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Full text of "Frau von Staël ihre freunde und ihre bedeutung in politik und literatur"

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'"^^^RA^S^ 


Sfrau  von  §faet, 

in  $0lttit  uttb  Sitetatttt. 


@rfter  ^albbaitb. 


^xan  t)Ott  ^tael, 

in  80llt!li  unö  iWmUt 


SJon 


geh-  ©rftfnt  £jegjbem 


3Jltt  einem  ^Porträt  ber  %tau  x)on  ©tael. 


t&xfttx  Solbbrnäi. 


aSctIafl  öon  ©ebtüber  ^aetcl. 

1887. 


s7 


/ 


-f.t 


9iUc  ffitä^tt,  t)orne]^mIi(i&  bad  bev  Uebeifej^und  in  frembe 

Qpxaä^tn,  t)oxhtf^aittn. 


©rurf  öon  ®.  Söeruftctn  In  S3erlin. 


75/  7G  3  ■  /9-) 


^mrnrml. 


«La  premiäre  loi  d'un  portrait  est  de 
ne  pas  le  £Edre  dans  an  ton  opposö  k 
celui  du  modHe.* 

Sainte-Beuve. 

tteber  ben  3eitab[c^mtt  t)on  1789  bis  1815  ift  faum  ein 
bebeutcnbcS  Sud)  l^iftorif d)en  gn^^ttS  gef<^ricbcn  worben,  ba3 
nici^t  ben  9iamen  t)on  Sinne  Ocrmaine  5ftccfer,  SBaronin  t)on 
@taöl*^olftcin,  genannt  ptte. 

am  22.  SH)riI  1766  im  ©d^ofe  bcr  Äultur  beS  ad)tge^nten 
gal^rl^unbertS  geboren,  unter  bem  birelten  ©inpufe  ber  Sbeen 
t)on  3-  %  9iouffeau  aufgewadifen  unb  in  lebenbiger  Serül^rung 
mit  allen  ©röfeen  ber  ^t\i,  uon  SSoltaire  bis  2Kirabeau,  oon 
Surgot  bis  SBonoparte,  l^at  fle  bie  SSorliebe  für  biefelbe  nie 
verleugnet  unb  bie  gange  SHebolution  gum  2:i^eil  mitl^anbelnb 
burc^lebt.  ©iefe  i^re  ))olitifc^e  9ioKe  fäKt  in  bie  gel^n  Saläre 
gttjifd^en  1789  unb  1799.  SllS  jte  auSgef))ielt  war,  begann  mit 
bem  Sud)  „fiber  bie  giteratur"  bie  eigentlid)e  fd^riftfteHerifclöe 
fiaufbal^n,  bie  erft  il^r  am  14.  Suli  1817  erfolgter  Sob  ab^ 
fd^lofe.  ©iefe  fiaufbal^n  begeid^net  ein  großer  literarifci^er 
S^riunip]^,  ber  Don  „ßorinna";  eine  geiftige  Sl^at  oon  faum  gu 
überfd)ä^enber  Tragweite,  bie  SSeröffentlid)ung  beS  a3ud)S  «über 


VI  »otttjort. 

®eutf(i^lanb" ;  enblid)  baö  politifci^e,  in  ben  „SBetraci^tungcn  über 
bic  frangöftfd^e  SRcöoIution"  niebcrßcleQtc  SEcftamcnt,  baö  gtan^ 
rcid^g  bcfte  ©öl^ne  mit  gu  bem  SBcrfud^  begeiftcrt  l^at,  il^rem  ßanb 
bic  Ofiter  bcr  %x^\l)cit  ju  jid^crn,  für  n)eld)c  bic  ©cneration 
»Ott  1789,  bejiegt  aber  nid^t  cnttäufd^t,  in  ben  SEob  gegangen  war. 

@in  fold^eö  ©afein,  an  alle  SBed^felfäHe  eineö  n^eiblid^en 
©d^idffalö  gefnüpft,  ba§  bie  ©türme  beS  ^ergenö  unb  gebend 
in  feltener  ©d^mergfäl^igfeit  mitburc^litten  l^at,  mu^te  nicl)t 
»weniger  2l^eilnal)me  als  Snteref[e  einPfeen.  @o  ift  benn  aud) 
ein  ßffa^  über  gtau  t)on  @tael  ba§  SieblingStl^ema  frangöftfd^er 
©diriftfteller  geblieben,  ^ein  bebeutenber  unter  il^nen,  9Ä.  % 
e^enier,  »arante,  3.  be  9Kaiftre,  ai)ier§,  »iUemain,  6^äteau= 
brianb,  fiamartine,  Sflettement,  Slifarb,  61^.  be  Siemufat,  ®uftat)e 
5ßland)e,  ©^rufeg,  6^.  be  3Kagabe,  Slmiel,  Srunetiere,  6aro, 
D.  i?euillet,  ©uigot,  SEaine,  ber  eö  unterlaffen  ptte,  wenn  aud) 
nur  öorübergel^enb  bie  gal^ne  öor  il^r  gu  neigen.  Sluöfül^r- 
lici^ere  ©tubien  über  fie  t)on  3Kabame  SReder  be  ©auffure, 
SBenjamin  ßonftant,  SUe^anbre  SBinet,  üor  allem  üon  ©ainte* 
Seuöe,  bem  SKeifter  ber  mobemen  ^ritif,,  gepren  mit  gum 
beften,  waö  bie  frangöjtfci^e  ^rofa  im  5ßorträt  geleiftet  l^at. 

Slffe  biefe  ©tubien  aber  tragen  einen  öorwiegenb  literarifci^en 
ß^arafter.  3)ie  gal^lreid^en  Sflad^rid^ten  über  bie  ))olitif(]öc  Stel- 
lung unb  aSebeutung  uon  grau  t)on  ©tael,  bie  ftd^  in  ber  faft 
unüberfeparen  ßiteratur  über  bie  SReoolution,  in  SRemoiren 
unb  ßorrefponbengen ,  33iogra^)]^ien  unb  @efd^iä)t§n)erlen  ger- 
ftreut  finben,  jinb  babei  entweber  gar  nid^t  ober  bod^  nur  un= 
öoKftönbig  oerwertl^et  worben. 

Unb  bod^  lie§  jtd^  bag  Silb  ber  merfwürbigen  grau  nid^t 
anberS  als  im  SRal^men  ber  oon  il^r  mit  burd^lebten  ©reigniffe 


SSortoort.  VII 

unb  ©ebanfcnftrömungcn  rid^tig  bclcud^tcn.  SÄan  burftc,  nad^ 
bcn  SBortcn  eincö  unfcrcr  grögtcit  ^iftorifcr,  jid)  felbft  nid^t 
fdieucn,  3Utt)cilcn  lieber  SlltbefannteS  gu  wteberl^olen,  alö  über 
bcm  Scftrcben,  immer  unb  überall  neu  ju  fein,  not^wenbig  un* 
toa\)x  ju  werben. 

?ln  ber  Äli))pe,  bie  perfönlid^en  @(i)idffale  ber  %xavi  oon 
Staöl  oon  ber  @ef(i)fd^te  il^rer  S^it  ä«  trennen,  jinb  inöbefonbere 
bie  t)erfd)tebenen  englifd^en  SBerfud^e,  ein  erfd^öpfenbeS  gebend« 
bilb  öon  il)r  gu  enttoerfen,  gefd)eitert. 

@o  ift  eö  ge!ommen,  bafe  jteben  ©ecennien  nad)  il^rem  Sobe 
eine  ber  bebeutenbften  6rfd)einungen  ber  mobernen  Qdt  nod^ 
leinen  Siograpl^en  gefunben  l^at. 

©iefe  güdfe  in  ber  ®efd^id)te  beö  neunjel^nten  Salirl^unbertö 
tDurbe  ber  SSerfafferin  oorliegenber  Slrbeit  bei  SBerfoIgung  ganj 
anberer  ©tubien  fühlbar;  bafe  jte,  biefelben  unterbred^enb,  ber 
23crfud^ung,  bie  ßücfe  auögufiitten,  erlag,  erflärt  gur  ®enüge  ber 
SReid^tl^um  beö  ©toffS,  fein  3ii[cimmenl^ang  mit  fo  öielen  ©pifoben 
unb  leitenben  ^ßerfönlid^feiten  ber  SReöoIution,  be§  Äaiferreid^ö, 
ber  beutfd^en  flafjtfd^en  Slera  unb  ber  Sleftauration,  enblid^  bie 
centrale  Sigur  felbft,  toeld^e  bie  3!Kcnfd^en  mel^r  nod^  burd^  il^re 
unwiberftel^lid^e  ®üte,  als  felbft  burd)  baS  ®enie  gefeffelt  ^at. 

6§  fam  nod^  ein  weiterer  Seweggrunb  l^ingu. 

tjrau  öon  @tael  fal^  ©eutfd^lanb  in  ber  ©tunbe  feiner 
tiefften,  politifd)en  ©rniebrigung.  6ben  biefe  ©tunbe  l^at  fte 
gewäl^lt,  um  feine  geiftige  ©röfee,  feinen  jtttlidien  SBertl^  unb 
aSeruf,  unbeirrt  burd)  bie  ßreigniffe,  ber  SBclt  gu  öerfünben. 

@ie  ift  bie  fjrcunbin  öon  ©d^iHer  unb  ®oetf)e,  uon  Äarl 
Sluguft  unb.  §ergogin  Suife,  oon  SBill^elm  unb  Sllefanbcr  uon 
§umbolbt,  bie  ®önnerin  öon  21.  SB.  ©d^legel  gcwefen.  „ßorinna" 


Sitfifha  (At\nmtmnat  t>€tpflUiftm. 

Jim  fSiUibUd  auf  Mefclben  mißt  bit  @ef(^te  ber  ^ou 
fttfM  SHnol^  tt^H  t^riitf^rr  $anb  auff^ejdd^net,  als  ein  Seitrag 
brr  bdUifHiftt  ttltcTdiur  j^iim  detitenarium  uon  1789  nadific^tig 
tllitniftuiiittitiftt  ui(frb(ftt.  8Öa«  In  biefcm  gewaltigen  @;rperiment 
ntil  iiiib  l(^ti(^it«fAt)ln  ßmi(?t<^H  (ft,  l^at  9liemanb  ebler  feftgel^alten 
dl«  flr»  U<i^tt1)i^f  M(^  ^trlddt  mel)r  galt  al0  alle  anbeten  @äter 


C!Br|lj0  ^üpiitl 


©er  leidet  erregbare,  eiferfüdötige  ^atriotiSmuö  ber  iJ-ran- 
jofen,  ber  anbem  Stationen  fo  oft  jum  SSorbilb,  md)t  feiten 
aud^  als  nü^Ild^er  ©porn  jur  Slnfpannung  ber  eigenen  Äraft 
biente,  l^at  jte  bennoci^  nid^t  öerl^iubert ,  mel^r  als  einmal  im 
Saufe  il^rcr  ©efd^id^te  bie  Seitung  be§  @taate§  fremben  |)änben 
anjuöertrauen.  2)er  größte  Slnt^eil  baran  fällt  ben  Italienern 
äu,  ßoncini  unter  ßubmig  XIII.,  unter  feinem  5Rad^folger,  bem 
ßarbinal  SJlajarin,  ber  mitSSemal^rung  aller  ttipif  dE)en  ©genfd^aftcn 
ber  eigenen  ^Rationalität  fo  oiel  jum  ©lang  unb  jur  3Rad)t* 
fteHung  ber  frangöftfd^en  Ärone  beigetragen  l^at.  ©er  ©nglänber 
Sertoid  fd^lug  bie  ©d^lad^ten  Subwig'S  XIV.;  ber  ©d^otte  San) 
oertoaltete  bie  ginanjen  bcö  ^Regenten,  ©ie  SReoolution  accep- 
tirte  bie  3Ritf)ülfe  beS  Slmerilanerö  S:f)omaS  ^a^ne,  be§  9ieuen= 
bürgert  3Karat,  beS  ^reufeen  3lnad)arp§  6loo^,  be§  beutfcften 
Ißrinjen  oon  §effcn=3flf)cinfel§,  beS  ßorfen  33onaparte.  %vix  bie 
aSenbec  fod^t  ber  ©d^wabe  ©tofflet,  für  Subn^ig  XVI.  ber  Ober* 
pfäljer  Sucfner.  ©ie  nationale  6igentf)ümlid)feit  l^^t  \)a^ 
beutfd^e  ßlement  auf  fremben  33oben  am  n^enigften  bewal^rt, 
t)om  gelbf)erm  SJtaurice  be  @aj:e  big  l^crab  gum  ©c^riftfteller 
©rimrn,  bem  ba§  Sob  gefpenbet  worben  ift,  franjöjtfdt)eS  SBefen 
bis  gur  SSoHenbung  in  ftd)  auSgebilbet  ju  l^aben. 

©a§  ®leid)e  läfet  ftd^  nid^t  öon  feinem  ^Jreunb  unb  ^txU 
genoffen,  bem  ®enfer  Safob  Jlecfer,  fagen,  ber  in  einem  Slugem 

ölenner^atfett,  %xau  bou  ©tafiL  I.  1 


:^  1^  i^joniinp:  mü  gqcsnmiatKi:  nie  n:  Kt 
IHK  ^^i^rty     fi<i(tftr  t^  SKHUumgt  l^ertr  Tniirwflm  mff 
\^.mKt  SuTiyfiut  piffwneia:  vrrunr   xm^     i^   vir    He 

tiifW''*^.  \0iif:^<tt  ißprtet  ife.  huibk  s  grntiritrrtr  mrrfcra. 
(44;  ittf.  yii^ptiiKimiti  vsm  Hf^  "uumut  :är  j^fmif  nÜ  üc  der 
tSkiÄin^  feim  v^ffei*  IStoie  ^  inco:  Xiiorr  ms  1k  imrjffdiöieB 
'Üjfi^Mf^,  uif  PwxxsnJja  Snt  ^säkz  gixitfiio:  pzzor« 

''i^id^M's  »imi  ifi^<^  l^^p  ^f  ^  ^  2^  SifnnTi. 

|t<fiii^  ^rk,  ttm  in  ^tmanan  nrieber  jnrjTTtmwVn,  a>ü  fütit^ 
((Ü4^  t^ähm  ptiA/^umü\d^  kuöfmcnntn  beBdMoL  Sft 
'4^A^t^»  ^in^i  ^t^tnuct^  Vlattm  Ütdtt,  im  Hin^ffrid  Baitmbeig, 
liur^irtt  ^m  ^tftilt,  toutbt  SU^oCot  itt  Auftritt.  Sl^en  eo^ 
lUrf  9f(\€l>fMi  mit  "kamim  uttb  1685  geboren,  gab  ben  eitgen, 
m\\(ii\^%  m6)  t>on  i^m  getoäl^Iten  Sirfuttgsfreid  balb  loieber 
aü\,  um  einen  jungen  (Skafen  Sem^orff,  fktt^  ^önig^ 
^eprg  \,,  auf  (Keifen  juerft  an  bie  Uniuerfitat  @enf,  bann  in 
oertd)iebetu  ^au)Hftäbte  (furopa'd  ju  begleiten.  @egen  1724 
traf  er  mit  feiitem  Üögling  in  Sonbon  ein,  xoo  ber  ^önig  feine 
4temiti)UHgen  burd)  ein  IJ^I^rgel^alt  Don  £  100  mit  ber  ä3e^ 


®r)lj0  f  Äpttd. 


©er  leidet  erregbare,  eiferfütötige  ^Patriotismus  ber  g^ran- 
gofen,  ber  anbem  Stationen  fo  oft  jum  SSorbilb,  nid)t  feiten 
aud^  als  nü^lid)er  Sporn  gur  Slnfpannung  ber  eigenen  ^aft 
biente,  i^at  jte  bennoc^  nid^t  üeri^inbert ,  mel^r  als  einmal  im 
Saufe  il^ter  ®efdöid)te  bie  Seitung  beS  Staates  fremben  Rauben 
anjuüertrauen.  S)er  größte  Slntf)eil  baran  fällt  ben  Italienern 
ju,  Goncini  unter  gubwig  XIII.,  unter  feinem  5Jlac^folger,  t)tm 
ßarbinal  SKajarin,  ber  mitSemai^rung  aller  tt)pif  d^en  6igenf  d^aften 
ber  eigenen  ^Rationalität  fo  Diel  gum  ®lang  unb  gur  SJfad^t^ 
fteHung  ber  frangöjifciöen  Ärone  beigetragen  l^at.  ®er  6nglänber 
Sermidf  fd)lug  bie  ©d^lad^ten  Submig'S  XIV.;  ber  ©d^otte  gato 
üermaltete  bie  ^Jinangen  beS  ^Regenten,  ©ie  Sleüolution  accep^ 
tirte  bie  SJfitplfe  beS  SlmerilanerS  Sl)omaS  ^aqne,  beS  9ieuen= 
burgerS  9Rarat,  beS  ^reufeen  2lnad)arpS  6loo^,  beS  beutfc^en 
^ringen  öon  ,^effem3fl^einfelS;  beS  (Sorfen  Sonaparte.  %nx  bie 
aSenbee  fod^t  ber  ©d^mabe  ©tofflet,  für  Subtt)ig  XVI.  ber  Dber= 
pfälger  gudfner.  ©ie  nationale  6igentf)ümlid^feit  i^at  baS 
beutfd^e  6lement  auf  fremben  SSoben  am  toenigften  bemal^rt, 
üom  gelbf)erm  9Jtaurice  be  @aj:e  bis  f)erab  gum  ©^riftfteHer 
©rimm,  bem  baS  Sob  gefpenbet  toorben  ift,  frangöfifd^eS  SBefen 
bis  gur  SSoHenbung  in  ftd)  auSgebilbet  gu  l^aben. 

2)aS  ®leid)e  läfet  jid^  nid^t  t)on  feinem  greunb  unb  ^dU 
genoffen,  bem  ®enfer  3cJfob  9tecfer,  fagen,  ber  in  einem  Slugen* 

33Icnncrl&atfctt,  5rau  »ou  ©taeL  I.  1 


2  S)le  gamtlie  ffttätx. 

blidf  l^öd^fter  SScbrängnife  für  bcn  franjöftfd^cn  ©taatöl^ouiSl^alt, 
bie  geitung  feiner  fjinanjen  unb  jel^n  ScJ^^e  fpäter,  am  2Sor== 
abenb  be§  fürd^terlid^ften  ©turmeS,  ber  bi^l^er  über  eine  curo- 
))äifd)e  SRation  l^ereinbrad),  bie  SRettung  berfelben  \)ox  gänjlid^em 
aSerberbeu  unternal^m. 

Sn  ben  Sorjügen  unb  6igenfd)aften,  toie  in  ben  SRangcIn 
unb  ^ei^lem,  ttjeld)en  ba§  3KifeIingen  biefer  boppelten  unb  um 
gel^euren  Slufgabe  jugefd^rieben  »werben  mu&,  la&t  jtd^  bie 
beutfd)e  Slbfunft  nad^tt)eifen,  öon  meldier  5Jle(fer,  nur  burd^ 
eine  Generation  getrennt,  bie  ©puren  nie  gang  in  jtd^  öertDifd^tc. 
Sei  einer  3lation  aber,  tt)eld^e  ju  allen  S^it^^  ^w^^  gctüiffe 
€f)arafterf eitler  öiel  mel^r  atö  burd)  bie  entgegengefe^ten  6tgcn= 
fd)aften  bel^errfd^t  tt)orben  ift,  mufete  e§  entfd)eibenb  werben, 
bafe  am  SBenbe))unft  Dou  1789  fomoi^l  il)r  Äönig  als  fein  erfter 
2Kinifter  feine  beffere  @abe  ju  bieten  l^atten  als  bie  bürgcrlici^ett 
Sugenben,  um  berentmiHen  bie  SSölIer  glüdflid^  gepriefen  werben, 
bie  feine  @efd)id)te  i^aben. 

Sl^rem  Urfprung  nad)  ftammte  bie  Samilie  Slecfer  ouö 
3rlanb,  womit  jugleid^  gefagt  ift,  ba&  jte  eble  Slbfunft,  xomix 
anä)  nid^t  bie  föniglid^en  (Si^ren  beanfprud^tc,  bie  j|ebem  cd^ten 
irifd^en  gelten,  in  feiner  ber  SBal^rl^eit  entfrembeten  §ßl^antajte, 
al§  a3rud)t]^eil  eine§  geraubten  ©rbred^ts  öorfd^weben. 

SSon  Sricmb  öerfd^winbet  bie  ©pur  ber  gamilie  unter 
Königin  3Karia,  um  in  §ßommern  wieber  aufjutaud^en,  wo  9Kit== 
glieber  berfelben  proteftantifd)e  Äir^enämter  befleibeten.  ©er 
©ol^n  eineö  §ßrebiger§  SJfartin  S^edfer,  im  Äird^fpiel  SBartenberg, 
unweit  öon  ^ß^ri^,  würbe  Slböofat  in  Äüftrin.  S)effen  ©ol^n, 
Äarl  g-riebrid^  mit  SRamen  unb  1685  geboren,  gab  ben  engen, 
anfangs  aud^  öon  il^m  gewäl^lten  3Birfung§frei§  balb  wieber 
auf,  um  einen  jungen  ®rafen  S3emftorff,  ^atl^en  Äönigö 
©eorg  L,  auf  Sieifen  juerft  an  bie  Uniüerjttät  ®enf,  bann  in 
öerfd^iebene  ^auptftdbte  6uropa'ö  ju  begleiten,  ©egen  1724 
traf  er  mit  feinem  Söflltag  i«  Sonbon  ein,  wo  ber  Äönig  feine 
Semül^ungen  burd^   ein  S^'Ö^fl^^^lt  öon  £  100  mit  ber  33e^ 


SRerfcr,  bcr  iBater,  in  bcr  ©dftttjeia.  3 

bingilng,  in  ®cnf  eine  grgiel^unö§anftQlt  für  junge  ©nglänber 

gu  errid)ten,  anerfannte.    3ledfer  »billigte  ein  unb  ttjurbc  balb 

barauf  öom  ©enfer  ©rofeen  SRatl^  jttjar  ol^ne  &cf)alt,  aber  mit 

bem  3;itel  eine§  §ßrofe[for§  ber  3ied)te  an  bie  bortige  ^od)fd^ule 

berufen,    ©r  öermäl^Ite  jtd^  1726  mit  ber  ©d^ttjefter  be§  @taat§= 

fefretärg  unb  3Kitglieb§  be§  l^ol^en  9fiatl)e§,  ©autier,  au§  einer 

fjamilie  vertriebener  Hugenotten,  ber  feinen  Stammbaum  burd) 

bie  ©aHatin  unb  Säubert  auf  S^cqueö  6oeur,  ben  großen  fran* 

jöftfd^en  fjinangmann  be§  XV.  gal^rl^unbertiS  gurüdffül^rte,   er* 

langte  im   felben  ^ai)x  ba§  SSürgerred^t  unb  gttjar,  mic  baö 

©elret  befagte,  „loftenloö  wegen  feiner  3Serbienfte'',  mürbe  balb 

barauf  in  ben  l^ol^en  dtaü)  gemcil^U,  bann  1742  3Ritglieb  bc§ 

reformirten   6onftftorium§   unb  üeröffentlid^te  um  biefelbe  Qcxt 

einen  „Unterrid)t  gum  ©taatSred^t  beä  ^.  31.  3fieic^e§  beutfd^er 

Station",  Don  bem  1764  eine  Ueberfe^ung  in  fjranffurt  unb 

Seipgig  erfd)ien.    Dbmol^l  Sledfer  befonberiS  bemerft  l^atte,  ba& 

bie  ©d^rift  „nid^ts  entl^alte,  maiS  ben  dürften  unangenei^m  fein 

Iönne'\  glaubte  ber  l^ol^c  aiatl^  bcr  SRepublil  bod^  mit  9fiudfjtd)t 

auf  monard^ifd)e   S^ad^barftaaten  bie  SBibmung  berfelben  auö 

Älugl)eit§grünben  ablei^nen  gu  muffen,  üerjtd)erte  aber  ben  SBer* 

faf[er  feines  befonbem  SBol^lmoHenS.    3)er  6rfolg  feiner  @r= 

giei^ungSanftalt  fe^te  t&n  in  ©tanb,  einen  Sanbjtfe  gu  ermerben, 

bem  er  aue  Slnl)ängHd)feit  an   bie  alte  ^etmatl^  ben  5Jlamen 

„©ermanie''   gab.     ©a§  SBo^l  feinet    gmeiten  ^eimatl^lanbeS 

fd^eint  er  ftd^  nid)t  menig  gu  bergen  genommen  gu  l^aben,  benn 

1762,  bei  einer  SBal)l  in  ber  $etrifird)e,  bie  l^eftige  Unrul^en 

üeranlafete,  fani  er  mäl^renb  beiS  SSerfud^S,  bie  aufgeregten  ®e= 

mutiger  gu  befd)mid^tigen,  plöpd^  leblos  gu  Soben^).   @r  l^citte 

baS  Sllter  oon  77  Salären  erreid)t  unb  l^interliefe  gmei  ©öl^ne, 

Submig  unb  Salob. 

Submig  Sledfer,  ber  ältere  t)on  beiben,  1730  geboren  unb 

')  Senebier,  Histoire  litteraire  de  Geneve,  1786.  111,90.  Gallife, 
Notices  genealogiques  sur  les  familles  genevoises.  II  u.  IV.  Dr.  3.  ^cx* 
mann,  DUxUf)xct:  Qnx  ©efd^id^tc  ber  ganülle  ^tätx.    SScrIin  1886. 

1* 


4  02e(iet'd  ^öl^ne,  3a!ob  unb  Subiuig. 

©oftor  ber  SRed^te,  betrat  anfangt  bie  Saufbal^n  feinet  SSatcr^, 
begleitete  ben  jungen  dürften  üon  5Jlaffau=3Beilburg,  bann  einen 
©rafen  üon  ber  £ippe=©etmoIb  auf  bie  UniDerjttät  nad^  Surin, 
tourbe  l)ierauf  6rjie^er  beö  greil^errn  üon  SBaffenäer,  au§  alt:» 
nieberlänbifd^em  @efd^Ied)t,  unb  bejog  al§  folc^er  mit  \S)m  bie 
Uniüerptät  Utred)t.     3wm  ^rofeffor    ber  5Jlaturle]^re    an    ber 
^od)fd)ule  feiner  3Saterftabt  ernannt,   betl^eiligte    er   jtd^   mit 
einigen  arbeiten  am  ©ictionnaire  ©nc^clopebique,  füf)rtc  feinet 
SSaterS  ßrgieliung^anftalt  fort,  fal^  ftd^   aber  nad^  bem  Stöbe 
feiner  erften  fjtau  öeranlafet,  in  ?5olge  oon  gerid^tlid^en  Streitig* 
leiten   ®enf  ju   öerlaffen.    6r   öergid^tete  auf  feine  5ßrofeffur, 
ging  nad^  SKarfeiHe,  nal^m  ben  Si^i^^w^^n  be  ®ermanie  an  unb 
errid^tete  mit  Unterftü^ung  feinet  SSruber^  Safob  SJlexfer  bort 
ein  S3anfgefd)äft,  ba§  ii^n  in  ben  ©taub  fe^te,  nacf)  toenigen 
Sal^i^en  jidi)  mit  einem  Sßermögen  oon  gtoei  SKiHionen  £iöre§ 
in§  ^rioatleben  unb  nad^  5ßari§  jurüdfjugielien.    25ort  tourbe 
er  ber  greunb  Senjamin  granflin'S,  mit  bem  il^n  t)a^  gleid^c 
Sntereffe   für   Slaturtoiffenfd^aften   oerbanb,    unb    ®atte   eine§ 
gräulein  t)on  ^auteoiKe.    S)iefe  gioeite  6l)e  blieb  finberlo^,  aber 
ein  @ol)n  erfter  6l^e  trat  in  franjöpfd^e  Ärieg^bienfte,  unb  eine 
Sod^ter  oerl^eiratl^ete  jtd^  in  ©enf,  too  audt)  Subtoig  9tecfer  1804 
im  felben  gal^r  toie  fein  ©ruber  fein  geben  befd)lo60^ 

2)iefem  jüngeren  ©ol^n  t)on  Äarl  ^Jriebrid^,  3<^cque§  9leder, 
am  30.  September  1732  geboren,  toar  ein  fel)r  öerfd^iebene^, 
aßen  SBanblungen  menfd^lic^er  ©röfee  unb  bamit  unjertrennlid)er 
(gnttäufd^ungen  au§gefe^te§  @d)icffal  befd^ieben.  Sluja  feinen  in 
®enf  oerlebten,  im  Uebrigen  burd^  fein  befonbereS  6rlebnife  be- 
jeid^neten  Änabenjalören  l^at  ftd^  bod)  ein  d^arafteriftifd^er  Quq 
erl^alten,  btn  fein  nad)maliger  greunb,  Äarl  SSiftor  oon  Son= 
ftetten  berichtet.  SBenn,  fo  n)urbe  itjm  erjäfilt,  ber  junge  9leder 
mit  feinen  Äameraben  fpielte,  brad)te  er  e^  immer  bal^in,  ba§ 


0  S)ie  gamilic  ^ctfer  öon  6— r.  unb  3afob  ^cder  öon  S(.  9Ö.  ©c^Icg ct. 
S3cibc  3Juffäfec  abgebrurft  in  ber  Beitjd^rtft:  S>ie  Beitgenoffcn,  1816—1817 
unb  1818—1819. 


©d^trcljcr  Suftönbc  jener  3^^*-  5 

« 

€taatengebUbc,  öon  benen  er  gclefen,  im  Äleinen  bargefteHt 
tt)urben  unb  er  ®elcgenl)cit  eri^ielt,  ©efe^gebungcn  für  jte  ju 
entwerfen^).  SBie  bcnn  überl^aupt  in  ber  bamaligen  ©d^ttjcij 
fd^on  Sung  unb  3llt  jtd)  mit  ^olitif  befd^äftigte  unb  bie  öcr* 
fd^iebencn  ßantone  voai)xe  5IRiniaturbiIber  üerfd^iebencr  9lc* 
gierungöformen  unb  politifd^er  Sijeorien  barfteHtcn,  xoa^  um  fo 
merhDÜrbiger  erfd^eint,  tomn  man  jtd^  an  bie  im  ttjeiten  beut[d^cn 
SJlad^barlanbe  in  biefer  Segiei)ung  ]^errfd)enbe  Slpatl^ie  erinnert. 
@ie  ivar  fo  grofe,  bafe  in  ben  3al)ren  1722—1756  ®ottf(i)eb 
unb  feine  ^Jrau  nid^t  ttjeniger  al§  4700  SSriefe  mit  ber  l^alben 
SBelt  med^felten,  ol^ne  in  benfelben  ber  ^olitif  mel^r  alö  burd^ 
ein  paar  ganj  gufällig  I)ingemorfene  Sleufeerungen  ju  ermälinen^). 
®a§  faft  allgemeine  Sntereffe  ber  Sd^meijer  an  ben  öffentlid)ett 
2lngelegent)eiten  I)inberte  übrigens  nid^t,  bafe  bie  gineite  ^älfte 
be§  XVIII.  S^l^i^l^wnbertS  in  ber  ®efd)id^te  ber  @d)n)eig  eine 
(5pod)e  be§  S^^^f^K^  begeid)net.  (Sine  Slnjal)l  Heiner  Staaten, 
üon  ber  9Jionard^ie  ber  geiftlid^en  ^Jürftentl^ümer  bi§  jur  ab- 
foluten  ©emolratie  ber  Meinen  23ergIantone,  tl^eilten  |td^  baS 
Sanb,  aber  bie  Siriftofratie  blieb  bennod)  l|err[d)enbe  ^Jorm  beS 
öffentlichen  Seben§,  inbem  aud)  bie  bemofratifd)en  fflauem  ber 
Ileinen  Äantone  e§  nid)t  t)erfd)mä]^ten,  Untertljanen  gu  befi^en. 
Sieben  ben  breigel^n  Kantonen  gab  e§  nod^  brei  Heinere 
Staaten,  bie  unter  bem  Flamen  „jugettjanbte  Orte''  ftd)  bei  ben 
Sagfa^ungen  vertreten  liefen.  Unter  biefen  befafe  bie  JRepublif 
®enf  bie  blul^enbfte  inbuftrieHe  ©ntmidflung,  mäl^renb  bie 
iJamilienariftofratien  in  Sem,  ßujern,  ^^teiburg,  ©olotl^um  be= 
reit§  arg  in  SSerfaH  geratl^en  ttjaren.  ©inen  geiftigen  SKittel» 
punft  fd^ufen  ftd^  bie  ©dimeijer  1760,  bei  ®elegent)eit  beS 
SubiläumS  ber  SSafeler  §od)fd^ule  burd^  ®rünbung  ber  „l)th 
üetifd^en  ®efellfd)aft".  Sin  il^rer  @pi|e  ftanb  Sfelin  mit  ben 
brei  3ö^df)em   ©efener,   ^irjel  unb    ©d^ing;   fpäter    gel)örten 


0  SBonftetten,  SBriefe   an  grtberife  S3run,   l^erouSgegeben   bou  g.  öon 
SKattl^iffon,  I,  205. 

2)  S)an3el,  ©ottfd^eb  unb  feine  Seit,  279. 


VIII  »otttjort. 

l^at  ©riapargcr  mit  gut  „QappJ)o"  bcgeiftcrt;  il^r  Silb  l^ing  über 
bcm  Slrbcitötifd^  be§  %xtxf)tTxn  t)on  ©tcin,  afö  ba§  einer  SBcr*» 
bünbeten  im  Äampf  gegen  ben  Unterbrücter. 

©old^e  Erinnerungen  öerppid^ten. 

3m  ^inblidf  auf  btcfelben  möge  bie  ©efd^tdjte  ber  fjrau 
oon  ©tael,  t)on  beutfdjer  ^anb  aufgejeid^net,  atö  ein  Seitrag 
ber  beutfc^en  Siteratur  jum  gentenarium  öon  1789  naddte^tig 
l^ingenommen  werben.  SBaS  in  biefem  genjaltigen  ©jcperiment 
gut  unb  lebenöfäl^ig  gett)efen  ift,  f)at  5Riemanb  ebler  feftgel^alten 
atö  jte,  weld^er  bie  Steilheit  mel^r  galt  aU  alle  anberen  ®üter 
beiS  gebend. 

gKünd^en,  14.  Slpril  1887. 


®cnf.  7 

3Ral  gctangt  I)atte.  8lu8  biefer  aßgemcinen  6tferfud^t  cntftanb  eine 
aUgcmemc  gute  SSilbung  in  allen  Älaffen.  33ei  ben  ^Jrauen  Slrtig* 
feit,  bei  ben  3Kännern  eine  gute,  oft  ttJtffenfd^aftlid^e  ©rjiel^ung,  im 
®angen  aber  mel^r  Unterrid^t  al§  bei  irgenb  einer  ber  großen 
^Rationen.  ®a  bic  au§gegeid)nete  ©eelenbilbung  in  ®enf  au§ 
altbürgerlid^er  unb  religiöfer  Gontroüerfe  unb  au§  ^anbelSgeift 
l^eröorging,  fo  war  ber  ß^arafter  ber  ©enfer  gang  ernft  unb 
mel^r  auf  SBeweife  unb  3fied)nen,  'al§  auf  Seben^genufe  unb 
Srol^pnn  gerid^tet.  SSoltaire  fagt  öon  ©enf:  »Cit^  sourrioise, 
oü  Jamals  Ton  ne  rit«.  ©ie  puritanifd)e  Saune  ber  ©eiftlid^* 
feit  l^atte  aUeS  luftige  SBefen,  befonber§  öffentlid^e  ©d^aufpiele, 
üon  il^ren  ©rengen  al§  mifelid^e  ©reuel  abjulialten  gewußt; 
ba§  unluftige  SBefen  ber  ®enfer  machte  |te  gu  befto  rüftigeren 
Äriegem,  fo  ba^  jebe  politifd^e  ?5rdge,  aud^  bie  unbebeutenbfte, 
6d)riftenfturm  unb  SBortgenjitter  gebar.  .  .  3d^  erinnere  midf), 
ba^  in  ben  Stagen  meiner  Äinbl^eit  ba§  größte  Sob,  ba§  man 
Äinbern  gab,  war,  wenn  man  pe  rfil)mte,  ba^  fte  orbentlidf) 
wären.  Orbentlid^  fein  war  ftiK  fein,  wie  ein  alter  ^apa,  ober 
ftcif  fein  wie  ein  9latl)§]^err.  .  .  5!Jiein  SSater  l^atte  mid^  bem 
trefflid^en  Gramer,  bamaligen  ©^nbifu^  ber  SRepublif  empfol^len. 
®en  faf)  id^  gum  erften  3Kal  in  feiner  Äüd^e,  fpeifenb  mit  %xan 
unb  3Kagb;  ber  ßl^rwürbige  trug  eine  §ßerrücte,  bie,  wie  ftatt- 
lid^e  9Wä]^nen,  bi§  an  ben  SKagen  flo§  .  .  .  ®iefe  guten  ©itten 
tl^auten  nad^  unb  nad^,  in  ber  3^^  ^on  S8oltairc'§  ©rfd^einung, 
nid^t  ol^ne  fein  SJfitwirfen,  wie  alte  ®letfd)er  auf"  ^). 

.  3)cr  ©d^lo^err  öon  gerne^  rül^mte  jtd^  fpäter,  ®enf  corrum* 
pirt  gu  l^aben^);  in  ben  Stagen  aber,  in  weld^e  Sledfer^  Sugenb 
fiel,  war  ber  grofee  unb  befd^eibene  5(laturforfd)er  unb  ®elet)rte 
SSonnet  ber  einflu§reid)fte  9Wann  in  feiner  SBaterftabt,  ber,  wie 
fpöter  5Recfer  febft,  gwifd)en  ben  p^ilofop^ifd^en  ^Problemen  ber 
Seit  unb  ben  d^riftlid^en  Ueberjeugungen  ju  vermitteln  fud^te. 


0  SBonftctten,    Sugenberinnctungcn ,   ben  SBricfen    on   SWotti^iffon  bei« 
gebrudt. 

2)  Voltaire  an  d'Alemberl  I,  134. 


3n  biefer  8ltmofppre  patriard)alifd^er  6infad)l^eit  unb  ftrcngcr 
(Sitte  öoUcnbetc  bcr  fed)jel^niäl^rtge  gafob  5(ledfcr  mit  ©rfolg 
{«ine  l)umantfti[d^cn  ©tubicn,  mufete  itboä)  bicfen  Silbungö^^ 
gang,  in  wcldiem  bie  güdfe,  tt)ie  rid^tig  bemcrft  worbcn  ift, 
immer  entpfinblid)  blieb  ^),  unterbrechen,  um  in  §ßari§  nad^  bcS 
aSaterö  SBillen  eine  felbftänbige  @j:i[tenä  im  ^anbelöftanbe  ftd^ 
gu  begrünben.  ®er  ^lan  fd^ien  anfangs  nid^t  gelingen  gu 
foHen;  be§  Jungen  ^Redfer^ä'  3ntere[fe  war  burd^  gang  anbere 
Singe  als  burdf)  ®elbgefd)äfte  gemedt  tüorben;  er  liebte  bic 
SSüd^er,  laS  mit  SSegierbe  bie  6rfd)einungen  ber  Sagesliteratur 
unb  fd^rieb  in  freien  Slugenbliden  Heine  Sl^eaterftüde,  befonberS 
Suftfpiele  in  SBerfen,  bie  er  ftc^  fpäter  ©lud  njünfc^te  nic^t 
öeröffentlid^t  ju  l^aben.  ©in  3«ftitt  fül^rte  baju,  bafe  in  bem 
fröf)lid^en,  ju  l)armlofen  ©päfeen  unb  ^Redereien  ftetS  bereiten 
iungen  5Wann  bemtod^  ein  l)ert)orragenbeS  Salent  für  ben  wlber 
2BiHen  gettjäpen  S3eruf  erfannt  n)urbe.  ®er  3Sater  l)atte  tl^it 
in  baS  il^m  befreunbete  ®enfer  S3anfl)auS  SBernet  gebrad^t,  beffen 
ei^ef  in  ber  9täf)e  öon  ^aris  auf  bem  Sanbe  ^n  tuolinen  unb 
nur  an  beftimmten  Sagen  in  feine  SSureauf  gu  fommen  pflegte. 
SBäl^renb  einer  fold)en  Slbmefenl^eit  lam  auS  .^oKanb  ein  tt)id^== 
tiger  ®ef^äftSantrag.  2)ie  (Sntfd^eibung  brängte ;  ber  nun  ad)t^ 
gel^njäfirige  ^Reder  nal^m  eS  auf  jtd),  jte  gu  treffen,  unb  unter= 
breitete  SBernet  bei  feiner  3lnlunft  ein  forgfam  aufgearbeitetes, 
barauf  bejüglid^eS  ^rojett,  n)eld)eS  beffen  boKe  S^ftimmung 
gewann.  3n  weiteren  brei  3Konaten  l^atte  fein  (SommiS  J^oHdn^ 
bifd)  gelernt  unb  bie  gange  ßeitung  beS  wid^tigen  Sßerfel^rS  mit 
ben  bortigen  großen  ©efd^äftsl^äufern  baburd^  in  bie  ^anb  be^ 
lommen.  ©ein  @lüd  war  gemadt)t,  unb  als  1762  SSernet  felbft 
ftd^  bon  ben  ®efd^äften  gurüdgog,  vertraute  er  gafob  5(leder 
eine  ©elbfumme  an,  bie  i^n  in  ben  @tanb  fe^te,  in  3Serbinbung 
mit  ben  ®enfern  Sl^eluffon  ein  SSanfl^auS  gu  grünben,  weld^eS 


')  Madame  de  Chairiere,    Lettres-M6moires.     Revue  Suisse  1857, 
p.  777. 


®ic  Dclonomiften.  9 

balb  eines  ber  erften  in  granfreid)  »urbe  nnb  ba§  SSanftüefen 
im  eigentlid)en  Sinne  erft  bort  begrünbete,  inbem  biefeS  ^au§ 
fic^  nid^t,  tt)ie  e§  biöl^er  ber  %a\l  gewefen,  auf  rein  fauf- 
ntännifd^e  SranSattionen  ober  ben  ^ad^t  [taatlic^er  6inna]^me= 
quellen  befd)ränftc,  fonbern  felbftänbig  vorging  unb  grofee 
©elboperationen  »jagte.  ®cn  näd^ften  Slnlafe  I)ier^u  bot  bie 
©pefulation  mit  ®etreibe.  ©er  $anbel  mit  bemfelben  war 
burd^  6l^oi[eul  1764  freigegeben  toorben,  unb  biefem  öfonomifd^en 
Umfd^wung  ging  baS  um  bie  9)7itte  beö  3at)rl^unbert§  erwachte 
Sntereffe  für  alle  bamit  derbunbenen  Probleme  ber  33oIf§tt)irtl)= 
fd)aft  dorauS,  n)eld^e§  in  ber  mit  ben  fünfziger  S^^l^ren  be- 
ginnenben  Literatur  ber  Defonomiften  gum  SluSbrud  fam  unb 
bie  ©emütl^er  fo  leibenfd^aftlid)  erregte,  toie  e§  furge  Qtxt 
üorl^er  nur  religiöfe  ?5ragen  gu  tl^un  im  ©tanbe  genjefen 
waren. 

„Sie  Station",  fd)rieb  3SoItaire,  „überfättigt  oon  Sßerfen, 
Sragöbien,  Äomöbien,  Dpern,  Slomanen,  romantifc^en  ®efd^id)ten, 
moralifd)en  Sieflefionen,  bie  nod^  romantifd^er  waren  alö  biefe, 
unb  tl^eoIogifd[)en  ©treitigfeiten  über  bie  ®nabe  unb  bie  Gou:' 
Dulfionäre,  fing  enblicf)  an,  S3etrad)tungen  über  ba§  ©etreibe 
anjufteHen  unb  felbft  ben  fRntjm  gu  üernad^läfftgen,  um  nur 
met)r  über  Äorn  unb  Söeijen  gu  fpred)en.'' 

Siefe  SSemerfung,  mit  ben  literarifd)en  ©rgeugniffen  jener 
Sage  unb  ber  ©efd^id^te  be§  SebenS  in  ber  ^auptftabt  öer*^ 
glid[)en,  ift  faum  übertrieben  gu  nennen.  3)enn  felbft  gu  SSer* 
faiHeS,  im  bergen  ber  3Konard)ie,  unter  bem  2)ad^  be§  Äönig§, 
begeifterte  pd^  bie  3Karquife  oon  ^ompabour,  ber  fd)on  Satour, 
als  er  |te  malte,  einen  SSanb  be§  ®eifte§  ber  ®efe|e  in  bie 
^anb  gegeben  I)atte,  nun  für  bie  ©oftrinen  be§  greifen 
öueönaq,  il^reö  2trgte§,  be§  SBegrünberS  beö  :pl)t|ftoIratifd)en 
©5ftem§.    3m  (gpigrapl^,  ba§    er    feinem    berül^^ten   SSud)^) 


')  Maximes    g^nerales    du   gouvernement   economique   d'un  royaüme 
agricole.  1760. 


10  3^<  ooxne^mften  Scrtrcter  imb  f^tt  £oItnn. 

Doranfe^tc:    »Pauvres    paysans,    pauvre    royaume,    paavre 
royaume,  pauvre  roic,  plaibirt  er  für  fchtc  Siebimgdtbfe,  bic 
^niang  beS  abfoluten  ^önigt^umS  mit  bem  Sauentflanbe,  bie 
richtig  Dcrftanbcn,  bcr  ®cfd)i(^tc  bc^  3ci^r^unbcrtö  eine  anbete 
äSenbung   }U  geben  t)ermoc^t  ^atte  unb,  ungead^tet  OueiSim^'d 
onfd^einenber  aSertl^eibigung  ber  35efpotie,  bur(^  Sfd^crjicttuttg 
be§  SSejt^eS  tool^l  biö  gut  perfönlid^cn   greil^eit  Dorgebnmgen 
wärc^).    SöSl^renb  ^Wirabeau,  ber  SBater,  feinerfcitö  ba§  S^ccil 
ber  Swft^nft  in  biefer  SBerbinbung  be§  ©cepterö  mit  bem  ^ug 
erfennenb,  bie  5rt)eorie  öon  Oueöna^  feinem  eigenen  ©tanbe  anju» 
))affen  fud^te  unb  einen,  auf  feinem  ®runbbep^  lebenbcn,  allen  * 
SufuS   öerwerfenben,   \)en  lanbtoirtl^f(f)aftlid^en  gntereffen   ftd^ 
l^ingebenben  Slbel  verlangte,  beftimmt,  ben  ßnltuö  ber  SRcIigion, 
be§  SBaterlanbeö  unb  ber  pu§lid)en  ^flid^ten  aufred)t  ju  er« 
l^alten,  tt)at  ©ourna^  für  ^anbel  unb  ©emerbe,  xoa§  ber  SBor- 
gänger  öon  2lbam  ©mitl^  unb  feine  @d)ule  für  ben  Slcfcrbau 
unternommen  l)atten.    3n  bie  abminiftratiöe  ©d^ablone  feiner 
Seit  ttjarf   er  ba^  berühmt   geworbene   3l]ciom  »laissez  faire, 
laissez   passer«;   anä)   ber  SluSbrucf   „SSureaufratie"   ift  üon 
©ouruQ^^).    6r  ttjirfte,  ebenfo  tt)ie  Queönar),  weit  Aber  granf* 
reid^S  ®renjen  I)inauö,  inbem  bie  S^eorie  ber  ^l^^jtplratcn, 
il^re  auf  ben  5Jlaturgefe^en  begrünbete  SRegierungömetl^obc,  bie 
Qufgeflärteften  3Känner  ber  S^'t  i"  ^^^  üerfd^iebenflen  Sanbcm, 
©rgl^erjog  Seopolb  Don  SCoöfana  unb  fpätern  Äaifer,  9Harfgraf 
Äarl  griebrid)  üon  SSaben,  ben  Äanjler  ßl^reptomiq  unb  jum 
J^eil  felbft  S^fep^  11.  gu  Slnl^ängem  ftd)  getoann. 

Sm  tonangebenben  $ariS  Derbanitc  bie  @ad^e  ber  Oefono« 
«tiften  il^rcu  ©rfolg  gum  grofeeit  Jl^eil  mit  bem  @d^u^  unb 
©nflufe  bcr  grauen,  Cbwol^l  bic  Sd^riftfteHcr  bcr  „Sefte^, 
iinc  mau  ftc  nannte,  fd^wcrfäUig  unb  juwcilcn  fajt  uuDerftänb* 


*)  0<^  Laverjjne,  Los  Kconomistes  frÄn^ais  a«  XVIll  Siecle. 

*)  lUimm  et  Diilerot,  Oorrespondance  Ittteraire,  philosophique  et 
critiqwe  adit^ee  k  «n  Soiiverain  dWllemÄgno.  Paris,  ISJ^X  Premiere 
PArtie  IV»  UC\   ^Viw  «m^ijttb*  ton  M.  Towmeiix,  Paris,  18S5. 


> 


S)tc  tonangeBcnben  S3üd^er  ber  Qdt  11 

lid^  gu  fd^rctben  ppegtcn,  bilbcten  il^rc  bänbereid^en  ©d^riftcn 
bcnnod^  ben  Snl^alt  be§  SCagcSgefpräd^S  unb  gctüanncn  bic  rege 
Sl^eilnal^mc  ber  öornel^men  SBclt.  Sti  ben  eleganten  S3ouboir§ 
würben  bie  trocfenften  iJragen  ber  33olföw)irtl)f(f)aft  erörtert; 
bie  ^erjogin  b'ßnöiHc,  91Kutter  be^  üortrefflid^en,  ber  SReüoIution 
gum  Dpfer  gefallenen  ^erjog^  öon  ßa  SRod)efoucaulb,  galt  atö 
eine  ber  beftinformirten  §ßerfönlid)feiten  in  biefen  2)ingen;  SÄa^ 
bame  b'ßpina^  öergafe  il^re  ^ergenöangelegenl)eiten  barflber; 
iJeinbfd^aften,  bie  nid)t§  mef)r  au§iugleid)en  im  ©tanbe  ttjar, 
liefen  [xä)  auf  9!Keinung§öerf(i^tebenl)eiten  über  9!Jlirabeau'§  be§ 
Sleltem  „Slmi  beö  ^omme§"  ober  Oue^na^'S  ,,9!Jiafimen"  jurüd= 
fül^ren,  ®er  ©aupl^in,  SSater  Subtt)ig'§  XVL,  nannte  beg  ©rfteren 
5!öerl  „\)a^  SSreöier  ber  el^rlid^en  Seute"  unb  fanb  in  im 
ftrengen  Sfjeorien  be§  ftoifd^en  alten  @belmanne§  etwas  öom 
l^ol^en  reformatorifd^en  ©eift,  ber  genelon'ö  SSejiel^ungen  ju 
feinem  ©rofeoater,  bem  3Karcellu§  feiner  35^naftie,  burd^brungen 
l^atte.  SBom  pl)ilofop]^ifd)en  Sager  l)erüber  nannte  bagegen 
f:pottenb  9Kelc^ior  ©rimrn  baS  neuefte  SBerf  SHirabeau'ö,  bic 
1763  erfd)ienene  »Philosophie  rurale«,  btn  ^entateuc^  ber 
öfonomifd^en  ©elte,  unb  mit  unöergleid^lid)em  ©efd^icf  bemäd^- 
tigte  ftd^  ber  nad^  SBoltaire  wol^l  feinfte  unb  wi^igfte  Äopf 
feiner  3rtt,  Slbbö  ©aliani,  ber  Uebertrcibungen  unb  e;rtremen 
Stnjtd)ten  ber  §ß]^^ftoIraten,  um  ilör  öermeintlic^  in  ßi^ina  ge^ 
funbeneS  gbeal  eines  lanbrnirtl^fd^oftliciien  ?!JlufterftaateS  unb 
il^re  mafelofen  Stl^eorien  über  greil^anbel  mit  ©etreibc  in  bm 
berül)mten  »Dialogues  sur  les  blas«  ju  rid^ten,  bie  ber  ©ntl^u» 
fiaSmuS  ber  3^^  ben  ^roöingialbriefen  an  bie  ©eite  gu  fteHen 
gewagt  l^at.  ©aliani'S  Sud^  greift  vorläufig  über  ben  S^itabfd^nitt 
l^inauS,  ber  un§  l^ier  befd^äftigt  unb  beSl^alb  merlmürbig  öor 
allen  anbem  ift,  weil  burd^  bic  einmal  geöffnete  §ßforte  ber 
Äritif  unb  freien  ^ÄeinungSäufeerung  nod^  gang  anbere  ©ebanfen^^ 
ftrömungen  einbrangen  als  biefe,  auf  öfonomifd^e  Probleme  ge* 
rid^teten.  „grei^eit  unb  Unantaftbarfcit  beS  S9efi^eS\  fd^rieb 
ber  öon  (änglanb    gurüdfgefel^rte  SSoltaire   fd^on    1729,    „ba^ 


12  SRcrfer'S  Sntercffc  bcn  öffentlid^cn  Slngclcgcnl^citcn  jugcnjcnbet. 

;ift  bie  ©eötfe  ber  ©nglänber:  fte  i[t  xooljl  eben[oöicI  tütxtti  al§ 
SKontjo^c  unb  Saint*® em§." 

Slnbere  ffliidfe  alö  bie  feinen  liatten  jtd^  feitbem  über  ben 
©anal  gewenbet,  unb  ©d^Iag  auf  @(f)lag  folgten  jtd^  jtüei  Sal^r- 
gel^nte  ft)äter  bie  SBerfe,  bie  ftetig  unb  unauff)altfam  bie  morfcI)= 
getüorbenen  ©runblagen  be§  alten  Staate^  erfd^ütterten.  3Soran 
ging  1748  3Konte§quieu  mit  bem  ,,®eift  ber  ©efe^e";  e§ 
folgte  1756  ber  (Sffa^  »sur  les  moeurs«;  ba§  3^1^^  1762 
brad^te  bie  ©oppelgabe  be§  „  ©ocialcontractS "  unb  be§ 
„6mile".  ®ajn)ifd^en  rid^teten  bie  6ncr)flopäbiften  il^re  getDaltige 
Ärieg^mafd^ine  gegen  ba§  Seftel)enbe,  öerfünbete  ©iberot,  ber 
eigentlidie  ®eniu§  ber  S^^Pö^^ng,  alle  ©runblel^ren  ber  3fleöo*= 
lution.  SBer  einen  gunfen  in  jtd)  trug,  in  bem  mußten  bamalS 
bie  Sbeen  günben,  bie,  ftd^  anjiel^enb  ober  abftofeenb,  bie  gange 
geiftige  Sltmofpf)äre  in  ftürmifd^e  Semegung  öerfe^ten  unb  bie 
SJfenfc^en  um  fo  öoHftänbiger  erfaßten,  al§  gerabe  bie  an= 
fc^einenbe  Stulpe  ber  äußern  Seben§t)erl)ältniffe  bie  innere  ®äl^« 
rung  förberte. 

(S§  ift  bemerft  toorben,  bafe  9lecfer  feinem  Seruf  nid)t  au^ 
5Reigung  gefolgt  n)ar;  äußere  Umftänbe  l^atten  \i)\\  auf  ben[elben 
öermiefen  unb  ba§  ®lüdf  i^n  babei  fo  begünftigt,  bafe  er  alö 
füum  breifeigjäl^riger  SUlann  an  ber  ©pi^e  eines  geftd^erten  unb 
für  bie  Slnfprüd^e  jener  Sage  fef)r  beträchtlichen  33ermögen§  jtd^ 
befanb,  ba§  jtd)  bereite  bamafö  auf  mel)rere  Millionen  bezifferte. 
Unter  fo  geftalteten  äußeren  SSerl^ältniffen,  bie  if)n  jeber 
pefuniären  Sorge  entf)oben,  fel)rten  feine  ©ebanfen  lieber  gu 
ben  planen  unb  2öünfd)en  ber  3w8^^^^  gurüdf.  (5§  Verlangte 
ben  gereiften  3Kann,  au§  bem  ßomptoir  in  bie  SBelt  gu  treten 
unb  in  ber  SBoHfraft  feiner  gal^re  um  ben  Sejt^  öon  ©ütern 
gu  ringen,  bie  if)m  begel^renömertl^er  al§  3ieid)t]^um  unb  mate= 
rieHe§  SBo^lergef)en  erfd)ienen.  ©afe  gugleid)  bie  im  ®efd^äft§* 
leben  gefammelten  6rfal^rungen  ftd^  al§  bie  befte  S5orfd)ule  für 
feinen  fpätem  SBirfunggfrciiS  ertoiefen,  war  eine  weitere  ®unft 
be«  ©(^icffafö. 


SRedct'S  SBetl^eiratl^ung.  13 

aSeöor  e§  in  anberer  SBeife  über  i^n  entfd^ieb,  traf  3Redfer 
Me  SBal^l,  ttjeld^er  er  nid)t  nur  ba^  ©lud,  fonbern  aud^  bie 
SBürbe  feine§  £eben§  fd^ulbete,  inbem  er  jtd^  jttjeiunbbreifeigiäijrig 
mit  einer  Sanb^männin,  ^Jräulein  ©ufanne  6urd^ob  öermäl^lte. 
Siefe  l)at  jtd),  unabl^ängig  öon  bem  feinigen,  in  ber  ®efd^id)te 
ber  frangöftfd^en  ©efeUfd^aft  be§  XVIII,  ^al^rfjunbertö  einen 
5Ramen  ju  mad)en  gemußt;  allein  il^r  befiel  Slnred^t  auf  bie 
©rinnerung  ber  5Jlad^tt)elt  ift  boä)  ba§,  bie  liebenbe,  l^ingebenbe 
unb  felbftüergeffene  ©attin  eineö  bebeutenben  9Kanne§  geroefen 
gu  fein^). 

3n  „SBal^rl^eit  unb  ©id^tung"  äußert  ©oetl^e,  mol^l  in  be«' 
megter  3flüderinnerung  an  @elbfterlebte§,  ba§  ^a\x^  eine§  :prO' 
teftantifd^en  £anbgeiftlid)en  fei  öielleid^t  ber  frf)önfte  ©egenftanb 
einer  ntobernen  Sb^He.  (Sbm  auf  einem  fold^en,  nid)t  nur  für 
bm  poetifc^en  Slnl^aud^,  fonbern  mel^r  nod^  für  ben  ftttlic^en 
©el^alt  be^  Seben^  fo  günftigen  S3oben  begann,  am  2.  3uni 
1737,  bie  ejciftens  ber  5J:od)ter  be§  g5aftor§  6urd)ob.  3^r  be= 
fd^eibeneö  33aterl^au§,  mei^  getünd)t  mit  im  grünen  ^enfter* 
laben,  ftanb  im  SBaabtlanb,  bid^t  an  ber  fran;iöpfd)en  ©renje, 
im  Keinen  Drt  ßraffier,  beffen  ©eelforger  ber  SSater  mar.  S)ie 
SJiutter  entflammte  einer  vertriebenen  ^ugcnotten-^Jamilie,  im 
b'Sllbert  auö  9)Zontelimart;  fte  mar  in  ber  3^8^"^  \^^^  W^^ 
gemefen,  unb  bie,  übrigeng  nid)t  genauer  nad^gemiefene  Srabition 
üornei^mer  ^Ibfunft  il^rer  Familie  fd)eint  bie  Sod^ter  fpäter  in 
^ari§  eine  !urje  3^it  l^inburd)  veranlagt  ju  l^aben,  ftatt  beö 
eigenen  bm  Flamen  ber  9Kutter  gu  fül^ren^).  @efd)mifter  l^atte 
pe  nid)t,  unb  fo  fonnte  ^aftor  6urd)ob  feine  gan^e  t)äterlid)e 
©orge  biefer  einzigen  Soi^ter  jumenben.  Äaum  fed)iel)niä]^rig, 
fd^rieb  fte  einem  feiner  ^eunbe  einen  lateinifd)en  33rief,  beffen 


0  ©ic  gamUic  ^tdex  öon  6— v.  Safob  SRccEer  bon  8t.  2ö.  ©d^Icgct. 
S3b.  I  u.  IV  ber  „Seitgenoffen".  Notice  sur  Mr.  Necker,  par  le  Baron  de 
Stael,  son  petit-fils,  beffen  Oeuvres  completes  borangebrurft.  MadaQie  de 
Stael,  Vie  priv^e  de  Monsieur  Necker.     Oeuvres  completes,  XVII,  1. 

*)  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  I,  11. 


14  grr&uletn  (Surd^ob  im  eltevlid^en  ^aufe. 

©t^l  biefer  al^  ciceronianifd)  rül)mtc,  [tubirtc  ^l^^ftl  unb  ®eo^ 
metric,  trieb  öiel  9Kuftf  unb  fd)ilberte  ftd^  in  einem  ©elbft* 
^Porträt  alö  fc^Ianfeö,  blonbeiS  3Käbd)en  mit  frö^liä)en  blauen 
Slugen,  feinen  SÜQm  unb  gett)innenbem  Säckeln,  beffen  ßrfd^ei* 
nung  übrigen^  bie  befd)eibene  .^ertunft  au§  bem  ®orfe  nid^t 
üerleugne.  25iefer  anjiel^enben  ^erfönlid)feit  fel^lten  bie  336=^ 
ttjunbercr  nid)t;  bie  Äangel  Jber  Heinen  Äird^e  üon  Grafpcr 
erfreute  f\ä)  bei  jungen  Ji^eologen  balb  einer  Seliebtl^eit,  bie 
pd^  burd)  ben  ßifer  für  ba§  ©eelenl^eil  ber  bortigen  ®emeinbc 
nid^t  mel^r  genügenb  erllären  liefe.  6^  jtnb  ?5reunbe§briefe  wx^ 
l^anben,  bie  xi)x  öornjerfen,  bie  jungen  Seute  burc^  il^re  ßoletteric 
ermutl^igt  ju  l)aben;  jie  felbft  befannte  fpäter,  fte  fei  ju  uner- 
fal)ren  getpefen,  um  bie  nötl^ige  £ebenöllugl)eit  gu  entwidfeln, 
unb  überbiefe  l^abe  baö  ii^r  gefpenbete  £ob  il^r  ben  Äopf  Der* 
brel^t.  ®ie  ®efül^le,  bie  jte  ermecfte,  mad^ten  ftd^  in  SSerfen 
Suft;  ber  6ine  !lagt  über 

»  .  .  votre  eternelle  morale, 

Qui  me  fut  toujours  si  fatale«; 
bem  Slnbern  erfd^ien  jte  im  Sraume: 

»Ne  vous  alarmez  pas,  Suzette, 

Vous  grondätes,  l'amour  se  tut, 

Mon  sommeil  aima  sa  conqu^te, 

Et  mon  röveil  votre  vertu« 
fagt  am  ©d^lufe  biefer  erträglid^fte  il)rer  bamaligen  bid)terifd)en 
a8erel)rer. 

©ie  bentoürbige  ©pifobe  ber  Sugenb  öon  ©ufanne  6ur* 
d^ob  fpielte  jtd)  jebod)  nid)t  in  jenen  erften  Salären  gu  Graffter, 
fonbern  in  Saufanne  ab,  mol^in  bie  ©Itern  jte,  fo  oft  alö  bie 
Umftänbe  e§  erlaubten,  gu  bringen  ))flegten.  SBeld^er  3lrt 
bie  gefeHigen  Serpltniffe  biefer  in  unfern  Stagen  öornel^mlid^ 
alö  Souriftenft^  befannten  alten  laiferlic^en  ©tabt  waren,  l^at 
u.  Sl.  b'^auffonöiHe  genügenb  bargetl^an.  @o  Hein  baö  auf 
9000  ©intüol^ner  öerminberte  Saufanne  tt)ar,  fd^ieb  ftd^  bennod^ 
aud)    feine    ©efellfd^aft   in  gttjei   ©nippen,  bie  ftd^  nur  öon 


Sl^r  Slufcnti^olt  in  öaufannc.  15 

Seit  gu  Seit  ju  begegnen  pflegten,  ©ie  eine  würbe  öon  ^m 
alten,  ariftofratifd)en  Familien  gebilbet,  beren  Sntereffen  na(3^ 
beut  3flegierung§ji|  Sem  graöitirten  unb  bie  an  ben  Ufern  be§ 
fd^önen  @ee§  ein  patriarci^alifd)e§  ©afein  gaftfreunblid^en  ©till= 
lebenö  fül^rten,  c§  aber  gelegentlid^  aud^  nid^t  uerfd^mäl^ten,  ftc^ 
unter  ba§  33olf  gu  mifd^en  unb  an  feinen  SSergnügungen  Sl^il 
gu  nel^men.  3)er  anbere  Äreiö  beftanb  au§  ^rofefforen  unb 
©tubenten  ber  Uniöerjttät,  bem  eine  ©efeßfd^aft  junger  9!Jläbd^en 
unter  bem  Flamen  Societe  du  prlntemps  jtd^  anfd^Iofe,  unb  bie 
im  SBinter  mit  SEanj  unb  ©efeßfd^aften,  be§  ©ommerö  burd^ 
Sluöpge  unb  ©piele  ftd)  öergnügte.  ®er  ©intritt  öon  fjröulein 
©urd^ob  in  biefelbe  unb  il^ice  i^ö^eren  a3ilbungöanfprüd)e  t)er= 
anlasten  bie  ©rfinbung  einer  Slfabemie,  bie  öon  ben  Quellen 
be  la  5ßoubriere,  nal^e  bei  ber  @tabt,  ben  SRameu  erl^ielt  unb  gu 
fd^riftfteHerifd^en  Seiftungen  öerpflid)tete,  weld^e  bie  garteften 
Probleme  beö  §ergen§  gu  löfen  l^atten.  6ine§  2age§  befd^äftigte 
ftdt)  bie  afabemie  mit  ber  ßinfül^rung  be§  a3e|t^red)te§  ber 
fjrauen  „auf  bie  bergen  ber  3Känner,  bk  gleid^  ber  neuen  SBelt 
alö  brad^eS,  unbebaute^  Sanb  gu  betrad^ten  feien."  6in  anbereS 
3Jlal  beanttt)ortete  jte  übereinftimmenb  bie  fjrage,  „n)eld)e§  ber 
gartefte  ©enufe  öon  allen  fei",  bal^in  „eine  fel^r  ungliidlid^e  §ßerfon 
üollfommen  glücflid^  gu  mad^en,  unb  gwar  ol^ne  burd^  äußere 
Umftänbe  l)iergu  üeranlafet  gu  ttjerben."  Sin  allen  biefen  Subti* 
litäten  bamaligen  ®efd^macf§  ober  t)ielmel)r  Ungefd)macfö  nal^m 
©ufanne  6urdt)ob  bzn  lebl^afteften  Slntl^eil;  aud^  l^ier  mürbe  fte 
befungen,  gefeiert,  angebetet,  ©appl^o  ober  ©ugette  genannt  unb 
befd^ulbigt,  e§  gu  gerne  gel^ört  gu  i^aben.  SebenfaHS  i^at  ba=> 
mal§  fein  Swg  i^t-eö  SBefenö  bie  ftrenge  5ßebanterie  ber  fpäteren 
3al^re  öerratl^en.  ©a  trat  in  bie  @))ielerei  unb  ba^  Siebei^s 
getänbel  ber  fleinen  SBelt  gu  Saufanne  ein  junger  3lu§länber, 
ber  eö  anfd)einenb  ernfter  meinte  unb  lebenfaHS  bem  jungen 
5Jläbd)en  eine  Steigung  eingupfeen  wufete,  bie  ftd^  um  ba§  2ln= 
benfen  beS  ^iftoriferö  öon  »Decline  and  Fall«  tt)ie  f5rül)lingS= 
grün  um  altel^ru)ürbige§  ©emäuer  fd)lingt. 


16  Oibbon. 

Sll^  ©ibbon,  fed)jelöniälörig,  nad)  gaufanne  giim  5ßaftor 
5ßat)illarb  in  5ßenjton  9c|d)icft  würbe,  gefd^al)  e§  Don  Seite 
feines  SßaterS  in  ber  Slbjtci^t,  il^n  jum  SBieberauStritt  au§  ber 
fatf)olifd^en  Äirdje  gu  Deranlaffen,  in  bie  er  furj  öor^er  „Don 
ebler  ^anb  überwunben"  ^)  ju  D?:forb  übergetreten  war.  35ie 
Äur  gelang  nur  ju  üoHftänbig,  benn  mit  bem  fir(i)lid)en  SSe- 
lenntnife  üerlor  jtd)  bei  ©ibbon  and^  jebe  djriftlidje  Ueber* 
jeugung,  unb  fo  umgeftaltet  begegnete  er,  injwifd^en  a^tje^n 
3al)re  alt  geworben,  ber  gefeierten  9Kufe  ber  jungen  afabemif^en 
Äreife  ber  ©tabt,  Fräulein  6ur^ob. 

©ie  äufeere  6rfd)einung  üon  ©ibbon,  bem  Weinen,  unförm= 
lic^  bidfen  9Kann  mit  ben  furjen  Seinen  unb  gän^jUdiem  SKangel 
an  5ßrofiP),  l)at  fpäter  Slnlafe  ju  mand^en  Slnef boten  geliefert; 
ein  ^err  t)on  SSieüre  l^flegte  ju  fagen:  „2Benn  id).  SSeroegung 
braud^e,  fo  gel^e  id)  breimal  um  ©ibbon  l^erum"  ^).  SSefannt 
ift  aud^  bie  @cene,  wie  er  einft  im  felben  Saufanne  ber  @d)rift' 
fteHerin  ßroujaj,  fi^äteren  SSaronin  2RontoIieu,  mit  einer  Siebe§= 
erllärung  ju  güfeen  fan!  unb  biefe  il^n  befdt)Wor,  wieber  aufju^ 
ftel^en  unb  nidt)t  weiter  baöon  gu  reben.  „2lc^,  wenn  idt)  e§  nur 
fönnte,"  feufjte  ber  arme  ®ibbon,  unb  e§  mufete  ein  Äammer= 
biener  gerufen  werben,  um  if)n  wieber  auf  bie  Seine  ju  bringen. 
JDajwifdtien  lag  ein  ^Siertelja^rl^unbert  unb  me^r.  gräulein 
Gurd^ob  l^at  einen  anbem  ®ibbon,  Dor  ber  33erüf)mt^eit,  aber 
bafür  iugenblid^  anjiel^enb  gefannt;  jte  fprid)t  t)on  feinem  frönen 
^aar,  feiner  feinen  §anb,  feinem  öornel^men  Slöefen  unb  üor* 
trefflichen  SRanieren  unb  l;ebt  ben  geiftreid)en,  ftets  wed^felnben 
SluöbrudE  feiner  ^^S^^ftognomie  l^eroor. 

2ll§  ©egenftüd  l^at  ©ibbon  in  feinen  SKemoiren,  im  fia* 
pibarftJjl  ber  il^m  eigenen  flafftfd^en  Slu^brucfiSweife ,  baö  SSilb 
be§  jungen  9Jtäbd)en   verewigt.    „Sl^re  perfönlid)en  Sßorjüge," 


>)  eine  ©tcKc  ouS  SB  off  u  et  l^otte  il^n  l^ieau  öeronlofet.    Memoire  of  my 
Life  and  Writings,  S^ap.  III. 

2)  Marquise  Du  Deffand,  Lettres  ä  Horace  Walpole. 

^)  Duchesse  d'Abrant^s,  Histoire  des  Salons  de  Paris,  II,  365. 


©ibbon.  17 

fo  lautet  bic  ©teUc,  ,,t)crf(i)önerten  Siigcnben  unb  ®abcn  bc§ 
©cifteö'';  bei  ©elegenlieit  i^rer  pd)tiflen  SSefud^e  bei  SSer=^ 
wanbten  gu  gaufanne  bilbeten  ber  SBerftanb,  bie  ®(t)öxiijt\t  unb 
bie  Äenntniffe  öon  Fräulein  6ur^ob  ben  ©egenftanb  oHge^ 
meinen  SSeifaHö.  Söaö  id^  t)on  ber  feltenen  6rfd)etnung  l)örte, 
emedfte  meine  9leugierbe.  Sd)  fal)  jte  unb  liebte.  Sd)  fanb  jte 
gelehrt  ol)ne  5ßebanterie,  belebt  im  ©efpräd),  in  ifiren  ©efü^Ien 
rein  unb  elegant  in  il^ren  9Kanieren.  ®ie  erfte,  plö^Iid)  bei 
mir  ]^ert)orgerufene  ßmpfinbung  befeftigten  ©emofinlieit  unb  @e* 
Iegenl)eit  gu  gtüanglofem  SSerfelir.  @ie  geftattete  mir  gwei  ober 
brei  S3efu(i)e  bei  i^rem  Sßater.  ©inige  glüdflid^e  Sage  l)abe  id) 
in  ben  SSergen  ber  f5reigraffd)aft  ^)  öerlebt;  bie  6ltem  er* 
mutl)igten  aufö  @l)rentüertf)efte  meine  9leigung.  Sn  ber  fRui^t 
ber  ßinfamfeit,  wo  bie  pd^tigen  ßitelfeiten  ber  Sugenb  H)X 
gerftreuteö  §erg  nidt)t  mel)r  betoegten,  lie)^  fte  ber  ©timme  ber 
2öal)rl)eit  unb  Seibenfd^aft  if)r  Dl)r,  unb  idt)  barf  mir  fd^meid)eln, 
einigen  ©inbrudf  auf  ein  tugenbl)afte§  ^^^erj  gemad)t  ju  l)aben. 
3u  (Sraffter,  ju  gaufanne,  gab  id)  mid)  ben  3:äufd)ungen  be§ 
©Ifldfeö  l^in;  aber  nad)  meiner  3fiftdffel)r  inö  SSaterlanb  mnfete 
id)  gett)al)r  werben,  bafe  mein  SSater  nie  biefem  SSunb  feine  Qn^ 
ftimmung  geben,  unb  bafe  id)  ol)ne  biefelbe  öerlaffen  unb  auö^ 
jtd^tsloö  fein  würbe.  9ladt)  t)einlid)em  Kampfe  ergab  id^  mid^ 
in  mein  @d)idtfal."  6§  folgt  bie  flafjtfd^e  ©teile:  »I  sighed  as 
a  lover,  I  obeyed  as  a  son.  Unmerllid^  l^eilten  Qtit,  Tren- 
nung unb  ®ett)olönl)eit  meine  SBunbe.  SReine  Teilung  würbe 
burd^  getreue  a3erid)te  oon  ber  ^ntjt  unb  ^eiter!eit  be§  ^röu* 
leinö  felbft  befd)leunigt,  unb  nac^  unb  nad^  öerwanbelte  jtd^ 
meine  Siebe  in  S3erel)rung  unb  5reunbfdt)aft'' 2). 

S)er  SiiföK  W  g^ttJoHt,  bafe  bei  ©id^tung  ber  3[rdE)it)e 
ton  ßoppet,  fjräulein  ßurd^ob'ö  Urenfel  ben  fleinen  ^ergenS* 
procefe,  ber  l)ier  in  fo  gemeffenen  SBorten  ergäl)lt  ift,  einer  nod)^: 


*)  ©r  irrt  fid^,  toic  d'Haussonville  bcmcrit.     Grofftcr   ttjar  nod^  auf 
©d^tpeiser  IBoben. 

*)  Gibbon,  Memoirs  of  my  Life  and  Writings,  Stap.  IV. 
SUnncrbaffett.  grau  toon  ©tael.  I.  2 


18  ©efd^id^tc  einer  unglötflid^en  Steigung. 

maltgen  Sßrüfung  unterzogen  unb  auö  bem  öergilbten  33riefe  be§ 
iungen  ®tbbon  ein  öon  obiger  ©arfteUung  nid)t  unwefentlid^ 
t)erfd)iebeneS  SRefultat  gewonnen  l)at:  ©nfanne  6urd)ob  xoax  e§, 
bie  il^n  wirflid^  liebte  unb  biefe  Siebe  awä)  bann  nod^  nid^t 
aufjugeben  üermod^te,  al§  bie  feine  längft  erfaltet  war. 
S)'^auffont)iHe  DeröffenÄid^  einige  SSriefe,  bie  ©ibbon  nod^  in 
ber  erften  Stimmung  erwad^ter  Steigung  an  ba§  junge  ^aiä^m 
fd^rieb.  6r  öergleid^t  [\dj  barin,  weil  üon  il^r  getrennt,  mit 
einem  plö^li^  in  ©efangenfd^aft  unb  Äerfernaä)t  geratl^enen, 
orientaüfd^en  ^rinjen,  mit  bem  au§  bem  5ßarabiefe  öerjagten 
Slbam;  er  fpridt)t  nadt)  einer  im  ^aufe  be§  ?ßaftor§  6urd)ob  ju= 
gebrad^ten  SBod)e  öon  ben  ©d^ä^en  ber  fdt)önften  @eele,  bie  er 
bort  gefunben,  unb  weld)e  ber  SSeftfe  eineö  0ieid)eö  unb  felbft 
bie  ^l)ilofop]öi^  «id)t  aufzuwiegen  im  ©taube  feien.  SBie  @o* 
frate^  ben  ©öttern  gebanft  l)abe,  al§  ®ried)e  geboren  worben 
ju  fein,  fo  banfe  er  il^nen  bafür,  ba§  befte,  reijenbfte  ©efd^fipf 
lennen  gelernt  ju  l^aben.  @ie  möge  nid)t  gäl)nen,  wenn  jte  il^n 
lefe:  fein  ^rebiger  l)abe  jemals  überzeugter  gefprod^en  als  er,  ber 
biefe  3^1^^  fdt)reibe.  6r  war  fo  oerliebt,  bafe  S^^Iie  öon  SSonbeli, 
bie  ^reunbin  öon  SRouffeau  unb  SBielanb,  berid^tet,  wie  man 
©ibbon  in  ber  9läl)e  öon  Saufanne,  ben  bloßen  S)egen  in  ber 
^anb  begegnet  fei,  unb  wie  er  SauerSleute  angel^alten  unb 
fie,  mit  feiner  SBaffe  brol^enb,  gefragt  l)abe,  ob  etwa  gemanb 
fd£)öner  unb  lieblid^er  aB  ^äulein  6urd)ob  auö  ßrafper  fei  ^). 
®aö  junge  3Käbd£)en  würbe  benn  aud^  wirflid)  feine  SBraut, 
aber  nid^t  ol)ne  SSebenfen  unb  S^^if^I  ^^  ^^^  SSeftänbigfeit 
feiner  Streue,  bie  er  üergeblidt)  ju  befdt)wid^tigen  fud)te.  SII§  jte 
erful)r,  ba^  ber  SSater  il^reö  33räutigam§  jtd)  gegen  il)re  aSer= 
feinbung  auSgefprod)en  l^abe,  gelang  e§  ®ibbon  ooHenbiS  nid^t 
mel^r,  baö  ^erg,  ba^  er  gewonnen  l)atte,  aud)  gu  berul^igen.  ©er 
©ebanfe  einer  Söfung  beö  SSerpItniffe^  lag  ©ufanne  6urd)ob 
aber  nod)  gänzlid)  fem,  al§  ein  S3efel)l  feinet  SSaterS  ben  jungen 


0  »obemann,  Sulie  öon  »onbelt,  217—218. 


ßJefd^id^tc  einet  uttQlütflid^en  SReigung.  19 

mann  im  Srüfiia^r  1758  nad)  (änglanb  juriicfriet  0-  3m 
Sauf  ber  näd)ften  öicr  Saläre  war  bic  Uebcrfcnbung  cineS  ©ffag 
über  baS  ©tubium  ber  Siteratur,  mit  froftiger  ©ebilation  an 
pe,  fo  jiemlic^  ba§  einjige  SebenSgeidien,  tt)eld)e§  bie  in  ben 
©d^toeijer  SSergen  Dergeffene  SSraut  be§  jungen  ©ibbon  öon  il^m 
erl)ielt.  ^\)x  SSatcr  war  injtt)ifd)en  geftorben  unb  jte  mit  ber 
SKutter  nad)  ®enf  gejogen,  too  pe  ben  geben^unterlialt  für 
beibe  burd)  6rtl)eilung  öon  Unterrid)töftunben  erwarb,  ^aä) 
ber  ortlid)en  Strabition  pflegte  fte  in  ber  Umgegenb  ber  ©tabt 
gu  il^ren  @d)üleriniien  gu  reiten  unb  guweilen  öon  einer  im 
^eien  für  fte  errid)teten  Keinen  Äangel  öon  S^^'fl^^  «^^  3Roo§ 
l^erab  tl)nen  SBorträge  ju  l)alten  ober  5ßreife  unter  fte  gu  Dertljeilen^). 
©ie  war  aügemem  gead)tet,  ftanb  im  SRuf  nid)t  gewöl|nlid)er 
Silbung  unb  unterl^ielt  6orrefi3onbenjen  über  bie  literarifd)en 
Sntereffen  be§  Sageö,  unter  anbem  eine  fold^e  mit  gulie  t)on 
Sonbeli  über  ben  ßl^arafter  ber  "Sl^ntn  ^äloife^).  Später 
badete  fte  gern  an  biefe  Qtxtm  jurficf,  wo  fte,  obwol)l  in  be* 
brängten  SSerl^öItniffen  unb  öor  einer  gang  ungewiffen  S^Iunft 
ftel^enb,  bod)  freubige  ©tunben  l)atte,  bie  fte  in  il^ren  glängen- 
ben  Sagen  öergeblid^  gurü(fwünfd)te  *).  ^ndj  biefem  Slbfd^nitt 
il^reS  Sebenö  war  übrigens  feine  lange  ©auer  befd^ieben.  ©rei 
3al)re  nad)  bem  SSater,  1763,  ftarb  bie  SKutter,  unb  in  ber 
l^cftigften  ©rregung  befd)ulbigte  ftd^  gtäulein  Gurd^ob,  bie  legten 
Sage  berfelben  burd)  llngleid)l^eit  ber  Saune  unb  anfd)einenbe 
©leid^gültigfeit  getrübt  gu  l)aben.  (SS  war  ein  Iranfeö,  t)on  ben 
^Prüfungen  unb  wol)l  aud^  tion  ben  ©emütl)igungen  beS  Seben§ 
bereits  fd)wer  getrofferteS  ©emütl^,  weldE)eS  burc^  foldt)'  über* 
triebene  ©elbftanflagen  ba^  gerftörte  @leid^gewidE)t  wieber  l^er* 
gufteHen  fud)te,  benn  ingwifd)en  l)atte  ftd)  ba^  aSerl)ältnife  gu 


*)  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  I,  39—55. 
2)  Sainte-Beuve,  Madame  Necker.    Causeries  du  Lundi,  IV,  240. 
^)  SBobemantt,  Sulie   öon   S3onbeIi.    ßwei  SBriefe   an   ©.  durd^ob  in 
®enf,  1761. 

*)  Golowkin,  Lettres  recueillies  en  Suisse,  354. 

2* 


20  ©efd^id^te  einer  unglüdnid^en  Steigung. 

®tbbon,  burd^  tt)eld)c§  jte  wcnigftcnö  jtd^  immer  nocf)  gebunbcn 
eradjtctc,  gelöft.  Um  tl)r  ba§  anjufünbigen ,  l^attc  felbft  bicfc^ 
nad^maB  fo  bcrül^mte  gebet  nid^ts  beffereö  al§  bie  un§  Sitten 
öon  ber  ©d^ulgeit  l)er  befannte  gormel:  „9Kein  %r&\xkm,  iä) 
weife  nid)t  wie  id)  beginnen  fott/'  gefunben.  „Unb  bod^  mufe 
e§  fein",  ful^r  er  fort:  „@ie  erratl)en  bereite,  tt)a§  id)  Sinnen  ju 
fagen  l)abe.  ßrfparen  ©ie  mir  baö  SBeitere;  Ja,  mein  tJtaulein, 
id^  foH  auf  ewig  auf  @ie  öerjid^ten!  ©a§  Urtl^eil  ift  gefprod)en, 
mein  ^erg  Ilagt,  aber  Sltteö  l^at  \)ox  ber  ^ßflid^t  gu  fdimeigen. 
3fn  6nglanb  angelangt,  rietl)en  mir  9leigung#unb  S^tereffe  über= 
einftimmenb  bagu,  bie  SärtHdf)feit  meines  SSaterS  gu  gewinnen 
unb  bie  SBolfen  gu  gerftreuen,  bie  fte  mir  wäl^renb  einiger  3^it 
öerpttt  l^atten.  3d)  fd^meid^le  mir,  biefe  Slufgabe  gelöft  gu 
l^aben:  fein  gangeö  fflenelimen,  bie  garteften  Slufmerffamfeiten, 
bie  bebeutenbften  3Bol)ltl)aten  übergeugen  mid^  baöon.  gd)  be^ 
nü^te  ben  Slugenblidf ,  wo  er  betl)euerte,  bafe  atte  feine  ®ebanfen 
auf  mein  ®lüdE  gerid^tet  feien,  mir  bie  ©rlaubnife  gu  erbitten, 
um  ba^  9Käbd)en  freien  gu  bürfen,  an  beren  Seite  baö  Seben 
unter  atten  §immel§ftrid^en,  in  atten  Säubern  mid)  gleich  be* 
glüdfen  wflrbe  unb  ol^ne  bie  fte  mir  atte  gur  Saft  wären,  ^ier 
feine  Slntwort:  „^eiratl)en  ©ie  Sl^r  frembeS  3Räbdt)en,  @ie  ftnb 
unabl^ängig.  Slber  erinnern  @ie  ftd^,  beöor  Sie  e§  tl^un,  bafe 
Sie  ®oiin  unb  englifd^er  (Staatsbürger  ftnb."  6r  verbreitete 
ftd)  l)ierauf  gegen  bie  ©raufamfeit,  \i)n  gu  öerlaffen  unb  öor  ber 
3eit  in§  ®rab  gu  bringen,  über  bie  f^eigl^^it,  atte  meine  SSer«» 
t)flidE)tungen  gegen  ba§  SSaterlanb  mit  fjüfeen  gu  treten.  ^6) 
gog  midt)  in  mein  Simmer  gurüdf  unb  Derblieb  bort  gwei  Stun- 
ben;  id)  werbe  eS  nid^t  t)erfud)en,  meinen  ß^ft^nb  3l)nen  gu 
bcfdt)reiben ;  id^  verliefe  eö,  um  meinem  SSater  gu  fagen,  bafe  id) 
il)m  ba^  (SlüdE  meinet  Sebenö  gum  Dpfer  bringe.  5D?öc^ten  Sie, 
mein  fjräulein,  glüdflid)er  werben  aB  id)  e^  femalö  gu  fein 
l^offe.  ©arum  werbe  id^  ftetö  flel^en  unb  meinen  Sroft  barin 
flnben;  idt)  wottte,  id)  lönnte  mit  meinen  SBünfd)en  bagu  heU 
tragen,  gd)  gittere,  S^r  Sd^icffal  gu  erfal)ren,  unb  bod),  laffen 


©cfd^id^tc  einer  unglütfßd^en  ^ieiöung.  21 

@ie  mid)  nid^t  in  Unfenntitlfe  über  baSfelbc.  aScrft(t)ern  Sie 
$errn  unb  Smu  6ur(i)ob  meiner  SSerel)rung  unb  meinet 
@d)merje§.  @tct§  toerbe  id)  be§  gräulein  6urd)ob  al§  ber 
tt)ürbigften  unb  reijenbften  aller  S^öuen  geben!en;  möge  fte  be§ 
3Jianne§  nid^t  gänjUd^  öergeffen,  ber  bie  SBergtüeiflung  nid)t 
öerbiente,  U)eld)er  er  je^t  anlieintgefallen  ift.  geben  Sie  ttiol^I, 
mein  gi^öwlein.  ©iefer  fflrief  mu§  S^nen  befrcmblid)  in  jeber 
SSejiel^ung  erfd)einen;  er  ift  ba§  treue  ßbenbilb  meiner  Seele. 

„ßtt'ciwtal  l^abe  id)  Sinnen  auf  bem  2Bege  nad)  ©nglanb  ge^ 
fd)rieben,  au§  einem  ©orf  in  Sotl^ringen,  auö  9Jiaeftrid)t,  unb 
enblid^  au§  Sonbon;  Sie  l^aben  nid)tg  erl^alten;  id)  ttieife  nid)t, 
ob  id)  l)offen  foH,  bafe  biefer  SSrief  in  3l)re  $änbe  gelange.  3dö 
l^abe  bie  Gl^re,  mit  ©epnnungen,  tt3eld)e  bie  £iual  meinet  Seben^ 
ftnb,  unb  mit  einer  Sld)tung,  bie  nid^t^  ju  öeränbern  vermag, 
mein  Fräulein,  midt)  ju  nennen 

3f)r  ergebenfter  unb  gel^orfamfter  ©iener 

®ibbon. 

Seriton,  24.  Sluguft  1762." 

©ie  2lufäeid)nungen  ©ibbon'^  über  fein  geben  in  ßnglanb 
n)äf)renb  ber  S^l^re,  bie  feiner  diMhl)x  au§  ber  @d)U)eiä  folgten, 
ftimmen  mit  bcm,  wenn  aud^  gelünftelten  Slffeft  biefe^  33riefe§ 
bur^auS  nid)t  überein ;  fte  fc^ilbern  eine  l)eitere,  in  angenel^men 
aSerl)ältniffen  oerbrad^te  6?rffteni,  bie  ftd)  mel^r  unb  meljr  ernften 
©tubien  unb  großen  literarifd^en  5ßlänen  juwanbte,  unb  in  »et 
d)er  Siebeöfd^mer^en  unb  6rinnern  lebenfaHS  nur  eine  gauj 
untergeorbnete,  toenn  überhaupt  eine  SRoHe  fpielten.  Sind)  @u^ 
fanne  6urd)ob  l^atte  allem  Slnfd)ein  nad)  ein  @d)icffal,  t>a^  fic 
nid^t  mel)r  unt)ermutl)et  treffen  fonnte,  mit  ©rgebung  unb  ol^ne 
Unmutig  gegen  benjenigen,  ber  eö  il^r  bereitet  l^atte,  l)ingenommen, 
alö  ftd)  plö^lid^  im  barauffolgenben  9Kat  1763  bie  9lad)rid^t 
Dom  SBiebereintreffen  ®ibbon'jS  in  gaufanne  verbreitete,  ©afe  er 
burd)  biefeS  unerwartete  3Biebererfd)einen  ba§  ^erg  be§  armen 
aKäbd)en^  ftürmifd^  bewegen  mufete,  ein  fold^er  ©ebanle  fd^eint 
il^m  gar  nid^t  in  btn  Sinn  gefommen  ju  fein.    S)a  erl^ielt  er, 


22  ©cfd^id^tc  einer  unglüdflid^en  SWcigung. 

bm  folgenbcn  Srief,  öon  @cnf  batirt,  öou  tl)r,  in  toeldicm 
lange  gurücfgebrängte  Gmpftnbungen  enblid)  bod^  l)ert)orbra(i)ctt. 
„SJlem  ^err/'  fd^rieb  jte,  ,,ber  ©c^ritt,  bcn  id^  toage,  mad^t 
midö  fclbft  errötl^en;  idf)  mödt)te  if)n  mir  unb  3^nen  verbergen. 
®ro§er  ®ott,  ift  e^  ntöglidf),  ba§  ein  unfd^ulbigcö  $erj  ftd^  fo 
tief  erniebrige?  2Beldt)e  ©emütlöiflwng.  ^6)  \)abt  tool^I  fdt)on 
ärger  gelitten,  aber  eö  niemals  tiefer  enipfunben.  SReiner  3lul^e 
fdt)ulbe  idt),  tt)a§  id^  j[e|it  toage;  wenn  id)  biefe  mir  gebotene  ®e:= 
legenlieit  verliere,  ift  für  midf)  fein  griebe  mtijx  benfbar:  lönnte 
idt)  nod^  einen  foldE)en  genießen,  folange  mein  in  ©elbftpeinigung 
geübte^  ^erj  in  ben  Seweifen  3l)rer  wadifenben  Mite  gegen 
mid^  nur  S^i^^n  Sl^reS  3örtgefül)l§  ju  feigen  glaubte?  Seit 
fünf  t)oHen  Saljren  oi^fere  id^  mid^  biefer  6l)imäre,  mit  einjiger 
unb  unbegreiflidt)er  Seftänbigfeit;  enblid)  l)at  jtd)  mein  aUju 
romantifd^eö  ®emütl)  3fled)enfdöaft  über  feine  Sj;äufd)ung  ge- 
geben; id)  befd^ioöre  @ie  auf  ben  Mieen,  ein  betl)örte5  $erj 
aufjullären.  Unterjeidt)nen  Sie  ba§  öoHftänbige  fflefenntni^ 
Sl^rer  ®leid)gültigfeit,  unb  meine  Seele  wirb  jtd)  ju  ergeben 
wiffen;  ®etüi§l)eit  wirb  bie  SRul^e  wieberl^erftellen,  nad)  weld)er 
id^  feufje.  Sie  wären  ber  t)erädt)tlid)fte  ber  SJlenfd^en,  wollten 
Sie  mir  ben  33ewei§  t)on  2lufridt)tigfeit  verweigern,  unb  ®ott, 
ber  mein  §erj  fennt,  ®ott,  ber  mid)  ja  ol)ne  Sw^^if^t  K^^tf  ^^^ 
wol)l  er  mid)  fo  fd^merjlid^  prüft,  biefer  ®ott,  fage  id^,  wirb 
Sie  unerad^tet  meiner  Sitten  ftrafen,  foHte  bie  leijefte  SSerfteHung 
in  Sl^rer  Slntwort  liegen  ober  S^r  StiHfd^weigen  Spott  mit 
meiner  Sftul^e  treiben. 

„Sollten  Sie  jemals  biefen  meinen  unwürbigen  Sdt)ritt  einer 
Seele  auf  ber  SBelt,  unb  wäre  e§  aud)  ^Ijx^vx  beften  greunb, 
mittl^eilen,  fo  würbe  bie  SBitterfeit  ber  Strafe  jum  SKafeftab 
meinet  SSergel^enö  werben;  id^  müfete  e§  bann  alö  ein  33er^ 
bred^en  betrad)ten,  beffen  Tragweite  id)  in  feiner  ganjen  Unge=* 
]^euerlid^!eit  nid)t  ju  berechnen  oermod^te;  id^  fül^le  je^t  f^on, 
wie  meine  ßrniebrigung  meinen  5!Käbd^enftol3,  mein  frül^ereiS 
aSerl^alten   unb   meine    gegenwärtigen    ®efül)le   entweil)t."   — 


©cfd^id^tc  einer  unglüdlid^en  Sßeiöung.  25 

S)afe  ber  Srief,  an  „9Kr.  ®ibbon,  englifc^en  ßbelmann,  bei 
^errn  öon  SRejera^  in  gaufanne"  abrefjtrt,  mit  erbrochenem 
fd^warjen  Siegel  in  @d)lo§  Goppel  gefunben  würbe,  läfet  öer^ 
mutl)en,  ba§  e§  ba§  Dom  (ämpfänger  jurücfgefteHte  Driginal  ift. 

®ie  Slbfenberin  [ügte  fpäter  am  @(i)Iu§  besfelben  bie  SÜBorte 
bei:  »A  thinking  soul  is  punishment  enough,  and  every 
thought  draws  blood.«  ©ie  ©mpfinbungen  ©ibbon'ö  l)at  biefer 
Slu^brud^  il^reS  gepeinigten  »^erjenö  jwar  nic^t  umgeftimmt,  xooijl 
aber  ba§  Urtt)eil  ber  3lad)Xodt:  SKabame  9lecfer'^  Silb,  mit  b^m 
t)on  ©ufanne  6urci^ob  öerglid^en,  l)at  bamit  an  weiblid^er  3ln^ 
mutl)  unb  menfd^lidier  ©^mpatl^ie  nid^t  wenig  gewonnen. 

35er  Snl^alt  ber  nic^t  befannt  geworbenen  SIntwort  ®ib^ 
bon'ö  läfet  jtd)  unjd)wer  einem  jweiten  Srief  entnel^men,  ben  er 
al§  (Srwiberung  barauf  an§  ®enf  unb  in  ööHig  öeränbertem 
SEon  erl)ielt.  „9Jlein  §err/'  fdirieb  bieSmal  ba^  junge  3Käbd^en 
in  wiebererrungener  ©elbftbelierrfd^ung,  ,,fänf  Sal^^e  ber  Streu« 
nung  l)atten  bie  SBeränberung  nid^t  p  öoH^^iel^en  tiermod)t, 
bie  nun  plö^Udt)  in  mir  vorgegangen  ift.  6§  wäre  wün« 
fä)en§wert^  für  mid^  gewefen,  ba§  Sie  frül)er  ober  anber^ 
gu  mir  gefprod^en  ptten ,  alö  in  il^rem  vorlebten  Srief  .... 
Seweinen  Sie  übrigen^  mein  ©d^idffal  nid^t.  SJieine  ßlteru 
jtnb  tobt,  unb  wa§  liegt  mir  an  äußern  ©lüd^gütern?  9lidf)t 
3l)nen  l)abe  idf)  meine  ©jciftenj  geopfert,  fonbem  einem  ge=^ 
träumten  SSBefen,  ba^  ftetS  nur  in  einem  fo  romantifd^  angelegten 
Äopf,  wie  eiS  ber  meinige  war,  gelebt  l)at;  benn  öom  Slugenblicf 
an,  wo  S^^r  SBrief  mir  bie  Slugen  öffnete,  jtnb  @ie  für  midE) 
wieber  in  bie  3fieil^e  ber  übrigen  Sdiänner  getreten,  unb  nad^bem 
@ie  ber  einjige  gewefen,  bm  idf)  je  l^atte  lieben  lönnen,  jtnb 
Sie  einer  berjenigen  geworben,  bie  mir  am  wenigften  9leigung 
einflößen  würben,  weil  Sic  meinem  felabonifd)en  Straumbilb  am 
wenigften  gleid)en.  6§  liegt  je^t  an  S^nen,  mid^  iu  entfd^ä- 
bigen.  ^Befolgen  @ie  ben  $lan,  ben  Sie  mir  entwerfen;  öer* 
binben  Sie  '^^xt  Slnpnglid^feit  für  midt)  mit  berjenigen,  bie 
meine  ^rcunbe  mir  bewal^ren,  unb  @ie  werben  mid)  ebenfo  Der» 


24  ®c\ä)\ä)tt  einer  unQlüdflitJ^en  ißeigung. 

trauenb,  cbcitfo  freunbfd)aftltd)  unb  nid^t  tüenigcr  glcid^gültig 
finben,  alö  icl&  eS  für  biefe  bin;  glauben  @tc  mir,  mein  ^err, 
e§  ift  nid)t  SBitterfeit,  bie  mir  foId)e  SBorte  einflößt,  fonbern  ber 
aCBuujd);  Sie  ju  überzeugen,  ba§  mein  ^erj  baö  S^rige  ju 
retten  gebenft;  mein  SBenel^men  unb  meine  ßmpfinbungen  l^aben 
Si^re  Sichtung  unb  g^reunbfd^aft  öerbient:  id)  jäl^le  auf  bie  eine 
wie  auf  bie  anbere;  e§  möge  in3ufunft  nid)t  mel)r  t)on  unjerert 
tjergangenen  35ejiel)ungen  bie  SRebe  fein;  id^  mitt  fte  mit  einigen 
ttot^menbigen  Semerfungen  abfd^liefeen. 

„2)iefe  ©egenb  ift  mir  feit  ben  SSerluften,  bie  id)  erlitten, 
ganj  unerträglid^  gemorben,  unb  übrigens  öeranlaffen  mid)  l^ülf:= 
bereite  g^reunbe,  fte  ju  öerlaffen.  3d)  fann  ol^ne  3)emüt^igung 
für  mid^  il^re  SInerbietungen  nid)t  annel^men,  ol)ne  SSerle^ung 
für  Sie  biefelben  nid)t  jurüdEmeifen.  3d)  bad)te  nad)  ©nglanb  ju 
gelten,  öon  wo  man  mir  33orfd)Iäge  gemad)t  l^atte,  allein  bie 
Serid)te  über  bie  Stellung  einer  ®efeHfd)aft§bame  bort  unb  über 
bie  ®ebräud)e  be§  £anbe§  lauten  fo  tierfd)ieben,  bafe  id)  jtt)ifd)en 
ber  3fieife  bortl|in  unb  einer  (Stellung  an  einem  beutfd)en  $of 
nod^  fd^toanfe.  Sie  fönnen  mir,  mein  ^exx,  ju  einer  QnU 
fdfieibung  beplflid^  fein,  ^ä)  red)ne  babei  cbm  fo  fel^r  auf  ^^x 
Urt^eil  als  auf  3^ten  ®efd^madf. 

rrSwr  Seit  als  ^l)x  3&txt  erfdt)ien,  l)atte  id^  einige,  burdt)  baS= 
felbe  getoecfte  '^htm  ju  5ßa^)ier  gebrad^t:  id^  mage  3^nen  bie^» 
felben  als  erften  greunbfd^aftsbemeis  gu  überfenben;  eS  fott 
nid)t  an  mir  fel)len,  3l)nen  nodt)  anbere  gu  geben:  id)  tt)ünfd)e 
Sie  beffen  münblid)  ju  Derftd)ern,  menn  Sie  nad)  ®enf  fommen 
unb  baS  Sob  red^tfertigen ,  baS  id)  S^nen  bort  gefpenbct  ijabc, 

„3Ran  fd^reibt  mir  Don  t)erfd)iebenen  6nglänbern,  bie  ^ariS 
Derlaffen,  um  jtd)  nad)  SJlotierS  ju  begeben.  SBenn  ba^  ber 
Swed  fein  foHte,  ber  aud)  Sie  in  mein  SSaterlanb  fül)rt,  unb 
ein  SSrief  an  Sftouffeau  Sinnen  ertt)ünfd)t  loäre,  fo  erfud^e  id^  Sie, 
es  mir  ju  fagen,  benn  meine  beften  ^reunbe  ftel^en  in  regen 
a3ejiel)ungen  ju  il^m.  Sie  würben  mid)  t)erppidt)ten,  wollten 
Sie  meine  SSewunberung  S^reS  SalenteS  auf  bie  ^robe  ftellen." 


aWouItou  uub  %  %  SÄouffeau.  25 

Unter  ben  in  biefem  Srief  emäl^nten  g^reunben  war  einer, 
beffen  ®efül)Ie  für  gräulein  6urd)ob  burd)  ein  anbereS  ©tabium 
gegangen,  aber  feine  ©rwiberung  gefunben  l)atten.  ©päter  il^rer 
nod^  eingebenl,  öerjtd^erte  er,  jte  immer  geliebt  ju  l)aben  unb 
immer  lieb  bel^alten  gu  woHen,  wenn  e§  \i)m  aud)  nid^t  öergönnt 
fei,  etwaö  ju  il^rem  &lnd  beizutragen.  @§  war  ber,  allen  mit 
S.S-S^^uffeau'g  geben  SSertrauten  wol^lBefannte  ^aftor  2Roultou  ^). 
@eit  furger  Seit  mit  einer  gugenbfreunbin  t)on  ©ufanne  @ur^ 
d^ob  Derl^eirat^et ,  mar  er  baburd)  in  ben  ©taub  gefegt,  il^r 
bie  ®aftfreunbfd)aft  unter  feinem  Siaä)  unb  unter  bem  SBormanb 
anjubieten,  bafe  fein  neuer  ^auSftanb  il^rer  Unterftü^ung  h^^ 
bürfe.  Ueber  il^ren  inneren  3"ftö«i>  li^fe  ^^  pd)  burd)  ben  Sln^ 
fd)ein  äußerer  3lu^e  nid^t  täufdjen,  fonbern  wagte  einen  legten 
SSerfud)  gu  ®unften  ber  unglüdElid^en  9leigung,  t)on  ber  er  jte 
immer  nod)  bel)errfdt)t  wufete.  Qu  SKotierö^Sraüer^,  unweit  öon 
9leuenburg,  lebte  feit  einiger  Qtxt,  unter  bem  @d)u^  be§  5ßreu§en« 
Knig§  (Jriebrid^,  S^an  g^cqueS  SRouffeau.  ®ie  ^eimatl),  nad) 
weldt)er  er  ftd)  in  ber  g^erne  felftnte,  t)ermod)te,  nun  ba  fie  il)m 
gurücfgegeben  war,  nid)t§  mel)r  für  fein  ®lüdE.  6r  l^abe  ge* 
glaubt,  fd^rieb  er  bem  SJlarfc^aU  be  Sujrembourg ,  bort  wieber« 
gufinben,  wa§  feine  Sugenb  bezaubert  l)db^;  aber  bie  Sanbfd)aft, 
ber  ^immel,  bie  9Jlenfd)en,  SlHeS  fei  üeränbert;  felbft  bie  Serge, 
bie  feine  gwangigiälirigen  Singen  cntgücßen,  erfenne  er  nun  nid^t 
wieber  ^). 

©0  lebte  wie  im  Si^&er,  mit  ftd)  unb  ber  ganjen  SBelt  ger- 
fallen,  ber  2Kann,  ber  feinen  S^itß^noffen  ein  fol^e§  SSertrauen 
einflößte,  bafe  bie  6inen  gu  i^m  wie  gu  einem  ®efe^geber,  ber 
in  Sluflöfung  begriffene  ©taatengebilbe  wieber  befeftigen,  bie 
3lnbern  wie  gu  einem  ©eelenargte  famen,  ber  franfe  ®emütl|er 
l^eilen  lönne.  ©aö  lefetere  begel^rte  nun  audt)  9Koultou,  ber  bem 
ßinjtebler  Don  a3al*be=S:rat)er§   bie  ®efd)id^te   ber  getdufd^ten 


*)  Aime  Steinlen,  Charles- Victor  de  Bonstetten,  36. 
')  Jeaa-Jacques  et  le  pays  romand,  Geneve  1878,  68. 


26  SRouItou  unb  3.  3.  Sftouffeau. 

Siebe  feiner  iungen  ^reunbin  erjö^lte,  wie  jte  berfelben  aUc 
3luöjtci)t  auf  SSerf orgung  geopfert  l)abe,  um  bann  il^ren  ®egcn* 
ftanb  !alt,  gefü^Ilo^,  t)on  feiner  Seibenfd^aft  ebenfo  öoUftänbig 
gelieilt,  al§  fte  e§  nid^t  fei,  gu  finben.  „Sie  l^at  mir  einen 
SBrief  gefci)rieben ,  ber  mir  ba^  $erj  jerriffen  l^at/'  fä)lo§ 
SJlouItou,  „@ie,  bem  (Seelenqualen  fo  tt)ol)l  befannt  ftnb,  würben 
ba§  arme  SRäbd^en  gemi§  bemitleiben.  Slber  Sie  fönnen  mel^r 
tl)un  unb  il)x  l)elfen.  SReben  Sie  ©ibbon,  wenn  er  gu  3l)nen 
fommt,  t)on  bem  SRuf,  ben  fte  in  ®enf,  nid^t  nur  wegen  il^reS 
SESiffenS  unb  SSerftanbeö,  fonbern  nod)  mel)r  wegen  il^reö  mafe^ 
lofen  3lufe^  unb  trefflichen  33erl)alten§  geniest.  Sd)  betl^eurc 
3f^nen,  mein  tierel^rter  ^-reunb,  ba^  iä)  ni(i)t§  SReinereö,  ^imm« 
lifc^ere^  al§  biefe  weiblid)e  ©eele  fenne  unb  gauj  unbetl)etligt 
bat)on_fpre(i^e,  benn  gerabe  id)  bin  e§,  ber  fte  für  immer  nad^ 
ßnglanb  gu  gelten  bewegen  möd)te.  .  ,  ."  ^).  3njwifd)en  l^attc 
©ibbon,  nadt)  breiwö(^entlid)er  SSebenf jeit,  ben  legten  SBrief  öon 
Sräulein  6urd)ob  mit  aller  Si^rädl^altung  beantwortet,  ba§ 
SInerbieten  einer  regelmäßigen  (Sorrefponbenj  aU  „für  feine 
3fiul^e  ju  gefä^rlid^"  abgelef)nt  unb  mit  allen  ^eunbfd)aft§:» 
betl^euerungen  bem  Sßorl^aben  feiner  einftigen  SSraut,  in^  ^u^^ 
lanb  gu  gelten,  ftd)  burd)au§  nid)t  wiberfe^t.  3^^  3-  3-  3fiou|- 
feau  ging  er  itid^t,  unb  biefer  äußerte  gegen  SJloultou:  „©tc 
geben  mir  in  Sejug  auf  Fräulein  6urd)ob  einen  Sluftrag, 
beffen  id)  mid)  fd)led)t  entlebigen  werbe,  gerabe  ber  8ld)tung 
wegen,  bie  id)  für  ba^  3Käbd)en  liege.  S)ie  Grfaltung  be^ 
,&erm  ®ibbon  für  fte  madt)t  mid)  gering  t)on  il)m  benfen.  ©ein 
33ud)  l)abe  id)  gelefen^).  6r  läuft  barin  geiftreid^en  (äinfäHen 
nad)  unb  ift  gefünftelt.  9Jlr.  ©ibbon  ift  mein  2Kann  nic^t; 
aud^  öermag  id)  nid)t  angunel)men,  ba^  er  jemals  ber  für 
fjräulein  (5urd)ob  beftimmte  ptte  fein  Wunen.  2Ser  i^ren 
SBertf)  nid^t  empfinbet,  öerbient  fte  überhaupt  nidt)t;  wer  tl^n 


*)  J.  Levallois,  J.  J.  Rousseau,  ses  amis  et  ses  ennemis,  I. 

t 

')  Essai  sur  PEtude  de  la  Litterature. 


SWouItou  unb  3.  %  Sflouffcau.  27 

aber  einmal  entpfunben  unb  jtc  bann  toieber  aufgegeben  l)at, 
erjd)eint  mir  öeräc^tlid).'' 

®ibbon  fonnte  bie  literarifd)e  3fiüge  rul^ig  über  jtd)  ergel^en 
laffen,  benn  jte  war  nic^t  geredet;  gegen  bie  aSerurtl)eilung 
feines  t)erfönltd)en  3Serl)alten§  aber  l)atte  er  gute  ©rünbe  em- 
|)flnbUci)er  gu  fein.  9locf)  "^a^xt  fpöter  I|at  er  ftd)  barüber  gu 
rechtfertigen  gefud^t^).  S^^if^^n  \i)m  unb  Fräulein  (Surd)ob 
aber  fam  eS  nod^  ju  einem  weiteren  3wifd)enfall;  bieSmal  unter 
bem  ®ad^  öon  SBoltaire. 

Seit  1756  t)ielt  jtd^  biefer,  nad)  ben  belannten  ©rlebniffen 
mit  bem  föniglidien  g^reunb  unb  ©önner  fjriebrid),  in  ber 
@d)tt)eij  auf..  35ie  erften  gwei  Saläre  beS  felbftgett)äl)lten  6;ri(§ 
öerbrad^te  er  ju  Saufanne,  wo  er  bie  glänjenbe  ©jriftenj  geiftiger 
SlHeinl)errf(t)aft  unb  gaftfreier  ©efeHigfeit  füf)rte,  über  bie  er  gu 
äußern  |)flegte,  tt)äl)renb  t)iergef)n  ^at)xm  fei  er  ber  ©aftmirtl^ 
ßuropa'ö  gewefen  unb  l^cibe  unter  anbern  brei*=  bi§  t)ierf)unbert 
©nglänber  bei  jtd)  empfangen,  bie  fo  verliebt  in  il^r  33aterlanb 
gemefen,  ba§  faum  ein  eingiger  eö  ber  5D?älöe  wertl)  gefunben 
l^abe,  ftd)  fpäter  feiner  gu  erinnern  2).  Unter  biefen  ©nglänbern 
war  aud^  ©ibbon,  ber  33oItaire  mit  einer  Don  il^m  bagu  gebi^ 
beten  Sruppe  öon  Ferren  unb  ©amen  auö  Saufanne  auf  btm 
3:i^eater  ber  öon  il^m  bewol^nten  3SiHa  gu  SDtonrepoS  feine  S;ra=» 
göbien  auffül)ren  fal^.  SBäl^renb  Siouffeau  gur  felben  Qt\t  feinen 
„©rief  über  bie  ®efal)ren  beS  %i)takx^  in  Ileinen  ©tobten,  wo 
bie  Sitten  nod^  rein  geblieben/'  an  b'SHembert  rid^tete,  erl^ielt 
biefer  35eridt)te  öon  35oItaire,  ber  in  ber  erften  %xt\x\)c  be§  &t= 
lingeng  if)n  üerftd^erte,  man  fpiele  „S^i^e"  an  ben  Ufern  beS 
®cnfer  See'jS  beffer  a\^  in  5ßari3;  er  l^abe  gweiljunbert  ßu* 
fd^auer,  bie  eben  fg  gut,  aU  irgenb  ein  ^ublifum  in  Europa, 
ein  Urtfieil  über  ba§  ©tücf  abgugeben  Dermöd^ten,  unb  auS  aW 
biefen  @d)wciger  Singen  l^obt  er  Si)x&mn  l^erüorgelodft.    SSon 


*)  Gibbon,  Memoirs  of  my  life  and  writings,  IV,  92otc. 
2)  Voltaire  an  Madame  du  Deflfand,  Vol.  I,  pag.  219. 


28  gtäulcin  ©utd&ob  bei  BoUaixc  in  greme^. 

Saufannc  ging  SSoltairc  nad)  ®cnf,  ba§  feinem  @m|Iufe  mcl^r 
SBtberftanb  ju  leiften  Dermod^te  unb  in  ^olge  beffen  anä)  Don 
xi)nx,  vok  wir  wiffen,  beurtfieilt  wnrbe  „ate  eine,  öon  24,000 
SRaifonnirern  beu)ol)nte  ©tabt,  eine  läd^erlid^e  Äräl^minllerci, 
biefe  petitissime,  parvulissime  unb  pädantissime  republique^, 
bie  er  afö  SBol^nort  balb  mit  g^emeq  öertaufd^te,  ju  beffen 
aSergnügungen  er  bann  ©enfer  ^reunbe  unb  bic  bort  |tc^  auf« 
l^altenben  Sremben  berief*).  Unter  biefen  befanb  ftd)  bie,  alS 
Slnl^ängerin  ber  Defonomiften  bereite  genannte  ^ergogm  tyon 
Sa  9lod)efoucauIb  b'GnoiHe.  Sie  gel)örte  mit  gu  ben  erften 
l^erüorragenben  ^erfönlid)feiten  ber  ^arifer  t)ornel)mcn  SBelt, 
bie  il)re  Äinber  burc^  Sronc^in  l^atten  impfen  laffen;  feinefc^ 
wegen  war  fte  fe^t  wieber  an  btn  ©enfer  ©ee  gelommen,  wo 
gräulein  6urd)ob  il^re  Stöd^ter  lennen  lernte.  3llö  bie  ^erjogiit 
\ai),  wie  jerrüttet  ber  ©emütl^^juftanb  beg  jungen  ÜHäbd^cnS 
in  Solge  ber  über  jte  gefommenen  @d)idEfal§fc^läge  war,  fud&tc 
fte  il^r  auf  jebe  2Beife,  junäd)ft  burd)  SSermittlung  bei  ber  Sie* 
gierung  in  Sern  um  ßrljöl^ung  einer  fleinen  ^enjton,  bann  bei 
ber  franjöpfd)en  ^Regierung  um  SRüdfgabe  be^  confiScirten  SBer* 
mögeng  ber  fjamilie  b'Sllbert  bei^uftelien.  SBol^ltl^ätiger  noc§ 
mufete  baö  Sctrfgefül^l  wirfen,  mit  weld^em  bie  t)ornel)me  fjrou 
ftd^  öon  bem  Jungen  SJläbd^en  bei  ©enfer  Se!annten  einfül^reit 
liefe,  für  il^r  ©ntgegenfommen  bei  fold^en  ®elegenl^eiten  banfte 
unb  if)r  gegenüber  äße  gegen  ®Ieid)gefteUte  gebotenen  Umgangg* 
formen  beobad)tete.  3Kabame  be  la  3fio(i^efoucaulb  ftanb  bamatö 
ganj  unter  bem  Sinbrud  oon  33oltaire'§  befter  Sl^at,  feinem 
Sßerl^alten  in  SSejug  auf  ben  guftijmorb  oon  (5ala§  unb  bem 
bamit  jufammenl^öngenben  SBerfud),  bie  bürgerUd)e  ©leides 
fteHung  ber  ^roteftanten  ju  erwirfcn^).  ©urd^  fte  unb  burd^ 
9KouItou,  bem  ba^  anfdt)einenb  Unmoglid^e  gelang,  fowo^l  mit 
bem  Patriarchen  oon  gerneg  atö  mit  bem  6infiebler  oon  SKo» 


*)  Luciea  Perey  et  Gaston  Maugras,  La  vie  intime  de  Voltaire 
aux  Delices  et  k  Ferney.    Paris,  Calman  L^vy,  1885. 

^)  Aime  Steinlen,  Charles- Victor  de  Bonstetten,  30. 


gröulcin  ©urd^ob  bei  iBoltoite  in  fjcmc^.  29 

tierS  in  frcunbfd^aftnd^cn  SScgtel^ungen  gu  bleiben,  würbe  je^t 
aud)  fjräulein  6urd)ob  bei  SSoltaire  eingefül(rt,  ber  fo  gro§e§ 
Söo^lgefaUen  an  H)x  fanb,  ba§  er  fte  in  bic  beneibetc  ©d^ar 
feiner  6orrefponbenttnnen  oufnalim.  9Jiand^e  ber  onmutl^igen, 
in  Iei(i)tent,  fdierjenbem  3:on  l)ingett)orfenen  Sriefe,  bie  er  biö  in 
fein  l)ol)eö  Sllter  S^it  ixnb  £uft  fanb  an  fjrauen  gn  rid^ten, 
trugen  öon  ba  an  il^re  3lutfd)rift  unb  erfd)ienen  fpäter  in  ©rimrn'^ 
Iiterarifd)er  6orreft)onbenj.  35ei  einer  ber  Sl^eateröorfteHungen 
in  Serne^  mar  eS  and),  ba§  Fräulein  Gurc^ob  nod)  einmal 
©ibbon  begegnete. 

®a§  unerwartete  3wfamntentreffen  entfeffelte  ben  faum  be== 
fd)tt)id)tigten  Sturm  in  il^i^er  Sruft  Don  9leuem,  unb  fein  33er= 
l&alten  betätigte  bie  alte  ßrfal^rung,  nad^  weld^er  bieienigen, 
bie  beleibigt  l^aben,  feiten  ober  nic^t  öergeifien  fönnen.  6r 
war  fo  üerlefeenb,  fte  fagt  felbft  „fo  graufam",  ba§  fte  noc^  ein= 
mal  briefUd^  auf  bie  SSergangenl^eit  gurüdffommen  gu  muffen 
glaubte^),  ©od)  toa^  l^alfen  in  einem  fold^en  %aü,  alle  klagen 
unb  aSorwürfe.  S^^ifdien  bem  froftigen  jungen  3Rann  unb  bem 
nod)  immer  fd)tt)ärmerifdöen  9Jfäbd)en  öon  je^t  fed)öunbgwangig 
3af)ren  war  feine  SSerftänbigung  mel^r  möglid)  unb  nid)t§ 
natürlid)er,  al§  ba§  if)r  unter  biefen  SSerl^ältniffen  ber  Slufentl)alt 
in  ber  ^eimatlö  gc^ng  unerträglid)  würbe.  S)er  ^eiratl^Santrag 
eines  braoen  Slboofaten  au§  gjüerbun,  ber  fte  gu  Sßeuenburg 
fennen  gelernt  unb  gleid)  barauf  gebeten  l)atte  „gu  feinen  ®unften 
einen  fegenöreid)en  6ntfd)lu§  gu  faffen,  öon  bem  er  mit  um= 
gel)enber  ^oft  unb  ol)ne  weitem  Sluff^ub  gu  l^ören  l)offe",  war 
ber  le^te,  öon  il^r  abgelel)nte  SBerfud),  fte  an  bie  alte  ^eimatl^ 
gu  feffeln.  35ann  wie§  bie  S^^fw^ftf  bie  il^r  lein  gewöl)nlid^e§ 
SooS  beftimmte,  fte  anbere  SBege. 

@benfaH§  in  ber  3[bftd)t,  2:rond)in  gu  confultiren,  war  eine 
junge  SBittwe  au§  5ßariö,  SJiabame  be  Sßermenouj:,  nad)  ®enf 


*)  fjüt  btefcn  unb  aUc  frül^crett  SBttcfc   d'Haussonville,  Le   Salon 
de  Madame  Necker,  I,  39—55,  70—76,  86. 


()ef(mtmett^  tt>o  fie  ben  SBinter  ^inbur(!^  fel^r  gefeQig  lebte  unb 
unter  Anbeten  ben  jungen  Sonftetten,  ber  eben  anfing  in  bie  SBctt 
\\x  treten,  unb  SMouItou,  ber  baöfelbc  ^au§  mit  il^r  bemol^ntc, 
oft  bei  fiel)  fal^.  ©o  lernte  fte  aud^  ^äulein  ßurd^ob  lennen,  btc 
iöonftetten  nad^  bem  erften  (Slnbrucf  „grofe,  fd^ön,  aber  ettoaS 
ge;\iert  in  i^rem  ®efen''  nennt  ^),  unb  mad[)tc  il(r,  als  ber  3^^- 
:^>«ntt  ;\ur  JJllicfreife  nad^  ber  §auptftabt  nal^t^,  ben  SSorfd^Iag, 
fie  ald  WcfeUfd)afterin  bal^in  gu  begleiten.  ®iefc  gögcrte  nid^t, 
ll)u  nn;iunel)tnen,  unb  traf  im  ^rül^ialir  1764  mit  Skfc  in  Sßariö 
ein.  ©aö  SücrljÄItnife  jn)ifd)en  \>txi  beiben  ©amen  war  ein 
flutcfl  uttb  ^fräulein  (5urdt)ob  nur  barauf  bebadt)t,  ben  3luforbe* 
runden  <t)^cr  ©tellung  im  ^aufe  ber  reid)en  jungen  %t^Vi  ju 
cntfpredjcn,  ol)nc  babei  il)re  eigenen,  befdt)eibenen  3Kittel  gu 
ilbcvfd)reltcn.  t?rft  im  3uli  nennt  ein  SSrief  t)on  il)r  an  5D?outtou 
ben  Utamcn  uon  Ufccfer  als  ben  cinc§  5Befud)erö,  ber  als  ©enfer 
Don^^^ntcrcffe  für  iljrent^.orrefpoubentcnfein  fonnte.  Sn^criSwufetc 
uian  Sl^citcrcS  über  bic  ®rflnbe,  bie  ben  reidt)en  fjinanjmann  in 
ba'S  »1i>auS  oon  SJJabame  be  Sßennenoujr  fül^rtcn,  unb  ergdl^ltc 
fld),  baft  er  fd)on  i^or  il)rer  Jlbreife  in  bie  @d)tt)eig  il^r  etnen 
»li>elratb^antrag  flcmad)t  l)abe.  Sie,  bereu  erfte  ßl^c  leine  glücfc 
lld)c  geuHicn  umr,  unb  bic  fid)  übrigens  anbenoeitig  gebunben 
hatte»  u^ic<!^  tWxfcr^S  ^Antrag,  nid)t  aber  feine  greunbfd^aft  gurfid. 
SJad)  Ihrem  'Jobe  uod)  fpradö  ft  „i^on  ber  eigentl^ümlid^n  An* 
jleh»ng<^ft^tft  feiner  angebeteten  evrcunbin*-);  als  äurüdfgejoiefcncr 
^eu^erbev  um  ihre  ^inb  aber  trauerte  er  uid)t  lange,  nad^  beut 
li^rief  $u  fchlie^en,  ben  (vrSulcin  C^ur^ob  an  Wimltou  nad^ 
^ttf  rid)tete.  tt>i>hin  fiit  5ledfer  im  Sauf  beS  SommtrS  begeben 
hattt  imb  u>o  man  bereite  bie  S?abrfd)einlid)Irit  feiner  SSap* 
biubuuvt  mit  ihr  bi^^hitirte:  »IVein  lieber  Jyreunb*»  fc^tiA  |ic, 
N\^  ^^tetvfte  uuKfitb^tb.  ba^  fie  5{edfer  eingefloBt  ^ottc,  ,cr  i^ 


örautftanb  unb  (S:^.  31 

bcm  ^ublifum  ju  fcl^r  untcrttjorfcn,  um  auf  eine  einjigc  ©timmc 
l^in  gu  cnt[d^eibcn;  für  il^n  gibt  e§  nur  ein  bemofratifd)e§ 
Sficgimcnt,  too  bie  9UieI)rja]^l  gebietet,  unb  fo  toixh  eS  Iciber 
fein  gangc§  Sebcn  Iiinburd^  fein." 

6§  toax  baS  erfte  unb  einjige  ÜRal,  ba^  fte  in  biefer  ob* 
jeftitien  SBeife  über  bcn  fünftigen,  burd^  bie  öffentlid^e  SKeinung 
gu  bcrufenben  ÜRinifter  urt^eilte.  ^m  näd^ften  S3rtcf  fprad^ 
fd^on  il^r  ^erj  mit,  unb  fte  I)atte  il^m  Slbbitte  gu  Iciften,  benn 
<iu§  ®cnf  gurüdgefel^rt,  »arb  5Redfcr  um  il^rc  ^anb. 

@ie  willigte  ein,  unb  balb  barauf,  nad^bem  fte  il^n  beffcr 
fennen  gelernt  l)atte,  fd)rieb  fte:  „D  3acquc§,  mein  tl^eurer 
Sacqueö,  verlange  niemals  öon  mir  ben  2lu§brudE  meiner  ®e* 
fül^le.  Saffe  mid^  mein  ©lüdE  genießen,  ol|ne  barüber  nad^gu* 
ftnnen.  Snbem  td^  eS  eingeftel^e,  mufe  id^  fürdE)ten,  e§  gu  öer= 
lieren,  unb  id^  fann  ber  Segnungen  meinet  SebenS  nid^t  ol)ne 
iBangen  öor  bem  6nbe  berfelben  gebenfen.  Sie  Slufregung 
meiner  Seele  unb  bie  trüben  Silber,  bie  fte  ftd^  entwirft,  foHten 
midt)  tierl)inbern,  ®ir  gu  wiUfal^ren.  Sebenfe  wenigftenS  bie 
S5eranttt)ortung,  bie  2)u  übemimmft.  3d^  fürdt)te,  2)id^  gum  un* 
banfbarften  ber  9Jienfdt)en  gu  mad^en.  SBenn  2)u  nidE)t  einer 
ber  beften  bift,  fo  lieg  nid^t  weiter.  SBenbe  ©einen  SSlidE  ab 
unb  gerreifee  biefen  Srief;  er  tpürbe  gur  Slnflage  wiber  ®id^. 
3a,  mein  fjreunb,  ®u  bift  bie  Äette,  bie  mid^  mit  ber  SSBelt 
Derbinbet.  3)er  Slugenblidf,  wo  2)u  aufl^örteft  mid^  gu  lieben, 
würbe  midt)  ber  gangen  3latur  entfremben.  ßrwäge,  weld^er 
3lrt  bie  Sefriebigungen  ftnb,  bie  id^  fudt)e.  Sft  eS  nid^t  ber 
Sauber  ©einer  Siebe,  ber  2llle§  meinen  Singen  angiel)enb  mad^t? 
Sn  ben  Sröftungen  ber  Sreunbfd^aft  erfenne  id^  ein  fdi)wad^e§ 
aSilb  unfere§  SunbeS;  ber  ©lang  beS  SSermögen§  erinnert  mid^ 
an  bie  SJiül^e,  bie  e§  3)ir  foftete,  e§  gu  erwerben;  bie  SBer* 
fudt)ungen  ber  ©igenliebe  laffen  mid)  l^offen,  ®ir  gu  gefallen,  bie 
geiftigen  a3efdt)aftigungen,  ®id)  feftgul^alten  unb  ben  SBerJ^eerun* 
gen  ber  ßeit  gu  wiberftel^en.  SBenn  id^  mid)  fd)lafen  lege,  fage 
id^  mir:  „&x  liebt  mid^!"   SBenn  id^  erwad^e,  fo  ift  meine  erfte 


»k 


\ 


32  93rQutftanb  unb  Q:f)e. 

JRegung  bte,  bcm  ^immcl  für  eine  foId)c  Siebe  ju  banfen. 
3[bcr  meine  Seele  trennt  ftd^  nid)t  mel)r  öon  ber  ©einen  unb 
jd^öpft  au§  einer  fold^en  SBereinigung  öermel^rteS  ©otttiertraucn. 
SWein  Sreunb,  erfalte  nie  in  ©mpfinbungen,  bie  mein  .^erj  S)ir 
ftets  rein  erl)alten  toixb;  fottte  ber  Slngenblid  meines  3:obe5 
berjenige  fein,  an  »eld^em  ©eine  Siebe  gu  mir  am  ftärfften 
tt)äre,  id^  würbe  meinen  Sterbetag  al§  ben  fd^önften  meinei^ 
SebenS  begrüben'' ^). 

SJiit  einem  SBort,  Sräulein  6nrd^ob  »ar  tierliebt,  unb 
tt)aö  feltener  ift,  fte  tt)urbe  unb  blieb  eine  glüdflid)e  unb  burd^ 
il)re  Siebe  beglüdfenbe  fjrau. 

£)ie  2öedt)felfäae  be§  ®efd)idEi§  trennten  bie  beiben  ©attert 
fpäter  fo  feiten  unb  auf  fo  furge  3^it,  bafe  mit  unbebeutenben 
SluSnal^men  fpäter  feine  ßorrefponbenj  gn)ifdt)en  il)nen  ftatt^» 
gefunben  l^at.  Slber  au§  il^ren  täglid)en  8lufjeid)nungen  fonnte 
9lecfer  [\ä)  fpäter  überjeugen,  tt)ie  DoKftänbig  bie  SReigung  jit 
tl)m  jeben  Slugenblidf  be§  ®afein§  feiner  fjrau  ausfüllte. 

®ie  ^odt)jeit  feierte  ba^  ^aar  ganj  in  ber  ©titte,  ol^ne 
felbft  3Kabame  be  SSermenouf  Sag  unb  ©tunbe  berfelben  be« 
fannt  gu  geben.  SBäl)renb  5ßariS  biefer  bie  Sleufeerung  nad)* 
ergäbe,  fte  l^abe  biefe  ^eiratl^  gu  ©tanbe  gebradt)t,  um  jtd^ 
eines  unbequemen  SlnbeterS  gu  entlebigen,  ber  ftd)  nun  nad^ 
^ergenSluft  mit  feiner  grau  langweilen  fönne^),  l^ielt  jtd^  bie 
Steigung  tion  ÜRabame  5RedEer  nid^t  mel^r  in  ben  ©rengen  ber 
SKfifeigung:  „3^)  bin  bie  %xan  eines  SUianneS,  ben  id^  für 
einen  (ängel  l^alten  würbe,''  fdE)rieb  jie  einer  g^reunbin  in  ber 
@d)tt)ei3,  „bewiefe  feine  S^neigung  gu  mir  nid^t  feine  ©d^wäd^e"  ^). 
„Sd^  tt>äre  baS  unbanibarfte  ®efdt)öpf  öon  ber  SBelt,"  äußert  pe 
ein  IialbeS  ^atjx  fpater,  „wollte  idt)  nidt)t  jeben  SÄoment  meineS- 
SebenS  mit  2)anf gebeten  begeid^nen". 


0  D^Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  7. 
*)  Baronne  d'Oberkirch,  Memoires,  I,  XIII. 
3)  Golowkin,    Lettres    recueillies    en    Suisse,    244,    283,.  Madam» 
Necker  k  Madame  de  Brenles. 


^tdtx'»  ^erfönlid^Icit.  33 

Unter  3lcder'§  augcn  entwarf  fte  bcrfelben  ßorrefponbentin 
foIgenbeS  ffiilb  öon  il^m:  ,, ©teile  ®ir  ba§  lomifd^fte  SBcfen  ber 
Söelt  öor,  fo  glüdHid^  öon  feiner  eigenen  Ueberlegenl^eit  burd)« 
brungen,  bafe  er  bie  nteinfge  nid)t  bemerlt,  fo  übergeugt  öon  feinem 
•  ©d^arfblid,  bofe  er  jid)  ftet§  ertappen  läfet,  fo  gewife,  aüe  Salente 
in  il^^er  ^otenj  in  ftci^  gu  oereinigen,  bafe  e§  il^m  nid)t  einfäKt, 
anber^wo  SJorbilber  ju  fuci^en.  Sie  Äleinlid^feit  ber  Slnbern  fe^t 
il^n  in  6rftaunen,  weil  feine  ©röfee  il^n  erfüllt  unb  er  jtd)  ftet^ 
öergleid^t,  um  gur  Uebergeugung  gu  fommen,  ba§  er  unoergleici^li^ 
ift.  (Sr  öerweciöfelt  finge  Seute  mit  3)ummföpfen,  weil  er  jtdj 
auf  bem  ©ipfel  eines  SSergeS  .glaubt,  öon  bem  aus  bie  ®egen* 
ftänbe  gu  feinen  güfeen  alle  gleid^  niebrig  erfd^einen,  giel^t  jebodj 
bie  2)ummlöpfe  t)or,  weil  jte,  wie  er  fagt,  einen  treffUd^en 
©egenfa^  gu  feinem  erl)abenen  ©eniuS  bilben.  UebrigenS  ift  er 
ebenfo  launenl^aft,  wie  eine  fd^öne  grau,  unb  nid)t  weniger 
neugierig  als  eine  fold^e.  3d)  fd)meid)le  mir  jebod^,  bafe  bie 
unf^ulbige  Slrgnei,  bie  xijxn  burdt)  biefen  S3rief  t)erabreid)t  wirb 
(er  lieft  il)n  über  meine  ©d^ulter),  il)n  für  einige  Seit  öon  feiner 
unerträglid^en  Äranllieit  befreien  werbe''  ^). 

®ie  ßl^arafterfd^ilberung  ift  fd^ergenb  gemeint.  Slllein  SKa* 
bame  SRedfer  öerftanb  fd^on  bamalS  fo  wenig  gu  fd^ergen,  bafe 
mel^rere  ber  öon  il^r  berül^rten  Söß^  ^^  SRedEer'S  a3iograpl)ieen 
als  Äritif  wieber  auftaud^en,  t)or  aKem  in  einer  ber  treueften 
unb  lebenbigften,  ber  feines  greunbeS  ^.  SWeifter,  ber  fte  gwar 
erft  oiele  3al)re  fpäter  t)eröffentlid)te,  il^n  felbft  aber  fd)on  gu 
jener  S^W  genau  fannte. 

SReifter,  ein  geborener  Südeburger,  aber  in  QMäi  lebenb 
unb  fpäter  ©elretär  t)on  ®rimm,  war  auf  SJioultou'S  ©mpfel)* 
lung  in  baS  ^auS  öon  2Wabame  be  aSennenoujc  als  (ärgiel^er 
il)reS  ©ol^neS  getreten,  wo  er  balb  im  bergen  ber  ®ame  bie 
©teile  einnalim,  bie  5Redfer  einft  beanfprud^t  l^atte;  an  biefe 
SSegiel^ungen  fttüpft  pdf)  eine  eigentpmlid)e  3lnefbote:  grau  üom 


*)  D'HaassonTille,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  I,  115.. 
»Unner&ottctt,  Stau  »on  ©toöL  L  ^ 


34  ®tc  »Correspondance  litteraire". 

Sßermcnouf  ftarb  frül),  5Jlciftcr  t)etl)eiratl)ctc  pd)  fpdtcr  fd^r 
glüdlid^  in  bcr  @d)tt)eig  unb  cncid)tc  baS  ^oJ)t  Sllter  öoit  ad^tjtg 
Salären;  feine  greunbtn  l^atte  tiot  il^rem  @nbe  bie  Seftimmung 
getroffen,  il)r  ^erj  foHe  nad^  il^rem  Sobe  SUieifter  übergeben  unb 
einft  im  felben  ©arg  mit  tl^m  beftattet  »erben.  2llS  er  ftarb,  fanb 
ftd^  biefe  Slnorbnung  in  feinem  SEeftamente,  aber  9iiemanb  »ufete, 
tt)o]^in  baS  ^erj  ber  armen  ^Jrau  gefommen  toax,  bis  man  e§ 
cnblid^  in  einer  alten  a3Ied)büd)fe  am  ©peid^er  anfbenjalirt  fanb 
unb  jur  legten  ?ftni)t  brad^te. 

3[n  ber  franjöjtfd^en  Siteratur  l^at  ^.  ÜReifter  feine  ©tette 
als  3Kitarbeiter  öon  ®rimm  unb  ©iberot  an  ber  »Cörrespon- 
dance  litteraire«,  tt)eldt)e  an  europäifd^e  ,g)öfe  berid)tete,  maS 
bie  in  engen  ©d^ranfen  gel^altene  treffe  ntd)t  fagen  burftc:  bie 
SageSneuigfeit  unb  ben  ©fanbal,  baS  gule^t  erfdE)ienene  SBud^ 
unb  bie  fenfationeKe  glugfdE)rift,  baS  neuefte  5EBerf '  t)on  SJoItaire 
unb  ben  iüngften  ©treit  non  SRouffeau.  Unter  ben  nerfd^iebcnett 
Untemel^mungen  biefer  2lrt,  bie  in  ber  {^weiten  ^älfte  beö 
XVIII.  3al^rI)unbertS  öon  ^ariS  in  bie  ^rotiinj  unb  inS  2luS* 
lanb  gingen,  unb  non  »eld^en  bie  non  2:l)iriot  für  ben  großen 
griebridt),  öon  Sa  §arpe  für  ben  ßjarewitfä)  ^aul,  öon  SRa^nal 
für  bie  ,g)erjogin  Don  Q^otl^a  bie  befannteren  jtnb,  nal^m  bie 
»Correspondance«  unftreitig  ben  erften  SRang  ein.  ©ie  begann 
1754,  ging  guerft,  bie  oon  SRa^nal  erfe^enb,  nad^  ©otl^ö,  bann 
monatlid^  zweimal  burd^  bie  betreffenben  ©efanbtfd^aften  an 
anbere  Heine  beutfd^e  ^ofe,  nad)  ©d^toeben  unb,  üon  1762  an, 
ju  Äatl^arina.  ©oetl^e  lernte  barin  (grftUngStoerfe  üon  Suffon, 
ßonbillac  unb  2)iberot  fennen.  ©ie  las  pc^  beinalie  wie  eine 
moberne  3cttfd)rift,  begrünbete  burc^  2)iberot  bie  franjöfifd^e 
Äunftlritif,  neigte  mit  ben  Defonomiften  gum  aufgellärten  ®eS» 
potiSmuS,  fe^te  ben  fanatifd^en  2)oftrinen  ber  ^]^ilofopl)te  ffep^» 
tifd)e  Soleranj  entgegen  unb  räumte  babei  ben  gefeUfd^aftlid^en 
SBerpitniffen  bie  größere  ©teile  ein,  bie  il^nen  bamals  gebül)rte. 
©ie  bleibt  um  fo  mel^r  eine  ber  beften  Quellen  gur  Äenntni| 
ber  Qtitf  als  eS  gelang,  fte  toäl^renb  ber  36  ^dS^xt  il^reS  Se^» 


S)te  »Correspondance  litteraire*.  35 

ftel^enö  bcm  großen  ^ßublifunt  ju  uerfd^Uefecn,  ba§  jtc  erft 
1812—1813  gum  crften  3KaI  la§.  ais  ©rimm  im  SJiärj 
1773,  üon  bcr  gwanjigiälirigcn  Slrbcit  tnübe  geworben,  nad) 
3)eutfciÖIönb  ixnb  bann  gur  Äaiferin  Äatl^arina  nad)  5ßeter§burg 
ging,  war  eS  SJieifter,  ber  bie  »Correspondancc«  wäl^renb  ber 
näd)ftcn  fed^gel^n  S^l)re  beforgte'). 

2Bic  trefflid^  er  ju  beobad)ten  öerftanb,  jcigt  eine  SRcil^e 
Don  Siograpl)ieen  feiner  S^itgenoffen,  unter  weld^en  aud^  bie 
öon  Sfledfer  jtd^  befinbet.  6r  nennt  beffen  äufecrc  6rfd)einung 
gu  auffallenb,  als  ba^  pe  mit  ©tittfd^weigen  übergangen  werben 
fönnte.  „5ftedfer",  fd^reibt  er,  „l)atte  einen  ftarfen  Äopf  nnb  lang- 
lid^e  Süge,  inbem  inSbefonbere  ©tim  unb  Äinn  über  baS  ge= 
wölinlid^e  SWafe  verlängert  erfd^ienen;  feine  braunen  Singen 
waren  fanft  unb  lebliaft.  9Jtit  bem  breifeigften  3al)r  begann  er 
ftarf  gu  werben,  unb  am  6nbe  feines  SebenS  erreid^te  er  einen 
gerabegu  erfd^redfenben  Umfang,  bennod)  befafe  er  fowol|I  @e= 
fdt)meibig!ett  als  Äraft  unb,  tro^  ber  berben  ^üttc,  bie  feinften, 
garteften  ©mpflnbungen.  .  .  .  DI)ne  im  ©ntfernteften  feiner  un* 
gweifell^aften  Ueberlegenl)eit  nal)e  gn  fommen,  war  eS  bennod) 
nid^t  fd^wer,  i^n  an  SBeweglidifeit  unb  SSielfeitigleit  beS  ©eifteS 
gu  übertreffen.  .  .  .  2luf  ein  präd^tigeS  ^auS  unb  Suj:uS  in  ber 
6inrid)tung  legte  er  leinen  anbem  SBertI)  als  ben,  bafe  biefe 
Singe  im  Ginflang  mit  feinem  aSermögen  unb  mit  ben  SBürben 
ftd)  befinben  foHten,  bie  er  im  Sauf  ber  Seit  beHeibcte.  Sfliemanb 
l^at  mid)  in  meinem  Seben  fo  fel^r  lad^en  gemad^t  als  biefer 
ftrengftc  ber  SUioraliften  unb  moralifd^ftc  ber  ?Qlinifter,  bie  je  in 
Sranlreid^  regierten. 

„Seine  2lrt  gu  lieben  war  ein  eigentpmlid)es  ®emifdt)  öon 
Surücfl^altung  unb  e;raItation,  Don  S^ittgefül^I  unb  Slnfprüd^en, 
Don  33ertrauen  unb  ©iferfud^t,  Don  Unbeftänbigfeit  unb  Sreue. . . 
Snbem  er  alle  5Red)tc  ber  3Kenfd)]^eit  bis  gur  SSegeifterung 
ad)tete  unb  bie  aRenfdt)en  inSgefammt  fo  liebte,  wie  nur  2Be= 

*)  Nisard,  Portefeuille  d'un  Academicien.  Revue  contemporaine, 
1856,  XXV,  17  u.  ff.  SReifter  on  ©uatb. 

3* 


36  Uxt^l  üon  Soton  tum  eid^ciu 

nlge  il^re  ^cunbe  gu  Ke6m  wiffen,  fle  aud^  tt)ol)l  im  2ltt* 
gemeinen  fel^r  über  il^ren  eigentlid^en  aSBert^  f^ö|te,  fleftanb  er 
ben  Singclnen,  mit  loeld^  er  in  93eru]^mng  lam,  nid^t  immer 
bai  9ta^  ber  dtüdftd^  ntü>  Sld^tung  gu,  \Dd6it§  fie  beanfpruc^n 
fonnten.  Siner  feiner  J^eroorragenbften  Sl^araftergäge  unb  ber« 
ieniflc,  ttjcld^er  an  ben  meiften  il^m  gnr  2ajt  gelegten  g^poicm 
©d^ulb  trägt,  nmr  ble  merfwürbige  Ueberminbuug,  bie  e§  \\)n 
foftete,  gu  einem  @ntfd^Iu|  gu  lommen.  @ein  @eift  liatte  jtd^ 
fo  fel^r  gewohnt,  eine  jcbe  ^aä)t  unter  atten  moglid^en  ©cjid^tS:' 
pimltm  gu  betrad^ten,  bafe  er  aud^  mtter  ben  bringenbftcn  Um* 
ftonben  nur  für  bie  ©d^toierigfciten  ber  6ntfd)eibung  ein  Sluge 
l^tte.'' 

Unb  gur  Sefräftigung  biefer  SE^atfad^c  fül)rt  5JReifter  atö 
Scifpiel  au^  im  erften  Salären  üon  9lerfer'^  Slufentl^alt  in 
^ari§  an,  bafe  er  einft  über  eine  3Sicrtelftunbc  in  einem  %iaUx 
fi|en  blieb,  ol^ne  jtd^  fd^lüfpg  madjen  gu  fönnen,  tt)ol)in  er  gu* 
crft  faliren  ttjottc.  „2)cnn/'  fügt  er  l^ingu,  „au§  einer  gctüiffen 
@d^tt)äd)e  fottjol^l,  »ie  au§  Siefe  ber  ©mpfinbung,  l^abe  er  im 
öffentlid^en  wie  im  ^riöatlebcn  ^id^t  unb  Steigung  in  Ueber* 
einftimmung  gu  bringen  gefud^t,  fd^licfelid^  aber  immer  wieber 
aud^  bie  Icibenfd^aftlid^ften  feiner  ©cfül^Ie  feinen  ©runbfä^cn 
unterworfen,  ©em  ©rfolg  feiner  politifd^en  3:l)ätigfeit  fei  nid)t§ 
üerberblid()er  aU  bit  Sauterfcit  feiner  moraUfd)cn  ©ejtnnung 
gewefen"  ^). 

3lid^t  anberS  urtl^eilt  ber  feine,  geiftreid^e  SBaron  ©leid^en, 
ber,  obmol)I  ©eutfdjer  öon  ©eburt,  alö  ©efanbter  ©äncmarfs 
nad)  ^ari§  lam  unb,  wie  3Keifter,  auf  eine  greunbfd^aft  öon 
breifeigjäl^rigcr  Sauer  gur  Seurtl^eilung  öon  Sieder  öerweifen 
fonnte. 

©leid^en  gefte^t  gu,  bafe  fein  äufeerlid^  fteifeiS,  falteö  aSBefen 
l^äufig   aU  $ärte  unb   ©tolg  erfdi)einen  unb  fein  gangeS  SSe* 


0  J.  H.  Meister,   Melanges  de   Philosophie,    de  [litterature   et   de 
morale,  II,  58. 


ncl^mcn  mcl)r  auf  Sld^tung  al§  auf  ©^ntpatl^ic  Slnfptud)  tnad^cit 
fonntc,  ba  er  in  ©cfcHfd^aft  ftcts  fd)tt)eigfam  unb  gurüdfl^altenb 
geblieben  fei;  aber  er  lobt  ben  ©belmutl^  feiner  ©ejtnnung,  bic 
SRed^tUd^fcit  feine§  6l)aralteri5,  bie  Sfieinl)eit  feiner  ©itten,  feine 
©rofemutl^  gegen  bie  armen  unb  feinen  eblen  ©l^rgeij,  ein  a3e= 
glüdfer  ber  5Jlen[d^eit  gu  tüerben^). 

SBalpole  geftanb  il^m  gröfee  gäl)igfeiten  gu,  meinte  aber, 
e§  fel^le  il^m  eine  gett)if[e  ®ett)anbtl^eit  unb  ®abe,  ben  SBerftanb 
ber  Slnbern  gur  ©eltung  gu  bringen  2);  ber  ^iftorifer  %  t>ott 
SKfitter,  ber  il^n  in  ber  @d)tt)eig  lennen  lernte,  nennt  il^n  „einen 
guten  unb  toeifen  ÜRann";  felbft  ber  Ieid)tfertige,  liebenö^ 
tt)ürbige  gtirft  öon  Signe,  übrigen^  fein  politifdier  ©egner, 
nal^m  einen  emftl^aften  Ston  an,  um  in  fpdteren  g^l^ren  bie 
mafelofen  Singriffe  feines  ^Jreunbeö  ©enac  be  9!Keill)an  gegen 
SRedEer  mit  ben  SB  orten  gurfidfguweifen:  ,,©ie,  ber  ©ie  im  ®runb 
nici)t  böfe  finb,  wie  lönnen  @ie  »agen,  e§  gegen  einen  jKami 
gu  fein,  ber  nie  Söfe§  getl^an  ober  gefagt  l^at?  ®ai5  ©djlimmftc, 
tt)a§  ftd^  über  if)n  fagen  läfet,  ift,  ba§  er  weber  bie  ©ouöeräne 
nod)  bie  iJrangofen  ge!annt,  pd)  bal^er  getäufd^t  l^at  unb  ge* 
täufd)t  tt)urbe.  SSlidfen  ©ie  auf  baS  «ßriöatkben  be§  SBaterS, 
be§  ©atten,  be§  ^ladjbarS,  be§  fJreunbeS  unb  bereuen  Sie,  was 
Sie  getl^an." 

®iefe  Sieben§tt)firbigfeit  im  intimen  SBerlel^r  mit  ben  ©einen 
unb  im  engen  g^reunbeSfreiS  rül^men  SlHe,  bie  S^H^^  baDon 
waren;  fte  lieben  gang  befonberS  l^erDor,  iafe  Sledfer  nid)t  nur 
als  junger  ?!Kann,  fonbem  aud)  fpäter  unb  bis  an  fein  6nbe 
eine  Sfteinl^eit  ber  Gmpfinbung  fxä)  bewal^rte,  bie  guweilen  an 
baS  Sftomanl^afte  grengte^).  aSergleid^t  man  bie  öerwanbten 
Süge  biefer  öon  fo  t)erfd)iebenen  ^erfönlid^feiten  entworfenen 
©figgen,  fo  entftelit  baS  Silb   eines  ÜRanneS,   ber   bei  aller 


*)  Soron  ©.  ^.  ö.  GJIeid^cn,  ©cnlwürblölciteit,  94  u.  ff.:  9leätx. 
2)  Lettres  de  Horace  Walpole  k  Madame  Du  Deffand,  1776,  wäl^rcnb 
beS  ^(ufentl^altö  bon  iRedet  unb  feiner  ©emal^ltn  in  ^nglonb  gefd^rieben. 
.8)  ®ie  Seitgenoffen,  Sal^töong  1821. 


38  SO^iabome  0^e(fet  grünbet  tl^ren  (Salon. 

©d)ärfe  bcr  Scobad^tung  eine  ibcal  angelegte  9latur  unb  bei 
anfdöeinenber  SRnl^e  nid^t  ol)ne  ©ci^njännerei  xoax,  mit  Iül)ler 
aSered^nung  gtofee  Seelengute  öerbanb,  in  bem  ^nnfte  aber  ber 
ed^tc  @o^n  feiner  ^dt  roaVf  bafe  er  burd^  t]^eoretijd)e  Eingebung 
an  bie  SJlenfd^l^eit  im  Sittgemeinen,  üon  totläjtx  feine  (Sd^riften, 
tt)ie  fo  öiele  anbere  ©rgeugniffe  be^  adi)tjel^nten  3al)rl|unbert^, 
in  fiberfd)n)änglid^en  Slnöbrücfen  überftrömen,  ber  9lad)ftd^t  unb 
juweilen  felbft  ber  ®ered)tigfeit  gegen  ßinjelne  jtd^  überl^oben 
l)ielt,  tt)enn  er  aud)  nid^t  gerabe  einer  t)on  ©enjenigen  war, 
auf  tt)eld)e  bie  aSerSjeile  Slnn^enbung  fanb: 

».  .  .  .  pour  moi  je  les  soup^onne 

D'aimer  rhumanite,  mais  pour  n'aimer  personne.« 

@o  ift  e§  benn  aud^  d^aralteriftifdt),  bafe  in  5)?edfef ^  bänbe« 
reid)en  @di)riften  über  fein  politifd^eS  SQSirfen,  ba§  H)n  mit  fo 
öielen  SWenfd^en  in  SSerül^rung  brad^te,  beinal^e  9liemanb  mit 
3(lamen  genannt  ift.  ®a§  ©efül^l  moralifd)er  Ueberlegenl^eit, 
beffen  er  ftd)  tt)ol^l .  f aum  erwel^ren  lonnte,  toenn  er  ftd^  mit  ber 
SJlelirjal^l  feiner  QexU  unb  ©tanbe^genoffen  uerglidi),  toax  nur 
ju  fel^r  ba;iu  angetl^an,  ba§  jebergeit  ftarfe  ©elbftbeujufetfein 
be§  9Kanne§  über  ba^  SWafe  feiner  SSefäl^igung  ju  taufdt)en  unb 
il^n  jur  @dE)lu6folgerung  gu  tierleiten,,  ba^  er,  weil  beffer,  ge= 
tt)iffenl)after  unb  fittlid^  Isolier  ftel^enb  al§  fo  öiele  %bere,  fd)on 
beSttjegen  baju  beftimmt  fei,  ftd^  aud^  geiftig  an  il^re  ©pi^e  ju 
ftetten. 

®iefe  nid^t  ju  leugnenbe  @elbftüberfd)äfeung  fanb  il^ren 
wirlfamften  SRüdfl^alt  an  SKabame  5Reder'§  SJteinung  öon  il^rem 
©atten;  aud^  ii)x  lag  eS,  nad^  ben  trüben  ©rfal^rungen  il^rer 
3ugenb  naijt,  33ergleidt)e  jioifd^en  il^m  unb  8lnbem  gu  giel^en, 
unb  baö  Grgebnife  baöon  war,  bafe  bie  banfbarc  Siebe,  bie 
SRedfer  iS)x  einjuflöfeen  wufete,  jtd^  jur  Seibenfd^aft  fteigerte 
unb  gur  aSergötterung  warb.  %nx  il^n  tl^at  fte,  wa§  il^r  für  ftd^ 
f elbft  nid)t  wünf d)enSwertl)  erfdjienen  wäre :  |te  opferte  il^re  per= 
fönlid^en  Steigungen,  S^it^  Äraft,  SRul^e  unb  ®efnnbl)eit,  um  bie 
äugen  ber  SBelt  auf  il)n  gu  lenfen  unb  in  ber  großen  ^aupt= 


aWabame  SRcrfcr  gvünbet  tl^ren  Salon.  39 

ftabt  einen  etnflufereid^en,  bebeutenben  gefellfd^aftHd^en  Äret§  um 
iS)n  ju  tierfammeln.  6in  glängenbeS,  gaftfreieS  §au§  reid^tc 
bclju  nid^t  l^in;  bie  fremben  Surften,  bic  $ariö  befud)ten^ 
pflegten  tt)O^I  baö  §oteI  üon  9?eder'§  ®efd)äft§treunb  Sl^elufjon 
ober  jeneiS  be§  ®eneralpäd^ter^  S3ouret  fid)  anjufel^en,  ben  l)eute 
nur  nod)  eine  Slnelbote  üor  SSergeffenlieit  bemal^rt:  6r  woHte 
etnft  eine  ©ante  mit  befonberen  ©l^ren  bei  f\ä)  empfangen,  bereu 
ßieblingSgerid^t  in  '^udttrtxh\m  beftanb,  bie  aber  il^rer  ®efunb= 
l|eit  wegen  auf  SKild^foft  gefegt  tt)ar;  bei  xijxcm  (äintritt  in 
fein  §au^  faub  fte  bie  Äul^  in  ber  Sßox^aUt,  tt)eld)e  biefe 
3Kild)  liefern  foKte,  unb  üor  il^r  eine  Ärippe  üoll  3wcfererb[en, 
JU  tiuer  3al^re§jeit,  wo  biefelben  ber  ©eltenl^eit  wegen  mit  ®oIb 
aufgewogen  würben.  3«  SSouret  aber  ging  man  bod^  nid^t,  wenn 
man  ftd)  wirflid^  unterl^alten,  etwaö  erfal^ren  ober  bie  Söwen 
be§  SagS  feigen  unb  lenneu  lernen  wollte.  ®aju  wanbte  man 
ftd^  an  bie  bürgerlid^e,  einfädle,  aber  überaus  finge,  mütter= 
lid)  für  i^re  iJreunbe  beforgte  5!Jlabame  ©eoffrin,  weld^er  @ta- 
niölauS  ^oniatow§fi,  in  banfbarer  ©rinnerung  an  bie  Slufnal^me, 
bie  jie  il^m  aU  jungen  3Wann  in  il^rem  §au§  gewäl^rt  l^atte, 
fd^rieb  „ÜRama,  Sl^r  ©ol^n  ift  Äönig  geworben'',  unb  bie  er  wie  eine 
©ouoeränin  in  SBarfd)au  empfing.  33ei  il^r,  „im  beftorganiptten 
^arifer  @aIon"^),  fanb  man  SWonteSquieu ,  ©uarb,  ^ume, 
^orace  SBalpoIe,  ©aliani,  ®ibbon,  ©iberot,  b'SHembert,  ®rimm, 
um  nur  bie  berül^mteften  feiner  ®äfte  gu  nennen;  ober  man 
ging,  wenn  man  jur  fleinen  @dt)ar  il^rer  SluSerwäl)lten  gel^ßrte, 
jum  Gmpfang  ber  SKarquifc  ®u  2)effanb,  ber  iJreunbin  ber 
6l)oifeuI§,  bei  weld)er  ^orace  SSBalpole  oon  ^nt  gu  3^it  pd> 
eingupnben  pflegte,  unb  wo  bie  fd)on  bejal^rte,  blaprte,  fat^rifd^e, 
nur  nod^  für  bie  feinften  geiftigen  ©cnüffe  gugäuglid^e  grau 
ia^  befte  auSwäl)Ite  unb  bann  gcwäliren  liefe,  toa^  bie  auf  ben 
^öl^epunft  ber  Äunft  focialen  Umganges  angelangte  3^it  gu 
bieten    l^atte;    ober    man    öerfammelte    pd)    bei   einem    ®IaS 


*)  Sainte-Beuve,  Madame  Geoffnn,  Causeries  du  Lundi,  II,  409. 


40  2)ic  tt^ttn  grctinbc  beS  ^aufeS  SRedcr. 

3udertt)affer  in  bcr  befd)eibcncn  SBol^nung  t)on  ^Jräulcin  wn 
rSfpinaffe,  weld^e  nad^  ber  S^ilberung  üon  3Kabame  ©uarb  aUc 
©abctt  ücrcinigtc,  bie  in  bcr  Scrül^rung  mit  bcr  großen  SBclt 
crtüorben  »erben.  ,,@ie  war  ganj  natfirlii^'\  erjäl^It  pc,  „unb 
befafe  babei  aufecrorbcntlid^  tiiel  SEaft;  ppd^  war  fte  ganj 
gett)ife,  aber  nid^t  unangencl^m ,  il^rc  gigur  wie  il^re  3Jianieren 
waren  öoH  Slnmutl^  unb  ©ragie;  fte  gewann  ftd)  bie  ßi^netgung 
aller,  bie  ndl^er  mit  il^r  üerfel^rtcn,  mel^r.  nod)  burd^  bie  2Bärmc 
tl^rcr  ©tttpfinbungen  al§  burd)  ®aben  beö  SßerftanbeS,  weil  il^re 
Sbecn  il^ren  ©cfül^lcn  entfprangen"  ^).  9Rit  biefer  icbenfall^ 
]^öd)ft  anjicl^^nben  ?5rau,  wcld^e  burd)  il^rc  an  ©uibert,  al§ 
ben  ©egenftanb  einer  ebenfo  tiefen  al§  unglücHid^en  geibenfd^aft 
gerid^teten  Sriefe,  eine  eingige  ©teile  in  ber  Siteratur  be§  ad^t= 
3el)nten  3al|rl)unbert§  einnimmt,  liebten  e§  9Ränner  wie  Surgot, 
b'Sllembert,  @rimm  unb  SWoreUet  bie  fd)wierigften  politifd^en 
unb  pl^ilofopl)ifd^en  Probleme  ju  erörtern.  Unter  fold)en  gefett* 
fd)aftlid^en  9!Käd)ten  ©tettung  gu  nel^men,  war  für  eine  junge, 
frembe,  nod^  gang  unbefannte  ?5rau  ol^ne  g^amilienbegiel^ungen 
ober  ben  l^ol^en  Sftang,  ber  fold^e  3lufgaben  crleid^tert,  fein 
geringes  Untemel^men;  eS  mufete  SKabame  3(ledfer  um  fo 
fd^werer  fatten,  al§  jte  bem  ßöuber  be§  ^arifer  SebenS  nur 
fel^r  langfam  unb  nidE)t  ol)ne  SBiberftreben  pc^  l^ingab.  SRod^ 
1765  fdirieb  pe  ii^rer  iJreunbin  be  SrenleS  in  ber  ©diweig,  „ber 
fingige  S5ortl)eil  ber  ©jrtfteng  in  ^aris  fei,  ben  ®efd^mac!  gu 
bilben,  aber  aud)  ba§  gefd^cl^e  auf  Äoften  be§  ®eniu§;"  pe  fanb 
bie  SWänner  oberpäd)lid^,  bie  ?5rauen  eitel;  bie  ßorruption  ber 
©itten  um  pe  l^er  öerlc^te  il^r  beflere^  ®efül^l.  „2)en  SBerfül^* 
tungen  nieberer  Slrt  gu  wiberftel^en,  fei  leidet  genug,"  meinte  pe; 
t,fd^werer  fomme  ei5  il^r  öor,  bie  3Serfud)ungen  be§  ef)rgeige§ 
fern  gu  l^alten,  benn  biefe  Seibenfd^aft  laffe  pd^  mit  ben  beften 
^igcnfd^aften  unb  ber  ftrengften  ©ewiffenliaftigleit  tierbinben, 
unb  e§  fei  beinal^e  unmöglidE),  in  ^ari§  nid)t  tion  i^r  ergriffen 


^)  Madame  Suard,  Essais  de  Memoires,  64 — 65. 


2)ic  crften  greunbe  beS  ^aufeö  Siedet.  41 

3u  werben"').  @te  toax  eS  längft,  alö  fte  bieö  nteberfd^rleb, 
tt)ettn  nid)t  für  jtd^,  fo  bod^  für  einen  Slnbern;  um  feinetotllen 
begab  jte  ftd)  an  bie  Slrbeit,  in  ber  SRue  3Rid)cWe*(5omte,  im 
fogenannten  9Rarai§,  ttjo  bie  SBureauf  be§  Sanll^aufeö  Sßedfer 
jtd)  befanben,  ben  Salon  ju  grünben,  ber  öor  8lttem  ein  litcra« 
rifd^er  fein  fottte.  Slbbe  3)?ore!Iet,  ber  ^ournalift,  @d)riftfteHer 
unb  Defonomift,  jtüölf  Saläre  nad^  bem  Stöbe  Subwig'^  XIV. 
geboren  unb  alt  genug  geworben,  um  bie  SRejlauration  ju  er=» 
leben,  nimmt  mit  SRa^nal  unb  SWarmontel  ba§  SBerbienft  in 
Slnf^Drud^,  aU  einer  ber  erften  unter  ben  ^arifer  SBefannten  öon 
SRabame  3ledfer,  jte  gur  SBal^l  be^  ^JreitagS  für  il^re  großem 
2)iner§  ober  @ouper§  beftimmt  ju  l^aben,  weil  man  am  2Kontag 
unb  am  9!Hitttt)0(i^  gu  3Rabame  ©eoffrin,  am  2)ienftag  gu  §el« 
üetiuS,  am  ©onnerftag  unb  Sonntag  gu  33aron  .g^olbad),  bem 
fogenannten  erften  ^auSl^ofmeifter  ber  ^l^ilofopl)en  ging,  ber  biefe 
nid)t  nur  in  ^ari§,  fonbern  aud)  auf  feinem  ©d^lofe  ©ranoal 
gu  bewirtlien  ppegte.  Später  lam  bei  5!Rabame  SRedfer  nod) 
ber  ©ienftag  für  einen  engen  SreunbeSfreiS  l^ingu.  8llS  einer 
ber  erften  äliwötel^mer  an  ben  fjreitagögefellfd^aften,  bie  btn 
bamaligen  ©ewol^nl^eiten  entfpred)enb,  au§  nid)t  mel^r  al§  fünf« 
gel^n,  l^öd^ften^  gtoangig  ^erfonen  beftanben,  erfd^ien  ©uarb,  ber 
eigentlid)e  %^pu^  be§  ^ubliciften  im  ad)tge]^nten  Sa^rl^unbert, 
mit  ber  englifdt)en  Siteratur  öertraut  unb  felbft  mit  ber  beutfd^en 
befannt,  mit  ber  geber  nid)t  fel)r  probuftio,  bafür  aber  um 
fo  unerfd^öpflidjer  in  ber  ßonöerfation,  unter  Subwig  XVI. 
Herausgeber  beS  erften  frangöftfd^en  JagblattS  »le  Journal  de 
Paris«  unb  einer  ber  SBenigen,  weld)e  bie  SReöolution  nid^t 
umftimmte,  weil  fte  nid)t§  getfian  l^atten,  um  fte  oorgubereiten. 
9?ad^  feiner  SSer^eiratl^ung  mit  ber  ©d^wefter  feine«  2Serleger5 
$ßanfoude  bel^nte  bie  iJamilie  9ledfer  il)re  f5reunbfd)aft  aud^ 
auf  bie  ©attin  öon  Suarb  auS,  bie  mit  9!Habame  nieder  ftd^ 


*)  Golowkin,  Lettres  diverses  recueillies  en  Suisse,  Genöve  1827, 
p.  264. 


42  2)ic  erftcn  gfteunbe  be§  ^aufeö  SRcrfer. 

be^  feltcnen  SoofeS  cine^  mufterl^aftcn  el^clid^ett  ®lücf §  tül^mcn 
burftc.  @§  cl^rt  beibc  Steile,  bafe  nieder,  ol|nc  |td^  ju  nennen, 
feinen  gteunben  burd^  Slnweifung  öon  a(i^tl)unbert  ßttireS  SRente 
in  einer  ©elbüerlegenl^eit  gu  §ülfe  fam^);  il^r  fleineö  ganb= 
]^au§  gu  5ontena^=an;r=9iofe^  tüurbe  jum  SSereinignngSpunft,  wo 
ntan  ftd)  be§  Sonntag^  bei  einem  einfad^en  5!Jlaf)l  begegnete,  ju 
beffen  ®ä[ten  guweilen  aud^  Salle^ranb  geprte.  Unter  bie  älteften 
iJreunbe  ber  ?5amilic  5)^ec!er  jäl)lt  aud^  Sia^nal,  ber  el)emalige 
Sefuit  nnb  SBerfafjer  ber  »Histoire  philosophique  des  deux 
Indes«,  bie  Siurgot  alö  „eine  Sufammenftellung  öon  fanatifd^en 
^arabofen  unb  unäufammenlöängenben  ©ebanfen"  üerurtlieilte^), 
unb  bie  il^r  SSerfaffer  fpäter  »ergebend  gefd^rieben  gu  l^aben  be= 
flagte^).  SJlarmontel,  an§  bem  intimen  Ärei§  öon  5!Rabame 
©eoffrin,  war  ein  üon  feinen  S^itgenoffen  fel^r  überfd^ä^teö 
Salent,  aber  l)öcftft  angenel^m  im  Umgang  unb  ein  lieben^wür* 
biger  Dptimift;  er  würbe  üon  3Jiabame  SRedEer  auf  einem  SSaU 
ber  5ßarifer  SÖürgerfd)aft  geworben,  „auf  weld^em  fie  gwar 
fd^led)t,  aber  oon  gangem  bergen  mittangte'' *).  8lu§  ber  S^t* 
timität  oon  SRabemoifeUe  oon  rgfpinaffe,  aber  gu  ooUftänbig  oon 
if)x  in  Slnfprud^  genommen,  um,  fo  lange  jte  lebte,  mel^r  atö 
öorübergel^enb  in  anbern  Äreifen  gu  erfd^einen,  tft  b'SlIembert, 
au§  jener  Don  SUiabame  b'^oubetot  ber  SRarquiS  oon  Saint* 
ßambert  gu  nennen.  Site  ©id^ter  ber  „3al)re§geiten"  längft  nid^t 
mel^r  gelefen,  fennt  il^n  l^eute  bie  SBelt  nur  ate  ben  glüdflid)en 
Sftioalen,  guerft  oon  SSoItaire  im  bergen  ber  als  „2)iüine  ©milie" 
gefeierten  SUiarquife  bu  ßl^ätelet,  bann  oon  SRouffeau  bei  ®räfin 
b'^oubetot,  bem  S^puS  ber  Sulie  in  ben  glüf)enb[ten  Stellen 
ber  bleuen  §eloife. 

enblid^   erfd^ien  bei  SWabame  5)leder,  als  ber  eigentlid^e 
unb  glängenbfte  33ertreter  ber  ©nc^nopäbie,  lein  geringerer  als 


0  Madame  Suard,  Essais  de  Memoires  sur  Monsieur  Suard,  116—121. 

*)  Turgot  bei  Morellet,  Memoires,  II,  215. 

^)  Malouet,  Memoires,  I. 

*)  Marmoütei,  Memoires,  Livre  VI. 


S)te  crftcn  3i;eunbc  beS  ^aufeS  SRerfer.  43 

©iberot  felbft,  „bcv  tierlorenc  ©ol^n  ber  ©pefulation" ,  wie  fein 
gciftrcid^er  bcutfd^er  aSiograpl^  tl)n  genannt  l^at^).  3n  feinen 
SSriefen  an  ijräulein  SSolant  äußert  er  wieberl^olt,  wie  fd^wer 
e§  il^m  falle,  bie  ©infamfeit  mit  ber  SBelt  gu  Dertanfd^en,  wie 
ungern  er  bem  S^^ang  be^  5ßarifer  ©efeUfd^aftöIebenö  [xä)  nnter= 
werfe;  aber  feine  Stimmungen  ppegten  rafd)  gu  wed^feln. 
(Seiner  aufeerorbentlid^en  geiftigen  ^rifd^e  unb  Siegfamfeit  wegen 
blieb  er  ein  ftet§  wiKfommener  unb  um  fo  mel^r  gefcftä^ter, 
weil  feltener  ®aft,  raftloö  unb  anregenb,  beffen  3lrt  ju  probu- 
ciren  ben  SJtarquiö  be  ßl^aftelluf  jum  SSergleid)  üeranlafete, 
feine  ®eban!en  feien  trunfen  geworben  unb  liefen  nun  ein^* 
anber  nad^.  2)iberof  §  aufnähme  bei  SKabame  5Reder  befd^reibt 
er  feiner  greunbin,  bem  genannten  S^räulein  SSolant,  in  SQSorten 
t)on  feltener  ®efd)madflojtgfett :  „3üngft'\  fd^reibt  er  il^r,  ,,l)at 
SDfiabame  5RedEer,  eine  pbfd^e  fjrau  mit  Slnfprud^  auf  @eift,  btn 
Äopf  für  mid)  tierloren.  6^  ift  eine  wal)re  Verfolgung  jum 
ßwedf,  mid)  bei  il)r  ju  feigen  ....  Sie  ift  eine  unbemittelte 
®enferin,  weld^er  9ledfer,  ber  SSanquier,  eine  fd)öne  Stellung  ge-- 
mad)t  l^at.  SWan  fragt;  ,®lauben  Sie,  bafe  eine  grau,  bie 
tl^rem  5!Ranne  SlHeS  oerbanft,  ftd^  etwa^  gegen  il^n  gu  Sdt)ulben 
lommen  laffen  lönne?'  ©ö  wirb  erwibert:  ,Dl),  nid^t^  Unbanf* 
barere^  gibfg  auf  ber  SBelt!'  ®er  2:augenid)t§,  ber  biefe  2lnt:= 
wort  gab,  war  id^."  3lun  folgt  ein  fel^r  fd^led^ter  Spafe,  weld^en 
er  fpdter  burd^  bie  33erftd^erung  wieber  gut  ju  mad^en  fud)te, 
mit  ber  SReinl^eit  einer  ©ngelfeele  öerbinbe  2Kabame  9?ecfer  bie 
größte  fjeinl^eit  be§  ©efd^matfö. 

Sd^meidt)ell^after  war  eö  für  fte,  bafe  er  il)r  einmal  fd^rieb, 
ptte  er  fte  frül^er  gefannt,  fo  würbe  er  SßieleS  in  feinen  SBerfen 
Weber  gebadet  nod^  gu  Rapier  gebrad)t  l^aben.  (äin  SWann,  ber 
ang  ßnbe  gelangt,  ol^ne  SReue  gurüdblidEen  woHe,  folle  md)t§ 
entwerfen,  wa§  @ott  unb  Sie  nid^t  mit  SBol^lgefaUen  betrad)ten 
lönnten.    (5r  wieberl^olt  il^r  ba§  in  einem  oortrefflidt)  gefd^riebe^» 


')  9iofcitIran3,  ©iberot'S  Seben  unb  Söerfc,  II,  280. 


nen  Sricf,  bcr  mit  bm  SBortcn  fd^Hcfet,  „xoexm  in  il^rcr  SEBagc 
eine  gute  ^anblung  nidjt  fd^ttjercr  wiege  als  l^unbert  fd^led^te, 
fo  fei  er  öerloren"  ^). 

©0  aber,  wie  bie  Singe  lagen,  öerl^inberte  unb  öermod^te 
SKabame  5RedEer  bod^  nid)t§  bei  bemjentgen,  bem  Äatl^arina  IL 
ju  jagen  pflegte:  „9lur  immer  gu,  unter  un§  SWännem  ift  Sltteö 
erlaubt",  unb  in  beffen  ©d^riften,  in  rodd)m  alle  SBiberfprüciöc 
ber  Seit  mit  einanber  fäntpfen,  ber  revolutionäre  ®eift  in  er- 
fd^recfenber  SSollenbung  ftd^  auSgefprod^en  finbet. 

3lud^  ber  9!Karqui§  t)on  (5f)aftellujc,  ©nfel  beS  großen 
ÄanjlerS  b'2lguef[eau,  fam  oft  in  ben  ©alon  Sledfer.  6l^aftettu;r 
war  Dfpcier,  ^f)ilofop]^,  ^iftorifer,  Defonomift,  juweilen  aud^ 
Siebter,  unb  galt  für  einen  ber  liebenSwflrbigften  2Kenfd^en 
feiner  Seit,  ©einen  fd)riftftellerifdE)en  SRuf  begrünbete  ba§  1772 
erfd^ienene  SSudE)  über  „bie  allgemeine  SBol)lfa^rt",  worin  bie 
größte  Summe  be§  ®lücf§  für  bie  gröfetmöglid^e  S^t^^I  öon 
SKenfd^en  ju  befd)affen  al§  wal)re§  unb  einjigeiS  Si^I  ^^^  ^^' 
gierungen  begeid^net  ift  unb,  im  ©inflang  mit  bem  2lbb6  be 
@aint=$ierre  unb  3.  %  5Rouf[eau,  wie  fpäter  mit  Äant,  ba^ 
3beal  be§  ewigen  griebenS  begrübt  wirb.  3flid)t  ju  öergeffen 
ift  unter  5!Rabame  9iecfer'§  perfönlid)en  Sreunben  aud^  ber 
mittelmäßige  ©id^ter  ©orat,  ben  fte  oergebenS  für  bie  Slfabemic 
al§  ßanbibaten  in  Slnregung  brad)te  unb  nid^t  öor  ben  @ar^ 
laSmen  oon  ®rimm  unb  2)iberot  ju  bewal)ren  oermod^te,  bie 
Pd^  bamit  in  ber  »Correspondance  litt^raire«  für  feine  lang=^ 
atl^migen  SBerfe  entfd^äbigten.  ©o  j.  S.  fd^ließt  1774  ein  ©pott* 
gebid^t  auf  bie  £)be  ©orafö  an  ben  jungen  Äönig  mit  btn 
SBorten: 

»Puissent,  mon  eher  Dorat,  les  jours  du  nouveau  rägne 
Plus  heureux  que  tes  vers,  etre  plus  longs  encore!« 

Site  nad)  faum  gwei  3al^ren  ber  ^iftenj  in  ^ari§  ba§ 
ßrgebnife  öon  SWabame  Sßedfer'S  gefeUfd^aftlid^en  ©rfolgen  unb 


')  D^HaussoQville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  I,  162  u.  ff. 


®!e  greunbc  in  ber  ©d^ioeia  unb  SDlobamc  Sßeder.  45 

SScmül^iingcn  ben  alten  iJrcunbcn  in  ber  ©d^tüelj  gu  Dl^rcn 
lant,  unterbrüdften  jie  »eber  %  ©rftauncn  nod)  i^rc  Seforg* 
niffc,  unb  SJJouItou,  al§  ber  il^r  am  näd^ften  ©tel^enbe,  xoax  e§, 
ber  bie  Sragc  an  jie  rid)tete,  was  in  fold^er  Umgebung  auS 
il^rcn  d^riftli(f)en  Ueberjeugungen  »erben  foHe.  ,,ÜRcin  lieber 
Sreunb,"  fdirieb  jte  il|m  gurüdf,  „tt)ie  fönnen  @ie  mid^  einen 
?lugenbIidE  tierbad^tigen !  2Rit  meinem  Seben  ijobt  id)  meine 
©runbfä^e  empfangen,  unb  Sie  galten  mid^  fäf|ig,  pe  je^t  auf= 
gugeben,  too  biefe  mein  ®IüdE  begrünbet  fiaben.  Sie  fönnen 
mid^  übertriebener  Segeifterun^  jeil^en,  aber  foHten  @ie  e§  fein,  ber 
ftd)  bariiber  bellagte,  ba^  idt)  8lIleS,  maö  gut  unb  red^t  ift,  öer« 
el^re?  3d)  empfange  einige  @d)riftftetter;  ba  id^  aber  meine  Qüt 
nid^t  bamit  verloren  ijobt,  fte  mit  meinen  Slnfdt)auungen  befannt 
gu  mad^en,  fo  »erben  aud^  bie  übrigen  in  meiner  ©egenmart 
nie  berül^rt.  3n  meinem  Sllter,  in  einer  angenel^wen  ^äuölid^* 
feit  ift  nid()tS  leid)ter,  alö  ben  Ston  gu  beftimmen  ....  3^ 
berfelire,  ba^  ift  mal^r,  mit  einer  großen  ßat)l  mn  Sltl^eiften, 
aber  tl)re  Argumente  l^aben  nie  ben  leifeften  (Sinbrud  auf  mtd^ 
gcmad^t,  unb  »enn  fte  mir  je  bi§  anS  §erg  gebrungen  finb,  fo 
war  es  nur,  um  baSfelbe  fd^aubem  gu  madt)en"  0- 

2luf  biefe  Seit  gurfldfblidfenb,  fd^rieb  jte  fpäter  anSl^omaS: 
„©rinnern  @ie  jtd^,  tt)ie  id)  mid^  öor  gtoangig  3al)ren  gum  erften 
9RaI  inmitten  aKer  ©d^öngeifter  üon  ©uropa  befanb  unb  atte 
Sbeen,  auf  tt)eld)en  mein  ®lüd  berul^te,  alö  ßl^imären  bel^an» 
beln  I)ßrte?  @S  l^at  midö  einen  fd^weren  Äampf  gefoftet,  in 
biefem  ©trom  beS  Unglaubens  meine  Uebergeugungen  gu  be^ 
wal^ren''  ^). 

©egebenen  %aät^  fdt)eute  jte  jtd^  aud)  nid^t,  mit  bem  SJiutl^, 
ber  aud^  bei  SSnberSgejtnnten,  tok  ®rimm,  öoKe  Slnerfennung 
fanb,  für  baS,  waS  il^r  l^eilig  war,  einguftel^en.  2llS  fte  wä^renb 
eines  greitagSbinerS  über  einen  5ßunft  religiöfcr  ßontrotierfe  in 


1)  D^HaussonTÜle,  Le  Salon  de  Madaiüe  Necker,  I,  164. 
')  Madame  Neck  er,  Melanges,  III,  213. 


46  3^^^  vellgiöfctt  Ucber5cuQunflCtt  unb  btc  ^pi^Uofort«» 

mci)t  mcl^r  ^u  t»ermcibcnbc  ©iScufjtoncit  mit  eben  bcmfclben 
®rimm  gcrietl)  unb  il^tn  eine  S^WI^ng  Icbljaft  wibcrf^jrod^cn 
l^atte,  ol^nc  Don  tf)m  ein  ßwö^ftönbrnfe  erlangen  gu  iöxmen, 
brad)  jte  enblid)  in  %^xänm  au§  unb  fül)lte  jtd)  nodö  am  fclbcn 
Slbcnb  Deranlafet,  il^n  »egen  beS  ®efci)e]^enen  fd)riftltd^  nm 
(äntfc^ulbigung  gu  bitten  ^).  ©in  anbereS  SJiat  Dergcid^nctc  ftc 
in  il^rem  Sagebud)  eine  metap]^qjtfd)e  ©iScuffton  mit  ©iberot 
unb  feinem  greunb  unb  5paneg^rifer  9laigeon,  in  ber  jte  mit  @l^reti 
beftanb  ^),  3m  ©angen  aber  waren  in  foldjen,  mit  gu  ungletd^en 
SBaffen  gefül^rten  Ääntpfen  nur  Slieberlagen  gu  erwarten.  SBol^l 
nid)t  gang  mit  Unred^t,  wenn  aud)  in  il^rer  fd)rotfen  SBctfc, 
mad)te  if)r  fpäter  3!Jiabame  be  la  fJerte^S^tbauIt,  bie  ftreng 
Iird)lid^  gejtnnte  2:oä)ter  Don  SMabame  ©eojfrin,  btn  SSorwurf, 
pe  l^abe  ber  übergroßen  Sewunberung  für  ben  ®eift  ba&  Dpfcr 
tl^re§  Urtl^eite,  ber  5Rad^jtd^t  für  bie  SSerfel^rtl^eiten  einer  fttten* 
lofen  Seit  guweilen  aud)  jeneö  it)rer  perfönlid)en  SBürbe  gebrad)t. 
SRabame  Sieder  il^rerfeitS  :pflegte  gu  entgegnen:  „3dö  l^abc 
fjreunbe,  bie  nid^t  an  ®ott  glauben,  warum  nid)t?  eS  jtnb  uti*» 
glürflid^e  Sreunbe"  unb  jte  fügte  l^ingu,  baß  jte  wol^l  mand^c 
$t)iIofopt)en,  nid^t  aber  it)re  ^pi^ilofoptiie  liebe. 

Sebodö  nidt)t  im  Umgang  mit  ben  ©enannten  jud^te  ober 
fanb  jie  ba§  Sbeal  ber  g^reunbf dt)aft ,  baS  il^rcr  eigenen 
®ebanlenridt)tung  unb  ber  SBärme  il^reö  ©efül^Iö  SBebfirf^ 
niß  war;  bie  Flamen,  bie  in  biefer  SBegtel^ung  üon  bcm 
tt)rigen  ungertrennlid^  bleiben,  fmb,  nebft  3!JiouItou,  SEl^omaS  unb 
Suffon. 

3)aS  ad)tgelönte  Sal^rliunbert  ))flegte  ben  fd^riftfteHerijd^en 
9iuf  Don  Suff on  nur  mit  jenem  üon  SBoltaire  guf ammengufteHen ; 
mit  il^m,  mit  9fiouffeau  unb  3Jionteöquieu  nimmt  er  unter  bett 
Seitgenoffen  bie  erfte  ©teile  ein.  „S)er  Äörper  eines  Sltl^Ietett 
unb  bie  Seele  eines  SBeifen",  jo  befinirte  il^n  Sßoltaire.   93laHct 


^)  D^Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  I,  150. 
«)  (Sbcnbafelbft,  I,  166. 


SSeaiel^ungcn  atoifd^cn  SKobomc  ffltätx  unb  SBuffon.  47 

bii  $an  urtlieiltc  Don  il^m,  er  fei  ber  SE^puS  beS  5ß]^Uofopl^cn, 
gered)t,  tnel^r  als  gro§tnütl)ig,  in  Slllem  t»ernünfttg,  bie  Drbnung 
Hebenb  unb  jte  überall  um  jtd^  t»erbreitenb.  3Son  feinem  ^xotU 
nnbbreifetgften  Saläre  an,  wo  feine  ©mennung  gum  S^tenbanten 
ber  löniglidjen  ©arten  erfolgte,  xot\\)k  er  fein  ganjeS  Seben 
bem  Qtütä,  ber  ®efd^id)tfd)reiber  ber  9latnr  ju  werben;  nid^t 
ganj  fünfjig  Saläre  fpäter  war  ein  SEßerf  t)on  fed)öunbbrei6ig 
Sänben  abgefci)loffen,  ba§  ber  2Biffenfd)aft  feiner  ^txt  nenc 
Salinen  wie§  unb  fid)  la§  wie  ein  ®ebid)t  in  5profa.  SSon 
bem  fRuijvx  üon  Suffon  bleibt  ba§  @d)lo§  SMontbarb  in  ber 
Sourgogne  unjertrennlid),  wie  %txm\)  üon  bem  Slnbenfen  Don 
aSoltaire,  le§  (5l)armette§  ober  bie  (Sinjtebelei  Don  3Kontmorencq 
Don  bem  Don  S^an=3acque§,  ba^  ©d^lofe  Don  la  Srebe  unb 
fein  $arf  ä  Tanglaise  Don  ber  @ntftel^ung§gefd)i(i^te  be§ 
©eifteö  ber  ®efe|e.  ©ort  fül^rte  er  eine  Domel^m  abgefd^loffene 
©yifteng,  bie  jtd^  jwifd^en  feinem  Slrbeitögimmer,  in  einem  abs= 
gefonberten  S:l)urm  feiner  Sejt|ung,  unb  ber  Sewegung  in 
feinen  ®drten  tl^eilte  unb  nur  burd)  feltene  Sefud^e  in  ber 
^auptftabt  unterbroci)en  würbe.  Sei  einer  biefer  ©elegenl^eiten 
lernte  er,  bereite  ftebenunbfed^jig  Saläre  alt  unb  burd)  bm  Sob 
einer  geliebten,  Diel  jüngeren  ®attin  Dereinfamt,  5IRabame  5Redfcr 
fennen.  S)ie  erfte,  burd^  eine  gegenfeitige  SBefonnte  Dermitteltc 
^Begegnung  fül)rte  jur  intimen  8^reunbfd)aft,  bie  biö  ju  Suffon'S 
SEob  bauerte,  unb  weld)e  bie  in  biefer  Sejiel^ung  immer  fein* 
fül)ligen  fjranjofen  bal)in  beurtl^eilen,  bafe  jte  in  ber  SBeife,  wie 
jte  jtd)  in  ben  Sriefen  Don  Suffon  an  5Rabame  nieder  au§* 
fprid^t,  eine  totale  2lbwefenl)eit  beö  ©inneö  für  baö  2äd^crlid^e 
Dorau§fe|e.  ®urd)  ben  Slbftanb  ber  3al)re  nid)t  weniger  als 
burd)  ben  ßl^arafter  ber  g^au,  bie  il^mj  eine  fold)e  Serel^rung 
einflößte,  innerl^alb  ber  ©d)ranlen  ftrenger  Sitte  gel^alten, 
mäßigte  S3uffon  jtd^  um  fo  weniger  in  ber  2Bal)l  ber  SluS« 
brüdc,  mit  weld^en  er  il^r  l)ulbigte;  er  feierte  jte  in  fran* 
äöftfd)en  SSerfen  unb  lateinifd)en  ©iftid^en,  an  weld)en  er  3Ronatc 
lang  gu  feilen  pflegte,  ol^ne  ba§  jte  il^m  nad^  SBunfd^  gelangen.   (Sr, 


48  Scalel^utiöen  atoifd^en  SWabomc  SRcrfer  unb  Suffon. 

bcm  S^itö^wöffctt  ©tolä  unb  ©clbftübcrl^cbimg,  S!Bol)Igefaßen  an 
©<J)mcid^Icnt  unb  aH'bic  Keinen  ©d^wädienbcrSitcIfctt  vorwerfen  ^),. 
nannte  jte  feinen  @ngel  beö  gid)te§  unb  bat  um  il^ren  SRatl^ 
unb  il)r  Urtl)eil  jur  fJeftfteHung  beö  feinigen  unb  jur  görberung 
feines  inneren  gebend;  er  üeräweifelt  baran,  jematö  feine  Seele 
auf  bie  §öl)e  ber  il^rigen  erljeben  ju  fönnen,  unb  nennt  il^re 
©riefe  göttlid)e  Sewetfe  ber  pd)ften  ©eelenftärfe.  SBufete  er  jte 
leibenb  ober  franf,  fo  foftete  eS  U)m  l)eifee  Stliränen,  unb  er 
nal^m  nie  Slbfdjieb  üon  il^r,  ol)ne  fold^e  ju  Dergiefeen.  „Si^re 
©riefe/'  fd^reibt  er,  „pflege  er  ju  füffen,  pe  feien  bie  l^öd^ften 
SBol^Itl^aten  feinet  gebend."  2llS  ber  ©id)ter  gebrun  il^n  poetifd) 
JU  feiern  gebadete,  wufetc  er  nid)tö  giebereS  i^m  gu  fagen,  aU 
eine  SSerl^errlid^ung  feiner  greunbin  mit  ber  feinigen  ju  üer*^ 
binben : 

»Oh  de  Buffon  illustre  et  digne  amie 

Vous  dont  11  m'a  vant^  Täme  et  les  agrements.« 

Sllö  jte,  auf  einer  SReife  in  bie  @rf)tt)eij  begriffen,  il^n  1783^ 
mit  SReder  unb  it)rer  SEod^ter  ju  5IRontbarb  befud^te,  entppng  er 
pc  wie  eine  Königin,  unb  5IRarmontel  erjäl^lt,  e§  feien  tl^ronartige 
gel^nfeffel  für  ©uff on'g  ®äfte  im  ^runffaal  feineö  ©c^loffeS  auf* 
gefteHt  worben. 

«Sd)  bete  @ie  fo  aufrid^tig  an,"  fd)rieb  er  il^r  einft,  „ba^ 
Sie  nid)t  anberS  als  banfbar  baffir  fein  fönnen.  3d)  liebe  @ie 
fürs  ganje  geben  unb  aud)  für  ein  fünftigeS  unb  für  bie  @tt)ig= 
feit  felbft,  wenn,  wie  i^  eS  äwö^^ftd)tlidö  l^offe,  ^^^re  3lnpdt)t  barüber 
mel^r  wertl)  ift  aU  bie  meinige."  Soweit  eö  in  menfd)Iic^en 
Äräften  ftanb,  ^ielt  Suffon  Sffiort.  31I§  fein  ßnbe  l^erannal^te, 
»erliefe  SJiabame  Sledfer  il)r  ^au^,  um  wäl)renb  feiner  legten 
geben^tage  il)m  beijuftel^en ;  er  l^atte  xf)x  ©ilb  neben  pd), 
baS  pe  il)m,  auf  eine  ©ofc  gemalt,  gefd)enft  l^atte,  unb  liefe 
pd)  öon  feinem  ©ol^n  mit  grofeer  ©efriebigung  5RecfefS  furj 
guöor  erfd)ieneneö   ©ud)  über   bie   ©ebeutung    ber   religiöfcn 


^)  Marmontel,  Memoires,  Livre  YII,  313. 


^f)xt  SBcaiel^uiigen  ju  93uffon.  49 

3lnfd)auungett  öorlefcn^).  ai^  SJiabame  9lccfer  bei  i^m  cm= 
trat;  beflagte  er  für  jte  baö  @(i)aujpiel,  n)eld)e^  er  il^r  gu 
bieten  l^abe,  unb  fanb  in  furjen  3iul^epaufen  gtt)ifd)en  bcn 
f)eftigften  ©dimerjen  Sroft  barin,  iijre  ,g)anb  gu  faffen  unb 
il^r  gu  jagen,  n)ie  fei)r  i^r  Slnblicf  i^n  nod)  in  einem  SKoment 
erfreue,  wo  bod)  nid)t^  mel^r  gefallen  ober  erfreuen  Wune  2). 
3n  ber  Slufgeid^nung,  bie  pe  über  bie  legten  Slug^nblicfe  il^reS 
großen  greunbeS  l^interliefe,  erwähnt  jte  nad)brücflici),  bafe  er 
mit  bem  lauten,  bei  üollem  SBewufetfein  auggefprod)enen  35e= 
fenntnife  ber  d^riftlid^en  ®runbn)al)rl)eiten  gefci)ieben  fei^);  wenn 
pe  aber  auf  feine  tt)iffenfd)aftlid)e  £et)re  gurüdfblidfte,  gelangte 
pe  gu  einem  anbem,  für  pe  nid^t  troftreid)en  SRefuItat.  SSon 
einem  ©röteren  al^  33uffon  ift  einmal  bemerft  werben,  er 
gleid)e  einem  3Rann,  ber  ba§  S^nere  eine§  prad)tüoHen  ^alafteö 
in  aßen  feinen  Slieilen  burd^wanbert  unb  angeftaunt  unb  bann 
öergeffen  l^abe,  feine  Äarte  bei  bem  ^a\x§f^txxn  abgugeben^); 
33uffon  l^at  baö  infofern  nid^t  getl^an,  als  in  feinen  3Berfen  ber 
9?ame  beS  ©d^öpferö  oft  genug  genannt  ift;  allein  man  fennt 
feine  gegen  ,!^erault  be  @ed)elleö  geäußerte  SBemerfung,  man 
braud)e  nur  ba,  wo  er  ba§  SBort  „@d^ö:pfer"  gefegt  l^abe,  biefeö 
gu  ftreid^en  unb  bm  SluSbrurf  „Schöpf ungSfraft  ber  5Ratur" 
an  feine  ©teile  gu  fe|en. 

3n  literarifd^er  33egiel)ung  ift  e§  Suffon,  ber  nid)t  gum 
aSortl^eil  eineS  ©t^lS,  ber  anbere  Qw^dt  als  ber  feinige  gu  oer^ 
folgen  l)atte,  ben  größten  ©influfe  auf  SKabame  Slecfer  ausübte. 
aSenn  3!Jiarmontel  oon  i^r  fagt,  pe  l^abe  in  ber  Äunft  gu 
fd)reiben  nur  geierlid^teit,  forrette  SBürbe  unb  funftöoHe  33or« 
nel)ml)eit  gu  fd^ä^en  gewußt  unb  felbft  im  ®efprädt)  ben  fami== 
liären  Son  üermieben,  fo  oerweift  biefe  ®efd^ma(lSrid)tung  auf 


')  Madame  Necker,  Melanges,  III,  253,  318,  376. 
2)  aSuffon  an  3}iabQmc  ^tdtt  atoei  Sage  öor  feinem  Sobe. 
=0  SWabame  ««edEer  übet  SBuffon'S  Sob  bei  Nadault  de  Buffon,  Cor- 
respondance  inedite  de  Buffon. 
■*)  glier,  »riefe,  ®.  47. 
»lennerl&affett,  grau  »on  ©tael.  I.  4 


50  ^^^  ^iäittc  %^oma8. 

Sliemanb  fo  jct)r  atö  auf  Suffon,  bcffen  @tql  jtc  jum  ®cgcn- 
ftanb  tl)re§  @tubium§  gcmad^t  l^atte,  beffen  geringfte  Urtl)ctle 
in  bicfcr  35cjtcl)ung  jtc  aufgujeid)nen  ppcgte,  unb  beffen  Sluto« 
rität  it)ren  eigenen  2lnf(i)auungen  über  bie  fd)riftfteHerifcI)en 
getftungen  Slnberer  üorangefteßt  ift.  Sin  il^n,  beffen  S3ud)  „ba§ 
üoHenbetfte  be§  franjöjtfd^en  adjtjel^nten  S^^rliunbertS"  genannt 
worben  ift  ^},  baci)te  jte,  wenn  pe  bie  ^robuftionSfraft  ber  reiferen 
Satire  beut  ungeftümen  @d)affen§brang  ber  Sugenb  öorjog,  ober 
wenn  fie  bemerfte,  ba§  SBerfe,  bie  fd^neU  gefd)rieben  würben, 
aud)  öon  furger  Sauer  feien,  gleid^fam  alö  wolle  bie  S^it  P^ 
bafür  räd^en,  bei  ber  3lrbeit  gu  gering  gea(i)tet  worben  gu  fein. 
Sind)  geugt  eö  öon  einem  feinen,  rid^tigen  ©efül^l,  wenn  jte  barauf 
l^inweift,  bafe  man,  um  feinen  ©t^l  gu  bilben,  lieber  fel^r  forreft 
gefd^riebene,  alö  fold)e  SBerfe  lefen  foHe,  bie  mit  befonberem 
Salent  oerfafet  feien,  inbem  wol^l  g^ormooHenbung  unb  @prad)*= 
fenntnife,  niemals  aber  eigentpmlid^e  ^Begabung  jtd^  mittl)cilen 
liefen  2).  2Son  bemfelben  ©c^riftfteHer  aber,  „ben  jte  gro§  wie 
bie  SJiatur  unb  einfad^  wie  jte"  nennt,  liefe  jte  jtd^  bod)  in  mi§* 
oerftanbener  Sewunberung  gu  einer  @d)reibweife  oerleiten,  bie 
ba§  @infad)fte  nid)t  mel^r  einfad^  gu  fagen  wufete. 

5Radöbem  jte  mit  Suffon  ben  bebeutenbften  unb  aud)  ben 
ergebenden  il)rer  g^reunbe  oerloren  l^atte,  fül)lte  fie  ftd^  burd^ 
einen  öerwanbten  ^\xq  ber  @d)wermutl^  um  fo  ftärfer  gu  einem 
Slnbern  l)ingegogen,  ben  if)re  ©^mpatl^ie  geiftigjelir  fibcrfd)a|t 
l^at;  e§  war  ber  je^t  beinal)e  ooKftänbig  oergeffene,  oon  ber 
SJiitwelt  über  ®ebül)r  gepriefene  Siebter  Sl^omaS.  @ie  wieber* 
l^olte  ie|t  für  il^n,  xoa^  Suffon  il^r  gegenüber  getl^an  l)atte,  unb 
wäl^lte  ?lu§brüdEe  einer  mafelofen  Sewunberung,  um  fein  geiftigeS 
Silb  gu  entwerfen;  feine  %d)kx  nannte  jte  nur  Uebertreibungen 
ber  SSoHfommenl^eit.  „@r  fc^reibe,"  fagt  jte,  „guweilen  wie 
Soffuet,   bann   wieber   wie  Sacitu^  unb  forbere  ben  SSergleid^ 

^)  E.  Montegut,  Impressions  de  voyage  et  d'art;  Souvenirs  de  Bour- 
gogne,  Montbard. 

2)  Madame  Neck  er,  M^langes,  III,  309,  382. 


©et  ©id^tcr  %^oma8.  51 

mit  ^omcr  l)erau§ ;  [tatt  im  XVIII.  ^al)v\)unbtxt  gu  leben,  l^abe 
er  baö  ßooö  eines  (5ato  ober  9fieguluS  üerbient." 

SBie  um  ben  literarifc{)en  ©egenfa^  ju  i^rer  SKutter  ju  be= 
tonen,  xoivb  grau  Don  @tael  [päter  füi)l  genug  Don  ber  „prä= 
tentiöfen  3Konotonie"  biejeS  iijreS  gieblingS  reben  unb  einen, 
t)on  SRoeberer  angeftellten  3SergIeid^  jtt)ifd)en  feinem  unb  9leder'S 
@tql  wie  ein  bem  lefeteren  jugefügteö  Unred^t  em))finben  ^). 
Stö  S^reunb  bagegen,  toenn  aud)  nid^t  al§  3)id^ter,  l^at  S:i)oma§ 
baö  Urtl)eil  üon  5IRabame  nieder  über  il^n  gere(i)tfertigt  unb, 
nod^  fterbenb  il^rer  greunbfd^aft  geben!enb,  bie  3wöer|td^t  auS- 
gefprod)en,  ba^  5ßiemanb  gu  beflagen  fei,  ber  eine  3Jlenfci)enfeeIe 
aufrid^tig  geliebt  l^abe;  um  biefen  ^reiö  fei  ba^  Seben  loertl^, 
gelebt  gu  werben. 

S)a§  ad^tgel^nte  3^^^^itnbert  l)at  ol^ne  ß^^eifel  ben  33egriff 
ber  Siebe  fci)on  beöwegen  erniebrigt,  toeil  e§  il^n,  im  S)id)ten 
toie  im  Seben,  nur  ju  l^aufig  öom  Segriff  ber  ©ntfagung  ge* 
trennt  f)at;  aKein  faft  möd)te  e§  fd^einen,  als  f)abe  eS  bon  ber 
ijreunbfd^aft  I)öi)er  gebad)t  atö  wir:  3n  feinen  Sebenöeinrid^* 
tungen  nal^m  fie  eine  ©teile  ein,  bie  mir  il^r  nur  gang  aus- 
naI)mSmeife  nod^  guer!ennen;  il^r  mürben  Dpfer  gebrad)t,  bie 
uns  befremben  ober  übermäßig  er[d)einen  mürben,  bie  aber  burd) 
eine  ,!^ingebung  gelol^nt  mürben,  beren  ^reis  man  nid)t  ju  l^od) 
ftellen  ju  fönnen  glaubte.  @o  fdt)rieb  ^ume,  ber  grofee  englifd)e 
^iftorifer,  als  er  jtd)  bem  Stöbe  nal^e  fül^Ite,  feiner  bemäiirtcn 
ijreunbin,  ber  SJiarquife  üon  SoufflerS,  er  fel^e  baS  (Snbe  ol^ne 
gurd^t  ober  Älage  l)erbeifommen;  üor  bem  ©d^eiben  aber 
motte  er  pe  gum  legten  3KaI  mit  großer  3iittci9i^«fl  «nb  @l^r^ 
furdt)t  grüben  2).  ©S  blieb  nid^t  bei  bloßen  SSerftd^erungen: 
2llS  gmei  ungertrennlid^e  ^erjenSfreunbe  galten  3)u  Sreuil,  ein 
Slrgt,  unb  ^ed^meja,  ein  armer,  befd)eibener  @d)riftfteller  unb 
3!Jiitarbeiter  üon  9fia^nal;   jte  bemol^nten  beibe   ein  Sanbl)auS 


^)  Roederer,  Oeuvres   comp.  VIII,  647,  S3ricf  öon  grau  öon  ©tael,. 
Saufonne,  20.  Stug.  1796. 

2)  Sainte-Beuve,  Causeries  du  Lundi,  IV,  162. 

4* 


52  SWobomc  ©eofftiit. 

gu  @atnt*®ermain=cn=Sat>e,  aU  ©u  Sreuit  einft  fd)tt)er  crlranft 
mä)  §öi^f^  gurüdff elirte :  „©u  allein,  mein  fjreunb,  gel^örjt  ju 
mir/benn  meine  Äranf^eit  ift  anftedEenb",  fagte  er  gn  $ed)m^ia, 
unb  ttjirflid)  ftarben  beihc  innerl)alb  weniger  Stage^).  SSon 
3Kabame  ©eoffrin  tt)ei§  man,  ba^  b'Sllembert  eine  ^enjton  üon 
i^r  begog,  bafe  jte  Scilire  l^inburd)  ben  Scbenöunter^alt  üon 
^äulein  öon  refpinaffe  beftritt,  Äfinftler  nnb  ©c^riftfteHer 
unterftü|te  unb  bie  @üte  fo  tüeit  trieb,  ba^  jte  ftd)  eine  lange 
Seit  l^inburd^  mit  fd)Ied)ter  SÄild)  begnügte,  weil  jte  il)rer 
9Kild)frau  bie  ^ni)  gefd)enft  t)atte  unb  jte  be^wegen  boä)  nic^t 
fortfri^iden  gu  fönnen  meinte  2). 

SSerpitnifemäfeig  j(i)tüerer  aU  im  Ärei§  öon  aSerül^mtlöeiten 
unb  ©dööngeiftern  fanb  jtd)  SKabame  SHedfer  in  ber  ^arijer 
Frauenwelt  jured)t;  mit  begreiflid^er  ßw^ötf^iöltung  wartete  jte, 
bi^  l)od^ge[teIlte  ©amen,  wie  bie  SMared^ale  üon  £u;rembourg 
ober  bie  ^l^ergogin  b'ßnüiHe,  il^re  früf)ere  ©önnerin,  jtd^  il^r 
notierten,  waö  Ie|tere  ju  tl^un  nid^t  üerjäumte.  9Jtit  SKabame 
©eoffrin  bagegen  befreunbete  jte  jtd)  fet)r  balb:  jte  l)atten  mand)e 
aSerül^rung^punfte,  t)or  Slllem  ben  ii)nen  gemeinfamen  3So\)U 
tptigf eit§ jtnn ;  anbererfeitS  betonen  33riefe  t)on  9Jtabame  ©eojfrin 
aud^  33erjd)ieben]^eiten  gwifd^en  tl)nen  ober  fleine  ©d^wädien  ber 
Sreunbin,  bie  il^rem  @ci)arfblicf  ni(i)t  entgangen  waren.  „2Kit  iijr," 
Wagt  jte  einmal,  „fei  eö  ftetö  bie  alte  ©efd^id^te;  immer  wieber 
laffe  fte  jtd)  oon  il)rem  @efül)l  mit  fortreiten;  etwas  faltblüttg 
gu  tl^un,  fei  if)r  unmöglid);  nie  werbe  jte  bie  fieid^tigfeit  beS 
S3erfel)r§,  bie  freie  Ungejwimgenl)eit  unb  baS  ©id^gelienlaffen 
erreid)en,  bie  allein  gefeClfc^aftlic^e  Sejiel)ungen  angenel^m  ge^ 
ftalten"  s). 

3)?abame  5Recfer  nal^m  fold)e  33emerfungen  oon  ber  3Rutter, 
unb  roa^  oerbienftlid^er  war,  oon  ber  nid^t  minber  originellen, 


')  Sainte-Beuve,  Camille  Jordan.     Nouveaux  Lundis,  XII,  115. 
'■^)  Grimm   et   Diderot,    Correspondance    litteraire,   IV,    111,    103, 
281,  D'Alembert  ä  Condorcet  sur  Madame  Geoffrin. 

'')  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  I,  220,  228. 


©rftfin  b'fioubctot.  53 

aber  öicl  weniger  attgenel^men  5j:od)ter,  SÄabame  be  la 
Serte^Sttibault,  rul^ig  l)in  unb  bewafirte  beiben  eine  aufrid)tige 
3uneigung;  gang  gewonnen  bagegen  unb  jelbft  üeranlafet,  fte 
mit  ber  g^eber  ju  verewigen  ^),  würbe  jte  burc^  eine  ber  an= 
uiutl^igften  gt^auen  tl^rer  Qtii,  Slmelie  be  33oufflcr§,  »^erjogin 
öon  Saujun,  beren  lieblid)e,  burd)  feine  @döwäd)e  ober  SSer* 
irrung  berbunfelte  6rfd)einung  fo  oft  ben  @d)ilberungen  jener 
Seiten,  wie  ein  9fiul^epunft  für  ba§  Sluge  inmitten  fo  oieler 
bunfler  Silber,  beigegeben  ift.  Sl^re  i5reunbjci)aft  würbe  erwibert,*' 
bmn  in  revolutionären  Sagen  fanb  bie  fonft  fci)üd^teme,  bie  Qniüä' 
gegogenl^eit  liebenbe,  junge  %xa\x  ben  SKutl^,  einft  im  Stuilerien^ 
©arten  üor  einem  berfammelten  5ßubli!um  für  nieder  gartet 
gu  nel^men^);  er  unb  feine  grau  mußten  eö  erleben,  bafe  biefe 
Sbealerfd^einung  ebler  SBeiblid^feit  nad)  allen  ^Prüfungen  einer 
pd^ft  unglücflid)en  @^e  auf  bem  ©d^affot  enbigte. 

Sn  gewinnenber  Slnmutl^  mit  il^r  ju  Dergleid^en,  wenn 
aud)  in  allen  anberen  SSejiel^ungen  gang  üerfi^ieben  oon  i^r, 
war  ®räfin  b'^^oubetot.  ©aö  Silb,  weld)e§  3Rabame  ©uarb 
in  il^ren  l^öd^ft  feltenen  SKemoiren  üon  biefer  g^rau  entwirft, 
fielet  in  eigentl^ümlid)em  ®egenfa^  gu  jenem  anbem,  ba^  einer 
üon  Siebe  erfaßten  3)i(i^terp]^antafte  fein  ©ntfte^en  oerbanft: 
„3ebermann",  fagt  fte,  „ber  bie  @efc^td)te  ber  £eibenfd)aft  öon 
3flouffeau  für  fte  fannte,  erwartete  ftd)er  ben  Slnblic!  einer  fd)önen, 
gewinnenben  6rfd)einung;  ftatt  beffen  war  e§  unmöglji^,  fid^ 
bei  ber  erften  Begegnung  mit  xf)x  be§  petnlid)ften  6rftaunenS  ju 
erwel^ren.  @ie  fd)ielte  entfe^Iid^,  unb  e§  liefe  ftd)  nid^t  erratf)en, 
wol^in  xi)X  fdlid  gerid)tet  war;  fie  l^atte  auffaKenb  ftarfe,  im 
©angen  abftofeenbe  Söge;  aber  bie  ©ewol^nl^eit,  fte  gu  fel)en> 
gewann  über  biefe  erften  ©inbrüdfe  balb  bie  Dberl^anb,  wenn 
im  ©efpräd)  mit  il^r  bie  lebijaftefte  6inbilbung§fraft,  ber  liebend- 
würbigfte  ®eift  unb  eine  fanfte,  bürd^auö  wol)lwoIlenbe  ©eele 


*;  Madame  Necker,  M^langes,  I,  376. 

*)  Droz,   Histoire    de   Louis  XVI.,   I,    305.    9?otc   au8    Senac    de 
Meilhan,  La  Soci^te  en  France  ayant  la  Revolution. 


54  SWabomc  S)u  ©cffanb. 

jtd)  entpHten.  SBenn  id)  il^ren  SBorten  Iaufd)te,  ^)Pcgte  id^ 
mir  oft  gu  fagen  ,9Äetn  ®ott,  toic  gut  würbe  boc^  ein  pbfd^e^ 
®ejtd)t  3U  folgen  ®ei[te^gaben  paffen'.  Sie  tüufete  allen  JDingen, 
in  ber  Ämtft  tt)ie  in  ber  3ffatur,  bie  befte  @eite  abjugetüinncn 
unb  baö  aSerbienft  ber  SÄenfd^en  mit  einer  an  Snftinft  gren^jen« 
ben  @(f)neHigfeit  l^eraii^jufinben ;  ii)r  geben  mad^te  ben  @tn- 
brud,  anf  forttt)ät)renben  ®ennfe  alö  eigentlichen  Qto^d  gerid^tet 
jn  fein"^). 

6ine  weitere  ßortcefjton  für  bie  l^errfdjenben  SSegriffc  war 
3nabame  5Redfefö  grennbfci)aft  für  SKabame  ®u  2Rard)at§, 
fpäter  an  b'S(ngerbiIlier§  öerl^eiratl^et,  eine  ber  fd)önen,  einPu§* 
reici)en  unb  intriguanten  ijrauen  jener  Qtit,  üon  ber  eine  gering» 
fügige  Urfad^e  fte  übrigen^  nad^  einigen  S^^l^ren  lieber  ent:» 
frembete.  3Rabame  ®u  ©effanb  bagegen  fanb  e§  geratijen,  tro| 
aller  öorgefafeten  SÄeinung  gegen  baö  ßfiepaar  9lecfer,  3«ffwdE)t 
bei  il^m  gegen  bie  Qual  ber  SSereinfamung  unb  gangeweile  gu 
fud)en,  wie  fie  e§  an  33oltaire  unb  au§fü^rlid)er  an  .^orace 
SBalpole  berid)tet.  „SÄorgen/'  fc^ reibt  jte  le^terem  in  i^rcr 
SBeife,  „bin  id^  gu  einem  ©ouper  gebeten,  ju  weld^em  id)  ftatt 
meiner  gern  Semanb  Slnber^  fd^icfen  mödt)te.  @S  wirb  wn 
Nieder  unb  [einer  ijrau  gu  ©aint^Duen  gegeben;  fie  wollten  mid) 
fennen  lernen,  weil  man  mid)  in  ben  SRuf  eineö  ©d^öngeifteS 
gebrad)t  l^at,  ber  anbere  ©d^öngeifter  nid^t  leiben  mag;  ba^ 
erfd^eint  il^nen  al§  feljenöwertlöe  SÄerfwürbigfeit.  3d)  war  ein« 
fältig  genug,  biefe  Sefanntfdjaft  ju  mad)en,  unb  frage  id)  mtdEj 
warum,  \o  fönnte  id)  fd)amrotl)  barüber  werben,  mir  belennett 
ju  muffen,  bafe  e§  au§  ^i^rd^t  bor  ber  ©d^mad)  ber  Sangenweile 
gefd^al^,  unb  ba^  id)  oft  fo  tl^örid^t  bin  wie  ®ribouille,  ber  fid^ 
au^  ©d^eu  bor  bem  biegen  inö  SBaffer  wirft"  2). 

SJlabame  3leder'§  33riefe  an  33oltaire  fprad^en  i^rerfeitS 
befriebigt  bon  biefer  Begegnung,  unb  3(nfangö  ging  bie  ©ad^e 


0  Madame  Suarcl,  Essais  de  M^moires  sur  Monsieur  Suard,  59 — 63. 
2)  Madame  Du    Deffand,    Correspondance  avec   Horace    Walpole, 
Lettre  de  Juin  1773. 


aWabamc  2)u  ©cffanb.  55 

ganj  gut;  man  \ai)  jtd)  auf  bem  Saube  ju  ©aint^Ducn,  voofjm 
aud)  bie  5!Äared)aIe  üon  £u;rembourg,  bie  ®räftn  Souffler^  unb 
bie  ^crgogiu  öou  Saujun  famcu,  uub  tüo  bie  geleierten  unb 
fd)rittftelleniben  ®äfte  ber  3)ienftage  unb  gteitage  nur  alö  ge» 
bulbete  2lu§nat)men  erfd^ienen:  „Sd)  badete  nic^t,  einft  bie  33e= 
fanntfc^aft  ber  JDamen  Sleder  unb  33u  SKard^ai^  gu  mad^en/' 
fc^rieb  bie  SÄarquife  an  bie  tg)eräogin  Don  ßl^oifeul.  „Sd^  f^^^ 
jie  oft  unb  finbe  jte  angenel^m,  pe  jinb  Weber  einfältig  nod^ 
ungenießbar,  fte  eignen  jid)  beffer  jum  gefeUfd^aftlid^en  SSer!ei)r 
afö  bie  meiften  ©amen  ber  großen  SBelt;  waö  bie  gangeweile 
t)erfd)eud)t,  giel^e  id^  bem  oornel^men  SBefen  oor." 

Ueber  3fleder  felbft  fc{)rieb  jte  an  ,g)orace  SÖäalpole,  er  fei 
ein  fel^r  anftänbiger  SRenfd),  mit  oielem  SSerftanbe,  aber  gu 
öiel  5JJietapl)^jtf  in  feinen  ©d^riften;  in  ®efeHfc{)aft  fei  er  natür= 
lidö,  lieiter  unb  offen^ergig,  oft  gerftreut,  bod)  fpred)e  er  nid)t 
biel.  Sllö  SKabame  3)u  ©effanb  eines  SiagS  ii)rer  greunbin, 
SJlabame  be  guyembourg,  ein  auS  gegupften  ©olbfäben  gefertigte^ 
Äiffen  überfanbte  unb  er  eö  gufäUig  fal^,  f d^rieb  er  bie  SBerfe  bagu  : 

»Vive  le  parfllage 

Plus  de  plaisir  sans  lui; 

Cet  important  ouvrage, 

Chasse  partout  Tennui, 

Tandis  que  Ton  dechire 

Et  galons  et  rubans, 

L'on  pcut  encore  medire 

Et  dechirer  les  gens. 

Autrefois  dans  la  vie 

On  n'avait  qu'un  amant, 

Maintenant  la  folie 

Est  d'en  changer  souvent. 

On  defile  et  partage, 

L'amour  comme  un  ruban 

Et  meme  au  parfilage 

On  met  le  sentiment. 


56  aWabamc  ®u  ©effanb. 

Tel  qui  lit  une  page 
Peut  paraitre  un  savant, 
S'il  a  du  parfilage 
Le  secret  imposant, 
La  plus  petite  idee 
Qu'on  attrappe  en  passant, 
Etant  bien  parfilee 
Tiendra  lieu  de  talenl«^). 

^laä)  einiger  ^txt  aber  erfalteten  aud)  biefe  Sejiel^ungen 
ttjieber,  unb  ba§  ßnburtl^eil  üon  SKabame  3)u  ©effanb  nennt 
SWabame  SUedfer  ,,fteif,  falt,  Doli  Eigenliebe,  übrigens  gang 
ad^tbar";  man  fül^lt  lange  juüor  bei  ber  üomcl^mett,  öer^ 
ttjöl^nten  %xau  ben  leid)t  =  öeräd)tlid)en,  einen  SRürffd^lag  öor* 
bereitenben  Ston.  ©iefer  SRürffd^lag  trat  ein,  al§  jte  auc^  in 
bem  neuen  Ärei§  il^re  f?einbin,  bie  gangeweile,  ttjicberfanb. 
„®ie  arme  %Ta\x  ift  geftorben  tt)ie  fie  gelebt  I)at,"  fd^rieb 
Wabarm  3flecfer,  als  fie  Don  il^rem  Sob  l^örte;  „jelbft  ba& 
Sterben  war  für  fie  ein  gwar  trauriger,  aber  bod^  aud)  ober- 
pd^lidier  Segriff;  id)  fonnte  babei  watirnel^men,  wie  unmer!= 
lid)  für  ein  fo  gefül^llofeS  SBefen  ber  Unterfd)ieb  jtt)ifd)en  ©ein 
unb  9lic^tfein  ift"  ^), 

©ainte^SBeuoe  l^at,  unb  jtoar  bieSmal  tt)of)l  üergebenS  oer* 
fud^t,  bie  Strenge  beS  Urtl^eilS  über  bie  unglüdElid)e,  blinbe 
fjreunbin  üon  ^orace  SBalpole  ju  milbern;  bergeffen  aber 
wirb  bie  Slad^welt  fte  nid^t,  benn  nid^t  nur  einige  ber  beften 
aSriefe,  fonbern  aud)  ein  paar  ber  beften  Slnefboten  beS  a6)U 
jelinten  S^l^^^unbertö  l)at  fie  geliefert.  SBar  bod)  fie  e§,  bie 
bem  ©rgbifd^of  öon  3lij:  auf  feine  wieberliolte  a5erfid)erung,  ber 
l^eilige  ©ion^fiuS  l^abe  nad^  feiner  6ntl)auptung  mit  bem  Äopf 
unter  bem  3lrm  nod^  I)unbert  ©d^ritte  gemad)t,  bie  befannte, 


')  Grimm  et  Diderot,  Correspondance  litteraire,  III,  3. 
*)  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  I,  222. 


S)lc  grenibcit.  5? 

pm  ©prid)n)ort  geftcmpclte  Slntoort  gab:  »Monseigneur,  dans 
ce  cas  il  n'y  a  que  le  premier  pas  qui  coute«.  SSott  it|r 
ift  aud)  baö  mit  cbenfo  unerbittlid^er ,  alö  gejd^icftcr  gcbcr  gc^ 
^eid)nete  Porträt  öon  SSoItairc'S  g^reunbin,  SJiabame  ®u  (5]^äte= 
Ict.  5)?ad^bcm  fte  be§  ®crü(i)te§  @rn)ät)nung  gettjan  l^at,  biefc 
l^abe  ba^  unter  il^rem  Flamen  crfdjienene  SBerf  über  9J?atl^cmatif 
nid^t  gefd^rieben,  fügt  fte,  cö  fd^einbar  wiberlegenb,  l^inju,  il^r 
fei  üerpd^ert  ttjorben,  3Kabame  ®u  6l)ätelet  ijabe  ©eometrie 
ftubiert,  um  il^r  35ud^  ju  öerftel^en  ^). 

©inen  nid^t  geringen  Sl^eil  feinet  gefeHfd^aftIid)en  @rfoIge^ 
t»erbanfte  ber  Salon  üon  9Kabame  5ßecfer  ben  i^n  befui^enben 
iJremben,  unter  il^nen  ben  ©iplomaten,  wie  Sorb  ©tormont,  bem 
englifdien,  5IRarquiö  ßaraccioli,  bem  neapolitanifd)en  ©efanbten ; 
ble  erfte  ©teile  in  ber  Intimität  ber  gamilie  gebül^rt  l^ier 
Sledfer'ö  gteunb,  SSaron  ©leieren,  tt)eld)er  in  ben  erften  3ai)ren 
öor  beffen  33eri)eiratl^ung  ben  bänifd^en  ®efanbtfd)aftöpoften  in 
$ariö  beflcibete^);  bie  glängenbfte  jebod)  bem  SIeapolitaner 
Slbbe  ©aliani,  gIeid)faH§  in  bi:plomatifd^en  ©ienften  bort  Der- 
ttjenbet,  beffen  aufeergett)öl&nlid)er  ®eift  unb  SBi^  felbft  baö  öer* 
n)i)i)nte  ^ari^  in  Sltl^em  l^ielt:  „®er  neapoIitanifd)e  Slrlequino, 
auf  beffen  @d)ultern/'  wie  3Rarmontel  gu  fagen  pflegte,  „ber 
Äopf  eines  2Racdt)iat)eHi  ruf)te",  bewal^rt^  itnter  feinen  ^arifer 
greunben,  ju  U)eld)en  befonberö  ®rimm,  V^olbaä),  2)iberot, 
SKabame  b'ßpina^  unb  SRabame  ©eoffrin  gel^örten,  feine  eigene, 
felbftänbige  Stellung.  Slud^  er  war  SBewunberer,  unb  bis 
gu  einem  gewiffen  ®rab,  aud)  3lni)änger  ber  neuen  3been,  ein 
ferner,  ffeptifd)er  ®eift,  unerbittUd)  wie  fein  Slnberer  gum  ©pott 
über  £äd)erlid)feiten  unb  Sßerfel^rtiieiten  bei  SJlenfc^en  unb 
Singen  bereit;  aber  ein  g^auatifer  war  er  nid^t,  unb  bie  3«' 


0  Grimm  et  Diderot,  Correspondance  litteraire,  III,  399. 

2)  S)q8  beftc'  über  il^n  finbet  fic^  in  feinen  „SJenftoürbigfciten"  unb  in 
einer  ^ote  öon  Perey  et  Gaston  Maugras,  L'Abb^  Ferdinand  Galiani, 
Correspondance,  II,  193. 


58  2)ic  grtcmben. 

öerjtd^t  feiner  ^^reunbe  in   ben  naiven  Striuntpl)  ber  SScmunft 
unb  iJreifteit  l^at  er  nie  getl)eilt.   2Kit  ber  fing  berec^nenben  SSor* 
ftcl)t  bc§  Stalienerg  lautete  er  jid)  gu  gerftören,  waö  er  ni(i)t  crfe^en 
fonnte,  unb  in  ©rmangelunö  einer  anberen  an  bie  SlKmad^t  öon 
2:t)eorien  unb  ©^ftemen  gu  glauben;   al^  „Sartuffe"  in  Slcapel 
gegeben  werben  foHte,  rühmte  er  jid^  gegen  b'SlIembert,  eö  Der- 
l^inbert  gu   l^aben.     ^m  ©d)Io6   @xan'oal,  i^m  ^auptp^  ber 
^l^iIofopt)ie,  „ber  längft  Dom  Slt|  getroffen  ju  werben  Derbient 
ptte,  wenn  ber  §immel  33inge  ftrafte,  wie  bie  Sieben,  n)eld)c 
bort  gefül^rt  werben''  ^),  bei  bem  ^fäljer  Saron  b'^olbad)  war 
e§,  t>a^  ©aliani  jenen  berül^mten  SSergleid^  öon  htn  gefälfd)ten 
SBürfeln    auffteKte,    ber   wie    bie   5ßroteftation   beö   gefunben 
5iJienfd^ent)erftanbe§  im  Slnbenfen  ber  Qtit  fortlebte:  „3d)  fefec 
t)orau§    meine   Ferren",    fo    lautete   nad^    SKorettet   ber  @tn^ 
wanb  ©alianfö,   btn  er  auffaKenb  Hein   öon  ®eftalt  unb  bie 
^errüdfe  in   ber  ^anb,   in  bie  6de  eine§  Sel^nftul^lS  gelauert 
bcfci)reibt,  „bafe   berjenige   t)on  Sinnen,   ber  üon  ber  gufäKtgen 
©ntftel^ung  ber  2Belt  am  meiften  übergeugt  ift,  nid^t  etwa  tri 
einer  Äneipe,  fonbern  in  einem  ber  beften  Käufer  üon  $ari§, 
beim  SBürfelfpiel  feinen  ©egner  einmal,  gweimal,  breimal,  enb^^ 
lid)  beftänbig  einen  5Pafd)  öon  fed^^  werfen  jtel^t.  SBie  furg  baS 
©piel  aud)   bauerte,   würbe  mein  g^reunb  33iberot,  ber  fo  fein 
®elb  öerlöre,  bod),  of)ne  gu  gaubern  ober  einen  3lugenblicf  baran 
gn  gweifeln,  fagen:  ,33ie  SBfirfel  jinb  gefälfd^t;  id)  bin  in  einer 
gÄörbergrube^   2l^a!  ^^ilofop^,  wie  fo?    3Beil  gel^n  biö  gwölf 
9!Kal  bie   SBürfel  fo   auö   bem  33ed)er  gefallen  ftnb,  bafe  S^r 
6  giüreg   öcrloren  ^abt,    glaubt   3l)r  feft,   bie^  fei  in  golge 
eine^  gefd^idften  Äunftgriff^,  einer  fd)laueu   Kombination,  einer 
woI)lbered)neten  ®aunerei  gefd^el)en?    Unb  inbem  S^r  in  biefem 
Uniberfum  t)iele  Kombinationen  fel)t,  bie  taufenb  unb  taufenb 
aJial  fd^wieriger,   berwicfelter,  anbauernber,  gwedentfpred)enber 
jtnb,  bermutliet  3^r  nid^t,  ba^  bie  SBürfel  ber  Statur  gefälfd)t 


^)  S)a§  SGÖott  tft  öon  Abbe  Morellet. 


Sic  fjrembcrt.  59 

jinb  unb  bort  oben  ein  großer  2:af(i)enjpieler  ift,  ber  jtd)  einen 
@d)erj  barau§  mad^t,  föud)  gu  täufci)en"  ^). 

®alianr§  leidsten  Son  unb  rüdftd^t^Iofen  3Bi^  fonnte  2»a- 
baute  nieder,  toie  e§  if)re  ßorrefponbeng  mit  H)m  bejcugt,  aber 
bod^  Weber  bämpfen  nod^  ftet§  in  ©d^ranfen  t)alten;  er  war 
eben  aud^  eine§  i^rer  Sugeftänbniffe,  imb  bor  5lHem  ein  glänjen- 
ber  3lngiel^ung§pun!t  für  ben  gefeUfd^aftlid^en  93erfei)r,  bem  Swf^tt 
unb  Umftänbe  nod)  überbie§  eine  fel^r  nä^Iid)e  SRoHe  ju  Jlecfer'ö 
©unften  öorbei)ieIten.  Sind)  ber  berüf)mte  5lame  eineö  anbern 
Sfleapolitaner^,  ber  be§  3Jlarqui§  Seccaria,  ift  mit  hm  erinne* 
rungen  be^  Salon  5Jlecfer  üerfnüpft;  SRabame  @uarb  befd^reibt 
il^n  al§  unanfe]^nlid)en  2Bud)feö,  aber  mit  QÜQtn,  bie  man  nid)t 
wieber  öergeffen  fonnte,  weil  in  il^rer  regelmäßigen  @dt)önl^eit 
bie  Äraft  beö  ?[blerö  mit  Sanftmütig  unb  3Beid^l)eit  gepaart 
erfd^ienen,  unb  ber  ©eniuö  in  feinem  33Iid  aufleud^tete^). 

9flidt)t  miuber  an^iel^enb,  wenn  aud^  nid^t  bon  europäifd^er 
aSerülimtl^eit  wie  bie  Seccaria'S,  war  bie  ^erfönlid^feit  be^  ©e« 
fanbten  Äönig  Sbolf  i5riebrid)§  bon  ©d^weben,  ©rafen  6reu^, 
ben  3JiarmonteI  in  ber  nad^  ®arat  „muftergültigften  aller  pa= 
t]^etifd)en  (Srjäiilungen"  ^j,  ben  »Solitaires  de  Murcie«,  berewigt 
t)at.  6reu|  gel^örte  gum  intimen  3^reunbe§frei§  bon  SKabame 
©eoffrin,  war  nad)benflid),  jerftreut,  ber  UebenSwürbigfte  ber 
^enfd)en;  erfüllt  bon  Siebe  gum  @dt)önen  unb  bon  33ewunbe* 
rung  für  baö  ®enie,  beinal^e  aller  europäifd)en  @prad)en  mäd^tig, 
ein  feiner  Äenner  il&rer  giteraturen  unb  babei  leibenfd)aftlid^er 
23ere]^rer  ber  SJlujtf^).  Dljne  in  feinem  Sob  fo  weit  ju  gelten, 
wie  ber  fentimentale  ®arat,  ber  bon  xf)m  fagt  „er  l^abe  ber* 
bient,  auf  ©ngelöflügeln  bi§  ju  einem  Sl^ron  gel^oben-  ju  wer^ 
ben",  fprid)t  aud)  ©c^webeng  großer  ,g)iftorifer  ©eijer  „bon  ber 
bejÄubemben  Slnjiel^ung^fraft",  weld)e  bem  ®rafen  6reu^   ju= 


0  S)iefe  @cenc  bei  Morellet,  M^moires,  I. 

2)  Madame  Suard,  Essais  de  M^moires,  72 — 73. 

^)  Garat,  M^moires  sur  Suard,  II,  11. 

*)  Marmontel,  M^moires,  VI,  233. 


60  2)ic  gvcmben. 

gefd)ricbcn  warb  unb  ol^nc  3tt)dfel  Don  bcr  SBcc^fcIwirfung  fitt^ 
rül^rtc,  bic  bei  i^m  jn)ifd)en  bem  3)tcl)tcr  unb  bem  Staate-  unb 
^ofmann  beftanb.  „®ie  ©eifte^abtüefenlieitcn",  fagt  tx,  „meldte 
i^n  fo  originell  liebenöwürbig  im  Umgang  mad)ten,  waren,  fo* 
balb  bic  ®efd^äfte  xi)n  freiließen,  unbefd)ränfte  aSerfe|ungcn 
feiner  ^erfönlic^feit  in§  ©ebiet  ber  5ßf)antajte.  @reu^  war  eine 
))oetifd^e,  ibgllifd^^milbe  5Ratur.  .  .  .  3loci)  im  legten  Sal^r  feinet 
gcbenS  begrüßte  er  ben  grüf)ling  mit  Sntäürfen'' ^).  ®er  in 
5ßari§  populärfte  aller  auswärtigen  @out)eräne,  ©uftat)  III.  tra= 
gifd)en  SlnbenfenS,  fanb  in  ßreufe  ben  redeten  SScrtretcr  bcö 
jcl)webifd)en  9?amen§. 

gjtit  ber  Samilie  5Recfer  war  aud)  ber  feit  1748  in  $ariö 
lebenbe  Dberpfäljer,  9Jield)ior  ©rimm,  befreunbet.  3n  befc^ei« 
bener  gebenöfteUung  war  er  aU  ^ribatfetretär  beö  fäd^pfd^cn 
©rafen  griefen  nad)  ^aris  gefommen,  wo  er  balb  in  ben  leiten^: 
ben  fd)riftftetterifd)en  Greifen  Slufnal^me  fanb  unb  in  enge  JBe* 
jiel^ungen  ju  %  %  9fiouffeau  unb  2)iberot  trat;  mit  le^tcrem 
bet^eiligte  er  pd),  wie  bereits  erwäiint,  an  ber  SRebaftion  bcr  Cor- 
respondance  litteraire,  bic  er  balb  auSfd^ließlid)  leitete,  ©eine 
ritterlid^e  SSertl^eibigung  ber  iiim  bamals  nod)  unbelanntcn,  un- 
fd)ulbig  t)erbäd)tigten  ^kbame  b'ßpinag  würbe  ber  näd^fte 
Slnlafe  feiner  Sejief)ungen  gu  il^r,  bic  in  ber  literarifd)en  ®e^ 
fd)id^te  beS  ^al^r^unberts  nid^t  of)ne  Sebeutung  geblieben  ftnb, 
gundc^ft  fd^on  beSwegen,  weil  er  bicl  jur  SluSbilbung  eines 
weiblidjen  SalenteS  beitrug,  baS  J^od^gefteUt  ^ix  werben  Dcrbicnte 
unb  in  lebenbiger  SBai^rl^eit  feine  Qzxt  reflcftirt^).  Sin  biefe 
aSegiel^ungen  fnüpft  ftd)  aud)  ber  Srud)  äwifd)en  SJiabame 
b'ßpinag,  ®rimm  unb  SRouffeau,  bcr  jugleid^  mit  einigen  anbcrn, 
äf)nlid)en  ®efd)id)ten  bie  jweite  Hälfte  ber  „ßonfefjtonS"  gum 
^ampl^let  erniebrigt,  in  weld)em  ^a^  unb  Unbanf  jtdö  gcgcn- 
feitig  überbieten.    33iefer  ©treit  mit  SeamS^cqueS  trug  faum 


•)  ©ctjcr,  ©uftat)'^  III.  nad&geraffenc  S^apkxe,  2  SBänbc,  II,  4. 

-)  Madame  irEpinay,    Memoires,    unb    La  Jeunesse    de    Madame 


d'Epinay. 


£)ic  gtembcn.  61 

weniger  baju  bei,  bcn  9lamen  üon  ®rimm  befannt  ju  inad)en, 
alö  bie  fd^n)ärmerifd^e  Slnpnglid^feit  üon  ©iberot. 

aSornefimlid)  im  beftänbigen  SSerfel^r  mit  if)m  bilbete  jtc^ 
ber  ©d^üler  ©ottfd^eb'^  jum  frangöftfd^en  ©d^riftpeller  a\x^,  of)ne 
be^megen  feiner  beutfd^en  ©igenart  gu  entfagen;  il^r  üerbanfte 
er  bie  nüchterne  3fiul)e  be§  Urtl^eifö  unb  bie  auf  foliber  93or== 
bilbung  beruljenbe  SBielfeitigfeit,  bie  \>m  SBunfci^  bei  il^m  er- 
wedEte,  SBennittler  ber  au^länbifd^en,  üor  3lllem  ber  beutfd^en 
Sit eratur  bei  ben  S^rangofen  ju  fein.  @r  prie§  il^nen  bereite  1765 
ben  ®eniu§  Sefjtng'ö,  ^ielt  an  ber  Ueberlegenl)eit  üon  ©tiafe- 
fpeare  im  ®egenfa^  ju  bm  nod)  immer  üorl^errfd^enben  S^eorien 
be§  franjöfifd)en  Älafjtciömuö  feft  unb  imponirte  jugleid)  burd^ 
eine  @d)lagfertigfeit,  bie  man  nid^t  nngeftraft  l)erau§forberte. 
@o  meinte  er,  nad^  bem  @rfd)einen  öon  Sanraguai§'  2^ragöbie 
„3ofafte\  ba§  Sßerftänblid^fte  in  biefem  2)rama  fei  ba§  maü)\d 
ber  @pl)in?:;  fein  ,, Keiner  ^ropl^et",  eine  @att)re  gegen  bie 
frangöftfd^e  ju  ©unften  ber  italienifd^en  SWnftf,  wad^te  fein  ©lüdE 
bei  93oItaire,  ber  befanntlid^  fragte,  mit  weld^em  9?ed^t  biefer 
©ingewanberte  flüger  fei  alö  fie  3l(le.  3)ie  öerftänbnifeüoHe  unb 
begeifterte  Siebe  @rimm'§  für  bie  Sionfunft  mürbe  beIol)nt,  benn 
al§  ber  Änabe  SRojart  mit  SBater  unb  ^d^mefter  nad)  ^ari§ 
fam,  marb  er  fein  9Jiäcen  unb  einer  ber  erften,  ber  SBelt  feinen 
jungen  ®eniu§  gu  öerfünben. 

SJJit  ber  ijamilie  SRecfer  trat  er  erft  fpäter  in  SBerfel^r,  ali^ 
feine  Sejiel^ungen  gu  ben  beutfd^en  §öfen  öon  @otl)a  unb  $effen:= 
©armftabt  il^m  ben  3:itel  eine§  SaronS,  üerfd^iebene  biplomatifd)e 
5Jiifftonen  unb,  burd^  bie  Steife  nad^  ^eteröburg  al§  ©rjiel^er 
be§  ^ringen  Submig  öon  Reffen,  bie  @nabe  ber  Äaiferin  ^att)a^ 
rina  öerfd^afft  l^atten  *).  SBiele  feiner  Sriefe  au§  ber  ruf jtfd^eu 
$auptftabt  jtnb  an  3Rabame  SRedfer  gerid^tet,  meld^er  er  fo  er^ 


')  Edmond  Scherer,  Senateur,  Melchior  Grimm,  Revue  des  Deux- 
Mondes,  Octobre  —  Decembre,  1885.  .<Q.  Ul^bc,  €.  gflci*arbt'S  ©elbft* 
biogrop^te. 


62 


Sibbon  in  $ait^. 


geben  mar,  bafe  er  in  $ari§  feine  3St>n 
töglid),  raenn  aud)  nur  auf  einige  3 

^it  ben  englifdjeu  ( 
Bo«   3"f   3"  3f<t  Sfiabame  j 
be  Souffler^  anffiiditc, 
betannt;  bagegen  traf, 
tfrii^jatjr  1765  lieber  inj 
empfangen.    Sin  nid)t  j 
jebe^mal,  wenn  öon  ! 
ucnirt^eilt   f(f)eint,   ||) 
dun^ob."  fagt  er,  „jutfl 
itir  @atte  ganj  befonla 
nic^t  bc^anbetn  fonneiX 
er  ju  Seit  ging  unb  f 
Iferau=forbernbe  ©efübB 
Öelicbien  möglidjft 
e!)ebeni  unb  Diel  Dun* 
gefaDen,   o[)iie 
oerftänbiger  S>eife  t 
Skrmögat. 


gjigiatifenb 


®i66on  in  $artd.  63 

tüciblid^en  ©itelfeit  eine  ebenfo  öoHftänbige  alö  öcrbientc  ©enug* 
tl^uung  ju  S:l)eH  würbe.  SßJäl^renb  ber  jmei  SBod^en  feinet 
Sliifentl^aܧ  in  $ari§  fal^  id^  il^n  beinal^e  töglid^;  er  toar  fanft, 
füßf^ttt,  jurüdfl^altenb  bi§  jur  ©d^üd^ternl^eit,  täglid^er  Q^ixQt 
ber  SReigung  tneuteö  SKanneS  gu  mir,  feiner  geiftigen  SSorjfige, 
feiner  liebenöttjürbigen  Saune.  2)ie  SBärme  feiner  33ett)unberung 
für  bm  äußeren  ©lang,  ber  mid)  nmgibt,  mad^te  niid^  erft  auf 
SSorgüge  aufmerffam,  bie  mid)  bi^l^er  gleici^gültig  gelaffen  ober 
felbft  unangenel)m  berül^rt  l^atten"  ^). 

^aijxe  üerftrid)en :  ber  Jüngling  unb  ba^  junge  3Räbd^en, 
bie  einft  mit  fel^r  öerfd)iebener  Sinnesart  an  ben  Ufern  be§ 
©enfer  @ee§  ftd^  begegnet,  geliebt  unb  nic^t  öerftanben  l)atten, 
waren  beibe  alt  geworben.  3"^  ®artenl^au§  feiner  Sierraffe  gu 
Saufanne^  in  ber  mittemä(i^tlid)en  ^rad^t  einer  3uni=9!Jionb= 
nad^t  beö  ^af)xt^  1787,  tl^at  ®ibbon  ben  legten  Sebergug  an 
einem  3Berf,  wie  eö  gu  öoHenben  nur  SBenigen  üergönnt  ift. 
3n  f^arfen  ®egenfa^  gur  g^reube  be§  ®elingen§  trat  felbft 
in  jener  ©tunbe  ba§  ®efül)l  ber  93ergänglid)feit  alle§  3rbifd)en, 
ber  SBergleid^  gwifd^en  ber  unfterblid^en  Sauer /beö  SBerfeS 
unb  ber  furgen,  feinem  ©d^öpfer  etwa  nod^  öergönnten  SebenS« 
frift^). 

©ibbon  war  bamals  fünfgig  Saläre  alt  unb  ftanb  üerein* 
famt  in  feinem  9?uf)me;  er  empfanb  e§  fo  |)einlid),  bafe  er  nod^ 
fünf  S^l^re  nad^l^er  an  eine  fpäte  SSerbinbung  bad)te.  Stuf 
biefen  ^lan  begiel^t  fid^  ber  lefete  Srief,  ben  er  öon  5Jiabame 
SRedfer  erl^ielt,  bie  wdl^renb  ber  SReöolution  mit  il)rem  Wlann  in 
bie  ©d^weig  gurüdfgefel^rt,  btn  SBinter  üon  1792  gugleid^  mit 
®ibbon  in  @enf  üerlebte.  „Dft  gebenfen  wir",  fd^rieb  fte  üon 
Poppet  am  15.  guni  jene§  3^l^re§,  ,,biefer  genufereid^en,  mit 
Sinnen  t)erbrad)ten  ©tunben;  mir  brad^ten  fte  bie  feltene  ®unft 
ber  93orfel^ung,  ba^  auf  biefe  3Beife  eine  reine,  tl^eure  Steigung 


')  Golowkin,  Lettres  diverses  recueillies  en  Suisse,  265. 
2)  Gibbon,  Memoirs  of  my  life  and  writings,  190. 


64  Gibbon  in  foxü. 

ntrincr  ^ngenb  fid^  mit  jener  anbem  begegnrte,  bie  mein  irbifc^ 
^ooa  ^  einem  fo  beneibenemertl^  geftattet  tyd.  S)iefe§  fdtene 
ßnfammentifffen  nnb  ^r  unoergleic^Iic^  ßonDerfationMoIent 
orrfe^en  mic^  mie  in  eine  3^utbenDett;  bie  Se^ie^ungen 
^vmdfcn  (BegemDait  nnb  Vergangenheit  geftalteten  bie  Sirflid^- 
feit  mie  jn  dnem  S^raum;  fönnten  Sie  jtc^  entfd^Iießen,  i^n 
^  oeriangem?  (foppet  prangt  in  feiner  ganzen  €(^dn^; 
iöi  nritt  ni(!^t^  ^in^fngen,  benn  mir  leben  ganj  einfam  nnb 
^nrücfge^en;  bie  ®enfer  bleiben  in  ber  Stabt,  unb  i^re 
Sonb^onfer  fmb  ber  fc^Iimmen  3^^  roegen  oerlaffen.  Selbfl 
fK  .  .  .  I^at  fi(^  DeranlaBt  gefüllt,  mieber  ju  ^eirat^,  mtb 
mir  mnffen  i^n  fafl  immer  entbehren.  .  .  .  ^üten  @ie  pd^ 
hodf,  id)  bitte  Sie,  3^rerfeit^  eine  foI(^  fpäte  Serbinbmtg 
einjuge^;  bie  (Sf)t,  bie  in  reiferen  3^i^^  begifirft,  ifl  nur 
bieiemge,  meiere  in  ber  ^genb  gefc^bffen  mürbe;  ba  nur  ift 
büd  3tif<iiiunenfein  ein  DoUfommenei»;  bie  Steigungen  beftimmen 
fi(^  gegenfettig,  bie  @efu^Ie  begegnen  fic^,  bie  S^een  t^Ien 
fi(^  mit,  bie  intendtueUen  Sigenfc^aften  finben  ft(^  einanber, 
ba6  Beben  Derbopf>elt  fi^  unb  mirb  jur  äSerlongerung  ber 
3ugenb,  benn  bie  ©inbrücfe  ber  Seele  be^errf(^en  ba^  äuge, 
unb  anii  bie  entfc^munbene  S^ön^t  ^at  i^re  Stacht  ni(^t 
gauj  üerloren.  3^nen  aber,  mein  ^rr,  ber  Sie  auf  ber  6ö^e 
geifliger  ©ntmicflung  fielen,  beffen  ganjc^  geben  in  feften  Sahnen 
ft(^  bemegt,  eine  3^rer  mfirbige  ©efä^rtin  ju  finben,  mer  bürfte 
ei§  magen?!  ©ne  ungenugenbe  Strt  ber  Serbinbung  erinnert 
fletö  an  bie  Statue  be§  ^orag;  ©ic  finb  bem  9iu^me  angetraut, 
unb  bie  gfreunbe,  bie  Sic  lieben,  blicfen  neiblo^  auf  ben  Sunb, 
beffen  @Ianj  auf  fte  äurücffäHt"  >)• 

So  flingeu  bie  SSejicI^ungen  jroifc^cn  ©ibbon  unb  9Kabame 
3lecfer  Iiarmonifc^  au§.  3m  gleichen  3a^r  mit  i^r  geboren, 
fottte  er  i^r  nur  um  wenige  9Konatc  im  Sobe  oorange^cn;  er 


')  Madame  Necker,  Melanges,  I,  360. 


©cburt  öon  3lnnc»®ermainc  «Reclcr,  22.  Slprit  1766.  65 

ftarb  uHDemäl^It,  am  17.  iJebruar  1794,  taum  jtebenunbfünfjig 
Sotir  alt.  ®a§  ©ci^idffal  toar  nid^t  ungered^t  gemefen,  inbcm 
eö  nad^  ©oet^e'ö  belanntem  Siebling^fprud^  Seiben  im  3llter 
bie  %Me  beffen  gegeben  l^atte,  waö  jte  in  ber  Sugenb  gemoHt: 
©em  9!Äann  einfame  ©röfee;  ba^  &\M  einer  tiefen,  emiberten 
9leigung  ber  ^rau.  — 

3m  jmeitcn  ^di)x  ber  6^e  üon  ÜRabame  SReder  ttjnrbe 
il^r  bie  Sodjter  —  i^r  einziges  Äinb  —  3[nne=guife=®ermaine, 
am  22.  Slpril  1766,  geboren.  3n  ber  Seit,  bie  H)m  ©eburt 
öoranging,  fül^lte  jtd^  bie  SJIutter  fo  leibenb,  ba^  jie  äße  SSor* 
fel^rungen  ffir  ben  %aä  il^re^  SobeS  traf;  jte  bat  il^re  £anb§= 
männin  nnb  g^rennbin,  bie  %xavi  beö  Sanquier§  SSernet,  SKutter« 
[teile  bei  bem  Äinbe  jn  vertreten,  unb  aU  biefe  bie  aSer« 
antttjortnng  nid^t  jn  übernel^men  wagte,  ri^tete  jte  bie  gleid^e 
aSitte  an  Süiabame  be  SSermenonj:,  bie  ^atl)in  il&rer  Stod^ter 
würbe.  9ledEer,  über  ben  ßuftanb  feiner  ijran  in  grofee  Sorge 
üerfe^t,  wanbte  fid^  an  bie  bett)äl)rte  ^reunbf^aft  üon  5Jioultou, 
bamit  biefer  nad^  $ariö  fomme  unb  aud^  burd^  feinen  3wfP^^ii^ 
jte  berul^ige.  ®ie  ©efal^r  ging  glücflid^  üorfiber,  aber  nid^t 
ol)ne  bie  ®efnnbl)eit  üon  SWabame  SRecfer  bleibenb  gu  erfd^üttem. 
©er  pufige  3lufentl^alt  in  ben  S^wetjer  Sergen  unb  ber  a3e= 
fud^  öon  Säbem  braute  jwar  ßinberung  unb  wol^l  aud^  öor= 
übergel^enbe  ©rl^olung,  aber  ©d^laflojtgfeit  unb  Slufreigung  be§ 
SReröenf^ftemS  in  einem  gefd^wäd^ten  Drganiömuö  tt)ud)fen  mit 
ben  S^l^ten  in  einem  fold^en  ©rab'e,  ba^  il^r  bie  ©rfüHung  ber 
gefeHfd^aftlid^en  ^flid^ten  nur  mit  äufeerfter  3lnftrengung  möglid^ 
unb  jte  felbft  wäl^renb  ber  3Kal)ljeiten  burd^  l^äufigeö  3luf*  unb 
Slbgel&en  Serul^igung  ju  fud^en  gezwungen  war. 

©aö  ^aii^  in  ber  9tue  9Wid^el4e*6omte  mufete  bereite 
nad^  einigen  Saljren  mit  bem  $ötel  Seblanc  in  ber  3lue  be 
ßler^  üertaufd^t  werben,  ba§  ju  ben  fd)önften  üon  5ßari§  ge^ 
I)örte  unb  erft  1842  bem  Sau  ber  SRue  be  3Rul]&oufe  jum 
£)pf er  fiel ;  bort  wohnte  bie  g^amilie  SRedfer,  bi§  fie  bie  officieHe 

S3Icnner^aftctt,  Brau  ton  ©tael.  I.  5 


66  50labamc  ^edet  über  ^artS. 

SBol^nung  im  ©ontröle  general  begog^).  2)ie  3Bal^I  eineö 
@ommeraufentt)aItö  folgte  balb;  anfangt  Pflegte  Sftecfer  bo^ 
öon  Srattj  I.  nad)  fetner  ©efangenf^aft  im  Soi§  be  a5ou= 
logne  erbaute  ©d^löfed^en  SJJabrib  ju  mietl)en,  bann  faufte  er 
ba§  fd^öne  ©d^Iofe  üon  @aint*Duen,  an  ben  Ufern  ber  ©eine, 
beffen  Sierraffen  unb  ^arfanlagen  nal^e  genug  bei  $ari§  gelegen 
waren,  um  feinen  ©äften  bie  fRMki)X  naä)  ber  @tabt  noci^  fpät 
2lbenb§  gu  ermögltd^en.  3ln  biefe  SBol^nJt^e  fnüpften  jtd^  bie 
beften  (Erinnerungen  für  Sfledfer  unb  feine  grau;  fte  felbft 
l^atte  ben  SSerlodEungen  biefer  neuen  @j:iftenj  nicl)t  tt)iberftanben : 
^2Ran  fönnte  unb  foHte  anberömo  glüdflid^er  fein,"  fd^reibt  fte 
il^rer  ijreunbin  in  ber  ©d^metj,  „aber  SSebingung  bafür  ift,  im 
3auber  nic^t  gu  fennen,  ber,  ol)ne  felbft  ba§  ®lüdE  auöjumad^en, 
hod)  äße  anbem  g^ormen  be§  2)afein§  üergiftet.  3Bir  gleid^en 
ben  geinfct)medEern,  beren  öernjö^nter  ©aumen  alle  Sederbiffen 
burcl)gefoftet  l)at  unb  bemnad^  nid^t  mel^r  gu  einfad^en,  juträg* 
lid^en  @erid)ten  gurüdEjufel)ren  öermag;  bie  iJeinl^eit  be§  ®e« 
fd^mad^  wirb  für  Äörper  unb  ®eift  auf  wunberbare  SBeife  I)ier 
geförbert,  unb  pl^^ftfd)  unb  moralifd^  üerwirflid^en  wir  bie  ®e= 
fd)id^te  Jenes  S^bariten,  ben  bie  Spalte  eines  SRofenblatteS  am 
©d^laf  l)inberte"2).  ©je  ©d^wierigfeiten,  bie  eS  il^r  gefoftet 
l)atte,  in  biefer  neuen  Söelt  fic^  -jured^t  gu  finben,  t)erl^et)lte  jte 
gleid)faU§  nid^t:  „6§  ift  gang  wal^r,"  fd^rieb  jte,  „ba^  \ä)  nid^t 
mel^r  üom  felben  Sbeenfd^a^  gel^re  wie  früf)er:  als  id^  in  biefeS 
Sanb  fam,  glaubte  id),  bafe  in  ber  Siteratur  ber  ©d^lüffel  für 
SlHeS  gu  finben  fei,  bafe  ein  SWann  nur  burc^  Sudler  fid^  geiftig 
f örbern,  nur  burd^  Äenntniffe  grofe  unb  bebeutenb  werben  fönne ; 
nun  aber  [el^e  id^,  bafe  ein  ©d^riftfteHer  nur  beftimmte  Singe  weife, 
bie  it)m  gu  einem  anbern  Seruf  nid^ts  nü^en,  unb  id)  l)abe 
baS  überatt  an  mir  felbft  erfal^ren,  wo  ber  B^\aü,  midj  nid)t 
mit  einem  allgemein  gebilbeten  äWann  gufammenfüt)rte.    3>n  ber 


0  Sainte-Beuve,  Causeries  du  Lundi,  XII,  210,  9?ote. 
^)  Golowkin,   Lettres    etc.,   413,    Madame    Necker    k    Madame    de 
Brenles,  Paris,  6  Avril  1773. 


einftufe  feinet  gefeUfd^aftltd^en  3ltmofpl^örc  auf  fie.  67 

SBelt  tüufete  td^  ni^ts  gu  fagen,  felbft  bie  Sprad^c,  bie  man 
bort  rebete,  war  mir  unbelannt;  gejmungen,  als  grau  mir 
bie  SKcnfd^en  ju  gemtnnen,  üerftanb  ic^  all'  bie  Slbftufungen 
ber  ©tgenliebe  nid^t  unb  öerle^te,  tt)o  id^  gu  [d^meid^eln  glaubte. 
S5Ba§  in  ber  @d)n)eig  Slufrid^tigfeit  genannt  mürbe,  l^ie§  in 
5ßari§  6goiömu§;  SRad^Iäfjtgleit  in  Ileinen  ©ingen  marb  l^ier 
jur  Unfenntnife  beffen,  ma§  jtd^  fd)irft;  mit  einem  SBort,  ba  id^ 
nie  ben  redeten  Zon  fanb,  burd)au§  nid^t  fd^Iagfertig  mar,  burd^ 
meine  eigenen,  beftänbigen  3Rifegriffe  eingefd^üd^tert  mürbe  unb 
t)orau§fal^,  bafe  meine  {ewigen  "^btm  jtd^  nie  mit  benjenigen 
üerfetten  mürben,  bie  id^  mir  anzueignen  l&atte,  fo  befd^lofe  id^, 
mein  Keines  Äa))ital  auf  SRimmermieberfel^en  ju  öergraben  unb 
ju  arbeiten,  um  gu  leben  unb  momöglid^  ein  menig  anjuf ammeln'' ^). 
Seffer  als  l^ier  burd^  jte,  täfet  jtd^  ber  ©inbrud  nid^t 
fd^ilbern,  icn  3Kabame  SRedfer  auf  ©old^e  mad^te,  bie  jte  nur 
oberpäd^lid^  unb  burd^  meltlid^e  Sejiel^ungen  fannten,  nnb  bamit 
läfet  ftd^  aud^  am  einfad^ften  erflären,  mie  eS  lam,  bafe  jte  fo  oft 
falfd)  beurtl^eilt  mürbe;  jte  l^atte  jtdf)  in  geiftiger  Sejiel^ung 
einer  Umformung  unterzogen,  bei  meld^er  il^re  natürli^en  ®aben 
unb  Slnlagen  fönftlid^  erworbenen  ©igenfd^aften  meid^en  mußten. 
Iteber  biefer  ebenfo  unbanfbaren  als  mit  peinlid^er  Oemiffen* 
l^aftigleit  burd^gefüljrten  Slrbeit  büfete  jte  nid^t  nur  bie  ©igenart 
il^reS  OeifteS,  fonbem  aud^  etmas  üon  ber  Unmittelbarfeit  unb 
SBärme  ein,  mit  benen  il^r  meines  ©emütl^  unb  leibenjd^aftlid^eS 
^erg  jtdE)  l^ingugeben  üerlangten.  ®a  jte  gemal^r  merben  mufete, 
bafe  in  ber  Söelt,  in  meld^er  jte  lebte,  aud^  bie  beften  ©efü^le  leidet 
mi^üerftanben  unb  üon  ©pott  nid^t  oerjd^ont  mürben,  unb  ba§  i^r 
bie  S^orm  mel^r  galt,  als  ber  Snl^alt,  gog  jte  jtc^  nad^  unb  nad) 
immer  mel)r  auf  jtd^  jelbft  gurüdf;  eS  mürbe  etmaS  ©teifeS, 
©efünftelteS  auS  \i)x;  gmar  nid^t  in  il^rem  innern  SBefen,  mol^I 
aber  in  il)rer  äußern  3lrt  unb  ©rjc^einung  trat  eine  SBeränberung 


^)  Golowkin,    Lettres    etc.,   400,   Madame    Necker    ä    Madame    de 
Brenles.    Paris,  31  Aoüt  1771. 

5* 


68  ©influfe  feiner  gefeüfc^aftnc^en  3ltmofppre  ouf  fic. 

ein,  unb  nur  il^re  näd^ften  greunbe  ttjufeten,  xt)dä)t  %k\t  ber 
ßmpfinbung  jtd)  unter  ber  anfc^einenben  Äälte  barg,  ^nä)  ba§ 
l^atte  fie  balb  erfannt,  bafe  it)re  weit  über  ba§  gemö^nlid^e 
SilbungSmafe  ber  gtauen  rei^enben  Äenntniffe  faum  ein  SSor^ 
tijdl  toaxen  unb  il^r  ben  9!JiangeI  an  fd^ergenber  Saune,  Sieg- 
jamfeit  unb  leict)tem  ßonöerfation^talent  nid^t  erfe^ten. 

Sttjar  gäl^lte  ba§  XVIII.  ^ö^r^unbert  in  granfreid^  fett 
3Kabame  ©acter  nod^  mand^e  gelet)rte  iJrau,  wie  gräuleirt 
be  öa  Sejarbiere,  bte  SSorgängerin  öon  Sluguftin  Sil^ierr^,  ober 
bie  ^l^ilologin  Fräulein  üon  ©afd^auj:,  üon  b'Sllembert  unb 
ßonbißac  gefannt  unb  l^od^gead^tet,  beren  tragifd^e  ©efd^id^te 
©iberot  ergäl)It^);  bie  grauen  aber,  bie  an  ber  @pi^e  be§ 
gefettf^aftlid^en  gebend  in  ^ari§  ftanben,  ttjufeten  im  ©angen 
wenig  unb  trieben  gelehrte  ßiebl^abereien  nur  mt  feltene  ©jrcen* 
tricitäten^),  wie  g.  S.  bie  junge  ©räjtn  üon  ßoign^,  bie  mit 
eigener  ^anb  fecirte,  ober  bie  9!Jiarquife  üon  ^olignac  unb  bie 
©räfin  üon  Srencaö,  bie  ©Ijemie  [tubirten  unb  mit  SRoueHe  bie 
5luflöfung  unb  SSerpc^tigung  be§  ©iamanten  öerfudf)ten^). 
Sie  öerliefeen  jtct)  auf  il^ren  ®efd^macf,  auf  bie  ©idEierl^eit  il^re§ 
Urtl^eil^,  auf  ben  33er!el^r  mit  bebeutenben  SWännem  unb  üor 
SlHem  auf  xi)Xt  Äenntnife  ber  Süienfd^en  unb  ber  3öelt,  bie  mel^r 
au^rid^tete,  al§  äße  Sucher:  „S)ie  2)ebication  einer  Orammatif 
mir,  bie  id^  nid)t  einmal  bie  Drtl^ograpl^ie  fenne",  rief  9!Jiabame 
®eoffrin  mit  aufrid^tigem  ©rftaunen,  al§  einer  il^rer  SSere^rer 
i^r  ein  fold^eS  B^ic^cn  ber  ^ulbigung  barbrad)te. 

SJtabame  SRedfer'ö  Äenntnife  beö  Sateinifd^en  unb  ber  SWatl^e^ 
matif,  ober  ber  Umftanb,  ba§  |ie,  burd^  feinen  Ueberfe^er 
SJlorellet  auf  \i)n  aufmerffam  gemad^t,  eine  ber  erften  5ßerfonen 
in  granfreid^  mar,  bie  Seccaria  lafen^),  fold^e  SSorgüge  tjatten 


1)  gflofenlranj,  S)ibcrot'§  Seben  unb  2öer!e,  II,  307. 
^)  Taine,  Origines  de  la  France  contemporaine.    L'ancien  regime. 
')  Goncourt,  La  Femme  au  XVIII  Si^cle. 

'*)  Golowkin,  Lettres  etc.     Madame  Necker  k  Madame  de  Brenles, 
Paris,  7  Novembre  1765. 


©tnflu§  feiner  öefeUfd^aftUd^en  3(tmofrl^5re  auf  fte.  69 

geringen  SßJertl^  in  einer  ©efettfd^aft,  welker  bie  Äunft  beö 
SebenS  unb  focialen  SSerfel)r§  al§  ba§  $öd^fte  galt,  bie  einen 
anä)  nur  leifen  Sßerftofe  gegen  ben  guten  Son  niemals,  ba§ 
unter  gefälligen  formen  jtd^  bergenbe  Safter  ftefe  öerjiel^;  ber  eine 
fd)Ied)t  angebrad^te  SRofette  an  feiner  Äleibung  genügte,  um  ben 
fonft  in  5ßariö  fo  populären  ©uftaü  IIL  üeräd^tlid)  in  bie  3fieil^en 
ber  ^roöinjiaUÄönige  ju  üerfe^en,  unb  bie  ein  glüdlic^eö  (gpi* 
gramm  ttjeit  t)ö^er  fci^ä^te,  al§  mü^fam  erworbene^  Söiffen.  SBo  fte 
aber  ein  foId)e§  ^\ä)  aneignen  unb  tiefer  einbringen  ttjottte,  ba  fanb 
jte  einen  ©iberot,  ber  Älarl^eit  unb  Slnmutl^  bie  bem  weiblid^en 
©eifte  fd)ulbige  ^ulbigung  nannte,  bereit,  il^r  feine  pl^ilofopl)ifd)en 
^bttn  int  ®ett)anbe  be§  Steffen  üon  Siameau  unb  burd^  SSemiittlung 
öon  ijräulein  öon  rgfpinaffe  ju  üerfünben;  ben  5ßefftmiömu§ 
ftubirte  jte  im  „ßanbibe",  bie  (gnct)flopäbie  felbft  mufete  fid^ 
lefen  wie  eine  Untert)aUung§leftüre,  unb  aB  ba§  unüermeiblid^e 
@nbe  nal^te,  fam  iJigaro,  eö  unter  bem  SSeifatt^fturm  ber  Dpfer 
xijmn  ju  üerlünben.  2luf  biefem  Soben  blieb  ÜRabame  nieder, 
nad[)  ben  SBorten  öon  ©ainte^Seuüe,  eine  üerfe^te  ^ange,  bie 
geiftig  nie  mel^r  red)t  SBurjel  gu  faffen  üermod^te. 

Umfonft  fd^rieb  fie  3lbl^anblungen  über  bie  ^nft  ber  6on= 
öerfation,  be§  focialen  Umgangs,  btn  ©t^l,  umfonft  fteHte  jte  bm 
@a^  auf,  man  muffe  ftetS  bie  ^erfönlid)Ieit  felbft,  niemals  it)re 
blofee  ©arfteHerin  fein^);  bie  ßufd^auer  liefeen  ftd^  nid)t  täufd^en 
unb  fül^lten,  bafe  eö  bennod^  eine  SioHe  mar,  bie  jte  fpielte. 
@o  fd^reibt  SWarmontel  oon  il^r,  „ben  ^arifer  Sitten  fremb, 
l^abe  3Kabame  Steder  feinen  ber  Sßorjüge  einer  jungen  g^raujöjtn 
aufgumeifen  gel^abt;  meber  in  iljren  3Manieren  nod^  in  il^rer 
©prad^e  fei  etmaö  oon  ber  Slrt  unb  bem  Son  einer  in  ber 
grofeen  SBelt  unb  unter  bem  ©influfe  üon  Äunft  unb  ©ultur 
I)erangett)ad^fenen  grau  ju  erfennen  gemefen;  ol^ne  ©efd^mad 
in  ber  Äleibung,  ol)ne  anmutl^igeS  @id^gel)enlaffen  in  ber 
Haltung,  ol^ne  geminnenben  SReij  in  ber  ^öflid^Ieit,  feien  il^f 


^)  Madame  Necker,  Melanges,  III,  68. 


70  (^nflu6  feiner  gcfcHfd^aftlid^en  Sltmofpl^äte  auf  fie. 

@etft  tt)ie  \tjxt  Setocgungen  ju  fünftlid^  gctocfcn,  um  gur  ®ragie 
jtd)  ju  crl^cben.  Mt^",  fo  {einliefet  er,  „war  prämebitirt-  nid^tö 
flofe  au§  bcr  Duette  ober  öermod^te  ju  täufd^en;  e§  war  md)t 
ffir  unö,  e§  war  ni^t  für  pd)  felbft,  ba^  fte  atte  biefe  SRül^e 
auf  jtd)  nal^m,  eö  gefdial^  für  il^ren  2Rann,  ber  eö  feiner  grau 
überliefe,  bafür  gu  forgen,  ba^  bie  ßonüerfation  unterl^alten 
würbe"  ^).  ßitwjeilen  aber  üerftummte  biefe  bod),  unb  bann, 
wenn  3Kabame  9ledEer  ftd^  etwa§  natu  barüber  bei  5!Rarmontel 
bellagte,  erwiberte  biefer:  „Sftun,  betrad^ten  @ie  einmal  $erm 
Sftedfer  felbft;  ift  er  öietteid^t  atte  Sage  unterl^altenb?" 

@rimm  bemerlt  gleid^fattö,  wenn  ber  ©ialog  ftodtte,  l^abe 
fte  ängftUd^  unb  unrul)ig  in  ben  SSIidfen  ber  3lnwefenben  nad^ 
ber  Urfad)e  geforfd^t;  wa§  fte  barin  üon  ben  Slnbern  öerlangte, 
war  immer  nod^  wenig,  mit  bem  üerglid^en,  waö  pe  felbft  öon 
pc^  forberte.  9ledEer  fanb  einft  gufättig  ein  SRotijbud^,  in 
ba§  pe  \tbm  SJlorgen  bie  SSefd^äftigungen  eingutragen  pffegte, 
bie  pd)  über  btn  Sag  üertl^eilten,  unb  lad)enb  la§  er  il^r  bie 
©tette  üor:  »Relouer  plus  fort  Monsieur  Thomas  sur  le 
chant  de  la  France  dans  son  Poeme  de  Pierre  le  Grand«  2), 
9Jlan  begreift,  wie  il&re  alte  greunbin  bei  einer  fo  vorbereiteten 
Gonüerfation  ba§  angenel)me  ©id^gel^enlaffen  üermifete,  unb 
ber  urfprünglidE)  oft  fd)on  unbeftimmte,  unbeutlid^e  ©ebanfe  in 
§olge  be§  auferlegten  3wange§  nod^  unt)erftänblid)er  ober  über^ 
trieben  würbe. 

2lud)  üon  ®aliani  ^aben  wir  eine  @c^ilberung  be§  @alon§ 
ber  9Rabame  9?eder:  „(äö  gibt  feinen  Freitag,''  fd)rieb  er  tl^r 
aus  SReapel,  „bm  16)  nid)t  im  ©eift  bei  31^«^^  jubräd^te;  id^ 
trete  ein,  id^  pnbe  @ie  entweber  nod)  bei  ber  Soilette,  ober  auf 
3^rem  SRu^ebett.  gd^  fefee  mid)  3^«^«  gu  ?5üfeen;  Sl^omaö 
leibet  im  ©tittcn  babei,  SKorettet  beflagt  pd^  laut,  ®rimm  unb 
©uarb   lad)en;   @raf  6reu^  bemerft  nid)tö   baüon.    @ö  wirb 


^)  Marmontel,  Memoires,  Livre  X,  397. 

2)  Baron    Auguste    de    Stael,    Notice    sur   Monsieur    Necker,    I, 
XXXV,  feinet  (Einleitung  ju  beffen  Oeuvres  completes. 


©aliant,  SWoreKct  unb  ©rimm  über  ben  ©alon  ffltäex.  71 

öemelbet,  bafe  ferüirt  ift;  bie  übrigen  ®äfte  effen  Slctfd^f  ^^ 
fafte  unb  öergel^re  fel^r  üiel  Don  ben  fd^ottifcf)en  ßonferöen, 
bie  lä)  mel)r  liebe,  al^  mir  juträglid^  ift,  wäl^renb  Slbbe 
SRoreUet  einen  Äopaunen  gerlegt.  9lact)  Sifd^,  beim  Äaffee, 
fprid^t  2llle§  auf  einmal ;  3lbbe  Sia^nal  f ommt  mit  einer  ©ame 
überein,  \>a^  Softon  unb  baö  englifd^e  Slmerifa  jtd^  für  immer 
öon  (änglanb  getrennt  t)aben,  unb  jugleici^  üerftänbigen  ftci^ 
föreu^  unb  UJiarmontel  barüber,  bafe  @retr^  ber  franjöjtfd^e 
^ergolefe  fei;  ^err  9ledEer  finbet  3llleö  in  ber  Drbnung,  ftedt 
t>m  Äopf  l^inein  unb  ge{)t  fort  .  .  .  .  ®a  l^aben  @ie  meinen 
greitag" '). 

®a  aber  ©aliani,  wie  gefagt,  einige  ©d^erge  nid^t  untere 
brüdfen  fonnte,  bie  SJiabame  9ledEer  ni^t  billigte,  fo  befd^ränfte 
fld^  feine  ßorrefponbeng  mit  xi)x  auf  »enige  ©riefe,  unb  mit 
50?abame  b'iSpina^  fpafete  er  in  SSejug  barauf :  „9!Jiabame  5HedEer 
merbe  id^  lünftig  burdC)  meine  Äanglei  antttjorten  laffen,  id^ 
merbe  platt  unb  glatt  fein,  mie  ein  Seiler  öon  SKabame  ®eoffrin ; 
fo  ftrafe  id^  bie  lalte  Haltung  beö  3lnftanbe^.'' 

Sind)  ÜRorellet  bemerft,  „\>a^  bie  Strenge  ber  §au§frau  bem 
freien  Slu^taufdC)  ber  ©ebanfen  i^inberlid)  geujefen,  inbem  SSieleS, 
befonberö  religiöfe  fStagen  nid^t  biSfutirt  werben  burfte,  wenn 
jte  antoefenb  war ;  bagegen  i^abe  jte  f el^r  gut  über  ßiteratur  ge* 
urt^eilt,  xoixljxtnb  SRecfer  nidC)t§  barüber  ju  fagen  unb  nur  juweilen 
auf  feine,  pilante  SBeife  über  ^ß^ilofopl^en  unb  ©d^riftfteUer  ju 
fd^erjen  ppegte,  bie,  wie  er  meinte,  öon  feiner  fStau  ju  })oä) 
gel^alten  würben;  biefe  berebete  il^n  il^rerfeits  über  feine  @d^weig= 
famfeit  unb  feine  linlifd^en  SWanieren,  aber  ftet§  fo,  bafe  er 
babei  erft  re^t  gur  (Geltung  lam"  ^).  ®rimm  oerfünbete  ber 
fogenannten  pl^ilofopl^ifd^en  Äird^e,  „bafe  fte  an  ben  iJreitagen 
bei  ©^wefter  3ledEer  ftdE)  eingufinben  l^abe,  weil  fte  il^re  5ßerfon 
unb   bie  il^re§  ®emal)lö   ju  f^ä^en  wiffe;   baö   ©leid^e  laffe 


')  L'Abbe  Ferdinand  Galiani,  Correspondance,  I,  227. 
2)  Morellet,  Memoires,  I,  149. 


72  Urt^cU  ber  grauen. 

ftd^  leiber  nid^t  üom  Äod)  beö  ^aufe§  jagen  ^).  3Ba§  SRabame 
9ledEer'§  Slnjtd^ten  betreffe,  fo  fei  fte  aufrid^tig  §ugenottin,  @o* 

• 

cinianerin,  ©eiftin  ober  üielmel^r,  um  irgenb  etwas  ju  fein, 
gum  ©d^lufe  gelommen,  ftd^  über  nid^ts  me^r  SRed^enfd^aft  gu 
geben'^  2)^ 

Strenger  urt^eilten,  il^rer  @ett)ol)nl)eit  nad^,  bie  ijrauen 
über  SJiabame  SRedfer.  3llS  bte  ©Ifäfferin,  SSaronin  Dberfird^, 
fte  in  ©aint^Duen  befud[)te,  erl)ielt  fte  bm  ©inbrudf,  „al§  ob 
ber  ^immel,  beöor  er  bie  Seele  öon  SSKabame  SRedEer  mit  tl^rem 
Äörper  öerbanb,  juerft  beibe  in  ©tdrie  getaud)t  l)abe",  nnb 
biefeö  feitbem  oft  wieberl^olte  SBi^ioort  l^atte  feinen  geringen 
©rfolg^).  „^dj  bin  ein  Snftrument,  auf  bem  Sie  üortrefflid^ 
gu  fpielen  wufeten",  fagte  einft  ber  l^od^beiat)rte  Slbbe  be  ©aint^ 
^ierre,  SSerfaffer  be§  SSorfdtjIagS  jum  allgemeinen  trieben,  feiner 
alten  ^^reunbin,  SKabame  ®eoffrin.  Sm  ®egenfa^  bagu  fd^rieb 
aWabame  S)u  ©effanb  an  2Balpole  über  bm  Salon  Dlerfer  unb 
über  Sfledfer  felbft:  „@r  Ijilft  ben  geuten  nidht,  il)re  ©ebanfen  ju 
enttt)ideln,  man  ift  einfältiger  mit  i^m,  als  aHein  ober  mit 
Slnbern". 

©inen  grofeen  ©influfe,  felbft  in  literarifi^er  aSejiel^ung,  ^at 
ber  3fledEer'f^e  Äreiö  nid^töbeftomeniger  geübt;  er  gel)ört  mit  jur 
geiftigen  ^li^ftognomie  ber  gttjeiten  Hälfte  be§  frangöpfd^en  ai)U 
gel)nten  3cil)rl)unbertö^),  unb  einige  ber  befannteften  ©pifoben 
in  ber  ©efd^id^te  ber  Seit  ftnb  mit  feinem  Slnbenfen  derfnüpft.. 
3n  il^rem  Salon  mar  e§,  bafe  SWabame  9ledfer  oergebenS  einem 
auöerlefenen  Slubitorium  ben  ®enufe  ber  erften  ßefture  beö 
aReifterftüdfö  üon  Semarbin  be  Saint^^ierre   ,,$aul  unb  SSir^ 


0  Grimm  et  Diderot,  Correspondance  litteraire,  I,  9. 

2)  ©benbofcrbft,  I,  333. 

^)  Baronne  d' Oberkirch,  Memoires,  E,  Chap.  XIII. 

*)  Unter  ben  so^I^^^ic^^n  ©arftettungcn,  bie  tl^n  juni  ©egenftonb 
l^aben,  f.  aud^  tm  Sfloman  Philippe  de  Morvelle,  öon  Madame  Augustin 
Thierry  ben  5lbfd^nitt:  Le  Salon  Necker.  Revue  des  Deux-Mondes,  1883, 
n,  691. 


fiitcrartf^e  S3cbcutung  be§  S'Zcdev'fc^en  @alon§.  73 

ginie"  bereitete;  ber  SSerfaffer,  bem  jott)ol)l  5Recfer  aU  feine 
^au  il^re  befonbere  ©unft  unb  greunbfd^aft  jugetoaubt  l^atten, 
tnufete  eö  erleben,  bafe  biefem  ©belftein  franjöjtfci^er  $roja  bei 
feinem  erften  ©rfd^etnen  fein  SBertl^  gnerlannt  würbe;  alö  ftc 
33nffon  einfdölafen  nnb  einen  Slnbem  lä^eln  fallen,  beeilten  jtd^ 
einige  anwefenbe  2)amen,  il^re  Sfiränen  gn  verbergen,  unb  ber 
gioman  fiel  ©rft  in  ber  legten  Stunbe  i^re§  a3eftet)en§,  1787, 
machte  biefe  fd^eibenbe  Söelt  noct)  il^r  SSerfeljen  gegen  ba§  Söerf 
gut,  weld^eö  fd^on  einer  anbern  ß^'t  angel^örte  unb  bie  neue 
(Spodjt  in  ber  ßiteratur  mit  einleiten  l^alf.  9lid)t  minber  be- 
fannt  ift  bag  2)iner  öom  17.  Slpril  1770  bei  9)labame  Sftetfer 
geblieben,  ju  njeld^em  fte  2)iberot,  @uarb,  bm  3Karqui§  be 
ß^afteHuj:,  ®rimm,  be  ©d^omberg,  SRarmontel,  b'Sllembert, 
S;l)oma§,  ©aint^Sambert,  ©aurin,  ^elüetiuS,  ^ia^nal,  bie  Slbbeö 
Stmaulb  unb  3Korellet  gelaben  l)atte,  unb  bei  bem  auf  5lnregung 
ber  $auöfrau  befd^loffen  würbe,  bem  ^atriard^en  üon  geme^ 
burd)  ^gaHe  eine  ©tatue  errid^ten  ju  laffen.  Ueber  bie  Sluf« 
faffung,  bie  man  üon  Seiten  beö  Äünftlerö  tt)ünfd)te,  entfpann 
ftd^  ein  langer  Streit,  auf  welken  bie  9Serfe  öon  SBoUaire  an 
SRabame  9Mer  auffielen,  wie  fte  in  gemilberter  SBerfton  in 
aSeud^of^  Slu^gabe  feiner  SßJerle  abgebrudft  ftnb;  in  ber  ur= 
fprüngli^en  gorm,  bie  ftd^  unter  ©uarb'ö  ^a:pieren  wieber^* 
gefunben  t)at,  lauteten  jte  anberö^).  Unerad^tet  beö  l)eftigen 
SBiberftanbe^,  bem  ber  33orfd)lag  begegnete,  fam  er  mit  ^ülfe 
wn  Beiträgen  be§  Äönig§  üon  ©änemarf,  Äatl^arintf^  unb 
Sriebrid^'ö  be§  ®rofeen  bennod^  gu  ©tanbe;  auf  ben  9?atf)  öon 


^)  „Vous  craignez,  beautd  d^licate, 
Que  ce  Pigalle,  trop  ingenu 
Ne  me  presente  ä  vous  tout  nu: 
Mais  pardonnez-lui,  sMl  me  flatte. 

„Quand  son  ciseau  vous  sculptera 
Ne  soyez  pas  si  rench^rie; 
Ou  tout  le  monde  lui  criera 
Otez-nous  cette  draperie. 


74  3Rabatne  9ltätt  eine  äRutter  bet  Stirnen. 

SDiberot,  btm  babci  ein  SSoTOurf  ber  Slntile  öorfd^webte,  fteHtc 
^igaHe  einen  gewanblofen  SBoltaire  mit  wunberbar  lebenbigert 
(Sejtdjtöjögen  öon  frctppanter  ad^nlid^feit  l^cr').  aufgcftettt 
mürbe  bie  wie  eine  anatomifd^e  @tubie  aufgearbeitete  ©tatue 
übrigens  nie;  jte  tarn  fpäter  in  bm  Sejt^  eines  3l^^m  3SoI== 
taire'S,  ber  fte  1806  ber  SSibliot^el  be§  3nftitutS  fd^enfte,  wo 
jte  nod^  l)eute  fammt  bem  bort  anfbettjal^rten  $erjen  be§  ^l)iIo== 
foplÖ^n  jtd)  bepnbet^).  Sluct)  baran  foß  erinnert  werben,  ba^ 
bie  „Salons",  in  ttjeld^en  ©iberot  für  bie  Äunft,  inSbefonberc 
für  bie  moberne  Äunft  in  granfrei^  3le^nlid^eS  leiftete  wie 
Sefpng  unb  SBindfelmann  für  bie  Slntife,  öon  SRiemanb  fo  fel^r 
anerfannt  nnb  beiüunbert  würben,  als  öon  SSKabame  SRedfer, 
tt)elct)e  jte  im  3Kanuffript  gu  lejen  pflegte,  beüor  fte  burdö  ©timm'S 
»Correspondance«  in  gang  ßuropa  SBerbreitnng  fanben.  @ie 
l^at  il^nen  baS  üerbiente  ßob  gefpenbet,  erft  burd^  jte  bie  Äunft, 
Äunftwerfe  gu  fel&en,  gelernt  gu  l^aben^). 

@in  größeres  ßob,  als  bie  ßorrefponbentin  üon  SSoltaire^ 
bie  iJtcunbin  öon  Snffon  unb  bie  ÜRufe  üon  Sl^omaS  gewefen 
gu  fein,  ift  eS  für  SWabame  Sflecfer,  SBerfe  ber  SRäd^ftenliebe  unb 
aSarml^ergigfeit  geförbert  gu  Ijaben;  nad^  if)rem  STobe  blieb 
3ledfer  ber  Sroft,  auf  Jold^e,  nic^t  nur  mit  Eingebung,  fonbem 


Les  gräces  n^en  eurent  Jamals; 
L^habillemeDt  les  d^figure, 
Et  vouloir  cacher  leurs  attraits, 
C'est  un  p^ch6  contre  nature. 

„Je  consens  qu^un  lourd  vetement 
Couvre  ma  chetive  machine, 
Mais  quant  ä  vous,  objet  charmant 
Prenez  la  gaze  la  plus  fine.** 

Ch.  Nisard,  Memoires  et  Correspondances  historiques  et  litteraires,  349, 
Voltaire  ä  Madame  Necker,  Ferney,  15  Mars  1771. 

0  Grimm  et  Diderot,  Correspondance  litteraire,  I.  118,  164,  465; 
III,  249. 

2)  Morellet,  Memoires,  I,  193. 

3)  SHofenlxana,    S)iberot'8    ßeben   unb    SBcrIc,    II,    135.      Madame 
Necker,  Melanges.    Lettres  ä  Diderot. 


SRobamc  9ltdct  eine  SJiuttcr  bcr  8(tmen.  75 

audö  mit  au^gefprod^enem  ßrfolg  tl^eilö  inö  Sebcn  gerufene,  tl^eil^ 
wefentlid)  geförberte  Unternel^mungen  öemeifen  ju  fönnen^). 
6S  toareu  bie^  bte  gemeinfam  mit  il^tt  burd^geffil^rten  SReformen 
im  ©efängnifetpefen  jur  Sefferung  be^  Soofe^  ber  ©efangenen, 
wobei  bemerft  gu  werben  üerbient,  bafe  9!Jiabame  3ledEer  bie  .erfte 
war,  welche  gu  biefem  ßtotd  bie  ^ülfeleiftungen  öon  Drbenö* 
fd^weftem  in  Slnfprud^  nal^m;  il^re  Sptigleit  auf  biefem  ijelbe 
war  fo  belannt,  bafe  Saöoijter,  atö  er  fpäter  im  Sluftrag  ber 
Slfabemie  ber  SBiffenfd^aften  ein  9?efomtproieft  über  biefen  ®t^ 
genftanb  aufarbeitete,  feinen  würbigeren  9lamen  aB  ben  übrigen 
feiner  Slrbeit  öorangufteHen  fanb.  ©as  £oo§  ber  ginbelfinber, 
il)re  Slufnal)me,  ^Pege  unb  SBerforgung  befd^äftigte  fle  gleid^fall^ 
öiel  unb  lange,  öor  Slßem  aber  ift  it)r  9lame  mit  ber  SReform 
gu  ®unften  ber  befferen  ^ege  unb  Sel^anblung  ber  Uranien 
in  ben  Spitälern  in  unüergleid^Iic^er  SBeife  öerlnilpft.  Site  fte 
in  bie  ^auptftabt  aller  raffinirten  Sebenögenüffe  fam,  l)atte  man 
e§  nodE)  nid)t  bal^in  gebrad^t,  in  bm  Äranfenpufem  bie  Patienten 
in  getrennten  SSetten  unterzubringen,  fonbern  je  nad^  ber  S^t 
il^rer  Slnfunft  würben  nad^  ber  9?eil^e  ber  ©d^werfranfe  jum 
SRelonüaleöcenten,  ber  Unpäfelid^e  ju  einem  ©terbenben,  ber  üon 
einem  anftedenben  Uebel  Gefallene  ju  einem  nur  üorüberge^enb 
©rfranften  gelegt;  bie  entfe^Iid^ften  ©cenen  unb  töbtlid^e  ^n^ 
fälle  ereigneten  jtd^  atte  S^age  in  biefen  gefürd^teten  Sitf^wd^tS« 
ftätten  irbifd^en@lenb§,  in  benen  ba§  unglüdElid^e  SKenf d)enmaterial 
unter  bm  Singen  ber  Slergte  nnb  Äranfenwärter  auf  eine  un§ 
l^ente  glüdflid^erweife  ganj  unbegreiflich  geworbene  Slrt  l^ingeopfert 
würbe.  3Kabame  9ledEer,  feit  3ot)ren  auf  biefe  3uftänbe  auf* 
merffam  geworben  unb  nid^t  umfonft  eine  ßanbömännin  unb 
SSere^rerin  ber  grofeen  ©enfer  Slergte  unb  SUtenfd^enfreunbe 
3;rond)in  unb  Siffot,  brad^te  eö  bai)xn,  bafe  unter  bem  erften 
SKinifterium  SRedfer  ßubwig  XVI.  il^r  bie  nötl)igen  %onb^  au§ 


0  Madame    Necker,    Melanges,    I,    Notice    sur    Madame    Necker, 
XXXV. 


76  2)et  ©rabiWof  öon  $ariö  fd^enft  \^x  fein  SBertraucn. 

feiner  ßaffette  jur  ©rünbung  eiiteö  flehten  ©pitalö  ann)ie§,  ba^ 
jte  grofemütl^ig  unterftü^te  unb  weld^eS  nod^  l^eute  il^ren  5Ramcn 
fül^rt;  e§  l^atte  Staunt  für  nid^t  ntel^r  alö  l^unbertunbjwanjtg 
Äranfe;  SIRabame  9lecfer  fd)lo^  einen  Sßertrag  mit  ben  barm^ 
l^erjigen  ©d^xoeftern,  wonad^  gwölf  berfelben  unter  ber  Seitung 
beö  Pfarrers  öon  @t.  ©ulpice  ben  ©ienft  bei  biefen  Äranlen 
übernal^nten.  S)ie  Seitung  beS  Spitals  felbft  bel^ielt  jte  mn 
1778  an  wäl^renb  jel^n  Salären;  auögefprod^ener  3^^d  biefcr 
©rünbung  war,  ben  SeweiS  gu  liefern,  bafe  bie  ^Pege  ber 
Patienten  in  getrennten  Setten  ganj  tt)of)l  ntöglid^  unb  burd^« 
fül^rbar  fei,  ol^ne  ein  beftimmteö,  l^ierfür  aufgefegtes  Subget  ju 
öberfd^reiten.  9Jiabante  9leder  löfte  bie  boppelte  Slufgabe 
ntenfd^lid^en  ©rbarmenS  unb  einer  weifen  ©parfamfeit  in  foldf)er 
3Beife,  ia^  nid^t  nur  il^re  2lbftdC)t  erreidC)t  würbe,  unb  bie  ein- 
gefül^rte  Sleuerung  überall  9ladC)a]^ntung  fanb,  fonbern  ßl^rtftopl^e 
be  Seaumont,  feit  1746  (ärgbifd^of  üon  5ßariS,  berfelbe,  ber 
beftänbig  im  Streit  mit  3^nfeniften  unb  ^ßl^ilofopl^en  lebte,  Der« 
ftanb  jtd^  fo  gut  mit  SRabame  9Zeder  auf  biefem  frieblid^en 
©ebiet  ber  5ßäd^ftenliebe,  bafe  er  jte  unb  il^ren  ©emal^l  jur  SEafel 
in  feinen  ergbifdjöflid^en  ^alaft  lub,  wa§  gu  ©pottüerfen  Slnlafe 
gab,  bie  mit  ber-  SSiergeile  fd^loffen: 

»Mais  en  ce  jour  d'une  indulgence  teile, 
Quel  serait  donc  le  motif  important? 
C'est  que  Necker  .  .  .  le  fait  est  tres  constant, 
N'est  janseniste:  il  n'est  que  Protestant.« 
©er  (ärjbifd^of  tl^at  felbft  mel^r  atö  baö;  alö  furj  barauf 
bie  ©tabt  5ßari§  in  i^olge  eineö  gegen  il^n  verlorenen  5ßrojeffeö 
bebeutenbe  ©ummen  auSgal^len  mufete,   übergab  er  mit  aner^ 
fennenöwertl^er  Soleranj  9leder  ba§  ®elb  mit  ber  Sitte,  e§  nad^ 
feinem  eigenen  ©rmeffen  für  wol^ltptige  Qtoedt  ju  üerwenben 
unb  nur  bem  Äönige  9ied^enfd)aft  barüber  gu  geben  ^). 


^)  Necker,  Oeuvres  compl^tes,  III,  497  u.  ff.  Auguste  de 
Stael,  I,  CLIX  bcvfelben  Oeuvres  comp.  Henri  Martin,  Histoire  de 
France,  etc.  etc.  etc. 


©d^Iufebemerfung  über  fie.  77 

®a§  tt)ar,  it)ren  »)efentUd)cn  308^^  ^^^  gcfd^ilbert,  bie 
Stau,  ber  cö  9lccfcr  üornet)mltd^  ju  ban!cn  l^attc,  wenn  er,  nad) 
wenigen  S^l^ren  ber  Qi)t,  im  SSerfel^r  mit  ber  großen  3Belt 
fowol^I,  als  mit  ber  niä)t  weniger  einpufereid^en  SBelt  ber  gite^ 
ratur  genügenbe  6injtd)t  in  bie  SSerl^ältniffe  gewonnen  l^atte, 
um  auf  bem  gefäl^rlid^en  SSoben  üon  5ßariö  Stellung  gu  nel^men 
unb  feinen  Slntl^eil  an  ber  mel^r  unb  mel^r  ber  ©eifter  ftd)  be* 
mäd)tigenben  ^Bewegung  ju  beanfprud^en. 


^mtxtt^  ^flpttel 


©ie  Stellung,  bie  ftd^  5ftccfcr  aU  ©cfd^äft^ntaitn  errungen 
tiatte,  bett)og  feine  SSaterftabt  ®enf,  1768  bie  Seitung  tl^rer  An- 
gelegenl^eiten  in  5ßart§  feinen  §änben  anjuüertrauen;  SUcder 
übernal^m  biefelbe,  wie  e§  im  ®ef(i)äft§ftQl  feineö  officieUcn 
2tnttt)ortfd^reiben§  an  ben  »magniflque  petit  ConseiU  löci^t, 
mit  ber  Sitte  „um  9lad^jid^t  für  feine  Jtalente"  unb  ol^nc  ©el^alt 
bejiel^en  ju  motten.  3)er  Soften  an  jtd)  toax  fein  fel^r  wid^tiger, 
aber  er  üerfd^affte  il^m  gutritt  bei  §of  unb  Pupgen  SBerlel^t 
mit  bem  erften  SKinifter  ßl^cifeul,  ber  il^n  ))erfönli(iö  fd)ä^cn 
lernte  unb  lieb  gewann.  5lecfer'§  einjige  biplomatifd^e  ©d^toierig« 
feit  in  biefen  Slnfängen  feinet  2Birfen§  beftanb  barin,  ben  @ifcr 
feiner  Siegierung  für  ba§  SBol^l  ber  fleinen  Siepublif  ju  mäßigen 
unb  il^r  begreiflid^  ju  mad^en,  ba^  bie  Slngelegenl^eiten  üon 
@enf  nur  einen  üerpltnifemäfeig  geringen  Slnfprud^  auf  bie  Qext 
unb  Slufmerffamfeit  be§  franjöjtfd^en  SJJinifterö  erl^eben  fonnten  *). 
Sin  ©elegenl^eiten,  ftd^  feiner  Sßaterftabt  nü^lid)  gu  ertoeifcti, 
fel^lte  eS  übrigen^  niä)t,  unb  fpäter  ba(i)te  5ßecfer  gern  an  bicfc 
erfte  ©tettung  alö  an  biejenige  gurüdf,  bereu  ©rfolge  il^m  bie. 
ungetrübtefte  ©enugtl^uung  öerfdjafft  ptten^). 


^)  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  84. 
^)  Baron  Auguste  de  Stael,  Notice  sur  Necker,  I,  XII  bet  Oeuvres 
completes. 


fUeder'S  ©inhltt  in  bcn  SBetiüaltungStatl^  bet  oftinbiMen  Som|)aönic.       79 

©iefcr  (ärncnnung  folgte  halb  9tecfef  §  ©ntritt  in  ben  3Scr= 
tt)altungöratl^  bcr  etn[t  üon  Golbert  gegrünbctcn  oftinbifci^cn 
(Sompagnie,  unb  gttjar  gerabe  um  bie  Seit,  ba  bte  3legierung 
bie  ©jciftenj  ber  ©efettfd^aft  bebrol^te  unb,  bieSmal  im  5ftamen 
be§  g^reil^anbetö,  bie  Privilegien  berfelBen  burrf)  Slbbe  SKoreHet 
angreifen  liefe.  5Recfer  üeröffentlid^te  gu  ®unften  ber  Slftionäre 
eine  befonbere  Sßertl^eibigungöfctirift;  fte  rettete  bie  ©efeHfd^aft 
nic^t,  bie  1770  burd^  löniglid^eS  3)efret  aufgelöft  tt)urbe,  naä)^ 
bem  fte  fd^on  feit  1754,  burd^  bie  Si^riWberufung  üon  ^upkijc 
unb  nodtj  mel^r  feit  ber  1766  troKjogenen  .^inrid^tung  be§  un= 
glücflid)en  ©rafen  gall^*2:ollenbal  il^rer  SWad^t^Sebingungen  be= 
raubt  toax.  3)ie  ^olemif  gegen  SOfioreHet  bradC)te  i^n  gum  erften 
ySlal  in  SBiberfprud)  gu  ber  ©oftrin  ber  Delonomiften  unb  be* 
grünbete  feinen  JRuf  al§  @dC)rtftftetter;  ein  33rief  t)on  SKabame 
5Reder  fpric^t  t)om  ©inbrud  be§  SKemoire,  ba§  felbft  auf  ben 
Soilettetifd^en  ber  ©amen  ju  finben  toax:  „^\)x  befdC)eibener 
SSerfaffer  l^abe  e§  nid^t  mel^r  gewagt,  über  bie  Strafe  ju  gelten, 
fo  fel^r  fei  bie  3lufmerlfamfeit  il^m  jugewenbet  gett)efen;  ein 
fd)meid^el^afterer  ©rfolg  laffe  fid^  nic^t  beulen"  ^).  ®ie  Äritif 
bemerfte  fdC)on  bei  Slnlafe  biefer  (ärftlingSarbeit,  bafe  ba§  barin 
gegeidC)nete  33ilb  be§  muftergültigen  ^anbel^l^errn  auf  Jliemanben 
beffer  aU  auf  5Reder  felbft  pafete^). 

3ugleid^  aber  öerfud^te  SRabame  nieder  in  i^olge  etneö 
jener  3Biberfprüd)e,  an  weldjen  ba§  menfd^lid^e  ^erj  unerfd^öpf* 
lic^  ift,  9leder  auf  ber  @dC)tt)ette  be§  öffentlid^en  ßebenö,  wie 
t)on  böfer  Sll^nung  gewarnt,  im  5ßamen  be§  puSlid^en  ©lüdeö 
gurücfgul^alten.  ©'^auffonüille  tl^eilt  ben  ©rief  mit,  in  weld^em 
fte  in  il)rer  paffionirten  3Beife  il^m  ben  SSorfdjlag  madbt:  „6^ 
will  mir  fd)einen,  mein  lieber  g^reunb,  aU  ptte  id^  ©id^  nie- 
mals fo  fel^^  geliebt  al§  je^t;  ba^  ©efül^l,  weld^eS  mid^  an 
®id^    fettet,   burd^bringt   mein    ganjeö   2Befen;   id^    lebe  nur 


0  Golowkin,  Lettres  etc.,  363. 

*)  Grimm  et  Diderot,  Correspondance  litteraire,  Juillet  1764. 


80       BKabowte  SRcrfer  öerfud^t,  il^n  öom  öffentlid^en  2chm  aurüdfjulöalten. 

nod)  burd)  ©id),  id^  ffil^Ie  ba^  ©afein  nur  in  3)tr;  wenn  id^ 
an  mid)  benfe,  fo  gefd^iel^t  e§  ftetö  in  jtüeiter  Sieil^e,  «nb  um 
ju  mir  ju  gelangen,  ntufe  id^  guerft  bei  35tr  beginnen.  SBcnn 
id)  nid)t  bod)  bie  Unbeftänbigfeit  S)eine§  6l)arafter§  türd)tete, 
nid^t  ein  bettjegte^  geben  ©ir  notl^wenbig  glaubte,  fo  fei 
überzeugt,  ba^  id)  für  ®id)  gu  aUen  Dpfern  bereit  wäre; 
id)  jage  e§  in  öoKer  3lufrid^tigfeit ,  wenn  ein  ßngel  erfd^iene 
unb  mir  bie  SSerftc^erung  bräd)te,  ba^  3)u  in  einer  SBüfte  bie 
gleid^en  ®epnnungen  wie  im  ^erjen  t)on  5ßariö  mir  bewal^rteft, 
fo  würbe  id^  35ir  ol^ne  Älage  unb  t)iel(eid)t  fogar  mit  greuben 
baf)in  folgen.  SSRxx  wäre  e§  wiHfommen,  nur  burd^  S)td^  gu 
atl^men  unb  gu  genießen,  unb  mit  einem  üon  bem  ©einigen  fel^r 
öerfc^iebenen  @efüf)l  nel^me  id)  nur  gejwungenen  Slntl^eil  an 
allen  5Bergnügungen,  bereu  ®egenftanb  nid)t  ®u  felbft  bift. 
3)a§  ift  ber  innerfte  @runb  meiner  Seele  unb  ic^  lenne  mid^ 
gut;  änbern  werbe  id)  mid)  nid)t,  fonbem  bi§  jum  Sob  bem 
SBa^lfprud^  treu  bleiben:  ,©u  ober  nid)t§'. 

„SBage  e§  nun,  mid)  nod)  ber  SSorliebe  für  Siteratur  ju 
bef d^ulbigen !  ©a§  ift  nic^tö  anbereö,  tl^eurer  greunb,  alö  ber 
SReft  einer  ©ewo^nl^eit,  bie  id^  wegen  beö  mir  angeborenen 
2:t)ätigfeit§trieb§  unb  barum  bewal^rte,  weil  pe  mir  bie  geerc 
auffüllen  ^ilft,  bie  ©eine  Slbwefenl^eit  bei  mir  gurüdHäfet ;  aUein 
©u  wieberl)olft  ben  Sßorwurf  ju  oft,  unb  obwol^l  ©eine  ©orge 
um  mid)  aud^  ©eine  3ärtlid)Ieit  fteigert,  fo  jiel^e  id)  bennod^ 
üor  —  mit  gittem  unb  Seben  fei  eö  geftanben  — ,  mid^  weniger 
geliebt  unb  ©id^  glüdflid)er  ju  wiffen.  @o  ftetle  id^  ©ir  benn 
meine  Sebingungen :  ©obalb  ©u  auf  immer  bie  oftinbifd)c 
ßompagnie  aufgegeben  l^aben  wirft,  üerfpred^e  id^,  im  ^^aH  ©u 
e§  wünfd)eft,  nid)t  nur  ^^enelon,  fonbern  allen  meinen  fonftigen 
literarifd^en  Sefd^ftftigungen  gu  entfagen.  Sd)  !ann  nur  auö  ganjer 
Seele  wünfd)en,  e§  möge  ba§  Dpfer,  weld)eö  id)  oon  ©ir  oerlangc^ 
©ir  ebenfo  wenig  Ueberwinbung  foften  al§  mir  ba^  meinige; 
benn,  tl^eurer  greunb,  ba§  ®lüc!,  weld^eö  id)*an  ©einer  Seite 
geniefee,  ift  juweilen  burd)  Sefürd)tungen,  wenn  aud^  nur  leidet, 


9?crfer  aielöt  M  auö  ^em  SSanfgefd^üft  aurütf.  81 

fo  bod^  getrübt,  ©eine  Stimmung  ift  niä)t  fo  beftänbig  atö 
bic  meinige,  manchmal  öerfennft  ©u  S)id^  felb[t;  bic  SBelt  unb 
bie  ®cfd)äftc  jtnb  S)ir  notl^ttjenbig.  3)u  pnbeft  bei  mir  ben 
S:roft  unb  bie  ^^reube  Seinem  gebenö,  aber  iä)  genüge  S)tr  nid^t 
ganj;  öieHeid^t,  eine§  Stageö  ....  SOleine  lieber  [träubt  fxä), 
ju  öoDenben.  3ld),  fottte  idj  S)ir  jemals  weniger  tl^euer  fein, 
id^  tt)ürbe  btn  Sßerluft  ©einer  Siebe  nid)t  überleben,  benn  id^ 
füt)le,  bafe  idC)  nur  mel^r  eine  Seele  l^abe,  unb  ba^  ift  bie 
©eine;  id^  mufe  ©id^  lieben  ober  fterben.'' 

6§  erging  SKabame  $ßerfer  wie  fo  mandf)en  Slnbem;  ben 
Stein,  ben  Ite  inö  9ioHen  gebrad)t  l^atte,  üermoc^te  jte  nid^t 
mel)r  oufgul^alten.  S^re  gefammelten  @d)riften  entl^alten  nidjtS 
über  i5enelon,  aber  nieder  ergab  jtd^  ber  ^olitif. 

Äurg  nad^  Sluflöfung  ber  oftinbifd^en  ©ompagnie  brad^te  er 
ben  5ßlan,  auö  bem  Sanfgefd^äft  ju  jd^eiben,  gur  ^luöfül^rung ; 
er  trat  ju  3lnfang  be^  Sal^reS  1772  mit  einem  Saarüermögen 
öon  jteben  unb  einer  l^alben  SKiDion  Siüreö  jurüd,  ol^ne  jtd^ 
irgenb  weld^en  Slntl^eil  an  ben  ®efdC)äften  üorjubel^alten,  beren 
geitung  fein  Sruber  be  ©erman^  unb  ®irarbot  übernal^men. 
SÄit  le^terem  trat  einige  Saläre  fpäter  ber  ©ol^n  be§  großen 
^i^ilftologen,  Sllbert  oon  ^aller,  an  bie  ©pi^e  be^  Sanll^aufeö, 
weld^eö  unter  bem  ßonöent  unb  bem  ©ireftorium  ftd^  in 
fiil^ne  Unternel^mungen  einliefe  unb  unter  SSonapartc  bie  33er* 
proüiantirung  ber  italienifc^en  3lrmee  ant»ertraut  erl^ielt^). 

Sfieder  pPegte  oft  gu  fagen,  wie  leidet  eö  aud^  il^m  gcwefen 
wäre,  bei  feiner  genauen  Äenntnife  be§  europäifd^en  @elbmarfte§ 
fein  aSermögen  nod)  fortwäl^renb  ju  üermel^ren,  aber  er  jog  e§ 
öor,  mit  nun  ooHenbeten  üiergig  Salären  feinen  eigenen  5fteigun* 
gen  ju  leben,  ©eine  Uneigennü^igfeit  unb  ©leid^gültigfeit  in 
biefer  a3egiel)ung  waren  fo  aufridC)tig,  bafe  feine  ^an  bejeugt, 
fte  l^abe  oon  jenem  Slugenblid  an  bie  ganje  aSerwaltung  be§ 


0  Revue  Suisse,    1856,  658  u.  ff.   unb   „S)ie  Seitgenoff en«,  So^tgänge 
1816—1817  u.  1818—1819.  SBb.  I  u.  IV. 

»lennerl&aftett,  5rau  »on  ©taei.  I.  G 


82  ®cine  ©enfrcbe  auf  Norbert. 

großen,  SKiHioncn  bctragcnben  58ermögen§  in  bie  ^anb  nel^mcn, 
faufcn,  ücrfaufen,  pad)ten,  bauen,  abminiftriren  muffen,  ol^nc 
ba§  jte  i^n  anä)  nur  baju  bringen  lonnte,  biefe  ©efd^äfte  mit 
il)r  ju  befpred^en.  „®o,"  fügt  jte  t)inju,  „fei  e§  fd^Iiepd^  ju 
bem  fomifd^en  Slefultat  gefommen,  ba^  bie  Untergebenen,  getööl^ttt 
SlHeS  mit  ber  ^auöfrau  aKein  gu  orbnen,  ba§  üoKftänbige 
^eml^alten  $ßeder'§  feiner  Unfenntnife  in  finanjieHen  ©ingen  ju^ 
f daneben"  ^).  ®iefe  ®eringfd)ä^ung  be§  ®eIbeS  ift  ein  großartiger 
3ng  bei  9lecfer,  ber  manche  @d^tt)M)en  aufwiegt. 

®ie  näd^fte  5rud)t  ber  ^Jiufee,  bie  er  fid)  üerfd^afft  l^atte, 
tt)ar  ber  (äffa^  auf  ©olbert,  ein  »Eloge«  nad)  l^ergebrad^ter 
©itte,  burd^  meldten  S^eder  um  btn  l^ierfür  üon  ber  Sifabemic 
aufgefegten  5ßrei§  fonlurrirtc,  im  er  aud^  erl^ielt.  ®iefe  Slrbeit 
gewann  baburd^  an  Sebeutung,  ba^  jte  eigentlid^  ba^  war,  waS 
nad^  unferer  l^eutigen  parlamentarifd^-politifd^en  ^l^rafeologic 
eine  SWinifterrebe  genannt  wirb,  nur  ba^  pe,  ftatt  an  eine 
Äammer,  an  ba^  ^ublifum  ftd)  rid^tete;  jte  befd^äftigte  jtd^ 
nid)t  nur  mit  ßolbert'ö  3Birfen  unb  SJerbienften,  pe  gab  guglcid^ 
eine  ©d^ilberung  ber  Sl^ätigfeit  unb  ©igenfd^aften  eineö  ^nang« 
minifterö  unb  fteUt  fo  an  ben  Slnfang  einer  politifd^en  Sauf* 
bal^n  ba§  Sbeal  ftaatSmännifd^en  SBirfenS,  mit  bem  Saüe^^ranb 
bie  feinige  abfd^lofe,  al§  er  furj  t)or  feinem  Sobe  für  biefelbe 
aiabemie  ba§  gob  eine§  ßoDegen  jum  ^rotot^p  feiner  3luf* 
faffung  eines  TOinifterö  ber  auswärtigen  Slngelegenl^eiten  um=^ 
geftaltcte^).  Slud^  auf  ben  fd^on  berül^rten  ®egenfa^  ju  bm 
Defonomiften  fam  nieder  jurüd,  inbem  er  ben  ^auptfel^lcr  beä 
S^ftemS  t)on  OucSna^  unb  ber  ))l)^jtofratifd)en  ©d^ule,  il^re 
tl^eilweife  Sßemad^läfftgung  üon  §anbel  unb  Snbuftrie  im  (Segen» 
fa^  gur  ßanbwirtl^fd^aft,  als  einjiger  OueHe  beS  2Bot)lftanbS^ 
]^erüorl)ob  unb  in  ber  großen  g^rage  bcS  SiagS,  ber  ^reigebung 


')  Madame  Necker,  Melanges,  II,  372. 

*)  Talleyrand,  Eloge  de  Reinhardt,  prononce  ä  rAcademie  fran^aise. 
1838. 


Stnötiff  sRedet'8  gegen  bie  Defonomiften.  83 

bc§  ®ctrctbcl)anbcl§,  Serüdfjtd^tigung  wn  3cit  iittb  Umftänben 
im  ®egenfa^  gut  rüdjtdötölofen  ©urd^fül^rung  etne§  abfoluten 
@i)ftcm§  cntpfal^L  ®tc  ^crauöforberung  blieb  nid^t  unemibert, 
€ö  begann  eine  literarifd^e  %t^bt,  an  ber  jtd^  bie  l^eröor* 
tagenbften  Defonontiften  gegen  5ftecfer  betl^eiligten.  ®ie  üon 
©aliani  üerfpotteten  beiben  öfonomiftifd^en  8lbbe§  Seaubau  unb 
aftoubaub,  tt)ie  anä)  ©onborcet  unb  ©onbiHac  traten  gegen  il^n 
in  bie  ©d^ranfen  unb  ba§  um  fo  l^eftiger,  alö  il^re  ©oftrinen 
gerabe  burd^  eine  Slieberlage  gegangen  waren.  S)aö  aRinifterium 
©l^oifeul  l^atte  feit  1763  bcn  Äoml^anbel  im  Snnern  be§  3fleicl)§, 
ein  3al^r  fpäter  aud^  nadC)  Slufeen  freigegeben;  mel^rcre  9Hife= 
jai^re  unb  öerfd^iebene  anbere  ßalamitäten  bewogen  iebod)  ba^ 
^arifer  Parlament,  mit  (äinwiHigung  üon  ßl^oifeul  unb  beö 
neuen  i5inanjminifter§  Jterra^  verrufenen  8lnbenfen§,  1769  unb 
1770  bie  alten  aSefd^ränlungen  unb  enblid^  ba^  3Ronopol  felbft 
lieber  einjufül^ren  unb  bie  furj  voriger  nod^  fo  laut  geprie[ene 
^cil^eit  beö  Äoml^anbelö  in  ebenfo  übertriebener  2Beife  für 
alle§  l^crrfdC)enbe  6lenb  üerantwortlid)  ju  mad^en.  35ie  Oefo« 
nomiften  meierten  fid)  energifd),  aber  wie  fd^on  bemerlt,  fd^rieben 
fte  fd^led^t  unb  plaibirten  für  bie  ®ad)t  ber  Sßemunft  unb  (ärf al^rung 
in  fo  fd^werfäDigen  ©d^riften,  ba^  unter  Slnbern  Stouffeau  ftd^ 
nid^t  entl^alten  tonnte,  feinem  i^reunb  unb  ©önncr,  bem  alten 
DKarquiö  öon  9Jiirabeau,  ju  fd^reiben:  „Sieben  @ie  mid^  ftetö, 
aber  fd^iden  @ie  mir  feine  Sudler  mel^r" ;  er  tjerpdjerte,  nid^t^ 
baöon  gu  üerftel^en.  2Rirabeau  felbft  meinte  feinerfeitö  öon 
5turgot,  er  l^abe  »le  coeur  droit  et  Vesprit  gauche«  unb  fei 
<in  tugenbl^after  Träumer.  ®a  fiel  plö^lid^  in  biefe  bürrc 
^olemif  wie  eine  S3ombe  bie  ©d^rift  üon  Slbbe  ©aliani  »Dia- 
logues  sur  le  commerce  des  bl^s«.  ^l)x  3Serfaffer  l^atte  in 
tjolge  einiger  SBi^e,  bie  ßl^oifeul  auf  jtd^  gu  begiel^en  äße  Ur* 
ja^e  l^atte,  ^ari§  mit  9leapel  üertaufd^en  muffen,  fein  3Sta^ 
tiuffript  aber  war  in  ben  Rauben  öon  SDiberot  geblieben,  üon 
\oo  e§  in  bie  ©rucferei  wanberte.  „@§  ift  nid)t  fo  fei^r  ein 
33ud)  über  ben  Äornl^anbel  alö  ein  SBerl  über  bie  3fiegierungS* 


84  @^aliani'd  „Dialogues  sur  le  commerce  des  bles^. 

fünft/'  meinte  ©aliani,  „man  mufe  jtt)ifd)en  ben  S^xUn  baxin 
ju  lejcn  öcrftel^en".  S)a§felbe  läfet  [\ä)  wn  jo  jiemlid^  aUcn 
bebeutenbcn  a3üä)em  ber  jttjetten  ^älfte  be§  a(i)tje]^ntcn  Sal^r* 
l^nnbertö  fagen.  @(l)on  feit  ben,  1721  erfd^ienenen  »Lettres 
persannes«  barg  pd^  alle  möglid^e  ßontrebanbe  unter  anfd^einenb 
t)armlofen  Sitein  mit  ber  obligat  geworbenen  Staffage  üon 
(St(inefcn,  Werfern,  |)uronen  unb  Sanbleuten  auö  ©d^weigcr 
Sb^Ken. 

Sind)  ®aliani  lonnte  faum  ben  SSornjanb  erwarten,  um  in 
ben  „langweiligen,  gel^eimni^oollen,  f^ftematifd)en  unb  bogma- 
tifd^en  Son''  ber  $]^i)jtoiEraten  im  SlHgemeinen  unb  feines 
^reunbeö  SKoreHet  inSbefonbere  einige  Slbwed^felung  ju  bringen. 
6r  trieb  bie  @ac^e  l^alb  im  ©rnfte,  l^alb  im  ©pafe,  würbe  be§« 
l^alb  t)om  überjeugungötreuen  Surgot  eineö  frioolen  ©lepticiö« 
mu§  befd^ulbigt,  bered^nete  jebod^  bie  Situation  gang  rid^tig^ 
inbem  er  öorauöfal^f  ^^^  ^^^  fd)weigfamen,  fc^werfäDigen  Slccter^ 
ber  nur  mit  S'ff^^  ^^^  ®aten  fid^  ju  öertl^eibigen  wu^te,  bie 
leid)ten  SBaffen  ber  ©attjre  unb  ber  fd)onung§lofe  Singriff  bc§ 
@egner§  gu  |)ülfe  eilen  mußten  i). 

„@inb  (Sie  (äjrportift,  ja  ober  nein",  fragt  ber  5IRarqmS 
ber  „©ialoge"  gleid^  bei  SSeginn  berfelben  bm  ©öeöalicr 
3anobi,  unter  bef[en  SIBaöIe  ©aliani  fprid)t:  „Sd^  bin  baffir,. 
ba§  nid^t  beraifonnirt  werbe",  unb  biefer  antwortet:  „®er  &f^ 
port  ber  gefunben  SSernunft  ift  ber  einjige,  ber  mid^  ärgert". 
»On  n'a  Jamals  lete  si  plaisant  ä  propos.de  famine«  fd^riefr 
SBoltaire  an  3Rabame  9?eder,  bie  il^m  ba§  Sud)  ®aliani'§  ge»^ 
fd^idt  l^atte;  feine  ©orrefponbenj  mit  3Kabame  b'ßpinai)  ent*^ 
l^ält  beinal^e  Sag  für  Sag  bie  gange  ©efd^id^te  be§  Sud^ö, 
beffen  ßrfolg  ein  glängenber  war:  „^anurge,"  fc^rieb  i^r  einmal 
ber  Slbbe,  öon  5IJlorellet  f))red)enb,  ben  er  fo  getauft  l^atte, 
„^anurge  l^at  gel^n  Saläre  lang  mit  un§  gefpeift,  unb,  eö  fet 


^)  Perey  et  Maugras,  Correspondance  de  PAbbe  Ferdinand  Galianu 
Oaliani,  ses  amis  et  son  temps,  XXXI. 


0?edet'S  Sud&  üBer  ,,®cfe^QcBunQ  unb  $anbel  mit  betreibe".  85 

bcnn,  ba§  fein  Äopf  in  S93aä)§tu(i^  ftecftc,  in  bicfcn  gel^n  Salären 
muffen  bo6)  einige  ^tropfen  5!Ruttertt)i|  unb  5ß]^iIofop]^ie  burd)* 
geftcfert  fein". 

aSergebenS  l^atte  5!Rorellet  eine  ©egenfd^rift  in  SSereitf d^af t ; 
^bbe  SEerra^  Derbot  il^m,  jte  erfd)einen  ju  laffen,  unb  ßl^oifeul 
war  gefaKen,  wie  in  ben  legten  Salären  ber  ^Regierung  gub= 
U)ig'§  XV.  bie  SKinifter  ju  fallen  pflegten,  burd^  eine  ^ntrigue 
ber  Sßabame  bn  Sarr^.  2)a  trat  abermals  SRecfer  mit  bem 
Sudö  ö6^^  „®efe^gebung  unb  §anbel  mit  betreibe"  in  bie 
©d^ranfen,  tt)eld)e§  fid^  bcfonberö  baburc^  öon  feiner  ©d^rift 
über  ©olbert  unterfdC)ieb,  ba^  eg  nid)t  mel^r,  wie  biefe,  Dppo= 
fttion  gegen  bie  Dppoption,  b.  1^.  gegen  bie  unter  Serra^  in 
Ungnabe  gefaKenen,  fonbern  gegen  bie  je^t  in  ber  ^erfon 
üon  SEurgot  an§  Siuber  gelangten  Defonomiften  mad^te.  9(m 
10. 9Wai  1774  war  bie  Seiche  be§  alten  ÄßnigS  unter  im  Sn= 
fulten  bc§  5ßöbel§  unb  ol^ne  iebe§  ©epränge  nad^  ber  ©ruft  t)on 
@t.  ©eniS  gebrad)t  worben  ^),  unb  bie  ^Regierung  be§  noc^  nid^t 
gwanjig  Saläre  alten  Subwig'ö  XVI.  l)atte  begonnen. 

©oöiel  bereits  über  ba^  adjtjel^nte  Säl^rl^unbert  gefagt 
worben  ift,  wäre  immer  nod^  SRaum  für  ein  SBerf,  weld^eS  ba§ 
©ünbenbefenntnife  ber  abfoluten  9Konard^ien  auS  i^ren  eigenen 
ateformbeftrebungen  barjuftellen  unternäl^me.  S^x  ©urd)fül^rung 
berfelben  wanbten  pd)  bie  SÄonard^en  t)on  l^alb  ©uropa  je^t  an 
bie  frangöjtfd^e  5ß^ilof opl^ie ;  al§  ber  erfte  unter  biefen  3nter= 
nationalen  ging  SSoltaire  nad^  ^otsbam;  6onbittac  unb  SKabli) 
crgogen  wäl^renb  gel^n  ^Qi)xm  ben  ^^f^nten  üon  Sßarma,  t)er= 
faxten  für  il^n  einen  ©tubienplan  in  fed^jel^n  SSänben,  unb 
Wählt)  üerfagte  eS  ftd^  nid^t,  ben  fleinen  italienifd^en  ^rften 
wieberl)olt  baüor  gu  warnen  ,,ein  gröberer  wie  6t)ru§  ober 
8lle;ranber  gu  werben''.  3ln  biefem  pl^ilofopl^if d^en  ©rgiel^ungS* 
ejrperiment  ging   ber  Snfant  moralifd^  gu  ©runbe^);  eS   oer= 


^)  aj^crfioürbige  S)etaUS  barüber  Bei  Barbier,  Journal.    Sal^tg.  1774 

^  Geffroy  et  Arneth,   Marie  Antoinette.     Correspondance    secrete 

entre  Marie  Therese  et  le  Comte  de  Mercy-Argenteau.  I,  Introduction,  XXI. 


88  ^urgot'ö  ?JIäne.  —  (Seine  SCbneigung  gegen  bie  Parlamente. 

©icfcr  lange  Äam))f  gegen  Untt)iffenl^eit  unb  Srmutl^  auf 
ber  einen  ©eite,  auf  ber  anbem  gegen  eingerojlcte  Sfiouttne, 
§abfud)t,  ©tanbeööorurtl^eile  unb  für  unantaPar  geltenbc  ^= 
üüegien  bauerte  breijel^n  Saläre  lang  unb  ffil^rtc  gu  bcm  Der* 
l^ältnifemä^ig  gering  erfc^einenben  JRefuItat  jener  gered^teren 
aSertJÖ^Iung  ber  Steuern  unb  Saften  atter  Sfiid^tprioilegirtcn,  über 
weld^e,  fo  xoit  bie  S)tnge  einmal  lagen,  aud^  bie  »ol^Igemcinteften 
Slnftrengungen  ))ptc^ttreuer  unb  fluger  abminiftratoren  nid^t 
l^inauS  nxä)tm,  wenn  pe  ber  unbanfbaren  2lufgabe  fid^  unter* 
gogen,  bie  @ad)e  ber  fleinen  Seute  gu  ber  übrigen  gu  mad^. 
Sl^eoretifdö  aber  lam  Sturgot  babei  mit  beinal)e  allen  ^oblemen 
in  Seritl^rung,  bie  gu  löfen  bie  ßonftituante,  „feine  Slad^« 
folgerin",  wie  man  fte  genannt  l^at,  unternal^m  *). 

©er  Sntenbant  t)on  ßimogeS  wollte  fd^on  bamatö  @tnffi^= 
rung  einer  bireften  ©teuer,  3lblöfung  ber  geubalrec^te,  teligiöfe 
Solerang,  eine  ßonftitution  auf  ®runb  ftufenweife  einguful^rcnbcr 
©elbftüerwaltung  ber  ©emeinben,  Greife  unb  ^roüingen,  burd^ 
eine,  ben  beft^enben  Älaffen  entnommene  Sßeriretung,  ol^ne  Unter* 
fd^eibung  ber  ©tänbe^);  bie  gefe^gebenbe  ©ewalt  concentrirtc 
er  in  ben  ^änben  be§  Äönigö.  ®er  9Kann,  htm  fonfi  l^cftigc 
Ungebulb  unb  Ueberftürgung  in  ber  2lu§ful)rung  feiner  $ldnc 
Dorgeworfen  morben  ift,  wollte  ba^  Soll  langfam  unb  f^flc- 
matifd)  gur  ©elbftöerwaltung  l^eranbilben;  bei  bem  ®rab  ber 
Vorbereitung  wenigftenö,  weld)en  bie  SBilbung  jener  Sage  gc* 
wäl^rte,  erfd)ienen  il^m  „gal^lreid^e  SBerfammlungen  als  bie  ^eft 
ber  aSemunft"^). 

S)ie  aSeftimmung,  bafe  ein  perfönlid^eö,  ober  burd)  SSer* 
einigung  ber  notl^weubigen  Slngal^l  Heiner  aSeft^er  ergielte^  reine« 
einlommen  t)on  600  giöreS  je  eine  SBa^lftimme  öerliel),  biefc« 
©infommen  aber  ber  (ärtrag  be§  Sobcn^  fein  mufete,  war  nid^t 


0  Mastier,  Turgot,  148.     Foncin,  Ministere  de  Turgot,  551. 
^  Jobez,  La  France  sous  Louis  XVL    Droz,  Histoire  de  Louis  XVI, 
I,  146. 

^)  Turgot,  Oeuvres  completes,  534. 


Sutöot'S  aUcfomten.  89 

nur  ein  Slu^Pufe  bcr  p]^^ftofrattfd)en  gel)ren,  für  bic  felbft  ein 
^au§  nur  infofern  Scft^  im  ctgcntlid)cn  Sinne  war,  ate  ber 
SBertl^  be§  öon  bcmfelben  bebedften  ©runbeö  babei  in  f3ttxaä)t 
tarn;  biefe  Seftimmung  entfprad)  aud)  ber  perfönlid^en,  no^ 
1777  i)on  ßonborcet  get^eilten  Slnftd^t,  ba§  ber  tiöd^fte  SSort^eil 
ber  monard)ifd^en  Drbnung  in  ber  ®urd)fü]^rung  eine§  fonfe^ 
quenten  @^[tem§  ol^ne  bie  Slotl^ttjenbigfeit  beftcl^e,  einen  Sl^cil 
beSfelben  beftänbig  jur  Gewinnung  öon  SSJäl^lern  ju  opfern^). 

Surgot  war  47  gal^re  alt  unb  fd)on  in  feiner  äußern  (är* 
fd^einung,  mit  BÜQen,  bie  an  bie  ebelften  ©d^öpfungen  ber  3ln= 
tife  erinnerten,  eine  ^ßerfönlid^feit,  bie,  nad^bem  man  i^r  einmal 
begegnet,  nid)t  leid)t  wieber  ju  öergeffen  war,  al§  Slbbe  be 
aSerr^,  fein  i^reunb  unb  Sßerel^rer,  i^n  ber  §erjogin  b'@nüille, 
biefe  il^rer  greunbin,  TOabame  be  3Ramtpa^,  unb  SRabame 
be  ^Ulaurepaö  i^rem  SKann  empfal^l^).  @o  würbe  Surgot  juerft 
SUlarineminifter  unb  am  24.,  26.  Sluguft  1774  gontröleur-g^neral, 
b.  t).  i5inang=  unb  ©taatSminifter  für  bie  meiften  inneren  5ln* 
gelegenl)eiten.  „SBenn  ba^  ®ute  je^t  nid)t  gefd)ie]^t,''  fd)rteb 
b'SlIembert  an  g-riebrid),  „fo  mu§  man  barauö  fd)Ue§en,  bafe 
ba^  ®ute  unmöglid^  ift."  „®iefer  9Jiann,"  fd^reibt  einer  feiner 
Siograpl^en,  „erl^ob  ben  6f)rgeij  unter  bic  Siugenben."  ©eine 
©mennung  galt  alö  eine  ßonceffion  an  bie  ^l^ilofopl^ie,  weil  er 
mit  einigen  il^rer  Sbeen  ftd^  begegnete,  in  religiöfen  ©ingen  bie 
Soleranj,  in  wirtl^fd)aftlid)en  unb  abminiftratiöcn  i^ragen  ben 
Sieg  ber  l^umanitären  ^rincipien,  in  ber  ©rjiel^ung  bie  all- 
gemeine Verbreitung  ber  SSilbung  erftrebte. 

©agegen  ftanb  feine  ))olitifd)e  2)octrin,  bie  nid)tö  anbere^ 
al§  SReform  beS  Seftel^enben  wollte  unb,  ftatt  jtd)  in  geföi^rlid^c 
Utopien  gu  oerlieren,  mit  ben  gegebenen  SScrl^ältniffen  red^nete, 
im  auSgefprod^enften  ©egenfa^  gu  ber  reoolutionären  JDoctrin; 
felbft   bie   fd^limmften  ^Äifebräuc^c  wollte  er   nid^t  abgefd)afft 


1)  Condorcet,  Vie  de  Turgot,  145—146. 

^  Montyon,  Particularites  sur  les  Ministres  des  Finances  de  France, 
174.     Foncin,  Ministere  de  Turgot,  41. 


90  Siurgot'ö  ^Reformen. 

wiffen,  o^nc  ©icienigen,  bie  9lu^cn  barauS  joßcn,  bei  äufl^ebung 
berfclbcn  cntjprcc^enb  ju  cntfd^äbigcn  ^). 

31I§  man  Subwig  XVI.  baburd^  gegen  il^n  einjunei^men 
fud^te,  bafe  mau  il^n  alö  ßnc^Mopäbiften  bezeichnete,  entgegnete 
ber  Äönig  jur  greube  tjon  aSoItaire:  „&x  i[t  ein  el^rlidjer  9Äann, 
unb  ba^  ift  mir  genug".  »oUftänbig  Aar  mit  jtd)  felbft  über  bie 
Siele  [einer  Slbminiftration,  mar  Surgot  e§  nid^t  weniger  über 
bie  SKittel,  fte  ju  erreid^en;  mie  fein  Seigrer  Queöna^  unb  mel^r 
ober  meniger  alle  Defonomiften,  öermarf  er,  vorläufig  menigftenS, 
ia^  complicirte  ^iäbermer!  be§  conftitutioneHen  @i)[temö  unb 
ber  Sl^eilung  ber  ©emalten,  um  jur  ©urd^fül^rung  feiner  Päne 
an  bie  unum[d^ränfte  föniglid^e  SKad^t  ju  appeHiren.  Sn  bem 
grofeen  Äantpf  gegen  bie  priüilegirten  ©täube,  alfo  ben  ßleruS, 
infofern  er  ju  biefen  gel^örte,  bm  Slbel,  bie  ginancierö  unb  aUe 
mit  il^nen  gufammenl^ängenben  Sunctionäre,  bie  Sntenbanten 
unb  bie  oon  Surgot  gang  befonberö  oerad^teten  Parlamente 
red^nete  er  auf  ben  Äönig  aHein;  bie  SBorte:  „®cbt  mir  fünf 
Saläre  eines  ooUftänbigen  JDefpotiömuö,  unb  granfreid^  ift  ge» 
rettet",  werben  i^m  in  ben  SRunb  gelegt.  Uebereinftimmenb 
bamit  lautet  ber  ©d^lu^fa^  feiner  erftcn  ©enffd^rift  an  änb- 
mig  XVL:  „gc^  gä^le  auf  ©ure  SRajeftät  ))erfönlid^,  auf  ben 
e^rlid^en,  guten,  geredeten  5!Renfd)en,  mel^r  nodf)  aU  auf  ben 
Äönig".  6in  aufgeflärter  ©efpot  unb  ein  beffer  erjogeneS,  über 
feine  magren  3ntereffen  aufgeflärteö  SSolf,  »un  peuple  neufc, 
„baö  erfte  ber  35öl!er",  mie  er  eö  im  ©ntmurf  für  ba^  Unter- 
rid)t§mefen,  ber  fd^on  bie  mic^tigften  SBeftimmungen  oon  SRapo* 
leon'ö  fpäterem  DrganifationSplan  enthält,  bem  Äönig  gu  fd^affen 
oerfprad^,  bie[eS  Sbeal  f darnebte  Surgot  oor;  gleid^oiel  für 
feine  Sptigfeit  alö  SWinifter,  ob  er  barin  ba^  le^te  SBort  feiner 
(StaatSlunft  überl^aupt,  ober  nidjt  üielmel^r,  mie  aRand^eS  in 
feinen  ©d^riften  unb  fo  SSieleö  in  feinem  ganjen  SBefen  anju^ 
beuten  fd^eint,  nur  ein  Uebergangöftabium  ju  Sßerl^ältniffen  fal^, 

0  Foncin,  Ministere  de  Turgot,  548 — 549. 


Surgot'S  ^Reformen.  91 

unter  bcnen  anbcre  6tnrid)tungcn  tnöglid^  unb  wünfd^enSwertl^ 
fein  würben.   Surgot  unb  bie  Defonomiften  mit  il^m  ftanben  barin 
md)t  aßein,  fanbem  jte  vertraten  eine  3fiid)tung,  bie,  nad^bem 
jte  einen  Stl^eil  beö  ad^tjel^nten  Sa^rl^unbertö  fo  gut  wie  au§* 
fd)He§lici^   bel^errfd)t   l)atte,   im   geitgenöfjtfcf)en  tJrantreid^  nod) 
immer  öiele  Sln^nger  gäl^lte.    SBenn  Surgot   bem  ©ouoerän 
mieberl^olt,  „fo  lange  er  an  ber  ®ered)tigleit  feftl^alte,  fönne  er 
jtd)   alö  unumfdjränften  ©efe^geber  betrad^ten   unb   auf  feine 
treue  Station  gur  Slu^fül^rung  feiner  Sefe^le  redinen"^);  wenn 
er  in  ben  ©riefen  über  bie  Solerang  bemerft,  „bie  S^rannei 
eine§   ©injigen  öermöge   ein  3SoIf  ju  unterbrücfen,  aber  nid)t 
weniger  unb  auf  nid^t  minber  ungered)te  SBeife  tonne  baö  aud) 
burc^  bie  ^errfd)aft  ber  SKaffen  gefd^el^en'' 2),  fo  lonnte  er  jtd^ 
babei  auf  einen  oft  citirten  SSerö  ber  „.^enriabe"  berufen,  in  ber, 
bei  2lnla§  ber  3SerfammIung  ber  ©tänbe  gu  Sloiö,  gefagt  ift: 
»De  mille  deputes  Teloquence  sterile, 
Y  fit  de  Cent  abus  un  detail  inutlle, 
Gar  de  tant  de  conseils  Teflfet  le  plus  commun 
Est  de  voir  tous  nos  maux,  sans  en  soulager  un.« 
2öie  benn  SJoltaire  überl^aupt  eine  3flet)olution,  nid)t  wie 
gur  Qtxt  t)on  ßut^er  unb  6alt)in,  fonbern  in  ben  Äöpfen  ber 
SRegierenben  öoHjogen  wiffen  wollte''^).    6in  Sieblingöcitat  ber 
»Correspondance  litteraire«  ift  ber  5Berö  öon  $ope: 
»For  forms  of  government  let  fools  contest 
Whate'er  is  best  administered  is  best.« 
®ie  bemolratifd^e  ©epnnung  beö  ööflig  reöolutionirten,  ver= 
fönlid^  gegen  bie  ©efeHfd^aft  empörten  6{)amfort  l^inberte  i^n 
um  fo  weniger,  geringfd^ä^enb  ju  fagen:  „®aö  publicum!  ba§ 

^)  Turgot,  Oeuvres  completes,  Edition  Daire,  II,  549:  Memoire  sur 
les  MuDlcipalit^s. 

2)  Turgot,  Oeuvres  completes,  Edition  Daire,  II,  681. 

^)  A.  Sorel,  L'Europe  et  le  Revolution  fran^ise.  Les  moeurs  poli- 
tiques  et  les  traditions,  I,  101.  Voltaire  ä  d'Argenson,  1769  unb  SBoUairc'S 
SJrtilcI:  Lois  civiles  et  ecclesiastiques  abgcbrudft  im  Dictionnaire  philosophique 
unb  »icbcrgebrudCt  ciU  Cahiers  de  Voltaire  aux  Etats  g^neraux. 


92  ©c^loicrigfeU^n,  bie  fic^  il^m  cntgcgcnftetten. 

publicum !  wie  öiele  2)ummlövfe  gcl^ören  bagu,  um  ein  publicum 
gu  maci^en!'';  unb  ®rimm  fd^rieb  1774,  mit  Sejug  auf  SRaqnal: 
,,Um  tt)a§  l^anbelt  e§  jtd^  benn  eigentlid^?  bod)  barum,  ba§ 
man  glücflid^  fei;  bie  SBenetianer  ftnb  glürflid),  alfo  fft  aud^ 
il^re  3fiegierung  gut  genug  für  jte"  ^).  ©erfelbe  ®rimm  jögcrtc 
aber  aud^  nid^t,  ate  ^xoed  öon  Äatl^arina'§  ganjer  ©taatö- 
funft  gu  begeid)nen,  „bie  ©runblagen  be§  ©eöpotiSmuö  gu 
untergraben  unb  il^ren  3SöIfern  mit  ber  S^it  i^ci^  ©effil^I  bcr 
^rei^eit  gu  geben",  worauf  er  nid)t  aufteilt,  il^r  SRegicrungS- 
fqftem  mit  bem  öon  Siedfer  gu  öergleidien^).  5)Zoc^  weiter  ging 
Singuet,  Slbbocat  unb  ^ublicift,  ein  t)erneinenber  unb  ejrtremer, 
aber  bod)  gumeilen  fd)arfer,  l^eHer  Äopf;  er  grünbete  1774  bie 
ßeitfd^rift,  in  weldjer  er  ^Religion  unb  §ßl^ilofop^ie,  Siegterung 
unb  ^Parlamente,  Sftouffeau  unb  ^Montesquieu,  baö  fjür  unb 
SBiber,  mit  gerfe^enber  Äritif  angriff  unb  in  feiner  „SEI^corlc 
ber  bürgerlid^en  ©efe^e'^  nid)t  nur  ben  orientalifd)en  ©eSpotig^ 
mu§,  fonbern  ßeibeigenfd)aft  unb  felbft  @flat)erei  als  ber  @e* 
fellfd)aft  unentbel^rlid^  unb  malfre  ®leid)^eit  nur  als  unter  einem 
S^rannen  möglid)  er!(ärte. 

3n  engem  3ufammenl^ang  mit  feiner  Sluffaffung  beffen, 
was  ^rantreid^  9lotl)  t^at,  ftanb  bei  Surgot  bie  geringe  9Wci* 
nung,  ja  bie  S?erad)tung,  weld^e  ber  ©eift  unb  baS  treiben  bcr 
breigel)n,  in  ber  9Jionard)ie  tagenben  Parlamente  il^m  einPfeten; 
burd)  ben  leibenfd)aftlid^en  Slntl^eil,  weld)en  fte  an  ben  religiöfen 
©treitigfeiten  genommen  l^atten,  inbem  fte  im  großen  S^MP^K 
ber  SReinungen  bie  janfeniftifdjen  Seigren  gegen  bie  moliniftifd^cn 
St^eorien  oertraten,  würben  bie  ^Parlamente  in  il^rem  SBiberftanb 
gegen  bie  Ärone  aHerbingS  gur  35orfd)ule  ber  politifd)en  Dppo« 
jition^),   aber  als   grofee,   t)olitifd)e  Äörperfd)aften  l^ielten  fte 


0  Grimm  et  Diderot,  Correspondance  litteraire,  111,140. 
2)  3.  &xot,  S3riefc  bcr  Äaiferin  i^at^arina  II.    an   ©rimrn  unb  ©riefe 
®rimm'ö  an  Äalferin  ^atl^arlna  II,  ©t.  gScterSburg  1878—1880. 

^)  F.  Rocquain,  L' Esprit  r^volutionnaire  avant  la  Revolution. 


Sc^tüicrigfciten,  bic  fid)  il^m  ciitgeöenfleKen.  93 

nod^  I)artnäcftger  al^  felbft  Slbel  unb  @eifütd)fcit  an  i^ren 
33orrcd)tcn  feft,  unb  Surgot  ttjeigerte  jid^  ftets,  in  ben  ^arla^» 
mentcn  Drgane  ber  nationalen  5IBünfd)e  unb  SWeinungen  gu  er^^ 
fennen.  %ixx  il^n  unb  feine  ^Jteunbe  waren  bie  Suftigmorbc 
üon  6ala§  unb  be  la  Sarre,  bie  .^inrid)tuug  t)on  SaHq,  bie 
SJerfolgung  ber  §ßroteftanten,  bie  Unterbriicfung  fo  öieler  6r* 
geugniffe  ber  pl^ilofopl^ifd)en  Siteratur  genügenbe  ®rünbe>  um 
gur  SBieberJ^erfteHung  ber  Äör^jerfd^aft,  bie  feit  bent  @turg  bon 
ßl^oifeul  burc^  SRaupou  im  g^nuar  1771  aufgel^oben  worbcn 
mar,  nid^t  bie  .^anb  ju  bieten.  3n  il^rcr  SBieberJ^erfteHung,  bie 
ber  @inPu§  ber  §ßartei  (5f)otfeul,  ber  öon  5iKaurepaö  unterftu|tett 
Königin  unb  be§  bfirgerlid)en  SJfittelftanbeö  im  5Rot)ember  1774 
bei  Submig  XVI.  burdife^te,  fa^  bal^er  Surgot  mit  Sftec^t  feine 
erfte  5Rieberlage;  bie  Popularität,  tt)eld)e  biefe  SWa^regel  bem 
Äönig  brad)te,  fonnte  feinen  SWinifter  barüber  belel^ren,  mie 
leidit  bie  9Jienge  fid^  burd)  blo^e  SBorte  für  ben  Snl^alt  ber* 
felben  entfd^äbigen  lä^t.  Sie  parlamentarifd^e  Oppofttion  gegen 
bie  Ärone  mürbe  gelol^nt,  alö  ob  fte  bon  Sfteformgebanfen,  ftatt 
öon  ©tanbeSintereffen,  getragen  morben  märe. 

3nbeffen  arbeitete  Sturgot  unöerbroffen  meiter;  bie  Sinang* 
reform,  bie  er  in  SJorfd^lag  brad^te,  fa^te  ftd^  in  ben  SBorten 
gufammen:  „Äein  Santrott,  leine  @teuer*@rl)8f)ung,  feine  Stn»» 
teilte ,  33erminberung  ber  2lu§gaben,  triebe  nadf)  Slufeen,  SReform 
im  Snnem,  Sefd^ränfung  be§  .^ofl^alts  unb  Hebung  be§  natto*= 
nalen  SBol^lftanbeS  burd^  ©emäl^rung  ber  f^reil^eit  für  aHeS 
mirtl^fd^aftlid^e  Stl^un."  S)er  Äönig  erl^ielt  fortmälirenb  ßnt*' 
mürfe  unb  ©enffd^riften,  morin  fein  5iKinifter  biefe§  ^ogramm 
in  feinen  ßingell^eiten  präciftrte  unb  8luffd)lufe  barüber  gab,  mie 
er  es  gur  SCuSfül^rung  gu  bringen  gebad)te.  ,,@el^en  @ie,  ic^ 
arbeite  audf)'',  fagte  Submig  XVI.  eineö  S£ag§  gu  il^m,  auf  ein 
befd^riebeneS  Slatt  oermeifenb:  e§  mar  ein  SSorfd^Iag  gur  3Ser:= 
tilgung  ber  Äanind)en  in  ben  föniglid^en  Sänbereien  ^).   3n  ber 


0  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  I,  198. 


94  9ltdtt  unb  Surgot 

^aitptftabt  crgäl^ltc  man  f\(i)  lad)enb,  ber  Äönig,  einmal  baöon 
überzeugt,  bafe  er  felbft  ein  SWipraud)  fei,  werbe  aufj^örcn 
woHen,  e§  gu  fein^), 

SCber  ber  d^arafteriftifc^e  S^ß  im  ßeben  öon  Sturgot  »ar 
fein  SÄangel  an  ®lficf.  3n  ber  Sntenbanj  öon  fiimogeS  würben 
bie  tJrüd^te  feiner  SRül^en  baburc^  öemici^tet,  ba§  bie  junger*» 
jal^re  1770  nnb  1771  bie  ©d^nlbenlaft  ber  ^roöinj,  bie  er  mit 
allen  Slnftrengungen  ju  öerringern  beftrebt  gewefen  war,  um 
eine  3Rillion  erl^ö^ten;  al§  SKinifter  befiel  i^n  ju  Slnfang  bcö 
3al^re§  1775  eine  fd^were  Äranfl^eit,  gerabe  als  alle  bebrol^tcn 
Sntereffen  ftd)  beim  Äönig  gegen  il^n  öerbünbcten ;  bagu  brad^ 
eine  jum  Sl^eil  fünftlid^  öon  ben  ^inanglenten  öeranftaltetc 
Sljenernng  unb  in  ^olge  beffen  ber  fogenannte  5Ke]^ltrieg  auiS, 
ber  auf  öerfd^iebenen  fünften  be§  3fleid^§,  befonber§  aber  in 
^ariö  felbft  öon  ©enjenigen  in  ©cene  gefegt  würbe,  bie  biöl^er 
baS  SRonopol  beS  burd)  Sturgot  freigegebenen  ©etreibel^anbetö 
ausgeübt  l^atten^).  ®ie  äJerfolgung  ber  ©d^nlbigen  würbe  auf 
föniglid)en  Sefel^l  nnterbrtidft,  weil  fte  ju  weitgreifenben  unb 
peinlici^en  (Sntl^üllnngen  geführt  l^aben  würbe;  Surgot  felbft 
glaubte  an  bie  5Kitwiffenfd^aft  be§  ^rinjen  t)on  ßonti. 

©urd)  ein  jwar  nid^t  beabfid^tigteS,  aber  für  ben  SKinifter 
bod^  l^öd^ft  ungünftigeS  Sufammentreffen,  erfd)ien  gur  gletd^eti 
Seit  9ledfer'§  33ud)  über  „bie  ®efe^gebung  unb  ben  ^anbel  mit 
®etreibe'\  weld)e§,  in  Uebereinftimmung  mit  be§  SSerfafferd 
fjreunb  ©aliani,  bie  unbebingte  ^reigebung  beö  Äoml^anbete 
nid)t  nur  in  Segug  auf  baö  SluSlanb,  fonbem  aud^  im  Innern 
granfreid^g  öerwarf  unb  bie  öorl^anbene  ©öl^rung  öermel^rtc, 
weil  es  Surgof  S  Slbminiftration  für  bie  momentane  Steigerung 
ber  ^^oti)  mit  öerantwortlid^  mad^te.  9lecfer'S  gegen  bie  Defo« 
nomiften  gerid)teter  @a^,    „an   lebenben  Äörpem  bürfe   man 


')  Guizot,  Histoire  de  France,  V,  308. 

2)  Foncin,  Ministäre  de  Turgot,  214.  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI, 
I,  166. 


£>ic  ihönung  in  SRl^citnS.  95 

leine  anatomifdien  ßjcperimente  öornel^men'^  tüurbe  gum  ge« 
Pfigelten  SBorte;  leiber  mad^te  er  aud^  baburd)  Senfation,  ba^ 
er  jtd^  öon  ben  eigenen  ©eclamatlonen  mit  fortreiten  Ue§  unb, 
gn  ©unften  be§  billigen  93roteö  für  bic  8lrmen  gunt  Singriff 
gegen  ben  S3e|t|  übergel^enb,  bie  SReidien  „al§  ba§  9!Äarf  be§ 
armen  SJolfeS  öergel^renb"  fc^ilberte  unb  ben  Proletarier  in  bie, 
ben  S^itgenoffen  öon  Sftonffean  öerratl^enben  SBorte  anöbred^en 
läfet:  ,,S28ag  Kimmem  un§  (äure  ®efe|e  über  ben  »eft^?  SBir 
bejt^en  nid^t§.  @ure  ©efe^e  über  ©ered^tigfeit  ?  3Bir  l^aben 
nid^tö  gu  bertl^eibigen ;  über  bie  ^eil^eit?  SBenn  wir  morgen 
nid)t  arbeiten,  muffen  toir  fterben''^). 

Sm  Snni  be§  \o  unglüdflic^  begonnenen  S<Jl^re§  fanb  bie 
Tönung  be§  jungen  3Jionard^en  gu  SRI^eimö  ftatt.  Surgot 
I)atte  öorgefd^lagen,  bie  ©teile,  an  ber  ber  Äönig  gewaltfame 
2lu§rottung  ber  ^ärejie  öerfprad^,  in  ber  ßibeöformel  weggu» 
lajfen;  gubmig  XVI.  bagegen  fucl)te  bie  @d)n)ierigfeit  baburd^ 
gu  umgel^^n,  bafe  er  im  gegebenen  5Koment  einige  unt)erftanbs 
lid^e  SBorte  murmelte.  5Rad^  ber  SRüdffel^r  oon  SRI^eimö  legte 
il^m  SEurgot,  um  fein  ©emiffen  gu  berul)igen  unb  feinen  @tanb= 
^)unft  öon  aller  ßw^ci^c^tigfeit  gu  befreien,  bie  ®enffd)rift  über 
bie  Solerang  oor;  gugleid)  bemog  er  feinen  greunb  SKaleö- 
l^erbeS,  al§  5Kinifter  be§  föniglid^en  .^aufeS  fein  College  gu 
werben,  in  meld^er  Stellung  9)tale§l^erbe§  eö  aber  miber  @r* 
märten  an  ber  nötl^igen  ©nergie  fel^len  liefe  unb  ben  2lbjtc^ten 
be§  ®ejtunung§genoffen,  bon  bem  er  rühmte,  er  bejt|e  Sacon'g 
Äopf  unb  .^o^^)itarö  §erg,  menig  mel)r  liel^,  alö  bie  §ßopula* 
rität  feines  gefeierten  Slamenö^). 

SBegen  ber  Slufftänbe  unb  ber  2:f)euerung  mufete  Siurgot 
feine  beabjtd^tigte  grofee  3fleform,  bie  allmälige  Slblöfung  aller 


*)  De  l'administration  de  Monsieur  Necker  par  lui-meme.  Oeuvres 
comp.  VI,  8.  DeLavergne,  Les  Economistes  francais  au  dix-huitieme 
Siecle,  147  unb  Neck  er,  Du  commerce  et  de  la  l^gislation  des  grains. 

^  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.  Sainte-Beuve,  Malesherbes; 
Gauseries  du  Lundi.    Foncin,  Ministere  de  Turgot. 


96  ^i^  J^Önigin  unb  bte  ^arfameitte  gegen  Surgot 

§cubalrcd)tc  gegen  cntfpre^enbe  ©elbentfdöäbigung  auf  bcn 
@üttm  bed  %belS  unb  Sleru^  unb  t^re  Doüftänbige  Sufl^ebung 
auf  ben  Äronbomänen  ^auf  bcffcre  3^*^^"  Derfd^ieben. 

®iefe  befl'cren  3^ite«  famen  ntd^t  mcl^r  für  il^n;   bte  Äö* 
nigin  öergiel)  bie  begonnene  Sefd^ränfung  i^reS  ^of^altö  nid^t 
unb  würbe  ber  9KitteIpunft  aller  ßabalen  Don  SSerfaitteS;  baö 
Parlament  oerurtl^eilte  im  Februar  1776  baö  überaui^  gemäßigte, 
vernünftige  Sud),    worin   Soncerf,    ein   Sinl^änger  Surgot^iS, 
abel  unb   6leru§   in  il^rent  eigenen  gntereffe  aufforberte,   jur 
Slbfd^atfung   öon  Suftänben  gegen  entfpre(]^enbe  ©ntfd^äbigung 
bie  .^anb  gu   bieten,   bie  ben  ^öilegirten  nur  nod^  geringen 
materiellen  SRu^en,  bafür  aber  ein  um  fo  gröfeere^  SKafe   beö 
^affeö  eintrugen,    .^ierauf  verweigerte  ba§[elbe  ^arifer  ^arla« 
ment  im  3Rärj  1776,  mit  Sluönal^me  eineö  eingigen  unb  un^ 
bebeutenben,  bie  (Sintragung  von  Sturgof §  fogenannten  Sanuar* 
©bitten,  bie  feine  gwei  tt)id)tigften  Sieformen  enthielten,  nämlid^ 
6rfe|ung  ber  ^^ol^nben  für  ben  93au  von  ©trafen  unb  SBegeti 
burd)  eine  fel^r  mäßige,  von  allen  ©runbeigentpmem  gu  leiftenbc 
©teuer  unb  8luff)ebung  ber  3Reifterreci^te,  3ö"ft^  ^^^  ©ilben. 
33egrünbet  würbe  biefe  SBeigerung  beö  Parlaments  unerl^örter 
3Beife  burd)  ben  ,&inweiö  auf  einen  SJolfSaufftanb  unb  burd^ 
ba§  3urüdfgreifen  auf  bie  Stl^eorie  von  33oulainvillier§,  wonaci^ 
Sürger  unb   33auern,   alö   3ftac^fommen  ber  von  ben  ^raufen 
überwunbenen   alten   ©inwo^ner    ©aHienS,    bie    abgaben   unb 
Saften  allein  gu  tragen  verppid)tet  feien,   ber  Slbel  aber  bcm 
Staat  nid)t§  fd^ulbe  alö  feinen  Segen,  ber  ßleruS  nid)tg  atö 
fein  ®ebet^).    S)er  Äönig   ergwang  je^t  gwar  bie  ßintragung 
ber  ©bitte,  lonnte  aber  felbftverftänblid)  uid)t§  baran  änbem, 
ba§  3:urgot'§  Sfteformen,  bie  in  i^ren  legten  (äonfequengen  gu 
gleid^er  aSert^eilung  ber  ©teuerlaft  fül^ren  mußten,  von  ben  3fie= 
präfentanten  be§  SRed^tS  unb  ®efe^e§  verworfen  worben  waren. 


0  ©ugcnl^cim,    @cf(§i(§te    ber    Sttufl^ebung    ber    Öeibeigenfd^aft,    159 
Foncin,  Ministere  de  Turgot.    ^a8  ganae  S^apiitl  über  bie  Sanuarebifte. 


^ 


Sie  ^^önigin  unb  bic  Parlamente  gegen  2;urgot.  97 

Jiid^t  öiel  anber§  öerful^r  ber  ßleruö.  SJlad^ault,  ein 
ftreng^gläubtgcr  Äatf)oltf,  l^atte  boci^  nidjt  gejögcrt,  1749  bie 
©d)ä|unö  ber  Ätrd^engüter  öornel^Tnen  ju  laffen,  um  bamad) 
ben  biSl^er  0efe|lid)  fteuerfreien  ßleruö,  ber  nur  ben  don  gra- 
tuit  nad)  eigenem  Gcrmeffen  leiftete,  ebenfo  wie  bie  anbem 
©tänbe  big  jum  Setrag  eine§  Swjanjigftel  feiner  ©infünfte  ju 
befteuern.  3R\t  SRadiauIfg  1757  erfolgten  ©turg  würbe  biefe 
©teuer  wieber  aufgehoben,  unb  Surgot  griff  nic^t  auf  biefelbe 
jurüdf,  beffenungeaci^tet  öerföl^nte  er  ben  geiftlidjen  Staub  nic^t; 
bie  aSerfammlung  beö  ßleruö  öon  1775  wanbte  jtd^  an  ben 
Äönig,  um  bie  3^tten  jurücf  gu  wünfd^en,  „in  benen  bie  ^ro= 
teftanten  bie  ßtnfamfeit  ber  SBälber  unb  näd^tigeö  ©unfel"  auf== 
fudjen  mußten,  um  xi)xm  ©otteöbienft  gu  l^alten,  unb  il^re  Äinber 
il^nen  entgegen  würben^). 

3wifd)en  einer  foldien  ©prad^e  unb  Surgot'g  '^bten  war 
leine  SJerftänbigung  möglid),  obwohl  bie  ©rgbifc^öfe  öon  9iar*= 
bonne,  8lif,  Sorbeauf  unb  Souloufe,  ©itton,  33oi§geltn,  ©ce 
unb  ßomenie  be  SSrienne,  ^reunbe  unb  Slnl^änger  beö  5!Kimfter§ 
waren,  unb  obgleid^  er  aud^  unter  bem  ^farrderu^,  nod)  alg 
3ntenbant  be§  ßimouftn,  2Ränner  gefunben  l^atte,  bie  il^n 
unterftü^ten,  bewunberten,  öert^eibigten  unb  feinen  3flücEtritt 
beflagten^). 

Seiber  blieben  jte  Slu^nal^men;  im  Slpril  1776  fd^ricb 
®raf  6reu|,  ber  ©efanbte  ©d^webenö,  an  feinen  föniglid^en 
^erm,  bem  ber  p^^jtofratifd^en  @d)ule  fo  wol^lgeftnnten  ©uftabüL, 
„alle  ©ro^en  beö  SReid^^,  alle  Parlamente,  bie  gefammte  ?Jinang, 
bie  ®amcn  be§  .^ofö  Ratten  pd^  jur  mäd^tigften  giga  gegen 
Sturgot  öerbünbet"  ^).    2Rerc9=2lrgenteau,   ber  ©efanbte  SJJaria 


^)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  I,  181.  Rocquain,  L'Esprit  re- 
volutionnaire  avant  la  Revolution. 

2;  M astier,  Turgot,  147—148.  Foncin,  Ministere  de  Turgot, 
540—541. 

3)  Foncin,  513,  517.  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France. 
SÖlenner^affett,  ^rau  »on  @taei.  I.  7 


98  3:ur30t'8  @tura. 

Stl^erefta'ö,  üerfud^te  öergebenö,  i^re*  föniglic^e  Sod^ter  jurüctju* 

es  blieb  ber  Äönig;  im  gebruar  1776,  alö  bereite  bie 
SBogen  ber  Dppojttion  l^od^gtngen,  fprad^  er  baö  J^iftorifd^e 
SJBort:  »11  n'y  a  que  Monsieur  Turgot  et  moi  qui  aimions 
le  peuple«  ^),  Qxod  9Jionate  fpäter  war  feine  SBiberftanböIraft 
erfd^öpft;  aU  i^m  Surgot  3lnfangsJ  3)tai  eine  neue  ®enffd)rift 
übergab,  liefe  er  il^n  reben,  fagte  trocfen:  ,,Sft  baö  Sltteö?"  unb 
entgegnete  auf  bie  bejal^enbe  2lnttt)ort:  ,,5Run,  befto  beffer"; 
bamit  wanbte  er  bem  3Kinifter  ben  Sftficfen.  ©ie  geölten 
aSillarbfugeln,  au§  tt)eld)en,  nad^  bem  Urtl^eil  beö  ©rafen  öon 
^roöence,  beö  Äönigö  ßl^arafter  beftanb,  toaxm  auöeinanber 
gefallen. 

2lm  12.  aRai  reichte  SRaleö^erbeö  bie  längft  erfe^nte  &nU 
laffung  ein  unb  l^örte  öom  9!Äonard)en,  ate  biefer  jte  if)m  gewäl^rte, 
baö  eigentpmlid^e  2Bort:  „SBie  jtnb  @ie  glücflid^!  marum 
lann  ic^  nidit  aud)  gelten?"  Slm  felben  Sage  erljielt  Surgot, 
ben  ber  Äönig  nid^t  me^r  empfing,  ben  Sefel^l  jtd)  jurücfju^ 
jiel^en;  bie  Königin,  beren  ©ünftling  @uigne§  er  wegen  Un= 
fä^igfeit  öom  SSotfdjafterpoften  in  ßonbon  gurüdfberufen  l^atte, 
lonnte  nur  mit  SSRixi)t  babon  abgel^alten  werben,  i^n  in  bie 
SaftiHe  fd^icfen  ju  laffen.  ÜRercq  bezeugt,  bafe  fie  e§  war,  bie 
S£urgof§  (Sturj  entfd)icb^);  man  fennt  ben  Srief,  ben  Äaifer 
Süfep]^,  auf  biefe  Singe  anfpielenb,  im  3uli  1775  an  jte  rid^tete: 
^@ie  mifd^en  ftd)  barein,  liebe  @dt)wefter,  2Rinifter  abjufe|en", 
fd^rieb  er  il^^^  .  .  .  .  „.^aben  @ie  erwogen,  mit  weldiem  9ied)t 
(Sie  jtd)  an  ber  ^Regierung  ber  franjöjtfd)en  9Jionard^ic  betl^ei* 
ligen,  l^abcn  @ie  35orftubien  gemad)t?''*) 

*)  Geffroy  et  Arneth,  Marie  Antoinetle  etc.  Correspondance,  II, 
439.    »rief  Dom  13.  %ril  1776. 

*)  Foncin,  Ministere  de  Turgot,  423. 

8)  Mastier,  Vie  de  Turgot,  523  u.  ff.  Geffroy  et  Arneth,  Marie 
Autoinette  etc ,  II,  442  u.  446. 

*j  ^xnttf),  SRaric  Slntoinettc,  3o\tp^  II.  unb  ßeu|)orb  IL,  »rief- 
»cd^fcl,  1—3. 


Surgofö  @turs.  99 

2)cnnocl^  tüäre  e§  angeredet,  jte  mit  bem  ^of  unb  ben 
^rit)ilc9irteu  aHctn  bafür  öerantwortlid)  ju  tnad)cn;  aud^  baö 
aSolI  iubclte,  als  eö  öom  Sftücftritt  feineö  beftcn  grcunbcö  l^örte, 
Uttb  banftc  bem  Äönig  bvixä)  Döationen  bafür. 

Sturgot  war  fein  2Renf d^enf enner ;  al§  nieder  fein  33ud) 
über  ben  ©etreibel^anbel  öoHenbet  l^atte,  brad^te  er  e§  bem 
5Dlinifter,  fä)lug  il^m  öor,  e§  burci^jufe^en,  unb  öerfprad^,  eö 
ol^ne  feine  Si^ftitt^  "iiJ^fl  ^i^t  gu  beröffentlid^en  ^) ;  Sturgot  lel^nte 
bm  loyalen  SSorfd^lag  in  leife  beräd^tlidier  SBeife  ab,  enoiberte, 
es  ftel^e  SReder  frei,  bruden  gu  laffen,  tt)a§  er  wolle,  man  fürd^te 
ttid^tö  unb  werbe  öon  ber  ßenfur  feinen  ®ebraud^  gegen  i^n 
madien.  „@ie  glauben  für  ba§  öffentliche  2Bol^l  üon  Siebe  er* 
füllt  gu  fein",  fagte  2RaleS^erbe§  einft  gu  feinem  ^teunb ;  „aber 
es  ift  nic^t  Siebe,  eö  ift  9fiaferei\ 

Sturgofö  unöergeil^lid^er  Srrtl^um  beftanb  barin,  bafe  er 
meinte,  eS  genüge,  SRedit  gu  l^aben  unb  baS  @ute  gu  moHen. 

SWidit  ber  geringfte  SSemeiS,  ben  er  babon  gab,  war  ber, 
feiner  Sntlaffung  nid^t  guöorguf omraen ;  wenn  feine  Sreunbe 
il^n  baten,  fid^  gu  fd^onen,  pPegte  er  baran  gu  erinnern,  ba^ 
man  in  feiner  tJamilie  nid^t  alt  werbe,  ©ie  Si^rädgejogenl^eit 
beä  Privatlebens  benu^te  er  gu  ernften  ©tubien  unb  Seetüren; 
für  uns  ©eutfd)e  ift  eS  öon  S^tereffe,  bafe  er  gu  ben  begeifter* 
ten  Sefem  ÄlopftodS  geprte^).  5Rur  als  er  öemel^men  mufete, 
ba^  fein  3flad)folger  fein  2Berf  t)ernid)tet  unb  bie  ^wl^nben 
gang,  bie  Sönfte  unb  ©ilben  grö^tentl^eils  wieberl^ergefteHt  l^abe, 
foH  er  S^l^ränen  öergoffen  l^aben. 

^ebrid^  ber  ®ro§e  unb  SRaria  Stl^erefta  badeten  über 
Surgot  wie  SSoltaire,  ber  1778  in  ^ariS  beim  SBieberfel^en  mit 
il^m  feine  ^anb  erfaffenb  ausrief:  „Saffen  @ie  mic^  bie  ^anb 
lüffen,  bie  baS  ^eil  beS  SSolfeS  untergeidinet  f)at".    ©r  ftarb. 


0  Abbe  Morellet,  Memoires,  I,  230. 

*)  Grimm  et  Diderot,  Correspondance    litt^raire,  III,  378.    Söerid^t 
t)om  8fe^uQT  1777. 

7* 


100  3:uröot'd  (StuT3. 

erft  öierunbfünfjig  3al^re  alt,  an  ber  ®i(i)t  unb  nod^  mdix  an 
ben  gplgcn  geiftigcr  Uebcranftrengung. 

©er  SufaH,  ober  öielmcl^r  jene  l)öl^ere  Drbnung  ber  ©inge, 
bie  nici^t  in  be§  2Renf(i)en  ^anb  liegt,  wollte,  ba^  baS  93ud^ 
„über  ben  SReid^tlinm  ber  Stationen '\  mit  weld^em  Slbant  ©mitl^ 
bie  neue  ge^re  ber  a3olf§tt)irt^fci^aft  fd^uf,  1776,  gleid^jeitig  mit 
Sturgof ^  SRüdftritt  erfd)ien,  unb  fo  aud)  bie  Äraft  erfe|t  würbe, 
bie  er  bem  3Satertanb  unb  burd)  baSfelbe  ber  9!Äenfd)]^eit  mit 
fo  felbftlofer  t^ingebung  geopfert  f)atk, 

Sranfreic^  aber  l^at  Sturgot  nid^t  mel^r  erfe^t;  bie  t^age, 
ob  eö  il^m  ober  überl^aupt  einem  3Kenfci^en  gelungen  wäre,  bie 
Sfteoolution  abjuwenben,  l^aben  bie  ßreigniffe  gu  einer  mflfeigen 
gemad^t.  dagegen  ift  e§  gemife,  bafe  ßubmig  XVI.,  aB  er  il^n 
gelten  liefe,  wie  er  if)n  genommen  l^atte,  au§  ©d^wädie  gegen  bie 
Saunen  einer  jungen  grau,  gegen  ben  Unoerftanb  be§  §ßöbetö 
unb  bie  gntriguen  einiger  «Höflinge,  ba§  le^te  ber  f^btHinifdien 
aSüdier  oerbrannte,  weld^e  ba§  ©d^icffal  nod)  für  i^n  bereit 
l^ielt;  benn  Sturgot  mar  ber  eiujige  unter  allen  SSeratl^crn 
feiner  Ärone,  ber,  weil  ol^ne  ^opung  für  baS  33eftel^cnbe,  bie 
3fieci)nung  ber  5iKonarcl^ie  mit  ber  SSergangenl^eit  abgefci)loffen 
unb  fraft  föniglid^er  SHad^tbollfommenl^eit  getilgt  miffen  wollte, 
wa^  Könige  gefünbigt  l^attcn.  S)\xx6i  einen  legten  unb  l^ödiften: 
ad  beö  2)cöpoti^mu§  bie  Station  gur  ijteil^eit  gwingen,  wdre 
ein  2lbf(i)lufe  gewefen,  würbig  ber  ©l^ren  einer  taufenbiäl^rigen 
aRonard)ie  unb  be§  großen  SDiinifterö,  ben  einer  ber  grünblid^ften 
unb  geiftreid)ften  aller  frangöjtfdöen  ®efd)id^tfd)reiber  »le  grand 
homme  le  plus  complet  de  Thistoire  de  France«  nennt  ^). 

Surgot  mufete  einen  SRaci^folger  erl^alten,  unb  junäci)ft  würbe 
eö  Glugn^,  eine  SWuHität,  ber  nad)  (Sinfül^rung  ber  Sotterie  unb 
oiennonatlid^er  5ßlünberung  be§  föniglici^en  @ci^a|e^  ftarb.  @o 
wie  bie  S)inge  lagen,  galt  eg  alö  ßmpfel^lung  für  bie  ©teile, 
©egner  oon  Surgot  gewefen   gu  fein,  unb  bem  publicum  im 


*)  E.  Renan,  L' Abbesse  de  Jouarre,  Introduction. 


Surgot'S  (Sturj.  101 

SlHgcmcinen  galt  aud)  5Redfer  alö  ein  foldier;  man  fdiricb  i^m 
bic  abjtdit  ju,  in  tDol^lüberlegter  gdnbfcligfett  gegen  bcn  9)ii= 
nifter  gcl^anbelt  unb  felbft  bie  Unrul^en  gegen  il^n  mitgeförbert 
gu  l^aben,  obwol^I  fd^on  ber  Untftanb  xi)n  freifprad^,  ba§  fein 
SBud)  „über  ®efe|gebung  unb  ^anbel  mit  ©etreibe"  jufätlig 
erft  am  Sage  ber  ^lünberung  ber  ^arifer  Särferläben  erfd)ienen 
war.  6r  felbft  fd^rieb  bem  Suc^  fpäter  eine  gang  anbere  Se= 
beutung  unb  gwar  biefe  gu,  bie  erfte,  laute  Sluflel^nung  gegen 
bie  l^errfd^enben  pl^ilofopl^ifd)en  3been  gewefen  gu  fein.  „S)ie 
geitgenöfftfdien  §ßl^iIüfop]^en",  fagt  er,  „öertDarfen  bie  ßrfal^rung 
unb  liefen  nur  Stl^eorien  gelten,  mein  93ud^  milberte  il^re 
übertriebenen  Slnfprüd^e,  inbem  eö  il^nen  a3etrad)tungen  entgegen^ 
fteHte,  beren  Urfprung  l)öl^er  afö  bie  Sbeen  ber  Defonomiften 
lag"^).  SJon  biefen  le^teren  würbe  9Zedfer  befonberS  beSmegen 
befämpft,  tt)eil  er  tjreigebung  beö  Äornl^anbelö,  felbft  im  Snnern 
^anfreiä)§,  t)enr)arf2),  unb  bie^mal  war  ber  ©treit  bi^  in  ben 
intimen  Äreiö  bon  9Jlabame  9lecfer  gebrungen;  in  biefem 
ftanb  SRoreHet  gu  Surgot,  führte  au§,  ba§  5Redfer'ö  Sud) 
bem  praftifdien  @taat§mann  nid^t  eine  abminiftratiöe  SRaferegel 
biete,  unb  öenüieS  barauf,  ba^  ber  '^xe\f)anM  eine  ^olge  be§ 
S9eP|red)te§  fei^).  aSoltaire  »ar  barüber  fo  entgücft,  bafe  er 
Slbb^  »Mords-les«,  mie  er  il^n  nannte,  umarmen  unb  in  §ßari§ 
öcrifinben  lie§,  „aud)  er  fei  für  bie  ©ebanfen  eineö  Söeijen 
gegen  bie  ©^jieme  eine^  Sanquierö"*);  ©rimm  bagegen  fd^rieb 
in  bitterem  Ston  gegen  bie  Delonomiften,  n)äl)renb  ßonborcet  jie 
mit  fo  leibenfd^aftlid^er  ^eftigleit  tiertl)eibigte,  ba^  fein  3luf= 
treten  gegen  ?tedfer  il^m  bie  SSegeid^nung  »le  mouton  enrage« 
augog»). 

*)  De  radministration  de  Monsieur  Necker  par  lui-meme.  Oeuvres 
compl^tos,  VI,  8. 

^  DeLavergne,  Les  Economistes  fran^ais  au  dix-huitieme  Si^cle,  147. 

«)  Mor eilet,  M6moires,  I,  232. 

*)  Foncin,  Minist^re  de  Turgot,  232. 

*)  Condorcet,  Lettre  d'un  laboureur  de  Picardie  a  Monsieur  Necker. 
Mars  1776. 


102  ^ctf«  in  ©nölanb. 

3ur  ^olcmtf  gefeilte  pd^  bie  3ntngue.  Slm  ^of  xoax  ein 
gemiffer  SÄarquiö  t)on  ^ejaq,  ben  unter  anbem  bie  ^Jientoiren 
öon  Sefanbal  aU  falfd^,  el^i^geigig,  untemel^menb  unb  infolent 
bejeid^nen;  biefer  ^eja^  fafete  ben  ©ebanfen,  bem  Äönig  übet 
SRegierungSangelegenl^eiten  briepid)  SRatl^fd^läge  gufomttten  gu 
laffcn,  unb  al§  nad^  einiger  3^it  biefe  gnäbig  aufgenommen  ju 
werben  fd^ienen,  tDurben  2Raurepaö  unb  fein  (Sollege  ©artineö 
auf  ^ega^  aufmerffam,  weil  jte  in  bemfelben  ein  2Berfjeug  ber 
perfönlic^en  §ßolitif  be§  5iKonard)en,  wie  etwa  ber  ®raf  öon 
aSroglie  c§  unter  gubwig  XV.  gewefen  war,  üermutl^eten ^). 
9lun  war  aber  ^ega^  gut  mit  3ftedfer  befannt,  unb  fo  lam  e§, 
ba^  2Raurepa§  biefem  eine  Slbfdirift  be§  Subgetö  öon  Surgot 
für  1776  mit  bem  Sluftrag  aufteilen  lie§,  il^m  feine  Semerlungen 
barüber  mitgut^eilen,  bie  l^ierauf  auc^  bem  Äöntg  unterbreitet 
würben,  ber  auf  biefe  Sißeife  gum  erften  9Kal  mef)r  bon  nieder 
aU  ben  bloßen  Flamen  l^örte^). 

@r  war  mit  feiner  %xan  unb  feinem  55i^eunb  ©uarb  gu 
furgem  8lufent^alt  nad^  ßnglanb  gegangen,  aU  Surgot  fiel. 
„SBie  wirb  ftdt)  SRedfer  freuen,  wenn  er  ba§  i^ört",  fdt|rieb  SKa» 
bame  ®u  2)effanb  an  bie  ^ergogin  üon  ßl^oifeul  naä)  ßj^ante« 
loup,  wo  man  gleichfalls  an  SBiebergewinnung  bc§  erften 
3Kinifterpoften§  bad)te^).  Unterbeffen  mad^te  ®ibbon  ben  fram 
j^öftfc^en  ®äften  bie  .^onneurS  oon  Sonbon,  SBalpole  bie  feincg 
reigenben  Sanbft^eö  oon  ©trawberr^  .^iH.  Sledfer'ö  ©dtiriftcn 
entl^alten  nidbtS  über  biefen  Slufentl^alt,  aber  SRabame  9?edfer 
laö  mit  ©ntgücfen  9Jlilton  unb  ^ope,  Solingbrole  unb  6f)efter:» 
fielb,  fiberfe^te  ©ra^'S  Plegie  über  ben  Äird)f)of  im  ®orf  für 
ein  literarifd^eö  ©ammeiwerf  oon  @uarb  unb  wünfcl)te  ftd)  in 
@efellfd)aft   bon    Sfiomaö,    um    SllleS    nodt)    einmal  geniefeen 


•)  Duc  de  Broglie,  Le  secret  du  Roi. 

^)  Daire,  Oeuvres  de  Turgot,  nad^  Dupont  de  Neumours  Me- 
raoires,  II,  138  unb  Foncin,  Minist^re  de  Turgot,  521. 

^)  Garat,  Memoires  sur  Suard,  II,  318.  Madame  Du  Deffand, 
Correspondance,  III,  217. 


S)ic  g^inananotl^  beß  franaöfifd^en  «Staate«.  103 

ju  fönncn,  in  bic  3Be[tminfter-2lbtei  jurfidf^).  ®a§  ßfiepaar 
3fledfer  tt)ar  feit  mel^rcren  3RonaUn  wieber  in  ^ari^  al§  ßlitgn^ 
ftarb. 

SWicmanb  wufete  beffer  atö  9leder,  wie  e§  um  ben  ©taatö^^ 
fci)a|  ftanb;  feit  Sturgot'ö  SRürftritt  waren  alle  Surfe  gewid^en; 
bie  ^oHänbcr  wollten  fein  @elb  mel^r  leiten;  er  felbft  war 
bereits  unter  ber  aSerwaltung  be§  Slbbe  Serra^  ber  ^inaninotl) 
be§  ÄöntflS  gu  §ülfe  gefommen,  l^atte  1770,  ol^ne  3i«f^n  bafür 
gu  nel^mcn,  ®elb  öorgeftrecft  unb  baburci^  ©etreibeanfäufe  für 
bie  befonberö  Ijeimgefud^ten  ^roöinjen  erntöglid^t.  ®ann,  1772, 
^atte  er  abermals  mehrere  5iKinionen  geliel^en:  „3Bir  befci^wören 
Sie,  uns  im  Sauf  beS  SageS  gu  |)ülfe  ju  fommen,  ...  bie  S^it 
brängt,  Sie  jtnb  unfere  Ie|te  Sufludöt;  wir  red^nen  auf  Sl^re 
Eingebung,  um  ben  3iuf  beS  föniglid)en  ÄrebitS  ju  retten", 
bieS  war  ber  Jon,  ben  gegen  Sleder  ju  gebraud^en  ber  fran* 
göftfd)e  ©taatSfefretär  ber  Sinanjen  fid)  gejwungen  fa^^j^ 

9lun  aber,  im  grül^ial^r  1776,  brängte  bie  grofee  grage 
eines  93rud^S  mit  -ßnglanb  unb  ber  ^nterDention  §ranIreid)S 
JU  ®unften  ber  amerifanifdöen  Kolonien  jum  jweiten  Wal  feit 
einem  Sal^r  gur  @ntfd)eibung,  unb  „ber  erfte  Äanonenfd^ufe  war 
gleid^bebeutenb  mit  bem  @taats=33anfrütt"  ^).  35iefe  öerjweifelte 
Sage  t)eranlafete  5iKaurepaS,  ben  im  Dctober  üerftorbenen  ßlugn^ 
burd^  ben  el^rlid)en  Saboureau  beS  fReanjc  ju  erfe^en  unb  t)on 
SReder  eine  ®enffd)rift  über  bie  Sage  ber  ©taatsfinaujen  gu 
verlangen.  @enac  be  9Keilf)an,  SKont^on  unb  ®ro;i  nennen  als 
Vermittler  bon  SRaurepaS  in  biefer  ©ad^e  abermals  ben  SKarquiS 
öon  ^cja^,  öon  bem  biefer  gu  fagen  tiflegte,  er  fei  eS  eigentlid), 
ber  Sranfreid)  regiere,  „benn",  fügte  ber  alte  9}Jinifter  l^ingu, 
„$ega^  regiert  feine  3J?aitreffe,  bie  ^ringeffin  t)on  SJiontbarre^, 


0  Madame    Necker,    M«51anges,    III,   172.     Querard,   La   France 
litt^raire,  IX,  280. 

2)  A.  de  Stael,  Notice,  I,  XI,  XXI— XXIII. 

•'*)  Das  SGÖort  Ifl  oon  d'Invaii,  bem  SSorgönger  öon  Sena^. 


104  «erfrc'«  3>fn!^(^rift  übet  bie  g^anscn. 

bicfe  regiert  meine  grau,  meine  grau  regiert  mid^,  unb  id^, 
regiere  id^  nid^t  granfretd^?"  SledCer  pflegte  biefem  $ejai)  gu- 
weilen  ®elb  bürjuftredfen,  gal^lte  il^m  aud^  al§  SDWmfter  eine 
gorberung  auf  bie  @taat§faffe  im  Setrag  öon  100,000  ©ulaten 
au§,  bie  breifeig  ^affxt  lang  abgelel^nt  worben  war,  unb  er^ 
nannte  i^n  jum  @eneral*3nfpeftor  ber  Äuften  be§  Äonigreid^ö 
mit  einem  ®el^alt  üon  60,000  giöreS;  fein  Setragen  in  biefer 
Stellung  war  ber  2lrt,  bafe  bie  Serbannung  über  il^n  öerl^ängt 
würbe,  worauf  er,  faum  36  gal^r  alt,  ftarb^). 

SBenn  b'^auffonüiHe,  wie  fd^on  öor  il^m  S3aron  Sluguft 
t)on  Stael,  geltenb  mac^t,  ba^  bie  Slrdtiiöe  t)on  Poppet  Sriefe 
t»on  ^tiatj  entfialten,  bie  leiner  SSerbinblid^feit  gegen  9lecfer 
erwäl)nen,  fo  änbert  ba§  nid^tö  am  eigentliä)en  @ad^t)erf)alt  2) ; 
ber  @i)rgeij  SRedfer'ö  l^atte  i^n  gur  Sl^eilnal^me  an  Sntriguen 
herleitet,  bie  er  aller  3Bal^rfd)einlid^feit  nad)  l^dtte  entbel^ren 
fönnen,  benn  beüor  bie  ^Regierung  ftd^  baiu  üerftanb,  ben 
proteftantifdtien  Sanquter  au§  ®enf  in  il^ren  füat^  gu  berufen, 
mufete  pe  bon  ber  3lot^  bagu  gejwungen  werben,  ©er  ©taatS* 
f d)a|  war  erfd^öpft,  al§  SHedf er  in  ber  erwäf)nten  2)enffdt)rift  ben 
Ärebit  l^ergufteHen  unb,  felbft  im  ÄriegöfaH,  bie  Sebürfniffe  ber 
föniglid^en  Äaffen  gu  bedfen  üerfprad) ;  aber  9?edfer  gum  ßon* 
troleur  =  general ,  b.  1^.  gum  ginangminifter,  ernennen,  fä)ien 
bennod^  nid)t  burdtifül^rbar.  2Kan  griff  alfo  gu  einem  8lu§= 
funftSmittel,  baö  wieber  ^ega^,  gu  ©unften  ber  Berufung  beö 
§ßringen  t)ün  ^Jiontbarre^  in§  Äriegöminifterium  furg  guöor  in 
@cene  gefegt  l^atte:  Saboureau  be§  SReauj:  foHte  ben  Sitel  be* 
l^atten,  Siedfer  ate  S)irector  be§  ©taatSfd^a^eS  bie  ginangen 
leiten.  33i§  bal^in  war  bie  ©teile  immer  burd^  Parlamentarier 
befe^t  worben,  unb  bie  ^roteftanten  waren  nad^  1776  in 
granfreid)   nur   gebulbet;   bärgerlid)e  3fled)te   l^atten  fte   nidt)t, 


')  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  I,  199,  219,  220,  221. 
*■*)  Auguste  de  Stael,  I,  40  ber  Oeuvres  complötes   de  Necker  unb 
d'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  101. 


Berufung  «Reelcr'S.  105 

unb  il^rc  Äinber  galten  nid)t  al§  legitim,  ©er  Äönig  gab 
mä)tSbeftott)cniger  feine  ©ntDtHigung ;  fd^on  nad^  ben  5ßer* 
l^anblmtgen  wegen  ber  üftinbifd)en  Gontpagnie  l^atte  er  9ledfer 
1773  eine  tt)ertf)t)oHe  Sammlung  öon  Äupferftid^en  al§  ®e[d^enf 
überreid^en  laffen^);  er  nntergeidinete  feine  Ernennung  am 
22.  Dctüber  1776. 

9Bie  jtüei  Saläre  früher  jene  bon  Surgot,  würbe  fte  bom 
®elbmarft  mit  einer  beträd)tlici^en  .^auffe  begriifet;  bie  ©enfer 
jubelten  über  ben  ©rfolg  il^re§  5iKitbnrgerö,  ber  „magnifique 
petit  (Sonfeil"  liefe  i^m  gu  ©l^ren  bie  erfte  ber  82  ©enfmünjen 
prägen,  bie  er  im  Sauf  feinet  öffentlid)en  SebenS  erl^ielt^),  unb 
bie  Siterar»@efd)ic^te  öon  ®enf  fagte  bon  9?eder'§  SBerlen,  fte 
follten  bie  ^anbbüd^er  aller  fjfirften  werben,  benen  baö  SBol^l 
il^rer  aSölIer  am  bergen  liege ^).  ®er  ^of  \af)  in  nieder  nur 
ben  ®egner  feinet  öerl^afeten  5ßorgänger§  unb  fd^meidielte  jtd^ 
mit  ber  Hoffnung,  ein  fold)e§  finanjielleö  Salent  werbe  and) 
ol^ne  ©rfpamiffe  jum  ßi^l  fommen.  Sifd^öfe  mad^ten  aSor= 
ftcHungen  gegen  bie  2Bal^l  eine§  ^roteftanten.  „Sc^  wiH  il^n 
opfern",  entgegnete  i^nen  5Dkurepa§,  „wenn  ber  6leru§  bie 
Sal^lung  ber  frangöfifd)en  ©taat§fd)ulb  übernimmt",  unb  gerabe 
unter  ben  SJiitgliebem  be§  franjöjtfd^en  (Spi^fopateö  foHte  aud^ 
5)?ccfer  treue  greunbe  unb  SSert^eibiger  feinet  3Birfen§  finben. 
©aS  SSolf  enblid^  empfing  bie  5Rad)rid^t  üon  Sfteder'S  lieber* 
nal^me  ber  ®efd^äfte  mit  greuben.  Unöerfö^nlid)  blieben  bie 
Defonomiften  unb  il^re  Slnl^änger,  gegen  weld^e  bie  Parlamente 
eine  Slrt  öon  Verfolgung  begannen;  Sturgot  meinte,  bie  ^inanjen 
würben  je^t  regiert  wie  ba§  Unioerfum,  burd)  bie  Strinität 
SJlourepaö  =  Saboureau  =  nieder,  in  weld)er  le|terer  ben  l^eiligen 
©eift  repräfentire^). 

@o  begann  baö  erfte  5Kinifterium  9Zecfer. 


')  Grimm  et  Diderot,  Correspondance  litt^raire. 

^  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  109. 

^)  Senebier,  Histoire  littöraire  de  Gen^ve,  III,  164. 

*)  Foncin,  Minist^re  de  Turgot,  543. 


9^c(!ex'«  erftc  ÜWafercgcrtt.  107 

:  ferauöforbcm,  beten  Dpfer  er  unfel)lbar  getoorben  todre.  ®ie 
iiotürlidie  fjolge  biefer  t)on  allen  Seiten  bem  Slngriff  blofe« 
ig^ttten  Sage  mar,  bafe  Nieder  mäl^renb  ber  erften  3al)re  feinet 
8?imfterium§  feine  3:f)ätigfeit  fomeit  al§  tl^unlid^  auf  f5tnang= 
fragen  befd^ränfte  unb  auf  bie  ©nfül^rung  aller  weitergreifenben 
Reformen  oergidötete^),  mobei  jebod)  nid^t  aufeer  Std^t  gelaffen 
»erben  barf,  bafe  im  Slncien  3flegime  bie  inneren  Slngelegenl^eiten 
granfreid^ö  faft  öollftänbig  unter  ber  ßeitung  be§  tJinanjminifterö 
flanben^);  aud)  biefeö  befd)ränfte  ®ebiet  liefe  jidö  ntd^t  ol^ne 
©d^tDierigfeiten  bel&aupten. 

Äein  DoHeö  ^a\)x  nad)  jeiner  Berufung  fül^rte  eine  SRei^^ 
ttungSöerfd^iebenl^eit  gmifd^en  DIecfer  nnb  SSaboureau  gum  9lüi= 
tritt  beS  le^teren,  unb  am  22.  3uni  1777  marb  3ieder  auf  bie 
üott  il^m  gefteHte,  t)on  Submig  XVI.  nicl)t  ol^ne  Sebenfen  ge* 
joäl^rte  Sebingung,  fein  ®el^alt  für  feine  ©ienftleiftungen  gu 
begießen,  gum  ®eneralbireftor  ber  ginangen  ernannt.  Slud)  in 
Wefer  neuen  6igenfd)aft  blieb  er,  menigftenö  nominell,  unter  ber 
Oberleitung  Don  2Raure:|)a§  unb,  ttjaö  t)iel  bebenflid^er  xoax, 
öom  Sfied^t  auögefd^loffen,  bem  in  ©egenmart  be§  Äönigö  ge= 
l^ottenen  9Rinifterratl^  beigumol^nen,  feine  $läne  il^m  oorgulegen 
unb  Pe  gu  vertreten,  ein  ungel^eurer  9?ad)tl)eil  gu  jener  ^dt,  in  ber 
bie  perfönlid)e  Stimmung  be§  SRonard^en  bie  eingige  Garantie 
beS  3Serbleiben§  im  Slmte  mar. 

S)afür  l)at  9ledfer  bie  ®efd)id)te  feinet  SKinifteriumö  in 
atten  il^rcn  ©ingell^eiten  felbft  ergdl^lt^)  unb  ben  Semeiö  geliefert, 
tt)ie  fel^r  e§  il^m  um  Drbnung  unb  ©parfamfeit,  um  bie  Slb* 
flcHung  Don  SRifeftänben  unb  bie  @d)öpfung  einer  el^rlid)en, 
gemiffenl^aften   aSermaltung   gu   tl)un   mar.    ®er  erfte  @d)ritt 


')  A.  de  Stael,  Notice,  I,  48  unb  Necker,  Oeuvres  completes  III, 
Premier  Minist fere. 

2)  gefcr,  SReder'S  atoctteS  3Kinifterium,  12. 

^)  Neck  er,  Oeuvres  completes,  III.  Premier  Minist^re.  Compte- 
rendu  au  roi,  Janvier  1781  unb  iBb.  XI,  408  Tableau  chronologique  des 
Actes  du  Premier  Minist^re  de  Monsieur  Necker. 


i^ritif  öon  SRctfct'S  gtnansnertoaltung.  109 

/.  leiten  im  Setrage  biö  ^n  1200  ajiinionen  gu  contral&iren  ^).  S)ic 
Stf  unb  SBeife,  mie  er  e§  t()at,  l&at  feiner  ^nangoenoaltung 
*;  bcn  SSortDurf  jugejogen,  pe  fei  Dielmel^r  bie  eineö  gemanbteit 
;  Sanquierö  atö  eineö  toeifen  SJünifterö  gemefen^);  bie  tnU 
^  *  f^ibettften  ©timmen  l^aben  mit  ©roj  biefen  Sßorwurf  wieber» 
l^olt;  2:i^ierö  unb  SWignet  fpred^en  nic^t  üiel  anberö  al§  ©Jjbel, 
a^cml^arbi  ober  Dndfen,  für  bie  3ledfer  menig  mel^r  alö  ein 
Sfirfenffinftler  geblieben  ift,  „ber  bie  aWögüd^feit,  ©d^ulben  gu 
mad^cn,  für  SReidöt^uwt  ausgab"  ^).  Snfofern  fte  jtd^  auf  fein 
erftcg  aJlinifterium  bejiel^t,  ftü^t  fid^  biefe  2lnfd)ulbigung  auf 
blc  2:^atfaci^e,  ba^  er  feine  großen  Slnleil^en  abfd^lofe,  ol)ne  ben 
©d^ulbnem  be§  ©taateö  burd^  ©infül^rung  neuer  Steuern  ein 
$fanb  gu  geben,  bie  eingige,  öon  il^m  gebotene  ©id^erl^eit  war 
ber  Hinweis  auf  bie  im  Sauf  feiner  3Sertt)altung  gemacf)ten  &x^ 
f|)amiffe.  ®afe  eine  fo  öage  Garantie  bm  ©laubigem  be§ 
frangöfifd^en  ©taateö  genügte,  unb  jte  ftet§  gu  neuen  Dpfem 
öeranlafete,  war  ber  l^öd^fte  Seweiö  be§  SSertrauenö  in  bie  &\ix^ 
lid^Ieit  be§  3Rinifterö;  anbrerfeits  aber  mufete  biefeö  SSerfal^ren 
bie  Siatiott  notliwenbigerweife  in  eine  falfd^e  ©idierl^eit  wiegen, 
bie  ben  tl^atfäd^lid^en  35erl)ältniffen  nic^t  entfprad).  6§  t)er= 
leitete  SIledEer  felbft  gu  ©fperimenten,  welche  bie  SBürbe  feiner 
Stellung  fd^äbigten,  ol)ne  \i)n  t)or  ©elbüerlegenl^eiten  gu  ht^ 
wal^ren,  aber  eö  gab  il^m  aUerbingS  btn  momentanen  ©rfolg, 
beffen  er  beburfte,  um  fic^  in  ber  ®unft  beö  ÄönigS  gu  erl^alten, 
im  9lmt  gu  bleiben  nnb  bamit  langfam  aber  ftetig  ber  5Ber= 
wirllid^ung  bcS  politifdien  Sbealö  ftd^  gu  näl^ern,  ba§  aud^  il^m 
Qte  frönenber  Slbfd^Iufe  feineö  SBirfenö  öorfd^webte.  ®iefe§ 
Sbeal  war  baö  einer  jittlid)en  Süeform,  bie  Serbinbung  ber 
SRoral  mit  ber  ^olitif;   eö  war  ber  ®runbton  feinet  ©Jjftemö 


*)  De  Lavergne,  Les  Assemblees  provinciales  sous  Louis  XVL 
Pr^face  VI. 

^  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  I,  276. 

3)  »ernl^arbt,  ©cfd^id&tc  SftuferanbS,  2,  167—168.  ©nden,  ©a» 
Seitalter  bct  Sflcöolutton,  I,  13—15. 


110  <Scm  Programm. 

unb  bcr  ©l^rgeig  feinet  SebenS,  baju  beitragen  gu  fönnen,  bafe 
ffinftig  bie  SSermaltung  beö  Staate^  nad^  benfelben  ©runbfä^en 
ber  @ered)ti9feit  unb  SiHigfeit,  wie  bie  Slngelegenl^eiten  eines 
wol^Igeregelten,  weife  unb  gemiffenl^aft  gefül^rten  $au§l^altö  ge= 
orbnet  würben^),  ©eine  üerfd^iebenften  @d)riften  brandet  man, 
]o  gu  jagen,  nur  auf§  ©erabetool&I  aufgujd^Iagen,  um  biefen  ®e* 
banfen  in  ber  einen  ober  anbern  Söeife  auSgefprod^en  gu  finben. 
„?Son  ber  SSerwaltung  ber  ^^incmgen",  \)d^t  e§  u.  a.  in  feinem 
aSud)  fiber  biefen  ®egenftanb,  „ift  ber  (äinflufe  auf  bie  focialen 
SEugenben  fowol^l  aU  auf  bie  öffentlid^e  SRoral  gu  erwarten; 
wer  bie  ßeitung  berfelben  nid^t  üon  biefem  ©tanbpunft  au§ 
betrad^tet,  wirb  ftd^  nie  gur  ^öl^e  ber  ^flid)ten  gu  erl^eben  üer= 
mögen,  bie  er  auf  ftd^  genommen  l^at"  ^). 

Sugenb  unb  ®ewiffenl^aftigfeit  erfd^einen  ii)m  unentbel^r* 
lid^er  für  ben  Staatsmann  als  ®eift  unb  Salent.  „^ä)  trage 
fein  SSebenfen,  eS  auSgufpred)en",  fagt  er,  „bafe  feine,  wenn 
aud^  nod^  fo  grofee  Begabung  ben  2KangeI  an  S^rtgefül^l  unb 
3Woralität  gu  erfe^en  oermag.  '  ®aS  erleud)tete  Urtl^eil,  bie 
Äenntniffe  Slnberer  fönnen  einer  mittelmäßigen  Slbminiftration 
gu  ®ute  fommen,  aber  weld^e  Sriebfeber  wirb  ©enjenigen  gu 
©unften  beS  öffentUd^en  SBol^leS  in  Bewegung  fe^en,  ber  ftd^ 
burd^  feine  ^flid)t  gebunben  weife?  SBie,  oor  Slttem,  wirb  er 
ber  @d)ar  feiner  Untergebenen  Siebe  gur  $flid)t  einflößen  fönnen, 
wenn  er  ftc^  beS  3ied^teS  begibt,  pe  burd)  fein  Seifpiel  gu 
lehren?  ....  ®ie  ©runbfä^e  beS  3fled)tS  reid^en  weiter  alö 
bie  ßidt)tblicfe  beS  ©eniuS;  bie  SKoral  ift  ber  ©eift  ber  Sal^r- 
l^unberte'' 3).  3m  Eloge  üon  6olbert  fprid)t  er  nid^t  anberS: 
•„©ein  gefüJ^IüoHeS  ^erg"  la  sensibilite,   jenes   Schlagwort 


')  31.  Sß.  @d&lc0cl,  3afob  SRedcr,  Seitgcnoffen  I,  1816—1817,  IV, 
1818-1819. 

^  Necker,  De  radministration  des  finances,  Oeuvres  coinpletes  IV,  13. 
De  radministration  de  Monsieur  Necker,  VI,  20  unb  an  öielen  anbctn 
©teHen. 

^)  Necker,  De  radministration  des  finances,  IV,  33,  25. 


©eflcnfa^c  in  bct  ^olitif  beS  XVIII.  Sal^rl^unbertil.  Hl 

bcr  SRcgicrung^jcit  ßubwig'ö  XVI.,  ,,pöfet  bem  Slbminiftrator  ben 
SEBunfd^  ein,  bcn  9Kenfci^cn  nü^Iid^  gu  werben,  bie  SEugenb  Der» 
pflid^tet  il^n  bagu,  ber  ®eniu§  leil^t  \i)m  bie  SKitteP);  man 
mufe  mm  ©effil^l  ber  ^pid)t  burd^brungen  fein  nnb  jtd^  il^r 
ganj  l^ingeben,  man  mnfe  entpfinben  (önnen,  mie  erl^aben  bie 
©tettung  ift,  t)on  ber  anö  man  in  ©ebanfen  mit  bem  ®lücf 
eine«  gangen  3Solfeö  in  Serül^rung  treten,  in  ber  man  jeben 
Slugenblicf  bie  Siebe  gnm  5!Konarcl)en  fteigern,  feine  Sngenben 
fühlbarer  mad^en  fann;  man  mnft  glürflic^  im  Sewufetfein  beö 
©Uten  ftd^  füllen,  ba^  man  gu  wirf en  im  ©tanbe  ift,  unb  bem 
SBol^I  be^  Staate^  ftd^  l^ingeben.  9Ran  mufe  Jftom  unb  bie 
Sfiömer  lieben,  ber  6itelfeit  ben  SRul^m  unb  bie  ©ered^tigfeit  ber 
lommenben  Otiten  ben  Säufd^ungen  ber  ©egenwart  öorgiel^en"  ^). 

@o  lautete  baö  Programm,  mie  aber  foHte  e§  auögefül^rt 
werben?  2luf  biefem  fünfte  angelangt,  betrat  nieder  einen 
SBeg,  ber  in  biametralem  ©egenfa^  gu  ben  üon  feinem  SSor= 
ganger  gewäl^lten  Salinen  lag;  Surgot  l^atte  bie  ©tü^e  feiner 
^olitil  im  SEBiUen  eineö  aufgeflärten  ©e^poten  gefud)t,  nieder 
oppettirtc  ffir  bie  feinige  an  bie  öffentlicl)e  ?!Jieinung. 

Dbwol^l  bamit  bie  gwei  $ole  aller  Jftegierung^funft  gegeben 
fnb,  fo  fonnten  bod^  beibe  9Rinifter  gu  ®unften  ber  öon  il^nen 
gewählten  9Retl^oben  auf  mäd)tige  Süed^tfertigungögrünbe  üer= 
weifen.  S"^  ad^tgel^nten  3al)rl^unbert  waren  bie  3ie:|)ublifen  in 
6uropa  biöfrebitirt,  weld)e  Slnl^änger  bagegen  bie  abfolute 
SRonarcftie  im  ß^ttalter  griebrid)'§  unb  Äatl^arina'S,  in  ben 
Sagen  üon  SWaria  Sl^erefta,  öon  Äarl  III.  unb  Seo:|)olb  Don 
SoSlana  gäl)lte,  ift  bereite  gefagt  worben.  @§  war,  al§  foUten 
bie  legten  ßeiten  il^rer  unbeftrittenen  ^errfd^aft  bie  3Wac^t  gum 
©Uten,  bie  aud^  fte  befafe,  nod^  einmal  glängenb  bewäl^ren,  beüor 
fte  im  unauftialtfamen  Äreiölauf  ber  @efd)id^te  bm  2Käd^ten 
ber  S^^lörung  gum  Dpfer  fiel,  bie  fte  im  eigenen  ©d^ofe  ent* 


*)  Necker,  Eloge  de  Colbert.     Oeuvres  compl^tes  XV,  11. 
*)  Necker,  De  radministration  des  finances.     Oeuvres,  IV,  68. 


116  6^^  stimmen  3U  ©uttften  einer  Berufung  ber  Stanbe. 

primlegirten  S^rannen,  bie  jur  ©cifecl  ber  il^ncn  anheimgegebenen 
SSeöölfcningen  getoorben  »arcn  nnb,  um  ben  ^rei^  ber  3lu§* 
faugung  ber  ^oomgen  an  @elb  unb  Slut  ber  Untertl^onen  für 
bie  SSebürfniffe  be§  föniglid^en  Sd^a^e^,  ©traflopgfeit  für  btc 
eigenen  ©tpreffungen  unb  bie  ifirer  Untergebenen  erfauften. 
@d)on  SouIaint)iIlier§,  @aint=@imon  unb  genelon  fud^ten  Slb^ 
l^ülfe  für  biefe  troftlofen  Biiftänbe  in  ber  Berufung  ber  ®eneraU 
ftaaten,  bit  ftd)  it|rerfeit§  auf  bie  ^roüinjialftänbe  ftü^en  fottten; 
S'Slrgenfon  unb  ber  2Rarqui§  öon  3Kirabeau  öerlangten  bie 
aSieberl^erftettung  ber  le^teren  öon  2ubtt)ig  XV.,  unb  SRirobeau 
wagte  e§,  bem  Äönig  in^  ©ebäd^tnife  ju  rufen,  ba^  biefe  3EBieber= 
l^erfteöung  öon  feinem  Sater  befd)Ioffen  war^). 

3Bid)tiger  nod)  aU  ber  Sßhmfd)  nad)  einer  Vertretung  ber 
^otnnjen  war  ba^  SSerlangen  nad^  ber  SBieberaufnol^me  ber 
ftänbifd)en  SSertretung  be^  'Jieid)^.  Seit  1614  waren  bie  fron* 
göfifdöen  ©tatö  ©enerauf  nicf)t  mef|r  öerfammelt  worben. 

3U^  2Kaupeou  ben  öemii^tenben  @d)lag  gegen  bie  fran=^ 
göftfd)e  SRagiftratur  fütirtc  unb  1771  bie  Parlamente,  biefe  Ic^tc 
nod)  öor^anbenc  @(^ranfe  gegen  bie  abfolute  föniglid^e  3Rad^, 
oufi^ob,  öerlangten  i^re  3Kitglieber  juerft  ben  S^^fammentritt 
ber  ©eneralftaaten ;  ii^nen  fd)lofe  ftc^  ber  i^öc^ftc,  öon  ^oupeott 
gleic^faHj^  aufgel)obene  &mä)t^ifof  be^  8anbe^,  bie  Cour  des 
Aides,  an,  ber  ?WaIe^l)erbe^  präfibirte,  unb  für  welche  er  ba§ 
Sort  füi^rte'^);  ein  ganger  Schwärm  öon  ^Jlugfdjriften  fpraci^ 
im  felben  Sinne  unb  erad^tetc  bie  3urücfberufung  ber  $arla^ 
mente  fc^on  al^  nic^t  me^r  genügenb.  9tac^bem  biefelbc  mitcr 
gttbmig  XVI.  bennod)  erfolgt  war,  t)ielt  la  9iod^efoucauIb,  btr 
Soi^n  ber  ^^ogin  b'ßnoiHe,  bie  benfwürbige  3flebe,  worin  er 
bie  nationalen  Serfammlungen  jurücfwünf d)te,  „beren  gefc^lid^c 


')  Mirabeau's  L'Ami  des  hommes,  in  einem  biefem  ^ud^  in  bei  Sud« 
qctbt  oon  1756  beigebrucftcn  Memoire,  unb   d'Argenson  in  ben   Conside- 
'  le  gouTcrnement  de  la  Franc*?. 
^       oz,  Histoire  de  Louis  XVI.  L  36  u.  175. 


Söiontcöqutcu.  113 

Übertragen  unb  bamit  ber  „bleuen  ^eloife"  bie  SBege  gu  bal^= 
nen^)*  ©ie  Bannerträger  ber  geiftigen  Bewegung  beö  ad^t* 
jel^ttten  Sal^rl^unbertS,  aSoltaire,  Suffon,  SKonteöquieu,  Jftouffeau, 
mit  il^nen  eine  Slngal^l  anberer  ©d^riftfieüer  unb  ©elel^rten, 
fanben  in  ©nglanb  gaftlid)e  Slufnal)me,  öermeilten  gum  Stieil 
Sa^re  bort,  unb  üerbreiteten  nad)  il^rcr  fttüäUfjx,  in  il^re  2Künge 
umgeprägt,  bie  englijc^en  3been  in  ber  ^eimatl^^) 

50lonteSqu{eu,  ber  am  meiften  gu  biefer  Ummanblung  bei= 
taiö/  fößt/  i^öfe  i^ic  3!Kinifter  feiner  Seit  nic^t  mel^r  öon  ©nglanb 
wußten  als  fed)ö  SJlonate  alte  Äinber.  Sei  feinem  SEobe  tt)ar 
ba§  anberS  geworben;  nod^  1748  l)atte  ba§  Sud)  über  ben 
®eip  ber  ©efe^e,  ol^ne  Eingabe  beö  Sßerfafferö  im  SluSlanb  ge« 
brucft,  als  ßontrebanbe  nad^  granfreic^  bringen  muffen;  je^t, 
1755,  als  aßonteSquieu  ftarb,  äußerte  Subwig  XV.,  ein  fold^er 
5Kann  fei  nid^t  gu  erfefeen^).  ©s  ift  relatiö  gleid)gültig  für 
9RonteSquieu'S  Sebeutung  unb  ©influfe  auf  feine  3cit,  bafe  fein 
größtes  SBert  mel^r  eine  Interpretation  ber  oerfd^iebenen  ©efe^« 
gebungen,  ber  erlofd^enen  wie  ber  nod)  beftel)enben,  eine  ^l^t)= 
pologie  beS  Staates,  als  eine  eigentlid)e  Segrünbung  beS 
conftitutioneHen  9lied)teS  ober  ein  ooHenbeteS  Softem  ber  3fle= 
gierungSfunft  ift;  aud)  fommt  l^ier  nid)t  in  SSetraAt,  ob  bie 
©runblage  feines  Segrip  oom  Staat,  romn  er  biefen  als  baS 
fjrobult  fubieftioer  2Biafür  auffafet,  eine  falfd^e  ift,  ober  ob 
fein  leitenber  @eban!e  ber  Sl^eilung  ber  Gewalten  mel^r  auf 
bie  ^olitifer  beS  Slltert^umS  als  auf  bie  ^^ilofopl^en  unb 
Staatsmänner  ©nglanbs  gnrüdgreift.  SJionteSquieu'S  unöer« 
gleid^lid^e  ffiebeutung  liegt  öielmel^r  barin,  t>a^  er  feinen  S^it- 
genoffen  bie  3Rotl^n)enbig!eit  fefter  Oefe^e  unb  einer  geregelten 
SSertoaltung  gum  Sewufetfein  brad)te  unb  im  berühmten  fed)pen 


*)  Brunetiere,  Iiltudes    sur  le  XVIlIe  Sifecle.     Revue  des  Deux- 
Mondes,  15  F6vrier  1885,  p.  829. 

2)  Buckle,  History  of  Civilization.  John  Morley,  Voltaire,  Chap.  III. 

^)  Louis  Vi  an,  Montesquieu,  sa  vie,  ses  ouvrages.    Droz,  Histoire 
de  Louis  XVI.  I,  82. 

»Icnner^affett,  5rau  i;on  €tael.  I.  8 


114  @influ6  bcr  cnglifd^en  Sbccn. 

Äa))itcl  bcö  elften  Sud^eö  auf  bic  englifd)e  ßonftitution,  fon)ie 
er  pe  öerftanb,  al§  auf  bie  (jlüdlid^fte  unter  aßen  öorl^anbenen 
ßöfungen  be§  ^roblemö  politifd^er  %xt\^tit  öermieö.  ©er  l)tfto* 
rifd)e  @inn  üon  SJlonteöquieu,  bie  t)on  il^m  au§gel)enbe  Sbee, 
bafe  bie  Sefd^affenl^eit  ber  :|)t)^ftfd^en  3iatur  eines  SanbeS  be= 
ftimmenben  ©influfe  auf  ben  ßlö^rafter  feiner  Semol^ner  unb 
fomit  aud^  auf  il^re  Sitten,  ®efe^e  unb  ©taatSeinrid^tungen 
übe;  feine  oft  auSgefprod^ene  Ueberjeugung,  ba^  eine  5Wation 
Slntecebentien  l^abe,  bafe  i()re  Sßergangenl^eit  fte  öerpflid^te,  unb 
jte  folglich  bie  ßi^^w^ft  nid)t  unabl^ängig  öon  biefen  geftalten 
fönne;  alle  bie  ©oftrinen,  tt)eld)e  biefen  flarften,  öorgefd^rittenften 
®eift  be§  ad)tjel^nten  gal^rl^unbertö  alö  bireften  Vorgänger 
unb  Segrünber  ber  neuen  ®efd^i(^t§tt)iffenfc^aft  erfd)einen  laffen, 
fcl)liefeen  jugleid)  ben  ©ebanfen  an^,  al§  l^abe  er  eine  ferDile 
3lad)a]^mung  frember  Snftitutionen  be3tt)edEt.  S)a§  prafti[d)e 
®nbrefultat  feiner  politifd^en  ßel)re  lag  in  ber  Slnmenbung  re= 
:|)räfentatit)er  9legierung§formen  auf  bie  gegebenen,  l^iftorifd^  ge= 
tt)orbenen  ßwftänbe  be§  eigenen  SanbeS;  il^re  birefte,  un= 
mittelbare  f?olge  mar  bie  ©medfung  be§  SSerlangenS  nad^  einer 
ßontrole  aller  ftaatlid)en  Slngelegenl^eiten  burc^  bie  öffentlid)e 
SReinung. 

3n  ben  I)öd^ften  ®efellfd)aft§freifen  unb  in  ben  ^arifer 
@alon§  grofegejogen,  bel)errfd)te  fie  balb  ben  ©efdimadt,  bie 
9Jlobe  unb  bie  Siteratur;  eine  ber  geiftreid^ften  f^rauen  bcr 
3eit,  bie  greunbin  t)on  SEurgot,  ba^  tJräulein  öon  rSfpinaffe, 
fprad^  bie  l)errfd^enbe  Stimmung  au§,  inbem  fie  fd)rieb:  „SSBie 
foHte  man  e§  nid^t  beflagen,  unter  einer  ^Regierung  roit  bie 
unfrige  geboren  j^u  fein.  2öa§  ein  fd)tt)ad^e§,  unglüdlicl)eS  ®e- 
fd)öpf,  tt)ie  idt)  eines  bin,  betrifft,  fo  ttjäre  eS  mir  lieber,  baS 
unbebeutenbfte  SJiitglieb  ber  englifd)en  ßommonS  als  Äönig 
t?on   ^reufeen   ju   fein"  ^).    ©er   SRarquiS   be  ßliafteUu?:  öcr» 


*)  Mademoiselle    de    PEspinasse    an    Guibert;    bei    Foncin, 
Ministfere  de  Turgot,  127. 


^tdtx  beruft  btc  crften  ^roömaialöerfornmlungcn.  119 

bcr  Parlamente,   in    bie    2}ern)aUun8§an|:jeIeflcnl&eiten    ftc^    gu 

mif^en,  immer  wieber  neuen  Stoff  gibt 9Ran  mufe  ben 

Parlamenten  folglich  bie  @tü^e  ber  öffentlid)en  SReinung  unb 
ba§  SRed^t  entjiel^en,  jtd)  atö  aSertl^eibiger  ber  Station  ju  be= 
tradjten,  ober  auf  kämpfe  ftd)  vorbereiten,  welche  ben  trieben 
ber  ^Regierung  6urer  9Jlaieftät  ftören  unb  entroeber  gu  einer 
©mtebrigung  ber  Slutorität  ober  ju  e;rtremen  Sluöfunft^mitteln 
fül^ren  mürben,  beren  Sragmeite  fid)  nid)t  bemeffen  läfet"  ^). 

SHedfer'ö  5Borfcf)lag  mar  alfo  mit  gegen  bie  Parlamente  ge- 
rtd^tct,  aber  aud^  an  bie  SSerufung  ber  ©eneralftaaten  badete 
er  nid^t;  in  f:|)äteren  S^it^«  l^at  er  jebe  3Serantmortung  für  ben 
Sufammentritt  berfelben  auf§  Seftimmtefte  abgelet)nt.  @ie  er* 
fd^icnen  il^m  aB  „eine  oeraltete  Kombination,  bie  in  il^ren  beften 
Seiten  pc^ft  unooUftänbig  gemefen  fei,  bie  aufgegeben,  bann 
mieber  eingefe^t,  niemals  aber  mit  ben  Slnfd^auungen,  ben 
©itten  unb  SJleinungen  ber  Station  in  Harmonie  gebrad^t  mor* 
bm  fei";  er  nannte  \p&Ux  ba^  bem  ^arifer  Parlament  burd) 
Sriennc  gegebene  SSerfpred^en ,  bie  ®eneralftaaten  gu  berufen, 
„ebenfo  üorfd^neU  alö  beflagen^mertl^".  Sie  ©rmartung,  al§  ob 
Wn  ber  Seftimmung  ber  Qdf)l  ber  ®e:putirten  ober  irgenb  einem 
anbern,  ebenfo  fläglid)en  Sßittel  Slbplfe  ber  oorl&anbenen  Uebel 
gu  erwarten  fei,  erfd^eint  il^m  al§  »une  ignorance  et  une 
ineptie«.  „SBarum",  fagt  er,  „foHte  i^  Slnftanb  nel^men,  e§ 
auSgufpred^en,  ba^  meine  erften  mie  meine  legten  ©ebanfen  ftetS 
einem  SRegierungöftiftem  geneigt  maren,  mit  meld)em  meber  bie 
nad^  brei  Stauben  gefonberten  ®eneralftaaten  nod)  irgenb  ein 
anberciS  ber  monard)ifd)en  Snftitute  oerglid^en  werben  fönnen"  ^). 

&S  ift  femer  ein  d)arafteriftifd)er  ßwg  in  3lecfer'ö  politifd^er 
®e|tnnung,  baft  er,  fid)  felbft  überlaffen,  allen  centraliftrenben 
3nftitutionen    abgeneigt    mar;    befonberö    in    feinen    fpäteren 


')  Neck  er,  Memoire  au  roi  sur  l'etablissement  des  Assemblees 
proyinciales.     Oeuvres  completes,  III,  264. 

^  Necker,  De  la  Revolution  fran^aise.  Oeuvres  complfetes,  IX,  126, 
128,  131,  145. 


dltätt'&  3i«I»  ©etolmiung  ber  öffcntüd^en  3l)icinuiig.  117 

SKad^t  burd^  ben  3itfcimmcntritt  bcr  ^rin^en  beö  §aufc§  gran^ 
rcid^  unb  bcr  ^airö  mit  ber  :|)arlamentarifd)en  93Zagtftratur  nid^t 
erfc|t  werben  fönne".  2lud)  93?ale§l^erbeö  tt)ieberl)oIte  an  ber 
©pi^e  ber  wieberl^ergeftellten  Cour  des  Aides  bie  Ueberjeugnng 
t)on  ber  Siotl^wenbigfeit  ber  Berufung  ber  ©tänbe  be§  3ieid^^ 
unb  ba^  Serlangen  „nad^  einem  !önigUd)en  ©efe^geber";  bei 
©clegen^eit  feiner  Slufnal^me  in  bie  SHabemie,  bie  1775  erfolgte^ 
erwerfte  er  einen  SeifattSftnnn  mit  bm  SBorten:  „®in  üon 
üücn  beftel^enben  9Räd)ten  nnabl)ängige^  aber  gead^teteö  SEri« 
bunal  l^at  pd^  crl^oben,  meld^eö  alle  Talente  ju  fd^ä^en  weife 
unb  jebe  Slrt  beö  Sßerbienfte^  prüft;  in  einem  3al)rl^unbert, 
tt)0  jebcr  SKitbürger  burd)  bie  treffe  jur  gangen  3Ration  fpred)en 
fann,  ftnb  ©ieienigen,  n)eld)c  bie  ®abe  beft^en,  bie  ^Äenfd^en 
gu  belehren  ober  gu  rüijxtn,  unter  bem  üerfammelten  SBolf,  waö 
bie  SRebner  üon  SRom  unb  Sltl^en  in  il)ren  Sagen  gemefen  finb." 
@o  fprad^  9)laleöl^erbe§,  ber  ßenfor  ber  frangöftfc^en  treffe! 

Siedfer  backte  nic^t  anber§;  fd^on  im  fönä)  über  ben 
©etreibel^anbel  l^iefe  e§:  „®ie  öffentlid)e  Meinung  ift  ftärfer 
unb  erleudt)teter  al§  ba^  ©efe^"^).  „©er  Slbminiftrator,  ber 
im  ©tanbc  ift,  bie  öffentlid^e  9)?einung  gu  ftubiren  unb  nad) 
i^rer  ®unft  gu  ftreben,  üermöd)te  burd)  biefeö  eingige  @e= 
fül^l  bie  Südfen  feinet  2;alenteö  unb  bie  Unfid)erl^eit  feiner 
Äenntniffe  gn  erfefeen;  benn  bie  allgemeinen  2lnfd)auungen 
Aber  ba^  338o^l  beö  ©taateö,  bie  Segriffe  über  Sltteö, 
tt)aö  nüpd^  unb  öemünftig  ift,  ftnb  mit  bem  ^ortfd^ritt  ber 
äufflärung  üorangefd)ritten  unb  weit  verbreitet"  2).  ©ie  l^ier 
angefülirten  @ä^e  ftnb  ben  erften  @d)riften  3ieder'S  entnommen; 
alö  er  an^  ©nglanb  gurüdf eierte ,  fanb  er  ft(^  in  biefen  3been 
begreiflidier  SBeife  nod^  beftärft:  ,,©ie  erfte  Urfad^e  be§  3ieid)^ 
tl^umS  unb  be§  Ärebitö  üon  ©nglanb  ift  ol&ne  S^^^if^l  i"  ^^^ 


*)  Neck  er,  Sur  le  commerce  et  le  l^gislation  des  grains.  Oeuvres 
complMes,  I,  184. 

^  Necker,  De  radministration  des  finances.  Oeuvres  completes, 
IV,  55. 


118     ÜWittel  8um  3»«^«  ^atlamcntc,  ^roöinaialöetfammlunöcn  ober  @t5nbc. 

Öffentlichen  6ontrole  ber  englifd^en  ginanjen  ju  \nä)m",  fd^rieb 
er  barüber  im  Gompte-rendu  an  ben  Äönig^);  feine  Se« 
wunberung  für  ba§  englifd)e  Staatöwefen  läfet  jt^  auf  biefe 
©inbrürfe  xurüdffül^ren.  „an  ®ic^,  grofeeö  Sßolf,  wenbe  id^  mid^, 
weil  baö  ©efü^l  ber  grei^ett  5)ir  feine  3Racl)t  Ici^t/'  .... 
fd^rieb  er,  auf  englifd^e  Suftänbe  pd^  berufenb,  1784.  „SBebenfe, 
bafe  ©u  ber  3Kenfd)l^eit  3ied^enfd)aft  über  biefe  ^Jreil^eit  fd)ulbeft, 
beren  le^te  @d)ä^e  ®u  bemal^rft,  bamit,  wenn  in  einem  %f)dl 
ber  Söelt  il^re  @:|)ur  üerloren  ginge,  bod^  irgenbwo  il^r  SBorbilb 

unb  Stnbenfen  bewal^rt  würben ©a  5!Jieere§tt)ogen  ®id^ 

üom  ^oä)  ber  ftel^enben  ^eere  bewal^ren,  bebenfe,  bafe  ©eine 
erfte  ©orge  bie  @rl&altung  ber  foftbaren  ^Regierung  ift,  beren 
Segnungen  ©u  geniefeeft"  2).  2lud)  er  war  enifdiloffen,  an  bie 
^ublicität  ju  appeUiren  unb  nid)t  nur  ber  öffentlid^en  SKeinung 
Jfted^nung  ju  tragen,  fonbern  mit  \i)v  unb  burd^  fie  ju  regieren. 

©a§  war  auf  üerfd^iebene  SBeife  burd^fül^rbar;  er  fonnte 
bie  9Kad)t  ber  Parlamente  üermel)ren,  bie  ^roöinjialftänbc 
wieber  einfül^ren  ober  ben  großen  @d)ritt  wagen  unb  bem 
Äönig  bie  ^Berufung  ber  ©eneralftaaten  öorfd)lagen. 

3n  33egug  auf  bie  Parlamente  badete  5Redfer  fo  gicmlid^ 
wie  Surgot;  er  fal^  in  bie[en  Äörperfc^aften  ben  §crb  üon 
Sntriguen  unb  Sorurtl^eilen,  bie  jum  grofeen  Sl^eil  bem  SRangel 
an  ©injtd^t  unb  SBiffen,  jum  anbern  bem  3Bunfd^,  eine  Slollc 
JU  fpielen  unb  bie  SSlicfe  ber  Sflation  gu  feffeln,  jugufdjreiben 
feien,  obwol^l  weber  geiftige  Ueberlegenl^eit,  nod)  Siebe  jum 
öffentlid)en  SBol^l  jte  baju  bered)tige^).  „©a§  publicum",  fd^ricb 
er  bem  Äönig,  „t)at  nun  einmal  burd)  bie  SRid^tung  ber  S^^cen 
ein  offenes  Sluge  für  alle  ?D?ifeftänbe  unb  ^ifebräuc^e  befommen; 
barauS  entfteljt  eine  rutielofe,  unflare  Äritif,  bie  bem  SBunfd^ 


^)  Necker,  Compte-rendu  au  roi.     Oeuvres  compl^tes,  II,  3. 

'^)  Necker,  De  Padministration  des  finances.  Oeuvres  compl^tes,  IV, 
170-171. 

^)  Necker,  Memoire  au  roi  sur  P^tablissement  des  Administrations 
provinciales.    Oeuvres  completes,  III,  152. 


SBitlfornfctt  bcrfelben.  123 

Mcfer  aSerfudö  folltc,  im  5^11  \>e^  ®elingen§,  anbcm  tjlcid)artigen 
Snfiitutiottett  im  ßattgcn  ganbe  gum  9)?u[ter  bicnen  unb  \o  lange 
fortgcfc^t  werben,  „atö  eö  bem  Äönig  gefiel".  ®ie  wid^tigften 
^nfte  il^rer  SEBirfjamfeit  blieben  bie  6rl^ebung  unb  geredete 
SBert^eilung  ber  Steuern,  bie  ©trafeenbauten ,  mit  meldten  bie 
üer^afete  unb  gefürd^tete  Seiftung  ber  grol^nben,  corvees,  in  Sßer* 
binbung  ftanb,  bie  2öol)ltl^ätigfeit§^Slnftalten  unb  bie  görberung 
bt^  ^anbelS  unb  ber  Snbuftrie;  bie  ^Berufung  beö  eigentlid)en 
ülerten  @tanbe§,  burd)  SluiSbel)nung  ber  SBal)l  beö  britten  ©tanbeö 
auf  jwßlf  länblid^e  ©runbbejt^er ,  alfo  auf  jwölf  Sauern,  mar 
SHeder'jS  wefentlic^fte  5)leuerung.  5)ie  nädt)fte  ^roöinjial^SSer- 
fammlung  foHte  1779  im  ©aupl^ine  eingefül)rt  merben;  biefe 
^roülnj  l^atte  frül^er  eine  ftänbifd)e  SSertretung  gel^abt  unb  bie-- 
felbc  unter  SRid^elieu  öerloren;  fie  erl^ob  beöwegen  @d)tt)ierigs 
feiten  unb  »erlangte  il)re  alten  9fled)te,  ftatt  ber  neuen  6inric^== 
tung,  bie  man  if)x  bot. 

gierfer  fd^ieb  auö  bem  SKinifterium,  beöor  ber  (Streit  ge= 
fd^lld^tet  war;  erft  1798  foHte  er  gum  3lu§trag  fommen  unb 
bie  Vertretung  be§  ©aupl^ine  eine  grofee  SRolle  in  ben  QeiU 
ereigniffen  f:|)ielen.  ^Dagegen  gelang  1779  bie  ßinrid^tung  einer 
^roüinjial*S5erfammlung  "in  ber  (Generalität  öon  2Kontauban, 
nun  nad^  alter  SBeife  ^aute-®uienne  genannt,  fd^eiterte  aber 
1780  in  ailoulinS  für  ba^  Sourbonnaiö ,  SZioemaig  unb  bie 
SRard^e. 

©ie  gtt)ei  $roöingial=aSerfammlungen  im  Serrt)  unb  in 
SRontauban  tagten  bi§  1786  unb  redt|tfert igten  im  üollften 
9Ra§  bie  Erwartung  9leder'ö,  „bafe  ber  @inn  für  baö  ®emein= 
VDoijH  burd)  jte  gel^oben  unb  ba^  Sßolf  burd)  bie  neu  ern)ad)ten 
(Smpflnbungen  ber  SBol^lfal^rt  unb  beö  SBertrauenö  ber  Sflegie« 
rung  jtd^  aufd^liefeen  werbe"  ^) ;  il^re  fegen§reid)e  SS^ätigfeit  ift 
ber  lichte  ^ßunft  in  ber  ®efd)id)te  Subwig^ö  XVI.     3wei  ber 


*)  Necker,  De  Padministration  des  finances.    Oeuvres  complfetes,  IV, 
21  u.  86. 


120  SRcder  beruft  bie  erften  ^voötnatalöerfammlungcn. 

©Triften  tritt  auf§  Scftimmtcfte  eine  Hinneigung  jum  göberatiü- 
ftaat  gu  Sage.  ®ie  ©enffdönft  an  ben  Äöntg  gu  fünften  ber 
@infäl)rung  Don  ^roöingialftänben  legt  ba§  l^auptfäd)UdöP^  ®C' 
tt)id)t  baranf,  ba^  eine  gered^tere  Seurtl^eilung  ber  eigentl&üm* 
lid^en  SSerl)äItntffe  jeber  $rot)ing  bnrd)  jte  ermöglid)t  merbe, 
an  bie  ©teKe  ber  öon  $ari§  au^gel^enben,  centralen  Seitung 
burd)  ben  nngenügenb  unterrid)teten  nnb  fd)Ied^t  bebtenten  ÜRi= 
nifter  werbe  eine  billige,  üerftänbige  Serädftd)tigung  lofaler 
ßuftänbe  nnb  :|)rot)ingieHer  SSerfd^iebenl^eiten  treten^). 

Sieben  biefen  öorwtegenb  praftifd^en  ßrmägungen  wiber* 
fprad^  aber  aud)  9leder'ö  ganje,  bamatö  iebenfaHS  nod^  fel^r 
mangell^afte  Sl^eorie  öon  ber  ©ouüeränetät  bem  ®ebanfen  an 
eine  Serufnng  ber  @tanbe  be§  9leici^§;  ber  SJtinifter,  n3eld)er 
bie  englifd^e  3Serfaffung  al§  fein  poUtifd^eö  gbeal  feierte,  [teilte 
bennod^  in  ber  @d)rift,  weld^e  bie  Berufung  ber  ^roüingial- 
ftänbe .  em)3faf)l,  ben  @a^  auf,  ba§  baö  Sefteuerungörec^t  bie 
notl)tt)enbige  ©runblage,  nid^t  etma  ber  :|)oUtifd^en  f?reil^eit, 
fonbern  ber  föniglid)en  9Kad)t  fei.  3Bäf)renb  Surfe  alle,  t)on 
ben  frü()eften  Seiten  an  um  ber  greil^eit  millen  beftanbenen 
Ääntpfe  beg  englifd^en  »olfeö  auf  bie  S^atfad^e  gurürfffi^rte, 
ba^  Sefteuerung  unb  Vertretung  bei  freien  3iationen  ungertrenn* 
lid)  öon  einanber  feien,  unb  ^itt  in  ben  fd)ärfften  unb  be* 
ftimmteften  Sluöbrfiden  bie  ©elbftbefteuerung  be§  3Solfe§  burdb 
feine  gefe^lid)en  Sßertreter  aU  ba§  tt)efentlid)e  unb  unterfd^eibenbe 
SWerfmal  :|)olitifd^er  fjreil&eit  begeid^nete,  erflärte  nieder  „biefe^ 
gefe^lidie  SRed)t  ber  Ärone  nid)t  einfd^ränfen,  fonbern  nur  in  feiner 
Sluöübung  regeln  gu  ttjollen"  ^).  Soweit  war  ba§  abfolute  ©Aftern 
felbft  unter  Subwig  XIV.  nid^t  gegangen,  unter  bem  man  eö 
forgfam  öermieben  l^atte,  biefen  $unft  äberl^aupt  biöfutiren  gu 
laffen.    Siedfer  felbft  untergog  wä^renb  feinet  9Jlinifterium§  bie 


')  Necker,    Memoire    au    roi    sur   retablissement    des    Assemblees 
provinciales.     Oeuvres  compl^tes,  III,  340,  341. 
2)  ^benbafelbft,  III,  346,  351. 


122  Söirifamfeit  bcrfcIBcn. 

tioncn,  bie  nur  in  wenigen,  bereits  ertüäi^nten  5|JroDinjen  ber 
5!Jlonarci^ie  nod^  fort  beftanben.  6in  Sifdl  be§  ^anö  öon 
Surgot  war  baburd)  wieber  aufgenommen;  aber  öon  feiner 
Sbee  einer  üorbereitenben  SBertretung  ber  ©emeinben,  bann  ber 
Äreife,  war  nid^t  wieber  bie  SRebe,  unb  an  bie  ©teile  ber  SBäl)I= 
barfeit  auf  ®runb  eines  beftimmten  (SinfommenS  unb  ol^ne 
Unterfd^ieb  ber  ©täube,  trat  bei  9?edfer  bie  SRüdfel^r  jum  ^rincip 
ber  brei  ©täube,  aUerbingS  mit  einer  wefentlid^en  SBeränberuug. 

3n  ben  (äeueralftaaten  unb  in  ben  ftäubifd^en  SBertretungen 
ber  einjelnen  ^roüinjen  öer^anbelte  Jeber  ©taub  für  jtd^,  fo* 
bafe  Slbel  unb  ßleruS,  als  bie  beiben  erften  ©täube,  wenn  fte 
jtd^  bereinigten,  ftetS  in  ber  2Waj[orität  gegen  ben  britten  ©taub 
waren;  in  einer  einzigen  ^roöiuj,  bem  Sangueboc,  war  bieS 
anberS,  bort  würbe  nur  in  einer  SBerfammlung  unb  nad^ 
Äöpfen  geftimmt,  unb  ber  SierS  beftaub  für  jtd^  allein  au§ 
ebenfo  fielen  SJiitgliebern,  als  bie  beiben  übrigen  ©täube  ju* 
fammen. 

©iefen  3Bal)lmobuS  l^atte  bereits  g^enelon  für  alle  ^roöin« 
jialftänbe  beS  SReid^S  in  SBorfd^lag  gebrad^t,  unb  il^n  wäl^ttc 
ie^t  audö  nieder;  nid^t  ol)ne  Sebenfen  gab  ber  Äönig  feine  3"== 
ftimmung  *). 

®er  erfte  SBerfud)  jur  (äinfül^rung  ber  neuen  ^nftitution 
würbe  in  einer  ber  fleinften  unb  ärmften  ^roöingen  ber  3Kon* 
ard^ie,  im  Serr^,  gemad^t;  bie  SBerfammlung  beftanb  auS  ac^t» 
unböierjig  3JJitgliebern,  t)on  benen  jwölf  Slbelige,  jwölf  ©eljllldöe, 
jwölf  Vertreter  beS  SSürgerftanbeS  auS  ben  ©täbten  unb  8»ölf 
länblid^e  ®runbbeft^er  waren;  ber  Äönig  beftimmte  fed^jc^ti 
©eputirte,  biefe  wäl^lten  bie  übrigen  jweiunbbreifeig,  baS  ^räßbium 
fül)rte  ber  (Srjbifd^of  üon  SSourgeS.  5)ie  SBerfammlung  foKtc 
alle  jwei  3al)re  wäl^renb  eines  9ÄonatS  gufammentreteu  unb  in 
ber  3tt)ifd^enjeit  bie  2luSfül)rung  il^rer  ©efrete  burd^  ein  SSureau 
Don  jt eben  SRitgliebern  unter  einem  ^räfibenten  bef orgt  werben ; 


^)  De  Lavergne,  Les  Assemblees  provinciales,  18. 


126  3Raurcpa8  gegen  9Zerfet. 

3eit  gar  nid^t  bic  notl^tücnbigcn  abminiftratiöen  (äinrid^tungcn 
unb  baS  mobcrnc  3icd)nung§n)cfcn  öorl^anben,  bie  einen  genauen 
3laä)tod^  ber  (ginnal^men  unb  Slu^gaben  ennöglid^en;  [o  be= 
trugen  bie  ©taatöeinfünfte  öon  1781  öierl^unbertbreifetg  ^ih 
lionen,  3lleder'§  Sendet  öerred^nete  aber  nur  jtoeil^unbertöier^ 
unbfed)gig  SJiiHionen,  tt)eil  über  bie  anbern  6in!ünfte  leine  üer* 
läfjtge  Sleclienfdjaft  gegeben  xoax;  e§  tonxbt  alfo  einfadC)  ange= 
nommen,  ba^  jte  bie  ^öl^e  be§  S)urd^f(I)nitt§ertrag§  errei(I)t 
Ratten '), 

@o  weit  ttjar  3lleder  gefommen,  ate  auci^  ü)m  burdC)  bie 
Ungunft  ber  35erl^ältniffe  ^alt  geboten  tt)urbe. 

®er  erften  großen  @(I)tt)ierigfeit  begegnete  er  im  ©d^ofe 
be§  2Rini[terium§  [elbft.  2Bäl)renb  be§  ©eefriegS  mit  (änglanb 
lag  bie  SSerwaltung  ber  5!Karine  in  ben  ^änben  be§  notorifd) 
l^ierfür  unfäl^igen  .^errn  öon  ©artineS;  im  Saläre  1771  \ä)\ih 
büc  biefer  9Jiinifter  bem  g^lottenbienft  über  ein  3al)r  ber  ®agen, 
unb  bennod)  betrug  ba§  ^Deficit  in  feinem  Departement  jtüanjig 
aRißionen.  5Recfer  verlangte  öon  5!Kaurepa§  bie  ©ntlaffung  öon 
©artineS  unb  brol^te  mit  feiner  eignen,  faU§  biefe  nid)t  erfolgen 
foKte;  5!Kaurepa§  loäre  nid)t§  tt)iIlfommener  getoefen;  gur  8lb^ 
neigung  gegen  5Rerfer  tt)ar  längft  bie  g^urd^t  gefommen,  burd^ 
ii^n  erfe^t  ju  werben,  aber  ber  Slugenblid,  il^n  gu  ftfirjen, 
war  nodi)  nid^t  ba;  er  bot  il^m  ba§  ^ortefeuiKe  ber  SRarine 
in  ber  ßrmartung  an,  it)n  bmi)  Uebernal^me  einer  Slbminiftra* 
tion,  t)on  weld^er  er  nid^tö  oerftanb,  in  SBerlegenlieiten  gu  üer* 
wideln.  5Reder  beging  jebod^  biefen  fjel^ler  nid)t,  [onbem  be* 
•nu^te  ein  Unwol^lfein  be§  alten  9Jiinifter§,  um,  im  ©inoerftdnbmfe 
mit  ber  Königin,  bie  Ernennung  be§  5IKarqui§,  fpäter  SWarfd^all« 
be  ßaftrieö  jum  SWarineminifter  unb  jwei  SKonate  fpäter  bie 
SBal^l  beö  9Äarqui§  be  ©egur  jum  ÄriegSminifter,  an  ber 
©teile  be§  ^ringen  öon  SWontbarre^,  burd^gufe^en.  ®a§  war  im 
^erbft  1780;   eö  folgte  bie   «ßublifation   be^    Compte-rendu, 


^)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  I,  294  u.  ff. 


S)ic  Dppofition  möd^ft.  129 

• 

nid^t  nur  bie  Sptigfeit  bc^  SWiniftcr^,  fonbcm  auc^  bic  ß^rc 
beg  Privatmannes  bcn  SBerbäd^tigungcn  preiSjugeben. 

üicdfcr'iS  Segriff  öon  ber  SUlmad^t  ber  öffentttd^cn  SKeinung 
leierte  auf  iebcr  ©citc  feiner  ©d^riften  wieber  unb  fprad)  ^ä) 
in  allen  feinen  ^anblungen  auö.  S)er  ßntl^ujtaömuö  fetner 
grcunbe  tonnte  il^n  über  ben  Umfang  be§  SBiberftanbS  täufd^en, 
ber  fidö  gegen  il^n  erl^oben  l^atte,  aber  bie  ©fifteng  eines  fold^en 
war  il^m  xooljll  befannt;  bie  l^ol^e  Slriftofratie  bot  in  ben 
$roöinjen  njittig  bie  §anb  ju  feinem  3fleftirmtt)erf^),  aber  ber 
^ofabel  öerjiel^  SRecfer  ebenfott)enig,  als  er  Surgot  gebulbet 
l^atte,  unb  ful^r  fort  bie  SluSfibung  ber  üerberblid^ften  5Uii6« 
bräud^e  wie  erworbene  SRed^te  gu  beanfprud^en. 

©ie  Stimmung  ber  Detonomiften  gegen  il^n  erful^r  leine 
SÄobiflf ation ;  bie  tl^eilweife  ©urd^fül^rung  il^reS  Programms 
entfdöäbigte  aud)  biefe  politifd^e  Partei  nid^t  für  bie  ^int^» 
anfe^ung  ber  5|Jerfönlid)Ieiten.  SSon  allen  SSewunberem  unb 
Slnl^ängem  t)on  Sturgot  war  93oItaire  faft  ber  einjige,  ber  jtd) 
baburd^  nid^t  abl^alten  liefe,  aud)  baS  (äjrperiment,  baS  Sfteder 
öerfud^te,  mit  wol^lwoHenber  ©qmpatl^ie  ji^  begleiten;  e§  er= 
fc^ienen  SBerfe  öon  il^m,  worin  er  bem  5!Kinifter  fagte: 

»On  vous  damne  comme  heretique; 

On  vous  damne  bien  autrement 

Pour  votre  plan  economique, 

Fils  du  g^nie  et  du  talent. 

Mais  ne  perdez  point  Tesperance; 

AUez  toujours  ä  votre  but, 

En  reformant  notre  finance. 

On  ne  peut  manquer  son  salut, 

Quand  on  fait  celui  de  la  France«  2). 
S)ie  ^]^ilofo|)]^ie  enblid^  fal)  il)re  Erwartungen  nid)t  erfüllt,  ©er 
ÄleruS  l^atte  eS  ju  ©nbe  beS  S^l^reS  1778  burd)gefe^t,  bafe  gegen 


0  LaTergne,  Les  Assemblees  provinciales.    D'Haussonville,  Le 
Salon  de  Madame  Necker,  II,  128  u.  ff. 

*)  La  Harpe,  Correspondance  litteraire,  1779,  II,  157. 
»lennetlbaftett,  5rau  ton  ©tael.  J.  9 


1« 


128  S)te  £)ppofittou  »öd^ft. 

2)ie  @elb[tgetättig!eit  aber,  bic  SRedcr  gu  bicfcn  unb  öiclen 
ä^nli^en  Slcufeerungcn  üeranlafet  l)atte,  öcrle^te  ni(I)t  9Jlaurepa§ 
allein.  ®cr  eigentUd^e  Url^eber  be§  ^lane^  ber  SBieberberutung 
unb  3lu§bel)nung  ber  ^roömjiaberfammlungen,  9Äarqui^  üon 
SKirabeau  ber  SBater,  beffen  Sud^  über  biefen  ©egenftanb  fd)Ott 
1750  erfd^ienen  tt)ar,  fanb  jtd)  in  SReder'S  ®enffd)ritt  an  ben 
Äönig  gleid^faU^  nid^t  ermäl^nt,  obxoo^  bie  mertoürbigften 
©teilen  berfelben,  tt)ie  g.  33.  ber  Slbfd)nitt  über  bk  Sntenbanten 
unb  ber  jum  gepgelten  SBort  geworbene  @a^:  ,,2)eriemge,  ber 
6000  Siöreö  ^enfton  erhält,  begießt  bie  (äinfünfte  —  la  taille 
—  öon  [ed^§  S)örfern'^  bern  IBud^  öon  3Kirabeau  entnommen 
maren.  3ur  ©ntfdöulbigung  3ledfer'§  liefe  jid)  fagen,  bafe  bie 
®enffd)ritt  über  bie  ^roöingialoerfammlungen  nur  für  ben  Äönig, 
nid^t  aber  für  bie  Deffentli^feit  beftimmt  mar.  S)er  Si^f^K  liefe 
jte  jebodö  in  bie  .^änbe  eine§  gemiffen  ßromot  gelangen,  3n== 
tenbanten  ber  g^inanjen  öon  9Äonfieur,  ©ruber  Submig'S  XVI., 
beffen  Semerbungen  für  feinen  föniglid^en  ^erm  fornol^l  atö 
für  jtd^  nieder  abfd^lägig  befd)ieben  i^atte^),  unb  ber  nun, 
um  jtd)  am  SRinifter  ju  räd^en,  bie  Slrbeit  beöfelben  brudert 
unb  überall  verbreiten  liefe,  beöor  gegen  i^n  eingefd^ritten  wer- 
ben lonnte^).  5)ie  Parlamentarier  fal)en  ftd)  ii^rerfeitS  nidt)t 
nur  burd)  SReder  angegriffen,  fonbern  in  il^rer  @<rifteng  bebrol^t 
unb  beuteten  ben  gefäl^rlid^en  @a^  öon  ber  ©teuergemalt  ber 
Ärone  bieSmal  nid)t  ol^ne  ®runb  bal^in  au^,  bafe  mit  Slufl^ebung 
il^reS  @infprud^§red)tö  ba§  lefete  SSollmerl  ber  aSolf^freil^eiten 
fallen  merbe;  fie  ermiberten  feine  Sefd^ulbigungen  junäd^ft 
burd^  bie  SBeigerung  be§  ^arifer  ^^5arlamente§,  ba^  ©bift  ein* 
jutragen,  meld^eS  bie  ^rooinjialoerfammlung  üon  9Äoulin8  ein^» 
berief,  ßi^öl^*^  erai^tete  SUtaure^^aS  \>cn  lang  erfelinten  Singen* 
blid  für  gefommen,  um  einen  gangen  Sd^marm  üon  @dt)mäl^« 
fd)riften  unb  ^ampl)leten  gegen  feinen  Kollegen  lo^gulaffen  unb 


0  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  11,  120—122. 
-)  Auguste  de  Stael,  Notice.    Oeuvres  complMes,  I,  CLXX. 


(Sx  öcröffcntlid^t  feinen  Compte-rendu.  125 

Staates  öcrgUdicn;  e§  mufetc  ju  einem  neuett  SJlittel  ßegriffen 
werben,  um  ben  Ärebit  ju  erl^öl^en.  nieder  fam  auf  feine  Sieb* 
lingöibee.,  bie  ©ewinnung  ber  öffentlid^en  9Reinung  burd^  eine 
Ilare  ©arlegung  beg  ©tanbeö  ber  @taatögefd)äfte  jurüd  unb 
lüftete  jum  erften  SRal  ben  unburd^bringlid^en  ©d^Ieier,  ber  feit 
SRic^elieu  bie  ^inangen  ber  franjöftfd^en  2Ronard)ie  bebedfte; 
fein  Compte-rendu  an  btn  Äönig  erfd^ien  1781,  im  Sanuar, 
unb  war  bie  gröfete  Steuerung  in  ber  aSerwaltung  ber  alten 
SKonard^ie.  ^n  finangieHer  33ejiel)ung  üertüieö  er  auf  einen 
Ueberfd)u§  öon  gel^n  aJiiHonen  in  ben  ©infünften  be§  Staate^ 
über  feine  Sluögaben,  auf  baö  SSerfd^minben  be§  ©eficitS  unb 
auf  bie  tt)ad^f enbe  3Bol)lfal)rt  beS  SanbeS ;  bie  näd)fte  S^olge  be§ 
3ied^enfd)aftöberid)t§  war  bie,  ba^  bie  neue  Slnleilie  SReder'ö  in 
wenigen  SRonaten  über  jweil^unbertfed)öunbbrei6ig  SSJiittionen 
einbrad^te.  3n  moralifdjer  Sbejie^ung  war  fein  ßinflufe  nid)t 
geringer.  Sie  Sluöeinanberfefeung  ber  t)orl)anbenen  9Jtifebräud)e 
banb  bie  ^Regierung  an  bie  SlbfteHung  berfelben  unb  begei^rte 
für  ben  Äönig  ju  ®unften  beö  SReformwerfS,  ba§  bie  ©ered^tig:^ 
feit  verlangte,  bie  Unterftü^ung  ber  öffentlid^en  SReinung;  fie 
allein  fonnte  ii^m  bie  Äraft  gu  feiner  ©urd^fü^rung  oerlei^en, 
aber  jte  öerpflid^tete  ii^n  jugleid),  e§  nidjt  wieber  aufzugeben. 
S)a^  ber  Compte-rendu  in  finaujieUer  §inftd)t  unri^tig  war, 
ift  längft  übergeugenb  nad)gewiefen  worben;  bie  Sered^nung, 
bie  er  aufftetttc,  begog  fid^  nämlid)  nur  auf  bie  regelmäßigen 
©nnal^men  unb  Sluögaben,  nid)t  aber  auf  bie  au6erorbentlid)en 
Saften,  bie  ber  Ärieg  auferlegte  ^),  unb  ferner  war  e§  nid^t  ba^ 
Subget  eines  beftimmten  Sal^reS,  welches  9teder  aufftellte,  fon- 
bern  eine  Slrt  t)on  giftion,  ein  ©urd^fd^nittsbubget,  ba§  btn 
regelmäßigen  @tanb  ber  @inna{)men  unb  SluSgaben  innerl^alb 
beS  3^ttraum§  eines  Sal^reS,  aber  ol)ne  jebe  Serüdftd^tigung 
ber  öorlommenben  SluSfäUe  unb  außerorbentlid)en  SluSgaben, 
fowie  beS  laufenben  ©eficitS  gab.    UeberbieS  waren  ju  feiner 


0  Necker,  De  la  Revolution  frangaise.     Oeuvres  conapletes,  X,  229. 


130  S)tc  Königin  für  ffttdtx. 

bcn  35Bunfd^  beö  Äönig^,  ber  SWel^rjal^l  bcr  SKinifter  unb  [elbft 
einer  Qai)l  öon  Sifci^öfen  bie  ®ett)äl)rung  ber  bürgerlici^en 
Siebte  an  bie  ^Proteftanten  unb  bie  Segalijtrung  il^rer  6^en  öon 
ben  Parlamenten  nid^t  bett)ill(igt  würbe;  beffenungead^tet  blieben 
bie  Sejiel^ungen  5Reder'§  gum  ©piöfopat  bie  beften,  unb  IBifd^öfe 
präjtbirten  feinen  ^roöingialftänben.  2Benn  e§  [einem  ©inPufe  ju 
banfen  tt)ar,  bafe  bie  ©d^riften  t)on  S3aiH^  unb  IBuffon  ben 
ßenfuren  ber  ©orbonne  entgingen,  fo  mufete  eö  bafür  gleid^fattö 
feinen  befannten  ®epnnungen  über  religiöfe  5)inge  jugefd^rieben 
»jerben,  ia^  ber  auswärtige  Sud^l^anbel  ben  frangöjtfd^en  SWarft 
nid^t  tt)ie  frül)er  mit  ^robuftionen  gegen  baS  Sl)riftentl)um  unb 
bie  guten  Sitten  überflutl^ete  ^). 

SBie  aufmerffam  feine  ^Jreunbe  au§  bem  pl^ilofopl^ifd^en 
gager  5Recfer'§  Haltung  in  biefer  Segiel^ung  im  Sluge  bel^ielten, 
fagt  u.  a.  ein  vertrauter  ©rief  von  @aint=Sambert  an  SRabame 
nieder,  alö  eö  befannt  würbe,  ba^  für  bie  ©täube  beö  5)aup]^ine 
eine  geringere  Slnjal)l  öon  (äeiftUdöen  al§  für  Jene  be§  Serr^ 
in  Slu§jtd)t  genommen  war  unb  ha^  ^räftbium  einem  Saieit 
jufaHen  follte.  '  Sind)  bieömal  war  am  §ofe  felbft  ber  (äinflufe 
ber  Königin  nid^t  gu  unterfd^ä^en:  fte  l^ielt  vorläufig  treu  ju 
5Reder;  9Jiaurepa§  öerjiel)  eö  xi)x  um  fo  weniger,  alö  bie  gwei 
5!Kinifter  be  Saftrieö  unb  ©egur  il^rem  (äinflufe  bie  ^ortefeuiHeö 
beö  Kriegs  unb  ber  SRarine  üerbanften.  ©eine  Slntipatl^ie 
gegen  9tedfer  t^eilte  ber  allen  5Reuerungen  gleid^  wiberftrebenbe 
35ergenne§;  ber  alte  SWinifter  verlangte  unb  erl^ielt  öom  legieren 
eine  gel)eime  ®enffd)rift  an  ben  Äönig,  worin  e§  al§  l^öd^ft  gefäl^r^ 
lid^  begeid^net  würbe,  „bie  fd^wierigfte  Slbminiftration  beS  SReid^S 
in  ben  Rauben  eines  SRepublifanerS  unb  ^roteftanten  ju  laffen'' ; 
bie  3fiul)e,  weld^e  ben  Slnftrengungen  fo  oieler,  weifer  aJiinifter 
gu  banfen  fei,  werbe  baburi^  bebrol)t.  Siefe  Sftul^e,  fo  fc^lofe 
aSergenneS  djarafteriftifd^  genug,  fei  barauf  gurücfgufülören,  ba% 
es  in  S^ranfreid^  weber  ÄleruS  nod^  äbel,  nod^  einen  eigent* 


0  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.  I,  264. 


^amp^t,  131 

lid^en  SicrS  gebe,  ©ie  Unterfd^eibung  fei  ehte  fiinftlid^e,  blofe 
repräfcntatiöe,  ol^ne  wirtlid^e  Autorität:  „®er  SJionard^  fpttd^t, 
aaes  ifl  aSolf  mb  Mt^  ge^orc^t''. 

SSergenneS  a^nte  nic^t,  tt)ie  toal^r  er  fprad^;  gerabe  ber 
niöellirenbe  Slbfoluti^muö  l^atte  bie  ©emolratie  gefd^affen,  welci^e 
bicfctt  S(bfoluti§mu§  erfe^en  foHte. 

Unterbeffen  erfd^ien  gegen  ben  Compte-rendu  ein  neues 
^am|)l^let,  beffen  3Serfaffer  bie  ©tette  eineö  @d^a^meifter§  beS 
(ärafen  öon  2lrtoi§  befleibete.  3Jlan  tüax  bantalö  gegen  Singriffe 
ber  treffe  nid^t  fo  abgel^ärtet  tt)ie  l^eute,  unb  jubem  lag  3lledfer'§ 
gonge  ©tärle  in  ber  Sld^tung  unb  im  Vertrauen  beg  ^ublifumö ; 
er  öerlangte  alfo  Prüfung  ber  gegen  il^n  gefd)leuberten  SJer« 
leumbungen,  unb  alö  biefe  in  ©egenwart  öon  breien  feiner 
Kollegen  öollftänbig  ju  feinen  ®unften  entfdt)ieben  xoax,  Sluf« 
nal^me  in  ben  5!Kinifterrat]^.  @r  t)erfd()tt)eigt  in  ber  ®efd^id)te 
feines  erften  aJiinifteriumS  nid^t,  tt)te  fd^merglid^  bie  fortgefe^ten 
Singriffe  feiner  geinbe  il^n  trafen,  tt)ie  bitter  er  eS  empfanb,  bie 
SReinl^eit  feiner  8lbftd^ten  öerfannt  ju  feigen,  unb  biefe  Stimmung 
fud^te  er  aud^  feiner  iJrau  nid()t  ju  verbergen?  9Jiel^r  unb  mel^r 
fal^  biefe  in  SJlerfer  „einen  aufeerorbentlid^en  5!Kenfd^en,  eine  @r^ 
fd^einung,  bie  man  nid^t  ol^ne  SRül^rung  betradt)ten  fönne,  ettoaS 
^immlifd^eS,  »ie  man  eS  nur  öon  l^öl^eren  SBefen  gu  ertt)arten 
berechtigt  fei'';  er  erfd^ien  il)rer  mafelofen  S3ett)unberung  wie 
„ein  Sönje,  ber  ftd^  in  [Regionen  derirrt  l^abe,  wo  fonft  nur 
fjüd^fe  unb  SSären  il^r  SBefen  trieben'' ;  erft  nad^  unb  nad),  „im 
Sauf  ber  ß^tt  ^^^  ^^^  33egebenl^eiten,  l^abe  fte  ben  gangen  Um^ 
fang  feines  ®eniuS,  bie  Stiefe  feiner  ®üte  erfannt" '). 

Slud^  öon  SRecfer'S  Seite  l^atten  bie  Segiel^ungen  gu  feiner 
®attin  erft  öor  Äurgem  einen  eigent^mlid^en  StuSbrud  gefunben; 
5!Äabame  Nieder  war  im  Gompte-rendu  bei  SSefpred^ung  ber 
in  ©efdngniffen  unb  ©pitälern  burd^gefül^rten  SReformen  genannt 


*)  Madame  Necker,  M^langes  extraits  des  manuscrits  de  Madame 
Necker.  II,  Portrait  de  Monsieur  Necker,  372. 

9* 


132  ^«tf«  M*  SBcbinsungcn. 

tt)orben,  uub  il^r  3Rann  l^atte  für  bie  ebenfo  öerftänbigc  atö 
uncnnübli(I)c  Untcrftüfeung,  bie  fte  tl)m  geiciftet,  öffcntlid^  feinen 
S)anf  auöflefprod^en ;  bafe  er  je^t,  [tatt  ber  üerbienten  M^ 
gemeinen  Slnerfennung,  bie  ungered^teften  unb  untt)ürbigften  S3e- 
fd^ulbigungen  über  jtd^  ergel^en  laffen  follte,  erfcl)ien  il^r  un=^ 
erträglid^  unb  öeranlafete  jte  gum  größten  taftifd^en  %el)Uv,  ber 
fiberl^aupt  gu  begel^en  »ar;  jte  »änbte  jtd^  ol^ne  SSortoiffen 
5Re(fer'§  an  5!Äaurepaö,  ber  nad^  ben  SBorten  öon  ^rau  öon 
©tael  ,,im  Sluöbrud  eines  wahren  ©efül^tö  md)t§  fal^  ate  bie 
©elegenl^eit,  bie  öertounbbare  ©teile  beSfelben  ju  entberf en"  ^), 
unb  verlangte  Don  il^m,  bie  8lngriffe  ber  5lug[d)riften  gegen 
il)ren  9Äann  ju  oerl)ittbern.  ®er  SKinifter  fonnte  baburd^  erft 
ermeffen,  vok  tief  bie  jum  guten  Sil^eil  öon  tl^m  abgefenbeten 
Pfeile  getroffen  l^atten;  er  ging  je^t  einen  ©d^ritt  tt)eiter  unb 
öertoeigerte  nieder  nid^t  nur  ben  verlangten  Eintritt  in  ben 
aRinifterratl^,  fonbern  er  fügte  ben  beleibigenben  SBorfc^Iag  l^ingu, 
biefer  möge  burd^  SRetigionömed^fel  ba§  ^inbemi^  befeitigen, 
ba^  ftd^  biefem  Verlangen  entgegenfteHte ;  im  Uebrigen  bat  er 
feinen  GoKegen,  We  angebotene  ßntlaffung  äurfidgujiel^en. 

5ftecfer,  öom  SBunfd^e  befeelt,  feine  SBirffamleit  fortjufe^en, 
^ielt  neue  SBorfd^Idge  nod)  nid)t  für  auSgef d)Ioffen ;  er  öer= 
langte  bie  Prüfung  ber  StuSgaben  für  SJiarine  unb  ^ecr,  bie 
Slbfe^ung  be§  wiberfpenftigen  S^tenbanten  öon  SJiouIinS  unb  bie 
erjtt)ungene  Eintragung  be§  6bift§,  ba^  eine  ^rodinjialöer* 
fammlung  für  ba^  SSourbonnai^  in§  Seben  rief  unb  Dom  ^arifer 
Parlament  abgelei^nt  »orben  »ar.  SWaurepaö  öerweigerte  aud^ 
bieö,  unb  5ßedfer  fd^rieb  nun  an  ben  Äönig,  mit  fd^merjerfüllter 
Seele  muffe  er  Don  il^m  fd^eiben^).  ©eine  ©ntlaffung  ift  Dom 
19.  5Rai  1781.  ßtoei  3Ronate  frül)er,  am  18.  TOärj,  war 
Surgot  geftorben,  unb  fd^on  im  barauffolgenben  5ftoDember  ftarb 


0  Madame  de  Stael,  Notice  sur  la  vie  priv^e  de  Monsieur  Necker. 
2)  Auguste  de  Stael,  Notice  sur  Monsieur  Necker.    Oeuvres   com- 
plfetes  I,  CLXXVI.    Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.  I,  302. 


eeln  gHüdtritt.  133 

bcr  feit  längerer  ß^xt  leibenbe   SJlaurepaö;  feinen  Slob   abjn« 
warten  l^ätte  eine  Inrje  Spanne  Qdt  genfigt. 

35a§  anf  feften  ^rincipien  berul^enbe,  tiefbnrd^baci^te  unb 
^nfamutenl^ängenbe  ©Aftern  öon  Snrgot  erfe^te  SHecfer  bnxä)  ba§ 
jeinifle  nid^t;  feine  politifd^en  6rfal)rungen  ftnb  jum  großen 
Sl^eil  auf  Äoften  be§  ©taateö  gemad^t  worben,  ftatt  biefem  jur 
SKd^tfdönur  ju  bienen;  aber  ein  Slbminiftrator  tt)ar  er  ju  einer 
3eit,  tt)0  e§  in  fjranfreici^  aufeer  il^m  faum  einen  fold^en  gab. 
@in  fclbftdnbigeö  SKinifterium  SIerfer  wäre  1781  immer  nod) 
bie  befte  SBal^I  für  bie  STOonard^ie  gewefen;  eine  ai^nung  ba* 
t)on  l^attc  bteSmal  merfroörbiger  2Beife  bie  Königin.  3^re 
^orrefponbenj  mit  3Raria  3:i^erefta  fprid^t  gwar  nidjt  auöbrüdE* 
lid^  öon  il^m,  voo^  aber  äufeert  jte  ftd)  tt)ieberl)oIt  mipiKigenb 
über  9Jlaurepa§  unb  35ergenne§,  beren  SSerl^alten  wäl^renb  beö 
ba^rifd^en  6rbfolgefriege§  il^ren  S^mpatl^ien  für  ^eimatl^  unb 
gamilie  fo  wenig  entfprod^en  l^atte,  unb  gegen  weld^e  überbie§ 
ll^rc  aWutter  fowol^l  al§  Äaifer  3ofepl)  II.  fortwäi^renb  ben 
6inpu§  ber  jungen  Königin  aufboten  ^).  Slber  il^re  $arteinal)me 
für  üiecfer,  weld^em  fte  felbft  ßinfd^ränfungen  in  il)rem  §ofl^alt 
jugejlanb^),  befd)Ieunigte  jefet  feinen  ©turj  nid^t  minber,  atö 
einige  Saläre  frül^er  il^re  Slbneigung  gegen  Surgot  ben  feinigen 
l^erbeigefül^rt  l^atte.  3^^  93erfaille§  fud^te  jie  in  ftunbenlangem 
©efpräd^  il^n  gur  3wi^fidEäiel)ung  feiner  ßntlaffung  ju  bewegen; 
gegen  ©übe  beöfelben  bunfelte  e§  fd^on,  unb  er  bemerfte  bie 
Sl^ränen  in  ben  Singen  ber  Äönigin  nid^t;  l^ätte  er  jte  gefeiten, 
äußerte  er  fpäter,  fo  würbe  er  nid)t  ben  aRutl^  gefunben  l^aben, 
il^nen  gu  wiberftel^en.  ©ein  SRödEtritt  don  ben  ©efd^äften  be* 
wirfte  eine  SReaftion  gu  feinen  ©unften,  üor  weld^er  ber  SBiber* 


»)  Slrnet)^,  SWaria  3:i^crcfta  unb  SWaric  Stntoinctte,  »ricfioed^fer.  Briefe 
ber  Äöniöin  öom  19.  8tprit,  5.  u.  16.  fOlai  unb  17.  Dftober  1778.  Correspon- 
dance  secrete  entre  Marie  Ther^se  et  Mercy.  Rapport  de  Mercy.  20  Avril 
1778.    III,  189. 

^  ametl^,  aWaria  Sl^crefia  unb  Wtaxk  S(ntoinette,  SBriefwcd^fet.  33rief 
bet  Königin  Dom  15.  %tf>xnax  1780. 


134       ^^^  öffcnttid^c  aWeinung  in  *  granfretd^  unb  ©uropa  für  SRccfcr. 

jprud)  feiner  ©egner  üerftummte ;  man  öergafe  bie  Äritif,  um 
j!d)  nur  beö  ®uten  ju  erinnern,  ba^  er  öoHbrad^t  ober  boä) 
flewom  l^atte.  Äatl^arina  IL,  tt)elcl^e  in  einem  Srief  an  ®rimm 
bie  f^nangen  bc§  allerd)riftlid^en  Äönigö  »une  mauere  tout- 
ä-fait  degoütante«  nannte,  bie  Äönige  üon  5Rea:pel  unb  t)on 
^olen  trugen  ii^m  bie  Seitung  il^rer  g^inanjen  an.  „Sd).  wollte, 
bie  meinet  SReid^ö  öerbienten,  öon  il)m  öerwaltet  gu  werben", 
fd^rieb  ber  Äönig  öon  ©arbinien^).  Sofepl^  IL  blieb  nid^t  ju- 
ritd,  er  fd)rieb  an  9)terc^,  öon  SReder  l^abe  er,  feit  ber  per* 
fönlid^en  Begegnung  mit  il)m  in  ^ari§,  1778,  ben  aUergünftig^^ 
ften  ©inbrud  bemal^rt;  gugleid)  bat  er  ben  ©efanbten,  il^n  an 
biefe  Segegnung  gu  erinnern  unb  il^n  ber  ^o^adjtung  gu  öcr* 
jtd^em,  bie  er  für  feinen  S^ärafter  unb  feine  5äi)igfeiten  entppnbe^). 
6in  l^öd^ft  fcl^meid)ell)afte§  äe\ä)tn  ii)xtx  ®unft  gab  bem  ©l&e* 
paar  3fleder  in  ber  legten  3^it  feiner  officietten  Stellung  aud^ 
aJiaria  Sl^erefta.  „©a  ©ie  mand)mal  mit  bem  nieder  ftd^  be= 
gegnen'',  fdjrieb  bie  Äaiferin  an  91Jierc^,  „fo  beauftrage  id^  @ie, 
il)m  bie  günftige  5!Jieinung,  bie  id)  öon  feinen  SSalenten  l^ege, 
auögufpred^en ;  aud^  fiigen  @ie  i^ingu,  ba^  id^  ftet§  mit  Ver- 
gnügen bie  3iadörid)ten  über  feine  g^inangoperationen  lefe  unb 
übergeugt  bin,  ba^  wir  fte  mit  Sinken  audt)  auf  bie  unfrigen 
anwenben  lönnten,  obwol^l  fte  nid^t  in  einem  fo  intereffanten 
Suftanbe  ftd)  befinben,  al§  bie  üon  g^ranfreidt).  Sie  lönnten 
gugleid)  SRabame  SReder  wiffen  laffen,  ba%  ber  ©enfer  2Jlaler 
Siotarb  öor  einigen  Salären  in  SBien  anwefenb  war,  unb 
id^  feine  Silber  gu  feigen  wünfd^te;  unter  biefen  gefiel  mir  be« 
fonber^  ba§  Porträt  einer  fel^r  l)übfd)en  jungen  5(5erfon  in  am 
giel^enber  Stellung,  ein  S3ud^  in  ber  ^anb  l^altenb;  idt)  ge* 
wann  ba§  »ilb  fo  lieb,  ba^  id}  e§  faufte.    m  ift  ba^  Porträt 


0  Madame  de  Stael,  Sur  le  caractfere  de  Monsieur  Necker  et  sur 
^a  vie  privee. 

2)  Geffroy  et  Arneth,  Marie  Antoinette.  Correspondance  secr^te 
de  Marie  'Th^rfese  et  du  Comte  de  Mercy  Argenteau,  III,  406,  ^Jote.  ©rief 
öom  4.  aJiära  1780. 


S)tc  gciftigc  SetocgunQ  in  granfreid^  wcd^felt  il^re  SRid^tung.  135 

öon  ÜRabame  5ßedEer,  unb  id^  betradöte  e§  oft  mit  5ßergnügen; 
jur  3^  öl^  Siotarb  jum  legten  5!Kal  l)ier  tt)ar,  bebauertc  er, 
baö  Silb  weggegeben  ju  l)aben,  unb  bat  mid),  e§  copiren  gu 
bürfett;  id)  erlaubte  eS,  bel^ielt  aber  ba§  Original  (weld)e§  in 
meinem  ßabinet  ift)''  0- 

„Sie  §fte(fer'^  ertt)iberte  ber  ©efanbte,  ,,öerbienen  eine  fo 
l^ol^e  ©unftbegeigung ,  ber  2Rann  burd)  feine  nnbefd^oltene  ej^r» 
lid^Ieit  unb  feine  Sialente,  bie  ©attin  burd^  mufterl^afte  Slugen« 
ben''^).  Site  aber  SRabame  3fledfer  ben  begreiftid)en  SBunfd^ 
äußerte,  eine  Slbfd)rift  be§  SriefeS  ber  Äaiferin  gu  bejt^en, 
fd^Iug  e^  il^r  5!Jierc9  ab,  unb  SRaria  Sil^erefta  lobte  il^n  bafür, 
„bamit'\  mie  ftd)  auöbrücfte,  „feine  gu  grofee  Dftentation  bamit 
getrieben  ujerbe''^).  9lecfer  felbft  mad^te  fein  §el)l  au§  bem 
Sdjmerg,  ben  e§  il^m  öerurf ad^te ,  in  feiner  SSI^dtigfeit  untere 
brodtjen  morben  gu  fein;  er  beftfee  bie  ©itelfeit  nid)t,  fd)reibt 
er,  ungetrübte  ©eelenrui^e  gu  i^eud^eln,  bei  ®urd^iud)ung  feiner 
$ai)iere  l^abe  baSjenige,  tt)orauf  feine  3ufunftöplöne  oergeid^net 
ftanben,  il^m  einen  S:i)ränenftrtim  entlocft*).  9tur  wenige  Qtx^ 
ftreuungen  ptten  für  benienigen  nod)  SReig,  ber  einmal  bie 
iJäl^igfeiten  feinet  ©eifte^  btn  öffentlid)en  ^ngelegenl^eiten  gu= 
gemenbet  unb  jte  lieb  gewonnen  l^abe;  xi)n  öermöd^ten  nur 
länblidie  Sinfamfeit  unb  Slrbeit  gu  tröften^). 

3n  biefe  ©infamfeit  folgten  H)m  bie  Seweife  allgemeiner 
Sld^tung  unb  Si^eilnai^me,  nid^t  nur  au§  ber  §auptftabt,  fonbem 
aus  gang  ^anfreid^;  nad)  @aint=Duen,  wol^in  er  jtd)  gurüd= 
gcgogen  l^atte,  begab  man  ftd^  in  ©d^aren,  um  bem  gefallenen 
SJltnifter  gu  l^ulbigen.    ®er  ^ergog  öon  DrleanS,  bie  Seauöeau, 


^)  Geffroy  et  Arneth,  Marie  Antoinette.  Correspondance  secrfete  de 
Marie  Th^rfese  et  du  Comte  de  Mercy  Argenteau,  III,  405.  Wlaxia  2:l^crefia 
oit  Wltxct),  3.  SWära  1780. 

2)  ebcnbafclbft,  III,  414  u.  433,  9Kcrc^  an  bie  ^aifcrin  18.  SWära  unb 
17.  mau 

3)  (gbcnbafelbft,  III,  434.    SWaria  S^erefia  an  3Herct),  31.  SWai  1780. 
*)  Neck  er,  De  Tadministration  des  finances.     Oeuvres,  IV,  98. 

*)  ebenbafcrbft,  IV,  116—117. 


bit  9bud^)),  bie  fk^Iignac,  bie  Srjbifc^dfe  Don  ^ßoriS,  Sir  unb 
24)uhnije,  &).  be  Seanmoiit,  Soidgelm  mib  Someme  be  Srieime, 
tDorm  trid^t  n>emger  entl^ujia|tifd^  in  ü^ren  {^nlbiginiga  al^ 
^ibetot,  Srimm  ober  ^BtarnamtA;  Suff^n  tyadfbt  an  äne  Cbc. 
@i  blieb  %e(fer  ntn^ergeffen,  boB  er  einer  Sittfteüerin,  auf  i^re 
Semeifnng  fpn,  toufenb  SiDreS  ^^fion  fei  xddiU  fnr  einen 
ftdnig,  entgegnet  ^atte:  ^Siuijeid)  Sitn^d,  ba§  ifi  bte  SoiOe 
eine^  S)orfe§',  nnb  ba§  er  in  ben  Stenem,  ni<^  nnr  ,,ein 
Qciä)m  ber  politifc^  ^ad^t  be§  (Sonoeräns,  fonbem  Dor  fUIem 
unb  in  fenrigen  Snil^ftaben  bie  ©efd^ic^te  ber  C)>fer  fetner  Untere 
tj^atsn'  fe^  n>oIIte.  SuS  ber  @infant£eit  il^rer  JUofiergelie  fil^rieb 
benn  aaä)  be§  Honigs  Sonte,  bie  Aarmelitemonne  fRobame  Smiife, 
an  fXobante  ^üsdtx,  van  ben  Kücttritt  i^ree  @atten  int  Atomen 
ber  Srmen  gn  beSogen  ^).  2)ie  3^1^11^  fP^ <u^  f<^n  ^^ui^  ^ö^™ 
langen  Srief  be^  breinnbjSKUtjigiäi^rigen  äSergniaid),  ber  bem 
Sn^mtcf  feiner  Setnunbenntg  ba^  @efu<:^  anfd^tog  -\  bem  S)id^ter 
SSpmoB  t>orgefteIIt  gn  n>erbeiL  S)a^  ^orifer  fßubli&mt  beinon^ 
ftriite  bei  @elegen^  einer  Si^eoterüorftelnitg  nnb  bdlotfd^ 
aQe  Snfpiebmgen  onf  ben  Don  feinen  Höflingen  getänfc^ten 
fRonard^  nnb  bie  miDerbiente  Ungnobe  feines  9tintfter&^). 

^e  oon  i^nt  onerfonnte,  gcpriefene  uttb  fo  oft  oitgenifene 
ÜRac^  ber  öfentlii^  ^einnng  ^otte  olfo  für  biefed  Stol  fein 
Vertrauen  gerechtfertigt;  inbent  fte  feinen  ^onbhmgen  ju< 
ftimntte,  feinen  Snftd^ten  t>ettraute  nnb  bie  Sergaitgeitl^  rn^* 
fertigte,  f(^ien  fte  il^  oud^  bie  ßii'^ft  i^  oerbnrgen,  nnr 
nberfal^  er,  bog  wcäfmib  i^r  juftinnnenber  Slicf  i^nt  ^eioenbct 
blieb,  biefe  öffentlich  SReinnng  felbft  ftd^  oon  ber  Stelle  beiDCgt 
l^otte. 

(S§  ift  gefogt  rooibm,  mdc^  ätoOe  Stonte^nieu  in  ber 
@efd^id^te  bt§  od^tje^nten  ^^^^^it^^bertd  fpielt,   nnb  nne  bie 


'j  Auguste   de   Stael,    Notice    sur    Monsieur    Xecker.      Oeovres 
completes,  I,  CLXXIX. 

')  D'HaussonTille,  Le  Salon  de  Ihdame  Kecker,  II.  123—164. 
')  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.  I,  305. 


©er  ßinflufe  öon  SJoItaire  unb  SWontcSctuicu  tm  S'Jicbcrgang.         137 

^jolittfd^e  ©ntoicf lung ,  auf  toeld^cr  feine  Sl^eorie  berul^te,  mit 
jttrfnflcnber  SHaci^t  auf  baö  5BorbiIb  @nglanb§  atö  be^ienigen 
Sanbei^  üenoiejS,  wo  jte  öoKfommener  al§  irgenbwo  fonft  burd^* 
geffll^rt  war.  5Rur  bort  l^atte  bislier  ber  @a^  öon  SÄonteSquieu, 
^bafe  bie  ©efe^e  burd^  bie  Sitten  beftimmt  werben  muffen''  unb 
bafe,  „was  burd^  biefe  gcfd^el^en  fann,  nie  burd^  ©cfc^e  getlian 
werben  foH",  Seftätigung  gcfunben;  feine  ©epnition  ber  grei- 
l^eit  „ate  bcS  fRtdjk^,  alles  ju  tl^un,  was  bie  ©efefee  erlauben", 
fd^Iof  in  il^rcr  ful^lcn  Scftimmtlieit  alle  gefäl^rlid^en  ©fpcrimente 
avL^;  ftc  cntfprad^  bem  ®eift  beS  SJlanneS,  ber  „nid^tS  anbereS 
bon  ber  6rbe  gu  wünfd^cn  erflärte,  als  ba^  fte  fortfal^ren  möge, 
um  iffv  ©cntrum  jtd)  ju  bewegen",  unb  ber  im  Scwufetfein 
wal^rcn  SSerbienfteS  ein  ®egengewid)t  für  alle  SBed^felfäHc  beS 
©d^idffalS  fanb. 

Db  baS  aber  aud^  bie  geiftige  Sltmofpl^äre  war,  bie  bem 
beweglid^cn  Temperament  ber  ^^ranjofen  entfprad^,  ob  biefe  grofe^ 
artige,  aber  etwas  falte  unb  gemeffene  geiftige  Stimmung  auf 
bie  Sänge  mit  ber  ilirigen  in  6in!lang  gu  bringen  war,  baS  gu 
entfd^cibcn  mufete  ber  S^it  wnb  ©rfal^rung  überlaffen  bleiben. 
6S  fft  bemerlt  worben,  bafe  ber  Slnftofe  gu  ben  e:podöemadöenben 
^obuftionen  ber  frangöftfd^en  ßiteratur  beS  ad^tgelinten  Sal^r* 
i^unbertS  öon  9KonteSquieu  ausgegangen  ift,  bafe  bie  »Lettres 
persanes«  öor  ben  »Lettres  anglaises«,  baS  ^rojeft  einer  „©e» 
fc^id^te  ber  @rbe"  wx  ber  Slaturgefd^id^te  öon  Suffon,  baS  Sud^ 
»De  la  Grandeur  des  Romains«  öor  bem  Essai  sur  les  moeurs, 
ber  „Seift  ber  ®efe^e"  üor  bem  ©ocialcontract  erfd^ienen  ftnb^); 
ber  SmpulS  fam  üon  il)m,  aber  baS  le^te  SBort  bel^ielt  9!ÄonteS= 
quieu  ebensowenig  wie  Söoltaire.  Sm  Sal^r  1778  fam  biefer  nad^ 
^ariS,  um  unter  Sorbem  erftidft  gu  werben.  ®ie  Slpotl^eofe  töbtete 
nid^t  nur  il^n  felbft,  jte  begeid^nete  aud^  baS  6nbe  feiner  geiftigen 
^errfd^aft;  öon  nun  an  lautete  bie  Signatur  beS  S^it^fterS 
nid^t  mel^r  Sßoltaire,   fonbern  SRouffeau.     9lad^  bem  ß^^törer 


^)  Louis  Yian,  Montesquieu. 


8lnttt)Qt]^ie  gegen  ©itgtanb  als  ben  Ü^ationolfeinb.  139 

itemcn  ®orbon  SRiotö  bcfannte,  gegen  bie  Äatl^olifen  gcrid^tete 
'^Äolfabetoegung  in  Sonbon  bie  proicftirte  Steife  beö  ÄaiferS 
m  ^f^^  i^^^i^  vereitelte,  fd^rieb  jte  il^^^er  Sod^ter,  ba§  alfo  fei 
^/Irie  Dielgerfll^nite  grei^eit,  biefe  muftergültige  ©efe^gebung; 
0  iiäßt  Sitten  unb  Sieligion  fei  aßeö  vergebend  ^).  gn  ©eutfd^' 
^  Sanb  f[ud)te  man  bem  Snbftbien^Sraftat  mit  ©nglanb  nnb  be* 
größte  bie  Slad^ricä^t  von  ber  ©efangennel^mung  beutfd^er  SEruppen 
|:.;hird)  SBafl^ington  1776  mit  ^ubeP).  ©iberot  fanb  3RitteI  nnb 
SBege,  in  einer  2[bl^anblnng  fiber  ©eneca  von  feinem  ©egen- 
fbmb  anf  bie  amerifanifd^en  Kolonien  übergugel^en,  nm  ben 
Ärieg  mit  ©nglanb  gn  empfehlen.  3)ie  @^mpatl)ien  feiner 
t-  ÄmbSleute  waren  alfo  leidet  genug  gu  gewinnen ,  als  ber  Stuf 
iiad^  iJreilieit  nic^t  mel)r  auf  ©nglanb  öenoieS,  fonbern  r)kh 
mifft  im  ©egenfa^  gu  biefem  ftd^  erl^ob,  unb  bie  amerifanifd^en 
Colonien  bie  üon  il^nen  alö  unerträglid^  entpfunbenen  ^Jorbe- 
tangcn  ber  englifd^en  Slegierung  mit  i^rer  Unabl^ängigfeitS* 
©rflfirung  beantworteten. 

S^^t  erft  erwad^te  ber  @ntI)nfta§muS  ber  ^rangofen;  er 
bereitete  Düationen  für  tjranflin,  folgte  bem  fungen  Sa  fja^ette 
unb  feinen  ^reunben  über  ba§  SReer  unb  brängte  Äönig  unb 
SRinifterlum  gum  Ärieg;  eS  fd^ien  als  ob  bie  i5reil)eit  erft  im 
©unbe  mit  bem  Slufftanb  unb  im  ®egenfa^  gur  monard)ifd)en 
Drbraing  ein  begel^renSmertl^eö  ®ut  geworben  fei.  SKonteSquieu 
i^attc  in  ben  9^oten  über  ©nglanb,  bie  um  1730  erfdt)ienen, 
ben  SlbfaH  feiner  amerifanifd^en  Kolonien  öorauögefagt;  baS= 
-  felbe  tl^at  etwas  fpäter,  in  nod^  beftimmterer  ^orm,  ber  fdiarf* 
pd^tige  b'Slrgenfon;  Sturgot  üerglic^  1750,  in  einer  nod^  in  ber 
Sorbonne  geljaltenen  lateinifd)en  Siebe  bie  (Kolonien  mit  g^rüd^* 
ten,  bie  einmal  reif  geworben,  ftd^  öom  3tt)eig  ablöfen,  unb 
DeröoHftänbigte  ba§  Silb  mit  bem  ^inweiö  auf  @nglanb  unb 


r 

k 


*)  Geffroy  et  Arneth,  Marie  Th^rfese  et  Marie  Antoinette.  Corres- 
pondance  secr^te  de  Marie  Th^rfese  et  du  Comte  de  Mercy  Argenteau, 
III,  444,  Marie  Th^rfese  ä  Marie  Antoinette,  30  Juin  1780. 

2)  ^iicBul^t,  ©efd^td^tc  bes  ScitalterS  bet  JReöoIuHon,  76. 


140  ©efal^cn  ber  Slffiana  mit  5(metHa. 

Slmerifa.  9^ad^  bem  SScrluft  üon  ßanaba  tröftctc  ftd^  Säcr- 
gcnncö,  bantal^  Sotfd^atter  bei  ber  Pforte,  über  bie  3lieberlage 
%xantxtx(i)^  mit  ber  äuüerpd^tlic^en  i^offnung,  ba^  bie  amertfa* 
nifdien  ßolonien,  öon  bem  gefä^rlid^eu  9lad^barn  befreit  unb 
nid^t  SBißenS,  bie  ©teuerlaft  be§  SJiutterlanbeS  gu  t^eilen,  ein 
fold^eö  Segel^ren  mit  ber  SErennung  Don  bemfelben  beantworten 
tüfirben;  alö  biefe  SSorauöfe^ung  jtdö  erffiHt  l^atte,  ftimmte 
jebod^  Snrgot  ntd^t^beftoweniger  in  einer  befonbern  ©ent 
jd^rift  gu  ®unften  ber  9tic^tbet^eiligung  granfreid^S  am  Ärieg 
gegen  ©nglanb,  fc^on  be§I)alb,  weil  S^eilnal^me  an  bemfelben 
unter  ben  beftelienben  SBerl^ältniffen  gur  öoHftänbigen  ßerrüttung 
ber  ^inanjen  fül^ren  mufete.  Sltö  einige  3^tt  fpäter  biefelbe 
6ntfd^eibung  an  9ledfer  l^erantrat,  jprad^  er  im  felben  @inn  wie 
Surgot,  aber  il)re  Stimmen  würben  nidt)t  gel^ört;  üom  natio* 
nalen  ©tanbpnnft  au§  galt  e^  SReDand^e  für  bie  Söertrage 
Don  1763,  Dor  SlUem  für  ben  23erluft  Don  ßanaba.  3n  Sejug 
auf  bie  innere  5ßolitif  foHten  bie  Sftefultate  ber  ailianj  gwifd^en 
ber  älteften  SÄonard^ie  unb  ber  iüngften  unter  ben  Sftepublifen 
crft  nad^  unb  nad^  gu  SEage  treten;  baö  ungleich  wid^tigfte 
berfelben  waren  nid)t  bie  biplomatifd)en  ober  militärifd^cn  (5r- 
folge  ber  franjöjtfdt)en  SnterDention ,  fonbem  bie  ©inbrüife; 
weld^e  bie  lieimfel^renben  ©ieger  in  bie  ^eimatl^  gurüdfbradjten. 

©iefen  ©inbrücfen,  baö  ift  l^eute  mit  nid)t  mel)r  ju  er* 
fd^üttember  @idöerl)eit  erwiefen,  lag  eineö  ber  Derbetblid^ften 
unb  folgenfd^werften  SKifeDerftänbniffe  gu  ©runbe,  Don  welchem 
bie  ®efd^id^te  weife,  benn  eö  trug  wie  fein  anbereö  bagu  bei, 
bie  SReDolution  unDermeiblid^  gu  mad^en. 

3Ba§  bie  frangöftfd^e  Sugenb,  bie  in  biefen  Äampf  wie  gu 
einem  ^efte  gog,  in  ber  @rl^ebung  ber  ßolonien  gu  erfenncn 
glaubte,  war  ©mpörung  gegen  ba§  Seftel^enbe ,  SReaftion  gegen 
ba^  Äönigtl^um,  Segeifterung  für  re:publifanifd)e  S^^f^ä^^^r  w^it 
einem  SBort  baS  ©rwad^en  ber  ©emofratie. 

S3on  allem  bem  war  aber  in  SBirflid^feit  nid^ts  ober  nur 
wenig  gu  finben.    Sür  bie  Untertl^anen  ber  britifd^en  Ärone 


©Tunbbcgriff  bcr  t)oIitifd^en  grci^eit  in  ©iiglanb.  141 

fibcr  bcm  SKccr  nid^t  minbcr,  al§  für  ben  ©nglänbcr  ju  §aufe, 
lag  bcr  f^unbamcntalfa^,  bafe  3lliemanb  oijnt  feine  3wfttmmung 
bcftcucrt  werben  bürfe,  ber  gangen  3[uffaffung  politifd^er  i5rei== 
i^it  ju  ©runbc;  biefen  Segriff  ^atte  ba5  33erl)alten  ber  eng= 
Hfd^ctt  SRcgterung  angetaftet  unb  fo  ben  SSiberftanb  l^erauö* 
geforbert.  Sänge  nac^  bem  Stuöbrud)  ber  ^einbfeligfeiten  würbe 
bcr  ®cbanfe  an  eine  DöHige  Soötrennung  öom  5RutterIanbe 
cntwebcr  gar  nid)t,  ober  nur  mit  bem  größten  SBiberwitten  öon 
ben  Staatsmännern  3[merifa'S  in  Setrad^t  gejogen;  nod^ 
1774  fonnten  ^^ranflin,  3Bafl)ington,  felbft  ber  üiel  reDoIutio:* 
närer  angelegte  Sefferfon  t)erjtd)ern,  e§  fei  nid^t  ber  SBunfd^  ber 
Solonien,  ftd^  Don  ©nglanb  loSjureifeen.  6l)aftellu.r  bemerft 
auöbrficflidt),  bie  erfte  ©d^wierigfeit  ber  amerifanifc^en  ©taats* 
männer  fei  bie  gewefen,  baö  Saub  bai)\n  ju  bringen,  bafe  eö 
ber  monard^ifd^en  3iegierung§form  entfage,  imb  er  fügt  l^inju, 
obwol^l  bie  neue  ßonftitution  bemofratifd^  fei,  öennöge  fe 
bennod^  nid^ts  über  ben  ariftofratifd^en  6l^arafter,  ber  Süegierung 
unb  ^Ration  bel^errfd^e  ^).  9lid^t  anberS  fprad^en  bie  ©elegirten 
bcr  öomelimften  Staaten  ber  Union.  '^f)x  urfprünglid^er  3tt)ecl 
war  SEßtebergutmac^ung  beS  erlittenen  UttredE)tö,  nid^t  ffiegrün* 
bung  il^rer  Unab^ngigfeit;  e§  waren  nod^  immer  bie  9lad^« 
fommen  ber  alten  Puritaner,  bie  um  be§  ®laubeu§  willen  jtd^ 
blutcttben  ^ergenS  oon  ber  ^eimatl^  loögeriffen  liatten.  SBie 
ben  $tlgrim  %at^tr^  oon  1629  bie  religiöfe,  fo  galt  il^ren 
©nfeltt  Jc^t  bie  politifdE)e  ^^reil^eit  al§  eine  ®aä)e,  l^eilig,  feier* 
lid^  unb  emft,  ol)ne  bie  ber  S3ejt^  feine  ©id^er^eit,  ba§  geben 
feinen  SEßertl^,  baö  ©ewiffen  feinen  ^alt  verlor;  il^r  SBiber^ 
jianb  ffofe  auö  berfelben  Quelle  männlirf)*d^riftlid)en  ffiewufet^ 
fcinS,  l^ielt  jtd^  ftreng  an  ®efe^,  Sitte  unb  .^erfommen  unb 
entfdi)lofe  jtd^  nur  gezwungen  jum  SSrud^  mit  bem  9Kutterlanb. 
6rft  nad^bem  einmal  S3lut  oergoffen  unb  bie  SBürfel  gefallen 
waren,  brangen  bie  unoermeiblid)en  reoolutionären  Strömungen 

*)  Chastellux,  Voyages  dans  FAmerique  du  Nord,    ^glifd^e  Ueber» 
fetung  I,  331  unb  II,  177. 


142  3Bqö  Slmerlfa  »otttc. 

mit  l^crcin,  unb  nad^  ben  SBortcn  etne§  ber  bcften  fficobad^ter 
tt)ar,  fo  tt)ie  bic  meiften  Sfteöolutionen,  aud^  bte  anterifanifd^e 
baS  SBcrf  einer  energijd^en  9Kinorität,  tüeld^e  bie  SJlel^rl^eit  öon 
©d^ritt  gu  @d)ritt  in  eine  Sage  brängtc,  bie  feinen  3[uStt)cg  unb 
feine  mäk^v  offen  liefe '). 

SllS  bic  ©ntfc^eibung  aber  einmal  getroffen  war,  weld^cr 
bie  ©ini^eit  ber  englifd^en  SRace  enbgültig  gum  Opfer  fiel,  jeigte 
e§  jtd^  ttjieber,  wie  fem  ber  ®eift  ber  S^rftörung  ben  ©taatö- 
mannern  beS  iungen  5BolfeS  lag;  im  ©egenfa^  gu  ben  i5^an= 
gofen  üon  1789,  bie  bei  ©ntwerfung  ber  35erfaffung  öom  ©e« 
banfen  verfolgt  erfd^einen,  SlIlcS  üon  üorne  angufangen  unb 
nid^t  eine  ber  burd^  3^^  unb  ßrfal^rung  erprobten  ^nftituttonen 
gu  oerwertl^en,  griffen  bie  SSäter  ber  amerifanifd^en  Union  um 
bebenflid^  auf  bie  gonftitution  beö  Staate^  gurüdf,  gegen  ben 
fte  jtc^  foeben  nod^  erl)oben  liatten.  ©ie  eingige,  neben  ber 
cnglifd^en  Söerfaffung  für  fie  nod^  mafegebenbe  Slutorität  ijt 
jene  öon  SKonteSquieu,  imb  feinem  ©in^ufe  gerabe  ift  bie 
origineKfte  unb  eine  ber  einflufereid^ften  ©d^öpfungcn  ber  Ser« 
faffung  ber  Söereinigten  Staaten,  bie  il^re§  l^öd^ften  ®erid^tSl^of§, 
gugufd^reiben,  bie  feine  ©oftrin  ber  Sl^eilung  ber  ©ewalten  öer^ 
ooUftänbigt  unb  öoHenbet;  in  aßen  il^ren  fonftigen,  wefcnt* 
UdE)en  Seftanbtl^eilen  ift  biefe  SSerfaffung  ein  ^uöflufe  ber  britt^ 
fc^en,  wie  jie  in  ber  3eit  gwifd^en  1760  unb  1787  in  SBirl» 
famfeit  war,  unb  gwar  interpretirte  fte  biefelbe  feine^wegS  im 
rabifalen,  fonbern  im  conferöatiöen  @inn  ^),  6inen  Äönig  aütt^ 
bing§  l^atten  bie  einfügen  Untertl)anen  ®eorg*§  III.  nid^t  an 
\i)xt  @pi|e  gu  fteßen,  fte  woKten  eö  aud)  nic^t,  unb  auf  bem 
SBoben  ber  Union  erwud^ö  il^ren  Sürgcrn  feine  ©tjnaftie;  aber 
ber  Streit,  ben  fte  mit  Äönig  @eorg  III.  unb  feinem  Sßarlament 
auögutragen  l^atten,  war  für  bie  überwiegenbe  9Kel^rga^I  ber« 


1)  W.  H.  Lecky,  EDgland  in  the  eighteenth  Century,  III,  443. 

2)  ©.  bie  öottrefflid^c  (Stubic  öon  Sir  Henry  Maine,  The  Constitution 
of  the  United  States,  Quarterly  Review,  January  1884.  Ajroli,  La  Logica 
nella  Democrazia  americana.    Rassegna  nazionale,  16  Feb.  1887. 


©aS  Söffen  feinet  eonftttutton.  143 

tclbcn  burri^auS  fein  SlntagoniömuS  gut  9Konard^ic,  ebenfoiücnig 
als  er  ein  5ßrinclpicnftreit  gegen  ba§  conftitutioneHe  ©Aftern 
ober  bie  :parlattientarifc^e  Süegierung  war.  3l)r  Ißräjtbent  ift 
bis  jum  l^eutigen  SEag  eine  ©opie  be§  englifd^en  9Jlonarc^en, 
nici^t  nad^  ben  gegenwärtig  l^errfd^enben  Segriffen,  fonbem  mit 
allen  Attributen  ber  2Rad^t,  weld^e  biefer  bis  1789  befafe,  unb 
bie  burd^  ein  eigentpmlid^eS  Swfammentreffen  gur  jelben  3^'t 
in  @nglanb  gefd^mälert  gu  werben  begannen,  als  bie  amerifa« 
nifri^e  ©fecutioe  am  4.  3Räri  1789  in  SBirffamfeit  trat. 
Sn  öiel  l^öl^erem  SKafe  als  irgenb  einer  ber  conftitutioneKen 
tJürften  ©uropa'S,  wenn  aud^  nur  für  eine  !urg  bemeffene  %xx\if 
ift  ber  iebeSmalige  &xxoai)lk  ber  5ftation  im  weißen  §auS  baS 
Drgan  einer  ftarfen  Slutorität.  9tod^  beftimmter  geigt  jid^  ber 
burd^auS  conferöatiüe,  auf  ^reil^eit  unb  nid^t  auf  ©leid^l^eit 
gerid^tete  ©inn  ber  amerifanifi^en  Staatsmänner  in  ber  6onfti= 
tuirung  il^rer  Vertretung;  nid^t  nur,  bafe  jte  baS  Sw^^Wcimmer» 
f Aftern  aboptirten,  il^r  Senat  ift  eine  ber  mäd^tigften  ber  über* 
l^aupt  beftel^enben,  politifc^en  Äörperfc^aften  unb  burd^  bie  Art 
unb  SBeife  feiner  Suft^w^w^^nf^fewng  eine  9legation  ber  ©leidEjI^eit, 
bagcgen  eine  Sürgfd^aft  gleid^en  Sfted^teS  für  alle  Staaten  ber 
Union,  mitl^in  aud^  beS  SRed^teS  ber  2Rinoritäten,  ba  alle  biefe 
Staaten,  bie  größten  unb  Dolfreid)ften,  wie  bie  fleineren  unb 
unbebeutenben,  burd^  eine  gleid^e  S^i^l  öon  ©eputirten  im  Senat 
vertreten  jtnb.  2)ie  2)eputirten!ammer  enblid^  ift,  ebenfo  wie 
ber  ^räpbent  eine  9lad^bilbung  beS  englifc^en  ÄönigS,  eine 
folc^e  beS  englifc^en  Unterl^aufeS  im  ad^tgel^nten  Sal^rl^unbert; 
%e  Sefugnif[e  jtnb  öiel  geringer  als  bie,  weld^e  im  ßauf  ber 
legten  l^unbert  Sa^re  il^r  englifd^eS  SSorbilb  jtdE)  angeeignet  l^at; 
pe  ift  eine  lebiglid^  gefe^gebenbe  aSerfammlung  geblieben, 
wäl^renb  in  ©nglanb  tl^atfäd^lic^  bie  ^Regierung  an  baS  Unter» 
l^auS  übergegangen  ift.  2)ie  Dielgepriefene  unb  beneibete  bürger* 
lid^e  unb  politifd^e  ©leid^^eit,  weld^e  bie  (Sonftitution  ber  SSer^^ 
einigten  Staaten  gewäl^rte,  war  bie  ©leid^l^eit  einer  erobernben 
SRace,   bie  mit  bem  l^ierarc^ifd^en  @efül)l   beS    angelfädl)jtfd^en 


144  S^^c  ^ebeutuno  nad^  ftanaöfifd^et  ^Suffaffung. 

Stammet  nod)  l^cute  auf  focialem  ®cbtet  gu  öcrtl^cibigcn  unb 
fcftjul^altcn  lücife,  tt)a§  jte  im  öffentlid^cn  Scbcn  ^)reiS9ibt;  bicfe 
®leid)l(eit  öcrtrug  jtd^  im  tocitcn  ©cbict  bcr  Union  mit 
SSertilgung  be§  öerfel^mten  SnbianerS  wie  mit  ber  ©flaöcrci 
bcö  eingefd^Ie^jptcn  §Reger§.  ©ie  pompl^aftc  ßrllärung  bcr 
9Jienfd^cnred)te  war  ba,  wo  jte  entftanb,  nid^t§  anbcrcS  ate  bie 
@rflärung  ber  Sürgerred^te  einer  geiftig  überlegenen  unb  beSwegen 
triumpl^irenben  3Rinorität;  bie  f^ften  ©runblagen  biefe§  po\u 
tifcften  ©ebäubeiSi,  weld^eö  ber  boppelten  5probe  eines  Sal^r^ 
l^unbertö  unb  eines  SürgerfriegeS  wiberftel^en  foHte,  waren  aber 
aUerbingS  nid^t  fo  leidet  oom  blofeen,  ard^iteftonifd^en  Sciwcrf 
gu  unterfd^eiben.  2Benn  eS  oberfläd^lid^en  Seobad^tem  nod) 
l^eute  als  bie  Sbealfd^öpfung  bemofratifd^er  SRegierungSform  er« 
fd^eint,  jo  fann  eS  nid^t  SBunber  nelimen,  wenn  bie  im  SEBerben 
begriffene  politifd^e  ©rfal^nmg  ber  franjöjtfc^en  ^reunbe  oon 
SSaf^ington  fd^  über  baS  eigentIidE)e  2Befen  ber  SBerfaffung  ber 
aSereinigten  Staaten  täufd^te;  in  il^rer  blinben  Segeifterung 
für  republifanifd^e  ßi^ftänbe  oerwed^felten  jte  bie  ©ouliffen  mit 
ber  Sül^ne,  ben  Sßrolog  mit  bem  @tücf,  bie  5proflamirung  ber 
^enfd^enred^te  mit  bem  Äern  unb  Snl^alt  ber  ßonftittttion. 
Sl^re  unüberlegte  Segeifterung  jal^  in  biefen  allgemeinen  Sä^en 
nic^t  baS,  toa^  jte  wirflid^  waren,  eine  Slbleitung  öom  pojttiDen, 
angeljäd^jtfc^en  35olfSred)t,  fonbern  bie  SSerl^errli^ung  beS  Slatur* 
redE)teS  nac^  SRouffeau;  nid^t  bie  S^eftfteHung  ber  Siedete  be« 
amerifanifd^en  Staatsbürgers,  fonbern  ber  Siedete  ber  3Kenjd^* 
l^eit  überl^aupt;  nid^t  bie  rl^etorifd^e  SluSfd^müdfung  burd^  ©e» 
fe^geber,  beren  Sßrinctpien  jtd^  mit  Slufred^ter^altung  ber 
Sflaoerei  oertrugen,  fonbern  bie  SluffteHung  einer  abfolutcn 
33oftrin,  oor  weld^er  baS  Seftelienbe  feine  ®nabe  mel^r  fanb. 
3n  biefem  Srrtl)um  würben  jte  oon  ben  republifanifd^  ©efhmten 
unter  ben  amerifanif d^en  Staatsmännern  beftärft;  S^anflin 
nü^te  il^n  mit  fd^lauer  ffiered^nung  in  5ßariS  gu  ®unften  feiner 
burd^auS  auf  praftifdt)e  Siele  gerid^teten  ^olitif  aus,  unb  Sefferfon, 
ber  aSerfaffer  ber  ßrflärung  ber   aJienfd^enred^te,   fd^rieb  mit 


SEßarnenbe  stimmen  barüber.  145 

leid^tbegrcifllci^cr  Sefriebigung :  ,,©ie  amerifanifd)c  Sfteöolution 
fd)rinc  ben  bcnfenben  SEI^cil  bcS  ftanjöpfd^cn  SSoIfeö  aus  bcm 
©d^laf  bcS  3)eöpotiSmu§  aufgerüttelt  gu  l^aben.  Sd^riftfteHer, 
bemittelte  Sürger,  bie  junge  ©eneration  unter  bem  Slbel  fänben 
^ä)  je^t  bereit,  ben  35orjd^riften  ber  gefunben  SSernunft  unb  beö 
9ied)te§  für  Me  gu  folgen"  ^).  Sefjtng,  ber  grofee  Sal^nbred)er 
ber  Sreil^cit,  toamk  mitten  im  Taumel  bie  ©eutfd^en  öor  ben 
ßeuten,  „tt)eld)e  bie  Sid^tcr  auölöfdöen  wollten,  el^e  e§  SEag 
fei''  2). 

©uftat)  ni.  üon  ©darneben  fd^rieb,  aU  er  Äunbe  Don  ber 
fronjöjtfd^en  ällianj  mit  ämerifa  erl)ielt,  bem  ®rafen  6reu^ 
nad^  5ßariö,  ba^  SBenel^men  be§  bortigen  9Kinifterium§  fd^eine 
il^m  ebcnfo  fel^r  üon  ben  ©runbfä^en  ber  ®erec^tigfeit  al§  Dom 
Sntereffe  ber  9^atton  unb  Don  ben  fo  Diele  Sal^rl^unberte  ^n- 
burd^  in  Geltung  gemefenen  ©taatSmajimen  abgutt)eid^en.  „Sd^ 
fann  cö  nid^t  gugeben",  fügte  er  im  SSoHgefül^l  föniglid^er 
SEßfirbe  l^ingu,  „bafe  eS  red^t  fei,  SRebeKen  gegen  il^ren  Äönig 
gu  uttterftii^en;  baö  Seifpiel  toirb  aUguDiele  9?ad^al^mer  gu 
einer  Qtxt  finben,  in  meld^er  man  alle  @d)ranfen  ber  ÜRad^t 
nieberguttjerfen  fud)t"  ^).  »Mon  melier  ä  moi,  c'est  d'etre 
royaliste«  l^atte  3ofepl^  II.  n)äl)renb  feiner  2lntt)efenl)eit  in  ber 
frangöftfdöen  ^auptftabt  gefagt,  al§  man  i^n  gu  einer  5Reinung§:= 
äufeerung  über  bie  amerifanifd^en  ^nfurgenten  brängte. 

Slber  auc^  feine  SBarnungen  blieben  DergebenS.  ^aä)  ber 
gleiten,  triuntp^irenben  3flüdffel)r  Don  Sa  %at)dk  fül^rte  SJiarie  Sln= 
toinettc  in  il)rem  eigenen  SBagen  bie  ©atttn  \i)m  entgegen,  unb  baö 
Sßarifcr  Sßarlament  glaubte  bem  6garen)itfd)  ^aul  fein  mürbigereS 
@d^auf:piel  bieten  gu  lönnen  als  bie  ©i^ung,  in  meld^er  jte  bem 
l^elbcnmütl^igen  SBaffengefäl^rten  Don  ®eorge  3Bafl)ington  eine 
©l^renftelle  in  i^rer  2Ritte  anbot.  3n  mel^r  al§  einer  a3egiel)ung 


*)  Jefferson,    Complete  Works.     Correspondance,  II,  67,    1786  unb 

535,  1787. 

2)  Scffing,  ©iotog  (gntft  unb  ^a\t,  V.  ©efptäd^,  citirt  bei  «Ricbul^t,  76. 

3)  ©cijet,  ©uftaö'g  III.  nod^gclaffcne  «Papiere,  II,  111. 
ölennerl&af  jett,  ^xau  »on  ©taeL  I.  10 


146     ttebergang  üon  ^et^ett  ^ax  @Iet(^^,  Dott  9lefoTiit  juz  SUooIuitoiL 

toaren  biefe  auSjeidinungen  Derbient;  ^atte  £a  ^o^ette  aud^  ben 
@rift  Slmerifa'S  mifeücrftanbcn,  fo  famttc  er  bic  ©^mpotl^icn 
bc§  neuen  ifrartfreit^  um  fo  beffer,  er  mar  e§,  ber  beffen 
innerflc  ©ebanfcn  auSfprad^,  wenn  er  fpdter  erflfirtc,  ^üon  ben 
amerifanifd^en  Sbeen  burd^brungen,  fei  er  flet§  unb  immer  ein 
Slnl^nfler  ber  ©leid^l^eit  gewefen". 

Sflecfer  mar  nod^  5Rinifler,  ate  biefer  Umfd^wung  ftd^  öoHjog. 

SBäl^renb  bie  junge  3fle|)ublif  jenfeitö  be§  9Jieere§  na^  eng- 
lifd^em  Sßorbilb  fid^  conftituirte  unb  9Äonte§quieu'§  poUtifd^e 
©oftrin  gur  9iid)tfdbnur  für  jtd^  wdl^Ite,  griff  baö  monardyifd^e 
Stanfreid^  nad^  bem  @ociaI!ontraft  unb  belannte  ftd^  mit  SRouffeau 
jur  Seigre  öon  ber  ©ouüeränetät  be§  SoIfe§.  9Hd^t§  bemeiji,  baf 
Sttccfer  barin  fd^arffid^tiger  aU  feine  S^itß^offen  gewefen  wöre 
unb  mal^rgenommeu  l^ätte,  wie  ba^  Streben  nad^  fjrei^eit  gur 
gorberung  ber  ®Ieid^l^eit,  unb  fomit  ber  Segriff  ber  Sieform 
jum  ^rincip  ber  SReooIution  überging;  auf  biefem  ©tanbpunft 
aber  fanb  er  bie  9Kad^t,  an  bie  er  glaubte,  bie  offentlid^e 
SJieinung  mieber,  ate  il)re  ®unjt  il^n  na^  fiebenidl^riger  3urü(fc 
gcjogenl^eit  abermate  an  bie  ©pifee  ber  ©efc^äfte  berief. 


f  rttte0  ^iijrttd. 


SBälirenb  biefer  Uebergänge  Don  3ietd)tl)um  unb  2[nfel)en 
gu  ©n^ufe  unb  5Ufad)t,  unb  bann  wieber  jurfidE  in  bte  t)er= 
l^dltnifemäfeige  SRul^e  einfad^er  ^riDatöerpitniffc  tt)ucl^§  bcm 
©l^epaar  5RedEer  baö  einjige  Ätnb  l)cran,  beffen  aufecrorbentlid^e 
®aben  unb  Anlagen  ein  nid^t  gett)öl)nltcl)e§  ©d^idffd  öorauö« 
feigen  licfeen. 

Sinne  Suife  ©emtaine,  in  beten  legten  5Ramen  eine  @rinne=» 
tung  an  bie  alte  beutfdie  ^cimatl)  unb  eine  3lrt  öon  Sßor* 
bebeutung  fünftiger  Seftimmungen  lag,  öerbrad^te  glüdflid^e 
Äinberjal^re.  S)ie  erfte  ^erjönlid^f eit ,  bie  nad^  ben  ©Item 
il^rer  txto&i)nt,  ift  il)re  ^atl)in,  SKabame  be  aSemtenouf;  wäl^s 
renb  5Redfer  pd^  1770  mit  feiner  %xan  nad)  bem  ©ammelpla^ 
ber  eleganten  unb  babei  aud)  üorgebltd^  ober  tt)irfnd^  furbebfirf^ 
tigcn  SBelt  be§  ad^tgelinten  Salirl^unbertS,  ben  Säbcrn  üon  @pa 
begab,  befud^te  fte  bie  üierjäl^rige  Äleine  im  ©d^lofe  5IRabrib  bei 
^ariS,  tt)eld)e§  bie  5Recfer  bamafö  für  ben  Sommer  ju  mietl^en 
^)Pegten,  unb  fd)rieb  ber  5iKutter,  ©ermaine  l^abc  nid)t  nur  jte, 
fonbcm  SlUe,  bie  fte  gefeiten,  unter  anbem  aud^  einige  ältere 
Ferren,  unter  benen  ein  2lbbe,  gur  Semunberung  l)ingeriffen. 
SJlabame  ©eoffrin  bat  um  biefelbe  3^^  ^^^  fjreunbe  5Redfer, 
jum  eigenen  ®ebraud^  einen  il^r  befonberS  bequemen  Selinfeffel- 
ju  il^nen  fd)idfen  laffen  gu  bürfen,  fügte  aber  gleid^  einen  jweiten 
öon  entfpred^enbcr  ©rö^e  für  bie  Stod^ter  beö  ^aufeiS^  l^ingu, 
wbamit  biefe  il^r  nid^t,  wie  fd^on  einmal,  @dt)läge  öerfe^e,  um 

10* 


148  ^""^  ^^^^^  ©etnrainc  iRcdcr  unb  SBonftettcn. 

ben  il)rigen  ju  befontmen*  Uebrigen^",  fagtc  jtc,  „jeien  bic  beibcn 
©effel  a\x§  bem  3nt)cntar  öon  5ßl^Uemon  unb  Sauds "  ^).  ®ic 
näc^fte  sperfönlic^feit,  bie  ftd^  ganj  befonberS  für  ba§  Ätnb 
ittterefjtrte,  war  SKabame  b'^oubetot,  eine  3taä)hax\n  t)on  @atnfc 
Duen,  bie  f\(i)  tegelmäfeig  bort  einjufinben  pflegte,  wenn  3fledfer 
unb  feine  grau  il^re  Stoc^ter  allein  jurücflaffen  mußten.  Sn 
ben  ©riefen  an  bie  SRutter  fprid^t  fte  t)on  ber  kleinen  wie  öon 
il^rem  eigenen  Äinbe,  rül^mt  il^re  lieitere  Sebl^aftigfeit  unb  ii)xe 
wunberbaren  Singen  unb  berul)igt  bie  6ltern  über  eine  Keine 
Unregelntäfeigleit  il^re§  Sßad)§tf)untS,  inbem,  wie  jte  fd)reibt,  eine 
leiste  (Srl^öl^ung  ber  redeten  ©d^ulter  nur  bem  ju  auSfd^liefe^ 
lid^en  @thxavLä)  beö  redeten  Slrmeö  unb  ber  redeten  ^anb  ju«= 
jufd^reiben  fei;  jte  l^abe  il^ren  SBärterinnen  beSl^alb  ben  Sluf* 
trog  gegeben,  fleißig  bie  linfe  ^anb  ber  Äleinen  ju  üben.  Sin 
biefen  Umftanb  fnüpft  ftd^  eine  Slnefbote,  bereu  Dpfcr  aSiftor 
Don  33onftetten  würbe.  5Rad^  einem  längeren  Slufentl^all  in 
^oKanb,  auf  ber  Unioerftät  Serben,  unb  bann  in  6nglanb, 
wo  er  feine  (Stubien  ooKenbet  f)atte,  war  ber  ftrebfamc,  nun^^ 
mel)r  fünfunbjwanjigiäl^rige  junge  SJiann  in  5ßariS  eingetroffen/ 
wo  er  ben  größeren  Sl^eil  beö  3al)re§  1770  öerbrad^te  unb  neben, 
anberen  greunben  auc^  gräulein  ßurd^ob  al§  bie  nunmel^rige 
SJlabame  9led'er  wieberfanb.  3n  il^rem  §aufe  aufS  greunb- 
fd^aftlici^fte  em:pfangen,  ging  er  eines  SagS  bei  ©elegenl^eit  einei^ 
Sefud^S  in  ©aint^Duen  im  bortigen  5parf  fpajieren,  als  er,  ebcnfo 
plö^lid^  wie  unerwartet,  einen  unfanften  ©d^lag  mit  bem  @tocf 
erl)iclt;  nad)  bem  Singreifer  ftd^  wenbenb,  erblidfte  er,  l^inter 
einem  SSaumftamm  l^eroortretenb ,  bie  Keine  oieriäl^rige  Sinne 
©ermaine,  bie  il^m  oergnügt  oerjtd)erte,  eS  fei  il)r  oorgefd^rieben, 
fo  oiel  als  nur  immer  möglid^  bie  linfe  ^anb  jU  gebraud^en. 
S)aS  war  ber  Slnfang  einer  greunbfd^aft  jwifd^en  bm  beiben^ 
bie  nur  ber  Sob  löfen  follte^). 


0  D 'Haus so n vi  11  e,    Le  Salon  de  Madame  Necker,  I,   121  u.  122 
unb  II,  26. 

^  Simond,  Voyage  en  Suisse.    I,  269. 


©rftc  S3egegnung  mit  SBonftctten.  149 

SBonftetten  l)at  Slufjeici^nungen  l^intcrlaffen ,  bie  nod^  in 
anbcrcr  Scjiel^ung  für  baö  Sledeffd^c  ^auö  Don  Sntercffe 
pnb;  pc  berul^igen  bic  ^lad^fornmcn  unter  anbem  barfibcr, 
baf  au^  ble  @alon§  bcö  act)tjel^nten  S^l^rl^unbcrtö  nid)! 
immer  untcrl^altcnb  waren,  „ßrfd^eint  ein  neue§  ©tüdE",  fagt  er, 
^fo  gel^t  man  ju  3Rabame  ©eoffrin,  ju  5IRabame  Slecfer  ober 
gräulein  üon  r@fpinaffe.  9!Äan  bepit  bie  Sleufeerungen  üon 
©iberot,  b'aiembert,  ^armontel,  Zi)oma^  barüber;  am  felben 
Slbenb  mad^t  man  Sefud^e  ober  mieberl)oIt  ba§  ©cl^örtc  t»or 
etma  fcci^jig  ^erjonen;  biefe  fed^glg  ^er Jonen  tl^un  l^ierauf 
il^rerfeitö  toieber  baöfelbe,  unb  am  näd^ften  Sage  ift  ganj  5ßari§ 
öom  gefällten  Urtljeil  unterrid^tet.  3)ie  täglich  pd)  toiebcr^' 
l^olenbe  ^Rotl^menbigfeit,  pd)  über  neue  ©rfd^einungen  in  Äunft 
unb  Siteratur  ju  äufeem,  öeranlafet  beinal^e  jebeö  ^auö,  ^6) 
einen  ©d^öngeift  angufd^aff en ,  ber  ba§  ©efi^äft  beforgt;  biefe 
©d^öngeifter  bilben  bann  unter  pd^  eine  unpd^tbare  Slriftofratie, 
bic  pd^  in  unmcrflid^en  Slbftufungen  bi§  in  bie  unterften 
©d^id^ten  öerliert.  ®ie  Häupter  l^abcn  il^re  SEribunale  unb  bie 
Untergebenen  il^re  Slbtl^eilungen.  ©obalb  Semanb  e§  magen 
»ürbe,  in  biefer  Umgebung  t)on  pdf)  felbft  ju  fpred^en,  würbe 
er  ben  Slnbern  unerträglid)  werben,  benn  in  ^ari§  emppnbet 
3liemanb  ba^  leifefte  Sntereffe  für  bie  Stngelegenl^eiten  feiner 
SKitmenfd^en;  bie  ^auptforge  mufe  immer  bie  fein,  bie  ©igen* 
liebe  berfelben  anzuregen  unb  nid)t  ju  Dergeffen,  ba§,  wenn  pe 
pd^  um  anbere  gu  fümmem  fd^einen,  e§  ftetö  nur  auö  $öflic^= 
feit  unb  unter  ber  Sebingung  gefc^iel^t,  bafe  biefe  ei§  aud^ 
fo  öerftel^en  unb  pd^  nid)t  babei  auflialten  foHen.  Sluf  biefe 
Urfa^e  Pub  bie  gefälligen  S^ormen  beS  Serfel^rS  unb  bie  ge= 
ringen  tl^atfäd^lid^en  @igenf d)af ten ,  bie  Dielen  liebenöwfirbigen 
^auen  unb  bie  wenigen  wal^rl^aft  guten  SÄütter  unb  ©attinnen 
jurüdfgufül^ren''.  Unb  bie  franjöpfd^en  mit  ben  cnglifd^cn  B^^ 
jiänben  Dergleid^enb,  entfd^eibet  Sonftetten  burd^auö  ju  ®unPen 
ber  legieren;  er  pnbet,  bafe  in  ^ranfreid^  bie  ©d^riftfteHer 
SSerPanb,  allgemeine  Äenntnife  Dieler  2)inge,  mand^e  neue,  be= 


150  ^^^  S3cgcgnunö  mit  S3onftcttcn. 

fted^enbe  Sbeen  cntmidelten,  bafür  aber  wenig  SÄetl^obc  befafeen. 
©aö  Umgefel^rtc  fei  in  @nglanb  ber  ^aH;  man  fönne  nid^tiJ 
Seffereö  tl^un,  alö  bie  bort  ober  in  ®enf  gel^olten  Sbeen  in 
frangöpjd^e  formen  gu  fleibca,  benn  ber  @nglänbcr  beginne  ba- 
mit,  ftc^  einen  SSorratl^  t)on  gefunber  aSemunft  anjufc^affen, 
wäl^renb  ber  fjrangofe  ftd^  bag  bis  gang  gule^t  auffpare  unb 
fel^r  oft  fterbe,  ol^ne  überl^aupt  fo  weit  ju  fommen.  3n  iJrant 
reid^  entf(i)eibe  im  ©rofeen  unb  ©angen  bie  ®unft,  in  @nglanb 
ba§  SSerbienft;  bie  ©inen  trad^teten,  bem  35aterlanb  gu  bienen; 
bie  änbern,  einige  einflußreiche  ^erfönlidjfeiten  gu  gewinnen; 
bort  jtnb  SKifebraud^e  eine  bloße  SluSnal^me,  l^icr  finb  jtc 
®efe^  1). 

^nä)  wm  frangöjtfc^en  Sanbleben  jener  Sage  l^at  Son« 
ftetten  in  Sriefen  an  bie  ©einen  angiel^enbe  ©d^ilberungen  cnt^» 
worfen,  fo  üon  jenem  im  ©d^Ioß  Sa  3iodE)egu9on ,  bei  ber 
^ergogin  b'ßnoiHe,  wo  eS  alle  möglid^en  S^tftreuungen  unb 
Unterl^altungen  gab,  ,,6aroffen,  9leit=  unb  Sagbpfcrbe,  SReuten, 
IBaBfpiel,  SiHarb,  Stl^eater,  ßoncertfaal,  unb  wo  bie  Hausfrauen, 
bie  ^ergoflin  felbft  unb  i^re  ©d^wiegertod^ter,  öon  il^ren  ®äjicn 
nur  »erlangten,  ftc^  möglich ft  gut  gu  unterl^alten".  ©agu  trug 
eine  Sibliotl^ef  Don  15,000  Sänbcn  baS  il^rige  bei,  unb  ber 
junge  ©d^weiger  nennt  baS  ©d^loß  baS  erfte  in  gang  fjronfrcidlj 
in  S5egug  auf  ©infad^l^eit  perfönlid^en  Sluftretenö,  Sleinl^eit  ber 
Sitten,  Slbel  ber  ©eftnnung  unb  geiftige  Stnregung  feiner  Se* 
ftfeer^). 

SRul^iger  öerlief  baS  Seben  in  ©aint^Duen,  wo  feine  Soor*« 
liebe  für  3^gb  ober  SBaffen^^anbwerf,  wie  auf  ben  alten  ©i^cn 
beS  frangöftfd^en  SlbelS,  bie  gefellfd)aftlid^en  Segiel^ungen  belebte, 
unb  ber  Son  immer  ein  ernfter  unb  gemeff euer  blieb ;  l^eiter  lonntc 
bort  wol^l  nur  ber  anblirf  beS  Meinen  SJiäbcftenS  genannt  wer» 
ben,  beffen  Silb,  öon  unbefannter  ^anb  entworfen,  fie  öon 
etwas  bunfler  Hautfarbe,  mit  lebl^aften  unregelmäßigen  Söflcn, 

0  A.  Steinlen,  Ch.  V.  de  Bonstetten,  75—78. 
2)  (Sbenbafclbft,  80—81. 


eraid^ungSmctl^obc  öon  SWabamc  S^ccfcr.  151 

bie  f(f)on  ein  fcltencr,  auö  bunflen,  grofeen  Slugen  t)eröorIeud)ten« 
bcr  SluöbrucE  öon  SSerftanb  unb  ®ütc  belebte,  barfteHt.  3Ka= 
bame  SRcder,  obwol^I  in  fpäteren  S^l^ren  öergebenö  bemül^t,  ben 
©nflufe  öon  S.  S.  Sftouffean  öon  ilirer  Sj:ocl)ter  fern  ju  t)alten, 
l^atte  angefangen,  wie  alle  anbern  'grauen  il^rer  ^tiU  „S^  er« 
jiel^e  meine  Zodjkx  nicl)t  wie  Sopl^ie,  fonbern  wie  (ämile", 
fd^rieb  fte  1768,  „unb  big  je^t  geigt  pd^  bie  5Jlatnr  liebeng« 
wfirbiger  bei  bem  Äinbe  alö  alle  Äunft"  ^).  @ie  ^atte  e§  g^^ar 
nid^t,  nad)  ber  aSorfd)rift  beö  ^Keifter^,  felbft  näl)ren  fönnen, 
aber  um  fo  mel^r  wollte  fte  feine  (ärgiel^ung  leiten  unb  fo  öiel 
ate  möglid^  felbft  beforgen,  befonberS  wenn  3fledfer'§  SSerpflidt)« 
tung,  btm  ^of  in  bie  öerfd^iebenen  SReftbengen  gu  folgen,  il^r 
mel^r  Stit  bagu  lie§.  „SBäl^renb  breigef)n  ber  fdt)önften  3al^re 
meines  gebend'',  berid)tet  fie  barüber  an  il^ren  SKann,  „l^abe  idt), 
35u  wei^t  eS,  mid)  burdt)  feine  anbere  ©orge  unb  SSefd^äftigung 
baöon  abl^alten  laffen,  meine  Sod^ter  ftetö  unb  immer  im  Sluge 
gu  bel^altcn;  id)  l^abe  pe  in  t)crfdt)iebenen  ©prad^en,  befonberö 
in  il^rcr  eigenen  unterrid^tet  unb  il^r  ®ebädt)tnife  unb  il)ren  33er* 
ftanb  burd^  bie  befte  Seftfire  gu  bilben  gefudt)t.  S2Bäf)renb 
©eines  Slufentl)altö  gu  SSerfaiDeö  ober  gontainebleau  ging  id^ 
mit  il^r  allein  aufö  Sanb;  bort  pflegte  id^  mit  il^r  fpagieren 
gu  gelten,  gu  lefen  unb  gu  beten;  atö  il^re  ©efunbl^eit  litt, 
unterftü^ten  meine  Sorge  unb  Pflege  bie  a3emül)ungen  beS 
SlrgteS,  unb  feitbem  ift  mir  gefagt  worben,  pe  l)abe  oft  bie 
^uftenanf alle ,  oon  weldt)en  pe  befallen  gu  werben  ppcgte,  ge« 
fteigert,  nur  um  meiner  forgcnben,  liebenben  ©egenwart  nid)t 
gu  entbel^ren.  5!Rit  einem  SBort,  id^  fudt)te  aUe  ®aben  ber 
SRatur  bei  il^r  gu  förbem  unb  gu  ppegen,  weil  id)  il^rer  Seele 
bamit  wol^l  gu  tl^un  l^offte,  unb  id^  meine  gange  (Sigenliebe  auf 
pe  übertragen  l^atte"^). 

3n  nod^  mangelf)after  £)rtf)ograp]^ie,  aber  fdt)on  mit  SBorten, 


*)  Golowkin,  Lettres  recueillies  en  Suisse,  359. 

^)  D^Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  35. 


152  ®^f^«  SBrtcfc  öon  Sinne  ©crmaine  an  if)xt  aWuttcr. 

bic  fo  jungen  Salären  unb  ber  ilinen  gcwöl^nlid^en  ©ntpflnbung^' 
ttjelfe  öoraneilten ,  erwibertc  bic  2:od)tcr,  wenn  SUiabamc  Sßeder 
fld^  öon  tl^r  trennen  mufete,  bie  mfitterltd^e  ßi^weigung:  „Sd) 
flnbe  in  mir  nur  mel^r  3)i(f)'\  lautet  einer  biefer  33riefe;  „®u 
bift  mein  SUiutf)  unb  meine  Sßernunft,  ba§  befte  Sßorbilb  ©einer 
eigenen  Seigren.  .  .  ^ä)  öertt)ünfd)e  je^t  ben  33all  unb  meine 
friöolen  Steigungen;  mie  fonnte  id^  glauben,  ba§  id)  mid) 
unterl^alten  unb,  öon  3)ir  entfernt,  nod)' biefelben  Slugen  l^aben 
mürbe?'' 

„Siebe  SRama",  lieifet  e^  ein  anbereS  9)tal,  „foKte  id)  taufenb 
Saläre  leben,  um  ©id^  betrad^ten  gu  fönnen,  fo  mürbe  id^  ben= 
nod)  eiferfüdt)tig  merben,  foHteft  ®u  aud^  nur  für  einen  Slugen* 
blidC  ©id)  oon  mir  abmenben.  SKöd^teft  ©u  tro^  aller  meiner 
SEl^orl^eiten  bodö  bebenfen,  ba^  ii)  ©id^  liebe,  mie  ©u  geliebt  ju 
merben  öerbienft.  Sd)  fd)idfe  ©ir  bie  fd^önften  SSlumen  unfereS 
®arten§,  unb  mein  .^erj  gef)ört  nur  ©ir  unb  meinem  SBater". 
SGBenn  jte  jtd^  Sßormürfe  gu  mad)en  unb  eine§  ^Jel^ler^  angu» 
flagen  l^atte,  befd)mor  jte  bie  5!Rutter,  if)r  beijuftel^en,  „benn 
meine  üble  Saune  gu  fd^ilbern  unb  fonft  nod^  Sllleg  ju  fagen, 
öermag  id)  nid)t'',  fd^rieb  fte  il^r.  „SBarum  fann  id)  nid^t  öon 
©iegen  berid)ten,  bie  id^  über  mid)  felbft  baöongetragen?  ^JÄutter, 
liebe  SUiutter,  l^elfe  mir,  mid^  ju  beffern''.  ©ie  ©riefe  oott 
SRabame  Sieder  an  il)re  Sod^ter  geigen  alle  ba§  S3eftreben,  bie 
@efüf)le  gu  berul)igen  unb  gu  bämpfen,  bie  fc^on  mit  gu  gto^er 
SSärme  an  bie  Dberfläd^e  brängten.  „©ein  SSrief  ift  ber  eines 
guten  Äinbeö",  fd^rieb  fte  ber  3Siergef)niäl^rigen  im  SUiai  1779; 
„id^  fel^e,  bafe  ©u  mit  ©ir  felbft  guf rieben  bift,  unb  mill  gmlfd^n 
©ir  unb  mir  nur  ©ein  §erg  gum  Sflid^ter.  ©ein  ©t^l  aber  ift 
etmaS  gu  überfd^mänglidt).  ®e^e  nid)t  fo  aus  ©ir  felbft  l^erauS, 
um  mid^  gu  loben  ober  mir  etmaö  3ärtIid)eS  gu  fagen;  ba^ 
ift  ein  ^etiler  beS  ®efd)macES,  ber  puflg  in  ©einem  Sllter  ftd^ 
ftnbet.  SBenn  man  langer  gelebt  l^at,  fo  erfennt  man,  ba§  bie 
befte  2lrt  gu  gefallen  barin  befielet,  feinen  ®ebanfen  einfad^  unb 
ol^ne  Uebertreibung   auSgufpred^en ;   bann  l|at   er  ftetS   etmaS 


SBcmanbtc  3ügc  mit  i^i.  153 

Drigincttcö  unb  baS  ©cprägc  ber  SBafirl^eit,  ba§  jtd)  burd) 
«jcitauögcl^ottc  Sßergletd^c  öcriiert.  35ein  ©rief  an  2)ctncn  SBatcr 
ttjar  cinfadf)  unb  gut.  ^abc  ©auf  für  ©eine  S3Iumen  unb 
lebe  XDolfl,  mein  ©ngel". 

35iefe  SSorf(f)riften  t)on  SRabame  9ledfer,  fo  gut  unb  öor- 
treffUdf)  jte  waren,  mürben  bebauerlid^er  SBeife  öon  il^r  jelbft 
öergeffen  unb  umgangen,  wenn  jte  jtd^  nid)t  mel^r  dn  bie  Sod)ter, 
fonbem  an  ben  ®atten  wanbte.  35Bäf)renb  jte  biefer  bie  gefunbe 
SBemunft  cm^jfal^I,  „bie  ju  SlDem  nü^t  unb  niemals  fdjabet", 
öeranla^tc  jte  ber  blofee  ©ebanfe  an  bie  ÜWöglid^feit  einer  SSer= 
minberung  öon  9ledter'ö  Siebe  ju  il^r,  ju  Sleufeerungen  in  il^rem 
Stagebud^,  Don  benen  eine  unter  öielen  lautete,  jte  l^abe  il^r 
9ine§  einer  G^imäre  geopfert,  alle  if)re  Äräfte  auf  einen  5ßunft 
gcfammelt,  unb  ba  nun  biefer  gu  n)an!en  brol^e,  ftürje  jte  in 
ben  Slbgrunb,  ol^e  nac^  einem  rettenben  ,^alt  greifen  ju  fönnen; 
öon  ber  gröfeten  Sl^ätigfeit  gel^e  jie  ju  öoUftänbiger  Stpatl^ie 
über,  ©ie  beflage  bie  elenbe  ©d^wäd^e  if)rer  5)Mur,  ol^ne  jtd^ 
Don  xi)v  lo^reifeen  ju  fönnen ;  nur  foHe  9liemanb  erratl^en  bürfen, 
was  jte  leibe. 

Site  jte  jtd)  fo  äufeerte,  war  ^abame  DIecfer  über  Dierjig 
Saläre  alt,  unb  e§  !ann  nid^t  Söunber  nel^men,  wenn  jte,  eine 
flletd^e  Anlage  jur  £eibenfcl)aftlid)feit  ber  ©mpfinbung  bei  i^rer 
Sod^ter  fürd^tenb,  beftrebt  war,  jte  im  Äeim  ju  erftirfen. 

Sl^re  ganje  ©rgiel^ungSmetfiobe  ging  benn  aud^  oon  bem 
Seftreben  an^,  bie  ©emütl^Sanlagen  unb  SebenSgewolinl^eiten 
il^rer  2:od)ter  früJ^jeitig  in  fefte  a3af)nen  ber  ^Pid^t  unb 
Slrbcit  gu  lenfen.  ©ie  felbft  l^atte  Diel  gelernt  unb  war 
für  eine  §rau  t^reö  ©tanbeS  unb  i^rer  S^it  f^P  gelef)rt  ju 
nennen;  in  fjolge  beffen  trug  jte  aud)  fein  Sebenfen,  bem 
begabten  3Räbd^en  eine  grofee,  geiftige  SlrbeitSlaft  aufguerlegen 
unb  il^r  Sntereffe  für  alle  möglid^en  Äenntniffe  gu  wedfen, 
bte  fonft  bem  Unterrid^tSpIan  junger  ©amen  fem  lagen. 
©ie  l^offte  baburdt)  audt(  am  beften  bem  ©influfe  gewiffer  mate' 
rialiftifd^er  Sbeen  gu  fteuem  unb  burd^  eine  ftreng  metl^obijd^e 


154  SKabomc  SRccfcr  wcnbct  ©trcngc  an. 

ßtätel^ung  bie  au§fd)lic6ltcl)e  ^errfd^aft  rcligiöfer  2lnfd)auungcn 
öor jubereiten ;  aber  jte  ging  babei  me  alle  ©teienigen,  bie  an 
fic^  felbft  ftrenge  ^^orberungen  gu  [teilen  gewolint  ftnb,  jn 
SBerfe,  o^ne  ben  SSebürfniffen  ber  3ugenb  ober  ben  3^bit)i« 
bualitäten  genügenb  SRecl)nung  gu  tragen,  ©iejemge  öon 
ijräuletn  3ledfer  war  ganj  baju  angetl^an,  bie  ftrenge  ßw^ä^t»  ^^ 
ber  jte  gel^alten  iwerben  foHte,  ganj  befonberö  peinlich  ju  em« 
pfinben;  benn  jte  war  aufeerorbentlid)  lebfiaft,  feinfüpg,  offen, 
unb  nad^  Slnerfennung  nnb  £ob,  wie  nad)  Seweifen  öon  ßärt* 
liä)k\t  unb  Siebe  öerlangenb;  fc^on  aU  Äinb  war  bie  Qn^ 
neigung  ju  il)rem  Sßater  ein  eigentf)ümlicf)e§  ©eniifd^  öon 
l)eiterer  Saune  unb  leidet  bi§  gu  ^xämn  gerül^rter  @rregbar!eit 
ber  (Smpfinbung,  bie  in  feinem  SBerl^ältnife  ju  il^rem  Sllter  ftanb. 
Sie  war  faum  elfiäljrig,  al§  bie  SJJiutter  il^r  eine  Junge  SScr* 
wanbte,  ^-räulein  ^uber  au§  ®enf,  fpäter  bort  alö  bie  fd^öne 
ünb  l^oc^gebilbete  SKabame  SftiHiet^^^uber  befannt,  jur  ©efal^rtin 
gab.  St^äwl^in  »^uber,  bie  i^re  intime  greunbin  blieb,  l^at  btefc 
erfte  ^Begegnung  mit  il^r  gefd^ilbert  unb  befonber^  eine  ^ragie 
unb  ®ewanbt^eit  be§  Sluöbrudf^  an  bem  fleinen  SMäbd^en 
l)eröorgel^oben ,  bie  bereite  ber  33erebfamfeit  nal|e  famen  unb 
.  tiefen  ©inbrudf  auf  jte  mad^ten:  „SBir  pflegten  nidt)t  wie  Ätn=» 
ber  ju  fpielen",  fäf)rt  jte  in  t^rer  6rjäl)lung  fort,  „jte  fragte 
gleid^  nad)  meinen  Unterridf)töftunben ,  nadf)  ben  öerfd^iebenen 
©prad^en,  bie  mir  geläufig  feien,  unb  ob  id^  juweilen  baö 
Sil^eater  befudt)e.  2ll§  id^  barauf  entgegnete,  ba§  iä)  erft  gwci 
ober  breimal  in  einem  folc^en  gewefen  fei,  begeigte  jte  mir  il^r 
ßrftaunen  barüber  unb  öerfprad^,  balb  einmal  mit  mir  in  bie 
Äomöbie  gu  gelten;  jte  fügte  l^inju,  nad)  jebem  ©tfid  müßten 
wir  ben  ^xii)alt  beöfelben  unb  xoa^  un§  fonft  auffallen  würbe, 
ju  ^^apier  bringen,  baS  fei  fo  i^re  ©ewol^nl^eit;  aud^  öer=» 
fpradt)en  wir,  un^  \cbm  5!Rorgen  gu  fd^reiben.  hierauf  gingen 
wir  in  ben  ©alon.  Sieben  bem  Sel^nfeffel  öon  SWabante  Sleder 
ftanb  ein  Heiner  ^olgftul^l,  auf  weld^em  il^re  S£od)ter  gerate 
unb   unbeweglid^  ftiH  gu  jt^en  i^atte;  bann  famen  brei  ober 


gräulcin  Jpuber  über  gräulcin  SRccfet.  155 

öier  ältere  Ferren  t)erbei,  bte  j!d)  mit  ber  größten  2:t)cilnal^me 
mit  il^r  ju  unterJ^dten  fd^icnen.  ßiner  berfelben,  ber  eine  Keine, 
runbe  ^errüde  trug,  nal^m  fte  bei  ber  ^anb  unb  fprad)  mit 
il^r,  als  ob  jte  ffinfunbgwaitäig  ^a^xc  alt  gemefen  fei;  e§  war, 
wie  id^  fpäter  erful^r,  Slbbe  SRa^nal.  ©ic  Slnbern  waren  3:i^omaö, 
3Wamu)ntel,  Saron  ©rimm  unb  ber  SKarquiS  be  ^eja^.  ÜRan 
ging  jU  Sifci^.  gräulein  9ledfer  fagte  fein  SBort,  unb  boc^  jd^ien 
fle  mitjurebcn,  fo  lebenbig  war  jte  mit  if)rer  3lufmerffamfeit  am 
©cfprftci^  bct^eiligt.  9iad)  Sifd)  famen  öiele  Seute,  unb  Seber* 
mann,  nac^bem  er  SWabame  nieder  begrübt  l^atte,  fagte  il^rer 
Sod^ter  ein  SBort  unb  fucf)te  jte,  fei  eS  buxä)  eine  ^Jrage,  einen 
©pafe  ober  fonft  eine  SSemerfung,  inS  ©efpräc^  l^ereinäujiel^en ; 
man  fragte  nad)  bem,  wa§  fte  gelefen,  brad^te  il^r  SSüd^er  unb 
wcdtc  il^ren  ®eift  auf  aUe  erbenflid^e  SBeife"  ^). 

2)er  einjige  finblid^e  Quq,  ber  an  Fräulein  Sieder  bemerft 
würbe,  war  ber,  bafe  fte  jtdf)  gern  bamit  unterf)ielt,  Äönige  unb 
Königinnen  auS  Sßapier  auSgufd^neiben  unb  bann,  fte  alö  puppen 
benu^enb,  Sragöbien  mit  il^nen  aufgufül^ren,  worauf  aud^  il^re 
fpfttere  ©ewol^nl^eit  jurüdjufüf)ren  ift,  gern  einen  Streifen  Rapier 
ober  ein  S^^eiglein  burd^  bie  ^Jinger  gleiten  gu  laffen,  eine  un* 
bewußte  Sefd^äftigung,  bie  il^r  nad)  unb  nad^  fo  notl^wenbig 
würbe,  wie  bie  ®ebetfd)nur  bem  Orientalen,  ^m  Uebrigen 
waren  felbft  il^rc  ©ewol^nl^eiten ,  wie  gum  Seifpiel  ber  33efud^ 
beS  Sl^eaterS,  nur  eine  anbere  Slrt  oon  geiftiger  Slnfpornung; 
oud^  ba«  3ntereffe  für  bie  ©djaufpielf unft ,  baS  jte  fpäter  oer*» 
onla^e,  felbft  auSübenb  tptig  ju  fein,  würbe  bereits  in  jenen 
Sollten  gewedt,  inbem  Fräulein  ßlairon  oft  im  9leder'fd^en 
^aufe  ju  foupiren  unb  ben  Slbenb  gugubringen  pflegte  unb 
bann  guweilen  SRoKen  auS  bem  flafftfd^en  Siepertoire  oortrug, 
bei  wcld^er  ©elegcnl^eit  SÄarmontel  ober  £a  ^arpe  bie  SJteplif 
in  geben  pflegten  2). 

^)  Madame  Necker  de  Saussure,  Notice  sur  le  caract^re  et  les  ecrits 
de  Madame  de  Stael.    Vol.  I  tl^rer  Oeuvres  completes. 

^  Madame  Suard,  Essais  de  Memoires  sur  Suard,  83. 


156  ©ibbon. 

(äbenfaUS  bctnal^c  nod)  alö  Ätnb  fd^rieb  ^frdulcin  Sftedfcr 
in  Uebereinftimmung  mit  ber  l^errfd^enbcn  SWobc  SßortrotS 
imb  ßl^arafterftubien,  tt)eld)en  balb  SSerfe,  Sluffä^c,  cnblid^ 
Sl^caterftüdfe  folgten;  nod)  nicl)t  fünfgel^niä^rig,  öcrfol^  jtc  ein 
ßycmplar  beö  ®eifte§  ber  ®efe^e  mit  SRanbbemerfungcn.  @ine 
fleine  2lbl|anblung  öon  il^r  über  baS  (Sbift  Don  SlanteS  crmccfte 
bei  Slbb6  9iat)nal,  ber  fein  2Ber!  gern  auf  fold^e  SBkife  ht^ 
reidierte,  ben  SBunfd),  biefelbe  in  ber  näd^ften  SluSgabe  feiner 
©cfci^ic^te  ber  beiben  3nbien  aufjunel^men.  9lad^  SBerdffent= 
lici^ung  be§  Compte-rendu  rid)tete  jte  ein  anonymes  ©einreiben 
über  benfelben  an  5Jledfer,  ber  bie  Sod^ter  an  ber  ©ci^rcibart 
crfannte.  Slud^  il^re  originelle  Slrt  mibcrftanb  bem  ftrcngen 
(Srjief)ungöf9ftem ,  bem  fte  nnterioorfen  worben  war.  SJ[l§  bei 
Gelegenheit  eineö  SSefud^e^  öon  ®ibbon  in  ^ariiS  1776  5RedEer 
unb  feine  ^Jrau  ben  SBunfc^  au§fprad)en,  eS  möd^te  il^nen  t)er= 
gönnt  fein,  biefeg  anregenben,  geiftreid)en  Umgangi^  ftd^  bleibcnb 
ju  erfreuen,  bot  baö  jel^njäfirige  9Ö?äbdt)en  if)rer  SÄutter  alleö 
©rnfteiS  an,  bie  unförntlid)e  a3erfil^mtf)eit  ju  l^eiratJ^cn  unb  burd^ 
ben  öergttjeifelten  @d)ritt  für  immer  an  bie  g^amilie  ju  feffelii, 
tt)ie  benn  überl^aupt  in  biefer  raftloS  arbeitenben  9latur  bie 
6nttt)idflung  beö  ®emfitl^§lebenS  gleid^en  Sd^ritt  mit  ber  beiJ 
©eifteS  l^ielt.  @o  liebte  fte  aud^  ^Jräulein  ^uber  leiben* 
fd^aftlid^.  SBenn  fte  bebeutenben  3Äenfd)cn  begegnete,  fteigerte 
tl)re  (ärregung  ftd^  bi§  ju  %f)x&mn  unb  ^ergflopfen;  Me 
SSüd^er,  bie  fte  la§,  öerfe^ten  fte  in  eine  anbere  SBelt.  Sefannt 
ift  bie  2lrt  unb  SBeife,  U)ie  fte  ben  ©inbrud  gefd)ilbert  l^at,  ben 
ber  grofee  SRomanbid^ter  ber  3^*^  SRic^arbfon,  auf  jte  mad^te: 
„®ie  (äntfü^rung  öon  ßlariffa",  pflegte  fte  gu  fagen,  ,,fei  ba« 
grofee  6reignife  il^rer  3ugenb  gemefen."  ^^x  erfter  unb  immer 
nod)  befter  SSiograpf),  SÄabame  5?ecfer  be  ©auffure,  fagt  öon 
il)r,  fte  fei  ftet§  jung  unb  niemals  ein  Äinb  gewefcn;  S^iu 
SRilliet^^uber  fügt  ^ingu,  U)a§  fte  am  meiften  unterl^alten  l^abe, 
fei  immer  gugleidf)  ba^  gemefen,  xoa^  fte  ujeinen  mad^te. 

„§ier",  fd^rieb  ©räfin  b'^oubetot  öon  ber  Sod^ter  fpred)enb 


SWabontc  SRctfer  über  il^rc  Sod^tcr.  157 

an  SBiabamt  Sieder,  „erblül)en  3l^nen  bie  ^reuben  S^reS  gebend, 
genießen  Sie  ben  SStoft,  biefelben  gur  Sntfaltung  gu  bringen; 
mir  gel^t  leine  il^rer  anmutl^igen  ®ragien  verloren"  ^).  Seiber 
empfanb  biefe  barin  nid)t  fo  wie  ilire  lieben^würbige  gteunbin ; 
fte  leitete  bie  @rgtet)ung  ber  Sod^ter  mit  berfelben  peinlid^en 
®ett)iffen]^aftigfeit,  mit  xodä^ex  jte  il^re  eigene  iJortbilbung  über* 
wad^tc  unb  bie  t)erfd)iebenften  ^flid)ten  if)rer  Stellung  gu  e^ 
füBen  jtd^  beftrebte ;  fte  erf d)öpfte  alle  Sorgen  unb  allen  Äummer 
bt&  mfitterlid&en  S3erufeö,  aber  an  ben  @ntfd)äbigungen  unb 
Sfteuben  berfelben  ging  jte  faft  unempfinblid)  Dorüber.  3« 
%en  gefammelten  @(f)riften  jtnb  U)äf)renb  ber  Sugenbgeit  öon 
Sinne  ©ermaine  gefd)riebene,  langatl^mige  Slbl)anblungen  über 
ben  ©t^l,  grammatifalifd^e  SSemerfungen  über  ben  „@mile'\ 
Slufjeidimingen  öon  ßonöerfationen  mit  SSujfon  ober  2:f)oma§ 
gu  flnben;  %er  Sod^ter  aber,  öon  ber  gu  l)ören  fo  oiel  inter» 
effanter  märe,  gefd^iel^t  faum  eine  anbere  ßrmä^nung,  al§  um 
einmal  gu  bemerlen,  mie  gefäf)rlid)  für  ein  junget  aKäbd)en  bie 
^rifer  atmofppre  fei.  @ie  l^abe,  ergä^lt  SJlabame  SRetfer, 
eines  3iig§  eine  Sleu^erung  getl^an,  bie  ^Jrioolität  be§  ©efd^madf^ 
öerrietl^;  ba  fei  il^r  com  ©rgbifd^of  oon  3lif  entgegnet  morben: 
„3Wein  gtäulein,  @ie  ftnb  3^rer  nic^t  mürbig"^).  g§  toar, 
aU  ob  burd^  bie  ^eftigfeit  ber  Steigung  für  ben  ©atten  unb 
in  ber  f5reunbfd)aft  bie  finblidt)en  2lnfprüd)e  auf  ba§  3Rutter= 
l^erg  becinträd)tigt  morben  feien. 

Unter  gemöl^nlid^en  SSerl^ältniffen  mürbe  eine  @rgief)ung 
nad^  ber  SMetl^obe  t)on  SJiabame  Sledfer  übrigen^  bod^  gum  ge= 
münf(l)tcn  3^^^  gefül)rt  l^aben,  in  biefem  gaU  aber  begegnete 
fle  jtd^  mit  einem  Clement,  ba^  aller  if)rer  Si^eorien  fpottete,  unb 
btefciS  Clement  mar  angeborneS  ©enie.  SJiabame  Slcdfer  ging 
üon  bem  ©runbfa^  auS,  ba§  SlHeS  erlernt  merben  !önne,  ba^ 
©tubiren  bie  $auptfad)e  fei;  fte  meinte  ridt)tig  genug,  mer  bie 


*)  D'HaussonYille,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  28. 
')  Madame  Necker,  Melanges,  I,  324,  III,  91. 


158  9Wabantc  ^tätx  übet  \f)xt  Sod^tct. 

erfte  Sebenöjeit  nid^t  nixl^lxä)  aufgefüllt  l^abe,  merbc  feine  legten 
Saläre  niemals  ju  öemenben  toiffen^);  bie  S£o(f)ter  aber  war 
3u  probufttö  angelegt,  um  tl^r  gangeö  Seben  l|inburd)  ben  ®e* 
ban!en  ber  Slnbern  ol^ne  bte  l^öd^fte  ©rmübung  folgen  gu  lönnen, 
wäl^renb  jte  SluSbauer  unb  ß^itaufmanb  anbererfeit^  wieber  burdf) 
eine  aufeerorbentlid)  rafd)e  ^afjungSgabe  erfe^te.  @§  feilten  bie 
nötl^tgen  Slnl)alt§punfte,  um  ben  pojtttöen  ©ewinn  an  Äennt* 
niffen,  ben  Fräulein  nieder  \i)xm  33tlbung§j|a]^ren  oerbanite, 
ganj  genau  f eft jufteKen ;  au§  fpäteren  Sl^atfad^en  unb  Stuf* 
jeid^nungen  aber  läfet  jtd^  foötel  fagen,  bafe  pe  genügenb  latet« 
nifd^  öerftanb,  um  mit  il^ren  Söhnen  ben  SacituS  gu  lefen; 
boä)  wirb  aud^  l)ingugefügt ,  bafe  fd^on  wenige  SBorte  be§  gu= 
weilen  aud^  mtfeöerftanbenen  3;ejrteS  genügten,  um  pe  ju  geift« 
reid^en  JDiffertationen  gu  öeranlaffen,  bie  oft  weit  ab  t)on  fetnem 
3nl)alt  führten  2).  m^  pe  1792  gum  erften  ^Kal  nac^  ©nglanb 
!am,  fprad)  unb  frf)rieb  pe  nod^  wenig  unb  fel^Ierl^aft  englifd^, 
unb  obwol^I  pe  pd^  Peifeig  auf  bie  Jfteife  nad^  ©eutfd^Ianb  öor» 
bereitet  ijatk,  ftimmen  alle  S^^Ö^iff^  baxin  überein,  ba^  pe  e§ 
bei  il^rer  Slnfunft  in  SBeimar  nur  fel^r  mangelliaft  Derftanb; 
bann  aber  l^at  pe  e§  gelernt  unb  audf)  gefannt.  ^unbert  Solare 
früfier  wußten  bie  grauen,  wenn  pe  überl^aupt  gebilbct  waren, 
in  iJranfretd^  öiel  mel^r;  fjrau  oon  @et)ign^,  unter  3lnbem, 
l^atte  baö  Sateinifd^e  grünblid)  erlernt,  fprad^  öortrefflid^  fpcimfd^ 
unb  ttalienifd),  unb  fannte  genug  ^l^ilofopl^ie  unb  Sl^eologtc, 
um  ©d^rttt  mit  ber  ©Übung  xijxtx  ß^it  gu  l^alten  unb  über  bie 
l^errfd)enben  ßontrooerfen  pd^  ein  Urtl^eil  gu  bilben.  @S  fefete 
wenigpen^  ebenfooiel  poptiöeö  SBiffen  unb  ©d^ärfe  be8  SScr« 
PanbeS  oorauö,  um  gur  ^nt  oon  3lmaulb  unb  5ßaScaI,  öoti 
SRicoIe  unb  SSofluet  ein  felbpänbige^  Vixttjtil  über  bie  ©nabenlel^rc 
gu  liaben  —  unb  bie  berühmte  31Karquife  I)atte  ba§  irrige  — , 
aU    in    ben    Sagen    öon    fjräulein    5Redter    mit   mel^r    ober 


0  Madame  Necker,  Melanges,  II,  337. 

^  Bonftctten,  Briefe   an  fjriberile  SBrun,   l^erauSgcgeben   öon  gr.  öoti 
aWattl&iffon,  I,  181. 


weniger  fflereditigimg  über  9Konte§quicu  unb  Jftouffeau  ju  biö« 
lutiren.  SBeber  bamalS  nod)  jpäter  l^at  fte  felbft  übrigen^  Sin* 
fprud)  barauf  erl^oben,  im  eigentlid^en  @inn  bc§  Söorteö  eine 
geleierte  fjrau  ju  fein;  allein  fte  toufete  öiel,  Ia§  unb  untere 
rid^tete  jtd)  beftänbig  unb  trat  im  Sauf  ber  3^it  cm  bie  meiften 
ber  Probleme  l^eran,  bie  il^re  ©eneration  auf  geiftigem,  fünft= 
lerifdiem  unb  polttifd^em  ®ebiet  befd)äftigt  l^aben. 

SWabame  5Redter  be  ©auffure  unterläfet  benn  aud^  nid)t,  ju 
bemerfen,  bafe  bie  Ueberlegenl^eit  ber  ^rau  üon  ©tael  ein 
grofeeS,  natürIid)eS  ^l^änomen  öielmelir,  al§  ba§  SRefuItat  äußerer 
©nwirfungen  ober  erworbener  Äenntniffe  njar:  „©ie  6rjiel^ung'\ 
fagt  fte  auSbrficflid^,  „liefe  nur  geringe  ©puren  bei  i^r  jurüd"  *). 

©en  auf  anbere  QkU  gerid^teten  Semül^ungen  il^rer  SRutter 
leiftete  fte  aud^  burcl)auö  leinen  SBiberftanb,  aber  il^re  ©efunb» 
l^eit  gab  plo^Iid^  gu  ernften  Sefürd^tungen  3lnlafe,  unb  ber  öon 
ben  beftfirjten  6Itern  angerufenen  @ntfd)eibung  oon  Strond^in 
fiel  ba§  @rgiel|ung§f^ftem  ber  3Rabame  ?)ledfer  enbgültig  jum 
Dpfer;  er  fdf)rieb  ben  3lufentl^alt  in  ©aint^Duen,  anl^altenbe 
Sewegung  in  freier  Suft  unb  Unterbrechung  aller  geiftigen  8ln* 
ftrengung  öor. 

©amit  begann  bie  Entfaltung  jener  poetifd^en  unb  imagi- 
nativen fjäl^igfeiten,  bie  bi§  bal^in  jurüdfgebrängt  morben  waren, 
©ie  beiben  jungen  3Jiäbd)en,  Sinne  ©ermaine  unb  bie  ^Jreunbin, 
Srdulein  ^uber,  burd^ftreiften,  i^uweilen  al§  SR^mpl^en  ober 
5!Rufen  gelleibet,  ben  $arf  unb  bie  ®örten  oon  ©aint^Duen, 
befd^äftigten  pdf)  mit  TOuftf  unb  ©efang,  bid^teten,  trugen  ®e= 
bid)te  Slnberer  oor  unb  fpielten  wol^l  aud^  felbftgemad^te  ©ramen 
ober  @d)aufpiele;  oor  SlHem  aber  mürbe  ber  Salon  5Re(Jer 
mel^r  unb  mel^r  bie  l^ol^e  ©d^ule  be§  Sernenö  unb  £eben§,  bie 
ben  ©ebanfenauStaufd)  mit  anregenben  unb  geiftreid^en  SUienfd^en 
cnnöglid()te,   ben  3beenfrei§   beS  jungen  3Ääbd^en§   erweiterte, 


*)  Madame  Necker    de    Saussure,   Notice   sur   le  caractere  et   les 
Berits  de  Madame  de  Stael. 


160  5tnna]6«tun8  öon  graulein  S^ccfer  an  il^ren  »ater. 

il)rcn  @efd)macl  bilbcte  unb  frül^  bic  Äcnntni^  bcr  SRetifd^en 
unb  bcr  Söclt  bei  il^r  entotdCelte,  ol^nc  weld^c  il^rc  aufecrorbcnfc 
M)cn  Stnlagen  nie  ju  öoHer  Entfaltung  gcbiel^cn  wären.  Qxi 
blefer  SBcränberung  in  ber  SebenSweife  unb  ben  Scfdiäftigungen 
fant  alö  weiterer  unb  entfd^eibenber  Umftanb  für  fjräulein  3ledEer 
bic  innige  Slnnäl^erung  an  il^rcn  3Satcr.  ©eine  nid^t  niel^r  burd^ 
@taatögcfd)äftc  beanfprud^te  Slufmcrffamfcit  lonntc  jt(^  nun  un^ 
gcftört  bcr  2:od)tcr  juwenbcn;  er  fanb  in  il^r  einen  Seift,  ber 
bereits  bcm  feinigen  SRebe  ftanb  unb  überbicö  feine  anjicl^cnbften 
6iflcnfd)aftcn  aufbot,  um  ben  SSatcr  ju  getöinnen,  öon  bem  fie 
füllte,  bafe  er  ftc  fo  t)iel  beffer  alö  bic  SRutter  Derftanb,  ohxoofjil 
er  fie  nie  lobte  unb  nur  feiten  emtutl^igte.  35affir  l^atten  fie 
ntand)e  6l)araftcrjügc  unb  inteHeftucHc  @igenf(^aften  gemein, 
oor  Slllcnt  einen  auSgcbilbeten  Sinn  fftr  baS  Äomifd)e,  bcr  bei 
5)lccfcr  in  einer  f leinen,  1783  ocröffentlid^ten  Satire  „über  ba^ 
(SlüdE  bcr  Sinfältigcn",  —  »le  bonheur  des  sots«  —  jtd^  jiem* 
lid)  unermartet  Suft  mad)tc,  unb  oon  bcr  gräulcin  öon  TCfpinaffe, 
bic  fie  im  SKanuffript  la§,  if)m  freilid^  nid^t  ol^ne  arge  Ucber» 
treibung  fd)ricb,  ftc  fei  l^citer  unb  pj^ilofopl^ifd^  wie  SJoltaire'ö 
„ßanbibc".  3lud)  ba§  ocrbanftc  g^rSulcin  Sßcdcr  il^rcm  SJater, 
ba%  Dffcuf)cit  unb  9latürlid)fcit  il^r  jum  SBcbürfnife  würben, 
„(är  cntlaröte  aUcS  angelernte,  affcftirtc  3Bcfeu'\  fagt  jte,  „unb 
neben  i^m  l)abc  id)  bcm  ®laubcn  tuidt)  Jöinjugcbcn  gelernt,  bafe 
man  flar  in  meinem  bergen  fcl^c.''  ®afür  war  er  gern  ju 
Meinen  @d)crjen  bereit  3ln  einem  SJJorgcn,  ate  SBonftetten  ®afl 
bcr  gamilie  war,  ocrfud)tc  ^Jräulcin  5Jlcdcr  am  fjrfil^ftüdtifd^ 
oergcbenS,  bic  Slufmcrffamfcit  if)rc§  SBaterS  auf  fid^  gu  jiel^cn, 
ba  würbe  il^rc  SKutter,  wcld)c  foldt)c  (Spielereien  mit  ftrcngem 
lölid  gu  al^nbcn  pflegte,  irgcnb  einer  l^äu§lid)cn  Slngclegenl^eit 
wegen  abberufen;  im  fclbcn  Slugcnblidf,  wo  bic  Spr  fld^ 
i^inter  il^r  fd^lofe,  flog  audt)  fd^on  bic  ©croiette  feiner  Sod^ter 
bcm  bis  bal^in  graoitätifc^  baft^enben  ,&crrn  Siccfcr  inS  ©eftd^t. 
2lls  ob  bicfcr  nur  auf  baS  S^id)cn  gewartet  l^abe,  fing  er  jic 
auf,  banb  ftc  um  ben  Äopf  unb  begann  mit  ©ermaine  um  ben 


©ntfrcmbung  jttjifc^cn  SWuttct  unb  Sod^tcr.  Ißl 

Sifci^  J^crum  gu  tangen,  btö  bic  ©d^titte  feiner  gurüdfel^renben 
©atttn  jtd^  Demefimcn  liefeen,  »jorauf  bie  beibcn  jtd),  wie  er* 
tctppte  ©d^ulfinber,  lüieber  fteif  l^injufe^en  beeilten,  ol^ne  ju 
bcmerlen,  ba§  jtc  burd^  bie  öerfelirt  aufgefegte  öäterlicl)e  ^errüdfe 
üerratl^cn  würben  ^).  ©ineö  aber  f onnte  SRabame  5Redfer  nid^t  öer= 
l^inbem,  ba§  il^re  Sod^ter  emfte  Sieben  burdE)  fomifc^e  (äinfäHe 
unterbrad^  unb  unter  ben  ©d^u^  SHedfer'^  pd^tete,  wenn  i^re 
überfprubelnbe  Sebl^aftigfeit  fte  in  f leine  Sßerlegenl^eiten  brad^te. 
3n  biefe^  neue  SSerl^ältnife  öerftanb  SKabame  Siedfer  pdf)  nid^t 
gu  finben;  Dom  Slugenblirf  an,  wo  fte  bie  6rgiel|ung  xf)xtx  2:odE)ter 
nid)t  niel^r  gang  nad^  il^rem  @inn  leiten  !onnte,  öerminberte  ftd^ 
aud^  il^r  gntereffe  für  pe.  Sllö  SKabame  5Jleder  be  ©auffure 
in  fpätem  Salären  eimnal  bie  aufeerorbentlic^e  SSegabung  ber 
iJrau  t)on  ©tael,  bie  pe  erft  furg  guöor  fennen  gelernt  l^atte, 
rül^mte,  ert)ielt  pe  öon  SKabame  9lecf er  bie  begeidt)nenbe  Slntwort : 
„35aö  ift  nid)ti5,  gar  nidt)tö  im  Sßergleid^  gu  bem,  waö  id^  auä 
il^r  mad^en  wollte"  2).  ^n  öiel  l^öl^erem  ©rabe  als  bie  pl^ilo= 
fop]^enfreunblidE)e  SKabame  ©eoffrin,  bie  ilire  fromme  SodEiter, 
bie  SKarquife  be  la  Serte^^mbault,  „ba^  Sntenei"  gu  nennen 
ppegte,  baö  pe  ausgebrütet  l^abe,  wäre  5!Jlabame  5Redfer  gu 
biefem  SSergleid)  bered^tigt  gewefen;  mand)e  Slnlage  ilirer 
Sod^ter  mufete  il^re  mütterlidf)cn  ©eforgniffe  erweden.  SBenn  pe 
pd^  in  ber  leibenfdt)aftlid)en  @mppnbung§fäl^igfeit  biefer  entJ^u^ 
Papifd)en  5Ratur  nur  gu  gut  wiebererfannte,  fo  war  bafür  in 
biefer  leine  ©pur  ber  eifernen  ©elbftbiSciplin  unb  ftrengen 
Surfldfl^altung,  bie  pe  öon  S^genb  an  pdE)  auferlegt  l^atte. 
SBo  pe  ängftlid^  gu  überlegen  unb  abguwägen  ppegte,  ftürgte 
iJräulein  Slcder  pd^  unbebenflidt)  ooran,  unbefümmert  um  baS 
weiblidtie  S^rtgefül^l  unb  bie  gemeffene  Söürbe  ber  ©rfd^einung, 
meldte  i^re  5!Rutter  nie  aufeer  M)i  liefe.  3u  biefcn  ©egenfä^en 
il^rer  |)erfönlidt)en  Slnlagen  fdE)eint  aUerbingö  bei  5!Rabame  9leder 


0  Sonftctten  bei  ©tcinlcn,  Etüde  biographique  et  litteraire. 
^)  Madame  Neckerde  Saussure,  Notice  sur  la   vie    et  les  ecrits 
de  Madame  de  Stael.    Oeuvres,  I,  XXXIV. 

»lenncrl&affett,  Sfrau  »on  ©tael.  I.  U 


162  S3cibc  fd^tctbcn  S«c(fcc'8  ?Jortr5t. 

nod)  ein  weitere^  ©efül^I  gefommen  gu  fein,  ba§  bei  bcr  9lrt 
il^rer  SReigung  für  i^ren  SMann,  nicl)t  anberS  al^  mit  btm 
5Ramen  ©iferfud^t  begeic^net  werben  fann.  Slic^t  nur  öon  feiner 
grau,  fonbern  aud^  t)on  feiner  Sj:ocI)ter  würbe  er  leibenfd^aftlid^ 
geliebt;  biefe  fagte  fpäter:  „3e  me^r  td^  lebe,  um  fo  beffer 
öerftel^e  id)  meine  ÜKutter,  um  fo  mef)r  empfinbet  mein  ^erj 
ia^  Sebürfnife,  il)r  nal^e  ju  fein'\  unb  nod^  faum  bzm  Äinbeö= 
alter  entwaclifen,  l^atte  fte  itjx  gerecf)t  ju  werben  gewußt.  8lte 
Suatb  gröulein  SIcder  einft  in  Sl^ränen  fanb  unb,  eine  SRiige 
il)rer  SKutter  alö  Urfac^e  öermutl^enb,  fte  mit  ben  SBorten  gu 
tröften  fud^te,  eine  £ieb!ofung  if)reö  Sßaterö  werbe  SHleiS  wiebcr 
gut  mad^en,  trodfnete  pdE)  bie  Äleine  fd)nen  bie  Slugen  unb  er= 
wiberte,  fie  wiffe  wol^l,  ba^  biefer  mel^r  auf  il^r  gegenwärtige^, 
bie  SJiutter  mel)r  auf  if)r  fünftige^  ©Iflcf  bebad^t  fei^);  über  ben 
23ater  aber  tf)at  fte  bie  erftaunlidt)c  Sleufeerung,  fte  [teile  ftd^  il^n 
Dor  „iung,  liebenSwürbig  unb  allein,  in  einem  Sllter,  wo  ba§ 
@d)idffal  fte,  wären  fte  ßeitgenoffen  gewefen,  auf  immer  mit 
if)m  l^ätte  öerbinbcn  fönnen,  aber"  —  fügt  fte  l^ingu:  „meine 
SKutter  beburfte  eineö  9Kanne§,  ber  eingig  war;  fie  fanb  il^n, 
oerlebte  mit  if)m  il^re  2:age,  unb  ®ott  öerfd^onte  fte  öor  bem 
Unglüdf,  il^n  gu  überleben.  ^Jriebe  unb  (äl^rerbietung  il^rer  Slfc^e; 
fte  war  be^  ©lüdfeö  me^r  wertf)  alö  id)"^). 

Sum  3Sergleid)  f)erau§forbernb,  begegneten  ftd)  bie  ©efü^le, 
bie  grau  unb  Äinb  für  5fteder  empfanben,  audt)  in  Uterarifd^cr 
gornt.  ©em  Seitgefdt)mad  entfpred^enb,  fd^rieb  3Kabame  5iedtcr 
1787  ba^  bereite  l^ier  erwäl)nte  Porträt  il^reS  ®atten;  cö 
würbe  nid)t  nur  in  feiner  ©egenwart  ben  grcunben  beS  Jg^aufeö 
üorgelefen,  fonbern  aud)  fpäter  öon  il^m  t)eröffentlid)t,  obwol^l 
ber  gute  ®efd)mad  woljl  nie  öollftänbiger,  alö  bei  biefer  ®c* 
legenl^eit,  ben  gorberungen  be§  §ergen§  geopfert  worben  ift. 
@ainte-33euöe  l^at  baran  erinnert,  wie  5){eder  in  biefem  Porträt 


';  Uumont,  Edinburgh  Review,  1867,  S3b.  126,  487. 
^)  Madame  de  Stael,   Du  caractere  de  Monsieur  Necker  et  de  sa 
Yie  privee,  1804.     Oeuvres,  XVll,  6  u.  17. 


©rfte  litctorlfd^e  SBcrfud^c  öon  gräuIcinS'lctfcr.  163 

obttjcdöfclnb  ein  Icbcnbeö  Stlb,  eine  ci^emifcf)e  ©ubftang,  ein 
^ngcl,  Sowc  unb  Säger  genannt  wirb.  @ie  öergletd^t  il^n  mit 
einer  Seftalin,  mit  SCpoK;  mit  einer  maieftdtifdjen  33rfidte,  einem 
atbanePfd^en  §unb,  einem  SBuHan,  einer  ijeuerfdule,  einer  35Bol!e, 
einem  ©jpiegel,  einem  fjeuerl^erb,  einer  9Kine,  bem  ÄoraHentl^tei^ 
unb  ben  guten  ®enien  ber  Araber  ^).  Um  fo  etmaS  für  mög* 
lici^  gu  J^alten,  muffen  tt)ir  ®eutfd)e  un§  an  ben  Ston  ber 
aSrlefe  erinnern,  weld^e  um  biefelbe  Qtit  gmifc^en  3Rännem  mie 
Sonftetten,  SKatt^iffon  unb  %  ö.  SRüHer,  bem  ^iftorifer,  ge= 
«jec^felt  würben.  SEßeit  entfernt,  burd^  bie  ^ulbigung  if)rer 
5phitter  t)on  einem  äl^nlid^en  SSerfud^  ftd(  abt)alten  ju  laffen, 
Dcrfafete  aud^  fjräulein  nieder  ein  ^ortrdt  i^reö  SBaterS,  öon 
bem  aber  nur  ein  SrucIiftM  bei  b'^auffonöiUe  miebergegeben 
ift.  6r  fpri(f)t  bie  Unmöglid^feit  au§,  bem  gemäl^lten  ®egen* 
ftanb  aud)  nur  annäl)ernb  geredet  ^n  werben;  bem  ^ergen 
aber  möge  man  ®ered)tigfeit  miberfal^ren  laffen,  mo  ber  ©d^mung 
btö  ©t^lS  nid^t  auf  ber  $öf)e  ber  Aufgabe  geblieben  fei. 
ßwifd^feh  ben  beiben,  il)m  gewibmeten  ^robuftionen  weigerte  jtd^ 
Siedfer  borjtd)tiger  SJBeife  bie  angerufene  entfd^eibung  gu  treffen; 
feine  Sod^ler  aber  fd)rieb  in  il^r  SagebudI),  wenn  er  oud^  bie 
fd^riftftellerifdt(e  Seiftung  il^rer  5!Rutter  t)öl^er  ftelle,  fo  fct)meidt)le 
il^m  il^re  eigene  bod^  nod)  mel^r^). 

Sänge  öor  biefer  3^it  ^otte  eine  unwiberftel^Iid^e  SSRaö^t  fte 
jum  ^u^bxuä  ber  fte  beftürmenben  ©ebanfen  unb  ßmpfinbungen 
öeranlafet.  ®ie  erfte  öffentlid)e  6rwäf)nung  einer  Iiterarifdt)en 
^robuftion  t)on  ^Jräulein  nieder  gibt  ©rimm'ö  ßorrefpohbeng 
im  September  1778.  „SBd^renb  3ltdtx\  Ijd^t  e§  in  berfelben, 
„jtd^  burd)  feine  abminiftratiöen  ÜJfaferegeln  mit  9iul)m  bebedt 
üttb  feine  .®attin  ftd^  ber  ©efellfc^aft  entgiel^t,  um  ber  6inridö= 
tung  eines  neuen  @pital§  il^re  Ärdfte  gu  weisen,  uhterplt  ftd^ 
il^rfe  gwölfidl^rige,  weit  über  iijx  Sllter  begabte  SEoc^ter  bamit, 


*)  Madame  Necker,  Meianp;es,  II,  572. 

*)  D'Haussonville,  La  Salon  de  Madame  Necker,  II,  50. 

11* 


«• • •«• 


;.:   rcri^r::   'V^b«  ^it   ne  eine  fol^c    in  g»ci 
:il:::::  r* -£">::    ^:i  ^^n  £::£l:  >Les  InconTenients  de  la  ville 
v'.t    i\ir;>*   ^:ir:-     ?;r;lb£  :^  r:±:  nur  für  i^r  SDter  incrf* 
'v;::^:.:    *:::>:r::  ".i  'iNr.r:  :u:±  zlm  berartigen  ^obuftionen, 
^:c  :/r  ;;::::  i\;:^::  ^c^:n::  rirc:.  rwit  überiegen.    ©ine  SDhttter 
,\::  ;'.:\*:  :J,'d:::r  :*:r.  ^-r::ir.  :":;  ;:ne  in  Nr  ^nmc^^eit  unb  ©titte 
\^>  ^*,v.:Mi>:::'>    ^::  ::r^<ri  :r-~.inrt  be?  Treibens  ber  ^oupU 
•:/.r:   .:::\:::v::r\::   :^:    ic?:-;?;   :t   >^r  i^iebling   ber    SRutter, 
^.•:v".  o.tc.f;::  ^:::r  :cr:  ?*rr:-:r  un^  ibrtn  Siebrrij  gef^met- 
.1;,:    :•:.   >.:>   II:.:!::.*   ::^t:.   rxlie*  mir  bem   Serfufi   einc^ 
*v:»v:.,::::   1^:\\\'">>    ::b::    =.e   r<r::r.bnir,  ^eigt  biefer  3Rutter 
l\:.>    va',^:  :r?i:   :^:^:^  J.^rrcr  ihre  äining  unb  Siebe  am 
:•:;,•:;•:  vc:^:;:::      ?::  e::r:n  ^'trc*  f.einni  Sromad  finb  gut 
v\  'o:l.'.::^::::.:  :::::  ::::.:::>:r  ^rrnr:.  ^:c  CFbarottere  confequent 
^::;\:^:c^:•:::    ::::^  ^::  ^Ttnr^^un^  ^-ir  ^.rrigue  ift  feffelnb  unb 
::/,:;;v/..1*  ■  ?::  v5,Trc':\"::>n:;  r^r^i^:   au(^  nic^t  ^htgusu» 

•::,;:::  ^•:v  >:c  '?,::•::,*.;:::.:  ^^5  en^■f^^  ;u  eamt-Cuen^burc^ 
>;c  'ivv\v:::::  ::::^   .r::  :::,:c::^.:ri  i?^«!l'iaT  ben  babci  an* 

c;::  ;V.>v  *:'/.>::  ^/.::c  c:  :::r  \r::;r  ^a  ^iebogenefung  oon 
'^\\:^,v.":  'X;\ü::  r."c  ;\*.:v.r.>  :::  >::  Correspondance  ob* 
v;v^:;^if:c  :\o*"„v.:;c  ^.:t  ä:::::  ovr^.iir.e  J:e^iii):ö*),  yi  »elc^er 
.v.-.!-*/  "\\\üvv  ::.\r  c::;.'  'i^tc:;;:.;  ^':^:e.  v  ^aB  bei  biefcr  unb 
.:Iv.:::k^c::  ^^c:iv,c:::\::c::  \t.".:  ^cr  X-r.!-  >?*  j^inbesS  genannt 
•k^iu«^       'W  *i    ^.  •%..   ««i«.  %•;..   I:  ;  •M..«.,«^»-^    ifv    |ungcn   vCClO* 

Vt<il*v      k  «V     \vi(««vr      <i»»i»,\<t    ^<?«.««.      «%....» «MM.«  Ak     AvIUKH     UIIU    Ov^ 

♦o;^^c:\^  wU^  Ä::;c;.i}c::  ^^^  '"tÄ  :?,:bn  bitd)enben  ^alentcd 
;\n:crv'v  V;c^:::  ♦i::^  vor.t.^-f/V/c  ^:;J>->v*ritvl?:cn.  bie  x>ft  in  Ur* 
;l^:l^cvn  o^c:■  in  iV.rK^  ro::  cirrr^'c::  bc'±::nc:.  mii  ^rabe^nrnen 
i::    ^cv    (vcv.'ic    «Ict^    v:V»riclc;:,    IV::   cA:   jiuenblicbcm   ^ofjjL^ 

V.'  ■•  ",>— •  '■  -»• 


(Sic  fd^ilbcrt  fid^  in  il^rcn  ©rftlingögaben.  165 

gefallen  an  fdiroffen  ®egenfä^en  unb  poetifd)  öerHärten  ©c^idf« 
falen  wirb  ba§  Unglüdf  öerfd^wenbet,  bie  gelben  be§  ©tüdfö 
fterben  nie  eines  natfirlid)en  S^obeö;  and^  bei  bcn  Iiäuftg  auf= 
tretenben  SBilben  ftnbet  jtd)  ber  SieblingSt^puS  ber  3cit, 
»rboinme  sensible«.  @o  in  „TOirja",  in  „@opl^ic'\  ,,SlbeIe  unb 
2;]^^obore'\  „^dulinc",  „ßwtaa".  (äine  anbere  ©rgäl^Iung, 
„5Ranine  unb  ©inptjaP,  öon  Seufd^ot  fjrau  Don  ©tael  guge* 
fd)rieben,  würbe  1818  öon  ber  Familie  beSaüouirt;  fte  bietet 
fein  anbereS  Sntereffe,  als  ben  erwälinten  ©d^riffen  ber  S^it 
tiarf)  öorangugel^en  ^).  3«  Tillen  biefen  ©d^öpfungen  öon  %xäu' 
lein  Siedter'S  ?ßl^antafte,  unter  anbem  aud)  in  einem  ©ranta: 
„Sane  ®ra9\  baö  il^re  SieblingS^elbin  öerlierrlidit^),  ift  baS 
^ergenSleBen  bie  ,^auptfadE)e.  3^ncn  allen  lönnten  bie  SBorte 
in  SKirga  gum  5!Jfotto  gegeben  werben:  „3d^  wollte  ba§  ©efül^l 
fennen  lernen,  weld^eS  jtd^  beö  gangen  SebenS  bemäd^tigt  unb 
für  ItdE)  allein  ieben  SlugenblidE  beSfelben  beftimmt"  ^).  SHeben 
hm  fjorberungen  ber  Siebe  ftel^en  jene  I)ergebrad£)ter  Sitte  unb 
^flid^t  an  bcbenflid)  untergeorbneter  ©teile;  oon  ben  ^Jrauen  lieifet 
cS,  „bie  ®efd^id)te  if)reS  ^ergenS  fei  aud^  bie  il^reS  SebenS"^). 
SllS  Stl^eobore  ber  5ßriefter  gemelbet  wirb,  ber  feinen  SSunb  mit 
Slbele  fegncn  foU,  gibt  er  gur  Antwort,  jte  bebürften  feiner  nic^t; 
tl&m  genüge  ber  @dE)wur  ber  ©eliebten.  „ßw^^cl  ber  Stugenb", 
l^eifet  es  ein  anbereS  3»al,  „fei  baS  ®lüd".  ^auline  begeid^net 
SSerfteHurtg  als  baS  gröfete  unb  „Dielleid)t  audt)  eingige  35er= 
bredE)en"  einer  illegitimen  Steigung  ^).  ®ie  SBerfe  oon  ^fräulein 
Sledter  lefen  jtd^  wie  $rofa;  bafür  leud)tet  fd)on  eine  feine  Se* 
obad^tung  beS  ^ergenS,  eine  früf)e  Äenntnife  ber  5Motioe  unb 
3ntpulfe  menfd)lidöen  ^anbelnS  aus  biefen  iugenblidt)en  Slrbeiten, 
bie  mand)eS  dt)arafteriftifd^c  @treiflid)t  auf  bie  SBerfafferin  werfen. 
@o  fagt  einmal  @opf)ie: 

0  Madame  de  Stael,  Oeuvres  compl^tes,  II,  218  Morceaux  divers. 

2)  ©Benbafelbft,  XVII. 

8)  eBcnbafcIbft,  II,  230. 

*)  ©bcnbafclbft,  Sophie,  Act.  I,  Scene  1. 

*)  ebcnbafclbft,  II,  264,  307  unb  SBorrcbc  au  ben  eraai^Iungcn,  II,  348. 


166  ^^  «^^  ^^^'  äl^dbame  be  ®tnli&. 

>Ceux  qui  nous  ont  aimes  peuvent  seuls  nous  cherir«; 
il^r  ftnb  aud)  bic  SBortc  in  bcn  3Munb  ö^l^flt-  *0n  cesse  de 
s'aimer,  si  quelqu'un  ne  nous  aime.c 

Slnbcrc  ©teilen  öerratl^en  eine  lebenbige  Slufmerffamleit  für  bic 
irid^tiöften  um  fte  l^er  befproc^enen  S^itfi^agen.  3m  gragment 
„Snlma"  wirb  baö  Siedet,  einen  SKenfd^en  gum  Sobe  ju  öcr* 
urt^eilen,  in  S^^eifel  gegogen;  in  „gane  ©ra^",  8lct  lü, 
©cene  II,  wirb  eine  35efinition  ber  Steilheit  gegeben,  bie  baran 
erinnert,  bafe  bie  SSerfafferin  SRonteöquieu  gelefen  l^attc.  Sßenn 
aber  ber  SBBilbe  Ximio  gur  fyrau,  bie  i^m  ba^  Seben  gerettet, 
i^n  geliebt  l^at  unb  bann  fd^mäl^Iid^  t)on  if)m  t)erratl^en  würbe, 
jagt,  er  vermöge  SHleg,  nur  nid^t  i^ren  ^afe  gu  ertragen,  fo  ift 
e§  gräulein  9leder  felbft,  bie  burd^  bm  SKunb  öon  SKirga  ant^^ 
»ortet:  „SBarum  §a§,  Ximio?  e§  gibt  »bergen,  bie  nur  gu 
lieben  üermögen''. 

»Absolument  incapable  de  hainec,  wirb  fpdter  einmal, 
aU  biefe  bie  Unerbitttic^feit  ber  SBelt  gur  ©enüge  erfal^reii 
l^atte,  ba§  Urtl^eil  öon  SKabame  SHeder  be  ©auffure  über  ii^re 
goujine  lauten.  SlUe,  bie  i^r  im  geben  nal^e  getreten  ftnb, 
^aben  bie  Sftic^tigfeit  beöfelben  beftätigt.  «ßerfönlic^c  »cletbi- 
gungen,  auc^  fold^e,  bie  jte  in  tteffter  ©eele  trafen,  ))Pegte  fte 
fo  öoUftänbig  gu  »ergeben,  bafe  unbetl)eiligte  Sufd^ciuer  gu  glauben 
oerfudjt  waren,  jte  l^abe  biefelben  gar  nid^t  enipfunbcn,  unb 
wteberl)olt  wirb  neben  ben  ^eftigften  Aufwallungen  in  SWomenten 
ber  geibenfd^aft  aufeerorbentlid^e  ©anftmut^  in  allen  Regierungen 
beö  täglid^en  gebend  gerühmt.  3(uS  ber  3ugenbgeit,  bic  ung 
I)ier  befd^äftigt,  ift  wol^l  audö  bie  33iergeile,  bie  ein  ßufatt  auf« 
bewahrt  ^at: 

»Tu  m'appelles  ta  vie:  appelle-moi  ton  äme; 

Je  veux  un  mot  de  toi  qui  dure  plus  d'un  jour. 

La  vie  est  ephemere,  un  souflfle  eteint  sa  flamme, 

Mais  Päme  est  immortelle  aussi  bien  que  Tamourc^). 


')  Revue  Suisse,  1856,  336. 


®ie  (SItcm  dltdex  l^olten  fie  öon  ^ubltfationSgcbonfcn  aurüd.        167 

@))ätcr  I|at  jtc  »enig  ute^r,  unb  bann  meift  nur  Ueberfe^ungen, 
in  gebunbencr  SRcbe  gefci^riebcn. 

6^  wäre  üerjei^lid^  getüefen,  wenn  ein  fo  frül^  jtd^  au§- 
fpred^enbeS  Salent  bie  ©Item  üon  gräufein  9lecfer  bagu  verleitet 
ptte,  |te  üorfd^nett  bem  öjfentUd^en  Urtl)eil  auögufe^en;  biefen 
SOfifegriff  begingen  jte  jebod^  nid^t,  feiner  ber  enoälinten  SSer« 
fud^e  erfd^ien  öor  1790,  bie  Sfloüellen  erft  1795.  ©ine  gweite 
Sragöbie,  „SKontntorenc^",  bie  furg  nad^  ff  Seine  ®xaX)",  dfo 
gegen  1787  entftanb,  ift  garnid^t  oeröffentlid^t  worben,  obwol^I 
fte  ber  crften  weit  überlegen  war  unb  ber  barin  gegeid^nete 
©l^araftcr  SRid^elieu'^  bie  Slufmerffamfeit  ftrenger  Seurtl^eiler 
erregte.  Ueber  bie  Slnerfennung  öon  greunben  öergafe  jebod^ 
5Recfer  ba^  Uebelwotten  unb  bie  angriffe  nid^t,  weld^en  ©old^e 
|td^  ausfegen,  bie  ben  betretenen  SBeg  für  femliegenbere,  l)öl^er 
ftjrebcnbe  ^fabe  öerlaffen. 

®iefc  alte  ßrfa^rung  beftätigte  ftd^  aud^  l)ier.  2)ie  2:i^ränen, 
mit  welchen  SWarmontel  bie  erften  bramatifd^en  a5er[udi)e  eineö 
jwölfiäl^rigen  SWäbd^enö  begleitet  l)atte,  öer^inberten  iijn  nid^t, 
über  bie  ©treidle  „be§  lieben^würbigen  2:oHfopfeö"  nod^  in 
feinen  ©enfwürbigfeiten  gu  Hagen;  3Jiabame  be  ®enliö,  bie  in 
jenen  Sagen  al§  „6rjiel)er"  ber  ^ringen  öon  Drleanö  il^re 
päbagogifdtien  ©jcperimente  niad^te  unb  g^rau  wn  ©tael  geit= 
lebeni5.mit  ber  ^Jeber  t^erfolgen  foUte,  xüijmk  gwar  in  ©riefen 
an  SWa.bame  SHecfer  bie  ungewöl)nlid^e  Silbung  il^rer  Sod^ter, 
f))ra^  aber  nid^t^beftoweniger  bei  anberen  ®elegenl)eiten  über 
bie  fd)led^te  ßrgiel^ung  t»on  Fräulein  Jlerfer,  bie  brei  SSiertel 
be§  SagS  im  Salon  gubringe  unb  bort  mit  ©d^öngeiftem  über 
baS  aSSefen  ber  Siebe  biöcutire.  ®a§  erinnert  an  bie  Slnef böte, 
bie  Sledfer  fo  gern  t»on  feiner  3;od)ter  ergä^lte,  al§  biefe,  nod^ 
ein  I|albc§  ^inb,  einft  bie  alte  SKarfd^allin  öon  3Moud)i)  fragte, 
was  pe  benn  eigentlid^  öon  ber  Siebe  benfe. 

aCBenn  er  jte  gu  mäd^tig  öon  ber  Suft  gu  fd^reiben  unb  gu 
))rbbuciren  erfaßt  fal^,  Pflegte  9ieder  fte  SKabame  be  @ainte= 
©critoire  ju  nennen,  unb  er  l^ielt  fte  eine  3eit  lang  bann  aud^ 


168  ^^^  ©(j^toterigfcitcn,  bic  tl^rer  SBerl^cirotl^ung  begegnen. 

»irflid^  fo  erfolgreid)  öon  ^ublifationSgcbanfcn  jurücf,  bafe  fte, 
neungeJ^niäl^rig,  in  il^r  Sagebud)  fd^rieb:  „3Rtin  Sßatcr  l^at 
3fied)t,  bie  %xamn  jtnb  nid^t  bagu  beftimmt,  bic  Saufbal^n 
bcr  SKanner  ju  emäl^len;  warum  mit  i^ncn  ringen,  warum 
eine  ©ferfud^t  bei  il)nen  ermecfen,  fo  öerfd^ieben  öon  berjenigen, 
weld^e  bie  Siebe  il^nen  einflößt !  —  6ine  iJrau  f oK  nic^tö  il^r 
@igen  nennen  unb  il^re  Sebenöfreube  nur  in  Siemjenigen  finben, 
ben  fte  liebt,  ^ä)  [teile  mir  SUiabame  be  9Konteffon  über  ben 
SRifeerfolg  il^re^  ©töcfeö  in  Sl^ränen  jerfliefeenb  öor^),  unb 
wie  anber^  mürben  biefe  Sl^ränen  mirfen,  wenn  ein  fanftere§ 
®efü^l  fte  l^eröorlocfte.  Äönnte  man  beren  blaue,  gelbe,  öer« 
fd^iebenfarbige  l^aben,  fo  ginge  e§  nod^  an,  aud)  untergeorbneter 
®inge  wegen  fold^e  gu  oergiefeen,  aber  beulen  gu  muffen,  bafe 
gauj  biefelben  ber  ©genliebe  unb  ber  Siebe  wegen  öergoffen 
werben,  ba^  ift  entfe^lic^"  ^).  —  2Bie  fo  oiele  entfd^lüffe,  bie 
im  SBiberfprud^  mit  bem  6l)arafter  ber  ^erfon  ftel)en,  öon  ber 
fte  aus  momentaner  Dlad^gibigfeit  gegen  frembe  @inpüffe  gefaxt 
worben  ftnb,  war  aud^  biefer  beftimmt,  nid^t  burd^gefül^rt  ju 
werben.  ®aö  ©rftling^werf,  wetd)e§  bie  Sinie  überfc^reitet,  bic 
rein  bilettantifd)e  ^robuftionen  öon  ernfteren  literarifd^cn  Sir« 
beiten  fdijeibet,  bie  Sriefe  über  %  3.  Stouffeau,  waren  bem 
Snliaft,  wenn  aud^  nicf)t  ber  ^Jorm  nad^,  fd^on  öoKenbet,  als 
gräulein  9leder  ber  Deffentlid^!eit  entfagt  gu  l^aben  glaubte. 
3nfofern  aber  ^ielt  fte  i^ren  Sßorfa^,  aU  fte  nid)tS  unter  il|rem 
SWäbdöennamen  öeröff entlid^te ;  bie  Siteratur  fennt  fte  nur  unter 
bem  ii^reS  ©atten. 

®en  SBenbepunft  im  Seben  ber  iJrau,  bie  6^e,  erf^werten 
bie  SSer^altniffe  in  nic^t  gewöhnlicher  SBeife  für  gfrfiulein  SJlecfer. 
Dbwolil  bie  allgemeine  Sld^tung  unb  baS  bewunbernbe  Ser^ 
trauen,  bie  i^rem  SSater  gejoHt  würben,  ba^  5ßrit»atleben  i^rer 


')  Madame  de  Montesson,  inSgel^eim  bem  J&erjog  öon  Orlean« 
($]&illppe«egaUte)  angetrout,  l^atte  ein  ©tücf  „Le  Comte  de  Chazelies*  öer» 
fafet,  »eld^e«  am  6.  SKai  1785  im  Theatre-Fran^ais  burtj^fiel. 

^)  D'flaussonville,  Le  Salon  de  Madame  Nöcker,  II,  49. 


©tcüuttö  bcr  ^roteftontcn  in  granfrcid^.  169 

©Itcrn  mit  3[u§jctd)nunßcn  umgab^  unb  frembc  Surften,  »ie 
u.  ?t.  1782  ber  ®raf  bu  9florb,  fpäter  Äaifer  5ßaul  unb  beffcn 
©emal^Kn  $ari§  md)t  ju  üerlaffcn  pflegten,  ol^ne  9le(fer  auf= 
gefud^t  ju  l^aben  ^),  »ar  bie  Stellung  ber  fjamilie  bennod)  feine 
ganj  normale;  bie  l^ol^e  franjöjtfdje  Slriftofratie  t)erfd)mäl^te 
ju  feiner  Seit  ^eirat^öüerbinbungen  mit  ber  großen  ^Jinang, 
aber  bie  Sflecfcr  waren  ^roteftanten,  unb  ba^  begrünbete  ein 
^inbemife,  »eld^eS  nod)  in  ben  ad)tjiger  3al)ren  il)rer  Sod^ter 
bie  ©d^liefeung  einer  @l^e,  wie  fie  fonft  i^rer  Sfleigung  ptte 
cntfpred^en  fönnen,  in  fj^anfreid)  gang  unmöglich  mad^tc.  SUlan 
mufe  jtd^  erimtem,  ba%  ber  5ßroteftanti§mu§,  ben  Siid^elieu  alö 
politifd^e  Partei  öernid^tet  unb  gubwig  XIV.  al§  religiöfeö  S3e= 
fenntni^  ju  vertilgen  gefud^t  l)atte,  gwar  feit  1743  wieber  ba§ 
Siedet  befafe,  aufeer^alb  ber  ©täbte  unter  freiem  ^immel  feine 
©otteöbienfie  gu  l^alten,  aber  erft  am  SSorabenb  ber  SReöoIution 
liefe  Pd^  bie  trangöftfd)e  ^Regierung  l^erbei,  ben  5ßroteftanten  burd^ 
fönigli(^e§  ßbift  bom  29.  Januar  1788  ben  ßiöilftanb  unb 
il^ren,  bl§  bal^in  üor  bem  ®efe^  al§  S3aftarbe  betrad^teten 
Äinbem  eine  legale  ßfifteng  miebergugeben.  Sin  tJoßfommene 
©leid^bered^tigung  jebod)  war  nod^  immer  nidt)t  gu  benfen,  unb 
alle  fird^lid^en  Verbote  gegen  3Jiifd)e^en  mit  5ßroteftanten  blieben 
felbftberftänblid^  aufred)t  erl^alten;  einen  Slbel  aber,  ber  jtd^  gur 
„fogenannt^reformirten  Sieligion"  befannt  l^ätte,  gab  e§  in  %xanh 
reid)  nid)t,  benn  entweber  liatten  •^inrid^tungen  unb  Sürgerfriege 
feine  Steigen  gelid)tet,  ober  er  l^atte  im  SluSlanb  ba§  9ted)t  gu 
leben  gefud^t.  Unter  fold)en  Umftanben  fam  e§  nid)t  einmal  gu 
bem  SBerfud^,  g^räulein  SIedter  an  einen  Stangofen  gu  t?er= 
l^eiratl^en.  @ie  war  jtebgel)n  3al)re  alt,  al§  eine  Sieife  nad) 
Sontainebleau,  wo^in  9iedfer  bem  ^of  gu  folgen  ijattt,  il^n  unb 
feine  Sctmilie  im  Dctober  1783  mit  einem  SluSlänber  in  S3e= 
rül^rung  brad)te,  ben  ber  ©lang  beö  Sflamenö  unb  ber  Stellung, 


0  Baronin  Oberkirch,  Memoires,  I,  315—316  bei;  englifd^cn  Ucber* 


170  SWabame  sßcdct'8  SBünWc. 

pcrfönlid^c  3[uSäcid)nun9en  unb  (gigcnfd^aften,  fowie  fein  rcligiöfc^ 
aScfcnntnife  dö  ttjünfd^en^tücrtlöcn  Steter  um  bic  ^anb  bc§ 
jungen  SMäbd^cnö  erfcf>einen  liefen;  e§  »ar  3BiDiam  ^itt, 
ßorb  ß^atl^am'g  gweiter  ©ol^n.  SBä^renb  jeneS  ©ommcrS  6atte 
er  mit  feinen  fjreunben  6ttiot  unb  bem  bamalS  öierunbäwangig- 
Jäl^rigen  SBilliam  SBilberforce,  ber  fd)on  feit  t)icr  Salären  9Äit* 
glieb  beS  Unterlaufet  war,  einige  3^^  in  ^ari«,  bann  in 
SH^eimg  jugebradjt;  Qmcd  ber  jungen  Seute  »ar,  ftd)  bie 
frangöpfd^e  ©pradje  angueignen,  unb  ba  in  ^le^terer  Stabt  ein 
SSatte^ranb  (grgbifd^of  war,  fam  ber  junge  3Kauricc  be  SaUe^ 
ranb,  fein  9leffe,  bamalö  befannt  unter  bem  Flamen  beiS  ^hh4i 
be  ^erigorb,  gleid)fan§  gu  SSefud^  bal^in,  bei  welker  ©clegen* 
l^eit  er  unb  SBilliam  $itt  ftd)  perfßnlid^  fennen  lernten  nnb 
ftd^  gegenfeitig  wäl^renb  etma  fed)§  SBod^en  Unterrid^t  in  il^rer 
SRutterfprad^e  ertl^eilten,  worauf  ber  junge  englifd)e  ©belmann 
ftd^  an  ben  ^of  Subwig'ö  XVI.  begab  *)•  ®^  ^d)lm  Stad^rid^ten 
barüber,  ob  er  wäl^renb  biefeö  2lufent^att§^  gelegentlid^  beffen 
er  fte  fennen  lernte,  aud^  ernftlid^  baran  badete,  ijräulein  Sftedfcr 
gu  l^eiratl^en;  nur  fooiel  ift  gewife,  ba^  eine  fold^e  35erbinbung 
SKabame  Slecfer'ö  ^ergenSwunfdi  gewefen  wäre  2).  3)er  junge 
aWann,  faum  cinunbgwangig  Saläre  alt  unb  fdijon  berül^mt,  i&atte 
bereite  im  britifd)en  Parlament  erflärt,  feine  geringere  atö  bie 
erfte  ©teile  in  feinem  ganbe  annel)men  gu  fönnen,  unb  war  nadi) 
33erlauf  eineö  3a^re§  aud^  wirflid^  erfter  SKinifter. 

5Rur  badete  9Jlabame  9iecfer,  inbem  fte  fold^e  SBünfd^e 
iiegte,  il^rer  ©ewol^nl^eit  gemäfe  babei  me^r  an  i^ren  SWamt  atö 
an  il^re  Sod^ter,  benn  biefem  wollte  fte  oor  allem  ben  mä^tigen 
SRüdfl^alt  unb  bie  wertl^oollen  Segiel^ungen  einer  35erbinbung 
mit  ^itt  ftd^em.  D^ne  ba§  e§  jebodt)  gu  weiteren  ©d^ritten 
fam,  würbe  ba^  5ßrojeft  fd^on  burd)  bie  unbegwinglic^c  31b* 
neigung  oon  g^räulein  Sledfer  für  alle  3wfw"tt^plä«^  vereitelt. 


^)  The  Greville  Memoirs,  edited  by  H.  Reeve,  II,  345. 

^)  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  53  u.  ff. 


gftäuletn  9?edfer'Ä  SBibcrtoinc  qt^en  eine  SJetl^eirotl&unö  tnö  3lu8lanb.     171 

bic  ftc  öon  f^anfrcid)  getrennt  l)ätten^).  ®aS  bem  jungen  ?ßitt 
gugefd^ricbenc  SBort,  er  fei  bereits  mit  feinem  SSaterlanb  getraut, 
ift,  wie  bic  meiften  berartigen  Sleufeerungen,  »o^I  niemals  ge* 
fproci^en  »orben. 

gür  ba^  junge  SJiäbd^en  aber  blieb  ber  3ö)ifd)enfaH,  nad^ 
Selenntniffcn  i§re§  SJ:agebu(t)S  gu  fd^Iiefeen,  nid)t  ol)ne  peinlid)e 
Solgen:  „SBarum",  fd^rieb  pe  in  jenen  Sagen,  „mufete  biefeS 
unfelige  ßnglanb  bie  Äälte  unb  ßw^ötf^^ltung  üon  2Kama  ffir 
mid)  l^erauSforbem!  aSermünfd^te  3nfel,  Urfad^e  aller  meiner 
gegenwärtigen  Seforgniffe  unb  jufünftigen  ®ett)iffen§biffe,  »arum 
mußten  glängenbe  8lnerbietungen  mir  mit  bem  9?ed^t,  mid^  über 
mein  ©d^idfal  gu  bef lagen,  bennod^  baS  ®lüd  rauben;  fie 
gtt)angen  mid^  gu  lüä^len,  gu  entfd)eiben,  fie  ftürgten  mic^  in 
eine  fold)e  Ungemifelieit,  ba§  jeber  meiner  ©rflnbe,  um  fo  gu 
l^anbeln,  wie  idö  eö  tl^ue,  burd^  einen  anbttn,  entgegengefe^ten 
abgcfd^wäd^t  wirb.  TOd)t  beSwegen  bin  id^  äufeerlid^  ftanbl^aft 
geblieben,  weil  eine  ^ergenSneigung  mid^  be]^errfdt)t,  alber  allein, 
etngcfd^iid^tert,  aufgeregt. . . .  SUein,  eS  ift  öorbei,  id^  fann  nid^t 
na^  6nglanb''  ^).  @o  lautete  bie  etwas  t^erworrene  SÄotiüirung, 
mit  weld)er  baS  junge  9D?äbd^en  xijxm  ßntfd^lufe  begleitete;  bie 
©elegenl^eit  aber,  eines  großen  SKanneS  g^rau  gu  werben,  fam 
niemals  wieber.  3n  geitgenöfftfd^en  S3erid)ten  pnbet  ftd^  bie 
6))ifobe  nod^  meljrmals  erwähnt;  audö  SBüberforce  fprid^t  in 
feinen  ©en!wfirbigfeiten  ^)  baüon,  unb  ®raf  g^erfen  nennt  in 
einem  93rief  an  feinen  SSater  ben  Flamen  beS  englifd^en  Staats^ 
mauneS  als  ben  eines  Siit^alen  feines  .  bamaligen  ^JreunbeS 
©tael*).  9lur  fjräulein  9ledter  badete  öom  aiugenblidt  an  nid^t 
baran  gurficf,  wo  bie  3Wutter  il^r  nid^t  mel^r  gürnte,  unb  bieSmal 
Iiatte  fie  nid^t  lange  gu  warten.    ®er  SBinter  oon  1784  brad^te 


')  Stanhope,  Life  of  Pitt,  I,  132. 

*)  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  60. 
^)  Wilberforce,  Life,  Letters  and  Diary,  I,  39. 
*)  Klink ow ström,  Le    Comte    de   Fersen    et    Ja    cour   de    France. 
Introduction,  XXXIV. 


172  S)ic  gomtUc  SfJcdCer  in  bcr  ©(j^tocta. 

SRabame  SReder  mit  5ßennclörung  il^rer  pj^^jtfd^eti  Seiten  jo 
unjtüeibeutige  SSeweife  ber  Siebe  il^rer  Sod^ter,  ba^  jte  i^r  ben 
fleleifteten  SBiberftanb  unter  einer  d)arafterifHf(i^en  Sebingung 
üeriiel^;  t>a  jte  ftd^  bem  Sobe  ml)t  glaubte,  empfal^I  fte  il^r 
bie  Sorge  um  §Reder'§  ®lüd  al§  ]^ö(i)ften  SebenSgwcdf,  ni^t 
nur  für  fte  felbft,  fonbem  aud^  für  ben  fünftigen  ®atten  unb 
il^re  Äinber:  „@age  il^nen",  fd)rieb  SÄabame  Stecfer  in  einer 
Slrt  öon  Ie^ttt)illiger  Verfügung,  „bafe  ©ein  35ater  ber  eigcntlid^e 
2»ittelpun!t  i^reö  2)afein^,  bafe  er  ^tteS  für  Pe  fein  mufe.  .  .  . 
tjolge  il)m  nad^,  itjol^in  er  gel)en  mill;  geftatte  nld^t,  ba§  er 
ol)ne  bie  bringenbften  ©rünbe  eine  Stad^t  unter  einem  anbem 
alö  ©einem  eigenen  ®ad)  jubringe.  Ucberlaffe  ©id)  im  Itebrigen 
©einen  glücflid)en  Anlagen.  9iur  bann,  »enn  ©u  anbcrg  gu 
fein  berfud^en  foHteft,  würbeft  ©u  irre  gelten,  (äntfagc  ber 
SBelt,  für  tt)eld)e  ©ir  ba§  red)te  SBerftänbnii  fel&It;  lebe  für 
®ott,  für  ©einen  »ater  unb  für  ©eine  ^flic^t".  Um  blefen 
$reiö  berfprad^  3Kabame  9iecfer  SSergeiliung  be^  SBerl^altenS, 
baS  il^ren  ©atten  eine^  feiner  tt)ürbigen  @d)miegerfo]^ne8  unb 
aHer  SSort^eile  beraubt  l)aht,  ujeld^e  biefer  il)m  geboten  l^aben 
tt)ürbe^).  6ine  tnjwifd^en  eingetretene  S3efferung  im  Sefinben 
il)rer  9D?utter  erfparte  gräulein  9iecfer  ba^  5ßeinltä)e  einer  fold^en 
^Ulittl^eilung,  bie  erft  fpäter  in  il^re  §änbe  geriet)^,  unb  bie 
gamilie  begab  jtd)  vorläufig  im  ^5rül)ial)r  1784  ber  Scibcnben 
megen  nad^  S3eaulieu  bei  Saufanne.  5ßon  bort  fd)rieb  SKabamc 
Nieder  an  St^oma^,  »eber  9iul)e,  nod)  ^eimatl^Iuft,  nod^  SItpen* 
mild^  tiefen  il^r  ba§  Seben  anberS  alö  »ie  einen  fortgefc^tcn 
Äampf  gegen  baö  eigene  ©elbft  erfd^einen,  in  bem  aKc  ©iege 
fd)merxlid)  errungen  feien  2).  SBon  frül^eren  SBefannten  »ar 
aSonftetten,  feit  1776  mit  gröulein  t)on  SBatteöitte  öerl^eiratl^et, 
Saitti  in  9i^on.  Gr  l^atte  ingmifdien  einen  brüberlid^en  Sunb 
mit  3ol)anne§  öon  3Kütter  gefd^loffen,  Italien  bereift,  in  Slom 


')  D'flaussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  55—58. 
2)  Madame  Necker,  Melanges,  III,  202.   5ln  Sl^oma«,  Sunl  1784. 


Poppet.  173 

btc  ®räfin  üon  ^tlban^  bewunbcrt,  toax  nad)  feiner  Siüdtfel^r 
SKitglieb  be§  ^ol^en  JRdl^e^  t)on  Sern  geiüorben,  bann  Sanb- 
üogt,  gucrft  im  fleinen  bergifd^en  ®e[fena^  unb  l^ierauf  an  btn 
Ufern  beiS  Säman,  wo  er  mit  feiner  Familie  unb  bem  neu  ge- 
tt)onnenen  ^teunb  unb  beutfd^en  ©id^ter  SKatt^iffon  ein  ibijHifc^e^ 
SJafein  fül^rte,  in  baS  bie  Slnfunft  ber  g^amilic  SIecfer  je^t 
tt)iIlfommene  Slbnjed^fclung  brad^te^).  2ll§  nun  aud)  Sl^omaö 
SOftobame  Stccfer  in  btn  ©d^weijer  Sergen  aufjufud^en  fam, 
faub  er  fie  bereits  in  ber  neuen  SBejt^ung,  bie  Jlecfer  für  jic^ 
unb  bie  ©einen  gur  bleibenben  ^eimftätte  Qmaijlt  l)atte,  im 
©d^lofe  ju  &oppü  inftattirt^),  ba§  —  ein  d^arafteriftifd^eS  9Kerf= 
mal .  ber  Qext  —  f o  gebaut  »ar  unb  nod^  ift,  bafe  feine  ® arten= 
anlagen  ba^  5ßanorama  be§  ©enfer  ©ee'ö,  eineö  ber  fd)önften 
t)on  ßuropa,  bel^arrlid)  bem  Sluge  beS  SSefd^auerS  üerpllen. 

®ie  gang  in  ber  3läl)e  t)on  ®enf,  im  3Baabtlanb  gelegene 
^errfd)aft  mar  fd)on  burd)  i^re  SJergangenl^eit  ber  SRoIle  nic^t 
unmürbig,  bie  il^r  in  ber  Uterarifd)en  unb  politifd^en  ®efd)id)te 
ber  näd^ften  brei  3ai|rjel^nte  t)orbel)alten  »ar. 

®raf  5ßeter  öon  ©aöo^en,  aU  er  bie  Ißaabt  für  fein  ©e- 
fd)led^t  in  Sejt^  nal^m,  ^atte  ba§  ©d^lofe  1257  erbaut;  ein 
anberer  %üx\t  feines  ^aufeS  mad)te  ßoppet  jur  S3aronie,  ein 
Sitel,  ber  nod^  auf  9ledter  überging  unb  im  ^eiratl^Sfontraft 
feiner  Sod)ter  enüäl^nt  ift,  benn  man  mar  in  ber  SBaabt  nid^t 
meniger  ariftofratif d) ,  als  man  in  bem  faum  meilenweit  ent= 
femtcn  ®enf  republüanifd^  ju  fein  ftd^  rülimte.  SSom  fec^jel^nten 
Sol^rl^unbert  an  med^felte  ßoppet  oft  feine  Sejt^er,  mürbe  oer* 
brannt,  l^ergefteKt ,  niebergeriffen  unb  mieber  aufgebaut,  bis  eS 
im  flebenjcl^nten  3^l^rl^unbert  in  ben  Sejt^  beS  fäd^ftfd)en  ®e« 
fd^led^teS  ber  3)o]^na  gelangte,  beren  einer,  ®raf  griebric^  gu 
SDol^na,  bamalS  ©ouüemeur  beS  bem  ^aufe  9iaffau  gel^örigen 


*)  A.  Steinlen,  Ch.  V.  de  Bonstetten,  Etüde  biographique  et  litte- 
raire,  88  u.  ff. 

*)  Madame   Necker,   M^Ianges,  III,   205.    9ln   Sl^omaS,    S)e3cmbex 

1784. 


174  (Poppet. 

gfirftentl)umS  Drange,  l^o^  angcfe^cn  bei  ber  ®enfer  gHegierung 
war;  afö  @e!retär  unb  6r;\tel^er  feiner  ^inber  öerweilte  SSa^Ie 
1673—1674  ad^tjel^n  SKonate  in  ßoppet,  bem  er  übrigen«  feine 
©teile  in  feinen  fd^riftlid)en  Stufjeid^nungen  gewäl^rt.  Sluö  bcn 
§änben  eine§  feiner  ©d^üler;  beS  ®rafen  Sllejranber  ju  SDol^na, 
ging  ber  SSeft^  1713  in  bie  beS  greil^erm  ©igiSntunb  öon 
ßrlad^  über,  ber  e§  wieber  nur  furj  behielt.  9?adj  l^äufigem 
SBed^fel  fam  e§  an  ben  Sanfier  SEI^eluffon,  unb  biefer  öerfaufte 
e§  an  9leder,  ber  fomit  feinen  neuen  SanbeS^erren ,  ben  @jc* 
ceUenjen  beö  l)ol)m  Siat^e^  gu  S3em,  im  Kaufbrief  ftd^  t)er? 
ppid^tete,  il^nen  ein  guter  unb  treuer  5ßafaH  ju  fein  unb  D^ne 
il^re  befonbere  ßrlaubnife  bie  SSaronie  t»on  (Sop))et  an  Slienranb 
anber«  aU  an  eine  gum  reformirten  ®lauben  ftd^  belennenbe 
$erfönlid)!eit  ju  üeräufeern.  ®ie  5lufred)t^altung  ber  legieren, 
burd^  bie  ^ntolerang  ber  SSerner  3fiat]^§l)erren  öerdnla^ten 
eiaufel  l^atte  e§  feiner  3^it  SSoItaire,  feine«  fatl^olifd^en  Sc« 
lenntniffeS  wegen,  nid)t  ntöglid)  gemad^t,  -^au^belt^er  in  Sau= 
fanne  ju,  werben.  »So  würbe  SHecfer,  um  bm  ^rei«  öon 
500,000  giüre«  unb  burd)  bie  entrid^tung  eine«  ©rittcfö 
biefer  Summe  an  bie  ^Regierung  t)on  Sem,  feubolcr  ©(^fel^err 
öon  ßoppet,  nad^bem  er  eine  SBeile  baran  gebadet  l^aftc,  8?ad^- 
folger  öon  SSoItaire  im  SSep^  t»on  geme^  gu  werben.  SSon 
ßoppet  laffen  wir  feinen  Urenfel,  SSicomte  b'^auffonüiKe,  eine 
SBefd^reibung  geben,  bie  jur  ©efc^id^te  ber  gamilie  5Redfct  wie 
ber  Stammen  jum  Silb  gehört:  „®amal«  wie  l^eute",  fd^rclbt. 
er,  „war  ba«  ©d^lofe  ein  gro^e«  ©ebäube,  ol^ne  befonbere«  @e» 
px&Qt,  e«  befielet  au«  einem  2Kittelbau  unb  jwei  iJlügeln,.  bie 
ben  ^ofraum  umfd)liefeen.  Um  in  benfelben  gu  gelangen,  mü§ 
ein  überwölbter  Stl^orweg  pcifftrt  werben;  ein  eifeme«  ©itter/  ba« 
frül^er  mit  einer  Sugbrüde  im  Swfammenl^ang  gewefen  fein 
mufe,  trennt  ben  ^of  Dom  5ßart;  an  ben  beiben  6nben .  f d^liefet 
biefe«  ©itter  mit  jwei  Stprmen  ab ,  oon  benen  einer  neu,  ber 
anbere,  ia^  Slrd^io  bergenbe  aber,  wie  fd^on  bie  Siefe  feiner 
SWauem  beweift,  fel^r  alt  ift.    2ln  einem  Pfeiler  be«felbcn  bc» 


Poppet.  175 

finbct  ftdj  noc^  bcr  cijeme  9fltng,  an  tt)cld^em  man  bic  ®e= 
fangcttcn  fcftgubinben  ppegtc.  35on  bcn  iJenftcrn  ber  langen 
®allcric  ju  ebener  @rbc,  »eld^e  SIeefer  g«  1^1«^^  SSibliot^ef 
ujoi^tte  unb  bie  jpäter  gn  SSI^eateröorfteHnngen  benü^t  würbe, 
ijt  bcm  fÖM  nid^tö  ftd^tbar,  alö  bic  ©ipfel  ber  Platanen,  beren 
Saub  im  ©ommer  bie  ^anfer  be^  naiven  2)orfe§  verbirgt;  bom 
Slltan  beS  erften  ©todeS  aber  geigt  jtd^  bem  Sefd)auer  ein 
2anbfd^aft§bilb,  ba§  er  nid^t  mieber  bergifet,  unb  beffen  Sauber 
il^n  nad^  (So^^t  jurücf ffil^rt ,  wie  nad^  bem  t)olfötl)ümUdt)en 
©laubcn  bie  SBaffer  ber  Montana  Sreüi  ben  SBanberer,  ber 
einft  öon  il^nen  gefoftet  l)at,  mieber  nad^  Stom  Perioden.  Qnx 
Siedeten  liegt  ®enf ,  baö  um  bie  3Kittag§ftunbe  ijolb  im  Sonnen« 
glang  öerjd^minbet,  ber  ftd^  in  ber  3inf&c^Isii^wng  feiner  S^rme 
f))iegelt,  gegen  äbenb  jebod)  feine  meinen  ^äuferreil^en  öom 
gerötlÖ^ten  ^origont  abgebt,  ©egenüber  geigt  ©aöo^en  bie 
maffigen  g^ormen  feiner  mit  3Balb  unb  2Biefen  abwed^felnben 
SSerglette,  gu  beren  Süfeen  ba§  ©d^lofe  SBeauregarb,  beffen  ernfte 
ärc^iteltur  gur  ®efd|id^te  beö  „?D?anneö  au^  vergangenen  Stagen" 
gu  ))affen  fd^eint,  bie  fein  Urenfel  un§  ergäbe,  unb  bie  einen 
fo  fpred^enben  ®egenfa^  gum  geben  Don  (Soppet  bilbet^);  gur 
Sinfen  enblid^  liegt  ber  @ee,  ber  fd^öne  @ee,  bie  glatte  gläd^e 
feinet  Spiegels  bi§  ßaufanne  erftredenb.  ©erjenige  aber,  ber, 
ba§  $auS  öermeibenb,  ftd^  bem  $arf  gugemenbet  ptte,  fönnte 
ftc^  l^nbert  ^Keilen  Dom  @ee  unb  öon  ben  Sergen  entfernt 
wäi^nen.  3«^^^  lange,  fergengerabe  8lUeen,  bie  le^te  ©pur  einer 
frangöftfc^en  Slnlage,  würben  il^n  barüber  belel^ren,  bafe  biefer 
^arl  an^  ber  Qtit  flammt,  in  ber  man,  nid^t  etwa  um  bie  Slatur 
JU  beJDÜnbem,  fonbern  oor  SlUem  beSwegen  fpagieren  gu  gel)en 
pflegte,  um  jtd)  im  @d)atten  burdi)  ®efpräd)  gu  unterl^alten. 
S)ann  wirb  eö  i^m  öerftdnblid)  fein,  warum  l^o^e  Säume,  bie* 
felbcn,  weldje  grau  Don  ©tael  „bie  %xtnnt)t  unb  ftummen 
Sengen  il)reS   @d)idfale"  nannte,   nad)-  aöen  Seiten  ^in   bie 


*)  Marquis  Costa  de  Beauregard,  Un  homme  d'aütrefois. 


176  S>öS  öciftiö«  Sc^«n  ^ort. 

3lu^ftd)t  begrenjcn  unb  faum  ^icr  unb  ba,  burd^  eine  ober  bic 
anberc  flcinc  Sfidtc  einen  ©lief  auf  bie  blauen  ^fernen  bc§ 
Sura  geftatten.  2BaS  (Soppet  Dor  ^unbert  Salären  »ar,  tft  e§ 
noc^  ^eute,  !ein  ©tein  baran  ift  üeränbert.  $räd)tigc  flSo^n^ 
[tätten  jtnb.  feitbem  auf  ben  i^figeln  erbaut  ttjorben,  bie  ben 
@ee  umgrenzen,  unb  lieblid)e  ®ärten  fül^ren  ju  feinen  Ufern, 
aber  wenn  ber  entjücfte  SSHd  jtd)  t)on  il^nen  weg  nac^  bem 
ftillen,  etwaö  büftern  innern  ^ofraum  Don  (Soppet  wenbet,  unb 
befonber^  wenn  ber  S3efud)er  feine  ©d^welle  überschreitet  unb 
mand)e§  ©entad^  be§  ^aufe§  unoeränbert  unb  wie  jum  @m^ 
pfang  feiner  einfügen  ©äfte  bereit  wieberfinbet,  fo  wirb  er  il^m 
unb  ben  mit  il^m  Derbunbenen  Erinnerungen  gern  ben  eigen* 
tl)ümlid^en  Steig  fdiwermütl^iger  ®rö§e  jugeftel^en,  welcher  ber 
Slntl^eil  be§  3Sergangenen  ift''  ^). 

Unter  feinen  neuen  aSejt^ern  würbe  (Soppet  öor  Slttem 
eine  geiftige  SBerfftatt,  in  ber  Diel  mel^r  gearbeitet  atö  bie  l^err- 
lid^e  3latur  genoffen  unb  oon  beö  ßeben6  SKül^en  au^gerul^t 
werben  foHte.  SKabame  9le(fer  lebte  oornel^mlic^  ben  ©rinne* 
rungen,  bie  ba^  nur  eine  ©tunbe  entfernte  ßrafjter  für  jte  mit 
ben  Sagen  ber  Äinb^eit  Derbanb;  jte  fe^te  il^ren  6ltem  in 
ber  ©orffird^e  oon  ßoppet  ein  ©enfmal,  forgte  bort  nid^t  min* 
ber  als  ju  $ari§  unb  @aint*Duen  für  bie  Slrmen  unb  Uranien 
unb  nbk  weife  Sef(i)ränfung  im  ©ebraud^  il^rer  Qnt  unb  in 
ber  SSerwenbung  il^reS  3Sermögen§.  ®a  jte  fein  ®elb  für  il^re 
perfönlid^en  3^^^^  ^^^  xl)X^m  SRann  annel^men  wollte,  ltc§ 
biefer  il^r  einmal  oon  einem  greunbe  oorfpiegeln,  ein  urfprünglid^ 
il)r  ge^örenbeS  Heiner  Äapital  fei  Don  8000  auf  30,000  Siörc« 
angewad^fen,  bie  bann  g^J  guten  ^xotdtn  oerwenbet  würben. 
35Benn  pe  beS  3lad)t§  nid)t  fd^lafen  fonnte,  liefe  jie  jtd^  gern 
oorlefen  ober  fd^rieb  il^re  ©inbrüde  nieber^);  il^r  befter  Sroft 
war  ber,  bie  alten  g^reunbe  um  fid^  ju  oerfammeln.    ©ie  SluÄ« 


')  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  I,  282.  235. 
^)  Baronne  deG^rando,  nee  de  Rathsamhausen,  lettres:   Madame 
de  G^rando  sur  Madame  Necker,  1802. 


mtt  greunbe:  SKoultou,  sBonftetten,  %  ö.  SKüIIer.  177 

fül^rung  bcö  $Ianö  Don  Sl^omaö,  in  ber  5lä]^e  t)on  (Soppet  pd) 
bicibcnb  nicbcrjulaffen,  t)crl)inbcrte  gu  ti|rcm  ©dimcrg  fein  früher 
Job;  aber  SWoultou  lebte  mit  ben  ©einen  tt)ie  el^ebem  allge- 
mein öerel^rt  unb  tptig  gn  ®enf,  unb  ®ibbon  würbe  fleißig  in 
Saufanne  befud)t.  Um  feine  ^eunbe  in  ©nglanb  barüber  ju 
berul^igcn,  ba%  fein  @d^tt)eiger  Slufent^alt  il^n  nid^t  t)on  ber 
SBelt  trenne,  erjäl^lte  er  einem  berfelben,  mie  er  am  glei(t)en 
3;aß  bm  Sefud^  be§  berül^mten  3lrjteö  Siffot,  be§  franäöjtfd^en 
©d^riftfietterS  3Rercier,  be§  Slbbe  SRa^nal,  beS  5ßrinjen  ^einrid^ 
öon  ^reufeen,  be§  2lbb^  be  Sourbon,  natürliä)en  ©ol^neö  gub= 
wtg'g  XV.,  unb  eineS  natürlichen  @ol|ne§  ber  Äaiferin  Äat^a« 
rina,  bcn  er  nid^t  nennt,  ber  aber  ber  junge  ®raf  Sobrin^ft 
mar,  erl^alten  l^abe^);  bagu  fei  bie  gamilie  9?edfer,  bann 
©crüatt  unb  mol^l  ein  ©u^enb  merfmürbiger  ©rafen  unb 
aSarone  auf  feiner  Serraffe  mit  ben  übrigen  ©äften  jufammen 
getroffen  2).  Jßiltor  öon  S3onftetten  fam  ^äufig  öon  Sem  ober 
Sl^ott  l&erüber,  um  jtd^  bei  9iecfer  öon  ber  iijvx  t^erl^afeten  Sänge« 
meile  feiner  ratl^Slierrlid^en  ßoßegen  gu  erholen  unb  örmunte^^ 
rung  für  literarifc^e  Slrbeiten  gu  erl^alten,  bie  jtd^  abmed^felnb 
mit  aob,  ttnfterblid)feit,  Sb^Uen  nad^  ©efener'ö  SBeife  unb 
mit  ber  f^age  freier  SluSful^r  ber  I)eimat]^lid^en  Sutter  be- 
fd^äftigten  unb  am  @nbe  frieblid^  in  einem  eingigen  SSanbe  gu« 
fommen  mol^nten^).  2)urd^  i^n  mürbe  aud^  g^l^anne^  Don 
9ÄfiHer,  ber  ^iftorifer,  ber  mälirenb  be§  SBinterS  1785  bie 
Semer  Sugenb  burd)  SBorlefungen  über  ®efd^id)te  be§  8llter= 
t^umS  begeiftem  fotttc,  bei  ©elegenl^eit  eineö  8lufent^altS  unter 
bem  ®ad^e  feinet  g^reunbeö,  in  ßoppet  üorgeftellt*). 

®ang  t)on  bem  ©tillleben  bort  befriebigt  mar  nur  5!Ka« 


*)  3.  ®rot]&,  S3ricfc  ber  ^aifcdn  i^atl^arina  IL  an  ©rimm  (1774-1796) 
I,  ®.  332.  405.    Briefe  öoni  ^pnl  1785  unb  f?ebruar  1787. 

2)  mhhon  an  Sorb  ©l^effielb,  öltober  1784. 

^)  St,  aWorcU,    e.  iB.  öon  S3onftetten.     (§m   fd^meijerifc^eS   Seit*   unb 
SebcnÄbUb.    ©.  137. 

*)  A.  Steinlen,  Ch.  V.  de  Bonstetten,  141. 
»lenner^aftett,  ?5rau  toon  @tain.  I.  12 


178  aJlabame  SRedcr'8  fd^tiftftcllcrtfd&e  Sll^ättglett. 

bamc  Sßecfer,  fte  l^attc  öom  Sedier  weltlid^cr  6^rcn  unb 
fjrcuben  gefoftct  unb  il^n  bitter  gefunbcti;  bic  Sage,  atö  jtc 
barnad)  verlangt  l^attc,  waren  öorfiber,  unb  nun  erfd)iett  il^r 
Seräl^mtl^ctt  üor  ben  9Kenfd)en  „mt  ein  erfd^redfcnbeS  ©efpenft". 

9lod)  unter  bem  erften  3!)ltmfterium  il^reS  SWanneS  fd^ricb 
fte  an  Stomas,  fie  ijabc  unter  einer  muftcrl^aften  Sierwaltung 
ba^  golbene  3^W<itter  gu  erleben  gel^offt,  aber  nur  ba&  ciferne 
gefunben;  alleö  befd)ränfe  ftd^  im  beften  %aü,  barauf,  fo  wenig 
@d)aben  als  möglid^  ju  ftiften»).  Unb  jte  ffigt  ein  SBort 
l^ingu,  ebenfo  rid)tig  al§  wal^r,  benn  eö  begeid^net  bie  Älip^je, 
an  weld^er  gcrabe  bie  SSeften,  wenn  fie  pd^  mit  öffentlichen  Sin* 
gelegen^eiten  bef äffen,  gu  fd)citern  pflegen:  „3Bie  öerfel^rt  ur» 
tl^eilt  man  bodf,  fo  lautet  eS,  „wenn  man  fein  Seben  mit 
auSgejeid^neten  2Kenfd)en  oerbrad^t  ^at''^).  Dh  fte  ^eutfd^ 
fannte,  ift  zweifelhaft,  bod)  wa^rf dt)einlic^ ;  gcwife  aber  ent« 
fpra^  i^rer  Stimmung  am  beften  biejenige,  weld^e  il^r  großer 
ßcitgenoffe  unb  SanbSmann  au§  Sern,  ber  ©id^ter  Rätter,  in 
33crfen  auSfprid^t,  bie  gur  Qüt  \)on  3Kabame  Sßedfer'S  Suß^nb 
in  SlHer  SJtunbe  waren: 

uB^  fc^led)t  ift,  wa§  oergel)t,  35u  wißft  ba§  ^crg  allein, 
Unb  ewig  wie  ®u  felbft,  mufe  aud)  35ein  Opfer  fein!'' 

„$Der  aWenfd)  ift  nid)t§,  ®ott  ift  atteS" ,  wirb  auc^  fie  in 
3;agen  befennen,  bie  no^  weit  baoon  entfernt  waren,  jene  beS 
SllterS  gu  fein:  „bei  il^m  allein  finben  wir  ^ä^n^  gegen  un* 
felbft "  3). 

3l)r  fernerer  Slntl^eil  an  ben  ©efc^iden  il^reS  SRanneS  blieb 
ber  einer  oollftänbigen ,  felbftoergeffenen  Eingebung,  bie  fte  fld^ 
mit  ber  gebenSregel  oorgegeid)net  l^attc,  „ba§  befte  SKittel,  nid^t 
oergeffen  gu  werben,  fei  niemals  an  fid)  gu  benlm"^);  fein 
gweiteS    SKinifterium  unb   bie   bamit   öerbunbenen  ©d^wierig« 

')  Madame  Neck  er,  Melanges,  III,  an  Sl^omaS,  1779. 

2)  ebenbafclbft,  I,  83. 

••♦)  ebcnbafclbft,  III,  347. 

*)  Gbcnbofelbft,  11,  298. 


8rr&ulein  9ltäex  batüber.    S)ic  SMüt  öon  SUliöarol.  179 

leiten  unb  35erantn)ortuitgen  ffci^m  nid^t  nur  »eit  über  i^re 
^)]^5ftfd^en  Gräfte,  fonbern  aud)  fiber  il^re  gäl^igfeit  l)xna\x»,  ben 
Slnfprüc^en  ber  ööttig  öeränberten  Sage  geiftig  ju  genügen,  ^n 
Q.oppd  aber  mar  aud^  fte  fleißig  mit  ber  g^eber,  unb  tt)a§  Pe 
an  längeren  Slufieid^nungen  l^interlaffen  i|at,  ift  öomel^mUdj 
bort  in  bcn  ad^tjiger  Satiren  entftanben. 

Sledfer  bagegen  nal^m  gu  fd^riftfteKerifd^er  Sl^ätigfeit  feine 
3uPud^t  mir  besiegen,  um  SEBünfd^e  unb  Erinnerungen  fem  gu 
l^alten,  beren  ^Jlad^t  nid)t  nur  bie  ^ulbigungen,  beren  ®egen^ 
ftanb  er  blieb,  fonbern  mel^r  nod^  bie  SÄifegriffe  unb  ^e^ler 
feiner  5Rad)f olger  im  2lmt  beftärfen  mußten.  3«  jener  ^di  mar 
e§,  bafe  feine  ©d^rift  „über  bie  2Bid)tigfett  religiöfer  SKeinungen** 
entfianb,  melä)er  bie  äfabemie  im  felben  3lugenblid  ben  5ßrei§ 
gucrfannte,  als  ber  Äönig  il)ren  SSerfaffer  an  bie  ©pi^e  ber 
@efd)äfte  gurfiefberief.  ©ie  Sriefe  finb  üeröffentlid^t  morben, 
in  meldten  feine  Sod^ter  ben  ©inbrud  ber  mit  il^m  barüber  ge= 
med^felten  &t\px&ä)t  feftl^ielt:  „SBir  finb  "gufammen  fpagieren 
gegangen,  mein  SBater  unb  id)",  fd^reibt  fte  iftrer  greunbin, 
fjräulein  $uber,  „bie  ©onne  neigte  ftd^  beut  Untergang;  bie 
SJlätur  mar  fo  fd^ön  ....  35Bir  fprad^en  üon  feiner  Slrbeit;  id) 
bad)tc,  il^r  Sitel  f olle :  ,über  ba^  3)af ein  @otte§'  lauten,  bod^  nein, 
er  mirb  ,t)on  ber  SBid^tigfeit  religiöfer  3Keinungen*  l)eifeen.  @r 
finbet,  ba§  biefer  feinen  frül^eren  S3efd)äftigungen  am  beften  ent= 
fprid^t".  (SBobei  gu  erinnern,  ba^  Sflecfer  einmal  ®ott  ben  ,emigen 
Slbminiftrator'  nennt.)  „2Kan  mu§  t)on  ben  SKenfd^en,  nad)bem 
man  fte  öon  ber  ©egenmart  unterl^alten  l|at,  er[t  bie  ©rlaubnife 
ermirfen,  il^nen  öon  ber  ©migfeit  gu  fpred)en,  benn  fte  mürben 
2lHe§,  ma§  Ja  nur  oon  Seele  unb  Unfterblid)feit  ^anbelt,  eitel 
unb  unnü^  nennen;  aber  meld)'  ein  fd^öner  ©ebanfe  liegt 
biefem  ®ud^  meinet  SßaterS  gu  ©runbe,  mie  ebel  fteße  id^  mir 
fein  Unternel^men  Dor,  mie  mirtfam  feine  SBaffen  gegen  bie^» 
ienigen,  bie  e§  magen  mürben,  i^ren  @arfa§muö  fo  l)od^  l^in^ 
aufgurid^ten.  SBie  erliaben  ift  e§,  geigen  gu  fönnen,  meld)e 
SBal^rl^citcn  es  ftnb,  bie  ben  Staatsmann  üermögen^  t)on  ben 

12* 


180  ^tätt  über  bcn  SScrIuft  feiner  ©tcttunö  niti^t  getrdftct. 

großen  Sntereffen  pd)  lo^aufagen,  bic  il)n  fo  fel&r  bewegten, 
unb  meldte  S£röftitngen,  unenblid)  wie  bie  ©ebanfen  ber  SKenffl^cn, 
ftd^  in  ber  ©infamfeit  il^m  boten.  ..." 

ffS^  glaube,  ba§,  wenn  man  aßc  unferc  fjreunbe  tätigen 
liefee,  mit  weld^em  SBerf  jic^  mein  SSater  befd^äftigt,  nic^t  einer 
ba§>  9fiid)tige  fänbe,  felbft  SKonfteur  be  ©uibert  wflfete  e^ 
nid^t  ju  fagen;  ber  ®ebanfe  aber  müfete  il^m  grofearttg  ex^ 
fd)einen,  bafe  ein  3Kann  üon  ®enie  ftd^  gur  Slufgabe  fe^t,  ju 
finden,  waö  jo  3Siele  um  il^n  l^er  gu  erfd)üttern  t)erfud)ten,  ba% 
er,  ben  ber  SBunjd^  nad^  3Kenjd^englücf  burd^bringt,  oudlj  über 
ba^  ®rab  l^inauö  nod^  bafür  tl^ätig  fein  wiK.  ©old^c  unb 
äl^nlid^e  SSetrad^tungen  werben  i^n  für  ben  ©egenftanb  ein^^. 
nel^ttten,  um  weld^en  e§  ftd^  l^ier  l^anbclt,  aber  er  ift  ju  el^r* 
Q^WQf  JU  lebenöfrol^,  er  fül)lt  gu  lebhaft  bie  iJä^igfeit  in  jtd^, 
eine  3Belt  in  Sewegung  gu  fe^en,  um  pdf)  \)on  tl^r  loSgufagen 
unb  gu  ber  ^ö^e  gu  erl)eben,  wo  ber  ®eniu§  SRul^e  finbct;  unb 
bod^  ift  SRulie  nur  bort''. 

25a§  Sud^  öon  Sierfer,  weldt)e§  feine  Sod^ter  gu  fo  warmer 
Sewunberung  l^inrife,  fd)Iofe  pd^  ben  SSenbengen  faft  aller  religiös 
gebliebenen  9Renf d)en  feiner  ßeit  an;  e§  oerlegte  bcn  ©d^wer« 
punft  in  eine  fromme  @ittenlel)re ,  ben  SZad^brud  auf  SBemunft 
unb  2Kenfd)li<i)!eit,  empfal^l  baö  ®ute  al§  gleid^bebcutcnb  mit 
bem  ®lürf  unb  übereinftimmenb  mit  bem  SSortl^eil  be§  @e« 
f^led^te^,  aber  e§  wufete  wenig  oon  einem  feften  ©lauben  unb 
tiefgewurgelten  Uebergeugungen ,  al^  eingig  nad^^altiger  Quelle 
ber  ^Pid^t,  gu  fagen  unb  prebigte  bie  ^Religion  ber  Humanität, 
wie  etwa  ©eHert  in  ®eutfd)lanb  furg  oorl^er  bie  religiöfc  Sluf* 
flärung  in  poetifd^er  g^orm  geprebigt  l^atte.  ®ie  fd^wad^e  Seite 
biefer  3[pologie  ber  Sugenb  unb  eineö  ©oangelium^  öorwiegenb 
praftij^er  8eben§wei§l)eit  füllte  bie  gegnerifdt)e  Äritil  bcmt 
aud^  balb  l)erau§,  guerft  bie  oon  SRioarol,  beffen  9lame  bei 
jenem  Slnlai  guerft  an  bie  Deffentlid)!eit  trat,  unb  ber  SJlccfcr'a 
^irgumentation  al§  bie  be^  Utilitarier^  branbmarfte,  ber  lEugenb 
aU  bie  befte  ginangfpefulation  emppe^lt  unb  gwar  „im  mini^le« 


ffltdtx  über  bcit  SJctIuft  feiner  ©tettung  mä)t  getröftet  181 

ticttcn  ©t^l",  für  xs)dä)m  9lcdfcr  ba^  @rfittbcrre(f)t  bcanfprudien 
bürfc.  ®cr  Sitcl  aHein,  meint  er  unbarml^erjig  genug,  bereife, 
tote . oerf el^It  ber  Snl^alt  beö  Sbuä)t^  fei,  benn  loeber  SReligion 
noc^  SWoral  fönne  man  ate  blofee  SJieinungen  bejeid^nen;  nid^t 
t)arum  l^anble  e<8  jtd^,  ob  fte  nü^Iid^,  fonbem  barum,  ob  jte  loal^r 
feien;  ioa§  man  felbft  nid^t  glaube,  bürfe  man  Slnbem  nid)t 
leieren,  ©em  ©ei§mu§  oon  9ledfer  l^ält  er  ba^  SSerbift  oon 
^aScal  entgegen:  „2)iefer",  f(f)Kefet  er,  „würbe  ^l^re,  bem  ©ebiet 
ber  SRatur  entnommenen  Seifpiele  meit  oon  jtd^  gemiefen  l^aben, 
benn  ®ott  mar  il^m  weniger  ma]^rf(f)einlid^  aU  Sefuö  61^riftu§, 
unb  beffer  ate  ben  Seiften  begriff  er  bm  Sltl^eiften''.  9lad^ 
bem  ©c^iffbrud^  ber  3fieIigion,  ju  welchem  nid^tö  fo  fel^r  aU 
dne  ängftlid^  fä)tt)äd^Iic^e  SSertl^eibigung  berfelben  beitrage, 
bleibe  niä)t<8  atö  bie  3RoraI  unter  bem  @ä)u^  ber  ^ßj^ilofopl^ie  ^j. 
S)er  geiftreiel)e  3SoItairianer  l^atte  nid^t  fo  Unred^t;  aU  9tec(er, 
enbgültig  oon  ber  ^olitif  abgemenbet,  am  Slbenb  feineö  Seben^ 
im  »Cours  de  morale  religieuse«  nodt)  einmal  reIigionö=p]^ilo= 
fopl^ifd^e  Probleme  bel^anbelte,  gefd^al^  eö  auf  Orunb  pofttio= 
d^riftlid^er  Ueberjeugungen ,  bie  gu  feinem  frül^eren  ©tanbpunft 
mdt)t  als  ©egenfa^,  fonbem  als  gortfd^ritt  jtd^  oerl^alten. 

©amalö,  in  Poppet,  mar  er  nod)  ganj  oom  SBunfd^  be= 
]^errfä)t,  feine  öffentlid)e  Sptigfeit  mieber  aufjunel^men,  unb  eS 
beburfte  nur  beS  ©rfdjeinenS  frül)erer  Sefannten  ober  2lmtS= 
genoffen,  um  biefen  SBunfd)  bis  ju  peinlid^er  Sebl^aftigleit  ju 
fteigern.  @ineS  fold^en  3^ifd^^nfaßeS  ermähnt  ^äulein  nieder 
bei  ©elegenl^eit  beS  SSefud^S  oon  be  Seffart,  bem  fpätem  3Ri» 
nifter  Submtg'S  XVL,  ber  im  SRuf  eines  gefd^idften  S^nanj= 
wonneS  ftanb  unb  als  fold)er  §Reder'S  erfte  SBermaltung  energifd^ 
unterflfi^t  l^atte,  unb  beS  ©ol^rieS  oom  SRarfd^aß  be  ßaftrieS, 
ber  1789  unter  bie  freiftnnigen  2)eputirten  gd^lte.  „2)ie  2ln= 
mefenl^eit  el^rgeijiger  3!Äenf d^en" ,  f ä)rieb  fte  nad^  bem  Slbfd^ieb 


')  Rivarol,  Deux  lettres  a  Monsieur  Necker.  Oeuvres  completes,  11. 
Caro,  Rivarol  et  la  soci^t^  fran^aise.  Journal  des  Savants,  Sept.— Nov. 
1883.     Grimm  et  Diderot,  Correspondance  litt^raire,  XIV,  107. 


182  9ltätx  über  ben  SSerluft  feiner  ettUmq  ni^t  fiettöf^ 

bcr  ®äftc  in  tt)r  Sagcbud^,  »^^^^^8  wtcin  SBater  nid^t  ju 
ertragen;  über  bem  ©ingang  gu  un[erem  ^aufe  fottten  bie 
SBorte  ftel^en:  ,^ier  werben  nur  Quiü^tJixmbt  bel^erbergt'. 
SWufe  ic^  e*5  mir  befennen?  9(0)  ja,  id^  fürd^tc  e<8,  mein  SSater 
liebt  eö  nid)t,  an  ben  SBerluft  gemal^nt  jju  werben,  ben  er  nod^ 
immer  beflagt;  wie  fönnte  baö  aud^  anberö  bei  il^m  fein,  ber 
fo  gut  weife,  waö  er  gu  leiften  oermag. . .  eine  ]^errliä)e  Sauf* 
baf)n,  bei  weld^er  bie  öffentlid^e  3Reinung  i^n  ermutl^igen  würbe, 
(grfolge,  bie  feinem  bergen  fä)meid^eln  müfeten,  weil  jie  bie 
SBoljIfal^rt  eineö  83oIfeö  jum  3tt)^df  ©egenwart,  ßwifwnft,  ^anl* 
reirf),  Europa  gum  @ä)aupla^  ber  Sl^ätigfeit  l^ätten!  SQSol^l 
bad)k  id),  ba^  fein  SEBerf  i^m  @rfa^  baffir  bieten  lönne,  id^ 
fagte  i^m,  ba^,  naä)bem  er  bie  5!Jienfd)en  belel^rt  unb  il^nen 
gegeigt  l)abe,  Xüa^  er  gu  leiften  üermöge,  ba§  Srac^Uegen  feiner 
Äräfte  xt)m  weber  Äummer  nod^  ©ewiffenSbiffe  oerurfad^en  foHte; 
aber  bie  ©ntwidfelung  feiner  3been,  bie  gewonnene  genaue 
Ä^enntnife  ber  ^ülföqueUen  i5ranfreiä)jS  unb  be<8  ßlenbS  ber 
9iation  l^atten  xi)n  erft  red^t  bie  Qualen  be§  SantaluiS  entpfin* 
ben  laffen.  @r  jtel^t  ba^  l^errlid^fte  ©ebdube  ftfirgen,  ol^ne  bai^ 
feine  $anb  e§  aufgul^alten  vermag.  2)iefe§  ©efül^I  Witt  er  fid^ 
felbft  nid)t  befennen,  unb  ic^  folge  feinem  Seifpiel ;  feine  frü^re 
Stellung  erfd^eint  unö  wie  eine  untreue  Oeliebte,  wir  reben 
nur  ©d)limmeS  t»on  il^r;  aber  wenn  jte  wieberlel^rte,  würben 
wir  balb  anberö  fpredjen  ....'* 

„3n  ßoppet  war  mein  SBater  am  glüdflid)ften ;  bort  atl^met 
man  Unabl^ängigfeit.  2lngejtd)tö  jener  bem  ^immel  guftrebenben 
Serge  erfd)einen  alle  el^rgeigigen  SBünfd^e  fo  gering;  bort  finb 
bie  ?JÄenfc^en  glüdflid).  3tt)ifd)en  il^nen  unb  Stanlreid^  erl^cbt 
ftd^  ein  ungel^eurer  SBall.  2)aö  aSaterlanb,  ba^  man  in  ber 
Äinbl^eit  üerlaffen  l^at,  ruft  ba^  Olüd  unb  bm  Rieben  Jener 
Sage  inö  Slnbenfen  gurfidf,  man  l^at  e§  frü^  mit  einem 
anbem  üertaufd)t;  man  feiert  an  ber  @d)wette  beö  SllterS  wieber, 
unb  roa^  bagwifdien  liegt,  erfd)eint  wie  ein  femer  Sraum.  3« 
ber  Sugenb   t»erlangt  man  t)on  ber  Swfunft,   ber  ©egenwart 


(Sopptt,  ein  SSexbannungdott  für  fflcäcx  unb  feine  Sod^ter.  Ig3 

mügltd^ft  unäl^nlid^  ju  fein;  im  reifen  Slltcr  fürd^tet  man  Sitten, 
was  man  nid^t  fennt.  3n  ber  ©d^weij  rufen  bie  3Rcnf(f)en 
meinem  SBater  feinen  Segriff  ber  3Jta(tit  ober  ©röfee  in  bie  @r= 
innenmg  gurücf,  benn  biefe  jtnb  il)nen  felbft  bem  9?amen  nad) 
unbefannt  geblieben,  wäl^renb  bie  @efeUf(f)aft  in  ^ranfreid^ 
nid)tö  anbereiS  fd^ä^t  als  jte.  ©er  3fiul)m  ift  in  ber  Entfernung 
fid^tbar,  in  ber  SMI^e  aber  loirtt  nur  bie  3Rad)t;  ber  Olanj 
eines  bebeutenben  SCBirfenS,  ber  fd^riftfteHerifd^en  5j:i)ätigfeit,  üer* 
langt  anbere  $erfpeftit)en.  3n  ber  ®efellfd)aft  leibet  ba^,  was 
wir  Pnb,  unter  ber  ©rinnerung  beffen,  was  wir  waren;  ein 
3Rlnijier  au^er  2lmt  gleid)t  einer  ^au,  bie  fd^ön  gewefen  ift 
unb  wunfd^en  mufe,  fortan  mit  @old)en  gu  leben,  bie  jte  nid^t 
in  il^rer  Sugenb  gefannt  l^aben". 

3)aS  Sob  ber  ßinfamfeit  öon  ßoppet  feiert  nod^  öfters  unb 
mit  allen  mögliä)en  SSarianten  wieber;  immer  aber  l^^fet  eS 
gum  ©d^lufe,  wenn  üon  §Redfer  bie  3fiebe  ift,  bodt)  wieber  in 
einer  ober  ber  anbem  jjorm:  „3Bie  fd)ön  wäre  eS,  wenn  man 
il^n  t)on  l^i.er  abrufen  würbe,  um  iJranfreidt)  wieber  ju  regieren", 
fjflr  Stau  üon  @tael  nid)t  nur,  fonbcm  fd^on  ffir  gräulein 
Sledfer  war  biefeS  reijenbe  Sb^H  ber  ©d^weiger  Serge,  auf 
bem  nod^,  frifd^  wie  3Rorgentl)au,  ber  S^nbtx  ber  bleuen  §eloife 
auSgegoffen  lag,  ein  SBerbannungSort,  auS  bem  jte  Jtd^  l^inweg 
unter  bie  3Renfd^en  unb  in  baS  SBeltgetümmel  jurürffel)nte. 
„5Wid^  ergriff  eine  töbtlid^e  Slngft,  mein  SBater  möd)te  fein 
Seben  in  ßoppet  jubringen",  fä)reibt  jte  baS  erfte2Ral,  wo  jtd^ 
biefe  Slbneigung  für  baS  Seben  auf  bem  Sanbe  bei  il^r  auSfpriä)t, 
„möge  er  eS  mir  öergeil^en,  aber  mein  SSorratl^  üon  ßrinnerungen 
ift  nod^  nid^t  für  ben  9teft  meiner  Sage  auSreid^enb;  weber 
SHufionen  nodt)  Vergnügungen  jtnb  eS,  benen  iä)  nad^ftrebe, 
aber  mein  ^erj,  baS  il^n  anbetet,  würbe  boc^  jittern,  foßte  bie 
3;]^ür  fid^  auf  immer  l^inter  uns  brei  SReufd^en  fd^liefeen.  SSiel« 
leidet  genügt  eine  furje  Spanne  Qüt,  um  mir  bie  ßinfamfeit 
erträglid^  ju  mad)en.  Sollte  il^n  ein  graufameS  ©d^idffal  oer- 
einfamen,  id^  würbe  mid)  ganj  unb  augenblirflic^  für  il^n  opfern, 


184  SCufjeic^nungcn  au«  bcn  Salären  1783—1785. 

jeben  anbtvn  SSBunfd)  an^  meiner  ©eele  üerbatmen  unb  einen 
SWoment  beö  ®IüdE§  für  x^n  mit  lebenslangen  ©ntbel^rungen 
erfaufen"  ^). 

SBaö  aber  fon[t  ging  in  jenen  Sagen  in  ber  ©cele  be§ 
jungen  3Jläbd^en§  t)or?  Slufeer  il^ren  6r[tling§arbeiten  pnb  fpär= 
lid^e  Sagebud^fragmente  ba^  ©ingige,  toa^  üor  il^rer  aSer= 
I)eiratl^ung  barüber'3luffd^lufe  gibt,  nnb  in  biefen  l^errfd^t  meiftenö 
eine  meland)oIifcl)e  Stimmung  üor.  „6ö  fällt  mir  fij^ioer,  beö 
3Rorgenö,  nad^  bem  ©rwad^en,  mein  SEagewerf  wieber  aufju* 
nel^men",  l^eifet  e§  an  einem,  in  jene  Seiten  faHenben  21.  3uli; 
„ba^  ift  fein  guteö  3cid)en,  wenn  man  baS  Silb  unb  ©leld^nife 
beö  Sobeö  bem  Seben  üorjiel^t.  Dft  bebe  id^  üor  bcm  ©d^laf 
jurüdE;  wenn  Äörper  unb  Seele  ji^gleidö  unentpflnblid^  werben, 
fä)einen  jte  ein  gleid^e§  Sooö  gu  tl^eilen.  Slber  nein,  nein!  ba^ 
Sewufetfein  unb  mit  il)m  bie  moralifd^e  @piftenjbebingung  bc« 
(teilen  fort  ... .".  6in  anbereS  3Ral  beginnt  il^re  Slufjeid^nung 
folgenbermafeen :  „SBeldjeö  fd^redfliä)e  @ä)aufpiel  geigt  jtd^  beim 
6rwaä)en  meinem  33lid!  3Son  meinem  33ett  auö  fel^e  id^  im 
^of,  üor  ber  33el)aufung  ber  Sobten,  bcn  ©arg  berfelben  mit 
einem  weisen  Sud^  bebedft  [teilen;  jie  felbft  ift  e§,  in  eigener 
©eftalt,  mit  ben  wol^lbefannten  Sögen.  SSBas  ift  benn  gefd^el&en, 
unb  wie  lönnen  bie  31^rigen  fid^  entf d^liefeen ,  jie  ber  @rbe  ju 
übergeben?  —  3d^  fel^e  nodt)  bie  gute  grau  in  il^ren  bäuer:* 
lid^en  Oewänbern,  lebenSfrol^,  fräftig,  l^eiter,  ol^ne  3^0^«  bor 
ber  3wfwttft,  tnit  fünfzig  ^ai)xtn  feit  nur  ad^t*  9)lonaten  einem 
lungern  3D?anne  angetraut,  ber  fte  liebte,  unb  für  ben  jie  bie 
gleid^e  3leigung  eutpfanb;  biefe  SBieberfel^r  be§  Srül^ling«  jur 
^erbftjeit  be§  gebenö  fd^ien  jte  ju  beglüden,  weid^er  für  bie 
Unglüdlid^en,  beffer  für  SlUe  gu  ftimmen;  ba^  ®lüc!  üerHätte 
jte  mel^r  alö  ber  @d)merj  eö  ju  tl^un  üermod^t  l^ätte.  ®a  lam 
eine  anftecfenbe  Äranll^eit,  bie  ^odfen,  unb  ftredfte  jte  nieber; 
e§  erfd^üttert  alle  Sinne,  ben  %ob  ba  ßinfel^r  l^alten  ju  feigen, 

*)  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  178. 


Slufsd^nungcn  auS  bcn  Salären  1783—1785.  185 

WO  man  ba§  geben  walten  fal^.  Ueber  il^rer  SBol^nftube  tft 
eine  Ul^r;-  wäl^renb  id^  pe  im  SCobeöIampf  wufete,  fagte  id^  mir 
bei  iebem  ©tunbenf (f)Iag :  ,ba^  ift  ber  le^te;  nun  tritt  eine 
©eele  mx  il^ren  ©d^öpfer  l^in  unb  wirb  inne  werben,  xoa§  ben 
größten  ©eiftem  unbefanrit  ift'.  3BeIä)e§  33ilb  ber  3^i^ftö^wng 
unb  beö  ©d^recfenö  ift  bod^  ber  Stob,  ber  S:ob  im  allgemeinen; 
ber  il^rige  nid^t,  benn  ein  liebenber  33lid,  eine  tröftlid^e  §off* 
ttung  ift  SllleS,  xoa^  er  jurüdEruft;  aber  ber  SCob  geliebter 
aWenf d^en !  D  @ott,  wenn  f d^on  bie  ©ebanlen  baoor  gurfidfbeben, 
wa§  mu§  ba§  ^erj  babei  empfinben?  9Kan  müfete  e^  erleben, 
bie  Soten  ber  93erniä)tung  unfere  geliebten  S^obten  berüliren  ju 
feigen?  SRan  müfete  jte  unter  STrauergefängen  l^erauötragen 
laffen,  ol^ne  jte  burdt)  einen  ©d^rei  ber  SSergweiflung  wieber  in^ 
®afcin  rufen  ju  fönnen!  Seber  ^locfenton  oerffinbete  iliren 
@ang  jum  ®rabe,  unb  il^r  entfepd)e§  ©d)weigen  würbe  fagen, 
ba^  Sitten  üorüber  ift?  9lein,  fold^e  ©d^redfniffe  jtnb,  wenn  em* 
pfunben,  nic^t  ju  überleben.  §öd)fte§  ®ut  ber  SSorfel^ung, 
ajlfiglid^feit  be§  ©terben^,  bu  berul^igft  allein.  aBoliin  würbe 
td^  oor  foldt)en  Qualen  fliel^en,  wenn  id^  unfterblidt)  wäre?  ®er 
©ebanfe  meiner  eigenen  Sluflöfung  oerföl^nt  mid^  aHein  mit  jener 
ber  3Renfd^en,  bie  mir  tl^euer  ftnb.  §Rur,  wenn  ber  Slugenblid  ber 
3;rennung  gefommen  ift,  bann  oerleil^e  mir  ein  gnäbige^  ©efd^idf, 
juerft  JU  fd^eiben ;  aud^  nur  ein  3Roment  be§  Ueberleben^  würbe 
entfepd^e  ©d^mergen  in  ftd^  fd^liefeen.  2Rein  ©afein  ift  mit 
ber  ©fiftenj  oon  SBefen  oerfnüpft,  beren  Sebenöfrift  aller  SBalir- 
fd^einlid^feit  nadt)  fd)neller  abläuft  alö  bk  meine.  D  mein  ®ott, 
id^  befd^wöre  ®id^,  erl^öre  bie  aufrid^tigfte  33itte,  bie  je  meiner 
©eele  jid^  entrang;  erfpare  mir  ben  3cttnmer,  ben  id^  nid)t  gu 
nennen  wage;  oerjeilie,  wenn  idt),  um  ju  ®ir  gu  gelangen, 
^anb  an  ©ein  SBerf  legte!" 

3)iefe  @rgüffe  einer  überreijten  ^l^antafte  tragen  ba^  ©atum 
beS  28.  Suli;  am  folgenben  Sage  l^aben  bie  erl^altenen  @in= 
brfidfe  pdb  nodt)  nid^t  abgefd^wäd)t,  unb  mitten  in  ber  ©ommer* 
prad^t  feieren  biefelben  büftern  Sßiponen  wieber:  „®eftem  3lbenb\ 


186  Slufacid&nungen  auS  bcn  Sollten  1783—1785. 

fc^reibt  ba^  junge  5!Jläbd)cn  ttjcitcr,  „^attm  tt)ir  ein  cntfc^ltd^e^ 
®ctt)itter.  ©ic  3latur  wirft  mä(f)tig  auf  mid)  ein;  alle  SRittel 
ntenfcf)lid^er  Äunft  finb  unoermögenb,  äl^nli(f)e  ©tnbrfidfe  ju  er- 
gielen.  3Sir  ftnb  ber  S^cdf  ber  9latur;  baö  fagt  un<8  bte  SMad^t, 
bie  Pe  über  un^  l^at.  Sd)  war  aHein,  id)  prte  nur  ba^  ©e- 
räufd^  be§  ©ewitterö,  fonft  l)errfd^te  ©titte,  unb  tiefe  3Rüanä)o\k 
befd^Iid^  mid^;  id^  prte  ben  3fiegen  in  ©trörnen  l^erabtommen, 
a3lt^  unb  ©onner  mal^nten  mid)  an  bie  SHImad^t  OotteS  unb 
an  meine  eigene  ©efal^r.  ©in  ©efül^I  beö  SßertrauenS  lentte 
mid^  nad)  Dbtrif  unb  um  mid^  nod^  mel^r  ju  berul^igen,  erwog 
id^  alle  ®ränbe,  bie  mir  ben  SSerluft  be§  Sebenö  gfeid^gültig 
erfd)einen  laffen  fonnten.  SBerpngnifeöoHe  Erwägungen,  wenn 
ber  Stob  jte  nid^t  ab[d)liefet!  3dÖ  W)ar  ergeben,  allein  ba  mein 
3Jtntij  aus  ©mpfinbungen  gefd)öpft  ift,  war  id)  bod^  jugleid^  in 
Sl^ränen  aufgelöft;  eö  fd^ien  mir,  wäl)renb  id^  fo  in  Stäumen 
mid)  oerlor,  al§  ob  bie  Slnftedfung  mid)  ergriffen  l^obe.  ©urd^ 
bie  ^odfen  ju  ©runbe  gelten,  flöfete  mir  ©ntfe^en  ein;  ba^ 
fc^lofe  bie  9lä^e  ber  ©eliebten,  ben  SReij  beö  SobejS,  ba»  ©lüdf 
ber  legten,  feierlid^en,  füfeen  Slbfd)ieb§worte  auö.  D  ba»  föt^ 
wufetfein,  fte,  bie  man  liebt,  jum  legten  9!Kal  ju  feigen,  brängt 
alle  ©ntpfinbungen  beö  Seben§  in  ein  ]^öd)fteö  ©effil^l  jufammcn. 
SBeld)eö  Unglüdf,  wenn  bie  Äranfl^eit  ben  Sinn  umnad^tcte, 
unfer  gangeS  Sßefen  oeränberte!  SBenn  wir  plöpd^  ba  lalt 
wären,  wo  wir  anzubeten  ppegten,  unb  Siebe  jur  ©leid&gültiß* 
feit  würbe?  3d)  weife,  ba^  e§  fd^wad)  unb  unred^t  ift,  öom 
©elirium  ber  @terbenben  einen  ©inbrud  baoonjutragen,  aber 
ber  ©d^merj  ift  oon  ber  Erinnerung  an  ba§  le^te  Sebewol^l  un» 
gertrennlid)  ....  Unb  bann  färd)te  id)  biefe  l^eillofe  Äranf« 
l^eit,  weil  fte  entftellt;  bie  ßüge  würben  ben  ©ebanfen  nid^t 
mel^r  wiebergeben,  bie  8lugen  biejenigen  nid^t  me^r  feigen,  bie 
jte  am  meiften  geliebt  l)aben,  ber  SlidE  nid^t  mel^r  fpred^en, 
wenn  bie  Sippen  ftd^  gefd)lof[en,  bk  iJreunbeSl^anb  nid^t  mel^r 
bie  legten  ©daläge  beö  ^erjenö  wal^rnel^men  fönnen,  ba&  fo 
^eife  liebte  unb  wieber  geliebt  würbe.    Unb  wie  entfepd^,  mit 


Urtl^etlc  über  bic  Sugcnbscit.  187 

bcm  SettJu^ctn  ju  ftcrben,  ba^  ba§  töbtH(f)c  ®tft  auf  anbete 
übergegangen  ifl;  man  will  beweint,  aber  überlebt  werben. 
SBir  jterben  nid^t,  wenn  wir  biejenigen,  bie  wir  lieben,  l^ier 
jurüdlaffen;  wir  entgelten  ber  SSemid^tung,  aber  felbft  bie 
@d)reclen  be§  eigenen  Sobeö  mäßigen  bie  93or[teIlung  t)om  Siobe 
3)erer  nici^t,  bie  wir  lieben"  ^). 

@S  lann  nid)t  SBunber  nel^men,  wenn  ©iejenige,  beren 
einbilbungSfraft  unb  ®emüt^  ftd^  in  fold^en  Silbern  erfd^öpften, 
ber  eigenen  Sugenb  gebenfenb,  in  bie  SSorte  auSbrid^t:  »ce 
temps  si  faussement  vantö,  ce  temps  de  passions  et  de 
larmeslc  3)eni  gel^elmnifeüollen  3Berben  be§  Salent^,  wenn 
bie  5Ratur,  um  mit  Berber  ju  reben,  einen  Slfforb  anfd^lägt, 
gelten  fold^e  ©türme  üorau^,  SStjtonen,  bie  Weber  ganj  üer* 
ftanben,  nod)  ganj  etjannt  werben  !önnen,  bis  jte,  in  ge* 
weil^ter  ©tunbe,  gu  Sbealbilbern  jtc^  geftalten,  bie  fortan 
„SEBertl^er",  ober  „^ofa",  ober  „9ftene'',  ober  ,,©elp]^ine"  unb 
„ßorinna"  l^eifeen.  Db  im  ^erjen  be§  iungen  3Räbd)en§  nod) 
ein  anbereS  ©efül^l  erwad^t  war,  barüber  finbet  jtd^  nur  eine, 
öiele  Saläre  fpäter  einem  ©eutfd^en  gegenüber  oon  xf)x  gemad^te 
3lnbeutung,  weld^e  ba^  Soo§  ©old^er,  bie  nid)t  frei  über  jtd)  oer* 
fügen  fönnen,  beflagte  unb  alö  „il^re  erfte  unb  einjige  Siebe 
einen  SWann,  ber,  ba  jte  nod^  2Räbc^en  war,  umfonft  um  fte  ge* 
werben  l^be"  2),  nannte.  &x  foßte  in  il^rem  Seben  wieber  auf= 
taud^en;  eS  war  ber  ®raf  Souiö  be  9Zarbonne,  beffen  bereite 
1782  gefd^Ioffene  Sßerbinbung  mit  einer  Slnbern  bie  angebeutete 
gplfobe  in  ^äulein  9leder'§  fed^jel^nteS  Sal^r  üerwiefe. 

einen  Sl^eil  beS  SSinterö  oon  1785  oerbrad)te  bie  g^amilie 
wegen  ber  ©efunbl^eit  ber  SRabame  5Reder  in  SJiontpeßier,  wo 
bie  berül^mte  mebicinijd)e  iJafultät  Äranfe  auö  allen  Säubern 
anjog.    ®ie  einjige  Erinnerung  an  biefen  2lufentl)alt  finbet  ftd) 


')  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  65—70, 
9(udaüge  QUiS  bem  Sagebud^  t)on  i^äuletn  iRedfer. 

2)SJörn§agen  öon  @nfe,  ©enitoürbiöfetten  unb  öemttfd^tc  ©d^tiften. 
Suftu«  ©ri*  »oHmann,  I,  1—33. 


=s£>r   :r   w  .>  ri-UL 


'.r    eine:    5.2m*c:^c:    ..■j»rr?::iiiiil»rr^    msiai:   I»c  Stmnäe  Srfifr 

r er  r»?*  itf^rsr^iä  l*^  :rr:  r-zi^  -nsi^r  2Ci>dai  ^Bnb  ^aI  i^or» 
tra^  "'f:rtrr±»r:  S-ilzT^n  ^-^rr^irr:  brr^-*  nnbrod!»  W«  nicl^t 
W.if^  ^  ^^rzntrz   rrrrrrrf   S^rirr:  reo  Sobran,  berm  5n^ 

fcenw!  te5  i±:;^n:f::  Jir:rrr->rnÄ  jrnjn  sricber  anfgefrifc^t 
bat,  nit:  n?fni:fr  rrfiffnnen!'  fndbli.  irif  Sc  bicftr  über* 
iprubeinben  braune  r.it:  :u  irir^frrrcbfn  ixraux^t  ^abe'L 

Xie  riiücttf^r  nach  $an^  bracbif  nun  and)  fßlane  jur 
SWfire,  bie  feit  geraumer  3rit  mit  bcr  ^[kncnlic^firit  Don  ^rr&uldn 
Sfierfer  in  SJerbinbung  ftanben. 

Seit  ben  Jagen  gubroig  5  XIV.  nnb  ber  norbtfc^  SQian} 
erfreuten  ftd)  bie  2d)n)eben  in  bcr  franjöfifc^en  {Kuiptfiabt  einer 
Popularität,  \yx  u^eldjer  bie  ^olitif  nur  ben  Slnfio^  gegeben 
^atte.  3n)ar  fd)ä^te  man  immer  nod^  in  i^nen  bie  93erbfinbeten 
t)on  JRi(I)e(ieu  unb  ber  franjöftf(f)en  Ärone,  bie  il^rerfettö  bie 
fcl]iwcbifd)eu  Subpbien  alö  einen  mel^r  ober  minber  ft&nbigen 
^^iSoftcn  in  il)rem  Subget  fortführten,  aber  unabl^ängig  baoon 
tuaren  bie  @ci)tt)eben  in  ^ari§  alö  feine,  angenel^me  Sßeltleute 
unb  rilterlicl)e  ®olbatcn  gern  gefeliene  @äfte.  Sie  biplomatifd^n 
Korgäuger  bcö  fflrafcu  (Sreufe  l^atten  "t^x^  Slnfel^en  il^rer  ©teHung 
burd)  perfönlid)e  ISigenfc^aften  unb  bit)Iomatifä)e  ©ewanbt^elt 
\\\  crl)öl)on  gctuufjt;  in  gutem  2lnbenlen  ftanb  befonberS  ®raf 

>)  (litulliour,  Ktihlos  sur  rilistoire  de  la  Suisse  fran^se,  300. 
Ml.  «lo  Snl^MN  \  MiMlaino  do  CUiarriere. 

*)  Sir  .li»hn  Sinoliiir,  Oorrospoudance,  I,  153 — 154. 

M  K.  (lo  MuKi^i^^ii  «^t  IL  Prat,  Correspondance  de  la  Comtesse  de 
Suhl  an  I  '.\N4. 


©d^toebifd^c  Suftänbc.  189 

©panc,  ©ejanbtcr  am  ^ofe  Subwig'ö  XV.  ivä^rcnb  ber  erftcn 
^älftc  feiner  langen  ^Regierung  unb  nid)t  minber  ujegen  .feiner 
männlid^en  @d)ön]^eit  alö  wegen  feinet  ©eifteS  bewnnbert.  33ei 
©elegenl^eit  einer  grofeen  Safel,  gu  tt)el(I)er  alle  ©efanbten  ge- 
laben  waren,  l^atte  if)n  ber  Äönig  mit  ben  SBorten  interpeHirt : 
„^err  ton  ©parre,  ©ie  belennen  jtd^  ni(I)t  jnm  felben  ©lanben 
wie  id^,  baS  ift  mir  leib,  benn  im  ^immel  werbe  id^  ©ie  mä)t 
wieberpnben",  woranf  ber  Slngcrebete  fd^neß  gefaxt  erwiberte: 
„Um  SBergebnng,  ©ire;  mein  fönigli(I)er  §err  i)at  mir  befol^lcn, 
Sl^rp  3D?aieftät  überall  l^in  gn  begleiten"  ^). 

Sn  ©d^weben  ppegte  man  bie  ^l^ilofopl)ie  üon  2)e§carte§, 
bie  franjüjtfd^e  Siteratnr,  Ännft  nnb  Snbuftrie  unb  blidEte 
nadt)  ^ari§  wie  nad^  einem  anbern  SKeHa.  6ine  ©törung 
erlitt  ba^  gute  SSerl^ältnife  gwifä)en  beiben  Säubern  erft  bann, 
atö  bie  ariftofratifd^e  «ßartei  feit  1720  in  ©tocf^olm  bie  politifc^e 
SKad^t  an  ftdt)  rife  unb  jene  ber  Ärone  unter  einem  fd^wad^en 
SRonard^en  beutfd^en  UrfprungS  beeinträä)tigte,  ber  ju  fagen 
pflegte,  er  jiel^e  e§  t»or,  Stambour  in  ©eutfd^lanb  als  Äönig  in 
@dt)weben  gu  fein.  S)ie  S)emütl)igungen,  bie  er  wiberftanbSloS 
l^innal^m,  wedften  bafür  in  feiner  ®emal)lin,  Suife  Ulrife,  ber 
@dt)Wefter  be§  grofeen  g^riebrid^,  ben  um  fo  fefteren  6ntfd)lufe, 
in  i^rem  ©o^n,  Äronprinj  ©uftat),  ber  alö  Äönig  ©uftao  III. 
fein  fottte,  einen  Sfiää)er  für  alle  t»on  ben  übermütl^igen  fd[)we= 
bifd^en  ©belleuten  erbulbete  Unbill  gu  finben:  „Erinnere  S)iä) 
wol^r,  fd^rieb  jte  an  ben  Äronprinjen,  aU  er  1770  über 
©eutfd)lanb  ben  SBeg  nad)  ^ari§  einfdjlug,  „erinnere  ©id)  wol^l, 
ba§  wir  bie  größten  33ettler  in  ©uropa  ftnb,  unb  bafe  e§  in 
meinem  ^eimatl^lanb  feinen  Meinen  S^ürften  gibt,  weld)er  nid^t 
fc^änere  SUlöbel,  fd^önereö  ©ilbergefd)irr,  anftänbigere  33ebienung 
ptte;  bei  unö  ift  aVC  baö  geringe  SSermögen,  weld)e§  oor- 
l^anben  ift,  in  ben  ^änbm  ber  ©eiftlidjen  unb  ber  Säuern. 
S)er  Abel,   weld^er  in   allen  Säubern  ber  2Belt  öor  ber  9?otl^ 


*)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  II,  83. 


190  Äronprlna  ®uftab  wirb  Äönig,  ^chmax  1771. 

9cftd)crt  fein  mufe,  tft  l^ier  gu  ®runbc  gcrid^tct  unb  baju  un^ 
öemünftig  genug,  fein]  eingigeö  ^ülfömittel  ju  oertenneit;  tyith 
mel^r  erlauft  er  für  2—3000  Stl)aler  in  ^artelengelbem  ftd^ 
feinen  Untergang  unb  opfert  in  iebem  SReid^Stag  feine  ^rlüi* 
legten  unb  feine  Stimmen  an  bie  ^Keiftbietenben  auf.  3)aö  ift 
ein  f(f)auberl^afteö  ©emälbe.  9J?a(I)e  felbft  bie  SSergleid^ung ! 
3)u  wirft  fagen:  3D?ama  ift  übler  Saune;  aber  wer  würbe  eS 
nid^t  in  biefem  ßanbe  fein,  in  weld^em  man  öor  tteberbrufe 
ftirbt,  in  weld^em  nur  t»on  ^olitif  gefcf)wa^t  wirb  unb  nad^ 
allem  @(f)wafeen  fein  33efd)lu6  erfolgt"  ^). 

2)er  üierunbäwanjigiäl^rige  junge  5!Äann,  an  weld^en  biefe 
bitteren  3Borte  fid^  rid^teten,  war  nad^  franjöftfdt)er  SIrt,  aber 
im  Sinn  ber  l)errfc^enben  Partei  gebilbet  worben;  nad^  DoH« 
enbeter  ©rgiel^ung  urtl)eilte  man  üon  il^m,  fein  ^erj  fei  eben  fo 
leer  aU  fein  Äopf  2),  unb  mad^te  il^n  bann  burd^  eine  ergwungcnc 
^eiratl^  unglüdflic^.  S^itt^^^nS  in  Unfrieben  mit  SKutter  unb 
®attin,  fittenloS,  oberfläd^lirf),  aber  flug,  bered^nenb,  fül^n  unb 
oor  Slllem  entf d^loffen ,  ber  ©id^erljeit  be§  Sl^ronS  unb  ©elbft* 
ftäubigfeit  beö  9ieidf)§  {ebeS,  aud^  ba&  Dpfer  be§  geben«  jU 
bringen,  ba§  war  feinen  wefentlid^en  ßl^arafterjügen  nad^  ber 
junge  ^ring,  ber  in  ber  Slbfid^t  nad^  ^ari§  fam,  burd^  ben 
©influfe  oon  föl^oifeul  bie  geftörten  Sejiel^ungen  ju  ^nlreid^ 
wieberl^erjuftellen ;  al§  er  in  ber  ^auptftabt  eintraf,  war  biefer 
Steunb  geftürjt,  unb  SlUeö  fd^ien  für  ben  iungen  f^ürjlen  tu 
?5rage.  ®a  ftarb  fein  3Sater  unerwartet,  im  gebruar  1771,  unb 
©uftaü  war  Äönig.  6r  t»erliefe  $ariö  nidt)t,  ol^ne  mit  btm 
neuen  3Rinifterium  Subwig'ö  XV.  ein  Uebereinfommen  getroffen 
JU  liaben,  weld)e§  bal^in  lautete,  ba^  fjranfreid^  bie  fjjttrten 
©ubjtbien  an  @d)weben  oom  Slugenblid  an  wieber  leiften  werbe, 
wo  il)m  bie  2Bieberl)erfteHung  ber  SSRaäjt  ber  Ärone  gegen  eine 
übermäd)tige ,    ber   franjöjtfc^en   SlHianj    abgeneigt   geworbene 


J)  ©etier,  ©uftaö'S  III.  nad^g^Mene  «Papiere,  II,  5. 
-)  Geffroy,  Gustave  111  et  la  Cour  de  France,  I,  97.    L^ouzon 
Le  Duc,  Gustave  III,  roi  de  Sufede.    Paris  1861. 


®rof  ©tebingf.  191 

3lriftoIratie  gelungen  fei;  biefe  Sebingung  würbe  am  19.  Sluguft 
1772  erfüat.  ©uftau  III.  üoHfülirte  feinen  ©taatöftretc^,  o^ne  ba^ 
ein  Kröpfen  SBIut  üergoffen  würbe,  unb  begegnete  feinen  ©tänben 
mit  bem  ßntwurf  üon  bret  ßonftitutionen  in  ber  Safd^e,  Don 
benen  bieienige,  bie  il^m  aU  bie  paffenbfte  erfd^ien,  üor  SlMauf 
einer  SBtertelftunbe  befd^rooren  war.  SBon  einem  neueren  ^ifto» 
rtfer  ift  il^r  baö  Sob  gefpenbet  worben,  fte  l^abe  bie  Schweben 
x>ox  bem  ©d^tcffal  ber  ^olen  bewal^rt^). 

®er  junge  Äönig  regierte  fortan  in  @todfl&olm,  um  in 
%tmtt)  bewunbert  ju  werben  atö  einer  ber  aufgeflärten  9Jionar== 
(3^en,  „aHmäd^tig  für  ba§  ®ute  unb  nur  jum  ©d^limmen  bie 
^änbe  jtd)  binbenb";  er  gewährte  ^refe=  unb  (5ultu§freil)eit, 
unterftfi^te  bie  ^l^^ftohaten,  liefe  auf  Sitten  feiner  fraujöjtfd^en 
greunbinnen  ©alefarlien  mit  Äartoffeln  bepflaujen  unb  feine 
^auptftabt  t)on  $arifer  Äünftlem  t)erfd)önern  2) ;  aud)  fal^  e§ 
ber  Äönig  gern,  wenn  junge  fd^webifd^e  ßbelleute,  unter  ber 
Sebingung  beö  aSiebereintrittS  in  feine  35ienfte,  in  frangöftfd)en 
Jftegimentern  Slufnalime  fanben.  3n  militärifd)er  Sejiel^ung  ber 
glänjenbfte  unter  biefen  war.  ®raf  Stebingf,  ein  SllterSgenoffe 
©uftaö'g  III.,  ber,  wie  biefer  1746  geboren,  i^n  bis  1837  über^ 
leben  foHte;  er  fämpfte  mit  feinen  g^reunben  gaujun,  ßoign^, 
SaHe^ranb « ^erigorb,  3Saubreuil,  §RoaiIl[e§ ,  3Sauban ,  ©egur, 
Sa  iJa^elte  ben  amerifanifdjen  Unabl^ängigfeitSfrieg  mit  unb  geiä)= 
nete  fiä)  bei  bem  Sturm  auf  bie  ^Jeftung  ©ranaba  fo  fel^r  auö, 
ba^  er  feine  SBaffentl^at  in  ben  ^arifern  S£l)eatcm  öerl^errlid^t 
unb  fid)  felbft  alö  btn  gelben  be§  S:age§  fanb,  aU  er  in  %olQt 
einer  33erwunbung  1780  nad^  granfreid)  ^urüdffelirte.  @ö  blieb 
nid^t  unbemerft,  bafe  aud)  ^röulein  3le(fer  biefe  ©pifobe  in 
einem  ®elegenl)eit§gebid)t  feierte.  6r  tierliefe  bie  ©ienfte  Sub= 
wig'S  XVI.  unb  fein  ^Regiment  Royal -Suedois,  um  1787  am 
gelbjug  in  gintilanb   jtd^   ju  betl^eiligen,  aus  weld)em  er  als 


*)  Albert  Sorel,  L'Europe  et  la  Revolution  fran<;aise,  I,  65. 
^  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  I,  5. 


1 92  ®taf  Sol^ann  8(ycl  Srcrfen. 

JJelbmarfd^all  l)eimfel^rte,  unb  nad)  beffen  Scenbigung  er  ate  fd^wc* 
bi[d)er  ©cfanbter  bei  Äaiferin  Äatl^arina  nad)  Petersburg  f am,  »o 
er  unter  il^ren  5Rad^tolgem  in  glei(f)er  ©genfd^aft  blieb,  unb  »p 
aud^  ®raf  3ofepl^  be  SRaiftre  il^n  fennen  unb  f d^ä^en  lernte  ^).  3m 
^af)x  1774  fam  ein  jüngerer  Äanbömann  ©tebingFS,  ber  neun^» 
gel^niälörige  @raf  3ol^ann  3[?:el  iJerfen,  @ol^n  beS  ©enatorS  @raf 
griebrid)  Sl;rel,  eineö  ber  t)omel)mften  unb  einflufereidöften  SWänner 
öon  ©darneben,  unb  einer  SRutter  franjöftfdf)er  Slbfunft,  auS  bem 
:proteftanti[c^en,  nad^  @d)tt)eben  geflüd^teten  ^aufe  ©e  la  ®arbie, 
i^um  erftcn  9)kl  in  bie  frangöftfd)e  ^auptftabt ;  er  blieb  nur  lurge 
ßeit,  würbe  jebod)  in  3SerjaiHe§  bem  Äönig,  .3Rabame  bu  Sarr^ 
unb  bem  gangen  ^ofe  öorgefteHt  unb  erl^ielt  üon  ba  an  ben 
aSeinamen  be§  „fd^önen  Werfen".  @raf  6reu^  fd^rieb  an  feinen 
Äönig,  bie  Haltung  be§  jungen  3Hanne§  fei  eine  üortrejflid^e; 
mit  ben  gewinnenbften  300^«  i^nb  üielem  Sßerftanb  jcid^ne  il^n 
ein  f eltner  Slbel  ber  ©ejtnnung  auö^).  gubwig  XV.  üerlie^ 
bem  ®rafen  g^erfen  ein  Dffijieröpatent  im  ^Regiment  fRot)aU 
Saöiere;  biefer  feierte  aber  erft  1778  nad^  $ariS  jurfid  unb 
erfreute  jtd^  oon  ba  an  ber  fpäter  fo  mifebeuteten  ®unfl  ber 
Äönigin  SJiarie  Slntoinette.  2Ran  woHte  unter  anbern  bemerft 
l^abcn,  ba^  einmal,  wäl^renb  fte  am  Älaöier  bie  ©tropl^e  aui^ 
ber  Dper  ,;®ibo"  fang: 

»Ah  que  je  fus  bien  inspiree 
Quand  je  vous  re^us  dans  ma  courc, 
il^re  aSlide  mit  faum  unterbrüdter  Semegung  jtd^  babei  auf 
Werfen  gerid^tet  l)attcn.  SBie  biefer  bie  fd^mierige  5ßrobe  befianb, 
berid)tete  abermals  (Sreu^  in  einem  33rief  an  btn  Äönig,  bem 
bie  fpäteren  ©reigniffe  ben  'SBertl^  eines  tt)id)tigen  S^ugniffeS 
gu  ®unften  biefer  beiben,   ben  9tet)oIutionen   fo  tragifd^   Der« 

>)  GrafBiornstierna,  Memoires  du  Feldmarechal  Comte  Stedingk« 
2  Vol.  Paris  1844. 

2)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  I,  359.  Sdcumont, 
Äleine  l^iftorifd^c  Sd^tiftcn.  Mönifi  ©uftaö  oon  ©c^ttjcben  in  Slad&cn,  1780— 
1791,  319  u.  ff. 


®raf  Sol&aitn  Sljer  gctfen.  193 

Pf  anbeten  Dpfer  üerltel^en  l^aben.  •  6reu^  fd)rcibt  am  10.  Slpril 
1779:  „®er  junge  ®raf  ^Jerfen  ift,  iä)  ntufe  e§  gl^rcr  aRajeftät 
geftel^en,  öoh  ber  Äönigin  fo  gern  gefeiten  worben,  ba^  Der* 
fd^iebene  ^erfonen  anfto§  baran  nal^men.  ^ä)  felbft  lann  mtd^ 
be^  ®ebanfenS  nid)t  emel)rcn,  bafe  fe  Steigung  für  tl^n  entpfanb, 
benn  Id^  l^abe  gu  unjweibeutige  3tnjeid)en  bat»on  gefeiten,  um 
e8  gu  bejweifeln.  ©ein  SÖenel^men  unter  biefen  Umftänben  öer- 
btent  Sewunberung,  fo  bcfd^eiben  unb  gurüdfl^altenb  f)at  er  jtd^ 
benommen,  nub  fein  ®ntfd)lu6,  nad)  Slmerifa  ju  geljen,  entfernte 
jebe  ®efa]^r;  abeU  um  einer  fold^en  SBerlorfung  gu  entgelien; 
beburfte  er  einer  toeit  über  feine  Saläre  reid^enben  aBiHenöfraft. 
SBäl^tettb  ber  legten  Sage  bertt)anbte  bie  Königin  bie  Slugen 
nid^t  üon  il^m,  uttb  biefe  ujaren  mit  Sti^ränen  gefüllt.  3rf)  be= 
fd^wdre  @ure  SWaieftöt,  ber  Königin  unb  beö  ©enatorö  iJerfen 
»egen,  mir  ba§  ftrengfte  ©el^eimnife  gu  beioal^ren.  Slfö  bie 
9lad^rid^t  feiner  beoorftel^enben  Slbreife  jtd^  verbreitete,  fagte  bie 
^ergogitt  t)on  t?ife*3ame§  gu  tl^m:  ,SBie,  fo  geben  @ie  Sl^re 
Eroberung  auf?'  3cnn  irf)  eine  folä)e  gemad^t  l^ätte',  erwiberte 
er,  ,»flrbe  id^  fie  nic^t  aufgeben;  id^  fd^eibe  alä  freier  SRann 
nnb  leiber  öon  Sliemanbem  beflagt.'  ©ure  SKaiept  werben 
gugeben,  bafe  eine  fold^e  Slntnjort  oon  feltener  Älugl^eit  unb 
©elbftbel^errfd^ung  eingeflößt  war"  ^). 

®tc  ©rfd^elnung  beö  jungen  9Jlanne§  entfprad)  ber  @d)ils 
berung  feinet  alten  %xeunbt^\  jte  l^atte  etwas  6ble§  unb  aSor=» 
hel^me«;  bie  fc^önen,  fanften,  aber  meland^olifd^en  3üge  paßten 
für  ben  gelben  eineö  SftomanS,  „aber  feinet  frangöjtfd^en",  wie 
ein  Srftgenoffe  meint,  „benn  oon  biefem  l^atte  er  weber  bie  Mi)n^ 
l^eit  nodö  bie  3uüerftd)t"  ^).  8ll§  ©umourieg  1792  in  »elgien  mit 
il^m  güfammentraf,  l^abe,  ergäl)lt  g^erfen  felbft,  ber  ©eneral,  ber 
il^n  nur  flüd^tig  grüßte,  ftd)  mit   bcm  Scmerfen   entfd)ulbigt, 


0  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  I,  361. 
^)  Duc  de  Levis,  Souvenirs. 
S3lennet^aHett,  $rau  bon  @taäl.  I.  13 


194  iBaron  ^4  3Ragnud  t)on  ©toel'^olftein. 

an  feinen  fd^önen  300^«  l^Stte  er  ll^n  wlebererlennen  foHen^), 
SBiele  Saläre  fpäter  pflegte  Berber  bm  ®rafen  Surfen  al8  einen 
ber  fd)önften  SWänner  anjuffil^ren,  bie  er  je  gefeiten;  nur  meinte 
er,   ba§  feine  ©d^önlieit  gu  wenig  belebt  getoefen  [ei  2).    Sn 
Slmerif a  fämpfte  Surfen  mit  8lu§ jeid^nung  nnb  würbe  gum  Dbcrften 
ernannt,  reifte  nad)  feiner  9iücf!el)r  mit  Äänig  ®uftat)  unb  traf 
erft   1784  wieber  in   ^ariö   ein,    wo  Äubwig  XVI.   il^m  bie 
£)berften=6l)arge  beö  [Regiments  SRo^al  ©uebmiS  t)erliel^.    ^n 
ber  bortigen  ©efeUfd^aft  Ijatte  jtd)  injwifd^en  ein  anberer  Schwebe, 
ber  Saron  grid^  2Ragnu3  üon  ©tael^^olftein  eingebürgert,  ber 
feit  1776  atö  ©efanbtfd^aftiSfefretdr  bem  ©rafen  6rcu^  beigegeben 
war.   3)er  junge  3Rann,  1749  geboren,  entflammte  einem  olten, 
f(f)webifä)en  ©efd^Ied^t  unb  war  für  baö  ^eer  beftimmt  gewefen, 
in  weld^em  er  bi§  jum  S^itpitnft  feinet  Uebertrittö  in  bie  biplo* 
matifd^e  Saufbal^n  biente.   Slurf)  ©tael  l^atte  baran  gebad^,  am 
amerifanifd^en  Ärieg,  aber  auf  englifd^er  ©eite,  ftd^  ju  betl^« 
ligen^);  er  war  ein  angenelimer  ©efeUfd^after,  Hug,  ftrebfam 
unb  auf  feinen  SSortl^eil  bebad^t,  aber  niä)t  glängenb  wie  ©tebingl 
ober  gewinnenb  wie  gcrfen.    ©afür  üerftanb  er  eS  üortretflid^, 
fid^  bei  ben  älteren   ^arifer  ©amen,  ben  fjreunbinnen  feinet 
SRonard^en,  in  ®unft  ju  fe^en.    Äönig  ®uftao  ppegte  feit  bem 
Slufentl^alt  in  g^ranlreidt)  mit  mel^reren  berfclben  ju  correfpon:» 
biren  unb  jtd)  oon  il^nen  über  bie  Sageöneuigfeiten  unb  poH' 
tifd)en  Swifd^enföHe  berid)ten  gu  laffen;   bie  angiel^enbfte  unter 
biefen  ©amen,  bie  fd)öne,  fd^wärmerifd^e  unb  geiftreid^e  @räftn 
b'@gmont,  eine  ber  erften,  ber  Sftouffeau  bie  ßonfefponiS  öorioS, 
fud)te  ©uftao  nod)  auf  il)rem  Sterbebett  fitr  politifd^e  Sbeale 
t)on    3^reil)eit   unb    3Kenfd^englüdE   gu  begeiftern.    SSon  biefer 
t)oetifdf)en  unb  originellen  ©rfc^einung  fel^r  t»erfd^ieben  war  bie 


^)  Klinkowström,  Le  Comte  de  Fersen  et  la  Cour  de  France,  II, 
60,  Fersen,  Journal,  Avril  1792. 

^  aSöttigcr,  fiiterartfd^c  Suftönbc  unb  3eitgcnoffcn. 

•')  Leouzon  Le  Duc,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  d© 
Stael-Uolstein,  Introduction,  V. 


S)ie  grreunbinnen  O^uftao'iS  III.  195 

alte  ®räfitt  be  la  9RardC,  bereit  e^lftenj  bis  in  bie  legten  Seiten 
Subttrfß'«  XIV.  jurüctreid^te,  mb  bie  öon  ^liffot  als  bie  peban- 
tifd^e  e^balife  unb  SBerfafferin  eines  QuartbanbeS  über 

» de  Tesprit,  du  bon  sens, 

Des  passionSy  des  lois  et  des  gouvernements, 
De  la  vertu,  des  moeurs,  du  climat,  des  usages, 
Des  peuples  polic^s  et  des  peuples  sauvages, 
Du  d^ordre  apparent,  de  Tordre  universel 
Du  bonheur  ideal  et  du  bonheur  r^eU 
perfipirt  würbe.    6inPu§reid)er  unb  praftifdier  als  9Kabame 
be  la  SWard,  aber  gletd^falls  ffir  ein  politifd)eS  3beal  entflammt, 
baS  Pe  in  ber  britifd^en  ßonftitution  gefnnben  ju  l^aben  glaubte, 
war  SRabame  be  ^Bouffiers,  bie  ffreunbin  öon  ^ume,  3ean= 
SacqueS  unb  ©uftat)  III.,  ben  pe  gaftlid^   bei   pd^  in  Slutenil 
enH)Pn8;  faP  bie  einjige  unter  ben  Stauen  il^rer  9lationalität 
unb  Süt,  bie  baS  SluSlanb  auS  eigener  Slnfd^auung  unb  gut 
lernten  gelernt  l^atte.     Sangjäl^rige  Sejiel^ungen  jum  5ßrinjen 
öott  ßonti,  ber  im  SEentpel  repbirte,  trugen  il^r  ben  Seinamen 
»Idole  du  temple«    ein;  Pe  galt  für  ebenfo  wol^lwoHenb  als 
getpig  überlegen  unb  nal^m  eS  nid)t  übel,  wenn  SBoltaire'S  ge-- 
funbe  Vernunft,  über  „alle  biefe  ©amen,  welä)e  bie  franjöpfä)e 
ßottPitutiott  fud^ten",  in  ben  ©pottüerfen  l^erpel: 

»Mais,  Monsieur,  des  Gapets  les  lois  fondamentales, 
Et  le  grenier  ä  sei,  et  les  lois  föodales, 
Et  le  gouvernement  du  Chaneelier  Duprat«  ^). 
6S  gelang  bem  jungen  ©tael,  bie  @räpn  SoufPerS  fo  fel^r  für 
pd^  eiujunel^men,  ba^  6reu^  bem  Äönig  fd^rieb,  pe  liebe  il^n 
wie  einen  ©ol^n;  er  fügte  fä)erjenb  l^inju  „alle  pb[d^en  gtauen, 
wie  SKabame  be  la  SRardf  unb  bie  SRarfd^aUin  üon  Sujrembourg 
(beibe  über  fed^jig  Satire*  alt),  ptten  il)m,  6reu^,  ben  Untergang 
gefc^woren,  wenn  er  pdt)  ©taers  nid^t  annel^me".    SBeld^er  Slrt 
bie  ^roteltion  war,  bereu  le^terer  beburpe,  bejeid)nete  bie  weitere 


>)  SJoItairc'S  Satire,  Les  Cabales,  1772. 

13 


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inctiuu. 

Bouffier«  unb  il^rcS  Sd^fi^ingö  fd^cittcri  enblid)  geneigte^  ©cl^ör 
gcfuttbcn  gu  l^aben.  ®uftat)  III.  gab  feiner  ^teimbin  bie  SSer= 
^^cruiifl,  im  gatt  eineiS  SBedjfelö  feiner  bipIomatifci)en  SSertretung 
in  ^ariS  »erbe  er  einen  beboIlmäd)tigten  üWinifter  bort  ernennen. 
vmb  biefen  Soften  feinem  anbern  alö  bem  ®aron  @taäl .  »er* 
leiten,,  bcr  im  Snii  1782  l)od)erfreut  für  biefen  SettjeiS  fönig^ 
lid^cr  ®nabe  banfte.  ^m  folgenben  ^alfx  trat  bie  üorliergefel^ene 
SScränbcrung  ein,  inbem  Sreu^,  gum  Äartjler  unb  SRinifter  beö 
Stcufecm  ernannt,  nad^  ©d^weben  jurüdf el)rte ;  äugletd)  aber 
erfüllt  ©taä  eine  neue,  bittere  .6ntt8uf(t)ung,  ba  ber  Äönig, 
feines  aScrfpreti^enö  uneingebenf,  entfd^Ioffen  fd^i^n,  feinen  per= 
fdnlid(en  ^Jreunb  unb  Vertrauten,  ben  Saron  Saube,  für.  ^ari5 
gu  ernennen..  „ÜReine  Sage  ift  fd)recHid)",  fä)rieb  ber  Der* 
jweifetti  ©tael^  „nic^t^  fann  midt)  Dom  33erberben  retten,  »enn 
t&  6uer  SiJiaieftät  nid)t  gefällt,  bm  iBefdt)lufe  gu  änbern,  ber 
mein  UnglfidC  beftegelt.  Sollte  er  nid^t  jurüdfgenommen  werben, 
f 0  bleibt  mir  nidt)t§  übrig,  als  midt)  in  bcn  Derborgenften  Söinfel 
ber  @rbc  jurücf jujiel^en,  Don  »o  femer  meine  Sitten  unb  klagen 
nid^t  ge^rt  merben  foHen,  unb  n)o  id^  baS  @dE)idEfal  werbe 
ju  3iebe  fteHen  fönnen,  marum  eö  mid)  als  ben  einjigen  Unter* 
tl^an  6urer  SKajeftät  geboren  merben  liefe,  ben  e§  gum  Unglüd 
bejümmte.** 

®ie  ®inge  ftanben  nidE)t  gang  fo  fd^limm,  wie  biefer  Srief 
flc  barfteHt,  benn  gu  ©unften  6taers  war  nodt)  eine  33ermitt= 
bing  tl^ätig,  bie  enblid^  boct)  ben  SluSfd^lag  gab,  bie  ber  Äönigin 
nämlid^.  Site  ©aupl^ine  l)atte  jie  eS  bem  ©d^webenfönig  1771 
fibel  Dermerft,  bafe  er,  um  feine  3lbftdt)ten  gu  erreid^en,  e§  nidt)t 
öcrfd)md]^t  l^atte,  bei  Sßabame  bu  SSarr^  gu  erfd)einen  unb 
ii^rem  @d)oPünbd)en  ein  foftbareS  ,^alsbanb  gu  überreidt)en; 
feitbem  aber  waren  bie  Segiel^ungen  gwifd)en  il^r  unb  ©uftaD  III. 
fd^r  freunbfd^aftlid)  geworben,  unb  SKarie  Slntoinette  fal)  bk 
fd(webifd)en  6belleute  alle  gern  an  iijxcvx  $of.  @ie  war  e§, 
bie  ben  Sunfd^  gu  er!ennen  gab,  eine  SSerbinbung  gwifdtien 
®raf.  ©tebingf  unb  ^äulein  3lleder  in§  2Berf  gu  fe^en;  babei 


198       ^ie  ^etratl^SOetl^anblungen  5tuif(i^en  nieder  unb  fBaton  ®tae(/ 

blieb  e§  icbod^,  U)cil  ©tcbingf,  feine  ijret^eit  üorjiel^enb,  nid^t 
auf  benfelben  eingingt).  3lber  and)  ber  Saron  ©tael  ftanb  tit 
i^rer  ®unft,  unb  bereits  1781,  in  einem  »ittet  an  Äönig  ®uftat>, 
fprad^  jte  bie  Hoffnung  au§,  il^n  bleibenb  in  ^aris  ju  bcl^atten. 
3e^t,  im  aJiärj  1783,  würbe  pe  auf  bie  @ad)e  jurfidfjufommen 
üermoct)t2),  unb  6reu^  fd)rieb  an  feinen  ©ouüerän,  lebiglici^  in 
beffen  eigenem  Sntereffe  wage  er,  il^n  gu  erinnern,  bafe  eine 
ernfte  SWifeftimmung  beS  franjöftfc^en  §ofS  ju  beffird^ten  fei, 
wenn  bie  ber  Äönigin  bereits  einmal  in  SluSjtd^t  gejteUtc  @r« 
nennung  üon  ©tael  nun  bod)  ni(t)t  erfolge.  ®uftaü  war  inbcffen 
nad^  Stalten  gereift  unb  fonnte,  weil  bie  eigenen  ©nffinfte  feiner 
Sßradjtliebe  nidt)t  genügten,  frangöpfd^e  @ubpbien  weniger  atö  ie 
guüor  entbel^ren.  So  wenig  bie  Ernennung  ©taeVS  feinen 
eigenen  2lbpdE)ten  entfpredt)en  mod^te,  geftanb  er  pe  je^t  bod^ 
ber  Äönigin  gu,  unb  beüor  baS  3^1^^  1783  ju  6nbe  ging,  war 
©tael  ®efd()äftöträger,  bann  bet)ollmäd)tigter  3RiniPer  unb  enb^» 
lid)  nad)  bem  bamalS  üblid^en  S3raud)  ®efanbter  auf  fed^i^ 
gal^re  unb  ftanb  fo  l^od^  in  ber  ©nabe  Don  SBerfaiHeS,  ba^ 
6reu^  äußerte,  er  felbft  l^abe  wäl^renb  feiner  langen  SlmtSfül^rung 
gleid^e  ®unftbejeugungen  weber  Don  Subwig  XVI.  nod^  öon  ber 
Königin  erfal^ren^).  SluS  Sloreuj  fd^rieb  ©uftao  feinem  neuen 
®efanbten:  „SBenn  ©ie  ijräwkin  Sledfer  lieiratl^en,  werben  Sie 
ber  reid()fte  6belmann  3l)re§  SanbeS  fein  unb  wie  Säfar  fpred^n 
lönnen:  ,befler  ber  erfte  bort,  als  in  3lom  ber  jweite!*'*  Unb 
etwas  fpäter:  „@udt)en  ©ie  bie  SBerl^anblungen  inm  glüdflid^en 
Slbfd()lufe  JU  bringen,  bann  werbe  id^  felbft  jur  Unterjeic^nung 
3^reS  ei^efontrafteS  nad)  $ariS  fommen"  *).  2Rit  anbem  SBorten, 
ber  Äönig  l^atte  baS  ©einige  getl)an  unb  erwartete  nm  fo  un« 


^)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  I,  355. 

2)  Geffroy,  I,  373,  376,  573.  L^ouzon  Le  Duc,  Gorrespon- 
dance  du  Baron  de  Stael,  Introduction,  VIII. 

^)  Leouzon  Le  Duc,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  de 
Stael-Holstein,  Introduction. 

*)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  I,  379  u.  II,  412.     • 


SBcrbuTiö  bc8  gürften  ©eorg  5luöuft  öon  WtäUnbntq,  199 

gcbulbigcr,  bafe  nun  aud^  We  ©egcnbcbtngungcn  erfällt  würben ; 
©taöl  aber  tJoax  m6)t  am  6nbe  feiner  Sßrüfungen  angelangt, 
afe  fein  Souöerän  im  2Rai  1784  U)irflid^  in  5ßari§  eintraf,  lag 
lein  ©i^efontralt  gnr  Unter jeidjnnng  bereit;  bie  gamilie  Siedfer 
war  in  bcr  ©d^weij  unb  fdt)ien,  ber  langen  SSerjögerungen 
ntübc,  auf  ba&  @rreid)te  nidjt  mel^r  benfelben  SBertl^  ju  legen. 
®er  Jlufentl^alt  be^  Äönigö  aber  foftete  feinem  ©efanbten  bie 
nmbe  Summe  üon  200,000  Siüre§.  3"  biefem  peinlid)en 
augenblidC  trat  ©räfin  SoufflerS  nod^  einmal  Dermittelnb  ein, 
um  bie  Situation  für  il^ren  Steunb  @ta6l  ju  retten;  jte 
wanbte  fld^  wieberl^olt  nad)  ßoppet  unb  rul^te  nid^t,  bis  jte 
öon  bort  bie  enbgültigen  Sebingungen  erl^ielt,  unter  tt)eld)en 
bie  Samilie  Sftedfer  auf  baö  ^eiratl^öproieft  mit  ©tael  jurüdf= 
lommen  ju  wollen  erfldrte.  ®iefe  Sebingungen,  Dom  21.  SWai 
1784  batirt,  waren: 

1.  3"ftci^€tung  ber  fd^webifd^en  @efanbtfd)aft  in  ^ariö  für 
Staöl  auf  gebenSjeit. 

2.  @ine  5ßenpon  üon  20,000  SibreS,  faKö  unüorl^ergefel^ene 
(Sreigniffc  i^n  biefer  Stellung  berauben  foHten. 

3.  ®er  ©rafentitel,  befonberS  be§l)alb,  bamit  bie  fünftige 
Saronin  t)on  Stasi  nid^t  mit  einer  berüä)tigten  S)ame  beSfelben 
fRameniS  Dcrwed^fclt  werbe. 

4.  3)a§  feierlid)e  33erfpredt)en  öon  Seiten  StaePS,  feine 
©emal^lin  nur  auf  fürgere  Qdt,  unb  nie  ol)ne  il)re  ©inwiHigung, 
nacf|  Sd)^weben  ju  fül^ren. 

5.  ©ie  5ßerleil)ung  be§  5ßorbftern§  an  ben  ©efanbten. 

6.  6ine  beftimmte  9iJieinung§äufeerung  ber  Äönigin  üWarie 
Untoinette  ju  ®unften  biefer  ^eiratl). 

SBäl^renb  bie  Sebingungen ,  bereu  Erfüllung  Don  Äönig 
©uftat)  abl^ing,  an  il)re  Slbreffe  gelangt,  il)rer  ©rlebigung  liarrten, 
bcfc^wor  ba^  wibrige  Sdjidffal  neue  ©efal^ren  für  Stael.  6§ 
melbete  fidt)  im  Sauf  be^  3al)re§  1785  fein  geringerer  i?reier 
als  ein  beutfd)er  Surft,  ®eorg  Sluguft  i?on  SRedflenburg,  ©ruber 
beS  regierenben  ^ergogö,  ein  SKann  üon  Diergig  Salären,  beffen 


200  ®iföf  gerfcn  unb  Äönlg  öuftab. 

3Berbung  übrigenö  einen  nidjt  weniger  gefci^äftlic^ctt  ß^arafter 
alö  9lecler'§  SSebingungen  für  ba^  ^rojeft  ©lael  trugen,  ©r 
erllärte  ,,atö  9iad)geborner  unb  feit  jwanjig  ^\}Xtn  einfaci^er 
SRajor  in  faiferlid^en  ©ienften,  eine  beträd^tlid^c  Sci^ulbcttmaffe 
angel)äuft  gu  l^aben''.  3«  feinen  ©unften  lonnte  er  anfül^ren, 
bafe  ber  S3unb  mit  i^m  Fräulein  5JledCer  mit  bem  Äßntg  öon 
(gnglanb  üerfd^wägern  würbe.  9ledEer  antwortete,  wegen  SBcr* 
l^eiratl^ung  feiner  Soditer  bereite  SSerl^anblungen  eingdeitet  ju 
l^aben,  beren  ©rgebnife  abjuwarten  il^m  So^dität  unb  3^^'* 
gefül^I  ium  ®ebot  mad)ten,  unb  öom  beutfd^en  ffürften  war 
nid)t  weiter  bie  SRebe^).  ^nbeffen,  ba  feine  ^eiratl^  mit  ©tael 
gu  ©tanbe  gu  lommen  fd)ien,  badete  gerfen  bod^  öorübergel^enb 
baran,  ate  ^Bewerber  um  gräulein  Siedfer'ö  $anb  aufjutreten; 
er  lebte  feit  beö  Äönig§  fRMhljr  näd)  @d)Weben  wicbcr  in 
Sßari^,  al§  Dberft  feinet  frangöjifdien  ^Regiments  unb  nad^  wie 
Dor  Siebling  ber  ®efellfd)aft  unb  be^  $ofe§.  ®ufiaö  HL  war 
in  3RaImö,  aU  ba§  ®erüd)t  oon  biefem  neuen  ^roielt  blö  ju 
i^m  brang.  SEBie  gern  er  aud)  je^t  nod)  bie  Erfüllung  beäfelben 
gefetjen  ptte,  fagt  ein  SSrief  Don  il^m  an  Werfen,  bom  Sunt 
1785:  ,,SBenn  id)  ben  3eitungen  glauben  foH'',  fd^ricb  er,  „fo 
ftel)en  Sie  auf  bem  ^unft,  eine  grofee  ^eiratl^  gu  mad^en,  bie 
bem  armen  Stael  nid^t  gelingen  gu  woUen  fd^eint.  ©aö  fottte 
mid^  nid^t  wunbem.  (S§  befleißen  l)uubert  ©rfinbe  für  i^erm 
5RedEer,  3l)nen,  lieber  alö  irgenb  Semanben  fonfi,  fdne  £od^ter 
gu  geben,  unb  unter  biefen  ift  ba^  grofee,  ^l^nen  in  Sudfid^t 
ftel^enbe  33ermögen  wol)l  nid)t  ber  le^te  in  btn  Slugen  etneS 
Sanll)errn;  bod^  mufe  ic^  bie  ^aä)e  nodt)  begweifeln,  weil  S^re 
geringe  Steigung  für  ben  6f)eftanb  mib  S^re  aSorliebe  für  (gngi 
länberinnen  mir  befannt  jtnb"  ^).  SBir  fennen  bm  ®runb  biefcr 
Slnfpielung.  S8or  feiner  Slbreife  nad)  Slmerif a  war  eine  ^etratl^ 
gwifd)en   i?erfen    unb   einem   fel^r   reid^en   aWdbd^en,  f^öuleitt 


')  D'naussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  75—76. 
^  Leouzon  Le  Duc,  CorrespoDdance  du  Baron  de  Stael.    Intro- 
duction,  XIV. 


®raf  gerfcn  unb  ^lönlg  ©uftaö.  201 

bon  SBciibl,  bcfprod)en  njorbcn,  beffen  SSater  in  6nglanb  fld^ 
l^attc  natural! jtren  laffen^).  Slber  ber  Äönig  bel^felt  3le(f)t; 
tJcrfen  freite  nie.  „Sie  werben  bereits  gefe^en  l)aben'',  fd)rieb 
er  feinem  SSater,  „warum  ber  ®ebanle,  ben  id^  in  Sejug  auf 
ffräulein  Sftedfer  liegte,  nie  l)ätte  jur  StuSfül^rung  fommen  fönnen, 
aud)  für  btn  %aVi  ni(t)t,  ba^  Sie  bemfelben  3^re  Sitftintmung 
gegeben  l^ätten,  unb  gwar  wegen  meinet  3=reunbeö  ©tael,  bem  er 
üoKftdnbig  unb  mel  beffer  als  mir  entfprid)t.  5ßur  3f)nen, 
lieber  SSater,  gu  ®efaKen,  l)atte  id)  baran  gebad)t  unb  bin  nid)t 
im  geringften  ärgerlid^,  bafe  e§  nid^t  gelang"  2).  ©em  Äönig 
felbft  blieb  je^t  nid)t§  mel^r  übrig  aU  nad)jugeben. 

3m  SSerfailler  ffrieben  l^atte  aud)  er  feine  Sebingung  ge* 
jtem  unb  als  ©egengabe  für  ©tael'S  ®efanbtfd)aftSpoften  bie 
Idngft  üon  ©d^weben  gewünf d)te  Slntiüeninfel  Stabago  t^erlangt; 
er  erl^ielt  ftatt  beffen,  burd)  bie  33erfailler  ©onbention  Dom 
1.  3uli  1784,  bie  bis  bal^in  frangöpfd)  gewefene  Snf^l  Saint* 
Sartl^älem^  unb  gemährte  nun  enblid^  feinem  ©efaubten,  was 
3ledEer  für  biefen  begel^rte,  mit  SluSnal^me  jebod)  beS  ©rafcntitelS 
unb  ber  ©arantie  feines  ^oftenS  auf  SebenSgeit.  £e|erer  foKte  il)m, 
öerfprad^  ber  Äönig,  nad^  Slblauf  üon  fed^S  S^i^^en  nod)  auf  weitere 
fed^S  Saläre  geftd^ert  fein.  SBer  fonnte  bamals  al^nen,  bafe  biefe 
fjrift  üiel  länger  als  bie  frangßjifd^e  2Ronard)ie  felbft  währen 
würbe ^).  hocherfreut  fd^rieb  Je^t  2Wabame  be  SoufflerS  i^rem 
Iöniglidt)en  fjreunb,  fie  befenne,  bafe  bie  (2ad)e  fte  nid^t  nur 
lange  befd^äftigt,  fonbern  aud^  oft  ermübet  l^abe.  „®ie  erften 
SBorfd^läge",  fagt  fie,  „l)aht  id)  oor  fünf  S^^ren  gemad)t  unb 
feit  brei  3al)ren  nid)t  aufgehört,  fte  fd^riftlid^  unb  münblid)  gu 
wieberl^olen ;  fo   ^offe  id^    benn,   ba^  bie   reid^e  ^tixati)  ftd^ 

^)Klinkowström,  Le  Comte  de  Fersen  et  la  Cour  de  France, 
Introduction. 

^)  Klinkowström,  Le  Comte  de  Fersen  et  la  Cour  de  France. 
Introduction,  XXXIX. 

^)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  I,  377  u.  II,  41. 
Leouzon  Le  Duc,  Correspondancc  diplomatique  du  Baron  de  Stael- 
D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  70 — 75. 

13** 


202  ®^^f  Sfetfen  unb  jlönig  ®u{tab. 

mcl)t  o^nc  aSortl^eil  für  ^ctjto^b^n  erwcifen  werbe"  ^).  am 
16.  Dctober  1785  fd^rieb  gerfen  abermals  an  feinen  SBater, 
enblid)  fei  bic  ©ad^e  entfd^ieben  unb  er  felbft  entjürft  über  ba^ 
„glänjenbe  ©efd^äft",  ba^  6tael  babei  mad^e.  3"  biefem  ©rief 
enüäl^nt  er ,  bafe  Fräulein  Werfer  le^terem  öor  ^itt  ben  3Sor jug 
gegeben  l^abe,  unb  fd^Iiefet:  „3^  l^abe  jte  öor  einigen  Sagen  gcs: 
fe{)en,  jte  ift  nidjt  fd)ön,  im  ©egentl^eil;  aber  ftc  l^at  Diel 
aSerftanb,  ^eiterfeit  unb  Siebenäwürbigleit,  ift  fel^r  voofjl  ergogen 
unb  t)oK  Salent.  am  10.  ober  15.  näd^ften  a»onat8  fott 
bie  ^od^jeit  fein",  ©omeit  gerfen.  ©ie  5ßolitif  tl^at  fpäter, 
was  bie  Siebe  ni(l)t  gu  tl^un  öermoc^t  ^atte,  unb  entjweite  ben 
ritterlid)en  aSerel)rer  ber  Königin  öon  granfreid^  mit  feinem 
Sugenbfreunb  unb  beffen  ©attin. 

Sie  $eiratl^  erlitt  burd)  eine  Äranfl^eit,  bie  iJräulein  Sfledter 
toäljxtnb  be§  ^erbfteö  befiel,  eine  neue  SSergögerung,  unb  bie  le^te 
®d)mierigfeit  biefer  wie  eine  ©taat^^aftion  bel^anbelten  angc* 
legenl^eit  bilbete  bie  t)om  immer  pünftlid)en  SRedCer  öerlangte 
$erbeifd)affung  öon  ©taerö  Sauffdjein:  „gd^  wufete,  mein 
Sieber",  fcftrieb  ©uftat),  aU  er  baüon  l^örte,  „ba^  man  liebenS* 
ttjürbig,  üon  angenel^mem  Slcufecrn  unb  ©efanbter  fein  muffe, 
um  g^öiikin  Ütedfer'ö  ®attc  gu  merben;  baö  aber  mufete  id^ 
nid)t,  bafe  e§  nod)  baju  notl^ti)enbig  fei,  ein  guter  ®^rijt,  unb 
gwar  mit  Srief  unb  Siegel  gu  fein.  Ratten  Sie  ein  SBort  ba- 
Don  gefagt,  fo  mxxbt  id)  3^"^ii  «in  S^wßnife  barüber  auSgeftcItt 
l^aben,  baö  nid)t  minber  gültig  alg  j[ene^  il^reö  ^farreriS  gemefen 
märe,  ba  id)  $apft  in  meiner  Äird)e  bin.  ®afür  mußten 
@ie  nid^t,  ba^  e^S  nie  gu  einer  ^eirat^  gmifd^en  grdulein  Slecfer 
unb  3()neu  gefommen  märe,  menn  @ie  beibe  gelin  ober  gmonjig 
3al)re  frül^er  ba^  Sid)t  ber  Sßelt  erblidft  {)ätten,  benn  bamate 
gab  e^  in  gang  @d)meben  feinen  Sauffc^ein;  bie  Sitte  ift  erft 
Dor  furgem  eingefül)rt  morben"  -). 


)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  I,  378. 
')  ebcnbofclbft,  I,  381  unb  ^Ippenbir  II,  412. 


8ilb  bon  gft&uUin  9ltdtt  naci^  ©uibert  unb  @ainte<^eut)e.         203 

6ine  SScrbinbung,  bic  fo  üoKftänbig  bcn  l^crrfdienben  Sin« 
fd^auungctt  unb  ScbenSgcwo^nl^citcn  entfprad^,  l^attc,  fo  folltc 
man  glauben,  baS  ^ßariö  jener  Sage  berfelben  geneigt  ftimmen 
f ollen;  ba^  war  aber  nad^  einer  Sleufeerung  ber  burd)  ioi^h 
reid^c  Sonefponbcngen  unterrid)teten  Äaiferin  Äatl)arina  nid^t 
ber  %aSi,  t)klmtijx  „alle  SBelt  ber  5JJieinung,  bafe  gräulein 
nieder  fel^r  fd^led)!  öerl^eiratl^et  worben  fei"  ^). 

SKarmontel  nennt  jtd)  als  ben  erften,  bem  ber  ©ebanfe  an 
ba^  ©taerfd^e  ^eiratpprojeft  aufgeleud^tet  fei,  unb  SRecfer  be= 
ftimmte  feiner  Sod^ter  bie  für  jene  Seiten  aufeergcwöl^nlid^  l^od^ 
gegriffene  ©umme  öon  650,000  Siöreö  gur  aWitgift^). 

@raf  ©uibert,  ber  greunb  beS  «^aufeS,  unter  ber  altern 
Generation  ein  befonberS  warmer  58erel)rer  oon  ijräulein 
9ledEer,  entwirft  Don  il^r,  nadf)  bem  ©efcftmad  ber  ßeit  unter 
bem  m^tl^ifc^en  Flamen  „Qvilme"  ein  Silb,  beffen  glänjenbe 
fjarben  er  einem  griect)ifd)en  ®id)ter  entlehnt  gu  l^aben  Dorgab 
unb  in  weld^em  er  unter  anberen  Singen  öon  il^r  fagt:  „ßitlme 
ift  erft  jwangig  3al)re  alt,  aber  fd)on  eine  ber  gefeiertften 
^riefterinnen  SlpoH'S,  bereu  2Bei{)raud)  i{)m  angenel^m  ift  unb 

bereu  Stimme  er  am  liebften  üernimmt Söre  grofeen, 

fd^warjen  Singen  leud)ten  mit  ber  glamme  beö  ©enieS,  i^re 
«benl^oljfarbigen  fioden  fallen  in  reid)er  iJüHe  über  xijxc  @d)ul= 
Um;  U)xt  3üge  finb  mef)r  ausgeprägt  als  gart;  eS  lebt  ein 
©twaS  in  il^nen,  baS  über  bie  gett)ö^nlid)en  @d)icffale  if)reS 
©efdjled^teS  l)inauSftrebt  .  .  .  ."  @ainte=S3eut)e  berichtet  öon 
einem  gwgenbbilb  öon  xi)x,  baS  bie  Sefc^reibung  red)tfertige 
unb  jie  in  DoKer  Slütl^e,  mit  waUenbem  .!^aar,  öertrauenb  IjeUem 
aSlidC,  l^o^er  @tirn,  l)albgeöffneten ,  wie  jum  @pred)en  bereiten 
Sippen  barfteHe.  ®er  ©efammteinbrud  ber  3^9^  ^^be  öon 
SSerftanb  unb  ®üte,  bie  gerötl^eten  SBangen  üerrietlien  rafd)eS, 
lebenbigeS  ®efü^l;  $als  unb  Slrme  feien  entblößt,  baS  ©ewanb 


0  Grimm  et  Catharine  II,    Correspondance.     Recueil    de   la  So- 
«iet6  imperiale  de  Russie,  XXIII,  370. 

*)  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  74. 


204     Srauung  be«  »aron  (Stael  mit  ^r&urcin  9ltdtt,  14.  Sotiuar  1786. 

leidet  ßcrafft,  nur  mit  einem  S3anbe  in  lofen  glatten  gel^altcn. 
SBir  fennen  ba§  Silb,  nad^  Ä)eld)em  feine  ijeber  jeidjnet;  c3  ift 
ba§  Don  9iel)berg,  @nbe  ber  aditjiger  Scti^re  gemalte.  ;,@o**> 
fct)liefet  ber  grofee  franiöpfd)e  Äritifer,  „mod)te  man  pd^  bie 
©opl)ie  be^  ,6mile'  benfen,  fo  erfd^ien  bie  Sraut,  bie  Saron 
©tael  ium  Slltar  führte" '). 

2ln  einem  ©amftag,  14.  Januar  1786,  einige  Sage  naify 
Unterjeid^nung  beS  @I)efontrafte§  burd)  ben  Äönig  unb  bie 
Äönigin  üon  S^cinfreid),  fanb  in  ber,  bem  lut]^erifd)=rcformirtctt 
Sefenntnife  gemeil^ten  ÄapeUe  ber  fd)tt)ebifd^en  ©efanbtfd^aft  bie 
Srauung  be§  jungen  ^aareS  mit  allem  feinem  3flang  unb  feiner 
gefeUfc^aftlidjen  Stellung  entfpred)enben  ©epränge  ftatt. 


^)  Sainte-ßeuve,  Portraits  de  Femmes,  Madame  de  Stael. 


j: 


^ 
+ 


^ 


j^.   Sk  Ji"-^  ^u 


Urtl^cilc  über  bie  junge  grou  öon  ®tael.  207 

SBeltfenntnife  unb  bic  rcd)teu  Umgangsformen;  jtc  ift  fo  fel^r 
öon  il^rcr  eigenen  Ueberlegenl^ett  burd^brungen,  bafe  e§  fd^mer 
fein  U)irb,  fte  auf  ba^,  njaö  ttjx  mangelt,  aufmerffam  ju  mad^en. 
@ie  ift  eigentt)inig  unb  ]^errfd)füd)tig;  fie  beji^t  eine  @id)ers= 
l^eit  be§  Sluftreten^,  wie  jte  mir  nod)  in  feiner  gefeDfc^aftlid)en 
©tellung  unb  niemals  bei  einer  %xan  it)re§  SllterS  üorgefommen 
ift.  Sie  urtl)eilt  unbebenllid^  über  2lHe§,  unb  obtool^l  fie  fel^r 
üiel  aSerftanb  l)at,  begegnet  e^  it)r  bod)  üierunbgioanjigmal,  Der* 
feierte  Singe  ju  fagen,  bi§  fie  einmal  ba§  Siedete  trifft.  3)er 
©efanbte  magt  eö  nid)t,  fie  barauf  aufmerffam  ju  mad^en,  um 
nid^t  gleid^  anfangs  il^r  SSertrauen  ^n  üerfd^erjen;  id^  bagegen 
ratt)e  il)m,  geftigfeit  gu  geigen,  weil  bie  erften  Slnfänge  in  biefen 
Singen  fel^r  oft  über  ba§  gange  fünftige  ßwfammenleben  ent« 
fdt)eiben.  ®ie  g^reunbe  i^reö  SBaterS  erl^eben  fie  übrigen^  in 
bie  SBolfen;  feine  g^einbe  überhäufen  fie  mit  ©pott;  bie  5Reu=^ 
tralen  laffen  gwar  ibrem  SSerftanb  DoKe  ®eredt)tigfeit  wiber^* 
fal^ren,  werfen  xijx  aber  tior,  Diel  gu  öiel  gu  fpred^en  unb  mel^r 
©eift  alö  SSemunft  unb  Saft  gu  beftfeen.  SBäre  fte  burd^  ba§ 
Diele  2öei]^raud)fpenben  nid^t  fo  Dergogen,  id)  würbe  e§  Derfud)en, 
il^r  einige  9fiat]^fd)läge  gu  geben  .  .  .  ."  ^). 

5Dkn  bebenfe:  ba§  war  gang  im  Slnfang  ba^  Uvtl^eil  fo= 
genannter  ijreunbe;  toa^  foKten  erft  bie  ©egner,  wie  SRiDarol 
ober  gi^ciu  Don  ®enU§,  einguwenben  l)aben.  ®a§  SBol^lwoKen 
ber  9Kenfd)en  ift  ijrau  Don  ©tael  nie  freiwillig  entgegen^ 
gefommen;  fie  i)at  e§  if)nen  abringen  unb  ftetö  unb  überatt 
guerft  SSorurtlieile  unb  nid)t  feiten  Slbneigung  berfelben  über* 
winben  muffen. 

5Jlad^  bamaliger  Sitte  blieb  ba§  neuüermä^lte  Sßaar  noc^ 
einige  SBod)en  unter  bem  elterlid^en  JDad^,  beDor  e§  bie  in  ber 
3fiue  bu  Sac  gelegene  fd^webifd^e  ©efanbtfd^aft  begog.  Sie 
gamilie  bewohnte,  feit  5Recfef^  3lüc!tritt,  öon  1781  bi§  1788, 
ein  t^otel  in  ber  9fiue  SSergere,  ba  er  baö  ^ötel  Seblanc  nad^ 


*)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France.  II,  384. 

14* 


203  3^1  Sbi^iebAbriff  an  SOtobame  9Mac 

feiner  Ernennung  etoad  t)orf(l^neII  auf  längere  3^  t>ertmetl^et 
^atte.  S)er  Srief,  in  bem  bte  junge  grau  üom  äSotcri^aud  Sb< 
fcf)ieb  nimmt,  ift  erhalten  unb  an  ^Robome  9tecfer  geri(i^tet: 
^ÜJicfen  abenb",  fcf)rcibt  jte  i^r,  „werbe  iäi  nid^t  »ieber  lommen; 
I)eute  ift  ber  (e^te  Sag,  ben  id^  fo  mie  btd^er  olle  Sage  metned 
gebend  jubringc.  SSie  fc^wcr  fällt  mir  biefe  93erSnbenmg.  3ia^ 
ed  eine  anbere  Slrt  )u  leben  gibt,  vermag  id^,  bte  nur  biefe 
eine  gefannt  ^at,  gar  nidbt  ju  faffen,  unb  bie  unbdannte  Qu- 
fünft  crfc^wcrt  mir  ben  abfd^ieb.  Sld^,  id^  weife  t8,  t^teOeic^t, 
SRama,  l^abe  ic^  gegen  Sie  gefel^lt.  Sn  biefem  SbtgenblidF 
äberfel^e  ic^  alle  meine  ^anblnngen,  wie  in  ber  ©tunbe  meines 
Jobe^,  unb  \d)  fürd^te,  @ie  werben  bie  Sremtung  öon  mir 
nic^t  fo  bellagen,  wie  meine  @eele  e§  »erlangt;  aber  erweifen 
Sie  mir  bie  ®unft  gu  glauben,  bafe,  wenn  bie  ®efpenfier  ber 
ßinbilbungöfraft  meine  S3lidfe  oft  gebannt  l^aben,  biefelben 
fic^  nic^t  minber  oft  jwifd)en  @ie  unb  mid^  brängten  unb 
mict)  Sinnen  unfenntlid^  mad)ten.  35ie  Siefe  meiner  2iebe  gu 
Sinnen  fagt  mir  Jcbodö  in  biefem  SlugenblidC,  bafe  fie  gu  be* 
ftel^en  nie  aufgel^ört  l^at;  fie  ift  ein  Sß^eil  meine«  geben«, 
unb  je^t,  ba  id)  oon  ^ijmn  fd^eibe,  ful^le  id^  mid^  im  tieften 
3nnem  erfd^üttcrt.  ®cr  6ngel,  ber  unfer  ^an&  h\gf)tT  öor 
Hebel  hmaijxk,  wirb  mir  nid^t  mel^r  jur  Seite  flel&en.  Sluc^ 
5ßad)ridE)ten  über  ^ijxt  ©efunbl^eit  werbe  idt)  fortan  nid^t  mel^r 
bcftänbig  einl^olen  lönnen,  unb  in  biefer  unb  anberer  Segiel^ung 
ftcl^en  mir  fortwä^renb  ©ntbel^rungen  bcDor.  3d^  Witt  ^l^nen, 
ÜRama,  nid)t  fagen,  weld^e  Äraft  meine  Siebe  für  @ie  mir  Der» 
lcil)t.  Sie  ftnb  fo  rein  unb  fd)ulblo«,  bafe  alle  ©efül^le,  bie 
jtd)  3l)"cn  guwenbcn,  juerft  an  ben  ^immel  gerid^tet  werben 
fönten;  id)  bitte  ®ott,  mid)  St)rer  würbig  ju  mad^en.  ®a« 
©lücf  mag  folgen;  e«  wirb  guweilen,  e«  wirb  öietteid&t  aud^ 
nieinalö  crrcid)bar  fein.  SRit  biefem  Seben  gel^t  aud^  ba«  gu 
(Snbe,  unb  Sie  glauben  fo  feft  an  ein  anbere«,  bafe  mein  ^erg 
c5  nid)t  bezweifelt. 

„freiwillig  würbe  id)  mit  biefem  Srief  nie  fertig  werben^ 


S)ie  (Sf)t.  209 

toetl  bic  ©mpfinbuttgett,  bic  er  auSbrüdt,  uncrfcftöpfUcI^  jtnb. 
©ttipfangctt  Sie,  aJiama,  liebftc  SRama,  ben  SluSbrucf  meiner 
tiefen  ß^rfurd^t  unb  unbegrengten  3ärtlid)feit. 

©onnerftag  morgend,  noä)  bei  3l)nen"  ^). 

@o  innerlid^  gelodfert  unb  äufeerlicft  mifead)tet  bie  el^elid^en 
SBanbe  aud)  in  btn  gefeUfd^aftUci^en  ^Regionen  ju  fein  pflegten, 
in  n)eld)en  ba^  erfte  Sufcttnmenfein  be§  ß^epaarö  ©tael  ftd^  ab* 
fjpielte,  fo  ift  bod)  bie  ^rage,  waö  benn  bie  neue  ßfifteng  ber 
jungen  ^Jrau  an  innerem  ©lud  gebracht  l)abe,  aud)  gu  jener 
Seit  gefteKt  toorben.  Qnv  Beantwortung  berfelben  l)at  %xan  üon 
@tael  felbft  nur  auf  negatiüe  SBeife  beigetragen,  unb  jwar  in^* 
bem  fte  nie  aufgel)ört  l^at,  ba^  ®liidC  in  ber  &i)t  alö  baS 
pd^fte,  obtool^l  unerrei(t)te  3^^  ^^^^^  SBünfd^e  barjufteHen. 
@ine  erfte  Sleufeerung  in  biefer  Sejiel^ung  fäHt  in  bie  Qdt  lurj 
nad)  il^rer  SSer]^eiratl)ung ;  il^r  le^te^  SBort  barüber  ift  ba§  be* 
rfil^mte  Äapitel  am  ©d^lufe  be^  Sud)S  über  ©eutfd^Ianb,  in 
weld^em  fte  ba^  ^^ödifte  geleiftet  l^at,  waö  fte  überi^aupt  an 
SSoHenbung  beö  Sluöbrudf^  unb  feelentjoller  Serebfamleit  ju 
geben  ijaüt.  Slnfpielungen  auf  ba^  SSerl^ältnife  ju  tl^rem  ©atten 
njiH  man  in  ber  ©teKe  gefunben  l)aben,  wo  Corinna,  öon  xijxm 
ffreiern  fpred^cnb,  eineö  l^od^gefteUten  beutfd)en  @belmanne§  ex^ 
toäl^nt,  ber  anfangt  il^re  Sld^tung  gewonnen  l^abe,  bei  naiverer 
Sefanntfd)aft  jebod)  Don  gu  untergeorbneter  geiftiger  ®ebeutung, 
um  fte  bauernb  gu  feffeln,  ftd)  erwies.  Stoiber  liegenb  ftnb  einige 
Semerlungen  ber  furg  nad)  il^rer  SSerl^eiratl^ung,  1788,  öeröffent»» 
Iid)ten  Sriefe  über  Sean = SacqueS :  „aSietteid^t  l^at  3iouffeau 
bie  übrigen  focialen  Snftitutionen  angreifen  wollen,  bie  6l^e 
aber  l^at  er  nid^t  angegriffen.  SBie  l^oc^  adjtet  er  bie  Sanbe, 
ju  welchen  bie  9latur  un§  beftimmt.  SBie  fönnte  er  un§ 
beffer  ju  üerftel^en  geben,  bafe  er  unfer  ^eil  öon  il^nen  er= 
wartet,  al^  inbem  er  jeigt,  bafe  fte  felbft  bem  ^erjcn,  weld)eö 
ein  anbere^  ®lücf  gelaunt  l^at,  genügen.  SBer  bürfte  entgegnen, 


^)  D^HaussonTÜle,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  78. 


210  SUu^crungen  öon  grau  öon  Btael  barüber. 

bafe  fold^e  Dpfer  unmöglid)  jtnb,  njcnn  bic  leibcnfd^aftlid^fte 
ber  grauen,  wenn  SuUe  il^rer  fällig  ift!"  ©od^  fül^lt  jtc 
n)ot)I  bie  eben  burd^  SRouffeau  l^eraufbcfd^worenc  ©cfal^r,  wenn 
jte,  Don  feinem  Softem  über  weiblid^e  ©rgiel^ung  fpreci^cnb, 
meint:  „9iou[feau  roxSi  bie  %xa\Xf  ebenfo  wie  ben  SRamt, 
nad)  ben  SMurgefe^en  unb  nur  ben  Unterfd^ieben  entfpred^cnb 
I)eranbilben,  weld^e  bie  5Ratur  felbft  jtt)ifd)en  il^nen  gemad^t  l^at. 
3dö  weife  nid)t,  ob  er  Siedet  l^at,  fte  barin  ^u  nnterftü^en  unb 
bie  ijrauen,  fo  ju  fagen,  in  i^rer  @d^tt)äd)e  ju  beftftrien.  — 
©rofee  ©elbftbe^errfd^ung  i[t  xijmn  unentbe^rlidE) ;  ii^re  gciben^« 
fd^aften  unb  if)re  Seftimmung  wiberfpred^en  ftdl)  in  einem 
ganbe,  wo  bie  ]^errfd)enben  Sitten  \i)mn  fo  oft  ba^  ®ebot,  nie 
ju  lieben,  auferlegen". 

Unb  auf  bie  Untreue  übergel^enb,  weldE)e  ber  ©id^tcr  bie 
©attin  be§  ©mile  gegen  biefen  begel^en  läfet,  brid)t  ffrau  öon 
©tael  in  bie  SBorte  au§:  „^ä),  SRouffeau,  baö  l^eifet  bie  tfrauen 
fd^Ied)t  beurt^eilen;  il)r  ^erj  mag  fte  täufd)en,  aber  il^r  ^erj 
oermag  fte  aud)  gu  fd^ü^en.  Äeine,  aud)  bie  fd^wäd^fte  ber 
fjrauen  nid)t,  würbe  fid^  freiwillig  au^  bem  irbifdjen  ^arabtefe 
vertreiben  laffen  unb  bie  Letten  einer  auf  Siebe  begrünbeten 
e^e  gelöft  ^aben''  i). 

@o  Stau  Don  @tael  in  biefen  Sriefen,  bie,  wie  rid^ig 
bemerft  würbe,  „gefd)rieben  worben  ftnb,  beoor  fte  ber  ©türm 
ergriff"  2);  al§  er  l)ereinbradt),  fanb  er  fte  felbftt)erjtftttblici^ 
fc^u^loö.  SBol^in  geriet^  biefe  poetifd^e  Serflärung  ber  2iebc 
in  ber  ©l^e,  bie  Weber  ein  obieftioeö  ^flid^tgebot  nod^  t)on  per» 
fönlid^en  Slnfprüc^en  auf  ®lüd  unabl^ängige,  etl^ifd^c  SRotlöe 
anerfannte,  fobalb  fie  aufl)örte,  nac^  il^ren,  au§  Slouffeau  gc* 
fd^öpften  2lnfdE)auungen  „bie  ^flid)t  in  ber  Neigung  ju  fteben*' 


0  Madame  de  Stael,  Oeuvres  completes,  Lettres  sur  J.  J.  Roiuseaiu 
Lettre  II:  Heloise. 

*)  Madame  Necker  de  Saussure,  Notico  sur  Mudame  de  Stael. 
Lettres  sur  Rousseau. 


S3aron  Btael.  211 

nnb  „auö  itatäriid)cm  3wpul§  tugcnbl)aft  gu  fein?"  (ä^  9efd)al), 
was  unter  foId)cn  fflcbingungen  gcfdiel^en  ntutUc;  tf)atfäd^lid^,  tDcitrt 
aucft  md^t  formell,  faitb  jtd)  bie  @taerfd)e  ©i^e  fd^on  nad) 
wenigen  Salären  gelöft.  ©ie  innere  SBal)rl^aftig!eit  il^rer  ge- 
fnnben  5Ratur  bemal^rte  grau  öon  @tael,  wenn  aud)  nic^t  öor  bem 
©d^iPrud)  felbft,  fo  bod^  öor  ungered^tfcrtigten  Älagen  über 
ii^r  @d)idfal;  jte  geftanb  pd^  ein,  ba%  in  SSejug  auf  el^elid^eS 
®lüd,  bcr  SBertl^  il)re§  ßinfa^eS  fie  ju  feinem  Streffer  beredö= 
tigte.  3^r  ®atte  bagegen  beging  augenfd)einlid)  ben  feineöwegö 
feltencn  SRifegriff,  gu  erwarten,  bafe,  nad^bem  er  für  aHe  irbifdt)en 
JBortl^cilc  Sorge  getragen  l)atte,  ba§  ^erg  feiner  grau  il^m  ba^n 
gegeben  werben  würbe.  Sltö  bie  ©nttäufd^ung  in  biefer  S3e= 
jiel)ung  !am,  mufete  er  fte  um  fo  prter  empfinben,  alö  alle 
feine  greunbe  begeugen,  bafe  biefe  g^rau  il)m  nid^t  nur  eine 
öorfibergel^enbe  SJleigung,  fonbern  ©efül^le  aufridt)tiger  Siebe 
eingeflößt  l^atte.  6iner  biefer  g^reunbe,  Sfteuterl^olm,  fd^retbt 
nod)  1793  an  ben  Äanjler  be§  ^er jogö^Slegenten  öon  @d)weben : 
„£)bwol)l  feine  liebenSwürbigc  ®attin  il^m  nid^tö  weniger  aU 
frcunblid^  gejtnnt  ift,  l^at  ©tael  nie  aufgeprt,  tl^r  auf§  järt- 
lid^fte  ergeben  gu  bleiben,  wa§  iebenfaHs  feinem  bergen  @t)re 
mad^f'  ^j.  6ine  wenigftenö  inbirelte  SSeftätigung  baüon  finbet 
ftd^  in  ber  (Sorrefponbenj  @taer§  mit  Sfteuteri^olm,  bie  aud^  in 
anbcrcr  fflejiel^ung  nid^t  ol^ne  Sntereffe  ift. 

@in  d)arafteriftifd^er  Swfl  be^  ftd^  jum  6nbc  ncigenben 
ad^tgei^nten  S^l^rl^unbertS  ift  feine  Sßorliebc  für  aHeS  ©unllc 
unb  ©el^eimnißtiolle,  bie  bei  ben  ©inen  gu  fdöwärmerifd)*fenti* 
mentaler  SHuffaffung  ber  ^Religion,  bei  ben  Slnbern  gu  @el)eim= 
bfinben  unb  abergläubifd^en  Hebungen  aller  SUrt  fül^rtc,  wie  fte 
unter  SBorauSfe^ung  grünblid^  religiöfer  SSilbung  ber  fromme 
©laube  eines  ÄinbeS  öon  jtd^  gewiefen  l)ätte.  S)aö  fo  lange 
bcleibigtc,  öon  ben  matcrialiftifd^en  ©oftrtncn  gefd)mäl^te  unb 


0  Leouzon  Le  Duc,    Correspondance    diplomatique    du  Barön   de 
Stael-Holstein,  Introduction,  XII. 


212  Seine  m^ftifc^'tcligiöfcn  Steigungen. 

öcrlcugnctc  fflcbürfnife  mä)  bcm  Ueberirbifci^en  unb  ©wtgch 
räd^tc  jid)  im  Äultuö  Don  @el)eimlc^rcn,  burc^  Slufflcttung  neuer 
^ropl^etcn,  ©eiftcrbcfd^tDÖrungcn  unb  Siftoncn  atter  Slrf.  Sin 
bicfem  treiben  betlietUgten  ftd)  cmfte,  fclbft  bcbcutenbe  9Ränner, 
aber  nod)  Diel  mcljr  forberte  e§  bic  ßinmifd^ung  gefci^ictter  SBe* 
trüger  förmlid^  l^crauS.  ®ie  m^ftifd^en  ^rwedEungen  Jener  SxiQt 
tl^eiltcn  mit  bcr  ]^crrfd)cnben  Sieblingöboftrin  ber  ^l^ilofopl^te 
bcn  c^araftcriftifd^en  ^uq,  bafe  aud)  jtc  lieber  mit  ©mpflnbungen 
fpielten,  alö  an  bcftimmte  ®efc^c  be§  ^anbelng  jtd^  banben. 
@ö  beftanb  fein  innerer  SBiberfprud^  gmifc^en  ber  fcnfualiftifd^en 
$]^ibfol)l)ie  unb  biefer  2lrt  öon  SK^ftif,  bic  mit  SReSmer  unb 
^u^fegur  im  tl)ierifd)en  SKagnetiömuö  ba^  uniDerfale  Heilmittel 
für  pl^^jifc^e  Seiben  unb  bie  natürlid)e  ©rflärung  beg  3Bunber8 
gefunben  glaubte,  gugleid^  aber  burd)  ©omnambuIigmuS  unb 
HeKfel^en  tt)ieber  ^ereinjiel^ung  beö  Uebcmaturlici^en  erftrebte 
unb  felbft  jur  Scfte  mürbe. 

Um  biefelbc  ßeit,  alö  9Ke§mer  ^ari«  öcrlie^,  1781, 
l)ielt  ber  ©icilianer  SSalfamo  Gaglioftro  bort  feinen  ©injug; 
er  gab  jtd^  fpäter,  mäl^renb  feiner  römifc^en  ^aft,  als 
einen  ber  ©enbboten  ber  beutfd^en  SDumlnaten  auS*),  bcrcn 
©tifter,  ber  SSa^er  SBeiöliaupt,  burd^  Vermittlung  öon  äbepten, 
mie  u.  a.  Änigge,  bie  politifd)en  ®el)eimbünbe  ber  frangöpfc^ 
Freimaurerei  feiner  eigenen  £el)re  gu  untermerfen  öerfuc^tc,  bie 
il^rem  legten  Sluöbrucf  nadf)  nid^tS  anbereö  mar,  aK  ber  bis  in 
feine  logifd^en  Gonfequengen  »erfolgte  SScgriff  öon  Seft^  unb 
©efellf^aft  nadf)  9ftouffeau.  ^m  Urtl^eil  öon  STOand^en,  öon 
2oui§  Slanc  unter  Slnbem,  mar  SBeiöl^aupt  einer  ber  bebeutenbflen 
unter  allen  Serfd^mörem,  bk  je  gelebt;  aber  fein  $lan  fd^lug 
fel^l.  2)ie  franjöftfd)e  9Jlaurerei  gog  baö  beftimmtere  unb  fiber^ 
bieS  einl^eimifd)e  ^ogramm  beö  jungen  5Kirabcau,  unau8« 
gefegten  Äantpf  gegen  ben  ©efpotiSmuS  unb  ©roberung  ber 
bürgerlid)en  unb  religiöfcn  S^reil^eit,  ben  in  mciter  gerne  liegen« 


»)  Henri  Martin,  Histoire  de  France,  XVI,  531  bet  IV.  «uSgabe. 


aKcSmcriSmiiS  unb  Sttuminatent^um.  213 

bm  Sbcalcn  SBeiö^aupf  ö  öor,  bie  fpätcr  gum  Sl^cil  bei  gaud)et 
unb  aSabeuf  tüieber  auflebten^).  6aglio[tro'§  (ärfolge  fpiclteu 
auf  einem  anbern  gelbe;  fein  berfld)tigter  Spante  fnüpft  ftd^  an 
bie  ^atöbanbgefd^id^te  unb  bm  ßarbinal  Souiö  bc  3lol)an,  baö 
öornel^mfte  unb  ftrafmürbigfte  Dpfer  berfelben,  toä^renb  alö  ber 
ent]^uitaftifd)C  Slnl^anaer  öon  SKegmer  ftc^  £a  ^ya^ette  in  er* 
fennen  gibt  2).  ®anj  anbeten  Siegionen  beö  ©enfenö  unb  ßm* 
^)finbenö,  aU  biefen  fenfualiftifd)en  ober  politifd)en,  toax  bie  reli« 
gtöfe  gjt^ftif  ber  Seit  entlehnt,  fo  toie  SÄartineg  ^agqualig, 
@aint*9Kartin,  @tt)ebenborg,  Saöater  jte  vertraten;  burd)  ben 
€blen,  frommen  @aint'2Rartin  fül^rt  jte  auf  S^fob  Söljme  gurüd 
unb  ift  infofern  nid)t  weniger  beutfd^en  Urfprungö,  alö  bie  6nt= 
bedfungen  üon  SÄeömer  unb  bie  ^länc  öon  SBei§l)aupt.  3n 
fpätern  S^i^^en  foHte  bie  burd)  einige  SlomantHer  tt)ieber  auf* 
genommene  unb  in  il^rem  Sinn  »eiter  fortgebilbete  SRid^tung 
md)t  ol^ne  (äinflufe  auf  grau  üon  @tael  bleiben.  Sllö  ber 
jüngere  SacreteUe  pe  1802  in  ßoppet  befud^te,  !am  jte  auf 
fold)e  ®inge  ju  fpred^en  unb  jagte  il^m  in  Sejug  auf  bieje  i^re 
frfil^eren  ©inbrüde  au§  bm  ad^tgiger  Satiren:  „SBiffen  @ie,  ba§ 
id^  auf  bcm  ^un!t  mar,  SKartiniftin  ju  werben,  unb  ba§  nur  bie 
&ä)tu,  e§  möd)te  eine  @d)raube  bei  mir  lo^fommen,  mid^  baöon 
jurücfl^ielt  ?  @aint=3Jlartin  ^atte  einige  ^rojel^ten  in  grani« 
reid)  gemacht;  id^  bin  übergeugt,  bafe  fid)  ol^ne  bie  Stcöolution 
il^re  3^^l  jc^^  Dermef)rt  l^aben  mürbe,  fo  fel^r  liatte  ber  2Rate* 
rialiömu^  bie  Seelen  abgeftofeen.  3n  einem  abgejd^lofjenen 
ÄreiS,  rid^tiger  gejagt  in  einer  Keinen  Äirc^e,  liatte  er  bereite 
munberbare  erfolge  erjielt;  bie  ^ergogin  öon  SSourbon  fül^rte 
ben  Sorjt^  in  berjelben;  mid)tiger  für  @aint»9Kartin  mar  ber 
Slnfc^lufe  berebfamer  3Jiänner,  mie  aSergafje  unb   b'(Spremenil. 


*)  Mirabeau,  Memoires,  II,  Li  vre  VI  unb  Lettre  sur  Cagliostro  et 
Lavater,  1786. 

2)  La  Fayette,  Memoires,  II,  93  unb  feine  dorrefponbenj  mit  &, 
SEßaf^tngton. 


214  SKeSincTiSmuS  unb  Snuminatcntl^uw. 

SBernarbin  be  @aint=$icrrc  tDÜrbe  burd)  ben  S^^wl^^r  f^incg 
Sttjlö  md)t  wenig  gum  (ärfolg  bicfcr  ©medungcn  beigetragen 
^ahtn,  iinb  wer  weife,  ob  id^  md)t  fclbft  mit  bcr  fugenblic^en 
fflegeiftcrung,  bie  mir  bie  SSriefc  über  Scan=3acqueS  SHouffcau 
biftirtc,  Sintiängerin  einer  ®o!trin  geworben  wäre,  bie  fo  ocr* 
ffil^rcrifd)  für  ba§  ^erj  war;  aber  ein  ßl^arlatan,  ©agliofiro, 
brang  in  bie  jnnge  Äircl)e  ein  unb  fd)äbigtc  il^rcn  Sfluf.  3)aS 
Uebernatflrlid)e  ift  wie  ba^  SDleer,  baiS  ftd^  ryon  einem  Ufer 
jurüdfjiel)t,  nur  um  ein  anbereö  ju  befpülen"  ^). 

®afür  gewannen  biefe  religiö§=m9ftifd)cn  Senbeujen  bamatö, 
wenn  nid)t  i5rau  Don  ©tael,  fo  bod)  i^ren  SKann,  htm  jte  in 
ber  öerfüljrerifd^en  ®eftalt  nationaler  ©ebanfcnrid^tungen  ent* 
gegentraten.  3Bie  überl^aupt  ber  3florben,  war  ©d^weben  fold^en 
Senbengen  ftet§  jugänglid)  gewefen.  „6urc  SRaieftfit  wiffen 
ja,  bafe  @d)weben  ba^  Sanb  ber  ©eifter,  ©rfd^einungen  unb 
SBunber  ift\  fd^rieb  3ofep^  be  gjlaiftrc,  ber  in  @t.  ^eterS« 
bürg  öiel  mit  beut  ®rafen  ©tebing!  unb  beffen  2anb8* 
leuten  öerfel^rte,  an  feinen  ©ouöerän^).  Dl^ne  weiter  gurüdfju» 
gelten  aU  auf  baö  ad^tgel^nte  3al)rl)unbert,  bietet  unter  anbem  ber 
grofee  ßinaeuö  ein  in  biefer  SSejiel^ung  meriwfirbigeö  SSeifpiel^. 
S3einaf)e  gleid)3eitig  mit  ben  erften  ]^od)bebeutfamen  ©ci^riften 
be^  Sl^eofopl^en  Saint  =  SÄartin,  bie  felbft  SKönner  '  öon  ber 
Sinnesart  beö  ©rafen  3.  be  SKaiftre  xi)xtx  tiefen  Äuffaffung 
be§  ß^riftent^umg  wegen  feffelten,  erfd^ien  1783  gu  ^rl8  Me 
erfte  Ueberfe^ung  üon  ©webenborg'ö  „SßJunbcr  bcö  ^immelS 
unb  ber  ^Me".  ®uftat»  III.  felbft  war  aud^  barin  ber  e^te 
@ol)n  feiner  S^it,  bafe  er,  ftatt  au§  biefen  Duellen  eine«  crnften 
©otte^bewufetfeinö,  lieber  in  ben  getrübten  glutl^en  aberglftubifd^r 


^)  Lacretelle,  Testament  politique  et  litteraire,  II,  69—70. 

^)  A.  Blanc,  Memoires  et  Correspondance  politique  du  Gomte  J.  de 
Maistre,  329. 

3)  Geffroy,  QluSjügc  ciu^  bcr  ju  Upfala  im  SWanuffrtpt  Dorl^onbenen 
Bä)xi\t  Nemesis  divina  unb  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  I,  61,  II, 
253  u.  ff. 


©uftQö  III.,  bie  <Sd^tt)cbcn  unb  bct  aK^fticiSmuS.  215 

9?cbcnftrömungcn  Sroft  unb  ©rleud^tung  fud^tc;  er  befragte 
Slbenteuertnnen  um  bie  ßwfunft,  glaubte  an  allerlei  Spul  unb 
aSorbcbeutungcn,  an  bie  SK^fterien  ber  Soge  unb  befdiöftigte 
^ä)  toäl^renb  feines  röntifc^en  Slufentl^altS  ernftlid^  mit  bem 
©ebanfen  an  ben  SBieberaufbau  beö  Sempete  üon  S^rufalem. 
©clbft  bie  menfci)lid)e  SH^eilnal^me,  njeld^e  er  mö^renb  feiner 
Slntt)efcnl)eit  in  Stalten  bem  ^rätenbenten  Äarl  6buarb  Stuart 
entgegenbrad^te,  mar  mit  ber  Slbfid^t  öerbunben,  üon  biefem,  aU 
i)om  red^tmäfeigen  Äönig  öon  @d)ottlanb,  mit  ber  5Jlad^folge 
beS  Don  ii^m  belleibeten  ®rofemeifteramte§  be§  2Raurerbunbe§ 
belclint  gu  merbcn.  ®ie  Sage,  bie  ben  fd^ottifd)en  Äönig  aud) 
ate  legitimen  Slac^folger  ber  Tempelritter  begeid^nete,  l^at  3cicl)aria§ 
SBcmcr  fpäter  in  ben  „©öl^nen  be§  SS^afö"  poetifd^  üermertliet^). 
SBäl^renb  ©uftaö  III.  jid)  in  fold)en  ®ebanfen  unb  Sräume^ 
rclcn  öerlor,  befd^mor  Äarl,  ^erjog  üon  ©öbermanlanb,  fein 
Snibcr,  bie  ©eifter  be§  SlbgrunbS,  um  öon  iljnen  gu  erfal^ren, 
burd)  meldte  <öd^idfatefügungen  er  SSruber  unb  Steffen  auf  bem 
fd^mebifdien  Sfiron  erfe^en  merbe;  gefcif)rlid^e  (gjrperimente,  bei 
weld^en  bie  fflefd^mörung  fd)on  mel^r  unb  mel)r  ben  3lnftrid^ 
einer  SSerfd^mörung  gewann,  ©ein  Sertrauter  babei  mar  fein 
intimfter  ^reunb,  eben  jener  fflaron  SReuterl^olm,  ber  biefe  3flei= 
gungen  feines  fürftlid^en  ©önnerS  fo  gefd)idft  für  fid)  auSjubeuten 
von^kf  bafe  er  il^n  balb  öoHftänbig  in  feine  ©emalt  brad^te. 
0tcutcrl)olm ,  ein  eifriger  Freimaurer,  mar  ber  ^eunb  öon 
aSaron  ©tael,  ber  feine  Vorliebe  für  aHeS  m^ftifd^e  ©eltenmefen 
jo  öollftänbig  ti^eilte,  ba^  unter  bem  ^erfonal  feiner  ®efanbt= 
jd^aft  ein  gemiffer  §aHbin  bie  befonbere  Slufgabe  l^atte,  alle 
biefe  SRiten  unb  Sefd)mörungen  dorjunelimen^).  gin  SSrief  öon 
@taöl  an  Sieuterl^olm,  nad)  bem  längeren  Slufentl^alt  beSfelben 
ju^aris,  SlDignon  unb  9ftom  1789—1790,  im  Sntereffc  beS 
3Kuminaten=  unb  ^reimaurertl^umö,  gemälirt  nähere  ©inftd^t  in 


')  gflcumont,  S)lc  ©rafin  öon  SUbon^,  I,  239-240. 

2)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Oour  de  France,  II,  247  u.  ff. 


216  <^tael  unb  mtnttx^olm, 

bic  mcrlmürbige  ©dfteöftimmung,  bic  ftd^  feiner  bemäd^tigt 
l^atte:  „Dl),  mein  tl^curer  greunb",  fc^reibt  er  an  SReutcrl^olm, 
r/f^it  S^^rer  3lbreife  l^abe  id^  bittere  ©tunbcn  öcricbt.  SSBenn 
id)  mein  Äreuj,  fo  rok  id)  eö  joHte,  gu  tragen  xoü^k,  xoäxt  mein 
©d^idfal  erträglid)er;  aber  ber  alte  2{bam  ift  in  mir  gu  lebenbig, 
als  bafe  ic^  mid^  aufrid)tigen  ©inneö  ber  unenblid^  mäd^tigen 
unb  barml)erjigen  ^5ül)rung  ber  göttlid)en  SSorfel^ung  fibcrlaffen 
fönnte.  SBenn  id)  aUeS  SSöfen  gebenfe,  bag  ic^  g^t'^^^i  wnb 
altes  ®uten,  baS  id^  unterliefe,  fo  fül)le  ic^,  tt)ie  id^  taufcnbmal 
mel^r  geprüft  ju  lüerben  üerbiente.  Seien  @ie  für  mid^,  mein 
g^reunb,  bamit  mein  fd^mad^er  ©laube  beftärft  werbe.  ÜRein 
^erj  ift  fd)tt)er,  unb  bie  Sopranen  erftiden  mid).  Seien  Sic,  aä), 
beten  Sie,  bamit  meine  Prüfung  mid^  belel^re  unb  id^  bic  SBcgc 
toanble,  gu  meldten  bie  göttlid^e  Sarml)ergigfeit  mid^  beruft. 
Söeld^e  ®nabe,  wenn  id)  ben  ®lauben  gu  erringen  ijermöd^ie, 
ber  in  bie  Slrme  beS  StröfterS  füljrt!  ®ott  möge  @ic  erl^alien 
unb  fegnen!  ....  SBa§  id^  Jc^t  leibe,  l)abe  id^  öerbicnt;  in 
meinem  bergen  bin  id)  beftraft,  unb  unerad^tet  aller  meiner 
SSerirrungen  wage  ic^  immer  nod^  gu  glauben,  bafe  mein  ^rj 
gut  ift.  Seien  Sie  für  meine  %ravi;  mögen  il^r  bic  Qualen, 
bie  id)  gelitten  l^abe  unb  nod)  leibe,  ewig  unbefannt  bleiben"  ^). 

@o  gel^t  es  fort,  öiele  Seiten  lang,  unb  eS  l&fet  fld^  nid^t 
unfd^wer  erratl)en,  weld^er  Slrt  bie  Prüfungen  waren,  bic  Saron 
©tael  ben  SBunfc^  nac^  l^öl^eren  Sröftungen  nai^e  legten. 

©ebrüdt  unb  entmutl^igt,  wie  nad^  fold)en  ©riefen  gu  ur« 
tl)eilen,  feine  perfönlid)e  Stimmung  aud^  guweilen  fein  mod^te, 
llinberte  fte  bod)  nid^t,  bafe  baS  äufeere  Äeben  i^orl&ufig 
einen  glängenben,  wenigftenS  feinem  (äl^rgeig  entfpred^enben  SBer« 
lauf  für  il^n  nal^m.  2luf  ber  fc^webifd^en  ©efanbtfd^aft  folgten 
ftd)  g^efte,  SäKe  unb  S)inerS.  ©ie  (Sorrefponbengcn  ber 
Seit    erwäl^nen   wieberl^olt    beS   ©efanbten    als   eines  leiben« 


^)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  II,  271  unb  bott- 
ftänbiger  bei  L^ouzon  Le  Duc,  Correspondance  diplomatique  du  Baroa 
de  Stael-Holstein.    Introduction,  XXI— XXIII. 


SleufectcS  Öcbcn  beS  ©^cpoarS  ©tael.  217 

fd)aftlidöen  ©pielcrö  *).  Sei  ©clcgcnl^eit  cinc§  SSaUeö,  bcu  er  ju 
93erfaiKc§  gab,  l^attc  man  Dcrgcffen,  gürforge  für  bie  ßafaicn 
gu  treffen,  bic  Don  junger  unb  Mlk  geplagt  unb  be^S  SBartenö 
mübe,  il)rc  Ungufriebenlieit  fo  lämtenb  ju  crfennen  gaben,  bafe 
c5  grofec  SKül^c  foftcte,  pe  gu  befctiimd^tigen^).  2)er  £ujru§  ber 
Safer  bc§  aSaron  @tael  galt  für  fo  grofe,  bafe  bie  Königin  ber 
Jttngen  ffrau  burd)  $errn  9Zedfer  freunbfd^aftlid^e  aSorftcHungen 
jufommen  liefe,  bantit  baö  SSubget  nici^t  flberfd^ritten  werbe. 
2n  Segng  barauf  fd^rieb  SSaronin  @tael  il^rem  3Kann  don 
@aint=Duen  aus  nad^  $ari§:  „^ij  bitte  ®id^,  lieber  ^reunb, 
SRabamc  bc  ©imiane  für  baö  S)iner  Don  ® onnerftag  eingulaben ; 
eine  cingelne  ^^Jerfon  ntad^t  feinen  Unterfd^ieb,  unb  toaS  man 
aud^  fagen  möge,  tt)ir  werben  unö  nic^t  gu  ©runbe  rid^ten. 
©iefeö  „man"  ift  übrigens  nid^t  gering  gu  ad^ten:  @S  ift  gang 
eittfad^  bie  Königin,  bie  burd^  3Konjteur  be  (SaftrieS  meinem 
SSatcr  il^re  SSeforgnife  auSbrüdfen  liefe,  wir  möchten  uns  wel^e 
tl^un,  er  foHc  uns  etwas  überwadt)en.  2Rein  Sßater  l^at  bie 
©clegenl^cit  benü^t,  mir  feinerfeitS  eine  Heine  ^rebigt  gu  f)alten, 
bcnn  er  war  etwas  betroffen  unb  nod)  mel^r  öon  ber  ®üte  ber 
Königin  gerül^rt.  (5r  wirb  ®ir  gewife  baöon  fpred^en,  wenn 
and)  nid^t  fo  einbringlid),  als  er  eS  mir  gegenüber  tl)at,  benn 
idt)  benfe  wie  er  über  bie  ©d^wierigfeit,  öon  ^erfonen  biefeS 
9fiangeS  gu  äufeem,  bafe  man  fie  wirflidl)  unb  aufrid^tig  lieb 
l^at,  weil  baS  gar  fo  oft  nur  öorgefd^ü^t  wirb.  2BaS  aber  bie 
Königin  betrifft,  fo  l^^be  id^  bereits  frül^er  bemerlt,  wie  er  eS 
öerftel)t,  SSerftanb,  eble  ©inneSart  unb  ^ergenSgüte  bei  {f)x  gu 
loben  unb  alle  gegen  fie  gerid^teten  Singriffe  gurüdfguweifen;  jebod^ 
öerfttmmt  eS  il^n  leidljt,  wenn  gefagt  wirb,  bafe  fte  il^m  ein  be= 
fonbereS  Sntereffe  bewal^rt  l^abe.  ®aS  Slalent  ber  grauen  be= 
ftcl^t  red^t  eigentlid^  in  einer  feinen  SSeobad^tungSgabe,  unb  fo 
erratlie  aud^  id^  alle  SRegungen  ®erer,  bie  id^  liebe.    ®u  gel^ft 


')  Lescure,    Correspondance  secrete,  inedite,    1777—1792.     Gon- 
court,  Histoire  de  la  Societe  franpaise  pendant  la  Revolution,  24. 
^)  Lescure,  Correspondance  inedite,  II,  221. 


218  Citcrorifd^c  ^pitlttdtn. 

morflcn  iiad^  SScrfaiHcg;  cmpfcl^Ic  mid^  bem  @rafen  SBergemte^ 
bad  wirb  ii)xx  freuen.  (@r  war  belanntlid^  Slecfer'S  ©cgtier 
3)u  wirft  bic  ®flte  liaben,  ba§  2)incr  ju  beftellen;  fcd^gel^ 
öntrocö  fcl)eiiien  mir  genügenb.  ©u  ftel^ft,  bfc  Seigren  ber  Xi 
nigin  jcigen  bereits  il^re  SBirhing.  geb'  wol^I,  lieber  Swunb"  ^ 
6ö  ift  gefagt  toorben,  bafe  bte  SBcrfiffentlid^ung  b( 
Sugcnbarbcitcu  ber  g^raii  üon  ©taßl  in  biefen  erften  S^^re 
it)rer  (Sl)c  ftattfanb;  aud)  fonft  öerfucfttc  ftd^  il^re  geber,  öorcr 
nur  in  ©piclcrcicn,  bic  ijuweilen  il^rcn  SBeg  in  (ärimnCi  6o) 
rcfpüubcnj  faubcn.  ©antatö  war  e§  SKobe,  ©^nonfana  i 
fcl)rclbeu,  uub  ^rau  üon  @tael  lieferte  feine  Heine  Unterfd^e 
buugcu  i\wifcl)eu  »Trait«  unb  »Sailliec,  »VöraciWc  uttb  »Frau 
clnsc^«,  biö  ber  ®raf  Don  Sl^iarS  burd)  eine  wi^ige  Segriffi 
boftininuuig  Dou  Änosso  unb  Bourrique  ber  ©ad^e,  beöor  f 
i\u  langweilig  würbe,  wieber  ein  6nbe  mad^te.  ©ine  Heil 
Wcfd)id)tc  „Sie  3ßal)nftnnige  beS  SBalbcS  öon  ©ßnart"  \ 
ebenfalls  Don  -^vran  Don  ©tael,  unb  als  jte  cinft  ble  %tbtx  ca 
ber  .s>anb  fallen  liefe,  gab  fte  il^r  9KarmontcI  mit  ben  SBorh 
i\urürf: 

»Gelte  plume  est  une  de  Celles 
Qu'jl  vos  pieds  deposa  Tamour, 
Quand  ce  Dien,  fixe  sans  retour 
Voiis  laissa  lui  couper  les  ailes«*). 
!S)ic  letUe  (^rwäl)nung  Don  ^^rau  Don  QtaSl  gefd^iel^t 
(f'^rinnu'^  (?orrcjponbcnj  1789.  Slbbe  Sartl^Iem^,  bi8  bol^itt  w 
burd)   gclcbrtc  Slrbeitcn  befannt,   ^atte  furj  guDor,  in  feine 
jweiunbftcb.^igftcu  ,^al)r,  burd)  äJcröffcntUdjung  ber  pSHdfen  bi 
jungen   3lnad)ar|KV*   einen  burd)fd)lagenbeu  Srfolg  ergiett,  h 
and)  israu  Don  ^taöl,  unb  jwar  in  einem  @cbid^t  feieite;  befi< 
v£d)lufejcilcn  lauteten:  -''5^ 


•)  DMUussonvillo,  Le  Saloa  de  Madar 
^  Grimm   et   Diderot,  Co^^eJipondan^ 
70.  S3.  104. 


S)a«  „BuUetia  des  Nouvelles**  öon  gtou  ö.  @tael  an  S^bmQ  ©uftaö.     219 

»De  cette  Athenes  qu'on  revere, 

Vous  seul  avez  su  apporter 

La  lyre  d'or  du  vieil  Homere; 

Pr§tez-moi  la  pour  vous  chanter.« 
S)ie  eigcntlid^c  litcrarifcf)c  SScfd^äftigung  jener  ^df)xt  aber 
waren  il^re  an  ©uftat)  III.  gcrid^tcten  SSricfe,  bie  unter  bcm 
Flamen:  »Bulletin  des  Nouvelles«  bem  Äönig  über  \o  9J?and^e§ 
berid)teten,  toaö  il^n  Don  ^arifer  5Reuigfctten  interefjtren  fonnte. 
^f)X  Sntereffe  für  bie  aSiograpl^ie  ber  g^rau  Don  ©tael  beftel)t 
öomcl^mlid^  barin,  ba^  man  burd^  biefelben  erfährt,  tt)eld)e  SBor^ 
lommniffe  il^re  Slufmerffantfeit  erttiecften.  ®a§  erfte  biefer 
SuKetinö,  bie  jie  ben  fönigHd)en  (Sorrefponbenten,  wenn  gc= 
lefen,  inö  ^euer  gu  nierfen  bat^),  ift  üom  11.  SJlärj  1786  nnb 
bie  Antwort  auf  einen  einlcitenben,  eigcnl^änbigen  SSrief  beö 
Äönigö,  beffen  perfönli(i^e  a3elanntfd)aft  jte  niemals  mad^en 
foHte.  ©er  SSerfud^,  xi)m  auf  feine,  alfo  faft  unmerflid^e  2öeife 
ju  fd^meid)eln,  gelang  il)r  bamal^  unb  fpäter  nid^t,  benn  jte 
begann  mit  ber  SSerftdjerung,  er  let)re  jte  Subroig  XIV.  begreifen, 
unb  tt)ie  3lUeö,  xoa^  unter  biefem  Äönig  gejd^el^en,  il^m  afö  per= 
fönlid^eö  Sßerbienft  angered)net  worben  jei;  aud^  ®u[taD  Wnne, 
tt)enn  er  toolle,  jtd^  burd)  SSrtefe  Untertl^anen  gen)innen,  ol^ne 
bcöl^alb  gu  aSerträgen  feine  Suf^^^t  i^  nel^men.  SEBetm  aud^ 
fold)e  ^ulbigungen  übertrieben  toaxm,  gelang  e^  il^r  bafür  oer^^ 
l^ältnifemäfeig  fd^neU,  ba  tt)o  Don  StJ^atfad^en  unb  ©reigniffen 
bie  Siebe  war,  ben  redeten  Ston  unb  ein  obieftiöeö,  burc^  bie 
©tellung  2)eSienigen,  ju  tocldjem  jte  jprad^,  faum  beeinflußtet 
ttrtl)eil  ju  pnben. 

©er  erfte  tüid^tigere  Vorgang,  ben  i^au  Don  @taöl  fd^ilbert, 
ift  bie  Slufnalime  il^re§  f^eunbe^,  be§  ©rafen  ©uibert,  in  bie 
aiabemie,   an  ©teile  beö  fürjlic^  öerftorbenen  Jl^omaö.    @ie 
Don  ©uibert,  er  beft^e  bie  energifc^e,  l^inreifeenbe  Sereb^ 


gftau  t)on  "Bta^i,  im  93efi<)  ber  Unberfitatdbibliot^ef  Upfala. 
•^nfg  C^üftat),  offne  Xatum,  1787. 


220  5(nc!botc  über  W)U  SKaut^. 

famfcit,  tDcId^c  bie  SJlaffcn  entflamme;  eine  cingcflod^tene  Se* 
merlung  über  weife  Slbminiftratoren  l^abc  eine  bcgciftcrte  Döatton 
für  nieder  üeranlafet.  ©afe  cö  ©uibert  gelungen  toax,  aud^  eine 
§ulbigung  für  jie,  unb  jttjar  nod^  als  fjtänlein  Sftedfer,  einju^' 
fled)ten,  öerfd^toeigt  ^Jrau  öon  ©taeP).  @te  ertüäl^nt,  ba^  bcr 
Siebner  Dom  Äönig  falt  empfangen  tooxbm  fei,  unb  bic  itritif 
be§  ^ofeö  il^m  ^atl)o§  t)orgett)orfen  l)abe,  ;,ber  ftel^enbe  SBorwurf 
aller  falten  2Renfd)en  für  entl^ujtaftifd^e  3flaturen,  tt)eil  il^nen  äUci^ 
übertrieben  erfd^eint,  xoa^  fie  felbft  gu  empfinben  nid^t  fällig 
jtnb".  es  folgt  eine  Slnefbote  über  Slbbä  SRaur^,  ber  bie  öor* 
gefd^riebene  ©ebäd^tniferebe  auf  ben  fürjlic^  Derftorbenen  ^etjog 
Don  Orleans  gel^alten  l^atte:  „3Jtam^  befud^te  biefer  Sage  bie 
©räfin  gla^ault,  bie  pdf)  beflagte,  il)n  fo  lange  nid^t  gcfel^ett 
gu  l^aben.  ,SeiberS  antwjortete  ber  Slbbe,  ,mu6te  id^  meinem 
t)om  @d)lag  getroffenen  ^reunbe,  bem  Slbbe  be  SSoiSmont  mid^ 
toibmen;  geftern  loljnte  er  auf  baS  (äbelfte  meine  geringen 
©ienfte,  inbem  er  mir  feine  5ßfrünbe  übergab*.  ,01^,  um  fo 
beffer/  erwiberte  SKabame  be  ^la^ault,  ,alfo  »erben  wir  imS 
je^t,  U30  Sie  frei  ftnb,  öiel  öfter  fel)en  lönnen!'  —  6r  ift  nid^t 
ol^ne  Stalent",  urtl^eilt  %xan  Don  @tael  mit  propl^etifd)em  ©d^arf* 
jtnn  über  ben  jufünftigen  SBorpl^rer  ber  9lied)ten,  „im  @egen« 
tf)eil,  er  l^at  SlHeS,  mit  SluSnal^me  öon  ^erj  unb  ©cele." 

Snbeffen  ioar  ßaglioftro  in  ^olge  Don   SBetrfigereien  mit 
feiner    grau    in    bie   SaftiUe    geftecft    ioorben,    loorfiber    eS 

Il^eifet:  „(är  enoedt  baS  allgemeine  SKitleib.  3n  biefem  2anb 
ijaben  bie  Opfer  ber  Slutorität  ftetS  baS  ^ublifum  für  fld^, 
,.,  weswegen  man  aud^  einen  Slugenblicf  t)erfud)t  l^at,  eS  für 
"ben  Garbinal  gu  erwännen".  ®er  ßarbinal  ift  fSrinj 
SouiS  be  3iol)an,  ^elb  beS  .^alSbanbprojeffeS ,  mit  beffen 
üerberblid)en  ©d)lingcn  bie  SSerleumbung  bie  Äonigin  um^^ 
garnte.  „©er  auf  if)n  fallenbe  S3erbad)t'',  f flirrt  grau  öon 
©tael  fort,    „ift  feiner  9ktur  nad)  gu  niebriger  Slrt,  um  ein 


')  Baroune  d' Oberkirch,  Memoires,  II,  133.  1787. 


^röfibent  ©upotQ.  221 

Icbl^aftcö  ©cful^l  für  ober  gcgcrt  ii^n  ewcrfcn  ju  fönncn.  .  .  . 
SSBir  ttjcrbcn  leinen  3fluntiu§  mel^r  in  ^ranfreid^  l^aben,  bi§  ber 
^roccfe  be§  (Sarbinafö  beenbigt  ift.  SKan  l)at  i^n  in  9ftom 
fu^penbitt,  iDeönjegcn  bie  SBi^boIbe  fagen,  tt)a§  man  aud)  in 
^ari§  über  il^n  öerpngen  möge,  in  Sftom  toerbe  eö  nie  an 
^öflid^Ieitöbcjeigungcn  für  if)n  fel^len,  ba  er  Sebermann  bort 
gwinge,  i^m  ben  $ut  abgunel)men.  Sd)  glaube,  eö  wäre  nid)t 
fcftwer,  bie  ganje  franjöftfd^e  ®e|d)id^te  in  SBortfpielen  gu 
f (abreiben;  über  iebe§  ©reignife  berfelben  ftnb  fold^e  gemai^t 
tooxbm. 

„%xan  öon  ©enliS  l)at  ffirilid)  200,000  Sioreö  9fiente  üon 
ber  5iRarf(^aain  b^ßfireeö  geerbt;  fte  ift  un§  SRe^enfd^aft  über 
SSerwenbung  biefer-  ©umme  fc^ulbig,  ba  ba^  ^ublifum  über 
alle  ü^re  ^riöatangelegenlieiten  unterriditet  gu  fein  pflegt. 

„Soeben  ift  eine  ©enffd^rift  be§  ^räjtbenten  ©upatQ  öom 
Parlament  Don  SSorbeauf  gu  ®unften  breier  unfd^ulbig  burd^ 
ba^  SRab  Eingerichteten  erfd)ienen,  bie  aKe  elirlid^en  ßeute  l)in= 
reifet.  Saufenb  Dpfer  auf  htm  ©d^lad^tfelb  tt)erben  nid^t  fo 
fel^r,  als  ein  ungered^t  33erurtl)eilter  beflagt.  2)ie  frangöfifd^e 
©riminaliuftig  fül^rt  ben  SRic^ter  oft  irre,  unb  e^  njöre  gu  njün* 
fd)en,  bafe  bie  öffentlid^e  Stimme  eine  5lenberung  berfelben  l)er= 
beifül^rte.  2)ie  @efpräd)e  in  ber  ®efellfdE)aft  l)aben  aufgeljört, 
nid^töfagenb  gu  fein,  ba  pe  gur  SSilbung  biefer  öffentlid^en 
SJleinung  bienen;  3Borte  pnb  gu  Slljaten  gett)orben,  unb  alle 
gcffil^löoHen  bergen  greifen  bie  ©enffd^rift,  tt)eld)e  ber  SJienfd^* 
lid^Ieit  il^ren  Urfprung  öerbanft  unb  al§  geiftreid)  gerül^mt  njirb^ 
meil  jte  feelenöoH  ift.  ^xoax  füllten  bie  9ftid^ter  jtd^  öerle^t, 
meil  man  jte  einer  Ungeredt)tigfeit  auflagt;  aber  bie  Unglüdf^ 
Ud^en,  id)  l^offe  eö  gut)erjtd)tlid),  werben  gerettet  werben,  unb 
mel^r  »erlangt  ber  el^rlid^e  SKann  nid^t,  ber  il^re  @adE)e  gur 
feinigen  gemad)t  ^aV 

Sllö  ©upatt)  feinen  ^xotä  erreid^t  unb  bie  greifpred^ung 
öon  gwei  Slngeflagten  burd)gefe^t  l^atte,  bie  fonft  ba^  Sd^idffal 
i^rer  brei  geröberten  Seiben^gefätjrten  gu  erbulben  gel^abt  ptten,. 

äBUnnerl&attett,  5rau  ton  (Staöl.  I.  15 


222  ®«  ^<>f  "«^  SJetfoinc«. 

Dcrfäumte  grau  Don  ©tael  nid^t,  l^injUjufügcn:  „SHiin  foHte 
aud)  ®upatt)'§  ©d^tDagcr,  g^retcau,  bcr  ii^n  gucrft  auf  bie 
©ac^e  aufmerffam  gemacht  l^atte  unb  baffir  öerbannt  worben 
war,  jurüdberufen  werben.  6^  wäre  eines  ÄönigS  wfirbtg, 
eine  il^m  gugefügte  pcrfönlid^e  Seleibigung  über  bcr  23^atfad^e 
3U  öergcffen,  bafe  jweien  feiner  Untertl^anen  baS  geben  gerettet 
worben  x\t"  ^). 

©old^e  Semerfungen  fäf)ren  bereits  ins  §erj  ber  ^olittf, 
beren  (Sorgen  mel)r  unb  mel^r  jtd)  ber  Sl^eilnai^me  biefer  einft 
fo  l^eiter  lebenSfrol^en  ©efeltfc^aft  aufbrängten.  Slber  nod^  war 
il^r  eine  lurje  grift  gegönnt,  unb  eS  entfprid^t  ber  Sugenb  ber 
ßorrefponbentin  beS  ÄönigS,  auf  jid^  felbft  unb  il^r  erfteS  Sluf= 
treten  bei  ^o^  unb  in  ber  SBelt  jurüdgufommen :  „©ie  Äönigin", 
erjäl^lt  fte,  „wie  nict)t  minber  ber  Äönig  empfingen  mid^  gnäbig; 
fte  fagte  mir,  lange  fd)on  l)abe  fte  gewünfd^t,  meine  Selannt* 
fc^aft  gu  mad)en;  bie  Stafel  war  ^)räc^tiger,  als  jte  je  guöor 
ju  6l)ren  einer  ©efanbtin  abgel)alten  würbe.  ä[d)t  Sage  fpäter 
fpeifte  id)  mit  ber  ©efanbtin  ©panienS  bei  §errn  öon  SSer»= 
genneS ;  er  reid)te  uns  beiben  bie  §anb,  um  fo  bie  grage  bcS 
SSortrittS  ju  crlebigen.  ©iefe  ^öflid^feitsformen  bemerle  id^, 
feitbem  fte  nidE)t  mel^r  mir  perfönlid^  gelten. 

„©ie  aSälte  ber  Königin  waren  wäl^renb  biefeS  SBinterS 
befonberS  glänjenb.  ®er  ©aal  glid^  einem  geenpalaft;  er 
fteHte  bie  ©arten  üon  Srianon  bar,  unb  bie  SBaffer  l^örten  nid^t 
auf  gu  fpielen.  ©ie  ©arfteHung  länblid)er  gefte  unb  beS 
SlreibenS  in  freier  9iatur  gur  ©ommergeit  mifd^t  jtd^  in  bie 
aSergnügungen  unb  ben  ©lang  beS  ^oflebenS.  SHebenan,  in 
einem  anbern  ©aal,  betreibt  man  bie  weniger  ib^Kifd^e  ßtx^ 
ftreuung  leibenfc^aftlidE)en  ©piels.  (äin  junger  ^err  oon  GafteKane 
Püd)tete  aus  bem  elterlid^en  .f)auS,  weil  er  SlHeS  öerloren  l^at, 
was   er  befafe.    ©ennod)   gibt  bie  Königin  baS  SSeifpiel  ber 


^)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France.    Quatrieme  bulletin 
des  Nouvelles,  de  Madame  de  Stael,  I,  410. 


S)lc  Slffaitc  ©onoiS.  223 

aRältguttg,  unb  cg  gcfd^tcl^t  nid^t  il^r  ju  ©cfaUcn,  tocnn  bic 
Acute  jtd^  gu  ©runbe  rid)tcn;  aber  bcn  Spielern  wirb  iebe 
anbere  Sefc^äftigung  langmeilig,  totxl  jie  an  grofee  älufregung 

unb  ©efal^r  ftd^  getoöl^nt  liaben SBir  bejt^en  aud^  ein 

neucg  ®ebtd^t  beS  ^erm  öon  Florian,  ,9hima  ^onipiliiiö'. 
©eine  ®efe^geber  unb  Ärieger  jtnb  ©c^äfer  in  Sloga  unb  ^ar* 
nifd^,  aber  ber  ©t^l  ift  gefällig,  unb,  wie  2Rabame  ®u  2)e|fanb 
gu  fagcn  pflegte,  e§  bringt  Memanbem  ©d^aben,  fo  etwas  ge* 
fd^rieben  gu  l^aben'^ 

©iefem  erften  SuHetin  öon  iJrau  öon  ©tael  folgte  balb 
ein  gweiteg  Dom  Sluguft  beö  gleid)en  Sal^reS  1786.  ©§  berül^rt 
eine  @ad)e,  bie  Dielet  unb  peinlicf)e§  Sluffelien  erregt  l^atte,  bic 
©nfperrung  eines  gewiffen  ©rafen  Don  ©anoiS  inö  S^arrenl^auS 
gu  ßl^arenton,  in  ^olge  einer  burd^  feine  gtau  unb  Slod^ter  er* 
wirftcn  lettre  de  cachet.  ®ie  ©ad^e  war  befannt  geworben, 
unb  ÄacreteHe  ber  Sleltere  l^atte  bie  95ertl)eibigung  beö  Unglüd* 
lid^en  übernommen  unb  gugleid^  bie  Snftitution  angegriffen, 
bic  fold^en  SRifebräud^en  SSorfd^ub  leiftete  ^).  „®er  gaH  geprt 
gu  benienigen,  bie  alle  Sefer  ber  ©enlfc^rift  öon  SacreteHe  nad^** 
bcnflid^  mad^cn  foUtcn,"  fc^reibt  ^au  Don  ©tael.  „9luf  ben 
einfachen  SSorfd^lag  feiner  g^amilie  öerfd^winbet  ein  SKenfd^  für 
immer  unb  wirb  aller  S8erIef)rSmittel  mit  feinen  fjreunben  unb 
feinen  fRxä)km  beraubt,  ©old^e  @tnrict)tungen  mad^cn  unS 
bod^  etwas  gu  fei^r  öon  ber  SRed^tfd^affeni^eit  unferer  Umgebung 
abl^ängig,  unb  eS  werben  Älagen  gegen  §errn  öon  Sreteuil 
laut,  weil  er  bie  öon  2RaleSl)erbeS  getroffene  SRaferegel  nid&t 
aufredet  crl^alten  l)at,  nad^  wcld^er  eine  fold^e  lettre  de  cachet 
nur  bann  ertl^eilt  werben  fonnte,  wenn  eine  eigens  bagu  berufene 
©ommifflon  üon  angefel)enen  S^ftigbeamten  ben  %afl  geprüft 
l^ottc;  aber  bie  3nftitutionen  ber  SKinifter  öergeljen  mit  il^nen, 
unb  felbft  bie  Äönige  regieren  nid^t  immer.  .  .  .  @S  war  mir 
fcl^r  peinlid^,  mic^  öor  Äurgem  in  berfelben  ®efellfcf)aft  mit  ber 


*)  Lacretelle,  Discours  sur  les  peines  infamantes,  1786. 

15* 


224  ^^^^n  ^^  Stltxta. 

Sod^tcr  bc^  ^crrn  öon  ©anotö  unb  feinem  ©d^wicgerfol^tt  ju 
bcpnbcn;  jtc  bereiten  eine  SRec^tfcrtigungSfd^rift  öor  unb  be* 
l^anpten,  über  bie  fd^Ied^te  fflel^anblung,  bie  il^m  in  (S^arenton 
JU  Sl^eil  getoorben  fei,  l)abe  man  bem  ^blifum  fel^r  übertriebene 
@ci)ilberungen  gemad)t.  ®a§  wirb  fte  nic^t  entfd^ulbigen,  ober 
man  mufe  belennen,  bafe  e§  ber  Sel^ler  ber  ^aujofen  ift,  jtd^ 
J^nie  mit  ber  SBal)rl)eit  begnügen  gu  lönnen;  fte  muffen  SHIem 
etmoS  l^injufügen,  unb  ftatt  baburd^  ben  beabftd^tigten  ©inbrurf 
JU  erl^öl^en,  begegnet  eö  il^nen  nur  gu  oft,  if)n  gu  fd^tt)ad^en 
unb  burd^  ba§  ßrfunbene  ben  ®Iauben  aud^  an  ba§  SSBal^re 
mit  3U  erfd)fittem.  ©eitbem  bie  ©enffd^rift  erfc^ienen  ift, 
taud^en  täglid^  neue  ®efd)id^ten  über  toißfürlidE)  gefangen  @e* 
lialtene  auf.  ©ie  §älfte  berfelben  ift  ol^ne  ßtt^eifel  erbic^tet, 
aber  genügt  ba§  jur  aSerulöiS^^S  ^^^  3Kenfcf)lici^Ieit?'' 

^laä)  ben  lettres  de  cachet  lommen  bie  Sitten  beS  Älerui^ 
an  bie  SReitje:  „©er  3Jlarfd)aIl  üon  ©ura§",  ergöl^lt  grau  öon 
©tael,  „bem  alö  erften  Äammerl^erm  bie  Comedie  fran^aise 
untergeorbnet  ift,  empfing  öor  einigen  Sagen  ben  Sefud^  einer 
jungen  ©ebutantin:  ,9?un,  mein  Fräulein*,  rebete  er  fie  an,  ,in 
weld^er  SRoHe  tt)ollen  Sie  juerft  auftreten?'  —  ,2)a^  ift  mir  gong 
gleidt);  id)  beflamire  SlUeö,  ba§  Äomifd^e,  ba§  Sragifd^e,  ganj 
tt)ie  man  wiK/  —  ,Unb  ttjer  l^at  @te  in  ber  S)eIlamation  unter« 
richtet?'  —  ,Sld),  ba§  mar  ein  Slbbe,  ber  Sntereffe  an  mir  nal^m- 
6r  l^at  jtd)  eine  gang  au§erorbentlid)e  3iJlü^e  mit  mir  gegeben, 
aber  bod^  ift  nict)t  er  eö  gewefen,  ber  mir  am  nü^lid^ften  mar/ 
—  ,Unb  tt)er,  mein  g^räulein,  mar  baS  ?*  —  ,(5in  ©eneral^SSilar, 
öon  bem  id)  fagen  barf,  ba§  er  mid^  mirilid)  geliebt  unb  mein 
Salent  aufeerorbentlid^  geförbert  l)at.*  —  ,3flun,  mein  ßontpliment, 
mein  ^räulein:  ®ag  nenne  id^  einen  ©rfolg.  ®arf  ic^  fragen, 
ob  ba§  SlDeö  ift?'  —  ,5lein,  §err  Oßarfdtiaa,  berjenige,  ber  fidt> 
am  meiften  für.  midt)  interefjirt  unb  mir  ©tunben  gibt,  ift  ein 
a^ifd^of,  ber  mid)  aud^,  menn  @ie  e§  münfdjen  foUten,  entpfel^Ien 
mirb.'  —  ®ie  Eigennamen,  bie  jur  @efd)id^te  get)ören,  ftnb  ber 
Slbbe  3)eliße,^^ber  Slbbe  b'ßfpagnac  unb  ber  ßoabiutor  öon 


S3cmcrlun0cn  übet  ßalonnc.  225. 

Drl^ttS,  3orcntc.  —  3^  glaube  ba^  x\t,  toaö  man  eine  fran«» 
jfijtfd^e  ®cfd)id)te  nennt. 

„2)ie  Slfliotage  &c§  Slbbö  b'efpagnac  nnb  bte  aSermögen, 
tt)el(j^e  feine  ffreunbe,  u.  a.  bcr  ^crgog  öon  DrWanö,  babci 
gewannen,  l^aben  baö  ^ublüum  fcl)r  befd)äftigt.  ©ö  fd^eint, 
ha^  ber  Äönig  feine  Unjufricbenl)ctt  barüber  gu  crlennen  gegeben 
l^at,  ein  fold)eS  ®efd)äft  öon  einem  ^tieftet  betrieben  ju  feigen. 
3)er  aibb^  tft  öon  feinem  Äapitel  abgefangelt  toorben;  ptte  er 
gu  fd^weigen  öerftanben,  fo  würbe  fein  SRul^m  jwar  geringer, 
fein  aSermögen  aber  um  fo  größer  geworben  fein.  8lKeö  in 
Slttem  genommen,  ift  baö  ®elii  biefer  Slrt  öon  SSerül^mtlieit 
nod)  borgujiel)en.  2)er  ^inangminifter ,  unter  beffen  SSerwal« 
tung  es  mögliij^  ift,  fid^  auf  eine  fold^e  Slrt  ein  beträd)tlid)eS 
aSermögen  ju  fd^affen,  geprt  ol^ne  Stt^^ifd  5«^  gal^l  2)erienigen, 
bie  ftd^  nid^t  über  ©aö  ju  argem  pflegen,  waS  fte  felbft  be* 
merfen,  fonbern  ma^  fte  öon  Slnbem  ju  fel)en  gezwungen  werben." 

©iefer  iJinanjminifter  war  (Salonne,  öon  bem  ffrau  Don 
©tael  an  einer  anbeni  ©teile  folgenbe  Slnelbote  ju  berid)tett 
ttid^t  öerföumt:  „aSei  Stifdt)  !am  öor  nid)t  langer  Qdt  in  feiner 
©egenwart  bk  SRebe  auf  bie  fjinanjminifter  Subwig'ö  XVI. 
(Sin  IJreunb  beö  SKinifterö  erwäl^nte  ber  ungel^euren  aSermögen, 
bie  burd^  feine  bamaligen  aSorgänger  im  Slmt  gemad)t  worben 
feien,  unb  erinnerte  an  2Ragarin,  an  5Rid)elieu,  inbem  er  eö  be:= 
fiagte,  bafe  bie  Slnl^äufung  berartiger  9fieid)tl^ümer  nid^t  mel^^ 
xnöglid^  fei:  »aSergei^en  Sie',  unterbrad^  il)n  (Salonne,  ,ba^ 
^anbwerl  ift  nodö  nid^t  öerborben'.  6§  wäre  beffer",  meint 
grau  öon  ©tael,  „fold^e  ®inge,  wenn  überliaupt,  fo  bod^  nicf)t 
bei  2:ifd)  gu  fagen.  2)er  ßarbinal  t)on  SRol^an",  l^eifet  eö 
weiter,  „»erbringt  traurige  Sage  in  feiner  Slbtei  ber  8luoergnc. 
©er  SWinifter  be  ©räqui,  auf  bie  ^rätenfionen  beö  §aufe§  an* 
fpielenb,  fagt:  ,@ie  fallen  in  ben  abeligen  ©tanb  gurüd,  benn 
fte  entel^ren  ftd^'.  2)ie  fd^öne  ©räfin  öon  aSrionne,  bie  ben 
6arbinal  öertljeibigt,  foUte  2:l)eilnal)me  erwecfen,  aber  fte  trägt 
il^ren  @d)merj  fo  tl)eatralifd^  gur  ©d^au,  bafe  er,  obwol^l  wal^r 


iQ  8aron  ^taei  übet  ben  ^alsbanbprose^. 

jcnug,  wie  ein  SBütincneffcIt  wirft.''  3«  ©unften  bcr  fcj^wcr* 
jcfränften  Königin  l^at  S^rau  öon  ©taöl  fein  SBort  bereit, 
obtt)ot)l  bie  neunmonatIid)e  ©auer  beö  ^atöbanbprojeffeiS  ba« 
ßrofee,  ba§  ^ublifum  fa[t  au^fd^lte^Hd)  befd^äftigenbe  ©reigntft 
be§  3at)re§  war;  bagegen  erfal^ren  wir  burd)  ©epefdöen  be^ 
aSaron  ©taöl,  wie  man  im  $au§  5>ledEer  über  bie  @ad)C 
badete.  „@ö  fd)eint  jtd^er",  f treibt  er,  „ba%  bie  Ferren  öon 
3Sergenne§  unb  ßalonne  gegen  bie  Äönigin  ^Partei  genommen 
l^aben  unb  bie  gegen  jte  beftel^enbe  3lufregung  el^er  jn  öermel^ren 
atö  gn  befd)Wid^tigen  bebad)t  jtnb.  ©§  i[t  fel^r  gn  beHagen, 
bafe  bie  Königin  nid)t  über  eineij  gnöerläf jtgen  JRattigeber  öerffigt, 
ba  jte  mit  ben  liebenj^würbigften  6igenfd)aften  aud^  bie  jur 
2)nrd&füt)rnng  einer  guten  @ad)e  nötl^ige  SBiUenöfraft  befäfee; 
allein  jte  mfifete  babei  angeleitet  unb  unter[tä|t  werben.  Sl^re 
Umgebung  jd^eint  feine  befonberen  SRüdjtd)ten  gegen  jie  gu  beob« 
ad)ten,  benn  im  gegenwärtigen  8lugenbIidE  g.  S.  jtnb  bie  5ßoIignac^ 
unb  bie  Saubreuitö  auf§  6ifrig[te  für  ben  ßarbinal,  unb  audE) 
ber  ®raf  öon  8lrtoi§  })at  il^m  warme  S^mpatl^ie  bewiefen.  ^m 
allgemeinen  fann  id^  nid)t  finben,  ba^  man  ber  Königin  bie 
©efül^le  entgegen  bringt,  bie  jte  einflößen  foHte.  3^r  SBunfd^ 
gu  gefallen  l^at  weniger  ©rfolg  getiabt,  alö  bieö  in  al^nlid^er  Sage 
jelbft  bei  einer  einfad&en  ^riöatperfon  ber  %aU  gu  fein  t)f[egt. 
2)a§  ift  öieHeidjt  ein  SBeweiö,  bafe  tro|  ber  Seid)tfertigleit  biefeiS 
2anbeö  bie  Station  l^eröorragenbe  SSerbienfte  öon  it)ren  ©ouüeränen 
begetirt  unb  jtd^  nur  nad)  bem  SJlafe  it)rer  Seiftungen  il^nen 
anI)änglidE)  erweift"  ^). 

6ine  weitere  Slnbeutung  über  bie  gunel^menbe  ^altloftgleit 
be§  Seftetienben  gibt  grau  öon  ©tael  bem  wol^Iinformirten 
©d^webenfönig  in  folgenbem  a3erid)t:  „9Sor  einigen  Sagen",  fd^reibt 
jte,  „nal^m  id^  in  Sluteuil  an  einem  2Sot)Itl^ätigIeit§fefte  Sl^eiL 
Sie  grau  eineiS  bortigen  Ärämerö  t)atte  nclmlid^  burd^  Swf^ß 


^)  Leouzon-Le  Duc,   Correspondance   diplomatique  du  Baron   de 
Stael-Holstein,  29,  ©cpcfd^c  Sßo.  30,  10.  Sunt  1786. 


«aHt)  SoHenbars  Srafiöbie  „etrofforb".  227 

auf  bcr  ©trafee  bcn  SBrief  eines  ®efangenen  öon  Sicetre  ge= 
funben,  ber  tt)re  tieffte  Stl^eilnalime  erwedte.  Seit  brei  Satiren 
^at  jie  ^tmmel  unb  @rbe  in  Sewegung  gefegt,  um  feine  S8e= 
frciung  ju  etiüirfen,  ber  menfc^enfreunblic^e  5Rinifter,  ^erjog 
Don  ßaftrieS,  l^at  enblid)  bie  @ad)e  burd)gefe^t.  S)ie  Ärämer§= 
frau  erl^telt  nun  öorige^  '^aijx  ben  für  Jl^aten  ber  2Renfd)en= 
liebe  wn  ber  Slfabemie  aufgefegten  ^reiö.  SSor  ad)t  Sagen 
fpeifte  jte  bei  3Wabame  be  Sujrembourg  mit  3Wabame  be  SSouff« 
ler«  unb  bem  SWanne,  ben  jte  befreit  l^at,  nad^bem  er  einen 
leid)tf[nmgen  ©treid)  mit  fitnfunbbreifeigiäl^riger  |)aft  bilden 
mufete.  Sd^  lann  nid^t  genugfam  au^brüden,  wie  fel^r  mid^ 
btefer  9Jlann  interefjtrte.  6r  fpielte  un§  etwaö  auf  einem  Sn^ 
ftrument,  ba§  er  in  ber  SaftiHe  au^  g^lieberrotir  jtd^  anfertigte; 
bei  feiner  ©dE)ilberung  ber  in  biefer  fürd)terlid)en  ©infamfeit 
nod&  möglidien  Sefd^äftigungen  unb  ber  Slu^funft^mittel,  bie  er 
erfann,  um  ftd^  au§  berfelben  gu  befreien,  lonnte  id^  mid^  ber 
Sii^ränen  nid^t  entl^alten.  2Ba§  gefpannte  ^ufmerffamleit  ju  mU 
bcrfen  unb  gu  laffen  öermag,  erfd)eint  uns;,  bie  ba^  SBeltgetümmel 
jerftrcut,  gerabegu  unglaublid^. 

ffSd)  l^abe  gwei  Slfte  einer  Stragöbie  gelefen,  bie  nod^  9?ie= 
manb  lennt,  unb  bie  ben  ftärfften  ©inbrud  auf  mid^  gemad^t 
l^at;  es  ift  „©trafforb  unb  Äarl  I."  Dom  ®rafen  SaUt),  ©o^n 
beiS  ^ingerid^teten,  beffen  SebenSgwed  barin  befielet,  ba^  3ln= 
beulen  beö  aSaterö  gu  räd)en.  •  ®ie  Slnalogie  gtt)ifd)en  ber  ®e= 
fc^id^te  ©trafforb'S  unb  jener  feinet  S3ater§,  gtt)ifd)en  bem 
©l^arafter  Subn)ig'§  XV.  unb  jenem  ÄarFS  L,  trägt  gur  (är« 
l^ol^ung  beS  6inbrud§  bei.  5Rir  ift  nie  ein  SRenfd^  öorgefommen, 
ber  öoUftänbiger  t)on  einem  ®ebanfen  unb  einem  ©efül^l  ergriffen 
gewefen  »äre;  be§  aSaterg  6^re  wiebertiergufteßen ,  ba§  ge= 
fd^el^ene  Unred)t  gut  gu  mad^en  unb  ber  Unfd)ulb  gum  ©ieg  gu 
öerl^elfen,  ift  ber  ®ebanfe,  ber  il^n  au§fd)liefelid^  bel)errfd)t,  unb 
in  feinem,  in  jebem  Sllter,  lann  eine  foW)e  geftigfeit  ber  ©e» 
ftnnung  nid)t  genug  gelobt  werben. 

„®er  berülimte  Silbl^auer  ,§oubon  l)at  an^  Slmerila  eine 


228  «Srtöaro«. 

Süftc  SBafl^mgton'S  jurücfgcbrad^t.  (äS  jinb  We  lältcftcn  ßügc, 
btc  td^  Je  in  meinem  Seben  gefeiten  I)abe,  unb  eS  ift  unter» 
Iialtenb,  jte  mit  jenen  öon  ßaglioftro  gn  öergleic^en.  SKan 
wäre  gn  glauben  öerfud)t,  bafe  3Baft)ington  für  nid^tS  jid^  warm 
ju  interefjtren  öermag  unb  befonber§  ber  SRul^m  il)n  gleid^gültlg 
läfet.  ®r  gleid)t  jenen  Slergten,  bie  nid)t§  öon  ber  ^etlfunft 
Iialten."  .  .  .  „fjigaro  ift  an  ber  gweiunbneungigften  SSorjteHung 
angelangt.  33eaumard^ai§  fagte  neulid^,  man  »erbe  crfl,  wenn 
e§  t)unbertunbfünfgig  9Jtal  gegeben  worben  fei,  baS  SBerf  ju 
beurtl^eilen  wiffen.  .  .  .  SBir  bebauem,  nur  SBi^e  unb  SBort» 
fpiete  berid)ten  gu  lönnen,  aber  in  biefem  Sanbe  gibt  eS 
nid^tg  gu  tt)un,  unb  be^l^alb  I)at  man  e§  in  ber  SRebdunft 
weiter  al^  irgenbwo  fonft  gebrad^t."  Slud^  ber  Seridöt  über 
ben  Slufentl^alt  ber  ©rgl^ergogin  6t)riftine,  ©d^wefter  ber  Äönigin, 
unb  il^re§  ©atten,  |)ergog  Söbert  öon  @ad)fen,  fdfiUefet  mit  ben 
SBorten:  ,,®ie  ^arifer  ®efenfd)aft  wirb  jeben  Sag  unintereffanter. 
9Kan  wünfdjt  gar  nid)t  mel)r,  in  berfelben  gu  glängen,  unb  wenn 
ba§  Spiel  nid)t  wäre,  würbe  man  fein  fieben  ol^ne  irgenb  eine 
Slufregung  verbringen." 

®a§  näd)fte  SuHetin  ift  nod^  öom  felben  ^df)Xf  Sloöember 
1786  batirt,  unb  befd)äftigt  fidE)  mit  ©ingell^eiten  über  ben  ^of, 
wie  fte  Äönig  ©nftaö  gu  fennen  wünfdE)te;  bie  Steife  uod^ 
S^ontainebleau,  bie  bag  ÄönigSpaar  jebeS  ^di)x  im  §erbft  gu  unter» 
nelimen  pflegte,  gab  biegmal  Stoff  bagu:  „Safeln  unb  Souper«'', 
ergäl^lt  bie  junge  ©efanbtin,  „jtnb  bie  eingigen  Segeben» 
Iieiten  beö  Sagg.  dreimal  in  ber  3Bod)e  foupirt  man  bei 
3Wabame  be  ^olignac,  breimal  bei  SJiabame  be  2ambaHc«  unb 
einmal  im  intimen  ÄreiS  ber  Äönigtn,  bie  gewöl^nltdö  um  elf 
\Xf)x  Slbenb«  gu  erfd)einen  pflegt  unb  eine  Partie  SBiUarb  fpiett, 
waö  fel^r  in  ber  SBlobt  ift.  Um  SKittemac^t  gerftreut  jtd^  biefer 
Äreiö,  unb  man  befd^liefet  ben  Slbenb  anberSwo.  ^agarbfplele 
ftnb  abfolut  verboten,  aber  bie  anbern  Spiele  gelten  um  fo 
l)öl)er.  ©aö  eingige  SBergnügen  einer  .t)au§frau  fd^eint  barin  gu 
beftelien,  i^re  Säfte  fo  |d)nell  al§  möglid^  an  einem  Zxicttac^ 


S)cr  ^of  in  gontoineblcau.  229 

ober  OuinjC:'2:ifciö  feftjulettcn.  ®abci  war  eine  fol(i)c  SKcnfc^cn* 
menge  in  Sontaineblcan,  bafe  man  nur  mit  bcn  jwei  ober  brei 
^crfonen  ^ä)  unterl^alten  fonnte,  bie  am  felben  Stifd)  fpielten. 
Sm  Uebrigen  bcftanb  baö  Sßergnügen  barin,  jtdö  ^cilb  erbrüdfen 
laffcn  ju  muffen.  SefonberS  bei  ber  Äönigin  war  ba^  ®ebränge 
ganj  ungel^ener.  6ö  ift  nid)t  möglid),  ber  $öflicf)feit  einen 
größeren  Sleij  ber  Slnmutl)  nnb  ®üte  gu  oerleitien,  alö  e§  bnrc!^ 
fle  gefd^iel^t.  Dl^ne  bie  Slnbern  oergeffen  gu  laffen,  bafe  jte 
Äönigin  ift,  fd^eint  jie  felbft  nie  baran  gu  benfen.  ®a§  @tu= 
bium  beS  ©ejid^töauSbrucfö  unb  ®ebat)ren§  ©erjenigen,  bie  ein 
SBort  oon  il^r  erwarteten,  lol^nt  bie  9Wüt)e.  2)ie  ©inen  fud^ten 
bie  Slufmerlfamleit  baburc^  auf  ftd^  git  gielien,  ba^  jte  in  lauteS 
gad^en  über  Semerfungen  il^rer  S^ifd^nac^barn  au§bradt)en,  bie 
unter  anbern  SSerpitniffen  faum  ein  fiäd)eln  erregen  mürben; 
8tobere  bemüt)ten  ftd^,  gerftreut  auSgufe^en  unb  fo  ben  fie  au^- 
fd^Iie^Iid^  befd|äftigenben  ®ebanfen  gu  oerbergen;  pe  manbten 
bel^arrlid^  ben  Äopf  nad^  einer  anbern  Seite,  lonnten  e§  aber 
bod^  nid^t  Oerl^inbem,  ba^  it)re  Slugen  ber  Äönigin  auf  @d)ritt 
unb  Stritt  folgten.  SBieber  3lnbere,  wenn  jte  oon  il^r  über  ba§ 
öetter  befragt  mürben,  glaubten  eine  fold^e  ®elegenl)eit,  jtd^  gu 
ericnnen  gu  geben,  nid^t  unbenü^t  oorüber  gelten  laffen  gu  foßen 
unb  antworteten  lang  unb  breit  barüber.  6§  gab  Jebod^  aud) 
©old^e,  bie  6l)rfurd^t  ol^ne  ©eroilität  unb  ben  Söunfdi)  gu  gefallen 
ol^ne  ungiemlid^e  SBered^nung  begeugten.  .  .  .  ©er  Äönig  oon 
tJranlreid^  erfd|eint  in  ber  ®efelljd)aft  nid)t.  9Kan  jtel^t  il^n 
nur  9JlorgenS  unb  Slbenb^,  bei  ben  bnxä)  (ätiquette  geregelten 
(Scrcmonien,  unb  am  Sonntag  in  feierlid)er  Slufwartung.  @r 
begibt  fld^  nie  gum  Spiel  ber  Äönigin.  6r  jagt  ober  lieft, 
©efc^iel^t  Weber  baS  Sine  nod^  baö  Slnbere,  fo  Reifet  e§  fomifd)er 
SBelfe:  ,$eute  tl)ut  Seine  aKajeftät  nid^tö'.  2Ba§  bann  fagen 
Witt,  ba^  er  mit  feinen  SRiniftern  arbeitet.  SBäl^renb  ber  bieg* 
iäl^rigen  SReife  I)at  er  iJeuten  gweifell^aften  SRufeS  ungweibeutige 
aSeweife  feiner  Ungufriebenlieit  gegeben  unb  baburd^  ben  (äinbrurf 
erl^fil^t,  ba^  fowolil  ber  Äönig  ate  bie  Äönigin  auf  ®runbfä|en 


r)im  (Stfxt  unb  firengem  Sn^anb  6d  bot  jn  ü^  Umgebung 
gc^örenben  ^gerfönlic^fctten  befielen.  6§  iDor  fd^r  baüon  bic 
3ficb€,  boB  Saron  Sreteml  in  gontaincblcou  bai  6nhmtrf  cincS 
ebift^  gu  ©unflcn  ber  Scgaltfinmg  bcr  ^ftrot^  jnnfc^ 
^rotefianten  unb  xifit^  gtmljianbs  ubeiri^<mpt  üorlegen  merbe. 
Cl^nc  3K>eifcl  ifl  ba^  feine  abfielt.  TOon  begebt  gioar  eine 
entel^renbe  ^nblung,  toenn  man  im  äüeligtonSbefomtmjs  eine§ 
ber  Kontrahenten  ^eutjutage  einen  Sd^eibung^^gimib  fud^t,  aber 
trotbem  befielt  ein  folc^e^  ©efefe  fort  imb  nur  bie  Sitte  öer=^ 
l^inbert  ba^  Ungel^uerlic^e  feiner  Snwenbung.  .  .■ 

ä3ei  Snoa^nung  eines  in  fyontoinebleou  burd^gefaQenen 
2:]^eaterftüdFS  unb  beS  ä^erbct*?,  in  @egennxtrt  beS  AomgS  ein  Qtad 
auSjujifd^en,  n>irb  l^erDorge^oben,  mie  man  ftci^  bmtif  itbertriebeneS 
Slpploubiren  ber  ärgjien  Stellen  gel^olfen,  nKid  nic^  minber 
graufam  getoirft  l^abe,  worauf  bie  (i^arafterifHf^  Seugerung 
folgt:  „^n  ^aü^  pflegt  man  au§  republifanifcfter  @fftmmng 
geujöl^nlic!^  gutgu^eiBen,  ma^  in  ^yontainebleau  Dentrtl^eilt  vor« 
ben  ift.  ©ieömal  aber  ftimmten  ^of  unb  @tabt  fiberein.* 
©er  ©^eoalier  oon  SoufflerS  gab  ju  6nbe  jeneö  Sol^rd  ein 
anerfennenj^wert^eS  Seifpiel  ber  Eingebung,  inbem  er  fid^  jum 
gmeiten  ^al  nadb  bem  Senegal  begab,  um  bort  S^daplaxAaqtn 
unter  ber  9legerbeöölferung  gu  errid^ten  unb  fo  bie  freiioillige 
Äultur  beö  ^obufteS  eingufu^ren,  beffen  ergiDungene  ^eroor^ 
bringung  bie  Urfaci^e  aller  SIlualen  ber  armen  Sci^ttKirjen  min 
^SBeldie  ei^re  für  ba§  gal^rl^unbert",  bemerft  grau  öon  6taa, 
„wäre  bie  abfci^affung  ber  Sflaoerci!  SSenn  ein  SRenfci^  ba§ 
erreid)te,  würbe  er  mel^r  ®ute§,  als  je  ein  anberer  gewirtt 
Iiaben!  aber  eS  ift  entfepd^,  geftei^en  gu  muffen,  bofe  bie 
Sieger,  ftci^  felbft  übcrlaffen,  faul  unb  arbeitsfd^eu  werben,  unb 
bieS  ber  ju  ®unften  il^rer  Slb^angigfeit  geltenb  gemaci^te  6nt» 
fd^ulbigungSgrunb  ift.  ©ngell^citen,  bie  ber  ßl^ebalier  bc  ä3ouff< 
lerS  mir  ergäl^ltc,  pnb  ^crggerretBenb.  @o  g.  33.  finb  bie 
©uropaer  barauf  bebad^t,  alte  3Wänner  unb  Seiber  einju«» 
fangen,  benn  bie  SRcger  ftnb  mufierl^aftc  SBeobad^ter  ber  JKnbeS^s 


SSekoegung  für  bie  Sibfdiaffuitg  ber  (Sflaoerei.  231 

J|3flid^t;  fobalb  fle  üon  ber  ©efangennal^nte  il^rer  ßltem  t)ören, 

"xitclbcn  flc  jtd)  an  il^rcr  ©tatt.    ©o  gelingt  eö  oft  beit  barba* 

icrifd^cn,  curopäifd^cn  Äaufleuten,  gwei  [tarfe  junge  2Känner  für 

^men   ®rcl8  einjutaufdicn  nnb   au§   ben  Stngenben   berfelben 

Sieger  Sttu^cn  ju  jicl^en,  bereu  5Raturanlage  jte  mit  fütäjt  aU 

^attj  t)on  il^rer  eigenen  öerfc!öieben  barfteßen."    Sll§  fjran  uon 

<StaäI  bicS  nieberfd^rieb,  bereitete  jtd^  in  ©nglanb  unter  gül^rung 

-l^rer  nad^mattgcn  fjreunbe  SBilberforce  unb  SRomiß^  ber  grofee 

l)nmaxAt&n  fjelbgug  gegen   ben   ©üaöenlianbel  öor.    SRomiK^ 

ergäp,   wie   er   im    Stpril   1789,    furj    öor    ber    S)i§fuffton 

im  ttnterl^au«,   5Ramenö   feiner  ®eftnnung§genoffen  an  nieder 

f(]^rleb>  um  granfreid^g  Unterftfi^ung  gu  begel^ren.    S)ie  pcl)ft 

fcJ^mrid^eD&afte  Slutiüort  beö  3Jiinifter§  fei  aber  in  SSejug   auf 

Me  gefkeHte  Sitte  felbft  fo  entmutl^igenb  genjefen,  ia^  man  öor^ 

gegogett  l^abe,  leinen  ®cbraud^  baöon  gu  mad)en,  unb  fo  fel^It 

bcffen  Sttame  in  ben  SReil^en  biefer  Sefreicr  ber  menfd^lid)en  3lace. 

Sn  feinem  SSud^  über  8lbminiftration  ber  fjinangen  I)atte  SReder 

als  bie  grS^te  @(i)tt)ierigfett  bei  3lbfd)affung  ber  ©flaoerei  bie 

SSerfud^ung  begeid)net,  ben  öon  einer  Station  aufgegebenen  |)anbel, 

»dl  bann  um  fo  einträglid)er,  burd)  eine  anbere  lieber  auf* 

genommen  gu  feigen.    SBilberforce  begog  jtdE)  auf  eben  bie  ©teHe, 

um   ba^  aSertrauen   au§gufpred)en,   bafe  Sranireid)   wenigftenö 

ttid^t  baS  Sanb   fein  werbe,   ftd^   in  biefer  SBeife  auf  Äoften 

©nglanbö  gu  bereid^ern  ^).    3n  biefer  ©ad&e  nat)m  ^Jtau  öon 

&ta&  fpäter  ben  gaben,  ber  auö  it)reS  SBaterS  $anb  geglitten 

toar,  tt)ieber  auf,  inbem  jte  1814,  im  gntereffe  ber  Sluf Hebung 

ber  ©flaöerei  an  bie  aHiirten  ©ouoeräne  appeßirte. 

©er  näd)fte  ©egenftanb,  ber  1787  ba§  SuBetin  befd)äftigt, 
Ift  bfe  nod)maIige  ©rwäl^nung  be§  Sluftretenö  t»on  S)upat^, 
bcffen  (gntlaffung  unb  Ungnabe  gefürd)tet  würben.  S)ie  ©ad^e 
galt,  wegen  ber  Slufregung,  bie  jte  öerurfad^te,  aU  einer  ber 


')  Romilly,  Memoirs  of  the  Life  of  Sir  Samuel,  1840,  I,  343  unb 
345,  8(ptil  1789. 


232.  9^<>u  t)on  Btael  übet  bie  dffentlid^  SKeinung. 

aSorbotcn  bcr  revolutionären  3lera;  jie  üeronla^t  fjrau  öon 
©taäl  gur  Semerlung:  ,,SBtrfIid)  groufam  ift  in  blejem  Sanbe 
bte  Unguoerldfltgfeit  ber  öffentUd)en  9)leinung.  Sie  untcrftü^ 
in  einem  Äampf  oon  oierunbgtoanjig  ©tunben  unb  öerlä^t  bei 
( anl^altenbem  SSiberftanb.  SDie  grofee  Äunft  beS  ©egnerg  l^at 
barin  gu  beftel^en,  einen  oom  ^ublilum  Unterftfi|ten  lange 
genug  anjugreifen.  2Ran  fann  baSfelbe  an  SineS  gewöJ^ncn. 
®er  @ine  gilt  it)m  für  unglüdflid^,  ber  Slnbere  für  öeräd^tltd^; 
aud>  lefetereS  ift  ein  ^anbwerf  in  ber  SBelt.  SBenn  man  t& 
lange  genug  getrieben  l^at,  ift  nidit  »eiter  bat)on  bic  Siebe, 
unb  bie  @ad)e  wirb  alö  erlebigt  betrad^tet." 

©a§  oierte  unb  le^te  SuHetin,  weld^eS  iJrau  üon  Staßl 
für  Äönig  ©uftao  fd)rieb,  trägt  fd^on  bie  ©puren  mad^fenbcr 
©rregung  ber  ©emütl^er  unb  bie  Sal^reSjal^l  1787. 

„®ie  öffentlid^en  ®inge\  fd^reibt  pe,  „nel^mcn  $arl«  feit 
fed)§  SRonaten  fo  öoUftänbig  in  3lnf))rud^,  ba^  bie  ^riöot* 
angelegenlieiten  nid^t  nur  fein  Sntereffe  mel^r  erwedfen,  fonbem 
ins  ©toden  geratl^en  finb,  weil  man  bie  SRu^lopgfeit  aUer  in« 
bioibueKen  S3erfud)e,  bie  Slufmerffamleit  auf  fid^  ju  lenfen,  er* 
fennt.  Sd)  bin  geneigt,  meinen  greunben  unb  SBelannten  tl^re 
untptige  Stpatl^ie  übel  gu  nel^men,  weil  fle  mid^  ber  SWittel 
beraubt,  ßurer  SKajeftät  über  fte  gu  berichten." 

®a§  politifdi)e  (äreignife  be§  5lagö  war  bie  aSerbannung 
beö  «&ergog§  oon  DrläanS,  ber  in  offentlid^er  ©i^ung  beS  ^arifer 
Parlamentes  oom  19.  Sboember  1787,  bem  Äönig  auf  beffen 
SSerlangen  eines  ©teuergufd)uffeS  oon  440  ÜRillionen  entgegnet 
l^atte,  nur  bie  ®eneralftaaten  ptten  baS  SRed^t,  biefe,  wie  über* 
l^aupt  aKe  ©teuern  gu  bewilligen,  ßß^ifc^^«  Stau  üon  ©taöl 
unb  bem  |)ergog  beftanben  nur  jene  gefellfd^aftlid^en  SSe* 
giel)ungen,  bie  il^re  gegenfeitige  ©teHung  bebingte.  Sie  nol^m 
\i)n  nid^t  ernft  unb  als  feine  gnftruftionen  für  bie  SBal^len  öon 
1789  unter  anbem  SSorf dalägen  aud^  bie  ©l^efd^eibung  öer« 
langten,  banite  il)m  %xavi  Hon  ©tael  auf  einem  SSaU  bei  bem 
i^ergog  oon  ©orfet  fd^ergenb  „im  9?amen  ber  ©amen".    „OYt 


©er  ^eräOß  öon  ©rleonS.  233 

cmibertc  bcr  ^crgog,  „xä)  bcnfe  ftets  an  ba^,  waö  i^nen 
fjrcube  bereiten  lann"  ^).  3n  it)ren  S3eri(i^ten  über  tl)n  flingt 
leife  SSerad^tung  bnrd^;  fo  fagt  jte  bei  biefem  Slnla^:  „®er 
$ergog  langweilt  jtd)  fo  fel^r  in  feinem  6fil,  ba%  er  an  ben 
Äönig  gefdirieben  I)at,  er  möge  i^m  bod)  ben  Slufentl^alt  in 
SRainc^,  feinem  @(i)lo6  in  ber  "Slixije  öon  ^ariö  geftatten.  S)urd) 
btefeiS  ©efnd^,  baö  il)m  abgefd^lagen  tüurbe,  t)at  ftd^  bcr  .!&ergog 
fel^r  gefdiabet.  SBenn  man  bag  aSerbienft  be§  SRuttieS  bel^alten 
tüin,  barf  man  ftd^  nid)t  fd^nlbig  befennen,  nnb  ba§  ift  eben, 
XDä^  man  ti^ut,  inbem  man  eine  SRilbernng  ber  Strafe  nadjfud^t. 
9Ran  bemerlte  bem  erjbifdiof  öon  S^onloufe,  er  toerbe  bem 
J^ergog  öon  DrläanS  babnrc^,  bafe  er  il)n  derbanne,  bie  ®e= 
legcnlieit  geben,  ftd)  oor  ber  öffentlid)en  9Keinung  jn  rel)abili= 
tiren.  ,D1^,  id|  lenne  H)n',  ermiberte  biefer,  ,er  wirb  bie  ©e^ 
legenl^eit  öerfänmen'.  Uebrigen^  befielet  fein  ®runb  für  bie 
SRegiemng,   ein  (äjrtl  jn  oerfd)ärfen,   ba^  oom  ^ublifum  ntd)t 

gutgel^eifeen  wirb 

„@ö  entfprid^t  ben  ©ewolintieiten  be§  «^erjog^  don  £)rlean§, 
bfc  ©teilen,  über  bie  er  üerfügt,  mit  Seuten  ju  befe^en,  weldje 
für  biefelben  nid)t  paffen.  @o  l^at  er  fürglid)  einen  Äa:pitan  gnr 
©ee  gum  Äangler  feinet  §aufe§  ernannt.  S)er  Setreffenbe, 
SRonftenr  be  la  Stond^e,  glanbte,  man  woKe  fid)  über  if)n  luftig 
mad^cn  unb  begab  jtd)  in  SKarineuniform  gum  ^ergog:  ,9Jfon* 
fcigneur',  rebete  er  il^n  an,  ,id^  fteHe  mid)  in  Uniform  Sinnen 
öor,  bamit,  im  %aU  e§  üergeffen  morben  ift,  baran  erinnert  fei, 
baS^  x6i  SKatrofe  unb  nid)t  im  ©tanbe  bin ,  eine  Slbbition 
fertig  gu  fieHen,  alfo  für  ba^  mir  übertragene  Slmt  gang  unb 
gar  nid)t  ))affe'.  ,2)a§  ift  gerabe,  wa^  id^  fud^e',  mar  be^ 
^ergogS  Slntmort.  S)e  la  S^oud^e,  nad^bem  er  feine  Unfä^ig= 
feit  fonftatirt  I)at,  weigert  [xdj  nid)t  länger,  100,000  Siore§ 
SHente  in  ©mpfang  gu  nel^men,  ba  ber  ^ergog  barauf  befielt. 
©iefer  ift  fo  l>eiteren  Sinnet,  bafe  id)  mand^mal  angune^men 


*)  Lord  Auckland,  Memoirs  and  Correspondance,  II,  305. 


234  ©tcllunö  ber  5ßtotcftontcn. 

Derfud)t  bin,  bei  i^m  cntfd^eibe  nur  ber  SBunfc^,  gu  tl^un  waS 
i^m  unb  Slnbcru  am  mciftcn  ju  lad^cn  gibt.  Ueber  pd^  fclbfl 
ftcf)  luftifl  mad)en,  gilt  il^m  alö  ber  l^öd^fte  ®pa%  .  .  ." 

6inc  SBemerfung  über  bie  rcligiö[en  ©treitigfeiten  fei  l^ier 
beöt)alb  Qiigcfül^rt,  weil  jte  wieberl^olt  bereift,  wie  fel^r  fjrou 
üon  ©taöl  bie  al«  Sßroteftantin  jte  birelt  mitbetül^rettbe  ttn^ 
flere(f)tiflfcit  ber  franjöftfd^en  ®efe^gebung  entpfanb:  ^5Wabame 
be  5loQiUeö'\  fd)reibt  fte,  „ift  unter  allen  latl^olifd^en  ffrommen 
bie  üenüctteftc  unb  bie  am  meiften  aberglaubifd)e.  Dl^ne  Unterlaß 
in  5öriefn)ed)fel  mit  bem  ^cop\t  unb  eine  @tfi|e  bc«  ©loubenS, 
t)rcbigt  flc  S^tolerang  wie  ein  ^rc^enöater.  SRid^t  fobalb  l^atte  pe 
ücrnommen,  bafe  ber  i?önig  bem  Sßarlament  ba8  ^oiclt  eine« 
ßbifteö  ju  Cfiunften  be§  ßiuilftanbs  ber  5ßroteftanten  l^abc  üor« 
legen  laffen,  alö  fte  öon  einer  fold^en  aSerjweiflung  unb  fittlid^en 
ßntrflftnng  befallen  würbe,  ba^  jte  ganj  gewi^  im  ffaH  ber 
2lnna()me  bcö  ©biftö  ber  |)eftigfeit  il^rer  @mpfinbuttgett  jum 
Dpfcr  fallen  wirb,  ^n  einem  eigenen  SBerf,  baiS  6urer  3Wa* 
Jeftät  burd)  bcn  näd)ften  iturier  gugefanbt  werben  foH,  l^at  fle 
alle  l)iftorifd)en  Scgebentieitcn,  bei  weld)en  bie  5ßroteftantett  im 
Unred)t  waren,  jnjammenftellen  laffen,  um  %m6it  über  bie  %s>U 
gen  ber  loleranj  ju  cnüeden.  Sriennt  man  einmal  bicfeS  3^^^ 
afö  gegeben  an,  fo  ift  ba^  Sud^  nic^t  fd^led^t,  unb  Ißnnte  man 
öergeffcn,  bafe  eö  wiberjinnig  ift,  fo  fänbe  man  e§  jiemlid^  gut 
gcmad^t.  SBaö  mid)  aber  wal^rl^aft  in  ©rftaunen  fe^t,  ift  bit^- 
3:^atfad)c,  bafe  eö  auf  3Wand)e  einbrud  mad^t.  ÜRan  lä§t  fid^ 
fo  leicht  baju  verleiten,  baö  g^^l^^w^i^^rt  für  aufgeflart  gu  l^atten, 
weil  bie  näd)fte  Umgebung,  in  ber  man  jtd)  bewegt,  borurtl^eite« 
frei  ift.  Unb  bod)  lebt  tiielleid)t  nod^  l^alb  gtanlreic^  im 
@d|attcn  beö  Slbcrglaubenö.  ©iejenigen,  bie  nid^t  lefen  unb 
jtd^  nid)t  unterrid^ten,  mad)en  überl^aupt  feine  Sortfd^rittc,  unb 
baö  aSolf  änbert  wol^l  feine  ©ejtnnungen,  aber  eö  mäßigt  flc  nie. 
3d)  übcrfcnbe  bie  Don  ber  9Kared)ale  öeranlafete  ©enlfd^rift, 
bie  fte  bei  allen  SJtitgliebem  be^  Sßarlamentö  jugleid^  mit  fol« 
genbem  Segleitjd&rciben  abgegeben  t)at:   ,®ie  SKarfd^aHln  bon 


(StcKunö  bcr  ^otcftontcn.  235 

SfloaitteS  l^at  jtc^  bei  |)crrn  9L  31.  gemclbet,  um  bie  bem  ^ar= 
lamcnt  anöcrtrautcn  Sntercffcn  ber  Steltgion  unb  ber  ®efe|e  t^m 
3U  cmpfcl^lcn*.  Sd)  ffigc  oud)  bie  öortrefflid)e  Arbeit  be§  ebenfo 
geleierten  qIS  vernünftigen  SKale^l^erbe^  tiinjn.  @r  gel^ört  mit 
ju  ben  erleuc^tetften  SWännem  %xantxtxä)^  unb  märe  ein  öor^ 
treffUd^er  SJKnifter  ot)ne  5ßortefeuiHe.  Slber  er  gefielet  felbft  ju, 
bafe  feinen  gäl^igfeiten  feine  auf  gleid^er  ^öij^  fte^enbe  (änergie 
be§  ei^arafterö  entf))rici^t.  3Ba§  er  öorfcf)Iägt,  foHte  ein  Slnberer 
auSfül^ren  bürfen"  ^). 

6S  ift  nid^t  ot)ne  Sntereffe,  biefe  Semerfungen  öon  %xau 
t)on  ©tael  mit  ben  gleid^jeitigen  ®inbrüden  bcö  ©enfer  $ro= 
teftanteu  aWaHet  bn  ^an  über  benfelben  ©egenftanb  gu  t)er= 
gleidien.  6r  fd^reibt:  „S)a§  @bift  gu  ®unften  ber  ^roteftanten 
erfäl^rt  immer  neuen  8luffd)ub.  6^  ift  eigentümlich,  baö  ^ubli= 
fum  begfiglic^  einer  fold)en  grage  in  feinen  Sln|td)ten  getl^eilt 
gu  finben,  mitangufel^en  mie  aKe  antiquirten  Sefürd^tungen  unb 
©nfältigleiten  mieber  aufleben,  unb  eine  ©ac^e  biefer  8lrt  be* 
l^anbelt  mirb,  aU  ob  man  gerabe  ben  ©d^öpfungötag  l^inter  ftd) 
l^ätte.  6in  SemeiS,  ba§  e§  mit  bcr  Slufflärung  noc^  gute  2Bege 
^at.  Sie  9Jlarfd)allin  don  9ioaille§  öerfauft  unb  öertlieilt  ein 
gibett  bcö  W)be  »eauregarb,  ba§  pe  bei  i^m  befteHt  I)at.  ®ie 
SKfind^e  in  ben  Älöftern  fe^en  baö  SlUerlieiligfte  au§,  um  üom 
^immel  gu  erflelien,  bafe  ber  ®eift  be§  Äönigö  erleud^tet  unb 
ba§  Unglüdf  ber  Solerang  abgemenbet  merbe.  9Jiale§l)erbe§  I)at 
ein  bideö  SSud^  gu  ©unften  ber  ^roteftanten  gefc^rieben,  alö  ob 
über  einen  fold)en  ©egenftanb  nod)  etmaö  gu  fagen  übrig  bliebe, 
S)ie  grofee  SRel^rgalil  ber  ©inmol^ner  oon  ^ari^  ift  gegen  ba§ 
Soleranj'ßbift.  SSon  allen  Seiten  l)ört  man  Sleufeerungen  bar* 
über  mie  gur  Qüt  ber  fiiga.  ©ie  Seute  unb  bie  ^Regierung  ftnb 
öon  gleid^er  SUlutl^loftgfeit  in  biefer  Segiel^ung,  fobafe  e^  fd)on 


»)  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  I,  388—412,  II, 
^enbis,  430—437  u.  439—444,  Bulletin  des  Nouvelles,  de  Madame  de 
Stael. 


236  ®uftab  III.  in  grirmlanb. 

für  eine  gewaltige  Sonceffton  gilt,  ben  ©alöiniften  Siaufe  unb 

@t)e  gefefelic^  juguge[tef)en ©urd)  baö  ©bilt  foHien  bie 

^roteftanten  im  Äönigreid^  jugelaffen  unt)  gebulbet,  rnd^t  aber 
eigentlidö  tolerirt  werben''  ^). 

®a§  3al)r  1788  fanb  ben  @d)webenfönig  ttid)t  mel^r  in 
feiner  §aupt[tabt,  fonbern  an  ber  finnifcf)en  ©renge,  ben  Ärieg 
gegen  Stufelanb  betreibenb,  ber  il^m  öor  SOIem  ate  SRittel  bienen 
foKte,  öon  nnleiblid^  geworbenen  3w[tänben  in  Mamille  unb 
SReid)  ftd^  jn  befreien.  SBäl^renb  ba^  im  5>lorben  gefd^al^,  öoft» 
jog  ftd^  in  granlrcid)  ba§  SSorfpiel  jum  ®rama,  baS  in  feinem 
aSerlauf  Iiarmlofen  Iiterarifd)en  unb  gefeßf^aftlidien  Sertd^ten 
leine  S^rift  mel^r  gönnte.  SSon  biefem  ß^itpi^nft  an  befdE)ränftc 
jtd^  benn  and^  ber  fd^riftlid)e  SBerfel^r  ber  jungen  ©efanbtin  mit 
il^rem  ©ouderän  auf  einige  wenige  SSriefe,  benen  t^  balb 
nid^t  mel^r  gelingen  foHte,  bie  immer  l)äufiger  werbenben  3Wi§« 
öerftänbniffe  jwifd^en  biefcm  unb  il^rem  hatten  auf juflären  unb 
bie  Unäufriebenl^eit  be^  ÄönigS  ju  befd)wid^tigen.  3)enn  btc 
33ejiet)ungen  gwifd)en  H)m  unb  feinem  Vertreter  in  ^ariS  waren, 
obwol^l  öerbinblid^  in  ber  iJorm,  bod^  t)on  Slnfang  an  niemals 
gang  aufrid)tiger  unb  vertraulicher  9?atur  gewefen.  ®er  Surft 
betrad)tete  alle  Prärogativen  föniglid^er  Söfirbe  als  gleid^  un« 
antaftbar,  wä^renb  fein  ©efanbter  am  i^of  Von  SBerfaiUeS  längft 
ben  ©ottrinen  über  33efd)ränfung  ber  Iöntglid)en  ÜRadE)tt)oII«» 
lommenl^eiten  gewonnen  war.  S)er  Srud^  würbe  unöermeibltd^, 
fobalb  biefe  S)oftrinen  burd^  bie  (äreigniffe  gur  ®eltung  gcBrad^t 
würben. 

S)aS  erfte  8lngeid)en  veränberter  ©efinnung  war  bie  SSer* 
jögerung  ber  im  ß^efontraft  bem  Saron  ©tael  t)erf))rodE)enett 
Drben§üerleit)ung,  an  bie  feine  grau  1788  öergeblid^  erinnerte  2), 
nad)bem  il)r  ber  SKonard)  einen  perfönlid)en  SeweiS  ber  fijjnabc 


^)Mallet  du  Pan,  Analecta  sur  THistoire  du  Temps.  Unebhte 
gamiacn»92oti3en,  1787. 

-)  iBricfc  öon  grau  öon  (2tael,  im  SBefife  ber  UniöerfitatSbibliotJcI  Upfala. 
grau  öon  etael  an  92il§  öon  9flofcnftcin,  28.  ^anmx  1788. 


2^er  Balon  9?c(fct  crl^ält  grau  öon  ©toel  jum  ÜJiittcIpunft.         237 

burd)  ©ctüäl^rung  il^rcr  SBittc  ertl^cilt  ^atit,  iijxtm,  im  3wnt  1787 
gebomcn  crften  Äinbc,  einer  5J:od)ter,  feinen  9?amen  gu  geben. 
@S  ftarb  faft  unmittelbar  nad)  ber  ©eburt  unb  ift  in  feiner 
ber  Siogrctpl^ien  uon  Stau  Don  Staöl  ermäl^nt,  obmol^l  ©aint» 
Sambert  e§  not^menbig  fanb,  2Kabame  9?ecfer  barüber  ju  tröften, 
ba§  jie  nun  ©rofemutter  geworben  fei,  unb  biefe  bem  (änfelfinbe 
©otteSfurc^t  als  befte  &abt  münfd)te^). 

SSon  biefer  Qdt  an  U)urbe  ber  Salon  9leder  in  ber  JRue 
aScrgere  ober  ju  @aint=Duen,  mel^r  unb  mel^r  ber  Salon  oon 
fjrau  üon  ©tael,  bie  öfter  bort  für  if)re  leibenbe  SRutter  alö 
bei  fid^  im  f(i^n)ebifd)en  ®efanbtfd)aft§^6tel  ber  SRue  bu  S3ac, 
ober,  wenn  bie  Slnmefenl^eit  be§  i^of^  e^  nötf)ig  mad)te,  gu  SSer- 
failleS,  ju  em))fangen  pflegte. 

S)ie  älteren  greunbe,  S)iberot,  b'Sttembert,  Sorb  ©tormont, 
©aliani,  6reu^,  3:f)oma^,  waren  tobt  ober  Ratten  ^ari^  oer^ 
laffen.  SBuffon  foHte  1783  folgen  unb  nad^  ®rimm'S,  oon 
arger  Uebertreibimg  nid)t  freigufpred)enben  SBorten,  „bie 
Sd^ranlen  ber  größten  3^it  abfd^liefeen,  bie  fjranfreid)  gefannt 
tjaV*.  aSon  ben  greunben  unb  ©äften  frül^erer  Stage  leiteten 
SRarmontel,  ®rimm,  Suarb,  ^KoreHet,  @aint=Sambert,  ßl^aftetlu.r, 
®uibcrt,  bie  ^erjogin  öon  gaujun,  2Kabame  b'^oubetot,  in  bie 
neue  3^it  l^inüber,  bie  fd)on  eine  ganj  anbere  Generation  in 
ben  SSorbergrunb  fteHte.  &^  taud)ten,  neben  ben  fd^on  ht^ 
fannten,  bie  9?amen  ber  ßufi^nft  auf.  S)ie  „O^eife  be§  iungen 
anad^arftö"  erfcl)ien  wie  bereite  gefagt  1788;  ein  3al)r  früf)er 
^atte  aSolne^  feine  „SReife  nad^  Serien  unb  ßg^pten''  öeröffent= 
lid^t.  3)ie  „Stubien"  öon  SBcrnarbin  be  @aint=$ierre  jtnb  oon 
1784;  baö  ©rfc^einen  beia  Diel  früher  gebid)teten  '^i\)\i^  „^aul 
unb  SSirginie"  fäUt  in  ba^  ga^r  1787.    3)er  Deffentlid)!cit  nod) 


0  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France,  Slppcnbir,  II,  447. 
Madame  de  Stael  i\  Gustave  III,  Juin  1787.  Madame  de  Crequy, 
Lettres  inedites  k  Senac  de  Meilhan,  25  Juillet  1787.  Baron  de  Ge- 
rando,  Lettres  in6dites  de  Madame  de  Stael  etc.,  55.  Mme.  de  Stael  ä 
Gerando,  1803. 

»lenner^ajfctt,  grau  tou  etaül.  I.  16 


23S  Z:c  Eatntr  '9<?eflfaiaft  ami  1757. 

imbefoitirr.  iSrecne  ^urox  ^«cüurr  anC  «Sentc.  rrifte  her  gV9J^  I^rif^e 
2id)ter  De^s  ^'ovdt  '-^  ^raiaifcneit  ^oirjüTrfcfjQt  cu^tje^ntni  Sol^ 
I)unDerts.  üLi^v-t  ej*riner.  jjerin.  befrei  @raBC  nc^  nie  ;n  ooOem 
©loit;  enrfiir^n  'jiiri.    ,3}C!:  2ie  li-Unnri;  Durc^  &ie  9teooIiittim, 
bcr  i^idjrir  Jur^  ^le  Xiri-jcitea  jerJÖtüt  mnrbc*  ^,  weil,  na^ 
j  bcii  'Sencr  e:m!s  inCern  iJoerert.   iirci*,   ^Öer  fbigenUtcf,  wo 
I  ta^rdjjLiÄ    IriuJCüerr  :::  ^er  £m^e  airaeni^  winben,   nic^ 
/  geeignet  Da;ii  xcr    Ir-iacirceü  ;a  ■nr^tdjtm''. 
/  Jn  Der  öe'ciiittrrd  ^es  r^eirers  ilei&t  Der  27.  Spril  1784 

t^entoürDtvi.  ^5  :^  ^er  Jia  ^er  erSm  äajfn^nnig  bcÄ 
„jviiiaro*'  uni^  :rc^  unrer^leiÄuie^  irinntpl^  öoa  Secuta: 
marctut-:-.  tceir<:r  in  •crrL'in  'JLhcii:  ^ie  rcgiereit&en  itlaffen 
Jyratifrt'iA'j  ircr-  :r-ir:i  -uiirciji*  ür  eigene^  Sobednrt^I 
;u  befliiPch^n.  £er  rc"  ^er  i^eL  ?ic  ^c^  iSKogifhahir, 
btc  i^rin;cn  rcn  ^^^L^d:  z:z  izztz  Sirt^e  bie  Aomgin, 
laii»chteii  Dtni  un^erirLiw^n  £tiljc:  »J'etais  ne  poor  ötre 
courti^an  —  O::  lÜ:  -.r.:-:  ..-'cs:  un  nieüer  si  difficQe  —  Re- 
covoir,  i-roridre  e:  diir.dr.-i-r.  ces:  le  socret  en  trois  mots.c 
—  »La  place  tünun-iai:  ur.  ainiLriLstrateur,  ce  fut  un 
danseur   qiu  Tobiir.:  .  .  .  .«     11«^    i^xtxm   ^Rtmolog:  >Xon, 

Monsieur  le  Coiiito,  vovis  r.e  ".anT'ez  pas —  vous  ne 

Taurez  pas.  Parce  .^1:0  v:us  vtes  un  grand  seigneur,  yous 
Y0U5  crovtz  un  ^rar..:  ^vriie!  Noblesse,  fortuney  un  rang, 
des  places,  tout  oe!a  rd'.i  s:  :ler!  Ou'avei-vous  fail  pour 
tant  de  bions:  vous  vcus  «::es  do:::ie  la  peine  de  naitre,  et 
rien  de  plus.*  33«-:«  vhn;.:.:  ßaiom.  roa*  guife  SKÜerin 
um  beu  i^rcic-  De*5  5^ci:-:::-3  i:ccniu::D«t.  ^04  lachte  ^garo  gu 
©runbe.  (Sine  (?iu;icie.  '\:i:»"t  ;::  icDcm  2paB  bereit,  lachte  bice» 
mal  nid}t  mit.  „^Ktcmalö  :i tc  tit  bic'er  berizbmten  ^oc^jeit,  bin  ic^ 
in  jd)led)terer  ©eicU^'durt  i;en:c»eu*.  fdirieb  v^aiferin  Jiat^arina^) 


')  Nisard,  llis:.'ire  -ie  li  Lir.rruure  fraL«:aise,  IW  158. 
-y  Grimm  et  CatheriLe  II.  C-rresrirndanoe,   R ecueil  de  la  Soci^t6 
imperiale  ^le  rUi>toire  de  Ru^^:e..  1S7S,  XXIIL  334. 


S)lc  qSorifct  ©cfeUfd^aft  öon  1787.  239 

foptfd^üttdnb  über  bie  Slrt  ber  Unterl^altung,  ber  man  in  5ßari§ 
i^ulbigte. 

SRäd^ft  Scaumarc^aig,  bem  ®ramcnbtd)ter,  jtnb  alö  bie  brei 
tebeuteubftcn  ©d^riftfteHer  biefer  ^aijxt  unmittelbar  öor  ber 
tRcöoIution  5IRirabean  unb  SRiöarol  genannt,  unb  e§  ift  t»on 
il^nen  gejagt  »orben,  33eaumard)at§  l^abe  ba§  9Wanife[t  ber 
SReüoIutbn  gegeben,  SKirabeau  pe  gemad^t,  Stiöarol  jte  be= 
fämpft^). 

Se^terer,  öon  einer  fletnen  ®ä)ax  guter  greunbe  unb  böfer 
Bungen  umgeben,  Iianbl^abte  üorläufig  in  ber  ©efeUfd^aft  bie 
flcfürd^teten  SBaffen  be§  Spottet  unb  ber  Satire,  bie  er  balb, 
tüie  gegen  SRecfer,  fo  aud)  gegen  S^rau  non  @tael  rid^ten  foHte, 
bis  bie  ©reigniffe  it)m  fein  wal^re^  Äriegöwerfjeug,  ba§  ))olitifd)e 
^ampl^let,  gutoiefen.  ©erjenige  aber,  in  beffen  ®eift  ber  8luf= 
rul^r  jur  l^eHien  ^J^mme  aufloberte,  SRirabeau  jelbft  mar,  ob:* 
flieid)  feine  politifd^en  3been  ;fd)on  in  jat)Iretd)en  @d)riften  ftd^ 
au§gef))rod^en  fanben,  in  ^ari^  perfönlid^  nod)  menig  gefannt. 
9iur  bie  Ungelieuerlid^feit  feinet  SRufeö  unb  feiner  gamilien* 
flefd)id^te,  feine  ^ßrojeffe,  feine  §aft  in  SSincenneö,  bie  ©fanbale 
mit  bem  3Sater,  ber  t»ermittelft  !öniglid)er  Settreö  be  cac^et 
alle  ©einigen  unter  ©d^Iofe  unb  Siiegel  bringen  liefe,  mit  ber 
SRutter,  bie  eine§  fd)önen  Sag^  gegen  ben  ©ol^n,  meil  biefer 
t)on  S3erföt)nung  mit  if)rem  ©atten  fprad),  eine  ^iftole  abfeuerte, 
befd^äftigten  fd^on  bamal^  bie  ©emüt^er. 

®afür  fpielte  feit  einigen  Salären  ein  Jüngerer  SRann,  ber 
1754  geborne  6t)arle§  SRaurice  be  StaHe^ranb,  Slbbe  be  $eri= 
florb,  eine  um  fo  gläujenbere  SioKe  in  ber  ^arifer  ®efeUfd)aft. 
SaHe^ranb,  ben  ba§  ®ebred)en  eine^  mifegeftalteten  gufeeö  auf 
S8efet)l  öon  ©Itern,  mit  mcld)en  er  nie  unter  einem  ®ad)  ge* 
fd^lafen  ju  I)aben  bel^auptete,  ber  Äird)e  gugemiefen  l^atte,  be= 
fleibete  bamate   in  ber  frangöfifd)en  $auptftabt  bie  mid^tige 


0  Chenedolle    bct    Sainte-Beuve,    Chateaubriand   et    son    groupe 
littöraire,  II,  177. 

16* 


240  ®ie  focialen  Suftänbc  öeranbcm  fi^. 

©tcUe  eines  Generalagenten  beö  ÄIeru§,  badete  aber  bereits  an 
anbere  unb  größere  ®inge. 

@d)on  im  |)erb[t  1784  verlangte  bie  fd)öne  TOabame  be 
Srionne,  anS  bem  ^aufe  got^ringen,  bie  SBermittlung  beS  banmB 
in  SRom  anwefenben  ©d)tt)ebenfönigS  bei  SßiuS  VI.  für  bm  laum 
breifeigjäl^rigen  Slbbe,  für  welchen  ein  ßarbinalöl^ut  begcl^rt  xoex^ 
ben  foKte.  Db  eS  toirflid)  Qt\d)af),  ift  nid)t  ge[agt.  ©iefer  §ut 
gehört  jebcnfaKS  jn  ben  fe^r  wenigen  2)ingen,  bie  SCaUie^ranb 
im  Sanf  feineö  gebend  nid)t  erhielt.  ©aS  gal^r  1789  fanb  it)n 
bereits  als  a3ifd)of  Don  Slutun  an  ber  ©pifee  einer  ®ruppe  öon 
eleganten,  oornel^men  unb  raffinirten  gebemännern,  wie  ^ax^ 
bonne,  S^i^court,  gaugun  nnb  fo  mand)en  Slnberen,  bie  pd) 
rühmten,  bie  Äunft  raffinirten  gebenSgenuffeS,  geiftigcn  %mu 
gefd)macfS  nnb  üoHenbeter  Umgangsformen  bis  jum  ^ö^epunft 
beS  6rreid)baren  geführt  ju  l^aben.  2tber  nid^t  nur  bie  ^ßer- 
fönad)feiten,  and)  bie  gefenfd)aftlid)en  Suftänbe  felbft  l^atten  fic^ 
feit  ben  legten  jwanjig  Salären  er^eblid)  öeränbert.  3^nc  focia- 
len 9)iittelpun!te,  bie  öer^ältnifemäfeig  wenigen  ©alonS,  bie  ba^ 
malS  allein  ben  Eintritt  in  bie  öornel)me  SSßelt  ermöglichten, 
beftanben  gum  großen  St^eil  nid)t  mel^r,  unb  il^r  (äinpufe  würbe 
nid)t  wieber  erfe^t.  2)ie  ©.rifteuj  ^atte  fid)  fd^on  mel^r  ger^* 
fplittert,  bie  »f)äufer,  wo  man  Serü^mtl^eiten  beS  SagS  begcg« 
nete,  waren  üiel  jal^lreidjer;  bie  giteratur  begann  burc^  bie 
^olitif  uerbrängt  ju  werben.  SBie  nad)  englifd)er  5!Kobc  bem 
S^ee  ber  Äaffee,  fo,  pflegte  man  ju  fagen,  feien  aud)  bie  alten 
©ewol^nl^eiten  franjöftfd)en  gebenS  anberen  (Sitten  gewid)en. 
93fan  begann  bie  neueingefü^rten  ^ferberennen  ju  befud)en, 
fpielte  3Bl)ift,  feit  bem  amerifanifd)en  Ärieg  aud)  SSofton,  würbe 
einfad)er  in  ber  Äleibung,  erfc^te  bie  fd)weren,  gefticfteu  ©a- 
mafte,  ®olb=  unb  ©ilberbrofate,  burd)  2Rouffelin  unb  fd)Iid)teS 
2ud),  ^uber,  gcbern  unb  Spieen  burd)  einfad)e  SSänber  unb 
natflrlid)e  ^aarfrifuren.  S)er  S)egen  würbe  Don  ben  9JJdnnent 
uid)t  mel)r  angelegt.  ®afür  trug  man  Kleiber  ä  la  3-  3- 
atouffcau,  3flödc  u  la  grauflin  unb  als  Äopfpu|  baS  33ilb  beS 


®te  forialcn  3uft5nbe  üeraubern  fid^-  241 

flcliebten  ©cgcnftanbeö,  fei  eö  ®atte,  Äinb,  Sreunb,  Äa^c  ober 
^mtb.  S)er  längere  Slufentl^alt  auf  bem  Sanbe  fam  in  bie 
3Robe.  SBic  SSHaxk  Slntoinette  öon  3Serfai(Ie§  nad)  Sirianon,  fo 
joßcn  bcr  Slbel  unb  bie  reiche  S'inanj  uon  ^ari§  auf  if)re 
Sanbgfiter  unb  @d)Iöffer,  n^o  poetifdje  ^efte  bie  @d^äfergebid)te 
Don  Slorian  unb  bie  päbagogifd)en  fjamilienbilber  Don  Serquin 
DertDirfIid)en  follten.  6ine  ganje  5Reil)e  Don  ©id)tungen,  bie 
„Sal^reögeiten"  Don  @aint=£ambert,  bie  „3Ronate"  Don  3fioud)er, 
bie  „©arten''  Don  ©eliUe  unb  bie  ^rofa  be§  dürften  gigne 
über  feinen  ^arl,  »Coup  d'oeil  sur  Bel-(Eil«  entfprad^en 
bem  ®efd)macf  für  SBalb,  '^elb  unb  fjlur,  ber  in  biefen  über* 
fättigten  ^erjen  erioad)!  tDar.  ®er  ^erjog  Don  Sroglie  gab 
bie  Carole:  „Siebt  6ure  grauen  unb  6ure  @d)Iöffer".  S)a§ 
Seben  n^urbe  aber  bod)  nii^t  ernfter  unb  aud)  nid^t  natür= 
Iid)er,  toeil  e§  ftd)  brausen,  in  freier  9latur  abfpielte,  unb  e§ 
blieb  ebenfo  foftfpielig  unb  unter  tabellofer  Slufeenfeite  innerlid) 
corrumpirt,  aber  man  oertänbelte  esS  auf  anbere  SBeife.  9Jfan 
füf)Ite  ftd)  mit  600,000  Sioreö  ein!ommen  „SflaDe  feinet 
SiangeS".  „ßntpfinbe  id)  meinen  fReid)tlöwm  etma  auf  anbere 
SBeife  alö  burd)  S^^ng^S  f^gt^  ^^^  ^^^0Qin  b'ßftiffac  ju  SSon* 
ftetten,  „unb  ad^,  ma§  für  eine  fö[tlid)e  9WiId)  gibt  e§  in  "^Ijxm 
Sergen!''!) 

3n  ben  ^axU  unb  @d)äfereien  aber,  nid)t  minber  al§  im 
^runf  ber  ^arifer  $ötel§,  Derfolgte  man  ba§  gleid)e  Qxü  eineö 
ungetrübt  l^eitern  ©enuffe^,  ber  aKe  2lbgrünbe  be§  ®afein§  mit 
aSlumen  überfd)üttete  unb  Don  @d)merj  unb  6ntfagung  al§  Don 
©ingen  ftdö  abwanbte,  bie  nid)t  nur  peinlid)  für  bie  9latur,  fonbent 
aller  ed)ten  SebenSpl^ilofopl^ie  unmürbig  feien.  ®ie  Sitten  maren 
anfd)cinenb  fo  fanft,  aud^  unter  bem  Sßolfe,  bafe  ber  ben  ^^fcm* 
gofen  leincSmegö  günftig  geftimmte  S^ff^t-fon  1785  bemerft,  man 
lönne  Saläre  in  granfreid)  Derieben,  ol)ne  auf  eine  ^lol^^eit  ju 
ftofeen.    9lie  fei  er  einem   Setrunfenen  begegnet  2).     ®in   eng- 

0  Start  SWorcII,  ^.  SB.  bon  SBonftctten,  cht  ScbcnSbilb,  68. 
*)  Jefferson,  Complete  Works.  Correspondance,  I,  443. 


242  -^«  'ÄiilfT  3=~s^f  ?er2a>c3  tiJl 

lifcber  SHeiimber.  anbmi«.  brü(t:c  im  glrid)en  Jö^r  1785  ^^^ 
grairfrric^  btn  ©i^^n^cf  nti.  ^aB  bort  Die  ^ödbfte  aufgäbe  bc^ 
Sdcin»  fei,  e*  in  ungemibter  ^«terfeit  ^injnbriitgen ^).  S?ie 
Sirtuofität  in  bieier  Se;icfaunc(  gebie^  ouc^  imTflid^  ]o  loeit,  boß 
gefeDiger  £inn  unb  nrdblid^e  8aune  bicfe^  (eid^tlebige  ®ef(!^Ied)t 
aud  ben  ^olänen  ine  @etängniB.  in  bie  Szibimale  intb  attfS 
Slutgeruft  begleitete  unb  ee  beinah  aueno^mSlod  bem  %ob 
l^eroifd).  nic^t  ielten  ran  lädbdnb  in*  Sage  blidte.  SHefer  tpU 
fureifd)en  Sebenefunft  ^äne  eine  33ür;e  gefehlt,  n>enn  fte  nic^t 
aUes  i^r  SBiberiprecftenbc  mit  Scrad^tung  geftraft,  febe  ßrfabnmg 
Dermorfen  unb  ber  Autorität  in  jeber  jid)  i^r  barbietenben  gönn 
geringfd)ä6enb  opponirt  ^äne.  ^Sire*,  jagte  ber  SRarfd^oU  Don 
Siid^elieu  ju  Submig  XM.,  ^unter  gubmig  XIV.  burfte  man 
fein  aSort  fagcn;  unter  SubUMg  XV.  fpra^  man  leife,  unter 
3^ter  üRaicftät  iRcgierung  iprid)t  man  laut."  Sie  erflen  6Iub^ 
mürben  gebilbet  unb  balb  gu  pclitifd)en  ü){ittelpunften  erhoben, 
gc^on  ©aliani  meinte,  ^arie  fei  nic^t  mc^r  ber  ,,©ali)n*,  fon* 
bem  bas  „6aife''  ©uropa^.  S^iberot'^  w^leife  Don  3tameau* 
gab  ben  9(nftoB  ju  bem  SSi^mort,  baS  balb  gur  äßol^rl^ett 
mürbe.  2ln  ber  Spifee  ber  Cppojttion  ftanben  bie  3JKtgHcber 
be$  ^aufeS  lyranfreic^;  bie  ^amp^Iete,  bie  in  Srmanglung  ber 
nod)  fe^lenben,  nur  burd)  einige  ofpcietie  [RegierungSbl&tter,  bie 
„Oagette''  unb  ben  „93{ercurc  be  grance"  repräfentirtcn  S^tungen 
bie  öffentliche  5Keinung  vorbereiteten,  bejolbete  gum  nid^t  gcrin* 
gen  S^eil  ber  ^ergog  oon  Crleon^.  Site  bie  Sfleoolution  au*» 
brac^,  fonben  jtd)  an  il^rer  Spi^e  ßbelleute,  um  für  jie  gu 
reben  unb  gu  fämpfen,  ^riefter,  um  fie  gu  organijtren,  Sifd^ofe, 
um  fte  gu  fegnen,  föniglid)e  ^ringen,  um  fic  gu  begal^Ien,  ein 
SWonard^,  um  fte  gefd^el)en  gu  laffen.  ©iefem  &t\6fitäj/k  mar 
nic^tö  gu  fü^n:  man  burfte  3lDe^  tl^un  unb  2ltte§  jagen,  »emt 
nur  bie  gorm  foneft,  gefällig  unb  püant  mar.    „^SRidi  rül^rt^ 


';  Taine,  Les  Origines  de  la  France  contemporaine.   L^ancien  regime, 
I,  191. 


®ic  Sriaucn  in  bct  ©cfeUfd^aft.  243 

nid^t  baö  aSal^rc,  fonbcrn  baö  3lcuc'',  fo  bad)ten  mit  bem  nod^ 
baju  ate  SlnJ^ängcr  be§  Scftcl^cnben  geltenben  @6nac  bc  ÜReiI= 
l^an  ungälöHgc  feiner  S^itfl^^^fK^^)-  ®i^  gtüeifelten  feinen 
Sugcnblidf,  bafe  bie  |)errjd)aft  ber  aSernnnft  begonnen  l^abe, 
atte  SErabitionen  überwunben  unb  jte  [elbft  be[timntt  feien,  ba§ 
golbcne  S^italter  gu  eröffnen. 

SSon  biefen  Salären  fprcd^enb  ift  es,  bafe  SaKe^ranb  gefagt 
^at,  wer  bantalö,  öor  1789,  nid)t  gelebt  f)abe,  ber  wiffe  nid)t§ 
oom  üerfül^rerifd^cn  SReij  be§  3)afein§! 

SBenn  baö  ber  ßinbrud  bei  ben  5!Jiännem  war,  wie  l^ätten 
bie  Srauen,  für  bie  ftd^  ba§  ®ange  wie  ein  S^ftfpiel  entfaltete, 
ber  fibermädjtigen  SBerlocfung  wiberftel^en  lönnen?  SBerel^rt 
gwar  würben  jte  nid)t,  aber  vergöttert  würben  jte,  unb  im  ge* 
f^)enbeten  SBeil^raud)  üerlor  ftd),  xi)\xen  felbft  fa[t  unbemerft,  bie 
6l^re  unb  Ärone  il^reö  ßebenS.  ^?ur  jte  war  eö,  bafe  bie  bun= 
felftcn  ^Probleme  ber  ^l)ilofopl)ie  ÄIart)eit  be§  Sluöbrud'g  er= 
flrebten,  bafe  bie  2Siffenfd)aft  epigrammatifd)  unb  oratorifd) 
würbe,  bie  trocfenften  2:f)eorien  unter  anjiel^enben  formen  jtd^ 
bargen.  2Ule  Seobad)ter  ber  focialen  3wftänbe  beö  bamaligen 
$ari§  unb  ^5ranfreid)§  l^aben  biefer  2:t)atfad^e  be§  überwiegend^ 
ben  6influffe§  ber  grau  SJted^nung  getragen ;  aber  faum  Semanb 
i^at  jte  bejier  au^gebrüd't  aU,  fpäter  auf  jte  jurüdfommenb,  ber 
um  1787  im  be[ten  SJlanneSalter  ftel^enbe  SJtöberer:  „SBer  der« 
möd^te  un§  gu  fagen",  fd^reibt  er,  „wa§  bie  3Biffenfd)aften  in 
Sranlreid^  bem  focialen  Umgang,  bem  SBunfd)  ber  ®elef)rten 
fd^ulben,*  öon  ^Jrauen  öerftanben  gu  werben,  ©ntfte  ©tubien 
jtnb  htm  weiblid)en  ®efd)Ieci^t  fo  peinlii^,  bafe  ÄIarl)eit  ein 
Sebfirfnife  für  xtjve  Seigrer  würbe.  gonteneKe  fd)rieb  feine 
,3BeItförper'  für  bie  5Karquife  be  Sambert,  33oItaire  bie  ,^f)ilo= 
\o^i)k  öon  Sdewton'  für  bie  3(Jtarquife  bu  6l)atelet.  SJlabame 
Saüoijter  würbe  jjuerft  üor  Stilen  in  bie  oon  if)rem  ©atten  be* 
wirfte  Umgeftaltung  ber  6f)emie  eingeweit)t.  .  .  .  3d)  felb[t  fa^ 


*)  Nisard,  Histoire  de  la  Litte  rature  fran^ise,  IV,  126. 


•'\ 


244  gröberer  barübcr. 

bic  ebenfo  fd^önc  atö  liebenSroürbigc  ^Rabamc  %omcTOt)  atten 
ßoKegien  i^re§  ©atten  alö  öerftänbigc  3«^ötcrm  bein)ol)nen. 
SDkbamc  be  ßonborcet  würbe  burd)  ben  irrigen  in  bie  tiefften 
@tubien  pliilojopl^ifd^en  S^fialtö  miteingewei^t;  ate  Seroeiö  ba= 
t)on  bient  baö  SBerf  biefer  aufeerorbentlid^  geiftreic^en  unb  be= 
jaubernb  j(i)önen  %xan  über  Slbam  ©mitl^'S  ,3;i^eoric  ber  mora* 
Uf(i)en  ©mpfinbungen'.  ^abe  td^  gu  bemerfen  nötl^ig,  wie  t)iel 
bie  ©egenwart  üon  ad^t  ober  neun  ber  berül^mteften  ^J^auen 
ber  ^auptfiabt  unb  be§  |)ofe§  bei  ben  ©ebatten  ber  (Sonfti* 
tuante,  il^re  ©efprdd^e  öor  unb  nad)  ben  ©i^ungen  gur  Ent- 
faltung ber  Serebfamfeit  unferer  gröfeten  SRebner  beitrug?  S[t 
c§  mir  ju  fagen  gemattet,  bafe  bie  SReüoIution  uon  1789  baö 
SBerf  ber  öfferitUd^en  3Keinung  war,  bafe  biefe  öffentlid^e  ÜRei= 
nung  in  ben  SSerfammlungen  gebilbet  unb  gereift  würbe,  wo 
ba§  Stintmred^t  ber  grauen  galt  unb  biefe  alfo  bie  SKeoolution 
jum  Zljdl  mitgemad)t  l^aben,  waö  nid^t  gum  wenigften  bagu 
beitrug,  t>a^  fie  ftd^  bauernb  erwies.  ®ie  Sntereffen,  SÄed^te, 
SBünjd^e,  Sefürd)tungen  ber  g-amilienmütter,  ber  @d)Weftem, 
ber  ©attinnen,  ftnb  oon  ben  ©efe^gebern  mitgefül^lt  unb 
mitbegriffen  worben,  oijxit  bafe  fte  nötl^ig  l^atten,  jtd^  erft 
®el)ör  gu  üerfd)affen,  um  üerftanben  gu  werben''^).  9lid^t  am 
ber§  bad)ten  bie  ^Jremben,  ber  ®enfer  SJlaUet  bu  ^an,  bie  ämes 
rifaner  Sefferfon  unb  9Jiorri§.  9WaUet  flagt  gwar,  bafe  bie 
3äge  ber  ^ariferin  ieber  ©pur  ed)t  weiblid^en,  tiefen  ®efül^lö 
unb  unfd)ulbiger  3lnmutt)  entbel)rten,  aber  er  gefielet  il^r  geift= 
reid)e  gebenbigfeit  in  untiergleid)lid^em  SKafee  gu^);  ber  ftcife 
3fiepublifaner  3eff^t"fon  fpottet  über  ba§  Sagwerf  biefer  grauen, 
baö  um  elf  Uf)r  93tittag§  mit  Sefud)en,  bie  um  ba§  SSett  ber 
©amen  ftd)  fammeln,  beginnt,  i^nen  faum  gwifd)en  ber  3Rorgen= 
toilette  unb  bem  ^aarlünftler  Qdt  gu  einem  ®ang  burd)§  $alai§ 


^)  Roederer,  Fragments  de  divers  Memoires  concernant  la  Soci^tö 
polie  en  France,  Paris,  1834. 

2)Mallet  du  Pan,  Analecta  sur  Phistoire  du  temps.  Uncblrtc 
gramiliemSWottjen,   1785. 


Ginftug  bcr  grauen.  245 

fftot)al  iicb[t  einem  l^albftiinbigcn  ©d)lenberit  burd)  bic  ©trafeen 
nad)  bem  S)iner  al§  eingige  ffleweginicj  läfet,  worauf  SSifiteu 
unb  ber  fflefud)  be§  %ij^akx§,  bann  Souper  unb  Äartenfpiel 
Den  Slbenb  bis  tief  in  bie  5Rad)t  öerlängern.  Slber  fo  Diel  er 
auSgufc^en  finbet,  gefielet  bod)  aud^  er  am  ©übe,  bafe  bic 
SReinung  ber  fd)öuen  unb  jungen  fyrauen,  bie  alle  für  ben 
SierS  fd)märmten,  in  granfreid)  mäd)tiger  aU  bie  200,000  ^Äann 
beg  Äönigö  fci^).  @r  gel)t  felbft  nod^  weiter  al3  ba§  unb 
meint,  üon  einer  SIrt  t)on  ©inwirhing,  bie  fein  3fieformüorfd)Iag 
mit  in  feine  Sered^nungen  gegogen  l^abe,  oon  jener  ber  ^Jrauen 
nftmlidö,  ^^^  ^n  feinem  ganb  glücflid)enoeife  nid)t  eriftire,  werbe 
am  6nbe  baS  @d)icffal  granfreid)^  abl^ängen*-). 

SBenn  ba§  ßinflufe  unb  Stellung  be§  meiblid)en  ®efd)led)teö 
waren,  fo  lol^nt  e§  fid)  wo{)l  ber  Wii)^  gu  fragen,  weld)en  @e* 
braud)  e§  t)on  benfelben  gemad)t  ijcit  unb  in  weld)cr  SBagfd)ale 
bic  grofee  3fiid)terin  aller  mcnfd)lid)en  2?inge,  bie  ®efd)id)te,  baö 
®ewid)t  feinet  Slntl^eiB  an  ben  ©reigniffen  unb  fomit  aud)  baö 
STOafe  feiner  ungel)euren  Sßerantwortung  gefunben  Ijat  ®ie 
Srage  fann  nur  bann  xljxex  Söfung  entgegengefül^rt  werben, 
wenn  feftgeftellt  ift,  wie  bie  grauen  fid)  j^ur  geiftigen  §err= 
fd)aft,  weld)e,  um  bie  ßeit  be^  amerifanifd)en  Ärieg§  unb  nod^ 
unter  l^eftigem  SBiberfprud)  begiunenb,  gu  @nbe  ber  ad)tgiger 
gal^re  im  S)enfen,  im  6mpfinben  unb  in  ber  ^olitil  eine  fo 
gut  wie  unumfd)ränfte  war,  Derf)ielten.  S)iefe  ^errfd^aft  war 
bie  t)on  SRouffeau.  S)ie  ß^ugniffe  in  biefer  SSe^ielöiing  ftnb  ein* 
fiimmig.  ®rimm,  üon  bem  SRouffeau  fd)rieb,  er  fei  ber  einjigc 
SDlcnfd^,  ben  er  l^affe^),  unb  ber  feineijeitö  feine  ©rünbc 
§atte,  fd)onenb  gegen  i^n  ju  iierfa{)ren,  gibt  uidjtiSbeftoweniger 
iw   ber  »Correspondance  litteraire«  S^wgnife  für  biefen  ftetig 


')  Jefferson,  Complete  Works.  Correspoudance,  II,  116  unb  III, 
10—11,  7.  gcbruar  1787  unb  18.  50iar3  1789. 

=f)  ©bcnbafelbft,  Sefferfon  an  ®.  3öaf§tnöton,  II,  535,  ^ariS,  Scjcmbcr 
1 788. 

*)  Berthoud,  Rousseau  au  Val  de  Travers,  229. 


246  2)iß  grauen  unb  SHouffcau. 

tr)Qd)jcnben  ©influfe.  S«^  S^ebruar  1775  nimmt  er  nid^t  Sin- 
ftanb,  öon  SBoltaire'ö  »Don  P^dre«  fprcd^cnb  gu  fagcn,  bicfc 
Sragöbic  jetge  ©puren  öon  SHterSfd^toäd^e  —  sent  la  däcre- 
pitude  — ;  aber  obwol^I  er  9iouffeau'§  ©^[tem  aufö  @d)ärf[te 
Derurt{)eilt,  jielit  er  bie  SÄad^t  feinet  Salenteö  feinen  Slugenblitf 
in  Sweifel.  SSon  ®enf  au§  fd)rieb  1780  3ol)anne§  öon  aBütter, 
ber  .^{[torifer,  an  einen  greunb:  „@ö  i[t  erftaunlid^,  wie  loenige 
@ad)en  unb  wie  öiele  SBorte  je^t  bie  Äöpfe  füllen.  6S  i[t  ge» 
meinet  Uebel  unb  au§  ^Jranfreid^  gebürtig.  Uebcr]^aut>t  l^errfc^t 
nun  SRouffeau'S  SJtanier  unb  nic^t  SKonteSquieu'S.  S^ner  er« 
ftaunt  ob  SlHem,  biefer  erfiärt  2llle§.  Qu  jenem  wirb  ein  leb= 
I)after  ®ei[t,  gu  biefem  grofee  ©elel^rfamleit  erforbcrt,  weswegen 
jener  bie  größere  @d)ule  l)at  3)iefer  aber  wirb  bleiben,  wenn 
bie  Spannung,  in  ber  ewig  gu  leben  unmöglid)  ift,  enblid^  er* 
fd)lafft.  .  .  .  ®a§  ift  ba^  Unglücf,  bafe  ber  öon  9Äonte§quieu 
betretene  SBeg  ber  @rfal)rung  für  ben  ber  ^l^antajte  unb  @pe» 
fulation  öerlaffen  würbe,  auf  bem  9iouf[eau  öoranleucit)tetc  ober 
auf  wel(i)en  er  öerleitete"  ^).  Unb  neun  Saläre  fpätcr,  1789, 
fügt  er,  öon  benfelben  ©ebaufen  geleitet,  l)ingu:  „3Benn  bie 
Siegeneration  biefer  ^l^ilofoplien  gelingt,  bann  lafet  un§  bie 
Sudler  gufd^lagen,  benn  bie  ©rfal^rung  ber  Stationen  unb  ber 
3ai^rl)unberte  gäl)lt  nid)t;  2Ronte§quieu  ift  ein  einfältiger  aj?cnf(i^ 
unb  nid)tö  fann  falfd^er  fein,  alö  ba^  bie  Siegierungen  mora* 
lifd)er  ©runblagen  bebürfen.    ©ie  ^l)rafe  genügt!"  2) 

3ur  felben  Seit  lam  ber  ©enfer  ©umont  öon  gonbon  naä) 
^ariö  gu  feinem  ^^teunb  3Jlirabeau:  „®ie  ^errfdjaft  öon  SSol« 
taire  ift,  mit  2luönaf)me  be§  S:f)eater§,  gu  @nbe",  fd^rieb  er  öon' 
bort  an  SiomiK^  nad^  6nglanb,  „SRouffeau  fteigt  in  eben  bem 
SSHa^,  in  weld^em  ber  Slnbere  finft.  ®ie  9lad)Welt  wirb  ftd^ 
barüber  wunbern,  bafe  man  fie  jemals  al§  Siiöalen  betrad^ten 
fonnte".    9lid)t  anberö  urtl^^ilte  Delöner,  ber  beutfd)e  Searbeitcr 


0  Sol^anncS  bon  mülUx,  (Sammtlid^c  SBcrfe,  1780,  XV,  31. 
2)  ©benbafelbft,  XV,  350. 


^  DelSncr.     ®ic  ©eutfd^cn.     ®ic  ©ttglönbcr.  247 

unb  grcunb  t)on  @ie^e§,  Slnfangö  1791,  mitten  in  ber  SRcDo* 
lution:  „S^^in  Sacqucö  SRouffeau  tft,  tüic  Sie  n)if[en  werben, 
eine  aSilbfäule  al§  3Serfaf[er  beö  ßoittrat  focial  unb  feiner 
SBittwe  eine  ^enjton  öon  1200  giöre§  befretirt  n)orben'^  lautet 
Oetönefö  Srief  an  einen  beutf(f)en  £anb§mann.  „3)ie  3[nbeter 
btefeS  ^eiligen  werben  am  erften  fd)önen  i5rüf)lin0§tag  nad) 
©rmenonöiHe  wattfal^rten.  SSoItaire'S  Sünger  fd^reien  gegen 
bcibeS  ^Abgötterei,  feufjen,  ba§  man  il^i^en  ^ropl^eten  öergifet, 
unb  wal^rl^aftig,  ber  le^tere  %lje\\  if)rer  3fieffamationen  ift  be= 
grfinbet" '). 

3n  3)eutjd)lanb  erl^ob  ftd^  bagegen  faum  ein  SBiberjprud). 
©enn  nad)  Sefjtng  war  3-  %  ^louffeau  ,,ber  füf)ne  SBeltweife, 
weld^er  fein  35orurtl^eiI  anjel)eub,  geraben  2öeg§  auf  bie  SBa^r* 
l^cit  gugel^t"^).  Äant  foll  ein  paar  2KaI  feinen  täglid)en 
©pagiergang  geopfert  l^aben,  um  ben  6mil  ju  lefen^).  ®er 
Süngling  ©d^iHer  rief  begeiftert  auö: 

„©ofrateö  ging  unter  burc^  Sopl)iften, 
Sfiouffeau  leibet,  SRouffeau  fällt  burd^  6f)riften, 
3fiouffeau  —  ber  au§  (5f)riften  ^Äenfd^en  wirbt", 
unb  fd)idte  feinen  SRäuber  2Koor  au§  ber  Äultur  l^inauö  in  bie 
SBälber.    Unb   nod)   für  einen  Slnbern  ift  SRouffeau  ber  2lu^== 
gangöpunft,  aber  freilid^  nur  biefer  gewefen.    ®ö^  an  ber  $anb, 
ben  SBertl^er  im  §erjen,  ttjat  ber  junge  ®oet^e  ben  Sluöruf: 
»Tals -toi,    Jean -Jacques,    ils    ne    te    comprendront   pas«^). 
Berber,  Safobi,   Älinger,   ßampe,  ^einfe,   bis  l)erab  ju  Senj 
legen  S^iJÖ^ife  ^^  \^^  ^i^  9Kad)t  ber  Sbeen  üon  SJtouffeau  über 
fic,  unb  baSfelbe  läfet  ftd)  in  aKen  europäifd)en  Äulturldnbern 
nadjwcifen. 

*)  Ä.  @.  OelSner,  itad^ntfltiQer  Igt.  pteufeifd^er  Scgationäratl^,  Sricfc 
ou8  ^oriS,  1790-1792,  an  ^uftijratl^  öon  ^alem,  36. 

^)  §.  «Lettner,  ©cfc^ic^tc  ber  fran3öfifd5en  Siteratur  im  ci6)i^t^nitn  ^af)x* 
Iftuitbert,  448,  45G. 

^)  3.  ^onegger,  JlrtHfci^c  ®cfci^id)te  ber  fran3Öfifd5en  i^ulturetnftüffe  in 
ben  legten  S^Wunberten,  359. 

*)  3K.  S3erna^ö,  2)er  junge  ©oetl^e,  III,  53,  ©octl^e  an  ©opl^ie  ßarod^e. 


/ 


248  SWcrrier.    S3.  bc  BainU^itne. 

3n  aUeu,  biiS  auf  baö  eine  ©nglmtb,  wo  bcr  politifd^e 
@inn  gu  fel^r  öefd)(irft  unb  bamit  bie  ßciftige  ttnabl^ängigfeit 
gu  fe[t  begrünbet  mar,  um  ftd)  für  biefe  ganje,  po^jicme  ©Ifidf* 
jeligfeit  gu  begei[tern.  5)enn  „gab  eö  je  einen  anti»englifd)en 
®ei[t  unb  ßl^^^rafter,  fo  war  e§  SRouffeau.  ©eine  Sfil^etoril,  feine 
angemeinl^eit  unb  Slpriorität,  feine  ©eroiffenloftgleit  in  fjcji* 
unb  Slufftellung  öon  2l)atiad)en,  fein  ewigeö  ftd)  felbft  Seifigen 
unb  Selügen  anberer,  ba§  burd)n)eg  Ungentleman'fd^e  tote  baS 
llnpraftifd)e  in  feinent  SBefen,  bie  gange  Unrcinlid)Iett  feiner 
SJlatur  muffen  e§  bem  (gnglänber  abfonberlid)  fd^tocr  mad^en, 
gegen  xijn  gered)t  ^n  fein''  ^). 

©onberbar  genug.  Sind)  für  biefe  englifd)e  ©taatSfunft  Ijl 
3.  3.  SRouffeau  ein  ^rüfftein  geworben.  21I§  einer  ber  ßcfälör^ 
lid^ften  geinbe  ber  greifieit  üon  ber  großen  liberalen  gartet 
abgelel)nt,  ift  er  l^unbert  ^atjxt  nad)  feinem  Siobe  öon  bcr 
iungen  rabifalen  ©d^ule  aboptirt  worben.  Sl^re  gewanbtcjlc 
geber,  bie  Don  93lr.  Sof)n  9WorIe^,  ijai  eine  Sinologie  t)on  %  3- 
SRouffeau  geliefert,  bie  oor  nid)t§  juröcffd^redft,  weber  öor  bcu 
ßonfequengen  beö  ©ocialfontraft^  nod)  oor  ben  Ungel^cucrlid)* 
feiten  ber  ßonfefjionö,  nod)  \)ox  ber  Semunberung  beö  SergS*), 
bie  in  aKen  ^auptpunften  bie  3:f)eorie  üon  SKouffeau  fo  be» 
bingung§lo§  anerfennt,  ba^  ein  Äritüer  oon  ber  Scbcutung 
Äarl  |)inebranb'^J  ben  „eblen  Srrtl^um"  beö  xf)m  befreunbcten 
©nglänberö  nid)t  anberö  al^  mit  ber  mal)r{)aft  graufamen  @nt* 
fi^ulbigung  „aufeerorbentlidjer  5Raioetät  unb  ttnlenntni^  con« 
tinentaler  Sinnesart"  ju  berfen  weifet). 

5ftit  ooUcm  5Red)t  bagegen  fonnte  9Kercier,  ber  Äritifer, 
^ublicift,  3lbgeorbnete  bc§  föonoentö,  unb  wie  fo  mand)er  3ln* 
bere,  in  ber  j^wölften  ©tunbe  feinen  2lntf)eil  an  bem  SBcrl  be» 


')  51.  ^illcbranb,    5(u§   unb    über   englanb,   Sol^n  SKoric^,   (StuMcn 
über  ha^  ac^tjcl^nte  Sa^r^uiibert,  338. 

*)  John  Morley,  Rousseau,  1873. 

3)  Äarl  ^illebranb,  9(u§  unb  über  fönglanb,  339. 


Sarerc.    SWabame  dltdtx.  249 

reucnb,  im  gal^r  1791  ein  ganjeg  Sud^  über  „%  %  SRouffeau, 
als  einen  bcr  erften  Url^eber  ber  SKeDoIution  betrachtet",  t)ers 
ausgeben  ^).  SSemarbin  be  Saint =^ierre,  fein  entf)ujta[tifd)er 
©d^üler,  ging  nod^  einen  @d)ritt  »eiter.  @r  verleugnet  nid)t 
nur  ben  ^atriar^en  Don  ^Jerne^,  er  nennt  \t)n  au^brüdlid) 
„bcn  böfen  ®eniu§  be§  3al^rl^unbert§,  baö  feinen  guten  @eniu§ 
in  SRouffeau  fanb''.  Slud^  ba§  ift  bejeid)nenb,  ba&  bie  erfte, 
cigentlid^e  Slpologie  üon  Siouffeau  au§  ber  geber  öon  Sarere, 
„bem  S![nafreon  ber  ©uillotine",  ftammt.  Sie  erfd)ien  1787. 
SBlan  lennt  ba§  SEßort  9lapoleon'§  an  ©taniölauS  ©irarbin, 
„bafe  ol^ne  3.  3.  SKouffeau  granlreic^  feine  SReDoIution  erlebt 
l^ättc".  ^5rau  t)on  ©tael  wieberl^olt  eö  unb  berid)tet,  er  l^abe 
l^injugeffigt,  bafe  er  eö  nid^t  beflage:  »car  j'y  ai  attrape  le 
trönec2).  grau  öon  ©taef  fclbft  enblid),  bie  bei  i^rem  Eintritt 
in  bie  Siteratur  ftd)  auöbrüdlid)  gu  SKouffeau'ö  ga^ne  befennt, 
Ijat  SSoItaire'ö  nur  feiten  unb  ganj  Dorübergel)enb  gebad)t. 
3lid)t  nur  ber  grofee  Strom  ber  öffentlid)en  ^Meinung,  and)  bie 
8lnjtd)ten  S)erer,  bie  if)r  am  näd)ften  ftanben,  beeinflußten  fte 
ffir  il^n  im  Sinn  aller  il)rer  perfönlid^en  Smpulfe.  6§  ift 
tt)icber]^olt  barauf  l)ingetüiefen  worben,  baß  SKabame  nieder 
Sineö  aufbot,  um  Don  ber  3ugenb  il^rer  Soc^ter  bm  ©ebanfen* 
freiS  SRouffeau'S  fernjul)alten.  ©ag  Q^\d)aij  aber  nid)t  etwa, 
»eil  fte  feine  Sbeen  Derurtf)eilte,  fonbern  weil  aud)  fte  gu  über= 
mäd)tig  Don  tl^neu  ergriffen  war.  @ie,  bie  ftttenftrenge,  Dor= 
tturfSfreie  grau  fd^reibt,  nad)bem  fie  bie  ßonfefjton^  gum  3:^eil 
unb  nod)  im  SKanuftript  gelefen  l^^t,  an  ?!Roultou:  „3d)  bc= 
lenne  baß,  fo  lange  bie  ,,,Jpeloife",  ber  „(Smile",  alle  biefe  gött= 
lidjen  unb  wefentlid)en  S3eftanbtt)eile  Don  3iouffeau  in  unfern 
^änben   ftnb,    id)    ba§   Seben   tl)re§   SSerfafferö    nur   al§   ein 


*)  Sebastien  Mercier,  Jean- Jacques  Rousseau,  considere  comme 
l'im  des  Premiers  auteurs  de  la  Revolution,  Paris,  1791. 

*)  Jobez,  La  France  sous  Louis  XV.,  V,  640.  Madame  de  Stael, 
Consid^rations  sur  la  Revolution  fran9aise,  partie  IV,  chapitre  XVI,  Edition 
1838. 


/ 


250  SWouItou. 

fd^tt)ad)cö  3lebcntt)erl  betrad^tcn  fann  unb  cö  mir  fd^eint,  al§  ob 
ein  ©d^leicr  über  bie  %ü)kx  biefe§  33ater§  ber  Saugen b  Qt^ 
tt)orfen  werben  foKe"  ^).  Unb  SKouItou,  ber  einftige  ^rebiger 
beö  ©öangeliumg,  ber  feinem  ©tanb  unb  ber  S^eologie  cntfagte, 
weil  er  entberft  ju  l^aben  glaubte,  ba§  ber  Slpoftel  ^aulu§  unb 
ber  l^eilige  3lugu[tinu§  bie  £el)re  Sefu  6l)ri[ti  öerborbcn  l^atten, 
fiberbietet  biefen  @ntf)ujta§muö  feiner  ^reunbin  burd^  ben  feinigen. 
„Di),  mein  greunb,  Sie  finb  grofe",  fd^reibt  er  1763  bem  auf 
©d^weijer  SSoben,  aber  unter  ^nebrid^'ö  ©cepter,  nad^  SSal  be 
S:rat)er§  geflüd^teten  3^^^  Sacqueg,  „aber  idt)  bin  gro§  genug, 
um  bie  |)ol^eit  ^l)X^x  Seele  gu  füf)Ien."  „O  3ulie,  D  Saint» 
^reu;c,  D  ßlaire,  D  6buarb'',  ruft  er  nadC)  ßeftüre  ber  3lcuen 
|)eloife,  „n)eld)e  SBelt  bett)ot)nen  (gure  Seelen  unb  wie  lamt  ic^ 
mid)  mit  6ud)  Dereinigen!''  Unb  nac^bem  er  ba^  ©laubcng« 
befenntnife  beö  SSicaire  faüotjarb  gelefen:  „SBenn  idt)  nid^t  gc* 
glaubt  ptte,  beüor  ic^  e§  Ia§,  fo  würbe  id)  gang  gewife  je^t 
glauben".  9luf)ig  unb  banfbar  nimmt  er  e§  l^in,  ba§  SRouffeau 
il)m  1763  ratl^et,  fein  priefterlid^e^  ®ewanb,  ,,ba§  gum  Sd^intpf 
für  il^n  geworben",  abjulegen  unb  if)n  1769  ermal^nt,  „feft 
im  ©lauben  ju  bleiben"-). 

„Siouffeau'ö  Sd^riften",  urtlieilt  SBiUemain,  „waren  bie 
S3ibel  if)rer  ß^it".  6ö  fiel  nid^t  fd)wer  in  bie  SBagfc^alc,  wenn 
@rimm,  ©iberot,  @aint=Sambert,  {)eftige  SBiberfadljer  geworben 
waren.  Ratten  fie  bod)  Sllte  bem  ©enfer  gef)ulbigt,  beöor  pc 
fid^  mit  bem  5!Kenfd)en  entzweiten.  SKale^l^erbeö,  ber  loniglid^e 
ßenfor,  forgte  für  bie  SSerbreitung  beö  ßmile,  ber  ofpjieH  Der* 
boten,  unter  bem  Siegel  beö  großen  Parlamentarier^  oon  ^cax& 
gu  ^aug  wanberte;  er  war  nid)t  nur  ein  3lnl)änger,  „er  war  ein 
Seftirer  Don  %  3.  SKouffeau"  3). 


*)  Madame  Necker,  Melauges,  I,  147. 

2)  Berthoud,  Rousseau  au  Val  de  Travers,  109,  140,  142,  147. 
Gaullieur,  Etudes  sur  Thistoire  litteraire  de  la  Suisse  fran9aise,  87. 

•**)  55a§  Söort  ift  öon  Saint-Marc-Girardin,  J.  J.  Rousseau,  sa  yie 
et  ses  ouvrages,  11,  364. 


8a(i^auinont.    ßl&riftopl^c  bc  Scournont.    Goinbet.  251 

8l(S  bcr  6milc  unb  bcr  ßontrat  focial  1762  erfd^icncn,  / 
fd^ricb  Sad)aumont,  „SKouffeau  jpredöc  nur  laut  au§,  roaö  SlIIc  / 
im  Jpcrgcn .  trägen'^  ^).  „Scjen  Sie  ben  6mile",  fcl)rieb  ÜRounier, 
einer  bcr  fd^arf jtnnigften  Äöpfe  ber  fünftigen  ßonftituante,  ,,unb 
töcl^e  Sinnen,  wenn  Sie  bann  nic^t  ba§  Sebürfnife,  beffer  ju 
werben,  entpftnben  foKten''^).  gfta^nal,  SfiomaS,  9!JJarmonteI, 
^Dlabl^,  33emarbin  be  @aint=^ierre,  3)upatt),  Florian,  SRoud^er, 
^Rcrcicr,  Serquin,  ftanben  unter  bem  bireften  6inPu§  Don 
tHouffcau.  Sit  ß^ö«  füllten  ftd)  bie  Äird^en,  unt  einen  ^rebiger 
gu  Igoren,  ber  feinen  S:e;ct  bem  ßmile  ent(el^nte^).  @ö  »irb 
ergdl^tt,  bafe  ßl^riftoplie  be  Seaumont,  (grjbifd)of  öon  ^ariö, 
beffen  Hirtenbriefe  gegen  ba§  Sud)  Slnlafe  gu  einem  ber  größten 
®rfoIge  3fiouf[eau'ö  gegeben  l^atte,  in  ber  Intimität  nie  anberö 
uon  il^m  gu  reben  ppegte,  al^  um  feinen  ß^arafter,  feine  Stugen- 
bcn,  feinen  ©eniuö,  feine  freiwillige  Slrmut^  unb  feine  Sluf« 
tid^tigfeit  gu  rä{)men*). 

SBemt  %xan  öon  @tael  üon  biefen  üornel^men  gefenf(i)aftlid)en 
unb  literarifdjen  Greifen  in  bürgerlid)  einfad^ere  Siegionen  über= 
ging,  fo  fanb  fte  benfelben  ÄultuS  wieber,  bei  jenem  ßoinbet  u.  a,, 
bem  Äaffter  beö  S3an!f)aufeö  2:f)eluffon==9lerfer,  ber  biö  gu  feinem 
1808  erfolgten  SSobe  if)r  treu  ergebener  ^5^cwnb  blieb,  unb  beffen 
9lamc  in  ben  6onfeffton§  wie  fo  mand)er  anbere  gang  un= 
nötl^iger  SBeife  gefd)mäl^t  ift.  ßoinbet  war  SRouffeau'S  he- 
gciftcrter  SBerel^rer  unb  bagu  ein  Iluger,  ad)tbarer  SKann,  ber  feinen 
8lnla§  l^atte,  ber  @d^meid)ler  ber  ©rofeen  gu  fein,  ben  biefer 
au§  il^m  mad)te^).     @ing   g^rau   oon   ©tael   bann   oon   ben 


*)  Bacbaumont,  Memoires,  I,  137,  cttirt  bei  Rocquain,  L'Esprit 
r^volutionnaire  avant  la  Revolution,  235. 

^  Bardoux,  La  bourgeoisie  fraiK^aise  pendant  la  Revolution.  Revue 
des  Deux-Mondes,  1886,  ganuar,  401. 

^)  Costa  de  Beauregard,  ün  homme  d'autrefois,  25. 

*)  Berthoud,  Rousseau  au  Val  de  Travers,  85,  dlott,  nad^  Brizard, 
Edition  Poincot. 

*)  Rousseau,  Coufessions,  Sejour  ä  niermitage.  Saint-Marc- 
Girardin,  J.  J.  Rousseau,  sa  vie  et  ses  ouvrages,  II,  261. 


252  Urfad^en  biefc«  einfluffc«. 

SKänncrn  auf  bic  grauentoclt  be§  Salon  9ledfcr  über,  fo  fanb 
jtc  öoUcnb^  faum  eine  ober  jtoci  unter  il^nen,  bie  feinem  6inPu§ 
entgangen  waren,  bafür  aber  greunbinnen  unb  QJönnerinnen, 
wie  bie  9Karfd)aUin  oon  Su;rembourg,  SKabame  b'^oubetot, 
©räfin  S3oufflerö,  ®räfin  b'ßgmont,  um  nur  fold)e,  bic 
eine  SRoIle  in  feinem  fieben  gefpielt  l^aben,  ju  nennen.  3n 
biefer  Sltmofpl^äre  ertt)ud)§  ^^fäulein  Siedfer.  S)ic  „©riefe  über 
aiouffeau"  bejeugen,  ol^ne  e§  burd)  genaue  S)aten  feftjuftellen, 
bafe  fte  i^n  frül^  gelefen,  in  erfter  Sugenb  jtd)  an  i^m  begciftert 
I)atte.  ©ein  Sauber  pacfte  jte,  wie  er  bie  gange  ©encration 
be§  legten  S^i^rgel^nt^  t)or  ber  SReuoIution  gepadft  l^at  unb  au§ 
ben  gleid)en  ®rünben.  Sie  fd^öpften  iijxt  SJiad^t  au§  ber  bop* 
Veiten  3:i^atfad)e,  bafe'  für  fie  fein  Softem  gugleid)  eine  Steuerung 
unb  eine  SReaftion  war. 

9leu  waren  bie  ^arabo?:en  ju  ©unften  beö  9laturju[tanbe§ 
unb  gegen  ßiüilifation  unb  S3ilbung,  in  ben  Slbl^anblungen  oon 
1750  unb  1755,  „über  ben  ©influfe  beö  gortfd)ritt§  ber  fünfte 
unb   SBiffenfd)aften   auf  bie   Sitten"   unb  „über  ben  Urfprung 
ber  Ungleid)l)eit  unter   ben  9Kenfd)en",  biefem  ÜRanifeft  gegen 
bie  ©efeflfd^aft,  beffen  reoolutionäreö  Programm  oon  leiner  ber 
fpäteren    Schriften    SRouffeau'ö    an    SBoUftänbigleit   übertroffen 
worben  ift.    9leu  waren  ber  mobernen    europäifd^en  SBelt   bie 
gel)ren  be§  ßontrat  focial,  oon  ber  Unoeräufeerlid^feit  ber  ©ouoe* 
ränetät  be§  33olfe§,  bie  ^roflamirung  beö  unumfd^rdnften,  unbe= 
bingten  32Binenö  SlHer,  al§  einziger  ®runblage  ber  Slutorität  unb 
I  be§  Staate^.    9leu  bie  folgerid^tig  barauö  entfpringenbe  ©oftrin, 
nid)t  etwa  oon  ber  bürgerlid)en  ®leid)l^eit  unb  bemfelben  3lied)t 
iebe!§  (äinjelnen  oor  beut  ®efe^,  fonbern  oon  ber  S3ered)tigunf 
Silier  jur  2:l)eilnal)me  an   ber  ^Regierung,  bereu  einzige  9ied)tö 
quelle  ber  ftetö  wieberruflid)e,  nad)  ©utbünfen  oerönberlid^e  SSBiP 
ber  ®efammtl)eit   ift.    9^eu   war   aud)   bie  ©rjiel^ungömetliO' 
be§  ßmile,   ba§  Sw^rfgel^en  auf  bie  3latur,  bie  nid)t  be!ämJ 
ober  geregelt,  fonbern  blofe  unterftü^t  unb  entwirfelt  werben  f 
3lad)  ber  ©rtlärung  ber  9Jtenfd)enred)te  im  @ocialfontra!t  fo' 


3.  3.  Sflouffcau  unb  ^obbeS.  253 

bicfc  ©rHärung  bcr  Äinbcrred^tc,  nad)  ®oetl^c'§  SBorten  „ba§ 
Sßaturcöangclium  bcr  ©rgiel^ung'',  im  ©angen  eine  unmöglid^c 
Utopie,  wie  iebe§  ©^[tem,  baö  SRouffeau  aufbaut;  im  ©injelnen 
Doli  befnid)tenber,  roenn  aud)  beftänbig  jtd)  toiberfpredienber 
Slnregungen  unb  nü^Ud^er  SBal^rl^eiten,  wie  SlKeö,  waö  fein 
®cniu§  berul^rt. 

Sebermann,  ber  auc^  nur  pd^tig  mit  9iouf[eau  jtd)  be« 
fd)äftlgt  i^at,  weife,  ba^  biefe  feine  Sbeen,  wenn  aud^  neu  für 
feine  Sefer,  boä)  gröfetentl^eils  nid)t  originell  waren,  ^unbert 
Saläre  frül^er  l^atte  ber  (gnglänber  ^obbe§,  im  ©egenfa^  gu 
Sftouffeau,  ber  eine  SReooIution  vorbereitete,  eine  anbere  SRedo^ 
lution  burd^lebt.  ®ie  it)m  üerl^afete  politifd)e  3lnard^ie  fc^rieb 
er  ber  ©inwirlung  religiöfer  ©inpffe  ^n.  Um  beibe  gu  be= 
lämpfen,  oerlegt  nun  ^obbe§  ben  @c^werpunft  in  ben  3)efpotiö= 
muS  eine§  ©injigen.  @ein  g^ürft  ift  ber  Sräger  ber  unum*= 
fc^räntten  SJlad^t,  auf  fird^Iid)em  wie  auf  ftaatlid^em  ©ebiet, 
ba  jeber  Untertl^an,  Iraft  eineö  3Sertrag§,  freiwillig  unb  un= 
wiberruflid^  il^m  alle  feine  inbiüibueHen  Sefugniffe  gur  SSerfügung 
gefteHt  ^at  unb  ber  allgemeine  SBiKe  nidit  irren  fann.  Unb 
eben  weil  biefe  5Kad^t  nic^tg  anbereö  atö  ber  ©ngelwille  3111er 
ift,  ber  jtd^  im  ^Jü^ften  barfteHt,  fo  bebarf  biefer  leiner  S3e* 
fd^ränhmg  unb  ba§  33olf  feiner  ©arantien.  ®enn  wie  fönnte 
ber  %ixx\t  je  üerfud^t  fein,  etwaö  gegen  ©ieienigen  gu  unter* 
nel^men,  beren  3Bol)l  unb  3itteref[e  er  oerförpert,  unb  beren 
SBiHen  er  auöfpridjt.  ®aö  ift  ber  ^unft,  wo  bie  ©oftrinen  beö 
„gcöiatl^an"  unb  beö  S3ud^ö  „be  6iüe"  [xä)  mit  ben  Sl^eorien 
öon  SRouffeau  berül^ren. 

©ie  au§fd)Iiefelic^e  Ableitung  einer  unbefd)ränften  gürften= 
gewalt  aus  allgemeinen  aSerträgen  ift  ebenfo  falfd^  unb  l^iftorifd) 
ttnwal^r,  alö  bie  £el)re  SRouffeau'S  oon  ber  urfprünglid)en  ^rei* 
i&eit  unb  ®leid)l)eit  aller  (gingeinen  unb  ber  ewigen  Unüeräufeer* 
Iid)Ieit  il^rer  SKed^te.  ®a§  Softem  üon  §obbe^  gipfelt  in  ber 
obfoluten  SJlonard^ie.  SRouffeau  ftürgt  e§  um  unb  fe|t  bie 
@out)eränetät  beö  aSolfeS  an  feine  Stelle.   3n  il^ren  ßonfequengen 

»Unnevl&attett,  Örau  ton  8tael.  I.  17 


254  ®^^  Ancien  R6glme. 

aber  ftimmen  beibe  übcrcin.  ®a§  Ic^tc  aSort  bcr  ©taatSlcl^rc 
be§  Slnlöängerg  ber  ©tuart'ö  unb  bcr  ^l^iIojo^)]^ie  nad)  bcm 
Slaturred^t  bc§  Sürgerö  üon  @enf  lautet  nad)  crfterem  ju 
®un[ten  be§  S:l)ronö,  nad^  le^terem  ju  ®un[ten  bcr  ©emofratie, 
aber  beibe  öemid^ten  bie  bered)ttgte  Unabl^angigfcit  bcö  Snbt:» 
Dibuum§  unb  ba§  3fied)t  ber  ?Dlinoritäten,  beibe  ücrlenncn  bic 
t|iftorifd)e  6nttt)icflung  unb  ba^  eigentlid)c  SBcfcn  bt§  Staates, 
beibe  enbigen  im  ®efpoti§mu§.  2lud^  ber  ©niilc,  ba^  2)enl== 
mal  don  SRouffeau  unb  feine  größte  ©d)öpfung,  l^at  SWuftcr 
gel^abt  unb  SSorgänger  aufäuweifen.  ©ie  (gffa^ö  t)on  ÜRontaigne, 
bie  SBcrfe  üon  Sode,  be§  politifd)en  ®egner§  öon  JpobbcS,  l^abcn 
nid^t  nur  anregenb,  fonbern  aud)  baburd^  auf  il^n  gewirft,  ba§ 
jte  il^n  jum  SBiberfprud)  üeranlafeten.  (g§  öcrftcl^t  jtd^  Don 
jelbft,  ba^  bie  ®runbfä|e  ber  bi§  bai)xn  fo  gut  wie  au§fd^Iie§* 
lid^  tt)irffamen  gei[tlid)en  @rjiel)er  üon  il^m  mit  ausgebeutet 
njorben  finb^).  ®ie  2Bal^rf)eit  aber  fprad)  ©rirnm,  wenn  er 
fragte,  „wem  benn  SRouffeau  feinen  ©t^I,  feine  33erebfamleit, 
fein  ©olorit  geftol^Ien  t)abe?"  ®aS  mar  ber  eigentlid^e  Äcm 
ber  %xaQt,  ba^  aud^  bie  lanbläufigften  Söal^rl^eiten  öergcffen 
maren  ober  nid)t  mef)r  bead)tet  mürben,  bis  SRouffeau  lam  unb 
i{)nen  neues  Seben  einlöaud)te.  6r  befierrfd^te  feine  S^t,  nid^t 
fo  fe{)r,  meil  er  il^r  eine  neue  fflotfd)aft  gu  bringen  i^atte,  als 
Dielmefjr,  meil  er  il)r  ein  ©tüd  ber  alten  2BeiSl^eit  in  neuer, 
glängenber  Umljüllung  miebergab.  ®aS  ©el^eimnife  feiner  SRacftt 
ift  meniger  in  iijm  felbft  als  in  ber  @d)mäd^e  feiner  ©egner, 
in  ber  ßntmidf'Iung  oon  Äird)e,  Staat  unb  ®efettfd)aft  feit  bem 
%ob  Submig'S  XIV.  gu  fud^en.  Submig,  ber  |)errfdt)ertalente 
in  nid)t  gu  flbertreffenber  33oIIenbung  befafe,  l)atte  bie  aergemiffe 
feines  Privatlebens  jum  Sljeil  baburd)  jju  fül)nen  gefud)t,  ba§ 
er  feinem  33egriff  oon  Drtlööboj:te  unb  Äird^e  burd^  SSerfolgung 
ber  ßalDiniften  nadt)   Stufen,  ber  S^nfeniften  im  @d)0§   beS 


')  33ro(icrl^off,  3^ait»Sacquc§  Slouffcau,  fein  Seben  unb  feine  SBcrfc, 
lir,  48  u.  155,  citht  eine  eigene  (Sd&rift,  Les  Plagiats  de  Mr.  Rousseau  de 
Geneve  sur  Teducation,  üom  23enebiftincr  D.  Cajot. 


S)cr  gtcßcnt.  255 

«igenctt  SSelcnntniffcö  cntfprad).    S)cr  jweitcn  ^älftc  feiner  3fic^ 

flicrung  fel^lt  cö  nid^t  an  büftern  Silbern;  feineö  aber  ift  tra* 

flifd^er  at§  bie  ^Austreibung  ber  eigenen  fianbeSfinber  in  junger, 

Äälte  unb  9lotl^,  bie  6nttt)eil)ung  ber  ©räber  ber  l^eiligmäfeig 

flcflorbenen,    aber   anberS  ate   ber  Äönig   benfenben    5ßonncn 

öon  ^oxt'dto\)al,  beren  ©ebeine,  faum  aufeerl^alb  beö  Sereid)S 

t)on  SSerfaiHe«,  bie  t^unbe  l^erumgerrten.    (äntjd^ulbigen  laf[en 

fold^e  Sl^aten  jtd)  nid)t,  tt)ol^I  aber  laffen  jte  jtd)  erflären.    Stuf 

Seiten  nid^t  nur  ber  Opfer,  fonbem  anä)  il^rer  ©egner  »aren 

ftarle,  aufridjtige  Ueberjeugungen.    Höflinge  ntod)ten  I)eudt)eln, 

um  bie  ®unft  beö   alternben  3J?onard)en   gu  gewinnen;   aber 

aSoffuet  unb   ben  St^eologen   ber   gaKifanifd^en  Äird^e  war  eö 

nid^t  minber  @mft  aU  ^aöcal  unb  ben  ^ort:=9io5aliften.    Unb 

gerobe  bem  ftarf  entwicfelten  religiöfen  Sewufetfein  liegt  nid^tö 

]o  nal^e   als   gntolerang.    SBerbammungSmürbig  ift  jte  immer, 

aber  ebenfo  t)eräd[)tli(^  als  unerträglid)  mürbe  jte  erft  bann,  als 

bie  ttebergeugungen   inS  SBanfen   gerietl^en  ober  üerfd)manben, 

bie  Verfolgung  aber  blieb,    „©er  §of  fd^mi^t  ^eud)elei'^  fagtc 

iSaints@imon  unter  ben   legten   ^legierungSjaliren   beS  großen 

ÄonigS.    2)er  3fiegent,   auf  feinen  Unglauben   ftolj,  »erlangte 

einen    fold^en    Stribut    nid^t    mel)r,    aber    liefe    eS    rul)ig   gc= 

fdEjel^en,  ba^  ber  ®laube  ben   SKenfd^en  aufgejmungen   mürbe, 

ben  er  felbft  tief  genug  t)crad)tete,  um  ben  römifd)en  ^urpur 

für  einen  S)uboiS  gu  begeljren,  ber  nid)t  menig  baju  beiträgt, 

aSoltaire  gu  erflären^).    gleur^  fd)abete  nid)t  meniger,  obmol)l 

in  anberer   Sßeife.    6r  fteUte   einer  Seigre   in  ber  Äird^e  bie 

5Kad^t   ber  Ärone   jur  SSerfügung  unb  brängte  ben  römifd)en 

©tul^l  gu   unl^eiboKen   @d)ritten.     5)er  Äampf   gmtfd^en    ber 

ultramontan  geftnnten  ^Regierung  unb  ben  janfeniftifd)  gejtnnten 

Parlamentariern  unb  iliren  2lnl)ängent  füKt  bie  erfte  ^älfte  ber 

neuem  frangöjtfd^en  ®efd)id)te    beS    ad)t3e]^nten  ^at)xl)nnbtvt^ 


*)  Voltaire,  Lettres  anglaises,  Oeuvres  XXVI,  29,  citirt  bei  Buckle, 
flistory  of  Civilisation  in  England,  I,  692,  Sßotc. 

17* 


256  S)ie  SBuHc  UnlgenituS. 

auö.  ©ic  janfcniftifd^cn  Slnfd^auungcit  bcl^auptctcn  in  ^ari^ 
ba§  gelb,  alö  bie  SuHe  Unigcnituö,  bic  öoit  bcm  ©ctüiffen 
Unterwerfung,  aud^  ol^ne  Jebe  innere  Ueberjeugung  forberte,  in 
%xanlxd6)  aufgebrungen  würbe.  3m  ^al^r  1731  befprad^  einer 
ber  größten  SRebner  be§  5ßarifer  Parlaments,  Slbbe  ^uceHe,  bie 
öon  btefer  SuIle  ausgeübte  Söirhmg  wie  folgt:  „Seit  btefe 
SBuIle  in  %xanfxtxä)  Slufnal^me  gefnnben  ^ot,  jtnb  wir  öon 
Uebeln  umringt.  Mt  Quellen  beS  ®uten  jtnb  öerftopft,  alle 
@(i)ulen  dergiftet.  2Sa§  ift  au§  ber  Sorbonne  geworben,  au^ 
welcher  man  l^unbert  ©oftoren  ber  S:l)eologie  unb  gwar  bie  ge^ 
letirteften  unb  btm  Staat  ergebenften,  mit  einem  Schlag  entfernt 
l^at?  3Ba§  au§  ber  berülimten  ©d^ule  oon  @ainte=a5arbe,  bie 
fo  üorjüglid)e  ©iener  für  Äir(i)e  unb  Staat  grofejog?  @inb 
nid^t  aHe  @(^id)ten  ber  Seoölferung,  alle  beftel)enben  Snftitutio^ 
neu  verwirrt  unb  jerftört?"  ^)  aSon  biefem  SReinigungöprocefe, 
ben  ßarbinal  ^^l^ut^  mit  ber  fat^olifdi)en  Äird^e  in  granfreidfj 
üontal)m,  l^at  biefelbe  jtd)  nie  wieber  erl)olt.  ®ie  Station  gwar 
in  i^rer  weitaus  größeren  SKel^r^eit  lebte  unb  ftarb  il^rem 
®lauben  gemäfe,  fonft  würbe  bie  beftel^enbe  gefeßfd^aftlidie  Drb« 
nung  fdion  bamals  gu  ej:iftiren  aufgeljört  l^aben.  8lber  bie 
9Kac^t  ber  religiöfen  Sbeeu  über  ben  @eift  unb  bie  SBilbung 
ber  Qtxt  ging  verloren.  3m  langen  Streit  ber  Parteien  waren 
bie  Äräfte  aufgegel)rt  unb  lal)m  gelegt  worben.  Sülle  ©täbte 
granfreid)'^  gä^lten  üerbannte  S^eologen,  t)on  il^ren  Sel^riiül&len 
entfernte  ^rofefforen,  fuSpenbirte  ^riefter  in  il)rer  3Ritte.  Selbjt 
Älofterfrauen  mußten  i^rer  »erfolgten  SÄeinungen  wegen  obbad^*^ 
loS  uml^erirren  unb  gute,  fat^olifd)e  ß^riften  ol)ne  bie  Safra* 
mente  fterben.  @in  merfwürbigeS  Seifplel  unter  fielen  üon 
biefen  S«ftänben  fnüpft  ftd)  nod)  1778  an  ben  SSefud^  beS 
ÄaiferS  Sofep^  in  ^ariS.  ©iefer  fprad)  bem  Äönig  ben  aBunfd^ 
aus,  btn  2Sol)ltl^äter  ber  Saubftummen,  5lbbe  be  TSpöe,  fennen 


^)  Abb6  Pucelle  Bei  Aubertin,  Les  Parle mentaires  jansönistes  du 
XVIII  Siecle.    Revue  des  Deux-Mondes,  1881. 


Smiona  bcr  religiöfcn  mit  ber  ^olitiMcn  £)|)|)ofit{on.  257 

gu  lernen,  ber  nid)t  nur  gum  SSermittler  biefer  Unglfitflid)en  mit 
il^ren  SDflitmenfd^en  burd^  erpnbung  ber  ßeidienfprad^e  geworben 
voax,  fonbem  il^nen  feine  gange  §abe  big  aujö  3lot^tt)enbigfte 
Dpferte.  S)e§  Äaiferö  Srage  aber  fonnten  »eber  feine  ©d^^efter 
Tio^  Subtt)ig  XVI.  beantworten.  Sie  Ratten  ben  $Ramen  beö 
üortrefflic^en  SJIenfd^en  unb  5ßriefterö  nie  nennen  gel^ört,  benn 
i)er  ©rgbifdiof  t)on  ^ariö  l^atte  t^n,  jianfenifttfd)er  Sbeen  njegen, 
unter  Subtt)ig  XV.  fuSpenbirt  ^).  6ine  gange  Siteratur  begeugt, 
toaö  bie  Seelen  bamal^  litten  unb  xok  bie  Seiter  ber  frangöjt* 
fd)cn  Äird^e  baö  SBort  gur  SBal)rl^eit  gemad^t  l^atten:  »Desertum 
faciunt,  pacera  appellant«.  ©a§  (5]&riftentl)um  überlebt  fold^e 
Ärifen,  aber  ber  Staat  ging  barüber  gu  ©runbe.  ®ie  öerle^ten 
Uebergeugungen  fiüd^teten  unter  ben  @d^u^  ber  parlamentarifd^en 
greil^etten.  3n  ber  3lufle]^nung  gegen  ben  SKipraud^  Iird)lid^er 
Slutorität  fd^ulte  pdf)  ber  SBiberftanb  gegen  bie  Sluöfd^reitungen 
bcr  Mntglid^en  ©eioalt.  2Bie  ftc^  ber  mouard^ifd^e  8lbfolutiömug 
mit  ber  l^ödE)ften  9Jiad)t  in  ber  Äird^e  üerbünbet  l)atte,  fo  filierte 
Jefet  bie  Sieaftton  gegen  ben  afö  ungered^t  entpfunbenen  S)rucf 
in  religiöfen  Slngelegenl^eiten  gum  SBiberftanb  auf  politifd^em 
©ebict.  ®a§  erfte  Dppofttion^blatt  g^ranfreid^'^  ftnb  bie  »Nou- 
Teiles  eccl^siastiques«,  bie  überall  derfolgt  unb  üon  Sebermann 
gelcfcn  mürben,  gerabe  mie  bie  SSorgänger  ber  Sribune  öon 
1789  jene  ianfeniftifc^en  ^^Jarlamentarier  finb,  benen  baö  be» 
Icibtgte  ©emiffen  Serebfamfeit  lie^^),  ©{e  m^  aber,  bie 
2)ränger  mie  bie  Sebrängten,  arbeiteten  einem  gemeinfamen 
gcittb  in  bie  $änbe;  „Sanfeniften  unb  Sefuiten  gerreifeen  pd^", 
fd^rieb  aSoltaire  1762,  „man  mufe  jte,  bie  (äinen  burd)  bie 
Slnbem  öernid^ten  unb  bie  angefammelten  2:rümmer  foHen  ber 
SBal^rl^cit  jum  ©d^emel  bienen"^).    ®er  Söa^r^ett?  SBaö  benn 

»)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.,  I,  233. 

*)  Rocquain,  L'Esprit  revolutionnaire  avant  la  Revolution.  Buckle, 
History  of  Civilisation  in  England,  Chapters  XII  and  XIV.  Sainte- 
Beu?e,  Port-Royal,  III,  21,  255,  VI,  67,  192.  Aubertin,  Les  Parle- 
mentaires  jans^nistes. 

®)  Rocquain,  L'Esprit  r6volutionnaire  avant  la  Revolution,  236. 


258  ^^^  ^^ilofopl^en  unb  bie  @nc^no|)abiften. 

I^aben  SSoItairc  unb  feine  (äeftnnung^genoffen  fo  genannt?  ßr 
felbft  üerftanb  barunter  eine  ungel^eure  ß^^törung,  bcn  Äantpf 
gegen  alle  pofttiöc  Sieligion,  ben  epifureifd^en  ®eiSmu3,  beffen 
befte  5ßl)afe,  eine  optimiftifc^^l^umamtäre  ©ejtnnung,  in  bcn 
SBorten  jtd)  auSfprad):  „6§  möge  SlUeö  gut  ober  fd|ltmm  fein, 
forgen  »ir,  bafe  SlUeö  beffer  merbe".  ©ein  Slntl^cH  an  ber 
Sieöolution  i[t  nid)t  ©^mpat^ie  für  ba^  SSolf,  baS  er  Weber 
Diel  bead^tete  nod)  liebte;  er  beftel^t  öielme{)r  barin,  bafe  er  bic 
©eftnnung  ber  Stegierenben  reüolutionirte.  Sein  blinbcr  fja* 
natiömuö  gegen  ba§  6^rtftentl)um,  ben  nid)t§  weniger  atö  fein 
ungelö^urer  SSerftanb  entfd^ulbigt,  war  nidit  ber  3Beg  ju  einer 
fold^en  Steform;  er  ftrafte  feine  Soleraujboftrin  ber  Silge.  8U5 
1770  baö  „Softem  ber  5Ratur",  biefer  „6obef  be«  ati^eiSmuS", 
erfd^ien,  reagirte  33oltaire,  aber  gu  fpdt,  gegen  bie  ©elfter,  bie 
er  gerufen  l^atte.  2)aö  SBerf  öon  b'§olbad^,  wcIdöcS  jebc 
religiöfe  3legung  alö  geiftige  SSerirrung  bejeidjnet  ^);  war  nur 
ba§  öollftänbigfte  einer  langen  Sieil^e  äljnlid^er  ^robuftc.  ^cl« 
öetiu§  {)atte  1758  baö  materialiftifd)e  Grebo  in  beut  Sud|  „öom 
®eift"  formulirt,  weld^e^  bie  ßfiftenj  eines  fold^en  Icugnenb 
SmeS  auf  bie  Sinne  gurüdfülirt  unb  eine  entfpred^enbe  SlÄoral 
aufbaut.  SBeit  entfernt,  ben  allgemeinen  Unwillen  gu  erregen, 
fanb  jtd),  bafe  ^eloetiuS  ba§  populäre  Sud^  ber  guten  ®efclt 
fd^aft  gefd)rieben  unb,  wie  bie  9Äarquife  ®u  3)effanb  meinte, 
„ba§  ©el^eimni^  SlHer  auSgeplaubert  l^atte".  ©ie  S^^eorie  ju 
biefen  3lu§Iegungen  fam  don  Gonbillac,  „bem  SWetop^^pfer  beS 
frangöjtfd^en  ad)tgel^nten  ^aljx^nnbttt^"^),  ber  bie  ^pofopl^ie 
öon  Sodfe  btn  grangofen  gugänglid)  gemad)t,  aber  im  Sinn  ber 
materialiftifd^en  3)oftrinen  weitergefül^rt  l^atte.  3m  ®efolge 
biefer  SBortfül^rer,  mit  ©iberot  unb  ber  (äncgflopäbie,  arbeiteten 
Ungäl)lige  weiter.  Slud)  l^ier  fanb  ftd^  bie  alte  @rfal^rung  be* 
ftätigt,  ba§  wie  nid)tg  öoUfommen  gut,  fo  aud^  ba§  ©d^Iimmjie 


^)  Barante,  Tableau  de  la  Litterature  fran^aise  au  XVIII  Siecle,  94. 
2)  Cousin,  Histoire  de  le  Philosophie,  I.  Serie,  III,  83. 


2)lc  gflcaftion  qtqtn  fic  burd^  3.  3.  SRouffcau.  259 

nid^t  ol^nc  SRu^cn  ift.  2)ie  öemerfUdjfte  aller  ^l^ilofopj^icn, 
auf  bic  9licmanb  mcl^r  in  bcr  Sl^cotie  gurfidfgreift,  aud^  xotnn 
er  unglfitflid)  genug  ift,  pe  in  ber  ^xajA^  gu  üben,  füt)rte  gum 
©tubium  ber  9latur,  gab  ben  Slnftofe  ju  ben  wiffenfd^aftlic^en 
6rrungenfd)aften  ber  Sadoijter,  Salanbe,  ßuüier,  gourcro^, 
Sßx6)at,  unb  leitete  fo  in  bie  neue  3^it  Ijinüber.  Slber  il)re 
ffiirfung  auf  bie  Seelen  blieb  nid^t  minber  troftloö  unb  ger« 
fe^enb.  Unter  ber  abfoluten  SJlegation  be§  ®eifte§,  bem  ^a§ 
gegen  aßcö  Sieligiöfe,  ben  aufget^ümtten  @opt)i§men  ju  ®unften 
aller  SBerirrungen,  ber  (gmpörung  gegen  jebe  Slutorität,  ber  um 
erbtttlid)en  ©at^re  unb  beö  triumpl^irenben  ©potteö  gegen  8lKeö, 
was  bis  bal^in  im  ©enfen  wie  im  Seben  als  lieilig  unb  uner* 
fd^fitterlid^  gegolten  l^atte,  fanfen  alle  Uebergeugungen  unb  alle 
Srabitionen  in  Srümmer.  Unb  wie  Ratten,  unter  ber  t&errfdiaft 
bicfeS  materialiftifd^en  5ftaturaliSmuS,  ber  ben  Urfprung  ber 
©ebanfcn  in  bie  ©enfation  verlegt  unb  als  3RotiD  menfd)lid)en 
^anbelnS  nur  ben  ßigennu^  beftel)en  läfet,  nod^  etl)ifd^e  Segriffe 
überleben  follen?  2)er  räfonnirenbe  3Serftanb  bel^auptete  allein 
baS  iJelb  unb  negirte  bie  jtttlid)e  greil)eit. 

S)a  lam  SRouffeau  unb  mit  i^m  bie  SReaftion,  bie  nur 
burd^  baS  SSorl^ergegangene  möglich  war  unb  berftänblic^  wirb. 
©eine  erfte  ÄriegSerflärung  gilt  eben  ber  Uebermad^t  unb  Ueber* 
fc^ä^ung  beS  SSerftanbeS:  „®er  2Kenfd);  ber  benft,  ift  ein  Der* 

tommenes  2:i^ier "    „Äommt  in  bie  aBälber,  unb  werbet 

5Kenfdt|en!"i)  ®er  Stppea  an  bie  SJlatur,  baS  waS  im  ßmile 
„baS  SBieberauffteigen  gu  xi)x"  genannt  wirb; 2)  bie  2:f)eorie, 
bafe  „bie  SJlatur  ben  2Renfd)en  glüdtlidt)  unb  gut,  bie  ®efeafd)aft 
il^n  bepraüirt  unb  elenb  gemad)t  i)abe"^),  giel^t  ftd^,  wie  ein 
rotl^er  ^Jaben,  burd^  alle  feine  @d)riften.    t&ierauS  baS  5ßoftulat 


')  J.  J.  Rousseau,  Discours:  Le  retablissement  des  arts  et  des 
sciences  a-t-il  contribu^  ä  ^purer  ou  ä  corrompre  les  moeurs? 

*)  Barni,  Etudes  sur  Je  dix-huitieme  Siede,  J.  J.  Rousseau,  II,  213. 

^)  J.  J.  Rousseau,  2(nfang  bcä  fimile.  J.  J.  Rousseau,  Juge  de 
Jean-Jacques,  3.  Dialogue. 


260  ®<t^  ©laubenSbelenntnt^  beS  fabo^f^en  SSilotS. 

ber  ßrjiel^uttg  bc§  2Rcnjd)en  naä)  bcn  Slnbcutungcn  unb  ate 
ßntroitflung  ber  9latur,  bie  Si^i^ö^fä^^i^ng  bcr  ©cfcttfd^aft 
auf  urfpriinglid^e  S^^ftönbe,  ober  auf  baö,  »aö  JRouffeau 
bafür  l^ielt,  bie  Sllieilung  beö  Sep^eö  nac^  ben  Segriffen  be§ 
blofeen  9laturred^t^  ^) ,  bie  SBegrünbung  ber  Sieltgion  auf  ba^ 
®efül^l,  mit  8luSfd)lu§  aller  ©ogmen  unb  mit  ®leid^gültig=^ 
feit  gegen  alle  gormen  beö  Äultu^,  woburd)  ba§  6^riftentl)um 
felbft  nid)tö  anbereö  mel^r  mar  „als  bie  beffer  erflärte  9latur« 
religion"  ^), 

Ueber  biefen  ©tanbpunft  ging  aud)  baö  berul)mte  ©lau* 
benSbefenntnife  beS  faüo^fdjen  SSifar§  nid)t  l^inauö.  @3  ücr= 
tt)irft  ben  lierrfc^enben  aRateriaIi§mu§  unb  mac^t  ber  Sl^eo* 
logie  feine  Si^Ö^ftänbniff e ,  aber  e§  bemäd^tigt  pd),  infoweit 
jte  feinen  Qxotdm  bient,  ber  döriftlidien  SÄoral,  fteHt  ben 
©hüben  an  bie  llnfterblid)feit  ber  Seele  »ieber  l^er  unb  er* 
fennt  bie  3:i)atfad)e  ber  jtttlid)en  g^reil^eit  unb  bie  (Sfifteng  beö 
©en^iffen^  ax\^), 

SJlit  ben  unmittelbar  üorliergegangenen  ©oftrinen  üerglid^en, 
roax  ba§  fd^on  ein  unermefelid)er  ®eminn.  SSRan  fann  ben  ©eift 
biefer  Seit  nid)t  beffer  d)arafterijtren,  aU  inbem  man  baran 
erinnert,  ba^  jte  e§  aSoltaire  überliefe,  bei  brei  benfioürbigen 
©elegen^eiten  —  ben  ^roceffen  t)on  6ala§;  be  la  Sarre 
unb  gall5=2:olIenbal  —  afö  ©ad^toalter  ber  ©ered^tigfeit  aufgu« 
treten  unb  ba^  fie  ba§  ©üangelium  na(^  ber  aSerjton  beS 
fömile  empfing.  SSon  ba  an  mürbe  SRouffeau  ber  religiofe 
ermetfer  ber  Seit  unb  aU  ©emiffenSratl^  befragt.  Sm 
Srief  an  ben  ergbifdiof  oon  ^ßariö  nennt  er  jtd)  gerabeju 
ben  „anmalt  ber  @ad^e  ©otte^\   unb  e§  ift  nur  gu  rid^tig, 


0  J.  J.  Rousseau,  Discours  sur  TEconomie  politique.     Barni,  loc. 
cit.  barübcr,  II,  236. 

2)  Berthoud,  Rousseau  au  Val  de  Travers.    Rousseau  an  J.  Jequiers, 

Motiers,  Decembre  1762,  135. 

3)  J.  J.  Rousseau,  Emile.     Profession  de   foi  du  Vicaire  savoyard 
unb  Nouvelle  Heloise,  Livre  VI,  Lettre  VII. 


Sledcr.    83.  bc  ©aint-$icrrc.    2j^abamc  bc  ©cnli«.  261 

bafe  bicfclbc  btö  1789  in  ber  geitgcnöfjtfd)Ctt  Sttcratur  laum 
einen  anbcm  l^atte.  Sin  einer  ©teße  erflärt  er,  „bafe  bie 
SRcnfci^l^ett  i^m  Slltäre  fd)ulbe" '). 

Slm  SBorabenb  ber  SReüoIution  derfud)ten  e§  brei  @(i)rift[teller, 
Semarbin  be  ©aint=^terre,  9ledfer  unb  9Äabame  be  ®enUö,  gn 
©unften  reltgiöfer  Ueberjengungen  aufzutreten.  Semarbin,  ber 
©d^filer  öon  Siouffeau,  fd)rieb  bie  „9laturftubten",  „in  »eichen 
©Ott  üertl&eibigt  wirb,  xok  ein  fdöled)ter  ßlient  burd)  feinen  Slb* 
öofatcn''^).  giedcr'g  1788  erfc^ienene§  Sud)  ,fiber  bie  2öici^tig= 
feit  ber  religiöfen  9Äeinungen"  loar  ein  2Sermittlung§öerfud) 
gtt)ifd|cn  ber  ^l^ilofopl^ic  unb  ber  5tl)eologie,  ber,  fo  ad^tungö» 
tocrtl^  er  aud^  fein  mod^te,  bod)  bie  ©inge  liefe,  vok  jte  waren, 
unb  bcffen  wol^lmeinenbem,  unbeftimmtem  Sei^muö  Stiüarol  bie 
wnerbittlid)c  Sogif  be§  (gntroeber  —  Dber  gegenüberfteHte. 
9Kabame  be  ®enli§  enblid^  öerbient  feine  ernfte  6rn)äl)nung^). 
9Ran  bcl^auptetc  üon  il)r,  „jte  liabe  bie  SSerirrungen  in  il^r 
geben,  bie  3Roral  in  il^rc  Sudler  üerlegt" '*).  @o  bleibt  benn 
Siouffeau  atö  SBermittler  religiöfer  3been  unb  burd^  fte  al§  ber 
grofec  ©rwedEer  unb  Segwinger  beö  ®emütl)§.  ©benfo  »al^r 
atö  fd^ön  fagt  9^ifarb:  „®a§  geringfte,  waö  ber  @d)riftfteller 
tjcrltert,  wenn  er  ba^  5lltertl^um  üernad)läfftgt,  ftnb  Sic^tblitfe 
über  ba§  menfd)lid^e  §erg;  ba^  geringfte,  tt)a§  ©erienige  ein^ 
b&^tf  ber  bie  dE)riftlidt)e  2Sergangenf)eit  üerad^tet,  ift  6rfennt= 
nife  beö  eigenen  t&ergenö"^).  2lud^  in  biefer  SBegiel^ung  war 
©orge  getragen,  ba^  bie  Sl^eorien  üon  SRouffeau  au§  bem  all« 
gemeinen  SBerluft  Sinken  gogen.  SlHe  @ad)funbigen  ftimmen 
mit   ®rimm  barin  überein,   bafe   bie   „auf   unglaublid^e    unb 


')  f8xodtxf)oU,  3ßan»Sacqucä  Sftouffcau,  fein  Scben  unb  feine  SÖerfe, 
III,  736. 

^  Nisard,  Histoire  de  la  Litt^rature  fran^aise,  4.  Sfrtilel:  Saint- 
Pierre. 

^)  3^t  SBud^  fül^rt  ben  2;itel:  De  la  religion  consideree  comme  l'unique 
base  du  bonbeur  et  de  la  v^ritable  philosopbie. 

*)  Sainte-Beuve,  Causeries  du  Lundi,  III,  16. 

*)  Nisard,  Histoire  de  la  Littcrature  fran^aise,  IV. 


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i:i:i-a  '.j  leriuin.  n  Ttn  rjfaenuntnrer  i^dtae.  6r  aniBte  in 
iü-iunKTi  !!:e!i' j^re!r[i;  :.iL^'jn  i:=  jum  vTarfenfjunt  nflbt  iber 
his  fi^iniiie.  .r>i  .r  :'j!i  jüiren  jernicnüer  ijat  jTonigte  ^cd)^ 
aiiT  :*^m  :rtcn  Ter  .u-jCtncn  i-Jirfnieiler  5er  t&emm  jpcntCT' 
i.'urrJ  in:?  U;:riii::i  rviiiiu  ^^3  i-:!je!ts.  5or  -SatEr  &cr  nu?* 
:if:-:T'rn  Z.:Tnjrr.tnc  :'c  -:ruL\:-.TnT:a3e  Sraifiigc  ^  iidboL  ©5^ 
-iune  -i:!!  lu-j  :':n  '5ir.-r'::-:n  :er  iijetuiinüii  piräcf  üö  $tmerc 
y.r  'c^'iiir.  Uli:  .L'.:::-  i:iT  :ic  irer^'oarfeit  rDdrfjc  t&nt  bie 
:";fLii:if!tC  urtirncr:  a-.ii:  :tl  yriacir  .pnucniir.  aiäirmö  &ic  tlart 
■rn'-icci:'.:  -cTiTcr  -j.:.:.:!!  r.:cL*ru!t  -jnr  ^e  .cerrfcfjaft  ttbrr  bic 
Fl^^'-i:  f.::i:v::.  :t:  \:n  rar  ;a  z'sz  aerteijer  Lcncen.  3Rix^re 
:n!n:i:ri:i::  :!■:  Ju:u::t  :c!ceT-e:r.  :ii:3  '^-^  Snrban  falfc£|,  feine 
Tt::7l'"::rs:\z  2':  rrvi-i  \':::i±zi.  -"cne  Cr^anifatiim  Ito  6efeII- 
•>i:^  ::u:  :>:  Jjirtr-r.raiTi:  :er  iLri:ra:[e  ^"ei:  Die  ©egemoüit 
"i::.::.  :''4  -^■-  ;::'i:c!:'c:i:^.  :n::  xeicer  zz  •eine  Sottruiexi  Dor» 
TTs.:.  i'zz  xi:r  -:::-  ^--T-z^c  :er  ic:i:eirt::i:ft  Jjane  fe  ^  lange 
i!::,:ci:rt  ^rr  ::cr  :c'  ::t  tc.  r^jcmdct  znr  ilen  "Berfü^nntgen 
:•:■:•  !.:.:::::■:•  ::4  ;:::::  :rr.".:  iii.  rreCer  l3i;en  ritr  Die  Sotnr^ 
-::  -ir  :■:  i::::^^i:  :oi  ^itü^lj  :err  iLiÄmcf  ^e»  iSot^f«^, 


2*1'.'.    Zi\ZZl. 


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2)ic  9teut  J&eloifc.  263 

l^aft,  fo  Icl^rct  bic  ^auen,  waö  ®rö§c  unb  5tugenb  ift"  ^).  Sin 
Wc  %xamn  bad)tc  er,  wenn  er  öon  jtd^  bejeugt,  „er  Ijabe  ge« 
ffil^It,  beöor  er  gebac^t  l^abe",  wenn  er  jtd)  „alö  ßtnen  fd^ilbert, 
ber  Sfticntanben  öon  SlKen  gleid^e,  bie  er  gelannt,  unb  ber  öon 
fd)  gu  glauben  wage,  bafe  fem  Sebenber  il^m  älinlid)  fei"  2). 
68  tl^at  il^m  feinen  Eintrag  bei  il^nen,  »enn  er  Ijinjufügt: 
„SBcr  jtd^  nidit  für  mid)  entpammt,  ber  ift  meiner  nid)t 
würbig"  ^). 

Unb  bie  grauen,  bie  üomei^mften,  bie  anjiel^enbften,  bie 
üerwö^nteften,  antoorteten  mit  SJiabame  b't&oubetot:  „D  ®u, 
ber  licbenött)firbigfte  ber  3Renfd)en,  unb  aud)  ber  geliebtefte.'' 
®ie  9Warfd^aUin  üon  Suirembourg,  3Rabame  b'Spina^,  3Rabame 
be  Soufflerö,  eine  ®d)ar  üon  ßtaireö  unb  üon  3ulie§  tianbelten 
tiadi  biefcn  SBorten.  „6ine§  äbenb^,  im  3lugenblitf,  mo  ber 
Ol^embaH  beginnt,  finbet  bie  %xan  be^  ad)tjel^nten  ^afixJ^nnbtxt^ 
auf  il^rem  Soilettentifc^  bie  Sfleue  §eloife.  3d)  »unbere  mid) 
nid^t,  wenn  jte  ^ferbe  unb  Sebiente  öon  ©tunbe  ju  ©tunbe 
»arten  läfet  unb  um  öier  \ü)x  3Rorgenö  auöjufpannen  befiehlt, 
»cnn  jte  bic  5Rad)t  lefenb  gubringt  unb  bie  Sliränen  jte  erftitfen. 
3inn  crften  3Ral  ^at  jte  einen  9Kann  begegnet,  ber  \i)x  fagt, 
wa«  Siebe  fei"  ^). 

Unb  tt)aö  bie  9leue  §eloife  erwedEt  l&at,  vermögen  bie 
ßonfeffionS  nid^t  »ieber  gu  üernid)ten.  Umfonft  berid)ten  jte,  nic^t 
allein  SBerbred^en,  fonbern  unt)ergleid^lid)e  9liebrigfeiten.  5lid^t 
nur  bafe  SRouffeau,  ber  jugenblid^e  SBagabunb,  ber  unel^rlidje 
Sebiente,  ber  fd^neH  gum  33erfül)rer  geworbene  3Serffil^rte,  il^r 
SRttleib  enegt;  jte  nel^men  eö  rul)ig  l^in,  ba§  ber  SÄann  bie 


')  J.  J.  Rousseau,  Le  r^tablissement  des  sciences  et  des  arts  a-t-il 
contribu6  ä  4purer  ou  ä  corrompre  les  mceurs? 

*)  Sainte-Beuve,  Causeries  du  Lundi,  II,  63,  citirt  auS  bcn  Con- 
fessions. 

^)  J.  J.  Rousseau  an  Madame  de  la  Tour-Franqueville,  citirt  Cau 
series  du  Lundi,  II,  78. 

*)  Taine,  Les  Origines  de  la  France  contemporaine.   L'ancien  regime, 
I,  356. 


264  S)ic  ©onfefflon«. 

tJraU;  bcr  Dbbad^Iofc  bic  SBol^Itl^ätcrtn  öcrrätl^,  bafe  er  SRa* 
batne  bc  SBarcnS,  bie  er  lebenb  {jungem  Hefe,  tobt  mit  unfterb«^ 
Itd^er  @d)anbe  bebedft.  ®aö  »eiblidöe  S^rtg^W  öcrföl^nt  jtd^ 
mit  c5nifd)en  Silbern,  mit  ben  empörenbften  Sßerl^öl^nungen  ber 
©itte;  ba§  2Kuttert)erj  läfet  jtd^  fagen,  bafe  ber  lebeniSlänglid^e 
@efäf)rte  eineö  unroürbigen  ®efd)öpteö  fünf  Äinber  injS  fjinbet 
l^auö  üerftiefe,  aud)  bann,  aU  eö  nur  üon  il^m  abl^ing,  baö 
Srob  für  jte  ju  öerbienen.  ®a§  3lfle§  unb  öiel  mel&r  l^inberte 
nid)t,  bafe,  nad)  mic  üor,  berfelbe  SKenfd^  ber  —  eine  feltene 
SluSnal^me  —  taub  für  bie  Stimme  ber  5Ratur  gewefcn  tuar, 
ber  öergötterte  Sln^alt  il^rer  9ied)te  blieb;  naä)  wie  öor  l^olte 
man  ftd)  ßrgiel^ung^grunbfä^e  auö  bem  6milc,  bie  Seigren 
i^rer  fd^iprüd^igen  2Roral  auö  ben  ©eflamationen  bcr  Sulie, 
ba§  jur  blofeen  ©mpflnbung  J^erabgewurbigte  OlaubenSbelcnntnife 
eines  d)riftlid)  auSftaffirten  S)ei§muS  bei  bem  faüo^fd^en  aStlar. 

%ixx  bie  eine  9Kabame  be  SBoufflerö,  beren  ©mpörung  über 
bie  „Selenntniffe'^  ba^  an  ®uftaü  III.  gerid^tete  3Bort  »sales 
et  degoutantesc  entfd)lüpft  ^),  finb  @d)aren  meibltd^er  S98efett 
bereit,  in  bie  freöell)afte  ^erauöforberung  mit  einjujlimmen: 
„SBenn  einer,  öor  ®otteS  Stl^ron  l^intretenb,  jtd)  beffcr  glaubt, 
als  mid^,  fo  möge  er  mid)  öerbammen". 

•  Unter  ben  geiftigen  3:öd)tem  öon  SRouffeau  jtnb  jmet  be* 
rüfimte  grauen:  SJiabame  SRolanb  unb  grau  öon  ©taäl.  Qu 
beiben  ift  er  in  einer  2öed)feltt)irfung  geftanben.  Dl^ne  Stouffeou 
jtnb  jte  nid)t  ju  öerfteljen,  unb  jugleid)  üeröoKftänbigcn  jte  fein 
geiftigeS  Silb. 

aRabame  SRolanb,  bie  ältere  öon  beiben,  fommt  juerft  in 
»etra^t. 

SSBie  SRouffeau  ttjar  gRarie  geanne  gJl^lipon,  am  18.  9Ȋrj 
1754  geboren,  jd^lid)ter  »ürgerSleute  Äinb.  3^rc  einfame 
Äinbl^^it  unb  unbefd)oltene,   träumerifd)e  3ugenb  öcriebte  flc 


')  Geffroy,  Gustave  III  et  la  Cour  de  France.    Taine,  Les  Ori- 
gines  de  la  France  contemporaine.    L^ancien  regime,  I,  252. 


SRabame  9{oIanb.  265 

tncl^r  mit  Mä)tm  ate  mit  SKcnfd^en,  im  ftillen  eitcml^auS, 
neben  ber  2BerIiiatt  il^reS  SSaterö,  eineö  ©raüeurö.  Unter 
bicfen  Suchern  war  eine  tl^rer  Sieblingöleltören  ber  ^^Jlutard^. 
„SHefc  mel^r  poetifc^e  als  l^iftorifd^e  Ouelle",  fd^reibt  einer  i^rer 
Siogro^jl^en,  „ans  melc^er  befanntlid^  aionffeau  feine  SSorfteHnng 
öon  ben  repnblüanifd^en  ßl^arafteren  ber  alten  Qüt  nnb  bie 
glänjcnben  Silber  ber  alten  Stepnblifen  entlel^nt  nnb  ftd^  bie 
Sbee  eines  ©taatSöerl^ältniffeS  gebilbet  l^at,  baS  weber  tt)ar, 
nod)  fein  mirb,  ba^  aber  eben  barnm  einer  meiblid)en  ©eele 
um  fo  me^r  gefallen  mufete''  ^). 

ttnb  SRonffeau  felbfl?  „Sd)  laS  i^n  fe^r  fpät\  fagt  jte  in 
il^rcn  SKcmoiren,  „unb  l^abe  tt)ol^I  baran  getl^an;  er  würbe 
mtd|  ma]^n|tnnig  gemad^t  l^aben;  id^  ptte  nid)ts  anbereS  mel^r 
Icfcn  wollen  als  il^n,  unb  üielleidjt  l|at  er  and)  fo,  wie  bie  ®inge 
flel^en,  nur  gu  fel^r  meine  fd)wad^e  Seite  geftärft'^  ^), 

6in  anberer  il^rer  Siogra^i^en,  ©auban,  fe^t  Wefe  il^re  erfte 
»clanntfd^aft  mit  3flonffeau'S  2Berfen  in  baS  Sal^r  1777,  als 
flc  breiunbjwangig  gal^re  gäl^lte^).  ©ie  felbft  fagt,  il^re  (är^ 
glcl^ung,  il^re  erften  ©inbrüdfe,  bie  33erüt)rung  mit  ber  SBett, 
SlHeS  l^abe  bagu  beigetragen,  il^r  bie  republüanifdje  Segeifterung 
etnguflofeen,  bie  il^^  bie  Säd)erlid^feit  ober  Ungered)tigfeit  einer 
SKenge  üon  focialen  Unterfd^ieben  unb  SluSjeid^nungen  fühlbar 
9emad)t  l^abe*).  Sit  biefen  Segiel^ungen  mit  ber  3Belt  gel^ört 
1771  ber  SefudE)  in  SSerfaiHeS,  bei  einer  SSerwanbten,  bie 
Äammcrfrau  öon  SJlarie  Slntoinette,  bamalS  nod)  35aupl)ine, 
war.  9MabemoifelIe  ^t)lipon  brad)te  ad)t  Sage  in  einer  ^ad)^ 
Wohnung  beS  fönigltd)en  @d)loffeS  gu,  unb  beobad^tete  baS 
Sreiben  bort  „mit  einem  ©emifd)  oon  ^l)ilofop^ie,  ©inbilbungS* 
Iraft,  ©effil^l  unb  Sered^nung",  bie,  wie  jte  fagt,  jtd)  gleid^mäfeig 
bei  il^r  auSgebilbet  l^atten,  fte  aber  „für  ben  Slnblicl  eines  grofeen 


0  S^^-  ^^-  ©(ä^Ioffcr,  fjtau  öon  ©tael  unb  grau  SRolanb. 

*)  Madame  Roland,  Memoires,  Edition  Dauban,  101. 

*)  C.  A.  Dauban,  Etüde  sur  Madame  Roland,  Introduction,  LIV. 

*)  Madame  Roland,  M^moires.    Edition  Dauban,  92. 


266  a^bame  Sflolanb. 

©(ä^augepröngcS"  nid^t  uncntppnbltd^  tnad^ten.  9hir  üerbrofe  c« 
pe,  ba§  c§  ,,perfönlid^  fo  unbebcutcnben  unb  ol^ncbicS  fd^on 
fibermäd^tigen  SKenfd^en  galt"  unb  alö  il^rc  aHuttcr  fragte, 
tt)eld)en  ßinbrudt  bicfer  Slufcntl^alt  auf  pc  gcmad^t  l^abe,  gab 
pe  äur  Slntwort,  »enn  er  nod^  einige  2:age  länger  wal^ren  fottte, 
toürbe  pe  bie  Seute  bort  bermafeen  l^affen,  bafe  pe  nid^t  mel^r 
wfifete,  tt)a§  mit  einem  jold^en  §a§  anjufangen  fei.  —  Unb  waS 
l^aben  pe  ®ir  benn  getl^an?  fragt  bie  SJhttter  weiter.  ^@ie 
liefen  mid^  bie  UngeredE)tigfeit  emppnben  unb  baS  Äbfurbe  mit 
Slugen  fe^en".  ®er  Slnblicl  „ber  einfältigen  SKenge,  bie  bei 
feierlidfien  ©elegenl^eiten  xi)xc  felbft  gefd^affenen  Sbole  jubelnb 
begrüßte",  erfüllte  pe  öoHenbö  mit  @rpaunen  unb  gomiger  SBer* 
ad^tung  ^). 

Slnbere  ©reignifte  l^at  il^re  3ugenb  faum  gefannt.  SDlit 
fed)§unbgmangig  3al)ren  l^eiratliete  pe  1780  ben  fed^öunböierjig« 
iäl)rigen  Stolanb  be  la  ^latiere,  einen  altemben  ©elel^rtcn,  ba= 
malö  Snfpeftor  ber  SJlanufafturen  öon  S^on.  2luS  biefer  6l^e 
mürbe  1781  eine  S:od)ter,  ba§  eingige  Äinb  geboren.  3m  Sal^r 
1784  brad)te  SRolanb  feine  grau  auf  furge  Qtxt  nad^  ©nglanb, 
mot)in  i^n  ©efd^äfte,  bann  nad)  ^ariS,  mol^in  il^n  bie  öon  feiner 
^5rau  unterftüfeten,  übrigen^  erfolglos  gebliebenen  Semfil^ungett 
riefen,  pd)  in  ben  5lbelftanb  erlieben  ju  laffen^).  @onft  lebte 
ba§  6l)epaar  auf  bem  ganbe,  in  ber  5Rä]^e  öon  S^on.  ®er 
@atte  fd^rieb  35enlfd)riften  unb  geleierte  Slbl^anblungen,  unter 
anbern  1787  eine  fold^e,  bie  öorfd^lug,  au§  menfdE)Iid^en  ttebcr* 
reften  Del  unb  ^IjoSpl^orfäure  gum  33eften  ber  Sanbmirtl^fd^aft 
gu  bereiten.  ®a§  Seifpiel  ber  alten  ßg^ter  öeranlafetc  il^n 
1788,  ber  Sllabemie  üon  SSiUef rändle  bie  (grridE)tung  eineiS  Zxu 
bunalS  gum  Urtt)eil  über  bie  ©eftorbenen  öorguf dalagen ^). 

0  Madame  Roland,  M^moires.  Edition  Dauban,  Introdaction, 
XXXIX  unb  %ext,  75  u.  93. 

^)  Madame  Roland,  M^moires,  179. 

^)  Baron  de  Girardot,  Roland  et  Madame  Roland,  I,  83,  185, 
ctttrt  bei  Taine,  Les  Origines  de  la  France  contemporaine.  La  Revolution, 
IT,  109. 


aWabamc  Slolanb.  267 

353äl^rcnb  bcffcn  »altctc  9Wabame  SRolanb  in  ^auS  unb 
SBirtl^fc^aft,  cmppttg  gaftlid^  bic  grcunbe  tl^reö  ®atten,  tt>eld)c 
Vit  fd^one,  fd^tüärmcrifd^e  iJrau  etirfurd^tööoll  bemunberten,  unb 
jorgtc  für  ?5Hann  unb  Äinb,  bic  @^e  alö  eine  ^nftitution  be* 
ttat^tenb,  „weldie  bie  %xan  mit  beut  ®lüd  gweier  3Renfd)en 
feetraut''  i). 

3nbcffen  arbeitete  il^re  ©inbilbungöfraft  raftloö  »eiter  unb 
tiefe  ©inbilbungöfraft  erfüllte  unb  bet)errfd^te  SRouffeau.  SBie 
unäi  l^ätte  eö  anberö  fein  fönnen?  @ie  l)atte  il^m  nid^tö  ent^ 
flegen  gu  fe^en.  Äeine  Äenntnife  ber  3Renf(^en  unb  ber  SBelt, 
leine  ©rfal^rung,  leine  (gntfd)äbigung  beö  ^ergenö.  Siad^  i^rauen» 
art,  mit  ber  unerbittlid)en  Sogif  beö  ®efül)lö,  nal^m  jte  il^n 
beim  3Bort  unb  fud)te  feine  Sl^eorie  mit  einer  grofeen  3[u§nal^me 
ifx  üermirnid)en.  ©ie  Slu^nal^me  mar,  ba§  bie  SReinl^eit  il)reö 
SBefen§  jte  öor  2lu§fd)reitungcn,  menn  aud)  nid^t  t)or  Serfudjun* 
flen  bemalirte.  (g§  gibt  einen  gefäl)rlid)en  Slugenblicf  im  Seben 
ber  Äönigin  3Rarie  2lntoinette.  6^  ift  jener,  in  meld^em  jte,  üon 
gubmig  XVI.  fpredfienb,  »le  pauvre  homme«  fagt^).  35cr  9Ko== 
ment  fam,  mo  3Rabame  SRolanb  ben  geiftlofen  gebauten,  il^ren 
9Rann,  »le  malheureux  Roland«  nannte  unb  jmar  tt)at  jte  e§ 
in  einem  ©rief  an  Sujot,  ben  jte  liebte^).  ©a§  @d)idffal  mar 
gnäbig  unb  bie  Untreue  blieb  eine  ibeale.  3m  gebemol^I  an 
ben  ©eliebten,  „D  2)u,  ben  id)  nid)t  gu  nennen  mage  .  .  ."^), 
beffen  fdE)merjlid^*begeifterte  ©rregung  mit  bem  ©c^önften,  nid)t 
nur  in  JRouffeau,  ftd)  üergleid)t,  l)at  jte  bie  Äerfermauern  ge^* 
i)riefen,  bie  il^r  §erj  bema{)rten,  aber  freilid)  aud)  ben  Sob 
begrübt,  ber  jte  au§  einem  unerträglid)en  ©ilemma  befreite^). 

')  Dauban,  Memoires  de  Madame  Roland,  Introduction. 

2)  ^xnttf),  maxia  Stl^crefia  unb  maxie  Slntotnette,  «Bncfroed^fcl.  Waxit 
■^Cntoinettc  an  ®raf  SRofenbcrg,  (Sommer  1775.  Geffroy  et  Arneth,  Cor- 
^espondance  secrete  entre  Marie  Therese  et  Mercy,  II,  359,  3»It  1775. 

^)  Sainte-Beuve,  NouTcaux  Lundis,  VII,  248. 

*)  Madame  Roland,  Memoires,  Derni^res  Pensees,  390. 

*)  Dauban,  Etüde  sur  Madame  Roland,  39.  S)er  njunbcröoüc,  lefete 
^rtcf  an  Buzot,  7.  ^uli  1793. 


268  SWabamc  Sflolanb. 

®afür  l^at  5£Rabame  SRoIanb  in  aßen  anbcrn  ^nftcti  jtd> 
SRouffeau  um  fo  wiflcnlofer  ergeben. 

3l)r  @t^l  öor  Mtm  ift,  toie  ©ainte^Seuöe  rid^tig  bemerft, 
burd^auö  nid^t  originell.  SBenn  malere  £eibenf(f)aft  jte  erfaßt,  in 
ber  ^öd)ften  @?:altation  be§  ©efül^Iö  unb  fd)on  in  ber  SSerflärung 
be§  Sobe^,  erl^ebt  jte  jtd)  jur  n^afiren  33erebfamfeit.  Slber  unter 
ben  gett)öl^nlid)en  SBebingungen  jtnb  il^^e  33riefe  unb  ffienftoürbig^ 
leiten  üoH  öon  affeftirten,  gefud)ten  unb  gefc^marflofen  ^l^rafen, 
unb  laffen  feinen  3w)^ifrt  barüber  beftel)en,  bafe  jte  nic^t  ber 
natürlid)e  Sluöflu^  eigener  Eingebung,  fonbem  SRadibilbungen 
ftnb.  SBir  fennen  ba^  SSorbilb.  SRoujfeau'S  ©elbftüberfd^ä^ung 
fül^rt  an  bie  @d)iüene  be§  aBal^njtnnö;  er  erwartet  Slltäre. 
SKabame  3ftoIanb  ift  nid^t  befd^eibener:  „^ä)  jinbc  in  ber  3Belt 
nur  eine  ©teile,  bie  mir  entfprec^en  würbe",  fagt  jie,  „t&  ijt 
bie  ber  3Sorfel^ung".  (Sie  fd)ilbert  jtd)  nid)t  nur  geiftig,  jte  it^ 
fd)reibt  jtc^  aud)  pli^jtfd),  unb  ba  jte  feine  UnttJÜrbigfetten  öon 
jtd)  ju  berid)ten,  feinen  ber  ©d^anbflede  beö  3Weijier§  aufju- 
weifen  Ijat,  fo  greift  jte  auf  eine  ganj  nebenan  Itegcnbe  6^)iJobe 
gurücf  unb  fd^reibt  ein  unüergeil)lid)e§  ffliatt,  um  jtc^  gu  tl^m 
ju  erniebrigen. 

3n  SRouffeau  ift  nod)  ein  anberer  3^0/  ^^^  ^^fe  8^9^  ^i^ 
Srabition  unb  eine  entfprec^enbe  Slbneigung  gegen  aHe  Oefd^ic^te, 
bie  fo  üiele  3fieDoIutionäre,  üoran  @ie^e§  unb  ßonborcct,  mit 
il^m  tl)eilen.  „Ungefd)id)tlic^  burd)  unb  burd^",  nennt  tl^n  einet 
ber  beften  feiner  beutfd)en  Siograp^en  ^).  ®er  grofee  ^iftoriler 
,g)ume  fonnte  nid^t  uml)in,  baö  l^erdorjul^eben :  „6r  l^at  fel^r 
menig  in  feinem  Seben  gelefen",  fagt  er  üon  %  %  Siouffcau, 
,,unb  nun  (1764)  ber  geftüre  ganj  entfagt.  ©elemt,  jiubirt 
unb  barüber  nad^gebac^t  l^at  er  nid)t  üiel  unb  weife  bal^er  aud^ 
entfpred^enb  wenig,  ©r  f)at  fein  Sebenlang  em))funben"  2).  Unb 
3louffeau   felbft  rid)tet,   ben   aWangel  fü^lenb,   bie  SBortc   an 


0  ^.  ^eitmx,  Ocfd^tt^tc  ber  franaöftft^cn  öttetatur  im  a^t^z^ntm  ^a^f 
^mhtxt,  3.  3(uflage,  441. 

^)  Hume  bei  Sainte-Beuve,  Causeries  du  Lundi,  II,  78. 


Sl^c  polttift^c  gfloKc  burd^  SftouffcQu  bcfttntmt.  269 

^umc:  „^dj  fürd)te  immer,  cö  fcl^lt  bei  mir  in  beit  ©runblagen, 
unb  bafe  aße  meine  5J:l)eorien  öoH  ßftraüaganjen  pnb"  ^).  Unb 
in  ben  ©onfefftong  l^eifet  e^:  „Sie  Seftüre  ber  SRomane  gab  mir 
romantifd^e,  bigarre  Segriffe  bom  »irflid^en  geben,  öon  »eichen 
Weber  ©rfal^ning  nod)  9^aci^ben!en  mid^  jemals  doUftänbig  be» 
freiten". 

SJon  fold^en  Sebenfen  »eife  3Ra\>ame  SRoIanb  ebenfoioenig 
ote  öon  ber  l^iftorifd^en  a3ergangent)eit  it)reö  eigenen  ober  eineö 
onbem  SanbeS,  mit  8lu§naf)me  einiger  allgemeiner  33egriffe  unb 
wirlungööoller;  Sltl^en  unb  ©parta  entlel^nter  ©ffefte.  SSenn 
Jebod)  ein  rid^tigeö  2Serftänbni§  ber  SBergangenl^eit  Äenntnif[e 
crforbert,  \o  genügt  für  nal)eliegenbe  ©reigniffe  meift  ge= 
funbeö  Urtl^eil.  SBie  l^at  SKabame  SRolanb  jtd^  aber  nun  bie 
3citgefd^td)te  aufgelegt?  ^ad)  Dielen,  mit  if)rem  SSoIf  gufammen 
bejianbenen  ^Prüfungen  unb  kämpfen  unb  in  mütteriid)en  Se= 
jiel^ungen  gu  il^m  »ar  Äaiferin  3Karia  Stl^erefia,  don  ber  9lation 
geliebt  unb  don  gang  ©uropa,  mit  6infd)lu§  ^nebrid^'ö,  in 
il^rem  Privatleben  öerel^rt,  gu  ©rabe  gegangen.  Ueber  biefen 
^nft  fd^ien  eine  3Reinung§üerfd^iebenl)eit  md)t  möglid^,  bi§ 
SWabame  Siolanb  eine  fold^e  aufftellte.  @ie  fagt  in  if)xtn  9Jie« 
moiren  öon  ber  Äönigin  3Rarie  Slntoinctte,  ba§  „Seid^tfinn, 
Ucbcrmutl^  ber  3Rac^t  unb  ber  Sugenb,  bie  öfterreid^ifd)e  3n* 
foleng  unb  ©innentaumer'  erft  jte  unb  burd^  jte  ben  Äönig 
öerleiteten.  „Filarie  antoinette  felbft  aber",  fügt  jte  fiingu,  „ift 
burdE)  aUe  Safter  be^  aftatifd^en  ^ofe^  öerfül^rt  morben,  auf 
meldte  ba^  Seifpiel  il^rer  3Rutter  fte  nur  ju  wol^l  vorbereitet 
l^attc"  2).  ®a§  erflärt,  xok  SRaUet  bu  «ßan,  ber  fte  gefannt  ^at, 
öon  SKabame  JRolanb  fagen  fonnte,  jte  fei  ganj  unfät)ig  gett)efen, 
bie  ©reueifcenen  mit  Sreue  gu  fc^ilbern,  bie  fte  mit  anguftiften 
pd^  nict)t  gefd)eut  ^abe^).    ®o  fanb  Jte  bie  3fiet)olution  unb  fo 


0  Sainte-Beuve,  Causeries  du  Lundi,  II,  79.    SRouffcau  an  .ipumc, 

1766. 

")  Madame  Roland,  M^moires,  Edition  Dauban,  350. 
*)  Mallet  du  Pan,  Mercure  britannique,  10  D^cembre  1798,  533. 
»lennet^atfett,  5rau  »on  etaef.  I.  18 


I 


270  35^«  politifd^c  SRoIIc  burd^  Sftouffcau  bcftimmt. 

brad)tc  pe  \\)x,  ber  bic  6;raltirtcftcn  gu  fül^l,  btc  aScrujcgcnjlen 

ju  gemäßigt  crfdjienen,  mit  il^rcr  erftcu,  blutigen  SRorgcnrötlic 

jd)on  eine  bittere  enttäufd)ung.    Slnt  26.  Suli  1789  fc^ricb  pe 

ilirem  ^freunb  33o§c,  betn  lünftigen  Herausgeber  il^rer  SRemoircn: 

„3^r  befd)äftigt  ©ud)  mit  6rrid)tung  einer  SKunictpalität  unb 

3^r  jd^ont  bie  ,g)äupter;  bie   abermals   ©reuel  planen.     3^r 

feib   nur  Äinber,   6uer  @ntl)ufta§mu§  ift  ein  ©trol^feuer  unb 

tpenn  bie  9lationalüerfammlung  gmei  erlaud^ten  Häuptern  nid)t 

regelred^t  ben  ^rocefe  maäjt  ober  ein  ebelmütl^iger  ©eciujS  jtd) 

finbet,  um  jte  abjufd^lagen,  feib  ^l^r  Sllle  .  .  ."  ^). 

So  lautet  bie  Slufforberung  jum  ÄönigSmorb,  beffcn  blutiger 

©d^atten   bi§   auf  ba§   (Sd)affot  üon   SJiabame  SRolanb   fällt. 

33on  jener  3^it  an  entgünbet  fte  ben  2Rut^  il^rer  fjrcunbe  unb 

©efinnungSgenoffett;   ber  2antl)ena§  unb  Sancal  bejS  Sffartö, 

ber  SBriffot  unb  Mamille  ©eömoulinö.    Sie  prebigt  im  ©cptcm» 

ber  1791   „bie  gnfurreftion,  btefe  l^eiligfte  ber  $pid)tcn,  wenn 

ia^  33aterlanb  in  ®efal)r  ift'' ;  pe  appellirt  an  $aris  gegen  bic 

fiaul^eit  ber  trägen  ^rodinjen:   „eö  foH  bem  SBater  felbft  md)t 

@nabe  wieberf a^ren ,   tt)o   ba§  allgemeine  3Bol^l   in  33etrad)t 
fommt"2). 

2Rit  einfd^lufe  i^rer  Beiträge  für  ben  frei^eitlid^^republifa« 
nifd)en  „ßourrier  be  S^on",  ben  füolanb'^  fjreunb,  ®^ampagneu]C; 
gegrünbet  ftatte,  »aren  baö  bie  Vorbereitungen  für  bie  polittfc^e 
afloHe,  bie  mit  il)rer  Slnfunft  in  ^ari§  am  20.  Februar  1791 
beginnenb,  pe  gur  ©eele  ber  ©ironbe  mad)te  unb  am  8.  9lo* 
üember  1793  i^ren  tragifd)en  3lbfd)lufe  fanb. 

3n  mie  tpeit  ift  nun  %  3.  SRouffeau  aud)  für  biefen  furjen, 
aber  entfd^eibenben  2lbfd)mtt  i^reö  SebenS  üerantwortlid^  ? 

(5r  felbft  mar  ein  StimmungSmenfd^  unb  l^atte  fel^r  lidjte 
Slugenblicfe. 

3lu§  feinen  ©d^riften  •  läßt  pd)  ba§  gange  ßrebo  ber  rabi^ 


^)  Madamo  Roland,  Correspondance,  ben  M^moires  betgebrudK. 
^)  Madame  Roland,    Correspondance.     Lettres    du    20   Döcembre 
1790  et  24  Janvier  1791. 


S)ic  Söibcrfprfid^e  bon  Slouffeau.  271 

lalcn  ©cmagogie  gufammenfe^en,  bis  gum  6ommum§mu§  auö= 
fd&Iicfelid^  ^),   aber  cbenfo  fönnte  man  jeben  cingelncn  Slrtifel 
bicfcS  6rcbo  burd^  eine  gegentl^etlige  Sleufeerung  Don  SRouffeau 
fclbft  wibcrlegen.    ©er  ©ociallontratt  [teilt  bie  Seigre  Don  ber 
airfprünglid^en  fjreil^eit  unb  ©leid^l^eit  aller  ßingelnen  auf,  unb 
«rllärt  btefe  il^re  %xt\f)t\t  für  m\Q  unüeräufeerlic^.    ®er  Staat, 
fo  wie  er  il^n  auffaßt,  ift  nid^tö  anbereS  alö  ber  SluSbrud  be§ 
®efatnttittt)illen§  SlHer,  ber  {eben  Slugenblicl  bie  5!Kad^t,  bie  er 
Dcrliel^en  l^at,  befd^ränlen,  üeränbem,  wieber  jurfidfnel^mett  fann.  | 
Suflleid^  aber  forbert  ber  @ocialfontra!t  al§  unumgänglid)e  Se«  j 
bingung  Don   febem  ©ingeinen  ben  üollftänbigen  SBergtd^t  auf 
aUc  feine  9icd)te  gu  ©unften  beS  Staate^  ober  ber  ©efammtl^eit, 
bie  ber  Staat  barfteHt.    @ben  beöwegen  ift  biefer  omnipotent, 
unb   l^at  belanntlid^   SlHeö,  aud^  bie  ©runblagen  ber  Sieligion 
gu  bcftimmen,  bie  er  für  ba§  allgemeine  SBol^l  nü^lid^  finbet^), 
tüorauf  ber  ©ocialfontraft  mit  bem  berüd^tigten  @a^e  fd^liefet: 
^SBenn  3^wianb,  nad^bem  er  bie  2)ogmen  biefer  ^Religion  feiere 
lid^  angenommen  l^at,  fo  l^anbelt,  als  ob  er  nid)t  baran  glaube, 
ift  er  mit  bem  Sobe  gu  beftrafen''.    9JHt  anbern  SBorten,  bie 
abftrafte,  bebingungSlofe  ^Jreil^eitSforbening  für  ba§  Snbibibuum 
fül^rt  gu  feiner  Slbforption  burd^  ben  Staat;  bie  abfolute  ©emo*: 
fratie  löft  [xä)  in  ben  unbefd^ränften  ©efpotiSmuö  auf!    SBer* 
gebend  erllärt  Sfiouffeau  in  bemfelben  ©ociallontraft,  „bafe  aud^ 
bie  gereiftefte  ber  SReüolutionen  burd)  baS  Slut  eines  cingigen 
3RitbürgerS  gu  tl^euer  erlauft  toäre''^),   üergebenS  erMärt  er, 
„eine  ßonftitution,  nid)t  für  bie  beftel^enbe  ®efellfd)aft,  fonbem 
für  eine  gi^^^t^cpublif  üon  etwa  gel^ntaufenb  aWenfd^en  erbad^t 


')  $.  Lettner,  ©efd^id^te  ber  franaöftWen  Öitcratuv  im  ac^tacl^nten  gal^r* 
!^unbett,  483. 

*)  J.  J.  Rousseau,  Le  Contrat  social.  Barni,  La  Philosophie  du 
dix-huitieme  Si^cle,  II,  207,  222,  227.  Lanfrey,  Essai  sur  la  Revolution 
fran^aise,  62—63. 

^)  @.  nebft  bem  ©ocialfontraft  auc^  bie  Stbl^anblung  De  Plfeconomie  po- 
litique,  dtirt  bei  Barni,  J.  J.  Rousseau  in  ber  Philosophie  du  dix- 
huitieme  Siecle,  U,  323. 

18* 


I 


/ 


272  3^1^«  StuSIegung  hnxä)  SRabamc  9loIanb. 

ju  l^aben'';  üergcbenS  enbUd^  rätl^  er  ben  5ßoIen,  nid^t  etwa 
Sßemirflic^ung  feines  ©^[temö,  fonbern  Sluf^ebung  beS  ßiberunt 
SSeto  unb  SSBal^l  eines  Königs  auS  ber  nationalen  Slriftolratie. 
@S  l^anbelt  jtd^  nt^t  barum,  wie  er  üerftanben  fein  wollte,  fon== 
bern  wie  er  öerftanben  worben  ift.  ©er  wal^re  SluSleger  beS 
©ocialfontraltS  ift  bieSmal  nid^t  3.  3.  SRouffeau,  ber  baS  ©tficf 
erfonnen,  fonbern  SHafimilian  9flobeSpierre ,  ber  e§  gegebea 
^at.  2)er  SSBeg  gum  Serg  aber  fül^rt  mitten  burd)  bie  ©ironbe, 
unb  in  ber  ©ironbe  pulitrt  ba^  ^erj  unb  lebt  ber  ®eift  bon 
SHabame  9flolanb.  Sie  will  ben  Urnfturg  beS  SSeftel^enben,  nid^t 
nur  weil  eS  il^r  ®ercd^tigfeitSgefül)l,  fonbern  weil  eS  il^re  ßitel^ 
feit  öerle^t  l)at.  ®efellfd)aftlic^e  Swftänbe,  bie  feinen  SRaunt 
für  fte  l)aben,  muffen  fd)on  beSwegen  untergel&n  ^),  unb  an  il^re 
©teile  bie  ßl^imäre  if)rer  einfamen  Sräume,  bie  Sbealrepublif 
treten.  Sin  bie  ©d^weHe  ber  Söirftid^feit  gelangt,  mag  3fiouffeau 
bebenflid^  werben;  9Kabame  SRolanb  bleibt  confequent.  2)er 
SBenbepunft  ift  bie  gludjt  beS  ÄönigS,  bie  Sflücffe^r  öon  S5a= 
rennet,  „gubwig  XVI.  auf  ben  S^ron  gurüdbringen",  fd^reibt 
SJiabame  SRolanb  an  tf)re  greunbe,  „ift  eine  S^orl^eit,  ein 
3öal)njtnn,  wo  nid)t  ein  ©reuel.  3^m  ben  ^rocefe  mad^en^ 
wäre  bie  größte,  bie  gered^tefte  SJiaferegel.  Slber  Sl^r  feib  um 
\aS)\Q,  fte  gu  ergreifen,    ©ufpenbirt  i^n  alfo"^). 

®aS  würbe  am  24.  ^nni  1791  gef dt) rieben,  ©d^on  nad^ 
bem  Job  t)on  3Rirabeau,  im  3lpril,  erfe^nt  jte  bie  fürd^terlid^fte 
aller  (Salamitäten,  ben  Sürgerfrieg  „als  bie  grofee  ©d^ule  öffent:^ 
lidtier  Stugenben''.  Sld^t  ^Äonate  fpäter  ift  SRolanb  3Kinifter.  ^r 
erweift  jtd)  nid^t  minber  el)rUd^  als  unfäl^ig.  SJiit  bem  Äönig 
in  Serül)rung  gebrad)t,  ift  er  am  ^unft,  fi^  feiner  gu  erbarmen 
unb  gu  entbetfen,  bafe  and)  biefer  ein  ef)rlid)er  5!Wann  ift.  2)a 
greift  TOabame  Slolanb  ein:  „gubwig",  fagt  pe,  „ift  in  allen 


')  Ucbcr  SJZabamc  SÄoIanb  in  biefer  SBeaiel^ung  gontancS,  ber  fte  ge» 
tannt  l^at.     Sainte-Beuve,  Nouvelles  Causeries  du  Lundi,  VIII,  190. 

2)  C.  A.  Dauban,  Etüde  sur  Madame  Roland,  Notice  biographique,  6. 


8frau  öon  ©tael.    S^rc  ^Briefe  über  3.  3.  Sflouffeau.  273 

tBorurtl^eilett  be§  ©efpotiömuö  unb  ber  ©enufefudit  aufgewadjfen, 
-er  fann  bie  ßonftitution  md)t  lieben"  ^). 

®a§  war  allerbittgS  fd)tt)er,  ba  fte  bie  ©d^nur  tüar,  bie 
t^n  crbroffelte.  ©ein  le^ter  SRettungöüerfud^  ift  bie  ©nttaffung  1 
t)er  gironbiftifd^en  5!Kinifter,  bie  t^m  bie  9Serfolgung§tf)eorie  ber 
neuen  ©taatöreligion  gegen  bie  unbeeibigten  ^riefter  aufitötl^igen. 
•©ic  3lnttt)ort  öon  5D?abanie  Siolanb  unb  if)rer  ?Vreunbe  ift  bie 
offene  Slnllage  gegen  ben  Äönig,  bie  Snüafton  ber  Suilerien 
i)om  20.  guni  1792,  bie  ßinfefeung  ber  5ßarifer  Äommune,  ber 
^lan  einer  gijberation  ber  ©epartementö,  il^r  le^ter,  fd)ulb= 
belabener  Sieg,  ber  ©turj  be§  Sl^ronS  am  10.  3luguft. 

SSergebenS  proteftiren  brei  SBod^en  fpäter  biefe  Url^eber  beö 
9Korbe§  ber  ©diwei^er  ©arben  gegen  bie  @d^läd^tereien  Dom 
•©eptember.  SSon  nun  an  ]^errfd)t  2)anton  unb  beginnt  baS 
©ueH  gtt)ifd)en  Sßabame  SRolanb  unb  Siobeöpierre,  ber,  nod) 
<:onfequenter  atö  fte,  ben  SJiaffenmorb  mit  in  feine  Sogit  ein= 
fd^liefet  unb  feine  einfüge  SSerbünbete  aufö  ©d^affot  f^idft.  „^ä) 
wufete  nid)t",  fd^reibt  bie  unglfidlid^e  ^elbin  ber  ©ironbe,  Dom 
3[ncien  Siägime  fpred^enb,  „bafe  e§  noc^  ein  entfe^d^ereö  SRegi* 
tnent,  eine  fd^eufelid^ere  Korruption  al§  bie  feinige  gebe?  3Ber 
<xud)  l)ätte  ba§  t)ermutl)et.  8lHe  ^^ilofopl^en  l^aben  ftd^  barin 
mit  mir  getäufc^t'^  2)^  giHe  nid^t.  2Bol)l  aber  er,  t)on  bef[en 
SBert  Senjamin  ßonftant  gefagt  l)at,  „er  fenne  fein  ©gftem  ber 
Äned^tfd)aft,  baö  öerberbli^ere  Srrtpmer  fanitionirt  l^abe,  alö 
bie  cnblofe  SRetaplitirtf  be§  ©ocialfontrafteS"«), 

Unb  nun  gu  %xan  öon  ©tael  unb  gu  tl)ren  „©riefen  über 
tRouffeäu".  SllS  biefe  1788  erfd^ienen,  l)atte  fte,  il^ren  eigenen 
SBorten  na^,  „nod^  feinen  Segriff  baüon,  wa^  eine  ^Regierung 
jci"*).  ©ie  SJiifegriffe  öon  ^abame  SRolanb  unb  fo  öieler 
Slnbem  aber  beging  fte  nid^t,  benn  fte  war  in  ber  Sltmofpl^äre 


*)  Madame  Roland,  M^inoires,  Edition  Dauban,  350. 

2)  ebenbafelbft,  99. 

^)  Benjamin  Constant,  Cours  de  politique  constitutionelle, I,  329. 

'*)  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  11,  191. 


274  S'^'^  poUtifc^cS  Uttl^cil  bon  Sftouffeau  unabl^änöis» 

auffleioa^fen,  n)o  regiert  xombt,  unb  luufete  gang  genau,  bafe  man 
auf  ^ulöermtnen  feine  menfd^li^en  2Bol)n[tätten  gu  errici^ten  pflegt, 
®a§  SBenige,  xoa^  fte  über  bie  politif^en  3been  üon  SRouffeau 
jagt,  läfet  barüber  feine  ßö^eifel  beftel^en,  bafe  jte  in  Wefem  tt)e* 
fentlid^en  5ßunfte  il^rem  beiuunberten  Siebling  fc^on  unabl^ängig 
gegenübertritt.  „(Sx  wollte",  jd^reibt  fie,  „bie  ORenfd^en  auf  gefeilt 
{(t)aftlid^e  äuftänbe  gurücffüfiren ,  öon  benen  ba§  golbene  QtxU 
alter  ber  §abel  allein  einen  Segriff  gibt. . . .  Of)ne  3tt)eifel  i[t  ein 
fold)eö  ^rojeft  blofeeö  ©ebllbe  ber  ^l^antaite.  Slber  inbem  bie 
3lld^inii[ten  ben  Stein  ber  SSBeifen  fudjten,  l^aben  fie  nü^lid^e 
aSal^r^eiten  entbedft"  ^).  „^ä)  wage  eö",  fcil)rt  fie  fort,  „3ftouffcau 
bnx  aSormurf  gu  mad^en,  bafe  er  eine  Station,  bie  il^rc  S3er* 
treter  gu  ©efe^gebern  l^at,  nid^t  alö  frei  betrad^tet,  unb  bafe  er 
auf  einer  allgemeinen  SSerfammlung  aKer  gnbiüibuen  befielet.  S3ei 
@efül)len  ift  Segeifterung  am  5ßla^,  niemals  aber  bei  praftifd^en 
aSorfd^lägen.  SSertl^eibiger  ber  greil^eit  foHten  fid)  üor  Uebertrei- 
bungen  lauten.  .  .  .  3Ronte§quieu  ift  ben  beftelienben  gefeUfd^aft* 
lid^en  Swftänben  nü^li^er;  SRouffeau  ift  ber  ©efe^geber  ©er* 
jenigen,  t>k  fid)  gum  erften  9Kal  üereinigen.  2)ie  meiftcn  ber 
öon  il)m  entmidelten  SBal^rl^eiten  ftnb  fpefulatiü.  .  .  .  SSieUcid^t 

j  mufe  man,  um  einem  ibealen  23oHfommenl)eitöguftanb  gu  cnt*^ 
fagen,  guerft  felbft  menf^lidtie  Slngelegenl^eiten  geleitet  unb  fo 
gelernt  l)aben,  neben  bem  Seften,  toaS  unter  Umftänbcn  jtd^  er* 
reid)en  läfet,  bat)ou  ungertrennlid^e  Uebel  gu  ertragen"  2).  ©er 
®leid)l)eitöbegriff  be§  ©ocialfontrafteö  ift  öoKenbS  ber  ange^» 
bornen  Ueberlegenlieit  alö  feiner  bireften  3legation,  unücrftänb« 

5  lid^.  §rau  t)on  ©tael  gebenft  feiner  nid)t  anberö  al§  um  jtd^ 
in  Uebereinftimmung  mit  il^rem  SSater  gu  erflären,  ber  bcreiti^ 
1775  baoor  gewarnt  l^atte,  fid^  nad^  bem  Seben  in  ben  SSBälbern 
gurüdfgufel^nen,  weil  aud^  bamafö  bie  9Jlenfd)en  i^ren  Segicrben 


^)  Madame  de  Stael,  Oeuvres  compl^tes,  I,  Lettres  sur  Rousseau. 
Lettre  I,  Du  style  de  Rousseau. 

2)  ©benbafelbft,  Lettre  IV,  Les  Idees  politiques  de  Rousseau. 


3^  poIitifd^cS  Urtl^cil  bon  Sftouffeau  unabl^öngiö.  275 

Sd^ranfcn  fefeen  unb  burd^  ©ewalt  bcwal^ren  mußten,   wa^  pc 
burc^  ©cfd^idf  errungen  l)atten^). 

ülid^t  weniger  beftimmt  lauten  t^re  ©tnfc^ränfungen  tu 
fflcjug  auf  bcn  ßntile.  ©ein  Softem  ber  pl^^jtfd^en  2lu§* 
bilbung  unb  ©rjiel^ung,  fagt  jte,  l^abe  feinen  SBiberfprud)  ge= 
funbcn  unb  feine  Serebfamleit  ben  grauen  einer  beftimmten 
Älaffe  ber  ®efellfcl)aft  mütterlidje  ßmpfinbungen  unb  mit  ben 
^Pid)ten  aud)  baö  unüergleici^lid)e  ®lüd  ber  SSRntkx  gurüdf^ 
gegeben.  Slbcr  aud^  bem  Äinb  l^abe  er  feinen  t^inimel  tt)ieber= 
crjiattct  unb  mit  9ied)t  fei  er  auf  feinen  Silbern  öon  Äin* 
bem  befränjt  bargefteHt  »orben.  ®ie  %xaQt  iebod),  ob  pe 
einen  ©ol^n  nad^  ber  9Jietf)obe  öon  Slouffeau  ergiel^en  würbe, 
inufe  fte  verneinen.  „2)enn'',  fügt  pe  tiln^u,  „fd^on  blofee  6itel= 
feit  würbe  mic^  jur  SSBa^l  eineö  beftimmten  33eruf§  für  ben 
jungen  9IHann  öeranlaffen,  um  i^n  in  @tanb  ju  fe^en,  feinen 
SBcg  in  ber  2SeIt  gu  mac^en'^^j  j)^^  {p  gerabe,  voa^  ©mile  \ 
ttid)t  fann,  unb  bamit  ift  in  ber  l)öfUd^ften  SSBeife  9flouffeau'§  ' 
Silbungömetljobe  bal)in  öerwiefen,  wo  nad)  S^au  öon  ©tael 
ftd^  fein  ®efeflfd)aftöt)ertrag  bepnbet:  in§  weite  Sleid^  ber  (Sl^imäre. 

©iefe  3lrt  unb  SBeife  freier,  felbftänbiger  Seurtl^eilung  Der« 
ffinbet  bereits  eine  erftaunlid)e  Sefä^igung  be§  ©eifteö  für 
poütifd^e  2)inge.  §ätte  SRouffeau  pd^  bamit  begnügt,  ein 
Stoturred^t  gu  entwerfen,  fo  würbe  er  auf  §rau  oon  ©tael 
fe^r  geringen  6iubrud  gemöd^t  l^aben.  Suganglid^er  bagegen 
fanbcn  pe  fel^r  balb,  unter  bem  boppelten  ©influfe  ber  ßreig* 
niffe  unb  perfönlic^er  Sejiel^ungen,  bie  republifanifd^en  Sbeen 
üon  3ftouffeau.  6ö  ift  Slufgabe  biefer  Siograp^ie,  ju  fagen, 
wie  bie  Sewunberung  Don  %xan  oon  ©tael  für  il^ren  SSater  pe 
bod^  nid^t  öerl&inbert  l^at,  feinen  politif^en  ©tanbpunft  wä^renb 
3al^ren  gu  oerlaffen,  unb  wie  pe  il^n  fpäter  felbft  im  Sinn  il^rer 
eigenen  gi^^^n  foweit  beeinflußte,  baß  er  noc^  1802,  in  feinem 


I 


')  Neck  er,  Oeuvres  compl^tes,  I,  Sur  le   commerce  des  Grains,  13. 
*)  Madame  de  Stael,  Oeuvres  completes,  I,    Lettres  sur  Roussea\i. 
Lettre  III,  ämile. 


276  ^  geiotnnt  fte  burd^  baß  ©efül^I. 

politifd^en  Seftament,  bic  Slutorität  fcineS  SlamcnS  ju  ©unftcn 
ber  repubUIanifd)en  ©taatöform,  al§  ber  in  Sranfrcid^  rinjig 
möglichen  öerpf anbete,  obmol^l  er  perfönlid^  feiner  SSorliebe  für 
bie  conftitutionelle  aWonard^ie  treu  blieb  ^).  @S  beburftc  ber 
^robe  beö  2)efpoti§mu§,  um  im  ®eift  öon  Stau  öon  ©ta6l  bie 
grofee  conftitutionette  3:l)eorie  jur  Sieife  ju  bringen,  mit  welcher 
il^r  9?ame,  al§  SSerfafferin  ber  6onftb^ration§,  unjertrcnnlid^ 
öerfnüpft  ift. 

8lber  wir  ftel^en  bei  1788,  fte  ift  gweiunbjwanjig  3a^rc 
alt,  unb  lauter  al§  ber  23erftanb,  fpred^en  bei  il^r  bie  ®e* 
fiil^le  if)reö  leibenfd)aftUd^en  ^erjenS. .  ©urd^  biefe  Pforte  bran* 
gen  ßel)ren  ein,  bie  t>or  il^rem  Urtl^eil  allein  nid)t  bcftanben 
l)ätten.  ©d^on  räumlid^  ift  ber  ©d^merpunft  ber  „©riefe  über 
9louffeQu"  auf  bie  9leue  ^eloife  gelegt.  35ie  einlettenben 
SBorte:  „3Ran  mäßigt  ftc^,  um  ju  überzeugen.  ...  3^  »erbe 
über  bie  ?leue  ^eloife  fd)reiben,  afö  ob  bie  Seit  mein  ^crj 
gealtert  l^ätte",  beuten  fd)on  an,  bafe  fte  ftd^  üoreingenommen 
fül^lt.  9^aci^  il)rer  Slu^legung  ift  bie  9leue  »^äloifc  eine  grofee, 
moralifd)e,  in  |)anblung  gefegte  unb  bramatiftrte  Sbee.  Qxoed 
beö  23erfaffer§  ift,  pr  Sleue  aufguforbern.  @ie  gefielet  ju, 
bafe  ber  t)on  i^m  gemäpe  ©egenftanb  nid^tö  weniger  al«  mo* 
ralifc^  ift.  „3d)  raoUte",  fd)reibt  fte,  „ber  SSerfaffer  ^ättegulie 
alö  Opfer  il^rer  ^erjenSgüte  gegeigt.  @§  fc^eint  mir,  ate  ob 
9lad^ftc^t  für  gemiffe  SBerge^en  bie  einzige  Sugenb  fei,  bie  cim 
^ufd^ärfen  gefä^rlid^  ift,  fo  nüfelid^  e§  aud^  fein  mag,  fte  ju 

Sebod),  „ber  mal)re  5Jlu^en  eine§  3flontan§  ift  öielmel^r  in 
feiner  Söirfung  aU  in  feinem  5ßlan  ju  fud^en.  SBenn  bie 
SJienfd^en  fo  ju  fagen  jur  Sugenb  gejtoungen  werben  muffen, 
toie  bürfte  man  SHouffeau  einen  SBormurf  barauS  mad)en,  t& 
burd^  bie  Siebe  getl^an  gu  ^aben?  .  .  .  SSieHeidjt,  bafe  in  ben 


^)  Necker,  Oeuvres  completes,  XI,  Dernieres  vues  de  Politique  et  de 
Finance,  222,  226,  240. 


gtau  öon  (gtael  über  bte  DJeue  ^eloifc.  277 

€rften  Sctten  bic  SKenfcfien  feine  anbete  Sugenb  fannten  aU 
jene,  bte  if)ren  Urfprung  in  fold^en  ©efü^len  l)atte.  Sie  Siebe 
öcrmag  guweilen  äße  Sfiegungen  ju  erwecfen,  bie  burd)  ^Religion 
unb  SKoral  öorgefd)rieben  jtnb.  .  .  .  Stugenb^aft  ift  man,  tüenn 
man  baS  liebt,  waö  man  lieben  foll.  UnmiHfürlid)  tf)ut  man 
bann,  maö  bie  ^pid)t  gebietet.  $at  man  jtd)  einmal  üon  jtd) 
fclbft  loögefagt,  fo  fann  man  ft^  nid^t  mel^r  guräcfnel^men  nnb 
bic  Siebe  folgt  bem  ßws  "^^  ^^^^'  ®oö  ift  bie  tt)al)rfd)ein« 
lid^fte  ©efd^id^te  be§  ^^xf^m^". 

Sie  wiffe  wo^l,  fagt  jte,  bafe  man  SRouffeau  bie  @d)ilbe» 
tung  eines  ©rgiel^erS,  ber  feine  ©d^ülerin  Derfül^rt,  jum  SBormurf 
gemaci^t  l^abe,  meinte  aber,  biefer  3"9/  ^^^  ^t-ften  ^eloife  ent= 
lel^nt,  l^abe  jte  nid^t  geftört,  benn  ber  Sloman  fönne  wol^l  einen 
SKann  in  ber  Stellung  üon  ©aint^^reur  verleiten,  aber  Saint* 
^reujr  l^anble  unter  bem  ßinbrurf  ber  nod)  in  ber  @d)n)eij 
l^errfci^enben  begriffe  Don  @leid)f)eit.  5Jlid)t  fein  Seifpiel,  fonbem 
üielmcl^r  ba§  oon  Sulie  fei  unjtttlid^,  ober  märe  e§  gemefen, 
l^ätten  tl^re  SReue  unb  xi)X  fpätereö  Seben  biefe  SBirfung  nid^t 
aufgel^oben. 

Slud^  baö  ©d^meigen  t)on  gulie  gegen  SSolmar  entfd)ulbigt 
grau  öon  @tael,  fügt  aber  fogleic^  l)inju:  „D  mie  gefiele  mir 
ber  SmpulS,  ber  jte  oeranlaffen  mürbe,  \ij\n  Me^  ju  jagen!" 
Sie  fül^lt  ganj  rid^tig,  bafe  bie  eingig  juläjjige  6ntfd)ulbigung 
für  Sulie  b'@tange§  nid^t  in  il^ren  refleftirenben  Setrad^tungen 
unb  in  ben  ^rebigten,  bie  SRouffeau  il^r  in  ben  9Jlunb  legt, 
fonbem  in  ber  unmiberftel&li^en  3Rad^t  ber  jte  bel)errjd^enben 
ficibenfd^aft  gegeben  ift:  „2Benn  man  ben  SReijen  ber  Sugenb 
entfagt  l^at",  fagt  jte,  „jo  mufe  man  alle  biejenigen  jt^  an= 
eignen,  meldte  bie  ööUige  Eingebung  beS  ^ergenS  gemährt. 
Sflouffcau  l^at  jtd^  geirrt,  menn  er  glaubte,  Sulie  mürbe  baburd) 
geminnen,  bafe  jte  jtd^  meniger  leibenjd^aftlid)  jeigt'^  ^). 


*;  Madame  de  Stael,  Oeuvres  complctes,  I,   Lettres  sur  Rousseau. 
Lettre  II,  La  Nouvelle  H^loise. 


278  8^0«  öon  ©tael  über  bie  (SonfeffionS. 

Unb  nun  jur  Feuerprobe  ber  ßonfefftonS,  bcrcn  Scröffcnt«^ 
l{(t)ung  in  biefe  gal^re  unmittelbar  öor  ber  Sieüolution  fdUt  unb 
nod)  n\6)t  öoKenbet  war,  alö  pe  fd)rieb:  „©iefe§  SBud^  ift  nici^t 
in  beut  eblen  Jon  gehalten,  ben  man  öon  einem  feine  eigene 
©efd^i^te  eriät)Ienben  SRanne  erwartet.  Slber  bafür  l^at  SRouffcau 
ein  ®efül)l  beö  @tolje§,  ba§  für  feine  SBal^rl^aftigfeit  bürgt. 
@r  l)ielt  p^  für  ben  beften  ber  SJienfc^en.  6r  würbe  bei  bem 
©ebanfen  errötl)et  fein,  bafe  er,  um  pd)  il^nen  ju  jeigen,  aud^ 
nur  ein  einjigeö  SSergel^en  gu  verbergen  gel^abt  ptte.  .  .  .  6r 
Ijat,  meiner  9Jleinung  nad),  feine  5D?emoiren  öielmel^r  beS^alb 
gefd)rieben,  um  al§  ^iftorüer  benn  als  ^elb  feiner  ©efci^idötc 
ju  glänzen.  .  .  .  9flouffeau  war  nid)t  wal)npnnig,  aber  eine 
feiner  gäl)igfeiten,  bie  ©inbilbungöfraft,  war  au^er  Sianb  unb 
S3anb  geratf)en.  ©eine  geiftige  Ueberlegenl^eit  bradjte  il^n  bem 
SBal^npnn  nal^e.  gür  Slaturjuftänbe,  aber  nic^t  für  focialc 
Snftitutionen  beftimmt,  war  er  wie  ein  an  ben  Ufern  be«  Drinofo 
geborener  Snbianer,  ber  glüdlid)  geroefen  wäre,  bie  SBeHen  ba* 

;  l^inftrömen  ju  fef)en 6ö  läfet  pd^  nid)t  bel^aupten,  ba§ 

9flouffeau  tugenbl^aft  war,  benn,  um  ein  foId^eS  Sob  gu  Der« 
bienen,  mufe  man  fortwäl^renb  re^t  gel)anbelt  l^aben.  Aber  er 
war  ein  9Kenfd^,  bm  man  benfen  laffen  mufete,  ol^ne  etwa* 
anbere^   oon  il^m  ju  verlangen;  ben  man  füi^ren  muftte,  wie 

ein  Äinb,  unb  gu  befragen  f)atte,  wie  ein  Drafel 3)ie 

Siegung  beö  ©tolgeö  in  Siouffeau  l^at  mid^  uid^t  Don  il^m  ent« 
femt.  3d)  jog  barauS  ben  @d)lu6,  bafe  er  pd^  gut  wufete, 
6r  ift  t)ielleid)t  ber  einzige  SKenfc!^,  ben  ba§  Sliebrige  unb  ®e* 
meine  nur  auf  Slugenblide  unterwarf.  .  .  .  ©eine  fjel^ler  Pnb 
Snconfequen^en.  ©eine  ©d^riften  atl^men  bie  ebelften,  tugenb» 
l^afteften  ©epnnungen.  .  ,  ."  Unb  nun  ju  ben  Sl^armetteg  unb 
ju  ifirer  fflewol^nerin,  5!Wabame  be  Söarenö.  „5Rid^t  an  pe  badete 
SRouffeau,  fonbern  an  bie  Siebe  felbft,  bie  einen  ©egenftanb 
braud)te.  .  .  ."  „@r  war  üon  3latur  au§  gut,  gefül^tooD,  Der* 
trauenb.  5D?an  erinnere  pd),  ,wie  fel)r  er  in  feiner  3«9cnb  bie 
3Renfc^en  liebte.    2S8enn  er  in  biefer  Segie^ung  pd^  mel^r  atö 


grau  öon  Stael  über  $Rouffcau'S  (Selbftmoib.  279 

ein  Slnbcrer  öeränbert  l)at,  fo  liegt  ber  ®rimb  eben  barin,  ba§ 
er  weniger  als  Slnbere  auf  bie  6nttäufd)ung  vorbereitet  war". 
tJrau  Don  Stael  ift  aud)  bie  erfte,  n)eld)e  baS  ©erüd^t  oom 
©clbfhnorb  Siouffeau'S,  au  ben  jte  glaubte,  mit  ben  2Borten  in 
bie  Siteratur  einführte:  ber  23rief,  worin  er  ein  freiwilliges 
■ßnbe  oerbamme,  fei  öiel  weniger  bebeutenb  als  jener,  burd^ 
weld)en  er  ein  fold)eS  red)tfertige.  „%üx(i)kk  er  etwa",  fügt 
jte  l^inju,  „jtd)  biefeS  legten  ^ülfSmittelS  ju  berauben?"  i) 
SJiefer  Slnfpielung  wegen,  bie  unter  ber  ®emeinbe  oon  Sean 
SacqucS  nid^t  geringen  Slnftofe  erregte*^),  l^atte  §rau  oon 
©tael  eine  ©ontrooerfe  mit  9)iabame  be  aSaffi),  ber  2:od)ter  beS 
^errn  Don  ®irarbin,  in  beffen  ©artenwo^nung  ju  ßrmenon- 
öiUe  Sflouffeau  befanntlid^  ftarb.  ©ie  grage  felbft,  obwof)l  meift 
im  negatioen  @inn  beantwortet,  ift  bis  l^eute  noc^  nid)t  eut* 
fd^ieben^).  ©ie  33eurtl)eilung  oon  SRouffeau  bur^  g^rau  oon 
@tael  wäre  unoollftänbig,  wenn  fte  beS  ©laubeuSbefenntniffeS 
bcS  faoo^fd^en  aSilarS  nidt)t  gebäd)te.  @ie  trennt  eS  ein  9Jleifter= 
ftüdf  ber  SSerebfamfeit  in  33ejug  auf  baS  ®efü^l,  unb  ber  5D?eta^ 
pl)9itf  in  Segug  auf  bie  Slrgumentation :  „3fiouffeau",  fc^retbt 
jte,  ,,ift  ber  etnjige  ®eniuS  feiner  S^it;  ber  e^rfurd)tSooll  gegen 
öie  frommen  (äebanfen,  bereu  wir  fo  fel)r  bebürfen,  jtd)  oer^ält. 
6r  befragt  ben  natürlid^en  gnftinft  unb  fud^t  l^ierauf  mit  aller 
9Jlad^t  ber  Ueberlegung  feine  5Bernunft  oon  ber  3Baf)rl)eit  biefeS 
SnftinfteS  gu  überzeugen"  ^).    6S  fei  baS  unfterblid)e  SSerbienft 


*>  Madame  de  Stael,  Oeuvres  completes,  I.  Lettres  sur  J.J.Rousseau. 
Lettre  I,  Caractere  de  Jean-Jacques. 

^)  Madame  de  Charriere,  Lettres  -  Memoires ,  Revue  suisse, 
1857,  793. 

^  SBrodfctl^off  unb  SSarni  unter  feinen  neueren  SBiogropl^en  be^ttjeifeln 
ben  ©clbfhnorb.  ßougeault,  L'Etat  moral  de  Jean-Jacques,  1888,  be« 
Iftauptet  il^ti  bagegcn,  wie  öor  il^m  Gorancea,  ein  S^itgenoffc  öon  9louffeau, 
unb  in  ben  biersigcr  Saf)xtn  biefeS  3aWu"bert§  (Saint»ÜKarc  ©irorbin, 
S.  8 laue  unb  ©ainte«S3euöe  (Chäteaubriaud  et  son  Groupe  litt^raire, 
I,  107). 

*)  Madame  de  Stael,  Lettres  sur  Rousseau.     Lettre  III,  Emile. 


280  ®«  SSriefc  über  3.  3.  Slouffeau  unb  bad  jpuMifum. 

t)on  SRouffeau,  bafe  er,  SBärme  mit  SJläfeigung  ücrbinbcnb,  auf 
bie  Seele  gemirft  imb  burd)  geibenfd^aft  jur  SSercbjamIcit  jic^ 
aufgefcfiiüungen  l^abe.  „@r  glaubt  an  bie  Siebe,  barum  ift  il^m 
üerjietien''  ^).  5Jlod)  fei  fein  gob  üon  Siouffeau  9efd)rieben 
tDorben^),  beiSl^alb  I)abe  jte  ba^  Sebürfnife,  i^rc  Semunbcrung 
au§iufpred)en,  empfunben.  6in  Urtl^eil  über  baS  ©enie  ftel^e 
nur  ttjcnigeu,  beüorgugten  ©eiftern  ju;  ben  Tribut  beS  ©anfcS 
bagegeu  bürften  SlKe  entrid)ten.  SBol^I  fefee  fte  jid^  bem  SBonourf 
auö,  il)re  Äraft  ju  frül)  an  einem  ^u  großen  ©egenftanb  öcr« 
fud)t  ju  l)dbm:  .  .  .  aber  wer  öermöge  ju  fagen,  ob  bie  Qtxt 
barin  nid)t  mel^r  neljmen  al^  geben  raerbe?  . . .  Unb  ift  e8  nid^t 
gerabe  bie  Sug^nb,  bie  Siouffeau  am  meiften  fd^ulbet?  ©er« 
jenige,  ber  bie  S:ugenb  jur  Seibenfd^aft  gu  mad)en  üerftanb  unb 
burd)  Segeifterung  ju  überzeugen  fud)te,  l^at  pci^,  um  c8  gu 
be^errfd)en,  ber  ^ef)ler  inie  ber  Seibenfc^aften  biefeS  Slltcrö  be« 
mäd)tigt''  ^). 

©ed^jel^n  ^aijvt  fpäter,  1814,  in  einem  jweiten  SBonoort 
gu  ben  ©riefen,  beftätigt  ^rau  Don  ©tael,  bafe  bie  öon  il^r 
nid)t  getoünfd^te  SSerbreitung  berfelben  il^ren  literarifd^en  SScruf 
entfd)ieben  l^abe.  „Sd^  beflage  ben  3wfoK  nid)t",  fd^licfet  jte, 
„benn  biefer  SSeruf  l^at  mir  mei)r  ©enufe  als  SBibenoärtigleiten 
gebrad)t.  Mt^  im  ©d^idfal  ber  grauen  öertocift  auf  SSerfaU, 
SlßeS,  nur  nid^t  ber  ©ebanfe,  beffen  2Befen  eö  ift,  aufwärts  ju 
ftreben.  Sie  6ntfd)äbigungen  beS  ©eifteS  pnb  baju  befttmmt, 
bie  ©türme  beö  ^ergenS  ju  beru^igen'^ 

33ei  ®elegenl)eit  biefer  xijxtx  erften,  wirflid^en  Söerü^rung 
mit  ber  DeffentUd)feit  mad)te  ^rau  öon  Stael  eine  ©rfal^rung, 
bie  pd)  fortan  öfter  für  jte  ioieberliolen  foHte.    Sie  fanb  jtd)  in 


*)  Madame  de  Stael,  Lettres  sur  Rousseau.  Lettre  I,  Stjle  de 
Rousseau. 

')  (Sß  ift  bemerü  toorben,  bafe  Bar^re's  Bnd)  über  3.  3.  «ouffeau 
1787  ctfci^ien;  grau  öon  ©tael  aber  fonntc  cS  nid^t,  als  fie  bie  »riefe  fc^rieb. 

^)  Madame  de  Stael,  Lettres  sur  J.  J.  Rousseau.  Pr^face  de  la 
premiere  Edition  de  1788. 


Äritif  bon  ©rimm,  Sftiöorol,  S^ampcene^.  281 

6inflang  mit  ben  ©eftnnungen  be§  ^ubUfum§,  ba§  i^r  feine 
anerfcnnung  benn  aud)  nid^t  öorentl)ielt.  ®rimm,  obiool)!  er  furj 
guöor  eine  bittere  Satire  über  bie  ßonfef ftonö  gefd^rieben  l^atte  ^), 
bcftdtigte  eS,  inbem  aiid^  er  bie  „33riefe"  »un  charmant  ouvrage« 
nannte.  Sieben  bem  gob  ber  fd^riftfteUerifcfien  geiftung  brad) 
jebod^  eine  anbere  Stimmung  perfönlid)er  Slnimojttät  gegen 
grau  üon  Staäl  jtd)  33al)n.  SRiDarol,  ©egner  ber  gangen  %a^ 
milie  nieder,  nal^m  nid^t  felbft  ©teHung  gegen  jte,  jonbem  griff 
öorlaupfl  SReder'ö  33ud)  „über  bie  religiöfen  SKeinungen'^  an, 
unb  fd)icfte  feinen  ?5^^eunb  unb  5Ritarbeiter  (5f)ampcene^  gum 
Singriff  gegen  bie  Soc^ter.  ©iefer  fd)rieb  im  Sunt  1788  eine 
ficine  Slbl^anblung  ,,über  bie  SSorliebe  ber  grauen  für  Quer« 
föpfe",  worin  grau  t)on  @tael  aU  „Slrmanbe''  Iäd)erlid)  gemad)t 
wirb.  6ine  birefte  Ärieg^erflärung  folgte  in  gorm  ber  „Slnt* 
wort  auf  bie  ©riefe  über  3-  3-  Slouffeau",  bie  ©rimm  mit 
öollem  Siedet  eine  töbtlid)  langweilige  Satire  nennt 2).  SJlur  ba^ 
6ine  öerbient  barau§  erwäl^nt  gu  werben,  ba^  anä)  (Sl)amp* 
cene^  grau  üon  ©tael  feinen  anbern  3Sorwurf  al§  ben  „pe= 
bantifd^er  ^rfiberie"  ju  mad)en  weife,  weil  fie  Slouffeau,  wie 
frfil^er  bemerft,  al§  23ertl^eibiger  ber  @^e  feiert. 

Unb  nun  bie  le^te  grage!  Sft  ber  ßinflufe  oon  SRouffeau 
auf  ba§  ©enfen  t)on  grau  oon  ©tael  ol^ne  SRücfwirfung  auf 
il^r  geben  geblieben?    ©ewife  nid)t! 

2)ie  df)arafteriftifd)en  ßüge  feinet  politifd^en  @Qftem§  jtnb 
I)ert)orgeI)oben  worben.  Slber  aud)  feine  9Jforal  l)atte  ii)x  eigen* 
tpmlidf)e§  ©epräge.  @ie  erl^ielt  e§  baburd),  bafe  bei  i^m  me^r  aU 
bei  irgenb  einem  anberen  9Koraliften  oor  il^m  alle  bieder  feft* 
gel^altenen  SSegriffe  t)on  9fled)t  unb  Unred)t  in  unterfd^eibungC^= 
lofer  SRI^etorif  ineinanberfliefeen.  ^Darüber  ftintmeu  Sitte  über* 
ein,  bereu  Urt^eil  ju  feinen  Sopl^i^men  ftd)  l^erab würbigt. 
„®ie  9leue  §eloife",  fd)reibt  9)iabame  9tecfer,  „ift  ein  auf  ben 


1)  Grimm,  Correspondance  litt(5raire,  XIII,  243  u.  XIV,  472. 

2)  ebenbafelbft,  XIV,  407. 


282  SRouffeau'S  ÜKoral.    Scugniffc  botübcr. 

©runblagen  be§  Saftet^  errid)tete§  ©ebäube  bcr  Sugcnb. . .  Slu§ 
ber  geiftiflen  ß^i^törung  über  begangene  ©ünbcn  hm  ©ntl^uftaSs 
mu§  für  ba§  ®ute  l^erfteflen,  l^eifet  bie  einen  mit  bem  anbcm 
öermijdien  unb  ftd^  felbft  ber  fjäl^igfeit  berauben,  pc  je  »teber 
ju  entwirren,  ©aö  ift  bie  Oefal^r  beö  Sud^S"  0-  ®cinj  bcm 
felben  ©nbrud  l^at  SülaHet  bu  ^an.  @r  fagt  in  feiner  be« 
ftimmten,  gerabe  auf  ba§  3^^  loSgel^enben  SSBeife:  „SRouffcau 
tiat  bie  (g^rlid)Ieit  felbft  Derfü^rt'' 2).  ,,@eine  aßoral",  fagt 
SBiHemain,  „ift  ber  appett  an  bie  ßeibenfd^aft  gegen  bie  ^flid^f'S). 
Serfot  fprid^t  t)on  feiner  ©ittenlel^re,  al§  öon  einer  3Sorfd)rift 
be§  .^erjen^,  „baö  bie  9tid^tf(i)nur  ju  feinen  ^anblungen  in 
feinen  6ni:pfinbungen  fud^t,  unb  ben  SKenfd^en  nur  bann  »er» 
ppiditet  glaubt,  tüenn  er  gerfi^rt  ift"  *).  Slifarb  geilet  il^n  bc« 
Slergerniffeö  „ju  ©runbfä^en  ftd^  belannt  ju  l^aben,  bie  er  nidjt 
befolgte ''ö), 

SBer  öerfud)t  raäre,  fold^e  Urtl^eile  ju  ftreng  gu  ftnben,  bcr 
erprte  fte  am  ©dbidffal  ber  geiftigen  5Jlad)fommen  üon  SRouffeau, 
an  „3Bertl^er",  an  „©elpl^ine",  an  einigen  ber  gicblingS« 
fd^öpfungen  öon  ©eorge  @anb ,  bie .  ein  Derfel^Iteö  ©afein 
burd)  ©elbftmorb  befdjliefeen,  n)eil  fte  alle  an  bie  2)oftrin  öon 
ber  Sered)tigung  ber  Seibenfd^aften  unb  Don  ber  urfprüng« 
li^en  ®üte  ber  menfd^lid^en  5Jlatur  glaubten.  „@g  ift  nid^t  öiel 
®ute§  im  9Äenfd^en",  fagte  ber  fterbenbe  Äant;  »Homo  homini 
non  Deus,  sed  diabolus«.  „@g  prüfe  Seber  fein  ©ewiffen"  ®). 
„3d)  ttjeife  nid^t,  wie  ba§  geben  eineö  Söfewid^tS  bcfd^affcn  ift% 


*)  Madame  Necker,  Melanges,  I,  30  u.  III,  67. 

^Mallet  du  Pan,  Mercure  britannique,  II,  342,  Du  degr^  d'in- 
fluence  qu'a  eu  la  Philosophie  sur  la  Revolution. 

^)  Villemain,  Tableau  de  la  Litt^rature  fran^aise  au  XVIII  Si^cle, 
III,  442. 

*)  Saint-Marc-Girardin,  J.  J.  Rousseau,  sa  vie,  ses  oeuvres. 
Pr^face  de  Bersot,  I,  18. 

*)  Nisard,  Histoire  de  la  Litt^rature  francaise,  IV,  489. 

0)  ^affc,  Öe^tc  5(eu6crungen  Äant'S,  öon  einem  Sifd^genoffen.  5(5nigd« 
berg,  1804. 


gl^r  StntaöoniSmuS  jum  Cl&riftentl^um.  283 

föflt  Sofcpl^  bc  ^JRaiftrc,  ^id^  bin  niematö  einer  gewefen.  ©aS 
über  »cife  id^,  bafe  ba§  Seben  eines  el^rlid^en  9Kanneö  fd^on  ent« 
fepdö  genug  ift".  ©agegen  jprid^t  SRouffeau  burd)  ben  ÜMunb 
aller  SSermittler  feiner  2)oItrinen:  „2)er  5!Wenfdö  ift  gut,  unb  bie 
dnjige  Söefd^ränfung  feiner  3"ftinfte  wirb  i^m  burd^  bie  Sorge 
fflr  fein  ©Ificf  auferlegt". 

SBaS  ift  ba§  anbereö  alö  ber  Slntagoniömuö  gum  ßl^riften* 
t^um?  ©a§  gange  gunbament  ber  d)riftlid^en  SBeltanfdfiauung 
brld^t  bamit  gufammen  unb  mit  il)m  alle  Sd^u^mel^ren ,  mit 
weld^en  e«  bie  |)infälli  gleit  beS  menfd)lid^en  •^ergenS  umgeben 
f)at  ©a§  fönte  aud^  %xan  oon  ©tael  erfal^ren.  5Jlid^t  nur  in 
i^ren  äußern  Sebenöfc^idffden,  aud)  in  il^rer  innem  ßntwidlung 
mußte  jte  burd^  bie  Sleöolution  gel)en,  beöor  fte,  biefelbe  über= 
winbenb,  burd^  baö  @efe^  gur  ffreil^eit  gelangte. 


IftnflfB  iflpitel 


Sn  ber  Seit  gtüifdien  bem  3fiüdtritt  öon  Sfledfer,  am  19.  SRat 
1781,  unb  bem  SSeginn  feinet  gmeiten  5D?ini[terium§,  im  Süiguft 
1787,  folgten  ftd^  in  ber  Slbminiftration  ber  ^nanjen,  unb, 
tt)eil  biefe  bie  öffentlid)en  Slrbeiten,  ben  ^anbel  unb  einen  großen 
2:f)eil  ber  aSern^altung  begriffen^),  aud^  in  ber  inneren  Slb* 
miniftration  Don  granlreid^,  t)ier  t)erf(i^iebene  5ßerfönlid^feiten: 
SolQ  be  %Umt),  b'Drmeffon,  ßalonne  unb  gom^nie  be  Srienne. 
®en  erften  berjelben,  gol^  be  ^leurg,  toäl^lte  SKaurepaS,  »eil 
er  üon  reaftionärfter  ©eftnnung,  ganj  unbebeutenb  unb  ben 
Parlamenten  genel^m  xoax,  Seine  fur^e  SSermaltung  begcid^net 
eine  ber  unl)eilDonften  SJlaferegeln  ber  Siegierung  Submig'S  XVI., 
iene§  brei  Sage  nad)  sRecfefö  SRücf tritt,  am  22.  9Kai  1781,  er* 
laffene  ebift,  ba^  aUt  Äanbibaten  für  Dfpjiergftencn  SlbclS* 
proben  unterwarf,  fo  ba^  burd)  baöfelbe  nid^t  nur  alle  Sfirgcr^» 
lid^en,  fonbern  aud)  nod)  äße  @öl)ne  berjenigen  fjamilicn  auS* 
gefd^loffen  mürben,  meldten  ber  t)ierte  abelige  2ll)nl^err  fcl^lte. 
SBol)l  mit  ?iicd)t  fprid^t  SKabame  gampan  bei  biefer  ©elegenl^cit 
üon  „ber  Sßer^meiflung'',  meldte  baö  ®efe^  erregt  l^abe.  6S 
fpaltete  bie  3lrmee  in  gmei  Heerlager  unb  jd)uf,  nad^  bem  SluS* 
brud*  eine§  beutfd)en  §iftorifer§,  ßatilinarier,  bie  bei  einem 
Umfturj  nur  geminnen  fonnten^j. 

M  Cherest,  La  chute  de  l'ancien  regime,  I,  30. 
2)  £)ntfen,  ®a§  3dtalter  ber  JHeöoIution,  I,  34—35. 


2)ie  SRad^foIget  dltätx'»  unb  bie  $tibtlegtrten.  285 

SüiS  einer  jold^cn  SUlaferegel  jd^licfecn  ju  wollen,  bafe  bct 
gefammte  8lbel  atö  ©tanb  reaftionär  unb  für  (ärl^altung  beS 
alten  S^Jf^^nbeS  eingutretcn  bereit  war,  würbe  einer  jener  Srug«' 
fc^Iüffe  fein,  gu  weld^en  einjelne  Stl^atfad^en  in  ber  (äntwicflung^- 
gefd^id^te  ber  Sfleüolution  fo  oft  verleitet  l^aben,  wäl^renb  il)r 
®efammtergebni6  pe  wiberlegt. 

5Rici^t  bie  Slriftoftratie  atö  fold^e,  fonbern  ber  §ofabel  unb 
ein  SC^eil  ber  fleinen  ßbelleute,  bie  ber  ©tanbegprioilegten  be* 
burften,  um  nid^t  in  baö  Proletariat  jurfidf juöerftnf en ,  l^atten 
biefen  ^^rrl^uSfieg  baüongetragen.  SBie  fel^r  ber  unabl^ängige, 
auf  feinen  ®ütem  lebenbe  3lbel  bie  |)öflinge  Don  aSerfaitteS 
unb  bie  um  fte  gefd^arten  Intriganten,  beren  Unterl^alt  unb 
unerfättltd^e  ©elbgier  baS  3Karf  beö  SanbeS  auSfogen,  oer* 
ad^tetc  unb  l^afete,  läfet  pd^  in  einer  9IHenge  jeitgenöfftfd^er 
aSerid^te,  fo  unter  anbem  in  ben  Sriefen  unb  Slufjeid^nungen 
bcS  SKarquiS  Don  ^irabeau  be«  SSaterS  erfennen.  ©erabe 
bie  alten  ®ef d^led^ter ,  bie  oon  ber  abfoluten  SKonard^ie  il)rer 
SÄad^tfleHung  beraubt  worben  waren  unb  ftd^  bod^  ftarf  genug 
pullten,  ben  Sftfidfl^alt  be§  §ofe§  ju  entbel^ren,  geigten  ftd^  als 
bie  öorgefc^rittenften  im  Verlangen  nad^  ^Reform,  gaben  ben 
Änflofe  jur  Bewegung  unb  fteKten  bem  britten  ©tanb  feine 
^rer.  2)ie  aHiang  war  eine  natürlid^e  unb  im  SSBefen  ber 
®inge  begrünbet.  ®enn  in  einem  ^unlt  wenigftenä  waren  bie 
Sntereffen  biefer  ©belleute  ibentifd^  mit  jenen  beS  SierS.  @r 
ftrebte  nad^  ber  politifd^en  9IRac^t,  jte  wottten  biefelbe  wteber 
erlangen  unb  jtd^  eine  (Stellung,  äl^nlid^  jener  ber  englifd)en 
ariftofratie,  aud^  wenn  eö  nur  um  ben  5ßrei§  großer  mate:» 
rlcHer  Dpfer  fein  lonnte,  in  ber  neuen  Drbnung  ber  35inge 
fidlem. 

SSerfd^ieben  baüon  war  aßerbingS  bie  Stellung  be§  ÄleruS. 
3taäi    einem    auöfprud)    üon   ^einrid^    t)on    @t)bel    l^at    e§     / 
niemals  eine  SReüolution   gegeben,   bie  md)t  eine  fociale  ober    < 
eine  religiöfe  gewefen  wäre.    %üx  bie  fed)gigtaufenb  SJiitglieber    ' 
ber  ©eelforge  unb  beS  frangöjtfd^en  SanbfleruS  war  fte  beibeS. 

»Unnerfiaftett,  ^rau  üon  ©taeL  I.  19 


286  Carotine. 

SBclc^c  ©rünbe  pc  liattcn,  um  ^d),  U)ic  jtc  e8  tl^atcn,  bem  SRuf 
nad^  SRcform  an jujdjHcfecn ,  ift  bet  Scjprcd^ung  bcr  religtöfcn 
Suftänbc  bcr  jwciten  ^älftc  bc§  ad^tjcl^ntcn  Sal^rl^unbert« 
bereits  angebeutet  worben^).  Slber  aud^  bte  fociale  iJrage  war 
für  jte  nidöt  ju  umgel^en. 

SBäl^renb  bie  l^ol^e  «ßrälatur,  bte  Saine  auf  ungefähr  2800 
5ßerfonen  bered)net,  bann  bte  reid^en  Älöfter  unb  ©tffte,  beren 
SBerntögen  jtdö  auf  Diele  SRiHionen  bejifferte,  fiber  ©infommen 
üerffigten,  bie  in  eingelnen  fräßen  gwifc^en  400,000  giüreS  unb 
eine  SKißion  betrugen  2),  lebte  ber  ^farrfleruö  in  oufeerjter 
©firftigfeit,  oft  aud)  in  3lot\),  ©enn  ba§  ungel^eure,  auf  einen 
Äapitatoertl^  üon  üier  SKilliarben,  mit  einem  6in!ommen  öon 
200  SUlißionen  gefd^ä^te  Äird^engut  »ar  gang  unüerl^ättnifemäfeig 
unter  feinen  Jlu^niefeem  üertl^eilt.  3Bäl^renb  bie  6inen  über  einen 
loloffalen  SReic^tl^um  Derfügten  unb  in  bireltem  SBiberfprud^  ju 
ben  Äir(^engefe|en,  mel^rere  ^frünben  in  einer  §anb  öereinigten, 
litten  bie  Slnbern  nic{)t  nur  SJlangel,  fonbem  mußten  nod^  oft 
il^r  fpärlic^eS  ©infommen  üon  ®emeinben  bejiel^en,  bte  nid^t 
minber  arm  unb  bebrücft  waren  alö  fie  felbft.  3fm  Sal^r  1768 
liatte  ber  franjö{ifd)e  ^Pfarrer  im  ©urd^fc^nitt  500  giorcö,  ber 
SSifar  aber  nur  250  ßiüreS,  bie  1785  auf  700  unb  350  8ii)re8 
erpl^t  würben,  wäl^renb  Slbbö  be  33ermont,  SBorlefcr  bcr 
Königin,  einen  3al^rgel)alt  t)on  80,000  Siüre«,  fiom^nte  be 
Sricnne,  (grjbifdjof  t)on  @en§,  aber  iäl^rlid^e  ©inüinfte  öon 
678,000  ßit)re§  begog.  ©ie  gal^Ireid^en  fjlugfc^riften,  bie  in 
ben  Salären  unmittelbar  üor  ber  SReüolution  gur  SBeleud^lung 
biefer  3u[tänbe  erfd)ienen,  fc^ilbern  benn  aud^  bie  gntpflnbungcn, 
weld)e  fte  bei  bem  5ßfarrfleru§  ermeden  mufeten:  „&»  l^crrfd^t 
ein  großer  SJlifebraud)  in  ber  Äird)e",  fc^reibt  ber  gine,  ^btc* 
ienigen,   bie  bem  Slltar  bienen,  leben  nid^t  Dom  aitar,   wo^ 


')  Äapltcl  IV,  254—257. 

'^)  Taine,    Les   Origines    de    la   France    contemporaine.     L'ancien 
r(5t,nme,  I,  17-20,  54-58,  «Rote,  530. 


ßaronnc.  287 

<ibcr  S^nc,  bic  il^m  nid)t  bienen''  ^).  ©er  6räbijd^of  üon  Sou* 
loufe  gcftanb  1775  jelbft,  bafe  einem  alt  ober  Iranf  geiüorbenen 
^ejier  hxni  Qa^ndjt  gegen  brödfenbe  Slrmutl^,  alö  bie  Santt=» 
l^critgfett  feine«  »ifc^ofS  blieb  2).  3Rand^e  biefer  »ijd)öfe  aber, 
bte  nie  burc^  bte  3Wül^en  unb  6rfal^rungen  ber  ©eelforge  ge* 
fangen  waren,  l^atten  nur  SSerati^tung  für  ©lejenigen,  bie  man 
t)Ott  il^nen  als  »pretraillec  bejeid^nen  l^örte^).  Unb  boc^  waren 
gerabe  jte  eö,  weld^e  bie  6^re  il^reS  Serufeö  wal^rlen,  inbem  jte 
in  ber  weitaus  größeren,  üon  ben  beftruftiüen  Senbenjen  ber 
l^Sl^eren  ©tänbe  unb  literarifd^en  Äretje  ber  ^aitptftabt  uuberßl^rt 
gebliebenen  SWel^rl^eit  ber  Station  baS  religiöje  Sewufetfein  wad^ 
^l^ieften  unb  bie  bejd^eibenen  Siugenben  pflegten,  welche  bie 
€iöHifation  fti^ü^en  unb  bie  SSölfer  Dom  Untergang  bewal^ren. 
3n  ben  Steigen  biefer  ^riefter  fanben  ftd^  bie  geleierten  5£i)to^ 
logen,  unter  il^ren  ©eftnnungSgenoffen  bie  frommen  Saien, 
töelti^c  bie  überlieferte  lird^lid^e  ©oftrin  unb  bie  ftrenge  5ßrajrt§ 
beö  alten  franjöjtfc{)en  Äatl^oliciSmug  mit  jener  gälten  Slnl^äng* 
lid^feit  feftl^ielten,  bie  felbft  SBoltaire  bewunbembe  Slnerlemtung, 
einem  ^l^ilofopl^en  üon  bei:  SRid^tung  öon  Siaine  gerabegu  be* 
fleifterte  ©^mpatl^ie  abnötl^igen*).  3Benn  ein  ©tanb  in  granfc 
reid^  öon  ber  frommen  ®ejtnnung  be§  Äönigö  ©ered^tigfeit  er= 
toarten  burfte,  fo  war  e§  biefer.  nieder  erlannte  e§  unb  fud^te 
fpftter  bie  Slufmerlfamleit  be§  SKonard^en  auf  biefe  feine  »er« 
bienten  unb  natürlid)en  SunbeSgenoffen  im  Äantpf  gegen  ba§ 
^oilegium  gu  lenfen^).  Slber  e§  ftanb  wie  gefagt,  gef^rieben, 
bafe  bie  alte  5nionard)ie  bie  fib^jltinifd^en  SBüd^er,  bie  ba§  ©d^idffal 


^)  Les  droits  des  cur^s  et  des  paroisses,  consid^r^s  dans  leurs  rapports 
spirituels  et  temporeis,  172. 

^  Essai   sur   la  r^forme   du   clerg^,   par   un   vicaire   de   campagne, 
docteur  en  Sorbonne,  Paris  1789,  12. 

*)  ©bcnbafclbft  unb  Taine,  Origines  etc.    L'ancien  r6gime,  I,  382. 

*)  Voltaire    bei    Taine,    Origines    etc.      L'ancien    regime,    I,    95. 
Taine,  Origines  etc.    La  Revolution,  III,  410—416. 

*)  Necker,   De   la   Revolution   frangaise.    Oeuvres    complfetes,   IX, 
Ö9  u.  162. 

19* 


2gg  Salonjie. 

für  f{e  bereit  l^tte,  eines  naäf  bem  onbem  t^erbremten  foOte. 
S&bttnb  ber  legten  ßeiten  beS  alten  SÜegime  fteigerte  ft^  bte 
lenbenj ,  fir^lic^e  ^frünben  auöfd^lie&Ud^  al« '  Serforgung*' 
anftalten  ffir  bie  9lad^geborenen  beS  Slbeld  ju  \)tmtabm^)  imb 
bie  fünfjigtaufenb  frangöjtfd^en  Seelforger,  bie  ein  öetW^rter 
€prad^gebraud^  als  ben  f^nieberen  Flenid"  begeici^nete  unb  eine 
nod)  öerfel^rtere  ^olitil  gu  l^offmingslofer  Slot^  üentrtl^eilte, 
gaben  1789  ben  SluSfd^lag  gu  ®unften  bed  Sterö. 

^anb  in  §anb  mit  biefen  SÄaferegeln  jn  ©unjien  ber  ^* 
Dilegirten  ging  bie  SSemtelörung  ber  ©tenem,  Äaften  unb  Sä^uU 
ben  unter  ber  furgen  SSenoaltung  üon  SolQ  be  fjleur^.  @r 
pel  im  9Jiärg  1783,  ol^ne  aud^  nur  Sßerfud^e  gur  ©efferung  nad^ 
irgenb  einer  SRid^tung  angeftrebt  gu  l^aben.  Slad^  bem  Sob- 
öon  3Raurepa§  l^atte  ber  junge  Äönig  allein  regieren  gu  woßen 
erflärt.  6ö  gab  bem  Flamen  nad^  feinen  erjten  9JKniiler  mel^r^ 
aHein  feinen  ©influfe  übte  ber  Seiter  ber  auswärtigen  angelegen* 
l^eiten,  ®raf  SSergenneö,  ber  in  feinem  Departement  ungweifel* 
l^afte  SBeweife  Don  fluger  SßorauSjtd^t  gegeben  l^atte,  in  ben  innem 
fjragen  aber  gleid^falls  reaftionäre  5ßolitif  trieb. 

2luf  30I9  be  gleurq  folgte  ber  erft  einunbbreifeigiä^rige^ 
burd^auS  et)rlid)e  unb  gemiffenl^afte  b'Drmeffon,  ber  ben  Äönig 
üergebenö  bat,  it)m  bie  ßaft,  auf  bie  er  nid^t  üorberettet  war^ 
wieber  abgunet)men.  Sin  feine  furge  Verwaltung  fnftpft  ftd^  bie 
Erinnerung  an  ben  gefd)eiterten  Sßerfud),  ba§  Softem  ber  @enerat 
päd^ter  burd)  eine  föniglic{)e  SSerwaltung  gu  erfe^en.  gür  ben 
Slugenblid  war  aud^  t>a^  ein  blofeer  Söerluft,  benn  SRedter  l^atte 
bie  5ßa(^töerträge  beträd^tlid^  erl^öl^t.  5Jlad)  jieben  SWonaten 
fd^ieb  b'Drmeffon  ol^ne  jebe  ©ntfd^äbigung  au§  bem  Amt,  unb 
nun  wagte  ber  SJJarfd^aU  be  ßaftrieS,  in  einer  gel^eimen  ©eirf* 
fc{)rift  an  ben  Äönig,  an  ^leder'S  Popularität  gu  erinnenu 
Slber  e§  war  DergebenS.  Subwig'ö  perfönlid^e  Slbneigung  gegen 
il^n  bel^iclt  bie  Dberl^anb,  obwol^l  feit  feinem  9ftü(ftritt  bie  8ln* 


0  CndEcn,  S)ai8  Scitaltcr  ber  9flcöoIution,  I,  41,  iRotc. 


^alonne.  289 

teilten  um  bcn  SBctrag  üon  345  SÄiHionen  gcfticgcn  waren,  unb 
t)cr  Äönig,  ber  SRambouißet  um  14  SWiHioncn  gefauft  l^attc, 
ftlofe  300,000  giürcö  in  feinem  Sc^a^  befafe.  ©anbtbat  ber 
t)urdö  SWaria  Sl^erefta  unb  SRerc^  beeinflußten  Äönigin  war 
jd^on  biefe«  5Ral  Äom^nie  be  Sriennc,  ©rgbifd^of  üon  Souloufe, 
ein  Sln^änger  ber  Defonomiflen  unb  ffreunb  üon  Surgot. 
Subwig  XVI.  iebod^  blieb  ffir  biefeö  SRal  be§  Statl^eö  öon 
3Ranvepa&f  niemals  einen  ^riefler  jum  erften  SRinifler  ju 
wad^en,  eingebenl  unb  ffil^ltc  fiberbieg  einen  perfönlid^en  SBiber* 
toiKen  gegen  bvx  if)m  als  ungläubig  unb  jtttenloS  belannten 
Prälaten.  2)a  brad^te  SSergenneS,  Don  ber  Umgebung  ber  Xä^ 
irigin,  ben  ^olignac'S  unb  öor  Slllem  bem  ®rafen  üon  SlrtoiS 
untcrjtü^t,  ben  Sntenbanten  üon  ßille,  ßalonne  in  SSorfd^lag. 
(St  xoax  üom  ^ublüum  ebenfo  als  üom  5!Äonard)en  üerad^tet, 
ainb  eg  beburfte  einer  Äette  üon  Sntriguen,  um  it)n  burd^jufe^en  ^). 

6nblid^  aber  gelang  eS  boc^  unb  gleid^  bei  ber  erften 
Unterrebung  mit  bem  SWonard^en  befannte  il^m  fein  neuer 
■ginongminifter,  bafe  er  230,000  giüreS  ©d^ulben  l&abe,  bie  eS 
ll^m  jwar  leidet  fein  würbe,  nunmel^r  abjugal&len,  bie  er  aber 
ijffen  anjugeben  öorjielöe.  ©er  betroffene  Subwig  XVI.  ging 
•an  feine  ßaffette  unb  übergab  bem  SRinifter,  ol^ne  ein  SBort  gu 
jagen,  bie  genannte  Summe.  3)aS  5ßubli!um  erfui^r  bie  @e* 
jd^d^te  nur  baburd^,  bafe  ßalonne  jte  felbft  bem  wurbigen  alten 
^ad^ault,  ber  nid^t  gu  miffen  üerjid^erte,  woburc^  er  ein  fold^eS 
SJertrouen  öcrbient  l^abe,  mit  bem  Semerfen  ergäl^lte,  baS  @elb 
beS  ÄönigS  l^abe  er  gu  anbem  ^totdm  üermenbet.  Unb  fo 
war  eS  nod^  einmal  ber  Staat,  ber  feine  ©d^ulben  gal^lte^). 

Sftur  ber  Siifto^i^  f^i^^^  eigenen  iJinangen,  p^tQk  er  gu 
fagen,  l^abe  il^n  fiber^aupt  bagu  üermod^t,  bie  ffranfreid^S  gu 
fibemel^men.    SWan  l^at  i^n  mit  bem  SluSfpruc^  d^arafteriftrt. 


*)  A.  Ch^rest,  La  chute  de  Pancien  regime,  I,  32 — 37. 
>)  Monthyon,   Particularitds  sur  les  ministres  des  finances.    8(rtt!el 
Calonne. 


290  S)ic  iRotl^  awinöt  ealonnc  jur  SUcform. 

„bk  ®cf(i)äftc  l^abc  er  wie  SScrgnügungcn,  bic  SBergnfigungeit 
bafür  tüte  ©efd^äfte  bel^anbelt  ^). 

SRicbul^r,  ber  feine  ßinbrüde  über  bie  franjöjtfdie  Sfteöolution 
gutti  grofeen  Sl^eil  nod^  au§  bem  unmittelbaren  Sßerlel^r  mit  ben 
junäd^ft  Set^eiligten  fd^öpfte,  gebrandet,  Dom  gtänjenb  begabten, 
aber  Ieid)tfertigen,  unguöerläfjtgen  ßalonne  jpred^enb,  5cn  SSer* 
gleid)  mit  ©gmont^). 

SSon  il^m  l^atte  ber  ^of  feine  ©infd^ränlungen  ju  fürd^ten. 
6r  ermutl^igte  jur  Sßerfd^tüenbung ,  üerfprad^  unerfd^öpflid^e 
^ülfSqueUen,  laufte  ®aint=6loub  für  bie  Königin,  bic  eö  feit 
Salären  ju  bejt^en  wünfd^te^),  erl^öl^te  bie  5ßenjtonen  unb  ber* 
föl^nte  bie  ^inangtoelt  mit  feinen  ®eIboperationen,  inbem  er  il^r 
erlaubte,  bie  5Jlot^  be§  Staates  auSjubeuten.  ©benfo  lieben«»^ 
würbig  als  genufefüd^tig,  fonnte  er  bod),  »enn  e§  il^m  fo  gefiel, 
eine  erftaunlid^e  SlrbeitSfraft  unb  bei  bm  fd^Iimmfien  SEBiber* 
lüärtigfeiten,  aud)  ungetrübte,  gute  ßaune  aufbieten. 

Dbwol^l  1784  ftd^  alS  ein  SÄifeiabr  erwies,  Hefe  er  bic  ©tcuctn 
mit  einer  ^ärte  eintreiben,  bie  aße  frül^eren  ©rfal^rungen  über* 
bot,  aber  bie  SluSgaben  befd)ränfte  er  nic^t.  ©amals  war  c8, 
ba^  er  9Kirabeau'S  beS  fünftigen  SSolfStribunen  geber  faufte^ 
um  mel^rere  feiner  ®eIboperationen  ju  öertl^eibigen,  waS  im 
weitem  SBerlauf  ber  S)inge  gur  gel^eimen  9iÄifPon  beSfelben  nad^ 
aSerlin  SBeranlaffung  gab*),  wäl^renb  ßalonne  in  ßonflift  mit 
ben  ^Parlamenten  gerietl^,  unb  biefe  bie  Eintragung  ber  fflnig» 
lid^en  ©bifte  verweigerten.  5Jlun  tl^at  bie  §Rot^,  toa^  ©infid^t, 
SSernunft  unb  6l^rlid[)feit  üergebenS  bei  einem  9Jiann  öcrfud^t 
l^atten,  „ber  bie  SSereinigung  aller  SMifebräud^e  fd^ien,  bic  et 
nun  plö^lid^  abfteHen  ju  wollen  erflärte"  ^).   S)ie  „Stnanjorgie", 


')  Hallet  du  Pan,  Analecta  sur  Phistoire  du  temps,  1785.   Unebirte 
gfamUienpapicre. 

2)  sRicbu^r,  ©efd^id^tc  ht&  ScltalterS  ber  JRcöoIution,  I,  152. 

•^)  Augeard,  M^moires,  134  u.  ff. 

*)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.  I,  345,  ««ote. 

^)  Malouet,  Memoires,  I,  287. 


(Sr  beruft  bic  «Rotabcrn.  291 

bie  er  eingeleitet  -  l^atte,  war  gu  @nbe,  unb  mit  il^r  bie  üerberb* 
liiä^en  SRlttel,  bie  bi§  bal^in  ben  erfd)öpften  Äaffen  bie  leisten 
Sefie  \^^  nationalen  SßermögenS  jugewenbet  l^atten. 

Dl^ne  Uebergang,  ©d^onung  ober  Vorbereitung  entwarf  je^t 
ßalonne  ein  troftlofeö  Silb  ber  ßiiftänbe,  bie  er  felbft  mit  ge* 
fc^affen  nnb  bi§  gur  Unerträglid^feit  gefteigert  t)atte  unb  oer^ 
langte  in  einer  S)enffc^rift  an  ben  Äönig  „bie  [Reform  alles 
©effen,  was  in  ber  ßonftitution  beS  Staates  fci)Ied)t  unb  oer^ 
rottet  fei",  ftettte  aber  jugleid^  ben  berühmten  @a|  auf,  „TOife» 
brauche  feien  bie  ^ülfSmittel  ber  SKonard^ie",  toaS  in  feinem 
SKunb  bebeutete,  bafe  jte  ben  SBeg  ju  notliwenbigen  SSeränbe* 
rungen  ebneten. 

S3ei  \>m  Sieformen,  bie  er  nun  in  95orfc{)Iag  brad^te,  waren 
öon  (Solbert  $Iäne  gur  §ebung  beS  ^anbelS  unb  ber  Snbuftrie, 
üon  SSauban  Vit  ^erfteßung  beS  .^afenS  oon  ßl^erbourg  entlehnt. 
3)er  Pan  ber  Sefteuerung  ber  §ßrioiIegirten,  ben  ÜWad^auU  mit 
geitweiliger  S3elaftung  beS  ÄleruS  unter  Subwig  XV.  oerfucä^t 
l^atte,  lebte  im  ^rojeft  einer  allgemeinen  ©runbfteuer  wieber 
auf.  ©en  Sbeen  oon  SEurgot  follte  burd^  ^Berufung  ber  ®e* 
meinbe^  unb  ©iftriftsoerfammlungen,  SRefonn  ber  §ßerfonalfteuer, 
Slbfd)affung  ber  Innungen  unb  beS  ßiittftgwcingS  gel^ulbigt 
»erben.  S)en  Delonomiften  würbe  bie  SluSfül^rung  it)reS  Sieb= 
lingSgebanfenS,  fjreigebung  beS  ©etreibel^anbels  geboten;  bie 
Sottft^ranlen  gwifc^en  ben  ^rooingen  foHten  fallen,  bie  oerl^afete 
©abeße,  bie  ©algfteuer,  Derfd^winben,  Sleder'S  ^Programm  ber 
^roöinglaloerfammlungen  auf  aße  5ßrooingen,  bie  leine  ftänbifd^e 
SJerfaffung  bewalirt  l^atten,  auSgebel^nt  werben^).  Slbel  unb 
ÄleruS  l^offte  ber  SKinifter  burd)  baS  33erfpred)en  ber  Sil^eilnal^me 
beS  ®runbbep^eS  an  ber  fünftigen  lofalen  SSerwaltung  mit  ben 
Dpfem  auSjuföl^nen,  welc{)e  feine  Söorfd^läge  il^nen  auferlegten. 
®ner  ber  tiefften  @(^äben  beS  alten  Slegime,  bie  faft  unüber- 


0  Henri    Martin,    Histoire    de    France,   XVI,    544.     Soulavie, 
M^moires,  VI,  120-132. 


292  ^onfltft  3totf(^  aalonne  iinb  9ttän. 

winblic^c  ©^wicrigfdt,  p^  in  bcn  DenDorrenen  %Sbm  feinet 
SSermaltung  gured^t  gu  finben,  fprid^t  ftd^  im  Sunfd^  Don  @a« 
lonne  nad^  einem  ©Aftern  abminiftratiüer  einfdrmigteit  avi&:^) 
„SBaS  Sie  mir  ba  üorfd^Iagen",  emiberte  £ubn>ig  XVL  auf 
/  bie  le^te  ©ngabe  beö  SKinifterö,  „tft  ia  ein  Stcce^rt  nad^  «erfer^ 
„©ire",  lautete  bie  KntiDort  Don  6a(onne,  „mir  befl^en  fein 
beffereS"  *).  ®er  ©ebanfe  lag  noi^e,  in  biefem  ^D  bad  SRittel 
lieber  auS  erfler  ^anb  gu  begiel^en. 

9[uf  bie  Parlamente  mar  gur  2)urd^fü]^rung  biefed  $ro« 
grammS  felbftberftänblid)  nid()t  gu  red^nen.  @inen  SugenblidE 
bac()te  6alonne  an  bie  93erufung  ber  @eneralfiaaten,  aber  feine 
fjinangmirtl^fd^aft,  baiS  mußte  er,  ertrug  feine  einge^enbe  ^rfi* 
fung^).  Sa  bot  fid^  ba^  9(ugfunftSmitteI  einer  Berufung  Don 
Slotabeln,  ba^  SRirabeau  guerft  in  93orfd()Iag  gebrad^t  gu  l^aben 
jtd^  rühmte*). 

3ule^t  l^atte  fie  ^einrid^  IV.  gur  SBeratl^ung  über  bie  9n« 
gelegent)eiten  ber  SDlonarcljie  Derfammett,  unb  biefer  Itmfianb 
trug  bagu  bei,  nad^  ber  Si^fti^n^^ng  Don  SergemteiS  unb  bed 
@iegeIbema^rerS  ^MromeSnil  bie  bed  ASnigiS  gu  geminnen. 
tiefer  fannte  ben  gangen  Umfang  beiS  finangiellen  StuiniS  nic^t, 
aber  ber  blo^e  @ebanfe,  eines  Sl^eitö  feiner  SSerontmortungen 
enthoben  gu  merben,  Deranla^te  il^n  gur  Sleu^erung,  bie  ^rrenbe 
raube  i{)m  ben  @d^laf.  2)ag  bie  Königin  bagegen  nid^t  in  baiS 
©el^eimnife  gcgogen  mürbe,  fottte  fte  nic^t  Dergeil^en.  —  8m 
22.  gebruar  1787  traten  l^unbertDierunboiergig  %otabIe,  unter 
il^nen  laum  fed^S  ober  fieben  nid^tpriDilegirte  SRitglieber  be« 
Sierö,  in  ®egenmart  beö  Äonigö  gufammen,  um  übet  bie  Dor* 


0  A.  Ch^rest,  La  chute  de  Tancien  r^ime.  Introduction  XIX  n.  |f. 
unb  82—85. 

')  Pont^coulant,  M^moires,  I,  80. 

^)  Jeff erson,  Gomplete  Works.  Autobiography  I,  70.  Droz,  Histoire 
de  Louis  XVL  I,  350. 

*)  Mirabeau,  Lettres  ä  un  de  ses  amis  en  Allemagne,  183,  ciiiit 
bei  DndEcn,  Qntaltti  ber  SÄeöolution,  55. 


Si^cdfet'«  ajudö  über  8(bminlfhration  bcr  ginanjcn.  293 

junel^menbcn  Sftcformcn  ju  bcratlfcn.  SBcnigc  Sage  frül^cr  war 
SScrgemic«  geftorbcn.  Sl^n  crfc^te  alö  SWinifter  bcS  Sleufeem 
bcr  el^rlic^c,  tt)oI)Itt)o!Icnbc,  aber  \ä)Xoaä)t  Slmtanb  ©raf  öon 
STOontmorin,  einft  ©efpiele,  bann  Sßertrauter  be§  Äönig«. 
Sn  feiner  (Sröffnungörebe  machte  ßalonne  ber  3Sergangent)eit 
hm  ^rocefe,  inbem  er  ein  öoßftänbigeä  ©ünbenregtfter  be§ 
Slncien  SReginte  entwarf,  feine  SWifebräudie  branbmarlte  unb  bie 
fd^Iimmftcn  feiner  SBunben  aufbedfte. 

Unb  baö  angejtd^tS  einer  ßffentUd^en  5Keinung,  bie  beinal^ 
au8ttol^mIo«  htm  Sufammentritt  üon  §Rotabeln  feinblid^  ge* 
ftimmt,  burd^  ben  Setrag  beö  angeffinbigten  2)eficitS  aufö 
^ctnlid^fte  berül^rt  war,  unb  in  ©egenwart  Don  SRdnnem  wie 
bcr  SWarquiS  Don  Sa  %a)i)tttt,  ber  jwar  bie  Berufung  unb 
Sufammenfe|ung  ber  Sßerfammlung  auSbrücflid^  gutl^iefe,  aber 
fernere  ©elbbcwißigungen  üon  ber  „Slnerfennung  conftitutioneHer 
^ncipicn"  abl^ängig  mad)te^),  ober  üon  Som^nie  be  SBrienne, 
bem  cS  flberl^aupt  nur  barum  gu  tl^un  war,  ßalonne  ju  ftfirjen 
unb  gu  erfe^en.  ®ie  9lotabeIn  tl^eillen  f\6)  in  jteben  SureauS, 
crflärten  jtd^  mit  bem  ©runbfa^  ber  Sleform  im  ^rincip  ein^» 
t)erftanbcn,  weigerten  jtdö  Kt^od^,  im  ©injelnen  baruber  gu  bi§» 
futiren,  bcüor  über  bie  ßage  ber  ^nangen  genauer  Serid^t  er* 
ftattet  fei,  unb  liefen  Ilar  erfenncn,  bafe  jte  nicä^t  gefonnen  waren, 
biefe  SRcformen  auö  ben  .^änben  eines  ßalonne^angunel^men. 
3m  2auf  ber  SSerl^anblungen  erllärten  bie  6rgbifd)öfe  oon 
Slarbonnc,  ©iüon,  unb  oon  SlrleS,  ®ulau,  bafe  ba§  Siedet  ber 
©tcuerbewinigung  nid^t  bem  Äönig,  fonbern  aller  SSßalirfd^ein* 
lid^feit  nad^,  nur  ben  ©eneralftaaten  guftel^e  unb  oerlangten  ben 
Sufammentritt  berfelben  gugleidi)  mit  ßa  fja^ette  unb  bem  ®e* 
neralprolurator  beö  Parlamentes  oon  Slijr,  ßaftillon^).  galonne 
l^attc  üerfpielt,  benn  xoa^  üon  il^m  »erlangt  würbe,  fonnte  er, 
ol^ne  pdf)  felbft  gu  ©runbc  gu  rid^ten,  nid^t  geben,  wd^renb  bie 


0  La  Fayette,  Memoires  et  Correspondance,  II,  190. 
*)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVL  I,  482. 


294  ^{ecfer'd  ^c^rift  gegen  ^lontte. 

^Dtleglrtcn  ein  Wittü  gefunben  l^atten,  niti^tS  gu  bewilligen, 
ol^ne  boäf  ba^  ®ef)äf jtge  ber  3Beigerung  auf  jic^  ju  laben,  ©a 
DoHgog  ßalonne  einen  S^öntroec^fel,  liefe  feine  fed^S  JDenffd^riften 
an  bie  5)lotabeln  im  5ßublitum  öerbreiten,  unb  erflärte  jtd^  bereit, 
bie  ^riüilegirten  ju  opfern  unb  „im  Flamen  ber  ©ered^tigleit 
ba^  ®elb  öon  ©enjenigen  erl^eben  gu  wollen,  bie  biSl^cr  nid^t 
genug  gegat)lt  ijatkn"  *). 

2)iefer  Appell  an  bie  ®unft  be§  SBolfeö,  burd^  welchen 
ßalonne  ben  Söiberftanb  feiner  ©tanbeSgenoffen  gu  bred^en  ge* 
badete,  fd)lug  fet)l.  3Bie  furg  Dorl^er  bie  Parlamente,  fo  fanben 
jtd^  je^t  bie  5Jlotabeln  nic^t  minber  unüerbient  als  Vertreter  ber 
iJreil^eiten  unb  SRed^te  ber  Station  gefeiert  unb  anerlannt.  ©er 
gefdl^rlid^e  SSerfud),  bie  9fioutine  ber  ©taatSgefd^äfte  burd^  eine 
5Jleuerung  gu  unterbrecl)en,  unb  ©d^äben  aufgubedCen,  ol&ne  gu* 
gleid^  über  bie  3Rittel  gu  il^rer  Teilung  gu  Derffigen,  war  öcr* 
gebend  gemad)t  worben.  Slm  ©rfolg  ber  Koalition,  bie  fid^ 
nun  gum  @turg  oon  (Salonne  bilbete,  unb  an  weld^er  bie  Äöni» 
gin  jtd^  unter  bem  ©influfe  beS  mit  ßomenie  bc  Söriennc  be* 
freunbeten  Slbbe  be  SSermont,  mit  ben  9lotabeln,  bem  ^of  unb 
einem  3:i^eil  ber  SKinifter  betl^eiligte,  trug  nid)t  gum  wenigjicn 
ber  ßonflift  bei,  in  ben  ßalonne  mit  SReder  geriet!^.  Äurj  öor 
Sufammentritt  ber  9lotabeln  l^atte  biefer  gel^ört,  bafe  ßolonne 
bie  Slbjtd)t  l^abe,  in  feiner  ©röffnungörebe  bie  SHd^tigfeit  be& 
Compte-rendu  in  3w)eifel  gu  giel^en  unb  il^n  fd^riftlid^  erfud^t, 
biefeS  SSorl^aben  nid)t  auSgufül^ren,  ol^ne  il^m  ©elegenl^elt  gur 
SSertl^eibigung  gu  geben,  ßalonne  l^atte  barauf  in  feiner  leidet* 
fertigen  Slrt  oerftd)ert,  bafe  er  nijd^tS  ©old^eS  im  Sinn  l^abe. 
3n  feiner  Siebe  oemtieb  er  au(^  aUerbingS  einen  birelten  Sin* 
griff;  fte  bered)tigte  aber  nid^tSbeftoweniger  gu  bem  Sd^lufe,  ba§ 
§Redfer'^  SluffteHungen  falfd^  gewefen  feien,  gelterer  verlangte 
beS  ÄönigS  ©rlaubnife,  auf  biefe  Slnfd^ulbigung  entweber  öor 
il^m  felbft  ober  bod)  üor  einem  Somite  ber  9lotabeln  gu  ant* 


')  nenri  Martin,  Histoire  de  France,  XVI,  580. 


9l^dtt'&  93u(4  über  ^Ibtniniftration  bet  ^inansen.  295 

toorten.  fiubwtg  XVI.  liefe  barauf  erwibern,  bafe  er  mit  feinen 
©icnfien  gufrieben  fei,  il^m  jebod)  @tittfd)n)eigen  auferlege.  6in 
früi^crcr  Sd^ritt  §RedEer'j8  t)attc  bie  ©ejtnnungen  beS  SKonard^en 
für  ll^n  m(%t  gflnfHßcr  geftimmt.  3m  Sal^r  1784  nämlid^  ^atte 
er  ein  Snä)  über  „Slbminiftration  ber  ^inangen"  üeröffentli^t, 
bad  ixt  mel^r  als  ad^tjigtaufenb  ©yentplaren  über  ganj  Suropa 
verbreitet  würbe  unb  einen  faft  unerl^örten  ©rfolg  feierte.  3n 
biefem  S3ud^  waren  einerfeitS  6rfat)rungen  öerwertl^et  unb 
SKängel  befprod^en,  üon  benen  9?eder  nur  al§  3Rinifter  wiffen 
lonnte^),  unb  anbererfeitS  filierte  er  barin  ben  ©runbgebanten 
beö  »Compte-rendu«,  baS  §ßrincip  ber  Deffentlid^feit  unb  6on= 
trole  in  ber  aSerwaltung  ber  ^nan^en  weiter  au§,  in  weld)e§ 
i>cr  Äönig  bamalö  eingewilligt,  ba^  er  aber  feitbem  wieber  auf» 
gegeben  l^atte.  ®ie  ©rinnerung  baran  mufete  bal^er  aU  TOal^» 
nung  unb  aSorwurf  empfunben  werben,  unb  ber  erjümte  Äönig, 
ben  olle  5Rad^folger  üon  9?eder  gegen  biefen  einjunel^men  ftd^ 
beftrebt  l^atten,  liefe  benn  aud^  über  baS  SBud^  beSfelben  eine 
|ener  milben  offlcieUen  SSerfolgungen  ergel^en,  wie  fie  fowol^l 
ben  aSfid^em  alö  ben  Slutoren  jener  B^it  el^er  gum  Sßortt)eil  als 
jum  ©d^aben  gereid^ten^).  3llad)  bem  Singriff  üon  6aIonne 
^anbelte  eg  jid)  jebod)  nid)t  mel^r  um  @J)fteme  unb  blofee 
STOeinungööerfd^ieben^eiten,  fonbern  um  5>ledEef§  perfönlid)e  6t)re. 
SBenn  er  jtd^  nid^t  laut  öertl^eibigen  burfte,  lonnte  mel^r  aB 
feine  Popularität  auf  bem  Spiele  ftel^en.  6r  l^atte  ben  ©ebanfen 
ttid^t  aufgegeben,  baS  9teformwerf  üon  1780  weiterfüf)ren  ju 
fönnen  unb  nie  auf  bie  SluSfic^t  üerjid^tet,  wieber  9Rinifter  gu 
werben.  @o  war  e§  unter  anbern  nic^t  unbemerft  geblieben, 
bafe  er  au§  ber  Stelle  beö  ©aßuft,  bie  feinem  legten  SBerl" 
jum   9Rotto   biente,   bie  3Borte   wegliefe:  »Et  mihi  reliquam 


>)  Sfiicbul^r,  ©efd^id^tc  bcS  BeitaltcrS  ber  ^cüofution,  I,  169. 
*)  Auguste  de  Stael,  Notice  sur  Monsieur  Necker,  bcffcn  Oeuvres 
compl^tes  oorauSgebrudtt,  I,  188  u.  ff. 


296  ^Itätfi  Serbatmimg. 

aetaiem  a  republica  procul  habendam  statuic^).  Solomie 
mar  nid^t  ber  3Rann,  btx  ed  oi^ne  bie  fd^Iagenbflen  Seioeife 
»agcn  fonnte,  bie  Sntegrität  beSicnigen  ungeftraft  in  QoKifd 
gu  gleiten,  auf  loelc^en  nod^  immer  aKe  Hoffnungen  ber  Station 
gerid^tet  u^aren.  SDiefe  Seweife  aber  fel^lten,  bemt  er  l^otte  bie 
tl^atfä(I)Ud^  im  Compte-rendu  Dorl^anbenen  ^xxtfßmtt  gar  nid^t 
nad^guweifen  gewußt  ^j. 

3US  ba^er  Slecfer  ^6)  t)or  bie  S[Itentattt)e  gefteKt  fal^,  tai^ 
meber  bem  ^önig  gu  gel^orc^en  unb  {tc^  bamit  ben  9Beg  jum 
$ubli{um  Derfperren  gu  laffeu,  ober  aKer  Sßal^rfd^inlid^Ieit  ttod^ 
burd^  9lid^tad^tung  biefeS  föniglici^en  SBefel^tö  bie  S[ui${id^t  auf 
Sßieberberufung  inS  äRinifierium  in  f^age  gu  fteQen,  entfc^Io^ 
er  ftc^  bod^  für  bie  le^tere,  bie  aufgehört  l^atte,  bie  gefäl^rttd^ere 
gu  fein^),  unb  lieg  eine  SSertl^eibigungdfc^rift  feiner  SSenoaltung 
üorläupg  unter  ben  5Rotabeln  öerbreiten,  oon  »o  fie  balb  inS 
^bli!um  brang.  2)er  frül^ere  3Kinifter  Sol^  be  %ltwttif  a\S 
©d^iebSric^ter  im  Streit  angerufen,  entfd^ieb  audbräcflid^  für 
5Reder  unb  gegen  ßalonne.  Qn  Slnfang  Stpril  erfd^ien,  im 
Sluj^lanb  gebrudtt,  bie  ©enffd^rift  gur  SBert^eibigung  be«  Gomple- 
rendu,  meld^er  fpäter  eine  gleite,  als  9[ntn)ort  auf  bie  @nt^ 
gegnung  üon  ßalonue  folgte*).  3Dlirabeau,  ber  bei  feinem 
greunb  unb  9Jiitarbeiter,  bem  Sanquier  ^and^aub,  mit  3lccfer'8 
©egnern,  6laüiere  unb  Söriffot,  gufammengulommen  #egte,  unb 
bie  ginangoertoaltung  oon  5WedEer  unb  ßalonne^),  mit  bem  er 
fid^  entgleit  l^atte,  in  einer  unb  berfelben  ©d^rift  angriff,  fteHte 


0  Auguste  de  Stael,  Notice  sur  Monsieur  Necker.  Oeuvres  com- 
pl^tes  I,  191. 

*)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.  I,  383  u.  0iotc 

^  Madame  de  Stael,  Du  caract^re  de  Monsieur  Necker  et  de  u 
vie  privee.  Oeuvres  completes,  XVII,  34—35.  Necker,  De  la  revolution 
fran^aise.     Oeuvres  completes,  IX,  33. 

*)  Necker,  Mdmoire,  Avril  1787  unb  Nouveaux  eclaircissements  sur 
le  Compte-rendu,  1788.    Oeuvres  complfetes,  II, 

^)  Mirabeau,  Denonciation  de  Pagiotage  au  roi  et  iL  rAssembl^ 
des  Notables,  1787. 


»crfer'S  »rief  an  8rrau  oon  ®tael.  297 

eine  ßntgeflnung  auf  9»ccfcr'S  Apologie  in  SluSfid^t,  J^ielt  aber 
nid^t  SBort,  woraus  fein  greunb  ©umont  ben  ©d^lufe  jog,  ba§ 
ble  Argumente  beiSfelben  triumpl^irenb  gewefen  feien  ^). 

gubwig  XVL  nal^m  bie  @acl)e  emft.  3m  erften  Slugeublid 
war  er  fo  aufgebracht,  t>a^  er  ber  Königin  fagte,  er  »erbe 
nieder  ou«  bem  Sanb  üenoeifen  laffen.  @ie  mufete  an  feine 
Serbienjle,  an  feine  gl^rliti^feit  unb  Uneigennü^igfeit  erinnern, 
tonnte  e«  aber  bod^  nic^t  üerl^inbcm,  bafe  3lledfer  buriö^  lettre 
de  cachet  Dierjig  ?BleiIen  üon  ^ariS  üerbannt  würbe  2). 

Sn  einem  ber  feltenen,  befannt  geworbenen  ©riefe  Slecfer'S 
an  %xan  oon  ©taäl  tt)eilt  er  it)r  bie  5Rad^rid)t  in  einem  Jon 
mit,  ber  ben  SKafeflab  beg  6inbrudE§  gibt,  ben  föniglid^e  ttn» 
gnabe  in  \mm  Sagen  J^eroorrief. 

(St  fd^reibt:  „SRcine  liebe  5Kinette,  nacä^  reifUd^er  Ueber«* 
legung  unb  mit  gebfil^renber  Sl^rfurd^t  für  ©einen  legten  Siatl^ 
werben  wir  morgen  in  aüer  S^rfil^e  unb  wenn  nid^tö  befonbereö 
bagwifd^en  tommt,  nad^  6]^äteau=3ienarb  abreifen.  3d^  Ijalte 
bie  Stäumlid^fciten  be«  ©d^loffeS  für  entfpred^enb,  ba  e§  jeben 
l^bft  oon  ben  g^amilien  b'Dutremont  unb  be  gougeret  bewol^nt 
war;  waS  ba^  Sleufeere  betrifft,  fo  weife  ic^  nid^t,  wie  e^  be« 
fd^affen  ifl;  mir  bangt  ein  wenig  oor  ber  fet)r  auögefprod^enen 
®efd^madC8rid^tung  ©einer  lieben  5Kama  im  @df)Iimmen  wie  im 
®uten;  Jebod^  mac^t  fle  jtd)  in  befter  Stimmung  auf  ben  SBeg. . . 
©ie  SBod^e  über  wirft  ®u  aße  9?euigfeiten  fammeln;  bie  ©riefe 
öon  ®erman9^)  unb  nod^  mel^r  bie  ©einigen,  bie  wäl^renb  einer 
eiligen  Sfteife  gefd^rieben  fd^einen,  l^aben  unS  bij8t)er  mit  9lac^» 
richten  oerfel&en.  aber  alles  ©aS  ift  nid^t  meine  gute  SRinette, 
öon  weld^cr  id^  mid)  bereits  gu  lange  getrennt  fül^le,  unb  bie 


')  Dumont,  Souvenirs  sur  Mirabeau,  37 — 38,  Decrue,  Les  idees 
politiques  de  Mirabeau.    Revuo  historique,  1883,  I,  280. 

*)  Auguste  de  Stael,  Notice  sur  Monsieur  Necker,  I,  199—209. 
Wertheimer,  Documents  in6dits  relatifs  ä  Marie  -  Antoinette.  Revue 
historique,  1884,  II,  326:   Mercy  an  Kaunitz,  Paris,  17  Avril  1787. 

»)  Slcdfet'8  Sruber. 


298  stallet  bu  $an  über  bie  ettnunimg  in  VotU. 

»iebergufel^en  mid^  glficflid^  mad^en  lourbe.  2>te  liebe  SRama 
wirb  pc^  ber  ooUftättbigftcn  Shi^c,  bercn  pc  fo  beturfKg  ifl, 
Eingeben.  S^^^il^  bebünft  t&  mtd^,  aliS  ob  man  l^art  mit 
und  Derfal^re,  inbem  man  und  einer  fold^en  ^laderei  untergiel^t. 
Slber  ni(t)t  meinetoegen,  fonbem  ber  @attin,  bie  man  fel^r 
leibenb  meiB,  unb  ber  Zoö^kx  u^egen,  beren  S^fianb  bereits  fo 
n)eit  Dorgerucft  ift;  baS  änbert  baSSnfel^  bief er  SSerboiimmg, 
unb  ic^  entppnbe  eS  etn^ad  mel^r,  feit  id^  mir  felbfl  überlaffen 
unb  ben  Uebelftänben  eines  9[ufentl^altd  unter  frembem  2)a(^ 
auegefe^t  bin,  n)oju  noc^  fommt,  ba^  ber  SuiSbntd  ,oorfiber:' 
ge^enb',  beffen  ic^  mid^  in  einem  Srief  an  Saron  Sreteuil  be« 
biente,  feinen  @inbru(f  gemad^t  gu  l^aben  fd^etnt.  S)arfiber  febod^ 
l^aben  mir  atte  ßzit,  gu  moralipren.  @ine  gro^e  Sntfc^äbigung 
unb  ein  großes  @egcngen)i(^t  ift  bai^  aUgemeine  S^tereffe; 
fonft . . .  Slber  erp  burd)  ©id)  werbe  id^  alleö  äSeitere  l^orcn*  *)• 
Unfer  33erid)terftatter  über  bie  Stimmung  in  $arij$  ifl,  in 
(Ermangelung  t)on  f^rau  t)on  @tael,  bieiSmal  SRaKet  bn  $an, 
ber,  obwohl  fein  Parteigänger  Don  !Recfer,  bod^  ber  SSol^r^eit 
gemäB  barüber  äußerte:  „@d^merg  imb  Ungufriebenl^it  f^ad^en 
laut  unb  allgemein;  bie  3Renge  brängte  pd()  bis  gum  Kugenblicf 
feiner  Slbreife  an  9?edfer'S  Spr.  .  .  .  ©er  ©rgbifd^of  öon  Sou* 
loufe,  burd^  ben  Slbbe  be  SSermont  unterftü^t,  mod^te  bie  Seitung 
ber  Sinangen  erl^alten.  @r  l^at  augenjc^einlid^  gegen  Scder, 
beffen  Slnl^änger  er  mar,  pd^  gemenbet.  Sßontmorin  gilt  afö 
ber  SSertraucnsminiper  beS  ÄönigS.  ©ie  gartet  9leder  ^at 
biS{)er  bem  @rgbtfd^of  Don  Stouloufe  gu  bienen  gefud^t  unb  pd^ 
baburd^  nid^t  genäht,  ^an  bel^auptet,  er  l^abe  ben  9iat^  gum 
©rurf  Don  5Redfer'ö  @dt)rift  gegeben,  um  il^n  gu  entfernen  unb 
pd^  auf  biefe  3Seife  gugleid^  Don  5RedEer  unb  Don  ßalonnc  gu 
befreien"  ^).  Sleufeerungen  ber  ^Jamilie,  befonberS  bie  »M^Iangesc 
Don  9Kabame  5Recfer,  bepätigen  bagegen  bie  guten  Segiel^ungen 


')  D^Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  189. 
^Hallet   du   Pan,    Analecta    sur    Thistoire  du  temps.     Unebhte 

gamilicnpapiere.    Slpril  1787. 


ßanblbatur  öon  Öom^nic  be  Sriennc.  299 

jum  (Srjbtfd^of  üon  Souloufc,  ber  mit  bem  9Jiarfd^aIl  unb 
ÜRabame  bc  SBeauöau,  ben  ^etjögcn  üon  ©ura§,  5RiüemoiS, 
bu  Sl^ätclct,  bc  ßaftricS,  ben  6rjbif(i)öfcn  üon  9?arbonne,  öon 
Sourd  unb  bcm  SBljdöof  Don  2lrra§  jum  5reunbc§frci§  berfelbcn 
tdt  Slecfcf«  Stücftritt  gel^örtc.  @d)on  1785  l^attc  i^n  »aron 
©taei  in  einer  ©epefd^e  an  Äönig  ©uftaö  III.  al§  einen  ber* 
Jenigen  bcgeid^net,  auf  ben  baö  Slugenmerf,  alö  auf  einen  fünf* 
tigen  SWinifier,  jtc^  rld^te^.  Subwig  XVI.  erfe^ie  nod^  in  t>m 
legten  lagen  ber  95ertt)altung  öon  ßalonne  unb  auf  beffen  3Bunfd^ 
ben  ©iegelbewal^rer  SWiromeSnil  burd^  ßamoignon,  33etter  oon 
3Äale8l^erbeS.  3)ie  ©ntlaffung  öon  Sreteuil  foKte  folgen,  als 
bie  Äönlgin  eingriff  unb,  um  biefen  ju  retten,  ßalonne  ftfirgte. 
3n  ber  SReöoIution,  bie  er  befd^leunigte,  l^at  %xan  öon  ©tael 
niemals  baö  3BerI  eingelner  5ßerfönlid^Ieiten  gefef)en.  Snfofern 
fle  aber  überl&aupt  einem  3Renfd^cn  jur  Saft  gelegt  »erben 
fonnte,  bleibt  in  ben  Slugen  öon  5Weder'S  SEod^ter  ßalomte  bafür 
Derantwortlid^.  S^^ei  feiner  ßoHegen,  ?)?edEefS  ^reunbe,  ©egur 
unb  be  ©aftrieö,  bie  il^m  il^ren  9Kinifterpoften  üerbanften,  l^ielten 
nun  ben  Slugenblid  für  gefommen,  feine  3Bieberberufung  bei 
bem  9Ronard^en  ju  befürworten.  @ie  unterftü^te  3Rontmorin, 
ber  StedEer  bamalS  nod^  nid^t  perfönlid^  fannte,  unb  eS  fid^ 
fpäter  ium  SSortourf  mad^te,  bei  biefer  ©elegenl^eit  nid^t  nad^= 
brüdElidf)er  ju  feinen  ©unften  aufgetreten  gu  fein  2).  ©er  Äönig 
fd^wanltc  unb  njar  am  5ßunft,  n)enn  aud^  unmutl^ig,  feine  Qn^ 
ftimmung  gu  geben.  S)a  fam  Sreteuil  feiner  belannten  8lb= 
neigung  gegen  SRedfer  gu  §ülfe,  inbem  er  bemerlte,  njenn  man 
biefen  aus  ber  Söerbannung  an  bit  Spi^e  ber  ©efd^äfte  be- 
rufe, fo  »erbe  jtdi)  feine  ftolge  Ueberl^ebung  DöUig  unerträglid) 
crtüeifen.  Sn  bem  1796  veröffentlichten  3Berf  über  bie  frangö* 
pfd^e  SieDolution  gibt  5ftedfer,  auf  bie  Unterrebung  gurücffommenb. 


*)  Löouzon-Le  Duc,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  de 
Stael-Holstein,  14,  ©epe^e  s«o.  15,  «mära  1785. 

*)  Baron  A.  de  Stael,  Notice  sur  Monsieur  Necker.  Oeuvres  com- 
pl^tes,  I,  221.    A,  Obere  st,  La  chute  de  Pancien  regime,  I,  198. 


/ 


300  ®^  StbniQ  toiifß  Bntnnt  oud  S&ihtüotOm  gegen  9{eder. 

aUerbingS  einen  ftarlen  ?Ömt\^  beS  @elbftbett)u6ifeut8,  mbem 

ler  fagt:  „^t^  Königs  SSal^I  n^ar  einen  Slugenblict  auf  mid^ 

jgericl^tet.    äSäre  er  feft  geblieben,  fo  wfirbe  nici^tö  Don  9Xitm, 

jwaS  wir  feitl^er  erlebt  l^aben,  üorgefatten  fein^.  Unb  begeid^nenb 

fügt  er  l^ingu:  „^oö^  xoax  eS  Qdi,  einen  neuen  S3unb  mit  ber 

öffentlichen  9Keinung  gu  fd^liefeen.  .  .  .  Sd^  jweifle  nid^t  baran; 

eine  bnrd^auS  weife  SSerwaltnng  ^otte  bie  Unrul^  befci^wid^iigt, 

mit  weld^er  bie  ©ebanfen  ber  Station  bereit»  auf  ^Berufung  ber 

I  ©eneralftaaten  geri(j^tet  waren''. 

gubwig  XVL  l^atte  fd^  bereits  an  bm  gewanbten  Solomte 
gewöl^nt,  ber  il^m  bie  9Käl^e  ju  regieren  erfparte,  unb  nod^  jwci 
SKonate  früher  in  ber  SSerfammlung  ber  Slotabeln  bie  ^Ifine  beö 
9Rinifter§  gutgel^eifeen ,  gegen  beffen  Verwaltung  biefe  nun  8te* 
Ilagen  erl^oben,  bie  il^n  jur  ^lud^t  nad^  ©nglanb  öeranlafeten.  Um 
ber  2Rül^e  eines  burd)grcifenben  ©ntfd^luffeö  ju  entgelten,  w&l^tte 
er  ^ourqueuf,  „ben  unfäl^igften  Äopf",  fagt  %xau  üon  @taäl, 
„ben  iemals  bie  ^errüde  beS  ©taatSratl^ö  gierte  unb  ber  nun 
ben  SRinifterft^  etnnal^m,  wie  man  einen  Sogenplo^  befe^en 
löfet,  beoor  baö  ©tfid  beginnt" '). 

aber  bie  9lot^  brängte  unb  bafür,  ba^  er  3ledter  entging, 
mufete  Subwig  XVI.  in  bie  SSSal^l  oon  Som^nie  be  SBricrate  pd^ 
ergeben.  6r  ernannte  il^n  oorläufig  nur  jum  fjinanjminiper, 
aber  eS  fam  oon  ba  an  eine  bumpfe  ©leid^gültigleit  über  il^n, 
bie  ber  SEptigfeit  biefeS  oerpngnifeooßften  feiner  SRotl^geber  um 
fo  freieren  Spielraum  gewäl^rte. 

3n  SBrienne,  bem  ßrwä^lten  ber  Königin,  ber  al8  Hb» 
miniftrator  ber  burd)  il^re  befonberen  Qtanb^  beftöerwaltetm 
^rooinj  granfreid)S,  beS  Sangueboc,  jid^  eines  großen  3lufe8 
erfreute,  irrte  jte  jtd^  übrigens  nid^t  allein.  2)er  bemofrotifd^e 
Sefferfon,  ber  fo  weit  ge^t  gu  behaupten,  ba^  eS  ol^ne  bie  Ä8* 
nigin  leinen  Umfturg  gegeben  l^dtte,  unb  gu  erfldren  nid^t  anfielet, 


0  Madame  de  Stagl,  Consid^ratioDS   sur  la  r^volution  frsn^aise. 
Oeuvres  complötes,  XII,  127. 


Ittt^circ  über  JBricnnc.  301 

bafe  er  fic  in  ein  Älofter  geftecft  ^aben  würbe,  beurtlieilte  ben 
6rjbifc^of  öon  Stouloufe  tro^bem  nod)  Diel  günftiger  afö  fte, 
nennt  i^n  ^tugenbliaft,  patriotifd)  unb  begabt",  giel)t  il^n  aiigen* 
fd^einlie^  Sfleder  wx,  unb  plt  i^n  nod)  Salute  nad)  ber  9?cüo=» 
lution  „für  einen  fälligen  unb  reformatorifd)en  Staatsmann, 
ber  getl^an  l^aht,  was  an  einem  fold)en  ^of  ju  tl^un  möglid) 
war''^).  5Jlid)t  anberS  badete  Sa  ^yaqette,  ber  im  -äJiärg  1787 
Somenie  be  SBrienne  „ben  fäl)igften  unb  etirlid^ften  9!Jiann" 
nannte,  ben  man  gum  erften  SKinifter  f)abe  wählen  lönnen^). 
aSeffer  informirt  in  biefem  ^unft  mar  Saron  @tael,  al§  er 
an  Äönig  ©uftaD  III.  fd^rieb,  Submig  XVI.  f)abe  Srienne  ge» 
nommcn,  meil  er  nid^t  mef)r  anberS  fonnte.  „®er  @d)redfen", 
jagt  er,  „mar  jo  allgemein,  bafe  man  ftd^  burc^  ba§  Sebürf« 
nife  regiert  ju  merben  gebrängt  in  feine  Slrme  marf.  ®ie 
JWinifter  felbft  waren  fo  beunrul^igt,  bafe  fie  jtd)  feiner  Sßal^I 
nid^t  miberfe^ten".  „Slber  er  ift  unftät  unb  manfelmütl)ig", 
fügt  aSaron  Stael  im  Suli  t)inju,  „unb  biefer  SRangel  an 
SBillenöfraft  ift  überl)aupt  in  ber  Dktion  jiemlid)  i)erbreitet,  in 
weld^er  bie  33aterIanbSüebe  faft  erlof^en  unb  man  ju  glauben 
geneigt  ift,  bafe  grofee  Si^k  f^^  o^^^  Opfer  erreid)en  laffen"^). 
®aS  le^te  SBort  ber  ^Jamilie  nieder  über  Somenie  be  SSrienne 
fpTidjt  grau  öon  ©tael  in  ben  ßonfiberationS.  Sie  nennt  il^n 
einen  geiftreid^en  SKann,  ber  in  gemöf)nlic^en  S^ten  bie  nöt^ige 
Seföl^igung  für  fein  2lmt  gel^abt  ptte.  3Slü)x  6mft  ber  ®e* 
finnung  atö  fein  3Sorgänger  ßalonne  ^abe  jebod)  aud^  er  nid^t 
gejeigt^). 

0  Jefferson's  Works,  I,  Autobiograph y,  70,  101  u.  102  imb  II, 
258  u.  310,  »tiefe  öom  31.  ^lugiift  unb  3.  0Joöember  1787,  III,  52,  »rief 
öom  14.  Suni  1789. 

^)  La  Fayette,  Memoires  et  Correspondance,  II,  195  u.  199,  »riefe 
an  3o^n  3a^  nnb  SBafl^ington. 

^)  Leouzon-Le  Duo,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  de 
Stael-Holstein,   58  u.  60,   S^epefd^en    9lo.  61,    63  u.  65  oom  31.  ^ax  unb 

8.  3uli  1787. 

*)  Madame  de  Stael,  Considerations  sur  la  Revolution  fran^aise. 
Oeuvres  XII,  120,  129  u.  135. 

»lenner^aftett,  grau  »on  ©tael.  I.  20 


\ 


I 

■ 
1 


302  %xaii  öon  ©tael  über  9ietfer'S  93crbannung. 

grau  üon  ©tael  ^atte  ft^  im  Slpril  1787  beeilt ,  bie  aScr= 
bannung  il^re^  3Sater§  ju  t^eilen.  Seine  milbe  Seurtl^ettung 
be§  SBerfal^renö  ßnbwig'^  XVI.  aber  tl^eilte  jte  nid^t.  „^ä) 
tDar  bamafö  nod)  red^t  jung'',  äufeerte  jte  fpäter,  ,,eine  lettre 
de  cachet,  eine  SBerbannung,  jci)ienen  mir  ba§  graufamfte 
ßoo§.  3d)  fd)rie  laut  auf,  al§  id)  baöon  ^örte  unb  lonnte  mir 
fein  gröfeerejS  Unglüd*  benfen''  ^).  3)iefe  (Stimmung  xo\(i)  balb 
bem  freubigen  ©efül^I  be§  Stoljeö  über  bie  Äunbgebungcn  aH^ 
gemeiner  ^i)t\\naiimt,  bie  Sieder  folgten.  5Rur  bie  SBitterIcit 
über  bie  Haltung  beö  ^ofö  unb  inöbefonbere  bcr  Äönigin,  öon 
beren  SBermittlung  ju  ®unften  il)re§  33aterö  jte  nichts  iDufete, 
Derjd)tt)anb  nid)t  wieber  unb  fprid^t  jtd^,  alö  t>a^  furje  @jrtl  gu 
6nbe  fam,  gegen  ben  in  $ariö  gurüdgebliebenen  SSaron  ©tael 
au§:  ,f^d)  baute  ®ir,  lieber  ^Jreunb",  fagt  jte,  „für  ben 
SSrief,  ben  ®u  mir  burd^  SKabame  be  SSeauöau  jd)reiben  Ucfeeft. 
3d)  mar  fd^on  böfe  auf  ®id),  meil  9Konjteur  be  ßrillon  mir 
nid)t§  üon  2)ir  überbrad^te.  23u  jte^ft,  bafe  bie  Äönigtn  jtd^ 
bei  biefer  ®elegenf)eit  nid)t  beffer  für  3)id)  gejeigt  l^at,  aU  bei 
einer  früf)eren,  benn  nid)t^  mar  cinfad)er  alö  ®id)  öon  bcr 
ßurüdnal^me  ber  lettre  de  cachet  in  Äenntnife  ju  fe^cn.  ©aS 
ift  eine  Stufmerffamfeit,  bie  gu  ben  gemöl)nlid)[ten  gel^ört  unb 
bie  jte  SlHen  ergeigt,  meld)en  jte  jtd)  gnäbig  ermeifen  miK.  3^ 
meine  aljo,  ba^  e^  mel^r  alö  je  geboten  ift,  fel^r  jurüdfj^altenb 
gu  fein ;  f oUte  fte  jebod)  ben  SBunf d)  au§fpred)en,  ©id^  gu  feigen, 
bann  rebe  fo  mit  i^r,  mie  mir  übereingelommen  ftnb,  ba%  ®u 
eö  t^un  foUft:  in  ebler,  meinet  SSaterS  mürbiger  SBeifc.  ßaffc 
burd)fül^len,  bafe  bie  Seenbigung  biefeiS  @jril§  für  bie  Königin 
mic  für  ben  Äönig  oiel  mid)tiger  al^  für  meinen  SBatcr  ift,  bafe 
bie  ®ir  perfönlid)  gegeigte  Äälte  unb  ©leidigülttgfcit  S)id^ 
peinlid)  berül)rtcn,  unb  bringe  enblic^  in  ©rinnerung,  bafe 
S)u  ber  Königin  ben  Dkmen  meinet  3Sater!§  nie  genannt  l^aft. 


')  Madame  de  Stael,   Notice  sur  le  caractere  de  Monsieur  Necker 
et  sur  sa  vie  privee.     Oeuvres  XVIII,  35. 


grau  öon  @tael  über  SReder'ä  SJetbannuiig.  303 

MtSf  was  xd)  ^icr  fd)rcibc,  Uefee  jtd),  ba§  fülile  id^,  fel)r  gut  fagcn, 
wenn  cS  mit  2)eincr  gewolinten  SBorpci^t  weiter  au§gefül)rt  unb 
in  el^rfurdötööoner  unb  beftimmter  SBeife  gefagt  würbe,  befonberS 
wenn  bie  Äönigin  e§  ift,  bie  ®id^  rufen  läfet.  . . .  2luf  meinen 
SBrief  über  bie  Steife  nadj  gontainebleau  Ijaft  ®u  md)t  geant- 
wortet. SBenn  ©eine  Stellung,  wenn  ber  ßl^arafter  ®eine§ 
Äönig§  e§  erlaubten,  fo  würbe  id),  ba§  befenne  ie^  ®ir,  feinen  %vi^ 
mel^r  nad)  SJerfaiDeö  gefegt  l^aben.  @S  wäre  mir  lieb  gewefen, 
meinem  öerle^ten  Stolj  burd)  eine  foId)e  freiwillige  SBerbannung 
ju  genügen,  ©a  jebod)  unfere  Stellung  ein  fo  entfd^iebeneS 
auftreten  nid)t  äuläfet,  fo  glaube  iä),  bafe  einige  Aufwartungen 
bei  ber  Königin  unb  einige  Stage  be§  Slufentlialt^  wäl^renb  ber 
Sagben  unb  Sl^eateroorftellungen  in  meinem  Sllter  weber  auf 
Sntriguen  nod^  auf  ben  SBunfd^  fdjliefeen  laffen  werben,  ber 
Königin  perfönlid^  meine  .I^ulbigungen  barjubringen.  UeberbieS 
ift  .I^err  üon  SKontmorin  ©ein  9)tinifter  be§  Sleufeern,  unb  biefer 
Umftanb  wirb  mir  gontainebleau  oiel  angenel^mer  alö  jur  Q^xt 
öon  SBcrgenneö  mad)en"  0- 

©iefe  Qcxkn  ftnb  furj  üor  ber  ®eburt  il^reS  erften  @ol)ne§ 
gefdirieben.  9iedfer'^  SJerbannung  l^atte  im  ©anjen  faum  gwel 
SMonate  gebauert,  unb  würbe  oon  SKabame  Sledfer,  bie  ba§ 
®lücf,  rul)ige  unb  frieblid)e  Stage  mit  il)rem  ®atten  ju  »erleben, 
allem  Slnbem  t^orjog,  al^  oiel  gu  fd)nell  üorübergegangen  beflagt^). 

9lad(  ^ariö  jurüdgefefirt,  fanb  5Redfer  bie  9^otabeln  nid)t 
mcl)r  berfammelt.  2)aö  SBertrauen  be§  Äönigö,  Slatl^  unb  .I^ülfe 
gut  Drbnung  beö  ©taat^l^auöl^alt^  bei  i^nen  gu  finben,  war 
bitter  getäufd^t  worben.  Somenie  be  SSrienne  l)atte  il^nen  gwar 
als  ÜRinifter  bie  Sted^nungen  t)orgelegt,  bie  er  als  einer  biefer 
Sflotabeln  fo  bringenb  oon  feinem  Vorgänger  im  Slmt  begel^rt 
l^atte.    aber  biefe  fanben  ftd)   in   ben   mangelljaften ,   fd)wer 


')  D'Haussonville,  Le  Salon  de  Madame  Necker,  II,  191. 
')  Madame   Necker,  Melanges.    S3rtef   an    <Satnt*fianibert   öom    19. 
muguft  1787. 

20* 


304  Btienne  unb  bie  ^otahtln. 

i)erftänblici)cn  33crid)tcn  anä)  mir  ungcnügcnb  jurc^t^),  bc=? 
fc^ränften  fid),  ®urd)fd)nittSfummen  an junctirnen ,  jur  @)wir= 
fotnfeit  gu  ermaf)nen,  öor  neuen  ®(ä^ulben  gn  warnen  imb  bie 
SSorlage  jjälirlid^er  fJinanj^aSeric^e  an  eine  befonbet^  ^tegu  ei»^ 
jufefeenbe  (Sommif^on  gn  emt>fel)len.  ©ie  $Hotl^tt)enbi9!cit  gleW^er 
Sert^Iung  ber  Saften,  3lbgaben  unb  (Steuern  erfannten  jte 
jwar  naäj  wie  öor  im  ^inctp  an,  fdifoffen  aber  mit  ber  &^ 
flänmg,  bafe  pc  nid^t  befugt  feien,  neue  Steuern  üorguf dalagen 
ober  gu  bewilligen.  211^  bie  Sßerfammlung  am  25.  3Rai  au^ 
einanbergtng ,  l^atte  fte  t^atfäd^lid)  mdjt^  erreid)t,  otö  einen 
SWinifterwed^fel  unb  bie  offene  Seftätigung  „be^  fd^redenerregcn* 
ben  Umfangt  ber  oorljanbenen  Uebel",  aber  aud^  nid)t§  gu 
bieten  alä  ba§  33erf^)reä^en  „ernfter  ©rwägung  ber  äJorfti^lage 
be§  SRonard^en  mii>  e]^rfurd)täootle§  ©diweigen"  2). 

S)ie  SSerufung  ber  9?otabeln  l^atte  fomit  b^r  Äette  'ber 
©reigniffe  nur  ein  negatioeö  9iefultat  angefügt.  ®aS  pofitiöe 
©rgebnife  ber  SJertoaltung  Don  ßalonne  blieb  fein  3urfitfgretfen 
auf  5Reder'§  $lan  ber  ^rooinjialüerfammlungen,  ber  üim  ben 
Sfiotabeln  gutgel^en  unb  nun  aud)  oon  Srienne  aufredet  er= 
l^ten  nmrbe.  ®er  Defonomift  ®u^)ont  be  9lemour§  mar  e^, 
ber  il^n  nocft  unter  ßalonne  weiter  au^fül^rte,  o^t  babei  ben* 
felben  @d)Wierig!eiten,  wie  fte  Surgot  unb  91edfer  bereitet  worben 
waren,  gu  begegnen,  ©alonne  unb  SSrienne  tl^ten  einen  weiteren 
@d)ritt,  bzti  DIeder  oertnieben  f)atte,  inbem  fte  auf  Säirgofi^ 
^lan  ber  ©emeinbe«  vmb  Äreiöoerfammlungen  gurüc^riffen.  3n 
ben  erfteren  gaben  fie  bem  Pfarrer  unb  bem  ©utöl^erra  @i^ 
unb  (Stimme;  bie  übrigen  3JHtglieber,  je  nad)  Qkb^  ber  ©e* 
meinbe  brei,  fed^S  ober  neun  an  ber  3^1)1,  foHten  an^  ber  freien 
aSal^l  Silier  Ijeroorgel^en,  bie  geljn  gioreö  ^ruttb«=  ober  ^ßetfötml«' 
fteuer  gal^lten,  waö  beinal^e  einem  allgemeinen  (Stimmred)t  gle«^ 


')  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.  I,  387. 

2)  9fleb€  bcS  crftcn  ^aftbcntcn  bcS  ^arifer  ^rlamentS  in  ber   ©d^Iufe- 
fi^ung  ber  ««otabeln  öom  25.  3}?ai  1787. 


Salonne  unb  S3rienne  berufen  ^tobtnstalberfammlungen.  305 

tam^).  2)icfe  crftc  Sßcrjammlung  l^atte  eine  gtoeite,  bic  Äreiö= 
t)crfamtnlung,  unb  bicfe  bie  ^roöinjialüerfammlung  ju  toöl^lcn, 
bic  im  ®angcu  nadj  5Rcrfcr'ö  3lnorbnungen  organiftrt  blieb,  dfo 
i^t?c  aScrotl^ngcn  gcmcmfam,  oljttc  Sirennung  ber  ©tänbe,  l^iclt 
unb  bcm  SierS  eben  fo  Diele  S)eputirte  gab,  al§  äbel  unb 
OcruS  gujammcn.  Sie  ^ßräfibcnten  tDurben  au§  ben  beibcn 
crftcn  ©täuben  gemäl)It  unb  biö  gur  öottftänbigen  Drganifation 
beS  ®anjen,  bie  öor  beut  Sluöbrud^  ber  SReüolution  nid)t  mcl^r 
gelang,  wäl^lte  ber  Äönig  bie  §älfte  ber  SSKtglieber,  unb  biefe 
bann  bie  anbere  ^älfte.  ©eftimmt  würbe  nad^  Äöpfen,  nid^t 
naäi  Stäuben.  Sei  3Serabfd)iebung  ber  5RotabeIn  üerptlid)tcte 
fid^  aSrienn«  auSbrücflid)  gur  legieren  3Ra§regel  aU  ©ntfd^äs 
bigung  an  ben  Sierö  für  ba§  Uebergen)id)t  ber  ^riüilegirten  an 
aSep^  unb  SEBürben^).  3m  Sauf  be§  Sommert  1787  begannen 
neüngel^n  biefer  ^robinjialüerfammlungen  eine  2:l)ätigfeit,  bie 
^ä)  aud)  unter  ben  obraaltenben,  ungünftigen  Umftäuben  nod) 
beroäl^rt  unb  bauernbe  ^Jriid^te  getragen  l^ätte,  wären  il^re  ar- 
beiten nid(t  öorfd)nett  unterbrod)en  worbeu.  3Sor  ber  SReöo» 
lution  ift  feine  biefer  Sßerfammlungen  mel^r  atö  einmal  gu* 
fammcngetreten  ^). 

StocqueöiHe  l)at  biefer  (5inrid)tung  ben  SSoriDurf  gemad)t*), 
ba^  33eftel^enbe  nod)  uöUig  jerfe^t  ju  Ijaben,  weil  fte  mitten  in 
ber  abminiftratiDen  ßentralifation  baö  ^rincip  beö  SESal^lrcc^tjS 
auffteKte,  bie  SSefugniffe  beö  biöl^erigen  alleinigen  DrganS 
ber  Sltttarität,  beö  Sntenbanten,  plö^lid^  befd^ränfte,  bie  priöi« 
legirten  ©täube  ol^ne  33orbereitun{j  i^reu  natürlid)en  ®egnem, 
be«  fteuerüberbürbeten  3Jlitgliebern  be§  Sierö  gcgenüberftellte  — , 
unb  bcnnod)  ben  großen   SÄi^griff  be§  alten  ^Regime  wieber* 


')  Lavergne,  Les  Assemblees  provinciales,  107 — 109. 

«)  ebcnbafclbft,  107—109  u.  389. 

3)  ebenbafelbft,  128. 

*)  Alexis  de  Tocqueville,  L'ancien  rögime  et  la  Revolution.  III, 
Stapxttl  VII,  Commeat  une  grande  revolution  administrative  avait  preced6 
ia  revolution  politique  et  des  consequences  que  cela  eut,  317 — 332. 


306  SBerföl^nnd^cr  ©cift  ber  ^roöinaialöerfammlungen. 

l^oltc,  iubem  jte  beu  @i^  ber  ©ewalt  gtoar  öerlegtc,  biefe 
jelbft  aber  eben  fo  unumjd)ränft  tu  anbern  ^änben  öer= 
einigte,  ftatt  bie  ®elegenl^eit  gu  ergreifen  unb  bie  Sirennung  ber 
gefe^gebenben  öon  ber  au^übenben  ©ewalt  burd)guful^ren.  ©a- 
gegen  läfet  fid)  erinnern,  tuie  gerabe  Stocqueüille  ben  Semeiö 
geführt  l^at,  ba^  biefe  abminiftratiüe  ßentralifation  be§  alten 
SRegime  bie  niuellirenbe  9Kad)t  war,  weldje  bie  ^errfdjaft  ber 
autoritären  ©emofratie  t)orbereitete  unb  emtöglid)te,  unb  bie 
politifd)e  fyrei^eit  im  Äeim  erftidfte.  2)ie  eingigen  aSerfud^e,  xod6)e 
unter  ßubmig  XVI.  mit  5luöfic^t  auf  Srfolg  gemad^t  würben, 
um  eine  anbere  ©ntrairf'lung  anjubal)nen,  waren  eben  bie  ^läne 
üon  Surgot  unb  bie  ^roöinjialüerfammlungen  öon  9iecfer.  3Ba§ 
beibe,  wenn  aud)  auf  gang  üerfd^iebene  2Beife  begwedten,  war 
bie  allmälige  ^eranbilbung  ber  9lation  gur  Sl^eilnal^me  an 
il)ren  eigenen  5lngelegenf)eiten.  2ll§  ßalonne  unb  SSrienne '  in 
ber  gwölften  Stunbe  biefe  ©ebanfen  wieber  aufnal^men,  war 
ber  ftaatlid^e  Crgani^muö  bereite  in  feinen  Sebenöbebingungen 
angegriffen  unb  bie  3ßit  ber  [Reform  vorüber.  ®ie  Erwartungen, 
bie  unter  anbent  je^t  (Sonborcet  an  bie  ^rouingialöerfammlungen 
üon  1788  fnüpfte,  gaben  ba§  Wa^  ber  eingetretenen  SSeränbe^ 
rungen  wä^renb  jener  fteben  S^f)re,  bie  feit  Slleder'S  SRfirftrttt 
.'  unbenü^t  geblieben  waren.  9Kit  ber  Ungebulb  be§  Sl^eoretifer^ 
üerlangte  ßonborcet  öon  i^nen  je^t  nid)t  nur  eine  öollftänbige 
Jfteform  be§  @teuerwefen§,  fonbern  bürgerlid^e  unb  politifd^e 
®leid)l)eit,  ©ingie^ung  ber  Äird)engäter  gur  S^ilgung  ber  Staats» 
fd)ulb  unb  Trennung  tion  Ätrd)e  unb  Staat  ^),  alfo  bie  SSer« 
yWirflic^ung  eines  Programms,  ba§  gum  SElieil  noc^  l)eute  feiner 
'Söfung  l)arrt.  3n  einer  SSegie^ung  l)aben  bie  ^roöingtalDcr» 
fammlungen  aber  bod)  nod)  ©influfe  auf  bie  weitere  ©ntwidlung 
ber  2)inge  ausgeübt,  inbem  nid)t  wenige  i^rer  SKitglieber  bie 
öffentlid)e  2lufmer!famfeit  auf  ftd)  gogen  unb  als  S)eputirte  üon 


0  Condorcet,     ?]ssai    sur    la    Constitution    et    les    fonctions    des 
Assemblees  provinciales,  1788.  Lavergne,  Les  Assemblees  provinciales,  113. 


Jiiomenic  be  SBricnnc  öerliert  3cit.  307 

1789  mcbcrfelirten ,  fo,  um  nur  einige  gu  nennen,  ber  ^^erjog 
öon  garod)efoncaulb'giancourt  in  @oi[fon§,  fiaüoijter  unb  Slbbe 
(Stet|e§  in  Drleanö,  ber  ®raf  ßrilton,  ber  SSicomte  be  9lüailleö 
unb  ber  ^ergog  öon  Suqneö  in  Sourö,  ßa  ^aqette  in  SRiom, 
Jl^ourct  in  SRouen,  SSaron  ©ietrid)  unb  ber  ^ring  öon  SSroglie 
im  @Ifafe,  3Dlaurice  be  SaUeqranb,  2lbbö  be  ^erigorb,  ber  Slbbe 
öon  SUtonteöquiou  s  i5^jenf ac  unb  Seugnot  in  ßl^alonö.  6§ 
n)ieberl)olte  pd^  bie  ßrfai^rung,  bie  üon  1779  bi§  1786  in  btw 
beiben  üon  ?)^ecfer  eingeführten  unb  feitf)er  nicl)t  luieber  aufge^ 
gebenen  SBerfammlungen  öon  Sourgeö  unb  3Rontauban  gemad^t 
morben  war.  3)iefelben  9Ränner,  bie  al^  9^otable  ^arlamen^ 
tarier  ober  SBertreter  be§  ßleru^,  im  Flamen  il^re^  @tanbe§  einer 
planlofen,  unguöerläfftgen  [Regierung  alle  pefuniären  Dpfer  Der* 
weigerten,  geigten  jtd)  in  ben  ^rooingen,  mit  lofalen  3ntere[fen 
unb  2Serl)ättni[fen  in  SSerül^rung  gebrad)t;  weld^e  il^nen  bie 
©tc^erl^eit,  jtd)  nid)t  Hergebend  gu  fd^äbigen  gewährten,  beinalje 
au§nal)möweife  gu  Opfern  bereit.  ®ie  erhaltenen  33erid)te 
ber  ^roöingialüerfammlungen  miffen  nid)t^  üon  principieller 
fjeinbfeligfeit  gn)ifd)en  ben  ^riuilegirten  unb  bem  Sier^,  be* 
geugen  aber  bagegen  bie  Sereitmilligfeit  ber  erfteren,  pd)  ben 
öffentlid^en  Saften  überall,  wo  e§  mit  ber  Sluöpcl^t  auf  wirf* 
lid^en  Sinken  gefd^el^en  fonnte,  gu  untergie^en. 

SBä^renb  aber  biefe  Snftitution  in  ben  ^^Srooingen  pd^  erft  f 
aSal^n  bred^en  mufete,  f (^eiterte  bie  Slufgabe  ber  [Regierung  im  j 
Gentrum  il^rer  S^ätigfeit. 

SRan  l^atte  oon  Srienne  erwartet,  er  werbe  bie  oon  ben 
Siotabeln  gutgeheißenen  9Kaferegeln  feinet  SBorgängerö  in  gorm 
öon  ©biften  unoergüglid)  ber  Genehmigung  be^  Äönigö  in  einer 
befonberö  gu  biefem  ßwcdf  berufenen  seance  royale  unter= 
breiten  unb  fo  i^re  Eintragung  bei  ben  Parlamenten  burd)= 
fe^en.  Statt  beffen  begnügte  er  pd),  £)rbonnangen  über  33e= 
rufung  ber  ^roüingialoerfammlungen,  greigebung  be^  ®etreibe= 
l^anbelS  unb  2lbfd)affung  ber  5^ol)nben  eintragen  gu  laffen. 
®aö   ^Parlament  leiftete  feinen   SBiberftanb.    6§   wartete   auf 


308  ^^^  CoDontion  bei  $at(amente  gegen  t^n. 

beffcrc  ©clegcn^cit,  um  ftd)  fß^  SBcnifutig  bcr  %otabeIn  jju 
räd^en  unb  feine  in  ben  Scf)atten  gefteütc  Süitorität  Don  9lcucm 
ju  befeftigen,  oljne  bie  93oIfögunft  barüber  gu  verlieren,  ©iefe 
©elegenl^eit  fam.  Srienne  l)atte  jwei  ginanjebifte  bereit;  ba^ 
eine  verlangte  eine  territorial' Subvention,  alfo  eine  ©runbftcucr, 
bie  bm  SBebfirfniffen  be§  @cl)afeei5  auf  Äojien  SlHer,  ol^nc  jebe 
Slusnal^me  gu  Ounften  ber  ^rioilegirten,  gu  ^ülfe  fommen 
fottte;  ba^  anbete  war  ein  Stcinpelgeje^  unb  biefeö  legte 
ber  fibelberat^ene  ÜKinifter  bem  ^arifer  Parlament  guerft  üor. 
©aSfelbe  begann  bamit,  nac^  bem  Seifpiel  ber  5ftotabcln  genaue 
Stnangberid)te  gu  forbem,  fül^Ite  aber  balb,  bafe  eö  bomit 
feine  Sefugniffe  überfc^ritt  unb  wäl^lte  einen  beffem  Slngriff««» 
punft  gegen  Srienne,  inbem  e§  burd^  ben  SRunb  beö  Äbb^ 
©abatier  be  ßabre  gum  erften  9Jial  erflärte,  ba%  e§  ba§  Siedet 
ber  ©elbbemiDigung ,  öon  bem  ee  bis  bal^in  ©ebraud^  gemad^t 
Ijatte,  nid)t  beft^e,  inbem  biefeö  SRedjt,  ©ubjtbien  gu  gewäl^ren 
unb  Steuern  auf  unbeftimmte  3cit  gu  erljeben,  auöfd^liefeüd^  ben 
©eneralftaaten  gel^öre.  2)em  9Ronard^en,  fo  fugte  man  l^ingu, 
müßten  bie  alten  SRajnmen  be§  9leid)§  in§  ©ebäd^tnife  gerufen 
werben.  ®en  ejrtremen  Sd^ritt  l)atten  mit  öoHer  ©rfenntmfe  feiner 
Tragweite  wol^l  nur  ÜRänner  wie  ©uöal  b'@§prem^nil,  ein  ©tfcrer 
für  bie  SRed^te  feiner  Äötperfd^aft ,  einige  emfte  Slnl^dnger  bcr 
Sieformgebanfen  im  Sinn  ber  alten  janfeniftifd^en  Parlamen- 
tarier, ober  jüngere  Seute,  wie  ©uport  unb  greteau  getlftan,  bie 
mit  £a  ^aqette  unb  beffen  ^reunben  bie  SBewunberung  fflt 
amerifanifd^e  3i^ftä^^^  ^^^  ^i^  SRefultate  ber  bortigcn  SReoo- 
lution  tl)et(ten.  ©ie  Uebrigen,  unb  fte  bilbeten  bie  weitaus 
größere  SHel^rl^eit,  red)neten  barauf,  ba§  bie  ^Regierung,  um 
ben  ©eneralftaaten  gu  entgelten,  fid^  lieber  allen  ^orbcrungen 
ber  SWagiftratur  beö  Sleidjö  fügen  werbe.  9iad^bem  jebod^  ba8 
^arifer  ^Parlament,  ol^ne  Slütfjtd^t  auf  ben  Äönig,  bie  von  il^m 
befol^lene  ©ntragung  ber  beiben  ^Jinangebifte  al§  ,,illegal,  nuH 
unb  nid[)tig''  begeid)net  l^atte,  würbe  e§  nad^  SroqeS  oerbannt. 
aSrienne  benu^te  emfte  9lul)eftörungen  in  ^ariS,   wo  b'ßöpr^ 


»nenne  berfprld^t  bie  ©enifung  bet  ©encralftaateii,  10.  9^oöembcr  1787.     309 

Tii^nll  alö  bcr  crftc  jener  mtfänglid)  vergötterten  nnb  jd)Ue6lid) 
l^ingefd^laditeten  ßieblinge  be§  SSolfeö  öorlänfig  ber  2:ageöl)elb 
geworben  war,  um  jtd^  gum  erften  9Kinifter  ernennen  ju  laffen, 
worauf  SHeder'S  ^reunbe,  @ögur  unb  be  6aftrie§,  gurüdftraten. 
Set  Slnlafe  il^reö  6jrtl§  nad)  Siro^eö  geigte  eö  ftd^,  wie 
gering  bie  2ai)\  ber  Parlamentarier  war,  bie  c§  ernft  mit  bem 
Don  tl^uen  gewagten  @d)ritt  gemeint  l)atten,  ®iefe  SJerfamm» 
lung,  weld^c  in  bie  SSerbannung  gebogen  war,  „nid)t  weil  jte  if)re 
^rioilcgien  öertl^eibigt ,  fonbem  weil  jte  biefelben  geopfert 
l^atte^Oi  tül^tte  jtd|  unfäl)ig,  aud^  nur  bie  Sangeweile  einer 
Äleinflabt  gu  ertragen  unb  willigte,  tro^  aUer  ^roteftationen 
b'ßSpr^menitö  unb  feiner  3[nl)änger,  bereite  im  (September 
in  flnangiette  ßoncefjtonen,  wogegen  nun  aud)  Srienne  nachgab 
unb  feine  gwei  6bifte,  obwol^l  er  jte  al§  unentbelirlid)  begeid)net 
l^attc,  wieber  jurüdgog.  ©en  SBiebereingug  be§  Parlaments 
feierte  ber  ^arifer  $öbel  burd)  Sßerbrennung  oon  puppen, 
weld^c  bie  ^ergogin  oon  ^ßolignac  unb  Sreteuil  oorftellten. 
®ne  gleid)e  ©emonftration  gegen  bie  Königin  würbe  eben  nod^ 
red^tgeitig  oerl^inbert.  3^^i  ^J^onate  fpätcr  fa^  SBrienne  fein 
anbereS  SluSlunftömittel  mel^r,  ftd)  ®elb  gu  t)erf d^aff en ,  aU  bie 
SBorlegung  eine§  neuen  Sbifte^^  baö  420  3)littionen,  im  Sauf 
oon  fünf  Salären  rfidf galjlbar ,  begel)rte,  unb  nad)  ?(blauf 
biefer  fSftift  bie  ^Berufung  ber  ©eneralftaaten  für  ba§  Sal^r 
1792  oerfprad^.  3n  ber  seance  royale,  bie  gu  biejem  3"^^^ 
am  19.  3looember  geljalten  würbe,  liefe  ber  3Äinifter  bem  Ä'önig 
unb  bem  ©iegelbewal^rer  alle  Slnfprüd^e  be§  2lbfoluti§muö 
wieberl^olen  unb  gur  felben  ©tunbe,  wo  er  ba^  6nbe  bcSfelben 
in  SCuSjtd^t  fteHte,  ben  Äönig  als  „im  SSejt^  ber  gefe^gebenben 
3Rad|t,  ol^ne  jebe  Sefc^ränfung  unb  Sl^eilung''  erHären. 
y@Spr6menil  entgegnete,  oon  oerfd^iebenen  feiner  ©ejinnungS« 
genofjen  unterftü^t,   mit  ber  Sitte,   bie  Berufung  ber  Stäube 


*)  Leouzon-Le  Duc,    Correspondance   diplomatique  du  Baron    de 
Stael-Holstein,  64,  ©epcfd^c  öoiu  16.  81uguft  1787. 


310  streit  im  Parlament. 

nid^t  fpäter  alö  1789  gu  gett}äf)rcn.  3m  Ucbrigcn  fcl)icn  bic 
SBerfannnhmg  bereit,  beu  2Bünfd)en  beS  Äönigö  entgcgengu* 
fommen,  al§  ber  SiegelbetDal^rer  ßamoignou  plöpd^  unb  o^ne 
bie  üblid)e  Slbftinimung  abjutuarten,  üom  Äönig  ben  SBefcl^l 
gur  ßintraguug  ber  ©bitte  einl)oIte.  Äaum  war  biefer  Sefel^I 
ert^eilt  worben,  afö  ber  §ergog  wn  Orleans  jtd)  gu  bem  für 
ben  %a(i  t^orgefel^enen  ^roteft  erf)ob,  ben  er  ftottemb  öortrug. 
Sn  einem  ber  ©bitte  gab  ber  ingtt)ifd)en  in§  3Kinijierium  be- 
rufene  9HaIeöf)erbe§  ben  ^roteftanten  bie  langerfel^nten  bürget* 
licl)en  Sftec^te.  5ßad)bem  e§  öerfünbet  worben  war,  »erliefe  ber 
Äönig  bie  9}er[amntluug,  bie  nun  SJtaleöl^erbeö  unb  ber  ^ergog 
üon  5Jliuernai§  »ergebend  gu  berul^igen  fud)ten.  @o  begann  bie 
poUtiid)e  SloHe  beö  «Öergog^  uon  Orleans,  ber  burd)  bie  SSer* 
fommenl^eit  feiner  Sitten  biö^er  ber  öerbiente  ©egenftanb  ber 
allgemeinen  3Serad)tung  gewefen  war.  S^rau  Don  Stael  l^atte 
in  ben  SSeridöten  an  Äönig  (Suftaö  ergäl)It,  wie  ber  ^ergog, 
üon  Subwig  XVI.  wegen  be§  gefd)ilberten  SluftrittS  uerbanitt 
unb  längft  mit  ber  Äönigin  öerfeinbet,  bod)  lieber  gu  ber  S)e* 
müt^igung  jtd)  entfd)lofe,  il^re  SBermittelung  gu  erbitten,  atö  ben 
3lufent^alt  auf  einem  feiner  @d)Iöffer  gu  ertragen.  2)a§  ^arijer 
*??arlament  aber  blieb  im  ®enufe  ber  Popularität,  bie  öon  nun 
a\x  SlHen  ol)ne  Unterfd)ieb  ftd^  guwanbte,  bie,  gleid^öiel  auf 
welche  2lrt  unb  au§  weld)en  (Srünben,  ber  ^Regierung  opponirten. 
3ugleid)  aber  befämpfte  berfelbe  b'ß^premenil,  ber  öom  ^onig 
im  5iamen  bei^  Sßolfeö  bie  ?5tei^eit  begel^rte,  in  l^öd^fter  Er- 
regung ba^  6bift  gu  ©unften  ber  ^roteftanten ,  wäl^renb  furg 
nad)^er  @rjbifd)of  ©itton  uon  3Rarbonne  bem  Äönig  auf  ber 
aSerfammlung  be§  Gleruö  feierlid^  bafür  banfen  follte*).  gfrau 
Don  Stael  befd^reibt  bie  Scene,  bie  gu  ben  unöergeyid)en  gel^ört: 
„öewiB",  fagt  fie  bann  oon  b'ßepremenil,  ben  fte  perfönlid^  lannte, 
„war  er  ein  energifdjer,  ebler  9)ienfd),  biefer  unglfictlid)e  unb  be« 
rebiame  Jribun  ber  ÜKagiftratur.    Slber  er  war  aud^  ein  kxäiU 

'•:  Laverürne,  Les  Asserablecs  provinciales,  409 


grau  öon  (5tael  über  b'^Spremenir.  311 

bcttJCgUd^er ,  etwaö  unftäter  ®eift  unb  fein  3Rartim§mu§  triicj 
eigcntpmlid)c  grüd)te.  S»t  Sal^r  1788  bilbetc  er  jtd)  ein, 
bie  l^eUigc  Jungfrau  gefeiten  unb  gel^ört  j%u  l^aben,  toie  fic 
il^m  öorfd(rieb,  im  Parlament  gegen  baö  Sbift  öon  SJtale^* 
l^erbeö  ju  proteftiren,  n)eld)e§  bie  legitimen  Älnber  ber  ^ro= 
tcftanten  Don  bem  SKafel  illegitimer  ®eburt  befreite.  6r  tl^at 
eS  aucf)  wirtlid),  inbem  er  auf  baö  SSilb  be§  ©elreugigten 
l^intt)ie§  unb  im  ))atl)etifd)en  Jon  eine§  Äapu jiner§  aufrief: 
,@el)t  3l^r  benn  nid)t,  wie  feine  SBunben  gum  jmeiten  SJtale 
bluten' ''  1). 

©'6§premenil§  jüngerer  goUege,  ©oi^larb  be  3Kontfabert, 
fanb  aud)  noitj  9Kittel,  bie  Slegierung  an  ber  ßrl^ebung  fd)on 
bewilligter  Steuern  gu  ^inbern,  inbem  er  bie  öon  il|r  aufge= 
ftcllten  ßontrolbeamten  ber  Ungered)tigfeit  in  SSefteuerung 
bcö  3tt)angigften  ber  ^riöilegirten  befd^ulbigte.  ®er  S^f^anb 
jtüifd^en  SKiniftern  unb  Parlamentariern  war  nid)t  mel)r  tjalt- 
bar  unb  alle  Slngeid)en  üerfünbeten  ben  naiven  5lu^brud^  einer 
Äataftropl^e,  bie  SSrienne  öergeben^  gu  befd)wören  fud^te.  Um 
öon  ben  ©reigniffen  nid)t  überrafd)t  gu  werben,  trat  ba§ 
^arifer  Parlament  am  3.  9Kai  1788  in  feierlid)er  ©i^ung  gu* 
fammen.  5)'6§premenil  öerla^  bie  beriil^mte  ©rflärung,  weld)e 
unter  ben  ^Junbamentalgefe^en  ber  frangöftfd)en  3Konard^ie  bie 
freie  ®ewä^rung  ber  ©ubpbien  burd)  bie  ©eneralftaaten, 
ate  Drgane  ber  3Ration,  ferner  bie  l)ergebrad)ten  [Redete  unb 
Kapitulationen  ber  ^rouingen,  bie  Snamouibilität  ber  3flid)ter, 
bie  Eintragung  ber  föniglid)en  ©bifte  burd)  bie  Parlamente  nur 
im  %aVi  bie  erfteren  ben  ©runbgefe^en  ber  ^roöing  unb  be§ 
Staates  entfpräd)en,  unb  ba^  unantaftbare  SRedjt  iebe§  ©ingeinen, 
nad^  bem  ®efe^  allein,  unb  nid^t  nad)  SBillfür  gerichtet  gu 
werben  aufgäl^lte,  unb,  im  %aU  ber  Slnwenbung  Don  ©ewalt, 
ben  Äönig  unb  atte  Stäube  beö  iReid)§  gur  5lufred^tf)altung 
biefer  ©efe^e  unb  9fled)te  Derppid)tete.    ®ie  3lntwort  ber  SRegie* 


')  Lacretelle,  Testament  politique  et  litteraire,  II,  70. 


312        SScrl^ftunö  öon  b'föspremenir  unb  ®ol8(atb,  3.  SRal  1788. 

rung  erfolgte  burd)  Äafprung  biefer  SScfd^lfiffc  unb  ©rlafe 
eines  «gaftbefel^lö  gegen  ©uöd  b'@Spr6m^niI  unb  ®otelarb. 
©aö  Parlament  trat  nun  in  feierHd)er  ©i^ung  gufommcn, 
Struppen  erfc^ienen  wi  bem  Suftigpalaft  unb  ei5  nwir  SKittcr* 
nad)t,  als  ber  9)Jaior  ber  ®arbe§  franQai[e^,  ?Warqui§  b'3[goMlt, 
©inlafe  in  ben  @t^ung§faal  begel^rte  unb  ben  löniglid^ 
Srief  öerlaS,  ber  bie  SSerl^aftung  ber  beiben  ^arlamentartn 
verfügte.  ©'Slgoult,  ber  jte  nid(t  fannte,  forbertc  bic  38er«' 
fammlung  auf,  jte  i^m  gu  bejeid)nen,  ujorauf  jte  in  ben  ein* 
ftimmigen  9tuf  auSbrad):  „mx  jtnb  Stile  b'@Spr6m6nil  unb 
©oiölarb".  2)'2lgoult  gog  pd)  gurücf,  um  meitcre  Scfcl^Ic  einer 
Sage  gegenüber  eingul^olen,  auf  bie  Slicmanb  vorbereitet 
war.  unb  erft  am  folgenben  5tag  fam  nad^  breifeigftünbiöcr 
®auer  ein  5luftritt  gu  @nbe,  ber  gwar  mit  SSerl^aftung  b€r 
beiben  Parlamentarier,  aber  aud^  mit  i^rem  moraltfd^en  Sriumpl^ 
enbigte.  2lm  8.  9Rai  tpurben  bem  nad)  SSerfaiDeS  befoi^Ienen 
Parlament  neue  ©bitte  vorgelegt,  bie  unter  anbem  SScr^ltniffeii 
ben  2)anf  ber  9iatiou  gefunben  l)ätten.  Stneö  berfclbcn  Dci> 
fügte  bie  2lbfd)affung  ber  STortur,  ein  anbereö  gewäl^rte  mutige 
^Reformen  in  .^anbljabung  ber  3uftig,  bie,  gum  33^etl  auf 
Äoften  ber  biöl^er  oon  ben  Parlamenten  auögeü&ten  rtd^tcr» 
lid)en  ®ett)alt,  von  9!Jlale§f)erbe§  burd)geffil^rt  mürben.  Aber 
bie  l)eilfamen  SBirfungen  biefer  ^iJJaferegeln  oerfd^nrnnben  tor 
ber  Sragmeite  jener  anbern,  ber  pe,  baö  mufete  man,  gum 
blofeen  SSorfpiel  bienten.  @in  weiterem  Iöniglid)e8  6bilt  befal^l 
nämlid)  bie  (ginfe^ung,  ober,  mie  pe  genannt  würbe,  bie 
„2Bieberl^erftellung''  eines  l^öd^ften  ®eric^tSl)ofeÄ ,  ber  cour 
planiere,  obmol^l  bis  bat)in  3liemanb  bie  ©pfteng  einer  fold^eit 
einrid)tung  oermutf)et  f)atte,  bie  baS  plö^lid^  ermad^tt  Sbeß 
bürfnife  nad)  3wfö«iJ«cttf)^"0  »^'t  ber  aSergangcnl^eit  nun  in 
SSerbinbung  mit  einer  eingebilbeten  l^iftorifd^en  S^robition  gu 
bringen  jud^te^).    ©iefem  ©erid^tS^of  follte  fünftig  allein  bic 


')  Henri  Martin,   llistoire  de  France,  XVI,  604,  Dtotc. 


Sic  äNai'Crbifte  von  hörnerne  be  Snenne.  313 

6intragung  ber  fömglid)eu  Sbifte  itnb  iSerorbnungeu  jufontmen. 
@r  ^atte  qu$  ben  auf  Seben«3bauer  i?om  932onard)en  goväblten 
(SroBtvfirbentTQgem  be^  9ieict)$  unb  einer  beftiinmten  Snja^l 
Don  SRitgltebem  aUer  Parlamente  ;u  beitel)en  unb  ber  ^^önig 
fdbji  foUte  i^n  präjtbiren.  Sen  Parlamenten  blieb  ni(l)t^  a($ 
eUitragung  ber  auf  locale  ätngeIegenE)eiten  jtd)  bejie^enben  ^ev^ 
irrtmungen,  unb  Dorläufig  foQten  jie  jid)  nid)t  u>ieber  Dendmmeln. 
S>ic  wic^ttgften  trogen,  auf  beren  Seanhoortung  bie  gefpaunte 
Snfmerlfamfeit  aDer  edt)id)ten  ber  Station  jtc^  ri(i)tete,  ließ 
Srienne  unerlebigt  ober  begnügte  fOf  mit  wiberfpre(t)enben 
fteuBerungen,  bie  im  @an$en  bie  9ufred)t^altung  ber  abfoluten 
@en)alt  bt&  äJtiman^en  be;u>ecften,  unb  aU  einziges  ^^W 
ftttnbniB  ben  unbeftimmten  $inu?eie  auf  ^eruhing  ber  @eneraU 
^Qüten  enthielten,  bis  ;u  beren  ßummmentritt  bie  cour  planiere 
vorläufig  bie  Steuern  beroidtgen  foUte. 

'3Senn  ber  tueitge{)enbe  unb  oft  mtBoerftanbene  Suebrucf 
.äteuobition"  ben  SRoment  im  Seben  einer  -Ration  be$eid)net, 
IDO,  um  mit  üRounier  ju  reben,  bie  diegierung  @ewalt  an- 
»enbet,  nid^t  um  bec-  ©efefee^,  fonbem  um  ber  SSiHfiir  wegen, 
ntib  bie  ätegierten  ungeftraft  jum  bewaffneten  iBiberftanb 
fc^reitcn\i,  fo  ijt  ber  Anfang  ber  fransönid^en  äieoolution  oom 
Sag  bcö  @rIajfeS  ber  6bifte  t»on  Srienne,  bem  S.  33iai  1TS8 
p  batiren.  ^r  ^rau  uon  Stael  begann  ne  Dom  9ugenblicf 
an,  voo  bie  $arlammte  burd)  ben  'Stunb  be^  ^bbe  Sabotier 
ja  0unftm  bed  ä^olfeS  auf  bieielben  'l^olImad)teu  oerjid)teten, 
bie  jie  gegen  bie  ^rone  fo  t)artnäcfig  oertt^eibigt  Ratten-). 

Sag  erftc  ß^ic^  ^um  ojfencn  Siberftanb  gegeit  bee  Äönig^ 
übelberat^enen  S3efet)l  gaben  biejenigen  -^^Hirlamentarier  unb 
@bel(eute,   bie   jum   ©ntritt   in   bie   cour   pleniere   beftiinmt 


^  Mounier  bei  Laver^e.  Les  Assemblees  provlnciales,  oS2. 

^Madame  de  Sta^l.  CoDsideratioüs  sur  la  Revolution  francaise. 
OeaTTK  XII,  131.  ^amit  übercinnimmenb  »«benji^  3a&re  »rätcr  A.  Che- 
re»t,  La  chute  de  l'accien  rcjime.  I.  -90. 


314  ©i^ft«  8(naei(3^en  bcS  SöibcrftanbeS  im  Qanjen  Sanbe. 

würben.  Sic  weigerten  jtd)  ju  ge]^ord)en  unb  bereiteten  bem 
@taat§[treic^  oon  SSrienne  bannt  ein  rafd^e^  @nbe.  6ine  g^lge 
feinet  t^erwegenen  £eicl)tjtnnö  war  bie  ^erftellung  eineö  engen 
Sünbniffe^  jwifd)en  ber  Slriftofratie  unb  ber  9Ragiftratur,  waö 
weiter  ba^u  fül^rte,  bafe  ber  ®eift  be§  32ßiberftanb§  öornef(mH(l^ 
burd^  ba^  faft  nur  au§  ©belleuten  beftel&enbe  Dffigiercori)§  aud) 
in  bie  3lrmee  brang  ^).  9?id)t  weniger  gefäf)rlid)  erwieö  ftd)  baS 
SBol^IgefaUen  ber  Parlamentarier  am  SSeifaU  ber  5!Renge,  bie 
Unterftü^ung,  weld)e  bie  Vertreter  ber  ®efe^Iid)feit  öom  ©trauern 
pöbet  JU  empfangen,  feinen  Slnftanb  nal^men.  ©ie  crften  ©cenen 
biefer  Slrt,  ju  (g^ren  oon  b'@§))remönil,  wedften  mit  erfd^rerfenber 
@d)neUigfeit  ben  ®eift  be^  Slufru^rö  in  ben  ^roöin^jen.  Sn  ber 
Bretagne  glaubte  man  jtd)  wä^renb  be§  ^früf)fommerS  1788 
am  SBorabenb  eine^  SSärgerfriegö.  ®er  ©ouöemeur,  ©raf  öon 
2;l)iarb,  ücrurtfieilte  au^  <Bci)Xt)äd)t  bie  3:ru))pen  angeftd^ts  ber 
^Tumulte  jur  Untl^ätigfeit^);  ber  Sntenbant  ber  ^roöinj^  aSer* 
tranb  be  aJlolleöine,  mufete  fliegen  unb  bie  fünftigen  Äämpfer 
ber  33enbee  wanberten  t)orläufig  alö  3ftebellen  in  bie  Saftitte^). 
3n  ^^au,  im  SSearn,  erjwang  t>a^  au§  ben  Sergen  ]^crbei= 
geeitte  Sanbiwlf  bie  SBieber^erftellung  be§  Parlamenten.  35ie 
wid)tigfte  ©pijobe  biefer  erften  Scenen  ber  Unorbnung  fpielte 
jtd)  aber  im  ®aupt)ine  ab.  Seit  iljrer  SSereinigung  mit  ber 
franjöftjd)en  Ärone  ^attc  bieje  ^roöing  iljre  ftänbifd^e  SBertretung 
anfangt  nad)  altem  Stecht  bewaf)rt,  unb,  nad)bem  bicfe  unter 
Subwig  XIII.  fu^penbirt  worbcn  war,  jte  jurücfguöerlangen 
nie  aufget)ört.  ®er  SBerjud)  Slecfer'ö,  fte  mit  einer  ^rot)ingiaI* 
üerfammlung  ju  entfd)äbigen,   war  1779  gefd)eitert.    2ltö   il^n 


')  SBaron  ©riinm,  2)ctiftt)ürbtgfeUen,  citirt  bei  Smith,  Lectures 
Oll  the  french  Revolution,  I,  134.  Thiers,  Histoire  de  la  Revolution 
fran^aise,  I,  14. 

-)  Lavergne,  Les  Assemblees  provinciales ,  421 — 426.  Droz, 
Histoire  de  Louis  XVI,  11,  69-71. 

'0  A.  de  Tocqueville,  Coup  d'oeil  sur  le  regne  de  Louis  XVI, 
280  u.  283. 


SJaS  SJaupl^ine.  315 

SBricnnc  im  gi^ni  1787  wic&erlööUe  unb  bic  renitenten  ^arla» 
mcntarier  Derbannte,  läuteten  bie  Sauern  bie  ©turmglocfen, 
öerl^inberten  bie  3luöfü^rung  ber  SKaferegel  mit  Gewalt  unb 
brol^ten  bcm  ©ouöemeur  ber  ^roüinj ,  ^erjog  öou  (Slermonts 
Sonncrre,  il^n  am  ÄronIeud)ter  feinet  Gmpfangfaaleö  aufgu« 
fnüpfen,  wenn  ll^nen  nid)t  bie  @d)lüffcl  be§  ^uftijpalafteö  au§^ 
geliefert  würben,  ©ort  öerfammelten  jtd^,  nad)  einem  ©trafen* 
fampf,  in  meld^em  jmei  ^Regimenter  wiberwillig  gegen  ben 
fie8rciä)en  $öbel  gefülirt  worben  waren,  Slbgeorbnete  ber  brei 
©tänbe  unb  befd)bffen  ben  Swfammentritt  ber  alten  SSertretung 
be^  35aupl^in^,  ol^ne  t)or]^ergel^enbe  föniglid^e  ©enel^migung,  [ür 
bm  21.  Suli,  nadibem  fte  erflärt  Ijatten,  bafe  bie  legitime 
Autorität  beS  3Wonard)en  nur  burd^  ftrenge  Seobad^tung  be§ 
®efe^eS  Dom  ©eöpotiömuö  ftd^  unterfd)eibe  unb  bie  @id)erl|eit 
ber  ^erfonen  in  feinem  einzelnen  ^f all  angegriffen  werben  fönne, 
o^ne  bie  gange  Station  ju  gefäl^rben.  SlUe  Urlieber  unb  33e= 
günftiger  ber  9iÄai=@bifte  würben  be§  SBerrat^eö  am  Äönig,  an 
ber  Station  unb  ber  ßonftitution  angesagt.  SBoran  gingen 
ßleruö  unb  Slbel,  wäl^renb  ber  Sierö,  ber  biefen  ertremen 
©d^ritten  anfangt  wiberftrebte,  erft  burd^  ben  ßinflufe  elneS 
föniglid)en  9fiidt)terö  ju  ©renoble,  SJtounier,  gewonnen  werben 
mufete,  ber  ftd),  obgleid)  erft  breifeig  Satire  alt,  bereits  eines 
aufeerorbentlid)en  anfeljenS  bei  feinen  ^Jlitbürgern  erfreute. 
®ic  aUegierung  erfe^te  ßlermont^Sonnerre  burd)  ben  9Jlarfd^aU 
be  aSauf ,  unb  fteHte  gwangigtaufenb  SKann  ju  feiner  SBerfügung, 
ol^ne  bafe  biefer  für  energifd^  geltenbe  neue  ©ouöerneur  etwas 
anbereS  tl^at,  als  ber  ^Jorm  nad^  gu  genel^migen,  was  er  bereits 
nid^t  mel^r  öerl)inbent  fonnte.  S)aS  eingige  Swfl^ftänbnife ,  baS 
il^m  gemad^t  würbe,  war  ber  ßwfcimmentritt  ber  ©tänbe  beS 
®aupl)in^  im  naljen  ©d^lofe  SBigiUe,  ftatt  wie  anfangs  beftimmt, 
in  ®renoble.  ©ort  würbe,  oomet)mlid)  wieber  unter  ber  Seitung 
beS  Don  feinem  jungen  Sreunb  Santaoe  unterftü^ten  9Rounier, 
befd^loffen,  Dom  Äönig  bie  ©eneralftaaten  für  baS  gange  Sanb, 
bie  regelmäßige  Berufung  ber  ©täube  für  bie  ^roDing  gu  Der- 


316  2^-  ^aiwMne. 

langen,  unb  fär  beibe  bie  @(leid)fte(btng  ber  3^^  ber  Slbge^ 
orbnctcn  bcs  2icr5  mit  ber  ber  $rit>Uegirten  unb  bic  gemein* 
fame  'Sbftimmung  in  einer  $erianim(nng  unb  nac^  j^opfen 
f eft^u^alten ,  worauf  bie  fed)^()unbert  Sbgeorbneten  üon  äSi^iUe 
]\dl  mit  bem  Bö^tout  oertagten,  über  äSiebererlangung  ber 
9ited)te  i^rer  $roDin;  bie  9ied)te  ber  Station  nid)t  ;u  Der« 
gefien.  Sie  Don  i!Jlüunier  rebigirten  SorfteKungen  an  ben 
^önig  fd)(ofieu  bereite  mit  jener,  Don  ber  9ieüoIuiion  bem 
Socialfontraft  entlehnten  äiebling$forme(,  ,,baB  bie  9Renf(!^en< 
rechte  bon  ber  Statur  allein  abgeleitet  unb  unabhängig  bon  aEen 
SSerträgcn  feien"  *). 

©a§  war  ber  äJorgang  öon  n)elt^iftorifd)er  Sebeutung, 
ben  grau  uon  etael  „bie  fneblidje,  mo^Ibeba^te  Snjurreftion 
beS  S)aup^ine"  nennt-),  unb  ber  t^atfäd|Iic^  ber  Prolog  jur 
SReöolution  war. 

®a§  aSeifpiel  jünbete.  Slu^  ben  meiften  ^roüingen  trafen 
^rotefte  ber  ^^arlamente  unb  Stäube,  a3erid)te  über  Unorb* 
nungen,  mee^felnbe  SSerwirrung  unb  ®ä^rung  ein,  auf  bie  ber 
SKinifter  mit  jroar  ungenügenben ,  aber  bafür  um  fo  ge« 
l)äfitgeren  SRepreijtömaBregeln  antwortete.  SSefonberS  gegen  bie 
lettres  de  cachet  tiijob  jtd)  ein  @turm  beö  Unwillen^,  bem 
Saüergne  üergebenö  bie  3;l)atfad)e  entgegenfe^t ,  ba^  leine  8fie» 
gierung  feltener  baöon  ©ebraud)  gemadjt  l^abe,  a\&  bie  Äub« 
wig  XVI.  fflaö  Sewuptfein  öon  ber  ungefepd^en  SBMUfftr 
biefeS  aSerfal^ren^  war  einmal  erwad)t,  unb  liefe  ftd^  burd^ 
milbernbe  Umftänbe  nid^t  mel^r  befd)Wid)tigen^). 

3n  ben  ©eneralitäten  üon  Sorbeauf  unb  Sefan<jon,  in  2a 
JRod)eKe  unb  in  Simoge^  war  bie  @infül)rung  üon  ^roülnjtot 
öerfammlungen  untcrbeffcn  gleichfalls  nid)t  ju  Staube  getommen 


')  Lanzac  de  Laborie,  Jean-Joseph  Mounier,  13 — 20.  Lavergne, 
LcH  Monarchiens  de  la  Constituante.  Revue  des  Deux-Mondes  1842, 
II,  551. 

-)  Madame  de  Stael,  Considcrations.    Oeuvres  XII,  208. 

■')  Lavorgno,  Les  Assemblees  provinciales,  378-379. 


SBrienne  unb  ber  Flenid.  317 

unb  cö  fragte  pd^,  wcld^c  Sfflad)t  bic  SRcgierung  bcfafe,  um  in 
bcn  wibcrfpcnftigcn  5ßrot)injen  il^rcn  SBitten  burd)gufc|cn.  3"* 
jwifd^cn  aber  l^atte  bic  ©clbnotl^  einen  folc^en  ®rab  erreiä)t, 
ba^  93rienne  atö  Ie|ted  ^udfunftiSmittel  [\6)  an  ben  @IeruS  ju 
wenben  befdjlofe,  ben  er  in  aufeerorbentliä)er  SSerfammlung  nad^ 
$ari8  berief.  (St  legte  feinen  ©tanbeögenoffen  ben  Oebanfen 
ber  ©onflöfation  ber  Äloftergüter  nal^e,  unb  reä)nete  überl(aupt 
auf  feine  genaue  Äenntnife  ber  93erl)ältniffe  unb  5ßerf3nliä)feiten, 
nrn  3»ictrad^t  in  bie  33erfammlung  gu  bringen  unb  jie  baburd) 
feinen  SBfinfd)en  gefügig  gu  mad^en.  aber  aud)  l^ier  fanb  er 
bie  Stimmung  fo  beränbert,  bafe  er  feine  ©elbforberung  auf 
eine  befd^eibene  Summe  rebujirte,  ol^ne  bie  SSerurtl^eilung  ber 
3Rai»@bifte  unb  mit  il^nen  feiner  gangen  SSermaltung  üerl^inbern 
JU  Knnen.  SBie  ber  Slbel  unb  bie  SÄagiftratur,  fo  würbe  je^t 
aud^  ber  ßleruiS,  obwol^l  er,  wie  biefe,  alle  peluniären  Dpfer 
verweigerte,  wegen  feiner  Dppojttion  gegen  bie  ^Regierung  nidf)t 
minber  populär  afö  fte.  Sludf)  er  forberte  ben  9!Konard)en 
auf,  lieber  Äönig  ber  fjrangofen  ate  $err  bon  gtanireid)  fein 
ju  wollen,  unb  fo  balb  als  möglid^  bie  ©eneralftaaten  gu  be* 
rufen.  6benfo  wid^tig  als  biefe  Sefd^lüffe  ber  SBerfammlung 
war  bie  Slntwort  ber  ^Regierung.  Sie  geftanb  je^t  bem  ßleruS 
gu,  was  fte  ben  ^Parlamenten  verweigert  l^atte,  unb  öerpfli^tete 
pc^,  öon  ber  allgemeinen  Bewegung  gebrängt,  in  beftimmten 
SBorten  gu  bem  ©runbfa^,  bafe  ber  ©ouoerän  nur  mit  3^= 
ftlmmung  ber  ©eneralftaaten  Slbgaben  erl(eben  bürfe^).  Se* 
reitS  am  8.  Sluguft  würbe  burd^  föniglidf)en  @rlafe  bie  Se* 
rufung  berfelben  auf  ben  1.  2Kai  1789  feftgefe^t  unb  bie 
©infe^ung  ber  Cour  pleniere  vorläufig  fuSpenbirt.  @inige 
Sage  fpäter,  am  16.  Sluguft  1788,  fprad^  ein  ©bift  bie  fd)recfen- 
erregenbe  SBal^r^eit  auS,  bafe  bie  3al^lungen  ber  löniglid^en  | 
Äaffen   tl^eilS   ausgefegt,    tl^eils   befd)ränft    werben    müßten,   ' 


1)  Sefer,  Sfletfet'S  aiociteS  SWinifterium,  58—60.    R^ponse  du  roi  aux 
remontrances  du  clerg^,  15  Juin  1788. 

»Icnner^affctt,  Sfrau  »on  @ta«l  I.  21 


3J.8  Skrl^anbluiiöen  mit  9ttdtx, 

inbcm  nur  Vs  ^^^  nötl^tgcn  ausgaben  baar,  bcr  3ieft  in 
ßrebitfd^cinen  entrid^tet  werben  fottte.  ©a§  war  mit  anbcm 
SJBorten  baö  Sefenntnife  eincö  ©taatöbanfrottg  mit  fed^gtg 
^roc^nt,  unb  baju  war,  um  bie  SRegierungSmafd^ine  in  ®ang 
3U  lialten,  ungefäl^r  eine  ÜWittion  Siöreö  per  Sag  erfotbcrlid^^). 
f^rau  öon  @tael  l^atte  nidjt  Unred^t,  wenn  jte  an  Äönig  ®uftat> 
jd)rieb,  bie  @efdf)id^te  granfreid)^  laf[e  jtd^  in  Epigrammen  er^ 
Xäl^len.  Sind)  S3rienne  trug  ba§  feinige  bei.  9!Kan  legt  il^m 
ben  Sluöfprudf)  in  ben  9iKunb,  „e§  gebe  ja  jo  biele  Qn^&Ut,  unb 
bod^  bebürfe  e§  nur  einen  einjigen,  um  ben  Staat  gu  retten** 2). 
3[Iö  biefer  Sufatt  nid^t  fam ,  fd^eute  er  nidf)t  baöor  jurüd,  aud^ 
nod)  bie  §anb  auf  ben  3nt)aIibenfonb§  unb  bie  ©rträgniffe 
einer  Slrmenlotterie  ju  legen.  ®ann,  als  alles  öorbei  war, 
fnüpfte  tx  auf  Söunfdf)  ber  Königin  burd^  SKerc^  am  20.  8lugufl 
Unterl^anblungen  mit  nieder  wegen  Uebemal)me  ber  fjinanjen 
in  feinem  9Jlinifterium  an.  SBaS  aber  öor  einem  3^^^  t)iel= 
leid)t  nod^  möglich  gewefen  wäre,  l^atte  je^t  aufgel(ört  eS  ju 
fein.  9^edfer  beantwortete  bie  anfragen  öon  SMerc^  mit  ber 
©egenforberung  ber  ©ntlaffung  öon  Srienne,  bem  8lnfprudf)  auf 
bie  oberfte  Seitung  ber  ©efc^äfte  unb  ber  ©rfüllung  beS  SBer^^ 
fprec^enS  ber  Serufung  ber  ©tänbe^).  Unter  bem  ungcl^euren 
S)rucf  ber  2öünfd)e  eines  ganjen  SanbeS  l)atte  aud^  fein  ©tanb» 
punft  in  le^terer  |)in|td^t  eine  aSeränberung  erfal^ren.  ©r,  bcr 
nad)  ber  ßntlaffung  öon  ßalonne  bie  SSermeibung  biefer  Se« 
rufung  nod^  als  bie  erfte  Aufgabe  eineS  weifen  ÜWiniftcrö  be* 
geid)net  t)atte,  fteltte  fte  je^t  jur  S3ebingung  unb  erwartete,  wie 
^^  f^ßtf  r/^^it  unbefc^reiblid^er  fjreube  ben  Slugenblid,  wo  baS 
erl^ebenbe  unb  l^errlid^e  ©d^aufpiel  beS  S^fammentrittS  ber 
Slbgeorbneten  öon  fed)Sunbjwanjig  9)lillionen  SHenfd^en  ftatt« 
finben    unb  bie  ®ered)tigfeit  beS  SKonard^en  ber  franjöftfd^en 


0  Jefferson,  Works,  Correspondence,  III,  40. 
2)  Dareste,  Histoire  de  France,  VII,  132. 

^)  Baron  Auguste  de  Stael,  Notice  sur  Monsieur  Necker.  Oeuvres 
225.    Jücfcr,  9^ccfcr'8  8tt?eite8  Sminiftcrium,  21—22. 


•  gilütftntt  »on  •  »tienne.  3t9 

Station  •  t^Tcn  frfil^crcn  ©influfe;  auf  bcn  ®ang  bcr  öffcntliä)cn 
Slngclegcnl^citcn  jurfidfgeben  werbe''  0-  ®ö  unterlag  feinem 
3wrffel  ntel^r,  bafe  SledEer  ba§  traurige  (Srbe  üon  SSrienne 
unb  ßalonue  nur  unter  ber  SSebingung  anzutreten  entfd^loffen 
töar,  ba|  bie  llnterftfi|ung  unb  Gontrolle  ber  5ftation  xijm  bieS* 
tnal  gur  Seite  [teilen  würben.  „@ö  barf  feine  ß^^t  öerloren 
toerben**,  fdireibt  er  in  ber  um  biefe  S^it  entftanbenen  ©treitfd^rift  * 
fliegen  €aIonne,  „bie  öffentlid^e  9Äeinung,  biefe  ftttlid^e  unb  | 
4)oIitifd^e  9!Kad)t,  mufe  mit  ber  il^r  eigenen  Äraft  bie  SSergangem  ? 
]&eit  auSlöfd^en  unb  bie  ©egenioart  mit  ber  ßwliinft  öerbinben"  ^). 
€8  war  ber  SluSbrucf  berf elben  gbeen ,  bie  3ftecf er'§  Sl^ätigf eit 
tüäl^renb  feiner  erften  SSerwaltung  geleitet  l^atten  unb  nun  ben 
neuen  SSerl^ältniffen  anbequemt  mieberfel^rten.  @r  folgte  nad^ 
tDic  öor  ber  öffentlid^en  SReinung;  ob  er  fte  aud^  gu  leiten  im 
©tanbe  fein  werbe,  fonnte  erft  bie  Su^i^nft  leieren.  3!Kerc9 
iam  nun ,  öom  ^önig  mit  offigietten  9Sottmad)ten  oerf el^en, 
gurüdf.  2)ic  ©ntlaffung  bon  Srienne  würbe  ftittfd^weigenb  gu» 
geflanben.  ®v  erl&ielt  jte  am  25.  Sluguft  unb  nid^  ol^ne  bafe 
•er,  ber  fein  ©rgbt^tl^um  SEouloufe  gegen  ba§  öiel  einträglid^ere 
€rgbiötl^um '  öon  @en§  oertauf (i)t  l^atte ,  feine  ©intiinfte  big  gu 
ad^tmoll^unberttaufenb  8iore§  erl^öf)t  unb  oon  ber  Äönigin  baö 
SJerfpred^en  erl^alten  l^atte,  ben  Sarbinaföl^ut  ffir  if)n  gu  öerlangen. 
®ie  ®efä)i(i^te  fam  nur  no^  einmal  in  ben  %aSi,  xl)n  gu  nennen. 
<SS^  gefä)a]^  ■  um  gu  berid^ten,  wie  ber  unwürbige,  le^te  SRatfigeber 
ber  abfoluten  9Äonard)ie  am  16.  iJ^bi^ucir  1794  feinem  Seben 
burd^  ®ift  ein  ßiel  gefegt  l)atte.  8lm  SIbenb  öor  feinem  SRücftritt 
toar  5ftedtef§  ©mennung  gum  ^inangbireftor  erfolgt;  gwei  SEage 
jpäter  würbe  er  3!Jiinifter  unb  SRitglieb  be§  @taat§ratf)§.  ©er 
tRang  eines  erften  SRinifter^  würbe  nid)t  wieber  öerliel^en,  aber 
alle  a3efugnif[e  beSfelben  gingen  an  Slecfer  über. 

*)  Necker,  Nouveaux  ^claircissements  sur  le  compte-rendu  au  roi. 
De  radministration,  etc.  Oeuvres,  n,  599,  VI,  59.  SBcfonbcrS  aber  De  la 
Revolution  fran^aise,  IX,  53. 

«)  ebenbofclbft,  If,  467. 

21* 


320  ^^»  »^^  aRimfter,  24.  Sbiguft  1788. 

©cm  pnanjicUcn  Sluin,  bcn  er  öon  fdncm  SSorgdngcr  über* 
nal)m,  ging  ein  moralifd^cr  fftvAn  jur  ©exte,  ber  biefen  nod^  an 
Umfang  übertraf.  S)a§  SSertrauen  in  bie  Stegierung  voax  nid^t 
weniger  erfd)öpft  als  il^rc  Äaffen.  Seit  ber  a^^ronbcfteigung 
gubtüig  XVI.  waren  in  granfreid^  mel^r  aRifejtdnbc  abgefd^afft, 
mel^r  3Serbef[erungen  eingefül^rt  worben,  ate  wdl^renb  eines 
3al^rl^unbertS  Dor  il^m.  ^an  xot\%,  ba%  Slbam  @mitl^  ber 
franjöjtfä)en  SBermaltung  unter  biefem  SRonard^en  baS  ßwignife 
auSgeftettt  ijot,  nad^  Slbre^nung  ber  lettres  de  cachet  unb 
ber  9JliPrdu(i^e  bei  ©rl^ebung  ber  Steuern  unb  inSbefonbere 
ber  Saille,  bie  I(umanfte  beS  Kontinents  gu  fein^).  %a\t  l^un* 
bert  Saläre  nad)  il^m  l^ot  Socqueüille  ben  Slntl^eil  nad^getoiefen, 
ben  eben  bie  ^Reformen  beS  Slncien  SRegime  an  feinem  ©turj 
l^atten.  5ftid)t  nur,  ba%  bie  SRegierung  geredete  gorberungen 
bewilligte,  jte  l)atte  jtd^  in  wid)tigen  Etagen  aufgelldrter 
gejeigt,  als  bie  großen  ^örperf haften  ber  5Ration.  @o  war 
baS  Snftitut  ber  ^robiniialöerfammlungen  ber  freien  ®ntwidt 
lung  unb  Setl^eiligung  an  ben  öffentlid)en  Slngelegenl^eitett  un* 
gleid^  günftiger  als  bie  üeralteten  ©täube,  ©er  Äönig  war  eS, 
ber  bie  Tortur  abgefd^afft  l^atte  unb  ben  Parlamenten  burc^ 
SKaleSl^erbeS  bie  Oerid^tSreform  bieten  liefe,  weldt)e  biefe  »er« 
warfen.  2)aS  (Sbift  gu  ©unften  ber  9lid)tfat]^olifen  würbe  bon 
ber  ^Regierung  tro^  beS  SBiberftanbeS  ber  SKagiftratur  unb  beS 
ßleruS  burcftgefe^t.  ©ie  ßenfur  beftanb  nur  nod)  bem  Slamen 
nad)  unb  l^inberte  nichts;  bie  8^reif)eit  ber  5ßreffe  forberte 
Srienne  nod^  am  33orabenb  feines  ©turjeS  förmlich  i^erauS. 
aSiele  ber  ge^äf  jtgften  Privilegien  beS  abelS  unb  ber  Oeiftlic^leit 
waren  aufeer  Sraud)  gefommen,  bie  ßollfd^ranlen  im  S^tt^nt 
gefallen,  ber  ©ebanfe  ber  Delonomiften  in  Sejug  auf  ben  @e» 
treibel^anbel  boHftänbig ,  unb  waS  §anbel  unb  gnbuftrie  be* 
traf,  gum  grofeen  Sl^eil  burc^gefül(rt.    ©aS  ©ünbenregijter  beS 


1)  Adam  Smith,  Wealtb  of  Nations,  angeführt  bei  3.  Don  fOtülUx, 
»riefe,    ©ammtlic^e  SBerle,  XVIII,  29G,  i«otc. 


(Sl^ataftetifHI  bed  alten  SHefiime  but«  ^tdtt,  321 

alten  giögimc,  »ie  e8  unter  anbem  öon  Sefferfon  entworfen 
töirt)^),  war  fd^on  in  feinen  fd^Ummften  5ßnnlten  getilgt,  ober 
am  fSkQ,  ei8  ju  werben.  Sie  SBertrauenSloftgleit  aber  fd^ien 
in  bemfelben  3Ra^  gewadifen  ju  fein,  a\^  bie  Uebel  ftd^  öer^ 
imnbert  l^atten ;  benn  bie  eingige  ©arantie  ber  9ief orm  war  be8  \ 
Äönig«  SBiUe,  unb  biefer  fd^wanlte  jwifdien  ben  gingebnngen 
feines  ©erjen«,  bie  immer  gut  waren,  unb  ben  ©npüfterungen 
öon  Sinken,  bie  feben  SWoment  oon  einem  6?:trem  gum  anbem 
ffil^ren  tonnten.  3Wan  l^atte  nid^t  öergeffen,  ha^  Subwig  XVI. 
ÜRad^ault  übergangen,  Surgot  giel^en  gelaffen,  ßalonne  gebulbet 
unb  in  SBrienne  fid)  ergeben  l^atte.  3>c|t  nal^m  er  bai8  SWini* 
flerium  Sttedter  an,  wie  ein  aufgebrungeneS  @jrperimcnt,  mit  bem 
el^rlid^en  @ntfd^Iu^,  eiS  gewöl^ren  gu  laffen,  aber  aud^  nid^t  ol^ne 
We  im  Stillen  feftgel^altene  Hoffnung,  c8  ftd^  abnü^en  gu  feigen. 
SBaS  l^ierauf  folgen  werbe,  wu^te  9liemanb.  ®ang  rid^tig 
d^aralteriprt  Slecfer  bie  alte  frangöftfd)e  ^Regierung  bal^in,  ba§ 
fle  gwar  über  alle  notl^wenbigen  9Kittel  öerfügt  l^abe,  um  bie 
®efe|e  bci8  JBeP^eiS,  ber  Drbnung  unb  ber  Steilheit  aufredet  gu 
eri^alten,  ba^  t^  aber  gugleid)  in  il^rer  !Dlad)t  gelegen  fei,  aÖe 
biefe  @efe|e  ju  öcrle^en.  „^^nt  irgenb  einer  ungelegenen 
SleHamation  ftd^  auiSgufe^en",  fagt  er,  „tonnte  eine  foniglid^e 
6ntfd^eibung  bie  S^f^^  ^^^  ©taatsfd^ulb  rebuciren  ober  bie 
Slütfgal^lung  ber  j^a:pitalien  fudpenbiren;  burd^  eine  löniglid^e 
©i^ung  —  lit  de  justice  —  Steuern  aui8fd)reiben  ober  Der» 
I&ngem,  burd^  eine  lettre  de  cachet,  wem  e«  il^r  gefiel  feiner 
greil^elt  berauben"  2). 

S)ie  IBered^tigung  bti  bamali  l^errfd^enben  @efü]^ls,  ba|  > 
bie  @efd^icfe  eineiS  gangen  fianbeS  tl^atfäd^lid^  t)om  Sufall  einer  | 
Saune  abl^ängig  gemad)t  werben  tonnten,  beftätigt  eine  gleid)«  ! 
jeitige  Sleu^erung  öon  SÄaric  Slntoinette.    2)ie  ©eneralftaatcn    \ 


')  Jefferson,  Complete  Works.    Autobiography,  I,  86. 
*)  Necker,   Du  pouYoir  ex^cutif  dans   les  grands  Etats.    Oeuvres, 
VIII,  592. 


322  ^i^  Sthimnntg  hn  Sonbe. 

moren  nid)t  nur  üerfptoc^en,  fonbeni  caxdf  btt  S^ipmät  il^rc^ 
Sufammentritt^  fejiflete^t,  ol^  fie  cm  Äatfcr  3öf<rt  f«^ricb,  pe 
l^offe  bte  entartete  :Sxitert7entu}n  ^ranfretc^S  in  bot  l^oDSnbcfc^en 
SSirren  üermieben  ;u  fe^en,  ^benn  im  i^oll  eineS  ilriegeS  murSe 
bic  ^Berufung  ber  Stanbe  tcidjt  nic^r  abjmoaibfn  fein"  ^  €o 
toar  beim,  mit  SuStto^me  beä  ^ofabels,  benen  (Befmmmg  bie 
JSonigin  au^fprac^,  taam  ^emaxä)  me^r  in  %xaxdmäf,  btt  e^ 
noc^  für  möglich  gehalten  §ätte,  in  bei  alten  Sa^en  loeiter 
ju  ge^  unb  fu^  bobei  auf  bie  tno^bneinenben  abftd^ten  be^ 
Äönig!^  äu  oerlaffen.  2ie  »eitau^  größte  ajie^r^eit  fagte  f^on 
mit  8a  ga^ette:  ^"©ir  motten  bi^  ©eneralftaaten  ober  nid^tS''^)^ 
^a^  Softem  aber  i\t  oerurt^It,  bem  bie  gfä^igleit  Qbgefpnxi^ 
»irb,  ftc^  5U  reformircn,  beffen  3ügcft4nbnif|e  unb  Serf)>re(^ungen 
ber  oer3agenben  Slntmort  begegnen:  ^S)ie  Sotfd^ft  l^ör*  iäf 
Vi>of)l,  attein  mir  fe^lt  ber  ©laube/  Huf  biefen  ^nft  mar 
bad  alte  9iegime  angelangt,  aL^  Siecfer  bie  Settung  ber  &t^ 
fdjäfte  übental)m  unb  fein  Sort  bafür  oerpf anbete^  bafe  ffinftig 
am  offenen  Sag  unb  mit  S^ftimmung  ber  Station  regiert  mer» 
bcu  mürbe. 

$Da^  a?olf  iubelte  it)m  entgegen;  ^ri§  ffittte  pc^  mit 
gci^riften,  Silbern  unb  aUegorien  gu  feinem  2ob.  3«  ^^ 
Sl^eatem  bemonftrirte  man  ju  feinen  ©unften  unb  rief  Prmifc^ 
feinen  SRamen,  aU  in  ber  ifomöbie  öon  Cottin  b'^rleöille, 
»Les  Chilteaux  en  Espagnec,  ber  35er^  gef^nrod^en  mürbe: 

»Je  choisirais  d'abord  un  ministre  honn^te  homme, 
Le  choix  est  bientöt  fait  quand  le  public  le  nommec'). 

„ÜRan  ermartet  SBunber  t)on  3Recfer^  jd^rieb  fein  ©c^mie* 
gerfo^n  an  Äönig  ©uftao,  ^unb  beimeifelt  nid)t,  ba^,  menn 
man    i^n    gewähren    läfet,    granfrcid^    in    menigen    Salären 


»)  arnct§,  aWaric  8lntoinettc,  3ofep§  II.  unb  ßcopolb  IL,  »rlefwe^fel, 
118.    aWarie  «ntoinette  an  Äaifcr  3ofep§,  16..  Suli  1788. 

*)  La  Fayette,  M^moires,  If,  229.    SBticf  öont  25.  SÄd  1788. 
^  Grimm,  Correspondance  litteraire,  XIV,  325. 


I 


Srratt  t)on  ßtael  mtb  ha»  ameite  aj^iniftetium  il^reS  S^aterd.         323 

ttrfcbcrgcBotcn  fein  mxi>t.  S)a8  il^m  cntgcgcngcbra^tc  SBcr^ 
trauen  fcnnt  leine  ©renjcn.  ©ein  @entu§,  feine  SKäfeigung, 
fein  ßl^arafter,  bie  9ieinl)ett  feinet  Privatlebens  l^aben  il^m  fo 
grofee  Siebe  unb  Sld^tung  jugemenbet,  bafe  e§  fd^er  fein  würbe, 
biefelben  gu  überfd^ä^en"  ^).  SBenn  aud^  nid^t  of)ne  SBiber* 
jireben,  fügte  ftd^  bieSmal  aud^  ber  opponirenbe  Slbel  wenig* 
jten«  fd^einbar  in  ben  nnüermeiblic^en  9Jltnifter.  3n  ben  erften 
Sagen  feiner  SBerwaltung  begegneten  ftdf)  ber  fomntanbirenbe 
©eneral  in  fiotl^ringen,  ®raf  ßlairon  b'^auffonoiUe  unb  ber 
3Karfd)aIl  ^ergog  öon  Sroglie  in  feinen  33orjimmem.  „®el)en 
wir  jufammen  l^inein",  fagte  le^terer  gu  bem  ®rafen,  „@ie  werben 
mid^  öorftellen,  benn  id^  lenne  5ftecfer  nicftt".  „©lauben  ©ie 
öietteid^t,  bafe  idt)  il^n  fenne",  erwiberte  biefer.  „9lun,  fb  ; 
werben  wir  un§  eben  gegenfeitig  öorftellen",  entgegnete  ber 
SWarfdiall,  waö  audt)  gefd^af).  Sie  3ftac^fommen  biefer  SeN 
ben  l^eiratl)eten  fpäter  9?ecfer'§  (änfelinnen;  einer  berfelben, 
b'^auffonöine,  ^at  bie  ®efc^id)te  ergä^It^).  33aron  ©tael  er- 
innert baran,  bafe  bie  einleitenben  @df)ritte  gu  Sledter'S  SBieber» 
Berufung  öon  ber  Äönigin  ausgegangen  waren,  ©er  SBiber- 
ftanb  gegen  il^n  fd)ien  auc^  bei  ^ofe  in  foweit  überwunben, 
ba^  feine  weiteren  Sntriguen  bie  erften  9Jionate  feiner  3;i)ätig' 
feit  erfd)werten  3). 

8lud^  ber  nüd)teme  ^alouet,  ber  ein  ftrengeS  Urtl^eil  über 
Siecler  als  Staatsmann  fällt,  gibt  il^m  baS  S^i^Ö^ifef  ^^^  ^^ 
il^n  fowol)!  an  Talent  wie  an  perfönlic^em  SSerbienft  ber  großen 
?Kel^rgal)l  feiner  ©egner  überlegen  gefunben  l^abe,  unb  was  man 
aud)  fagen  möge,  äße  Unorbnungen  unb  i5el^lgriffe,  bie  gu  ben  j 
©eneralftaaten  führten,   üon  feinem  erften  Siüdtritt  batirten*),    { 

')  Leouzon-Le  Duc,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  de 
Stael-Holstein,  88,  ©cpcfd^c  SRo.  100,  31.  SJuguft  1788. 

*)  Comte  d 'Haussonville,  Souvenirs  et  M^langes,  vie  de  mon 
Pfere,  9. 

®)  Leouzon-Le  Duc,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  de 
Stael-Holstein,  p.  116,  1788. 

■*)  Malouet,  M^moires,  I,  199. 


fä%s;]^iMTnmiec:     s=er    fmiiiinwauiiiiiiuiäi    inJf     lioAie 

licut  ifT  ffffTnig".  .Scctzr  !zck  uiiQccc  SoflORfonKcr  ifes!  Scsd^ 
"ififdttDEi^  TtBDoztKL  ^iBtt  SdjDäOBt  jfeffftr  'flii  ^fec  JuAiniL  Sun; 
-fct  fe  «s  Ktx  üntns^  tssE  iscens  miärai  mst  is:  tftrB4 
-^daiKtr  41  irqnr  önm.  9c£Kr  aii:  Jwwum|giBeg6Bg: 
Ttrqrqrr  '^,  Jncr  ^hm  jmt  SobI?  äi  ancr  in: 
rtntr  a  ytartigncrr  Siimmiiiu,  ^feoi  Jie  Jni'mnie.  ilc  (Saeoni; 
ß^vsMjiu  jottx  XlmgygnflyTiiiii  jsir  Shubt  ifc.  ^frUwiL  ttoc 
')iltipniottfdxc7  9eqncr  SfriVr  s,  Jit.  SfinjüiiKtfc  späf.  mt  Üer 

ivM  ^samt^gaa»^  ;tt  iierfr 


'%fcä)ie  ai  ^fnüisr  jfrfnenr^.    ^frfrr.  Jesr  ie  aie  ^nrimiftr  leiiier 
^^fnmwq  ^uerfr  mm  StnTmCigg  mnfnr,  Tnrrmr,  cd#  er  &Eisi 

"SUniftfü^  jieäte  nur  3te  Sar&frte  'einer  Shrffmtg^  nii^  oAtr 
^fi^  ^(6iictf!cT0er  &rnin i tum  ^i 1 1 mf?t  isiuifuiÖBL  Sof  iot  ndd^ 
f^en  Xy\.  a<n  25.  Saqnit.  "lel  ^a^  ^ct  Jki  fftS&gat  SsätmA^ 
mt^  ^4tt  txm  2xaA  nni§iE  mah  Seriirfe,  «e  nnr  |v  er* 
tie<tt,  50^  1e  ^  3er  51iuf|müiEr  Imn^  !!a§  fik^ol;  irk 
l(SCipe  Mn  Ääuöem  angegrifmt  ;ii  mer&eir  mrdrtetE;  d 
tffr  a(#  oft  bö«  Sc^tcffol  ne  öccmr  ftntfat  meri^e,  jid^  jn 
(jIikfH<!^  \\ji  füllen.     „3tiufier  ^nor^,  fdireiftt  fe  in  ben  »Omih 


*)  Dnm'>nt,  ^lonvenirs  srar  Xirabcaa,  44. 

^;  r/4?<*.T)r^,    Rivarol   et  la  äocieCe  fran4;aise  pendant  la  IU^vaiBtio& 
^  PÄmiirrAtion,  J47. 

^>  r/Attf<%«i  in<WitÄs  de  la  Marquis«  de  Cri<\m  k  Seoac  de  Xolbaa»  310L 

^rVf  nrtm  Z^^em^tx  1788. 

*)  f*$enhMetbft,  28  \xnh  Saiate-Beuye,  Caoaeries  du  Lnadi,  XU  886. 


Sltdtt'ii  «uffaffung  ber  ^ttuaHon.  325 

Seffird^timgen  mtr  aDgu  fel^r  re^tfertigen".  S)er  SRorgen  brad^te 
bie  erfte  @mäd^terung.  @ie  iDurbe  gugletd)  mit  einer  Stid^te 
Srietme'd  k)on  ber  JCönigin  empfangen  unb  biefe  bmit^  burd^ 
bie  htteäfnüt  Unterfd^eibung  gtoifd^en  beiben  S)Qmen,  ba^,  menn 
9leder  aud^  ber  SKann  ber  SiotJ^wenbiglcit  geworben  war,  il^re 
))erf5nn(^en  ©^mpatl^ien  bod)  feinem  SSorgänger  gugewenbet 
blieben«  %x(üx  t)on  @tagl  täufd|te  ftd^  über  bie  Tragweite  biefeiS 
Serfol^rend  nid^t,  ba^,  ffigt  fte  l^injn,  burd)  9led(er'iS  entgegen^ 
tommenbe  Haltung  leine  Slenberung  erful^r,  unb  eine  ber  großen 
©d^ttrterigfeiten  feineiS  jweiten  SRinijteriumS  blieb  ^).  Ucber 
feine  eigene  Sluffaffung  ber  Situation  liegen  t)erfd)iebene  Sleuge« 
tungen  Dor.  SUiS  il^m  bie  SBal^I  bt^  Srgbifd^ofd  t)on  Souloufe 
mitgrtl^eilt  würbe,  fagte  er  gu  feiner  Sod^ter,  bie  £age,  bie 
bereits  fd^wierig  genug  fei,  werbe  balb  unerträglid)  werben 
unb  3Kenfd^enlraft  überftcigen.  9lad)bcm  er  an  bie  ©teile 
k)on  Srienne  getreten  war,  lonnte  er  fid^  bti  SluSrufS  nid^t 
€ntl^alten  „jje^t  fei  t^  gu  fpät!  äßarum  l^abe  man  il^m  nid^t 
bie  ffinfgel^n  SWonate  beö  @rgbifd^of§  öon  Souloufe  gegeben!'' 2). 
2)en  ÄSnig  aber  bcrul^igte  er  mit  ber  SBerpdierung ,  „bai8  Uebel 
fei  gwar  grofe,  nod^  größer  aber  feien  bie  ^ülfSqueHen  beö 
fftüäi^".  &T  war  feit  brei  Sagen  9Rinifter,  al«  bie  erfte,  blutige 
Stul^lSning  in  $arig  ftattfanb,  wo  Srienne  öom  ^öbel  in 
Cffigie  öerbrannt  würbe.  ®er  fommanbirenbe  Dfficier  ber 
©tabtwad^e  fdjritt  ein,  unb  liefe,  ba  il^m  ber  ©el^orfam 
verweigert  würbe,  bie  SÄenge  mit  bem  Sa^onett  angreifen, 
wobei  gwei  bi«  brei  9)lenfd^en  gelobtet  unb  öicle  öerwunbet 
würben,  bi«  eS  gelang,  fte  gu  gerftreucn.  33on  3om  unb  er= 
bitterung  erfüllt,  fammelte  ftd^  ba§  SBolf  am  näd)ften  Sag  wieber, 
griff  bie  @tabtwad)e  an  öerfd)iebenen  fünften  an,  brannte  gel^n 
bis  jw3If  SBol^ngebäube  niebcr  unb  töbtete  mel(rere  ©olbaten. 


*)  Madame  de  Stael,    Consid^rations  sur  la  Revolution  fran^aise. 
XII,  164.  166. 

*)  (gbenbafelbft,  II,  160. 


326  9ltdn'&  grinonaleituitg. 

tt)orauf  enblid^  bem  SEumxilt  biird)  bie  Snippcn  ein  6nbc  gcmad)t 
urtb  bcr  Sclaßcrung^juftanb  über  ^ariiS  öerl^ängt  »urbe  0. 
SBäl^renb  jo  bie  ©trafeen  ber  §auptftabt  gum  erjtcn  9Ral  ro&lj' 
renb  feiner  SlmtSfül^rung  jtd)  mit  S3Iut  färbten,  begrüßte  ber 
®elbmarft  ben  ©efd^äftSantritt  bon  5ftedEer  mit  einer  ^auffe, 
»eld^e  gwar  nid^t  bie  üon  %xau  öon  @ta€l  angegebenen  bretfeig 
^rocent  erteilte 2),  aber  immerl^in  beträditlid^  gemig  war,  um 
ba§  SSertrauen  gu  lieben  unb  bem  9Jlinifter  bie  Slufl^ebung  ber 
S3eftimmungen  beö  ©bifteö  öom  16.  Sluguft  unb  SBieberauf^ 
nal^me  ber  Saargal)lungen  gu  ermöglid^en.  ©rofee  fjtnangl^aufer 
leifteten  33orfä)ä[fe;  eine  ^roöing,  Sangueboc,  eröffnete  eine  8tn* 
leil^e  öon  gmölf  ^Millionen;  aUe  ^ülfömittel  be§  JBanhoefen^ 
würben  in  ^Bewegung  gefegt.  2)ie  ®efd)idöte  biefer  gtoeiten 
ginangabminiftration  SRedEer'S  l^at  unter  anbem  in  ©cutfci^Ianb 
fiefer  gefd)rieben,  ber  gum  @d)lu6  lommt,  bafe  3iedfer  gwar 
,  9JJittel  üon  gweifeltiafter  SRed^tmäfeigfeit,  um  bem  ©taatSfc^a^ 
S  ©elbcr  gujufül^ren,  angewenbet,  aber  baö  öffentlidje  Vertrauen, 
j  feine  notl^roenbige  Stü^e,  bod^  niemals  g^fd)äbigt  l^abe^). 
*  ©ein  gangeö  Seftreben  war  barauf  gerid^tet ,  burd)  eine  Stetige 
öon  ©elboperationen  ben  @taatöl^au§l)alt  bis  gum  Swfömmen* 
tritt  ber  ©eneralftaaten  fortgufül^ren  unb  baS  Slnfel^en  ber 
Siegierung  üor  ber  gefäf)rUd^en  ©emüt^igung ,  il^nen  in  einer 
finangieHen  5Jlotl)Iage  gegenübertreten  gu  muffen,  gu  bewal^ren. 
2)rog,  ber  ^iftorifer  Subwig  XVI.,  nennt  e§  gerabegu  wunber^ 
bar,  bafe  e§  il^m  gelang,  bie  ßal^lungen  wieber  aufjunel^men 
unb  ben  @c^a^  gu  fußen,  ber  na^  bem  SRücftritt  öon  JBriennc 
nur  nod)  fünfmalt)unberttaufenb  SiöreS  entl^ielt*).  Unb  bieS, 
obwol^I   ber  Äampf   mit   ber  §unger§notl^   unb   ber  Änfottf 


')  Jefferson,  Works  and  Correspondence,  II,  471. 

*)  Madame  de  Stael,  Consid^rations  etc.  Oeuvres,  XII,  158, 
Scfcr,  i«cdfct'3  aioeitcS  SJ^inifterium,  33  u.  ^ote, 

.3)  ßcfcr,  i«cdfer'ä  attJeiteS  3J2iniftcrium,  33—41. 

*)  Neck  er,  De  radministration  de  Monsieur  Necker.  Oeuvres, 
VI,  25. 


©ie  »ettJtoöiantitunfl  öon  ^anfttl^  im  SGÖhtter  1788^1789.      327 

öott  ®ctrcibc  attcin  im  SBintcr  1789  ftebenjig  aJliHionen  öcr* 
fij^lang.  6r  nennt  ba^  jwcite  aRinifterinm  3lccfcr  in  Scgug 
ouf  bie  fjinanjcn  ntd^t  nur  ungleid)  üicl  bcbeutenbcr  ate  ba§ 
erflc;  et  fügt  aud)  l^inju,  bafe  eö  bon  allen  ©puren  öon  ßl^at* 
lotattiSmuö,  bie  pd)  in  jenem  ncwi^ weifen  laffen,  frei  geblieben 
fci^).  6ine  burdigreifenbe  Slenberung  be§  ganzen  ©^ftemS  war 
iefet,  feit  bie  Oeneralftaaten  in  Sluöjtd^t  gefteKt  waren,  ol^ne 
bie  9Ritwirfung  berfelben  überf)aupt  nid^t  mel^r  möglid)  unb 
eS  galt,  iJranfrcid)  big  bal^in  am  Seben  ju  erl^alten^).  3lerfet, 
ber  ftdö  fo  leidet  Slluftonen  l(ingab,  l^at  ftd^  über  biefc  Srage/ 
gcrabe  weil  t^  biejenige  war,  bie  er  am  öoKftftnbigften  be= 
]^err[d|te,  feine  fold)en  gemad^t . .  „Sebe^Jorm  be§  6rebit§",  fagt 
er,  „war  erfdjöpft;  e§  l^anbelte  pd)  barum,  allwöd^entUdö  mel^rere 
SKiUionen  ju  befd^affen,  big  man  ben  ^afen  be§  §eilg  er^ 
reid^te"^).  Slud)  in  biefer  Scgiel^ung  ftanb  xi)m  eine  @nt* 
täufd^ung  beöor.  Sllg  bie  ©eneralftaaten  juf ammentraten ,  fanb 
er,  ba^  pe  bie  abminiftratiüen  fragen  über  ben  politifd)en  öer* 
Qa^m  unb  pd^  um  bie  fjinangen  nid^t  !ümmem  wollten.  »II 
fallutc,  fdjreibt  er,  »continuer  la  manoeuvrec*).  ©röfeeren 
aESertl^  alg  auf  feine  SEptigfeit  im  Sinangwefeu  l(at  9ledfer 
barauf  gelegt,  bafe  eg  xi^m  gelungen  fei,  wäl^renb  beö  SBinterS 
unb  5rül^ial)rg  öon  1789  bie  ^auptpabt  unb  mel^rere  ^roöinjen 
üor  ber  ^ungerönotl^  bewal^  gu  l)aben,  unb  l(at  inSbefonbere 
bie  SBerproöiantirung  bon  ^arig  feine  größte  SE^at  genannt^). 
ßu  allen  anberen  Kalamitäten  war  nämlid)  bie  l^ingugefommen, 
ba^  nad^bem  wäl^renb  gel^n  3cil)ren  bie  ßmten  fd^lec^t  gewefen 
waren,  nun  elementare  Kataftropl^en  aUer  2lrt  pd^  folgten, 
S^^euerung  l^erbeifül^rten  unb  aud^  nod)  ber  fältefte  SBinter 
i^reinbrad),  ben  man  feit  1709  in  g^ranfreid)  erlebt  l^atte.    3« 


O-Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.,  H,  94.  95. 

*)  Henri  Martin,  Histoire  de  France,  XVI,  615. 

*)  Necker,  De  Padininistration  de  Monsieur  Necker,  VI,  25. 

*)  ebenbofcftft,  VI,  25.  . 

^)  ebcnbafclbft,  VI,  298  ff. 


328      ^^  S^etptodiaitttrung  Don  grranlreic^  im  SBintet  1788—1789. 

f^olge  beffen  blieben  allein  in  ber  9lormanbie  Dieriistoufenb 
Arbeiter  ol^ne  Srob  unb  Sef d^äftigung  ^).  SluS  allen  @egenben 
öon  Stanfreid^  flrömten  öerarmtc,  obbad^IoS  Beworbene  3Rcn^ 
\6)m  nad^  $ari§,  um  bort  jioar  oergebenS  Siettung  üor 
bent  fte  bebrängenben  @lenb  gu  fuc{)en,  um  fo  genriffer  ober  bie 
©d^aren  ber  Ungufriebenen  gu  oermel^ren,  bie  nur  auf  ein 
Seid^en  warteten,  um  ©mpörer  ju  werben.  @8  nutzte  öon 
Seiten  ber  ^Regierung  öor  allem  ffir  S^fwl^r  öon  ®ctrcibe  ge^ 
forgt  werben,  um  biefe  l^ungemben  Waffen  ju  nSl^ren;  benn 
Srob  war  fo  f oftbar  geworben,  bafe  felbft  in  ben  ^fiufem  ber 
äfteid^en  bie  gu  Siifd^  ©elabenen  t^  wäl^renb  feneS  SBinierS  in 
ber  Safd^e  mitgubringen  l^atten  unb  enblid^  aHe  ^ftlic^teiten 
eingefleKt  würben,  um  ftatt  beffen  bie  armen  Äeute  gu  ernähren 
unb  gu  wärmen,  ffir  bie  Steuer  an  allen  Äreugfhra|en  ber  ^catpU 
ftabt  brannten  2).  SRedfer'S  frul^ere  «nftd^en  über  bie  ^rrci^eit 
be§  ^anbete  mit  ©etreibe  l^attcn  feine  93eränberung  erfal^ren; 
fte  waren,  nad^  feinen  eigenen  SBorten,  ]^3df)ft  einfad^  unb  bar* 
auf  befdf)rän!t  geblieben,  ben  SBerpltniffen  pdf)  angubequemen'). 
8ll§  er  bal)er  beftätigt  fanb,  ba^  biefe«  3^l^r  einen  Wi^wac^d 
gebrad)t  l^atte,  l^ob  er  bie  feit  Suni  1788  gefefelid^  freigegebene 
SluSful^r  oorläufig  am  7.  September  1788  ffir  unbefHmmte 
Seit  wieber  auf  unb  bemül^te  ftdf),  ©etreibe,  befonber«  oud 
Slmerifa,  ffir  fjranfreid^  l^erbeigugiel^en.  QixQldöi  liefe  er  ouf 
äfted^nung  beS  Staate«  im  3lu«lanb  ©etreibel&ufe  in  großem 
SKafeftab  beforgen,  waö  wieber  gur  %o\Qt  l^atte,  bie  S^ätiglett 
be«  $rit)atl^anbeB  gu  läl)men,  weil  biefer  mit  9ied^  fordeten 
mufete,  mä)t  ol^ne  f^weren  SBerluft  mit  ber  Slegierung  fonfur« 
riren  gu  fönnen,  bie  il^r  ©etreibe  bireft  auf  ben  9KarIt  brad^te, 
unb  im  fdf)limmften  %aU  billiger  abgeben  fonnte,  ate  fle  eS  gc* 


0  Jeffers on,  Autobiograpby.  Complete  Works,  I,  Gorrespondence, 
III,  40. 

«)  ebcnbafclbft,  11,  591.    SBrtcf  Dorn  14.  SWäts  1789. 

^)  De  radminfstration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-m§me.  Oeuvres 
VI,  298  u.  ff. 


S)ie  9lotfi  fül^rt  gut  Ölnarc^ie.  329 


i 


fcmft  l^attc.  ^oi)  cmpfinblid^cr  wirftc  ba^  aScrbot,  aufecrljalb 
ber  SWärltc  ©ctteibc  ju  laufen,  »ontit  5RcdEer  bem  SBud^cr  @tn* 
l^Qlt  gebieten  ju  lönnen  meinte.  @eine  SSerorbnnngen  in  btefer 
Stid^tung  übten  nid)t  nur  eine  dfonomifd^e,  fonbern  aud^  bie 
iDeittragenbe  moralifd^e  Sßirfung  an^,  bag  baS  SSolI  ftd^  fogu»  j 
f eigen  in  ofpcieller  SBeife  im  9Mifetrauen  beftärft  fal^,  mit  bem 
e8  ben  ÄomI(änbler  in  fdiweren  Seiten  gu  üerfolgen  pflegte. 
Suf  aUen  ^unlten  beiS  SReid^iS  lam  ed  gu  @en)alttl)aten,  tt)eld)e 
bie  Sölaffen  an  ben  Slufrul^r  geroölinten,  bie  Sluflöfung  ber 
Slegierung  unb  baS  Umftd^greifen  ber  Slnard^ie  vorbereiteten*). 
Saline  bejtimmt  ben  3citpw«ft  i^i^f^r  erften  birelten  Eingriffe  auf 
hm  Sepfe,  bie  auögel^enb  öon  ber  ^anif  be§  §ungerö,  mit 
Pünberung  ber  9Mel)ltran§porte  unb  ber  Säcferläben  begannen, 
um  JU  berjenigen  ber  Älöfter  unb  @d)löffer  übergugel^en,  unb 
mit  btm  Slnfprud)  auf  gleid^e^  SRe^t  für  2(Ile  bm  focialen 
Ärieg  eröffneten.  5)er  SBinter  1788  auf  1789  fa^  bie  erfte 
Sacquerie  in  ber  ^rooence,  wo  bie  SRegierung  e§  fo  gut  wie 
ungeftraft  gefc^el)en  liefe,  bafe  ber  5ßöbel  bie  (befangenen  befreite, 
bie  ©teuergal^lung  öerweigerte ,  bzn  ^rei§  ber  Sebenömittel  be^ 
flimmte  unb  ben  Slbgefanbten  be§  Königs  bie  3[ufnal(me  oer* 
fagte.  Slber  aud^  um  ben  ^rei§  einer  Solcrang,  bie  bereite 
an  @elbftüemid)tung  grengte,  gelang  ber  ^Regierung  loeber  bie 
Slufred^tl^altung  ber  SRul^e  nod^  bie  SSerproöiantirung  oon  fjranf* 
rcld^.  8lngeft^t§  ber  toadifenben  5Rotl^  war  e§,  bafe  5Recfer, 
wie  ba^  erfte  9Kal,  fo  aud)  ie^t,  auf  ben  fipen  ©el^alt  oon 
220,000  giöreiS  feinet  9Jiinifterium§  oergic^tenb,  au§  feinem 
^riöatöermögen  nod)  bie  Summe  oon  gtoei  ^KiUionen  öiermal^ 
i^unberttaufenb  fiioreö  mit  fünfprocentiger  SSerginfung  bem 
@taati8fd)a^  jur  SSerfügung  gum  Slnfauf  oon  ©etreibe  mit  bem 
JBemerfen  ftettte^),  wenn  man  fRni^t  unb  ©efunb^eit  aufö  Spiel 

*)  Taine,  Les  Origines  de  la  France  contemporaine.  Vol.  II,  La 
R^volation,  Chap.  I,  Panarcbie  spontan^e. 

*)  De  radministration  de  Monsieur  Necker,  par  lui*meme.  Oeuvres 
Yly  831  unb  Madame  de  Stael,  Consid^rations  XU,  92  unb  313. 


330  Ü'^edet'S  erfte  IRegierungSl^aitMungen  etfheben  ä^erföl^nung. 

je^c,  fönne  man  xdo})1  anä)  jctn  SBennögcn  risümt.  JHc  Sßcr* 
antiDortung,  bie  er  auf  jtd)  genommen  l^atte,  übcrftieg  iebod^ 
feine  Gräfte;  e§  gelang  gtt)ar>  bie  feä)§mall)unberttaufenb  ©eelcn 
ftarfe  S3eöölferung  öon  5ßari§  gu  t»erforgen,  aber  um  ben 
^reiä  lünftlidier  Slrbeitbefd)affung  ffir  gtt)ölftaufenb  Unbefd^äftigte 
unb  bcr  SSernad^Idf jtgung  ber  5ßroöinjen,  au§  »eld^en  ber  §ülfe» 
ruf  ber  9Zotf)  nur  gu  oft  öergeben^  an  ba§  Dl^r  beö  gepeinigten 
aRinifterö  brangO-  @^  gel)ört  mit  gur  ®efd)iä)te  ber  Sfieöo- 
lution,  bafe  ber  junger  e§  war,  ber  ben  ?IRaffen  bie  Seigren 
be§  ©ocialfontraftö  t»ermittelte.  ©iefer  SSerfudi,  ba§  SBalten 
freier  Gräfte  burd)  baö  Singreifen  beö  ©taateiS  gu  erfc^en,  mar 
ber  le^te,  ben  SIecfer  aU  Slbminiftrator  ber  alten  SRonard^ic 
burc^guffil^ren  untemal^m.  ©en  ©taatömann  erwartete  eine 
nod)  ungleid)  fditoerere  5ßrobe. 

9?edfer'§  erfteS  Eingreifen  al§  3!Äinifter  galt  einer  öer* 
mittelnben,  uerföl^nlici^cn  5ßolitif,  wie  jte  feinen  5Reigungen  am 
beften  cntfprad^.  2)ie  bretonifd)en  ©belleute  würben  auS  bcr 
S3aftiHe,  b'ßöpr^menil  au§  feiner  §aft  ber  Snfel  @ainte:=2Rars 
guerite  entlaffen.  ®ie  ^Parlamente  oerföI(nte  Sfedfer,  inbem  er 
ben  ^önig  üeranlafete,  Samoignon  burc^  Sarantin  als  Siegel^ 
bewal^rer  gu  erfe^en ,  aber  and)  inbem  er  il^nen  bie  Sitformen 
öon  9Jiale§l^erbe§  preisgab.  ®ann  liefe  er  biefe  SBerfammlungcn, 
bie  er  im  September  gufammenberufen  l^atte,  il^rc  ®crid)töferien 
antreten,  beoor  fte  bie  alten  Streitfragen  wieber  aufwerfen 
fonnten,  üerfprad^  il^nen  aber  bm  ßwf^wtmentritt  ber  ©täube 
fd^on  für  ben  näd)ftfolgenben  Januar. 

2)iefem  @d)ritt  lag  bie  Slbftc^t  gu  ©runbe,  bcr  Slufregung  bcr 
©emütl^er  in  allen  ©d^id^ten  ber  Station,  bie  ein  le|ter  ffel^lcr 
feines  33orgängerS  bis  gur  öollftänbigften  SBerwirrung  gcfteigert 
l)atte,  fobalb  als  nur  immer  möglid^  ein  3tel  gu  fe^en.  ©enn  ate 
Srienne  waf)mel^men  mufete,  bafe  feine  ber  beftel^enben  Parteien 
burd^  baS  58erfpred)en  ber  Berufung  ber  ©eneralftaaten  ftd^  für  i^ 


')  Öefcr,  9?cdfcr'ö  awcUeö  TOniftcriuin,  45.  54. 


S)ic  gtanjofeit  fud^en  il^re  ßonftttuHon.  331 

gciDimien  liefe,  lüar  bcr  ©cbanfc  in  ii)m  oufgctaud^t,  bic 
SBicbcrbcfeftigung  feiner  Stellung  in  ber  allgemeinen  S^^i^t^^^^t 
3«  fud^n.  6ine  SSf rorbnung  üom  5.  guli  erflärte,  bafe  e§  ber  SRe^ 
^erung  nic^t  gelungen  fei,  Qlle93eftimmungen  fiber  benSBal^Imobud 
imb  bte  S«f<!^tt^w^ttfcfewng  ber  ©tänbe  wieber  aufjufinben,  unb 
haSß  bal^er  im  5Ramen  beS  Ä5nig§  nid^t  nur  alle  Äörperfd^aften 
beS  ffttid)^,  fonbem  aud)  alle  n)ol^lunterrid)teten,  gdel)rten  ^er= 
Jonen  aufgeforbert  feien,  Unterfud^ungen  barfiber  anguftetten  unb 
il^re  SKeinung  auöjufpred^en.  3^m  felbft,  fo  l^offte  ber  SJlinifter, 
ttcrbe  es  bann  unfd)tt)er  gelingen,  im  SSßiberftreit  ber  Sntereffen 
xinb  5IReinungen  bei  ben  ©tarieren  SRüd^alt  gu  finben. 

SBa§  burd)  beftimmte  S8orfd)riften  feftgufe^en  bie  l^öd)fte 
SBeiSl^eit  aller  ©taatöfunft  gen^efen  wäre,  würbe  fomit  ber  ©egen« 
ftanb  beS  .f)aber§  unb  bie  33eute  be§  ßwf^^D'^f  i^nb  e§  be* 
flannen  int  ganjen  Sanbe  §od)  unb  Sflieber,  Sung  unb  Sllt, 
'(Selel^rte  unb  Ungeklärte,  (Staatsmänner  unb  grauen,  aufrid)tige 
©d^ärmer  unb  fü^le  Intriganten,  überjeugungStreue  ^Patrioten 
unb  ej^rgeijige  Slbenteurer  einen  Slrgonautengug  nad^  bem  SSliefe 
Wefer  üerloren  gegangenen  ßonftitution ,  bie  in  bem  3Rafe  im 
SBcrtl^c  ftieg,  als  il^re  ©ntbedfung  nid^t  gelingen  wollte. 
3)enn  wie  alle  @inrid)tungen  ber  alten  9Jionard)ie,  l^atte  auc^ 
triefe  pd^  im  Sauf  ber  Seiten  tl^eils  üeränbert,  t^eils  war  jie 
nie  feften  Seftimmungen  unterworfen  gewefen.  @o  würben  int 
SInfang  SKitglieber  ber  ©täube  gar  nid)t  gewählt,  fonbern  Slbel 
unb  ®eiftlid^feit  erfd)ienen  üolljäl^lig  auf  ben  SReidiSüerfamm* 
lungen,  bis,  gegen  @nbe  beS  fünfjel^nten  3al^rl)unbertS^  in 
jebem  8lmtSbegirf  eines  Sailli  ober  @enefd)alS  ßleruS,  Slbel 
unb  Sürger  ber  ©täbte  ©eputirte  il^reS  ©tanbeS  burd^ 
SBal^l  aborbneten.  6benfo  unbeftimmt  war  bie  Qaijl  ber  ^RxU 
fllieber  beS  SierS^j.  ©er  erfte,  ben  Srienne  auSfd)icfte,  um 
|id^  auf  baS  weite  9JJeer  biefer  ]^iftorifd)en  tJorfd)ung  gu  be^ 
flebcn,  SIbbö  SJiaur^,  fam  mit  bem  ©eftänbnife  wieber,   fein 


»)  Scfer,  ««edcr'S  attjettcS  ÜKiiiiftcrium,  64. 


Üanb  gefe^en  ju  l^aben.  ^JRaledl^erbeS  bagegen,  ber  einer  ber 
erften  getoefen  maXf  bte  ©eneralftaaten  ju  einer  3^it  gu  t>er^ 
langen,  ba  bie  QuQel  ber  ^(utorität  anfc^einenb  nod^  fefi  in  ben 
$änben  ber  äUegierung  lagen,  üergid^tete  \t^t  auf  Popularität,  um 
in  einer  ®enffd)ritt  an  ben  Äönig  Dom  Suli  1788  öor  ber  ®efa^r 
JU  warnen,  unter  öeränberten  aSerl^ältniffen  bie  in  allen  i^ren 
Sntereffen  gefd)iebenen  brei  ©tänbe  unöorbereitet  einanber  gegen^ 
übergufteßen.  6r  griff  ftatt  beffen  auf  ben  ^lan  feines  gfreun* 
beö  Surgot  jurücf,  im  Slnfc^Iufe  an  bie  Snflitution  ber  ^o* 
öinjialüerfammlungen  eine  einjige,  aus  gewählten  Vertretern 
ber  beji^enben  Älaffcn  gufammengefe^te  SSerfammlung  gu  ht^ 
rufen.  33or  Witm  aber  befd^wor  er  ben  Äonig,  feine  S^eU 
beutigfeiten  im  Sluftreten  feiner  3Rinifter  mel^r  gu  bulben  unb 
baS  SSertrauen  in  bie  Slufrid^tigfeit  feiner  Slbfid^ten  nid^t  er* 
fd)üttem  gu  laffen,  „benn  bie  Solgen  ber  allgemeinen  Ungu« 
friebenl^eit",  fo  fd)lo6  er,  „jtnb  unbered^enbar."  Sn  äl^nlic^em 
Sinne  äußerte  ftc^  ©ufreSnc  Saint^Seon  in  einer  ©enffd^rift 
an  Srienne.  ©er  SRatl^  war  üortreffUd^,  aber  er  fam  um  S^l^rc 
gu  f:pät  unb  gewann  nur  bie  vergebliche  Unterftü^ung  einiger 
Don  jenen  ücmünftig  ©enfenben  unb  @rfal)renen,  bie  in  ben 
SReöolutionen  weber  dtanm  nod)  ®el^ör  finben.  „(gS  l^anbelt 
ftd^  nid)t  um  baS,  waS  war,  fonbern  um  baS,  wa8  fein 
foH",  erflärte  SDttrabeau  ^).  6l)arafterifHfd)  antworteten  bie 
Parlamente.  @ie  »erlangten  Berufung  unb  Suf^mmenfe^ung 
ber  ® eneralftaaten ,  nad^  ben  1614  befolgten  3llormen,  alfo 
Slbftimmung  nad^  ©täuben,  in  bireftem  ®egenfa^  gu  ben 
SBunfdE)en  be§  SierS.  ®amit  fiel  mit  einem  legten  Schlag 
ber  Slnfprud^  biefer  Äörperfd)aften,  SSertreter  ber  nationalen 
35Bünfd)e  gu  fein,  unb  unter  einer  §lut^  üon  Angriffen  in 
Siteratur  unb  treffe  traten  fte  oom  politifcf)en  ©d^aupla^  ab. 
eine  nod^malige,  le^te  Sc^wenfung  im  Sinn  ber  populären 
2öünfd)e,  bie  fie  im  ©egember  1788  nac^  Sutlaffung  ber  SRo* 


')  Henri  Martin,  HistoirQ  de  France,  XVI,  617,  SRote. 


0  Larcy,  Louis  XVI  et  les  successeurs  de  Turgot.    Gorrespondant. 
Mars  1867.    Bd.  XXXI,  650. 

*)  Grimm,  Correspondaiice  litt^raire,  XIV,  180. 

*)A.    de    Tocqueville,     Coup    d'oeil    sur    le    regne    de    Louis 
XVI,  316. 

»Unnet^attett,  3rau  ton  etaöL  I.  22 


/ 


^ie  grtansofen  fud^en  i^re  (Sonftttution.  333 

tabcin  öoDjogcn,  bcwirfte  feinen  Umfd)lag  mel^r  gu  il)ren  ®um 
ften.  Sl^re  SRoHe  war  am  S;ag  beenbigt  worben,  „xoo  Sfiac^e 
fe  gum  ©elbftmorb  üeranlafet  l^atte".  SBä^renb  bcr  burd^ 
Srienne  entfaltete  Sturm  in  ben  ^ßroüingialöerfammlungen  fort« 
tobte,  befd)äftigten  pd^  ^ampl^lete  unb  Srofd^üren,  beren  ^ai)l  in 
ben  ge^n  3Ronaten  üom  Suli  1788  biö  gum  SKai  1789  auf  brei= 
taufenb  angegeben  wirb,  mit  ber  göfung  beS  gleichen  5ßroblemS  ^). 
„Seit  gwei  g^^ren",  fd^reibt  bie  ßorrefponbeng  üon  ®rimm  im 
3ftoöember  1788,  „l^at  jtd^  ®raf  SauraguaiS  im  ©taub  ber 
Sibliotl^efen  begraben,  um  äße  ©ofumente  gu  befragen,  bie 
nod^  aut]^entifd)en  Seric^t  über  unfer  alte§  SRec^t  unb  unfere 
nationalen  aSerfammlungen  enthalten".  Slud)  nannte  man  il^n, 
ba  er  oomelimlid^  in  ben  ^rd)ioen  ber  Senebiftiner  gu  arbeiten 
PP^B^^f  fl^^  «*^t  ^^^^  anberö  aU  2)om  SauraguaiS^).  ^^@§  j 
entftanben  mel^r  Sanbe  über  bie  ßonftitution  ber  5!Ronard^ie  1 
atö  über  bie  ßonftitution  Unigenitu§",  fügt  ®rimm  l^ingu,  | 
„benn  beren  foH  eö  nid)t  mel^r  al§  ge^ntaufenb  gegeben  l^aben". 
3m  5flot)ember  erfd^ien  baö  Sud)  üon  Äerfaint:  »Le  bon 
temps«  unb  ein  anbereS  oon  b'föntraigueS  über  bie  ©eneral* 
flaaten,  ba§  oiel  gelefen  würbe  unb  nid)t  nur  bag  Sßolf  als 
ringigen  Srager  ber  SRegierungSgewalt  begeid^nete,  fonbem  bereits 
bie  monard)ifd)e  SRegierungSform  gu  ©unften  ber  republifanifd^en 
oenoarf »).  ©er  ältere  SacreteHe,  S;arget,  6afau;r  gaben  gleid)fall§ 
3UiSlegungen  ber  conftitutioneßen  grage.  ©rouoette,  ©efretät 
bcS  ^ringen  üon  ßonbe,  mac^te^  3Ronteöquieu  gum  ®egen* 
ftanb  feiner  Singriffe,  weil,  wie  er  meinte,  beffen  grofeeS,  bewun- 
bemSwürbigeS  SBerf  boc^  ber  boppelten  ©runbbebingung  aller 
wal^ren  ©efe^gebung,  ber  iJiebe  gum  Sßoll  unb  ber  Siebe  gur 
©leid^l^eit  entbel^re.    ©S  wirb  l^ingugefügt ,  bafe  biefer  @runb« 


334  ^<^  8rtati|ofen  fiu^  t^  Gonfttiuiioit. 

gä)Qnfe  beS  Sud^S  ))on  aOen  bebeutenbm  ^krföttlid^teiten  beS 
SageiS  get^eilt  loorben  fei^). 

93om  ^au8  beS  ^gogS  Don  £a  Stod^efoucoulb  tül^mte 

man,  bo^  eS  nid^t  nur  baS  Sdfptel  ber  Gmfac^l^eit  unb  Sitten« 

reinl^eit,  fonbem  aud^  baS  nod^  l^ö^er  gefd^fi^te  ber  Unabl^dngtg« 

feit  ))on  ben  SinfUiffen  beS  ^ofS  unb  Derft&nbnt^DoUer  S^m« 

:pat^ie  mit  ollen  geplanten  ^leuerungen  gebe.    @jS  loar  ber  ge» 

feQfd^aftlid^e  3)Mttelpunft  für  fenen  ga^Ireid^en  Sl^eil  bed  SbelS, 

ber  bereits  bie  boppelte  SSertretung  bt&  Sierd,  bie  Sbflimmung 

nad)  Äöpfen,  ben  SSerjtd^t  auf  bie  ^riöilegten  mit  in  fein  ^o« 

gramm  aufnal^m  unb,  nad^  ben  Sorten  Don  f^au  oon  @taäl, 

mit  aUen  benjenigen,  bie  in  ben  l^od^fien  Greifen  Srnudteid^S 

;  auf  bie  @(e{tnnung  einmirlten,  bie  @ad^e  ber  Nation  oertrat. 

i  „Sie  aRobe",  fagt  jte,  „war  bal^in  gerid^tet;  e«  wad  baö  Srgeb« 

j  nife  beö  gangen  ad^tgel^nten  Sal^rl^unbertö''  ^).   SluS  biefem  Ärei« 

I  fud)ten  ßonborcet,  ©uport,  £a  f^a^ette,  ber  ^erjog  öon  2a» 

'  rodl)efoucaulb«Siancourt  bie  Sonftitution.    2)agegen  bel^auptete 

ber  uubeugfame  Parlamentarier  b'@§prem^nil  ie^t  wieber  im 

SBiberfprudj  mit  jtd^  felbft,   bafe  ^anfreid^  längft  burd^  feine 

a^agiftratur  eine  folc^e  beft^e  unb  nur  beren  SSoHmad^ten  gu 

oerüoQftanbigen  braud)e,  um  aQe  feine  SBänfd^e  erffiüt  gu  fe^en; 

ein   ^ofmann,    ber   Sfio^alift  Sefenoal,  war  anberer  Sbiftd^t 

unb  wollte  nur  t)on  S^rabitionen  wiffen.    £a  f^a^ette,  ber  ba& 

SSol!  noc^  1788  fo  träge  unb  regungdloiS  fanb,  ba|  ti  i^n 

IranI  macf)te,  baS  mit  anfeilen  gu  muffen,  begann  je^t  eine  Som 

ftitution  gu  l^offen^).    nieder  fal^  bem  Sreiben,  bl^ne  fic^  oM* 

I  gufpred)en  gu.    „®er  3Ronarc^  unb  bie  Äroniuriften",  fagt  er, 

\  „bel^aupteten,  bafe  bie  gefe^gebcnbe  ®ewalt  bem  ^rften  gel^dre; 

'^  bie  ^Parlamente  unb  il^re  SRebner,  bafe  ol^ne  freie  Eintragung 

1  fein  ®efe^  in  Äraft  treten  fömte  ....    ®aS  wal^re  ®egen« 


0  Grimm,  Correspondance  litt^raire,  XIV,  372. 

^  Madame  de  Stael,  Considerations.    Oeuvres  XII,  178—179. 

»)  La  Fayette,  Memoires,  II,  227. 


^ie  flauen  unb  bie  (Sonftitution.  335 

qmxäjit  bcr  ]^öd)ften  ©cwalt  in  granfrcid^  bcftanb  attcin  in  bcr 
SffcntHci^cn  ÜWeiminß''  >). 

S)em  @d^aufpiel,  n)eld)ed  bem  Sanb  geboten  xonxbt,  l^ätte 
ctttKkS  gefel^lt,  n)enn  nid)t  aud)  bie  f^rauen  ftc^  baran  be» 
H^eillgt  Ratten,  ©ine  ältere  ®ame,  ©räfin  grangoife  Seau* 
f)ama\&,  pr&fbirte  bent  literarifc^en  unb  balb  nod)  mel^r  poli- 
tifd^en  @aIon,  ber  jtdj  fo  lebl^aft  an  ben  Sageöfragen  betl^eiltgte, 
ba§  il^m  ber  5flame  „baö  ©  ber  3flationQberfammlung"  bei* 
gelegt  VDUxbt,  unb  man  jpottenb  greil^eit  unb  ®leid)l^eit  alö  bie 
beiben  ®^renbamen  ber  ^auSfrau  bejeid)nete.  3)ie  3Marquife 
be  Äaöal,  bie  ©räfin  6requi,  bie  Saronin  b'äftroj  wirften  im 
gleid^en  Sinn  unb  man  fagte  üon  il^ren  @alon§,  jte  feien  »de- 
mocrates  comme  une  antichambre«.  35ei  ber  in  ^ariS  an* 
toefenben  fjürftin  üon  ^otienjoHern  fül^rten  ber  SÄarquiS  üon 
SBeaul^amaiiS  unb  ber  %ixr\i  @alm  jpäter  bie  Sinfe  ein.  Sei 
ber  ^ringejfin  öon  Sroglie  begegnete  man  Samaüe  unb  ben 
beiben  Samet^^j,  Sßerfönlid^  am  bebeutenbften  war  ®räfin 
Seffö,  Sod^ter  beö  legten  aRarfc^aßS  öon  5ftoaiIIeS  unb  Sante 
t)on  Sa  ga^ette,  in  bem  pe  il^re  poUtifc^en  gbeale  üermirllidöt 
fa^*).  ©iefe  öomel^me  üoltairianifd^e  gejtnnte,  originelle  gtau  war 
in  i^rer  Sugenb,  gur  3^^  al§  Sef jing  oomel^mlid^  burd^  @rimm 
in  granfreid)  befannt  würbe,  bei  il^rem  Sruber,  bem  ^erjog 
öon  Ä^en,  in  einem  £efjtngfd)en  ©rama  unter  großem  Seifatt 
aufgetreten.  Sluf  ber  Sül^ne  oon  1789  fpielte  fie  nun  aud^ 
eine  SioDe,  beren  ©uarb  gebenft.  ©iefer,  einer  ber  SBenigen, 
bie  ber  Saumel  biefer  beraufd^enben  Qtxt  nid^t  mit  fortriß, 
fud^te  fid^  feiner  bangen  (Sorgen  über  bie  Si^funft  vorläufig 
baburd^  ju  entlebigen,   bafe  er  bie  ©egenwart  perfiflirte.    3n 


I 


*)  Necker,  De  la  Revolution  fran^aise.  Oeuvres,  X,  277  unb 
281. 

*)  £.  et  J.  de  Goncourt,  Histoire  de  la  societe  fran^aise  pendant 
la  Revolution,  15. 

^  Anne-Dominique  de  Noailles,  Marquise  de  Montagu.  Paris  1865, 
132  u.  ff. 

22* 


336  @r&fin  %t^^  mit  @uaxb. 

ben  „Sriefcn  bcr  ®räfin  S.  an  ben  ß^cüaltcr  .  .  ."  läfet  er 
bic  ®räfin  fagcn:    „Sie  ®encral[taatcn  jinb  Je^t  baS  Sofuitflö* 
wort  ....    Sc^  glaube  xnxöi  nidbt  gu  täufd^en,  wenn  id^  an- 
nel^me,  bafe  Sie,  ©^eüalier,  biefe  2)infle  nie  flubirt  l^aben.    ®e6== 
ungead^tet  fennen  jte  btefelben  genau.    3)a§  ift  e§  eben,  voa^ 
bie  gebauten  mit  aSerjweiPung  unb  il^re  Srcunbe  mit  ©tolj 
erfüllt  ....    Sd^  bitte  @ie  barum,   beüor  @te  fid^   morgen 
auf  bie  3agb  begeben,  fdE)reiben  (Sie  mir  ein  3Bort,  jur  @r:: 
Ilätung  ber  ßonftitution".    Unb   ber  6l)eöalier  jeinerfeits   be= 
fd)reibt  bie  ®räfin  wie  folgt:    „®iefe  grau  ift  wtrflid^  oufeer» 
orbentUd^.    ©enfen  Sie  jid^,  bafe  eS  nun  gwanjig  ^affxt  ftnb, 
feit  jte  jtd^  mit  ©ntmerfung  einer  6onftitution  befd^äftigt,    feit 
fie  alleö  üorl^ergefagt  l^at,  waS  jid)  nun  erfüllt,  feit  jte  bereit 
ift,  für  baö  Gelingen  il^re§  ^lanö  ben  legten  ©lutötropfen  ju 
öergiefeen.    Sl^re  Äräfte  jinb  erfdE)öpft,  il^re  Sruft  fd^wac^,  i^re 
©efunbl^eit  elenb,   il^re  ©eele  aber  erfe^t  SHIe§.  .  .  .    SBenn 
man   mir  glaubte,    würbe   man   ii)x  eine  ©tatue   errichten." 
3)ie  Slrt,  wie  bie  ®räfin  il)re  politifd^en  ©isfufjtonen  fül^rt, 
läfet  ©uarb  jie   alfo  fdE)ilbern.    „3^  l^abe  jugletd^   ben  6rj» 
bifd)of   öon   9i.,    ber    feinen   @tanb    ganj    wal^njtnmg    Der* 
tl^eibigt,  unb  ben  Saron  3c.,  einen  unwürbigen  ^öjling,  ange» 
griffen.     Sie  l^aben  mir   beibt    bie    fc^  werf  alligen ,    altl^erge« 
brad)ten  ©inwürfe  oergilbter  Gl^ronifen  unb  ber  alten  ©cneral« 
ftaaten  über  bie  9^ot^wenbigfeit  jener  politifc^en  Qrox\ä)tnWtptv 
unb  focialen  Slbftufungen  gemadE)t,  an  bie  man,  ol^ne  bie  9Ron« 
ard^ie  ju  erfd)üttem,  nid^t  rühren  bürfe.    9lid^t  einen  cinjigcn 
ber  oielen  gJemeinplä^e,  mit  weld)en  man  eine  fo  elenbe  S^efc 
ftegreic^  öertl^eibigen  ju  fönnen  glaubt,  l^aben  jte  öergeffen.   Sd^ 
aber  l^abe  il^nen  il^re  ®ejd^idE)te  granfreic^ö  furjweg  geleugnet; 
id)  ^abc  erfldrt,  bafe  unfere  ®ebräud)e  barbarifc^,  unfere  ®efe^e 
abfurb  feien,  bafe  wir  eine  ßonftitution  befommen  muffen,  unb- 
ba  jte  mir  mit  einiger  SBegwerfung  wiberfprac^en ,   l^abe    td^ 
erwibert,  bafe  ba§  33olI  3ll(e^,  jte  aber  gar  nichts  feien,  nx\b 
baß  e§  jtd^  üießeic^t  entpfel^len   würbe,   bie  3Ronard^ie  abju» 


»)  Suard,  Melanges  de  Litterature,  IV,  201—212. 
^  E.  et  J.  de  Goncourt,    Histoire  de  la  societe  fran^aise  pendant 
la  R^Yolation,  15. 

*)  Dumont,  Souvenirs  sur  Mirabeau,  44. 


1 


©umont  über  bic  ©efeUf^aft.  337 

fc^affcn.  üReine  SÄuttcr  [tanb  l^ierauf  üom  @tul)l  auf  uitb  ! 
öcrlicfe  baS  34"^"^^^;  ^^^^  SSater  errötl^ete  unb  blidfte  mir  { 
fd^arf  ins  äuge;  meine  ®egtter  fd^wiegen,  unb  nad)bem  ic^  üon 
ber  SSoDftänbigfeit  meines  @iege§  mid)  fiberjeugt  l^atte,  eilte 
teil  fort  in  bie  Dper" '). 

%üx  baö  5ßorträt  ber  ®rafin  33.  in  biefer  ^arobie  t)^v^ 
iDcnbete  ©uarb  bie  QiiQt  ber  ®räfin  Seffe^),  aber  mand)e  3[n* 
bere  fonnte  jtd)  barin  tt)iebererfennen.  3)ie  Situation  erfd^ien 
ben  meiften  Scobad)tem  bereits  fo  ernft,  bafe  jie  nid)t  mel^r  ge« 
neigt  n)aren,  il^re  fomifd^e  (Seite  l^eröorjulieben.  „6§  ift  um 
möglid^'',  bemerlte  ber  im  republilanifd)en  ®enf  aufgcmad^fene, 
alö  6rjiel^er  ber  ©öl^ne  öon  Sorb  @l)elbume  unb  fpätern 
SKarquiS  oon  SanSbowne  an  bie  freijinnigfte  Sluffaffung  ber 
))olitifd^n  Slngelegenl^eiten  getoöl^nte  ©umont,  „e§  ift  xmmöglid), 
ftd)  eine  SSorfteHung  üon  ber  SSerwirrung  ber  Sbeen,  ben  SluS« 
fdjweifungen  ber  6inbilbungSlraft,  ben  Säd)erlid)feiten  ber  üolfs« 
tl^umlic^en  S3egriffe,  ben  Hoffnungen,  S3efürc^tungen  unb  geiben- 
fd^aftctt  aller  Parteien  ju  mad^en".  ,,3»an  glaubte",  meinte 
®raf  SauraguaiS,  „bie  3BeIt  am  S;age  nad)  ber  ©c^öpfung  gu 
feigen"  ^).  „®ie  l^eftigften,  fonberbarften  unb  fd)äblid)ften  ©d^riften 
fal^ren  gu  erfd)einen  fort",  notirte  SWaHet  bu  ^an  in  fein  Sage» 
fiud^.  „Sl^re  aSerfaffer  Italien  eS  für  möglid^,  in  fed)S  SKonaten 
bie  l^öd^fte  SSoßenbung  in  SSegug  auf  eine  SSerfaffung  gu  er^^ 
reid^en,  eine  abfolute  3Ronard^ie  in  eine  SRepublif  gu  üer» 
wanbeln  unb  freien  SBöIfern  nad)  ben  SSorfc^riften  beS  §erm 
ßacretctte  bie  fd^önften  gel^ren  gu  geben.  Sn  biefer  3Waf[e  oon 
^antpl^leten  entbedt  man  meber  gn^ei  übereinftimmenbe  Sbeen 
nod)  gtt)ei  übereinftimmenbe  5ßläne.  Sa§  Itebermafe  ber  Wü^^ 
bräud^e  ber  Slutorität  l^at  bie  je^ige  ÄrijiS  Ijerbeigefül^rt;   baS 


t 
338  fSRaUtt  bu  $an  unb  ®raf  Sofepl^  be  aRolftTe. 

Ucbcrmafe  bcr  SRcftamationcn  unb  SBorfd^lägc  tt)lrb  flc  öcrgcblid^ 
ntad^cn"  0- 

®ang  fibcrcinftintmcnb  mit  5KaDct  bu  $an  jd^ricb  ©rimm 

/  mit  frcimütl^igcm  @d)arfbHdE:  ^3^  fcl^c  alle  Sage  getoöl^nlid^e 
3Rcnfci)en  ben  SKonard^en  feiner  $rärogatiöen  mit  weniger  Se^ 
beulen  berauben,  als  xotnn  eS  ftd^  barum  l^anbette,  eine  i^rer 
$](|rafen  gu  opfern.    3Bann  wirb  man  aufboren,  bie  Elemente 

1  ber  ®efellfcl^aft  wie  jene  eineö  geometrifc^en  Problems  gu  be^» 
l^anbeln"  2).  @§  begannen  fc^on  bie  prop]^etifci)cn  SBortc  ftci^ 
gu  erfüllen,  mit  weldjen,  in  ber  ©nfamfeit  feiner  l^eimatl^Ud^en 
Serge,  ber  nod^  unbefannte  ^räfibent  be§  ©enateS  öon  ©aöo^en 
1784  feine  ÄoHegen  empfangen  l^atte.  „©er  ß^töningSgeift 
unfereS  ^alfxJ^nnbtxt^*^ ,  fo  lauteten  jte,   „](|at  nici)t§  öerfd^ont; 

;  ©efe^e,  ©itten,  altel^rmurbige  Snftitutionen,  er  l^at  3ine§  ange* 

1  griffen,  8tHe§  erfd)üttert,  unb  bie  SSerl^eerung  wirb  unfere  Se* 

l  fflrd^tungen  nod^  übertreffen"^). 

3llS  ®raf  @egur,  öon  einer  biplomatifdjen  SDKfjton  naci^ 
$ari§  gurücfgefelirt,  bie  ^auptftabt  nad)  mel^rjäl^riger  3lbwefcn* 
l^eit  wieberfal^,  fonnte  er  ftd^  beS  6rftaunen§  über  bie  öott* 
gogene  33eränberung,  aud)  in  focialer  Segiel^ung,  nid^t  erwel^ren. 
3)er  atticiömuS,  bie  öoHenbeten  Umgangsformen  unb  bie  rüdE* 
jtd)tSooHe  ^IWäfeigung  ber  alten  S^age  waren  f d^on  nid^t  mcl^r  gu 
finben.  ®ie  politifd)en  Seibettfd)aften  l^atten  bie  ©alonö  in 
Sirenen  oerwanbelt.  g^bermann  fprad^  laut  für  jtd^  unb  l^örte 
nid^t  mel^r  auf  bie  Slnbem;  „bie  grauen",  fäl^rt  et  fort, 
„mad)ten  barin  feine  SluSnal^me,  unb  unter  ben  anjtel^enben 

:  ober  bebeutenben  6rf(^einungen  ber  Jungen  ©eneration  cnt« 
faltete  befonberS  eine,  bie  SSaronin  ©tael,  eine  fo  au^erorbcnt*' 
lid)e  Schärfe  ber  ©ialeftif  unb  Serebfamfeit,   bafe  nur  fel^r 


1)  Hallet  du   Pan,    Analecta    sur   PHistoire    du   temps.     Unebirte 
gamilienpapierc,  0?ot)ember  1788. 

2)  Grimm,  Correspondance  litt^raire,  XIV,  319. 

^)  Comte  Joseph   de  Maistre,   Discours  k  la  rentree   du  S^nat 
de  Savoye,  1874. 


grrau  tyon  ®tael.  339 

mettige  9lebner  eS  mit  i^r  aufgunel^men  t)ermod)ten,  ba  jte  nid)t 
nur  in  (grftauncn  gu  je^cn,  fonbem  aud^  gu  übcrgcugcn  unb 
l^ingurcifeen  wufetc''^).  2Ba§  @^gur  fd)on  als  einen  SJerluft 
cnU)fanb,  war  fein  fold^er  für  %xavi  üon  @tael,  bie  gu  jung  war, 
um  ben  SBed^fel  gu  ffll^Ien,  ber  aud)  in  gefeüfc^aftlid^er  Se* 
giel^ung  ben  Uebergang  auö  bem  Sfieid)  ber  Sl^eorien  in  ba§ 
®ebiet  ber  Sl^atfad^en  begleitete.  %nx  pe  war  bie  SBenbung 
gcfommen,  bie  nid)t  nur  über  bie  geiftige  SRid^tung  ber  ^erfön« 
Ud^lcit,  jonbem  aud^  barüber  entfc^eibet,  ob  bem  SebenSfd^iff 
bei  SBerlaffen  beö  ^afenS  ein  mflj^fameö  Äämpfen  wiber  ben 
Strom  ober  eine  glfidElid^e  Sal^rt,  mit  ben  t)oHauögef:pannten 
Segeln  l^offnungSfreubiger  SJ^atfraft  unb  erwiberter  S^ntpat^ien 
beftinrait  tft.  Unb  je^t  wenig[tenS  ftanben  bie  Qtiäim  ii)x 
gfinjHg.  SBaö  auc^  fpäter  fommen  mod^te,  ber  Slugenblid  über«» 
bot  il^rc  fül^nften  Sräume.  3ln  ber  Spi^e  beS  Staates  ftanb 
il^r  3Sater,  unb  il^re  begeifterte  Siebe  für  il^n  tl^eilte  eine 
gange  Station.  Ueberall  tönte  i^r  fein  5ftame  entgegen,  fanb 
Pe  fein  Silb  wieber,  unb  bie  l^ödbften  Qxotdt  be§  ©afeinS, 
baj5  ®lüdE  eines  SSolfeö,  bie  Hoffnungen  ber  greil^eit  unb 
ber  Swiunft  üerlnilpften  pd^  für  pe  mit  ben  tiefften,  J)d^ 
ligften  ®efü^len  beS  §ergenS.  Unb  baS  gu  redE)ter  Qtxt,  im 
grfil^ling  beS  SebenS,  in  ber  SSoHfraft  il^rer  üierunbgwangig 
Saläre,  wäl^renb  bie  9Kufe  il^r  winite  unb  il^ren  Sug^nblodEen 
Ärftnge  bereit  l^ielt,  bie  fo  oft  erft  bie  erfaltete  Stirn  berül^ren. 
fjür  StaHe^ranb  war,  wie  fd^on  gefagt,  baS  l^öd^fte  SJlafe  gefeH* 
fd^aftlid^en  ©enuffeS  in  ben  Salären  unmittelbar  oor  ber  3fle= 
oolution  erreid^t.  ^r  Srau  öon  Stael  begeid)net  e§  bie 
Sal^reSgal^l  1789,  benn  niemals,  fagt  pe,  feien  mel^r  ®eift 
unb  eine  größere  inteHeftueße  Slegfamfeit  gu  Sage  getreten.  Sin 
ber  großen  QoX)\  üon  Talenten,  weld)e  unter  bem  ©inbrud  ber 
bamaligen  SSerpltniffe  pd^  entwidelten,  laffe  baS  pd)  ermeffen. 
SRie  fei  bie  ®efellfc^aft  gugleid^  emfter  unb  glängenber,  als  in 


»)  Comte  de  Segur,  Memoires,  II,  212—214. 


340  ^^^  poUmtt  @ianbf)unlt 

ben  brei  ober  üier  S^l^ren  öon  1788  btö  1791,  in  Icincm 
iJanbe  unb  gu  feiner  3^^^  ^^^  ^n\t  ber  Sftebe  in  Jcglid^er  Sorm 
bebeutenber  gewefen^).  @o  trat  jte,  angeregt  unb  mitiöirlenb, 
felbft  mit  fortgeriffen  unb  Rubere  wieber  bcgdftcmb,  in  bie 
Sewegung  ein,  wo  bie  Stelle,  bie  jte  auSfütten  jottte,  il^r 
längft  Dorgejeid^net  war.  ®ie  poIitifd)en  ©oftrinen  öon  fjtau 
üon  ©tael  l^aben  jtd^  mit  ben  Umftänben  mobijtcirt.  ©ie  3^*; 
üon  tt)eld)er  l)ier  bie  fRtbt  ift,  weife,  wie  fd^on  bemerft,  wenig 
ober  nid)t§  Don  ber  großen  conftitutioneHen  Sl^eorie  ber  ßon- 
I  ftberation§ ;  bie  ^rau,  welche  bie  Sleöolution  burd^Iebtc,  ift  eine 
anbere  ate  biejenige,  weld^e  bie  Sfteöolution  ergäl^lt,  unb  bie 
gereifte  (Srfal^rung  üon  1816  fpricf)t  eine  anbere  ©prad^c  ate 
bie  iugeublid)e  @d)Wämterei  öon  1789.  Slber  fo  fel^r  aud^ 
ba^  6rlebte  auf  i^re  ®ebanfenrid)tung  einwirfen  fottte  unb 
mufete,  fo  unöeränbert  blieben  i^re  S^mpatl^ien.  ©ie  gel^örten 
bamalö  unb  fpäter  jener  @xu)ppt  üon  ©belleuten,  für  weld^e 
fie  nie  aufgel^ört  l^at,  e§  al§  SSerbienft  unb  ©i^re  ju  be« 
anfprud)en,  ba§  jie  e§  waren,  weld^e  bie  SReöoIution  be* 
ganuen^).  ^anb  in  §anb  mit  i^rem  l^o^en  SSegriff  ber  %xtU 
ifcit  ging  bei  grau  üon  ©tael  bie  Ueberjeugung,  bafe  eine 
äteöolution  ju  il^ren  ®unften  nur  bann  gelingen  fonnte,  wenn 
bie  ©belften  unb  Seften  üoranfc^ritten  unb  ber  3ttM>iil^  öon 
j  £)ben  fam.  ®er  grofee  ®ebanfe  aller  reformatorifd)  ®eftnnten, 
I  oon  aSauban  unb  g^nelon  bi§  S;urgot,  war  noc^  ber  gcwefcn, 
i  bie  itrone  jur  Sleform  gu  oerpflid)ten  unb  bie  nationale  3Ser* 
tretung  nid)t  el^er  ju  berufen,  al§  biö  il^r  eine  üon  ben 
@d)laden  befpotifd)er  ®ewalt  befreite  SKonard^ie  entgegentreten 
fonnte.  ®ie  junge  ©eneration,  in  beren  3!teil)en  ^au  öon 
©tacl  ba$  ^^Jroblem  ber  3wfunft  mit  gu  löfen  oerfud^te,  greift 
in  ber  focialen  ^ierard^ie  fd)on  um  eine  ©c^ic^te  tiefer.  SBenn 
e§   nid)t    gelang,    ben   Äönig    ju    gewinnen,  fo  mufeten    bie 


')  Madame  de  Stael,  Considerations.    Oeuvres,  XII,  385. 
^)  (^benbafelbft,  Xll,  54  unb  132. 


Sl^r  Uttl^eil  übet  bie  fran3örtf(i^e  ©efd^i^te.  341 

(SbcUcutc  öorangcl)cn,  jene  liberale  Sugenb  üon  1789^H)eld)cr 
fftcnan  baö  SBort,  fte  l^abe  bett  Segriff  beiS  SBaterloinbö  ge* 
fd^ciffen,  auf  bie  Sippen  legt,  „bie  ©lermont^Sonnerre,  bie  SaU^» 
a4)Eenbal,  bie  ßritton,  bie  ßafteHane,  bie  Sa  Sftod^efoucaulb,  bie 
Soüloitgeon,  bie  Sa  iJa^ette,  bie  SÄontmorenc^,  beren  felbftlofe 
Eingebung",  wie  %xa\x  öon  ©tael,  bieSmal  in  Uebereinftimmung 
mit  ©ie^^S,  fpäter  fd)rieb,  „nie  öon  ben  SKännem  be§  Sierö 
flbertroffen  U)urbe"  ^).  ®a§  SSerftänbnife  für  bie  SSebeutung  unb 
bie  Serpflid^tungen  einer  ftarfen,  unab^ngigen,  geiftig  unb  po= 
litifd^  mächtigen  SIriftofratie  liegt  il^rer  gangen  Sluffaffung  ber 
franjöfifd^cn  ®efc^id^te  wie  it)xtx  aSorliebe  ffir  bie  englifd)en  3«*  ! 
ftituttoncn  gu  ®runbe.  Sn  tl^ren  äugen  ift  9lid)elieu  ber  böfe  \ 
®eift  ber  Station,  weil  er  bie  Slriftofratie  üemicfttet  unb  bie  ntäd)*  | 
tigen  SBafaHen  ber  Ärone  gu  Höflingen  erniebrigt  l)at.  @ie  j 
inad)t  feinen  ©efpotiömuS  für  bie  ß^^törung  ber  Originalität  i 
unb  So^alität  beö  frangöjifd^en  (Sl^arafterö  l^aftbar  unb  gel^t  ■ 
fo  weit,  ben  großen  SÄinifter  einen  S^emben  in  granfreid)  gu  j 
nennen  2). 

6ö  wirft  beinal)e  fomifd),  wenn  fte  il^ren  33ater  gegen 
ben  SBerbac^t,  5Rid)elieu  äl^nlid)  werben  gu  fönnen,  wie  gegen 
btn  fd)werften  SBorwurf  üert^eibigt^).  3Bäf)renb  ber  eingige 
Staatsmann  ber  erften  ^l^afe  ber  9fiet)olution  ben  SJlinifter 
aufforbert,.  gcrabe  biefe  Slolle  gur  9fiettung  SlHer  gu  über* 
nel^men*),  etflärt  9ledfer  faft  gleid)geitig  unb  im  SBoUgefü^l 
feiner  jtttlid)en  Ueberlegenl^eit  bem  Äönig  im  Sauf  einer  Unter* 
rebung  über  bie  (Situation,  ba§,  „wenn  je  ber  ®ang  ber  &x^ 
eigmffe  einen  SSJlagarin  ober  Stid^elieu  erforbem  foHte,   er  jtd^ 


^)  Madame  de  Stael,  Consideiations.  Oeuvres  XII,  352  unb 
I,   54.     Siey6s  bei  A.  Cherest,  II,  255. 

2)  ebenbafclbft,  XII,  36.  38. 

•^)  Madame  de  Stael,  Du  caract^re  de  Monsieur  Necker  et  de  sa 
vie  privee.     Oeuvres  XVII,  40. 

■*)  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  la  Marck,  I,  350, 
»rief  Dom  Wai  1789. 


i 


342  3(y  Urtidl  übet  bie  franabfif^e  ®ef4i4«e. 

nid^t  mel^r  jum  SRinifter  eignen  würbe  ^).  SHefelben  Sin» 
fid^ten  beftimmen  baS  Urt^eil  Don  grau  Don  Sto^I  fiber 
gubwig  XIV.  unb  bie  SKonard^ie  in  fjranfreid^.  ©ie  grofee 
f^rage  beS  3:aged,  ob  bad  Sanb  eine  SSerfaffung  befi^e,  beant^ 
loortet  fte  bal^in,  bag  t&  ti)tH^  nad^  altem  Sroud^  unb  ^r« 
fommen,  tl^etlS  nad^  äBillfür,  niemals  aber  nad^  fefien  ®efe^en 
regiert  morben  fei.  2)ie  fogenannte  @onftitution  bei  9teid^8 
beftel^e  nur  in  ber  ©rblld^Ieit  ber  Kniglic^en  Gewalt,  feine 
®efd^idt)te  in  ben  fortgefe^ten  aSerfud^en  ber  Station,  fld^  Siedete, 
unb  beö  Slbclö,  ftd^  ^öilegten  gu  ftdtiem,  wäl^renb  blc  Könige 
ben  SlbfolutiiSmuS  einfül^rten^).  @d  entgeht  i^r  nid^t,  oelc^ 
ungel^eurcn  ®efal^r  ein  Staub  auögefe^t  ift,  ber  gugleid^  beoor« 
gugt  unb  überßüfftg  geworben,  bie  @iferfud^t  nod^  l^eraudforbert, 
nadl)bem  er  bie  9)lad)t  oerloren  l^at.  @ie  gweifelt  feinen  SUtgen«» 
blicf,  bafe  ber  frangöftfd)e  Slbel  Privilegien  opfern  mn%,  aber 
fte  toiU  il^n  burd^  SBiebergewinnung  ber  politifc^en  SRad^t  baffir 
entfd^äbigt  wiffen,  unb  rechnet  babei,  nid^t  auf  ben  nicbcm  Slbel, 
ber  burd^  ®elb  ober  Seroilität  feine  Sitel,  Sßatente,  ^enfionen 
ober  ^frünben  erworben  l^atte  unb  mit  il^nen  feine  gange  93ebeutung 
oerlieren  mufete,  fonbem  auf  bie  alten  l^tftorifd^en  ®ef(^led^ter, 
wcld^en  fte  bie  SebenSfraft  gutraut,  nad^  bem  SKufier  ber  eng«» 
lifd^en  Slriftofratle  gum  großen  nationalen  ^atriciat  gu  werben, 
baS  unabpngig  oon  leeren  @tanbeS « äSorurtl^eilen  unb  beleibt« 
genben  aSorred)ten  willig  feine  SReil^en  febem  33erbienfi  auf* 
fd^liefet»).  SEBie  in  ber  ibealen  SBelt  be«  2)idt)ter8,  auf  ben 
Srettern,  weld^e  bie  3Belt  bebeuten,  &ö^  unb  Äarl  SRoor,  ^tSto 
unb  ^of a  e§  ftnb ,  bie  bem  neuen  ®ef c^ledt)t  atö  gül^rer  auf  bem 
SBeg  nad^  aRenfd^englüd  unb  ^reil^eit  ooranfd^reiten,  fo  foDten, 
nad^  ber  Sluffaffung  oon  grau  oon  Staöl  wie  nad^  ber  il^rer 


^)  De  radministration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-meme.    Oenyres, 
VI,  183. 

*)  Madame  de    Stael,    Considerations.    Oeuvres,  XII,    147—- 151 
3)  ebenbafclbft,  Xlf,  171-190  unb  201. 


3)^  Stellung  dU  mtahtaü.  343 

gfrcunbc,  au(S)  blc  SRac^fommcn  bcr  alten  fränfifd)cn  Eroberer, 
nun,  tDO  bie  Stribfine  ba&  ©d^lac^tfelb  unb  bad  SBort  baS 
©d^wert  crfc^c,  bcr  neuen  3^^  öorangel^en  unb  iJranfreld^ 
ivm  itmtm  SSRal  in  Seft^  nel^men.  S)iefe  SKuSfül^rungen  jtnb 
bcn  ^^ßonflb^rationö"  entnommen,  aber  ble  ®ebanfen,  meldte 
il^nen  gu  ®runbe  Hegen,  maren  1789  fo  lebenbig  in  il)r,  bafe 
fle  fld^  poetifc^  geftalteten,  unb  baS  ®rama  „SRontmorenc^" 
migefäl^r  jur  felben  3^^*  entftanb,  mo  SaUg  bie  Stragöbie 
„etrafforb''  fd^rieb^)  unb  9Karie  Sofepl^  (Spanier  „Äarl  IX.", 
ba«  S)rama  ber  Sartl^olomäuSnad^t,  bid)tete,  meld^eS  ben  Sluf 
Salma'S  begrflnbete  unb  ber  Slntl^eil  beS  Stl^eaterS  an  ben  ©r^^ 
eigniffen  beS  erften  SReöolutionöjal^rS  ift.  3)er  „SKontmorencq" 
wn  %t(m  twn  ©taöl  würbe  nid)t  gegeben  unb  jpäter  and)  nic^t 
öeröffentlid^t,  aber  guweilen  pflegte  jte  baS  StüdE  im  %xmnbt^^ 
freife  öorjulefen.  Unter  anbem  lernte  e^  fo  ber  9iad)folger 
öon  S^fferfon  als  ©efanbter  ber  SBereinigten  (Staaten  in  SßariS, 
©ouöemeur  5IRorri§  fennen,  ber  ben  ©inbrud  bel^ielt,  bafe  bie 
aSerfafferin  nod^  beffer  fd)reibe  als  öortrage  unb  ber  (S^arafter 
SWd^elieu'S  mit  großem  ®efd)id  entworfen  fei  2). 

©iefelbe  ©ejtnnung,  bie  jte  beftimmte,  ben  SBiberftanb 
gegen  ben  35efpotiSmuö  ber  Ärone  im  ftebgel^nten  gafirl^uttbert 
gu  öerl^errlid^en,  oeranlafete  jte,  gu  entf d^ulbigen ,  maS  jte 
fonfi  niemals  öergiel),  unb  wenn  oon  3Rirabeau  bie  SRebe  ift, 
mel^r  ate  einmal  gu  oergeffen,  ba§  jte  00m  größten  ®egner 
tl^reS  aSaterS  fprid^t^).  ©S  beftel)t  fein  3tt)eifel  barüber:  wäre 
fjrau  öon  ©taöl  nid)t  5fteder'S  Zo&)kx  gewefen,  fo  würbe  jte 
©emjenigen  fid^  angefd^loffen  l^aben,  ber  wie  fein  anberer  ben  / 
®eniu8  ber  SReüolution  barfteHte,  fo  wie  f^rau  oon  ©tael  1789    / 


')  Madame  Neck  er,  Melanges,  II,  157. 

*)  Jured  Sparks,  Life  of  Gouverneur  Morris  with  selections  from 
his  Gorrespondence,  I,  356. 

8)  Madame  de  Stael,  Considerations.  Oeuvres,  XII,  209.  260.  262. 
302.  314.  403.  405  unb  De  Popinioii  de  la  majorite  de  la  nation,  Settund^« 
ortlfcl  öon  Stnfanö  1792.     Oeuvres,  XVII,  324—325. 


344  ^^^  ^^^^  iRedfer? 

bic  SReüolutton  öcrftanb.  @o  lange  ÜRirabeau  lebte,  blieb 
il^r  Sluge  auf  feine  Stitanengeftalt  gel^eftet  unb  feber  SRero  in 
il^r  für  fein  eIeftrif(f)eS  SBort  entpfänglid^.  Sie  bewunbernbe 
Suftintmung  für  bie  politifd^e  Haltung  if)reö  SSaterS  rettete  jte 
nur  burd^  ben  ©opl^iSmu^,  bafe  er  qI§  Staatsmann  gemottt 
l^abe,  tt)a§  ber  ariftofratifd)e  SSolfötribun  begel)rte. 

Unb  maö  tt)oKte  ^ßeder?  3«  ^^^  beiben  Sd^riften,  bie  er 
wäl^renb  ber  langen  9tuf)epaufe  jmif^en  feinem  erften  unb  feinem 
gweiten  9JJinifterium  fc^rieb,  pnbet  fid^  feine  3luöfunft  barüber. 
®a§  33ud^  über  Slbminiftration  ber  ginangen  jeigte  bie  frül^ere 
aSorliebe  unb  Setüunberung  für  englifd^e  Snftitutionen,  01^"^ 
etwas  9leueS  barüber  gu  bringen  ober  bie  fjrage  il^rer  lieber- 
tragbarfeit  auf  franjöjifd)e  S^^ftönbe  gu  erörtern^).  ®aS  SBerl 
über  bie  SBic^tigfeit  ber  religiöfen  9)leinungen  befprad^  bie  un:' 
gel^eure  fociale  ®efal)r  einer  irreligiös  geworbenen  SBeltanfdiauung 
unb  erl^ielt  ben  $reiS  ber  Slfabemie  im  Slugenblidf,  »o  fein 
33erfaffer  9Kinifter  mürbe  2).  3lber  fo  fel^r  eö  ben  ©enfer  unb 
ß^riften  el^rt,  mit  fotd)en  fragen  in  einer  fold^en  ß^it  fid^  be«* 
fd^äftigt  gu  l^aben,  fo  mar  baS  nur  möglid^,  menn  baS  ungel^eure 
Problem  ber  SRefonftruftion  ber  SWonard^ie  ben  Staatsmann  nic^t 
abforbirte.  6rft  feine  fpätern  @d)riften  befc^äftigen  ftd^  mit  bem 
poHtifdi)en  ©Qftem,  baS  er  als  SWinifter  ptte  burdE)fül^ren  foKen. 
©ie  SBereitmilligfeit ,  mit  meld^er  er  bei  Uebernal^me  feines  gtt}citen 
SJJinifteriumS  ben  frül^eren  3Biberftanb  gegen  bie  Serufung  ber 
©tänbe  aufgab,  murgelte  in  feiner  üeränbcrten  Uebergeugung. 
®enn  fpäter  ift  er  mieberl^olt  barauf  gurücfgefommen,  bafe  bie 
Ueberftürgung ,  mit  metd)er  bie  ©eneratftaaten  öon  ber  SRegie» 
\  rung  üerfprod^en  mürben,  unb  bie  Ungebulb,  mit  melc^er  bie 
'  Station  bie  3luSfü^rung  ber  eingegangenen  aSer:pfIidl)tungen 
forberte,  @d^ulb  an  aßem  fpätern  Unl^eil  trage.  „Sie  ©e* 
putirten",  fagt  er,    „ftnb  gufammengetreten ,   ol^ne  ba|  Semanb 


^)  Neck  er,  Oeuvres,  V,  598. 

^)  Grimm,  Correspondance  litteraire,  XIV,  136. 


Söa«  mute  «Redet?  345 

Seit  gcl^abt  l^SAtt,  ftd^  auf  eine  \o  n)id)ttge  @ad)e  gel^örig  öor= 
zubereiten"  *).  „SBaruni",  fügt  er  l^inju,  „foUte  ic^  üerfd^weigen, 
imfe  tnetnc  erften  unb  legten  ©ebanlen  ftetö  einem  Kegierungö*  I 
f^ftem  gflnftig  waren,  mit  tt)eld)em  »eber  ble  nad^  brei 
©täuben  gefonberten  ®eneralftaaten  nod)  irgeub  ein  anbereö 
Snftitut  ber  alten  3Monar(f)ie  gu  Dergleichen  jinb"^). 

©iefeS  3fiegierung§f9ftem  war  baö  conftitutioneHe  nad)  eng« 
Itfd^em  SBorbilb,  geftü^t  auf  eine  ftarle,  mäd)tige  unb  einflufe*     i 
rcid)e  Slriftofratie,   ol^ne  bie  aud)  9lee!er  bie  gemäßigte  ÜRon-     j 
ard)ie  gar  md)t  fflr  moglid^   l^ielt.     @in   SÄilitärabel   |d)ien 
tl&m  gefätirlid^,  ein  ^Jinanjabel  gu  üielen  SBed^feln  unterworfen; 
er  woHte  btn  ©rbabel  unb  eine  in  jwei  Kammern  gefc^iebene 
33ertretung,   weil  er  üorau^fal^,  bafe,  Dom  Slugenblidt  an,  wo 
bieö  nid)t  gelang,  baö  Verlangen  nad)  ®leid)l^eit  über  ben  Se* 
griff  ber  ^eil^eit  ben  Sieg  baüon  tragen  werbe  ^).  Stile  fpäteren 
©reigniffe  l)aben  bie  9üd)tigfeit  biefer  a[nftd)t  beftätigt.    iJeiber 
tl^at  Sßedfer  nid)t§,  um  jte  burd^gufe^en,  obwol^l  er  ben  3^^^=      , 
punft  üor  bem  3iif<^«tmentritt  ber  ©täube  al§  benj[enigen  be= 
jeid^net,  wo  e§  bem  energifd)en  SBiUen  be§  ÄönigS,  wäre  ein 
fold^er  üorl^anben  gewefen,  gelungen  wäre,  bie  grage  in  biefem      ■ 
©inne  ju  entfd)eiben^).    ®er  Äönig  t^eilte  aUerbing^  bie  Sintis      \ 
patl^ie  feineö  ganjen  §aufe§  gegen  bie  englifd)en  Snftitutionen^),      : 
wenn   er  aud)  barin  nid)t  fo  weit  wie  fein  Sruber,  ber  @raf 
öott  SlrtoiS,  ging,  ber  nod^  unter  ber  SReftauration  äußerte,  e§ 
fei  beffer,  ^olj   ju  fägen,   al§  unter  ben  33ebingungen  eineö 
englifc^en  SÄonard^en  Äönig  gu  fein. 

SIber  eö  gab  anbere  ®inge,  g.  33.  bie  ©eneralftaaten  felbft 
ober  bie  35Bieberwal^l  3fledfer'S,  in  bie  Subwig  XVI.  gegen  feine 

*)  Necker,    De   la  Revolution  fran^aise,  1796.     Oeuvres,  IX,  126— 
128  u.  145. 

2)  ebenbafelbft,  IX,  131. 

^)  Necker,  Derniferes  vues  de  politique  et  de  finance  1802.    Oeuvres 
XI,  240. 
\.      *)  ebenbafelbft,  XI,  132. 

*)  Necker,  De  la  Revolution  fran^aise,  1796,  IX,  132. 


i 


346  9Bad  tuoHte  Siedet? 

Steigung  gen)illtgt  l^atte,  unb  ein  äßinifter,  ber  ben  banfrotten 
@tQat  fibemal^m,  befag  tt)ol^I  ba^  Siedet,  ein  $rogtamnt  in 
S3or[d)Ia9  ju  bringen  unb  eine  Meinung  ju  l^aben.  S)aB 
Sieder  bieö  nid)t  einmal  Derfuij^te,  lag  Diel  weniger  in  ben  SBcr« 
l^ältnif[en  aU  in  feinem  Sl^aralter.  @r  nennt  fid^  felbfi  unent^ 
fd)Ioffen  unb  ju  SBebenfen  geneigt^).  UebereinfHmmcnb  ba« 
mit  fagte  grau  öon  ©taäl  üon  il^rem  SSatcr,  er  fei  burd^ 
Sl^aralter  rok  bmä)  ©eifte^Sanlagen  t)eranla6t  n)orben,  bie 
Umftänbe  abiun)arten  unb  il^nen  burd^  leine  Sntfd^eibung  Dor« 
gugreifen.  „SBebenfen  l^atten  über  il^n  bicfelbe  ©ewalt,  wie 
über  Slnbere  bie  ßeibenfd)aft.  S)ie  ©rwögungen  fcincS  SSer« 
ftanbed  unb  bie  Sebl^aftig!eit  feiner  @inbilbungdlraft  Derfe^ten 
il^n  jun)eilen  in  einen  S^ftcinb  franll^aften  Qö%tm&.  2>a}u 
pflegte  er  ftdt)  leidet  ebcnfo  bittere  atö  ungered^te  SSorwürfe  ju 
mad)en''.  f^rau  t)on  @tael  fe^t  fid)  !einem  äBiberfprud^  au8, 
wenn  fte  bem  ©efagtcrt  l^injufügt,  „wiber  SBiKen,  unb  nur 
burd)  bie  Umftänbe  gejwungen,  l^abe  Stecfer  3U  ä^eränberungen 
in  ber  poUtifd)en  Drganifation  ^anfreid^S  bk  ^anb  geboten"  ^). 
Sl^rer  @d)ilberung  entfprid)t  feine  ^anblung^meife  Doülommen. 
@r  Derfäumte  nid^t  nur  leine  @elegenl^eit,  baran  gu  erinnern, 
bag  er  bei  Uebemal^me  beS  ^inifteriumiS  btn  StonxQ  unb  feine 
Sftatl^geber  burd)  il^re  3Serfpred)ungen,  unb  burd^  bk  Hoffnungen, 
bie  fte  erwcdtt  l^atten,  gcbunbcn  fanb^),  fonbem  er  »ie«  bie 
barauS  fid)  ergebenben  SSerautmortuttgen  aud^  bann  nod^  gurädf, 
atö  feine  (SteKung  e^  it)m  gur  $flid^t  gemad)t  l^atte,  2n)ifd^en 
SSal^rung  ber  il^m  ant)ertrauten  löniglid^en  Slutorität  unb  ben 
SBünfd^en  ber  3lation  ju  vermitteln.  ®ie  Stagcn,  bereu  @nt» 
fd^eibung  bröngte,  betrafen  bie  geeignete  Qafjl  ber  Slbgeorbneten 


0  De  radministration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-meme  1791.  OeuTres, 
VI,  88. 

^)  Madame  de  Stael,  Gonsiderations.  Oeuvres,  XII,  66 — 67  u. 
69 — 70  unb  Du  caract^re  de  Monsieur  Necker.    Oeuvres,  XVII,  39. 

^)  Neck  er,  De  la  Revolution  fran^aise,  1796.  Oeuvres,  X,  58. 
Madame  de  Stael,  Du  caract^re  de  Monsieur  Necker  etc.  XVII,  41. 


^ie  aioeite  Berufung  bet  fflotaUln  but(i^  9ltdtt.  347 

im  ©ongcn  unb  in  icbcm  bcr  brci  ©tänbc,  bic  ©röfec  bcr 
aBal^lbcjirfc,  bic  2lrt  unb  SBcifc  bcr  Scitung  bcr  SBal^Icn,  bic 
«cbingunflcn  bcr  SBa^lfä^igkit  unb  SJÖäl^Ibarlcit,  bic  gorm 
bcr  Slbfümmung  unb  Slbl^altung  bcr  aScrfammlungcn ,  in 
wdd^cn,  nad^  altem  ^crfommcn,  bic  Aufträge  bcr  SBäl^Icr 
an  bic  äbgcorbnctcn  aufgcjcid)nct  mcrbcn  f otttcn  ^).  Ucbcr  einen 
biefer  5ßunltc  ftanb  Slcrfcf«  pcrfönlid^c  anjtd)t  fcft.  ©r  moHtc 
bcm  SEicr«  bic  boppcitc  ß^i^l  ^on  SIbgcorbnetcn  bewilligt  »iffen 
unb  l^iclt  CS  nad^  bcn  SBortcn  öon  Stau  Don  ©tael  nid^t  für 
moglid^,  „bm  Äönig  baburc^,  bafe  er  jtc  öcrmcigcrtc,  bcm 
SSormurf  bcr  Ungercd)tigfcit  unb  einer  gcfäl^rUd^cn  Unpopularität 
auSgufe^en"  2).  UeberbicS  l^attc  er  biefe  boppcitc  25crtrctung 
bcn  $rot)ingiaIt)crfammIungcn  fd^on  gugeftanbcn  unb  n)ar  in 
Solge  bejfcn  faum  mel^r  in  bcr  Sage,  jtc  für  bic  ©cncralftaatcn 
gu  öcrweigcm.  SBcnigcr  beftimmt  bagcgen  waren  feine  Sbeen 
barüber,  ob  bic  SBäl^lbarlcit ,  wie  Surgot  c§  gewollt  l^attc^), 
an  feftc  Sebingungen  bcö  SBejt^cS  unb  an  ein  beftimmteS  @in« 
tommcn  gcfmlpft  fein  foKtc.  ßrft  ate  er  aufgel^ört  l^attc,  SMi- 
nifter  gu  fein,  crllärtc  er  bicö  für  abfolut  notl^wcnbig*),  meinte 
bann  aber  in  einer  fpätcren  ©d^rift  wiebcr,  bic  gcftftellung 
fold^cr  aSebingungen  wäre  in  ^t^anfrei^  bei  bcm  Swft^iit^  beö 
©tcucrwcfcnö  nid^t  burd^fül^rbar  gewefcn  unb  würbe  überbicS  1 
bcn  armen  ^ßfarrflcruö,  bcr  nid^tS  befafe,  unb  üicic  bcr  fäl^igftcn  1 
ÜRitglicbcr  bcö  Sicrö  auögcfd)Ioffcn  ^aben,  wcld^c  bic  bcmütl^igcnbc  \ 
SBebingung  bcr  S^^Iw^Ö  ^^^  SaiHc  öom  ßrwerb  öon  ®runb  t 
unb  aSoben  abl^iclt^).    älö  SKinifter  aber  tl^at  er  aud^  in  biefer      j 

*)  Sefer,  SJetfct'S  atoeitcS  SWiniftcrium,  71,  nad^  htm  Proces-verbal  de 
Tassembl^e  des  notables  tenue  ä  Versailles,  en  Tann^e  1788,  74—79. 

^)  Madame  de  Stael,  Du  caractäre  de  Monsieur  Necker.  Oeuvres, 
XVII,  41. 

^  Lavergne,  Les  Assemblees  provinciales,  8. 

*)  Necker,  Du  pouvoir  ex^cutif  dans  les  grands  Etats  1792.  Oeuvres 
VIII,  578. 

*)  Necker,  De  la  Revolution  fran^aise,  1796.  Oeuvres,  IX, 
«7—89. 


348  ^i<^  3^^^^  8erufnng  bei  9{otabeIn  hmd^  9ltdtx. 

SRid^tung  nid^tö,  um  bie  franjöjtfd^cn  3uftänbc  feinem  poKtifd^en 
Sbeal  ber  brittifdöen  ßonftitution  naiver  ju  bringen,  fonbern  er 
tarn  auf  bcn  unglüdflic^en  Oebanfen,  eine  3toeitc  äSerfommlung 
öon  5RotabeIn  ju  berufen  unb  il^nen  bie  ^^ftfielfamg  ber  SBol^t 
gefe^gebung  gu  überlafien.  2)iefer  ©(j^ritt  il^reS  SSaterS  wirb 
felbft  öon  grau  üon  ©tael  nic^t  üertl^eibigt  unb  öon  S^ier^ 
ber  3tbjtd)t  jugefd^rieben,  ba^  Slnfel^en  ber  erften  beiben  ©tänbe 
JU  ©unften  ber  ^one  gu  öemid)ten^),  eine  8[nfd)ulbigung, 
meldte  audb  bie  äufeerfte  Siedete  nie  aufgel^ört  l^at,  gegen  SIedfer 
gu  wieberl^olen.  ©erec^tfertigt  ift  bie  Unfd^ulbigung  fd^on 
be^l^alb  nicl)t,  meil  bei  biefer  Oelegenl^eit  bie  Berechnungen  be§ 
9Kinifter§  fel)lfd^lugen.  2)er  Äönig  nämlid^  l^atte,  atö  er  in  bie 
Serufung  ber  9lotabeln  willigte,  bie  Sebingung  baran  gefnöpft, 
ba^  \i)xt  Seratl^ungen  in  feiner  SBeife  beeinflufet  werben  fottten. 
^®iefe  6mpfel)lung  beö  "Stonaxäjen" ,  fd^reibt  3lecfer,  „fd)ien  mir 
burd^au^  nic^t  in  SBiberfprud)  mit  feinen  Sntereffen.  SRan 
gewann  baburd)  ^dt,  ben  ®ang  ber  öffentlid^en  SReinung  gu 
ftubiren,  il^re  gortfd^ritte  gu  beobad^ten  unb  il^re  Ärfifte  gu 
bered)nen.  Unb  inbem  bie  Seratl)er  beö  Äönig§  bie  9lotabeIn, 
ol^ne  jtc^  eingumiid)en,  öerl)anbeln  liegen,  fidjerten  jte  htm 
2Ronard)en  bie  @elegenl)eit,  ein  wenig  mel)r  al§  biefe  gu  @un* 
ften  be^  Sierö  gu  tt)m"^).  3Jlit  anbem  SEBorten,  5RedEer .  woDtc 
3eit  gewinnen  unb  feine  Popularität  wal^ren,  ol^ne  beSl^alb 
mit  ben  beiben  erften  Stäuben  gu  bred^en,  bereu  er  gur  6r* 
rid^tung  feinet  gufünftigeu  politifd^en  Oebäubeö  gar  nid)t  cnt* 
beirren  fonnte. 

Unter  biefen  SSoraueje^ungen  traten  bie  5RotabeIn  am 
6.  5toDember  1788  ein  gweitee  2Ral  gufammen  unb  ftatt  beiS 
©iegelbewal^rer^  Sarentiu  legte  9terfer,   ber  fid)   biefe§  9fted)t 


0  Madame  de  Stael,  Considerations.    Oeuvres,  XII,  178.  Thiers, 

0 

flistoire  de  la  Revolution  francaise.    Edition  de  Bruxelles  1838,  I,  17. 
-)  Necker,    De  la  Revolution  fran^aise,  1796.     Oeuvres,  IX,  87. 


iRedet  getuSl^rt  bie  boppelte  Vertretung  bed  %itt&.  349 

oUiSbrfidflid^  üorbel^alten  l)attc^),  il)ncn  bie  ©rgcbniffc  bcr  5fladö* 
forfdöwnß^n  bcr  Sftegierung  über  bie  Silbung  ber  Stcid^öftänbe 
unb  bie  Stage  t)or,  ob  jte  an  ben  alten  Ueberlieferungen  unücr« 
änbcrt  fcftl^altcn  ober  nic^t  oielmel)r,  nad^  beö  ÄönigS  SBunfd^, 
bie  Sebürfniffe  ber  ©egenmart  babei  berücfjtd^tigen  rooHten^). 
Sn  bem  ©utad^ten  über  bie  ganje  SBai^Igcfe^gcbung  foßten  pc 
Pd^  barübcr  entfd).eiben.  ®ie  3lotabcln  waren  in  Scjug  auf 
bie  wid^tigfte  ffragc,  bie  ber  boppelten  SSertretung  be§  Sierg, 
infofem  nid^t  weniger  gebunben  alö  nieder,  alö  pe  biefelbe  im 
öorl^ergel^enben  ^af)x  ben  5ßrot)iniiaIoerfammIungen  jugeftanben 
l^atten.  Seit  ber  ^tit  aber  war  in  unjäl^ligen  Srod)üren 
unb  ©rörterungen  aßer  2lrt  biefe  %xaQt  nid^t  nur  al§  unbe= 
bingte  iJorberung  be§  brüten  ©tanbeö,  jonbern  bereite  aud^  alö 
Slngrifföwaffe  bcöfelben  gegen  bie  beiben  anbem  ©tänbe  oer= 
wcrtl^et  worben.  Slngepd^tg  biefer  wadt)fenben  ©efal^r  erflärten 
je^t  bie  9iotabcIn  in  aUen  il^ren  SBureauj:,  mit  Sluönal^me  be§ 
Dom  ®rafen  oon  ^rooence  präpbirten,  pd)  gegen  bie  boppelte 
aScrtrctung  beöSierö,  oerweigerten  fomit  9ledEer  il)re  moralifdt)e 
Unterftü^ung ,  wie  pe  Srienne  bie  pefuniären  |)ülfemittel  oer= 
weigert  l^atten,  unb  il)re  ©i^ungen,  bie  ber  englifdt)e  33oIföwi^ 
f^on  1787  alö  bie  ber  not-ables  bejeid^nete^),  würben  am 
12.  ©ccember  gefd^Ioffen.  %ixx  nieder  war,  feinen  angefül)rten 
Sleufecrungen  nac^,  bie  ©ntfd^eibung  weber  unerwartet  nod^  fo 
ganj  unerwünfd)t.  6r  l^atte  gw^ar  audt)  je^t  nod^  mand^e  Se= 
bcnfen  unb  gab  nad^  2Ralouet  „nur  jögemb  unb  unter  bem 
einbrucf  na^,  ben  bie  öffentlidt)e  ©timme  nie  auf  i^n  ^n 
mad^en  oerfel^lte"^),  aber  enblic^  ging  er  boc^  ooran  unb  ent= 


')  Sefer,  9Ze(!et'S  itDtiU&  ^xm]tmum,  63.    Barentin,  M6moires  auto- 
graphes,  48. 

2)  Necker,   Oeuvres   compl^tes,   VI,  402  ff.    Arret  du    5.  Octobre, 
412—416,  Discours  d'ouverture. 

^)  Lord  Auckland,  Journal  and  Correspondence,  I,  249. 

*)  Malouet,  Memoires,  I,  249  unb  Necker,  De  la  Revolution  fran- 
^se.     Oeuvres,  IX,  97. 

S3lenner](>at|ett,  %xan  ton  ©tael.  I.  23 


350 


Scr  3DWmfterrot^  öom  27.  ©ecembct  1788. 


fd)ieb  im  ülamcn  beö  Äönigö,  waS  bic  5RotabcIn  unerlebigt  ge= 
laffen  ober  üertpcigcrt  l^attcn.  6S  würbe  beftimmt,  ba§  bie 
SaiUiagcn  unb  @enef d^auffeen ,  bic  feit  @nbe  beiS  fünfzehnten 
Sal^r^unbertö  in  allen  ^roDingen,  bie  feine  ©tänbe  l^atten,  bie 
SBal^lbegirfe  für  bie  ©eneralftaaten  bilbeten,  nid^t  wie  früher 
ßleid)eö  Sftedbt  genießen,  fonbern  je  nad^  ber  Qafjil  il^rer  ginwol^ner 
unb  bem  Setrag  il^rer  Seiftungen  an  ben  Staat  il^re  SBertretung 
tDäf)len  foHten,  waö  bie  Oefammtjal^l  ber  Slbgeorbnetcn  aller, 
aud)  ber  ftänbifdjen  ^roöinjen  auf  minbeftenS  taufenb  feft^* 
fe^tc^),  unb  bie  boppelte  SSertretung  be§  SierS  würbe  gewährt. 
®aö  aber  liefe  Dtecfer  aufeer  2ld^t,  bafe  er  bie  bereit»  Don  atten 
Seiten  angegriffenen  gwei  erften  ©tänbe  öoHenbS  baburd^  big« 
frebitirte,  ba^  er  fte  berief,  befragte  unb  wieber  entliefe,  um 
hierauf  ba^  ®egentl^eil  t)on  bem  ju  tl^un,  xoa^  fte  in  i^rer  weit» 
au§  größeren  ^JJajorität  gerat^en  l^atten.  Unterbefe  war  wieber 
3eit  Derloren  worben  unb  bie  für  Januar  öerfprod^ene  Se« 
rufung  ber  Stänbe  mufete  abermals  öertagt  werben,  gür  bie 
beiben  Seftimmungen  über  bie  SBalilbegirfe  unb  bie  301^1  ber 
SJiitglieber  beö  Jier^J,  bie  guerft  bem  Äönig  öorgelegt  unb  im 
SJiinifterratl^  Dom  27.  ©ccember  1788  gutgel^eifeen  würben,  bc» 
anfprud)te  5ledfer  bie  Doße  ä?erantwortung.  SHerc^  berichtet,  au8 
einer  Unterrebnng  mit  9Kabame  9?edEer,  „ber  Vertrauten  beS 
^ergenö  il^re§  ®cmal^I§'^  bie  Ueberjeugung  gewonnen  ju  l^aben, 
ba^  biefer  entfd)loffen  war,  feine  ©ntlaffung  gu  nel^men,  wenn 
ber  Äönig  nid)t  nadtigab,  weil  er,  im  %aü  ber  Sierg  geopfert 
würbe,  feine  3Jiöglid^feit  mel^r  fal^,  bem  Sürgerfrieg  gu  ent» 
rinnen.  ßrfüUe  man  I)ingegen  feine  SBünfd^e,  fo  werbe  eö 
fpäter  möglid)  fein,  ®lanj  unb  Stellung  ber  beiben  anbem 
stäubt  ju  rtd)em2).  2lber  d)arafteriftifd)er  SBeife  fe^te  5ftedfer 
fpäter  au^einanber,  bafe  biefe  Seftimmung  fälfd^lid)  eine  bop* 


')  <iefer,  Dfecfer'S  a^oeiteS  9J?imfteruim ,  87,  SRotc,  m^  Barentin, 
Memoires  autographes,  67—68. 

^)  Wertheimer,  Documents  inedits  relatifs  ä  Marie -Antoinette. 
Revue  historique,  1884,  II,  327.    Wltxct)  an  Staumii,  6.  Samiar  1789. 


©eine  Srolgen.  351 

^)cltc  SScrtretung,  un  doublement  du  tiers,  genannt  wor* 
bcn  fei,  bcnn,  fagt  er,  in  bcn  britten  ©tanb  fonnten  ©bet 
leutc  unb  ^ricftcr  gewäl^It  »erben,  wäl^renb  fein  5Rid^tprit)iIegirter 
einen  anbcm  alö  feinen  eigenen  ©tanb  vertreten  lonnte.  S^bem 
l^abe  eö  jtd)  für  bie  ^Regierung  nid^t  fo  fel^r  um  bic  Qat)l  bcr 
©timmen  in  ben  ©eneralftaaten  alö  öielmel^r  um  bie  il)rer 
Sln^nger  in  ber  Station  gel^anbelt  ^).  ®ie  trcueften  unb  öer^^ 
Ififeigftcn  biefcr  Slnl^änger  feien  aber  bie  Pfarrer  gewefen,  bie 
er,  im  einöcrftänbnife  mit  ben  Slotabeln  unb  jwar  auöbrücflid) 
als  „Anwälte  unb  3Sertreter  be§  armen  SSolfeö"  in  bie  SSer* 
fammlungen  bcö  Äleruö  atö  SBäl^ler  berufen  unb  t)on  bencn 
er  Unterftüfeung  für  feine  Sßläne  ertüartet  l^abc^).  Sud^  in 
biefem  wicfetigen  Sßunft,  ber  eine  fo  grofee  SloUe  in  ber  9lie= 
t)oIutionögefd^id^te  gefpielt  i)at,  foHten  3lecfer'ö  ©rwartungen 
fletäufd)t  werben.  ®er  fo  lange  jurüdgefe^te ,  oon  allen  ein* 
traglid)en  &eVim  auögefc^Ioffene  5ßfarrfleruö  weigerte  pd), 
feine  3ntereffen  oen  I)ol)en  geiftttä)en  SBürbenträgern  ju  über* 
laffen,  bic  fo  lange  taub  für  feine  Sitten  unb  SSorfteUungen 
geblieben  waren.  ®ie  187  Sßfarrer,  bie  ftc^  im  Sunt  1789 
utit  bcm  2:ierö  bereinigten,  gaben  bm  Slu§fd)Iag  gu  feinen 
©unften.  6§  waren  alfo  nid)t,  wie  9ledEer  geglaubt  l^atte, 
bic  beiben  crften  Stänbe,  bie  2lnl)änger  in  ben  3leil)en 
beS  2:ierS  gewannen,  fonbern  biefer  gog  bie  oppojttioneßen 
©lemente  in  il^ren  JReil^en  gu  ftd)  l)inüber^).  35iefer  falfd)en 
Sered)nung  fd^lofe  ftd)  ein  anberer  oerJ^ängnifeooßer  Srrt^um 
an.  3lecfer  meinte  nämlid)  burd)  bie  Seftimmungen  t»om 
27.  ©ecember  alle  ®runblagen  ber  conftitutioneßen  t5reil)eit  ge= 


')  Necker,  De  la  Revolution  fran^aise  1796.  Oeuvres,  IX,  64,  97 
unb  99. 

2)  ebcnbafelbft,  IX,  97  unb  162. 

3)  Male u et,  Memoires,  I,  279.  ««iebu^t,  ©efd^id^te  beS  Scitolterö 
ber  SRcboIution,  1,170—171.  SBern^arbt,  ©efd^td^te  SRufelanbS,  IP,  173. 
Taine,  Origines  de  la  France  contemporaine,  la  Revolution,  I,  11.  C hö- 
rest, La  Chute  de  Fanden  Regime,  II,  255. 

23* 


I 

) 


352  ©eine  golgen. 

geben  ju  i)ahm^),  wäl^renb  im  ©egentl^eti  bm  ©encrdfiaatcn 

bie  ©ntjd^eibung  ber  tt)id)tigften  gragen  überwiefc«  blieb,    ©ie 

eigentlid^e  %o\Qt  ber  boppelten  SSertretung  beö  SEtcrS  l^ätte,  wie 

%xan  öon  @taäl  ganj  rtd)tig  bemerft,  bie  SEl^eilung  ber  natio* 

naien    ä?ertretung   in    jwei   Äammern  fein  müflen,   unb   alle 

fpätern  @ci)riften  il^reö  aSaterg  beftätigen,  bafe  biefe§  ba«  ßiel 

war,  tt)eld)e§  il^m  öor  Singen  ftanb,  al§  er  fie  gewäl^rte^).    3)te 

@ntfd)eibnng  beö  Süiinifterratl^ö  öom  27.  ©ecember  war  nnr  ber 

erfte  @d)ritt  bajn.    ®enn  ber  Stiert  fonnte  jtc^  mit  bcm  &t^ 

,  botenen  nid^t  jnfrieben  geben,  wenn  bod^  wieber  nad^  Stänben 

I  geftimmt  würbe,  ba  in  biefem  g^all  baö  Sugeftänbnife  anfl^örtc,, 

/  ein  foldt)e§  ju  fein,  nnb  er  in  baö  frül^ere  Serl^ältnife  t)on  einer 

j  gegen  jwei  Stimmen  gnrfitftrat.    SBollte  er  jur  politif^cn  J&err« 

I  fci)aft  gelangen,  fo  mnfete  er,  toa^  aud^   fpäter  gefd^al^,  ba^ 

(    aSotum  nad^  Äöpfen  in  einer  58erfammlnng  bnrd^fe^cn. 

©oute  bagegen  ba^  politifd)e  ®leid^gewid)t  in  einer  gc- 
mäßigten  SRonard^ie,  auf  weldt)e  5Keder'§  ©ebanfen  8crid)tet 
waren,  liergefteUt  werben,  fo  war  bie  Slieilung  ber  nationalen 
aSertretung  in  jwei  Äammern  bebingt.  3)iefe  Söfung  tonnte 
nur  unter  ber  SSorauSfe^ung  gelingen,  bafe  ber  SOWniftcr 
@leidt)gejtnnte  fanb,  bie  bereit  waren,  fte  mit  il^m  öorju* 
bereiten,  bi§  ber  Slugenblid,  jie  burd^jufül^ren,  fam.  6* 
war  feine  S^tt  gu  verlieren,  benn  baö  SSerlangen,  bie  brct 
©tänbe  ju  einer  SSerfammlung  ju  bereinigen,  baS  gucrft 
im  Sluguft  laut  geworben  war  3),  l)atte  feitbem  tägltd^  an 
©tärfe  gewonnen,  unb  eö  war  fd)on  faum  mel^r  jweifcll^aft,  in 
weld)em  Sinn  bie  grage,  wenn  ber  SKinifter  jte  au§  ben  $äm 
ben  gab,   oon  ber  9)iel^rl)eit  ber  nationalen  SSertretung   ent* 

*)  De  l'administration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-meme  1791. 
Oeuvres  completes,  VI,  207. 

2)  Madame  de  Stael,  Considerations.  Oeuvres  completes,  XII,  179. 
Necker,  De  la  Revolution  fran^aise.  Oeuvres  IX,  73  unb  Malouet, 
M^moires,  J,  279. 

8)  ßefcr,  92ccfcr'S  ^totittS  TOniftcttum,  107,  92otc,  dtirt:  Considerations 
interessantes  sur  les  affaires  präsentes.     Aoüt  1788. 


SRctfer'ö  gartet.  353 

td^tcben  tüerbcn  mürbe.  ^Dagegen  fel)ltc  e§  nid^t  an  Scannern, 
tüic  ftc  3lcder  jur  ©urcl)fü^run8  feiner  ^i^een  beburfte.  ®ie 
meiften  berfelben  braud)te  er  nid^t  ju  fud)en ;  jte  boten  jtd^  jelbft. 
^aö)  ®e  Sßrabt  gäl^lt  bie  3fteDoIution  üier  grofee  (Sd^rift= 
itcllcr:  tJtau  öon  ©tael,  Surfe,  3ftiöarol  unb  3!Jiattet  bu  ^an. 
^laö)  Sainc  ftnb  bie  öier  Seobad^ter,  beren  UrtJ^eil  am  meiften 
®ctt)id^t  l^at,  Oouöemeur  2Rorri§,  SJialouet,  xmb  micber  3flit)arol 
unb  SDlaHet  bu  ^ßan.  SBon  biefen  ftanb  aßorriö,  bcr  1789  im 
Sluftrag  bcr  SSereinigten  Staaten  finanzieller  Angelegenheiten 
tücgen  jtd)  in  Sßariö  befanb,  mit  9lcder  nidt)t  nur  in  bcm  ge« 
botcncn  offigieUen,  fonbem  aud^  in  regem  gefettfd^aftlid^en  SBer^ 
tcl^r.  80^  fjrember  {ebem  ^arteiintereffe  fem  unb  auf  bie 
Siölle  cincö  aufmerffamen  Seobad^terö  angewiefen,  gewannen 
feine  Siatl^fd^Iäge,  bie  9?ecfcr  fpäter  wal^rl^aft  propl^etifd^  genannt 
l^at^),  baburd^  nur  um  fo  größeren  SBertl^.  3fliöaroI  mar  fein 
fjrcunb  öon  5Kedfcr,  aber  burd^auö  fein  prinzipieller  ©egner  i 
feiner  $olitif.  ®erabe  bie  Slrt  unb  SBeife,  in  meld^er  er  ben  \ 
5Kinifter  fpäter  unter  bem  5Ramen  „9lar[eg"  fd^ilberte,  gibt  öon  \ 
feiner  l^ol^en  Sld^tung  für  ben  SKenfd^en  QtnQm^^).  Slber  fRu 
Daröl  liebte,  nad^  ben  SBorten  feineö  SSiogropl^en,  „nur  ben 
2ärm,  ben  er  felbft  mad^te"^),  unb  moHte  nidt)t  untl)ätig 
bleiben,  menn  er  aud)  feinen  Stolg  barein  fe^te,  gu  feiner  Partei 
gu  gepren.  SKand^e  feiner  Slrgumente  gegen  bie  JReüolution 
mürben  ftegreid)e  SBaffen  gegen  pe  in  ber  |)anb  öon  Surfe*). 
6r  ift  einer  ber  SBenigen,  bie  ber  14.  S«Ii  ernüd^tert  unb 
ber  fd)on  l^alb  verlorenen  föniglid)en  @ad)e  jugemenbet  fanb. 
S)aS  iJeucr  ber  politifd)en  Satire  eröffnete  er  1789,  unb 
fül^rte,  ba  il^r  faum  mel^r  etmaö  ju  öertl^eibigen  blieb,   bie 

*)  Necker  bei  Jured  Sparks,  Life  of  Gouverneur  Morris,  III,  110, 
111  «.  121  Srief  an  9JZorri§. 

*)  Rivarol,  La  Galerie  des  Etats-g^neraux,  1789.  ©rftcS  qjortrat, 
S«arfe«  (^etfcr). 

^)  Lescure,  Rivarol,  147.  S)oau,  Caro,  Rivarol  et  la  Societe 
fran^aise.  Journal  des  Savants,  Septembre  1883. 

*)  Lescure,  Rivarol,  228. 


354  matt'»  ^axttl 

roJ)anftifd)c  treffe  jum  Singriff.  9Wit  il^m  fod^tcn  jcln  Srubctr 
ber  9Karqui§  bc  JRiöaroI,  SKirabeau'S  Srubcr,  bcfamit  otö 
SWirabeau « Stonncau,  Scrgaffc,  Sauraguatö,  ©^ampccnc^  unb 
©ülcau,  bic  beibcn  leiteten  jcinc  intimen  f?rcunbc,  bic  mit 
il^rcm  aSIut  bic  ßl^rc  begal^lt  l^abcn,  an  bcr  ©pl^c  bc8  mon* 
ard^ijd^4ibcralcn  Söurnali^mu^  öon  1789  geftanbcn  ju  fein. 

SBä^rcnb  bic  $arifcr  ©cfcUfd^aft  bcn  Slidt  auf  Sttöator* 
©pigrammc  wie  auf  wol^Igcjieltc  Sßfcilc  gcrid^tct  l^iclt,  rcbigitte 
5(lecfcr'ö  Sanbömann,  SRaHet  bu  5ßan,  im  Auftrag  öon  ^and^oub 
ben  poUtifd^cn  2:i^cil  bc8  „91Jlercurc  bc  fjrancc".  ®ncr  ber 
erftcn,  ba^  ®ctt)id^t  feincö  ©nfluffcS  auf  bic  offentlid^e  SRetnung 
ju  öerttjcrtl^en,  mar  SBaron  @ta6l,  ber  bie  Untcrftü^ung  t)on 
SHirabeau  unb  bie  %z\>tx  öon  3ßaIIet  bu  Sßan  im  S^nuar  1789 
ju  ©unften  ©d^meben^  gegen  Sftufelanb  aufbot*).  Se^terer  war 
bamal^  jd^on,  mag  er  immer  geblieben  ift,  ber  unabl^ängigfte 
ber  Sßubliciften  unb  bcr  el^rlid^fte  ber  Sßolitifcr,  SRepublifaner 
öon  ®eburt  unb  ©^mpat^ie,  9!Jionard)ift  nur  beSmegen,  weil 
feine  Sßernunft  il^m  fagte,  bafe  in  einem  Sanbe  wie  f^nlreid^ 
bie  iJreil^eit  entweber  burd^  bie  Ärone  gefd)u^t  ober  Derloren 
gegeben  werben  muffe;  allen  Uebertreibungen  fo  abgeneigt,  bafe 
er  fd)on  1788  gegen  3!Äounier  im  ©aupl^inö  ben  SSorwurf  ber 
Demagogie  erl^ebt;^)  unnad)fid)tig  gegen  ©d^meid^ler,  gle{d^t)iel 
ob  fte  nad^  Oben  ober  Unten  jtd^  wenben,  ben  SRonard^en 
öerblenben  ober  bie  5!Jiaffen  öerffil^ren.  Sßor  SlKemein  ©^orolter 
mel^r  nodt)  alö  ein  2:alent,  öon  fold^er  UeberjeugungStrcue,  ba§ 
er  für  fein  poIitifd^e§  OlaubenSbefenntnife  eintritt,  „fo  lange 
SÜaum  für  einen  Sifd)  unb  ein  ©tüdf  Rapier  barauf*)  bleibt, 
unb  in  @Ienb  unb  äSerbannung,  unabpngig  fo  wie  er  gelebt  l^at, 
ftirbt.    Um  feine   öoKe  Äraft  ju  öerwert^en,  beburfte  StaQet 


0  Leouzon-Le  Duc,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  de 
Stael-Holstein,  86  u.  96,  ©e^jcfd^cn  öom  8.  3«ni  1788  unb  29.  Sonuat  1789 
unb  SBcrnl^arbi,  ©cfd^id^tc  SRugronbö,  IP,  290,  291. 

2)  Mallet  du  Pan,  Analecta.   Unebitte  gramitienpapiete.   Sanuar  1789. 

3)  Sainte-Beuve,  Causeries  du  Lundi,  Mallet  du  Pan,  IV,  471. 


SRetfcr'g  Partei.  355 

bu  $an  unb  bic   3ßonard)ijd)*Äonftitutioneßen  mit  i^m  nur 
eines  ^Programms,   baS  pd)   öcrtl^eibigen  liefe.    35en  5ßlan  ju 
einem  foId)en  entmicfelte  2Raloud,  einer  ber  öerbienteften  Se^ 
amten  beö  SReid^ö,  Sntenbant  t)on  Stouloufe  unb  langiöl^riger 
ffrcunb  be§  ^aufeS  5Recfer,  ber  ^Jrau  öon  ©tael  atö  Äinb  ge»    j 
fannt  unb  öom  erften  SWinifterium  il^reS  Saterö  einen  fo  l^ol^en    | 
SBegrift  feiner  gäl^igfeiten  hmoi)xt  J)atk,  bafe  er  t)on  il^m  rül)mte,   ; 
er  l^abe  „bie  Siedete  ber  SSölfer  ben  ©emiffen  ber  Äönige  ein« 
gefc^ärft«  ^). 

Se|t  wfinfd^te  er  Sieder  unb  feine  ÄoUegen  gu  einem 
^ogramm  ju  öerpflid)ten,  baö  feine  geredeten  unb  not^menbigen 
föoncefftonen  öermeigem,  aber  aud)  feine  ber  ©runbbebingungen 
ber  Slutorität  preisgeben,  wx  Slßem  nid^tö  im  Unfloren  laffen 
unb  bie  ©eneralftaaten  ju  einer  gefe^gebenben  SSerfammlung 
fonfHtuiren  foßte^).  3m  ©noemel^men  mit  Sice,  bem  ©rgbifc^of 
öon  Sorbeauj:,  unb  la  Sujeme,  SBifd^of  üon  ßangreS,  ber  aud) 
wn  fjrau  wn  ©tael  „aU  einer  ber  auögejeid)netften  SHänner 
^anfreid^ö"  ^)  begeic^net  wirb,  wünfc^te  er  bie  gefäl^rlid^ften 
fragen,  wie  t)or  Slßem  bie  SBal^lprüfungen  unb  bie  ßntfd^eibung 
barüber,  ob  nad^  Äöpfen  ober  nac^  ©tänben  geftimmt  merben 
foBe,  ber  ^Regierung  öorbel)aIten  unb  bie  ber  ©iöfuffton  gu 
jicl^enben  ©renjen  nid^t  ben  ©eneralftaaten  anl)eimgefteßt  ju 
»iffen.  „Siel^men  Sie  eine  entfd^iebene  Haltung  an",  lieber* 
l^olte  er  ben  2Riniftern,  „benn  Sie  l^aben  gar  feine."  Slber  er 
fanb  Slecfer  „verlegen  unb  bod^  öoß  ©elbftgefül^I,  ftetg  jur 
Äritif  ber  öorgefd^Iagenen  SRaferegeln,  niemals  aber  gu  einem 
entfd^Iufe  bereit"  *). 

6rft  5tau  öon  ©tael  ift  biefem  treuen  ^eunb  il^reS  25aterS 
gered)t  geworben.    Sie  rül)mt  öon  il^m,  bafe  er  untoanbelbar 


*)  Dareste,  Histoire  de  France,  VII,  158. 
*)  Sainte-Beuve,  Nouveaux  Lundis,  Malouet,  XI,  269. 
^  Madame  de  Stael,  Consid^rations.     Oeuvres,  XII,  198. 
*)  Malouet,   M^moires,   I,   252—254.     Sainte-Beuve,    Nouveaux 
Lundis,  Malouet,  XII,  269. 


356  9ltdtt'&  Rottet. 

öom  ©ewiffen  geleitet  morben,  nennt  il^n  „bic  reinfte  Seele,  bie 
it)r  begegnet  fei",  einen  2Rann,  bem,  um  eine  grofee  JÄoHe  in 
ber  SBelt  ju  jpielen,  nic^tö  ju  wünfd^en  gewefen  wäre,  aU  mel^r 
^Utenfci^enfenntnife  unb  weniger  Vertrauen  in  bie  ber  SBol^rl^eit 
eigene  Äraft.  „Sagen  Sie  5!Jialouet,  bafe  id^  i^n  Hebe", 
jc^rieb  jte  nod^  S^i^re  nad)l^er  an  ©amitte  S^rban^). 

Unjertrennlid^  üom  3lamen  öon  5WaIouet  ift  ber  öon 
^Utounier,  bem  SBortfül^rer  beö  ©aupl^ine,  jeineS  t)erfßnlid^en 
§reunbe§  unb  5Reder'§,  beffen  politifc^er  ©efinnung  er  bcSwegen 
am  näd^ften  ftanb,  weil  er  beftimmter  als  SRalouet  im  Sinn 
ber  englifd^en  conftitutioneßen  Sbeen  öorgel^en  wollte.  @8  ift 
wieberl^olt  bemerft  worben,  bafe  bie  SJoftrinen,  mit  weld)en  bie 
1  9iet)olution  begann,  am  meiften  mit  benjenigen  übereinjtimmen, 
bie  jte  nac^  fünfunbjwauäig  3al)ren  abfd^loflfen.  Stid^tS  lömmt 
ber  ßl^arte  öon  1815  fo  nal^e,  al§  bie  gu  Anfang  1789  ge« 
mad^ten  25orfdt)läge  üon  3!Jlounier  2).  gr  mobificirte  bie  früheren 
Sefd)lüffe  beö  ©aupl^ine  bereite  bal)in,  ba^  bie  ©eneralftaaten 
felbft  3ur  Silbung  üon  jwei  Äammem  fd^reiten  foHten,  nur  bafe 
bie  erfte  feine  3lbel§fammer,  fonbern  ein  Senat  üon  lebenSlöng« 
lid^  unb  nad)  SSerbienft  tl)eilö  üom  Äönig  ernannten  unb  tl^eil« 
gewäl^lten  ^Utitgliebern  gewefen  wäre^).  9lad^  biefem  großen 
ßugeftänbnife  an  bie  bemofratifd^en  S^mpati^ien  be«  Sixg« 
wollte  SKounier  für  ben  Äönig  eine  um  fo  ftärfere  ©fefutiüe. 
Slud^  er  l^atte  feine  SHujtonen  unb  follte  jte  balb  erfemten,  aber 
ba§  furje  3al)r  feiner  politifd^en  S:l)ätigfeit  begrenjt  bod^  in 
ber  franjöftfd)en  3fteüolution§gefd)ic^te  bie  Hoffnungen  ber  ^ei* 
l^eit.  6§  gibt  fein  größeres  £ob  für  xi)n,  ben  ^rau  üon  Staßl 
„leibenfd^aftlid)  üemünftig"  —  passionnement  raisonnable  — 


0  Sainte-Beuve,  Nouveaux  Lundis,  Madame  de  Stael  ä  Gamille 
Jordan,  G.  Sept.  1802,  Xlf,  255. 

^)  Lavergne,  Le  parti  de  la  monarchie  coostitutionelie  en  1789, 
Revue  des  Deux-Mondes,  1842,  II,  552. 

^)  Mounier,  Nouvelles  Observations  sur  les  Etats -gen^raux  de  France, 
bei  Lanzac  de  Laborie,  43—52. 


92c(fcr'S  ^Partei  357 

ticrmt,  unb  bcffen  uncrfd^fitterlid^e   ß^arafterfefttgfcit  tl)re  Sc- 
wunbcrung  gewann^). 

Unter  feinem  ©influfe  ftanb,  wie  ernannt,  ber  junge  a3ar=    i 
naöc,  ber  öon  il^r  unter  dSitn  großen  SRebnern  ber  gonftttuante    \ 
atö  ©crjenige  bejeid)net  wirb,  beffen  Talent  \xä)  am  meiften  jur    j 
Argumentation  unb  ^Debatte  im  @inn  beö  englifd^en  ^arlamen«    / 
tari^muö  geeignet  l^abe.    SBie  Jiedfer  unb   SRounier,    fo   ging 
aud^   Samaöe  öom   Oebanfen  ber  gemäßigten  SRonard^ie  unb 
ber  Sinianj   beö  Äönigtl^umö  mit  ber  %xex^e\t  au§,  t)on  bem 
il^n  bie  SSerfud^ungen  be§  ßj^rgeigeö  unb  baö  Sebürfniß  nad) 
Popularität  entfernten,  aber  für  bie  er  enblid^  bod^  fallen  follte. 
3n  benfelben  Ärei§  gehörte  SaH^  Soßenbal,  einer  ber  intimften 
ffreunbe  beö   Sledeffd^en  |)aufe§,   öon   grau  üon  ©tael    „ein 
ttjunberbarer  Sftebner  unb   einer  ber  wal^rl^aft  großen  Sürger 
genannt,    in   bem    ftebenunbjmanjig   ^aijve.   ber  Sledolutionen 
immer    neue    3Sorjüge    enttoirfelten''  ^),     Sft    aud)    baö   Sob   ' 
biefeö  begeifterten   Slnl^ängerö   il^reö   SSaterS,   ben  ber  fül^lere 
SaUe^ranb    „einen   guten  Sungen,   einen   fel^r    guten    jungen 
xmb  fonft  nid)t§"^),  unb  9iit)arol  fpottenb  »le  plus  gras  des 
hommes    sensibles«    nannte,    etma^    übertrieben,    fo    brad)te 
gallQ    bod^    immerl)in    ben    9Konard^ifd)  =  (Sonftitutionellen    bie 
ttid^t  ju  unterfd^ä^enbe  Äraft  feinet  berebfamen,  oft  jtinbenben 
aSorteö. 

®aö  maren  bie  l)erDorragenbften  unter  ben  natürlid)en 
SBunbeögenoffen  oon  9?ecfer.  ®enn  fo  fe^r  aud)  in  n)id)tigen 
Sßunften  il^re  2lnjtd)ten  auöeinanber  gingen  ober  nod^  ju  un= 
beftimmt  formulirt  waren,  oerbanb  ftc  bod^  Sllle  bie  Ueber:* 
gcugung,  baß  bie  ^iüdffel^r  gum  Sllten  nid)t  mel^r  möglid^  mar 
unb  bie  3fleform  mit  ber  9)lonard)ie  burd)gefül^rt  werben  muffe. 


»)  Madame    de    Stael,    Considörations.      Oeuvres,   XII,    208—209 
ixnb  268. 

2)  @bcnbafelbft,  XII,  248,  303. 

^)  Madame  d'Arblay,  üiary  and  Letters,  V,  410. 


358  anirobeou. 

Sic  wären  Sdccfcr'S  Partei  gewcfcn,  wcrm  er  überl^aitpt  bie 
9lotl)tt)cnbi0fcit  crfannt  l^ättc,  mit  einer  Sßartei,  unb  burc^  jte 
ju  regieren.  @r[t  ber  Unmutig,  in  il^m  feinen  gül^rer  gu  finben, 
öertüanbelte  9Känner  tt)ie  Sliöarol  ober  SWallct  bu  $an  in 
Sflecfer'ö  perfönlid^e  ©egner.  ®aö  ^aiir,  ba«  er  unbenüfet  Der* 
ftreid^en  liefe,  neigte  ftd^  feinem  6nbe,  atö  il^m  ein  Ic^te^ 
Slngebot  in  biefer  Siid^tung,  bie  ^eereSfolge  be&  ®rafen 
SRirabean,  gemad^t  würbe.  S3om  28.  ©ejember  1788  ijl  ber 
benfmürbige  ©rief  be^felben  an  9)tontmorin  batirt,  in  tt)eld^em 
eö  l^eifet:  „Slfö  Sfirger  gittere  id^  für  bie  föniglid^e  Autorität, 
bie  nie  notl^menbiger  atö  in  biefem  Slugenblldt  war,  »o  jie  fic^ 
il)rem  SRuin  entgegen  neigt  ....  ^at  ba«  ÜKinlfterium,  ba* 
[xä)  in  eine  oerpngnifeooHe  Sage  ftürgt,  weil  eS  bie  @eneral« 
ftaaten  l^inanöfciiiebt,  ftatt  ftd^  auf  biefelben  öorgubereiten,  beun 
aud^  auf  SJMttel  gebadet,  um  il^re  ßontrole  nid^t  fürchten  gu 
muffen,  ober  inelmel)r  um  il^re  Unterftfi^ung  gu  gewinnen? 
^at  e§  einen  feften,  beftimmten  Sßlan,  ben  bie  Vertreter  ber 
Station  nur  gutgul^eifeen  braud^en?  ©iefen  $lan,  ^err  @Taf^ 
id)  l^abe  il^n.    ©r  l^ängt  mit  bem  einer  ßonftitutlon  gufammen, 

.  bie  unö  oor  ben  Komplotten  ber  SIriftofratie,  ben  SluSfd^reitungen 
ber  ©emofratie,  unb  ber  grengenlofen  Slnard^ie  retten  würbe,  in 
weld^e  bie  Slutorität,  eben  weil  jte  fd[)ranfenIoi8  fein  wollte,  mit 

I   un§  geratl^en  ift''  *). 

•  9?ur  bie  ungel)eure  Äraft,  bie  ber  ßorrefponbent  oon  9Ront^ 

morin  in  jtd^  fül^lte,  fonnte  feine  ©prad^e  unb  bie  Sut)erf{d)t 
erllaren,  bafe  jte  ®el&ör  finben  würbe. 

^irabeau  ftanb  bamals  im  oiergigften  ^oi)x.  ©ang  %xant^ 
reid^  ergöi^Ite  pdf)  bie  SSerirrungen  feiner  Sugenb,  bie  ffird^tet^ 
lid^en  Äämpfe  feinet  erften  SHanneöalter  gegen  ben  SBater,  bie 
Oattin,  bie  (Sd)wefter,  bie  jal^relange  ^aft  gu  SBincenneä,  au& 
welcher  er  mit  ungebrod)ener  Energie,  aber  in  offener  Sntpörung 


0  Bacourt,    Correspondance   entre   Mirabeau    et   de    la  Marck,  I^ 
340-341. 


maf)tl  übet  iffiL  359 

gegen  aKe  SBanbe,  bie  er  öerle^t  l^atte,  in  bie  ®efeflfd)aft  jurücf« 
feierte,  ©ann  folgten  ber  Slnfentl)alt  in  ©nglanb,  bie  2}er* 
öffentlid^ung  poUtifcf)er  ^ßantpl^Iete,  xi)vt  SSerurtl^eilnng  burd) 
ba8  Parlament,  eine  erfte  Steife  nad^  ®eutfd)lanb,  bie  Segeg* 
imng  mit  bem  großen  g^riebrid).  ©aö  Sal^r  1785  brad^te  bie 
erften  SBejiel^ungen  3n  ßalonne,  bie  SIrbeiten  über  bie  ginan^en, 
bie  1787  mit  bem  erwäl^nten  Singriff  gegen  Sftecfer  unb  (Salonne 
fd^loffcn,  weil  biefer  le^tere  bie  Verfolgung  feiner  politifd)en 
©d^riften  nid^t  öerl^inberte  ^). 

©ajwifd^en  lag  bie  auf  ben  SBorfd^lag  öon  3;ane9ranb  ge^ 
gcbene  SWifjton  nad^  Serlin,  jum  boppelten  Qxoed,  bie  legten 
?üigenblicfe  Äönig  %mbnä)'^  gu  fibern)ad)en  unb  5!Jiirabeau 
Don  $ari«  ju  entfernen.  So  entftanb  baö  3öerf  über  bie 
preu6ifd)e  SWonard^ie^)  unb  bie  fträflid^e  SBeröffentlid^ung  beö 
Snl^altö  ber  gel^eimen  Son:efponbenj  an  3Sergenne8,  um  fid)  au§ 
bringenber  ®elbnot^  ju  retten^). 

aSon  bem  jweiten  Slufentl^alt  in  ber  preufeifd^en  ^auptftabt 
ift  eine  Sluf geid^nung  bei  Sialiel  erlialten,  bie  SRirabeau,  fo  wie 
et  ftd^  in  il)rer  9Käbd)enerinnerung  erlialten  l^at,  fd^ilbert:  „^U 
er  in  SBerlin  war",  fd)reibt  jte,  „fal^  id^  il^n,  in  bürgerlid^em 
Slngug,  gang  ba§  Slnfel^en  l^abenb  wie  bie  bamaligen  ^ofleute 
fetner  Station;  in  einfad)er  Äleibung,  bie  obwol^l  öornei^mer 
©efeUfd^aftörocf  ober  gar  (Sourlleibung,  bod^  fd)on  jel^r  nad^ 
bem  nad^l^erigen  englifd^en  Stngug  l^inneigte;  er  trug  ein  leidet 
gefrauft  gepuberteö  Soupet,  |)aarbeutel,  @d^ul)e  unb  Strümpfe, 
unb  bagu  paflenbe  Äleiber,  oI)ne  @olb,  (Silber  noc^  Stiderei. 
6r  l^atte  bunfle,  lebliafte  Slugen,  bie  mit  ftarfen  Augenbrauen 


I)  Mirabeau,  Essai  sur  le  despotisme,  1776.  Gonsid^rations  sur 
Tordre  de  Gincinnatus,  1784.  Essai  sur  les  lettres  de  cachet  et  les 
prisons  d'jfitat,  1782. 

^  Mirabeau,  De  la  Monarchie  prussienne,  1788. 

^  Mirabeau,  Histoire  secr^te  de  la  Gour  de  Berlin,  1788  unb 
Bacourt  barüber,  Gorrespondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I, 
343—346. 


360  2Rira6eau  in  ^ariS,  1788. 

bcnnod^  weit  blidften,  war  pocfennarbig,  unb  breiter,  aber  nid^t 
f elfter  ©eftalt;  er  l)atte  baö  2lnfel)en  wie  ©iner,  ber  öiel,  unb 
mit  SSielen  gelebt  l^at.  2lud)  bewegte  er  ftc^  mcl^r,  ate  bie 
ßeute  uon  feiner  klaffe  pflegen,  benn  er  l^atte  nid^ts  Äom* 
pafjtrteö;  er  geigte  jtd)  in  ben  fleinften  unb  glci^gülttgften  Sc« 
wegungen  feiner  Sßerfon  aU  fel^r  tl^ätig,  unb  afö  ©ner,  ber 
2ineö  felbft  unterfud)t,  fennen  lernt  unb  ergrünbet;  fo  gebraud^te 
er  feine  ßorgnette  unb  id)  möcl)te  fagen,  fein  gange«  Sd^.  @r 
ging  in  bie  beutfdt)e  Äomöbie,  in  bie  ÄouHf[en,  unb  brad^te 
täglid^  feine  Sriefe  felbft  auf  bie  Sßoft,  wo  id^  il^n  gu  l^alben 
unb  gangen  ©tunben  öerweilen  fal),  wäl^renb  eine  S)amc  unb 
fein  ad^tjäliriger  @ol)n  il^n  im  SEBagen  erwarteten,  ^rin 
SSater  geigte  il^n  mir  alö  5lid)t§,  alö  ben  ®rafen  SDlirabcau. 
Sd)  wufete  gar  nid^tö  üon  il^m;  unb  um  fo  guöerläfftger  traue 
ic^  meinem  bamaligen  Urtl)eil:  er  mad^te  einen  guten  @inbrud 
auf  mid^,  obgleid)  er  mir  alt,  unb  nid)t  nieblid^  unb  l^äbfd^ 
üorfam,  weil  id)  faft  ein  Äinb  war  ....  6r  fal^  aud^  auS 
ate  6iner,  ber  öiel  gelitten  unb  bi^futirt  l^atte"  ^). 

SSon  1788  au  bulbete  e^  SRirabeau  nid^t  mel^r  fem  öon 
$ari§.  6r  fül)lte  feine  ©tunbe  gefommen,  obwol^l  er  noc^  ber 
Deffentlid)feit  nid)t§  al^  ein  ©egenftanb  ber  Sfteugierbe  ober  be« 
2lergerniffe§  war;  in  focialer  Segiel^ung  ein  Sluögewiefcner,  in 
politifd)er  ein  Slbenteurer;  eine^  jener  Elemente,  auf  welcher  bie 
SRedolutionen  gäl)len,  weil  pe  öon  ber  Drbnung  nid^tö  mel^r  gu 
l^offen  l^aben.  So  wie  er  guerft  erfd^ien,  „großartig,  aber  be* 
fledf'  l)at  §rau  t)on  @tael  i^n  gefd)ilbert,  alö  6inen,  „ber 
SlKeö  wufete,  Sitten  dorau^fal);  auf  feine  nieberfd^mettembe  SBe» 
rebfamfeit  red)nenb,  um  ben  erften  ^la^  gu  erringen,  ben  feine 
©ittenloftgfeit  il^m  üerfd^lofe;  öon  umfaffenbftem  ®eift  unb  raft- 
lofer  Energie,  bereit  jtd)  ben  ßintritt  in  bie  ©alonS  öon  $ari8 


»)  gfla^cl,  ein  Bu^  bcS  3rnben!en§,  II,  64—65,  ju  bcrgleid^cn  mit  ben 
^ufjeid^nungen  bon  delaMarck  bei  Bacourt,  Gorrespondance  entre  Mirabeau 
et  de  la  Marck,  I,  86. 


grau  öon  @tael  üBer  il&n.  361 

baburd)  äu  frjwinöcn,  bafe  er  eine  ö^njc  gefeHfd^aftHdic  Drb- 
nung  in  Sranb  ftcdCtc'^ 

Scüor  er  bic  l^croftrattfd)c  Sll^at  öoHbradEitc,  öcrfud)te 
SRirabcau  eine  SRel^abilitation.  ®en  ^reiö  bafür  bot  ber  ©rief 
an  9Jlontmorin. 

SBaS  9iccfefS  ?freunbe  öergcbcn^  öon  il^m  emarteten,  unb 
wa«  ba§  bcftc  feiner  SBerfe,  fein  fociale^  ©öanöelium,  mie 
%xa\x  öon  ©tael  e§  nennt,  um  öolle  öier  Saläre  gu  fpät 
brad^te;^  bic  ©runblagen  ber  gemäßigten  9JJonard)ie,  fte  jtnb 
in  SKirabeau'S  öorreöolutionären  Schriften  eutl^alten^)  unb  in 
ber  allgemeinen  SSerwirrung  bel^ielt  er  allein  jte  Ihr  üor 
Singen. 

©en  ßöJecfen  ber  ©emofratie  tt)tberfprici)t  eg,  il^re  ©oftrinen 
bei  aJlirabeau  nid^t  mieberjufinben.  3l)re  .^iftorifer  fci)tt)äci)en 
bal^er  ben  ßinflufe  öon  3!Jlonteöquteu  auf  if)n  ab,  um  bafür  ben 
öon  SRouffeau  ju  betonen ;  jte  giel^en  feine  SSorliebe  für  englifd)e 
3fnjWtutionen  in  3tt)^if^l  «nb  ba  feine  au§gefprod)en  monarci)ifct)e 
©epnnung  ftd)  nie  aud^  nur  einen  SlugenblidE  öerleugnet  l^at, 
fo  bejcid)nen  fte  bie  »democratie  royale«  atö  ba^  Qxd  nad) 
htm  er  ftrebte^).  ®iefe  Sluffaffung  ftü^t  ftd^  auf  ben  ^afe  öon 
aWirabeau  gegen  ben  Slbel  be§  Slncien  SRegime,  mit  bem  für 
il^n  perfönlid^  feine  aSerföl)nung  möglidE)  tt)ar  unb  öon  tt)eld)em 
er  balb  erlannte,  bafe  er  afö  ©tanb  nie  mit  ber  conftitutioneUen 
aWonarcftie  jtd)  öerfölinen  werbe.  Slber  if)r  tt)iberfprid)t  ba§ 
3eugnife  aHer  3^it8^"^ff^"f  ^^^  9[ßirabeau  am  beften  gelaunt 
l^aben  unb  bie  Sleufeerungen  öon  SiRirabeau  felbft,  toenn  bie 
Seibenfd)aft  H)n  nid)t  fortriß,  feine  ^läne  unb  feine  Haltung  in 
ber  legten  Qdt  feinet  ßeben^.  9lad)  ©umont  »oHte  er  für 
Stanlreid)  eine  ßonftitution  nad^  bem  aSorbilb  ©nglanb^,  aber 


^)  Madame  de  Stael,  Consid^rations.  Oeuvres,  XII,  18.  Necker, 
Du  pouvoir  ex6cutif  dans  les  grands  Etats.     Oeuvres,  VIII. 

^  Lanfrey,  Essai  sur  la  Revolution  fran^aise,  126. 

3)  Decrue,  Les  idees  politiques  de  Mirabeau,  Revue  historique, 
Mai-Juin  1883,  44-45  u.  51. 


362  ^'^  ^^'Q^  ^^^  lBxxn!»efia. 

ben  beimatblicbfn  ä^nj^dlmififn  eiiti>m^eiib.  8tö  fiait  beffen 
ber  Siere  nd?  ;ur  ^taTirnabfronmilimg  conftttutite,  beseic^nete 
er  biefen  Bcbrin  de  bie  Urad^e  oller  nacl^^erigen  JCotafhrop^en 
unb  fprach  bae  befannte  Sort:  ^gie  svoOten  ben  Stöxdq  be« 
^errid)en,  nan  burds  il)n  bie  ^enfc^aft  in  ber  ^onb  gu  be« 
galten" ').  £e  la  ü)iar(f  iagt  ausbrücfitc^,  ha%  SKrobeou  feine 
äuefdjlieBung  burd)  ben  abel  ber  ^rooence  aü  ben  Senbepunft 
be;eic^net  l)abe,  ber  ^'eine  ipätere  Haltung  \>trmla%tt,  „benn^, 
fügt  er  ^in^u,  „feinen  (E^arafteranlagen  unb  felbft  feinen  ^rin- 
cipien  nad)  n^ar  er  ein  3riftofrat,  ein  Semunberet  englifc^er 
Suftänbe,  voo  eine  ftarfe.  finge  unb  gemfigigte  Xriflofratie 
5wiid)cn  ber  föntglid)en  9Kad)t  unb  ber  Station  t>ermittelt,  unb 
alle  bebeutenben  Elemente  berfelben  in  fid)  oufnintnif  ).  9lid}t 
ouberö  backte  grau  Don  gtael  über  i^n:  „Sein  (Seift*,  fagt 
pc,  „toar  5U  überlegen,  um  nid)t  bie  Ilnmöglic^fdt  ber  3)cmo= 
fratie  in  tyranfreid)  ya  erfennen.  9lber  oud)  menn  fie  ntoglid^ 
geroefeu  ronre,  roürbc  er  feinen  ®eid)macf  an  il^r  gel^abt  l^aben''  *). 
„ariftofrat  am  Sleigung,  Jribun  auö  Seredynung"  nennt  i^n 
9lccfer.  ^n  einer  ber  erftcn  unb  maplofeften  feiner  Schriften 
wollte  9J{irabeau  bo(^  fclbft  bie  gcuballaften  nid^t  o^ne  @ntfd^ä« 
bigung  aufgefjoben  miffen.  gctne  Serfaffung  n^ugte  bon  feiner 
Sulaffung  bes  Proletariats.  6r  öcriangt  ©arantien  bed  Seft^S 
für  bie  S^ei Inadine  an  allen  öffentlichen  Slngelegenl^eiten*),  t>tx^ 
mirft  ben  Stppell  an  ba^  35olt  «ber  ben  ©efe^geber  jum  Sflatym 
niad)t",  ben  ©ebanfen  oon  SRouffeau,  bafe  bag  S5oIf  burd^  ftd^ 
jelbft  regieren  foll,  loie  fpäter  baS  ^rojeft  üon  ©ie^feS  über 


'J  Dumont,  Souvenirs  sur  Mirabeau,  218—219  u.  268.  Mirabeau, 
LettrcH  ä  Mauvillon,  468. 

^)  ßacuurt,  Corrcspondance  entre  Mirabeau  et  le  Comte  de  la 
Marck,  100—110.    Malouet,  Memoires,  II,  13. 

'*)  Madamo  de  Stael,  Considcrations.    Oeuvres,  XII,  262 — ^263. 

*)  Mirabeau,  Essai  sur  le  despotisme.  Essai  sur  les  lettres  de 
rarlict  et  les  prisons  d'Ktat,  1782.  Heuri  Martin,  Histoire  de  France, 
XVI,  535,  .O:}«,  9lotc. 


£«  ¥lan  »an  antmbcau.  363 

«u^etorbentlidöc  Scrfainmlungen,  feine  fogetiannfen  ßonöentionen, 
V3t\äit  We  ßoiiftifution  jebeSmal  umformen  foHte«,  »o  bie 
SRation  eS  üerlangte.  ffiageßeii  ^ält  SRirabeau  ben  ©ebonlen 
»on  aRonteSquieu  über  bie  Trennung  ber  ®crooIten  fep  unb  opfert 
bas  3ißS''*"Jtmcrf^ftem  erft,  nac^bem  (eine  anbere  Sßa^l  für  il^n 
bleibt  als  bie,  entroeber  gar  nic^t  ober  burd^  ben  britten  Stanb 
^u  regieren').  S^ierS  gefte^t,  bafi  Sftirabeau  barin  iitd)t  auS 
tteberjeugung,  fonbem  unter  bem  ©rucf  ber  SHot^roenbigteit 
gelianbelt  ^abe^),  unb  .^euri  ?Olartin  mac^t  i^m  „bie  iinent' 
,  fd)lDtfenen  SBebenfen"  jum  33orrourf,  mit  roel(!^en  er  btefe  3Ben= 
bnng  üoUjog*). 

@oIi^e  3(nfd)auungen  lagen  bem  ^lan  »on  ^irabeau  ju 
©runbe.  SReder  (onnte  anfangt  1789  MiS  in  bemfelben  an» 
nehmen,  nur  feinen  Urheber  nic^t.  ®r  roar  ftetä  Don  ber  Ueber= 
jeugnng  nuägegangett,  bafe  im  oflentlictjen  Seben  bie  SBefoIgung 
ber  morolift^en  ©efe^e  roomöglid)  uoc^  not^iDeuMger  atS  im  ^oat= 
leben  fei*).  ÜHetjr  alä  Älug^eit  unb  SSorauSfif^t  galt  i^m  bie 
?Reinl)fit  bet  Slbft^jgten,  baS  SSertrnuen  in  beit  Sieg  ber  33ernunft 
iiiib  ber  Öered)tigfeit^).  „Sie  3)Ioral",  ppegte  er  gu  fagen,  „ift  im 
efeiiicj^inge  kgriinbet."  @ä  entipcad)  nici)t  nur  feiner  rcb» 
■  II  aui)  feiner  (äitelfeit,  fie  ol§  StoatSmann 
in,  aud^  roenn  Nieder  bie  Singriffe  auf 
te,  «tad)te  ein  3ufai"'''C"gf^fin  mit 
Keii^  unmöglich-  Mirabeau  felbft 
itungen  feiner  Sugenb  feiner  ©acEic 
en.  3i"rt  @egner  aber  braud)te  unb 
werben  laffen.    ©ein  @^rgeij 

de   Slirabeau.    llevue    bistorique, 

lOD,  I,  139. 

ance  depuis  1789,  1,  49. 
itions.  Oeuvres,  Xll,  72. 
arture    de   Tasseniblfe    dea    Notables, 


364  ^^^^  un^  S^abeou. 

unb  üor  3Ulcm  feine  ©elbtierlegenl^etten  boten  9RitteI,  i^n  fefl^ 
gu^alten.  9?edfer  ergriff  jte  nid^t.  6r  war,  wie  gefagt,  ein 
feiner  Seobad^ter  ntenfd)Iid)er  ©d^wäd^en  unb  Serfcl^rtl&citen, 
aber  bie  ®t)m)faüjk,  bie  aller  wal^ren  SKenfd^enfcnntnife  in 
®runbe  liegen  foll,  befafe  er  bod^  nid)t.  ^n  feinen  ga^Ireid^en 
Schriften  pnben  pd)  beinal)e  nie  ^erfönlid^Ieiten  erwäl^nt.  5Kit 
Sluönal^me  öon  SWontmorin,  ben  er  feinen  ^eunb  nennt,  gelten 
bie  großen  SRoUentröger  ber  SReöolution  wie  unbemerft  an  iffm 
üorfiber,  faum  bafe  eine  pd^tige  Semerfung  über  SRirabeau, 
über  ©anton  ober  SRobeöpierre  baran  erinnert,  in  weld^er  SESelt 
er  lebte.  @o  ging  bie  erfte  ®elegenl^eit  üerloren,  mit  SRirabeau 
ftd^  ju  üerftänbigen.  SJiontmorin,  ber  ganj  emjilic^  baran 
bad)te,  SWirabeau  auf  beut  2öeg  nad^  ber  ^rooence  aufgreifen 
unb  beportiren  gu  laffen,  fd)rieb  il^m  einen  oerle^enben  SBrief, 
ber  ben  Herausgeber  ber  „gel^eimen  ®efd)id^te  beS  Serliner 
Hofs"  »erfolgen  gu  laffen  brol^te.  S)iefer  Srief  fanb  ben  ^tx^ 
fuleS  ber  SReoolution,  wie  ©oetl^e  il^n  nennt,  fd)on  in  ber  ^o* 
üence,  inmitten  ber  2Bal)lfdE)lad)t,  bie  il^n  als  ben  größten  SÄebner 
^anfreic^S  offenbarte  unb  auS  weld^er  er,  ber  üorbeftimmte 
^l^rer  ber  SRonarc^ifd^-ßonftitutioneHen,  als  Slnwalt  beS  SierS 
wieberlel^rte. 

3njwifd)en  war  bie  ßöfung,  weld)e  vergebens  üon  ber  fftt* 
gierung  erwartet  würbe,  burd^  einen  Slnbem  gegeben  worben. 

ßbenfowenig  wie  ber  DIatur,  jtnb  ber  ©efd^id^te  unöer* 
ntittelte  ©rfd^einungen  befanut.  ©ie  anfdE)einenb  fpontanften 
Singe,  bie  gepgelte  SRebe,  baS  @tid)Wort  großer  J^iftorifd^er 
Situationen,  bie  jünbenbe  (Sntgegnung  ber  SEribune  flnben  ftd^ 
bereits  irgenbwo  angebeutet,  ber  Ston  angefd^lagen  unb  prälu^ 
birt,  ber  im  geeigneten  SJloment  mit  pacfenber  ®ewatt  gum 
öollen  Slfforb  anfd^weHen  wirb. 

aSeüor  Sarnaoe  in  ber  5Rationaloerfammlung,  nad^  bem 
9Jiorb  oon  fjoulon  gu  SaH^  SioHenbal  gewenbet,  in  bie  »er» 
l^ängnifeüoUen  SBorte  auSbrad):  „2öar  bennbaSSlut,  baS  eben 
oergoffen  worben  ift,  fo  rein?",  ^atte  fd)on  ein  SÄitglieb  beS 


Siemes.  365 

SicöS  bcm  ebelmann,  bcr  baDon  fprad),  tüte  fett  Sal^rl^unbcrtcn 
Mc  franjöjtfd^en  Sd)lad^tfclbcr  mit  bcm  Slut  feiner  Stanbeg^ 
genoffen  gebüngt  worben  feien,  entgegnet:  „®lauben  Sie  benn, 
baS  öom  aSolf  üergoffene  Slut  fei  SBaffer  gewefen?"^) 

Unb  beöor  bie  SÄarfeiHaife  im  eisernen  SRl^^tl^muö  öon 
Slouget  be  2i§le  aK  @d)lad)tgefang  ber  SReöolution  erfdjoH, 
l^otte  ber  größte  SRebner  ber  ©ironbe,  l^atte  35ergniaub  jte  in 
^ofa  gebid^tet. 

®raf  SauraguaiS  erjäl^It,  bafe  gegen  @nbe  t)on  1788  eine§ 

3Rorgen§  ber  SDid^ter  ßl^ampfort,  einer  ber  erbittertften  3Renfd)en 

feiner  S^t,  ju  il^m  gefommen  fei  unb  gefagt  l^abe:  „Soeben 

.l^abe  i^   ein  Sud^   gemad)t".    „SBie,  ein  Sud^?''     „9hm  ja, 

nid^t  ein  Suc^,  fo  einfältig  bin  id^  nid)t;  aber  ben  2:itel  eine^ 

a3ud)jä,  unb  biefer  Sitel  ift  2llle§.    3d^  l^abe  il^n  bereite  bem 

^ritaner  Sie^eö  gefdE)enft,  ber  il^n  nun  commentiren  fann,  fo 

üiel  er  loiH.    6r  fann  fagen,  roa^  er  mag,  man  wirb  jtd^  ftet^ 

nur  beS  2:itete   erinnern.''     „Unb   toie    lautet  biefer?"     „&x 

lautet  fo:  loaS  ift  ber  britte  ©tanb?  aileö.  SBaö  ^at  er? 
3Wd^t§!''2) 

Äurg  barauf  erfdEjien  bie  berül&mte  S3rod)ure  oon  ©ie^^S: 
»Qu'est  ce  que  le  Tiers?«,  bie  auf  bie  weitere  ffrage,  wag  ber 
britte  Staub  verlange,  bie  Antwort  bereit  l^atte:  „etwa§  ju 
werben" . 

3wei  anbere  furj  guöor  erfd^ienene  glugfd)riften  beöfelben 
SSerfafferS,  waren,  obwol^l  politifd)  öon  größter  Stragweite,  faft 
unbemerlt  vorübergegangen^).  3JJan  l^ätte  jte  lefen  muffen,  um 
il^ren  Sn^alt  ju  fennen,  wöl^renb  bieömal  ber  üerunglüdEte 
©ramenbid^ter ,   ber  bem  ^ublifum  nid)t  öerjeil^en  fonnte,  il^n 


»)  Grimm,  Correspondance  litt^raire,  XIV,  217,  Decembre  1788. 

•  *)  Lauraguais,  Lettres  ä  Madame ,  1802.  Sainte-Beuvc, 

Ghampfort,  Causeries  du  Lundi,  IV,  537. 

*)  Siey^s,  Essai  sur  les  privilfeges,  1788.  Moyens  d'cxecution  dont 
le8  representants  de  la  France  pourront  disposer  en  1789.  Mignet, 
Notices  historiques,  SieyeJs. 

»lennet^affett,  ^xau  toon  ©tael.  I.  24 


366  ®"n  BtifUm, 

ausgepfiffen  ju  l^aben,  il^m  biefe  SRül^e  crfparte.  ©ie  ©cftirttion 
Don  ®itX}e^  xoax  äbrigenS  tl^atfäd)Ud^  bte  fetnige.  2)enn  fe 
lautete  bal^in,  ba%  xoa&  eine  blatten  confütuire,  bie  Slrbeit  be& 
©ingelnen  unb  bie  allgemeinen  Sienfttcljiungen  feien,  unb  gog 
baraug  ben  @d)lu6,  bafe  eben  ber  brittc  ©tanb  biefc  ®cbin« 
gungen  erfülle.  2llö  nic^t  gut  gefeUfd^aftlid^en  Orbnung  gel^örenb 
erjc^einen  il^m  bie  ^riöilegirten,  worunter  ©ie^eS  mertoürbigcr 
SBeife  nur  ben  il^m  öerl^afeten  Slbel,  feineSwegS  aber  ben  ^lentis 
öerftel^t,  ben  er  nid^t  al§  @tanb,  fonbem  afö  Seruf  auffaßt,  wie 
er  aud^  biejenigen,  bie  il^n  ausübten,  nid^t  ate  ^riöilcgirtc, 
fonbem  alö  Seamte  betrad^tet.  ®urd)  SSemid^tung  biefer  ^r>U 
legirten  würbe  bie  5Ration  nidjt  etwa  verlieren,  fonbem  gewinnen. 
©er  SJioment,  in  weldE)em  ba^  SBerf  üon  ©ie^äö  beginnt, 
ift  gerabe  berjenige,  in  weld)em  SKirabeau  baö  fcinigc  guerfl 
bebrol^t  weife.  @r  ift  ber  Url^eber  beg  S3efd)Iuffe§,  burd)  wcld^en 
ber  2:ierö  ftd^  gur  5Rationalöerfammlung  conftltuirte  unb  fomit 
bie  S^rftörung  ber  l^ierardöifdl)en  ®lieberung  ber  ©efeEfdi^aft 
öoHgog^).  2öa§  biefem  S3efd)lufe  feine  eigentlid^e  SBebeutung 
gab,  war,  bafe  er  nid)t  "etwa  aU  le^teS  8luSlunff«mtttcI 
gegen  bie  SBeigerung  ber  beiben  anbem  ©tänbe,  jtd^  mit  bttn 
Sier§  gu  oereinigen,  ergriffen  würbe,  ©er  barauf  begfiglic^e 
58orfd^lag  öon  ©ie^eS  ift  öielmel^r  öon  Anfang  Sanuar  1789, 
alfo  t)oUe  öier  9Jtonate  öor  Swfcmtmentritt  ber  ©tänbe  batirt, 
unb  üon  fold)er  2Bid)tigfeit ,  ba^  er  wörtlidö  angefül^rt  ju  wer- 
ben  oerbient.  „SDer  Stiert",  fo  lautet  er,  „foH  getrennt  üon  bm 
beiben  anbern  ©täuben  bleiben,  ©iefe  vertreten  etwa  200000 
Snbiöibuen  unb  benfen  nur  an  xi)xc  ^rioilegien.  3)er  Eier« 
allein,  fo  wirb  man  entgegnen,  öermag  feine  ©eneralftaatcn  gu 
bilben.  Dlun!  befto  beffer!  fo  wirb  er  bie  Slationalüerfammlung 
fein"  2).  ®a§  öerpltnifemäfeig  öorfid)tige  auftreten  üon  ©ie^e« 
al§  ©eputirter  täufd^te  nid)t.    Söufete  bod^  Sebermann,   bafe, 

*)  Expose    historique    des   dcrits    de    Sieyfes.     An  VIII,  18;  toon  il^m 
fclbft  öeroffcntlid^t. 

'^)  Cherest,  La  Chute  de  l'ancien  Regime,  H,  276. 


(Sein  elftem.  367 

was  er  dgcntlid^  sollte,  nid^t  bic  ^Bereinigung,  jonbem  bie 
SSemid^tung  ber  ©täube  war^).  3(lur  im  ^inblicf  auf  biejen 
britten  ©taub  entwirft  l^ierauf  @ie^5§,  als  f^ftematifd^er 
tJeiub,  nid^t  btß  iJ^ubalftaateS,  wie  3!Jlirabeau,  fonbem  jeber 
focialen  ^lerard^ie  überl^aupt^),  baö  ©Aftern  ber  SRepräfentatiü^ 
Derfaffung,  ba§  im  ©egeufa^  ju  SRouffeau,  nad^  iDeld^em  ber 
SBiUe  md)t  repräfentirt,  bie  ©ouüeränetät  nid&t  belegirt  rotx^ 
ben  lann,  unb  fomit  ba§  SSoIf  beftänbig  einjugreifen  l^at, 
bie  Seigre  burd)fü]ört,  bafe  „bag  aSoII  alleö  babei  gewinne, 
ttjenn  eS  in  fo  öielen  ©ingen,  afö  nur  immer  möglid),  pdf)  re« 
^)räfentiren  laffe,  wäl^renb  bie  ijreil^eit  in  eben  b^m  SlJlafe  ab* 
nel^me,  aB  man  mel^rere  Sfie|)räfentationen  auf  bie  nämlid^en 
^erfonen  l^äufe''^). 

©0  entfielet  ber  fänfilid)fte  SRegierungömed^aniSmuö,  ber  je 
aus  ben  Setrad^tungen  unb  Kombinationen  eines  einfamen 
©enferS  l^eröorgegangen  ift.  @r  h^rotdt,  „gleid^  meit  öon 
ÄUeinl^errfdEiaft,  üon  SlbelSl^errfd^aft  unb  üon  rol^er  SSolfSl^err* 
fd^aft",  Segrünbung  beS  3teid^S  ber  SBemunft,  burd)  möglid^fte 
S^eilung  aller,  aud^  ber  poIitifd)en  Slrbeit,  unb  6rrid)tung  ber 
tepräfentatiöen  ©emofratie,  als  eingig  legitimen  3tegierungSform, 
aufeer  loeld^er  eS  nad)  3luSf:prud)  il^reS  ©rfinberS  „nur  Ufur« 
Jpation,  ©uperfiition  ober  SBal^njtnn  gibt",  toeil  jte  allein  „ben 
2ßenfd^en  öor  bem  Särger,  baS  3fled)t  über  baS  ®efe^,  bie 
aSorfd^riften  einer  unwanbelbaren  SRoral  über  bie  wedEifelnbcn 
aSefiimmungen  menfc^lid^er  @inrid>tungen  fe^t"*). 

Su  biefem  Qxotd  foH  bie  fociale  ^^ramibe  umgeftürjt  unb 


0  C  hörest,  La  Chute  de  Pancien  Regime,  III,  134,  148,  168, 
183—184. 

2)  Beaulieu,  Essais,  I,  139,  cittrt  bei  (S^bel,  ©efd^td^te  ber  SReöo- 
luttonSaett,  I,  47,  Sßote. 

3)  ©ie^eS  Bei  DelSner,  ©manuel  ©ie^eS'  politifd&e  ©d&riften,  SBorrebe. 
112-115.    * 

*)  O  eigner,  ©manuel  ©ie^eS  polittfd^e  ©d^riften,  SBorrebe,  I,  27.  Ex- 
pose historique  des  Berits  de  Siey^s.  An  VIII.  Wlotto  beS  3:itefi)Iatte8. 
Mignet,  Notices  historiques,  Sieyes,  4  u.  9^ote  ©.  3. 

24* 


368  ^^n  S^fitm. 

i^re  bid^erige  SaftS,  bie  föntglid^e  ©ewalt,  an  bie  6pi^  gefegt: 
werben,  weil  e§  ja  üorlaufig  ffir  Stereo  no6)  emriefen  bleibt^ 
„boB  in  ben  3Ronar(f)ien  beffere  ®arantien  ber  ^rri^eit  als  iit 
ben  SRepublifen  befielen"  ^),  unb  weil  erfterc  feinem  Sbeal  flaafc 
lieber  @in^eit,  politischer  @(e{d)^ett  unb  centralijtrter  Senoattung 
am  flünftigften  er[c^einen.  ©leic^  nad)  ber  ©d^rift  »Qu'est-ce 
<\u(i  lo  Tiers?«  brad)te  feine  näd^fte  politifd^e  Srod^ure')  ben 
^[iorfc^Iag  ber  großen  territorialen  Umänberung,  wel^  nad^  ben 
ftänbifd)en  bie  lofalen  ^riötlegien  opferte,  bie  ^roDingen  in 
Separtementö  eint^eilte,  bie  l^iftorifd^e  Äarte  üon  $ranfreid^  in 
eine  abniiniftratit)e  t)erwanbelte,  unb  fo  bad  untiergleid^Iid^^e 
Süerfi^eug  jwar  nid^t  ber  ^^ei^eit,  wie  il^r  Url^eber  meinte, 
wo^l  aber  ber  ßentralifation  fd^uf,  ba§  je  ber  S^ronnet  ber 
SJiaffen  ober  bem  ©efpoti§mu§  eines  ©injelnen  gur  Serffigung 
geftcflt  würbe**).  DiefeS  ®enie  ber  Organifation,  baS  felbfl  auf 
bie  liiere  pc^  erftredfte,  bie  mit  einem  aHiäl^rigen  3feji  begifidft 
werben  follten*),  unb  beffen  politifd^eS  SBerf  fo  oft  mit  einem 
S(i)ac^fpicl  t)erglid)en  worben  ift,  l^atte  aileS,  nur  baS  ©ine 
n\d)t  bered)net,  bafe  feine  ijiguren  lebenbig  unb  mit  eigenem 
SBillen  begabt  waren  unb  nid^t  SSemunft,  fonbem  fielbenfd^aft 
fte  in  Bewegung  fefete.  S)ie  @rfal)rung  l)ätte  il^n  barüber  be^ 
Iel)rcn  fönnen,  benn  er  war  in  feiner  @igen[d^aft  als  @eneral^ 
üifar  bcö  33ifcl)ofS  t)on  ßl^artreS  ßommiffär  ber  ©iöcefe  bei  ben 
Weneralocrfammlungen  beS  ÄleruS,  ©eputirter  feines  ©tanbeS 
bei  ben  ^^Jroöinjialftaaten  ber  Sretagne  unb  bei  ber  ^rouingiat 
ücrfammlung  in  DrleanS  gewefen,  wo,  fd^on  diarafteriftift^ 
genug,  bie  Seletinung  mit  einer  reid^en  Slbtci  feine  erftc  ftd) 
heftig  antttnbigenbe  D^ofttion  befd)WidE)tigte^),  gerabe  fo  wie 

'j  Mi^nct,  Noticcs  historiques,  Siey^s,  3,  SRotc.  Ferrit  res,  Me- 
moircH,  II,  405.    (Stc^cö  1701,  nad&  ber  glud&t  öon  SSarcnnc«. 

'0  S  i  c  y  6  s ,  Plan  de  d(3lib6rations  pour  les  Assemblees  de  bailliage,  1789. 

-')  Sioyös  bei  Mißriet,  Notices  historiques,  12.  Lanzac  de  Laborie, 
J.  J.  Moiiiiier,  242. 

*)  Dctöncr,  ßmanuci  ©te^e«  polittfd^c  ©d^riftcn,  SBorrcbc,  I,  80. 

*;  Lavergne,  Les  Assemblees  provinciales,  174,  fflott. 


©ein  ©Aftern.  369 

DRctpoIeon  nad)  bcm  18  Srumaire  \f)n  burd^  SScrlcil^ung  eineg 
Qtjofecn  Scjt^tl^umS  unb  eine§  ®tafentttelg  für  immer  unmöglid) 
mad)tc.  Slber  ©ic^eö  öerad^tete  bic  ©rfalirung  nid^t  weniger 
üK  er  bie  ®efciöid)te  ^afete.  SBon  ber  einen  wiH  er  feine  S3e= 
lel^rung,  wn  ber  anbem  feine  ^räcebentien  annel)men.  ®er 
Sunb  biefer  ßonftitutfon,  bie  3ine§  um  il^n  l^er  fucftte,  würbe 
il^m,  faUg  er  eingetreten  wäre,  gerabcjn  atö  eine  Kalamität  er« 
fd^iencn  fein.  „Sollten  wir",  ruft  er  empört,  „am  6nbe  be§ 
ad^tjel^ntcn  ^ai)v})nnbeTt^  bal)in  gefommen  fein,  bie  Äenntniffe 
ber  ©efe^geber  üon  ©Otiten  unb  SBanbalen  ju  §ülfe  rufen  ju 
muffen!"^).  @r  felbft  öerlor  feine  ß^tt  ^^^i  bamit,  in  üer* 
gilbten  pergamenten  ben  ]^iftorifd)cn  ©runblagen  ber  Station  nad)= 
jufpüren.  5Rad)  ber  SluSfage  Söldner,  bie  il^n  fanriten,  fd)eute  er 
bie  Arbeit,  lag  wenig  unb  liefe  ftd^  fpäter  bie  feltenen  SRale,  wo 
er  überl^aupt  fpradö,  feine  SReben  öon  beö  3ienaube§  auffd^reiben, 
wie  benn  aud)  alle  feine  @d)riften  ©elegenl^eitsf^riften ,  ben 
IBcbürfniffen  be^  2lugenblid§  entfprungen  jtnb. 

3n  feiner  Sibliotl)ef  war  wenig  mel^r  alö  eine  öollftönbige 
Aufgabe  öon  SSoltaire  ju  pnben,  bie  er  iebeömal,  wenn  er  bamit 
ju  @nbe  war,  wieber  öon  üorne  anfing,  weil,  wie  er  ftd)  auö^ 
brudfte,  „alle  SRefultate  ba  gegeben  feien"  2).  ©umont,  ber  gu^ 
weilen  bei  ßuberfac,  Sifd^of  oon  6f)artre§,  mit  il^m  gu  5j:ifdE)e 
war,  erjäl^lt,  bafe  er  nie  biöfutirte.  3Benn  Semattb  il^m  wiber* 
fprad),  nal^m  er  an,  biefer  l)abe  H)n  nid^t  öerftanben  unb 
auf  ©inwänbe  pflegte  er  nid)t  ju  entgegnen.  %nx  ben  il^n 
umgebenben  gefellf(ftaftlid)en  S^P^«^  empfanb  er  bie  tieffte 
a3erad)tung.  „Sd^  glaubte",  fäl)rt  ©umont  fort,  „ha%  bie|er 
Sreil^eitöfreunb  ßnglanb  lieben  muffe  unb  lenfte  beöwegen 
ba§  ©efpräd^  barauf.  Slber  ju  meinem  ßrftaunen  mufete 
id)  wal^mel^men,  bafe  er  bie  gange  englifc^e  gonftitution 
ate  eine  ßl^arlatanerie,  erfunben  um  bem  SJolf  gu  imponiren, 

»)  DciSncr,   emanucl  ©ic^eS  politifd&c  ©d^riftcn.     Siey^s,  Plan  de 
d^lib^rations  pour  les  Assemblees  de  bailliage,  I,  223—224. 
2)  Sainte-Beuve,  La  Fayette,  SRotc. 


370 

btttadftttt  uob  mitfeiMg  festen  er  mir  yx^äfiim,  oü  vif  ilß 
auf  eitrige  Stnjel^en  beS  SqftemS  anfmerffoni  ntai!^  Sinei} 
Zü^,  tuufi  einem  ^rrfil^ftfict  bei  Sdle^ranb,  flingen  mir  jn- 
fammen  im  2uileriengarten  fpo^iieren.  Sieq^  mar  mitt^famer 
nnb  ge||nrä(^ger  dS  fmtfi  mtb  fagte  mir  tiefe  Sorte,  bie 
idi  tAdft  mieber  Dergeffen  ^obe:  ,£ie  ^olitft  ifl  eine  SBiffen« 
fc^aft,  bie  td^  erfc^öf^  ^  ^ben  glanbe  .  .  /  Sie  Serfe,  bie 
er  aUen  anbem  oorjog,  maren  ber  Socialfontroft,  bie  @^ften 
vtm  eonbiOac,  unb  Slbom  Smit^".  ^SBemi  Sriffot',  ffigt  Sht« 
mont  ^nju,  „Don  (Sonftitutionen  \pvadi,  fo  pflegte  er  gu  fagen, 
baburd)  fei  @nglanb  gu  @ntnbe  gegmtgen.  €ie9^,  (Sonborcä, 
(fi^arat  unb  eine  ^enge  Snberer,  bie  idf  gefamtt  l^be,  bockten 
ebenfo''  'j. 

®iefe  ©d^tlbcrung  uon  ©ieije«  flnbet  fi(]^  burd^  il^n  felbfl 
beftätigt.  SBenn  er  üon  SRouffeau  fprad^,  oerfoumte  er  nid^, 
^injujufügcn,  „bafe  bicfer  in  feinen  berebfamen,  an  Sinjell^ten 
reichen,  im  ®runb  bürftig  gcbad)tcn  SluffteKungen  bie  ^ncipien 
ber  focialen  ®iffenfd^aft  mit  ben  Anfängen  ber  menfd^Iid^cn 
©cfeUfd^aft  öermcd^felt  ^abc''^).  ©icfe  feciale  SBiffenfd^aft 
glaubte  er  feiner  SKetapl^^itl  mie  SRincroa  bem  Raupte  S^ptterÄ 
entfprungen.  ©ein  bcwunbember  SluSleger,  DelSner,  jögert 
bcnn  awd)  nid^t,  „bie  Slnglomancn'',  mie  er  fie  nennt,  SRoimier, 
fiall^,  3WaIouet,  al«  „iftted^tc  ber  ©rfal^rung"  ju  branbmarlen^. 

©er  ©nflufe  üon  Sic^ög  bcl)crrfd)te  bie  5RationaIücrfammIung 
n)äl)rcnb  ber  crftcn  SKonatc  il^rer  ®auer,  bi§  jum  Hugenblitf 
mo  fein  3lfiom:  „SBir  tooUcn  nid)t  bcnSeji^  gerftören,  fonbent 
bie  Scfl^er  wcd)fcln''  *),  fid)  gegen  il^n  »enbete,  bie  Sieüolution 
ju  tl^rcm  wal^reu  Süaugelium,  bcm  ©ociallontraft  gurfidflel^renb, 
»f)anb  auf  blc  Älrd)cngütcr  legte,  unb  ©ie^eS  öergebenä  baö  Ur* 
tl^cll  über  Pe  fprad):  ,,@ie  wollen  frei  werben  unb  miffen  nid^t 

')  Du  mont,  Souvenirs  sur  Mirabeau,  63  u.  133. 
*)  Sainto-Heuvc,  Sicyos.    Causeries  du  Lundi,  V,  150. 
^)  CcKsncr,  C^manucl  ^SIcDo«  poUHMc  ©cftrlften,  »orrebe,  I,  7. 
*)  Forri^^ros,  Momoiros,  II,  405. 


grau  üon  @tael  unb  ©ie^eS.  371 

gered^  }u  fein".  aSon  ba  an  ergriff  i^n  bie  tiefftc  ajerad^tung, 
fein  Siograpl^  fagt  me^r,  „ein  mal^rer  &Ul"  öor  ber  3!Renfd^=« 
ffüV),  bie  ftd|  mcl)t  nad^  feinem  SSernunftbegriff  conftruiren 
laffen  tpoHte.  6r  l^üHte  jtd)  am  gufe  ber  Sribüne  üon  5IRirabeau 
in  baö  gel^eimni^üoHe  Sdjweigen,  ba§  nid^t  äum  menigften  jur 
aufret^t^oltung  feineiS  Slnfel^en^  beitrug  unb  il^m  feiner  5Reigung 
nad^  geftattete,  bie  ^äben  ber  politifd^en  Sntriguen  in  ber  |)anb 
}u  bel^alten,  ol^nc  für  bie  Slrt  unb  SBeife,  in  ber  er  fte  fpielen 
liefe,  gur  aSerantwortung  gejogen  »erben  gu  fönnen,  unb  aßen 
möglic^n  ßomplifationen,  menn  nid^t  immer  mit  einem  perfön» 
Hd^en  aSortl^eil,  fo  boö)  mit  l^eiler  §aut  gu  entfd^lfipfen.  ©in 
©l^arafter  öon  fo  gmcibeutiger  SSefdiaffenl^eit,  bafe  einer  ber 
e^renl^afteften  aSertreter  ber  liberalen  ©ejtnnung  Sranfreicf)^ 
nid^t  gögert,  bie  aSerSgeile  ate  auf  il^n  paffenb  angufät)ren:  >I1 
vlt  de  haine  et  meurt  de  peur«^). 

Sn  ber  S^it  feinet  erften  SluftretenS,  unter  bem  6inbrudf 
bcS  6rfoIg§  ber  aSrodjure  >Qu'est-ce  que  le  Tiers?«  lernte 
grau  üon  ©tael  ©ie^eg  fennen^)  unb  fa^  üjn  öfters  afö  ®aft 
in  i^rem  ^aufe,  mo  SJlorriS  eines  SEagö  bei  3:ifd^  mit  il^m  gu= 
fammentraf  unb  auc^  mit  anfjörte,  „wie  er  SltteS,  aaS  öor  i^m 
über  SRegierungöfunft  gefagt  ober  gefungen  toorben,  mit  berfelben 
aSerac^tung  ablel^nte".  ©eS  ®egenfa^eS  gwifc^en  feinem  ©tanb« 
punlt  unb  il^rcm  eigenen  war  grau  öon  @tael  fid)  bamals  nod^ 
fp  wenig  bewufet,  bafe  fte  gu  9JiorriS  fagte,  „bie  SJleinungen 
unb  ©d^riften  biefeö  3!JlanneS  würben  in  ber  ^oUtif  eine  neue 
Sera,  wie  5Ren)ton'S  ßntbedungen  in  ben  5Raturwiffenfd^aften 
eröffnen"  *).  Später,  in  btn  ßonftberationS,  l^at  ftd^  biefe .  I^ol^e 
SReinung  über  ©ie^eS  ba^in  mobificirt,  bafe  fte  oon  il^m,  ber 

0  ^«I'^n««»  ®manucl  ©tc^eS  poltttfd^c  ©d^riftctt,  SBorrcbc,  I,  81. 

^)  Laboülaye,  Cours  de  Legislation  comparee,  les  Pamphlets  de 
la  Revolution.    Revue  des  Cours  litteralres,  Octobre  1868,  777. 

3)  DciSncr,  ©manucl  ©tc^eS  poltttfd^c  ©d^tiftcn,  SBorrcbc,  I,  108. 

*)  Jured  Sparks,  Life  of  Gouverneur  Morris,  I,  353.  L^ouzon- 
Le  Duc,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  de  Stael  -  Holstein, 
1789,  144. 


372  S)tc  aSßal&Icn  öoh  1789. 

jte  öielc  3al^re  überlebte,  fagt,  er  fei  ol^ne  StBti^ü  ein  3Rann 
wn  ebenfo  großem  aU  umfaffenbcm  ©eifte,  aber  abl^ängig  Don 
f old^en  Saunen  beö  6t)arafterg  unb  mit  SBorten  fo  fparfam,  bo^ 
jeine  Sleufeerungen  f d^on  il^rer  ©eltenl^eit  »egen  atö  Drafel  galten. 
5IRit  an  bie  @pi^e  ber  populären  Semegung  gefteHt,  l^abe 
fein  eigentl^ümlid^eg  SBefen  i^n  ebenfo  ifolirt,  als  fein  SJerjlanb 
i^m  Semunberer  enoedCte.  S)enn  nid^t  baju  gentad^t,  mit  ben 
9!Jienfd)en  in  S3erül)rung  ju  treten,  fei  er  burd)  il^re  ©d^wäd^en 
unb  %t^tx  ebenfo  leidet  »erlebt  afö  baju  angelegt  gewefen,  jte 
burd)  bie  feinigen  gu  öerle^en.  5Rur  ba§  ©ne  l^abe  man  mit 
@id^erl)eit  oon  il^m  genju&t,  ba^  er  alle  ©tanbeSüorrec^te  l^affe, 
obnjol^l  er  grofee  Slnl^änglid^Ieit  für  ben  ÄleruiS  bewal^rte,  bie 
il^m  öon  ben  Seuten  beS  Serg§  in  Slnbetrad^t  feiner  unoerföl^n* 
liä)tn  ?5einbfd)aft  gegen  jebe  Slrt  ber  Slriftolratie  öerjiel^en 
tüorben  fei^). 

®ie  (greigniffe  l)atten  längft  Älarl^eit  in  bie  Sejiel^ungen 
gn)ifci)en  i{)r  unb  ©ie^eö  gebrad^t.  §)?adö  bem  13.  SBenb^miaire 
toar  eö  gum  Srud)  jtt)ifd)en  il^nen  gefommen,  ben  fpätere  (Sx^ 
eigniffe  unb  ber  SlntagoniSmuö  il^rer  Stellung  ju  SBonaparte 
nur  nod)  mel)r  erweiterten. 

5Rod)  im  Januar,  am  24.^  toäfirenb  ber  Äricgäruf  üon 
©ie^eg  in§  Sanb  ging,  erliefe  nieder  bie  SBal^lorbnung  jur  S3e* 
rufung  ber  ©tänbe,  bie  juerft  am  27.  Slpril,  bann  am  5.  üRai 
jufammentreten  foHten.  SBergebenö  forberte  man  bie  Slegierung 
auf,  je^t  wenigftenö  bie  SBa^Ien  ju  beeinfluffen.  Submig  XVI., 
ber  feinen  SJiiniftem  öerboten  l^atte,  in  irgenb  einer  SBeife  m 
bie  aSeratl^ungen  ber  5Rotabeln  ft^  ju  mifd)en,  unb  Sftedtcr,  ber 
eine  SBeeinfluffung  ber  3Bal)len,  toie  fpäter  ben  SSerfud^,  eine 
^Partei  in  ber  5RationaloerfammIung  ju  geminnen,  ebenfaHö  als 
unmoralifdE)  öermarf,  maren  oor  ber  ^anb  in  fjranfretd^,  wo 
SlHeS   öon   ßonftitution  fprad^,   bie  einzigen,  bie  conftituttonctt 


*)  Madame  de  Stael,  CoDsiderations.   Oeuvres,  XII,  209  u.  305. 
*)  Malouet,  Memoires,  I,  254. 


S)ic  SöalWen  öon  1789.  373 

l^anbeltcn.  So  wäl^ltc  bcnn  guni  crftcn  unb  legten  9!)lal  mit 
ööKcr  iJrcil^ctt  ba§  gange  Sanb,  unb.  jwar  nid)t  nur  bic  9Känner, 
fonbcm  in  bcn  priöilcgirten  ©tclnben,  xoo  ber  S3ejt^  repräfen* 
tirt  war,  aud)  bic  ^auen,  unter  anbern  bie  Slebtif jtnnen  ^), 
»fil^renb  brei  SKonaten  unb  in  l^unberten  öon  Söerfammlungen 
feine  ©eputirten  unb  rebigirte  bie  t)ielbefproci)encn  ßa^ierö,  in 
weld^en  nad)  alter  Sitte  bie  Älagen  unb  3Bünfd)e  ber  SBäl^ler 
fcbeS  ©tanbeS  il^ren  Slbgeorbneten  gugefteHt  würben.  @^  ift 
wieberl^oU  öerfud)t  worben,  in  biefen  gal^Uofen  ©ofumenten 
überctnftimmenbe  ©ebanfen  ju  entbeden.  Saboula^e,  ber  franjö« 
pfd^e  9fled)t^elel^rte,  fül^rt  jte,  infoweit  fold)e  überfjaupt  öor* 
^nben  jtnb,  auf  ben  ©influfe  ber  für  bie  SBal^löerfantmlungen 
beftimmten  ©d^rift  öon  ©ie^eS  jurüdE,  bie  ber  ^ergog  üon  Dr* 
teanS  verbreiten  liefe '•^).  @ie  gab  bem  %itx^,  mit  anbern  SBorten 
ber  Sourgeoifie,  bie  ben  2lu§fd)lag  gebenbe  9iid)tung,  benn  ber 
SBauemftanb  unb  bie  Slrbeiter  fpielten  bei  ben  SBal)len  eine  fo 
pafftöe  dtoUt,  bafe  man  unter  ben  fönf^unbertad^tunbjiebenjig  3!H\U 
gliebem  be§  %kx^  faum  fünf  Sauern  ^äijltt^y  ©d^werer  alö  für 
bcn  @tanb,  ber  8(Ke§  für  jtdö  begel^rte,  war  bie  Slufgabe  für  SDie* 
icnigcn,  bic  nur  Dpfer  gu  bringen  t)atten.  S)er  Sefc^Iufe  ber  dtt- 
gierung  Dom  27.  ©ejember  1788  l^atte  bereite  aUe  pefuniären  ^ri^^ 
öilegien  öcrurtl^eilt ;  übereinftimmenb  bamit  wiHtgten  bie  6al^ier§ 
ber  beiben  crftcn  Staube  in  baö  ^rinctp  glei^er  Söertl^eilung  ber 
abgaben,  gn  ben  wic^tigften  anbern  fünften,  wie  Sluf^ören 
aKer  SBiUfürl^errfd^aft,  5j:l)eilung  ber  ge[e^gebenben  ©ewalt 
jwifdöeii  bem  Äönig  unb  ber  Station,  3Riniftert)erantwortlic^Ieit, 
regdmäfeigc  ^Berufung   ber  ©eneralftaaten   unb  ^roöingialöer^ 


\j_ 


*)  Laboulaye,  Cours  de  Legislation  comparee,  TAssemblee  Consti- 
tuante.   Revue  des  Cours  litt^raires,  VI.  Annee  1868—1869,  322. 

*)  Sieyfes,  Plan  de  delib^rations  pour  les  Assembl^es  de  bailliage. 
©eigner,  I,  195. 

^)  Laboulaye,  Cours  de  Legislation  comparee,  TAssembl^e  Consti- 
tuante. Revue^'des  Gaurs  Utt^raires,  VL  Ann^e  1868—1869,  327.  9Ue. 
bul^r,  SJorlefungen  über  bic  fransöfifc^c  SRcöoIution,  1,  174. 


374  S)te  Sßalftlen  toon  1789. 

fammlungen,  äiefonn  ber  @erid^töbarf dt  ^),  »ar  gleid^foQd  fein 
principieller  ©egenfa^  jmif^en  ben  äBunfd^en  ber  @tänbe  gu 
finben,  nid^tö  tuaS  eine  SSerftönbigung  jioifd^en  il^nen  Derl^inbert 
l^ätte,  menn  iDirflid^  bie  Segritnbung  ber  f^eil^eit  bad  gemein^ 
fatne  Qkl  gcwcfcn  wäre  2).  Sflod^  in  ber  Srod^ure  öom  ©ejcmbcr 
1788  Üagte  @iei)eS,  „ba^  QxDt\tammtx\)()ft^m  gäl^le  eine  fo  gro|e 
SRenge  öon  Slnpngem,  bo§  ntan  barüber  erfd^redfe"  ^).  5Run, 
nad^  wenigen  9Jlonaten,  bie  grßfeere  SJeränberungen  ote  fonft 
2;a]^rjel^nte  ftd^  üolljiel^en  fallen,  war  ba^  fd^on  anberiS  geworben. 
S)en  S:ier^,  weld^er  injwifd|en  Don  ©ie^^  bekl^rt,  nid^  nur  bie 
^oUtifd)e,  jonbem  aud)  bie  fociale  ©leid^l^eit  woEte,  unb  bie  nad^« 
brängenben  Sauem,  bie  bag  Sanb  begcl^rten,  lonnte  feine  ber* 
artige  ßoncef jton  mel^r  befriebigen.  6^  fel^lte  nid^t  an  SBamnngcn 
für  bie  SRegicrung,  wag  gu  gewärtigen  fei,  wenn  fte  nic^t  bod^ 
nod)  bie  SSermittlung  übemel^men  unb  mit  einem  beftimmten  ^ro« 
gramm  jwif c^en  bie  Parteien  treten  würbe,  ^n  brei  ^oöinjen,  in 
ber  $rot)cnce,  ber  i5rand^e==6omte  unb  ber  Sretagne,  lam  eö  gu 
offenen  ©ewalttl^aten  gwifd^en  ben  Stäuben.  3u  9HarfciHc  unb 
Slif  war  eg  SKirabeau,  ber  bie  Drbnung  wieberl^erfteKen  l^alf, 
ba  bie  9iegierung,  wie  5Recter  e§  auSbriidte,  ,,oor  unbebad^ter 
Slnwenbung  ber  ©ewalt"  gurüdfc^redte*).  ©ie  ^and^e«=6omte 
gab  ba§  Seifpiel  be§  Slngrip  auf  bie  @d^Iöffer>  unb  ber  Hbel 
ber  Sretagne  weigerte  ftd^  überl^aupt,  ©eputirtc  ouiS  feiner 
3!Jlitte  gu  wäl^len.  SBäl^renb  ber  öicr  ÜRonate  oor  Sinnai^me 
ber  SaftiHe  gäl^Ite  man  breil^unbcrt  Slufftänbe  in  granlreid^, 
wooon  ber  erfte  in  ^ari§  am  28.  Slpril  auSbrad^,  weil  ber.  ^flbel 
bie  ^apierfabrif  oon  SReüeillon  auf  ben  aSerbad^t  einer  ^erabfe^ung 
beö  Slrbeitlol^ng  l^in  plünberte  unb  aHer  SBal^rfd^einlid^fcit  nad^ 

')  Larcy,  Louis  XVI  et  les  Etats  G^neraux.  Correspondant  1868,  505. 

^)  Dareste,  Histoire  do  France,  VII,  149,  Henri  Martin,  Histoire 
de  France,  XVI,  648—649. 

3)  D eigner,  ©manucl  ©le^^S  polttifd^e  (Schriften;  SBcrfudS  übet  bie 
»orrcd^te,  I,  118. 

*)  De  Tadministration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-meme.  Oeuvres^ 
VI,  183. 


S)ie  ffial^Icn  öon  1789.  375 

üom  ^crgog  öon  DrKanö  bafür  bcjal)!!  würbe  ^).  S)er  ©arten 
fernes  ^alatS  ro^al  war  jum  (51ub  geworben,  wo  Sag  für  Sag 
aufrül^rerifd^e  Sieben  bie  Äöpfe  erl^i^ten  nnb  bte  ^oltgei  fid^ 
dneS  alten  5ßorred^te8  wegen  nid^t  jetgen  burfte. 

©d^on  üom  fjebruar  ift  ba«  ©effänbnife  ?iecfer'§,  bafe  fein 
©cl^orfam  mel^r  unb  man  felbft  ber  SEruppen  nid)t  jtd^er  fei.  @r 
nrfeberl^oltc  eS  bem  Äönig  ütergelin  Sage  öor  Eröffnung  ber 
©enerolflaaten  unb  fügte  l^inju,  er  fürd^te,  ba§  ber  SKonard^ 
über  bie  ©timmnng  in  ber  Slrmee  getäufd^t  werbe  ^. 

fjrau  üon  ©tael  l^atte  bieS  wol^I  üergeffen,  als  fie  eine 
ber  irrlgflen  Sel^auptungen  ber  „ßonfib^rationS"  mit  ben  SBorten 
tticberfd^rieb,  baS  SSertrauen  in  bie  3flegiernng  fei  fo  grofe  ge* 
»efen,  bafe  tro|  ber  l^errfd^enben  9lotl)  bie  Drbnung  in  Sranf* 
rcid)  wäl^renb  beS  SBinterS  1788—1789  nirgenbs  geftört  worben 
fei.  ©n  »rief  üon  i^r,  öom  21.  Januar  1789  batirt,  fpridt)t 
bie  Hoffnung  auS,  unerad)tet  ber  S^^fpliWerung  ber  üorl^anbenen 
Äräfte,  baS  SBerfaffungSwerl  gelingen  jn  feigen,  „fjranlreid^", 
fd^reibt  fie  bem  il^r  perfönlid)  nid^t  befannten  fdl)webifdt)cn  6or* 
refponbenten,  „ift  auf  bem  ^unlt,  ©uropa  ein  gewaltiges  @dl)au* 
fpiel  ju  geben.  ®ieS  allein  foHte  feinen  ©l^rgeij  werfen,  aber 
id^  gittere  für  ben  öon  Älippen  umgebenen  Steuermann"^). 

5ftod^  blieb  ber  Drt  ju  beftimmen,  an  weld^em  bie  ©eneral* 
ftodten  güfammentretcn  foHten.  3Ran  l^at  oft  gegen  nieder  bie 
©rittärung  feiner  fpätern  ©djriftcn  angefül^rt,  bei  gewiffenl^after 
Prüfung  feines  öffentlidE)en  §anbelnS  fei  er  ftd^  leiner  Sd^ulb 
bewußt*),    ©ne  SluSnal^me  aber  i)at  er  boc^  gemacht.    „®in 


^)  Taine,  Origines  de  la  France  contemporaine.  La  Revolution,  I, 
13,  17,  18  u.  40.  Jefferson,  Complete  WorJjs,  Autobiography,  I,  100. 
Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  171. 

')  Malouet,  Memoires,  I,  287. 

*)  Uuöcbrutftc  aSriefc  öon  8ftau  öon  @tael,  im  SScfife  ber  UnlöcrfitätS« 
bibUoQel  Upfala.  gftau  öon  ©tael  an  iRtlS  öon  Sfiofenfiein.  ^oriS,  21.  Sa* 
nuor  1789. 

*)  De  Padministration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-meme.  Oeuvres, 
VI,  88. 


376  2)ie  maf^Un  t)on  1789. 

Srrtl^uttt,  ben  ic^  bamate  beging"  —  fo  fd^rclbt  er  1791  — , 
„ift  nid^t  befannt  geworben.  3c^  fd^Iug  nämlid^  bem  Äönig 
\)ox,  bie  ®eneralftaaten  in  $ariS  ftatt  in  SSerfailleg  ju  öer^ 
fammeln.  Seine  ^JKaJeftät  war  e§,  bie  jid^  meinem  Sßorfd^lag 
au^  jel^r  guten  ©rünben  wiberfe^te"  *)• 

®er  5JKonarci^  ffird^tete  baö  ^daiiS  ro^al  unb  ben  äufrul^r 
in  ben  ©trafen,  ber  SRinifter  bie  ßabalen  öon  SSerfaißeS,  mel^r 
nod)  alö  ba^  Uebergewici^t  ber  ^avo^t^tabt,  gegen  ipeld^eS  er 
nad)  bem  S^iifl^ife  ^on  ^rau  öon  Staöl,  burd^  bie  ^oöinjiafc 
öerjammlungen  gu  reagiren  l^offte^). 

@o  würbe  unter  bem  S)ad^  Subwig'jS  XVI.  SHaum  für  bie 
abgeorbneten  gefd^affen.  9lur  ben  ©ifeungSfaal  beS  Sierö  untere, 
lieg  man  bis  jum  legten  Slugenblid  ju  beftimmen,  mad  äSeran« 
laffung  gab,  bafe  bie[er  bie  mit  Tribünen  öerfel^ene,  fogenamtte 
@aUe  beö  ©tats  erhielt.  5JKalouet  erjäl^lt,  bafe  SfledEer,  oI«  burd^ 
Slnwefenlieit  be§  ^öbels  auf  ben  ©aUerien  bie  ffölgen  biefe« 
öerliängnifeDoHen  Qu^aM  jtd^  geltenb  mad^ten,  auf  ben  ©ebanleti 
öerfiel,  ben  @aal  in  einer  5)Zad^t  unter  bem  SSorwonb  ber  S3au« 
fäUigfeit  nieberreifeen  ju  laffen. 

©eine  SWauern  ftel)en  nod^  l)eute.  ©ie  5Konard^ie  fiub« 
wig'ö  XIV.  mar  eö,  bie  gufammenftürjte. 


^)  De  l^administration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-meme.    Oeuvres, 
VI,  54. 

^)  Madame  de  Stael,  Considerations.     Oeuvres,  XII,  86 — 87. 
^)  Malouet,  M^moires,  I,  295. 


$(#js  ^flpitel 


„ffiicienigcn,  bic  in  ber  franjöpfd)ctt  Sieöolution  eine  gu* 
fftBige  Scgcbenl^cit  ju  feigen  glauben,  l^aben  il^re  SHcfe  toeber 
auf  bic  aSergangcnl^eit  nod^  auf  bie  ßwfwnft  gerid^tet.  @ie 
l^ben  bie  @d)aujpieler  mit  bem  StüdE  üerweci^felt  unb  in  ber 
Äeibcnfd^aft  ben  SJlännem  beö  3lugenblirf§  jugefci^rieben,  waö 
baö  SBerl  ber  S^l^rl^unberte  war"  ^). 

9nit  biefen  SBorten  eröffnet  ^au  Don  Staöl  ba§  ©enfmal, 
ba«  fle  ber  Sfieöolution  gefegt  l)at.  2lm  4.  SJiai,  bem  Sag  beö 
feierlichen  ©otteiSbienfteö,  weld^er  bem  ßiijcinimentritt  ber  dttiä)^^ 
flänbe  öorl^ergel^en  foHte,  unb  ju  tüeld)em  l^alb  §ßari§  nad^  9Ser= 
faiUeS  geftrömt  war,  um  ben  Qmq  ber  3)eputirten  mitangufel^en, 
befanb  ftd^  Sderfer'ö  Sod^ter  am  felben  ??^en[ter  mit  Sßabame 
be  5Kontmorin,  ber  S^'ciu  be§  SKinifterS  ber  au^märtigen  Sln= 
gelegenl^eiten.  „^6)  gab  mic^",  fd^reibt  fie,  „ben  lebl)afteften 
Hoffnungen  l^in,  alö  id^  gum  erften  3KaI  in  ^ranfreid^  bie 
SBertrcter  ber  Station  erblirfte.  5[Jlabcime  be  5[Jlontmorin,  beren 
SBerftanb  im  Uebrigen  burd^auö  nid^tS  l^eröorragenbeS  l^atte, 
fagte  mir  in  einem  entfd^iebenen  5ton,  ber  feine  SBirfung  auf 
mid^  nid^t  öerfel^lte:  @ie  l^aben  Unred^t,  jtd^  ju  freuen.  Sluö 
allem  JDem  werben  grofee  Äataftropl^en  für  ^Jranfreic^  unb  für 
ung  entfielen." 


*)  Madame  de  Stael,  CoDsiddrations.    Oeuvres,  XII,  I. 


378  @Töffimn0  ber  ®eneralfiaaten. 

„S)icfc  unglficflicj^e  grau",  fügt  fjrou  Don  Stael  l^inju, 
^ftarb  auf  bem  Schaff ot  mit  einem  il^rer  ©ol^ne.    ®er  anbete 
ertranf.    Sl^r  ®atte  würbe  am  2.  September  in  ©tüdte  ge- 
nauen; il^re  altefte  Sod^ter  ftarb  im  Äranfenjümncr  eines  ®e* 
fängmffeö;  il^re  jüngere  Soc^ter,   SJlabame  be  Seoumont,  ein 
eble^,   geiftreid^e^  SBefen,  ift  ber  Sajt  il^rer  f^merjlic^en  6r* 
innerungen  Dor  bem  DoHenbeten  breifeigften  gebenSial^r  erlegen. 
®ie  Sfliobiben  l^aben  fein  tragifc^ercg  ©d^idffal  erfal^ren  als 
biefe  unglürffelige  SJiutter" »).    Sn  ben  »ieil^en  be«  «bei«  fa^ 
jte  ,,gläujenbe  9?uHitäten",  in  ber  l^ol^en  ^rälatur  mand^e  be« 
rüc^tigte   ©rfd^einung    Dorüberjiel^en,    bann   famen,   burc^  ein 
SKufifd^or  öon  ben  geiftlic^en  SBfirbenträgem  getrennt,  bie  ga^I* 
reid^en  Pfarrer,   unb  l^ierauf  ber  Sierö,   Slböofoten,    9h)tare, 
einige  Slerjte,  ad^tunbbreifeig  fieine  ©runbbeft^er,  einige  fed^ig 
Snbuftriette,    unter   fünfl|unbertjtebenunbfiebengig   äbgeorbneten 
etma   jel)n   9Jlänner,    bie   grofee   Slemter  im   Staat   befieibet 
l)atten2).    grau  Don  @ta6l  folgte  bem  auf  breiten  @d^nltem 
liegenben,  ftruppigen  Sorfenl^aupt  SUttrabeau'S ,  Don  bem,  l^atte 
man  il^n  einmal  in§  Sluge  gefaxt,  ber  Slicf  fid^  nidjt  u^ieber 
abmenben  fonnte;  fie  toar   am  folgenben  Sag,  ben  5.  2Rai, 
auf  il^rem  $la^  in  ber  Sribüne,  um  ber  @röffnungdceremonie 
beijuu)ol^nen,  bie  unter  9(nbem  aud^  Saron  @rimm  old  Slugen« 
jeuge  unb    nod^   auöfül^rlid^er    alö    fie  felbft  befd^reibt.     Sn 
bem  proDiforifd^   errid^teten  ©aal,   Don  jonifc^en  Säulen  ge« 
tragen,  beffen  Dberlid^t  eine  jeltartige  ©rapirung  Don  tt)ei^em 
Saffet  Dämpfte  unb  präd^tige  Seppid^e  fd^mfidten,   crl^ob  fid^ 
an  einem  @nbe  bie  ©ftrabe  für  ben  Äönig,  bie  ^ngen  unb 
©rofeiDürbenträger  be§  $of§.    S)er  SEI^ron  ftanb  imter  einem 
prad^tDoKen  Salbad^in;  gu  feiner  Sinfen  ber  fiel^nftul^I  Der  A3* 
nigin,  l^ierauf  ©i^e  für  bie  föniglid^en  ^ringeffinnen;  bie  ber 
springen  ftanben  gur  Jfted^ten.    3^^  güfeen  beS  Sl^ronö  nal^men 
ber  @iegelbett)al)rer  unb  ber  Dberftfämmerer  5ßla^,  toeitcr  unten, 

')  Madame  de  Stael,  CoDsideratioDS,  XU,  194. 

^  Taine,  Origines  de  la  France  contemporaiDe.  La  Revolution,!,  155. 


©aton  ©Timm  botüBct.  379 

an  einem  langen  Sifd),  ben  ein  mit  golbenen  Sitten  reid^geftidfter, 
Dioicttcr  ©ammettcppid^  bebecfte,  fafeen  bie  ©taatöfefretäre;  re(f)tS 
unb  linfö  öon  il)nen  ©taatSrätl^e,  JRequetenmeifter,  bie  ®dnt)er* 
neure  unb  30Wtttärtommanbanten  ber  ^roDtngen.  3luf  ber  Sang* 
feite  jur  9fiect)ten  nal^men  bie  ©eputirten  beS  Äleru^  5ßla^,  bie 
(Sarbinäle  unb  ber  ©pisfopat  in  öoHem  Drnat.  S^^nen  gegen* 
Aber  fa^en  bie  beö  Slbelö,  in  golböerbrämtem  fd^warjen  SJiantel, 
golbgefiidftem  Unterlleib,  aufgefd^lagenem  Seberl^ut,  ©pi^en* 
fraöatte  unb  meinen  ©trumpfen.  3n  ber  5!JHtte,  bie  Sttcfe  auf 
ben  SEl^ron  gerid^tet,  ber  Stierö,  in  bem  fo  oft  in  SBort  unb  33ilb 
bargeftettten  fdjmargen  Slnjug,  mit  furgem  3JlanteI  unb  breimal 
aufgefd^Iagenen  §ut,  ol^ne  jebeö  Slbgeid)en.  S)ie  Sogen  ber  @e* 
fanbten  unb  ber  etma  jmeitaufenb  jäl^Ienben  Sufci^auer,  im  erften 
SHang  meift  nur  2)amen,  oertlieilten  ftc^  jwifd^en  ben  ©äulen. 

Unter  ben  5)tiniftern  war  SRerfer  ber  eingige,  ber  ftatt  ber 
rid^teriid^en  Slmtöfleibung  ber  ^Parlamentarier  ober  ber  arifto* 
fratifd^cn  Srad^t  mit  bem  ©egen  gur  Seite,  in  einfad^  bürger« 
lieber  Äleibung  erfct)ien,  »pluie  d'or  sur  fond  canelle«,  mit 
teid^er  ©tieferei.  Sei  feinem  ßintritt  in  ben  ©aal  empfingen 
il^n  lebhafte  SeifaHöbejeugungen,  bie  |td^  für  ben  §ergog  oon 
Orleans  tt)ieberl)olten;  als  er,  ba^  einzige  3Kitglieb  beö  Sierö 
unter  ben  ^ringen  be§  .&aufe§  ^ranfreid^,  al§  ©eputirter  für  ßrep^ 
im  38aloi§  erfd^ien,  unb  feinem  ßoKegen,  einem  Pfarrer,  ben  SSor* 
tritt  liefe.  S)ie  3)eputirten  be§  ©aupl^ine  erl^ielten  megen  ber  oon 
il^nen  burd^gefül)rten  ^Bereinigung  ber  ©tänbe  eine  unbebeutenbe 
Oöation,  aber  ben  SSerfud^,  jte  für  bie  Sßertreter  ber  §ßroDence  gu 
erneuern,  unterbrad)  3Ud)^^  i^nb  Gemurmel,  beffen  Segiel^ung 
auf  ben  ©rafen  SDfirabeau  er  felbft  am  ttjenigften  mifeöerftanb. 
Sm  ©aale  öertl^eilten  pd^  inbeffen  feftlid^  gefleibete  ^erolbe  unb 
föniglid^e  ©arben  gur  Slufred^terl^altiing  ber  Drbnung. 

Sflad)  gwei  ©tunben,  gegen  elf  Ul)r,  trat,  gefolgt  öon  feinem 
gangen  §au§  unb  umgeben  öon  ben  l^ol^en  SBürbenträgern  feiner 
^rone,  ber  ^önig  ein,  im  großen  5Rantel  unb  geberl^ut,  mit 
^)rad^tt)ollen  ©iamanten  gefd^mürft,  aber,  toa^  auffallen  mufete. 


380  Sdaam  Qnmm  bacübcr. 

o^ne  aDe  3n{tgnen  fotriglid^er  Sßürbe^).  S)ie  SSerfammUtng 
empfing  i^n  ftel^enb,  mit  begeifterten  3unifen.  S)te  Königin, 
bie  am  Dorl^ergei^enben  Sag  einem  eiftgen  Stillfd^iDeigen  begegnet 
roax,  lieB  etmaS  auf  fi^  »arten  unb  il^re  S&ge  Derriet^en,  als 
fte  eintrat,  Spuren  ungett)ö^nlid^er  SBekoegung.  Qmn  erften 
^al  uberfam  t^au  r)on  @tae[  ein  @efül^I  ängftUd^er  Sangig« 
feit ;  fte  glaubte  ben  gangen  @mft  ber  Sage  hn  ©eftd^ttouSbruc! 
ber  ©eputirten  ju  lefen  unb  fragte  ftd^,  ,,»a8  auiS  einer  SBer* 
einigung  Don  SKdnnem  werben  foUe,  beren  ganged  ®ef^äft 
ftd)  auf  ©pred^en  befd^ränfte'' 2). 

2)er  ßönig  Ia§  mit  äßürbe  bie  Segrugungdrebe  an  feine 
©tänbe.  @ie  fprac^  bie  Däterlid^ften  ©effil^Ie  unb  Hoffnungen 
auf  beffere  Seiten  au§,  entl^ielt  in  politifd^er  Segiel^ung  aber 
fein  SEßort  oon  Sebeutung.  ©ennod^  tourbc  berÄfinig  gweimal 
burd)  afüamationen  unterbrod)en.  SBaS  man  in  feiner  SRebe 
öermifet  l|atte,  erwartete  man  öon  Jenen  feiner  SHatl^geber.  3)er 
©iegelbetoal^rer  Sarentin  ergriff  nac^  xf)m  baS  SEßort,  aber  um 
noc^  weniger  gu  fagen.  ®ie  grofee  gtage  über  bie  Art  ber 
abftimmung  berül^rte  er  nur  gang  oorübergel^enb,  um  gu  er* 
wäl^nen,  bafe  fte  burd^  bie  freie  ©ntfc^eibung  ber  ©eneralftaaten, 
mit  3wfKwtwii"Ö  ©einer  5)taieftät  erlebigt  werben  würbe,  unb 
jic^  l^ierauf  wieber  in  ©emeinplä^e  über  bie  Dioti^wenbigfeit  beä 
fJriebenS  unb  ber  ©tntrad^t,  ben  @egen  ber  burc^gufül^renben 
^Reformen  gu  öerlieren.  9lun  erl^ob  ftd^  SiedEer  gu  einer  mel^r 
atö  breiftünbigen  JRebe,  bie  Srouffonnet,  ber  SSorftanb  be« 
lanbwirtl^fd^aftlid^en  9Serein§,  nad)  ber  erften  l^alben  ©tunbe  für 
ben  5[Jlinifter  weiter  laö,  worauf  biefer  jte  oollenbete,  wie  man 
fagt,  um  ben  fd^Iimmen  (ginbrudf  gu  üerwifd^en,  ben  fte  bei  ber 
Sßerfammlung  l^eroorgurufen  fdt)ien^).  Sie  war  oor  Allem  eine 
g^inangrebe  unb  wieberl^olte  aU  f olc^e  bie  Saftil  be§  ßompte  renbu- 
^alfd^e  eingaben  entl^ielt  jte  nid^t,  aber  inbem  jte  wid^tige  ^^fte 


')  Droz,  Ilistoire  de  Louis  XVI.  II,  174. 

^  Madame  de  Stael,  Consid^rations,  XII,  174. 

"*)  Chcirest,  La  Chute  de  Pancien  Regime,  III,  22. 


sRcdcr'ö  SRcbc.  381 

mit  ©tiUfd^weigen  überging,  gab  |te  bennoc^  ein  falfd^e^  Silb 
bcr  Situation.  ®aö  feit  Srienne  um  etwa  fünfgel^n  9)^iUionen 
rebujirte  Jäl^rUc^e  deficit  würbe  auf  56  SRillionen  angegeben, 
aber  bie  fc^redfenerregenbe  Sl^atfad^e,  bafe  bie  fc^webenbe  Sd^ulb 
551  »/a  SKiHionen  betrug,  im  Unflaren  gelaffen^),  wä^renb  bie 
SRaferegeln  jur  §erfteUung  be§  ©leid^gewid^t^  im  Sat)re§bubget 
mit  fo  peinlid)er  ©enauigleit  erörtert  würben,  ba^  felbft  ber 
Umftanb  jur  @prad)e  fam,  ob  e§  nid^t  etwa  beffer  fei,  ben 
SRcgie'Stabaf  gepulöert  gu  üerfaufen  ^).  3)iefer  8lrt  ber  a3el)anb= 
lung  ber  finanziellen  Slngelegenl^eiten  lag  übrigen^  eine  wot)U 
überlegte  Slbjtc^t  ju  ®runbe.  ®enn  nid^t  nur  glaubte  3lecfer 
immer  nod^  ernftlid^,  ba%  mit  Sftufie,  Orbnung  unb  gewiffenl^after 
©parfamfeit  bie  ®elbüerlegen^eiten  be§  Staate^  ju  überwinben 
fein  würben;  er  woUte  üor  SlKem  wie  fc^on  bemerft,  üerl^tnbern, 
ba^  be§  Äönigg  Slnfel^en  burd)  ba^  SSefenntnife  einer  Slotl^lage 
öor  bm  Sßertretern  ber  Station  gefc^äbigt  werbe.  ®aburd)  er* 
Härte  ftc^  ber  äuüerjtd^tlid)e  Son,  mit  bem  er  üon  ber  Sage  ber 
fjinangen  fprad),  unb  bie  SlücHe^r  ju  feinem  ©tanbpunft,  nad^ 
welchem  er  bie  Berufung  ber  (äeneralftaaten  üon  ©eiten  be§ 
ÄönigS  nid^t  alö  einen  2llt  ber  Slotl^wenbigfeit,  fonbern  alö 
freies  Si^Ö^ftä^i^^ife  f^i«^^  ©ered^tigfeit  l^injufteHen  ftdt)  be= 
mü^te.  „(5ö  gibt  nur  eine  grofee,  nationale  ^olitif,  ein 
^rincip  ber  Drbnung,  ber  Äraft  unb  beö  ®Iürf§\  fpra^ 
Sdeder,  „unb  biefeö  ^rincip  ift  in  ber  ooHfommenften  9!ÄoraI, 
bcm  Sieblingöwerf  be§  SlBer^öd^ften  gegeben"  3).  ®urd^  ©in* 
trad^t  unb  ©anfbarfeit,  5lufopferung  unb  Sauterfeit  ber  ®e= 
ftnnung,  Eingebung  an  ba^  öffentlid)e  SBol^l  unb  alle  eblen 
@efül)lc  in  ber  9Renfd^enbruft,  an  bie  er  appetlire,  werbe  e§ 
burd^gcfül^rt    werben.     6nblid^    aber,    nadt)    langen    5)leben§= 


»)  (S^bel,    ©efd^id^te   ber   SRcöoIutionSaeit,   I,  45—46.    Sefer,  ««cdet'S 
jwcttcS  aWiniftcrium,  123. 

2)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.,  II,  176,  92ote. 

3)  Neck  er,   Discours    ä   Touverture    des    Etats-g^n^raux.     Oeuvres, 
VI,  557  u.  560. 

»Unncr^attett,  ^rau  toon  ©taei.  I.  25 


382  9«ccler'ö  SHebc. 

arten,  gelangte  ber  ^Sitnifter  boc^  an  btn  ^aitptpunft,  bie 
grofee  Sßerfaffungöfrage  ber  äbfümmung  nad^  Äöpfen  ober 
nac^  Stänbcn.  ®ie  red^tltcl)e  6ntfci)e{bung  lag,  barfiber  beftanb 
fein  S^^^if^l  in  be§  Äönigö  $anb.  6ö  war  öergebenS,  fein 
Slnfel^en  in  ber  f^inanjfrage  ciferfüd^ttg  gu  becfcn,  wenn  feine 
Slutorität  nid^t  über  ßonftitnirung  ber  ©tänbe  cntfc^ieb,  bie 
wenige  äugenblirfe  Dorl^er  nod)  baran  erinnert  toorben  waren, 
bafe  jte  bie  ©rneuerung  il^reS  Seftel^enö  nur  feinem  SBiUcn  ju 
banfen  l^atteu.  ©a  brad)te,  inmitten  atl^emlofen  ©d^wcigenS 
ber  ßi^prc^r  ^i^  minifterielle  Sftcbe  je^t,  ftatt  ber  erwarteten 
6ntfd)eibung,  bcn  3lu§brucf  blofeer  3Bfinfd)e  öon  Seiten  ber 
Diegierung.  ©ic  Stänbe,  meinte  Slecfer,  foHten  anfangt  getrennt 
Don  einanber  beratl^fdjlagcn,  bamit  Slbel  unb  ÄlcruS  mit  öott- 
fommen  freier  Selbftbcftimmung  baö  Dpfer  xi)xtx  pcfunidrcn 
5ßorred)tc  bräd^ten,  worauf  jeber  Staub  burd^  bcfonberc  (5om* 
utiffäre  jur  Untcrfud)ung  ber  ^rage  fd)reiten  fönnc,  in  weld^en 
Italien  eö  pd)  entpfel^Ie  gemeinfam,  in  weld^en  nad^  ©ton» 
bcn  gu  ftimmen.  gür  beibe  formen  ber  Slbftimmung  fül^rte 
er  enipfel^Ienbe  ©rflnbe  an  unb  fd)Io6  mit  ber  Slufforbcrung  an 
bie  5öerfammlung,  beut  Souöerän,  „al§  SBormunb  feines  Sßolfeö", 
mit  weifen  3iat^fd)Iägeu  gur  SBegrünbung  ber  SBol^Ifal^rt  bc3 
5Reid)^3  entgegengufommen  unb  nid)t  eiferfüd^tig  mit  htm  wol^I« 
tl)ätigen  ©influfe  ber  Qdt  wetteifern  gu  wollen*). 

2Bol)in  bie  per[önlid)eu  S^mpatl^ien  beö  5Kinifter«  neigten, 
üerriet^  jtdt)  nur  etwa  in  ber  Semerfung,  bafe  eS  bem  SKonard^cn 
leid)ter  fein  werbe,  feinen  gefürd^teten  ßinflufe  auf  eine  SBerfoumi» 
lung,  alö  auf  gwei  Kammern  gcltenb  gu  mad^en.  ©ne  beftimmtete 
al§  bie[e  negatioe  (Smpfel^Iung  beö  S^ftemS,  burd^  weites  er  regieren 
wollte,  wagte  5Jlecfer  nid^t^).    2lls  gu  fpäter  aiad^mittagftunbe 

')  Lord  Auckland,  CorrespoDdence,  I,  320.  2)ec  Sorrcfponbent  ift 
^uber,  ein  ^ernjanbter  ber  gf^^mtlte  S^eder.  Madame  de  StaeI,XII,  196— 
107.  L^ouzon-Le  Duc,  Gorrespondance  da  Baron  de  Stael-Holstein, 
99—100.    S^epefd^e  dlo.  113' öom  10.  SWai  1789. 

^  Necker,  Discours  ä  Pouverture  des  Etats-g^n^raox.  OeuYres, 
VI,  611. 


Uttl&cUc  über  bicfclbe.  383 

t)cr  SBortrag  unb  mit  il^m  bie  fjeierlid^fcit  ju  6nbe  fam,  crl^ob 
^ä)  bcr  Äönig  unb  öcrlte§  unter  begeiftertcn  3itnifcn  bie  38er* 
fanmilung.  SSJäl^renb  bie  Königin  il|m  gu  folgen  pd^  anfd^irftc, 
rief  eine  Stimme,  „nod^  gerül^rt  öon  ber  9JliId^  frommer 
®enIungSart",  il^r  ein  gebel)oci)  gu.  @ie  öemeigte  ftd^  tief  unb 
erntete  eine  Döation^).  ®ann  geleitete  eine  jubelnbe  3Renge 
ben  ^of  ins  föniglid^e  ©c^Iofe  gurücf.  Slud^  SledEer  mürbe 
totcber  ctpplaubirt.  (Srft  rul^igere  Ueberlegung  unb  gegenfeiti* 
fler  3Reinungöauötaufd^  brad)ten  ein  Urtl^eil  über  baS  Sage* 
merl  öom  5.  5öiai.  9?ad^  ©ouoerneur  SKorriö  l^atte  „Sourbon 
im  erften  Slft  bes  ®rama§  gmar  bie  ijreil^eit  gegeben,  aber 
bann,  ol^ne  eö  aud^  nur  gu  bemerfen,  gugleid^  abgebanit". 
Slid^t  ber  Äönig,  vooljl  aber  feine  Umgebung  l|abe,  nad^  be§ 
SlmerifaneriS  energifd)en  Söorten  »the  pang  of  greatness  going 
oflfc  gefül^It.  9JlaIouet  fal^  „burd)  beS  Äönigö  33ergid)t  auf 
^ntfd^eibung  bie  SBranbfarfel  ber  ßwietrad^t  in  bie  33erfammlung 
flef(f)leubert"  2).  Sud^  gtau  öon  @tael  erfennt  bie  Sragmeite 
beg  ®efd^el)enen,  aber  jte  biUigt  ben  (äntfd^lufe  il)reö  SSaterS, 
bie  ^erftettung  ber  ßonftitution  btn  ©eneralftaaten  überlaffen 
ju  l^aben.  35ie  Unöerbefferlic^en  ber  ^ofpartei  gemannen  auS 
Sfteder'ö  SRebe  ben  ©inbrud,  bafe  bie  ^Berufung  ber  ©tdnbe  ptte 
t)ermieben  merben  lönnen,  unb  ben  ©eputirten  be§  SierS  entging 
t^  nid^t,  bafe  ber  9Jlinifter  gmar  um  i^ren  Slatl^  gebeten,  aber 
il^rcr  SHed^te,  ber  ©teuerbemiUigung  öor  Slttem,  mit  teinem  SSBort 
ßrmäl^nung  getl^an  l^atte.  Siemes  nannte  9lecfer  „einen  oott* 
fommenen  Sled^enmeifter,  mit  poetifd^en  Sin*  unb  SlujSftd^ten"  3). 
©ie  befte  3ied)tfertigung,  bie  5ße(!er  felbft  für  pd^  geltenb 
mad^te,  mieberl^olt  9liebul^r.  @r  fül^rt  an,  bafe  ber  5Ktnifter 
einmal  gefagt  l^abe,   man  merfe  il^m  t)or,  bem  Äönig  leinen 


^)  Jured  Sparks,  Life  of  Gouvernor  Morris,  with  selections  from 
his  Correspondence,  I,  304 — 308. 

^  Malouet,  M^moires,  I,  295. 

8)  8t.  SB.  ©d^Iegel,  galob  ««ccler,  STuffa^  in  ben  Seitgenoff en,  I, 
1816-1817,  37. 

25* 


384  i^rüfung  bcr  SBal^Iaeugniffe. 

5Rat^  gegeben  gii  l^abcn.  3)a§  fönnc  man  nid^t  toiffcn,  bcnn 
XDoi)l  fei  c3  möglid)  für  einen  Slnbem  Scrftanb,  nicmate  aber, 
für  einen  Slnbern  6l)arafter  ju  l^aben.  SBebcr  bamalS  nod^ 
fpätcr  fonnte  er  mit  3iJöerjtct)t  auf  bic  Unterftfi^ung  bcö  SJlon» 
ard^en  red)ncn^). 

Sd^on  ber  folgenbe  Sag  fül^rte  mit  ber  Sonnfrage  über 
bie  i^rüfung  bcr  2Bal)Ijeugniffe  bie  ÄrijtS  gerbet.  ®er  Slbcl  fc^ritt 
ol^ne  Bögern  jur  Sßerificirnng  feiner  SJianbate;  bie  ©eiftlid^feit 
fd)icn  bereit,  ein  ®Ieid)eö  jn  t^un,  al§  ber  SierS  bicfe  Prüfung 
burd)  alte  brei  ©tänbe  gugleid)  verlangte  unb  bafür  auf  ba§ 
Seifpiel  von  1483  uenuie^,  n)ä^renb  ber  8lbel  auf  baS  gegentl^eilige 
a}crfal)rcn  mi  1614  ftd)  ftü^te. 

(5ür  ben  in  bered)neter  Untptigfeit  abwartenben  SicrS  war 
eö  nur  9Jlittel  jum  3^^^*"  ^^^  SSereinigung  ber  ©tänbe,  für 
nield)e  u.  a.  bic  abeligen  ©eputirten  ber  ®aupl)ine,  bann  ber 
^crjog  üon  ßiancourt  unb  Sa  gatjette  il^re  ©tanbcSgcnoffen 
JU  gciuinnen  fud)ten,  obwot)!  Sa  ga^ette  noci^  im  Stpril  baS 
3tüeifammerft)ftent,  weil  e§  in  Slmerifa  eingefül^rt  war,  al§ 
allen  feinen  2Bünfd)cn  entfpred)enb,  bejetd^net  l^atte^),  SWan  er- 
nannte auf  btix  ücnnittelnben  SSürfd)lag  be^  ÄleruS  ßommipre, 
um  33efpred)ungen  jn)ifd)en  ben  Stäuben  einzuleiten,  bic  über 
einen  ^JJionat  in  Slnfprud)  nal)men,  aber  gu  feiner  SScrftänbigung 
fül)rtcn.  2öäl)renb  bcr  SBiberftanb  be^  Slbetö  atö  fträflic^er 
Zxoi}  iKrurtt)eilt  würbe,  fanb  anbererfeit^  bic  fricblicbcnbe 
SKäfeigung  beö  Äleruö  eine  nid)t  minber  l^artc  Seurtl^eilung. 
SaUi)  SoHenbal  befd)ulbigte  it)n,  auf  ben  Sieger  ju  warten,  um 
jid^  benifelben  l^ierauf  al!§  $Berbünbeten  anjufd^liefeen. 

©twaö  Dor  biefe  Qtxt,  6nbe  3Rai,  fällt  ber  jweite  SBerftän* 
bigung^ücrfud)  üon  SKirabeau  mit  5Jlerfer.  Unbeirrt  burd^  $afe 
unb  Slnfeinbungen,  nur  ju  bereit,  um  ben  ^eiS  bcr  Sie« 
Solution,  nidt)t  aber  al§  blofeeö  SBerficug  ber  ©emoftratic,  jur 


')  9Mc6u^r,  ©cfc^tc^tc  bei  Scitaltcrö  bcr  SÄeöoIuHon,  I,  177. 
^  Mortiiner-Ternaux,  Histoire  de  la  Terreur,  I,  421,   ©rief  öon 
fia  ga^ctte  öom  1.  9(pnl  1789. 


iWirabcau  unb  iReder.  385 

Sfi^rcr[(i^aft  ju  gelangen,  l^atte  Sßirabeau  am  18.  SiJlai  ben  erften, 
inbireften  SSerfud)  üon  ©te^eö  vereitelt,  auf  ben  öon  tl^m  tn= 
fpirirten  Slntrag  feinet  ^^reunbeg  ßfiopelier  bie  beiben  erften 
©tänbe  bringenb  gut  ^Bereinigung  mit  bem  Stiers  aufäuforbern 
uub  bann,  im  SBeigerungSfaH,  t)m  SierS  gur  Stationalöerfamm* 
lung  ju  conftituiren.  Slud^  3Rirabeau  wollte  bie  ^Bereinigung 
ber  ©tänbe,  aber  nid^t  bie  SlUeinfierrfc^aft  beS  Sierö.  S^  ge* 
nauer  er  bie  Elemente  fennen  unb  üerad)ten  lernte,  bie  um  il^n 
^er  fxäj  bettjegten,  um  fo  unerträglid^er  würbe  i^m  bie  Haltung 
ber  [Regierung.  „6in  @d)atten  öon  Talent  bei  9?erfer'\  fd^rieb 
er  im  ?!Äai,  „unb  er  l^atte  in  ad^t  Sagen  60  SRiUionen  Steuern, 
150  5!JliIlionen  Slnlei^en  unb  fd^icfte  uns  am  neunten  Stag  nad^ 
$aufe.  ?!Äit  nur  ein  wenig  ßl^arafter  wäre  er  unerfd^ütterlid^, 
ginge  mit  unS,  bie  wir  feine  @ad^e  öerfed^ten,  bel^errfd^te  ben 
§of  wie  Slic^elieu,  unb  wir  wären  wiebergeboren"  ^).  3BaS 
Sleder  nid^t  tl^at,  tl^at  SRirabeau.  @r  warb  Soumalift,  griff 
baS  SRinifterium  an,  fal^  fein  erfteS  S^ttw^Ö^I^tott  unterbrücf t -), 
fd^uf  |td)  ein  jweiteS  Drgan  unb  mit  biefem  eine  Partei  im 
gangen  Sanb  ^),  bemäd)tigte  ftd)  ber  Sribüne,  erzwang  ftdt)  guerft 
@epr,  bann  3lpplauS,  unb  war  am  ^unft  am  27.  5JKai  feinen 
3wecf  burd^  SSerftänbigung  mit  bem  ÄleruS  gu  erreid^en,  als 
ber  Äönig  am  28.  3Kai  mit  einem  aSermittlungSöorfd)Iag  ein* 
griff.  3n  befonberen  ©enbfd^reiben  an  bie  ©tänbe  forberte  er 
fie  auf,  il^re  SBoBmac^ten  eingeln  gu  prüfen,  jtd^  gegenfeitig  bie 
ßrgebniffe  berfelben  mitgutfieilen  unb  in  gweifelfiaften  fällen  bie 
©ntfd^eibung  bem  93iinifterrat]^  gu  überlaffen. 

SllS  ber  Sn^alt  beS  föniglid^en  SSriefeS  im  Stiers  befprod^en 
werben  foHte,  oerlangte  SJJalouet  bie  9täumung  ber  Tribünen 
unb  würbe  bafür  oon  feinem  anbern  als  5Bolne^  mutl^Iofer  5ßer:= 
fibie  angeflagt.    „©ie  ®eputirten\  fprad^  er  nur  gu  propl^etifd), 


0  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  350. 
^  Mirabeau's    Les    Etats-generaux,    bie    nur    eine    ganj   furjc    3ßit 
erfd^iencn. 

^)  Mirabeau,  Lettres  k  ses  commettants. 


386  Wlixaheau  unb  9Udix, 

„muffen  öor  tl^ren  ©cbietern  beratl^cn"  ^).  Sluf  bicfcn  Sribüncn^ 
in  ben  crftcn  ßlubö  ber  ^auptftabt,  öor  allem  im  6lub 
breton,  bem  fpätern  S^fobinerclub,  unb  in  bm  6aff6'§  be§ 
5ßalatö  ro^al;  üerfud)te  man  jtc^  bereite  in  ber  Äunft  ju  re* 
gieren  unb  n^ar  nic^t  mel^r  gciüitlt,  ftd^  barin  ftören  ju  laffcu. 
®eö  Äönig^  Slufforberung  würbe  Dom  Slbel  mit  ©infd^ränlungen 
ermibert,  bie  eö  bem  Sierö  ermöglid^ten,  jte  feinerfeitö  abgulel^nen. 
3)er  Äleru§  erflärte  fid^  nic^t  beftimmt,  man  wufete  il^n  aber  in 
feiner  5[Jlajorität  längft  ben  Sntereffen  beö  britten  ©tanbcS  ge* 
Wonnen.  35ie  wieber  aufgenommenen  Sefprec^ungen  fd^eiterten 
am  9.  Suni  noci^  einmal,  unb  fd^on  ber  folgenbc  Sag  brad^te 
ben  23orfd)lag  üon  @iet)eö,  bie  beiben  anbern  Stäube  jur  SSer* 
einigung  mit  bem  Sierö  aufjuforbern,  unb  bamit,  wie  er  ftd^ 
auöbrürft,  „ba^  Sau  burd^jufdt)neiben,  ba^  aKein  nod^  ba^  @^iff 
am  Ufer  l^ielt". 

©eine  25efürdt)tung,  eö  möge  bem  Äönig  gelingen,  fjricbcn 
ju  fdt)Iiefeen,  war  nid^t  üon  langer  Sauer  gewefen.  ©urd^  bie 
SlUianä  mit  ber  ^farrgeiftlic^feit  unter  ben  35eputtrten  be^ 
Äleruö  unb  mit  ber  liberalen  SRinorität  unter  jenen  beö  8lbel^ 
war  ber  @ieg  be§  britten  ©tanbeö  gefiebert.  SBurbe  er  je^t 
nid^t  Don  Oben  gugeftanben,  fo  liefe  er  fid^  ertro^en.  ®a,  in 
ber  (Spannung  be§  Slugenblidö,  gewann  ber  Staatsmann  bei 
SKtrabeau  bie  Oberl^anb.  (5r  allein  unter  allen  feinen  ßoKegen 
fragte  ftdt),  waS  nad^  bem  @ieg  gefd^el^cn  werbe  unb  ob  eS  fid^ 
lol^ne,  Don  einem  bcüorgugten  ©tanb  jtd^  ju  befreien,  nur  um 
unter  bie  t^errfd^aft  eines  anbern  gu  geratl^en,  bie  allem  Slnfd^ein 
nad^  mit  einer  Ufurpation  beginnen  wollte.  6ben  biefc  Seforgniffe 
üeranlafeten  feinen  jweiten  Slnnäl^erungSöerfudt)  an  9Mer.  ©ie 
loyale,  einftd^tSDoUe  «Haltung  öon  9!Kalouet  l^ötte  i^m  in  ber  33er« 
fammlung  beS  SierS  fo  imponirt,  bafe  er  burd)  feinen  ®enfcr 
iJreunb,  S)urot)era^,  eine  23efpred)ung  mit  il^m  vermitteln  liefe,  gu 
welcher  SJtalouet  ftd)  nid^t  ol^ne  Sd^wierigfeiten  bereit  fanb.    3n 


')  üroz,  nistoire  de  Louis  XVI.,  II,  191—192. 


aWirabeau  unb  Siedet.  387 

einem  britten  §au^  begegnete  er  ftd)  mit  bem  ©eputirten  öon  Sliy 
unb  l^örte  mit  ©rftaunen,  wie  biefer  jtd)  aU  feinen  @eftnnung§= 
genoffen  erflärte.  3lkmaU,  äußerte  SWirabeau,  werbe  er  ftd) 
bcm  ©efpotiSmuö  Derfaufen;  waö  er  aber  moHe,  fei  eine 
freie,  monard^ifc^e  ßonftitution.  ©a§  Äönigt^um  bürfe  nid^t 
crfd^üttert  werben.  Sn  ben  5)leif)en  feiner  ßoHegen  feien  ge= 
fäl^rlid^e  geute,  entgünblid^e  Äöpfe.  2Ba§  in  ber  3lriftofratie 
an  SBerflanb  t)orf)anben  fei,  beft^e  feine  SBemunft.  @§  fei  öon 
geringer  Sebeutung,  ob  jmifd^en  ben  3Kiniftern  unb  if)m  felbft 
Slbneigung  ober  ©^ntpatl^ie  beftel^e.  @ö  {)anble  fic^  oielmel^r 
barum,  ob  jte  einen  $Ian  befäfeen,  ber  ftc^  oertl^eibigen  liefee. 
w3ft  ein  fold^er  oor^anben  unb  berul^t  er  auf  öernünftigen 
©runblagen",  fdjiofe  5Jiirabeau,  ,,fo  oerpflid)te  id^  mid),  i^n  gu 
unterftfifeen,  aKe  meine  Slnftrengungen,  meinen  ganjen  ©influfe 
aufjubieten,  um  bie  über  unö  l^ereinbrec^enbe  Snoafton  ber 
3)emofratie  ju  oerbinbern".  9RaIouet  fanb  jum  erften  3Jlal 
feine  eigenen  lang  gehegten  ©ebanfen,  SSeforgniffe  unb  3Bünfd)e 
bei  einem  Slnbern  mieber,  unb  eilte  freubig  erregt  ju  ben  9Ri* 
niftem,  um  bie  oon  93{irabeau  begel^rte  S^f^w^wt^nfunft  jwifd^en 
ilinen  feftgufe^en.  (gr  f^}rad^  lange  mit  SD^ontmorin  unb  9lecfer, 
aber  o^ne  pe  oon  ber  SBid^tigfeit  feiner  3)Kttt)eilung  überzeugen 
ju  fönnen.  „@ie  l^afeten  3Kiräbeau  unb  fürd)teten  il^n  nod) 
nid^t."  Sdecter  fagte  nid)tö  unb  betrachtete  bie  ^immtxbtd^, 
toaö  ate  ein  ßcic^en  befonberer  Unentfd^loffen^eit  bei  il^m  galt. 
Sebod^  erwies  er  ftd^  äugänglid^cr  al§  3Kontmorin,  unb  für  bie 
3ufammenlunft  mit  3Kirabeau  würbe  ein  Slbenb  beftimmt. 

SRirabeau  fam  leiber  o^ne  3Kalouet  unb  fanb  ftd)  in  ®c= 
genwart  beS  fteifen,  äurürf^altenben  33ianneS,  ber  im  fälteften 
3:one  gu  it)m  fprad^:  „Wdix^exT,  9Jionfteur  aJtalouet  fagt,  @ie 
Ratten  mir  33orfc^läge  gu  mad)en.  SBorin  beftel^en  biefe?"  5luf 
biefe  Slnrebe  t)in  trat  ^JJJirabeau  gurürf,  ma§  benjenigen,  ber 
il^n  fo  angerebet  i)atk,  mit  einem  33lidE  ber  SBerac^tung,  er= 
Wiberte:  „9Kein  3Sorfd)lag  beftet)t  barin,  S^nen  einen  guten 
SWorgen  gu  wünfdien"   unb  ging.    3m  Si^ungSfaal  be§  3:ier§ 


388  ©ifeuHö  tjom  15.  Suni- 

fanb  er  93taIouet,  überftieg  einige  Sänfe,  um  bis  ju  tl^m  ju 
gelangen  unb  fagte  jornig:  »Votre  homme  est  un  sot,  11  aura 
de  mes  nouvelles«  ^j.  3"  ^^  ^^  3Kard  fprac^  er  um  biefelbe 
Seit  baö  ^iftürifd)e  SBort:  ,,®a§  StaatSfc^iff  ift  öom  J^eftiflfteri 
Sturm  gepeitfcl)t  unb  e§  ftel^t  9iiemanb  am  ©teuer'' 2). 

9?e(fer  blieb  für  i^n  „bie  Ul^r,  bie  immer  naä)Qtf)t",  Sie 
fallen  ftd)  nur  alö  ®egner,  in  ber  9ktionalDerfammIung  wiebcr. 

©egen  ben  Sortourf,  5[Jlirabeau  nid^t  ju  red)ter  ß^'t  Ö^ 
lüonnen  ^n  l^abtn,  nimmt  grau  üon  ©tael  il^ren  Sßater  baburd^ 
in  Sd^ufe,  bafe  jte  fagt,  für  fold)e  S)inge  fei  er  nid)t  ber  redete 
3Jiann  gemefen;  fte  feien  beffer  burdt)  Slnbere  beforgt  worben, 
unb  überbiefe  würbe  93iirabeau  niemals  mit  ber  Demagogie  ge* 
brod)en  l^aben,  beüor  er  nid)t  burd^  fie  auf  bm  ©c^ilb  gel^oben 
morben  fei^).  Sie  mag  ben  %tijUx,  einen  ber  größten  ber  SRe« 
Solution,  immerl^in  entfd)ulbigen ,   begangen  ptte  fie  il^n  nid^t. 

SBag  nun  folgte,  ift  befannt.  3lm  12.  3uni  begann  ber 
Sierö  bic  Prüfung  aller  äJoUmad^ten  nad^  SSaittiagen;  am  13. 
erfd)ienen,  Don  einem  gwbelraufd^  begrübt,  bie  erften  brct 
^Pfarrer  in  feiner  9Jlitte;  fd)on  am  nadt)ften  Sag  folgten  fteben 
ober  ad)t  anbere,  worauf  bie  Sßerfammlung  ftc^  al§  conftituirt 
unb  ©ie^eö  fie  am  15.  Suni  al§  bie  33ertreterin  beS  SBillenS 
ber  9iation  erflärte.  Sin  jenem  Sag  fprad^  9Rirabeau  brct 
aßal.  er  verlangte  bie  Sanftion  beö  Äönig§  als  notl^* 
menbige  SSebingung,  ol^ne  n)eld)e  er  ben  ©nifd^lüffen  feiner 
Kollegen  feine  3ted)t0fraft  guerfennen  fönne,  unb  bonnertc  il^nen 
JU,  bafe  er  o^ne  biefe  Sanftion  lieber  in  ßonftantinopel  alö  in 
granfreid)  leben  würbe.  2)enn  fd)rerflid)er  bünfe  i^m  mdE(tiS, 
als  eine  fouüerdne  Slriftofratie  Don  fed^S^unbert  ^erfonen,  ber 
eS  frei  ftel^e,  ftd)  f)eute  unabfepar,  morgen  erblid^  gu  erflären, 


')  Malüuet,  Memoires,  I,  311  unb  II,  471  STppcnbir.  Mallet  du 
Pan,  Älercure  britaiinique,  2.  Janvier  1800.  Dumont,  Souveoirs  sur 
Mirabeau,  50.     Che r est.  La  chute  de  ranoieii  regime,  III,  76. 

-)  Saiiite-Beiive,  Camille  Desmoulins,  Causeries  du  Lundi,  IV,  97. 

•*)  Madame  de  Stael,  CoQsideratious,  XII,  202. 


nieder  beid^Kefet  einzugreifen.  389 

unb,  tt)ie  jebeS  ariftofratifd)e  Siegiinent,  mit  ber  unbefd^ränften 
^crrfdjaft  gu  enbigcn.  Sßor  feinem  33Iid  lag  eine  Sßifton  be§ 
ÄonüentS,  unb  bie  empörte  Dppofttion  fd)Ieuberte  il)m  ben 
SBoriüurf  entgegen,  jtd)  an  bie  Ärone  üerfauft  gu  liaben^). 

SlHein  3Jltrabeau  njarnte  öergebenö.  Slm  17.  Siini  erllärte 
ftd^  ber  Sierö  mit  491  gegen  90  (Stimmen  auf  ben  SSorfc^lag 
öon  ©ie^eö  jur  Jlationaluerfammlung.  6r  öolljog  gugleid^  ben 
erften  Slft  ber  SouDeränetät,  inbem  er  au^fprad),  bafe  aHe 
Steuern,  meil  ol^ne  3ii[tt«twtung  ber  Sßertreter  be§  Sanbeö  er= 
l^oben,  ungültig  feien,  verfügte  aber,  ba§  fte  biö  jur  3luflöfung 
ber  SSerfammlung  proüiforifd)  fortgegal^lt  twerben  foBten  unb 
garantirte  bie  Sfted^te  ber  ©laubiger  be§  Staate^. 

?IKirabeau  ftimmte  an  jenem  Sag  nid^t;  mitten  in  ben 
©iegcöiubel  feiner  ÄoHegen  marf  er  bie  büftere  ^ropl^e^eil^ung, 
man  l)abe  ben  erften  ©d^ritt  jum  23ürgerfrieg  getl^an.  3lud^ 
?Dlalouet  geftanb,  t)a%  bie  S)eputirten  beö  Sierö  il)re  33efugniffe 
überfdtiritten  l^atten^).  „®a§  S)efret",  fagt  grau  üon  Stael, 
„war  bie  SReüolution  felbft". 

Se^t  enblid^,  nad)bem  bie  @ntfd)eibung  gefallen  mar,  be= 
fc^Io^  9lerfer,  bod)  nod)  einjugreifen. 

Unermüblic^,  aber  ebenfo  uergeblid),  l^^tte  er  bi§  ba{)in, 
tt)ic  er  fagt,  bem  Äönig  mieber^olt,  ftdt)  in  eine  ßonftitution 
nadi  bem  SKufter  ber  englifd)en  gu  fügen.  @d^on  SJMtte  2Kat 
l^atte  er  marnenb  auf  bie  SSerid^te  au§  ben  ^roöingen  öermiefen, 
xittb  bie  Sefürd^tung  au§gefprod)en,  bie  5lrmee  merbe  ftd)  ge* 
gebenen  gaHeS  nid^t  mel^r  üerläffig  ermeifen.  9lodb  fei  bie 
wirflid^e  Sage  ber  ®inge  nid)t  befannt.  ®er  Äönig  möge  bie 
^rift  benü^en  unb  lieute  gemäliren,  ma^  er  morgen  fc^on  ju 
geben  gegmungen  merben  fönne.    5Jliemalö,  fügte  5Jle(Jer  mit  ber 


')  Mirabeau,  Lettres  au  Major  Mauvillou,  4G7,  17.  Juin  1789  unb 
onziäme  Lettre  k  mes  commettants,  222,  235.  Laboulaye,  Cours  de 
Lc^gi.^lation  eompar^e.  L'Assemblee  Constituante.  Revue  des  Cours  litte- 
raires.    Wlai  1869,  395. 

^  Malouet,  Memoires,  I,  319. 


390  ^^^^  befc^ltest  einsugreifen. 

ric^tigftcn  ©infic^t  in  ben  6f)araftcr  Äubwtg'S  XVI.  I^ingu, 
würben  ®efefec  i^n  fo  fe^r  a\^  bic  Scbcnfen  fcincS  eigenen  @c« 
wiffen^  be|d)ränfen  *). 

©er  3Kinii'ter  beging  bie*5mal  nur  ben  %ci)Ux,  nid^t  älle^ 
ju  jagen.  9lid)t  aUein  t>a^  Dffigier-ßorpS  in  feiner  SWel^r^eit 
mar  burd)  bie  angefül^rten  3Scrorbnungen  öon  1781,  welche  alle 
l^öl^eren  Stellen  Don  äbcl^üorrecl^ten  abpngig  mad^ten,  in  bie 
Dppoption  gebrängt  tüorb'en;  aud)  bic  Sruppc  felbft  war  be§* 
organijtrt  unb  bie  ©ieciplin  burd)brod)en,  unb  jwar  l^auptjäd^* 
lid^  baburd),  ba^  ein  burd)  Srienne  eingefettet  ßomite,  an 
beffen  Spi^e  ®raf  ©uibert,  ein  großer  Sewunberer  ffnebrid^S 
be§  ©rofeen  ftanb,  ba§  preu6ifd)e  Softem  einjuffll^Ten  befcftlofe. 
®amit  war  bie  Slnwenbung  förperlid^er  ©trafen  ffir  bie  SWann^' 
fci^aft  unb  bie  SSorfd)rift  üerbunben,  ba^  nur  ber  Dberftenrang 
jum  Eintritt  in  ben  ©eneralftab  befähigte,  womit  ben  SBürger- 
lid^en  unb  bem  fleinen  3lbel  bie  le^te  3Köglic^Ieit  gu  ben  l^öl^eren 
Stellen  ju  gelangen,  oerfperrt  unb  anbererfeitS  ber  ©olbat  fo 
aufgebrad^t  würbe,  ba^  ©elbftmorbe,  Sfteöolten  unb  ©efertionen 
ftd)  puften  unb  gwei  Uebung^lager  ju  @aint*Dnter  unb  9Jie^ 
1788  öorfdt)netl  wiebcr  aufgehoben  werben  mußten.  Sticht  beffer- 
ftanb  e§  um  bie  innere  SSerwaltung.  Socqueüitte  l^at  bereite 
gefagt,  wie  unb  aix^  welchen  ©rünben  bie  fciöttJCtfäßige,  un* 
regelmäßige,  öon  il^ren  ßeitcrn  felbft  nic^t  mel^r  bel^errfd^tc 
2Rafdt)inerie  be§  frangöftfdtien  ©taatöwefenö  inS  ©todEen  gc« 
ratzen  war  unb  fd)Ott  Satire  öor  ber  SReöolution  burd^  Jeben 
neuen  9ieformt)erfud)  immer  mel^r  geläl^mt  würbe,  weil  bie 
bi^l^erigen  Autoritäten  fo  ftar!  in  ^Jiifefrebit  gerietl^en,  bafe  jte 
feinen  ©el^orfam  mel^r  fanben  unb  bie  neuen  Snftitutiouen  nid^t 
burd)gefü]^rt  würben.  3ll§  bal)er  bie  Sfteoolution  au^bra^,  trat 
ber  merfwürbige  gaU  ein,  ba%  §anbel  unb  Snbuftrie,  ber  Seft^ 
unb  bie  ^Jinanjleute  jid)  gegen  ba^  Seftel^enbe  wanbten  unfe 
befonber!§  le^teren  gerabeju  bie  3lbftd)t  juge[d^rieben  würbe,  ben 


')  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  218—219. 


^tdtt  befc^Hefet  ctnauötcifen.  391 

Süifftanb,  wenn  nötl^ig,  ju  bejat)len^).  ®aju  tarn  e§  tt)ol)l  nur 
in  ben  feltenften  fJäUen,  benn  auf  allen  fünften  öon  granf* 
rcid^,  in  bcr  Sreigraffdjaft,  in  ber  ^roöence,  in  ber  ^Bretagne, 
bcr  Slomtanbie,  bem  ßangueboc,  tobten,  unter  beut  33orn)anb 
bcr  SBiebert^erftellung  alter  promnjieKer  9ted)te  unb  3Serfaffungen, 
fd&on  im  Sauf  be§  ©ommerö  unb  ^erbfteö  1 788  unb  be§  barauf * 
folgenben  SBinterö  Slufftanb  unb  ßmpörung,  unb  DIedfer  mufete 
befd)tt)iciötigen  unb  allen  Parteien  nad^geben,  nur  um  bie  ®elber 
bewilligt  gu  erl^alten,  ol^ne  meldje  bie  5orte;rifteng  be§  Staate^ 
jur  Unmögliä)feit  mürbe.  Safe  eö  il^m  gelang,  aud)  je^t  nod) 
feine  ^inanjabminiftration  ju  friften,  nannte  felbft  2Rirabeau 
„md)tS  geringeres  al§  ein  SBunber"^). 

SBenn  5Reder  öom  troftlofen  Swftcmb  be§  SanbeS  meg  feine 
Slugen  auf  bie  ^erfönliä)feiten  ri(i)tete,  bie  als  ©eputirte  ent= 
fenbct  morben  maren,  fo  fonnte  jtd)  bei  i^m  mie  bei  fo  mand^en 
änbem  leine  Ijo^t  5Keinung  t)on  ber  politifd)en  @inftd)t  unb  ben 
fjäl^igleiten  einer  §Ber[ammlung  bilben,  in  meld)er  unter  3lnbem 
bcr  ©arbinal  t)on  9iof)an,  üom  Äleruö  ber  SSaiUiagen  üon 
^agenau  unb  SBeifeenburg  gemä{)lt,  eine  ©teile  gefunben  Ijatte, 
unb  ^^tion  unb  Sriffot  al§  ßanbibaten  üon  Suberfac,  Sifd^of 
öon  6l^artre§,  burd)gebrungen  maren^).  Slecfer  fprad^  fid^  fd)on 
naäi  ben  erften  3^iten  be§  23erIe{)rS  mit  ben  ©eputirten  bal)in 
au§,  „bafe  e§  jmedbienlid^er  geme[en  märe,  ftatt  fo  öiele  poli= 
tifd)e  ©d^mä^er  unb  ööHige  SloDijen  in  Staatsangelegenheiten 
ol^ne  Siel  unb  6nbe  reben  ju  laffen,  ben  erften  beften,  im  Sejt^ 
einer  ©tentorftimme  befinblid)en  Untergebenen  feines  aJiiniftc* 
riumS  auf  bie  3:ribüne  ju  fd)iden,  unb  btn  3:e;rt  ber  britifd)en 
ßonftitution  öon  il)m  öerlefen  ju  laffen"^). 

©iefer  3:ejrt  aber  ift  befanntlid)  bamalS  mie  fpäter  üergeb- 


')  Tocqueville,  L'ancien  Regime,  286—286.     Rivarol,  Memoires, 
135  II.  186,  bei  Cherest,  La  chute  de  rancien  regime,  II,  100—101. 
2)  Cherest,  La  chute  de  Taucien  regime,  II,  136—140. 
8)eBenbofcI6ft,  II,  566  u.  575. 
*)  Necker,  De  la  Revolution  frangaise,  IX.  299. 


392  92cder  bcf(^ne6t  einjugrcifen. 

lid)  flefud)t  tüorbcn.  ®er  Äönig  war  ju  feinem  ßntfd^lufe  ju 
bringen,  unb  bie  Vertreter  ber  trangortfd)en  Station  empfanbeit 
in  il)rcr  wettauö  gröfeeren  SWel^rl^cit  ben  blofeen  SSorfd^lag  einer 
SBcrfaffung  nad)  bem  SBorbilb  it)rer  englifä)en  3lad)barn  aU  bie 
uncrträgUd)fte  ber  ©emütl^igungen ').  ®ie  SBod^en,  bie  oom 
$of  nnb  ben  gtänben  nn^Io§  üergeubet  wnrben,  nfi^te  ber 
Slufftanb  in  ben  ^roinnjen.  6§  meierten  jid^  bie  Slnjeic^en,  bie 
bem  Parlamentarier  ^retcan  3fled)t  gaben,  atö  er  fd^on  Slnfang« 
5Rai  feine  abdigen  ßoHegen  aufgeforbert  l^atte,  pd^  weniger  um 
politifd)c  ©oftrinen  gu  lümmern,  „benn  ber  Ärieg  jtt)ifd[)en 
Sinnen  nnb  9icid)en  fei  erflärt-). 

®a^5  !8emnBt[ein  banon,  bafe  bie  Agrarfrage  eiS  war,  bie, 
nad)bcm  fte  über  l)unbert  Satjre  lang,  oon  S^nelon  unb  SBanban 
biö  jn  ben  Cetonomiften  nnb  ju  3:urgot  öergeblid)  il^re  Söfung 
t)on  ber  5Ronard)ie  uerlangt  l^atte,  nun  abermals  im  SBorber* 
grnnb  ber  ßreigniffe  ftanb,  fprid)t  fid)  aud^  bei  fjrau  öon  ©tael 
anö  . .  „©ie  jungen  ßeute  unb  bie  Sremben",  fagt  pc,  „bie  ffranf* 
reid)  Dor  ber  SReDolution  gefannt  l)aben,  bie  l^eute  ba^  fßolt 
burd)  bie  2:t)eilung  bcj§  ßanbeS  unb  bie  Sluf^ebung  ber  fjeuba- 
lität  bereid)crt  feigen,  fönnen  pd)  feine  SBorfteHung  oom  Swftanb 
biefe§  Sanbeö  mad)en,  al§  nod)  aUe  Saften  bie  ^Ration  be* 
brüdften.  ®ic  2lnl)änger  ber  ©flaüerei  in  ben  Kolonien  l^aben 
oft  n)icberl)olt ,  ein  franjöpfd)er  Sauer  fei  unglücflid^cr  ate  ein 
Sieger.  ®aj§  Slrgument  mufete  ju  ®unften  ber  SBeifeen,  nid^t 
gnr  aSebrüdfung  ber  @d)tt)arjen  geltenb  gemad^t  werben"*). 
Se^t,  wo  bie  meiften  biefer  Saften  entweber  fd)on  l^inweg* 
genommen  ober  bod)  am  fünfte  waren,  e§  ju  werben, 
fd)rieb  ba§  Sanböolt  feine  SluSlegung  ber  ?5rci^eit  mit  bet 
^lammenfd)rift  eingeäfd)erter  @d)löffer  unb  gerftörtcr  Sird^iöe, 
unb  mitten  in  ber  ^auptftabt,  im  ^alaiö  ro^al.  forberte  bet 


I 


■)  Necker,   Du  pouvoir  executif  dans  les  {;rrands  Etats,  VIII,  42. 
-)  Laboulaye,  Cours  ile  L^pslation  comparee.  L^Assembl^e  consti 
tuante,  Revue  des  Cours  litteraires,  SWai  18G9.     379. 

'')  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  86—87. 


Slcrfer  befd^licfet  einauötcifcn.  393 

tttgc  ßamiHe  ©eSmouIinö  aUc  brutalen  Snftinfte  ber  SRenge 
xxä)  Slu§jtd)t  auf  SBeute  I)erau§.  „Sßiergigtaujenb  ^aläftc, 
id^Iöffcr  unb  SRcjtbcnjcn,  jiüei  fünftel  ber  ©üter  Sranfreid)§, 
ttcn  ber  So^n  ber  Sapf erfeit  fein:  bie  Station  mufe  gefäubert 
erben",  prebigte  ber  ©d^ulfamerab  t)on  SRobe^pierre,  ber  SSer- 
ffcr  ber  Dbe: 

»Necker  descend  de  la  montagne 

Le  raison  seule  Taccompagne: 

En  lui  le  peuple  espere  encor  .  .  .«^). 

Sieder  burfte  ni(i)t  einge[tel)en ,  bafe  nid^t  nur  ber  britte 
itanb,  bie  ßommunen  in  3SerfaiDe§,  fonbern  anä)  bereite  ber 
erte  ©tanb,  bie  Sauern,  jtd^  in  offener  ©mpörung  gegen  bie 
:cgierung  befanben.  ®enn  bie  Dppofition  am  §of  unb  unter 
jm  ÄleruS  unb  Slbel  lüartete  nur  auf  ein  foId^eS  S^ici^en,  um 
feiner  3fleaftion  ju  fd)reiten,  bereu  erfteö  Dpfer  er,  ber  SRi* 
;fter  felbft,  geworben  wäre.  ®ie  (Stimmung  toar  fo  gereijt, 
xfe  ber  2Rarquiö  öon  SRonte^quiou  faum  @el)ör  jtd)  Derfd^affen 
nnte,  alö  er  im  Slnfd^lufe  an  la  ßujerne,  Sifd^of  Don 
mgreS,  t)orfd)lug,  ben  Sntfd^Iufe  be§  Sier^  mit  ßonftituirung 
tier  aus  Slbcl  unb  Äleruö  gebilbeten  erften  Äammer  ju  be= 
itworten^),  unb  b'@§premenil  fagte  laut,  wenn  ber  @eneral= 
ofurator  feiner  ^f(id)t  eingeben!  fei,  werbe  er  bie  äßitglieber 
&  SierS,  al§  be§  §od)Derrat^§  fcl)ulbig,  »erfolgen  laffen.  3)aö 
ler  lonnte  Slecfer  I)offen,  ba^  e§  iijm  je^t  gelingen  werbe, 
nc  ^olitif  bei  bem  Äönig,  gerabe  weil  jte  jwifd^en  ben  beiben 
tremen  Parteien  bie  SRitte  l|ielt,  burc^^ufe^en,  unb  fowot)l  bie 
n  feinen  ©egnern  beabjtd)tigte  9tüdte{)r  inm  Sllten  burd) 
icberwerfung  be§  SierS,  al§  bie  ß^^ftörung  aller  ^Regierung 
xä)  bebingungölofe  Slnerfennung  ber  ©rflärung  oom  17.  3uni 
rl^inbern  ju  fönnen. 

©iefem  ©ebanfen  entfprad^  fein  SSorfd^lag,  ber  Äönig  möge 


')  Sainte-Beuve,  Camille  Desmoulins,  Causeries  du  Lundi,  HI,  80. 
*)  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  198. 


394  SRedet'd  Programm. 

jc^t  an^  eigener  TOa(i)tt)onfomnien^cit  tl^un,  xoa^  bcr  äicr§ 
foeben  gegen  biefelbe  Qtüjan  Ijattt,  nämlid^  bie  SScrcinigung  ber 
©tänbe  befel^Ien.  5Rur  über  it)re  befonbcrcn  Slngelcgcnl^eiten 
follten  ÄleruS  unb  Slbel  gefonbert  beratl^en,  bic  öon  ben  ©tänbcn 
ju  entoerfenbe  Sonftttutton  auf  bem  Sw^^ifömmerfijftcm  berul^, 
bem  Äönig  eine  ftarfe  ß^efutiöe,  üor  ättem  ber  Dberbcfel^I  über 
bie  beiüaffnete  ^JZad^t  gejtd)ert  werben,  alle  ©elretc  ber  SScrfamm* 
lung,  um  ©efe^eöfraft  ju  erl)alten,  feiner  ©anftion  bcbürfen,  unb 
ba§  ^ublifum  fünftig  öon  ben  ©i^ungen  auögefd^Ioffcn  fein'), 
©er  Äönig  bagegen  öerfprad^  äufl^ebung  aller  bcfte^en* 
ben  ©teuerpriöilegien ,  Slnerfennung  beö  SRed^tö  bcr  ©teuer* 
beiüilligung  burd^  bie  ©tänbe  unb  xljxt^  Slntl^eilS  an  bcr  @c* 
fe^gebung,  bie  ftd^  üor  SlHem  mit  SSerbefferung  bcS  ßiöifc 
unb  6riminalred)t§ ,  ©id)erung  ber  grcil^eit  bcr  ^rfoncn  unb 
ber  treffe  gu  befaffen  ^atte.  3n  feierlid^er  Wniglid^er  ©i^ung 
follte  ber  Äönig  ben  ©täuben  feinen  SEßitten  eröffnen,  unb  in 
ben  aüerbeftimmteften  SBorten  l^at  SRecfer  feine  ^olitil  mit  biefem 
93orfd)lag  ibentipcirt.  „5Kein  ©ntfd^lu^",  fagt  er,  „entfprang 
ber  Ueberjeugung ,  bafe  mein  ^lan  bie  meitau«  größere  9Rfl^r« 
l^eit  ber  Sflation  für  jtd^  l^atte.  Um  biefer  ben  Ärieg  ju  crflärcn 
unb  bcr  öffentlid^en  aReinung  gu  fpotten,  mufetc  man  ba9  8lugen< 
merf  auf  einen  Slnbern  al§  auf  mid^  merfen"^).  ©er  ^of  »at 
in  5KarI^,  in  tiefer  Iraner  um  ben  eben  gefbrbcncn  fiebcn» 
jälirigen  3)aupl^in,  alö  5Redfer  ben  3)?onard)cn  beftimmtc,  am 
19.  3uni,  gmei  Sage  nad)  ßonftituirung  bc«  Sierö,  bort  ben 
9Kinifterrat^  ju  oerfammeln.  ©iefer  fd^ien  anfangg  bem  ^ro» 
jeft  günftig,  jebod)  am  folgenben  Sag,  ate  bcr  gange  Umfang 
ber  goncefftonen  an  ben  SteriS  flarer  gcmorbcn  »ar,  erl^oben 
ftd^  fd)on  emftc  Scbenlen,  fo  bafe  nur  bret  SRinifter,  9Ront« 


')  Bertrand  de  Molleville,  Memoires,  ^penM^  Barentin, 
Memoire  autographe,  182 — 183.  Neck  er,  De  la  Revolution  fran^aise,  IX, 
182—196.  2?aö  DriöinalproicÜ  öcrBranntc  dUätx  mit  öicfcn  anbeten  ißapiexen, 
aU  bie  Üteüoltttion  C^oppet  Bebrol^te. 

-)  Necke r,  De  la  Revolution  fran^aise,  IX,  217. 


©eine  Slufnal^mc  im  ÜJlimfterratl^.  395 

moritt,  ©atnts^rieft  imb  la  Sujcme,  auf  SRedfer'ö  Seite 
blieben. 

SBäl^renb  ber  ©i^ung,  al§  ein  befinitioer  ©ntjd^Iufe  gefaxt 
»erben  foUte,  xombt  ber  Äönig  plö^lid),  nad)  Sfledfer  unb  @aint= 
trieft  burd^  bie  Königin,  {)inau§  gerufen,  unb  al§  er  jurüdletirte, 
Hefe  er  bie  @ad)e  vertagen  bis  jum  folgenben  SRorgen,  ben  21.  Suni, 
too  mit  bem  ©taatörat^  aud)  gum  erften  ^al  bie  Srüber  beS 
ÄönigS  erfc^ienen.  ßubwig,  ®raf  üon  ^roöence,  ber  fünftige 
Äonig  Subtt)ig  XVIII.  fprad)  in  gemäßigtem  Son,  liefe  aber  bie 
große  ^age  ber  ^Bereinigung  ber  ©tänbe  unentfdjieben.  Äarl, 
®raf  öon  Slrtoiö,  [timmte  für  if)re  gefonberte  Slufred^t^altung, 
aber  für  §ßreiögabe  ber  pefuniären  Privilegien  unb  @rleid)terung 
ber  Saften  beö  SBoltö.  3n  feinem  Sinn  äußerten  ftd)  bie  SKi- 
nifter  Sarentin,  be  ^uQ|egur  unb  SSiUebeuil,  unb  vier  beige- 
jogene  @taat§rätl)e  ^).  ®a  erflärte  ber  Äönig  ftd^  mit  biefer 
SKajorität  einöerftanben  unb  ließ  am  folgenben  Sag,  bem  vierten 
ber  Seratl)ungen,  ba^  neue  ^rojeft  enbgültig  rebigiren. 

6in  aSiograpl)  9ledef§  erinnert  baran,  baß  er  baö  Witkl 
in  ber  ^anb  l^atte,  ben  SBiberftanb  feiner  ®egner  ju  bred)en. 
®er  @c^a^  war  leer.  (5r  brandete  nur  biefe  2:t)atfac^e  belannt 
ju  geben  unb  l)injujufügen ,  ba^  ol)ne  (Sinwilligung  be§  SierS 
feine"  9)?öglid)feit  blieb,  ben  @taatöl)au§t)alt  fortj^ufü^ren^).  9iur 
ba^  ein  foldjeiS  ©eftänbniß  mit  feiner  offiziellen  ©arfteHung  ber 
ginanjlage  nid)t  in  (äinflang  gu  bringen  mar,  unb  baß  ber 
@ieg  feiner  5ßolitif  nur  um  ben  5ßreiö  feinet  Slnfel^enö  aU  @e* 
bieter  be§  ßrebitö  errungen  morben  märe.  @o  entfd)loß  er  ftd^ 
bcnn  ju  fd^meigen,  unb  nad)bem  er  erflärt  l^atte,  baß  jebe 
9Kobififation  feinet  §ßlane§  ben  SSertf)  beöfelben  t)ernid)te,  fprad^ 
er  ^ö)  nic^t  weiter  über  ba§  au§,  maö  er  perfönlid)  im  %aU 
feiner  SBermerfung  gu  tl^un  gebenfe. 


')  Barante,  Notice  sur  Saint-Priest.  Necker,  De  la  Revolution 
franse,  IX,  198—199.  Sefcr,  SRctfcr'S  atocitcS  ÜJliniftcrium,  146.  Larcy, 
Louis  XVI  et  les  Etats-göneraux,  Correspondant,  3JJai  1868,  516—518. 

2)  öcfcr,  gietfcr'g  atoeitcä  3Kiniftcrium,  146—147. 


396  Ötufreoung  in  SJcrfaittc«. 

SBäl)renb  biefeS  in  9Rarl^  ßefc^ö]^,  verbreiteten  ftd^  in  SSer* 
foilleS  ©eriid^te  eincö  nal)en  ©taatöftreid^ö.  ®te  äufregung 
n)ud)§,  als  ber  (Eeremoniemeifter,  nad^  grau  öon  ©taöl  in 
golge  eineö  blofeen  ?!Wifet)er[tänbmffe§ ,  ben  ©i^ungSfaal  be« 
Sierö  fd)Iiefeen  liefe,  um  it)n  für  bie  föniglid^c  ©i^ung  in  S3e* 
reitfd)aft  ^n  fe^en.  „©ie  ©eputirten  glaubten",  fagt  fie,  „ober 
gaben  weuigfteuö  vor,  ju  glauben,  bafe  man  il^nen  »erbiete, 
ftd)  3u  üerfammeln"  ^),  worauf  fte  jtd)  in  ben  SaUfpielfaal  be* 
gaben  unb  bie  betannte  @cenc  folgte,  mo  ^JJtounier  feine  Kollegen 
jum  feierlid)en  6ibid)W)ur  aufforberte,  jtd)  niä)t  gu  trennen,  bc« 
uor  bie  SSerfaffung  be^5  9ieid)§  üollenbet  fei,  atö  beren  ®runb» 
lagen  er  ba§  9ted)t  ber  SteuerbemiHigung  unb  Slntl&eil  an  ber 
©efe^gebung  für  bie  ©täube,  il^re  regelmäßige  Serufung  unb 
9Kiniftert)erantmortlid)feit  beanfprud)te.  (5ö  war  lein  S^^r 
vergangen,  fo  fd)ricb  bcrfelbe  ^ounier,  biefer  unglüctfclige  (5ib 
fei  ein  Sittentat  gegen  bie  föuiglid)c  Slutorität  gewefen;  ni^t 
genug  tonne  er  ftd)  auflagen,  il^u  in  S8orfd)lag  gebrad^t  gu 
l^aben^).  㩤  war  ba^  Signal  jur  Snfurreftion'',  fagt  5KaIouet*), 
ber  überl)aupt  fd^on  eruftlid)  baran  badete,  feine  ©ntlaffung  gu 
nel^men,  fo  tief  ernüd)terte  iijn  ba§  nod)  ungewol^nte,  !Eag  fflr 
Sag  fid^  wiebert)olenbe  @d)aufpiel,  wie  Heine  ßeute,  SIböofatcn, 
Äaufmäuner,  Sanbärjte,  ot)ne  jebe  3Sorbereitung  unb  ©ad^fennt* 
Ulfe  gegen  alle  beftel}enben  @inrid)tungen  gu  gelbe  jogen,  ben 
©ocialcontraft  citirten  unb  33erfaffungen  in  S8orfä)lag  brad^tcn. 
35er  ©d)mur  im  SaUfpiel^auö  war  am  20.  3wni  geleifict  wor* 
ben.  am  22.  3uli  liefe  ber  Äleru§  bem  Slier«  bie  fiubwig«* 
fird)c  ju  58erfailte§  gur  SSerfügung  ftellen.  ©eine  langen  Sc» 
beufen  waren  gu  (än\>^;  tjunbertneununböiergig  SRitglleber  be* 
geiftlid^eu  @tanbe§,  öou  ergbifd)öfen  unb  Sifd^öfen  geführt, 
tiereinigten  fid),   öou  lautem  3ubel  begrüfet,  mit  bem  Sierö. 


')  Madame  de  Stael,    Considerations,  XII,  211. 
-;  Mo  unier,  Recherches  sur  les  causes  qui  ont  empeche  les  Fran^ais 
de  devenir  libres.    Lanzac  de  Laborie,  Jean  Joseph  Mounier,  89 — 98. 
**)  Malouet,  M^moires,  i,  278  u.  323. 


Slcrfer  tctd^t  feine  (Sntraffung  ein.  397 

Am  folgcnben  Sage,  23.  gitni,  crf(i)tcn  bcr  Äönig  in  fctcrUä)er 
Si^ung,  ol^nc  nieder,  ©eine  Siebe,  in  gebieterifd^em  Son  öor* 
getragen,  l^ieft  baö  Programm  beSfelben  im  SBefentlid^en  nod^  auf* 
ted^t,  aber  mit  einer  entfcf)eibenben  2luönal)me:  Slufred^tl^altung 
ber  gefonberten  Seratl^ung  ber  ©tänbe.  SBaö  ber  Sierö 
im  SBiberfpruä)  bamit  befd^loffen  l^atte,  würbe  für  miH  unb 
nid^tig  erflärt  unb '  ben  ©eputirten  befol^Ien,  jid^  ie|t  gu  trennen 
unb  am  folgenben  3:age  nad)  ©täuben  mieber  äufammen* 
jutreten.  ßubwig  XVI.  fd)b6  mit  ber  Setl^euerung  feiner  un^ 
parteiifä)en  Sürforge  für  ba§  SEBol^l  be§  Sanbeö.  SSoHe  man  il^n 
nid^t  unterftü^en,  fo  werbe  er  allein  e§  begrünben.  ®ie  3Sia- 
\oxxtat  l^örte  il^n  mit  eipgem  @d)tt)eigen,  unter  bem  überwältigen* 
ben  ßinbrudf,  ba§  bie  Ärone  Partei  für  ben  äbel  genommen 
l^obe.  2ll§  ber  TOarquiS  be  Sräje,  nad)bem  pd)  ber  3)?onardö 
entfernt  l^atte,  bie  Slbgeorbneten  aufforberte,  au^einanberjugel^en, 
erfolgte  bie  l^iftorifd^e  Entgegnung  üon  3)?irabeau,  „pe  feien  l^ier 
burd^  ben  SBiHen  be§  SBolIeS  unb  würben  nur  ben  Sajonetten 
weid^en"^),  unb  bie  Sluölegung  beö  ©efd^el^enen  burd)  ©ie^eö: 
^aSir  pnb  l^eute,  wa§  wir  geftem  waren;  lafet  unö  beliberiren", 
worauf  bie  SSerfammlung  bie  Unöerle^Iid^feit  il^rer  3)?itglieber 
auSfprad^.  2lls  man  bem  Äönig  bie  SBeigerung,  feinem  Sefel^l 
golge  ju  leiften,  mittl^eilte,  ging  er  einige  Slugenblide  nad)* 
benflid^  auf  unb  ab,  unb  fagte  bann  unmutl)ig:  „§Run,  wenn 
fte  ben  ©aal  nid)t  räumen  wollen,  fo  laf[e  man  pe  barin". 

3m  Sauf  beö  Sagg,  ber  gegen  il^n  entfd)ieben  l^atte,  reiä)te 
Siedfer  feine  ©ntlaffung  ein.  Saron  ©tael  erjäl^lt,  ba§  in  ben 
Serotl^ungen  ju  SRarl^  ber  ®raf  oon  2lrtoi§  einer  erften,  bar= 
auf  begüglid^en  Slnfpielung  mit  bem  Sluöruf  begegnet  fei:  „9Mn, 
mein  |)err,  ©ie  muffen  unö  al§  Sürge  bleiben;  wir  Ijalkn  ©ie 
für  alleiS  Uebel  oerantwortlid) ,  ba^  ©ie  angerid)tet  l^aben"^). 


^)  Cherest,  La  chute  de  Tancien  regime,  III,  256 — 259. 
*)  Leouzon-Le  Duc,    Correspondance  diplomatique  du  Baron   de 
Stael-Holstein,    103,    ©epefd^c  ««r.  116,   25.  Sunt.    Jefferson,    Complete 
Works.    Autobiograph y,  I,  90. 

»lennetl&affett,  5rau  ton  Stael.  I.  26 


39S  ^^  Stinici  n;r?eTt  Werfet  oufj-jn  bleiben. 

9iecfer  fagr,  er  t)abe  ^ie  feigen  md)t  auf  ftd^  nel^men  tDoQen, 
roeldje  fcie  ©nreicbimüi  feinec'  ftitlanungögejut^S  öor  ber  lönig* 
Ud)cn  >£itunfl  für  bcn  f!ünard)cn  gdjabt  l^ättc.   Sl^r  bcijuttjol^nen 
aber  mürbe  it)m,  mir  bem  3Ktnifterium ,  caxäi  feine  Popularität 
gcfcfiet  baben.   gaflti^jcllenbal  täuid)t  ftd)  tool^I,  »enn  er  erjol^lt, 
c*  babe  eiue^  ^ußfaü^  rcn  Jfrau  unb  Jo(^ter  beburft,  um  9lecfcr'§ 
Jyemblciben  am  23.  :Juni  ju  errcicben.    Saitt^  war  bereits  am 
3?orabenb  bauon  umerricbtct^),    33al^renb  ber  5IRonard^  unter 
ÜNurren  unb  €d)mäbungen  Don  ber  Knifllid)en  ©i^ung  in  feine 
@emäct)cr  fid)  juriirfbegeben  mußte,  war  grau  öon  ©tael  3^8^ 
wie  bie  l^Jenge  bie  Sobnung  it)re5  3?ater^  umbrdngtc  unb  taufenb^ 
ftimmig  feinen  "Flamen  rief,    6^  famen  ©eputirte  beS  Slbete,  be& 
Äleruö,  be-5  3:icri>.   >Sie  iwgoffcn  Ji^rdnen,  ate  er  fte  jur  SRafei*^ 
gung  aufforbcrte,  unb  betbeuerten  i^r  sBertrauen  gu  il^m.    ©ci^ 
fcl)irfte  ber  JJönig  unb  ließ  "Kerfcr  ju  fi(^  rufen.   ®ie  Königin  wa 
anuH'fcnb.    Sie  batte  ron  ibren  @emäd)em  au§  jum  erften  9Ra 
ba^^  2oben  bce  Slnfnibr^  vernommen,  unb  öerfprad^  erfd^flttert,  bei^ 
planen  bee  ')Jtiniftcri  feinen  SSiberftanb  mel^r  cntgegengufe^en. 
Subwig  XVI.  bat  i)icefer  bringaib,  ju  bleiben,  öcnocigcrte  il^m 
aber  bennod)   bie  (Jntlaffuug   ber  "äRinifler,  beren  SBiberftanb 
baö  S^citent  fein^^  $lane>>  i^eranlaBt  b^tte.    S)ie  Slufregung 
in  ScrfaiDcö  umr  fo  groß,   baB  -Äedfer  trofebem  nad^gcben  ju 
muffen  glaubte,  obu^obl  er  ftd)  nid^t  Derl^elilen  fonnte,   toeld^en 
unget)euren  93liBgriff  er  bamit  beging-).    (Sx  beftonb  nur  auf 
Surürfjie^ung   ber  Jnippen,   fd)on   beelialb,  »eil  il^rc  ßuöer^ 
läfftgfeit  böcl)ft  gwcifelbaft  fei. 

S)aö  giuanjnnnifterium,  le  contröle  genöral,  »ie  man  e« 
nannte,  bi«fl  w^it  ben  @ebänlid)!eiten  bftS  Siefibenjfd^loffeS  wn 
aSerfaiHe^  gufammen.  ©er  ^J)linifter  fonnte  in  baSfclbe  jurfid* 
festen,   obne  ftd)  ber  in  bcn  ^öfen  angefammelten  9Rettf(%en^ 

')  Necker,  De  la  Revolution  francaise,  IX,  215.   Lally-ToIIendal, 

Necker,  Biographie  Michaud.  Cherest,  La  chute  de  rancien  regime,  III,  249. 

-)  De  radministration  de  Monsieur  Necker,    par  lui-meme,  VI,  95 

unb  De  la  Revolution  francaise,  IX,  214. 


Seffcrfon  übet  bie  Sage  399 

menge  gu  geigen  unb  grau  üon  @ta6l  bemerft  auSbrfidlid^,  bafe 
möjU  ü)m  gefä^rUd)er  erfä)ienen  fei,  aU  ein  perfönlid^er  Sriumpl^ 
auf  Äoften  ber  föniglid^en  Autorität'),  ©ennod^  öermieb  er  eö 
nid^t,  pd^  bem  SBolI  gu  geigen,  „um  bie  Slufregung  beöfelben  gu 
befc^toiditigen''.  e§  brad[)te  il)n  mit  ftfirmifd^en  Döationen  biö 
in  feine  SEBol^nung  gurüd,  unb  fo  fal^  berfelbe  Sag  ben  9Ron* 
ard)en  infultirt  unb  feinen  9Jiinifter  vergöttert.  ^Jrau  öon 
©tael  fc^ien  eö,  a(g  ob  alle  biefe  Stimmen,  bie  ben  Flamen 
il^reS  SBaterö  lüieberl^olten,  bie  üon  ^Jreunben  feien,  mit  meldten 
ba§  ©efiil^I  ber  Siebe  für  il^ren  SSater  jte  üerbanb;  pe  empfing 
il^n  mit  bem  ^oä)gefü]^I,  bafe  er  gum  gmeiten  3Ral  bie  ßügel 
ber  ^errfd)aft  bem  9Ronard^en  gurüdgegeben  l^abe^j. 

,9ledef§  Säufd)ung  ging  nid^t  fo  meit.  Sll§  feine  ^Jreunbe 
il^n  umringten  unb  barauf  aufmerffam  mad)ten,  bafe  bie  2Renge 
il^n  ben  SRetter  granfreid^ö  nenne,  enoiberte  er,  pe  mfirben  oiel* 
leid)t,  beoor  oiergel^n  Sage  »ergangen  feien,  mit  Steinen  nad) 
il^m  merfen^).  ®arin  aber  begegnete  er  pd^  mit  feiner  Sod^ter, 
bafe  aud^  er  nod^  glaubte,  ber  Sl^ron  fönne,  obmol^l  erfd^üttert, 
bod)  nod^  loieber  befeftigt  merben, 

Unabl^ängigfeit  beö  Urtl^cilö  mar  nur  bei  ©enjenigen  gu 
Pnben,  bie  nid^t  mit  in  bie  SBirbel  be§  entfeftelten  @trom§  ber 
geibenfd^aften  gegogen,  pd^  bie  gäl^renben  Elemente  üon  ferne 
betrachteten.  Unter  biefen  3^i*9^^  ^^^  SReüolution  ftel^en  bie 
fdijon  mel^rmatö  genannten  gmei  Slmerilaner,  ©ouöemeur 
SÄorriö  unb  Sl^omaö  Sefferfon,  in  erfter  afleil^e.  ße^terer, 
ber  ©efanbte  ber  SBereinigten  Staaten,  bemafe  bie  ^enfd^en  je 
nad)bem  pe  feinem  republifanifd^en  ^eil)eit§ibeal  pc^  näl^erten 
ober  üon  il)m  entfernten,  @r  toax  nid^t  abpd)tlid)  ungereä)t, 
tool^l  aber  pd)  felbft  ben)ufet,  „alle  SJorurtlieile  ber  ©eburt,  ber 


0  Madame  de  Stagl,  Gonsiderations,  XII,  236. 

2)  Madame  de  Stael,  Gonsiderations,  XII,  234.  Leouzon-Le 
Duc,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  de  Stael -Holstein,  104, 
SJcpeWc  SRt.  116,  25.  Sunt  1789. 

^)  De  Vadministration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-meme,  VI,  96. 

26* 


40)  itr*tvon  übtt  bi«  ^oge. 

@eiDO^n^eit  uttb  bed  Stteri^  mit  fic^  nadt  duropa  ^eräber^ 
genommen  ;u  ^aben".  ßu  biefen  iBorurt^eilen  geborte  rin  un- 
t)eTiö^nlid)eT  JpaB  gegen  bie  üJtonar(^ie,  bie  er  mit  ben  grogen 
plagen  ber  SRenfc^^eit  auf  eine  Sinie  fleDte.  Sr  meinte,  memi 
altes  Unheil,  baS  bit  republifanifd)e  ätegterungdfonn  bid  jur 
Stunbe  bed  ©eric^teS  bringen  merbe,  in  bie  Sagfcl^Ie  gelegt 
unb  gegen  ba^  aufgeu^ogen  u^ürbe,  maS  ^ranfreid^  in  einer 
SSoc^e,  ßnglanb  in  einem  ^onat  in  iyolge  feiner  monan^ifc^ 
SRegierungdform  ju  leiben  l^abe,  fo  mürbe  (e^tered  fibemiegen. 
£ad  ^inberte  i^n  aber  nic^t,  Don  Submig  XVI.  gu  urt^eilen, 
er  fei  großer  Cpfer  fällig  unb  t)om  bcften  SBiDen  befeelt,  wenn 
es  nur  gelinge,  iE)n  Don  bem  ju  überzeugen,  mad  bai$  allgemeine 
SEBo^l  ©erlange,  ^m  auguft  1788  nennt  er  i^n  „ben  pflid^t« 
treueften  ^ann  feines  SReic^S,  ben  el^rlid)fien,  ben  fparfomfienr 
ber  bie  eigene  SReinung  ben  2Bünfd)en  ber  Station  unterjuortmen 
miffe"').  »He  had  not  a  wish,  but  for  the  good  of  the 
nationc,  begeugt  nod^  ber  ad)tunb{tebengigiä^rige  ®re{8  Don 
Submig  XVI.  aber  lefeterer  war  ein  Äönig,  unb  ate  foId)er 
ein  unt)erbefferIiä)eS  Uebel.  £ieber  als  bie  republifanifd^e  ©ad^e 
i^m  gu  opfern,  tt)ürbc  S^fferfon  nid^t  nur  in  feinen  Untergang, 
fonbem  in  bie  S^^ftörung  ber  i)olhm  SBelt  gemiHigt  l^aben"  *). 
Um  fo  merfmürbiger  bleibt  eS,  baß  felbft  ein  ^anatifer,  wie 
biefer,  an  jenem  23. 3uni  feinen  greunben  Dom  Sier»  bringenb 
rict^,  eS  nid^t  gum  Srud^  fommen  gu  laffen,  fonbem  ein  ßom» 
promtB  eingugel^en  unb  ftd)  mit  ben  Bugcftänbniffen  gu  begnägen, 
mic  jte  im  ©rofecn  unb  ©angeu  ber  Äönig,  immer  nod^  bem 
Programm  SRedfer'S  entfpred)enb  gab.  „aber",  fagt  Sefferfon, 
,,mciuc  greunbc  bad[)ten  anberS,  unb  bie  3cit  l^at  bemiefen,  wie 
bitter  pe  ftd)  getäufd^t  l^aben.  5Rad)  fo  Dielen  Kriegen,  bem 
aSerluft  Don  SKiHionen,  ber  Untergrabung  beS  ©Ifidfe«  Dieler 
Saufenber  unb  enblid^  ber  grembt)errfd)aft  l^aben  fte  nid^t  mel^r 

')  Jefferson,   Complete  Works.    Correspondence,   I,  445,   II,  221. 
253.  439.  41)0. 

2)  ebcnbafelbft,  HI,  502. 


aJ2orrid  übet  biefelbe.  401 

erreid^t,  als  toai  il^ncn  an  jenem  Sage  geboten  würbe,  unb 
felbft  ba8  ntd^t  ol^ne  bie  Swrd)t,  eö  wieber  ju  öerlieren''.  Unter 
Wcfcn  fjreunben  öon  Sefferfon,  btc  ftd^  nid^t  fiberjeugen  liefen, 
war  Sa  fja^ettc,  Je^t  ©epntirter  be§  SlbelS  ber  Slutjergne. 
S)er  amerilanifd)e  Sl^eoretüer  nnb  ber  franjöpfd^e  @ä)tt)ärmer 
für  ämerifa  öerftahben  jtd^  oollfommen.  Sa  Sa^ette,  ben  bie 
auftrage  feiner  SBäl^Ier  Derpflid^tcten,  für  bie  abftimmnng  nad^ 
©tänben  ju  Dotiren,  erflärte  fid^  entfd^loffen,  „biefe  Snftruftionen 
gu  ücrbrennen  unb  entweber  feinem  ©ewiffen  nad^  ju  ftimmen 
ober,  toeutt  er  baö  nid)t  fonnte,  feine  ©ntlaffung  ju  nel^men; 
benn",  f treibt  S^fferfon,  „fein  |)crj  war  mit  bem  SBoH"^). 

SIm  Äbenb  jenes  23.  guni  fpeifte  ©ouoerneur  ÜKorri« 
mit  Sa  fja^ette.  SBie  Sefferfon  war  ÜKorriö  ber  perfönlid^e 
ffreunb  beS  nunmel^rigen  5ßräjtbenten  ber  ^Bereinigten  Staaten, 
©corge  ffiafl^ington;  benn  audf)  er  war  3)?itglieb  be§  Eon« 
grcffeä  gewefen,  ber  il^re  Unabl^ängigleit  burd^fämpfte.  ÜKit 
Scfferfon  war  er  gut  befannt,  obgleidf)  er  fowol^I  in  SSegug  auf 
pcrfönlid^e  ©igenfd^aften  wie  auf  ©eftnnung  mit  bem  ftarren 
(Srflnber  ber  3)?enfd^enred)te  wenig  gemein  i^atte.  %m,  gewanbt, 
gur  Sronie  geneigt,  ein  SBeltmann  unb  ein  9Jienfd)enfenner, 
waren  feine  eblen  ®eftd[)t§güge  benen  oon  SBafi^ington  fo  aijn^ 
Hd^,  bafe  er  bem  Silbtiauer  ^oubon  jur  SluSfüi^nmg  oon  beffen 
Softe  fafe.  3m  Sa^r  1780  war  il^m  gu  ^^ilabetpl^ia,  in  golge 
eine«  @turge§,  ba^  Sein  amputirt  worben.  als  eine§  S^ageS, 
wäl^renb  beiS  SReDoIution^ial^rö  1792,  ber  5ßarifer  ^öbel  feine 
ßaroffe  mit  bem  Stuf  „l^erunter  mit  bem  Slriftofraten"  üer* 
folgte,  ftrerfte  er,  fdf)nell  gefaxt,  feinen  ©telgfu^  gum  SBagen* 
fd^lag  l^erau«  unb  rief:  „SEBaö  woHt  S^r  benn  mit  einem  Slrifto« 
fraten,  ber  feine  ©lieber  im  amerifanifd^en  Unabl^ängigfeitSlrieg 
gelaffen  l^at!"  worauf  er,  braufenb  applaubirt,  feineö  SBegö 
fal^ren  fonnte-).    9Kit  SEBorten  jtdt)  abfinben  gu  laffen,  ober  an 

*)  Jefferson,  Complete  Works,  an  ®.  SBaf^ington,  III,  29.  Jared 
Sparks,  Gouverneur  Morris,  I,  314. 

*)  J.  Chanut,  G.  Morris,  Nouvelle  Biographie  generale, XXXVI,  654. 


402  aWortl«  über  blefclbe. 

bic  unfcl^lbarc  Ueberlcgcnl^cit  irgcnb  einer  SftegierungSform  gu 
glauben,  lag  einem  foldjen  2Ranne  fem.  ®r  beurtl^eilte  baS 
lebenbige  granfreid),  ba§  öor  il^m  lag,  niiftt  bie  abftraftett 
(5l)imären,  bie  in  ben  köpfen  jpuften.  SBenn  Sefferfon  öon  ber 
SBernid^tung  aller  ©tanbeöunterfd^iebe  fprad^,  fo  entgegnete  SKorriS, 
eö  fei  problematifd^,  ob  unb  in  wie  fern  ber  SJlenfci^l^eit  überl^aupt 
bamit  gebient  fei ;  ba§  fte  pd)  aber  in  granfreid)  nid^t  bctooi^ren 
lönne,  beffen  fei  er  gewife.  Sluf  fold^e  Sleufeerungen  Sejug 
nel^menb,  bemerfte  fein  3:ifä)genoffe  Sa  ga^ette  an  jenem  23.  ^uni, 
SRorriö  fd)abe  ber  guten  @ad)e  fel)r,  benn  beftänbig  iDÜrben  bic 
©ejtnnungen  üon  3)?orri§  gegen  bie .  t)on  il^m  felbft  öertretcncn 
Slnjtd^ten  geltenb  gemad^t.  ,,Unb  jwar  mit  üoHem  Sted^t",  er* 
tt)iberte  ber  Silmcrif aner,  „  benn  id^  belämpfe  bie  ©emofratie  auS 
Siebe  jur  fjreil^eit  unb  fel^e  bie  granjofen  ii^rem  SSerberbcn  ent»» 
gegeneilen.  ®ern  würbe  ic^  jte  baran  üerl^inbern,  wfifete  id^  nur 
wie".  ®ie  Slnfd^auuugen  öon  Sa  g^atiette  unb  bie  feiner  fjreunbc, 
fügte  er  ^ingu,  befänben  jtd^  öoUftänbig  im  3Biberfprud^  mit  bem 
9Kenfd)enmaterial,  au§  tt)eldf)em  bie  Station  jufammengefe|t  fei. 
®a§  ©d^limmfte,  was  il^nen  begegnen  fönne,  werbe  bie  Erfüllung 
il^rer  S33ünfd^e  fein.  ®ie  Slntwort,  bie  Sa  ga^ette  barauf  gab, 
ift  gleid)fallö  erl)alten.  6r  wiffe  wol^l,  lautete  fte,  ba§  feine 
Partei  toH  geworben  fei  unb  oerfd^weige  e§  aud^  nid^t;  tro^ 
SlHem  aber  fei  er  mit  il^r  gu  fterben  entfä)loffen.  ^Btotüi 
meinte,  jwedbienlidf)er  fd)eine  e§  il^m,  fte  gur  Vernunft  }u  bringen 
unb  mit  ii)v  ju  leben'). 

lieber  nieder  lautet  ba§  Urt^eil  üon  SKorriS  nld^t  weniger 
beftimmt.  Äurj  nad^  feiner  Slnfunft  in  granfreid^,  im  gebruar 
1789,  l^atte  er  ben  9J]inifter  unb  feine  ®attin,  etwa«  fpäter 
aud)  g^rau  öon  ©tael  fennen  gelernt.  6r  fanb  9!Äabame  Siedter 
gwar  fteif,  oline  Slnmutl^,  aber  ftetö  mit  bem  SBol^l  ber  änbern 
befd^äftigt   unb   enipfanb   eine   aufrid)tige  SBerel^rung   für  fte. 

Taine,   Les  Origines  de  la   Franco   contemporaine.    La   R^volation,   II, 
Psychologie  du  Jacobin. 

■)  Jared  Sparks,  Gouverneur  Morris,  I,  314. 


'!^it  Stönbc  öereiniöcn  ftd^.  403 

Slcder  l^iclt  er  für  burd)au§  reblid^,  tüol)Imeinenb,  uninterefjtrt, 
aber  aud^  für  geiftig  md)t  bebeutenb,  unb  in  feinem  eigenen 
©ebtete,  ber  Sinang,  ungenügenb  unterrid)tet ,  obn)ot)l  eö  einer 
^ärefte  gleid)fomme,  ba§  ju  fagen.  3n  ber  ^olitif  bagegen, 
nad)  biefeö  SBorte§  l)öt)erer,  auf  aRenfc^englüd  gerid)teter  a3e= 
beutung,  fei  er  ein  üoUftänbiger  Ignorant,  meötDegen  eö  i^m 
aud^  nie  gelingen  werbe,  weber  eine  ßonftitution  gu  fd)aften, 
noc^  Slnbere  für  eine  foId)e  ju  geiüinnen.  3Som  Slugenblicf  ber 
JBenifung  ber  ©tänbe  an  fei  er  auf  bmt  weiten  2Keer  be§  B^fallö 
fteuerloS  um^ergetrieben  worben^). 

®er  am  23.  3uni  gefd)eiterte  $Ian  war  t^atfäd)lid)  9lecfef  ö 
le^ter  äJerfud),  bem  ?5al)rjeug  bie  SRic^tung  p  geben.  5ßon 
ba  an  nal^men  bie  Singe  noc^  einmal  unge^inbert  \l)xm 
Sauf.  Slm  24.  Sunt  erid)ien  ber  Äleruö  abermals,  unb  gwar  je^t 
öoHgäl^Iig  im  ©ifeungöfaal  be§  Stiert.  2lm  folgenben  Sag 
folgten  jtebenunbüiergig  SRitglieber  beö  Slbeli^,  mit  bem  ^ergog 
öon  Orleans  an  ber  ©pifee,  unter  5üt)rung  üon  6lermont= 
Sonnerre  unb  SaHij^Sollenbal.  ®ie  Slbgeorbneten ,  bie  nod^ 
wiberftanben,  würben  bereits  üom  58olf  infultirt^);  ben  ©rg- 
btfä)of  öon  ^ariS  gwang  in  ben  ©trafen  üon  SßerfaiHeS  eine 
brol&enbe  SJolfSmenge,  bem  Sefd^lufe  feines  ©tanbeS  ftd)  gu 
fügen.  Saill^,  ber  proüiforifdje  ^räftbent  ber  9lationalüer« 
fammlung,  öffnete  it)re  Pforten  ber  erften  jener  ©eputationen 
beS  ^arifer  aSolfeS,  bie  fte  balb  be^errfd)en  foHten.  Sluf 
ben  öffentlid^en  ^lä^en  \ai)  man  föniglic^e  ©arben  ftd)  öer^ 
fammeln  unb  laut  auSfprcd)en,  fie  würben  beS  ÄönigS  ßeben 
oertl)eibigen,  aber  nid)t  gu  SKörbern  il^rer  SRitbürger  werben; 
fte  feien  bie  ©olbaten  ber  Station  ^).  @d)on  im  9Rai  l)atte 
fjrau  öon  ©tael  bie  Slrmee  „ein  §eer  Don  Sürgern"  genannt**). 


^)  Jared  Sparks,  Gouverneur  Morris,  I,  300,  II,  93—94. 
2)  Necker,  De  la  Revolution  fran<;aise,  IX,  219.    Droz,  Histoire  de 
Louis  XVI.,  II,  191. 

•"*)  Jefferson,  Complete  Works,  I,  93. 

*)  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  219. 


404  ^^  $of  fi^fi^  9ttdtt, 

ff&int  Segion  t)on  ^l^ilojopl^cn"  betitelte  pe  ©amiHc  ©e8mouIin§, 
unter  beffen  Singen  tägliä)  l^unberte  öon  Solboten  ber  ^arifer 
SRegimenter  im  Calais  ro^al  bewirtl^et  würben  unb  ber  il^re 
tt)ad^f enbe  ßi^dltlojigf eit  verfolgen  f onnte  ^).  ®er  ©inbrud  biefer 
aSorgänge  war  fo  überwältigenb,  ba^  ber  Äönig,  fe^t  burd^ 
bie  Don  SlÄerc^  gewonnene  Königin  beeinflußte),  auf  9iedEer'« 
SSorfiJ^Iag  äurüdffam,  unb  am  29.  3unt,  wo  leine  lluöftci^t, 
feinen  ©ntfd^lufe  als  einen  freiwilligen  aufgenommen  gu  feigen, 
mel^r  beftanb,  bie  SBereinigung  ber  ©tdnbe  befal^I.  ©ieSmal 
füpe  ber  SKinifter  bod)  enblic^,  „ba^  ba^  @d)wert  auS 
be§  Äönig§  ^änben  geglitten  fei,  .  .  .  bafe  fein  Scratl^er  bie 
gurdit  war"  3).  sim  Slbenb  jeneö  Sag«  iaumimrte  aSetfaiaeS, 
aber  in  ben  ©emüttjern  gäl^rte  eine  unüerföl^nltd^e  Sitterleit. 
®ie  Sieger  l^atten  leinen  ®runb  mel^r,  banfbar  für  eine  er* 
gwungene  @abe  ju  fein.  ®ie  Seflegten  ergaben  ftd^  nur 
fä)einbar.  ®er  Äönig  l^atte  innerl^alb  Don  ffinf  Sagen  jwei 
einanber  gang  entgegengefe^te  Sefel^le  gegeben  unb  l^ielt 
fct)on  fein  ßeben  für  bebrol^t.  ®er  Slbel  fonnte  je^t  geltenb 
madjen,  baß  eö  niä)t  mel^r  feine  @aä)e  fei,  bie  er  gu  öertl^ei* 
bigen  l^abe,  unb  erllärte  bem  Äönig,  burd^  ben  3Runb  bcä 
^erjogö  üon  Su;rembourg,  baß  er  feiner  ^Pic^t,  für  il^n  gu 
fallen,  eingeben!  fei,  worauf  Subwig  XVI.  erwiberte,  fetner  pe^ 
fönlict)en  (Saä:jt  foHe  fein  SKenfd^enleben  geopfert  werben*). 
®iefe  SRefignation  tl^eilte  feine  Umgebung  niä)t.  SRußte  man 
ju  ®runbe  gelten,  fo  foHte  e§  wenigftenö  nic^t  ol^ne  @egenwel^r 
fein.  9Jian  fonnte  in  ben  ^offtreifen  üon  SSerfaiHe«  fld^  nid)t 
barein  ergeben,  einen  ßiiftonb,  ber  fo  lange  gebauert  l^otte,  nun 


»)  (S^bcl,  ©efd^id^tc  ber  SÄcöoIuttonSaeit,  I,  53. 

^)  Wertheimer,  Documents  in^dits  relatifs  k.  Marie -Antoinette. 
Revue  historique,  II,  1884,  328—329.   SWctc^  an  Stamiii,  4.  Suli  1789. 

3)  Necker,  De  la  Revolution  fran^aise,  IX,  220,  277—278.  Jared 
Sparks,  Gouverneur  Morris,  II,  70. 

^)  Laboulaye,  Cours  de  lef^islation  comparee,  L^Assembl^e  Consti- 
tuante, Revue  des  Cours  litteraires,  Juin  1869,  445.  G hörest,  La 
chute  de  Tancien  regime,  III,  285—286. 


@in  S3et{(^t  t)on  Wltxc^.  405 

pwpd^  prctSjugebcn.  ©tatt  feine  aSernid^tung  in  einer  öer* 
l^ängnifetjotten  SBerlettung  oon  Urfadien,  %t^km  unb  SSerant* 
»Ortungen  ju  fud^en,  erjd)ten  e§  jwedentf pred^enber ,  einen 
9Dlcnfd)en  bafür  l^aftbar  ju  mad)en,  um  jagen  ju  fönnen,  bafe, 
tocnn  nur  einmal  biefer  entfernt  fei,  aud)  bie  ©reigniffe  ber 
legten  feä)S  3)?onate  ungefd)el^en  gemaä)t  werben  würben.  SRerc^, 
ber  bie  (äreigniffe  feit  fo  Dielen  ^oijxm  Stag  für  Sag  verfolgte, 
fd^rieb  forgenöoH  an  ben  laiferlid^en  ^of  nad^  SBien,  man  fud^e 
in  SSerfaitteS  bie  Singe  fo  barjufteHen,  ate  ob  Siedfer  bei  feiner 
enoorbenen  großen  ^Popularität  nid^tö  anbereö  im  @ä)ilbe  fül)re, 
atö  fid^  mittelft  berfelben  gum  ©iftator  ber  ÜKonard)ie  aufgu* 
»crfen  unb  ben  SHlerd^riftlidiften  Äönig  gleiä)fam  unter  feiner 
SSormunbfc^aft  nadt)  eigenem  ©utbünfen  gu  leiten.  „3)ie  Häupter 
biefer  fürd)terlid^en  Äabale",  fagt  er,  „jtnb  bie  5ßrinjen  oon 
(5onbä,  öon  Gonti,  ÜKabame  äbelaibe,  welche  nebft  mel^reren 
üomel^mcn  ©tanbeöperfonen  ben  nid)t  meit  auöfel^enben  ^erm 
ßomte  b'artoig  in  il^re  @ä)linge  gebogen  unb  biefen  5ßrinjen 
öorau§gcfä)oben  l^aben,  um  i^re  fd^äblid^en  Snftnuationen  gegen 
oben  enoäl^nten  ^Jinang-SKinifter  bei  S^r^n  9Kaieftäten  auf  eine 
unoerbäd^tige  2lrt  angubringen"  ^). 

Soweit  9Kerc^,  ber  nid^t  unermäl^nt  läfet,  bafe  bie  plö^Ud^ 
crtoad^te  ?5teigebigfeit  unb  ^Popularität  beö  ^erjog^  üon  Dr* 
l6anS  bei  feinem  befannten  geijigen  Gtjarafter  jtdt)  nic^t  anber§ 
atö  burd^  bie  oerftedfte  Slbjtd^t  erllären  laffe,  an  ber  Spi^e 
beS  SierS  eine  bem  Äönig  l^öd^ft  nad^t^eilige  SRoüe  gu  fpielen^). 
®er  ßiiPötti^  ö^n  5pariö  red[)tfertigte  biefe  Sefürd^tungen. 
Um  30.  3uni  befreite  ber  ^öbel  elf  wegen  Snfuborbination 
in  baS  ©efängni^  ber  Slbba^e  eingefperrte  ©olbaten,  ol^ne  bafe 
bie  3Bad)e  l^altenben  Struppen  jid^  bem  ernftlid)  wiberfe^ten. 
©iefe  SSorgänge  tjeranlafeten  bie  SJerftärfung  ber  2:ruppen  burcf) 
^erbeigiel^ung  üon  meift  frembenninb  bal^er  t>erläfjtgern  dttQu 


')  Wertheimer,    Documents    in^dits    relatifs    k    Marie  -  Antoinette. 
Revue  historique,  II,  1881,  327.    SJ^crc^  on  Stami^,  4.  3"^  1789. 
*)  ebcnbafclbft,  Wlzxc\)  an  ilaunife,  4.  Suü  1789. 


406  ^tt^fimnht  Siebe  t)on  äRtxabeau. 

meutern  in  ber  Umgegenb  öon  SBerfailleS  unb  $ari8  unter  ber»^^ 
aSefe^l  be§  alten  9Jiarfd)aU§  üon  Sroglie,  beffcn  ©ol^n  jur  frem  ^^^ 
finnigen  3iHinoritdt  beö  Slbelö  gel^örte,  wäl^renb  bie  Dppoptio: 
gur  33ertf)eibigung  i^rer  @ad)e  auf  ben  SBoter,  ben  gelben  b( 
jtefaeniäl^rigen  Äriegö,  bltdte. 

3n  ber  Slffemblee  felfaft  regte  ftc^  wäl^renb  biefer  S^W  i^^ — ■ 
legten  9Kal,  unter  bem  ßinbrud  beö  Siegel,  ein  ücrföl^nlid^er  ©eiji^  - 
Slm  27. 3uni,  gwei  Sage  üor  bem  Eintreffen  ber  ffiniglid^en  ©c^rei  == 
ben,  weld^e  bem  Slbel  unb  Äleru§  SSereintgung  ber  ©täube  be= 
fallen,  f)atte  ^trabeau  eine  bentoürbige  SRebe  gd^alten.  Sl^i 
erfüllte  bie  SSeforgnife,  ben  llnn^iUen  ber  ^ofpartet  unb  bie  Sluf= 
regung  beö  33olfeö  in  blutige,  nid)t  wiebcr  gut  ju  mad^enb« 
Späten  ftd)  üermanbeln  gu  feigen,  unb  beöl^alb  fd^Iug  er  jur  Se==^ 
fd^n)id)tigung  ber  ©emütl^er  ein  ÜKanifeft  an  bie  Station  öor,  ba^ 
an  3llte§  erinnern  foHte,  waö  burd)  ben  Äöntg,  felbft  noc^  an 
jenem  23. 3uni,  geraäl^rt  njorben  xoax  unb  bie  Suöerjid^t  auSfprad^, 
bafe  e§  fefter  ^Käfeigung  gelingen  werbe,  baö  begonnene  3S8erf 
gu  uoUenben.  ®er  fpätere  @ntfd)lufe  be§  Äönig«  öereitette  biefen 
$lan.  6ö  tuar  nid)t  ber  le^te  im  Sinn  einer  aScrjtänbigung. 
3lm  9.  3uli  legte  SKounier  ben  erften  SluSfd^ufebertd^t  über  bie 
ßonftitution  ber  SBerfammlung  öor.  3^  bemfelben  fprad^  er 
mit  allem  3lad)brud  au§,  öiel  weniger  n)id)tig  fei  eS,  neue  ®e* 
fe^e  gu  mad)en  aU  ber  S(u§füf)rung  ber  öorl^anbencn  pd^  jü  »er* 
ftd)ern.  2Jfan  muffe  im  Sluge  bel^alten,  ba^  bie  jjranjofen  fein 
neueö,  au§  ben  SBälbem  l^erüorgetreteneö  33olf,  fonbem  eine 
Station  oon  fünfunbgwangig  SJlillionen  3Wenfd)en  feien,  bie  ii^re 
innern  SSegiel^ungen  befeftigen,  aber  bie  ®runblagen  ber  $Dlott* 
ari^ie  nic^t  erf^üttern  wollten.  Sl^r  fei  unoerbrfid^ttd^e  Sreue  ge* 
f^woren,  ber  Äampf  gelte  nur  ungefepd)er  SBißfürl^errf d^aft  0» 

Slber  eö  fel^lte,  wie  oon  Slnfang  an  fo  aud^  je^t,  iebc8  3"* 
fammenwirfen  mit  bem  leitenben  SKinifter.  SJiounier  bejtätigt,  ba^ 


0  Larcy,  Louis  XVL  et  les  feats  g^n^raux;  Gorrespondant,  Mai 
1868,  522.  Lavergne,  Les  Monarchiens  de  la  Constituante.  Revue  des 
Deux-Mondes,  1842,  555—550. 


TOrabcau  unb  bcr  «öetjog  öon  DrIeanS.  407 

aud)  er  i^n  nie  [al^  unb  nur  nad)  aKgemeinen  33orau§fe^ungen 
l^attbeln  fonnte^).  ,,6S  gab  ©el^eimniffe  unb  2lftergef)eimni[fe", 
fagt  Sledfer  „unb  id^  glaube,  ber  Äönig  fclb[t  mufetc  nid)t 
Sine«''  2).  gtau  t)on  ©tael  berid^tet,  SHiemanb  f)abe  il)ren  SBater 
über  ben  wal^ren  örunb  ber  Suf^wiw^^^ji^^wng  ber  Gruppen 
ofpjiett  tnformirt,  aber  fortmäl^renb  feien  ii)m  3latlöfd^Iäge  unb 
SKittl^eilungen  öon  aufeen  jugef ommen ,  bie  il^m  feinen  ßweifel 
über  baS,  waö  jtd^  öorbereitete,  laffen  fonntcn.  @r  l^abe  aud) 
getoufet,  bafe  baüon  bie  3lebe  mar,  ü^^  in  bie  SaftiKe  gu  [teden, 
aber  er  fei  geblieben,  wie  ein  aufgefegter  Soften,  ber  ben  Slngreifer 
über  bie  SSemegung  be§  ®egner§  ju  täufd^en  t)erfud)t.  ^zbtn  Sag 
fet  er  üom  Äönig  mit  ber  lleberjeugung  gu  ben  ©einigen  jurudf* 
gefeiert,  benSefel^l  ju  feiner  SSerl^aftung  üorguflnben^).  SBieber 
bot  er  feine  ©ntlaffung  an,  n^enn  feine  ©ienfte  nid^t  mel^r  toiH^ 
lommen  feien  unb  fügte  l^inju,  er  werbe  in  biefem  ^alle  fjrant 
reid)  fofort  unb  ntöglid)ft  unbemerft  öerlaf|en.  „Sd)  nel^nte  Sie 
beim  SBort'\  bemerfte  ber  Äönig,  ,,aber  bleiben  @ie"^).  3n== 
jwifd)en,  am  7.  guli,  war  bie  3^^l  ber  Gruppen  unter  Sroglie 
auf  breifeigtaufenb  angewad^fen;  weitere  fünfjefintaufenb  ÜKann 
würben  erwartet.  Sftiemanb  gweifelte  mel)r,  bafe  ein  ©taat^ftreid) 
beabf[d)tigt  fei,  alö  ber  3Konard^  felbft,  ber  allen  ®ewaltmaferegeln 
wiberftrebte.  3>n  biefe  3^it  fällt  ber  ©ebanfe,  ben  §erjog  öon 
Drläanö  aU  ©enerallieutenant  be§  SReid^ö  bem  unfdf)igen  Äönig 
an  bie  Seite  gu  geben.  SJlirabeau,  ber  unerad^tet  fpäterer 
3)ementi'ö  feiner  ^reunbe  mit  bem  ^rojeft  bi§  gu  einem  ge« 
wiffen  ®rab  einoerftanben  war,  bel^anbelte  eö  gar  nid^t  alö 
ßontplott,  fonbem  al§  eine  ßoentualität,  weld)e  bie  Umftänbe 
gebieten  fonnten;  er  befprad^  fte  mit  Scannern  gang  entgegen^ 
gefegter  3lid)tung,  mit  ben  Slo^aliften  SSergaffe  unb  SJiounier, 

*)  Mounier,  Recherches  sur  les  causes  qui  ont  empech^  les  Fran^ais 
de  deveuir  libres,  I,  240. 

^  Necker,  De  la  Revolution  fran^aise,  IX,  225. 

3)  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  236—239. 

*)  Laboulaye,  Cours  de  legislation  comparee,  L'Assemblöe  Consti- 
tuante, Revue  des  Cours  litteraires,  Juin  1869,  459. 


408  SBotfteUungen  beim  Stbni^, 

tüte  mit  Sarget  unb  Stobeöpicrre^).  5(ledfer  galt  il^m  nur  mel^r 
„al§  eine  ^^gm^e",  unb  er  woKte  il^n  ffir  weitere  ^äne  nid^t 
mel^r  in  Setrad^t  gebogen  wiffen.  6ine  feubale  SReaftion  aber  foßte 
unb  mufete  üerl^inbert  werben.  Slm  8.  ^vli  \pxa(i)  SWirabean, 
einbringlid),  großartig,  unb  aud^  je^t  nid)t  ol^ne  SMäfeigung. 
©eine  Siebe  würbe  ber  Slbreffe  gu  ®runbe  gelegt,  bie  Dierunb* 
gwangig  3KitgIieber  ber  Slffemblee  am  11.  Suli  bmt  Äönig  mit 
bem  2lnfud)en  überreid^te,  bie  Gruppen  gurüdfgujiel^cn.  gubmigXVI. 
crwiberte,  er  fei  für  bie  öffentlidfie  Stulpe  öerantmortlid^;  fte  Der* 
lange  aufeerorbentlid^e  SBorjtd^tömaferegeln  unb  er  verlange  SSer* 
trauen.  SBenn  bie  Slffemblee  beunrul^igt  fei,  fo  möge  ftc  mit 
feiner  Einwilligung  nad)  SHo^onö  ober  ©oiffonS  ftd^  begeben,  ßr 
werbe'in  biefem  %aU  nad)  ßompiegne  gelten,  alfo  mitten  xn&  2ager. 
@raf  ßriHon  befd^wid)tigte  bie  llnjufriebenen  unter  feinen 
ßoKegen  mit  bem  §inwei§  barauf,  ba^  baö  SJBort  Subwig'«  XVI. 
ba§  eine§  el^rlid^en  9Kanne§  fei;  ^irabeau  aber  warnte  Dor 
©efül^töpolitif  unb  brang  üergebeng  auf  SBieberl^olung  ber  Sitte 
um  Entfernung  ber  Gruppen.  Sia,  um  brei  Ul^r  SHad^mittagö 
an  |enem  11.  3wlif  überbrad^te  ber  SJlarineminifter  la  Äujeme 
nieder  ein  ^anbbiUet  be§  Äönigg,  ba^  il^n  an  fein  SSerfprec^en 
erinnerte,  nötl^igenfaUö  ba§  Sanb  gu  Derlaffen  unb  il^n  auf* 
forberte,  eö  fd^neU  unb  gel^eim  gu  tl^un.  2)er  entlaffene  SÄinifter 
bemeifterte  jtd)  fo  öoßftänbig,  bafe  einige  gu  Sifd^  gelabene 
®äfte,  unter  biefen  fein  Sruber,  fein  SBetter  ^uber,  be  6ic6,  grj« 
bifd^of  t)on  Sorbeaujc  unb  %xan  üon  ©tael  felbjt,  Don  bem  in* 
gwifd^en  Vorgefallenen  nid)t§  üermutl^eten.  9lur  bemertte  man, 
bafe  er  ber  festeren  gu  weilen  liebeöoll  bie  ^anb  brfidtte  %  3ta6) 
bem  ©iner  mad)te  er  SJlabame  SRedfer,  bie  allein  öom  ©efd^el^etten 
wufete,  ben  SSorfd^lag,  etwaö  frifd^e  Suft  gu  fd^öpfen,  unb  beftieg 
mit  il^r,  aU  l^anble  e§  |td)  um  eine  gewöl^nlid)e  Sluöfal^rt,  htn 
SBagen.    5Rad^  ein  paar  l^unbert  @d)ritten,  um  l^alb  fed^g  U^r, 

')  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.,  II,  284—286. 
2)  LordAuckland,  Correspondence,  1,331.    SBricf  öon  $ttbet,  ißarid, 
14.  Sutt  1789. 


er  entläfet  9ltdtt,  11.  Suli  1789.  409 

liefe  er  bcn  SBcg  jur  crftcn  $oft  einfd^Iagcn  unb  fragte  bort 
feine  2)iener,  ob  fie  i^n  aufeer  Sanb  ju  begleiten  jtd)  entfd)liefeen 
wottten.  hierauf  reifte  er  o^ne  Slufentl^alt,  unb  ol^ne  ba^ 
SWabame  Sleder  il^m  geftattete,  auf  ifjre  fd^mad^e  ©efunbl^eit 
mä^ä)t  gu  nel&mcn,  bi§  »rüffel  0-  3)ie  SSefür^tung  öon  Sre= 
tcuil,  feinefti  5ftad^foIger  im  3Äimfterium,  nieder  werbe  einen 
Stufftanb  ju  feinen  ©unften  in  ^ari§  proöociren,  eS  fei  bafjer 
ratl^fam,  il^n  feftnel^men  ju  laffen,  wies  ber  Äönig  jurüdf.  Sie 
berul^tc  auf  feinem  geringem  gi^rtl^um  als  biefer  gange  Staats- 
ftreiij^  überhaupt,  beffen  eigentlid^e  Slbjtd^ten  nie  öoUftänbig 
aufgeflärt  worben  ftnb.  ®enug,  ba^  man  attgemein  glaubte,  eS 
fei  befd)(offen  gewefen  5ßariS  auSjul^ungern,  eine  Slngal^l  öon  2lb« 
georbneten  ber  SRationalöerfammlung  gefangen  ju  nel^men,  biefe 
felbft  oufgulöfen  unb  jum  alten  Softem  gurüdfguf eieren  2). 

SRecfer  war  tro^  aller  SBarnungen  auf  biefe  SBenbung  nid^t 
üorbereitet,  ,,n)eil  er  jtd)  bem  öffentlid^en  Söol^l  in  einem  8lugen= 
blicf,  wo  er  baS  SReid)  öor  Sanfrott  unb  |)unger0not]^  fdf)fifete, 
unentbel^rlicö  glaubte^).  ®em  fdöarfjtnnigen  3ÄorriS  bagegen 
war  eS  nid)t  entgangen,  ba^  SRecfer'S  Popularität  fd^on  lange 
nid^t  mel^r  feinen  SBerbienften  galt,  fonbern  oomef)mlid)  auf 
ber  Dppojttion  ber  |)ofpartei  berul^te,  bafe,  wie  er  pd^  aus* 
'bx&dtf  gerabe  ber  SBerfud),  il&n  gu  ^att  gu  bringen,  feinen 
©turg  öerl^inberte  ^).  Se^t,  als  bie  9iad^rid)t  ftd^  in  5ßariS  oer= 
breitete,  bafe  biefer  3Serfud)  gelungen  war,  entgünbete  jtd)  bie 
Segeifterung  für  il^n  wie  nie  guöor.  3Jlan  trug  ßocarben  öon 
grüner  f^arbe,  weil  eS  bie  feiner  ßioreen  war  unb  weil  Mamille 
©eSmoulinS  baS  Slatt  eines  SSaumeS  im  5ßalaiS  ro^al  itd)  beS= 
wegen  guerft  auf  bie  ©ruft  gel^eftet  l)atte,  wäl^renb  er  öor  einer 
unabfel^baren  9!Äenfd)enmenge,   bie  Verbannung  SRecfer'S   „baS 

0  Necker,  De  la  Revolution  fran^aise,  I,  226  u.  ff.  unb  De  Pad- 
ministration  de  Monsieur  Neck  er,  par  lui-meme,  VI,  97. 

2)  Jared  Sparks,  Gouverneur  Morris,  II,  78.  SWorriS  an  Söaftington, 
31.  Suli  1789. 

")  De  Padministration  de  Monsieur  Neck  er,  par  lui-meme,  VI,  97. 

*)  Jared  Sparks,  Gouverneur  Morris,  n,  70. 


410  Sinbrud  beS  ©efd^el^enen  in  $attö. 

3etd)en  gur  SSartl^olomäuSnad^t   bcr  Patrioten"   nannte,   nnb 
€ine  ^iftolc  in  ber  ^anb  bie  SSürgcr  öon  ^ari§  ju  bcn  SBaffcn 
rief.    ®ie  Sl^eater  tnurben  gefd^Ioff en ;  eö  warb  ©turnt  geläutet 
unb  bie  mit  Srauerfior  bebedten  SSüften  öon  Slecfer  unb  beS 
$erjog§  öon  Orleans,  bm  man  fälfd^Iic^  aud^  öcrbannt  glaubte, 
würben  burd^  bie  Strafen  gefd^lept)t.   3[lS  Sderfer'saSruber  ftd^ 
anfd)icfte,  il^m  ju  folgen,  warb  er  mit  feinen  Begleitern  in  ber 
3ftue  be  ßlid^^  angel^altcn  unb  jur  SRücffei^r  gezwungen,  benn 
wenn  er   gel)e,  riefen  bie  Seute,  werbe  5ftiemanb  mel^r  il^nen 
9lad^ri(i^t  öon  il^rem  SSatcr  geben  fönnen^).    grau  öon  ©tael 
war    am    11.  Suli  Slbenbö    nad^  ^ari§  jurudgefel^rt.     6rft 
am  folgenben  SKorgen  fefete  jte  ein  SSrief  il^reö  SSotcrS   öon 
feiner  Slbreife  in  Äenntni^   aber  ol^ne  il^r  gu  fagen,  wol^tn 
er    gegangen  fei.    Sl^r  aber   befallt  er,   fid)   aufS  Sanb  ju* 
rüdjUjiel^en,  um  nid^t  ber  ©egenftanb  öffentlid)er  ©emonftrationen 
in  ber  .^auptftabt  ju  werben.    Slber  baju  war  eS  berciti^  gu 
fpät.    6ine  ^Deputation  nad^   ber  anbem  begel^rte  ©nlafe  bei 
ber  jungen  %xan  unb  verlangte  öon  xi)x  in  ben  überfd^wänglid^ 
ften  auöbrüden  bie  SRficffel^r  il)reg  SSaterö.    ©nblid^  rife  fte  ftc^ 
bod)  Io§  unb  ging  nad^  @t.  Duen.    3)ort  l^olte  fte  ein  gweiter 
Kurier  5Jiecfer'§  mit  ber  §Rad)rid^t  ein,  bafe  il^re  ßltern  auf  bem 
SBeg  nad^  SSrüffel  feien,  unb  bereite  am  13.  SuH  war  jie  mit 
SSaron  ©tael  auf  bm  SBeg  gu  il^nen.  3flid)t  ol^ne  SKäl^e  gelang 
e^  il)r,  fte  in  ber  fremben  ©tabt,  unter  einem  fremben  Slamen 
unb  in  einem  unbefannten  ©aftl^auö  wiebergupnben,  wo  fte  weinenb 
bem  SSater  gu  %ü^tn  fanf.    6r  trug  nodl^  biefelbe  Äleibung,  in 
weld^er  er  SSerfaille^  uerlaffen  l^atte;  ebenfo  il^re  SKutter.   Dl^nc 
aSorbereitungen  gur  3ieife  unb  felbft  of)ne  ^afe,  l^atten  f!e  nur 
mit  3Kü]^e  bie  ©renge  erreid^t.    3lecfer  benu^te  ben  furjen  Huf* 
entl^alt  in  SSrüffel  um  bem  Sanfl^auS  §ope  in  Slmfterbam  feine 
SSürgfd^aft  üon  gwei,  au§  feinem  SSermögen  bei  il^nen  beponlrten 
SRillionen  Siüre§  für  eine  ©etreibelieferung  nad)  5ßari8  gu  er« 

•)Lord   Auckland,    Correspondence,    I,   335.     SSrtcf   bon   $uber, 
«Paris,  16.  SuH  1789. 


©et  14.  Sult.  411 

neuem,  um  in  ber  SSerproöiantirung  ber  §au^3tftabt  feine 
©tüdung  eintreten  gu  laffen.  «hierauf  fe^te  er  mit  SSaron 
©tael  feine  SReife  nad)  SSafel  fort,  ba§  er  am  20.  ^\xü  er= 
Tcid)te^).  %xau  öon  ©tael  folgte  in  langfameren  Sagereifen 
mit  il^rer  3!Kutter,  unb  fal^  fo  jum  erften  9KaI  ba§  beutfd)e 
Sü^einlanb.  6in  am  16.  3uli  abgefd^idfter  Äurier  öon  Sa  ^Ja^ette, 
mit  ber  ?lad^rid)t  öon  ber  3ftüdffaerufung  il^reS  33ater§,  öerfel^lte 
fte  in  SSrüffel^);  al§  jebod^  bie  faeiben  ©amen  in  granffurt  ein= 
trafen,  fanben  jte  bereite  löniglid^e  Kuriere  au§  ^anfreid^,  mit 
offenen  SSriefen  oon  Subtoig  XVI.  unb  ber  3[ffemfafee,  bie  SHedfer 
gum  britten  2RaI  an  bie  ©pi^e  ber  ©efd^äfte  beriefen^). 

6inen  Sag  nad)  biefen  Kurieren  trafen  aud^  fte  in  Safel 
ein,  unb  bort  erft  erful^ren  fte,  n)a§  ftd^  in  ber  ßw^if^^ngeit 
in  §ßariö  gugetragcn  l)atte:  ben  längft  gefürd^teten  3lbfatt  ber 
SIrmec  mit  Slu§naf)me  ber  wenigen  fjrembregimenter,  ben  Äampf 
jtt)ifd)en  biefen  lefeteren  unb  ben  reoolutionirten  ®arbe§  frangaifeö, 
ben  Slufftanb  in  ^ari§,  bie  5ßlünberungen,  bie  Silbung  unb 
Scmaffnung  ber  Sfirgergarbe,  mit  einem  2Bort  SlHeg,  mag  fd^on 
am  13.  3uli  jeber  9iegierung  ein  6nbe  gemad)t  l^^^tte.  ®ann 
bie  Sl^aten  oom  14.  3uli,  bie  @iitnaf)me  ber  SaftiHe,  bie  ©r* 
morbung  oon  be  Sauna^  unb  ^Jlcffetteö,  bie  ,,bebingung§Iofe 
©apitulation"  *)  beö  Äönig^  oor  ber  Slffemblee,  bie  l)inreifeenbe, 
üon  SaU^  Sollenbal  al§  5lbgefanbtem  ber  SBerfammlung  auf 
bem  ©tabtl^auö  gu  ^ariö  gel)altene  SRebe  gu  6f)ren  9ieder'§, 
ba^  6nbe  bc§  9Jiintfterium§  SSretcuil  nad^  breitägiger  S)auer, 
bie  Vereitelung  ber  ^läne  gu  (fünften  be§  ^ergogö  oon  Orleans 


^)  Madame  de  Stael,  Du  caractere  de  Monsieur  Necker  et  de  sa 
vie  privee,  XVII,  52.  9iccfer  an  feinen  löruber  ©ermant),  S3afel,  24.  gu^i 
1789. 

2)  Lord  Auckland,  Correspondence,  I,  336.  S3rief  öon  ^uber, 
^ari§,  16.  Suü  1789. 

•^)  Madame  de  Stael,  Du  caractere  de  Monsieur  Necker  et  de  sa 
vie  privee,  XVII,  44—51  unb  Considerations,  XII,  24G. 

**)  Jefferson,  Complete  Works,  I,  99.  Lord  Auckland,  Corres- 
pondence, I,  328—333,  al§  Stugenjeugen. 


412  SRcdtct'S  Swtüdtbcrufung. 

buxä)  baö  6rfd)eincn  be§  Äömgö  in  ber  $am)tflabt  unb  auf 
bem  @tabtf)au§,  um  baö  ®efd)el^cne  anjuerfcttnctt  ^unb  eine 
abbitte  ju  tl^un,  wie  nie  juöor  ein  Souöerän  pe  geleiftet,  nie 
ein  33olf  jte  empfangen  l^atte''  0-  Slud^  SJMrabeau  fagte,  als  er  t)Ott 
biefem  ©d^ritt  beö  ÄönigS  l^örte:  „©erjenige,  ber  il^m  baS  ge« 
tätigen  l^at,  ift  ein  füf)ner  ©terblid^er;  ol^ne  biefen  ©d^rltt  war 
^ariö  für  il^n  öerloren.  S^ei  ober  brei  Sage  fpäter,  unb  eS 
war  nid)t  mel^^  möglid)  für  xi)n,  gurüdgufel^ren" .  SHid^t  meniger 
aufeerorbentUd^  aU  bie  §Rad^rid)ten  felbft,  waren  bie  SBotcn,  bie 
fie  überbrad)ten.  Slm  Slbenb  beö  15.  guli  l^atte  bie  crfte  ®mi* 
gration,  bie  beö  ®rafen  üon  Slrtoiö,  feiner  Si^eunbe  IBreteuU 
unb  9Jionteffon,  ber  Herzoginnen  oon  §ßoIignac,  Don  @uid^e, 
beö  (trafen  SSaubreuil,  be§  Slbbe  be  SBermonb,  lauter  SSer* 
traute  ber  Königin,  begonnen.  SHeder'ö  SBerid^terftattcrin 
war  bie  §erjogin  öon  ^olignac.  @ie  liefe  tJ^n  ju  Safel  in 
il^ren  ©aftl^of  bitten,  unb,  nac^bem  fte  ju  feinem  ©turg  bei* 
getragen  t)atte,  fc^ilberte  fie  il^m  bie  ©reigniffe,  weld)e  bie 
ijolge  baoon  gewefen  waren,  unb  benen  jte  nun  felbji  gum 
Opfer  fiel,  ijrau  oon  ©tael  ergäl^lt,  bafe  SReder,  ber  nie  an 
bie  SÄöglid^feit  öon  ^roffriptionen  gebadjt  l^atte,  einiger  Qtit 
beburfte,  um  bie  SBerlettung  oon  Umftänben,  bie  il^n  mit  ber 
|)er3ogin  jufammenfäf)rten,  ju  begreifen,  ©ann  trennten  fid^  il^rc 
SBege,  um  ftd)  nid^t  wieber  ju  freugen.  ®ie  Si^eunbin  ber 
Königin  ging  inö  |)eimatf)lanb  berfelben,  nad^  SBien,  wo  Snt* 
fe^en  über  ia^^  6nbe  ber  unglüdflid^en  f^ß^lün  biefer  ©efdl^rtin 
il^rer  frol^en  Sage  ein  frül^e^  ®rab  bereitete.  SHedEer  aber  cnt« 
fd)Iofe  jtd),  „an  einen  §of  jurüdjuf eieren,  beffen  Saunen  er  er» 
fal)ren,  eine  leere  ©taatöfaffe  unb  ein  SSoIf,  beffen  ®unfl 
t)ieKeid)t  nid)t  weniger  erfd)öpft  war,  wiebergupnben".  3io6)  öoit 
Safel  auö,  am  24.  ^ulx,  fd)rieb  er  feinem  Sruber,  Slecfer 
be  ©ermanQ,  e§  fd)eine  ifjm,  alö  winfe  ein  Slbgrunb  il^m  ent« 


')  Jefferson,  Complete  Works,  I,  101—102.    Dumont,  Souvenirs 
sur  Mirabeau,  114—115. 


ffiMU%x  bet  8romiIie  SRcdfer  nad^  ^atiS.  413 

gegen  ^).  SBergcbcnS  öcrfud^te  3iHabame  Dledfer,  tf)n  jurädf= 
jul^alten.  Sl^re  S:od)tcr  fagt  nid^t,  in  tt)eld)e  SBagfd^ale  il^r 
eigener  ©influfe  fiel,  aber  allen  Slnjeid^en  wie  il^rer  ganjcn 
Slatur  naäi  fonnte  pe  nid^t  anberS,  al§  bie  Stüdffel^r  gur  Sl^t 
befürworten. 

Sin  biefen  furgen  2lufentl)alt  in  ber  ©d^weig  fnüpft  ftd^  bie 
(Srinnerung  an  eine  Begegnung  mit  Saöater.  ©iefer  brad)te 
ben  Sommer  1789  in  Safel  bei  feinem  greunb  Sarajtn  gnm 
®ebraudö  einer  Äur  gu,  lernte  SJledfer  fennen  nnb  ft)rid^t  in 
©riefen  „oon  ben  fanften,  l)immlifd^en  QüQtn"  feiner  eigem 
t^flmlid^en  §ß]^^ftognomie.  SSon  feiner  ^geiftrcid)en  Sod^ter"  er« 
wäl^nt  er  nur,  bafe  jte  mit  ifjm  über  $l)^jtognomif  gefprod^en 
]^abe2). 

©ie  SReife  ber  fjt'au  öon  ©tael  öon  SSafel  nad^  ^ari§,  an 
il^reg  33aterö  Seite,  glidi)  einem  Srinmpl^gug ;  fte  genofe  il^n  in 
üoKen  Sügen.  ©d^aren  jubelnber  SKenfd^en  empfingen  5Recfer  in 
ben  ©täbten;  auf  ben  fianbftrafeen  fnieten  bie  SSBeiber  nieber, 
wenn  jte  feinen  SBagen  fommen  fallen;  bie  öornel^mften  Sürger 
nal^men  bm  ^oftillonfi|  ein,  um  il^n  gu  füllten;  mel^i^  al§  ein= 
mal  gefd)al^  e§,  bafe  Seute  bie  ^ferbe  au^fpannten,  um  feinen 
SBagen  gu  giel^en,  fo  bafe  bei  einer  fold^en  ©elegenl^eit  ber 
fpätere  SKarfd^aU  Sunot  im  ©ebränge  faft  ba§  &thm  üerlor. 
SRedfer  fprad)  l^äufig  gum  93oIf,  ermal^nte  gur  3ftu]^e,  gur  Wlä^U 
Qung,  öerfd^affte  bebrol^ten  ^erfönlid^feiten  5ßäffe,  um  ungel)inbert 
ba^  ßanb  öerlaffen  gu  fönnen.  Qti)n  SKeilen  öon  ^ariö  be= 
gegnete  er  Sefenoal,  ben  ßommanbanten  ber  ©d^weiger  3iegi= 
menter,  bie  am  12.  guli  in  ber  ^auptftabt  eingerüdt  waren, 
unb  bie  er  hierauf  nadt)  bem  ßufammenftofe  mit  ben  aufrüf)rerifd^en 
„Solbaten  ber  ^Ration"  öon  $ariö  nad^  aSerfaille^  gurüdffül&rte, 


0  Necker,    De   la   Revolution   fran^aise,  IX,  237—240.    Madame 
de  Stael,  Du  caractere  de  Mr.  Necker  et  de  sa  vie  privee,  XVII,  52. 

2)  ©efener,   Seben   öon  Saöater,  III,  123.    üiaöater,    3(nttt)orten   auf 
gragcn  unb  »riefe.    SBerlin  1790.  16—23. 

asiennerl&atfett,  grau  »on  @ta6l.  I.  27 


414  ^^^^^  ^uf  ^^in  StabtlgauS. 

o^ne  ba^  fte  mit  bem  SSoIf  pattixtm.  2)er  j(5mg  l^otte  il^ 
ge[tattct,  pd)  nad^  ber  @d)tt)cig  gurürfjUjid^cn,  aber  uittcrtDeg« 
war  er  feftgenommen  worben,  um  ber  Ifinftigen  $arifer  SJhi- 
nictpalitdt  auf  ScfeI|I  ber  SBäl^Icr  ausgeliefert  ju  werben,  ©ic 
fd^cufeliij^en  SiJlorbe  öon  f^oulon  unb  Sertl^ter  am  22.  Suli 
Itefeen  fein  ©d^idfal  öorauSfel^en.  9iedfer  öerfud^te  bergeBenS, 
freies  ©eleit  für  il^n  gu  erl^alten,  unb  bcfd^Iofe  nun,  in  ^ariS 
SlfleS  ju  feiner  3ftettung  aufzubieten.  SSorerft  begab  er  pd^  mit 
ben  ©einen  am  29.  3uli  nad)  SBerfailleö,  wo  ber  Äönig  il^n 
gnäbig  empfing  unb  feines  öoKen  SßertrauenS  öerjid^erte,  unb 
bann  in  bie  Slff emblee,  um  ii)x  feinen  ©anl  auSgufprcti^en  ^).  9m 
folgenben  3!Jlorgen  eilte  er  nad)  5ßariS,  wo  Äopf  an  Äopf  pd^ 
brängte,  ii^n  ju  feigen  unb  ju  begrüben,  unb  aufS  ®tabÜ)(m^, 
um  bem  3SoIf  feine  Dpfer  ju  entreißen.  „3^  warf  mid^  auf 
bie  Änie  nieber,  id^  bemfitf)igte  mid^  auf  alle  möglid^c  SBeife", 
erjäfilt  er  felbft,   „um  SSefenöal  ju  retten"  ^). 

Sn  einer  langen,  rül^renben  Stebe  verlangte  er  ®nabe, 
Slmneftie;  er  mad)te  in  ber  3[ufregung  beS  SlugenblidfS  bie  ge* 
fä]^rUd)ften  ©eftänbniffe,  er  fagte  ben  pegreid)en  ^ütcpttm  ber 
Empörung,  bafe  bie  Stegierung  feine  SKad^t  mcl^r  in  $finben 
l^abe,  bafe  baS  |)eil  beS  ©taateS  in  ben  übrigen,  in  bencn  ber 
3flationalt)erfammlung  liege.  @r,  ber  SKintfter,  befd)Wor  pe,  ben 
^^Jroffriptionen,  bem  Slutöergiefeen  ein  @nbe  ju  mad^en. 

©ie  SRebe,  guerft  üor  ben  l^unbertjwanjig  aSertretem  ber 
(Sommune  gel^alten,  wirfte  fo  l^inreifeenb,  bafe  er  pe  im  öffent* 
lid)en  ©i^ungSfaal  wieberf)olen  mufete.  2)ort  erwarteten  il^n 
fjrembe  öon  SluSjeidinung,  3Jlitglieber  ber  5ftationalöerfammlung, 
feine  ^Jrau,  feine  Sod^ter.  Unter  lauten  SeifattSbejeugungcn 
unb  bem  9tuf  „®nabe,  Slmneftie''  mufete  er  pd)  Dom  93alton 
aus  ber  jubelnben  9)lenge  jeigen,  mit  ber  ^arifer  ßocarbe  ßc* 

')  Madame  de  Staöl,  Du  caractäre  de  Monsieur  Necker  et  de  sa 
vie  privee,  XVII,  54  u.  ff.,  3u  öergleid^cn  mit  Droz,  II,  389. 

-)  De  l'administration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-m6me,  VI,  103, 
unb  Troisieme  Miuistire  de  Mr.  Necker,  VII,  5. 


5)ic  Sage  nad^  bcm  14.  3"^.  415 

fd^mflcft,  bte  üicrjcl)n  Sage  frül^cr  bcr  Äönig  auf  feinen  ^ut 
gejiecft  l^atte.  ©lermont^Sonnerre;  ber  antt)efenb  war,  rebigtrte, 
ttad^bem  bie  SSertreter  ber  Commune  SSefentiars  S^eigebung  ju* 
gcjianben  l^atten,  9Zamen§  ber  Slffcmblee,  beren  ©innjtlltgung 
man  öorauöfefete,  eine  6ntfd^Uefeung,  burd^  tt)elci)e  bie  allgemeine 
Stmnefiie  öerft)rod^en  würbe.  9icdfer  fanb  ftd^  als  SRetter  beS 
Staates  gefeiert,  unb  bie  SJlenge  geriet)^  wie  aufeer  ftd^,  als  er 
il^r  üon  triebe  unb  2Serföl^nung  fprad^.  3Re]^r  öemal^m  fjrau 
t)on  ©taöl  in  jener  ©tunbe  nic^t,  benn  öon  il^ren  ©eful^len 
üBerwältigt,  fani  pe  bewustlos  jufammen. 

6S  war,  fd^reibt  bie  t)ierunbjwanjigiäl)rige  fjrau,  ber  le^te 
t)oIlftänbtg  glüdflid^e  Sag  il)reS  SebenS  unb  obwol^I  baSfelbe 
nod^  in  feiner  SBIütl^e  ftanb,  fül^lte  jte,  als  fte  wieber  gu  fid) 
tarn,  bafe  fie  bie  ©renge  menfd^Iid^en  ©lücfeS  berül^rt  l^abe^). 

@in  l^öci)ft  mcrfwürbiger  Srief  öon  if)r  an  Äönig  ©uftaö, 
Dom  Sluguft  1789  batirt,  gibt  ben  unmittelbaren  ßinbrud  beS 
SiedEer'fd^en  ^aufeS,  fowol)!  in  Sejug  auf  baS  ®efd)e]^ene,  als 
auf  bie  näd^fte  ßwfunft  wieber:  „@ire",  fd)reibt  fie,  „wirb  6ure 
SWaiefiät  nad)  fo  öielen  fd^recflid^en,  rul^müoKen  unb  unglaub- 
Ud|en  ©reigniffen  nod^  ben  SluSbrucf  meiner  |)ulbigung  wieber* 
erfennen  wollen.  3^  fi^cige  mid^,  ob  taufenb  Saläre  feit  einem 
Sal^r,  feit  einem' 3Konat  oerftrid^en  ftnb,  unb  fänbe  id^  meinen 
glorreid^en  Äönig  nid)t  wieber,  id^  glaubte  mid)  in  eine  an* 
bere  SBelt  öerfe^t.  eure  SJlajeftät  wirb  Aber  SltteS  unter* 
ridt|tet  worben  fein  unb  ein  Urtftcil  fällen,  bem  id)  mid^  un* 
bebingt  unterwerfen  würbe,  lönnte  @ie  auS  eigener  Slnfd)auung 
ober  baS  ®efd)el)ene  ftd)  Sled^enfd^aft  geben.  SBer  aber  öer* 
möd)te,  öom  ©d^aupla^  ber  ©reigniffe  entfernt,  bk  fleinen  Ur* 
fad^en  fo  großer  Söirfungen  ju  unterfd^eiben,  wer  fül)lte  ftd^  nid^t 
üerfud^t,  für  fo  furd^tbare  Segebenl^eiten  anbere  als  bie  wirflid) 
t)orl^anbenen  ©rünbe  geltenb  gu  mad)en.   ^d:j,  bie  id^  SlHeS  mit 


0  Madame  de  Stael,   Considerations,  XII,  258  unb  Du  caractäre 
de  Monsieur  Necker  et  de  sa  vie  privee,  XVII,  60. 

27* 


416  ®i^^f  öon  gfrau  öon  Btael  an  ©uftaö  III. 

angefcl^en  imb  ©enicnigcn,  ber  mir  am  ttjeuerftcn  mar,  mäl^rcnb 
bc§  ©turmcö  am  9luber  mufetc,  fann  über  bic  malere  Urfad^c  bcS 
©efd^cl^^nen  ntd)t  in  S^^rif^l  f^in.  6§  ift  mir  ermiefcn,  bafe  eS  eine 
üon  bm  üfacrmäfeigcn  gorberuugen  bcö  Slbetö  unter[tü^tc  ^offabalc 
mar,  für  bie  SSerfaiUcS  ba^  Äönigreid)  barftelltc  unb  meldte  btc 
t)opuläre  9Jlad)t  ju  üemid^ten  glaubte,  inbem  pe  in  Sfledfer'j^ 
^er[on  il^ren  treueften  33ertlöeibiger  traf.  Sin  tl^rer  ©pi^e  ftanb 
ber  ®raf  Don  Slrtoi§,  bem  e§  gelang,  im  ®eift  beö  ÄönigS  feine 
@ad)e  mit  ber  be§  3lbel§  ju  ibentipciren.  llmfonft  leierte  ba* 
SBeifpiel  @d)mebenö,  mo  ßurer  ÜKaieftät  nur  Dom  erftcn  ©tanbe 
@d)mierigfeiten  bereitet  mürben,  umfonft  bie  SSemunft,  bafe  bc« 
Äönigö  SKad^t  auf  feine  Popularität  begrfinbet  merben  mufete. 
SSergebenö  mieberl^olte  mein  SSater  im  ^inifterratl^,  bafe  l^lntcr 
ben  600  Vertretern  beö  SierjS  fampfbereite  SÄtßionen  ftänben. 
|)od)mütl)ig  fal^  man  auf  ®inge  l^erab,  bie  metfer  ©rmägung 
beburft  l)ättcn.  S)ie  2lbreife  meinet  SSateriS,  bie  Si^fttw^wen« 
jiel)ung  ber  Gruppen,  bie  Ernennung  eineö  üerl^afetcn  SRinifte» 
riumS  mirften  mie  ®onnerfd^läge  bi§  an  bie  ©renjcn  beS  Sitid^S. 
3d)  fd)enfe  ben  überall  verbreiteten  ®eriid)ten  über  eine  be* 
ftel^enbe  5?erfd)mörung,  ba^  SSombarbement  öon  $ariS  unb  bie 
SBcrl)aftung  ber  ©eputirten  feinen  ©lauben ;  mol^l  aber  l^altc  i^ 
cv§  für  gcmiß,  baß  man  jtd)  mit  ber  Hoffnung  trug,  burd^  81uf« 
löfung  ber  Ocncralftaaten  bem  Äönig  feine  üoHe  Autorität  gu» 
rürfjugcbcn  unb  bicfen  gu  Überreben,  bafe  3?edfer  il&tt  täuf(^e, 
mcnn  er  i^m  ftct5  mieberbole,  ba^  man  e3  nid^t  mcl^r  Dcr^ 
möge. 

„Otid)t  fobalb  mar  bie  3?erbannung  meinet  SBater«  befamit 
geworben,  aU5  bic  Olation  in  SSaffcn  ftanb,  unb  id^  begtoeifle 
nid)t,  baß  in  iencm  Slugcnblirt  nict)t  nur  grembe,  fonbem  au^ 
(vranjofcn  ftd)  für  unljciliiolle  -^Jldnc  geroinnen  lie&cn  unb  bic 
Unruben  au!§nüj3tcn  unb  förbcrtcn.  Slbcr  ol)ne  bie  gel^Ier  ber 
iHegierung  unb  bic  Pnttaffung  ntcinc^5  -Batcr^j  märe  il^nen  ba* 
nicmaU  gelungen.  @inc  Äabalc,  ein  ocrcinjelter  Slufftanb  laffen 
fid)  mittclft   ©clb   unb   au^^gcftrcuter  Sügcn  ^erüorrufen;  nie» 


S3rlcf  öon  8rrau  öon  Btael  an  ©uftab  III.  417 

maU  aber  empört  jtd)  ein  ganjeö  SReid)  ol^ne  n)al)re,  ber  6r= 
feimtnife  SlKer  jugänglid^e  ©rünbe.    ^nnerl^alb  ber  furjen  fjnft 
t)on  öiergel^tt  Sagen  war  bie  Sage  ber  ®inge  öoUftänbig  t)er= 
änbert.    SSSlzxn  SBater,  ber  ijranfreid)  unb  ben  eigenen  Siul^m 
gcffül^en  l^atte,  wie  Slnbere  bie  ©d^anbe  piel^en,  fel)rte  afö  Dpfer 
beö   ®emeintt)oI|I§,   ntd^t  afö   ei^rgeigiger  jurüd,  um  alle  SRe» 
gienmgStücrfgeuge  jerftört  ober  in  Unorbnung  gerattjen,  bie  rol^e 
©ewalt  wie  in  urfprünglid^en  Qtxtm  l^errjd^enb  geworben,  eine 
SRation  mit  uralter  33ergangenl)eit  ftatt  in  einem  3Seriüngungö= 
procefe  begriffen  wie  in  jweite  Äinbl^eit  gefallen,  ein  corrumpirteS 
SBoII  öon  fjteii^eit  nad^  amerifanifci)em  3Kufter  träumenb,  biefe 
greil^eit  oI|ne  öorl)crgel)enbe  Silbung  be§  öffentlid)en  ©eifteS, 
mit  einem  SEBort  eine  fd^redenerregenbe  Verwirrung  ber  SSegriffe, 
einen  unöerföl^nlid^en  ©egenfa^  gwifd^en  ben  ßl^arafteren  unb 
ben   jte   umgebenben  33erl)ältniffen  gu  pnbcn.    Slbl^ülfe   gegen 
baS  im  Sauf  eine§  einzigen  SiagS  angerid^tete  Unl^eil  ift  nur 
Don  ber  3^^  ju  erwarten.    SlUe  Semül^ungen  meinet  35aterö 
muffen  bie  3Bieberaufrid)tung  ber  föniglid)en  Slutorität  bejwedfen. 
Sie  üerffigt  nid)t  mel^r  über  bie  6j:efutioe,  wenn  bie  Sruppen 
il^r  nid)t  gel^ord^en,  unb  in  biefem  %aU  ift  aud^  baö  Sanb  ver- 
loren.   |)at  eine  ^Regierung  einmal  fo  lange  beftanben,  fo  be* 
ftel^t   alle   SBal^rfd^einlid^feit   bafür,   bafe  fte  unentbel^rlid^   ift, 
gerabe  wie   bie   5ßrobe  eineö  9?ed^ene;rempel§  burd^  Umftürjen 
icSfelben   geliefert  wirb.    Jliemalö  l^at  mein  3Sater  baran  ge= 
bad^t,  xf)xt  ©runblagen  ju  erfd^üttem;  er  wünfd)te  SBerbefferungen, 
bie   ebenfo  notbwenbig   waren,    al§   fte   fegen§reid)    geworben 
toären.    3>nbem  Äönig  unb  3lbel  biefelben  oerweigerten,  al§  eö 
Tiod^  S^tt   war,   fte   ju  bewilligen,    l^aben  fte  baö  Sieid^   in 
Sßerwirrung   gebrad^t.    3Kein   93ater  l^at  ftet§   ben  Äönig  be^^ 
-fdiworen,  freiwillig  ju  gewähren,  wa§  man  ju  geben  il^n  jwingen 
»erbe,     ©em   gegentl^eiligcn  Softem   ift   bie   l^erauöforbembe 
Jg^altung  be§  SSolIeö,  bie  Unpopularität  be§  ÜKonardE)en  unb  ber 
©rofeen  juijufd^reiben,  bie  ber  SSernunft  2llle§  verweigerten,  wa§ 
fie  ber  rollen  ®ewalt  jugeftanben.   Sollte  biefer  ßwP^nb  bauern. 


418  ^^^f  ^on  S^^u  t)on  Btahl  an  &viftat>  III. 

\o  ift  CO  um  granfretc^  gcfc^el^cn  unb  feine  Sluflöfung  würbe 
üon  entfe^Iid^cn  Solgen  begleitet  fein.  SRoiJ^  l^offe  id^,  baß 
meinem  SBater  feine  ^Rettung  gelingen  werbe.  Sdglid^  wirb  er 
®uteö  förbern  unb  ©c^limmeö  öerpten,  unb  bie  3cit,  bie  Sitten 
beruf)igt,  wirb  bie  größten  ©d^mierigfeiten  auö  bem  SBeg  ge^ 
räumt  finben.  Sollte  biefe  Erwartung  getäufd^t  werben,  bann 
freiließ  bliebe  nur  bie  5lud)t.  ßonftantinopel  wäre  in  bicfem 
gall  eine  beffere  Si^Pw^tpätte  atö  biefeS  einer  fd^ranlenlofen 
5reif)eit,  alfo  mit  anbern  SBorten  bem  ©efpotiSmuö  bcr  5Dlaffen 
überantwortete  Sanb. 

„SBirb  6ure  ÜKaieftät  mir  oerjei^en,  bafe  id^  05  wagte, 
t)on  fo  weit  mid)  überragenben  ©ingen  i\x  reben  unb  il^rer 
f)oi)tn  @injtd)t  ©reigniffe  ju  unterbreiten,  mit  wcldljen  ber  nil^m* 
reid^e  9lame  meinet  33ater§  in  33erbinbung  ftei^t.  Sft  öud^  ba^ 
aSilb,  ba&  mir  ftetö  Dor  Slugen  fd^webt,  bagu  angeti^an,  gleid^*^ 
gültiger  gegen  weltlid)e  (gl^re  unb  au^geid^nung  ju  mad^cn,  fo 
erf)ö^t  eö  bafür  bie  @f)rfurdf)t  oor  wal^rer  ©röfee,  unb  in  bem 
2Wafe  alö  ©efpotiönm^  unb  Slnard[)ie  bie  5IRenfdöen  einonber 
gleid^  mad)en,  gewinnt  ein  Äönigtl^um  an  SBerll^,  baö  regiert, 
ol^ne  JU  unterbrüden,  unb  burd)  fein  Seifpiel  bcn  aSeftanb 
monarc^ifd)er  (Sonftitutionen  jid^ert. 

„e^  bleibt  mir  bie  Erfüllung  ber  gjffid^t,  eurer  SMaieftdt 
über  mein  perfönlid)eS  SBerfjalten  SRec^enfdiaft  ju  geben.  3>d^ 
bin  e§,  bie  §erm  oon  ©tael  gu  jel^ntägiger  Slbwefenl^ett  Der*^ 
moc^t  ^at,  um  meinen  33ater  in  einem  Slugenblid  ju  begleiten, 
wo  nid^t  nur  feine  Sreifjeit,  fonbern  auc^  fein  Seben  bebrol^t 
waren,  benn  ber  ßorn  feiner  geinbe  wud^ö  im  SBerl^dltnl^  ju 
ben  ^ulbigungen,  bie  i^m  entgegengebracht  würben.  Ol^nc  iebe 
Seforgnife  unterbreite  id^  biefen  @d)ritt  ber  nad)trägUdöen  ®e* 
nel)migung  6urer  SJiaieftdt,  bereu  ®nabe  id)  meinen  ©atten  unb 
mid)  mit  ber  SBerjtd^erung  enipfef)le,  bafe  Sllleö,  voa^  Saron  ©taöl 
oermag,  im  Sntereffe  beö  föniglidfien  2)ienfte§  aufgeboten 
werben  foU.'' 

2tl§  bie  ©tunben  ber  ©faltation  oorüber  waren,  liefe  jtd^ 


©rad^lcgung  bct  Slcöieruno.  419 

crft  bic  Umwanblung  crmcffen,  bk  furjc  brci  SBod^en  in  ber 
@t\6)\ä)k  granfrcid^ö  bctüirlt  f)atten  unb  bereu  n{eberfd)Iagenbc 
SBirfung  %xavi  öon  ©tael  if)rem  fönigltd)en  (Sorrefponbenten 
ntij^t  öcrfc^iuieg.  Sluf  bem  Sanbc  mütl^ete  bie  Seöölferung  mit 
geuer  unb  ©d^wert  gegen  ben  Seft^;  in  ben  ©tobten  l^errfc^te 
bic  Slnard^ie.  ®ie  9Jiad)t,  bie  man  bem  Äönig  entriffen  l^atte, 
war  nid)t  in  bie  ^dnbe  ber  Slffemblee  gelangt:  „t^  n^ar  feine 
äleüolutiütt,  fonbem  eine  ©iffolution,  nid^t  ber  ©turg  einer  9ie== 
gicrung  unb  ba§  ©mporfommen  einer  anbern,  fonbern  ber  S3e* 
ginn  beS  JDefpotiSmuö  ber  2Kaffen  unter  bem  6inpufe  ber  f5urci)t, 
ber  Seid^tgläubigfeit  unb  be§  eienbö" '). 

%a\t  5)liemanb  gal^Ite  mel^r  ©teuern,  bie  ganje  3iegierungS= 
mafd^ine  ftanb  ftill.  S)ie  Seamten  xoaxm  meift  püd)tig,  bie 
Ärd)iüe  jerftört.  „©ie  bemofratijd)en  ©eflamationen,  meld)e 
auf  ber  Stebnerbül^ne  Seifall  jtd)erten'\  -fd^reibt  ^yrau  öon  ©tael, 
^üenoanbelten  jtd^  in  ben  ^ßroöinjen  in  ebenfo  öiele  33erbred^en. 
©en  ©pigrammen  ber  3lebner  ber  ßonftituante  ju  6f)ren 
brannten  bk  ©d^Iiiffer  unb  mit  $f)rafen  fd^lug  man  ba§  Äönig= 
reid^  in  Irümmer"^). 

3ltö  Stecfer  am  7.  Sluguft  ber  9iationaIüerjammlung  ben 
^lan  einer  Stnleil^e  enttüidelte,  fragte  er,  ob  eö  möglid^  gewefen 
fei,  bie  unerf)örte  SReöolution  öorauögujef)en,  bie  in  wenigen 
SBo^en  jtd^  öollgogen  l^abe?  ®aö  Uebel  fei  ju  fold^en  S)imen== 
ftoncn  angett)ad)fen,  bafe  leiber  SRiemanb  eö  fxä)  xnü)x  t)er]^ef)Ien 
fönne ;  öom  centralen  ©tanbpunft  ber  SKinifter  be§  Äönigö  au§ 
gefeiten  fei  baö  Silb  ein  walirl^att  fürd^terlid)eö.  ©eine  ©d)ilbe= 
Tung  beö  üorl^anbenen  llebelö  liefe  an  Älarl^eit  nic^t§  ju  n)ünfd)en, 
aber  ber  SJerfud^  einzugreifen  raurbe  üon  Dlecfer  gar  nid)t  mel^r 
gemad^t.  ©eine  ^flid^t,  erftärte  er,  beftef)e  barin,  öor  bem 
SBillen  ber  SSerfammlung  fxä)  ju  beugen  unb  bem  Äönig  burc^ 
bie  Popularität  ju  bienen,  über  bie  er  nod)  oerfüge.    SBie  er 


*)  Taine,  Origines,  etc.     La  Revolution,  I,  51. 
2)  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  270. 


420  ^t^  ffttoandtt  bon  äRirobeoiL 

bie  ^arifer  ^unicipalität  fniefäQig  um  baiS  Seben  Don  Sefen« 
öal  gebeten  l^atte,  fo  befd^wor  er  je^t  bie  aSertrcter  ber  SHation, 
ben  Staat  ju  retten^).  Sag  britte  SRinifterium  9tedEer  l^at  in 
ber  ferneren  ®efcf)id)te  ber  Steüolution  nur  mel^r  eine  paffioe 
Sebeutung;  ber  furje  Srtumpl^  auf  bem  $arifer  Stabtl^oud 
überbauerte  ben  Slbenb  ntcf)t,  benn  biefer  Äbenb  fd^on  fal^  bie 
SReüanc^e  üon  SJlirabeau. 

Äurj  nad)  bem  14.  guli  l^atte  er  burd^  feinen  f^eunb 
be  la  ^ard  ber  Äönigin  feine  ©ienfte  anbieten  laffen  unb  bie 
Slntmort  erhalten,  ber  j^önig  n)erbe  l^offentlid^  nie  unglfidRid^ 
genug  fein,  gu  einem  fold^en  SluöfunftSmittel  feine  Siiflud^t 
nel^men  gu  muffen  2).  ©a  gewann  bie  Seibenfd^aft  bei  il^m  bk 
Dberl^anb  unb  meti  jtd^  nid^t  mit  ben  9Räd)ten  be^  Sagd  re« 
gieren  liefe,  wanbtc  er  pd^  gegen  pe.  ©ein  erfter  @ebanle  war 
ber  gewefcn,  |id)  ftatt  IBaillQ  gum  SRaire  öon  $ari«  ernennen 
gu  laffen  3).  Sltö  er  öon  ber  gteigebung  öon  Sefenüal  l^orte, 
eilte  er  nad^  ber  ^auptftabt  unb  erregte  bie  öffentlid^c  ÜÄcinung 
bort  gegen  bie  a3efd)lfiffe  beö  @tabt^aufe§.  Unter  feinem  6in» 
Pufe  erflärte  bie  bereits  terroriftrte  5ßationalberfammlung,  aSefen» 
oal  bürfe  bem  ®efe^  mdf)t  entgogen  werben.  SRirabeau'«  Drgan 
in  ber  treffe,  bie  fogenannten  „Sriefe  an  feine  Sluftraggcber", 
fagten  je^t  offen,  baö  Sßolf  l^abe  ®ered)tigfeit  geübt,  baS  2Ra6 
fei  ooH  gewefeu;  bie  Strafe  eineö  SSegier«  möge  gur  l^eilfamen 
Se^re  für  alle  anbern  werben.  6r  felbft  fagte  auf  ber  Sribüne, 
üon  ben  ajlorben  be§  22.  guli  fpred)enb,  man  bürfe  fic^  nid^t 
üom  @d)idffal  ©ingelner  rül^ren  laffen;  nur  um  biefen  ^rei« 
fei  man  wal^rl^aft  ein  Bürger*). 

2)afe  Sefenoars  Seben  überl^aupt  gerettet  werben  fonnte, 
blieb   ber  eingige  ©ewinn  beS  S£ag§,  öon  bem  5ftedfer  gel^offt 

')  Necker,  Troisieme  Ministere,  VII,  13  unb  De  la  R^Tolution 
franvaise,  IX,  240. 

*)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.,  II,  368. 

*')  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  94—95. 

*)  Droz,  Ilistüire  de  Louis  XVI.,  II,  309.  Bacourt,  Correspondance 
oiitre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  99. 


^it  9^ationaIk)erfatnmlung  lögt  bte  SBetbred^en  ungeftraft.  421 

fiaüe,  er  werbe  ber  erfte  be§  wiebergewonnenen  fJriebenS  jein, 
uttb  tt)eld)er  nur  ber  le^te  feiner  ^Popularität  war^). 

fjür  ben  ffinftigen  poHtifct)en  ©tanbpunft  üon  fjrau  üon 
©taßl  würbe  bte  2lrt  beö  ©nfluffeö  entjd)eibenb,  ben,  wäl^renb 
il^rer  lurgen  Slbwefenl^eit  üon  $ari§,  bie  ßreigniffe  ber  legten 
aBod)en  auf  bte  ©eftnnung  il^rer  fjreunbe  ausgeübt  l^atten. 

fiaK^  SoKenbal  war  ber  erfte  unter  btefen,  ber  am  20.  gult, 
burd)  beit  3Sorfd)lag  einer  ^roflamation  an  bie  S^ranjofen,  ber 
9[ttard^ie  6inl&alt  gu  gebieten  t)erfud)te.  2lm  27.  guH  entwarf 
3Rounier  ber  SBerfammlung  ba^  ßonftitution^proieft  beS  3Ser= 
faffungScomiteS,  ba§,  mit  bem  Sw^^i'^w^Ji^crf^ftem  aU  SajtS,  bie 
^rfteKung  ber  gemäßigten  2Ronard)ie  bejwerfte.  &x,  aJlalouet, 
bann  ßriüon,  a3ifd)of  t)on  6{)artre§,  ber  junge  SJtatl^ieu  be 
5ötontmorenc9,  SEoulongeon,  ein  freijinniger,  mit  Sa  iJa^ette 
innig  befreunbeter  ©beimann  unb  fpäterer  ^iftorifer  ber  9teöo= 
lution,  befjen  unparteiifd)e§  SBerf  S^rau  öon  ©tael  t)ielfaä)  be* 
nu^t  l^at^),  tlieilten  alle  mit  Sall^  bie  Uebergeugung,  baß  bie 
SHationaberfammlung  für  SBerbrec^en,  bie  fie  nic^t  ju  beftrafen 
wiffe,  mit  öerantwortlid)  fei.  Slber  neuauftauci)enbe  ^erfönlid)* 
leiten,  wie  Sujot,  ber  fünftige  ©ironbift,  unb  2Rafimilien 
SRobcöpierre,  beffen  9Zamen  bei  biefem  Slnlafe  jum  erften  2RaI 
genannt  würbe,  badeten  anberö.  Sie  fpracl)en  üon  ben  33er= 
fd^wörungen  gegen  ba§  SSolf,  nic^t  öon  feinen  wilben  2lu§= 
fd)reitungen,  nannten  bie  5{5arifer  „weil  jte  t)om  3fleä)te  ber  5Ratur 
©ebraud)  gemad^t  Ijatten",  l^eroifc^,  unb  festen  burd),  ba^  fo  öiel 
als  nid)t§  gefc^al^.  (g§  galt  öor  Slllem,  bie  $anif  ju  unter* 
Italien.  SKirabeau  unb  Saill^  nennen  ben  Setrag  ber  Summen, 
weld)e  an  bie  SRul^eftörer  in  ber  ^^auptftabt  auöbegalilt  würben^). 

35ie  Serebfamfeit  üon  Sall^  unb  feiner  g^reunbe,  um  bie 
SBeftrafung  ber  2Rörber  gu  erwirf en,  fd)eiterte  gule^t  an  ber 


^)  Ferrieres,  Memoires,  I,  178. 
*)  Madame  de  Stael,  Considerations,  XIII,  102. 
»)  ©^bcr,  ©cWtd^tc  bcT  «ftcöoIuttonSactt,  I,  65,  Sftotc.     Droz,  Histoire 
de  Louis  XVI.,  II,  357  u.  ff. 


422  ®i^  9'2ationQU)erfatnmIung  lägt  bie  SSetbre^en  ungefttaft. 

gweibcutigen  Haltung  beS  äbgeorbncten  bcr  ^roücncc.  ©ic 
üorgefd)lagene  ^roflamation  würbe  eine  md^töfagcnbe  Slufforbe* 
rung  gu  griebe  unb  ßintrac^t,  unb  eS  blieb  üon  ber  langen 
©ebatte  nur  bie  unaüSlöfc^lid)c  (Erinnerung  an  baS  3EBort  üon 
Samaüe  nad)  bem  SRorb  üon  fjoulon,  ber  bem  Sftuf  nac^  ®e« 
rect)tigfeit  mit  ber  beräd)tigten  5rage  entgegnet  l^atte,  „ob  benn 
ba^  öergoffene  S3lut  fo  rein  gewefen  fei?" 

2öä{)renb  bie  genannten  greunbe  ber  grau  üon  Staßl  pd^ 
be^  (äinbrurfö  nid^t  ermel^ren  fonnten,  ba^  ber  SBoben  bereit« 
unter  il^ren  ^feen  wanfe,  fanb  fte  einen  3[nbem  aus  btm  il^r 
gunäct)ft  ftel^enben  Äreife  burc^  biefelben  ©reigniffe  auf  ben 
®d)ilb  gel^oben. 

Seit  bem  15.  3uli  war  Sa  gai)ette  ©ommanbant  ber 
aSürgergarbe,  bie  nunmel^r  SJlationalgarbe  genannt  würbe. 

®er  juerft  öon  Siemes  angeregte  ®ebanle,  ber  pe  in«  geben 
rief,  erl^ielt  feine  Slu^fül^rung  nad^  Saron  @tael  öon  SRccfcr  fclbft, 
ber  in  ben  Sagen,  wo  er  auf  ©ntfernung  ber  SEruppcn  bcS  $er* 
gog§  üon  Sroglie  brang,  bem  Äönig  eine  fold)e  Snftitution  ate 
@cl)u^wel^r  gegen  bie  waä)fenbe  Unorbnung  unb  mit  bem  SBor» 
bel^alt,  bafe  bie  Offigiere  burd)  ii^n  ernannt  würben,  cmpfoi^n). 
9ladö  bem  14.  guli  war  eS  bann  ber  längft  aßen  reüolutiondrcti 
2)oftrinen  gewonnene  Parlamentarier  ©uport,  ber  bie  IBewaff« 
nung  be^  SSolfeS  in  ganj  S^ranfreid^  mit  einer  mertwürbigm 
®ewanbtl^eit  unb  Energie  organiprte,  „fo  ba^  <)löjjlid^  bte  re» 
gulären  3:rut)pen  im  gangen  Sanb  pd)  wie  gefangen  üon  einer 
Slrmee  oon  brei  bi§  oier  2Rillionen  bewaffneter  9Äenf(^en,  meifl 
brob=  unb  arbeitiSlofe  Proletarier,  umgeben  fallen,  bie  eingig 
unb  allein  üon  ben  municipalen  Autoritäten  abl^ingen,  wä^renb 
ber  Äönig  feit  bem  14.  guli  über  feine  militärifd)e  3Wad^t  mcl^r 
üerfügte"^).    SBenn  fomit  ber  ©ebanfe  ber  5Rationalgari>e  rdäjlt 


^)  Leouzon-Le  Duo,  CorrespoDdance  diplomatique  du  Baron  de 
Stael-Holsteiii,  121,  9?o.  127. 

^  Neck  er,  De  la  Revolution  fran^aise,  377.  Madame  de  StaSl, 
Considerations,  XII,  325. 


Sa  gfa^etie  unb  bie  9^ationatgarbe.  423 

auf  2a  iJa^cttc  gurüdfgufül^ren  tft,  jo  bleiben  i^m  anberc 
aScrbienfte  ungcfdimälert.  @r  ift  ber  ©rfinber  ber  SErifoIore, 
bie  er  au^  beit  Farben  ber  ©tabt  5{5ari§,  gu  tt)eld)er  er  baö 
löniglid^c  SBeife  fügte,  guf ammcnfe^te  ^),  unb  Don  weld^er  er 
beJanntUd^  öerffinbete,  jte  werbe  ben  SEBeg  um  bie  SBelt  gu* 
rüdtlegen.  SWedfer  mufete  il^n  burd)  Sitten  unb  SBorfteKungen 
baran  öcrl^inbem,  bie  gnitiatiöe  bagu  burd)  Slnfttftung  üon  re* 
öolutionären  Bewegungen  in  Srlanb  unb  §oIlanb  gu  ergreifen. 
Sie  greil^eit^mü^e  auf  bem  ©äbelfnauf  ber  3(lationalgarbe 
öerbanfte  man  il^m,  unb  mit  ber  ©inbürgerung  ber  ßrflärung 
ber  aRenfd)enred)te  ift  er  wie  fein  Slnberer  ibentipcirt.  ©ein 
erfter  SSerfud^,  jte  burd)gufe§en,  ift  öom  11.  Suli  1789  unb 
liefee  jtd)  .mit  bcm  ©ebanfen  üergleid^en,  bie  grünen  Sieifer,  bie 
ben  glüdfUd)  aufgerici)teten  ®iebel  einer  neuen  Sel^aufung 
fd^müefen,  in  ben  @ct)utt  unb  ©taub  niebergeriffener  ©runb- 
mauern  gu  pflangen.  Db  Sa  fjaqette  wdl^renb  ber  gangen  S^xt 
feinet  Dberbefel^l^  über  bie  9Zationalgarbe  jemals  in  ber  Sage 
gewefen  ift,  einen  anbern,  al§  il^ren  eigenen  SBillen  über  jte 
geltenb  gu  machen,  bie  Prüfung  biefer  fjrage  fällt  leiber  nicl)t 
tng  SSereid)  ber  öorliegenben  ©tubie.  311^  i5^au  öon  ©tael  il^n 
in  biefer  feiner  neuen  SBürbe  wieberfanb,  l^atte  er  bereite,  ac^t 
Sage  nac^  Slntritt  berfelben,  feine  entlafjung  angeboten,  am 
23.  3iili  ndmlid),  nad)  ber  ^infd)lad)tung  Don  fjoulon  unb 
aSertl^ier.  Slber  fd)on  am  felben  äbenb  l^atte  er  jte,  ol^ne  irgenb 
eine  ©i^erl^eit  für  Seftrafung  ber  2Rörber  erlangt  gu  l^aben, 
wieber  gurüdfgenommen,  ein  SBorgang,  ber  feitbem  noc^  Diele 
berartige  ©cenen  begleiten  foHte,  ol^ne  bafe  Sa  %a^tüt  Dor  ber 
Jg)anb  aufhörte,  bie  populäre  ^elbenfigur  beö  SEageS  gu  bleiben. 
3n  bem  il^m  gewibmeten  Äapitel  ber  Sonjtberation^  übt  biefe 
Popularität  il^ren  ©influfe  auc^  über  S^rau  Don  ©tael.  @r  galt 
il^r  als  ber  ed)te  Siepublilaner,  unb  weil  er  bie  ©tanbeSintereffen 


0  La  Fayette,  Memoires,  II,  2Ö7,  0?otc,  IV,  82.    Br^htl,  ©efc^tc^te 
ber  SReöoIutionSaeit,  I,  71. 


4-24 


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ftirtj;   '.ri^-::  ::  :':..--::    •.::-•:  "i-:^  'e:  er  unertrdg* 

tijcarr  ..">.:c  .:  j-'r^'-."    ^r  rr.^^  rrr.  ^^^  itette 

-^   v.-^v'.-:    "■:.*    .:::'-  ^r  -Cc  :^  nrisbrauchte 


öa  Sra^cttc  unb  bic  SRottonatgarbc.  425 

Bort  bcttJÖl^rt  »que  rhomme  de  bien  est  extremement  peu 
e  chosec^). 

Ucber  feine  unglaublid^  gu  nennenbc  poHtifd^e  Äurijtd)tigfeit 
)xxäit  fein  lautere^  S^wQ^ife  alö  fein  eigenes:  „9Jtein  OlaubenS« 
sfenntttife  üom  11.  Suli  1789",  fd)reibt  er,  „war  gugleid)  ein 
(ianifeft  unb  ein  Ultimatum  ....  e§  erfd)ien  brei  SEage  üor 

IX  großen,  nationalen  ©rl^ebung,  ber  legten,  bie  notl^wenbig 
ar,  unb  ber  legten,  bie  id)  gewollt  l^abe"  ^). 

©ic  Snfurreftionen  aber,  bie  er  nic^t  wollte,  ben  6.  Dftober 
789,  ben  18.  2H)ril  1791,  führte  er  felbft  ober  lie§  fte  gefc^e^en, 
eil  eö  guerft  bie  2Rad)t,  bann  bie  ^Popularität  gefoftet  l^ätte,  jtd) 
neu  ju  wiberfe^en,  unb  weil  bie  Popularität  il^m  meljr  galt 
S  baS  fieben.  Snmitten  be§  revolutionären  ©turmeö  fanb  er 
itimmung,  „ber  löftlic^en  ©mpfinbung  be§  Säd)eln§  ber  2Renge" 
3^  l^injugeben  unb  jid)  ju  beglücfwünfä)en,  bafe  er  bie  SBolK* 
mft,  „ol^ne  bie  er  nid)t  leben  fönne",  beji^e.  ©ie  abftrafte 
lac^t,  bie  öffentlid)e  SJleinung,  ber  nieder  l^ulbigte,  Ijattc  für 

X  ffa^ettc  ©eftalt  angenommen  unb  war  in  bie  ©trafee  l)inab= 
ifticgen.  @r  glaubte  jte  gu  fül^ren,  wenn  er  il&r,  gefc^müdEt  mit 
X  trifoloren  @d)ärpe,  ooranritt. 

SBaf^ington  warnte  il^n  öergebenS  „oor  ber  ungewöfinlid^en 
mpfinblid^feit  für  Sitten,  wa§  feinen  SRuf  betreffe"  3);  gefferfon 
•ücfte  jtd^  berber  auö  imb  begeid^net  aU  feine  fd)wac^e  Seite 
i  canine  appetite  for  fame«*).  5IRirabeau  wieberf)olte  ba§ 
!ort  beö  '^ergogS  oon  6f)oifeul,  ber  Sa  ^Jct^^tte  nad)  feiner 
fidfc^r  auö  Slmerifa  fpottenb  „®ille§=Sefar"  genannt  l^atte^). 
Sollten  Sie  aufgel^ört  l^aben,  ber  ^elferöl^elfer  ber  Steoolution 


»)  ««icbul^r,  ©cfc^td^tc  be§  ScttaUcrS  ber  «ftcöolution,  I,  201. 
2)  La  Fayette,  M6moires,  III,  219,  Lettre  ä  Mr.  d'flenniDgs,  Witt- 
)ld,  15  Janvier  1799. 

^)Thureau-Dangiii,   Le    parti   liberal   sous    la   RestauratioD,  46. 

*)  Jefferson,  Complete  Works,  II,  106. 

*)  Thureau-Dangin,    Le   parti   liberal   sous   la   Restauration,  47. 


426  Sallc^ronb. 

gu  fein,  jo  ftnb  @ie  boc^  il^r  Höfling  geblieben",  fd^rieb  il^nt 
5!)founier  nac^  bem  6.  Dftober^).  ©afür  bcfafe  er  ha^  um 
bcftrittene  SBerbienft  eine§  flecfenlofen  ^riöatlebenS,  baö  bie 
l)ingebcnbe,  bewunbernbe  Siebe  feiner  grau,  ouS  bem  ^aufe 
9loaiKeö,  öerflärt  l^at.  gl^r  war  e§  üorbel^alten,  tl^m  l^roifd^e 
Seweife  biefer  5Reigung  ju  geben. 

fjrau  üon  ©tael,  bie  bem  (SultuS  für  ben  ß^aralter  öon 
Sa  fja^ette  immer  treu  geblieben  ift,  liefe  ftd^  in  ben  Sagen,  xoo 
i^x  nod^  bie  Siomantif  ber  3ugenb  mand)en  f<)ätcrl^in  auf* 
gegebenen  @Iauben  üergolbete,  bod)  gleid)geitig  aud^  t)on  ben 
aufeerorbentlid^en  ©eifteSgaben  eines  SWanneS  gewinnen,  ber 
nur  im  ©egenfa^  gu  Sa  fja^ette  gebadet  »erben  larni.  Statt 
wie  biefer  üom  DptimiömuS  jtc^  liinrctfecn  gu  laffen,  ber  3t(üf0^ 
leon  gum  SluSruf  öeranlafete :  »La  Fayette  est  un  niaisc,  legte 
(5{)arle§  SKaurice  üon  3:aKe^ranb*$erigorb,  feit  S^nuar  1789 
aSifd^of  üon  Slutun,  früligeitig  SHac^brudE  auf  SWäfeigung,  fSbäft 
unb  9lüä)tem^eit  beö  Urtl)eü§,  auf  unerfä)ütteriid^en  ©lei^mutl^ 
uub  bie  SBoKenbung  vernünftiger  SebenSanfd^auung,  ber  ein  gu» 
weilen  an  @enie  ftreifenber  @d)arfbHdE  gur  Seite  ging.  SKon 
ergal^ll,  bafe  er  aU  gang  junger  SRann,  bei  einem  Slnlafe,  wo  febem 
Slnbem  ber  Sluöruf  überrafc^ten  @rftaunen§  entfd^Ifipft  wäre,  einer 
®ame,  bie  nod)  in  fpäteren  Salären  ftd)  baran  erinnerte,  ISd^elnb 
mit  „Dl^ ! "  entgegnete.  2)ie  Äleinigleit  ift  f d)on  wie  ber  erjie  Knfa^ 
gur  berül^mten  Sleufeerung  nad)  einem  jener  furd)tbaren  8luftritte  mit 
9ZapoIeon:  »Quel  dommage  qu'un  aussi  grand  homme  soit 
aussi  mal  eleve«.  SEaHe^ranb  erftaunte  über  nid^tS;  er  erfparte 
ftd)  unb  Slnbem  ben  SluSbrudf  einer  ftttlid)en  ©ntpönmg,  bie 
er  nid)t  empfanb,  blieb  gu  einer  Qdt,  wo  faft  g^bermami  ben 
Äopf  üerlor,  ein  fül^l  gefammelter  a3eobad)ter,  ber  unbeirrt 
fein  3*^1  i^  Sluge  bef)ielt  unb  barauf  gufd^ritt,  auf  frummen 
Söegen,  wenn  e§  nid)t  anberö  fein  fonnte,  burd^  ^rtttiQU^,  ®e« 
fal)r  unb  Komplotte,  wenn  eS  fein  mufete,  burd^  feine  moralifd^en 


0  Condorcet,  Memoires,  II,  329. 


SoUc^ronb.  427 

aScbcnlm  aufgcl^alten,  aber  andj  niemals  burd)  flcinliä)e  ©ttel* 
feit  Derleitet  ober  burd)  leichte  ©rfolge  getäufc^t.  @§  ift  un* 
geted^tferttgt,  wenn  fein  unerbittlid^er  Siid^ter,  @ainte==33euoe,  jtd^ 
gegen  bie  genjol^nte  35orjtd)t  gur  aeufeerung  l^tnreifeen  läfet,  auf 
tcm  Slnbenlen  öon  SEaKe^ranb  lafte  ber  SBerbac^t  bcr  SEI^eUnaljme 
am  Sob  öon  SWirabeau.  ®enug  ift  eö,  il^n  breigel^n  Saläre  fpäter 
mit  ber  9Kittt)iffenfd)aft  am  2Rorb  beö  ^ergogS  öon  ©ngl^ien 
belaften  gu  muffen^),  be§  ©id)tern)orteö  eingeben!:  »Ainsi  que 
la  vertu,  le  crime  a  ses  degr^s.c 

SaKe^ranb  wußte  üon  ber  Slnfd)ulbigung.  @r  l)at  fte  auf 
feine  Seife  abgelel^nt:  „S3eburfte  jemals  ein  gefd)idEter,  Iluger 
^enfc^  beS  aSerbred^enö?"  fagt  er.  ,2)a§  ift  baö  Slu§Iunft§= 
mittel  <)olitifd)er  SEioren.  2)a§  SSerbrec^en  gleid)t  ber  Sranbung. 
@ie  feiert  mieber  unb  überflutl^et.  3(^  ijatk  @d^tt)äd)en,  Einige 
fagen,  aud)  Saftcr;  ,mais  des  crimes?    Fi  donc'"^^^ 

©er  ©d^atten  beö  SSerbred^enö  rul^t  aber  bennod)  auf  bem 
f<)ätem  SaHe^ranb,  bem  be§  (5onfulat§  unb  beö  Äaiferreid)§. 
Sm  Sal^r  1789  mar  er  nid)t  bei  biefcm  fünfte  angelangt. 
Slber  er  arbeitete  bereits  im  ©roßen,  lümmerte  jtc^  nic^t  um 
bie  SKenge,  imponirte  ben  2Räd)ten  be§  SageS  unb  forgte  üor 
SIttem  bafür,  fte  gu  überbauem.  äud)  il^m  galten  bie  2Renfd)en 
ate  @d)ad)figuren,  aber  imt  mie  üiel  beffer  mußte  er  jte  in  33e* 
wegung  gu  fe^en  al§  fein  College  Sie^^S,  bem  fte  nur  leblofe 
gormein  barftellten.  Sa  gaiiette  mar  in  ber  großen  SSBelt  linfifd), 
fteif;  il^m  mar  nur  moI)l  in  ben  6lub§,  „mo  er  bie  Sbeen  Sin- 
berer  aufgreifen  lonnte"  ^),  ober  ben  ©egen  in  ber  ^anb,  an 
ber  @pi^e  feinet  SSolfö  in  Söaffen.  3:alle^ranb  bagegen  fonnte 
unmiberftel^lid^  liebenömürbig  fein,  meil  im  täglid)en  SSerfel^r 
tjon  gutmütl^iger  ©elaffenl^eit  unb  in  ber  Äunft  geübt,  nid)t 
nur  ben  grauen,  fonbern  aud^  ben  SJlännern  gu  gefallen.    Sm 


')  Sainte-Beuve,   Talleyrand,    Nouveaux   Lundis,   XII,    12.     Me 
neval,  Souvenirs,  III,  85. 

*)  Lamartine  bei  Marcellus,  Chateaubriand  et  son  temps,  145. 
^)  Rivarol,  Galerie  des  Etats-generaux,  Philarete  (La  Fayette). 


428  Sotte^ranb. 

gefcKigcn  3Serfel&r  üon  9ltemanbcm  übertroffcn,  maä)U  er  ffinf^^ 
unbbrei^igiäfirig  auf  SRiüarol  ben  6inbrudf,  bafe  H)m  SllleS  er* 
reic^bar  jei^).  3lte  SSerfaffer  ber  6al^terS  feiner  ©iocefe  war 
er  einer  ber  SEBenigen,  bie  nur  praftifd)=mö9Hd)c  3Sorfd)Idge 
brad^ten  unb  ber  beliebten  S^rdumereicn  einer  naiven  golbenen 
Seit  mit  leinent  3Bort  gebaditen^).  3Äit  SRedfcr  fd)on  lange  be» 
freunbet,  geprte  er  jum  intimften  ÄrciS  bcö  fc^wcbifd^en  ©e- 
lanbtfc^aft§l&6tel§,  xoai)xmb  33egief)ungen  anbcrer  8lrt  il^n  mit  ber 
Oräfin  Suffon,  bann  mit  ber  Oräfin  glaljautt  öerbanben.  3^ 
ber  Slffemblee  gälilte  er  unter  bem  ÄleruS  gu  ben  cntfd^Ioffcnfteu 
änl^ängern  be§  Sierö.  Sie  erlannte  eö  an,  inbcm  jtc  il^n  mit 
SJlounier,  6ice,  gall^,  ßlermont = Stonnerre,  Sl^apelier,  SBergaffe 
unb  ©ie^eg  am  14.  guli  in  ba§  6omit6  jur  SSorbcrcitung  ber 
Sonftitution  tt)äl)tte.  2ltö  bie  tüidjtige  grage  jur  ©ntfd^cibung  lam, 
ob  bie  3lufträge  ber  SBäl^ler  nad)  ben  ingmifc^en  eingetretenen 
(Sreigniffen  nod)  binbenb  für  il^re  ©elegirten  feien,  l^iett  ber 
S3ifc^of  üon  Slutun  feine  erfte  SRebe  gu  ©unften  DöKigcr  fjreil^eit 
be§  §anbeln§  für  jtd)  unb  feine  6oßegen.  SBaS  in  Segug 
barauf  befc^loffen  mürbe,  entfd^ieb  niä)t§  geringeres  ate  ben 
fünftigen  ®ang  ber  SReüolution.  ©enn  bie  SRanbate  öon  1789, 
bie  fogenannten  ^al^iersS,  beburften  infofern  einer  Stenberung, 
al^  biejenigen  beö  Äleruö  unb  beö  3lbel§,  bie  il^re  Slbgcorbneten 
in  ben  meiften  fjällen  gur  Slbftimmung  nad)  ©tänben  öcr<)Pid^» 
teten,  nunmel^r  gegenftanböIoS  gemorben  maren.  ©agegcn  be* 
gmecften  faft  aKe  Sal^ierö  ol^ne  SluSnal^me,  nid)t  ©c^wäcl^ung 
ober  gar  SBentid^tung  ber  2Ronard)ie,  fonbern  il^rc  Slcform. 
®emä§igte,  mie  3)?aIouet,  empfal^len  bal^er  SReöipon  ber  SKon« 
bäte,  infofern  eine  folc^e  gur  @id)erung  beS  Seftanbe«  ber 
®eneralftaaten  notl^menbig  mar.  3I)re  Slufl^cbung  ober  crfc^ien 
i^nen  fd)on  gleid^bebeutenb  mit  ©infül^rung  ber  3BittIürl^crrfd^aft*). 
Slber  nic^t  ber  Slntrag  üon  9!Äalouet,  fonbern  jener  üon  SaHe^« 


^)  Rivarol,  Galerie  des  Etats-g^D^raux,  Amene  (Talleyrand). 

2)  Sir  Henry  Lytton  Bulwer,  Talleyrand,  Tauchnitz  Edition,  24. 

^)  Malouet,  M^moires,  I,  299. 


2)cr  4.  Sluguft.  429 

ranb  brang  burd^,  unb  bic  üon  ben  erhaltenen  Aufträgen  nun* 
mcl^r  ööKig  emanciptrte  gonftituante  conftrutrte  bie  Stepublif. 

®ie  SRoHe  ber  greunbe  üon  grau  öon  Stael  am  4.  3luguft 
war  burc^  ba§  a3orf)ergel^enbe  int  SBorauö  beftimmt.  ®en  erften 
?lnftofe  ju  ben  SBorgängen  jener  benteürbigen  5Raä)t  gab  9iid)e= 
Hcu'S  erbe,  ber  ^erjog  uon  SliguiKon,  im  bretonifd)en  (5Iub, 
tt)o  er  3[blöfung  ber  geubalrec^te  öorfc^lug.  3n  ber  S5erfamm= 
lung  felbft  mar  e§  ber  SSicomte  be  9loaille^,  Sc^mager  öon  ga 
ga^ette,  ber  ben  breifad)en  Slntrag  auf  gleid)e  ®teueröert{)eilung, 
Slblöfung  aller  pefuniären  SRed^te  unb  Slbfd^affung  ber  Seib« 
eigenfd)aft  [teilte,  unb  bamit  bie  feierlid)e  ©anftion  öon  2lbel 
unb  Äleruö  gur  aSemici)tung  be§  S^eubalf^ftem^  forberte.  Ueber 
bicfeö  beftbefannte  ©reignife  ber  3ftet)olution  fci)meigen  bie  6on^ 
jtb^rationö,  aber  barüber  beftel^t  fein  3«>^if^lf  bafe  grau  t)on 
©taäl  ben  opferfreubigen  gntf)upa§muö  tf)eilte,  meld)er  in  biefer 
9iad)t,  ol^ne  Ueberlegung  unb  of)ne  Unterfc^eibung,  nic^t  nur 
ma§  tl^atfädjlid)  fd)on  öerloren  mar  ober  überl)aupt  nid)t  fort* 
gubeftel^en  Derbiente,  fonbern  auc^  mol)lbegrünbete  a3eji^red)te 
für  ungemiffe  6ntfd)äbigungen  preisgab.  S)er  Defonomift  ®u= 
pont  be  5Remour§,  einft  Surgof §  Sefretär,  mar  ber  eingige,  ber, 
ftaatSmännifc^e  ®ebanfen  fePaltenb,  öor  Steuerungen  t)on  un* 
beftimmter  SEragmeite  marnte,  Slufred)]^altung  ber  ®efe^e  unb 
SBieberl^erftellung  ber  Drbnung  empfaf)l.  2)em  „eleftrifdjen 
Strom",  ber  3llle§  ergriffen  ju  l)aben  fci^ien,  miberftanben  fonft, 
man  meife  eö,  nur  gmei  unter  ben  l^erüorragenben  SRitgliebern  ber 
SRationalöcrfammlung.  ©te^eö,  üon  Sanjuinaig  unterftü^t,  mollte 
ben  S^t)wt  ^^^  ®eiftlid)Ieit  nid)t  unterbrüdft,  fonbern  abgelöft 
miffen  unb  fanb  auf  ber  Sribüne,  unter  bem  ©inbrud  biefe^ 
offenen  3lngrip  auf  ben  Sep^  ba§  berül^mte  SBort:  „Sie  mollen 
frei  merben  unb  miffen  nid)t,  gered)t  ju  fein".  SKirabeau  feiner* 
feit§,  ber  feinem  Kollegen  jmar  bemerfte,  nad^bem  er  ben  Stier 
lo^gebunben  l^abe,  foMe  er  ftd)  nic^t  munbern,  menn  biefer  mit 
ben  Römern  ftofee,  l^atte,  öon  bem  ma§  ftd^  vorbereitete,  rec^t* 
geitig  in  Äenntni^  gefegt,  ber  ©t^ung  Dom  4.  Sluguft  gar  nid)t 


430  Üleder  übet*bte  f^tnanslage. 

bcigcwol^nt.  ©a§  le^tc  Qiü  berfclbcn,  Scgrünbung  bcr  @Iei(^ 
l^eit  burd)  Slufl^cbung  atlcr  @tanbeöuntcrfd)iebc,  t^ereitelte  er 
vorläufig  nod)  baburd),  baß  er  ben  aSorfd)Iag,  bic  Sl^renred^te 
be§  3[bel§  abjufd)affen,  Derioarf. 

©ic  näd)[te  Slufgabc,  ^acificirung  bcö  au^cr  Slanb  unb 
aSanb  geratl^enen  SanbcS,  „wo  bie  ®efc^e  ol^nc  Äraft,  bie 
Siic^tcr  oijm  Autorität,  bie  ®ered)tigleit  ein  blofeciS  ^^antom 
geworben  war"  ^),  gelang  fo  wenig,  ba^  Sficder  bic  ©cbatte 
über  bie  a3efd)Iüffe  üont  4.  Sluguft  unterbred)cn  muftte,  um  ber 
Slffemblee  jum  erften  "äRal  perfönlid)  über  bie  2agc  gu  berid|ten. 
©einer  eigenen  SJleinung  nad)  war,  wie  er  eö  auäbrfidft.  ba8 
DZooijiat  ber  .  ©elbftlojigfeit  burd)  ooHftänbige  Sftid^tbead^tung 
be§  öffentlid)en  SEBol^le^  eingeleitet  worbcn,  unb  baS  Stufgeben 
jo  oieler  9ied)te,  nid)t  nur  oon  (gtänbcn,  fonberu  auc^  ütm 
^roöinjen,  ©tobten  unb  Korporationen,  ol^ne  beftimmt  fcftgefe^te 
Snbemnitäten  ba§  Söerf  unl)eilbringenber  Uebcreilung  gen)efen*). 
3n  ber  Deffentlid^feit  aber  fprac^  er  nur  öon  ber  ©tocfung 
aller  ®efd)äfte,  ben  ©teueroerweigerungcn  unb  Stüdfi&nben,  ber 
Seere  bes  ©c^a^eS  unb  ber  9iot^wenbigfeit  einer  Sbtlei^e  bon 
breifeig  3)?illionen,  um  bie  bringenbften  3[uögaben  toäl^renb  ber 
gwei  9!Äonate  ju  beftreiten,  bie  9?ecfer,  wie  fo  SMclc  mit  i^m, 
als  junt  2lbfd)luB  ber  Slrbeiten  ber  SBerfammlung  genflgenb 
erad)tete.  SBäl^renb  ber  ^Debatte  über  biefen  SSorfd^lag  pel 
junt  er[teu  Sllal,  oom  SKarquiö  be  Sacofte  unb  Jllejcanbre  be 
Sametl^  in  Slnregung  gebrad)t,  bie  ©rol^ung,  bafe  bie  JCird^en« 
guter,  al^  ber  9iation  gef)örenb,  gur  Sefriebigung  ber  @taa.tS« 
gläubiger  Derwenbet  werben  follten.  3(leder'§  Stnleil^c  aber  fd^lug 
in  Solge  ber  S'^^rebuftion  burd)  bie  Slffemblee  öoUftänbig 
fel)l.  @r  würbe  barüber  franf,  weil  er  nid)t  nur  ^feinen 
^rieben  unb  feine  (äefunbl^eit,  fonbem  aud)  feinen  Sfhif  compro» 
mittirt,  baö  SBertrauen  oerloren,  ben  (Srebit  beö  ganbe«  nilnirt* 


')  SBcvic^t  bcS  Comite  des  rapports  an  bic  8lffcmbI6c,  öom  13.  Sfuguft  1789. 
2)  Neck  er,  De  la  Revolution   francaise,  IX,  267  unb  Troisifeme  Mi- 
nisti're,  VII,  G8. 


S)ic  aWcnWcnrcd^tc.  431 

fal^,  in  htm  fein  Sag  mcl)r  ol^ne  Unorbnungcu  unb  [traflofe  @m= 
^)önm9  gegen  ba^  ®efe^  oerlief  ^).  ©tefeö  öerliängnifeooKe  SRefuItat 
ll^reS  ©ingreifenö  in  bie  ^nanjüerwaltung  bewog  bie  affetnbl^c 
iaib  barauf,  ol^ne  weitere  ©d^iüierigfeiten  eine  Slnleil^e,  bteöntal 
t)on  80  SRillionen,  gu  bewilligen,  um  pd)  l^ierauf  ungeftört  Don  ber 
^oja  bcr  ®efd)äfte  ben  Slbftraftionen  juwenben  gu  fönnen. 

SSor  ber  (5on[titution  entwarf  jte,  nad)  SRiöarol  al^  »pre- 
face    inutile    d'un    livre     necessairec,    bie    ©rflärung    ber 
aRenfd^enred^te,  nad^  bem  SRufter  berjenigen,  bie  Sefferfon  1776 
t)er  Unabl^ongigfettöerflärung  auf  bem  (Songrefe  ju  5pi^ilabelpl^ta 
üotangefd^irft  l^atte,  unb  bie  er  für  ben  fflaöenl^altenben  Staat 
SSirginien  bei  geftfteKimg  feiner  SBerfaffung  auSfül^rlic^er  wiebcr* 
l^olte,  fo  bafe,  nadö  ber  Semerfung  eines  beutfc^en  ^iftoriferö, 
t)or  ber  ©efinition  feiner  Steckte  eine  ©efinition  be§  SKenfd^en 
felbft  notl^wcnbig  gewefen  wäre  2).    3efferfon  l^atte  bie  @runb= 
güge  bcrfelben,  infofem  fte  nid^t  allgemeine  menfd^liä)e  3SiaijX' 
l^citen  auSfprac^en,  üon  Sodfe  unb  feinem  @d)üler  3^an  gacqueö 
SRouffeau    entlelint.     @o    feierte    unter   frember  ßtiquette   ber 
tfunbamentalfa^  beS  ©ocialcontrafts,  bie  Seigre  üon  ber  @ou* 
öcränetät  be§  33olfö,  wieber  in  if)re  ^eimatl^  jurüdf.  2a  ^Jct^ette 
fiberliefe  feinem  Slnbern  bie  (gl^re  ber  Snitiatiüe  jur  SSerffinbigung 
ber  aRenfd)enreci)te,  bie  er  nic^t  nur  feinen  SanbSleuten,  fonbern 
bem  gangen  ®efd)leci)t  entgegenjubringen  gebad)te.  „3Bir  woKen", 
fagt  fein  gteunb  ^vopoxt,  „eine  ©rflärung  ber  SRec^te  für  alle 
9Kenfd)en,   aUe  Seiten,  alle  gänber,  ber  gefammten  9JJenfd)f)eit 
gum  33orbilb\    ©arauf  ijat  befanntlid)  SWaßet  bu  g5an  auf  bie 
aSorfdjrift  ber  5Räd)ftenliebe  im  (äöangelium  oerwiefen  unb  ©nei* 
fenau,  bie  SKäfeigung  anrufenb,  erwibert:  ,,begeiftre  ®u  ba§  menfd)*' 
lid^e  ®efc^led)t  für  feine  ^ßflic^t  guerft,  bann  für  fein  9ied)t!"  2Bo= 
gegen  felbft  SaHe^ranb  bieömal  feinen  Sribut  an  bie  %xa'\t  gal^lte 
unb  bie  9Äenfd^enred)te  „baS  ®efe^  beS  ©efe^gebers"  nannte^). 

*)  Necker,  Troisieme  Ministfere,  VII,  39. 

2)  iBcrnl&arbi,  ©eft^td^tc  SRuSIanbS,  II S  175. 

^)  Lanfrey,  Essai  sur  la  Revolution  fran^aise,  159. 

28* 


432  2)«  aKcnfd^cnrccfttc. 

®old)en  Slnfprfid)en  genüßte  btc  nod^  immer  auf  ganj 
realen  ©runblageu  fufeenbe  ^Definition  ber  SRcd^te  bt&  amerifa« 
nifd)en  ©taatsbürgerö  felb[tuer[tänbUd^  nid^t.  SBäl^renb  cS  bort 
n)te  in  ©nglanb  i^iftortfd)  begrünbete  Steilheiten  gegen  bic  Ueber* 
griffe  ber  Slutorität  ju  jtd^em  galt,  oerlor  man  jid^  in  Sranf* 
reic^  in  aKgemeine  Sä^e  unb  l^ätte  jtd^  l^erabjumürbigcn  ge^ 
glaubt,  tt)enn  man  bei  (Sonftruirung  ber  3«^nft  bie  3Sergangen«= 
l^eit  mit  gu  Slatl^  gejogen  f)dtte.  Sßad)  angelfäd^pfd^cr  Sluffaffun 
foKte  ba^  SKanbat  ber  [Regierung  befd)ränft,  nac^  franjöjtfd^e 
Sluölegung  gegen  bie  [Regierung  felbft,  »ie  gegen  eine  fcinbfelige 
ufurpatorifc^e  SRac^t,  bi§  jur  S3ernid)tung  alter  gefcpd^en  Sluto= 
rität  Dorgegangen  loerben.  ®ie  Sorliebe  für  bie  SEI^coric  wa 
ein  fo   l^erüorragenber  3ug   ber  3^it,   bafe  nid^t  weniger  al 


breißig  ^rojefte  bem  erften  ßntmurf  oon  Sa  j?a9ettc  folgten  ^)^ 
3toei   berfelben   öerlaffen   bie  üorgejeid)ncten  SBcgc.    2)ie  au 
metap]^^ftfd)en  Slbftraftionen   berul)enbe  ©rflärung   öon  ©ie^ 
unterfd^eibet  bod^  jtt)ifd)en  ben  bürgerlid^en  [Redeten,  auf  wcld^ 
SlHe    bie    gleid)en    Slnfprüd)e    l^aben,    unb    ben    l3oIitifdE)e 
SRect)ten,  bie  gugleid)  ^flid)ten  jtnb,  unb  nur  öon  ©enicnige 
ausgeübt  toerben  follen,  bie  mit  für  ben  Unterfialt  beS  @ange 
Sorge  tragen.    2)er  Stntrag  öon  ©regoire  oerlangtc,  mit   be 
ßrflärung   ber  [Redfite,   aud)   eine  2)efinition  ber  ^id^ten  be*-- 
Staatsbürger^  an  ber  ©pi^e  ber  SSerfaffung.    Slber  bcibc  SBor:s==^ 
fd)Iäge,   ber  öon  (Siemes   unb   ber  öon  ®regoire,  würben  ab*=^ 
gelefint  unb  n)ä£)renb  3Bod)en  glid)  bie  Sßerfammlung  einer  über' 
pf)iIoiopf)ifd)e  Probleme  bebattirenben  Slfabemie.   ©umont  unter 
Slnbem,  ber  al§  Stugengeuge  fprid^t,  erwähnt  btefer  ©iSfufponot: 
als    „einer  ^tit  töbtlid^er  gangeweile,   leerer  SBortfed^tercien,. 
metapf)9ftfd)en  ^lunberö  unb  feid)ten,  enblofen  ®efc^tt)ä|cj8" -)• 
Sind)  bei  grau  uon  Stael  fprid)t  ber  unmittelbare  ©inbrud  bt^ 

^)  Laboulaye,  Cours  de  legislation  comparee.  Revuö  des  cour» 
litteraires,  I8(i9,  567. 

-)  Lanzac  de  Laborie,  J.  J.  Mounier,  133 — 134.  Dumont,  Sou- 
venirs, 115  u.  ff. 


— r 


2)ic  aWcnfd^cnrcd^te.  433 

Erlebten,  wenn  jte  fc^reibt,  bafe  c§  beffer  getuefeu  ioärc,  ftatt 
0cfä]^rlid)cn  ©opl^iömen  ba^  gelb  einäuräumcn,  ftd)  auf  ba^  ju 
bcfd^rdnfen,  n)aö  nid)t  beftritten  njerben  fonnte.  „Site  bie 
9Rcnfd)cnred)te  Dor  bie  Sonftituante  gebrad')t  würben",  l^eifet  eö 
in  ben  ßonjtberatton^,  „mitten  unter  biefe  jungen  Seute,  üon 
weld^cn  fo  mand)e  Sag^  üorf)er  nod)  Höflinge  gewefen  toaxm, 
brad)ten  pe,  @iner  nad)  bem  Slnbem,  pf)iIofopf)ifc^e  $]^rafen 
auf  bie  Sribüne  unb  gefielen  jid)  in  fleinlid)en  Unter[c^eibungcn 
über  ben  3«'^^^  Don  (äemeinplä^en,  beren  3iid)tigfeit  fo  gn)eifel= 
lo§  »ar,  bafe  bie  einfac^ften  SBorte  in  allen  @prad)en  genügt 
l^ätten,  jte  wieberjugeben.  33on  ba  an  lie§  jid)  üorau§fef)en, 
bafe  ein  3Berf  lein  bauernbe§  fein  fonnte,  beffen  ftd)  ßitelfeit, 
Sriöolität  unb  «ßarteifuc^t  fo  fdjneU  bemächtigt  l&atten" '). 

als  ber  Stebeftrom  ftd)  enblic^  erfd)öpfte,  blieb  fo  jiem* 
lic^  bem  ®ebanfen  öon  SRouffeau  nad)  bem  SBortlaut  oon  Sa 
fja^ette  ber  Sieg:  Segrünbung  be§  grö§tmöglid)en  ®läcfe§ 
aller  ©ingeinen  ©nbgmecf  beö  Staate^,  aU  bem  3lu§brucl  einer 
SBerbinbung,  burc^  welche  ein  Seber,  inbem  er  fie  eingeigt,  bennod) 
nur  pc^  felbft  gef)ord)t  unb  fo  frei  bleibt  mie  guoor.  ©ang 
öbereinftimmenb  bamit  beginnt  aud)  Sa  ^a^ette  mit  bem  @a^ 
oon  ber  urfprfinglid^en  ^J^eil^eit  unb  ®leid)f)eit  aKer  9!Äenfd)en, 
ffigt  aber  fogleid)  l^inju,  fociale  Unterfi^iebe  fönnten  nur  auf 
baö  ©emeinmol^l  begrünbet  merben,  tooburd)  ej^  bie  aJlöglic^feit 
oon  (ginrid)tungen  nac^  ameri!anifd)em  SJlufter  gemalert  glaubte. 

©iefer  ©ebanfe  oermirflid)te  ftd)  nid)t.  3n  all  ben  oagen, 
il^m  meift  unoerftänblid)en  Definitionen  fud)te  ba§  SSolf  nac^ 
einem  greifbar  praftifd)en  SRefultat  unb  fanb  eö  im  aufgeftellten 
©runbfa^  be^  Stec^teö  ber  gmpörung  gegen  bie  ^Regierung,  too 
immer  e§  biefe  im  Unred^t  finbe. 

©elbft  a3entf)am,  bem  ebenf owenig  afö  Slouffeau  ^flid)ten 
be§  (ginjelnen  gegen  bie  ®efammt£)eit  ober  gegen  ben  Staat  al§ 
etl)ifd)en  Drgani§mu§   unb   aU   bem   Slu^brucf  einer   I)öf)eren 


0  Madame  de  Stael,  Considörations,  XII,  276—277. 


434  ®i«  ^erfaffung. 

Drbnung,  mit  noc^  ganj  auberen  Stotdm  aU  jenen  beö  inbU 
üibuellen  SBol^lergel^enS  bemufet  jtnb,  nennt  biejcn  ©runbfa^  ben 
©olc^  jur  Bewaffnung  ber  3nfurreftton  ^).    ©er   fd^wanfenben, 
öon  SaHq   unb  nod)   einbringlic^er  öon  9Rirabeau   gewarnten 
Slffemblee  oon  ben  3:ribunen  aufgebrungen^),  l^at  bie  ©rflärung 
ber  2Renfct)enred)te  btefen  SluSfprud)  beS  engnfd)en  ^l^ilofopl^en 
unmittelbar  nad^   il^rem  ©ntftelien  beftätigt.     ©en  erften,   atö 
i5lugfd)rift  bur^   ganj  $ari^   verbreiteten  SBorfd^Iag   öon  2a 
ga^ette  beantwortete  ber  Slufftanb  üom  13.  3uU  unb  bie  &^ 
ftürmung  ber  S3a[tille;   bie  bem  Äönig  abgenötl^igtc  ©anftion 
gab  er  am  SJlorgen  be§  5.  Dftober,  bem  legten,  ben  bie  9Ron» 
arc^ie  unter  bem  ©ac^  öon  aSerfaiKeg  in  fjrieben  aufleud^ten 
fal^.    Unb  um  baö  SRed^t  ber  ©mpörung  bem  fouöcränen  Sott 
in  feiner  SBeife  gu  fd)mdlem,  l^üllte  ber  fpätere  Safobiner  SJarlet 
bie  bleid)e  ©eftalt  be*3  9JJorbe§  in  bie  fc^fifeenbc  Formel,  öor 
ber  blutigen  5Rotl)tt)enbigfeit   „müßten  bie  9Renfd^ettred)tc  Der« 
fd^leiert  werben"  ^).  Seüor  biefeS  in  großartigem  SRafejtab  burd^ 
bie  9J{e^eleien  ber  Dftobertage  gefd)al^,  würbe  in  ber  äffemblec 
bie   grofee  3Serfaffung§fd^lad)t  gefdE)Iagen.    Sl^re   entfd^eibenbcn 
5IRomente  waren  in  ber  Srage,   ob  eine  ober  jwei  Äammem, 
unb  in  ber  33eftimmung  ber  Iöniglidt)en  2RadE)tbefugttiffc  gegeben. 
®a§  conftitutioneHe  Somitö  felbft  war  nid^t  einig,   ©ic  üRaiorltät, 
6ice,  ßrjbif d^of  ^öon  Sorbeau.r,  Satt^^SEoHenbal,  6Iermont*2i)n* 
nerre,  2Rounier  unb  Sergaffe  woKten,  wenn  aud^  nid^t  in  boDer 
Uebereinftimmuitg  über  bie  9!ÄitteI  jte  gu  begrünben,   fo  bod^ 
Mt  bie  gemäßigte  3)ionard)ie.    S^aKeqranb,  ©ieq^«,  E^opelier 
wollten  gleichfalls  bie  9!Äonard^ie,  aber  al§  dömocratie  royale 
gebadet.    2Rirabeau  allein  fal^,  bafe  btefer  SRonard^ie  fd^ott  bie 
Sebenöbebingungen  fel^lten,  obwoI)l  nod)  g^bermann,  felbft  SRobeS* 
pierre,  inbem  er  mit  ber  gangen  Sinlen  für  ben  SSerfaffungÄ* 
paragra^)l^en  ftimmte,   ber  bie  ^Regierung  fJranfretd^S  als  eine 


*)  Bentham,  Sophismes  anarcbiques,  frans.  Ucbcrfc^ung. 

-)  Taine,  Origines,  etc.    La  Revolution,  I,  123. 

•')  Mortimer-Ternaiix,  llistoire  de  la  Terreur,  II,  202. 


SWirabcau.  435 

itu)nard^i[d)c  bcjeidinctc,  jte  gu  wollen  öorgab.  SRirabeau  l^atte 
bcn  SWutl^,  bcr  Slffcmblee  gu  jagen,  entweber  werbe  jte  nie 
bie  frcmäöjtjdie  SBerjajjung  gu  ©tanbe  bringen  ober  50tittel 
finbctt  müfjcn,  ber  @?:e!uttöe  einige  5IRad)t  gurüdjugeben '). 
Kn  eine  ßonftitution  nad^  englijd)em  SRujter,  folglid)  an  eine 
^iröfammer,  war  nid)t  mel^r  gu  benfen.  9Zici)t  nur,  ba^  ber 
©tanb,  ben  jte  repräjentiren  joUte,  aufgel^ört  l^atte  gu  e?:ijtiren; 
bcr  Heine  3lbcl  üerbanb  jtc^,  um  bie  5ßairie  gu  oerwerfen, 
mit  ber  äufeerften  Sinfen.  ©elbjt  biejenigen,  bie  nod) 
immer  eine  jold)e  ©inrid^tung  tt)ünfd)ten,  burften  |te  nid)t 
mit  5ßamen  nennen,  Jonbern  mußten  jtd)  auf  ben  33orjd)lag 
cineg  (Senate  bejc^ränfen,  wie  5Wounier  il&n  gujammengeje^t 
wifjen  moKte;  auö  gweifiunbert,  allen  @(^id)ten  ber  SeDölferung 
entnommenen  SRitgliebern  bejtel^enb,  bie  guerft  üon  ben  ^ro* 
öincialüerjammlungen ,  bann  öon  ber  ©eputation  unb  bem 
Äonig  öorgejd^Iagen  unb  öon  il^m  auf  SebenSbauer  ernannt 
werben  jottten.  ©iejer  Senat  l^ätte  gegebenen  %a\it^  bie  Wi- 
nifter  gu  richten,  in  ßonfliften  gu  »ermitteln,  aKe  ©eje^e,  mit  2lu§* 
nal^mc  ber  Sinanggefe^e  unb  beö  Subget^,  wie  bie  gweite  Kammer 
gu  beratl^en  unb  gu  öotiren  gel)abt.  SRounier  fül^rte,  jcinem 
Programm  getreu,  baö  SBort  für  bie  9Ronard)ijd)=Sonjtitutionellen. 
©eine  ©ebanfen  über  bie  Sonjtitution  l^atte  er  bereite  @nbe 
3uli  in  einer  @d)rift  niebergelegt,  bie  ber  ^ijtorifer  Subwig  XVI. 
bie  bejte  politi jd)e  Srod^ure  üon  1789  nennt  2).  giäd)ft  bem 
Senat  öerlegt  SJlounier  ba§  ®egengewid)t  gegen  bie  übergroße 
SRac^t  ber  Sßerjammlung  in  eine  jtarfe  @;refutit)e,  wie  fortan 
bie  Ärone  genannt  wirb,  (gr  fiebert  bem  5Ronarc^en  ba§  3fted)t,  bie 
nationale  Vertretung,  wenn  i^m  bie^  notl)wenbig  jc^eint  gu 
verlegen  unb  jelbft,  unter  Sebingung  unmittelbar  barauf  tior= 


')  Droz,  Ilistoire  de  Louis  XVI.,  11,  427-428 

2)  Mouiiier,  Considerations  sur  la  gouvernement  et  particuliere- 
ment  sur  celui  qui  convient  k  la  France.  Laboulaye,  Cours  de  l^gislation 
comparee.  Revue  des  cours  litteraires,  1869,  632  u.  ff.  Lavergn e,  Les 
Monarchiens  de  la  Constituante,  Revue  des  Deux-Mondes  1842,  558  u.  ff. 


436  ^^  *«• 

;une^menber  5!euiDa^len,  ne  au^;ul5ien:  er  neriet^t  i^m  bas 
abiolute  Seto,  jene  föniglic^e  3anfrion,  o^ne  toelc^  fein  Se« 
frf)IuB  bcr  Sclfeperammlung  ©etefesfrah  erhält.  Sarin  unter« 
ftüfete  \i)n  Sülti).  bcr  am  3JtonteÄquicii  unb  feine  onglo^amerifa« 
ni'd)c  Schule.  Dor  allem  auf  ben  @enfer  Selobne  geftü^t,  ben 
Safe  roicber^olte,  ^einc  einjige  3Ra(^t  im  Staat  uniri>e  Slle^ 
tcric^Iingen,  ^roei  fic^  gcgenfeirig  befämpfen,  brei  bagegen  ftc^ 
im  ®Ieid)gemid)t  galten''.  — 

Ueber  biefe  Srage  bee  2?eto  brad)  ber  Sturm  Io§.  Sic^ 
fclbft  überlaffen,  mürbe  bie  Gonftituantc  bem  ^rojeft  Don  9Rou= 
nier  ^ugeftimmt  ^aben,  beun  bic  Siefultate  ber  geheimen  8lb« 
ftimmungen  marcn  ftete  ju  feinen  ©unften^).  allein  bie  Ser= 
fammlung  mar  längft  burd)  bie  Glubs,  mie  biefe  burd^  bie 
Straße  terrorifirt.  gür  jte  aber  fam  bit  ©efal^r  flrfS  unb 
immer  öon  Cben.  $!3aö  norf)  Dor  brei  SRonaten  ben  fu^nften 
SSünfc^en  als  ein  nic^t  ju  Dermirflid)enbe§  Sraumgebilbe  er* 
fc^ienen  mar,  bie  ungeheure  Goncefjton  an  bie  ©emofratic,  bie 
SKounier'ö  (Sntrourf , — jum  J^eit  gegen  feine  eigene,  beffere  Sinftd^t, 
—  burc^  21u6|d)IieBung  bes  ÄönigS  Don  jeber  S^ittötioe  bei  ber 
©efe^gebung  unb  burc^  bie  ber  5)eputirten  oom  3ßinifterium 
brad^te,  genügte  mieber  nic^t  mel^r.  afö  SRaUet  bu  ^an 
im  3Kercure  bafür  eintrat  unb  meitere  SBefpred^ungen  bicfeS 
Gonftitutionsentmurfö  in  2lu6|tc^t  [teilte,  erfrf)ienen  oier  mit 
^iftolen  Semaffnete  bei  if)m  unb  erflärten,  ate  abgefanbte  ber 
^Patrioten  beö  Calais  roi)al,  in  biefem  gaU  fein  geben  für  Der* 
mirtt.  3n  $ariö  circulirten  ^roffriptionsliften  gegen  „bie  SSer« 
rät^er",  mie  bie  anpnger  ber  gemäßigten  SWonard^ie  Don  ben 
9fiet)räfentanten  ber  SSolföfouöeränetät  bejeid^net  mürben.  ®ie 
2Ronar(t)ifcl)  -  ßoitftitutionetten  in  ber  23erfammlung  erl^ietten 
©rol^briefe,  bie  if)nen  ben  23erlu[t  i^rer  3Kanbate  unb  l^ierauf 
gerid^tlid)e  SSerfolgung  in  Sluöftd^t  [teilten,  anonyme  3wfd)riften 
bebrol^ten  bie  3lnf)änger  bes  3Seto,  unter  anbern  ben  bamaligen 


0  Lanzac  de  Laborie,  J.  J.  Mounier,  173  u.  ff. 


©uport.  437 

ßräftbcntcn,  Sifd)of  wn  gangre^  „mit  einer  befferen  ©r^ 
cud^tung"  burdt)  3lnjünben  il^rer  @d)Iöffer  unb  SBol^njt^e. 
Der  Brctonifc^e  (Slub,  Sarnaöe,  Sllej:anber  be  Sametl^,  Sa 
Jadeite,  cntfd^ieben  jtd^  gletd)faU§  gegen  bie  Sl^eorien  öon 
Diounicr  imb  feiner  iJ^eunbe.  9JJan  lub  il^n  511  ßonferenjen, 
)ic  gum  %i)tH  in  ^t^tx^on'^  $au§  ftattfanben  unb  tt)o,  fagt 
rtcfer,  „in  ber  SBeife  öon  Pato,  3£enopf)on  unb  ßicero  biöfutirt 
Durbc".  „Um  be§  8^rieben§  2BiUen",  unb,  wie  er  gleid^  bar= 
mf  l^njufügt,  „bamit  bie  Slri[to!ratie  il^re  ^läne  nid)t  burd)- 
cfec^,  erflärte  jtd^  Sa  %at)ttk  ju  einem  ßompromife  unter  ber 
Bebingung  bereit,  bafe  [tatt  be§  abfoluten  ein  blofe  fuö:penftöeö 
Bcto  gegeben  merbe,  mie  SSarnaöe  unb  ^etion  e§  erfonnen 
latten,  unb  meld^eö  ber  Äönig  wäl^renb  jwjei  ober  brei  auf= 
inanberfolgenben  ßegiölaturperioben  in  Slnwjenbung  bringen 
onnte.  Sei  3ufommenfe^ung  eineö  burd^  ba^  SSoIf  ju  maJ^Ien^ 
)cn  füat^t^  ber  Slelteften  foHte  er  bagegen  nid^tS  ju  fagen 
laben  ^).  SSerfd^ieben  bat»on  lautet  ba§  Ultimatum,  »eld^eö 
Ibrien  2)nport,  üon  bem  e§  l^iefe,  n)a§  er  benfe,  fage  Sarnaöe 
mb  tl)ue  gametl^,  im  Flamen  feiner  greunbe  an  ÜKounier 
id)tete.  @r  öer:pflid^tete  fid^  barin,  mit  il^nen  für  baö  abfolute 
Seto  unb  bie  Qualität  ber  SBolfsöertretung  gu  ftimmen,  tt)enn 
(Rounier  feinerfeit^  öerfpred)en  woHe,  bem  Äönig  fein  Sluf* 
öfungöred^t,  bem  (Senat  nur  ein  fu^penjtöeö  SSeto  unb  ber 
Ration  bie  Serufung  üon  ßonüentionen  jur  SReöifton  ber  SSer- 
öffw"9  jw  geben.  SJlounier  mieS  ben  SBorfc^Iag  jurüd.  ©einer 
Icberjeugung  nac^  tvav  bie  äufeerfte  ®renje  ber  Si^Ö^ftänbniffe 
rreie^t;  jebeö  tt)eitere  9^ad)geben  erfd)ien  il^m  alö  SSefeftigung 
►eS  2)eöpoti§mu§  ber  SSerfammlung  unb  al§  ber  9iuin  ber 
freil^cit^).  §ftod^  f onnte  er  i^offen,  bafe  bie  ^Kajorität  ber  6on= 
tituante  il^m  3fied)t  geben  merbe.  Sie  tiatte  am  8.  September 
►ie  5ßermanenj  be§  gefe^gebenben  Äörperö  ootirt.    Sllö  jeboc^ 


')  Jeffersoii,Complete  Works,  1,105.  La Fayette,  Memoires,  111,203. 
2)  Mounier,    Rapport  ä  ses  Commettants  bei  Thiers,    Histoire  de  la 
Devolution  francaise,  I,  dlok,  406  —  408. 


438  S'JicbcrIage  bct  3J?onard&ifc§»(SonftitutioncIIcn. 

am  10.  September  über  bie  g^rage,  ob  eine  ober  gwet  Äammern, 
abgeftimmt  tourbe,  fet)Iten  490  t»on  1200  2)eputtrten.  23on  ben 
Slntoefenben  erflärten  noc^  122  Jid)  ju  wenig  übet  ben  @egcn* 
ftanb  unterrid^tet,  um  fxij  ju  einer  SReimmg  ju  Derpfüd^tcn, 
unb  fo  blieben  89  SJiänner,  bie  ben  ÜKut^  fanben,  für  eine 
2:t)eilung  ber  nationalen  Vertretung  ju  [timmen.  ©er  3fieft  ber 
SKonard^if d^ = ßonftitutionetten  bedte  feine  S^al^nenpud^t  mit  bcm 
orafelfiaften  unb  ba^er  um  fo  n)ir!fameren  SluSfprud^  Don 
Siabaub  @aint*@tienne,  einö  unb  ungetf)eilt  wie  bie  5Ration 
muffe  aud)  il^re  9ftepräfentation  fein,  unb  bie  monard)ifd^c  SRed^te, 
bie  nod^  ben  Sluöfdjlag  geben  fonnte,  befolgte  gum  erften  SJial 
bie  öerl^ängniBOofle  Saftif,  „mit  bem  ^einb  jufammen  gu  opcriren, 
um  eine  Slenberung  ber  Situation  burc^  Steigerung  berfelbcn 
bi§  ju  xi)xm  äufeerften  Sonfequensen  ]^erbeijufül)ren".  9Äit 
23egrünbung  be§  S^^if^J^^^erf^ftemS ,  meinte  einer  ber  @timm= 
füf)rer  ber  9led)ten,  2lbbe  2Raur^,  fönne  aud^  bie  SSerfaffung 
bauern,  unb  ba^  muffe  um  jeben  ^reiö  oerl^inbert  werben.  ®ie 
egalitären  ßeibenfd^aften  ber  ßinfen  über f) orten  bie  SBamung, 
bie  fold)e  SBorte  für  fte  entl^ielten,  unb  ben  3ftanffincn  ber 
Slriftofratie  entfprad)en  fie  ooHenbö  nur  ju  fel^r^). 

3lu§  ber  3Sereinf amung ,  bie  eine  t)erfef)lte  Staltif  um  tl^n 
gefd^affen  l^atte,  fonnte  5fleder  bie  5Rieberlage  feiner  ^olittl 
unb  ba^  t)ergeblid)e  ^Ringen  il^rer  3Sertl)eibiger  überblidEen.  Qvoax 
ftanben  3}tänner  oon  ber  Ueberjeugung^treue  eines  STOalouct, 
23ergaffe  ober  SSirieu  bi§  an§  (gnbe  ju  üRounier.  Slber  SInbere 
fagten,  wie  iene§  SRitglieb  ber  9fted)ten,  gu  gaUq^Sottcnbal: 
„Sotten  wir  etwa  unfere  SBeiber  unb  Äinber  l^infd)lad)tcn 
laffen?''  unb  liefeen  fid)  unter  bem  (Sinbrurf  ber  Snöeftiöen  ber 
ßamitte  ®e§moulin^,  Souftalot  unb  SRarat  üon  ber  Slngft,  unb 
ntd)t  mel^r  oon  ber  Ueberjeugung,  beftimmen.  SBieber  3tabere 
lodte  ber  (Sl^rgeij  ober  ber  SBunfd),  jwifd^en  ben  ^Parteien  gu 
oermitteln.    23arnaPe  l)atte  längft  ftc^  öon  SKounier  getrennt 

^)  Madarae  de  Stael,  Considerations,  XII,  300.  Ferrieres,  M^- 
moires  11,  122.    Lanzac  de  Laborie,  J.  J.  Mounier,  168. 


92eder  für  baS  fuSpenftt^e  ^eto.  439 

unb  bcr  Junge  3Ratl^icu  bc  SKontmorenc^  folgte  Sa  ^a^ette. 
®ie  grofee  ©d^ar  ©erienigcn,  bie  in  Jcber  23erfammlung  t>on 
einem  Smpul§  ober  einem  ©rfolg  fxä)  beftimmen  laffen,  loäre 
nod^  bure^  ben  einen  ober  ben  anbern  ju  gewinnen  gewefen,  al§ 
ber  3iatl^  Sledfer'ö  ben  Sluöfd^Iag  gab,  inbem  er  ben  Äönig  auf* 
forberte,  t>a^  abfolute  SSeto  prei^jugeben.  SBeil  er  nic^t  mel^r 
an  bie  ^Jlöglid^feit  e§  burd^gufüi)ren  geglaubt  l^abe,  fc^rieb  er 
fpäter  jur  3fiec^tfertigung  feiner  ^anblung^meife  in  Segug  auf 
biefen  $unft,  ^abe  er  toenigftenö  ba^  fuöpenfioe  23eto  nod^ 
retten  moHcn^).  33on  ben  ®rünben,  bie  er  bamalS  gu  ®unften 
beiSfelben  anfül^rte,  i)at  nic^t  einer  bie  ^robe  ber  (grfal^rung  be* 
jtanben.  %nx  ben  9JJinifter  aber  ging  bie  le^te  ©elegenl^eit, 
mit  @l)ren  gu  fallen,  verloren,  ©eine  Slbjtd^t,  bie  2)enffd)rift 
an  t>m  Äönig,  welche  feinen  @tanb:punft  entwirfelte,  gur  Äennt* 
nife  ber  ©eputirten  gu  bringen,  fc^eiterte  an  ber  Steigerung 
berfelben,  if)m  baö  SBort  gu  geben,  unb  eö  räd^te  ftd^  noc^  ein* 
mal  ber  3!Kangel  jeber  SSerbinbung  gwifc^en  bem  3Kinifter  unb 
ben  ©eputirten.  Sllö  am  näd)ften  Sag,  11.  September,  ah^^ 
geftimmt  würbe,  erl^ielt  baö  abfolute  2Seto  blofe  mel)r  325 
Stimmen  unb  mit  673  Stimmen  würbe  baö  fuöpenftöe  Sßeto 
angenommen.  Sagö  oorl^er  l^atte  3Jiirabeau  ben  Senat  oer* 
worfen;  nun  ftimmte  er  mit  ber  3Kinorität.  SBie  an  jenem 
16.  3uni,  alö  er  bie  3lf|emblee  ^atte  oerl^inbern  moHen,  jtd^ 
gut  Slationaloerfammlung  gu  erflären,  proteftirte  er  je^t  gegen 
ben  ©ebanfen,  ben  Souoerän  gum  erften  Seamten  einer  9ie* 
publif  umgumanbeln,  ftatt  bei  if)m,  alö  SBertreter  unb  33er= 
t^eibiger  ber  Station,  Sc^u^  gegen  bie  Uebergriffe  einer  33er=' 
fammlung  gu  finben,  bereu  Ufurpation  ber  SÄad^t  feben 
Slugenblid  bie  einer  faum  gerftörten  Slriftofratie  überbieten 
lönne.  äll*3  er  nid)t  burc^brang,  prop^egei^te  er  bie  Sin* 
arci^ie,   unb    al§    il^re    golge    ben    3)e§potiömu§  2) ,    wä^renb 


')  Neck  er,  Troisieme  Minist^jre,  VII,  48. 

-)  Mirabeau,    Courrier    de  Provence,   nouveau    coup    d'oeil    sur    la 
sanction  royale,  Septembre  1789. 


440  9J2ounieT. 

Stereo  jebcö  Sßeto  eine  gegen  bie  Nation  gerid)tete  lettre  de 
cachet  nannte  unb  burd)  eine  neue,  fiinftlid^e  Sonftruirung  ber 
ßegiSlatiDe  biefe  gegen  ftd)  felbft  fd)ü^en  »oute,  ©er  $lan 
fanb  bamafö  feine  Sead^tnng,  lebte  aber  in  ber  ©onftitution 
Dom  3al)r  VIII  lieber  auf.  ?Jiounier,  ber  tt)äl)renb  ber  31b* 
ftimmung  Don  SSanf  gu  San!  geeilt  war,  um  bcn  SJhitl^  ber 
©einigen  angufeuern,  unb  gegen  bm  ©top  inS  ^erg,  ben  Slcder 
feiner  Partei  öerfefete,  bie  Dergmeifelte  (äegenwel^r  t)erjud)te,  j|ebc 
(Sinmifd^ung  be§  Äönigö  in  bie  Sefd)Iüf|e  einer  conftituiren« 
ben  S>erfammlung  aU  unge[e^Iid)  gurüdfgumeifen,  betrachtete  bie 
9ZieberIage,  ba  fte  bennod^  erfolgte,  als  ba^  waS  pe  xoax,  afe 
eine  enbgtiltige.  §ftod)  am  felben  Sag  fd)ieb  er  mit  SaH^« 
SoHenbal,  Sergaffe  unb  ßlermont^Sonnerre  au§  bem  aSerfaffungS« 
comite.  „Stlfo",  fd^rieb  SRiöarol  in  ben  actes  des  apötres,  mit 
bem  @d)arfblirf,  ber  il)m  niemals  fe()lte,  menn  e§  ftd^  um  SDingc, 
nid)t  um  ^erfonen  ()anbelte,  „warb  im  (September  1789  bie 
franjöfifdjc  5Jtonard)ie  (ob  enbgültig  ober  nur  jeittoeilig,  fönnen 
mir  nod)  nic^t  fagen),  aufgel)oben,  nad^bem  fte  im  Sal^r  420 
d)ri[tlid)er  3^itr^d)nung  gegrünbet  morben  unb  öiergel^nl^unbcrt 
3af)re  l)inburd)  bie  oerfd)iebenften  ©d^id'fale  erlebt  l^atte.  an* 
fangS  föniglid)c  9)?ilitärari[tofratie,  bann  mel^r  ober  weniger 
unumfd)ränfte  5Ronard)ie,  ift  jte  je^t  gur  ©emofratie,  mit  einer 
Ärone  im  2iSappenfd)ilb  geworben^'.  ßaUg  rief  ber  SSerfamm» 
lung  gu,  e§  fei  ß^it,  ben  ©d^leier  gu  lüften  unb  ben  gefäl^rbeten 
S£l)ron  gu  t)ertl)eibigen.  @o  blieb,  nad)  btn  energifd^en  SGBorten 
ber  grau  üon  @tael,  „ber  Äönig,  entwaffnet  unb  aUcln  einer 
Station  oon  24  SJiillionen  9[)lenfd)cn  gegenübergefteßt,  unb  ftatt 
als  a3efd)ä^er  i^rer  9ied)te  unb  5reif)eiten,  als  beren  gefäl^r* 
lid)fter  geinb  erflärt.  .  .  .  ©ie  Sßerfammlung  l^atte  eine  ©on» 
ftitution  combinirt,  wie  man  einen  ÄriegSplan  entwirft.  Stuf 
biefen  einen  Srrtl^um  ftnb  alle  anberen  guriid'gufüiiren''  ^).  Slud^ 
baS  war  ber  Sogif  ber  S;l)atfac^en  entfpred^enb,   bafe  bem  gu 

')  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  310—311. 


Die  ginananotl^.  441 

Sbobtn  geworfenen  geinb  bie  ©emütfitflung  nid^t  erfpart  würbe. 
Samaöe  war  eö,  ber  bie  3l|fembl^e  öeranlafete,  bem  (Souverän 
\>a&  SBeto  er[t  nac^  SewiHtgung  ber  S)efrete  üom  4.  Sluguft  ju= 
gugeftel^en.  ©ann,  nac^bem  and)  bie[e§  gewährt  worbeu  war, 
brad^te  92edfer  am  24.  (September  ber  3Serfammlung  bie 
®ä)xtdtnSbot\äia\t ,  bafe  bie  Slnleif)en  eine  nacl)  ber  anbern  ge= 
fä)eitert  feien,  weil  bie  ©laubiger  be§  franjöfifd)en  ©taateS, 
uncttlpfänglid^  für  bie  oratorifd)en  Seiftungen  ber  ©eputirten, 
©arantien  verlangten,  bie  ber  Sftinifter  nid)t  mel^r  gewäf)ren 
lonnte,  unb  weil  bie  Seitung  ber  ganjen  3fiegierung§mafd)ine  mef)r 
unb  mel^r  an  bie  SBerfammlung ,  ol^ne  beren  S^iw^^^i^^Ö  fd)on 
md)t§  mel^r  gefd^el^en  burfte,  übergegangen  war  ^).  @o  bafe, 
nad^  bem  unt>erbä(t)tigen  S^^Ö^^fe  ^^^^^  Sarere,  iji^anfreid^  »ä 
coups  de  d^crets«,  Don  einer  jugleid)  beliberirenben  unb  ab^ 
miniftrirenben,  üon  aßifetrauen  gegen  ia^^  SJfinifterium  erfüllten 
aSerfammlung  regiert  würbe,  beren  fd)reibfelige  @inmtfd)ung  in 
bie  gange  Verwaltung  er  nid)t  beffer  begeid^nen  ju  fönnen 
glaubte,  aU  inbem  er  jte  »un  gouvernement  plumitif«  nannte 2). 
3n  biefer  SHotl^lage  fd)lug  5Recfer  öor,  ein  aSiertel  beö  gefammten 
©inlommenö  in  patriotifd)er  Eingebung  bem  ©taatöfd^a^  gur 
SSerffigung  gu  fteUen,  benn  ber  (Srebit  fei  erfd^öpft,  unb  ber  Äönig 
woHe,  ba^  bie  ganje  SBal^rl^eit  gefagt  werbe  ^).  3)ie  ©eputirten 
gauberten  üor  ber  Sllternatiüe  beö  Sanferott§  unb  ber  3lotl)= 
wenbigfeit,  bem  SSolfe,  bem  fte  fo  oft  unb  feierlid)  33ermin= 
berung  aUer  feiner  Saften  öerfprod)en  l^atten,  nun  plö^lid)  ein 
fold)e§  Dpfer  aufzuerlegen.  ®a  erl^ob  jtd)  SJtirabeau  unb  fe^tc 
in  einer  ber  benfwürbigften  unb  ooUenbetften  feiner  SReben  bie  Sln^ 
nal^me  oon  9lecfer'ö  2}orfd)lag  burd).  ^rau  oon  ©tael  ergäf)lt, 
wie  jte  il^n  an  jenem  Sag  breimal  auf  ber  3fiebnerbül)ne 
fal^  unb  wie  gwei  ©tunben  lang  feine  wunberbare  S3erebfamfeit 


^)  Madame  de  Stael,  Considdrations,  XII,  310-311  u.  321. 

2)  Barere,  Memoires,  I,  318-319. 

^)  Neck  er,  Troisieme  Ministere,  VII,  83. 


442  SKtrabcau  fpric^t  für  9<c(fcr'8  S3otf(§Ia0. 

bic  .&örcr  in  Sltl^ent  l^iclt.  Sic  fud^t  ein  Silb  baöon  ju  geben, 
aber  fte  brid^t  mit  einem  ßitat  im  Sournal  be  $ari«  ab: 
„2Ba§  märe  e§  erft,  l^ättet  if|r  baö  Ungel^euer  mit  Singen  ge« 
feigen!"  „^an  mnfete  nod)  nid^t",  fd^Iiefet  jte  auf  SKirabeau'S 
©d^ilberung  beö  allgemeinen  9iuin§  jurüdCgreifenb,  „bi8  ju 
»eld^em  Uebermafe  öon  ©lenb  eine  Station  ben  Sanferott,  bie 
^ungerönotf),  SRaffenmorbe,  ba§  Sd^affot,  ben  Sürgerlrieg,  ben 
Ärieg  nac^  Slufeen  unb  bie  S^rannei  ertragen  lann.  ®a8 
blofee  33ilb,  baö  SRirabeau  baöon  entwarf,  genügte  bamatö,  um 
jurud'iuf(t)recfen"  *). 

SRorriö  fagt,  ba^  %xa\x  üon  ©tael  an  jenem  SEag  bereit 
war,  ber  Haltung  öon  SRirabeau  nid^t  nur  Sewunberung,  fon* 
bern  auc^  S)anf  bafür  ju  äoHen,  ba§  er  „t>on  ber  ungcl^curen 
Popularität"  if)re§  SSaterö,  „al§  bem  Sol^n  eminenter  SSerbienftc, 
langer  (Srfal)rung  unb  au^erorbentlic^enSSerftänbniffeS  beS  f^inang* 
wefenö"  gefpro^en  tjatte^).  —  9Kan  fragte  jtd^  bamate  in  ber 
ßonftituante,  ob  9lecfer  nun  bod)  enblid^  feinen  gemoltigcn 
©egner  „Qmonmn",  baö  l^ei^t  beftod^en  l^abe,  ober  fprad^  bte 
fpäter  aud)  oon  grau  öon  @tae(  getl^eilte  3lnftä)t  auS,  er  l^obe 
i^n  unter  ber  ©röfee  ber  SSerantmortung,  mit  tt)eld)er  er  il^n 
belaftete,  nur  um  fo  fd^netter  erftidfen  wollen.  Äeine  ber  beiben 
a3ermutl)ungen  erwieö  ftc^  alö  begrfinbet.  3Rirabeau  fül^Ite  fld^ 
mächtig  genug  um  3ledEer  gered)t  gu  werben,  befonberiS  ba  er 
wufete,  bafe  e§  eine  £eid)enrebe  mar,  bie  er  il^m  l)ielt. 

Um  fo  weniger  fonnte  9Jiirabeau  je^t,  wo  er  felbft  balb 
JU  regieren  badete,  aUe  ^Regierung  unmöglid^  mad^en  woUen. 
aSon  jenem  Sag  batirt  feine  eigentlid^e  ^errfc^aft  über  bte  S8er» 
fammlung,  bie  nad)  langem  Sträuben,  ftd)  nun  bod)  cnbltd^  ber 
9Rad)t  feinet  Sßorteö  ergab,  ^n  ber  ®unft  ber  SJienge  l^atte 
er  feinen  anbern  Sftioalen  alö  Sa  S^i^ette,  ber  an  ber  ©pifee  ber 
einzigen,  in  g^ranfreid^  nod)  wirflid)  oorl)anbenen  SSHaäji  ftel^enb, 


^)  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  315. 
-)  Jared  Sparks,  Gouverneur  Morris,  I,  324. 


Sntrifluen  bcr  Parteien.  443 

fidb  um  [o  mcl^r  ber  Säufd^ung  Ijingab,  bafe  er  bamit  aud)  bie 
Sage  bel)errjd^e,  ba  SaillQ,  ber  3!Katre  üon  ^ariö,  il^m  bie 
etgentlid^e  Scitung  ber  ^oltjei  unb  bamit  bie  Slufftd)t  über  bie 
^ouptftabt,  Sßerfailleö,  ben  ^of  unb  bie  aSerfammlung  überliefe. 
SBäl^renb  biefer  SBod^en  bänbigte  er  mit  ^ülfe  be§  ©emeinbe* 
ratlos  bie  Demagogen  beö  $alai§  ro^al  unb  l^ielt  fd)einbar  bie 
orleaniftifd^en  Umtriebe  nieber,  für  bie  unter  Slnbern  ©anton 
bamalö  als  be^al^lter  Slgent  jenfeits  ber  ©eine  agitirte^).  ©er 
momentane  ©tillftanb  mar  aber  feiner  S3efferung  ber  Sage, 
fonbem  nur  ben  in  ßonflift  geratl)enen  Sntriguen  gugufd)reiben. 
2)er  ^erjog  t>on  Drleanö,  unb  noc^  mel^r  aU  biefer  mutl^lofe 
aSerfd)mörer,  bie  Partei,  bie  jtc^  feiner  bemäd^tigt  l^atte^),  red^» 
ncten  auf  ein  3Serbred)en,  um  f\ä)  bann  ber  erlebigten  ©ouöe- 
ränetät  unter  irgenb  einem  5>iamen  ^u  bemäd^tigen.  Sa  g^a^ette 
ging  nic^t  fo  meit;  er  moUte  ben  Äönig  nad^  ^ariS  bringen, 
um  bort  mie  über  ein  SBerfjeug,  über  if)n  verfügen  ju  fönnen^). 
gür  bie  SReöolution  aber  ging  aud^  biefe  Spanne  2^\i  nid)t 
Derloren.  Sa  %at)ütc,  ber  an  ber  ©pi^e  feiner  Sürgermeljr 
©d^aren  öon  ßmpörern  jerftreute,  bie  fd^on  in  ben  Sagen  ber 
©iölufjtonen  über  baö  SSeto  nad)  SSerfailleg  giel^en  njoHten, 
forberte  am  8.  ©eptentber  bie  ^arifer  Kommune  auf,  eine  3ie= 
form  ber  ßriminaljuftiii  öon  ber  SSerfammlung  gu  begel^ren  unb 
als  biefelbe  nid)t  fd)nell  genug  erfolgte,  fe^te  er  eö  burd),  ba^ 
injmifd^en  bie  Sluöfül^rung  aller  bereits  gefällten  Urtt)eile  fuS* 
penbirt  mürbe*).  (SS  mar  ^t\t,  an  bie  @id)erl^eit  beS  ÄönigS 
unb  ber  ©einen  ju  benfen.  „SlHeS  ift  öerloren",  fagte  ba-- 
malS  fd)on  9Jlirabeau  ju  feinem  greunb  be  la  SJiardf,  „ber 
Äönig  unb  bie  Königin  merben  barüber  iix  ®runbe  gelten 
unb  ber  ^öbel  mirb  il^re  Seid)en  peitfd^en^'.     »Oui,  on  battra 

»)  ©^bcl,  ©efd^id^te  bcr  g^tcöoluttonöaeit,  I,  89. 

2)  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  308—309. 

^}  Necker,  De  la  Revolution  francaise,  IX,  275.  Bt)hel,  ©cfd^td^tc 
ber  8flcöoIution§3cit,  I,  98. 

•*)  La  Fayelte,  Momoires,  II,  294  —  296.  Droz,  Histoire  de 
Louis  XVI.,  II,  451. 


444  Grfteö  &Iud^tptoje!t  für  bic  föntöUc^e  Samilie. 

leurs  cadavres!«  iDteberl)oIte  er,  bcn  ©inbrudf  n)a]^rnc]^men&, 
ben  feine  SBorte  t)erDorriefen  ^).  ®a5  erfte  ^roieft  jur  S^Iud^t 
tarn  an  bie  Äonigin.  @ie  foKte  mit  i^ren  Äinbem  nad^  b^n 
SRieberlanben '-).  Um  bie  SRitte  September  gaben  mel^rere  gc^ 
mäßigte  3)eputirte,  Don  btn  SRiniftern  3!Kontmoritt  unb  la  Sugerne 
nnterftii^t,  beut  Äönig  ben  fRatij,  mit  ber  Slffemblöe  naif 
©oiffon^  ober  6om:piegne  jtd)  j^nrüdfiugiefien  unb  baburd^  ber 
gefa]^rbrol)enben  9MI)e  t)on  ^ari§  ju  entgel)en^).  gubwig  XVI. 
gab  ftd)  über  feine  perfönHd)e  Sage  !aum  einer  Stäufd^ung  l^in. 
.^atte  er  bod)  fd)on  am  17.  guli,  beüor  er  ftd)  nad)  $ariS  auf« 
@tabtl^aii§  begab,  fein  Seftament  unb  feine  9ied)nun8  mit  bem 
$immel  gemad)t,  meil  er  niebergeme^elt  ju  »erben  glaubte*). 
Slber  2lngefid)t^  ber  ®efat)r  befafe  er  jenen  pafftoen  SJhitl^,  ber, 
xotnn  er  mit  Sljatfraft  vereint  gemefen  wäre,  il^n  gerettet  l^aben 
tt)ürbe.  §ftedfer  ergäp,  bajj  ber  Äönig  einfd)Iief  ober  jU  fd^Iafen 
öorgab,  alö  biefer  aSorfd)lag  jur  Slnd)t  juerft  im  SRintfterrat^ 
gemad)t  würbe.  6r  felbft  befürmortete  ein  fold^eö  5ßroieft  mä)t, 
toeil,  fagte  er,  im  ganjen  Sanbe  5lotl^,  Slufrul^r  unb  Unftd^crl^eit 
l)errfd)ten  unb  überbie^  ben  föniglid)en  Äaffen  fein  ®elb  jur 
SSerfügung  ftanb.  Sereitö  ßnbe  Sluguft  l^atte  SSreteuH  für  bic 
föniglid)e  5«»tilic  3Re^,  mo  23ouitte  mit  feinen  Sntppen  ftanb, 
alö  3wPwd[)t^ö^^t  t)orfd)Iagen  laffen.  Sa  ga^ette,  als  er  baöon 
l)örte,  ermiberte,  and)  bort  lebten  Patrioten;  im  äufeerften  ^att 
fei  eö  beffcr,  bajj  (Siner  für  SlUe  ftürbe^).  3n  biefem  SEBibcr« 
ftreit  oon  Pänen  unb  Slbftd)ten  begnügte  ftd)  ber  $of  burd^ 
ben  energifd)ften  unter  5Rerfer'ö  ßoUegen,  ben  ®rafen  Saint» 
^rieft,  ben  (StabtratI)  uon  SBerfaideio  gu  öeranlaffen,  er  möge 
jum  ^ä)n^   gegen    broftenbe  Unrul)en  ba^  [Regiment  ^Icinbem 


0  Bacourt,  Oorrespondance  eiitre  Mirabeau  et  do  la  Marck,  I,  112. 
-)  Wertheimer,  Dociimeiits  inedits.     Revue  historique,  II,  1884. 
=^)  Malouet,  Memoires,  I,  339.  Droz,  Ilistoire  de  Louis  XVI.,  II,  470. 
■*)  Taino,  Origines,  etc.    La  Revolution,  I,  65. 
^)  Thiers,    Ilistoire    de    la    Revolution   frani^aise,    I,    109.     Pi&ces 
justificatives,  ^lotc  8,  409. 


8an!ett  bei  @arbed  bit  cotpS  in  iBerfdUed.  445 

<uid  ©ouai  bortl^in  berufen.  6s  »aren  il)rer  etwa  taufcnb 
IDlonn,  unb  uorauSgefe^t,  bafe  jte  überliaupt  lo^al  blieben,  l^ättcn 
ite  audb  im  gfinftigfien  %aU  ni(i)t§  SBefentlid^cö  au^jurid)ten 
l)cnm)d)t.  ©aS  ©d^idffal  aber  l^atte  beftimntt,  bafe  jte  auf  eine 
anbere  Slrt  ben  SluSfd^lag  geben  foHten.  @ö  folgte  ba^  S3anfett 
im  ffl^eaterfaal  öon  SSerfailleö  gu  6i)ren  ber  Dffigiere  beö  3ie= 
gimcntS,  t>a^  ©rjd^einen  ber  Königin,  bann  beS  Äönigö,  bie 
SJerti^cilung  ber  »eifeen  Äofarbe  im  ©egenfa^  ju  jener,  welche 
ber  SWonard)  am  17.  guni  angenommen  l)atte,  bie  begeifterten 
Döationen  für  bie  föniglic^e  gamilie,  Jene  ganje,  unöorjtci^tige 
aber  \o  letd)t  erflärlid^e  @cene,  auö  weld^er  bie  in  ben  ©taub 
getretene  SJlonard^ie  Sroft  in  unerl)örter  ©emütl^igung  unb  if)re 
Slnl^ftnger  in  ber  9lotl^  ©elegenl^eit  jur  Sleufeerung  t>on  (äefül^Ien 
fanben,  loelci^e  ©efal^r  unb  S3ebrängnife  abelten.  SBittfommener 
ttod^  als  bem  $of  biefe  Äunbgebung  ber  go^alität,  mar  ben 
6lubS  t>on  $ari§  ein  SSorgang,  meld^er  ba§  Qexä^m  jum  Sluf* 
rul^r  merben  fonnte.  S)ie  (Srnte  aud^  biejeS  Sal^reS  mar 
nid^t  gut  unb  uberbieö  nod^  nid^t  gu  SJiarft  gebrad^t.  5Re(fer 
fud)te  ber  Stl^euerung  burd^  ©etreibeläufe,  befonberS  in  ßnglanb 
öorjubeugen  unb  e§  gelang  il^m  aud^,  bie  23erppegung,  menig= 
flcttiS  Don  ^ariS  felbft,  fomeit  ju  ftd^ern,  ba^  bie  Srobpreife 
eine  mäßige  ^öl^e  nid^t  überftiegen  ^).  3)a§  aber  fonnte  er  nid)t 
öcrl^inbem,  ba§  eine  3Kaf|e  öon  40,000  l^eimatl^Iofen  SSagabun* 
ben  in  5ßari§  in  Ermangelung  etne§  @rmerb§  auf  ben  Umfturg 
warteten,  unb  ba^  5)iarat  i^nen  im  Publlciste  parisien  fd)ilberte, 
wie  bie  Siegierung  ba§  inlänbifd)e  ©etreibe  auöftil^re  unb  \i)nm 
bafür  „um  ©olbeömertt)  auö  bem  Sluölanb  bejogeneö  vergiftetes 
»rob  oerfaufe'' 2).  aiS  bie  5Radt)rtd^t  oom  SSanfett  in  Sßer^ 
faiHeS  in  ber  ^auptftabt  befannt  mürbe,  erf)ob  jtd)  ber  SRuf, 
es  bereite  ftd^  bie  SBerfd^mörung  ber  ßontre^^^ieDoIution.  ®er 
Idngft  öorl^anbene  Safe   gegen    bie  Äönigin  fd)lug  in   t)eHen 


')  ©Jjbcl,  ©cfd^td^te  ber  aReöolutionSsett,  I,  95,  9loit. 
2)  Hat  in,   Histoire   du   Journal    en   France,    bei   Laboulaye,   loc. 
cit.  653. 

Slcnnerbajfett,  Srau  ton  ©tael.  I.  29 


446  9flütfn)tr!ung  btefeS  S^organgd  auf  ^ortö. 

^ylammcn  auf;  felbft  unter  fogenanntcn  ©cBilbcten  mad^tc  ba 
fürc^tcrli(t)c  3Bi^n)ort  bie  SRunbe,  „um  %xanivexä)  ju  retten 
bebürfe  eö  eineö  3Jiarfd)aa§  Surenne  (tue-Reine)"  i).  ©ic  ffi 
befd)impft  erflärte  patriotifd)e  Äofarbe  geigte  \iä)  überall;  @e 
rüd^te  üon  einer  beabjtd^tigten  g-Iud^t  beS  ÄönigS  unb  bcr  ©ein 


begannen  laut  gu  luerben.    Unterbeffen,  am  SJiorgcn  be«  5.  01=^ 
tober,  gelangte  bie  vorläufige  föniglid)e  SiHigung  ber  ©ctret^ 
oom  4.  Sluguft  unb  ber  ©rflärung  ber  SJlenfe^enred^te  an  bi^ 
SSerfammlung.    ®od)  fnüpfte   ber  Äönig  feine  enbgfiltige  Qu- 
ftimmung  an  bie  SSebingung,  bafe  juerft  bie  Sonftitution  öoff- 
enbet  unb  ba^  barin  bie  Siedete  ber  6j:efutioe  genügenb  gcwal^r 
mürben.    SwQl^id)  forberte  er  bie  SSerfammlung  bringenb  au 
nid^t,    toie  fte  e§   eben  jU  ti)un  unternol^m,   ben  ©ang  b 
Suftij  in  einem  Slugenblid'  gu  unterbred^en,   wo  bie  Slutoritft  "i 
toeber   9Jiad^t    genug   beft^e,    bie    Steuern   eingutreiben    nodö 
überlö^iupt  bie  Drbnung   aufred)t  gu  erl^alten  unb   baS  SanS? 
gu  oerprooiantiren.    3m  Streit,  ber  ftc^  über  biefe  ebenfo  ge* 
mäßigten    al§    oernünftigen  S3emerfungen  er^ob,   l^atte  foeben 
SRirabeau  gegen  3tobe§pierre  baö  SBort  ergriffen,  al8  i^m  bie 
9lad)rid)t  gufam,  bafe,  oorläufig  burd^  eine  @d)ar  öon  Sanbiten 
unb   tt)ütf)enben  Sßeibern  re:präfentirt,    „^ariS   auf   SSerfailfaS 
marfd)ire".    Slm  SRorgen  biefe§  Sagö  I)atte  in  einigen  äßädcr* 
laben  ber  .^auptftabt  ba§  S3rob  gefep  unb  ber  SKufftanb  burc^ 
SSefi^nal^ute  beö  @tabtl^aufe§  öon  Seiten  ber  ©mpörer  begonnen. 
Sener  2:f)eil  ber  3lationalgarbe,  ben  bie  aufrül^rerifd^en  @arbed 
fran?aifeö  bilbeten,  erflärte  il^rem  ©eneral  Sa  ija^ette,  auf  baS 
l^ungembe  SBolf  nid)t  fc^iefeen  gu  fönnen.    ©iefer  felbft  ücrl^ln* 
berte  bie  gum  2öiberftanb  bereite,  unbefolbete  Sürgergarbe  il^r 
äJori^aben  auögufü^ren,  unb  e^  ift  ertoiefen,   ba^  ber  Siuf  „ber 
Äönig   nad)  ^ariö",   ber  ben  ©reigniffen  am  folgenben  Sag, 
bem  6.  Dftober,  bie  entfd)eibenbe  SJBenbung  gab,  üon  ©olbatcn 
üon  Sa  S^agette  erl^oben  iourbe^). 

0  Droz,  Ilistoire  de  Louis  XVI.,  III,  19. 

2)  (Bvihtl,  ©cfd^id^te  bcr  9lcüorutionö3cit,  I,  98—99  u.  104—105. 


S)ie  Oltobertage.  447 

So  begann  bcr  gug  nad)  aSerfaiHcS,  „um  ben  Äönig  t>on 
bcr  SIriftofratic  ju  befreien  unb  Srob  für  ba§  l)ungembe  3SoIf 
gu  verlangen''.  S)ie  2lrt  unb  2öeife,  wie  Sa  ga^ette  mit  [einer 
bewaffneten  SSRai^t  ju  folgen  jtd^  entf(I)lo6,  ift  gu  (I)arafteriftifä), 
um  nid^t  erwal^nt  gu  werben. 

6S  mar  an  jenem  5.  Dftober  etwa  9lad^mittag§  4  Ul^r. 
@cit  ©onnemSlufgang  ertönten  bie  ©turmgloden  unb  jogen  bie 
©d^aren  aus  ben  23orftäbten  unter  bem  9iuf:  nad)  SBerf aiHeiS ! 
tiad)  aSerfaiHeö !  an  Sa  ga^ette,  beffen  g^fll^rerfd^aft  jte  begel^rten, 
öorüber.  6r  mar  gu  ^ferb,  am  Ouai  de  la  Greve,  an  ber 
@pi^e  feiner  SSataiUone.  ©tunbenlang  betrad^tete  er  jtd^  ben 
9Jlcnf (i^enftrom ,  ba§  ftürmifd^e  9ftufen  unb  ©rängen  beöfelben 
ft^elnbar  nid)t  htacifknb  ober  unter  allerlei  @d)eingrünben  ab* 
lel^nenb.  35a  trat  ein  junger  SJiann  au§  ben  SReil^en,  :padfte 
fecn  QuqA  be§  $ferbe§  öon  Sa  ga^ette  unb  fagte  gu  il^m: 
^SJlein  ©eneral,  biö  je^t  l^^ben  Sie  un§  befel^ligt,  jefet  aber  ift 
€§  an  uns,  Sie  gu  fül^ren".  ©inen  Slugenblidf  f:päter,  unb  ber 
fo  lange  öergeblid^  erwartete  Sefe^l:  aSorwärtS!  war  gegeben^). 

3n  aSerf aiHeö  l^atte  ÜKtrabeau  bem  ^räftbenten  ber  9lational« 
Derfammlung,  bamatö  gerabe  2Rounier,  9lad)rid^t  öon  bem  beöor* 
ftel^enben  Eintreffen  ber  ^arifer  ©d^aren  mit  ber  3lufforberung 
inö  Dl^r  gepftert,  bie  ©i^ung  unüergüglid^  aufgul^eben  unb 
im  @d)Io6  9lad^rid^t  gu  geben.  Sllö  er  3Kounier  unbeweglid^ 
bleiben  fal^,  würbe  er  bringenber  unb  fprad)  öon  l^öd^fter  ®e* 
fal^r,  aud^  für  bie  ©eputirten.  @§  war  eine  jener  ©tunben, 
wo  nid^t  bie  geiftige  Ueberlegenl^eit,  fonbem  ber  ß^arafter  ent* 
fd^eibet.  „Sefto  beffer",  entgegnete  SJiounier,  „wenn  jteunöSlIle 
l^ier  finben  unb  tobten,  aber  wol^l  üerftanben,  Me.  ®ie  ®efd^äfte 
ber  SRepublif  werben  bann  um  fo  beffer  gel)en"  ^).  3)er  ^Jauft 
ber  9iet>oIution  fanb  nid^tö  gu  erwibern  unb  ber  6.  Dftober  begann. 


^)Sainte-Beuve,  La  Fayette.  Portraits  litteraires,  II,  141.  9Zad^ 
htm  münblic^en  S3erid^t  eines  betl^etltgt  getoefencn  ÜfJationalgarbiften. 

2)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.,  III,  32.  Dareste,  Histoire  de 
France,  VII,  200.    Lanzac  de  Laborie,  J.  J.  Mounier,  212—213. 

29* 


448  Setid^t  ber  aonrtb^rationS  über  ben  6.  DItober. 

grau  t)o\\  ©tael  l^af  bicfcn  Sag  miterlebt. 

Site  jte  bcö  ÜKorgenö  crful^r,  xoa^  ftd^  uorbereitete,  eilte  jle 
t>ott  $ari§  auf  abgelegeucn  ©trafen  gu  il^ren  ßltem  nad^  aScr^ 
faittc^.    2luf  bcm  32Bcge  bal^iu  begegnete  fie  ba^  Sctobgef ol^^  ^ 
beö  Äönig§,  ber  au§  ben  fjorften  öon  SJieubon  in  atl^emlofe^'^ 
@ile  jurüd  in§  @(I)lo6  berufen  worben  war.   SflS  aud^  Pc  bo^:^  ^ 
eintraf,  war  5Recfer  mit  bem  3Konarc^en.    S^re  SKutter  fanb  f^^^ 
in  einem  ber  SSorfäle,  bie  ju  ben  fönigti^en  ©emä^em  füJ^rter«  :sn, 
in  töbtlid)er  Slngft  um  ben  ®atten,  aber  fein  SooS  gu  tl^cilen  ent-jr^MxX' 
fd^loffen.    5Rit  grau  üon  ©tael  trafen  gal)lreid^e  anbere  ^Pcrfone-  ^  :Mt^ 
nad)  unb  nad^  in  SSerfaiUeö  ein.    Spät  am  Slad^mittag  Iar:Ä'-«3nn 
SÄoumer,   um  fel^r  gegen  bie  eigene  Uebergeugung  üom  Mni^^^^i 
5Ramen!§  ber  SSerfammlung  bie  unbebingte  ©anftion  ber  SWenfd^eti  -»  i*«* 
redete  gu  verlangen,  g^rau  öon  @taet ,  ben  Umftanb  ergd^lenfci  ^^^ 
bemerlt,  ba%  nic^tö  fo  fel^r  ben  ßorn  ber  grangofen  errege,  alr  IT  ^l^ 
SSerfuc^e  bcö  2ßiber[tanb!§  Don  Seiten  ber  ©d^mad^en,  unb  baf^  ^ 
anbererfeitö  bie  @en)of)nl)eit  ein  foIcl)e§  Sebürfnife  nad)  ber  be^^ 
ftänbigen  3ntert)ention  beö  ©ouöeränö  bei  i^nen  gurüdCgelaffci=^ 
l^abe,  bafe  jte  fällig  gewefen  mären,  feine  Suftimmung  gur  5Be   ^ 
grünbung  ber  JRepublif  eingul^olen. 

3n  ben  23orgimmern  öon  SSerfaißeö  bisfutirte  man  um  fie 
l^er,  ob  ber  Äönig  fliel)en  ober  bleiben,  ob  er  ftd^  gur  SBel^r 
fe^en  ober  in  eine  ^roöing  gurüdfgiel^en  foHe.  ©pdtere  Sendete 
unb  gorfdjungen  über  biefe  ßreigniffe  l)aben  bie  Angabe  öon 
Srau  Don  ©tael  beftätigt,  ba^  unter  ben  SRiniftem  6lc6,  SKonb 
morin  unb  9?ecfer  gur  2lnnaf)me  beö  33orfc^lag§  Don  2a  ffa^cttc 
neigten,  ber  Äönig  möge  fortan  in  ber  ^auptftabt  repbiren. 
@aint=$rieft  allein  rietl^  gur  glud)t  nad^  SfiambouiUct  unb  er« 
Härte,  menn  Submig  XVI.  fid^  na^  ^ari§  bringen  laffe,  feine 
Ärone  für  Derloren.  „S)aö  ift  ein  fRatt),  ber  Sinnen  ben  Jto|)f 
loften  fann^',  ermiberte  if)m  Stecfer^).    3Kan  ergäl^lte  ftc^  in  ber 


*)  S^bel,  ©cfc^id^tc  ber  SReüoIutionSacit,  1,98.    Ducbesse  de  Tour- 
zel,  M^moires,  I,  8. 


f&tti^t  bet  6:onftberationd  übet  ben  6.  Oltober.  449 

Umgebung  bcS  iJönigiS,  er  »eigere  ftd)  ju  fliel)cu,  weil  er  bie 
©ewifel^eit  l^abe,  bafe  bie  5RationaIöcrjammlung  il^n  burd^  ben 
^ergog  üon  Orleans  erfe^cn  »oHe,  eine  Scfürd^tung,  bie  f?rau 
öon  Stael  webcr  bamalö  nod^  fpater  für  begrünbct  i^ielt.  2luc^ 
tpar  pe  ber  Uebergeugung ,  bafe  fclbft  ein  militärifc^er  6rfoIg, 
töärc  ein  fole^er  überl^au:pt  nod^  ntöglid)  gewefen,  ben  Äönig 
ttid^t  mel)r  gerettet  ptte,  fo  öollftänbig  war  Sltteö  öom  reuo= 
luttonären  ©eift  ergriffen.  @o  l^arrte  man  benn,  ol)ne  einen 
(Stttfd^lufe  gu  faffen,  auf  ba^  nal^enbe  SBerberben,  blidfte  auö  ben 
tJenjtem  nad^  ber  bem  @d)Io§  gegenfiberliegenben  großen  3lüenue 
unb  fagte  ftc^  wie  wn  bort  au§  bie  erften  Äanonenfd^üffe  thm 
nad)  bem  ©aal  geri(I)tet  werben  würben,  in  weld^em  man  jtd^ 
bcfanb.  „Slber,  obwol^I  ba^  ©efü^I  ber  Slngft  allgemein  war, 
bad)te  boä)  nici^t  eine  S^rau  baran,  ftd^  gu  entfernen".  Um 
brel  Ul^r  waren  bie  erften  3Beiberl^orben  in  bie  Slffemblee  ge* 
brungen,  unb  e§  fpielten  jtc^  bie  befanntcn  Sluftritte  im  ©d^lofe* 
i^of  üon  aSerfaißeS  ab,  aU  SJionfteur  be  ß^inon,  ber  fpätere 
^ergog  t>on  SRid^elieu,  bleid),  in  jerriffenen  Äleibem,  jum  erften 
9Ral  ol^ne  Seobad^tung  irgenb  einer  ©tiquette,  bie  föniglid^en 
©cmad^er  betrat.  (Sr  l^atte  ftd^  bem  tobenben  ^öbel  in  ber 
^auptftabt  angefd^loffen,  um  ftd^  über  feine  ^lane  gu  unter= 
tid^ten,  unb  war  il^m  bann  auf  l)albem  SBeg  nad^  SSerfaiHeS 
üorangeeilt,  um  ber  föniglid^en  S^amilie  9lad^rid^t  ju  bringen, 
©eine  ©d^ilberung  beffen,  voa^  ju  erwarten  ftanb,  Hang  ent^ 
fc^lidf).  ®ie  grauen,  fagte  er,  feien  no^  mcl^r  t>om  SBein 
als  üon  wütl)enber  Seibenfd^aft  trunfen,  bie  3!Känner  bie  ^efe 
bt^  aSolfö,  bie  jtd^  begangener  aßorbtfiaten  rüf)mten  unb  fte 
nod^  gu  übertreffen  Derfprad^en.  ^nbeffen  ftieg  bie  Slngft 
mit  ber  ]^ereinbre(t)enben  S)unfcl^eit  unb  ben  jtd^  ftetö  wiber* 
fpred)enben  5Rad^ric^ten  üon  Slufeen,  bi§  enblid^  bie  Äunbe 
öom  Eintreffen  üon  Sa  S^agette  unb  ber  3lationalgarbe  um  11  Ul&r 
SlbenbS  jtc^  wie  eine  [Rcttung^botfd^aft  verbreitete,  g^rau  üon 
©tael  fal)  ben  ©eneral  auf  bem  SBeg  gum  Äönig,  öon  allen 
©eiten  umringt  unb  mit  iJ^agen  beftürmt,  alö  ob  er,  fagt  fte, 


450  äSert^t  ber  aonftb^raHonS  über  ben  6.  Oltobec 

nod)  ^crr  bcr  Situation  gctücfcn  fei,  unb  nid^t  fd)on  baiS  SBoW 
jtd^  [eine«  S^ül^rerS  bemäd^tigt  i^dttc.    „6r  fal^  rul^ig  au§,  wie 
immer'',  fügt  jtc  l^inju.    Site  er  au§  ben  ©emäd^ern  be«  ÄönigiS 
wieberf eierte ,  l^ob  er  burc^  bie  bünbigften  a8erpci)erungen  ben 
SSRntf)  ber  Slnwefenben  fo  öoUftänbig,  bafe  nad^  unb  nad^,  ßcßctt 
gjiitternac^t,  aUeS  ftd^  äurüctjog  unb  bie  ©efal^r  fd^on  bcS]^aI£> 
für  überwunben  l^ielt,  »eil  bie  bi§  gum  Sleufecrftcn  crfdt)öpft 
Äräfte  bm  SDienft  öerfagten  ^).  @o  begann  jene  SRad)t ,  btc  nodE 
immer  unübertroffen  in  ber  ®efd)id^te  ber  9ieöoIutioncn  bajtcl^ 
unb  beren  tragifd^e  ®efd)id^te  ba§  Urtl^eil  unöerföl&nlid^er  ©cgne 
in  ben  SBorten  gufammengefafet  l^at:  »Monsieur  de  La  Fayett 
a   dormi   contre   son   roi«.     „®eneral   SRorpl^cuS",    fpottet' 
3fiiöaroI,  al§  ba§  erfte  ©ntfe^en  übenounben  war.    Slud^  %xa 
t>on  @tael  l^atte  ftd^  enblid^  mit  il^ren  6Item  gurfirifgcjogcn  un 
fd^Iafen  gelegt.    Slm  näc^ften  5)iorgen,   in  aller  ffrfil^e,   wedft' 
jte  ba§  ©rfd^einen  ber  bejal^rten  9Jiutter  beS  ©rafen  ßl^otfeuCT 
©ouffier,  bie,  obwol^l  if)r  perfönlid^  unbefannt,  jte  um  3lcttun 
anjuflel^en  fam.    aSon  il^r  juerft  erful^r  jte  ba^  hereinbreche 
ber  Sorben  in  ben  Äönigöpalaft  burd^  einen  unbeje^t  gebttcbencrr 
©ingang,  bie  §ftieberme^lung  ber  föniglid^en  geibgarbcn,  unb  xoie 
bie  Äönigin  burd^  einen  blofeen  Qn^aVi  bem  gleid^en  ©d^idffal  cnt^ 
gangen  war.    9lad^bem  S^au  oon  ©tael  jtc^  rafd^  in  bie  JMeiber 
gett3orfen  tiatte,  fam  man  il^r  ju  jagen,  ba^  §Redfer  bereit«  jum 
SKonard^en  geeilt  fei,  unb  il^re  2Rutter  jtd)  anfd^idfe,  il^m  ju  folgen. 
S)ie  föniglid^en  ©emäd^er  ftanben,  mie  fd)on  bcmerft,  burd^  eittcn 
langen   6orribor  mit  bem  Sontröle  gäneral  in   SSerbinbung. 
i5rau  t)on  @tael,  aU  jie  biejen  burc^eilte,  l^örte  in  ben  ^ßfen  bie 
?flintenfd)üffe  frad^en.    3«  ^^^  grofeen  ©aUerie  waren  überall 
Slutfpuren   jtd^tbar;    im   anftofeenben   ©aal    fratcmijirten  in 
l^öd^fter  ©rregung  ßeibgarbiften   mit    ben  ®arbe5  fran?atfc«, 
taufd^ten  if)re  Äofarben,  unb  riefen:  eS  lebe  Sa  ffa^ette!  »51^' 


0  Lanzac  de  Laborie,  J.  J.  Mounier,  222 — 223  unb  Expos6  de  la 
conduite  de  M.  Mounier,  69-92. 


S3cri(^t  bcr  ßonfiberotionS  übet  ben  6.  £)!tobcr.      •  451 

rcttb  bicfcr  fclbft  baS  Sebcn  ber  bem  Slutbab  @ntronnencn 
öor  btm  $ö6cl  gu  fd^ü^cn  fudtitc.  aSom  näd^ften  @aal  au§  fal^ 
unb  l^örtc  man  bic  3Rcngc  l^culen,  fd^reicn,  ©d^üffe  abfeuern 
unb  bcn  9lamen  ber  ÄiJnigin  rufen.  S)a  plöl^Iid^  öffneten  pd^ 
bic  SPren  eine^  ©eitengemad^S  unb  jte  erfd^ien,  ba^  ,§aar  in 
Mnorbnung,  tobtenbleid^,  aber  roürbig,  „eine  ßrfd^einung,  ganj 
bagu  angetl^an  bie  6inbilbung§fraft  ber  5Renfd)en  gu  padEen". 
Sic  i^örte  wie  ba§  SBoIf  brausen,  im  fogenannten  5Rarmorl)of, 
nadö  il^r  verlangte.  S)ie  TOönner  waren  alle  bewaffnet;  bie 
meiften  öon  il)nen  fül^rten  ^iftolen  ober  ©ewel^re.  3n  il^ren 
3ügen  fonnte  man  waö  SÄarie  3lntoinette  befürd)ten  mufete 
lefen.  3lber  bennod^  trat  jte,  il^re  beiben  Äinber  an  ber  $anb, 
auf  ben  Slltan. 

2)ie  @cene,  bie  nun  folgte,  ift  taufenb  9!Jfal  befd^rieben 
werben;  jte  l^at  |)iftorifer  unb  3)id^ter,  Soqaliften  unb  SRepubli^ 
lauer  begeiftert.  9lid^t§  aber  erfe^t  ben  (äinbrucf  unmittelbarer 
Slugenjeugen,  bie,  wie  g^rau  öon  @tael,  bie  töbtlid^e  32Butl^  biefer 
ÜBenge  erft.in  lautlofeö  ©taunen,  bann  in  ftürmifd^e  Sewunbe* 
rung  übergel)en  fallen,  ©erabe  gu  jener  3^tt  waren  bie 
Segiel^ungen  gwifd^en  Sieder  unb  £a  ?5aqette  bie  beften,  unb 
fowo^l  g^rau  öon  @tael  aU  i^x  äJater  bemül^en  jtd^,  il^n  oon 
jcber  @d)ulb  an  ben  @reigniffen  ber  Dftobertage  freigufpred^en  ^), 
wäl^renb  jte  beibe  feinen  ®runb  liatten,  ba^  3Serl)alten  ber  Königin 
il^nen  gegenüber  gu  rülimen.  2Die  ©eelenftärfe  aber,  weld[)e  biefe 
au  jenem  SUiorgen  entfaltete,  wirfte  fo  überwältigenb,  audt)  auf 
5rau  Don  @tael,  ba^  jte  ber  SRoHe  öon  Sa  g^aqette  babei  mit 
feinem  SBort  gebenft.  Sie  ergäf)lt  nur,  bafe  bie  Königin,  in 
ben  @aal  gurüdfgetreten,  auf  3Kabame  9?eder  guging  unb  mit 
öon  2:l)ränen  erftidfter  Stimme  gu  il^r  fagte:  „@ie  wollen  ben 
Äönig  unb  mid^  gur  SRüdftel^r  nad^  ^ari^  gwingen  unb  bie 
Äö^jfe  unferer  treuen  ®arben  auf  \f)xm  ^ifen  oor  un§  l^er» 
tragen". 

^)  Necker,  De  la  Revolution  fran^aise,  IX,  273.  Madame  de 
Stael,  Considerations   XII,  341. 


452  9)2ounter  betlägt  bte  SBetfammlung. 

SBäl^renb  ber  Scid^enjug  bcr  3Ronarci^ic  pd^  einige  ©tunbe 
fpäter  nad)  bcr  ^auptftabt  bewegte,  erreid^te  grau  öon  ©ta 
mit  ben  Si^rigen  ^ariö  auf  bem  fürjeren  SESeg,  ber  burc^  ba 
35ouIogner  §olg  füf)rte.  @§  toar,  fagt  jte,  ein  tounberöottcS  SEBette 
fein  Süftc^en  regte  ftd^,  unb  ber  SlHeS  öergolbenbe  ©onnengia 
liefe   ben   ®egenfa|i   gwifc^en  biefer  lac^enben  9latur  unb  be 
©ejd^el^enen  nod)  greller  erfd^einen.    21m  näd^ftcn  SEag  fal^  ft 
bie  Königin  mieber.    Sie  empfing  baS  biplomatifd^e  6orp8  unE 
bie  ^erfonen  be§  |)of§  in  ben  Suilerien,  bie  für  i^re  Slufnal^m 
fo  wenig  eingerid^tet  waren,  ba^  man  fjelbbetten  für  bie  Knig 
lid)en  Äinber  im  6nipfang§faal  anfgefd)lagen  l^attc.    S)ie  Äö 
nigin   öerfnd^te  ju   fpred^en,   fonnte   aber  oor  ©d^lud^gen  M: 
SBort  l^eröorbringen,    „unb  feines   üon  unö",   fagt  grau  öo 
@tael,  „war  im  ©tanbe,  \i)X  ein  SEßort  gu  erwibem.    3^  i 
fd)önen  300^«  mifd)te  ftc^  mit  bem  ©c^merg  ein  gontiger  Mn 
mutl).    SBer  fte  fo  gefelien  l^at,  fonnte  pe  nie  wiebcr  Dcrgeffen" 

S)ie  3Ritglieber  ber  föniglic^en   ^Jamilie  waren  nid^t  bi 
einjigen   burd)   ben   ^öbel    gemad^ten   ©efangenen.     SBierge^ 
Stage  fpäter  folgte  tl)nen  bie  9lationaberfammlung  nad^  $ariS  , 
bie,    „nad)bem   jte    burd^    ba^   SBolf  triuntpl^irt  l^atte,    voeber 
ba§   SRed^t  nod^   bie  SJiad^t   befafe,    il^m    nun  nad^   ^Belieben 
©d^ranfen  gu  fefeen  unb  ber  nid^tö  übrig  blieb,  atö  feine  |)cn* 
fd^aft  anguerfennen"  ^).   (Sine  SluSnal^me  baoon  bilbctcn  nur  Sie* 
ienigen,  bei  weld)en  bie  innere  (Sntpörung  über  boS  focbcn 
erlebte  ftärfer   al§  aHe  politifc^e  Älugl^eit  war.    2)ie  gül^rer 
ber  ßonftitutioneHen,  2Bounier,   Saßt)  =  SioHenbal,    la    Äugcme, 
mit  il^nen  etwa  l^unbertjwangig  Seputirte,  bie  tl^cite  ü^rc  ßnt» 
laf[ung  einreid)ten,  tl^cilö  ftd)  nid)t  mel^r  an  ben  ©i^ungen  be* 
tl^eiligten,  gaben  ba^  ©piel  verloren. 

SJiounier  ging  nad)  ©renoble,  „feft  entfd)loffen  feine  $ro« 
öing  öor  ben  ©efreten  ber  9lationaloerfammlung  gu  fc^ü^en, 
unb  lieber  ben  Sürgerfrieg   l)eraufgubefd)Wören  unb  gu  einer 


')  Neck  er,  De  la  Revolution  fran^aise,  IX,  285. 


2)ad  @nbe  ber  äRonard^tfd^'^onftitutioneHen.  453 

ScrfifidHung  fJranfrctd^S  bie  ^anb  ju  bieten,  alö  unter  fold^en 
tlmftdnbcn  ju  gei^orciöen"  ^). 

£a  ga^ette  geftanb    fpäter,    er   fönne   Surfe,  SKounier, 

3.  abamS,  unb  ben  erleud^tetften  ^ubliciften  mit  il^nen,   nid^t 

Mitredet  geben,  wenn  jte  f^ranlreid)  naä)  ben  Dftobertagen  alö 

SRcj)ubIiI  begeid)neten  2).    S)amalö  aber  fud^te  er  SRounier  öon 

feinem    6ntfd)lu6    abgubringeu,    inbem    er    il^m    fd^rieb,    er 

f elbft  fei  fid^  feiner  ungel^euren  SBerantwortung  it)ol)l  bewußt. 

<Sie  öcrmögc  il^n  jebod^  toeber  ju  entmutl^igen  nod^  gu  oerl^in* 

bern,   bafe  fein  gangeö  ^erg  ber  @ad^e  be§  SBolfeö  gugetlian 

Bleibe.    9Kit  glei^em  (gifer  toerbe  er  bie  8lriftofratie,  ben  S)eö» 

^)0tii5muS  unb  bie  iJaltionen  befämpfen.    S)ie  ?5el^ler  unb  9Jti6= 

griffe  ber  9iationaber[ammIung  feien  il^m  VDoi)l  befannt,  er  l^affe 

bie  S^rannei  eineö  (gingigen,  aber  mef)r  als  SJiounier  e§  al^nen 

lönne,  fei  er  öon  ber  9lotl^n)enbigfeit  einer  ©tärfung  ber  &]ct^ 

futiöe  burd^brungen^). 

2)ie  Antwort  öon  TOounier  auf  biefeS  mit  ben  ^anblungen 
feines  ßorrefponbenten  fo  wenig  in  @inf(ang  gu  bringenbe  ©e« 
flänbnife  war  ber  SBerfuc^  einer  (grl^ebung  beS  ®aupl)ine. 
SBaS  gang  befonberö  beitrug,  il^n  gu  biefem  ©d^ritt  gu  öeran* 
laffen,  ber  il^m  [0  oft,  unter  anbem  aud^  öon  %xavi  öon  ©tael, 
als  ein  fd^werer  taftifd)er  gel)ler  vorgeworfen  worben  ift*),  war 
feine  bamals  laut  auSgefprod^ene  Uebergeugung  öon  ber  9!Jiit= 
fd)ulb  SDiirabeau'S  an  ben  Dftobertagen,  bie  öon  fpäteren  S^wg« 
niffcn  nid^t  beftätigt  worben  ift^).  6rft  als  SJiounier  baS  aSer- 
geblid^e  feiner  3lnftrengungen  erfannte,  gegen  bie  |)auptftabt  in 
ben  ^roüingen  eine  SReaftion  gu  ®unften  üon  Steilheit  unb  ®e= 


0  Leouzon-Le  Duc,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  de 
Stael-Holstein,  140-141,  ©cpe^c  SRo.  136  öom  22.  Dftobcr  1789.  Ma- 
dame de  Stael,  Consid^rations,  XII,  249. 

2)  La  Fayette,  M^moires,  III,  193. 

3)  ebenbafclbft,  II,  418. 

*)  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  349. 
^)  Mounier,  Appel  au  tribunal  de  ropinion  publique,  gegen  3Jiirobeau 
gerichtet,    ©agegen  Lanzac  de  Laborie,  J.  J.  Mounier,  252 — 253. 


454  5i^^  Sebeutung  für  bie  3ufunft 

f6^Iid)fett  tn§  Seben  ju  rufen,  legte  er  fein  Wanbat  nteber  itn 
joß  in  bie  SSerbannung,  anfangs  in  bie  Sc^kDeig,  bann  na 
SBeimar,  xdo  er  al§  Seiter  einer  ßrjielöwngSanftatt  fein  Sro 
üerbiente.  ®ie  @d)rift,  worin  er  bie  &t\6)\ä)tt  feincS  Slnt^eil 
an  ben  (äreigniffen  unb  [einer  ßnttäufd^ungcn  niebergefd^rieb 
^at,  ift  ein  t)ortreftlid)er  Seitrag  jur  Äenntnife  ber  äleüolution ') 

@inige  feiner  greunbe  nnb  ©ejinnungögenoffen,   ßlcrmont 
lonncrre,  3RaIouet  unter  ben  Slbgeorbneten,  SMattet  bu  ^an  i 
ber  treffe,   faßten,   ol^ne   DertrauenSöoHer   in  bie  ß^funft  g: 
bliden  al§  3Rounier,  it)re  ^flid^ten  boi)  anberö  auf  atö  er.    Sl 
beid)loffen,  auf  il^rent  Soften  auöjuliarren,  obtöol^l  er  aud^  i^netcr 
alö  ein  öerlorner  galt.   Unter  bem  ^Jtamen,  guerft  ber  Unparteit^ 
fd)en  >lcs  Impartiaux«,  bann,   n)äf)renb  ber  legten  3^*^  ^^^ 
SRationalöerfanimlung   unter  bem  ber  ßonftitutionettcn,   l^abeir 
biefe  3Känner  xijx  2}erfpred)en  eingclöft,  biö  bie  SSerfoIgung  fie 
mit  it)rcn  Äampfgenoffen   öon  1789  auf  frember  (ärbc  mieber 
Dereinigte  ober  öon   Dielen   berfelben   baS  Opfer    beS  gebend 
forberte. 

®ie  ^bmx  aber,  bie  jte  Dertraten,  foßten  ftc  überleben,  unb 
beömegen  liegen  bie  Äämpfe  ber  9Jionard^{fc^=6onjütutiottetten 
nid)t  auBerl)alb  be§  SRalimenS  einer  Siograp^ie  öon  grau  öon 
gtaiil. 

©in  (gd^riftfteHer  biefeS  3al^rl)unbertö,  ber  guioeilen  a\& 
^iftorifer  S3ett)eife  jener  genialen,  einem  großen  Salente  eigenen 
S)iDination  gegeben  l^at,  9!Äid)elet,  nennt  einmal  bie  @ef(^i(^te 
3tuferftel)ung. 

Ser  SluSfprud)  ^at  ftd)  für  ©iejenigen  bewährt,  bie  1789 
ben  conftitutioucllcn  Staat  aufbauen  moßten  unb  bafür  bä|en 
mufttcn  tt)ic  SlUe,  bie  il)rer  Generation  Doraneilen  unb  öor^ 
fd)nell  bie  %n\d)t  politifdjer  2öei§l^eit  bieten  wotten,  bie  Don 
ber  (grfal)rung  allein  gcjeitigt  loirb. 


')  Monnier^  Recher clics  sur  les  causes  qui  ont  empechö  les  Fran^ais 
de  (levenir  libres,  1792. 


U 


35te  Scbeutung  für  bic  3u!unft.  455 

iluS  bcm  ©d^iprud^  bcr  bmä)  jtc  vertretenen  Seigren 
gtcn  funfunbgwanjig  3at)re  ber  Srrungen,  ber  ©d^reden,  ber 
krgerlrieg,  bie  oerfül^rerifd^en  Siege  beö  SäfariSmuö  unb 
•c  furd^tbaren  SSergeltungen.  S)ann,  nac^  Äataftropt)en,  „toeld^e 
I  Sntereffen  be§  9Dlenfd^engefd^Ied)t§  in  S^age  geftellt  l^atten"  ^), 
irte  man  jum  SluögangSpunIt  unb  bamit  gu  ben  Sil^eorien 
rficf,  bie  ben  beften  ©eiftern  beö  ad^tget)nten  3cii^rl)unbertö  al§ 
•cld)bareö  unb  toünfc^enStDertl^eS  Qkl  öorgefd^mebt  l^atten. 

®ie  politifd^e  Sebeutung  üon  iJrau  öon  @tael  berul&t  bar* 
f,  ba§  Pe  bie  Srabittonen,  in  benen  jte  aufgemad^fen  unb  l^eran« 
reift  war,  in  fpätern  Salären  burd)  bie  6rfal^rung  geläutert  unb 
n  mand^er  3;äufd)ung  befreit  t)at.  ®ie  ^rau,  bie  (Sd^riftfteHerin, 
i  il^re  befonbere  ®efd)id^te.  Sl^r  l^iftorifd)eö  aSerbienft  ift  öor 
lern  biefeö,  ein  geiftigeö  (älieb  in  ber  Äette  einer  grofeen 
Überlieferung  gemefen  gu  fein  unb  bem  neuen,  unter  beö^jotifd^em 
rud  grofegeiporbenen  ©efd^led^te  ben  ^eil)eitögebanlen  Der* 
Ittelt  gu  l^aben,  btn  pe  mit  männlid^em  SUiutl^  au§  gwölf« 
Irriger  Verfolgung  gerettet  l)atte. 


*)  Mounier,  Recherches  etc.    ßc^teS  ilopitcl. 


§itbtnitB  §Ä|Jttel 


SRad)  bcn  Dftobertagcn  regierte  üorerft  in  Sranfreld^  bi 
Sntrigue. 

®aS  erfte  D:pfer  ber  öeränbcrten  Situation  war  ber  ^erjog 
öon  Orleans,  ba  t^  ga  g^agette  gelungen  toar,  bie  gäben  ber 
SBerjc^ttJÖrung,  bie  jtd)  um  ben  ^rinjen  gefammelt  l^atten,  fo 
toeit  in  bie  ,§anb  gu  befommen,  alö  eiS  nötl^ig  war,  um  |l(^ 
feiner  ju  entlebigen. 

§uber,  9?e(Jer*ö  33erwanbter;  erjälilt  feinem  ©orrcfponbenten. 
bem  englifd)en  ©tplomaten  3Rorton  (äben,  bafe  ber  @eneral  ftcift 
am  10.  Dftober  jum  ^crgog  begeben  unb  gu  il^m  gefaßt  ^abc: 
„SJtonfeigneur,  iä)  fürd)te,  bafe  ber  Äopf  einer  ^erfönlid^Ieit  Sl^re« 
SRamenS  balb  auf  bem  @d)affot  fallen  wirb."  Samt,  wie  ber 
fo  3lngerebete  tl)n  verblüfft  anfal^,  fügte  Sa  fja^ette  l^inju: 
„Sie  l^aben  bie  3lbfic^t  gel^abt,  mid^  ermorben  gü  laffen.  ®eicn 
Sie  übergcugt,  ba^  eine  ©tunbe  nad^  mir  baS  gleid^c  ©d^idfal 
Sie  felbft  ereilen  würbe".  Site  l^ierauf  ber  ^ergog  feine  ttn» 
fd^ulb  betl^euerte,  entgegnete  il^m  ber  ©eneral,  er  fei  gwar  öcr* 
pflid^tet,  fein  gl^renwort  angunel)men,  allein  er  l^abe  fo  graöirenbe 
SSeweife  gegen  il^n  in  Rauben,  bafe  er  entweber  ^anfrcid^  in 
öierunbgwangig  ©tunben  Derlaffen  ober  öor  ®erid^t  erfd^einen 
muffe.  „Ser  Äönig",  bemerfte  Sa  fjagette  bei  biefer  ©clegen» 
l^eit,  „ift  einige  Stufen  fcineö  5£l^rone§  l^inabgeftiegen.  8Uif  bie 
lefete  l^abe  id)  mid)  gefteHt;   biö  gu  biefer  barf  er  nic^t  gelten 


gftanheid^  nad^  ben  OüoBettagen.  457 

:b  bcr  SGBcg  ju  il^m  würbe  über  meine  Seidie  fül^ren.  Sie 
ben  pd^  über  bie  Königin  ju  beflagen.  ^ä)  aud^.  Mm 
r  augenblid,  aße^  jugefügte  ttnred^t  ju  üergeffen,  tft  ge- 
nmctt"  ^). 

8lm  14.  Oftober  erl^ielt  ber  ^ergog  unter  bem  SBorwanb 
tcr  öom  Äönig  xf)m  übertragenen  politifd^en  9Jiifjton  feine 
Iffe  auSgefteHt;  am  felben  2;ag  trat  er  mit  feinem  33ertrauten 
loberloö  bc  Sacloö,  bem  33erfaffer  öieler  fd^led^ter  SRomanc, 
>nmter  einer,  >Ies  liaisons  dangereuses«,  bereite  2(nf länge 
Sola  cntl^alten  foH,  eine  SReife  nad^  ßonbon  an,  bie  il^n  für 
i  ndd)ftc  3rit  bem  (Sd)anpla^  ber  (greigniffe  entrücfte.  g^^te 
c^bem  fein  oon  il^m  felbft  t)eranfbefd^n)oreneö  ©d^tdEfal  jtd) 
Mt  l^atte,  fanb  ^ä)  baö  oernid^tenbfte  S^i^gnife  gegen  ^l^iliW 
n  DrteanS  oon  feiner  eigenen  ^anb  gefd^rieben  oor.  6§  toar 
c  feitbem  oft  angefülirte  SBrief  an  feinen  SBanquier,  mit  ber 
rbre,  angewiefene  ©eiber  nid^t  auöjujalilen,  benn  „.  .  .  Tar- 
nt n'est  point  gagnä,  le  marmot  vit  encore«^). 

©erfelbe  ^erjog  oon  Drlean^S  l)atte  einft,  oon  2Birabeau 
red^enb,  baö  SEßort  gebraucht,  biefer  l^abe  nxdjt^  gu  oerlieren  ^). 
er  gleiä)e  ©ebanfe  fd^ien  btn  Sefd^ulbigungen  gu  ©runbe  gu 
gen,  bie  nid^t  nur  feine  ®egner  oon  ber  SRed^ten,  nid^t  nur 
ounter  ober  5ftedEer,  fonbern  aud^  Sa  ^agette,  obwol^l  er 
inigc  Sage  fpäter  mit  il^m  in  Unterl^anblung  trat,  je^t  gegen 
'irabeau  erl^oben*). 

aSerbad^tögrünbe  gegen  il^n  bot  freilid^  bie  a5ergangenl)eit 
nug.  Dl^ne  auf  feine  ,§altung  unb  bie  SRebcn  oor  unb  nad^ 
ti  ©reigniffen  oom  14.  guli  gurütfjugreifen,  brandete  man 
:r  baran  gu  erinnern,  wie  er  nod^  in  ben  erften  Oftobertagen 

^)  Lord  Auckland,  Journal  and  Correspondence,  11,364,  Mr.  Huber 
Mr.  Eden  (fpötcr  ßorb  Studtanb),  Paris,  Oct.  15.  1789.  Bacourt,  Cor- 
pondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  126. 

2)  ©^bel,  ®cWt(§te  bet  SReöoIutiongaeit,  I,  105,  ^ott,  na^  Ducoin, 
ilippe  d'Orl^ans,  72. 
^)  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  129. 

*)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.,  II,  342,  «Rote. 


458  ^^^^  ^on  ^ixahtau  unb  Sa  grat^ette. 

Pd^  t)etppt(i)tct  l^attc,  alle  ttrl^cbcr  bcr  „faftrilcgen  Drgtc"  ju 
SSerfaiHeö  unter  ber  SSebingung  ju  benuncircn,  bafe  bic  ^rfon 
be§  ÄönißS  allein  unt)erle|ilici^,  alle  anbem  babct  ©ontpromiti 
tirten  aber  gleich  verantwortlich  öor  bem  ®efe^  jcin  fotttcn, 
SBorte,  auö  weldien  nic^t  allein  bie  Königin  ben  ©d^Iu^  jog, 
bafe  SÄirabeau  il^r  Seben  bebrol^e.  Slber,  tt)ic  gefagt,  bie  un* 
parteiijc!^e  S^ci^wng,  bie  in  feiner  ßaufbal^n  jwifci^cn  ftaatt* 
männifc^en  ©ebanfen  unb  3lbjtci^ten,  Slu§brüd)en  ber  Äeiben« 
je^aft  unb  ftraflid)en  Swgeftänbniffen  an  ben  blinbcn  Slbgott  beS 
3:agö  unterfd^eiben  mufe,  l^at  bennod^  nid^tS  gefunbcn,  xoq&  bic 
3Bagjd)ale  feiner  Verantwortungen  burd)  ben  35eweiS  ber  SJlit* 
fc^ulb  an  ben  Dftobertagen  befd^toerte.  ©eine  Haltung  un« 
mittelbar  nad^l^er  war  burd^auö  nid^t  bie  eineiS  3!Slarmt&,  bcr  bic 
Deffentlic^feit  gu  fc^euen  get)abt  ptte.  6r  üerl^el^lte  fid^  nic^t, 
weld^er  QnXDad)^^  an  9Kad^t  unb  ©influfe  eiS  für  Sa  fja^ettc 
war,  bie  (äntfernung  be§  ^ergogö  oon  Drläanö  burd^gcfejjt  gu 
t)aben.  Um  ein  ©egengewid^t  J^ergufteHen,  liefe  er  bcm  ^cr* 
gog,  obwol)l  tl)n  ba§  ^ubltfum  alö  feinen  5Dlitfd^uIbigen  bc» 
jeic^nete,  ba^  fül^ne  Slnerbieten  mad^en,  il^n  öffentlid^  in  ber 
3tattonaloerfammlung,  unb  gwar  auf  Äoften  öon  8a  f^a^ette  gu 
öertlieibigen.  ©er  SSorfc^lag  fd)eiterte  an  bcr  SBeigcning  bcÄ 
^erjogg,  ber  eö  öorgog,  ben  ®rol)ungen  beS  6incn  unb  bcm 
faum  minber  gefäl^rlic^en  Slnerbieten  be^  Slnbem  burci^  bie  öcr* 
becfte  glud^t  nad)  ©nglanb  jtd^  gu  entgiel^en '). 

aSalb  barauf  betraute  baö  oom  ^arifer  ©tabtrati^  cingefc^ 
Unterfud^ungöcomite  ben  ®erid^t§l^of  beö  ßi^ätelct  mit  SScr* 
folgung  ber  Sßorgänge,  bie  eö  d)arafteriftifd^  genug  „bic  SScr* 
bred^en  be§  6.  DItober"  nannte,  ©enn  bie  Commune  öort 
^ariö  ftaub  vorläufig  nod^  gang  unter  bem  (Sinflufe  öon  2a 
iJatiette  unb  fein  9lame  becfte  ba§  SBerf  jeneö  SagS^).  mg 
ba^  ßl^ätelet    nad)   gelinmonatlid^er  Unterfud^ung,   im   augufi 


0  Droz,  Histoire  de  Louis  XVL,  III,  44  u.  127. 
^  Maxime  de  La  Rochetrie,  Les  Journöes  du  5--6  Octobre  1789. 
Revue  des  questions  historiques,  Vol.  XIV,  1873.    TOcnrnft^iß«  ©QtftdiAg. 


fftoUt  t)on  S0{irabeau  unb  Sa  gfo^ette.  459 

■790,  bic  gcrlciötlici^c  SSerfolgung,  nic^t  nur  beö  §ergog§  öon 
BrteanS,  jonbcm  auij  bie  oon  2Rirabeau  üeriangtc,  waren  bic 
99ctt)cifc  gegen  ben  leiteten  fo  fc^mad^,  bafe  felbft  3Raur^  baö 
ÄinerfannteO  unb  SUiirabeau  Don  Sa  ^agette,  alö  bemienigen, 
icr  am  beften  barüber  unterrichtet  war,  ba^  33crfpred)en  er« 
JfkVt,  er  werbe  in  ber  9?attonalDerfamniIung  ben  wat)ren 
©ad^öerl^alt  befannt  geben.  Sll§  aber  ber  Sag  fam,  erfd)ien 
2a  ga^ette  nid^t,  unb  3Rirabeau  [einrieb  an  be  la  SÄarcf:  „3d^ 
{onnie  geftem  £a  fya^ette  ein  unau§lö[d^lici^e§  35ranbmal  auf* 
bräden,  ba§  id)  il^m  bi^l^er  nur  üor  ber  ®efci^id)te  beftimmt 
l^attc.  3c^  tl^at  e§  nid^t  unb  begnügte  mid^  bamit,  baö  ©d^wert 
gu  güdfen,  ol^ne  ben  §ieb  ju  führen.    3)ie  ß^it  ^ii^&  ^^  ftcitt 

meiner  tl^un ".    ®ie  SBorl^erfagung   l^at  ftd^   erfüllt. 

6beit  ber  SSriefwee^fel  jwifd^en  SJiirabeau  unb  be  la  3Rarct,  unb 
bie  SRotigen  beö  letzteren  über  feinen  g^reunb  red^tfertigen  biefen 
cbcnfo  alö  jte  Sa  iJaijette  belaften.  2)e  la  2Rard  l^at  mit  nid^t 
md^r  angugweifelnber  a3efttmmtl)ett  bargetl^an,  bafe  Sa  %a\)etk, 
mit  weld^em  er  einen  Stlieil  ber  9lad)t  üom  5.  auf  ben  6.  Dftober 
iugebrac^t,  ganj  genau  gewußt  i)at,  weld^eö  ©d^trffal  bie  ®arbe§ 
Ou  Corps  erwartete,  ba^  er  aber  ntd^tsbeftoweniger,  ftatt  SRafe* 
"cßcln  gu  il^rem  @d^u|  gu  ergreifen,  bem  (ärafen  5Jlontmorin 
:>ie  trügerifdie  SSerjtd^erung  gab,  ba^  nid)t§  ben  fjrieben  jener 
iHaci^t  ftören  werbe,  unb  [\ä)  l^ierauf  gur  3fiul)e  legte  2). 

3[uf  folc^e  ©ofumente  geftü^t,  t)at  ber  bcutfc^e  ^iftorifer 
^cr  9fiet)olution  bie  Slnflage  gegen  Sa  iJa^ette  gerid^tet,  ben 
Kuf  öom  5.  Dftober  „©er  Äönig  nad)  $arig"  ni#  nur  fünft» 
liä)  l^eröorgerufen,  fonbern  aud),  beüor  er  überl^aupt  in  ber 
^auptftabt  erl^oben  würbe,  gur  ßrwedung  ber  ^anif  nac^  SSer= 
faiUeS  gemelbet  gu  liaben^). 


»)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVf.,  III,  274. 

^)  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I, 
115-119. 

3)  ©^bet,  ©cfd^id^tc  ber  9flcöotution§3eit,  I,  97—106.  Sogcgcn  ben 
milbcrnbcn  Umftanb,  bag    bicfcS   SScgc^rcn   fc^on  ä"   öerfd^icbenen    2j?alen,  in 


460  Xenlfd^iift  oon  äJittabeau  an  ben  Stiniq. 

9 

3Ber  bemnad^  l^eute  nod^  ben  ©lauben  an  bie  riiterltd^e 
So^alität  öon  Sa  ^a^ette  fcftgul^aUcn  wünfd^t,  wirb  eine  bcfferc, 
als  bie  gtDeibeutige  @ntfd^ulbtgung  üon  9iit)aroI  für  i^n  finben 
muffen,  ber,  obmol^l  über  feine  SRoHe  toäl^renb  ber  Dftobcrtagc 
nod^  unüollftänbig  unterrid^tet,  boi)  \ö)on  meinte,  „SKangel  an 
SSerftanb  jiel^e  in  gewiffen  %&Utn  alle  g^olgen  ber  SBerlcl^rtl^eit 
be§  $erjenö  nad^  pd)''^). 

3m  fd^roffften  ®egenfa|  jur  ^olitil  öon  Sa  ^a^ette  ftanb 
ie^t  bie  öon  2Rirabeau.  ®ie  föniglid)e  fjamilic  war  laum  Dier^* 
unbjwanäig  ©tunben  in  ^ariö,  al§  er  bc  la  9Karcf  befd^wor, 
Subwig  XVI.  baüon  gu  überjeugen,  ba%  er,  bie  ©einen  unb 
g^ranfreid)  mit  iJ)nen,  öerloren  feien,  menn  er  bie  ^auptftabt 
nie^t  wieber  balbmöglid^ft  üerlaffe.  SSon  biefem  ©ejlc^t&punft 
auö  ift  bie  ©enffd^rift  öom  15.  Oftober  üerfafet. 

Sie  erfüllt  ber  ®ebanfe,  bafe  ber  Äönig  unb  blc  SlffembKe 
in  $ari§  weber  frei  noc^  in  @id)er]^eit  feien  unb  bie  S^^^inft 
bort  unbered^enbare  ©efal^ren  berge,  weil  bie  ^au<)tjtabt,  ber 
Stgiotage  unb  Stnard^ie  anlieimgefaHen,  fid)  felbft  unb  bad  Sanb 
mit  ii)x  in§  33erberben  giel)e.  @ine  Station  fei  überl^aupt  nur  fo 
Diel  wertt),  alö  fte  Slrbeit  tl^ue,  lautet  eine  merfwürbige  ©teile 
be§  SriefS,  unb  ?5ranfreid)  l^abe  ftd^  ber  Arbeit  entwöl^nt.  ^ülfe 
fei  öon  ber  au§  gang  unoerträglic^en  ßlementen  gufammengefe^ten 
aSerfammlung  nid)t  gu  erwarten.  Sie  l^abe  fid)  felbft  bm  S8eg 
gur  Umfelir  an  bem  Sag  öerfd)loffen,  wo  fle  bie  ttnwibenuflid^s 
leit  il^rer  SBefdjIüffe  auSfprad^.  Unter  ben  SRinijtem  lommc  nur 
SRerfer  in  S3etrad)t.  Slber  aud)  er  l^abe  ftetS  mel^r  ©ntl^uflaflen 
alö  eigentlid^e  ^arteigenoffen  gegäl^lt;  in  ifinangfac^en  unfähig 
unb  beftruftio,  erhalte  er  in  ^ariö  gwar  nod^  einen  ©d^ein  bc« 
SebcnS,  aber  um  ben  $rei§  be§  nationalen  9ftuinö.  ©ie  Stfldt« 
fdjx  gum  Sllten  fei  unmöglid^.    ®el^e  ber  Äönig  an  bie  ®renge, 


ber  $auptftabt  laut  gcttjorbcn  toax,  bei  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI.,  II, 
344  unb  III,  18. 

')  Lescure,  Rivarol,  223. 


S)et  ®raf  bon  gJtobcnce  über  öubtDtg  XVf.  461 

• 

naäi  3Rd^f  fo  trenne  er  ^ä)  oon  ber  5Ration  unb  banfe  ab. 
SRid^t  minber  gefäl^rlid^  fei  ein  SIppeH  an  ben  3lbel;  ber  Sturj 
bcS  ^eubalftaateö  fei  bie  ©ül^ne  für  je^n  3at)rl^unberte  ber 
SBcrlrrungen.  ©aö  SBolf  aber  miffe  nod)  nic^t  jmifd^en  SIbel 
unb  ^atriciat  ju  unterfd^eiben  unb  ttjürbe  bie  ©belleute  erbar* 
mung^Ioö  niebermc^eln,  wollte  man  etiua  mit  il^rer  ,§ülfe  eine 
Siealtion  gu  betoirfen  fnd^en.  35ie  einjige  SRettnng  fei  33oIl= 
enbung  unb  Sefeftigung  ber  SReöolution  burd^  bie  engfte  aSer- 
binbung  be§  Äönigö  mit  bem  SBolfe.  3)iefer  möge  alfo,  nad) 
geftfe^ung  ber  notl^wenbigen  militärifc^en  SWaferegeln,  am  offenen 
Sag  bie  ^auptftabt  öerlaffen,  [\ä)  naä)  SRouen,  inö  ^erg  ber 
Sttormanbie,  begeben,  öon  bort  an  bie  ^roöinjen  gegen  bie  2:q= 
rannei  ber  ^auptftabt  appeUiren,  bie  Slffemblee  gu  jtd)  befd)eiben, 
unb  gur  SoHenbung  ber  ßonftitution  eine  nationale  ßonöention 
berufen,  um  ba§,  waö  in  ber  SSerfaffung  fid)  nid^t  burd)fül)rbar 
ertDcife,  gu  oeränbern  unb  gu  üerbeffern.  2Die  @d)n)ierigfeiten 
beg  $lan§  feien  fein  (äinwanb  bagegen;  nur  burd)  ®efaf)ren 
entrinne  man  ber  größten  ©efal^r.    6ine  Ärifi^  fei  unoermeib= 

®ie  üon  ben  legten  föreigniffen  bei  ber  Königin  gegen 
SJlirabeau  bewirfte  Stimmung  fd)lofe  jebe  Hoffnung  auf  il^re 
SBermittlung  gu  ®unften  feiner  3Sorfd)läge  an^.  @o  würbe  benn 
bie  2)enffd)rift  bem  ®rafen  öon  ^roüence  übergeben,  unb  e§ 
lä^t  fid^  nid^t  nad^meifen,  ob  jte  überl)aupt  gur  Äenntnife  be§ 
Äönigö  gelangte,  um  fo  weniger  alö  be  la  3Raxd  auSbrüdlid)  ba^ 
©egentl^eil  annimmt.  35amate  mar  eö,  ba§  ber  @raf  oon  ^ro- 
oence,  oon  Subwig  XVI.  fpred)enb,  ben  3Sergleid)  gebraud^te,  ber 
SEBanfelmutl)  feiner  ftet§  med)felnben  6ntfd)lüffe  fei  geölten  SöiHarb^ 
lugeln  i)ergleid)bar,  bie  man  oergebenö  gufammen  gu  Italien  fid) 
htmüljt.  OTirabeau  bagegen  fd)redEte  felbft  üor  ber  2Wöglid)feit 
eineö  SSürgerfriegg  nid)t  gurüd.  8ll§  S)umont  bie  ©enffd^rift 
ba§  3^id)^n  3^  ^i"^^  fold^en  nannte,  meinte   er,   biefer  miffe 


')  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  364, 
»lenner^ajfett,  ^rau  tjon  (2ta6t.  I.  30 


462  SWtntfteriettc  aomMnotfoticn. 

eben  nid^t,  toie  fcl)r  granfrei d^  nod^  an  bcr  ^erfon  beS  Äönt^^ 
l^änge,  wie  burd^auö  monard^ifd)  ba<S  Sanb  gcftnnt  fci.    aB< — rM 
Sa  3^ai)ette  —  6romtt)ell'®ranbif|on,  toie  er  feit  bem  6.  Dfto^Äbtx 
oon  H)\n  fpottete  — ,  ben   SSßafl^ington  jpielen,  fo  öerbiene  er 

gu  ©runbe  ju  gelten  ^).    3»   ^^  l^  9JiardE  fagte  er  ebenfaJT  ^attS, 
ber  Sürgerfrieg  erneuere  bie  Seelen  unb  gebe  il^nen  bie  bii  -m^  irdj 
©iUenlojtgfeit  öerlorne  ßnergie  wieber.    grangofen  fei  cd  ft^krtct^ 
um  ®elb  ober  Slemter  gu  tl^un.    Saffe  6in§  ober  baS  gnir    Jere 
jtd)  üom  Äönig  enoarten,  fo  werbe  balb  feine  Partei  toicber         We 
Dberl^anb  gewinnen.    2lud)  ba§  fal^  SWirabeau,  bafe  nid^tö        /^<^ 
erreid)en  liefe,  fo  lange  fein  ftarfeö,  energifd^e^S  SRinifterium        ^^ 
ber  @pi^e  ber  ®efd)äfte  ftanb.    ®ie  näc^fte  3^^  würbe  bi^  ^^ 
SBerl^anblungen  aufgefüllt,  bei  weld^en  beinal^e  feber  Sag  n-^^^^ 
Gombinationen  brad)te.    @d)on  anfangs  September  l^attc  ^^^^ 
3)eputirte  oon  Sli?:  im  Courier  be  ^rooence  baö  SBerlangen    i3f  ^ 
ftellt,  bie  aSerfammlung  möge  ben  SSefd^lufe,  ber  bie  SKinip*^^^ 
oon  it)ren  Seratl^ungen  au§fd)lofe,  gurüdne^men.    ®ann  rul5^^^^ 
bie  @ac^e   wieber  einige  ^t\i,  unb  im  Sauf  beö  Dftobcr  gW  - 
9Jtirabeau    ba§    SJtinifterium,   um    feinen   3«^^^!^^   öbw   fcfn- 
@d)wäd^e  unb  Untf)ätigfeit   befteJ)en   gu  laffen,   abermals  an^ 
3ugleid)   aber   üerl^anbelte  er  wieber  mit  5RedEer,   l^icrauf  uiff 
bem  Suftigminifter   (Sice,   (ärgbifd^of  oon  SSorbeauy,   unb  liefe 
ftd)    burd^    Sa    gatiette    gu    SKontmorin    bringen.     2)ie   Am 
ftd^ten    wiberfprad)en    ftc^;    ^Jeinbfeligfeit    unb    gegenfcitigeS 
SKifetrauen   erfd)werten   bie  Unterl^anblungen.    SEaUc^ronb,  ber 
greuttb  be§  Kaufes  Stael,  war  ber  3lnjtc^t  \^^%^  folange  Siedet 
im   aWinifterium  verbleibe,    überliaupt  feine  lebenSfäl^ige  Ab* 
miniftration  gebilbet  werben  fönne.    Seine  ©ntfemung  fei  eine 
35ebingung  sine  que  non;  xoo^^  Sa  g^aqette  betreffe,  fo  l^abe  er 
gar   feinen   ^lan-).    Sie   Uneinigfeit  war  längft  biä  in  ben 
@d)ofe  be§  SUlinifterium^  gebrungen.    Sice  intriguirte  feit  3Ro* 


0  Duinoüt,  Souvenirs  sur  Mirabeaii,  164. 

^)  Jared  Sparks,   Gouverneur  Morris,  I,  333. 


aRhabeau  n&l^ert  fid^  Sa  gfa^ette.  463 

tiotcn  gegen   9?ecfer;  Saint  ^rieft,   ber  cnergijd^fte  unter  ben 
SRittiflern,  galt  für  ganj  unjuüerläfjtg ;  SUiontmorin  töoHte  baö 
€Jute,  aber  er  l^atte  feine  SBiKenSlraft,  eö  burd)juffil^ren.   SRecfer 
t)cr[u(]^te  nociö  einmal,  mit  3Kirabeau  jtd^  abjupnben,  ol^ne  mit 
il^m  jufammengclöcn  ju  müjfen.    @r  liefe  il^m  burc^  Sa  fja^ette 
ben  ©efanbtfd^aftöpoften  in  ^oKanb  ober  @nglanb  anbieten  unb 
eine  Summe  bis  gu  fünf jigtaujenb  g^ranfen  jur  SBerffigung  fteHen, 
um  9Jlirabeau  auö  ben  ärgften  ©elböerlegenl^eiten  gu  l^elfen.  ®iefer 
aber  wollte  pefuniäre  Slnerbietungen  burd^  eine  grofee  ©teHung 
motirtrt  wiffen.   6r  wies  Sllleö  gurüdE  biö  auf  eine  ©elbfumme, 
bie  iebod^  gleid^faHS  U)ieber  gurücferftattet  mürbe  ^).    ©d^on  um 
bie  9Ritte  Dftober  mar  SJlirabeau  burd^  5Rerfer'S  Haltung  mieber 
fo  aufeer  JRanb  unb  SSanb  gebrad)t,  bafe  er  pd^  nun  gang  Sa 
%a^tüe  näl^erte  unb  bie  fjäben  ber  Sntrigue  burc^  biefen  biö 
gur  Äönigin  reiä)ten.    @r  oerfd)affte  ber  (gitelfeit  beö  ßomman» 
bauten  ber  5Rationalgarbe  ben  Sriunipl^  einer  Düation  ber  S8er* 
fammlung  für  il^n  unb  35aillQ,  am  2:ag  mo  biefe  in  §ßariö  il^re 
erfte  ©i^ung  l^ielt.    ®ann   brängte  er  ben  ©iftator,  mie  je^t 
8a  f^a^ette  genannt  mürbe,  gur  Silbung  eines  it)m  gang  er* 
gebenen  9Kinifterium§.    35ie  9lote  üon  feiner  |)anb,  über  bereu 
Snl^alt  9KorriS   fd^on   am   12.  Dftober  berid)tet,   refonftruirt 
baS  ©abinet  mit  nieder  als  erften  SWinifter,  „bamit  er  ebenfo 
ol^nmäd^tig  merbe,  als  er  unfäl)ig  fei;  bie  legten  SRefte  fetner 
Popularität  aber  bod^  nod^  bem  Äönig  gu  ®ute  fämen".    6ice 
mar  gum   Äangler,   ßiancourt   als   per[önlie^er   ^Jreunb   Sub» 
mig'S  XVI.  gum  ÄriegSminifter  auSer[el)en;  be  la  SJiard  erl^ielt 
bie  SJlarine,  SaHcgranb   bie  ginangen.    SJiirabeau  trat  ol^ne 
Portefeuille  inS  SUiinifterium,  ebenfo  Sa  ^^a^ette  als  SWarfc^all 
oon  g^ranfreid^   unb   ©eneraliffimuS,   mit  bem  Sluftrag    einer 
Sleubilbung   ber  Slrmee.    2lud^  SMounier'S  mar  gebadet.    S)aS 
^rojeft  berul^te   auf  einer  SlHiang    aUer   Sialente.     3n   einer 


0  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  353, 
387,  395-396. 

80» 


464  SSefi^ergretfung  bet  jhrc^engüter  bun^  bcn  Staat 

gtDeiten  97ote  erhielt  ZaVitX)xanb  ba^  Slu^tDärtige,  @ieQ68  ben 
ttntcrrid)t  *).    ®cr  neuen  JRegicrung  foHtcn  bie  ?DKttcI  gu  einem 
jiarfen  SRegtment  baburd)  an   bie  $anb  gegeben  werben,  bafc 
3Rirabeau,   immer  Dom  ©ebanfen   auögel^cnb,  ^ariS  fei  ber 
grofee  ,§erb   ber  3lnard)ie,  ber  SBerfammlung  gleich  nadf  bem 
6.  Ottober  ein  ftrengeS,  aber  auf  bie  ^auptjtabt  befd^ränfte* 
Ärieg^3gefe|  in  3Sorfd)lag  gebradit  unb  l^lerauf  bie  Sefrciung  bcS- 
©taatöl^auölialtö  üon  ber  brüdfenbften  feiner  finangieücn  Saften^ 
ber  ftetö  antt)ad)fenben  fd^ttjebenben  @d)ulb,  öerfud^t  l^atte.    ffiicr 
auf  S^iltörung  gerid^teten  abfici^ten  ber  SReöoIutiott  fottten  auf" 
biefe  SBeife   ben  3^^^^^   ^^^^^  gi^^fe^n,   lebenSfäl^igen  $ottti 
bienftbar  gemacht  toerben. 

aSom  10.  DItober  batirt  Sallegranb'^  Antrag  auf  »ept 
ergreifung  ber  Äird^engüter,  ben  gunäd^ft  ein  Sud)  öon  ^u^fägu 
über  bcnfelben  ©egenftanb  angeregt  l^atte^).  5Dlirabeau  »u^t 
gang  genau,  in  n)eldf)er  SBegieliung  biefer  Sd^ritt  gu  ben  in  ©ani 
bcpnblid^en  Unter^anblungen  ftanb  unb  l^atte  aud)  in  ben  b 
ftimmteften  SBorten  ein  Portefeuille  für  il^ren  SlntragfteHer  al 
^reiiS  bafür  bejeid^net^),  fo  ba%  mären  biefe  Unterl^anblung 
geglücft,  bie  4  9Jlilliarben,  auf  meldte  man  ben  SBertl^ 
Äird)engüter  i)eranfd)lagte  ^),  gugleid)  baö  $fanb  gemefcn  mären^ 
baö  Salletiranb  ber  SReoolution  beim  ©intritt  in  il^re  S)ienft^^ 
geboten  ptte. 

SKirabeau  feinerfeitö  l^ielt  gmar  bie  frangöpfd^e  j(ird^e  fütr 
üerloren,  billigte  aber  biefen  ungel^euren  ©emaltaft  ebenfowenig 
als  er  ben  4.  Sluguft  ober  bie  Dttobertage  gebilligt  l^atte,  unb 
nannte  il^n,   nad)bcm   er  Don  ber  Slffembl^e  öoHgogen  loorben 
mar,  bie  giftigfte  SBunbe  unter  allen,  bie  bem  Sanbe  fd^on  ge* 


*)  Bacourt,  Correspondanco  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  411  — 
412.     Mal  Oll  et,  Mcraoires,  I,  373. 

-)  Jules  Simon,  üne  Academio  sous  lo  Directoire  nac^  Bachau- 
mont,  Memoires  secrets,  V,  148  ii.  ff. 

^)  Bacourt,  Correspondauce  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  411. 

*)  Taine,  Origines,  L'ancien  Reijime,  18 — 19. 


SRirabeau'd  Antrag  t)om  6.  2fiot)tmhtt,  465 

fd^Iagcn  »orbcn  feien  ^).  SRadibem  aber  oon  einem  SInberen 
ber  Änftofe  baju  gegeben  n?orben  war,  unterftfi^tc  er  ben  SBor- 
fd^Iag,  bie  Äir(f)engüter  gur  Verfügung  ber  SRation  ju  ftellen, 
unter  ber  Sebingung,  bafe  fte  unter  einer  gang  getrennten  äJer« 
töoltung  alö  ^^otl^el  für  bie  ttjenigftenS  tJ^eitoeife  SRüdjal^lung 
in  Äaffenfd)etnen  ber  fd^webenben  @(i)iilb  oenuenbet  toerben 
foQten.  3m  SSerlauf  biefer  ©iöfufftonen  über  bie  i?inanggefe^=» 
gebung  war  eS,  bafe  ÜRirabeau  ben  ß^itpunft  ju  einem  entfd^ei* 
bcnben  @(i)ritt  für  gefommen  erad^tete.  8lm  6.  Sloöember  fteHte 
er  ben  breifa(f)en  Eintrag,  bie  SJiul^e  öon  ^ari§  burd^  Slnfamm- 
lung  öon  (äetreibeüorrätl^en  gu  jtc^em,  bie  @taat§fd)ulb  fünftig 
^ner  befonbem  SBerwaltung  ju  übertragen  unb  beöor  bie  Sßer* 
Raffung  barüber  entfd^ieben  l)abe,  ben  5Düniftern  il^ren  Pa|  in 
ber  3Serfammlung  mit  beratl^enber  Stimme  gu  geben.  6r  fonnte 
l^offcn,  tro^  beö  3Biberftanbö  ber  Siedeten  unb  ber  äufeerften 
Äinfcn,  burc^  bie  SJtad^t  feinet  2ßorte§  bie  ßi^Ptomung  feiner 
übrigen  ßoßegen  gu  gewinnen,  wenn  ber  §of,  ba§  9Jlinifterium, 
unb  befonber§  Sa  iJa^ette  burd)  feinen  6influfe  auf  bie  gemäßigte 
8infe,  il^n  babei  unterftü^ten.  S)iefe  ©rwartung  würbe  getäufc^t. 
3Ran  fal^  im  SBorfd^Iag  öon  SJlirabeau  nur  bie  ®efal^r  feiner 
eigenen  (grt)ebung  jur  Sßac^t;  bie  Sinfe  fefete  eine  SBertagung 
ber  Slbftimmung  burd)  unb  am  näd^ften  Stag,  7.  3flot)ember, 
bedte  fid^  £anj[uiuai§,  „einer  ber  et)rlid^ften  unb  tl^örid^tften 
3Renfd^en  in  g^ranfreid^"  -),  mit  bem  großen  5Ramen  öon  ^Jionteö« 
quieu,  um  burd^  ftarreö  geftl^alten  an  einer  Stl^eorie,  bie  er 
burd)auö  mifeöerftanb,  bie  aSerwerfung  be§  SlntragS  burd^jufe^en. 
(gr  üerl^el^lte  feinen  Slugenblid,  wie  wenig  eine  ber  widi)tigften 
conftitutioneHen  ?5ragen  bei  biefer  ßntfc^eibung  in§  (äewid^t  fiel, 
inbem  er  bie  3Borte  an  bie  a5er[ammlung  rid^tete:  „6in  bereb* 


1)  ÜWirobcau  an  SDlauöiUon  bei  ©^bcl,  ©eft^ld^te  ber  SftcöoIutionSacit,  I, 
114.  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  358. 
»rief  öom  11.  DItober  1789. 

2)  iRiebubr,  ©efd^it^te  beS  3eitatterS  ber  Oteöofution,  I,  226. 


466  anirabeau'S  ^ntta^  t)om  G.  02ot)ember. 

famer  ®cniuS  gicl^t  Sic  mit  jtd)  fort  unb  bel^crrfd^t  Sic. 
würbe  er  md)t  oermögcn,  märe  er  erji  SKimjier!" 

Umfonft  entgegnete  SUKrabeau  mit  fd)neibenber  Srontc,  bi 
SSerfammlung  möge  baS  Oefefe  annel^men  unb  nur  ifyx  felbft^ 
ben  2)e^)utirten  oon  2lif,  unb  feinen  ®egner  Sanjuinai«  öorK:- 
feiner  SBirfung  auSfd)Iie6en.  Wlamtf  unb  b'6§premdnil,  ©ic^e^^ 
unb  SKontlofter,  ©uport  unb  [RobeSpierre,  fiametl^  unb  Samaüe  ^ 
fanben  ftd^  plöfeUd)  einer  ÜReinung.  ©ie  @d^Iad)t  ging  öcrIorerK- 
unb  mit  il)r  bie  5[Ronard)ie  ^). 

3m  aufPammenben  S^rn  barüber  l)at  SÄirabcau  3ttdatr 
oor  2inen  unb  näd)ft  il^m  ßice  für  bie  SBenbung  oeranttoortlic^ 
gemad)t,  bie  ftd)  in  ber  3taäjt  öom  6.  auf  ben  7.  Sloüember  tir 
ber  Stimmung  ber  anfangt  unfd^lüfjtgen  ©eputirten   DoQgog. 
aber  er  überzeugte  ftd)  balb,  bafe  ber  eigentlid^e  ©d^ulbtgc  fein 
anberer  al^  berjenige  mar,  meld)er  „bie  gegen  il^n  eingegangenen 
SBerpfIid)tungen  aud)  bei  einer  frül^eren  ©elegenl^eit  ntd^t  gcl^attcn 
l^atte",  nämlid)  ber  ®eneral  Sa  g^a^ette^). 

©elbft  nad)  bem  SSefd^lufe  Dom  7.  JloDember  gab  SJIirabeau 
baö  Spiel  nod)  nid)t  ganj  Derloren.  SBenn  er  wirllid^  not^« 
wenbig  fei,  äußerte  er  bamalö,  fönne  unb  merbe  er  bod^  no^ 
gur  Wlaäjt  gelangen.  S)enn  entmeber  muffe  bie  SlffembUe 
baö  ©efret  in  33ejug  auf  bie  9)linifter  gurücfnel^men,  ober  bie 
[Reöolution  merbe  ftd)  nie  befeftigen.  Um  einen  bauemben 
33unb  beö  Äönigtf)umö  mit  bem  SSolfe  l^erjujietten,  fei  Je^, 
nad)  S3ernid)tung  beS  ^leruS  unb  nad^  S3änbigung  bed  Uüklä, 
noä)  ein  SerftörungSmerl  gu  öoHbringen ;  bie  ^Parlamente  müßten 
geopfert  merben.  Sann  aber  fei  eö  genug  unb  bie  dtegeneroiion 
ber  föniglid^en  3lutorität  muffe  beginnen. 

Sufofern  biefes  Programm  ein  SBernid^tungSmerl  begtoedte, 


0  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  350.  Bacourt,  Gor- 
respondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  130.  Droz,  Histoire  de 
Louis  XVI,  111,  64  u.  ff. 

^)  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  423. 

ÜJiirabcau  an  Sa  ga^ette.    SBricf  öom  1.  ©cjcmbcr  1789. 


©tura  bcT  Parlamente.  467 

gelang  cj8  balb  genug,  ©d^on  am  3.  Sloöember  beantragte 
91.  bc  Santetl^,  nebenbei  bemerft  einer  ber  aKerentfd^iebenften  po^ 
Ittifd^cn  ©egner  öon  SRirabeau,  bie  Parlamente  auf  unbeftimmte 
Seit  gu  öertagen,  fie,  wie  er  fid^  auSbrüdte,  „lebenbig  ju  begraben'', 
bis  bic  aSerfaffung  eine  neue  ®erid^t§orbnung  begrünbet  l^aben 
werbe,  ©ie  legten  ^roteftationen  ber  öerurtfieilten  „ariftofratifd^en 
^Oflagifiratur"  l^alf  ÜRirabeau  burd)  eine  feiner  l)eftig[ten  3fieben 
am  9.  3anuar  1790  erfticfen,  unb  in  ber  3tt)ifd^enjeit  mar  eö,  baf; 
er  Sa  fja^ette  bod^  nod^  ju  einem  energifdE)en  @ntfd)Iu6  gu 
bringen  öerfud)te.  ®er  ©ebanfe  einer  9iJlinifterpräjibentfd^aft 
bei5  @rafen  öon  ^roöence  taud^te  auf,  mufete  aber  balb  mieber 
aufgegeben  merben,  meil  ber  ^riuj  pdf)  unjuöerläfjtg  unb,  nad^ 
bem  Urtl^eil  öon  ÜRirabeau,  and)  ganj  unfäl^ig  ermieö,  mäl^renb 
fein  Sreunb  ©umont  fid^  ber  Sln|tdE)t  anfd)Iiefet,  bafe  ber  ÜRar^^ 
quiS  öon  gaöra^  alö  f)eroifd^e§  Dpfer  perfönlid^er  ^läne  be§ 
^rinjen  feinen  Äopf  auf  ba§  ©d^affot  getragen  l)abe.  ©benfo  un» 
möglid^  ermieö  e§  fid^,  mit  2a  ^a^ette  jum  ßiel  ju  fommen.  ©ein 
©elbfioertrauen  f)atte  ftd^  in  ehtn  bem  2Rafe  befeftigt,  aU  8llle§ 
um  tf)n  ^er  in§  SBanfen  geriet)^.  9lid)t  nur,  ba^  er  e§  ben 
glücflid^ften  ©rfolg  nannte,  „ben  Äönig  in  @i(i)erl)eit  in  ben 
Suilerien  ju  miffen"  ^),  er  glaubte  ftd)  auc^  mel)r  afö  je  im 
©tanbe  ber  ^auptftabt  gu  gebieten,  feit  ber  3Jiorb  eineö  SäderS 
bie  5RationalDerfammlung  üeranlafet  i^atte,  am  21.  Dftober  ein 
Äriegögefe^  für  gang  ^ranfreid^  gu  belretiren,  al^nlid)  bem= 
icnigen,  meld^e^  SRirabeau  für  ^ari§  allein  Derlangt  l)atte.  @o 
lange  er  aber  bie  ^auptftabt  gu  bel)errfd)en  fd^ien,  glaubte  er 
aud)  bie  3fiei)oIution  lenfen  gu  fönnen.  @ö  fd^meid^elte  feiner 
6itelfeit,  öon  SJJirabeau  ummorben  gu  tt)erben  unb  mit  il^m  gu 
oerl^anbeln;  bie  9[Kad)t,  bie  er  in  feinen  §änben  glaubte,  mar 
er  aber  um  fo  meniger  mit  einem  Slnbern  gu  tl)eilen  gemiUt, 
als  er  bie  unget)eure  ®efaf)r  ber  Sage  t»erfennenb,  ftd)  in  trüge* 
rifd^er  Sid^er^eit  miegte.    ©er  ^ergog  öon  Drlean^  mar  ent» 


»)  La  Fayette,  Memoires,  III,  217. 


468  ®*Iw6  ^«s  3aSi^«ß  1789. 

fernt,  SRonjteur  contpromitttrt,  Jlecfcr  uxbxanijt,  bcr  Äönig  i 
feiner  §anb.    SRirabeau  fürd^tete  er  beSl^alb  nidjt,  weil  er  il^ 
tief  öerad)tete;  Sametl)  galt  il^m  al§  ein  Intrigant;   Söamao 
unb  ©uport  aU  politifd^  anfällig  ^).    §anb  in  $anb  mit  biefe 
©eringfc^ä^ung  ber  ^erfönlid^feiten  ging  ba§  blinbe  SSertrauer«: 
in  bie  9Jfad)t  ber  S:f)eorien.    Qu  feinem  nid^t  geringen  ©rftaune«: 
oernaf)m  SJiorriö  im  Januar  1790  bie  Sel^auptung  auS  fctncn«: 
SRunbe,  ba^  bie  Jlationaloerfammlung,  unerad^tet  mand^cr  SRife^ 
griffe,  bod^  eine  ßonftitution  ju  ©tanbe  gebrac{)t  l^abe,    „un«^ 
öergleid^Iid^  bef[er  al§  bie  englifd^e".     ®er  Srief  an  SÄounietr 
öom  23.  Oftober  2)  war  nur  ba§  lurje  2lufleud)ten  einer  befferei« 
(Sinftd^t  gewefen;  feine  Orunbanfd^anung  blieb  burd^auS  reoo== 
lutionär.    9lod^  am  23orabenb  beö  6.  3ioöember  l^attc  5!JKrabcau 
feinem   g^reunb   be  la  ÜRarcf  gefd^rieben,  er  l^abe  Sa  fja^ettc 
burd^fd^aut  unb  if)n  ebenfo  unfä{)ig  gefunben,  ein  SBortbrud^  ju 
begef)en    afö    gu    red)ter  3^it  Söort    ju  l^alten.    Äaum   öier 
SBod^en  fpäter  unb  er  fd)rieb  biefem  felbft  unter  bcm  ©nbrudt 
ber  bitterften  ©nttäuf d^ung ,   »ergebend  l^abc   er  il^n  öor  ben 
flippen  gewarnt,  an  weld^en  er  afö  ber  erfte  jerfd^ellcn  werbe. 
®urd^  feine  Stellung  geblenbet,  öon  feiner  Unentfd)loffen]^cit  unb 
feiner  SBorliebe  für  unbraud^bare  SRittelmäfeigleiten  wie  öon  einem 
aSerpngnife   t»erfoIgt,  werbe   er  ftd^  felbft  unb  ben  Staat  mit 
i^m  in§  SBerberben  reiben  ^). 

3BäI)renb  ber  näd^ften  SRonate  trat  bie  Sii^ätiglcit  t>on 
SRirabeau  t^erljältnifemäfeig  jurüd.  Sine  tiefe  (Sntmutl^igung 
war  über  \i)n  gefommen.  ©einer  geinbe  fonnte  er  $err  werben ; 
aber  bie  eigene  35ergangenl)eit,  baö  fül^lte  er  wol^I,  war  nid^t 
JU  überwinben,  unb  an  im  SBunben,  bie  er  ftd^  felbft  gcfd^lagen 
l^atte,  mufete  er  ftd^  verbluten. 

^)  La  Fayette,  Memoires,  II,  443,  458.  Jared  Sparks,  Gouver- 
neur Morris,  I,  338  Leouzon-Le  Duc,  Correspondance  diplomatique  du 
Baron  de  Stael-Holstein,  154,  S)cpcWc  ffto.  145. 

2)  @.  l^icr  Kapitel  VI,  453. 

^)  Bacourt,  Correspondaace  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  417, 
423—424. 


aWorriS  über  fjrou  öon  (2tael.  469 

So  ging  in  gegcnfeitiger  55einbfd)aft,  in  SKifetraucn  unb 
©ontplottcn  ba§  ^al)x  1789  gu  ©nbe,  an  beffen  Slufregungen 
nnb  aScdöfelfäncn  Saron  @tael  mxb  feine  ®attin  bi«  julefet 
bctl^ciligt  blieben.  ®er  fd)tt)ebifd)e  ©efanbte  ift  tt)ieber{)oIt 
ate  einer  berjenigen  genannt,  bie  ben  Sefpred)ungen  bei 
2a  %ar)dk  anmol^nten  ^).  Um  bajS  iJeben  nnb  treiben  in  ben 
^arijer  @aIon§  nnb  if)ren  ©inflnfe  anf  bie  Sage^fragen  jn 
fd)ilbem,  öerweift  ein  fo  aufnter!famer  Seobad)ter  tt)ie  5IKorriö 
auf  ba§  fd^webifd^e  ®efanbtfd)aft<ol)6teI.  (gr  l)atte  gran  t>on 
6taäl  im  i&crbft  bei  ber  ©räfin  Seffe  lennen  gelernt  unb  njar 
tl|r  mit  SBorurtl^eilen  gena{)t,  bie  ein  näl)ere5  33efannttt)erben 
nid^t  alle  gcrftreute.  ?lid)t  nur,  bap  bie  Slrt  ber  ßofetterie  ber 
jungen  ®ejanbtin  il^m  mifefiel,  er  fanb  fte  in  if)rem  gangen 
Auftreten  ju  beftimmt  unb  felbftbett)ufet.  2lud^  il^r  ßultuö  für 
5lcdEer  war  fo,  mt  er  ftd^  äußerte,  burd^au§  nid)t  geeignet,  bie 
Sl^cilnal^me  öon  9Jiorri§  gu  ern)ecfen.  3Benn  er  fte  fagen 
l^örtc,  SBeiöl^eit  fei  fürn)a{)r  eine  feltene  ®obt  unb  fte  fenne 
nur  einen  matirl^aft  it^eifen  30?enfd^en,  nämlid^  it)ren  3Sater, 
fo  galt  bem  Slnterifaner  eine  fold)c  Sleufeerung  alö  ber  ^öi)t' 
punit  ber  SSerblenbung^). 

Stber  balb  mufete  aud^  er  geftel^en,  ba^  er  fte  öon  wunber- 
barer  Segabung  unb  frei  öon  aKen  gen)öl)nlid^en  Sorurtl^eilen 
bc§  3:age§  finbe.  „^i)x  ^aue",  fd)reibt  er  im  Januar  1790  an 
SBaf^ington,  „ift  eine  2lrt  öon  SJiufentempel,  wo  bie  geiftreid^e 
unb  öorne{)me  SBelt  ftd)  graeintal  in  ber  2Bod)e  jum  Souper, 
einmal,  unb  l^äupg  audE)  öfter,  gum  Siner  einfinbet.  Unter 
anbcm  la§  un§  bort  ®raf  (5lermont==S:onnerre,  ber  gu  ben  beften 
Sficbncm  ber  SRationalöerfammlung  gel^ört,  eine  Slblö^nblung  öor, 
bereu  Qtütd  bie  Seweiöfü^rung  xoax,  bafe  unter  bem  SSegriff 
ber  ©träfe  bie  öoHe,  legale  (Sompenfation  für  erlittenen  @d)aben 
ober   begangene  Serbrec^en   gu   öerftel^en  fei,    bie    ®efeUfd)aft 


^)  Ja  red  Sparks,  Gouverneur  Morris,  I.  328. 
2;  ebcnbafelbft,  I,  212,  324,  335. 


470  ^in^  d^Qtaftertftifd^e  Scene  in  il^tem  Salon. 

aber  fein  weitere^,  moralifd^eS  Süci&ttflwngiSrcd^t  bcfl^c.  Sn 
golge  beffen  [oHe  5.  33.  ba§  Slnbcnfcn  cine§  ©cl^cuftcn  iDicbcr 
gu  e^ren  fommcn,  benn  feine  ©c^ulb  an  bie  ©efeüfd^aft  fei 
burd)  feine  Einrichtung  abgetragen.  6benfo  müffc  S^manb, 
ber  ju  ftebeniöl^riger  Oaleerc  öerurtl^eilt  worbcn  fei,  nad^  Slb- 
büfeung  biefer  Strafe  fo  aufgenommen  werben,  al8  ob  nid^ti^ 
t»orgefaKen  märe.  @ie  merben  läd^eln,  aber  bcbenlen  @le,  bii^ 
gu  meldbem  öftrem  bie  Sad^e  in  ber  entgegengcfe^tcn  Stid^tung 
getrieben  morben  mar.  ®ie  ©ntel^rung  Saufcnber  megcn  ber 
@dl)ulb  eineö  ©injigen  mufete  jebe^  pttlid^e  ©efül^I  fo  tief  tjer^ 
le^en,  bafe  nun  fold^e  Slnfd^auungen  in  bie  SDlobc  gefommen 
ftnb.  ®er  SSorfd^lag  mar  fd^ön,  fentimental,  patl^etifd^,  in  l^ar* 
monifd^e  Sorm  gefleibet.  6r  erntete  raufd^enben  SSeifaD  unb 
rürfl^altlofe  Swfttmmung.  3llö  3ine§  fo  jiemlid)  öorflbcr  mar, 
fagte  ic^  gu  ßlermont^Sonnerre,  feine  SBorte  feien  gmar  l^in* 
reifeenb,  feine  3lrgumente  aber  nid^t  befonberö  ftid^l^altig  gcwefen. 
SlUgemeine^  6rftaunen!  (ginige  meinerfeitS  i^ingugefflgtc  Se» 
merfungen  änberten  bie  Sage  ber  ©inge  oottftSnbig.  ©eine 
5luffaffung  marb  je^t  öermorfen,  unb  er  oerliefe  balb  barauf  bie 
®efeUfd)aft.  SdE)  braud^e  laum  l^inguguffigen,  bafe  bie  Sflcbc  bt* 
je^t  in  ber  aSerfammlung  nid^t  gel)alten  morben  ift.  Unb 
bennod^  gehörte  fie  gerabe  gu  benjenigen,  bk  einen  SScfd^lufe 
burd^  3lffIamation  gu  ergielen  pflegen,  ^ij  erinnere  nur  an 
5ledfer'§  33orfd)Iag  ber  ©rünbung  einer  Jlationalbanf,  bei  »cld^em 
Slnlafe  e§  3enianbem  einfiel,  in  Slnregung  gu  bringen,  ieber 
®ei)utirte  möge  feine  ftlbernen  ©d^ufifd^nallen  l^ergebcn.  S)a8 
mürbe  augenblidlid^  befd)Ioffen  unb  ber  SlntragfteHer  war  ber 
erfte,  bie  feinigen  auf  ben  Sifd)  beS  i&aufe§  niebergulegen"  ^). 

@in  nod)  fdE)IagenbereS  SSeifpiel  märe  2Rorri«  ju  ®ebot 
geftanben,  l)ätte  er  baran  gebadE)t,  SBafl^ington  bm  33ricf  |ener 
©efaHenen  an  bie  ßonftituante  gu  citiren,  in  meld^em  c8  l^iefe, 
i^r,  bie  gur  Siebe  gefd^affen  morben,  fei  eS  gelungen,  ©ummen 


^)  Jared  Sparks,  Gouverneur  Morris,  II,  89. 


ßlermont'Sonncttc  unb  bcr  Jpcraog  öon  ÖeöiS.  471 

gu  erübrigen,  bie  pe  l^iemit  bem  SSaterlanbe  gu  ©ebote  ftette. 

SEBorauf  bie  SBerfammlung  eine  el^renöolle  ©rwäi^nung  be§  be= 

trcffenben  granenjimmerö  befd^Iofe  nnb  ßonborcet  über  bie  33er* 

nld^tung  bcr  SSorurtl^eile  jubelte,  woburd^  Seute  oon  ber  3lrt  ber 

aSricfftellerin  unb   @d)aujpieler  bem   ©d^ofe    beö   35aterlanbe§ 

gurüdtgcgeben  feien  ^).    ©iefe  unglaublid^  erfd)einenbe  unb  ganj 

xinbered^enbare  S3e[timmbarfeit  ber  ©emütl^er  unb  ©ntgünbUd^» 

Ictt  ber  iföpfe  l^at  ben  unparteiijd^en,  feinen  i&erjog  öon  ii^oiö 

jur    Semerhing  öeranlafet,    bamalö,    wo    Solbaten   regierten, 

Slic^ter  ^olitif,  Siteraten  Oefe^e  machten,  Slbbe'ö   bie  ginanj 

abminiftrirten,  l^abe  bie  a3ertt)irrung  einen  fold^en  ®rab  eneid)t, 

ba%  Sfliemanb  mel^r  übrig  geblieben  fei,  um  über  biefelbe  ju 

lad^en^).    Unter  fold)en  33erl^ältnif[en  war   e§   burd^auS  nid)t 

gleid^gültig,  in  weld^e  SBagfd)aIe  ba§  ®en)id^t  ber  perfönlid)en 

SWeinungen  unb  Urtf)eile  geiftreid)er,  lebl^after,  für  bie  l)errfc^en= 

bcn  Sbeen  begeifterter  grauen  fiel. 

aSon  ben  brei  großen  Slngelegenl^eiten,  weld^e  bie  6om 
ftituante  im  3Binter  unb  grü^ja^r  1790  befc^äftigten,  ber  3fleu= 
eintl^cilung  granfreid^ö  in  83  Departemente,  ber  Sernid^tung 
bcr  ^Parlamente  unb  bcr  Sejt^ergrcifung  ber  Äird^engüter  burd^ 
bcn  Staat,  l^at  grau  öon  @tael  inSbefonberc  mit  le^terer  grage 
fld^  oiel  unb  eingef)enb  befd^äftigt.  ©d^on  bamale,  wie  fpäter  in 
bcn  6on|tberationö,  war  il^r  ©tanbpunft  im  wefentlid)en  bericnige, 
bcn  Sturgot  in  btm  für  bie  ©nc^flopäbie  oerfafeten  Slrtifel  »Fon- 
dations»  einnal^m.  3n  bemfelben  finbet  jtd)  bie  Slnjtd^t  öertreten, 
bafe  bcr  Oefefegebung  ba§  3ied)t  juftcl^c,  wenn  baö  ©emcinwol^l 
c^  ocrlange,  ßorporationen  aufjul^ebcn  ober  il)re  3»^^^^  i^ 
anbcm.  6r  Ijatte  ben  SSeweiS  gu  führen  oerfud^t,  bafe  e§  wiber= 
finnig  fei,  Stiftungen,  mit  anbern  SBorten  Sd^öpfungen  beS 
aSßitlcnS  cinjelner  ^erfönlid^feiten,  al§  etwas  Unantaftbareö  gu 
bctrad^ten,  unb   er  l^atte  fpäter  alö  2Rinifter  gegen  weltli^e 


0  Condorcet,  Memoires,  Paris  1824,  II,  36. 

*)Duc    de    Levis,    Souvenirs    et    portraits,    1780  —  1789.      Paris, 
1819,  99. 


472  S)i«  ^^«^  grofecn  polltifd^cn  ^Probleme  öon  1790. 

ßorporationen  biefer  2lnfd)auun0  gemäfe  gcljanbclt.  35ic  ffrage 
felbft  ber  blofeen  33ela[tung  be§  ÄirdicngutS  burd^  bcn  Staat 
tt)urbe  xoäijxtnb  ber  öer^ältnifemäfeig  jo  lurgen  ©auct  feine« 
ÜRinifterium^  öon  il^m  gar  nid^t  berül)rt.  Um  il^n  l^er  aber 
öerfäumte  man  nic^t,  weiter  ju  gel)en  alö  er,  unb  mit  auf  feine 
Slutorität  ftd)  berufenb,  nad)  unb  nad^  bis  jum  @d)lufe  gu  ge* 
langen,  bafe  baö  Vermögen  beö  ÄleruS,  als  einer  Äörpcrfd^aft 
t»on  ©ienern  beS  Staates,  nid)t  anberS  benn  als  blofec  ©ntfd^ä* 
bigung  für  geleiftete  ©ienfte  ju  betradE)ten  fei.  @o  lange  ber 
ÄleruS  als  bem  (Staate  notl^wenbig  gegolten  l^abe,  fei  fein  Slnfpruc^ 
barauf  berfelbe  tt)ie  g.  33.  jener  ber  3lnnee  auf  il^ren  @olb  gcwcfen. 
üiun  fei  baS  anberS  geworben  unb  mit  ber  ©ntbel^rlid^feit  ber 
©ienftleiftung  l^abe  aud)  baS  Siecht  auf  ^Remuneration  für  biefelbe 
gu  beftel)en  aufgel)ört.  Qu  biefen  oerberbenbrol)enbcn  ©opl^iSmen 
beS  .^affeS,  nic^t  nur  gegen  alteS  Äird^lic^e,  fonbcrn  gegen 
jebe  religtöfe  Snftitution  im  allgemeinen  fam  jcfet  bic  ©elb« 
nott)  auf  ber  einen,  auf  ber  anbem  Seite  bie  öerlocfcnbe  SluS« 
jtd^t,  il^r  burd)  Säfularifation  beS  Äird)enguteS  ju  fleuern,  baS 
gmar  burd^  mand)e  Untoürbige  feinen  Qxoedm  entfrembct,  nid^t 
aber,  wie  ein  großer  Slieil  beS  abeligen  35cPfet^umS,  »er* 
fd^leubert  unb  oerloren  gegangen  war.  (gS  gibt  ben  SÄafeftcib 
ber  Stimmung  gegen  ben  ÄleruS,  bafe  pd^  ein  Sifd^of  fanb, 
um  feinem  eigenen  Staub  in  materieller  i&inftd)t  ben  SobcSjioB 
ju  geben  unb  i^n,  wenn  aud^  nic^t  ol^ne  ©ntfd^äbigung  unb 
finanjieHe  SBorbe^alte,  oon  ber  erften  Stelle  im  Staat  in  bic 
fUdijtn  abhängiger,  befolbeter  g^unltionäre  ju  öerweifen.  Sm 
©egenfa^  gu  il)rem  3Sater,  ber  gu  ben  Söenigcn  gehörte,  bic, 
wie  ber  ianfeniftifd)e  Slboofat  ßamuS,  baS  33eP^rcd)t  beS  ÄlcruS 
feftl)ielten  unb  oertt)eibigten  ^) ,  geigt  ftd)  grau  öon  Staöl 
ben  Sbeen  il)reS  greunbeS  SaUe^ranb  geneigt.  Sic  fragt, 
auf  bie  Slrgumente  oon  S^ouret  unb  ßf)apelier  in  ber  ßonpi« 


')  De  l'administratioii  de  Monsieur  Neck  er,    par  lui-meme,  VI,  276 
unb  142,  unb  feine  S^cnffd^rift  an  ben  ilönig  öom  Wai  1790. 


grau  t).  ®tael  über  bie  ^efi^ergretfung  ber  j^ird^engüter.  473 

teante  Pd^  bcrufcnb,  mit  meld^em  3ied)t  ber  2Rcnfd)  für  feine 

ScfHmtnungen  ewige  Sauer  in  SInfprud)  ju  nel^men  wage,  unb 

»ic  c5  möglid^  fei,  in  ber  Siad^t  ber  3^4*^«  nic^t  mel)r  nad^- 

metSbare  JRcd^tStitcI  gu  fud^en,  um  fte  ber  lebenbigen  SBernunft 

mtQt%miVi^a\kn^  ^)    6§  war  bie§  ber  ^unft,  an  weld^em  fte, 

bie  ^roteftantin ,   Pdi)  im  ©efü^l   erlittenen  llnred)t§  mit   ber 

Kcöolution  begegnete.    @ic   empfanb   baSfelbe   nid^t  nur  al*3 

SKitglieb    einer    fo   lang   unb    bitter    verfolgten    Äird)e.    SBic 

tlc  e§  fpäter  unöerl^ol^Ien  auSfprad),   fam   ba§   ©efül^l  l)inju, 

ba^   am  firc^lid)en  aSerbot   ber  (Sl^e  mit  3lidt)t!atl^olifen  il^r 

eigene!^  2eben3gIüdE  gefc^eitert  fei.    SBäl)renb  Jlerfer  in  fold)en 

^)erfönlid^en  5iJiotioen  einen  ®runb  ber  3iinirf^öltung  unb  um 

fo  gered^teren  Unterfd)eibung  fanb,  greift  feine  Sod)ter  auf  bie 

®cfd)id^te  ber  religiöfen  aSerf olgungen ,  auf  bie  (Seuennenfriege, 

auf  bcn  SBiberruf  beö  ©bifte^   von  9iante*^   jurücf,   um   ben 

größten  SRepräfentanten  ber  franjöftfd^en  Äird)e,  um  Soffuet  für 

J>cn  a3unb  ber  Sntoleranj  mit  bem  25e§poti§mu§  öerantwort* 

Xid)  jU  mad^en  unb  ber  Äird)e,  bie  \i)n  einging,  baö  3fied^t  il)rer 

I^cöorjugten  Stellung  im  Staat  abjufpredjen.  @o  intolerant  eine 

-fold^e  Sd^lufefolgerung   felbft  wiebcr  mar,   erfannte  grau  oon 

Staöl  bafür  um  fo  rid^tiger,  ba^  eine  ber  §aupturfad)en  bes  SBer= 

fällig  ber  3fieligion  in  granfreid)  „in  ber  3?erbinbung  ber  ©ogmen 

mit  ben  ^rioilegien",  in  ber  „93ermifd)ung  Don  @Iaubem5artifeln 

mit  bem  politifd^en  Sefenntnife''  gu  fud)en  mar  2).    ^ijxc  a\x\^ 

rid^tige  Siebe  gur  gretl)eit  führte  fie  mieber  auf   ben  red)ten 

SSeg,  als  ber  Singriff  gegen  ben  Äleruö  nid)t  mel)r  bem  Sejt^ 

unb  ben  meltlid)en  ©l^ren,  foubern  bem  ©emiffen  beSfelben  galt. 

3n  il^ren  fpäteren  Slufgeid)nungen  wie  in  it)rem  perfönlid^en 

SScrl^alten  mäl^renb  beö  3al)re§  1790  mad)t  ftd)  übrigen^,  wenn 

aud^  il^r  felbft  unbewußt,  baS  aHmälige  ßw^rftreten  be§  @tn= 


')  Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  355  — 3G2.  Jared 
Sparks,  Gouverneur  Morris,  I,  335.  3J2orri§  an  Sßaf^iuöton,  4.  9ioöem6er 
1789. 

2)  Madame  de  Stael,  Considerations.    XII,  299,  355  u.  ff. 


474  9{edfer'§  SQlZetnung  f^at  fein  ®ekoi(^t  mel^. 

Puf[eS  oou  Jlcdfcr'ö  Slnfd^auungen  auf  jtc  fül^lbar.  SBd^rcnb  er 
jtd^  öon  bcr  crften  ©teUe  im  Staat  mel^r  unb  tnc^r  jur  Slottc 
eine^  pafpöen  Qn^ijantx^  ernicbrigt  fal^,  lag  cS  im  SBefcn  bcr 
©inge,  bafe  grau  öon  @ta6l,  obwol^l  fic  mit  immer  gleicher 
SetDunberung  gu  il^rem  3Satcr  cmporblidfte,  bod^  Don  ©cbanlen* 
ftrömuugen  erfaßt  mürbe,  bic  ber  jmingenben  Slotl^mcnbigleit 
entfprangen,  ba§  3fiettungömerf  ber  ©efellfd^aft,  meld^eS  ber  gu 
Soben  gemorfenen  [Regierung  nid)t  mel^r  gelingen  lonnte,  unab* 
l^ängig  t)on  il^r  gu  unternel^men. 

©enn  mit  beut  ®elret  t»om  7.  SRoüember  war  iebcS  SQlini» 
fterium  in  g^ranfreid^  gur  Untl^ätigleit  üerurt^eilt,  inbem  bie 
aSerfammlung  ftd^  eiuerfeits  weigerte,  bem  ÄSnig  SKinifier  ani 
i^rer  -Bütte  gu  geben,  anbererfeit^  aber  gu  regieren  glaubte  unb 
boc^  feinen  ©el^orjam  gu  ergmingen  mufete.  SlHeS  Slnberc  ergab 
jtd)  barauS  unaufl^altfam  unb  öon  jelbft.  g^anfreld^  bcbecfte 
jtd)  mit  einem  $eer  oon  SSeamten,  bic  tl^atfäd^Iid^  nur  öon  ber 
3iationaIt>erfammIung  abl^ingen.  ®a§  SQäal^lred^t,  m&l^renb  bcr 
gangen  reoolutionären  ^eriobe  nad^  ben  Dcrfd^icbcnften  S^ilemen 
ausgeübt,  fam  beinal^c  bem  allgemeinen  ©timmred^t  gleid^,  ba 
e§  ftd)  auf  öier  SRiHionen  aftiubürgcr  crftredftc,  wenn  e8  aud^ 
burd^  3lufred^tl^altung  eineö  niebrigen,  burd^  bic  SScrfajfung  oon 
1791  auf  ben  Sol^n  oon  brei  SlrbcitStagen  ennäfeigten  (SenfuS 
bie  oon  ben  -JKenfd^enredjten  erträumte  oöHige  ©letd^fteHung  Der« 
weigerte^).  @o  gelangten  bereite  1789  bie  Scfifelofcn  jugletd^ 
gur  politifd)en  ÜRad)t  unb  gum  ©ntfc^lufe,  bicfelbe  gegen  baS 
6igentl)um  gu  gebraud^en.  ©agu  oerlegte  bie  plöfeli^  gewährte 
fd^ranfenlofe  ^refefreil^^it  unb  baS  ebenfo  unbebingtc  SSereindred^t 
bie  eigentlid)e  Seitung  ber  öffentlid)en  Slngelcgcnl^citcn  in  bie 
6lub§  unb  in  bie  Journale. 

®er  bretonifd)e  6(ub,  immer  nod^  oom  Sriumoirat  ©u« 
port  —  Sametl)  —  SSamaüe  geleitet,  tagte  feit  Dftober  im 
Safobinerf (öfter  gu  ^ariö,  unb  berfelbe  ©uport,  bcr  ^anlretd^ 


^)  Jules  Simon,  üne  Acad^mie  sous  Je  Directoire,  289. 


S)ic  Slationalöcrfammlung  tcgicrt.  475 

bewaffnet  l^attc,  gab  eine  neue  ^robe  jeineö  Salenteö,  bie  Un* 

orbnung  gu  organiftren,   inbem  er  je^t  in  ben  ©epartementö, 

unter  bem  Flamen  patriotif  d)er  ©ejellf  d^aften,  jtd^  mit  SBerbinbungen 

unb  Agenten  oerfal^,  bie  mit  feinem  ^arifer   6lub  jufammen 

o^)erirten,   bie  ©emütl^er  in  ©ä^rung,   bie  Seibenfd^aften  wac^ 

erl^lelten,  gugleid^  für  ©pionenbienft  unb  ^ropaganba  forgten, 

unb  bie  a^ätigfeit  rul^iger,  befonnener,  orbnungöliebenber  33ür- 

ger  fo  unmöglid^  mad^ten,  bafe  bie  SJiitglieber  unb  Slnl^änger 

be§  fölubS   ber  i&auptftabt  balb   bie  eigentlid)en   Ferren   ber 

Situation  würben,   bis  fte  il)ren  SRad^foIgem  unb  SEobfeinben, 

ben  Salobinern,  in  bie  ^änbe  fielen.    %xa\x  t>on  ©tael  öergleid)t 

biefen  6Iub  mit  einer  2Rine,  bie  jeben  3lugenblid  baö  SSeftel^enbe 

in  bie  Suft  fprengen  fonnte  ^).    ^m  Slpril  1790  jmar  mürbe  ber 

33erfud)  gemad)t,  il^m  burd^  einen  anbern,  bem  (5lub  öon  1789, 

ben  Sa  ga^ette,  SSaill^,  Sa  [Rod^efoucaulb,  SEalle^ranb,  6I)apelier, 

Sloeberer  grfinbeten,  SRirabeau  unterftfi^te  unb  ©ie^eö  präft* 

birte,  ein  Oegengetoid^t  ju  fd^affen,  aber  wie  fortan  aKe  SSer* 

fud^e,   ben  entfeffelten  ©trom  ju  bämmen,   fd)lug   aud^   biefer 

fel^I.    „©ie  Slufgabe,  gu  erl^alten,  ju  befdl)ränfen,  ju  oerbieten, 

ift'^ ,  wie  grau  oon  ©tael  t>on  eben  biefer  ^Bereinigung  mit  ooHem 

Sfled^t  bemerlt,  „bie  Slufgabe  ber  ^Regierung  unb  nid^t  bie  eineö 

©lubS".    Sie  fonnte  bieSmal  um  fo  weniger  gelingen,  al§  ber 

©egenfa^  gwifd)en  ©uport  unb  Sa  ga^ette,  ober  ber  gwifd^en 

Samaoe  unb  SEaHetiranb,   burd^auS   nid^t  in   ben  ^rincipien, 

fonbern  im  Äampf  um  bie  3Rad)t  lag.    ^ier  wie  bort  wollte 

man   bie  SReöolution,   unb   l)ier  wie  bort  woHte   man  jte  be* 

l^errfd[)en.    ©ine  SSerftänbigung  mit  ben  conferoatioen  Äräften 

war  überbieö   nid)t   benfbar.     SBie  l)ätten   SJlänner  oon    ber 

dl)aralterfeften  ßl^rlid^feit  eines  5!Kalouet  ober  (Slermont^Sonnerre 

mit  21.  be  Sametl^  ober  ©uport  gufammenwirfen  fönnen,   Don 

weld)en  ber  unbebeutcnbe  Sametl^  il^nen  feines   raftlofen  6l^r= 


0  Droz,    Histoire  de  Louis  XVJ.,  III,  102—103.    ©^bel,    ©cfd^id^tc 
ber  SflcöoIutionSaeit,  I,  121.     Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  400. 


476  ©TÜiibunG  bcr  iSAiiH  öon  1789. 

geiles  uieiien  aU  ebcufo  unjiiuerläBlid)  wie  gcfä^rlic^,  bcr  an= 
bcre,  Suport,  aU  ein  Jaimtifer  ijalt,  ber  um  fein  Qkl  ju  er* 
reicl)en,  aud)  ber  Süge  fid)  bebiente  ^). 

5^ie  praftifd)  n3o()lt^ätig[te  Schöpfung  ber  Gonftituante, 
bie  9tefürm  ber  Siifl^J»  uerlor  burd)  bie  Slbfe^barfeit  bcr 
iRid)ter  unb  i^re  Söa^l  burd)  ba^  3}olf  miebcr  bie  gröBtc 
i()rer  Segnungen,  bie  2(ueitd)t  auf  Unab()ängigfcit  unb  SBcftanb. 
23ät)renb  t>a^^  Sanb  mit  fieberl^after  §aft  umgcftaltct  XDurbc, 
blieb  bem  nod)  immer  bem  Okmen  nad)  an  bcr  Spi^c  bcr  @e= 
fd)äfte  fte^enben  ü)Jiniftcr  feine  anbcre  Stufgabe,  alä  bie  täglid) 
ann)ad)fenben  Äoften  ber  JRcuolution  ju  bcjai^lcn,  öon  bcuen 
man  bered)net,  ba^  ber  Unterhalt  bCiS  ^arifer  Proletariats  allein 
bem  Staat  monatlid)  auf  mel^rcrc  ÜRillionen  gu  ftcl^cn  fam-). 
9lecfer  ^atte  ben  Seputirten  am  6.  SWärj  mitjutl)cilen,  bafe  baS 
Seficit  für  bie  näd)ften  ]ed)^3  9)?onatc  294  9Ktnioncn  betrage. 
S)ie  9}ürfd)(äge,  mit  me(d)en  er  bicfe  ©röffimng  begleitete,  »aren 
begreiftid)er  3Seiic  nid)t  met)r  Don  ber  früheren  3ut)cr|td^t  burd^* 
brungen.  Grfprad)  jefet  non  feiner  burd)  fooiclc Sorgen  erfd)üttcrtcn 
®efunbt)eit,  Don  ber  9^otl)menbigfeit  einer  ©rl^olung,  wenn  aud^ 
nod)  nid)t  oon  ber  eine»  3fiüdftritt^5.  6r  bat  bie  SBcrfammlung, 
bie  c^  Dermeigcrte,  i()m  eine  au^5  xijxmx  Sd)ofe  gemäße  ginang* 
commijfion  ^ur  Seite  ju  geben,  bamit  bie  3Seranttt)ortung  nid)t 
mc()r  auf  il)m  aHein  lafte.  -Stuf  feine  ©elbforbcrnngcn  war  feit 
iH'ooember  mieber[)oIt  mit  bem  ^rojeft  entgegnet  worben,  ftatt 
ber  ©rünbung  einer  burd)  b^n  Staat  garantirten  9tetionalbanf, 
mie  D^edfer  fie  beabfid)tigtc ,  bie  Sid)crl)eit  für  neue  Slnleil^cn, 
unbnor  Slßem  für  ßmifftou  be^5  ^apiergclbeS,  im  SBcrfauf  ber 
^irc^engüter,  in  erfter  ßinie  ber  Äloftergütcr ,  ju  fud)en.    @* 


')  Malouet,  Meinoire.s,  I,  2S1.  Leouzon-Le  Duc,  Correspondance 
diplomatique  du  Baron  de  Starl-IIolsteiii,  U4,  ©cpcfc^c  Slx.  136.  Galerie 
hislorique  des  contemporains,  IV,  281,  A.  Duport. 

-)  A.  Sorel,  L'Kurope  et  la  Revolution  fran^aise,  I,  206.  Spbel, 
«icic^id^tc  bcr  SficDoIutioii'^^cit,  I,  130. 


^tdtt  unb  bic  ginanslagc.  477 

gereid^t  5Rccfcr  ju  ©l^re,  bafe  er  bieSmal  mberftaub.    ©r  gab 

fiä)  Dom  finanjtellen  ©tanbpunft  au§  feiner  S:äufd)ung  barüber 

l^in,   bafe   ol^ne  öorl)ergel)enbe  ^Regelung  ber  SBertoaltung  unb 

aScrwenbung  be§  Äirdienfonbö,  tote  jte  and)  SRirabeau  uergebenS 

verlangte,  fold)e  SBorfc{)Iäge  nur  jur  Sßergröfeerung  be§  a^iuinS, 

gut  Slf|tgnatentt)irtl^fd)att,   unb   enblic^   jum  SSanferott   fül^ren 

lonnten.    ©enn  toäl^renb  man  bie  @d)tt)ierigfeit  ber  SBeräufeerung 

bcr  ^rd^engüter  unterfd^ä^te ,  gab  man  ftd^  über  bm  SBetrag 

bcS  Äird^enöermögenö  felbft  feiner   geringeren  Säujd^ung  l)in. 

(Sinen  Sil^cil  be§  ju  erl^offenben  ®ett)inne§  erwartete  man  jubem 

bcreitö  oon  ber  ^erabminberung  ber  Soften  für  ben  Unterhalt 

bcS  @ultu§,  tt)a§  fd)on  bie  Umgeftaltung  ber  inneren  fird^lid^en 

SBcrpitnif[e  mit  einfd^Iofe.    ®enn  ehm   bie  SluSpd^t,  mittelft 

ber  ßonjtöfation  il^reS  3Sermögen§  bie  Äird^e  jelbft  töbtlidE)  gu 

treffen,  brängte  bie  Sinfe  öoran.   Seiber  l^atte  SIedfer,  um  biefe^ 

neue  SBerberben  abjun)enben,  nur  ^aHiatiomittel  ju  bieten.    Sie 

©iölontofaffc,  mit  beren  §ülfe  er  bi§  je^t  tJorjug^tücife  operirt 

l^atte,  mar  felbft  überjd^ulbet  unb   gegen  ben  3Sorfd^Iag   ber 

©rünbung   einer  Sflationalbanf  fprac^   ber  Umftanb,   bafe  ber 

Staat,   ber  jte   garantiren  foHte,   feinen  Srebit  mel^r  i^atte^). 

35aS  ©efret  öom  19.  35ejember,  melc^eö  öorläufig  ben  33erfauf 

üon  Äird)engütem  bi§  jum  SSetrag  öon  400  ÜRiHionen  gegen 

SluSgabc  t»on  Sljjtgnaten  anorbnete,  mar  bennodt)  ntd)t  a^\xx\)tnbcn 

gewefen,  aber  öorläupg  baburd)  in  feiner  2lu§fül)rung  gel)emmt, 

bafe  e§  nid)t  gelang,  für  bieje  plö^Iid)  unb  ju  fo  ungünftiger 

3eit  auf  ben  SRarft  gemorfenen  ©üter  Käufer  ju  finben.    Stuf 

bicfen  Umftanb  I)offte  bie  9^ed^te  unb  gäl)lte  SReder  felbft  jur 

©urd^fül^tung  feiner  SBorfdjläge,  al§  bie  ^^arifer  Commune  ein« 

griff  unb  ber  @adE)e  plö^Iid)  eine  anbere  SBenbung  gab.    ®ie 

Seforgnife,  eine  unöergleid^lid)e  ©elegenl^eit  ju  ©unften  beö  Um= 

fturgeS  öerloren  gel)en  ju  laffen,  neranlafete  fte  gum  Slnerbieten, 


')  Jared  Sparks,  Gouverneur  Morris,  IT,  94. 
39Iennct]&attett,  5rau  ton  (5taöL  I.  3X 


478  ^^^  ^dgabe  t>i)n  91fftgnaten. 

Äloftcrgütcr  im  Setrag  oon  200  SWillioncn  unter  gewtffen,  il^r 
günftigen  Sebingungen  ju  übemel^men ;  ein  gleid^eS  erflärten  ftc^ 
anbere  ÜRunicipalitäten  gu  tl^un  bereit,  unb  fo  »urbe  ber  SBer* 
fauf  be§  gei[ttid)en  SSeft^eö  biö  jur  ^öl^e  ber  400  SBKttionen 
gejtd^ert.  9liemanb  fonnte  ftd^  mel^r  oerl^el^lcn,  ba^  eö  nur  ber 
erfte  ©d^ritt  jur  @ingiel)ung  be§  gejammten  Äird^engutcS  war. 
SBergebenö  erbot  ber  Äleruö  je^t,  bie  gleid^e  Summe  alö 
^^potl^el  auf  feine  ®üter  gur  33erfägung  ju  [teilen.  3Wan  ent- 
gegnete, feit  bem  SSefd^lufe  be§  2.  Sloüember  i^abe  er  fein  Se« 
ftimmung^red^t  über  ba^  jur  ©iöpofttion  ber  Slotion  gefteHte 
Äird^enöermögen  öerloren,  wie  eö  benn  überl^au|)t  feit  bem 
27.  Sunt  feinen  befonberen  geiftlid^en  ©taub  mel^r  in  ffranfreid^ 
gebe.  2)ie  entfd^iebenften  SSertl^eibiger  ber  geopferten  Äirdje 
fäl)Iten,  bafe  bie  ftürmifd^en  Äämpfe,  bie  je^t  in  ber  Slffem- 
blee  folgten,  bod^  »ergebend  fein  würben,  ©en  le^en  SSer* 
fuc^  jum  ^Jriebcn  oon  ©eiten  eineö  frommen,  gläubigen  unb 
bemofratifd^en  Utopiften,  beö  Äart^äuferS  ©om  ®erle§,  bie 
fatI)oIifcl)e  [Religion  al§  bie  beö  frangöjtfdben  SBolfeö  gu  erflören, 
beantwortete  ÜRirabeau  inbem  er  mit  ber  ^anb  nad^  bem  Scnjler 
be§  Souöre  geigte,  öon  weld)em  ^erab  ber  glintenfd^ufe  eineö 
Äönigg  ba§  3^id)en  gur  33artl)olomäuSnad^t  gegeben  i^abc.  @« 
war  öorbei.  2lm  14.  unb  17.  Slpril  befc^lofe  bie  6onftituante 
Sefolbung  beö  ÄleruS  unb  SSeftreitung  be§  6ultu8  auS  ©taati^* 
mittein,  @ingiel)ung  beö  gefammten  Äird)enguteS  unb  SluSgabe  öon 
2tfftgnaten  im  Setrag  oon  400  3KiIlionen.  Nieder  geftanb  fid^  unb 
2tnberen,  ba^  bie  Slbminiftration  beö  ©taat^oermögen«  bamtt  ouö 
feiner  $anb  in  jene  ber  SRationaloerfammlung  übergegangen  fei. 
©eine  Slnftd^t  über  bie  SJforalität  beö  ©efd^e^enen  blieb  bie  gleid^, 
aber  wie  an  fel^r  oerfd^iebener  ©teile  ber  unreblid^c  SSerwaltcr 
ber  Älugl^eit  wegen  gelobt  ift,  mit  weld)er  er  fid^  burd^  ba« 
ungered)t  (grworbcne  greunbe  im  UnglüdE  ftd^ertc,  fo  glaubte 
5lecfer  bie^mal  ba^  ©efd^idE  bewunbern  gu  foHen,  mit  weld^em 
bie  23erfammlung  ber  ©ituation  begegnet  fei,  inbem  fie,  fiatt 
auöftänbige  ©teuern  einguforbern  ober  bereu  neue  aufguericgen, 


(^naiel^ung  bed  Rn^tnüexmbQtni,  17.  8(pril  1790.  479 

ll^rc  ^o^)uIaritSt  burd)  ^rciögcbung  bef[en  gerettet  l^abc,  was 
il^r  nid^t  gcl^örtc^). 

9lur  nod^  wenige  SBod^en,  unb  ber  Sürgerfrieg  ubemal^m 
an  Sledfer'S  ©teile  in  biejem  5ßunfte  oor  allen  bie  aSerurtl^eilung 
1)cr  ^olitil  ber  ßonftituante.  grau  öon  ©tael  l^atte  an  bie 
"SluSjtd^t  ber  Segrünbung  einer  parlamentarifd^en  [Regierung  in 
gronfreid^  bie  Hoffnung  gefnüpft,  ba^  eö  il^rem  33ater  gelingen 
iperbe,  als  3fiebner  in  ber  3lffemblee  nid)t  nur  eine  Sßartei  um 
fid^  ju  öcreinigen,  fonbem  aud^  über  benjenigen  ju  triump^iren, 
üon  bem  fic  jo  rid^tig  fül^lte,  bafe  er  bie  gange  Sebenöfraft  ber 
Sieöolution  in  fid)  concentrire  —  über  5Kirabeau  ^).  ©ic 
3;dufd)ung  war  um  jo  größer,  als  grau  Don  @tael  bie  wunber* 
bare  Swjammenje^ung  biejeS  Talentes,  „auS  Äraft  unb  Drigi« 
nalitdt,  auS  Sitterfeit  unb  3^^onie"  erfannte,  beffen  unöer« 
gleid^lid^e  ÜRac^t  über  bie  ^örer  nid^t  gum  wenigften  barin 
tefianb,  bafe  eS  ftd)  gu  mäßigen  wufete,  ba^  „^Jlirabeau  auf 
ber  Sribünc  öor  SlHem  imponirte"  ^).  9tur  aufeerorbentlid^e 
33ebtngungen  öeranlafeten  bei  il^m  bie  l^erauSforbembe  2tpo* 
ftropf(e,  baS  Slufleud^ten  ber  unöergleid^lid^en ,  momentanen  Sn* 
'f^)tration,  ber  bie  ßonftituante  faft  niemals  miberftanb.  @egen 
•ein  fold^eS  {Rebnertalent  mären  bie  SBorte  Jledfer'S,  ber  münblidE) 
tüic  fd^riftlid^  in  langen  SluSeinanberfe^ungen  jtd)  erging  unb 
über  bie  gefüf)lDolIen  SRebenSarten  ber  Qdt  faum  gu  eri^eben 
tüufete,  bod^  mirfungSloS  oertjaHt.  9Ran  fei  eS  mübe,  Nieder 
ftctS  l)on  feiner  3fieblid)fcit  fpred^en  gu  I)ören,  fd)rieb  ber  nad^= 
l^erige  berül^mte  ^mi\t  SRomiH^,  ber  1789  in  ^^JariS  t>erlebte, 
ttad^  einer  f old^en  Slnfprad^e  SRecf er'S  feinem  greunb  ©umont  *). 
^ubem  war  beS  SRinifterS  eigene  Uebergeugung,   bafe  feit  ben 


*)  De  radministration  de  Monsieur  Neck  er,  par  lui-meme,  VI,  142. 

2)  Madame  de  Stael,  Consid^rations,  XI,  264. 

8)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  III,  288,  S«otc,  naä)  ben  Sendeten 
Don  QtitQcno^tn.    Duc  de  Levis,  Souvenirs  et  Portraits,  217. 

*)  Memoirs  of  the  Life  of  Sir  Samuel  Romilly,  I,  378.  SBricf  an 
©umont,  ©cjcmbcr  1789. 

31* 


480  O^Au  ^^^  3tael  über  fUtdtx  unb  ä]>liiabeau  M  9lebnet. 

Cftobcrtagen  bic  Scroal^rung  bcö  Äömge  oor  perfonlic^er  ®t^ 
fa^r  unb  in  golgc  beffen  bebingungslofc  Untcrrocrfung  öor  bcr 
affcmblec  geboten  feien  ^),  wenig  baju  angct^an,  Screbfamfcit 
ju  ent^ünben.  Semeife  baoon  gaben  bie  Sieben,  bie  eS  Sleder 
geftattet  mar,  bei  befonberen  ©elegenl^eiten  an  bie  SBerfammlung 
gu  ricl)ten,  unb  me()r  noc^  biejenigen,  bie  er  für  bcn  Äönig 
oerfaBte.  3lm  4.  gebruar  1790  l^atte  Subwig  XVI.  auf  ben 
SRat^  feines  SRinifterS  in  einer  foId)en  Slnfprad^e  an  bic  5Bcr* 
fantmlung  ^u  ©ntrac^t  unb  grieben  aufgeforbert  unb  Serfic^e« 
rungen  opferroiltigen  t?^[t^alten§  an  ber  Gonftitution  gegeben, 
bie  jroar  nid^t  öerfel)len  fonnten,  bie  ^erjen  für  bcn  Slugcnblicf 
iju  rüt)ren  unb  eine  jener  geräufc^öoKen  S)emonftrationcn  l^cr» 
öor^urufen,  meldte  ber  Gonftituante  geläufig  waren,  aber  axn 
Sauf  ber  Singe  nid^t  ba^  geringfte  ju  änbern  Dermod^tcn.  6S 
gehörte  überf)au^t  gum  SSerl^ängnife  ber  ©ituatton,  bafi  bie 
föniglid^e  @a(^e  jmar  immer  noc^  jal^lreid^e  Slnpnger,  aber  feine 
Slat^geber  l^atte.  3Benn  Siioarol  burd)  ben  3ntcnbanten  ber 
föniglic^en  ßiüilüfte,  Sa  ^orte,  Dom  9iHonard^en  confuttirt 
würbe,  gab  er  gur  Slntwort,  ber  Äönig  möge  mit  bcm  SBoIf, 
wenn  e§  fein  muffe,  aud^  mit  bem  ^öbel  gelten,  ben  abel  opfern, 
ben  Klerus  nid^t  öertl^eibigen ;  in  ber  2Roral  gel^e  man  burd^ 
ungeredi)te  §anblungen,  aber  in  ber  ^olitif  burd)  ffel^Ier  gu 
©runbe.  55a§  Stecht  fei  ber  auf  ^adit  geftfifete  Seftfe;  fei  ein» 
mal  bie  2Rad^t  öerloren  gegangen,  fo  fei  \>a^  Siedet  nid^t  mc^r 
gu  retten,  gür  ben  ^öbel  gebe  e§  fein  erleuchtetet  3>^l^tl^unbert. 
»Dites  au  roi  de  faire  le  roi«,  liefe  er  il^m  burd^  SRoIed« 
l^erbeö  fagen^).  ©eine  tiefe  Sßerad^tung  ber  gelben  beö  Sag* 
unb  beS  reöolutionären  ®leic^l^eit§ibeal§  öeranlafete  il^n  gum 
3fiatl^  an  ben  Äönig,  ftd^  ber  9fieDolution  als  eines  SBerfgeug* 
gu  bebienen,  baS  einmal  öerbraud)t,  nid^t  fd^neU  genug  weg« 
geworfen  werben  fönne.     ©iefer   diati)  ift    aUerbingS   befolgt 


')  De  radininistration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-meme,  VI,  167. 
'^)  Lescure,  Rivarol,  255  unb  195—197. 


2){e  ffiat^Qchtx  be«  5^önigd:  SJflbatoI,  Sa  gfa^ette,  WoniS.  481 

toorben,  aber  nid)t  öom  tnilben,  imentfdöloffcncn  £ub= 
tüiß  XVI.,  fonbern  öon  ber  gebornen  ^err jd^ematur ,  öon  So^^ 
nctpartc.  JEBcnn  man  bann  bei  $of,  t)on  ber  9lotl^  gebrängt, 
feine  Slntipatl^ie  übertoanb  unb  £a  ^Ja^ette  befragte,  fo  er{)ielt 
man,  auS  ganj  entgegengefe^ten  SRotioen  freilid^,  ben  gleid^en 
JBcfd^eib.  Sein  blinbeö  SBertrauen  in  ben  6rfoIg  ber  fRtoo^ 
lution,  feine  Uebergeugung  üon  ber  Slotl^njenbigfeit  aller  burd^ 
f  e  angerid(teten  S^^pörungen  unb  t)on  bent  SBertl^  ber  ®aran= 
ticn,  weld^e  fte  ber  g^^eil^eit  bietet,  gipfelte,  »ie  ber  ^afe 
üon  SRiüarol,  in  bem  @a^:  „®er  Äönig  an  ber  ©pi^e  ber 
^Bewegung''.  Slbtt)eicf)enb  baöon  »ar  unter  benjenigen,  bie 
feine  fR&dtc^x  gum  Sllten,  fonbern  nur  ba§  praftifd^  9KögIid^e 
wollten,  bie  Stimme  üon  ®ouüemeur  3Rorri§.  ®urd)  ben 
Ärgt  ber  Äönigin,  SBic  b'Slg^r,  liefe  er  auf  beffen  SSerlangen 
bem  Äönig  eine  ©enlfd^rift  einl)änbigen,  bie  t)om  ©ebanfen 
geleitet  mar,  ßubmig  möge  nid)t  nod^  einmal  t)on  ben  bittem 
grfld^ten  loften,  bie  fein  perfönlid^er  SSerfel^r  mit  ber  3(lational= 
öcrfammlung  il^m  eingetragen,  fonbern  ben  gegenmärtigen  ßu* 
Ponb  ftd)  abnfi^en  laf[en  unb  felbft  in  abmartenber  Stellung 
öerl^arren^).  SRorriS  tijat  xntijx  al§  ba^  unb  forberte  öon  Sa 
Sa^ette,  baS  ßommanbo  über  bie  9lationalgarbe  niebergulegen, 
weil  er  leine  mirflid)e  Slutorität  mel^r  über  biefelbe  bep^e^). 
ßS  mar  öorauögufel^en,  bafe  eine  fold)e  Slufforberung  fein  ©el^ör 
finben  mürbe,  mol^l  aber  fül^rte  jte  gur  ©ntfrembung  gmifd^en 
beiben  unb  SKorriö  begab  jtd^  im  Sluftrag  feiner  Stegierung  für 
eine  S^it  nad^  ©nglanb. 

9Ran  ftanb  mitten  im  ereignifeüollen  grül^jal^r  1790.  ß« 
ben  innem  Sd^mierigfeiten  famen  je^t  äufeere  ßontplifationen. 
8[m  10.  gebruar  f)atte  Äaifer  Sofep^  IL,  ber  3[Kenfd)enfreunb 
unb  gefrönte  Sünger  ber  ^f)ilof opl^ie ,  ermattet  unb  enttäufd^t. 


»)La    Fayette,    Memoires,    II,    439.     iBricf    an    Söaf^ington    öom 
12.  Sonuar  1790. 

*)  Jared  Sparks,  Gouverneur  Morris,  I,  339. 
«)  ebcnbafclbit,  I,  351. 


482  ^^e  äußeren  (Somt)I{Iaüonen. 

bic  mübcn  Slugen  gcfd)loffen.  2ln  bcr  (ärcnjc  feine«  Sfleld^ö,  in 
IBelgien,  tobte,  t)on  il^m  entfeffelt,  eine  Sfteöolution  ju  ©unften 
ber  6rl^altung  unb  SBiebererlangung  altöerbriefter  Siechte,  bie 
mit  ber  ^Bewegung  in  gtanfreid^  nur  wenig  gemein  l^atte,  aber 
wie  biefe,  ba§  Sanb  in  Slufrul^r  öerfe^te.  2e|tere8  genügte,, 
um  il^r,  bie  öon  5ßrie[tem,  ©belleuten  unb  friebliebenben  Sür^ 
gern  geleitet  war,  bennoc^  bie  ©^mpatl^ien  üon  üa  ga^ette  unb 
feiner  ^reunbe  gu  gewinnen,  bie  jtd^  gegen  aUe  ©oibeng  bem 
©lauben  i^ingaben,  ba^  biefe  9iet)oIutton,  bie  ^xi  ©unften  bei^ 
gejct)ici^tlic^  begrünbeten  3fied)te§  begonnen  worben  war,  f[(i^  mit 
ber  übrigen  öerftänbigen  werbe.  9lber  aud)  im  ©d^o^  beg  fran* 
jöjtfdöen  3KinifteriumS  begann  man,  bie  auöpd^t  auf  Ärieg  atö 
Befreiung  aus  ber  unerträglid^  geworbenen  inneren  Sage  8U  be^ 
trad)ten.  9!Jiontmorin,  ber  auswärtige  SKinifter,  war  nic^t 
weniger  geneigt,  in  einem  Streit  gu  ©unften  Spaniens  gegen 
©nglanb  gu  interoeniren,  als  Sa  ^a^ette  bereit  war,  nid^t  mir 
in  aSrüffel  für  fein  ^J^eilieitSibeal,  fonbern  aud^  in  Slmftcrbam 
gegen  ben  mit  Snglanb  üerbünbeten  Dränier  baS  ©d^wert  auS 
ber  @ct)eibe  gu  giel^en  0-  2öie  ber  [Regierung  ben  Slnla|,  wteber 
eine  bewaffnete  2Jlacl)t  in  bie  §änbe  gu  befommen,  fo  bot  bcr 
Ärieg  bem  ©eneral  Sa  ga^ette  2luSftd)t  auf  perfönlic^en  Srfolg 
unb  erneuerte  Popularität.  SluS  benfelben  ©rünben  warfen  Mc 
Safobiner,  burd)  il^re  ^eerfolge  in  ber  Slffembl^e,  auf  ben  Sri» 
bünen,  in  ber  Strafe,  im  „3lmi  bu  5ßeuple"  öon  3Rarat,  il^ren 
gangen  ©inpufe  in  bie  entgegengefe^te  SBagfd)ale.  SftobeSpierre,  bem 
ber  Ärieg  bie  §errfc^aft  bringen  foUte,  benuncirte  il^n  öorläupg 
nod)  als  eine  33erfd)wörung  ber  Äönige  gegen  bie  SSöller,  unb 
es  fam  in  ber  3lationaloerfammlung  gur  großen  SSer^anblung 
über  baS  3fled)t,  Ärieg  unb  ^rieben  gu  fd)lie6en. 

SBorl^er  war,  anfc^einenb  wenigftenS,  ein  anberer  fJricbenS» 
fd)lu§  erfolgt,  ber  gwifd)en  ber  3Konard)ie  unb  SKirabeau. 

®raf  ^öiercq  nämlid) ,  je^t  ©efanbter  Äaifer  Seopolb«  am 


0  A.  Sorel,  L'Europe  et  la  Revolution  fran^aise,  II,  54,  61,  93—95. 


^ed  jlönigd  fRcä^t  über  jhieg  unb  Stieben.  483 

^of  fdncr  ©d^toeftcr,  l^attc  im  3(prtl  burd)  bcn  (ärafcn  be  la 
SWatcf,  unb  gwar,  auf  bcfonbcrn  SBunfd)  bcö  ÄönigS,  ol)nc 
fUlcdfcr'S  SBomtffen,  feine  Slnnä^erung  an  ben  ^of  öermittelt. 
@d  mar  il^m  gelungen,  bie  j^önigin  bat)on  gu  äbergeugen,  ba^ 
2Rtrabcau  leinen  Slntl^eil  an  ben  SBerbred^en  beö  6.  Oltober  ge= 
^aBt  l^abe,  unb  einmal  barüber  beru{)igt,  überwog  il)re  perfön« 
li^e  Slbnelgung  gegen  Sa  ^Ja^ette  bie  Sebenfen  einer  33erftän= 
bigung  mit  9Rirabeau.  ©ein  SSater,  ber  alte  5Rarquiö,  >rami 
des  hommesc,  war  (Snbe  1789  geftorben,  ol^ne  bafe  biefer  Stob 
ffir  ben  Slugcnblid  wenigftenö  bie  finangieUe  Sage  feinet  @ol^ne§ 
wefentlid)  üerbefferte.  @r  ging  alfo  barauf  ein,  ba^  ber  Äönig 
feine  Sd^ulben  im  Setrag  üon  208  000  giöreö  jaf)lte  unb  il^m 
flberbieS  6000  Siöreö  monatlid^  gur  SBerfügung  ftettte.  ©er 
©mpfang  fold^er  Summen  wäre  bem  @l^rgefül)l  eineö  unbe= 
fc^oltenen  SKanneö  unerträglid)  erfd)ienen;  3Kirabeau  fe^te  fid^ 
mit  bem  ©ntfd^ulbigungögrunb  barüber  l^inauö,  ba^  an  feiner 
^jolitlfd^cn  Haltung  nicl)t^  baburd^  geänbert  werbe,  gnfoweit 
er,  ol^ne  feine  Popularität  gu  gefäl^rben,  bafür  wirfen  lonnte, 
»ar  er  längft  ein  Anwalt  ber  föniglid^en  Prärogativen,  ©e  la 
SKard  ergäl^lt  öon  feinem  greunbe,  bafe  er  feit  lange  fct)on  bie 
Äage  be§  Äönig§  öiel  brüdEenber  alö  biefer  felbft  empfanb^). 
gubwig  XVI.,  ber  geborne  3Ronard^,  betrad)tete  bie  Serminbe« 
rung  feiner  Verantwortungen  alö  einen  perfönlid^en  ®ewinn. 
SEBcnn  tJtau  t)on  @tael  üorauöfe^t,  bafe  eö  einem  Äönig  nic^t 
möglid)  fei,  in  3Rad)tlofigfeit  jtd)  gu  ergeben,  fo  urtl^eilt  fie  nad^ 
bem  perjönlidien  ®efül)l2).  ©er  gnfel  gubwig^  XIV.  würbe  in 
jebe  erträglid^e  Sage  gewilligt  l)aben.  SJlirabeau  bagegen  wollte 
ein  ftarleS  Äönigt^um,  nid)t  minber  gur  ^dt  alö  er,  üon  ber 
?!Ronard)ie  gurüdgeftofeen ,  feine  Popularität  burd^  Dppofition 
gegen  jte  fd^uf,  als  je^t  wo  er  pdf)  gal)len  lie§,  um,  wenn  ba§ 


^)  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  150. 
A.  Sorel,  L'Europe  et  la  Revolution  fran^aise,  E,  Les  plans  de  Mirabeau, 
39,  46. 

2)  Madame  de  Stael,  Considerations,  XI,  336. 


484  aJItrabeau'd  üf^erbinbung  mit  bem  $of. 

fiberl^aupt  nod)  ntöglid)  mar,  bcn  Sl^ron  gu  retten.  3n  btefer 
ju  fpät  eingegangenen  SlHianj  xoax  merfwürbigcr  SBeife  ber 
Sl^eü  ber  anfrid^tige ,  ber  feinen  Äopf  babei  riöfirte;  bie 
^albl^eiten,  ber  9Rangel  an  SBertranen,  bie  öerle^cnben  ©m 
fd)ränfungen,  bie  beftänbige  Unentfcf)loffenl^eit  waren  auf  Seiten 
berjenigen,  bie  bem  Sßerberben  entriffen  werben  foHten.  9Ran 
weife  wie  SOtirabeau  Don  ber  Begegnung,  bie  il^m  SKarie 
Slntoinette  am  3.  SuH  1''90  ju  @t.  6(oub  gewäl^rte,  aU  enfc 
I)uftaftifd)er  3Seref)rer  ber  Königin,  ,,beö  einzigen  SKanne«,  ben 
ber  Äönig  gur  ©eite  l)abe'',  wieberfel^rte,  wie  er  ftetS  barauf 
guriidffommt,  ba^  um  il^r  Seben  ju  retten,  auc^  il^rc  Ärone 
gerettet  werben  muffe.  3Rit  ber  einen  fei  aud)  ba^  anbere 
öerloren.  Slber  bie  in  i^rer  3Ba^l  nid)t  öorjtd^tige  unb  eben 
beöwegen  fo  pft  getäufd)te  g^ürftin  geigte  ftd^  leineS  bleibenben 
3Sertranen§  mel^r  fällig,  (gin  SBeweiö  bafür  war  gerabe  bie 
^ergogin  öon  ^olignac,  bie  ftd^  if)rer  ®unft  nid)t  mel^r  erfreute, 
al§  ber  ^afe  be^  ^öbelö  fte  gwang,  beSwegen  inS  Äuölanb  gu 
fttel)en  ^).  3Ran  l)ätte  glauben  follen,  bafe  wenigftenS  ®raf  SKerc^, 
ber  treubewäf)rte  ©iener  i{)rer  faiferlid^en  SKutter  unb  i^r 
eigener  ^reunb  unb  Seratfjer  feit  il^rer  frül^en  Sugenb,  bicfer 
wed)felnben  ©eftnnung  nid^t  unterworfen  war.  Slber  wir  wiffen 
burd)  bie  Königin  felbft,  bie  e§  1792  gegen  bie  ^crgogin  Don 
Sourgel  äußerte,  bafe  fte  SRerc^  ber  ©efüJ^lIojigfcit  mit  il^rem 
©d^icffal  giel^  unb  nid^t  minber  öon  il^m  al§  üon  il^rcm  eigcnt* 
lid)en  SSertrauten,  bem  S3aron  SBreteuil,  getäufd)t  worben  gu  fein 
Derjtd)erte.  Sreteuil,  fagt  fte,  ^abe  ftd)  [tetS  nur  burc^  ©elbft* 
fud)t  beftimmen  laffen^).  SBenn  aud)  bie  ^ärte  foldjer  Urtl^elle 
gum  guten  3:{)eil  auf  5Red)nung  beS  UnglüdES  gu  fe^cn  i[t,  fo 
I)atten  9^edfer  unb  felbft  Sa  ^a^ette,  bem  bie  Jtönigin  in 
befferen  S^W^n  gewogen  war,  bie  gletd)e  SBanblung  ber  ®tim« 
mung  erfal^ren.    nieder  war  burd)  alle  ©tabien  ber  @unft  unb 


')  Duc  de  Levis,  Souvenirs  et  Portraits,  134. 
'^)  Ducbesse  de  Tourzel,  Mömoires,  II,  106. 


SDlirabcau'S  SBctbinbung  mit  bcm  $of.  485 

Ungnabc  gegangen^),  ©ie  unübeTOinblid)C  Slbneigung,  ber  inftinf* 
txDc  SBibcmiUc,  ben  9Rarie  Slntoinette  feit  aSeginn  ber  SReöolution 
gegen  ßa  ^a^ette  entpfanb,  ^at  feine  geringe  JRoUe  in  berjelben 
gcfpielt.  3n  biefem  ^unft  wenigftenS  fd)ien  bie  Uebereinftimmung 
3Wifd)en  il^r  unb  5Rirabeau  gejtd)ert.  ©ennod^  üerl^inberte 
btefe  Slbneigung  nid)t,  bafe,  wä^renb  fd)on  bie  SBerl)anblungen 
mit  SKirabean  im  @ang  maren,  ber  Äönig  jtd)  bnrd^  feier= 
l\ä)C^  aSerfpred^en  t)erppicl)tete ,  in  allen  conftitutioneHen  fragen 
Sa  ga^ette  fein  üolleö  SSertrauen  gu  fdjenf en  2).  3Bie  bie  3Rinifter 
über  bie  SSerl^anblungen  jtt)ifd)en  biefem  unb  ber  i?rone,  fo  »urbe 
je^t  ti)ieber  SKirabeau  über  bie  %xaQ\odk  ber  bamaligen  S3e= 
giel^ungen  beö  Äönigö  gu  Sa  ga^ette  in  Unfenntnife  gelaffen, 
t)erfud)te  aber  au§  eigenem  3mpul§  unb  mof)!  miffenb,  ba^ 
man  aud)  ®egner  öerwertl^en  muffe,  if)n  für  feine  ^olitif,  für 
bie  Bereinigung  il^rer  Äräfte  gur  ^Rettung  be§  Staate^  gu  ge= 
wimten^).  @§  gelang  if)m  ebenf omenig  al§  |td^  be§  SSertrauenS 
gubmig'§  XVI.  unb  ber  Königin  ööllig  unb  bauernb  gu 
öerftd)ern.  So  blieb  benn  nid)t§  al§  ba^  ungel^eure  3Bag= 
nife,  bie  9Wonard^ie  tro^  be§  §ofe§,  bie  ^Jrei^eit  tro^  ber 
gafobiner,  bie  fociale  ^ierard^ie  tro^  be§  Slbelö,  unb  im 
SlugenblidC,  mo  ßbmunb  Surfe  ^J^anfreid^  politifd^  „au§  bem 
curopäifd^en  Softem  getilgt''  erflärte  unb  fein  9Kanifeft  gegen 
bie  JReöolution  oorbereitete^),  biefe  SReöolution  öor  fid)  felbft  gu 
retten,  ©er  Sitanenfampf  begann  mäl^renb  ber  SBerl^anblungen 
über  baö  3fled^t  Ärieg  unb  ^rieben  gu  fd)liefeen,  gu  meldten  bie 
Ärieg§gerüd)te   Slnlafe   gegeben   l)atten.    9Kirabeau  wollte  ben 


^)  L^ouzon-Le  Duo,  Correspondance  diplomatique  du  Baron  de 
Stael-Holstein,  116,  117,  125. 

2)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  III,  194—195.  La  Fayette, 
Memoires,  II,  449  u.  ff. 

^)  Hacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  Li  Marck,  II, 
1—7,  15,  19—22.    La  Fayette,  Memoires,  II,  367. 

•*)  S)ie  Sftebe  öon  5Bur!c,  weld^e  bie  angeführte  <SteKe  entl^alt,  tft  öom 
9.  Sebruar  1790;  feine  SBetrad^tungen  über  bie  franjbftfd^e  Steöolution  folgten 
im  SRoöember. 


486  äRtrabeau'd  SSetbinbung  mit  betn  $of. 

grieben.  6r  ^attc  längft  crfannt,  bafe  bcr  Ärieg  eben  biefen 
Safobinem,  bie  jtd)  nod^  gegen  il^n  [trdubten,  bie  ^errfd^aft 
bringen  mufete.  Slber  er  Derlangte  aSertl^eibigungömtttel  für  bie 
Siegierung  gur  SBal^rung  einer  ftarfen  ©efenfiDe  unb  Heber« 
tragung  beö  ,,a3olföred)te§  über  Ärieg  unb  fjrieben"  burd^  bie 
Slffemblee  an  ben  Äönig,  unter  ber  Sebingung  bcr  (äelbbewit 
ligung  burd)  bie  Sßolföoertretung  unb  ber  SRinifterDerantwort* 
Iid)feit.  21m  anbem  Stag  bebedte  ftd)  ^aris  mit  fjlugfd^riften 
unb  S^ttiingen,  bie  ben  „großen  Sßerratl^  be§  (ärafen  SJMrabeau** 
üer!ünbeten.  ®ie  Sinfe  legte  i^re  ©ad^e  in  bie  ^änbe  Don  33ar* 
naüe;  bie  9fied)te  fanb  in  SRaurQ  einen  SBortfül^rer,  bcr  fid^ 
bieömal  übertraf.  2lber  SDlirabeau  fiegte,  wenigftenS  in  fo  weit, 
bafe  nur  auf  ben  Antrag  be§  ÄönigS  unb  mit  feiner  ©anftion 
fünftig  bie  SRationalüerfammlung  über  Ärieg  unb  gtieben  be» 
fdjliefeen  follte.  Sin  jenem  Stag  ftanb  Sa  ^a^ette  ju  Sölirabeou; 
bie  ®rö^e  biefeS  rebnerifc^en  SEriump^eö  üom  22.  SRai  l^at  le^tcrcr 
nid)t  mel)r  überboten,  aber  aud)  ber  poUtifdje  Sieg  blieb  ein 
unoollfommener  unb  oereinjelter.  ©a§  geigten  fd^on  bie  6r* 
eigniffe  ber  näd^ften  3Bod)en,  bie  ©ebatte  über  bie  ßiöit 
conftitution  beö  ÄleruS,  an  tt)eld)er  fid^  3Äirabeau  nid^t  be» 
t{)eiligte,  unb  bie  Slbfd^affung  beö  Slbetö  aU  SBorbcrcitung  gum 
grofeen  Sßerbrüberungöfeft  ber  %xtx'f)txt  unb  ©Icid^l^cit,  bcr 
göberation,  baö  am  Safireötag  beö  14.  guU  in  ^ariS  begangen 
njerben  foHte. 

SBie  in  ber  ^adjt  beö  4.  Äuguft  feine  Privilegien,  fo 
opferte  am  19.  3uli  ber  S^eil  beS  2lbel§,  ber  bie  SicDoIution 
begonnen  {)atte,  il)r  o{)ne  QöQexn  maö  nod)  gu  opfern  blieb, 
bie  äußern  &i)xm,  iEitel,  SSBappen  unb  2lu8geid)nungen.  ©clbft 
Flamen,  bie  gumeilcn  auf  oiell^unbertiäl^rigen  SePfe  jurüd« 
fül^rten,  fönten  abgefd^afft,  bie  SKontmorenc^  lünftig  SBoud^arb, 
bie  SKirabeau  Sftiquetti  l)eifeen.  „@ie  l^aben  wäl^renb  Dicr  Sagen 
gang  6uropa  Dermirrt",  entgegnete  le^terer  barfd^  bem  Souma» 
liften,  ber  il^n  Sliquetti  TSline  genannt  l)atte,  unb  wählte  ben 


Slbf*affung  bc8  Slbcl«,  19.  Suni  1790.  487 

Slugenbltcf,  um  feine  Sebienten  in  giüree  ju  Weiten  ^).  ^m 
©egenfa^  ju  31.  be  Sametf),  SHoaiUe^,  bem  Jungen  SDlatl^ieu  be 
3!Rontmorenci),  Sa  ija^ette,  ber  bem  Äönig  nod)  bcfonberö  gut 
3lbjct)affung  beö  Slbel^  geratl^en  l^atte,  betonte  er  bie  9Kad)t  ber 
(ärinnerung,  bie  Unmögllcf)feit,  in  biefer  Segiel^ung  ben  wal^ren 
Segrijf  be§  3(bel§  ju  gerftören^).  ®ie  ®leid)l)eit  üor  bem  @efe^ 
muffe  gefidjert  bleiben;  alle§  Slnbere  fei  nur  öerftedfteö  Spiel 
ber  ©itelfeit.  SKirabeau  fal)  gang  rid)tig,  unb  fd)on  bie  näd)ften 
SSerl^anblungen  beriefen  »ie  öcrfe^rt  e§  mar,  gegen  ®inge  an- 
fämpfen  gu  wollen,  bie,  weil  in  ber  menfd)lid)en  9latur  felbft 
begrünbet,  ftets  unter  ber  einen  ober  anbem  ^orm  wieber  auf- 
taudien, ©tatt  bie  befte^enben  SluSgeid^nungen  aufgul^eben, 
brad^te  fd)on  ber  9JZarqui§  Don  ßonborcet  in  3Sorfci^lag,  e§ 
folle  S^bem  freiftel^en,  ftd)  biefelben  angueignen,  unb  9?apoleon 
l^at  fpäter  ben  SKifegriff  ber  Sonftituante  burd)  @d)öpfung  eine§ 
?!Äilitärabel§  in  feinem  Sntereffe  wieber  gut  gu  mad)en  gewufet. 

3loäi  oiel  weittragenbere  ßonfequengen  al§  biefeö  ®e!ret, 
ba§  SReder  üergeben§  gu  oerf)inbern  fud^te^),  f)atte  i>a§  nun 
folgenbe  über  bie  Äirdjenüerfaffung. 

6§  ift  gefagt  worben  au§  weld^en  ©rünben  bie  Bewegung, 
bie  gur  Berufung  ber  ©eneralftaaten  filierte,  ben  ^farrfleruö 
auf  i^rer  ©eite  fanb.  3Son  Slnfang  an  waren  bie  SBeweife 
feiner  Eingebung  unb  S^mpat^ie  für  bie  öolföt^ümlidje  @ad>e 
fo  ungweibeutig  unb  entfd^eibenb,  bafe  nid)tö  leid)ter  gewefen 
wäre,  als  il^r  biefe  ©^ntpat^ien  gu  erl)alten.  ®a§  fd^wierigere 
Problem  war  ungweifelf)aft  jenes,  feine  SlUianj  gu  t)erfd)ergen 
unb  ben  frangöjtfd^en  ^riefter  in  einen  ®egner  gu  oerwanbeln. 
3)aS  gal^r  1789  war  nod^  nid^t  gu  6nbe,  fo  l)atte  bie  Slationat 
öerfammlung    ba^    Problem    gelöft.     Unb    bieSmal    lag    bie 


^)  Duc  de  Levis,  Souvenirs  et  Portraits,  209. 
^)  Lettres  de  Mir  ab  e  au  k  un  de  ses  amis  d'AUemagne,  519.    3Kira« 
htan  an  «WauöiHon,  4.  3(uguft  1790. 

^)  Neck  er,  Memoire  au  roi,  Mai  1790.     Oeuvres  completes. 


488  2)i«  eiöilconftttutton  bc8  ÄlcruS. 

©d^ulb  nid)t  nur  an  ber  Äurijtd^tigfeit  il^i^cr  pl)iIo[opl^ifd)cn 
2:l)eorettfer,  fonbcm  in  ber  Scgegnung  i^xtx  ©oftrinen  mit 
anbem  ©inpüffen  unb  Semeggrünben. 

©ie  poUtifd^cn  Stenbcnjen  ber  S^it,  il^r  niöeHirenbe^  ©leid^* 
l^eitSibeal  mußten  mit  einer  auf  Slutorität  berul^enbcn  Drgani^ 
fation  mie  bie  fat{)olifd)e  Äird)e  in  Söiberfprud)  geratl^en,  aud^ 
o^ne  bafe  bie  „6onf:piration  beö  Sltl^ei^muö''  il^r  babei  gu  ^ülfe 
fam.  ©obalb  man  ben  ©ebanfen  fe[tl)ält,  bafe  eg  jtd)  1789  in 
granfreid)  burd)au§  nid)t  um  g^reil^eit,  nid)t  um  Sld^tung  ber 
SReci^te  SlUer,  nid)t  um  ungel)inberte  ©ntmidflung  ber  geiftigen 
unb  materiellen  Äräfte  ber  9lation,  fonbern  um  ©urd^fe^ung 
einer  ganj  fpeciellen  3:^eorie  gur  aSegrfinbung  ber  3Kaffenl^err= 
fd)aft,  unb  um  bie[er  bie  2Bege  ju  bereiten,  um  ©nfül^rung  ber 
öoHftänbigen  abminiftratiöen  ßentralifation  unb  focialen  ®IeidE)= 
förmigfeit  l^anbelte,  bann  mufete  e§,  frül)er  ober  fpäter,  gum 
.Äampf  mit  3lllem  fommen,  ma§  aufeerl^alb  etneö  fold^en  ©^ftemS 
nod)  Slnfprud^  auf  ©elbftänbigfeit  erl^ob. 

(giner  foId)en  Sluffaffung  be§  gefellfd)aftlicften  'Qn\tanbt& 
fonnte  bie  3Sernid)tung  be^  Äleruö  alö  ©taub  nid(t  genügen; 
fte  mufete  meiter  gelten  unb  eine  Umgeftaltung  ber  Äirdt)enöcr= 
faffung  felbft  öornel^men. 

5ftur  bie  3Sergangen{)eit  ber  gallifanifd)en  Äird)e  öermag  gu 
erflären  mie  e§  fam,  ba^  gerabe  in  biefem  ^unft  bie  gerftörcn- 
ben  Ärafte  ber  SReöolution  pd)  mit  ben  reformircnben  SScftrc» 
bungen  in  biefer  Äird^e  felbft  begegneten. 

®urd^  ba^  ßoncorbat  öon  1516  l^atte  ^apft  ßco  X.  um 
ben  ^rei§  grofeer  materieller  Sßort^eile  für  bie  ßurte  baS  bis 
gu  biefem  3^itpiJ"ft  Don  ber  gallifanifd)en  Äird^e  burd^  il^rc 
Äapitel  ausgeübte  ßrnennungöred^t  il^rer  Sifd^öfe  unb  l^ol^cn 
SBürbenträger  ber  franjöpfd^en  Ärone  ausgeliefert.  Son  bicfcr 
Seit  an  batirt  bie  anfangt  bem  ÄleruS  tt)ibertt)iHig  aufgebrun« 
gene,  fpäter  öon  i^m  acceptirte  Sllliang  mit  ber  SKonarc^tc.  35ic 
@eiftlid)feit  unterftü^te  bie  2Kadt)t  ber  Ärone,  begrünbetc  tm 
aSerein  mit  \i)x  bie  ©nl^eit  be§  9fieid^§  unb  eri^ob  burd^  i^rcn 


2){e  ^tDtlconftituHon  bed  j^Ierud.  489 

flrofeen  Seigrer  bic  SJoftrin  üon  bcr  burc^  feine  irbifd)c  3Kad)t, 
fonbcm  nur  burd^  flöttlid)e§  Sted^t  befd^ränften  ^ürftengemalt 
auf  bic  ^öl^e  einer  auögebilbetcn  St^eorie,  bie  jtd)  [tarf  genug 
crtoici^,  um  unter  Submig  XIV.  gu  fünften  beg  Äönig^  gegen 
Sftom  fdbft  in  Slnwenbung  gebrad^t  gu  »erben  ^). 

2)ic  Ärone  il^rerfeitö  beraubte  groar  bie  @eiftUd)feit  nad) 
unb  nad^  aller  il^rer  ©ouöeränetätSred^te  unb  politifd^en  ©clbft* 
fiänbigfeit,  Hefe  i^r  aber  bafür  ©lang  unb  3fleid)tf)um,  entfd)ä= 
bigtc  pc  für  ben  38erluft  il^reö  früheren  öinflufle^  burd^  a5e= 
nifung  gu  ben  tt)idt)tig[ten  Remtern  im  Staat  unb  beIof)nte  il^re 
Eingebung  für  ben  ©ebanfen  ber  politifd)en  @inf)eit  beö  9fieid)§ 
mit  Süifred^tl^altung  ber  religiö[en  ©inl^eit  im  ©lauben.  ®er* 
fclbc  ?!Konard^,  ber  Slöfgnou  befe^te,  gegen  ben  ^apft  an  ein 
ttEgcmeine^  ßoncil  appellirte  unb  feinen  9luntiu§  gefangen 
ncl^men  liefe,  verfolgte  bie  ^ärefie  unb  miberrief  ba§  6bift  mn 
5Rautei8.  ®en  §öf)epunft  ber  Sllliang  jmifd)en  ?!Konard)ie  unb 
Äird^e  in  ^Jranfreid^  begeid)net  bie  [Regierung  Submig'S  XIV. 
in  il)rer  aSlütl^e  2).  @d)on  bamit  ift  gejagt,  bafe  üon  biefem  Qe'iU 
^)unft  an  aud)  ber  unDermeiblid)e  5RücEfd)lag  eintreten  mufete. 
©ie  SSebeutung  ber  gallifanifd)en  Äird)e  beruhte  nid^t  nur  auf 
äußerer  3Rad^tfteIIung,  fonbern  t)ielmef)r  barauf,  bafe  jte,  einft 
bic  ßel)rerin  ber  6t)riftenf)eit,  eine  grofee  lüiffenfd^aftlid^e  ©oftrin 
unb  bie  tl^eologifd)e  @d)ule  gefd)affen  l)atte,  ber  fte  ben  Flamen 
gab  unb  burd)  il^re  berül^mteften  ©oftoren  unb  ©otteögele^rten 
aufred)t  erl)ielt.  ®ie  alten  gallifanifd)en  ©oftrinen  befanben 
fdE)  im  fd^roffen  ®egenfa^  gu  btn  Seigren,  bereu  Sträger  fpäter 
ber  Sefuitenorben  mürbe,  unb  alö  ber  Äampf  gegen  bie 
äufeem  fjeinbe,  bie  ^roteftanten  unb  Hugenotten,  jtd)  auf  tlieo* 
logijd^em  ©ebiet  gu  erjd)öpfen  begann,  brad)en  bie  Streitig^ 
leiten  im  @d^ofe  ber  frangöfijdjen  Äird)e  jelbjt  au§,  bei  meld)en 
bie   au§gegeid)netjten   ®eijter  ber   9lation,  unb   nid)t  nur  S3i= 


^)  ßossuet,  La  politique  tiree  de  TEcriture  sainte. 
2)  ©.  l^ter  ^apM  IV,  254—257. 


490  ^ie  (lit)Uconftituaon  bed  j^lerud. 

fd^öfe  unb  Stlicologen  wie  @t.  ß^ran,  btc  Slrnaubö,  Soffuct, 
iJenclon,  fonbcrn  auc^  fiaten  öon  bcr  genialen  ®röfee  eine§ 
Slaife  ^aScal,  öon  ber  bid^tertfd)en  Sebeutung  eines  Siacine  [xäj 
betl^eiligten.  Sluf  baS  tl^eoIogifcf)e  ®ebiet  blieb  ber  Äampf  nid^t 
befd)ränft.  ®ewol^nt  in  bie  religiöfen  ©treitigfeiten  jtd)  ju 
mifd^en  unb  einjugreifen,  »o  eö  galt,  Singriffe  üon  Slufeen  ab== 
guxüel^ren  unb  bie  ^ärepe  gu  bewältigen,  grijf  bie  tt)eltlid)e 
9Kad^t  aud)  Je^t  ein  unb  liefe  ju  (äunften  ber  jefuitifd^en  fiel^^ 
ren,  bie  ba^  Dl^r  beö  Äönigö  burd)  feine  Seid(töäter  geujonnen 
l^atten,  xi)xm  ©egnern,  ben  ©allifanern  unb  Sanfeniften,  ben 
ganjen  ©rud  ber  religiöfen  23erfolgung  enipfinben.  gubiDig  XIV. 
ftarb,  bie  3Serfolgung  aber  lebte  fort  unb  erftidte  alles  geifiige 
Seben  in  ber  Äird^e. 

Sleufeerlid)  gwar  »urbe  bie  SRu^e  mieber  l^crgefteHt,  aber  c8 
war  bie  3iul)e  eines  Äird)l)ofS.  ®ie  SBomel^tnen  unb  ©ebilbetcn 
unter  beut  ÄleruS  öerweltlid^ten  im  ©enufe,  in  bcr  politifc^cn 
Sntrigue,  gu  oft  aud)  in  ben  SSerirrungen  cineS  pttenlofen 
SebenS.  ©aS  gelb  ber  Stl^eologie  lag  brad^.  ©er  ©eift  beS 
SBiberftanbeS  lebte  in  ben  Parlamenten  fort  unb  öerwieS  bie 
franjöpfd)e  3Ragiftratur  auf  Jene  politifd)e  Dppoption,  bie  gegen 
il)re  Slbpd^t  bie  SReüolution  vorbereitete. 

gür  bie  Url^eber  biefer  Siiftänbe  blieb  bie  SJergeltung  nid^t 
aus.  3)ie  2lufl)ebung  beS  S^fuitenorbenS  war  Dor  Südem  baS 
SBerf  ber  Parlamente,  ber  SßergeltungSaft  ber  ianfemftifd^ 
gepnnten  SJlagiftratur.  2)ie  SBunbe  aber,  bie  bem  fronjöpfc^en 
®ett)iffen  gefd)lagen  xoorben  war,  follte  pd)  ntd^t  wicbcr 
fd^liefeen.  Sie  erzwungene  Drtl^obojcie  würbe  jur  uuwiffenbcn 
©leid^gültigfeit;  bie  Unterbrüdung  ber  iJreii^eit  ergeugte  ^eud^dei 
2)urd^  bie  offene  Srefdje  l)ielten  bie  materialiftifd^en  ©oftrfaten 
i^ren  6ingug.  Slber  baS  religiöfe  SSewufetfein  war,  »cim 
aud)  gurüdgebrängt  unb  gum  ©d^weigen  öerurtl^eilt,  fo  boäi 
nid^t  erftorben.  33en  beftruftiöen  Bd^ren,  wcld^  bie  über» 
wiegenbe  SWe^rl^eit  ber  ®ebilbeten  bel)errfd)ten,  fe^te  baS  SSolf 
bie  SluSübung  ber  befd^eibenen  itugenben  entgegen,  weld^e  bie 


S)ic  diöilconftitutton  bcS  ÄlcruS.  491 

©iöHtfation  betoal^rcn  unb  bie  5Jlationen  erl)altcn,  toai)xmt>  in 
bcn  Seelen  eingelner  geleierter  St^eologen  unb  frommer  Saien 
bie  alte  gallifanifd)e  ©oftrin,  bie  ftrenge  janfeniftifci^e  ^rajrfö 
mit  iener  gälten  Sebenöfraft,  wie  jte  allen  verfolgten  Ueber^ 
Beugungen  eigen  ift,  pd)  erl^telt. 

5Run  aber,  wo  im  ftaatlid^en  unb  bürgerlid^en  Seben  alle 
geffeln  fielen  unb  greilieit,  menn  aud^  nid)t  baS  ßtel,  fo  bod^ 
bie  2ofung  mar,  erfd^ien  nid^tg  natfirlid^er,  aU  bafe  aud^  inner=^ 
i^alb  ber  Äirdje  bie  fo  lang  bebrüdften  Elemente  ben  Slugenblid 
für  gefommen  erad)teten,  baö  [Red^t  freier  Semegung  für  fid^  ju 
beanfprud)en  unb  einen  ßuftanb  l^erjufteHen,  ber  bie  SSBieberfel^r 
tqrannifd^er  SBiUIür  unb  beö  erlittenen  QxoanQt^  au§fd)lofe. 
S)ieS  erMärt  bie  Set^eiligung  aufrid^tig  religiöfer  9Ränner  mie 
Saniuinaiö,  beg  Slbüofaten  6amu§,  ber  auf  bem  ©ebiet  beö 
fanonifd^en  JUed^tg  bem  ÄleruS  alö  Slutorität  galt,  feiner  Kollegen 
Sreill^arb,  greteau,  ©uranb^SJZaiUane,  an  ben  Slrbeiten  be§ 
^mit^S  für  firdilid^e  Slngelegenl^eiten,  au§  meldten  bie  6iüil= 
4:onftitution  be§  Älerug  l)ert)orging.  3f)nen  mar  e§  aufrid^tig 
um  SReform,  um  fRMUijx  jur  SRetnlieit  apoftolifd)er  Seiten  ju 
tl^un.  Snmitten  il^reö,  jeber  Strabition  feinblid)en  ©efdiled^teö, 
beffen  3l>c^l  ^^nn  beftanb,  SlUeö  öon  ®runb  au§  ju  erneuem, 
griffen  pe  allein  auf  frül)ere  3led)t§iuftanbe  jurüd  unb  forberten 
bie  alte  SSerfaffung  ber  gaUifanijc^en  Äird)e. 

©abei  überfallen  jte,  in  meld^em  Slugenblid  unb  öermittelft 
toeld^er  Sunbeggenoffen  fie  ein  fold^eö  Qid  ju  erreid)en  fud)ten. 
<£in  erfal)rener  ^olitifer,  ber  fpätere  ©djmiegerfol^n  Don  S^au 
öon  @tael,  l^at  öor  kämpfen  gemarnt,  bie  ber  5!KitmirIung  aller 
jtoeifeli^aften  Elemente  gemife  ftnb,  xoäijxmb  bie  orbnungöliebenben, 
rul^igen  Seute  erfdtiredEt  unb  in  ^Jolge  beffen  auf  bie  gegnerifd^e 
©eite  gebrängt  merben^).  ©inen  foldjen  Äampf  begannen  bie 
Scinfeniften  unb   ©aHifaner   ber   ßonftituante.    2)ie  Sinfe  fam 


*)  Duc  de  Broglie,  Notices  biographiques  in^dites,  ctttrt  bei  Thu- 
reau-üangin,  Histoire  de  la  Monarchie  de  Juillet,  I,  213. 


492  2)ic  (Jiötlconftitution  bc8  Älcru«. 

i^ncn  bercitirillig  entgegen,  benn  fraft  berfelben  Seftimmungen, 
burd^  tt)eld)e  ein  Samu^  ober  ®rcgoire  baö  ßl^ripentl^um  ber 
erften  Saf)rf)unberte  tt)teberf)erju[tetten  l^offte,  festen  bie  3afo= 
biner  baö  ^rinctp  ber  Sßolföfouöeränetät,  ber  Dmmpoteng  bei^ 
Staate^,  aiid)  in  ber  Äird^e  burd),  unb  ttjäl^renb  pe  öom  römi:= 
fd^en  ©tul^l  SBieberl^erftellung  alter  Prärogativen  ber  gaUüani« 
jd^en  Äird)e  »erlangten,  griffen  jte  jelbft  eigenmad)tig  in  baS 
Äircf)entt)efen  ein. 

®enn  nid^t  nur  bafe,  bnxä)  bie  Slbgrengung  ber  ©iöccfen 
nadf)  ben  83  neuen  ©epartementö,  53  öon  ben  biöl^erigen  136 
aSif d^ofp^en  wegfielen ;  auä)  ber  aCBal^lmobuö  tt)urbe  eigenmächtig 
gednbert,  inbem  bie  3Bäf)ler  jebe^  ©iftriftö  fünftig  ben  Pfarrer, 
bie  2Bäl)ler  be§  ®epartement§  ben  S3ifd)of  ernennen  fotttcn. 
Sur  Sluöübung  biefeö  SBal^lred^tö  war  e§  aber  feineSwegi^  notl^* 
xoenbig,  Äatf)olif  ju  fein.  ®a§  Slnl)ören  einer  SKeffe  genügte, 
um  baju  bered)tigt  gu  werben.  SlHe  Äapitel  unb  bie  gciftltd^e 
®ericl)t§barfeit  würben  aufgehoben,  ©ie  Sifd^öfe  l^atten  ffinftig 
bem  ^apft  il^re  Ernennung  mitgutl)eilen,  bie  fanonifd^c  6im 
fe^ung  bei  il)m  nad)jufud^en  war  il^nen  aber  verboten,  unb  er 
oerlor  ba^  SRed^t  ber  ©ifpenfationen.  Seber  ©rwäl^Ite  l^attc 
ber  Station,  bem  Äönig  unb  ber  Sßerfaffung  ben  ©b  ber  Sreuc 
gu  fd^wören.  ®agu  verlangte  SRobeöpierre  bie  Slufl^ebung  bc8 
ßölibatö,  unb  Sarnave  er!larte  bie  flöfterlid)en  ©elflbbe  für 
eine  aSerle^ung  ber  9Kenfd)enred^te.  ®ie  ßrwägung,  bafe  bie 
3)urd)fe^ung  fold^er  Seftimmungen  ben  Äleru§  von  ber  ©ad^e 
ber  3fleoolution  trennen  unb  gerabe  ©iejenigen,  bie  il^r  bie 
größten  Dpfer  entgegengebrad)t  l^atten,  ju  (äegnem  mad^en 
mufete,  reijte  bie  3ctfobiner,  [tatt  fte  bebenflid^  ju  ma(ften. 
®enn  ungleid)  willfommener  al§  bie  SunbeSgenoffenfd^aft  ber 
Äird)e  war  if)nen  bie  SluSftd^t  auf  il^re  ß^^prung. 

(Selbft  ie^t  nodi)  t)erfud)ten  nid^t  nur  ber  Äönig^),  fonbern 


')  Chauvelot,    Lettres    de    Louis   XVI,    Louis   XVL    ä    Pie    VI. 
2  Juillet  1790. 


S)ic  (Stötrconftttutton  bc8  Äletu«.  493 

anä)  Sifd^öfc,  unter  il^nen  bcr  eble  S3oi§gelin,  ©rjbifd^of  öon 
Slijc,  6ice,  @rjbifcl)of  üon  S3orbeau;c  unb  ©iegelbcira^rer,  unb 
^c[tcr  üon  bcr  öerföl^nHclien  Stimmung  beö  Slbbe  bc  SBlonk^^ 
quiou,  obwol^I  jtc  bie  ßiüilconftitution  mcl)t  in  allen  .il^i^en  SBc* 
jtimmungen  gutl^iefeen,  bod)  auf  ®runb  eingelner  weifer  unb 
nfi^lid(cr  Slnorbnungen  berfelben  eine  SSerftänbigung  mit  bem 
fran3öjtfd)en  ßpiöfopat  unb  mit  JRom  l^erbeiguffilöi^en.  Sie  er^ 
reichten  wenigftenö  fo  öiel,  bafe  ber  milbe  Sßiu§  VI.  peben 
3Ronate  lang,  üon  ber  am  24.  Sluguft  erfolgten  ©anftion  ber 
giöilconftitution  burd)  htn  Äönig  bi§  jum  10.  3Rärg  1791 
jogcrte,  beüor  er  bie  5ßerurtl)eilung  berfelben  auöfprad). 

Um  öoHe  jel^n  SJionate  früf)er,  feit  2Kai  1790,  beantworteten 
ücrfd^tebene  franjöjtfd^e  ^roöinjen  baö  Singreifen  ber  SRationaU 
öcrfammlung  in  bie  innere  Drganifation  ber  Äird^e  mit  bem 
SBürgerfrieg.  ®ag  ßanbüolf,  alö  eö  fa^,  bafe  bie  biöl^er  gut^^ 
ücrtoalteten  ober  billig  Derpad^teten  geiftlict)en  ®üter  in  bie  §änbe 
öon  ©pefulanten  gerictl)en  ober  il^m  burd)  bie  neuen  Sefi^er 
entgogcn  würben,  fanbte  Petitionen  gegen  ben  ©turg  ber  Iatl^o= 
lifd^en  Sfteligion  an  bie  SRationaloerfammlung  unb  griff,  atö 
biefc  erfolglos  blieben,  gum  bewaffneten  SJÖiberftanb. 

3m  6lfafe,  in  ber  Bretagne,  öomelimlid^  aber  im  ©üben, 
in  ber  ^roöence,  in  Slijc,  in  SWarfeiUe,  in  3limeö,  in  3Rontauban 
fam  eS  jum  Slutoergiefeen,  ju  mörberifd)en  kämpfen  gwifd^en 
Äatl^olifen  unb  ^roteftanten,  gwifd)en  ben  2lnl)ängem  ber  3le== 
Solution  unb  il^ren  ©egnern,  ben  S^euerern  unb  ben  3leaftio= 
nären  ^). 

3)ie  ßonftituante,  für  bie  ba^  SBolt  nur  bann  fouöerän 
war,  wenn  eö  mit  ber  j[afobinifd)en  ÜJfajiorität  ging,  beant- 
wortete bieje  Äunbgebungen  be§  nationalen  SJÖiUeng  mit  ber 
SScräufeerung ,   ober  rid)tiger  gefagt,   mit  ber  a5erfd)leuberung 


*)  Taine,0rjgines,  etc.  La  Revolution,  I,  322 u.  ff.  Rene  Lavollee, 
L'J^glise  et  la  Constituante.  Correspondant,  Septembre  1873. 
»Icnnerl&ottett,  5rau  »on  ©toel.  I.  32 


494  ^i^  6it)iIconftitution  beS  StUtuS. 

alleg  nod^  nid^t  öerfauften  Äirc^enguteS,  mit  bcr  ofpcictt  tnS 
SBerf  flefc^ten  ^Ifinberung  öon  Äird)en  unb  ©afriftcicn,  Älöftcm 
unb  Stiftern,  unb  mit  SSoIlcnbung  bcr  ßtöilconftitution.  5)?un 
bemäd^tigtc  jtc^  bie  Uebcrgeugung,  bafe  eg  jtd^  um  nid^tg  anbere^ 
alö  um  eine  SSerfcftmörung  gegen  bie  SReligion  überl^aupt  l^anble, 
mit  unwiberfteJ^lid^er  3Kad)t  beö  gläubig  gebliebenen  Sl^eifö  ber 
Aktion.  aSon  neuen  fird)lid^en  SReformen  tt)ar  nid^t  mel^r  bie 
3flebe,  Jonbern  angeftd^tö  ber  äußern  @efal)r  fd)loffen  fid^  bie 
3flei^en  um  fo  fefter.  3Bag  ba^  bei  fo  SSielen  crfd(fitterte  reli* 
giöfe  aSettJufetfein  nid^t  mel^r  öermoct)t  l^ätte,  tl^at  Je^t  baö  @e« 
fü{)l  ber  ßufammengel^örigfeit,  ber  @tanbeSel)re.  ,,SBir  l^aben 
unö  1791  U)ie  mafire  ©beUeute  benommen",  äußerte  fpäter  ber 
©rjbifc^of  üon  SZarbonne;  „benn  öon  ben  meiften  unter  un§ 
fann  man  nid^t  jagen,  bafe  wir  eS  auö  Sieligion  gctl^an  l^aben*  ^). 
@ö  fanben  fid^  fpäter  nur  fünf  Sifc^öfe,  unter  il^nen  bret  ber 
übelberufenften  SKitglieber  beö  franjöftfd^en  @pigIo^)ate8,  SaUe^« 
ranb,  Somenie  be  Srienne  unb  Sarente,  gur  Slnnal^me  ber 
©oilöerfaffung  beö  Äleru§  bereit.  Unter  ben  ^erau^forbcrungen 
ber  Sinfen,  in  ßrmiberung  auf  bie  ©rol)ungen  Don  9Rirabeau, 
fpradf)  ber  ®allifaner  SKontlofier  ba§  SBort,  ba^  bie  Debatten 
breier  reoolutionärer  SSerfammlungen  nid^t  in  SSergeffenl^eit  brad^^ 
ten:  „'S^x  jagt  bie  a3i[d)öfe  au§  il^ren  ^aläften;  jle  »erben  in 
bie  glitten  beö  öon  il^nen  genäl^rten  Slrmen  gelten.  Sl^r  beraubt 
jte  il^rer  golbenen  Äreuje;  jte  xoerben  bereu  pijcme  finben; 
ein  Äreuä  t)on  §olj  ^at  bie  SBelt  erlöft"  2). 

Sn  SBiberjprud^  mit  i^ren  feinblid)en  aSetJ^eucrungen  Doli» 
[tänbiger  tJreil^eit  unb  Soleranj  in  religiöfen  Singen  griff  bie 
Slffemblee  gur  (äewalt  unb  gwang  am  27.  SHoöember  1790  aHe 
^rie[ter,  bei  ©träfe  fofortiger  ©ntlaffung  auS  il^rem  «mt  unb 
aSerfolgung  alö  öffentlid^er  SRul^eftörer,  loenn  fie  baSfdbc  bemuN]^ 


^)  La  Fayette,  Memoires,  III,  56.    A.  Sorel,  L'Europe  et  la  R^ 
volution  fran^aise,  II,  119  u.  ff. 

*^)  Bardoux,    Le   Comte   de  Montlosier,  37.    S)ic   SBorte  flel^ett   auf 

feinem  Setd^enftein. 


2)ie  atoilconftituHon  bed  StUtviS.  495 

üudübten,  ben  @ib  auf  bie  @on[titution,  mit  @infd^Iu^  ber 
€toiIocrfaffung  bc«  Älcruö^)  gu  leiftcn.  SBon  bicfcm  Sefd^lufe 
tattrt  baö  ©d^ißma  in  bcr  frangöpfd^cn  Äird^c,  baS  jtd^  md)t 
-auf  pc  befd^ränlcnb,  bic  gange  Slation  fpaltctc  unb  ba§  SBcr» 
berben  bcfd^Icunigtc.  aBibcrmiHig,  unter  bem  35rucf  ber  Slffem« 
W6e,  ben  3)rol^ungen  ber  Tribünen  unb  beß  8lufftanb§,  nad^ 
üergcblid^en  Scrfud^en,  eine  6ntfd)eibung  öon  Siom  ju  erlangen, 
flab  Äubwig  XVI.  enblid^  nad)  unb  untergeidjnete  am  23.  35e* 
jember  ba«  ®efret  öom  27.  3loöember  1790.  Sluf  biefen  ©d^ritt, 
ber  il^n  in  Sß^i^fpcilt  mit  feinem  ©emiffen  brad^te,  laffen  ftd^ 
feine  glud(tgebanfen,  feine  ^läne  gurüdCfül)ren,  mit  ^ülfe  beS 
auSlanbS  mieber  ^err  in  granfreid^  gu  werben  2).  „Sieber  i?önig 
in  9Jle|  al§  unter  fold^en  Sebingungen  Sel^errfdier  t)on  fji^ant 
reid^^,  fagte  er  bamalß  gum  ©rafen  fjerfen. 

S)a8  öemid)tenbe  @efül)l  üon  ber  Unl^altbarfeit  feiner  Sage 
-überfam  il^n  an  jenem  Stpriltag  1791,  an  weld^em  eine  mütl)enbe 
9Renge  i^n  gwang,  bie  gal^rt  nad)  @t.  ßloub  aufgngeben,  wo» 
i^in  er  jtd^,  nad^bem  bie  Sßerurtl^eilung  ber  ßiüilconftitutton 
burd^  ben  ^apft  nun  bod^  erfolgt  mar,  in  ber  2lb|td)t  begeben 
tooHte,  feine  öfterlid)e  3lnbad)t  bei  einem  nid^t  beeibigten  ^riefter 
^u  öerrid^ten.  6r  mar  t)on  bem  SlugenblidE  an  öerloren,  mo  er 
am  29.  3ftoöember  1791  bem  ©efret  ber  Segißlatioe  baß  Sßeto 
Dermeigerte,  ba^  oon  ber  bi§  bal^in  fc^meigenb  gebulbeten  gur 
offenen  Verfolgung  überging  unb  über  alle  eiboermeigemben 
^riefter  ©el^altöentgiel^ung  unb  2lu§meifung  öerl^ängte.  Qtod 
drittel  beS  fatl^olifd)en  Äleruö  mürben  oon  ben  ©trafgefe^en 
betroffen;  bie  ®efängniffe  füllten  ftd^  mit  5ßrieftem.  Ungefäl^r 
28000  berfelben  mürben  beportirt^),  anbere  gingen  freimittig 
-In  bie  SBerbannung.  SRan  red^net,  ba^  2183  ^erfonen,  ^riefter. 


^)  ©^bcl,  ©cfd^i^tc  ber  SRcöoIuttonSacit.  I,  230,  S«otc  1. 

«)  S)cr  StbnxQ  au  gctfcn,  bei  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  III,  299 
unb  320  u.  ff.  Memoires  de  Bouille,  IX  u.  X.  A.  Sorel,  L'Europe 
«t  la  Revolution  fran^aise,  II,  128. 

^)  De  Pradt,  Les  quatre  Concordats,  II.  34. 

32* 


496  2)te  eiöilconftitution  bc8  Stitmi. 

aRönd^c  unb  Slonncn,  wäl^renb  bcr  SRcöoIution  il^rcS  geiftIi(f)Ctt 
@tanbc§  wegen  umö  geben  famen^). 

&^  gereici^t  ber  SSerfafferin  ber  ßonftberationS  gur  ßl^re^ 
bieSmal  feinen  SlugenblidE  gejögert  gn  l^aben,  fonbem  auf  Seite 
ber  Cpfer  getreten  gu  fein.  2)a§  Qered^tigleit^geffil^l,  ba§  bie 
Sejt^frage  nid^t  ju  wecfen  öermod^t  l^atte,  brad^te  bie  SSerfol^ 
gung  gurücf.  „SSerberblid^er  Srrtl&um",  fd^reibt  ^frau  öon  ©tael, 
„öon  5ßrieflem  einen  6ib  im  SBiberfprud)  mit  ii^rem  ©etoiffen 
gu  »erlangen,  unb  jte  gu  beflrafen,  menn  pe  il^n  öenoeigerten. . . 
©aö  l^tefe  bie  politifd^e  an  bie  SteKe  ber  religiöfen  Sntolcranj 
fe^en  unb  (Sl^re  unb  (äemiffen  gum  SBiberftanb  l^erauSforbern.  .  . 
©er  5ßriefter,  ber  ben  unter  ©rol^ungen  öon  il^m  berlangten 
6ib  öermetgerte,  l^anbelle  ungleid)  mel^r  alö  freier  SKann,  U)tc 
3ene,  bie  il^n  gu  einer  ßüge  gmingen  moKten.''  Sie  überfielet 
nid^t,  bafe  ba§  ©d^mert  ber  SSerfoIgung  ein  gweifd^netbigeS 
war,  unb  bafe,  mäl^renb  eS  ©tejenigen  traf,  bie  ben  @tb  öer* 
weigerten,  e§  gugleidi)  Sene  erniebrigte,  bie  benfelben  Ictfteten^). 

3^re  Semerlung,  „b'a^  gmei  öon  ben  brei  S3ifd)öfen,  öon 
meldijen  bie  ©infe^ung  beö  neuen  conftitutioneUen  ÄleruS  ab* 
l^ing,  im  legten  SlugenblidE  nat)e  baran  waren,  einem  Unter« 
nel^men  gu  entfagen,  ba§  3leIigion  unb  ^ßj^ilofopi^ie  einftimmig 
öerurtl^eilten",  ift  ber  erfte  ^inweiö  auf  eine  6pifobe  im  Beben 
öon  Salle^ranb,  bie  obwol^I  öon  il^m  felbft  feinem  ^cunb  2)u« 
mont  ergä^It,  bod)  erft  öerpltni^mä^ig  fpät  in  bie  Dcffentltd^* 
feit  gebrungen  ift. 

2ltö  e§  fid)  nämlid^  barum  l^anbelte,  nebft  StaHe^ranb  nod^ 
gwei  anbere  S3ifct)i)fe  gur  SBeil^e  öon  5ßrieftem  ber  confKtuttoneUcn 
Äird^e  gu  finben,  tl^eilte  ®obeI,  Sifd^of  öon  Siba  in  pari.,  einer 


0  Martyrologe  du  Clerg6  fran^ais  pendant  la  Revolution,  Paris  1840. 
Abb^  Carron,  Les  confesseurs  de  la  foi  dans  PEglise  gallicane  ä  la  fin 
du  XVIU  Si^cle.  ©inaell^cUcn  barübcr  bei  Delbos,  L'Eglise  de  France, 
Guettee,  Histoire  de  PEglise  de  France,  Sei  out,  Histoire.de  la  Consti- 
tution civile  du  clerge. 

^)  Madame  de  Stael,  Gonsiderations,  XII,  363,  409. 


fjrau  öon  ©tael  über  ©etotffcnSfret^elt.  497 

bcr  beiben,  feinem  ßottegen  öon  Slutun  mit,  bafe  ber  ©ritte 
im  aSunbe,  SJliraubot,  Sifd^of  öon  Sab^Ion  in  pari,  jtd^  il^ncn 
tiid)t  mel^r  aMJdiHefeen  tüolle.  81I§  Statte^ranb  baö  l^örte,  begab 
er  ftd^  gum  le^teren  unb  jagte  ju  il^m,  ber  Sifdiof  öon  Siba 
fei  im  33egriff,  jte  beibe  im  ©tief)  gu  laffen.  ©a  er  wol^I  tüiffe, 
»eld^e  SBirfung  öon  Seiten  beö  SSoIfeö  biefe  SBeigerung  l^aben 
»erbe,  fo  tüoKe  er  wenigftenö  jid)  perfönlid^  nid^t  fteinigen  laffen, 
fonbem  bem  SSerratl^  öon  Seiten  eineö  ßoHegen  nod^  red^tgeitig 
begegnen.  ®abei  liefe  er  ben  §al^n  einer  Keinen  5ßiftoIe  fpielen, 
bie  er  tüdl^renb  beö  ©efpräd^ö  anö  ber  Slafd^e  gegogen  l^atte. 
S)te  ©rol^nng  tüirfte,  unb  bie  Zeremonie  fanb  ol^ne  tüeitere 
@d)tt)ierigfeiten  ftatt*). 

©a§  gefd^al^  im  gebruar  1791.  Sind)  biefe  @d)ilberung 
ift  mit  Sefpred^ung  ber  fird)Iid)en  gtage  ben  (greigniffen  öor* 
auSgeeilt.  ©cnn  öorerft  l^anbelte  e§  fid)  im  Sommer  1790 
um  Segel^ung  eineö  gefteö,  beö  erften  ber  SReöoIution.  2lm 
Sai^re^tag  beö  14.  3uli  nämlid)  mürbe  auf  bem  SKaröfelb  gu 
$ari§  bie  gmar  nod)  unöoHenbete  ßonftitution  am  Slltar  beö 
SBaterlanb^,  in  ®egenmart  ber  föniglid^en  fjamilie,  ber  5ßationat 
öerfammlung,  ber  ©eputirten  ber  SWationalgarbe  auö  allen 
^roöinjen  unb  einer  ungel^euren  SSoIfömenge  befd)moren.  Slm 
Slltar,  gu  beffen  6rrid^tung  auf  l^ol^er  ©ftrabe  unter  anbem  felbft 
el^emalige  Äartt)äufer=3Ki)nd^e  unb  öornel^me  ©amen  bie  6rbe 
auf  @d)ub!arren  l^erbeigefül^rt  l^atten,  ftanb  gur  ©infegnung  öon 
Sranfreid^ö  öerjüngter  gal^ne  unb  gur  ßelebrirung  ber  3Keffe, 
in  pontififaler  Äleibung  Salletiranb,  Sif(^of  öon  2lutun.  3lfriftent 
voax  Wöbe  ßouis,  aU  Saron  ßouiö  ber  berül^mte  ^Jinangminifter 
ber  3fteftauration.  9Kan  ergal^Ite  ftd)  fpäter,  e§  feien  gmifdjen 
beiben  c^nifd^e  Sßorte  an  jener  Stelle  unb  in  jenem  Slugen^ 
blicf  gemed^felt  morben^).    Slm  3al^re§tag  beö  Slufftanbö,  bei 


0  Dumont,  Souvenirs  sur  Mirabeau,  XIX,  276,  277.  Jared 
Sparks,  Gouverneur 'Morris,  I,  308.  Sainte-Beuve,  Talleyrand,  Nou- 
veaiVK  Lundis,  XII,  12.    Madame  de  Stael,  Considerations,  XII,  363. 

2)  Sainte-Beuve,  Talleyrand,  Nouveaux  Lundis,  XII,  12  u.  ff. 


498  ®«^  «ft<J  Sal^tcStag  beä  14.  3ult  1789. 

bcr  eibcölctftung  auf  biefelbc  (Sonftttution,  bic  il^m  in  einer 
SReil^e  öon  jwangtgtaufenb  (äefe^eöparagrctpl^en  unb  ®efreten^> 
bie  ÜRad^t  auö  ben  Rauben  wanb,  war  ber  Subel  bei  beni 
©mpfang  be§  Äönigö  gaitj  unbefdiretblict).  S)ie  ^ergogin  boit 
Sourjel  nennt  btefeö  %t\i  ber  fjöberatton  „ben  legten  fd^önen 
Sag  ber  Äönigin"  unb  ertüäl^nt,  bafe  Sarnatje,  auf  ber  fRM^ 
reife  öon  S3arenne§,  ju  SDtabante  ßlifabetl^  geäufeert  l^abe,  wenn 
ber  Äönig  bie  bamafö  l^errf(i)enbe  Stimmung  benü^enb,  in  bie 
^robingen  gegangen  tüäre,  fte  aUe  verloren  gewefen  fein  war* 
ben  2).  ®ie  Semerfung  ber  ^ergogih  öon  Siourgel  er^It  eine 
weitere,  meriwürbige  Seftätigung  burd^  ben  Sni^alt  eines  Srief^ 
t)on  Sa  ^a^ette  an  SBafl^ington  öom'Sluguft  1790,  in  wel(jf)em 
e§  l^eifet,  „ba^  SSoIf  beginne  ber  SReöoIution  nid^t  minbcr  al^ 
ber  9lationaIöerfammIung  mübe  ju  fein"^).  S3aron  ©taöl  unb 
feine  (äemal^lin  l)aben  beibe  alö  Slugenjeugen  ben  Sag  gefd^ifc 
bert,  ben  9ledEer'ö  Sod^ter  unter  bem  ©inbrud  ber  l^errfd^cnben 
©yaltation  nod^  immer  geneigt  war,  al§  bm  erften  ber  neuen 
Drbnung  unb  ber  gemdfeigten  9Konard^ie  mitgufeiem,  l^ätte  bie 
bange  Sorge,  bie  jte  in  ben  QiiQm  il^reS  3Sater§  Iai5,  nid^t  öor 
fo  unjeitigen  Hoffnungen  gewarnt '*). 

Sl^atfädjUdö  ftanb  biefer  erfte  3öl^re§tag  ber  (äinnal^me  ber 
Saftille  feinem  SSorgänger  an  folgenfd^weren  (Sonfequengen 
foum  naä). 

S)ie  S^fobiner,  als  jte  ungweifell^afte  3^i^^  ^^  Ueber* 
bruffeS  an  ber  3leöolution  wal^rnal^men,  fammelten  ii^re  Äräfte 
unb  öerboppelten  il^re  Slnftrengungen.  ©amitte  S)eSmouIitte 
prebigte  bie  gnf urreftion ;  bei  3Jlarat  fam  bie  SWonomante  bei^ 
9KorbeS  gum  ®urdE)brud).  2)er  berüd^tigte  @a^:  „%&n\»  ober 
fed^S^unbert  abgefdjnittene  Äöpfe  l)ätten  ßud^  Sftul^e,  ijtet^t, 


')  mthnfit,  ©efd^t^tc  bcS  SeitattcrS  bcr  IRcöoIution,  I,  235. 
^)  Duchesse  de  Tourzel,   Memoires,   I,   150. 
3)  La  Fayette,  Memoires,  III,  138. 

^)  L^ouzoQ-Le  Duc,   Correspondance   diplomatique   du  Baron   de 
Stael-flolstein,  166.    Madame  de  Stael,  Considerations,  377—381. 


SBorgel^cn  bcr  Salobincr.  499 

©lüdE  öejtd^ert;  eine  falfd^c  3!JJenfd)lid)fctt  l)at  6uren  8lrm  gurüdE* 
gel^aüen",  entftanb  in  jenen  Sagen.  9Raraf§  Drgan,  ß'Slmi 
bvL  5ßeuple,  öerlangte  „Steine  für  Sllle,  bie  e^  noci)  wagten, 
ro^aliftifd^e  Seigren  gu  prebigen,  unb  nid^t  nur  baö  geben  ber 
3Kinifter,  fonbem  aller  il^rer  Slnl^änger,  jener  Heloten  unb  ©Q* 
bariten,  ber  Slgenten  ber  ©fefutiöe.  2l(i^tt)unbert  ©algen  unb 
ein  rieftger  @ct)eiterl)aufen  im  Suileriengarten  feien  bie  redete 
Slnttüort  auf  ba§  Söerf  ber  Sliebertrad^t  unb  fred^en  ^erauS* 
forberung  —  bie  3le!onftruftion  ber  Slmtee"  ^). 

2tuf  biefen  $unft  war  e§  benn  aud),  bafe  ber  unfel^lbare 
Snftinft  ber  S^^ftörung  gerid^tet  blieb. 

©ie  SSernid^tung  be§  8lbel§  l^atte  ein  neue^  ©lement  ber 
Swictrad^t  in  bie  3lmtee  geworfen,  bie  ©olbaten  in  ®leid)^eit^^ 
gebanfen  unb  in  ber  8luflel)nung  gegen  il^re  SSorgefe^ten  beftärft, 
baS  DffijiercorpS  in  bemfelben  SSerpltnife  ber  SReöolution  un= 
gfinftiger  geftimmt.  ©ie  täglidjen  Slufforberungen  ber  bemago* 
gifd^en  5ßreffe  ju  2lufruf)r  unb  3iJ^ttöjigfeit,  jur  6mtorbung 
öerrätl^erifd^er  Dffigiere  unb  ®urdt)fe^ung  ber  wiberjtnnigften 
fjorberungen  öerfel^lten  il^re  2Bir!ung  nid^t.  3m  Suni  1790 
nannte  9Jlirabeau  bie  Slrmee  ein  SBerfgeug  ber  ^lünberung  unb 
be§  33erbredt)en§  für  Seben,  ber  ba§  ^anbwerf  im  (ärofeen  gu 
betreiben  wün[d)e.  @tabt  unb  Sanb,  fagt  er,  gitterten  öor  bem 
Streiben  aufrül^rerifd)er  ©olbaten  unb  bie  ^Regimenter  öon  SHancQ 
beantworteten  ba§  enblid^  öotirte  S)e!ret  ber  9?ationalt)erfammlung 
gur  Unterbrücfung  militärifd)er  ßlubö  mit  ber  bewaffneten  @m* 
pörung,  bie  ber  energifd^e  Souille  mit  ber  üon  il^m  nod^  treu 
erl^altenen  ®arnifon  üon  9Ke^  nieberwarf.  ©iefer  Sieg  ber 
Orbnung  blieb  aber  öereingelt  unb  bie  3^^fcfeung  ber  ©i^ciplin 
fdjritt  unaufl^altfam  weiter,  ©d^on  nad^  bem  14.  ^\xl\  ^atte 
SRioarol  fpottenb  bemerft,  wa§  e^emal^  einer  Slrmee  gur  ©d^anbe 


0  Marat,  Ami  du  Peuple,  Bei  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  III, 
247.  Taine,  Origines,  etc.  La  Revolution,  II,  Psychologie  du  Jacobin, 
333-334. 


500  2)i«  ^'^mcc  tcbettltt. 

gereicht  habt,  bie  ©cfertion,  fei  jum  Slnfprud^  auf  militärifd^cn 
9iuf)m  geworben^).  6tn  Slntrag  üon  5)litabeau  cmf  (gntlaffung 
ber  gaitjcn  Slrmee  unb  öoUftänbige  9leubilbung  berfclbcn  warb 
öemorfen,  aber  il^re  Umgeftaltung  öoHjogen.  Sie  liefe  bem 
Äönig  nur  bie  Ernennung  gu  ben  l^öd^ften  militdrifdien  ©teilen, 
tuSl^renb  jte  in  allen  übrigen  Sejiel^ungen  bie  SIrmee  feinem 
6influfe  entjog.  2luf  ber  einen  Seite  »erfdjärfte  man  ba§ 
©iöciplinargefe^,  auf  ber  anbern  geftanb  man  bem  §eer  baS 
2Bal^lre(i)t,  tüenigftenö  bei  Sefe^ung  ber  nieberen  (Sl^argcn  unb 
(ginfül^rung  öon  @efdömornengerict)ten  für  milttärifd^c  SSerJbred^en 
ju.  ^öf)er  aB  bie  SReorganifation  ber  SIrmee  ftanb  ber  3llationaU 
öerfammlung  ber  3^^*^  bie  ßeitung  ber  bewaffneten  9Rad^t  ber 
^Regierung  ju  entjiel^en  unb  in  bie  eigene  §anb  ju  befommcn. 
Sie  l^atte  bnxä)  @olberl)ö]^ung  ber  ©emeinen  unb  anbere  Qn- 
geftanbniffe  an  fte  ben  Soben  bafür  vorbereitet;  e§  galt  nur, 
aud^  bie  finanjieHen  2Rtttel  gur  2lu§fül^rung  il^rer  aSerfprcd^ungen 
JU  finben. 

Sie  Sluögabe  ber  Slffignaten  l^atte  im  3tpril  begonnen;  im 
Sluguft  maren  breil^unbertbreifeig  oon  ben  oierl^unbert  2Rtllxoncn 
bereits  t)erbrauct)t,  unb  bas  monatlid^e  ©epcit  bcjtffcrte 
pdö  je^t  auf  breifeig  SRiHionen,  ol^ne  bafe  weitere  ^ülfSmittcl 
gu  finben  gemefen  mären.  ®emöl)nlici^  erinnerte  man  fld^  in 
fold^en  Slugenblicfen  ber  ßj^fteng  5ßeder'ö.  ©ieiSmal  aber  ent* 
warf  baö  ginanjcomite  ber  Slattonaloerfammlung  einen  neuen 
$lan  jur  Slilgung  ber  fc^toebenben  @d)ulb,  ber  bem  SJKnifler 
nid^t  einmal  mitgetl^eilt  mürbe.  S)en  jungen  Sinangfträften  ber 
Slffembl^e  galt  er  nid)t  nur  atö  überlebt  unb  oerbrauc^t;  er 
langweilte  fte,  unb  jie  fagten  e§  offen  l^erauS.  @§  blieb  nun^ 
mel^r  bie  SBal^l  jwifd^en  ber  ©miffton  öon  neuen  Slffignaten 
unb  bem  ©taatsbanfrott.  Ueber  beibe  ©oentualitäten  l^otte 
9Kirabeau  ftd)  auögefproct)en.    ®ie  gewaltige  SRebc  öom  Jlo» 


0  Rivarol,  SBorkoort  aum  Petit  Dictionnaire  des  grands  hommes  de 
la  Revolution. 


9ttut  emiffion  öon  SCfftQnatcn.  501 

t)embcr  fiber  bic  furd^tbaren  ßonfequenien  etnc§  foIcl)cn  waren 
nod^  imöergcffen.  Slber  anä)  ba§  5ßapiergelb  galt  xi)m  für  ein 
fo  gctä^rltd^eg  auöfunftSmittel,  bafe  er  c§  „bte  cirfulireitbe  5ßeft" 
gu  nennen  pflegte^).  S)ennod)  gab  er,  wie  frül^er  ben  Slnftofe 
bagu,  fo  ie^t  ben  fStatt)  jur  Stuögabe  öon  wetteren  ad^tl^unbert 
IKitttonen  öon  Slfftgnaten,  unb  gwar  bieömal  ol^ne  jebe  anbere 
@id)er]^eit  al§  SSerpfänbung  unb  9Seräufecrung  ber  @taat§= 
bontänen.  SStel  mel^r  alö  bie  wirtl^fd^aftlidien,  waren  politifd^e 
tüRottbc  babei  mafegebenb. 

3Ran  ftanb  in  finanziellen  S)ingen  wie  in  allen  anbern  be- 
reits üottftänbig  unter  ber  ^errfd^aft  beö  ?Jroletariat§,  unb 
inöbefonbere  beö  5ßarifer  ^öbefö,  ber  nur  öon  fold^en  Steuern 
Pren  wollte,  bie  er  nid^t  ju  gal^len  l)atte,  unb  folglid)  febeS 
öemfinftige  ginanjfqftem  unmöglich  mad^te.  ©agu  famen  nod) 
onbere  ©rwägungen.  ®urd)  ©miffton  ber  Stfftgnaten  mad)te 
man  ba§  SSermögen  ber  beft^enben  Älaffen  mtijx  ober  weniger 
öom  ©taub  ber  Rapiere  abl^ängig,  erjwang  ben  SSerfauf  ber 
@taat§bomänen,  oerbanb  bie  Sntereffen  aller  neuen  Sep^er 
berfelben  mit  ben  ®efd[)tcfen  ber  SReoolution  unb  befd^leunigte 
eines  il^rer  Qkk,  bie  SSertl^eilung  beS  33obenS  in  möglid^ft 
Diele  ^änbe. 

SKirabeau  gefiel  pdö  in  ber  Säufd^ung,  bafe  bie  Slfjtg* 
naten  fein  5ßapiergelb,  jonbern  eine  Sobenl^^potl^e!  feien,  bie 
Erweiterung  beS  bäuerlid)en  ®runbbep^eS  aber  eine  fefte  @d^u^= 
mauer  gegen  bie  SSeftrebungen  ber  Slnard)ie  bilben  werbe. 
@inc  ber  oielen  3floten  oon  SUiirabeau  an  ben  ^of  bejeid^nete, 
SledEer'S  SRüdftritt  bereits  als  Dollenbete  S:i^atfad)e  DorauSfe^enb, 
feinen  eigenen  Seratl^er  in  ^nanifad)en,  ben  ©enfer  ßlaDiereS, 
als  beffen  3flad^folger2). 

©ieSmal  fam  9ledfer  feinem  Sßunfd^  entgegen.  6r  rid^tetc 
eine  befonbere  ®enffd)rift  an  bie  3flationalDerfammlung,  um  Dor 


0  Mirabeau,  Lettre  ä  Cerutti,  Jan  vier  1789. 

*)  Bacourt,    Correspondance    entre  Mirabeau  et   de    la   Marck,    II, 
149—156. 


502  SWcdEcr'8  ©cnlfd^rift  üom  27.  Sluguft  über  bie  grinanalagc. 

bcr  Sluögabc  neuer  Slfjtgnaten  aufS  (äinbringlid^ftc  gu  »amen 
unb  öorl^erju jagen,  tüaö  auci)  wtrflid^  eintrat,  ba^  nämlid^  ol^ne 
tjorl^ergel^enbe  Orbnung  be§  @taat§l^au8l^alt§  aud^  biefe  neuen 
Summen  tierfdjwenbet  tt)erben  würben  wie  bie  öicrl^unbert 
SÄillionen  ber  Äird^engüter.  6r  fanb  bei  biefem  Slnlafe  SBorte 
poIitif(i)er  SBeiöl^eit,  um  bei  Sel^anblung  öffentlid^er  Slngelegem 
l^eiten  öor  allen  Slbftraftionen  unb  Dor  ber  ©efal^r  gu  warnen, 
@9fteme  an  ©teile  ber  ©rfal^rung  gu  fe^en^.  >Le  gros  bon 
sens«,  fagt  er  begeid^nenb,  „ieben  Sag  möd^te  td^  mit  jieigenber 
SSerel^rung  öor  il^m  nieberfallen"  ^j. 

Sie  ©enlfdirift,  bereu  SSerlefung  bie  SSerfammüing  mit 
froftiger  ®leici)gültigfeit  anl^örte,  ift  öom  27.  Sluguft.  SIm 
31.  Sluguft  warf  SouiUe  bie  meutemben  aiegimenter  gu  Sftanc^ 
nieber.  ©ie  5ßarifer  ©emagogie  madite  in  il^rer  SButl&  barfiber 
SJiedEer  für  bm  Sieg  ber  Orbnung  öerantwortlid^.  @d^on  im 
3uli  l^atte  ÜRarat  in  einem  gegen  il^n  gerid)teten  ^antp^Iet  bie 
wal^njinnige  Stufd^ulbigung  erl^oben,  9lecfer  beabjtd^tige  mit  bcm 
(Srgebnife  jener  niemals  gegal^lten  patriotif(i)en  ßontribution  eines 
SSiertelS  beö  jäl^rlid^en  ©infommenö  bie  SluSl^ebung  unb  S3e* 
waffnung  öon  500,000  3Kann  gur  Unterio(i)ung  fjranfrciij^g  ^). 
©d^on  frül^er,  gegen  @nbe  öon  1789,  öerjtd^erte  Süobeötncrre 
bem  fpätem  Suftigminifter  ®arat,  9ledEer  pifinbere  ben  Staat«* 
fd)a^;  man  l^abe  ©aumtl^iere,  mit  feinem  ®olb  belaben,  auf 
bem  SSBeg  nad)  ®enf  begegnet  *).  gortwäl^renb  f al^  fid^  ber  crftc 
5!Jlinifter  beö  Äönig§  gu  ben  bemütl&igenbften  Sfled^tfertiguttgen, 
ben  öergeblid^ften  SBerfud^en  gegwungen,  gegen  niebrige  Angriffe 
ben  @d^u^  ber  SSerfammlung  angurufen^).  9lun,  in  ben  erftett 
©eptembertagen ,  fam  e§  bal^in,  bafe  Sa  iJa^ette,  wäl^renb  ber 


^)  De  radministratioü  de  Monsieur  Necker,  par  lui-meme,  VII,  448. 
*)  Necker,  Du  pouvoir  ex^cutif  dans  les  grands  Etats,  VIII,  46. 
^)  Pamphlet  de  Marat  contre  Necker,  Juillet  1790,  bei  Taine,  Ori- 
gines,  etc.    La  Revolution,  II,  Psychologie  du  Jacobin. 
*)  Garat,  Memoires,  I,  97. 
^)  Necker,  Troisieme  Minist^re,  VII,  402. 


^ol^ungen  bet  $arifer  Demagogie  gegen  92edCer.  503 

aufrfi^rcrifd^c  5ßöbcl  in  bcn  Strafen  öoti  $ari§  SRad^e  für  bie 
„9Rc^clcicn  öon  9?anc9''  begcl^rtc,  einen  feiner  Slbjntanten  jn 
SRcdtcr  fd^icfen  unb  i^m  bebeuten  laffen  mnfete,  auf  feine  ©id^er» 
l^eit  bcbad^t  ju  fein.  6r  ging  naci)  ©aint^Ouen,  wo  feine  Sin* 
fünft  eine  fold^e  Aufregung  l^eröorrief,  bafe  er  e§  geratl^en  fanb, 
bie  Slad^t  aufeerl^alb  feinet  eigenen  §aufe§,  in  bet  ©egenb 
l^erumirrenb,  jujubringen.  (grft  be§  3Korgen§  traf  er  lieber 
bet  feiner  töbtlid^  erfd)rocfenen  ©ema^lin  ein^).  6r  jögerte 
nun  nid^t  länger,  unter  bem  ^inweiS  auf  feine  ftnfenben  Gräfte 
unb  gänjlid^  erfdiutterte  ©efunbl^eit  bem  Äönig  feine  (gntlaffung 
cinjureid^en.  Sie  war  entartet  unb  würbe  unöerjüglid^  ange= 
nommen.  SKan  banite  e^  am  |)of  bem  9Jlinifter  nid^t,  bafe  er 
nod)  in  aUerle^ter  Qtit  bie  ©mennungen  für  ben  ©öil*  unb 
3Hilitärbienft,  fowie  bie  fjortbeja^lung  ber  ^enftonen  auf  bie 
föniglid^e  Äaffe  für  bie  Ärone  gu  retten  gefud)t  unb  ber 
Slationalöerfammlung  6injtd^t  in  baö  fogenannte  rotl^e  Suc^, 
boS  aSerjeid^nife  ber  gel^eimen  Sluögaben,  ftanbl^aft  verweigert 
I^attc2).  @elbft  feinen  8flüdEtritt  beutete  ber  ^arteiliafe  gegen 
ii^n  a\x^,  inbem  (Sajaleg  il^n  alö  einen  2lft  ber  ^eigl^eit  branb« 
marfte,  im  Slugenblid  begangen,  wo  jeber  gute  Sürger  bem 
aSatcrlanb  baS  Dpfer  beö  Sebenö  fd)ulbe^).  5Kid)t  anberö  fpradt) 
ber  viel  gemäßigtere  ferneres,  ber  ba§  SBort  eineö  anbem 
l8cobad^ter§  citirt,  9ledEer  l^abe  mit  einer  SBaffermül^le  auf  ben 
@d)ultern  ftetö  nad^  bem  SBinb  gefd^aut*). 

3)er  fd^eibenbe  SJiinifter  l^interliefe  bem  @taatöfdt)a^ ,  al§ 
©arantie  für  feine  Sßerwaltung  bm  Setrag  jener  gwei  SRiHionen, 
bie  ein  Sal^r  frül^er  jum  Slnfauf  Don  ©etreibeoorrätl^en  öerauS* 
gabt  worben  waren.  &§  Hang  wie  bie  bitterfte  Sronie,  wenn 
ber  SKann,  bm  ber  ^afe  ber  SRed^ten  unb  bie  ßeibenfd^aften  ber 


1)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  III,  265,  266. 

2)  Duchesse  de  Tourzel,  M^moires,  I,  167.  Madame  de  Stael, 
Considerations,  XII,  387  u.  ff. 

3)  Cazales,  Discours  du  16.  Oct.  1790. 
*)  Ferri^res,  M^moires,  II,  135. 


504  ^  nimmt  feine  ©ntlaffung,  ©eptember  1790. 

Demagogie  itbercinftlmmenb  für  ben  SRuin  bcö  Sanbc§  öcrant- 
wortlid^  mad)ten,  fein  ©etüiffen  crforfd^cnb,  nid^tS  anbereS  ju 
befemten  fanb,  aU  bafe  er,  ber  bem  Staat  ftet^  unentgeltUd^ 
gebient  l^abe,  jtd^  bod^  erinnern  fönne,  einmal  eine  ©enbung  öon 
grüd^ten  unb  Äarawanenfaffee  an§  ber  5ßrot)encc  angenommen 
gn  l^aben^). 

3n  ben  Aufregungen  beö  §erbfte§  öon  1790  würbe  eS 
faum  bemerft,  \>a^  biejeö  britte  unb  le^te  3Winifterium  SledEer 
mit  ber  gleid)en  ©pifobe  tüie  fein  erfte§  fdjiofe.  3n  bem  Sricf 
nämlid),  morin  er  ber  Slationaberfammlung  SÄittl^cilung  öon 
feinem  SiüdEtritt  mac^t,  nennt  er  al§  einen  ber  Orunbe  gu 
biefem  @d)ritt  bie  Slngft  unb  Sorge,  bie  eine  ebenfo  tugenbl^afte 
als  geliebte  ®atttn  um  il^n  öergelire;  er  fürd^te  nid^t,  fügte  er 
fpäter  in  ber  9fied)tfertigung§fd)rift  über  feine  britte  SScnooItung 
Ijingu,  ben  @pott  ber  ©leic^gültigen  ein  gmeiteS  3Ral  l^eraud» 
guforbcrn,  menn  er  bie  SScrbienfte  bcrjenigen  anerfenne,  bercn 
unerfd)öpflid)e  SBol^lt^ätigfeit  ben  öffentlid)en  ©anf  öerbienc^. 

am  8.  September  1790  »erliefe  5Recfer  ^ari§,  um  ftd)  mit 
feiner  grau  nad)  ßoppet  gu  begeben.  >  grau  öon  @ta6l  bc* 
gleitete  bieömal  i^re  6ltem  nid)t.  Slm  31.  Sluguft  war  il^r  jwcitcö 
Äinb,  ber  ältefte  il^rer  ©öl^ne,  Sluguft  öon  Staßl,  geboren 
worben,  unb  fo  mußte  ftc  in  mel^r  al§  gered^tfcrtigtcn  Sorgen 
unb  aiufregungcit  um  ba§  Sd)idfial  ber  Sl^rigcn  gurficfbleiben. 
a>icr  Jage  nad)  Oledfer'^  Slbreife  erl^ielt  jte  burd^  einen  oon  i^m 
abgefd)idtten  Courier  bie  9?ad^rid)t,  bafe  er,  obwol^I  mit  boppelten 
^ffcn  bc^  Äönigö  unb  ber  Dktionaloerfammlung  oerfe^en,  in 
3lrci^=fur::-3lube  t»on  einer  mütfienben  SBoItemengc  aufgel^alten 
unb  al^  S^errätl^er  an  ber  nationalen  Sac^e  feftgenommen  loorben 
fei.  G^  bcburfte  cinc5  befonberen  Sefei^le  ber  ^lationaloerfamm« 
lung,  um   bie  ^eiterreife  nad)  ber   Sc^meig  gu  ermöglichen, 

•>  De  radministration  de  Monsieur  Neck  er,  par  lui-meme,  VI, 
3lV;^.  ?Jotc. 

^  ^rbc^^atdb•"t.  VI,  ;V2J.  Madame  de  Stael,  Consid^ntions,  XII, 
S>T  -  396. 


SWabamc  S^cdEct  nod^  einmal  öffcntltd^  genannt.  505 

wäl^rcnb  wcld^cr  er  infultirt,  bebrol^t,  öon  berfclbcn  Scööifcrung, 
bic  il^m  brciicl^n  SKonate  öorl^cr  öergöttert  l)attc,  mit  Steinen 
getDorfen  würbe.  Qu  aSefoul  war  er  in  Sebenögefal^r.  ©eine 
©letd^mutl^  öerleugnete  ftd^  nid^t  unb  feine  Älage  fam  über 
feine  Sippen,  aber  ber  SBergleid^  mit  Äönig  Sear  brängte  jid) 
il^m  auf,  unb  \)ox  ber  unerbittli(i^en  SBirflid^feit  fan!  ba§  @e» 
bilbc  feiner  ^l^antafte,  ba^  gefeierte  Sbol  ber  frül^eren  Sage 
—  bie  öon  9?atur  auö  gute,  gefül^löoHe  SKeufd^i^eit,  unb  i^re 
untrfiglid^e  Stimme  —  l'opinion  publique  —  inö  tütxä)  ber 
Sräume  jurüd.  „^ä)  weife  nid^t",  fdirieb  er,  ben  Sarnaüe 
als  ben  erften  3Kann  beS  europäifd^en  ^Jeftlanbeö  begeid^net, 
ber  wirflid^  baö,  maö  man  ^Popularität  nenne,  befeffen  l^abe, 
„iä)  weife  nid^t,  warum  bie  öffentlid^e  3Keinung  nid^t  mel)r 
für  midi)  ift,  xoa^  pe  war.  ®ie  ©l^rfurd^t,  bie  id^  einft  für  fte 
liegte,  ift  erfdE)üttert,  feitbem  id)  pe  öor  benfelben  3Kenfcl)en  gittern 
fal^,  bie  pe  hirge  ^tit  guDor  gerid^tet  unb  ber  @d)anbe  über^ 
liefert  ptte" '). 

©a§  3Kinifterium,  an  beffen  @pi^e  9lecfer  geftanben  l)atte, 
pel  erft  im  3flot)ember,  junädöft  in  ijolge  eineö  SKifetrauenö^ 
öotumö  öon  9Jiirabeau;  nur  9Jlontmorin  blieb  in  einer  neuen 
ßufammenfe^ung  be§  ßabinetö  bem  Äönig  al§  treuer,  aber  un* 
entfd^lopener,  ber  Situation  nid^t  entfernt  gewad^fener  Slatl^geber 
jur  Seite.  @§  blieben,  al§  le^te  unb  eiujige  9JiögIidE)feit  einer 
©ntwinung  ber  d^aotifd^en  Swfiönbe,  bie  SlefonftruftionSpIane 
öon  3Kirabeau.  3Som  Sunt  bi§  jum  3.  gebruar  1791  entwarf 
biefer  in  fünfjig  9?oten  an  ben  §of  bie  ©runbjüge  einer  ^olitif, 
bic  mit  ftaunen§wertl)er  (gnergie  aKe  §ebel  ber  nod^  t)orl^an= 
benen  Äräfte  beö  SBiberftanbö  in  Sewegung  gu  fe^en  fud)te, 
um  ber  entfeRelten  Slnard^ie  ßinl^^U  ju  gebieten.  Äeine  fRM^ 
fel^r  jur  alten  Drbnung,  fonbem  Segrünbung  ber  Orbnung, 
feine   Slufl^ebung   ber   ßonftitution ,   fonbem  |)erfteHung    einer 


^)  De  radministration  de  Monsieur  Necker,  par  lui-meme,  1791,  VI. 
S3orrebe. 


506  S)ic  ißoten  bon  9Rttabeau  an  bcn  ^of. 

©cgcn^ßonftttution,  fein  preisgeben  beffen,  waS  gewonnen  tt)or= 
ben  tft;  fein  Sw^ö^fornmen  auf  bie  ^ßrioilegien ,  bie  ungleid^e 
SSertl^eilung  ber  Steuern,  bie  ©elbftänbigfeit  ber  ^roöinjen, 
bie  ©jrifteng  ber  ^Parlamente ,  be§  Äleruö  unb  ÄbeB  al« 
beöorjugter  ©tänbe,  wieberl^olte  SWirabeau  unablafjtg  bem 
§ot  unb,  beinai^  mit  benjelben  3Borten,  in  feinen  Sriefcn 
an  SBaf l^ington ^).  6ö  fei,  meinte  er,  für  ben  Äönig  fein  ge«= 
tingerer  ©emtnn  als  für  baö  3SoIf,  menn  ein  einl^eitlid^eö 
Softem  ber  Steuererl^ebung ,  S^reil^eit,  aber  nid^t  ©traflojtgfeit 
ber  5|Jreffe,  Solerang  in  religiöfen  35ingen,  S3erantn)ortIici)feit  ber 
S)iener  ber  ©jcefutioe,  ©leid^l^eit  Silier  oor  bem  ®efe|,  (Sontrole 
ber  ^nanjen  burd^  bie  5Kation  geftd)ert  blieben,  ©agegen,  fagt 
SRirabeau,  mufe  ber  Äönig  bie  il^m  gebül)renbe  Slutorität  wiebcr 
erl)alten,  bie  Uebermad^t  einer  g^aftion  gebrod^en,  ber  S^ranncl 
ber  |)auptftabt  über  bie  ^roüingen  ein  6nbe  gemad)t  werben. 
5Dlit  jwei  3Killionen  bewaffneter  SUienfd^en  läfet  jtd)  nid^t  regieren; 
bie  Slrmee  ift  beSorganijirt,  bie  5Rationalgarbc  bagegen  in  bcn 
Rauben  ber  3!Kunicipalitäten;  bem  SSolf  jtnb  Sßcrfpred^ungen 
gemad^t  worben,  bie  5Kiemanb  Italien  fann,  ben  ©efd^dbigten 
ßompenfationen  in  2lu§jict)t  gefteKt,  bie  il^nen  nie  gujliefecn 
werben.  Sie  ©efe^e  jtnb  nid^t  beobad^tct,  bie  neugefd^affenen 
Autoritäten,  bie  SRunicipalitäten,  bie  ©iftrifte,  bie  35e<)artemettt« 
l)emmen  unb  befel^ben  jtd)  gegenfeitig;  bie  ßonftitution  tft  bctö 
SBerf  ber  gurd^t  unb  beö  ^affeö,  eine  ungel^eure  ßoncefjlon  an 
baö  SSolf,  um  eö  gu  gewinnen,  gu  öerfüi^ren,  unb  il^m,  jlatt 
ber  S^reil^eit,  ein  t^rannifdieS  S^d^  aufguericgen.  Auf  ewige 
©auer  beredE)net,  l^at  jte  tl^atfäd)lid^  nur  für  ben  Äugettbücf 
gearbeitet.  Sie  mufe  umgeftaltet  unb  au§  il^rem  aRatcrioI  bie 
gemäßigte  SKonard^ie  aufgebaut  werben  2).  ®a§  ift  ba«  3id- 
©ie  3KitteI  jtnb,  immer  nad)  3Kirabeau,  Unterftü^ng  unb  Ser« 
wertl^ung  ber  ro^aliftifc^en  ®ejtnnung  im  gangen  ganb,  burd^ 


0  Jared  Sparks,  Gouverneur  Morris,  II,  118. 
^)  Bacourt,  Correspondance   antra   Mirabeau    et   de    la  Marck,  II, 
209  u.  ff.  unb  223:  Notes  du  6  et  13  Oct.  1790. 


S)lc  9lotm  t)on  SWirabcau  an  bcn  $of.  507 

bic  ^cffe,  burd)  6Iub§,  Stgentcn,  glugfd^riftcn,  änwenbung  bcr 
Softil  ber  ®cgner^),  Befreiung  bciS  Äönigö  unb  feiner  fjamilie 
aus  ber  ^aft  öon  £a  ga^ette  unb  ber  5ßarifer  ©emofratte,  aber 
offen,  öor  aHer  SEBelt,  am  l^eUen  Sic^t  beS  Stagö,  „tüte  eS  einem 
Äönig  gejiemt,  ber  e§  bleiben  will'' 2). 

S)er  Sürgerlrieg  gilt  SUiirabeau  als  unöermeiblici),  mal^r^ 
fd^einlid)  aud^  als  notl^tüenbig.  SKan  mufe  ftci)  nur  fd^Iüfjtg 
mad^en  barüber,  ob  man  il^n  l^eranfommen  laffen  ober  felbft 
fül^ren  Witt.  Sa  g^a^ette  ift  mad^tloS,  fobalb  er  öerfud^t  jtdö 
gegen  ben  SBiUen  beS  5ßarifer  ^öbelS  auf julel^nen,  aber  weil  er 
bie  3Kaci)t  beSfelben  nad^  Slufeen  nod^  repräfentirt,  mu§  fein 
€inPu6  üemid^tet,  ber  ®eneral  ber  ^arifer  5KationaIgarbe  un* 
jdjäblid^  gemad)t  werben.  Se^tereS  gefd^al^  aud^  wirflid)  unb 
gwar  baburd^,  bafe  eS  SKirabeau  gelang,  il^m  bie  bisl^er  t)on 
ber  Giöillifte  gewäl^rten  S^^f^öff^  für  feine  ^ritjatpoli^ei  ju 
anfang  1791  entgiel)en  ju  laffen  3).  ©ie  SBirlung  biefer  SKa^* 
regel  madjte  fid^  fo  fd^nell  fül^lbar,  ba^  3Kirabeau  nun  felbft 
wieber  ratl^en  mufete,  ben  ©turj  öon  ßa  fja^ette  öorläupg  el^er 
oufjui^alten,  als  üorfdt)nell  l^erbeiiufül^ren^). 

3Som  Dftober  ift  fein  fül^ner  aSorfd)lag,  im  g^all  eS  bod^ 
noc^  gelinge,  bie  SBal^l  öon  2)eputirten  ju  9Kiniftern  burd^gu* 
fe|en,  biefe  9Jiinifter  auS  ben  3leil^en  ber  3afobiner  jU  wäl^len, 
bemt  >les  jacobins  ministres  ne  sont  pas  des  ministres  jaco- 
bins€ ;  gur  9Rad^t  gelangt,  würben  felbft  fte  gezwungen  fein,  bie 
Hutorität  beS  ÄönigS  wieberl^eräufteHen.  Snt  Scinuar  betonte 
er  bie  SHoti^wenbigfelt,  bie  5Kationaloerfammlung  in  atten  il^ren 
Srrungen  gu  beftärlen  unb  fo  burd)  ftd^  felbft  gu  ©runbe  gu 


*)  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  II, 
78  u.  418. 

2)  ebenbafclbft,  H,  34. 

3)  @^bcr,  ©efd^id^tc  bcr  SRcöoIutionSaeit,  I,  216. 

*)  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  III, 
9  u.  27,  Note  du  17  Janvier  1791  unb  S9ricf  öon  bc  la  Ward  an  SKcrc^ 
t)om  26.  Sanuar  1791. 


508  aWirabcau  mit  Sa  ga^cttc  cnt8»cit. 

rid^ten.  Sie  muffe  merftüürbige  SBrillcn  tragen,  fd^rieb  er  feinem 
Sreunb  be  la  SKarcf,  wenn  bie  ßntlaffung  öon  jwanjigtaufenb 
Pfarrern  il^r  bie  Slugen  nid^t  öffne  ^).  ©leid^geitig  tl^at  er  iebod^ 
gerabe  in  ber  fird)Ii(i^en  fjrage  lieber  Sd^ritte,  bie  ba§  ®c= 
wiffen  be§  Äönigö  erfd)redften  unb  aUen  feinen  Sebenfen  gegen 
SKirabeaa  neue  9lal^rung  gaben.  3n  ben  geftd)erten  Seft^  be§ 
föniglidöen  SSertrauenS  gelangte  er  nie.  5Rad)  wie  öor  mufete 
er  fxä)  feiner  ^Popularität  al§  SBaffe  gegen  bie  3fteaftion§pläne 
ber  3le(i)ten,  ba§  SKifetrauen  beö  ^ofeö,  ben  ^a^  ber  S^fobincr 
bebienen.  @ö  war  fein  le^ter  großer  Sriuntpl^,  bei  Slnlafe 
ber  ®i§fufjion  über  ein  ®efe^  gegen  bie  ©migrirten,  mit  ber 
berül^mten  Slpoftropl^e,  bie  ben  „breifeig  Stimmen"  ju  fd^weigen 
befal^If  bie  ^läne  feiner  perfönlid)en  ©egner,  ber  Samet^,  ber 
©uport,  ber  Sarnaöe  unb  il^rer  Slnl^änger  gu  öemid)ten.  @r 
wieberl^olte  oft,  ber  ®ebanfe  fei  ii)m  unerträglid),  pur  an  einer 
grofeen  S^^ftörung  mitgearbeitet  gu  l^aben;  um  eingurcifecn,  be« 
bürfe  e§  gemöl^nUdöer  Äräfte,  aud^  Sß^gmäen  feien  bagu  gu 
gebraud)en;  gum  Sßieberaufbau  bagegen  braud^e  man  SRänner, 
unb  eö  feien  feine  gu  pnben.  „S^r  werbet  SKaffenmorbc,  3^r 
werbet  SKe^eleien  l^aben",  fagte  er  einmal  auf  ber  SEribüne, 
„aber  nid^t  einmal  bie  fürditerlidjen  ßl^ren  eine§  Sfirgerlriegi^ 
werben  6ud)  gu  Sl^eil  werben'' ^j. 

Sie  gewaltige  iJrage,  ob  2Rirabeau  im  ^tanb  gewefen  wäre, 
ben  in§  SloHen  gebrad)ten  Stein  aufgul^alten,  bie  SReöolution  jum 
©tittftanb,  ben  Äönig  gum  §anbeln,  bie  pafftöen  Elemente  ber 
©efellfd^aft  gur  ©egenwe^r  gu  öermögen,  l^at  felbft  fein  bcfter 
iJreunb  unb  aufrid^tiger  Sewunberer,  ber  l^ier  oft  genannte  ^rinj 
Sluguft  t)on  5lrenberg,  ®raf  be  la  3!Karcf,  öemeinenb  beantwortet. 
SKirabeau  felbft  ift  burd)  alle  @tabien  ber  ©ntmutl^igung  unb 
ber  3"öc^P^)t  gegangen,  je  nad^bem  fein  Slugenmerl  mel^r  auf 


^)  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  II,  360,, 
365,  370. 

^)  Madame  de  Stael,  Considdrations,  XII,  413.    Dumont,  Souve- 
nirs sur  Mirabeau,  218  u.  ff. 


SDiirabeau  ftirbt,  2.  Slpril  1791.  509 

btc  @d)n)äci)e  unb  UnjulängUcl)feit  ber  ^ülfömittel  unb  Sunbcö* 
gcnoffcn  gerict)tet  war,  ober  baö  ©cfül)!  ber  unerfd^ö^)fltd)en 
Äraft  beö  ®eniii§  bei  il^m  überwog.  SSieleö,  wie  bie  Unterl)anb= 
langen  be§  Äönigö  mit  Sreteuil  unb  SouiKe  öom  Spätl^erbft 
unb  SBinter  1790/1791,  ^at  er  nicl)t  gewufet^).  anfd)einenb 
war  er  nie  mäd)tiger  gewefen  atö  im  SJlärj  1791,  nad)  feiner 
erflen  glängenben  $räjtbentfd)aft  in  ber  9?ationaIt)erfammlung, 
nad)  ber  ©cene  im  ßlub  ber  ^afobiner,  alö  2:räger  beö  S^reil^eitö- 
gebanfenö  unb  Sefämpfer  ber  2lnard)ie. 

©a  fam  ber  2:ob,  unb  ba§  Problem,  ob  baS  monard)ifd)e 
Sranfreid)  nod)  gu  retten  gewefen  wäre,  blieb  ungelöft.  3Jlixa^ 
beau  ftarb  am  2.  Slpril  1791. 

©er  gewaltige  (ginbrudE,  t)en  er  auf  §rau  Don  @tael  ge= 
mad)t,  bie  t^eilnal^msöolle  ©gmpat^ie,  bie  er  i^r  abgerungen 
^otte,  fteigerten  ftd)  je^t,  wo  ber  ajortjang  über  biefeö  geben 
gefallen  war,  „ba^  bie  Seibenfd)aften  umftridEten,  wie  bie 
©d^Iangen  beö  Saofoon",  gum  ^)atriotifd)en  @d)merj.  3loö) 
unter  bem  unmittelbaren  (Sinbrud  beö  SBerlufteö  feierte  jie  bm 
Sßann,  „ber  ftarf  genug  war,  öon  Crbnung  ju  reben  ol^ne  bie 
ffurd^t  öor  bem  ©efpotiöntuö,  öon  ber  @id)er]^eit  Sitter,  ol)ne 
ben  a5erbad)t  ju  erwerfen,  bafe  er  babei  an  2lu§nal)men  gu 
©unften  SBeniger  benfe".  „S)ie  grofee  ©id^e  war  gefatten'', 
f(J)liefet  ber  erfte  2:t)eil  ber  ßonftberation^,  „baö  Uebrige  liefe 
jtd^  nid)t  mel^r  unterfd)eiben"  ^j. 

©afe  ber  erfte  Slft  be^  ®rama§  abgefpielt  war,  füt)lte 
Sebermann  mit  il)r.  S3eoor  ber  jweite  mit  jener  unerbittlid)en 
Sogt!  folgte,  weld)e  bie  ßreigniffe  ebenfo  ftd)er  auö  ©oftrinen 
unb  ^rincipien,  wie  bie  9?atur  au§  bem  ©amen  bie  grud)t 
ableitet,  fteUt  ftd^  mit  erf)öl)tem  gntereffe  bie  ^Jrage,  wo  benn 
%xau  üon  ©tael  im  SSBirrfal  ber  Parteien  unb  9Jieinungen  bie 


1)  Droz,  Histoire  de  Louis  XVI,  III,  327. 

2)  Madame  de  Stael,  Cousiderations,  I,  354  unb  A  quels  signes 
peut-on  connaitre  quelle  est  l'opinion  de  la  majorite  de  la  nation,  1792, 
XVII,  325. 

»Icnncri&aifctt,  5rau  non  etaet.  L  33 


510  ff^^u  ^Jöit  ©tael  übet  feinen  %oh. 

ßeugen  auö  frül^crcn  Sagen,  bie  ^reunbe  bcö  SSaterl^aufc^  unb 
ber  S«8^nö  gefunben  i^at,  öor  SlKem  ©old^c,  bereu  geiftigcg 
SBefen  baö  il^nge  mit  gewedEt  unb  beftimmt  l^attc,  bereu  9Rei* 
nung  für  uuö  5lHe  ben  unöergleic^Iiciien  Sßertl^  beplt,  bafe  jie 
uid^t  nur  jur  SSemunft,  fonberu  gum  ^txf^tn  fprid^t  uub  mit 
unfern  tl^euerften  ©rinnerungeu  öerwebt  bleibt,  fo  bafe  auf  ba§ 
ßiuöerftänbuife  mit  il^r  üerjid^ten  muffen  ju  ben  f(i^merjli(f)ften 
Opfern  beö  Sebenö  gel^ört. 

6in  Urtl^eil,  ba§  befonberö  inö  ©etüid^t  fallen  mufete,  war 
jeneö  öon  ©ibbon.  3m  5)loöember  1790  erfd^ien  bie  Slnflage- 
fd^rift  öon  Surfe,  öon  ber  noc^  fünfgig  ^af)xt  fpäter  geurtl^eilt 
tt)orben  ift,  jie  l^abe  baö  Sünbenregifter  öon  1789  erf(i)ö<)ft  ^). 
S)ie  SBirfung  ber  „Setract)tungen  über  bie  frangöftfd)e  SReöo- 
lution"  mar  eine  gang  ungel^eure;  in  einem  3al^r  öerfaufte  man 
über  breifeigtaufeub  ©yemplare  biefer  SBiberlegung  ber  SReöo^ 
lutiou  burd)  eine  anbere  Sleöolution,  ber  SBerurt^eilung  öon 
1789  burc^  bie  SReci^tfertigung  öou  1688.  S)ie  (äntgegnungcn 
ber  SBiberfact)er  öermel^rten  ben  ©rfolg  laum  meniger  ate  bie 
entl)uftaftifd^en  Sobeöerl^ebungen  ber  ©eftunungögenoffen.  Um 
Surfe  gu  miberlegen,  f(i^rieb  2:f)oma§  ^aque  „bie  SKetifd^em 
redete'',  bie  lohnte  nur  nod)  ba§  geflügelte  2Bort  öor  Ser* 
geffen^eit  bemal^rt,  Surfe  l)abe,  baö  ©d^idffal  be§  frangöftfd^en 
Slbel^  betrauernb,  „über  ber  Älage  um  ba^  glängenbe  ®cfieber 
be§  fterbenben  SSogel^  öergeffen''.  ©er  fed^Sunbgioangigiäl^rige 
SameS  9Kadfintofl)  rid^tete  bie  Vindiciae  Gallicae  gegen  ben 
SJlann,  ben  er  bereite  menige  '^af)xt  fpäter  in  reuiger  Sewun« 
berung  neben  Sorb  Sacon  unb  ßicero  fteHt^).  ^ebrid^  ®en^ 
überfe^te  bamal^,  öon  3Kirabeau  gu  Surfe  jtd^  menbenb,  feine 
©d^rift  ate  ben  großen  antireüolutionären  ÄatedE)tMui5,  ber  bie 
©eutfd^en  im  Äampf  gegen  bie  SReööIution  ftäl^Ien,  ben  ®eifl 
ber  5ftation  im   ßinflang  mit  feiner  eigenen  ©ntmidlung  öon 


')  Romusat,  L'Angleterre  au  XVIII  Siecle,  393. 
-)  Memoirs  of  the  Life  of  J.  Mackintosh,  I,  91. 


^olttifd^ct  ©tanbpunft  bcr  grtcunbc  i^tcS  SSatcr^aufcS.  511 

^attlrctd)  ab  unb  auf  ©nglanb  l^inübcr  leiten  fottte,  „ba§  burd) 
bie  Stimme  eineö  feiner  größten  Sürger  gewarnt,  ber  3Belt  bie 
Seigre  unb  ba§  Seifptel  ber  Steilheit  erl^alte".  Slud)  ©Ibbon 
gögerte  md)t,  eö  il^m  mit  warmer  Slnerfennung  ju  banfen.  „©a§ 
Sud^  t)on  Surfe",  fd^rieb  ber  grofee  ^iftorifer,  „ift  ba§  grfinb* 
Hd)fte  Heilmittel  gegen  bie  franjöpfd)e  Äranfl^eit.  3c^  bewunbere 
feine  Serebfamfeit,  ic^  tl^eile  feine  politifd^en  Slnfd)auungen,  id^ 
fd)tt)(mne  ffir  feine  Sfiitterlic^Ieit  unb  bin  nic^t  weit  baüon  ent= 
femt,  il^m  felbft  feine  ©l^rfurd^t  öor  ber  @taatöfird)e  gu  öer* 
geilten"  0. 

Sftid^t  weniger  rüdfl^altloS  war  bie  Siifttow^iing  be§  Saron 
©rimm,  ber  bi§  jum  @d^lufe  be«  3a]^re§  1790  in  ber  litera^ 
rifd^en  6orrefponbenj  baö  ©Aftern  befämpfte,  mit  bem  er  feit 
ber  ^olemif  gegen  SRouffeau  öertraut  war,  unb  öon  bem  er  öorl^er^ 
fagte,  e§  werbe,  im  %aVi  beö  ©rfolgeö,  bie  ©ad^e  ber  SWenfd^l^eit 
auf  lange  l^inauS  in  fjrage  ftellen.  Sll§  er  bie  „Setrad^tungen 
Aber  bie  franjöftfd^e  Siebolution"  gu  ®eftd^t  befam,  erfdöien  e§  il^m, 
ate  bringe  baö  &6)0  feiner  eigenen  ©ebanlen  gu  il^m  gurürf.  „®a§", 
fcftretbt  er,  „jtnb  bie  (Srwägungen  be§  ^ßl^ilofopl^en  unb  Staats^ 
mannet,  ber  gewöl^nt  ift,  über  bie  ®runblagen  ber  focialen 
Orbnung  unb  ba^  SRäberwerl,  ba^  bie  politifd^e  SWafd^ine  in 
®ang  l^ält,  ftd)  SRec^enfd^aft  gu  geben,  ol^ne  fte  immer  wieber 
ber  ®efal^r  auögufe^en,  ftd^  felbft  gu  beSorganipren  unb  gu  ger- 
ftören"  ^).  S3on  biefem  S^ttpunft  an  fd^weigt  bie  ßorrefponbeng. 
®rimm  mod^te  fül^len,  bafe  bie  5ßolitif,  bie  er  üerwarf,  il^re 
Seben^bebingungen  in  eben  ben  (grgeugniffen  fd)öpfte,  bie  burd) 
il^n  unb  burd^  ©iberot  ben  ®eift  unb  ®efd)mac!  ber  europäifd^en 
großen  SBelt  gewonnen  unb  für  il^re  Sl^eorien  gefd^ult  l^atten. 

Su  bem  gleid^en  ©d^Iufe  wie  ber  finge,  nüd^tern  unb  felbft 
^jefjtmiftifdö  geftimmte  ®eutfd)e  war  ber  leid)tlebige  @üblänber 
SJtarmontel   gefommen.    ®ie  gu  lange  feftgel^altene  2:äufd)ung, 


0  R^musat,  L'Angleterre  au  XVIII  Siäcle,  387. 
2)  Grimm,  Correspondance  litteraire,  XV,  233. 

33' 


512  Örimin.    3)2armonteI. 

\>a^  u)enn  aud)  nid)t  Slllc  groß,  fo  bod)  bie  3)iciftcn  flut  feien, 
ber  nam  ©laube,  ia^  ber  3Selt  „mit  moraIi)d)en  ®efd)ie^ten, 
wie  bie  ^nta^  unb  Selifar"  geholfen  werben  fönne^),  W)id> 
nun  aud)  bei  i^m  einer  e^rlid)en  ©ntrüitung.  ©ouöerneur 
9)torriö  ersäl^It,  ba^,  wenn  bie  S^iSfuifionen  jener  Sage  ftd) 
in  metap^gjt{d)e  2lllgemeinf)eiten  üerloren,  3Ramtontel  [trenge 
SJeftnitionen  ju  ijcrlangeu  pflegte,  unb  einmal,  nad)  bem  SMuer 
bei  i^m,  burd)  Sefte^en  auf  einer  foId)en  in  Sejug  auf  bie 
aRenfd)enred)te,  feine  @egner  entwaffnet  ^abe-). 

Unb  93iorri5  fclbft.  5)iefer  9Kitbegrünber  einer  Slcpublit 
t)atte,  eine  2[uäna£)me  imter  beinaJ)e  allen  feinen  S^ttg^noffcn, 
an  feinem  Urtl)eil  über  granfreid)  nid)t3  gu  änbem.  S)ic  ©r* 
eigniffe  l)atten  il)n  nur  barin  beftärtt.  5)er  Job  Don  3Wirabcau 
galt  il)m  faum  al^  ein  SBerluft.  3luf  feiner  SBagc  jtttlid)en 
aSertl^e^  waren  bie  ®aben  beö  @eniu5  of)ne  bie  Sfirgfd^aft  bei^ 
(E^aralterö  gewogen  unb  gu  lcid)t  befunben  worben.  3lbcr  er 
äal)lte  eben  bod)  einmal  ben  Sribut  menfd)lid)er  Srrtl^umSfdl^ig* 
feit,  wenn  er  ©rfafe  für  3Wirabeau  in  ber  ^erfon  oon  Saße^ranb 
gu  finben  glaubte.  Um  fo  flarer  fpiegelt  pd)  bie  Situation  in 
ben  Sriefen,  in  weld)en  2Korri!§  über  bie  ©inge  in  g-ranfreid) 
an  3Safl)ington  berid)tet.  Sic  lefeu  ftd)  nod)  ^eute  wie  eine 
l^iftorifd)e  ©arfteHung  unb  geigen  ftd)  in  il^rem  öoUcn  aBertl^, 
wenn  man  fte  mit  geitgenöfitfd)en  föorrefponbengen,  wie  unter 
anbern  mit  ben  unbebeutenben  ©epefd)en  be^S  britifc^en  ©efanbten, 
£orb  ©ower^)  ober  ooHeubö  mit  ben  Sriefen  öergleid^t,  bie 
£a  5ai)ette  an  SBafl)ington  rid)tete.  „^itlleö  waS  beftanb", 
fd)reibt  biefer  im  3luguft  1790  feinem  grofeen  greunb,  „l^aben 
wir  Dernid)tet.  $ßietleid)t  war  e§  ba§  eingige  SJtittel,  unjä^ligc 
^inbcrniffe  gu  überwinben.  23ir  t)aben  I)ierauf  eine  gange 
9Jlenge  conftitutioncUer,  Icgielatioer  unb  abminiftratiöer  ©etrctc 


')  Sainte-Beuve,  Marmontel.     Causeries  du  Lundi,  IV,  516. 

'-)  Jared  Sparks,   Gouverneur  Morris,  I,  353  unb  II,  89. 

^)  The  Despatches  ofEarl  Gower,  Cambridge  University  press,  1885. 


awortis.  513 

gefd^affen;  öon  ben  leiteten  nur  ju  öiele.  ®lärflid^er  SSSeife 
l^abe  id^  bie  SBerfaminlung  uon  ber  SRotl^tüenbigfeit  überjeugt, 
eine  ßrflärung  ber  9Kenfd^enred)te  öorauSjufd^icfen.  ®ie  meiften 
nnferer  ©elrete  jtnb  beun  aud^  bamit  übereinftimntenb.  Unfere 
Errungen  jtnb  nteift  tiopnlärer  nnb  f^iefulatiöer  2lrt.  SBir  bürfen 
red)nen,  bafe  ber  6inflnfe  ber  SSRonarä)k  jte  in  n:)enigen  ^al^ren 
nnb  bnrd^  eine  jmeite  ßonüention  öerbeffem  ttjerbe.  SBären  wir 
auf  I)albem  SBeg  ftel^en  geblieben,  e§  roixxt  unmöglid^  gewefen,  bie 
@d)n)ierig!eiten  jn  fibenrnnben,  bie  Sornrtl^eile  au^jurotten.  ®a§ 
war  e§  eben,  xoa^  ben  @ifer  in  mir  roaä)  erl)ielt,  alle  ariftofratifd^en 
(ginrid^tungen  bei  nn§  bi§  auf  ben  legten  SReft  ju  gerftören"  ^). 
SBenige  9Konate  fpäter  fd^rieb  ©ouöerneur  5Rorri§  an  ben* 
felben  SBafl)ington:  „®iefe§  unglüdfelige  Sanb,  burd^  SSerfoIgung 
ntetapl^i)jtfd[)er  ©d^ruHen  in  aßen  feinen  Gegriffen  öerwirrt,  bietet 
bem  ftttlid^en  Urtl^eil  ba^  Silb  angefammelter  9fluinen.  S)er 
©ouüerän,  gum  ©egenftanb  be§  9KitIeib§  eine§  Settler§  l^erab=» 
gerüdft,  ift  ol^ne  ^filfiSmittel,  oI)ne  Slntorität,  ol^ne  ^eunbe. 
Sie  3SerfammIung,  gugleid^  ©ebieter  unb  ©flaöe,  ift  ber  3Rad^t 
ungemol^nt,  jügelloö  in  ber  Sl^eorie,  in  ber  ^ra.ri§  rol^  unb 
unüerftänbig.  @ie  bemäd)tigt  jtd^  aller  Serwaltungöjweige  ol^ne 
auf  einen  berfelben  genügenb  borbereitet  ju  fein;  fte  l^at  biefem 
DertDüberten,  graufamen  SBoIf  äße  Sanbe  ber  SReligion  unb  ber 

©l^rfurdbt  gelöft @o  bleibt  nur  bie  eine  Sf)atfad^e  feft: 

eine  glänjenbe  ©elegenl^eit  ift  öerfäumt  worben  unb,  für  biefe^ 
gWal  menigften^,  ift  bie  SReboIution  mifegifidft''  2). 

5)er  ßmpfänger  biefer  Sriefe  liefe  feinen  S^cifel  barüber 
beftel^en,  mit  weld^em  feiner  beiben  Gonefponbenten  er  überein* 
ftimmte:  „2lHe§  roa^  wir  au§  granfreid^  l^ören",  fc^rieb  er  an 
Sa  g^a^ette,    „pöfet  unö  mel^r   fjurd^t   ate   |)offnung   ein"^). 


»)La  Fayette,  M^moires,  III,  138.  Sa  go^cttc  an  SBaf^mgton, 
28.  Sfuguft  1790. 

2)  Jared  Sparks,  Gouverneur  Morris,  II,  117.  SWorri§  an  SBafl^mg« 
ton,  «Paris,  22.  D^oöcmbcr  1790. 

^)  La  Fayette,  Memoires,  II,  118. 


514  MoxcUtt.    ©upont  be  SlcmourS. 

®eorgc  SBafl^ington,  unter  atten  SaJ^nbrcc^cm  bcr  fjrcil^cit 
einer  ber  aufrid^tigften  unb  ßröfeten,  ftanb  mit  bem  jtd^em  po* 
Utifc^en  Snftinft  feiner  Süace  ju  6bmunb  Surfe. 

©ie  öfonomifd^e  ©d^ule,  bereu  3fieil^cn  ber  Sob  bereits  ge- 
lid^tet  l^atte,  fonnte  bod^  nod)  gwei  altbewäl^rte  Kämpfer  ftetten, 
ben  i5reunb  ber  Familie  nieder,  Slbbe  SJlorellet,  unb  ©upont 
be  5RemourS.  SJioreUet  rid^tete  ein  befonbereS  „ßrebo"  ber 
Sbeen  t>on  1789  gegen  ben  Umfturga^joftel  ßl^amfort,  unb  jögcrte 
mit  bem  ©eftänbnife  nid)t,  bafe  ber  5Rerü  ber  ganjen  33ett)egung 
im  Slngrift  gegen  ben  Seft^  liege  ^).  Sin  feinen  greunb  35u^3ont 
ift  ber  l^öd^ft  merftüürbige  33rief  öon  Surfe  nad)  ben  Dftober* 
tagen  gerichtet,  ber  mit  bem  ©nburtl^eil  über  bie  Söenbung  ber 
©inge  jwar  nod^  borpd^tig  jurfidfl^ält,  aber  boä)  fd^on  gewid^« 
tige  Sebenfen  auöfprid^t^).  3)u^3ont,  alö  er  fat),  wol^in  bie  SSc^ 
wegung  gielte,  öerlor  feine  Qütf  jtd^  il^r  entgegenguwerfen.  3!JKt 
SRalouet,  SaUg^SoUenbal  unb  ßlermont  Sonnerre  tl^eilte  er  bie 
(äl^re,  t)om  ^öbel  infultirt  ju  werben  unb  fe^te  inSbefonberc 
nad)  ber  Slffaire  üon  3lancq  unb  wäl^renb  ber  S)i§fuf jtonen  über 
bie  Slfftgnaten  feine  perfönlid^e  ©ic^erl^eit  gur  Slufrec^tl^altung 
ber  Orbnung,  beö  Oefe^eö  unb  einer  el^rlidien  ginangwirtl^fd^aft 
aufö  @^3iel.  ^oä)  im  S^l^^^  1791  faufte  er  eine  ©rucferei  unb 
grünbete  ein  3^'tungSbIatt;  um  in  ber  5ßreffe  bie  ©ad^e  ber 
conftitutionellen  SRonard^ie  fortgufül^ren,  bie  bis  bo^n  öon 
SRallet  bu  5ßan  im  „SJiercure"  öerf ödsten  »orben  war. 

3ur  großen  S^i^l  S)erer,  bie  bereits  eingulenfen  fud^ten,  gc» 
l^örte  ber  erfte  unter  ©enjenigen,  bie  g^rau  üon  ©taöl,  ba  fle  nod^ 
beinal^  ein  Äinb  war,  gu  literarifd^er  Slrbeit  ermuntert  l^atten,  bcr 
Slbbe  afia^nal.  SKalouet,  öon  ©ainte^Seuoe  „ber  33eid^töater  ber 
poUtifc^en  ßonöertirten"  genannt,  ergä^It  in  feinen  SKemoiren, 
tt)eld)e  Umftimmung  über  ben  bereits  ad^tgigjälirigen  Söerfajfer 
ber  „pl^ilofopl^ifdien  ©efc^id^te  beiber  Snbien"  gefommen  »ar, 


0  Morellet,  Memoires,  bei  Lavergne,  Les  Economistes  franfais,  370. 
2)  Prior,  Life  of  Burke,  II,  41,  42,  43—50. 


mU  Sfla^nal.    ©uatb.     süiontbfter.  515 

beffen  ©cnbfdbreiben  an  bie  9?atlonalDerfammlung  ber  S^rn  bcr 
£in!en  al§  bie  mac^tlofe  ©rol^ung  eineö  alter^fd^wad^en  ®rcifc§ 
übertäubte.  Unter  Senen,  bie  ben  äugenblidf  für  gelommen  er» 
ad^teten,  im  @inn  ber  gemäßigten  ^btm  ju  wirfen,  war  unter 
anbern  aud)  @uarb.  ®er  föniglid^e  ßenfor,  ber  ben  „^garo'\ 
als  „ein  ^robuft  fcl^Ied)ten  ©efd^macfs  unb  fd^led^ter  ©itten", 
üon  ber  33ü^ne  l^atte  fem  l^alten  moHen,  änberte  feine  ^Jleinung 
nid^t,  al§  bie  Äomöbie  jur  Sragöbie  umfd)lug.  ^ont^coulant 
berid)tet  in  feinen  Sentoürbigfeiten,  ba%  @uarb  ju  fagen  pflegte, 
man  muffe  feinen  Segriff  öon  bem  3Befen  beö  5!Kenfc^en  unb 
feiner  ©efd^id^te  l^aben,  um  auf  ben  ©ebanfen  ju  verfallen,  e§ 
ließen  ftc^  bie  e;rotifci^en  5ßflanjen  ber  ®emo!ratie  auf  bie  tief= 
liegenben  SBurjeln  einer  alten  9Konard^ie  fe^en^). 

®iefe  Sluffaffung  vertrat  @uarb  unter  5!Jlttplfe  t>on  Sacre- 
teile  im  Journal  »Les  Independants«,  baö  biö  gegen  @nbe 
1792,  ba§  l)eifet  fo  lange  als  überl^aupt  nod^  möglid^  erfd^ien. 
3n  ber  1791  öeröffentlid^ten  @d^rift  öon  SKontlojter  „über  bie 
Äunft,  eine  Station  ju  conftituiren",  bie  ftd^  bie  ©lüdfmünfd^e 
Don  Surfe  ermarb ,  erfannte  Sfleder  feine  Ueberjeugungen 
iDteber^). 

5lud^  ber  franjöpfd^e  ÄleruS,  auf  beffen  SunbeSgenoffen« 
fd^aft  er  fo  grofee  Hoffnungen  gefegt  l^atte,  enttäufd^te  biefelben 
nid^t.  2)ie  beften  unb  erleud^tetften  feiner  9JKtglieber  erftrebten 
bis  jule^t  eine  SBerftänbigung  mit  ber  Siebolution.  SBorftanb 
beS  ©eminarS  oon  @aint=»@ul:pice  mar  jener  fromme  unb  ge» 
leierte  W)he  ßmerg,  ben  SiobeSpierre  nur  beSl^alb  nid^t  l^in= 
rid^ten  liefe,  meil  feine  ©rmal^nungen  baS  ©d^reien  ber  gum 
Stöbe  Serurt^eilten  öerl^inberten ;  fpäter  l^at  il^n  aud^  Sflapoleon 
nid^t  JU  beugen  öermoc^t.  Sm  Sntereffe  beS  religiöfen  g^riebenS 
unb  obmol^l  bereits  ®emalt  angemenbet  morben  mar,  öeröffent» 


0  Pont^coulant,  M6moires,  I,  106. 

2)Bardoux,    Le   Comte   de   Montlosier   unb    beffen   Sd^rift  L'art  de 
constituer  les  peuples. 


516  ^^e  entcr^. 

Iid)te  6merq  nod^  1791  bie  Dom  Derföl^nlid^ftcn  @eift  bnrä)' 
brungene  @cl)rift  „über  bie  ^rincipien  ber  ©ouüeränctat''  ^). 

6ine  ber  beften  ßeiftungcn  in  ber  angegebenen  3iid^tung  aber 
war  3lerfer'§  Sud)  über  bie  ©rehitiDe,  ba^  ein  ^a\)v  nad^  feinem 
afiüdtritt  unb  faft  gleid^jeitig  mit  ber  ®efd)ic^te  fcine§  britten 
93Zini[terium§  entftanben,  Slnfangö  1792  erfd^ien. 

3n  biefer  bebeutenbften  feiner  politifd^en  ©d^riften  gibt 
9?e(ier  bie  (gd^ilberung  unb  ^tif  be§  2SerIe§  ber  ßonftituante. 
6r  verfolgt  ben  Slufbau  ber  SSerfaffung,  bie  t>on  ber  5[ÄonardE)ie 
au^gel^enb  unb  biefelbe  al§  ©taatsform  ^iroflamirenb,  ben  5j:i^ron 
mit  republifanifd)en  ^nftitutionen,  mit  einer  eingigen,  über= 
mäd)tigen,  !einer  ßontrole  unterworfenen,  über  aBe  Süegierungö^ 
gewalt  üerfügenben  Kammer  umgab,  bi§  i^re  745,  mit  tägltd^ 
18  granfen  l^onorirten  ©eputirten  bem  Äönig  üon  granfreid^, 
„al§  it)rem  erften  6ommi§''  il^re  Sefel^Ie  ertl^eilten,  unb  er 
ftd)  gezwungen  fal),  wenn  er  eine  ®ratififation  üon  l^unbert 
granfen  gewäl)ren  wollte,  il)re  ßinwilligung  nad^jul^olcn.  ©iefc 
ol^nmäd^tige  931onard^ie,  „bie  gum  blofeen  9lamcn  geworben, 
für  bie  Slation  balb  ein  ju  f oftfpieliger  Suruöartifel  fein  werbe** , 
oergleid^t  Sledfer  mit  ber  ©teUung  be§  ^rdjtbenten  in  ben  SScr* 
einigten  Staaten,  mit  ben  Sefugniffen  ber  Häupter  europSifd^cr 
SRepublifen,  um  jum  ©d^lufe  ju  gelangen,  bafe  bie  Gonftruirung 
ber  @;re!utit)e  oon  ben  fraujöfifc^en  ©efe^gebem  einfad^  öergcffen 
worben  fei.  SSon  aßen  Söogenfd^lagen  beö  ©leic^l^eitÄprinclpS 
unterwül^lt,  beö  @d^u^e§  ber  ©l^rfurd^t  beraubt,  fönne  ber  Sl^ron 
ol^ne  fociale  |)ierard^ie  nid^t  beftelien.  Sin  feine  ©tette  fei  bie 
auf  puren  Slbftraltionen  berul^enbe  aSoIIöfouüeränetät  getreten, 
ein  Seber  l^abe  ftd)  in  ©egenwart  be§  neuen  ©ebieterS  gefragt, 
wie  biefer  benn  am  ftd)erften  gewonnen  werben  lömte.  3)em 
fran3öftfd)en  3lationaId)arafter  entfpred^enb,  fei  eö  baburd^  ge* 
lungen,   ba^  man,  t»or  2lßem  burd)  baö  ©efret  öom  19.  Swnt 


')  Garnier,  Notice   sur  l'Abbe  Emery.     Gosselin,  Vie  de  TAbb^ 
Emery. 


5«c(fcr'g  S5u4  über  bic  ejcluttbc.  517 

1790  fiber  abfc^affung  beö  Slbetö,  feiner  eitelfeit  gefd^meiti^ett, 
unb  einen  ganj  falfd^en  2lu§gangöpunft  wäl^Ienb,  bie  i5reil)ett 
t>on  ber  abfoluten  ©leid^l^eit  bebingt  jtd^  gebadet  l^abe,  wäl^renb 
tl^atfad^Hd^  jebe  wirflic^e  ^eil^eit  burd)  bie  fd^ranfenlofe  9Kad)t 
ber  SftationalDerfammlung  Dernic^tet  fei,  bie  felbft  lieber  ber 
populären  Strömung  in  ben  6Iub§  unb  anbern  politifd^en  ®e- 
feUfc^aften  gel)ord)e^). 

5)ie  ©d^ilberung  [timmt  mit  jener  öon  Surfe  überein,  aber 
ber  Slu§tt)eg  Sfleder'ö  auö  bem  Sab^rintl^  ift  nid^t  ber  Slu§tt)eg 
bon  Surfe. 

©iefer  ISfet  bie  vielerörterte  ^tage  bei  Seite,  ob  fjranfreic^ 
eine  3Serfaffung  befafe,  um  bagegen  ben  SSemeiö  ju  fül^ren,  bafe 
e§  alle  Elemente  ju  einer  fold^en,  Slbel  unb  Äird^e,  Stotabeln 
unb  @tänbe,  Korporationen  unb  Sürgertl^um,  ^agiftratur  unb 
3Bel)r[tanb  gel^abt  unb  jerftört  l^abe.  9ledfer  glaubt  mit  il^m, 
ba^  nur  ber  Umfturs  gelungen  unb  bie  Sleform  gejd^eitert  fei; 
aber  er  fud^t  ba^  $eil,  ftatt  in  ben  gegebenen  SBerl^ältniffen,  im 
fernliegenben  Sbeal  ber  brittifd)en  ßonftitution^). 

6ö  üerbient  bemerft  ju  werben,  ba§  ber  ©ebanfe  beö 
göberali§mu§,  ber  al§  Slnflage  be§  SSaterlanb^berratl^ö  gegen 
bie  ©ironbe  gefd^leubert  werben  foHte,  in  ber  gleid^en  2lbjtd)t 
bem  (ginflufe  öon  5ßariö  ©d^ad^  ju  bieten,  bei  5ftecfer  auftaud^te. 
6r  l^ält  gwar  bie  @d)öpfung  t>on  fjöberatioftaaten  in  Europa 
überl^aupt  nid^t  für  burd^fül^rbar  unb  bemerft  inSbefonbere, 
„g=ranfreid^  bebürfe  mel^r  be^  ©langet  al§  beö  ©lüdfeS",  neigt 
aber  perfönlid)  entfd^ieben  baju  unb  fagt  auöbrüdflid^,  wenn  bie 
franjöftfd)e  SSerfaffung  ftd^  nid^t  öerbefferungöfäl^^g  erweifen 
foHte,  fo  würbe  ein  göberatibftaat  bem  gegenwärtigen  ßuftanb 


^)  Necker,  Du  pouvoir  ex6cutif  dans  les  grands  itats,  VIII,  23,  29, 
33,  106,  108,  111,  276,  297,  306  unb  IX,  290,  294,  379,  578,  582.  3« 
ocrgl.:  Burke,  Reflections  on  tbe  French  Revolution,  Nov.  1790.  Lecky, 
History  of  England  in  the  XVIII  Century,  V,  469—473. 

2)  Neck  er,  Du  pouvoir  executif  dans  les  grands  Etats,  VIII,  42,  47, 
53,  157  unb  IX,  290  u.  578. 


518  SRedfer  unb  SWirabcau  über  bcn  göbctaKöftaat. 

tt)ctt  öotjujtel^en  jcin^).  ©erabe  in  bicfcm  $uttft  l^at  Slccfcr, 
wie  fpäter  bie  ®ironbc,  einen  Vorgänger  in  SKirabeau  gel^abt. 
©iefer  war  fo  fel^r  üon  ber  Slotl^wenbigfeit  burd^brungen,  ber 
übermütl^igen  Sqrannei  ber  ^auptftabt  ein  ®egengett)id)t  in  bcn 
Sßrobingen  ju  fdiaffen,  ba^  er  an  be  la  SKard  fd^rieb:  „^ä)  bin 
übergengt,  bafe  ein  grofee^  SReid^  nur  bann  erträglid^  regiert 
werben  fann,  wenn  eö  jtd^  in  eine  ßonföberation  Reiner  Staaten 
auflöft  unb  baS  unfrige  entweber  ju  ©runbe  gelten  ober  ftd^  fo 
conftituiren  wirb"  2). 

5fterfer'ö  wol^l  nur  feiten  mel^r  befragtes,  umfangreid^eö 
3Ber!  entplt  aud^  Sluffd^lufe  über  eine  offen  gebliebene  Srage. 
SiSl^er  würben  bie  Slnfänge  ber  boltrinären  ©d^ule  auf  5ßedfer 
unb  feine  ©eftnnungögenoffen  jurürfgeffil^rt;  bagegen  ift  au^er 
Sld^t  gelaffen  worben,  bafe  ber  5ftame  bafür  öon  il^m,  aber 
nid^t  in  Slnwenbung  auf  ftc^  unb  feine  greunbe  l^errül^rt.  Sn 
ber  ©efd^id^te  feineö  gweiten  5!Jlinifterium§  nämlid)  f^jrid^t  5ßecfer 
öon  ben  „öfonomiftifd^en  ©oftrinören'' ^),  unb  im  28erl  über 
bie  6;refutiüe  wirb  „eine  Heine  @d^ar  t>on  ©oftrinären"  —  bie 
Häupter  be§  nad^l^erigen  gonüentö  —  für  ba§  ©leid^l^eitabogma 
ber  SReöoIution  berantwortlid^  gemacht*).  Sei  Sittre  finbet  fld) 
bie  Segeid^nung  nid^t  weiter  al§  biö  gur  Sieftauration  unb  einer 
fpottenben  SBiergeile  t>on  33eranger  auf  3fio^er»6oIIarb  im  Nain 
jaune,  einem  SBiplatt  auö  bem  Sa^r  1816  jurüdEgefül^rt^). 

3)ie  ©ejtnnung,  bie  pd^  bei  il^rem  SSater  unb  il^ren  %xmn^ 
ben  auöfprid^t,  erfd^eint  bei  ^rau  öon  ©tael,  in  einer  ber  we« 
nigen  gleid^ jeitigen  SReinung^äufeerungen,  bie  wir  öon  ti^r  befl^cn, 


*)  Neck  er,  Du  pouvoir  ex^cutif  dans  les  grands  ^tats,  VIII,  29, 
283  u.  430.  Öcfct,  ««cdEer'ö  stocUcS  iminiftctium,  11,  Si^ote.  Neck  er,  Der- 
niöres  vues  de  politique  et  de  ünance.    Oeuvres  completes,  IX,  189. 

^)  Bacourt,  Correspondance  entre  Mirabeau  et  de  la  Marck,  I,  451. 
Mirabeau  an  de  la  Marck,  Paris,  19  Jan  vier  1790. 

^)  De  Padministration  de  Monsieur  Neck  er,  par  lui-m^me,  VI,  260. 

*)  Neck  er,  Du  pouvoir  executif  dans  les  grands  Etats,  VIII,  285. 

*)  Littre,  Dictionnaire,  II,  1205. 


Uxfprung  bet  IBeaetd^nung :  S)oItrin&r.  519 

nid^t  untt)efcntliä)  mobipcirt.  &S  tft  bic  Sobrcbc  auf  bcn  am 
6.  SJlat  1790  öcrftorbencn  ©rafen  ®uibert,  bic  gtoar  nid^t  im 
S)ruc!  crfd^iett,  aber  öon  $anb  ju  §anb  ging  mxb  brud^ftüdf« 
tt)cifc  in  ©rimm*^  ßorrefponbcuä  mitgetl)cilt  würbe  ^). 

©uibcrt  war  ein  Offijier  öon  glänjenber  Sapferfeit.  5llS 
Sülilitärfd^riftfteller  l^atte  er  ein  Sud^  gefä)rieben,  ba§  gucrft 
griebrid^,  bann  5Rapoleon  il^ren  ©enerälen  em:pfa]^len,  unb  baS 
SBaf^ington  feinen  Ärieg^gefäl^rten  nannte 2).  Slud^  Weitete 
©uibert  Sragöbien,  bie  ju  SBcrfaiUeö  aufgefül^rt  würben  unb 
tl^m  bie  Porten  ber  Slfabemie  öffneten.  @ein  SSerfud^,  bie  fran* 
göfifd^e  Slrmee  nad)  bem  3Rufter  ber  ^3reufeifd[)en  umgugeftalten, 
war,  wie  bereite  erwäl^nt,  mifeglüdtt  unb  l^atte  bem  begeifterten 
Sewunberer  iJriebrid^*^  bie  Ungnabe  öon  Dben  unb  bie  l^eftigfte 
©egnerfd^aft  im  ^eere  jugegogen,  an  weld^er  feine  militärifc^e 
Saufbal^n  unb  bann  feine  ßanbibatur  für  bk  ©eneralftaaten  fä)ei* 
terte.  Später  würbe  ©uibert,  beffen  ©^mpatl^ien  ber  Sieöolution 
aufö  iJebl^aftefte  entgegen  famen,  bennod)  ©eputirter  be^  SierS. 
S)a  er  aber  ate  foId)er  bie  3fieorganifation  be§  .^eereS  unb  eine 
ftreng  bi§ci^3linirte  Slationalgarbe  »erlangte,  würbe  er  nod)  ein* 
mal  einer  ber  unpopulärften  SJlenfd^en  in  granfreid^  unb  ftarb 
bitter  enttäufd)t  im  beften  SJianne^alter.  JDie  Ungunft  be§ 
©d^idfalö  gegen  il^n  fteigerte  bei  Srau  Don  @tael  bie  ^lage 
um  feinen  S3erluft.  ©uibert'ö  ritterlid^e  aSerel)rung  für  baS 
unter  feinen  3lugen  l^erangewad^fene  junge  SJläbd^en  l^atte  il^rer 
Sugenb  gefdf)meiä)elt;  fie  »ergafe  nid^t,  bafe  er  ber  erfte  gewefen 
war,  il^re  fünftige  Seftimmung  gu  al^nen,  unb  glaubte  fein 
Slnbenfen  nid^t  beffer  als  burd^  ben  SluSbrudE  einer  ®eftnnung 
eieren  gu  Knnen,  t>on  ber  jte  wufete,  bafe  jte  aud^  bie  feinige  war. 

3m  @egen[a^  gu  ben  Slnfd^auungen  öon  3ledfer  unb  feinem 
Äreife  neigt  biefe  ®ejtnnung  ftarf  nad)  linfö.   Sie  mifet  nid)t  bie 


')  Madame  de  Stael,  Eloge  de  Guibert,  XVII,  275  u.  ff.  Grimm, 
Correspondance  litteraire,  Aoüt  1790. 

2)  Comte  de  Guibert,  Essai  g^n^ral  de  tactique,  1790.  Baron 
Amber t,  Le  Comte  de  Guibert,  Revue  contemporaine,  XXVI.  253. 


520  SWad^ruf  Don  Srtau  t)on  ©tael  an  ©uibcrt,  1790. 

Siefc  be§  2lbgrunb§,  wie  bcr  ftcrbenbc  SKirabeau;  jte  fpricl)t  nid^t 
mit  Surfe  unb  ©ouüerneur  Portio  beu  trauernben  SSerüid)t  auf 
bie  fjreilieit  au§;  pe  n^eife  nid^tö  üom  Sefenntnife  ber  9Kounier 
unb  ?!WaIouet,  bafe  ein  grofeeö  @;t:periment  gefd)ettert  unb  bcr 
Älaffenl^afe  be§  alten  9flegime  jur  $t)bra  beö  ^arteil^affeS  öer- 
öielfältigt  worben  i[t;  mit  allen  Hoffnungen  jugenblid^er  Äraft 
unb  S^öerjtd^t  ftel^t  jte  mitten  in  ber  Gegenwart,  gefällt  ftd^ 
im  Äampf  unb  öertraut  auf  bie  ßi^fw^ft-  S3or  ben  g^aftiouen 
freilid^  warnt  aud^  g^rau  öon  ©tael.  Slber  fte  finbet  e§  natür^» 
lid),  wenn  eine  ©eneration,  „bie  t)on  ber  Äned^t[d^aft  gur  %nH)tit 
übergegangen  ift,  nid^ts  fo  fel)r  al^  bie  diMhf)x  jur  ©flaöerei 
fürd^tet  unb  üor  5lllem  üor  ber  Stirannei  gefc^ü^t  fein  wiU". 
©uibert  l^atte  bem  Äönig  ba§  Siedet  über  Ärieg  unb  fjrieben 
nid^t  jugeftanben  wiffen  wollen.  3m  ©egenfa^  ju  ben  ge« 
mäßigten  3iot)aliften,  bie  in  Uebereinftimmung  mit  SUeder  unb 
5Rirabeau  eine  fd^were  SSerle^ung  unb  ^nfulte  ber  föniglid^en 
^rärogatiöe  barin  erblidten^),  ift  fjrau  öon  ©taäl  in  biefer 
grage  auf  Seite  öon  ©uibert  unb  nennt  bie  am  urfprfinglidE)en 
Sorfd^lag  3Rirabeau'§  burd^  bie  SSerfammlung  vorgenommenen 
SSeränberungen  ,, weife  SKobipfationen". 

Sftod)  fd^ärfer  jeigt  pd)  biefe  üorgefd^rittene  Senbenj  in 
einem  Slrtifel,  ber  ol^ne  ben  Flamen  öon  gtau  öon  Staßl,  aber 
öon  i^r  gefd^rieben,  in  bem  bereits  erwSl^nten  Statt  t>on  ©uarb  unb 
SacreteHe,  les  Indäpendants,  erfd)ien.  6r  befd^äftigt  pd^  mit 
ber  Srage,  wol)in  bie  wal^re  ^Kajorität  ber  Station  tl^atfdd^lid^ 
neige  unb  entfd^eibet  biefelbe  ju  ©unften  einer  SRittelpartci, 
weld^e  bie  5Ronarc^ie  jwar  al§  notl^wenbig,  jugleic^  aber  bie 
SRüdffel^r  jum  Sllten  für  ebenfo  fträflid^  aU  unmöglid^,  unb  ba« 
Heil  in  ber  Slufred)tl^altung  einer  ftarfen  gefefelid^en  Drbnung 
erfenne,  wie  SUlirabeau  pe  fterbenb  gewollt  l^abe,  „um  Steilheit 
unb  ©leid^l^eit  ju  retten.  .  .  ."  „&^  gibt'\  fo  argumentitt  Pc, 
„nur  mel^r  jwei  Parteien  in  iJranfreid^,  3fio^aliften  unb  SRepubli* 


0  Necker,  Du  pouvoir  executif  dans  les  grands  Etats,  VIII,  223. 


S^r  ©tanbpunlt.  521 

lancr.  2öarum  foUten  bie  @inen  jum  ©d^weigen,  bie  3lnbern 
gur  |)cud^elet  nerurtl^eilt  fein,  al^  l^anblc  e§  jtd)  um  eine  Änec^t 
fd^aft  ober  um  ein  ©afrilegium.  ®ie  3^it,  wo  bie  monard^ifd^e 
©ejtnnung  eine  2lrt  oon  Sieligion  war,  ift  für  immer  üorüber. 
35er  Sio^aliömu^  bleibt  lünftig  eine  9Jleinung^fad^e,  beren  SSor* 
unb  Sladjtl^eile,  U)ie  bie  jeber  anbern  poIitifd)en  Snftitution, 
gegen  einanber  abgewogen  werben.  SSarum  foUten  bie  @inen 
fie  nic^t  angreifen,  bie  Slnbern  nid)t  nertl^eibigen  bürfen? 
SJlan  bel^anbelt  fte  me  ein  SBorurt^eil,  ftatt  jte  ju  analgpren 
wie  ein  ^rincip"  ^). 

Sl^re  SluSeinanberfe^ung  läfet  feinen  ßw^eifel  barüber  be* 
ftel^en,  bafe  bie  SBerfafferin  nid)t  oiel  bagegen  einguwenben  l^ätte, 
foHte  bie  ©ntfd^eibung  gegen  bie  9Konard^ie  unb  für  bie  Sie- 
publif  fallen. 

®amit  war  ber  Söeg  t)orgejeid)net,  btn  jte,  oon  nun  an 
ol^ne  bie  mäfeigenbe  ©egenwart  il^re§  SJaterö,  aber  bafür  oon 
einem  Slnbern  beeinflußt,  wäl^renb  ber  neuen  ^l)afe  ber  3fieoo= 
lution  betreten  foHte,  bie  im  grü^ja^r  1791,  furj  bor  ber  glud^t 
nad^  S3arenneö  beginnenb,  mit  bem  erften  2Kinifterium  ber  @U 
ronbe  abfd)ließt.  2luf  biefen  2Beg  oerwiefen  nidt)t  nur  bie 
SBed^felfäUe  ber  ^olitif,  fonbern  aud)  bie  il^reö  weiblid^en  @d)icf== 
falö.  ®er  ©ebanfe  an  feine  2:od)ter  mochte  SfledEer  nid^t  fern 
geftanben  fein,  al§  er,  oon  ben  franjöftfd)en  SSegebenl^eiten 
fpred^enb,  meinte,  nid)t  weniger  alö  ben  Staat  ptten  fte  bie 
ßl^araftere  reoolutionirt^). 


^)  Madame  de  Stael,   A  quels  signes  peut-on  counaitre  quelle  est 
ropinion  de  la  majoritö  de  la  iiationV  XVII,  318  u.  ff. 

^)  Necker,  Du  pouvoir  executif  dans  les  grands  Etats,  VUI,  436. 


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