  die  Apostel, 
Anachoreten  und  Mönche  zu  verstehen.  Das  ist  wohl  sehr  ein- 
leuchtend, mag  auch  jene  Erklärung  ganz  zweifellos,  wie  mir  scheint, 
mit  Unrecht  dem  Franz  selbst  zugeschrieben  werden,  da  doch  Thomas 
von  Celano  in  der  II.  Legende  und  die  ,tres  socii'  noch  in  der 
armen  Frau  den  Franziskus  selbst,  in  den  Söhnen  die  fratres  minores 
sehen. ^)  Auch  das  bleibt  zweifelhaft,  ob  das  Gebet  zur  Erlangung 
der  Armuth,  das  in  den  Opera  sich  befindet,  von  Franz  selbst  ist. 
Es  beginnt:  ,,Die  Armuth  ist  die  Königin  Aller.  Mein  frommer 
Herr  Jesus  Christus,  erbarme  Dich  meiner  und  der  Herrin  Armuth ; 
denn    auch   ich   werde    von  Liebe    zu    ihr   gequält   und    kann  ohne 


1)  Paradies  XI,  Ges.  58—84.     Uebers.  Streckfuß. 

2)  Schnaase:    Gesch.  d.  K.  VII,  S.  37.  —  Dobbert:  Giotto.     Dohme:    K.  u.  K. 
III,  S.  10  fF.  —  Auch  Woltmann-Woermann :  Gesch.  d.  M.  I,  S.  430. 

^)  Hase,    F.  v.  A.     S.   39.    —    Francisci    opera   S.  84.   —   Th.  II,    Leg.  I,   11, 
S.  30.  —  T,  s.  cap.  IV,  S.  736.  —  Bon.  Cap.  III,  S.  749. 


C24  ^^^  allegorischen  Darstellungen. 

sie  keine  Ruhe  finden.  Mein  Herr,  Du  weißt  es,  der  Du  mich  in 
sie  hast  verheben  lassen.  Aber  sie  sitzt  in  Traurigkeit,  von  Allen 
vertrieben,  ,,die  Herrin  der  Völker  ist  gleichsam  zur  Wittwe 
geworden;"  niedrig  und  verächtlich,  sie,  die  doch  die  Königin  aller 
Tugenden;  auf  einem  Misthaufen  sitzt  sie  und  klagt,  daß  alle  ihre 
Freunde  sie  verachtet  haben  und  zu  Feinden  geworden  sind;  und 
sie  zeigen  so,  daß  sie  selbst  schon  lange  Ehebrecher  geworden, 
nicht  Gatten  mehr  sind."  ^) 

Das  Bild  von  der  Vermählung  selbst  läßt  sich  mit  Bestimmt- 
heit zuerst  in  der  II.  Legende  des  Thomas  nachweisen,  in  der  es 
heißt:  ,,Sie,  die  Vertraute  des  Sohnes  Gottes,  die  schon  lange  von 
dem  ganzen  Erdkreise  vertrieben,  sucht  er  und  trachtet  danach, 
sich  ihr  in  unwandelbarer  Liebe  zu  verloben.  So  ward  er  zum 
Liebhaber  ihrer  Gestalt  und  verließ  nicht  allein  Vater  und  Mutter, 
daß  er  inniger  an  ihr  hänge  und  sie  beide  Eines  wären  im  Geiste, 
sondern  ließ  auch  alles  ihm  Eigene  fahren.  Dann  umfängt  er  sie 
in  keuscher  Umarmung  und  duldet  es  selbst  nicht  eine  Stunde, 
nicht  ihr  treuer  Gatte  zu  sein."  -)  Bonaventura  nimmt  diese  Schilde- 
rung auf,  und  bald  nachher  findet  sie  einen  Widerhall  in  Jacopone's 
Liedern.  In  dem  einen  derselben :  ,San  Francesco  sia  laudato', 
begegnen  sich  Franz  und  die  Armuth  im  Walde : 

Als  er  in  einen  Wald  getreten,  nähert  sich  ihm  plötzlich  die 
Armuth,  in  Gestalt  eines  ehrbaren  Weibes,  mit  verklärtem  Körper. 
Ruhelos  erscheint  sie  ihm,  wie  eine  verschmähte  Frau,  einsam  und 
ermüdet  ging  sie,  denn  sie  war  schon  viel  gewandert.  Als  sie  ihn 
erblickt,  tritt  sie  an  seine  Seite,  aber  Franz  zieht  sich  zurück  und 
klagt  sich  selbst  der  Sünde  an,  daß  man  ihn  so  allein  getroffen 
habe.  Denn  er  glaubte,  als  sie  sich  auf  ihn  zubewegte,  sie  sei  ein 
Weib,  und  erschrak  heftig  vor  Scham  bei  dem  Gedanken,  sie  suche 
ihn  auf  Dann  grüßte  er  sie:  ,, Göttliches  Feuer  vom  heiligen 
Geiste  entflammt  möge  Dich  brennen!"  Sie  erwidert:  ,, Bruder, 
freundlich  klingt  Dein  Gruß.  Sag'  aus  welchem  Grunde  Du  so 
allein  gehst .^"  Und  er:  ,, Armuth  zu  suchen  bin  ich  ausgegangen, 
denn  den  Reichthum  habe  ich  von  mir  geworfen.  Nun  will  ich  so 
lange  gehen  und  sie  rufen,  bis  ich  ihr  begegne."  Es  folgt  nun 
ein  Zwiegespräch,  in  dem  die  Armuth  sich  zu  erkennen  giebt. 
Franz  preist  die  glückliche  Stunde,  sie  aber  ermahnt  ihn,  nicht  zu 

^)  Opera.  P.  I.     Oratio  de  obtinenda  paupertate. 

^)  III,  I,  S.  90.  Danach  Bon.  cap.  VII,  S.  760.  —  Auch  sonst  öfters,  z.  B.  III,  16.  S.  1 12. 


Die  Armuth.  525 


früh  zu  frohlocken,  denn  trotzdem,  daß  sie  mager  und  müde,  sei 
sie  doch  schwer  zu  tragen.  Aber  seinem  Drängen  vermag  sie  nicht 
zu  widerstehen  und  sie  verlangt  endlich ,  daß  er  sie  zur  Frau 
nehme.  Mit  ihr  aber  müsse  er  sich  auch  ihrer  sieben  Schwestern 
annehmen.  Das  sind  die  Caritas,  der  Gehorsam,  die  Demuth,  die 
Enthaltsamkeit,  die  Keuschheit,  die  Geduld,  endlich  die  Hoffnung, 
die  ihre  ,Cameriera  und  Messagiera'  sei.  Als  Franz  es  freudig  ver- 
spricht, fordert  sie  ihn  auf,  in  beständiger  Eintracht  mit  ihr  zu 
leben,  und  verheißt  ihm  endlich,  daß  er  in  ihrer  und  der  Tugenden 
Gesellschaft  zu  Christo  gelangen  werde.  ••) 

Lebhafter  als  Dante's  Verse  gemahnt  diese  Schilderung  an 
Giotto's  Bild.  Von  den  sieben  Begleiterinnen  sind  wenigstens  zwei: 
die  Caritas  und  ,die  Dienerin  und  Botin'  Hoffnung  erschienen. 
Dazu  aber  hat  sich  die  Schaar  der  Engel  gesellt.  Der  tiefe  Sinn, 
der  darin  liegt,  daß  gerade  die  Liebe  und  die  Hoffnung  als  tröstende 
Freundinnen  der  Armuth  beistehen,  wird  Niemand  entgehen.  Auch 
der  Haß  der  Welt  ist  in  dem  kläffenden  Hunde  und  den  erbitterten 
Knaben  sehr  verständlich  angedeutet.  Nur  über  die  Erklärung  der 
beiden  Gruppen  im  Vordergrunde  ist  man  nicht  ganz  einig  —  daß 
links  an  dem  Beispiele  des  Almosen  gebenden  Jünglings  gezeigt 
wird,  wie  man  die  Forderungen  der  Armuth  vollbringt,  rechts  im 
Gegensatze  dazu  an  den  drei  Männern,  was  davon  abhält,  erscheint 
zwar  klar,  aber  die  letzteren  hat  man  verschieden  aufgefaßt.  Es 
scheint  mir  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich,  daß  in  ihnen  die 
drei  Laster:  Geiz,  Neid  und  Hochmuth,  die  Dante  wiederholt  als 
eng  zusammengehörig  in  einem  Athem  nennt,  gekennzeichnet  sind.^) 
Durch  den  Falken  und  die  verächtliche  Handbewegung  ist  der  Erste 
als  ,superbus'  deutlich  charakterisirt,  der  Zweite  als  ,avarus'  durch 
die  sorgsam  ängstliche  Art,  mit  der  er  den  Beutel  hält,  der  Dritte 
durch  die  krampfhafte  Handbewegung,  die  recht  drastisch  das 
würgende  Gefühl  im  Herzen  ausdrückt,  als  ,invidiosus*.  Daß  gerade 
der  Neidische  in  Mönchskutte  erscheint,  ist  sehr  bezeichnend  und 
höchst  absichtsvoll,  da  ja  der  arme  Mönch  der  Gefahr  dieses  Lasters 
besonders  ausgesetzt  war.^) 


1)  III,  24.  Ode. 

2)  Vergl.  z.  B.  Inferno  VI,  74  und  XV,  68. 

^)  So  kann  ich  Lübke  und  Dobbert  durchaus  nicht  beistimmen,  wenn  sie  in  der 
Figur  einen  zur  Milde  ermahnenden  Mönch  sehen.  Die  Hand  weist  nicht  hin,  sondern 
packt  die  Brust. 


C26  Die  allegorischen  Darstellungen. 

In  den  Gaben,  welche  die  Engel  gen  Himmel  tragen,  sind  wohl 
nur  allgemein  die  irdischen  Güter  der  Kleidung,  des  Geldes,  der 
Wohnung  zu  sehen,  deren  sich  der  Verlobte  der  Armuth  entäußert. 
Man  könnte  sie  ja  unschwer  auch  auf  Franz  selbst  deuten,  keines- 
falls aber  als  Stiftung  jener  weltlich  gesinnten  Leute  unten,  wie 
Woltmann  will.  ^) 

Die  großartige  Einfachheit  der  Komposition,  die  Sicherheit  und 
Schärfe  der  Charakteristik  und  die  tiefinnerliche  Empfindung  weisen 
diesem  Werke  Giotto's  den  ersten  Platz  unter  den  allegorischen 
Darstellungen  des  XIV.  Jahrhunderts  an.  Im  Gegensatze  zu  den 
anderen  Allegorieen  der  Gelübde  wirkt  es  unmittelbar  verständlich 
und  ergreifend.  Der  Grund  dafür  ist  hauptsächlich  darin  zu  suchen, 
daß  die  Armuth  nicht,  wie  die  Keuschheit  und  der  Gehorsam,  eine 
geistige  Eigenschaft,  sondern  ein  äußerlich  sich  geltend  machender 
Lebensumstand  ist.  Ein  tugendhafter  Mensch  unterscheidet  sich 
im  Aeußeren  nicht  von  einem  Lasterhaften :  den  Armen  erkennt 
man  sofort  an  der  dürftigen  Kleidung  und  dem  kümmerlichen  Aus- 
sehen. So  stellt  die  Allegorie  der  Armuth  nur  den  Armen  selbst 
dar,  den  einzelnen  Repräsentanten  an  Stelle  des  Begriffes,  während 
Allegorieen  der  Tugenden,  von  deren  menschlichen  Trägern  ge- 
trennt, symbolisch  ihre  Eigenart  kennzeichnender  Attribute  be- 
dürfen, welche,  mehr  oder  weniger  willkürlich  erfunden,  den  Be- 
schauer auf  Kosten  der  freien  künstlerischen  Empfindung  zu  grübeln 
zwingen.  Die  Armuth  als  ein  von  außen  an  den  Menschen  heran- 
tretender Umstand  läßt  sich  aber  andrerseits  in  Gedanken  unschwer 
von  dem  Individuum  trennen.  Dieses  tritt  zu  ihr  gleichsam  in 
ein  objektives  Verhältniß,  während  die  Tugend  als  subjektive  Eigen- 
schaft von  ihrem  Besitzer  nicht  zu  trennen  ist.  Wo  diese  vereinzelt 
als  Zustand  dargestellt  wird ,  vertritt  sie  den  Besitzer  selbst  und 
erhält,  vorausgesetzt,  daß  eine  Zeit  sich  über  die  Art  ihrer  Sym- 
bolisirung  einig  ist,  die  künstlerische  Berechtigung.  Wo  immer 
sie  aber  handelnd  dargestellt  wird,  tritt  der  Widerspruch,  der  darin 
liegt,  daß  eine  subjektive  Eigenschaft  in  ein  objektives  Verhältniß 
zu  ihrem  Träger  geräth,  zu  Tage.  Die  Allegorieen  der  Keuschheit 
und  des  Gehorsams,   die  wir  betrachten  werden,  sind  künstlerische 


^)  Gesch.  d.  Mal.  I,  S.  431.  —  Das  Gebäude  ist  offenbar  kein  Kloster,  sondern 
der  Palast  eines  Vornehmen ,  also  auch  nicht  wie  Cristofani :  St.  d.  Ass.  I,  S.  200  will, 
das  Symbol  der  ,vita  contemplativa'. 


Die  Armuth.  527 


Unmöglichkeiten  und  lassen  daher  den  Beschauer  kalt,  wenn  sie 
ihn  nicht  gar  abstoßen,  die  Allegorie  der  Armuth  aber  ist  künst- 
lerisch denkbar  und  wirkt  ergreifend.  Denn  nähme  man  selbst  der 
Armuth  den  Heiligenschein,  ließe  man  Christus  und  die  Engel  weg, 
d.  h.  vernichtete  man  selbst  die  Elemente,  welche  die  Illusion  der 
Allegorie  hervorbringen,  so  bliebe  immer  eine  künstlerisch  wirk- 
same Handlung,  die  an  das  Gefühl  des  Beschauers  appellirte.  Wer, 
ohne  etwas  davon  zu  wissen,  daß  hier  die  Armuth  dargestellt  sei, 
der  sich  Franz  verlobt ,  vor  das  Bild  träte ,  würde  durch  den  An- 
blick des  rührend  merkwürdigen  Schauspieles ,  welches  die  Ver- 
lobung eines  Jünglings  mit  einer  armen,  elenden  Frau  bietet,  be- 
wegt werden.  Ganz  von  selbst  würde  er  dazu  kommen,  der  Szene 
einen  tieferen  Sinn  unterzulegen,  durch  die  künstlerische  Empfindung 
hindurch  erst  zu  dem  geheimen  geistigen  Gehalte  dringen.  Vor 
den  andern  Allegorieen  aber  bleibt  die  künstlerische  Empfindung 
ganz  aus,  und  stellt  sich  sogleich  die  Reflektion  ein.  Und  durch 
die  Reflektion  ist  man  noch  nie  zu  künstlerischer  Empfindung 
durchgedrungen. 

Aus  dem  Gesagten  ergiebt  sich  leicht,  warum  die  italienische 
Kunst  nach  Giotto  die  Vermählung  des  Franz  mit  der  Armuth 
öfters,  die  Allegorieen  des  Gehorsams  und  der  Keuschheit  nur  ganz 
selten  und  dann  nur  als  Einzelfiguren  behandelt  hat.  Zunächst  hat 
Giotto  selbst  an  dem  Gewölbe  der  Capeila  Bardi  in  S.  Croce  die 
Brustbilder  der  Frauen  dargestellt.  Da  sieht  man  die  Armuth  in 
zerrissenem  Gewände,  geflügelt,  vor  einem  Dornstrauch  mit  Rosen, 
wie  sie  einen  Stab  in  der  Hand  vor  einem  rechts  bellenden  Hunde- 
kopf zu  entweichen  scheint.  —  Aehnlich  mag  das  jetzt  zerstörte 
Medaillon,  das  in  einem  der  Gewölbezwickel  des  Chores  von  San 
Francesco  zu  Pisa  von  Taddeo  Gaddi  gemalt  war,  gewesen  sein.  — 
Das  Tafelbild  in  der  von  Giovanni  da  Milano  ausgemalten  Kapelle 
Rinuccini  in  S.  Croce  zeigt  unter  den  Heiligen  zu  Seiten  der  Ma- 
donna auch  Franz,  dem  die  kleine  Figur  der  Armuth  fliegend  den 
Ring  ansteckt.  —  Ueber  dem  Heiligen  fliegt  letztere  auf  dem 
Robbiarelief  in  S.  Girolamo  fuori  bei  Volterra.  ^)  —  Die  Handlung 
der  Verlobung  selbst,  aber  vielleicht  so  wie  bei  Giovanni  da  Milano, 
ist   von  Lorenzo    di  Bicci  über  der  Thüre  des  Klosters  S.  Onofrio 


^)  Vasari    II,    S.    197.      Kommentar.    —    Abb.    Plön:    St.    Frangois.       S.   162. 
PI.    XIV. 


C2S  Die  allegorischen  Darstellungen. 

di  Fuligno  gemalt  worden.  ^)  —  Von  der  Hand  eines  Schülers  des 
Fra  Filippo  sehen  wir  sie  auf  einem  kleinen  Bildchen  der  Münchner 
Pinakothek  dargestellt.^)  Da  hält  Franz  nach  rechts  gewandt  stehend 
mit  der  Linken  die  Hand  der  mit  weißem  Hemde,  zerrissenem, 
grauen  Rocke  und  weißem  Kopftuche  bekleideten  alten  Frau  Armuth 
und  steckt  ihr  den  Ring  an.  —  Ebenso  einfach  ist  die  Szene  auf 
einer  trefflichen,  aber  mit  Unrecht  dem  Pollajuolo  zugeschriebenen 
Handzeichnung  der  Sammlung  Malcolm  in  London  dargestellt.^)  — 
Endlich  ist  ein  dem  Nelli  verwandtes  Bildchen  in  dem  Christ- 
lichen Museum  des  Vatikan  zu  erwähnen ,  das  die  Begegnung  des 
Franz  mit  den  drei  Frauen  darstellt  und  weiter  unten  noch  er- 
wähnt wird. 

Höchst  interessant  wird  es  immer  bleiben,  daß  derselbe  Giotto, 
der  als  Künstler  ein  so  herrliches  Zeugniß  seines  dramatischen 
Talentes  in  der  Allegorie  der  Armuth  hinterlassen,  als  Mensch  sich 
gegen  die  Verherrlichung  dieser  Franziskanertugend  erhoben  hat. 
Sein  praktischer  Verstand  wehrte  sich,  die  Anschauungen  des  Fran- 
ziskanerthums ,  für  das  er  doch  fast  sein  ganzes  Leben  lang  thätig 
gewesen,  als  allgemein  gültige  anzuerkennen.  In  einem  langen 
Gedichte,  das  beginnt:  ,molti  son  quei  che  lodan  povertade',  be- 
kämpft er  den  Kultus  der  Armuth.*)  Unfreiwillige  Armuth  führe 
nur  zu  Trug,  Lug  und  Sittenlosigkeit ,  die  freiwillige  vertrage  sich 
nicht  mit  feiner  Sitte  und  Bildung.  Wenn  der  Herr  selbst  sie 
empfohlen,  so  sei  mehr  auf  den  tiefen  Sinn,  als  auf  den  Wortlaut 
seiner  Rede  zu  geben.  Was  für  ihn  und  sein  Werk  nothwendig 
und  heilsam  gewesen,  sei  es  darum  noch  nicht  für  seine  unvoll- 
kommenen Nachfolger.  Unter  dem  heuchlerischen  Scheine  der 
Armuth  verberge  sich,  wie  die  Erfahrung  lehre,  nur  Habsucht.  Mit 
noch  größerer  Erbitterung  wendet  sich  ein  andrer  Canzone,  der 
früher  irrthümlich  dem  Guido  Cavalcanti  zugeschrieben  wurde,  nach 
Demattio's  Vermuthung  aber  zwei  Jahrhunderte  später  anzusetzen 
wäre ,    wovon   ich   nicht  überzeugt  bin ,    gegen  die  mit  Unrecht  so 


1)  Vasari  II,  S.   52. 

^)  Früher  Pollajuolo  genannt.     Crowe:  Art  des  Matteo  da  Gualdo. 

^)  Weißgehöhte  Bisterzeichnung.  Descriptive  catalogue  von  Robinson  1876. 
S.  6.     N.   10. 

*)  Zuerst  von  Rumohr :  Ital.  Forschungen  II ,  S.  51  publizirt ,  dann  von  Rosini 
in  der  Storia  della  Pittura,  I.  Bd.  —  Pnicchi:  Raccolta  di  poesie,  II.  Bd.  —  Vasari 
(Milanesi)  I,  426.  —  Uebersetzung  in  meinem  „Giotto". 


Die  Armuth.  529 


genannte  .Tugend'.^)  Sie  sei  schlimmer  selbst  als  der  Tod  und 
raube,  was  höher  als  das  Leben,  den  Ruhm.  Der  Arrre,  sei  er 
so  großherzig  und  edel  wie  er  wolle,  werde  doch  verächtlich  be- 
handelt. Jegliches  Laster  sei  die  Folge  der  Besitzlosigkeit,  nur 
Heuchler  vermöchten  sie  zu  loben.  Christus  war  nicht  arm,  son- 
dern unermeßlich  reich,  da  ihm  Alles  zu  Gebote  stand.  —  Solche 
leidenschaftliche  Lieder  klingen  wie  die  Erwiderung  feingebildeter, 
weltlicher  Männer  auf  die  jubelnden  Ergüsse  eines  Jacopone.  In 
einem  reizenden  Gesänge :  ,0  amor  di  povertade',  erzählt  Dieser, 
wie  die  Armuth  in  zweierlei  Gestalt,  als  äußere  und  innere,  an  der 
Wiege  Christi  gestanden,  wie  Jesus  eine  solche  Liebe  zu  ihr  ge- 
faßt, daß  er  bis  zu  seinem  Kreuzestode  sich  nimmer  mehr  von  ihr 
getrennt.  Wie  sie  dann  verlassen  durch  die  Welt  gewandert  sei 
und  um  Aufnahme  bei  den  Prälaten,  Mönchen,  Eremiten,  Nonnen 
gefleht  habe,  aber  überall  zurückgewiesen  worden  sei,  bis  Franziskus 
sich  ihr  verlobt.^)  Derart  gestaltete  Jacopone  nur  eine  ganz  all- 
gemeine Franziskaneranschauung  dichterisch,  die  zuerst  bei  Bona- 
ventura in  der  vita  S.  Francisci  und  in  den  Meditationes  auftaucht, 
dann  bei  den  ,tres  socii'  wiederkehrt:  die  allegorische  Verbildlichung 
der  Armuth  Christi.  Die  Armuth  dient  Jesus  schon,  als  er  noch 
im  Mutterleibe  verborgen;  als  er  geboren,  nimmt  sie  ihn  in  der 
Krippe  auf,  begleitet  ihn  auf  allen  seinen  Wegen  und  schwingt 
sich,  als  selbst  Maria  unten  stehen  bleibt,  als  treueste  Freundin  zu 
ihm  am  Kreuzesstamme  auf,  daß  er  in  ihren  Armen  nackt  und 
arm  aus  dem  Leben  gehe.  ^) 

Mehr  noch  aber  als  dieses  Lied  des  Jacopone,  mag  ein  anderes 
jene  Florentiner   zum  Widerspruche    gereizt   haben,    das   ich  nach 


^)  Publ. :  Poeti  del  primo  secolo.  Florenz  181 6.  II.  Bd.  S.  300.  — <.  Rime  di 
Cavalcanti.  Florenz  1813,  S.  42.  —  Vergl.  Amone:  Le  rime  di  Guido  C.  Florenz. 
Sansoni  1881.  —  Demattio:  Le  lettere  in  Italia.  —  Ein  anderes  Gedicht  über  die 
Armuth  von  Monte  Andrea  in  den  Poeti  del  primo  secolo  11 ,  35,  von  Pucci  in  den 
Rime  di  Cino,  S.  465.  Vergl.  d'Ancona:  Studii  sulla  letteratura  Ital.,  S.  i  ff.,  der  auch 
noch  ein  unedirtes,  in  der  Laurentiana  befindliches  anführt. 

2)  III  C.  9.     Uebersetzung :  Schlüter  und  Storck,  S,  48  f. 

^)  T.  socii,  cap.  II,  S.  730.  —  Franz  Op. :  Oratio  pro  obtinenda  paupertate.  — 
Bon.  VII,  S.  760.  —  Meditationes:  Passim.  —  Ausfuhrlich  später  beiß.  Pisanus:  Liber 
Conformitatum  II  B.  IV  fr.  S.  152.  —  Das  ,,Sacrum  commercium  beati  francisci  cum 
domina  Paupertate",  welches  dem  Giovanni  da  Parma  zugeschrieben  wird,  enthält  die 
Wanderung  des  Franz  und  seiner  ersten  Schüler  zur  Armuth  auf  einem  Berge  und 
bringt  —  nicht  die  volksthümliche  Vermählung  —  sondern  eine  ausführliche  Darlegung 
Thode,  Franz  von  Assisi.  -ia 


530  Die  allegorischen  Darstellungen. 

Schlüter's  Üebersetzung  hier  ganz  hersetzen  möchte,  um  einen 
deutlicheren  Begriff  von  jener  Stimmung,  aus  der  die  Allegorie  der 
Armuth  hervorgegangen,  zu  geben.  ^) 

Inn'ge  Sehnsucht  nach  der  Armuth, 
Dir  sei  unser  Herz  geweiht. 

Armuth  stille  geht  und  leise, 
Schwester  Demuth,  deine  Gleise; 
Dir  genügt  zu  Trank  und  Speise 
Nur  ein  Näpfchen  alle  Zeit. 

Armuth  wünscht  sich  dies,  nichts  weiter, 
Wasser  nur  und  Brot  und  Kräuter; 
Kommt  ein  Gast  ihr,  hält  sie  heiter 
Noch  ein  Körnchen  Salz  bereit. 

Armuth  geht  auf  sichern  Steigen, 
Weil  nicht  Haß  und  Groll  ihr  eigen. 
Bangt  nicht,  wenn  sich  Räuber  zeigen, 
Da  sie  Nichts  zu  rauben  beut. 

Armuth  klopfet  an  die  Thüren, 
Ohne  Korb  und  Sack  zu  führen, 
Denn  sie  will  als  Gab'  erküren 
Speise  nur  und  Trank  für  heut. 

Armuth  hat  nicht  Dach  noch  Hütte, 
Wo  sie  sich  ein  Lager  schütte, 
Keinen  Tisch  in  Hauses  Mitte 
Hat  sie,  noch  ein  Oberkleid. 

Armuth  darf  in  Frieden  sterben 
Ohne  Testament  und  Erben, 
Sieht  Verwandte  nicht  entfärben 
Beim  Vermächtniß  sich  im  Streit. 

Armuth,  wonnigliches  Trachten, 
Darf  die  ganze  Welt  verachten; 
Nicht  nach  ihrem  Gute  schmachten 
Wird  ein  Erb'  in  Lüsternheit. 

Armuth,  liebe,  holde  Kleine, 
Bist  der  Himmelssassen  eine, 
Von  den  ird'schen  Sachen  keine 
Senkt  ins  Herz  dir  Wunsch  und  Neid. 


der  Gebote  der  Armuth  für  den  Orden  in  Wechselreden  zwischen  Franz  und  der  Po- 
vertä.  Die  alte  italienische  Üebersetzung  wurde  1848  von  Enrico  Bindi  und  Pietro 
Fanfani,  neuerdings  1901  (Florenz)  von  Salvatore  Minocchi  publizirt:  ,,Le  mistiche 
nozze  di  S.  f.  e  madonna  Povertä. 

^)  II  B.  4.     Schlüter  und  Storck,  S,  209. 


Die  Armuth.  531 


Armuth,  die  mit  trüben  Sinnen 
Geht,  um  Güter  zu  gewinnen, 
Kann  der  Trübsal  nie  entrinnen, 
Nimmer  finden  Trost  im  Leid. 

Armuth  hebt  zu  höchsten  Siegen, 
Führt  ein  Leben  voll  Vergnügen, 
Ihr  zu  Füßen  sieht  sie  liegen, 
Was  sie  der  Verachtung  weiht. 

Armuth  trägt  nicht  Müh'  und  Sorgen 
Um  Gewinnen  und  um  Borgen, 
Spendet  mild,  und  nie  auf  morgen 
Denkt  sie,  noch  auf  Abendzeit. 

Armuth  wallt  mit  leichtem  Gange, 
Lebt  vergnügt  in  niederm  Range, 
Um  die  Heimath  nimmer  bange, 
Geht  sie  von  Gepäck  befreit. 

Armuth,  die  der  Falschheit  ferne, 
Thut  das  Gut'  und  thut  es  gerne 
Und  erhofft  jenseits  der  Sterne 
Einen  Platz  der  Seligkeit. 

Armuth,  Königin  an  Stande, 
Hältst  in  Herrschaft  du  die  Lande, 
Alles  legst  du  dir  in  Bande, 
Dem  Verachtung  du  geweiht. 

Armuth,  hoher  Weisheit  Kunde, 
Dir  wird  stets  Verlust  zum  Funde, 
Bannst  den  Willen  du  zu  Grunde, 
Steigt  er  frei  in  Herrlichkeit. 

Armuth,  wer  dir  ganz  ergeben, 
Dem  gehört  das  ew'ge  Leben, 
Ihn  will  Christus  einst  erheben, 
Der  jedwede  Täuschung  scheut. 

Armuth,  du  bist  so  vollkommen 
Und  zu  solcher  Höh'  gekommen. 
Daß  du  schon  Besitz  genommen 
Von  der  ew'gen  Seligkeit. 

Armuth  mit  der  Anmuth  Zügen, 
Immer  reich  und  voll  Vergnügen, 
Wer  darf  als  unwürdig  rügen 
Liebe,  die  sich  dir  geweiht. 


34^ 


C22  Die  allegorischen  Darstellungen. 


Armuth,  innig  dein  begehret, 
Wessen  Herz  dich  liebt  und  ehret, 
Quelle  du,  die  nie  geleeret, 
Reichlich  fließt  für  alle  Zeit. 

Armuth  gehet  und  befehdigt 
Eitlen  Reichthum  stets  und  predigt, 
Daß  man  seiner  sich  entledigt. 
Da  ja  Nichts  ihm  Dauer  leiht. 

Armuth  lacht  der  Erdenschätze 
Und  der  hohen  Ehrenplätze, 
Wo  sind,  spricht  sie,  eure  Schätze, 
Mächt'ge  der  Vergangenheit  ? 

Armuth,  wer  dich  hält  umschlossen. 
Läßt  die  Welt  und  ihre  Possen 
Und  bestrebt  sich  unverdrossen. 
Daß  Verachtung  ihm  sich  beut. 

Armuth  ist  es,  gar  Nichts  haben, 
Erdengüter  nicht,  noch  Gaben, 
Nicht  an  eignem  Werth  sich  laben, 
Theilen  Christi  Herrlichkeit. 


2.    Die   Keuschheit. 

Die  Mitte  auf  Giotto's  Fresko  (Abb.  73)  nimmt  ein  von  Mauern 
mit  Eckthürmen  umschlossener  hoher,  zinnengekrönter  Thurm  ein, 
auf  dem  über  einem  Glockengestell  eine  weiße  Fahne  weht.  In  einem 
Fenster  gewahrt  man  die  betend  nach  links  gewandte,  nur  als 
Brustbild  sichtbare  Frau  Keuschheit  (S.  Castitas) ,  deren  Kopf  mit 
einem  weißen  Tuche  bedeckt  ist.  Zwei  Engel,  der  eine  eine  Krone, 
der  andere  eine  Palme  bringend,  schweben  zu  ihr  heran.  Außer- 
halb der  Festung  sieht  man  im  Ganzen  sieben  geflügelte  grau- 
bärtige Krieger,  die,  gewappnet,  in  der  einen  Hand  den  Schild,  in 
der  andern  eine  Geißel  als  trutzige  Wächter  dastehen.  In  der 
Mitte  vorn  hält  ein  Engel  einen  nackten  Jüngling  in  einem  Marmor- 
bassin. Ein  zweiter  Engel  gießt  Wasser  über  sein  Haupt,  und  zwei 
andere  warten  mehr  rechts,  eine  Mönchskutte  bereit  haltend.  Aus 
dem  Innern  der  Festung  aber  reichen  zwei  Frauen  dem  Jünghng, 
die  eine,  die  Reinheit  (S.  Munditia),  eine  weiße  Fahne,  die  andere 
mit  einem  Helm  auf  dem  Kopf,  die  Tapferkeit  (S.  Fortitudo),  einen 
Schild.  Links  in  der  Ecke  giebt  Franziskus  einem  zwischen  einem 
alten  Laien   und    einer  Frau    heraufschreitenden  Mönche  die  Hand. 


Die  Keuschheit.  533 


Von  zwei  hinter  ihm  stehenden  Engeln  hält  der  eine  den  An- 
kommenden ein  Kreuz  entgegen.  In  der  rechten  Ecke  kämpfen 
drei  Engel  mit  den  Waffen  Christi:  einem  Speer,  Gefäß,  Kreuz 
und  Nägeln  gegen  Dämonen,  die  den  Berg  hinabflüchten.  Eine 
geflügelte  Person  in  Mönchskutte,  die  Buße  (penitentia),  unterstützt 
sie  und  richtet  den  Dreizack  gegen  die  Sinnenliebe  (amor).  Diese 
ist  als  Jüngling  mit  Flügeln  und  Krallenfüßen  dargestellt,  hat  eine 
Binde  um  die  Augen,  einen  Rosenkranz  im  Haar  und  eine  Schnur, 
an  der  Herzen  hängen,  sowie  einen  Köcher  um  den  Leib  gebunden. 
Eine  teuflische  Figur  hinter  ihr  wird  von  dem  als  Gerippe  dar- 
gestellten Tod  mit  der  Sichel  in  der  Hand  verjagt,  eine  dritte,  die 
jimmunditia'  mit  Schweinskopf,  ist  hingestürzt.  Der  Sinn  des  Ganzen 
ist  klar,  das  Gleichniß  aber  im  Einzelnen  logisch  zu  erklären,  fällt 
schwer.  Auch  die  theilweise  sehr  verstümmelte  Inschrift  giebt 
keinen  wesentlichen  Anhalt.  Von  den  fünf  Strophen  des  Hymnus 
sind  die  ersten  beiden  unklar: 


et  castitati  oranti 
victoria  coron(aque) 
datur  caritatem. 


hanc  querens  sc  astringere 
honestatem  secreto 
loco  datur  pertinere 
si  fortitudo  protegit.^) 

dum  castitas  protegitur 
per  virtuosa  munera 
nam  contra  hostes  tegitur 
per  passi  Christi  vulnera 
defendit  penitentia 
castigando  se  crebrius 
mortis  reminiscentia 
dum  mentem  pulsat  sepius 
fratres  sorores  advocat 
incontinentes  conjuges 
cunctos  ad  eam  provocat 
Franciscus. 

Die  Unklarheit  dieser  Allegorie  entspringt  offenbar  aus  dem 
Mangel  an  Logik,  den  schon  das  Programm,  dem  Giotto  zu  folgen 
hatte,  aufwies.     Selbst  eine  einheithche  Handlung  würde  vermuth- 


^)  So   (offenbar   sehr  falsch)  nach  der  alten  Manuskriptbeschreibung.  —  Die  drei 
folgenden  Strophen  konnte  ich  nach  der  Inschrift  selbst  korrigiren. 


534  ^^^  allegorischen  Darstellungen. 

lieh  aus  den  oben  angegebenen  Gründen  einen  befriedigenden 
künstlerischen  Eindruck  nicht  hervorgebracht  haben.  So  aber,  da 
eine  doppelte  Handlung,  nämlich  der  Kampf  gegen  die  Laster  und 
die  Aufnahme  in  den  Orden  neben  einander  gestellt  sind,  geräth 
der  denkende  Betrachter  in  völlige  Verwirrung.  Immerhin,  wenn 
auch  nicht  logisch,  läßt  sich  der  Gedankengang  des  Gleichnisses 
leidlich  klar  verfolgen.  Der  Verfasser  desselben  denkt  sich  eine 
Festung  der  Keuschheit.  Diese  Festung,  und  darin  liegt  schon  eine 
große  Unbestimmtheit,  ist  nicht  symbolisch  für  den  Leib  des  ein- 
zelnen keuschen  Menschen  oder  etwa  für  den  Franziskanerorden 
genommen,  sondern  scheint  ganz  allgemein  der  Aufenthaltsort  der 
Keuschen  zu  sein.  Seine  Herrin,  man  könnte  auch  denken,  seine 
Wächterin,  ist  die  Keuschheit;  die  unreinen  Begierden  suchen  sich 
der  Festung  zu  bemächtigen,  werden  aber  von  der  Buße,  dem  Ge- 
danken an  den  Tod  und  dem  durch  die  Waffen  Christi  angedeuteten 
Glauben  vertrieben.  Die  Keuschheit  als  Siegerin  erhält  den  Palm- 
zweig und  die  Krone.  Da  nahen  neue  Schaaren,  die  unter  ihrem 
Zeichen  kämpfen  wollen.  Es  sind  die  drei  Orden  des  Franz,  re- 
präsentirt  durch  die  drei  den  Berg  ersteigenden  Leute.  Franz  selbst, 
gleichsam  der  Gesandte  und  Thorhüter  der  Keuschheit,  empfängt 
sie.  Wer  aber  in  ihre  Heerschaaren  aufgenommen  sein  will,  muß 
eine  strenge  Disziplin  der  Buße  durchmachen.  Schon  erwartet  ihn 
einer  der  ergrauten  Krieger,  die  züchtigende  Geißel  in  der  Hand. 
Dann  muß  er  sich  dem  Bade  der  Reinigung  unterziehen,  einer 
zweiten  Taufe,  und  erhält  von  der  Reinheit  und  der  Tapferkeit  die 
Fahne  der  Keuschheit  und  den  Schild,  an  Stelle  der  Rüstung  die 
Kutte.  So  wird  er  ein  Streiter  gegen  die  feindlichen  Mächte  der 
Sinnenlust,  aber  auch  als  solcher  muß  er  erneuten  Prüfungen  sich 
unterziehen,  denn  jener  andere  Krieger  verbirgt  im  Rücken  die 
Geißel.  Dies  ungefähr  der  Inhalt  der  Allegorie,  die  man  nur  im 
Allgemeinen  bestimmen  darf,  will  man  nicht  seine  Zeit  mit  unnützem 
Grübeln  vergeuden.  Denn  schon  in  den  Kriegern  die  Personifikationen 
bestimmter  Begriffe  zu  sehen,  scheint  mir  unmöglich.  ^) 

Von  besonderem  Interesse  ist  in  diesem  Bilde  nur  die  Idee 
des  Kampfes  der  Keuschheit  mit  dem  abenteuerlichen,  halb  antik 
gedachten,    halb    dämonischen    Amor,    der,    in    der   Folgezeit    von 


^)  Cristofani  hält  sie  für  Symbole  der  ernsten  und  schweren  Gedanken,  mit  denen 
sich  der  Mensch  schützen  muß,  um  in  Keuschheit  zu  leben. 


Der  Gehorsam.  535 


Petrarca  besungen,  später  mit  Hülfe  antik- mythologischer  Vorstel- 
lungen reich  und  phantastisch  geschildert,  auch  in  andern  Kunst- 
werken, wie  namentlich  Perugino's  Bild  im  Louvre,  wiederkehrt.^) 
Die  Allegorie  Giotto's  aber  als  Ganzes  steht  vereinzelt  da.  An 
der  Decke  der  Kapelle  in  S.  Croce  stellte  er  die  Keuschheit  im 
Thurme  allein  dar.  Schon  Taddeo  Gaddi  läßt  diese  Charakterisirung 
fallen  und  giebt  ihr  in  S.  Francesco  zu  Pisa  eine  Lilie  und  Veilchen 
in  die  Hand. 

3.  Der  Gehorsam. 

In  einer  gothischen  Halle,  an  deren  Hinterwand  in  der  Mitte 
das  Bild  des  gekreuzigten  Christus  zu  sehen  ist,  sitzt,  in  eine  Mönchs- 
kutte und  dunklen  Mantel  gehüllt,  ein  Joch  aut  den  Schultern  und 
geflügelt,  in  der  Gestalt  einer  alten  Frau,  der  Gehorsam  (S.  Obe- 
dientia).  (Abb.  74.)  Mit  der  Rechten  legt  sie  einem  vor  ihr  knieenden 
Mönche  das  Joch  auf,  das  dieser  mit  beiden  Händen  erfaßt,  und  be- 
rührt ,  Schweigen  gebietend ,  mit  dem  Zeigefieger  der  Linken  den 
Mund.  Links  neben  ihr  sitzt  die  Klugheit  (S.  Prudentia),  eine  gekrönte 
Frau  mit  doppeltem,  einem  alten  und  einem  jugendlichen  Gesichte. 
In  der  Rechten  hält  sie  einen  Zirkel ,  mit  der  Linken  wendet  sie 
dem  Mönche  einen  Spiegel  zu.  Vor  ihr  steht  eine  globusartige 
Scheibe,  wohl  ein  Astrolabium,  unter  einem  Gehäuse.  Ihr  entspricht 
auf  der  andern  Seite  die  knieende  Demuth  (S.  Humilitas),  eine 
mädchenhafte  Erscheinung,  welche  die  Augen  senkt  und  in  der 
Rechten  eine  Kerze  trägt.  Im  Vordergrund  der  Halle  kniet  links 
ein  Engel,  der  einen  von  zwei  knieenden  Novizen  an  der  Hand 
hält  und  auf  den  Gehorsam  hinweist,  während  rechts  ein  Engel 
vergeblich  einen  Kentauren  zu  beschwichtigen  und  zum  Gehorsam  zu 
fuhren  sucht.  Letzterer,  ein  Mischgebilde  mit  menschlichem  Ober- 
körper, den  Vorderbeinen  eines  Pferdes  und  dem  Leibe  und  Hinter- 
beinen eines  Panthers,  bäumt  sich  mit  einer  Geberde  des  Abscheus 
zurück.  Je  eine  Schaar  von  knieenden  Engeln,  deren  vorderster 
ein  Füllhorn  hält,  schließt  die  Komposition  links  und  rechts  ab. 
Ueber  der  Halle  aber  wird  der  heiHge  Franziskus,  der  einen  Kreuzes- 
stab hält,  von  zwei  Händen  an  dem  Joche,  das  mit  Stricken  an 
seinen  Schultern   befestigt   ist,    in   die  Höhe  gezogen.     Neben  ihm 

^)  Vergl.  hierzu  meine  Ausführungen  über  Francesco  da  Barberino  in  meiner 
Monographie  über  Giotto. 


cßö  Die  allegorischen  Darstellungen. 

knieen  zwei  auf  ihn  weisende  Engel,  die  Schriftrollen  halten.  ^)     Die 
Inschrift  unter  dem  Fresko  lautet: 

virtus  obedientie 
jugo  Christi  perficitur 
cujus  jugo  decentie 
obediens  efficitur 
aspectum  non  mortificat 
sed  viventis  sunt  opera 
linguam  silens  clarificat 
cordi  scrutatur  opera 
comitatur  prudentia 
futura  quae  prospicere 
seit  simul  et  presentia 
in  retro  jam  deficere 
quasi  per  sexti  circulum 
agenda  cuncta  regulat 
et  per  virtutis  speculum 
obedientie  trepidat 
se  deflectit  humilitas 
presumptionis  nescia 
cujus  in  manu  clari(tas) 
virtute con 

Der  Sinn  der  Darstellung  ergiebt  sich  unschwer.  Nur  Selbst- 
erkenntniß  und  Selbsterniedrigung  schaffen  den  wahren  Gehorsam, 
der  schweigend  sich  fügt  im  Hinblick  auf  das  Vorbild  Christi. 
Dem  Gehorsamen  wird  die  Fülle  der  himmlischen  Gnade  aus  der 
Hand  der  Engel  zu  Theil,  ja  er  wird,  wie  Franz  selbst,  durch 
eben  den  Gehorsam  gen  Himmel  gezogen.  Willig,  wie  die  beiden 
Novizen,  wird  er  dem  Engel  folgen,  nicht  übermüthig  und  fleischlich 
gesinnt,  wie  der  Kentaur,  sich  sträuben. 

Das  Bild  des  Joches,  der  Bibel  selbst  entnommen,  war,  wie 
aus  Stellen  von  Bonaventura's  vita  und  Aussprüchen  des  Frater 
Aegidius  hervorgeht,  ein  zur  Charakteristik  des  Gehorsams  allgemein 
angewandtes.  ^)  Auch  die  Attribute  der  Tugenden  sind  die  ge- 
bräuchlichen,  wie  denn  Giotto  selbst  die  , Prudentia'  in  Padua  in 
gleicher   Weise    dargestellt    hatte.  ^)      Eine    nähere    Erklärung    ver- 


^)  Auf  der  einen  steht:  tollite  jugum auf  der  andern:  .  .  .  jam  .  .  .  stum 

crucem  penitentie. 

2)  Kap.  VI,  S.  757.  —  B.  Pisanus  fr.  VIII.  —  Vergleiche  auch  das  Rehef  des 
Gehorsams  an  der  Fassade  von  S.  Bemardino  in  Perugia. 

'')  Das  Doppelgesicht,  der  Spiegel  bleiben  bis  auf  Raphael  die  beliebtesten  Sym- 
bole.    Daneben  die  Schlange. 


Begegnung  des  Franz  mit  den  Tugenden.  537 

langt  nur  die  Figur  des  Kentauren,  die  nach  Crowe  Stolz,  Neid 
und  Habsucht ,  nach  Schnaase  die  rohe  Willkür ,  nach  Lübke  und 
Dobbert  ungebändigten  Trotz,  nach  Weltmann  die  Hoffahrt,  nach 
Piper  ^)  den  Eigenwillen  bezeichnet.  Aus  einigen  Stellen  der  Reden 
des  Antonius  von  Padua  scheint  mir  hervorzugehen,  daß  man  den 
Kentauren  in  jener  Zeit  symbolisch  für  den  , Superbus',  den  Hoch- 
müthigen,  setzte.  Auch  den  Panther  nennt  er  ein  Bild  des  Superbus, 
so  daß  die  Verbindung  des  Kentaurenkörpers  mit  dem  Pantherleibe 
nicht  auffallen  kann.  ^) 

In  S.  Croce  stellt  Giotto  den  Gehorsam  als  einzelne  Figur 
eines  Mönches,  der  auf  den  Schultern  das  Joch  trägt,  mit  der 
Linken  ein  Buch  hält ,  mit  der  Rechten  Schweigen  gebietet ,  ganz 
ähnlich  dar ,  ebenso  Taddeo  Gaddi  in  S.  Francesco  zu  Pisa ,  der 
daneben  gleichfalls  als  Einzelgestalten  die  Demuth  und  die  Klug- 
heit mit  Büchern  als  Attributen  malte.  Auf  dem  erwähnten  Bilde 
in  München  aber  ist  als  Seitenstück  zur  ,  Verlobung  der  Armuth' 
eine  Szene  gegeben,  in  der  ein  alter  Franziskaner  einem  Neophyten 
das  Joch  auflegt. 

Eine  eigenartige  Darstellung  der  Begegnung  des  Franz  mit 
den  drei  Franziskanertugenden,  deren  hier  zum  Schlüsse 
Erwähnung  geschehen  mag,  geht  auf  eine  zuerst  von  Thomas  von 
Celano  in  der  II.  Legende,  danach  von  Bonaventura  mitgetheilte 
Erzählung  zurück.  Als  Franz  in  seinem  letzten  Lebensjahre  von 
Reate  nach  Siena  ging ,  erschienen  ihm  plötzlich  am  Wege  drei 
arme  Frauen,  ,,Sie  waren  aber  im  Wuchs ,  Alter  und  Antlitz  so 
ähnlich ,  daß  man  hätte  glauben  können  ,  die  drei  Gestalten  wären 
aus  einer  Form  gemacht  worden.  Als  der  h.  Franz  herankommt, 
neigen  sie  ehrerbietig  das  Haupt  und  begrüßen  ihn  in  solch'  neuer, 
herrlicher  Weise:  , Willkommen,  Herrin  Armuth*.  Sogleich  ward 
der  Heilige  von  unausprechlicher  Freude  erfüllt,  wie  Einer,  der 
keinen  Gruß  von  den  Menschen  lieber  empfing,  als  den,  welchen 
jene  ihm  zuerkannt."  Da  bittet  er  den  ihn  begleitenden  Arzt,  den 
Frauen  einen  Almosen  zu  reichen.  Als  sie,  ein  Stück  weitergegangen, 
sich   umdrehen,    ist  Nichts    mehr  von   den  Frauen  auf  der  ganzen 


^)  Mythologie  der  christl.  Kunst  I,  S.  400. 

*)  Opera.  Sermones  Dominieales.  Dom.  I.  in  Quadr.  S.  137.  Per  Centaurum 
superbus  designatur.  —  Ebendas.  dorn.  XVII ,  p.  Tr.  S.  290 :  pardus  huius  mundi 
superbima  variis  peccatonmi  maculis  respersum  significat. 


C7g  Die  allegorischen  Darstellungen. 

Ebene  zu  sehen.  ^)  Bonaventura  fügt  hinzu,  die  Frauen  seien  wohl 
zu  deuten  als  Armuth ,  Keuschheit  und  Gehorsam.  ^)  Als  solche 
symbolisirt  erscheinen  sie  auch  auf  zwei  Bildern,  deren  eines,  wenn 
nicht  von  Ottaviano  Nelli  selbst,  doch  ihm  sehr  nahe  stehend,  im 
Christlichen  Museum  des  Vatikans  (M,  2.)  bewahrt  wird,  das  andere 
in  der  Sammlung  Demidoff  sich  befand.  ^)  Auf  beiden  ist  dargestellt, 
wie  Franz,  hinter  dem  ein  Begleiter  steht,  der  mittelsten  der  drei 
Frauen,  der  Armuth,  den  Ring  an  den  Finger  steckt.  Die  Keusch- 
heit hält  eine  Lilie  oder  einen  Zweig,  der  Gehorsam  trägt  das  Joch. 
Auf  dem  Bilde  im  Vatikan  kommt  oben  aus  den  Wolken  eine 
segnende  Hand,  auf  dem  andern  sieht  man  die  drei  Frauen  gen 
Himmel  schweben.  Eine  spätere  Darstellung,  wohl  von  der  Hand 
Andrea  Brescianinos,  sah  ich  auf  einer  Auktion  bei  Lepke  in  Berlin 
am   13.  April   1886. 

Alle  drei  Allegorien  umgeben  fliegend  den  Heiligen  auf  dem 
Robbiarelief  in  S.  Girolamo  bei  Volterra,  vielleicht  auch  auf  einem 
Bilde  Cennini's  in  Castel  Fiorentino,  das  ich  nicht  gesehen  habe.  ^) 
Auch  auf  einem  der  von  Giotto  gemalten  Fresken,  welche  im  Kloster 
gegenüber  San  Francesco  in  Rimini  die  Geschichte  der  h.  Michelina 
erzählten ,  waren  sie  nach  Vasari  zu  sehen ,  wie  sie  die  Kutte  des 
Franz  in  der  Luft  schwebend  trugen. 

4.  Der  Triumph  des  Heiligen  Franz. 
Auf  dem  vierten  Gewölbefresko  der  Unterkirche  in  Assisi  sieht 
man  auf  einem  reichen  Throne  von  einer  Strahlenglorie  umgeben 
den  Ordensstifter  im  Diakonengewand  sitzend,  in  der  Rechten  einen 
Kreuzesstab,  in  der  Linken  ein  Buch.  Ueber  ihm  steht  ein  rothes 
Banner,  auf  dem  ein  Kreuz  und  sieben  Sterne  zu  sehen  sind. 
Rings  um  den  Sitz  ergehen  sich  in  seligem  Reigen  Engel ,  andere 
blasen  Posaunen,  vier  eilen  nach  vorn  heraus  mit  Lilien  in  der 
Hand.    (Abb.  75.)     Die  Inschrift  lautet: 

_  _  renovat 

jam  normam  Evangelicam 
Franciscus  cunctis  praeparat 
viam  salutis  celicam 


^)  Th.  V.  C.  II.  ni,  Kap.  37.  S.  140. 
2)  Kap.  VII,  S.  761. 
^)  Abb.  bei  Rosini,  Atlas  Taf.  XXV. 
*)  Crowe  u.  Cav.  II,  S.   54. 


Der  Triumph  des  heiligen  Franz.  539 

paupertatem  dum  reparat 
castitatem  angelicam 
obediendo  comparat 
trinitatem  deificam 
coronatus  virtutibus 
ascendit  regnaturus 
his  cumulatus  fructibus 
procedit  jam  securus 
cum  angelorum  cetibus 
et  Christi  profecturus 
formam  quam  tradit  fratribus 
Sit  quisque  sequuturus. 

Waren  schon  auf  den  alten  Portraits  des  Franz  von  Berlinghieri^ 
denen  in  S.  Maria  degli  Angeli,  S.  Croce  und  Siena  Engel  über 
ihm  erschienen,  so  versetzt  ihn  doch  erst  Giotto  auf  den  Himmels- 
thron ,  der  ja  nach  der  Vision  eines  Bruders  ehemals  dem  Lucifer 
angehört  hatte  und  ihm  aufbewahrt  ward.  ^)  Erst  jetzt  wird  er  nach 
Bonaventura's  Vorgang  als  „Fahnenträger  Christi"  aufgefaßt,  der 
in  die  Schaar  der  Ewigen  aufgenommen  ist.  Das  Kreuz  und  die 
sieben  Sterne  scheinen  auf  die  sieben  Kreuzerscheinungen  hinzu- 
deuten, die  ihm  nach  Bonaventura  und  Jacopone  zu  Theil  ge- 
worden."^) „O  Franziskus,  Du  Armer,  Du  neuer  Patriarch,  Du 
trägst  ein  neues  Banner,  das  mit  dem  Kreuz  bezeichnet."  Einem 
triumphirenden  Feldherrn  gleich,  gehen  ihm  Engel  mit  Lilien  voran, 
Posaunen ,  Cymbeln  und  Schalmeien  erschallen  zu  seinem  Ruhme. 
Daneben  aber  gewahrt  man  den  Engelreigen,  der,  hier  vielleicht 
mit  zum  ersten  Male  dargestellt,  der  anmuthvolle  Ausdruck  ewiger 
Seligkeit  und  ewiger  Lust  ist.  Unwillkürlich  erinnert  man  sich 
dabei  an  die  reizenden  Lieder  Jacopone's,  welche  die  gläubigen 
Seelen  zum  Tanze  auffordern : 

Ciascüno  amante,  che  ama  il  Signore 

Vegna  a  la  danza,  cantando  d'Amore, 
An  jenes  andere: 

bene  morrö  d'amore, 
und  das  dritte: 


')  I.  393- 

2)  S.  oben  S.  134.     Vergl.  B.  Pis.  lib.  conf.  III  fr.  IX,  S.  221  v. 

^)  Bon.  cap.  XIII,  S.  779.  —  Jac.  III,  23:  ,0  Francesco  poverello'.  Vergl. 
auch  III,  25 :  ,0  Francesco  da  Dio  amato',  in  dem  er  als  Feldherr  im  Kampfe  gegen 
den  alten  Erbfeind  gefeiert  wird.  —  Auch  Rodulphus  (s.  Anhang  III)  nennt  dieses 
Bild  den  „Triumph"  des  Franz. 


tAO  Die  allegorischen  Darstellungen. 

nol  mi  pensai  giamai 
di  danzar  alla  danza 
ma  la  tua  inamoranza 
Jesu  lo  mi  fe  fare.  ^) 

An  Giotto's  Fresko  erinnert  das  Bild  im  ehemaligen  Refektorium 
von  S.  Francesco  in  Pistoja,  das  irrthümlich  dem  Capanna  zu- 
geschrieben wird.  Auch  hier  thront  Franz  als  Diakon,  von  Engel- 
schaaren  umgeben,  welche  aber  hier  deutlich  in  die  drei  Hierarchieen 
geschieden  sind.  In  der  Höhe  schweben  links  und  rechts  blaue  und 
rothe  Seraphim,  darunter  bewegen  sich  gekränzte  Engel  im  Reigen, 
auf  dem   blumigen  Boden  unten  aber  knieen  musizirende  Engel.  ^) 

Eine  andre  Art  der  Verherrlichung  zeigt  Taddeo  Gaddi's  Fresko 
in  Pisa.  Hier  sitzt  Franz  zwischen  den  Allegorieen  des  Glaubens 
und  der  Hoffnung,  ein  Buch  auf  den  Knieen,  in  dem  zu  lesen: 
,tres  ordines  hie  ordinat'.  —  Taddeo  Bartoli  auf  einem  Bilde  der 
Pinakothek  zu  Perugia  zeigt  ihn  von  Seraphim  umgeben  mit  er- 
hobenen Händen  auf  drei  zu  Boden  gestürzten  Personen  stehend. 
Die  eine,  ein  Mann,  läßt  den  Dolch  fallen;  die  andere  ist  ein 
Jüngling  in  reichem  Gewände,  eine  Kette  im  Haar,  die  dritte  eine 
Nonne,  neben  der  ein  Geldbeutel  liegt. ^)  Offenbar  sollte  damit 
Franz  als  Sieger  über  den  Unfrieden,  die  Hoffarth  und  die  Habsucht 
gefeiert  werden.  —  Aehnlich  allegorisch  ist  eine  Darstellung  des 
Sassetta*),  die  den  Heiligen  vor  einer  Seraphimglorie,  von  den 
Allegorieen  der  Ordensgelübde  umschwebt,  zeigt.  Er  steht  auf 
einem  am  Boden  liegenden  Krieger,  vor  dem  ein  Löwe  ruht.  Da- 
neben sitzt  links  eine  Frau,  die  den  rechten  Arm  auf  ein  Schwein 
stützt,  in  der  Linken  einen  Spiegel  hält,  rechts  eine  andere  Frau 
mit  einer  Art  Druckerpresse  und  einem  Thiere.  Mrs.  Jameson  faßt 
die   so   besiegten  Feinde  als  Hochmuth,    Wollust  und  Häresie  auf. 

Eine  andere  Symbolik  verrathen  das  erwähnte  Robbiarelief  in 
Volterra  und  das  Fresko  aus  Domenico  Ghirlandajo's  Schule  im 
Noviziat  zu  S.  Croce.  Gleich  Christus  steht  hier  Franz  auf  der 
Weltkugel ,  auf  dem  letzteren  überdies  von  vier  Heiligen  umgeben 
und  von  knieenden  Novizen  verehrt.^) 


1)  VI,  43.     Uebers.  Schlüter  u.  Storck,   S.  335.  —  VI,  37.  —  VII,  8.     Uebers. 
von  Schlüter  u.  Storck,  S.  280. 

2)  Phot.  Alinari. 

3)  Sala  di  T.  Bartoli.  N.  5. 

*)  Abb.  Rosini,  Atlas.     Jameson:  Legends  of  the  monastic  orders  S.  250. 
5)  Phot.  Alinari. 


Franz  als  Ordensstifter.  541 


Sonstige  Kunstwerke  zeigen  ihn  schwebend,  wie  er  die  Stigmata 
weist ,  oder  von  Engeln  umgeben  in  den  Anblick  des  Kruzifixus 
vertieft,  wie  das  Filippino  Lippi  in  London  zugeschriebene  Ge- 
mälde^), oder  auch  in  der  Mitte  von  Heiligen,  wie  Catena's  Gemälde 
in  S.  Giovanni  e  Paolo  zu  Venedig  und  Fogolino's  Bild  im  Dom 
zu  Pordenone.^) 

Anzureihen  wären  hier  noch  die  Darstellungen  des 

Franz  als  Ordensstifter. 
Die  älteste  dürfte  die  vom  Padre  Angeli  erwähnte  sein,  die 
sich  ehemals  über  der  Thür  des  Refektoriums  in  Assisi  befand. 
Hier  stand  Franz  inmitten  seiner  zwölf  Jünger.  Wohl  im  Hinter- 
grunde sah  man,  wie  der  Teufel  den  Judas  unter  ihnen,  den  frater 
Johannes  de  Capella,  erwürgt.'^)  Erhalten  sind  uns  nur  spätere 
Werke,  so  ein  Bild  in  der  Art  des  Filippo  Lippi  in  BerHn,  das 
Franz  auf  einem  Throne  zeigt,  wie  er  der  h.  Chiara  und  ihren 
Nonnen  in  Gegenwart  des  Bischofs  Ludwig  und  des  Stephanus  die 
Regel  reicht.*)  Auf  dem  Robbiarelief  in  Volterra  übergiebt  er  sie 
dem  h.  Lucchese  und  seiner  Gattin,  auf  einem  Gemälde  des  Zingaro 
in  S.  Lorenzo  zu  Neapel  den  Repräsentanten  der  beiden  Haupt- 
orden. Alle  drei  Orden  sind  auf  dem  Fresko  aus  der  Schule  Man- 
tegna's  im  Chiostro  von  S.  Antonio  zu  Padua  ^)  und  auf  einem  von 
Bartsch  und  Passavant  nicht  erwähnten  Stiche  des  G.  A.  da  Brescia 
im  British  Museum  vertreten. 


Anhang:  Die  apokalyptischen  Darstellungen.  An 
zwei  Stellen  bereits  ist  von  der  Deutung  des  Franz  auf  Michael 
und    den    siebenten    Engel    der    Apokalypse    die    Rede    gewesen 

1)  Nat.  Gall.   598. 

^)  Auf  ersterem  zwischen  Ludwig  und  Bonaventura,  auf  letzterem  zwischen  Jo- 
hannes d.  T.  und  DanieL 

8)  CoUis  Paradisi.     Tit.  XXVHI,  S.   38. 

■*)  Gallerie   1131. 

*)  Inschrift  aus  dem  bekannten  Hymnus 

Tres  ordines  hie  ordinat 

primumque  fratrum  nominal 

minorum  pauperumque 

Fit  dominarum  medius 

sed  penitentium  tertius 

sexum  capit  utrumque. 


542  Die  allegorischen  Darstellungen. 

{S.g6ff.,  232)  und  auf  sie  kann  hier  hingewiesen  werden,  betrachten 
wir  kurz  die  Darstellungen  der  Medaillons  an  den  Diagonalgurten 
der  Gewölbe  über  dem  Hochaltar  der  Unterkirche  zu  Assisi.  Solche 
Medaillons  befinden  sich  je  8  an  jedem  Gurte.  Am  Schlußsteine 
ist  Gottvater  mit  Buch  und  Schlüssel  dargestellt  (Apok.  cap.I,  14.  18). 
Es  folgen,  immer  die  vier  sich  entsprechenden  Medaillons  zusammen 
betrachtet : 

I.    I.  ödes  Erdreich  unter  goldnem  Himmel.    Symbolisch  bezüg- 
lich  auf  das   Erdbeben?     Ap.  cap.  VI,   12.     2.    nicht  mehr 
kenntlich.     3.  ein  Sarkophag  oder  Altar.     4.  das  Lamm. 
II.    I — 4.  Die  vier  Evangelistensymbole,     cap.  IV. 

III.  Die  vier  Reiter,  cap.  VI.  i.  auf  rothem  Pferde,  ein  Schwert 
schwingend.  2.  auf  weißem  Pferde,  eine  Krone  auf  dem 
Haupte  mit  dem  Bogen.  3.  auf  schwarzem  Pferde,  mit  einer 
Waage.  4.  der  Tod  als  Skelett  auf  grauem  Pferde,  in  der 
Rechten  einen  Gegenstand  schwingend. 

IV.  Vier  Engel.  Ap.  VII,  i.  i.  nicht  recht  erkennbar.  2.  ein 
Tuch  schwingend.  3 .  rufend.  4.  mit  offenem  Buch  (cap.  X,  v.  8.  ?). 

V.  Vier  Engel.  Die  Bewegung  derselben  undeutlich.  Nur  der 
eine  hat  ein  Szepter  und  eine  Kugel,  ein  anderer  einen 
Schlüssel. 

VI.  Drei  Posaunen  blasende  Engel,  cap.  VIII,  2.  Der  vierte 
herausweisend. 

VII.  Vier  Engel,  deren  jeder  einen  zottigen  Thierkopf  in  der  Hand 
hält.     Auf  cap.  XIII  bezüglich? 

VIII.  Drei  Posaunen  blasende  Engel.    Der  vierte  erhebt  die  Hände. 
An    den   Schmalseiten   der   Gurte   befinden    sich   gleichfalls  je 
8  Medaillons,    im  Ganzen   also    64.     Die   acht  sich  entsprechenden 
haben  immer  die  gleiche  Darstellung. 

I.   Geflügelte  Leuchter,     cap.  I,  12.  13. 

II.  7  geflügelte  lampenartige  Scheiben.  Sollen  es  die  cap.  IV,  5 
erwähnten  Fackeln  sein?  Oder  die  Schalen  V,  8  ?  Im  achten 
Felde  ein  Engel. 

III.  Acht  Greise,  Aelteste.     cap.  5. 

IV.  Ebenso. 
V.   Ebenso. 

VI.  Acht  betende  Engel,     cap.  8. 
VIL  Ebenso. 
VIII.   Ebenso. 


Die  Kreuzesallegorieen.  543 


In  den  die  Fresken  einrahmenden  ornamentalen  Streifen  sind 
je  23  Medaillons  mit  Brustbildern  von  Engeln  und  zwar  sind  darin 
die  9  Hierarchieen  zweimal  dargestellt  und  außerdem  5  Engel.  Von 
oben  angefangen  folgen  sich  (die  beiden  Hälften  entsprechen  sich) : 

1.  Seraphim,  geflügelter  Kopf. 

2.  Cherubim.     Doppelkopf:    bärtig  und  jugendlich. 

3.  Thron.     Als  wirklicher  Thron  symbolisirt. 

4.  Dominatio.     Mit  Zettel.? 

5.  Principatus  mit  Schwert  und  Schild. 

6.  Potestas  mit  Stab. 

7.  Eckmedaillon:   Engel  ohne  Attribut. 

8.  Virtus.!*   mit  Kugel  und  Stab. 

9.  Ebenso. 

10.  Engel,    der  einen  undeutlichen  Gegenstand  anschaut  (eine 
Figur?). 

1 1.  Engel  mit  Keule. 

12.  Mittelmedaillon  unten:    mit  Schwert  und  Schild. 

Wir  finden  hier,  abweichend  von  der  Anordnung  bei  Dante, 
der  an  Stelle  der  throni  die  potestates  setzt,  die  alte  Eintheilung 
des  Dionysios  Areopagita,  der  auch  Bonaventura  in  seinen  Schriften 
folgt.  Lassen  sich  leider  auch  nicht  mit  Sicherheit  alle  Hierarchieen 
in  den  Fresken  unterscheiden,  so  ist  es  doch  von  Interesse,  wenig- 
stens die  symbolische  Darstellung  der  Cherubim,  die  gleich  der 
Prudentia,  weil  sie  an  Wissen  alle  anderen  übertreffen,  einen  Doppel- 
kopf haben,  und  der  , throni'  kennen  zu  lernen.^) 

IL   Die  Kreuzesallegorieen. 

Der  Aufschwung,  den  Dank  Franziskus  und  seinem  Orden  der 
Kultus  des  Kreuzes  genommen,  äußert  sich  auf  dem  Gebiete  der 
Kunst  nicht  allein  in  der  neuen  Gestaltung  des  Kruzifixes  und  der 
Passionsszenen,  die  wir  oben  in's  Auge  gefaßt  haben,  sondern  auch 
in  einigen  allegorischen  Verherrlichungen.  Leider  ist  das  merk- 
würdigste Denkmal  dieser  Art ,  die  nach  Vasari  von  Stefano ,  dem 


^)  Vergl.  Bonaventura,  Bd.  Xu.  Itinerarium  mentis  in  Deum  cap.  IV.  —  Ebenso 
Soliloquium  S.  91.  —  Bd.  I.  über  I.  sententiarum.  II.  B.  de  creatione.  —  Bd.  VIII. 
Compendium  Theologicae  veritatis.  Wo  überall  von  der  Thätigkeit  der  Engel,  aber 
Nichts  von  ihrer  symbolischen  Darstellung  gesagt  wird.  —  Dante :  convito  11 ,  4 — 6. 
Paradiso  28,   16 — 78,  97 — 126. 


544  Die  allegorischen  Darstellungen. 

vortrefflichsten  Schüler  Giotto's,  gemalte  Glorie  in  der  Tribuna  der 
Unterkirche  zu  Assisi  nicht  erhalten  geblieben,  und  die  auf  uns 
gekommenen  Beschreibungen  genügen  nicht,  uns  eine  deutliche  Vor- 
stellung von  der  Komposition  zu  geben,  aber  einige  andere  Dar- 
stellungen gewähren  uns  einen  neuen  Einblick  in  die  Franziskaner- 
anschauungen. 

I.    Die   Kreuzesglorie   in   Assisi. 

,,Dann  ging  er  nach  Assisi,"  erzählt  Vasari  von  Stefano,  „und 
begann  in  Fresko  eine  Darstellung  der  himmlischen  Glorie,  in  der 
Nische  der  Hauptkapelle  der  Unterkirche  von  S.  Francesco,  wo  der 
Chor  ist;  und,  obgleich  er  sie  nicht  vollendete,  sieht  man  doch  in 
dem,  was  er  gemacht,  so  große  Sorgfalt  angewandt,  daß  man  sie 
größer  gar  nicht  verlangen  könnte.  .  Man  sieht  in  diesem  Werke 
einen  Kreis  von  Heiligen  beiderlei  Geschlechtes  begonnen,  von  so 
schöner  Mannigfaltigkeit  in  den  Zügen  der  Jünglinge,  der  Männer 
mittleren  Alters  und  der  Greise,  daß  man  es  nicht  besser  sich 
wünschen  könnte :  und  diese  seligen  Geister  lassen  eine  ausnehmend 
süße  und  so  einheitliche  Behandlung  erkennen,  daß  es  fast  unmög- 
lich scheint,  daß  sie  in  jenen  Zeiten  von  Stefano  angewandt  sei, 
und  doch  hat  er  es  gemacht.  Gleichwohl  sind  von  den  Figuren 
dieses  Kreises  nur  die  Köpfe  vollendet;  über  ihnen  ist  ein  Chor 
von  Engeln,  die  mannigfach  und  spielend  bewegt  sind  und  mit 
Geschick  theologische  Figuren  in  den  Händen  tragen ;  sie  alle  sind 
nach  einem  gekreuzigten  Christus  hingewandt,  der  sich  in  der 
Mitte  des  Werkes  befindet,  oberhalb  des  Kopfes  eines  h.  Franziskus, 
der  in  der  Mitte  einer  unzähligen  Menge  von  Heiligen  steht.  Außer- 
dem machte  er  in  den  das  ganze  Werk  säumenden  Friesstreifen 
einige  Engel,  deren  jeder  in  der  Hand  eine  von  jenen  Kirchen 
trägt,  von  denen  der  h.  Johannes  Evangelista  in  der  Apokalypse 
schreibt ;  und  diese  Engel  sind  mit  solcher  Anmuth  ausgeführt,  daß 
ich  staune ,  wie  in  jenem  Zeitalter  sich  Einer  gefunden ,  der  es  so 
gut  verstanden.  Es  begann  Stefano  dies  Werk  mit  aller  Voll- 
kommenheit auszuführen  und  es  wäre  ihm  gelungen;  aber  er  wurde 
gezwungen,  es  unvollendet  zu  lassen  und  nach  Florenz  einiger 
Geschäfte  von  Wichtigkeit  wegen  zurückzukehren."  ^) 

Eine  ausführlichere,  aber  sehr  wirre  und  undeutliche  Schilderung, 

^)  Vasari  I,  S.  450  f. 


Die  Kreuzesglorie  in  Assisi.  545 

die  ich  im  Anhange  V.  ganz  gebe,  fand  ich  in  der  alten  Manu- 
skriptbeschreibung. Dieser  zufolge  wäre  das  Fresko ,  das  seiner 
Stilähnlichkeit  mit  Giotto's  Werken  wegen  vielfach  Diesem  selbst 
zugeschrieben  werde ,  ein  Werk  des  Puccio  Capanna  und  zeige 
einen  Fortschritt  gegenüber  Giotto  namentlich  in  der  besseren 
Zeichnung  der  Köpfe.  Erwähnt  wird  zunächst,  daß  das  Kruzifix 
mit  zwei  Flügeln  versehen  war,  und  daß  über  ihm  eine  Art  von 
Weltkugel  mit  drei  Kreisen  nach  Art  eines  Astrolabiums  sich  befand. 
An  den  Kreisen  waren  Flügel  und  die  Inschriften:  INRI,  A  und 
Q  und  T.  Ebenso  befand  sich  eine  weltkugelartige  Scheibe,  in 
der  eine  wie  ein  Weihrauchfaßdeckel  gestaltete  Krone  zu  sehen 
war,  zu  Füßen  des  Kreuzes  und  dieselbe  ward  von  zwei  schweben- 
den Engeln  getragen.  Darunter  nun  steht  Franziskus  in  Mitten  von 
je  etwa  40  Heiligen,  von  denen,  wie  es  scheint,  nur  die  Köpfe  aus- 
geführt waren.  Unter  ihnen  wird  ein  Bischof  mit  einem  Diadem, 
ein  Bruder  mit  einem  Diadem ,  der  mit  dem  Kopf  nach  unten 
herabzuschweben  scheint  und  einen  Kelch  hält,  erwähnt,  ferner 
einer,  der  eine  Königskrone  hält,  einer,  der  mit  einer  Feder  in 
die  Hand  zu  schreiben  scheint.  Dann  werden  Engel  genannt:  wo 
sie  sich  befanden,  ist  schwer  herauszufinden.  Einer  derselben  hält 
eine  Kirche  und  eine  Scheibe,  die  wie  ein  Spiegel  oder  heiliges 
Antlitz  aussieht,  ein  anderer  ein  Tuch,  ein  dritter  einen  Stuhl.  Im 
Fries  sind  halbfigurige  Engel,  in  der  Art  von  Cherubim  mit  sechs 
Flügeln,  die  verschiedene  Arten  Kirchen  halten.  Am  Eingangs- 
bogen waren  acht  Medaillons  mit  folgenden  Halbfiguren : 

1.  Ein  geflügelter  Greis  mit  einem  Buche  und  einem  Spiegel, 

2.  ein  Jüngling  mit  einer  Waage, 

3.  ein  bewaffneter  Greis, 

4.  ein  Wasser  mischender  Jüngling, 

5.  ein  Greis  mit  einem  Spiegel  und  einem  Buch, 

6.  ein  Jüngling  mit  einem  Galgen, 

7.  eine  Frau  mit  einem  Thurm  auf  dem  Kopfe, 

8.  eine  Frau  mit  zwei  Flaschen  in  der  Hand. 

Den  tieferen  Sinn  dieser  Kreuzesallegorie  aufzufinden,  ist  mir 
nicht  gelungen.  Die  Schriften  der  Franziskaner  haben  mir  keinen 
Aufschluß  gewährt.  Aber  selbst  der  sehr  gelehrte  Minorit  Rodulphus, 
der  mit  den  Ideen  des  Ordens  doch  sicher  vertraut  war,  sagt  bei 
seiner  Beschreibung  von  San  Francesco :  ,,Im  Chor  der  Haupt- 
kapelle   ist   ein   treffliches    Gemälde,    was    nach   Einigen    von    der 

Thode,  Franz  von  Assisi.  -yc 


5^6  Die  allegorischen  Darstellungen. 

Hand  und  Erfindung  des  Puccio  Capanna  sein  soll,  und  von  Niemand 
bisher,  so  viel  ich  weiß,  hinreichend  verstanden  worden  ist."^) 

2.  Der  Baum  des  Lebens. 
Irrthüml icher  Weise  hat  man  bisher  die  Kreuzesallegorie,  die 
Taddeo  Gaddi  im  Refektorium  von  S.  Croce  zu  Florenz  gemalt  hat 
und  jene  andere,  die  sich  in  dem  von  S.  Francesco  zu  Pisa  befindet, 
eine  Darstellung  der  Wurzel  Jesse  genannt.  Auf  den  ersten  Blick 
erinnert  allerdings  der  Kreuzesbaum  mit  seinen  Zweigen  an  die 
Darstellungen  dieser,  aber  bei  näherer  Betrachtung  und  vergleicht 
man  einige  andere  ähnHche  Bilder,  bemerkt  man,  daß  man  es  hier 
mit  etwas  ganz  Anderem  zu  thun  hat.  Es  ist  eine  Allegorie  des 
Holzes  des  Lebens ,  von  dem  die  Offenbarung  Johannis  spricht 
cap.  XXII,  2 :  ,, Mitten  auf  ihrer  Gasse  und  auf  beiden  Seiten  des 
Stroms  stand  Holz  des  Lebens,  das  trug  zwölferlei  Früchte,  und 
brachte  seine  Früchte  alle  Monate;  und  die  Blätter  des  Holzes 
dienten  zu  der  Gesundheit  der  Heiden."  Schon  frühe  hatte  man 
in  der  christlichen  Kirche  begonnen,  eine  geheime  Beziehung  zwischen 
dem  Lebensbaum  des  Paradieses  und  dem  Kreuze  Christi  zu  finden.^) 
Aus  dem  XII.  Jahrhundert  ist  ein  darauf  bezüglicher  Hymnus  des 
Adam  von  St.  Victor  erhalten ,  eine  eigentlich  ausgeführte  alle- 
gorische Behandlung  aber  erfuhr  der  Gedanke  erst  durch  das  „lignum 
vitae",  eine  Schrift  des  Bonaventura,  in  welcher  Dieser  das  Leben 
Christi  betrachtet,  und  auf  diese  Schrift  gehen  die  erwähnten  Bilder 
zurück,  wie  sie  selbst  es  bezeugen.'^)  Findet  sich  doch  am  Fuße 
des  Kreuzes  die  Figur  des  Bonaventura,  der  im  Begriffe  steht,  auf 
einen  Zettel  seine  Betrachtungen  niederzuschreiben.  Der  Apoka- 
lypse folgend  denkt  Bonaventura  sich  einen  Baum  mit  zwölf  Zweigen: 
jeder  Zweig  trägt  vier  Früchte ,  und  jede  Frucht  bedeutet  einen 
Vorfall  aus  Christi  Leben.  Ganz  entsprechend  ist  der  Baum  in 
der  Kunst  dargestellt  worden.  Von  dem  Kreuze,  an  welchem 
Christus  hängt  und  über  dem  das  Sinnbild  des  Pelikans  angebracht 
ist,  gehen  auf  jeder  Seite  sechs  Zweige  aus,  die  mit  den  auf  Bona- 
ventura bezüglichen  Inschriften  versehen  sind  und  Früchte  tragen. 
Da   die   Anordnung    der   letzteren,    sowie    die    sonstigen    Zuthaten 


^)  Hist.  Ser.  Rel.  lib.  II,  auf  einer  der  folgenden  Seiten  nach  p.  247. 

2)  Vergl.  Piper:  Der  Baum  des  Lebens.    Berlin  1863.    (Aus  dem  Evangel.  Kalender.) 

3)  Bonav.  Opera.     Bd.  XII. 


Der  Baum  des  Lebens.  5^7 


auf  den  einzelnen  Bildern  verschieden  sind ,    müssen  wir  diese  be- 
sonders betrachten. 

Das  älteste  Denkmal  ist  ein  alterthümliches  Bild  in  der  Aka- 
demie zu  Florenz,  das  man  auf  den  ersten  Blick  in  das  XIII.  Jahr- 
hundert setzen  möchte ,  gewahrte  man  nicht  bei  näherem  Zu- 
sehen ,  daß  sich  in  der  Zeichnung  bereits  der  Einfluß  Giotto's 
geltend  macht.  Offenbar  ist  es  von  einem  Künstler  gefertigt,  der, 
obgleich  ein  Zeitgenosse  von  Jenem,  doch  mit  den  älteren  Traditionen 
noch  nicht  gebrochen  hat.  Es  ist  nicht  unmöglich,  daß  er  mit 
jenem  Pacino  di  Buonaguida  zu  identifiziren  ist ,  der  eine  Tafel : 
,, Christus  am  Kreuze  zwischen  Maria  und  Johannes",  jetzt  gleich- 
falls in  der  Akademie  (ebds.  N.  18),  gemalt  hat.^)  Die  charakte- 
ristischen Merkmale  der  Typen:  eine  vortretende  Stirn,  auffallend 
klobig  an  der  Kuppe  verdickte  Nasen,  auch  die  Formen  der  kurz- 
fingrigen  Hände  kehren  in  beiden  Bildern  wieder,  nur  daß  sie  auf 
dem  bezeichneten,  das  demnach  später  anzusetzen  wäre,  noch  stärker 
ausgebildet  sind.  Wie  ich  vermuthe ,  stammt  die  Darstellung  des 
Lebensbaumes  aus  einem  Klarissinnenkloster. 

Es  ist  eine  sehr  eingehende  Illustration  der  Bonaventura'schen 
Schrift.  Ganz  unten  sind  die  Szenen  aus  der  Geschichte  der  ersten 
Eltern ,  welche  unter  dem  Baume  der  Erkenntniß  spielen ,  dar- 
gestellt: wie  Gott  Adam,  wie  er  Eva  schafft,  wie  er  ihnen  ver- 
bietet von  den  Früchten  zu  essen,  wie  sie,  allein  gelassen,  versucht 
werden,  wie  Eva  dem  Adam  den  Apfel  reicht,  wie  sie  vor  Gott 
fliehen,  wie  der  Engel  sie  vertreibt.  Dazwischen  sieht  man  an  der 
siebenten  Stelle  den  Brunnen,  aus  dem  die  vier  Paradiesesströme 
kommen.  Darüber  erhebt  sich  nun  der  Kreuzesbaum,  neben  dessen 
Fuße  links  Moses  sitzt  und  Franziskus  mit  einem  Zettel  kniet  ^), 
rechts  Johannes  der  Evangelist  als  Verfasser  der  Ofl'enbarung  mit 
einem  Zettel  sitzt  und  die  h.  Chiara  kniet.  In  der  Mitte  unter  der 
Wurzel  in  einer  Höhle  befand  sich  eine  jetzt  weggekratzte  Heiligen- 
figur, vermuthlich  Bonaventura.  An  jedem  der  zwölf  Zweige  des 
Baumes    aber    hängen   an    Stelle    der   Früchte   vier   Medaillons,    in 


^)  Darauf  machte  mich  Herr  Baron  E.  von  Liphardt  aufmerksam.  Das  Bild  des 
Pacino  ist  bezeichnet:  Symon  Prbter  S.  Flor.  fec.  pigi  h  öp'  a  Pacino  Bonaguide  Ano 
dni  MCCCX.  Wie  ich  glaube,  lassen  sich  noch  die  Spuren  von  zwei  folgenden  X 
bemerken,  so  daß  die  Jahreszahl   1330  zu  lesen  wäre. 

^)  Mit  der  Inschrift:  mi  absit  gloriari  nisi  in  cruce  domini  nostri. 

o5 


C48  Die  allegorischen  Darstellungen. 

denen  immer  je  eine  Begebenheit  aus  Christi  Leben  in  miniatur- 
artiger Weise  wiedergegeben  ist.  Die  Geschichte  beginnt  mit  dem 
untersten  Zweige  links,  setzt  sich  auf  dem  entsprechenden  rechts 
fort,  geht  auf  den  zweiten  links  über  und  steigt  so  allmähUch 
zur  Höhe  empor.  Die  Darstellungen  entsprechen  Bonaventura's 
48  Früchten. 

I.    Zweig  links,  bezeichnet :    praeclaritas  originis. 

1 .  Bonaventura :  Jesus  ex  Deo  genitus.  Gott  auf  dem  Thron 
läßt  aus  seiner  Brust  die  kleine  Figur  Christi  in  Strahlen 
nach  Maria  in  Nr.  3  ausgehen. 

2.  B. :  Jesus  praefiguratus.  Links  erscheint  Gott  im  Fluge, 
auf  einem  Felsen  die  kleine  Figur  Christi,  rechts  stürzt 
eine  heidnische  Götzenstatue  zusammen. 

3.  B. :  Jesus  emissus  coelitus.  Die  Verkündigung.  Links 
steht  der  Engel ,  rechts  Maria ,  an  deren  Hals  der  kleine 
Christus  hinaufklettert.     Rechts  die  Heimsuchung. 

4.  B. :  Jesus  e  Maria  natus.  Maria  kniet  an  der  Krippe ,  in 
der  das  Kind  liegt.  Vorn  sitzt  Joseph.  Hinten  erscheint 
der  Engel  den  Hirten. 

I.    Zweig  rechts,  bezeichnet :    humilitas  conversationis. 

5.  B.:  Jesus  conformis  patribus.  Ein  Priester  beschneidet  den 
Knaben,  den  Maria  auf  dem  Altare  hält. 

6.  B. :  Jesus  tribus  magis  monstratus.  Die  drei  Könige  vor 
dem  Kinde,  der  älteste  reicht  knieend  ein  Gefäß. 

7.  B. :  Jesus  submissus  legibus.  Die  Darstellung  im  Tempel. 
Maria  reicht  den  Knaben  an  Simeon. 

8.  B. :  Jesus  regno  fugatus.  Der  Kindermord.  Links  Herodes 
auf  dem  Thron.  Ein  Soldat  spießt  ein  Kind.  Rechts  gehen 
Joseph  und  Maria  fort. 

II.    Zweig  links,  bezeichnet:    celsitudo  virtutis. 

9.  B. :  Jesus  baptizatus.  Johannes  tauft  knieend  den  im  Jordan 
stehenden  Christus.     Rechts  geht  Christus  in  die  Wüste. 

10.  B. :    Jesus  ab  hoste  tentatus.     3  Engel  beten  auf  dem  Berge 
Christus  an.     Unten  liegt  der  Teufel. 

11.  B.:    Jesus   signis   mirificus.     Heilung  eines  Blinden  und  der 
Teich  von  Bethesda. 

12.  B.:    Jesus    transfiguratus.      Christus    steht    zwischen   Moses 
und  Elias.     Vorn  liegen  die  drei  Jünger. 


Der  Baum  des  Lebens.  549 


II.  Zweig  rechts,  bezeichnet:    plenitudo  pietatis. 

13.  B.:  Jesus  pastor  solHcitus.  Links  kniet  Christus  auf  einem 
Berge,  vor  dem  drei  Jünger  stehen.  Rechts  geht  er  begleitet 
von  vier  Thieren  :    Hirsch,  Hase,  Widder  und  Bär. 

14.  B. :  Jesus  fletu  rigatus.  Christus  erweckt  den  im  Grabe 
sitzenden  Lazarus.     Leute  heben  den  Deckel  ab. 

15.  B.:  Jesus  rex  orbis  agnitus.  Christus  reitet  auf  dem  Esel 
auf  das  Thor  von  Jerusalem  zu.  Leute  breiten  Kleider 
vor  ihm  aus. 

16.  B. :  Jesus  panis  sacratus.  Christus  feiert  das  Abendmahl. 
Links  vorn  wäscht  er  Petrus  die  Füße. 

III.  Zweig  links,  bezeichnet:    confidentia  in  periculis. 

17.  B. :  Jesus  dolo  verumdatus.  Judas  empfängt  von  zwei 
sitzenden  Leuten  den  Sündensold. 

18.  B. :  Jesus  orans  prostratus.  Christus  spricht  vorn  mit  den 
zwölf  liegenden  Jüngern.  Dahinter  liegt  er  betend  und 
Blut  schwitzend  auf  der  Erde. 

19.  B. :  Jesus  turba  circumdatus.  Während  Judas  ihn  küßt, 
wird  er  gefangen  genommen. 

20.  B. :  Jesus  vinculis  ligatus.  Links  hängt  Judas,  an  dem  ein 
Teufel  zerrt.  Rechts  führt  ein  Soldat  Christus  fort,  dem 
Petrus  folgt. 

III.  Zweig  rechts,  bezeichnet:    patientia  in:    {?  unleserlich). 

21.  B. :  Jesus  notis  incognitus.  Er  steht  von  Soldaten  gehalten 
vor  Pilatus.  Links  sprechen  zwei  Leute  mit  dem  sitzen- 
den Petrus. 

22.  B, :  Jesus  vultu  velatus.  Er  steht  von  Soldaten  gehalten 
vor  Pilatus.     Ein  Knecht  schlägt  ihn. 

23.  B. :  Jesus  Pilato  traditus.  Er  steht  in  weiß  gekleidet,  von 
Soldaten  gehalten,  vor  Pilatus.     Links  Petrus. 

24.  B.:  Jesus  morte  damnatus.  Zwei  Männer  geißeln  ihn  an 
der  Säule.    Rechts  sitzt  auf  dem  Thron  Pilatus  mit  Zettel. 

IV.  Zweig  links,  bezeichnet:    constantia  (folgendes  unleserlich). 

25.  B. :  Jesus  spretus  ab  omnibus.  Er  sitzt  links.  Zwei  Männer 
verehren  ihn  knieend,  zwei  andere  drohen  mit  den  Fäusten. 
Rechts  trägt  er  das  Kreuz. 

26.  B. :  Jesus  cruci  elevatus.  Christus  am  Kreuz.  Links  stehen 
Maria  und  Johannes,  rechts  ein  Mann  mit  Schild,  der  mit 


cco  Die  allegorischen  Darstellungen. 

drei  andern  spricht.    Ein  knieender  Mann  schlägt  den  Nagel 
durch  Christi  Füße. 

27.  B.:  Jesus  junctus  latronibus.  Am  Kreuze  zwischen  den 
beiden  Schachern.     Links  Maria,  rechts  Johannes. 

28.  B. :  Jesus  feile  et  aceto  potatus.  Am  Kreuze  zwischen 
Maria  und  Johannes.     Maria  reicht  ihm  den  Ysop. 

IV.    Zweig  rechts,  bezeichnet:  victoria  in  (folgendes  Wort  unleserlich). 

29.  B. :  Jesus  sol  morte  pallidus.  Am  Kreuz.  Oben  Sonne 
und  Mond  verdunkelt.  Links  spricht  Johannes  mit  Maria, 
rechts  ein  erstaunt  aufschauender  Mann  und  zwei  Soldaten. 

30.  B. :  Jesus  translanceatus.  Am  Kreuze.  Links  Maria  und 
Johannes  und  betend  zu  ihm  aufschauender  Mann.  Rechts 
Longinus  und  anderer  Soldat. 

31.  B. :  Jesus  cruore  madidus.  Maria  und  Magdalena  sitzend 
halten  den  Leichnam  auf  dem  Schooße.  Petrus  hält  seine 
Füße,  Johannes  seine  Hand.  Dahinter  zwei  andere  Frauen. 
Oben  die  Halbfigur  Christi  zwischen  zwei  Engeln. 

32.  B.:  Jesus  intumulatus.  Am  Sarkophage  sitzen  drei  Wächter 
schlafend. 

V.   Zweig  links,  bezeichnet :    Resurrectionis  novitas. 

33.  B. :  Jesus  triumphans  mortuus.  Christus,  in  der  Linken 
Fahne,  zieht  einen  alten  Mann  und  eine  Frau  aus  dem 
Limbus. 

34.  B. :  Jesus  resurgens  beatus.  Vorn  sitzt  der  Engel  auf  dem 
Grabe,  an  dem  drei  Wächter  schlafen.  Hinten  segnet 
Christus  die  knieende  Magdalena. 

35.  B.:  Jesus  doctor  praecipuus.  Christus,  einen  eigenthüm- 
lichen  Stab  in  der  Hand,  steht  zwischen  vier  Jüngern  auf 
einem  Berge. 

36.  B. :  Jesus  orbi  praelatus.  Er  segnet  vier  vor  ihm  knieende 
Jünger,  deren  vorderster  ein  offenes  Buch  hält. 

V.    Zweig  rechts,  bezeichnet:    Ascensionis  sublimitas. 

37.  B. :  Jesus  ductor  exercitus.  Er  erscheint  in  der  Höhe 
segnend  in  runder  Mandorla,  unten  acht  Brustbilder  von 
Aposteln. 

38.  B. :  Jesus  coelo  levatus.  Er  sitzt  segnend  auf  einem  von 
fünf  Engeln  gehaltenen  Throne,  links  Maria.  Unten  nahen 
fünf  Heilige  betend  (Brustbilder). 


Der  Baum  des  Lebens.  551 


39.  B.:  Jesus  largitor  spiritus.  Pfingstfest.  Petrus  sitzt  in  der 
Mitte  von  10  Jüngern.  Rothe  Zungen  und  Strahlen  kommen 
von  oben. 

40.  B. :  Jesus  laxans  reatus.  Oben  Brustbild  Christi  in  Glorie. 
Unten  die  Brustbilder  der  Maria  und  der  Apostel,  über 
denen  rechts  ein  Dämon  in  der  Luft  schwebt. 

VI.    Zweig  links,  bezeichnet:    Equitas  judicii, 

41.  B. :  Jesus  testis  veridicus.  Er  sitzt  segnend  mit  Buch  in 
einer  Mandorla.  Links  und  rechts  je  ein  posaunender 
Engel.     Unten  stehen  die  Todten  aus  den  Särgen  auf. 

42.  B.:  Jesus  judex  iratus.  Er  erscheint  in  Mandorla  zwischen 
zwei  Brustbildern  von  Aposteln.  Links  nackte  anbetende 
Selige,  rechts  Teufelsrachen,  in  dem  die  Verdammten. 

43.  Jesus  Victor  magnificus.  Er  erscheint  wie  dort,  beide  Hände 
gesenkt,  zwischen  zwei  Aposteln.  Die  mit  Ketten  um- 
wundenen Verdammten  werden  nach  unten  einem  teuflischen 
Ungeheuer  zu  gerissen. 

44.  B. :  Jesus  sponsus  ornatus.  Er  krönt  die  neben  ihm  sitzende 
Maria.     Unten  die  zwölf  Apostel. 

VI.  Zweig  rechts,  bezeichnet:  Eternitas  regni. 

45.  B.:  Jesus  rex  regis  filius.  Er  befindet  sich  inmitten  der 
kreisförmig  angeordneten  Apostel,  unter  denen  Maria. 

46.  B. :  Jesus  liber  signatus.  Er  sitzt  links  oben  mit  Buch, 
rechts  noch  einmal  die  Hand  erhebend.  Unten  sieben 
Apostelköpfe  sichtbar. 

47.  B.:  Jesus  fontalis  radius.  Er  schwebt  in  der  Luft,  unten 
neun  Apostelköpfe  und  Maria. 

48.  B. :  Jesus  finis  optatus.  Hier  geht  der  letzte  Zweig ,  statt 
in  einem  Medaillon  zu  enden,  nach  oben  in  einer  die  ganze 
Breite  der  Tafel  einnehmenden  Komposition  aus,  welche 
das  Ganze  krönt:  die  Himmelsglorie.  Das  Holz  bildet  ge- 
wissermaßen das  große  Gestühl ,  auf  dem  in  drei  Reihen 
hinter  einander  Heilige,  immer  durch  einen  Engel  getrennt, 
wie  auf  Orcagna's  Bild  in  S.  Maria  novella,  sitzen.  Darüber 
thront  rechts  Christus,  die  Rechte  erhebend,  die  Linke  auf 
dem  Buche,  links  Maria  die  Hände  erhebend.  Ihnen  zunächst 
befindet  sich  ein  jugendlicher  HeiHger,  in  dem  vielleicht 
Franziskus    zu    sehen  ist,    zwischen  zwei  großen  Seraphim. 


CC2  Die  allegorischen  Darstellungen. 


Ausführlicher  dürfte  das  Leben  Christi  selten  geschildert  worden 
sein.  Wie  man  sieht ,  erscheinen  hier  einige  Szenen ,  die  sonst 
nicht  dargestellt  worden  sind.  Eine  wesentliche  Vereinfachung  der 
Komposition  begegnet  uns  in  dem  sicher  nicht  viel  später  ent- 
standenen Fresko  Taddeo  Gaddi's  in  S.  Croce.  Sowohl  die  Dar- 
stellungen des  Protevangeliums ,  wie  der  christlichen  Legende  sind 
weggelassen.  Am  Fuß  des  Kreuzes  sehen  wir  Franz,  der  es 
knieend  umschlingt,  links  die  Gruppe  der  drei  Frauen,  welche  die 
umsinkende  Maria  halten,  Johannes,  der  zu  Christus  aufschaut,  und 
die  knieende  kleinere  Figur  der  Stifterin.  Rechts  sitzt  Bonaventura 
als  Bischof  schreibend,  und  hinter  ihm  stehen  der  Bischof  Ludwig, 
der  h.  Dominikus  mit  der  Lilie  und  Antonius  von  Padua.  Die 
achtundvierzig  Thesen  des  Bonaventura  sind  auf  die  Zweige  selbst 
geschrieben,  und  in  den  vom  Laube  gebildeten  acht  Medaillons 
oder  Früchten  stehen  jene  oben  angegebenen  allgemeinen  zusammen- 
fassenden Sprüche.  An  den  Enden  der  Zweige  aber  sieht  man 
dieselben  Figuren  der  zwölf  Propheten  und  Vorgänger  Christi, 
welche  die  Zettel  mit  dem  Wortlaute  ihrer  Weissagungen  halten. 
In  dem  Laubwerk  der  untersten  und  obersten  Zweige  knieen  die 
vier  Evangelisten.  Matthäus  mit  folgendem  Zettel :  ,,liber  genera- 
tionis  Jesu",  Marcus :  ,,initium  evangelii  Jesu  Christi",  Lucas :  ,,fuit 
in  diebus  Herodis"  etc.,  Johannes :  „in  principio  erat  verbum"  etc. 
Die  Vorläufer  Christi  sind  links :  Jeremias ,  Ezechiel ,  Zacharias, 
David,  Johannes  der  Täufer,  Hiob,  rechts  Jesajas,  Hosea,  Joel, 
Abdias  und  zwei  andere. 

Durchaus  an  das  Vorbild  des  Gaddi  hielt  sich  der  Meister  von 
Pistoja,  nur  daß  als  Heilige  rechts  unter  dem  Kreuzesstamm  hier 
neben  Bischof  Ludwig  die  beiden  Johannes  erscheinen,  welchen  die 
Stifter  einen  Mann  und  eine  Frau  empfehlen.  Ein  Zettel  oben  am 
Kreuze  besagt:  ,,lignum  vitae  in  medio  paradisi  afferens  fructus 
duodecim." 

Aehnlich  scheint  auch  eine  Komposition  in  S.  Agnese  fuori  le 
mura  bei  Rom  gewesen  zu  sein,  von  der  d'Agincourt  Taf  135  eine 
flüchtige  Zeichnung  giebt.  Unter  dem  Kreuze  knieen  drei  Mönche, 
rechts  stehen  vier  Heilige  mit  Zetteln,  links  ist  die  Gruppe  der 
Maria.  An  jedem  Zweige  sind  drei  Früchte  angegeben,  links  und 
rechts  vom  Baume  vier  Rundmedaillons,  in  denen  Halbfiguren  von 
zwei  jugendlichen  HeiHgen ,  Moses  und  einem  Bischof  Die  Pro- 
pheten  mit  Zetteln    erscheinen   in    dem    ornamentalen  Rahmen  des 


Der  Baum  des  Lebens.  553 


Ganzen.  Näheres  läßt  sich  nicht  angeben.  Während  aber  dies 
Fresko  schon  dem  XV.  Jahrhundert  angehört,  finden  wir  eine  Ver- 
werthung  von  Bonaventura's  lignum  vitae  im  XIV.  Jahrhundert  noch 
in  dem  ,liber  conformitatum'  des  Bartholomäus  Pisanus.  ^)  Ein 
Holzschnitt  zeigt  hier  den  Lebensbaum  mit  zwanzig  Zweigen ;  an 
deren  jedem  hängen  zwei  Früchte,  welche  mit  den  entsprechenden 
Thesen,  die  nicht  genau  mit  denen  Bonaventura's  übereinstimmen, 
bezeichnet  sind.  Unten  sind  die  Halbfiguren  von  Franz  und  Bartholo- 
mäus zu  sehen.  Der  Inschrift  eines  am  Fuße  des  Baumes  be- 
festigten Zettels  nach,  welche  besagt:  ,,Francisci  sequens  dogmata 
supremi  creatoris",  scheint  es  die  Ansicht  des  Verfassers  gewesen, 
daß    die  Allegorie    vom  Lebensbaum    auf  Franz    selbst   zurückgeht. 

Einfacher  ist  ein  Fresko  von  einem  Schüler  Mantegna's  (Mon- 
tagnana  ?)  an  einem  Pfeiler  rechts  vom  Chor  in  S.  Antonio  zu  Padua. 
Hier  hängt  Christus  an  einem  Baume  mit  zwölf  Zweigen,  in  denen 
die  Brustbilder  der  zwölf  Weissagenden  zu  sehen  sind.-)  Unten 
stehen  vier  Heilige.  —  Die  von  Piper  angeführte  Zeichnung  in 
einem  Codex  des  lignum  vitae  von  Bonaventura  zu  London  (British 
Museum,  Cod.  Arundel  83)  habe  ich  nicht  vergleichen  können. 

Auf  einzelne  verwandte  nordische  Darstellungen  des  ,arbor 
vitae  et  mortis',  die  Otte  erwähnt ,  mag  hier  zum  Vergleiche  nur 
kurz  hingewiesen  werden.^)  Auf  einem  Silberrelief  aus  dem  Grabe 
des  Erzbischofs  Heinrich  von  Vinstigen  (gest.  1286)  im  Dome  zu 
Trier  trägt  der  Baum  auf  der  einen  Seite  statt  der  Früchte  Todten- 
schädel ,  auf  der  andern  Engelsköpfchen  *) ,  in  dem  Meßbuche  des 
Berthold  Furtmayer  von  1480  Aepfel  und  Hostien.'^)  Auch  ver- 
dienen einige  von  Piper  angegebene  Darstellungen  kurz  genannt  zu 
werden :  so  das  als  Lebensbaum  gestaltete  Kruzifix ,  das  an  dem 
Grabdenkmal  der  h.  Elisabeth  sich  befand,  ein  Glasgemälde  in 
Leyden^  auf  dem,  wie  in  jenem  oben  beschriebenen  Bilde,  der 
Sündenfall  unter  dem  lignum  vitae,  oben  Christus  thronend  zu  sehen 
ist,  sowie  eine  Steinskulptur  im  Christlichen  Museum  zu  Trier.®) 

^)  Erwähnte  Ausgabe  von  1513.  S.  4  verso. 

*)  Es  sind  hier  Joel,  Zacharias,  Arnos,  Jonas,  Habakuk,  Jesajas,  Hosea,  Salomon, 
Moses,  Ezechiel,  Jeremias  und  David. 

')  Hdb.  der  kirchl.  Kunst-Archäologie. 

*)  Aus'm  Werth:  Denkmäler  Taf.  LVII,  6. 

^)  Förster:  Denkmäler,  Malerei  III,    l. 

")  Jene  eigenthümliche  KreuzesaUegorie  im  Hotel  Cluny  zu  Paris  (abgeb.  bei 
Du  Somerard:  Les  arts  du  moyen  äge.     Ser.  I  pl.  XXXVII),  in  der  die  Kreuzesarme 


554  D'^  allegorischen  Darstellungen. 

3.    Die   Kreuzesnachfolge. 

Auf  dem  Titelblatte  von  des  Bartholomäus  Pisanus  „conformi- 
tates",  in  denen  das  Leben  des  Franz  in  Parallele  zu  dem  Christi 
gesetzt  wird,  befindet  sich  ein  Holzschnitt,  der  Franz  zeigt,  wie  er, 
ein  Kreuz  über  der  Schulter  tragend ,  dem  kreuztragenden  Herrn 
folgt,  der  sich  nach  ihm  umschaut.  In  wenigen  Strichen  wird  da- 
mit eine  treffende  Charakteristik  seines  Lebenswandels  und  -inhalts 
gegeben ,  der  ja  in  nichts  Anderem  bestand ,  als  in  der  Befolgung 
jenes  Spruches :  ,,Will  mir  Jemand  nachfolgen ,  der  verleugne  sich 
selbst  und  nehme  sein  Kreuz  auf  sich  und  folge  mir  nach." 
(Matth.  16,  24.)  — 

Daneben  ist  noch  ein  kleines ,  unzweifelhaft  von  Giovanni  di 
Paolo  gemaltes  Bild  in  der  Gallerie  zu  Parma  (No.  423)  zu  er- 
wähnen, auf  dem  sich  unter  zahlreichen  anderen  heiligen  Kreuzes- 
trägern ,    die  sich  um  Christus  schaaren ,    auch  Franziskus  befindet. 

Anschließen  möchte  ich  hier  noch  eine  vereinzelt  vorkommende 
Darstellung,  welche  Christus  stehend  zeigt,  wie  er  seinen  getreuen 
Nachfolger  Franz  (in  kleiner  Figur)  aufrecht  vor  sich  hält,  gleichsam 
als  sein  Kind.  Sie  ist  auf  einem  Glasfenster  der  Oberkirche  zu 
Assisi  zu  sehen  und  dient  hier  als  Pendant  zu  der  stehend  das 
Christkind  tragenden  Maria. ') 

III.  Die  Todesallegorieen. 

So  alt  das  Christenthum  ist,  so  alt  ist  auch  das  wehmüthige 
Sinnen  über  die  Vergänglichkeit  der  irdischen  Dinge.  Der  Glaube, 
daß  das  menschliche  Leben  nur  eine  Vorbereitung,  eine  Bedingung 
des  jenseitigen  sei,  trieb  die  Anachoreten,  die  Eremiten  und  Mönche, 
den  Sorgen  und  nichtigen  Freuden  des  weltlichen  Verkehrs  zu  ent- 
fliehen, in  asketischen  Uebungen  jedes  weltliche  Verlangen  in  sich 
zu  ersticken,  in  ständigem  Gedenken  der  zukünftigen  Dinge  sich 
über  die  gegenwärtigen  zu  erheben.  Der  Gedanke  an  den  Tod, 
der  aller  Schönheit,  allem  Reichthum,  allen  Ehren  ein  jähes  Ende 
bereitet,  die  Betrachtung  des  verwesenden  Körpers,  der  ein  Fraß 
der  Würmer  wird,    ging  nur  der  Sehnsucht,   der  Hoffnung  auf  ein 


menschliche  Hände  erhalten  haben ,  deren  eine  die  Synagoge  enthauptet ,  die  andere 
die  Kirche  krönt ,  findet  ein  Pendant  in  einem  Fresko  in  S.  Petronio ,  Bologna 
(I.  Kapelle  links.) 

1)  Farbige  Abb.  in  Plon's  Werk  PI.  XIII  zu  S.  153. 


Die  Kreuzesnachfolge.    Die  Todesallegorieen.  555 


ewiges,  seliges  Dasein  voraus.  —  Jenen  alten  Einsiedlern  des  Orients, 
die  in  den  ersten  Jahrhunderten  des  Christenthums  gesondert  vom 
Menschenverkehr  in  gläubigem  Vertrauen  durch  Entsagung  das  Heil 
zu  erlangen  glaubten,  hat  wohl  weniger  das  Bild  der  ewigen  Qualen, 
als  das  der  ewigen  Freuden  vor  der  Seele  gestanden.  So  haben 
sie  auch  schwerlich  eine  solche  Entsetzen  erregende  Anschauung 
vom  Tode  gehabt,  als  das  spätere  Mittelalter,  oder  wenn  sie 
diese  besessen,  haben  sie  sie  doch  nicht  der  großen  Menge  des 
Volkes  mittheilen  und  einimpfen  können.  Das  blieb  den  Asketen 
einer  späteren  Zeit  vorbehalten !  Erst  im  XII.  Jahrhundert  erschallen 
lauter  mahnend  und  warnend  Predigerstimmen  im  Abendlande,  die 
der  alten  christlichen  Anschauung  von  der  Eitelkeit  alles  Irdischen 
scharfen  und  erregten  Ausdruck  verleihen.  ^)  Jetzt  zuerst  gewinnt 
sie  dichterische  Gestaltung,  jetzt  erst  greifbare  Formen.  Recht 
vernehmlich  und  eindringlich  kündet  sie  von  einer  gährenden  Un- 
zufriedenheit des  Volkes  mit  den  bestehenden  Zuständen.  Denn 
aus  den  Liedern  geistlicher  Dichter,  die  sie  aussprechen,  klingt 
nicht  allein  die  geistliche  Opposition  gegen  den  weltlichen  Luxus 
der  Vornehmen  und  Reichen,  nein!  die  Stimme  des  Volkes  selbst, 
das  auch  in  den  kirchlichen  Institutionen  keinen  Trost  mehr  fand 
und  seine  Zuflucht  zu  dem  asketischen  Lebensideal  nahm.  Halb 
ein  Ritter,  halb  ein  Mönch  hat  Heinrich  von  Molk  am  Ende  des 
XII.  Jahrhunderts  die  scharfen  Waffen  seiner  gedankenreichen  Kunst 
in  zornigen  Satyren  gegen  die  Mißbräuche  seiner  Zeit  gerichtet. 
Mit  der  dramatischen  Gewalt,  die  erst  viel  später  den  Todes- 
darstellungen der  neuen  christlichen  Kunst  ein  so  erschütterndes 
Gepräge  verleihen  sollte,  schildert  er  Szenen,  in  denen  der  Gedanke 
der  jVanitas  vanitatum'  furchtbar  triumphirt,  in  denen  der  verwesende 
Leichnam  selbst  die  Rolle  des  Mahners  übernimmt.^)  Und  zu  der- 
selben Zeit  verbreitete  sich  in  Gedichten  ,die  Legende  von  den 
drei  Lebenden  und  den  drei  Todten',  in  der  erzählt  wird,  wie  dem 


^)  Vergl.  für  das  Folgende ,  Woltmann :  Holbein ,  II.  Aufl.  S.  240 ,  wo  ausführ- 
lichere Litteraturangaben.  —  Otte:  Hdb.  I,  S.  503.  —  Das  zuletzt  erschienene  spanische 
Buch  des  Fernandez  Mferino :  La  danza  macabre.  Madrid  1884  (Caspar).  —  Femer 
Th.  Frimmel:  Beiträge  zu  einer  Iconographie  des  Todes.  Mitth.  der  k.  k.  C.  C.  1884. 
S.  XXXIX  ff.  CXXXVf.  CCIVf.  1885.  S.  Vllf.  Für  unsere  Zwecke  besonders 
wichtig:   Vigo :  Le  danze  macabre  in  Italia.     Livomo   1878. 

2)  Vergl.  Scherer,  Gesch.  der  deutschen  Litt.  III.  Ausg.  1885.  S.  84.  —  Werke, 
hrsg.  von  Heinzel,  Berlin   1867. 


5  c6  Die  allegorischen  Darstellungen. 

Einsiedler  Makarius  drei  Todte  erscheinen ,  auf  die  er  mit  Worten 
der  Ermahnung  drei  vornehme  Männer,  die  des  Weges  kommen, 
hinweist.  Zu  gleicher  Zeit  auch  müssen  die  dem  Bernhard  von 
Clairvaux  zugeschriebenen  Hymnen  entstanden  sein ,  die  von  der 
Verachtung  der  Welt,  von  dem  schnell  vorübergehenden  Rausche 
irdischer  Lust,  von  der  Gewalt  des  Todes  predigen: 

Ubi  sunt  qui  ante  nos  in  hoc  mundo  fuere 
Veni  ad  tumulos,  si  eos  vis  videre : 
Cineres  et  vermes  sunt,  cames  computruere ; 
Surge,  surge,  vigila,  semper  esto  paratus.^) 

Besonders  in  dem  Orden ,  der  die  alte  Strenge  des  Benedikt 
zugleich  mit  der  alten  Askese  wiederanstrebte,  bei  den  Cisterziensern, 
scheint  die  Idee  von  der  Vergänglichkeit  poetisch  gestaltet  worden 
zu  sein.  Neben  den  Liedern  Bernhards  haben  wir  Stanzen  über 
den  Tod  von  einem  Cisterzienser  Thibaud  de  Marly,  ein  Gedicht 
über  den  Tod  von  einem  anderen,  Dans  Helinand.  Aber  diese 
Lieder  des  XII.  Jahrhunderts  sind  gleichsam  nur  die  ersten  Wind- 
stöße, die  dem  gewaltigen  Sturme  vorangehen.  Wie  eine  wilde 
Begeisterung,  über  den  Tod  selbst  Herr  zu  werden,  kommt  es  in 
Italien  über  das  Volk ,  und  aus  der  Aufregung  heraus  erklingen 
gleich  Schlachtgesängen  der  mächtige  Ruf  des  Thomas  von  Celano : 
,Dies  irae,  dies  illa',  die  Lieder  Jacopone's. 

Wir  haben  gesehen,  welcher  Art  die  Wirkung  der  Franziskaner- 
predigten gewesen,  welche  Zwecke  sie  verfolgten.  Ebenso  sinnlich 
anschaulich,  wie  sie  von  Himmel  und  Hölle  zu  erzählen  wußten, 
werden  sie  auch  von  dem  Tode  gesprochen  haben.  Ebenso  wie 
der  Teufel  wird  auch  der  Tod  unter  dem  Einflüsse  solcher  Schil- 
derungen bestimmte  Form  und  Gestalt  in  der  Anschauung  des 
Volkes  erlangt  haben.  Ein  volksthümlich  satyrisches  Element  spricht 
aus  den  Liedern ,  wie  aus  den  künstlerischen  Darstellungen :  der 
Gedanke  an  die  Gleichberechtigung  aller  Menschen,  ebensowohl 
vor  dem  Throne  Gottes ,  wie  angesichts  des  Todes.  So  furchtbar 
der  letztere  auch  der  Phantasie,  die  von  der  Furcht  vor  dem  Jen- 
seits gequält  ist,  erscheinen  mag,  für  den  Armen  und  Elenden  auf 
dieser  Erde  hat  seine  Vorstellung  doch  etwas  Tröstliches.  Die 
niederen   Stände   rächen   sich   mit   einem   gewissen    grausamen  Be- 


*)  Du   Meril :    Poesies    populaires   latines    du    moyen   age.     Paris ,    Firmin    Didot. 
1847.   p.  125 — 127.    100.  p.  155. 


Die  Todesallegorieen.  557 


hagen  für  die  scheinbare  Ungerechtigkeit,  die  ihnen  hier  auf  der 
Erde  widerfährt,  an  den  höheren,  begünstigten  Klassen,  indem  sie 
diesen  das  Bild  vorhalten ,  wie  der  Tod  Alles  zerstört  und  ver- 
nichtet, was  jene  vor  den  anderen  auszeichnet.  Die  Todesallegorieen, 
die  im  XII.  Jahrhundert  entstehen,  in  dem  folgenden  an  Verbreitung 
und  dramatischer  Gestaltung  zunehmen,  sind  ein  beredter  Ausdruck 
jener  Volksbewegung  ,  die  wir  mit  dem  Namen  der  Humanität  zu 
kennzeichnen  versucht  haben.  Die  Vermuthung,  daß  sie  von  dem 
Franziskanerthum  besonders  ausgebildet  worden  sind,  liegt  nach 
Allem,  was  über  dasselbe  gesagt  worden  ist,  sehr  nahe.  Versuchen 
wir  dafür  noch  näher  eingehende  Beweise  beizubringen. 

Von  den  Todesdarstellungen  der  Kunst  läßt  sich,  sehen  wir 
von  einigen  vereinzelten  Kunstwerken  des  frühen  Mittelalters  ab, 
im  Allgemeinen  sagen,  daß  sie  in  drei  auch  zeitlich  auf  einander 
folgende  Gruppen  zerfallen.  Die  älteste  darf  man  als  die  der  Alle- 
gorieen  von  der  Vergänglichkeit  der  irdischen  Dinge  bezeichnen. 
Hier  tritt  der  Tod  selbst  nicht  auf,  sondern  nur  der  Todte.  Die 
zweite  umfaßt  die  Darstellungen  des  Herrschers  Tod ,  die  dritte 
diejenigen  des  Todtentanzes.  Den  Bildern  gehen  die  Dichtungen 
zeitlich  voraus.  So  entsprechen  der  ersten  Gruppe  die  Legende 
von  den  drei  Lebenden  und  den  drei  Todten  und  die  Hymnen  und 
Canzonen  der  Cisterzienser,  der  zweiten  die  Lieder  Jacopone's  und 
seiner  toskanischen  Zeitgenossen  und  Nachfolger,  der  dritten  die 
Verse  der  ,danse  macabre'.  ^) 

Die  ältesten  Darstellungen  der  Allegorie  der  Vergäng- 
lichkeit begegnen  uns  auf  den  byzantinischen  Kompositionen  des 
, Eremitenlebens',  deren  uns  eine  in  einer  Tafel  des  Emanuel  Tzan- 
furnari  im  Christlichen  Museum  des  Vatikans  erhalten  ist.  '^)  Da 
sehen  wir  mit  erschreckt  erhobenen  Händen  einen  Einsiedler  vor 
einem  Sarkophage  stehen,  in  dem  ein  verwesender  Leichnam  liegt. 
Das  Bild  wird  in  das  XI.  Jahrhundert  versetzt.  Ob  auf  so  frühe 
Zeit  auch  jene  im  Malerbuche  vom  Berge  Athos  erwähnte  Allegorie, 
die  sehr  abstrakt  in  der  Mitte  die  Welt  als  gekrönten  Greis,  dann 
kreisförmig  angeordnet  die  vier  Jahreszeiten,  die  zwölf  Monate  und 
die  sieben  Altersstufen  verbildlichte,   zurückgeht,  ist  nicht  mit  Be- 


^)  Es  ist  noch  nicht  entschieden ,  wann  und  wo  diese  besondere  Dichtung  ent- 
standen ist.  Daß  sie  aber  der  malerischen  Darstellung  vorangeht,  nicht  erst  aus  dieser 
hervorgeht,  scheint  mir  unzweifelhaft. 

2)  Abb.  d'Agincourt  Taf.  LXXXII.    Woltmann :  Gesch.   d.  Mal.  I,  S.   231. 


cc8  Die  allegorischen  Darstellungen. 

stimmtheit  zu  sagen.  Eine  Erweiterung  erfährt  jene  Szene  aus 
dem  Leben  der  Eremiten  in  der  Darstellung  der  ,Legende  von  den 
drei  Todten',  die  vielleicht  schon  im  XII.,  sicher  im  XIII.  Jahr- 
hundert im  Abendlande  populär  wird  und  auf  eine  Entstehung  im 
Orient  schließen  läßt.  Hettner  vergleicht  treffend  mit  derselben 
die  Geschichte  von  dem  Königssohn  Josaphat,  dem  auf  einsamem 
Wege  angesichts  der  Aussätzigen  und  Krüppel  die  Erkenntniß  von 
der  Nichtigkeit  des  Irdischen  aufgeht.  ^)  Dessen  Geschichte  ist,  wie 
aus  zwei  französischen  Uebersetzungen  des  XIII.  Jahrhunderts  sich 
ergiebt,  in  dieser  Zeit  ein  vielgelesenes  Volksbuch  gewesen  '^),  wie  ihr 
auch  der  Bildhauer  des  Baptisteriums  zu  Parma  die  Parabel  vom 
Baume  des  Lebens  entlehnt  hat.^)  Erst  im  XIV.  Jahrhundert  in 
dem  Fresko  des  Camposanto  zu  Pisa  aber»  schildert  die  italienische 
Kunst  jene  Szene,  in  der  drei  vornehme  Reiter  erschreckt  vor  den 
drei  Leichnamen  stehen  bleiben,  auf  die  der  Eremit  Makarius  sie 
hinweist.  Aus  derselben  Zeit  etwa  stammt  ein  Bildchen  im  Christ- 
lichen Museum  des  Vatikan,  auf  dessen  Predelle  ein  halb  verwester 
Körper  dargestellt  ist,  mit  welchem  sich  Schlangen  und  Skorpione 
zu  thun  machen.  Des  beschränkten  Raumes  wegen  konnte  von 
den  drei  Lebenden  rechts  nur  einer  knieend  dargestellt  werden, 
dem  links  der  Eremit  entspricht.'')  Dem  Ende  des  Jahrhunderts 
gehört  das  bekannte  Fresko  in  der  Scala  santa  im  Sacro  speco  zu 
Subiaco  an.^) 

Nur  der  kompositionellen  Zusammengehörigkeit  halber  sind 
diese  Bilder  schon  jetzt  erwähnt  worden.  Zeitlich  voran  geht  ihnen 
das  höchst  interessante  Fresko  Giötto's  in  der  Unterkirche  von 
S.  Francesco  zu  Assisi.  (Abb.  76.)  Auch  dieses  ist  Nichts  als  eine 
Allegorie    der  Vergänglichkeit ,   aber  aus  einem  anderen  Gedanken- 


^)  Italienische  Studien.     Braunschweig   1879.     S.  132. 

*)  F.  Liebrecht:  Des  h.  Johannes  von  Damaskus  Barlaam  und  Josaphat.  Münster 
1847.  —  Gui  de  Cambrai.  Gedicht  publ.  von  Meyer  und  Zotenberg  in  der  ,Bibliothek 
des  litterarischen  Vereins  in  Stuttgart'.  —  Fragments  d'une  ancienne  traduction  fran- 
gaise  de  Barlaam  et  Josaphat  faite  sur  le  texte  grec  au  commencement  du  XIII^  siecle, 
publ.  V.  P.  Meyer,  Bibl.  de  l'ecole  de  Chartes  VI  Serie  II. 

2)  Vergl.  Schnaase:  Geschichte  d.  b.  K.  VII,  S.  262  und  die  dort  angegebene 
Litteratur. 

*)  Schrank  D,  Abb.  d'Agincourt  Taf.  CXVII.  Unter  den  Heiligen,  die  Maria 
verehren ,  ist  Franz  —  das  Bild  war  demnach  vermuthlich  für  eine  Franziskaner- 
Kirche  gemalt. 

6)  D'Agincourt.  Taf.  CXXVI,   7. 


Die  Todesallegorieen.  559 


gange  heraus  geschaffen  worden.  An  Stelle  des  mahnenden  Eremiten 
ist  Franziskus  getreten,  der  damit  sichtbarlich  auf  diesem  ältesten 
italienischen  Todesbilde  als  der  Nachfolger  jener  alten  Asketen  und 
zugleich  als  der  Prediger  einer  neuen  Anschauung  vom  Tode  hin- 
gestellt wird.  Er  steht  an  face  herausschauend,  erhebt  die  Rechte 
und  berührt  mit  der  Linken  ein  neben  ihm  aufrecht  stehendes 
Skelett,  das  auf  dem  Schädel  eine  Krone  trägt,  welche,  wie  es 
scheint,  im  Begriffe  ist,  herabzufallen.  Mit  Dobbert  und  Vigo  muß 
man  in  dem  Bilde  eine  Darstellung  der  Vergänglichkeit  sehen,  nicht 
des  Herrschers  Tod  selbst.^)  Das  geht  unzweifelhaft  aus  einem 
anderen,  ganz  ähnlichen  Fresko  im  alten  Kapitelsaal  von  S.  Antonio 
zu  Padua  hervor.  Hier  befinden  sich  an  der  südlichen  Wand  Reste 
von  Wandmalereien,  die  von  Crowe  und  Cavalcaselle,  Gonzati  und 
Schnaase  mit  Unrecht  dem  Giotto  zugeschrieben  werden ,  da  sie 
doch  alle  Merkmale  jener  späteren  Meister:  Altichieri  und  Avanzo, 
welche  die  Kapellen  des  h.  Felix  und  Georg  ausgemalt  haben, 
tragen.  Neben  den  Gestalten  des  Daniel  und  Jesajas  sind  rechts 
Reste  der  Figur  des  Antonius  von  Padua  erhalten,  der  mit  der 
Rechten  auf  ein  gesondert  daneben  dargestelltes  Skelett  weist,  in 
der  Linken  einen  Zettel  hält  mit  dem  Spruche :  ,,homo  igitur  con- 
sumtus  atque  nudatus  quaeso  ubi  est  (Hiob.  c.  XIV  v.  10).  Mortuus 
pro  nobis  est."  Zu  den  Füßen  des  Leichnams  liegt  ein  Cartellino, 
auf  dem  zu  lesen  ist:  „memor  esto  judicii  mei,  sie  enim  erit  et 
tuum.  Heri  mihi  hodie  tibi  (Eccles.  XXXVIII,  23)".-)  Der  Todte 
selbst  also  redet  den  Beschauer  an.  Offenbar  sind  die  zwei  Bilder 
aus  den  gleichen  Anschauungen  des  Franziskanerthums  erstanden. 
Weht  doch  aus  ihnen  derselbe  Geist  uns  entgegen,  wie  aus  Jaco- 
pone's  Gedicht :  ,cur  mundus  militat  sub  vana  gloria',  von  dem  oben 
(S.  445)  gesprochen  worden  ist,  und  mehr  noch  aus  dem  anderen: 

quando  t'alegri  o  huomo  de  altura 

das  schon  Vigo  in  seine  Betrachtung  der  Todtentanzdichtungen  auf- 
genommen hat :  ^) 


1)  Dobbert.  Giotto.  K.  u.  K.  III,  S.  17.  —  Vigo  a.  a.  O.  S.  18. 

•^)  Crowe  u.  Cav.  D.  A.  I,  S.  242.  —  Schnaase  VII,  S.  369.  —  Lübke.  Mitth. 
d.  k.  k.  C.  C.  V,  S.  10.  —  Woltmann  S.  430.  —  Dobbert  S.  30.  —  Gonzati:  La 
basilica  di  S.  Antonio  I,  265.  Abb.  Taf.  zu  S.  267.  Die  Verhältnisse,  Typen  und 
Gewandbehandlung  weichen  durchaus  von  der  Art  Giotto 's  ab. 

^)  A.  a.  O.  S.  81.  —  In  der  Venezianischen  Ausgabe  IV,    10. 


560  Die  allegorischen  Darstellungen. 

Wenn  du  dich  freust,  o  Mensch,  an  deiner  Größe, 

So  geh',  auf's  Grab  zu  richten  die  Gedanken. 

Und  nur  auf  dieses  wende  deine  Blicke, 

Und  denke  wohl  daran,  daß  du  mußt  kehren 

Zu  der  Gestalt  zurück,  die  dir  erscheinet 

Am  Menschen,  der  da  liegt  im  dunklen  Grabe. 

Nun  fragt  der  Lebende  den  Todten,  wohin  seine  schönen  Ge- 
wänder, wohin  der  zierliche  Schmuck  des  Haares,  wohin  die  Augen, 
wohin  die  Nase,  wohin  die  Zunge,  die  Lippen,  die  Arme  gekommen 
sind.  Und  Wehklagen  über  den  schlechten  Gebrauch ,  den  er  als 
Lebender  von  allen  diesen  Zierden  des  Körpers  gemacht ,  erklingt 
als  Antwort  von  dem  Todten.  Der  Aufforderung,  sich  zu  erheben, 
die  Waffen  und  den  Schild  zu  nehmen,  vermag  er  nicht  mehr  nach- 
zukommen. Nicht  vermögen  die  Verwandten  ihm  mehr  zu  helfen, 
nur  Eines  kann  er  noch :  den  der  Weltlust  ergebenen  Menschen 
warnen !  ^) 

Aehnlich  spricht  in  andern  Liedern  jener  Zeit  die  Seele ,  die 
zurückkehrt  zu  dem  Körper,  ihm  Vorwürfe  zu  machen,  mit  der 
verlassenen,  verwesten  irdischen  Hülle.  ^) 

Was  aber  jenes  Fresko  in  Assisi  besonders  interessant  macht, 
ist  der  Umstand ,  daß  hier  ganz  im  Sinne  der  Menge  die  Krone 
als  Symbol  irdischer  Größe  auf  dem  Kopfe  des  Skeletts  erscheint. 
Es  liegt  darin  recht  deutlich  eine  Appellation  an  das  Volk:  selbst 
der  König  muß  sterben !  Wie  dies  auch  aus  einem  angeblich  von 
Franz  selbst  an  die  Podestä,  Konsuln,  Richter  und  Magistrate,  also 
die  Repräsentanten  der  städtischen  Macht,  gerichteten  Briefe  spricht, 
welcher  beginnt : 

,, Bedenkt  und  seht,  wie  der  Tod  in  eihgen  Märschen  hinter 
Euch  herkommt.  Darum  bitte  ich  Euch  mit  aller  der  größten 
Verehrung  inmitten  der  Sorgen  und  Unruhen  dieser  Welt,  in  die 
Ihr  verwickelt  seid,  nicht  Gottes  zu  vergessen  und  sein  Gesetz 
nicht  zu  verachten;  denn  wer  Gott  vergißt  und  sein  Gesetz  von 
sich  zurückweist,  ist  verflucht  und  vergessen.  Und  wenn  der  Tag 
des  Todes  kommen  wird ,  wird  ihm  genommen  werden ,  was  er 
zu    besitzen    glaubte,    und    je    weiser    und    mächtiger    sie    in    der 


^)  Vergl.  ein  Lied  Guittone's :  Rime  di  Fra  Guittone.  Firenze,  Valeriani  1828 
II,  Nr.   210.  S.  211, 

'^)  So  in  zwei  anderen  Poesieen  Jacopone's ,  in  den  sogenannten  ,contrasti  di  un 
vivo  e  morto',  die  angeblich  auf  Bernhard  von  Clairvaux  zurückgehen.     Vigo  S.  85. 


Die  Todesallegorieen.  56 1 


Welt   gewesen   sind,    desto    mehr  werden  sie  in  der  Hölle  gequält 
werden."  ^) 

Der  König  aber,  der  im  Grabe  liegt,  tritt  auch  in  dem  sicher  von 
einem  Franziskaner  gedichteten  ,ballo  della  morte'  (vergl.  unten), 
den  Vigo.  publizirt  hat,  sprechend  auf: 

Nehmt  Euch  ein  Beispiel,  arme  Erdensöhne, 
An  mir,  der  einst  die  Königskrone  trug 
Und  jetzt  erleiden  muß  die  höH'schen  Qualen 
Und  ewig  mich  denselben  anbequemen. 
Wer  Sinnenlüste  nur  zu  suchen  ausgeht 
Und  es  verschmähet,  fromm  und  gut  zu  leben, 
Deß  Seele  wird,  kommt  erst  die  letzte  Stunde, 
Zur  Hölle  gehn,  der  Körper  zu  den  Würmern. 

Die  praktische  Wirkung  solcher  Moralpredigt,  die  sich  des 
Hinweises  auf  den  Tod  bedient,  lernen  wir  recht  deutlich  aus  den 
Versen  des  Brunetto  Latini  im  Tesoretto  kennen.  Nachdem  er  die 
vanitas  vanitatum,  offenbar  in  direkter  Nachahmung  von  Jacopone's 
Lied:  ,cur  mundus  militat*,  sich  vor  die  Seele  gerückt,  geht  er  zu 
den  ,,frati  santi",  den  Franziskanern  und  beichtet  ihnen.  '^) 

Nur  ein  kleiner  Schritt  war  es,  von  solchen  Allegorieen  der  Ver- 
gänglichkeit zur  Personifizirung  des  Todes,  zu  seiner  Verbildlichung 
als  Herrscher  Tod  zu  gelangen.  Jacopone  selbst  hat  ihn  gethan 
in  seinem  Cantico :  ,Non  tardate,  o  peccatori'.  Er,  der  Gelehrte, 
erinnert  sich  der  ,pallida  mors'  des  Horaz,  aber  seine  Phantasie 
malt  sie  sich  in  grauenvoller  Weise  aus :  „häßlich ,  düster  und  un- 
gestaltet". „Da  kommt  der  Tod  und  macht  sterben  die  Ritter, 
wie  die  Frauen  und  die  Junker;  die  Brüder  und  die  Schwestern 
sinken  hin  zur  Erde,  die  Priester  und  die  Laien,  die  Häßlichen 
und  die  Schönen.  Und  auf  so  schnellen  Füßen  naht  er,  daß 
Keiner  seine  Ankunft  spürt.  Da  ist  es  nicht  möglich,  ihm  aus- 
zuweichen, sehen  wir  ihn  kommen,  nach  keiner  Seite  steht  die  Flucht 


^)  Opera.  I,  p.  10  f.  Auch  bei  Prudenzano:  Francesco  d'Assisi.  Neapel  IV.  Aufl. 
1882  S.  146.  —  Vergleiche  mit  den  oben  erwähnten  Fresken  auch  die  von  Vigo  S.  31 
angeführten  in  der  Riviera  di  Orta  und  in  Omegna. 

^)  Tesoretto.  Ausg.  von  Zannoni,  Florenz  1824,  cap.  XX,  v.  45  ff.  Vers  53 
spricht  er  von  der  Todesstunde: 

ahi  Deo,  quante  fiate 
Ne  porta  le  corone, 
Come  hasse  persone. 
Beispiele:  Cäsar,  Samson,  Alexander,  Absalon,  Salomon  und  Hektor. 
Thode,  Franz  von  Assisi.  -ig 


562  Die  allegorischen  Darstellungen. 

uns  offen.  Dem  Tode  entgegen  müssen  wir  gehen.  —  Wir  alle 
laufen  ihm  entgegen,  der  Lahme,  wie  der  gut  zu  laufen  weiß,  Tag 
und  Nacht  ohne  zu  ruhen.  —  Eben  noch  saht  ihr  den  Menschen, 
geschmückt ,  strahlend  und  voll  Ruhmes ,  den  Kopf  erhoben ,  stolz 
und  kühn  gehen  —  und  schon  liegt  er  verächtlich  da.,  häßlich, 
todt  und  niedrig,  und  das  verwesende  Fleisch  nagen  die  Würmer. 
—  Gar  hoch  zu  loben  ist  der  Tod ,  denn  Jedem  läßt  er  nach 
Gerechtigkeit  widerfahren  und  vergilt  jedem  Menschen  nach  dem 
Bösen,  wie  nach  dem  Guten,  das  er  gethan.  Den  einen  sendet  er 
in  die  Hölle,  den  andern  in  die  Seligkeit.  —  Darum  laßt  ab  von 
der  nichtigen  Eitelkeit  und  thut  Buße.  Denn  wie  Staub,  der  in  der 
Luft  zerfliegt ,  vergeht  die  irdische  Pracht  vor  dem  Tode  !  —  Es 
kommt  der  Tod  und  sendet  seine  Pfeile  nach  Willkür,  und  Alle 
müssen  dann  Rechenschaft  ablegen.  Wer  aber  gut  gelebt,  der 
braucht  ihn  nicht  zu  fürchten."  ^) 

Mehr  als  irgend  ein  anderes  verräth  dieses  dramatische ,  an 
wirkungsvollen  Kontrasten  reiche  Gedicht  die  allgemeine,  durch 
die  Bettelmönche  geförderte  Stimmung,  aus  welcher  Bilder  wie 
der  , Triumph  des  Todes'  in  Pisa,  das  Fresko  in  Subiaco,  jenes  im 
ehemaligen  Ospedale  zu  Palermo  hervorgegangen  sind.  Mag  die 
Gestalt  des  Todes  selbst  verschieden  dargestellt  worden  sein,  die 
Anschauung  jenes  gewaltthätigen ,  kein  Geschlecht,  keinen  Stand 
verschonenden  Eingreifens  ist  dieselbe.  „Laida  scura  e  sfigurita" 
fährt  er  als  Weib ,  die  Sense  in  der  Hand ,  auf  dem  mächtigen 
Pisaner  Fresko  in  die  Freuden  der  Welt  hinein,  über  Leichen  hin- 
weg stürmt  er  auf  dem  in  Subiaco  als  grausiger  Reiter,  seine  Sense 
schwingend,  auf  zwei  Jünglinge  zu,  deren  einen  er  schon  mit  dem 
Schwerte  trifft,  mit  dem  Bogen  eilt  er  in  dem  Palermitaner  Bilde 
auf  einem  Pferdegeripp  in  jagender  Hast  über  die  von  Pfeilen  ge- 
troffenen Großen  der  Erde  hin  zu  den  ahnungslos  die  Gegenwart 
genießenden  Reichen.  Vor  dem  Grabe  als  Skelett,  ein  Herrscher 
in  vornehmem  Mantel,  steht  er  inmitten  von  unheimlichen  Gehülfen, 
welche  mit  Pfeilen  die  weltlich  sich  Vergnügenden  erlegen,  in  der 
Kirche  des  h.  Bernardino  von  Siena  in  Clusone.  ^)  An  jener  der 
Madonna  della  neve  in  Pisogne  am  Lago  d'Iseo  aber  eilen  Leute 
jeden  Standes  auf  den  Feind  zu,  der  sie  mit  Pfeilschüssen  empfängt, 


*)  Lib.  IV,  cantico  9. 

^)  Vallardi:  Trionfo  e  Danza  alla  morte.     Milano   1859. 


Die  Todesallegorieen.  563 


während  auf  der  andern  Seite  angesichts  der  von  Christus  und  Maria 
selbst  geleiteten  Schaar  der  Frommen  ihm  der  Bogen  zerbricht. 
Dies  letztere  Gemälde,  das  ich  nur  aus  der  Beschreibung  Vallardi's 
kenne ,  scheint  mir  geradezu  direkt  an  Jacopone's  Gedicht  sich 
anzulehnen,  da  es,  wie  dieses,  die  Gegenüberstellung  der  Guten 
und  Bösen,  ja  mehr  noch  neben  Christus  fünf  allegorische  Figuren 
zeigt ,  deren  Namen  zwar  nicht  erhalten  sind ,  die  aber  vielleicht 
einige  der  von  Jacopone  im  letzten  Verse  angeführten  sind  : 

Nun  laßt  uns  bitten  unsem  Herrn, 

Und  seine  Mutter  auch,  die  Jungfrau, 

Zu  geben  Frieden  uns  und  Liebe, 

Den  Glauben,  Mitleid  und  die  Hoffnung, 

Die  Kraft  sowie  den  guten  Willen, 

Schon  hier  auf  Erden  solche  Buße 

Zu  thun,  daß  an  dem  Tag  des  Scheidens 

Das  ew'ge  Leben  wir  erringen.*) 

Das  Auffallende,  daß  unter  den  Schlechten  nur  kirchliche 
Würdenträger,  unter  den  Guten  nur  weltliche  Große  erscheinen, 
veranlaßte  Gabriele  Rosa,  in  der  Darstellung  die  Aeußerung  einer 
ghibellinischen  Empfindung  zu  sehen.  —  Ob  auch  jene  Prozessionen 
von  dem  Tode  verfallenen  Leuten  auf  dem  Fresko  von  Clusone 
und  dem  in  Penzolo  di  Valle  auf  Anschauungen,  wie  sie  Jacopone 
gehabt,  zurückgehen,  muß  dahingestellt  bleiben.  -) 

Eine  dem  Jacopone  ganz  verwandte  Anschauung  verrathen  zwei 
von  Vigo  nicht  angeführte  Gedichte.  Das  eine  von  Cino  da  Pistoja, 
das  beginnt :  ,  O  morte  della  vita  privatrice '  nennt  den  Tod  gleich- 
falls ,oscura  di  laida  sembianza'. 

,,Du  bist  der  grimmigste  Feind  des  Menschen  und  machst  neues 


*)  Die   gesperrten  Worte   sind   als  Allegorieen   groß   geschrieben   im   ital.   Texte, 
welcher  lautet; 

Or  preghiamo  11  pio  Signore 
E  la  vergine  sua  madre, 
Che  ci  dia  Pace  et  Amore, 
Fede  Spene  e  Charitate, 
Forza  e  buona  Volontate 
Di  far  qui  tal  penitentia 
Che  nel  dl  de  la  partentia 
Vita  aggiamo  gloriosa. 
Ueber  das  Fresko  vergl.  Vallardi,    a.  a.  O.  —  Vigo,  a.  a.  O.  S.   25.  —  Angeblich  im 
Stile  des  Borgognone. 

2)  Vergl.  Vigo,  a.  a.  O.  S.  29. 

36* 


564  Di^  allegorischen  Darstellungen. 

und  altes  Leiden  aufschreien.  Weinen  und  Schmerz  erzeugst  du, 
deßhalb  will  ich  dich  tadeln.  Denn  wenn  der  Mensch  Freude  und 
Glück  bei  seiner  neuen  Gattin  in  dieser  Welt  findet,  läßt  du  ihn 
kaum  kurze  Zeit  froh  leben,  nein  ziehst  ihn  zu  Boden."  Dann 
schildert  er  den  Tod  auch  als  Bogenschützen.  ^)  Nicht  minder 
leidenschaftlich  klingen  die  Verse,  die  früher  dem  Cavalcanti  zu- 
geschrieben wurden : 

„Düsterer,  finsterer  Tod,  —  siehe,  wohin  führst  du  und  läßt 
du  sinken  so  viele  schöne  und  würdige  Geschöpfe }  Dann  hebst 
du  sie  auf  und  verfährst  mit  ihnen  nach  deinem  Willen,  du  machst 
sie  einer  dunklen  Grube  zu  laufen  und  überwindest,  du  Grausamer, 
Rauher  und  Liebloser,  Mann  wie  Frau,  beide  so  schön  und  zart."'') 

Durch  Petrarca  taucht  dann  ein  neues  Bild  des  »Herrschers 
Tod'  auf.  Er  stellt  ihn  sich  als  Sieger  auf  dem  Triumphwagen,  dem 
die  Unterlegenen  folgen,  vor.  Auch  diese  dichterische  Allegorie 
hat  ihre  künstlerische  Verherrlichung  gefunden,  ohne  doch  so 
populär  zu  werden  wie  die  dramatische  ältere.^) 

Aus  den  geschilderten  asketischen  Anschauungen  ist  endlich 
als  dritte  Form  der  Todesdarstellungen  neben  den  AUegorieen  der 
Vergänglichkeit  und  denen  des  Herrschers  Tod  der  Todtentanz 
hervorgegangen,  in  welchem  die  schneidende  Ironie  ihren  Höhe- 
punkt erreicht.  Nur  ganz  vereinzelt  begegnen  wir  ihm  in  der 
Dichtung  und  Kunst  Italiens,  seine  eigentliche  Heimath  hat  er 
im  Norden  gefunden.  Dennoch  verdient  mit  Vigo  darauf  hin- 
gewiesen zu  werden,  daß  die  Idee  des  Todtentanzes  ganz  im  All- 
gemeinen wenigstens  gleichzeitig  mit  den  Aufführungen  in  Frankreich 
und  England  in  einem  Gedichte  von  Jacopo  oder  Pietro  di  Dante 
Alighieri  erscheint.^)  Daß  sie  aus  den  Anschauungen  der  Bettel- 
mönche hervorgegangen,  erscheint  mir  zweifellos,  und  zwar  möchte 
ich  im  Hinblick  auf  jene  Todeslieder  des  Jacopone  und  die  volks- 
thümlichere  Denkweise  der  Franziskaner  überhaupt  vermuthen,  daß 


^)  Vita  e  memorie  di  M.  Cino  da  Pistoja.  Pistoja,  Ciampi  1826.  Canzone  XXIX. 
S.   261. 

^)  Poeti  del  primo  secolo  della  lingua  italiana.     II.  Bd.     S.  330. 

^)  Vergl.  Vigo  S.  45  ff. ,  der  aber  den  verschiedenen  Charakter  der  Todesdar- 
stellungen nicht  recht  scharf  unterscheidet.  Kunstwerke:  Vanni  in  Siena,  Akad.  — 
Costa  in  S.  Giacomo  in  Bologna.  —  Reliquienschrein  in  Graz.  —  Pomareda's  Stich 
von   1748  nach  Tizian  etc. 

*)  Vigo  S.  76.     Rime  di  M.  Cino  da  Pistoja.     Firenze   1862,  S.  208. 


Die  Todesallegorieen.  565 


auch  in  diesem  Falle  die  Letzteren  Anfangs  die  Gebenden ,  die 
Dominikaner  die  Nehmenden  sind.  Unleugbar  bleibt  es  freilich, 
daß  die  uns  erhaltenen  Todtentänze  in  Deutschland  zumeist  in 
Dominikanerklöstern  sich  befinden.  Zu  streng  darf  man  in  diesem 
Falle,  wie  in  anderen,  zwischen  den  beiden  Orden  nicht  unter- 
scheiden, aber  daran  festhalten  muß  man  immer,  daß  die  kultur- 
geschichtlich bedeutungsvollen  Ideen  und  Vorstellungen  doch  fast 
durchweg  von  dem  Orden  des  Franziskus  ausgehen.^)  Auch  die 
volksthümlichen  Allegorieen  vom  Tode  dürften,  wie  alle  diese 
Darlegungen  erweisen,  ihre  eigentliche  dramatische  Gestaltung  Franz 
und  den  Franziskanern  verdanken. 


')  Hinweisen  möchte  ich  hier  auch  darauf,  daß  der  von  Vigo  S.  125  publizierte 
,ballo  della  morte',  das  einzige  italienische  Todtentanzgedicht,  offenbar  von  einem  Fran- 
ziskaner geschrieben  ist,  da  der  Tod  nur  für  den  fra  minore  tröstende  Worte  hat. 


SCHLUSS 


Wir  sind  am  Schlüsse  unserer  Betrachtungen  angelangt  —  sei 
es  uns  vergönnt,  noch  einmal  einen  kurzen  Blick  rückwärts  zu 
werfen,  noch  einmal  die  große  Bewegung,  die  wir  in  Franz  zu 
verstehen  und  würdigen  versucht,  im  Großen  in's  Auge  zu  fassen! 

In  der  gewaltigen,  alle  Grenzen  des  Egoismus  überschreiten- 
den, alle  Bande  individueller  Beschränkung  fallen  lassenden  Gestalt 
des  predigenden  Bettlers  von  Assisi  tritt  gleichsam  sichtbar  in 
seiner  vollen  Bestimmtheit  das  Streben,  der  Wille  einer  ganzen 
Zeit  hervor.  Er  ist  der  Repräsentant  der  als  Ganzes  zu  einer  in 
sich  begründeten ,  selbstständigen  Stellung  aufstrebenden  großen 
unteren  Masse  des  Volkes ,  des  dritten  Standes ,  zu  gleicher  Zeit 
aber  auch  der  Repräsentant  jedes  Einzelnen  aus  dieser  Masse,  wie 
er  sich  seiner  selbst,  seiner  Rechte  auf  Gott  und  die  Welt  bewußt 
wird.  Mit  Franz  und  in  Franz  erfährt  die  mittelalterliche  Mensch- 
heit die  volle  Gewalt  der  jedem  Einzelnen  innewohnenden  Gefühls- 
kraft, und  diese  innere  Erfahrung  führt  eine  von  den  dogmatischen 
Allgemeinbegriffen  sich  befreiende  erste  Erkenntniß  des  eigenen 
Wesens  mit  sich.  Aber  wie  der  Genius  über  den  ihn  umgebenden 
Verhältnissen  und  Menschen ,  schwebt  Franz  über  dieser  seiner 
Zeit  —  als  das  vollendete  Ideal,  in  dem  seine  Mitwelt  das  Beste, 
was  sie  unbewußt  anstrebt,  in  lichter  Klarheit  und  Reinheit  ver- 
einigt sieht.  Für  Franz  sind  die  Schranken ,  welche  die  Formen 
der  Erkenntniß :  Zeit  und  Raum  zwischen  den  einzelnen  Individuen 
errichteten ,  gefallen :  er  hat  sich  Eines  gefühlt  mit  der  ganzen 
Natur ,  mit  dem  allen  Erscheinungen  zu  Grunde  liegenden  Einen, 
Untheilbaren.  Nach  Jesus  von  Nazareth  hat  es  Keinen  gegeben, 
der   in    gleicher ,    ewig   wunderbarer    Weise    seines  Ich's    sich    ent- 


Schlußbetrachtung.  567 


äußert,  das  höchste  Gebot:  „Liebe  Deinen  Nächsten  wie  Dich 
selbst",  fast  sein  ganzes  Leben  hindurch  erfüllt  hat.  Wenn  je  ein 
Mensch  den  Beinamen  des  Heiligen  verdient  hat ,  so  ist  es  Franz 
von  Assisi.  Er  hat  die  im  Himmel  erträumte  Seligkeit  schon  auf 
Erden  genossen  —  das  Leiden  dieses  Seins  verschwand  ihm,  und 
das  reinste  Glück  ist  ihm  in  dem  Gefühle  ewiger  Liebe,  des  Eins- 
seins mit  Gott  und  der  Natur,  in  der  Freiheit  stiller  Kontem- 
plation, die,  über  die  Erscheinungen  erhot)en,  das  Wesen  der  Dinge 
selbst  betrachtete,  zu  Theil  geworden. 

Der  innere  Drang  der  Menschheit  jener  Zeit  führte  zur  Kon- 
templation. Nach  unruhvollen  Jahrhunderten  des  Kampfes  Aller 
gegen  Alle,  nach  den  aufregenden,  verwirrenden  Unternehmungen 
der  Kreuzzüge ,  begann  man  sich  auf  sich  selbst  zu  besinnen. 
Innerhalb  der  sicheren  Mauern  der  Städte  brachte  die  allmählich 
um  sich  greifende  friedliche  Beschäftigung  mit  Handel  und  Hand- 
werk, der  Behagen  und  häusliche  Sammlung  gestattende  Wohlstand 
eine  Stimmung  des  Gemüthes  mit  sich ,  die  dem  Denken  und 
Empfinden  günstig  war.  Wie  sie  sich  bei  den  Bürgern  geltend 
machte,  so  nicht  minder  in  jenen  Mönchsorden,  die,  wie  die 
Cisterzienser,  im  Gegensatz  zu  den  im  äußeren  Thun  und  Treiben 
aufgegangenen  älteren  Benediktinerabzweigungen  zu  größerer  Ein- 
fachheit ,  zu  einem  stillen ,  der  Betrachtung  gewidmeten  Leben  in 
die  Einsamkeit  sich  flüchteten.  Der  Einzelne  begann  über  die 
Heilswahrheiten  der  christlichen  Religion  nachzusinnen,  selbst  in 
ein  persönliches  Verhältniß  zu  ihnen  zu  treten.  Da  mußte  es 
offenbar  werden,  wie  wenig  doch  die  Formen  des  Religionskultus 
mit  ihrer  großen ,  für  das  Allgemeine  bestimmten  schematischen 
Anordnung ,  die  Seelennoth  befriedigen  konnten ,  wie  fremd  die 
Bestrebungen  des  päpstlichen  Stuhles  und  der  Geistlichkeit  den 
Bedürfnissen  des  seiner  selbst  sich  bewußt  werdenden  Volkes  waren. 
Die  Empörung  über  das  rücksichtslos  egoistische  Verfahren  der 
Kirche  trieb  Viele  den  aus  dem  Orient  gekommenen  Sekten  in  die 
Arme ,  die  dem  einzelnen  Gläubigen  mehr  thätigen  Antheil  und 
intimere  Beziehung  zur  Religionsausübung  versprachen.  Lauter 
nnd  lauter  ward  der  Ruf  nach  einer  Reform  der  Kirche  —  man 
begann  sich  das  Recht,  die  Bibel  zu  lesen  und  zu  interpretiren,  zu 
predigen,  kurz  höchst  persönlich  seinem  Christus  zu  nahen,  anzu- 
maaßen.  Noch  aber  sträubte  sich  Rom ,  die  Rechte  des  Volkes 
anzuerkennen,  und  verfolgte  die  Freigesinnten  als  Häretiker,  bis  es. 


r68  Schlußbetrachtung. 


im  entscheidenden  Augenblicke  zu  hellerer  Einsicht  gelangt,  einem 
dieser  Volksprediger,  Franz  von  Assisi,  der,  wie  wir  zu  zeigen  ver- 
sucht, recht  eigentlich  aus  dem  feindlichen  Lager  der  Waldenser 
kommt,  für  ihn  und  seinen  Orden  gewährt,  was  die  große  Masse 
für  sich  ganz  in  Anspruch  zu  nehmen  begann. 

Damit  nun  vollzog  sich  die  Reform;  das  Volk  erhielt,  was  es 
gewollt :  die  Predigt ,  ein  volksthümliches  Christenthum ,  und  die 
reichsten  Segnungen  waren  die  Folge.  Der  Bürgerstand  war  zu 
Rechte  anerkannt ,  wie  von  dem  Staate ,  so  von  der  Kirche.  Er 
konnte  fortan  seine  eigensten  Kräfte  entfalten.  Seine  Ideale  hießen: 
Frieden  und  Gesittung. 

Auf  die  einsamen  Höhen  der  Selbstverleugnung  und  welt- 
abgeschiedener Kontemplation  konnte  freilich  die  Masse  ihrem 
geliebten  Führer  nicht  folgen  —  aber  sie  erreichten,  von  seinem 
Beispiel  vorwärts  gezogen,  doch  Punkte,  die,  über  dem  Gewirr  und 
Geräusch  des  täglichen  Lebens  erhaben,  die  Möglichkeit  ruhigerer 
Sammlung  und  Betrachtung  und  den  freieren  Ausblick  auf  die 
mannigfachen  Erscheinungen  der  Natur  gestatteten.  Die  Be- 
geisterung mußte  nach  Ausdruck  suchen:  und  so  entstand  ein 
künstlerisches  Streben  in  Worten,  Tönen  und  Formen. 

Eine  volksthümliche,  einfach  natürliche,  von  inniger  Liebe  und 
Begeisterung  eingegebene  Auffassung  der  christlichen  Religion,  wie 
sie  täglich  von  Franz  und  seinen  Schülern  zum  bilderreichen  Aus- 
druck in  Predigt  und  Dichtung  gebracht  wurde ,  hat  die  neuere 
christliche  Kunst  in's  Leben  gerufen.  Jene  Neigung  zur  Kontem- 
plation konnte  in  wunderbar  schneller  Weise  das  Studium  der 
Natur  befördern ,  weil  durch  die  mystischen  Anschauungen  des 
Franziskanerthums  das  Gefühl  voll  und  ganz  erwärmt  ward  für 
eben  diese  Natur,  in  der  man  das  Abbild  Gottes  sah.  Dann  kam 
die  persönliche  Verehrung  für  Franz  hinzu ,  die  Begeisterung, 
welche  die  Darstellung  seiner  Person  und  seiner  für  künstlerisches 
Nachempfinden  so  geeigneten  Legende  immer  auf's  Neue  in  dem 
recht  eigentlich  aus  dem  naiven  Volke  hervorgehenden  Künstler 
hervorrief.  Es  kam  hinzu,  daß  bei  dem  unglaublich  schnellen 
Anwachsen  der  Bettelmönchorden  unaufhörlich  durch  anderthalb 
Jahrhunderte  hindurch  unzählige  Kirchen  und  Klöster  gebaut,  mit 
Fresken,  Altargemälden,  Skulpturen,  Denkmälern  jeder  Art  ge- 
schmückt werden  mußten.  Ein  weites,  allen  Kräften  vollen  Spiel- 
raum lassendes  Feld  der  Thätigkeit  hatte  sich  für  die  Kunst  eröffnet. 


Schlußbetrachtung.  569 


Wird  man  sich  des  großen  Zusammenhanges ,  der  zwischen  den 
reUgiösen  Bestrebungen  des  Bettelmönchwesens  und  der  neu  auf- 
strebenden künstlerischen  Thätigkeit  im  XIII.  und  XIV.  Jahrhundert 
besteht,  recht  bewußt,  so  muß  es  dann  dem  Betrachter  der  Kunst 
des  Quattrocento  in  Italien  auch  wohl  deutlich  werden,  daß  diese 
letztere  durchaus  auf  jener  ersteren  beruht,  nur  eine  weitere  Stufe 
zu  der  in  Leonardo's,  Raphael's  und  Michelangelo's  Werken  erreichten 
Vollendung  bildet.  Wir  haben  hier  eine  große  geschlossene  Ent- 
wicklung vor  uns  auf  dem  Gebiete  der  Skulptur  und  Malerei,  aber 
eben  sowohl  auch,  wie  wir  für  Toskana,  diesen  heimischen  Boden 
der  Renaissance,  nachgewiesen  haben,  auf  dem  der  Architektur. 
Die  Ideale  einer  volksthümlichen  christlichen  Kunst,  wie  sie  Raphael 
in  blendender  Reine  und  unnahbarer  Herrlichkeit  hinstellt,  sind  die- 
selben geblieben,  die  schon  dem  Pisano,  dem  Giotto  vorgeschwebt. 
Wer ,  wie  wohl  geschehen  ist ,  den  Niccolö  Pisano  einen  letzten 
Ausläufer  einer  antikisirenden  süditalienischen  Kunst  zu  nennen 
vermag,  kann  kein  Auge  haben  für  die  gewaltsame  frohe  Jugend- 
lichkeit seiner  aus  echt  toskanischer  religiöser  und  künstlerischer 
Gefühls-  und  Gestaltungskraft  hervorgegangenen  Werke.  Der  muß 
mit  demselben  Rechte  Cimabue,  dessen  Kreuzigung  in  Assisi  die- 
selbe jugendliche  fast  fessellose  Leidenschaftlichkeit  wie  Niccolö 
Pisano's  ReHef  im  Baptisterium  zu  Pisa  zeigt,  der  muß  schließlich 
Giotto  die  letzten  Worte  einer  sterbenden  Richtung  sprechen 
lassen !  Indessen  doch  diese  drei  Namen  die  ersten  jener  langen 
Reihe  sind,  denen  Toskana,  denen  Florenz  den  nie  vergänglichen 
Ruhm,  die  Heimath  der  Renaissance  zu  sein,  verdankt! 

Dann,  im  XIV.  Jahrhundert,  könnte  es  scheinen,  stockt  nach 
den  außerordentlichen  Thaten  Giotto's  die  Entwicklung  —  aber 
mir  dünkt,  es  scheint  auch  bloß  so.  Für  eine  Weile  mag  der  große 
Neuerer,  wie  alle  Neuerer  vor  ihm  und  nach  ihm,  den  Boden,  dem 
er  fast  die  ganze  Kraft  entzogen,  steril  gemacht  haben ;  aber  dennoch 
treibt  es  die  Kunst  vorwärts.  Jener  Stefano  Fiorentino ,  von  dem 
wir  nur  durch  Vasari  wissen,  muß  ein  großer  bedeutender  Künstler 
gewesen  sein,  Vasari's  Giottino  geht,  wenn  auch  nicht  in  drama- 
tischer Gestaltung,  so  doch  in  vollerer  Ausbildung  der  Typen  und 
Figuren  über  Giotto  hinaus  und  bereitet  seinerseits  Orcagna's 
Schönheitsstreben  vor.  Dann  bricht  das  XV.  Jahrhundert  an,  und 
ein  gewaltiger  Schritt  geschieht.  Ghiberti  allein  scheint  eine  Ver- 
mittlerrolle   zu   spielen,    indessen    die    Masaccio ,    Brunellesco    und 


C70  Schlußbetrachtung. 


Donatello    sich    gleichsam    gewaltsam    von    allem    Vorhergehenden 
losreißen. 

Es  kann  keine  Frage  sein,  daß  um  I4CO  eine  neue  Phase  in 
der  Entwicklung  eintritt,  und  es  hat  das  nichts  Verwunderliches. 
Auf  zwei  Jahrhunderte  hinaus  hatte  jene  Reform  des  Franz  stark 
und  nachhaltig  gewirkt  —  da  begannen  in  Italien  neue  Ideale  das 
Volk  mächtig  zu  locken  und  anzuziehen.  Petrarca  und  Boccaccio 
sind  die  ersten,  welche  sie  voraus  verkünden,  erst  um  die  Wende 
des  Jahrhunderts  aber  werden  sie  das  Gemeingut  Aller.  Die 
Bewegung  der  Humanität,  wie  wir  die  Volksbewegung  des  XII. 
und  XIII.  Jahrhunderts  zu  bezeichnen  gewagt,  schlägt  eine  neue 
Richtung  in  dem  ,Humanismus'  ein.  Hatte  man  bis  dahin  das 
Evangelium  und  die  Natur  zu  Führern  auf  dem  Wege  zur  Wahr- 
heit und  Schönheit  genommen ,  so  gesellt  sich  jetzt  ein  dritter  zu 
jenen  Beiden  hinzu :  die  Antike.  Die  Schriften  der  alten  Philo- 
sophen, Dichter  und  Geschichtsschreiber  entsteigen  zu  gleicher  Zeit 
mit  den  Tempeln  und  Statuen  dem  Schutt  der  Vergangenheit,  und 
diese  durch  Erhabenheit,  Schönheit  und  Alter  verehrungswürdigen 
Reste  werden  die  Vorbilder  für  den  Denker,  den  Dichter  und  den 
Künstler.  Zur  guten  Zeit  —  namentlich  für  die  Künstler,  denn 
viel  zu  scharf  vorgezeichnet,  zu  ausgeprägt  schon  war  die  Rich- 
tung der  toskanischen  Kunst  auf  ein  bestimmtes  christlich-modernes, 
im  guten  Sinne  naturalistisches  Ideal,  als  das  sie  in  eine  sklavische 
Nachahmung  der  alten  Denkmäler  hätte  verfallen  können.  Aber 
etwas  Wesentliches,  was  nothwendig  war  für  den  Fortschritt, 
konnte  die  Antike  lehren :  das  Formale !  Halb  wissenschaftlicher, 
halb  künstlerischer  Art  ist  ihr  Einfluß :  auf  der  einen  Seite  fordert 
sie  zu  einem  eingehenden  Studium  der  Perspektive,  auf  der  anderen 
zu  dem  des  Nackten  auf.  Hat  die  erste  Periode  bis  1400  bereits 
die  Ziele,  den  Inhalt  und  Charakter  der  Renaissancekunst 
festgestellt,  so  beschäftigt  sich  die  zweite  mit  der  vielseitigen  Durch- 
bildung und  Ausbildung  der  Form,  wie  sie  nur  durch  eingehen- 
des Studium  der  Natur,  d.  h.  der  Anatomie  und  Perspektive  im 
Allgemeinen ,  des  Individuums  und  der  Landschaft  im  Besonderen 
erreicht  werden  konnte.  Die  dadurch  erworbene  Sicherheit,  Mannig- 
faltigkeit und  Körperlichkeit  der  Darstellung  läßt  den  Abstand  der 
Quattrocentokunst  von  der  des  Trecento  größer  erscheinen,  als  er 
es  in  der  That  ist.  Das  Wesentliche  bleibt  doch  immer  die  volks- 
thümliche    Religionsanschauung,     der    Geist,     welcher    die    Kunst 


Schlußbetrachtung.  571 


beseelt  —  und  dieser,  wie  wir  ihn  unter  dem  Einflüsse  und  im 
Zusammenhange  mit  dem  Franziskanerthum  betrachtet  haben,  ist 
durch  alle  äußerlichen  Modifikationen  und  Wandlungen  hindurch 
derselbe  —  von  jener  typisirenden  Richtung  des  XIII.  und  XIV.  Jahr- 
hunderts an,  welche  den  Affekt  aus  Mangel  an  Naturkenntniß  nur 
in  mehr  oder  weniger  allgemeiner  Form  zum  Ausdruck  bringt, 
durch  die  naturalistische  Kunst  des  Quattrocento,  welche  mit  der 
Form  das  Individuelle  zur  Hauptsache  macht,  hindurch  zu  der  lichten 
Höhe  der  Blüthezeit,  in  welcher  die  siegreich  beherrschte  Form  den 
Ideen  dienstbar,  die  Form  zum  adäquaten  Ausdruck  des  Inhalts  wird. 

Trotz  des  Einflusses  der  Antike  ist  auch  im  Quattrocento  die 
Kunst  eine  rein  christliche.  Sie  nimmt  von  der  Antike  an ,  was 
ihr  heilsam  ist ,  bleibt  aber  doch ,  was  sie  ist.  Wo  antike  Stoffe 
benutzt  worden  sind ,  geschah  es  nur  aus  Kuriosität ,  ja ,  es  war, 
wenn  man  will,  eine  Abirrung.  So  ist  auch  die  Zahl  antik-mytho- 
logischer oder  geschichtlicher  Darstellungen  eine  verschwindend 
geringe.  Erst  als  die  Höhe  überschritten  ist,  im  XVI.  Jahrhundert, 
beginnt  das  Antikisiren  im  eigentlichen ,  zu  gehaltloser  Spielerei 
führenden  Sinne.  Daß  die  Architektur,  in  der  das  formale  Element 
überwiegt,  am  stärksten  von  der  humanistischen  Begeisterung  be- 
einflußt wird,  erklärt  sich  leicht,  daß  aber  auch  in  ihr  im  Wesent- 
Hchen  schon  vorhandene  Prinzipien ,  vor  Allem  das  einer  freieren 
Harmonie  der  Raumverhältnisse,  nur  weiter  gebildet  werden,  haben 
wir  gesehen. 

So  gestaltet  sich  nach  Allem  die  Anschauung  der  Entwicklung 
der  Renaissancekunst  von  1200  bis  1500  als  eine  ihrem  innersten 
Wesen  nach  einheitliche ,  nur  in  zwei  Phasen  sich  vollziehende, 
deren  zweiter  das  Eintreten  antiken  formalen  Einflusses  wesentlich  ist. 

In  eben  jenen  Jahren  aber,  in  denen  die  Kraft  der  durch  Fran- 
ziskus innerhalb  der  katholischen  Geschichte  vollzogenen  Reform 
in  ewigen  Meisterwerken  der  Kunst  ihre  herrlichsten  Früchte  erzielte, 
empfing  Luther  in  Rom  die  bestimmenden  Eindrücke,  die  ihn  zum 
Protestanten  machten.  Drei  Jahrhunderte  nach  Franz  verlangte 
das  Volk  eine  'neue  Reform ,  und  diesmal  sollte  die  katholische 
Kirche  diese  nicht  mehr  zu  der  ihren  machen.  Zu  groß  war  die  Kluft 
geworden,  als  daß  man  sich  über  sie  hinweg  hätte  vereinigen 
können  —  und  das  Volk ,  welches  sich  diesmal  erhob ,  war  das 
germanische.  Ein  anderer  Reformator  auch  als  Franz  war  Luther. 
So  tief  in  seinem  Erleben,  so  begeistert  von  seinem  Christenthum, 


C72  Schlußbetrachtung. 


so  ganz  erfüllt  von  seiner  Glaubensüberzeugung,  wie  Jener,  aber  eben 
als  der  Sohn  einer  anderen  Zeit  und  eines  anderen  Volkes  ein  so 
ganz  Anderer:  ein  mit  allen  Waffen  des  Geistes  gewappneter  Streiter, 
der  voll  heiligen  Zornes  gegen  den  Trug  und  den  Mißbrauch  aus- 
zog, zu  gleicher  Zeit  vernichtend  und  aufbauend  —  er  vielmehr 
als  Franz  jenem  Engel  der  Apokalypse  zu  vergleichen !  Und  doch 
Eines  haben  die  beiden  größten  Nachfolger  Christi  gemeinsam : 
die  übergewaltige  Gefühlsmacht ,  mit  der  sie  Wunder  gewirkt. 
Nicht  in  einem  Athem  mit  ihnen  darf  man  jenen  finstern  Zeit- 
genossen Luther's:  Ignatius  Loyola  nennen,  wenn  schon  auch  ihm 
der  Beiname  eines  Reformators  hat  verliehen  werden  können.  Was 
er  gewesen  und  gewollt,  kann  Jeder  errathen,  der  die  prunkvolle, 
übertrieben  erregte  und  doch  an  wahrer  Empfindung  arme  Kunst 
der  Jesuiten  und  der  Gegenreformation ,  die  bis  ins  XVII.  Jahr- 
hundert in  den  katholischen  Ländern  geherrscht,  betrachtet.  Auch 
sie  hat  wohl  Großes,  Merkwürdiges  hervorgebracht,  aber  es  fehlt 
ihr  die  ernste  Weihe  innerer  Wahrhaftigkeit,  welche  die  in  Luther 
und  in  Franz  gipfelnden  Bewegungen  ihren  geistigen  Erzeugnissen 
verliehen.  Denn  wie  sich  an  Franz  die  Entfaltung  und  Blüthe  der 
bildenden  Kunst,  so  schließt  sich  an  Luther  diejenige  einer  anderen 
Kunst,  der  Musik.  Wie  in  Giotto  die  begeisterte  Gefühlskraft  des 
Franziskus,  so  hat  in  Bach  die  tiefe  Glaubensmacht  Luther's  den 
vollen,  künstlerischen  Ausdruck  gefunden.  Und  wie  auf  Giotto  die 
große  Zeit  der  italienischen  bildenden  Kunst,  so  folgt  auf  Bach 
die  gewaltige  Entwicklung  der  deutschen  Musik. 

Franz  und  Luther!  Wann  wird  der  Dritte  kommen .f*  Die 
Zeit  ist  reif  und  wer  sein  Ohr  öffnet,  der  hört  den  verlangenden 
Ruf  des  Volkes,  diesmal  des  vierten  Standes,  der  seine  Rechte  für 
sich  fordert.  Was  Anderes  als  neue  Glaubenskraft ,  als  neue 
Kräftigung  des  Gefühles  verlangt  es}  Wer  hilft  ihm.!*  Die  Mensch- 
heit bedarf  von  Neuem  eines  Franziskus,  eines  Luther ! 


ANHANG 


I.  Die  Quellen  zur  Geschichte  des  Franz.  ^) 

Vier  Lebensbeschreibungen  des  Franz  von  Assisi  sind  uns  aus  dem 
XIII.  Jahrhundert  erhalten ,  und  diese  allein ,  die  ersten  drei  noch  von 
seinen  Zeitgenossen  geschrieben,  dürfen  die  Grundlage  einer  histo- 
rischen Betrachtung  bilden,  wenn  auch  vergleichend  die  Mittheilungen 
vor  allem  des  Jordanus  von  Giano,  dann  einiger  anderer  Schriftsteller 
der  Zeit,  wie  Jacobus  de  Voragine,  Matthäus  Paris,  Jordanus,  Vincentius 
von  Beauvais,  Jacobus  de  Vitriaco  herzugezogen  werden  müssen.  Erst 
seit  kurzer  Zeit  ist  die  historische  Kritik  auch  auf  diesen  Stoff  angewandt 
worden,  nachdem  durch  Jahrhunderte  hindurch  in  zahllosen  Biographieen 
des  Heiligen  ohne  Auswahl  die  älteren  Angaben  des  XIII.  Jahrhunderts 
mit  den  an  neuen  Erfindungen  und  Legenden  reichen  Darstellungen  der 
zwei  folgenden  Jahrhunderte  vermischt  worden  waren  und  so  ein  buntes 
Ganzes  entstanden  war.  Die  erste  kritische  Sichtung  des  im  Laufe  der 
Zeit  übermäßig  angewachsenen  Stoffes  unternahm  der  gelehrte  und  sorg- 
fältige Konstantin  Suysken,  als  er  in  den  Acta  sanctorum  (Antw.  1786. 
T.  II.  p.  683 — 798)  drei  der  älteren  Biographieen  neu  publizirte  und  in 
seinem  Kommentar  in  Sonderheit  die  Angaben  in  Wadding's  Annalen 
einer  genauen  Prüfung  unterzog.  Blieb  seine  Auffassung  des  Franziskus 
auch  noch  immer  weit  entfernt  von  der  Würdigung  der  geschichtlichen 
Persönlichkeit ,  so  gebührt  ihm  doch  der  Dank  für  die  einsichtsvolle 
Verarbeitung  und  klärende  Vergleichung  der  älteren  Literatur.  Ein  weiterer 
Schritt  konnte  erst  von  protestantischer  Seite  geschehen,  wie  ihn  denn 
Hase  in  seinem  „Lebensbild  des  Franz  von  Assisi"  (Leipzig  1856)  that. 
Dem  hervorragenden  Geschichtsschreiber  der  christlichen  Kirche  und  Vor- 
kämpfer freier  protestantischer  Forschung  gelang  es,  mit  kühner  und 
sicherer  Hand  das  dichte  Netz  unbewußter  und  willkürlicher  Erdichtung 
zu  zerreißen  und  der  geschichtlichen  Betrachtung  den  freien,  ungehinderten 


^)  Diesen  Abschnitt  habe  ich  unverändert ,  nur  durch  einige  neuere  litterarische 
Angaben  bereichert,  stehen  lassen,  wie  er  in  der  ersten  Auflage  dieses  Buches  gegeben 
war,  und  füge  gesondert  in  einem  zweiten  Kapitel  die  Kritik  der  neueren  Quellen- 
forschung hinzu. 


^^6  Anhang. 

Ausblick  auf  das  inhaltsreiche  Leben  des  merkwürdigen  Mannes  zu  er- 
schließen. In  entscheidender  Weise  verstand  er  es,  die  Umbildung  wirk- 
licher Vorgänge  zu  wunderbaren  Ereignissen  in  der  fortschaffenden  Ein- 
bildungskraft des  Volkes  und  der  die  Absicht  verrathenden  lehrhaften 
Anschauung  der  Franziskaner  anschaulich  darzulegen  und  aus  der  späteren 
Legende  den  eigentlichen  Kern  loszulösen.  Unter  seiner  Polemik  aber, 
so  gerechtfertigt  sie  der  katholischen  Auffassung  gegenüber  war,  hat  doch 
der  unschuldige  Veranlasser  derselben,  Franz  selbst,  etwas  zu  leiden 
gehabt,  hat  dessen  geistige  und  moralische  Bedeutung  nicht  die  volle 
Würdigung  erhalten,  —  der  große  Mensch  verschwand  zuweilen  hinter 
dem  Gründer  des  Bettelmönchordens  und  behielt  nicht  immer  die  volle 
Sympathie  seines  Biographen  für  sich.  Größere  Gewißheit  über  einzelne 
Thatsachen  des  Lebens  gewann  dann  Georg  Voigt  aus  den  Notizen  der 
„Denkwürdigkeiten  des  Minoriten  Jordanus  von  Giano",  die  er  1870  in 
dem  V.  Bd.  der  Abhandl.  der  phil.-hist,  Klasse  der  K.  Sächsischen  Ge- 
sellschaft der  Wissenschaften  zum  ersten  Male  veröffentlichte,  und  Cristo- 
fani  aus  den  Urkunden  seiner  Heimathsstadt  Assisi,  die  er  in  den  „Storie 
di  Assisi"  (II.  Ausg.  1875.  Assisi,  Sensi)  verwerthete.  In  letzter  Zeit 
erschien  dann  Ernest  Renan's  geistvolle  Studie  in  den  „nouvelles  fitudes 
d'histoire  religieuse"  (Paris,  Ldvy  1884)  und  die  vortreffliche,  kurze 
Biographie  des  Franz  von  Ruggero  Bonghi  (Cittä  di  Castello  1884),  in 
der  ein  klares,  übersichtliches,  von  allen  konfessionellen  Streitigkeiten 
absehendes  Lebensbild  entworfen  wurde.  Hier  auch  wurde,  wenn  auch 
in  sehr  beschränkter  Weise,  zum  ersten  Male  die  zweite  Legende  des 
Thomas  von  Celano  verwerthet,  die,  obgleich  1806  in  Rom  publizirt, 
früheren  Schriftstellern  entgangen  war. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  einer  vergleichenden  Betrachtung  der  ältesten 
Quellen,  so  wird  sich  ergeben,  daß  man  bisher  die  Beziehungen,  die 
zwischen  ihnen  bestehen,  die  doch  von  größter  Wichtigkeit  für  ihre  Be- 
nutzung und  Kritik  sind,  nicht  richtig  erkannt  hat. 

Die  älteste  ist  unzweifelhaft  die  sogenannte  I.  vita  von  Thomas 
von  Celano,  die,  wie  die  Vorrede  sagt,  auf  Befehl  des  Papstes  Gregor  IX. 
von  Einem  geschrieben  wurde,  der  viel  „aus  dem  Munde  des  Franz  selbst 
gehört",  anderes  „von  treuen  und  bewährten  Zeugen"  erfahren  hat.  Sie 
ist,  wie  schon  von  Suysken,  dessen  Publikation  in  den  Acta  SS.  Oct. 
II.  Bd.  wir  folgen,  dann  von  allen  späteren  Biographen  angenommen  wird, 
zwischen  1228  und  1230  geschrieben,  da  sie  wohl  die  im  ersteren  Jahre 
erfolgte  Kanonisation,  nicht  aber  die  Uebertragung  des  Leichnams  in  die 
neue  Kirche  S.  Francesco  (1230  erfolgt)  enthält.^)  Daß  sie  von  Thomas 
von  Celano  geschrieben  sei,  beruht  auf  keinem  alten  authentischen  Zeug- 


^)  Neuere  Ausgabe  mit  ital.  Uebersetzung  von  Amoni.     Rom   1880. 


Die  Quellen  zur  Geschichte  des  Franz.  577 

nisse,  sondern  nur  auf  einer  bei  Wadding  zuerst  aufgestellten  Vermuthung, 
der  aber  die  größte  Wahrscheinlichkeit  nicht  abzusprechen  ist.  ^)  Wenn 
Tholuck  in  den  Vermischten  Schriften  (Th.  I.  S.  iio)  sie  dem  Johannes 
oder  Thomas  von  Ceperano,  einem  römischen  Notar,  zuweisen  möchte,  so 
ist  dem  zu  entgegnen,  daß  wir  bis  jetzt  noch  vollständig  im  Unklaren  über 
die  Existenz  dieses  Mannes  sind.  Zwar  hat  Voigt  als  Titel  eines  Buches 
bei  Potthast  (Bibl.  Hist.  p.  707):  „speculum  vitae  S.  Francisci,  auctore 
Th.  Ceperano  ed.  Bosquierius,  Coloniae  1623,  in  8*^"  gefunden,  und  die 
Angabe,  daß  dieser  1245  gelebt  (a.  a.  O.  S.  455).  Doch  bezweifelt 
schon  Bonghi  (S.  88)  die  Richtigkeit  dieser  Angabe,  indem  er  darauf 
hinweist,  daß  Suysken  (a.  a.  O.  p.  550)  offenbar  dasselbe  Werk  unter 
anderm  Titel  angiebt:  „Antiquitates  Franciscanae  seu  speculum  vitae  beati 
Francisci  et  sociorum  ejus,  auctoribus  FF.  Fabiano  et  Hugelino  et  aliis 
minoritis  D.  Francisco  coaevis.  Bosquierius.  1623."  Hase,  dem  es  selbst 
vorgekommen  zu  sein  scheint,  nennt  es,  ohne  den  Titel  anzugeben,  eine 
,freie  Ueberarbeitung'  des  älteren  Speculum.  (S.  15.  A.)  Die  BoUan- 
disten  wissen  aus  einer  alten  Chronik,  daß  jener  Tommaso  da  Ceperano 
für  Crescentius  eine  Legende  geschrieben,  und  stimmen  darin  mit  Wad- 
ding überein,  fügen  aber  nach  derselben  Quelle  hinzu,  daß  dieselbe  von 
einem  Fr.  Francesco  da  Bessa  ergänzt  worden  sei,  während  Wadding 
davon  weiß,  daß  ein  Bernardo  da  Bessa  selbstständig  eine  längere  Legende 
geschrieben.  Sei  dem  wie  ihm  sei,  wir  werden  sehen,  daß  uns  schwer- 
lich irgend  eine  wichtige  vita  fehlt,  daß  die  nicht  erhaltenen  Biographieen 
wahrscheinlicher  Weise  nichts  Anderes  als  Wiederholungen  der  dem 
Thomas  von  Celano '  zugeschriebenen  gewesen.  Auf  Eines  aber  ist  schon 
hier  aufmerksam  zu  machen,  daß  stilistisch  ein  entschiedener  Unterschied 
zwischen  der  I.  und  II.  vita  des  Thomas  von  Celano  besteht,  der  Satzbau 
und  die  Ausdrucksvveise  in  der  ersteren  ungemein  einfach  und  klar,  in 
der  zweiten  schwülstig  und  verworren  ist,  was  aber  wohl  seine  Erklärung 
darin  finden  mag,  daß  die  I.  Legende  als  reine  Erzählung  besonders  für 
das  Volk,  die  II.  Legende  als  Charakteristik  des  Franz  für  die  gebildeteren 
Kreise  geschrieben  war.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich ,  wie  Bonghi  will, 
daß  dieser  Thomas  von  Celano  einer  von  den  gelehrten  Leuten  war,  die 
nach  der  I.  Legende  in  den  Orden  eintraten,  als  Franz  von  seiner  Reise 
nach  Spanien  zurückkehrte. 

Die  I.  vita    nun ,    die    von    allen    den  größten  Anspruch  auf  Glaub- 


^)  Den  verschiedenen  Nachrichten  zufolge  hatte  Thomas  vier  Legenden  geschrieben, 
I.  kurz  für  den  Chorgebrauch  (wohl  die  nach  Codex  in  Assisi  bei  Papini:  Notizie 
sicure  della  morte  di  S.  F.  Foligno  1824.  S  239),  2.  eine  auf  Befehl  Gregor's  IX. 
(die  man  in  der  unsrigen  erkennt),  3.  eine  auf  Antrieb  des  Crescentius  1244  (nach 
Salimbene  Chron.  Parma  1857,  p.  60,  wie  man  annimmt:  die  sogen.  II.  vita  des 
Thomas) ,  4.  eine  auf  Antrieb  des  Joannes  Parmensis ,  der  1 247  Generalminister  wird. 
Thode,  Franz  von  Assisi.  37 


5/8  Anhang. 

Würdigkeit  hat,  fand  eine  fast  getreue  Nachfolge  in  einer  anonymen 
Legende,  die  Suysken  in  einem  Codex  eines  Isaak  Vossius  gefunden  und 
in  seinem  Kommentar  mit  verwerthet  hat.  Dieselbe  ist  nach  1230  ge- 
schrieben, da  sie  die  Uebertragung  des  Leichnams  enthält,  hat  aber 
nur  für  diesen  einen  Punkt  originale  Bedeutung.  Ebenso  ist  das  latei- 
nische Carmen,  das  Cristofani  nach  einem  Codex  in  Assisi  publizirt  hat 
(II  piü  antico  poema  della  vita  di  S.  F.  d' Assisi.  Prato  1882),  Nichts 
als  eine  Versifizirung  der  L  vita.  Wenn  er  annimmt,  es  sei  vor  1230 
entstanden,  so  muß  ich  ihm  mit  Bonghi  widersprechen,  da  es  ganz 
zweifellos  ist,  daß  der  Dichter,  nur  verschwindend  weniges  Neues  hinzu- 
fügend, sich  eben  ganz  an  Thomas  hält  und  so  mit  demselben  Zeitpunkt 
wie  Dieser  abschließt.  Auch  die  Dedikation  an  Gregor  IX,  kann,  jener 
vita  nachgebildet,  nicht  bestimmend  für  die  zeitliche  Fixirung  sein.  Da- 
gegen scheint  es  mir  sehr  beachtenswerth,  daß,  wenn  auch,  wie  Cristofani 
bemerkt,  Elias  öfters  mit  Verehrung  genannt  wird,  doch  die  so  überaus 
wichtige,  Demselben  vom  sterbenden  Franz  ertheilte  Segnung  weggelassen 
ist,  was  offenbar  ebenso  wenig  zufällig  ist,  wie  in  der  späteren  vita.  Der 
Dichter  schrieb  also  schon  zu  einer  Zeit,  in  der  des  Elias  Abfall  vom 
Orden  bereits  sich  vollzogen,  also  sicher  nach  1239,  in  welchem  Jahre 
er  abgesetzt  worden  ist.  Ob  jener  Frate  Giovanni  da  Kant,  der  1243 
ein  ehemals  in  der  Bibliothek  von  S.  Croce  befindliches  Gedicht  „de 
mysteriis  rerum  quae  fiunt  in  Ecclesia"  verfaßte  und  1256  als  Kaplan 
Alexander's  IV.  Diesem  ein  Gedicht  über  das  Leben  der  Chiara  widmete, 
das  seinerseits,  wie  Cristofani  sagt,  in  hohem  Grade  mit  der  Legende 
der  Heiligen  übereinstimmt,  auch  Verfasser  unseres  Poems  ist,  scheint 
mir  mit  Cristofani  sehr  wahrscheinlich ,  wenn  auch  noch  nicht  erwiesen. 
Auch  Bonghi,  der  Zweifel  daran  zu  haben  scheint,  sieht  einen  Ausländer 
in  ihm.  ^)  Da  er  aber  nur  das  von  Thomas  schon  Gesagte  wiederholt, 
kommt  er  für  die  Forschung  so  gut  wie  gar  nicht  in  Betracht. 

Einen  neuen  Anstoß  erhielt  die  Lebensschilderung  Franzens  durch 
den  Generalminister  Crescentius,  der  1244  auf  dem  Generalkapitel  zu 
Genua  verschiedene  Jünger  des  Heiligen  aufforderte ,  neues  Material  für 
Biographieen  zu  sammeln.  Auf  diesen  Antrieb  hin  erschien  die  so- 
genannte II.  vita  des  Thomas  von  Celano,  als  „Memoriale  in 
Desiderio  Animae  de  gestis  et  verbis  sanctissimi  patris  nostri  Francisci", 
die  bis  1246  vollendet  gewesen  sein  muß,  da  sie  von  den  gleich  zu 
erwähnenden  „tres  socii"  benutzt  wird.     Sie  ward  zum  ersten  Male   1806 


^)  Von  1230  an  ist  er  Provinzialminister  von  Sachsen,  kleidet  1234  die  h.  Agnes 
von  Böhmen  zur  Aebtissin  ihres  Klosters  ein,  sammelt  1246  Subsidien  für  die  Kirche 
in  England  und  ist  1256  Kaplan  Alexander's  IV.  —  Vergl.  unten  im  folgenden  Kapitel 
S.  593  ^ic  "leue  über  den  Verf.  Henricus  Pisanus  aufgestellte  Hypothese. 


Die  Quellen  zur  Geschichte  des  Franz.  579 


in  Rom,  dann,  was  auch  Bonghi  entgangen,  vom  Canonico  Amoni  1880 
mit  italienischer  Uebersetzung  publizirt.  Zu  gleicher  Zeit,  nur  etwas  später, 
an  den  III.  Id.  des  August  1246  in  Greccio  vollendeten  die  drei  Jünger 
des  Franz:  Fr.  Leone,  Fr.  Rufino  und  Fr.  Angelo  ihre  „Legen da",  die 
zuerst  von  den  BoUandisten  (Acta  SS.  Oct.  IL  S.  725),  dann  1831  in 
Pesaro  (Nobili),  1856  in  Recanati  (Morici,  ital.  Uebers.),  1880  mit  einer 
alten  ital.  Uebersetzung  vom  Canonico  Amoni  publizirt  wurde.  ^) 

Endlich  1 2 6 1  schrieb  Bonaventura  auf  Bitten  des  Generalkapitels 
zu  Narbonne  im  J.  1260  seine  „vita",  die  fortan  als  die  eigentlich 
klassische  zahlreiche  Ausgaben  erlebt  hat. 

Wie  verhalten  sich  nun  diese  vier  Lebensbeschreibungen  zu  ein- 
ander? Es  lag  wohl  in  dem  Stoffe  selbst,  daß  schon  der  erste  Biograph, 
statt  eine  zusammenhängende  historische  Schilderung  des  Lebensganges 
zu  geben,  diesen  zusammenhängend  eigentlich  nur  bis  zu  des  Franz 
Rückkehr  von  Rom,  wo  er  von  Innocenz  die  Erlaubniß  zu  predigen 
erhalten,  erzählt  Dann  kommt  er  auf  die  Wesenseigenthümlichkeiten  des 
Heiligen  zu  sprechen  und  ordnet  die  äußeren  Begebenheiten  den  aus  jenen 
gewonnenen  größeren  Gesichtspunkten  unter,  bis  er  mit  der  Schilderung 
der  Stigmatisation  im  IL  Buche  wieder  den  historischen  Faden  aufnimmt 
und  nun  bis  zum  Tode  und  zur  Kanonisation  des  Franz  fortspinnt.  Dann 
zählt  er  die  nach  dem  Ableben  erfolgten  Wunder  auf.  Seine  Schreib- 
weise ist  einfach  natürlich. 

Die  IL  Legende  soll  ein  Nachtrag  sein.  Sie  vermeidet  es,  irgend 
etwas  in  der  ersten  Gesagtes  zu  wiederholen  und  bringt  durchweg  Neues, 
und  zwar  im  ersten  kürzeren  Theile  zur  Bekehrungsgeschichte  des  Franz, 
im  IL  und  III.  Theile  zu  einer  durch  zahlreiche  kleine  Geschichten  illustrirten 
eingehenderen  Würdigung  der  hervorragenden  Tugenden  Desselben.  Da 
handelt  es  sich  zunächst  um  die  Gaben  der  Weissagung  (der  ganze 
IL  Theil),  dann  um  die  Armuth  (III,  Kap.  i — 28),  die  Mildthätigkeit  (III, 
29 — 37) >  das  Beten  (III,  38 — 44),  sein  Verhältniß  zur  h.  Schrift  (III, 
45 — 48),  die  Art  und  Wirkung  seiner  Predigt  (III,  49 — 54),  sein  Ver- 
hältniß zu  den  Frauen  (III,  55 — 56),  seine  Standhaftigkeit  gegenüber 
Versuchungen  (III,  57-64),  die  Fröhlichkeit  seines  Geistes  (III,  65 — 70), 
seinen  Abscheu  vor  Heuchelei  und  Hochmuth  (III ,  70  —  73),  seine 
Demuth  (III,  74 — 87),  seinen  Gehorsam  (III,  88 — 94),  seine  Abneigung 
vor  Müßiggang  (95 — 98),  seine  Anschauung  vom  Priesterthum  (99 — 100), 
seine  Liebe  zur  Natur  (loi  — 107),    seine  Liebe  zu  den  Menschen  (108 


^)  Neuerdings  1898  von  Faloci  Pulignani  in  Foligno.  —  In  den  Acta  SS.  lautet 
das  Datum  1247;  doch  ist,  wie  schon  Wadding  nachgewiesen,  1246  richtiger,  da  Cres- 
centius  1247  stirbt.  In  des  Amoni  Ausgabe  ist  im  lateinischen  Text  1246  offenbar 
durch  Druckfehler  in   1266,  im  italienischen  in   1226  verwandelt. 


37^ 


58o  Anhang. 

bis  115),  zu  seinem  Orden  (116  — 124),  seine  Verehrung  für  Christus, 
Maria,  Engel  und  Heilige  (125 — 131),  die  Auffassung  der  Mönchsregel 
(132 — 136).  Daran  schließt  sich  endlich  die  Erzählung  von  seinem  Ende 
und  ein  im  Namen  der  Genossen  ausgesprochenes  Gebet.  In  demselben 
heißt  es:  „Supplicamus  etiam  toto  cordis  affectu,  benignissime  pater  pro 
illo  filio  tuo,  qui  nunc  et  olim  devotus  tua  scripsit  praeconia."  Daraus 
geht  hervor,  daß  auch  jene  erste  Legende  von  Demselben,  also  wohl 
sicher  von  Thomas  von  Celano  stammt.  Aus  einer  Stelle  des  Vorworts 
aber,  die  so  lautet:  „Continet  in  primis  hoc  opusculum  quaedam  conver- 
sionis  facta  mirifica,  quae  in  legendis  dudum  de  ipso  confectis  non 
fuerunt  apposita,  quoniam  ad  auctoris  notitiam  minime  pervenerunt", 
läßt  sich  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  schließen,  daß  die  früheren 
Legenden,  vermuthlich  jene  I.  vita  und  die  kürzere  für  den  Chorgebrauch, 
von  Einem  Autor,  d.  h.  Thomas  von  Celano  waren,  zugleich  aber,  daß 
die  „legenda  trium  sociorum"  noch  nicht  existirte. 

Auch  ein  Vergleich  der  letzteren  mit  der  II.  vita  ergiebt  mit  Sicher- 
heit, daß  die  Tres  socii  später  schreiben,  da  sie  alle  jene  neuen  Fakta 
der  Bekehrungsgeschichte  der  II.  Legende,  zum  Theil  im  Wortlaute  an- 
klingend, meist  ausführlicher  und  in  einem  feiner  verarbeiteten  Zusammen- 
hang wiederbringen,  ihrerseits  aber  Vieles  hinzufügen,  was  Thomas  nicht 
hat.  Dabei  gehen  sie  von  einem  etwas  anderen  Standpunkte  aus,  indem 
sie  absichtlich ,  wie  in  der  Vorrede  betont  wird  ^) ,  weniger  Gewicht  auf 
die  Wunder  legen,  als  auf  die  pragmatische  Verknüpfung  der  Umstände 
und  Begebenheiten  in  der  Bekehrungsgeschichte,  die  demnach  auch  den 
größten  Theil  ihres  Buches  einnimmt  und  eine  geschichtliche  Verarbei- 
tung der  Berichte  der  I.  und  II.  Legende,  sowie  einiger  neuer  Thatsachen 
bringt.  Dabei  zeigen  sie  sich  wohl  unterrichtet  über  die  Ordensangelegen- 
heiten,  über  die  Bestätigung  der  Regel  durch  Honorius  III.,  über  die 
Aussendung  der  Minister,  des  Generalkapitels  von  12 19.  Ihre  Berichte 
beruhen  zum  Theil  nach  ihrer  eigenen  Angabe  auf  Mittheilungen  der 
Brüder  Philippus,  lUuminatus  de  Reate,  Masseus  de  Marignano  und  Jo- 
hannes, der  indirekt  durch  Fr.  Aegidius  Manches  von  Franz  erfahren. 

Bonaventura  endlich  faßte,  was  bei  der  geringen  Berücksichtigung 
der  IL  Legende  bisher  nicht  erkannt  worden,  die  drei  erwähnten  Bio- 
graphieen  zusammen  und  baute  aus  ihnen  die  seinige  auf.  Ein  in's  Ein- 
zelne gehender  Vergleich  beweist ,  wie  genau ,  zum  großen  Theile  wört- 
lich, er  sich  an  die  II.  Legende  gehalten,  deren  Erzählungen  er  nur  in 
einen  anderen  Zusammenhang  bringt.  Mit  größter  Kunstfertigkeit  hat 
er    alle    zusammen    gewebt,    so    daß    es    den  Anschein  hat,    als   hätte  er 


^)  Non  content!  narrare  solum  miracula,  quae  sanctitatem  non  faciunt  sed  ostendunt, 
sed  etiam  secretae  conversationis  ejus  insignia. 


Die  Quellen  zur  Geschichte  des  Franz.  58 1 

frei  geschaffen  und  komponirt,  während  er  doch  im  Wesentlichen  überall 
selbst  in  allgemeinen  Betrachtungen  nur  die  älteren  Ideen  und  Worte 
wiederholt.  Dabei  ist  es  denn  höchst  interessant  zu  sehen,  wie,  ab- 
gesehen von  den  Wundern,  die  Thomas  als  solche  selbst  schon  bringt, 
auch  die  bei  Jenem  noch  einfachen  Begebenheiten  in  wunderbare  ver- 
wandelt werden,  wie  Alles  und  Jedes  eine  Vorbedeutung,  einen  geheimen 
Sinn,  eine  wunderbare  Beziehung  zu  anderen  Dingen  erhält,  worauf  wir 
oben  oft  im  Einzelnen  zu  sprechen  gekommen  sind.  Verwundern  könnte 
es,  daß  Bonaventura  nirgends  seine  doch  so  gründlich  ausgenutzten  Quellen 
zitirt  hat  und  sich  begnügt,  nur  auf  seinen  Verkehr  mit  Zeitgenossen  des 
Franz  in  Assisi  hinzuweisen,  doch  muß  man  bedenken,  daß  jene  älteren, 
Viten  wohlbekannt  waren  und  ihre  Ausnutzung  ganz  selbstverständlich 
erscheinen  mußte.  Was  Bonaventura  neu  hinzubringt,  ist  vergleichsweise 
wenig,  verdient  aber  hier  kurz  aufgezählt  zu  werden,  da  eine  Kritik 
darauf  Rücksicht  zu  nehmen  hat: 

Kap.  I.   6.     Die  Kreuzerscheinung,  die  Franz  vor  seiner  eigentlichen  Be- 
kehrung zu  Theil  wird,    angeblich  von  ihm  selbst  vor  seinem  Tode 
mitgetheilt. 
Kap.  II.  4.     Wie    der  Bischof   ihm   nach   der  Lossagung  vom  Vater  das 

kreuzförmige  Gewand  übergiebt. 
Kap.  IL   5.     Wie   er  von  Rom  heimkehrend  durch  den  Kuß  einen  Aus- 
sätzigen heilt. 
Kap.  III.  4.     Die  Erweiterung  der  Vision  des  Silvester.    Da  flüchtet  vor 
dem  Anblick    des  Franz ,    aus   dessen  Mund  ein  riesiges  Kreuz  aus- 
geht, ein  Drache. 
Kap.  III.  7.    Der  Traum  des  Papstes  Innocenz  von  der  wachsenden  Palme. 
Kap.  IV.   7.     Das  Mitleid,  das  ein  Sarazene  über  zwei  Brüder  empfindet. 
Kap.  IV.  8.     Wie   Franz    den   Kreuzträger   Moricus    in  Assisi    durch   das 

Oel  einer  geweihten  Lanze  heilt. 
Kap.  IV.  9.     Von  der  Vorliebe  des  Franz  für  das  Zeichen  des  Thau. 
Kap.  IV.   IG.     Von    der    wunderbaren    Speisung    der    5000    zum  Kapitel 

versammelten  Brüder. 
Kap.  IV.   II.     Wie   er  die  von  Elias  verlorene  Regel  nochmals  schreibt. 
Kap.  V.   IG.     Wie  ihm,  in  den  Sümpfen  bei  Padua  irrend,  in  der  Nacht 

der  Weg  durch  himmlisches  Licht  erhellt  wird. 
Kap.  VII.   IG.     Wie    er  bei  Reate,    einen  Arzt  zu  belohnen,    in  wunder- 
barer Weise  dessen  zerfallenes  Haus  herstellt. 
Kap.  VIII.  5.     Wie  ihm  einst  bei  Siena  eine  Heerde  Schaafe  zuläuft 
Kap.  VIII.  6.    Wie  das  Schaf,  das  er  bei  sich  hielt,  die  Messe  mitfeierte. 
Kap.  VIII.  8.     Wie    er   in  den  venezianischen  Sümpfen  Vögel  schweigen 
macht. 


582  Anhang. 

Kap.  VIII.  II.  Wie  ihn  die  Vögel  begrüßen,  als  er  auf  dem  Berge 
Alvernia  anlangt, 

Kap.  IX.   2.     Sein  Fasten  zu  Ehren  des  Petrus  und  Paulus. 

Kap.  IX.  6.  7.  Wie  der  Sultan  befohlen,  jeden  Christen  zu  enthaupten. 
Auch  wird  hier  zuerst  erwähnt,  daß  der  ihn  nach  Egypten  be- 
gleitende Bruder  lUuminatus  war.  Ferner  ist  die  Erzählung  von  der 
Feuerprobe  neu. 

Kap.  X.  3.  Wie  die  Brüder  ihn  in  Kreuzesform  über  die  Erde  erhoben 
sehen. 

Kap.  XI.  4.     Die  Geschichte  vom  Edlen  von  Celano. 

Kap.  XI.   7.     Wie  er  die  Gedanken  eines  zweifelnden  Freundes  erräth. 

Kap.  XII,   2.    Wie  er  von  Silvester  und  Chiara  bewogen  wird,  zu  predigen. 

Kap.  XII.  5.  Wie  ein  Scholar  in  Paris  eine  Schwalbe  schweigen  macht 
im  Namen  des  Franz. 

Kap.  XII.  6.     Wie  er  bei  Gaeta  vom  Schiffe  predigt. 

Kap.  XII.  7.  Wie  er  vor  Honorius  predigen  soll  und  seine  Predigt  ganz 
vergessen  hat. 

Kap.  XII.   10.     Heilung  des  Knaben  in  Reate. 

Kap.  XII.   II.     Heilung  des  Knaben  in  Orte. 

Kap.  XII.   13.     Heilung  des  Mädchens  in  Bevagna. 

Kap.  XII.   15.     Heilung  des  Knaben  in  Bologna. 

Kap.  XII.   17.     Heilung  des  Besessenen  in  Cittä  di  Castello. 

Kap.  XIII.  4.  Wie  er  dem  Bruder  Illuminatus  das  Wunder  der  Stigmati- 
sation erzählt. 

Kap.  XIII.  6.  Wie  durch  das  Blut  seiner  Wunden  im  Gebiete  von  Reate 
die  Thiere  geheilt  wurden. 

Kap.  XIII.  7.  Wie  das  schlimme  Wetter  in  der  Gegend  von  Alvernia 
nach  der  Stigmatisation  aufhört, 

Kap.  XIII.  8.  Wie  er  durch  seine  Berührung  einem  halb  erfrorenen 
Bauern  die  Wärme  wieder  giebt. 

Kap.  XIV.  2.  Wie  er  in  der  Krankheit  die  Versuchung  eines  Bruders 
abweist, 

Kap.  XIV.  7.     Wie  die  Schwalben  seinen  Tod  feiern. 

Kap.  XV.  4.     Die  Bekehrung  des  Hieronymus. 

Kap.  XV.   5.     Die  Beisetzung  in  S.  Giorgio. 

Kap.  XVI.   2.     Die  Vision  Gregor's  IX.,  sowie  einige  Wunder. 

Zweierlei  ergiebt  sich  hieraus:    daß  Bonaventura  besonders  reichlich 

Nachrichten    aus  Reate    erhielt    und    dann,    daß    er    direkt   oder   indirekt 

Mancherlei  vom  Fra  Illuminatus  gehört.    In  der  allgemeinen  Anlage  hält 

er    sich   an    das  Vorbild   der  I.  Legende  und  der  Tres  socii  und  erzählt 

historisch  zusammenhängend  das  Leben  nur  bis  zu  Franz'  Rückkehr  von 

Rom   und    Niederlassung    bei  S.  Maria  degli  Angeli.     Dann   faßt   er   das 


Die  Quellen  zur  Geschichte  des  Franz.  583 


Uebrige,  wie  die  I.  und  11.  Legende,  unter  allgemeine  Gesichtspunkte 
zusammen,  indem  er  von  der  Strenge  seines  Lebens,  seiner  Demuth, 
seinem  Gehorsam,  seiner  Armuth,  seiner  Liebe  zur  Natur  und  den  Menschen 
wie  zu  Gott,  seiner  Freudigkeit  für  den  Herrn  zu  leiden,  von  der  Art 
und  Wirkung  seines  Gebetes,  der  Kenntniß  der  heiligen  Schrift  und  der 
Gabe  der  Prophezeiung,  von  seiner  Predigt  und  Wunderkraft  spricht, 
woran  sich  schließlich  die  Erzählung  der  Stigmatisation ,  seiner  letzten 
Tage,  seiner  Kanonisation  und  Uebertragung  und,  wie  in  der  I.  Legende, 
die  Aufzählung  der  nach  dem  Tode  bewirkten  Wunder  schließt.  Die 
poetische  Anschauungsart,  die  lebendige  bildliche  Darstellung,  die  bilder- 
reiche Sprache  machen  das  Ganze  zu  einem  wohllautenden,  von  innigster 
Empfindung  durchglühten  Gedichte.  Das  W'ichtigste,  was  der  Vergleich  mit 
den  früheren  Viten  ergiebt,  ist  dies,  daß  Bonaventura  Das,  was  er  neu  bringt, 
thatsächlich  selbst  hinzufügt,  nicht  etwa  irgend  einer  unbekannten  älteren 
vita  entlehnt,  und  daraus  wiederum  ist  man  berechtigt  zu  schließen,  daß  der 
wesentliche  Inhalt  der  Legendenschreibung  vor  ihm  in  den  drei  älteren  Bio- 
graphieen  zu  finden  ist.  Mag  es  demnach  auch  noch  andere  Viten  von  jenem 
Thomas  (?)  de  Ceperano  oder  Bernardo  di  Bessa  gegeben  haben,  so  wird  in 
ihnen  schwerlich  viel  Anderes  enthalten  gewesen  sein,  als  wir  aus  den  drei 
älteren  Legenden  wissen,  sonst  hätte  es  Bonaventura  sicher  mit  ver\verthet. 

Daß  Dieser  aber  mit  Vorsicht  von  der  Forschung  zu  benutzen,  das 
Hauptgewicht  derselben  auf  die  erste  Legende  des  Thomas  zu  verlegen 
ist,  ergiebt  sich  aus  dem  Gesagten  von  selbst. 

Wie  aber  von  Bonaventura  die  ältere  zeitgenössische  Biographie 
des  Franz,  so  ward  wiederum  seine  vita  in  den  folgenden  zwei  Jahr- 
hunderten mannigfach  umgewandelt  durch  Männer,  für  die  es  sich  gar 
nicht  mehr  um  das  Historische,  sondern  rein  um  das  W'underleben  eines 
durch  die  Zeit  immer  mehr  dem  menschlichen  Treiben  entrückten  Heiligen 
handelte.  Da  entstanden  zunächst  im  XIV.  Jahrhunderte  jene  reizvollen 
„fioretti  di  San  Francesco"^),  die  in  einfacher  volksthümlicher  Sprache, 
vielleicht  beredter  als  alles  Andere,  durch  Jahrhunderte  hindurch  dem 
Volke  von  dem  geliebten  Manne  erzählen,  der  es  so  gut  mit  Allen  ge- 
meint —  in  denen  Dessen  Geist  vielleicht  wahrhaftiger  und  lebendiger 
fortgelebt  hat,  als  in  allen  anderen  Zeugnissen.  Dann  schrieb  in  schroffem 
Gegensatze  zu  diesem  lieblichen  Buche  Bartholomäus  seine  gekünstelten 
„ Conformitates  b.  Ser.  Patris  Francisci  ad  vitam  Jesu  Christi"^),  die,  von 


^)  Erste  Ausgabe  Vicenza  1476.  4,  der  zahlreiche  andere  namentlich  in  Venedig 
bald  folgen.  Ich  benutze  die  Ausgabe  Florenz  (Tartini)  171 8.  Verschiedene  neuere 
Ausgaben.     Lat.  Ausgabe:  Floretum  S.  Francisci.     Ed.  Sabatier,  Paris. 

^)  1399  ^o™  Generalkapitel  genehmigt.  Erste  Ausgabe  ohne  Jahreszahl  in  Venedig. 
Dann  Mailand  15 10  (Gotardus  Ponticus).  Femer  von  Mapellus  hsg.  15 13  Mailand,  — 
die  von  mir  benutzte.     Endlich  von  Bucchius   1590,  Bologna. 


584  Anhang. 

der  gewiß  berechtigten  Anschauung  der  großen  Verwandtschaft  zwischen 
Christus  und  Franziskus  ausgehend,  in  spitzfindigster,  dürrster  Weise  die 
Aehnlichkeit  auch  in  dem  Lebenslauf  Beider  erzwingen.  Mit  Recht 
empörte  sich  dagegen  der  jugendlich  kräftige  lutherische  Protestantismus, 
und  Luther  selbst  schrieb  die  Vorrede  zu  dem  Büchlein:  „Der  Barfuser 
Münche  Eulenspiegel  und  Alcoran"^),  in  dem  die  Behauptungen  des 
Bartholomäus  mit  meist  sehr  kurzen,  aber  nicht  sehr  zartfühlenden  An- 
merkungen versehen  sind,  und  der  Teufel  bei  Weitem  mehr,  als  der  liebe 
Gott  sich  mit  Franz  zu  thun  macht.  -)  —  Eine  ähnliche  Erbitterung 
athmet  ein  anderes,  wenig  bekanntes  Büchlein,  das  zuerst  17 01  in 
Amsterdam  als  „Les  avantures  de  la  Madona  et  de  Fran^ois  d'Assisi", 
dann  öfters  1707,  1745,  1750,  endlich  1882  neu  erschien  unter  dem 
Titel:  „Les  aventures  galantes  de  la  Madone  avec  ses  d^vots  suivies 
de  Celles  de  Fran^ois  d'Assisi  par  J.  B.  Renoult.  Paris."  Darin  wird 
mit  dem  tiefsten  Hasse  gegen  das  Papstthum  die  Verehrung  der  „rö- 
mischen" Madonna,  dann  ohne  jedes  Gefühl  von  Schonung  und  Ge- 
rechtigkeit der  Glaube  an  den  heiligen  Franz,  dessen  Stigmatisation  und 
den  Portiunculaablaß  gegeißelt.  —  Erst  dem  XV.  Jahrhundert  scheint  das 
„Speculum  vitae  B.  Francisci  et  sociorum  ejus"^)  anzugehören,  das  noch 
bis  auf  die  jüngsten  Zeiten  eine  unberechtigte  Rolle  in  den  Biographieen 
spielt,  obgleich  ich  darauf  hinweisen  möchte,  daß  Manches,  von  dem 
man  bisher  annahm,  es  erscheine  erst  hier,  doch  auf  die  II.  Legende 
des  Thomas  zurückgeht. 

Bald  entstehen  auch  die  ersten  Chroniken  des  Ordens,  so  zuerst  die 
, Chronica  viginti  quattuor  generalium  ordinis  S.  F."*),  die  vermuthlich 
noch  im  XIV.  Jahrhundert  geschrieben  wurde,  dann  die  noch  nicht  ver- 
öffentlichte, von  Wadding  und  Suysken  im  Manuskript  benutzte  des 
Marianus  Florentinus,  die  bis  i486  reicht,  dann  die  „Seraphica  historia" 
des  Petrus  Rodulphus  vom  Jahre   1586^),  des  Marco  da  Lisboa  Chronik 


^)  Erste  von  mir  benutzte  Ausgabe:  Hans  Lufft,  Wittenberg  1542,  4.  —  Freie 
Uebertragung  von  Capeila,  Frankfurt  1542.  —  Abdruck:  Deventer  165 1.  —  Ferner  die 
bei  Hase  angegebenen  französischen  Fortbildungen:  L'Alcoran  des  Cordeliers.  Genf 
1556,   1560,    1578,   1589.  —  Geschrieben  von  Erasmus  Alberus. 

^)  Dagegen  wieder  Sedulius :  Apologeticus  adv.  Alcoranum  Franciscanorum ,  Ant- 
werpen 1607. 

^)  Erste  Ausgabe  Venedig  1504  (Simon  de  Luere).  Abdruck:  Metis  1590.  — 
Freie  Ueberarbeitungen  nach  Hase:  Spoelberch,  Antwerpen  1620  und  die  erwähnte  von 
Bosquierius,  Köln   1623.  —  S.  Näheres  hierüber  im  folgenden  Kapitel. 

*)  S.  jetzt  in  den  Analecta  Francescana  III,  328  ff. 

^)  Historiarum  Seraphicae  religionis  libri  III  a  F.  Petro  Rodulphio  Tossinianensi 
Con,  Fran.  Venetiis  apud  Franciscum  de  Franciscis  Senensem  1586.  Ich  fand  das 
seltene  Buch  in  der  Wiener  Hofbibliothek. 


Die  Quellen  zur  Geschichte  des  Franz.  585 

aus  der  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts  in  spanischer  Sprache  ^),  des  Franzis- 
kus Gonzaga  „opus  de  origine  Seraphicae  religionis  Franciscanae"  (Venedig 
1603),  in  der  eine  Besprechung  aller  der  Klöster  der  Minoriten  sich 
findet.  Weiter  das  große  Annalenwerk  des  Lukas  Wadding,  das  1625  in 
Lugdunum  in  acht  Bänden,  dann  von  J.  M.  Fonseca  herausgegeben  in 
zweiter  Auflage  in  18  Bänden  1731  in  Rom  erschien.  Femer  des 
Fortunatus  Hueber:  „Menologium",  München  1698,  des  Sedulius  „Historia 
seraphica  B.  P.  Francisci,  Antwerpen"  aus  dem  Anfange  des  XVII.  Jahr- 
hunderts und  desselben  „Imagines". 

Daneben  entstehen  in  der  Folgezeit  dann  eine  ganze  Anzahl 
von  Biographieen ,  an  deren  Spitze  ein  Gedicht  in  Hexametern  zu  er- 
wähnen ist:  „Seraphicae  in  divi  Francisci  vitam  Christiano  Carmine 
editae,  Cracoviae  1594",  das  ähnlich  wie  jenes  ältere  im  Stile  der 
Aeneis  anhebt: 

Inclyta  magnanimi  canimus  ducis  acta  Minorum. 

Die  umfassendste  Lebensbeschreibung  bringt  zuerst  Candide  Cha- 
lippe:  La  vie  de  S.  Frangois,  Paris  1728,  die  1837  in  einer  Uebersetzung 
in  Rom  neu  erschien.  Später  des  Papini :  Storia  di  S.  Francesco.  Fo- 
ligno   1825. 

Fast  zu  gleicher  Zeit  erschienen  die  Bücher  des  Chavin  de  Malan: 
Histoire  de  S.  Frangois,  Paris  1841  und  des  Vogt:  H.  Franz,  Tübingen 
1840,  von  denen  das  erstere,  besonders  verbreitet,  1879  in  einer  italie- 
nischen Uebersetzung  von  Cesare  Guasti  erschienen  ist,  die  mannig- 
facher Verbesserungen  wegen  vorzuziehen  ist.  Daneben  verdienen  noch 
Delecluze :  St.  Gregoire  VII. ,  St.  Frangois  et  Thomas  d'Aquin ,  Paris, 
Labitte,  1 844 ;  F.  Prudenzano :  Francesco  d'Assisi  e  il  suo  secolo,  Napoli 
1858  (IV.  von  mir  benutzte  Ausgabe  1882),  das  der  Darstellung  der  Zeit 
und  des  Einflusses,  den  Franz  auf  die  Kultur,  Politik  und  geistige  Ent- 
wicklung derselben  gehabt,  gewidmet  ist,  des  L.  Palomes :  Storia  di  S.  Fran- 
cesco, Palermo  1874  und  des  Panfilo  da  Magliano:  Storia  compendiosa 
di  S.  Francesco  e  de'  Francescani,  Rom   1874 — 76. 

Zu  berücksichtigen  sind  auch  die  verschiedenartigen  Aufsätze  der 
von  1878 — 82  in  fünf  Bänden  erschienenen  Zeitschrift:  II  settimo  cen- 
tenario  della  nascitä  di  S.  F.  Assisi,  Sensi.  Alle  die  zuletzt  erwähnten 
Biographieen,  vom  katholischen  Standpunkte  geschrieben,  sind  in  den  Augen 
des  Forschers  mehr  Erbauungsbücher,  als  Geschichtswerke,  so  viel  Gutes 
und  Treff"liches  sie  enthalten  mögen.    Natürlich  ist  mit  den  angegebenen 


^)  Marcus  de  Lisboa:  Las  tres  partes  de  las  Chronicas  antiquas  de  la  Orden 
di  S.  Fr.  Salamanca  1626.  —  Daga:  Quarta  parte  de  la  Chronica  Generals  de  n,  P.  S. 
F.  Valladolid  161 1.  —  Deutsche  Uebers.  durch  Kurtz,  München  1620. 


586  Anhang. 

Werken  die  ausgedehnte  Franziskanerlitteratur  bei  weitem  nicht  erschöpft, 
doch  kommen  sie  allein  im  Wesentlichen  in  Betracht.-') 

Die  Werke  des  h.  Franz ,  d.  h.  eine  wenig  Raum  in  Anspruch 
nehmende  Zusammenstellung  seiner  Regel ,  der  Briefe ,  Poesieen ,  des 
Testamentes  und  kürzerer  Aussprüche,  sind  öfters  publizirt  worden:  am 
besten  von  de  la  Haye,  Paris  (Rouillard  1641,  dasselbe  Lyon  1653, 
Abdruck  Pedeponti  1739,  den  ich  benutze),  von  Der  Burg,  Köln  1849 
und  zuletzt  vom  Collegium  Bonaventurae,  Quaracchi   1904.-) 

Der  Geschichtschreiber  des  Franz  aber  hat  in  erster  Linie  die 
I.  Legende  des  Thomas,  in  zweiter  die  spätere  vita  desselben  und  die 
der  Tres  socii,  in  dritter  des  Bonaventura  Werk  zu  berücksichtigen. 


IL  Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung. 

I.   Wie    die  Verwirrung    entstand. 

Seitdem  die  vorstehende  Quellenkritik,  die  ich,  wegen  des  besseren 
Verständnisses  für  die  seit  1885  angestellten  Untersuchungen  und  im 
Folgenden  gebrachten  Darlegungen,  unverändert  stehen  lasse,  von  mir  ge- 
geben ward,  ist  eine  große,  ja  kaum  mehr  übersehbare  Litteratur  über 
die  Quellenfrage  entstanden.  Bis  jetzt,  wie  ich  gleich  vorausschicken 
darf,  mit  sehr  wenigen  positiven  Resultaten.  Vielmehr  ist  durch  vor- 
gefaßte Meinungen  und  Hyperkritik  eine  Verwirrung  hervorgebracht 
worden,  aus  der  es  kaum  mehr  einen  Ausweg  zu  geben  schien  —  ein 
trauriges  Beispiel  für  die  Verirrungen,  in  die  man  geräth,  wenn  man,  auf 
Neues  erpicht  und  von  bestimmten  Voraussetzungen  besessen,  die  nöthige 
Rücksicht  auf  Traditionen  bei  Seite  setzt  und  sich  dem  Einfachen  und 
natürlich  Gegebenen  verschließt. 

Ich  kann  auf  diese  umfängliche  Litteratur  im  Einzelnen  nicht  ein- 
gehen, so  wenig  wie  auf  eine  alles  Einzelne  berücksichtigende  Kritik  der 
zahlreichen  verschiedenen  Hypothesen.  Dies  hieße  ein  zweites  großes 
und,  wie  mir  dünkt,  unnöthiges  Buch  schreiben.  Auch  liegt  für  mich, 
da  gerade  mein  Werk  doch  in  gewissem  Sinne  den  Anstoß  zu  allen 
folgenden  Erscheinungen  gegeben  hat,  kein  Grund  vor,  es  durch  kompen- 
diöse  Auseinandersetzungen  mit  diesen  seines  Charakters  zu  berauben 
und    den  Leser    durch   das  Labyrinth   mit    hindurchzuschleppen,    sondern 


^)  Wer  sich  über  die  sonstige  Litteratur  unterrichten  will ,  mag  sich  an  Marcel- 
lino's  da  Civezza:  Saggio  di  Bibliografia,  Prato  1879  wenden.  Auch  in  der  ital.  Aus- 
gabe von  Chavin  eine  ausführlichere,  wenn  auch  nicht  komplete  Zusammenstellung. 

2)  Aeltere  Ausgaben:  1624  Salamanca,  1623  Antwerpen  (Plantin,  durch  Lukas 
Wadding),  femer  andere  in  Mailand  und  Alexandria.  Die  Kritik  der  Opuscula  hat 
neuerdings  Walter  Goetz    am  eingehendsten  gegeben.     Vergl.  den  folgenden  Abschnitt. 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  tS? 

es  genügt,  meine  eigene  Meinung,  die  ich  mir  aus  dem  qualvollen  Studium 
jener  Untersuchungen  und  aus  der  erneuten  Prüfung  der  Quellen  gebildet 
habe,  in  Kürze  darzulegen. 

Nur  die  wichtigsten  Thatsachen  der  zuerst  durch  Sabatier  aufgestellten 
neuen  Behauptungen  und  der  dann  weiter  in  Zustimmung  und  Kampf 
hervorgerufenen  Meinungen  wollen  verzeichnet  sein.  ^) 

Der  Ausgangspunkt  von  Sabatier's  langem  Irrwege,  aus  dessen 
äußerster  Sackgasse  er  selbst  neuerdings  wiederum  umgedreht  ist,  war  die 
Wahrnehmung,  daß  Das,  was  das  Vorwort  der  „Drei  Genossen"  verheißt, 
von  der  ihnen  zugeschriebenen  Legende  nicht  erfüllt  wird,  daß  es  nicht 
zu  der  Legende  paßt.  Es  sagt  nämlich:  „non  content!  narrare  solum 
miracula,  quae  sanctitatem  non  faciunt  sed  ostendunt,  sed  etiam  sanctae 
conversationis  ejus  insignia,  et  pii  beneplaciti  voluntatem  ostendere  cu- 
pientes,  ad  laudem  et  gloriam  summi  Dei  et  dicti  Patris  sanctissimi 
atque  aedificationem  volentium  ejus  vestigia  imitari,  Quae  tamen 
per  modum  legendae  non  scribimus,  cum  dudum  de  vita 
sua  et  miraculis,  quae  per  eum  Dominus  operatus  est, 
sint  confertae  legendae.  Sed  velut  de  amoeno  prato 
quosdam  flores,  qui  arbitrio  nostro  sunt  pulchriores, 
excerpimus,  continuantem  historiam  non  sequentes,  sed 
multa  seriöse  relinquentes,  quae  in  praedictis  legendis 
sunt  posita  tarn  veridico  quam  luculento  sermone;  quibus 
haec  pauca,  quae  scribimus,  poteritis  facere  inseri,  si  vestra  discretio 
viderit  esse  justum.  Credimus  enim,  quod  si  venerabilibus  viris,  qui  prae- 
fatas  confecerunt  legendas,  haec  nota  fuissent,  ea  minima  praeterissent, 
nisi  saltem  pro  parte  ipsa  suo  decorassent  eloquio,  et  posteris  ad  memo- 
riam  reliquissent." 

Der  folgende  Text,  statt  diese  Ankündigung  wahr  zu  machen,  statt 
nämlich  bloß  neues  Material  in  aneinandergereihten  Einzelthatsachen  und 
-erzählungen  („quosdam  flores")  den  früher  geschriebenen  Legenden  hinzu- 
zufügen, bringt  im  Anschluß  an  des  Thomas  L  Legende,  wie  diese,  eine 
fortlaufende  Historie.  Aus  dieser  Inkongruenz  zog  Sabatier  den  Schluß, 
die  Legenda  trium  sociorum  läge  unvollständig  vor,  und  glaubte  die  nicht 
erhaltenen  Theile  in  dem  Speculum  vitae  sancti  francisci  et  sociorum 
ejus  zu  erkennen. 

In  dem  Speculum  vitae  (Ausgaben  von  1504  und  1509)  nämlich 
unterschied  er  —  und  hier  liegt  das  Verdienstvolle  seiner  Forschungen  — 


^)  Einen  Ueberblick  geben :  Michele  Faloci  Pulignani :  Gli  storici  di  S.  Francesco. 
Foligno  1899.  —  Walter  Goetz:  Franz  von  Assisi  in  „Neue  Jahrbücher  für  das  klass. 
Alterthum,  Geschichte  und  deutsche  Litteratur"  1900.  V.Band.  —  Salvatore  Minocchi: 
La  quistione  Francescana.    Turin  1902. 


588  Anhang. 

jüngere  und  ältere  Bestandtheile.  Die  letzteren,  1 1 8  Kapitel,  stellte  er  auf 
Grund  eingehenden  Studiums  der  Handschriften  als  das  in  diesen  mit 
„Speculum  perfectionis"  bezeichnete  Werk  fest  und  zugleich  die  Meinung 
auf,  dessen  Verfasser  sei  Franzens  vertrauter  Schüler  Leo,  einer  der  Tres 
socii.  Den  Beweis  hierfür  glaubte  er  durch  folgende  Thatsachen  erbracht : 
I.  Ubertino  da  Casale  (ungefähr  1259 — 1338),  der  leidenschaftliche  Spi- 
rituale,  erwähnt  in  seinem  Arbor  vitae  crucifixae  Jesu  (1305  verfaßt,  Aus- 
gabe Venedig  1485)  öfters  Aufzeichnungen  Leo's  über  Franz.  2.  Aus 
zwei  Kapiteln  (i  und  11)  im  Speculum  geht  hervor,  daß  dessen  Verfasser 
mit  Franz  auf  einem  Berge  war ,  als  Franz  die  Regel  schrieb :  und  die 
Begleiter  Franzens  damals  waren  Leo  und  ein  andrer  Bruder.  3.  Einige 
erhaltene  Schriften  Leo's  stimmen  geistig  mit  dem  Speculum  überein. 
Hierzu  kam  die  Entdeckung  einer  Notiz  in  der  freilich  aus  dem  XV.  Jahr- 
hundert stammenden  Handschrift  1743  der  Biblioth^que  Mazarin  in  Paris, 
welche  besagt,  daß  das  Speculum  am  1 1 .  Mai  1227  in  S.  Maria  in  Portiun- 
cula  vollendet  wurde.  (Da  Sabatier  selbst  an  die  Richtigkeit  dieser  An- 
gabe —  die  ganz  ausgeschlossen  ist  —  nicht  mehr  glaubt  ^),  brauchen 
wir  auf  sie  kein  Gewicht  zu  legen.)  Alle  ausführlichen  Darlegungen 
Sabatier's  findet  man  in  seiner  Ausgabe  des  Speculum:  Speculum  per- 
fectionis seu  S.  Francisci  Assisiensis  Legenda  antiquissima  auctore  fratre 
Leone.     Paris   1898. 

Die  Vermuthung,  dieses  angeblich  von  Leo  verfaßte  Speculum  per- 
fectionis habe  den  verschollenen  Theil  und  damit  den  Hauptinhalt  der 
Legenda  trium  sociorum  gebildet,  d.  h.  Leo's  ältere  Schrift  sei  1246  in 
dieser  gleichsam  zum  zweiten  Male  veröffentlicht  worden,  schien  ihre  volle 
Bestätigung  zu  erhalten.  Im  Jahre  1856  hatte  der  Padre  Stanislao  Mel- 
chiorri  nach  einem  jetzt  verlorenen  Kodex,  der  von  Achillei  Muzio  nach 
einem  älteren  1577  kopiert  worden  war,  die  Legenda  trium  sociorum 
mit  einem  Appendix  von  62  Kapiteln  veröffentlicht  (nach  ihm  Leopoldo 
Amoni,  Rom  1880).  Die  Padri  Marcellino  da  Civezza  und  Teofilo 
Domenichelli  erkannten  in  dieser  bereicherten  Fassung  die  bisher  vermißte 
vollständige  Legende  der  drei  Genossen.  Die  Uebersetzung  des  italieni- 
schen Textes  jener  hinzugefügten  Kapitel  in's  Latein  ergab  die  Überein- 
stimmung mit  den  entsprechenden  Erzählungen  im  Speculum  perfectionis, 
der  Widerspruch  zwischen  dem  Vorwort  und  dem  Texte  der  Tres  socii 
war  gehoben,  denn  eben  jene  einzelnen  Erzählungen  des  Appendix  waren 
als  „flores  quidam"  zu  bezeichnen  —  kurz :  die  bisher  bekannte  Legenda 
trium  sociorum  war  nur  ein  Bruchstück,  wie  Sabatier  vermuthet  hatte,  und 
die  wiederhergestellte  vollständige  Legende  wurde  von  den  beiden  Padri 
1899    herausgegeben:    „La   leggenda    di  S.  Francesco   scritta  da  tre  suoi 


^)  Vergl.  The  Weekly  Register  1900.     p.   750. 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  589 

compagni  pubblicata  per  la  prima  volta  nella  vera  sua  integritä  dai  Padri 
Marcellino  da  Civezza  e  Teofilo  Domenichelli,  Roma.  ^) 

Hatten  nun  diese  Behauptungen  Recht,  so  trat  eine  vollständige  Um- 
kehrung des  Verhältnisses  der  ältesten  Quellen  zu  einander  ein.  Dann 
mußte  Thomas  von  Celano  entthront  und  an  seine  Stelle  der  Bruder  Leo, 
resp.  die  Tres  socii,  gesetzt  werden.  Und  so  kam  es  auch :  das  Speculum 
perfectionis  wurde  für  die  älteste  und  glaubwürdigste  Quelle  gehalten, 
dann  folgte  die  I.  vita  des  Thomas,  hierauf  die  Legenda  trium  sociorum 
und  zuletzt,  abhängig  von  dieser,  die  II.  vita  des  Thomas.  Denn  längst 
war  die  vielfache  Übereinstimmung  der  II.  vita  mit  den  Tres  socii  be- 
kannt, und  es  ergab  sich  weiter,  daß  eine  solche  auch  zwischen  der 
II.  vita  und  den  neu  aufgefundenen  Bestandtheilen  der  Tres  socii  herrscht. 
Sabatier  suchte  ausführlich  den  Beweis  zu  führen,  daß  Thomas  in  seiner 
IL  Legende  das  Speculum  verwerthet  habe. 


Die  Folgerungen,  die  aus  dieser  „Umwerthung"  der  Quellen  gezogen 
wurden,  waren  weitgehende,  aber  wie  mir  scheint,  übertriebene.  Das 
Licht ,  in  dem  Franz  von  Assisi ,  sein  Wesen  und  Wollen  im  Speculum 
erscheint,  ist  freilich  ein  etwas  anderes,  als  das,  in  dem  ihn  uns  die 
I.  vita  des  Thomas  zeigt.  Aber  indem  auf  die  Abweichungen  ein  viel 
zu  starkes  Gewicht  gelegt  wurde,  gewann  der  schon  zu  Lebzeiten  des 
Heiligen  eingetretene  Streit  zwischen  einer  strengen  und  einer  laxen  Rich- 
tung, der  später  zwischen  den  Spiritualen  und  Konventualen  zu  einem  so 
erbitterten  ward  und  nicht  aufgehört  hat,  die  Anhänger  des  Mannes  von 
Assisi  in  zwei  Lager  zu  scheiden,  durch  Sabatiers  Behauptungen  neues 
und  eigenthümliches  Leben. 

Hatte  nämlich  das  Speculum  als  älteste  Quelle,  als  Zeugniß  eines 
Franz  ganz  nahe  stehenden,  ganz  in  seine  Intentionen  eingeweihten  Bru- 
ders: des  Leo,  recht,  so  konnte  die  I.  vita  als  eine  Partheischrift,  die,  unter 
dem  Einfluß  des  Elias  entstanden,  die  Sache  der  Laxen  gegenüber  den 
Zelanten,  deren  Führer  Leo  war,  vertrat,  erscheinen,  so  haben  die  Spiri- 
tualen recht  gehabt,  sich  als  die  wahren  Nachfolger  des  Franz  zu  be- 
zeichnen, so  war  ihre  zu  Häresieen  führende,  der  Kirche  gefährliche  und 
von  der  Kirche  bekämpfte  Richtung  das  eigentliche  Franziskanerthum.  Die 
in  meinem  Buche  zuerst  aufgestellte  Behauptung,  Franz  habe  an  die 
Waldenser  angeknüpft,  sein  Christenthum  sei  der  Kirche  gefährlich  gewesen 
und  nur  der  Weisheit  Innocenz'  III.  und  der  positiven  -Wesensanlage  des 
Heiligen  habe  die  Kirche  es  verdankt,  wenn  diese  gefahrdrohende  Be- 
wegung in  ihr  geheiligtes  Bereich  übergeleitet  wurde",  gewann  eine  mäch- 


^)  Vergl.  Sabatier:    De   l'authenticite   de   la  Legende   de    saint   F.   dite   des  trois 
Compagnons.     Revue  historique.     1901.     Bd.   75. 


590  Anhang. 

tige  Bestätigung.  Hatte  ich  es  doch  auf  S.  370  (II.  Auflage  S.  398)  direkt 
ausgesprochen:  „Die  alte  Häresie  der  Waldenser,  aus  der  Franziskus  selbst 
hervorgegangen,  scheint  in  dieser  Zelantenbewegung  (im  Anfang  des 
XIV.  Jahrhunderts)  nur  in  veränderter  Gestalt  wieder  ihr  Haupt  zu  erheben, 
was  für  die  Auffassung  des  Franz  selbst  interessant  genug  ist.  Er  ist  schließ- 
lich doch  nichts  Anderes  als  ein  von  der  Kirche  zu  Gnaden  angenommener 
Häretiker  gewesen  und  Die ,  welche  die  ganze  praktische  Konsequenz 
seiner  Lehre  zogen,  mußten  in  offenen  Widerspruch  gegen  die  Hierarchie 
gerathen."  Wohl  bemerkt!  habe  ich  diese  Auffassung  gewonnen,  ohne 
das  Speculum  perfectionis  als  eine  älteste  und  wichtigste  Quelle  zu  be- 
trachten, bloß  auf  Grund  der  I.  und  II.  vita  des  Thomas !  Schon  hieraus 
kann  man  entnehmen,  daß  schließlich  auf  das  Speculum  nicht  so  viel  an- 
kommt, als  man  neuerdings,  alle  Fragen  ungebührlich  zuspitzend,  behauptet. 

In  demselben  Jahre  wie  mein  Buch,  1885,  erschien  Karl  Müller's 
Arbeit:  „Die  Anfänge  des  Minoritenordens  und  der  Bußbruderschaften". 
In  ihm  ward  die  ursprüngliche  Absicht  des  Franz  dahin  gedeutet,  eine 
Gemeinschaft  und  Art  der  Bußbruderschaften  zu  begründen  als  „eine  freie 
Vereinigung  von  Brüdern,  Genossen,  die  durch  das  gemeinsame  Band 
eines  religiösen  Ideals  von  besonderer  Färbung  und  vorzüglich  eines  und 
desselben  kirchlichen  Berufs  zusammengehalten  sind."  Meine  und  Müller's 
Meinungen  sind  von  Sabatier  aufgenommen,  aber  in's  Extreme  getrieben 
worden.  Ich  zitiere  Walther  Goetz:  „Daß  Franz  ein  Vorkämpfer  einer 
individualistischen  Religiosität ,  ein  Gegner  der  mittelalterlichen  Kirche, 
eine  Art  Vorreformator  gewesen,  knüpfte  zwar  enge  an  Gedanken  Thode's 
an,  steigerte  sie  aber  zugleich  auf  ein  Bedenken  erregendes  Maß." 

Sabatier  gelangte  dazu,  Franz  in  einen  Gegensatz  zur  Kurie  gerathen 
zu  lassen,  und  Mandonnet^),  der  noch  über  Sabatier  hinausging,  machte 
aus  Franzens  Absicht  einer  freien  Vereinigung  diejenige  einer  großen 
Bruderschaft  aller  Seelen,  einer  franziskanischen  Welt. 

Es  konnte  nicht  ausbleiben,  daß  gegen  solche  Meinungen  energischer 
Widerspruch  sich  erhob  —  ich  nenne  nur  Raffaele  Mariano:  Francesco 
d'Assisi  e  alcuni  dei  suoi  piü  recenti  biografi,  Neapel  1896,  und  Faloci 
Pulignani:  Gli  storici  di  S.  Francesco,  sowie  andere  zahlreiche  Arbeiten 
in  den  Miscellanea  Francescana  und  Arnold  E.  Berger  in  den  Biographischen 
Blättern  1896.  II.  Bd.  —  und  ich  selbst,  der  ich  sie  mit  veranlaßt,  konnte 
in  Sabatier's  und  Mandonnet's  Meinungen  nur  Übertreibungen  gewahren, 
denen  beizustimmen  mir  unmöglich  war.  Vielmehr  mußte  ich  sie  als 
Entstellungen  des  Bildes,  das  ich  "von  dem  Heiligen  entworfen  und  an 
dem  ich  heute  noch-  festhalte,  betrachten. 


^)  Les    origines  de  l'Ordo  de  Poenitentia.     Compte  rendu  du  IV  Congres  scienti- 
fique  international  des  Catholiques   1897,   5.  Section  S.    183 — 215. 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  591 

Gerade  aber  durch  jene  dem  Speculum  zuerkannte  Bedeutung  müßte 
auch  Sabatier  sich  veranlaßt  sehen,  von  seinen  extremen  Ansichten  zu 
lassen,  denn  das  Speculum  giebt  wohl  mir,  nicht  aber  ihm  recht.  In  welchem 
Sinne,  darüber  belehrt  die  vortreffliche  Abhandlung  von  Walter  Goetz :  „Die 
ursprünglichen  Ideale  des  h.  Franz  von  Assisi"  in  der  Historischen  Viertel- 
jahrschrift 1903.  Deren  ersten  Satz  freilich:  „Die  Gründung  des  h.  Franz 
hatte,  ohne  daß  er  sich  vielleicht  darüber  ganz  klar  war,  bereits  im  An- 
fang eine  mönchische  Richtung:  der  spätere  erste  Orden  war  in  einer 
primitiven  Form  der  Kern  der  Bewegung,"  möchte  ich  nicht  unterschreiben. 
Vielmehr  würde  ich  so  sagen:  der  gottbegeisterte  Mann  handelte  anfangs 
aus  keinen  anderen  Motiven,  als  aus  dem  Zwange  der  Bethätigung  seines 
von  Liebe  zu  Gott  und  der  Welt  erfüllten  Wesens,  und  als  sich  zuerst 
Jünger  ihm  gesellten,  dachte  er  sich  deren  Thätigkeit  wie  die  eigene,  als 
evangelische  Predigt  im  Geiste  und  nach  Art  der  Apostel.  Erst  als  seine 
Anhängerschaft  wuchs,  sah  er  sich  zu  einer  Organisation  genöthigt,  die  bei 
seiner  unbedingten  Willfahrigkeit  den  kirchlichen  Institutionen  gegenüber 
unter  deren  Einfluß  zu  einer  mönchischen  Institution  werden  mußte.  Was 
Goetz  aber  im  Folgenden  sagt,  findet  meine  volle  Zustimmung:  „Parallel 
mit  der  Vergrößerung  der  Mitgliederschaft  und  der  Thätigkeit  hat  sich 
schon  im  Laufe  des  ersten  Jahrzehnts  eine  den  Ordenscharakter  stärker 
anzeigende  Verfassung  entwickelt.  Die  Erkenntniß  von  der  Nothwendigkeit 
einer  Neuorganisation  ist  Franz  zum  Bewußtsein  gekommen,  als  12 19/1220 
in  seiner  Abwesenheit  Verwirrung  im  italienischen  Ordensgebiet  entstand; 
er  erbittet  sich  dazu  die  Hilfe  der  Kurie,  und  der  Kardinal  von  Ostia 
wirkt  in  den  nächsten  Jahren  bei  der  Neuordnung  mit.  Dabei  ergiebt 
sich  ein  Widerspruch  —  nicht  zwischen  inniger  Religiosität  und  hier- 
archischer Selbstsucht,  sondern  zwischen  den  hochgespannten  Idealen  des 
Heiligen  und  dem  praktischen  Sinne  des  Kardinals,  der  aber  dennoch 
das  Werk  mit  ehrlichem  Antheil  zu  fördern  bestrebt  ist.  Derselbe  Wider- 
spruch tritt  in  den  letzten  Jahren  des  Heiligen  innerhalb  des  Ordens 
hervor  als  natürliche  Folge  der  zu  hoch  gestellten  Anforderungen.  Es  ist 
der  tragische  Konflikt  im  Leben  des  Heiligen,  wenn  er  die  Unerfüllbar- 
keit  seines  Ideals  erleben  muß."  Man  vergleiche  hiermit,  was  ich  auf 
den  Seiten  28  und  38  oben,  wie  schon  in  der  ersten  Auflage  dieses 
Buches  gesagt,  und  man  wird  die  Übereinstimmung  mit  Goetz'  aus  neuen 
gründlichsten  Studien  gewonnener  Meinung  nicht  verkennen  können,  Goetz 
aber  hat  seine  Meinung  sich  gebildet  auf  Grund  eben  der  Anerkennung 
des  Speculum  perfectionis  als  einer,  wenn  auch  nicht  frühesten,  so  doch 
frühen  Quelle, 

Demnach  steht  die  Sache  so:  Meine  Auffassung  des  Hei- 
ligen wird  in  keiner  Weise  durch  die  neuerdings  dem 
Speculum    und    der    Legenda    trium    sociorum    zuerkannte 


592  Anhang. 

Bedeutung  berührt  oder  verändert.  Die  älteste  Quelle 
bleibt  die  I.  vita  des  Thomas  und  auf  diese  vor  Allem 
habe  ich  meine  Auffassung  und  Schilderung  begründet, 
mit  Hinzuziehung  in  zweiter  Linie  der  II.  vita,  welche  ja 
den  Inhalt  desSpeculum  im  Wesentlichen  in  sich  schließt, 
und  mit  bloß  ergänzender  Verwerthung  der  Tres  socii. 
Daher  konnte  ich  meine  Lebens-  und  Wesensschilderung 
des  h.  Franz,  von  geringfügigen  Kleinigkeiten  abgesehen, 
in  dieser  zweiten  Auflage  beibehalten,  wie  ich  sie  in 
der    ersten   gegeben. 

Wenn  ich  im  Folgenden  meine  Meinung  über  das  Verhältniß  der 
Quellen  zu  einander  äußere,  so  hat  dies  daher  auch  nur  einen  allgemein 
methodologischen  Werth. 

2.    Die     ältesten    Zeugnisse     über     die    Quellen     zur    Ge- 
schichte   des    Franz. 

Führen  wir  zunächst  die  ältesten  Zeugnisse  über  die  Biographieen  des 
h.  Franz  an.^)  Da  ist  an  erster  Stelle  Bernardo  da  Bessa  zu  erwähnen, 
der  in  seinem  um  1275  geschriebenen  „liber  de  laudibus"  folgende  vier 
Biographen  anführt: 

1.  Thomas  von  Celano, 

2.  Johannes,  Notar  des  apostolischen  Stuhles  (die  Legende  be- 
ginnend: „quasi  Stella"), 

3.  Julian  von  Speyer, 

4.  Bonaventura, 

Sehr  beachtenswerth  ist,  daß  die  Legenda  trium  sociorum  nicht  ge- 
nannt wird.  Da  Bernardo,  der  in  nahen  Beziehungen  zu  Bonaventura 
stand,  ja  vielleicht  Dessen  Sekretär  war,  wohl  unterrichtet  gewesen  sein 
muß,  liegt  der  Schluß,  daß  es  zu  seiner  Zeit  eine  Legenda  trium  sociorum 
noch  nicht  gab,  sehr  nahe. 

Die  zwei  Viten  des  Thomas  sind  bekannt.  Ein  drittes  Werk  des 
Thomas,  das  verschollen  war,  ist  vom  P.  van  Ortroy  bei  den  Kapuzinern 
in  Marseille  aufgefunden  und  veröffentlicht  worden :  der  Traktat  von  den 
Wundern.^)  Ein  viertes  war  die  kurze  für  den  Chorgebrauch.  —  Dazu 
kommt  die  Legende  in  Versen,  welche  P.  Edouard  d'Alengon  auf 
Grund    eines    Manuskriptes    in  Versailles    als    die    Arbeit    eines    Magister 


^)  Vergl.  hierzu  Salvatore  Minocchi :  La  „Legenda  trium  sociorum";  nuovi  studj 
suUe  fonti  biografiche  di  S.  Francesco  d'Assisi.  Archivio  storico  italiano  1899.  1900.  — 
Michele  Faloci  Pulignani:  Gli  storici  di  S.  Francesco.    Foligno   1899. 

*)  Traite  des  Miracles  in  den  Analecta  Bollandiana  1899.    t.  XVIIL 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  593 

Henricus  feststellte.^)  In  diesem  Henricus  erkannte  Novati  den  Frater 
Henricus  Pisanus.-) 

Die  Legende  des  Julian  von  Speyer  wurde  von  P.  F.  d'Araules  in 
den  von  den  Bollandisten  publizierten  und  von  ihnen  dem  Giovanni 
da  Ceperano  zugeschriebenen  Bruchstücken  nachgewiesen.^)  Sie  steht  in 
Abhängigkeit  von  Thomas.  Demnach  ist  von  den  Biographieen ,  welche 
Bernardo  da  Bessa  erwähnt,  nur  die  des  Notarius  Johannes  noch  nicht 
bekannt,  denn  eine  kleine  Chorlegende  in  Toulouse,  die  vom  P.  d'Alengon 
veröffentlicht  wurde,  ist  im  besten  Falle  nur  ein  Extrakt  aus  der  ver- 
schollenen Legende  des  Johannes  (zu  Anfang  heißt  es:  „ex  gestis  ejus 
quae  incipiunt:  Quasi  Stella")  und  ist  nach  Minocchi's  Behauptung  viel- 
mehr von  Celano  abhängig,*)  Wadding  nennt  ihn  Giovanni  da  Ceperano 
(der  auch  angeführte  Vorname  Tommaso  da  Ceperano  erklärt  sich  aus 
einer  Verwechslung  mit  Tommaso  da  Celano). 

Es  folgt  auf  Bonaventura  die  Schrift  „de  laudibus  beati  Francisci" 
von  eben  jenem  Bernardo  da  Bessa  um  1275,  1897  in  Rom  vom  P. 
Ilarino  von  Luzern  und  in  den  Analecta  Franciscana  (Quaracchi)  veröffent- 
licht.   In  den  biographischen  Theilen  ist  das  Buch  von  Thomas  abhängig. 

Die  nächsten  Mittheilungen  über  die  Biographen  des  h.  Franz  er- 
halten wir  von  der  um  1333  verfaßten  Cronaca  delle  Tribolazioni  des 
Angelo  Clareno.  ^)  Clareno  sagt,  daß  vier  Männer  das  Leben  des  Heiligen 
geschrieben  haben: 

1 .  Johannes, 

2.  Thomas  von  Celano, 

3.  Bonaventura, 

4.  Bruder  Leo. 

Dieselbe  Liste  wird  auch  in  dem  etwa  gleichzeitigen  Anonimo 
Capponiano,  den  Minocchi  entdeckte,  gegeben.  *) 

Also  erst  im  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts,  um  1330,  weiß  man 
von  einer  Legende,  die  Leo  verfaßt  hat!  Daß  man  den  von  Thomas 
abhängigen  Julian  von  Speyer  nicht  mehr  nennt,  ist  leicht  begreiflich. 

Am  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts  endlich,  in  den  Conformitates ,  ist 
die  Liste  noch  umfangreicher  geworden.     Sie  zitiren 


^)  Miscellanea  Francescana.    Foligno   1889.     vol.  IV. 

2)  Miscellanea  Francescana.    Foligno   1890.     vol.  V. 

3)  P.  d'Araules:  La  vie  de  Saint  Antoine  de  Padoue.  Bordeaux  1899.  — 
D'Alengon :  de  legenda  Sancti  Francisci  a  Juliano  a  Spira  conscripta.  Spicilegium  Fran- 
ciscanum.     Rom   1 900. 

*)  Herausgegeben  von  d'Alengon  im  Spicilegium  Franciscanum.  Rom   1899. 
^)  Zum    größten   Theile    publizirt    vom    P.  Ehrle    im   Archiv    für   Litteratur    und 
Kirchengeschichte.   1885.   Bd.  II.  Zum  Theil  von  Prof.  Tocco,  Archivio  storico  ital.  1885. 
*)  Rivista  critica  e  storica  di  studj  religiosi.     Florenz   1901.     FV. 
Thode,  Franz  von  Assisi.  og 


594  Anhang. 

1 .  Bonaventura, 

2.  Legenda  antiqua  (oder  Legenda  vetus), 

3.  Tres  socii, 

4.  Thomas  de  Celano  II  vita, 

5.  Bernardo  da  Bessa, 

6.  Speculum  perfectionis. 

Jetzt  erst  also  werden  die  Tres  socii  angeführt!  Ist  die  Legenda 
antiqua  die  I.  vita  des  Thomas  oder  ein  anderer  Ausdruck  für  das  Speculum 
oder  die  Leggenda  antica  des  Capponiano?  Das  ist  nicht  ohne  Weiteres 
zu  bestimmen.  Die  Chronik  der  XXIV  Generale  versteht  unter  leggenda 
antica  den  Thomas  von  Celano.  Wir  kommen  hierauf  später  zurück. 
Versteht  Bartholomäus  Pisanus  unter  den  Tres  socii  oder  unter  dem 
Speculum  perfectionis  die  von  Clareno  angeführte,  von  Leo  verfaßte 
Lebensbeschreibung?  Vermuthlich  ist  das  Speculum  identisch  mit  Leo's 
Schrift. 

Die  zunächst  aus  den  Aussagen  des  Bernardo  Bessa,  des  Angelo 
Clareno  und  der  Conformitates  sich  natürlich  ergebende  Schlußfolgerung 
ist  diese: 

Bis  gegen  Ende  des  XIII.  Jahrhunderts  sind  nur  die 
Legenden  des  Thomas  von  Celano,  des  Giovanni  und  des 
Bonaventura  (sowie  die  weniger  bedeutende  des  Julian  von  Speyer) 
bekannt.  Diejenige  des  Leo  (vermuthlich  das  Speculum 
perfectionis)  tritt  erst  im  Anfange  des  XIV.  Jahrhunderts 
auf  und  noch  später  (erst  Ende  dieses  Jahrhunderts  ge- 
nannt) die  der  Tres  socii,  von  welcher,  was  zu  beachten  ist, 
Handschriften  erst  aus  dem  XV.  Jahrhundert  bekannt  sind. 

Hiermit  ist  ein  erster  fester  Grund  und  Boden  gegeben.  Es  fragt 
sich,  ob  die  Quellenkritik  die  hier  angedeutete  zeitliche  Aufeinanderfolge 
der  Legenden  bestätigt. 


3.    Die    einzigen    als    Quellen    wichtigen    alten    Legenden 
sind    die  I.  und    IL  vita    des   Thomas    von    Celano. 

Unbestritten  bleibt,  nachdem  der  aller  besonnenen  Kritik  Hohn 
sprechende  Versuch  Sabatier's,  sein  Speculum  perfectionis  an  die  erste 
Stelle  zu  setzen,  vollständig  gescheitert  ist,  die  Thatsache,  daß  des  Thomas 
I.  vita  die  früheste,  etwa  1228/1229  entstandene  Lebensbeschreibung  des 
Heiligen  ist.^)    Ein  großer  Streit  der  Meinungen  aber  herrscht  noch  über 


^)  Das  endgültige,  alle  Umstände  am  eingehendsten  berücksichtigende  Wort  hier- 
über hat  Walter  Goetz  gesprochen :  Die  Quellen  zur  Geschichte  des  h.  Franz  von  Assisi 
in  Zeitschr.  für  Kirchengeschichte  XXIV.  Band  u.  ff.  —  Vergl.  aber  auch:  Tilemann; 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  ^gt 

die  Entstehungszeit  des  Speculum,  über  sein  Verhältniß  zu  der  II.  vita  des 
Thomas  und  zu  den  Tres  socii,  sowie  über  die  Legenda  trium  sociorum. 

Was  die  letztere  angeht,  so  hat  sich  weitaus  die  Mehrzahl  der  Forscher 
dafür  entschieden,  daß  die  neuerdings  veröffentlichte  sogenannte  „voll- 
ständige" Legende  nicht  die  ursprüngliche,  sondern  eine  Kompilation  ist. 
Ich  schließe  mich  dieser  Ansicht  durchaus  an :  ein  eingehender  Vergleich 
beweist  als  unzweifelhaft,  daß  die  hinzugefügten  Theile  nichts  Anderes 
als  eine  Verarbeitung  und  Verschmelzung  der  betreffenden  Texte  der 
II.  vita  und  des  Speculum  sind. 

Bezüglich  des  Speculum  aber  scheint  die  Meinung,  daß  ein  Theil 
desselben  alt  sei,  zum  Siege  zu  gelangen.  Salvatore  Minocchi  hat  diesen 
Theil  näher  bestimmt,  indem  er  nachwies,  daß  viele  Kapitel  des  Werkes 
Quellen  der  II.  vita  des  Thomas  sind,  während  viele  andere  auf  Thomas 
zurückzuführen  sind.*)  Auf  Grund  solcher  Feststellungen  nahm  er  die 
Ausscheidung  des  Alten  vor.  Als  eine  Bestätigung  seiner  Meinung  durfte 
er  die  Entdeckung  einer  angeblichen  ersten  Redaktion  des  Speculum 
durch  Fr.  Lionardus  Lemmens  im  Archiv  von  S.  Isidoro  in  Rom  freudig 
begrüßen,  denn  diese  Redaktion  entsprach  im  Wesentlichen  dem  von  ihm 
als  alt  ausgeschiedenen  Theil.  Sie  enthält  Nichts  von  spiritualer  Polemik 
und  dürfte  vor  131 8  anzusetzen  sein.^)  —  Von  allen  Forschem  hält  nur 
Della  Giovanna  an  seiner  Meinung  fest,  das  Speculum  gehöre  durchweg 
dem  XIV.  Jahrhundert  an.  ^) 

Nun  hat  Minocchi  weiter  aber  die  Meinung  aufgestellt,  jener  alte 
Theil  des  Speculum  sei  die  wahre  Legenda  trium  sociorum  und  die 
bisher  so  genannte  (die  „unvollständige")  sei  nichts  Anderes  als  die  bisher 
vermißte  Legende  des  Notar  Johannes  (von  Ceperano).  Als  Beweise 
bringt  er  hierfür  Folgendes:  i.  Bernardo  da  Bessa,  der  doch  nicht  die 
Legenda  trium  sociorum,  sondern  Johannes  als  eine  seiner  Quellen  zitirt, 
bringt  wiederholt  Stücke  aus  der  sogenannten  Legende  der  drei  Genossen. 
2.  Diese  allein  zitirt  die  Bullen  und  Privilegien,  die  dem  Orden  zu  Theil 
wurden.  Wer  käme  da  eher  als  Verfasser  in  Betracht,  als  der  Notar  der 
päpstlichen  Kurie,  Johannes?  3.  Die  Abhängigkeit  von  der  I.  vita  des 
Thomas    würde    so    begreiflich.     4.  Der  Verfasser  steht  den  Partheiungen 


Das  Spec.  Perf.  und  die  Legenda  trium  sociorum.     Leipzig  1902.  —  Faloci  Pulignani: 
Miscellanea  Francescana  VII,  S.  146  ff. 

^)  In  den  Nuovi  studj  suUe  fonti  biographiche  di  S.  F.  Archivio  storico  italiano 
1899  und   1900. 

-)  Documenta  antiqua  Franciscana  ed.  Fr.  Leonardus  Lemmens.  Pars  II.  Speculum 
perfectionis  (Redactio  I).     Quaracchi   1901. 

^)  S.  Francesco  d'Assisi  Giullare  e  le  Landes  Creaturarum.  Im  Giomale  storico 
della  Letteratura  Italiana  1895.  Bd.  XXV.  —  Intomo  alla  piü  antica  leggenda  di 
S.  F.  d.  A.     In  derselben  Zeitschrift.      1899.     Bd.   XXXII. 

38* 


596  Anhang. 

im  Orden  ganz  unpartheiisch  gegenüber.  Diese  Argumente  haben  un- 
zweifelhaft etwas  sehr  Bestechendes.  Wie  aber  erklärt  Minocchi,  daß  alle 
Manuskripte  der  Legenda  trium  sociorum  den  Prolog  haben:  den  Brief, 
in  welchem  die  drei  Genossen  sich  als  Verfasser  bekennen?  Er  nimmt 
an,  daß  der  Prolog,  jener  Brief  der  drei  Genossen,  ursprünglich  den 
Anfang  des  Speculum  bildete,  daß  dann  das  Speculum  einen  anderen 
Prolog  erhielt  und  der  Brief  an  das  Ende  gesetzt  wurde,  daß  in  den 
Codices  (als  Beispiel  wird  der  Kodex  von  Ognissanti  angeführt)  auf  das 
Speculum  die  Legende  des  Giovanni  folgte  und  so  der  Brief  zum  Prolog 
dieser,  also  die  Legende  des  Giovanni  fälschlich  zur  Legenda  trium 
sociorum  gestempelt  ward.  Endlich  weist  er  darauf  hin,  daß  Bemardo 
da  Bessa  sage:  die  Legende  des  Giovanni  habe  begonnen:  quasi  Stella 
matutina,  und  im  Codex  Vaticanus  7339  beginne  die  Legende  mit  einem 
zweiten  Prolog,  dessen  Anfang  laute:  „perfulgidus  ut  lucifer  et  sicut 
Stella  matutina". 

Es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  Minocchi's  Hypothese,  ebenso  wie 
ihre  Begründung  geistreich  ist.  Wäre  sie  wahr,  dann  besäßen  wir  alle 
von  Bemardo  da  Bessa  erwähnten  frühesten  Biographieen  des  h.  Franz. 
Aber  unmittelbar  drängt  sich  die  Frage  auf:  wenn  es  eine  Legende  der 
drei  Genossen  (nämlich  der  alte  Theil  des  Speculum)  gab  und  sie  von 
Thomas  in  seiner  IL  vita  als  Quelle  benutzt  ward,  wie  erklärt  es  sich, 
daß  Bemardo  da  Bessa  sie  nicht  nennt? 

Und  hier  kommen  wir,  wie  mir  dünkt,  in  den  Brennpunkt  der 
kritischen  Frage !  Läßt  uns  schon  das  mangelnde  Zeugniß  Bernardo's  die 
Annahme,  es  habe  zu  seinen  Zeiten  eine  Legenda  trium  sociorum  gegeben, 
als  sehr  bedenklich  erscheinen,  so  wird  diese  Bedenklichkeit  zum  Un- 
glauben, wenn  wir  die  Thatsache  scharf  in's  Auge  fassen,  daß  Bona- 
ventura's  Legende,  also  die  entscheidende  Legende, 
welche  die  früheren  Zeugnisse  von  Franzens  Leben  ver- 
arbeitete, keinerlei  Hinweis  auf  die  Existenz  des  Specu- 
lum (also  das  angebliche  Werk  Leo's  oder  der  drei  Genossen) 
enthält!!  Hätte  es  ein  so  wichtiges  Dokument  von  unmittelbaren 
Jüngern  des  Franz  gegeben  —  und  wären  es  auch  nur  noch  nicht  redi- 
girte  Einzelberichte  gewesen  — ,  wie  hätte  der  General  des  Ordens,  der 
Verherrlicber  des  Heiligen,  der  Dessen  endgültige  Lebensbeschreibung  ver- 
faßte, sie  nicht  kennen,  nicht  benutzen  sollen?  Einen  Partheistandpunkt 
als  Erklärung  dafür  anführen  zu  wollen,  hieße  sowohl  den  Charakter  Bona- 
ventura's  ganz  verkennen,  als,  selbst  Partheilichkeit  vorausgesetzt,  das 
Unwahrscheinlichste  behaupten.  Denn  jener  vorausgesetzte  alte  Theil  des 
Speculum  enthält  nichts  Partheiisches. 

Wenn  Bonaventura  das  Speculum  nicht  benutzt  hat,  so  heißt  das 
so  viel,  als:  er  hat  es  nicht  gekannt,  und  da  es  weiter  undenkbar  ist,  daß 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  tg^ 

er  es  nicht  hätte  kennen  müssen,  so  giebt  es  nur  eine  Schlußfolgerung: 
das  Speculum  hat  zu  seinen  und  Bernardo  da  Bessa's 
Zeiten    nicht    existirt. 

Nur  eine  Einwendung  könnte  hier  erhoben  werden;  Das  Speculum 
sei  die  Quelle  der  II.  vita  des  Thomas  gewesen,  sei  gleichsam  in  dieser 
aufgegangen  und  Bonaventura  habe  es  nicht  nothwendig  gehabt,  auf  diese 
Quelle  zurückzugreifen,  da  Thomas  ihren  Inhalt  bereits  litterarisch  ver- 
arbeitet hatte.  Denkbar,  aber  sehr  unwahrscheinlich,  denn  soweit  war 
Bonaventura  doch  gewiß  Historiker,  daß  er  die  unmittelbaren  Zeugen  hätte 
zu  Worte  kommen  lassen,  namentlich  was  die  Worte  und  Reden  des 
Heiligen  betrifft.  Und  immer  würde  es  unbegreiflich  bleiben,  daß  Bernardo 
da  Bessa    eine  Legende   von   solcher   prfmärer  Bedeutung   nicht  genannt. 

Kurz :  ich  sehe  keinen  anderen  Weg  natürlicher  Entscheidung,  als  die 
Behauptung:    das  Speculum   hat  im  XIII.  Jahrhundert  noch  nicht  existirt. 

Was  aber  lehrt  uns  die  Prüfung  Bonaventura's  weiter  bezüglich  der 
Legenda  trium  sociorum?  Nichts  Anderes,  als  dies:  auch  die  Legende 
der  Drei  Genossen  hat  zu  Bonaventura's  Zeiten  nicht 
existirt.  Und  hier  muß  ich  meine  eigene  frühere  Ansicht  berichtigen. 
Denn  in  der  ersten  Auflage  dieses  Buches  behauptete  ich  zwar  schon 
die  Abhängigkeit  der  Tres  socii  von  des  Thomas  II.  vita,  ließ  die  legenda 
trium  sociorum  aber  doch  unmittelbar  nach  dieser,  also  vor  Bonaventura 
entstehen. 

Ein  erneuter  Vergleich  nämlich  ergab  mir  Folgendes.  Bonaventura, 
der  im  Wesentlichen  an  Thomas'  I.  und  IL  vita  sich  hält,  stimmt  aller- 
dings zuweilen  im  einzelnen  Wortlaut  mit  den  Tres  socii  überein,  aber 
eine  genaue  Prüfung  belehrt  darüber,  daß  nicht  er  die  Tres  socii  ab- 
geschrieben, sondern  daß  die  Tres  socii  ihn  benutzt  haben.  Dies  ergiebt 
sich  erstens  daraus,  daß  häufig  in  Bonaventura's  vita  der  Wortlaut  der 
Texte  des  Thomas  und  der  Tres  socii  in  einer  Weise  mit  einander  ver- 
woben ist,  die  Bonaventura  als  einen  mühselig  und  sklavisch  kopirenden 
Kompilator  erscheinen  ließe,  was,  unvereinbar  mit  einem  Geiste,  wie  dem 
Bonaventura's,  höchst  befremden  müßte,  und  zweitens  aus  der  entscheidenden 
Thatsache :  Alles,  was  in  der  Legenda  trium  sociorum  als  neu  gegenüber 
der  Vita  des  Thomas  auftritt,  findet  sich  nicht  bei  Bonaventura  und  doch 
enthält  dieses  Neue  gar  viele  Mittheilungen,  die  Bonaventura  hätten 
interessiren  müssen,  die  er  nicht  hätte  umgehen  können,  in  seine  Bio- 
graphie aufzunehmen.  Daß  er  nur  Das  bringt,  was  dem  Thomas  und  den 
Drei  Genossen  gemein  ist,  beweist,  daß  er  die  Legenda  trium  sociorum 
nicht  gekannt;  dieselben  Argumente,  wie  die  das  Speculum  betreffenden, 
sind  auch  hier  maßgebend:  die  Legende  hat  zu  Bonaventura's  Zeiten 
nicht  existirt.     Das  Schweigen  Bernardo  da  Bessa's  bestätigt  dies. 

Damit   fällt   aber    auch    die   Hypothese   Minocchi's,    die    sogenannte 


598  Anhang. 

Legende  der  Tres  socii  sei  die  verschollen  geglaubte  Legende  des  Notar 
Giovanni.  Welcher  Art  diese  gewesen,  ist  noch  nicht  mit  Bestimmtheit 
zu  sagen.  Ist  die  von  d'Alengon  publizirte  Chorlegende  wirklich  ein 
Auszug  aus  ihr,  •  dann  dürfte  ihr,  als  einer  von  Thomas  von  Celano  ab- 
hängigen Schrift,  keine  besondere  Bedeutung  zukommen.  Und  daß  sie 
eine  solche  nicht  besessen,  scheint  auch  Bonaventura  zu  beweisen.  Von 
dem  Neuen,  was  er,  verglichen  mit  seiner  Hauptquelle:  Thomas,  bringt, 
hat  er  offenbar  das  Meiste  selbst  gesammelt ;  nur  Weniges  könnte  er  der 
Legende  des  Giovanni  entlehnt  haben. 

So  zeigt  es  sich  denn  mit  voller  Ersichtlichkeit,  daß  Thomas 
von  Celano  vor  Bonaventura  der  einzige,  den  Stoff 
schöpferisch  gestaltende  und  vertrauenswürdige  Bio- 
graph des  h.  Franz  war.  Und  dies  begreift  sich  leicht.  Alle 
vorhandenen  glaubwürdigen  Berichte  der  Jünger  des 
Heiligen  und  der  Zeugen  seines  Lebenswerkes  wurden 
eben  von  ihm  gesammelt  und  verarbeitet.  Die  IL  vita 
aber  ist  zugleich  die  den  Socii  verdankte  Schilderung 
von  dem  Heiligen,  man  könnte  sie  mit  einem  gewissen 
Rechte  die  Legenda  sociorum  nennen.  Denn,  achten  wir 
genau  auf  die  Worte  des  Prologs  und  des  Epilogs,  so  sind  es  ja  die 
Socii  selbst  —  nicht  Thomas  a  Celano  — ,  denen  das  Werk  von  dem 
Generalkapitel  und  vom  Generalminister  Crescentius  in  Auftrag  gegeben 
worden  ist.  Spricht  doch  zu  Anfang  und  am  Ende  eine  Mehrzahl  von 
es  Ueberreichenden  von  sich  und  erwähnen  sie  doch  neben  sich  den 
Mann,  der  es  niedergeschrieben  hat.  Thomas  war  der  Redakteur,  er 
verarbeitete  das  ihm  von  den  Socii  gelieferte  Material.^) 

Man  höre  die  ersten  Worte  des  Prologes :  Placuit  sanctae  universitati 
olim  capituli  generalis  et  vobis,  reverendissime  pater,  non  sine  divini 
dispensatione  consilii  parvitati  nostrae  injungere,  ut  gesta  vel  etiam 
dicta  gloriosi  patris  nostri  Francisci  nos,  quibus  ex  assidua  conver- 
satione  illius  et  mutua  familiaritate  plus  ceteris  diutinis  experimentis 
innotuit,  ad  consolationem  praesentium,  et  posterorum  memoriam  scriba- 
remus.  Und  weiter  gegen  den  Schluß  des  Prologs  hin  heißt  es,  mit  Be- 
ziehung auf  die  früheren  Arbeiten  des  Thomas:  Continet  in  primis  hoc 
opusculum  quaedam  conversionis  facta  mirifica,  quae  in  legendis  dudum 
de  ipso  confectis  non  fuerunt  apposita,  quoniam  ad  auctoris  notitiam 
minime  pervenerunt. 


^)  Bis  in  welche  Wildaiß  eine  verirrte  Kritik  sich  versteigen  kann,  zeigt  Sabatier's 
Behauptung:  „Avec  une  habilite  que  je  me  dispenserai  de  qualifier,  Thomas  de  Celano 
parla  ä  fagon  ä  suggerer  a  ses  lecteurs  l'idee  que  la  seconde  Vie  avait  ete  faite  en 
coUaboration  avec  les  socii"  !  !  !     Opuscules  de  crit.  hist.  III  S.  70. 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  59g 

In  der  kleinen  Einleitung  zum  IL  Theil  der  II.  vita  dann  spricht 
Thomas  selbst  (Singularform):  Extimo  autem,  beatum  franciscum  speculum 
quoddam  sanctissimum  dominicae  sanctitatis  et  imaginem  perfectionis 
illius  etc. 

Und  am  Schluß  des  Ganzen  lesen  wir  (wieder  die  Mehrzahl):  Suppli- 
camus  (wir,  nämlich  die  Genossen)  etiam  toto  cordis  affectu,  beni- 
gnissime  pater,  pro  illo  filio  tuo,  qui  nunc  et  olim  devotus 
tua  scripsit  praeconia.  Hoc  ipse  opusculum  etsi  non  digne  pro 
meritis,  pie  tamen  pro  viribus  coUigens,  una  nobiscum  tibi  offert  et 
dedicat.  Dignanter  illum  ab  omni  malo  conserva  et  libera,  merita  sancta 
in  illo  adaugens. 

Daß  bei  dieser  Gelegenheit  die  Socii,  unter  denen  doch  ganz  gewiß 
auch  Leo  als  Franz  nächststehender  Jünger  sich  befand,  heimlich  Material 
zurückgehalten,  ist  sehr  unwahrscheinlich,  da  sie  selbst  ja  das  Werk  ver- 
fassen und  in  offiziellem  Sinne.  Sie  werden  mitgetheilt  haben,  was  sie 
mitzutheilen  hatten.  Das  zeigt  sich  recht  deutlich,  wenn  man  sieht,  wie 
wenig  Neues  Bonaventura  hinzuzufligen  fand,  was  er  sich  von  einzelnen 
früher  nicht  Befragten,  wie  vor  Allem  Illuminatus,  einholte.  Das  Material, 
über  das  die  Socii  verfügten,  veröffentlichten  sie  durch  die  litterarisch 
geschulte  Feder  des  Thomas,  und  Dieser  hat  sich  gewissenhaft  seiner 
Aufgabe  erledigt,  was  ganz  ersichtlich  ist,  da  die  Auffassung  der  Jünger 
des  Franz  in  der  IL  vita  deutlicher  hervortritt,  als  in  der  I.  vita,  woraus 
sich  der  vielbesprochene,  scheinbar  gegen  früher  etwas  veränderte  Stand- 
punkt des  Biographen  erklärt.  Dessen  Glaubwürdigkeit  wird  gerade 
durch  diese  Erscheinung  in  das  hellste  Licht  gerückt.  Daß  einer 
oder  der  andere  Mitarbeitende  seine  Berichte,  vielleicht  auch  Dies  oder 
Jenes,  was  von  Thomas  nicht  verarbeitet  ward,  für  sich  niedergeschrieben 
hat,  ist  denkbar  und  wahrscheinlich,  ja  im  einzelnen  Falle  bei  Leo  nach- 
weisbar, und  daß  Derartiges  in  die  spätere  kompilirende  Litteratur  des 
XIV.  Jahrhunderts  aufgenommen  ward,  werden  wir  später  noch  sehen. 
Aber  eine  als  Ganzes  abgefaßte  Legende  —  wie  die  sogenannte 
Legenda  trium  sociorum  oder  das  Speculum  —  gab  es  nicht.  Das 
ergiebt  sich  aus  allem  Vorhergesagten  in  einer,  wie  mir  scheint,  unwider- 
leglichen Weise. 

Die  Legenda  sociorum  und  das  Speculum  waren  in 
der  IL  vita,  die  man  vita  der  Socii  nennen  kann,  ent- 
halten. 

Alles  Wissenswerthe  bezüglich  des  Heiligen  und  der 
Auffassung,  die  seine  Jünger  von  ihm  hatten,  ist  in  den 
einzigen  wahren  Quellen,  den  beiden  Viten  des  Thomas, 
zu    finden.     Nur  Weniges  tritt  ergänzend  zu  ihnen  hinzu. 


6oo  Anhang. 

4.    Das    Speculum    perfectionis    und    die    Legenda    trium 
sociorum    sind    Erzeugnisse    des    XIV.  Jahrhunderts. 

Es  bleibt  nun  noch  die  Frage,  die  freilich  von  nebensächlicher 
Bedeutung  ist,  zu  beantworten:  wann  und  wie  entstanden  das  Speculum 
und  die  Legenda  trium  sociorum? 

Was  zunächst  das  Speculum  anbetrifft,  so  verdanken  wir  Sabatier 
selbst,  der  eine  so  große  bedenkliche  Verwirrung  in  der  Quellenkunde  und 
-kritik  des  h.  Franz  angerichtet  hat,  alle  bestimmenden  Hinweise  auf  dessen 
Entstehung.  Della  Giovanna,  der  noch  heute  daran  festhält,  diese  falle 
in  das  XIV.  Jahrhundert,  hat  nach  meinem  Dafürhalten  ganz  recht.  Alles 
weist  darauf  hin,  dass  die  Geburtsstätte  des  Speculum  perfectionis,  welches 
als  älterer  Bestandtheil  von  Sabatier  aus  dem  späteren  Speculum  vitae 
herausgeschält  ward,  Avignon  und  das  Geburtsdatum  die  Zeit  der  großen, 
in  Avignon  zum  Austrag  kommenden  Spiritualenbewegung  gewesen  ist. 

Ehe  ich  dies  begründe  —  und  ich  möchte  bemerken,  daß  ich 
meine  Meinung,  so  wie  ich  sie  hier  vortrage,  mir  gebildet,  ehe  ich 
Della  Giovanna's  Darlegungen  kannte  —  sehe  ich  mich  genöthigt,  eine 
von  mir  im  Vorhergehenden  noch  nicht  berücksichtigte  Behauptung  zurück- 
zuweisen. Sabatier  und  nach  ihm  die  meisten  Forscher  sind  davon  über- 
zeugt, das  Speculum  sei  von  Thomas  in  seiner  II.  vita  benutzt  worden. 
Die  Abhängigkeit  dieser  vom  Speculum  sei  erwiesen.  Ich  bestreite  dies 
auf  das  Entschiedenste. 

Vergleicht  man  beide  Werke,  so  ergiebt  sich,  daß  weitaus  der  größte 
Theil  des  Speculum  (in  der  Sabatier'schen  umfänglichen  Fassung)  dem 
Inhalt  nach,  vielfach  auch  dem  Wortlaute  nach,  in  der  II.  vita  enthalten 
ist.  Das  Hauptargument,  das  für  die  Priorität  des  Speculum  geltend 
gemacht  wird,  wird  erkannt  in  der  einfach  natürlichen  Erzählerweise,  die 
sich  von  der  gekünstelten  und  spekulirenden  Darstellungsart  des  Thomas 
vortheilhaft  unterscheide  und  jene  Unmittelbarkeit  besitze,  die  eben  nur 
dem  Miterlebenden  eigenthümlich  sei.  Dies  klingt  sehr  überzeugend, 
beruht  aber  auf  irrigen  Voraussetzungen.  Charakteristisch  für  das  Spe- 
culum ist  die  viel  größere  Ausführlichkeit  der  Erzählung  und  die  Mit- 
theilung längerer  Reden  des  Heiligen,  während  Thomas  die  Thatsachen 
sehr  gedrängt  giebt,  zumeist  nur  sehr  kurze  Aussprüche  des  Franz  anführt 
und  Beides  zum  Ausgangspunkt  einer  Betrachtung  macht.  In  eben  jenen 
Eigenthümlichkeiten  erweist  sich  aber  das  Speculum  als  spätere  Legenden- 
dichtung. Augenzeugen,  wie  Die,  denen  Thomas  seine  Angaben  ver- 
dankt, berichten  von  Thatsachen,  wissen  auch  wohl  besonders  bedeutungs- 
volle Worte  anzuführen  und  schmücken  im  Sinne  des  Wunderbaren  aus,  die 
künstlerisch  gestaltende  Fassung  pflegt  ihnen  aber  nicht  eigenthümlich  zu 
sein,    wenigstens    nicht    in    der  Weise,    wie  wir  sie  im  Speculum  finden. 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  6oi 

Diese  tritt  erst  ein,  wenn  ein  Erzähler  mit  einem  ihm  und  der  All- 
gemeinheit bereits  vertrauten  Stoffe  frei  walten  kann,  wenn  eine  Be- 
herrschung und  Objektivirung  des  Stoffes  eingetreten  ist.  Das  Geheimniß- 
volle  verschwindet  und  macht  dem  Natürlichen  Platz.  Der  Gegenstand 
ist  ein  dem  Volke  wohlbekannter,  und  man  behandelt  ihn  volks- 
thümlich.  Die  Phantasie  bethätigt  sich  dichterisch,  malt  die  Umstände 
mit  Behaglichkeit  aus  und  läßt  den  Helden  möglichst  viel  selbst  sprechen. 
Man  hat  sich  ein  so  deutliches  Bild  von  ihm  gemacht,  kennt  ihn  so 
gut,  daß  man  unschwer  aus  seinem  Geist  heraus  solche  Reden  erfindet  — 
wie  es  eben  der  Dichter  thut,  der  die  Persönlichkeit  klar  erschaut. 
Dichtung  und  nicht  Historie,  eine  spätere  Phase  in  der  Legenden- 
schreibung, nicht  eine  frühe!  Das  Speculum  nimmt  eine  Mittelstellung 
zwischen  den  Viten  des  XIII.  Jahrhunderts  und  den  Fioretti  ein.  Die 
Fioretti  bezeichnen  nur  einen  noch  weiteren  Schritt  in  der  dichterischen 
Gestaltung  des  Stoffes.  Keine  einzige  der  Subtilitäten  Sabatier's,  welche 
die  Abhängigkeit  des  Thomas  von  dem  Speculum  beweisen  sollen  — 
und  ich  habe  sie  alle  nachgeprüft  und  glaube  behaupten  zu  dürfen,  daß 
ich  den  Vergleich  noch  viel  weiter  bis  in  alle  Einzelheiten  durchgeführt 
habe  —  ist  beweisend.  In  den  meisten  Fällen  vielmehr  ließe  sich  der 
Spieß  umdrehen  —  doch  mag  ich  auf  die  minutiae,  die  vielfach  nach 
willkürlichem  Belieben  für  oder  gegen  die  Abhängigkeit  geltend 
gemacht  werden  können,  nicht  eingehen.  Es  genügt  die  Versicherung, 
daß  ich  sie  gründlich  beachtet  habe.  Sie  beweisen  Nichts,  sage  ich  — 
wohl  aber  ist  jene  von  mir  angeführte  Thatsache,  daß  die  Ausführlich- 
keit und  die  Anführung  längerer  Reden  nicht  auf  frühere,  sondern  spätere 
Legendenentstehung  deutet,  beweisend.  Kurz  angeführte  Thatsachen  und 
kurze  dicta  der  IL  vita  werden  von  dem  Speculum  ausgesponnen  und 
zu  gefälligeren  und  verständlicheren  Erzählungen  verarbeitet. 

Ein  Zweites  aber  kommt  noch  hinzu.  Eine  Anzahl  von  Kapiteln 
des  Sabatier'schen  Speculums,  etwa  30,  finden  sich  ihrem  Inhalt  nach 
nicht  bei  Thomas.  Eine  näherere  Betrachtung  erweist,  daß  fast  alle 
im  spiritualen  Geiste  die  Observanz:  die  Strenge  der  Regel,  die  durch 
Zeugnisse  belegt  wird,  betreffen,  daß  sie  die  Portiuncula,  die  Nieder-^ 
lassungen,  die  Einfalt  (nicht  Gelehrsamkeit),  den  Dienst  bei  den  Aus- 
sätzigen, die  Aussendung  der  Brüder,  die  falschen  Prediger  behandeln. 
Wenn  das  Speculum  von  Thomas  benutzt  wurde,  warum  hat  er  diese 
Angaben  nicht  in  seine  Vita  aufgenommen?  Die  einzige  Erklärung,  die  in 
Folge  dessen  auch  nicht  ausbleiben  konnte,  war  diese :  Thomas  ließ  jene 
Dinge  absichtlich,  von  einem  den  Zelänten  nicht  günstigen  Partheistand- 
punkte aus,  weg.  So  ?  Nun  wäre  das  allenfalls  denkbar,  wenn  die  II.  vita 
den  Charakter  einer  Partheischrift  hätte.  Dies  ist  aber  durchaus  nicht 
der  Fall,  vielmehr,  wenn  man  deren  Standpunkt  kennzeichnen  will,  muß 


602  Anhang. 

man  niit  Minocchi  sagen:  „sie  ist  den  Zelanten  überaus  günstig."  Was 
sich,  wie  wir  schon  sahen,  daraus  erklärt,  daß  sie  ja  eine,  von  Thomas 
nur  redigirte  Schrift  der  Socii  ist.  Es  ist  schlechterdings  nicht  einzu- 
sehen, warum  Thomas  jene  Kapitel  hätte  weglassen  sollen,  er,  der  offenbar, 
wie  die  Reichhaltigkeit  der  II.  vita  erweist.  Alles  aufnahm,  was  er  erlangen 
konnte.  Also,  auch  von  dieser  Seite  betrachtet,  erscheint  die  Annahme, 
Thomas  habe  das  Speculum  gekannt,  als  höchst  willkürlich,  ja  als  falsch. 

Rufen  wir  uns  die  oben  angeführten  Argumente  gegen  die  Existenz 
des  Speculums  in  der  Zeit  vor  Bonaventura  und  vor  Bernardo  da  Bessa 
in  Erinnerung,  so  müssen  wir  demnach  mit  Bestimmtheit  erklären:  auch 
der  Vergleich  des  Speculums  mit  der  II.  vita  ergiebt,  daß  die  Sabatier'- 
sche  Behauptung  die  Dinge  auf  den  Kopf  stellt.  Nicht  Thomas  benützt 
das  Speculum,  sondern  das  Speculum  bringt  eine  Ausführung  der  IL  vita. 
Und  zwar  gilt  diese  Meinung  ebensogut  (und  aus  denselben  Gründen) 
für  die  von  Lemmens  publizirte  und  von  Minocchi  angenommene  so- 
genannte I.  redactio,  also  den  angeblichen  ältesten  Theil,  wie  für  das 
Sabatier'sche  Speculum.  Und  die  Schrift  nennt  sich  Speculum, 
anknüpfend  an  den  Ausspruch  des  Thomas  in  der  kleinen 
Einleitung  zum  II.  Theil  der  II.  vita  (s.  oben).  Selbst  der  Titel 
ist  nicht  originell,  sondern  stammt  von  Thomas ! 

Was  aber  endlich  das  Argument  anbetrifft,  die  im  Speculum  häufig 
wiederkehrenden  Worte:  „nos  qui  fuimus  cum  eo"  zeugten  doch  ersicht- 
lich für  seine  Abfassung  durch  einen  der  Genossen  des  Franz,  so  kann 
man  diese  Worte  ebensogut  als  sehr  verdächtig  betrachten,  als  absicht- 
lich darauf  berechnet,  Glaubwürdigkeit  für  ein  Buch  zu  erwecken,  das, 
eine  neue  Schöpfung,  doch  für  alt  gelten  wollte. 

Nach  Widerlegung  der  Einwände,  die  aus  einem  falsch  konstruirten 
Verhältnisse  der  beiden  Schriften  zu  einander  zu  machen  wären,  dürfen 
wir  getrost  die  Entstehungszeit  des  Speculums  (ich  widerhole :  auch  der  an- 
geblichen früheren  Fassung)  in  den  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts  verlegen. 
Gerade  jene  Kapitel,  welche  den  aus  Thomas  entnommenen  hinzugefügt 
sind,  geben  uns  den  deutlichsten  Aufschluß  über  den  Charakter  der  Schrift. 
Was  unrichtiger  Weise  von  Thomas  behauptet  wurde,  gilt  von  ihr:  sie 
ist  im  Dienste  von  Partheiinteressen  geschrieben.  Sie  ist  ein  Kampfes- 
werkzeug der  Spiritualen.  In  jenen  hinzugefügten  Kapiteln,  welche  die 
strenge  Observanz  predigen,  liegt  ihr  Schwerpunkt  —  und  die  mit  des 
Thomas  Berichten  vorgenommenen  Veränderungen  und  Ausschmückungen 
dienen  häufig  keinem  anderen  Zwecke,  als  die  Ansichten  der  Zelanten 
durch  Wort  und  Wirken  des  Ordensstifters  zu  heiligen. 

Einen  näheren  Hinweis  auf  die  Zeit,  in  welcher  das  Speculum  (wie 
Minocchi  meint,  erweitert,  wie  ich  meine)  verfaßt  worden  ist,  giebt  uns 
der  von  Minocchi   entdeckte   älteste  datierte,    in  S.  Maria  in  Portiuncula 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  603 

geschriebene  Codex  von  Ognissanti :  131 8.  Es  ist  die  Zeit  des  heißesten 
Streites  der  Spiritualen.  Ausgefochten  ward  dieser  vor  allem  in  Avignon, 
und  nach  Avignon  führen  uns  alle  Spuren ,  suchen  wir  den  Entstehungs- 
ort des  Speculum.  Ich  darf  hier  auf  die  Ausführungen  Sabatiers  in 
seiner  Einleitung  zur  Ausgabe  des  Speculum  verweisen  (pag.  CLII  ff.). 

Zunächst  ist  zu  bemerken,  daß  das  Speculum  schon  in  der  Hand- 
schrift von  13 18,  dann  aber  auch  fernerhin  als  ein  Theil  einer  Sammlung 
von  Schriften,  welche  die  Interessen  der  Spiritualen  vertreten,  auftritt. 
Beachten  wir  die  Angaben,  die  uns  über  die  Art  dieser  Sammlung  Auf- 
schluß geben,  und  insonderheit  den  Wortlaut  der  Einleitung  in  dem  Codex 
Vaticanus  4354!  Nach  dem  Titel:  Incipit  antiqua  legenda  sanctissimi 
patris  nostri  francisci  et  aliorum  beatorum  fratrum  sui  ordinis  und  nach 
einer  religiösen  Betrachtung  heißt  es: 

Quamquam  autem  praeclara  vitae  ipsius  opera  per  venerabilem  et 
autenticum  virum  dominum  et  magistrum  fratrem  Bonaventuram  stilo 
venustissimo  sint  descripta,  plura  tamen  valde  notabilia  et  utilia,  zelum 
caritatis,  humilitatis  et  paupertatis,  necnon  circa  praedictorum  et  regulae 
totius  observationem  intentionem  et  voluntatem  ipsius  sancti  exprimentia 
tam  in  legenda  veteri,  de  qua  idem  frater  Bonaventura  saepius  longas 
orationes  et  passus  de  verbo  ad  verbum  in  sua  legenda  posuit,  quam 
etiam  ex  dictis  veridicis  sanctorum  sociorum  b.  Francisci  per  vivos  pro- 
batos  ordinis  redactis  in  scriptis,  quorum  sociorum  vita  sancta  et  miracula, 
quibus  post  mortem  eos  magnificavit  Altissimus,  ipsorum  dicta  et  testimonia 
credibilia  reddit  in  imis  quum  essem  studens  in  Avinione  reperi ;  quorum 
aliqua  pro  mea  interdum  devotione  movenda  seu  potius  excutienda  pigritia 
collegi  et  inferius  annotavi. 

Posui  autem  primo  rara  et  ardua  facta  seu  miracula  patris  nostri 
quae  in  legenda  nova,  ut  praedicitur,  non  habentur:  quorum  quaedam 
in  libro  Reverendi  patris  et  domini  fratris  Friderici  archiepiscopi  Rigensis  ^) 
ordinis  nostri  studiosissimi  viri  et  ejusdem  ordinis  maxime  zelatoris  ac 
totius  justitiae  amatoris  reperi,  Quaedam  vero  sumpta  et  reparata  sunt 
de  legenda  veteri  ipsius  sancti  quam  et  generalis  minister  me  praesente 
et  aliquoties  legente  fecit  sibi  et  fratribus  legi  ad  mensam  in  Avinione 
ad  ostendendum  eam  esse  veram  utilem  et  autenticam  atque  bonam. 
Nonnulla  vero  sumpta  de  scriptis  sanctorum  sancti  praedicti  sociorum  vitam 
sancti  et  gesta  sociorumque  sanctorum  ejus  exprimentia  quorum  in  ipsis 
nomina  exprimuntur.  Demum  etiam  quaedam  de  sancto  Antonio  rara 
scripsi  et  de  sancto  fratre  Johanne  de  Alvernia  ac  de  aliis  quorum  memoria 
in  benedictione  est  et  nomina  scripta  sunt  in  libro  vitae. 

Deprecor    autem    eos    ad    quorum  usum  devotionis  haec  papirus  vel 


^)  Der  sich  wiederholt  und  lange  in  Avignon  aufhielt. 


6o4  Anhang. 

exemplatum  ipsius  deveniet,  quam,  non  tamquam  novum  opus  vel  com- 
pilationem  faciens,  sed  ab  aliis  posita  et  formata  transcribens  coUegi,  suae 
me  devotionis,  orationis  et  naeriti  facere  dignentur  participem  amore 
Domini  nostri  Jesu  Christi  cui  est  honor  et  gloria  in  saecula  saeculorum. 
Amen. 

Aus  diesen  Darlegungen  geht  zunächst  hervor,  daß  die  Sammlung 
als  Ergänzung  zu  Bonaventura's  vita,  welche  die  legenda  nova  genannt 
wird,  dienen  sollte.  Als  seine  beiden  Vorlagen  nennt  der  Schreiber  im 
ersten  Abschnitt  die  legenda  vetus,  aus  der  Bonaventura  Vieles  wört- 
lich entnommen  —  das  kann  also  nur  die  eine  der  beiden  Viten  des 
Thomas  sein  —  und  Aussagen  der  Genossen  des  Franz,  welche 
Aussagen  von  bewährten  Männern  des  Ordens  redigirt 
und    aufgezeichnet    worden    sind. 

In  den  Ausführungen  des  zweiten  Absatzes  nennt  er  drei  Vorlagen 
(die  vierte:  über  den  h.  Antonius  und  Johannes  von  Alvemia  geht  uns 
hier  Nichts  an):  i.  Einiges  aus  einem  Buche  des  Erzbischofs  von  Riga. 
2.  Anderes  aus  der  legenda  vetus,  welche  der  Generalminister  bei  Tisch 
in  Avignon  als  die  authentische  vorlesen  ließ  und  3.  Einiges  aus  den 
Aufzeichnungen  der  Socii,  das  Leben  des  Heiligen  und  die  gesta  sociorum 
(so  im  MS.  Berlin)  behandelnd.  Hier  wird  also  den  beiden  obengenannten 
Vorlagen  eine  dritte :  das  Buch  des  Erzbischofs  hinzugefügt.  Vergleicht 
man  den  Inhalt  des  Kodex  mit  diesen  Angaben,  so  zeigt  es  sich,  daß 
die  legenda  vetus  nichts  Anderes  sein  kann  als  das  Speculum  perfectionis. 
Im  ersten  Absatz  aber  wird  mit  legenda  vetus  doch  zweifellos  die  eine 
vita  des  Thomas  gemeint.  Auch  sonst  findet  man,  z.  B.  in  der  Chronik 
der  XXIV  Generäle,  unter  „legenda  antiqua"  des  Thomas  Legende 
verstanden.  Nun  ist  aber  im  Kodex  Nichts  aus  der  vita  des  Thomas 
kopirt.  Wie  ist  dieser  Widerspruch  zu  heben?  Doch  wohl  nur  so,  daß 
die  zuerst  genannte  alte  Legende  nicht  dieselbe  ist,  wie  die  später  er- 
wähnte, daß  der  Schreiber  die  Exzerpte,  die  er  aus  Thomas  gemacht, 
trotz  seiner  Verheißung  nicht  in  die  Sammlung  aufnahm,  sondern  sich 
auf  eine  Abschrift  der  Erzählungen  aus  dem  Speculum,  der  andern  alten 
Legende,  beschränkte.  Wie  dem  auch  sei :  die  Legende,  die  im  Kloster 
zu  Avignon  vorgelesen  wurde,  war  das  Speculum.  Hierüber  kann  schwer- 
lich ein  Zweifel  sein,  und  ebenso  wenig  darüber,  daß  man  mit  ihm  be- 
stimmte Zwecke  verfolgte. 

Man  hatte  dabei  ein  zwar  nicht  schlechtes,  aber  vielleicht  nicht  ganz 
ruhiges  Gewissen,  war  jedoch  resolut.  „Der  Generalminister  ließ  bei  Tisch 
diese  Legenda  antiqua  vorlesen ,  um  zu  beweisen,  daß  sie  wahr, 
nützlich,  authentisch  und  gut  sei."  Der  Sinn  dieser  Worte  ist 
doch  so  klar,  wie  man  sich  Etwas  nur  denken  kann.  Man  braucht  Nichts 
zu  beweisen,    was  anerkannt  ist:    die  Legende  in  dieser  Form  war  nicht 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  605 

anerkannt :  man  glaubte  ihr  nicht ,  man  hielt  sie  für  schädlich ,  für  eine 
Fälschung,  für  nicht  gut.  Wie  aber  hätte  man  dies  thun  können,  wenn 
sie  schon  im  XIII.  Jahrhundert  existirt  hätte  und  die  Quelle  des  Thomas 
und  damit  indirekt  auch  des  Bonaventura  gewesen  wäre?  Es  war  eine 
neu  auftauchende  vita,  die  Gegner  der  Spiritualen  glaubten  nicht  an  ihr 
Alter.  „Wie  konnte  sie  so  lange  unbekannt  bleiben?"  werden  sie  gefragt 
haben,  „wo  sind  eure  Beweise?" 

Der  Generalminister  antwortete  mit  Beweisen.  Suchen  wir  dahinter 
zu  kommen,  welcher  Art  diese  waren,  so  nähern  wir  uns  der  Entstehung 
des  Speculum  noch  mehr.  Es  ist  Ubertino  da  Casale  gewesen,  auf  Dessen 
Mittheilungen  sie  zurückzugehen  scheint.  Dieser  leidenschaftliche  Vor- 
kämpfer der  strengen  Observanz  sagt  1305  in  seinem  Arbor  vitae  cruci- 
fixae  Jesu,  daß  er  vom  Frater  Conrado  de  Offida  Nachrichten  empfangen 
habe,  die  Dieser  direkt  vom  Bruder  Leo  (und  vom  Bruder  Masseo  und 
Cesolo)  erhalten.  An  andern  (9)  Stellen  führt  er  nach  schriftlichen  und 
mündlichen  Aussagen  des  Bruder  Leo  Aussprüche  strengen  spiritualen 
Charakters  vom  h.  Franz  an,  und  zwar  sind  dieselben  im  Speculum  zu 
finden  und  gehören  zu  den  Kapiteln,  die  in  des  Thomas'  II.  vita  nicht 
enthalten  sind.  Offenbar  verdankt  Ubertino  auch  diese  Mittheilungen 
dem  Bruder  Konrad  und  weiß  von  Rotuli,  auf  denen  Leo  Aufzeichnungen 
über  Franz  gemacht.  Diese  Rotuli,  die  sich  in  S.  Chiara  befanden,  sind 
vor  1305,  als  Ubertino  schreibt,  zum  Theil  wenigstens  abhanden  ge- 
kommen, ja  vielleicht  verloren. 

Sechs  Jahre  später ,  1 3 1 1 ,  als  Ubertino  sich  in  Avignon  gegen  die 
Anklagen  seiner  Gegner  von  der  laxen  Richtung  zu  vertheidigen  hat,  recht- 
fertigt er  sich  mit  dem  Hinweis  auf  „scripta"  von  der  Hand  Leo's,  die 
er  gelesen  und  über  die  er  von  alten  Vätern  des  Ordens  (also  offenbar 
wieder  Conrado  de  Offida)  gehört,  auf  „dicta  fratris  Leonis  manu  sua  con- 
scripta  sicut  ab  ore  sancti  patris  audivit  et  ego  ipse  audivi  a  pluribus 
aliis  sociis  beati  Francisci  quos  vidi",  auf  ein  Buch  von  der  Hand  Leo's 
in  dem  Schrank  der  Brüder  zu  Assisi  und  auf  die  Rotuli  Leo's,  die  er, 
Ubertino,  besitzt,  also  inzwischen  aufgefunden  und  erworben  haben  muß.  ^) 

Also  Ubertino's  Gewährsmann  für  die  strengen  Anschauungen  des 
h.  Franz  ist  des  Leo  Schüler  Konrad,  alle  wesentlichen  Mittheilungen  über 
Leo's  Aufzeichnungen  von  den  dicta  des  Heiligen  hat  er  von  ihm,  doch 
besitzt  er  selbst  einige  Rotuli  des  Leo  im  Jahre  1 3 1 1 ,  die  er  —  wie 
Della  Giovanna  hervorhebt  —  auffallender  Weise  nicht  zeigen  will  propter 
vitandum  legendi  tedium.  Jene  „scripta"  des  Leo  werden  auch  von  anderer 
Seite    (von   Fra  Giovanni  Olivi,    der   1297   starb,    und  von  B.  Francesco 


^)  Vergl.  die  Prozeßverhandlungen   bei  P.  Ehrle :    Zur  Vorgeschichte   des  Konzils 
von  Vienne.     Im  Archiv  für  Litteratur  und  Kirchengeschichte,  ü.  u.  HL  Band. 


6o6  Anhang. 

da  Fabriano,  der  1322  starb  und  Leo  selbst  gekannt  hat)  erwähnt,  und 
wir  kennen  sie  heute.  Es  sind  i.  das  Buch:  die  kurze  „intentio  regulae" 
und  2.  die  Verba  S.  Francisci  (aus  sechs  kurzen  Paragraphen  bestehend), 
herausgegeben  von  Lemmens.  ^)  Nun  ist  Eines  doch  klar :  Ubertino  hat 
nur  diese  beiden  Schriften,  das  Speculum  aber  noch  nicht  gekannt,  wie 
hätte  er  diese  für  seine  Ansichten  wichtigste  Bestätigung  sonst  nicht  in 
reichstem  Maße  ausgenützt,  wie  nicht  immer  wieder  auf  diese  entscheidende 
alte  Legende  hingewiesen?  Und  gar,  wenn  das  Speculum  oder  wenigstens 
ein  größerer  Theil  desselben  Leo  oder  die  Socii  zum  Verfasser  gehabt? 
Sehr  mit  Recht  hat  Della  Giovanna  dies  hervorgehoben.  So  gut  wie  der 
gänzliche  Mangel  einer  Erwähnung  im  XIIL  Jahrhundert,  beweist  Uber- 
tino's  Schweigen,  daß  das  Speculum  131 1  noch  nicht  existirte.  Die 
wenigen  mit  dem  Speculum  übereinstimmenden  Erzählungen  in  dem  Arbor 
vitae  sind  nicht  dem  Speculum  entnommen,  sondern  das  Speculum  hat 
sie  dem  Arbor  entlehnt  und  dieser  der  Intentio  regulae  des  Leo.  Rufen 
wir  uns  nun  die  oben  zitirten  Worte  des  Vaticanus  4354  von  den  „durch 
bewährte  Männer  des  Ordens  redigirten  und  aufgeschriebenen  Aussagen  der 
Genossen  des  Franz",  die  der  Schreiber  in  Avignon  exzerpirte,  in  Er- 
innerung !  Offenbar  sind  diese  „probati  viri  ordinis"  Ubertino  und  Konrad 
von  Offida,  und  in  den  Besitz  von  Deren  Aufzeichnungen  sind  die  Spiri- 
tualen  in  Avignon  gekommen.  Bedenken  wir  ferner,  daß  jener  Mönch 
in  Avignon  die  Legenda  antiqua  des  Thomas'  von  Celano  kannte,  so 
scheint  mir  alle  gewünschte  Aufklärung  über  die  Entstehung  des  Speculum 
gegeben.     Der  Vorgang  dürfte,  wie  folgt,  gewesen  sein. 

Die  durch  Ubertino  vermittelten  Aufzeichnungen  des  Leo  gaben  die 
Veranlassung  zur  Abfassung  einer  dem  Geiste  der  Spiritualen  entsprechenden 
Legende.  Neben  den  Schriften  des  Leo  hatte  man  noch  einiges  andere 
Material  von  Aussagen  der  Jünger  des  Heiligen,  und  zwar  vermuthlich 
in  einer  bereits  durch  Konrad  und  Ubertino  redigirten  Form ;  die  weitaus 
größte  Fülle  von  Material,  das  in  der  offiziellen  Legende  Bonaventura's 
nicht  verwerthet  war,  fand  man  aber  in  der  IL  vita  des  Thomas,  die 
durch  Bonaventura's  Legende  in  das  Dunkel  der  Vergessenheit  gerathen 
war.  Man  stellte,  indem  man  des  Thomas  gedrängte  und  sentenziöse 
Darstellungsweise  in  eine  ausführliche,  leicht  verständliche  und  durch 
die  ausgesponnenen  Reden  des  Franz  besonders  fesselnde  verwandelte, 
alles  dies  Unbekannte  zusammen  und  nannte  die  Sammlung,  den  Aus- 
druck dem  Thomas  entlehnend,  das  Speculum  perfectionis. 

Dieses  war  die  alte  Legende,  die  der  Generalminister  bei  Tisch 
vorlesen  ließ ,  und  man  sieht ,  er  hatte ,  wenn  nicht  der  Form ,  so  doch 
dem  Inhalt  nach  Recht,  sie  für  authentisch  zu  erklären,  denn  in  der  That 


^)  Documenta  antiqua  franciscana.     I.  Scripta  fratris  Leonis.     Quaracchi  1901. 


Kritische  Betrachtung  der  neueren  Quellenforschung.  607 

war  sie  aus  lauter  alten  Quellen  hergeleitet  und  durfte  der  nova  legenda 
des  Bonaventura  gegenüber  als  alt  bezeichnet  werden.  Ja,  mit  einem 
gewissen  Rechte  konnte  auch  die  siegreiche  Formel:  „nos  qui  cum  eo 
fuimus"  Leo  entlehnt  und  möglichst  oft  angebracht  werden,  denn  die  Er- 
zählung des  Thomas  ging  ja  auf  die  Berichte  der  Socii  zurück.^)  Diese 
Formel  hatte  den  bestimmten  Zweck,  „ad  ostendendum  eam  esse  veram 
utilem  et  autenticam  atque  bonam".  Damit  die  Legende  aber  auch  äußer- 
lich gleichsam  die  Weihe  des  h.  Franz  empfange,  ließ  man  sie,  wie  der 
Kodex  Ognissanti  lehrt,  1318  von  S.  Maria  in  Portiuncula,  welchem  Heilig- 
thum  zugleich  im  Texte  die  höchste  Bedeutung  zuerkannt  wurde,  ausgehen. 

Und  so  erklärt  sich  Alles.  Es  erklärt  sich ,  daß  im  Vaticanus  zwei 
verschiedene  Legenden  als  Legenda  antiqua  bezeichnet  werden  und  daß 
auch  fernerhin  dieser  Titel  sowohl  dem  Thomas  als  dem  Speculum  ertheilt 
wird.  Es  erklärt  sich,  daß  sich  im  Speculum  eine  Anzahl  Kapitel  finden, 
welche  Thomas  nicht  hat  —  während  umgekehrt  das  Auslassen  dieser 
Kapitel  durch  Thomas,  wäre  Dieser  der  Ausnützende  gewesen,  unverständlich 
wäre.  Es  erklärt  sich  die  spirituale  Tendenz.  Es  erklärt  sich  endlich 
die  Ueberschrift  des  Speculum,  die  schon  im  Kodex  Ognissanti  zu  finden 
ist :  Istud  opus  compilatum  est  per  modum  legendae  ex  quibusdam  antiquis 
quae  in  diversis  locis  scripserunt  et  scribi  fecerunt  seu  retulerunt  socii 
beati  Francisci.  Denn  deutlich  sind  hier  die  drei  Quellen,  aus  denen 
das  Werk  hergeleitet  wurde,  genannt  Mit  Dem,  was  die  Socii  selbst 
schrieben,  sind  die  scripta  Leonis  gemeint,  mit  Dem,  was  sie  schreiben 
ließen,  die  IL  vita  des  Thomas,  mit  Dem,  was  auf  ihre  Aussagen  zurück- 
geht, die  verhältnißmäßig  wenigen  Berichte,  die  weder  Leo  noch  Thomas 
entlehnt  sind  und  bisher  noch  nicht  auf  bestimmte  Persönlichkeiten  zurück- 
geführt werden  können. 

Neuer  und  sicherer  Aufschluß  —  dies  ist  das  Endresultat  der  Unter- 
suchung —  über  Franz  wird  uns  also  nur  von  den  wenigen  auf  Leo 
zurückgehenden  Mittheilungen,  die  man  jetzt  in  den  Scripta  Leonis  be- 
quem zusammengestellt  findet,  gewährt.  Alles  Andere  (von  jenen  wenigen 
den  Autor  noch  nicht  verrathenden  Angaben  abgesehen)  kennen  wir 
schon,  und  zwar  in  zuverlässigerer  früherer  Form  aus  Thomas.  Demnach 
hat  das  Speculum,  nachdem  es  die  Alleinherrschaft  hatte  gewinnen  wollen, 
wieder  in  die  bescheidene  Stellung  eines  sekundären  und  zudem  in  be- 
stimmtem Geiste  gefärbten  Zeugnisses  herabzusinken. 

Es  bleibt  nur  noch  die  Frage  nach  der  Entstehung  der  so- 
genannten Legenda  trium  sociorum.    Schon  von  Anderen,  namentlich  von 


^)  Ich  kann  also  H.  Boehmer:  Besprechung  des  Speculum  perfectionis  in  der 
Histor.  Vierteljahrsschrift  1904.  Bd.  VII.  S.  75  nicht  zustimmen,  wenn  er  aus  der 
Formel  auf  das  Alter  der  betreffenden  Kapitel  schließt. 


6o8  Anhang. 

van  Ortroy  ^),  P.  Lemmens  und  Walter  Goetz  ist  der  kompilatorische  und 
späte  Charakter  dieser  Schrift  nachgewiesen  worden,  so  daß  ich  mich  hier- 
über sehr  kurz  fassen  kann.  Was  man  von  dem  Speculum  nicht  in  dem 
Sinne  sagen  kann,  ist  von  ihr  zu  behaupten:  sie  ist  eine  Fälschung  aus  dem 
XIV.  Jahrhundert,  eine  Fälschung,  denn  sie  behauptet  mit  Ostentation,  ein 
Originalwerk  der  drei  Genossen  Leo,  Rufinus  und  Angelus  zu  sein,  denn 
der  solche  Namen  nennende  und  1246  3.  Iden  des  August  datirte  Brief  ist 
ihr  vorangesetzt.  Ob  dieser  Brief  alt  ist  und,  wie  Lemmens  will,  ursprüng- 
lich mit  des  Thomas  II.  vita  in  Beziehung  stand,  oder  ob  auch  er  eine 
Fälschung ,  wie  ich  mit  Goetz  anzunehmen  geneigt-  bin ,  bleibe  dahin- 
gestellt. Sicher  aber  scheint  mir  Lemmens'  Ansicht  Viel  für  sich  zu 
haben,  wenn  er  annimmt,  daß  die  Legende  —  und  zwar  auch  sie  im 
Wesentlichen  mit  Benutzung  der  Viten  des  Thomas,  was  ich  schon  in  der 
ersten  Auflage  dieses  Buches  feststellte  —  in  der  Absicht  verfaßt  worden 
ist,  ein  biographisches  Supplement  zu  dem  Speculum  zu  bilden.  Dann 
müßte  sie  unmittelbar  nach  dem  Speculum  entstanden  sein,  doch  wäre 
schließlich  auch  eine  etwas  frühere  Entstehung  denkbar.^) 

Schluß. 

Ich  fasse  die  Resultate  der  Untersuchung  zusammen.  Deren  metho- 
discher Gang  war  dieser:  zuerst  die  alten  Zeugnisse  über  die  Legenden 
hervorzuheben  und  daraus  einen  allgemeinen  Schluß  auf  deren  Entstehungs- 
zeiten zu  ziehen,  dann  aber  das  Verhältniß  der  Legenden  zu  einander 
kritisch  zu  prüfen  und  ihnen  Aufschlüsse  zu  entnehmen.  Der  Beweis 
für  die  Richtigkeit  der  festgestellten  Thatsachen  liegt  in  der  Ueberein- 
stimmung  der  Folgerungen  der  ersten  und  der  zweiten  Untersuchung. 
Und  es  hat  sich  auf  diesem  Wege  ergeben: 

1.  Alle  zuverlässige  Kenntniß  vom  Leben  und  Wesen 
desFranz  ist  in  den  beidenViten  desThomas  von  Celano 
enthalten,  deren  zweite  alle  Berichte  der  Jünger  des 
Franz  in  sich  schließt.  Ergänzend  hierzu  treten  nur  die 
kurzen  Aufzeichnungen  des  Bruder  Leo,  die  in  Dessen 
neuerdings  veröffentlichten  Scripta  enthalten  sind,  und 
die  von  Bonaventura  gebrachten,  bei  Thomas  noch 
fehlenden    Berichte    von    Schülern    des    Franz. 

2.  Das  Speculum  perfectionis,  erst  im  Anfang  des 
XIV.  Jahrhunderts  entstanden,   bringt  eine  Ausgestaltung 


^)  La  Legende  de  S.  F.  dite  Legenda  trium  sociorum.  In  Analecta  Bollandiana 
1900.     Bd.  XIX. 

^)  Ueber  das  Verhältniß  der  Tres  Socii  zum  Anonymus  Perusinus  vergl.  W.  Goetz : 
Zeitschr.  für  Kirchengeschichte  XXV.  S.  33. 


Urkunden  zur  Geschichte  der  Kirche  S.  Francesco  in  Assisi.         609 

der  Legenden  des  Thomas,  die  mit  den  Aufzeichnungen 
des  Leo  und  einigen  anderen  verquickt  sind,  und  ist  mit 
spiritualer  Tendenz  verfaßt.  —  Die  Legenda  trium  so- 
ciorum,  als  Supplement  zum  Speculum  entstanden,  ist, 
wiederum  mit  Ausnutzung  der  Viten  des  Thomas  ab- 
gefaßt, als  Fälschung  zu  bezeichnen,  da  sie  mit  dem  An- 
spruch auftritt,  gleichzeitig  mit  der  IL  vita  des  Thomas 
geschrieben    worden    zu    sein. 

Hieraus  aber,  wie  schon  oben  gesagt,  erklärt  es  sich,  daß  ich  meine 
frühere  Darstellung  des  Franz  in  dieser  zweiten  Auflage  unverändert  stehen 
lassen  konnte  und  meine  Auffassung  von  ihm  die  gleiche  geblieben  ist, 
wie  früher.  Es  muß  ausgesprochen  werden:  Noch  steht  es  beim  Alten! 
Die  gesammte  umfängliche  Litteratur,  die  seit  zwanzig  Jahren  entstanden 
ist,  hat,  wenn  sie  auch  dazu  führte,  Manches  betreffend  die  alte  Litteratur 
über  Franz  festzustellen,  nämlich  vor  Allem  den  alten  Kern  des  Speculum 
vitae:  das  Speculum  perfectionis  und  die  späte  Ansetzung  der  Tres  socii,  — 
sowie  gute  Ausgaben  der  alten  Schriftwerke  zu  veranlassen,  was  mit  be- 
sonderem Dank  anerkannt  werden  soll,  nichts  für  die  Kenntniß  des 
Heiligen  Wichtiges  und  Neues  ergeben.  Und  ich  kann  nicht  umhin,  im 
Hinblick  auf  alle  die  zahllosen  mühevollen  und  verwickelten  Unter- 
suchungen auszurufen:  welche  verschwendete  Zeit,  welch'  vergeudeter 
Scharfsinn!  Wie  viel  für  die  Geschichtswissenschaft  Wichtigeres  hätte 
mit  der  hier  aufgewendeten  Arbeitskraft  geleistet  werden  können! 


in.  Urkunden  zur  Geschichte  der  Kirche  S.  Francesco  in  Assisi. 

I.   Landschenkungsurkunde. 

Sie  ist  im  IL  Bande  der  „Instrumenta  diversa  pertinentia  ad  S.  con- 
ventum"  unter  Nummer  I.  enthalten  und  lautet : 

In  Dei  nomine  Amen,  Millesimo  CCXXVIII  indictione  prima  IUI 
Kalendas  Aprilis  Gregorio  papa  Villi  et  frederico  Imperatore  existenti- 
bus  dedit  tradidit  cessit  delegavit  et  donavit  simpliciter  et  irrevocabiliter 
inter  vivos  simon  Puzarelli  fratri  helye  recipienti  pro  domino  Gregorio 
papa  nono  pettam  unam  terre  positam  in  voc(abulo)  coUis  inferni  in 
comitatu  ass(isiensis)  cui  I  (primo)  et  II  (secundo)  via  III  (tertio)  ecclesie 
sancte  Agathe  Uli  (quarto)  filiorum  Bonomi  vel  si  qui  alii  sunt  confines 
cum  introitu  et  exitu  suo  et  cum  omnibus  quae  supra  se  et  infra  se 
habet  in  integrum  et  cum  onmi  jure  et  actione  usu  seu  requisitione  sibi 
de  ipsa  re  competenti  ad  habendum  tenendum  possidendum  faciendum 
omnes  utilitates  et  usus  fratrum  in  ea  videlicet  locum  Oratorium  vel 
ecclesiam  pro  beatissimo  corpore  sancti  francisci  vel  quicquid  ei  de  ipsa 

Thode,  Franz  von  Assisi.  39 


6lO  Anhang. 

re  placuerit  et  in  perpetuum  quam  rem  se  suo  nomine  constituit  possi- 
dere  donec  corporaliter  intraverit  possessionem  in  quam  intrandi  licen- 
tiam  sua  auctoritate  concessit  promictens  non  dedisse  jus  vel  actionem 
de  ea  alicui  quod  si  apparuerit  eum  dedisse  promisit  defendere  suis 
pignoribus  et  expensis  renunctiando  juri  patronatus  omnique  auxilio  le- 
gum  ipsi  competenti  vel  competituro.  Et  promisit  per  se  et  suos  here- 
des  dicto  fratri  helye  recipienti  pro  Dno  papa  nono  Gregorio  contra 
non  facere  vel  fecisse  sed  defendere  dictam  rem  ab  omni  litigante  per- 
sona omni  tempore  suis  pignoribus  et  expensis  in  curia  vel  extra  sub 
pena  dupli  ipsius  rei  habita  compensatione  meliorationis  et  existimationis 
qua  soluta  vel  non  hoc  totum  semper  sit  firmum. 

Factum  in  domo  dicti  symonis  presentibus  et  vocatis  testibus  dno 
Guidone  judice  communis  Ass(isiensis)  petro  tedaldi  Sommo  Gregoris 
petro  capitanie  tiberio  petri  andrea  agrestoli  jacobo  bartoli. 

Ego    paulus    not(arius)    rogatus   his  interfui  et  sss.  (subscripsi) 
et  auct(enticavi). 

2.   Vertrag    über    Lieferung    und    Wiederersetzung    von 

Steinblöcken. 

Die  in  demselben  Bande  unter  N.  III  befindliche  Urkunde  lautet: 
In  Dei  nomine  Amen.  Anno  domini  millesimo  ducentesimo  trice- 
simo  nono  indictione  XII  tempore  Dominorum  Gregorii  pape  noni  et 
Frederici  Romanorum  imperatoris  die  V  exeunte  mense  Majo  frater  Helias 
dominus  et  custos  ecclesie  sancti  Francisci  Asisinatis  et  frater  Jacobus 
de  Mevag(na)  sindicus  et  procurator  dicte  ecclesie  et  conventus  ipsius 
presentibus  consentientibus  et  volentibus  fratribus  dicti  conventus  nomine 
ipsius  ecclesie  et  conventus  pro  se  ipsis  et  eorum  successoribus  con- 
venerunt  et  promiserunt  Sanguonio  et  Tome  filiis  olim  domini  Ufreducij 
Sanguonis  stipulantibus  pro  se  ipsis  et  suis  heredibus  reficere  et  refici 
facere  Omnibus  sumptibus  et  pecunia  ipsius  ecclesie  et  conventus  tan- 
tumdem  murum  ad  arenam  et  calcem  et  lapides  in  domo  predictorum 
fratrum  posita  in  civitate  Asisii  quantus  fuit  ille  murus  unde  accepti  et 
remoti  fuerunt  tribertini  magni  et  ad  illum  modum  et  paragium  reducere 
ipsum  murum  quantus  fuit  ille  de  dictis  tribertinis  quos  quidem  triber- 
tinos  fuerunt  confessi  et  asseruerunt  coram  me  notario  "et  testibus  suscriptis 
recepisse  et  habuisse  a  dictis  fratribus  Sanguonio  et  tomasse  pro  opere 
et  muris  dicte  ecclesie  renunciantes  exceptioni  tribertinorum  non  recep- 
torum  et  non  habitorum  pro  quibus  tribertinis  promiserunt  sepedictis 
Sanguonio  et  Tome  reficere  et  refici  facere  dictum  murum  de  bono  opere 
et  legale  sumptibus  dicte  ecclesie  ut  dictum  est  supra  omni  condictione 
et   exceptione   remotis  et  dampna  et  expensos  reficere  pro  predictis  exi- 


Des  Rodulphus  Beschreibung  der  Kirche  S.  Francesco  in  Assisi.      6ll 

gendis  sub  obligatione  bonorum  dicte  ecclesie  et  pena  dupli  extimat  dicti 
operis  et  pena  soluta  vel  non  hec  sint  omnia  rata  latera  dicti  domus  justa 
via  usque  et  justa  heredes  Rufini  Panzi. 

Actum  apud  dictam  ecclesiam  sancti  francisci  in  quadam  camera 
ipsius  ecclesie  presentibus  ad  hoc  vocatis  testibus  Magistro  paulo  Lu- 
prandi  domino  leonardo  Marangonis  et  fratre  Janne  de  Laudis  et  aliis 
pluribus. 

Ego  Petrus  imperiali  auctoritate  not(arius)  hiis  interfui  et  rogatus  ut 
supra  legitur  scripsi  et  autenticavi. 

Ich  gebe  den  Text  nach  den  Originalen  auf  Grund  einer  Vergleichung 
mit  neueren  vorhandenen  Kopieen. 

IV.  Des  Rodulphus  Beschreibung  der  Kirche  San  Francesco  in  Assisi. 

Die  Beschreibung  findet  sich  in  des  Petrus  Rodulphus  Historiarum 
Seraphicae  religionis  libri  tres  (Venetiis  apud  Franciscum  de  Franciscis 
Senensem   1586)  im  II,  Buche  S.  247  ff.  und  lautet  folgendermaßen: 

In  custodia  Assisi  est  celeberrimum  et  augustum  illud  templum,  quod 
est  praecipuum  coenobium  totiusque  Ordinis  caput,  nee  structura  toto 
orbe  hujusce  Ordinis  invenitur,  quae  hanc  superet,  moenia  enim  alta  sunt 
€t  profunda  magnis  lapidibus,  arena  et  calce  interstrata.  Fundamenta  in 
viscera  terrae  quaesita,  vix  tandera  post  octo  et  centum  altitudinis  pedes 
non    satis    comraoda    sunt    inventa.      Gregorius   IX    suramus  Pontifex   pri- 

marium  jecit  lapidem Prope  chorum  a  superiore  parte  est  com- 

pluvium  ex  grandioribus  saxis,  aquas  per  fistulas  ferreas  procul  ejiciens: 
in    ingressu    vero    est    pulchrum    peristyllum.     Nihil    habet  haec  structura 

commune    cum    eo    ordine    quem  Vitruvius    architectus  instituit 

sed  opus  Theutonicum  est.  Structoris  nomen  non  reperi.  Scio  tamen, 
quod  frater  Hellas  homo  rerum  gerendarum  prudens  ejus  curam  egit 
a  principio,  turres  campanarias  construxit,  in  quibus  campanas  imposuit 
et  campanam  ad  convocandum  populum  factam  ipsemet  campanam  Prae- 
dicatoris,  et  passim  seniores  sie  appellant,  et  campanam  Primae,  in  quarum 
una  haec  verba  excusa  leguntur: 

A.  D.  MCCXXXIX  Fr.  Elias  fecit  fieri.  Bartholomaeus  Pisanus  me 
fecit  cum  Loteringio  filio  ejus.  Ora  pro  nobis  Beate  Francisce.  Ave 
Maria   gratia    plena.     AUeluja.^)     Duas  alias  campanas,    quae  non  multis 


^)  Ich  trage  hier  nach,  daß  der  Loteringius  wohl  derselbe  ist,  dem  Kaiser  Friedrich 
1242  das  Bürgerrecht  in  Sizilien  und  die  Erlaubnis  zu  heirathen  gab.  Er  war  10  Jahre 
im  Castello  veteri  in  Calabrien  und  hatte  die  Absicht,  immer  in  Sizilien  zu  bleiben 
(Winkelmann:  Acta  Imperii  inedita.  Tituli  XIII.  Innsbruck  1880  p.  683).  Er  hat 
noch  1263  gelebt,  denn  damals  gießt  er  eine  Glocke  für  Cefalü  (Saunas:  due  inscrizioni 
cefalutane.     Archivio  storico  Siciliano.  N.  S.  IV.  Jahrg.  p.  336.) 

39* 


6 1 2  Anhang^ ■ 

ab  hinc  annis  disruptae  sunt,  fieri  fecit  idem  F.  Helias.  Pro  constructione 
autem  hujus  monasterii  et  templi  variis  modis  coepit  pecunias  exigere : 
primum  enim  pecuniarias  collectas  indixit  provinciis;  posuit  quoque  con- 
cam  illara  marmoream,  in  quam  adventantes  horaines  pönerent  pecuniam, 
ex  quo  non  modica  turbatio  inter  discipulos  B.  Francisci  suborta  est. 

Divisum  est  templum  illud  in  tria  segmenta  juxta  tria  vota  Religio- 
nis,  quam  profitemur.  Inferior  ecclesia  designat  sanctam  obedientiam, 
quae  altis  defixa  est  radicibus.  Ibi  conditum  est  sacrum  corpus  beati 
patris  Francisci  cum  multis  aliis  Beatis.  Factum  est  delubrum  ex  omni 
parte  firmissimum  parietibus,  lateribus  instratis,  ut  furibus  adimeretur  in- 
sidiandi    facultas.     Ad    eum    locum    datur    aditus  per  vias  subterraneas  et 

per  secretos  cuniculos,  qui  satis  latent 

Quod  spectat  ad  secundam  ecclesiam,  quae  est  instar  oratorii,  pauper- 
tatem  in  humilitate  fundatam  designans,  omnibus  idem  pie  orantibus 
afflat  insolitam  pietatem;  cujus  pavimentum  variis  coloratis  et  vermicu- 
latis  lapidibus  intertextum  est.  At  testudo  seu  fornix  instar  cupae  vel 
dolii,  cum  certis  quibusdam  figuris  exquisita  arte  absoluta  est:  dicunt 
eas  factas  a  Giotto  Florentino  majori  ex  parte,  quem  constat  sui  tem- 
poris  omnium  pictorum  fuisse  nobilissimum.  In  illis  exprimitur  vita  Christi 
Jesu,  quae  variis  depictae  coloribus,  omnino  admirandae  sunt  et  exco- 
lendae.  In  testudine  sunt  quatuor  trianguli  eleganti  ordine  compositi. 
In  superiori  parte  ad  chorum  est  beatus  Franciscus  velut  princeps  in 
sella  reclinatoria ,  indutus  veste  egregia,  cujus  capiti  affixa  sunt  haec 
verba,  Gloriosus  Franciscus.  Ibi  quoque  extat  vexillum  cum  septem 
stellis  et  angelis  circumstantibus  atque  buccinis  clangentibus  eo  specta- 
culo  quo  triumphus  famae  pingi  solet  egregie  perpolita  et  politissima  arte 
perfecto.  In  altero  triangulo  dextrorsum  est  porticus  ambulatoria  in  pro- 
spectu  cum  columnis  et  in  medio  est  figura  veste  subnigra  induta  cum 
alis  et  diademate  quadrato  quae  figura  manu  dextera  tenet  jugum,  ac 
laeva  supponit  digitum  labello  instar  silentii;  ad  pedes  in  signum  exi- 
miae  humilitatis  est  Frater  quidam,  qui  accipit  jugum  et  propriis  im- 
ponit  humeris;  super  caput  figurae  est  haec  nota,  Sancta  Obedientia. 
Hinc  pendet  ad  caput  crucifixus,  sed  solum  apparet  corpus  et  plaga 
lateralis,  a  qua  erumpit  magnus  fluvius  sanguinis.  Dextrorsum  est  Pru- 
dentia  biceps  cum  his  notis  Sancta  Prudentia;  habet  diadema  cum 
sex  inscriptis  faciebus:  est  media  figura,  sub  qua  est  Angelus  ductor 
ejus,  et  duae  aliae  figurae,  et  respicientes  junctis  manibus  prae  se  ferunt 
magnam  religionem.  Ex  altero  latere  est  consimilis  figura  cum  subjectis 
verbis  Sancta  Humilitas:  tenet  accensam  faculam.  Ad  pedes  est 
Angelus  et  semihomo  et  semicanis.  In  altero  triangulo  est  arx  cum 
turribus  hinc  inde,  et  in  medio  turris  veluti  Gerrum  (an  crates  viminea?) 
et  terminus,  et  in  apice  est  fenestra,  et  caput  mulieris  cum  subscriptione 


Des  Rodulphus  Beschreibung  der  Kirche  S.  Francesco  in  Assisi.      613 

Sancta  Castitas.  Adstant  duo  Angeli,  quorum  alter  exhibet  regnuin, 
alter  vero  palmam.  Ad  pedes  gerrii  sunt  duae  figurae,  quaelibet  tenet 
manum  extensam  extra  muros,  et  aspergit  aquam  super  caput  denudatae 
figurae.  Alter  Angelus  lavat  dictam  figuram  instar  balneatoris :  super  has 
duas  figuras,  quae  tenent  vestem  Angelo  leguntur  haec  verba  Sancta 
Munditia.  Ex  altera  parte  Sancta  Fortitudo.  A  latere  est 
Angelus  lavans,  et  homo  armis  cinctus  cum  parraula  in  bracchio  et  multis 
aliis  figuris:  Amor  etPoenitentia.  Sub  Amore  est  homo  transfigura- 
tus  cum  his  notulis  Munditia;  quae  propellitur  ab  altera  figura  cum 
his  literis  Mors.  In  altero  triangulo  est  figura  velata,  praeter  manus  et 
dimidiam  partem  bracchii:  manus  autem  sunt  extensae,  et  accipiunt 
munera  quae  duo  Angeli  offerunt.  Angelus  a  latere  dextro ,  et  offert 
vestem,  et  marsupium:  altera  offert  praetorium:  subter  vero  quaedam 
subjacet  mulier  subcincta,  et  nudatis  intra  vepres  pedibus,  quae  quantum 
ex  facie,  ex  vultu,  ex  oculis,  et  ex  fronte  suspicari  possumus,  repraesentat 
dominam  paupertatem,  quam  in  sponsam  suam  beatus  Franciscus  accipit. 
Christus  vero  a  latera  manum  interjungit,  atque  ejus  dextram  contingit, 
cum  hac  inscriptione  Sancta  Paupertas. 

In  choro  Capellae  majoris  est  quaedam  egregia  pictura  quam  dicunt 
quidam  fuisse  manus  et  ingenii  monumentum  Priscii  Capannae  a  nemine, 
quod  ego  sciam,  adhuc  satis  intellecta.  Communis  tamen  omnium  est 
sententia,  ab  eodem  Giotto  fuisse  expressam  quamvis  prae  se  ferat  nescio 
quid  majoris  elegantiae  et  dignitatis.  Suc  hoc  fornice  modo  est  altare 
majus,  ubi  est  tabernaculum  pro  custodia  sanctissimae  Eucharistiae  ele- 
ganter elaboratum  atque  opera  venerabilis  Fr.  Matthaei  Assisiatis  con- 
structum.  Altare  vero  circumquaque  ferreis  quibusdam  insertis  cratibus 
et  ansulis  intortis  vallatum  est:  sub  ara  in  abdito  et  secessu  conditum 
est  venerabile  illud  corpus  beati  Patris ;  ubi  alias  furinum,  sive  locus  erat, 
in  quo  fures  et  improbi  homines  publice  suspendebantur ,  vulgo  dictus 
Collis  infern i.  Nee  abs  re  dignum  puto,  quia  sicut  Christus  in  Cal- 
variae  monte  conditus  est,  ut  nobis  suo  exemplo  significaret  nulla  esse 
ossa,  nuUos  homines,  nullos  denique  daemoniacos  adeo  damnatos  et  des- 
peratos,  in  quos  si  intret  Christus  non  vivificet:  sie  beatus  Franciscus, 
Domino  concedente,  voluit  et  vivens  et  moriens  in  cunctis  esse  Christi- 
formis.  Ante  fores  sacrarii  sunt  multae  et  hae  quidem  insignes  et  egregiae 
picturae,  et  ut  ferunt ,  manu  Antonii  Cavallini  expressae,  qui  adeptus  est 
nomen  Cavallini,  quia  optima  arte  fingebat  caballos.  Ante  cancellos  illius 
capellae  in  angulo  est  sepulcrum  cum  crate  ferrea,  ubi  dicunt  condita 
esse  quatuor  corpora  sociorum  beati  Francisci. 

Adsunt  quoque  in  inferiori  Ecclesia  sive  Oratorio  multe  capelle  et 
quidem  pulchre  et  egregiae.  Primo  est  capella  S.  Catherine  Cardinalis 
Aegidii    Cariglii    Albemotii    Hispani,    cum    multis    figuris    S.    Catherinae. 


6 14  Anhang. 

Hie  Cardinalis  obiit  in  surburbano  servatumque  est  corpus  ejus  in  monte 
Cimino,  deinde  Assisium  translatum  est.  Hie  Cardinalis  construxit  arcem 
Spoleti  natura  et  situ  loci  tum  humana  ope  munitissimam ,  ex  qua  tota 
vallis  Spoletana  visitur.  Hie  laceratum  Ecclesie  regnum,  et  a  tyrannis 
ferme  totum  usurpatum  singulari  virtute  reeuperavit  ac  resarcivit;  quam- 
vis  nonnulli  ossa  ejus  in  Ecclesia  S.  Martini  supra  Viturnium  in  Monte 
Cimino  reeondita  dicant.  Fortasse  ibi  prirao  servatum  est  cadaver,  deinde 
Assisium  translatum  fuit.  Vidit  autem  iste  corpus  B.  Franeisei,  postea 
reliquit  conventui  eentura  millia  aureos.  Deinde  est  eapella  D.  Antonii, 
ubi  est  sepulerum  cujusdam  Dueis  Spoleti,  qui  dicebatur  Blascus  eratque 
de  domo  Cardinalis  Aegidii,  cum  subjeetis  versibus: 

Magnanimus  miles  prudens  pius  egregiusque 
Cultor  justitiae,  rigidi  servator  honesti 
Blascus  Fernandi,  pacis  compertor  amatae, 
Hispanus  natus  morum  venustate  praeclarus; 
Anconitanae  Marchio  Marchiae  tempore  multo 
Rector  Bononiae,  dux  Spoletanus  habetur. 
Inclytus  iste  Senator  bellique  maximus  actor. 
Proditus  hie  burgo  Luci  mutatur  ibidem, 
Et  genitor  Grazias  acerba  morte  peremptus. 
Hicque  jacent  ambo  genitor  genitusque  dicti, 
Quos  Deus  Elisiis  proponat  sedibus  almis. 

In  capite  Ecclesiae  e  regione  Sepulehri  Divi  Franeisei  tumulata  est 
Regina  Cypri,  quae  reliquit  sacro  conventui  dueenta  millia  aureorum  et 
puleherrimum  vas  porphyreticum  absque  base  sive  pediculo  quo  modo 
loco  pilae  utuntur  ad  aquam  lustralem,  qua  homines  pie  asperguntur. 

Sed  quantum  spectat  ad  superiorem  Eeelesiam  est  usque  adeo  ele- 
ganter constructa,  ut  nihil  pulchrius  videri  possit  illo  seculo,  nee  struetura 
hujus  ordinis  invenitur  in  toto  orbe :  suas  habet  portas  congrua  dimensione 
venustas  mediam  ceteris  ampliorem,  in  tecto  stellae  affixae  aureae,  et 
color  impressus  aereus  veram  coeli  faciem  aemulatur.  Sunt  in  choro 
sedilia  ex  materia  nobili,  arte  quam  voeant  Tarsieam,  seulpturis  et  imagini- 
bus  insignia,  quem  ferunt  Samsonis  opere  eonstruetum,  cujus  expressa 
imago  conspieitur.  In  hujus  ingressu  supra  januam  est  ibi  oeulus  vitreus, 
unde  transmittitur  lumen  in  morem  Cyelopis  latepatens  in  morem  trianguli, 
in  quo  est  imago  vera,  ut  dieunt,  beati  Franeisei  opere  Mosaico  inter- 
texto,  opus,  ni  fallor,  Cimaboni.  ^)  Inter  utramque  Eeelesiam  est  spatium 
oetipedale,  ne  populus  ambulans  super  pavimentum  superioris  Ecclesiae 
impedimento  sit  ceteris  in  Ecclesia  inferiori.  Innititur  autem  pavimentum 
superioris  Ecclesiae  lignis  abiegnis.  Portam  inferioris  Ecclesiae  Samson 
portica  quadam  egregia  exornavit  tecto  inclusa,  ob  repentinos  imbres,  ut 


^)  Die  Beschreibung  hier  etwas  verwirrt.     Dies  Portal  ist  das  der  Unterkirche. 


Beschreibung  der  Glasmalereien  in  S.  Francesco  zu  Assisi.  615 

hae  litterae  declarant :  Fr.  Franciscus  Samson  Generalis  Minonim  fieri  fecit 
MCCCCLXXXVII.  Circumcirca  sunt  Xu  turtes  teretes :  et  in  unaquaque 
illarum  est  inferior  testudo  petrae  granitae  rubeae,  in  memoriam  XII  Apo- 
stolorum  ignis  Spiritus  sancti  ardorem  praetendentis.  Tribuna  vero  est 
albi  lapidis  in  honorem  beatae  Virginis.  Sunt  quoque  in  superiori  Ec- 
clesiae  quaedam  picturae  egregia  manu  Cimaboni  et  Giotti  elaboratae. 
Chorus  quoque  cum  subselliis  manu  Dominici  Sanseverinatis  Umbri  opere 
intertexto,  opera  et  sumptu  magistri  Francisci  Sansonis  Generalis,  ut  in- 
scriptio  affixa  declarat  magnifice  fabrefactus.  Nostro  tempore  Organa 
constructa  sunt  a  magistro  Petro  Antonio  Nucerino  Generali. 

Superest  modo  ut  de  sacri  Conventus  structura  nonnuUa  subjiciamus: 
habet  enim  profundas  radices  et  altissima  fundaraenta  propter  torrentem 
inundantem.  Sixtus  IV  Pontifex  domum  collabentem  et  ruinam  minantem 
fortissimo  muro,  quasi  rostro  quodam  vallavit  anno  MCCCCLXXX  et 
hodie  quoque  nomen  ipsius  retinet.  Alteram  partem  Conventus  constnii 
fecit  frater  Elias,  ut  aperte  declarant  figurae  quaedam  et  inscriptiones 
cisternae  prioris  impluvii.  Innocentius  IV  Papa  fecit  constnii  alteram 
partem  reliquam  Cardinalis  Aegidius,  quem  supra  memoravimus. 

Haec  sunt,  quae  mihi  dicenda  erant  circa  insignem,  admirandam 
et  numquam  satis  laudatam  structuram  hujusce  memorabilis  Tempil.  Op- 
tima enim  dispositio  consurgit,  cum  partes  omnes  in  se  ipsis  bene  dis- 
positae  fuerint,  et  alterae  cum  alteris  congruo  loco  conveniant.  Quamvis 
beatus  Pater  Franciscus  verus  ditissimae  paupertatis  amator  praeceperit 
in  cunctis  paupertatem  servandam,  ut  fratres  tanquam  peregrini  et  advenae 
despicerent  amplas  domos  atque  templa  magnifica. 

V.  Beschreibung  der  Glasmalereien  in  S.  Francesco  zu  Assisi. 

Eine  Beschreibung  der  Kirche  San  Francesco  in  Assisi  wäre  un- 
vollständig, würde  nicht  auch  den  zahlreichen  Glasfenstem  eine  besondere 
Berücksichtigung  geschenkt.  Es  geschieht  dies  hier  im  Anhange ,  weil 
durch  ein  näheres  Eingehen  auf  diese  interessanten  Arbeiten  der  Gang 
unserer  der  Ausschmückung  der  Kirche  gewidmeten  historischen  Betrach- 
tung allzu  sehr  gehemmt  worden  wäre.  Man  hat  sich  bisher  damit 
begnügt,  kurz  darauf  hinzuweisen,  daß  die  vorhandenen  Glasmalereien 
zu  den  ältesten  in  Italien  gehören,  und  zwar  aus  dem  XIV.  Jahrhundert 
stammen.  Unsere  Betrachtung  wird  ergeben,  daß  unter  ihnen  eine  Anzahl 
sogar  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  entstanden  ist, 
daß  wie  an  den  Wandgemälden  auch  an  den  Fenstern  eine  allmähliche 
Entwicklung  von  primitiven  Anfängen  zu  technisch  immer  größerer  Voll- 
kommenheit zu  konstatiren  ist,  daß  die  zusammengehörigen  Wandgemälde 
und  Glasfenster  fast  durchweg  auch  gleichzeitig  entstanden  sind,  daß  man 


6l6  Anhang. 

für  viele  der  letzteren  vermuthen  darf,  daß  ihre  Zeichnung  auf  die  Maler 
zurückgeht.  Namen  von  Glasmalern  sind  uns  nicht  erhalten.  Zwar  giebt 
Fea  in  seiner  Descrizione  (S.  ii)  an,  daß  in  der  Kapelle  der  h.  Katharina 
Bonino  von  Assisi  mit  seinen  Schülern  Angeletto  und  Pietro  di  Gubbio 
thätig  gewesen  seien,  daß  jener  Angeletto  auch  die  Fenster  der  Kapelle 
des  h.  Ludwig  gemacht,  —  doch  vermag  ich  nicht  zu  sagen,  auf  welcher 
Quelle  diese  Nachrichten  beruhen.  ^)  Von  Angeletto  wissen  wir  nur,  daß 
er  1327  ein  Glasfenster  für  den  Dom  von  Orvieto  machte.  Auch  Gio- 
vanni Bonino  d'Assisi  und  Pietro  waren  daselbst  thätig  —  es  klingt  ja 
nicht  unwahrscheinlich,  daß  ein  Meister,  der  in  Assisi  zu  Hause  war,  für 
S.  Francesco  gearbeitet,  ja  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  aber  Urkunden,  die 
es  bestätigten,  habe  ich  so  wenig  wie  Fratini  im  Archive  finden  können. 
Die  von  Guardabassi  in  seinem  Indice-Guida  dell'  Umbria  (S.  15)  er- 
wähnten Glasmaler:  Fra  Antonio  dell'  Alvergna,  Fra  Bartolommeo  di  Pian 
Castagnajo,  Fra  Gualberto  Giotti,  die  in  der  Oberkirche  thätig  gewesen 
sein  sollen,  müssen  wohl  in  einer  Weise  beglaubigt  sein,  da  Guardabassi 
sie  schwerlich  sonst  anführen  würde,  welchen  Antheil  sie  aber  an  der  Aus- 
schmückung der  Kirche  gehabt,  giebt  er  nicht  an.  ^)  Dagegen  sind  zwei 
andere  von  ihm  erwähnte  Künstler  in  den  Ausgabebüchern  nachzuweisen : 
Francesco  di  Terranuo va  und  Valentino  daUdine.^)  Ersterer 
erscheint  zuerst  1476,  dann  in  den  ersten  neunziger  Jahren  bis  1494  mit 
der  Reparatur  der  Fenster  beschäftigt,  und  zwar  beziehen  sich  die  An- 
gaben alle  auf  die  Bleifassungen.  Valentino  da  Udine  aber  reparirt  mit 
päpstlichen  Geldern  1476 — 79  die  Fenster  der  Oberkirche  und  ist,  wie 
es  scheint,  noch  1484  damit  beschäftigt,*)  Dann  1561  hat  wiederum 
eine  Restauration  durch  einen  Franzosen  und  unter  Gregor  XVI.  durch 
Bertini  aus  Mailand  stattgefunden. 

Was  uns  aber  in  viel  höherem  Grade  interessiert,  als  diese  Angaben, 
ist  ein  höchst  merkwürdiges  Manuskript  im  Archive :  ein  Traktat  über  die 
Glasmalerei,  der  von  einem  seiner  Kunst  sich  hoch  rühmenden  Antonio 
da  Pisa  verfaßt  worden  ist.  Offenbar  ist  dieser  Antonio,  der  so  selbst- 
bewußt auftritt,  kein  anderer  als  jener  gleichnamige  Glasmaler,  der  sich 
1395  auf  dem  herrlichen  Fenster  über  der  zweiten  Südthüre  des  Domes 
von   Florenz    nennt.  ■^)     Sicherlich    ist    Antonio    in  Assisi    thätig    gewesen, 

^)  Auch  Rosini:  Storia  della  pittura  I,  S.  180  giebt  an,  daß  Angeletto  das  Fenster 
der  Kapelle  S.  Lodovico  gemacht,  wohl  auf  Fea's  Angabe  hin. 

^)  Papini  und  Fratini  (S.  212)  wissen  Nichts  von  ihnen. 

^)  Schon  Papini  (Notizie  sicure  S.  219)  erwähnt  die  beiden.  Dann  auch  Fratini 
(S.  212).  —  Vergl.  die  Ausgabebücher,  das  eine  1491  — 1495,  das  andere  1472 — 1479. 

^)  Diese  letzte  Jahreszahl  allein  führt  Papini  an. 

^)  Vergl.  Hans  Semper:  Die  farbigen  Glasscheiben  im  Dom  von  Florenz.  Mitth. 
der  k.  k.  Zentralkommission  1872.  XVII.  B.  S.  19  ff.  Er  sagt:  1395,  doch  las 
ich  1394. 


Beschreibung  der  Glasmalereien  in  S.  Francesco  zu  Assisi.  617 

Vergleicht  man  aber  jenes  in  einem  reichen,  vollen  Goldton  gehaltene, 
aus  vielen  kleinen  Stücken  zusammengesetzte  Fenster,  das  nach  Agnolo 
Gaddi's  Zeichnung  gemacht  ist  und  vier  Farben:  ein  besonders  bevor- 
zugtes Goldgelb ,  ein  leuchtendes  Smaragdgrün ,  ein  kräftiges  Roth  und 
tiefes  Blau  zeigt,  mit  den  Fenstern  von  S.  Francesco,  so  wird  man  keine 
Analogieen  finden.  Es  könnte  sich  der  Zeit  nach  höchstens  um  die 
Scheiben  der  Kapelle  Albornoz  oder  Martini  handeln.  Aber  hier  ist  die 
Technik ,  sowie  die  Farbenskala  eine  durchaus  andere.  Es  kann  keine 
Frage  sein,  daß  Antonio  unter  den  Meistern  jener  Zeit  in  Italien  den 
ersten  Rang  einnimmt  —  farbenprächtiger  dürfte  schwerlich  ein  anderes 
Glasgemälde  sein ,  als  das  in  Florenz.  Der  Traktat  nun ,  der  von  aller- 
größter Wichtigkeit  für  die  Geschichte  und  Technik  der  Glasmalerei  ist, 
ist  von  Fratini  in  seinem  Buche  (S.  213)  publiziert  worden,  aber  bisher 
unbeachtet  geblieben,  wie  es  scheint.  ^) 

Bleiben  uns  nach  dem  Allen  die  in  Assisi  beschäftigten  Glasmaler 
noch  in  Dunkel  gehüllt,  so  lohnt  es  doch,  ihre  Arbeiten  kurz  in's  Auge 
zu  lassen.  Ich  beschreibe  sie  nach  der  zeitlichen  Aufeinanderfolge,  die 
sich  bei  eingehendem  Studium  wohl  mit  Sicherheit  festsetzen  läßt. 

1.  Die    ältesten    Fenster    in    der    Unterkirche. 

In  der  kleinen  Kap  eile  neben  dem  Thurme  befindet  sich  ein 
zweigetheiltes  Fenster,  das  auf  der  1.  Hälfte  einen  Apostel  (mit  modernem 
Kopf)  unter  einem  einfachen  gothischen  Baldachin,  darunter  eine  Scheibe 
mit  drei  weißen  Rosetten,  auf  der  rechten  in  fünf  Medaillons  einen  Engel 
mit  Szepter ,  den  segnenden  Christus ,  Paulus  und  zwei  Rosetten ,  sowie 
Einrahmung  von  Flechtwerk  zeigt.  Der  Stil  der  Figuren  ist  noch  nicht 
als  Cimabuesk  zu  bezeichnen,  ganz  alterthümlich ;  so  auch  die  Zusammen- 
setzung aus  lauter  kleinen  Stücken,  das  romanische  Ornament.  Derselben 
Zeit  (II.  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts)  gehört  das  Mittelfenster  der  Jo- 
hanneskapelle an.  Es  zeigt  unter  Aediculen:  Zacharias,  Johannes  den 
Täufer,  den  Verkündungsengel  und  Christus,  außerdem  zweimal  das  Wappen 
der  Orsini. 

2.  Das    südliche    Querschiff  der    Oberkirche. 

Zwei  Fenster.  Das  Fenster  links  enthält  in  Vierpässen  auf  der  linken 
Hälfte  in  sieben  Darstellungen  die  Schöpfungsgeschichte,  auf  der  rechten 
den  Sündenfall,  die  Vertreibung  aus  dem  Paradiese,  die  Arbeit  Adam's 
und  Eva's,  das  Opfer  Kain's  und  Abel's,  den  Brudermord,  die  Verfluchung 
Kain's  und  die  Verhöhnung  Noäh.  —  Im  Fenster  rechts  je  vier  Heilige 
auf  jeder  Hälfte  und  darüber  Maria  mit  Kind.  —  In  der  Zeichnung  der 
schmächtigen  Figürchen  noch  alterthümlicher  als  Cimabue. 


^)  Er  ist  neuerdings  von  Dr.  Robert  Brück  im  Repert.  für  Kunstwissenschaft  mit 
deutscher  Uebersetzung  und  Erläuterungen  herausgegeben  worden. 


6l8  Anhang. 

3.  Der    Chor    der    Oberkirche. 

Das  Fenster  in  der  Mitte  ist  ganz  modern.  Das  links,  zweigetheilt, 
hat  in  jeder  Hälfte  neun  Darstellungen  in  viereckigen  Feldern,  in  der 
linken:  alttestamentarische  Szenen,  unter  denen  ich  die  Himmelfahrt  des 
Elias,  Tobias  mit  dem  Engel,  Jonas  aus  dem  Wallfisch  ausgeworfen,  das 
Opfer  Isaak's  feststellen  konnte,  in  der  rechten  die  Passion:  die  Kreuz- 
tragung,  Christus  am  Kreuz  (modern),  Christus  in  Emmaus  (modern),  die 
Auferstehung,  die  Engel  auf  dem  Grabe,  Noli  me  tangere,  die  Bekehrung 
des  Thomas,  die  Himmelfahrt  und  das  Pfingstfest.  —  Das  Fenster  rechts 
zeigt  auf  der  linken  Hälfte  den  zwölfjährigen  Christus  im  Tempel,  die 
Taufe,  die  Verklärung,  die  Vertreibung  der  Wechsler,  den  Einzug  in 
Jerusalem,  die  Fußwaschung,  das  Abendmahl,  Gethsemane,  und  den  Judas- 
kuß, auf  der  rechten  alttestamentarische  Geschichten,  darunter  Szenen  aus 
David's  und  Abraham's  Leben. 

Die  Darstellungen  sind  im  Stile  Cimabue's  gehalten  und  jedenfalls 
also  zur  Zeit  entstanden,  als  er  seine  Fresken  hier  malte. 

4.  Das    nördliche    Querschiff   der    Oberkirche. 

In  dem  Rundfenster  oben:  Christus  umgeben  von  Engeln,  darunter 
Maria  und  die  12  Apostel.  Das  Fenster  links  hat  keine  figürlichen  Dar- 
stellungen, nur  verschiedenartig  gemusterte  Medaillons.  —  Das  Fenster 
rechts  zeigt  alttestamentarische  Szenen  auf  der  linken  Seite ,  auf  der 
rechten  sechs  Erscheinungen  Christi :  vor  den  zwölf  Jüngern,  in  Emmaus, 
auf  dem  Wege  nach  Emmaus,  vor  Petrus  und  vor  den  zwei  Frauen.  — 
Hier  macht  sich  wie  in  den  vorhergehenden  die  Stilrichtung  Cimabue's 
geltend. 

5.  Das    Längsschiff   der    Oberkirche. 

a.  Die  Fenster  der  linken  Wand  von  der  Vierung  aus  gezählt. 

1.  Fenster.  Oben  sind  Ornamente,  unten  je  eine  Heiligen- 
figur: der  blondbärtige  Jakobus  und  ein  graubärtiger 
Apostel.  —  Vielleicht  nach  Zeichnung  von  Cimabue. 

2.  Links  und  rechts  je  sechs  Szenen  aus  der  Geschichte  der 
Apostel  in  oblongen  Vierpaßmedaillons.  —  Von  derselben 
Hand  wie  das  vorhergehende. 

3.  Je  fünf  Darstellungen  aus  der  Geschichte  der  Apostel.  — 
Von  derselben  Hand. 

4.  Auf  der  linken  Hälfte:  die  Legende  des  Franz  in  sechs 
Bildern:  in  San  Damiano,  Heilung  des  Bartholomäus  von 
Narni,  Vision  Innocenz'  IIL,  Vögelpredigt,  Stigmatisation 
(zwei  Bilder).  Auf  der  rechten  Seite :  sechs  Darstellungen  aus 
dem  Leben  des  h.  Antonius. 


Beschreibung  der  Glasmalereien  in  S.  Francesco  zu  Assisi.  619 

b.  Die  Fenster  der  rechten  Wand. 

1.  Auf  der  linken  Seite:  alterthümliche  Darstellungen  aus  der 
Jugendgeschichte  Christi  (schwer  zu  enträthseln).  Rechts: 
Szenen  aus  dem  XV,  Jahrhundert. 

2.  Sechs  Heilige,  aus  dem  XV.  Jahrhundert,  zum  Theil  modern. 

3.  Stark  restaurirt.  Links:  drei  Engel  und  Christus,  der  Franz 
schwebend  vor  sich  hält.  Rechts:  drei  Engel  und  Maria 
mit  Kind.  In  demselben  Stile  wie  die  an  der  linken  Wand. 

4.  Links  und  rechts  in  je  fünf  Feldern  je  zwei  Heilige  neben 
einander,  Apostel,  Bischöfe  und  Diakonen. 

Wir  haben  hier  also  in  der  Oberkirche  die  Thätigkeit  von  drei  oder 
vier  Malern  anzunehmen.  Die  Fenster  des  Längsschiflfes  scheinen  ab- 
gesehen von  b  I  und  2  von  einem  Künstler  ausgeführt,  der  nach  Vorlagen 
von  den  Schülern  des  Cimabue  gearbeitet  hat.  Er  hat  eine  Vorliebe  für 
etwas  kraftlose,  blasse  Farben,  namentlich  Gelb  und  Grün,  und  erreicht 
lange  nicht  die  malerische  Wirkung  der  Chor-  und  Querschifffenster. 

6.  Die    Kapelle    des    h.   Nikolaus    in    der   Unterkirche. 

1.  Fenster  links.  Auf  der  linken  Seite:  der  h,  Vincentius,  Augu- 
stinus, Victorinus.  Auf  der  rechten:  Franz,  ein  Bischof  und 
Rufinus.     Darüber  Wappen  der  Orsini. 

2.  Mittleres  Fenster.  Links:  Giovanni  Gaetano  Orsini,  von  Franz 
empfohlen,  ein  Bischof  und  Wappen.  Rechts :  Christus,  Nikolaus 
und  Wappen. 

3.  Fenster  rechts.  Links:  Stephanus,  Franz,  Gregorius,  Wappen. 
Rechts:  Laurentius,  Antonius  von  Padua,  Hieronymus,  Wappen. 

Sie  dürften  gleichzeitig  mit  den  Fresken  entstanden  sein,  sind  aber 
alterthümlicher  in  der  Zeichnung. 

7.  Die    Magdalenenkapelle. 

1.  Fenster  links.  Auf  der  linken  Seite:  Christus,  Magdalena, 
Maria  Kleofas,  Maria  Salome.  Rechts :  Maria  mit  Kind,  Maria 
Magdalena  und  zwei  Legendenszenen  derselben. 

2.  Fenster  rechts.  Links:  Noli  me  tangere,  Christus  als  Gärtner 
und  Magdalena,  Christus  erscheint  den  drei  Frauen,  Christus 
segnet  sie.  Rechts:  Christus  zu  Tisch  bei  dem  Pharisäer, 
Auferweckung  des  Lazarus,  Maria  und  Martha  knieen  vor 
Christus,  die  Fußsalbung.  —  Viel  farbenprächtiger  als  die 
vorhergehenden.     Im  Stile  des  frühen  Giotto. 

8.  Die    Kapelle    des  Antonius    von    Padua. 

1.  Fenster  links.     Mit  sechs  Legendenszenen  des  Heiligen. 

2.  Fenster  rechts.     Mit  vier  Legendenszenen. 

Miniaturhaft  feine,  kleine  Gemälde  mit  abgewogenen  Kompositionen 
von  großer  Zierlichkeit,  in  dem  ausgebildeten  freien  Stile  Giotto's. 


620  Anhang. 

9.    Die    Kapelle    des    h.  Ludwig. 

1.  Fenster  links.  Die  Evangelistensymbole  oben.  Links:  Ludwig 
Bischof,  Engel,  König  Ludwig.    Rechts :  Christus,  Engel,  Franz. 

2.  Fenster  rechts.  Links:  Maria  als  Königin,  Engel,  Antonius 
V.  P.  (Kopf  im  XV.  Jahrhundert  restaurirt).  Rechts :  König 
Ludwig,  Engel,  Kardinal  Gentile  (bez.  dominus  Gentilis). 
Unten  sein  Wappen. 

Zweite  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts.  Von  hellem  Gesammteindruck, 
viel  Weiß  und  viel  Gelb  angewandt. 

IG.   Die   Kapelle    der   h.  Katharina. 

1.  Fenster  links.     Sechs  Heilige,  darunter  Antonius. 

2.  Fenster  in  der  Mitte.    Sechs  Heilige,  darunter  Agnes,  Franz, 
Chiara. 

3.  Fenster  rechts.     Sechs  Heilige. 

Das  mittlere  Fenster,  wie  es  scheint,  von  andrer  Hand,  als  die  beiden 
zur  Seite.  Giottesk  im  Stile.  Erste  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts.  Wie 
mir  scheint,  früher  als  die  der  beiden  vorher  erwähnten  Kapellen. 

11.  Die    Kapelle    des   h.  Martin. 

1 .  Fenster  links.    Links :  Gregor,  Franz,  Rufinus.    Rechts :  Martin, 
Nikolaus  und  Stefanus. 

2.  Mittleres  Fenster.     Links:  Christus,  h.  Krieger  und  „Gentilis 
Cardinalis".     Rechts:  Maria,  Petrus,  Martin. 

3.  Fenster    rechts.      Links:    Hieronymus,    Damianus,    Antonius 
V.  Padua.     Rechts:  Paulus,  Martin  und  Laurentius. 

Wohl  nach  Zeichnung  des  Simone  Martini,  die  farbenprächtigsten 
Fenster  der  Unterkirche. 

12.  Einzelnes  in  der  Johanneskapelle.  In  dem  Fenster 
links:  Hieronymus  und  Maria  mit  Kind  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  XV.  Jahrhunderts. 

13.  Längshaus  der  Oberkirche  b.  i.  Auf  der  rechten  Seite  des 
Fensters:  Maria  mit  Kind  unter  Baldachin  und  der  betende 
h.  Onofrius.  —  Fenster  b.  2  ,  unter  den  sechs  Heiligenfiguren : 
Paulus,  ein  Bischof,  Laurentius,  Hieronymus  von  derselben 
Hand,  wie  die  in  b.  i,  und  zwar  offenbar  alle  nach  Zeichnungen 
des  Fiorenzo  di  Lorenzo,  dessen  Typen  und  Eigenthüm- 
lichkeiten  genau  erkennbar  sind. 

Vielleicht  sind  die  unter  1 1  und  1 2  erwähnten  Glasmalereien  des 
Quattrocento  diejenigen,  welche  die  Mönche  nach  Fratini's  Angabe  im 
XVII.  Jahrhundert  aus  den  Domen  von  Foligno  und  Perugia  kauften. 

14.  Einige  moderne  Zuthaten:  in  der  Johanneskapelle  ein 
Johannes  der  Täufer,  in  b.  i  ein  Christus  und  in  b.  2  Petrus 
und  ein  Bischof. 


Die  Kreuzesglorie  in  S.  Francesco  zu  Assisi,  Puccio  Capanna  etc.     62 1 

VI.  Die  Kreuzesglorie  in  S.  Francesco  zu  Assisi,  Puccio  Capanna, 
der  „Meister  der  h.  Chiara"  und  der  Maler  Cola. 
Wir  lassen  hier  die  im  Texte  erwähnte  alte  Beschreibung  des  nicht 
mehr  erhaltenen  Gemäldes ,  das  angeblich  nach  Vasari  Stefano  in  der 
Tribuna  der  Unterkirche  gemalt,  folgen.  Sie  befindet  sich  in  jenem 
Manuskript  des  Archives  zu  Assisi,  das  wir  als  „alte  Beschreibung"  zitirt 
haben  und  welches  die  Arbeit  eines  Lodovico  da  Castello  und  des 
Adone  Doni  kompilirte,  also  Angaben  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
XVI.  Jahrhunderts  bringt.  Darin  steht  Folgendes  zu  lesen:  „Nella  cup- 
pola  o  nicchio  overo  Tribuna  sopra  il  Choro  gli  6  un  principio  di  pit- 
tura:  su  nel  colmo  in  messo  gli  ^  un  Crocifisso  con  ale  due,  sopra  la 
testa  del  quäle  sono  tre  circoli  finiti  in  un  campo  tan^  chiaro,  con 
l'ombra  dal  messo  in  su,  b  quasi  tondo  come  un  mappamondo,  li  detti 
circoli  sono  a  foggia  d'Astrolabio  commessi  l'uno  nell'  altro;  ma  quello 
nel  messo  b  d'oro  con  17  pietre  pretiose  ornato;  gli  altri  due  sono  di 
colore  di  tan^  oscuro,  et  ciascun  circolo  dalle  bände  ha  due  ale  pic- 
cole  di  color  di  mocerchio  (?);  gli  sono  ancora  lettere;  nel  messo  delli 
due  circoli :  I.  N.  R.  I.,  dentro  a  quel  d'oro  gli  b  scritto  :  vi  :  ta  :  .  Di 
fuora  a  quel  d'oro  che  viene  ad  avere  dentro  alli  due  A  et  (|)  overo  Tf^. 
A'  piedi  del  detto  crocifisso  c'un  tondo  a  foggia  d'un  raondo,  in  messo 
del  quäle  b  un  Regno  de  similitudine  d'un  coperchio  di  toribula,  sono 
due  Angeli  distesi  \  dimostrano  con  le  mani  teuere  il  detto  tondo  solo 
con  una  mano  per  uno,  tengono  il  detto  tondo  uno  di  qua  e  di  lä; 
sotto  gli  b  un  S.  Francesco  con  le  braccia  et  manto  largo  al  filo  della 
centura  si  dal  lato  destro ,  come  dal  sinistro ;  per  ciascuna  parte  sono 
circa  40  busti  cio6  teste  de  frati,  suore,  huomini,  femine,  molti  huo- 
mini  monachi.  A  man  destra  gli  b  un  Vescovo,  cio6  il  quarto  o  quinto 
ma  assai  giovane  et  tutte  con  le  diademe,  ma  un  frate  a  man  sinistra 
con  la  Diadema  al  paro  del  Vescovo  incontro  sopra  la  mano  o  braccio 
destro  par  che  venghi  dal  cielo  col  capo  in  giü  quasi,  in  mano  destra 
ha  un  callice  come  coppa;  poi  un  altro  par  che  tenga  una  corona  da 
Re,  uno  altro  pare  che  scriva  con  la  penna  in  mano.  Poi  un  tondo 
senza  niente  nel  fregio.  Dali'  altro  canto  sinistro  nel  medesimo  modo 
ed  a  un  filo  gli  t  un  angelo  che  nella  mann  destra  tiene  una  chiesa  e 
nella  sinistra  un  tondo ,  come  un  specchio  come  un  volto  santo ;  l'altro 
un  Panigello ;  l'altro  una  sedia.  Poi  un  tondo  nel  fregio  con  la  figura  a 
sedere  in  nuvola  la  mano  sinistra  sopra  del  genochio  sinistro,  porge  la 
mano  col  pugno  over  braccio.  Nel  fregio  che  fa  omamento  atorno  sono 
nel  partimento  messi  Angeli  in  foggia  di  cherubini  circa  6,  tre  per  banda, 
e  tutti  tengono  variate  sorti  de  chiese  nelle  mani  avanti  il  petto,  et 
ancora  nelle  spalle  sono  6  ale.  Nel  volto  sotto  il  cordone  nel  fregio 
che   fa   omamento   atorno   sono  nel  partimento  messe  figure;    quadri  per 


622  Anhang. 

traverso  sono  quattro  per  lato :  dal  settentrione  un  vecchio  con  le  ale, 
un  libro  et  specchio;  piü  a  basso  un  giovane  con  le  bilancie;  sotto  un 
vecchio  annato;  sotto  et  ultimo  un  giovane  che  meschia  aqua.  Verso  il 
mezzo  giorno :  un  vecchio  con  specchio  e  libro  in  mano ;  poi  piü  a 
basso  un  giovane  con  le  forche;  piü  a  basso  una  donna  un  torre  in 
capo,  piü  a  basso  et  ultimo  una  donna  con  due  ampolle  in  mano. 

Questa  opera  della  Tribuna  alcuni  dicono  non  esser  di  mano  di 
Jotto,  ma  piü  presto  de  Puccio  Capanna  d'Assisi,  quäl  fu  poco  dopo 
Jotto.  Gli  ornamenti  de  Jotto  esser  questi  medesimi ,  h  ben  vero ,  che 
queste  teste  sono  molto  megliore  de  le  altre  che  fece  Jotto.  Perö  si 
va  dubitando  che  sieno  sue  et  non  de  Puccio ;  perch^  Puccio  Capanna 
par  che  venisse  poco  dopo  Jotto ,  il  che  si  dimostra  che  vivesse  poco, 
il  dimostra  per  le  poche  opere  che  si  vedono  di  lui,  le  opere  son 
queste.  Un  quadro  assai  grande  quäle  e  sopra  la  grate  della  chiesa  di 
S'*-  Chiara  dove  stanno  a  vedere  la  messa  le  suore ,  dove  gli  h  una 
historia  d'un  miracolo  che  S**-  Chiara  resuscita  un  Putto ,  dove  gli  sono 
assai  figure  d'ogni  sorte,  cioe  donne,  huomini,  frati,  Preti;  tra  l'altre  vi 
sono  certe  donne  con  vestimenti  di  quel  tempo  bellissimi  et  le  teste  si 
vedono  bene  over  tutti  ritratti  dal  vero  et  ben  fatti,  et  quell'  oppenione 
ha  m.  Dono  d'Assisi  che  sia  molto  meglior  di  Jotto  et  d'ognun  di 
quel  tempo;  nella  detta  opera  gli  sono  ancora  certe  teste  in  scurto 
molto  belle  et  fra  l'altre  gli  b  un  Prete  con  le  mani  gionte  in  sutto 
scurto,  che  in  effetto  dimostra  esser  l'autore  di  grande  ingegno  et  arte; 
et  di  piü  in  su  fatti  li  casamenti  et  una  chiesa  molto  contrafatta  in 
prospettiva,  le  quäl  prospettive  sono  si  ben  fatte  et  tirate,  che  a  questi 
tempi  si  crede  non  si  potria  meglioriare  molto.  M'"-  Dono  d'Assisi  b 
d'oppenione  che  costui  havesse  la  vera  via  della  prospettiva,  perch^  gli 
altri  hano  usato  tal  arte  ben  sono  stati  dopo  lui  molto  tempo.  Questo 
quadro  b  molto  bello  in  vero  et  non  b  finito:  vi  sono  in  un  cantone 
quattro  figure  che  sole  hano  le  teste,  che  b  tagliata  la  calcina  et  non 
sono  mai  State  finite  come  ancora  stä.  Vi  sono  ancora  delle  opere  di 
questo  Puccio  in  una  facciata  d'un  portone  cio6 :  sopra  d'ogni  canto  siede 
depinta  la  madona  con  il  figliol  in  braccio,  da  man  destra  S.  Francesco 
e  da  man  sinistra  s'*-  Chiara,  ancora  si  mantengono  bene.  Quel  s.  Fran- 
cesco ha  una  bella  testa.  Questo  Portone  e  fra  San  Roffino  et  santa 
Chiara  a  messo  viaggio  nella  Strada.  Ancora  in  una  facciata  d'una  casa, 
quäle  b  nella  strada  per  andare  da  S.  Francesco  a  la  Piazza;  fra  le  due 
fontane  a  man  sinistra  nella  strada  detta  Portica  gli  ä  nella  facciata  una 
fenestra  della  casa  della  fraternitä  di  S.  Gregorio  dove  a  man  destra  gli 
b  un  Christo  alla  colona  che  '1  flagellano;  sopra  un  altro  quadro  con 
un  crocefisso  da  man  sinistra  gli  ä  una  madona  a  sedere  con  il  figliol 
in  braccio,  il  quäl  putto  ha  una  testa  che  par  vivo  e  che  non  li  manca 


Die  Kreuzesglorie  in  S.  Francesco  zu  Assisi,  Puccio  Capanna  etc.     623 

senon  il  parlare,  tanto  ä  ben  fatto;  dalla  man  destra  della  madona  una 
Santa  chaterina  e  dalla  sinistra  una  santa  Chiara." 

Was  diese  Nachrichten  über  Capanna  betrifft,  so  sind  sie  nicht  dem 
Vasari  entnommen,  sondern  Dieser  scheint,  wie  Dono  von  Assisi,  eine 
lokale  Tradition  mitzutheilen.  Vasari  nämlich  (I,  404)  erwähnt  unter  den 
vielen  Werken,  die  er  Capanna  zuertheilt,  auch  diesen  Christus  an  der 
Säule  und  die  Maria  zwischen  Katharina  und  Chiara  in  der  Strada  Portica, 
weiß  aber  Nichts  davon,  daß  Capanna  auch  das  Fresko  in  S.  Francesco 
gemalt,  welches  er  vielmehr  dem  Stefano  Fiorentino  zuertheilt,  auch  nicht, 
daß  er  in  S.  Chiara  gearbeitet.  Jenes  Fresko,  welches  die  Erweckung 
eines  Knaben  darstellte,  theilt  er  vielmehr  seinem  Giottino  zu  (I,  S.  627), 
erwähnt  seinerseits  auch  die  Schönheit  der  Frauen,  den  zierlichen  Kopf- 
putz und  das  Zeitkostüm.  Ob  er  mit  der  „Madorma  zwischen  Franz  und 
einem  Heiligen",  die  er  an  dem  zum  Dom  führenden  Stadtthor  anführt 
und  gleichfalls  Giottino  giebt,  dasselbe  Bild  meint,  was  unsere  Alte  Be- 
schreibung dem  Capanna  giebt  (Maria  zwischen  Franz  und  Chiara),  kann 
zweifelhaft  bleiben. 

Der  Künstler  Puccio  Capanna,  der,  wie  Vasari  selbst  will,  in  Assisi 
gelebt  und  eines  frühen  Todes  gestorben  ist,  ist  uns  noch  ganz  in  Nebel 
gehüllt.  Vasari  giebt  ihm  stilistisch  durchaus  verschiedene  Werke  — 
auf  seine  Angaben  ist  nicht  der  mindeste  Verlaß.  Aber  auch  die  An- 
gaben der  Alten  Beschreibung  helfen  uns  nicht  viel  weiter,  da  sie  offen- 
bar ganz  willkürlich  jene  Werke  dem  Künstler  zuschreibt.  In  S.  Chiara 
ist  das  Wunder  der  Heiligen  nicht  mehr  sichtbar;  über  dem  Gitter  im 
rechten  Querschiff  sind  nur  wenige  Reste  von  zwei  Fresken  erhalten. 
Darunter  aber  befindet  sich,  zwar  auch  sehr  zerstört,  aber  doch  noch 
einigermaßen  zu  erkennen  und  zu  beurtheilen  in  fresco:  „Der  Tod  der 
Chiara".  Was  die  Alte  Beschreibung  vom  ,Wunder'  sagt,  namentlich  be- 
treffs der  Gebäude,  paßt  wohl  auch  auf  dieses  Bild,  und  wir  dürfen  an- 
nehmen, daß  es  von  demselben  Meister  herrührt.  Dieser  aber  muß 
hiernach  offenbar  in  früher  Zeit  bei  Giotto  gelernt  haben ,  da  er  ganz 
in  Dessen  ältester  Manier  weiter  arbeitet.  Er  hat  ziemlich  derbe,  läng- 
liche Köpfe  mit  auffallend  großen  Ohren,  röthlich  blondem  Haar,  eine 
große  Vorliebe  für  Architektur  und  eine  der  Franzlegende  in  der  Ober- 
kirche entsprechende,  etwas  überfüllte  Kompositionsart.  Zweifellos  hat 
derselbe  Künstler,  den  ich  kurz  den  ,Meister  der  h.  Chiara'  nennen  will, 
auch  die  Gewölbe  der  Vierung  in  derselben  Kirche  ausgeführt,  und 
es  muß  bloß  verwundern,  daß  weder  die  Alte  Beschreibung  noch  Vasari 
dieselben  erwähnen.  Auf  den  vier  Feldern  ist  die  Verehrung  von  je  zwei 
weiblichen  Heiligen,  die  unter  Baldachinen,  von  Engeln  umgeben,  stehen, 
dargestellt.  Es  sind:  Maria  mit  dem  Kinde  und  Chiara,  Caecilia  und 
Lucia,  Agnes  und  die  h.  Klarissin  Agnes,  Katharina  und  Margareta.    Hier 


624  Anhang. 

kann  man  den  Einfluß  von  Giotto's  AUegorieen  nicht  wohl  verkennen.  — 
Nach  allen  Merkmalen  des  Stiles  ist  der  Künstler  auch  der  Verfertiger 
eines  kleinen  Triptychons  in  der  Kapelle  der  h.  Agnes  derselben  Kirche, 
welches  auf  dem  Mittelbilde  den  Crucifixus  zwischen  Maria  und  Johannes 
und  einen  knieenden  Kardinal,  auf  dem  linken  Flügel  die  h.  Chiara  und 
eine  knieende  Nonne,  auf  dem  rechten  einen  h.  Bischof  und  die  h.  Agnes 
zeigt.  Hier  kehren  ganz  dieselben  charakteristischen  Typen  wieder.  — 
Dasselbe  muß  nun  aber  ferner  auch  von  jenem  in  der  Alten  Beschreibung 
erwähnten  Fresko  der  „Maria  mit  Kind  zwischen  Franz  und  Chiara"  ge- 
sagt werden,  das  heute  noch  über  dem  Portal  der  jetzigen  Confraternitä 
di  San  Crispino  (Straße  zwischen  S.  Chiara  und  S.  Maria  nuova)  sich  be- 
findet.^) Die  Madonna  an  der  Fassade  der  Kirche  des  h.  Gregor  da- 
gegen ist  aus  dem  XV.  Jahrhundert. 

Wir  können  also  diesem  ,Meister  der  h.  Chiara'  einige  Werke  mit 
Bestimmtheit  zuschreiben  und  ihn  als  einen  lokalen  mittelmäßigen  Schüler 
Giotto's  kennzeichnen.  Ihm  sehr  nahe  verwandt,  aber  wohl  etwas  später 
ist  ein  anderer  lokaler  Maler,  dessen  Namen  uns  unter  einem  Fresko  an 
einem  Portal  neben  der  alten  Kirche  S.  Lorenzo  (auf  dem  Wege  zur 
Burg  über  der  Stadt)  erhalten  ist.  Dort  findet  sich  die  Bezeichnung 
„Chola  pictor".  Es  ist  eine  Madonna  zwischen  Lorenzo  und  Franz,  die 
so  viele  Beziehungen  zu  den  vorhergenannten  Bildern  hat,  daß  ich  lange 
schwankend  war,  ob  sie  nicht  von  demselben  Maler,  nur  aus  späterer 
Zeit,  herrühre.  Indessen  ist  das  doch  mindestens  zweifelhaft.  Diesem 
Cola  gebe  ich  außerdem  die  Seitenbilder  zu  einem  „Christus  am  Kreuz"  in 
der  Compagnia  S.  Rufino,  darstellend  die  Geißelung  und  Beweinung 
Christi.  Das  Hauptbild:  „der  Crucifixus  von  Maria,  Johannes,  Magdalena 
Und  Franz  beklagt"  ist  ein  sehr  ausgezeichnetes  Florentiner  Bild,  das  mir 
von  Giottino,  der,  wie  wir  gesehen  haben,  ja  vermuthlich  in  Assisi  thätig 
war,  zu  sein  scheint.  —  Die  Krönung  Maria  ebendaselbst  über  dem 
Portal  ist  eine  Nachahmung  Giottino's,  schwerlich  von  Cola.  Diesem 
aber  ist  schließlich  mit  Wahrscheinlichkeit  noch  das  große  Fresko  in  der 
Confraternitä  delle  Stigmate  zu  geben:  Christus  am  Kreuz,  links  Maria 
von  zwei  Frauen  gehalten,  Antonius  von  Padua  und  ein  knieender  Bruder, 
rechts  Johannes,  Franz  und  ein  Heiliger. 

Entweder  also  ist  der  ,Meister  der  h.  Chiara'  derselbe  wie  Cola,  nur 
in  jüngeren  Jahren ,  oder  Cola  ist  ein  in  nahen  Beziehungen  zu  ihm 
stehender  Maler,  vielleicht  sein  Schüler  gewesen. 

Die  sonstigen  Freskenreste  und  Bilder  aus  dem  XIV.  Jahrhundert 
in  Assisi  (Municipio  und  an  verschiedenen  Häusern  der  Stadt,  auch  in 
S.  Pietro  etc.)  sind  ganz  untergeordneter  Art. 

^)  In  der  Leibung  außerdem  ein  h.  Blasius  und  eine  zerstörte  Figur.  Daneben 
Reste  eines  h.  Christoph. 


INDEX 


(Die    Künstlernamen    sind    gesperrt    gedruckt.      M.  =  Maler.     B.  =   Bildhauer.     A.  =   Architekt. 

K.  =  Kupferstecher.     Gl.  =  Glasmaler.     Gg.  =  Glockengießer.    I.  =  Intarsiator.    Gs.  =  Goldschmied. 

Hs.  =  Holzschnitzer.    Arch.  ^  Architektur.) 


A. 
Abälard  XVIII. 
Acerenza:  Dom,  Arch.  363. 
Acciacca  ferro,       Pier      Ant.      und 

Franc.  Hs.  303. 
Adam  von  S.  Victor  546. 
Adone  Doni,  M.   106.  205.  291.  303. 
Adrian,  der  h.,  Darst.  272. 
Aegidius,  Fr.   17.   536.  580. 
Agnes,  h.,  Darst.  272.  620.  624. 
Agnes  Sciffi  31. 
Agnolo,  Fr.  43. 

Agnolo  da  Siena,  A.  275.  338. 
Agnolo  di  Gabriello,  A.  2II. 
Agostino  da  Bergamo,  A.  356. 
Agostino  da  Siena,  A.  338. 
Agostino  di  Duccio,  B.  89.  95. 
Aladil  36. 

Albert  von  Verona,  B.   346. 
Alberti,  L.  B.,  A.  341.  384. 
Albertinelli,  Mariotto,  M.  95. 
Albertinus  von  Verona  40. 
Albertus  von  Cremona  406. 
Albertus  de  Pinalto,  A.  355. 
Alberus,  Erasmus   170.   584. 
Albigenser,  die  34,  431. 
Albomoz,  Egiditis,  Kardinal  209.  299. 
Alegretto  Nuzi,  M.   154. 
Alessandro,  Gs.  211. 
Alessi,  Galeazzo,  A.  213.  322. 
Alexander  III.,  Papst,  XVI. 
Alexander  IV.,    Papst,    43.    84.    202.    208. 

325-  329.  355-   399.  409. 
Alexander,  Bischof  h.,  Darst.  239. 
Alexander  von  Haies  408.  409.  413. 
Thode,  Franz  von  Assisi. 


Alexis,  der  h.  5. 

Alighieri,  Dante,  s.  Dante. 

Alighieri,  Jacopo  di  Dante  564. 

Alighieri,  Pietro  di  Dante  564. 

Alkameel  36. 

Allegorieen,  Darst.:  Avaritia  525.  540. 

Baum  des  Lebens  95.  546 — 553. 

Caritas  498.   521.  525. 

Fides  498.   540. 

Fortitudo  532. 

Franziskanergelübde:  Armuth  521 — 532. 
Gehorsam  535 — 535.  Keuschheit 
532—535. 

Franziskanertugenden  und  Franz  537. 

Himiilitas  535. 

Immunditia  533. 

Invidia  525. 

Ira  540. 

Kreuzesallegorieen  287.   543  ff.  621. 

Luxuria  533. 

Munditia  532. 

Penitentia  533. 

Prudentia  535. 

Spes  498.  521.   540. 

Superbia  179.  525    537.  540. 

Tod  533.  554—565- 

Todtentanz  564. 

Tugenden  und  Laster  519. 

Vanitas   180. 

Vergänglichkeit  533.  557 ff. 

Voluptas  179.  540. 
Allori,  Alessandro,  M.  91. 
Altamura:   S.  Maria,  Arch.   319. 
Altichieri,  M.  485.   509.   559. 
40 


626 


Index. 


Alttestamentarische  Darst.    241 — 244.    617. 

618. 
Alunno,  Niccolo,  M.  93.  95.  174.  291. 

301.  517. 
Alvernia,   Kirchen   und  Kloster    105.    315. 

325  ff. 
Ambrogio,  A.  212. 
Amor,  Darst.  533. 
Ancona,  S.  Francesco,  Arch.  381. 
Andrea,  A.  210.  211. 
Andrea  Brescianino,  M.  538. 
Andrea,  l'Ingegno,  M.  291. 
Andreas  Pisanus,  Gg.  330. 
Andreas  von  Ungarn  36. 
Andriolo  ,  A.   356. 
Angelo,  Fr.   579. 
Angelo  da  Camerino,  Fr.  450. 
Angelus  de  Cingulo  400. 
Angelus  deCivitä  vecchia.  Gg.  330. 
Angelus  domine  Pichre  4. 
Angioletto  da  Gubbio,  Gl.  291.  299. 

616. 
Anguie,  Familie  der  370. 
Anguillara,  Ridolfo  dell'    382. 
Annibaldi,  Riccardo  204. 
Antelami,  B.  489. 
Antike,  die  63.   5  70  f. 
Antonello  da  Messina,  M.  494. 
Antonio  da  Pisa,  Gl.  616. 
Antonio  dell'  Alvernia,  Gl.  616. 
Antonio  di  Jacopo,  A.  381. 
Antonio  di  Vincenzo,  A.  354.  359. 
Antonio  Lombardo,   A.  212. 
Antonius,   Eremita  h.,    Darst.   95.  99.   301. 

302.  327.  Leg.  301.   518. 
Antonius  von  Padua,  h.  64:  355.  392.  401. 

408.   418  f.    Darst.    73.    82.    88.    143. 

177.    248.    272.    283.    291.    293.  294. 

298.    327.   483.    514-    537.    552.  559. 

619.     Leg.  619. 
Antonius  der  Pilger  407. 
Antwerpen:  Gallerie  489. 
Apokalyptische  Darst.  97  ff.  228 — 231.  518. 

541. 
Apollonio    da    Ripatransone,    Hs. 

302. 
Apostel,  Darst.  225.  271.  272.  618. 
Apostoliker,  die  399. 
Aquasparta,  S.  Francesco,  Arch.  333. 
Aquila :  S.  Chiara  95. 
Arbona:  S.  Maria  di,  Arch.   358. 
Arcevia:  S.  Francesco,  Arch.   381, 


Architektur  62.  65.   305 — 387. 
Architekturvorschriften  der  Franz.   3 10  f. 
Ardetb,  Conte  202. 
Arezzo:  Dom  94.   510.    Arch.  350.   380. 

Pieve  481.  508.  512. 

Pinakothek   79.   503.   506. 

S.  Bemardo  510. 

S.  Francesco  80.  94.  126.  175.  177.  480. 
518.    Arch.   332. 

S.  Maria  della  Misericordia  516. 

Vescovado  94. 
Aristoteles   56. 
Arnold  von  Brescia  XVIII. 
Arnolfo  di  Cambio,  A.   184.  204.  205. 

279-  339-  340. 
Ascoli:  S.  Francesco,  Arch.  381. 
Assisi :   Carceri,  Kloster  323. 

Dom    195.  318. 

Hausfresko   175. 

Minervatempel   117.   187. 

Palazzo  publico   117. 

Rivotorto,  Kirche   27.  324. 

S.  Chiara  120.   193.  236.  289.  481.  503. 
Fresken  289.  623.    Arch.  329. 

S.  Crispino,  Confratemita  624. 

S.  Damiano   10.   12.  31.  120.  150.    Arch. 

315  f. 
S.  Francesco,  AUgem.    130.    184  ff. 
Unterkirche,  Arch.    190 — 194. 
Vorhalle  21 2. 
Südportal  194. 
Thüren  213. 

Tribuna  287.   303.    544  ff-  621  f. 
Chorgestühl  302. 
Grabkapelle  214. 

Südliches  Querschiff.     Kap.     S.  Se- 
bastian 213.   303. 

Wandmalereien  303. 

Fresko  XV.  Jahrh.   301. 

Grabmal  Specchio  298. 

Grabmal  des  Joh.  v.  Brienne  205. 
297. 

Kap.  Antonius  Eremita  301. 

Kap.  Katharina  299  f.   620. 
Mittelschiff.     Franzlegende    77.    105. 
109  ff.    146.   182  f.  2 16  f. 

Passion  Christi  217  f.  477. 

Kanzel  208. 

Fresko  über  Kanzel  287.   515. 

Kap.  h.  Martin  219  ff.  620, 

Thurmkapelle  617. 

Kapelle  h.  Ludwig  209.  303.  620. 


Index. 


627 


Assisi :  S.  Francesco,  Mittelschiff. 

Kap.  h.  Antonius  von  Padua  290. 

619. 
Kap.  h.  Valentinus  290. 
Kap.  h.  Magdalena  282 — 287.  619. 
Nördliches  Querschiff.  Giotto :  AUe- 
gorieen  275.  286.  521 — 539. 
542  f. 
Altar  208. 
Tabernakel  213. 
Cimabue,  Madonna  81.  235  f.  und 

öfters. 
Giotto :    Jugendgeschichte    Christi 
276 — 281.     462.     464.     469. 
470.  471- 
Simone    Martini :    Maria ,    Heilige 

294. 
Lippo  Memmi :  Mönche  294. 
Giotto :    zwei  Wunder   des   Franz 

164 — 166. 
Giotto:  Allegorie  des  Todes  558 f. 
P.     Lorenzetti ,     Schule :    Passion 

Christi   148.    150.   294  ff. 
Spagna:  Tafelbild  291. 
Kap.  h.  Nikolaus  268 — 275.  281. 

619. 
Kap.  h.  Johannes  d.  T.  268.  620. 
Sakristei,  Kruzifix  78.  Franzporträt 
76,  105  ff.  216.  Schränke  303. 
Neue  Sakristei  210. 
Oberkirche.     Architektur   194 — 196. 
Fassade   195. 
Portal   195. 
Dach  212. 

Längshaus.    Fresken  aus  A.  und  N. 
Testament  240 — 251.   472  und 
öfters. 
Franzlegende  1 1 4 — 163.254 — 267. 
Giotto:  Maria  und  Kind  505. 
Deckengemälde  81. 
Glasfenster    105.    146.    212.   554. 

618  f.  620. 
Kanzel  289.  298. 
Querschiff  und   Chor.     Fresken    96. 
220 — 236   und  öfters. 
Päpstlicher  Thron  208. 
Giunta:  Kruzifix  94.  199.  216.  480. 
Glasfenster  6 1 7  f. 
Chorgestühl  302. 
Arkaden  vor  der  Kirche  212. 
Campanile   196.  200. 
Caniposanto   194.  212, 


Assisi :  S.  Francesco. 

Kapelle  S.  Bemhardin  213. 
Kloster    208  ff.      Substruktionen    208. 
Alter  Hof  209.    Grosser  Hof  206. 

209.  303.  Franzlegende  303. 
Treppenanlage  213.  Dormitorium 
211.  Fremdengebäude  213.  In- 
fermeria    209.  210.     Refektorium 

210.  541.  Kleines  Refektorium 
289.  294.  303.  Palestra  283. 
Sixtus  IV.  Statue  210. 

S.  Giorgio   117.   197.  329. 

S.  Gregorio  624. 

S.  Lorenzo  624. 

S.  Maria  degli  Angeli  91.  480.  Arch. 
320 — 323.  Porziuncula  12.  16.  38. 
45.  156.  175.  Arch.  170  ff.  320 f. 
Rosenkapelle  175  ff.  Franzporträt  77. 

S.  Pietro  22.    193.    Arch.   3I7ff. 

S.  Rufino,  Compagnia  624. 

S.  Stigmata,  Confratemitä  delle  624. 
Augustiner,  die  34. 
Augustinus  437.    Darst.  285.  619. 
Avanzi,  Jacopo  degli,  M.  494. 
Avanzo,  M.   559. 
Ave  Maria-Läuten  500. 
Aversa :  Dom,  Arch.  363. 


Bach,  Joh.  Seb.,  Mus.   572. 

Baco  von  Veriilam  397. 

Bacon,  Roger  56.  410.  411. 

Baldovinetti,  Alessio,  M.  510. 

Balducci,  Matteo,  M.  94. 

Bari:  S.  Niccolö,  Arch.  343. 

Barna,   M.  94.  515. 

Barnaba  da  Modena,  M.  509.  515. 

Barsegape,  Pietro  da  440  f.  485. 

Bartholomäus    Pisanus,    Fr.    200,    396.  583 

und  passim.     Darst.   553.   554. 
Bartholomäus  Tridentinus    178. 
Bartolini  Ploti  da  Novara,    A.  379. 
Bartolo  di  maestro  Fredi,  M.   510. 
Bartolommeo,  Fra,  M.  95.   181. 
Bartolommeo  da  Pian  Castagnajo, 

Gl.  616. 
Bartolommeo  da  Ponte,  A.  356. 
Basaiti,  Marco,  M.  88.  93. 
Basilisk,  Darst.  208. 
Bassano,  die  M.  von  91. 
Bassi,  Matteo  de',  Kapuz.  85.  400. 
40* 


628 


Index. 


Bastian!,  Lazzaro,  M.  96. 
BattifoUe,  Simone,  Conte  di  326. 
Beaumont,  El.  Comtesse  de    5. 
Bela  IV.  von  Ungarn  402. 
Belli,  Pasquale,  A.  214. 
Bellini,  Giovanni,  M.   150.   508. 
Bellini,  Jacopo,  M.   150. 
Benaglio,  Girolamo,  M.  88. 
Benedetto    da   Majano,    B.    89.    104. 

106,  124.  126.  133.  150.  153.  168. 
Benedetto  da  Rovezzano,  B.  556. 
Benedict,    der  h.    71.   92.    102.    171.    248. 

275-  321.  394. 
Benedict  XI,,  Papst  372. 
Benedict  XII.,  Papst  398. 
Benedicta,  Klarissin  237. 
Benedictus,  Maurer  355. 
Benedictus  von  Arezzo,  Fr.   170. 
Benozzo  Gozzoli,  M.  90.  95.  104.  106. 

117.    118.    119.    122.    125.    130.   133. 

142.   153.   169,    180.   181.  274. 
Bergamo:  Akademie  88.   510. 
Bischöfl.  Palais   106. 
S.  Francesco  76.  Arch.   314. 
S.  Spirito   150. 

Berlin:  Gemäldegallerie  88.  93.  94.  95.  134. 
165.    180.    465.   469.    472.   480.   505. 

509.  515-   541. 
Kupferstichkabinet   180. 
Skulpturensammlung   124. 
Berlinghieri  von  Lucca,  M.  74.  77.  80. 

104,   105.   146.  480.  484.  510. 
Berlinghieri,  Graziadio  Bischof  334. 
Bernardino  von  Perugia,  M.  95. 
Bemardino  von  Siena,  h.  97.'  174.  322.  323. 

324.  516.    Darst.   177.  213.  517. 
Bernardo  da  Bessa,  Fr.  583.   592  ff. 
Bernardo  di  Lorenzo,  A.  211. 
Bernhard  von  Clairvaux   XVIII.    308.    309. 

364.   382.  415.  453.   501.   556.   560. 
Bernhard  von  Quintavalle,  Fr.    14.    15.   76. 
Bernhard  von  Ventadour  430. 
Berthold   von   Regensburg,    Fr.    415.    417. 

419—430.  435-  453.  498    500.  507. 
Bertini,  Gl.  616. 
Bibbiena:  S.  Lorenzo   150. 
Bicci,  Lorenzo  dei,  M.  126.  168.  527. 
Bistocchi,  Galeotto  di  316. 
Blasco,  Grafen  von  302. 
Blasius,  der  h.,  Darst.  624, 
Boccaccio  274.   570. 


Boldrini,  N.,  Holzschneider   149.   150. 
Bologna:  Akademie  91.  93.   95   (3).  494. 
CoUegio  di  Spagna  509. 
S.  Domenico  94.   Arch.  355.   506. 
S    Francesco    106.    124.    126.   131.   133. 
141.   150.  154.  160.  515.  Arch.  312. 
313.  314.  344.  351  ff. 
S.  Giacomo  maggiore,  515.  564.  Arch.  359. 
S.  Giovanni  in  monte  92. 
S.  Maria  dei  Servi  237.  359.  503. 
S.  Martino  maggiore.  Arch.  350.  359. 
S.  Petronio  88.  515.   553.  Arch.  359 f. 
S.  Salvatore  515. 
S.  Stefano  95. 
Bonaventura,  Fr.  28.  53.  64.  98.  310.  323. 
326.    338.    395.  409.  410.  4i3f-  418. 
433.    446.    453.   455-    485.    500.  529. 
539-   548.  579  ff-   587—609  u.  passim. 
Darst.   177.  483.  541.  547-   552- 
Boncompagnus,  Magister  405. 
Bonfario,    Baldo   Piombino    und  Gattin  Si- 
billa  357. 

Bonifaz  VIII.  443.  485. 
Bonifazio  Veronese,  M.  93  (3.) 
Bonino  von  Assisi,  Gl.  299.  616. 
Bonvesin  della  Riva,  Fr.  439  f. 
Borgognone,  Ambrogio,  M.  150.  563. 
Borgo  San  Sepolcro :  S.  Agostino  517. 

S.  Chiara  94. 
Botticelli,  Sandro,  M.  89.90.  Schule 

95.   180. 
Bourlemont,  Familie  4. 
Bramante,  A.    384. 
Brescia:  S.  Domenico,  Arch.  349. 

S.  Francesco  82.  96.  Arch.  349  f. 

S.  Maria  dei  Carmine,  Arch.  349. 

S.  Nazaro  91. 
Brescianino,  Andrea,  M.   538. 
Brienne,  Johann  von  36.  297  f. 
Brienne,  Walther  von  7,  8. 
Britti,  die  (Sekte)  399. 
Brizi,  Giuseppe,  A.   214. 
Brüssel:  Gallerie   189. 
Brunetto  Latini  561. 
Brunellesco,  A.  335.  340.  383.   569. 
Buddha  49. 
Buddhaismus  402. 

Buffalmacco,  M.  282.   291.  299. 
Buonfigli,  M.   517. 
Buonfiglio,  Rudolf  von  Siena  337. 
Busati,  Andrea,  M.    88.   95. 


Index. 


629 


C. 

Cadenet,  Troubadour  430. 

Caecilie,  h.,  Darst.  240.  623. 

Caesarener,  die  393. 

Caesarius  von  Speier  37.   38.  393. 

Cagli:  S.  Francesco   163. 

Calvi,  Niccolo  202.  329. 

Campello,  s.  Filippo  da. 

Campolongo,  Bart.   357. 

Capanna,  Puccio,  M.    105.    115.   171. 

174.  282.  287.    291.    294.    540.    545. 

621   ff. 
Capella,  Johannes  de,  Fr.   17.  37.  289. 
Capua:  S.  Angelo  in  Formis  497. 
Carattoli,  Pietro,  A.  330. 
Cärdi,      Lodovico     de    Cigoli,    M. 

91-  93- 
Cardinius,  Johannes  u.  Antonius  335. 
Carmeliter,  die  306. 
Caroto,  Giovanni,  M.  475. 
Carracci,  Lodovico,  M.  91.  93. 
Casamari  bei  Veroli,  Arch.  367. 
Cascia,  S.  Francesco,  Arch.  331. 
Castagno,  Andrea,  M.  90.    Richtung 

94-  95- 
Castelbarco,  Guglielmo  333.  371. 
Castel  Fiorentino  538. 
Castelfranco  :  Collegiata  9 1 . 
Castiglione   d'Olona:    Collegiatkirche    465. 

Arch.  350. 
Castiglione   Fiorentino :    S.   Francesco    79. 

149  (2).  480.  508.  S.  Giuliano  481, 
Catena,  Vincenzo,  M.  541. 
Cattaneo,  Pietro,  Fr.   14.  36.  37.  38.  322. 
Cavalcanti,  Guido  432.  455.  528.  564. 
Cavalcanti,  Andrea  di  Lazzaro  di 

Buggiano,  A.  335. 
Cavallini,  Pietro,    M.   105.  251.  295. 
Ceccolo  di  Giovanni,  M.  301. 
Ceilega,  Jacopo,  A.  370. 
Cennino  Cennini,  M.  518.  538. 
Cesena:  Dom,  Arch.  350. 
Chantilly,  Musee   196. 
Chateau  Beaumont   106. 
Chiara,  die  h.  12.  31.  47.  329.  Darst.  79. 

92.  157.  177.  273.  283.  291.  293.  294. 

302.  541.  547.  624.  Leg.   168.  623. 
Chemnitius,  Martin   170. 
Chiaravalle  von  Chienti,  Arch.  367. 
Chiaravalle    bei    Mailand    206.     340.     358. 

Arch.  364  f.   373. 


Chiaravalle  bei  Sinigaglia  367.   374. 
Chiusi,  Orlando  Graf  von  43. 
Chiüsi,  Tarlato  Graf  von  326. 
Christoph  von  Bozen,  A.   355. 
Christophanus,  Gs.  211. 
Christusdarstellungen.  Christus  248. 273.  285. 

Abendmahl  476. 

Abschied   von    Maria   in   Bethanien  473. 

Anbetung   der    h.    3  Könige    245.    278. 
45  ••  468  f. 

Auferstehung  451.  494. 

Bethlehemitischer  Kindermord  279.  451. 

Beweinung  94.  246.  490  f. 

Darstellung   im  Tempel  245.  279    476  f. 

Domenkrönung  476. 

Ecce  homo,  Kopf  494. 

Erscheinungen  494.  Emmaus  452.    Mag- 
dalena 494. 

Flucht   nach   Egypten  93.    245    und   die 
Heimkehr  279.  471. 

Fusswaschung  476. 

Geburt  244.  278.   325.  327.  462  f. 

Gefangennahme  286.  476. 

Geißelung  246.  476. 

Gleichnis  der   10  Jungfrauen  452. 

Gethsemane  93.  290.  476. 

Grablegung  94.  492. 

Heimsuchung  244.  278.  463  f. 

Hochzeit  zu  Cana  245. 

In  Cathedra  95. 

Kreuz   und  Heilige    94.    283.    288.  302. 
326.  483.  624  (3). 
•  Kreuzabnahme  78.  489  ff. 

Kreuzanheftung  479. 

Kreuzigung   94.    222.    227.     246.    280. 
480—488. 

Kreuztragend  479. 

Kreuztragung  246.  477   ff. 

Kruzifix  77.   78.   94.  120.  156.  236.  240. 
480  ff. 

Lazari  Aufer^veckung  246. 

Leben,   Cyklus    244 — 247.    548  ff.    618. 
619. 

Passion  217  f.  294  ff. 

Pfingstfest  247. 

Pietä  494. 

Schmerzensmann  im  Grabe  95.   325.  494. 

Taufe  245. 

Transfiguration  223. 

Verkündigung  Maria  194.  244.  274.  461  f. 

Weltenrichter  94. 

Zwölfjährig  im  Tempel  245.  279.  472  f. 


630 


Index. 


Ciacco  deir   A.nguillara  432.  , 

Ciantori,  Bemardino  dei   115. 
Cimabue,  M.  220 — 240.  460.   569.    618 

und  passim.  Fresken,  Unterkirche  Assisi 

216.  217   flf.    Fresken,  Oberkirche  94. 

220 — 240.   512.  Kruzifix  in  S.  Chiara, 

Assisi     236.     481.      Mariendarst.     81. 

235 — 237.     503.     Michaellegende,    S. 

Croce,  Florenz  238. 
Cimabue,    Schule    240—251.     —    Art 

des  480. 
Cino  da  Pistoja  563. 
Cisterzienser, die  65.  401.556.  Bauten  306 ff. 

344  f.  364  ff.  und  passim. 
Cittä  di  Castello:  Gallerie  95.  508. 

S.  Croce,  Arch.  333. 

S.  Domenico,  Arch.   333. 

S.  Francesco,  Arch.  333. 
Clairvaux,  Arch.  354.   360. 
Clarello,  Fr.,  A.  355. 
Clarellus,  Fr.  401. 
Clarener,  die  400. 
Clareno,  Angelo  593  ff. 
Clarissinnen,  die  31. 
Clemens,  h.,  Darst.  301. 
Clemens  V.,  Papst  329.  396. 
Clemens  VI.,  Papst  398. 
Cluniacenser,  die  308.  321. 
Clusone:   S.  Bemardino  562.   563. 
Coda,  Benedetto,  M.   180. 
Coelestin  IL,  Papst  471. 
Coelestin  V,,  Papst  400.  443. 
Coelestinereremiten,  die  85.  400. 
Cola,  M.  624. 

Colonne,  Guido  und  Odo  delle  431. 
Columbus  402. 

Comello,  Giacomo  de'  Taverni  gen.   375, 
Compatre,  Giovanni  329. 
Conformitates  des  Barth.  Pisanus  583    und 

passim. 
Conrado  de  Offida,  Fr.  605  ff. 
Conventualen,  die  398. 
Conxolus,  M.   73.   103.   502. 
Coppo   di   Marcovaldo,  M.  503.  504 
Correggio,  M.  89.  91.  93. 
Cortona:  Dom  508. 

S.  Domenico,  Arch.  332. 

S.  Francesco,  Arch.  312.   332. 

S.  Niccolo  95. 
Cosmas,  Jacobus,  B.  208. 
Cosmaten,  die,  B.  73.  208.  505. 
Costa,  Lorenzo,  M.  94.  95.  564. 


Credi,  Lorenzo,  M.  95. 
Cremona:  Dom  374.  480. 

S.  Francesco,  Arch.   314.   375. 
Crescentius,  General  Fr.  393.  577.   578. 
Crispolto    da  Bettona,  Hs.   209.  298. 

302. 
Cristofano  da  Gualdo,  Gs.  2II, 
Cristofano    di   Ricomanno,    B.  212. 
Cristoforo  Moro  342. 
Crivelli,  Carlo,  M.  88. 
Cronaca,  il,  A.  342. 
Cyrillus,  der  h.  321. 

D. 

Daddi,   Bernardo,    M.  465.   503.  506. 
Damianus,  h.,  Darst.  620. 
Dandolo,  Francesco,  Doge  370. 
Daniel,  Darst.   541.   559. 
Daniele  da  Volterra,  M.  489. 
Dans  Helinand  556. 

Dante  Alighieri  48.  57-  59-  179-  235.402. 
413.  431.  438.  454  f.  499.   522.  525. 

543- 
Danti,  Giulio,  A.  322. 
David  von  Augsburg  419. 
Deodatus  Orlandi,  M.  481.   503. 
Deruta:  S.  Francesco,  Arch.  333. 
Deustesalvet,  Fr.  405. 
Devozioni,  die  453  f.  und  öfters. 
Diephold  von  Apulien  7. 
Dinge,  die  letzten,  Darst.  496  —  500. 
Dionysius  Areopagita  414.   543- 
Disciplinati  di  Gesü  Cristo,  die  441. 
Dolcino  von  Novara  400. 
Domenico  von  Sanseverino,  Hs.  302. 
Domenico  Veneziano,  M.  88.  89.90. 

99- 

Dominicaner,  die  XXII.  65.  395.  379.  565 
und  passim.  Darst.  94. 

Dominicus,  der  h.  25.  32.  33.  34.  93-  I77  f- 
Darst.  83.  93.  94.  248.  483.  552.  Be- 
gegnung mit  Franz  177. 

Dominicus  Bartolus  326. 

Donatello,  B.  462.   570. 

Donato  Veneziano,  M.  95. 

Doni,  Adone,  M.   106.    205.   291.  303. 

Dotti,  Francesco,  A.  355. 

Drei  Lebende  und  drei  Todte,  Legende  555. 

557  ff. 
Dresden:  Gallerie  91.  93.   501.   511. 
Dublin:  National  Gallery  93. 
Duccio,  M.  489.   504.   507.   508. 


Index. 


631 


Duns  Scotus  409.  411. 
Dupres,  Giov.,  B.   71.  340. 
Dy  ck  ,  van  ,  M.  93. 


Egidius,  Maurer  355. 

Elias,  Fr.  29.  35.  37.   38.  44.  46.  47-  4». 

94.   184.   185.    197.    199  f.   206.  216. 

392  f. 
Elisabeth,  die  h.  402.  Darst.  273.  293.  294. 
Empoli :  Kathedrale  510. 
Engel,    Darst.    223.    226.    227.    228.    248. 

285.  543- 
Enzio,  König  401.  431. 
Ercole  I.  Este  379. 
Eschenbach,  Wolfram  von  431. 
Este,  Alberto  d'  379. 

Ercole  I.  379. 
Eugen  IV.  326. 
Eugenius,  h.,  Darst.  301. 
Eusebio    di    S.    Giorgio,  M.  95.   150. 
Evangelisten,  die  vier,  Darst.  231.  301,  552. 
Evangelistensymbole,  die,  Darst.  73. 
Ezechiel,  Vision  des,  Darst.   75. 
Ezzelino  Romano  355.  401. 


Fabriano:  Samml.  Fomari   149. 

Samml.    Rosei   149. 

S.  Domenico,  Arch.  350. 
Faenza:  Dom,  Arch.  384. 
Fallerone:  S.  Francesco,  Arch.  381, 
Faloppia,  Giov.,  M.  352. 
Fano :  S.  Maria  nuova  88. 
Fasani,  Ranieri  441. 
Federigo  Tedesco,  M.   369. 
Felitiano ,  M.  211. 
Ferentino:  S.  Maria,  Arch.  367, 
Fermo:  S.  Francesco,  Arch.  381. 
Ferri,  Luigi,  A.   322. 
Ferrara;  Samml.  Costabili.  95. 

Samml.  Lombardi  95. 

S.  Francesco,  Arch.  378. 

S.  Maria  in  vado,  Arch.   384, 
Ferraresische  Schule,  M.  94. 
Figline  bei  Prato  516. 
Filippo   da    Campello,  A.    199.    201. 

202.  203.  206.    207.    208.    303.    329. 

331. 
Filippo,  Fr.  37.  38. 
Finiguerra,  Maso,  K.  95. 


Fiorenzo    di    Lorenzo,    M.  510,  620. 
Fioretti  di  S.  Francesco  43.  583. 
Florenz :    Akademie.    Berlinghieri  80.    146. 
480.  510.  Botticelli  90,  Cimabue  236. 
503.  Daddi  465.   506.   Gaddi,  Agnolo 
465.    Gaddi,  Taddeo    106.    122,    124. 
125.   128.   136.   144.    153.    167.    Gen- 
tile  da  Fabriano  465.  469.  Giotto  504. 
Lorenzo    Monaco  465.    Masaccio  516 
Niccolo  di  Pietro  Gerini  492.    Pacino 
di   Bonaguida    547.    Paolino,  Fra  94. 
Sogliani  94.  Ugolino?  515.  Meister  des 
XV.  Jahrh.  94. 
Baptisterium  462.  497. 
Bargello  95.  495-  497-  499- 
Berenson,  Mr.   106. 
Demidoff,  Samuel,  einst.  538. 
Dom  251.  514. 
Loggia  dei  Lanzi   126. 
Loggia  in  Piazza  S.  Maria   novella  180. 
Orsanmichele  464.  503.  512, 
Palazzo  Pitti  95.   510. 
Palazzo  Signoria   126. 
S.  Ambrogio    126.   149.   153. 
S.  Croce.  Arch.  239. 339.  Benedetto  da  Ma- 
jano   124.   126.   133.   150.   153.  168. 
Cimabue,    Michaelkap.    238  f.    340. 
Daddi  465.  Domenico  Veneziano  88. 
90.  Donatello  462.  Franz-Porträt  80. 
Gaddi,  T.  Baroncelli  Kap.  464.  409- 
511.     Gaddi,    A.    Chorfresken    518. 
Giotto,  Kap.  Bardi   122.    125.   132. 

143.  Giotto,  Kap.  Peruzzi  288. 
Giotto,  Kap.  Tosinghi  und  Spinelli 
511.  Giottino,  Silvester  Kap.  288. 
493.  Giovanni  da  Milano,  Rinuccini 
Kap.  506.  507.  511.  527.  Kap. 
Medici  340.  Bilder  in  Sakristei  und 
Korridor  477.  481.  494.  505.  514. 
Fresken  des  Hofes    106,    122.    124, 

144.  168.  179.  Refektorium,  Fresken 
und  Bilder  95.  240.  275.  476.  552. 
Noviziat    540.     Fassadenfresko    126. 

168. 

S.  Felicita  507. 

S.  Francesco  al  monte  342.  384. 

S.  Giovanni  di  calza  95. 

S.  Giovanni  dei  Cavalieri  465. 

S.  Jacopo  94. 

S.  Leonardo  fuori  489. 

S.  Lorenzo,  Arch.  383. 

S.  Marco  90.  95.  480. 


632 


Index. 


Florenz : 

S.  Maria  del  Carmine   506. 
S.  Maria  novella,  Arch,  379  f.    Cimabue 
236.    503   u.    öfters.     Giottino  465. 
506.  512.    Orcagna  4.97.    498.   500. 
Simone    Martini,    Schule    465.     Spa- 
nische Kap.  485. 
S.  Maria  sopra  l'Amo  205. 
S,  Maria  Maddalena  dei  Pazzi,  Arch.  384. 
S.  Miniato,  Arch.   343. 
S.  Onofrio  di  Fuligno  527. 
S.  Piero  maggiore  465. 
S.  Remigio,  Arch  380. 
S.  Simone  240. 
S.  Spirito  506. . 

S.  Trinitä,  Arch.  379.    Ghirlandajo   122. 
126.     133.     149.     150.     153.     165. 
Uccello  89.   105. 
Scalzi  472. 

Uffizien    90.     93.     240.    288.    384.    462. 
469.  508. 
Florenz,  Schule  von,  M.   106(2). 
Fogolino,  Marcello,  M.  541. 
Folgere  di  San  Gimignano  432. 
Foligno :  Palazzo  publico  512. 
S.  Domenico,  Arch.  333. 
S.  Francesco,  Arch.  333. 
Forli:  Pinakothek  95.   369. 

S.  Mercuriale,  Arch.   350. 
Fossanuova,  Cist.-Kirche  367.  374. 
Franchi,  Bart.  335. 

Francesco  Acciaccaferro,  Hs.   303. 
Francesco  da  Barberino  535. 
Francesco  da  Bessa,  Fr.  577. 
Francesco  da  Fabriano,  Fr.  450, 
Francesco  da  Firenze,  A.   322. 
Francesco  di  Cola,  A.  356, 
Francesco  di  Corrado,  Steinmetz  209. 
Francesco  di  Giorgio,  M.   338. 
Francesco  di  Muscio,    Steinmetz  209. 
Francesco  di  Pietrasanta,    B.  212. 
Francesco   di  Terranuova,    Gl.  616. 
Francia,  Francesco,  M.  89.  91.93(3). 

95  (3). 
Francia,  Giacomo,  M.  95(2). 
Franco,  Matteo   126. 
Franz  von  Assisi,  Darstellungen. 

Allegorische  Darst.  Gelübde  u.  Triumph 
275.  286.  521  —  539.  Kreuzesnach- 
folge 554.  Franz  und  Todter  558  f. 
Als    Schildträger    88.    Wappen    89 


Als  Ordensstifter  541.  Mit  Christus- 
kind 554.  Fahnenträger  Christi  539. 
Franz  von  Assisi,  Darstellungen. 

Attribute  84.  87  ff. 
'     Bildnisse  67  ff. 
Büßer  92. 

In  Devotionsbildern  93  ff. 
Inmitten  seiner  12  Apostel  289. 
In  Landschaft  92. 
Tracht  85. 

Legende:  Almosen  spendend   112.    168. 
Aussendung  der  Jünger   113. 
Befreiung    des    Häretikers  Petrus   162. 
Begegnung    mit    Dominicus    105.    177. 
Begegnung  mit  den    3  Tugenden  537. 
Beichte  der  vom  Tode  Erweckten  161. 
Bekehrung  des  Hieronymus   155. 
.    Bekleidung  des  Armen   117. 
Beweinung  des  F.  vor  S.  Damiano  157. 
Canonisation   158. 

Erweckung   des    aus    dem  Fenster   ge- 
fallenen Kindes   164. 
Erweckung  des  verschütteten  Jünglings 

166. 
Gebet  in  San  Damiano    II  i   (2).    119. 
Geburt  181. 

Heilungen  107.   108.   113.   160, 
Huldigung   11 7  f. 
Innocenz  III.  bewilligt  die  Predigt  105. 

112.    124, 
Jüngereinkleidung   168. 
Krankenpflege   113. 
Kreuzerscheinung   1 34. 
Lämmerbefreiung   113. 
Lossagung  vom  Vater   109.    iii.    112. 

120. 
Martyrium  der  Brüder  in  Marokko  167. 
Musik  hörend   169.  456  f. 
Orakelwort  des  Evangeliums   112. 
Portiuncula -Ablaß    und   Rosenlegende 

170—177. 
Predigt  vor  Honorius  III.    142. 
Regelabfassung  168. 
An  Schandsäule   114. 
Seesturmbeschwichtigung   113. 
Stigmatisation  83.   105.   109.  iio.  m. 

113.    144.  296. 
Vor  Sultan   113.    131. 
Tod   HO.    112.   113.   151. 
Tod  des  Edlen  von  Celano   140. 
Tränkung  des  Durstigen   137. 
Versuchung    durch    ein   Mädchen   134. 


Index. 


633 


Franz  von  Assisi:  Legende. 

Vertreibung  der    Dämonen    zu    Arezzo 
129. 

Vision  des  Augustinus   154. 

Vision   des   Bischofs   von   Assisi   154. 

Vision  Gregor's  IX.   159. 

Vision   Innocenz'  III.   105.    109     in. 
123.  (Palmbaum  124.) 

Vision  des  Monaldus  zu  Arles  113.  143. 

Vision  des  Fr.  Pacificus   169. 

Vision  des  Palastes   1 1 8. 

Vision  des  Petrus  und  Paulus   168 

Vision  eines  Knaben   168. 

Vision  des  Thrones   128. 

Vision  des  feurigen  Wagens   in.  126. 

Vögelpredigt  109.   in.   112.   138. 

Wahl  der  Kutte   112. 

Weihnachtsfeier  zu  Greccio   in.    113. 
134.  451. 
Fratres  de  Communitate  393. 
Fratres  strictioris  observantiae  398. 
Friedrich  I  XVIII. 
Friedrich  II.  97.  206.  232.  393.   395.  401. 

402.  407,  431. 
Fuccio  fiorentino,  B.  205.  297. 
Fungai,  M.  94.  95. 
Furtmayer,  Berthold  553. 


Gaddi,  Agnolo,  M.  506.  516  518.  617. 

Gaddi,  Gaddo,  M.   115.  251.  514. 

Gaddi,  Giovanni,  M.  276.  288. 

Gaddi,  Taddeo,  M.  Allgem.  276.  277. 
282.  Marienbilder  505  f.  Berlin,  Gall. 
165.  465.  505.  Franzlegende  in  Akad., 
Florenz  106.  122.  124.  125.  128.  136. 
143.  144.  167.  Florenz,  S.  Croce,  Kap. 
Baroncelli  464.  469.  511.  S.  Croce,  Re- 
fektorium 95.  476.  Florenz,  S.  Felicitä 
506.  Pisa,  S.  Francesco  105.  126.  527. 
535-  537.  540.  Pistoja,  S.Giovanni  506. 

Gaddi,  Schule,  M.  94. 

Gaeta:  S.  Giuseppe,  Arch.  319 

Galassü,  Galassi,  M.  94. 

Gambacoili,  Familie  337. 

Garcia,  Grafen  von  302. 

Ganghereto:  S.  Francesco  79. 

Garofalo,  il,  M.  93.  94.  95. 

Gasparino  d'Antonio  di  Ruberto 
di  Foligno,  Gs.  208. 

Gatta,  Bart.,  M.  91    149  (2). 


Gennaro  di  Cola,  M.  516. 

Gentile  von  Assisi   7. 

Gentile  da  Fabriano,    M.    149.    151. 

465.  469.  510.    Richtung   149. 
Gentile  da  Spoleto  398. 
Genua:  Grabmal  Tom.  Campofregoso  212. 

Palazzo  bianco  96. 
Georg,  h.,  Darst.  87.  272. 
Gerardus  de  Fracheto,  Fr.   178. 
Gerardus  de  Modena,  Fr.  419. 
Gerhard   von  Borgo  San  Donnino,    Fr.   97. 

394. 

Gericht,  jüngstes,  Darst.  94.  497  ff. 

Gerini,  Niccolo  di  Pietro,  M.  477. 
492. 

Gerino  da  Pistoja,  M.  517. 

Germanus,  A.  348. 

Ghiberti,  Lorenzo,  B.  216.  569. 

Ghirlandajo,  Dom.,  M.  104.  106.  122. 
126.  133.  149  (2)-  150.  153-  165. 
Schule  540. 

Ghirlandajo,  Rid.,  M.  93. 

Giacomino  da  Verona,  Fr.  434  ff.  440.  496. 

Giacomo  di  Pietra  santa,  B.  211.  212. 

Giolfino,  Schule  des,  M.  106.  122. 
128.   133.   160.   169.   177. 

Giordano  di  Giano,  Fr.   ll.  530  u.  passim. 

Giorgio  da  Sebenico,  B.  381. 

Giorgione,  M.  91,   180. 

Giottino  (Maso  di  Stefano),  M.  270. 
283.  287.  289.  290.  465.  506.  512. 
515.  569.  623. 

Giotto,  M.  Allgem.  62.  63.  69.  86.  87. 
100.  412.  429.  451.  460.  476.  596. 
Arch,  202.  Dichter  405.  528.  Jugend- 
stil 86.  251 — 267.  Marienbilder  504. 
505.  Assisi,  AUegorieen  275.  521  bis 
539-  558  f.  Assisi,  Franzlegende  115 
— 163.  254  —  267.  Assisi,  Leben 
Christi  276  ff.  461 — 500.  Assisi,  Mag- 
dalenen-Kap.  282 — 287.  Assisi,  Nico- 
laus-Kap. 268 — 275.  Florenz,  Bargello 
497.  Florenz,  S.  Croce,  Kap.  Bardi  122. 
125.  132.  143.  144.  147.  153.  154. 
527.  535-  537-  Kap.  Peruzzi  267. 
Krönung  Maria  515.  München,  Kreu- 
zigung 94.  Neapel,  Apok.  Darst.  518. 
Padua.  Arena-Kap.  461 — 500.  Rom, 
S.  Peter  268.  270.  Ravenna,  Rimini, 
Fresken  104.  538.  Giottos  Porträt  274. 

Giotto,  Schule,  M.  94. 

Giovanni,  Fra,  A.  334,  351. 


634 


Index. 


*        Giovanni  undAntonio  daMurano, 
M.  95- 
Giovanni  Antonio    da    Brescia,  K. 

541. 
Giovanni,    Fra,    da  Fiesole,  M.    89. 

90.  95-   134.   180  (2).  480.  498. 
Giovanni    da    Milano,    M.    255.    276. 

506.   507.   511.   527. 
Giovanni  da  Parma,  Dichter  529. 
Giovanni  da  Rimini,  M.   506. 
Giovanni  di  Gaiso,  A.  342. 
Giovanni  di  Paolo,  M.    144.  554. 
Giovanni  di  Piero,  M.  94. 
Giovanni  di  Pier  Jacopo,  J.   303. 
Girgenti:  S.  Niccolö,  Arch.  319. 
Giunta  Pisano,    M.    76.    94.   199.  216. 

220  und  öfters. 
Giustiniani,  Familie  370. 
Giustiniani,  Lorenz,  der  h.,  Darst.  96. 
Gomario,  Daniele  333. 
Gonzaga,  Francesco,  Fr.  585. 
Gracius,  A.  355- 
Gradenigo,  Familie  370. 
Grafenberg,  Wirent  von  56. 
Grancey,  de,  Familie  5. 
Gravedona:  S.  Francesco,  Arch.   343. 
Graz :  Domschatz  564. 
Graziani,  Fra  Raimondo  da  Cotignola  334. 
Greccio:  Kloster  S.  Francesco  74.  325. 
Gregor,  der  h.,  Darst.   73.  619.  620. 
Gregor  IX.,  Papst  33.  43-  47-  4».   7i-   72. 

75-    97-    197-   199-    Darst.    159.    226. 

394. 
Gregor  X.,  Papst  399. 
Gregor  XIII,  Papst  319. 
Gregorius  von  Neapel  37. 
Greif,  Vogel,  Darst.  208. 
Gruamons,  B.  476. 
Gualandi,  Familie  336. 
Gualberto  Giotti,  Gl.  616. 
Gualdo  Tadino :    S.  Francesco,   Arch.  331. 
Guariento,  M.   369. 
Guastavillani,  Familie  354. 
Gubbio :  Dom,  Arch.  343. 

S.  Agostino,  Arch.  343. 

S.  Francesco,  Arch.  350. 
Guercino,  M.  91.  92.  93. 
Guete  in  Spanien :  S.  Francesco  83. 
Guglielmo  Agnelli,  A.  333. 
Guglielmo  de  Marcilla,  Gl.   170. 
Guido,  Bischof  von  Assisi  24. 
Guido  da  Siena,  M.  217.  502.   504. 


Guidolinus    Januarius     von     Parma, 

Musiker  458 
Guinicelli,  Guido,  Dichter  432. 
Guinigi,  Paolo  333. 
Guittone,  Fra,  d'Arezzo,  Dichter  432,  560. 

H. 

Hadrian,  der  h.,  Darst.  272. 

Hadrian  IV.,  Papst  XVIII. 

Hadrian  VI.,  Papst  27. 

Heinrich,  Bischof  von  Mailand  365. 

Heinrich  der  Cluniacenser   19. 

Heinrich  von  Molk  555. 

Heinrich  von  Vinstigen  553. 

Helena,  h.,  Darst.  285. 

Henricus   Pisanus,  Musiker  457,   578. 

593- 
Herman,  Guillaume,  Dichter  453. 
Hieronymus,  der  h.,  Darst.   87.  92.  94.  96. 

99.  620. 
Hieronymus  Bartholomaei,  A.  213. 
Hiob,  Darst.  73. 
Hobbes  397.  410. 
Hölle,  die,  Darst.  422.  436  ff.  499. 
Honorius  III.,  Papst  5.  29.  31.  33.   38.  39. 

142.    172.   392. 
Hueber,  Fortunatus  585. 
Hugo  de  Bareola,  Fr.  395.  408.  419.  499. 
Hugo  de  Hergilpo,  Fr.  290. 
Hugo  von  Ostia,  Kardinal  33.  34.  38.  80. 
Hugo  von  S.  Viktor  414. 

J- 

Jacobaea  da  Septemsoliis  73. 

Jacobus  Britii    de    plebe    S.  Stephani    327. 

Jacobello  del  Fiore,  M.  510. 

Jacobus  Pauli,  M.   515. 

Jacobus  de  Vitriaco  36  u.  öfters. 

Jacopo  di  Bevagna,  Fr.  201.   204. 

Jacopo  de  Lendino,  Dichter  431. 

Jacopo  da  Pola,  A.  355. 

Jacopo  Tedesco,  A.  185.  186.  199. 

203.  205.  206.  329.  332. 
Jacopo  Torriti,  M.  82.  89.  251. 
Jacopone  da  Todi,  Dichter  27.  57.  64.  97. 

439.  441—450.  452.    453.    455.  465. 

466  f.   485.    509.    512.    524.    529  ff. 

539.  556.  559  f.    Darst.  441. 
Jesajas,  Darst.   559. 
Jesuiten,  die  30.   385. 
Ilario  da  Viterbo,  M.   175. 
lUuminatus,  Fr.  36.  43.  44.  132.  580.  582. 


Index. 


635 


Innocenz  III,  Papst  XVI.  XX.    18.  21.  22. 

23.  33.  36.   71-  97.   184.  417.    Darst. 

123  f. 
Innocenz  IV.,  Papst  201.    202.    288.    319. 

325.  381.  393.  401.  449. 
Joachim  von  Floris  83.  97.  179.  394  f.  396. 
Johannes  s.  auch  Giovanni. 
Johannes  XXII.,  Papst  410. 
Johannes  d.  Ev.  Darst.  514.   518.   547. 
Johannes  d.  T.  Darst.  87.  90.  92.  95.  248. 

272.   514.  541.  617. 
Johannes  de  Capeila,  Fr.  17.  37.  289.  392. 
Johannes  von  Ceperano,  Fr.  577.  592  ff. 
Johannes  de  Civitä  vecchia,  Gg.  330. 
Johannes  von  Greggio  41. 
Johannes  von  Kent,  Fr.  31.   578. 
Johannes  von  Olivola,  A.  342. 
Johannes  von  Parma,  General,  Fr.  394.  577. 
Johannes  Pisanus,  Gg.  330. 
Johannes  de  Sancto  Paolo,  Bischof  22. 
Johan  des  Vall^es  398. 
Johannes  von  Vicenza  404.  4 19. 
Johanninus  de  Ollis,  Musiker  458. 
Jordanus,  Dominikaner   178. 
Josaphat  und  Barlaam,  Legende  49.   558. 
Julian  von  Speyer  592  ff. 

K. 

Kapuziner,  die  85,  400. 

Karl  II.  von  Sizilien  402. 

Karl  IV.  402. 

Karl  von  Anjou  236.   363.  431. 

Katharer,  die  XVIII.  24. 

Katharina,  h.,  Darst.  291.  293.  Leg.  300  f. 

Verlob.  95.    18 1. 
Kentaur,  Darst.  535  ff. 
Kirchenväter,  die  vier,  Darst.  249.  301. 
Klara,  h.  s.  Chiara. 
Konrad,  Bischof  von  Assisi  171,   172. 
Konrad  von  Fußesbrunn  501. 
Konrad  von  Lichtenau,  Abt  21. 
Konstanz,  Konzil  398. 
Kopenhagen:   Gallerie  93. 
Kreuz,  Legende  vom  h.,  Darst,   518. 


Lando,  Ubertino  362. 

Langres,  Herzöge  von  5. 

Langton,  Etienne,  Erzb.  v.  Canterbury  453. 

Lapo,  A.  204.   206. 

Lauda,  die  440. 

Laudesi,  die  441.  452. 


Laurentius,  h.  Darst.  248.    290.    619.  620. 

624. 
Lazarus,  Darst.  285. 

Lecce :    S.  Niccolö    e  Cataldo,   Arch.  319. 
Lelia  Biscia  382. 
Lelli,  Familie  290. 
Leo  X.,  Papst  398. 
Leo,  Fr.  43.   579.   588—609  passim. 
Leone,  Niccolö  369. 
Leone    da    Perego,  Erzb,    v.    Mailand  374. 

401. 
Leopold  von  Österreich  36. 
Liberale,  M.  96.   105. 
Liberius,  Papst  321. 

Licinio  da  Pordenone,  M.  96.  480. 
Lille:  Mus^e  Wicar  181. 
Lionardo,  h.,  Darst.  302, 
Lionardo,  Fr.    54. 
Lionardo  Boccaleca,  A.  368. 
Lionardo  di  Pietrasanta,  B.  212. 
Lionardo  da  Vinci,  M.  273.  286.  476. 

516. 
Lippi,    Filippino,    M.  89.    90.  95(2). 

541. 
Lippi,  Fra    Filippo,  M,  89.    95.  465. 
510.  515.  Schule  515.  528.   537.  541. 
Lippo  Dalmasio,  M.  506.  507,  509. 
Lippo  Memmi,    M    80.    94.    115.    462, 

507,  509.  512. 
Locke  410. 

Lodovico  da  Castello,  Fr.  205. 
Lodovico  a  Fossombruno  400. 
Löwe,  Darst.  208, 

London:  British  Museum  150.  180.  181.  553. 
National  Gallery  88.  90  (2).  93.  95.  465. 

503.  507.  541, 
Samml.  Lady  Eastlake  93. 
Samml.  John  Malcolm  528. 
Samml.  Murray  95.   140,  505, 
Samml.  Lord  O verstone  95, 
Lorenzetti,    Ambrogio,    M.    88,    94. 

168,  462,  508  f.  510. 
Lorenzetti,  Pietro,  M.  150.  506,  508. 

Schule  95.  294  ff,  477.  512. 
Lorenzo  Monaco,    M,    465.    469.    503. 
Lorenzo  di    San    Severino,    M.    472. 
Lotheringius  Pisanus  Gg.   200. 
Loyola,  Ignatius  von  92.   572. 
Luca  Thome,  M.  516. 
Lucca:  Gallerie  481,  503.  510, 
S.  Chiara  480. 
S.  Francesco,  Arch.   333, 


636 


Index. 


Lucca : 

S.  Giulia  481. 

S.  Martino,  489,    Arch.  383. 

S,  Michele  481. 

S.  Pietro  95. 
Lucca,  Schule  von,  M.  95. 
Lucchese,  h.,  Darst.   541. 
Lucia,  h.,  Darst.  623. 

Ludwig,  h.,  Bischof   73.  402.     Darst.    177. 
283.  291.  293.  298.  301.  511.552.620. 
Ludwig,  h.  König,  Darst.    293.    294.    620. 
Ludwig  von  Bayern   397.  410. 
Luprandi,  Paulus,  A.   204. 
Luther   170.  419.   571.   572.   584. 

M. 

Macrino  d'Alba,  M.   149(2). 

Madrid:  Gallerie  169.  477. 

Magdalena,    h ,   Darst.    87.    92.    239.    272, 

293.  327.    Leg.  283  ff.  518.  619. 
Maglione  da  Pisa,  A.  363. 
iSIahomet,  Darst.  499. 

Majano,  Benedetto  da,    B.  89  — 104. 
106.   124.    126,    133.    150.    153.   168. 
Mailand:  Brera  510. 

Dom,  Arch.  383. 

S.  Ambrogio,  Arch.  206.  366  f.  374. 

S.  Francesco,  Arch.   344.   375   f. 

S.  Maria  del  Carmine,  Arch.  374. 

S.  Maria  delle  Grazie,  Arch.  378. 

S.  Nazaro,  Arch.   206. 

S.  Pietro  de'  Gessati,  Arch.  378. 

S.  Stefano  485. 
Makarius,  Eremit  556.   558. 
Malatesta,  Sismondo  341. 
Manfred  431. 

Manfredi,  Fr.  Andrea,  A.   359. 
Manichäer,  die  XVIU.  24. 
Mantegna,    Andrea,     M.     348.      508. 

Schule  541.   553. 
Mantua:  S.  Andrea,  Arch.   384.   385. 

S.  Domenico,  Arch.  348. 

S.  Francesco,  Arch.  314.  347  f. 
Marano,  Pietro,  gen.  il  Nano  372. 
Marburg:  S.  Elisabeth  553. 
Marcimana,  Familie  342. 
Marco  da  Brescia,  A.  351. 
Marco  da  Lisboa  584. 
Margarethe,  h.,  Darst.  96.  623. 
Margaritone,    M.    79  ff.    83.    94.    105. 
240.  480.   503. 


Maria,  Darst.  Allgem.  248. 

mit  Kind   156.  235.  236.  248.  504 — 511. 

mit    Kind    und  Heilige    274.    275.    291. 
294.  296.  301.   316.  623.  624. 

Anna  selbdritt  516. 

Conversazione,  santa  93. 

Empfängniß  95. 

Fürbitterin  516. 

Geburt  227. 

Glorie  226. 

Heimsuchung  244.  278.  463  f. 

Himmelfahrt  78.  94.  226.   512  f. 

Kampf  mit  dem  Teufel  517. 

Krönung  94.   287.   514  f.  624. 

Krönung  durch  Engel  5 1 6. 

Sposalizio  227. 

Tod  225. 

Verkündigung   194.  244.  274.  461   f. 

Mater  dolorosa  447.  494. 

Misericordiabilder  516. 

Thomas,  Gürtelempfang  325. 
Maria  Aegyptiaca,  h.,  Darst.  95.  239.  272. 

283  ff 
Maria  Cleofas  619. 
Maria,  Moses  Schwester,  Darst.  285. 
Maria   von   Antiochien,    Tochter   Joh.    von 

Brienne's  298. 
Marianus  Floren tinus  584. 
Marino  da  Pisa,  A.  342. 
Marinus,  Fr.    170, 
Martelli,  Gir.,  M.   174.  303. 
Martha,  h.,  Darst.  285. 
Martin,  h.,  Darst.  I18.  620.  Leg.  292.  293. 
Martin  IV.,  Papst  78.  289. 
Martino,  Fra,  M.  288.   289.   298. 
Martino    di  Bartolommeo,  M.  480. 
Marzari,  Domenico  371. 
Masaccio,  M.  516.   569. 
Maso  di  Stefano,  M.  277.  S.  Giottino. 
Masolino,  M,  465. 

Massegne,   Pier   e  Paolo   delle,    B. 
106    124.    126.    131.    133.    141.    150. 
154.   160.   354. 
Masseo,  Fr.  43.  44.  45.    170.   580. 
Massone,  M.  93. 
Masuccio,  A.  342. 
Matras,  Cos.,  A.  340. 
Matteo  da  Gualdo,  M.   175.   528. 
Matthäus,  h„  Darst.  285. 
Matthäus  von  Nami,  Fr.  37. 
Matulinus  von  Ferrara  404 
Mazzetto,  Dominikaner  335. 


Index. 


637 


Mazzolino  da  Ferrara,  M.  93. 
Medici,  Cosimo  u.  Lorenzo    dei    126.  342. 
Meister  des  Franziskus,   M.   77.  94. 

104.    109  ff.  216  f.  219.  223.  480. 
Meister  der  h.  Chiara,  M.  623  f. 
Melanzio  da  Montefalco,  M.   517. 
Melormus,  M.  76. 
Merghuliesi,  Nikolaus  317. 
Messina:  S.  Francesco   150. 
Michael,  h.  96.  97.  98.   144.    132     Darst 

73.    94.    156.    228—331.     Leg.    156. 

228 — 231. 
Michael  Scotus  407. 
Michael  von  Cesena  XXI.  396. 
Michelangelo    Buonarroti,    A.     63. 

150-  234.   342.  498. 
Michele  da  Verona,  M.  485. 
Michelino,  h.  538. 
Michelozzo,  A.  323. 
Minello,  Giovanni,  A.  356. 
Mino  da  Torrita,  M.  217. 
Modena:  Dom,  Arch.   367. 
Gallerie  94.   509. 
Samml,  Graf  Montecucoli  74. 
S.  Francesco,  Arch.  347. 
S.  Pietro,  Arch.  384. 
Monaldus,  Fr.   143. 
Mbngiardini,  Giovanni  di  202. 
Monreale  bei  Palermo  489. 
Montagna,  Barth.  M.   150. 
Montagnana,  M.   553. 
Montano  d'Arezzo,  M.  505. 
Monte  acuto,  Graf  von  76, 
Monte  Andrea  529. 
Montefiore,  Gentile  di,  Kardinal  290.  291. 

292.  260. 

Monte  Ottone:  S.  Francesco,  Arch.  381. 
Monte  vergine  bei  Avellino  504. 
Montefalco:  Gallerie  517. 
S.  Fortunato   176. 
S.  Francesco    90.    106.    117,    118.    119. 

125.   130.   133.   136.   140.  153.  180. 

181.  274.  Arch.  332. 
Montfort,   Simon  von  23. 
Montone:  S.  Francesco,  Arch.  332. 
Moretto,  il,  M.  91.  96. 
Morico,  Piccardus  199. 
Moriconi,  Familie  3. 
Moritus,  Fr.   17. 
Moro,  Cristoforo  342. 
Moses,  Darst.   547. 


München:     Alte   Pinakothek    94  (2).    147. 

510.   512.   528.   537. 
Murano,  Giov.  u.  Ant.  da,  M.  95. 
Murillo,  M.  93. 

Muro,  Giovanni  di.  Fr.  general    268.    275. 
Musik  456  ff.   572. 
Mysteriendichtung  441.  451   ff. 

N. 
Napoleon  I.  347. 
Nami :  Pal.  publico    149. 

Speco  di  S.  Francesco  324. 
Neapel:  Gallerie  516. 

S.  Chiara  95.   518.  Arch.   341. 

S.  Domenico,  Arch.   380. 

S.  Lorenzo  maggiore  541.    Arch.  363. 
Neapel,  Schule  von,  M.   140. 
Nelli,  Ottaviano,   M.    299.    301.    512. 

528-   538. 
Nicolaus,    h.    Darst.    Leg.  270 — 272.    275. 

518.  619.  620. 
Nicolaus  III.,  Papst  269.  395.  396.  410, 
Nicolaus  IV.,   Papst    82.    202,    269.    322. 

350-   514. 
Nicolaus  de  Bettona,  A.  209.  298. 
Nicolaus  de  Civita  vecchia.  Gg.  330 
Nicolaus  Johannis,  Maurer  355. 
Nicoletto  da  Modena,  K.   150. 
Niccolo  Alunno,  M.  93.  95.   174.  291. 

301.  517. 
Niccolo  da  Foligno   108.    ■ 
Niccolo  da  Imola,  A.  372. 
Niccolo  Leone  369. 
Niccolo  da  Prato  335. 
Niccolo    da   San    Severino,  Hs.  303. 
Niccolo  d'Ugolino  da  Gubbio,  Hs. 

213.  303- 
Nocera :  Dom  93. 

S.  Francesco,  Arch.  333. 
Norbert  von  Xanten  31. 
Novello,  Francesco  369. 
Nuzi,  Alegretto,  M.   154. 

O. 

Obizzo  II.  von  Este  373. 

Observanten,  die  398. 

Occam,  Wilhelm  von  XXI.  397.  409.  410. 

411.  412. 
Octavian,  Kardinal  403. 
Oddo,  Benediktiner  73.  322. 
Olerius,  Paulus,  A.  342. 


638 


Index. 


Oliva,  Pater  Joh.  von  396. 

Oraegna  561. 

Onofrius,  h.,  Darst,  327. 

Orcagna,  Andrea,  M.  B.  288.464.465. 

497.  498.   500-   512.  569. 
Orlando,  Graf  von  Chiusi  43.   325. 
Orsini,  Familie  79. 
Orsini,    Napoleone,    Kardinal    268,     Darst. 

269  fF.  619. 
Orsini,  Giov.  Gaetano,  Kardinal  201.  269. 

275.  338.    Darst.  269  ff   619. 
Ortolano,  Giov.  Benvenuti,  M.  379. 
Orvieto :  Dom  465.  508.  Arch.  266.  Opera 

508. 
Osimo:  S.  Francesco,  Arch.  381. 
Otto  IV.  XVI.  27. 
Ov  erb  eck,  M.   174. 


Pacchiarotto,  M.    95.    480. 
Pace  da  Faenza,  M.  299.  301. 
Pace  da  Lugo,  Fra,  A.  372. 
Pacifico,  Fr.  98.  433. 
Pacino  da  Bonaguida  547. 
Padua:  Gallerie  93.  95. 

Palazzo  della  Ragione  368. 

S.  Agostino,  Arch.    368. 

S.  Antonio  88.  89.  485.   54i.  553-   559- 
Arch.  344.  351.  355  ff. 

S.  Francesco,  Arch.   105.  357. 

Eremitani   509.  Arch.  334. 

S.  Maria  dell'  Arena   89.  281.  286.  461 
bis  500  passim.   536. 

S.  Maria  in  Vanzo  485. 

S.  Stefano  in  Carrara  bei,  Arch.   368. 
Padua,  Schule  von,  M.  88. 
Palermo,  Ospedale    562. 
Palladio,  Andrea,  A.   342. 
Palma  vecchio,  M.  93  (4). 
Palmezzano,  Marco,  M.  95. 
Pancius  von  Toulonj  A.  342. 
Panselinos,  Manuel,  M.  459. 
Panther,  Darst.  537. 
P  a  o  1  i  n  o  ,  Fra,  M.  94. 
Paolino  da  Gubbio,  J.   302. 
Paolo,  Fra,  da  Modena  509. 
Paolucci  von  Foligno  398. 
Paradies,  Darst.  421.  436  f.  499. 
Parens,  Johannes  Fr.    199.   392. 
Parini,  K.  83. 
Paris,  Matthäus  4.  21.  28.  34.  71.  138.  403 

und  passim. 


Paris:  Hotel  Cluny  553. 

Louvre:  Fra  Bartolommeo   56.    l8l.  Ber- 
nardino  von  Perugia  95.     Bonifazio 
93.    Botticelli  180.    Giotto  124.  125. 
140.     Lionardo   516.     Massone   93. 
Perugino  535.  Schule  149.  Pesellino? 
149.   Siena,  Schule  94.    Simone  Mar- 
tini 477.     Uccello  274. 
Sammlung  Clarendon   106. 
Parma:  Baptisterium  75.   146.   558. 
Dom  489. 

Gallerie   180.   283.   554. 
S.  Francesco,  Arch.  314.  345  f.  362. 
Parri  Spinelli,  M.   175. 
Pasquale  Belli,  A.   214. 
Patarener,  die  XVIII.  24.  25.  400. 
Patriarchen,  die,  Darst.  249. 
Paul  IL,  Papst  211. 

Paulus,  h.,  Darst.  96.  225.  247.   514.  620. 
Paulus  Luprandi,  A.  204. 
Paulus  Olerius,  A.  342. 
Pauperes  catholici  23. 
Pavia:  Certosa,  Arch.  378. 

S.  Francesco  475.  Arch.  375.  376f.  379. 
S.  Maria  del  Carmine,  Arch.  377. 
S.  Tommaso,  Arch.  377. 
Penzolo  di  Valle  563. 
Pergardus  di  Hugo,  Maurer  355. 
Perugia:  Pal.  vescovile,  Arch.   193. 

Pinakothek    77.    78.    79.    87.    95.     124. 

149  (2).    150-  217.   540, 
S.  Bemardino  536. 
S.  Fiorenzo  517. 

S.  Francesco    79.    168.  480.   516.    Arch. 
330  f. 
Perugino,  Pietro,    M.    88.  91.  95  (2). 
149.    168.    322.    510.    535.     Schule 
149. 
Pesaro :   S.  Francesco  93.    1 50. 
Pescia:    S.  Francesco    74.    105.    107.    146. 
516.    Arch.  335. 
S.  Maria  in  Piazza,  Arch.  335. 
Pesellino,  il,  M.   149. 
Pestbilder  516. 
Peter  von  Bruis   19. 
Peter  von  Poitiers  409. 
Petersburg:  Ermitage  93.  95. 
Petrarca  274.   564.  570. 
Petroni,  Niccolaccio  338. 
Petronius,  h.,  Darst.  95. 
Petrus,    h.,    Darst.    95.    96.  247.   257.  283. 
285.   514.    Leg.  223  f. 


Index. 


639 


Petrus  martyr,  h.,  Darst.  248. 

Petrus  von  Apulien  395.  408. 

Petrus  Lombardus  409. 

Philippus,  Fr.   16.   580. 

Philippus,  Fr.,  Minister  von  Toskana  43. 

Philipp  der  Karthäuser  501. 

Philippus,  Legat  403. 

Philippus  de  Campello  s.  Filippo. 

Piacenza:    S.    Francesco    150.    Arch.    312. 

360  f. 
S.  Maria  del  Carmine,  Arch.  362. 
Pica,  Mutter  des  Franz  3.  4.  99.  321. 
Piccolomini,  Girol.   338. 
Piediluco :  S.  Francesco,  Arch.   332. 
Pier  Antonio  da  Modena,  A,  356. 
Pier  Antonio  da  San  Severino,  Hs. 

303- 
Pier  Damiano,  Bischof  von  Sabino  282. 
Pier  di  Damiano,  Maurer  209. 
Piero    della   Francesca,    M.    89.    94. 

151.  510.  518. 

Piero  di  Franchino,  A.  337. 
Pietramala,  Herren  von  332. 
Pietrasanta,    die    Meister    von,    B. 
211.  212. 

Pietro,  A.  212. 

Pietro  Cattaneo,  Fr.   14.  36.  37.  38.  322. 

Pietro  da  Brensa,  A.  359. 

Pietro  da  Gubbio,  Gl.  299.  616. 

Pietro  di  Sacco  Tancredi  337. 

Pilustri,  Paolo,  Fra  335. 

Pintelli,  Baccio,  A.  211.  212.  342. 

Pinturicchio,  il,  M.    177.  472.   510. 

Pisa:  Akademie  82.  494. 

Baptisterium  464.  469.  470.  481.  484. 
497-   569. 

Camposanto  124.  125.  I40.  464.  469. 
482.  485.  494.  497.  498.  512.  558. 
562. 

Casa  della  Misericordia   510. 

Dom  239. 

Privatbesitz  506. 

S.  Caterina  79.   105.  Arch.  333. 

S.  Domenico  94. 

S.  Francesco  79.  105.  126.  240.  477. 
481.  505.  527.  535.  537.  540.  Arch. 
336  f. 

S.  Maria  della  Spina  509. 

S.  Marta  481.  489. 

S.  Pierino  481, 

S.  Sepolcro   481. 


Pisano,  Andrea,  B.  462, 

Pisano,  Giovanni,    B.    275.  278.   335. 

460.  464.  469.   504. 
Pisano,    Niecola,    B.    Allg.    63.    278. 

460.  Pisaner  Kanzel  464.  469.  470.  481. 

484.  497.  569.  Siena,  Kanzel  462.  469. 

470.  497.     Lucca,  Relief  489.     Marien- 
bilder   504.   507.     Arch.   331.  332.  333. 

379. 
Pisano,  Nino,  B.  506.  509. 
Pisano,  Tommaso,  B.  494. 
Pisanus,  Andreas,  Gg.  330. 
Pisanus,  Lotheringius,  Gg.  200. 
Pius  II.,  Papst  211.  322. 
Pisogne,  Madonna  della  neve  562. 
Pistoja:  Dom  481.  489.  492. 

S.  Andrea  279.  464.  469. 

S.  Domenico,  Arch.  335. 

S.  Francesco  80.  94.  105.  106.  114.  117. 
120.  124.  130.  132.  136.  150.  168. 
180.  509.  512.  540.  552.  Arch.  334. 

S.  Giovanni  fuorcivitas  476.  506. 
Pitignano :  S.  Francesco,  Arch.  385. 
Poggibonsi:  S.  Pietro  a  Megognano  506. 
Poletti,  Luigi,  A.  322. 
Poliziano,  Angelo  126. 
Pollajuolo,  Ant.,  M.  528. 
Pomareda,  K.   564. 
Pomponio  Amaltheo,  M.   151. 
Pontano ,    Tebaldo    di   Todi ,    Bischof   von 

Assisi  282.  ^84.  285. 
Pontigny.  Cist,  Kirche  312.  354.  360. 
Pordenone,  Licinio  da,  M.  96.  480. 
Pordenone:  Dom  541. 
Porträtkunst  274. 
Praemonstratenser,  die  31. 
Prato:  Dom  136.  441.    Arch.  380. 

Gallerie  95. 

S.  Domenico,  Arch.  335. 

S.  Francesco,  Arch.  333.  508. 

S.  Niccolo  506. 

S.  Lodovico,  Oratorio   149.   150. 
Propheten,     die,    Darst.     249.     301.     552. 

553- 
Providoni,  M.    174. 

Puciarello     Gangloli,      Maurer     209. 
292. 

Pulci,  Luigi   126. 
Punzilovus,  Armannus  407. 
Putagius,  Guido  399. 
Puzarelli,  Simon   197. 


640 


Index. 


R. 

Raimondi,  Marcantonio,  K.  92.  150, 
Rainold,  Reichsverweser  401. 
Rambault  de  Vaqueiros,  Dichter  430. 
Raphael,  M.    62.  63.  90.  99.  273.  477. 

479-   50T.  510. 
Ravello :  Dom  509. 

S.  Agostino,  Arch.  319. 
Ravenna:  S.  Agata  95. 

S.  Francesco   104. 
Raymerius  de  Mariano   170. 
Raymund  von  Toulouse  23. 
Reggio:  S.  Francesco,  Arch.  347. 
Remis  170. 

Reni,  Guido,  M.  91,  93, 
Rezzonico:  S.  Maria,  Arch.   343. 
Richard,  von,  S.  Viktor  414. 
Rimini:  Dom   180. 

S.  Francesco   104.  538.   Arch.  341. 
Rinaldi,  Familie  372. 
Ripatransone :  S.  Francesco,  Arch.  381. 
Ripoli  509. 

Ristoro,  Fr.  A.  379.  380. 
Rivelli,  M.  88. 
Riviera  di  Orto  561. 

Robbia,  Andrea  della,  B.    149.   150. 
180.   325.  326.   327. 

Robbia,  Giovanni  della,  B,  327. 
Robbia,  Luca  della,  B.  89.  465.  510. 
Robbia,    Schule,    B.    91.    150.  325.  527. 

538.  540.   541. 
Robert  von  Neapel  292. 
Robert  von  Sizilien  402. 
Robetta,  K.  476. 
Rocalica,  Leonardo,  A.  368. 
Rochus,  h.,  Darst.  291.  316. 
Rom:  Gallerie  Chigi  95. 

Gallerie  Colonna  517. 

Gallerie  Doria  93  (2). 

Gallerie  Sciarra  (einst) '  93. 

Monte  di  pieta  (einst)  472. 

Pyramide  des  Cestius  224. 

Quirinal,  Rossebändiger  241. 

S.  Agnese  fuori  552. 

S.  Agostino  516.    Arch.   384, 

S.  Crisogono  504. 

S.  Francesco  a  ripa   73.    105.   382. 

S.  Giovanni  in  Laterano  82.   515. 

S,  Marco   165. 

S.  Marcello   384. 

S.  Maria  in  Araceli  505.    Arch.  380. 


Rom: 

S.  Maria    maggiore    82.    250.    251.    505. 
514. 

S.  Maria  sopa  Minerva,  Arch.   380. 

S.  Maria  in   Trastevere    504.    505.    509. 
514. 

S.  Paolo  fuori  489. 

S.  Pietro  268.  270.   384. 

S.  Pietro  in  Montorio    150.    Arch.    342. 
384. 

S.  Prassede  343. 

S.  Spirito,  Arch.  384. 

S.  Trinitä  de'  monti  489. 

S.  Vincenzo  ed  Anastasia  367. 

Septizonium   163. 

Trajanssäule   163. 

Vatikan:  Christi.  Museum  77.  78.  79.  95. 
105.   149.    154.   528.   538.   557. 
Rosa,  h.,  Darst.    177.  273. 
Roscellin  410. 

Roselli,  Biagio,  A.   379. 
Rosselli,    Cosimo,    M.    89.   126.   149. 

153- 
Rossi,  Matthia  de',  A.  382. 
Rovere,  Giuliano  delle  210. 
Rovezzano,  s.  Benedetto  da. 
Rovigo:  S.  Francesco  373. 
Rubens,  M.  93. 
Rubbiani,  A.  352, 
Rufino,  Fr.   579. 

Rufinus,  h.,  Darst.  273.  284.  291.   620. 
Ruggerone,  Dichter  431. 
Rusticus,  Abt.  318. 
Rusutti,  Filippo,  M.  250.  251. 

s. 

Sabbatinus,  Fr.    17. 

Sabinus,  h.,  Darst.  273. 

Saccati,   die  399. 

Sacchi,  Pier  Francesco,  M.  475. 

Salimbene    12     392.    395.    403  f.    454   und 

öfters. 
Salinguerra,  Giacomo  Torello  di  379. 
Salo :  S.  Bernardino,  Arch.   343. 
Salvadore  d'Antonio,  M.    150. 
Sangallo,  Antonio  di,  A.  384. 
Sangallo,  Antonio  di,  der  J.,  A.  384. 
Sangallo,  Giuliano  di,  A.  384. 
San  Gemini :   S.  Francesco,  Arch.  343. 

S.  Maria  bei  509. 
San  Gimignano :  Pal.  publice  507. 

S.  Agostino  509. 


Index. 


641 


Sanmichele,  Michele,  A.  334. 

San  Leone:  Dom,  Arch.  319. 

Sano  di  Pietro,  M.  87.   88. 

San  Severino:  S.  Francesco,  Arch.  381. 

Sanson,  Francesco  Nani  gen.,  Fr.   194.  2 II. 

212    302,  338. 
Sansovino,  Andrea,  B.  516. 
Sansovino,  Jacopo,  B.  A.  342. 
Santacroce,     Girolamo    di,    M.    96. 

105. 
Santa  Fiora,  Contessa  di  326. 
Santi,  Giovanni,  M.   163. 
Sarto,  Andrea  del,  M.   169.  472. 
Sarzana  481. 

Sarziano,  Zoccolantenkloster  79. 
Sassetta,  il,  M.   106.  540. 
Savello,  Paolo  370. 
Schmidt,  Valentin,  A.  356. 
Schongauer,  Martin,  K.  479. 
Sciffi,  Agnes  31. 
Sciffi,  Chiara,  s.  Chiara. 
Sciffi,  Ortolana  31. 
Scrovegni,  Enrico,  Darst.  498. 
Sebastian,  der  h.,  Darst.  87.  96.  291.  316. 
Sedulius,  Fr.  584. 
Segarelli,  Gherardo  399. 
Segna,  M.  508.  510. 
Segni,  Rinaldo  dei  conti  di  204. 
Sellajo,  Jacopo,  M.  472. 
Semitecolo,    Niccolö,    M.    106.   122. 

154. 
Sermei,  Cesare  Caval.,  M.,  290.   303 
Serviten,  die  306.  501. 
Sforza,  Francesco  290. 
Sibyllen,  die,  Darst.  291. 
Siena:  Akademie,  Franzbildniß  79.  81.  105. 

III.    Stigmatisation   146.    Duccio  503. 

508.     Fungai  95.    Guido  503.    Lippo 

Memmi  512.     A.  Lorenzetti  462.  510. 

P.  Lorenzetti  506.  512.     Luca  Thome 

516.      Martino    di   Bartolommeo    480. 

Simone  Martini  468.    Pacchiarotto  480. 

Sano  di  Pietro  87.     A.  Vanni  564. 
Baptisterium  462. 

Dom  266.  316.  383.  469.  470.  482.  497. 
502.     Arch.    266.    383.     Opera  88. 
144.  489.  504.   507. 
Palazzo  publice  502.   507.   512. 
S.  Ansano  508. 

S.  Domenico   502.     Arch.   337. 
S.  Francesco   168,   508.    Arch.   332.  337. 

339- 

Thode,  Franz  von  Assisi. 


Siena : 

S.  Maria  dei  Servi  94.   503.    Arch.  384. 

S.  Spirito  94. 
Siena,    Schule   von,    M.    94.  95.   105. 

III   und  öfters. 
Signorelli,  Luca,  M.  95.   124. 
Silvester,  Fr.   15.   130. 
Simone    Martini,    M.    291 — 294.   462. 

465.  477.  489.  494.  507-  508.  620. 
Simone  Napoletano,  M.  95. 
Sinigaglia,  Kapuzinerkloster  bei  80. 
Siponto:  Dom,  Arch.  319. 
Sisto,  Fra,  A.  379.  380. 
Sixtus  IV.,  Papst  208.  210.  211.  302. 
Sogliani,  M.  94. 
Sordello  von  Mantua,  Dichter  43 1. 
Spagno,  lo,  M.  95  (2).  291. 
Specchi,  Niccolo  298. 
Speculum  S.  Francisci  und  spec.  perfectionis 

169.   584.   587 — 609  passim. 
Spello :  S.  Francesco  332. 
Spinello   Aretino,    M.    94.    115.    126. 

506.  509.  518. 
Spiritualen,  die  393. 
Spoleto?  Dom  481.   515. 

S.  Domenico,  Arch.  336. 
Spoleto,  Grafen  von  302. 
Squarzione,  M.   105. 
Stanislaus,  h..  Leg.  Darst.  288. 
Stefaneschi,  Jacopo  Gaetano,  Kard.  268. 
Stefano,  Maurer  209.  292. 
Stefano  d'Asssi,  Hs.  303. 
Stefano  Fiorentino,  M.  216.  276.  283. 

287.  506.   544  ff-  569- 
Stefano  Tedesco,  Gl.?   210. 
Stephanus,  h..   Leg.    Darst.  291.   541.  619. 

620, 
Strauss,  Vogel,  Darst.  230. 
Stropeto,  Grafen  von  290. 
Subiaco :  S.  Scolastica  208. 

Sacro  Speco  71.  83.  85.   103.   171.  207. 
502.   512.  558.  562. 

Suso  xxm. 

Sylvester,  Fr.   130. 

T. 

Taddeo   Bartoli,    M.     149.    150.    512, 

540. 
Tafi,  Andrea,  M.  497. 
Tarano :  S.  Francesco,  Arch.   336. 
Tatti,  Jacopo,  s.  Sansovino. 
Tauler  XXIIL 

41 


642 


Index. 


Temi:  S.  Francesco    95.  497.  499.     Arch. 

331. 
S.  Maria  delle  Grazie  95. 
Terracina,  FraTommaso  da,  A.  363. 
Tertiarier,  die  31. 
Testa,  Arrigo,  Dichter  431. 
Thau,  das  Zeichen  des  98. 
Thibaud  de  Marly,  Dichter  556. 
Thifernate,  Francesco,  M.  95. 
Theobald,  Bischof  von  Assisi   170.   172. 
Theodoricus  de  Apolda    179. 
Thomas,  Gürtelspende  an,  Darst.  94. 
Thomas    von   Aquino    56.    96.    410.    411. 

413.  455- 
Thomas   von  Celano   433.  556.  576  ff.  587 

bis  609  und  passim. 
Thomas  von  Ceperano  (?)  577. 
Thomas  Spalatensis  69. 
Tiberio    d'Assisi,    M.    95.    175.    176. 

302.  316.  323. 
Tiepolo,  Jacopo  369. 
Tintoretto,  M.  91. 
Tizian,  M.  89.  91.   149.   150,  564. 
Tobias  mit  dem  Engel,  Darst.  239. 
Tommaso  da  Firenze,  J.  302. 
Tommaso  da  Terracina,  Fr.,  A.  363. 
Torcello:  Dom  497, 

Torriti,  Jacopo,  M.  82.  89.  251.514. 
Toscanella:  S.  Pietro  497. 
Traini,  Francesco,  M.  512. 
Trani:  S.  Maria  Immaculata,  Arch.  319. 
Treja:  S.  Francesco,  Arch.  381. 
Tres  Socii:  Legende.  579  ff.  587—609  und 

passim. 
Trevi:  S.  Francesco,  Arch.   333. 
Treviso:  S.  Francesco,  Arch.  372. 

S.  Niccolo,  Arch.  372. 
Trier:  Dom  553. 

Museum   553. 
Trinci,  Paolo  324. 

Troubadours,  die  54.   57-   58.  424.  43o. 
Tschengis  Khan  402. 
Tullius,  Meister,  M.  83. 
Turin:  Gallerie   149.   150. 

S.  Francesco  376. 
Tzarnfurnari,  Emanuel,  M,   557. 

u. 

Ubertino  da  Casale  396.  605  ff. 
Uccello,  Paolo,  M.  89.   105. 
Udine,  Amatheo  da   151. 
Uffreducii,  Sanguonius  und  Thomas  201. 


Ugo  Panziera,  Fra  450. 

Ugolino  da  Siena,  M.    494.  504.  508. 

515. 
Ugolino  di  Prete  Ilario,  M.  465. 
Ulbertino  di  Lanfranchus,  A.    355. 
Urbino:  Gallerie  506. 

S.  Francesco   151. 

S.  Giovanni  472. 
Urbino,  Herzöge  von  290. 

V. 

Vagnuzzo  di  Francesco  d'Assisi  301, 
Vaison,  Kirchen  in  320. 
Valentino  da  Udine,  Gl.  616. 
Vanni,  Andrea,  M.  564. 
Venedig:    Akademie    88     90.    95    (3).    96. 
106.   122.   154.  494. 

Museo  Correr  82. 

S.  Francesco  della  Vigna  88.   105.   Arch. 
342.  384. 

S.  Giobbe,  Arch.   342. 

S.  Giovanni  e  Paolo  541.     Arch.    369  f. 

371. 

S.  Marco  83.   179.  356. 

S.  Maria  del  Carmine,  Arch.  350. 

S.  Maria  gloriosa  dei  frari  91.  Arch.  370. 

S.  Maria  dei  miracoli  92. 

S.  Silvestro  96. 

S.  Stefano,  Arch.  350. 
Venedig,  Schule  von,  M,   180. 
Venosa:  S.  Trinitä,  Arch.  363. 
Vercelli:  S.  Andrea,  Arch.  207. 
Veronese,  Paolo,  M.  91. 
Verona:  Gallerie  88. 

Kap.  del  Commune   96. 

S.  Anastasia,  Arch.   371  f. 

S.  Bemardino   105.   106.   122.   128.   133. 
160.   169.   177.  475-     Arch.  334. 

S.  Eufemia,  Arch,  334. 

S.  Fermo,  Arch.  333. 
Verrocchio,  Andrea,  B.  M.  472. 
Verulam,  Baco  von  410. 
Viara,  Familie  370. 
Vicenza:  S.  Corona,  Arch.  373, 

S.  Lorenzo,  Arch.  372. 
Victorinus,  h.,  Darst.  273.  291.  619. 
Vidale,  Troubadour  430, 
Vignola,  Giac.  B,  de,  A.  322. 
Vincentius,  h.  619. 
Vinea,  Petrus  de  32.  401.  431. 
Vinstigen,  Heinrich  von,  Erzb.   553. 
Vipera,  Antonio,  A.  ?  381. 


Visconti,  Federigo,  Erzb.  v.  Pisa  336 
Vita,  Frate  in  Lucca,  Musiker  457. 
Vitale  da  Bologna,  M.  505.   515. 
Vita,  Antonio,  M,   136.  441. 
Viterbo:  S.  Maria  della  veritä,  Arch.  331. 
Viti,  Timoteo,  M.  93. 
Vittore  Pisanello,  M.  469. 
Vittoria,  Alessandro,  B.  88. 
Vivarini,  Alvise,  M.  90.  469. 
Vivarini,  Bartolommeo    M.  95. 
Volterra:  S.  Francesco  518.  Arch.  333. 

S.  Girolamo  527.  538.  540.   541, 
Voragine,  Jacobus  a  98.  501. 

W. 

Waldenser,  die  XVIII.  XX.   18  ff.   51.  398. 

409.  482.  568. 
Waldus,  Petrus  7.    18.   19.  21.   23.  416. 
Walther,  Herzog  von  Athen  297. 


Index.  643 

Walther  von  der  Vogelweide  53.   54-  425- 

428.  432. 
Wenzeslaus  von  Böhmen  202, 
Werinher  von  Tegemsee,  Dichter  501. 
Wilhelm  von  St.  Amour  395.  409. 
Wolfram  von  Eschenbach  431. 

Z. 

Zacharias,  h.,  Darst.  617. 

Zaganelli,  Francesco,  M.  93.  95. 

Zalfanus,  Petrus,  Fr.   170. 

Zambonus,  Maurer  355. 

Zampa,  Franceschino,  A.  213. 

Zelatores,  die  393. 

Ziani,  Marco  342. 

Zingaro,  Antonio,  M.   541. 

Zoccolanti,  die  398. 

Zurlengo,  Antonio  349, 


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Tafel  5. 


Abb.  8.    Franz  predigt  den  Vögeln. 
Giotto:  Fresko  in  Assisi. 


Tafel  6. 


Abb.  9.     Bildniß  des  Franz  im  Sacro  Speco  zu  Subiaco. 


Tafel  7. 


Abb.  10.    Bildniß  des  Franz  in  S.  Maria  degli  Angeli  bei  Assisi. 


Tafel  8. 


Abb.  II.    Bildniß  des  Franz.     Schule  von  Siena. 
Akademie  zu  Siena. 


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Tafel  II. 


Abb.  16.    Die  Vertreibung  der  Dämonen  aus  Arezzo. 
Giotto:  Fresko  in  Assisi. 


Tafel  12. 


Abb.  17.    Die  wunderbare  Tränkung  des  Durstigen. 
Giotto:  Fresko  in  Assisi. 


Tafel    13. 


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Tafel  19. 


Abb.  28.     Die  Unterkirche  von  S.  Francesco  in  Assisi. 


Abb.  30.    Die  Oberkirche  von  S.  Francesco  in  Assisi. 


Tafel  20. 


Tafel  21. 


Abb.  32.    Das  Südportal  und  Vestibül  der  Unterkirche  S.  Francesco  in  Assisi. 


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Tafel  26. 


Abb.  40.     Das  Grabmal  des  Gian  Gaetano  Orsini  in  der  Unterkirche  von  S.  Francesco  zu  Assisi. 


Abb.  41.    Die  h.  Magdalena  und  der  Bischof  Tebaldo  Pontano. 
Giotto:  Fresko  in  der  Unterkirche  von  S.  Francesco  zu  Assisi. 


Tafel  27. 


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Tafel  29. 


Abb.  46.    Die  Kirche  S.  Pietro  in  Assisi. 


Abb.  47.    Die  Kirche  S.  Maria  degli  Angeli  bei  Assisi. 


Tafel  30. 


Abb.  48.    Die  Kirche  S.  Chiara  in  Assisi. 


Abb.  55.    Die  Kirche  S.  Croce  in  Florenz. 


Tafel  31, 


Tafel  32. 


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Tafel  33. 


Abb.  68.    Die  Anbetung  der  h.  drei  Könige. 
Giotto :  Fresko  in  der  Unterkirche  ru  Assisi. 


Abb.  69.     Die  Kreuzigung  Christi. 
Giotto:  Fresko  in  der  Unterkirche  S.  Francesco  zu  Assisi. 


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Tafel  35. 


Tafel  36. 


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Tafel  37. 


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Tafel  39. 


Abb.  76.     Allegorie  der  Vergänglichkeit. 
Giotto:  Fresko  in  der  Unterkirche  S.  Francesco  zu  Assisi. 


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