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'"^^^RA^S^
Sfrau von §faet,
in $0lttit uttb Sitetatttt.
@rfter ^albbaitb.
^xan t)Ott ^tael,
in 80llt!li unö iWmUt
SJon
geh- ©rftfnt £jegjbem
3Jltt einem ^Porträt ber %tau x)on ©tael.
t&xfttx Solbbrnäi.
aSctIafl öon ©ebtüber ^aetcl.
1887.
s7
/
-f.t
9iUc ffitä^tt, t)orne]^mIi(i& bad bev Uebeifej^und in frembe
Qpxaä^tn, t)oxhtf^aittn.
©rurf öon ®. Söeruftctn In S3erlin.
75/ 7G 3 ■ /9-)
^mrnrml.
«La premiäre loi d'un portrait est de
ne pas le £Edre dans an ton opposö k
celui du modHe.*
Sainte-Beuve.
tteber ben 3eitab[c^mtt t)on 1789 bis 1815 ift faum ein
bebeutcnbcS Sud) l^iftorif d)en gn^^ttS gef<^ricbcn worben, ba3
nici^t ben 9iamen t)on Sinne Ocrmaine 5ftccfer, SBaronin t)on
@taöl*^olftcin, genannt ptte.
am 22. SH)riI 1766 im ©d^ofe bcr Äultur beS ad)tge^nten
gal^rl^unbertS geboren, unter bem birelten ©inpufe ber Sbeen
t)on 3- % 9iouffeau aufgewadifen unb in lebenbiger Serül^rung
mit allen ©röfeen ber ^t\i, uon SSoltaire bis 2Kirabeau, oon
Surgot bis SBonoparte, l^at fle bie SSorliebe für biefelbe nie
verleugnet unb bie gange SHebolution gum 2:i^eil mitl^anbelnb
burc^lebt. ©iefe i^re ))olitifc^e 9ioKe fäKt in bie gel^n Saläre
gttjifd^en 1789 unb 1799. SllS jte auSgef))ielt war, begann mit
bem Sud) „fiber bie giteratur" bie eigentlid)e fd^riftfteHerifclöe
fiaufbal^n, bie erft il^r am 14. Suli 1817 erfolgter Sob ab^
fd^lofe. ©iefe fiaufbal^n begeid^net ein großer literarifci^er
S^riunip]^, ber Don „ßorinna"; eine geiftige Sl^at oon faum gu
überfd)ä^enber Tragweite, bie SSeröffentlid)ung beS a3ud)S «über
VI »otttjort.
®eutf(i^lanb" ; enblid) baö politifci^e, in ben „SBetraci^tungcn über
bic frangöftfd^e SRcöoIution" niebcrßcleQtc SEcftamcnt, baö gtan^
rcid^g bcfte ©öl^ne mit gu bem SBcrfud^ begeiftcrt l^at, il^rem ßanb
bic Ofiter bcr %x^\l)cit ju jid^crn, für n)eld)c bic ©cneration
»Ott 1789, bejiegt aber nid^t cnttäufd^t, in ben SEob gegangen war.
@in fold^eö ©afein, an alle SBed^felfäHe eineö n^eiblid^en
©d^idffalö gefnüpft, ba§ bie ©türme beS ^ergenö unb gebend
in feltener ©d^mergfäl^igfeit mitburc^litten l^at, mu^te nicl)t
»weniger 2l^eilnal)me als Snteref[e einPfeen. @o ift benn aud)
ein ßffa^ über gtau t)on @tael ba§ SieblingStl^ema frangöftfd^er
©diriftfteller geblieben, ^ein bebeutenber unter il^nen, 9Ä. %
e^enier, »arante, 3. be 9Kaiftre, ai)ier§, »iUemain, 6^äteau=
brianb, fiamartine, Sflettement, Slifarb, 61^. be Siemufat, ®uftat)e
5ßland)e, ©^rufeg, 6^. be 3Kagabe, Slmiel, Srunetiere, 6aro,
D. i?euillet, ©uigot, SEaine, ber eö unterlaffen ptte, wenn aud)
nur öorübergel^enb bie gal^ne öor il^r gu neigen. Sluöfül^r-
lici^ere ©tubien über fie t)on 3Kabame SReder be ©auffure,
SBenjamin ßonftant, SUe^anbre SBinet, üor allem üon ©ainte*
Seuöe, bem SKeifter ber mobemen ^ritif,, gepren mit gum
beften, waö bie frangöjtfci^e ^rofa im 5ßorträt geleiftet l^at.
Slffe biefe ©tubien aber tragen einen öorwiegenb literarifci^en
ß^arafter. 3)ie gal^lreid^en Sflad^rid^ten über bie ))olitif(]öc Stel-
lung unb aSebeutung uon grau t)on ©tael, bie ftd^ in ber faft
unüberfeparen ßiteratur über bie SReoolution, in SRemoiren
unb ßorrefponbengen , 33iogra^)]^ien unb @efd^iä)t§n)erlen ger-
ftreut finben, jinb babei entweber gar nid^t ober bod^ nur un=
öoKftönbig oerwertl^et worben.
Unb bod^ lie§ jtd^ bag Silb ber merfwürbigen grau nid^t
anberS als im SRal^men ber oon il^r mit burd^lebten ©reigniffe
SSortoort. VII
unb ©ebanfcnftrömungcn rid^tig bclcud^tcn. SÄan burftc, nad^
bcn SBortcn eincö unfcrcr grögtcit ^iftorifcr, jid) felbft nid^t
fdieucn, 3Utt)cilcn lieber SlltbefannteS gu wteberl^olen, alö über
bcm Scftrcben, immer unb überall neu ju fein, not^wenbig un*
toa\)x ju werben.
?ln ber Äli))pe, bie perfönlid^en @(i)idffale ber %xavi oon
Staöl oon ber @ef(i)fd^te il^rer S^it ä« trennen, jinb inöbefonbere
bie t)erfd)tebenen englifd^en SBerfud^e, ein erfd^öpfenbeS gebend«
bilb öon il)r gu enttoerfen, gefd)eitert.
@o ift eö ge!ommen, bafe jteben ©ecennien nad) il^rem Sobe
eine ber bebeutenbften 6rfd)einungen ber mobernen Qdt nod^
leinen Siograpl^en gefunben l^at.
©iefe güdfe in ber ®efd^id)te beö neunjel^nten Salirl^unbertö
tDurbe ber SSerfafferin oorliegenber Slrbeit bei SBerfoIgung ganj
anberer ©tubien fühlbar; bafe jte, biefelben unterbred^enb, ber
23crfud^ung, bie ßücfe auögufiitten, erlag, erflärt gur ®enüge ber
SReid^tl^um beö ©toffS, fein 3ii[cimmenl^ang mit fo öielen ©pifoben
unb leitenben ^ßerfönlid^feiten ber SReöoIution, be§ Äaiferreid^ö,
ber beutfd^en flafjtfd^en Slera unb ber Sleftauration, enblid^ bie
centrale Sigur felbft, toeld^e bie 3!Kcnfd^en mel^r nod^ burd^ il^re
unwiberftel^lid^e ®üte, als felbft burd) baS ®enie gefeffelt ^at.
6§ fam nod^ ein weiterer Seweggrunb l^ingu.
tjrau öon @tael fal^ ©eutfd^lanb in ber ©tunbe feiner
tiefften, politifd)en ©rniebrigung. 6ben biefe ©tunbe l^at fte
gewäl^lt, um feine geiftige ©röfee, feinen jtttlidien SBertl^ unb
aSeruf, unbeirrt burd) bie ßreigniffe, ber SBclt gu öerfünben.
@ie ift bie fjrcunbin öon ©d^iHer unb ®oetf)e, uon Äarl
Sluguft unb. §ergogin Suife, oon SBill^elm unb Sllefanbcr uon
§umbolbt, bie ®önnerin öon 21. SB. ©d^legel gcwefen. „ßorinna"
Sitfifha (At\nmtmnat t>€tpflUiftm.
Jim fSiUibUd auf Mefclben mißt bit @ef(^te ber ^ou
fttfM SHnol^ tt^H t^riitf^rr $anb auff^ejdd^net, als ein Seitrag
brr bdUifHiftt ttltcTdiur j^iim detitenarium uon 1789 nadific^tig
tllitniftuiiittitiftt ui(frb(ftt. 8Öa« In biefcm gewaltigen @;rperiment
ntil iiiib l(^ti(^it«fAt)ln ßmi(?t<^H (ft, l^at 9liemanb ebler feftgel^alten
dl« flr» U<i^tt1)i^f M(^ ^trlddt mel)r galt al0 alle anbeten @äter
C!Br|lj0 ^üpiitl
©er leidet erregbare, eiferfüdötige ^atriotiSmuö ber iJ-ran-
jofen, ber anbem Stationen fo oft jum SSorbilb, md)t feiten
aud^ als nü^Ild^er ©porn jur Slnfpannung ber eigenen Äraft
biente, l^at jte bennoci^ nid^t öerl^iubert , mel^r als einmal im
Saufe il^rcr ©efd^id^te bie Seitung be§ @taate§ fremben |)änben
anjuöertrauen. 2)er größte Slnt^eil baran fällt ben Italienern
äu, ßoncini unter ßubmig XIII., unter feinem 5Rad^folger, bem
ßarbinal SJlajarin, ber mitSSemal^rung aller ttipif dE)en ©genfd^aftcn
ber eigenen ^Rationalität fo oiel jum ©lang unb jur 3Rad)t*
fteHung ber frangöftfd^en Ärone beigetragen l^at. ©er ©nglänber
Sertoid fd^lug bie ©d^lad^ten Subwig'S XIV.; ber ©d^otte San)
oertoaltete bie ginanjen bcö ^Regenten, ©ie SReoolution accep-
tirte bie 3Ritf)ülfe beS Slmerilanerö S:f)omaS ^a^ne, be§ 9ieuen=
bürgert 3Karat, beS ^reufeen 3lnad)arp§ 6loo^, be§ beutfcften
Ißrinjen oon §effcn=3flf)cinfel§, beS ßorfen 33onaparte. %vix bie
aSenbec fod^t ber ©d^wabe ©tofflet, für Subn^ig XVI. ber Ober*
pfäljer Sucfner. ©ie nationale 6igentf)ümlid)feit l^^t \)a^
beutfd^e ßlement auf fremben 33oben am n^enigften bewal^rt,
t)om gelbf)erm SJtaurice be @aj:e big l^crab gum ©c^riftfteller
©rimrn, bem ba§ Sob gefpenbet worben ift, franjöjtfdt)eS SBefen
bis gur SSoHenbung in ftd) auSgebilbet ju l^aben.
©a§ ®leid)e läfet ftd^ nid^t öon feinem ^Jreunb unb ^txU
genoffen, bem ®enfer Safob Jlecfer, fagen, ber in einem Slugem
ölenner^atfett, %xau bou ©tafiL I. 1
:^ 1^ i^joniinp: mü gqcsnmiatKi: nie n: Kt
IHK ^^i^rty fi<i(tftr t^ SKHUumgt l^ertr Tniirwflm mff
\^.mKt SuTiyfiut piffwneia: vrrunr xm^ i^ vir He
tiifW''*^. \0iif:^<tt ißprtet ife. huibk s grntiritrrtr mrrfcra.
(44; ittf. yii^ptiiKimiti vsm Hf^ "uumut :är j^fmif nÜ üc der
tSkiÄin^ feim v^ffei* IStoie ^ inco: Xiiorr ms 1k imrjffdiöieB
'Üjfi^Mf^, uif PwxxsnJja Snt ^säkz gixitfiio: pzzor«
''i^id^M's »imi ifi^<^ l^^p ^f ^ ^ 2^ SifnnTi.
|t<fiii^ ^rk, ttm in ^tmanan nrieber jnrjTTtmwVn, a>ü fütit^
((Ü4^ t^ähm ptiA/^umü\d^ kuöfmcnntn beBdMoL Sft
'4^A^t^» ^in^i ^t^tnuct^ Vlattm Ütdtt, im Hin^ffrid Baitmbeig,
liur^irtt ^m ^tftilt, toutbt SU^oCot itt Auftritt. Sl^en eo^
lUrf 9f(\€l>fMi mit "kamim uttb 1685 geboren, gab ben eitgen,
m\\(ii\^% m6) t>on i^m getoäl^Iten Sirfuttgsfreid balb loieber
aü\, um einen jungen (Skafen Sem^orff, fktt^ ^önig^
^eprg \,, auf (Keifen juerft an bie Uniuerfitat @enf, bann in
oertd)iebetu ^au)Hftäbte (furopa'd ju begleiten. @egen 1724
traf er mit feiitem Üögling in Sonbon ein, xoo ber ^önig feine
4temiti)UHgen burd) ein IJ^I^rgel^alt Don £ 100 mit ber ä3e^
®r)lj0 f Äpttd.
©er leidet erregbare, eiferfütötige ^Patriotismus ber g^ran-
gofen, ber anbem Stationen fo oft jum SSorbilb, nid)t feiten
aud^ als nü^lid)er Sporn gur Slnfpannung ber eigenen ^aft
biente, i^at jte bennoc^ nid^t üeri^inbert , mel^r als einmal im
Saufe il^ter ®efdöid)te bie Seitung beS Staates fremben Rauben
anjuüertrauen. S)er größte Slntf)eil baran fällt ben Italienern
ju, Goncini unter gubwig XIII., unter feinem 5Jlac^folger, t)tm
ßarbinal SKajarin, ber mitSemai^rung aller tt)pif d^en 6igenf d^aften
ber eigenen ^Rationalität fo Diel gum ®lang unb gur SJfad^t^
fteHung ber frangöjifciöen Ärone beigetragen l^at. ®er 6nglänber
Sermidf fd)lug bie ©d^lad^ten Submig'S XIV.; ber ©d^otte gato
üermaltete bie ^Jinangen beS ^Regenten, ©ie Sleüolution accep^
tirte bie SJfitplfe beS SlmerilanerS Sl)omaS ^aqne, beS 9ieuen=
burgerS 9Rarat, beS ^reufeen 2lnad)arpS 6loo^, beS beutfc^en
^ringen öon ,^effem3fl^einfelS; beS (Sorfen Sonaparte. %nx bie
aSenbee fod^t ber ©d^mabe ©tofflet, für Subtt)ig XVI. ber Dber=
pfälger gudfner. ©ie nationale 6igentf)ümlid^feit i^at baS
beutfd^e 6lement auf fremben SSoben am toenigften bemal^rt,
üom gelbf)erm 9Jtaurice be @aj:e bis f)erab gum ©^riftfteHer
©rimm, bem baS Sob gefpenbet toorben ift, frangöfifd^eS SBefen
bis gur SSoHenbung in ftd) auSgebilbet gu l^aben.
2)aS ®leid)e läfet jid^ nid^t t)on feinem greunb unb ^dU
genoffen, bem ®enfer 3cJfob 9tecfer, fagen, ber in einem Slugen*
33Icnncrl&atfctt, 5rau »ou ©taeL I. 1
2 S)le gamtlie ffttätx.
blidf l^öd^fter SScbrängnife für bcn franjöftfd^cn ©taatöl^ouiSl^alt,
bie geitung feiner fjinanjen unb jel^n ScJ^^e fpäter, am 2Sor==
abenb be§ fürd^terlid^ften ©turmeS, ber bi^l^er über eine curo-
))äifd)e SRation l^ereinbrad), bie SRettung berfelben \)ox gänjlid^em
aSerberbeu unternal^m.
Sn ben Sorjügen unb 6igenfd)aften, toie in ben SRangcIn
unb ^ei^lem, ttjeld)en ba§ 3KifeIingen biefer boppelten unb um
gel^euren Slufgabe jugefd^rieben »werben mu&, la&t jtd^ bie
beutfd)e Slbfunft nad^tt)eifen, öon meldier 5Jle(fer, nur burd^
eine Generation getrennt, bie ©puren nie gang in jtd^ öertDifd^tc.
Sei einer 3lation aber, tt)eld^e ju allen S^it^^ ^w^^ gctüiffe
€f)arafterf eitler öiel mel^r atö burd) bie entgegengefe^ten 6tgcn=
fd)aften bel^errfd^t tt)orben ift, mufete e§ entfd)eibenb werben,
bafe am SBenbe))unft Dou 1789 fomoi^l il)r Äönig als fein erfter
2Kinifter feine beffere @abe ju bieten l^atten als bie bürgcrlici^ett
Sugenben, um berentmiHen bie SSölIer glüdflid^ gepriefen werben,
bie feine @efd)id)te i^aben.
Sl^rem Urfprung nad) ftammte bie Samilie Slecfer ouö
3rlanb, womit jugleid^ gefagt ift, ba& jte eble Slbfunft, xomix
anä) nid^t bie föniglid^en (Si^ren beanfprud^tc, bie j|ebem cd^ten
irifd^en gelten, in feiner ber SBal^rl^eit entfrembeten §ßl^antajte,
al§ a3rud)t]^eil eine§ geraubten ©rbred^ts öorfd^weben.
SSon Sricmb öerfd^winbet bie ©pur ber gamilie unter
Königin 3Karia, um in §ßommern wieber aufjutaud^en, wo 9Kit==
glieber berfelben proteftantifd)e Äir^enämter befleibeten. ©er
©ol^n eineö §ßrebiger§ SJfartin S^edfer, im Äird^fpiel SBartenberg,
unweit öon ^ß^ri^, würbe Slböofat in Äüftrin. S)effen ©ol^n,
Äarl g-riebrid^ mit SRamen unb 1685 geboren, gab ben engen,
anfangs aud^ öon il^m gewäl^lten 3Birfung§frei§ balb wieber
auf, um einen jungen ®rafen S3emftorff, ^atl^en Äönigö
©eorg L, auf Sieifen juerft an bie Uniüerjttät ®enf, bann in
öerfd^iebene ^auptftdbte 6uropa'ö ju begleiten, ©egen 1724
traf er mit feinem Söflltag i« Sonbon ein, wo ber Äönig feine
Semül^ungen burd^ ein S^'Ö^fl^^^lt öon £ 100 mit ber 33e^
SRerfcr, bcr iBater, in bcr ©dftttjeia. 3
bingilng, in ®cnf eine grgiel^unö§anftQlt für junge ©nglänber
gu errid)ten, anerfannte. 3ledfer »billigte ein unb ttjurbc balb
barauf öom ©enfer ©rofeen SRatl^ jttjar ol^ne &cf)alt, aber mit
bem 3;itel eine§ §ßrofe[for§ ber 3ied)te an bie bortige ^od)fd^ule
berufen, ©r öermäl^Ite jtd^ 1726 mit ber ©d^ttjefter be§ @taat§=
fefretärg unb 3Kitglieb§ be§ l^ol^en 9fiatl)e§, ©autier, au§ einer
fjamilie vertriebener Hugenotten, ber feinen Stammbaum burd)
bie ©aHatin unb Säubert auf S^cqueö 6oeur, ben großen fran*
jöftfd^en fjinangmann be§ XV. gal^rl^unbertiS gurüdffül^rte, er*
langte im felben ^ai)x ba§ SSürgerred^t unb gttjar, mic baö
©elret befagte, „loftenloö wegen feiner 3Serbienfte'', mürbe balb
barauf in ben l^ol^en dtaü) gemcil^U, bann 1742 3Ritglieb bc§
reformirten 6onftftorium§ unb üeröffentlid^te um biefelbe Qcxt
einen „Unterrid)t gum ©taatSred^t beä ^. 31. 3fieic^e§ beutfd^er
Station", Don bem 1764 eine Ueberfe^ung in fjranffurt unb
Seipgig erfd)ien. Dbmol^l Sledfer befonberiS bemerft l^atte, ba&
bie ©d^rift „nid^ts entl^alte, maiS ben dürften unangenei^m fein
Iönne'\ glaubte ber l^ol^c aiatl^ bcr SRepublil bod^ mit 9fiudfjtd)t
auf monard^ifd)e S^ad^barftaaten bie SBibmung berfelben auö
Älugl)eit§grünben ablei^nen gu muffen, üerjtd)erte aber ben SBer*
faf[er feines befonbem SBol^lmoHenS. 3)er 6rfolg feiner @r=
giei^ungSanftalt fe^te t&n in ©tanb, einen Sanbjtfe gu ermerben,
bem er aue Slnl)ängHd)feit an bie alte ^etmatl^ ben 5Jlamen
„©ermanie'' gab. ©a§ SBo^l feinet gmeiten ^eimatl^lanbeS
fd^eint er ftd^ nid)t menig gu bergen genommen gu l^aben, benn
1762, bei einer SBal)l in ber $etrifird)e, bie l^eftige Unrul^en
üeranlafete, fani er mäl^renb beiS SSerfud^S, bie aufgeregten ®e=
mutiger gu befd)mid^tigen, plöpd^ leblos gu Soben^). @r l^citte
baS Sllter oon 77 Salären erreid)t unb l^interliefe gmei ©öl^ne,
Submig unb Salob.
Submig Sledfer, ber ältere t)on beiben, 1730 geboren unb
') Senebier, Histoire litteraire de Geneve, 1786. 111,90. Gallife,
Notices genealogiques sur les familles genevoises. II u. IV. Dr. 3. ^cx*
mann, DUxUf)xct: Qnx ©efd^id^tc ber ganülle ^tätx. SScrIin 1886.
1*
4 02e(iet'd ^öl^ne, 3a!ob unb Subiuig.
©oftor ber SRed^te, betrat anfangt bie Saufbal^n feinet SSatcr^,
begleitete ben jungen dürften üon 5Jlaffau=3Beilburg, bann einen
©rafen üon ber £ippe=©etmoIb auf bie UniDerjttät nad^ Surin,
tourbe l)ierauf 6rjie^er beö greil^errn üon SBaffenäer, au§ alt:»
nieberlänbifd^em @efd^Ied)t, unb bejog al§ folc^er mit \S)m bie
Uniüerptät Utred)t. 3wm ^rofeffor ber 5Jlaturle]^re an ber
^od)fd)ule feiner 3Saterftabt ernannt, betl^eiligte er jtd^ mit
einigen arbeiten am ©ictionnaire ©nc^clopebique, füf)rtc feinet
SSaterS ßrgieliung^anftalt fort, fal^ ftd^ aber nad^ bem Stöbe
feiner erften fjtau öeranlafet, in ?5olge oon gerid^tlid^en Streitig*
leiten ®enf ju öerlaffen. 6r öergid^tete auf feine 5ßrofeffur,
ging nad^ SKarfeiHe, nal^m ben Si^i^^w^^n be ®ermanie an unb
errid^tete mit Unterftü^ung feinet SSruber^ Safob SJlexfer bort
ein S3anfgefd)äft, ba§ ii^n in ben ©taub fe^te, nacf) toenigen
Sal^i^en jidi) mit einem Sßermögen oon gtoei SKiHionen £iöre§
in§ ^rioatleben unb nad^ 5ßari§ jurüdfjugielien. 25ort tourbe
er ber greunb Senjamin granflin'S, mit bem il^n t)a^ gleid^c
Sntereffe für Slaturtoiffenfd^aften oerbanb, unb ®atte eine§
gräulein t)on ^auteoiKe. S)iefe gioeite 6l)e blieb finberlo^, aber
ein @ol)n erfter 6l^e trat in franjöpfd^e Ärieg^bienfte, unb eine
Sod^ter oerl^eiratl^ete jtd^ in ©enf, too audt) Subtoig 9tecfer 1804
im felben gal^r toie fein ©ruber fein geben befd)lo60^
2)iefem jüngeren ©ol^n t)on Äarl ^Jriebrid^, 3<^cque§ 9leder,
am 30. September 1732 geboren, toar ein fel)r öerfd^iebene^,
aßen SBanblungen menfd^lic^er ©röfee unb bamit unjertrennlid)er
(gnttäufd^ungen au§gefe^te§ @d)icffal befd^ieben. Sluja feinen in
®enf oerlebten, im Uebrigen burd^ fein befonbereS 6rlebnife be-
jeid^neten Änabenjalören l^at ftd^ bod) ein d^arafteriftifd^er Quq
erl^alten, btn fein nad)maliger greunb, Äarl SSiftor oon Son=
ftetten berichtet. SBenn, fo n)urbe itjm erjäfilt, ber junge 9leder
mit feinen Äameraben fpielte, brad)te er e^ immer bal^in, ba§
0 S)ie gamilic ^ctfer öon 6— r. unb 3afob ^cder öon S(. 9Ö. ©c^Icg ct.
S3cibc 3Juffäfec abgebrurft in ber Beitjd^rtft: S>ie Beitgenoffcn, 1816—1817
unb 1818—1819.
©d^trcljcr Suftönbc jener 3^^*- 5
«
€taatengebUbc, öon benen er gclefen, im Äleinen bargefteHt
tt)urben unb er ®elcgenl)cit eri^ielt, ©efe^gebungcn für jte ju
entwerfen^). SBie bcnn überl^aupt in ber bamaligen ©d^ttjcij
fd^on Sung unb 3llt jtd) mit ^olitif befd^äftigte unb bie öcr*
fd^iebencn ßantone voai)xe 5IRiniaturbiIber üerfd^iebencr 9lc*
gierungöformen unb politifd^er Sijeorien barfteHtcn, xoa^ um fo
merhDÜrbiger erfd^eint, tomn man jtd^ an bie im ttjeiten beut[d^cn
SJlad^barlanbe in biefer Segiei)ung ]^errfd)enbe Slpatl^ie erinnert.
@ie ivar fo grofe, bafe in ben 3al)ren 1722—1756 ®ottf(i)eb
unb feine ^Jrau nid^t ttjeniger al§ 4700 SSriefe mit ber l^alben
SBelt med^felten, ol^ne in benfelben ber ^olitif mel^r alö burd^
ein paar ganj gufällig I)ingemorfene Sleufeerungen ju ermälinen^).
®a§ faft allgemeine Sntereffe ber Sd^meijer an ben öffentlid)ett
2lngelegent)eiten I)inberte übrigens nid^t, bafe bie gineite ^älfte
be§ XVIII. S^l^i^l^wnbertS in ber ®efd)id^te ber @d)n)eig eine
(5pod)e be§ S^^^f^K^ begeid)net. (Sine Slnjal)l Heiner Staaten,
üon ber 9Jionard^ie ber geiftlid^en ^Jürftentl^ümer bi§ jur ab-
foluten ©emolratie ber Meinen 23ergIantone, tl^eilten |td^ baS
Sanb, aber bie Siriftofratie blieb bennod) l|err[d)enbe ^Jorm beS
öffentlichen Seben§, inbem aud) bie bemofratifd)en fflauem ber
Ileinen Äantone e§ nid)t t)erfd)mä]^ten, Untertljanen gu befi^en.
Sieben ben breigel^n Kantonen gab e§ nod^ brei Heinere
Staaten, bie unter bem Flamen „jugettjanbte Orte'' ftd) bei ben
Sagfa^ungen vertreten liefen. Unter biefen befafe bie JRepublif
®enf bie blul^enbfte inbuftrieHe ©ntmidflung, mäl^renb bie
iJamilienariftofratien in Sem, ßujern, ^^teiburg, ©olotl^um be=
reit§ arg in SSerfaH geratl^en ttjaren. ©inen geiftigen SKittel»
punft fd^ufen ftd^ bie ©dimeijer 1760, bei ®elegent)eit beS
SubiläumS ber SSafeler §od)fd^ule burd^ ®rünbung ber „l)th
üetifd^en ®efellfd)aft". Sin il^rer @pi|e ftanb Sfelin mit ben
brei 3ö^df)em ©efener, ^irjel unb ©d^ing; fpäter gel)örten
0 SBonftetten, SBriefe an grtberife S3run, l^erouSgegeben bou g. öon
SKattl^iffon, I, 205.
2) S)an3el, ©ottfd^eb unb feine Seit, 279.
VIII »otttjort.
l^at ©riapargcr mit gut „QappJ)o" bcgeiftcrt; il^r Silb l^ing über
bcm Slrbcitötifd^ be§ %xtxf)tTxn t)on ©tcin, afö ba§ einer SBcr*»
bünbeten im Äampf gegen ben Unterbrücter.
©old^e Erinnerungen öerppid^ten.
3m ^inblidf auf btcfelben möge bie ©efd^tdjte ber fjrau
oon ©tael, t)on beutfdjer ^anb aufgejeid^net, atö ein Seitrag
ber beutfc^en Siteratur jum gentenarium öon 1789 naddte^tig
l^ingenommen werben. SBaS in biefem genjaltigen ©jcperiment
gut unb lebenöfäl^ig gett)efen ift, f)at 5Riemanb ebler feftgel^alten
atö jte, weld^er bie Steilheit mel^r galt aU alle anberen ®üter
beiS gebend.
gKünd^en, 14. Slpril 1887.
®cnf. 7
3Ral gctangt I)atte. 8lu8 biefer aßgemcinen 6tferfud^t cntftanb eine
aUgcmemc gute SSilbung in allen Älaffen. 33ei ben ^Jrauen Slrtig*
feit, bei ben 3Kännern eine gute, oft ttJtffenfd^aftlid^e ©rjiel^ung, im
®angen aber mel^r Unterrid^t al§ bei irgenb einer ber großen
^Rationen. ®a bic au§gegeid)nete ©eelenbilbung in ®enf au§
altbürgerlid^er unb religiöfer Gontroüerfe unb au§ ^anbelSgeift
l^eröorging, fo war ber ß^arafter ber ©enfer gang ernft unb
mel^r auf SBeweife unb 3fied)nen, 'al§ auf Seben^genufe unb
Srol^pnn gerid^tet. SSoltaire fagt öon ©enf: »Cit^ sourrioise,
oü Jamals Ton ne rit«. ©ie puritanifd)e Saune ber ©eiftlid^*
feit l^atte aUeS luftige SBefen, befonber§ öffentlid^e ©d^aufpiele,
üon il^ren ©rengen al§ mifelid^e ©reuel abjulialten gewußt;
ba§ unluftige SBefen ber ®enfer machte |te gu befto rüftigeren
Äriegem, fo ba^ jebe politifd^e ?5rdge, aud^ bie unbebeutenbfte,
6d)riftenfturm unb SBortgenjitter gebar. . . 3d^ erinnere midf),
ba^ in ben Stagen meiner Äinbl^eit ba§ größte Sob, ba§ man
Äinbern gab, war, wenn man pe rfil)mte, ba^ fte orbentlidf)
wären. Orbentlid^ fein war ftiK fein, wie ein alter ^apa, ober
ftcif fein wie ein 9latl)§]^err. . . 5!Jiein SSater l^atte mid^ bem
trefflid^en Gramer, bamaligen ©^nbifu^ ber SRepublif empfol^len.
®en faf) id^ gum erften 3Kal in feiner Äüd^e, fpeifenb mit %xan
unb 3Kagb; ber ßl^rwürbige trug eine §ßerrücte, bie, wie ftatt-
lid^e 9Wä]^nen, bi§ an ben SKagen flo§ . . . ®iefe guten ©itten
tl^auten nad^ unb nad^, in ber 3^^ ^on S8oltairc'§ ©rfd^einung,
nid^t ol^ne fein SJfitwirfen, wie alte ®letfd)er auf" ^).
. 3)cr ©d^lo^err öon gerne^ rül^mte jtd^ fpäter, ®enf corrum*
pirt gu l^aben^); in ben Stagen aber, in weld^e Sledfer^ Sugenb
fiel, war ber grofee unb befd^eibene 5(laturforfd)er unb ®elet)rte
SSonnet ber einflu§reid)fte 9Wann in feiner SBaterftabt, ber, wie
fpöter 5Recfer febft, gwifd)en ben p^ilofop^ifd^en ^Problemen ber
Seit unb ben d^riftlid^en Ueberjeugungen ju vermitteln fud^te.
0 SBonftctten, Sugenberinnctungcn , ben SBricfen on SWotti^iffon bei«
gebrudt.
2) Voltaire an d'Alemberl I, 134.
3n biefer 8ltmofppre patriard)alifd^er 6infad)l^eit unb ftrcngcr
(Sitte öoUcnbetc bcr fed)jel^niäl^rtge gafob 5(ledfcr mit ©rfolg
{«ine l)umantfti[d^cn ©tubicn, mufete itboä) bicfen Silbungö^^
gang, in wcldiem bie güdfe, tt)ie rid^tig bemcrft worbcn ift,
immer entpfinblid) blieb ^), unterbrechen, um in §ßari§ nad^ bcS
aSaterö SBillen eine felbftänbige @j:i[tenä im ^anbelöftanbe ftd^
gu begrünben. ®er ^lan fd^ien anfangs nid^t gelingen gu
foHen; be§ Jungen ^Redfer^ä' 3ntere[fe war burd^ gang anbere
Singe als burdf) ®elbgefd)äfte gemedt tüorben; er liebte bic
SSüd^er, laS mit SSegierbe bie 6rfd)einungen ber Sagesliteratur
unb fd^rieb in freien Slugenbliden Heine Sl^eaterftüde, befonberS
Suftfpiele in SBerfen, bie er ftc^ fpäter ©lud njünfc^te nic^t
öeröffentlid^t ju l^aben. ©in 3«ftitt fül^rte baju, bafe in bem
fröf)lid^en, ju l)armlofen ©päfeen unb ^Redereien ftetS bereiten
iungen 5Wann bemtod^ ein l)ert)orragenbeS Salent für ben wlber
2BiHen gettjäpen S3eruf erfannt n)urbe. ®er 3Sater l)atte tl^it
in baS il^m befreunbete ®enfer S3anfl)auS SBernet gebrad^t, beffen
ei^ef in ber 9täf)e öon ^aris auf bem Sanbe ^n tuolinen unb
nur an beftimmten Sagen in feine SSureauf gu fommen pflegte.
SBäl^renb einer fold)en Slbmefenl^eit lam auS .^oKanb ein tt)id^==
tiger ®ef^äftSantrag. 2)ie (Sntfd^eibung brängte ; ber nun ad)t^
gel^njäfirige ^Reder nal^m eS auf jtd), jte gu treffen, unb unter=
breitete SBernet bei feiner 3lnlunft ein forgfam aufgearbeitetes,
barauf bejüglid^eS ^rojett, n)eld)eS beffen boKe S^ftimmung
gewann. 3n weiteren brei 3Konaten l^atte fein (SommiS J^oHdn^
bifd) gelernt unb bie gange ßeitung beS wid^tigen Sßerfel^rS mit
ben bortigen großen ©efd^äftsl^äufern baburd^ in bie ^anb be^
lommen. ©ein @lüd war gemadt)t, unb als 1762 SSernet felbft
ftd^ bon ben ®efd^äften gurüdgog, vertraute er gafob 5(leder
eine ©elbfumme an, bie i^n in ben @tanb fe^te, in 3Serbinbung
mit ben ®enfern Sl^eluffon ein SSanfl^auS gu grünben, weld^eS
') Madame de Chairiere, Lettres-M6moires. Revue Suisse 1857,
p. 777.
®ic Dclonomiften. 9
balb eines ber erften in granfreid) »urbe nnb ba§ SSanftüefen
im eigentlid)en Sinne erft bort begrünbete, inbem biefeS ^au§
fic^ nid^t, tt)ie e§ biöl^er ber %a\l gewefen, auf rein fauf-
ntännifd^e SranSattionen ober ben ^ad^t [taatlic^er 6inna]^me=
quellen befd)ränftc, fonbern felbftänbig vorging unb grofee
©elboperationen »jagte. ®cn näd^ften Slnlafe I)ier^u bot bie
©pefulation mit ®etreibe. ©er $anbel mit bemfelben war
burd^ 6l^oi[eul 1764 freigegeben toorben, unb biefem öfonomifd^en
Umfd^wung ging baS um bie 9)7itte beö 3at)rl^unbert§ erwachte
Sntereffe für alle bamit derbunbenen Probleme ber 33oIf§tt)irtl)=
fd)aft dorauS, n)eld^e§ in ber mit ben fünfziger S^^l^ren be-
ginnenben Literatur ber Defonomiften gum SluSbrud fam unb
bie ©emütl^er fo leibenfd^aftlid) erregte, toie e§ furge Qtxt
üorl^er nur religiöfe ?5ragen gu tl^un im ©tanbe genjefen
waren.
„Sie Station", fd)rieb 3SoItaire, „überfättigt oon Sßerfen,
Sragöbien, Äomöbien, Dpern, Slomanen, romantifc^en ®efd^id)ten,
moralifd)en Sieflefionen, bie nod^ romantifd^er waren alö biefe,
unb tl^eoIogifd[)en ©treitigfeiten über bie ®nabe unb bie Gou:'
Dulfionäre, fing enblicf) an, S3etrad)tungen über ba§ ©etreibe
anjufteHen unb felbft ben fRntjm gu üernad^läfftgen, um nur
met)r über Äorn unb Söeijen gu fpred)en.''
Siefe SSemerfung, mit ben literarifd)en ©rgeugniffen jener
Sage unb ber ©efd^id^te be§ SebenS in ber ^auptftabt öer*^
glid[)en, ift faum übertrieben gu nennen. 3)enn felbft gu SSer*
faiHeS, im bergen ber 3Konard)ie, unter bem 2)ad^ be§ Äönig§,
begeifterte pd^ bie 3Karquife oon ^ompabour, ber fd)on Satour,
als er |te malte, einen SSanb be§ ®eifte§ ber ®efe|e in bie
^anb gegeben I)atte, nun für bie ©oftrinen be§ greifen
öueönaq, il^reö 2trgte§, be§ SBegrünberS beö :pl)t|ftoIratifd)en
©5ftem§. 3m (gpigrapl^, ba§ er feinem berül^^ten SSud)^)
') Maximes g^nerales du gouvernement economique d'un royaüme
agricole. 1760.
10 3^< ooxne^mften Scrtrcter imb f^tt £oItnn.
Doranfe^tc: »Pauvres paysans, pauvre royaume, paavre
royaume, pauvre roic, plaibirt er für fchtc Siebimgdtbfe, bic
^niang beS abfoluten ^önigt^umS mit bem Sauentflanbe, bie
richtig Dcrftanbcn, bcr ®cfd)i(^tc bc^ 3ci^r^unbcrtö eine anbete
äSenbung }U geben t)ermoc^t ^atte unb, ungead^tet OueiSim^'d
onfd^einenber aSertl^eibigung ber 35efpotie, bur(^ Sfd^crjicttuttg
be§ SSejt^eS tool^l biö gut perfönlid^cn greil^eit Dorgebnmgen
wärc^). SöSl^renb ^Wirabeau, ber SBater, feinerfcitö ba§ S^ccil
ber Swft^nft in biefer SBerbinbung be§ ©cepterö mit bem ^ug
erfennenb, bie 5rt)eorie öon Oueöna^ feinem eigenen ©tanbe anju»
))affen fud^te unb einen, auf feinem ®runbbep^ lebenbcn, allen *
SufuS öerwerfenben, \)en lanbtoirtl^f(f)aftlid^en gntereffen ftd^
l^ingebenben Slbel verlangte, beftimmt, ben ßnltuö ber SRcIigion,
be§ SBaterlanbeö unb ber pu§lid)en ^flid^ten aufred)t ju er«
l^alten, tt)at ©ourna^ für ^anbel unb ©emerbe, xoa§ ber SBor-
gänger öon 2lbam ©mitl^ unb feine @d)ule für ben Slcfcrbau
unternommen l)atten. 3n bie abminiftratiöe ©d^ablone feiner
Seit ttjarf er ba^ berühmt geworbene 3l]ciom »laissez faire,
laissez passer«; anä) ber SluSbrucf „SSureaufratie" ift üon
©ouruQ^^). 6r ttjirfte, ebenfo tt)ie Queönar), weit Aber granf*
reid^S ®renjen I)inauö, inbem bie S^eorie ber ^l^^jtplratcn,
il^re auf ben 5Jlaturgefe^en begrünbete SRegierungömetl^obc, bie
Qufgeflärteften 3Känner ber S^'t i" ^^^ üerfd^iebenflen Sanbcm,
©rgl^erjog Seopolb Don SCoöfana unb fpätern Äaifer, 9Harfgraf
Äarl griebrid) üon SSaben, ben Äanjler ßl^reptomiq unb jum
J^eil felbft S^fep^ 11. gu Slnl^ängem ftd) getoann.
Sm tonangebenben $ariS Derbanitc bie @ad^e ber Oefono«
«tiften il^rcu ©rfolg gum grofeeit Jl^eil mit bem @d^u^ unb
©nflufe bcr grauen, Cbwol^l bic Sd^riftfteHcr bcr „Sefte^,
iinc mau ftc nannte, fd^wcrfäUig unb juwcilcn fajt uuDerftänb*
*) 0<^ Laverjjne, Los Kconomistes frÄn^ais a« XVIll Siecle.
*) lUimm et Diilerot, Oorrespondance Ittteraire, philosophique et
critiqwe adit^ee k «n Soiiverain dWllemÄgno. Paris, ISJ^X Premiere
PArtie IV» UC\ ^Viw «m^ijttb* ton M. Towmeiix, Paris, 18S5.
>
S)tc tonangeBcnben S3üd^er ber Qdt 11
lid^ gu fd^rctben ppegtcn, bilbcten il^rc bänbereid^en ©d^riftcn
bcnnod^ ben Snl^alt be§ SCagcSgefpräd^S unb gctüanncn bic rege
Sl^eilnal^mc ber öornel^men SBclt. Sti ben eleganten S3ouboir§
würben bie trocfenften iJragen ber 33olföw)irtl)f(f)aft erörtert;
bie ^erjogin b'ßnöiHc, 91Kutter be^ üortrefflid^en, ber SReüoIution
gum Dpfer gefallenen ^erjog^ öon ßa SRod)efoucaulb, galt atö
eine ber beftinformirten §ßerfönlid)feiten in biefen 2)ingen; SÄa^
bame b'ßpina^ öergafe il^re ^ergenöangelegenl)eiten barflber;
iJeinbfd^aften, bie nid)t§ mef)r au§iugleid)en im ©tanbe ttjar,
liefen [xä) auf 9!Keinung§öerf(i^tebenl)eiten über 9!Jlirabeau'§ be§
Sleltem „Slmi beö ^omme§" ober Oue^na^'S ,,9!Jiafimen" jurüd=
fül^ren, ®er ©aupl^in, SSater Subtt)ig'§ XVL, nannte beg ©rfteren
5!öerl „\)a^ SSreöier ber el^rlid^en Seute" unb fanb in im
ftrengen Sfjeorien be§ ftoifd^en alten @belmanne§ etwas öom
l^ol^en reformatorifd^en ©eift, ber genelon'ö SSejiel^ungen ju
feinem ©rofeoater, bem 3Karcellu§ feiner 35^naftie, burd^brungen
l^atte. SBom pl)ilofop]^ifd)en Sager l)erüber nannte bagegen
f:pottenb 9Kelc^ior ©rimrn baS neuefte SBerf SHirabeau'ö, bic
1763 erfd)ienene »Philosophie rurale«, btn ^entateuc^ ber
öfonomifd^en ©elte, unb mit unöergleid^lid)em ©efd^icf bemäd^-
tigte ftd^ ber nad^ SBoltaire wol^l feinfte unb wi^igfte Äopf
feiner 3rtt, Slbbö ©aliani, ber Uebertrcibungen unb e;rtremen
Stnjtd)ten ber §ß]^^ftoIraten, um ilör öermeintlic^ in ßi^ina ge^
funbeneS gbeal eines lanbrnirtl^fd^oftliciien ?!JlufterftaateS unb
il^re mafelofen Stl^eorien über greil^anbel mit ©etreibc in bm
berül)mten »Dialogues sur les blas« ju rid^ten, bie ber ©ntl^u»
fiaSmuS ber 3^^ ben ^roöingialbriefen an bie ©eite gu fteHen
gewagt l^at. ©aliani'S Sud^ greift vorläufig über ben S^itabfd^nitt
l^inauS, ber un§ l^ier befd^äftigt unb beSl^alb merlmürbig öor
allen anbem ift, weil burd^ bic einmal geöffnete §ßforte ber
Äritif unb freien ^ÄeinungSäufeerung nod^ gang anbere ©ebanfen^^
ftrömungen einbrangen als biefe, auf öfonomifd^e Probleme ge*
rid^teten. „grei^eit unb Unantaftbarfcit beS S9efi^eS\ fd^rieb
ber öon (änglanb gurüdfgefel^rte SSoltaire fd^on 1729, „ba^
12 SRcrfer'S Sntercffc bcn öffentlid^cn Slngclcgcnl^citcn jugcnjcnbet.
;ift bie ©eötfe ber ©nglänber: fte i[t xooljl eben[oöicI tütxtti al§
SKontjo^c unb Saint*® em§."
Slnbere ffliidfe alö bie feinen liatten jtd^ feitbem über ben
©anal gewenbet, unb ©d^Iag auf @(f)lag folgten jtd^ jtüei Sal^r-
gel^nte ft)äter bie SBerfe, bie ftetig unb unauff)altfam bie morfcI)=
getüorbenen ©runblagen be§ alten Staate^ erfd^ütterten. 3Soran
ging 1748 3Konte§quieu mit bem ,,®eift ber ©efe^e"; e§
folgte 1756 ber (Sffa^ »sur les moeurs«; ba§ 3^1^^ 1762
brad^te bie ©oppelgabe be§ „ ©ocialcontractS " unb be§
„6mile". ®ajn)ifd^en rid^teten bie 6ncr)flopäbiften il^re getDaltige
Ärieg^mafd^ine gegen ba§ Seftel)enbe, öerfünbete ©iberot, ber
eigentlidie ®eniu§ ber S^^Pö^^ng, alle ©runblel^ren ber 3fleöo*=
lution. SBer einen gunfen in jtd) trug, in bem mußten bamalS
bie Sbeen günben, bie, ftd^ anjiel^enb ober abftofeenb, bie gange
geiftige Sltmofpf)äre in ftürmifd^e Semegung öerfe^ten unb bie
SJfenfc^en um fo öoHftänbiger erfaßten, al§ gerabe bie an=
fc^einenbe Stulpe ber äußern Seben§t)erl)ältniffe bie innere ®äl^«
rung förberte.
(S§ ift bemerft toorben, bafe 9lecfer feinem Seruf nid)t au^
5Reigung gefolgt n)ar; äußere Umftänbe l^atten \i)\\ auf ben[elben
öermiefen unb ba§ ®lüdf i^n babei fo begünftigt, bafe er alö
füum breifeigjäl^riger SUlann an ber ©pi^e eines geftd^erten unb
für bie Slnfprüd^e jener Sage fef)r beträchtlichen 33ermögen§ jtd^
befanb, ba§ jtd) bereite bamafö auf mel)rere Millionen bezifferte.
Unter fo geftalteten äußeren SSerl^ältniffen, bie if)n jeber
pefuniären Sorge entf)oben, fel)rten feine ©ebanfen lieber gu
ben planen unb 2öünfd)en ber 3w8^^^^ gurüdf. (5§ Verlangte
ben gereiften 3Kann, au§ bem ßomptoir in bie SBelt gu treten
unb in ber SBoHfraft feiner gal^re um ben Sejt^ öon ©ütern
gu ringen, bie if)m begel^renömertl^er al§ 3ieid)t]^um unb mate=
rieHe§ SBo^lergef)en erfd)ienen. ©afe gugleid) bie im ®efd^äft§*
leben gefammelten 6rfal^rungen ftd^ al§ bie befte S5orfd)ule für
feinen fpätem SBirfunggfrciiS ertoiefen, war eine weitere ®unft
be« ©(^icffafö.
SRedct'S SBetl^eiratl^ung. 13
aSeöor e§ in anberer SBeife über i^n entfd^ieb, traf 3Redfer
Me SBal^l, ttjeld^er er nid)t nur ba^ ©lud, fonbern aud^ bie
SBürbe feine§ £eben§ fd^ulbete, inbem er jtd^ jttjeiunbbreifeigiäijrig
mit einer Sanb^männin, ^Jräulein ©ufanne 6urd^ob öermäl^lte.
Siefe l)at jtd), unabl^ängig öon bem feinigen, in ber ®efd^id)te
ber frangöftfd^en ©efeUfd^aft be§ XVIII, ^al^rfjunbertö einen
5Ramen ju mad)en gemußt; allein il^r befiel Slnred^t auf bie
©rinnerung ber 5Jlad^tt)elt ift boä) ba§, bie liebenbe, l^ingebenbe
unb felbftüergeffene ©attin eineö bebeutenben 9Kanne§ geroefen
gu fein^).
3n „SBal^rl^eit unb ©id^tung" äußert ©oetl^e, mol^l in be«'
megter 3flüderinnerung an @elbfterlebte§, ba§ ^a\x^ eine§ :prO'
teftantifd^en £anbgeiftlid)en fei öielleid^t ber frf)önfte ©egenftanb
einer ntobernen Sb^He. (Sbm auf einem fold^en, nid)t nur für
bm poetifc^en Slnl^aud^, fonbern mel^r nod^ für ben ftttlic^en
©el^alt be^ Seben^ fo günftigen S3oben begann, am 2. 3uni
1737, bie ejciftens ber 5J:od)ter be§ g5aftor§ 6urd)ob. 3^r be=
fd^eibeneö 33aterl^au§, mei^ getünd)t mit im grünen ^enfter*
laben, ftanb im SBaabtlanb, bid^t an ber fran;iöpfd)en ©renje,
im Keinen Drt ßraffier, beffen ©eelforger ber SSater mar. S)ie
SJiutter entflammte einer vertriebenen ^ugcnotten-^Jamilie, im
b'Sllbert auö 9)Zontelimart; fte mar in ber 3^8^"^ \^^^ W^^
gemefen, unb bie, übrigeng nid)t genauer nad^gemiefene Srabition
üornei^mer ^Ibfunft il^rer Familie fd)eint bie Sod^ter fpäter in
^ari§ eine !urje 3^it l^inburd) veranlagt ju l^aben, ftatt beö
eigenen bm Flamen ber 9Kutter gu fül^ren^). @efd)mifter l^atte
pe nid)t, unb fo fonnte ^aftor 6urd)ob feine gan^e t)äterlid)e
©orge biefer einzigen Soi^ter jumenben. Äaum fed)iel)niä]^rig,
fd^rieb fte einem feiner ^eunbe einen lateinifd)en 33rief, beffen
0 ©ic gamUic ^tdex öon 6— v. Safob SRccEer bon 8t. 2ö. ©d^Icgct.
S3b. I u. IV ber „Seitgenoffen". Notice sur Mr. Necker, par le Baron de
Stael, son petit-fils, beffen Oeuvres completes borangebrurft. MadaQie de
Stael, Vie priv^e de Monsieur Necker. Oeuvres completes, XVII, 1.
*) D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, I, 11.
14 grr&uletn (Surd^ob im eltevlid^en ^aufe.
©t^l biefer al^ ciceronianifd) rül)mtc, [tubirtc ^l^^ftl unb ®eo^
metric, trieb öiel 9Kuftf unb fd)ilberte ftd^ in einem ©elbft*
^Porträt alö fc^Ianfeö, blonbeiS 3Käbd)en mit frö^liä)en blauen
Slugen, feinen SÜQm unb gett)innenbem Säckeln, beffen ßrfd^ei*
nung übrigen^ bie befd)eibene .^ertunft au§ bem ®orfe nid^t
üerleugne. 25iefer anjiel^enben ^erfönlid)feit fel^lten bie 336=^
ttjunbercr nid)t; bie Äangel Jber Heinen Äird^e üon Grafpcr
erfreute f\ä) bei jungen Ji^eologen balb einer Seliebtl^eit, bie
pd^ burd) ben ßifer für ba§ ©eelenl^eil ber bortigen ®emeinbc
nid^t mel^r genügenb erllären liefe. 6^ jtnb ?5reunbe§briefe wx^
l^anben, bie xi)x öornjerfen, bie jungen Seute burc^ il^re ßoletteric
ermutl^igt ju l)aben; jie felbft befannte fpäter, fte fei ju uner-
fal)ren getpefen, um bie nötl^ige £ebenöllugl)eit gu entwidfeln,
unb überbiefe l^abe baö ii^r gefpenbete £ob il^r ben Äopf Der*
brel^t. ®ie ®efül^le, bie jte ermecfte, mad^ten ftd^ in SSerfen
Suft; ber 6ine !lagt über
» . . votre eternelle morale,
Qui me fut toujours si fatale«;
bem Slnbern erfd^ien jte im Sraume:
»Ne vous alarmez pas, Suzette,
Vous grondätes, l'amour se tut,
Mon sommeil aima sa conqu^te,
Et mon röveil votre vertu«
fagt am ©d^lufe biefer erträglid^fte il)rer bamaligen bid)terifd)en
a8erel)rer.
©ie bentoürbige ©pifobe ber Sugenb öon ©ufanne 6ur*
d^ob fpielte jtd) jebod) nid)t in jenen erften Salären gu Graffter,
fonbern in Saufanne ab, mol^in bie ©Itern jte, fo oft alö bie
Umftänbe e§ erlaubten, gu bringen ))flegten. SBeld^er 3lrt
bie gefeHigen Serpltniffe biefer in unfern Stagen öornel^mlid^
alö Souriftenft^ befannten alten laiferlic^en ©tabt waren, l^at
u. Sl. b'^auffonöiHe genügenb bargetl^an. @o Hein baö auf
9000 ©intüol^ner öerminberte Saufanne tt)ar, fd^ieb ftd^ bennod^
aud) feine ©efellfd^aft in gttjei ©nippen, bie ftd^ nur öon
Sl^r Slufcnti^olt in öaufannc. 15
Seit gu Seit ju begegnen pflegten, ©ie eine würbe öon ^m
alten, ariftofratifd)en Familien gebilbet, beren Sntereffen na(3^
beut 3flegierung§ji| Sem graöitirten unb bie an ben Ufern be§
fd^önen @ee§ ein patriarci^alifd)e§ ©afein gaftfreunblid^en ©till=
lebenö fül^rten, c§ aber gelegentlid^ aud^ nid^t uerfd^mäl^ten, ftc^
unter ba§ 33olf gu mifd^en unb an feinen SSergnügungen Sl^il
gu nel^men. 3)er anbere Äreiö beftanb au§ ^rofefforen unb
©tubenten ber Uniöerjttät, bem eine ©efeßfd^aft junger 9!Jläbd^en
unter bem Flamen Societe du prlntemps jtd^ anfd^Iofe, unb bie
im SBinter mit SEanj unb ©efeßfd^aften, be§ ©ommerö burd^
Sluöpge unb ©piele ftd) öergnügte. ®er ©intritt öon fjröulein
©urd^ob in biefelbe unb il^ice i^ö^eren a3ilbungöanfprüd)e t)er=
anlasten bie ©rfinbung einer Slfabemie, bie öon ben Quellen
be la 5ßoubriere, nal^e bei ber @tabt, ben SRameu erl^ielt unb gu
fd^riftfteHerifd^en Seiftungen öerpflid)tete, weld^e bie garteften
Probleme beö §ergen§ gu löfen l^atten. 6ine§ 2age§ befd^äftigte
ftdt) bie afabemie mit ber ßinfül^rung be§ a3e|t^red)te§ ber
fjrauen „auf bie bergen ber 3Känner, bk gleid^ ber neuen SBelt
alö brad^eS, unbebaute^ Sanb gu betrad^ten feien." 6in anbereS
3Jlal beanttt)ortete jte übereinftimmenb bie fjrage, „n)eld)e§ ber
gartefte ©enufe öon allen fei", bal^in „eine fel^r ungliidlid^e §ßerfon
üollfommen glücflid^ gu mad^en, unb gwar ol^ne burd^ äußere
Umftänbe l)iergu üeranlafet gu ttjerben." Sin allen biefen Subti*
litäten bamaligen ®efd^macf§ ober t)ielmel)r Ungefd)macfö nal^m
©ufanne 6urdt)ob bzn lebl^afteften Slntl^eil; aud^ l^ier mürbe fte
befungen, gefeiert, angebetet, ©appl^o ober ©ugette genannt unb
befd^ulbigt, e§ gu gerne gel^ört gu i^aben. SebenfaHS i^at ba=>
mal§ fein Swg i^t-eö SBefenö bie ftrenge 5ßebanterie ber fpäteren
3al^re öerratl^en. ©a trat in bie @))ielerei unb ba^ Siebei^s
getänbel ber fleinen SBelt gu Saufanne ein junger 3lu§länber,
ber eö anfd)einenb ernfter meinte unb lebenfaHS bem jungen
5Jläbd)en eine Steigung eingupfeen wufete, bie ftd^ um ba§ 2ln=
benfen beS ^iftoriferö öon »Decline and Fall« tt)ie f5rül)lingS=
grün um altel^ru)ürbige§ ©emäuer fd)lingt.
16 Oibbon.
Sll^ ©ibbon, fed)jelöniälörig, nad) gaufanne giim 5ßaftor
5ßat)illarb in 5ßenjton 9c|d)icft würbe, gefd^al) e§ Don Seite
feines SßaterS in ber Slbjtci^t, il^n jum SBieberauStritt au§ ber
fatf)olifd^en Äirdje gu Deranlaffen, in bie er furj öor^er „Don
ebler ^anb überwunben" ^) ju D?:forb übergetreten war. 35ie
Äur gelang nur ju üoHftänbig, benn mit bem fir(i)lid)en SSe-
lenntnife üerlor jtd) bei ©ibbon and^ jebe djriftlidje Ueber*
jeugung, unb fo umgeftaltet begegnete er, injwifd^en a^tje^n
3al)re alt geworben, ber gefeierten 9Kufe ber jungen afabemif^en
Äreife ber ©tabt, Fräulein 6ur^ob.
©ie äufeere 6rfd)einung üon ©ibbon, bem Weinen, unförm=
lic^ bidfen 9Kann mit ben furjen Seinen unb gän^jUdiem SKangel
an 5ßrofiP), l)at fpäter Slnlafe ju mand^en Slnef boten geliefert;
ein ^err t)on SSieüre l^flegte ju fagen: „2Benn id). SSeroegung
braud^e, fo gel^e id) breimal um ©ibbon l^erum" ^). SSefannt
ift aud^ bie @cene, wie er einft im felben Saufanne ber @d)rift'
fteHerin ßroujaj, fi^äteren SSaronin 2RontoIieu, mit einer Siebe§=
erllärung ju güfeen fan! unb biefe il^n befdt)Wor, wieber aufju^
ftel^en unb nidt)t weiter baöon gu reben. „2lc^, wenn idt) e§ nur
fönnte," feufjte ber arme ®ibbon, unb e§ mufete ein Äammer=
biener gerufen werben, um if)n wieber auf bie Seine ju bringen.
JDajwifdtien lag ein ^Siertelja^rl^unbert unb me^r. gräulein
Gurd^ob l^at einen anbem ®ibbon, Dor ber 33erüf)mt^eit, aber
bafür iugenblid^ anjiel^enb gefannt; jte fprid)t t)on feinem frönen
^aar, feiner feinen §anb, feinem öornel^men Slöefen unb üor*
trefflichen SRanieren unb l;ebt ben geiftreid)en, ftets wed^felnben
SluöbrudE feiner ^^S^^ftognomie l^eroor.
2ll§ ©egenftüd l^at ©ibbon in feinen SKemoiren, im fia*
pibarftJjl ber il^m eigenen flafftfd^en Slu^brucfiSweife , baö SSilb
be§ jungen 9Jtäbd)en verewigt. „Sl^re perfönlid)en Sßorjüge,"
>) eine ©tcKc ouS SB off u et l^otte il^n l^ieau öeronlofet. Memoire of my
Life and Writings, S^ap. III.
2) Marquise Du Deffand, Lettres ä Horace Walpole.
^) Duchesse d'Abrant^s, Histoire des Salons de Paris, II, 365.
©ibbon. 17
fo lautet bic ©teUc, ,,t)crf(i)önerten Siigcnben unb ®abcn bc§
©cifteö''; bei ©elegenlieit i^rer pd)tiflen SSefud^e bei SSer=^
wanbten gu gaufanne bilbeten ber SBerftanb, bie ®(t)öxiijt\t unb
bie Äenntniffe öon Fräulein 6ur^ob ben ©egenftanb oHge^
meinen SSeifaHö. Söaö id^ t)on ber feltenen 6rfd)etnung l)örte,
emedfte meine 9leugierbe. Sd) fal) jte unb liebte. Sd) fanb jte
gelehrt ol)ne 5ßebanterie, belebt im ©efpräd), in ifiren ©efü^Ien
rein unb elegant in il^ren 9Kanieren. ®ie erfte, plö^Iid) bei
mir ]^ert)orgerufene ßmpfinbung befeftigten ©emofinlieit unb @e*
Iegenl)eit gu gtüanglofem SSerfelir. @ie geftattete mir gwei ober
brei S3efu(i)e bei i^rem Sßater. ©inige glüdflid^e Sage l)abe id)
in ben SSergen ber f5reigraffd)aft ^) öerlebt; bie 6ltem er*
mutl)igten aufö @l)rentüertf)efte meine 9leigung. Sn ber fRui^t
ber ßinfamfeit, wo bie pd^tigen ßitelfeiten ber Sugenb H)X
gerftreuteö §erg nidt)t mel)r betoegten, lie)^ fte ber ©timme ber
2öal)rl)eit unb Seibenfd^aft if)r Dl)r, unb idt) barf mir fd^meid)eln,
einigen ©inbrudf auf ein tugenbl)afte§ ^^^erj gemad)t ju l)aben.
3u (Sraffter, ju gaufanne, gab id) mid) ben 3:äufd)ungen be§
©Ifldfeö l^in; aber nad) meiner 3fiftdffel)r inö SSaterlanb mnfete
id) gett)al)r werben, bafe mein SSater nie biefem SSunb feine Qn^
ftimmung geben, unb bafe id) ol)ne biefelbe öerlaffen unb auö^
jtd^tsloö fein würbe. 9ladt) t)einlid)em Kampfe ergab id^ mid^
in mein @d)idtfal." 6§ folgt bie flafjtfd^e ©teile: »I sighed as
a lover, I obeyed as a son. Unmerllid^ l^eilten Qtit, Tren-
nung unb ®ett)olönl)eit meine SBunbe. SReine Teilung würbe
burd^ getreue a3erid)te oon ber ^ntjt unb ^eiter!eit be§ ^röu*
leinö felbft befd)leunigt, unb nac^ unb nad^ öerwanbelte jtd^
meine Siebe in S3erel)rung unb 5reunbfdt)aft'' 2).
S)er SiiföK W g^ttJoHt, bafe bei ©id^tung ber 3[rdE)it)e
ton ßoppet, fjräulein ßurd^ob'ö Urenfel ben fleinen ^ergenS*
procefe, ber l)ier in fo gemeffenen SBorten ergäl)lt ift, einer nod)^:
*) ©r irrt fid^, toic d'Haussonville bcmcrit. Grofftcr ttjar nod^ auf
©d^tpeiser IBoben.
*) Gibbon, Memoirs of my Life and Writings, Stap. IV.
SUnncrbaffett. grau toon ©tael. I. 2
18 ©efd^id^tc einer unglötflid^en Steigung.
maltgen Sßrüfung unterzogen unb auö bem öergilbten 33riefe be§
iungen ®tbbon ein öon obiger ©arfteUung nid)t unwefentlid^
t)erfd)iebeneS SRefultat gewonnen l)at: ©nfanne 6urd)ob xoax e§,
bie il^n wirflid^ liebte unb biefe Siebe awä) bann nod^ nid^t
aufjugeben üermod^te, al§ bie feine längft erfaltet war.
S)'^auffont)iHe DeröffenÄid^ einige SSriefe, bie ©ibbon nod^ in
ber erften Stimmung erwad^ter Steigung an ba§ junge ^aiä^m
fd^rieb. 6r öergleid^t [\dj barin, weil üon il^r getrennt, mit
einem plö^li^ in ©efangenfd^aft unb Äerfernaä)t geratl^enen,
orientaüfd^en ^rinjen, mit bem au§ bem 5ßarabiefe öerjagten
Slbam; er fpridt)t nadt) einer im ^aufe be§ ?ßaftor§ 6urd)ob ju=
gebrad^ten SBod)e öon ben ©d^ä^en ber fdt)önften @eele, bie er
bort gefunben, unb weld)e ber SSeftfe eineö 0ieid)eö unb felbft
bie ^l)ilofop]öi^ «id)t aufzuwiegen im ©taube feien. SBie @o*
frate^ ben ©öttern gebanft l)abe, al§ ®ried)e geboren worben
ju fein, fo banfe er il^nen bafür, ba§ befte, reijenbfte ©efd^fipf
lennen gelernt ju l^aben. @ie möge nid)t gäl)nen, wenn jte il^n
lefe: fein ^rebiger l)abe jemals überzeugter gefprod^en als er, ber
biefe 3^1^^ fdt)reibe. 6r war fo oerliebt, bafe S^^Iie öon SSonbeli,
bie ^reunbin öon SRouffeau unb SBielanb, berid^tet, wie man
©ibbon in ber 9läl)e öon Saufanne, ben bloßen S)egen in ber
^anb begegnet fei, unb wie er SauerSleute angel^alten unb
fie, mit feiner SBaffe brol^enb, gefragt l)abe, ob etwa gemanb
fd£)öner unb lieblid^er aB ^äulein 6urd)ob auö ßrafper fei ^).
®aö junge 3Käbd£)en würbe benn aud^ wirflid) feine SBraut,
aber nid^t ol)ne SSebenfen unb S^^if^I ^^ ^^^ SSeftänbigfeit
feiner Streue, bie er üergeblidt) ju befdt)wid^tigen fud)te. SII§ jte
erful)r, ba^ ber SSater il^reö 33räutigam§ jtd) gegen il)re aSer=
feinbung auSgefprod)en l^abe, gelang e§ ®ibbon ooHenbiS nid^t
mel^r, baö ^erg, ba^ er gewonnen l)atte, aud) gu berul^igen. ©er
©ebanfe einer Söfung beö SSerpItniffe^ lag ©ufanne 6urd)ob
aber nod) gänzlid) fem, al§ ein S3efel)l feinet SSaterS ben jungen
0 »obemann, Sulie öon »onbelt, 217—218.
ßJefd^id^tc einet uttQlütflid^en SReigung. 19
mann im Srüfiia^r 1758 nad) (änglanb juriicfriet 0- 3m
Sauf ber näd)ften öicr Saläre war bic Uebcrfcnbung cineS ©ffag
über baS ©tubium ber Siteratur, mit froftiger ©ebilation an
pe, fo jiemlic^ ba§ einjige SebenSgeidien, tt)eld)e§ bie in ben
©d^toeijer SSergen Dergeffene SSraut be§ jungen ©ibbon öon il^m
erl)ielt. ^\)x SSatcr war injtt)ifd)en geftorben unb jte mit ber
SKutter nad) ®enf gejogen, too pe ben geben^unterlialt für
beibe burd) 6rtl)eilung öon Unterrid)töftunben erwarb, ^aä)
ber ortlid)en Strabition pflegte fte in ber Umgegenb ber ©tabt
gu il^ren @d)üleriniien gu reiten unb guweilen öon einer im
^eien für fte errid)teten Keinen Äangel öon S^^'fl^^ «^^ 3Roo§
l^erab tl)nen SBorträge ju l)alten ober 5ßreife unter fte gu Dertljeilen^).
©ie war aügemem gead)tet, ftanb im SRuf nid)t gewöl|nlid)er
Silbung unb unterl^ielt 6orrefi3onbenjen über bie literarifd)en
Sntereffen be§ Sageö, unter anbem eine fold^e mit gulie t)on
Sonbeli über ben ßl^arafter ber "Sl^ntn ^äloife^). Später
badete fte gern an biefe Qtxtm jurficf, wo fte, obwol)l in be*
brängten SSerl^öItniffen unb öor einer gang ungewiffen S^Iunft
ftel^enb, bod) freubige ©tunben l)atte, bie fte in il^ren glängen-
ben Sagen öergeblid^ gurü(fwünfd)te *). ^ndj biefem Slbfd^nitt
il^reS Sebenö war übrigens feine lange ©auer befd^ieben. ©rei
3al)re nad) bem SSater, 1763, ftarb bie SKutter, unb in ber
l^cftigften ©rregung befd)ulbigte ftd^ gtäulein Gurd^ob, bie legten
Sage berfelben burd) llngleid)l^eit ber Saune unb anfd)einenbe
©leid^gültigfeit getrübt gu l)aben. (SS war ein Iranfeö, t)on ben
^Prüfungen unb wol)l aud^ tion ben ©emütl)igungen beS Seben§
bereits fd)wer getrofferteS ©emütl^, weldE)eS burc^ foldt)' über*
triebene ©elbftanflagen ba^ gerftörte @leid^gewidE)t wieber l^er*
gufteHen fud)te, benn ingwifd)en l)atte ftd) ba^ aSerl)ältnife gu
*) D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, I, 39—55.
2) Sainte-Beuve, Madame Necker. Causeries du Lundi, IV, 240.
^) SBobemantt, Sulie öon S3onbeIi. ßwei SBriefe an ©. durd^ob in
®enf, 1761.
*) Golowkin, Lettres recueillies en Suisse, 354.
2*
20 ©efd^id^te einer unglüdnid^en Steigung.
®tbbon, burd^ tt)eld)c§ jte wcnigftcnö jtd^ immer nocf) gebunbcn
eradjtctc, gelöft. Um tl)r ba§ anjufünbigen , l^attc felbft bicfc^
nad^maB fo bcrül^mte gebet nid^ts beffereö al§ bie un§ Sitten
öon ber ©d^ulgeit l)er befannte gormel: „9Kein %r&\xkm, iä)
weife nid)t wie id) beginnen fott/' gefunben. „Unb bod^ mufe
e§ fein", ful^r er fort: „@ie erratl)en bereite, tt)a§ id) Sinnen ju
fagen l)abe. ßrfparen ©ie mir baö SBeitere; Ja, mein tJtaulein,
id^ foH auf ewig auf @ie öerjid^ten! ©a§ Urtl^eil ift gefprod)en,
mein ^erg Ilagt, aber Sltteö l^at \)ox ber ^ßflid^t gu fdimeigen.
3fn 6nglanb angelangt, rietl)en mir 9leigung#unb S^tereffe über=
einftimmenb bagu, bie SärtHdf)feit meines SSaterS gu gewinnen
unb bie SBolfen gu gerftreuen, bie fte mir wäl^renb einiger 3^it
öerpttt l^atten. 3d) fd^meid^le mir, biefe Slufgabe gelöft gu
l^aben: fein gangeö fflenelimen, bie garteften Slufmerffamfeiten,
bie bebeutenbften 3Bol)ltl)aten übergeugen mid^ baöon. gd) be^
nü^te ben Slugenblidf , wo er betl)euerte, bafe atte feine ®ebanfen
auf mein ®lüdE gerid^tet feien, mir bie ©rlaubnife gu erbitten,
um ba^ 9Käbd)en freien gu bürfen, an beren Seite baö Seben
unter atten §immel§ftrid^en, in atten Säubern mid) gleich be*
glüdfen wflrbe unb ol^ne bie fte mir atte gur Saft wären, ^ier
feine Slntwort: „^eiratl)en ©ie Sl^r frembeS 3Räbdt)en, @ie ftnb
unabl^ängig. Slber erinnern @ie ftd^, beöor Sie e§ tl^un, bafe
Sie ®oiin unb englifd^er (Staatsbürger ftnb." 6r verbreitete
ftd) l)ierauf gegen bie ©raufamfeit, \i)n gu öerlaffen unb öor ber
3eit in§ ®rab gu bringen, über bie f^eigl^^it, atte meine SSer«»
t)flidE)tungen gegen ba§ SSaterlanb mit fjüfeen gu treten. ^6)
gog midt) in mein Simmer gurüdf unb Derblieb bort gwei Stun-
ben; id) werbe eS nid^t t)erfud)en, meinen ß^ft^nb 3l)nen gu
bcfdt)reiben ; id^ verliefe eö, um meinem SSater gu fagen, bafe id)
il)m ba^ (SlüdE meinet Sebenö gum Dpfer bringe. 5D?öc^ten Sie,
mein fjräulein, glüdflid)er werben aB id) e^ femalö gu fein
l^offe. ©arum werbe id^ ftetö flel^en unb meinen Sroft barin
flnben; idt) wottte, id) lönnte mit meinen SBünfd)en bagu heU
tragen, gd) gittere, S^r Sd^icffal gu erfal)ren, unb bod), laffen
©cfd^id^tc einer unglütfßd^en ^ieiöung. 21
@ie mid) nid^t in Unfenntitlfe über baSfelbc. aScrft(t)ern Sie
$errn unb Smu 6ur(i)ob meiner SSerel)rung unb meinet
@d)merje§. @tct§ toerbe id) be§ gräulein 6urd)ob al§ ber
tt)ürbigften unb reijenbften aller S^öuen geben!en; möge fte be§
3Jianne§ nid^t gänjUd^ öergeffen, ber bie SBergtüeiflung nid)t
öerbiente, U)eld)er er je^t anlieintgefallen ift. geben Sie ttiol^I,
mein gi^öwlein. ©iefer fflrief mu§ S^nen befrcmblid) in jeber
SSejiel^ung erfd)einen; er ift ba§ treue ßbenbilb meiner Seele.
„ßtt'ciwtal l^abe id) Sinnen auf bem 2Bege nad) ©nglanb ge^
fd)rieben, au§ einem ©orf in Sotl^ringen, auö 9Jiaeftrid)t, unb
enblid^ au§ Sonbon; Sie l^aben nid)tg erl^alten; id) ttieife nid)t,
ob id) l)offen foH, bafe biefer SSrief in 3l)re $änbe gelange. 3dö
l^abe bie Gl^re, mit ©epnnungen, tt3eld)e bie £iual meinet Seben^
ftnb, unb mit einer Sld)tung, bie nid^t^ ju öeränbern vermag,
mein Fräulein, midt) ju nennen
3f)r ergebenfter unb gel^orfamfter ©iener
®ibbon.
Seriton, 24. Sluguft 1762."
©ie 2lufäeid)nungen ©ibbon'^ über fein geben in ßnglanb
n)äf)renb ber S^l^re, bie feiner diMhl)x au§ ber @d)U)eiä folgten,
ftimmen mit bcm, wenn aud^ gelünftelten Slffeft biefe^ 33riefe§
bur^auS nid)t überein ; fte fc^ilbern eine l)eitere, in angenel^men
aSerl)ältniffen oerbrad^te 6?rffteni, bie ftd) mel^r unb meljr ernften
©tubien unb großen literarifd^en 5ßlänen juwanbte, unb in »et
d)er Siebeöfd^mer^en unb 6rinnern lebenfaHS nur eine gauj
untergeorbnete, toenn überhaupt eine SRoHe fpielten. Sind) @u^
fanne 6urd)ob l^atte allem Slnfd)ein nad) ein @d)icffal, t>a^ fic
nid^t mel)r unt)ermutl)et treffen fonnte, mit ©rgebung unb ol^ne
Unmutig gegen benjenigen, ber eö il^r bereitet l^atte, l)ingenommen,
alö ftd) plö^lid^ im barauffolgenben 9Kat 1763 bie 9lad)rid^t
Dom SBiebereintreffen ®ibbon'jS in gaufanne verbreitete, ©afe er
burd) biefeS unerwartete 3Biebererfd)einen ba§ ^erg be§ armen
aKäbd)en^ ftürmifd^ bewegen mufete, ein fold^er ©ebanle fd^eint
il^m gar nid^t in btn Sinn gefommen ju fein. S)a erl^ielt er,
22 ©cfd^id^tc einer unglüdflid^en SWcigung.
bm folgenbcn Srief, öon @cnf batirt, öou tl)r, in toeldicm
lange gurücfgebrängte Gmpftnbungen enblid) bod^ l)ert)orbra(i)ctt.
„SJlem ^err/' fd^rieb jte, ,,ber ©c^ritt, bcn id^ toage, mad^t
midö fclbft errötl^en; idf) mödt)te if)n mir unb 3^nen verbergen.
®ro§er ®ott, ift e^ ntöglidf), ba§ ein unfd^ulbigcö $erj ftd^ fo
tief erniebrige? 2Beldt)e ©emütlöiflwng. ^6) \)abt tool^I fdt)on
ärger gelitten, aber eö niemals tiefer enipfunben. SReiner 3lul^e
fdt)ulbe idt), tt)a§ id^ j[e|it toage; wenn id) biefe mir gebotene ®e:=
legenlieit verliere, ift für midf) fein griebe mtijx benfbar: lönnte
idt) nod^ einen foldE)en genießen, folange mein in ©elbftpeinigung
geübte^ ^erj in ben Seweifen 3l)rer wadifenben Mite gegen
mid^ nur S^i^^n Sl^reS 3örtgefül)l§ ju feigen glaubte? Seit
fünf t)oHen Saljren oi^fere id^ mid^ biefer 6l)imäre, mit einjiger
unb unbegreiflidt)er Seftänbigfeit; enblid) l)at jtd) mein aUju
romantifd^eö ®emütl) 3fled)enfdöaft über feine Sj;äufd)ung ge-
geben; id) befd^ioöre @ie auf ben Mieen, ein betl)örte5 $erj
aufjullären. Unterjeidt)nen Sie ba§ öoHftänbige fflefenntni^
Sl^rer ®leid)gültigfeit, unb meine Seele wirb jtd) ju ergeben
wiffen; ®etüi§l)eit wirb bie SRul^e wieberl^erftellen, nad) weld)er
id^ feufje. Sie wären ber t)erädt)tlid)fte ber SJlenfd^en, wollten
Sie mir ben 33ewei§ t)on 2lufridt)tigfeit verweigern, unb ®ott,
ber mein §erj fennt, ®ott, ber mid) ja ol)ne Sw^^if^t K^^tf ^^^
wol)l er mid) fo fd^merjlid^ prüft, biefer ®ott, fage id^, wirb
Sie unerad^tet meiner Sitten ftrafen, foHte bie leijefte SSerfteHung
in Sl^rer Slntwort liegen ober S^r StiHfd^weigen Spott mit
meiner Sftul^e treiben.
„Sollten Sie jemals biefen meinen unwürbigen Sdt)ritt einer
Seele auf ber SBelt, unb wäre e§ aud) ^Ijx^vx beften greunb,
mittl^eilen, fo würbe bie SBitterfeit ber Strafe jum SKafeftab
meinet SSergel^enö werben; id^ müfete e§ bann alö ein 33er^
bred^en betrad)ten, beffen Tragweite id) in feiner ganjen Unge=*
]^euerlid^!eit nid)t ju berechnen oermod^te; id^ fül^le je^t f^on,
wie meine ßrniebrigung meinen 5!Käbd^enftol3, mein frül^ereiS
aSerl^alten unb meine gegenwärtigen ®efül)le entweil)t." —
©cfd^id^tc einer unglüdlid^en Sßeiöung. 25
S)afe ber Srief, an „9Kr. ®ibbon, englifc^en ßbelmann, bei
^errn öon SRejera^ in gaufanne" abrefjtrt, mit erbrochenem
fd^warjen Siegel in @d)lo§ Goppel gefunben würbe, läfet öer^
mutl)en, ba§ e§ ba§ Dom (ämpfänger jurücfgefteHte Driginal ift.
®ie Slbfenberin [ügte fpäter am @(i)Iu§ besfelben bie SÜBorte
bei: »A thinking soul is punishment enough, and every
thought draws blood.« ©ie ©mpfinbungen ©ibbon'ö l)at biefer
Slu^brud^ il^reS gepeinigten »^erjenö jwar nic^t umgeftimmt, xooijl
aber ba§ Urtt)eil ber 3lad)Xodt: SKabame 9lecfer'^ Silb, mit b^m
t)on ©ufanne 6urci^ob öerglid^en, l)at bamit an weiblid^er 3ln^
mutl) unb menfd^lidier ©^mpatl^ie nid^t wenig gewonnen.
35er Snl^alt ber nic^t befannt geworbenen SIntwort ®ib^
bon'ö läfet jtd) unjd)wer einem jweiten Srief entnel^men, ben er
al§ (Srwiberung barauf an§ ®enf unb in ööHig öeränbertem
SEon erl)ielt. „9Jlein §err/' fdirieb bieSmal ba^ junge 3Käbd^en
in wiebererrungener ©elbftbelierrfd^ung, ,,fänf Sal^^e ber Streu«
nung l)atten bie SBeränberung nid^t p öoH^^iel^en tiermod)t,
bie nun plö^Udt) in mir vorgegangen ift. 6§ wäre wün«
fä)en§wert^ für mid^ gewefen, ba§ Sie frül)er ober anber^
gu mir gefprod^en ptten , alö in il^rem vorlebten Srief ....
Seweinen Sie übrigen^ mein ©d^idffal nid^t. SJieine ßlteru
jtnb tobt, unb wa§ liegt mir an äußern ©lüd^gütern? 9lidf)t
3l)nen l)abe idf) meine ©jciftenj geopfert, fonbem einem ge=^
träumten SSBefen, ba^ ftetS nur in einem fo romantifd^ angelegten
Äopf, wie eiS ber meinige war, gelebt l)at; benn öom Slugenblicf
an, wo S^^r SBrief mir bie Slugen öffnete, jtnb @ie für midE)
wieber in bie 3fieil^e ber übrigen Sdiänner getreten, unb nad^bem
@ie ber einjige gewefen, bm idf) je l^atte lieben lönnen, jtnb
Sie einer berjenigen geworben, bie mir am wenigften 9leigung
einflößen würben, weil Sic meinem felabonifd)en Straumbilb am
wenigften gleid)en. 6§ liegt je^t an S^nen, mid^ iu entfd^ä-
bigen. ^Befolgen @ie ben $lan, ben Sie mir entwerfen; öer*
binben Sie '^^xt Slnpnglid^feit für midt) mit berjenigen, bie
meine ^rcunbe mir bewal^ren, unb @ie werben mid) ebenfo Der»
24 ®c\ä)\ä)tt einer unQlüdflitJ^en ißeigung.
trauenb, cbcitfo freunbfd)aftltd) unb nid^t tüenigcr glcid^gültig
finben, alö icl& eS für biefe bin; glauben @tc mir, mein ^err,
e§ ift nid)t SBitterfeit, bie mir foId)e SBorte einflößt, fonbern ber
aCBuujd); Sie ju überzeugen, ba§ mein ^erj baö S^rige ju
retten gebenft; mein SBenel^men unb meine ßmpfinbungen l^aben
Si^re Sichtung unb g^reunbfd^aft öerbient: id) jäl^le auf bie eine
wie auf bie anbere; e§ möge in3ufunft nid)t mel)r t)on unjerert
tjergangenen 35ejiel)ungen bie SRebe fein; id^ mitt fte mit einigen
ttot^menbigen Semerfungen abfd^liefeen.
„2)iefe ©egenb ift mir feit ben SSerluften, bie id) erlitten,
ganj unerträglid^ gemorben, unb übrigens öeranlaffen mid) l^ülf:=
bereite g^reunbe, fte ju öerlaffen. 3d) fann ol^ne 3)emüt^igung
für mid^ il^re SInerbietungen nid)t annel^men, ol)ne SSerle^ung
für Sie biefelben nid)t jurüdEmeifen. 3d) bad)te nad) ©nglanb ju
gelten, öon wo man mir 33orfd)Iäge gemad)t l^atte, allein bie
Serid)te über bie Stellung einer ®efeHfd)aft§bame bort unb über
bie ®ebräud)e be§ £anbe§ lauten fo tierfd)ieben, bafe id) jtt)ifd)en
ber 3fieife bortl|in unb einer (Stellung an einem beutfd)en $of
nod^ fd^toanfe. Sie fönnen mir, mein ^exx, ju einer QnU
fdfieibung beplflid^ fein, ^ä) red)ne babei cbm fo fel^r auf ^^x
Urt^eil als auf 3^ten ®efd^madf.
rrSwr Seit als ^l)x 3&txt erfdt)ien, l)atte id^ einige, burdt) baS=
felbe getoecfte '^htm ju 5ßa^)ier gebrad^t: id^ mage 3^nen bie^»
felben als erften greunbfd^aftsbemeis gu überfenben; eS fott
nid)t an mir fel)len, 3l)nen nodt) anbere gu geben: id) tt)ünfd)e
Sie beffen münblid) ju Derftd)ern, menn Sie nad) ®enf fommen
unb baS Sob red^tfertigen , baS id) S^nen bort gefpenbct ijabc,
„3Ran fd^reibt mir Don t)erfd)iebenen 6nglänbern, bie ^ariS
Derlaffen, um jtd) nad) SJlotierS ju begeben. SBenn ba^ ber
Swed fein foHte, ber aud) Sie in mein SSaterlanb fül)rt, unb
ein SSrief an Sftouffeau Sinnen ertt)ünfd)t loäre, fo erfud^e id^ Sie,
es mir ju fagen, benn meine beften ^reunbe ftel^en in regen
a3ejiel)ungen ju il^m. Sie würben mid) t)erppidt)ten, wollten
Sie meine SSewunberung S^reS SalenteS auf bie ^robe ftellen."
aWouItou uub % % SÄouffeau. 25
Unter ben in biefem Srief emäl^nten g^reunben war einer,
beffen ®efül)Ie für gräulein 6urd)ob burd) ein anbereS ©tabium
gegangen, aber feine ©rwiberung gefunben l)atten. ©päter il^rer
nod^ eingebenl, öerjtd^erte er, jte immer geliebt ju l)aben unb
immer lieb bel^alten gu woHen, wenn e§ \i)m aud) nid^t öergönnt
fei, etwaö ju il^rem &lnd beizutragen. @§ war ber, allen mit
S.S-S^^uffeau'g geben SSertrauten wol^lBefannte ^aftor 2Roultou ^).
@eit furger Seit mit einer gugenbfreunbin t)on ©ufanne @ur^
d^ob Derl^eirat^et , mar er baburd) in ben ©taub gefegt, il^r
bie ®aftfreunbfd)aft unter feinem Siaä) unb unter bem SBormanb
anjubieten, bafe fein neuer ^auSftanb il^rer Unterftü^ung h^^
bürfe. Ueber il^ren inneren 3"ftö«i> li^fe ^^ pd) burd) ben Sln^
fd)ein äußerer 3lu^e nid^t täufdjen, fonbern wagte einen legten
SSerfud) gu ®unften ber unglüdElid^en 9leigung, t)on ber er jte
immer nod) bel)errfdt)t wufete. Qu SKotierö^Sraüer^, unweit öon
9leuenburg, lebte feit einiger Qtxt, unter bem @d)u^ be§ 5ßreu§en«
Knig§ (Jriebrid^, S^an g^cqueS SRouffeau. ®ie ^eimatl), nad)
weldt)er er ftd) in ber g^erne felftnte, t)ermod)te, nun ba fie il)m
gurücfgegeben war, nid)t§ mel)r für fein ®lüdE. 6r l^abe ge*
glaubt, fd^rieb er bem SJlarfc^aU be Sujrembourg , bort wieber«
gufinben, wa§ feine Sugenb bezaubert l)db^; aber bie Sanbfd)aft,
ber ^immel, bie 9Jlenfd)en, SlHeS fei üeränbert; felbft bie Serge,
bie feine gwangigiälirigen Singen cntgücßen, erfenne er nun nid^t
wieber ^).
©0 lebte wie im Si^&er, mit ftd) unb ber ganjen SBelt ger-
fallen, ber 2Kann, ber feinen S^itß^noffen ein fol^e§ SSertrauen
einflößte, bafe bie 6inen gu i^m wie gu einem ®efe^geber, ber
in Sluflöfung begriffene ©taatengebilbe wieber befeftigen, bie
3lnbern wie gu einem ©eelenargte famen, ber franfe ®emütl|er
l^eilen lönne. ©aö lefetere begel^rte nun audt) 9Koultou, ber bem
ßinjtebler Don a3al*be=S:rat)er§ bie ®efd)id^te ber getdufd^ten
*) Aime Steinlen, Charles- Victor de Bonstetten, 36.
') Jeaa-Jacques et le pays romand, Geneve 1878, 68.
26 SRouItou unb 3. 3. Sftouffeau.
Siebe feiner iungen ^reunbin erjö^lte, wie jte berfelben aUc
3luöjtci)t auf SSerf orgung geopfert l)abe, um bann il^ren ®egcn*
ftanb !alt, gefü^Ilo^, t)on feiner Seibenfd^aft ebenfo öoUftänbig
gelieilt, al§ fte e§ nid^t fei, gu finben. „Sie l^at mir einen
SBrief gefci)rieben , ber mir ba^ $erj jerriffen l^at/' fä)lo§
SJlouItou, „@ie, bem (Seelenqualen fo tt)ol)l befannt ftnb, würben
ba§ arme SRäbd^en gemi§ bemitleiben. Slber Sie fönnen mel^r
tl)un unb il)x l)elfen. SReben Sie ©ibbon, wenn er gu 3l)nen
fommt, t)on bem SRuf, ben fte in ®enf, nid^t nur wegen il^reS
SESiffenS unb SSerftanbeö, fonbern nod) mel)r wegen il^reö mafe^
lofen 3lufe^ unb trefflichen 33erl)alten§ geniest. Sd) betl^eurc
3f^nen, mein tierel^rter ^-reunb, ba^ iä) ni(i)t§ SReinereö, ^imm«
lifc^ere^ al§ biefe weiblid)e ©eele fenne unb gauj unbetl)etligt
bat)on_fpre(i^e, benn gerabe id) bin e§, ber fte für immer nad^
ßnglanb gu gelten bewegen möd)te. . , ." ^). 3njwifd)en l^attc
©ibbon, nadt) breiwö(^entlid)er SSebenf jeit, ben legten SBrief öon
Sräulein 6urd)ob mit aller Si^rädl^altung beantwortet, ba§
SInerbieten einer regelmäßigen (Sorrefponbenj aU „für feine
3fiul^e ju gefä^rlid^" abgelef)nt unb mit allen ^eunbfd)aft§:»
betl^euerungen bem Sßorl^aben feiner einftigen SSraut, in^ ^u^^
lanb gu gelten, ftd) burd)au§ nid)t wiberfe^t. 3^^ 3- 3- 3fiou|-
feau ging er itid^t, unb biefer äußerte gegen SJloultou: „©tc
geben mir in Sejug auf Fräulein 6urd)ob einen Sluftrag,
beffen id) mid) fd)led)t entlebigen werbe, gerabe ber 8ld)tung
wegen, bie id) für ba^ 3Käbd)en liege. S)ie Grfaltung be^
,&erm ®ibbon für fte madt)t mid) gering t)on il)m benfen. ©ein
33ud) l)abe id) gelefen^). 6r läuft barin geiftreid^en (äinfäHen
nad) unb ift gefünftelt. 9Jlr. ©ibbon ift mein 2Kann nic^t;
aud^ öermag id) nid)t angunel)men, ba^ er jemals ber für
fjräulein (5urd)ob beftimmte ptte fein Wunen. 2Ser i^ren
SBertf) nid^t empfinbet, öerbient fte überhaupt nidt)t; wer tl^n
*) J. Levallois, J. J. Rousseau, ses amis et ses ennemis, I.
t
') Essai sur PEtude de la Litterature.
SWouItou unb 3. % Sflouffcau. 27
aber einmal entpfunben unb jtc bann toieber aufgegeben l)at,
erjd)eint mir öeräc^tlid).''
®ibbon fonnte bie literarifd)e 3fiüge rul^ig über jtd) ergel^en
laffen, benn jte war nic^t geredet; gegen bie aSerurtl)eilung
feines t)erfönltd)en 3Serl)alten§ aber l)atte er gute ©rünbe em-
|)flnbUci)er gu fein. 9locf) "^a^xt fpöter I|at er ftd) barüber gu
rechtfertigen gefud^t^). S^^if^^n \i)m unb Fräulein (Surd)ob
aber fam eS nod^ ju einem weiteren 3wifd)enfall; bieSmal unter
bem ®ad^ öon SBoltaire.
Seit 1756 t)ielt jtd^ biefer, nad) ben belannten ©rlebniffen
mit bem föniglidien g^reunb unb ©önner fjriebrid), in ber
@d)tt)eij auf.. 35ie erften gwei Saläre beS felbftgett)äl)lten 6;ri(§
öerbrad^te er ju Saufanne, wo er bie glänjenbe ©jriftenj geiftiger
SlHeinl)errf(t)aft unb gaftfreier ©efeHigfeit füf)rte, über bie er gu
äußern |)flegte, tt)äl)renb t)iergef)n ^at)xm fei er ber ©aftmirtl^
ßuropa'ö gewefen unb l^cibe unter anbern brei*= bi§ t)ierf)unbert
©nglänber bei jtd) empfangen, bie fo verliebt in il^r 33aterlanb
gemefen, ba§ faum ein eingiger eö ber 5D?älöe wertl) gefunben
l^abe, ftd) fpäter feiner gu erinnern 2). Unter biefen ©nglänbern
war aud^ ©ibbon, ber 33oItaire mit einer Don il^m bagu gebi^
beten Sruppe öon Ferren unb ©amen auö Saufanne auf btm
3:i^eater ber öon il^m bewol^nten 3SiHa gu SDtonrepoS feine S;ra=»
göbien auffül)ren fal^. SBäl^renb Siouffeau gur felben Qt\t feinen
„©rief über bie ®efal)ren beS %i)takx^ in Ileinen ©tobten, wo
bie Sitten nod^ rein geblieben/' an b'SHembert rid^tete, erl^ielt
biefer 35eridt)te öon 35oItaire, ber in ber erften %xt\x\)c be§ &t=
lingeng if)n üerftd^erte, man fpiele „S^i^e" an ben Ufern beS
®cnfer See'jS beffer a\^ in 5ßari3; er l^abe gweiljunbert ßu*
fd^auer, bie eben fg gut, aU irgenb ein ^ublifum in Europa,
ein Urtfieil über ba§ ©tücf abgugeben Dermöd^ten, unb auS aW
biefen @d)wciger Singen l^obt er Si)x&mn l^erüorgelodft. SSon
*) Gibbon, Memoirs of my life and writings, IV, 92otc.
2) Voltaire an Madame du Deflfand, Vol. I, pag. 219.
28 gtäulcin ©utd&ob bei BoUaixc in greme^.
Saufannc ging SSoltairc nad) ®cnf, ba§ feinem @m|Iufe mcl^r
SBtberftanb ju leiften Dermod^te unb in ^olge beffen anä) Don
xi)nx, vok wir wiffen, beurtfieilt wnrbe „ate eine, öon 24,000
SRaifonnirern beu)ol)nte ©tabt, eine läd^erlid^e Äräl^minllerci,
biefe petitissime, parvulissime unb pädantissime republique^,
bie er afö SBol^nort balb mit g^emeq öertaufd^te, ju beffen
aSergnügungen er bann ©enfer ^reunbe unb bic bort |tc^ auf«
l^altenben Sremben berief*). Unter biefen befanb ftd) bie, alS
Slnl^ängerin ber Defonomiften bereite genannte ^ergogm tyon
Sa 9lod)efoucauIb b'GnoiHe. Sie gel)örte mit gu ben erften
l^erüorragenben ^erfönlid)feiten ber ^arifer t)ornel)mcn SBelt,
bie il)re Äinber burc^ Sronc^in l^atten impfen laffen; feinefc^
wegen war fte fe^t wieber an btn ©enfer ©ee gelommen, wo
gräulein 6urd)ob il^re Stöd^ter lennen lernte. 3llö bie ^erjogiit
\ai), wie jerrüttet ber ©emütl^^juftanb beg jungen ÜHäbd^cnS
in Solge ber über jte gefommenen @d)idEfal§fc^läge war, fud&tc
fte il^r auf jebe 2Beife, junäd)ft burd) SSermittlung bei ber Sie*
gierung in Sern um ßrljöl^ung einer fleinen ^enjton, bann bei
ber franjöpfd)en ^Regierung um SRüdfgabe be^ confiScirten SBer*
mögeng ber fjamilie b'Sllbert bei^uftelien. SBol^ltl^ätiger noc§
mufete baö Sctrfgefül^l wirfen, mit weld^em bie t)ornel)me fjrou
ftd^ öon bem Jungen SJläbd^en bei ©enfer Se!annten einfül^reit
liefe, für il^r ©ntgegenfommen bei fold^en ®elegenl^eiten banfte
unb if)r gegenüber äße gegen ®Ieid)gefteUte gebotenen Umgangg*
formen beobad)tete. 3Kabame be la 3fio(i^efoucaulb ftanb bamatö
ganj unter bem Sinbrud oon 33oltaire'§ befter Sl^at, feinem
Sßerl^alten in SSejug auf ben guftijmorb oon (5ala§ unb bem
bamit jufammenl^öngenben SBerfud), bie bürgerUd)e ©leides
fteHung ber ^roteftanten ju erwirfcn^). ©urd^ fte unb burd^
9KouItou, bem ba^ anfdt)einenb Unmoglid^e gelang, fowo^l mit
bem Patriarchen oon gerneg atö mit bem 6infiebler oon SKo»
*) Luciea Perey et Gaston Maugras, La vie intime de Voltaire
aux Delices et k Ferney. Paris, Calman L^vy, 1885.
^) Aime Steinlen, Charles- Victor de Bonstetten, 30.
gröulcin ©urd^ob bei iBoltoite in fjcmc^. 29
tierS in frcunbfd^aftnd^cn SScgtel^ungen gu bleiben, würbe je^t
aud) fjräulein 6urd)ob bei SSoltaire eingefül(rt, ber fo gro§e§
Söo^lgefaUen an H)x fanb, ba§ er fte in bic beneibetc ©d^ar
feiner 6orrefponbenttnnen oufnalim. 9Jiand^e ber onmutl^igen,
in Iei(i)tent, fdierjenbem 3:on l)ingett)orfenen Sriefe, bie er biö in
fein l)ol)eö Sllter S^it ixnb £uft fanb an fjrauen gn rid^ten,
trugen öon ba an il^re 3lutfd)rift unb erfd)ienen fpäter in ©rimrn'^
Iiterarifd)er 6orreft)onbenj. 35ei einer ber Sl^eateröorfteHungen
in Serne^ mar eS and), ba§ Fräulein Gurc^ob nod) einmal
©ibbon begegnete.
®a§ unerwartete 3wfamntentreffen entfeffelte ben faum be==
fd)tt)id)tigten Sturm in il^i^er Sruft Don 9leuem, unb fein 33er=
l&alten betätigte bie alte ßrfal^rung, nad^ weld^er bieienigen,
bie beleibigt l^aben, feiten ober nic^t öergeifien fönnen. 6r
war fo üerlefeenb, fte fagt felbft „fo graufam", ba§ fte noc^ ein=
mal briefUd^ auf bie SSergangenl^eit gurüdffommen gu muffen
glaubte^), ©od) toa^ l^alfen in einem fold^en %aü, alle klagen
unb aSorwürfe. S^^ifdien bem froftigen jungen 3Rann unb bem
nod) immer fd)tt)ärmerifdöen 9Jfäbd)en öon je^t fed)öunbgwangig
3af)ren war feine SSerftänbigung mel^r möglid) unb nid)t§
natürlid)er, al§ ba§ if)r unter biefen SSerl^ältniffen ber Slufentl)alt
in ber ^eimatlö gc^ng unerträglid) würbe. S)er ^eiratl^Santrag
eines braoen Slboofaten au§ gjüerbun, ber fte gu Sßeuenburg
fennen gelernt unb gleid) barauf gebeten l)atte „gu feinen ®unften
einen fegenöreid)en 6ntfd)lu§ gu faffen, öon bem er mit um=
gel)enber ^oft unb ol)ne weitem Sluff^ub gu l^ören l)offe", war
ber le^te, öon il^r abgelel)nte SBerfud), fte an bie alte ^eimatl^
gu feffeln. 35ann wie§ bie S^^fw^ftf bie il^r lein gewöl)nlid^e§
SooS beftimmte, fte anbere SBege.
@benfaH§ in ber 3[bftd)t, 2:rond)in gu confultiren, war eine
junge SBittwe au§ 5ßariö, SJiabame be Sßermenouj:, nad) ®enf
*) fjüt btefcn unb aUc frül^crett SBttcfc d'Haussonville, Le Salon
de Madame Necker, I, 39—55, 70—76, 86.
()ef(mtmett^ tt>o fie ben SBinter ^inbur(!^ fel^r gefeQig lebte unb
unter Anbeten ben jungen Sonftetten, ber eben anfing in bie SBctt
\\x treten, unb SMouItou, ber baöfelbc ^au§ mit il^r bemol^ntc,
oft bei fiel) fal^. ©o lernte fte aud^ ^äulein ßurd^ob lennen, btc
iöonftetten nad^ bem erften (Slnbrucf „grofe, fd^ön, aber ettoaS
ge;\iert in i^rem ®efen'' nennt ^), unb mad[)tc il(r, als ber 3^^-
:^>«ntt ;\ur JJllicfreife nad^ ber §auptftabt nal^t^, ben SSorfd^Iag,
fie ald WcfeUfd)afterin bal^in gu begleiten. ®iefc gögcrte nid^t,
ll)u nn;iunel)tnen, unb traf im ^rül^ialir 1764 mit Skfc in Sßariö
ein. ©aö SücrljÄItnife jn)ifd)en \>txi beiben ©amen war ein
flutcfl uttb ^fräulein (5urdt)ob nur barauf bebadt)t, ben 3luforbe*
runden <t)^cr ©tellung im ^aufe ber reid)en jungen %t^Vi ju
cntfpredjcn, ol)nc babei il)re eigenen, befdt)eibenen 3Kittel gu
ilbcvfd)reltcn. t?rft im 3uli nennt ein SSrief t)on il)r an 5D?outtou
ben Utamcn uon Ufccfer als ben cinc§ 5Befud)erö, ber als ©enfer
Don^^^ntcrcffe für iljrent^.orrefpoubentcnfein fonnte. Sn^criSwufetc
uian Sl^citcrcS über bic ®rflnbe, bie ben reidt)en fjinanjmann in
ba'S »1i>auS oon SJJabame be Sßennenoujr fül^rtcn, unb ergdl^ltc
fld), baft er fd)on i^or il)rer Jlbreife in bie @d)tt)eig il^r etnen
»li>elratb^antrag flcmad)t l)abe. Sie, bereu erfte ßl^c leine glücfc
lld)c geuHicn umr, unb bic fid) übrigens anbenoeitig gebunben
hatte» u^ic<!^ tWxfcr^S ^Antrag, nid)t aber feine greunbfd^aft gurfid.
SJad) Ihrem 'Jobe uod) fpradö ft „i^on ber eigentl^ümlid^n An*
jleh»ng<^ft^tft feiner angebeteten evrcunbin*-); als äurüdfgejoiefcncr
^eu^erbev um ihre ^inb aber trauerte er uid)t lange, nad^ beut
li^rief $u fchlie^en, ben (vrSulcin C^ur^ob an Wimltou nad^
^ttf rid)tete. tt>i>hin fiit 5ledfer im Sauf beS SommtrS begeben
hattt imb u>o man bereite bie S?abrfd)einlid)Irit feiner SSap*
biubuuvt mit ihr bi^^hitirte: »IVein lieber Jyreunb*» fc^tiA |ic,
N\^ ^^tetvfte uuKfitb^tb. ba^ fie 5{edfer eingefloBt ^ottc, ,cr i^
örautftanb unb (S:^. 31
bcm ^ublifum ju fcl^r untcrttjorfcn, um auf eine einjigc ©timmc
l^in gu cnt[d^eibcn; für il^n gibt e§ nur ein bemofratifd)e§
Sficgimcnt, too bie 9UieI)rja]^l gebietet, unb fo toixh eS Iciber
fein gangc§ Sebcn Iiinburd^ fein."
6§ toax baS erfte unb einjige ÜRal, ba^ fte in biefer ob*
jeftitien SBeife über bcn fünftigen, burd^ bie öffentlid^e SKeinung
gu bcrufenben ÜRinifter urt^eilte. ^m näd^ften S3rtcf fprad^
fd^on il^r ^erj mit, unb fte I)atte il^m Slbbitte gu Iciften, benn
<iu§ ®cnf gurüdgefel^rt, »arb 5Redfcr um il^rc ^anb.
@ie willigte ein, unb balb barauf, nad^bem fte il^n beffcr
fennen gelernt l)atte, fd)rieb fte: „D 3acquc§, mein tl^eurer
Sacqueö, verlange niemals öon mir ben 2lu§brudE meiner ®e*
fül^le. Saffe mid^ mein ©lüdE genießen, ol|ne barüber nad^gu*
ftnnen. Snbem td^ eS eingeftel^e, mufe id^ fürdE)ten, e§ gu öer=
lieren, unb id^ fann ber Segnungen meinet SebenS nid^t ol)ne
iBangen öor bem 6nbe berfelben gebenfen. Sie Slufregung
meiner Seele unb bie trüben Silber, bie fte ftd^ entwirft, foHten
midt) tierl)inbern, ®ir gu wiUfal^ren. Sebenfe wenigftenS bie
S5eranttt)ortung, bie 2)u übemimmft. 3d^ fürdt)te, 2)id^ gum un*
banfbarften ber 9Jienfdt)en gu mad^en. SBenn 2)u nidE)t einer
ber beften bift, fo lieg nid^t weiter. SBenbe ©einen SSlidE ab
unb gerreifee biefen Srief; er tpürbe gur Slnflage wiber ®id^.
3a, mein fjreunb, ®u bift bie Äette, bie mid^ mit ber SSBelt
Derbinbet. 3)er Slugenblidf, wo 2)u aufl^örteft mid^ gu lieben,
würbe midt) ber gangen 3latur entfremben. ßrwäge, weld^er
3lrt bie Sefriebigungen ftnb, bie id^ fudt)e. Sft eS nid^t ber
Sauber ©einer Siebe, ber 2llle§ meinen Singen angiel)enb mad^t?
Sn ben Sröftungen ber Sreunbfd^aft erfenne id^ ein fdi)wad^e§
aSilb unfere§ SunbeS; ber ©lang beS SSermögen§ erinnert mid^
an bie SJiül^e, bie e§ 3)ir foftete, e§ gu erwerben; bie SBer*
fudt)ungen ber ©igenliebe laffen mid) l^offen, ®ir gu gefallen, bie
geiftigen a3efdt)aftigungen, ®id) feftgul^alten unb ben SBerJ^eerun*
gen ber ßeit gu wiberftel^en. SBenn id^ mid) fd)lafen lege, fage
id^ mir: „&x liebt mid^!" SBenn id^ erwad^e, fo ift meine erfte
»k
\
32 93rQutftanb unb Q:f)e.
JRegung bte, bcm ^immcl für eine foId)c Siebe ju banfen.
3[bcr meine Seele trennt ftd^ nid)t mel)r öon ber ©einen unb
jd^öpft au§ einer fold^en SBereinigung öermel^rteS ©otttiertraucn.
SWein Sreunb, erfalte nie in ©mpfinbungen, bie mein .^erj S)ir
ftets rein erl)alten toixb; fottte ber Slngenblid meines 3:obe5
berjenige fein, an »eld^em ©eine Siebe gu mir am ftärfften
tt)äre, id^ würbe meinen Sterbetag al§ ben fd^önften meinei^
SebenS begrüben'' ^).
SJiit einem SBort, Sräulein 6nrd^ob »ar tierliebt, unb
tt)aö feltener ift, fte tt)urbe unb blieb eine glüdflid)e unb burd^
il)re Siebe beglüdfenbe fjrau.
£)ie 2öedt)felfäae be§ ®efd)idEi§ trennten bie beiben ©attert
fpäter fo feiten unb auf fo furge 3^it, bafe mit unbebeutenben
SluSnal^men fpäter feine ßorrefponbenj gn)ifdt)en il)nen ftatt^»
gefunben l^at. Slber au§ il^ren täglid)en 8lufjeid)nungen fonnte
9lecfer [\ä) fpäter überjeugen, tt)ie DoKftänbig bie SReigung jit
tl)m jeben Slugenblidf be§ ®afein§ feiner fjrau ausfüllte.
®ie ^odt)jeit feierte ba^ ^aar ganj in ber ©titte, ol^ne
felbft 3Kabame be SSermenouf Sag unb ©tunbe berfelben be«
fannt gu geben. SBäl)renb 5ßariS biefer bie Sleufeerung nad)*
ergäbe, fte l^abe biefe ^eiratl^ gu ©tanbe gebradt)t, um jtd^
eines unbequemen SlnbeterS gu entlebigen, ber ftd) nun nad^
^ergenSluft mit feiner grau langweilen fönne^), l^ielt jtd^ bie
Steigung tion ÜRabame 5RedEer nid^t mel^r in ben ©rengen ber
SKfifeigung: „3^) bin bie %xan eines SUianneS, ben id^ für
einen (ängel l^alten würbe,'' fdE)rieb jie einer g^reunbin in ber
@d)tt)ei3, „bewiefe feine S^neigung gu mir nid^t feine ©d^wäd^e" ^).
„Sd^ tt>äre baS unbanibarfte ®efdt)öpf öon ber SBelt," äußert pe
ein IialbeS ^atjx fpater, „wollte idt) nidt)t jeben SÄoment meineS-
SebenS mit 2)anf gebeten begeid^nen".
0 D^Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 7.
*) Baronne d'Oberkirch, Memoires, I, XIII.
3) Golowkin, Lettres recueillies en Suisse, 244, 283,. Madam»
Necker k Madame de Brenles.
^tdtx'» ^erfönlid^Icit. 33
Unter 3lcder'§ augcn entwarf fte bcrfelben ßorrefponbentin
foIgenbeS ffiilb öon il^m: ,, ©teile ®ir ba§ lomifd^fte SBcfen ber
Söelt öor, fo glüdHid^ öon feiner eigenen Ueberlegenl^eit burd)«
brungen, bafe er bie nteinfge nid)t bemerlt, fo übergeugt öon feinem
• ©d^arfblid, bofe er jid) ftet§ ertappen läfet, fo gewife, aüe Salente
in il^^er ^otenj in ftci^ gu oereinigen, bafe e§ il^m nid)t einfäKt,
anber^wo SJorbilber ju fuci^en. Sie Äleinlid^feit ber Slnbern fe^t
il^n in 6rftaunen, weil feine ©röfee il^n erfüllt unb er jtd) ftet^
öergleid^t, um gur Uebergeugung gu fommen, ba§ er unoergleici^li^
ift. (Sr öerweciöfelt finge Seute mit 3)ummföpfen, weil er jtdj
auf bem ©ipfel eines SSergeS .glaubt, öon bem aus bie ®egen*
ftänbe gu feinen güfeen alle gleid^ niebrig erfd^einen, giel^t jebodj
bie 2)ummlöpfe t)or, weil jte, wie er fagt, einen treffUd^en
©egenfa^ gu feinem erl)abenen ©eniuS bilben. UebrigenS ift er
ebenfo launenl^aft, wie eine fd^öne grau, unb nid)t weniger
neugierig als eine fold^e. 3d) fd)meid)le mir jebod^, bafe bie
unf^ulbige Slrgnei, bie xijxn burdt) biefen S3rief t)erabreid)t wirb
(er lieft il)n über meine ©d^ulter), il)n für einige Seit öon feiner
unerträglid^en Äranllieit befreien werbe'' ^).
®ie ßl^arafterfd^ilberung ift fd^ergenb gemeint. Slllein SKa*
bame SRedfer öerftanb fd^on bamalS fo wenig gu fd^ergen, bafe
mel^rere ber öon il^r berül^rten Söß^ ^^ SRedEer'S a3iograpl)ieen
als Äritif wieber auftaud^en, t)or aKem in einer ber treueften
unb lebenbigften, ber feines greunbeS ^. SWeifter, ber fte gwar
erft oiele 3al)re fpäter t)eröffentlid)te, il^n felbft aber fd)on gu
jener S^W genau fannte.
SReifter, ein geborener Südeburger, aber in QMäi lebenb
unb fpäter ©elretär t)on ®rimm, war auf SJioultou'S ©mpfel)*
lung in baS ^auS öon 2Wabame be aSennenoujc als (ärgiel^er
il)reS ©ol^neS getreten, wo er balb im bergen ber ®ame bie
©teile einnalim, bie 5Redfer einft beanfprud^t l^atte; an biefe
SSegiel^ungen fttüpft pdf) eine eigentpmlid)e 3lnefbote: grau üom
*) D'HaassonTille, Le Salon de Madame Necker, I, 115..
»Unner&ottctt, Stau »on ©toöL L ^
34 ®tc »Correspondance litteraire".
Sßermcnouf ftarb frül), 5Jlciftcr t)etl)eiratl)ctc pd) fpdtcr fd^r
glüdlid^ in bcr @d)tt)eig unb cncid)tc baS ^oJ)t Sllter öoit ad^tjtg
Salären; feine greunbtn l^atte tiot il^rem @nbe bie Seftimmung
getroffen, il)r ^erj foHe nad^ il^rem Sobe SUieifter übergeben unb
einft im felben ©arg mit tl^m beftattet »erben. 2llS er ftarb, fanb
ftd^ biefe Slnorbnung in feinem SEeftamente, aber 9iiemanb »ufete,
tt)o]^in baS ^erj ber armen ^Jrau gefommen toax, bis man e§
cnblid^ in einer alten a3Ied)büd)fe am ©peid^er anfbenjalirt fanb
unb jur legten ?ftni)t brad^te.
3[n ber franjöjtfd^en Siteratur l^at ^. ÜReifter feine ©tette
als 3Kitarbeiter öon ®rimm unb ©iberot an ber »Cörrespon-
dance litteraire«, tt)eldt)e an europäifd^e ,g)öfe berid)tete, maS
bie in engen ©d^ranfen gel^altene treffe ntd)t fagen burftc: bie
SageSneuigfeit unb ben ©fanbal, baS gule^t erfdE)ienene SBud^
unb bie fenfationeKe glugfdE)rift, baS neuefte 5EBerf ' t)on SJoItaire
unb ben iüngften ©treit non SRouffeau. Unter ben nerfd^iebcnett
Untemel^mungen biefer 2lrt, bie in ber {^weiten ^älfte beö
XVIII. 3al^rI)unbertS öon ^ariS in bie ^rotiinj unb inS 2luS*
lanb gingen, unb non »eld^en bie non 2:l)iriot für ben großen
griebridt), öon Sa §arpe für ben ßjarewitfä) ^aul, öon SRa^nal
für bie ,g)erjogin Don Q^otl^a bie befannteren jtnb, nal^m bie
»Correspondance« unftreitig ben erften SRang ein. ©ie begann
1754, ging guerft, bie oon SRa^nal erfe^enb, nad^ ©otl^ö, bann
monatlid^ zweimal burd^ bie betreffenben ©efanbtfd^aften an
anbere Heine beutfd^e ^ofe, nad) ©d^toeben unb, üon 1762 an,
ju Äatl^arina. ©oetl^e lernte barin (grftUngStoerfe üon Suffon,
ßonbillac unb 2)iberot fennen. ©ie las pc^ beinalie wie eine
moberne 3cttfd)rift, begrünbete burc^ 2)iberot bie franjöfifd^e
Äunftlritif, neigte mit ben Defonomiften gum aufgellärten ®eS»
potiSmuS, fe^te ben fanatifd^en 2)oftrinen ber ^]^ilofopl)te ffep^»
tifd)e Soleranj entgegen unb räumte babei ben gefeUfd^aftlid^en
SBerpitniffen bie größere ©teile ein, bie il^nen bamals gebül)rte.
©ie bleibt um fo mel^r eine ber beften Quellen gur Äenntni|
ber Qtitf als eS gelang, fte toäl^renb ber 36 ^dS^xt il^reS Se^»
S)te »Correspondance litteraire*. 35
ftel^enö bcm großen ^ßublifunt ju uerfd^Uefecn, ba§ jtc erft
1812—1813 gum crften 3KaI la§. ais ©rimm im SJiärj
1773, üon bcr gwanjigiälirigcn Slrbcit tnübe geworben, nad)
3)eutfciÖIönb ixnb bann gur Äaiferin Äatl^arina nad) 5ßeter§burg
ging, war eS SJieifter, ber bie »Correspondancc« wäl^renb ber
näd)ftcn fed^gel^n S^l)re beforgte').
2Bic trefflid^ er ju beobad)ten öerftanb, jcigt eine SRcil^e
Don Siograpl)ieen feiner S^itgenoffen, unter weld^en aud^ bie
öon Sfledfer jtd^ befinbet. 6r nennt beffen äufecrc 6rfd)einung
gu auffallenb, als ba^ pe mit ©tittfd^weigen übergangen werben
fönnte. „5ftedfer", fd^reibt er, „l)atte einen ftarfen Äopf nnb lang-
lid^e Süge, inbem inSbefonbere ©tim unb Äinn über baS ge=
wölinlid^e SWafe verlängert erfd^ienen; feine braunen Singen
waren fanft unb lebliaft. 9Jtit bem breifeigften 3al)r begann er
ftarf gu werben, unb am 6nbe feines SebenS erreid^te er einen
gerabegu erfd^redfenben Umfang, bennod) befafe er fowol|I @e=
fdt)meibig!ett als Äraft unb, tro^ ber berben ^üttc, bie feinften,
garteften ©mpflnbungen. . . . DI)ne im ©ntfernteften feiner un*
gweifell^aften Ueberlegenl)eit nal)e gn fommen, war eS bennod)
nid^t fd^wer, i^n an SBeweglidifeit unb SSielfeitigleit beS ©eifteS
gu übertreffen. . . . 2luf ein präd^tigeS ^auS unb Suj:uS in ber
6inrid)tung legte er leinen anbem SBertI) als ben, bafe biefe
Singe im Ginflang mit feinem aSermögen unb mit ben SBürben
ftd) befinben foHten, bie er im Sauf ber Seit beHeibcte. Sfliemanb
l^at mid) in meinem Seben fo fel^r lad^en gemad^t als biefer
ftrengftc ber SUioraliften unb moralifd^ftc ber ?Qlinifter, bie je in
Sranlreid^ regierten.
„Seine 2lrt gu lieben war ein eigentpmlid)es ®emifdt) öon
Surücfl^altung unb e;raItation, Don S^ittgefül^I unb Slnfprüd^en,
Don 33ertrauen unb ©iferfud^t, Don Unbeftänbigfeit unb Sreue. . .
Snbem er alle 5Red)tc ber 3Kenfd)]^eit bis gur SSegeifterung
ad)tete unb bie aRenfdt)en inSgefammt fo liebte, wie nur 2Be=
*) Nisard, Portefeuille d'un Academicien. Revue contemporaine,
1856, XXV, 17 u. ff. SReifter on ©uatb.
3*
36 Uxt^l üon Soton tum eid^ciu
nlge il^re ^cunbe gu Ke6m wiffen, fle aud^ tt)ol)l im 2ltt*
gemeinen fel^r über il^ren eigentlid^en aSBert^ f^ö|te, fleftanb er
ben Singclnen, mit loeld^ er in 93eru]^mng lam, nid^t immer
bai 9ta^ ber dtüdftd^ ntü> Sld^tung gu, \Dd6it§ fie beanfpruc^n
fonnten. Siner feiner J^eroorragenbften Sl^araftergäge unb ber«
ieniflc, ttjcld^er an ben meiften il^m gnr 2ajt gelegten g^poicm
©d^ulb trägt, nmr ble merfwürbige Ueberminbuug, bie e§ \\)n
foftete, gu einem @ntfd^Iu| gu lommen. @ein @eift liatte jtd^
fo fel^r gewohnt, eine jcbe ^aä)t unter atten moglid^en ©cjid^tS:'
pimltm gu betrad^ten, bafe er aud^ mtter ben bringenbftcn Um*
ftonben nur für bie ©d^toierigfciten ber 6ntfd)eibung ein Sluge
l^tte.''
Unb gur Sefräftigung biefer SE^atfad^c fül)rt 5JReifter atö
Scifpiel au^ im erften Salären üon 9lerfer'^ Slufentl^alt in
^ari§ an, bafe er einft über eine 3Sicrtelftunbc in einem %iaUx
fi|en blieb, ol^ne jtd^ fd^lüfpg madjen gu fönnen, tt)ol)in er gu*
crft faliren ttjottc. „2)cnn/' fügt er l^ingu, „au§ einer gctüiffen
@d^tt)äd)e fottjol^l, »ie au§ Siefe ber ©mpfinbung, l^abe er im
öffentlid^en wie im ^riöatlebcn ^id^t unb Steigung in Ueber*
einftimmung gu bringen gefud^t, fd^licfelid^ aber immer wieber
aud^ bie Icibenfd^aftlid^ften feiner ©cfül^Ie feinen ©runbfä^cn
unterworfen, ©em ©rfolg feiner politifd^en 3:l)ätigfeit fei nid)t§
üerberblid()er aU bit Sauterfcit feiner moraUfd)cn ©ejtnnung
gewefen" ^).
3lid^t anberS urtl^eilt ber feine, geiftreid^e SBaron ©leid^en,
ber, obmol)I ©eutfdjer öon ©eburt, alö ©efanbter ©äncmarfs
nad) ^ari§ lam unb, wie 3Keifter, auf eine greunbfd^aft öon
breifeigjäl^rigcr Sauer gur Seurtl^eilung öon Sieder öerweifen
fonnte.
©leid^en gefte^t gu, bafe fein äufeerlid^ fteifeiS, falteö aSBefen
l^äufig aU $ärte unb ©tolg erfdi)einen unb fein gangeS SSe*
0 J. H. Meister, Melanges de Philosophie, de [litterature et de
morale, II, 58.
ncl^mcn mcl)r auf Sld^tung al§ auf ©^ntpatl^ic Slnfptud) tnad^cit
fonntc, ba er in ©cfcHfd^aft ftcts fd)tt)eigfam unb gurüdfl^altenb
geblieben fei; aber er lobt ben ©belmutl^ feiner ©ejtnnung, bic
SRed^tUd^fcit feine§ 6l)aralteri5, bie Sfieinl)eit feiner ©itten, feine
©rofemutl^ gegen bie armen unb feinen eblen ©l^rgeij, ein a3e=
glüdfer ber 5Jlen[d^eit gu tüerben^).
SBalpole geftanb il^m gröfee gäl)igfeiten gu, meinte aber,
e§ fel^le il^m eine gett)if[e ®ett)anbtl^eit unb ®abe, ben SBerftanb
ber Slnbern gur ©eltung gu bringen 2); ber ^iftorifer % t>ott
SKfitter, ber il^n in ber @d)tt)eig lennen lernte, nennt il^n „einen
guten unb toeifen ÜRann"; felbft ber Ieid)tfertige, liebenö^
tt)ürbige gtirft öon Signe, übrigen^ fein politifdier ©egner,
nal^m einen emftl^aften Ston an, um in fpdteren g^l^ren bie
mafelofen Singriffe feines ^Jreunbeö ©enac be 9!Keill)an gegen
SRedEer mit ben SB orten gurfidfguweifen: ,,©ie, ber ©ie im ®runb
nici)t böfe finb, wie lönnen @ie »agen, e§ gegen einen jKami
gu fein, ber nie Söfe§ getl^an ober gefagt l^at? ®ai5 ©djlimmftc,
tt)a§ ftd^ über if)n fagen läfet, ift, ba§ er weber bie ©ouöeräne
nod) bie iJrangofen ge!annt, pd) bal^er getäufd^t l^at unb ge*
täufd)t tt)urbe. SSlidfen ©ie auf baS «ßriöatkben be§ SBaterS,
be§ ©atten, be§ ^ladjbarS, be§ fJreunbeS unb bereuen Sie, was
Sie getl^an."
®iefe Sieben§tt)firbigfeit im intimen SBerlel^r mit ben ©einen
unb im engen g^reunbeSfreiS rül^men SlHe, bie S^H^^ baDon
waren; fte lieben gang befonberS l^erDor, iafe Sledfer nid)t nur
als junger ?!Kann, fonbem aud) fpäter unb bis an fein 6nbe
eine Sfteinl^eit ber Gmpfinbung fxä) bewal^rte, bie guweilen an
baS Sftomanl^afte grengte^). aSergleid^t man bie öerwanbten
Süge biefer öon fo t)erfd)iebenen ^erfönlid^feiten entworfenen
©figgen, fo entftelit baS Silb eines ÜRanneS, ber bei aller
*) Soron ©. ^. ö. GJIeid^cn, ©cnlwürblölciteit, 94 u. ff.: 9leätx.
2) Lettres de Horace Walpole k Madame Du Deffand, 1776, wäl^rcnb
beS ^(ufentl^altö bon iRedet unb feiner ©emal^ltn in ^nglonb gefd^rieben.
.8) ®ie Seitgenoffen, Sal^töong 1821.
38 SO^iabome 0^e(fet grünbet tl^ren (Salon.
©d)ärfe bcr Scobad^tung eine ibcal angelegte 9latur unb bei
anfdöeinenber SRnl^e nid^t ol)ne ©ci^njännerei xoax, mit Iül)ler
aSered^nung gtofee Seelengute öerbanb, in bem ^nnfte aber ber
ed^tc @o^n feiner ^dt roaVf bafe er burd^ t]^eoretijd)e Eingebung
an bie SJlenfd^l^eit im Sittgemeinen, üon totläjtx feine (Sd^riften,
tt)ie fo öiele anbere ©rgeugniffe be^ adi)tjel^nten 3al)rl|unbert^,
in fiberfd)n)änglid^en Slnöbrücfen überftrömen, ber 9lad)ftd^t unb
juweilen felbft ber ®ered)tigfeit gegen ßinjelne jtd^ überl^oben
l)ielt, tt)enn er aud) nid^t gerabe einer t)on ©enjenigen war,
auf tt)eld)e bie aSerSjeile Slnn^enbung fanb:
». . . . pour moi je les soup^onne
D'aimer rhumanite, mais pour n'aimer personne.«
@o ift e§ benn aud^ d^aralteriftifdt), bafe in 5)?edfef ^ bänbe«
reid)en @di)riften über fein politifd^eS SQSirfen, ba§ H)n mit fo
öielen SWenfd^en in SSerül^rung brad^te, beinal^e 9liemanb mit
3(lamen genannt ift. ®a§ ©efül^l moralifd)er Ueberlegenl^eit,
beffen er ftd) tt)ol^l . f aum erwel^ren lonnte, toenn er ftd^ mit ber
SJlelirjal^l feiner QexU unb ©tanbe^genoffen uerglidi), toax nur
ju fel^r ba;iu angetl^an, ba§ jebergeit ftarfe ©elbftbeujufetfein
be§ 9Kanne§ über ba^ SWafe feiner SSefäl^igung ju taufdt)en unb
il^n jur @dE)lu6folgerung gu tierleiten,, ba^ er, weil beffer, ge=
tt)iffenl)after unb fittlid^ Isolier ftel^enb al§ fo öiele %bere, fd)on
beSttjegen baju beftimmt fei, ftd^ aud^ geiftig an il^re ©pi^e ju
ftetten.
®iefe nid^t ju leugnenbe @elbftüberfd)äfeung fanb il^ren
wirlfamften SRüdfl^alt an SKabame 5Reder'§ SJteinung öon il^rem
©atten; aud^ ii)x lag eS, nad^ ben trüben ©rfal^rungen il^rer
3ugenb naijt, 33ergleidt)e jioifd^en il^m unb 8lnbem gu giel^en,
unb baö Grgebnife baöon war, bafe bie banfbarc Siebe, bie
SRedfer iS)x einjuflöfeen wufete, jtd^ jur Seibenfd^aft fteigerte
unb gur aSergötterung warb. %nx il^n tl^at fte, wa§ il^r für ftd^
f elbft nid)t wünf d)enSwertl) erfdjienen wäre : |te opferte il^re per=
fönlid^en Steigungen, S^it^ Äraft, SRul^e unb ®efnnbl)eit, um bie
äugen ber SBelt auf il)n gu lenfen unb in ber großen ^aupt=
aWabame SRcrfcr gvünbet tl^ren Salon. 39
ftabt einen etnflufereid^en, bebeutenben gefellfd^aftHd^en Äret§ um
iS)n ju tierfammeln. 6in glängenbeS, gaftfreieS §au§ reid^tc
bclju nid^t l^in; bie fremben Surften, bic $ariö befud)ten^
pflegten tt)O^I baö §oteI üon 9?eder'§ ®efd)äft§treunb Sl^elufjon
ober jeneiS be§ ®eneralpäd^ter^ S3ouret fid) anjufel^en, ben l)eute
nur nod) eine Slnelbote üor SSergeffenlieit bemal^rt: 6r woHte
etnft eine ©ante mit befonberen ©l^ren bei f\ä) empfangen, bereu
ßieblingSgerid^t in '^udttrtxh\m beftanb, bie aber il^rer ®efunb=
l|eit wegen auf SKild^foft gefegt tt)ar; bei xijxcm (äintritt in
fein §au^ faub fte bie Äul^ in ber Sßox^aUt, tt)eld)e biefe
3Kild) liefern foKte, unb üor il^r eine Ärippe üoll 3wcfererb[en,
JU tiuer 3al^re§jeit, wo biefelben ber ©eltenl^eit wegen mit ®oIb
aufgewogen würben. 3« SSouret aber ging man bod^ nid^t, wenn
man ftd) wirflid^ unterl^alten, etwaö erfal^ren ober bie Söwen
be§ SagS feigen unb lenneu lernen wollte. ®aju wanbte man
ftd^ an bie bürgerlid^e, einfädle, aber überaus finge, mütter=
lid) für i^re iJreunbe beforgte 5!Jlabame ©eoffrin, weld^er @ta-
niölauS ^oniatow§fi, in banfbarer ©rinnerung an bie Slufnal^me,
bie jie il^m aU jungen 3Wann in il^rem §au§ gewäl^rt l^atte,
fd^rieb „ÜRama, Sl^r ©ol^n ift Äönig geworben'', unb bie er wie eine
©ouoeränin in SBarfd)au empfing. 33ei il^r, „im beftorganiptten
^arifer @aIon"^), fanb man SWonteSquieu , ©uarb, ^ume,
^orace SBalpoIe, ©aliani, ®ibbon, ©iberot, b'SHembert, ®rimm,
um nur bie berül^mteften feiner ®äfte gu nennen; ober man
ging, wenn man jur fleinen @dt)ar il^rer SluSerwäl)lten gel^ßrte,
jum Gmpfang ber SKarquifc ®u 2)effanb, ber iJreunbin ber
6l)oifeuI§, bei weld)er ^orace SSBalpole oon ^nt gu 3^it pd>
eingupnben pflegte, unb wo bie fd)on bejal^rte, blaprte, fat^rifd^e,
nur nod^ für bie feinften geiftigen ©cnüffe gugäuglid^e grau
ia^ befte auSwäl)Ite unb bann gcwäliren liefe, toa^ bie auf ben
^öl^epunft ber Äunft focialen Umganges angelangte 3^it gu
bieten l^atte; ober man öerfammelte pd) bei einem ®IaS
*) Sainte-Beuve, Madame Geoffnn, Causeries du Lundi, II, 409.
40 2)ic tt^ttn grctinbc beS ^aufeS SRedcr.
3udertt)affer in bcr befd)eibcncn SBol^nung t)on ^Jräulcin wn
rSfpinaffe, weld^e nad^ ber S^ilberung üon 3Kabame ©uarb aUc
©abctt ücrcinigtc, bie in bcr Scrül^rung mit bcr großen SBclt
crtüorben »erben. ,,@ie war ganj natfirlii^'\ erjäl^It pc, „unb
befafe babei aufecrorbcntlid^ tiiel SEaft; ppd^ war fte ganj
gett)ife, aber nid^t unangencl^m , il^rc gigur wie il^re 3Jianieren
waren öoH Slnmutl^ unb ©ragie; fte gewann ftd) bie ßi^netgung
aller, bie ndl^er mit il^r üerfel^rtcn, mel^r. nod) burd^ bie 2Bärmc
tl^rcr ©tttpfinbungen al§ burd) ®aben beö SßerftanbeS, weil il^re
Sbecn il^ren ©cfül^lcn entfprangen" ^). 9Rit biefer icbenfall^
]^öd)ft anjicl^^nben ?5rau, wcld^e burd) il^rc an ©uibert, al§
ben ©egenftanb einer ebenfo tiefen al§ unglücHid^en geibenfd^aft
gerid^teten Sriefe, eine eingige ©teile in ber Siteratur be§ ad^t=
3el)nten 3al|rl)unbert§ einnimmt, liebten e§ 9Ränner wie Surgot,
b'Sllembert, @rimm unb SWoreUet bie fd)wierigften politifd^en
unb pl^ilofopl)ifd^en Probleme ju erörtern. Unter fold)en gefett*
fd)aftlid^en 9!Käd)ten ©tettung gu nel^men, war für eine junge,
frembe, nod^ gang unbefannte ?5rau ol^ne g^amilienbegiel^ungen
ober ben l^ol^en Sftang, ber fold^e 3lufgaben crleid^tert, fein
geringes Untemel^men; eS mufete SKabame 3(ledfer um fo
fd^werer fatten, al§ jte bem ßöuber be§ ^arifer SebenS nur
fel^r langfam unb nidE)t ol)ne SBiberftreben pc^ l^ingab. SRod^
1765 fdirieb pe ii^rer iJreunbin be SrenleS in ber ©diweig, „ber
fingige S5ortl)eil ber ©jrtfteng in ^aris fei, ben ®efd^mac! gu
bilben, aber aud) ba§ gefd^cl^e auf Äoften be§ ®eniu§;" pe fanb
bie SWänner oberpäd)lid^, bie ?5rauen eitel; bie ßorruption ber
©itten um pe l^er öerlc^te il^r beflere^ ®efül^l. „2)en SBerfül^*
tungen nieberer Slrt gu wiberftel^en, fei leidet genug," meinte pe;
t,fd^werer fomme ei5 il^r öor, bie 3Serfud)ungen be§ ef)rgeige§
fern gu l^alten, benn biefe Seibenfd^aft laffe pd^ mit ben beften
^igcnfd^aften unb ber ftrengften ©ewiffenliaftigleit tierbinben,
unb e§ fei beinal^e unmöglidE), in ^ari§ nid)t tion i^r ergriffen
^) Madame Suard, Essais de Memoires, 64 — 65.
2)ic crften greunbe beS ^aufeö Siedet. 41
3u werben"'). @te toax eS längft, alö fte bieö nteberfd^rleb,
tt)ettn nid)t für jtd^, fo bod^ für einen Slnbern; um feinetotllen
begab jte ftd) an bie Slrbeit, in ber SRue 3Rid)cWe*(5omte, im
fogenannten 9Rarai§, ttjo bie SBureauf be§ Sanll^aufeö Sßedfer
jtd) befanben, ben Salon ju grünben, ber öor 8lttem ein litcra«
rifd^er fein fottte. Slbbe 3)?ore!Iet, ber ^ournalift, @d)riftfteHer
unb Defonomift, jtüölf Saläre nad^ bem Stöbe Subwig'^ XIV.
geboren unb alt genug geworben, um bie SRejlauration ju er=»
leben, nimmt mit SRa^nal unb SWarmontel ba§ SBerbienft in
Slnf^Drud^, aU einer ber erften unter ben ^arifer SBefannten öon
SRabame 3ledfer, jte gur SBal^l be^ ^JreitagS für il^re großem
2)iner§ ober @ouper§ beftimmt ju l^aben, weil man am 2Kontag
unb am 9!Hitttt)0(i^ gu 3Rabame ©eoffrin, am 2)ienftag gu §el«
üetiuS, am ©onnerftag unb Sonntag gu 33aron .g^olbad), bem
fogenannten erften ^auSl^ofmeifter ber ^l^ilofopl)en ging, ber biefe
nid)t nur in ^ari§, fonbern aud) auf feinem ©d^lofe ©ranoal
gu bewirtlien ppegte. Später lam bei 5!Rabame SRedfer nod)
ber ©ienftag für einen engen SreunbeSfreiS l^ingu. 8llS einer
ber erften äliwötel^mer an ben fjreitagögefellfd^aften, bie btn
bamaligen ©ewol^nl^eiten entfpred)enb, au§ nid)t mel^r al§ fünf«
gel^n, l^öd^ften^ gtoangig ^erfonen beftanben, erfd^ien ©uarb, ber
eigentlid)e %^pu^ be§ ^ubliciften im ad)tge]^nten Sa^rl^unbert,
mit ber englifdt)en Siteratur öertraut unb felbft mit ber beutfd^en
befannt, mit ber geber nid)t fel)r probuftio, bafür aber um
fo unerfd^öpflidjer in ber ßonöerfation, unter Subwig XVI.
Herausgeber beS erften frangöftfd^en JagblattS »le Journal de
Paris« unb einer ber SBenigen, weld)e bie SReöolution nid^t
umftimmte, weil fte nid)t§ getfian l^atten, um fte oorgubereiten.
9?ad^ feiner SSer^eiratl^ung mit ber ©d^wefter feine« 2Serleger5
$ßanfoude bel^nte bie iJamilie 9ledfer il)re f5reunbfd)aft aud^
auf bie ©attin öon Suarb auS, bie mit 9!Habame nieder ftd^
*) Golowkin, Lettres diverses recueillies en Suisse, Genöve 1827,
p. 264.
42 2)ic erftcn gfteunbe be§ ^aufeö SRcrfer.
be^ feltcnen SoofeS cine^ mufterl^aftcn el^clid^ett ®lücf § tül^mcn
burftc. @§ cl^rt beibc Steile, bafe nieder, ol|nc |td^ ju nennen,
feinen gteunben burd^ Slnweifung öon a(i^tl)unbert ßttireS SRente
in einer ©elbüerlegenl^eit gu §ülfe fam^); il^r fleineö ganb=
]^au§ gu 5ontena^=an;r=9iofe^ tüurbe jum SSereinignngSpunft, wo
ntan ftd) be§ Sonntag^ bei einem einfad^en 5!Jlaf)l begegnete, ju
beffen ®ä[ten guweilen aud^ Salle^ranb geprte. Unter bie älteften
iJreunbe ber ?5amilic 5)^ec!er jäl)lt aud^ Sia^nal, ber el)emalige
Sefuit nnb SBerfafjer ber »Histoire philosophique des deux
Indes«, bie Siurgot alö „eine Sufammenftellung öon fanatifd^en
^arabofen unb unäufammenlöängenben ©ebanfen" üerurtlieilte^),
unb bie il^r SSerfaffer fpäter »ergebend gefd^rieben gu l^aben be=
flagte^). SJlarmontel, an§ bem intimen Ärei§ öon 5!Rabame
©eoffrin, war ein üon feinen S^itgenoffen fel^r überfd^ä^teö
Salent, aber l)öcftft angenel^m im Umgang unb ein lieben^wür*
biger Dptimift; er würbe üon 3Jiabame SRedEer auf einem SSaU
ber 5ßarifer SÖürgerfd)aft geworben, „auf weld^em fie gwar
fd^led)t, aber oon gangem bergen mittangte'' *). 8lu§ ber S^t*
timität oon SRabemoifeUe oon rgfpinaffe, aber gu ooUftänbig oon
if)x in Slnfprud^ genommen, um, fo lange jte lebte, mel^r atö
öorübergel^enb in anbern Äreifen gu erfd^einen, tft b'SlIembert,
au§ jener Don SUiabame b'^oubetot ber SRarquiS oon Saint*
ßambert gu nennen. Site ©id^ter ber „3al)re§geiten" längft nid^t
mel^r gelefen, fennt il^n l^eute bie SBelt nur ate ben glüdflid)en
Sftioalen, guerft oon SSoItaire im bergen ber als „2)iüine ©milie"
gefeierten SUiarquife bu ßl^ätelet, bann oon SRouffeau bei ®räfin
b'^oubetot, bem S^puS ber Sulie in ben glüf)enb[ten Stellen
ber bleuen §eloife.
enblid^ erfd^ien bei SWabame 5)leder, als ber eigentlid^e
unb glängenbfte 33ertreter ber ©nc^nopäbie, lein geringerer als
0 Madame Suard, Essais de Memoires sur Monsieur Suard, 116—121.
*) Turgot bei Morellet, Memoires, II, 215.
^) Malouet, Memoires, I.
*) Marmoütei, Memoires, Livre VI.
S)te crftcn 3i;eunbc beS ^aufeS SRerfer. 43
©iberot felbft, „bcv tierlorenc ©ol^n ber ©pefulation" , wie fein
gciftrcid^er bcutfd^er aSiograpl^ tl)n genannt l^at^). 3n feinen
SSriefen an ijräulein SSolant äußert er wieberl^olt, wie fd^wer
e§ il^m falle, bie ©infamfeit mit ber SBelt gu Dertanfd^en, wie
ungern er bem S^^ang be^ 5ßarifer ©efeUfd^aftöIebenö [xä) nnter=
werfe; aber feine Stimmungen ppegten rafd) gu wed^feln.
(Seiner aufeerorbentlid^en geiftigen ^rifd^e unb Siegfamfeit wegen
blieb er ein ftet§ wiKfommener unb um fo mel^r gefcftä^ter,
weil feltener ®aft, raftloö unb anregenb, beffen 3lrt ju probu-
ciren ben SJtarquiö be ßl^aftelluf jum SSergleid) üeranlafete,
feine ®eban!en feien trunfen geworben unb liefen nun ein^*
anber nad^. 2)iberof § aufnähme bei SKabame 5Reder befd^reibt
er feiner greunbin, bem genannten S^räulein SSolant, in SQSorten
t)on feltener ®efd)madflojtgfett : „3üngft'\ fd^reibt er il^r, ,,l)at
SDfiabame 5RedEer, eine pbfd^e fjrau mit Slnfprud^ auf @eift, btn
Äopf für mid) tierloren. 6^ ift eine wal)re Verfolgung jum
ßwedf, mid) bei il)r ju feigen .... Sie ift eine unbemittelte
®enferin, weld^er 9ledfer, ber SSanquier, eine fd)öne Stellung ge--
mad)t l^at. SWan fragt; ,®lauben Sie, bafe eine grau, bie
tl^rem 5!Ranne SlHeS oerbanft, ftd^ etwa^ gegen il^n gu Sdt)ulben
lommen laffen lönne?' ©ö wirb erwibert: ,Dl), nid^t^ Unbanf*
barere^ gibfg auf ber SBelt!' ®er 2:augenid)t§, ber biefe 2lnt:=
wort gab, war id^." 3lun folgt ein fel^r fd^led^ter Spafe, weld^en
er fpdter burd^ bie 33erftd^erung wieber gut ju mad^en fud)te,
mit ber SReinl^eit einer ©ngelfeele öerbinbe 2Kabame 9?ecfer bie
größte fjeinl^eit be§ ©efd^matfö.
Sd^meidt)ell^after war eö für fte, bafe er il)r einmal fd^rieb,
ptte er fte frül^er gefannt, fo würbe er SßieleS in feinen SBerfen
Weber gebadet nod^ gu Rapier gebrad)t l^aben. (äin SWann, ber
ang ßnbe gelangt, ol^ne SReue gurüdblidEen woHe, folle md)t§
entwerfen, wa§ @ott unb Sie nid^t mit SBol^lgefaUen betrad)ten
lönnten. (5r wieberl^olt il^r ba§ in einem oortrefflidt) gefd^riebe^»
') 9iofcitIran3, ©iberot'S Seben unb Söerfc, II, 280.
nen Sricf, bcr mit bm SBortcn fd^Hcfet, „xoexm in il^rcr SEBagc
eine gute ^anblung nidjt fd^ttjercr wiege als l^unbert fd^led^te,
fo fei er öerloren" ^).
©0 aber, wie bie Singe lagen, öerl^inberte unb öermod^te
SKabame 5RedEer bod^ nid)t§ bei bemjentgen, bem Äatl^arina IL
ju jagen pflegte: „9lur immer gu, unter un§ SWännem ift Sltteö
erlaubt", unb in beffen ©d^riften, in rodd)m alle SBiberfprüciöc
ber Seit mit einanber fäntpfen, ber revolutionäre ®eift in er-
fd^recfenber SSollenbung ftd^ auSgefprod^en finbet.
3lud^ ber 9!Karqui§ t)on (5f)aftellujc, ©nfel beS großen
ÄanjlerS b'2lguef[eau, fam oft in ben ©alon Sledfer. 6l^aftettu;r
war Dfpcier, ^f)ilofop]^, ^iftorifer, Defonomift, juweilen aud^
Siebter, unb galt für einen ber liebenSwflrbigften 2Kenfd^en
feiner Seit, ©einen fd)riftftellerifdE)en SRuf begrünbete ba§ 1772
erfd^ienene SSudE) über „bie allgemeine SBol)lfa^rt", worin bie
größte Summe be§ ®lücf§ für bie gröfetmöglid^e S^t^^I öon
SKenfd^en ju befd)affen al§ wal)re§ unb einjigeiS Si^I ^^^ ^^'
gierungen begeid^net ift unb, im ©inflang mit bem 2lbb6 be
@aint=$ierre unb 3. % 5Rouf[eau, wie fpäter mit Äant, ba^
3beal be§ ewigen griebenS begrübt wirb. 3flid)t ju öergeffen
ift unter 5!Rabame 9iecfer'§ perfönlid)en Sreunben aud^ ber
mittelmäßige ©id^ter ©orat, ben fte oergebenS für bie Slfabemic
al§ ßanbibaten in Slnregung brad)te unb nid^t öor ben @ar^
laSmen oon ®rimm unb 2)iberot ju bewal)ren oermod^te, bie
Pd^ bamit in ber »Correspondance litt^raire« für feine lang=^
atl^migen SBerfe entfd^äbigten. ©o j. S. fd^ließt 1774 ein ©pott*
gebid^t auf bie £)be ©orafö an ben jungen Äönig mit btn
SBorten:
»Puissent, mon eher Dorat, les jours du nouveau rägne
Plus heureux que tes vers, etre plus longs encore!«
Site nad) faum gwei 3al^ren ber ^iftenj in ^ari§ ba§
ßrgebnife öon SWabame Sßedfer'S gefeUfd^aftlid^en ©rfolgen unb
') D^HaussoQville, Le Salon de Madame Necker, I, 162 u. ff.
®!e greunbc in ber ©d^ioeia unb SDlobamc Sßeder. 45
SScmül^iingcn ben alten iJrcunbcn in ber ©d^tüelj gu Dl^rcn
lant, unterbrüdften jie »eber % ©rftauncn nod) i^rc Seforg*
niffc, unb SJJouItou, al§ ber il^r am näd^ften ©tel^enbe, xoax e§,
ber bie Sragc an jie rid)tete, was in fold^er Umgebung auS
il^rcn d^riftli(f)en Ueberjeugungen »erben foHe. ,,ÜRcin lieber
Sreunb," fdirieb jte il|m gurüdf, „tt)ie fönnen @ie mid^ einen
?lugenbIidE tierbad^tigen ! 2Rit meinem Seben ijobt id) meine
©runbfä^e empfangen, unb Sie galten mid^ fäf|ig, pe je^t auf=
gugeben, too biefe mein ®IüdE begrünbet fiaben. Sie fönnen
mid^ übertriebener Segeifterun^ jeil^en, aber foHten @ie e§ fein, ber
ftd) bariiber bellagte, ba^ idt) 8lIleS, maö gut unb red^t ift, öer«
el^re? 3d) empfange einige @d)riftftetter; ba id^ aber meine Qüt
nid^t bamit verloren ijobt, fte mit meinen Slnfdt)auungen befannt
gu mad^en, fo »erben aud^ bie übrigen in meiner ©egenmart
nie berül^rt. 3n meinem Sllter, in einer angenel^wen ^äuölid^*
feit ift nid()tS leid)ter, alö ben Ston gu beftimmen .... 3^
berfelire, ba^ ift mal^r, mit einer großen ßat)l mn Sltl^eiften,
aber tl)re Argumente l^aben nie ben leifeften (Sinbrud auf mtd^
gcmad^t, unb »enn fte mir je bi§ anS §erg gebrungen finb, fo
war es nur, um baSfelbe fd^aubem gu madt)en" 0-
2luf biefe Seit gurfldfblidfenb, fd^rieb jte fpäter anSl^omaS:
„©rinnern @ie jtd^, tt)ie id) mid^ öor gtoangig 3al)ren gum erften
9RaI inmitten aKer ©d^öngeifter üon ©uropa befanb unb atte
Sbeen, auf tt)eld)en mein ®lüd berul^te, alö ßl^imären bel^an»
beln I)ßrte? @S l^at midö einen fd^weren Äampf gefoftet, in
biefem ©trom beS Unglaubens meine Uebergeugungen gu be^
wal^ren'' ^).
©egebenen %aät^ fdt)eute jte jtd^ aud) nid^t, mit bem SJiutl^,
ber aud^ bei SSnberSgejtnnten, tok ®rimm, öoKe Slnerfennung
fanb, für baS, waS il^r l^eilig war, einguftel^en. 2llS fte wä^renb
eines greitagSbinerS über einen 5ßunft religiöfcr ßontrotierfe in
1) D^HaussonTÜle, Le Salon de Madaiüe Necker, I, 164.
') Madame Neck er, Melanges, III, 213.
46 3^^^ vellgiöfctt Ucber5cuQunflCtt unb btc ^pi^Uofort«»
mci)t mcl^r ^u t»ermcibcnbc ©iScufjtoncit mit eben bcmfclben
®rimm gcrietl) unb il^tn eine S^WI^ng Icbljaft wibcrf^jrod^cn
l^atte, ol^nc Don tf)m ein ßwö^ftönbrnfe erlangen gu iöxmen,
brad) jte enblid) in %^xänm au§ unb fül)lte jtd) nodö am fclbcn
Slbcnb Deranlafet, il^n »egen beS ®efci)e]^enen fd)riftltd^ nm
(äntfc^ulbigung gu bitten ^). ©in anbereS SJiat Dergcid^nctc ftc
in il^rem Sagebud) eine metap]^qjtfd)e ©iScuffton mit ©iberot
unb feinem greunb unb 5paneg^rifer 9laigeon, in ber jte mit @l^reti
beftanb ^), 3m ©angen aber waren in foldjen, mit gu ungletd^en
SBaffen gefül^rten Ääntpfen nur Slieberlagen gu erwarten. SBol^l
nid)t gang mit Unred^t, wenn aud) in il^rer fd)rotfen SBctfc,
mad)te if)r fpäter 3!Jiabame be la fJerte^S^tbauIt, bie ftreng
Iird)lid^ gejtnnte 2:oä)ter Don SMabame ©eojfrin, btn SSorwurf,
pe l^abe ber übergroßen Sewunberung für ben ®eift ba& Dpfcr
tl^re§ Urtl^eite, ber 5Rad^jtd^t für bie SSerfel^rtl^eiten einer fttten*
lofen Seit guweilen aud) jeneö it)rer perfönlid)en SBürbe gebrad)t.
SRabame Sieder il^rerfeitS :pflegte gu entgegnen: „3dö l^abc
fjreunbe, bie nid^t an ®ott glauben, warum nid)t? eS jtnb uti*»
glürflid^e Sreunbe" unb jte fügte l^ingu, baß jte wol^l mand^c
$t)iIofopt)en, nid^t aber it)re ^pi^ilofoptiie liebe.
Sebodö nidt)t im Umgang mit ben ©enannten jud^te ober
fanb jie ba§ Sbeal ber g^reunbf dt)aft , baS il^rcr eigenen
®ebanlenridt)tung unb ber SBärme il^reö ©efül^Iö SBebfirf^
niß war; bie Flamen, bie in biefer SBegtel^ung üon bcm
tt)rigen ungertrennlid^ bleiben, fmb, nebft 3!JiouItou, SEl^omaS unb
Suffon.
3)aS ad)tgelönte Sal^rliunbert ))flegte ben fd^riftfteHerijd^en
9iuf Don Suff on nur mit jenem üon SBoltaire guf ammengufteHen ;
mit il^m, mit 9fiouffeau unb 3Jionteöquieu nimmt er unter bett
Seitgenoffen bie erfte ©teile ein. „S)er Äörper eines Sltl^Ietett
unb bie Seele eines SBeifen", jo befinirte il^n Sßoltaire. 93laHct
^) D^Haussonville, Le Salon de Madame Necker, I, 150.
«) (Sbcnbafelbft, I, 166.
SSeaiel^ungcn atoifd^cn SKobomc ffltätx unb SBuffon. 47
bii $an urtlieiltc Don il^m, er fei ber SE^puS beS 5ß]^Uofopl^cn,
gered)t, tnel^r als gro§tnütl)ig, in Slllem t»ernünfttg, bie Drbnung
Hebenb unb jte überall um jtd^ t»erbreitenb. 3Son feinem ^xotU
nnbbreifetgften Saläre an, wo feine ©mennung gum S^tenbanten
ber löniglidjen ©arten erfolgte, xot\\)k er fein ganjeS Seben
bem Qtütä, ber ®efd^id)tfd)reiber ber 9latnr ju werben; nid^t
ganj fünfjig Saläre fpäter war ein SEßerf t)on fed)öunbbrei6ig
Sänben abgefci)loffen, ba§ ber 2Biffenfd)aft feiner ^txt nenc
Salinen wie§ unb fid) la§ wie ein ®ebid)t in 5profa. SSon
bem fRuijvx üon Suffon bleibt ba§ @d)lo§ SMontbarb in ber
Sourgogne unjertrennlid), wie %txm\) üon bem Slnbenfen Don
aSoltaire, le§ (5l)armette§ ober bie (Sinjtebelei Don 3Kontmorencq
Don bem Don S^an=3acque§, ba^ ©d^lofe Don la Srebe unb
fein $arf ä Tanglaise Don ber @ntftel^ung§gefd)i(i^te be§
©eifteö ber ®efe|e. ©ort fül^rte er eine Domel^m abgefd^loffene
©yifteng, bie jtd^ jwifd^en feinem Slrbeitögimmer, in einem abs=
gefonberten S:l)urm feiner Sejt|ung, unb ber Sewegung in
feinen ®drten tl^eilte unb nur burd) feltene Sefud^e in ber
^auptftabt unterbroci)en würbe. Sei einer biefer ©elegenl^eiten
lernte er, bereite ftebenunbfed^jig Saläre alt unb burd) bm Sob
einer geliebten, Diel jüngeren ®attin Dereinfamt, 5IRabame 5Redfcr
fennen. S)ie erfte, burd^ eine gegenfeitige SBefonnte Dermitteltc
^Begegnung fül)rte jur intimen 8^reunbfd)aft, bie biö ju Suffon'S
SEob bauerte, unb weld)e bie in biefer Sejiel^ung immer fein*
fül)ligen fjranjofen bal)in beurtl^eilen, bafe jte in ber SBeife, wie
jte jtd) in ben Sriefen Don Suffon an 5Rabame nieder au§*
fprid^t, eine totale 2lbwefenl)eit beö ©inneö für baö 2äd^crlid^e
Dorau§fe|e. ®urd) ben Slbftanb ber 3al)re nid)t weniger als
burd) ben ßl^arafter ber g^au, bie il^mj eine fold)e Serel^rung
einflößte, innerl^alb ber ©d)ranlen ftrenger Sitte gel^alten,
mäßigte S3uffon jtd^ um fo weniger in ber 2Bal)l ber SluS«
brüdc, mit weld^en er il^r l)ulbigte; er feierte jte in fran*
äöftfd)en SSerfen unb lateinifd)en ©iftid^en, an weld)en er 3Ronatc
lang gu feilen pflegte, ol^ne ba§ jte il^m nad^ SBunfd^ gelangen. (Sr,
48 Scalel^utiöen atoifd^en SWabomc SRcrfer unb Suffon.
bcm S^itö^wöffctt ©tolä unb ©clbftübcrl^cbimg, S!Bol)Igefaßen an
©<J)mcid^Icnt unb aH'bic Keinen ©d^wädienbcrSitcIfctt vorwerfen ^),.
nannte jte feinen @ngel beö gid)te§ unb bat um il^ren SRatl^
unb il)r Urtl)eil jur fJeftfteHung beö feinigen unb jur görberung
feines inneren gebend; er üeräweifelt baran, jematö feine Seele
auf bie §öl)e ber il^rigen erljeben ju fönnen, unb nennt il^re
©riefe göttlid)e Sewetfe ber pd)ften ©eelenftärfe. SBufete er jte
leibenb ober franf, fo foftete eS U)m l)eifee Stliränen, unb er
nal^m nie Slbfdjieb üon il^r, ol)ne fold^e ju Dergiefeen. „Si^re
©riefe/' fd^reibt er, „pflege er ju füffen, pe feien bie l^öd^ften
SBol^Itl^aten feinet gebend." 2llS ber ©id)ter gebrun il^n poetifd)
JU feiern gebadete, wufetc er nid)tö giebereS i^m gu fagen, aU
eine SSerl^errlid^ung feiner greunbin mit ber feinigen ju üer*^
binben :
»Oh de Buffon illustre et digne amie
Vous dont 11 m'a vant^ Täme et les agrements.«
Sllö jte, auf einer SReife in bie @rf)tt)eij begriffen, il^n 1783^
mit SReder unb it)rer SEod^ter ju 5IRontbarb befud^te, entppng er
pc wie eine Königin, unb 5IRarmontel erjäl^lt, e§ feien tl^ronartige
gel^nfeffel für ©uff on'g ®äfte im ^runffaal feineö ©c^loffeS auf*
gefteHt worben.
«Sd) bete @ie fo aufrid^tig an," fd)rieb er il^r einft, „ba^
Sie nid)t anberS als banfbar baffir fein fönnen. 3d) liebe @ie
fürs ganje geben unb aud) für ein fünftigeS unb für bie @tt)ig=
feit felbft, wenn, wie i^ eS äwö^^ftd)tlidö l^offe, ^^^re 3lnpdt)t barüber
mel^r wertl) ift aU bie meinige." Soweit eö in menfd)Iic^en
Äräften ftanb, ^ielt Suffon Sffiort. 31I§ fein ßnbe l^erannal^te,
»erliefe SJiabame Sledfer il)r ^au^, um wäl)renb feiner legten
geben^tage il)m beijuftel^en ; er l^atte xf)x ©ilb neben pd),
baS pe il)m, auf eine ©ofc gemalt, gefd)enft l^atte, unb liefe
pd) öon feinem ©ol^n mit grofeer ©efriebigung 5RecfefS furj
guöor erfd)ieneneö ©ud) über bie ©ebeutung ber religiöfcn
^) Marmontel, Memoires, Livre YII, 313.
^f)xt SBcaiel^uiigen ju 93uffon. 49
3lnfd)auungett öorlefcn^). ai^ SJiabame 9lccfer bei i^m cm=
trat; beflagte er für jte baö @(i)aujpiel, n)eld)e^ er il^r gu
bieten l^abe, unb fanb in furjen 3iul^epaufen gtt)ifd)en bcn
f)eftigften ©dimerjen Sroft barin, iijre ,g)anb gu faffen unb
il^r gu jagen, n)ie fei)r i^r Slnblicf i^n nod) in einem SKoment
erfreue, wo bod) nid)t^ mel^r gefallen ober erfreuen Wune 2).
3n ber Slufgeid^nung, bie pe über bie legten Slug^nblicfe il^reS
großen greunbeS l^interliefe, erwähnt jte nad)brücflici), bafe er
mit bem lauten, bei üollem SBewufetfein auggefprod)enen 35e=
fenntnife ber d^riftlid^en ®runbn)al)rl)eiten gefci)ieben fei^); wenn
pe aber auf feine tt)iffenfd)aftlid)e £et)re gurüdfblidfte, gelangte
pe gu einem anbem, für pe nid^t troftreid)en SRefuItat. SSon
einem ©röteren al^ 33uffon ift einmal bemerft werben, er
gleid)e einem 3Rann, ber ba§ S^nere eine§ prad)tüoHen ^alafteö
in aßen feinen Slieilen burd^wanbert unb angeftaunt unb bann
öergeffen l^abe, feine Äarte bei bem ^a\x§f^txxn abgugeben^);
33uffon l^at baö infofern nid^t getl^an, als in feinen 3Berfen ber
9?ame beS ©d^öpferö oft genug genannt ift; allein man fennt
feine gegen ,!^erault be @ed)elleö geäußerte SBemerfung, man
braud)e nur ba, wo er ba§ SBort „@d^ö:pfer" gefegt l^abe, biefeö
gu ftreid^en unb bm SluSbrurf „Schöpf ungSfraft ber 5Ratur"
an feine ©teile gu fe|en.
3n literarifd^er 33egiel)ung ift e§ Suffon, ber nid)t gum
aSortl^eil eineS ©t^lS, ber anbere Qw^dt als ber feinige gu oer^
folgen l)atte, ben größten ©influfe auf SKabame Slecfer ausübte.
aSenn 3!Jiarmontel oon i^r fagt, pe l^abe in ber Äunft gu
fd)reiben nur geierlid^teit, forrette SBürbe unb funftöoHe 33or«
nel)ml)eit gu fd^ä^en gewußt unb felbft im ®efprädt) ben fami==
liären Son üermieben, fo oerweift biefe ®efd^ma(lSrid)tung auf
') Madame Necker, Melanges, III, 253, 318, 376.
2) aSuffon an 3}iabQmc ^tdtt atoei Sage öor feinem Sobe.
=0 SWabame ««edEer übet SBuffon'S Sob bei Nadault de Buffon, Cor-
respondance inedite de Buffon.
■*) glier, »riefe, ®. 47.
»lennerl&affett, grau »on ©tael. I. 4
50 ^^^ ^iäittc %^oma8.
Sliemanb fo jct)r atö auf Suffon, bcffen @tql jtc jum ®cgcn-
ftanb tl)re§ @tubium§ gcmad^t l^atte, beffen geringfte Urtl)ctle
in bicfcr 35cjtcl)ung jtc aufgujeid)nen ppcgte, unb beffen Sluto«
rität it)ren eigenen 2lnf(i)auungen über bie fd)riftfteHerifcI)en
getftungen Slnberer üorangefteßt ift. Sin il^n, beffen S3ud) „ba§
üoHenbetfte be§ franjöjtfd^en adjtjel^nten S^^rliunbertS" genannt
worben ift ^}, baci)te jte, wenn pe bie ^robuftionSfraft ber reiferen
Satire beut ungeftümen @d)affen§brang ber Sugenb öorjog, ober
wenn fie bemerfte, ba§ SBerfe, bie fd^neU gefd)rieben würben,
aud) öon furger Sauer feien, gleid^fam alö wolle bie S^it P^
bafür räd^en, bei ber 3lrbeit gu gering gea(i)tet worben gu fein.
Sind) geugt eö öon einem feinen, rid^tigen ©efül^l, wenn jte barauf
l^inweift, bafe man, um feinen ©t^l gu bilben, lieber fel^r forreft
gefd^riebene, alö fold)e SBerfe lefen foHe, bie mit befonberem
Salent oerfafet feien, inbem wol^l g^ormooHenbung unb @prad)*=
fenntnife, niemals aber eigentpmlid^e ^Begabung jtd^ mittl)cilen
liefen 2). 2Son bemfelben ©c^riftfteHer aber, „ben jte gro§ wie
bie SJiatur unb einfad^ wie jte" nennt, liefe jte jtd^ bod) in mi§*
oerftanbener Sewunberung gu einer @d)reibweife oerleiten, bie
ba§ @infad)fte nid)t mel^r einfad^ gu fagen wufete.
5Radöbem jte mit Suffon ben bebeutenbften unb aud) ben
ergebenden il)rer g^reunbe oerloren l^atte, fül)lte fie ftd^ burd^
einen öerwanbten ^\xq ber @d)wermutl^ um fo ftärfer gu einem
Slnbern l)ingegogen, ben if)re ©^mpatl^ie geiftigjelir fibcrfd)a|t
l^at; e§ war ber je^t beinal)e ooKftänbig oergeffene, oon ber
SJiitwelt über ®ebül)r gepriefene Siebter Sl^omaS. @ie wieber*
l^olte ie|t für il^n, xoa^ Suffon il^r gegenüber getl^an l)atte, unb
wäl^lte ?lu§brüdEe einer mafelofen Sewunberung, um fein geiftigeS
Silb gu entwerfen; feine %d)kx nannte jte nur Uebertreibungen
ber SSoHfommenl^eit. „@r fc^reibe," fagt jte, „guweilen wie
Soffuet, bann wieber wie Sacitu^ unb forbere ben SSergleid^
^) E. Montegut, Impressions de voyage et d'art; Souvenirs de Bour-
gogne, Montbard.
2) Madame Neck er, M^langes, III, 309, 382.
©et ©id^tcr %^oma8. 51
mit ^omcr l)erau§ ; [tatt im XVIII. ^al)v\)unbtxt gu leben, l^abe
er baö ßooö eines (5ato ober 9fieguluS üerbient."
SBie um ben literarifc{)en ©egenfa^ ju i^rer SKutter ju be=
tonen, xoivb grau Don @tael [päter füi)l genug Don ber „prä=
tentiöfen 3Konotonie" biejeS iijreS gieblingS reben unb einen,
t)on SRoeberer angeftellten 3SergIeid^ jtt)ifd)en feinem unb 9leder'S
@tql wie ein bem lefeteren jugefügteö Unred^t em))finben ^).
Stö S^reunb bagegen, toenn aud) nid^t al§ 3)id^ter, l^at S:i)oma§
baö Urtl)eil üon 5IRabame nieder über il^n gere(i)tfertigt unb,
nod^ fterbenb il^rer greunbfd^aft geben!enb, bie 3wöer|td^t auS-
gefprod)en, ba^ 5ßiemanb gu beflagen fei, ber eine 3Jlenfci)enfeeIe
aufrid^tig geliebt l^abe; um biefen ^reiö fei ba^ Seben loertl^,
gelebt gu werben.
S)a§ ad^tgel^nte 3^^^^itnbert l)at ol^ne ß^^eifel ben 33egriff
ber Siebe fci)on beöwegen erniebrigt, toeil e§ il^n, im S)id)ten
toie im Seben, nur ju l^aufig öom Segriff ber ©ntfagung ge*
trennt f)at; aKein faft möd)te e§ fd^einen, als f)abe eS bon ber
ijreunbfd^aft I)öi)er gebad)t atö wir: 3n feinen Sebenöeinrid^*
tungen nal^m fie eine ©teile ein, bie mir il^r nur gang aus-
naI)mSmeife nod^ guer!ennen; il^r mürben Dpfer gebrad)t, bie
uns befremben ober übermäßig er[d)einen mürben, bie aber burd)
eine ,!^ingebung gelol^nt mürben, beren ^reis man nid)t ju l^od)
ftellen ju fönnen glaubte. @o fdt)rieb ^ume, ber grofee englifd)e
^iftorifer, als er jtd) bem Stöbe nal^e fül^Ite, feiner bemäiirtcn
ijreunbin, ber SJiarquife üon SoufflerS, er fel^e baS (Snbe ol^ne
gurd^t ober Älage l)erbeifommen; üor bem ©d^eiben aber
motte er pe gum legten 3KaI mit großer 3iittci9i^«fl «nb @l^r^
furdt)t grüben 2). ©S blieb nid^t bei bloßen SSerftd^erungen:
2llS gmei ungertrennlid^e ^erjenSfreunbe galten 3)u Sreuil, ein
Slrgt, unb ^ed^meja, ein armer, befd)eibener @d)riftfteller unb
3!Jiitarbeiter üon 9fia^nal; jte bemol^nten beibe ein Sanbl)auS
^) Roederer, Oeuvres comp. VIII, 647, S3ricf öon grau öon ©tael,.
Saufonne, 20. Stug. 1796.
2) Sainte-Beuve, Causeries du Lundi, IV, 162.
4*
52 SWobomc ©eofftiit.
gu @atnt*®ermain=cn=Sat>e, aU ©u Sreuit einft fd)tt)er crlranft
mä) §öi^f^ gurüdff elirte : „©u allein, mein fjreunb, gel^örjt ju
mir/benn meine Äranf^eit ift anftedEenb", fagte er gn $ed)m^ia,
unb ttjirflid) ftarben beihc innerl)alb weniger Stage^). SSon
3Kabame ©eoffrin tt)ei§ man, ba^ b'Sllembert eine ^enjton üon
i^r begog, bafe jte Scilire l^inburd) ben Scbenöunter^alt üon
^äulein öon refpinaffe beftritt, Äfinftler nnb ©c^riftfteHer
unterftü|te unb bie @üte fo tüeit trieb, ba^ jte ftd) eine lange
Seit l^inburd^ mit fd)Ied)ter SÄild) begnügte, weil jte il)rer
9Kild)frau bie ^ni) gefd)enft t)atte unb jte be^wegen boä) nic^t
fortfri^iden gu fönnen meinte 2).
SSerpitnifemäfeig j(i)tüerer aU im Ärei§ öon aSerül^mtlöeiten
unb ©dööngeiftern fanb jtd) SKabame SHedfer in ber ^arijer
Frauenwelt jured)t; mit begreiflid^er ßw^ötf^iöltung wartete jte,
bi^ l)od^ge[teIlte ©amen, wie bie SMared^ale üon £u;rembourg
ober bie ^l^ergogin b'ßnüiHe, il^re früf)ere ©önnerin, jtd^ il^r
notierten, waö Ie|tere ju tl^un nid^t üerjäumte. 9Jtit SKabame
©eoffrin bagegen befreunbete jte jtd) fet)r balb: jte l)atten mand)e
aSerül^rung^punfte, t)or Slllem ben ii)nen gemeinfamen 3So\)U
tptigf eit§ jtnn ; anbererfeitS betonen 33riefe t)on 9Jtabame ©eojfrin
aud^ 33erjd)ieben]^eiten gwifd^en tl)nen ober fleine ©d^wädien ber
Sreunbin, bie il^rem @ci)arfblicf ni(i)t entgangen waren. „2Kit iijr,"
Wagt jte einmal, „fei eö ftetö bie alte ©efd^id^te; immer wieber
laffe fte jtd) oon il)rem @efül)l mit fortreiten; etwas faltblüttg
gu tl^un, fei if)r unmöglid); nie werbe jte bie fieid^tigfeit beS
S3erfel)r§, bie freie Ungejwimgenl)eit unb baS ©id^gelienlaffen
erreid)en, bie allein gefeClfc^aftlic^e Sejiel)ungen angenel^m ge^
ftalten" s).
3)?abame 5Recfer nal^m fold)e 33emerfungen oon ber 3Rutter,
unb roa^ oerbienftlid^er war, oon ber nid^t minber originellen,
') Sainte-Beuve, Camille Jordan. Nouveaux Lundis, XII, 115.
'■^) Grimm et Diderot, Correspondance litteraire, IV, 111, 103,
281, D'Alembert ä Condorcet sur Madame Geoffrin.
'') D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, I, 220, 228.
©rftfin b'fioubctot. 53
aber öicl weniger attgenel^men 5j:od)ter, SÄabame be la
Serte^Sttibault, rul^ig l)in unb bewafirte beiben eine aufrid)tige
3uneigung; gang gewonnen bagegen unb jelbft üeranlafet, fte
mit ber g^eber ju verewigen ^), würbe jte burc^ eine ber an=
uiutl^igften gt^auen tl^rer Qtii, Slmelie be 33oufflcr§, »^erjogin
öon Saujun, beren lieblid)e, burd) feine @döwäd)e ober SSer*
irrung berbunfelte 6rfd)einung fo oft ben @d)ilberungen jener
Seiten, wie ein 9fiul^epunft für ba§ Sluge inmitten fo oieler
bunfler Silber, beigegeben ift. Sl^re i5reunbjci)aft würbe erwibert,*'
bmn in revolutionären Sagen fanb bie fonft fci)üd^teme, bie Qniüä'
gegogenl^eit liebenbe, junge %xa\x ben SKutl^, einft im Stuilerien^
©arten üor einem berfammelten 5ßubli!um für nieder gartet
gu nel^men^); er unb feine grau mußten eö erleben, bafe biefe
Sbealerfd^einung ebler SBeiblid^feit nad) allen ^Prüfungen einer
pd^ft unglücflid)en @^e auf bem ©d^affot enbigte.
Sn gewinnenber Slnmutl^ mit il^r ju Dergleid^en, wenn
aud) in allen anberen SSejiel^ungen gang üerfi^ieben oon i^r,
war ®räfin b'^^oubetot. ©aö Silb, weld)e§ 3Rabame ©uarb
in il^ren l^öd^ft feltenen SKemoiren üon biefer g^rau entwirft,
fielet in eigentl^ümlid)em ®egenfa^ gu jenem anbem, ba^ einer
üon Siebe erfaßten 3)i(i^terp]^antafte fein ©ntfte^en oerbanft:
„3ebermann", fagt fte, „ber bie @efc^td)te ber £eibenfd)aft öon
3flouffeau für fte fannte, erwartete ftd)er ben Slnblic! einer fd)önen,
gewinnenben 6rfd)einung; ftatt beffen war e§ unmöglji^, fid^
bei ber erften Begegnung mit xf)x be§ petnlid)ften 6rftaunenS ju
erwel^ren. @ie fd)ielte entfe^Iid^, unb e§ liefe ftd) nid^t erratf)en,
wol^in xi)X fdlid gerid)tet war; fie l^atte auffaKenb ftarfe, im
©angen abftofeenbe Söge; aber bie ©ewol^nl^eit, fte gu fel)en>
gewann über biefe erften ©inbrüdfe balb bie Dberl^anb, wenn
im ©efpräd) mit il^r bie lebijaftefte 6inbilbung§fraft, ber liebend-
würbigfte ®eift unb eine fanfte, bürd^auö wol)lwoIlenbe ©eele
*; Madame Necker, M^langes, I, 376.
*) Droz, Histoire de Louis XVI., I, 305. 9?otc au8 Senac de
Meilhan, La Soci^te en France ayant la Revolution.
54 SWabomc S)u ©cffanb.
jtd) entpHten. SBenn id) il^ren SBorten Iaufd)te, ^)Pcgte id^
mir oft gu fagen ,9Äetn ®ott, toic gut würbe boc^ ein pbfd^e^
®ejtd)t 3U folgen ®ei[te^gaben paffen'. Sie tüufete allen JDingen,
in ber Ämtft tt)ie in ber 3ffatur, bie befte @eite abjugetüinncn
unb baö aSerbienft ber SÄenfd^en mit einer an Snftinft gren^jen«
ben @(f)neHigfeit l^eraii^jufinben ; ii)r geben mad^te ben @tn-
brud, anf forttt)ät)renben ®ennfe alö eigentlichen Qto^d gerid^tet
jn fein"^).
6ine weitere ßortcefjton für bie l^errfdjenben SSegriffc war
3nabame 5Redfefö grennbfci)aft für SKabame ®u 2Rard)at§,
fpäter an b'S(ngerbiIlier§ öerl^eiratl^et, eine ber fd)önen, einPu§*
reici)en unb intriguanten ijrauen jener Qtit, üon ber eine gering»
fügige Urfad^e fte übrigen^ nad^ einigen S^^l^ren lieber ent:»
frembete. 3Rabame ®u ©effanb bagegen fanb e§ geratijen, tro|
aller öorgefafeten SÄeinung gegen baö ßfiepaar 9lecfer, 3«ffwdE)t
bei il^m gegen bie Qual ber SSereinfamung unb gangeweile gu
fud)en, wie fie e§ an 33oltaire unb au§fü^rlid)er an .^orace
SBalpole berid)tet. „SÄorgen/' fc^ reibt jte le^terem in i^rcr
SBeife, „bin id^ gu einem ©ouper gebeten, ju weld^em id) ftatt
meiner gern Semanb Slnber^ fd^icfen mödt)te. @S wirb wn
Nieder unb [einer ijrau gu ©aint^Duen gegeben; fie wollten mid)
fennen lernen, weil man mid) in ben SRuf eineö ©d^öngeifteS
gebrad)t l^at, ber anbere ©d^öngeifter nid^t leiben mag; ba^
erfd^eint il^nen al§ feljenöwertlöe SÄerfwürbigfeit. 3d) war ein«
fältig genug, biefe Sefanntfdjaft ju mad)en, unb frage id) mtdEj
warum, \o fönnte id) fd)amrotl) barüber werben, mir belennett
ju muffen, bafe e§ au§ ^i^rd^t bor ber ©d^mad) ber Sangenweile
gefd^al^, unb ba^ id) oft fo tl^örid^t bin wie ®ribouille, ber fid^
au^ ©d^eu bor bem biegen inö SBaffer wirft" 2).
SJlabame 3leder'§ 33riefe an 33oltaire fprad^en i^rerfeitS
befriebigt bon biefer Begegnung, unb 3(nfangö ging bie ©ad^e
0 Madame Suarcl, Essais de M^moires sur Monsieur Suard, 59 — 63.
2) Madame Du Deffand, Correspondance avec Horace Walpole,
Lettre de Juin 1773.
aWabamc 2)u ©cffanb. 55
ganj gut; man \ai) jtd) auf bem Saube ju ©aint^Ducn, voofjm
aud) bie 5!Äared)aIe üon £u;rembourg, bie ®räftn Souffler^ unb
bie ^crgogiu öou Saujun famcu, uub tüo bie geleierten unb
fd)rittftelleniben ®äfte ber 3)ienftage unb gteitage nur alö ge»
bulbete 2lu§nat)men erfd^ienen: „Sd) badete nic^t, einft bie 33e=
fanntfc^aft ber JDamen Sleder unb 33u SKard^ai^ gu mad^en/'
fc^rieb bie SÄarquife an bie tg)eräogin Don ßl^oifeul. „Sd^ f^^^
jie oft unb finbe jte angenel^m, pe jinb Weber einfältig nod^
ungenießbar, fte eignen jid) beffer jum gefeUfd^aftlid^en SSer!ei)r
afö bie meiften ©amen ber großen SBelt; waö bie gangeweile
t)erfd)eud)t, giel^e id^ bem oornel^men SBefen oor."
Ueber 3fleder felbft fc{)rieb jte an ,g)orace SÖäalpole, er fei
ein fel^r anftänbiger SRenfd), mit oielem SSerftanbe, aber gu
öiel 5JJietapl)^jtf in feinen ©d^riften; in ®efeHfc{)aft fei er natür=
lidö, lieiter unb offen^ergig, oft gerftreut, bod) fpred)e er nid)t
biel. Sllö SKabame 3)u ©effanb eines SiagS ii)rer greunbin,
SJlabame be guyembourg, ein auS gegupften ©olbfäben gefertigte^
Äiffen überfanbte unb er eö gufäUig fal^, f d^rieb er bie SBerfe bagu :
»Vive le parfllage
Plus de plaisir sans lui;
Cet important ouvrage,
Chasse partout Tennui,
Tandis que Ton dechire
Et galons et rubans,
L'on pcut encore medire
Et dechirer les gens.
Autrefois dans la vie
On n'avait qu'un amant,
Maintenant la folie
Est d'en changer souvent.
On defile et partage,
L'amour comme un ruban
Et meme au parfilage
On met le sentiment.
56 aWabamc ®u ©effanb.
Tel qui lit une page
Peut paraitre un savant,
S'il a du parfilage
Le secret imposant,
La plus petite idee
Qu'on attrappe en passant,
Etant bien parfilee
Tiendra lieu de talenl«^).
^laä) einiger ^txt aber erfalteten aud) biefe Sejiel^ungen
ttjieber, unb ba§ ßnburtl^eil üon SKabame 3)u ©effanb nennt
SWabame SUedfer ,,fteif, falt, Doli Eigenliebe, übrigens gang
ad^tbar"; man fül^lt lange juüor bei ber üomcl^mett, öer^
ttjöl^nten %xau ben leid)t = öeräd)tlid)en, einen SRürffd^lag öor*
bereitenben Ston. ©iefer SRürffd^lag trat ein, al§ jte auc^ in
bem neuen Ärei§ il^re f?einbin, bie gangeweile, ttjicberfanb.
„®ie arme %Ta\x ift geftorben tt)ie fie gelebt I)at," fd^rieb
Wabarm 3flecfer, als fie Don il^rem Sob l^örte; „jelbft ba&
Sterben war für fie ein gwar trauriger, aber bod^ aud) ober-
pd^lidier Segriff; id) fonnte babei watirnel^men, wie unmer!=
lid) für ein fo gefül^llofeS SBefen ber Unterfd)ieb jtt)ifd)en ©ein
unb 9lic^tfein ift" ^),
©ainte^SBeuoe l^at, unb jtoar bieSmal tt)of)l üergebenS oer*
fud^t, bie Strenge beS Urtl^eilS über bie unglüdElid)e, blinbe
fjreunbin üon ^orace SBalpole ju milbern; bergeffen aber
wirb bie Slad^welt fte nid^t, benn nid^t nur einige ber beften
aSriefe, fonbern aud) ein paar ber beften Slnefboten beS a6)U
jelinten S^l^^^unbertö l)at fie geliefert. SBar bod) fie e§, bie
bem ©rgbifd^of öon 3lij: auf feine wieberliolte a5erfid)erung, ber
l^eilige ©ion^fiuS l^abe nad^ feiner 6ntl)auptung mit bem Äopf
unter bem 3lrm nod^ I)unbert ©d^ritte gemad)t, bie befannte,
') Grimm et Diderot, Correspondance litteraire, III, 3.
*) D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, I, 222.
S)lc grenibcit. 5?
pm ©prid)n)ort geftcmpclte Slntoort gab: »Monseigneur, dans
ce cas il n'y a que le premier pas qui coute«. SSott it|r
ift aud) baö mit cbenfo unerbittlid^er , alö gejd^icftcr gcbcr gc^
^eid)nete Porträt öon SSoItairc'S g^reunbin, SJiabame ®u (5]^äte=
Ict. 5)?ad^bcm fte be§ ®crü(i)te§ @rn)ät)nung gettjan l^at, biefc
l^abe ba^ unter il^rem Flamen crfdjienene SBerf über 9J?atl^cmatif
nid^t gefd^rieben, fügt fte, cö fd^einbar wiberlegenb, l^inju, il^r
fei üerpd^ert ttjorben, 3Kabame ®u 6l)ätelet ijabe ©eometrie
ftubiert, um il^r 35ud^ ju öerftel^en ^).
©inen nid^t geringen Sl^eil feinet gefeHfd^aftIid)en @rfoIge^
t»erbanfte ber Salon üon 9Kabame 5ßecfer ben i^n befui^enben
iJremben, unter il^nen ben ©iplomaten, wie Sorb ©tormont, bem
englifdien, 5IRarquiö ßaraccioli, bem neapolitanifd)en ©efanbten ;
ble erfte ©teile in ber Intimität ber gamilie gebül^rt l^ier
Sledfer'ö gteunb, SSaron ©leieren, tt)eld)er in ben erften 3ai)ren
öor beffen 33eri)eiratl^ung ben bänifd^en ®efanbtfd)aftöpoften in
$ariö beflcibete^); bie glängenbfte jebod) bem SIeapolitaner
Slbbe ©aliani, gIeid)faH§ in bi:plomatifd^en ©ienften bort Der-
ttjenbet, beffen aufeergett)öl&nlid)er ®eift unb SBi^ felbft baö öer*
n)i)i)nte ^ari^ in Sltl^em l^ielt: „®er neapoIitanifd)e Slrlequino,
auf beffen @d)ultern/' wie 3Rarmontel gu fagen pflegte, „ber
Äopf eines 2Racdt)iat)eHi ruf)te", bewal^rt^ itnter feinen ^arifer
greunben, ju U)eld)en befonberö ®rimm, V^olbaä), 2)iberot,
SKabame b'ßpina^ unb SRabame ©eoffrin gel^örten, feine eigene,
felbftänbige Stellung. Slud^ er war SBewunberer, unb bis
gu einem gewiffen ®rab, aud) 3lni)änger ber neuen 3been, ein
ferner, ffeptifd)er ®eift, unerbittUd) wie fein Slnberer gum ©pott
über £äd)erlid)feiten unb Sßerfel^rtiieiten bei SJlenfc^en unb
Singen bereit; aber ein g^auatifer war er nid^t, unb bie 3«'
0 Grimm et Diderot, Correspondance litteraire, III, 399.
2) S)q8 beftc' über il^n finbet fic^ in feinen „SJenftoürbigfciten" unb in
einer ^ote öon Perey et Gaston Maugras, L'Abb^ Ferdinand Galiani,
Correspondance, II, 193.
58 2)ic grtcmben.
öerjtd^t feiner ^^reunbe in ben naiven Striuntpl) ber SScmunft
unb iJreifteit l^at er nie getl)eilt. 2Kit ber fing berec^nenben SSor*
ftcl)t bc§ Stalienerg lautete er jid) gu gerftören, waö er ni(i)t crfe^en
fonnte, unb in ©rmangelunö einer anberen an bie SlKmad^t öon
2:t)eorien unb ©^ftemen gu glauben; al^ „Sartuffe" in Slcapel
gegeben werben foHte, rühmte er jid^ gegen b'SlIembert, eö Der-
l^inbert gu l^aben. ^m ©d)Io6 @xan'oal, i^m ^auptp^ ber
^l^iIofopt)ie, „ber längft Dom Slt| getroffen ju werben Derbient
ptte, wenn ber §immel 33inge ftrafte, wie bie Sieben, n)eld)c
bort gefül^rt werben'' ^), bei bem ^fäljer Saron b'^olbad) war
e§, t>a^ ©aliani jenen berül^mten SSergleid^ öon htn gefälfd)ten
SBürfeln auffteKte, ber wie bie 5ßroteftation beö gefunben
5iJienfd^ent)erftanbe§ im Slnbenfen ber Qtit fortlebte: „3d) fefec
t)orau§ meine Ferren", fo lautete nad^ SKorettet ber @tn^
wanb ©alianfö, btn er auffaKenb Hein öon ®eftalt unb bie
^errüdfe in ber ^anb, in bie 6de eine§ Sel^nftul^lS gelauert
bcfci)reibt, „bafe berjenige t)on Sinnen, ber üon ber gufäKtgen
©ntftel^ung ber 2Belt am meiften übergeugt ift, nid^t etwa tri
einer Äneipe, fonbern in einem ber beften Käufer üon $ari§,
beim SBürfelfpiel feinen ©egner einmal, gweimal, breimal, enb^^
lid) beftänbig einen 5Pafd) öon fed^^ werfen jtel^t. SBie furg baS
©piel aud) bauerte, würbe mein g^reunb 33iberot, ber fo fein
®elb öerlöre, bod), of)ne gu gaubern ober einen 3lugenblicf baran
gn gweifeln, fagen: ,33ie SBfirfel jinb gefälfd^t; id) bin in einer
gÄörbergrube^ 2l^a! ^^ilofop^, wie fo? 3Beil gel^n biö gwölf
9!Kal bie SBürfel fo auö bem 33ed)er gefallen ftnb, bafe S^r
6 giüreg öcrloren ^abt, glaubt 3l)r feft, bie^ fei in golge
eine^ gefd^idften Äunftgriff^, einer fd)laueu Kombination, einer
woI)lbered)neten ®aunerei gefd^el)en? Unb inbem S^r in biefem
Uniberfum t)iele Kombinationen fel)t, bie taufenb unb taufenb
aJial fd^wieriger, berwicfelter, anbauernber, gwedentfpred)enber
jtnb, bermutliet 3^r nid^t, ba^ bie SBürfel ber Statur gefälfd)t
^) S)a§ SGÖott tft öon Abbe Morellet.
Sic fjrembcrt. 59
jinb unb bort oben ein großer 2:af(i)enjpieler ift, ber jtd) einen
@d)erj barau§ mad^t, föud) gu täufci)en" ^).
®alianr§ leidsten Son unb rüdftd^t^Iofen 3Bi^ fonnte 2»a-
baute nieder, toie e§ if)re ßorrefponbeng mit H)m bejcugt, aber
bod^ Weber bämpfen nod^ ftet§ in ©d^ranfen t)alten; er war
eben aud^ eine§ i^rer Sugeftänbniffe, imb bor 5lHem ein glänjen-
ber 3lngiel^ung§pun!t für ben gefeUfd^aftlid^en 93erfei)r, bem Swf^tt
unb Umftänbe nod) überbie§ eine fel^r nä^Iid)e SRoHe ju Jlecfer'ö
©unften öorbei)ieIten. Sind) ber berüf)mte 5lame eineö anbern
Sfleapolitaner^, ber be§ 3Jlarqui§ Seccaria, ift mit hm erinne*
rungen be^ Salon 5Jlecfer üerfnüpft; SRabame @uarb befd^reibt
il^n al§ unanfe]^nlid)en 2Bud)feö, aber mit QÜQtn, bie man nid)t
wieber öergeffen fonnte, weil in il^rer regelmäßigen @dt)önl^eit
bie Äraft beö ?[blerö mit Sanftmütig unb 3Beid^l)eit gepaart
erfd^ienen, unb ber ©eniuö in feinem 33Iid aufleud^tete^).
9flidt)t miuber an^iel^enb, wenn aud^ nid^t bon europäifd^er
aSerülimtl^eit wie bie Seccaria'S, war bie ^erfönlid^feit be^ ©e«
fanbten Äönig Sbolf i5riebrid)§ bon ©d^weben, ©rafen 6reu^,
ben 3JiarmonteI in ber nad^ ®arat „muftergültigften aller pa=
t]^etifd)en (Srjäiilungen" ^j, ben »Solitaires de Murcie«, berewigt
t)at. 6reu| gel^örte gum intimen 3^reunbe§frei§ bon SKabame
©eoffrin, war nad)benflid), jerftreut, ber UebenSwürbigfte ber
^enfd)en; erfüllt bon Siebe gum @dt)önen unb bon 33ewunbe*
rung für baö ®enie, beinal^e aller europäifd)en @prad)en mäd^tig,
ein feiner Äenner il&rer giteraturen unb babei leibenfd)aftlid^er
23ere]^rer ber SJlujtf^). Dljne in feinem Sob fo weit ju gelten,
wie ber fentimentale ®arat, ber bon xf)m fagt „er l^abe ber*
bient, auf ©ngelöflügeln bi§ ju einem Sl^ron gel^oben- ju wer^
ben", fprid)t aud) ©c^webeng großer ,g)iftorifer ©eijer „bon ber
bejÄubemben Slnjiel^ung^fraft", weld)e bem ®rafen 6reu^ ju=
0 S)iefe @cenc bei Morellet, M^moires, I.
2) Madame Suard, Essais de M^moires, 72 — 73.
^) Garat, M^moires sur Suard, II, 11.
*) Marmontel, M^moires, VI, 233.
60 2)ic gvcmben.
gefd)ricbcn warb unb ol^nc 3tt)dfel Don bcr SBcc^fcIwirfung fitt^
rül^rtc, bic bei i^m jn)ifd)en bem 3)tcl)tcr unb bem Staate- unb
^ofmann beftanb. „®ie ©eifte^abtüefenlieitcn", fagt tx, „meldte
i^n fo originell liebenöwürbig im Umgang mad)ten, waren, fo*
balb bic ®efd^äfte xi)n freiließen, unbefd)ränfte aSerfe|ungcn
feiner ^erfönlic^feit in§ ©ebiet ber 5ßf)antajte. @reu^ war eine
))oetifd^e, ibgllifd^^milbe 5Ratur. . . . 3loci) im legten Sal^r feinet
gcbenS begrüßte er ben grüf)ling mit Sntäürfen'' ^). ®er in
5ßari§ populärfte aller auswärtigen @out)eräne, ©uftat) III. tra=
gifd)en SlnbenfenS, fanb in ßreufe ben redeten SScrtretcr bcö
jcl)webifd)en 9?amen§.
gjtit ber Samilie 5Recfer war aud) ber feit 1748 in $ariö
lebenbe Dberpfäljer, 9Jield)ior ©rimm, befreunbet. 3n befc^ei«
bener gebenöfteUung war er aU ^ribatfetretär beö fäd^pfd^cn
©rafen griefen nad) ^aris gefommen, wo er balb in ben leiten^:
ben fd)riftftetterifd)en Greifen Slufnal^me fanb unb in enge JBe*
jiel^ungen ju % % 9fiouffeau unb 2)iberot trat; mit le^tcrem
bet^eiligte er pd), wie bereits erwäiint, an ber SRebaftion bcr Cor-
respondance litteraire, bic er balb auSfd^ließlid) leitete, ©eine
ritterlid^e SSertl^eibigung ber iiim bamals nod) unbelanntcn, un-
fd)ulbig t)erbäd)tigten ^kbame b'ßpinag würbe ber näd^fte
Slnlafe feiner Sejief)ungen gu il^r, bic in ber literarifd)en ®e^
fd)id^te beS ^al^r^unberts nid^t of)ne Sebeutung geblieben ftnb,
gundc^ft fd^on beSwegen, weil er bicl jur SluSbilbung eines
weiblidjen SalenteS beitrug, baS J^od^gefteUt ^ix werben Dcrbicnte
unb in lebenbiger SBai^rl^eit feine Qzxt reflcftirt^). Sin biefe
aSegiel^ungen fnüpft ftd) aud) ber Srud) äwifd)en SJiabame
b'ßpinag, ®rimm unb SRouffeau, bcr jugleid^ mit einigen anbcrn,
äf)nlid)en ®efd)id)ten bie jweite Hälfte ber „ßonfefjtonS" gum
^ampl^let erniebrigt, in weld)em ^a^ unb Unbanf jtdö gcgcn-
feitig überbieten. 33iefer ©treit mit SeamS^cqueS trug faum
•) ©ctjcr, ©uftat)'^ III. nad&geraffenc S^apkxe, 2 SBänbc, II, 4.
-) Madame irEpinay, Memoires, unb La Jeunesse de Madame
d'Epinay.
£)ic gtembcn. 61
weniger baju bei, bcn 9lamen üon ®rimm befannt ju inad)en,
alö bie fd^n)ärmerifd^e Slnpnglid^feit üon ©iberot.
aSornefimlid) im beftänbigen SSerfel^r mit if)m bilbete jtc^
ber ©d^üler ©ottfd^eb'^ jum frangöftfd^en ©d^riftpeller a\x^, of)ne
be^megen feiner beutfd^en ©igenart gu entfagen; il^r üerbanfte
er bie nüchterne 3fiul)e be§ Urtl^eifö unb bie auf foliber 93or==
bilbung beruljenbe SBielfeitigfeit, bie \>m SBunfci^ bei il^m er-
wedEte, SBennittler ber au^länbifd^en, üor 3lllem ber beutfd^en
Sit eratur bei ben S^rangofen ju fein. @r prie§ il^nen bereite 1765
ben ®eniu§ Sefjtng'ö, ^ielt an ber Ueberlegenl)eit üon ©tiafe-
fpeare im ®egenfa^ ju bm nod) immer üorl^errfd^enben S^eorien
be§ franjöfifd)en Älafjtciömuö feft unb imponirte jugleid) burd^
eine @d)lagfertigfeit, bie man nid^t nngeftraft l)erau§forberte.
@o meinte er, nad^ bem @rfd)einen öon Sanraguai§' 2^ragöbie
„3ofafte\ ba§ Sßerftänblid^fte in biefem 2)rama fei ba§ maü)\d
ber @pl)in?:; fein ,, Keiner ^ropl^et", eine @att)re gegen bie
frangöftfd^e ju ©unften ber italienifd^en SWnftf, wad^te fein ©lüdE
bei 93oItaire, ber befanntlid^ fragte, mit weld^em 9?ed^t biefer
©ingewanberte flüger fei alö fie 3l(le. 3)ie öerftänbnifeüoHe unb
begeifterte Siebe @rimm'§ für bie Sionfunft mürbe beIol)nt, benn
al§ ber Änabe SRojart mit SBater unb ^d^mefter nad) ^ari§
fam, marb er fein 9Jiäcen unb einer ber erften, ber SBelt feinen
jungen ®eniu§ gu öerfünben.
SJJit ber ijamilie SRecfer trat er erft fpäter in SBerfel^r, ali^
feine Sejiel^ungen gu ben beutfd^en §öfen öon @otl)a unb $effen:=
©armftabt il^m ben 3:itel eine§ SaronS, üerfd^iebene biplomatifd)e
5Jiifftonen unb, burd^ bie Steife nad^ ^eteröburg al§ ©rjiel^er
be§ ^ringen Submig öon Reffen, bie @nabe ber Äaiferin ^att)a^
rina öerfd^afft l^atten *). SBiele feiner Sriefe au§ ber ruf jtfd^eu
$auptftabt jtnb an 3Rabame SRedfer gerid^tet, meld^er er fo er^
') Edmond Scherer, Senateur, Melchior Grimm, Revue des Deux-
Mondes, Octobre — Decembre, 1885. .<Q. Ul^bc, €. gflci*arbt'S ©elbft*
biogrop^te.
62
Sibbon in $ait^.
geben mar, bafe er in $ari§ feine 3St>n
töglid), raenn aud) nur auf einige 3
^it ben englifdjeu (
Bo« 3"f 3" 3f<t Sfiabame j
be Souffler^ anffiiditc,
betannt; bagegen traf,
tfrii^jatjr 1765 lieber inj
empfangen. Sin nid)t j
jebe^mal, wenn öon !
ucnirt^eilt f(f)eint, ||)
dun^ob." fagt er, „jutfl
itir @atte ganj befonla
nic^t bc^anbetn fonneiX
er ju Seit ging unb f
Iferau=forbernbe ©efübB
Öelicbien möglidjft
e!)ebeni unb Diel Dun*
gefaDen, o[)iie
oerftänbiger S>eife t
Skrmögat.
gjigiatifenb
®i66on in $artd. 63
tüciblid^en ©itelfeit eine ebenfo öoHftänbige alö öcrbientc ©enug*
tl^uung ju S:l)eH würbe. SßJäl^renb ber jmei SBod^en feinet
Sliifentl^aܧ in $ari§ fal^ id^ il^n beinal^e töglid^; er toar fanft,
füßf^ttt, jurüdfl^altenb bi§ jur ©d^üd^ternl^eit, täglid^er Q^ixQt
ber SReigung tneuteö SKanneS gu mir, feiner geiftigen SSorjfige,
feiner liebenöttjürbigen Saune. 2)ie SBärme feiner 33ett)unberung
für bm äußeren ©lang, ber mid) nmgibt, mad^te niid^ erft auf
SSorgüge aufmerffam, bie mid) bi^l^er gleici^gültig gelaffen ober
felbft unangenel)m berül^rt l^atten" ^).
^aijxe üerftrid)en : ber Jüngling unb ba^ junge 3Räbd^en,
bie einft mit fel^r öerfd)iebener Sinnesart an ben Ufern be§
©enfer @ee§ ftd^ begegnet, geliebt unb nic^t öerftanben l)atten,
waren beibe alt geworben. 3"^ ®artenl^au§ feiner Sierraffe gu
Saufanne^ in ber mittemä(i^tlid)en ^rad^t einer 3uni=9!Jionb=
nad^t beö ^af)xt^ 1787, tl^at ®ibbon ben legten Sebergug an
einem 3Berf, wie eö gu öoHenben nur SBenigen üergönnt ift.
3n f^arfen ®egenfa^ gur g^reube be§ ®elingen§ trat felbft
in jener ©tunbe ba§ ®efül)l ber 93ergänglid)feit alle§ 3rbifd)en,
ber SBergleid^ gwifd^en ber unfterblid^en Sauer /beö SBerfeS
unb ber furgen, feinem ©d^öpfer etwa nod^ öergönnten SebenS«
frift^).
©ibbon war bamals fünfgig Saläre alt unb ftanb üerein*
famt in feinem 9?uf)me; er empfanb e§ fo |)einlid), bafe er nod^
fünf S^l^re nad^l^er an eine fpäte SSerbinbung bad)te. Stuf
biefen ^lan begiel^t fid^ ber lefete Srief, ben er öon 5Jiabame
SRedfer erl^ielt, bie wdl^renb ber SReöolution mit il)rem Wlann in
bie ©d^weig gurüdfgefel^rt, btn SBinter üon 1792 gugleid^ mit
®ibbon in @enf üerlebte. „Dft gebenfen wir", fd^rieb fte üon
Poppet am 15. guni jene§ 3^l^re§, ,,biefer genufereid^en, mit
Sinnen t)erbrad)ten ©tunben; mir brad^ten fte bie feltene ®unft
ber 93orfel^ung, ba^ auf biefe 3Beife eine reine, tl^eure Steigung
') Golowkin, Lettres diverses recueillies en Suisse, 265.
2) Gibbon, Memoirs of my life and writings, 190.
64 Gibbon in foxü.
ntrincr ^ngenb fid^ mit jener anbem begegnrte, bie mein irbifc^
^ooa ^ einem fo beneibenemertl^ geftattet tyd. S)iefe§ fdtene
ßnfammentifffen nnb ^r unoergleic^Iic^ ßonDerfationMoIent
orrfe^en mic^ mie in eine 3^utbenDett; bie Se^ie^ungen
^vmdfcn (BegemDait nnb Vergangenheit geftalteten bie Sirflid^-
feit mie jn dnem S^raum; fönnten Sie jtc^ entfd^Iießen, i^n
^ oeriangem? (foppet prangt in feiner ganzen €(^dn^;
iöi nritt ni(!^t^ ^in^fngen, benn mir leben ganj einfam nnb
^nrücfge^en; bie ®enfer bleiben in ber Stabt, unb i^re
Sonb^onfer fmb ber fc^Iimmen 3^^ roegen oerlaffen. Selbfl
fK . . . I^at fi(^ DeranlaBt gefüllt, mieber ju ^eirat^, mtb
mir mnffen i^n fafl immer entbehren. . . . ^üten @ie pd^
hodf, id) bitte Sie, 3^rerfeit^ eine foI(^ fpäte Serbinbmtg
einjuge^; bie (Sf)t, bie in reiferen 3^i^^ begifirft, ifl nur
bieiemge, meiere in ber ^genb gefc^bffen mürbe; ba nur ift
büd 3tif<iiiunenfein ein DoUfommenei»; bie Steigungen beftimmen
fi(^ gegenfettig, bie @efu^Ie begegnen fic^, bie S^een t^Ien
fi(^ mit, bie intendtueUen Sigenfc^aften finben ft(^ einanber,
ba6 Beben Derbopf>elt fi^ unb mirb jur äSerlongerung ber
3ugenb, benn bie ©inbrücfe ber Seele be^errf(^en ba^ äuge,
unb anii bie entfc^munbene S^ön^t ^at i^re Stacht ni(^t
gauj üerloren. 3^nen aber, mein ^rr, ber Sie auf ber 6ö^e
geifliger ©ntmicflung fielen, beffen ganjc^ geben in feften Sahnen
ft(^ bemegt, eine 3^rer mfirbige ©efä^rtin ju finben, mer bürfte
ei§ magen?! ©ne ungenugenbe Strt ber Serbinbung erinnert
fletö an bie Statue be§ ^orag; ©ic finb bem 9iu^me angetraut,
unb bie gfreunbe, bie Sic lieben, blicfen neiblo^ auf ben Sunb,
beffen @Ianj auf fte äurücffäHt" >)•
So flingeu bie SSejicI^ungen jroifc^cn ©ibbon unb 9Kabame
3lecfer Iiarmonifc^ au§. 3m gleichen 3a^r mit i^r geboren,
fottte er i^r nur um wenige 9Konatc im Sobe oorange^cn; er
') Madame Necker, Melanges, I, 360.
©cburt öon 3lnnc»®ermainc «Reclcr, 22. Slprit 1766. 65
ftarb uHDemäl^It, am 17. iJebruar 1794, taum jtebenunbfünfjig
Sotir alt. ®a§ ©ci^idffal toar nid^t ungered^t gemefen, inbcm
eö nad^ ©oet^e'ö belanntem Siebling^fprud^ Seiben im 3llter
bie %Me beffen gegeben l^atte, waö jte in ber Sugenb gemoHt:
©em 9!Äann einfame ©röfee; ba^ &\M einer tiefen, emiberten
9leigung ber ^rau. —
3m jmeitcn ^di)x ber 6^e üon ÜRabame SReder ttjnrbe
il^r bie Sodjter — i^r einziges Äinb — 3[nne=guife=®ermaine,
am 22. Slpril 1766, geboren. 3n ber Seit, bie H)m ©eburt
öoranging, fül^lte jtd^ bie SJIutter fo leibenb, ba^ jie äße SSor*
fel^rungen ffir ben %aä il^re^ SobeS traf; jte bat il^re £anb§=
männin nnb g^rennbin, bie %xavi beö Sanquier§ SSernet, SKutter«
[teile bei bem Äinbe jn vertreten, unb aU biefe bie aSer«
antttjortnng nid^t jn übernel^men wagte, ri^tete jte bie gleid^e
aSitte an Süiabame be SSermenonj:, bie ^atl)in il&rer Stod^ter
würbe. 9ledEer, über ben ßuftanb feiner ijran in grofee Sorge
üerfe^t, wanbte fid^ an bie bett)äl)rte ^reunbf^aft üon 5Jioultou,
bamit biefer nad^ $ariö fomme unb aud^ burd^ feinen 3wfP^^ii^
jte berul^ige. ®ie ©efal^r ging glücflid^ üorfiber, aber nid^t
ol)ne bie ®efnnbl)eit üon SWabame SRecfer bleibenb gu erfd^üttem.
©er pufige 3lufentl^alt in ben S^wetjer Sergen unb ber a3e=
fud^ öon Säbem braute jwar ßinberung unb wol^l aud^ öor=
übergel^enbe ©rl^olung, aber ©d^laflojtgfeit unb Slufreigung be§
SReröenf^ftemS in einem gefd^wäd^ten Drganiömuö tt)ud)fen mit
ben S^l^ten in einem fold^en ©rab'e, ba^ il^r bie ©rfüHung ber
gefeHfd^aftlid^en ^flid^ten nur mit äufeerfter 3lnftrengung möglid^
unb jte felbft wäl^renb ber 3Kal)ljeiten burd^ l^äufigeö 3luf* unb
Slbgel&en Serul^igung ju fud^en gezwungen war.
©aö ^aii^ in ber 9tue 9Wid^el4e*6omte mufete bereite
nad^ einigen Saljren mit bem $ötel Seblanc in ber 3lue be
ßler^ üertaufd^t werben, ba§ ju ben fd)önften üon 5ßari§ ge^
I)örte unb erft 1842 bem Sau ber SRue be 3Rul]&oufe jum
£)pf er fiel ; bort wohnte bie g^amilie SRedfer, bi§ fie bie officieHe
S3Icnner^aftctt, Brau ton ©tael. I. 5
66 50labamc ^edet über ^artS.
SBol^nung im ©ontröle general begog^). 2)ie 3Bal^I eineö
@ommeraufentt)aItö folgte balb; anfangt Pflegte Sftecfer bo^
öon Srattj I. nad) fetner ©efangenf^aft im Soi§ be a5ou=
logne erbaute ©d^löfed^en SJJabrib ju mietl)en, bann faufte er
ba§ fd^öne ©d^Iofe üon @aint*Duen, an ben Ufern ber ©eine,
beffen Sierraffen unb ^arfanlagen nal^e genug bei $ari§ gelegen
waren, um feinen ©äften bie fRMki)X naä) ber @tabt noci^ fpät
2lbenb§ gu ermögltd^en. 3ln biefe SBol^nJt^e fnüpften jtd^ bie
beften (Erinnerungen für Sfledfer unb feine grau; fte felbft
l^atte ben SSerlodEungen biefer neuen @j:iftenj nicl)t tt)iberftanben :
^2Ran fönnte unb foHte anberömo glüdflid^er fein," fd^reibt fte
il^rer ijreunbin in ber ©d^metj, „aber SSebingung bafür ift, im
3auber nic^t gu fennen, ber, ol)ne felbft ba§ ®lüdE auöjumad^en,
hod) äße anbem g^ormen be§ 2)afein§ üergiftet. 3Bir gleid^en
ben geinfct)medEern, beren öernjö^nter ©aumen alle Sederbiffen
burcl)gefoftet l)at unb bemnad^ nid^t mel^r gu einfad^en, juträg*
lid^en @erid)ten gurüdEjufel)ren öermag; bie iJeinl^eit be§ ®e«
fd^mad^ wirb für Äörper unb ®eift auf wunberbare SBeife I)ier
geförbert, unb pl^^ftfd) unb moralifd^ üerwirflid^en wir bie ®e=
fd)id^te Jenes S^bariten, ben bie Spalte eines SRofenblatteS am
©d^laf l)inberte"2). ©je ©d^wierigfeiten, bie eS il^r gefoftet
l)atte, in biefer neuen Söelt fic^ -jured^t gu finben, t)erl^et)lte jte
gleid)faU§ nid^t: „6§ ift gang wal^r," fd^rieb jte, „ba^ \ä) nid^t
mel^r üom felben Sbeenfd^a^ gel^re wie früf)er: als id^ in biefeS
Sanb fam, glaubte id), bafe in ber Siteratur ber ©d^lüffel für
SlHeS gu finben fei, bafe ein SWann nur burc^ Sudler fid^ geiftig
f örbern, nur burd^ Äenntniffe grofe unb bebeutenb werben fönne ;
nun aber [el^e id^, bafe ein ©d^riftfteHer nur beftimmte Singe weife,
bie it)m gu einem anbern Seruf nid^ts nü^en, unb id) l)abe
baS überatt an mir felbft erfal^ren, wo ber B^\aü, midj nid)t
mit einem allgemein gebilbeten äWann gufammenfüt)rte. 3>n ber
0 Sainte-Beuve, Causeries du Lundi, XII, 210, 9?ote.
^) Golowkin, Lettres etc., 413, Madame Necker k Madame de
Brenles, Paris, 6 Avril 1773.
einftufe feinet gefeUfd^aftltd^en 3ltmofpl^örc auf fie. 67
SBelt tüufete td^ ni^ts gu fagen, felbft bie Sprad^c, bie man
bort rebete, war mir unbelannt; gejmungen, als grau mir
bie SKcnfd^en ju gemtnnen, üerftanb ic^ all' bie Slbftufungen
ber ©tgenliebe nid^t unb öerle^te, tt)o id^ gu [d^meid^eln glaubte.
S5Ba§ in ber @d)n)eig Slufrid^tigfeit genannt mürbe, l^ie§ in
5ßari§ 6goiömu§; SRad^Iäfjtgleit in Ileinen ©ingen marb l^ier
jur Unfenntnife beffen, ma§ jtd^ fd)irft; mit einem SBort, ba id^
nie ben redeten Zon fanb, burd)au§ nid^t fd^Iagfertig mar, burd^
meine eigenen, beftänbigen 3Rifegriffe eingefd^üd^tert mürbe unb
t)orau§fal^, bafe meine {ewigen "^btm jtd^ nie mit benjenigen
üerfetten mürben, bie id^ mir anzueignen l&atte, fo befd^lofe id^,
mein Keines Äa))ital auf SRimmermieberfel^en ju öergraben unb
ju arbeiten, um gu leben unb momöglid^ ein menig anjuf ammeln'' ^).
Seffer als l^ier burd^ jte, täfet jtd^ ber ©inbrud nid^t
fd^ilbern, icn 3Kabame SRedfer auf ©old^e mad^te, bie jte nur
oberpäd^lid^ unb burd^ meltlid^e Sejiel^ungen fannten, nnb bamit
läfet ftd^ aud^ am einfad^ften erflären, mie eS lam, bafe jte fo oft
falfd) beurtl^eilt mürbe; jte l^atte jtdf) in geiftiger Sejiel^ung
einer Umformung unterzogen, bei meld^er il^re natürli^en ®aben
unb Slnlagen fönftlid^ erworbenen ©igenfd^aften meid^en mußten.
Iteber biefer ebenfo unbanfbaren als mit peinlid^er Oemiffen*
l^aftigleit burd^gefüljrten Slrbeit büfete jte nid^t nur bie ©igenart
il^reS OeifteS, fonbem aud^ etmas üon ber Unmittelbarfeit unb
SBärme ein, mit benen il^r meines ©emütl^ unb leibenjd^aftlid^eS
^erg jtdE) l^ingugeben üerlangten. ®a jte gemal^r merben mufete,
bafe in ber Söelt, in meld^er jte lebte, aud^ bie beften ©efü^le leidet
mi^üerftanben unb üon ©pott nid^t oerjd^ont mürben, unb ba§ i^r
bie S^orm mel^r galt, als ber Snl^alt, gog jte jtc^ nad^ unb nad)
immer mel)r auf jtd^ jelbft gurüdf; eS mürbe etmaS ©teifeS,
©efünftelteS auS \i)x; gmar nid^t in il^rem innern SBefen, mol^I
aber in il)rer äußern 3lrt unb ©rjc^einung trat eine SBeränberung
^) Golowkin, Lettres etc., 400, Madame Necker ä Madame de
Brenles. Paris, 31 Aoüt 1771.
5*
68 ©influfe feiner gefeüfc^aftnc^en 3ltmofppre ouf fic.
ein, unb nur il^re näd^ften greunbe ttjufeten, xt)dä)t %k\t ber
ßmpfinbung jtd) unter ber anfc^einenben Äälte barg, ^nä) ba§
l^atte fie balb erfannt, bafe it)re weit über ba§ gemö^nlid^e
SilbungSmafe ber gtauen rei^enben Äenntniffe faum ein SSor^
tijdl toaxen unb il^r ben 9!JiangeI an fd^ergenber Saune, Sieg-
jamfeit unb leict)tem ßonöerfation^talent nid^t erfe^ten.
Sttjar gäl^lte ba§ XVIII. ^ö^r^unbert in granfreid^ fett
3Kabame ©acter nod^ mand^e gelet)rte iJrau, wie gräuleirt
be öa Sejarbiere, bte SSorgängerin öon Sluguftin Sil^ierr^, ober
bie ^l^ilologin Fräulein üon ©afd^auj:, üon b'Sllembert unb
ßonbißac gefannt unb l^od^gead^tet, beren tragifd^e ©efd^id^te
©iberot ergäl)It^); bie grauen aber, bie an ber @pi^e be§
gefettf^aftlid^en gebend in ^ari§ ftanben, ttjufeten im ©angen
wenig unb trieben gelehrte ßiebl^abereien nur mt feltene ©jrcen*
tricitäten^), wie g. S. bie junge ©räjtn üon ßoign^, bie mit
eigener ^anb fecirte, ober bie 9!Jiarquife üon ^olignac unb bie
©räfin üon Srencaö, bie ©Ijemie [tubirten unb mit SRoueHe bie
5luflöfung unb SSerpc^tigung be§ ©iamanten öerfudf)ten^).
Sie öerliefeen jtct) auf il^ren ®efd^macf, auf bie ©idEierl^eit il^re§
Urtl^eil^, auf ben 33er!el^r mit bebeutenben SWännem unb üor
SlHem auf xi)Xt Äenntnife ber Süienfd^en unb ber 3öelt, bie mel^r
au^rid^tete, al§ äße Sucher: „S)ie 2)ebication einer Orammatif
mir, bie id^ nid)t einmal bie Drtl^ograpl^ie fenne", rief 9!Jiabame
®eoffrin mit aufrid^tigem ©rftaunen, al§ einer il^rer SSere^rer
i^r ein fold^eS B^ic^cn ber ^ulbigung barbrad)te.
SJtabame SRedfer'ö Äenntnife beö Sateinifd^en unb ber SWatl^e^
matif, ober ber Umftanb, ba§ |ie, burd^ feinen Ueberfe^er
SJlorellet auf \i)n aufmerffam gemad^t, eine ber erften 5ßerfonen
in granfreid^ mar, bie Seccaria lafen^), fold^e SSorgüge tjatten
1) gflofenlranj, S)ibcrot'§ Seben unb 2öer!e, II, 307.
^) Taine, Origines de la France contemporaine. L'ancien regime.
') Goncourt, La Femme au XVIII Si^cle.
'*) Golowkin, Lettres etc. Madame Necker k Madame de Brenles,
Paris, 7 Novembre 1765.
©tnflu§ feiner öefeUfd^aftUd^en 3(tmofrl^5re auf fte. 69
geringen SßJertl^ in einer ©efettfd^aft, welker bie Äunft beö
SebenS unb focialen SSerfel)r§ al§ ba§ $öd^fte galt, bie einen
anä) nur leifen Sßerftofe gegen ben guten Son niemals, ba§
unter gefälligen formen jtd^ bergenbe Safter ftefe öerjiel^; ber eine
fd)Ied)t angebrad^te SRofette an feiner Äleibung genügte, um ben
fonft in 5ßariö fo populären ©uftaü IIL üeräd^tlid) in bie 3fieil^en
ber ^roöinjiaUÄönige ju üerfe^en, unb bie ein glüdlic^eö (gpi*
gramm ttjeit t)ö^er fci^ä^te, al§ mü^fam erworbene^ Söiffen. SBo fte
aber ein foId)e§ ^\ä) aneignen unb tiefer einbringen ttjottte, ba fanb
jte einen ©iberot, ber Älarl^eit unb Slnmutl^ bie bem weiblid^en
©eifte fd)ulbige ^ulbigung nannte, bereit, il^r feine pl^ilofopl)ifd)en
^bttn int ®ett)anbe be§ Steffen üon Siameau unb burd^ SSemiittlung
öon ijräulein öon rgfpinaffe ju üerfünben; ben 5ßefftmiömu§
ftubirte jte im „ßanbibe", bie (gnct)flopäbie felbft mufete fid^
lefen wie eine Untert)aUung§leftüre, unb aB ba§ unüermeiblid^e
@nbe nal^te, fam iJigaro, eö unter bem SSeifatt^fturm ber Dpfer
xijmn ju üerlünben. 2luf biefem Soben blieb ÜRabame nieder,
nad[) ben SBorten öon ©ainte^Seuüe, eine üerfe^te ^ange, bie
geiftig nie mel^r red)t SBurjel gu faffen üermod^te.
Umfonft fd^rieb fie 3lbl^anblungen über bie ^nft ber 6on=
öerfation, be§ focialen Umgangs, btn ©t^l, umfonft fteHte jte bm
@a^ auf, man muffe ftetS bie ^erfönlid)Ieit felbft, niemals it)re
blofee ©arfteHerin fein^); bie ßufd^auer liefeen ftd^ nid)t täufd^en
unb fül^lten, bafe eö bennod^ eine SioHe mar, bie jte fpielte.
@o fd^reibt SWarmontel oon il^r, „ben ^arifer Sitten fremb,
l^abe 3Kabame Steder feinen ber Sßorjüge einer jungen g^raujöjtn
aufgumeifen gel^abt; meber in iljren 3Manieren nod^ in il^rer
©prad^e fei etmaö oon ber Slrt unb bem Son einer in ber
grofeen SBelt unb unter bem ©influfe üon Äunft unb ©ultur
I)erangett)ad^fenen grau ju erfennen gemefen; ol^ne ©efd^mad
in ber Äleibung, ol)ne anmutl^igeS @id^gel)enlaffen in ber
Haltung, ol^ne geminnenben SReij in ber ^öflid^Ieit, feien il^f
^) Madame Necker, Melanges, III, 68.
70 (^nflu6 feiner gcfcHfd^aftlid^en Sltmofpl^äte auf fie.
@etft tt)ie \tjxt Setocgungen ju fünftlid^ gctocfcn, um gur ®ragie
jtd) ju crl^cben. Mt^", fo {einliefet er, „war prämebitirt- nid^tö
flofe au§ bcr Duette ober öermod^te ju täufd^en; e§ war md)t
ffir unö, e§ war ni^t für pd) felbft, ba^ fte atte biefe SRül^e
auf jtd) nal^m, eö gefdial^ für il^ren 2Rann, ber eö feiner grau
überliefe, bafür gu forgen, ba^ bie ßonüerfation unterl^alten
würbe" ^). ßitwjeilen aber üerftummte biefe bod), unb bann,
wenn 3Kabame 9ledEer ftd^ etwa§ natu barüber bei 5!Rarmontel
bellagte, erwiberte biefer: „Sftun, betrad^ten @ie einmal $erm
Sftedfer felbft; ift er öietteid^t atte Sage unterl^altenb?"
@rimm bemerlt gleid^fattö, wenn ber ©ialog ftodtte, l^abe
fte ängftUd^ unb unrul)ig in ben SSIidfen ber 3lnwefenben nad^
ber Urfad)e geforfd^t; wa§ fte barin üon ben Slnbern öerlangte,
war immer nod^ wenig, mit bem üerglid^en, waö pe felbft öon
pc^ forberte. 9ledEer fanb einft gufättig ein SRotijbud^, in
ba§ pe \tbm SJlorgen bie SSefd^äftigungen eingutragen pffegte,
bie pd) über btn Sag üertl^eilten, unb lad)enb la§ er il^r bie
©tette üor: »Relouer plus fort Monsieur Thomas sur le
chant de la France dans son Poeme de Pierre le Grand« 2),
9Jlan begreift, wie il&re alte greunbin bei einer fo vorbereiteten
Gonüerfation ba§ angenel)me ©id^gel^enlaffen üermifete, unb
ber urfprünglidE) oft fd)on unbeftimmte, unbeutlid^e ©ebanfe in
§olge be§ auferlegten 3wange§ nod^ unt)erftänblid)er ober über^
trieben würbe.
2lud) üon ®aliani ^aben wir eine @c^ilberung be§ @alon§
ber 9Rabame 9?eder: „(äö gibt feinen Freitag,'' fd)rieb er tl^r
aus SReapel, „bm 16) nid)t im ©eift bei 31^«^^ jubräd^te; id^
trete ein, id^ pnbe @ie entweber nod) bei ber Soilette, ober auf
3^rem SRu^ebett. gd^ fefee mid) 3^«^« gu ?5üfeen; Sl^omaö
leibet im ©tittcn babei, SKorettet beflagt pd^ laut, ®rimm unb
©uarb lad)en; @raf 6reu^ bemerft nid)tö baüon. @ö wirb
^) Marmontel, Memoires, Livre X, 397.
2) Baron Auguste de Stael, Notice sur Monsieur Necker, I,
XXXV, feinet (Einleitung ju beffen Oeuvres completes.
©aliant, SWoreKct unb ©rimm über ben ©alon ffltäex. 71
öemelbet, bafe ferüirt ift; bie übrigen ®äfte effen Slctfd^f ^^
fafte unb öergel^re fel^r üiel Don ben fd^ottifcf)en ßonferöen,
bie lä) mel)r liebe, al^ mir juträglid^ ift, wäl^renb Slbbe
SRoreUet einen Äopaunen gerlegt. 9lact) Sifd^, beim Äaffee,
fprid^t 2llle§ auf einmal ; 3lbbe Sia^nal f ommt mit einer ©ame
überein, \>a^ Softon unb baö englifd^e Slmerifa jtd^ für immer
öon (änglanb getrennt t)aben, unb jugleici^ üerftänbigen ftci^
föreu^ unb UJiarmontel barüber, bafe @retr^ ber franjöjtfd^e
^ergolefe fei; ^err 9ledEer finbet 3llleö in ber Drbnung, ftedt
t>m Äopf l^inein unb ge{)t fort . . . . ®a l^aben @ie meinen
greitag" ').
®a aber ©aliani, wie gefagt, einige ©d^erge nid^t untere
brüdfen fonnte, bie SJiabame 9ledEer ni^t billigte, fo befd^ränfte
fld^ feine ßorrefponbeng mit xi)x auf »enige ©riefe, unb mit
50?abame b'iSpina^ fpafete er in SSejug barauf : „9!Jiabame 5HedEer
merbe id^ lünftig burdC) meine Äanglei antttjorten laffen, id^
merbe platt unb glatt fein, mie ein Seiler öon SKabame ®eoffrin ;
fo ftrafe id^ bie lalte Haltung beö 3lnftanbe^.''
Sind) ÜRorellet bemerft, „\>a^ bie Strenge ber §au§frau bem
freien Slu^taufdC) ber ©ebanfen i^inberlid) geujefen, inbem SSieleS,
befonberö religiöfe fStagen nid^t biSfutirt werben burfte, wenn
jte antoefenb war ; bagegen i^abe jte f el^r gut über ßiteratur ge*
urt^eilt, xoixljxtnb SRecfer nidC)t§ barüber ju fagen unb nur juweilen
auf feine, pilante SBeife über ^ß^ilofopl^en unb ©d^riftfteUer ju
fd^erjen ppegte, bie, wie er meinte, öon feiner fStau ju })oä)
gel^alten würben; biefe berebete il^n il^rerfeits über feine @d^weig=
famfeit unb feine linlifd^en SWanieren, aber ftet§ fo, bafe er
babei erft re^t gur (Geltung lam" ^). ®rimm oerfünbete ber
fogenannten pl^ilofopl^ifd^en Äird^e, „bafe fte an ben iJreitagen
bei ©^wefter 3ledEer ftdE) eingufinben l^abe, weil fte il^re 5ßerfon
unb bie il^re§ ®emal)lö ju f^ä^en wiffe; baö ©leid^e laffe
') L'Abbe Ferdinand Galiani, Correspondance, I, 227.
2) Morellet, Memoires, I, 149.
72 Urt^cU ber grauen.
ftd^ leiber nid^t üom Äod) beö ^aufe§ jagen ^). 3Ba§ SRabame
9ledEer'§ Slnjtd^ten betreffe, fo fei fte aufrid^tig §ugenottin, @o*
•
cinianerin, ©eiftin ober üielmel^r, um irgenb etwas ju fein,
gum ©d^lufe gelommen, ftd^ über nid^ts me^r SRed^enfd^aft gu
geben'^ 2)^
Strenger urt^eilten, il^rer @ett)ol)nl)eit nad^, bie ijrauen
über SJiabame SRedfer. 3llS bte ©Ifäfferin, SSaronin Dberfird^,
fte in ©aint^Duen befud[)te, erl)ielt fte bm ©inbrudf, „al§ ob
ber ^immel, beöor er bie Seele öon SSKabame SRedEer mit tl^rem
Äörper öerbanb, juerft beibe in ©tdrie getaud)t l)abe", nnb
biefeö feitbem oft wieberl^olte SBi^ioort l^atte feinen geringen
©rfolg^). „^dj bin ein Snftrument, auf bem Sie üortrefflid^
gu fpielen wufeten", fagte einft ber l^od^beiat)rte Slbbe be ©aint^
^ierre, SSerfaffer be§ SSorfdtjIagS jum allgemeinen trieben, feiner
alten ^^reunbin, SKabame ®eoffrin. Sm ®egenfa^ bagu fd^rieb
aWabame S)u ©effanb an 2Balpole über bm Salon Dlerfer unb
über Sfledfer felbft: „@r Ijilft ben geuten nidht, il)re ©ebanfen ju
enttt)ideln, man ift einfältiger mit i^m, als aHein ober mit
Slnbern".
©inen grofeen ©influfe, felbft in literarifi^er aSejiel^ung, ^at
ber 3fledEer'f^e Äreiö nid^töbeftomeniger geübt; er gel)ört mit jur
geiftigen ^li^ftognomie ber gttjeiten Hälfte be§ frangöpfd^en ai)U
gel)nten 3cil)rl)unbertö^), unb einige ber befannteften ©pifoben
in ber ©efd^id^te ber Seit ftnb mit feinem Slnbenfen derfnüpft..
3n il^rem Salon mar e§, bafe SWabame 9ledfer oergebenS einem
auöerlefenen Slubitorium ben ®enufe ber erften ßefture beö
aReifterftüdfö üon Semarbin be Saint^^ierre ,,$aul unb SSir^
0 Grimm et Diderot, Correspondance litteraire, I, 9.
2) ©benbofcrbft, I, 333.
^) Baronne d' Oberkirch, Memoires, E, Chap. XIII.
*) Unter ben so^I^^^ic^^n ©arftettungcn, bie tl^n juni ©egenftonb
l^aben, f. aud^ tm Sfloman Philippe de Morvelle, öon Madame Augustin
Thierry ben 5lbfd^nitt: Le Salon Necker. Revue des Deux-Mondes, 1883,
n, 691.
fiitcrartf^e S3cbcutung be§ S'Zcdev'fc^en @alon§. 73
ginie" bereitete; ber SSerfaffer, bem jott)ol)l 5Recfer aU feine
^au il^re befonbere ©unft unb greunbfd^aft jugetoaubt l^atten,
tnufete eö erleben, bafe biefem ©belftein franjöjtfci^er $roja bei
feinem erften ©rfd^etnen fein SBertl^ gnerlannt würbe; alö ftc
33nffon einfdölafen nnb einen Slnbem lä^eln fallen, beeilten jtd^
einige anwefenbe 2)amen, il^re Sfiränen gn verbergen, unb ber
gioman fiel ©rft in ber legten Stunbe i^re§ a3eftet)en§, 1787,
machte biefe fd^eibenbe Söelt noct) il^r SSerfeljen gegen ba§ Söerf
gut, weld^eö fd^on einer anbern ß^'t angel^örte unb bie neue
(Spodjt in ber ßiteratur mit einleiten l^alf. 9lid)t minber be-
fannt ift bag 2)iner öom 17. Slpril 1770 bei 9)labame Sftetfer
geblieben, ju njeld^em fte 2)iberot, @uarb, bm 3Karqui§ be
ß^afteHuj:, ®rimm, be ©d^omberg, SRarmontel, b'Sllembert,
S;l)oma§, ©aint^Sambert, ©aurin, ^elüetiuS, ^ia^nal, bie Slbbeö
Stmaulb unb 3Korellet gelaben l)atte, unb bei bem auf 5lnregung
ber $auöfrau befd^loffen würbe, bem ^atriard^en üon geme^
burd) ^gaHe eine ©tatue errid^ten ju laffen. Ueber bie Sluf«
faffung, bie man üon Seiten beö Äünftlerö tt)ünfd)te, entfpann
ftd^ ein langer Streit, auf welken bie 9Serfe öon SBoUaire an
SRabame 9Mer auffielen, wie fte in gemilberter SBerfton in
aSeud^of^ Slu^gabe feiner SßJerle abgebrudft ftnb; in ber ur=
fprüngli^en gorm, bie ftd^ unter ©uarb'ö ^a:pieren wieber^*
gefunben t)at, lauteten jte anberö^). Unerad^tet beö l)eftigen
SBiberftanbe^, bem ber 33orfd)lag begegnete, fam er mit ^ülfe
wn Beiträgen be§ Äönig§ üon ©änemarf, Äatl^arintf^ unb
Sriebrid^'ö be§ ®rofeen bennod^ gu ©tanbe; auf ben 9?atf) öon
^) „Vous craignez, beautd d^licate,
Que ce Pigalle, trop ingenu
Ne me presente ä vous tout nu:
Mais pardonnez-lui, sMl me flatte.
„Quand son ciseau vous sculptera
Ne soyez pas si rench^rie;
Ou tout le monde lui criera
Otez-nous cette draperie.
74 3Rabatne 9ltätt eine äRutter bet Stirnen.
SDiberot, btm babci ein SSoTOurf ber Slntile öorfd^webte, fteHtc
^igaHe einen gewanblofen SBoltaire mit wunberbar lebenbigert
(Sejtdjtöjögen öon frctppanter ad^nlid^feit l^cr'). aufgcftettt
mürbe bie wie eine anatomifd^e @tubie aufgearbeitete ©tatue
übrigens nie; jte tarn fpäter in bm Sejt^ eines 3l^^m 3SoI==
taire'S, ber fte 1806 ber SSibliot^el be§ 3nftitutS fd^enfte, wo
jte nod^ l)eute fammt bem bort anfbettjal^rten $erjen be§ ^l)iIo==
foplÖ^n jtd) bepnbet^). Sluct) baran foß erinnert werben, ba^
bie „Salons", in ttjeld^en ©iberot für bie Äunft, inSbefonberc
für bie moberne Äunft in granfrei^ 3le^nlid^eS leiftete wie
Sefpng unb SBindfelmann für bie Slntife, öon SRiemanb fo fel^r
anerfannt nnb beiüunbert würben, als öon SSKabame SRedfer,
tt)elct)e jte im 3Kanuffript gu lejen pflegte, beüor fte burdö ©timm'S
»Correspondance« in gang ßuropa SBerbreitnng fanben. @ie
l^at il^nen baS üerbiente ßob gefpenbet, erft burd^ jte bie Äunft,
Äunftwerfe gu fel&en, gelernt gu l^aben^).
@in größeres ßob, als bie ßorrefponbentin üon SSoltaire^
bie iJtcunbin öon Snffon unb bie ÜRufe üon Sl^omaS gewefen
gu fein, ift eS für SWabame Sflecfer, SBerfe ber SRäd^ftenliebe unb
aSarml^ergigfeit geförbert gu Ijaben; nad^ if)rem STobe blieb
3ledfer ber Sroft, auf Jold^e, nic^t nur mit Eingebung, fonbem
Les gräces n^en eurent Jamals;
L^habillemeDt les d^figure,
Et vouloir cacher leurs attraits,
C'est un p^ch6 contre nature.
„Je consens qu^un lourd vetement
Couvre ma chetive machine,
Mais quant ä vous, objet charmant
Prenez la gaze la plus fine.**
Ch. Nisard, Memoires et Correspondances historiques et litteraires, 349,
Voltaire ä Madame Necker, Ferney, 15 Mars 1771.
0 Grimm et Diderot, Correspondance litteraire, I. 118, 164, 465;
III, 249.
2) Morellet, Memoires, I, 193.
3) SHofenlxana, S)iberot'8 ßeben unb SBcrIc, II, 135. Madame
Necker, Melanges. Lettres ä Diderot.
SRobamc 9ltdct eine SJiuttcr bcr 8(tmen. 75
audö mit au^gefprod^enem ßrfolg tl^eilö inö Sebcn gerufene, tl^eil^
wefentlid) geförberte Unternel^mungen öemeifen ju fönnen^).
6S toareu bie^ bte gemeinfam mit il^tt burd^geffil^rten SReformen
im ©efängnifetpefen jur Sefferung be^ Soofe^ ber ©efangenen,
wobei bemerft gu werben üerbient, bafe 9!Jiabame 3ledEer bie .erfte
war, welche gu biefem ßtotd bie ^ülfeleiftungen öon Drbenö*
fd^weftem in Slnfprud^ nal^m; il^re Sptigleit auf biefem ijelbe
war fo belannt, bafe Saöoijter, atö er fpäter im Sluftrag ber
Slfabemie ber SBiffenfd^aften ein 9?efomtproieft über biefen ®t^
genftanb aufarbeitete, feinen würbigeren 9lamen aB ben übrigen
feiner Slrbeit öorangufteHen fanb. ©as £oo§ ber ginbelfinber,
il)re Slufnal)me, ^Pege unb SBerforgung befd^äftigte fle gleid^fall^
öiel unb lange, öor Slßem aber ift it)r 9lame mit ber SReform
gu ®unften ber befferen ^ege unb Sel^anblung ber Uranien
in ben Spitälern in unüergleid^Iic^er SBeife öerlnilpft. Site fte
in bie ^auptftabt aller raffinirten Sebenögenüffe fam, l)atte man
e§ nodE) nid)t bal^in gebrad^t, in bm Äranfenpufem bie Patienten
in getrennten SSetten unterzubringen, fonbern je nad^ ber S^t
il^rer Slnfunft würben nad^ ber 9?eil^e ber ©d^werfranfe jum
SRelonüaleöcenten, ber Unpäfelid^e ju einem ©terbenben, ber üon
einem anftedenben Uebel Gefallene ju einem nur üorüberge^enb
©rfranften gelegt; bie entfe^Iid^ften ©cenen unb töbtlid^e ^n^
fälle ereigneten jtd^ atte S^age in biefen gefürd^teten Sitf^wd^tS«
ftätten irbifd^en@lenb§, in benen ba§ unglüdElid^e SKenf d)enmaterial
unter bm Singen ber Slergte nnb Äranfenwärter auf eine un§
l^ente glüdflid^erweife ganj unbegreiflich geworbene Slrt l^ingeopfert
würbe. 3Kabame 9ledEer, feit 3ot)ren auf biefe 3uftänbe auf*
merffam geworben unb nid^t umfonft eine ßanbömännin unb
SSere^rerin ber grofeen ©enfer Slergte unb SUtenfd^enfreunbe
3;rond)in unb Siffot, brad^te eö bai)xn, bafe unter bem erften
SKinifterium SRedfer ßubwig XVI. il^r bie nötl)igen %onb^ au§
0 Madame Necker, Melanges, I, Notice sur Madame Necker,
XXXV.
76 2)et ©rabiWof öon $ariö fd^enft \^x fein SBertraucn.
feiner ßaffette jur ©rünbung eiiteö flehten ©pitalö ann)ie§, ba^
jte grofemütl^ig unterftü^te unb weld^eS nod^ l^eute il^ren 5Ramcn
fül^rt; e§ l^atte Staunt für nid^t ntel^r alö l^unbertunbjwanjtg
Äranfe; SIRabame 9lecfer fd)lo^ einen Sßertrag mit ben barm^
l^erjigen ©d^xoeftern, wonad^ gwölf berfelben unter ber Seitung
beö Pfarrers öon @t. ©ulpice ben ©ienft bei biefen Äranlen
übernal^nten. S)ie Seitung beS Spitals felbft bel^ielt jte mn
1778 an wäl^renb jel^n Salären; auögefprod^ener 3^^d biefcr
©rünbung war, ben SeweiS gu liefern, bafe bie ^Pege ber
Patienten in getrennten Setten ganj tt)of)l ntöglid^ unb burd^«
fül^rbar fei, ol^ne ein beftimmteö, l^ierfür aufgefegtes Subget ju
öberfd^reiten. 9Jiabante 9leder löfte bie boppelte Slufgabe
ntenfd^lid^en ©rbarmenS unb einer weifen ©parfamfeit in foldf)er
3Beife, ia^ nid^t nur il^re 2lbftdC)t erreidC)t würbe, unb bie ein-
gefül^rte Sleuerung überall 9ladC)a]^ntung fanb, fonbern ßl^rtftopl^e
be Seaumont, feit 1746 (ärgbifd^of üon 5ßariS, berfelbe, ber
beftänbig im Streit mit 3^nfeniften unb ^ßl^ilofopl^en lebte, Der«
ftanb jtd^ fo gut mit SRabame 9Zeder auf biefem frieblid^en
©ebiet ber 5ßäd^ftenliebe, bafe er jte unb il^ren ©emal^l jur SEafel
in feinen ergbifdjöflid^en ^alaft lub, wa§ gu ©pottüerfen Slnlafe
gab, bie mit ber- SSiergeile fd^loffen:
»Mais en ce jour d'une indulgence teile,
Quel serait donc le motif important?
C'est que Necker . . . le fait est tres constant,
N'est janseniste: il n'est que Protestant.«
©er (ärjbifd^of tl^at felbft mel^r atö baö; alö furj barauf
bie ©tabt 5ßari§ in i^olge eineö gegen il^n verlorenen 5ßrojeffeö
bebeutenbe ©ummen auSgal^len mufete, übergab er mit aner^
fennenöwertl^er Soleranj 9leder ba§ ®elb mit ber Sitte, e§ nad^
feinem eigenen ©rmeffen für wol^ltptige Qtoedt ju üerwenben
unb nur bem Äönige 9ied^enfd)aft barüber gu geben ^).
^) Necker, Oeuvres compl^tes, III, 497 u. ff. Auguste de
Stael, I, CLIX bcvfelben Oeuvres comp. Henri Martin, Histoire de
France, etc. etc. etc.
©d^Iufebemerfung über fie. 77
®a§ tt)ar, it)ren »)efentUd)cn 308^^ ^^^ gcfd^ilbert, bie
Stau, ber cö 9lccfcr üornet)mltd^ ju ban!cn l^attc, wenn er, nad)
wenigen S^l^ren ber Qi)t, im SSerfel^r mit ber großen 3Belt
fowol^I, als mit ber niä)t weniger einpufereid^en SBelt ber gite^
ratur genügenbe 6injtd)t in bie SSerl^ältniffe gewonnen l^atte,
um auf bem gefäl^rlid^en SSoben üon 5ßariö Stellung gu nel^men
unb feinen Slntl^eil an ber mel^r unb mel^r ber ©eifter ftd) be*
mäd)tigenben ^Bewegung ju beanfprud^en.
^mtxtt^ ^flpttel
©ie Stellung, bie ftd^ 5ftccfcr aU ©cfd^äft^ntaitn errungen
tiatte, bett)og feine SSaterftabt ®enf, 1768 bie Seitung tl^rer An-
gelegenl^eiten in 5ßart§ feinen §änben anjuüertrauen; SUcder
übernal^m biefelbe, wie e§ im ®ef(i)äft§ftQl feineö officieUcn
2tnttt)ortfd^reiben§ an ben »magniflque petit ConseiU löci^t,
mit ber Sitte „um 9lad^jid^t für feine Jtalente" unb ol^nc ©el^alt
bejiel^en ju motten. 3)er Soften an jtd) toax fein fel^r wid^tiger,
aber er üerfd^affte il^m gutritt bei §of unb Pupgen SBerlel^t
mit bem erften SKinifter ßl^cifeul, ber il^n ))erfönli(iö fd)ä^cn
lernte unb lieb gewann. 5lecfer'§ einjige biplomatifd^e ©d^toierig«
feit in biefen Slnfängen feinet 2Birfen§ beftanb barin, ben @ifcr
feiner Siegierung für ba§ SBol^l ber fleinen Siepublif ju mäßigen
unb il^r begreiflid^ ju mad^en, ba^ bie Slngelegenl^eiten üon
@enf nur einen üerpltnifemäfeig geringen Slnfprud^ auf bie Qext
unb Slufmerffamfeit be§ franjöjtfd^en SJJinifterö erl^eben fonnten *).
Sin ©elegenl^eiten, ftd^ feiner Sßaterftabt nü^lid) gu ertoeifcti,
fel^lte eS übrigen^ niä)t, unb fpäter ba(i)te 5ßecfer gern an bicfc
erfte ©tettung alö an biejenige gurüdf, bereu ©rfolge il^m bie.
ungetrübtefte ©enugtl^uung öerfdjafft ptten^).
^) D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 84.
^) Baron Auguste de Stael, Notice sur Necker, I, XII bet Oeuvres
completes.
fUeder'S ©inhltt in bcn SBetiüaltungStatl^ bet oftinbiMen Som|)aönic. 79
©iefcr (ärncnnung folgte halb 9tecfef § ©ntritt in ben 3Scr=
tt)altungöratl^ bcr etn[t üon Golbert gegrünbctcn oftinbifci^cn
(Sompagnie, unb gttjar gerabe um bie Seit, ba bte 3legierung
bie ©jciftenj ber ©efettfd^aft bebrol^te unb, bieSmal im 5ftamen
be§ g^reil^anbetö, bie Privilegien berfelBen burrf) Slbbe SKoreHet
angreifen liefe. 5Recfer üeröffentlid^te gu ®unften ber Slftionäre
eine befonbere Sßertl^eibigungöfctirift; fte rettete bie ©efeHfd^aft
nic^t, bie 1770 burd^ löniglid^eS 3)efret aufgelöft tt)urbe, naä)^
bem fte fd^on feit 1754, burd^ bie Si^riWberufung üon ^upkijc
unb nodtj mel^r feit ber 1766 troKjogenen .^inrid^tung be§ un=
glücflid)en ©rafen gall^*2:ollenbal il^rer SWad^t^Sebingungen be=
raubt toax. 3)ie ^olemif gegen SOfioreHet bradC)te i^n gum erften
ySlal in SBiberfprud) gu ber ©oftrin ber Delonomiften unb be*
grünbete feinen JRuf al§ @dC)rtftftetter; ein 33rief t)on SKabame
5Reder fpric^t t)om ©inbrud be§ SKemoire, ba§ felbft auf ben
Soilettetifd^en ber ©amen ju finben toax: „^\)x befdC)eibener
SSerfaffer l^abe e§ nid^t mel^r gewagt, über bie Strafe ju gelten,
fo fel^r fei bie 3lufmerlfamfeit il^m jugewenbet gett)efen; ein
fd)meid^el^afterer ©rfolg laffe fid^ nic^t beulen" ^). ®ie Äritif
bemerfte fdC)on bei Slnlafe biefer (ärftlingSarbeit, bafe ba§ barin
gegeidC)nete 33ilb be§ muftergültigen ^anbel^l^errn auf Jliemanben
beffer aU auf 5Reder felbft pafete^).
3ugleid^ aber öerfud^te SRabame nieder in i^olge etneö
jener 3Biberfprüd)e, an weldjen ba§ menfd^lid^e ^erj unerfd^öpf*
lic^ ift, 9leder auf ber @dC)tt)ette be§ öffentlid^en ßebenö, wie
t)on böfer Sll^nung gewarnt, im 5ßamen be§ puSlid^en ©lüdeö
gurücfgul^alten. ©'^auffonüille tl^eilt ben ©rief mit, in weld^em
fte in il)rer paffionirten 3Beife il^m ben SSorfdjlag madbt: „6^
will mir fd)einen, mein lieber g^reunb, aU ptte id^ ©id^ nie-
mals fo fel^^ geliebt al§ je^t; ba^ ©efül^l, weld^eS mid^ an
®id^ fettet, burd^bringt mein ganjeö 2Befen; id^ lebe nur
0 Golowkin, Lettres etc., 363.
*) Grimm et Diderot, Correspondance litteraire, Juillet 1764.
80 BKabowte SRcrfer öerfud^t, il^n öom öffentlid^en 2chm aurüdfjulöalten.
nod) burd) ©id), id^ ffil^Ie ba^ ©afein nur in 3)tr; wenn id^
an mid) benfe, fo gefd^iel^t e§ ftetö in jtüeiter Sieil^e, «nb um
ju mir ju gelangen, ntufe id^ guerft bei 35tr beginnen. SBcnn
id) nid)t bod) bie Unbeftänbigfeit S)eine§ 6l)arafter§ türd)tete,
nid^t ein bettjegte^ geben ©ir notl^wenbig glaubte, fo fei
überzeugt, ba^ id) für ®id) gu aUen Dpfern bereit wäre;
id) jage e§ in öoKer 3lufrid^tigfeit , wenn ein ßngel erfd^iene
unb mir bie SSerftc^erung bräd)te, ba^ 3)u in einer SBüfte bie
gleid^en ®epnnungen wie im ^erjen t)on 5ßariö mir bewal^rteft,
fo würbe id^ 35ir ol^ne Älage unb t)iel(eid)t fogar mit greuben
baf)in folgen. SSRxx wäre e§ wiHfommen, nur burd^ S)td^ gu
atl^men unb gu genießen, unb mit einem üon bem ©einigen fel^r
öerfc^iebenen @efüf)l nel^me id) nur gejwungenen Slntl^eil an
allen 5Bergnügungen, bereu ®egenftanb nid)t ®u felbft bift.
3)a§ ift ber innerfte @runb meiner Seele unb ic^ lenne mid^
gut; änbern werbe id) mid) nid)t, fonbem bi§ jum Sob bem
SBa^lfprud^ treu bleiben: ,©u ober nid)t§'.
„SBage e§ nun, mid) nod) ber SSorliebe für Siteratur ju
bef d^ulbigen ! ©a§ ift nic^tö anbereö, tl^eurer greunb, alö ber
SReft einer ©ewo^nl^eit, bie id^ wegen beö mir angeborenen
2:t)ätigfeit§trieb§ unb barum bewal^rte, weil pe mir bie geerc
auffüllen ^ilft, bie ©eine Slbwefenl^eit bei mir gurüdHäfet ; aUein
©u wieberl)olft ben Sßorwurf ju oft, unb obwol^l ©eine ©orge
um mid) aud^ ©eine 3ärtlid)Ieit fteigert, fo jiel^e id) bennod^
üor — mit gittem unb Seben fei eö geftanben — , mid^ weniger
geliebt unb ©id^ glüdflid)er ju wiffen. @o ftetle id^ ©ir benn
meine Sebingungen : ©obalb ©u auf immer bie oftinbifd)c
ßompagnie aufgegeben l^aben wirft, üerfpred^e id^, im ^^aH ©u
e§ wünfd)eft, nid)t nur ^^enelon, fonbern allen meinen fonftigen
literarifd^en Sefd^ftftigungen gu entfagen. Sd) !ann nur auö ganjer
Seele wünfd)en, e§ möge ba§ Dpfer, weld)eö id) oon ©ir oerlangc^
©ir ebenfo wenig Ueberwinbung foften al§ mir ba^ meinige;
benn, tl^eurer greunb, ba§ ®lüc!, weld^eö id)*an ©einer Seite
geniefee, ift juweilen burd) Sefürd)tungen, wenn aud^ nur leidet,
9?crfer aielöt M auö ^em SSanfgefd^üft aurütf. 81
fo bod^ getrübt, ©eine Stimmung ift niä)t fo beftänbig atö
bic meinige, manchmal öerfennft ©u S)id^ felb[t; bic SBelt unb
bie ®cfd)äftc jtnb S)ir notl^ttjenbig. 3)u pnbeft bei mir ben
S:roft unb bie ^^reube Seinem gebenö, aber iä) genüge S)tr nid^t
ganj; öieHeid^t, eine§ Stageö .... SOleine lieber [träubt fxä),
ju öoDenben. 3ld), fottte idj S)ir jemals weniger tl^euer fein,
id^ tt)ürbe btn Sßerluft ©einer Siebe nid)t überleben, benn id^
füt)le, bafe idC) nur mel^r eine Seele l^abe, unb ba^ ift bie
©eine; id^ mufe ©id^ lieben ober fterben.''
6§ erging SKabame $ßerfer wie fo mandf)en Slnbem; ben
Stein, ben Ite inö 9ioHen gebrad)t l^atte, üermoc^te jte nid^t
mel)r oufgul^alten. S^re gefammelten @d)riften entl^alten nidjtS
über i5enelon, aber nieder ergab jtd^ ber ^olitif.
Äurg nad^ Sluflöfung ber oftinbifd^en ©ompagnie brad^te er
ben 5ßlan, auö bem Sanfgefd^äft ju jd^eiben, gur ^luöfül^rung ;
er trat ju 3lnfang be^ Sal^reS 1772 mit einem Saarüermögen
öon jteben unb einer l^alben SKiDion Siüreö jurüd, ol^ne jtd^
irgenb weld^en Slntl^eil an ben ®efdC)äften üorjubel^alten, beren
geitung fein Sruber be ©erman^ unb ®irarbot übernal^men.
SÄit le^terem trat einige Saläre fpäter ber ©ol^n be§ großen
^i^ilftologen, Sllbert oon ^aller, an bie ©pi^e be^ Sanll^aufeö,
weld^eö unter bem ßonöent unb bem ©ireftorium ftd^ in
fiil^ne Unternel^mungen einliefe unb unter SSonapartc bie 33er*
proüiantirung ber italienifc^en 3lrmee ant»ertraut erl^ielt^).
Sfieder pPegte oft gu fagen, wie leidet eö aud^ il^m gcwefen
wäre, bei feiner genauen Äenntnife be§ europäifd^en @elbmarfte§
fein aSermögen nod) fortwäl^renb ju üermel^ren, aber er jog e§
öor, mit nun ooHenbeten üiergig Salären feinen eigenen 5fteigun*
gen ju leben, ©eine Uneigennü^igfeit unb ©leid^gültigfeit in
biefer a3egiel)ung waren fo aufridC)tig, bafe feine ^an bejeugt,
fte l^abe oon jenem Slugenblid an bie ganje aSerwaltung be§
0 Revue Suisse, 1856, 658 u. ff. unb „S)ie Seitgenoff en«, So^tgänge
1816—1817 u. 1818—1819. SBb. I u. IV.
»lennerl&aftett, 5rau »on ©taei. I. G
82 ®cine ©enfrcbe auf Norbert.
großen, SKiHioncn bctragcnben 58ermögen§ in bie ^anb nel^mcn,
faufcn, ücrfaufen, pad)ten, bauen, abminiftriren muffen, ol^nc
ba§ jte i^n anä) nur baju bringen lonnte, biefe ©efd^äfte mit
il)r ju befpred^en. „®o," fügt jte t)inju, „fei e§ fd^Iiepd^ ju
bem fomifd^en Slefultat gefommen, ba^ bie Untergebenen, getööl^ttt
SlHeS mit ber ^auöfrau aKein gu orbnen, ba§ üoKftänbige
^eml^alten $ßeder'§ feiner Unfenntnife in finanjieHen ©ingen ju^
f daneben" ^). ®iefe ®eringfd)ä^ung be§ ®eIbeS ift ein großartiger
3ng bei 9lecfer, ber manche @d^tt)M)en aufwiegt.
®ie näd^fte 5rud)t ber ^Jiufee, bie er fid) üerfd^afft l^atte,
tt)ar ber (äffa^ auf ©olbert, ein »Eloge« nad) l^ergebrad^ter
©itte, burd^ meldten S^eder um btn l^ierfür üon ber Sifabemic
aufgefegten 5ßrei§ fonlurrirtc, im er aud^ erl^ielt. ®iefe Slrbeit
gewann baburd^ an Sebeutung, ba^ jte eigentlid^ ba^ war, waS
nad^ unferer l^eutigen parlamentarifd^-politifd^en ^l^rafeologic
eine SWinifterrebe genannt wirb, nur ba^ pe, ftatt an eine
Äammer, an ba^ ^ublifum ftd) rid^tete; jte befd^äftigte jtd^
nid)t nur mit ßolbert'ö 3Birfen unb SJerbienften, pe gab guglcid^
eine ©d^ilberung ber Sl^ätigfeit unb ©igenfd^aften eineö ^nang«
minifterö unb fteUt fo an ben Slnfang einer politifd^en Sauf*
bal^n ba§ Sbeal ftaatSmännifd^en SBirfenS, mit bem Saüe^^ranb
bie feinige abfd^lofe, al§ er furj t)or feinem Sobe für biefelbe
aiabemie ba§ gob eine§ ßoDegen jum ^rotot^p feiner 3luf*
faffung eines TOinifterö ber auswärtigen Slngelegenl^eiten um=^
geftaltcte^). Slud^ auf ben fd^on berül^rten ®egenfa^ ju bm
Defonomiften fam nieder jurüd, inbem er ben ^auptfel^lcr beä
S^ftemS t)on OucSna^ unb ber ))l)^jtofratifd)en ©d^ule, il^re
tl^eilweife Sßemad^läfftgung üon §anbel unb Snbuftrie im (Segen»
fa^ gur ßanbwirtl^fd^aft, als einjiger OueHe beS 2Bot)lftanbS^
]^erüorl)ob unb in ber großen g^rage bcS SiagS, ber ^reigebung
') Madame Necker, Melanges, II, 372.
*) Talleyrand, Eloge de Reinhardt, prononce ä rAcademie fran^aise.
1838.
Stnötiff sRedet'8 gegen bie Defonomiften. 83
bc§ ®ctrctbcl)anbcl§, Serüdfjtd^tigung wn 3cit iittb Umftänben
im ®egenfa^ gut rüdjtdötölofen ©urd^fül^rung etne§ abfoluten
@i)ftcm§ cntpfal^L ®tc ^crauöforberung blieb nid^t unemibert,
€ö begann eine literarifd^e %t^bt, an ber jtd^ bie l^eröor*
tagenbften Defonontiften gegen 5ftecfer betl^eiligten. ®ie üon
©aliani üerfpotteten beiben öfonomiftifd^en 8lbbe§ Seaubau unb
aftoubaub, tt)ie anä) ©onborcet unb ©onbiHac traten gegen il^n
in bie ©d^ranfen unb ba§ um fo l^eftiger, alö il^re ©oftrinen
gerabe burd^ eine Slieberlage gegangen waren. S)aö aRinifterium
©l^oifeul l^atte feit 1763 bcn Äoml^anbel im Snnern be§ 3fleicl)§,
ein 3al^r fpäter aud^ nadC) Slufeen freigegeben; mel^rcre 9Hife=
jai^re unb öerfd^iebene anbere ßalamitäten bewogen iebod) ba^
^arifer Parlament, mit (äinwiHigung üon ßl^oifeul unb beö
neuen i5inanjminifter§ Jterra^ verrufenen 8lnbenfen§, 1769 unb
1770 bie alten aSefd^ränlungen unb enblid^ ba^ 3Ronopol felbft
lieber einjufül^ren unb bie furj voriger nod^ fo laut geprie[ene
^cil^eit beö Äoml^anbelö in ebenfo übertriebener 2Beife für
alle§ l^crrfdC)enbe 6lenb üerantwortlid) ju mad^en. 35ie Oefo«
nomiften meierten fid) energifd), aber wie fd^on bemerlt, fd^rieben
fte fd^led^t unb plaibirten für bie ®ad)t ber Sßemunft unb (ärf al^rung
in fo fd^werfäDigen ©d^riften, ba^ unter Slnbern Stouffeau ftd^
nid^t entl^alten tonnte, feinem i^reunb unb ©önncr, bem alten
DKarquiö öon 9Jiirabeau, ju fd^reiben: „Sieben @ie mid^ ftetö,
aber fd^iden @ie mir feine Sudler mel^r" ; er tjerpdjerte, nid^t^
baöon gu üerftel^en. 2Rirabeau felbft meinte feinerfeitö öon
5turgot, er l^abe »le coeur droit et Vesprit gauche« unb fei
<in tugenbl^after Träumer. ®a fiel plö^lid^ in biefe bürrc
^olemif wie eine S3ombe bie ©d^rift üon Slbbe ©aliani »Dia-
logues sur le commerce des bl^s«. ^l)x 3Serfaffer l^atte in
tjolge einiger SBi^e, bie ßl^oifeul auf jtd^ gu begiel^en äße Ur*
ja^e l^atte, ^ari§ mit 9leapel üertaufd^en muffen, fein 3Sta^
tiuffript aber war in ben Rauben öon SDiberot geblieben, üon
\oo e§ in bie ©rucferei wanberte. „@§ ift nid)t fo fei^r ein
33ud) über ben Äornl^anbel alö ein SBerl über bie 3fiegierungS*
84 @^aliani'd „Dialogues sur le commerce des bles^.
fünft/' meinte ©aliani, „man mufe jtt)ifd)en ben S^xUn baxin
ju lejcn öcrftel^en". S)a§felbe läfet [\ä) wn jo jiemlid^ aUcn
bebeutenbcn a3üä)em ber jttjetten ^älfte be§ a(i)tje]^ntcn Sal^r*
l^nnbertö fagen. @(l)on feit ben, 1721 erfd^ienenen »Lettres
persannes« barg pd^ alle möglid^e ßontrebanbe unter anfd^einenb
t)armlofen Sitein mit ber obligat geworbenen Staffage üon
(St(inefcn, Werfern, |)uronen unb Sanbleuten auö ©d^weigcr
Sb^Ken.
Sind) ®aliani lonnte faum ben SSornjanb erwarten, um in
ben „langweiligen, gel^eimni^oollen, f^ftematifd)en unb bogma-
tifd^en Son'' ber $]^i)jtoiEraten im SlHgemeinen unb feines
^reunbeö SKoreHet inSbefonbere einige Slbwed^felung ju bringen.
6r trieb bie @ac^e l^alb im ©rnfte, l^alb im ©pafe, würbe be§«
l^alb t)om überjeugungötreuen Surgot eineö frioolen ©lepticiö«
mu§ befd^ulbigt, bered^nete jebod^ bie Situation gang rid^tig^
inbem er öorauöfal^f ^^^ ^^^ fd)weigfamen, fc^werfäDigen Slccter^
ber nur mit S'ff^^ ^^^ ®aten fid^ ju öertl^eibigen wu^te, bie
leid)ten SBaffen ber ©attjre unb ber fd)onung§lofe Singriff bc§
@egner§ gu |)ülfe eilen mußten i).
„@inb (Sie (äjrportift, ja ober nein", fragt ber 5IRarqmS
ber „©ialoge" gleid^ bei SSeginn berfelben bm ©öeöalicr
3anobi, unter bef[en SIBaöIe ©aliani fprid)t: „Sd^ bin baffir,.
ba§ nid^t beraifonnirt werbe", unb biefer antwortet: „®er &f^
port ber gefunben SSernunft ift ber einjige, ber mid^ ärgert".
»On n'a Jamals lete si plaisant ä propos.de famine« fd^riefr
SBoltaire an 3Rabame 9?eder, bie il^m ba§ Sud) ®aliani'§ ge»^
fd^idt l^atte; feine ©orrefponbenj mit 3Kabame b'ßpinai) ent*^
l^ält beinal^e Sag für Sag bie gange ©efd^id^te be§ Sud^ö,
beffen ßrfolg ein glängenber war: „^anurge," fc^rieb i^r einmal
ber Slbbe, öon 5IJlorellet f))red)enb, ben er fo getauft l^atte,
„^anurge l^at gel^n Saläre lang mit un§ gefpeift, unb, eö fet
^) Perey et Maugras, Correspondance de PAbbe Ferdinand Galianu
Oaliani, ses amis et son temps, XXXI.
0?edet'S Sud& üBer ,,®cfe^QcBunQ unb $anbel mit betreibe". 85
bcnn, ba§ fein Äopf in S93aä)§tu(i^ ftecftc, in bicfcn gel^n Salären
muffen bo6) einige ^tropfen 5!Ruttertt)i| unb 5ß]^iIofop]^ie burd)*
geftcfert fein".
aSergebenS l^atte 5!Rorellet eine ©egenfd^rift in SSereitf d^af t ;
^bbe SEerra^ Derbot il^m, jte erfd)einen ju laffen, unb ßl^oifeul
war gefaKen, wie in ben legten Salären ber ^Regierung gub=
U)ig'§ XV. bie SKinifter ju fallen pflegten, burd^ eine ^ntrigue
ber Sßabame bn Sarr^. 2)a trat abermals SRecfer mit bem
Sudö ö6^^ „®efe^gebung unb §anbel mit betreibe" in bie
©d^ranfen, tt)eld)e§ fid^ bcfonberö baburc^ öon feiner ©d^rift
über ©olbert unterfdC)ieb, ba^ eg nid)t mel^r, wie biefe, Dppo=
fttion gegen bie Dppoption, b. 1^. gegen bie unter Serra^ in
Ungnabe gefaKenen, fonbern gegen bie je^t in ber ^erfon
üon SEurgot an§ Siuber gelangten Defonomiften mad^te. 9(m
10. 9Wai 1774 war bie Seiche be§ alten ÄßnigS unter im Sn=
fulten bc§ 5ßöbel§ unb ol^ne iebe§ ©epränge nad^ ber ©ruft t)on
@t. ©eniS gebrad)t worben ^), unb bie ^Regierung be§ noc^ nid^t
gwanjig Saläre alten Subwig'ö XVI. l)atte begonnen.
©oöiel bereits über ba^ adjtjel^nte Säl^rl^unbert gefagt
worben ift, wäre immer nod^ SRaum für ein SBerf, weld^eS ba§
©ünbenbefenntnife ber abfoluten 9Konard^ien auS i^ren eigenen
ateformbeftrebungen barjuftellen unternäl^me. S^x ©urd)fül^rung
berfelben wanbten pd) bie SÄonard^en t)on l^alb ©uropa je^t an
bie frangöjtfd^e 5ß^ilof opl^ie ; al§ ber erfte unter biefen 3nter=
nationalen ging SSoltaire nad^ ^otsbam; 6onbittac unb SKabli)
crgogen wäl^renb gel^n ^Qi)xm ben ^^f^nten üon Sßarma, t)er=
faxten für il^n einen ©tubienplan in fed^jel^n SSänben, unb
Wählt) üerfagte eS ftd^ nid^t, ben fleinen italienifd^en ^rften
wieberl)olt baüor gu warnen ,,ein gröberer wie 6t)ru§ ober
8lle;ranber gu werben''. 3ln biefem pl^ilofopl^if d^en ©rgiel^ungS*
ejrperiment ging ber Snfant moralifd^ gu ©runbe^); eS oer=
^) aj^crfioürbige S)etaUS barüber Bei Barbier, Journal. Sal^tg. 1774
^ Geffroy et Arneth, Marie Antoinette. Correspondance secrete
entre Marie Therese et le Comte de Mercy-Argenteau. I, Introduction, XXI.
88 ^urgot'ö ?JIäne. — (Seine SCbneigung gegen bie Parlamente.
©icfcr lange Äam))f gegen Untt)iffenl^eit unb Srmutl^ auf
ber einen ©eite, auf ber anbem gegen eingerojlcte Sfiouttne,
§abfud)t, ©tanbeööorurtl^eile unb für unantaPar geltenbc ^=
üüegien bauerte breijel^n Saläre lang unb ffil^rtc gu bcm Der*
l^ältnifemä^ig gering erfc^einenben JRefuItat jener gered^teren
aSertJÖ^Iung ber Steuern unb Saften atter Sfiid^tprioilegirtcn, über
weld^e, fo xoit bie S)tnge einmal lagen, aud^ bie »ol^Igemcinteften
Slnftrengungen ))ptc^ttreuer unb fluger abminiftratoren nid^t
l^inauS nxä)tm, wenn pe ber unbanfbaren 2lufgabe fid^ unter*
gogen, bie @ad)e ber fleinen Seute gu ber übrigen gu mad^.
Sl^eoretifdö aber lam Sturgot babei mit beinal)e allen ^oblemen
in Seritl^rung, bie gu löfen bie ßonftituante, „feine Slad^«
folgerin", wie man fte genannt l^at, unternal^m *).
©er Sntenbant t)on ßimogeS wollte fd^on bamatö @tnffi^=
rung einer bireften ©teuer, 3lblöfung ber geubalrec^te, teligiöfe
Solerang, eine ßonftitution auf ®runb ftufenweife einguful^rcnbcr
©elbftüerwaltung ber ©emeinben, Greife unb ^roüingen, burd^
eine, ben beft^enben Älaffen entnommene Sßeriretung, ol^ne Unter*
fd^eibung ber ©tänbe^); bie gefe^gebenbe ©ewalt concentrirtc
er in ben ^änben be§ Äönigö. ®er 9Kann, htm fonfi l^cftigc
Ungebulb unb Ueberftürgung in ber 2lu§ful)rung feiner $ldnc
Dorgeworfen morben ift, wollte ba^ Soll langfam unb f^flc-
matifd) gur ©elbftöerwaltung l^eranbilben; bei bem ®rab ber
Vorbereitung wenigftenö, weld)en bie SBilbung jener Sage gc*
wäl^rte, erfd)ienen il^m „gal^lreid^e SBerfammlungen als bie ^eft
ber aSemunft"^).
S)ie aSeftimmung, bafe ein perfönlid^eö, ober burd) SSer*
einigung ber notl^weubigen Slngal^l Heiner aSeft^er ergielte^ reine«
einlommen t)on 600 giöreS je eine SBa^lftimme öerliel), biefc«
©infommen aber ber (ärtrag be§ Sobcn^ fein mufete, war nid^t
0 Mastier, Turgot, 148. Foncin, Ministere de Turgot, 551.
^ Jobez, La France sous Louis XVL Droz, Histoire de Louis XVI,
I, 146.
^) Turgot, Oeuvres completes, 534.
Sutöot'S aUcfomten. 89
nur ein Slu^Pufe bcr p]^^ftofrattfd)en gel)ren, für bic felbft ein
^au§ nur infofern Scft^ im ctgcntlid)cn Sinne war, ate ber
SBertl^ be§ öon bcmfelben bebedften ©runbeö babei in f3ttxaä)t
tarn; biefe Seftimmung entfprad) aud) ber perfönlid^en, no^
1777 i)on ßonborcet get^eilten Slnftd^t, ba§ ber tiöd^fte SSort^eil
ber monard)ifd^en Drbnung in ber ®urd)fü]^rung eine§ fonfe^
quenten @^[tem§ ol^ne bie Slotl^ttjenbigfeit beftcl^e, einen Sl^cil
beSfelben beftänbig jur Gewinnung öon SSJäl^lern ju opfern^).
Surgot war 47 gal^re alt unb fd)on in feiner äußern (är*
fd^einung, mit BÜQen, bie an bie ebelften ©d^öpfungen ber 3ln=
tife erinnerten, eine ^ßerfönlid^feit, bie, nad^bem man i^r einmal
begegnet, nid)t leid)t wieber ju öergeffen war, al§ Slbbe be
aSerr^, fein i^reunb unb Sßerel^rer, i^n ber §erjogin b'@nüille,
biefe il^rer greunbin, TOabame be 3Ramtpa^, unb SRabame
be ^Ulaurepaö i^rem SKann empfal^l^). @o würbe Surgot juerft
SUlarineminifter unb am 24., 26. Sluguft 1774 gontröleur-g^neral,
b. t). i5inang= unb ©taatSminifter für bie meiften inneren 5ln*
gelegenl)eiten. „SBenn ba^ ®ute je^t nid)t gefd)ie]^t,'' fd)rteb
b'SlIembert an g-riebrid), „fo mu§ man barauö fd)Ue§en, bafe
ba^ ®ute unmöglid^ ift." „®iefer 9Jiann," fd^reibt einer feiner
Siograpl^en, „erl^ob ben 6f)rgeij unter bic Siugenben." ©eine
©mennung galt alö eine ßonceffion an bie ^l^ilofopl^ie, weil er
mit einigen il^rer Sbeen ftd^ begegnete, in religiöfen ©ingen bie
Soleranj, in wirtl^fd)aftlid)en unb abminiftratiöcn i^ragen ben
Sieg ber l^umanitären ^rincipien, in ber ©rjiel^ung bie all-
gemeine Verbreitung ber SSilbung erftrebte.
©agegen ftanb feine ))olitifd)e 2)octrin, bie nid)tö anbere^
al§ SReform beS Seftel^enben wollte unb, ftatt jtd) in geföi^rlid^c
Utopien gu oerlieren, mit ben gegebenen SScrl^ältniffen red^nete,
im auSgefprod^enften ©egenfa^ gu ber reoolutionären JDoctrin;
felbft bie fd^limmften ^Äifebräuc^c wollte er nid^t abgefd)afft
1) Condorcet, Vie de Turgot, 145—146.
^ Montyon, Particularites sur les Ministres des Finances de France,
174. Foncin, Ministere de Turgot, 41.
90 Siurgot'ö ^Reformen.
wiffen, o^nc ©icienigen, bie 9lu^cn barauS joßcn, bei äufl^ebung
berfclbcn cntjprcc^enb ju cntfd^äbigcn ^).
31I§ man Subwig XVI. baburd^ gegen il^n einjunei^men
fud^te, bafe mau il^n alö ßnc^Mopäbiften bezeichnete, entgegnete
ber Äönig jur greube tjon aSoItaire: „&x i[t ein el^rlidjer 9Äann,
unb ba^ ift mir genug". »oUftänbig Aar mit jtd) felbft über bie
Siele [einer Slbminiftration, mar Surgot e§ nid^t weniger über
bie SKittel, fte ju erreid^en; mie fein Seigrer Queöna^ unb mel^r
ober meniger alle Defonomiften, öermarf er, vorläufig menigftenS,
ia^ complicirte ^iäbermer! be§ conftitutioneHen @i)[temö unb
ber Sl^eilung ber ©emalten, um jur ©urd^fül^rung feiner Päne
an bie unum[d^ränfte föniglid^e SKad^t ju appeHiren. Sn bem
grofeen Äantpf gegen bie priüilegirten ©täube, alfo ben ßleruS,
infofern er ju biefen gel^örte, bm Slbel, bie ginancierö unb aUe
mit il^nen gufammenl^ängenben Sunctionäre, bie Sntenbanten
unb bie oon Surgot gang befonberö oerad^teten Parlamente
red^nete er auf ben Äönig aHein; bie SBorte: „®cbt mir fünf
Saläre eines ooUftänbigen JDefpotiömuö, unb granfreid^ ift ge»
rettet", werben i^m in ben SRunb gelegt. Uebereinftimmenb
bamit lautet ber ©d^lu^fa^ feiner erftcn ©enffd^rift an änb-
mig XVL: „gc^ gä^le auf ©ure SRajeftät ))erfönlid^, auf ben
e^rlid^en, guten, geredeten 5!Renfd)en, mel^r nodf) aU auf ben
Äönig". 6in aufgeflärter ©efpot unb ein beffer erjogeneS, über
feine magren 3ntereffen aufgeflärteö SSolf, »un peuple neufc,
„baö erfte ber 35öl!er", mie er eö im ©ntmurf für ba^ Unter-
rid)t§mefen, ber fd^on bie mic^tigften SBeftimmungen oon SRapo*
leon'ö fpäterem DrganifationSplan enthält, bem Äönig gu fd^affen
oerfprad^, bie[eS Sbeal f darnebte Surgot oor; gleid^oiel für
feine Sptigfeit alö SWinifter, ob er barin ba^ le^te SBort feiner
(StaatSlunft überl^aupt, ober nidjt üielmel^r, mie aRand^eS in
feinen ©d^riften unb fo SSieleö in feinem ganjen SBefen anju^
beuten fd^eint, nur ein Uebergangöftabium ju Sßerl^ältniffen fal^,
0 Foncin, Ministere de Turgot, 548 — 549.
Surgot'S ^Reformen. 91
unter bcnen anbcre 6tnrid)tungcn tnöglid^ unb wünfd^enSwertl^
fein würben. Surgot unb bie Defonomiften mit il^m ftanben barin
md)t aßein, fanbem jte vertraten eine 3fiid)tung, bie, nad^bem
jte einen Stl^eil beö ad^tjel^nten Sa^rl^unbertö fo gut wie au§*
fd)He§lici^ bel^errfd)t l)atte, im geitgenöfjtfcf)en tJrantreid^ nod)
immer öiele Sln^nger gäl^lte. SBenn Surgot bem ©ouoerän
mieberl^olt, „fo lange er an ber ®ered)tigleit feftl^alte, fönne er
jtd) alö unumfdjränften ©efe^geber betrad^ten unb auf feine
treue Station gur Slu^fül^rung feiner Sefe^le redinen"^); wenn
er in ben ©riefen über bie Solerang bemerft, „bie S^rannei
eine§ ©injigen öermöge ein 3SoIf ju unterbrücfen, aber nid)t
weniger unb auf nid^t minber ungered)te SBeife tonne baö aud)
burc^ bie ^errfd)aft ber SKaffen gefd^el^en'' 2), fo lonnte er jtd^
babei auf einen oft citirten SSerö ber „.^enriabe" berufen, in ber,
bei 2lnla§ ber 3SerfammIung ber ©tänbe gu Sloiö, gefagt ift:
»De mille deputes Teloquence sterile,
Y fit de Cent abus un detail inutlle,
Gar de tant de conseils Teflfet le plus commun
Est de voir tous nos maux, sans en soulager un.«
2öie benn SJoltaire überl^aupt eine 3flet)olution, nid)t wie
gur Qtxt t)on ßut^er unb 6alt)in, fonbern in ben Äöpfen ber
SRegierenben öoHjogen wiffen wollte''^). 6in Sieblingöcitat ber
»Correspondance litteraire« ift ber 5Berö öon $ope:
»For forms of government let fools contest
Whate'er is best administered is best.«
®ie bemolratifd^e ©epnnung beö ööflig reöolutionirten, ver=
fönlid^ gegen bie ©efeHfd^aft empörten 6{)amfort l^inberte i^n
um fo weniger, geringfd^ä^enb ju fagen: „®aö publicum! ba§
^) Turgot, Oeuvres completes, Edition Daire, II, 549: Memoire sur
les MuDlcipalit^s.
2) Turgot, Oeuvres completes, Edition Daire, II, 681.
^) A. Sorel, L'Europe et le Revolution fran^ise. Les moeurs poli-
tiques et les traditions, I, 101. Voltaire ä d'Argenson, 1769 unb SBoUairc'S
SJrtilcI: Lois civiles et ecclesiastiques abgcbrudft im Dictionnaire philosophique
unb »icbcrgebrudCt ciU Cahiers de Voltaire aux Etats g^neraux.
92 ©c^loicrigfeU^n, bie fic^ il^m cntgcgcnftetten.
publicum ! wie öiele 2)ummlövfe gcl^ören bagu, um ein publicum
gu maci^en!''; unb ®rimm fd^rieb 1774, mit Sejug auf SRaqnal:
,,Um tt)a§ l^anbelt e§ jtd^ benn eigentlid^? bod) barum, ba§
man glücflid^ fei; bie SBenetianer ftnb glürflid), alfo fft aud^
il^re 3fiegierung gut genug für jte" ^). ©erfelbe ®rimm jögcrtc
aber aud^ nid^t, ate ^xoed öon Äatl^arina'§ ganjer ©taatö-
funft gu begeid)nen, „bie ©runblagen be§ ©eöpotiSmuö gu
untergraben unb il^ren 3SöIfern mit ber S^it i^ci^ ©effil^I bcr
^rei^eit gu geben", worauf er nid)t aufteilt, il^r SRegicrungS-
fqftem mit bem öon Siedfer gu öergleidien^). 5)Zoc^ weiter ging
Singuet, Slbbocat unb ^ublicift, ein t)erneinenber unb ejrtremer,
aber bod) gumeilen fd)arfer, l^eHer Äopf; er grünbete 1774 bie
ßeitfd^rift, in weldjer er ^Religion unb §ßl^ilofop^ie, Siegterung
unb ^Parlamente, Sftouffeau unb ^Montesquieu, baö fjür unb
SBiber, mit gerfe^enber Äritif angriff unb in feiner „SEI^corlc
ber bürgerlid^en ©efe^e'^ nid)t nur ben orientalifd)en ©eSpotig^
mu§, fonbern ßeibeigenfd)aft unb felbft @flat)erei als ber @e*
fellfd)aft unentbel^rlid^ unb malfre ®leid)^eit nur als unter einem
S^rannen möglid) er!(ärte.
3n engem 3ufammenl^ang mit feiner Sluffaffung beffen,
was ^rantreid^ 9lotl) t^at, ftanb bei Surgot bie geringe 9Wci*
nung, ja bie S?erad)tung, weld^e ber ©eift unb baS treiben bcr
breigel)n, in ber 9Jionard)ie tagenben Parlamente il^m einPfeten;
burd) ben leibenfd)aftlid^en Slntl^eil, weld)en fte an ben religiöfen
©treitigfeiten genommen l^atten, inbem fte im großen S^MP^K
ber SReinungen bie janfeniftifdjen Seigren gegen bie moliniftifd^cn
St^eorien oertraten, würben bie ^Parlamente in il^rem SBiberftanb
gegen bie Ärone aHerbingS gur 35orfd)ule ber politifd)en Dppo«
jition^), aber als grofee, t)olitifd)e Äörperfd)aften l^ielten fte
0 Grimm et Diderot, Correspondance litteraire, 111,140.
2) 3. &xot, S3riefc bcr Äaiferin i^at^arina II. an ©rimrn unb ©riefe
®rimm'ö an Äalferin ^atl^arlna II, ©t. gScterSburg 1878—1880.
^) F. Rocquain, L' Esprit r^volutionnaire avant la Revolution.
Sc^tüicrigfciten, bic fid) il^m ciitgeöenfleKen. 93
nod^ I)artnäcftger al^ felbft Slbel unb @eifütd)fcit an i^ren
33orrcd)tcn feft, unb Surgot ttjeigerte jid^ ftets, in ben ^arla^»
mentcn Drgane ber nationalen 5IBünfd)e unb SWeinungen gu er^^
fennen. %ixx il^n unb feine ^Jteunbe waren bie Suftigmorbc
üon 6ala§ unb be la Sarre, bie .^inrid)tuug t)on SaHq, bie
SJerfolgung ber §ßroteftanten, bie Unterbriicfung fo öieler 6r*
geugniffe ber pl^ilofopl^ifd)en Siteratur genügenbe ®rünbe> um
gur SBieberJ^erfteHung ber Äör^jerfd^aft, bie feit bent @turg bon
ßl^oifeul burc^ SRaupou im g^nuar 1771 aufgel^oben worbcn
mar, nid^t bie .^anb ju bieten. 3n il^rcr SBieberJ^erfteHung, bie
ber @inPu§ ber §ßartei (5f)otfeul, ber öon 5iKaurepaö unterftu|tett
Königin unb be§ bfirgerlid)en SJfittelftanbeö im 5Rot)ember 1774
bei Submig XVI. burdife^te, fa^ bal^er Surgot mit Sftec^t feine
erfte 5Rieberlage; bie Popularität, tt)eld)e biefe SWa^regel bem
Äönig brad)te, fonnte feinen SWinifter barüber belel^ren, mie
leidit bie 9Jienge fid^ burd) blo^e SBorte für ben Snl^alt ber*
felben entfd^äbigen lä^t. Sie parlamentarifd^e Oppofttion gegen
bie Ärone mürbe gelol^nt, alö ob fte bon Sfteformgebanfen, ftatt
öon ©tanbeSintereffen, getragen morben märe.
3nbeffen arbeitete Sturgot unöerbroffen meiter; bie Sinang*
reform, bie er in SJorfd^lag brad^te, fa^te ftd^ in ben SBorten
gufammen: „Äein Santrott, leine @teuer*@rl)8f)ung, feine Stn»»
teilte , 33erminberung ber 2lu§gaben, triebe nadf) Slufeen, SReform
im Snnem, Sefd^ränfung be§ .^ofl^alts unb Hebung be§ natto*=
nalen SBol^lftanbeS burd^ ©emäl^rung ber f^reil^eit für aHeS
mirtl^fd^aftlid^e Stl^un." S)er Äönig erl^ielt fortmälirenb ßnt*'
mürfe unb ©enffd^riften, morin fein 5iKinifter biefe§ ^ogramm
in feinen ßingell^eiten präciftrte unb 8luffd)lufe barüber gab, mie
er es gur SCuSfül^rung gu bringen gebad)te. ,,@el^en @ie, ic^
arbeite audf)'', fagte Submig XVI. eineö S£ag§ gu il^m, auf ein
befd^riebeneS Slatt oermeifenb: e§ mar ein SSorfd^Iag gur 3Ser:=
tilgung ber Äanind)en in ben föniglid^en Sänbereien ^). 3n ber
0 Droz, Histoire de Louis XVI, I, 198.
94 9ltdtt unb Surgot
^aitptftabt crgäl^ltc man f\(i) lad)enb, ber Äönig, einmal baöon
überzeugt, bafe er felbft ein SWipraud) fei, werbe aufj^örcn
woHen, e§ gu fein^),
SCber ber d^arafteriftifc^e S^ß im ßeben öon Sturgot »ar
fein SÄangel an ®lficf. 3n ber Sntenbanj öon fiimogeS würben
bie tJrüd^te feiner SRül^en baburc^ öemici^tet, ba§ bie junger*»
jal^re 1770 nnb 1771 bie ©d^nlbenlaft ber ^roöinj, bie er mit
allen Slnftrengungen ju öerringern beftrebt gewefen war, um
eine 3Rillion erl^ö^ten; al§ SKinifter befiel i^n ju Slnfang bcö
3al^re§ 1775 eine fd^were Äranfl^eit, gerabe als alle bebrol^tcn
Sntereffen ftd) beim Äönig gegen il^n öerbünbcten ; bagu brad^
eine jum Sl^eil fünftlid^ öon ben ^inanglenten öeranftaltetc
Sljenernng unb in ^olge beffen ber fogenannte 5Ke]^ltrieg auiS,
ber auf öerfd^iebenen fünften be§ 3fleid^§, befonber§ aber in
^ariö felbft öon ©enjenigen in ©cene gefegt würbe, bie biöl^er
baS SRonopol beS burd) Sturgot freigegebenen ©etreibel^anbetö
ausgeübt l^atten^). ®ie äJerfolgung ber ©d^nlbigen würbe auf
föniglid)en Sefel^l nnterbrtidft, weil fte ju weitgreifenben unb
peinlici^en (Sntl^üllnngen geführt l^aben würbe; Surgot felbft
glaubte an bie 5Kitwiffenfd^aft be§ ^rinjen t)on ßonti.
©urd) ein jwar nid^t beabfid^tigteS, aber für ben SKinifter
bod^ l^öd^ft ungünftigeS Sufammentreffen, erfd)ien gur gletd^eti
Seit 9ledfer'§ 33ud) über „bie ®efe^gebung unb ben ^anbel mit
®etreibe'\ weld)e§, in Uebereinftimmung mit be§ SSerfafferd
fjreunb ©aliani, bie unbebingte ^reigebung beö Äoml^anbete
nid)t nur in Segug auf baö SluSlanb, fonbem aud^ im Innern
granfreid^g öerwarf unb bie öorl^anbene ©öl^rung öermel^rtc,
weil es Surgof S Slbminiftration für bie momentane Steigerung
ber ^^oti) mit öerantwortlid^ mad^te. 9lecfer'S gegen bie Defo«
nomiften gerid)teter @a^, „an lebenben Äörpem bürfe man
') Guizot, Histoire de France, V, 308.
2) Foncin, Ministäre de Turgot, 214. Droz, Histoire de Louis XVI,
I, 166.
£>ic ihönung in SRl^citnS. 95
leine anatomifdien ßjcperimente öornel^men'^ tüurbe gum ge«
Pfigelten SBorte; leiber mad^te er aud^ baburd) Senfation, ba^
er jtd^ öon ben eigenen ©eclamatlonen mit fortreiten Ue§ unb,
gn ©unften be§ billigen 93roteö für bic 8lrmen gunt Singriff
gegen ben S3e|t| übergel^enb, bie SReidien „al§ ba§ 9!Äarf be§
armen SJolfeS öergel^renb" fc^ilberte unb ben Proletarier in bie,
ben S^itgenoffen öon Sftonffean öerratl^enben SBorte anöbred^en
läfet: ,,S28ag Kimmem un§ (äure ®efe|e über ben »eft^? SBir
bejt^en nid^t§. @ure ©efe^e über ©ered^tigfeit ? 3Bir l^aben
nid^tö gu bertl^eibigen ; über bie ^eil^eit? SBenn wir morgen
nid)t arbeiten, muffen toir fterben''^).
Sm Snni be§ \o unglüdflic^ begonnenen S<Jl^re§ fanb bie
Tönung be§ jungen 3Jionard^en gu SRI^eimö ftatt. Surgot
I)atte öorgefd^lagen, bie ©teile, an ber ber Äönig gewaltfame
2lu§rottung ber ^ärejie öerfprad^, in ber ßibeöformel weggu»
lajfen; gubmig XVI. bagegen fucl)te bie @d)n)ierigfeit baburd^
gu umgel^^n, bafe er im gegebenen 5Koment einige unt)erftanbs
lid^e SBorte murmelte. 5Rad^ ber SRüdffel^r oon SRI^eimö legte
il^m SEurgot, um fein ©emiffen gu berul)igen unb feinen @tanb=
^)unft öon aller ßw^ci^c^tigfeit gu befreien, bie ®enffd)rift über
bie Solerang oor; gugleid) bemog er feinen greunb SKaleö-
l^erbeS, al§ 5Kinifter be§ föniglid^en .^aufeS fein College gu
werben, in meld^er Stellung 9)tale§l^erbe§ eö aber miber @r*
märten an ber nötl^igen ©nergie fel^len liefe unb ben 2lbjtc^ten
be§ ®ejtunung§genoffen, bon bem er rühmte, er bejt|e Sacon'g
Äopf unb .^o^^)itarö §erg, menig mel)r liel^, alö bie §ßopula*
rität feines gefeierten Slamenö^).
SBegen ber Slufftänbe unb ber 2:f)euerung mufete Siurgot
feine beabjtd^tigte grofee 3fleform, bie allmälige Slblöfung aller
*) De l'administration de Monsieur Necker par lui-meme. Oeuvres
comp. VI, 8. DeLavergne, Les Economistes francais au dix-huitieme
Siecle, 147 unb Neck er, Du commerce et de la l^gislation des grains.
^ Droz, Histoire de Louis XVI. Sainte-Beuve, Malesherbes;
Gauseries du Lundi. Foncin, Ministere de Turgot.
96 ^i^ J^Önigin unb bte ^arfameitte gegen Surgot
§cubalrcd)tc gegen cntfpre^enbe ©elbentfdöäbigung auf bcn
@üttm bed %belS unb Sleru^ unb t^re Doüftänbige Sufl^ebung
auf ben Äronbomänen ^auf bcffcre 3^*^^" Derfd^ieben.
®iefe befl'cren 3^ite« famen ntd^t mcl^r für il^n; bte Äö*
nigin öergiel) bie begonnene Sefd^ränfung i^reS ^of^altö nid^t
unb würbe ber 9KitteIpunft aller ßabalen Don SSerfaitteS; baö
Parlament oerurtl^eilte im Februar 1776 baö überaui^ gemäßigte,
vernünftige Sud), worin Soncerf, ein Sinl^änger Surgot^iS,
abel unb 6leru§ in il^rent eigenen gntereffe aufforberte, jur
Slbfd^atfung öon Suftänben gegen entfpre(]^enbe ©ntfd^äbigung
bie .^anb gu bieten, bie ben ^öilegirten nur nod^ geringen
materiellen SRu^en, bafür aber ein um fo gröfeere^ SKafe beö
^affeö eintrugen, .^ierauf verweigerte ba§[elbe ^arifer ^arla«
ment im 3Rärj 1776, mit Sluönal^me eineö eingigen unb un^
bebeutenben, bie (Sintragung von Sturgof § fogenannten Sanuar*
©bitten, bie feine gwei tt)id)tigften Sieformen enthielten, nämlid^
6rfe|ung ber ^^ol^nben für ben 93au von ©trafen unb SBegeti
burd) eine fel^r mäßige, von allen ©runbeigentpmem gu leiftenbc
©teuer unb 8luff)ebung ber 3Reifterreci^te, 3ö"ft^ ^^^ ©ilben.
33egrünbet würbe biefe SBeigerung beö Parlaments unerl^örter
3Beife burd) ben ,&inweiö auf einen SJolfSaufftanb unb burd^
ba§ 3urüdfgreifen auf bie Stl^eorie von 33oulainvillier§, wonaci^
Sürger unb 33auern, alö 3ftac^fommen ber von ben ^raufen
überwunbenen alten ©inwo^ner ©aHienS, bie abgaben unb
Saften allein gu tragen verppid)tet feien, ber Slbel aber bcm
Staat nid)t§ fd^ulbe alö feinen Segen, ber ßleruS nid)tg atö
fein ®ebet^). S)er Äönig ergwang je^t gwar bie ßintragung
ber ©bitte, lonnte aber felbftverftänblid) uid)t§ baran änbem,
ba§ 3:urgot'§ Sfteformen, bie in i^ren legten (äonfequengen gu
gleid^er aSert^eilung ber ©teuerlaft fül^ren mußten, von ben 3fie=
präfentanten be§ SRed^tS unb ®efe^e§ verworfen worben waren.
0 ©ugcnl^cim, @cf(§i(§te ber Sttufl^ebung ber Öeibeigenfd^aft, 159
Foncin, Ministere de Turgot. ^a8 ganae S^apiitl über bie Sanuarebifte.
^
Sie ^^önigin unb bic Parlamente gegen 2;urgot. 97
Jiid^t öiel anber§ öerful^r ber ßleruö. SJlad^ault, ein
ftreng^gläubtgcr Äatf)oltf, l^atte boci^ nidjt gejögcrt, 1749 bie
©d)ä|unö ber Ätrd^engüter öornel^Tnen ju laffen, um bamad)
ben biSl^er 0efe|lid) fteuerfreien ßleruö, ber nur ben don gra-
tuit nad) eigenem Gcrmeffen leiftete, ebenfo wie bie anbem
©tänbe big jum Setrag eine§ Swjanjigftel feiner ©infünfte ju
befteuern. 3R\t SRadiauIfg 1757 erfolgten ©turg würbe biefe
©teuer wieber aufgehoben, unb Surgot griff nic^t auf biefelbe
jurüdf, beffenungeaci^tet öerföl^nte er ben geiftlidjen Staub nic^t;
bie aSerfammlung beö ßleruö öon 1775 wanbte jtd^ an ben
Äönig, um bie 3^tten jurücf gu wünfd^en, „in benen bie ^ro=
teftanten bie ßtnfamfeit ber SBälber unb näd^tigeö ©unfel" auf==
fudjen mußten, um xi)xm ©otteöbienft gu l^alten, unb il^re Äinber
il^nen entgegen würben^).
3wifd)en einer foldien ©prad^e unb Surgot'g '^bten war
leine SJerftänbigung möglid), obwohl bie ©rgbifc^öfe öon 9iar*=
bonne, 8lif, Sorbeauf unb Souloufe, ©itton, 33oi§geltn, ©ce
unb ßomenie be SSrienne, ^reunbe unb Slnl^änger beö 5!Kimfter§
waren, unb obgleid^ er aud^ unter bem ^farrderu^, nod) alg
3ntenbant be§ ßimouftn, 2Ränner gefunben l^atte, bie il^n
unterftü^ten, bewunberten, öert^eibigten unb feinen 3flücEtritt
beflagten^).
Seiber blieben jte Slu^nal^men; im Slpril 1776 fd^ricb
®raf 6reu|, ber ©efanbte ©d^webenö, an feinen föniglid^en
^erm, bem ber p^^jtofratifd^en @d)ule fo wol^lgeftnnten ©uftabüL,
„alle ©ro^en beö SReid^^, alle Parlamente, bie gefammte ?Jinang,
bie ®amcn be§ .^ofö Ratten pd^ jur mäd^tigften giga gegen
Sturgot öerbünbet" ^). 2Rerc9=2lrgenteau, ber ©efanbte SJJaria
^) Droz, Histoire de Louis XVI, I, 181. Rocquain, L'Esprit re-
volutionnaire avant la Revolution.
2; M astier, Turgot, 147—148. Foncin, Ministere de Turgot,
540—541.
3) Foncin, 513, 517. Geffroy, Gustave III et la Cour de France.
SÖlenner^affett, ^rau »on @taei. I. 7
98 3:ur30t'8 @tura.
Stl^erefta'ö, üerfud^te öergebenö, i^re* föniglic^e Sod^ter jurüctju*
es blieb ber Äönig; im gebruar 1776, alö bereite bie
SBogen ber Dppojttion l^od^gtngen, fprad^ er baö J^iftorifd^e
SJBort: »11 n'y a que Monsieur Turgot et moi qui aimions
le peuple« ^), Qxod 9Jionate fpäter war feine SBiberftanböIraft
erfd^öpft; aU i^m Surgot 3lnfangsJ 3)tai eine neue ®enffd)rift
übergab, liefe er il^n reben, fagte trocfen: ,,Sft baö Sltteö?" unb
entgegnete auf bie bejal^enbe 2lnttt)ort: ,,5Run, befto beffer";
bamit wanbte er bem 3Kinifter ben Sftficfen. ©ie geölten
aSillarbfugeln, au§ tt)eld)en, nad^ bem Urtl^eil beö ©rafen öon
^roöence, beö Äönigö ßl^arafter beftanb, toaxm auöeinanber
gefallen.
2lm 12. aRai reichte SRaleö^erbeö bie längft erfe^nte &nU
laffung ein unb l^örte öom 9!Äonard)en, ate biefer jte if)m gewäl^rte,
baö eigentpmlid^e 2Bort: „SBie jtnb @ie glücflid^! marum
lann ic^ nidit aud) gelten?" Slm felben Sage erljielt Surgot,
ben ber Äönig nid^t me^r empfing, ben Sefel^l jtd) jurücfju^
jiel^en; bie Königin, beren ©ünftling @uigne§ er wegen Un=
fä^igfeit öom SSotfdjafterpoften in ßonbon gurüdfberufen l^atte,
lonnte nur mit SSRixi)t babon abgel^alten werben, i^n in bie
SaftiHe fd^icfen ju laffen. ÜRercq bezeugt, bafe fie e§ war, bie
S£urgof§ (Sturj entfd)icb^); man fennt ben Srief, ben Äaifer
Süfep]^, auf biefe Singe anfpielenb, im 3uli 1775 an jte rid^tete:
^@ie mifd^en ftd) barein, liebe @dt)wefter, 2Rinifter abjufe|en",
fd^rieb er il^^^ . . . . „.^aben @ie erwogen, mit weldiem 9ied)t
(Sie jtd) an ber ^Regierung ber franjöjtfd)en 9Jionard^ic betl^ei*
ligen, l^abcn @ie 35orftubien gemad)t?''*)
*) Geffroy et Arneth, Marie Antoinetle etc. Correspondance, II,
439. »rief Dom 13. %ril 1776.
*) Foncin, Ministere de Turgot, 423.
8) Mastier, Vie de Turgot, 523 u. ff. Geffroy et Arneth, Marie
Autoinette etc , II, 442 u. 446.
*j ^xnttf), SRaric Slntoinettc, 3o\tp^ II. unb ßeu|)orb IL, »rief-
»cd^fcl, 1—3.
Surgofö @turs. 99
2)cnnocl^ tüäre e§ angeredet, jte mit bem ^of unb ben
^rit)ilc9irteu aHctn bafür öerantwortlid) ju tnad)cn; aud^ baö
aSolI iubclte, als eö öom Sftücftritt feineö beftcn grcunbcö l^örte,
Uttb banftc bem Äönig bvixä) Döationen bafür.
Sturgot war fein 2Renf d^enf enner ; al§ nieder fein 33ud)
über ben ©etreibel^anbel öoHenbet l^atte, brad^te er e§ bem
5Dlinifter, fä)lug il^m öor, e§ burci^jufe^en, unb öerfprad^, eö
ol^ne feine Si^ftitt^ "iiJ^fl ^i^t gu beröffentlid^en ^) ; Sturgot lel^nte
bm loyalen SSorfd^lag in leife beräd^tlidier SBeife ab, enoiberte,
es ftel^e SReder frei, bruden gu laffen, tt)a§ er wolle, man fürd^te
ttid^tö unb werbe öon ber ßenfur feinen ®ebraud^ gegen i^n
madien. „@ie glauben für ba§ öffentliche 2Bol^l üon Siebe er*
füllt gu fein", fagte 2RaleS^erbe§ einft gu feinem ^teunb ; „aber
es ift nic^t Siebe, eö ift 9fiaferei\
Sturgofö unöergeil^lid^er Srrtl^um beftanb barin, bafe er
meinte, eS genüge, SRedit gu l^aben unb baS @ute gu moHen.
SWidit ber geringfte SSemeiS, ben er babon gab, war ber,
feiner Sntlaffung nid^t guöorguf omraen ; wenn feine Sreunbe
il^n baten, fid^ gu fd^onen, pPegte er baran gu erinnern, ba^
man in feiner tJamilie nid^t alt werbe, ©ie Si^rädgejogenl^eit
beä Privatlebens benu^te er gu ernften ©tubien unb Seetüren;
für uns ©eutfd)e ift eS öon S^tereffe, bafe er gu ben begeifter*
ten Sefem ÄlopftodS geprte^). 5Rur als er öemel^men mufete,
ba^ fein 3flad)folger fein 2Berf t)ernid)tet unb bie ^wl^nben
gang, bie Sönfte unb ©ilben grö^tentl^eils wieberl^ergefteHt l^abe,
foH er S^l^ränen öergoffen l^aben.
^ebrid^ ber ®ro§e unb SRaria Stl^erefta badeten über
Surgot wie SSoltaire, ber 1778 in ^ariS beim SBieberfel^en mit
il^m feine ^anb erfaffenb ausrief: „Saffen @ie mic^ bie ^anb
lüffen, bie baS ^eil beS SSolfeS untergeidinet f)at". ©r ftarb.
0 Abbe Morellet, Memoires, I, 230.
*) Grimm et Diderot, Correspondance litt^raire, III, 378. Söerid^t
t)om 8fe^uQT 1777.
7*
100 3:uröot'd (StuT3.
erft öierunbfünfjig 3al^re alt, an ber ®i(i)t unb nod^ mdix an
ben gplgcn geiftigcr Uebcranftrengung.
©er SufaH, ober öielmcl^r jene l)öl^ere Drbnung ber ©inge,
bie nici^t in be§ 2Renf(i)en ^anb liegt, wollte, ba^ baS 93ud^
„über ben SReid^tlinm ber Stationen '\ mit weld^em Slbant ©mitl^
bie neue ge^re ber a3olf§tt)irt^fci^aft fd^uf, 1776, gleid^jeitig mit
Sturgof ^ SRüdftritt erfd)ien, unb fo aud) bie Äraft erfe|t würbe,
bie er bem 3Satertanb unb burd) baSfelbe ber 9!Äenfd)]^eit mit
fo felbftlofer t^ingebung geopfert f)atk,
Sranfreic^ aber l^at Sturgot nid^t mel^r erfe^t; bie t^age,
ob eö il^m ober überl^aupt einem 3Kenfci^en gelungen wäre, bie
Sfteoolution abjuwenben, l^aben bie ßreigniffe gu einer mflfeigen
gemad^t. dagegen ift e§ gemife, bafe ßubmig XVI., aB er il^n
gelten liefe, wie er if)n genommen l^atte, au§ ©d^wädie gegen bie
Saunen einer jungen grau, gegen ben Unoerftanb be§ §ßöbetö
unb bie gntriguen einiger «Höflinge, ba§ le^te ber f^btHinifdien
aSüdier oerbrannte, weld^e ba§ ©d^icffal nod) für i^n bereit
l^ielt; benn Sturgot mar ber eiujige unter allen SSeratl^crn
feiner Ärone, ber, weil ol^ne ^opung für baS 33eftel^cnbe, bie
3fieci)nung ber 5iKonarcl^ie mit ber SSergangenl^eit abgefci)loffen
unb fraft föniglid^er SHad^tbollfommenl^eit getilgt miffen wollte,
wa^ Könige gefünbigt l^attcn. S)\xx6i einen legten unb l^ödiften:
ad beö 2)cöpoti^mu§ bie Station gur ijteil^eit gwingen, wdre
ein 2lbf(i)lufe gewefen, würbig ber ©l^ren einer taufenbiäl^rigen
aRonard)ie unb be§ großen SDiinifterö, ben einer ber grünblid^ften
unb geiftreid)ften aller frangöjtfdöen ®efd)id^tfd)reiber »le grand
homme le plus complet de Thistoire de France« nennt ^).
Surgot mufete einen SRaci^folger erl^alten, unb junäci)ft würbe
eö Glugn^, eine SWuHität, ber nad) (Sinfül^rung ber Sotterie unb
oiennonatlid^er 5ßlünberung be§ föniglici^en @ci^a|e^ ftarb. @o
wie bie S)inge lagen, galt eg alö ßmpfel^lung für bie ©teile,
©egner oon Surgot gewefen gu fein, unb bem publicum im
*) E. Renan, L' Abbesse de Jouarre, Introduction.
Surgot'S (Sturj. 101
SlHgcmcinen galt aud) 5Redfer alö ein foldier; man fdiricb i^m
bic abjtdit ju, in tDol^lüberlegter gdnbfcligfett gegen bcn 9)ii=
nifter gcl^anbelt unb felbft bie Unrul^en gegen il^n mitgeförbert
gu l^aben, obwol^I fd^on ber Untftanb xi)n freifprad^, ba§ fein
SBud) „über ®efe|gebung unb ^anbel mit ©etreibe" jufätlig
erft am Sage ber ^lünberung ber ^arifer Särferläben erfd)ienen
war. 6r felbft fd^rieb bem Suc^ fpäter eine gang anbere Se=
beutung unb gwar biefe gu, bie erfte, laute Sluflel^nung gegen
bie l^errfd^enben pl^ilofopl^ifd)en 3been gewefen gu fein. „S)ie
geitgenöfftfdien §ßl^iIüfop]^en", fagt er, „öertDarfen bie ßrfal^rung
unb liefen nur Stl^eorien gelten, mein 93ud^ milberte il^re
übertriebenen Slnfprüd^e, inbem eö il^nen a3etrad)tungen entgegen^
fteHte, beren Urfprung l)öl^er afö bie Sbeen ber Defonomiften
lag"^). SJon biefen le^teren würbe 9Zedfer befonberS beSmegen
befämpft, tt)eil er tjreigebung beö Äornl^anbelö, felbft im Snnern
^anfreiä)§, t)enr)arf2), unb bie^mal war ber ©treit bi^ in ben
intimen Äreiö bon 9Jlabame 9lecfer gebrungen; in biefem
ftanb SRoreHet gu Surgot, führte au§, ba§ 5Redfer'ö Sud)
bem praftifdien @taat§mann nid^t eine abminiftratiöe SRaferegel
biete, unb öenüieS barauf, ba^ ber '^xe\f)anM eine ^olge be§
S9eP|red)te§ fei^). aSoltaire »ar barüber fo entgücft, bafe er
Slbb^ »Mords-les«, mie er il^n nannte, umarmen unb in §ßari§
öcrifinben lie§, „aud) er fei für bie ©ebanfen eineö Söeijen
gegen bie ©^jieme eine^ Sanquierö"*); ©rimm bagegen fd^rieb
in bitterem Ston gegen bie Delonomiften, n)äl)renb ßonborcet jie
mit fo leibenfd^aftlid^er ^eftigleit tiertl)eibigte, ba^ fein 3luf=
treten gegen ?tedfer il^m bie SSegeid^nung »le mouton enrage«
augog»).
*) De radministration de Monsieur Necker par lui-meme. Oeuvres
compl^tos, VI, 8.
^ DeLavergne, Les Economistes fran^ais au dix-huitieme Si^cle, 147.
«) Mor eilet, M6moires, I, 232.
*) Foncin, Minist^re de Turgot, 232.
*) Condorcet, Lettre d'un laboureur de Picardie a Monsieur Necker.
Mars 1776.
102 ^ctf« in ©nölanb.
3ur ^olcmtf gefeilte pd^ bie 3ntngue. Slm ^of xoax ein
gemiffer SÄarquiö t)on ^ejaq, ben unter anbem bie ^Jientoiren
öon Sefanbal aU falfd^, el^i^geigig, untemel^menb unb infolent
bejeid^nen; biefer ^eja^ fafete ben ©ebanfen, bem Äönig übet
SRegierungSangelegenl^eiten briepid) SRatl^fd^läge gufomttten gu
laffcn, unb al§ nad^ einiger 3^it biefe gnäbig aufgenommen ju
werben fd^ienen, tDurben 2Raurepaö unb fein (Sollege ©artineö
auf ^ega^ aufmerffam, weil jte in bemfelben ein 2Berfjeug ber
perfönlic^en §ßolitif be§ 5iKonard)en, wie etwa ber ®raf öon
aSroglie c§ unter gubwig XV. gewefen war, üermutl^eten ^).
9lun war aber ^ega^ gut mit 3ftedfer befannt, unb fo lam e§,
ba^ 2Raurepa§ biefem eine Slbfdirift be§ Subgetö öon Surgot
für 1776 mit bem Sluftrag aufteilen lie§, il^m feine Semerlungen
barüber mitgut^eilen, bie l^ierauf auc^ bem Äöntg unterbreitet
würben, ber auf biefe Sißeife gum erften 9Kal mef)r bon nieder
aU ben bloßen Flamen l^örte^).
@r war mit feiner %xan unb feinem 55i^eunb ©uarb gu
furgem 8lufent^alt nad^ ßnglanb gegangen, aU Surgot fiel.
„SBie wirb ftdt) SRedfer freuen, wenn er ba§ i^ört", fdt|rieb SKa»
bame ®u 2)effanb an bie ^ergogin üon ßl^oifeul naä) ßj^ante«
loup, wo man gleichfalls an SBiebergewinnung bc§ erften
3Kinifterpoften§ bad)te^). Unterbeffen mad^te ®ibbon ben fram
j^öftfc^en ®äften bie .^onneurS oon Sonbon, SBalpole bie feincg
reigenben Sanbft^eö oon ©trawberr^ .^iH. Sledfer'ö ©dtiriftcn
entl^alten nidbtS über biefen Slufentl^alt, aber SRabame 9?edfer
laö mit ©ntgücfen 9Jlilton unb ^ope, Solingbrole unb 6f)efter:»
fielb, fiberfe^te ©ra^'S Plegie über ben Äird)f)of im ®orf für
ein literarifd^eö ©ammeiwerf oon @uarb unb wünfcl)te ftd) in
@efellfd)aft bon Sfiomaö, um SllleS nodt) einmal geniefeen
•) Duc de Broglie, Le secret du Roi.
^) Daire, Oeuvres de Turgot, nad^ Dupont de Neumours Me-
raoires, II, 138 unb Foncin, Minist^re de Turgot, 521.
^) Garat, Memoires sur Suard, II, 318. Madame Du Deffand,
Correspondance, III, 217.
S)ic g^inananotl^ beß franaöfifd^en «Staate«. 103
ju fönncn, in bic 3Be[tminfter-2lbtei jurfidf^). ®a§ ßfiepaar
3fledfer tt)ar feit mel^rcren 3RonaUn wieber in ^ari^ al§ ßlitgn^
ftarb.
SWicmanb wufete beffer atö 9leder, wie e§ um ben ©taatö^^
fci)a| ftanb; feit Sturgot'ö SRürftritt waren alle Surfe gewid^en;
bie ^oHänbcr wollten fein @elb mel^r leiten; er felbft war
bereits unter ber aSerwaltung be§ Slbbe Serra^ ber ^inaninotl)
be§ ÄöntflS gu §ülfe gefommen, l^atte 1770, ol^ne 3i«f^n bafür
gu nel^mcn, ®elb öorgeftrecft unb baburci^ ©etreibeanfäufe für
bie befonberö Ijeimgefud^ten ^roöinjen erntöglid^t. ®ann, 1772,
^atte er abermals mehrere 5iKinionen geliel^en: „3Bir befci^wören
Sie, uns im Sauf beS SageS gu |)ülfe ju fommen, ... bie S^it
brängt, Sie jtnb unfere Ie|te Sufludöt; wir red^nen auf Sl^re
Eingebung, um ben 3iuf beS föniglid)en ÄrebitS ju retten",
bieS war ber Jon, ben gegen Sleder ju gebraud^en ber fran*
göftfd)e ©taatSfefretär ber Sinanjen fid) gejwungen fa^^j^
9lun aber, im grül^ial^r 1776, brängte bie grofee grage
eines 93rud^S mit -ßnglanb unb ber ^nterDention §ranIreid)S
JU ®unften ber amerifanifdöen Kolonien jum jweiten Wal feit
einem Sal^r gur @ntfd)eibung, unb „ber erfte Äanonenfd^ufe war
gleid^bebeutenb mit bem @taats=33anfrütt" ^). 35iefe öerjweifelte
Sage t)eranlafete 5iKaurepaS, ben im Dctober üerftorbenen ßlugn^
burd^ ben el^rlid)en Saboureau beS fReanjc ju erfe^en unb t)on
SReder eine ®enffd)rift über bie Sage ber ©taatsfinaujen gu
verlangen. @enac be 9Keilf)an, SKont^on unb ®ro;i nennen als
Vermittler bon SRaurepaS in biefer ©ad^e abermals ben SKarquiS
öon ^cja^, öon bem biefer gu fagen tiflegte, er fei eS eigentlid),
ber Sranfreid) regiere, „benn", fügte ber alte 9}Jinifter l^ingu,
„$ega^ regiert feine 3J?aitreffe, bie ^ringeffin t)on SJiontbarre^,
0 Madame Necker, M«51anges, III, 172. Querard, La France
litt^raire, IX, 280.
2) A. de Stael, Notice, I, XI, XXI— XXIII.
•'*) Das SGÖort Ifl oon d'Invaii, bem SSorgönger öon Sena^.
104 «erfrc'« 3>fn!^(^rift übet bie g^anscn.
bicfe regiert meine grau, meine grau regiert mid^, unb id^,
regiere id^ nid^t granfretd^?" SledCer pflegte biefem $ejai) gu-
weilen ®elb bürjuftredfen, gal^lte il^m aud^ al§ SDWmfter eine
gorberung auf bie @taat§faffe im Setrag öon 100,000 ©ulaten
au§, bie breifeig ^affxt lang abgelel^nt worben war, unb er^
nannte i^n jum @eneral*3nfpeftor ber Äuften be§ Äonigreid^ö
mit einem ®el^alt üon 60,000 giöreS; fein Setragen in biefer
Stellung war ber 2lrt, bafe bie Serbannung über il^n öerl^ängt
würbe, worauf er, faum 36 gal^r alt, ftarb^).
SBenn b'^auffonüiHe, wie fd^on öor il^m S3aron Sluguft
t)on Stael, geltenb mac^t, ba^ bie Slrdtiiöe t)on Poppet Sriefe
t»on ^tiatj entfialten, bie leiner SSerbinblid^feit gegen 9lecfer
erwäl)nen, fo änbert ba§ nid^tö am eigentliä)en @ad^t)erf)alt 2) ;
ber @i)rgeij SRedfer'ö l^atte i^n gur Sl^eilnal^me an Sntriguen
herleitet, bie er aller 3Bal^rfd)einlid^feit nad) l^dtte entbel^ren
fönnen, benn beüor bie ^Regierung ftd^ baiu üerftanb, ben
proteftantifdtien Sanquter au§ ®enf in il^ren füat^ gu berufen,
mufete pe bon ber 3lot^ bagu gejwungen werben, ©er ©taatS*
f d)a| war erfd^öpft, al§ SHedf er in ber erwäf)nten 2)enffdt)rift ben
Ärebit l^ergufteHen unb, felbft im ÄriegöfaH, bie Sebürfniffe ber
föniglid^en Äaffen gu bedfen üerfprad) ; aber 9?edfer gum ßon*
troleur = general , b. 1^. gum ginangminifter, ernennen, fä)ien
bennod^ nid)t burdtifül^rbar. 2Kan griff alfo gu einem 8lu§=
funftSmittel, baö wieber ^ega^, gu ©unften ber Berufung beö
§ßringen t)ün ^Jiontbarre^ in§ Äriegöminifterium furg guöor in
@cene gefegt l^atte: Saboureau be§ SReauj: foHte ben Sitel be*
l^atten, Siedfer ate S)irector be§ ©taatSfd^a^eS bie ginangen
leiten. 33i§ bal^in war bie ©teile immer burd^ Parlamentarier
befe^t worben, unb bie ^roteftanten waren nad^ 1776 in
granfreid) nur gebulbet; bärgerlid)e 3fled)te l^atten fte nidt)t,
') Droz, Histoire de Louis XVI, I, 199, 219, 220, 221.
*■*) Auguste de Stael, I, 40 ber Oeuvres complötes de Necker unb
d'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 101.
Berufung «Reelcr'S. 105
unb il^rc Äinber galten nid)t al§ legitim, ©er Äönig gab
mä)tSbeftott)cniger feine ©ntDtHigung ; fd^on nad^ ben 5ßer*
l^anblmtgen wegen ber üftinbifd)en Gontpagnie l^atte er 9ledfer
1773 eine tt)ertf)t)oHe Sammlung öon Äupferftid^en al§ ®e[d^enf
überreid^en laffen^); er nntergeidinete feine Ernennung am
22. Dctüber 1776.
9Bie jtüei Saläre früher jene bon Surgot, würbe fte bom
®elbmarft mit einer beträd)tlici^en .^auffe begriifet; bie ©enfer
jubelten über ben ©rfolg il^re§ 5iKitbnrgerö, ber „magnifique
petit (Sonfeil" liefe i^m gu ©l^ren bie erfte ber 82 ©enfmünjen
prägen, bie er im Sauf feinet öffentlid)en SebenS erl^ielt^), unb
bie Siterar»@efd)ic^te öon ®enf fagte bon 9?eder'§ SBerlen, fte
follten bie ^anbbüd^er aller fjfirften werben, benen baö SBol^l
il^rer aSölIer am bergen liege ^). ®er ^of \af) in nieder nur
ben ®egner feinet öerl^afeten 5ßorgänger§ unb fd^meidielte jtd^
mit ber Hoffnung, ein fold)e§ finanjielleö Salent werbe and)
ol^ne ©rfpamiffe jum ßi^l fommen. Sifd^öfe mad^ten aSor=
ftcHungen gegen bie 2Bal^l eine§ ^roteftanten. „Sc^ wiH il^n
opfern", entgegnete i^nen 5Dkurepa§, „wenn ber 6leru§ bie
Sal^lung ber frangöfifd)en ©taat§fd)ulb übernimmt", unb gerabe
unter ben SJiitgliebem be§ franjöjtfd^en (Spi^fopateö foHte aud^
5)?ccfer treue greunbe unb SSert^eibiger feinet 3Birfen§ finben.
©aS SSolf enblid^ empfing bie 5Rad)rid^t üon Sfteder'S lieber*
nal^me ber ®efd^äfte mit greuben. Unöerfö^nlid) blieben bie
Defonomiften unb il^re Slnl^änger, gegen weld^e bie Parlamente
eine Slrt öon Verfolgung begannen; Sturgot meinte, bie ^inanjen
würben je^t regiert wie ba§ Unioerfum, burd) bie Strinität
SJlourepaö = Saboureau = nieder, in weld)er le|terer ben l^eiligen
©eift repräfentire^).
@o begann baö erfte 5Kinifterium 9Zecfer.
') Grimm et Diderot, Correspondance litt^raire.
^ D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 109.
^) Senebier, Histoire littöraire de Gen^ve, III, 164.
*) Foncin, Minist^re de Turgot, 543.
9^c(!ex'« erftc ÜWafercgcrtt. 107
: ferauöforbcm, beten Dpfer er unfel)lbar getoorben todre. ®ie
iiotürlidie fjolge biefer t)on allen Seiten bem Slngriff blofe«
ig^ttten Sage mar, bafe Nieder mäl^renb ber erften 3al)re feinet
8?imfterium§ feine 3:f)ätigfeit fomeit al§ tl^unlid^ auf f5tnang=
fragen befd^ränfte unb auf bie ©nfül^rung aller weitergreifenben
Reformen oergidötete^), mobei jebod) nid^t aufeer Std^t gelaffen
»erben barf, bafe im Slncien 3flegime bie inneren Slngelegenl^eiten
granfreid^ö faft öollftänbig unter ber ßeitung be§ tJinanjminifterö
flanben^); aud) biefeö befd)ränfte ®ebiet liefe jidö ntd^t ol^ne
©d^tDierigfeiten bel&aupten.
Äein DoHeö ^a\)x nad) jeiner Berufung fül^rte eine SRei^^
ttungSöerfd^iebenl^eit gmifd^en DIecfer nnb SSaboureau gum 9lüi=
tritt beS le^teren, unb am 22. 3uni 1777 marb 3ieder auf bie
üott il^m gefteHte, t)on Submig XVI. nicl)t ol^ne Sebenfen ge*
joäl^rte Sebingung, fein ®el^alt für feine ©ienftleiftungen gu
begießen, gum ®eneralbireftor ber ginangen ernannt. Slud) in
Wefer neuen 6igenfd)aft blieb er, menigftenö nominell, unter ber
Oberleitung Don 2Raure:|)a§ unb, ttjaö t)iel bebenflid^er xoax,
öom Sfied^t auögefd^loffen, bem in ©egenmart be§ Äönigö ge=
l^ottenen 9Rinifterratl^ beigumol^nen, feine $läne il^m oorgulegen
unb Pe gu vertreten, ein ungel^eurer 9?ad)tl)eil gu jener ^dt, in ber
bie perfönlid)e Stimmung be§ SRonard^en bie eingige Garantie
beS 3Serbleiben§ im Slmte mar.
S)afür l)at 9ledfer bie ®efd)id)te feinet SKinifteriumö in
atten il^rcn ©ingell^eiten felbft ergdl^lt^) unb ben Semeiö geliefert,
tt)ie fel^r e§ il^m um Drbnung unb ©parfamfeit, um bie Slb*
flcHung Don SRifeftänben unb bie @d)öpfung einer el^rlid)en,
gemiffenl^aften aSermaltung gu tl)un mar. ®er erfte @d)ritt
') A. de Stael, Notice, I, 48 unb Necker, Oeuvres completes III,
Premier Minist fere.
2) gefcr, SReder'S atoctteS 3Kinifterium, 12.
^) Neck er, Oeuvres completes, III. Premier Minist^re. Compte-
rendu au roi, Janvier 1781 unb iBb. XI, 408 Tableau chronologique des
Actes du Premier Minist^re de Monsieur Necker.
i^ritif öon SRctfct'S gtnansnertoaltung. 109
/. leiten im Setrage biö ^n 1200 ajiinionen gu contral&iren ^). S)ic
Stf unb SBeife, mie er e§ t()at, l&at feiner ^nangoenoaltung
*; bcn SSortDurf jugejogen, pe fei Dielmel^r bie eineö gemanbteit
; Sanquierö atö eineö toeifen SJünifterö gemefen^); bie tnU
^ * f^ibettften ©timmen l^aben mit ©roj biefen Sßorwurf wieber»
l^olt; 2:i^ierö unb SWignet fpred^en nic^t üiel anberö al§ ©Jjbel,
a^cml^arbi ober Dndfen, für bie 3ledfer menig mel^r alö ein
Sfirfenffinftler geblieben ift, „ber bie aWögüd^feit, ©d^ulben gu
mad^cn, für SReidöt^uwt ausgab" ^). Snfofern fte jtd^ auf fein
erftcg aJlinifterium bejiel^t, ftü^t fid^ biefe 2lnfd)ulbigung auf
blc 2:^atfaci^e, ba^ er feine großen Slnleil^en abfd^lofe, ol)ne ben
©d^ulbnem be§ ©taateö burd^ ©infül^rung neuer Steuern ein
$fanb gu geben, bie eingige, öon il^m gebotene ©id^erl^eit war
ber Hinweis auf bie im Sauf feiner 3Sertt)altung gemacf)ten &x^
f|)amiffe. ®afe eine fo öage Garantie bm ©laubigem be§
frangöfifd^en ©taateö genügte, unb jte ftet§ gu neuen Dpfem
öeranlafete, war ber l^öd^fte Seweiö be§ SSertrauenö in bie &\ix^
lid^Ieit be§ 3Rinifterö; anbrerfeits aber mufete biefeö SSerfal^ren
bie Siatiott notliwenbigerweife in eine falfd^e ©idierl^eit wiegen,
bie ben tl^atfäd^lid^en 35erl)ältniffen nic^t entfprad). 6§ t)er=
leitete SIledEer felbft gu ©fperimenten, welche bie SBürbe feiner
Stellung fd^äbigten, ol)ne \i)n t)or ©elbüerlegenl^eiten gu ht^
wal^ren, aber eö gab il^m aUerbingS btn momentanen ©rfolg,
beffen er beburfte, um fic^ in ber ®unft beö ÄönigS gu erl^alten,
im 9lmt gu bleiben nnb bamit langfam aber ftetig ber 5Ber=
wirllid^ung bcS politifdien Sbealö ftd^ gu näl^ern, ba§ aud^ il^m
Qte frönenber Slbfd^Iufe feineö SBirfenö öorfd^webte. ®iefe§
Sbeal war baö einer jittlid)en Süeform, bie Serbinbung ber
SRoral mit ber ^olitif; eö war ber ®runbton feinet ©Jjftemö
*) De Lavergne, Les Assemblees provinciales sous Louis XVL
Pr^face VI.
^ Droz, Histoire de Louis XVI, I, 276.
3) »ernl^arbt, ©cfd^id&tc SftuferanbS, 2, 167—168. ©nden, ©a»
Seitalter bct Sflcöolutton, I, 13—15.
110 <Scm Programm.
unb bcr ©l^rgeig feinet SebenS, baju beitragen gu fönnen, bafe
ffinftig bie SSermaltung beö Staate^ nad^ benfelben ©runbfä^en
ber @ered)ti9feit unb SiHigfeit, wie bie Slngelegenl^eiten eines
wol^Igeregelten, weife unb gemiffenl^aft gefül^rten $au§l^altö ge=
orbnet würben^), ©eine üerfd^iebenften @d)riften brandet man,
]o gu jagen, nur auf§ ©erabetool&I aufgujd^Iagen, um biefen ®e*
banfen in ber einen ober anbern Söeife auSgefprod^en gu finben.
„?Son ber SSerwaltung ber ^^incmgen", \)d^t e§ u. a. in feinem
aSud) fiber biefen ®egenftanb, „ift ber (äinflufe auf bie focialen
SEugenben fowol^l aU auf bie öffentlid^e SRoral gu erwarten;
wer bie ßeitung berfelben nid^t üon biefem ©tanbpunft au§
betrad^tet, wirb ftd^ nie gur ^öl^e ber ^flid)ten gu erl^eben üer=
mögen, bie er auf ftd^ genommen l^at" ^).
Sugenb unb ®ewiffenl^aftigfeit erfd^einen ii)m unentbel^r*
lid^er für ben Staatsmann als ®eift unb Salent. „^ä) trage
fein SSebenfen, eS auSgufpred)en", fagt er, „bafe feine, wenn
aud^ nod^ fo grofee Begabung ben 2KangeI an S^rtgefül^l unb
3Woralität gu erfe^en oermag. ' ®aS erleud)tete Urtl^eil, bie
Äenntniffe Slnberer fönnen einer mittelmäßigen Slbminiftration
gu ®ute fommen, aber weld^e Sriebfeber wirb ©enjenigen gu
©unften beS öffentUd^en SBol^leS in Bewegung fe^en, ber ftd^
burd^ feine ^flid)t gebunben weife? SBie, oor Slttem, wirb er
ber @d)ar feiner Untergebenen Siebe gur $flid)t einflößen fönnen,
wenn er ftc^ beS 3ied^teS begibt, pe burd) fein Seifpiel gu
lehren? .... ®ie ©runbfä^e beS 3fled)tS reid^en weiter alö
bie ßidt)tblicfe beS ©eniuS; bie SKoral ift ber ©eift ber Sal^r-
l^unberte'' 3). 3m Eloge üon 6olbert fprid)t er nid^t anberS:
•„©ein gefüJ^IüoHeS ^erg" la sensibilite, jenes Schlagwort
') 31. Sß. @d&lc0cl, 3afob SRedcr, Seitgcnoffen I, 1816—1817, IV,
1818-1819.
^ Necker, De radministration des finances, Oeuvres coinpletes IV, 13.
De radministration de Monsieur Necker, VI, 20 unb an öielen anbctn
©teHen.
^) Necker, De radministration des finances, IV, 33, 25.
©eflcnfa^c in bct ^olitif beS XVIII. Sal^rl^unbertil. Hl
bcr SRcgicrung^jcit ßubwig'ö XVI., ,,pöfet bem Slbminiftrator ben
SEBunfd^ ein, bcn 9Kenfci^cn nü^Iid^ gu werben, bie SEugenb Der»
pflid^tet il^n bagu, ber ®eniu§ leil^t \i)m bie SKitteP); man
mufe mm ©effil^l ber ^pid)t burd^brungen fein nnb jtd^ il^r
ganj l^ingeben, man mnfe entpfinben (önnen, mie erl^aben bie
©tettung ift, t)on ber anö man in ©ebanfen mit bem ®lücf
eine« gangen 3Solfeö in Serül^rung treten, in ber man jeben
Slugenblicf bie Siebe gnm 5!Konarcl)en fteigern, feine Sngenben
fühlbarer mad^en fann; man mnft glürflic^ im Sewufetfein beö
©Uten ftd^ füllen, ba^ man gu wirf en im ©tanbe ift, unb bem
SBol^I be^ Staate^ ftd^ l^ingeben. 9Ran mufe Jftom unb bie
Sfiömer lieben, ber 6itelfeit ben SRul^m unb bie ©ered^tigfeit ber
lommenben Otiten ben Säufd^ungen ber ©egenwart öorgiel^en" ^).
@o lautete baö Programm, mie aber foHte e§ auögefül^rt
werben? 2luf biefem fünfte angelangt, betrat nieder einen
SBeg, ber in biametralem ©egenfa^ gu ben üon feinem SSor=
ganger gewäl^lten Salinen lag; Surgot l^atte bie ©tü^e feiner
^olitil im SEBiUen eineö aufgeflärten ©e^poten gefud)t, nieder
oppettirtc ffir bie feinige an bie öffentlicl)e ?!Jieinung.
Dbwol^l bamit bie gwei $ole aller Jftegierung^funft gegeben
fnb, fo fonnten bod^ beibe 9Rinifter gu ®unften ber öon il^nen
gewählten 9Retl^oben auf mäd)tige Süed^tfertigungögrünbe üer=
weifen. S"^ ad^tgel^nten 3al)rl^unbert waren bie 3ie:|)ublifen in
6uropa biöfrebitirt, weld)e Slnl^änger bagegen bie abfolute
SRonarcftie im ß^ttalter griebrid)'§ unb Äatl^arina'S, in ben
Sagen üon SWaria Sl^erefta, öon Äarl III. unb Seo:|)olb Don
SoSlana gäl)lte, ift bereite gefagt worben. @§ war, al§ foUten
bie legten ßeiten il^rer unbeftrittenen ^errfd^aft bie 3Wac^t gum
©Uten, bie aud^ fte befafe, nod^ einmal glängenb bewäl^ren, beüor
fte im unauftialtfamen Äreiölauf ber @efd)id^te bm 2Käd^ten
ber S^^lörung gum Dpfer fiel, bie fte im eigenen ©d^ofe ent*
*) Necker, Eloge de Colbert. Oeuvres compl^tes XV, 11.
*) Necker, De radministration des finances. Oeuvres, IV, 68.
116 6^^ stimmen 3U ©uttften einer Berufung ber Stanbe.
primlegirten S^rannen, bie jur ©cifecl ber il^ncn anheimgegebenen
SSeöölfcningen getoorben »arcn nnb, um ben ^rei^ ber 3lu§*
faugung ber ^oomgen an @elb unb Slut ber Untertl^onen für
bie SSebürfniffe be§ föniglid^en Sd^a^e^, ©traflopgfeit für btc
eigenen ©tpreffungen unb bie ifirer Untergebenen erfauften.
@d)on SouIaint)iIlier§, @aint=@imon unb genelon fud^ten Slb^
l^ülfe für biefe troftlofen Biiftänbe in ber Berufung ber ®eneraU
ftaaten, bit ftd) it|rerfeit§ auf bie ^roüinjialftänbe ftü^en fottten;
S'Slrgenfon unb ber 2Rarqui§ öon 3Kirabeau öerlangten bie
aSieberl^erftettung ber le^teren öon 2ubtt)ig XV., unb SRirobeau
wagte e§, bem Äönig in^ ©ebäd^tnife ju rufen, ba^ biefe 3EBieber=
l^erfteöung öon feinem Sater befd)Ioffen war^).
3Bid)tiger nod) aU ber Sßhmfd) nad) einer Vertretung ber
^otnnjen war ba^ SSerlangen nad^ ber SBieberaufnol^me ber
ftänbifd)en SSertretung be^ 'Jieid)^. Seit 1614 waren bie fron*
göfifdöen ©tatö ©enerauf nicf)t mef|r öerfammelt worben.
3U^ 2Kaupeou ben öemii^tenben @d)lag gegen bie fran=^
göftfd)e SRagiftratur fütirtc unb 1771 bie Parlamente, biefe Ic^tc
nod) öor^anbenc @(^ranfe gegen bie abfolute föniglid^e 3Rad^,
oufi^ob, öerlangten i^re 3Kitglieber juerft ben S^^fammentritt
ber ©eneralftaaten ; ii^nen fd)lofe ftc^ ber i^öc^ftc, öon ^oupeott
gleic^faHj^ aufgel)obene &mä)t^ifof be^ 8anbe^, bie Cour des
Aides, an, ber ?WaIe^l)erbe^ präfibirte, unb für welche er ba§
Sort füi^rte'^); ein ganger Schwärm öon ^Jlugfdjriften fpraci^
im felben Sinne unb erad^tetc bie 3urücfberufung ber $arla^
mente fc^on al^ nic^t me^r genügenb. 9tac^bem biefelbc mitcr
gttbmig XVI. bennod) erfolgt war, t)ielt la 9iod^efoucauIb, btr
Soi^n ber ^^ogin b'ßnoiHe, bie benfwürbige 3flebe, worin er
bie nationalen Serfammlungen jurücfwünf d)te, „beren gefc^lid^c
') Mirabeau's L'Ami des hommes, in einem biefem ^ud^ in bei Sud«
qctbt oon 1756 beigebrucftcn Memoire, unb d'Argenson in ben Conside-
' le gouTcrnement de la Franc*?.
^ oz, Histoire de Louis XVI. L 36 u. 175.
Söiontcöqutcu. 113
Übertragen unb bamit ber „bleuen ^eloife" bie SBege gu bal^=
nen^)* ©ie Bannerträger ber geiftigen Bewegung beö ad^t*
jel^ttten Sal^rl^unbertS, aSoltaire, Suffon, SKonteöquieu, Jftouffeau,
mit il^nen eine Slngal^l anberer ©d^riftfieüer unb ©elel^rten,
fanben in ©nglanb gaftlid)e Slufnal)me, öermeilten gum Stieil
Sa^re bort, unb üerbreiteten nad) il^rcr fttüäUfjx, in il^re 2Künge
umgeprägt, bie englijc^en 3been in ber ^eimatl^^)
50lonteSqu{eu, ber am meiften gu biefer Ummanblung bei=
taiö/ fößt/ i^öfe i^ic 3!Kinifter feiner Seit nic^t mel^r öon ©nglanb
wußten als fed)ö SJlonate alte Äinber. Sei feinem SEobe tt)ar
ba§ anberS geworben; nod^ 1748 l)atte ba§ Sud) über ben
®eip ber ©efe^e, ol^ne Eingabe beö Sßerfafferö im SluSlanb ge«
brucft, als ßontrebanbe nad^ granfreic^ bringen muffen; je^t,
1755, als aßonteSquieu ftarb, äußerte Subwig XV., ein fold^er
5Kann fei nid^t gu erfefeen^). ©s ift relatiö gleid)gültig für
9RonteSquieu'S Sebeutung unb ©influfe auf feine 3cit, bafe fein
größtes SBert mel^r eine Interpretation ber oerfd^iebenen ©efe^«
gebungen, ber erlofd^enen wie ber nod) beftel)enben, eine ^l^t)=
pologie beS Staates, als eine eigentlid)e Segrünbung beS
conftitutioneHen 9lied)teS ober ein ooHenbeteS Softem ber 3fle=
gierungSfunft ift; aud) fommt l^ier nid)t in SSetraAt, ob bie
©runblage feines Segrip oom Staat, romn er biefen als baS
fjrobult fubieftioer 2Biafür auffafet, eine falfd^e ift, ober ob
fein leitenber @eban!e ber Sl^eilung ber Gewalten mel^r auf
bie ^olitifer beS Slltert^umS als auf bie ^^ilofopl^en unb
Staatsmänner ©nglanbs gnrüdgreift. SJionteSquieu'S unöer«
gleid^lid^e ffiebeutung liegt öielmel^r barin, t>a^ er feinen S^it-
genoffen bie 3Rotl^n)enbig!eit fefter Oefe^e unb einer geregelten
SSertoaltung gum Sewufetfein brad)te unb im berühmten fed)pen
*) Brunetiere, Iiltudes sur le XVIlIe Sifecle. Revue des Deux-
Mondes, 15 F6vrier 1885, p. 829.
2) Buckle, History of Civilization. John Morley, Voltaire, Chap. III.
^) Louis Vi an, Montesquieu, sa vie, ses ouvrages. Droz, Histoire
de Louis XVI. I, 82.
»Icnner^affett, 5rau i;on €tael. I. 8
114 @influ6 bcr cnglifd^en Sbccn.
Äa))itcl bcö elften Sud^eö auf bic englifd)e ßonftitution, fon)ie
er pe öerftanb, al§ auf bie (jlüdlid^fte unter aßen öorl^anbenen
ßöfungen be§ ^roblemö politifd^er %xt\^tit öermieö. ©er l)tfto*
rifd)e @inn üon SJlonteöquieu, bie t)on il^m au§gel)enbe Sbee,
bafe bie Sefd^affenl^eit ber :|)t)^ftfd^en 3iatur eines SanbeS be=
ftimmenben ©influfe auf ben ßlö^rafter feiner Semol^ner unb
fomit aud^ auf il^re Sitten, ®efe^e unb ©taatSeinrid^tungen
übe; feine oft auSgefprod^ene Ueberjeugung, ba^ eine 5Wation
Slntecebentien l^abe, bafe i()re Sßergangenl^eit fte öerpflid^te, unb
jte folglich bie ßi^^w^ft nid)t unabl^ängig öon biefen geftalten
fönne; alle bie ©oftrinen, tt)eld)e biefen flarften, öorgefd^rittenften
®eift be§ ad)tjel^nten gal^rl^unbertö alö bireften Vorgänger
unb Segrünber ber neuen ®efd^i(^t§tt)iffenfc^aft erfd)einen laffen,
fcl)liefeen jugleid) ben ©ebanfen an^, al§ l^abe er eine ferDile
3lad)a]^mung frember Snftitutionen be3tt)edEt. S)a§ prafti[d)e
®nbrefultat feiner politifd^en ßel)re lag in ber Slnmenbung re=
:|)räfentatit)er 9legierung§formen auf bie gegebenen, l^iftorifd^ ge=
tt)orbenen ßwftänbe be§ eigenen SanbeS; il^re birefte, un=
mittelbare f?olge mar bie ©medfung be§ SSerlangenS nad^ einer
ßontrole aller ftaatlid)en Slngelegenl^eiten burc^ bie öffentlid)e
SReinung.
3n ben I)öd^ften ®efellfd)aft§freifen unb in ben ^arifer
@alon§ grofegejogen, bel)errfd)te fie balb ben ©efdimadt, bie
9Jlobe unb bie Siteratur; eine ber geiftreid^ften f^rauen bcr
3eit, bie greunbin t)on SEurgot, ba^ tJräulein öon rSfpinaffe,
fprad^ bie l)errfd^enbe Stimmung au§, inbem fie fd)rieb: „SSBie
foHte man e§ nid^t beflagen, unter einer ^Regierung roit bie
unfrige geboren j^u fein. 2öa§ ein fd)tt)ad^e§, unglüdlicl)eS ®e-
fd)öpf, tt)ie idt) eines bin, betrifft, fo ttjäre eS mir lieber, baS
unbebeutenbfte SJiitglieb ber englifd)en ßommonS als Äönig
t?on ^reufeen ju fein" ^). ©er SRarquiS be ßliafteUu?: öcr»
*) Mademoiselle de PEspinasse an Guibert; bei Foncin,
Ministfere de Turgot, 127.
^tdtx beruft btc crften ^roömaialöerfornmlungcn. 119
bcr Parlamente, in bie 2}ern)aUun8§an|:jeIeflcnl&eiten ftc^ gu
mif^en, immer wieber neuen Stoff gibt 9Ran mufe ben
Parlamenten folglich bie @tü^e ber öffentlid)en SReinung unb
ba§ SRed^t entjiel^en, jtd) atö aSertl^eibiger ber Station ju be=
tradjten, ober auf kämpfe ftd) vorbereiten, welche ben trieben
ber ^Regierung 6urer 9Jlaieftät ftören unb entroeber gu einer
©mtebrigung ber Slutorität ober ju e;rtremen Sluöfunft^mitteln
fül^ren mürben, beren Sragmeite fid) nid)t bemeffen läfet" ^).
SHedfer'ö 5Borfcf)lag mar alfo mit gegen bie Parlamente ge-
rtd^tct, aber aud^ an bie SSerufung ber ©eneralftaaten badete
er nid^t; in f:|)äteren S^it^« l^at er jebe 3Serantmortung für ben
Sufammentritt berfelben auf§ Seftimmtefte abgelet)nt. @ie er*
fd^icnen il^m aB „eine oeraltete Kombination, bie in il^ren beften
Seiten pc^ft unooUftänbig gemefen fei, bie aufgegeben, bann
mieber eingefe^t, niemals aber mit ben Slnfd^auungen, ben
©itten unb SJleinungen ber Station in Harmonie gebrad^t mor*
bm fei"; er nannte \p&Ux ba^ bem ^arifer Parlament burd)
Sriennc gegebene SSerfpred^en , bie ®eneralftaaten gu berufen,
„ebenfo üorfd^neU alö beflagen^mertl^". Sie ©rmartung, al§ ob
Wn ber Seftimmung ber Qdf)l ber ®e:putirten ober irgenb einem
anbern, ebenfo fläglid)en Sßittel Slbplfe ber oorl&anbenen Uebel
gu erwarten fei, erfd^eint il^m al§ »une ignorance et une
ineptie«. „SBarum", fagt er, „foHte i^ Slnftanb nel^men, e§
auSgufpred^en, ba^ meine erften mie meine legten ©ebanfen ftetS
einem SRegierungöftiftem geneigt maren, mit meld)em meber bie
nad^ brei Stauben gefonberten ®eneralftaaten nod) irgenb ein
anberciS ber monard)ifd)en Snftitute oerglid^en werben fönnen" ^).
&S ift femer ein d)arafteriftifd)er ßwg in 3lecfer'ö politifd^er
®e|tnnung, baft er, fid) felbft überlaffen, allen centraliftrenben
3nftitutionen abgeneigt mar; befonberö in feinen fpäteren
') Neck er, Memoire au roi sur l'etablissement des Assemblees
proyinciales. Oeuvres completes, III, 264.
^ Necker, De la Revolution fran^aise. Oeuvres complfetes, IX, 126,
128, 131, 145.
dltätt'& 3i«I» ©etolmiung ber öffcntüd^en 3l)icinuiig. 117
SKad^t burd^ ben 3itfcimmcntritt bcr ^rin^en beö §aufc§ gran^
rcid^ unb bcr ^airö mit ber :|)arlamentarifd)en 93Zagtftratur nid^t
erfc|t werben fönne". 2lud) 93?ale§l^erbeö tt)ieberl)oIte an ber
©pi^e ber wieberl^ergeftellten Cour des Aides bie Ueberjeugnng
t)on ber Siotl^wenbigfeit ber Berufung ber ©tänbe be§ 3ieid^^
unb ba^ Serlangen „nad^ einem !önigUd)en ©efe^geber"; bei
©clegen^eit feiner Slufnal^me in bie SHabemie, bie 1775 erfolgte^
erwerfte er einen SeifattSftnnn mit bm SBorten: „®in üon
üücn beftel^enben 9Räd)ten nnabl)ängige^ aber gead^teteö SEri«
bunal l^at pd^ crl^oben, meld^eö alle Talente ju fd^ä^en weife
unb jebe Slrt beö Sßerbienfte^ prüft; in einem 3al)rl^unbert,
tt)0 jebcr SKitbürger burd) bie treffe jur gangen 3Ration fpred)en
fann, ftnb ©ieienigen, n)eld)c bie ®abe beft^en, bie ^Äenfd^en
gu belehren ober gu rüijxtn, unter bem üerfammelten SBolf, waö
bie SRebner üon SRom unb Sltl^en in il)ren Sagen gemefen finb."
@o fprad^ 9)laleöl^erbe§, ber ßenfor ber frangöftfc^en treffe!
Siedfer backte nic^t anber§; fd^on im fönä) über ben
©etreibel^anbel l^iefe e§: „®ie öffentlid)e Meinung ift ftärfer
unb erleudt)teter al§ ba^ ©efe^"^). „©er Slbminiftrator, ber
im ©tanbc ift, bie öffentlid^e 9)?einung gu ftubiren unb nad)
i^rer ®unft gu ftreben, üermöd)te burd) biefeö eingige @e=
fül^l bie Südfen feinet 2;alenteö unb bie Unfid)erl^eit feiner
Äenntniffe gn erfefeen; benn bie allgemeinen 2lnfd)auungen
Aber ba^ 338o^l beö ©taateö, bie Segriffe über Sltteö,
tt)aö nüpd^ unb öemünftig ift, ftnb mit bem ^ortfd^ritt ber
äufflärung üorangefd)ritten unb weit verbreitet" 2). ©ie l^ier
angefülirten @ä^e ftnb ben erften @d)riften 3ieder'S entnommen;
alö er an^ ©nglanb gurüdf eierte , fanb er ft(^ in biefen 3been
begreiflidier SBeife nod^ beftärft: ,,©ie erfte Urfad^e be§ 3ieid)^
tl^umS unb be§ Ärebitö üon ©nglanb ift ol&ne S^^^if^l i" ^^^
*) Neck er, Sur le commerce et le l^gislation des grains. Oeuvres
complMes, I, 184.
^ Necker, De radministration des finances. Oeuvres completes,
IV, 55.
118 ÜWittel 8um 3»«^« ^atlamcntc, ^roöinaialöetfammlunöcn ober @t5nbc.
Öffentlichen 6ontrole ber englifd^en ginanjen ju \nä)m", fd^rieb
er barüber im Gompte-rendu an ben Äönig^); feine Se«
wunberung für ba§ englifd)e Staatöwefen läfet jt^ auf biefe
©inbrürfe xurüdffül^ren. „an ®ic^, grofeeö Sßolf, wenbe id^ mid^,
weil baö ©efü^l ber grei^ett 5)ir feine 3Racl)t Ici^t/' ....
fd^rieb er, auf englifd^e Suftänbe pd^ berufenb, 1784. „SBebenfe,
bafe ©u ber 3Kenfd)l^eit 3ied^enfd)aft über biefe ^Jreil^eit fd)ulbeft,
beren le^te @d)ä^e ®u bemal^rft, bamit, wenn in einem %f)dl
ber Söelt il^re @:|)ur üerloren ginge, bod^ irgenbwo il^r SBorbilb
unb Stnbenfen bewal^rt würben ©a 5!Jieere§tt)ogen ®id^
üom ^oä) ber ftel^enben ^eere bewal^ren, bebenfe, bafe ©eine
erfte ©orge bie @rl&altung ber foftbaren ^Regierung ift, beren
Segnungen ©u geniefeeft" 2). 2lud) er war enifdiloffen, an bie
^ublicität ju appeUiren unb nid)t nur ber öffentlid^en SKeinung
Jfted^nung ju tragen, fonbern mit \i)v unb burd^ fie ju regieren.
©a§ war auf üerfd^iebene SBeife burd^fül^rbar; er fonnte
bie 9Kad)t ber Parlamente üermel)ren, bie ^roöinjialftänbc
wieber einfül^ren ober ben großen @d)ritt wagen unb bem
Äönig bie ^Berufung ber ©eneralftaaten öorfd)lagen.
3n 33egug auf bie Parlamente badete 5Redfer fo gicmlid^
wie Surgot; er fal^ in bie[en Äörperfc^aften ben §crb üon
Sntriguen unb Sorurtl^eilen, bie jum grofeen Sl^eil bem SRangel
an ©injtd^t unb SBiffen, jum anbern bem 3Bunfd^, eine Slollc
JU fpielen unb bie SSlicfe ber Sflation gu feffeln, jugufdjreiben
feien, obwol^l weber geiftige Ueberlegenl^eit, nod) Siebe jum
öffentlid)en SBol^l jte baju bered)tige^). „©a§ publicum", fd^ricb
er bem Äönig, „t)at nun einmal burd) bie SRid^tung ber S^^cen
ein offenes Sluge für alle ?D?ifeftänbe unb ^ifebräuc^e befommen;
barauS entfteljt eine rutielofe, unflare Äritif, bie bem SBunfd^
^) Necker, Compte-rendu au roi. Oeuvres compl^tes, II, 3.
'^) Necker, De Padministration des finances. Oeuvres compl^tes, IV,
170-171.
^) Necker, Memoire au roi sur P^tablissement des Administrations
provinciales. Oeuvres completes, III, 152.
SBitlfornfctt bcrfelben. 123
Mcfer aSerfudö folltc, im 5^11 \>e^ ®elingen§, anbcm tjlcid)artigen
Snfiitutiottett im ßattgcn ganbe gum 9)?u[ter bicnen unb \o lange
fortgcfc^t werben, „atö eö bem Äönig gefiel". ®ie wid^tigften
^nfte il^rer SEBirfjamfeit blieben bie 6rl^ebung unb geredete
SBert^eilung ber Steuern, bie ©trafeenbauten , mit meldten bie
üer^afete unb gefürd^tete Seiftung ber grol^nben, corvees, in Sßer*
binbung ftanb, bie 2öol)ltl^ätigfeit§^Slnftalten unb bie görberung
bt^ ^anbelS unb ber Snbuftrie; bie ^Berufung beö eigentlid)en
ülerten @tanbe§, burd) SluiSbel)nung ber SBal)l beö britten ©tanbeö
auf jwßlf länblid^e ©runbbejt^er , alfo auf jwölf Sauern, mar
SHeder'jS wefentlic^fte 5)leuerung. 5)ie nädt)fte ^roöinjial^SSer-
fammlung foHte 1779 im ©aupl^ine eingefül)rt merben; biefe
^roülnj l^atte frül^er eine ftänbifd)e SSertretung gel^abt unb bie--
felbc unter SRid^elieu öerloren; fie erl^ob beöwegen @d)tt)ierigs
feiten unb »erlangte il)re alten 9fled)te, ftatt ber neuen 6inric^==
tung, bie man if)x bot.
gierfer fd^ieb auö bem SKinifterium, beöor ber (Streit ge=
fd^lld^tet war; erft 1798 foHte er gum 3lu§trag fommen unb
bie Vertretung be§ ©aupl^ine eine grofee SRolle in ben QeiU
ereigniffen f:|)ielen. ^Dagegen gelang 1779 bie ßinrid^tung einer
^roüinjial*S5erfammlung "in ber (Generalität öon 2Kontauban,
nun nad^ alter SBeife ^aute-®uienne genannt, fd^eiterte aber
1780 in ailoulinS für ba^ Sourbonnaiö , SZioemaig unb bie
SRard^e.
©ie gtt)ei $roöingial=aSerfammlungen im Serrt) unb in
SRontauban tagten bi§ 1786 unb redt|tfert igten im üollften
9Ra§ bie Erwartung 9leder'ö, „bafe ber @inn für baö ®emein=
VDoijH burd) jte gel^oben unb ba^ Sßolf burd) bie neu ern)ad)ten
(Smpflnbungen ber SBol^lfal^rt unb beö SBertrauenö ber Sflegie«
rung jtd^ aufd^liefeen werbe" ^) ; il^re fegen§reid)e SS^ätigfeit ift
ber lichte ^ßunft in ber ®efd)id)te Subwig^ö XVI. 3wei ber
*) Necker, De Padministration des finances. Oeuvres complfetes, IV,
21 u. 86.
120 SRcder beruft bie erften ^voötnatalöerfammlungcn.
©Triften tritt auf§ Scftimmtcfte eine Hinneigung jum göberatiü-
ftaat gu Sage. ®ie ©enffdönft an ben Äöntg gu fünften ber
@infäl)rung Don ^roöingialftänben legt ba§ l^auptfäd)UdöP^ ®C'
tt)id)t baranf, ba^ eine gered^tere Seurtl^eilung ber eigentl&üm*
lid^en SSerl)äItntffe jeber $rot)ing bnrd) jte ermöglid)t merbe,
an bie ©teKe ber öon $ari§ au^gel^enben, centralen Seitung
burd) ben nngenügenb unterrid)teten nnb fd)Ied^t bebtenten ÜRi=
nifter werbe eine billige, üerftänbige Serädftd)tigung lofaler
ßuftänbe nnb :|)rot)ingieHer SSerfd^iebenl^eiten treten^).
Sieben biefen öorwtegenb praftifd^en ßrmägungen wiber*
fprad^ aber aud) 9leder'ö ganje, bamatö iebenfaHS nod^ fel^r
mangell^afte Sl^eorie öon ber ©ouüeränetät bem ®ebanfen an
eine Serufnng ber @tanbe be§ 9leici^§; ber SJtinifter, n3eld)er
bie englifd^e 3Serfaffung al§ fein poUtifd^eö gbeal feierte, [teilte
bennod^ in ber @d)rift, weld^e bie Berufung ber ^roüingial-
ftänbe . em)3faf)l, ben @a^ auf, ba§ baö Sefteuerungörec^t bie
notl)tt)enbige ©runblage, nid^t etma ber :|)oUtifd^en f?reil^eit,
fonbern ber föniglid)en 9Kad)t fei. 3Bäf)renb Surfe alle, t)on
ben frü()eften Seiten an um ber greil^eit millen beftanbenen
Ääntpfe beg englifd^en »olfeö auf bie S^atfad^e gurürfffi^rte,
ba^ Sefteuerung unb Vertretung bei freien 3iationen ungertrenn*
lid) öon einanber feien, unb ^itt in ben fd)ärfften unb be*
ftimmteften Sluöbrfiden bie ©elbftbefteuerung be§ 3Solfe§ burdb
feine gefe^lid)en Sßertreter aU ba§ tt)efentlid)e unb unterfd^eibenbe
SWerfmal :|)olitifd^er fjreil&eit begeid^nete, erflärte nieder „biefe^
gefe^lidie SRed)t ber Ärone nid)t einfd^ränfen, fonbern nur in feiner
Sluöübung regeln gu ttjollen" ^). Soweit war ba§ abfolute ©Aftern
felbft unter Subwig XIV. nid^t gegangen, unter bem man eö
forgfam öermieben l^atte, biefen $unft äberl^aupt biöfutiren gu
laffen. Siedfer felbft untergog wä^renb feinet 9Jlinifterium§ bie
') Necker, Memoire au roi sur retablissement des Assemblees
provinciales. Oeuvres compl^tes, III, 340, 341.
2) ^benbafelbft, III, 346, 351.
122 Söirifamfeit bcrfcIBcn.
tioncn, bie nur in wenigen, bereits ertüäi^nten 5|JroDinjen ber
5!Jlonarci^ie nod^ fort beftanben. 6in Sifdl be§ ^anö öon
Surgot war baburd) wieber aufgenommen; aber öon feiner
Sbee einer üorbereitenben SBertretung ber ©emeinben, bann ber
Äreife, war nid^t wieber bie SRebe, unb an bie ©teile ber SBäl)I=
barfeit auf ®runb eines beftimmten (SinfommenS unb ol^ne
Unterfd^ieb ber ©täube, trat bei 9?edfer bie SRüdfel^r jum ^rincip
ber brei ©täube, aUerbingS mit einer wefentlid^en SBeränberuug.
3n ben (äeueralftaaten unb in ben ftäubifd^en SBertretungen
ber einjelnen ^roüinjen öer^anbelte Jeber ©taub für jtd^, fo*
bafe Slbel unb ßleruS, als bie beiben erften ©täube, wenn fte
jtd^ bereinigten, ftetS in ber 2Waj[orität gegen ben britten ©taub
waren; in einer einzigen ^roöiuj, bem Sangueboc, war bieS
anberS, bort würbe nur in einer SBerfammlung unb nad^
Äöpfen geftimmt, unb ber SierS beftaub für jtd^ allein au§
ebenfo fielen SJiitgliebern, als bie beiben übrigen ©täube ju*
fammen.
©iefen 3Bal)lmobuS l^atte bereits g^enelon für alle ^roöin«
jialftänbe beS SReid^S in SBorfd^lag gebrad^t, unb il^n wäl^ttc
ie^t audö nieder; nid^t ol)ne Sebenfen gab ber Äönig feine 3"==
ftimmung *).
®er erfte SBerfud) jur (äinfül^rung ber neuen ^nftitution
würbe in einer ber fleinften unb ärmften ^roöingen ber 3Kon*
ard^ie, im Serr^, gemad^t; bie SBerfammlung beftanb auS ac^t»
unböierjig 3JJitgliebern, t)on benen jwölf Slbelige, jwölf ©eljllldöe,
jwölf Vertreter beS SSürgerftanbeS auS ben ©täbten unb 8»ölf
länblid^e ®runbbeft^er waren; ber Äönig beftimmte fed^jc^ti
©eputirte, biefe wäl^lten bie übrigen jweiunbbreifeig, baS ^räßbium
fül)rte ber (Srjbifd^of üon SSourgeS. 5)ie SBerfammlung foKtc
alle jwei 3al)re wäl^renb eines 9ÄonatS gufammentreteu unb in
ber 3tt)ifd^enjeit bie 2luSfül)rung il^rer ©efrete burd^ ein SSureau
Don jt eben SRitgliebern unter einem ^räfibenten bef orgt werben ;
^) De Lavergne, Les Assemblees provinciales, 18.
126 3Raurcpa8 gegen 9Zerfet.
3eit gar nid^t bic notl^tücnbigcn abminiftratiöen (äinrid^tungcn
unb baS mobcrnc 3icd)nung§n)cfcn öorl^anben, bie einen genauen
3laä)tod^ ber (ginnal^men unb Slu^gaben ennöglid^en; [o be=
trugen bie ©taatöeinfünfte öon 1781 öierl^unbertbreifetg ^ih
lionen, 3lleder'§ Sendet öerred^nete aber nur jtoeil^unbertöier^
unbfed)gig SJiiHionen, tt)eil über bie anbern 6in!ünfte leine üer*
läfjtge Sleclienfdjaft gegeben xoax; e§ tonxbt alfo einfadC) ange=
nommen, ba^ jte bie ^öl^e be§ S)urd^f(I)nitt§ertrag§ errei(I)t
Ratten '),
@o weit ttjar 3lleder gefommen, ate auci^ ü)m burdC) bie
Ungunft ber 35erl^ältniffe ^alt geboten tt)urbe.
®er erften großen @(I)tt)ierigfeit begegnete er im ©d^ofe
be§ 2Rini[terium§ [elbft. 2Bäl)renb be§ ©eefriegS mit (änglanb
lag bie SSerwaltung ber 5!Karine in ben ^änben be§ notorifd)
l^ierfür unfäl^igen .^errn öon ©artineS; im Saläre 1771 \ä)\ih
büc biefer 9Jiinifter bem g^lottenbienft über ein 3al)r ber ®agen,
unb bennod) betrug ba§ ^Deficit in feinem Departement jtüanjig
aRißionen. 5Recfer verlangte öon 5!Kaurepa§ bie ©ntlaffung öon
©artineS unb brol^te mit feiner eignen, faU§ biefe nid)t erfolgen
foKte; 5!Kaurepa§ loäre nid)t§ tt)iIlfommener getoefen; gur 8lb^
neigung gegen 5Rerfer tt)ar längft bie g^urd^t gefommen, burd^
ii^n erfe^t ju werben, aber ber Slugenblid, il^n gu ftfirjen,
war nodi) nid^t ba; er bot il^m ba§ ^ortefeuiKe ber SRarine
in ber ßrmartung an, it)n bmi) Uebernal^me einer Slbminiftra*
tion, t)on weld^er er nid^tö oerftanb, in SBerlegenlieiten gu üer*
wideln. 5Reder beging jebod^ biefen fjel^ler nid)t, [onbem be*
•nu^te ein Unwol^lfein be§ alten 9Jiinifter§, um, im ©inoerftdnbmfe
mit ber Königin, bie Ernennung be§ 5IKarqui§, fpäter SWarfd^all«
be ßaftrieö jum SWarineminifter unb jwei SKonate fpäter bie
SBal^l beö 9Äarqui§ be ©egur jum ÄriegSminifter, an ber
©teile be§ ^ringen öon SWontbarre^, burd^gufe^en. ®a§ war im
^erbft 1780; eö folgte bie «ßublifation be^ Compte-rendu,
^) Droz, Histoire de Louis XVI, I, 294 u. ff.
S)ic Dppofition möd^ft. 129
•
nid^t nur bie Sptigfeit bc^ SWiniftcr^, fonbcm auc^ bic ß^rc
beg Privatmannes bcn SBerbäd^tigungcn preiSjugeben.
üicdfcr'iS Segriff öon ber SUlmad^t ber öffentttd^cn SKeinung
leierte auf iebcr ©citc feiner ©d^riften wieber unb fprad) ^ä)
in allen feinen ^anblungen auö. S)er ßntl^ujtaömuö fetner
grcunbe tonnte il^n über ben Umfang be§ SBiberftanbS täufd^en,
ber fidö gegen il^n erl^oben l^atte, aber bie ©fifteng eines fold^en
war il^m xooljll befannt; bie l^ol^e Slriftofratie bot in ben
$roöinjen njittig bie §anb ju feinem 3fleftirmtt)erf^), aber ber
^ofabel öerjiel^ SRecfer ebenfott)enig, als er Surgot gebulbet
l^atte, unb ful^r fort bie SluSfibung ber üerberblid^ften 5Uii6«
bräud^e wie erworbene SRed^te gu beanfprud^en.
©ie Stimmung ber Detonomiften gegen il^n erful^r leine
SÄobiflf ation ; bie tl^eilweife ©urd^fül^rung il^reS Programms
entfdöäbigte aud) biefe politifd^e Partei nid^t für bie ^int^»
anfe^ung ber 5|Jerfönlid)Ieiten. SSon allen SSewunberem unb
Slnl^ängem t)on Sturgot war 93oItaire faft ber einjige, ber jtd)
baburd^ nid^t abl^alten liefe, aud) baS (äjrperiment, baS Sfteder
öerfud^te, mit wol^lwoHenber ©qmpatl^ie ji^ begleiten; e§ er=
fc^ienen SBerfe öon il^m, worin er bem 5!Kinifter fagte:
»On vous damne comme heretique;
On vous damne bien autrement
Pour votre plan economique,
Fils du g^nie et du talent.
Mais ne perdez point Tesperance;
AUez toujours ä votre but,
En reformant notre finance.
On ne peut manquer son salut,
Quand on fait celui de la France« 2).
S)ie ^]^ilofo|)]^ie enblid^ fal) il)re Erwartungen nid)t erfüllt, ©er
ÄleruS l^atte eS ju ©nbe beS S^l^reS 1778 burd)gefe^t, bafe gegen
0 LaTergne, Les Assemblees provinciales. D'Haussonville, Le
Salon de Madame Necker, II, 128 u. ff.
*) La Harpe, Correspondance litteraire, 1779, II, 157.
»lennetlbaftett, 5rau ton ©tael. J. 9
1«
128 S)te £)ppofittou »öd^ft.
2)ie @elb[tgetättig!eit aber, bic SRedcr gu bicfcn unb öiclen
ä^nli^en Slcufeerungcn üeranlafet l)atte, öcrle^te ni(I)t 9Jlaurepa§
allein. ®cr eigentUd^e Url^eber be§ ^lane^ ber SBieberberutung
unb 3lu§bel)nung ber ^roömjiaberfammlungen, 9Äarqui^ üon
SKirabeau ber SBater, beffen Sud^ über biefen ©egenftanb fd)Ott
1750 erfd^ienen tt)ar, fanb jtd) in SReder'S ®enffd)ritt an ben
Äönig gleid^faU^ nid^t ermäl^nt, obxoo^ bie mertoürbigften
©teilen berfelben, tt)ie g. 33. ber Slbfd)nitt über bk Sntenbanten
unb ber jum gepgelten SBort geworbene @a^: ,,2)eriemge, ber
6000 Siöreö ^enfton erhält, begießt bie (äinfünfte — la taille
— öon [ed^§ S)örfern'^ bern IBud^ öon 3Kirabeau entnommen
maren. 3ur ©ntfdöulbigung 3ledfer'§ liefe jid) fagen, bafe bie
®enffd)ritt über bie ^roöingialoerfammlungen nur für ben Äönig,
nid^t aber für bie Deffentli^feit beftimmt mar. S)er Si^f^K liefe
jte jebodö in bie .^änbe eine§ gemiffen ßromot gelangen, 3n==
tenbanten ber g^inanjen öon 9Äonfieur, ©ruber Submig'S XVI.,
beffen Semerbungen für feinen föniglid^en ^erm fornol^l atö
für jtd^ nieder abfd^lägig befd)ieben i^atte^), unb ber nun,
um jtd) am SRinifter ju räd^en, bie Slrbeit beöfelben brudert
unb überall verbreiten liefe, beöor gegen i^n eingefd^ritten wer-
ben lonnte^). 5)ie Parlamentarier fal)en ftd) ii^rerfeitS nidt)t
nur burd) SReder angegriffen, fonbern in il^rer @<rifteng bebrol^t
unb beuteten ben gefäl^rlid^en @a^ öon ber ©teuergemalt ber
Ärone bieSmal nid)t ol^ne ®runb bal^in au^, bafe mit Slufl^ebung
il^reS @infprud^§red)tö ba§ lefete SSollmerl ber aSolf^freil^eiten
fallen merbe; fie ermiberten feine Sefd^ulbigungen junäd^ft
burd^ bie SBeigerung be§ ^arifer ^^5arlamente§, ba^ ©bift ein*
jutragen, meld^eS bie ^rooinjialoerfammlung üon 9Äoulin8 ein^»
berief, ßi^öl^*^ erai^tete SUtaure^^aS \>cn lang erfelinten Singen*
blid für gefommen, um einen gangen Sd^marm üon @dt)mäl^«
fd)riften unb ^ampl)leten gegen feinen Kollegen lo^gulaffen unb
0 D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, 11, 120—122.
-) Auguste de Stael, Notice. Oeuvres complMes, I, CLXX.
(Sx öcröffcntlid^t feinen Compte-rendu. 125
Staates öcrgUdicn; e§ mufetc ju einem neuett SJlittel ßegriffen
werben, um ben Ärebit ju erl^öl^en. nieder fam auf feine Sieb*
lingöibee., bie ©ewinnung ber öffentlid^en 9Reinung burd^ eine
Ilare ©arlegung beg ©tanbeö ber @taatögefd)äfte jurüd unb
lüftete jum erften SRal ben unburd^bringlid^en ©d^Ieier, ber feit
SRic^elieu bie ^inangen ber franjöftfd^en 2Ronard)ie bebedfte;
fein Compte-rendu an btn Äönig erfd^ien 1781, im Sanuar,
unb war bie gröfete Steuerung in ber aSerwaltung ber alten
SKonard^ie. ^n finangieHer 33ejiel)ung üertüieö er auf einen
Ueberfd)u§ öon gel^n aJiiHonen in ben ©infünften be§ Staate^
über feine Sluögaben, auf baö SSerfd^minben be§ ©eficitS unb
auf bie tt)ad^f enbe 3Bol)lfal)rt beS SanbeS ; bie näd)fte S^olge be§
3ied^enfd)aftöberid)t§ war bie, ba^ bie neue Slnleilie SReder'ö in
wenigen SRonaten über jweil^unbertfed)öunbbrei6ig SSJiittionen
einbrad^te. 3n moralifdjer Sbejie^ung war fein ßinflufe nid)t
geringer. Sie Sluöeinanberfefeung ber t)orl)anbenen 9Jtifebräud)e
banb bie ^Regierung an bie SlbfteHung berfelben unb begei^rte
für ben Äönig ju ®unften beö SReformwerfS, ba§ bie ©ered^tig:^
feit verlangte, bie Unterftü^ung ber öffentlid^en SReinung; fie
allein fonnte ii^m bie Äraft gu feiner ©urd^fü^rung oerlei^en,
aber jte öerpflid^tete ii^n jugleid), e§ nidjt wieber aufzugeben.
S)a^ ber Compte-rendu in finaujieUer §inftd)t unri^tig war,
ift längft übergeugenb nad)gewiefen worben; bie Sered^nung,
bie er aufftetttc, begog fid^ nämlid) nur auf bie regelmäßigen
©nnal^men unb Sluögaben, nid)t aber auf bie au6erorbentlid)en
Saften, bie ber Ärieg auferlegte ^), unb ferner war e§ nid^t ba^
Subget eines beftimmten Sal^reS, welches 9teder aufftellte, fon-
bern eine Slrt t)on giftion, ein ©urd^fd^nittsbubget, ba§ btn
regelmäßigen @tanb ber @inna{)men unb SluSgaben innerl^alb
beS 3^ttraum§ eines Sal^reS, aber ol)ne jebe Serüdftd^tigung
ber öorlommenben SluSfäUe unb außerorbentlid)en SluSgaben,
fowie beS laufenben ©eficitS gab. UeberbieS waren ju feiner
0 Necker, De la Revolution frangaise. Oeuvres conapletes, X, 229.
130 S)tc Königin für ffttdtx.
bcn 35Bunfd^ beö Äönig^, ber SWel^rjal^l bcr SKinifter unb [elbft
einer Qai)l öon Sifci^öfen bie ®ett)äl)rung ber bürgerlici^en
Siebte an bie ^Proteftanten unb bie Segalijtrung il^rer 6^en öon
ben Parlamenten nid^t bett)ill(igt würbe; beffenungead^tet blieben
bie Sejiel^ungen 5Reder'§ gum ©piöfopat bie beften, unb IBifd^öfe
präjtbirten feinen ^roöingialftänben. 2Benn e§ [einem ©inPufe ju
banfen tt)ar, bafe bie ©d^riften t)on S3aiH^ unb IBuffon ben
ßenfuren ber ©orbonne entgingen, fo mufete eö bafür gleid^fattö
feinen befannten ®epnnungen über religiöfe 5)inge jugefd^rieben
»jerben, ia^ ber auswärtige Sud^l^anbel ben frangöjtfd^en SWarft
nid^t tt)ie frül)er mit ^robuftionen gegen baS Sl)riftentl)um unb
bie guten Sitten überflutl^ete ^).
SBie aufmerffam feine ^Jreunbe au§ bem pl^ilofopl^ifd^en
gager 5Recfer'§ Haltung in biefer Segiel^ung im Sluge bel^ielten,
fagt u. a. ein vertrauter ©rief von @aint=Sambert an SRabame
nieder, alö eö befannt würbe, ba^ für bie ©täube beö 5)aup]^ine
eine geringere Slnjal)l öon (äeiftUdöen al§ für Jene be§ Serr^
in Slu§jtd)t genommen war unb ha^ ^räftbium einem Saieit
jufaHen follte. ' Sind) bieömal war am §ofe felbft ber (äinflufe
ber Königin nid^t gu unterfd^ä^en: fte l^ielt vorläufig treu ju
5Reder; 9Jiaurepa§ öerjiel) eö xi)x um fo weniger, alö bie gwei
5!Kinifter be Saftrieö unb ©egur il^rem (äinflufe bie ^ortefeuiHeö
beö Kriegs unb ber SRarine üerbanften. ©eine Slntipatl^ie
gegen 9tedfer t^eilte ber allen 5Reuerungen gleid^ wiberftrebenbe
35ergenne§; ber alte SWinifter verlangte unb erl^ielt öom legieren
eine gel)eime ®enffd)rift an ben Äönig, worin e§ al§ l^öd^ft gefäl^r^
lid^ begeid^net würbe, „bie fd^wierigfte Slbminiftration beS SReid^S
in ben Rauben eines SRepublifanerS unb ^roteftanten ju laffen'' ;
bie 3fiul)e, weld^e ben Slnftrengungen fo oieler, weifer aJiinifter
gu banfen fei, werbe baburi^ bebrol)t. Siefe Sftul^e, fo fc^lofe
aSergenneS djarafteriftifd^ genug, fei barauf gurücfgufülören, ba%
es in S^ranfreid^ weber ÄleruS nod^ äbel, nod^ einen eigent*
0 Droz, Histoire de Louis XVI. I, 264.
^amp^t, 131
lid^en SicrS gebe, ©ie Unterfd^eibung fei ehte fiinftlid^e, blofe
repräfcntatiöe, ol^ne wirtlid^e Autorität: „®er SJionard^ fpttd^t,
aaes ifl aSolf mb Mt^ ge^orc^t''.
SSergenneS a^nte nic^t, tt)ie toal^r er fprad^; gerabe ber
niöellirenbe Slbfoluti^muö l^atte bie ©emolratie gefd^affen, welci^e
bicfctt S(bfoluti§mu§ erfe^en foHte.
Unterbeffen erfd^ien gegen ben Compte-rendu ein neues
^am|)l^let, beffen 3Serfaffer bie ©tette eineö @d^a^meifter§ beS
(ärafen öon 2lrtoi§ befleibete. 3Jlan tüax bantalö gegen Singriffe
ber treffe nid^t fo abgel^ärtet tt)ie l^eute, unb jubem lag 3lledfer'§
gonge ©tärle in ber Sld^tung unb im Vertrauen beg ^ublifumö ;
er öerlangte alfo Prüfung ber gegen il^n gefd)leuberten SJer«
leumbungen, unb alö biefe in ©egenwart öon breien feiner
Kollegen öollftänbig ju feinen ®unften entfdt)ieben xoax, Sluf«
nal^me in ben 5!Kinifterrat]^. @r t)erfd()tt)eigt in ber ®efd^id)te
feines erften aJiinifteriumS nid^t, tt)te fd^merglid^ bie fortgefe^ten
Singriffe feiner geinbe il^n trafen, tt)ie bitter er eS empfanb, bie
SReinl^eit feiner 8lbftd^ten öerfannt ju feigen, unb biefe Stimmung
fud^te er aud^ feiner iJrau nid()t ju verbergen? 9Jiel^r unb mel^r
fal^ biefe in SJlerfer „einen aufeerorbentlid^en 5!Kenfd^en, eine @r^
fd^einung, bie man nid^t ol^ne SRül^rung betradt)ten fönne, ettoaS
^immlifd^eS, »ie man eS nur öon l^öl^eren SBefen gu ertt)arten
berechtigt fei''; er erfd^ien il)rer mafelofen S3ett)unberung wie
„ein Sönje, ber ftd^ in [Regionen derirrt l^abe, wo fonft nur
fjüd^fe unb SSären il^r SBefen trieben'' ; erft nad^ unb nad), „im
Sauf ber ß^tt ^^^ ^^^ 33egebenl^eiten, l^abe fte ben gangen Um^
fang feines ®eniuS, bie Stiefe feiner ®üte erfannt" ').
Slud^ öon SRecfer'S Seite l^atten bie Segiel^ungen gu feiner
®attin erft öor Äurgem einen eigent^mlid^en StuSbrud gefunben;
5!Äabame Nieder war im Gompte-rendu bei SSefpred^ung ber
in ©efdngniffen unb ©pitälern burd^gefül^rten SReformen genannt
*) Madame Necker, M^langes extraits des manuscrits de Madame
Necker. II, Portrait de Monsieur Necker, 372.
9*
132 ^«tf« M* SBcbinsungcn.
tt)orben, uub il^r 3Rann l^atte für bie ebenfo öerftänbigc atö
uncnnübli(I)c Untcrftüfeung, bie fte tl)m geiciftet, öffcntlid^ feinen
S)anf auöflefprod^en ; bafe er je^t, [tatt ber üerbienten M^
gemeinen Slnerfennung, bie ungered^teften unb untt)ürbigften S3e-
fd^ulbigungen über jtd^ ergel^en laffen follte, erfcl)ien il^r un=^
erträglid^ unb öeranlafete jte gum größten taftifd^en %el)Uv, ber
fiberl^aupt gu begel^en »ar; jte »änbte jtd^ ol^ne SSortoiffen
5Re(fer'§ an 5!Äaurepaö, ber nad^ ben SBorten öon ^rau öon
©tael ,,im Sluöbrud eines wahren ©efül^tö md)t§ fal^ ate bie
©elegenl^eit, bie öertounbbare ©teile beSfelben ju entberf en" ^),
unb verlangte Don il^m, bie 8lngriffe ber 5lug[d)riften gegen
il)ren 9Äann ju oerl)ittbern. ®er SKinifter fonnte baburd^ erft
ermeffen, vok tief bie jum guten Sil^eil öon tl^m abgefenbeten
Pfeile getroffen l^atten; er ging je^t einen ©d^ritt tt)eiter unb
öertoeigerte nieder nid^t nur ben verlangten Eintritt in ben
aRinifterratl^, fonbern er fügte ben beleibigenben SBorfc^Iag l^ingu,
biefer möge burd^ SRetigionömed^fel ba§ ^inbemi^ befeitigen,
ba^ ftd^ biefem Verlangen entgegenfteHte ; im Uebrigen bat er
feinen GoKegen, We angebotene ßntlaffung äurfidgujiel^en.
5ftecfer, öom SBunfd^e befeelt, feine SBirffamleit fortjufe^en,
^ielt neue SBorfd^Idge nod) nid)t für auSgef d)Ioffen ; er öer=
langte bie Prüfung ber StuSgaben für SJiarine unb ^ecr, bie
Slbfe^ung be§ wiberfpenftigen S^tenbanten öon SJiouIinS unb bie
erjtt)ungene Eintragung be§ 6bift§, ba^ eine ^rodinjialöer*
fammlung für ba^ SSourbonnai^ in§ Seben rief unb Dom ^arifer
Parlament abgelei^nt »orben »ar. SWaurepaö öerweigerte aud^
bieö, unb 5ßedfer fd^rieb nun an ben Äönig, mit fd^merjerfüllter
Seele muffe er Don il^m fd^eiben^). ©eine ©ntlaffung ift Dom
19. 5Rai 1781. ßtoei 3Ronate frül)er, am 18. TOärj, war
Surgot geftorben, unb fd^on im barauffolgenben 5ftoDember ftarb
0 Madame de Stael, Notice sur la vie priv^e de Monsieur Necker.
2) Auguste de Stael, Notice sur Monsieur Necker. Oeuvres com-
plfetes I, CLXXVI. Droz, Histoire de Louis XVI. I, 302.
eeln gHüdtritt. 133
bcr feit längerer ß^xt leibenbe SJlaurepaö; feinen Slob abjn«
warten l^ätte eine Inrje Spanne Qdt genfigt.
35a§ anf feften ^rincipien berul^enbe, tiefbnrd^baci^te unb
^nfamutenl^ängenbe ©Aftern öon Snrgot erfe^te SHecfer bnxä) ba§
jeinifle nid^t; feine politifd^en 6rfal)rungen ftnb jum großen
Sl^eil auf Äoften be§ ©taateö gemad^t worben, ftatt biefem jur
SKd^tfdönur ju bienen; aber ein Slbminiftrator tt)ar er ju einer
3eit, tt)0 e§ in fjranfreici^ aufeer il^m faum einen fold^en gab.
@in fclbftdnbigeö SKinifterium SIerfer wäre 1781 immer nod)
bie befte SBal^I für bie STOonard^ie gewefen; eine ai^nung ba*
t)on l^attc bteSmal merfroörbiger 2Beife bie Königin. 3^re
^orrefponbenj mit 3Raria 3:i^erefta fprid^t gwar nidjt auöbrüdE*
lid^ öon il^m, voo^ aber äufeert jte ftd) tt)ieberl)oIt mipiKigenb
über 9Jlaurepa§ unb 35ergenne§, beren SSerl^alten wäl^renb beö
ba^rifd^en 6rbfolgefriege§ il^ren S^mpatl^ien für ^eimatl^ unb
gamilie fo wenig entfprod^en l^atte, unb gegen weld^e überbie§
ll^rc aWutter fowol^l al§ Äaifer 3ofepl) II. fortwäi^renb ben
6inpu§ ber jungen Königin aufboten ^). Slber il^re $arteinal)me
für üiecfer, weld^em fte felbft ßinfd^ränfungen in il)rem §ofl^alt
jugejlanb^), befd)Ieunigte jefet feinen ©turj nid^t minber, atö
einige Saläre frül^er il^re Slbneigung gegen Surgot ben feinigen
l^erbeigefül^rt l^atte. 3^^ 93erfaille§ fud^te jie in ftunbenlangem
©efpräd^ il^n gur 3wi^fidEäiel)ung feiner ßntlaffung ju bewegen;
gegen ©übe beöfelben bunfelte e§ fd^on, unb er bemerfte bie
Sl^ränen in ben Singen ber Äönigin nid^t; l^ätte er jte gefeiten,
äußerte er fpäter, fo würbe er nid)t ben aRutl^ gefunben l^aben,
il^nen gu wiberftel^en. ©ein SRödEtritt don ben ©efd^äften be*
wirfte eine SReaftion gu feinen ©unften, üor weld^er ber SBiber*
») Slrnet)^, SWaria 3:i^crcfta unb SWaric Stntoinctte, »ricfioed^fer. Briefe
ber Äöniöin öom 19. 8tprit, 5. u. 16. fOlai unb 17. Dftober 1778. Correspon-
dance secrete entre Marie Ther^se et Mercy. Rapport de Mercy. 20 Avril
1778. III, 189.
^ ametl^, aWaria Sl^crefia unb Wtaxk S(ntoinette, SBriefwcd^fet. 33rief
bet Königin Dom 15. %tf>xnax 1780.
134 ^^^ öffcnttid^c aWeinung in * granfretd^ unb ©uropa für SRccfcr.
jprud) feiner ©egner üerftummte ; man öergafe bie Äritif, um
j!d) nur beö ®uten ju erinnern, ba^ er öoHbrad^t ober boä)
flewom l^atte. Äatl^arina IL, tt)elcl^e in einem Srief an ®rimm
bie f^nangen bc§ allerd)riftlid^en Äönigö »une mauere tout-
ä-fait degoütante« nannte, bie Äönige üon 5Rea:pel unb t)on
^olen trugen ii^m bie Seitung il^rer g^inanjen an. „Sd). wollte,
bie meinet SReid^ö öerbienten, öon il)m öerwaltet gu werben",
fd^rieb ber Äönig öon ©arbinien^). Sofepl^ IL blieb nid^t ju-
ritd, er fd)rieb an 9)terc^, öon SReder l^abe er, feit ber per*
fönlid^en Begegnung mit il)m in ^ari§, 1778, ben aUergünftig^^
ften ©inbrud bemal^rt; gugleid) bat er ben ©efanbten, il^n an
biefe Segegnung gu erinnern unb il^n ber ^o^adjtung gu öcr*
jtd^em, bie er für feinen S^ärafter unb feine 5äi)igfeiten entppnbe^).
6in l^öd^ft fcl^meid)ell)afte§ äe\ä)tn ii)xtx ®unft gab bem ©l&e*
paar 3fleder in ber legten 3^it feiner officietten Stellung aud^
aJiaria Sl^erefta. „©a ©ie mand)mal mit bem nieder ftd^ be=
gegnen'', fdjrieb bie Äaiferin an 91Jierc^, „fo beauftrage id^ @ie,
il)m bie günftige 5!Jieinung, bie id) öon feinen SSalenten l^ege,
auögufpred^en ; aud^ fiigen @ie i^ingu, ba^ id^ ftet§ mit Ver-
gnügen bie 3iadörid)ten über feine g^inangoperationen lefe unb
übergeugt bin, ba^ wir fte mit Sinken audt) auf bie unfrigen
anwenben lönnten, obwol^l fte nid^t in einem fo intereffanten
Suftanbe ftd) befinben, al§ bie üon g^ranfreidt). Sie lönnten
gugleid) SRabame SReder wiffen laffen, ba% ber ©enfer 2Jlaler
Siotarb öor einigen Salären in SBien anwefenb war, unb
id^ feine Silber gu feigen wünfd^te; unter biefen gefiel mir be«
fonber^ ba§ Porträt einer fel^r l)übfd)en jungen 5(5erfon in am
giel^enber Stellung, ein S3ud^ in ber ^anb l^altenb; idt) ge*
wann ba§ »ilb fo lieb, ba^ id} e§ faufte. m ift ba^ Porträt
0 Madame de Stael, Sur le caractfere de Monsieur Necker et sur
^a vie privee.
2) Geffroy et Arneth, Marie Antoinette. Correspondance secr^te
de Marie 'Th^rfese et du Comte de Mercy Argenteau, III, 406, ^Jote. ©rief
öom 4. aJiära 1780.
S)tc gciftigc SetocgunQ in granfreid^ wcd^felt il^re SRid^tung. 135
öon ÜRabame 5ßedEer, unb id^ betradöte e§ oft mit 5ßergnügen;
jur 3^ öl^ Siotarb jum legten 5!Kal l)ier tt)ar, bebauertc er,
baö Silb weggegeben ju l)aben, unb bat mid), e§ copiren gu
bürfett; id) erlaubte eS, bel^ielt aber ba§ Original (weld)e§ in
meinem ßabinet ift)'' 0-
„Sie §fte(fer'^ ertt)iberte ber ©efanbte, ,,öerbienen eine fo
l^ol^e ©unftbegeigung , ber 2Rann burd) feine nnbefd^oltene ej^r»
lid^Ieit unb feine Sialente, bie ©attin burd^ mufterl^afte Slugen«
ben''^). Site aber SRabame 3fledfer ben begreiftid)en SBunfd^
äußerte, eine Slbfd)rift be§ SriefeS ber Äaiferin gu bejt^en,
fd^Iug e^ il^r 5!Jierc9 ab, unb SRaria Sil^erefta lobte il^n bafür,
„bamit'\ mie ftd) auöbrücfte, „feine gu grofee Dftentation bamit
getrieben ujerbe''^). 9lecfer felbft mad^te fein §el)l au§ bem
Sdjmerg, ben e§ il^m öerurf ad^te , in feiner SSI^dtigfeit untere
brodtjen morben gu fein; er beftfee bie ©itelfeit nid)t, fd)reibt
er, ungetrübte ©eelenrui^e gu i^eud^eln, bei ®urd^iud)ung feiner
$ai)iere l^abe baSjenige, tt)orauf feine 3ufunftöplöne oergeid^net
ftanben, il^m einen S:i)ränenftrtim entlocft*). 9tur wenige Qtx^
ftreuungen ptten für benienigen nod) SReig, ber einmal bie
iJäl^igfeiten feinet ©eifte^ btn öffentlid)en ^ngelegenl^eiten gu=
gemenbet unb jte lieb gewonnen l^abe; xi)n öermöd^ten nur
länblidie Sinfamfeit unb Slrbeit gu tröften^).
3n biefe ©infamfeit folgten H)m bie Seweife allgemeiner
Sld^tung unb Si^eilnai^me, nid^t nur au§ ber §auptftabt, fonbem
aus gang ^anfreid^; nad) @aint=Duen, wol^in er jtd) gurüd=
gcgogen l^atte, begab man ftd^ in ©d^aren, um bem gefallenen
SJltnifter gu l^ulbigen. ®er ^ergog öon DrleanS, bie Seauöeau,
^) Geffroy et Arneth, Marie Antoinette. Correspondance secrfete de
Marie Th^rfese et du Comte de Mercy Argenteau, III, 405. Wlaxia 2:l^crefia
oit Wltxct), 3. SWära 1780.
2) ebcnbafclbft, III, 414 u. 433, 9Kcrc^ an bie ^aifcrin 18. SWära unb
17. mau
3) (gbcnbafelbft, III, 434. SWaria S^erefia an 3Herct), 31. SWai 1780.
*) Neck er, De Tadministration des finances. Oeuvres, IV, 98.
*) ebenbafcrbft, IV, 116—117.
bit 9bud^)), bie fk^Iignac, bie Srjbifc^dfe Don ^ßoriS, Sir unb
24)uhnije, &). be Seanmoiit, Soidgelm mib Someme be Srieime,
tDorm trid^t n>emger entl^ujia|tifd^ in ü^ren {^nlbiginiga al^
^ibetot, Srimm ober ^BtarnamtA; Suff^n tyadfbt an äne Cbc.
@i blieb %e(fer ntn^ergeffen, boB er einer Sittfteüerin, auf i^re
Semeifnng fpn, toufenb SiDreS ^^fion fei xddiU fnr einen
ftdnig, entgegnet ^atte: ^Siuijeid) Sitn^d, ba§ ifi bte SoiOe
eine^ S)orfe§', nnb ba§ er in ben Stenem, ni<^ nnr ,,ein
Qciä)m ber politifc^ ^ad^t be§ (Sonoeräns, fonbem Dor fUIem
unb in fenrigen Snil^ftaben bie ©efd^ic^te ber C)>fer fetner Untere
tj^atsn' fe^ n>oIIte. SuS ber @infant£eit il^rer JUofiergelie fil^rieb
benn aaä) be§ Honigs Sonte, bie Aarmelitemonne fRobame Smiife,
an fXobante ^üsdtx, van ben Kücttritt i^ree @atten int Atomen
ber Srmen gn beSogen ^). 2)ie 3^1^11^ fP^ <u^ f<^n ^^ui^ ^ö^™
langen Srief be^ breinnbjSKUtjigiäi^rigen äSergniaid), ber bem
Sn^mtcf feiner Setnunbenntg ba^ @efu<:^ anfd^tog -\ bem S)id^ter
SSpmoB t>orgefteIIt gn n>erbeiL S)a^ ^orifer fßubli&mt beinon^
ftriite bei @elegen^ einer Si^eoterüorftelnitg nnb bdlotfd^
aQe Snfpiebmgen onf ben Don feinen Höflingen getänfc^ten
fRonard^ nnb bie miDerbiente Ungnobe feines 9tintfter&^).
^e oon i^nt onerfonnte, gcpriefene uttb fo oft oitgenifene
ÜRac^ ber öfentlii^ ^einnng ^otte olfo für biefed Stol fein
Vertrauen gerechtfertigt; inbent fte feinen ^onbhmgen ju<
ftimntte, feinen Snftd^ten t>ettraute nnb bie Sergaitgeitl^ rn^*
fertigte, f(^ien fte il^ oud^ bie ßii'^ft i^ oerbnrgen, nnr
nberfal^ er, bog wcäfmib i^r juftinnnenber Slicf i^nt ^eioenbct
blieb, biefe öffentlich SReinnng felbft ftd^ oon ber Stelle beiDCgt
l^otte.
(S§ ift gefogt rooibm, mdc^ ätoOe Stonte^nieu in ber
@efd^id^te bt§ od^tje^nten ^^^^^it^^bertd fpielt, nnb nne bie
'j Auguste de Stael, Notice sur Monsieur Xecker. Oeovres
completes, I, CLXXIX.
') D'HaussonTille, Le Salon de Ihdame Kecker, II. 123—164.
') Droz, Histoire de Louis XVI. I, 305.
©er ßinflufe öon SJoItaire unb SWontcSctuicu tm S'Jicbcrgang. 137
^jolittfd^e ©ntoicf lung , auf toeld^cr feine Sl^eorie berul^te, mit
jttrfnflcnber SHaci^t auf baö 5BorbiIb @nglanb§ atö be^ienigen
Sanbei^ üenoiejS, wo jte öoKfommener al§ irgenbwo fonft burd^*
geffll^rt war. 5Rur bort l^atte bislier ber @a^ öon SÄonteSquieu,
^bafe bie ©efe^e burd^ bie Sitten beftimmt werben muffen'' unb
bafe, „was burd^ biefe gcfd^el^en fann, nie burd^ ©cfc^e getlian
werben foH", Seftätigung gcfunben; feine ©epnition ber grei-
l^eit „ate bcS fRtdjk^, alles ju tl^un, was bie ©efefee erlauben",
fd^Iof in il^rcr ful^lcn Scftimmtlieit alle gefäl^rlid^en ©fpcrimente
avL^; ftc cntfprad^ bem ®eift beS SJlanneS, ber „nid^tS anbereS
bon ber 6rbe gu wünfd^cn erflärte, als ba^ fte fortfal^ren möge,
um iffv ©cntrum jtd) ju bewegen", unb ber im Scwufetfein
wal^rcn SSerbienfteS ein ®egengewid)t für alle SBed^felfäHc beS
©d^idffalS fanb.
Db baS aber aud^ bie geiftige Sltmofpl^äre war, bie bem
beweglid^cn Temperament ber ^^ranjofen entfprad^, ob biefe grofe^
artige, aber etwas falte unb gemeffene geiftige Stimmung auf
bie Sänge mit ber ilirigen in 6in!lang gu bringen war, baS gu
entfd^cibcn mufete ber S^it wnb ©rfal^rung überlaffen bleiben.
6S fft bemerlt worben, bafe ber Slnftofe gu ben e:podöemadöenben
^obuftionen ber frangöftfd^en ßiteratur beS ad^tgelinten Sal^r*
i^unbertS öon 9KonteSquieu ausgegangen ift, bafe bie »Lettres
persanes« öor ben »Lettres anglaises«, baS ^rojeft einer „©e»
fc^id^te ber @rbe" wx ber Slaturgefd^id^te öon Suffon, baS Sud^
»De la Grandeur des Romains« öor bem Essai sur les moeurs,
ber „Seift ber ®efe^e" üor bem ©ocialcontract erfd^ienen ftnb^);
ber SmpulS fam üon il)m, aber baS le^te SBort bel^ielt 9!ÄonteS=
quieu ebensowenig wie Söoltaire. Sm Sal^r 1778 fam biefer nad^
^ariS, um unter Sorbem erftidft gu werben. ®ie Slpotl^eofe töbtete
nid^t nur il^n felbft, jte begeid^nete aud^ baS 6nbe feiner geiftigen
^errfd^aft; öon nun an lautete bie Signatur beS S^it^fterS
nid^t mel^r Sßoltaire, fonbern SRouffeau. 9lad^ bem ß^^törer
^) Louis Yian, Montesquieu.
8lnttt)Qt]^ie gegen ©itgtanb als ben Ü^ationolfeinb. 139
itemcn ®orbon SRiotö bcfannte, gegen bie Äatl^olifen gcrid^tete
'^Äolfabetoegung in Sonbon bie proicftirte Steife beö ÄaiferS
m ^f^^ i^^^i^ vereitelte, fd^rieb jte il^^^er Sod^ter, ba§ alfo fei
^/Irie Dielgerfll^nite grei^eit, biefe muftergültige ©efe^gebung;
0 iiäßt Sitten unb Sieligion fei aßeö vergebend ^). gn ©eutfd^'
^ Sanb f[ud)te man bem Snbftbien^Sraftat mit ©nglanb nnb be*
größte bie Slad^ricä^t von ber ©efangennel^mung beutfd^er SEruppen
|:.;hird) SBafl^ington 1776 mit ^ubeP). ©iberot fanb 3RitteI nnb
SBege, in einer 2[bl^anblnng fiber ©eneca von feinem ©egen-
fbmb anf bie amerifanifd^en Kolonien übergugel^en, nm ben
Ärieg mit ©nglanb gn empfehlen. 3)ie @^mpatl)ien feiner
t- ÄmbSleute waren alfo leidet genug gu gewinnen , als ber Stuf
iiad^ iJreilieit nic^t mel)r auf ©nglanb öenoieS, fonbern r)kh
mifft im ©egenfa^ gu biefem ftd^ erl^ob, unb bie amerifanifd^en
Colonien bie üon il^nen alö unerträglid^ entpfunbenen ^Jorbe-
tangcn ber englifd^en Slegierung mit i^rer Unabl^ängigfeitS*
©rflfirung beantworteten.
S^^t erft erwad^te ber @ntI)nfta§muS ber ^rangofen; er
bereitete Düationen für tjranflin, folgte bem fungen Sa fja^ette
unb feinen ^reunben über ba§ SReer unb brängte Äönig unb
SRinifterlum gum Ärieg; eS fd^ien als ob bie i5reil)eit erft im
©unbe mit bem Slufftanb unb im ®egenfa^ gur monard)ifd)en
Drbraing ein begel^renSmertl^eö ®ut geworben fei. SKonteSquieu
i^attc in ben 9^oten über ©nglanb, bie um 1730 erfdt)ienen,
ben SlbfaH feiner amerifanifd^en Kolonien öorauögefagt; baS=
- felbe tl^at etwas fpäter, in nod^ beftimmterer ^orm, ber fdiarf*
pd^tige b'Slrgenfon; Sturgot üerglic^ 1750, in einer nod^ in ber
Sorbonne geljaltenen lateinifd)en Siebe bie (Kolonien mit g^rüd^*
ten, bie einmal reif geworben, ftd^ öom 3tt)eig ablöfen, unb
DeröoHftänbigte ba§ Silb mit bem ^inweiö auf @nglanb unb
r
k
*) Geffroy et Arneth, Marie Th^rfese et Marie Antoinette. Corres-
pondance secr^te de Marie Th^rfese et du Comte de Mercy Argenteau,
III, 444, Marie Th^rfese ä Marie Antoinette, 30 Juin 1780.
2) ^iicBul^t, ©efd^td^tc bes ScitalterS bet JReöoIuHon, 76.
140 ©efal^cn ber Slffiana mit 5(metHa.
Slmerifa. 9^ad^ bem SScrluft üon ßanaba tröftctc ftd^ Säcr-
gcnncö, bantal^ Sotfd^atter bei ber Pforte, über bie 3lieberlage
%xantxtx(i)^ mit ber äuüerpd^tlic^en i^offnung, ba^ bie amertfa*
nifdien ßolonien, öon bem gefä^rlid^eu 9lad^barn befreit unb
nid^t SBißenS, bie ©teuerlaft be§ SJiutterlanbeS gu t^eilen, ein
fold^eö Segel^ren mit ber SErennung Don bemfelben beantworten
tüfirben; alö biefe SSorauöfe^ung jtdö erffiHt l^atte, ftimmte
jebod^ Snrgot ntd^t^beftoweniger in einer befonbern ©ent
jd^rift gu ®unften ber 9tic^tbet^eiligung granfreid^S am Ärieg
gegen ©nglanb, fc^on be§I)alb, weil S^eilnal^me an bemfelben
unter ben beftelienben SBerl^ältniffen gur öoHftänbigen ßerrüttung
ber ^inanjen fül^ren mufete. Sltö einige 3^tt fpäter biefelbe
6ntfd^eibung an 9ledfer l^erantrat, jprad^ er im felben @inn wie
Surgot, aber il)re Stimmen würben nidt)t gel^ört; üom natio*
nalen ©tanbpnnft au§ galt e^ SReDand^e für bie Söertrage
Don 1763, Dor SlUem für ben 23erluft Don ßanaba. 3n Sejug
auf bie innere 5ßolitif foHten bie Sftefultate ber ailianj gwifd^en
ber älteften SÄonard^ie unb ber iüngften unter ben Sftepublifen
crft nad^ unb nad^ gu SEage treten; baö ungleich wid^tigfte
berfelben waren nid)t bie biplomatifd)en ober militärifd^cn (5r-
folge ber franjöjtfdt)en SnterDention , fonbem bie ©inbrüife;
weld^e bie lieimfel^renben ©ieger in bie ^eimatl^ gurüdfbradjten.
©iefen ©inbrücfen, baö ift l^eute mit nid)t mel)r ju er*
fd^üttember @idöerl)eit erwiefen, lag eineö ber Derbetblid^ften
unb folgenfd^werften SKifeDerftänbniffe gu ©runbe, Don welchem
bie ®efd^id^te weife, benn eö trug wie fein anbereö bagu bei,
bie SReDolution unDermeiblid^ gu mad^en.
3Ba§ bie frangöftfd^e Sugenb, bie in biefen Äampf wie gu
einem ^efte gog, in ber @rl^ebung ber ßolonien gu erfenncn
glaubte, war ©mpörung gegen ba§ Seftel^enbe , SReaftion gegen
ba^ Äönigtl^um, Segeifterung für re:publifanifd)e S^^f^ä^^^r w^it
einem SBort baS ©rwad^en ber ©emofratie.
S3on allem bem war aber in SBirflid^feit nid^ts ober nur
wenig gu finben. Sür bie Untertl^anen ber britifd^en Ärone
©Tunbbcgriff bcr t)oIitifd^en grci^eit in ©iiglanb. 141
fibcr bcm SKccr nid^t minbcr, al§ für ben ©nglänbcr ju §aufe,
lag bcr f^unbamcntalfa^, bafe 3lliemanb oijnt feine 3wfttmmung
bcftcucrt werben bürfe, ber gangen 3[uffaffung politifd^er i5rei==
i^it ju ©runbc; biefen Segriff ^atte ba5 33erl)alten ber eng=
Hfd^ctt SRcgterung angetaftet unb fo ben SSiberftanb l^erauö*
geforbert. Sänge nac^ bem Stuöbrud) ber ^einbfeligfeiten würbe
bcr ®cbanfe an eine DöHige Soötrennung öom 5RutterIanbe
cntwebcr gar nid)t, ober nur mit bem größten SBiberwitten öon
ben Staatsmännern 3[merifa'S in Setrad^t gejogen; nod^
1774 fonnten ^^ranflin, 3Bafl)ington, felbft ber üiel reDoIutio:*
närer angelegte Sefferfon t)erjtd)ern, e§ fei nid^t ber SBunfd^ ber
Solonien, ftd^ Don ©nglanb loSjureifeen. 6l)aftellu.r bemerft
auöbrficflidt), bie erfte ©d^wierigfeit ber amerifanifc^en ©taats*
männer fei bie gewefen, baö Saub bai)\n ju bringen, bafe eö
ber monard^ifd^en 3iegierung§form entfage, imb er fügt l^inju,
obwol^l bie neue ßonftitution bemofratifd^ fei, öennöge fe
bennod^ nid^ts über ben ariftofratifd^en 6l^arafter, ber Süegierung
unb ^Ration bel^errfd^e ^). 9lid^t anberS fprad^en bie ©elegirten
bcr öomelimften Staaten ber Union. '^f)x urfprünglid^er 3tt)ecl
war SEßtebergutmac^ung beS erlittenen UttredE)tö, nid^t ffiegrün*
bung il^rer Unab^ngigfeit; e§ waren nod^ immer bie 9lad^«
fommen ber alten Puritaner, bie um be§ ®laubeu§ willen jtd^
blutcttben ^ergenS oon ber ^eimatl^ loögeriffen liatten. SBie
ben $tlgrim %at^tr^ oon 1629 bie religiöfe, fo galt il^ren
©nfeltt Jc^t bie politifdE)e ^^reil^eit al§ eine ®aä)e, l^eilig, feier*
lid^ unb emft, ol)ne bie ber S3ejt^ feine ©id^er^eit, ba§ geben
feinen SEßertl^, baö ©ewiffen feinen ^alt verlor; il^r SBiber^
jianb ffofe auö berfelben Quelle männlirf)*d^riftlid)en ffiewufet^
fcinS, l^ielt jtd^ ftreng an ®efe^, Sitte unb .^erfommen unb
entfdi)lofe jtd^ nur gezwungen jum SSrud^ mit bem 9Kutterlanb.
6rft nad^bem einmal S3lut oergoffen unb bie SBürfel gefallen
waren, brangen bie unoermeiblid)en reoolutionären Strömungen
*) Chastellux, Voyages dans FAmerique du Nord, ^glifd^e Ueber»
fetung I, 331 unb II, 177.
142 3Bqö Slmerlfa »otttc.
mit l^crcin, unb nad^ ben SBortcn etne§ ber bcften fficobad^ter
tt)ar, fo tt)ie bic meiften Sfteöolutionen, aud^ bte anterifanifd^e
baS SBcrf einer energijd^en 9Kinorität, tüeld^e bie SJlel^rl^eit öon
©d^ritt gu @d)ritt in eine Sage brängtc, bie feinen 3[uStt)cg unb
feine mäk^v offen liefe ').
SllS bic ©ntfc^eibung aber einmal getroffen war, weld^cr
bie ©ini^eit ber englifd^en SRace enbgültig gum Opfer fiel, jeigte
e§ jtd^ ttjieber, wie fem ber ®eift ber S^rftörung ben ©taatö-
mannern beS iungen 5BolfeS lag; im ©egenfa^ gu ben i5^an=
gofen üon 1789, bie bei ©ntwerfung ber 35erfaffung öom ©e«
banfen verfolgt erfd^einen, SlIlcS üon üorne angufangen unb
nid^t eine ber burd^ 3^^ unb ßrfal^rung erprobten ^nftituttonen
gu oerwertl^en, griffen bie SSäter ber amerifanifd^en Union um
bebenflid^ auf bie gonftitution beö Staate^ gurüdf, gegen ben
fte jtc^ foeben nod^ erl)oben liatten. ©ie eingige, neben ber
cnglifd^en Söerfaffung für fie nod^ mafegebenbe Slutorität ijt
jene öon SKonteSquieu, imb feinem ©in^ufe gerabe ift bie
origineKfte unb eine ber einflufereid^ften ©d^öpfungcn ber Ser«
faffung ber Söereinigten Staaten, bie il^re§ l^öd^ften ®erid^tSl^of§,
gugufd^reiben, bie feine ©oftrin ber Sl^eilung ber ©ewalten öer^
ooUftänbigt unb öoHenbet; in aßen il^ren fonftigen, wefcnt*
UdE)en Seftanbtl^eilen ift biefe SSerfaffung ein ^uöflufe ber britt^
fc^en, wie jie in ber 3eit gwifd^en 1760 unb 1787 in SBirl»
famfeit war, unb gwar interpretirte fte biefelbe feine^wegS im
rabifalen, fonbern im conferöatiöen @inn ^), 6inen Äönig aütt^
bing§ l^atten bie einfügen Untertl)anen ®eorg*§ III. nid^t an
\i)xt @pi|e gu fteßen, fte woKten eö aud) nic^t, unb auf bem
SBoben ber Union erwud^ö il^ren Sürgcrn feine ©tjnaftie; aber
ber Streit, ben fte mit Äönig @eorg III. unb feinem Sßarlament
auögutragen l^atten, war für bie überwiegenbe 9Kel^rga^I ber«
1) W. H. Lecky, EDgland in the eighteenth Century, III, 443.
2) ©. bie öottrefflid^c (Stubic öon Sir Henry Maine, The Constitution
of the United States, Quarterly Review, January 1884. Ajroli, La Logica
nella Democrazia americana. Rassegna nazionale, 16 Feb. 1887.
©aS Söffen feinet eonftttutton. 143
tclbcn burri^auS fein SlntagoniömuS gut 9Konard^ic, ebenfoiücnig
als er ein 5ßrinclpicnftreit gegen ba§ conftitutioneHe ©Aftern
ober bie :parlattientarifc^e Süegierung war. 3l)r Ißräjtbent ift
bis jum l^eutigen SEag eine ©opie be§ englifd^en 9Jlonarc^en,
nici^t nad^ ben gegenwärtig l^errfd^enben Segriffen, fonbem mit
allen Attributen ber 2Rad^t, weld^e biefer bis 1789 befafe, unb
bie burd^ ein eigentpmlid^eS Swfammentreffen gur jelben 3^'t
in @nglanb gefd^mälert gu werben begannen, als bie amerifa«
nifri^e ©fecutioe am 4. 3Räri 1789 in SBirffamfeit trat.
Sn öiel l^öl^erem SKafe als irgenb einer ber conftitutioneKen
tJürften ©uropa'S, wenn aud^ nur für eine !urg bemeffene %xx\if
ift ber iebeSmalige &xxoai)lk ber 5ftation im weißen §auS baS
Drgan einer ftarfen Slutorität. 9tod^ beftimmter geigt jid^ ber
burd^auS conferöatiüe, auf ^reil^eit unb nid^t auf ©leid^l^eit
gerid^tete ©inn ber amerifanifi^en Staatsmänner in ber 6onfti=
tuirung il^rer Vertretung; nid^t nur, bafe jte baS Sw^^Wcimmer»
f Aftern aboptirten, il^r Senat ift eine ber mäd^tigften ber über*
l^aupt beftel^enben, politifc^en Äörperfc^aften unb burd^ bie Art
unb SBeife feiner Suft^w^w^^nf^fewng eine 9legation ber ©leidEjI^eit,
bagcgen eine Sürgfd^aft gleid^en Sfted^teS für alle Staaten ber
Union, mitl^in aud^ beS SRed^teS ber 2Rinoritäten, ba alle biefe
Staaten, bie größten unb Dolfreid)ften, wie bie fleineren unb
unbebeutenben, burd^ eine gleid^e S^i^l öon ©eputirten im Senat
vertreten jtnb. 2)ie 2)eputirten!ammer enblid^ ift, ebenfo wie
ber ^räpbent eine 9lad^bilbung beS englifc^en ÄönigS, eine
folc^e beS englifc^en Unterl^aufeS im ad^tgel^nten Sal^rl^unbert;
%e Sefugnif[e jtnb öiel geringer als bie, weld^e im ßauf ber
legten l^unbert Sa^re il^r englifd^eS SSorbilb jtdE) angeeignet l^at;
pe ift eine lebiglid^ gefe^gebenbe aSerfammlung geblieben,
wäl^renb in ©nglanb tl^atfäd^lic^ bie ^Regierung an baS Unter»
l^auS übergegangen ift. 2)ie Dielgepriefene unb beneibete bürger*
lid^e unb politifd^e ©leid^^eit, weld^e bie (Sonftitution ber SSer^^
einigten Staaten gewäl^rte, war bie ©leid^l^eit einer erobernben
SRace, bie mit bem l^ierarc^ifd^en @efül)l beS angelfädl)jtfd^en
144 S^^c ^ebeutuno nad^ ftanaöfifd^et ^Suffaffung.
Stammet nod) l^cute auf focialem ®cbtet gu öcrtl^cibigcn unb
fcftjul^altcn lücife, tt)a§ jte im öffentlid^cn Scbcn ^)reiS9ibt; bicfe
®leid)l(eit öcrtrug jtd^ im tocitcn ©cbict bcr Union mit
SSertilgung be§ öerfel^mten SnbianerS wie mit ber ©flaöcrci
bcö eingefd^Ie^jptcn §Reger§. ©ie pompl^aftc ßrllärung bcr
9Jienfd^cnred)te war ba, wo jte entftanb, nid^t§ anbcrcS ate bie
@rflärung ber Sürgerred^te einer geiftig überlegenen unb beSwegen
triumpl^irenben 3Rinorität; bie f^ften ©runblagen biefe§ po\u
tifcften ©ebäubeiSi, weld^eö ber boppelten 5probe eines Sal^r^
l^unbertö unb eines SürgerfriegeS wiberftel^en foHte, waren aber
aUerbingS nid^t fo leidet oom blofeen, ard^iteftonifd^en Sciwcrf
gu unterfd^eiben. 2Benn eS oberfläd^lid^en Seobad^tem nod)
l^eute als bie Sbealfd^öpfung bemofratifd^er SRegierungSform er«
fd^eint, jo fann eS nid^t SBunber nelimen, wenn bie im SEBerben
begriffene politifd^e ©rfal^nmg ber franjöjtfc^en ^reunbe oon
SSaf^ington fd^ über baS eigentIidE)e 2Befen ber SBerfaffung ber
aSereinigten Staaten täufd^te; in il^rer blinben Segeifterung
für republifanifd^e ßi^ftänbe oerwed^felten jte bie ©ouliffen mit
ber Sül^ne, ben Sßrolog mit bem @tücf, bie 5proflamirung ber
^enfd^enred^te mit bem Äern unb Snl^alt ber ßonftittttion.
Sl^re unüberlegte Segeifterung jal^ in biefen allgemeinen Sä^en
nic^t baS, toa^ jte wirflid^ waren, eine Slbleitung öom pojttiDen,
angeljäd^jtfc^en 35olfSred)t, fonbern bie SSerl^errli^ung beS Slatur*
redE)teS nac^ SRouffeau; nid^t bie S^eftfteHung ber Siedete be«
amerifanifd^en Staatsbürgers, fonbern ber Siedete ber 3Kenjd^*
l^eit überl^aupt; nid^t bie rl^etorifd^e SluSfd^müdfung burd^ ©e»
fe^geber, beren Sßrinctpien jtd^ mit Slufred^ter^altung ber
Sflaoerei oertrugen, fonbern bie SluffteHung einer abfolutcn
33oftrin, oor weld^er baS Seftelienbe feine ®nabe mel^r fanb.
3n biefem Srrtl)um würben jte oon ben republifanifd^ ©efhmten
unter ben amerifanif d^en Staatsmännern beftärft; S^anflin
nü^te il^n mit fd^lauer ffiered^nung in 5ßariS gu ®unften feiner
burd^auS auf praftifdt)e Siele gerid^teten ^olitif aus, unb Sefferfon,
ber aSerfaffer ber ßrflärung ber aJienfd^enred^te, fd^rieb mit
SEßarnenbe stimmen barüber. 145
leid^tbegrcifllci^cr Sefriebigung : ,,©ie amerifanifd)c Sfteöolution
fd)rinc ben bcnfenben SEI^cil bcS ftanjöpfd^cn SSoIfeö aus bcm
©d^laf bcS 3)eöpotiSmu§ aufgerüttelt gu l^aben. Sd^riftfteHer,
bemittelte Sürger, bie junge ©eneration unter bem Slbel fänben
^ä) je^t bereit, ben 35orjd^riften ber gefunben SSernunft unb beö
9ied)te§ für Me gu folgen" ^). Sefjtng, ber grofee Sal^nbred)er
ber Sreil^cit, toamk mitten im Taumel bie ©eutfd^en öor ben
ßeuten, „tt)eld)e bie Sid^tcr auölöfdöen wollten, el^e e§ SEag
fei'' 2).
©uftat) ni. üon ©darneben fd^rieb, aU er Äunbe Don ber
fronjöjtfd^en ällianj mit ämerifa erl)ielt, bem ®rafen 6reu^
nad^ 5ßariö, ba^ SBenel^men be§ bortigen 9Kinifterium§ fd^eine
il^m ebcnfo fel^r üon ben ©runbfä^en ber ®erec^tigfeit al§ Dom
Sntereffe ber 9^atton unb Don ben fo Diele Sal^rl^unberte ^n-
burd^ in Geltung gemefenen ©taatSmajimen abgutt)eid^en. „Sd^
fann cö nid^t gugeben", fügte er im SSoHgefül^l föniglid^er
SEßfirbe l^ingu, „bafe eS red^t fei, SRebeKen gegen il^ren Äönig
gu uttterftii^en; baö Seifpiel toirb aUguDiele 9?ad^al^mer gu
einer Qtxt finben, in meld^er man alle @d)ranfen ber ÜRad^t
nieberguttjerfen fud)t" ^). »Mon melier ä moi, c'est d'etre
royaliste« l^atte 3ofepl^ II. n)äl)renb feiner 2lntt)efenl)eit in ber
frangöftfdöen ^auptftabt gefagt, al§ man i^n gu einer 5Reinung§:=
äufeerung über bie amerifanifd^en ^nfurgenten brängte.
Slber auc^ feine SBarnungen blieben DergebenS. ^aä) ber
gleiten, triuntp^irenben 3flüdffel)r Don Sa %at)dk fül^rte SJiarie Sln=
toinettc in il)rem eigenen SBagen bie ©atttn \i)m entgegen, unb baö
Sßarifcr Sßarlament glaubte bem 6garen)itfd) ^aul fein mürbigereS
@d^auf:piel bieten gu lönnen als bie ©i^ung, in meld^er jte bem
l^elbcnmütl^igen SBaffengefäl^rten Don ®eorge 3Bafl)ington eine
©l^renftelle in i^rer 2Ritte anbot. 3n mel^r al§ einer a3egiel)ung
*) Jefferson, Complete Works. Correspondance, II, 67, 1786 unb
535, 1787.
2) Scffing, ©iotog (gntft unb ^a\t, V. ©efptäd^, citirt bei «Ricbul^t, 76.
3) ©cijet, ©uftaö'g III. nod^gclaffcne «Papiere, II, 111.
ölennerl&af jett, ^xau »on ©taeL I. 10
146 ttebergang üon ^et^ett ^ax @Iet(^^, Dott 9lefoTiit juz SUooIuitoiL
toaren biefe auSjeidinungen Derbient; ^atte £a ^o^ette aud^ ben
@rift Slmerifa'S mifeücrftanbcn, fo famttc er bic ©^mpotl^icn
bc§ neuen ifrartfreit^ um fo beffer, er mar e§, ber beffen
innerflc ©ebanfcn auSfprad^, wenn er fpdter erflfirtc, ^üon ben
amerifanifd^en Sbeen burd^brungen, fei er flet§ unb immer ein
Slnl^nfler ber ©leid^l^eit gewefen".
Sflecfer mar nod^ 5Rinifler, ate biefer Umfd^wung ftd^ öoHjog.
SBäl^renb bie junge 3fle|)ublif jenfeitö be§ 9Jieere§ na^ eng-
lifd^em Sßorbilb fid^ conftituirte unb 9Äonte§quieu'§ poUtifd^e
©oftrin gur 9iid)tfdbnur für jtd^ wdl^Ite, griff baö monardyifd^e
Stanfreid^ nad^ bem @ociaI!ontraft unb belannte ftd^ mit SRouffeau
jur Seigre öon ber ©ouüeränetät be§ SoIfe§. 9Hd^t§ bemeiji, baf
Sttccfer barin fd^arffid^tiger aU feine S^itß^offen gewefen wöre
unb mal^rgenommeu l^ätte, wie ba^ Streben nad^ fjrei^eit gur
gorberung ber ®Ieid^l^eit, unb fomit ber Segriff ber Sieform
jum ^rincip ber SReooIution überging; auf biefem ©tanbpunft
aber fanb er bie 9Kad^t, an bie er glaubte, bie offentlid^e
SJieinung mieber, ate il)re ®unjt il^n na^ fiebenidl^riger 3urü(fc
gcjogenl^eit abermate an bie ©pifee ber ©efc^äfte berief.
f rttte0 ^iijrttd.
SBälirenb biefer Uebergänge Don 3ietd)tl)um unb 2[nfel)en
gu ©n^ufe unb 5Ufad)t, unb bann wieber jurfidE in bte t)er=
l^dltnifemäfeige SRul^e einfad^er ^riDatöerpitniffc tt)ucl^§ bcm
©l^epaar 5RedEer baö einjige Ätnb l)cran, beffen aufecrorbentlid^e
®aben unb Anlagen ein nid^t gett)öl)nltcl)e§ ©d^idffd öorauö«
feigen licfeen.
Sinne Suife ©emtaine, in beten legten 5Ramen eine @rinne=»
tung an bie alte beutfdie ^cimatl) unb eine 3lrt öon Sßor*
bebeutung fünftiger Seftimmungen lag, öerbrad^te glüdflid^e
Äinberjal^re. S)ie erfte ^erjönlid^f eit , bie nad^ ben ©Item
il^rer txto&i)nt, ift il)re ^atl)in, SKabame be aSemtenouf; wäl^s
renb 5Redfer pd^ 1770 mit feiner %xan nad) bem ©ammelpla^
ber eleganten unb babei aud) üorgebltd^ ober tt)irfnd^ furbebfirf^
tigcn SBelt be§ ad^tgelinten Salirl^unbertS, ben Säbcrn üon @pa
begab, befud^te fte bie üierjäl^rige Äleine im ©d^lofe 5IRabrib bei
^ariS, tt)eld)e§ bie 5Recfer bamafö für ben Sommer ju mietl^en
^)Pegten, unb fd)rieb ber 5iKutter, ©ermaine l^abc nid)t nur jte,
fonbcm SlUe, bie fte gefeiten, unter anbem aud^ einige ältere
Ferren, unter benen ein 2lbbe, gur Semunberung l)ingeriffen.
SJlabame ©eoffrin bat um biefelbe 3^^ ^^^ fjreunbe 5Redfer,
jum eigenen ®ebraud^ einen il^r befonberS bequemen Selinfeffel-
ju il^nen fd)idfen laffen gu bürfen, fügte aber gleid^ einen jweiten
öon entfpred^enbcr ©rö^e für bie Stod^ter beö ^aufeiS^ l^ingu,
wbamit biefe il^r nid^t, wie fd^on einmal, @dt)läge öerfe^e, um
10*
148 ^""^ ^^^^^ ©etnrainc iRcdcr unb SBonftettcn.
ben il)rigen ju befontmen* Uebrigen^", fagtc jtc, „jeien bic beibcn
©effel a\x§ bem 3nt)cntar öon 5ßl^Uemon unb Sauds " ^). ®ic
näc^fte sperfönlic^feit, bie ftd^ ganj befonberS für ba§ Ätnb
ittterefjtrte, war SKabame b'^oubetot, eine 3taä)hax\n t)on @atnfc
Duen, bie f\(i) tegelmäfeig bort einjufinben pflegte, wenn 3fledfer
unb feine grau il^re Stoc^ter allein jurücflaffen mußten. Sn
ben ©riefen an bie SRutter fprid^t fte t)on ber kleinen wie öon
il^rem eigenen Äinbe, rül^mt il^re lieitere Sebl^aftigfeit unb ii)xe
wunberbaren Singen unb berul)igt bie 6ltern über eine Keine
Unregelntäfeigleit il^re§ Sßad)§tf)untS, inbem, wie jte fd)reibt, eine
leiste (Srl^öl^ung ber redeten ©d^ulter nur bem ju auSfd^liefe^
lid^en @thxavLä) beö redeten Slrmeö unb ber redeten ^anb ju«=
jufd^reiben fei; jte l^abe il^ren SBärterinnen beSl^alb ben Sluf*
trog gegeben, fleißig bie linfe ^anb ber Äleinen ju üben. Sin
biefen Umftanb fnüpft ftd^ eine Slnefbote, bereu Dpfcr aSiftor
Don 33onftetten würbe. 5Rad^ einem längeren Slufentl^all in
^oKanb, auf ber Unioerftät Serben, unb bann in 6nglanb,
wo er feine (Stubien ooKenbet f)atte, war ber ftrebfamc, nun^^
mel)r fünfunbjwanjigiäl^rige junge SJiann in 5ßariS eingetroffen/
wo er ben größeren Sl^eil beö 3al)re§ 1770 öerbrad^te unb neben,
anberen greunben auc^ gräulein ßurd^ob al§ bie nunmel^rige
SJlabame 9led'er wieberfanb. 3n il^rem §aufe aufS greunb-
fd^aftlici^fte em:pfangen, ging er eines SagS bei ©elegenl^eit einei^
Sefud^S in ©aint^Duen im bortigen 5parf fpajieren, als er, ebcnfo
plö^lid^ wie unerwartet, einen unfanften ©d^lag mit bem @tocf
erl)iclt; nad) bem Singreifer ftd^ wenbenb, erblidfte er, l^inter
einem SSaumftamm l^eroortretenb , bie Keine oieriäl^rige Sinne
©ermaine, bie il^m oergnügt oerjtd)erte, eS fei il)r oorgefd^rieben,
fo oiel als nur immer möglid^ bie linfe ^anb jU gebraud^en.
S)aS war ber Slnfang einer greunbfd^aft jwifd^en bm beiben^
bie nur ber Sob löfen follte^).
0 D 'Haus so n vi 11 e, Le Salon de Madame Necker, I, 121 u. 122
unb II, 26.
^ Simond, Voyage en Suisse. I, 269.
©rftc S3egegnung mit SBonftctten. 149
SBonftetten l)at Slufjeici^nungen l^intcrlaffen , bie nod^ in
anbcrcr Scjiel^ung für baö Sledeffd^c ^auö Don Sntercffe
pnb; pc berul^igen bic ^lad^fornmcn unter anbem barfibcr,
baf au^ ble @alon§ bcö act)tjel^nten S^l^rl^unbcrtö nid)!
immer untcrl^altcnb waren, „ßrfd^eint ein neue§ ©tüdE", fagt er,
^fo gel^t man ju 3Rabame ©eoffrin, ju 5IRabame Slecfer ober
gräulein üon r@fpinaffe. 9!Äan bepit bie Sleufeerungen üon
©iberot, b'aiembert, ^armontel, Zi)oma^ barüber; am felben
Slbenb mad^t man Sefud^e ober mieberl)oIt ba§ ©cl^örtc t»or
etma fcci^jig ^erjonen; biefe fed^glg ^er Jonen tl^un l^ierauf
il^rerfeitö toieber baöfelbe, unb am näd^ften Sage ift ganj 5ßari§
öom gefällten Urtljeil unterrid^tet. 3)ie täglich pd) toiebcr^'
l^olenbe ^Rotl^menbigfeit, pd) über neue ©rfd^einungen in Äunft
unb Siteratur ju äufeem, öeranlafet beinal^e jebeö ^auö, ^6)
einen ©d^öngeift angufd^aff en , ber ba§ ©efi^äft beforgt; biefe
©d^öngeifter bilben bann unter pd^ eine unpd^tbare Slriftofratie,
bic pd^ in unmcrflid^en Slbftufungen bi§ in bie unterften
©d^id^ten öerliert. ®ie Häupter l^abcn il^re SEribunale unb bie
Untergebenen il^re Slbtl^eilungen. ©obalb Semanb e§ magen
»ürbe, in biefer Umgebung t)on pdf) felbft ju fpred^en, würbe
er ben Slnbern unerträglid) werben, benn in ^ari§ emppnbet
3liemanb ba^ leifefte Sntereffe für bie Stngelegenl^eiten feiner
SKitmenfd^en; bie ^auptforge mufe immer bie fein, bie ©igen*
liebe berfelben anzuregen unb nid)t ju Dergeffen, ba§, wenn pe
pd^ um anbere gu fümmem fd^einen, e§ ftetö nur auö $öflic^=
feit unb unter ber Sebingung gefc^iel^t, bafe biefe ei§ aud^
fo öerftel^en unb pd^ nid)t babei auflialten foHen. Sluf biefe
Urfa^e Pub bie gefälligen S^ormen beS Serfel^rS unb bie ge=
ringen tl^atfäd^lid^en @igenf d)af ten , bie Dielen liebenöwfirbigen
^auen unb bie wenigen wal^rl^aft guten SÄütter unb ©attinnen
jurüdfgufül^ren''. Unb bie franjöpfd^en mit ben cnglifd^cn B^^
jiänben Dergleid^enb, entfd^eibet Sonftetten burd^auö ju ®unPen
ber legieren; er pnbet, bafe in ^ranfreid^ bie ©d^riftfteHer
SSerPanb, allgemeine Äenntnife Dieler 2)inge, mand^e neue, be=
150 ^^^ S3cgcgnunö mit S3onftcttcn.
fted^enbe Sbeen cntmidelten, bafür aber wenig SÄetl^obc befafeen.
©aö Umgefel^rtc fei in @nglanb ber ^aH; man fönne nid^tiJ
Seffereö tl^un, alö bie bort ober in ®enf gel^olten Sbeen in
frangöpjd^e formen gu fleibca, benn ber @nglänbcr beginne ba-
mit, ftc^ einen SSorratl^ t)on gefunber aSemunft anjufc^affen,
wäl^renb ber fjrangofe ftd^ bag bis gang gule^t auffpare unb
fel^r oft fterbe, ol^ne überl^aupt fo weit ju fommen. 3n iJrant
reid^ entf(i)eibe im ©rofeen unb ©angen bie ®unft, in @nglanb
ba§ SSerbienft; bie ©inen trad^teten, bem 35aterlanb gu bienen;
bie änbern, einige einflußreiche ^erfönlidjfeiten gu gewinnen;
bort jtnb SKifebraud^e eine bloße SluSnal^me, l^icr finb jtc
®efe^ 1).
^nä) wm frangöjtfc^en Sanbleben jener Sage l^at Son«
ftetten in Sriefen an bie ©einen angiel^enbe ©d^ilberungen cnt^»
worfen, fo üon jenem im ©d^Ioß Sa 3iodE)egu9on , bei ber
^ergogin b'ßnoiHe, wo eS alle möglid^en S^tftreuungen unb
Unterl^altungen gab, ,,6aroffen, 9leit= unb Sagbpfcrbe, SReuten,
IBaBfpiel, SiHarb, Stl^eater, ßoncertfaal, unb wo bie Hausfrauen,
bie ^ergoflin felbft unb i^re ©d^wiegertod^ter, öon il^ren ®äjicn
nur »erlangten, ftc^ möglich ft gut gu unterl^alten". ©agu trug
eine Sibliotl^ef Don 15,000 Sänbcn baS il^rige bei, unb ber
junge ©d^weiger nennt baS ©d^loß baS erfte in gang fjronfrcidlj
in S5egug auf ©infad^l^eit perfönlid^en Sluftretenö, Sleinl^eit ber
Sitten, Slbel ber ©eftnnung unb geiftige Stnregung feiner Se*
ftfeer^).
SRul^iger öerlief baS Seben in ©aint^Duen, wo feine Soor*«
liebe für 3^gb ober SBaffen^^anbwerf, wie auf ben alten ©i^cn
beS frangöftfd^en SlbelS, bie gefellfd)aftlid^en Segiel^ungen belebte,
unb ber Son immer ein ernfter unb gemeff euer blieb ; l^eiter lonntc
bort wol^l nur ber anblirf beS Meinen SJiäbcftenS genannt wer»
ben, beffen Silb, öon unbefannter ^anb entworfen, fie öon
etwas bunfler Hautfarbe, mit lebl^aften unregelmäßigen Söflcn,
0 A. Steinlen, Ch. V. de Bonstetten, 75—78.
2) (Sbenbafclbft, 80—81.
eraid^ungSmctl^obc öon SWabamc S^ccfcr. 151
bie f(f)on ein fcltencr, auö bunflen, grofeen Slugen t)eröorIeud)ten«
bcr SluöbrucE öon SSerftanb unb ®ütc belebte, barfteHt. 3Ka=
bame SRcder, obwol^I in fpäteren S^l^ren öergebenö bemül^t, ben
©nflufe öon S. S. Sftouffean öon ilirer Sj:ocl)ter fern ju t)alten,
l^atte angefangen, wie alle anbern 'grauen il^rer ^tiU „S^ er«
jiel^e meine Zodjkx nicl)t wie Sopl^ie, fonbern wie (ämile",
fd^rieb fte 1768, „unb big je^t geigt pd^ bie 5Jlatnr liebeng«
wfirbiger bei bem Äinbe alö alle Äunft" ^). @ie ^atte e§ g^^ar
nid^t, nad) ber aSorfd)rift beö ^Keifter^, felbft näl)ren fönnen,
aber um fo mel^r wollte fte feine (ärgiel^ung leiten unb fo öiel
ate möglid^ felbft beforgen, befonberS wenn 3fledfer'§ SSerpflidt)«
tung, btm ^of in bie öerfd^iebenen SReftbengen gu folgen, il^r
mel^r Stit bagu lie§. „SBäl^renb breigef)n ber fdt)önften 3al^re
meines gebend'', berid)tet fie barüber an il^ren SKann, „l^abe idt),
35u wei^t eS, mid) burdt) feine anbere ©orge unb SSefd^äftigung
baöon abl^alten laffen, meine Sod^ter ftetö unb immer im Sluge
gu bel^altcn; id) l^abe pe in t)crfdt)iebenen ©prad^en, befonberö
in il^rcr eigenen unterrid^tet unb il^r ®ebädt)tnife unb il)ren 33er*
ftanb burd^ bie befte Seftfire gu bilben gefudt)t. S2Bäf)renb
©eines Slufentl)altö gu SSerfaiDeö ober gontainebleau ging id^
mit il^r allein aufö Sanb; bort pflegte id^ mit il^r fpagieren
gu gelten, gu lefen unb gu beten; atö il^re ©efunbl^eit litt,
unterftü^ten meine Sorge unb Pflege bie a3emül)ungen beS
SlrgteS, unb feitbem ift mir gefagt worben, pe l)abe oft bie
^uftenanf alle , oon weldt)en pe befallen gu werben ppcgte, ge«
fteigert, nur um meiner forgcnben, liebenben ©egenwart nid)t
gu entbel^ren. 5!Rit einem SBort, id^ fudt)te aUe ®aben ber
SRatur bei il^r gu förbem unb gu ppegen, weil id) il^rer Seele
bamit wol^l gu tl^un l^offte, unb id^ meine gange (Sigenliebe auf
pe übertragen l^atte"^).
3n nod^ mangelf)after £)rtf)ograp]^ie, aber fdt)on mit SBorten,
*) Golowkin, Lettres recueillies en Suisse, 359.
^) D^Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 35.
152 ®^f^« SBrtcfc öon Sinne ©crmaine an if)xt aWuttcr.
bic fo jungen Salären unb ber ilinen gcwöl^nlid^en ©ntpflnbung^'
ttjelfe öoraneilten , erwibertc bic 2:od)tcr, wenn SUiabamc Sßeder
fld^ öon tl^r trennen mufete, bie mfitterltd^e ßi^weigung: „Sd)
flnbe in mir nur mel^r 3)i(f)'\ lautet einer biefer 33riefe; „®u
bift mein SUiutf) unb meine Sßernunft, ba§ befte Sßorbilb ©einer
eigenen Seigren. . . ^ä) öertt)ünfd)e je^t ben 33all unb meine
friöolen Steigungen; mie fonnte id^ glauben, ba§ id) mid)
unterl^alten unb, öon 3)ir entfernt, nod)' biefelben Slugen l^aben
mürbe?''
„Siebe SRama", lieifet e^ ein anbereS 9)tal, „foKte id) taufenb
Saläre leben, um ©id^ betrad^ten gu fönnen, fo mürbe id^ ben=
nod) eiferfüdt)tig merben, foHteft ®u aud^ nur für einen Slugen*
blidC ©id) oon mir abmenben. SKöd^teft ©u tro^ aller meiner
SEl^orl^eiten bodö bebenfen, ba^ ii) ©id^ liebe, mie ©u geliebt ju
merben öerbienft. Sd) fd)idfe ©ir bie fd^önften SSlumen unfereS
®arten§, unb mein .^erj gef)ört nur ©ir unb meinem SBater".
SGBenn jte jtd^ Sßormürfe gu mad)en unb eine§ ^Jel^ler^ angu»
flagen l^atte, befd)mor jte bie 5!Rutter, if)r beijuftel^en, „benn
meine üble Saune gu fd^ilbern unb fonft nod^ Sllleg ju fagen,
öermag id) nid)t'', fd^rieb fte il^r. „SBarum fann id) nid^t öon
©iegen berid)ten, bie id^ über mid) felbft baöongetragen? ^JÄutter,
liebe SUiutter, l^elfe mir, mid^ ju beffern''. ©ie ©riefe oott
SRabame Sieder an il)re Sod^ter geigen alle ba§ S3eftreben, bie
@efüf)le gu berul)igen unb gu bämpfen, bie fc^on mit gu gto^er
SSärme an bie Dberfläd^e brängten. „©ein SSrief ift ber eines
guten Äinbeö", fd^rieb fte ber 3Siergef)niäl^rigen im SUiai 1779;
„id^ fel^e, bafe ©u mit ©ir felbft guf rieben bift, unb mill gmlfd^n
©ir unb mir nur ©ein §erg gum Sflid^ter. ©ein ©t^l aber ift
etmaS gu überfd^mänglidt). ®e^e nid)t fo aus ©ir felbft l^erauS,
um mid^ gu loben ober mir etmaö 3ärtIid)eS gu fagen; ba^
ift ein ^etiler beS ®efd)macES, ber puflg in ©einem Sllter ftd^
ftnbet. SBenn man langer gelebt l^at, fo erfennt man, ba§ bie
befte 2lrt gu gefallen barin befielet, feinen ®ebanfen einfad^ unb
ol^ne Uebertreibung auSgufpred^en ; bann l|at er ftetS etmaS
SBcmanbtc 3ügc mit i^i. 153
Drigincttcö unb baS ©cprägc ber SBafirl^eit, ba§ jtd) burd)
«jcitauögcl^ottc Sßergletd^c öcriiert. 35ein ©rief an 2)ctncn SBatcr
ttjar cinfadf) unb gut. ^abc ©auf für ©eine S3Iumen unb
lebe XDolfl, mein ©ngel".
35iefe SSorf(f)riften t)on SRabame 9ledfer, fo gut unb öor-
treffUdf) jte waren, mürben bebauerlid^er SBeife öon il^r jelbft
öergeffen unb umgangen, wenn jte jtd^ nid)t mel^r dn bie Sod)ter,
fonbem an ben ®atten wanbte. 35Bäf)renb jte biefer bie gefunbe
SBemunft cm^jfal^I, „bie ju SlDem nü^t unb niemals fdjabet",
öeranla^tc jte ber blofee ©ebanfe an bie ÜWöglid^feit einer SSer=
minberung öon 9ledter'ö Siebe ju il^r, ju Sleufeerungen in il^rem
Stagebud^, Don benen eine unter öielen lautete, jte l^abe il^r
9ine§ einer G^imäre geopfert, alle if)re Äräfte auf einen 5ßunft
gcfammelt, unb ba nun biefer gu n)an!en brol^e, ftürje jte in
ben Slbgrunb, ol^e nac^ einem rettenben ,^alt greifen ju fönnen;
öon ber gröfeten Sl^ätigfeit gel^e jie ju öoUftänbiger Stpatl^ie
über, ©ie beflage bie elenbe ©d^wäd^e if)rer 5)Mur, ol^ne jtd^
Don xi)v lo^reifeen ju fönnen ; nur foHe 9liemanb erratl^en bürfen,
was jte leibe.
Site jte jtd) fo äufeerte, war ^abame DIecfer über Dierjig
Saläre alt, unb e§ !ann nid^t Söunber nel^men, wenn jte, eine
flletd^e Anlage jur £eibenfcl)aftlid)feit ber ©mpfinbung bei i^rer
Sod^ter fürd^tenb, beftrebt war, jte im Äeim ju erftirfen.
Sl^re ganje ©rgiel^ungSmetfiobe ging benn aud^ oon bem
Seftreben an^, bie ©emütl^Sanlagen unb SebenSgewolinl^eiten
il^rer 2:od)ter früJ^jeitig in fefte a3af)nen ber ^Pid^t unb
Slrbcit gu lenfen. ©ie felbft l^atte Diel gelernt unb war
für eine §rau t^reö ©tanbeS unb i^rer S^it f^P gelef)rt ju
nennen; in fjolge beffen trug jte aud) fein Sebenfen, bem
begabten 3Räbd^en eine grofee, geiftige SlrbeitSlaft aufguerlegen
unb il^r Sntereffe für alle möglid^en Äenntniffe gu wedfen,
bte fonft bem Unterrid^tSpIan junger ©amen fem lagen.
©ie l^offte baburdt) audt( am beften bem ©influfe gewiffer mate'
rialiftifd^er Sbeen gu fteuem unb burd^ eine ftreng metl^obijd^e
154 SKabomc SRccfcr wcnbct ©trcngc an.
ßtätel^ung bie au§fd)lic6ltcl)e ^errfd^aft rcligiöfer 2lnfd)auungcn
öor jubereiten ; aber jte ging babei me alle ©teienigen, bie an
fic^ felbft ftrenge ^^orberungen gu [teilen gewolint ftnb, jn
SBerfe, o^ne ben SSebürfniffen ber 3ugenb ober ben 3^bit)i«
bualitäten genügenb SRecl)nung gu tragen, ©iejemge öon
ijräuletn 3ledfer war ganj baju angetl^an, bie ftrenge ßw^ä^t» ^^
ber jte gel^alten iwerben foHte, ganj befonberö peinlich ju em«
pfinben; benn jte war aufeerorbentlid) lebfiaft, feinfüpg, offen,
unb nad^ Slnerfennung nnb £ob, wie nad) Seweifen öon ßärt*
liä)k\t unb Siebe öerlangenb; fc^on aU Äinb war bie Qn^
neigung ju il)rem Sßater ein eigentf)ümlicf)e§ ©eniifd^ öon
l)eiterer Saune unb leidet bi§ gu ^xämn gerül^rter @rregbar!eit
ber (Smpfinbung, bie in feinem SBerl^ältnife ju il^rem Sllter ftanb.
Sie war faum elfiäljrig, al§ bie SJJiutter il^r eine Junge SScr*
wanbte, ^-räulein ^uber au§ ®enf, fpäter bort alö bie fd^öne
ünb l^oc^gebilbete SKabame SftiHiet^^^uber befannt, jur ©efal^rtin
gab. St^äwl^in »^uber, bie i^re intime greunbin blieb, l^at btefc
erfte ^Begegnung mit il^r gefd^ilbert unb befonber^ eine ^ragie
unb ®ewanbt^eit be§ Sluöbrudf^ an bem fleinen SMäbd^en
l)eröorgel^oben , bie bereite ber 33erebfamfeit nal|e famen unb
. tiefen ©inbrudf auf jte mad^ten: „SBir pflegten nidt)t wie Ätn=»
ber ju fpielen", fäf)rt jte in t^rer 6rjäl)lung fort, „jte fragte
gleid^ nad) meinen Unterridf)töftunben , nadf) ben öerfd^iebenen
©prad^en, bie mir geläufig feien, unb ob id^ juweilen baö
Sil^eater befudt)e. 2ll§ id^ barauf entgegnete, ba§ iä) erft gwci
ober breimal in einem folc^en gewefen fei, begeigte jte mir il^r
ßrftaunen barüber unb öerfprad^, balb einmal mit mir in bie
Äomöbie gu gelten; jte fügte l^inju, nad) jebem ©tfid müßten
wir ben ^xii)alt beöfelben unb xoa^ un§ fonft auffallen würbe,
ju ^^apier bringen, baS fei fo i^re ©ewol^nl^eit; aud^ öer=»
fpradt)en wir, un^ \cbm 5!Rorgen gu fd^reiben. hierauf gingen
wir in ben ©alon. Sieben bem Sel^nfeffel öon SWabante Sleder
ftanb ein Heiner ^olgftul^l, auf weld^em il^re S£od)ter gerate
unb unbeweglid^ ftiH gu jt^en i^atte; bann famen brei ober
gräulcin Jpuber über gräulcin SRccfet. 155
öier ältere Ferren t)erbei, bte j!d) mit ber größten 2:t)cilnal^me
mit il^r ju unterJ^dten fd^icnen. ßiner berfelben, ber eine Keine,
runbe ^errüde trug, nal^m fte bei ber ^anb unb fprad) mit
il^r, als ob jte ffinfunbgwaitäig ^a^xc alt gemefen fei; e§ war,
wie id^ fpäter erful^r, Slbbe SRa^nal. ©ic Slnbern waren 3:i^omaö,
3Wamu)ntel, Saron ©rimm unb ber SKarquiS be ^eja^. ÜRan
ging jU Sifci^. gräulein 9ledfer fagte fein SBort, unb boc^ jd^ien
fle mitjurebcn, fo lebenbig war jte mit if)rer 3lufmerffamfeit am
©cfprftci^ bct^eiligt. 9iad) Sifd) famen öiele Seute, unb Seber*
mann, nac^bem er SWabame nieder begrübt l^atte, fagte il^rer
Sod^ter ein SBort unb fucf)te jte, fei eS buxä) eine ^Jrage, einen
©pafe ober fonft eine SSemerfung, inS ©efpräc^ l^ereinäujiel^en ;
man fragte nad) bem, wa§ fte gelefen, brad^te il^r SSüd^er unb
wcdtc il^ren ®eift auf aUe erbenflid^e SBeife" ^).
2)er einjige finblid^e Quq, ber an Fräulein Sieder bemerft
würbe, war ber, bafe fte jtdf) gern bamit unterf)ielt, Äönige unb
Königinnen auS Sßapier auSgufd^neiben unb bann, fte alö puppen
benu^enb, Sragöbien mit il^nen aufgufül^ren, worauf aud^ il^re
fpfttere ©ewol^nl^eit jurüdjufüf)ren ift, gern einen Streifen Rapier
ober ein S^^eiglein burd^ bie ^Jinger gleiten gu laffen, eine un*
bewußte Sefd^äftigung, bie il^r nad) unb nad^ fo notl^wenbig
würbe, wie bie ®ebetfd)nur bem Orientalen, ^m Uebrigen
waren felbft il^rc ©ewol^nl^eiten , wie gum Seifpiel ber 33efud^
beS Sl^eaterS, nur eine anbere Slrt oon geiftiger Slnfpornung;
oud^ ba« 3ntereffe für bie ©djaufpielf unft , baS jte fpäter oer*»
onla^e, felbft auSübenb tptig ju fein, würbe bereits in jenen
Sollten gewedt, inbem Fräulein ßlairon oft im 9leder'fd^en
^aufe ju foupiren unb ben Slbenb gugubringen pflegte unb
bann guweilen SRoKen auS bem flafftfd^en Siepertoire oortrug,
bei wcld^er ©elegcnl^eit SÄarmontel ober £a ^arpe bie SJteplif
in geben pflegten 2).
^) Madame Necker de Saussure, Notice sur le caract^re et les ecrits
de Madame de Stael. Vol. I tl^rer Oeuvres completes.
^ Madame Suard, Essais de Memoires sur Suard, 83.
156 ©ibbon.
(äbenfaUS bctnal^c nod) alö Ätnb fd^rieb ^frdulcin Sftedfcr
in Uebereinftimmung mit ber l^errfd^enbcn SWobc SßortrotS
imb ßl^arafterftubien, tt)eld)en balb SSerfe, Sluffä^c, cnblid^
Sl^caterftüdfe folgten; nod) nicl)t fünfgel^niä^rig, öcrfol^ jtc ein
ßycmplar beö ®eifte§ ber ®efe^e mit SRanbbemerfungcn. @ine
fleine 2lbl|anblung öon il^r über baS (Sbift Don SlanteS crmccfte
bei Slbb6 9iat)nal, ber fein 2Ber! gern auf fold^e SBkife ht^
reidierte, ben SBunfd), biefelbe in ber näd^ften SluSgabe feiner
©cfci^ic^te ber beiben 3nbien aufjunel^men. 9lad^ SBerdffent=
lici^ung be§ Compte-rendu rid)tete jte ein anonymes ©einreiben
über benfelben an 5Jledfer, ber bie Sod^ter an ber ©ci^rcibart
crfannte. Slud^ il^re originelle Slrt mibcrftanb bem ftrcngen
(Srjief)ungöf9ftem , bem fte nnterioorfen worben war. SJ[l§ bei
Gelegenheit eineö SSefud^e^ öon ®ibbon in ^ariiS 1776 5RedEer
unb feine ^Jrau ben SBunfc^ au§fprad)en, eS möd^te il^nen t)er=
gönnt fein, biefeg anregenben, geiftreid)en Umgangi^ ftd^ bleibcnb
ju erfreuen, bot baö jel^njäfirige 9Ö?äbdt)en if)rer SÄutter alleö
©rnfteiS an, bie unförntlid)e a3erfil^mtf)eit ju l^eiratJ^cn unb burd^
ben öergttjeifelten @d)ritt für immer an bie g^amilie ju feffelii,
tt)ie benn überl^aupt in biefer raftloS arbeitenben 9latur bie
6nttt)idflung beö ®emfitl^§lebenS gleid^en Sd^ritt mit ber beiJ
©eifteS l^ielt. @o liebte fte aud^ ^Jräulein ^uber leiben*
fd^aftlid^. SBenn fte bebeutenben 3Äenfd)cn begegnete, fteigerte
tl)re (ärregung ftd^ bi§ ju %f)x&mn unb ^ergflopfen; Me
SSüd^er, bie fte la§, öerfe^ten fte in eine anbere SBelt. Sefannt
ift bie 2lrt unb SBeife, U)ie fte ben ©inbrud gefd)ilbert l^at, ben
ber grofee SRomanbid^ter ber 3^*^ SRic^arbfon, auf jte mad^te:
„®ie (äntfü^rung öon ßlariffa", pflegte fte gu fagen, ,,fei ba«
grofee 6reignife il^rer 3ugenb gemefen." ^^x erfter unb immer
nod) befter SSiograpf), SÄabame 5?ecfer be ©auffure, fagt öon
il)r, fte fei ftet§ jung unb niemals ein Äinb gewefcn; S^iu
SRilliet^^uber fügt ^ingu, U)a§ fte am meiften unterl^alten l^abe,
fei immer gugleidf) ba^ gemefen, xoa^ fte ujeinen mad^te.
„§ier", fd^rieb ©räfin b'^oubetot öon ber Sod^ter fpred)enb
SWabontc SRctfer über il^rc Sod^tcr. 157
an SBiabamt Sieder, „erblül)en 3l^nen bie ^reuben S^reS gebend,
genießen Sie ben SStoft, biefelben gur Sntfaltung gu bringen;
mir gel^t leine il^rer anmutl^igen ®ragien verloren" ^). Seiber
empfanb biefe barin nid)t fo wie ilire lieben^würbige gteunbin ;
fte leitete bie @rgtet)ung ber Sod^ter mit berfelben peinlid^en
®ett)iffen]^aftigfeit, mit xodä^ex jte il^re eigene iJortbilbung über*
wad^tc unb bie t)erfd)iebenften ^flid)ten if)rer Stellung gu e^
füBen jtd^ beftrebte ; fte erf d)öpfte alle Sorgen unb allen Äummer
bt& mfitterlid&en S3erufeö, aber an ben @ntfd)äbigungen unb
Sfteuben berfelben ging jte faft unempfinblid) Dorüber. 3«
%en gefammelten @(f)riften jtnb U)äf)renb ber Sugenbgeit öon
Sinne ©ermaine gefd)riebene, langatl^mige Slbl)anblungen über
ben ©t^l, grammatifalifd^e SSemerfungen über ben „@mile'\
Slufjeidimingen öon ßonöerfationen mit SSujfon ober 2:f)oma§
gu flnben; %er Sod^ter aber, öon ber gu l)ören fo oiel inter»
effanter märe, gefd^iel^t faum eine anbere ßrmä^nung, al§ um
einmal gu bemerlen, mie gefäf)rlid) für ein junget aKäbd)en bie
^rifer atmofppre fei. @ie l^abe, ergä^lt SJlabame SRetfer,
eines 3iig§ eine Sleu^erung getl^an, bie ^Jrioolität be§ ©efd^madf^
öerrietl^; ba fei il^r com ©rgbifd^of oon 3lif entgegnet morben:
„3Wein gtäulein, @ie ftnb 3^rer nic^t mürbig"^). g§ toar,
aU ob burd^ bie ^eftigfeit ber Steigung für ben ©atten unb
in ber f5reunbfd)aft bie finblidt)en 2lnfprüd)e auf ba§ 3Rutter=
l^erg becinträd)tigt morben feien.
Unter gemöl^nlid^en SSerl^ältniffen mürbe eine @rgief)ung
nad^ ber SMetl^obe t)on SJiabame Sledfer übrigen^ bod^ gum ge=
münf(l)tcn 3^^^ gefül)rt l^aben, in biefem gaU aber begegnete
fle jtd^ mit einem Clement, ba^ aller if)rer Si^eorien fpottete, unb
btefciS Clement mar angeborneS ©enie. SJiabame Slcdfer ging
üon bem ©runbfa^ auS, ba§ SlHeS erlernt merben !önne, ba^
©tubiren bie $auptfad)e fei; fte meinte ridt)tig genug, mer bie
*) D'HaussonYille, Le Salon de Madame Necker, II, 28.
') Madame Necker, Melanges, I, 324, III, 91.
158 9Wabantc ^tätx übet \f)xt Sod^tct.
erfte Sebenöjeit nid^t nixl^lxä) aufgefüllt l^abe, merbc feine legten
Saläre niemals ju öemenben toiffen^); bie S£o(f)ter aber war
3u probufttö angelegt, um tl^r gangeö Seben l|inburd) ben ®e*
ban!en ber Slnbern ol^ne bte l^öd^fte ©rmübung folgen gu lönnen,
wäl^renb jte SluSbauer unb ß^itaufmanb anbererfeit^ wieber burdf)
eine aufeerorbentlid) rafd)e ^afjungSgabe erfe^te. @§ feilten bie
nötl^tgen Slnl)alt§punfte, um ben pojtttöen ©ewinn an Äennt*
niffen, ben Fräulein nieder \i)xm 33tlbung§j|a]^ren oerbanite,
ganj genau f eft jufteKen ; au§ fpäteren Sl^atfad^en unb Stuf*
jeid^nungen aber läfet jtd^ foötel fagen, bafe pe genügenb latet«
nifd^ öerftanb, um mit il^ren Söhnen ben SacituS gu lefen;
boä) wirb aud^ l)ingugefügt , bafe fd^on wenige SBorte be§ gu=
weilen aud^ mtfeöerftanbenen 3;ejrteS genügten, um pe ju geift«
reid^en JDiffertationen gu öeranlaffen, bie oft weit ab t)on fetnem
3nl)alt führten 2). m^ pe 1792 gum erften ^Kal nac^ ©nglanb
!am, fprad) unb frf)rieb pe nod^ wenig unb fel^Ierl^aft englifd^,
unb obwol^I pe pd^ Peifeig auf bie Jfteife nad^ ©eutfd^Ianb öor»
bereitet ijatk, ftimmen alle S^^Ö^iff^ baxin überein, ba^ pe e§
bei il^rer Slnfunft in SBeimar nur fel^r mangelliaft Derftanb;
bann aber l^at pe e§ gelernt unb audf) gefannt. ^unbert Solare
früfier wußten bie grauen, wenn pe überl^aupt gebilbct waren,
in iJranfretd^ öiel mel^r; fjrau oon @et)ign^, unter 3lnbem,
l^atte baö Sateinifd^e grünblid) erlernt, fprad^ öortrefflid^ fpcimfd^
unb ttalienifd), unb fannte genug ^l^ilofopl^ie unb Sl^eologtc,
um ©d^rttt mit ber ©Übung xijxtx ß^it gu l^alten unb über bie
l^errfd)enben ßontrooerfen pd^ ein Urtl^eil gu bilben. @S fefete
wenigpen^ ebenfooiel poptiöeö SBiffen unb ©d^ärfe be8 SScr«
PanbeS oorauö, um gur ^nt oon 3lmaulb unb 5ßaScaI, öoti
SRicoIe unb SSofluet ein felbpänbige^ Vixttjtil über bie ©nabenlel^rc
gu liaben — unb bie berühmte 31Karquife I)atte ba§ irrige — ,
aU in ben Sagen öon fjräulein 5Redter mit mel^r ober
0 Madame Necker, Melanges, II, 337.
^ Bonftctten, Briefe an fjriberile SBrun, l^erauSgcgeben öon gr. öoti
aWattl&iffon, I, 181.
weniger fflereditigimg über 9Konte§quicu unb Jftouffeau ju biö«
lutiren. SBeber bamalS nod) jpäter l^at fte felbft übrigen^ Sin*
fprud) barauf erl^oben, im eigentlid^en @inn bc§ Söorteö eine
geleierte fjrau ju fein; allein fte toufete öiel, Ia§ unb untere
rid^tete jtd) beftänbig unb trat im Sauf ber 3^it cm bie meiften
ber Probleme l^eran, bie il^re ©eneration auf geiftigem, fünft=
lerifdiem unb polttifd^em ®ebiet befd)äftigt l^aben.
SWabame 5Redter be ©auffure unterläfet benn aud^ nid)t, ju
bemerfen, bafe bie Ueberlegenl^eit ber ^rau üon ©tael ein
grofeeS, natürIid)eS ^l^änomen öielmelir, al§ ba§ SRefuItat äußerer
©nwirfungen ober erworbener Äenntniffe njar: „©ie 6rjiel^ung'\
fagt fte auSbrficflid^, „liefe nur geringe ©puren bei i^r jurüd" *).
©en auf anbere QkU gerid^teten Semül^ungen il^rer SRutter
leiftete fte aud^ burcl)auö leinen SBiberftanb, aber il^re ©efunb»
l^eit gab plo^Iid^ gu ernften Sefürd^tungen 3lnlafe, unb ber öon
ben beftfirjten 6Itern angerufenen @ntfd)eibung oon Strond^in
fiel ba§ @rgiel|ung§f^ftem ber 3Rabame ?)ledfer enbgültig jum
Dpfer; er fdf)rieb ben 3lufentl^alt in ©aint^Duen, anl^altenbe
Sewegung in freier Suft unb Unterbrechung aller geiftigen 8ln*
ftrengung öor.
©amit begann bie Entfaltung jener poetifd^en unb imagi-
nativen fjäl^igfeiten, bie bi§ bal^in jurüdfgebrängt morben waren,
©ie beiben jungen 3Jiäbd)en, Sinne ©ermaine unb bie ^Jreunbin,
Srdulein ^uber, burd^ftreiften, i^uweilen al§ SR^mpl^en ober
5!Rufen gelleibet, ben $arf unb bie ®örten oon ©aint^Duen,
befd^äftigten pdf) mit TOuftf unb ©efang, bid^teten, trugen ®e=
bid)te Slnberer oor unb fpielten wol^l aud^ felbftgemad^te ©ramen
ober @d)aufpiele; oor SlHem aber mürbe ber Salon 5Re(Jer
mel^r unb mel^r bie l^ol^e ©d^ule be§ Sernenö unb £eben§, bie
ben ©ebanfenauStaufd) mit anregenben unb geiftreid^en SUienfd^en
cnnöglid()te, ben 3beenfrei§ beS jungen 3Ääbd^en§ erweiterte,
*) Madame Necker de Saussure, Notice sur le caractere et les
Berits de Madame de Stael.
160 5tnna]6«tun8 öon graulein S^ccfer an il^ren »ater.
il)rcn @efd)macl bilbcte unb frül^ bic Äcnntni^ bcr SRetifd^en
unb bcr Söclt bei il^r entotdCelte, ol^nc weld^c il^rc aufecrorbcnfc
M)cn Stnlagen nie ju öoHer Entfaltung gcbiel^cn wären. Qxi
blefer SBcränberung in ber SebenSweife unb ben Scfdiäftigungen
fant alö weiterer unb entfd^eibenber Umftanb für fjräulein 3ledEer
bic innige Slnnäl^erung an il^rcn 3Satcr. ©eine nid^t niel^r burd^
@taatögcfd)äftc beanfprud^te Slufmcrffamfcit lonntc jt(^ nun un^
gcftört bcr 2:od)tcr juwenbcn; er fanb in il^r einen Seift, ber
bereits bcm feinigen SRebe ftanb unb überbicö feine anjicl^cnbften
6iflcnfd)aftcn aufbot, um ben SSatcr ju getöinnen, öon bem fie
füllte, bafe er ftc fo t)iel beffer alö bic SRutter Derftanb, ohxoofjil
er fie nie lobte unb nur feiten emtutl^igte. 35affir l^atten fie
ntand)e 6l)araftcrjügc unb inteHeftucHc @igenf(^aften gemein,
oor Slllcnt einen auSgcbilbeten Sinn fftr baS Äomifd)e, bcr bei
5)lccfcr in einer f leinen, 1783 ocröffentlid^ten Satire „über ba^
(SlüdE bcr Sinfältigcn", — »le bonheur des sots« — jtd^ jiem*
lid) unermartet Suft mad)tc, unb oon bcr gräulcin öon TCfpinaffe,
bic fie im SKanuffript la§, if)m freilid^ nid^t ol^ne arge Ucber»
treibung fd)ricb, ftc fei l^citer unb pj^ilofopl^ifd^ wie SJoltaire'ö
„ßanbibc". 3lud) ba§ ocrbanftc g^rSulcin Sßcdcr il^rcm SJater,
ba% Dffcuf)cit unb 9latürlid)fcit il^r jum SBcbürfnife würben,
„(är cntlaröte aUcS angelernte, affcftirtc 3Bcfeu'\ fagt jte, „unb
neben i^m l)abc id) bcm ®laubcn tuidt) Jöinjugcbcn gelernt, bafe
man flar in meinem bergen fcl^c.'' ®afür war er gern ju
Meinen @d)crjen bereit 3ln einem SJJorgcn, ate SBonftetten ®afl
bcr gamilie war, ocrfud)tc ^Jräulcin 5Jlcdcr am fjrfil^ftüdtifd^
oergcbenS, bic Slufmcrffamfcit if)rc§ SBaterS auf fid^ gu jiel^cn,
ba würbe il^rc SKutter, wcld)c foldt)c (Spielereien mit ftrcngem
lölid gu al^nbcn pflegte, irgcnb einer l^äu§lid)cn Slngclegenl^eit
wegen abberufen; im fclbcn Slugcnblidf, wo bic Spr fld^
i^inter il^r fd^lofe, flog audt) fd^on bic ©croiette feiner Sod^ter
bcm bis bal^in graoitätifc^ baft^enben ,&crrn Siccfcr inS ©eftd^t.
2lls ob bicfcr nur auf baS S^id)cn gewartet l^abe, fing er jic
auf, banb ftc um ben Äopf unb begann mit ©ermaine um ben
©ntfrcmbung jttjifc^cn SWuttct unb Sod^tcr. Ißl
Sifci^ J^crum gu tangen, btö bic ©d^titte feiner gurüdfel^renben
©atttn jtd^ Demefimcn liefeen, »jorauf bie beibcn jtd), wie er*
tctppte ©d^ulfinber, lüieber fteif l^injufe^en beeilten, ol^ne ju
bcmerlen, ba§ jtc burd^ bie öerfelirt aufgefegte öäterlicl)e ^errüdfe
üerratl^cn würben ^). ©ineö aber f onnte SRabame 5Redfer nid^t öer=
l^inbem, ba§ il^re Sod^ter emfte Sieben burdE) fomifc^e (äinfäHe
unterbrad^ unb unter ben ©d^u^ SHedfer'^ pd^tete, wenn i^re
überfprubelnbe Sebl^aftigfeit fte in f leine Sßerlegenl^eiten brad^te.
3n biefe^ neue SSerl^ältnife öerftanb SKabame Siedfer pdf) nid^t
gu finben; Dom Slugenblirf an, wo fte bie 6rgiel|ung xf)xtx 2:odE)ter
nid)t niel^r gang nad^ il^rem @inn leiten !onnte, öerminberte ftd^
aud^ il^r gntereffe für pe. Sllö SKabame 5Jleder be ©auffure
in fpätem Salären eimnal bie aufeerorbentlic^e SSegabung ber
iJrau t)on ©tael, bie pe erft furg guöor fennen gelernt l^atte,
rül^mte, ert)ielt pe öon SKabame 9lecf er bie begeidt)nenbe Slntwort :
„35aö ift nid)ti5, gar nidt)tö im Sßergleid^ gu bem, waö id^ auä
il^r mad^en wollte" 2). ^n öiel l^öl^erem ©rabe als bie pl^ilo=
fop]^enfreunblidE)e SKabame ©eoffrin, bie ilire fromme SodEiter,
bie SKarquife be la Serte^^mbault, „ba^ Sntenei" gu nennen
ppegte, baö pe ausgebrütet l^abe, wäre 5!Jlabame 5Redfer gu
biefem SSergleid) bered^tigt gewefen; mand)e Slnlage ilirer
Sod^ter mufete il^re mütterlidf)cn ©eforgniffe erweden. SBenn pe
pd^ in ber leibenfdt)aftlid)en @mppnbung§fäl^igfeit biefer entJ^u^
Papifd)en 5Ratur nur gu gut wiebererfannte, fo war bafür in
biefer leine ©pur ber eifernen ©elbftbiSciplin unb ftrengen
Surfldfl^altung, bie pe öon S^genb an pdE) auferlegt l^atte.
SBo pe ängftlid^ gu überlegen unb abguwägen ppegte, ftürgte
iJräulein Slcder pd^ unbebenflidt) ooran, unbefümmert um baS
weiblidtie S^rtgefül^l unb bie gemeffene Söürbe ber ©rfd^einung,
meldte i^re 5!Rutter nie aufeer M)i liefe. 3u biefcn ©egenfä^en
il^rer |)erfönlidt)en Slnlagen fdE)eint aUerbingö bei 5!Rabame 9leder
0 Sonftctten bei ©tcinlcn, Etüde biographique et litteraire.
^) Madame Neckerde Saussure, Notice sur la vie et les ecrits
de Madame de Stael. Oeuvres, I, XXXIV.
»lenncrl&affett, Sfrau »on ©tael. I. U
162 S3cibc fd^tctbcn S«c(fcc'8 ?Jortr5t.
nod) ein weitere^ ©efül^I gefommen gu fein, ba§ bei bcr 9lrt
il^rer SReigung für i^ren SMann, nicl)t anberS al^ mit btm
5Ramen ©iferfud^t begeic^net werben fann. Slic^t nur öon feiner
grau, fonbern aud^ t)on feiner Sj:ocI)ter würbe er leibenfd^aftlid^
geliebt; biefe fagte fpäter: „3e me^r td^ lebe, um fo beffer
öerftel^e id) meine ÜKutter, um fo mef)r empfinbet mein ^erj
ia^ Sebürfnife, il)r nal^e ju fein'\ unb nod^ faum bzm Äinbeö=
alter entwaclifen, l^atte fte itjx gerecf)t ju werben gewußt. 8lte
Suatb gröulein SIcder einft in Sl^ränen fanb unb, eine SRiige
il)rer SKutter alö Urfac^e öermutl^enb, fte mit ben SBorten gu
tröften fud^te, eine £ieb!ofung if)reö Sßaterö werbe SHleiS wiebcr
gut mad^en, trodfnete pdE) bie Äleine fd)nen bie Slugen unb er=
wiberte, fie wiffe wol^l, ba^ biefer mel^r auf il^r gegenwärtige^,
bie SJiutter mel)r auf if)r fünftige^ ©Iflcf bebad^t fei^); über ben
23ater aber tf)at fte bie erftaunlidt)c Sleufeerung, fte [teile ftd^ il^n
Dor „iung, liebenSwürbig unb allein, in einem Sllter, wo ba§
@d)idffal fte, wären fte ßeitgenoffen gewefen, auf immer mit
if)m l^ätte öerbinbcn fönnen, aber" — fügt fte l^ingu: „meine
SKutter beburfte eineö 9Kanne§, ber eingig war; fie fanb il^n,
oerlebte mit if)m il^re 2:age, unb ®ott öerfd^onte fte öor bem
Unglüdf, il^n gu überleben. ^Jriebe unb (äl^rerbietung il^rer Slfc^e;
fte war be^ ©lüdfeö me^r wertf) alö id)"^).
Sum 3Sergleid) f)erau§forbernb, begegneten ftd) bie ©efü^le,
bie grau unb Äinb für 5fteder empfanben, audt) in Uterarifd^cr
gornt. ©em Seitgefdt)mad entfpred^enb, fd^rieb 3Kabame 5iedtcr
1787 ba^ bereite l^ier erwäl)nte Porträt il^reS ®atten; cö
würbe nid)t nur in feiner ©egenwart ben grcunben beS Jg^aufeö
üorgelefen, fonbern aud) fpäter öon il^m t)eröffentlid)t, obwol^l
ber gute ®efd)mad woljl nie öollftänbiger, alö bei biefer ®c*
legenl^eit, ben gorberungen be§ §ergen§ geopfert worben ift.
@ainte-33euöe l^at baran erinnert, wie 5){eder in biefem Porträt
'; Uumont, Edinburgh Review, 1867, S3b. 126, 487.
^) Madame de Stael, Du caractere de Monsieur Necker et de sa
Yie privee, 1804. Oeuvres, XVll, 6 u. 17.
©rfte litctorlfd^e SBcrfud^c öon gräuIcinS'lctfcr. 163
obttjcdöfclnb ein Icbcnbeö Stlb, eine ci^emifcf)e ©ubftang, ein
^ngcl, Sowc unb Säger genannt wirb. @ie öergletd^t il^n mit
einer Seftalin, mit SCpoK; mit einer maieftdtifdjen 33rfidte, einem
atbanePfd^en §unb, einem SBuHan, einer ijeuerfdule, einer 35Bol!e,
einem ©jpiegel, einem fjeuerl^erb, einer 9Kine, bem ÄoraHentl^tei^
unb ben guten ®enien ber Araber ^). Um fo etmaS für mög*
lici^ gu J^alten, muffen tt)ir ®eutfd)e un§ an ben Ston ber
aSrlefe erinnern, weld^e um biefelbe Qtit gmifc^en 3Rännem mie
Sonftetten, SKatt^iffon unb % ö. SRüHer, bem ^iftorifer, ge=
«jec^felt würben. SEßeit entfernt, burd^ bie ^ulbigung if)rer
5phitter t)on einem äl^nlid^en SSerfud^ ftd( abt)alten ju laffen,
Dcrfafete aud^ fjräulein nieder ein ^ortrdt i^reö SBaterS, öon
bem aber nur ein SrucIiftM bei b'^auffonöiUe miebergegeben
ift. 6r fpri(f)t bie Unmöglid^feit au§, bem gemäl^lten ®egen*
ftanb aud) nur annäl)ernb geredet ^n werben; bem ^ergen
aber möge man ®ered)tigfeit miberfal^ren laffen, mo ber ©d^mung
btö ©t^lS nid^t auf ber $öf)e ber Aufgabe geblieben fei.
ßwifd^feh ben beiben, il)m gewibmeten ^robuftionen weigerte jtd^
Siedfer borjtd)tiger SJBeife bie angerufene entfd^eibung gu treffen;
feine Sod^ler aber fd)rieb in il^r SagebudI), wenn er oud^ bie
fd^riftftellerifdt(e Seiftung il^rer 5!Rutter t)öl^er ftelle, fo fct)meidt)le
il^m il^re eigene bod^ nod) mel^r^).
Sänge öor biefer 3^it ^otte eine unwiberftel^Iid^e SSRaö^t fte
jum ^u^bxuä ber fte beftürmenben ©ebanfen unb ßmpfinbungen
öeranlafet. ®ie erfte öffentlid)e 6rwäf)nung einer Iiterarifdt)en
^robuftion t)on ^Jräulein nieder gibt ©rimm'ö ßorrefpohbeng
im September 1778. „SBd^renb 3ltdtx\ Ijd^t e§ in berfelben,
„jtd^ burd) feine abminiftratiöen ÜJfaferegeln mit 9iul)m bebedt
üttb feine .®attin ftd^ ber ©efellfc^aft entgiel^t, um ber 6inridö=
tung eines neuen @pital§ il^re Ärdfte gu weisen, uhterplt ftd^
il^rfe gwölfidl^rige, weit über iijx Sllter begabte SEoc^ter bamit,
*) Madame Necker, Meianp;es, II, 572.
*) D'Haussonville, La Salon de Madame Necker, II, 50.
11*
«• • •«•
;.: rcri^r:: 'V^b« ^it ne eine fol^c in g»ci
:il::::: r* -£">:: ^:i ^^n £::£l: >Les InconTenients de la ville
v'.t i\ir;>* ^:ir:- ?;r;lb£ :^ r:±: nur für i^r SDter incrf*
'v;::^:.: *:::>:r:: ".i 'iNr.r: :u:± zlm berartigen ^obuftionen,
^:c :/r ;;:::: i\;:^:: ^c^:n:: rirc:. rwit überiegen. ©ine SDhttter
,\:: ;'.:\*: :J,'d:::r :*:r. ^-r::ir. :":; ;:ne in Nr ^nmc^^eit unb ©titte
\^> ^*,v.:Mi>:::'> ^:: ::r^<ri :r-~.inrt be? Treibens ber ^oupU
•:/.r: .:::\:::v::r\:: :^: ic?:-;?; :t >^r i^iebling ber SRutter,
^.•:v". o.tc.f;:: ^:::r :cr: ?*rr:-:r un^ ibrtn Siebrrij gef^met-
.1;,: :•:. >.:> II:.:!::.* ::^t:. rxlie* mir bem Serfufi einc^
*v:»v:.,:::: 1^:\\\'">> ::b:: =.e r<r::r.bnir, ^eigt biefer 3Rutter
l\:.> va',^: :r?i: :^:^:^ J.^rrcr ihre äining unb Siebe am
:•:;,•:;•: vc:^:;::: ?:: e::r:n ^'trc* f.einni Sromad finb gut
v\ 'o:l.'.::^::::.: ::::: ::::.:::>:r ^rrnr:. ^:c CFbarottere confequent
^::;\:^:c^:•::: ::::^ ^:: ^Ttnr^^un^ ^-ir ^.rrigue ift feffelnb unb
::/,:;;v/..1* ■ ?:: v5,Trc':\"::>n:; r^r^i^: au(^ nic^t ^htgusu»
•::,;::: ^•:v >:c '?,::•::,*.;:::.: ^^5 en^■f^^ ;u eamt-Cuen^burc^
>;c 'ivv\v::::: ::::^ .r:: :::,:c::^.:ri i?^«!l'iaT ben babci an*
c;:: ;V.>v *:'/.>:: ^/.::c c: :::r \r::;r ^a ^iebogenefung oon
'^\\:^,v.": 'X;\ü:: r."c ;\*.:v.r.> ::: >:: Correspondance ob*
v;v^:;^if:c :\o*"„v.:;c ^.:t ä::::: ovr^.iir.e J:e^iii):ö*), yi »elc^er
.v.-.!-*/ "\\\üvv ::.\r c::;.' 'i^tc:;;:.; ^':^:e. v ^aB bei biefcr unb
.:Iv.:::k^c:: ^^c:iv,c:::\::c:: \t.".: ^cr X-r.!- >?* j^inbesS genannt
•k^iu«^ 'W *i ^. •%.. ««i«. %•;.. I: ; •M..«.,«^»-^ ifv |ungcn vCClO*
Vt<il*v k «V \vi(««vr <i»»i»,\<t ^<?«.««. «%....» «MM.« Ak AvIUKH UIIU Ov^
♦o;^^c:\^ wU^ Ä::;c;.i}c:: ^^^ '"tÄ :?,:bn bitd)enben ^alentcd
;\n:crv'v V;c^::: ♦i::^ vor.t.^-f/V/c ^:;J>->v*ritvl?:cn. bie x>ft in Ur*
;l^:l^cvn o^c:■ in iV.rK^ ro:: cirrr^'c:: bc'±::nc:. mii ^rabe^nrnen
i:: ^cv (vcv.'ic «Ict^ v:V»riclc;:, IV:: cA: jiuenblicbcm ^ofjjL^
V.' ■• ",>— • '■ -»•
(Sic fd^ilbcrt fid^ in il^rcn ©rftlingögaben. 165
gefallen an fdiroffen ®egenfä^en unb poetifd) öerHärten ©c^idf«
falen wirb ba§ Unglüdf öerfd^wenbet, bie gelben be§ ©tüdfö
fterben nie eines natfirlid)en S^obeö; and^ bei bcn Iiäuftg auf=
tretenben SBilben ftnbet jtd) ber SieblingSt^puS ber 3cit,
»rboinme sensible«. @o in „TOirja", in „@opl^ic'\ ,,SlbeIe unb
2;]^^obore'\ „^dulinc", „ßwtaa". (äine anbere ©rgäl^Iung,
„5Ranine unb ©inptjaP, öon Seufd^ot fjrau Don ©tael guge*
fd)rieben, würbe 1818 öon ber Familie beSaüouirt; fte bietet
fein anbereS Sntereffe, als ben erwälinten ©d^riffen ber S^it
tiarf) öorangugel^en ^). 3« Tillen biefen ©d^öpfungen öon %xäu'
lein Siedter'S ?ßl^antafte, unter anbem aud) in einem ©ranta:
„Sane ®ra9\ baö il^re SieblingS^elbin öerlierrlidit^), ift baS
^ergenSleBen bie ,^auptfadE)e. 3^ncn allen lönnten bie SBorte
in SKirga gum 5!Jfotto gegeben werben: „3d^ wollte ba§ ©efül^l
fennen lernen, weld^eS jtd^ beö gangen SebenS bemäd^tigt unb
für ItdE) allein ieben SlugenblidE beSfelben beftimmt" ^). SHeben
hm fjorberungen ber Siebe ftel^en jene I)ergebrad£)ter Sitte unb
^flid^t an bcbenflid) untergeorbneter ©teile; oon ben ^Jrauen lieifet
cS, „bie ®efd^id)te if)reS ^ergenS fei aud^ bie il^reS SebenS"^).
SllS Stl^eobore ber 5ßriefter gemelbet wirb, ber feinen SSunb mit
Slbele fegncn foU, gibt er gur Antwort, jte bebürften feiner nic^t;
tl&m genüge ber @dE)wur ber ©eliebten. „ßw^^cl ber Stugenb",
l^eifet es ein anbereS 3»al, „fei baS ®lüd". ^auline begeid^net
SSerfteHurtg als baS gröfete unb „Dielleid)t audt) eingige 35er=
bredE)en" einer illegitimen Steigung ^). ®ie SBerfe oon ^fräulein
Sledter lefen jtd^ wie $rofa; bafür leud)tet fd)on eine feine Se*
obad^tung beS ^ergenS, eine früf)e Äenntnife ber 5Motioe unb
3ntpulfe menfd)lidöen ^anbelnS aus biefen iugenblidt)en Slrbeiten,
bie mand)eS dt)arafteriftifd^c @treiflid)t auf bie SBerfafferin werfen.
@o fagt einmal @opf)ie:
0 Madame de Stael, Oeuvres compl^tes, II, 218 Morceaux divers.
2) ©Benbafelbft, XVII.
8) eBcnbafcIbft, II, 230.
*) ©bcnbafclbft, Sophie, Act. I, Scene 1.
*) ebcnbafclbft, II, 264, 307 unb SBorrcbc au ben eraai^Iungcn, II, 348.
166 ^^ «^^ ^^^' äl^dbame be ®tnli&.
>Ceux qui nous ont aimes peuvent seuls nous cherir«;
il^r ftnb aud) bic SBortc in bcn 3Munb ö^l^flt- *0n cesse de
s'aimer, si quelqu'un ne nous aime.c
Slnbcrc ©teilen öerratl^en eine lebenbige Slufmerffamleit für bic
irid^tiöften um fte l^er befproc^enen S^itfi^agen. 3m gragment
„Snlma" wirb baö Siedet, einen SKenfd^en gum Sobe ju öcr*
urt^eilen, in S^^eifel gegogen; in „gane ©ra^", 8lct lü,
©cene II, wirb eine 35efinition ber Steilheit gegeben, bie baran
erinnert, bafe bie SSerfafferin SRonteöquieu gelefen l^attc. Sßenn
aber ber SBBilbe Ximio gur fyrau, bie i^m ba^ Seben gerettet,
i^n geliebt l^at unb bann fd^mäl^Iid^ t)on if)m t)erratl^en würbe,
jagt, er vermöge SHleg, nur nid^t i^ren ^afe gu ertragen, fo ift
e§ gräulein 9leder felbft, bie burd^ bm SKunb öon SKirga ant^^
»ortet: „SBarum §a§, Ximio? e§ gibt »bergen, bie nur gu
lieben üermögen''.
»Absolument incapable de hainec, wirb fpdter einmal,
aU biefe bie Unerbitttic^feit ber SBelt gur ©enüge erfal^reii
l^atte, ba§ Urtl^eil öon SKabame SHeder be ©auffure über ii^re
goujine lauten. SlUe, bie i^r im geben nal^e getreten ftnb,
^aben bie Sftic^tigfeit beöfelben beftätigt. «ßerfönlic^c »cletbi-
gungen, auc^ fold^e, bie jte in tteffter ©eele trafen, ))Pegte fte
fo öoUftänbig gu »ergeben, bafe unbetl)eiligte Sufd^ciuer gu glauben
oerfudjt waren, jte l^abe biefelben gar nid^t enipfunbcn, unb
wteberl)olt wirb neben ben ^eftigften Aufwallungen in SWomenten
ber geibenfd^aft aufeerorbentlid^e ©anftmut^ in allen Regierungen
beö täglid^en gebend gerühmt. 3(uS ber 3ugenbgeit, bic ung
I)ier befd^äftigt, ift wol^l audö bie 33iergeile, bie ein ßufatt auf«
bewahrt ^at:
»Tu m'appelles ta vie: appelle-moi ton äme;
Je veux un mot de toi qui dure plus d'un jour.
La vie est ephemere, un souflfle eteint sa flamme,
Mais Päme est immortelle aussi bien que Tamourc^).
') Revue Suisse, 1856, 336.
®ie (SItcm dltdex l^olten fie öon ^ubltfationSgcbonfcn aurüd. 167
@))ätcr I|at jtc »enig ute^r, unb bann meift nur Ueberfe^ungen,
in gebunbencr SRcbe gefci^riebcn.
6^ wäre üerjei^lid^ getüefen, wenn ein fo frül^ jtd^ au§-
fpred^enbeS Salent bie ©Item üon gräufein 9lecfer bagu verleitet
ptte, |te üorfd^nett bem öjfentUd^en Urtl)eil auögufe^en; biefen
SOfifegriff begingen jte jebod^ nid^t, feiner ber enoälinten SSer«
fud^e erfd^ien öor 1790, bie Sfloüellen erft 1795. ©ine gweite
Sragöbie, „SKontntorenc^", bie furg nad^ ff Seine ®xaX)", dfo
gegen 1787 entftanb, ift garnid^t oeröffentlid^t worben, obwol^I
fte ber crften weit überlegen war unb ber barin gegeid^nete
©l^araftcr SRid^elieu'^ bie Slufmerffamfeit ftrenger Seurtl^eiler
erregte. Ueber bie Slnerfennung öon greunben öergafe jebod^
5Recfer ba^ Uebelwotten unb bie angriffe nid^t, weld^en ©old^e
|td^ ausfegen, bie ben betretenen SBeg für femliegenbere, l)öl^er
ftjrebcnbe ^fabe öerlaffen.
®iefc alte ßrfa^rung beftätigte ftd^ aud^ l)ier. 2)ie 2:i^ränen,
mit welchen SWarmontel bie erften bramatifd^en a5er[udi)e eineö
jwölfiäl^rigen SWäbd^enö begleitet l)atte, öer^inberten iijn nid^t,
über bie ©treidle „be§ lieben^würbigen 2:oHfopfeö" nod^ in
feinen ©enfwürbigfeiten gu Hagen; 3Jiabame be ®enliö, bie in
jenen Sagen al§ „6rjiel)er" ber ^ringen öon Drleanö il^re
päbagogifdtien ©jcperimente niad^te unb g^rau wn ©tael geit=
lebeni5.mit ber ^Jeber t^erfolgen foUte, xüijmk gwar in ©riefen
an SWa.bame SHecfer bie ungewöl)nlid^e Silbung il^rer Sod^ter,
f))ra^ aber nid^t^beftoweniger bei anberen ®elegenl)eiten über
bie fd)led^te ßrgiel^ung t»on Fräulein Jlerfer, bie brei SSiertel
be§ SagS im Salon gubringe unb bort mit ©d^öngeiftem über
baS aSSefen ber Siebe biöcutire. ®a§ erinnert an bie Slnef böte,
bie Sledfer fo gern t»on feiner 3;od)ter ergä^lte, al§ biefe, nod^
ein I|albc§ ^inb, einft bie alte SKarfd^allin öon 3Moud)i) fragte,
was pe benn eigentlid^ öon ber Siebe benfe.
aCBenn er jte gu mäd^tig öon ber Suft gu fd^reiben unb gu
))rbbuciren erfaßt fal^, Pflegte 9ieder fte SKabame be @ainte=
©critoire ju nennen, unb er l^ielt fte eine 3eit lang bann aud^
168 ^^^ ©(j^toterigfcitcn, bic tl^rer SBerl^cirotl^ung begegnen.
»irflid^ fo erfolgreid) öon ^ublifationSgcbanfcn jurücf, bafe fte,
neungeJ^niäl^rig, in il^r Sagebud) fd^rieb: „3Rtin Sßatcr l^at
3fied)t, bie %xamn jtnb nid^t bagu beftimmt, bic Saufbal^n
bcr SKanner ju emäl^len; warum mit i^ncn ringen, warum
eine ©ferfud^t bei il)nen ermecfen, fo öerfd^ieben öon berjenigen,
weld^e bie Siebe il^nen einflößt ! — 6ine iJrau f oK nic^tö il^r
@igen nennen unb il^re Sebenöfreube nur in Siemjenigen finben,
ben fte liebt, ^ä) [teile mir SUiabame be 9Konteffon über ben
SRifeerfolg il^re^ ©töcfeö in Sl^ränen jerfliefeenb öor^), unb
wie anber^ mürben biefe Sl^ränen mirfen, wenn ein fanftere§
®efü^l fte l^eröorlocfte. Äönnte man beren blaue, gelbe, öer«
fd^iebenfarbige l^aben, fo ginge e§ nod^ an, aud) untergeorbneter
®inge wegen fold^e gu oergiefeen, aber beulen gu muffen, bafe
gauj biefelben ber ©genliebe unb ber Siebe wegen öergoffen
werben, ba^ ift entfe^lic^" ^). — 2Bie fo oiele entfd^lüffe, bie
im SBiberfprud^ mit bem 6l)arafter ber ^erfon ftel)en, öon ber
fte aus momentaner Dlad^gibigfeit gegen frembe @inpüffe gefaxt
worben ftnb, war aud^ biefer beftimmt, nid^t burd^gefül^rt ju
werben. ®aö ©rftling^werf, wetd)e§ bie Sinie überfc^reitet, bic
rein bilettantifd)e ^robuftionen öon ernfteren literarifd^cn Sir«
beiten fdijeibet, bie Sriefe über % 3. Stouffeau, waren bem
Snliaft, wenn aud^ nicf)t ber ^Jorm nad^, fd^on öoKenbet, als
gräulein 9leder ber Deffentlid^!eit entfagt gu l^aben glaubte.
3nfofern aber ^ielt fte i^ren Sßorfa^, aU fte nid)tS unter il|rem
SWäbdöennamen öeröff entlid^te ; bie Siteratur fennt fte nur unter
bem ii^reS ©atten.
®en SBenbepunft im Seben ber iJrau, bie 6^e, erf^werten
bie SSer^altniffe in nic^t gewöhnlicher SBeife für gfrfiulein SJlecfer.
Dbwolil bie allgemeine Sld^tung unb baS bewunbernbe Ser^
trauen, bie i^rem SSater gejoHt würben, ba^ 5ßrit»atleben i^rer
') Madame de Montesson, inSgel^eim bem J&erjog öon Orlean«
($]&illppe«egaUte) angetrout, l^atte ein ©tücf „Le Comte de Chazelies* öer»
fafet, »eld^e« am 6. SKai 1785 im Theatre-Fran^ais burtj^fiel.
^) D'flaussonville, Le Salon de Madame Nöcker, II, 49.
©tcüuttö bcr ^roteftontcn in granfrcid^. 169
©Itcrn mit 3[u§jctd)nunßcn umgab^ unb frembc Surften, »ie
u. ?t. 1782 ber ®raf bu 9florb, fpäter Äaifer 5ßaul unb beffcn
©emal^Kn $ari§ md)t ju üerlaffcn pflegten, ol^ne 9le(fer auf=
gefud^t ju l^aben ^), »ar bie Stellung ber fjamilie bennod) feine
ganj normale; bie l^ol^e franjöjtfdje Slriftofratie t)erfd)mäl^te
ju feiner Seit ^eirat^öüerbinbungen mit ber großen ^Jinang,
aber bie Sflecfcr waren ^roteftanten, unb ba^ begrünbete ein
^inbemife, »eld^eS nod) in ben ad)tjiger 3al)ren il)rer Sod^ter
bie ©d^liefeung einer @l^e, wie fie fonft i^rer Sfleigung ptte
cntfpred^en fönnen, in fj^anfreid) gang unmöglich mad^tc. SUlan
mufe jtd^ erimtem, ba% ber 5ßroteftanti§mu§, ben Siid^elieu alö
politifd^e Partei öernid^tet unb gubwig XIV. al§ religiöfeö S3e=
fenntni^ ju vertilgen gefud^t l)atte, gwar feit 1743 wieber ba§
Siedet befafe, aufeer^alb ber ©täbte unter freiem ^immel feine
©otteöbienfie gu l^alten, aber erft am SSorabenb ber SReöoIution
liefe Pd^ bie trangöftfd)e ^Regierung l^erbei, ben 5ßroteftanten burd^
fönigli(^e§ ßbift bom 29. Januar 1788 ben ßiöilftanb unb
il^ren, bl§ bal^in üor bem ®efe^ al§ S3aftarbe betrad^teten
Äinbem eine legale ßfifteng miebergugeben. Sin tJoßfommene
©leid^bered^tigung jebod) war nod^ immer nidt)t gu benfen, unb
alle fird^lid^en Verbote gegen 3Jiifd)e^en mit 5ßroteftanten blieben
felbftberftänblid^ aufred)t erl^alten; einen Slbel aber, ber jtd^ gur
„fogenannt^reformirten Sieligion" befannt l^ätte, gab e§ in %xanh
reid) nid)t, benn entweber liatten •^inrid^tungen unb Sürgerfriege
feine Steigen gelid)tet, ober er l^atte im SluSlanb ba§ 9ted)t gu
leben gefud^t. Unter fold)en Umftanben fam e§ nid)t einmal gu
bem SBerfud^, g^räulein SIedter an einen Stangofen gu t?er=
l^eiratl^en. @ie war jtebgel)n 3al)re alt, al§ eine Sieife nad)
Sontainebleau, wo^in 9iedfer bem ^of gu folgen ijattt, il^n unb
feine Sctmilie im Dctober 1783 mit einem SluSlänber in S3e=
rül^rung brad)te, ben ber ©lang beö Sflamenö unb ber Stellung,
0 Baronin Oberkirch, Memoires, I, 315—316 bei; englifd^cn Ucber*
170 SWabame sßcdct'8 SBünWc.
pcrfönlid^c 3[uSäcid)nun9en unb (gigcnfd^aften, fowie fein rcligiöfc^
aScfcnntnife dö ttjünfd^en^tücrtlöcn Steter um bic ^anb bc§
jungen SMäbd^cnö erfcf>einen liefen; e§ »ar 3BiDiam ^itt,
ßorb ß^atl^am'g gweiter ©ol^n. SBä^renb jeneS ©ommcrS 6atte
er mit feinen fjreunben 6ttiot unb bem bamalS öierunbäwangig-
Jäl^rigen SBilliam SBilberforce, ber fd)on feit t)icr Salären 9Äit*
glieb beS Unterlaufet war, einige 3^^ in ^ari«, bann in
SH^eimg jugebradjt; Qmcd ber jungen Seute »ar, ftd) bie
frangöpfd^e ©pradje angueignen, unb ba in ^le^terer Stabt ein
SSatte^ranb (grgbifd^of war, fam ber junge 3Kauricc be SaUe^
ranb, fein 9leffe, bamalö befannt unter bem Flamen beiS ^hh4i
be ^erigorb, gleid)fan§ gu SSefud^ bal^in, bei welker ©clegen*
l^eit er unb SBilliam $itt ftd) perfßnlid^ fennen lernten nnb
ftd^ gegenfeitig wäl^renb etma fed)§ SBod^en Unterrid^t in il^rer
SRutterfprad^e ertl^eilten, worauf ber junge englifd)e ©belmann
ftd^ an ben ^of Subwig'ö XVI. begab *)• ®^ ^d)lm Stad^rid^ten
barüber, ob er wäl^renb biefeö 2lufent^att§^ gelegentlid^ beffen
er fte fennen lernte, aud^ ernftlid^ baran badete, ijräulein Sftedfcr
gu l^eiratl^en; nur fooiel ift gewife, ba^ eine fold^e 35erbinbung
SKabame Slecfer'ö ^ergenSwunfdi gewefen wäre 2). 3)er junge
aWann, faum cinunbgwangig Saläre alt unb fdijon berül^mt, i&atte
bereite im britifd)en Parlament erflärt, feine geringere atö bie
erfte ©teile in feinem ganbe annel)men gu fönnen, unb war nadi)
33erlauf eineö 3a^re§ aud^ wirflid^ erfter SKinifter.
5Rur badete 9Jlabame 9iecfer, inbem fte fold^e SBünfd^e
iiegte, il^rer ©ewol^nl^eit gemäfe babei me^r an i^ren SWamt atö
an il^re Sod^ter, benn biefem wollte fte oor allem ben mä^tigen
SRüdfl^alt unb bie wertl^oollen Segiel^ungen einer 35erbinbung
mit ^itt ftd^em. D^ne ba§ e§ jebodt) gu weiteren ©d^ritten
fam, würbe ba^ 5ßrojeft fd^on burd) bie unbegwinglic^c 31b*
neigung oon g^räulein Sledfer für alle 3wfw"tt^plä«^ vereitelt.
^) The Greville Memoirs, edited by H. Reeve, II, 345.
^) D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 53 u. ff.
gftäuletn 9?edfer'Ä SBibcrtoinc qt^en eine SJetl^eirotl&unö tnö 3lu8lanb. 171
bic ftc öon f^anfrcid) getrennt l)ätten^). ®aS bem jungen ?ßitt
gugefd^ricbenc SBort, er fei bereits mit feinem SSaterlanb getraut,
ift, wie bic meiften berartigen Sleufeerungen, »o^I niemals ge*
fproci^en »orben.
gür ba^ junge SJiäbd^en aber blieb ber 3ö)ifd)enfaH, nad^
Selenntniffcn i§re§ SJ:agebu(t)S gu fd^Iiefeen, nid)t ol)ne peinlid)e
Solgen: „SBarum", fd^rieb pe in jenen Sagen, „mufete biefeS
unfelige ßnglanb bie Äälte unb ßw^ötf^^ltung üon 2Kama ffir
mid) l^erauSforbem! aSermünfd^te 3nfel, Urfad^e aller meiner
gegenwärtigen Seforgniffe unb jufünftigen ®ett)iffen§biffe, »arum
mußten glängenbe 8lnerbietungen mir mit bem 9?ed^t, mid^ über
mein ©d^idfal gu bef lagen, bennod^ baS ®lüd rauben; fie
gtt)angen mid^ gu lüä^len, gu entfd)eiben, fie ftürgten mic^ in
eine fold)e Ungemifelieit, ba§ jeber meiner ©rflnbe, um fo gu
l^anbeln, wie idö eö tl^ue, burd^ einen anbttn, entgegengefe^ten
abgcfd^wäd^t wirb. TOd)t beSwegen bin id^ äufeerlid^ ftanbl^aft
geblieben, weil eine ^ergenSneigung mid^ be]^errfdt)t, alber allein,
etngcfd^iid^tert, aufgeregt. . . . SUein, eS ift öorbei, id^ fann nid^t
na^ 6nglanb'' ^). @o lautete bie etwas t^erworrene SÄotiüirung,
mit weld)er baS junge 9D?äbd^en xijxm ßntfd^lufe begleitete; bie
©elegenl^eit aber, eines großen SKanneS g^rau gu werben, fam
niemals wieber. 3n geitgenöfftfd^en S3erid)ten pnbet ftd^ bie
6))ifobe nod^ meljrmals erwähnt; audö SBüberforce fprid^t in
feinen ©en!wfirbigfeiten ^) baüon, unb ®raf g^erfen nennt in
einem 93rief an feinen SSater ben Flamen beS englifd^en Staats^
mauneS als ben eines Siit^alen feines . bamaligen ^JreunbeS
©tael*). 9lur fjräulein 9ledter badete öom aiugenblidt an nid^t
baran gurficf, wo bie 3Wutter il^r nid^t mel^r gürnte, unb bieSmal
Iiatte fie nid^t lange gu warten. ®er SBinter oon 1784 brad^te
') Stanhope, Life of Pitt, I, 132.
*) D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 60.
^) Wilberforce, Life, Letters and Diary, I, 39.
*) Klink ow ström, Le Comte de Fersen et Ja cour de France.
Introduction, XXXIV.
172 S)ic gomtUc SfJcdCer in bcr ©(j^tocta.
SRabame SReder mit 5ßennclörung il^rer pj^^jtfd^eti Seiten jo
unjtüeibeutige SSeweife ber Siebe il^rer Sod^ter, ba^ jte i^r ben
fleleifteten SBiberftanb unter einer d)arafterifHf(i^en Sebingung
üeriiel^; t>a jte ftd^ bem Sobe ml)t glaubte, empfal^I fte il^r
bie Sorge um §Reder'§ ®lüd al§ ]^ö(i)ften SebenSgwcdf, ni^t
nur für fte felbft, fonbem aud^ für ben fünftigen ®atten unb
il^re Äinber: „@age il^nen", fd)rieb SÄabame Stecfer in einer
Slrt öon Ie^ttt)illiger Verfügung, „bafe ©ein 35ater ber eigcntlid^e
2»ittelpun!t i^reö 2)afein^, bafe er ^tteS für Pe fein mufe. . . .
tjolge il)m nad^, itjol^in er gel)en mill; geftatte nld^t, ba§ er
ol)ne bie bringenbften ©rünbe eine Stad^t unter einem anbem
alö ©einem eigenen ®ad) jubringe. Ucberlaffe ©id) im Itebrigen
©einen glücflid)en Anlagen. 9iur bann, »enn ©u anbcrg gu
fein berfud^en foHteft, würbeft ©u irre gelten, (äntfagc ber
SBelt, für tt)eld)e ©ir ba§ red)te SBerftänbnii fel&It; lebe für
®ott, für ©einen »ater unb für ©eine ^flic^t". Um blefen
$reiö berfprad^ 3Kabame 9iecfer SSergeiliung be^ SBerl^altenS,
baS il^ren ©atten eine^ feiner tt)ürbigen @d)miegerfo]^ne8 unb
aHer SSort^eile beraubt l)aht, ujeld^e biefer il)m geboten l^aben
tt)ürbe^). 6ine tnjwifd^en eingetretene S3efferung im Sefinben
il)rer 9D?utter erfparte gräulein 9iecfer ba^ 5ßeinltä)e einer fold^en
^Ulittl^eilung, bie erft fpäter in il^re §änbe geriet)^, unb bie
gamilie begab jtd) vorläufig im ^5rül)ial)r 1784 ber Scibcnben
megen nad^ S3eaulieu bei Saufanne. 5ßon bort fd)rieb SKabamc
Nieder an St^oma^, »eber 9iul)e, nod) ^eimatl^Iuft, nod^ SItpen*
mild^ tiefen il^r ba§ Seben anberS alö »ie einen fortgefc^tcn
Äampf gegen baö eigene ©elbft erfd^einen, in bem aKc ©iege
fd)merxlid) errungen feien 2). SBon frül^eren SBefannten »ar
aSonftetten, feit 1776 mit gröulein t)on SBatteöitte öerl^eiratl^et,
Saitti in 9i^on. Gr l^atte ingmifdien einen brüberlid^en Sunb
mit 3ol)anne§ öon 3Kütter gefd^loffen, Italien bereift, in Slom
') D'flaussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 55—58.
2) Madame Necker, Melanges, III, 202. 5ln Sl^oma«, Sunl 1784.
Poppet. 173
btc ®räfin üon ^tlban^ bewunbcrt, toax nad) feiner Siüdtfel^r
SKitglieb be§ ^ol^en JRdl^e^ t)on Sern geiüorben, bann Sanb-
üogt, gucrft im fleinen bergifd^en ®e[fena^ unb l^ierauf an btn
Ufern beiS Säman, wo er mit feiner Familie unb bem neu ge-
tt)onnenen ^teunb unb beutfd^en ©id^ter SKatt^iffon ein ibijHifc^e^
SJafein fül^rte, in baS bie Slnfunft ber g^amilic SIecfer je^t
tt)iIlfommene Slbnjed^fclung brad^te^). 2ll§ nun aud) Sl^omaö
SOftobame Stccfer in btn ©d^weijer Sergen aufjufud^en fam,
faub er fie bereits in ber neuen SBejt^ung, bie Jlecfer für jic^
unb bie ©einen gur bleibenben ^eimftätte Qmaijlt l)atte, im
©d^lofe ju &oppü inftattirt^), ba§ — ein d^arafteriftifd^eS 9Kerf=
mal . ber Qext — f o gebaut »ar unb nod^ ift, bafe feine ® arten=
anlagen ba^ 5ßanorama be§ ©enfer ©ee'ö, eineö ber fd)önften
t)on ßuropa, bel^arrlid) bem Sluge beS SSefd^auerS üerpllen.
®ie gang in ber 3läl)e t)on ®enf, im 3Baabtlanb gelegene
^errfd)aft mar fd)on burd) i^re SJergangenl^eit ber SRoIle nic^t
unmürbig, bie il^r in ber Uterarifd)en unb politifd^en ®efd)id)te
ber näd^ften brei 3ai|rjel^nte t)orbel)alten »ar.
®raf 5ßeter öon ©aöo^en, aU er bie Ißaabt für fein ©e-
fd)led^t in Sejt^ nal^m, ^atte ba§ ©d^lofe 1257 erbaut; ein
anberer %üx\t feines ^aufeS mad)te ßoppet jur S3aronie, ein
Sitel, ber nod^ auf 9ledter überging unb im ^eiratl^Sfontraft
feiner Sod)ter enüäl^nt ift, benn man mar in ber SBaabt nid^t
meniger ariftofratif d) , als man in bem faum meilenweit ent=
femtcn ®enf republüanifd^ ju fein ftd^ rülimte. SSom fec^jel^nten
Sol^rl^unbert an med^felte ßoppet oft feine Sejt^er, mürbe oer*
brannt, l^ergefteKt , niebergeriffen unb mieber aufgebaut, bis eS
im flebenjcl^nten 3^l^rl^unbert in ben Sejt^ beS fäd^ftfd)en ®e«
fd^led^teS ber 3)o]^na gelangte, beren einer, ®raf griebric^ gu
SDol^na, bamalS ©ouüemeur beS bem ^aufe 9iaffau gel^örigen
*) A. Steinlen, Ch. V. de Bonstetten, Etüde biographique et litte-
raire, 88 u. ff.
*) Madame Necker, M^Ianges, III, 205. 9ln Sl^omaS, S)e3cmbex
1784.
174 (Poppet.
gfirftentl)umS Drange, l^o^ angcfe^cn bei ber ®enfer gHegierung
war; afö @e!retär unb 6r;\tel^er feiner ^inber öerweilte SSa^Ie
1673—1674 ad^tjel^n SKonate in ßoppet, bem er übrigen« feine
©teile in feinen fd^riftlid)en Stufjeid^nungen gewäl^rt. Sluö bcn
§änben eine§ feiner ©d^üler; beS ®rafen Sllejranber ju SDol^na,
ging ber SSeft^ 1713 in bie beS greil^erm ©igiSntunb öon
ßrlad^ über, ber e§ wieber nur furj behielt. 9?adj l^äufigem
SBed^fel fam e§ an ben Sanfier SEI^eluffon, unb biefer öerfaufte
e§ an 9leder, ber fomit feinen neuen SanbeS^erren , ben @jc*
ceUenjen beö l)ol)m Siat^e^ gu S3em, im Kaufbrief ftd^ t)er?
ppid^tete, il^nen ein guter unb treuer 5ßafaH ju fein unb D^ne
il^re befonbere ßrlaubnife bie SSaronie t»on (Sop))et an Slienranb
anber« aU an eine gum reformirten ®lauben ftd^ belennenbe
$erfönlid)!eit ju üeräufeern. ®ie 5lufred)t^altung ber legieren,
burd^ bie ^ntolerang ber SSerner 3fiat]^§l)erren öerdnla^ten
eiaufel l^atte e§ feiner 3^it SSoItaire, feine« fatl^olifd^en Sc«
lenntniffeS wegen, nid)t ntöglid) gemad^t, -^au^belt^er in Sau=
fanne ju, werben. »So würbe SHecfer, um bm ^rei« öon
500,000 giüre« unb burd) bie entrid^tung eine« ©rittcfö
biefer Summe an bie ^Regierung t)on Sem, feubolcr ©(^fel^err
öon ßoppet, nad^bem er eine SBeile baran gebadet l^aftc, 8?ad^-
folger öon SSoItaire im SSep^ t»on geme^ gu werben. SSon
ßoppet laffen wir feinen Urenfel, SSicomte b'^auffonüiKe, eine
SBefd^reibung geben, bie jur ©efc^id^te ber gamilie 5Redfct wie
ber Stammen jum Silb gehört: „®amal« wie l^eute", fd^rclbt.
er, „war ba« ©d^lofe ein gro^e« ©ebäube, ol^ne befonbere« @e»
px&Qt, e« befielet au« einem 2Kittelbau unb jwei iJlügeln,. bie
ben ^ofraum umfd)liefeen. Um in benfelben gu gelangen, mü§
ein überwölbter Stl^orweg pcifftrt werben; ein eifeme« ©itter/ ba«
frül^er mit einer Sugbrüde im Swfammenl^ang gewefen fein
mufe, trennt ben ^of Dom 5ßart; an ben beiben 6nben . f d^liefet
biefe« ©itter mit jwei Stprmen ab , oon benen einer neu, ber
anbere, ia^ Slrd^io bergenbe aber, wie fd^on bie Siefe feiner
SWauem beweift, fel^r alt ift. 2ln einem Pfeiler be«felbcn bc»
Poppet. 175
finbct ftdj noc^ bcr cijeme 9fltng, an tt)cld^em man bic ®e=
fangcttcn fcftgubinben ppegtc. 35on bcn iJenftcrn ber langen
®allcric ju ebener @rbc, »eld^e SIeefer g« 1^1«^^ SSibliot^ef
ujoi^tte unb bie jpäter gn SSI^eateröorfteHnngen benü^t würbe,
ijt bcm fÖM nid^tö ftd^tbar, alö bic ©ipfel ber Platanen, beren
Saub im ©ommer bie ^anfer be^ naiven 2)orfe§ verbirgt; bom
Slltan beS erften ©todeS aber geigt jtd^ bem Sefd)auer ein
2anbfd^aft§bilb, ba§ er nid^t mieber bergifet, unb beffen Sauber
il^n nad^ (So^^t jurücf ffil^rt , wie nad^ bem t)olfötl)ümUdt)en
©laubcn bie SBaffer ber Montana Sreüi ben SBanberer, ber
einft öon il^nen gefoftet l)at, mieber nad^ Stom Perioden. Qnx
Siedeten liegt ®enf , baö um bie 3Kittag§ftunbe ijolb im Sonnen«
glang öerjd^minbet, ber ftd^ in ber 3inf&c^Isii^wng feiner S^rme
f))iegelt, gegen äbenb jebod) feine meinen ^äuferreil^en öom
gerötlÖ^ten ^origont abgebt, ©egenüber geigt ©aöo^en bie
maffigen g^ormen feiner mit 3Balb unb 2Biefen abwed^felnben
SSerglette, gu beren Süfeen ba§ ©d^lofe SBeauregarb, beffen ernfte
ärc^iteltur gur ®efd|id^te beö „?D?anneö au^ vergangenen Stagen"
gu ))affen fd^eint, bie fein Urenfel un§ ergäbe, unb bie einen
fo fpred^enben ®egenfa^ gum geben Don (Soppet bilbet^); gur
Sinfen enblid^ liegt ber @ee, ber fd^öne @ee, bie glatte gläd^e
feinet Spiegels bi§ ßaufanne erftredenb. ©erjenige aber, ber,
ba§ $auS öermeibenb, ftd^ bem $arf gugemenbet ptte, fönnte
ftc^ l^nbert ^Keilen Dom @ee unb öon ben Sergen entfernt
wäi^nen. 3«^^^ lange, fergengerabe 8lUeen, bie le^te ©pur einer
frangöftfc^en Slnlage, würben il^n barüber belel^ren, bafe biefer
^arl an^ ber Qtit flammt, in ber man, nid^t etwa um bie Slatur
JU beJDÜnbem, fonbern oor SlUem beSwegen fpagieren gu gel)en
pflegte, um jtd) im @d)atten burdi) ®efpräd) gu unterl^alten.
S)ann wirb eö i^m öerftdnblid) fein, warum l^o^e Säume, bie*
felbcn, weldje grau Don ©tael „bie %xtnnt)t unb ftummen
Sengen il)reS @d)idfale" nannte, nad)- aöen Seiten ^in bie
*) Marquis Costa de Beauregard, Un homme d'aütrefois.
176 S>öS öciftiö« Sc^«n ^ort.
3lu^ftd)t begrenjcn unb faum ^icr unb ba, burd^ eine ober bic
anberc flcinc Sfidtc einen ©lief auf bie blauen ^fernen bc§
Sura geftatten. 2BaS (Soppet Dor ^unbert Salären »ar, tft e§
noc^ ^eute, !ein ©tein baran ift üeränbert. $räd)tigc flSo^n^
[tätten jtnb. feitbem auf ben i^figeln erbaut ttjorben, bie ben
@ee umgrenzen, unb lieblid)e ®ärten fül^ren ju feinen Ufern,
aber wenn ber entjücfte SSHd jtd) t)on il^nen weg nac^ bem
ftillen, etwaö büftern innern ^ofraum Don (Soppet wenbet, unb
befonber^ wenn ber S3efud)er feine ©d^welle überschreitet unb
mand)e§ ©entad^ be§ ^aufe§ unoeränbert unb wie jum @m^
pfang feiner einfügen ©äfte bereit wieberfinbet, fo wirb er il^m
unb ben mit il^m Derbunbenen Erinnerungen gern ben eigen*
tl)ümlid^en Steig fdiwermütl^iger ®rö§e jugeftel^en, welcher ber
Slntl^eil be§ 3Sergangenen ift'' ^).
Unter feinen neuen aSejt^ern würbe (Soppet öor Slttem
eine geiftige SBerfftatt, in ber Diel mel^r gearbeitet atö bie l^err-
lid^e 3latur genoffen unb oon beö ßeben6 SKül^en au^gerul^t
werben foHte. SKabame 9le(fer lebte oornel^mlic^ ben ©rinne*
rungen, bie ba^ nur eine ©tunbe entfernte ßrafjter für jte mit
ben Sagen ber Äinb^eit Derbanb; jte fe^te il^ren 6ltem in
ber ©orffird^e oon ßoppet ein ©enfmal, forgte bort nid^t min*
ber als ju $ari§ unb @aint*Duen für bie Slrmen unb Uranien
unb nbk weife Sef(i)ränfung im ©ebraud^ il^rer Qnt unb in
ber SSerwenbung il^reS 3Sermögen§. ®a jte fein ®elb für il^re
perfönlid^en 3^^^^ ^^^ xl)X^m SRann annel^men wollte, ltc§
biefer il^r einmal oon einem greunbe oorfpiegeln, ein urfprünglid^
il)r ge^örenbeS Heiner Äapital fei Don 8000 auf 30,000 Siörc«
angewad^fen, bie bann g^J guten ^xotdtn oerwenbet würben.
35Benn pe beS 3lad)t§ nid)t fd^lafen fonnte, liefe jie jtd^ gern
oorlefen ober fd^rieb il^re ©inbrüde nieber^); il^r befter Sroft
war ber, bie alten g^reunbe um fid^ ju oerfammeln. ©ie SluÄ«
') D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, I, 282. 235.
^) Baronne deG^rando, nee de Rathsamhausen, lettres: Madame
de G^rando sur Madame Necker, 1802.
mtt greunbe: SKoultou, sBonftetten, % ö. SKüIIer. 177
fül^rung bcö $Ianö Don Sl^omaö, in ber 5lä]^e t)on (Soppet pd)
bicibcnb nicbcrjulaffen, t)crl)inbcrte gu ti|rcm ©dimcrg fein früher
Job; aber SWoultou lebte mit ben ©einen tt)ie el^ebem allge-
mein öerel^rt unb tptig gn ®enf, unb ®ibbon würbe fleißig in
Saufanne befud)t. Um feine ^eunbe in ©nglanb barüber ju
berul^igcn, ba% fein @d^tt)eiger Slufent^alt il^n nid^t t)on ber
SBelt trenne, erjäl^lte er einem berfelben, mie er am glei(t)en
3;aß bm Sefud^ be§ berül^mten 3lrjteö Siffot, be§ franäöjtfd^en
©d^riftfietterS 3Rercier, be§ Slbbe SRa^nal, beS 5ßrinjen ^einrid^
öon ^reufeen, be§ 2lbb^ be Sourbon, natürliä)en ©ol^neö gub=
wtg'g XV., unb eineS natürlichen @ol|ne§ ber Äaiferin Äat^a«
rina, bcn er nid^t nennt, ber aber ber junge ®raf Sobrin^ft
mar, erl^alten l^abe^); bagu fei bie gamilie 9?edfer, bann
©crüatt unb mol^l ein ©u^enb merfmürbiger ©rafen unb
aSarone auf feiner Serraffe mit ben übrigen ©äften jufammen
getroffen 2). Jßiltor öon S3onftetten fam ^äufig öon Sem ober
Sl^ott l&erüber, um jtd^ bei 9iecfer öon ber iijvx t^erl^afeten Sänge«
meile feiner ratl^Slierrlid^en ßoßegen gu erholen unb örmunte^^
rung für literarifc^e Slrbeiten gu erl^alten, bie jtd^ abmed^felnb
mit aob, ttnfterblid)feit, Sb^Uen nad^ ©efener'ö SBeife unb
mit ber f^age freier SluSful^r ber I)eimat]^lid^en Sutter be-
fd^äftigten unb am @nbe frieblid^ in einem eingigen SSanbe gu«
fommen mol^nten^). 2)urd^ i^n mürbe aud^ g^l^anne^ Don
9ÄfiHer, ber ^iftorifer, ber mälirenb be§ SBinterS 1785 bie
Semer Sugenb burd) SBorlefungen über ®efd^id)te be§ 8llter=
t^umS begeiftem fotttc, bei ©elegenl^eit eineö 8lufent^altS unter
bem ®ad^e feinet g^reunbeö, in ßoppet üorgeftellt*).
®ang t)on bem ©tillleben bort befriebigt mar nur 5!Ka«
*) 3. ®rot]&, S3ricfc ber ^aifcdn i^atl^arina IL an ©rimm (1774-1796)
I, ®. 332. 405. Briefe öoni ^pnl 1785 unb f?ebruar 1787.
2) mhhon an Sorb ©l^effielb, öltober 1784.
^) St, aWorcU, e. iB. öon S3onftetten. (§m fd^meijerifc^eS Seit* unb
SebcnÄbUb. ©. 137.
*) A. Steinlen, Ch. V. de Bonstetten, 141.
»lenner^aftett, ?5rau toon @tain. I. 12
178 aJlabame SRedcr'8 fd^tiftftcllcrtfd&e Sll^ättglett.
bamc Sßecfer, fte l^attc öom Sedier weltlid^cr 6^rcn unb
fjrcuben gefoftct unb il^n bitter gefunbcti; bic Sage, atö jtc
barnad) verlangt l^attc, waren öorfiber, unb nun erfd)iett il^r
Seräl^mtl^ctt üor ben 9Kenfd)en „mt ein erfd^redfcnbeS ©efpenft".
9lod) unter bem erften 3!)ltmfterium il^reS SWanneS fd^ricb
fte an Stomas, fie ijabc unter einer muftcrl^aften Sierwaltung
ba^ golbene 3^W<itter gu erleben gel^offt, aber nur ba& ciferne
gefunben; alleö befd)ränfe ftd^ im beften %aü, barauf, fo wenig
@d)aben als möglid^ ju ftiften»). Unb jte ffigt ein SBort
l^ingu, ebenfo rid)tig al§ wal^r, benn eö begeid^net bie Älip^je,
an weld^er gcrabe bie SSeften, wenn fie pd^ mit öffentlichen Sin*
gelegen^eiten bef äffen, gu fd)citern pflegen: „3Bie öerfel^rt ur»
tl^eilt man bodf, fo lautet eS, „wenn man fein Seben mit
auSgejeid^neten 2Kenfd)en oerbrad^t ^at''^). Dh fte ^eutfd^
fannte, ift zweifelhaft, bod) wa^rf dt)einlic^ ; gcwife aber ent«
fpra^ i^rer Stimmung am beften biejenige, weld^e il^r großer
ßcitgenoffe unb SanbSmann au§ Sern, ber ©id^ter Rätter, in
33crfen auSfprid^t, bie gur Qüt \)on 3Kabame Sßedfer'S Suß^nb
in SlHer SJtunbe waren:
uB^ fc^led)t ift, wa§ oergel)t, 35u wißft ba§ ^crg allein,
Unb ewig wie ®u felbft, mufe aud) 35ein Opfer fein!''
„$Der aWenfd) ift nid)t§, ®ott ift atteS" , wirb auc^ fie in
3;agen befennen, bie no^ weit baoon entfernt waren, jene beS
SllterS gu fein: „bei il^m allein finben wir ^ä^n^ gegen un*
felbft " 3).
3l)r fernerer Slntl^eil an ben ©efc^iden il^reS SRanneS blieb
ber einer oollftänbigen , felbftoergeffenen Eingebung, bie fte fld^
mit ber gebenSregel oorgegeid)net l^attc, „ba§ befte SKittel, nid^t
oergeffen gu werben, fei niemals an fid) gu benlm"^); fein
gweiteS SKinifterium unb bie bamit öerbunbenen ©d^wierig«
') Madame Neck er, Melanges, III, an Sl^omaS, 1779.
2) ebenbafclbft, I, 83.
••♦) ebcnbafclbft, III, 347.
*) Gbcnbofelbft, 11, 298.
8rr&ulein 9ltäex batüber. S)ic SMüt öon SUliöarol. 179
leiten unb 35erantn)ortuitgen ffci^m nid^t nur »eit über i^re
^)]^5ftfd^en Gräfte, fonbern aud) fiber il^re gäl^igfeit l)xna\x», ben
Slnfprüc^en ber ööttig öeränberten Sage geiftig ju genügen, ^n
Q.oppd aber mar aud^ fte fleißig mit ber g^eber, unb tt)a§ Pe
an längeren Slufieid^nungen l^interlaffen i|at, ift öomel^mUdj
bort in bcn ad^tjiger Satiren entftanben.
Sledfer bagegen nal^m gu fd^riftfteKerifd^er Sl^ätigfeit feine
3uPud^t mir besiegen, um SEBünfd^e unb Erinnerungen fem gu
l^alten, beren ^Jlad^t nid)t nur bie ^ulbigungen, beren ®egen^
ftanb er blieb, fonbern mel^r nod^ bie SÄifegriffe unb ^e^ler
feiner 5Rad)f olger im 2lmt beftärfen mußten. 3« jener ^di mar
e§, bafe feine ©d^rift „über bie 2Bid)tigfett religiöfer SKeinungen**
entfianb, melä)er bie äfabemie im felben 3lugenblid ben 5ßrei§
gucrfannte, als ber Äönig il)ren SSerfaffer an bie ©pi^e ber
@efd)äfte gurfiefberief. ©ie Sriefe finb üeröffentlid^t morben,
in meldten feine Sod^ter ben ©inbrud ber mit il^m barüber ge=
med^felten &t\px&ä)t feftl^ielt: „SBir finb "gufammen fpagieren
gegangen, mein SBater unb id)", fd^reibt fte iftrer greunbin,
fjräulein $uber, „bie ©onne neigte ftd^ beut Untergang; bie
SJlätur mar fo fd^ön .... 35Bir fprad^en üon feiner Slrbeit; id)
bad)tc, il^r Sitel f olle : ,über ba^ 3)af ein @otte§' lauten, bod^ nein,
er mirb ,t)on ber SBid^tigfeit religiöfer 3Keinungen* l)eifeen. @r
finbet, ba§ biefer feinen frül^eren S3efd)äftigungen am beften ent=
fprid^t". (SBobei gu erinnern, ba^ Sflecfer einmal ®ott ben ,emigen
Slbminiftrator' nennt.) „2Kan mu§ t)on ben SKenfd^en, nad)bem
man fte öon ber ©egenmart unterl^alten l|at, er[t bie ©rlaubnife
ermirfen, il^nen öon ber ©migfeit gu fpred)en, benn fte mürben
2lHe§, ma§ Ja nur oon Seele unb Unfterblid)feit ^anbelt, eitel
unb unnü^ nennen; aber meld)' ein fd^öner ©ebanfe liegt
biefem ®ud^ meinet SßaterS gu ©runbe, mie ebel fteße id^ mir
fein Unternel^men Dor, mie mirtfam feine SBaffen gegen bie^»
ienigen, bie e§ magen mürben, i^ren @arfa§muö fo l)od^ l^in^
aufgurid^ten. SBie erliaben ift e§, geigen gu fönnen, meld)e
SBal^rl^citcn es ftnb, bie ben Staatsmann üermögen^ t)on ben
12*
180 ^tätt über bcn SScrIuft feiner ©tcttunö niti^t getrdftct.
großen Sntereffen pd) lo^aufagen, bic il)n fo fel&r bewegten,
unb meldte S£röftitngen, unenblid) wie bie ©ebanfen ber SKenffl^cn,
ftd^ in ber ©infamfeit il^m boten. ..."
ffS^ glaube, ba§, wenn man aßc unferc fjreunbe tätigen
liefee, mit weld^em SBerf jic^ mein SSater befd^äftigt, nic^t einer
ba§> 9fiid)tige fänbe, felbft SKonfteur be ©uibert wflfete e^
nid^t ju fagen; ber ®ebanfe aber müfete il^m grofearttg ex^
fd)einen, bafe ein 3Kann üon ®enie ftd^ gur Slufgabe fe^t, ju
finden, waö jo 3Siele um il^n l^er gu erfd)üttern t)erfud)ten, ba%
er, ben ber SBunjd^ nad^ 3Kenjd^englücf burd^bringt, oudlj über
ba^ ®rab l^inauö nod^ bafür tl^ätig fein wiK. ©old^c unb
äl^nlid^e SSetrad^tungen werben i^n für ben ©egenftanb ein^^.
nel^ttten, um weld^en e§ ftd^ l^ier l^anbclt, aber er ift ju el^r*
Q^WQf JU lebenöfrol^, er fül)lt gu lebhaft bie iJä^igfeit in jtd^,
eine 3Belt in Sewegung gu fe^en, um pdf) \)on tl^r loSgufagen
unb gu ber ^ö^e gu erl)eben, wo ber ®eniu§ SRul^e finbct; unb
bod^ ift SRulie nur bort''.
25a§ Sud^ öon Sierfer, weldt)e§ feine Sod^ter gu fo warmer
Sewunberung l^inrife, fd)Iofe pd^ ben SSenbengen faft aller religiös
gebliebenen 9Renf d)en feiner ßeit an; e§ oerlegte bcn ©d^wer«
punft in eine fromme @ittenlel)re , ben SZad^brud auf SBemunft
unb 2Kenfd)li<i)!eit, empfal^l baö ®ute al§ gleid^bebcutcnb mit
bem ®lürf unb übereinftimmenb mit bem SSortl^eil be§ @e«
f^led^te^, aber e§ wufete wenig oon einem feften ©lauben unb
tiefgewurgelten Uebergeugungen , al^ eingig nad^^altiger Quelle
ber ^Pid^t, gu fagen unb prebigte bie ^Religion ber Humanität,
wie etwa ©eHert in ®eutfd)lanb furg oorl^er bie religiöfc Sluf*
flärung in poetifd^er g^orm geprebigt l^atte. ®ie fd^wad^e Seite
biefer 3[pologie ber Sugenb unb eineö ©oangelium^ öorwiegenb
praftij^er 8eben§wei§l)eit füllte bie gegnerifdt)e Äritil bcmt
aud^ balb l)erau§, guerft bie oon SRioarol, beffen 9lame bei
jenem Slnlai guerft an bie Deffentlid)!eit trat, unb ber SJlccfcr'a
^irgumentation al§ bie be^ Utilitarier^ branbmarfte, ber lEugenb
aU bie befte ginangfpefulation emppe^lt unb gwar „im mini^le«
ffltdtx über bcit SJctIuft feiner ©tettung mä)t getröftet 181
ticttcn ©t^l", für xs)dä)m 9lcdfcr ba^ @rfittbcrre(f)t bcanfprudien
bürfc. ®cr Sitcl aHein, meint er unbarml^erjig genug, bereife,
tote . oerf el^It ber Snl^alt beö Sbuä)t^ fei, benn loeber SReligion
noc^ SWoral fönne man ate blofee SJieinungen bejeid^nen; nid^t
t)arum l^anble e<8 jtd^, ob fte nü^Iid^, fonbem barum, ob jte loal^r
feien; ioa§ man felbft nid^t glaube, bürfe man Slnbem nid)t
leieren, ©em ©ei§mu§ oon 9ledfer l^ält er ba^ SSerbift oon
^aScal entgegen: „2)iefer", f(f)Kefet er, „würbe ^l^re, bem ©ebiet
ber SRatur entnommenen Seifpiele meit oon jtd^ gemiefen l^aben,
benn ®ott mar il^m weniger ma]^rf(f)einlid^ aU Sefuö 61^riftu§,
unb beffer ate ben Seiften begriff er bm Sltl^eiften''. 9lad^
bem ©c^iffbrud^ ber 3fieIigion, ju welchem nid^tö fo fel^r aU
dne ängftlid^ fä)tt)äd^Iic^e SSertl^eibigung berfelben beitrage,
bleibe niä)t<8 atö bie 3RoraI unter bem @ä)u^ ber ^ßj^ilofopl^ie ^j.
S)er geiftreiel)e 3SoItairianer l^atte nid^t fo Unred^t; aU 9tec(er,
enbgültig oon ber ^olitif abgemenbet, am Slbenb feineö Seben^
im »Cours de morale religieuse« nodt) einmal reIigionö=p]^ilo=
fopl^ifd^e Probleme bel^anbelte, gefd^al^ eö auf Orunb pofttio=
d^riftlid^er Ueberjeugungen , bie gu feinem frül^eren ©tanbpunft
mdt)t als ©egenfa^, fonbem als gortfd^ritt jtd^ oerl^alten.
©amalö, in Poppet, mar er nod) ganj oom SBunfd^ be=
]^errfä)t, feine öffentlid)e Sptigfeit mieber aufjunel^men, unb eS
beburfte nur beS ©rfdjeinenS frül)erer Sefannten ober 2lmtS=
genoffen, um biefen SBunfd) bis ju peinlid^er Sebl^aftigleit ju
fteigern. @ineS fold^en 3^ifd^^nfaßeS ermähnt ^äulein nieder
bei ©elegenl^eit beS SSefud^S oon be Seffart, bem fpätem 3Ri»
nifter Submtg'S XVL, ber im SRuf eines gefd^idften S^nanj=
wonneS ftanb unb als fold)er §Reder'S erfte SBermaltung energifd^
unterflfi^t l^atte, unb beS ©ol^rieS oom SRarfd^aß be ßaftrieS,
ber 1789 unter bie freiftnnigen 2)eputirten gd^lte. „2)ie 2ln=
mefenl^eit el^rgeijiger 3!Äenf d^en" , f ä)rieb fte nad^ bem Slbfd^ieb
') Rivarol, Deux lettres a Monsieur Necker. Oeuvres completes, 11.
Caro, Rivarol et la soci^t^ fran^aise. Journal des Savants, Sept.— Nov.
1883. Grimm et Diderot, Correspondance litt^raire, XIV, 107.
182 9ltätx über ben SSerluft feiner ettUmq ni^t fiettöf^
bcr ®äftc in tt)r Sagcbud^, »^^^^^8 wtcin SBater nid^t ju
ertragen; über bem ©ingang gu un[erem ^aufe fottten bie
SBorte ftel^en: ,^ier werben nur Quiü^tJixmbt bel^erbergt'.
SWufe ic^ e*5 mir befennen? 9(0) ja, id^ fürd^tc e<8, mein SSater
liebt eö nid)t, an ben SBerluft gemal^nt jju werben, ben er nod^
immer beflagt; wie fönnte baö aud^ anberö bei il^m fein, ber
fo gut weife, waö er gu leiften oermag. . . eine ]^errliä)e Sauf*
baf)n, bei weld^er bie öffentlid^e 3Reinung i^n ermutl^igen würbe,
(grfolge, bie feinem bergen fä)meid^eln müfeten, weil jie bie
SBoljIfal^rt eineö 83oIfeö jum 3tt)^df ©egenwart, ßwifwnft, ^anl*
reirf), Europa gum @ä)aupla^ ber Sl^ätigfeit l^ätten! SQSol^l
bad)k id), ba^ fein SEBerf i^m @rfa^ baffir bieten lönne, id^
fagte i^m, ba^, naä)bem er bie 5!Jienfd)en belel^rt unb il^nen
gegeigt l)abe, Xüa^ er gu leiften üermöge, ba§ Srac^Uegen feiner
Äräfte xt)m weber Äummer nod^ ©ewiffenSbiffe oerurfad^en foHte;
aber bie ©ntwidfelung feiner 3been, bie gewonnene genaue
Ä^enntnife ber ^ülföqueUen i5ranfreiä)jS unb be<8 ßlenbS ber
9iation l^atten xi)n erft red^t bie Qualen be§ SantaluiS entpfin*
ben laffen. @r jtel^t ba^ l^errlid^fte ©ebdube ftfirgen, ol^ne bai^
feine $anb e§ aufgul^alten vermag. 2)iefe§ ©efül^I Witt er fid^
felbft nid)t befennen, unb ic^ folge feinem Seifpiel ; feine frü^re
Stellung erfd^eint unö wie eine untreue Oeliebte, wir reben
nur ©d)limmeS t»on il^r; aber wenn jte wieberlel^rte, würben
wir balb anberö fpredjen ....'*
„3n ßoppet war mein SBater am glüdflid)ften ; bort atl^met
man Unabl^ängigfeit. 2lngejtd)tö jener bem ^immel guftrebenben
Serge erfd)einen alle el^rgeigigen SBünfd^e fo gering; bort finb
bie ?JÄenfc^en glüdflid). 3tt)ifd)en il^nen unb Stanlreid^ erl^cbt
ftd^ ein ungel^eurer SBall. 2)aö aSaterlanb, ba^ man in ber
Äinbl^eit üerlaffen l^at, ruft ba^ Olüd unb bm Rieben Jener
Sage inö Slnbenfen gurfidf, man l^at e§ frü^ mit einem
anbem üertaufd)t; man feiert an ber @d)wette beö SllterS wieber,
unb roa^ bagwifdien liegt, erfd)eint wie ein femer Sraum. 3«
ber Sugenb t»erlangt man t)on ber Swfunft, ber ©egenwart
(Sopptt, ein SSexbannungdott für fflcäcx unb feine Sod^ter. Ig3
mügltd^ft unäl^nlid^ ju fein; im reifen Slltcr fürd^tet man Sitten,
was man nid^t fennt. 3n ber ©d^weij rufen bie 3Rcnf(f)en
meinem SBater feinen Segriff ber 3Jta(tit ober ©röfee in bie @r=
innenmg gurücf, benn biefe jtnb il)nen felbft bem 9?amen nad)
unbefannt geblieben, wäl^renb bie @efeUf(f)aft in ^ranfreid^
nid)tö anbereiS fd^ä^t als jte. ©er 3fiul)m ift in ber Entfernung
fid^tbar, in ber SMI^e aber loirtt nur bie 3Rad)t; ber Olanj
eines bebeutenben SCBirfenS, ber fd^riftfteHerifd^en 5j:i)ätigfeit, üer*
langt anbere $erfpeftit)en. 3n ber ®efellfd)aft leibet ba^, was
wir Pnb, unter ber ©rinnerung beffen, was wir waren; ein
3Rlnijier au^er 2lmt gleid)t einer ^au, bie fd^ön gewefen ift
unb wunfd^en mufe, fortan mit @old)en gu leben, bie jte nid^t
in il^rer Sugenb gefannt l^aben".
3)aS Sob ber ßinfamfeit öon ßoppet feiert nod^ öfters unb
mit allen mögliä)en SSarianten wieber; immer aber l^^fet eS
gum ©d^lufe, wenn üon §Redfer bie 3fiebe ift, bodt) wieber in
einer ober ber anbem jjorm: „3Bie fd)ön wäre eS, wenn man
il^n t)on l^i.er abrufen würbe, um iJranfreidt) wieber ju regieren",
fjflr Stau üon @tael nid)t nur, fonbcm fd^on ffir gräulein
Sledfer war biefeS reijenbe Sb^H ber ©d^weiger Serge, auf
bem nod^, frifd^ wie 3Rorgentl)au, ber S^nbtx ber bleuen §eloife
auSgegoffen lag, ein SBerbannungSort, auS bem jte Jtd^ l^inweg
unter bie 3Renfd^en unb in baS SBeltgetümmel jurürffel)nte.
„5Wid^ ergriff eine töbtlid^e Slngft, mein SBater möd)te fein
Seben in ßoppet jubringen", fä)reibt jte baS erfte2Ral, wo jtd^
biefe Slbneigung für baS Seben auf bem Sanbe bei il^r auSfpriä)t,
„möge er eS mir öergeil^en, aber mein SSorratl^ üon ßrinnerungen
ift nod^ nid^t für ben 9teft meiner Sage auSreid^enb; weber
SHufionen nodt) Vergnügungen jtnb eS, benen iä) nad^ftrebe,
aber mein ^erj, baS il^n anbetet, würbe boc^ jittern, foßte bie
3;]^ür fid^ auf immer l^inter uns brei SReufd^en fd^liefeen. SSiel«
leidet genügt eine furje Spanne Qüt, um mir bie ßinfamfeit
erträglid^ ju mad)en. Sollte il^n ein graufameS ©d^idffal oer-
einfamen, id^ würbe mid) ganj unb augenblirflic^ für il^n opfern,
184 SCufjeic^nungcn au« bcn Salären 1783—1785.
jeben anbtvn SSBunfd) an^ meiner ©eele üerbatmen unb einen
SWoment beö ®IüdE§ für x^n mit lebenslangen ©ntbel^rungen
erfaufen" ^).
SBaö aber fon[t ging in jenen Sagen in ber ©cele be§
jungen 3Jläbd^en§ t)or? Slufeer il^ren 6r[tling§arbeiten pnb fpär=
lid^e Sagebud^fragmente ba^ ©ingige, toa^ üor il^rer aSer=
I)eiratl^ung barüber'3luffd^lufe gibt, nnb in biefen l^errfd^t meiftenö
eine meland)oIifcl)e Stimmung üor. „6ö fällt mir fij^ioer, beö
3Rorgenö, nad^ bem ©rwad^en, mein SEagewerf wieber aufju*
nel^men", l^eifet e§ an einem, in jene Seiten faHenben 21. 3uli;
„ba^ ift fein guteö 3cid)en, wenn man baS Silb unb ©leld^nife
beö Sobeö bem Seben üorjiel^t. Dft bebe id^ üor bcm ©d^laf
jurüdE; wenn Äörper unb Seele ji^gleidö unentpflnblid^ werben,
fä)einen jte ein gleid^e§ Sooö gu tl^eilen. Slber nein, nein! ba^
Sewufetfein unb mit il)m bie moralifd^e @piftenjbebingung bc«
(teilen fort ... .". 6in anbereS 3Ral beginnt il^re Slufjeid^nung
folgenbermafeen : „SBeldjeö fd^redfliä)e @ä)aufpiel geigt jtd^ beim
6rwaä)en meinem 33lid! 3Son meinem 33ett auö fel^e id^ im
^of, üor ber 33el)aufung ber Sobten, bcn ©arg berfelben mit
einem weisen Sud^ bebedft [teilen; jie felbft ift e§, in eigener
©eftalt, mit ben wol^lbefannten Sögen. SSBas ift benn gefd^el&en,
unb wie lönnen bie 31^rigen fid^ entf d^liefeen , jie ber @rbe ju
übergeben? — 3d^ fel^e nodt) bie gute grau in il^ren bäuer:*
lid^en Oewänbern, lebenSfrol^, fräftig, l^eiter, ol^ne 3^0^« bor
ber 3wfwttft, tnit fünfzig ^ai)xtn feit nur ad^t* 9)lonaten einem
lungern 3D?anne angetraut, ber fte liebte, unb für ben jie bie
gleid^e 3leigung eutpfanb; biefe SBieberfel^r be§ Srül^ling« jur
^erbftjeit be§ gebenö fd^ien jte ju beglüden, weid^er für bie
Unglüdlid^en, beffer für SlUe gu ftimmen; ba^ ®lüc! üerHätte
jte mel^r alö ber @d)merj eö ju tl^un üermod^t l^ätte. ®a lam
eine anftecfenbe Äranll^eit, bie ^odfen, unb ftredfte jte nieber;
e§ erfd^üttert alle Sinne, ben %ob ba ßinfel^r l^alten ju feigen,
*) D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 178.
Slufsd^nungcn auS bcn Salären 1783—1785. 185
WO man ba§ geben walten fal^. Ueber il^rer SBol^nftube tft
eine Ul^r;- wäl^renb id^ pe im SCobeöIampf wufete, fagte id^ mir
bei iebem ©tunbenf (f)Iag : ,ba^ ift ber le^te; nun tritt eine
©eele mx il^ren ©d^öpfer l^in unb wirb inne werben, xoa§ ben
größten ©eiftem unbefanrit ift'. 3BeIä)e§ 33ilb ber 3^i^ftö^wng
unb beö ©d^recfenö ift bod^ ber Stob, ber S:ob im allgemeinen;
ber il^rige nid^t, benn ein liebenber 33lid, eine tröftlid^e §off*
ttung ift SllleS, xoa^ er jurüdEruft; aber ber SCob geliebter
aWenf d^en ! D @ott, wenn f d^on bie ©ebanlen baoor gurfidfbeben,
wa§ mu§ ba§ ^erj babei empfinben? 9Kan müfete e^ erleben,
bie Soten ber 93erniä)tung unfere geliebten S^obten berüliren ju
feigen? SRan müfete jte unter STrauergefängen l^erauötragen
laffen, ol^ne jte burdt) einen ©d^rei ber SSergweiflung wieber in^
®afcin rufen ju fönnen! Seber ^locfenton oerffinbete iliren
@ang jum ®rabe, unb il^r entfepd)e§ ©d)weigen würbe fagen,
ba^ Sitten üorüber ift? 9lein, fold^e ©d^redfniffe jtnb, wenn em*
pfunben, nic^t ju überleben. §öd)fte§ ®ut ber SSorfel^ung,
ajlfiglid^feit be§ ©terben^, bu berul^igft allein. aBoliin würbe
td^ oor foldt)en Qualen fliel^en, wenn id^ unfterblidt) wäre? ®er
©ebanfe meiner eigenen Sluflöfung oerföl^nt mid^ aHein mit jener
ber 3Renfd^en, bie mir tl^euer ftnb. §Rur, wenn ber Slugenblid ber
3;rennung gefommen ift, bann oerleil^e mir ein gnäbige^ ©efd^idf,
juerft JU fd^eiben ; aud^ nur ein 3Roment be§ Ueberleben^ würbe
entfepd^e ©d^mergen in ftd^ fd^liefeen. 2Rein ©afein ift mit
ber ©fiftenj oon SBefen oerfnüpft, beren Sebenöfrift aller SBalir-
fd^einlid^feit nadt) fd)neller abläuft alö bk meine. D mein ®ott,
id^ befd^wöre ®id^, erl^öre bie aufrid^tigfte 33itte, bie je meiner
©eele jid^ entrang; erfpare mir ben 3cttnmer, ben id^ nid)t gu
nennen wage; oerjeilie, wenn idt), um ju ®ir gu gelangen,
^anb an ©ein SBerf legte!"
3)iefe @rgüffe einer überreijten ^l^antafte tragen ba^ ©atum
beS 28. Suli; am folgenben Sage l^aben bie erl^altenen @in=
brfidfe pdb nodt) nid^t abgefd^wäd)t, unb mitten in ber ©ommer*
prad^t feieren biefelben büftern Sßiponen wieber: „®eftem 3lbenb\
186 Slufacid&nungen auS bcn Sollten 1783—1785.
fc^reibt ba^ junge 5!Jläbd)cn ttjcitcr, „^attm tt)ir ein cntfc^ltd^e^
®ctt)itter. ©ic 3latur wirft mä(f)tig auf mid) ein; alle SRittel
ntenfcf)lid^er Äunft finb unoermögenb, äl^nli(f)e ©tnbrfidfe ju er-
gielen. 3Sir ftnb ber S^cdf ber 9latur; baö fagt un<8 bte SMad^t,
bie Pe über un^ l^at. Sd) war aHein, id) prte nur ba^ ©e-
räufd^ be§ ©ewitterö, fonft l)errfd^te ©titte, unb tiefe 3Rüanä)o\k
befd^Iid^ mid^; id^ prte ben 3fiegen in ©trörnen l^erabtommen,
a3lt^ unb ©onner mal^nten mid) an bie SHImad^t OotteS unb
an meine eigene ©efal^r. ©in ©efül^I beö SßertrauenS lentte
mid^ nad) Dbtrif unb um mid^ nod^ mel^r ju berul^igen, erwog
id^ alle ®ränbe, bie mir ben SSerluft be§ Sebenö gfeid^gültig
erfd)einen laffen fonnten. SBerpngnifeöoHe Erwägungen, wenn
ber Stob jte nid^t ab[d)liefet! 3dÖ W)ar ergeben, allein ba mein
3Jtntij aus ©mpfinbungen gefd)öpft ift, war id) bod^ jugleid^ in
Sl^ränen aufgelöft; eö fd^ien mir, wäl)renb id^ fo in Stäumen
mid) oerlor, al§ ob bie Slnftedfung mid) ergriffen l^obe. ©urd^
bie ^odfen ju ©runbe gelten, flöfete mir ©ntfe^en ein; ba^
fc^lofe bie 9lä^e ber ©eliebten, ben SReij beö SobejS, ba» ©lüdf
ber legten, feierlid^en, füfeen Slbfd)ieb§worte auö. D ba» föt^
wufetfein, fte, bie man liebt, jum legten 9!Kal ju feigen, brängt
alle ©ntpfinbungen beö Seben§ in ein ]^öd)fteö ©effil^l jufammcn.
SBeld)eö Unglüdf, wenn bie Äranfl^eit ben Sinn umnad^tcte,
unfer gangeS Sßefen oeränberte! SBenn wir plöpd^ ba lalt
wären, wo wir anzubeten ppegten, unb Siebe jur ©leid&gültiß*
feit würbe? 3d) weife, ba^ e§ fd^wad) unb unred^t ift, öom
©elirium ber @terbenben einen ©inbrud baoonjutragen, aber
ber ©d^merj ift oon ber Erinnerung an ba§ le^te Sebewol^l un»
gertrennlid) .... Unb bann färd)te id) biefe l^eillofe Äranf«
l^eit, weil fte entftellt; bie ßüge würben ben ©ebanfen nid^t
mel^r wiebergeben, bie 8lugen biejenigen nid^t me^r feigen, bie
jte am meiften geliebt l)aben, ber SlidE nid^t mel^r fpred^en,
wenn bie Sippen ftd^ gefd)lof[en, bk iJreunbeSl^anb nid^t mel^r
bie legten ©daläge beö ^erjenö wal^rnel^men fönnen, ba& fo
^eife liebte unb wieber geliebt würbe. Unb wie entfepd^, mit
Urtl^etlc über bic Sugcnbscit. 187
bcm SettJu^ctn ju ftcrben, ba^ ba§ töbtH(f)c ®tft auf anbete
übergegangen ifl; man will beweint, aber überlebt werben.
SBir jterben nid^t, wenn wir biejenigen, bie wir lieben, l^ier
jurüdlaffen; wir entgelten ber SSemid^tung, aber felbft bie
@d)reclen be§ eigenen Sobeö mäßigen bie 93or[teIlung t)om Siobe
3)erer nici^t, bie wir lieben" ^).
@S lann nid)t SBunber nel^men, wenn ©iejenige, beren
einbilbungSfraft unb ®emüt^ ftd^ in fold^en Silbern erfd^öpften,
ber eigenen Sugenb gebenfenb, in bie SSorte auSbrid^t: »ce
temps si faussement vantö, ce temps de passions et de
larmeslc 3)eni gel^elmnifeüollen 3Berben be§ Salent^, wenn
bie 5Ratur, um mit Berber ju reben, einen Slfforb anfd^lägt,
gelten fold^e ©türme üorau^, SStjtonen, bie Weber ganj üer*
ftanben, nod) ganj etjannt werben !önnen, bis jte, in ge*
weil^ter ©tunbe, gu Sbealbilbern jtc^ geftalten, bie fortan
„SEBertl^er", ober „^ofa", ober „9ftene'', ober ,,©elp]^ine" unb
„ßorinna" l^eifeen. Db im ^erjen be§ iungen 3Räbd)en§ nod)
ein anbereS ©efül^l erwad^t war, barüber finbet jtd^ nur eine,
öiele Saläre fpäter einem ©eutfd^en gegenüber oon xf)x gemad^te
3lnbeutung, weld^e ba^ Soo§ ©old^er, bie nid)t frei über jtd) oer*
fügen fönnen, beflagte unb alö „il^re erfte unb einjige Siebe
einen SWann, ber, ba jte nod^ 2Räbc^en war, umfonft um fte ge*
werben l^be" 2), nannte. &x foßte in il^rem Seben wieber auf=
taud^en; eS war ber ®raf Souiö be 9Zarbonne, beffen bereite
1782 gefd^Ioffene Sßerbinbung mit einer Slnbern bie angebeutete
gplfobe in ^äulein 9leder'§ fed^jel^nteS Sal^r üerwiefe.
einen Sl^eil beS SSinterö oon 1785 oerbrad)te bie g^amilie
wegen ber ©efunbl^eit ber SRabame 5Reder in SJiontpeßier, wo
bie berül^mte mebicinijd)e iJafultät Äranfe auö allen Säubern
anjog. ®ie einjige Erinnerung an biefen 2lufentl)alt finbet ftd)
') D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 65—70,
9(udaüge QUiS bem Sagebud^ t)on i^äuletn iRedfer.
2)SJörn§agen öon @nfe, ©enitoürbiöfetten unb öemttfd^tc ©d^tiften.
Suftu« ©ri* »oHmann, I, 1—33.
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W.if^ ^ ^^rzntrz rrrrrrrf S^rirr: reo Sobran, berm 5n^
fcenw! te5 i±:;^n:f:: Jir:rrr->rnÄ jrnjn sricber anfgefrifc^t
bat, nit: n?fni:fr rrfiffnnen!' fndbli. irif Sc bicftr über*
iprubeinben braune r.it: :u irir^frrrcbfn ixraux^t ^abe'L
Xie riiücttf^r nach $an^ bracbif nun and) fßlane jur
SWfire, bie feit geraumer 3rit mit bcr ^[kncnlic^firit Don ^rr&uldn
Sfierfer in SJerbinbung ftanben.
Seit ben Jagen gubroig 5 XIV. nnb ber norbtfc^ SQian}
erfreuten ftd) bie 2d)n)eben in bcr franjöfifc^en {Kuiptfiabt einer
Popularität, \yx u^eldjer bie ^olitif nur ben Slnfio^ gegeben
^atte. 3n)ar fd)ä^te man immer nod^ in i^nen bie 93erbfinbeten
t)on JRi(I)e(ieu unb ber franjöftf(f)en Ärone, bie il^rerfettö bie
fcl]iwcbifd)eu Subpbien alö einen mel^r ober minber ft&nbigen
^^iSoftcn in il)rem Subget fortführten, aber unabl^ängig baoon
tuaren bie @ci)tt)eben in ^ari§ alö feine, angenel^me Sßeltleute
unb rilterlicl)e ®olbatcn gern gefeliene @äfte. Sie biplomatifd^n
Korgäuger bcö fflrafcu (Sreufe l^atten "t^x^ Slnfel^en il^rer ©teHung
burd) perfönlid)e ISigenfc^aften unb bit)Iomatifä)e ©ewanbt^elt
\\\ crl)öl)on gctuufjt; in gutem 2lnbenlen ftanb befonberS ®raf
>) (litulliour, Ktihlos sur rilistoire de la Suisse fran^se, 300.
Ml. «lo Snl^MN \ MiMlaino do CUiarriere.
*) Sir .li»hn Sinoliiir, Oorrospoudance, I, 153 — 154.
M K. (lo MuKi^i^^ii «^t IL Prat, Correspondance de la Comtesse de
Suhl an I '.\N4.
©d^toebifd^c Suftänbc. 189
©panc, ©ejanbtcr am ^ofe Subwig'ö XV. ivä^rcnb ber erftcn
^älftc feiner langen ^Regierung unb nid)t minber ujegen .feiner
männlid^en @d)ön]^eit alö wegen feinet ©eifteS bewnnbert. 33ei
©elegenl^eit einer grofeen Safel, gu tt)el(I)er alle ©efanbten ge-
laben waren, l^atte if)n ber Äönig mit ben SBorten interpeHirt :
„^err ton ©parre, ©ie belennen jtd^ ni(I)t jnm felben ©lanben
wie id^, baS ift mir leib, benn im ^immel werbe id^ ©ie mä)t
wieberpnben", woranf ber Slngcrebete fd^neß gefaxt erwiberte:
„Um SBergebnng, ©ire; mein fönigli(I)er §err i)at mir befol^lcn,
Sl^rp 3D?aieftät überall l^in gn begleiten" ^).
Sn ©d^weben ppegte man bie ^l^ilofopl)ie üon 2)e§carte§,
bie franjüjtfd^e Siteratnr, Ännft nnb Snbuftrie unb blidEte
nadt) ^ari§ wie nad^ einem anbern SKeHa. 6ine ©törung
erlitt ba^ gute SSerl^ältnife gwifä)en beiben Säubern erft bann,
atö bie ariftofratifd^e «ßartei feit 1720 in ©tocf^olm bie politifc^e
SKad^t an ftdt) rife unb jene ber Ärone unter einem fd^wad^en
SRonard^en beutfd^en UrfprungS beeinträä)tigte, ber ju fagen
pflegte, er jiel^e e§ t»or, Stambour in ©eutfd^lanb als Äönig in
@dt)weben gu fein. S)ie S)emütl)igungen, bie er wiberftanbSloS
l^innal^m, wedften bafür in feiner ®emal)lin, Suife Ulrife, ber
@dt)Wefter be§ grofeen g^riebrid^, ben um fo fefteren 6ntfd)lufe,
in i^rem ©o^n, Äronprinj ©uftat), ber alö Äönig ©uftao III.
fein fottte, einen Sfiää)er für alle t»on ben übermütl^igen fd[)we=
bifd^en ©belleuten erbulbete Unbill gu finben: „Erinnere S)iä)
wol^r, fd^rieb jte an ben Äronprinjen, aU er 1770 über
©eutfd)lanb ben SBeg nad) ^ari§ einfdjlug, „erinnere ©id) wol^l,
ba§ wir bie größten 33ettler in ©uropa ftnb, unb bafe e§ in
meinem ^eimatl^lanb feinen Meinen S^ürften gibt, weld)er nid^t
fc^änere SUlöbel, fd^önereö ©ilbergefd)irr, anftänbigere 33ebienung
ptte; bei unö ift aVC baö geringe SSermögen, weld)e§ oor-
l^anben ift, in ben ^änbm ber ©eiftlidjen unb ber Säuern.
S)er Abel, weld^er in allen Säubern ber 2Belt öor ber 9?otl^
*) Geffroy, Gustave III et la Cour de France, II, 83.
190 Äronprlna ®uftab wirb Äönig, ^chmax 1771.
9cftd)crt fein mufe, tft l^ier gu ®runbc gcrid^tct unb baju un^
öemünftig genug, fein] eingigeö ^ülfömittel ju oertenneit; tyith
mel^r erlauft er für 2—3000 Stl)aler in ^artelengelbem ftd^
feinen Untergang unb opfert in iebem SReid^Stag feine ^rlüi*
legten unb feine Stimmen an bie ^Keiftbietenben auf. 3)aö ift
ein f(f)auberl^afteö ©emälbe. 9J?a(I)e felbft bie SSergleid^ung !
3)u wirft fagen: 3D?ama ift übler Saune; aber wer würbe eS
nid^t in biefem ßanbe fein, in weld^em man öor tteberbrufe
ftirbt, in weld^em nur t»on ^olitif gefcf)wa^t wirb unb nad^
allem @(f)wafeen fein 33efd)lu6 erfolgt" ^).
2)er üierunbäwanjigiäl^rige junge 5!Äann, an weld^en biefe
bitteren 3Borte fid^ rid^teten, war nad^ franjöftfdt)er SIrt, aber
im Sinn ber l)errfc^enben Partei gebilbet worben; nad^ DoH«
enbeter ©rgiel^ung urtl)eilte man üon il^m, fein ^erj fei eben fo
leer aU fein Äopf 2), unb mad^te il^n bann burd^ eine ergwungcnc
^eiratl^ unglüdflic^. S^itt^^^nS in Unfrieben mit SKutter unb
®attin, fittenloS, oberfläd^lirf), aber flug, bered^nenb, fül^n unb
oor Slllem entf d^loffen , ber ©id^erljeit be§ Sl^ronS unb ©elbft*
ftäubigfeit beö 9ieidf)§ {ebeS, aud^ ba& Dpfer be§ geben« jU
bringen, ba§ war feinen wefentlid^en ßl^arafterjügen nad^ ber
junge ^ring, ber in ber Slbfid^t nad^ ^ari§ fam, burd^ ben
©influfe oon föl^oifeul bie geftörten Sejiel^ungen ju ^nlreid^
wieberl^erjuftellen ; al§ er in ber ^auptftabt eintraf, war biefer
Steunb geftürjt, unb SlUeö fd^ien für ben iungen f^ürjlen tu
?5rage. ®a ftarb fein 3Sater unerwartet, im gebruar 1771, unb
©uftaü war Äönig. 6r t»erliefe $ariö nidt)t, ol^ne mit btm
neuen 3Rinifterium Subwig'ö XV. ein Uebereinfommen getroffen
JU liaben, weld)e§ bal^in lautete, ba^ fjranfreid^ bie fjjttrten
©ubjtbien an @d)weben oom Slugenblid an wieber leiften werbe,
wo il)m bie 2Bieberl)erfteHung ber SSRaäjt ber Ärone gegen eine
übermäd)tige , ber franjöjtfc^en SlHianj abgeneigt geworbene
J) ©etier, ©uftaö'S III. nad^g^Mene «Papiere, II, 5.
-) Geffroy, Gustave 111 et la Cour de France, I, 97. L^ouzon
Le Duc, Gustave III, roi de Sufede. Paris 1861.
®rof ©tebingf. 191
3lriftoIratie gelungen fei; biefe Sebingung würbe am 19. Sluguft
1772 erfüat. ©uftau III. üoHfülirte feinen ©taatöftretc^, o^ne ba^
ein Kröpfen SBIut üergoffen würbe, unb begegnete feinen ©tänben
mit bem ßntwurf üon bret ßonftitutionen in ber Safd^e, Don
benen bieienige, bie il^m aU bie paffenbfte erfd^ien, üor SlMauf
einer SBtertelftunbe befd^rooren war. SBon einem neueren ^ifto»
rtfer ift il^r baö Sob gefpenbet worben, fte l^abe bie Schweben
x>ox bem ©d^tcffal ber ^olen bewal^rt^).
®er junge Äönig regierte fortan in @todfl&olm, um in
%tmtt) bewunbert ju werben atö einer ber aufgeflärten 9Jionar==
(3^en, „aHmäd^tig für ba§ ®ute unb nur jum ©d^limmen bie
^änbe jtd) binbenb"; er gewährte ^refe= unb (5ultu§freil)eit,
unterftfi^te bie ^l^^ftohaten, liefe auf Sitten feiner fraujöjtfd^en
greunbinnen ©alefarlien mit Äartoffeln bepflaujen unb feine
^auptftabt t)on $arifer Äünftlem t)erfd)önern 2) ; aud) fal^ e§
ber Äönig gern, wenn junge fd^webifd^e ßbelleute, unter ber
Sebingung beö aSiebereintrittS in feine 35ienfte, in frangöftfd)en
Jftegimentern Slufnalime fanben. 3n militärifd)er Sejiel^ung ber
glänjenbfte unter biefen war. ®raf Stebingf, ein SllterSgenoffe
©uftaö'g III., ber, wie biefer 1746 geboren, i^n bis 1837 über^
leben foHte; er fämpfte mit feinen g^reunben gaujun, ßoign^,
SaHe^ranb « ^erigorb, 3Saubreuil, §RoaiIl[e§ , 3Sauban , ©egur,
Sa iJa^elte ben amerifanifdjen Unabl^ängigfeitSfrieg mit unb geiä)=
nete fiä) bei bem Sturm auf bie ^Jeftung ©ranaba fo fel^r auö,
ba^ er feine SBaffentl^at in ben ^arifern S£l)eatcm öerl^errlid^t
unb fid) felbft alö btn gelben be§ S:age§ fanb, aU er in %olQt
einer 33erwunbung 1780 nad^ granfreid) ^urüdffelirte. @ö blieb
nid^t unbemerft, bafe aud) ^röulein 3le(fer biefe ©pifobe in
einem ®elegenl)eit§gebid)t feierte. 6r tierliefe bie ©ienfte Sub=
wig'S XVI. unb fein ^Regiment Royal -Suedois, um 1787 am
gelbjug in gintilanb jtd^ ju betl^eiligen, aus weld)em er als
*) Albert Sorel, L'Europe et la Revolution fran<;aise, I, 65.
^ Geffroy, Gustave III et la Cour de France, I, 5.
1 92 ®taf Sol^ann 8(ycl Srcrfen.
JJelbmarfd^all l)eimfel^rte, unb nad) beffen Scenbigung er ate fd^wc*
bi[d)er ©cfanbter bei Äaiferin Äatl^arina nad) Petersburg f am, »o
er unter il^ren 5Rad^tolgem in glei(f)er ©genfd^aft blieb, unb »p
aud^ ®raf 3ofepl^ be SRaiftre il^n fennen unb f d^ä^en lernte ^). 3m
^af)x 1774 fam ein jüngerer Äanbömann ©tebingFS, ber neun^»
gel^niälörige @raf 3ol^ann 3[?:el iJerfen, @ol^n beS ©enatorS @raf
griebrid) Sl;rel, eineö ber t)omel)mften unb einflufereidöften SWänner
öon ©darneben, unb einer SRutter franjöftfdf)er Slbfunft, auS bem
:proteftanti[c^en, nad^ @d)tt)eben geflüd^teten ^aufe ©e la ®arbie,
i^um erftcn 9)kl in bie frangöftfd)e ^auptftabt ; er blieb nur lurge
ßeit, würbe jebod) in 3SerjaiHe§ bem Äönig, .3Rabame bu Sarr^
unb bem gangen ^ofe öorgefteHt unb erl^ielt üon ba an ben
aSeinamen be§ „fd^önen Werfen". @raf 6reu^ fd^rieb an feinen
Äönig, bie Haltung be§ jungen 3Hanne§ fei eine üortrejflid^e;
mit ben gewinnenbften 300^« i^nb üielem Sßerftanb jcid^ne il^n
ein f eltner Slbel ber ©ejtnnung auö^). gubwig XV. üerlie^
bem ®rafen g^erfen ein Dffijieröpatent im ^Regiment fRot)aU
Saöiere; biefer feierte aber erft 1778 nad^ $ariS jurfid unb
erfreute jtd^ oon ba an ber fpäter fo mifebeuteten ®unfl ber
Äönigin SJiarie Slntoinette. 2Ran woHte unter anbern bemerft
l^abcn, ba^ einmal, wäl^renb fte am Älaöier bie ©tropl^e aui^
ber Dper ,;®ibo" fang:
»Ah que je fus bien inspiree
Quand je vous re^us dans ma courc,
il^re aSlide mit faum unterbrüdter Semegung jtd^ babei auf
Werfen gerid^tet l)attcn. SBie biefer bie fd^mierige 5ßrobe befianb,
berid)tete abermals (Sreu^ in einem 33rief an btn Äönig, bem
bie fpäteren ©reigniffe ben 'SBertl^ eines tt)id)tigen S^ugniffeS
gu ®unften biefer beiben, ben 9tet)oIutionen fo tragifd^ Der«
>) GrafBiornstierna, Memoires du Feldmarechal Comte Stedingk«
2 Vol. Paris 1844.
2) Geffroy, Gustave III et la Cour de France, I, 359. Sdcumont,
Äleine l^iftorifd^c Sd^tiftcn. Mönifi ©uftaö oon ©c^ttjcben in Slad&cn, 1780—
1791, 319 u. ff.
®raf Sol&aitn Sljer gctfen. 193
Pf anbeten Dpfer üerltel^en l^aben. • 6reu^ fd)rcibt am 10. Slpril
1779: „®er junge ®raf ^Jerfen ift, iä) ntufe e§ gl^rcr aRajeftät
geftel^en, öoh ber Äönigin fo gern gefeiten worben, ba^ Der*
fd^iebene ^erfonen anfto§ baran nal^men. ^ä) felbft lann mtd^
be^ ®ebanfenS nid)t emel)rcn, bafe fe Steigung für tl^n entpfanb,
benn Id^ l^abe gu unjweibeutige 3tnjeid)en bat»on gefeiten, um
e8 gu bejweifeln. ©ein SÖenel^men unter biefen Umftänben öer-
btent Sewunberung, fo bcfd^eiben unb gurüdfl^altenb f)at er jtd^
benommen, nub fein ®ntfd)lu6, nad) Slmerifa ju geljen, entfernte
jebe ®efa]^r; abeU um einer fold^en SBerlorfung gu entgelien;
beburfte er einer toeit über feine Saläre reid^enben aBiHenöfraft.
SBäl^tettb ber legten Sage bertt)anbte bie Königin bie Slugen
nid^t üon il^m, uttb biefe ujaren mit Sti^ränen gefüllt. 3rf) be=
fd^wdre @ure SWaieftöt, ber Königin unb beö ©enatorö iJerfen
»egen, mir ba§ ftrengfte ©el^eimnife gu beioal^ren. Slfö bie
9lad^rid^t feiner beoorftel^enben Slbreife jtd^ verbreitete, fagte bie
^ergogitt t)on t?ife*3ame§ gu tl^m: ,SBie, fo geben @ie Sl^re
Eroberung auf?' 3cnn irf) eine folä)e gemad^t l^ätte', erwiberte
er, ,»flrbe id^ fie nic^t aufgeben; id^ fd^eibe alä freier SRann
nnb leiber öon Sliemanbem beflagt.' ©ure SKaiept werben
gugeben, bafe eine fold^e Slntnjort oon feltener Älugl^eit unb
©elbftbel^errfd^ung eingeflößt war" ^).
®tc ©rfd^elnung beö jungen 9Jlanne§ entfprad) ber @d)ils
berung feinet alten %xeunbt^\ jte l^atte etwas 6ble§ unb aSor=»
hel^me«; bie fc^önen, fanften, aber meland^olifd^en 3üge paßten
für ben gelben eineö SftomanS, „aber feinet frangöjtfd^en", wie
ein Srftgenoffe meint, „benn oon biefem l^atte er weber bie Mi)n^
l^eit nodö bie 3uüerftd)t" ^). 8ll§ ©umourieg 1792 in »elgien mit
il^m güfammentraf, l^abe, ergäl)lt g^erfen felbft, ber ©eneral, ber
il^n nur flüd^tig grüßte, ftd) mit bcm Scmerfen entfd)ulbigt,
0 Geffroy, Gustave III et la Cour de France, I, 361.
^) Duc de Levis, Souvenirs.
S3lennet^aHett, $rau bon @taäl. I. 13
194 iBaron ^4 3Ragnud t)on ©toel'^olftein.
an feinen fd^önen 300^« l^Stte er ll^n wlebererlennen foHen^),
SBiele Saläre fpäter pflegte Berber bm ®rafen Surfen al8 einen
ber fd)önften SWänner anjuffil^ren, bie er je gefeiten; nur meinte
er, ba§ feine ©d^önlieit gu wenig belebt getoefen [ei 2). Sn
Slmerif a fämpfte Surfen mit 8lu§ jeid^nung nnb würbe gum Dbcrften
ernannt, reifte nad) feiner 9iücf!el)r mit Äänig ®uftat) unb traf
erft 1784 wieber in ^ariö ein, wo Äubwig XVI. il^m bie
£)berften=6l)arge beö [Regiments SRo^al ©uebmiS t)erliel^. ^n
ber bortigen ©efeUfd^aft Ijatte jtd) injwifd^en ein anberer Schwebe,
ber Saron grid^ 2Ragnu3 üon ©tael^^olftein eingebürgert, ber
feit 1776 atö ©efanbtfd^aftiSfefretdr bem ©rafen 6rcu^ beigegeben
war. 3)er junge 3Rann, 1749 geboren, entflammte einem olten,
f(f)webifä)en ©efd^Ied^t unb war für baö ^eer beftimmt gewefen,
in weld^em er bi§ jum S^itpitnft feinet Uebertrittö in bie biplo*
matifd^e Saufbal^n biente. Slurf) ©tael l^atte baran gebad^, am
amerifanifd^en Ärieg, aber auf englifd^er ©eite, ftd^ ju betl^«
ligen^); er war ein angenelimer ©efeUfd^after, Hug, ftrebfam
unb auf feinen SSortl^eil bebad^t, aber niä)t glängenb wie ©tebingl
ober gewinnenb wie gcrfen. ©afür üerftanb er eS üortretflid^,
fid^ bei ben älteren ^arifer ©amen, ben fjreunbinnen feinet
SRonard^en, in ®unft ju fe^en. Äönig ®uftao ppegte feit bem
Slufentl^alt in g^ranlreidt) mit mel^reren berfclben ju correfpon:»
biren unb jtd) oon il^nen über bie Sageöneuigfeiten unb poH'
tifd)en Swifd^enföHe berid)ten gu laffen; bie angiel^enbfte unter
biefen ©amen, bie fd)öne, fd^wärmerifd^e unb geiftreid^e @räftn
b'@gmont, eine ber erften, ber Sftouffeau bie ßonfefponiS öorioS,
fud)te ©uftao nod) auf il)rem Sterbebett fitr politifd^e Sbeale
t)on 3^reil)eit unb 3Kenfd^englüdE gu begeiftern. SSon biefer
t)oetifdf)en unb originellen ©rfc^einung fel^r t»erfd^ieben war bie
^) Klinkowström, Le Comte de Fersen et la Cour de France, II,
60, Fersen, Journal, Avril 1792.
^ aSöttigcr, fiiterartfd^c Suftönbc unb 3eitgcnoffcn.
•') Leouzon Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron d©
Stael-Uolstein, Introduction, V.
S)ie grreunbinnen O^uftao'iS III. 195
alte ®räfitt be la 9RardC, bereit e^lftenj bis in bie legten Seiten
Subttrfß'« XIV. jurüctreid^te, mb bie öon ^liffot als bie peban-
tifd^e e^balife unb SBerfafferin eines QuartbanbeS über
» de Tesprit, du bon sens,
Des passionSy des lois et des gouvernements,
De la vertu, des moeurs, du climat, des usages,
Des peuples polic^s et des peuples sauvages,
Du d^ordre apparent, de Tordre universel
Du bonheur ideal et du bonheur r^eU
perfipirt würbe. 6inPu§reid)er unb praftifdier als 9Kabame
be la SWard, aber gletd^falls ffir ein politifd)eS 3beal entflammt,
baS Pe in ber britifd^en ßonftitution gefnnben ju l^aben glaubte,
war SRabame be ^Bouffiers, bie ffreunbin öon ^ume, 3ean=
SacqueS unb ©uftat) III., ben pe gaftlid^ bei pd^ in Slutenil
enH)Pn8; faP bie einjige unter ben Stauen il^rer 9lationalität
unb Süt, bie baS SluSlanb auS eigener Slnfd^auung unb gut
lernten gelernt l^atte. Sangjäl^rige Sejiel^ungen jum 5ßrinjen
öott ßonti, ber im SEentpel repbirte, trugen il^r ben Seinamen
»Idole du temple« ein; Pe galt für ebenfo wol^lwoHenb als
getpig überlegen unb nal^m eS nid)t übel, wenn SBoltaire'S ge--
funbe Vernunft, über „alle biefe ©amen, welä)e bie franjöpfä)e
ßottPitutiott fud^ten", in ben ©pottüerfen l^erpel:
»Mais, Monsieur, des Gapets les lois fondamentales,
Et le grenier ä sei, et les lois föodales,
Et le gouvernement du Chaneelier Duprat« ^).
6S gelang bem jungen ©tael, bie @räpn SoufPerS fo fel^r für
pd^ eiujunel^men, ba^ 6reu^ bem Äönig fd^rieb, pe liebe il^n
wie einen ©ol^n; er fügte fä)erjenb l^inju „alle pb[d^en gtauen,
wie SKabame be la SRardf unb bie SRarfd^aUin üon Sujrembourg
(beibe über fed^jig Satire* alt), ptten il)m, 6reu^, ben Untergang
gefc^woren, wenn er pdt) ©taers nid^t annel^me". SBeld^er Slrt
bie ^roteltion war, bereu le^terer beburpe, bejeid)nete bie weitere
>) SJoItairc'S Satire, Les Cabales, 1772.
13
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Bouffier« unb il^rcS Sd^fi^ingö fd^cittcri enblid) geneigte^ ©cl^ör
gcfuttbcn gu l^aben. ®uftat) III. gab feiner ^teimbin bie SSer=
^^cruiifl, im gatt eineiS SBedjfelö feiner bipIomatifci)en SSertretung
in ^ariS »erbe er einen beboIlmäd)tigten üWinifter bort ernennen.
vmb biefen Soften feinem anbern alö bem ®aron @taäl . »er*
leiten,, bcr im Snii 1782 l)od)erfreut für biefen SettjeiS fönig^
lid^cr ®nabe banfte. ^m folgenben ^alfx trat bie üorliergefel^ene
SScränbcrung ein, inbem Sreu^, gum Äartjler unb SRinifter beö
Stcufecm ernannt, nad^ ©d^weben jurüdf el)rte ; äugletd) aber
erfüllt ©taä eine neue, bittere .6ntt8uf(t)ung, ba ber Äönig,
feines aScrfpreti^enö uneingebenf, entfd^Ioffen fd^i^n, feinen per=
fdnlid(en ^Jreunb unb Vertrauten, ben Saron Saube, für. ^ari5
gu ernennen.. „ÜReine Sage ift fd)recHid)", fä)rieb ber Der*
jweifetti ©tael^ „nic^t^ fann midt) Dom 33erberben retten, »enn
t& 6uer SiJiaieftät nid)t gefällt, bm iBefdt)lufe gu änbern, ber
mein UnglfidC beftegelt. Sollte er nid^t jurüdfgenommen werben,
f 0 bleibt mir nidt)t§ übrig, als midt) in bcn Derborgenften Söinfel
ber @rbc jurücf jujiel^en, Don »o femer meine Sitten unb klagen
nid^t ge^rt merben foHen, unb n)o id^ baS @dE)idEfal werbe
ju 3iebe fteHen fönnen, marum eö mid) als ben einjigen Unter*
tl^an 6urer SKajeftät geboren merben liefe, ben e§ gum Unglüd
bejümmte.**
®ie ®inge ftanben nidE)t gang fo fd^limm, wie biefer Srief
flc barfteHt, benn gu ©unften 6taers war nodt) eine 33ermitt=
bing tl^ätig, bie enblid^ boct) ben SluSfd^lag gab, bie ber Äönigin
nämlid^. Site ©aupl^ine l)atte jie eS bem ©d^webenfönig 1771
fibel Dermerft, bafe er, um feine 3lbftdt)ten gu erreid^en, e§ nidt)t
öcrfd)md]^t l^atte, bei Sßabame bu SSarr^ gu erfd)einen unb
ii^rem @d)oPünbd)en ein foftbareS ,^alsbanb gu überreidt)en;
feitbem aber waren bie Segiel^ungen gwifd)en il^r unb ©uftaD III.
fd^r freunbfd^aftlid) geworben, unb SKarie Slntoinette fal) bk
fd(webifd)en 6belleute alle gern an iijxcvx $of. @ie war e§,
bie ben Sunfd^ gu er!ennen gab, eine SSerbinbung gwifdtien
®raf. ©tebingf unb ^äulein 3lleder in§ 2Berf gu fe^en; babei
198 ^ie ^etratl^SOetl^anblungen 5tuif(i^en nieder unb fBaton ®tae(/
blieb e§ icbod^, U)cil ©tcbingf, feine ijret^eit üorjiel^enb, nid^t
auf benfelben eingingt). 3lber and) ber Saron ©tael ftanb tit
i^rer ®unft, unb bereits 1781, in einem »ittet an Äönig ®uftat>,
fprad^ jte bie Hoffnung au§, il^n bleibenb in ^aris ju bcl^atten.
3e^t, im aJiärj 1783, würbe pe auf bie @ad)e jurfidfjufommen
üermoct)t2), unb 6reu^ fd)rieb an feinen ©ouüerän, lebiglici^ in
beffen eigenem Sntereffe wage er, il^n gu erinnern, bafe eine
ernfte SWifeftimmung beS franjöftfc^en §ofS ju beffird^ten fei,
wenn bie ber Äönigin bereits einmal in SluSjtd^t gejteUtc @r«
nennung üon ©tael nun bod) ni(t)t erfolge. ®uftaü war inbcffen
nad^ Stalten gereift unb fonnte, weil bie eigenen ©nffinfte feiner
Sßradjtliebe nidt)t genügten, frangöpfd^e @ubpbien weniger atö ie
guüor entbel^ren. So wenig bie Ernennung ©taeVS feinen
eigenen 2lbpdE)ten entfpredt)en mod^te, geftanb er pe je^t bod^
ber Äönigin gu, unb beüor baS 3^1^^ 1783 ju 6nbe ging, war
©tael ®efd()äftöträger, bann bet)ollmäd)tigter 3RiniPer unb enb^»
lid) nad) bem bamalS üblid^en S3raud) ®efanbter auf fed^i^
gal^re unb ftanb fo l^od^ in ber ©nabe Don SBerfaiHeS, ba^
6reu^ äußerte, er felbft l^abe wäl^renb feiner langen SlmtSfül^rung
gleid^e ®unftbejeugungen weber Don Subwig XVI. nod^ öon ber
Königin erfal^ren^). SluS Sloreuj fd^rieb ©uftao feinem neuen
®efanbten: „SBenn ©ie ijräwkin Sledfer lieiratl^en, werben Sie
ber reid()fte 6belmann 3l)re§ SanbeS fein unb wie Säfar fpred^n
lönnen: ,befler ber erfte bort, als in 3lom ber jweite!*'* Unb
etwas fpäter: „@udt)en ©ie bie SBerl^anblungen inm glüdflid^en
Slbfd()lufe JU bringen, bann werbe id^ felbft jur Unterjeic^nung
3^reS ei^efontrafteS nad) $ariS fommen" *). 2Rit anbem SBorten,
ber Äönig l^atte baS ©einige getl)an unb erwartete nm fo un«
^) Geffroy, Gustave III et la Cour de France, I, 355.
2) Geffroy, I, 373, 376, 573. L^ouzon Le Duc, Gorrespon-
dance du Baron de Stael, Introduction, VIII.
^) Leouzon Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, Introduction.
*) Geffroy, Gustave III et la Cour de France, I, 379 u. II, 412. •
SBcrbuTiö bc8 gürften ©eorg 5luöuft öon WtäUnbntq, 199
gcbulbigcr, bafe nun aud^ We ©egcnbcbtngungcn erfällt würben ;
©taöl aber tJoax m6)t am 6nbe feiner Sßrüfungen angelangt,
afe fein Souöerän im 2Rai 1784 U)irflid^ in 5ßari§ eintraf, lag
lein ©i^efontralt gnr Unter jeidjnnng bereit; bie gamilie Siedfer
war in bcr ©d^weij unb fdt)ien, ber langen SSerjögerungen
ntübc, auf ba& @rreid)te nidjt mel^r benfelben SBertl^ ju legen.
®er Jlufentl^alt be^ Äönigö aber foftete feinem ©efanbten bie
nmbe Summe üon 200,000 Siüre§. 3" biefem peinlid)en
augenblidC trat ©räfin SoufflerS nod^ einmal Dermittelnb ein,
um bie Situation für il^ren Steunb @ta6l ju retten; jte
wanbte fld^ wieberl^olt nad) ßoppet unb rul^te nid^t, bis jte
öon bort bie enbgültigen Sebingungen erl^ielt, unter tt)eld)en
bie Samilie Sftedfer auf baö ^eiratl^öproieft mit ©tael jurüdf=
lommen ju wollen erfldrte. ®iefe Sebingungen, Dom 21. SWai
1784 batirt, waren:
1. 3"ftci^€tung ber fd^webifd^en @efanbtfd)aft in ^ariö für
Staöl auf gebenSjeit.
2. @ine 5ßenpon üon 20,000 SibreS, faKö unüorl^ergefel^ene
(Sreigniffc i^n biefer Stellung berauben foHten.
3. ®er ©rafentitel, befonberS be§l)alb, bamit bie fünftige
Saronin t)on Stasi nid^t mit einer berüä)tigten S)ame beSfelben
fRameniS Dcrwed^fclt werbe.
4. 3)a§ feierlid)e 33erfpredt)en öon Seiten StaePS, feine
©emal^lin nur auf fürgere Qdt, unb nie ol)ne il)re ©inwiHigung,
nacf| Sd)^weben ju fül^ren.
5. ©ie 5ßerleil)ung be§ 5ßorbftern§ an ben ©efanbten.
6. 6ine beftimmte 9iJieinung§äufeerung ber Äönigin üWarie
Untoinette ju ®unften biefer ^eiratl).
SBäl^renb bie Sebingungen , bereu Erfüllung Don Äönig
©uftat) abl^ing, an il)re Slbreffe gelangt, il)rer ©rlebigung liarrten,
bcfc^wor ba^ wibrige Sdjidffal neue ©efal^ren für Stael. 6§
melbete fidt) im Sauf be^ 3al)re§ 1785 fein geringerer i?reier
als ein beutfd)er Surft, ®eorg Sluguft i?on SRedflenburg, ©ruber
beS regierenben ^ergogö, ein SKann üon Diergig Salären, beffen
200 ®iföf gerfcn unb Äönlg öuftab.
3Berbung übrigenö einen nidjt weniger gefci^äftlic^ctt ß^arafter
alö 9lecler'§ SSebingungen für ba^ ^rojeft ©lael trugen, ©r
erllärte ,,atö 9iad)geborner unb feit jwanjig ^\}Xtn einfaci^er
SRajor in faiferlid^en ©ienften, eine beträd^tlid^c Sci^ulbcttmaffe
angel)äuft gu l^aben''. 3« feinen ©unften lonnte er anfül^ren,
bafe ber S3unb mit i^m Fräulein 5JledCer mit bem Äßntg öon
(gnglanb üerfd^wägern würbe. 9ledEer antwortete, wegen SBcr*
l^eiratl^ung feiner Soditer bereite SSerl^anblungen eingdeitet ju
l^aben, beren ©rgebnife abjuwarten il^m So^dität unb 3^^'*
gefül^I ium ®ebot mad)ten, unb öom beutfd^en ffürften war
nid)t weiter bie SRebe^). ^nbeffen, ba feine ^eiratl^ mit ©tael
gu ©tanbe gu lommen fd)ien, badete gerfen bod^ öorübergel^enb
baran, ate ^Bewerber um gräulein Siedfer'ö $anb aufjutreten;
er lebte feit beö Äönig§ fRMhljr näd) @d)Weben wicbcr in
Sßari^, al§ Dberft feinet frangöjifdien ^Regiments unb nad^ wie
Dor Siebling ber ®efellfd)aft unb be^ $ofe§. ®ufiaö HL war
in 3RaImö, aU ba§ ®erüd)t oon biefem neuen ^roielt blö ju
i^m brang. SEBie gern er aud) je^t nod) bie Erfüllung beäfelben
gefetjen ptte, fagt ein SSrief Don il^m an Werfen, bom Sunt
1785: ,,SBenn id) ben 3eitungen glauben foH'', fd^ricb er, „fo
ftel)en Sie auf bem ^unft, eine grofee ^eiratl^ gu mad^en, bie
bem armen Stael nid^t gelingen gu woUen fd^eint. ©aö fottte
mid^ nid^t wunbem. (S§ befleißen l)uubert ©rfinbe für i^erm
5RedEer, 3l)nen, lieber alö irgenb Semanben fonfi, fdne £od^ter
gu geben, unb unter biefen ift ba^ grofee, ^l^nen in Sudfid^t
ftel^enbe 33ermögen wol)l nid)t ber le^te in btn Slugen etneS
Sanll)errn; bod^ mufe ic^ bie ^aä)e nodt) begweifeln, weil S^re
geringe Steigung für ben 6f)eftanb mib S^re aSorliebe für (gngi
länberinnen mir befannt jtnb" ^). SBir fennen bm ®runb biefcr
Slnfpielung. S8or feiner Slbreife nad) Slmerif a war eine ^etratl^
gwifd)en i?erfen unb einem fel^r reid^en aWdbd^en, f^öuleitt
') D'naussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 75—76.
^ Leouzon Le Duc, CorrespoDdance du Baron de Stael. Intro-
duction, XIV.
®raf gerfcn unb ^lönlg ©uftaö. 201
bon SBciibl, bcfprod)en njorbcn, beffen SSater in 6nglanb fld^
l^attc natural! jtren laffen^). Slber ber Äönig bel^felt 3le(f)t;
tJcrfen freite nie. „Sie werben bereits gefe^en l)aben'', fd)rieb
er feinem SSater, „warum ber ®ebanle, ben id^ in Sejug auf
ffräulein Sftedfer liegte, nie l)ätte jur StuSfül^rung fommen fönnen,
aud) für btn %aVi ni(t)t, ba^ Sie bemfelben 3^re Sitftintmung
gegeben l^ätten, unb gwar wegen meinet 3=reunbeö ©tael, bem er
üoKftdnbig unb mel beffer als mir entfprid)t. 5ßur 3f)nen,
lieber SSater, gu ®efaKen, l)atte id) baran gebad)t unb bin nid)t
im geringften ärgerlid^, bafe e§ nid^t gelang" 2). ©em Äönig
felbft blieb je^t nid)t§ mel^r übrig aU nad)jugeben.
3m SSerfailler ffrieben l^atte aud) er feine Sebingung ge*
jtem unb als ©egengabe für ©tael'S ®efanbtfd)aftSpoften bie
Idngft üon ©d^weben gewünf d)te Slntiüeninfel Stabago t^erlangt;
er erl^ielt ftatt beffen, burd) bie 33erfailler ©onbention Dom
1. 3uli 1784, bie bis bal^in frangöpfd) gewefene Snf^l Saint*
Sartl^älem^ unb gemährte nun enblid^ feinem ©efaubten, was
3ledEer für biefen begel^rte, mit SluSnal^me jebod) beS ©rafcntitelS
unb ber ©arantie feines ^oftenS auf SebenSgeit. £e|erer foKte il)m,
öerfprad^ ber Äönig, nad^ Slblauf üon fed^S S^i^^en nod) auf weitere
fed^S Saläre geftd^ert fein. SBer fonnte bamals al^nen, bafe biefe
fjrift üiel länger als bie frangßjifd^e 2Ronard)ie felbft währen
würbe ^). hocherfreut fd^rieb Je^t 2Wabame be SoufflerS i^rem
Iöniglidt)en fjreunb, fie befenne, bafe bie (2ad)e fte nid^t nur
lange befd^äftigt, fonbern aud^ oft ermübet l^abe. „®ie erften
SBorfd^läge", fagt fie, „l)aht id) oor fünf S^^ren gemad)t unb
feit brei 3al)ren nid)t aufgehört, fte fd^riftlid^ unb münblid) gu
wieberl^olen ; fo ^offe id^ benn, ba^ bie reid^e ^tixati) ftd^
^)Klinkowström, Le Comte de Fersen et la Cour de France,
Introduction.
^) Klinkowström, Le Comte de Fersen et la Cour de France.
Introduction, XXXIX.
^) Geffroy, Gustave III et la Cour de France, I, 377 u. II, 41.
Leouzon Le Duc, Correspondancc diplomatique du Baron de Stael-
D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 70 — 75.
13**
202 ®^^f Sfetfen unb jlönig ®u{tab.
mcl)t o^nc aSortl^eil für ^ctjto^b^n erwcifen werbe" ^). am
16. Dctober 1785 fd^rieb gerfen abermals an feinen SBater,
enblid) fei bic ©ad^e entfd^ieben unb er felbft entjürft über ba^
„glänjenbe ©efd^äft", ba^ 6tael babei mad^e. 3" biefem ©rief
enüäl^nt er , bafe Fräulein Werfer le^terem öor ^itt ben 3Sor jug
gegeben l^abe, unb fd^Iiefet: „3^ l^abe jte öor einigen Sagen gcs:
fe{)en, jte ift nidjt fd)ön, im ©egentl^eil; aber ftc l^at Diel
aSerftanb, ^eiterfeit unb Siebenäwürbigleit, ift fel^r voofjl ergogen
unb t)oK Salent. am 10. ober 15. näd^ften a»onat8 fott
bie ^od^jeit fein", ©omeit gerfen. ©ie 5ßolitif tl^at fpäter,
was bie Siebe ni(l)t gu tl^un öermoc^t ^atte, unb entjweite ben
ritterlid)en aSerel)rer ber Königin öon granfreid^ mit feinem
Sugenbfreunb unb beffen ©attin.
Sie $eiratl^ erlitt burd) eine Äranfl^eit, bie iJräulein Sfledter
toäljxtnb be§ ^erbfteö befiel, eine neue SSergögerung, unb bie le^te
®d)mierigfeit biefer wie eine ©taat^^aftion bel^anbelten angc*
legenl^eit bilbete bie t)om immer pünftlid)en SRedCer öerlangte
$erbeifd)affung öon ©taerö Sauffdjein: „gd^ wufete, mein
Sieber", fcftrieb ©uftat), aU er baüon l^örte, „ba^ man liebenS*
ttjürbig, üon angenel^mem Slcufecrn unb ©efanbter fein muffe,
um g^öiikin Ütedfer'ö ®attc gu merben; baö aber mufete id^
nid)t, bafe e§ nod) baju notl^ti)enbig fei, ein guter ®^rijt, unb
gwar mit Srief unb Siegel gu fein. Ratten Sie ein SBort ba-
Don gefagt, fo mxxbt id) 3^"^ii «in S^wßnife barüber auSgeftcItt
l^aben, baö nid)t minber gültig alg j[ene^ il^reö ^farreriS gemefen
märe, ba id) $apft in meiner Äird)e bin. ®afür mußten
@ie nid^t, ba^ e^S nie gu einer ^eirat^ gmifd^en grdulein Slecfer
unb 3()neu gefommen märe, menn @ie beibe gelin ober gmonjig
3al)re frül^er ba^ Sid)t ber Sßelt erblidft {)ätten, benn bamate
gab e^ in gang @d)meben feinen Sauffc^ein; bie Sitte ift erft
Dor furgem eingefül)rt morben" -).
) Geffroy, Gustave III et la Cour de France, I, 378.
') ebcnbofclbft, I, 381 unb ^Ippenbir II, 412.
8ilb bon gft&uUin 9ltdtt naci^ ©uibert unb @ainte<^eut)e. 203
6ine SScrbinbung, bic fo üoKftänbig bcn l^crrfdienben Sin«
fd^auungctt unb ScbenSgcwo^nl^citcn entfprad^, l^attc, fo folltc
man glauben, baS ^ßariö jener Sage berfelben geneigt ftimmen
f ollen; ba^ war aber nad^ einer Sleufeerung ber burd) ioi^h
reid^c Sonefponbcngen unterrid)teten Äaiferin Äatl)arina nid^t
ber %aSi, t)klmtijx „alle SBelt ber 5JJieinung, bafe gräulein
nieder fel^r fd^led)! öerl^eiratl^et worben fei" ^).
SKarmontel nennt jtd) als ben erften, bem ber ©ebanfe an
ba^ ©taerfd^e ^eiratpprojeft aufgeleud^tet fei, unb SRecfer be=
ftimmte feiner Sod^ter bie für jene Seiten aufeergcwöl^nlid^ l^od^
gegriffene ©umme öon 650,000 Siöreö gur aWitgift^).
@raf ©uibert, ber greunb beS «^aufeS, unter ber altern
Generation ein befonberS warmer 58erel)rer oon ijräulein
9ledEer, entwirft Don il^r, nadf) bem ©efcftmad ber ßeit unter
bem m^tl^ifc^en Flamen „Qvilme" ein Silb, beffen glänjenbe
fjarben er einem griect)ifd)en ®id)ter entlehnt gu l^aben Dorgab
unb in weld^em er unter anberen Singen öon il^r fagt: „ßitlme
ift erft jwangig 3al)re alt, aber fd)on eine ber gefeiertften
^riefterinnen SlpoH'S, bereu 2Bei{)raud) i{)m angenel^m ift unb
bereu Stimme er am liebften üernimmt Söre grofeen,
fd^warjen Singen leud)ten mit ber glamme beö ©enieS, i^re
«benl^oljfarbigen fioden fallen in reid)er iJüHe über xijxc @d)ul=
Um; U)xt 3üge finb mef)r ausgeprägt als gart; eS lebt ein
©twaS in il^nen, baS über bie gett)ö^nlid)en @d)icffale if)reS
©efdjled^teS l)inauSftrebt . . . ." @ainte=S3eut)e berichtet öon
einem gwgenbbilb öon xi)x, baS bie Sefc^reibung red)tfertige
unb jie in DoKer Slütl^e, mit waUenbem .!^aar, öertrauenb IjeUem
aSlidC, l^o^er @tirn, l)albgeöffneten , wie jum @pred)en bereiten
Sippen barfteHe. ®er ©efammteinbrud ber 3^9^ ^^be öon
SSerftanb unb ®üte, bie gerötl^eten SBangen üerrietlien rafd)eS,
lebenbigeS ®efü^l; $als unb Slrme feien entblößt, baS ©ewanb
0 Grimm et Catharine II, Correspondance. Recueil de la So-
«iet6 imperiale de Russie, XXIII, 370.
*) D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 74.
204 Srauung be« »aron (Stael mit ^r&urcin 9ltdtt, 14. Sotiuar 1786.
leidet ßcrafft, nur mit einem S3anbe in lofen glatten gel^altcn.
SBir fennen ba§ Silb, nad^ Ä)eld)em feine ijeber jeidjnet; c3 ift
ba§ Don 9iel)berg, @nbe ber aditjiger Scti^re gemalte. ;,@o**>
fct)liefet ber grofee franiöpfd)e Äritifer, „mod)te man pd^ bie
©opl)ie be^ ,6mile' benfen, fo erfd^ien bie Sraut, bie Saron
©tael ium Slltar führte" ').
2ln einem ©amftag, 14. Januar 1786, einige Sage naify
Unterjeid^nung beS @I)efontrafte§ burd) ben Äönig unb bie
Äönigin üon S^cinfreid), fanb in ber, bem lut]^erifd)=rcformirtctt
Sefenntnife gemeil^ten ÄapeUe ber fd)tt)ebifd^en ©efanbtfd^aft bie
Srauung be§ jungen ^aareS mit allem feinem 3flang unb feiner
gefeUfc^aftlidjen Stellung entfpred)enben ©epränge ftatt.
^) Sainte-ßeuve, Portraits de Femmes, Madame de Stael.
j:
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j^. Sk Ji"-^ ^u
Urtl^cilc über bie junge grou öon ®tael. 207
SBeltfenntnife unb bic rcd)teu Umgangsformen; jtc ift fo fel^r
öon il^rcr eigenen Ueberlegenl^ett burd^brungen, bafe e§ fd^mer
fein U)irb, fte auf ba^, njaö ttjx mangelt, aufmerffam ju mad^en.
@ie ift eigentt)inig unb ]^errfd)füd)tig; fie beji^t eine @id)ers=
l^eit be§ Sluftreten^, wie jte mir nod) in feiner gefeDfc^aftlid)en
©tellung unb niemals bei einer %xan it)re§ SllterS üorgefommen
ift. Sie urtl)eilt unbebenllid^ über 2lHe§, unb obtool^l fie fel^r
üiel aSerftanb l)at, begegnet e^ it)r bod) üierunbgioanjigmal, Der*
feierte Singe ju fagen, bi§ fie einmal ba§ Siedete trifft. 3)er
©efanbte magt eö nid)t, fie barauf aufmerffam ju mad^en, um
nid^t gleid^ anfangs il^r SSertrauen ^n üerfd^erjen; id^ bagegen
ratt)e il)m, geftigfeit gu geigen, weil bie erften Slnfänge in biefen
Singen fel^r oft über ba§ gange fünftige ßwfammenleben ent«
fdt)eiben. ®ie g^reunbe i^reö SBaterS erl^eben fie übrigen^ in
bie SBolfen; feine g^einbe überhäufen fie mit ©pott; bie 5Reu=^
tralen laffen gwar ibrem SSerftanb DoKe ®eredt)tigfeit wiber^*
fal^ren, werfen xijx aber tior, Diel gu öiel gu fpred^en unb mel^r
©eift alö SSemunft unb Saft gu beftfeen. SBäre fte burd^ ba§
Diele 2öei]^raud)fpenben nid^t fo Dergogen, id) würbe e§ Derfud)en,
il^r einige 9fiat]^fd)läge gu geben . . . ." ^).
5Dkn bebenfe: ba§ war gang im Slnfang ba^ Uvtl^eil fo=
genannter ijreunbe; toa^ foKten erft bie ©egner, wie SRiDarol
ober gi^ciu Don ®enU§, einguwenben l)aben. ®a§ SBol^lwoKen
ber 9Kenfd)en ift ijrau Don ©tael nie freiwillig entgegen^
gefommen; fie i)at e§ if)nen abringen unb ftetö unb überatt
guerft SSorurtlieile unb nid)t feiten Slbneigung berfelben über*
winben muffen.
5Jlad^ bamaliger Sitte blieb ba§ neuüermä^lte Sßaar noc^
einige SBod)en unter bem elterlid^en JDad^, beDor e§ bie in ber
3fiue bu Sac gelegene fd^webifd^e ©efanbtfd^aft begog. Sie
gamilie bewohnte, feit 5Recfef^ 3lüc!tritt, öon 1781 bi§ 1788,
ein t^otel in ber 9fiue SSergere, ba er baö ^ötel Seblanc nad^
*) Geffroy, Gustave III et la Cour de France. II, 384.
14*
203 3^1 Sbi^iebAbriff an SOtobame 9Mac
feiner Ernennung etoad t)orf(l^neII auf längere 3^ t>ertmetl^et
^atte. S)er Srief, in bem bte junge grau üom äSotcri^aud Sb<
fcf)ieb nimmt, ift erhalten unb an ^Robome 9tecfer geri(i^tet:
^ÜJicfen abenb", fcf)rcibt jte i^r, „werbe iäi nid^t »ieber lommen;
I)eute ift ber (e^te Sag, ben id^ fo mie btd^er olle Sage metned
gebend jubringc. SSie fc^wcr fällt mir biefe 93erSnbenmg. 3ia^
ed eine anbere Slrt )u leben gibt, vermag id^, bte nur biefe
eine gefannt ^at, gar nidbt ju faffen, unb bie unbdannte Qu-
fünft crfc^wcrt mir ben abfd^ieb. Sld^, id^ weife t8, t^teOeic^t,
SRama, l^abe ic^ gegen Sie gefel^lt. Sn biefem SbtgenblidF
äberfel^e ic^ alle meine ^anblnngen, wie in ber ©tunbe meines
Jobe^, unb \d) fürd^te, @ie werben bie Sremtung öon mir
nic^t fo bellagen, wie meine @eele e§ »erlangt; aber erweifen
Sie mir bie ®unft gu glauben, bafe, wenn bie ®efpenfier ber
ßinbilbungöfraft meine S3lidfe oft gebannt l^aben, biefelben
fic^ nic^t minber oft jwifd)en @ie unb mid^ brängten unb
mict) Sinnen unfenntlid^ mad)ten. 35ie Siefe meiner 2iebe gu
Sinnen fagt mir Jcbodö in biefem SlugenblidC, bafe fie gu be*
ftel^en nie aufgel^ört l^at; fie ift ein Sß^eil meine« geben«,
unb je^t, ba id) oon ^ijmn fd^eibe, ful^le id^ mid^ im tieften
3nnem erfd^üttcrt. ®cr 6ngel, ber unfer ^an& h\gf)tT öor
Hebel hmaijxk, wirb mir nid^t mel^r jur Seite flel&en. Sluc^
5ßad)ridE)ten über ^ijxt ©efunbl^eit werbe idt) fortan nid^t mel^r
bcftänbig einl^olen lönnen, unb in biefer unb anberer Segiel^ung
ftcl^en mir fortwä^renb ©ntbel^rungen bcDor. 3d^ Witt ^l^nen,
ÜRama, nid)t fagen, weld^e Äraft meine Siebe für @ie mir Der»
lcil)t. Sie ftnb fo rein unb fd)ulblo«, bafe alle ©efül^le, bie
jtd) 3l)"cn guwenbcn, juerft an ben ^immel gerid^tet werben
fönten; id) bitte ®ott, mid) St)rer würbig ju mad^en. ®a«
©lücf mag folgen; e« wirb guweilen, e« wirb öietteid&t aud^
nieinalö crrcid)bar fein. SRit biefem Seben gel^t aud^ ba« gu
(Snbe, unb Sie glauben fo feft an ein anbere«, bafe mein ^erg
c5 nid)t bezweifelt.
„freiwillig würbe id) mit biefem Srief nie fertig werben^
S)ie (Sf)t. 209
toetl bic ©mpfinbuttgett, bic er auSbrüdt, uncrfcftöpfUcI^ jtnb.
©ttipfangctt Sie, aJiama, liebftc SRama, ben SluSbrucf meiner
tiefen ß^rfurd^t unb unbegrengten 3ärtlid)feit.
©onnerftag morgend, noä) bei 3l)nen" ^).
@o innerlid^ gelodfert unb äufeerlicft mifead)tet bie el^elid^en
SBanbe aud) in btn gefeUfd^aftUci^en ^Regionen ju fein pflegten,
in n)eld)en ba^ erfte Sufcttnmenfein be§ ß^epaarö ©tael ftd^ ab*
fjpielte, fo ift bod) bie ^rage, waö benn bie neue ßfifteng ber
jungen ^Jrau an innerem ©lud gebracht l)abe, aud) gu jener
Seit gefteKt toorben. Qnv Beantwortung berfelben l)at %xan üon
@tael felbft nur auf negatiüe SBeife beigetragen, unb jwar in^*
bem fte nie aufgel)ört l^at, ba^ ®liidC in ber &i)t alö baS
pd^fte, obtool^l unerrei(t)te 3^^ ^^^^^ SBünfd^e barjufteHen.
@ine erfte Sleufeerung in biefer Sejiel^ung fäHt in bie Qdt lurj
nad) il^rer SSer]^eiratl)ung ; il^r le^te^ SBort barüber ift ba§ be*
rfil^mte Äapitel am ©d^lufe be^ Sud)S über ©eutfd^Ianb, in
weld^em fte ba^ ^^ödifte geleiftet l^at, waö fte überi^aupt an
SSoHenbung beö Sluöbrudf^ unb feelentjoller Serebfamleit ju
geben ijaüt. Slnfpielungen auf ba^ SSerl^ältnife ju tl^rem ©atten
njiH man in ber ©teKe gefunben l)aben, wo Corinna, öon xijxm
ffreiern fpred^cnb, eineö l^od^gefteUten beutfd)en @belmanne§ ex^
toäl^nt, ber anfangt il^re Sld^tung gewonnen l^abe, bei naiverer
Sefanntfd)aft jebod) Don gu untergeorbneter geiftiger ®ebeutung,
um fte bauernb gu feffeln, ftd) erwies. Stoiber liegenb ftnb einige
Semerlungen ber furg nad) il^rer SSerl^eiratl^ung, 1788, öeröffent»»
Iid)ten Sriefe über Sean = SacqueS : „aSietteid^t l^at 3iouffeau
bie übrigen focialen Snftitutionen angreifen wollen, bie 6l^e
aber l^at er nid^t angegriffen. SBie l^oc^ adjtet er bie Sanbe,
ju welchen bie 9latur un§ beftimmt. SBie fönnte er un§
beffer ju üerftel^en geben, bafe er unfer ^eil öon il^nen er=
wartet, al^ inbem er jeigt, bafe fte felbft bem ^erjcn, weld)eö
ein anbere^ ®lücf gelaunt l^at, genügen. SBer bürfte entgegnen,
^) D^HaussonTÜle, Le Salon de Madame Necker, II, 78.
210 SUu^crungen öon grau öon Btael barüber.
bafe fold^e Dpfer unmöglid) jtnb, njcnn bic leibcnfd^aftlid^fte
ber grauen, wenn SuUe il^rer fällig ift!" ©od^ fül^lt jtc
n)ot)I bie eben burd^ SRouffeau l^eraufbcfd^worenc ©cfal^r, wenn
jte, Don feinem Softem über weiblid^e ©rgiel^ung fpreci^cnb,
meint: „9iou[feau roxSi bie %xa\Xf ebenfo wie ben SRamt,
nad) ben SMurgefe^en unb nur ben Unterfd^ieben entfpred^cnb
I)eranbilben, weld^e bie 5Ratur felbft jtt)ifd)en il^nen gemad^t l^at.
3dö weife nid)t, ob er Siedet l^at, fte barin ^u nnterftü^en unb
bie ijrauen, fo ju fagen, in i^rer @d^tt)äd)e ju beftftrien. —
©rofee ©elbftbe^errfd^ung i[t xijmn unentbe^rlidE) ; ii^re gciben^«
fd^aften unb if)re Seftimmung wiberfpred^en ftdl) in einem
ganbe, wo bie ]^errfd)enben Sitten \i)mn fo oft ba^ ®ebot, nie
ju lieben, auferlegen".
Unb auf bie Untreue übergel^enb, weldE)e ber ©id^tcr bie
©attin be§ ©mile gegen biefen begel^en läfet, brid)t ffrau öon
©tael in bie SBorte au§: „^ä), SRouffeau, baö l^eifet bie tfrauen
fd^Ied)t beurt^eilen; il)r ^erj mag fte täufd)en, aber il^r ^erj
oermag fte aud) gu fd^ü^en. Äeine, aud) bie fd^wäd^fte ber
fjrauen nid)t, würbe fid^ freiwillig au^ bem irbifdjen ^arabtefe
vertreiben laffen unb bie Letten einer auf Siebe begrünbeten
e^e gelöft ^aben'' i).
@o Stau Don @tael in biefen Sriefen, bie, wie rid^ig
bemerft würbe, „gefd)rieben worben ftnb, beoor fte ber ©türm
ergriff" 2); al§ er l)ereinbradt), fanb er fte felbftt)erjtftttblici^
fc^u^loö. SBol^in geriet^ biefe poetifd^e Serflärung ber 2iebc
in ber ©l^e, bie Weber ein obieftioeö ^flid^tgebot nod^ t)on per»
fönlid^en Slnfprüc^en auf ®lüd unabl^ängige, etl^ifd^c SRotlöe
anerfannte, fobalb fie aufl)örte, nac^ il^ren, au§ Slouffeau gc*
fd^öpften 2lnfdE)auungen „bie ^flid)t in ber Neigung ju fteben*'
0 Madame de Stael, Oeuvres completes, Lettres sur J. J. Roiuseaiu
Lettre II: Heloise.
*) Madame Necker de Saussure, Notico sur Mudame de Stael.
Lettres sur Rousseau.
S3aron Btael. 211
nnb „auö itatäriid)cm 3wpul§ tugcnbl)aft gu fein?" (ä^ 9efd)al),
was unter foId)cn fflcbingungen gcfdiel^en ntutUc; tf)atfäd^lid^, tDcitrt
aucft md^t formell, faitb jtd) bie @taerfd)e ©i^e fd^on nad)
wenigen Salären gelöft. ©ie innere SBal)rl^aftig!eit il^rer ge-
fnnben 5Ratur bemal^rte grau öon @tael, wenn aud) nic^t öor bem
©d^iPrud) felbft, fo bod^ öor ungered^tfcrtigten Älagen über
ii^r @d)idfal; jte geftanb pd^ ein, ba% in SSejug auf el^elid^eS
®lüd, bcr SBertl^ il)re§ ßinfa^eS fie ju feinem Streffer beredö=
tigte. 3^r ®atte bagegen beging augenfd)einlid) ben feineöwegö
feltencn SRifegriff, gu erwarten, bafe, nad^bem er für aHe irbifdt)en
JBortl^cilc Sorge getragen l)atte, ba§ ^erg feiner grau il^m ba^n
gegeben werben würbe. Sltö bie ©nttäufd^ung in biefer S3e=
jiel)ung !am, mufete er fte um fo prter empfinben, alö alle
feine greunbe begeugen, bafe biefe g^rau il)m nid^t nur eine
öorfibergel^enbe SJleigung, fonbern ©efül^le aufridt)tiger Siebe
eingeflößt l^atte. 6iner biefer g^reunbe, Sfteuterl^olm, fd^retbt
nod) 1793 an ben Äanjler be§ ^er jogö^Slegenten öon @d)weben :
„£)bwol)l feine liebenSwürbigc ®attin il^m nid^tö weniger aU
frcunblid^ gejtnnt ift, l^at ©tael nie aufgeprt, tl^r auf§ järt-
lid^fte ergeben gu bleiben, wa§ iebenfaHs feinem bergen @t)re
mad^f' ^j. 6ine wenigftenö inbirelte SSeftätigung baüon finbet
ftd^ in ber (Sorrefponbenj @taer§ mit Sfteuteri^olm, bie aud^ in
anbcrcr fflejiel^ung nid^t ol^ne Sntereffe ift.
@in d)arafteriftifd^er Swfl be^ ftd^ jum 6nbc ncigenben
ad^tgei^nten S^l^rl^unbertS ift feine Sßorliebc für aHeS ©unllc
unb ©el^eimnißtiolle, bie bei ben ©inen gu fdöwärmerifd)*fenti*
mentaler SHuffaffung ber ^Religion, bei ben Slnbern gu @el)eim=
bfinben unb abergläubifd^en Hebungen aller SUrt fül^rtc, wie fte
unter SBorauSfe^ung grünblid^ religiöfer SSilbung ber fromme
©laube eines ÄinbeS öon jtd^ gewiefen l)ätte. S)aö fo lange
bcleibigtc, öon ben matcrialiftifd^en ©oftrtncn gefd)mäl^te unb
0 Leouzon Le Duc, Correspondance diplomatique du Barön de
Stael-Holstein, Introduction, XII.
212 Seine m^ftifc^'tcligiöfcn Steigungen.
öcrlcugnctc fflcbürfnife mä) bcm Ueberirbifci^en unb ©wtgch
räd^tc jid) im Äultuö Don @el)eimlc^rcn, burc^ Slufflcttung neuer
^ropl^etcn, ©eiftcrbcfd^tDÖrungcn unb Siftoncn atter Slrf. Sin
bicfem treiben betlietUgten ftd) cmfte, fclbft bcbcutenbe 9Ränner,
aber nod) Diel mcljr forberte e§ bic ßinmifd^ung gefci^ictter SBe*
trüger förmlid^ l^crauS. ®ie m^ftifd^en ^rwedEungen Jener SxiQt
tl^eiltcn mit bcr ]^crrfd)cnben Sieblingöboftrin ber ^l^ilofopl^te
bcn c^araftcriftifd^en ^uq, bafe aud) jtc lieber mit ©mpflnbungen
fpielten, alö an bcftimmte ®efc^c be§ ^anbelng jtd^ banben.
@ö beftanb fein innerer SBiberfprud^ gmifc^en ber fcnfualiftifd^en
$]^ibfol)l)ie unb biefer 2lrt öon SK^ftif, bic mit SReSmer unb
^u^fegur im tl)ierifd)en SKagnetiömuö ba^ uniDerfale Heilmittel
für pl^^jifc^e Seiben unb bie natürlid)e ©rflärung beg 3Bunber8
gefunben glaubte, gugleid^ aber burd) ©omnambuIigmuS unb
HeKfel^en tt)ieber ^ereinjiel^ung beö Uebcmaturlici^en erftrebte
unb felbft jur Scfte mürbe.
Um biefelbc ßeit, alö 9Ke§mer ^ari« öcrlie^, 1781,
l)ielt ber ©icilianer SSalfamo Gaglioftro bort feinen ©injug;
er gab jtd^ fpäter, mäl^renb feiner römifc^en ^aft, als
einen ber ©enbboten ber beutfd^en SDumlnaten auS*), bcrcn
©tifter, ber SSa^er SBeiöliaupt, burd^ Vermittlung öon äbepten,
mie u. a. Änigge, bie politifd)en ®el)eimbünbe ber frangöpfc^
Freimaurerei feiner eigenen £el)re gu untermerfen öerfuc^tc, bie
il^rem legten Sluöbrucf nadf) nid^tS anbereö mar, aK ber bis in
feine logifd^en Gonfequengen »erfolgte SScgriff öon Seft^ unb
©efellf^aft nadf) 9ftouffeau. ^m Urtl^eil öon STOand^en, öon
2oui§ Slanc unter Slnbem, mar SBeiöl^aupt einer ber bebeutenbflen
unter allen Serfd^mörem, bk je gelebt; aber fein $lan fd^lug
fel^l. 2)ie franjöftfd)e 9Jlaurerei gog baö beftimmtere unb fiber^
bieS einl^eimifd)e ^ogramm beö jungen 5Kirabcau, unau8«
gefegten Äantpf gegen ben ©efpotiSmuS unb ©roberung ber
bürgerlid)en unb religiöfcn S^reil^eit, ben in mciter gerne liegen«
») Henri Martin, Histoire de France, XVI, 531 bet IV. «uSgabe.
aKcSmcriSmiiS unb Sttuminatent^um. 213
bm Sbcalcn SBeiö^aupf ö öor, bie fpätcr gum Sl^cil bei gaud)et
unb aSabeuf tüieber auflebten^). 6aglio[tro'§ (ärfolge fpiclteu
auf einem anbern gelbe; fein berfld)tigter Spante fnüpft ftd^ an
bie ^atöbanbgefd^id^te unb bm ßarbinal Souiö bc 3lol)an, baö
öornel^mfte unb ftrafmürbigfte Dpfer berfelben, toä^renb alö ber
ent]^uitaftifd)C Slnl^anaer öon SKegmer ftc^ £a ^ya^ette in er*
fennen gibt 2). ®anj anbeten Siegionen beö ©enfenö unb ßm*
^)finbenö, aU biefen fenfualiftifd)en ober politifd)en, toax bie reli«
gtöfe gjt^ftif ber Seit entlehnt, fo toie SÄartineg ^agqualig,
@aint*9Kartin, @tt)ebenborg, Saöater jte vertraten; burd) ben
€blen, frommen @aint'2Rartin fül^rt jte auf S^fob Söljme gurüd
unb ift infofern nid)t weniger beutfd^en Urfprungö, alö bie 6nt=
bedfungen üon SÄeömer unb bie ^länc öon SBei§l)aupt. 3n
fpätern S^i^^en foHte bie burd) einige SlomantHer tt)ieber auf*
genommene unb in il^rem Sinn »eiter fortgebilbete SRid^tung
md)t ol^ne (äinflufe auf grau üon @tael bleiben. Sllö ber
jüngere SacreteUe pe 1802 in ßoppet befud^te, !am jte auf
fold)e ®inge ju fpred^en unb jagte il^m in Sejug auf bieje i^re
frfil^eren ©inbrüde au§ bm ad^tgiger Satiren: „SBiffen @ie, ba§
id^ auf bcm ^un!t mar, SKartiniftin ju werben, unb ba§ nur bie
&ä)tu, e§ möd)te eine @d)raube bei mir lo^fommen, mid^ baöon
jurücfl^ielt ? @aint=3Jlartin ^atte einige ^rojel^ten in grani«
reid) gemacht; id^ bin übergeugt, bafe fid) ol^ne bie Stcöolution
il^re 3^^l jc^^ Dermef)rt l^aben mürbe, fo fel^r liatte ber 2Rate*
rialiömu^ bie Seelen abgeftofeen. 3n einem abgejd^lofjenen
ÄreiS, rid^tiger gejagt in einer Keinen Äirc^e, liatte er bereite
munberbare erfolge erjielt; bie ^ergogin öon SSourbon fül^rte
ben Sorjt^ in berjelben; mid)tiger für @aint»9Kartin mar ber
Slnfc^lufe berebfamer 3Jiänner, mie aSergafje unb b'(Spremenil.
*) Mirabeau, Memoires, II, Li vre VI unb Lettre sur Cagliostro et
Lavater, 1786.
2) La Fayette, Memoires, II, 93 unb feine dorrefponbenj mit &,
SEßaf^tngton.
214 SKeSincTiSmuS unb Snuminatcntl^uw.
SBernarbin be @aint=$icrrc tDÜrbe burd) ben S^^wl^^r f^incg
Sttjlö md)t wenig gum (ärfolg bicfcr ©medungcn beigetragen
^ahtn, iinb wer weife, ob id^ md)t fclbft mit bcr fugenblic^en
fflegeiftcrung, bie mir bie SSriefc über Scan=3acqueS SHouffcau
biftirtc, Sintiängerin einer ®o!trin geworben wäre, bie fo ocr*
ffil^rcrifd) für ba§ ^erj war; aber ein ßl^arlatan, ©agliofiro,
brang in bie jnnge Äircl)e ein unb fd)äbigtc il^rcn Sfluf. 3)aS
Uebernatflrlid)e ift wie ba^ SDleer, baiS ftd^ ryon einem Ufer
jurüdfjiel)t, nur um ein anbereö ju befpülen" ^).
®afür gewannen biefe religiö§=m9ftifd)cn Senbeujen bamatö,
wenn nid)t i5rau Don ©tael, fo bod) i^ren SKann, htm jte in
ber öerfüljrerifd^en ®eftalt nationaler ©ebanfcnrid^tungen ent*
gegentraten. 3Bie überl^aupt ber 3florben, war ©d^weben fold^en
Senbengen ftet§ jugänglid) gewefen. „6urc SRaieftfit wiffen
ja, bafe @d)weben ba^ Sanb ber ©eifter, ©rfd^einungen unb
SBunber ift\ fd^rieb 3ofep^ be gjlaiftrc, ber in @t. ^eterS«
bürg öiel mit beut ®rafen ©tebing! unb beffen 2anb8*
leuten öerfel^rte, an feinen ©ouöerän^). Dl^ne weiter gurüdfju»
gelten aU auf baö ad^tgel^nte 3al)rl)unbert, bietet unter anbem ber
grofee ßinaeuö ein in biefer SSejiel^ung meriwfirbigeö SSeifpiel^.
S3einaf)e gleid)3eitig mit ben erften ]^od)bebeutfamen ©ci^riften
be^ Sl^eofopl^en Saint = SÄartin, bie felbft SKönner ' öon ber
Sinnesart beö ©rafen 3. be SKaiftre xi)xtx tiefen Äuffaffung
be§ ß^riftent^umg wegen feffelten, erfd^ien 1783 gu ^rl8 Me
erfte Ueberfe^ung üon ©webenborg'ö „SßJunbcr bcö ^immelS
unb ber ^Me". ®uftat» III. felbft war aud^ barin ber e^te
@ol)n feiner S^it, bafe er, ftatt au§ biefen Duellen eine« crnften
©otte^bewufetfeinö, lieber in ben getrübten glutl^en aberglftubifd^r
^) Lacretelle, Testament politique et litteraire, II, 69—70.
^) A. Blanc, Memoires et Correspondance politique du Gomte J. de
Maistre, 329.
3) Geffroy, QluSjügc ciu^ bcr ju Upfala im SWanuffrtpt Dorl^onbenen
Bä)xi\t Nemesis divina unb Gustave III et la Cour de France, I, 61, II,
253 u. ff.
©uftQö III., bie <Sd^tt)cbcn unb bct aK^fticiSmuS. 215
9?cbcnftrömungcn Sroft unb ©rleud^tung fud^tc; er befragte
Slbenteuertnnen um bie ßwfunft, glaubte an allerlei Spul unb
aSorbcbeutungcn, an bie SK^fterien ber Soge unb befdiöftigte
^ä) toäl^renb feines röntifc^en Slufentl^altS ernftlid^ mit bem
©ebanfen an ben SBieberaufbau beö Sempete üon S^rufalem.
©clbft bie menfci)lid)e SH^eilnal^me, njeld^e er mö^renb feiner
Slntt)efcnl)eit in Stalten bem ^rätenbenten Äarl 6buarb Stuart
entgegenbrad^te, mar mit ber Slbfid^t öerbunben, üon biefem, aU
i)om red^tmäfeigen Äönig öon @d)ottlanb, mit ber 5Jlad^folge
beS Don ii^m belleibeten ®rofemeifteramte§ be§ 2Raurerbunbe§
belclint gu merbcn. ®ie Sage, bie ben fd^ottifd)en Äönig aud)
ate legitimen Slac^folger ber Tempelritter begeid^nete, l^at 3cicl)aria§
SBcmcr fpäter in ben „©öl^nen be§ SS^afö" poetifd^ üermertliet^).
SBäl^renb ©uftaö III. jid) in fold)en ®ebanfen unb Sräume^
rclcn öerlor, befd^mor Äarl, ^erjog üon ©öbermanlanb, fein
Snibcr, bie ©eifter be§ SlbgrunbS, um öon iljnen gu erfal^ren,
burd) meldte <öd^idfatefügungen er SSruber unb Steffen auf bem
fd^mebifdien Sfiron erfe^en merbe; gefcif)rlid^e (gjrperimente, bei
weld^en bie fflefd^mörung fd)on mel^r unb mel)r ben 3lnftrid^
einer SSerfd^mörung gewann, ©ein Sertrauter babei mar fein
intimfter ^reunb, eben jener fflaron SReuterl^olm, ber biefe 3flei=
gungen feines fürftlid^en ©önnerS fo gefd)idft für fid) auSjubeuten
von^kf bafe er il^n balb öoHftänbig in feine ©emalt brad^te.
0tcutcrl)olm , ein eifriger Freimaurer, mar ber ^eunb öon
aSaron ©tael, ber feine Vorliebe für aHeS m^ftifd^e ©eltenmefen
jo öollftänbig ti^eilte, ba^ unter bem ^erfonal feiner ®efanbt=
jd^aft ein gemiffer §aHbin bie befonbere Slufgabe l^atte, alle
biefe SRiten unb Sefd)mörungen dorjunelimen^). gin SSrief öon
@taöl an Sieuterl^olm, nad) bem längeren Slufentl^alt beSfelben
ju^aris, SlDignon unb 9ftom 1789—1790, im Sntereffc beS
3Kuminaten= unb ^reimaurertl^umö, gemälirt nähere ©inftd^t in
') gflcumont, S)lc ©rafin öon SUbon^, I, 239-240.
2) Geffroy, Gustave III et la Oour de France, II, 247 u. ff.
216 <^tael unb mtnttx^olm,
bic mcrlmürbige ©dfteöftimmung, bic ftd^ feiner bemäd^tigt
l^atte: „Dl), mein tl^curer greunb", fc^reibt er an SReutcrl^olm,
r/f^it S^^rer 3lbreife l^abe id^ bittere ©tunbcn öcricbt. SSBenn
id) mein Äreuj, fo rok id) eö joHte, gu tragen xoü^k, xoäxt mein
©d^idfal erträglid)er; aber ber alte 2{bam ift in mir gu lebenbig,
als bafe ic^ mid^ aufrid)tigen ©inneö ber unenblid^ mäd^tigen
unb barml)erjigen ^5ül)rung ber göttlid)en SSorfel^ung fibcrlaffen
fönnte. SBenn id) aUeS SSöfen gebenfe, bag ic^ g^t'^^^i wnb
altes ®uten, baS id^ unterliefe, fo fül)le ic^, tt)ie id^ taufcnbmal
mel^r geprüft ju lüerben üerbiente. Seien @ie für mid^, mein
g^reunb, bamit mein fd^mad^er ©laube beftärft werbe. ÜRein
^erj ift fd)tt)er, unb bie Sopranen erftiden mid). Seien Sic, aä),
beten Sie, bamit meine Prüfung mid^ belel^re unb id^ bic SBcgc
toanble, gu meldten bie göttlid^e Sarml)ergigfeit mid^ beruft.
Söeld^e ®nabe, wenn id) ben ®lauben gu erringen ijermöd^ie,
ber in bie Slrme beS StröfterS füljrt! ®ott möge @ic erl^alien
unb fegnen! .... SBa§ id^ Jc^t leibe, l)abe id^ öerbicnt; in
meinem bergen bin id) beftraft, unb unerad^tet aller meiner
SSerirrungen wage ic^ immer nod^ gu glauben, bafe mein ^rj
gut ift. Seien Sie für meine %ravi; mögen il^r bic Qualen,
bie id) gelitten l^abe unb nod) leibe, ewig unbefannt bleiben" ^).
@o gel^t es fort, öiele Seiten lang, unb eS l&fet fld^ nid^t
unfd^wer erratl)en, weld^er Slrt bie Prüfungen waren, bic Saron
©tael ben SBunfc^ nac^ l^öl^eren Sröftungen nai^e legten.
©ebrüdt unb entmutl^igt, wie nad^ fold)en ©riefen gu ur«
tl)eilen, feine perfönlid)e Stimmung aud^ guweilen fein mod^te,
llinberte fte bod) nid^t, bafe baS äufeere Äeben i^orl&ufig
einen glängenben, wenigftenS feinem (äl^rgeig entfpred^enben SBer«
lauf für il^n nal^m. 2luf ber fc^webifd^en ©efanbtfd^aft folgten
ftd) g^efte, SäKe unb S)inerS. ©ie (Sorrefponbengcn ber
Seit erwäl^nen wieberl^olt beS ©efanbten als eines leiben«
^) Geffroy, Gustave III et la Cour de France, II, 271 unb bott-
ftänbiger bei L^ouzon Le Duc, Correspondance diplomatique du Baroa
de Stael-Holstein. Introduction, XXI— XXIII.
SleufectcS Öcbcn beS ©^cpoarS ©tael. 217
fd)aftlidöen ©pielcrö *). Sei ©clcgcnl^eit cinc§ SSaUeö, bcu er ju
93erfaiKc§ gab, l^attc man Dcrgcffen, gürforge für bie ßafaicn
gu treffen, bic Don junger unb Mlk geplagt unb be^S SBartenö
mübe, il)rc Ungufriebenlieit fo lämtenb ju crfennen gaben, bafe
c5 grofec SKül^c foftcte, pe gu befctiimd^tigen^). 2)er £ujru§ ber
Safer bc§ aSaron @tael galt für fo grofe, bafe bie Königin ber
Jttngen ffrau burd) $errn 9Zedfer freunbfd^aftlid^e aSorftcHungen
jufommen liefe, bantit baö SSubget nici^t flberfd^ritten werbe.
2n Segng barauf fd^rieb SSaronin @tael il^rem 3Kann don
@aint=Duen aus nad^ $ari§: „^ij bitte ®id^, lieber ^reunb,
SRabamc bc ©imiane für baö S)iner Don ® onnerftag eingulaben ;
eine cingelne ^^Jerfon ntad^t feinen Unterfd^ieb, unb toaS man
aud^ fagen möge, tt)ir werben unö nic^t gu ©runbe rid^ten.
©iefeö „man" ift übrigens nid^t gering gu ad^ten: @S ift gang
eittfad^ bie Königin, bie burd^ 3Konjteur be (SaftrieS meinem
SSatcr il^re SSeforgnife auSbrüdfen liefe, wir möchten uns wel^e
tl^un, er foHc uns etwas überwadt)en. 2Rein Sßater l^at bie
©clegenl^cit benü^t, mir feinerfeitS eine Heine ^rebigt gu f)alten,
bcnn er war etwas betroffen unb nod) mel^r öon ber ®üte ber
Königin gerül^rt. (5r wirb ®ir gewife baöon fpred^en, wenn
and) nid^t fo einbringlid), als er eS mir gegenüber tl)at, benn
idt) benfe wie er über bie ©d^wierigfeit, öon ^erfonen biefeS
9fiangeS gu äufeem, bafe man fie wirflidl) unb aufrid^tig lieb
l^at, weil baS gar fo oft nur öorgefd^ü^t wirb. 2BaS aber bie
Königin betrifft, fo l^^be id^ bereits frül^er bemerlt, wie er eS
öerftel)t, SSerftanb, eble ©inneSart unb ^ergenSgüte bei {f)x gu
loben unb alle gegen fie gerid^teten Singriffe gurüdfguweifen; jebod^
öerfttmmt eS il^n leidljt, wenn gefagt wirb, bafe fte il^m ein be=
fonbereS Sntereffe bewal^rt l^abe. ®aS Slalent ber grauen be=
ftcl^t red^t eigentlid^ in einer feinen SSeobad^tungSgabe, unb fo
erratlie aud^ id^ alle SRegungen ®erer, bie id^ liebe. ®u gel^ft
') Lescure, Correspondance secrete, inedite, 1777—1792. Gon-
court, Histoire de la Societe franpaise pendant la Revolution, 24.
^) Lescure, Correspondance inedite, II, 221.
218 Citcrorifd^c ^pitlttdtn.
morflcn iiad^ SScrfaiHcg; cmpfcl^Ic mid^ bem @rafen SBergemte^
bad wirb ii)xx freuen. (@r war belanntlid^ Slecfer'S ©cgtier
3)u wirft bic ®flte liaben, ba§ 2)incr ju beftellen; fcd^gel^
öntrocö fcl)eiiien mir genügenb. ©u ftel^ft, bfc Seigren ber Xi
nigin jcigen bereits il^re SBirhing. geb' wol^I, lieber Swunb" ^
6ö ift gefagt toorben, bafe bte SBcrfiffentlid^ung b(
Sugcnbarbcitcu ber g^raii üon ©taßl in biefen erften S^^re
it)rer (Sl)c ftattfanb; aud) fonft öerfucfttc ftd^ il^re geber, öorcr
nur in ©piclcrcicn, bic ijuweilen il^rcn SBeg in (ärimnCi 6o)
rcfpüubcnj faubcn. ©antatö war e§ SKobe, ©^nonfana i
fcl)rclbeu, uub ^rau üon @tael lieferte feine Heine Unterfd^e
buugcu i\wifcl)eu »Trait« unb »Sailliec, »VöraciWc uttb »Frau
clnsc^«, biö ber ®raf Don Sl^iarS burd) eine wi^ige Segriffi
boftininuuig Dou Änosso unb Bourrique ber ©ad^e, beöor f
i\u langweilig würbe, wieber ein 6nbe mad^te. ©ine Heil
Wcfd)id)tc „Sie 3ßal)nftnnige beS SBalbcS öon ©ßnart" \
ebenfalls Don -^vran Don ©tael, unb als jte cinft ble %tbtx ca
ber .s>anb fallen liefe, gab fte il^r 9KarmontcI mit ben SBorh
i\urürf:
»Gelte plume est une de Celles
Qu'jl vos pieds deposa Tamour,
Quand ce Dien, fixe sans retour
Voiis laissa lui couper les ailes«*).
!S)ic letUe (^rwäl)nung Don ^^rau Don QtaSl gefd^iel^t
(f'^rinnu'^ (?orrcjponbcnj 1789. Slbbe Sartl^Iem^, bi8 bol^itt w
burd) gclcbrtc Slrbeitcn befannt, ^atte furj guDor, in feine
jweiunbftcb.^igftcu ,^al)r, burd) äJcröffcntUdjung ber pSHdfen bi
jungen 3lnad)ar|KV* einen burd)fd)lagenbeu Srfolg ergiett, h
and) israu Don ^taöl, unb jwar in einem @cbid^t feieite; befi<
v£d)lufejcilcn lauteten: -''5^
•) DMUussonvillo, Le Saloa de Madar
^ Grimm et Diderot, Co^^eJipondan^
70. S3. 104.
S)a« „BuUetia des Nouvelles** öon gtou ö. @tael an S^bmQ ©uftaö. 219
»De cette Athenes qu'on revere,
Vous seul avez su apporter
La lyre d'or du vieil Homere;
Pr§tez-moi la pour vous chanter.«
S)ie eigcntlid^c litcrarifcf)c SScfd^äftigung jener ^df)xt aber
waren il^re an ©uftat) III. gcrid^tcten SSricfe, bie unter bcm
Flamen: »Bulletin des Nouvelles« bem Äönig über \o 9J?and^e§
berid)teten, toaö il^n Don ^arifer 5Reuigfctten interefjtren fonnte.
^f)X Sntereffe für bie aSiograpl^ie ber g^rau Don ©tael beftel)t
öomcl^mlid^ barin, ba^ man burd^ biefelben erfährt, tt)eld)e SBor^
lommniffe il^re Slufmerffantfeit erttiecften. ®a§ erfte biefer
SuKetinö, bie jie ben fönigHd)en (Sorrefponbenten, wenn gc=
lefen, inö ^euer gu nierfen bat^), ift üom 11. SJlärj 1786 nnb
bie Antwort auf einen einlcitenben, eigcnl^änbigen SSrief beö
Äönigö, beffen perfönli(i^e a3elanntfd)aft jte niemals mad^en
foHte. ©er SSerfud^, xi)m auf feine, alfo faft unmerflid^e 2öeife
ju fd^meid)eln, gelang il)r bamal^ unb fpäter nid^t, benn jte
begann mit ber SSerftdjerung, er let)re jte Subroig XIV. begreifen,
unb tt)ie 3lUeö, xoa^ unter biefem Äönig gejd^el^en, il^m afö per=
fönlid^eö Sßerbienft angered)net worben jei; aud^ ®u[taD Wnne,
tt)enn er toolle, jtd^ burd) SSrtefe Untertl^anen gen)innen, ol^ne
bcöl^alb gu aSerträgen feine Suf^^^t i^ nel^men. SEBetm aud^
fold)e ^ulbigungen übertrieben toaxm, gelang e^ il^r bafür oer^^
l^ältnifemäfeig fd^neU, ba tt)o Don StJ^atfad^en unb ©reigniffen
bie Siebe war, ben redeten Ston unb ein obieftiöeö, burc^ bie
©tellung 2)eSienigen, ju tocldjem jte jprad^, faum beeinflußtet
ttrtl)eil ju pnben.
©er erfte tüid^tigere Vorgang, ben i^au Don @taöl fd^ilbert,
ift bie Slufnalime il^re§ f^eunbe^, be§ ©rafen ©uibert, in bie
aiabemie, an ©teile beö fürjlic^ öerftorbenen Jl^omaö. @ie
Don ©uibert, er beft^e bie energifc^e, l^inreifeenbe Sereb^
gftau t)on "Bta^i, im 93efi<) ber Unberfitatdbibliot^ef Upfala.
•^nfg C^üftat), offne Xatum, 1787.
220 5(nc!botc über W)U SKaut^.
famfcit, tDcId^c bie SJlaffcn entflamme; eine cingcflod^tene Se*
merlung über weife Slbminiftratoren l^abc eine bcgciftcrte Döatton
für nieder üeranlafet. ©afe cö ©uibert gelungen toax, aud^ eine
§ulbigung für jie, unb jttjar nod^ als fjtänlein Sftedfer, einju^'
fled)ten, öerfd^toeigt ^Jrau öon ©taeP). @te ertüäl^nt, ba^ bcr
Siebner Dom Äönig falt empfangen tooxbm fei, unb bic itritif
be§ ^ofeö il^m ^atl)o§ t)orgett)orfen l)abe, ;,ber ftel^enbe SBorwurf
aller falten 2Renfd)en für entl^ujtaftifd^e 3flaturen, tt)eil il^nen äUci^
übertrieben erfd^eint, xoa^ fie felbft gu empfinben nid^t fällig
jtnb". es folgt eine Slnefbote über Slbbä SRaur^, ber bie öor*
gefd^riebene ©ebäd^tniferebe auf ben fürjlic^ Derftorbenen ^etjog
Don Orleans gel^alten l^atte: „3Jtam^ befud^te biefer Sage bie
©räfin gla^ault, bie pdf) beflagte, il)n fo lange nid^t gcfel^ett
gu l^aben. ,SeiberS antwjortete ber Slbbe, ,mu6te id^ meinem
t)om @d)lag getroffenen ^reunbe, bem Slbbe be SSoiSmont mid^
toibmen; geftern loljnte er auf baS (äbelfte meine geringen
©ienfte, inbem er mir feine 5ßfrünbe übergab*. ,01^, um fo
beffer/ erwiberte SKabame be ^la^ault, ,alfo »erben wir imS
je^t, U30 Sie frei ftnb, öiel öfter fel)en lönnen!' — 6r ift nid^t
ol^ne Stalent", urtl^eilt %xan Don @tael mit propl^etifd)em ©d^arf*
jtnn über ben jufünftigen SBorpl^rer ber 9lied)ten, „im @egen«
tf)eil, er l^at SlHeS, mit SluSnal^me öon ^erj unb ©cele."
Snbeffen ioar ßaglioftro in ^olge Don SBetrfigereien mit
feiner grau in bie SaftiUe geftecft ioorben, loorfiber eS
Il^eifet: „(är enoedt baS allgemeine SKitleib. 3n biefem 2anb
ijaben bie Opfer ber Slutorität ftetS baS ^ublifum für fld^,
,., weswegen man aud^ einen Slugenblicf t)erfud)t l^at, eS für
"ben Garbinal gu erwännen". ®er ßarbinal ift fSrinj
SouiS be 3iol)an, ^elb beS .^alSbanbprojeffeS , mit beffen
üerberblid)en ©d)lingcn bie SSerleumbung bie Äonigin um^^
garnte. „©er auf if)n fallenbe S3erbad)t'', f flirrt grau öon
©tael fort, „ift feiner 9ktur nad) gu niebriger Slrt, um ein
') Baroune d' Oberkirch, Memoires, II, 133. 1787.
^röfibent ©upotQ. 221
Icbl^aftcö ©cful^l für ober gcgcrt ii^n ewcrfcn ju fönncn. . . .
SSBir ttjcrbcn leinen 3fluntiu§ mel^r in ^ranfreid^ l^aben, bi§ ber
^roccfe be§ (Sarbinafö beenbigt ift. SKan l)at i^n in 9ftom
fu^penbitt, iDeönjegcn bie SBi^boIbe fagen, tt)a§ man aud) in
^ari§ über il^n öerpngen möge, in Sftom toerbe eö nie an
^öflid^Ieitöbcjeigungcn für if)n fel^len, ba er Sebermann bort
gwinge, i^m ben $ut abgunel)men. Sd) glaube, eö wäre nid)t
fcftwer, bie ganje franjöftfd^e ®e|d)id^te in SBortfpielen gu
f (abreiben; über iebe§ ©reignife berfelben ftnb fold^e gemai^t
tooxbm.
„%xan öon ©enliS l)at ffirilid) 200,000 Sioreö 9fiente üon
ber 5iRarf(^aain b^ßfireeö geerbt; fte ift un§ SRe^enfd^aft über
SSerwenbung biefer- ©umme fc^ulbig, ba ba^ ^ublifum über
alle ü^re ^riöatangelegenlieiten unterriditet gu fein pflegt.
„Soeben ift eine ©enffd^rift be§ ^räjtbenten ©upatQ öom
Parlament Don SSorbeauf gu ®unften breier unfd^ulbig burd^
ba^ SRab Eingerichteten erfd)ienen, bie aKe elirlid^en ßeute l)in=
reifet. Saufenb Dpfer auf htm ©d^lad^tfelb tt)erben nid^t fo
fel^r, als ein ungered^t 33erurtl)eilter beflagt. 2)ie frangöfifd^e
©riminaliuftig fül^rt ben SRic^ter oft irre, unb e^ njöre gu njün*
fd)en, bafe bie öffentlid^e Stimme eine 5lenberung berfelben l)er=
beifül^rte. 2)ie @efpräd)e in ber ®efellfdE)aft l)aben aufgeljört,
nid^töfagenb gu fein, ba pe gur SSilbung biefer öffentlid^en
SJleinung bienen; 3Borte pnb gu Slljaten gett)orben, unb alle
gcffil^löoHen bergen greifen bie ©enffd^rift, tt)eld)e ber SJienfd^*
lid^Ieit il^ren Urfprung öerbanft unb al§ geiftreid) gerül^mt njirb^
meil jte feelenöoH ift. ^xoax füllten bie 9ftid^ter jtd^ öerle^t,
meil man jte einer Ungeredt)tigfeit auflagt; aber bie Unglüdf^
Ud^en, id) l^offe eö gut)erjtd)tlid), werben gerettet werben, unb
mel^r »erlangt ber el^rlid^e SKann nid^t, ber il^re @adE)e gur
feinigen gemad)t ^aV
Sllö ©upatt) feinen ^xotä erreid^t unb bie greifpred^ung
öon gwei Slngeflagten burd)gefe^t l^atte, bie fonft ba^ Sd^idffal
i^rer brei geröberten Seiben^gefätjrten gu erbulben gel^abt ptten,.
äBUnnerl&attett, 5rau ton (Staöl. I. 15
222 ®« ^<>f "«^ SJetfoinc«.
Dcrfäumte grau Don ©tael nid^t, l^injUjufügcn: „SHiin foHte
aud) ®upatt)'§ ©d^tDagcr, g^retcau, bcr ii^n gucrft auf bie
©ac^e aufmerffam gemacht l^atte unb baffir öerbannt worben
war, jurüdberufen werben. 6^ wäre eines ÄönigS wfirbtg,
eine il^m gugefügte pcrfönlid^e Seleibigung über bcr 23^atfad^e
3U öergcffen, bafe jweien feiner Untertl^anen baS geben gerettet
worben x\t" ^).
©old^e Semerfungen fäf)ren bereits ins §erj ber ^olittf,
beren (Sorgen mel)r unb mel^r jtd) ber Sl^eilnai^me biefer einft
fo l^eiter lebenSfrol^en ©efeltfc^aft aufbrängten. Slber nod^ war
il^r eine lurje grift gegönnt, unb eS entfprid^t ber Sugenb ber
ßorrefponbentin beS ÄönigS, auf jid^ felbft unb il^r erfteS Sluf=
treten bei ^o^ unb in ber SBelt jurüdgufommen : „©ie Äönigin",
erjäl^lt fte, „wie nict)t minber ber Äönig empfingen mid^ gnäbig;
fte fagte mir, lange fd)on l)abe fte gewünfd^t, meine Selannt*
fc^aft gu mad)en; bie Stafel war ^)räc^tiger, als jte je guöor
ju 6l)ren einer ©efanbtin abgel)alten würbe. ä[d)t Sage fpäter
fpeifte id) mit ber ©efanbtin ©panienS bei §errn öon SSer»=
genneS ; er reid)te uns beiben bie §anb, um fo bie grage bcS
SSortrittS ju crlebigen. ©iefe ^öflid^feitsformen bemerle id^,
feitbem fte nidE)t mel^r mir perfönlid^ gelten.
„©ie aSälte ber Königin waren wäl^renb biefeS SBinterS
befonberS glänjenb. ®er ©aal glid^ einem geenpalaft; er
fteHte bie ©arten üon Srianon bar, unb bie SBaffer l^örten nid^t
auf gu fpielen. ©ie ©arfteHung länblid)er gefte unb beS
SlreibenS in freier 9iatur gur ©ommergeit mifd^t jtd^ in bie
aSergnügungen unb ben ©lang beS ^oflebenS. SHebenan, in
einem anbern ©aal, betreibt man bie weniger ib^Kifd^e ßtx^
ftreuung leibenfc^aftlidE)en ©piels. (äin junger ^err oon GafteKane
Püd)tete aus bem elterlid^en .f)auS, weil er SlHeS öerloren l^at,
was er befafe. ©ennod) gibt bie Königin baS SSeifpiel ber
^) Geffroy, Gustave III et la Cour de France. Quatrieme bulletin
des Nouvelles, de Madame de Stael, I, 410.
S)lc Slffaitc ©onoiS. 223
aRältguttg, unb cg gcfd^tcl^t nid^t il^r ju ©cfaUcn, tocnn bic
Acute jtd^ gu ©runbe rid)tcn; aber bcn Spielern wirb iebe
anbere Sefc^äftigung langmeilig, totxl jie an grofee älufregung
unb ©efal^r ftd^ getoöl^nt liaben SBir bejt^en aud^ ein
neucg ®ebtd^t beS ^erm öon Florian, ,9hima ^onipiliiiö'.
©eine ®efe^geber unb Ärieger jtnb ©c^äfer in Sloga unb ^ar*
nifd^, aber ber ©t^l ift gefällig, unb, wie 2Rabame ®u 2)e|fanb
gu fagcn pflegte, e§ bringt Memanbem ©d^aben, fo etwas ge*
fd^rieben gu l^aben'^
©iefem erften SuHetin öon iJrau öon ©tael folgte balb
ein gweiteg Dom Sluguft beö gleid)en Sal^reS 1786. ©§ berül^rt
eine @ad)e, bie Dielet unb peinlicf)e§ Sluffelien erregt l^atte, bic
©nfperrung eines gewiffen ©rafen Don ©anoiS inö S^arrenl^auS
gu ßl^arenton, in ^olge einer burd^ feine gtau unb Slod^ter er*
wirftcn lettre de cachet. ®ie ©ad^e war befannt geworben,
unb ÄacreteHe ber Sleltere l^atte bie 95ertl)eibigung beö Unglüd*
lid^en übernommen unb gugleid^ bie Snftitution angegriffen,
bic fold^en SRifebräud^en SSorfd^ub leiftete ^). „®er gaH geprt
gu benienigen, bie alle Sefer ber ©enlfc^rift öon SacreteHe nad^**
bcnflid^ mad^cn foUtcn," fc^reibt ^au Don ©tael. „9luf ben
einfachen SSorfd^lag feiner g^amilie öerfd^winbet ein SKenfd^ für
immer unb wirb aller S8erIef)rSmittel mit feinen fjreunben unb
feinen fRxä)km beraubt, ©old^e @tnrict)tungen mad^cn unS
bod^ etwas gu fei^r öon ber SRed^tfd^affeni^eit unferer Umgebung
abl^ängig, unb eS werben Älagen gegen §errn öon Sreteuil
laut, weil er bie öon 2RaleSl)erbeS getroffene SRaferegel nid&t
aufredet crl^alten l)at, nad^ wcld^er eine fold^e lettre de cachet
nur bann ertl^eilt werben fonnte, wenn eine eigens bagu berufene
©ommifflon üon angefel)enen S^ftigbeamten ben %afl geprüft
l^ottc; aber bie 3nftitutionen ber SKinifter öergeljen mit il^nen,
unb felbft bie Äönige regieren nid^t immer. . . . @S war mir
fcl^r peinlid^, mic^ öor Äurgem in berfelben ®efellfcf)aft mit ber
*) Lacretelle, Discours sur les peines infamantes, 1786.
15*
224 ^^^^n ^^ Stltxta.
Sod^tcr bc^ ^crrn öon ©anotö unb feinem ©d^wicgerfol^tt ju
bcpnbcn; jtc bereiten eine SRec^tfcrtigungSfd^rift öor unb be*
l^anpten, über bie fd^Ied^te fflel^anblung, bie il^m in (S^arenton
JU Sl^eil getoorben fei, l)abe man bem ^blifum fel^r übertriebene
@ci)ilberungen gemad)t. ®a§ wirb fte nic^t entfd^ulbigen, ober
man mufe belennen, bafe e§ ber Sel^ler ber ^aujofen ift, jtd^
J^nie mit ber SBal)rl)eit begnügen gu lönnen; fte muffen SHIem
etmoS l^injufügen, unb ftatt baburd^ ben beabftd^tigten ©inbrurf
JU erl^öl^en, begegnet eö il^nen nur gu oft, if)n gu fd^tt)ad^en
unb burd^ ba§ ßrfunbene ben ®Iauben aud^ an ba§ SSBal^re
mit 3U erfd)fittem. ©eitbem bie ©enffd^rift erfc^ienen ift,
taud^en täglid^ neue ®efd)id^ten über toißfürlidE) gefangen @e*
lialtene auf. ©ie §älfte berfelben ift ol^ne ßtt^eifel erbic^tet,
aber genügt ba§ jur aSerulöiS^^S ^^^ 3Kenfcf)lici^Ieit?''
^laä) ben lettres de cachet lommen bie Sitten beS Älerui^
an bie SReitje: „©er 3Jlarfd)aIl üon ©ura§", ergöl^lt grau öon
©tael, „bem alö erften Äammerl^erm bie Comedie fran^aise
untergeorbnet ift, empfing öor einigen Sagen ben Sefud^ einer
jungen ©ebutantin: ,9?un, mein Fräulein*, rebete er fie an, ,in
weld^er SRoHe tt)ollen Sie juerft auftreten?' — ,2)a^ ift mir gong
gleidt); id) beflamire SlUeö, ba§ Äomifd^e, ba§ Sragifd^e, ganj
tt)ie man wiK/ — ,Unb ttjer l^at @te in ber S)eIlamation unter«
richtet?' — ,Sld), ba§ mar ein Slbbe, ber Sntereffe an mir nal^m-
6r l^at jtd) eine gang au§erorbentlid)e 3iJlü^e mit mir gegeben,
aber bod^ ift nict)t er eö gewefen, ber mir am nü^lid^ften mar/
— ,Unb tt)er, mein g^räulein, mar baS ?* — ,(5in ©eneral^SSilar,
öon bem id) fagen barf, ba§ er mid^ mirilid) geliebt unb mein
Salent aufeerorbentlid^ geförbert l)at.* — ,3flun, mein ßontpliment,
mein ^räulein: ®ag nenne id^ einen ©rfolg. ®arf ic^ fragen,
ob ba§ SlDeö ift?' — ,5lein, §err Oßarfdtiaa, berjenige, ber fidt>
am meiften für. midt) interefjirt unb mir ©tunben gibt, ift ein
a^ifd^of, ber mid) aud^, menn @ie e§ münfdjen foUten, entpfel^Ien
mirb.' — ®ie Eigennamen, bie jur @efd)id^te get)ören, ftnb ber
Slbbe 3)eliße,^^ber Slbbe b'ßfpagnac unb ber ßoabiutor öon
S3cmcrlun0cn übet ßalonnc. 225.
Drl^ttS, 3orcntc. — 3^ glaube ba^ x\t, toaö man eine fran«»
jfijtfd^e ®cfd)id)te nennt.
„2)ie Slfliotage &c§ Slbbö b'efpagnac nnb bte aSermögen,
tt)el(j^e feine ffreunbe, u. a. bcr ^crgog öon DrWanö, babci
gewannen, l^aben baö ^ublüum fcl)r befd)äftigt. ©ö fd^eint,
ha^ ber Äönig feine Unjufricbenl)ctt barüber gu crlennen gegeben
l^at, ein fold)eS ®efd)äft öon einem ^tieftet betrieben ju feigen.
3)er aibb^ tft öon feinem Äapitel abgefangelt toorben; ptte er
gu fd^weigen öerftanben, fo würbe fein SRul^m jwar geringer,
fein aSermögen aber um fo größer geworben fein. 8lKeö in
Slttem genommen, ift baö ®elii biefer Slrt öon SSerül^mtlieit
nod) borgujiel)en. 2)er ^inangminifter , unter beffen SSerwal«
tung es mögliij^ ift, fid^ auf eine fold^e Slrt ein beträd)tlid)eS
aSermögen ju fd^affen, geprt ol^ne Stt^^ifd 5«^ gal^l 2)erienigen,
bie ftd^ nid^t über ©aö ju argem pflegen, waS fte felbft be*
merfen, fonbern ma^ fte öon Slnbem ju fel)en gezwungen werben."
©iefer iJinanjminifter war (Salonne, öon bem ffrau Don
©tael an einer anbeni ©teile folgenbe Slnelbote ju berid)tett
ttid^t öerföumt: „aSei Stifdt) !am öor nid)t langer Qdt in feiner
©egenwart bk SRebe auf bie fjinanjminifter Subwig'ö XVI.
(Sin IJreunb beö SKinifterö erwäl^nte ber ungel^euren aSermögen,
bie burd^ feine bamaligen aSorgänger im Slmt gemad)t worben
feien, unb erinnerte an 2Ragarin, an 5Rid)elieu, inbem er eö be:=
fiagte, bafe bie Slnl^äufung berartiger 9fieid)tl^ümer nid^t mel^^
xnöglid^ fei: »aSergei^en Sie', unterbrad^ il)n (Salonne, ,ba^
^anbwerl ift nodö nid^t öerborben'. 6§ wäre beffer", meint
grau öon ©tael, „fold^e ®inge, wenn überliaupt, fo bod^ nicf)t
bei 2:ifd) gu fagen. 2)er ßarbinal t)on SRol^an", l^eifet eö
weiter, „»erbringt traurige Sage in feiner Slbtei ber 8luoergnc.
©er SWinifter be ©räqui, auf bie ^rätenfionen beö §aufe§ an*
fpielenb, fagt: ,@ie fallen in ben abeligen ©tanb gurüd, benn
fte entel^ren ftd^'. 2)ie fd^öne ©räfin öon aSrionne, bie ben
6arbinal öertljeibigt, foUte 2:l)eilnal)me erwecfen, aber fte trägt
il^ren @d)merj fo tl)eatralifd^ gur ©d^au, bafe er, obwol^l wal^r
iQ 8aron ^taei übet ben ^alsbanbprose^.
jcnug, wie ein SBütincneffcIt wirft.'' 3« ©unften bcr fcj^wcr*
jcfränften Königin l^at S^rau öon ©taöl fein SBort bereit,
obtt)ot)l bie neunmonatIid)e ©auer beö ^atöbanbprojeffeiS ba«
ßrofee, ba§ ^ublifum fa[t au^fd^lte^Hd) befd^äftigenbe ©reigntft
be§ 3at)re§ war; bagegen erfal^ren wir burd) ©epefdöen be^
aSaron ©taöl, wie man im $au§ 5>ledEer über bie @ad)C
badete. „@ö fd)eint jtd^er", f treibt er, „ba% bie Ferren öon
3Sergenne§ unb ßalonne gegen bie Äönigin ^Partei genommen
l^aben unb bie gegen jte beftel^enbe 3lufregung el^er jn öermel^ren
atö gn befd)Wid^tigen bebad)t jtnb. ©§ i[t fel^r gn beHagen,
bafe bie Königin nid)t über eineij gnöerläf jtgen JRattigeber öerffigt,
ba jte mit ben liebenj^würbigften 6igenfd)aften aud^ bie jur
2)nrd&füt)rnng einer guten @ad)e nötl^ige SBiUenöfraft befäfee;
allein jte mfifete babei angeleitet unb unter[tä|t werben. Sl^re
Umgebung jd^eint feine befonberen SRüdjtd)ten gegen jie gu beob«
ad)ten, benn im gegenwärtigen 8lugenbIidE g. S. jtnb bie 5ßoIignac^
unb bie Saubreuitö auf§ 6ifrig[te für ben ßarbinal, unb audE)
ber ®raf öon 8lrtoi§ })at il^m warme S^mpatl^ie bewiefen. ^m
allgemeinen fann id^ nid)t finben, ba^ man ber Königin bie
©efül^le entgegen bringt, bie jte einflößen foHte. 3^r SBunfd^
gu gefallen l^at weniger ©rfolg getiabt, alö bieö in al^nlid^er Sage
jelbft bei einer einfad&en ^riöatperfon ber %aU gu fein t)f[egt.
2)a§ ift öieHeidjt ein SBeweiö, bafe tro| ber Seid)tfertigleit biefeiS
2anbeö bie Station l^eröorragenbe SSerbienfte öon it)ren ©ouüeränen
begetirt unb jtd^ nur nad) bem SJlafe it)rer Seiftungen il^nen
anI)änglidE) erweift" ^).
6ine weitere Slnbeutung über bie gunel^menbe ^altloftgleit
be§ Seftetienben gibt grau öon ©tael bem wol^Iinformirten
©d^webenfönig in folgenbem a3erid)t: „9Sor einigen Sagen", fd^reibt
jte, „nal^m id^ in Sluteuil an einem 2Sot)Itl^ätigIeit§fefte Sl^eiL
Sie grau eineiS bortigen Ärämerö t)atte nclmlid^ burd^ Swf^ß
^) Leouzon-Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, 29, ©cpcfd^c Sßo. 30, 10. Sunt 1786.
«aHt) SoHenbars Srafiöbie „etrofforb". 227
auf bcr ©trafee bcn SBrief eines ®efangenen öon Sicetre ge=
funben, ber tt)re tieffte Stl^eilnalime erwedte. Seit brei Satiren
^at jie ^tmmel unb @rbe in Sewegung gefegt, um feine S8e=
frciung ju etiüirfen, ber menfc^enfreunblic^e 5Rinifter, ^erjog
Don ßaftrieS, l^at enblid) bie @ad)e burd)gefe^t. S)ie Ärämer§=
frau erl^telt nun öorige^ '^aijx ben für Jl^aten ber 2Renfd)en=
liebe wn ber Slfabemie aufgefegten ^reiö. SSor ad)t Sagen
fpeifte jte bei 3Wabame be Sujrembourg mit 3Wabame be SSouff«
ler« unb bem SWanne, ben jte befreit l^at, nad^bem er einen
leid)tf[nmgen ©treid) mit fitnfunbbreifeigiäl^riger |)aft bilden
mufete. Sd^ lann nid^t genugfam au^brüden, wie fel^r mid^
btefer 9Jlann interefjtrte. 6r fpielte un§ etwaö auf einem Sn^
ftrument, ba§ er in ber SaftiHe au^ g^lieberrotir jtd^ anfertigte;
bei feiner ©dE)ilberung ber in biefer fürd)terlid)en ©infamfeit
nod& möglidien Sefd^äftigungen unb ber Slu^funft^mittel, bie er
erfann, um ftd^ au§ berfelben gu befreien, lonnte id^ mid^ ber
Sii^ränen nid^t entl^alten. 2Ba§ gefpannte ^ufmerffamleit ju mU
bcrfen unb gu laffen öermag, erfd)eint uns;, bie ba^ SBeltgetümmel
jerftrcut, gerabegu unglaublid^.
ffSd) l^abe gwei Slfte einer Stragöbie gelefen, bie nod^ 9?ie=
manb lennt, unb bie ben ftärfften ©inbrud auf mid^ gemad^t
l^at; es ift „©trafforb unb Äarl I." Dom ®rafen SaUt), ©o^n
beiS ^ingerid^teten, beffen SebenSgwed barin befielet, ba^ 3ln=
beulen beö aSaterö gu räd)en. • ®ie Slnalogie gtt)ifd)en ber ®e=
fc^id^te ©trafforb'S unb jener feinet S3ater§, gtt)ifd)en bem
©l^arafter Subn)ig'§ XV. unb jenem ÄarFS L, trägt gur (är«
l^ol^ung beS 6inbrud§ bei. 5Rir ift nie ein SRenfd^ öorgefommen,
ber öoUftänbiger t)on einem ®ebanfen unb einem ©efül^l ergriffen
gewefen »äre; be§ aSaterg 6^re wiebertiergufteßen , ba§ ge=
fd^el^ene Unred)t gut gu mad^en unb ber Unfd)ulb gum ©ieg gu
öerl^elfen, ift ber ®ebanfe, ber il^n au§fd)liefelid^ bel)errfd)t, unb
in feinem, in jebem Sllter, lann eine foW)e geftigfeit ber ©e»
ftnnung nid)t genug gelobt werben.
„®er berülimte Silbl^auer ,§oubon l)at an^ Slmerila eine
228 «Srtöaro«.
Süftc SBafl^mgton'S jurücfgcbrad^t. (äS jinb We lältcftcn ßügc,
btc td^ Je in meinem Seben gefeiten I)abe, unb eS ift unter»
Iialtenb, jte mit jenen öon ßaglioftro gn öergleic^en. SKan
wäre gn glauben öerfud)t, bafe 3Baft)ington für nid^tS jid^ warm
ju interefjtren öermag unb befonber§ ber SRul^m il)n gleid^gültlg
läfet. ®r gleid)t jenen Slergten, bie nid)t§ öon ber ^etlfunft
Iialten." . . . „fjigaro ift an ber gweiunbneungigften SSorjteHung
angelangt. 33eaumard^ai§ fagte neulid^, man »erbe crfl, wenn
e§ t)unbertunbfünfgig 9Jtal gegeben worben fei, baS SBerf ju
beurtl^eilen wiffen. . . . SBir bebauem, nur SBi^e unb SBort»
fpiete berid)ten gu lönnen, aber in biefem Sanbe gibt eS
nid^tg gu tt)un, unb be^l^alb I)at man e§ in ber SRebdunft
weiter al^ irgenbwo fonft gebrad^t." Slud^ ber Seridöt über
ben Slufentl^alt ber ©rgl^ergogin 6t)riftine, ©d^wefter ber Äönigin,
unb il^re§ ©atten, |)ergog Söbert öon @ad)fen, fdfiUefet mit ben
SBorten: ,,®ie ^arifer ®efenfd)aft wirb jeben Sag unintereffanter.
9Kan wünfdjt gar nid)t mel)r, in berfelben gu glängen, unb wenn
ba§ Spiel nid)t wäre, würbe man fein fieben ol^ne irgenb eine
Slufregung verbringen."
®a§ näd)fte SuHetin ift nod^ öom felben ^df)Xf Sloöember
1786 batirt, unb befd)äftigt fidE) mit ©ingell^eiten über ben ^of,
wie fte Äönig ©nftaö gu fennen wünfdE)te; bie Steife uod^
S^ontainebleau, bie bag ÄönigSpaar jebeS ^di)x im §erbft gu unter»
nelimen pflegte, gab biegmal Stoff bagu: „Safeln unb Souper«'',
ergäl^lt bie junge ©efanbtin, „jtnb bie eingigen Segeben»
Iieiten beö Sagg. dreimal in ber 3Bod)e foupirt man bei
3Wabame be ^olignac, breimal bei SJiabame be 2ambaHc« unb
einmal im intimen ÄreiS ber Äönigtn, bie gewöl^nltdö um elf
\Xf)x Slbenb« gu erfd)einen pflegt unb eine Partie SBiUarb fpiett,
waö fel^r in ber SBlobt ift. Um SKittemac^t gerftreut jtd^ biefer
Äreiö, unb man befd^liefet ben Slbenb anberSwo. ^agarbfplele
ftnb abfolut verboten, aber bie anbern Spiele gelten um fo
l)öl)er. ©aö eingige SBergnügen einer .t)au§frau fd^eint barin gu
beftelien, i^re Säfte fo |d)nell al§ möglid^ an einem Zxicttac^
S)cr ^of in gontoineblcau. 229
ober OuinjC:'2:ifciö feftjulettcn. ®abci war eine fol(i)c SKcnfc^cn*
menge in Sontaineblcan, bafe man nur mit bcn jwei ober brei
^crfonen ^ä) unterl^alten fonnte, bie am felben Stifd) fpielten.
Sm Uebrigen bcftanb baö Sßergnügen barin, jtdö ^cilb erbrüdfen
laffcn ju muffen. SefonberS bei ber Äönigin war ba^ ®ebränge
ganj ungel^ener. 6ö ift nid)t möglid), ber $öflicf)feit einen
größeren Sleij ber Slnmutl) nnb ®üte gu oerleitien, alö e§ bnrc!^
fle gefd^iel^t. Dl^ne bie Slnbern oergeffen gu laffen, bafe jte
Äönigin ift, fd^eint jie felbft nie baran gu benfen. ®a§ @tu=
bium beS ©ejid^töauSbrucfö unb ®ebat)ren§ ©erjenigen, bie ein
SBort oon il^r erwarteten, lol^nt bie 9Wüt)e. 2)ie ©inen fud^ten
bie Slufmerlfamleit baburc^ auf ftd^ git gielien, ba^ jte in lauteS
gad^en über Semerfungen il^rer S^ifd^nac^barn au§bradt)en, bie
unter anbern SSerpitniffen faum ein fiäd)eln erregen mürben;
8tobere bemüt)ten ftd^, gerftreut auSgufe^en unb fo ben fie au^-
fd^Iie^Iid^ befd|äftigenben ®ebanfen gu oerbergen; pe manbten
bel^arrlid^ ben Äopf nad^ einer anbern Seite, lonnten e§ aber
bod^ nid^t Oerl^inbem, ba^ it)re Slugen ber Äönigin auf @d)ritt
unb Stritt folgten. SBieber 3lnbere, wenn jte oon il^r über ba§
öetter befragt mürben, glaubten eine fold^e ®elegenl)eit, jtd^ gu
ericnnen gu geben, nid^t unbenü^t oorüber gelten laffen gu foßen
unb antworteten lang unb breit barüber. 6§ gab Jebod^ aud)
©old^e, bie 6l)rfurd^t ol^ne ©eroilität unb ben Söunfdi) gu gefallen
ol^ne ungiemlid^e SBered^nung begeugten. . . . ©er Äönig oon
tJranlreid^ erfd|eint in ber ®efelljd)aft nid)t. 9Kan jtel^t il^n
nur 9JlorgenS unb Slbenb^, bei ben bnxä) (ätiquette geregelten
(Scrcmonien, unb am Sonntag in feierlid)er Slufwartung. @r
begibt fld^ nie gum Spiel ber Äönigin. 6r jagt ober lieft,
©efc^iel^t Weber baS Sine nod^ baö Slnbere, fo Reifet e§ fomifd)er
SBelfe: ,$eute tl)ut Seine aKajeftät nid^tö'. 2Ba§ bann fagen
Witt, ba^ er mit feinen SRiniftern arbeitet. SBäl^renb ber bieg*
iäl^rigen SReife I)at er iJeuten gweifell^aften SRufeS ungweibeutige
aSeweife feiner Ungufriebenlieit gegeben unb baburd^ ben (äinbrurf
erl^fil^t, ba^ fowolil ber Äönig ate bie Äönigin auf ®runbfä|en
r)im (Stfxt unb firengem Sn^anb 6d bot jn ü^ Umgebung
gc^örenben ^gerfönlic^fctten befielen. 6§ iDor fd^r baüon bic
3ficb€, boB Saron Sreteml in gontaincblcou bai 6nhmtrf cincS
ebift^ gu ©unflcn ber Scgaltfinmg bcr ^ftrot^ jnnfc^
^rotefianten unb xifit^ gtmljianbs ubeiri^<mpt üorlegen merbe.
Cl^nc 3K>eifcl ifl ba^ feine abfielt. TOon begebt gioar eine
entel^renbe ^nblung, toenn man im äüeligtonSbefomtmjs eine§
ber Kontrahenten ^eutjutage einen Sd^eibung^^gimib fud^t, aber
trotbem befielt ein folc^e^ ©efefe fort imb nur bie Sitte öer=^
l^inbert ba^ Ungel^uerlic^e feiner Snwenbung. . .■
ä3ei Snoa^nung eines in fyontoinebleou burd^gefaQenen
2:]^eaterftüdFS unb beS ä^erbct*?, in @egennxtrt beS AomgS ein Qtad
auSjujifd^en, n>irb l^erDorge^oben, mie man ftci^ bmtif itbertriebeneS
Slpploubiren ber ärgjien Stellen gel^olfen, nKid nic^ minber
graufam getoirft l^abe, worauf bie (i^arafterifHf^ Seugerung
folgt: „^n ^aü^ pflegt man au§ republifanifcfter @fftmmng
geujöl^nlic!^ gutgu^eiBen, ma^ in ^yontainebleau Dentrtl^eilt vor«
ben ift. ©ieömal aber ftimmten ^of unb @tabt fiberein.*
©er ©^eoalier oon SoufflerS gab ju 6nbe jeneö Sol^rd ein
anerfennenj^wert^eS Seifpiel ber Eingebung, inbem er fid^ jum
gmeiten ^al nadb bem Senegal begab, um bort S^daplaxAaqtn
unter ber 9legerbeöölferung gu errid^ten unb fo bie freiioillige
Äultur beö ^obufteS eingufu^ren, beffen ergiDungene ^eroor^
bringung bie Urfaci^e aller SIlualen ber armen Sci^ttKirjen min
^SBeldie ei^re für ba§ gal^rl^unbert", bemerft grau öon 6taa,
„wäre bie abfci^affung ber Sflaoerci! SSenn ein SRenfci^ ba§
erreid)te, würbe er mel^r ®ute§, als je ein anberer gewirtt
Iiaben! aber eS ift entfepd^, geftei^en gu muffen, bofe bie
Sieger, ftci^ felbft übcrlaffen, faul unb arbeitsfd^eu werben, unb
bieS ber ju ®unften il^rer Slb^angigfeit geltenb gemaci^te 6nt»
fd^ulbigungSgrunb ift. ©ngell^citen, bie ber ßl^ebalier bc ä3ouff<
lerS mir ergäl^ltc, pnb ^crggerretBenb. @o g. 33. finb bie
©uropaer barauf bebad^t, alte 3Wänner unb Seiber einju«»
fangen, benn bie SRcger ftnb mufierl^aftc SBeobad^ter ber JKnbeS^s
SSekoegung für bie Sibfdiaffuitg ber (Sflaoerei. 231
J|3flid^t; fobalb fle üon ber ©efangennal^nte il^rer ßltem t)ören,
"xitclbcn flc jtd) an il^rcr ©tatt. ©o gelingt eö oft beit barba*
icrifd^cn, curopäifd^cn Äaufleuten, gwei [tarfe junge 2Känner für
^men ®rcl8 einjutaufdicn nnb au§ ben Stngenben berfelben
Sieger Sttu^cn ju jicl^en, bereu 5Raturanlage jte mit fütäjt aU
^attj t)on il^rer eigenen öerfc!öieben barfteßen." Sll§ fjran uon
<StaäI bicS nieberfd^rieb, bereitete jtd^ in ©nglanb unter gül^rung
-l^rer nad^mattgcn fjreunbe SBilberforce unb SRomiß^ ber grofee
l)nmaxAt&n fjelbgug gegen ben ©üaöenlianbel öor. SRomiK^
ergäp, wie er im Stpril 1789, furj öor ber S)i§fuffton
im ttnterl^au«, 5Ramenö feiner ®eftnnung§genoffen an nieder
f(]^rleb> um granfreid^g Unterftfi^ung gu begel^ren. S)ie pcl)ft
fcJ^mrid^eD&afte Slutiüort beö 3Jiinifter§ fei aber in SSejug auf
Me gefkeHte Sitte felbft fo entmutl^igenb genjefen, ia^ man öor^
gegogett l^abe, leinen ®cbraud^ baöon gu mad)en, unb fo fel^It
bcffen Sttame in ben SReil^en biefer Sefreicr ber menfd^lid)en 3lace.
Sn feinem SSud^ über 8lbminiftration ber fjinangen I)atte SReder
als bie grS^te @(i)tt)ierigfett bei 3lbfd)affung ber ©flaoerei bie
SSerfud^ung begeid)net, ben öon einer Station aufgegebenen |)anbel,
»dl bann um fo einträglid)er, burd) eine anbere lieber auf*
genommen gu feigen. SBilberforce begog jtdE) auf eben bie ©teHe,
um ba^ aSertrauen au§gufpred)en, bafe Sranireid) wenigftenö
ttid^t baS Sanb fein werbe, ftd^ in biefer SBeife auf Äoften
©nglanbö gu bereid^ern ^). 3n biefer ©ad&e nat)m ^Jtau öon
&ta& fpäter ben gaben, ber auö it)reS SBaterS $anb geglitten
toar, tt)ieber auf, inbem jte 1814, im gntereffe ber Sluf Hebung
ber ©flaöerei an bie aHiirten ©ouoeräne appeßirte.
©er näd)fte ©egenftanb, ber 1787 ba§ SuBetin befd)äftigt,
Ift bfe nod)maIige ©rwäl^nung be§ Sluftretenö t»on S)upat^,
bcffen (gntlaffung unb Ungnabe gefürd)tet würben. S)ie ©ad^e
galt, wegen ber Slufregung, bie jte öerurfad^te, aU einer ber
') Romilly, Memoirs of the Life of Sir Samuel, 1840, I, 343 unb
345, 8(ptil 1789.
232. 9^<>u t)on Btael übet bie dffentlid^ SKeinung.
aSorbotcn bcr revolutionären 3lera; jie üeronla^t fjrau öon
©taäl gur Semerlung: ,,SBtrfIid) groufam ift in blejem Sanbe
bte Unguoerldfltgfeit ber öffentUd)en 9)leinung. Sie untcrftü^
in einem Äampf oon oierunbgtoanjig ©tunben unb öerlä^t bei
( anl^altenbem SSiberftanb. SDie grofee Äunft beS ©egnerg l^at
barin gu beftel^en, einen oom ^ublilum Unterftfi|ten lange
genug anjugreifen. 2Ran fann baSfelbe an SineS gewöJ^ncn.
®er @ine gilt it)m für unglüdflid^, ber Slnbere für öeräd^tltd^;
aud> lefetereS ift ein ^anbwerf in ber SBelt. SBenn man t&
lange genug getrieben l^at, ift nidit »eiter bat)on bic Siebe,
unb bie @ad)e wirb alö erlebigt betrad^tet."
©a§ oierte unb le^te SuHetin, weld^eS iJrau üon Staßl
für Äönig ©uftao fd)rieb, trägt fd^on bie ©puren mad^fenbcr
©rregung ber ©emütl^er unb bie Sal^reSjal^l 1787.
„®ie öffentlid^en ®inge\ fd^reibt pe, „nel^mcn $arl« feit
fed)§ SRonaten fo öoUftänbig in 3lnf))rud^, ba^ bie ^riöot*
angelegenlieiten nid^t nur fein Sntereffe mel^r erwedfen, fonbem
ins ©toden geratl^en finb, weil man bie SRu^lopgfeit aUer in«
bioibueKen S3erfud)e, bie Slufmerffamleit auf fid^ ju lenfen, er*
fennt. Sd) bin geneigt, meinen greunben unb SBelannten tl^re
untptige Stpatl^ie übel gu nel^men, weil fle mid^ ber SWittel
beraubt, ßurer SKajeftät über fte gu berichten."
®a§ politifdi)e (äreignife be§ 5lagö war bie aSerbannung
beö «&ergog§ oon DrläanS, ber in offentlid^er ©i^ung beS ^arifer
Parlamentes oom 19. Sboember 1787, bem Äönig auf beffen
SSerlangen eines ©teuergufd)uffeS oon 440 ÜRillionen entgegnet
l^atte, nur bie ®eneralftaaten ptten baS SRed^t, biefe, wie über*
l^aupt aKe ©teuern gu bewilligen, ßß^ifc^^« Stau üon ©taöl
unb bem |)ergog beftanben nur jene gefellfd^aftlid^en SSe*
giel)ungen, bie il^re gegenfeitige ©teHung bebingte. Sie nol^m
\i)n nid^t ernft unb als feine gnftruftionen für bie SBal^len öon
1789 unter anbem SSorf dalägen aud^ bie ©l^efd^eibung öer«
langten, banite il)m %xavi Hon ©tael auf einem SSaU bei bem
i^ergog oon ©orfet fd^ergenb „im 9?amen ber ©amen". „OYt
©er ^eräOß öon ©rleonS. 233
cmibertc bcr ^crgog, „xä) bcnfe ftets an ba^, waö i^nen
fjrcube bereiten lann" ^). 3n it)ren S3eri(i^ten über tl)n flingt
leife SSerad^tung bnrd^; fo fagt jte bei biefem Slnla^: „®er
$ergog langweilt jtd) fo fel^r in feinem 6fil, ba% er an ben
Äönig gefdirieben I)at, er möge i^m bod) ben Slufentl^alt in
SRainc^, feinem @(i)lo6 in ber "Slixije öon ^ariö geftatten. S)urd)
btefeiS ©efnd^, baö il)m abgefd^lagen tüurbe, t)at ftd^ bcr .!&ergog
fel^r gefdiabet. SBenn man bag aSerbienft be§ SRuttieS bel^alten
tüin, barf man ftd^ nid)t fd^nlbig befennen, nnb ba§ ift eben,
XDä^ man ti^ut, inbem man eine SRilbernng ber Strafe nadjfud^t.
9Ran bemerlte bem erjbifdiof öon S^onloufe, er toerbe bem
J^ergog öon DrläanS babnrc^, bafe er il)n derbanne, bie ®e=
legcnlieit geben, ftd) oor ber öffentlid)en 9Keinung jn rel)abili=
tiren. ,D1^, id| lenne H)n', ermiberte biefer, ,er wirb bie ©e^
legenl^eit öerfänmen'. Uebrigen^ befielet fein ®runb für bie
SRegiemng, ein (äjrtl jn oerfd)ärfen, ba^ oom ^ublifum ntd)t
gutgel^eifeen wirb
„@ö entfprid^t ben ©ewolintieiten be§ «^erjog^ don £)rlean§,
bfc ©teilen, über bie er üerfügt, mit Seuten ju befe^en, weldje
für biefelben nid)t paffen. @o l^at er fürglid) einen Äa:pitan gnr
©ee gum Äangler feinet §aufe§ ernannt. S)er Setreffenbe,
SRonftenr be la Stond^e, glanbte, man woKe fid) über if)n luftig
mad^cn unb begab jtd) in SKarineuniform gum ^ergog: ,9Jfon*
fcigneur', rebete er il^n an, ,id^ fteHe mid) in Uniform Sinnen
öor, bamit, im %aU e§ üergeffen morben ift, baran erinnert fei,
baS^ x6i SKatrofe unb nid)t im ©tanbe bin , eine Slbbition
fertig gu fieHen, alfo für ba^ mir übertragene Slmt gang unb
gar nid)t ))affe'. ,2)a§ ift gerabe, wa^ id^ fud^e', mar be^
^ergogS Slntmort. S)e la S^oud^e, nad^bem er feine Unfä^ig=
feit fonftatirt I)at, weigert [xdj nid)t länger, 100,000 Siore§
SHente in ©mpfang gu nel^men, ba ber ^ergog barauf befielt.
©iefer ift fo l>eiteren Sinnet, bafe id) mand^mal angune^men
*) Lord Auckland, Memoirs and Correspondance, II, 305.
234 ©tcllunö ber 5ßtotcftontcn.
Derfud)t bin, bei i^m cntfd^eibe nur ber SBunfc^, gu tl^un waS
i^m unb Slnbcru am mciftcn ju lad^cn gibt. Ueber pd^ fclbfl
ftcf) luftifl mad)en, gilt il^m alö ber l^öd^fte ®pa% . . ."
6inc SBemerfung über bie rcligiö[en ©treitigfeiten fei l^ier
beöt)alb Qiigcfül^rt, weil jte wieberl^olt bereift, wie fel^r fjrou
üon ©taöl bie al« Sßroteftantin jte birelt mitbetül^rettbe ttn^
flere(f)tiflfcit ber franjöftfd^en ®efe^gebung entpfanb: ^5Wabame
be 5loQiUeö'\ fd)reibt fte, „ift unter allen latl^olifd^en ffrommen
bie üenüctteftc unb bie am meiften aberglaubifd)e. Dl^ne Unterlaß
in 5öriefn)ed)fel mit bem ^cop\t unb eine @tfi|e bc« ©loubenS,
t)rcbigt flc S^tolerang wie ein ^rc^enöater. SRid^t fobalb l^atte pe
ücrnommen, bafe ber i?önig bem Sßarlament ba8 ^oiclt eine«
ßbifteö ju Cfiunften be§ ßiuilftanbs ber 5ßroteftanten l^abc üor«
legen laffen, alö fte öon einer fold^en aSerjweiflung unb fittlid^en
ßntrflftnng befallen würbe, ba^ jte ganj gewi^ im ffaH ber
2lnna()me bcö ©biftö ber |)eftigfeit il^rer @mpfinbuttgett jum
Dpfcr fallen wirb, ^n einem eigenen SBerf, baiS 6urer 3Wa*
Jeftät burd) bcn näd)ften iturier gugefanbt werben foH, l^at fle
alle l)iftorifd)en Scgebentieitcn, bei weld)en bie 5ßroteftantett im
Unred)t waren, jnjammenftellen laffen, um %m6it über bie %s>U
gen ber loleranj ju cnüeden. Sriennt man einmal bicfeS 3^^^
afö gegeben an, fo ift ba^ Sud^ nic^t fd^led^t, unb Ißnnte man
öergeffcn, bafe eö wiberjinnig ift, fo fänbe man e§ jiemlid^ gut
gcmad^t. SBaö mid) aber wal^rl^aft in ©rftaunen fe^t, ift bit^-
3:^atfad)c, bafe eö auf 3Wand)e einbrud mad^t. ÜRan lä§t fid^
fo leicht baju verleiten, baö g^^l^^w^i^^rt für aufgeflart gu l^atten,
weil bie näd)fte Umgebung, in ber man jtd) bewegt, borurtl^eite«
frei ift. Unb bod) lebt tiielleid)t nod^ l^alb gtanlreic^ im
@d|attcn beö Slbcrglaubenö. ©iejenigen, bie nid^t lefen unb
jtd^ nid)t unterrid^ten, mad)en überl^aupt feine Sortfd^rittc, unb
baö aSolf änbert wol^l feine ©ejtnnungen, aber eö mäßigt flc nie.
3d) übcrfcnbe bie Don ber 9Kared)ale öeranlafete ©enlfd^rift,
bie fte bei allen SJtitgliebem be^ Sßarlamentö jugleid^ mit fol«
genbem Segleitjd&rciben abgegeben t)at: ,®ie SKarfd^aHln bon
(StcKunö bcr ^otcftontcn. 235
SfloaitteS l^at jtc^ bei |)crrn 9L 31. gemclbet, um bie bem ^ar=
lamcnt anöcrtrautcn Sntercffcn ber Steltgion unb ber ®efe|e t^m
3U cmpfcl^lcn*. Sd) ffigc oud) bie öortrefflid)e Arbeit be§ ebenfo
geleierten qIS vernünftigen SKale^l^erbe^ tiinjn. @r gel^ört mit
ju ben erleuc^tetften SWännem %xantxtxä)^ unb märe ein öor^
treffUd^er SJKnifter ot)ne 5ßortefeuiHe. Slber er gefielet felbft ju,
bafe feinen gäl^igfeiten feine auf gleid^er ^öij^ fte^enbe (änergie
be§ ei^arafterö entf))rici^t. 3Ba§ er öorfcf)Iägt, foHte ein Slnberer
auSfül^ren bürfen" ^).
6S ift nid^t ot)ne Sntereffe, biefe Semerfungen öon %xau
t)on ©tael mit ben gleid^jeitigen ®inbrüden bcö ©enfer $ro=
teftanteu aWaHet bn ^an über benfelben ©egenftanb gu t)er=
gleidien. 6r fd^reibt: „S)a§ @bift gu ®unften ber ^roteftanten
erfäl^rt immer neuen 8luffd)ub. 6^ ift eigentümlich, baö ^ubli=
fum begfiglic^ einer fold)en grage in feinen Sln|td)ten getl^eilt
gu finben, mitangufel^en mie aKe antiquirten Sefürd^tungen unb
©nfältigleiten mieber aufleben, unb eine ©ac^e biefer 8lrt be*
l^anbelt mirb, aU ob man gerabe ben ©d^öpfungötag l^inter ftd)
l^ätte. 6in SemeiS, ba§ e§ mit bcr Slufflärung noc^ gute 2Bege
^at. Sie 9Jlarfd)allin don 9ioaille§ öerfauft unb öertlieilt ein
gibett bcö W)be »eauregarb, ba§ pe bei i^m befteHt I)at. ®ie
SKfind^e in ben Älöftern fe^en baö SlUerlieiligfte au§, um üom
^immel gu erflelien, bafe ber ®eift be§ Äönigö erleud^tet unb
ba§ Unglüdf ber Solerang abgemenbet merbe. 9Jiale§l)erbe§ I)at
ein bideö SSud^ gu ©unften ber ^roteftanten gefc^rieben, alö ob
über einen fold)en ©egenftanb nod) etmaö gu fagen übrig bliebe,
S)ie grofee SRel^rgalil ber ©inmol^ner oon ^ari^ ift gegen ba§
Soleranj'ßbift. SSon allen Seiten l)ört man Sleufeerungen bar*
über mie gur Qüt ber fiiga. ©ie Seute unb bie ^Regierung ftnb
öon gleid^er SUlutl^loftgfeit in biefer Segiel^ung, fobafe e^ fd)on
») Geffroy, Gustave III et la Cour de France, I, 388—412, II,
^enbis, 430—437 u. 439—444, Bulletin des Nouvelles, de Madame de
Stael.
236 ®uftab III. in grirmlanb.
für eine gewaltige Sonceffton gilt, ben ©alöiniften Siaufe unb
@t)e gefefelic^ juguge[tef)en ©urd) baö ©bilt foHien bie
^roteftanten im Äönigreid^ jugelaffen unt) gebulbet, rnd^t aber
eigentlidö tolerirt werben'' ^).
®a§ 3al)r 1788 fanb ben @d)webenfönig ttid)t mel^r in
feiner §aupt[tabt, fonbern an ber finnifcf)en ©renge, ben Ärieg
gegen Stufelanb betreibenb, ber il^m öor SOIem ate SRittel bienen
foKte, öon nnleiblid^ geworbenen 3w[tänben in Mamille unb
SReid) ftd^ jn befreien. SBäl^renb ba^ im 5>lorben gefd^al^, öoft»
jog ftd^ in granlrcid) ba§ SSorfpiel jum ®rama, baS in feinem
aSerlauf Iiarmlofen Iiterarifd)en unb gefeßf^aftlidien Sertd^ten
leine S^rift mel^r gönnte. SSon biefem ß^itpi^nft an befdE)ränftc
jtd^ benn and^ ber fd^riftlid)e SBerfel^r ber jungen ©efanbtin mit
il^rem ©ouderän auf einige wenige SSriefe, benen t^ balb
nid^t mel^r gelingen foHte, bie immer l)äufiger werbenben 3Wi§«
öerftänbniffe jwifd^en biefcm unb il^rem hatten auf juflären unb
bie Unäufriebenl^eit be^ ÄönigS ju befd)wid^tigen. 3)enn btc
33ejiet)ungen gwifd)en H)m unb feinem Vertreter in ^ariS waren,
obwol^l öerbinblid^ in ber iJorm, bod^ t)on Slnfang an niemals
gang aufrid)tiger unb vertraulicher 9?atur gewefen. ®er Surft
betrad)tete alle Prärogativen föniglid^er Söfirbe als gleid^ un«
antaftbar, wä^renb fein ©efanbter am i^of Von SBerfaiUeS längft
ben ©ottrinen über 33efd)ränfung ber Iöntglid)en ÜRadE)tt)oII«»
lommenl^eiten gewonnen war. S)er Srud^ würbe unöermeibltd^,
fobalb biefe S)oftrinen burd^ bie (äreigniffe gur ®eltung gcBrad^t
würben.
S)aS erfte 8lngeid)en veränberter ©efinnung war bie SSer*
jögerung ber im ß^efontraft bem Saron ©tael t)erf))rodE)enett
Drben§üerleit)ung, an bie feine grau 1788 öergeblid^ erinnerte 2),
nad)bem il)r ber SKonard) einen perfönlid)en SeweiS ber fijjnabc
^)Mallet du Pan, Analecta sur THistoire du Temps. Unebhte
gamiacn»92oti3en, 1787.
-) iBricfc öon grau öon (2tael, im SBefife ber UniöerfitatSbibliotJcI Upfala.
grau öon etael an 92il§ öon 9flofcnftcin, 28. ^anmx 1788.
2^er Balon 9?c(fct crl^ält grau öon ©toel jum ÜJiittcIpunft. 237
burd) ©ctüäl^rung il^rcr SBittc ertl^cilt ^atit, iijxtm, im 3wnt 1787
gebomcn crften Äinbc, einer 5J:od)ter, feinen 9?amen gu geben.
@S ftarb faft unmittelbar nad) ber ©eburt unb ift in feiner
ber Siogrctpl^ien uon Stau Don Staöl ermäl^nt, obmol^l ©aint»
Sambert e§ not^menbig fanb, 2Kabame 9?ecfer barüber ju tröften,
ba§ jie nun ©rofemutter geworben fei, unb biefe bem (änfelfinbe
©otteSfurc^t als befte &abt münfd)te^).
SSon biefer Qdt an U)urbe ber Salon 9leder in ber JRue
aScrgere ober ju @aint=Duen, mel^r unb mel^r ber Salon oon
fjrau üon ©tael, bie öfter bort für if)re leibenbe SRutter alö
bei fid^ im f(i^n)ebifd)en ®efanbtfd)aft§^6tel ber SRue bu S3ac,
ober, wenn bie Slnmefenl^eit be§ i^of^ e^ nötf)ig mad)te, gu SSer-
failleS, ju em))fangen pflegte.
S)ie älteren greunbe, S)iberot, b'Sttembert, Sorb ©tormont,
©aliani, 6reu^, 3:f)oma^, waren tobt ober Ratten ^ari^ oer^
laffen. SBuffon foHte 1783 folgen unb nad^ ®rimm'S, oon
arger Uebertreibimg nid)t freigufpred)enben SBorten, „bie
Sd^ranlen ber größten 3^it abfd^liefeen, bie fjranfreid) gefannt
tjaV*. aSon ben greunben unb ©äften frül^erer Stage leiteten
SRarmontel, ®rimm, Suarb, ^KoreHet, @aint=Sambert, ßl^aftetlu.r,
®uibcrt, bie ^erjogin öon gaujun, 2Kabame b'^oubetot, in bie
neue 3^it l^inüber, bie fd)on eine ganj anbere Generation in
ben SSorbergrunb fteHte. &^ taud)ten, neben ben fd^on ht^
fannten, bie 9?amen ber ßufi^nft auf. S)ie „O^eife be§ iungen
anad^arftö" erfcl)ien wie bereite gefagt 1788; ein 3al)r früf)er
^atte aSolne^ feine „SReife nad^ Serien unb ßg^pten'' öeröffent=
lid^t. 3)ie „Stubien" öon SBcrnarbin be @aint=$ierre jtnb oon
1784; baö ©rfc^einen beia Diel früher gebid)teten '^i\)\i^ „^aul
unb SSirginie" fäUt in ba^ ga^r 1787. 3)er Deffentlid)!cit nod)
0 Geffroy, Gustave III et la Cour de France, Slppcnbir, II, 447.
Madame de Stael i\ Gustave III, Juin 1787. Madame de Crequy,
Lettres inedites k Senac de Meilhan, 25 Juillet 1787. Baron de Ge-
rando, Lettres in6dites de Madame de Stael etc., 55. Mme. de Stael ä
Gerando, 1803.
»lenner^ajfctt, grau tou etaül. I. 16
23S Z:c Eatntr '9<?eflfaiaft ami 1757.
imbefoitirr. iSrecne ^urox ^«cüurr anC «Sentc. rrifte her gV9J^ I^rif^e
2id)ter De^s ^'ovdt '-^ ^raiaifcneit ^oirjüTrfcfjQt cu^tje^ntni Sol^
I)unDerts. üLi^v-t ej*riner. jjerin. befrei @raBC nc^ nie ;n ooOem
©loit; enrfiir^n 'jiiri. ,3}C!: 2ie li-Unnri; Durc^ &ie 9teooIiittim,
bcr i^idjrir Jur^ ^le Xiri-jcitea jerJÖtüt mnrbc* ^, weil, na^
j bcii 'Sencr e:m!s inCern iJoerert. iirci*, ^Öer fbigenUtcf, wo
I ta^rdjjLiÄ IriuJCüerr ::: ^er £m^e airaeni^ winben, nic^
/ geeignet Da;ii xcr Ir-iacirceü ;a ■nr^tdjtm''.
/ Jn Der öe'ciiittrrd ^es r^eirers ilei&t Der 27. Spril 1784
t^entoürDtvi. ^5 :^ ^er Jia ^er erSm äajfn^nnig bcÄ
„jviiiaro*' uni^ :rc^ unrer^leiÄuie^ irinntpl^ öoa Secuta:
marctut-:-. tceir<:r in •crrL'in 'JLhcii: ^ie rcgiereit&en itlaffen
Jyratifrt'iA'j ircr- :r-ir:i -uiirciji* ür eigene^ Sobednrt^I
;u befliiPch^n. £er rc" ^er i^eL ?ic ^c^ iSKogifhahir,
btc i^rin;cn rcn ^^^L^d: z:z izztz Sirt^e bie Aomgin,
laii»chteii Dtni un^erirLiw^n £tiljc: »J'etais ne poor ötre
courti^an — O:: lÜ: -.r.:-: ..-'cs: un nieüer si difficQe — Re-
covoir, i-roridre e: diir.dr.-i-r. ces: le socret en trois mots.c
— »La place tünun-iai: ur. ainiLriLstrateur, ce fut un
danseur qiu Tobiir.: . . . .« 11«^ i^xtxm ^Rtmolog: >Xon,
Monsieur le Coiiito, vovis r.e ".anT'ez pas — vous ne
Taurez pas. Parce .^1:0 v:us vtes un grand seigneur, yous
Y0U5 crovtz un ^rar..: ^vriie! Noblesse, fortuney un rang,
des places, tout oe!a rd'.i s: :ler! Ou'avei-vous fail pour
tant de bions: vous vcus «::es do:::ie la peine de naitre, et
rien de plus.* 33«-:« vhn;.:.: ßaiom. roa* guife SKÜerin
um beu i^rcic- De*5 5^ci:-:::-3 i:ccniu::D«t. ^04 lachte ^garo gu
©runbe. (Sine (?iu;icie. '\:i:»"t ;:: icDcm 2paB bereit, lachte bice»
mal nid}t mit. „^Ktcmalö :i tc tit bic'er berizbmten ^oc^jeit, bin ic^
in jd)led)terer ©eicU^'durt i;en:c»eu*. fdirieb v^aiferin Jiat^arina^)
') Nisard, llis:.'ire -ie li Lir.rruure fraL«:aise, IW 158.
-y Grimm et CatheriLe II. C-rresrirndanoe, R ecueil de la Soci^t6
imperiale ^le rUi>toire de Ru^^:e.. 1S7S, XXIIL 334.
S)lc qSorifct ©cfeUfd^aft öon 1787. 239
foptfd^üttdnb über bie Slrt ber Unterl^altung, ber man in 5ßari§
i^ulbigte.
SRäd^ft Scaumarc^aig, bem ®ramcnbtd)ter, jtnb alö bie brei
tebeuteubftcn ©d^riftfteHer biefer ^aijxt unmittelbar öor ber
tRcöoIution 5IRirabean unb SRiöarol genannt, unb e§ ift t»on
il^nen gejagt »orben, 33eaumard)at§ l^abe ba§ 9Wanife[t ber
SReüoIutbn gegeben, SKirabeau pe gemad^t, Stiöarol jte be=
fämpft^).
Se^terer, öon einer fletnen ®ä)ax guter greunbe unb böfer
Bungen umgeben, Iianbl^abte üorläufig in ber ©efeUfd^aft bie
flcfürd^teten SBaffen be§ Spottet unb ber Satire, bie er balb,
tüie gegen SRecfer, fo aud) gegen S^rau non @tael rid^ten foHte,
bis bie ©reigniffe it)m fein wal^re^ Äriegöwerfjeug, ba§ ))olitifd)e
^ampl^let, gutoiefen. ©erjenige aber, in beffen ®eift ber 8luf=
rul^r jur l^eHien ^J^mme aufloberte, SRirabeau jelbft mar, ob:*
flieid) feine politifd^en 3been ;fd)on in jat)Iretd)en @d)riften ftd^
au§gef))rod^en fanben, in ^ari^ perfönlid^ nod) menig gefannt.
9iur bie Ungelieuerlid^feit feinet SRufeö unb feiner gamilien*
flefd)id^te, feine ^ßrojeffe, feine §aft in SSincenneö, bie ©fanbale
mit bem 3Sater, ber t»ermittelft !öniglid)er Settreö be cac^et
alle ©einigen unter ©d^Iofe unb Siiegel bringen liefe, mit ber
SRutter, bie eine§ fd)önen Sag^ gegen ben ©ol^n, meil biefer
t)on S3erföt)nung mit if)rem ©atten fprad), eine ^iftole abfeuerte,
befd^äftigten fd^on bamal^ bie ©emüt^er.
®afür fpielte feit einigen Salären ein Jüngerer SRann, ber
1754 geborne 6t)arle§ SRaurice be StaHe^ranb, Slbbe be $eri=
florb, eine um fo gläujenbere SioKe in ber ^arifer ®efeUfd)aft.
SaHe^ranb, ben ba§ ®ebred)en eine^ mifegeftalteten gufeeö auf
S8efet)l öon ©Itern, mit mcld)en er nie unter einem ®ad) ge*
fd^lafen ju I)aben bel^auptete, ber Äird)e gugemiefen l^atte, be=
fleibete bamate in ber frangöfifd)en $auptftabt bie mid^tige
0 Chenedolle bct Sainte-Beuve, Chateaubriand et son groupe
littöraire, II, 177.
16*
240 ®ie focialen Suftänbc öeranbcm fi^.
©tcUe eines Generalagenten beö ÄIeru§, badete aber bereits an
anbere unb größere ®inge.
@d)on im |)erb[t 1784 verlangte bie fd)öne TOabame be
Srionne, anS bem ^aufe got^ringen, bie SBermittlung beS banmB
in SRom anwefenben ©d)tt)ebenfönigS bei SßiuS VI. für bm laum
breifeigjäl^rigen Slbbe, für welchen ein ßarbinalöl^ut begcl^rt xoex^
ben foKte. Db eS toirflid) Qt\d)af), ift nid)t ge[agt. ©iefer §ut
gehört jebcnfaKS jn ben fe^r wenigen 2)ingen, bie SCaUie^ranb
im Sanf feineö gebend nid)t erhielt. ©aS gal^r 1789 fanb it)n
bereits als a3ifd)of Don Slutun an ber ©pifee einer ®ruppe öon
eleganten, oornel^men unb raffinirten gebemännern, wie ^ax^
bonne, S^i^court, gaugun nnb fo mand)en Slnberen, bie pd)
rühmten, bie Äunft raffinirten gebenSgenuffeS, geiftigcn %mu
gefd)macfS nnb üoHenbeter Umgangsformen bis jum ^ö^epunft
beS 6rreid)baren geführt ju l^aben. 2tber nid^t nur bie ^ßer-
fönad)feiten, and) bie gefenfd)aftlid)en Suftänbe felbft l^atten fic^
feit ben legten jwanjig Salären er^eblid) öeränbert. 3^nc focia-
len 9)iittelpun!te, bie öer^ältnifemäfeig wenigen ©alonS, bie ba^
malS allein ben Eintritt in bie öornel)me SSßelt ermöglichten,
beftanben gum großen St^eil nid)t mel^r, unb il^r (äinpufe würbe
nid)t wieber erfe^t. 2)ie ©.rifteuj ^atte fid) fd^on mel^r ger^*
fplittert, bie »f)äufer, wo man Serü^mtl^eiten beS SagS begcg«
nete, waren üiel jal^lreidjer; bie giteratur begann burc^ bie
^olitif uerbrängt ju werben. SBie nad) englifd)er 5!Kobc bem
S^ee ber Äaffee, fo, pflegte man ju fagen, feien aud) bie alten
©ewol^nl^eiten franjöftfd)en gebenS anberen (Sitten gewid)en.
93fan begann bie neueingefü^rten ^ferberennen ju befud)en,
fpielte 3Bl)ift, feit bem amerifanifd)en Ärieg aud) SSofton, würbe
einfad)er in ber Äleibung, erfc^te bie fd)weren, gefticfteu ©a-
mafte, ®olb= unb ©ilberbrofate, burd) 2Rouffelin unb fd)Iid)teS
2ud), ^uber, gcbern unb Spieen burd) einfad)e SSänber unb
natflrlid)e ^aarfrifuren. S)er S)egen würbe Don ben 9JJdnnent
uid)t mel)r angelegt. ®afür trug man Kleiber ä la 3- 3-
atouffcau, 3flödc u la grauflin unb als Äopfpu| baS 33ilb beS
®te forialcn 3uft5nbe üeraubern fid^- 241
flcliebten ©cgcnftanbeö, fei eö ®atte, Äinb, Sreunb, Äa^c ober
^mtb. S)er längere Slufentl^alt auf bem Sanbe fam in bie
3Robe. SBic SSHaxk Slntoinette öon 3Serfai(Ie§ nad) Sirianon, fo
joßcn bcr Slbel unb bie reiche S'inanj uon ^ari§ auf if)re
Sanbgfiter unb @d)Iöffer, n^o poetifdje ^efte bie @d^äfergebid)te
Don Slorian unb bie päbagogifd)en fjamilienbilber Don Serquin
DertDirfIid)en follten. 6ine ganje 5Reil)e Don ©id)tungen, bie
„Sal^reögeiten" Don @aint=£ambert, bie „3Ronate" Don 3fioud)er,
bie „©arten'' Don ©eliUe unb bie ^rofa be§ dürften gigne
über feinen ^arl, »Coup d'oeil sur Bel-(Eil« entfprad^en
bem ®efd)macf für SBalb, '^elb unb fjlur, ber in biefen über*
fättigten ^erjen erioad)! tDar. ®er ^erjog Don Sroglie gab
bie Carole: „Siebt 6ure grauen unb 6ure @d)Iöffer". S)a§
Seben n^urbe aber bod) nii^t ernfter unb aud) nid^t natür=
Iid)er, toeil e§ ftd) brausen, in freier 9latur abfpielte, unb e§
blieb ebenfo foftfpielig unb unter tabellofer Slufeenfeite innerlid)
corrumpirt, aber man oertänbelte esS auf anbere SBeife. 9Jfan
füf)Ite ftd) mit 600,000 Sioreö ein!ommen „SflaDe feinet
SiangeS". „ßntpfinbe id) meinen fReid)tlöwm etma auf anbere
SBeife alö burd) S^^ng^S f^gt^ ^^^ ^^^0Qin b'ßftiffac ju SSon*
ftetten, „unb ad^, ma§ für eine fö[tlid)e 9WiId) gibt e§ in "^Ijxm
Sergen!''!)
3n ben ^axU unb @d)äfereien aber, nid)t minber al§ im
^runf ber ^arifer $ötel§, Derfolgte man ba§ gleid)e Qxü eineö
ungetrübt l^eitern ©enuffe^, ber aKe 2lbgrünbe be§ ®afein§ mit
aSlumen überfd)üttete unb Don @d)merj unb 6ntfagung al§ Don
©ingen ftdö abwanbte, bie nid)t nur peinlid) für bie 9latur, fonbent
aller ed)ten SebenSpl^ilofopl^ie unmürbig feien. ®ie Sitten maren
anfd)cinenb fo fanft, aud^ unter bem Sßolfe, bafe ber ben ^^fcm*
gofen leincSmegö günftig geftimmte S^ff^t-fon 1785 bemerft, man
lönne Saläre in granfreid) Derieben, ol)ne auf eine ^lol^^eit ju
ftofeen. 9lie fei er einem Setrunfenen begegnet 2). ®in eng-
0 Start SWorcII, ^. SB. bon SBonftctten, cht ScbcnSbilb, 68.
*) Jefferson, Complete Works. Correspondance, I, 443.
242 -^« 'ÄiilfT 3=~s^f ?er2a>c3 tiJl
lifcber SHeiimber. anbmi«. brü(t:c im glrid)en Jö^r 1785 ^^^
grairfrric^ btn ©i^^n^cf nti. ^aB bort Die ^ödbfte aufgäbe bc^
Sdcin» fei, e* in ungemibter ^«terfeit ^injnbriitgen ^). S?ie
Sirtuofität in bieier Se;icfaunc( gebie^ ouc^ imTflid^ ]o loeit, boß
gefeDiger £inn unb nrdblid^e 8aune bicfe^ (eid^tlebige ®ef(!^Ied)t
aud ben ^olänen ine @etängniB. in bie Szibimale intb attfS
Slutgeruft begleitete unb ee beinah aueno^mSlod bem %ob
l^eroifd). nic^t ielten ran lädbdnb in* Sage blidte. SHefer tpU
fureifd)en Sebenefunft ^äne eine 33ür;e gefehlt, n>enn fte nic^t
aUes i^r SBiberiprecftenbc mit Scrad^tung geftraft, febe ßrfabnmg
Dermorfen unb ber Autorität in jeber jid) i^r barbietenben gönn
geringfd)ä6enb opponirt ^äne. ^Sire*, jagte ber SRarfd^oU Don
Siid^elieu ju Submig XM., ^unter gubmig XIV. burfte man
fein aSort fagcn; unter SubUMg XV. fpra^ man leife, unter
3^ter üRaicftät iRcgierung iprid)t man laut." Sie erflen 6Iub^
mürben gebilbet unb balb gu pclitifd)en ü){ittelpunften erhoben,
gc^on ©aliani meinte, ^arie fei nic^t mc^r ber ,,©ali)n*, fon*
bem bas „6aife'' ©uropa^. S^iberot'^ w^leife Don 3tameau*
gab ben 9(nftoB ju bem SSi^mort, baS balb gur äßol^rl^ett
mürbe. 2ln ber Spifee ber Cppojttion ftanben bie 3JKtgHcber
be$ ^aufeS lyranfreic^; bie ^amp^Iete, bie in Srmanglung ber
nod) fe^lenben, nur burd) einige ofpcietie [RegierungSbl&tter, bie
„Oagette'' unb ben „93{ercurc be grance" repräfentirtcn S^tungen
bie öffentliche 5Keinung vorbereiteten, bejolbete gum nid^t gcrin*
gen S^eil ber ^ergog oon Crleon^. Site bie Sfleoolution au*»
brac^, fonben jtd) an il^rer Spi^e ßbelleute, um für jie gu
reben unb gu fämpfen, ^riefter, um fie gu organijtren, Sifd^ofe,
um fte gu fegnen, föniglid)e ^ringen, um fic gu begal^Ien, ein
SWonard^, um fte gefd^el)en gu laffen. ©iefem &t\6fitäj/k mar
nic^tö gu fü^n: man burfte 3lDe^ tl^un unb 2ltte§ jagen, »emt
nur bie gorm foneft, gefällig unb püant mar. „^SRidi rül^rt^
'; Taine, Les Origines de la France contemporaine. L^ancien regime,
I, 191.
®ic Sriaucn in bct ©cfeUfd^aft. 243
nid^t baö aSal^rc, fonbcrn baö 3lcuc'', fo bad)ten mit bem nod^
baju ate SlnJ^ängcr be§ Scftcl^cnben geltenben @6nac bc ÜReiI=
l^an ungälöHgc feiner S^itfl^^^fK^^)- ®i^ gtüeifelten feinen
Sugcnblidf, bafe bie |)errjd)aft ber aSernnnft begonnen l^abe,
atte SErabitionen überwunben unb jte [elbft be[timntt feien, ba§
golbcne S^italter gu eröffnen.
SSon biefen Salären fprcd^enb ift es, bafe SaKe^ranb gefagt
^at, wer bantalö, öor 1789, nid)t gelebt f)abe, ber wiffe nid)t§
oom üerfül^rerifd^cn SReij be§ 3)afein§!
SBenn baö ber ßinbrud bei ben 5!Jiännem war, wie l^ätten
bie Srauen, für bie ftd^ ba§ ®ange wie ein S^ftfpiel entfaltete,
ber fibermädjtigen SBerlocfung wiberftel^en lönnen? SBerel^rt
gwar würben jte nid)t, aber vergöttert würben jte, unb im ge*
f^)enbeten SBeil^raud) üerlor ftd), xi)\xen felbft fa[t unbemerft, bie
6l^re unb Ärone il^reö ßebenS. ^?ur jte war eö, bafe bie bun=
felftcn ^Probleme ber ^l)ilofopl)ie ÄIart)eit be§ Sluöbrud'g er=
flrebten, bafe bie 2Siffenfd)aft epigrammatifd) unb oratorifd)
würbe, bie trocfenften 2:f)eorien unter anjiel^enben formen jtd^
bargen. 2Ule Seobad)ter ber focialen 3wftänbe beö bamaligen
$ari§ unb ^5ranfreid)§ l^aben biefer 2:t)atfad^e be§ überwiegend^
ben 6influffe§ ber grau SJted^nung getragen ; aber faum Semanb
i^at jte bejier au^gebrüd't aU, fpäter auf jte jurüdfommenb, ber
um 1787 im be[ten SJlanneSalter ftel^enbe SJtöberer: „SBer der«
möd^te un§ gu fagen", fd^reibt er, „wa§ bie 3Biffenfd)aften in
Sranlreid^ bem focialen Umgang, bem SBunfd) ber ®elef)rten
fd^ulben,* öon ^Jrauen öerftanben gu werben, ©ntfte ©tubien
jtnb htm weiblid)en ®efd)Ieci^t fo peinlii^, bafe ÄIarl)eit ein
Sebfirfnife für xtjve Seigrer würbe. gonteneKe fd)rieb feine
,3BeItförper' für bie 5Karquife be Sambert, 33oItaire bie ,^f)ilo=
\o^i)k öon Sdewton' für bie 3(Jtarquife bu 6l)atelet. SJlabame
Saüoijter würbe jjuerft üor Stilen in bie oon if)rem ©atten be*
wirfte Umgeftaltung ber 6f)emie eingeweit)t. . . . 3d) felb[t fa^
*) Nisard, Histoire de la Litte rature fran^ise, IV, 126.
•'\
244 gröberer barübcr.
bic ebenfo fd^önc atö liebenSroürbigc ^Rabamc %omcTOt) atten
ßoKegien i^re§ ©atten alö öerftänbigc 3«^ötcrm bein)ol)nen.
SDkbamc be ßonborcet würbe burd) ben irrigen in bie tiefften
@tubien pliilojopl^ifd^en S^fialtö miteingewei^t; ate Seroeiö ba=
t)on bient baö SBerf biefer aufeerorbentlid^ geiftreic^en unb be=
jaubernb j(i)önen %xan über Slbam ©mitl^'S ,3;i^eoric ber mora*
Uf(i)en ©mpfinbungen'. ^abe td^ gu bemerfen nötl^ig, wie t)iel
bie ©egenwart üon ad^t ober neun ber berül^mteften ^J^auen
ber ^auptfiabt unb be§ |)ofe§ bei ben ©ebatten ber (Sonfti*
tuante, il^re ©efprdd^e öor unb nad) ben ©i^ungen gur Ent-
faltung ber Serebfamfeit unferer gröfeten SRebner beitrug? S[t
c§ mir ju fagen gemattet, bafe bie SReüoIution uon 1789 baö
SBerf ber öfferitUd^en 3Keinung war, bafe biefe öffentlid^e ÜRei=
nung in ben SSerfammlungen gebilbet unb gereift würbe, wo
ba§ Stintmred^t ber grauen galt unb biefe alfo bie SKeoolution
jum Zljdl mitgemad)t l^aben, waö nid^t gum wenigften bagu
beitrug, t>a^ fie ftd^ bauernb erwies. ®ie Sntereffen, SÄed^te,
SBünjd^e, Sefürd)tungen ber g-amilienmütter, ber @d)Weftem,
ber ©attinnen, ftnb oon ben ©efe^gebern mitgefül^lt unb
mitbegriffen worben, oijxit bafe fte nötl^ig l^atten, jtd^ erft
®el)ör gu üerfd)affen, um üerftanben gu werben''^). 9lid^t am
ber§ bad)ten bie ^Jremben, ber ®enfer SJlaUet bu ^an, bie ämes
rifaner Sefferfon unb 9Jiorri§. 9WaUet flagt gwar, bafe bie
3äge ber ^ariferin ieber ©pur ed)t weiblid^en, tiefen ®efül^lö
unb unfd)ulbiger 3lnmutt) entbel)rten, aber er gefielet il^r geift=
reid)e gebenbigfeit in untiergleid)lid^em SKafee gu^); ber ftcife
3fiepublifaner 3eff^t"fon fpottet über ba§ Sagwerf biefer grauen,
baö um elf Uf)r 93tittag§ mit Sefud)en, bie um ba§ SSett ber
©amen ftd) fammeln, beginnt, i^nen faum gwifd)en ber 3Rorgen=
toilette unb bem ^aarlünftler Qdt gu einem ®ang burd)§ $alai§
^) Roederer, Fragments de divers Memoires concernant la Soci^tö
polie en France, Paris, 1834.
2)Mallet du Pan, Analecta sur Phistoire du temps. Uncblrtc
gramiliemSWottjen, 1785.
Ginftug bcr grauen. 245
fftot)al iicb[t einem l^albftiinbigcn ©d)lenberit burd) bic ©trafeen
nad) bem S)iner al§ eingige ffleweginicj läfet, worauf SSifiteu
unb ber fflefud) be§ %ij^akx§, bann Souper unb Äartenfpiel
Den Slbenb bis tief in bie 5Rad)t öerlängern. Slber fo Diel er
auSgufc^en finbet, gefielet bod) aud^ er am ©übe, bafe bic
SReinung ber fd)öuen unb jungen fyrauen, bie alle für ben
SierS fd)märmten, in granfreid) mäd)tiger aU bie 200,000 ^Äann
beg Äönigö fci^). @r gel)t felbft nod^ weiter al3 ba§ unb
meint, üon einer SIrt t)on ©inwirhing, bie fein 3fieformüorfd)Iag
mit in feine Sered^nungen gegogen l^abe, oon jener ber ^Jrauen
nftmlidö, ^^^ ^n feinem ganb glücflid)enoeife nid)t eriftire, werbe
am 6nbe baS @d)icffal granfreid)^ abl^ängen*-).
SBenn ba§ ßinflufe unb Stellung be§ meiblid)en ®efd)led)teö
waren, fo lol^nt e§ fid) wo{)l ber Wii)^ gu fragen, weld)en @e*
braud) e§ t)on benfelben gemad)t ijcit unb in weld)cr SBagfd)ale
bic grofee 3fiid)terin aller mcnfd)lid)en 2?inge, bie ®efd)id)te, baö
®ewid)t feinet Slntl^eiB an ben ©reigniffen unb fomit aud) baö
STOafe feiner ungel)euren Sßerantwortung gefunben Ijat ®ie
Srage fann nur bann xljxex Söfung entgegengefül^rt werben,
wenn feftgeftellt ift, wie bie grauen fid) j^ur geiftigen §err=
fd)aft, weld)e, um bie ßeit be^ amerifanifd)en Ärieg§ unb nod^
unter l^eftigem SBiberfprud) begiunenb, gu @nbe ber ad)tgiger
gal^re im S)enfen, im 6mpfinben unb in ber ^olitil eine fo
gut wie unumfd)ränfte war, Derf)ielten. S)iefe ^errfd^aft war
bie t)on SRouffeau. S)ie ß^ugniffe in biefer SSe^ielöiing ftnb ein*
fiimmig. ®rimm, üon bem SRouffeau fd)rieb, er fei ber einjigc
SDlcnfd^, ben er l^affe^), unb ber feineijeitö feine ©rünbc
§atte, fd)onenb gegen i^n ju iierfa{)ren, gibt uidjtiSbeftoweniger
iw ber »Correspondance litteraire« S^wgnife für biefen ftetig
') Jefferson, Complete Works. Correspoudance, II, 116 unb III,
10—11, 7. gcbruar 1787 unb 18. 50iar3 1789.
=f) ©bcnbafelbft, Sefferfon an ®. 3öaf§tnöton, II, 535, ^ariS, Scjcmbcr
1 788.
*) Berthoud, Rousseau au Val de Travers, 229.
246 2)iß grauen unb SHouffcau.
tr)Qd)jcnben ©influfe. S«^ S^ebruar 1775 nimmt er nid^t Sin-
ftanb, öon SBoltaire'ö »Don P^dre« fprcd^cnb gu fagcn, bicfc
Sragöbic jetge ©puren öon SHterSfd^toäd^e — sent la däcre-
pitude — ; aber obwol^I er 9iouffeau'§ ©^[tem aufö @d)ärf[te
Derurt{)eilt, jielit er bie SÄad^t feinet Salenteö feinen Slugenblitf
in Sweifel. SSon ®enf au§ fd)rieb 1780 3ol)anne§ öon aBütter,
ber .^{[torifer, an einen greunb: „@ö i[t erftaunlid^, wie loenige
@ad)en unb wie öiele SBorte je^t bie Äöpfe füllen. 6S i[t ge»
meinet Uebel unb au§ ^Jranfreid^ gebürtig. Uebcr]^aut>t l^errfc^t
nun SRouffeau'S SJtanier unb nic^t SKonteSquieu'S. S^ner er«
ftaunt ob SlHem, biefer erfiärt 2llle§. Qu jenem wirb ein leb=
I)after ®ei[t, gu biefem grofee ©elel^rfamleit erforbcrt, weswegen
jener bie größere @d)ule l)at 3)iefer aber wirb bleiben, wenn
bie Spannung, in ber ewig gu leben unmöglid) ift, enblid^ er*
fd)lafft. . . . ®a§ ift ba^ Unglücf, bafe ber öon 9Äonte§quieu
betretene SBeg ber @rfal)rung für ben ber ^l^antajte unb @pe»
fulation öerlaffen würbe, auf bem 9iouf[eau öoranleucit)tetc ober
auf wel(i)en er öerleitete" ^). Unb neun Saläre fpätcr, 1789,
fügt er, öon benfelben ©ebaufen geleitet, l)ingu: „3Benn bie
Siegeneration biefer ^l^ilofoplien gelingt, bann lafet un§ bie
Sudler gufd^lagen, benn bie ©rfal^rung ber Stationen unb ber
3ai^rl)unberte gäl)lt nid)t; 2Ronte§quieu ift ein einfältiger aj?cnf(i^
unb nid)tö fann falfd^er fein, alö ba^ bie Siegierungen mora*
lifd)er ©runblagen bebürfen. ©ie ^l)rafe genügt!" 2)
3ur felben Seit lam ber ©enfer ©umont öon gonbon naä)
^ariö gu feinem ^^teunb 3Jlirabeau: „®ie ^errfdjaft öon SSol«
taire ift, mit 2luönaf)me be§ S:f)eater§, gu @nbe", fd^rieb er öon'
bort an SiomiK^ nad^ 6nglanb, „SRouffeau fteigt in eben bem
SSHa^, in weld^em ber Slnbere finft. ®ie 9lad)Welt wirb ftd^
barüber wunbern, bafe man fie jemals al§ Siiöalen betrad^ten
fonnte". 9lid)t anberö urtl^^ilte Delöner, ber beutfd)e Searbeitcr
0 Sol^anncS bon mülUx, (Sammtlid^c SBcrfe, 1780, XV, 31.
2) ©benbafelbft, XV, 350.
^ DelSncr. ®ic ©eutfd^cn. ®ic ©ttglönbcr. 247
unb grcunb t)on @ie^e§, Slnfangö 1791, mitten in ber SRcDo*
lution: „S^^in Sacqucö SRouffeau tft, tüic Sie n)if[en werben,
eine aSilbfäule al§ 3Serfaf[er beö ßoittrat focial unb feiner
SBittwe eine ^enjton öon 1200 giöre§ befretirt n)orben'^ lautet
Oetönefö Srief an einen beutf(f)en £anb§mann. „3)ie 3[nbeter
btefeS ^eiligen werben am erften fd)önen i5rüf)lin0§tag nad)
©rmenonöiHe wattfal^rten. SSoItaire'S Sünger fd^reien gegen
bcibeS ^Abgötterei, feufjen, ba§ man il^i^en ^ropl^eten öergifet,
unb wal^rl^aftig, ber le^tere %lje\\ if)rer 3fieffamationen ift be=
grfinbet" ').
3n 3)eutjd)lanb erl^ob ftd^ bagegen faum ein SBiberjprud).
©enn nad) Sefjtng war 3- % ^louffeau ,,ber füf)ne SBeltweife,
weld^er fein 35orurtl^eiI anjel)eub, geraben 2öeg§ auf bie SBa^r*
l^cit gugel^t"^). Äant foll ein paar 2KaI feinen täglid)en
©pagiergang geopfert l^aben, um ben 6mil ju lefen^). ®er
Süngling ©d^iHer rief begeiftert auö:
„©ofrateö ging unter burc^ Sopl)iften,
Sfiouffeau leibet, SRouffeau fällt burd^ 6f)riften,
3fiouffeau — ber au§ (5f)riften ^Äenfd^en wirbt",
unb fd)idte feinen SRäuber 2Koor au§ ber Äultur l^inauö in bie
SBälber. Unb nod) für einen Slnbern ift SRouffeau ber 2lu^==
gangöpunft, aber freilid^ nur biefer gewefen. ®ö^ an ber $anb,
ben SBertl^er im §erjen, ttjat ber junge ®oet^e ben Sluöruf:
»Tals -toi, Jean -Jacques, ils ne te comprendront pas«^).
Berber, Safobi, Älinger, ßampe, ^einfe, bis l)erab ju Senj
legen S^iJÖ^ife ^^ \^^ ^i^ 9Kad)t ber Sbeen üon SJtouffeau über
fic, unb baSfelbe läfet ftd) in aKen europäifd)en Äulturldnbern
nadjwcifen.
*) Ä. @. OelSner, itad^ntfltiQer Igt. pteufeifd^er Scgationäratl^, Sricfc
ou8 ^oriS, 1790-1792, an ^uftijratl^ öon ^alem, 36.
^) §. «Lettner, ©cfc^ic^tc ber fran3öfifd5en Siteratur im ci6)i^t^nitn ^af)x*
Iftuitbert, 448, 45G.
^) 3. ^onegger, JlrtHfci^c ®cfci^id)te ber fran3Öfifd5en i^ulturetnftüffe in
ben legten S^Wunberten, 359.
*) 3K. S3erna^ö, 2)er junge ©oetl^e, III, 53, ©octl^e an ©opl^ie ßarod^e.
/
248 SWcrrier. S3. bc BainU^itne.
3n aUeu, biiS auf baö eine ©nglmtb, wo bcr politifd^e
@inn gu fel^r öefd)(irft unb bamit bie ßciftige ttnabl^ängigfeit
gu fe[t begrünbet mar, um ftd) für biefe ganje, po^jicme ©Ifidf*
jeligfeit gu begei[tern. 5)enn „gab eö je einen anti»englifd)en
®ei[t unb ßl^^^rafter, fo war e§ SRouffeau. ©eine Sfil^etoril, feine
angemeinl^eit unb Slpriorität, feine ©eroiffenloftgleit in fjcji*
unb Slufftellung öon 2l)atiad)en, fein ewigeö ftd) felbft Seifigen
unb Selügen anberer, ba§ burd)n)eg Ungentleman'fd^e tote baS
llnpraftifd)e in feinent SBefen, bie gange Unrcinlid)Iett feiner
SJlatur muffen e§ bem (gnglänber abfonberlid) fd^tocr mad^en,
gegen xijn gered)t ^n fein'' ^).
©onberbar genug. Sind) für biefe englifd)e ©taatSfunft Ijl
3. 3. SRouffeau ein ^rüfftein geworben. 21I§ einer ber ßcfälör^
lid^ften geinbe ber greifieit üon ber großen liberalen gartet
abgelel)nt, ift er l^unbert ^atjxt nad) feinem Siobe öon bcr
iungen rabifalen ©d^ule aboptirt worben. Sl^re gewanbtcjlc
geber, bie Don 93lr. Sof)n 9WorIe^, ijai eine Sinologie t)on % 3-
SRouffeau geliefert, bie oor nid)t§ juröcffd^redft, weber öor bcu
ßonfequengen beö ©ocialfontraft^ nod) oor ben Ungel^cucrlid)*
feiten ber ßonfefjionö, nod) \)ox ber Semunberung beö SergS*),
bie in aKen ^auptpunften bie 3:f)eorie üon SKouffeau fo be»
bingung§lo§ anerfennt, ba^ ein Äritüer oon ber Scbcutung
Äarl |)inebranb'^J ben „eblen Srrtl^um" beö xf)m befreunbcten
©nglänberö nid)t anberö al^ mit ber mal)r{)aft graufamen @nt*
fi^ulbigung „aufeerorbentlidjer 5Raioetät unb ttnlenntni^ con«
tinentaler Sinnesart" ju berfen weifet).
5ftit ooUcm 5Red)t bagegen fonnte 9Kercier, ber Äritifer,
^ublicift, 3lbgeorbnete bc§ föonoentö, unb wie fo mand)er 3ln*
bere, in ber j^wölften ©tunbe feinen 2lntf)eil an bem SBcrl be»
') 51. ^illcbranb, 5(u§ unb über englanb, Sol^n SKoric^, (StuMcn
über ha^ ac^tjcl^nte Sa^r^uiibert, 338.
*) John Morley, Rousseau, 1873.
3) Äarl ^illebranb, 9(u§ unb über fönglanb, 339.
Sarerc. SWabame dltdtx. 249
reucnb, im gal^r 1791 ein ganjeg Sud^ über „% % SRouffeau,
als einen bcr erften Url^eber ber SKeDoIution betrachtet", t)ers
ausgeben ^). SSemarbin be Saint =^ierre, fein entf)ujta[tifd)er
©d^üler, ging nod^ einen @d)ritt »eiter. @r verleugnet nid)t
nur ben ^atriar^en Don ^Jerne^, er nennt \t)n au^brüdlid)
„bcn böfen ®eniu§ be§ 3al^rl^unbert§, baö feinen guten @eniu§
in SRouffeau fanb''. Slud^ ba§ ift bejeid)nenb, ba& bie erfte,
cigentlid^e Slpologie üon Siouffeau au§ ber geber öon Sarere,
„bem S![nafreon ber ©uillotine", ftammt. Sie erfd)ien 1787.
SBlan lennt ba§ SEßort 9lapoleon'§ an ©taniölauS ©irarbin,
„bafe ol^ne 3. 3. SKouffeau granlreic^ feine SReDoIution erlebt
l^ättc". ^5rau t)on ©tael wieberl^olt eö unb berid)tet, er l^abe
l^injugeffigt, bafe er eö nid^t beflage: »car j'y ai attrape le
trönec2). grau öon ©taef fclbft enblid), bie bei i^rem Eintritt
in bie Siteratur ftd) auöbrüdlid) gu SKouffeau'ö ga^ne befennt,
Ijat SSoItaire'ö nur feiten unb ganj Dorübergel)enb gebad)t.
3lid)t nur ber grofee Strom ber öffentlid)en ^Meinung, and) bie
8lnjtd)ten S)erer, bie if)r am näd)ften ftanben, beeinflußten fte
ffir il^n im Sinn aller il)rer perfönlid^en Smpulfe. 6§ ift
tt)icber]^olt barauf l)ingetüiefen worben, baß SKabame nieder
Sineö aufbot, um Don ber 3ugenb il^rer Soc^ter bm ©ebanfen*
freiS SRouffeau'S fernjul)alten. ©ag Q^\d)aij aber nid)t etwa,
»eil fte feine Sbeen Derurtf)eilte, fonbern weil aud) fte gu über=
mäd)tig Don tl^neu ergriffen war. @ie, bie ftttenftrenge, Dor=
tturfSfreie grau fd^reibt, nad)bem fie bie ßonfefjton^ gum 3:^eil
unb nod) im SKanuftript gelefen l^^t, an ?!Roultou: „3d) bc=
lenne baß, fo lange bie ,,,Jpeloife", ber „(Smile", alle biefe gött=
lidjen unb wefentlid)en S3eftanbtt)eile Don 3iouffeau in unfern
^änben ftnb, id) ba§ Seben tl)re§ SSerfafferö nur al§ ein
*) Sebastien Mercier, Jean- Jacques Rousseau, considere comme
l'im des Premiers auteurs de la Revolution, Paris, 1791.
*) Jobez, La France sous Louis XV., V, 640. Madame de Stael,
Consid^rations sur la Revolution fran9aise, partie IV, chapitre XVI, Edition
1838.
/
250 SWouItou.
fd^tt)ad)cö 3lebcntt)erl betrad^tcn fann unb cö mir fd^eint, al§ ob
ein ©d^leicr über bie %ü)kx biefe§ 33ater§ ber Saugen b Qt^
tt)orfen werben foKe" ^). Unb SKouItou, ber einftige ^rebiger
beö ©öangeliumg, ber feinem ©tanb unb ber S^eologie cntfagte,
weil er entberft ju l^aben glaubte, ba§ ber Slpoftel ^aulu§ unb
ber l^eilige 3lugu[tinu§ bie £el)re Sefu 6l)ri[ti öerborbcn l^atten,
fiberbietet biefen @ntf)ujta§muö feiner ^reunbin burd^ ben feinigen.
„Di), mein greunb, Sie finb grofe", fd^reibt er 1763 bem auf
©d^weijer SSoben, aber unter ^nebrid^'ö ©cepter, nad^ SSal be
S:rat)er§ geflüd^teten 3^^^ Sacqueg, „aber idt) bin gro§ genug,
um bie |)ol^eit ^l)X^x Seele gu füf)Ien." „O 3ulie, D Saint»
^reu;c, D ßlaire, D 6buarb'', ruft er nadC) ßeftüre ber 3lcuen
|)eloife, „n)eld)e SBelt bett)ot)nen (gure Seelen unb wie lamt ic^
mid) mit 6ud) Dereinigen!'' Unb nac^bem er ba^ ©laubcng«
befenntnife beö SSicaire faüotjarb gelefen: „SBenn idt) nid^t gc*
glaubt ptte, beüor ic^ e§ Ia§, fo würbe id) gang gewife je^t
glauben". 9luf)ig unb banfbar nimmt er e§ l^in, ba§ SRouffeau
il)m 1763 ratl^et, fein priefterlid^e^ ®ewanb, ,,ba§ gum Sd^intpf
für il^n geworben", abjulegen unb if)n 1769 ermal^nt, „feft
im ©lauben ju bleiben"-).
„Siouffeau'ö Sd^riften", urtlieilt SBiUemain, „waren bie
S3ibel if)rer ß^it". 6ö fiel nid^t fd)wer in bie SBagfc^alc, wenn
@rimm, ©iberot, @aint=Sambert, {)eftige SBiberfadljer geworben
waren. Ratten fie bod) Sllte bem ©enfer gef)ulbigt, beöor pc
fid^ mit bem 5!Kenfd)en entzweiten. SKale^l^erbeö, ber loniglid^e
ßenfor, forgte für bie SSerbreitung beö ßmile, ber ofpjieH Der*
boten, unter bem Siegel beö großen Parlamentarier^ oon ^cax&
gu ^aug wanberte; er war nid)t nur ein 3lnl)änger, „er war ein
Seftirer Don % 3. SKouffeau" 3).
*) Madame Necker, Melauges, I, 147.
2) Berthoud, Rousseau au Val de Travers, 109, 140, 142, 147.
Gaullieur, Etudes sur Thistoire litteraire de la Suisse fran9aise, 87.
•**) 55a§ Söort ift öon Saint-Marc-Girardin, J. J. Rousseau, sa yie
et ses ouvrages, 11, 364.
8a(i^auinont. ßl&riftopl^c bc Scournont. Goinbet. 251
8l(S bcr 6milc unb bcr ßontrat focial 1762 erfd^icncn, /
fd^ricb Sad)aumont, „SKouffeau jpredöc nur laut au§, roaö SlIIc /
im Jpcrgcn . trägen'^ ^). „Scjen Sie ben 6mile", fcl)rieb ÜRounier,
einer bcr fd^arf jtnnigften Äöpfe ber fünftigen ßonftituante, ,,unb
töcl^e Sinnen, wenn Sie bann nic^t ba§ Sebürfnife, beffer ju
werben, entpftnben foKten''^). gfta^nal, SfiomaS, 9!JJarmonteI,
^Dlabl^, 33emarbin be @aint=^ierre, 3)upatt), Florian, SRoud^er,
^Rcrcicr, Serquin, ftanben unter bem bireften 6inPu§ Don
tHouffcau. Sit ß^ö« füllten ftd) bie Äird^en, unt einen ^rebiger
gu Igoren, ber feinen S:e;ct bem ßmile ent(el^nte^). @ö »irb
ergdl^tt, bafe ßl^riftoplie be Seaumont, (grjbifd)of öon ^ariö,
beffen Hirtenbriefe gegen ba§ Sud) Slnlafe gu einem ber größten
®rfoIge 3fiouf[eau'ö gegeben l^atte, in ber Intimität nie anberö
uon il^m gu reben ppegte, al^ um feinen ß^arafter, feine Stugen-
bcn, feinen ©eniuö, feine freiwillige Slrmut^ unb feine Sluf«
tid^tigfeit gu rä{)men*).
SBemt %xan öon @tael üon biefen üornel^men gefenf(i)aftlid)en
unb literarifdjen Greifen in bürgerlid) einfad^ere Siegionen über=
ging, fo fanb fte benfelben ÄultuS wieber, bei jenem ßoinbet u. a,,
bem Äaffter beö S3an!f)aufeö 2:f)eluffon==9lerfer, ber biö gu feinem
1808 erfolgten SSobe if)r treu ergebener ^5^cwnb blieb, unb beffen
9lamc in ben 6onfeffton§ wie fo mand)er anbere gang un=
nötl^iger SBeife gefd)mäl^t ift. ßoinbet war SRouffeau'S he-
gciftcrter SBerel^rer unb bagu ein Iluger, ad)tbarer SKann, ber feinen
8lnla§ l^atte, ber @d^meid)ler ber ©rofeen gu fein, ben biefer
au§ il^m mad)te^). @ing g^rau oon ©tael bann oon ben
*) Bacbaumont, Memoires, I, 137, cttirt bei Rocquain, L'Esprit
r^volutionnaire avant la Revolution, 235.
^ Bardoux, La bourgeoisie fraiK^aise pendant la Revolution. Revue
des Deux-Mondes, 1886, ganuar, 401.
^) Costa de Beauregard, ün homme d'autrefois, 25.
*) Berthoud, Rousseau au Val de Travers, 85, dlott, nad^ Brizard,
Edition Poincot.
*) Rousseau, Coufessions, Sejour ä niermitage. Saint-Marc-
Girardin, J. J. Rousseau, sa vie et ses ouvrages, II, 261.
252 Urfad^en biefc« einfluffc«.
SKänncrn auf bic grauentoclt be§ Salon 9ledfcr über, fo fanb
jtc öoUcnb^ faum eine ober jtoci unter il^nen, bie feinem 6inPu§
entgangen waren, bafür aber greunbinnen unb QJönnerinnen,
wie bie 9Karfd)aUin oon Su;rembourg, SKabame b'^oubetot,
©räfin S3oufflerö, ®räfin b'ßgmont, um nur fold)e, bic
eine SRoIle in feinem fieben gefpielt l^aben, ju nennen. 3n
biefer Sltmofpl^äre ertt)ud)§ ^^fäulein Siedfer. S)ic „©riefe über
aiouffeau" bejeugen, ol^ne e§ burd) genaue S)aten feftjuftellen,
bafe fte i^n frül^ gelefen, in erfter Sugenb jtd) an i^m begciftert
I)atte. ©ein Sauber pacfte jte, wie er bie gange ©encration
be§ legten S^i^rgel^nt^ t)or ber SReuoIution gepadft l^at unb au§
ben gleid)en ®rünben. Sie fd^öpften iijxt SJiad^t au§ ber bop*
Veiten 3:i^atfad)e, bafe' für fie fein Softem gugleid) eine Steuerung
unb eine SReaftion war.
9leu waren bie ^arabo?:en ju ©unften beö 9laturju[tanbe§
unb gegen ßiüilifation unb S3ilbung, in ben Slbl^anblungen oon
1750 unb 1755, „über ben ©influfe beö gortfd)ritt§ ber fünfte
unb SBiffenfd)aften auf bie Sitten" unb „über ben Urfprung
ber Ungleid)l)eit unter ben 9Kenfd)en", biefem ÜRanifeft gegen
bie ©efeflfd^aft, beffen reoolutionäreö Programm oon leiner ber
fpäteren Schriften SRouffeau'ö an SBoUftänbigleit übertroffen
worben ift. 9leu waren ber mobernen europäifd^en SBelt bie
gel)ren be§ ßontrat focial, oon ber Unoeräufeerlid^feit ber ©ouoe*
ränetät be§ 33olfe§, bie ^roflamirung beö unumfd^rdnften, unbe=
bingten 32Binenö SlHer, al§ einziger ®runblage ber Slutorität unb
I be§ Staate^. 9leu bie folgerid^tig barauö entfpringenbe ©oftrin,
nid)t etwa oon ber bürgerlid)en ®leid)l^eit unb bemfelben 3lied)t
iebe!§ (äinjelnen oor beut ®efe^, fonbern oon ber S3ered)tigunf
Silier jur 2:l)eilnal)me an ber ^Regierung, bereu einzige 9ied)tö
quelle ber ftetö wieberruflid)e, nad) ©utbünfen oerönberlid^e SSBiP
ber ®efammtl)eit ift. 9^eu war aud) bie ©rjiel^ungömetliO'
be§ ßmile, ba§ Sw^rfgel^en auf bie 3latur, bie nid)t be!ämJ
ober geregelt, fonbern blofe unterftü^t unb entwirfelt werben f
3lad) ber ©rtlärung ber 9Jtenfd)enred)te im @ocialfontra!t fo'
3. 3. Sflouffcau unb ^obbeS. 253
bicfc ©rHärung bcr Äinbcrred^tc, nad) ®oetl^c'§ SBorten „ba§
Sßaturcöangclium bcr ©rgiel^ung'', im ©angen eine unmöglid^c
Utopie, wie iebe§ ©^[tem, baö SRouffeau aufbaut; im ©injelnen
Doli befnid)tenber, roenn aud) beftänbig jtd) toiberfpredienber
Slnregungen unb nü^Ud^er SBal^rl^eiten, wie SlKeö, waö fein
®cniu§ berul^rt.
Sebermann, ber auc^ nur pd^tig mit 9iouf[eau jtd) be«
fd)äftlgt i^at, weife, ba^ biefe feine Sbeen, wenn aud^ neu für
feine Sefer, boä) gröfetentl^eils nid)t originell waren, ^unbert
Saläre frül^er l^atte ber (gnglänber ^obbe§, im ©egenfa^ gu
Sftouffeau, ber eine SReooIution vorbereitete, eine anbere SRedo^
lution burd^lebt. ®ie it)m üerl^afete politifd)e 3lnard^ie fc^rieb
er ber ©inwirlung religiöfer ©inpffe ^n. Um beibe gu be=
lämpfen, oerlegt nun ^obbe§ ben @c^werpunft in ben 3)efpotiö=
muS eine§ ©injigen. @ein g^ürft ift ber Sräger ber unum*=
fc^räntten SJlad^t, auf fird^Iid)em wie auf ftaatlid^em ©ebiet,
ba jeber Untertl^an, Iraft eineö 3Sertrag§, freiwillig unb un=
wiberruflid^ il^m alle feine inbiüibueHen Sefugniffe gur SSerfügung
gefteHt ^at unb ber allgemeine SBiKe nidit irren fann. Unb
eben weil biefe 5Kad^t nic^tg anbereö atö ber ©ngelwille 3111er
ift, ber jtd^ im ^Jü^ften barfteHt, fo bebarf biefer leiner S3e*
fd^ränhmg unb ba§ 33olf feiner ©arantien. ®enn wie fönnte
ber %ixx\t je üerfud^t fein, etwaö gegen ©ieienigen gu unter*
nel^men, beren 3Bol)l unb 3itteref[e er oerförpert, unb beren
SBiHen er auöfpridjt. ®aö ift ber ^unft, wo bie ©oftrinen beö
„gcöiatl^an" unb beö S3ud^ö „be 6iüe" [xä) mit ben Sl^eorien
öon SRouffeau berül^ren.
©ie au§fd)Iiefelic^e Ableitung einer unbefd)ränften gürften=
gewalt aus allgemeinen aSerträgen ift ebenfo falfd^ unb l^iftorifd)
ttnwal^r, alö bie £el)re SRouffeau'S oon ber urfprünglid)en ^rei*
i&eit unb ®leid)l)eit aller (gingeinen unb ber ewigen Unüeräufeer*
Iid)Ieit il^rer SKed^te. ®a§ Softem üon §obbe^ gipfelt in ber
obfoluten SJlonard^ie. SRouffeau ftürgt e§ um unb fe|t bie
@out)eränetät beö aSolfeS an feine Stelle. 3n il^ren ßonfequengen
»Unnevl&attett, Örau ton 8tael. I. 17
254 ®^^ Ancien R6glme.
aber ftimmen beibe übcrcin. ®a§ Ic^tc aSort bcr ©taatSlcl^rc
be§ Slnlöängerg ber ©tuart'ö unb bcr ^l^iIojo^)]^ie nad) bcm
Slaturred^t bc§ Sürgerö üon @enf lautet nad) crfterem ju
®un[ten be§ S:l)ronö, nad^ le^terem ju ®un[ten bcr ©emofratie,
aber beibe öemid^ten bie bered)ttgte Unabl^angigfcit bcö Snbt:»
Dibuum§ unb ba§ 3fied)t ber ?Dlinoritäten, beibe ücrlenncn bic
t|iftorifd)e 6nttt)icflung unb ba^ eigentlid)c SBcfcn bt§ Staates,
beibe enbigen im ®efpoti§mu§. 2lud^ ber ©niilc, ba^ 2)enl==
mal don SRouffeau unb feine größte ©d)öpfung, l^at SWuftcr
gel^abt unb SSorgänger aufäuweifen. ©ie (gffa^ö t)on ÜRontaigne,
bie SBcrfe üon Sode, be§ politifd)en ®egner§ öon JpobbcS, l^abcn
nid^t nur anregenb, fonbern aud) baburd^ auf il^n gewirft, ba§
jte il^n jum SBiberfprud) üeranlafeten. (g§ öcrftcl^t jtd^ Don
jelbft, ba^ bie ®runbfä|e ber bi§ bai)xn fo gut wie au§fd^Iie§*
lid^ tt)irffamen gei[tlid)en @rjiel)er üon il^m mit ausgebeutet
njorben finb^). ®ie 2Bal^rf)eit aber fprad) ©rirnm, wenn er
fragte, „wem benn SRouffeau feinen ©t^I, feine 33erebfamleit,
fein ©olorit geftol^Ien t)abe?" ®aS mar ber eigentlid^e Äcm
ber %xaQt, ba^ aud^ bie lanbläufigften Söal^rl^eiten öergcffen
maren ober nid)t mef)r bead)tet mürben, bis SRouffeau lam unb
i{)nen neues Seben einlöaud)te. 6r befierrfd^te feine S^t, nid^t
fo fe{)r, meil er il^r eine neue fflotfd)aft gu bringen i^atte, als
Dielmefjr, meil er il)r ein ©tüd ber alten 2BeiSl^eit in neuer,
glängenber Umljüllung miebergab. ®aS ©el^eimnife feiner SRacftt
ift meniger in iijm felbft als in ber @d)mäd^e feiner ©egner,
in ber ßntmidf'Iung oon Äird)e, Staat unb ®efettfd)aft feit bem
%ob Submig'S XIV. gu fud^en. Submig, ber |)errfdt)ertalente
in nid)t gu flbertreffenber 33oIIenbung befafe, l)atte bie aergemiffe
feines Privatlebens jum Sljeil baburd) jju fül)nen gefud)t, ba§
er feinem 33egriff oon Drtlööboj:te unb Äird^e burd^ SSerfolgung
ber ßalDiniften nadt) Stufen, ber S^nfeniften im @d)0§ beS
') 33ro(icrl^off, 3^ait»Sacquc§ Slouffcau, fein Seben unb feine SBcrfc,
lir, 48 u. 155, citht eine eigene (Sd&rift, Les Plagiats de Mr. Rousseau de
Geneve sur Teducation, üom 23enebiftincr D. Cajot.
S)cr gtcßcnt. 255
«igenctt SSelcnntniffcö cntfprad). S)cr jweitcn ^älftc feiner 3fic^
flicrung fel^lt cö nid^t an büftern Silbern; feineö aber ift tra*
flifd^er at§ bie ^Austreibung ber eigenen fianbeSfinber in junger,
Äälte unb 9lotl^, bie 6nttt)eil)ung ber ©räber ber l^eiligmäfeig
flcflorbenen, aber anberS ate ber Äönig benfenben 5ßonncn
öon ^oxt'dto\)al, beren ©ebeine, faum aufeerl^alb beö Sereid)S
t)on SSerfaiHe«, bie t^unbe l^erumgerrten. (äntjd^ulbigen laf[en
fold^e Sl^aten jtd) nid)t, tt)ol^I aber laffen jte jtd) erflären. Stuf
Seiten nid^t nur ber Opfer, fonbem anä) il^rer ©egner »aren
ftarle, aufridjtige Ueberjeugungen. Höflinge ntod)ten I)eudt)eln,
um bie ®unft beö alternben 3J?onard)en gu gewinnen; aber
aSoffuet unb ben St^eologen ber gaKifanifd^en Äird^e war eö
nid^t minber @mft aU ^aöcal unb ben ^ort:=9io5aliften. Unb
gerobe bem ftarf entwicfelten religiöfen Sewufetfein liegt nid^tö
]o nal^e als gntolerang. SBerbammungSmürbig ift jte immer,
aber ebenfo t)eräd[)tli(^ als unerträglid) mürbe jte erft bann, als
bie ttebergeugungen inS SBanfen gerietl^en ober üerfd)manben,
bie Verfolgung aber blieb, „©er §of fd^mi^t ^eud)elei'^ fagtc
iSaints@imon unter ben legten ^legierungSjaliren beS großen
ÄonigS. 2)er 3fiegent, auf feinen Unglauben ftolj, »erlangte
einen fold^en Stribut nid^t mel)r, aber liefe eS rul)ig gc=
fdEjel^en, ba^ ber ®laube ben SKenfd^en aufgejmungen mürbe,
ben er felbft tief genug t)crad)tete, um ben römifd)en ^urpur
für einen S)uboiS gu begeljren, ber nid)t menig baju beiträgt,
aSoltaire gu erflären^). gleur^ fd)abete nid)t meniger, obmol)l
in anberer Sßeife. 6r fteUte einer Seigre in ber Äird^e bie
5Kad^t ber Ärone jur SSerfügung unb brängte ben römifd)en
©tul^l gu unl^eiboKen @d)ritten. 5)er Äampf gmtfd^en ber
ultramontan geftnnten ^Regierung unb ben janfeniftifd) gejtnnten
Parlamentariern unb iliren 2lnl)ängent füKt bie erfte ^älfte ber
neuem frangöjtfd^en ®efd)id)te beS ad)t3e]^nten ^at)xl)nnbtvt^
*) Voltaire, Lettres anglaises, Oeuvres XXVI, 29, citirt bei Buckle,
flistory of Civilisation in England, I, 692, Sßotc.
17*
256 S)ie SBuHc UnlgenituS.
auö. ©ic janfcniftifd^cn Slnfd^auungcit bcl^auptctcn in ^ari^
ba§ gelb, alö bie SuHe Unigcnituö, bic öoit bcm ©ctüiffen
Unterwerfung, aud^ ol^ne Jebe innere Ueberjeugung forberte, in
%xanlxd6) aufgebrungen würbe. 3m ^al^r 1731 befprad^ einer
ber größten SRebner be§ 5ßarifer Parlaments, Slbbe ^uceHe, bie
öon btefer SuIle ausgeübte Söirhmg wie folgt: „Seit btefe
SBuIle in %xanfxtxä) Slufnal^me gefnnben ^ot, jtnb wir öon
Uebeln umringt. Mt Quellen beS ®uten jtnb öerftopft, alle
@(i)ulen dergiftet. 2Sa§ ift au§ ber Sorbonne geworben, au^
welcher man l^unbert ©oftoren ber S:l)eologie unb gwar bie ge^
letirteften unb btm Staat ergebenften, mit einem Schlag entfernt
l^at? 3Ba§ au§ ber berülimten ©d^ule oon @ainte=a5arbe, bie
fo üorjüglid)e ©iener für Äir(i)e unb Staat grofejog? @inb
nid^t aHe @(^id)ten ber Seoölferung, alle beftel)enben Snftitutio^
neu verwirrt unb jerftört?" ^) aSon biefem SReinigungöprocefe,
ben ßarbinal ^^l^ut^ mit ber fat^olifdi)en Äird^e in granfreidfj
üontal)m, l^at biefelbe jtd) nie wieber erl)olt. ®ie Station gwar
in i^rer weitaus größeren SKel^r^eit lebte unb ftarb il^rem
®lauben gemäfe, fonft würbe bie beftel^enbe gefeßfd^aftlidie Drb«
nung fdion bamals gu ej:iftiren aufgeljört l^aben. 8lber bie
9Kac^t ber religiöfen Sbeeu über ben @eift unb bie SBilbung
ber Qtxt ging verloren. 3m langen Streit ber Parteien waren
bie Äräfte aufgegel)rt unb lal)m gelegt worben. Sülle ©täbte
granfreid)'^ gä^lten üerbannte S^eologen, t)on il^ren Sel^riiül&len
entfernte ^rofefforen, fuSpenbirte ^riefter in il)rer 3Ritte. Selbjt
Älofterfrauen mußten i^rer »erfolgten SÄeinungen wegen obbad^*^
loS uml^erirren unb gute, fat^olifd)e ß^riften ol)ne bie Safra*
mente fterben. @in merfwürbigeS Seifplel unter fielen üon
biefen S«ftänben fnüpft ftd) nod) 1778 an ben SSefud^ beS
ÄaiferS Sofep^ in ^ariS. ©iefer fprad) bem Äönig ben aBunfd^
aus, btn 2Sol)ltl^äter ber Saubftummen, 5lbbe be TSpöe, fennen
^) Abb6 Pucelle Bei Aubertin, Les Parle mentaires jansönistes du
XVIII Siecle. Revue des Deux-Mondes, 1881.
Smiona bcr religiöfcn mit ber ^olitiMcn £)|)|)ofit{on. 257
gu lernen, ber nid)t nur gum SSermittler biefer Unglfitflid)en mit
il^ren SDflitmenfd^en burd^ erpnbung ber ßeidienfprad^e geworben
voax, fonbem il^nen feine gange §abe big aujö 3lot^tt)enbigfte
Dpferte. S)e§ Äaiferö Srage aber fonnten »eber feine ©d^^efter
Tio^ Subtt)ig XVI. beantworten. Sie Ratten ben $Ramen beö
üortrefflic^en SJIenfd^en unb 5ßriefterö nie nennen gel^ört, benn
i)er ©rgbifdiof t)on ^ariö l^atte t^n, jianfenifttfd)er Sbeen njegen,
unter Subtt)ig XV. fuSpenbirt ^). 6ine gange Siteratur begeugt,
toaö bie Seelen bamal^ litten unb xok bie Seiter ber frangöjt*
fd)cn Äird^e baö SBort gur SBal)rl^eit gemad^t l^atten: »Desertum
faciunt, pacera appellant«. ©a§ (5]&riftentl)um überlebt fold^e
Ärifen, aber ber Staat ging barüber gu ©runbe. ®ie öerle^ten
Uebergeugungen fiüd^teten unter ben @d^u^ ber parlamentarifd^en
greil^etten. 3n ber 3lufle]^nung gegen ben SKipraud^ Iird)lid^er
Slutorität fd^ulte pdf) ber SBiberftanb gegen bie Sluöfd^reitungen
bcr Mntglid^en ©eioalt. 2Bie ftc^ ber mouard^ifd^e 8lbfolutiömug
mit ber l^ödE)ften 9Jiad)t in ber Äird^e üerbünbet l)atte, fo filierte
Jefet bie Sieaftton gegen ben afö ungered^t entpfunbenen S)rucf
in religiöfen Slngelegenl^eiten gum SBiberftanb auf politifd^em
©ebict. ®a§ erfte Dppofttion^blatt g^ranfreid^'^ ftnb bie »Nou-
Teiles eccl^siastiques«, bie überall derfolgt unb üon Sebermann
gelcfcn mürben, gerabe mie bie SSorgänger ber Sribune öon
1789 jene ianfeniftifc^en ^^Jarlamentarier finb, benen baö be»
Icibtgte ©emiffen Serebfamfeit lie^^), ©{e m^ aber, bie
2)ränger mie bie Sebrängten, arbeiteten einem gemeinfamen
gcittb in bie $änbe; „Sanfeniften unb Sefuiten gerreifeen pd^",
fd^rieb aSoltaire 1762, „man mufe jte, bie (äinen burd) bie
Slnbem öernid^ten unb bie angefammelten 2:rümmer foHen ber
SBal^rl^cit jum ©d^emel bienen"^). ®er Söa^r^ett? SBaö benn
») Droz, Histoire de Louis XVI., I, 233.
*) Rocquain, L'Esprit revolutionnaire avant la Revolution. Buckle,
History of Civilisation in England, Chapters XII and XIV. Sainte-
Beu?e, Port-Royal, III, 21, 255, VI, 67, 192. Aubertin, Les Parle-
mentaires jans^nistes.
®) Rocquain, L'Esprit r6volutionnaire avant la Revolution, 236.
258 ^^^ ^^ilofopl^en unb bie @nc^no|)abiften.
I^aben SSoItairc unb feine (äeftnnung^genoffen fo genannt? ßr
felbft üerftanb barunter eine ungel^eure ß^^törung, bcn Äantpf
gegen alle pofttiöc Sieligion, ben epifureifd^en ®eiSmu3, beffen
befte 5ßl)afe, eine optimiftifc^^l^umamtäre ©ejtnnung, in bcn
SBorten jtd) auSfprad): „6§ möge SlUeö gut ober fd|ltmm fein,
forgen »ir, bafe SlUeö beffer merbe". ©ein Slntl^cH an ber
Sieöolution i[t nid)t ©^mpat^ie für ba^ SSolf, baS er Weber
Diel bead^tete nod) liebte; er beftel^t öielme{)r barin, bafe er bic
©eftnnung ber Stegierenben reüolutionirte. Sein blinbcr fja*
natiömuö gegen ba§ 6^rtftentl)um, ben nid)t§ weniger atö fein
ungelö^urer SSerftanb entfd^ulbigt, war nidit ber 3Beg ju einer
fold^en Steform; er ftrafte feine Soleraujboftrin ber Silge. 8U5
1770 baö „Softem ber 5Ratur", biefer „6obef be« ati^eiSmuS",
erfd^ien, reagirte 33oltaire, aber gu fpdt, gegen bie ©elfter, bie
er gerufen l^atte. 2)aö SBerf öon b'§olbad^, wcIdöcS jebc
religiöfe 3legung alö geiftige SSerirrung bejeidjnet ^); war nur
ba§ öollftänbigfte einer langen Sieil^e äljnlid^er ^robuftc. ^cl«
öetiu§ {)atte 1758 baö materialiftifd)e Grebo in beut Sud| „öom
®eift" formulirt, weld^e^ bie ßfiftenj eines fold^en Icugnenb
SmeS auf bie Sinne gurüdfülirt unb eine entfpred^enbe SlÄoral
aufbaut. SBeit entfernt, ben allgemeinen Unwillen gu erregen,
fanb jtd), bafe ^eloetiuS ba§ populäre Sud^ ber guten ®efclt
fd^aft gefd)rieben unb, wie bie 9Äarquife ®u 3)effanb meinte,
„ba§ ©el^eimni^ SlHer auSgeplaubert l^atte". ©ie S^^eorie ju
biefen 3lu§Iegungen fam don Gonbillac, „bem SWetop^^pfer beS
frangöjtfd^en ad)tgel^nten ^aljx^nnbttt^"^), ber bie ^pofopl^ie
öon Sodfe btn grangofen gugänglid) gemad)t, aber im Sinn ber
materialiftifd^en 3)oftrinen weitergefül^rt l^atte. 3m ®efolge
biefer SBortfül^rer, mit ©iberot unb ber (äncgflopäbie, arbeiteten
Ungäl)lige weiter. Slud) l^ier fanb ftd^ bie alte @rfal^rung be*
ftätigt, ba§ wie nid)tg öoUfommen gut, fo aud^ ba§ ©d^Iimmjie
^) Barante, Tableau de la Litterature fran^aise au XVIII Siecle, 94.
2) Cousin, Histoire de le Philosophie, I. Serie, III, 83.
2)lc gflcaftion qtqtn fic burd^ 3. 3. SRouffcau. 259
nid^t ol^nc SRu^cn ift. 2)ie öemerfUdjfte aller ^l^ilofopj^icn,
auf bic 9licmanb mcl^r in bcr Sl^cotie gurfidfgreift, aud^ xotnn
er unglfitflid) genug ift, pe in ber ^xajA^ gu üben, füt)rte gum
©tubium ber 9latur, gab ben Slnftofe ju ben wiffenfd^aftlic^en
6rrungenfd)aften ber Sadoijter, Salanbe, ßuüier, gourcro^,
Sßx6)at, unb leitete fo in bie neue 3^it Ijinüber. Slber il)re
ffiirfung auf bie Seelen blieb nid^t minber troftloö unb ger«
fe^enb. Unter ber abfoluten SJlegation be§ ®eifte§, bem ^a§
gegen aßcö Sieligiöfe, ben aufget^ümtten @opt)i§men ju ®unften
aller SBerirrungen, ber (gmpörung gegen jebe Slutorität, ber um
erbtttlid)en ©at^re unb beö triumpl^irenben ©potteö gegen 8lKeö,
was bis bal^in im ©enfen wie im Seben als lieilig unb uner*
fd^fitterlid^ gegolten l^atte, fanfen alle Uebergeugungen unb alle
Srabitionen in Srümmer. Unb wie Ratten, unter ber t&errfdiaft
bicfeS materialiftifd^en 5ftaturaliSmuS, ber ben Urfprung ber
©ebanfcn in bie ©enfation verlegt unb als 3RotiD menfd)lid)en
^anbelnS nur ben ßigennu^ beftel)en läfet, nod^ etl)ifd^e Segriffe
überleben follen? 2)er räfonnirenbe 3Serftanb bel^auptete allein
baS iJelb unb negirte bie jtttlid)e greil)eit.
S)a lam SRouffeau unb mit i^m bie SReaftion, bie nur
burd^ baS SSorl^ergegangene möglich war unb berftänblic^ wirb.
©eine erfte ÄriegSerflärung gilt eben ber Uebermad^t unb Ueber*
fc^ä^ung beS SSerftanbeS: „®er 2Kenfd); ber benft, ift ein Der*
tommenes 2:i^ier " „Äommt in bie aBälber, unb werbet
5Kenfdt|en!"i) ®er Stppea an bie SJlatur, baS waS im ßmile
„baS SBieberauffteigen gu xi)x" genannt wirb; 2) bie 2:f)eorie,
bafe „bie SJlatur ben 2Renfd)en glüdtlidt) unb gut, bie ®efeafd)aft
il^n bepraüirt unb elenb gemad)t i)abe"^), giel^t ftd^, wie ein
rotl^er ^Jaben, burd^ alle feine @d)riften. t&ierauS baS 5ßoftulat
') J. J. Rousseau, Discours: Le retablissement des arts et des
sciences a-t-il contribu^ ä ^purer ou ä corrompre les moeurs?
*) Barni, Etudes sur Je dix-huitieme Siede, J. J. Rousseau, II, 213.
^) J. J. Rousseau, 2(nfang bcä fimile. J. J. Rousseau, Juge de
Jean-Jacques, 3. Dialogue.
260 ®<t^ ©laubenSbelenntnt^ beS fabo^f^en SSilotS.
ber ßrjiel^uttg bc§ 2Rcnjd)en naä) bcn Slnbcutungcn unb ate
ßntroitflung ber 9latur, bie Si^i^ö^fä^^i^ng bcr ©cfcttfd^aft
auf urfpriinglid^e S^^ftönbe, ober auf baö, »aö JRouffeau
bafür l^ielt, bie Sllieilung beö Sep^eö nac^ ben Segriffen be§
blofeen 9laturred^t^ ^) , bie SBegrünbung ber Sieltgion auf ba^
®efül^l, mit 8luSfd)lu§ aller ©ogmen unb mit ®leid^gültig=^
feit gegen alle gormen beö Äultu^, woburd) ba§ 6^riftentl)um
felbft nid)tö anbereö mel^r mar „als bie beffer erflärte 9latur«
religion" ^),
Ueber biefen ©tanbpunft ging aud) baö berul)mte ©lau*
benSbefenntnife beS faüo^fdjen SSifar§ nid)t l^inauö. @3 ücr=
tt)irft ben lierrfc^enben aRateriaIi§mu§ unb mac^t ber Sl^eo*
logie feine Si^Ö^ftänbniff e , aber e§ bemäd^tigt pd), infoweit
jte feinen Qxotdm bient, ber döriftlidien SÄoral, fteHt ben
©hüben an bie llnfterblid)feit ber Seele »ieber l^er unb er*
fennt bie 3:i)atfad)e ber jtttlid)en g^reil^eit unb bie (Sfifteng beö
©en^iffen^ ax\^),
SJlit ben unmittelbar üorliergegangenen ©oftrinen üerglid^en,
roax ba§ fd^on ein unermefelid)er ®eminn. SSRan fann ben ©eift
biefer Seit nid)t beffer d)arafterijtren, aU inbem man baran
erinnert, ba^ jte e§ aSoltaire überliefe, bei brei benfioürbigen
©elegen^eiten — ben ^roceffen t)on 6ala§; be la Sarre
unb gall5=2:olIenbal — afö ©ad^toalter ber ©ered^tigfeit aufgu«
treten unb ba^ fie ba§ ©üangelium na(^ ber aSerjton beS
fömile empfing. SSon ba an mürbe SRouffeau ber religiofe
ermetfer ber Seit unb aU ©emiffenSratl^ befragt. Sm
Srief an ben ergbifdiof oon ^ßariö nennt er jtd) gerabeju
ben „anmalt ber @ad^e ©otte^\ unb e§ ift nur gu rid^tig,
0 J. J. Rousseau, Discours sur TEconomie politique. Barni, loc.
cit. barübcr, II, 236.
2) Berthoud, Rousseau au Val de Travers. Rousseau an J. Jequiers,
Motiers, Decembre 1762, 135.
3) J. J. Rousseau, Emile. Profession de foi du Vicaire savoyard
unb Nouvelle Heloise, Livre VI, Lettre VII.
Sledcr. 83. bc ©aint-$icrrc. 2j^abamc bc ©cnli«. 261
bafe bicfclbc btö 1789 in ber geitgcnöfjtfd)Ctt Sttcratur laum
einen anbcm l^atte. Sin einer ©teße erflärt er, „bafe bie
SRcnfci^l^ett i^m Slltäre fd)ulbe" ').
Slm SBorabenb ber SReüoIution derfud)ten e§ brei @(i)rift[teller,
Semarbin be ©aint=^terre, 9ledfer unb 9Äabame be ®enUö, gn
©unften reltgiöfer Ueberjengungen aufzutreten. Semarbin, ber
©d^filer öon Siouffeau, fd)rieb bie „9laturftubten", „in »eichen
©Ott üertl&eibigt wirb, xok ein fdöled)ter ßlient burd) feinen Slb*
öofatcn''^). giedcr'g 1788 erfc^ienene§ Sud) ,fiber bie 2öici^tig=
feit ber religiöfen 9Äeinungen" loar ein 2Sermittlung§öerfud)
gtt)ifd|cn ber ^l^ilofopl^ic unb ber 5tl)eologie, ber, fo ad^tungö»
tocrtl^ er aud^ fein mod^te, bod) bie ©inge liefe, vok jte waren,
unb bcffen wol^lmeinenbem, unbeftimmtem Sei^muö Stiüarol bie
wnerbittlid)c Sogif be§ (gntroeber — Dber gegenüberfteHte.
9Kabame be ®enli§ enblid^ öerbient feine ernfte 6rn)äl)nung^).
9Ran bcl^auptetc üon il)r, „jte liabe bie SSerirrungen in il^r
geben, bie 3Roral in il^rc Sudler üerlegt" '*). @o bleibt benn
Siouffeau atö SBermittler religiöfer 3been unb burd^ fte al§ ber
grofec ©rwedEer unb Segwinger beö ®emütl)§. ©benfo »al^r
atö fd^ön fagt 9^ifarb: „®a§ geringfte, waö ber @d)riftfteller
tjcrltert, wenn er ba^ 5lltertl^um üernad)läfftgt, ftnb Sic^tblitfe
über ba§ menfd)lid^e §erg; ba^ geringfte, tt)a§ ©erienige ein^
b&^tf ber bie dE)riftlidt)e 2Sergangenf)eit üerad^tet, ift 6rfennt=
nife beö eigenen t&ergenö"^). 2lud^ in biefer SBegiel^ung war
©orge getragen, ba^ bie Sl^eorien üon SRouffeau au§ bem all«
gemeinen SBerluft Sinken gogen. SlHe @ad)funbigen ftimmen
mit ®rimm barin überein, bafe bie „auf unglaublid^e unb
') f8xodtxf)oU, 3ßan»Sacqucä Sftouffcau, fein Scben unb feine SÖerfe,
III, 736.
^ Nisard, Histoire de la Litt^rature fran^aise, 4. Sfrtilel: Saint-
Pierre.
^) 3^t SBud^ fül^rt ben 2;itel: De la religion consideree comme l'unique
base du bonbeur et de la v^ritable philosopbie.
*) Sainte-Beuve, Causeries du Lundi, III, 16.
*) Nisard, Histoire de la Littcrature fran^aise, IV.
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*?-::r'«!2:i. laa g^iiriemlumr urc ire iUlcL
• n.iuiiiiunr Se:fe jemaosiifnatcn 3af moier Snötcr* ^ nrit ;uin
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i:i:i-a '.j leriuin. n Ttn rjfaenuntnrer i^dtae. 6r aniBte in
iü-iunKTi !!:e!i' j^re!r[i; :.iL^'jn i:= jum vTarfenfjunt nflbt iber
his fi^iniiie. .r>i .r :'j!i jüiren jernicnüer ijat jTonigte ^cd)^
aiiT :*^m :rtcn Ter .u-jCtncn i-Jirfnieiler 5er t&emm jpcntCT'
i.'urrJ in:? U;:riii::i rviiiiu ^^3 i-:!je!ts. 5or -SatEr &cr nu?*
:if:-:T'rn Z.:Tnjrr.tnc :'c -:ruL\:-.TnT:a3e Sraifiigc ^ iidboL ©5^
-iune -i:!! lu-j :':n '5ir.-r'::-:n :er iijetuiinüii piräcf üö $tmerc
y.r 'c^'iiir. Uli: .L'.:::- i:iT :ic irer^'oarfeit rDdrfjc t&nt bie
:";fLii:if!tC urtirncr: a-.ii: :tl yriacir .pnucniir. aiäirmö &ic tlart
■rn'-icci:'.: -cTiTcr -j.:.:.:!! r.:cL*ru!t -jnr ^e .cerrfcfjaft ttbrr bic
Fl^^'-i: f.::i:v::. :t: \:n rar ;a z'sz aerteijer Lcncen. 3Rix^re
:n!n:i:ri:i:: :!■: Ju:u::t :c!ceT-e:r. :ii:3 '^-^ Snrban falfc£|, feine
Tt::7l'"::rs:\z 2': rrvi-i \':::i±zi. -"cne Cr^anifatiim Ito 6efeII-
•>i:^ ::u: :>: Jjirtr-r.raiTi: :er iLri:ra:[e ^"ei: Die ©egemoüit
"i::.::. :''4 -^■- ;::'i:c!:'c:i:^. :n:: xeicer zz •eine Sottruiexi Dor»
TTs.:. i'zz xi:r -:::- ^--T-z^c :er ic:i:eirt::i:ft Jjane fe ^ lange
i!::,:ci:rt ^rr ::cr :c' ::t tc. r^jcmdct znr ilen "Berfü^nntgen
:•:■:• !.:.:::::■:• ::4 ;::::: :rr.".: iii. rreCer l3i;en ritr Die Sotnr^
-:: -ir :■: i::::^^i: :oi ^itü^lj :err iLiÄmcf ^e» iSot^f«^,
2*1'.'. Zi\ZZl.
i^:.:! u::" :c: -^r-ir -rcc:: "Hju^-^i-.::: fr^re« JjcJjer als tiefe.
2-:? :r:: IL:, r: :r ;«r: tL:.:^^T: 'crii. fjcrre er, ^oto
,£:i 17:—.:: -r: :r::=r: ^Cr rc:* Den 'Jiftmen
.• ^
•■•*s;.: :.ii'.- . -.„.j -i-.-?. :~:4. I^". iT B2Ö VI, UO.
2)ic 9teut J&eloifc. 263
l^aft, fo Icl^rct bic ^auen, waö ®rö§c unb 5tugenb ift" ^). Sin
Wc %xamn bad)tc er, wenn er öon jtd^ bejeugt, „er Ijabe ge«
ffil^It, beöor er gebac^t l^abe", wenn er jtd) „alö ßtnen fd^ilbert,
ber Sfticntanben öon SlKen gleid^e, bie er gelannt, unb ber öon
fd) gu glauben wage, bafe fem Sebenber il^m älinlid) fei" 2).
68 tl^at il^m feinen Eintrag bei il^nen, »enn er Ijinjufügt:
„SBcr jtd^ nidit für mid) entpammt, ber ift meiner nid)t
würbig" ^).
Unb bie grauen, bie üomei^mften, bie anjiel^enbften, bie
üerwö^nteften, antoorteten mit SJiabame b't&oubetot: „D ®u,
ber licbenött)firbigfte ber 3Renfd)en, unb aud) ber geliebtefte.''
®ie 9Warfd^aUin üon Suirembourg, 3Rabame b'Spina^, 3Rabame
be Soufflerö, eine ®d)ar üon ßtaireö unb üon 3ulie§ tianbelten
tiadi biefcn SBorten. „6ine§ äbenb^, im 3lugenblitf, mo ber
Ol^embaH beginnt, finbet bie %xan be^ ad)tjel^nten ^afixJ^nnbtxt^
auf il^rem Soilettentifc^ bie Sfleue §eloife. 3d) »unbere mid)
nid^t, wenn jte ^ferbe unb Sebiente öon ©tunbe ju ©tunbe
»arten läfet unb um öier \ü)x 3Rorgenö auöjufpannen befiehlt,
»cnn jte bic 5Rad)t lefenb gubringt unb bie Sliränen jte erftitfen.
3inn crften 3Ral ^at jte einen 9Kann begegnet, ber \i)x fagt,
wa« Siebe fei" ^).
Unb tt)aö bie 9leue §eloife erwedEt l&at, vermögen bie
ßonfeffionS nid^t »ieber gu üernid)ten. Umfonft berid)ten jte, nic^t
allein SBerbred^en, fonbern unt)ergleid^lid)e 9liebrigfeiten. 5lid^t
nur bafe SRouffeau, ber jugenblid^e SBagabunb, ber unel^rlidje
Sebiente, ber fd^neH gum 33erfül)rer geworbene 3Serffil^rte, il^r
SRttleib enegt; jte nel^men eö rul)ig l^in, ba§ ber SÄann bie
') J. J. Rousseau, Le r^tablissement des sciences et des arts a-t-il
contribu6 ä 4purer ou ä corrompre les mceurs?
*) Sainte-Beuve, Causeries du Lundi, II, 63, citirt auS bcn Con-
fessions.
^) J. J. Rousseau an Madame de la Tour-Franqueville, citirt Cau
series du Lundi, II, 78.
*) Taine, Les Origines de la France contemporaine. L'ancien regime,
I, 356.
264 S)ic ©onfefflon«.
tJraU; bcr Dbbad^Iofc bic SBol^Itl^ätcrtn öcrrätl^, bafe er SRa*
batne bc SBarcnS, bie er lebenb {jungem Hefe, tobt mit unfterb«^
Itd^er @d)anbe bebedft. ®aö »eiblidöe S^rtg^W öcrföl^nt jtd^
mit c5nifd)en Silbern, mit ben empörenbften Sßerl^öl^nungen ber
©itte; ba§ 2Kuttert)erj läfet jtd^ fagen, bafe ber lebeniSlänglid^e
@efäf)rte eineö unroürbigen ®efd)öpteö fünf Äinber injS fjinbet
l^auö üerftiefe, aud) bann, aU eö nur üon il^m abl^ing, baö
Srob für jte ju öerbienen. ®a§ 3lfle§ unb öiel mel&r l^inberte
nid)t, bafe, nad) mic üor, berfelbe SKenfd^ ber — eine feltene
SluSnal^me — taub für bie Stimme ber 5Ratur gewefcn tuar,
ber öergötterte Sln^alt il^rer 9ied)te blieb; naä) wie öor l^olte
man ftd) ßrgiel^ung^grunbfä^e auö bem 6milc, bie Seigren
i^rer fd^iprüd^igen 2Roral auö ben ©eflamationen bcr Sulie,
ba§ jur blofeen ©mpflnbung J^erabgewurbigte OlaubenSbelcnntnife
eines d)riftlid) auSftaffirten S)ei§muS bei bem faüo^fd^en aStlar.
%ixx bie eine 9Kabame be SBoufflerö, beren ©mpörung über
bie „Selenntniffe'^ ba^ an ®uftaü III. gerid^tete 3Bort »sales
et degoutantesc entfd)lüpft ^), finb @d)aren meibltd^er S98efett
bereit, in bie freöell)afte ^erauöforberung mit einjujlimmen:
„SBenn einer, öor ®otteS Stl^ron l^intretenb, jtd) beffcr glaubt,
als mid^, fo möge er mid) öerbammen".
• Unter ben geiftigen 3:öd)tem öon SRouffeau jtnb jmet be*
rüfimte grauen: SJiabame SRolanb unb grau öon ©taäl. Qu
beiben ift er in einer 2öed)feltt)irfung geftanben. Dl^ne Stouffeou
jtnb jte nid)t ju öerfteljen, unb jugleid) üeröoKftänbigcn jte fein
geiftigeS Silb.
aRabame SRolanb, bie ältere öon beiben, fommt juerft in
»etra^t.
SSBie SRouffeau ttjar gRarie geanne gJl^lipon, am 18. 9Ȋrj
1754 geboren, jd^lid)ter »ürgerSleute Äinb. 3^rc einfame
Äinbl^^it unb unbefd)oltene, träumerifd)e 3ugenb öcriebte flc
') Geffroy, Gustave III et la Cour de France. Taine, Les Ori-
gines de la France contemporaine. L^ancien regime, I, 252.
SRabame 9{oIanb. 265
tncl^r mit Mä)tm ate mit SKcnfd^en, im ftillen eitcml^auS,
neben ber 2BerIiiatt il^reS SSaterö, eineö ©raüeurö. Unter
bicfen Suchern war eine tl^rer Sieblingöleltören ber ^^Jlutard^.
„SHefc mel^r poetifc^e als l^iftorifd^e Ouelle", fd^reibt einer i^rer
Siogro^jl^en, „ans melc^er befanntlid^ aionffeau feine SSorfteHnng
öon ben repnblüanifd^en ßl^arafteren ber alten Qüt nnb bie
glänjcnben Silber ber alten Stepnblifen entlel^nt nnb ftd^ bie
Sbee eines ©taatSöerl^ältniffeS gebilbet l^at, baS weber tt)ar,
nod) fein mirb, ba^ aber eben barnm einer meiblid)en ©eele
um fo me^r gefallen mufete'' ^).
ttnb SRonffeau felbfl? „Sd) laS i^n fe^r fpät\ fagt jte in
il^rcn SKcmoiren, „unb l^abe tt)ol^I baran getl^an; er würbe
mtd| ma]^n|tnnig gemad^t l^aben; id^ ptte nid)ts anbereS mel^r
Icfcn wollen als il^n, unb üielleidjt l|at er and) fo, wie bie ®inge
flel^en, nur gu fel^r meine fd)wad^e Seite geftärft'^ ^),
6in anberer il^rer Siogra^i^en, ©auban, fe^t Wefe il^re erfte
»clanntfd^aft mit 3flonffeau'S 2Berfen in baS Sal^r 1777, als
flc breiunbjwangig gal^re gäl^lte^). ©ie felbft fagt, il^re (är^
glcl^ung, il^re erften ©inbrüdfe, bie 33erüt)rung mit ber SBett,
SlHeS l^abe bagu beigetragen, il^r bie republüanifdje Segeifterung
etnguflofeen, bie il^^ bie Säd)erlid^feit ober Ungered)tigfeit einer
SKenge üon focialen Unterfd^ieben unb SluSjeid^nungen fühlbar
9emad)t l^abe*). Sit biefen Segiel^ungen mit ber 3Belt gel^ört
1771 ber SefudE) in SSerfaiHeS, bei einer SSerwanbten, bie
Äammcrfrau öon SJlarie Slntoinette, bamalS nod) 35aupl)ine,
war. 9MabemoifelIe ^t)lipon brad)te ad)t Sage in einer ^ad)^
Wohnung beS fönigltd)en @d)loffeS gu, unb beobad^tete baS
Sreiben bort „mit einem ©emifd) oon ^l)ilofop^ie, ©inbilbungS*
Iraft, ©effil^l unb Sered^nung", bie, wie jte fagt, jtd) gleid^mäfeig
bei il^r auSgebilbet l^atten, fte aber „für ben Slnblicl eines grofeen
0 S^^- ^^- ©(ä^Ioffcr, fjtau öon ©tael unb grau SRolanb.
*) Madame Roland, Memoires, Edition Dauban, 101.
*) C. A. Dauban, Etüde sur Madame Roland, Introduction, LIV.
*) Madame Roland, M^moires. Edition Dauban, 92.
266 a^bame Sflolanb.
©(ä^augepröngcS" nid^t uncntppnbltd^ tnad^ten. 9hir üerbrofe c«
pe, ba§ c§ ,,perfönlid^ fo unbebcutcnben unb ol^ncbicS fd^on
fibermäd^tigen SKenfd^en galt" unb alö il^rc aHuttcr fragte,
tt)eld)en ßinbrudt bicfer Slufcntl^alt auf pc gcmad^t l^abe, gab
pe äur Slntwort, »enn er nod^ einige 2:age länger wal^ren fottte,
toürbe pe bie Seute bort bermafeen l^affen, bafe pe nid^t mel^r
wfifete, tt)a§ mit einem jold^en §a§ anjufangen fei. — Unb waS
l^aben pe ®ir benn getl^an? fragt bie SJhttter weiter. ^@ie
liefen mid^ bie UngeredE)tigfeit emppnben unb baS Äbfurbe mit
Slugen fe^en". ®er Slnblicl „ber einfältigen SKenge, bie bei
feierlidfien ©elegenl^eiten xi)xc felbft gefd^affenen Sbole jubelnb
begrüßte", erfüllte pe öoHenbö mit @rpaunen unb gomiger SBer*
ad^tung ^).
Slnbere ©reignifte l^at il^re 3ugenb faum gefannt. SDlit
fed)§unbgmangig 3al)ren l^eiratliete pe 1780 ben fed^öunböierjig«
iäl)rigen Stolanb be la ^latiere, einen altemben ©elel^rtcn, ba=
malö Snfpeftor ber SJlanufafturen öon S^on. 2luS biefer 6l^e
mürbe 1781 eine S:od)ter, ba§ eingige Äinb geboren. 3m Sal^r
1784 brad)te SRolanb feine grau auf furge Qtxt nad^ ©nglanb,
mot)in i^n ©efd^äfte, bann nad) ^ariS, mol^in il^n bie öon feiner
^5rau unterftüfeten, übrigen^ erfolglos gebliebenen Semfil^ungett
riefen, pd) in ben 5lbelftanb erlieben ju laffen^). @onft lebte
ba§ 6l)epaar auf bem ganbe, in ber 5Rä]^e öon S^on. ®er
@atte fd^rieb 35enlfd)riften unb geleierte Slbl^anblungen, unter
anbern 1787 eine fold^e, bie öorfd^lug, au§ menfdE)Iid^en ttebcr*
reften Del unb ^IjoSpl^orfäure gum 33eften ber Sanbmirtl^fd^aft
gu bereiten. ®a§ Seifpiel ber alten ßg^ter öeranlafetc il^n
1788, ber Sllabemie üon SSiUef rändle bie (grridE)tung eineiS Zxu
bunalS gum Urtt)eil über bie ©eftorbenen öorguf dalagen ^).
0 Madame Roland, M^moires. Edition Dauban, Introdaction,
XXXIX unb %ext, 75 u. 93.
^) Madame Roland, M^moires, 179.
^) Baron de Girardot, Roland et Madame Roland, I, 83, 185,
ctttrt bei Taine, Les Origines de la France contemporaine. La Revolution,
IT, 109.
aWabamc Slolanb. 267
353äl^rcnb bcffcn »altctc 9Wabame SRolanb in ^auS unb
SBirtl^fc^aft, cmppttg gaftlid^ bic grcunbe tl^reö ®atten, tt>eld)c
Vit fd^one, fd^tüärmcrifd^e iJrau etirfurd^tööoll bemunberten, unb
jorgtc für ?5Hann unb Äinb, bic @^e alö eine ^nftitution be*
ttat^tenb, „weldie bie %xan mit beut ®lüd gweier 3Renfd)en
feetraut'' i).
3nbcffen arbeitete il^re ©inbilbungöfraft raftloö »eiter unb
tiefe ©inbilbungöfraft erfüllte unb bet)errfd^te SRouffeau. SBie
unäi l^ätte eö anberö fein fönnen? @ie l)atte il^m nid^tö ent^
flegen gu fe^en. Äeine Äenntnife ber 3Renf(^en unb ber SBelt,
leine ©rfal^rung, leine (gntfd)äbigung beö ^ergenö. Siad^ i^rauen»
art, mit ber unerbittlid)en Sogif beö ®efül)lö, nal^m jte il^n
beim 3Bort unb fud)te feine Sl^eorie mit einer grofeen 3[u§nal^me
ifx üermirnid)en. ©ie Slu^nal^me mar, ba§ bie SReinl^eit il)reö
SBefen§ jte öor 2lu§fd)reitungcn, menn aud) nid^t t)or Serfudjun*
flen bemalirte. (g§ gibt einen gefäl)rlid)en Slugenblicf im Seben
ber Äönigin 3Rarie 2lntoinette. 6^ ift jener, in meld^em jte, üon
gubmig XVI. fpredfienb, »le pauvre homme« fagt^). 35cr 9Ko==
ment fam, mo 3Rabame SRolanb ben geiftlofen gebauten, il^ren
9Rann, »le malheureux Roland« nannte unb jmar tt)at jte e§
in einem ©rief an Sujot, ben jte liebte^). ©a§ @d)idffal mar
gnäbig unb bie Untreue blieb eine ibeale. 3m gebemol^I an
ben ©eliebten, „D 2)u, ben id) nid)t gu nennen mage . . ."^),
beffen fdE)merjlid^*begeifterte ©rregung mit bem ©c^önften, nid)t
nur in JRouffeau, ftd) üergleid)t, l)at jte bie Äerfermauern ge^*
i)riefen, bie il^r §erj bema{)rten, aber freilid) aud) ben Sob
begrübt, ber jte au§ einem unerträglid)en ©ilemma befreite^).
') Dauban, Memoires de Madame Roland, Introduction.
2) ^xnttf), maxia Stl^crefia unb maxie Slntotnette, «Bncfroed^fcl. Waxit
■^Cntoinettc an ®raf SRofenbcrg, (Sommer 1775. Geffroy et Arneth, Cor-
^espondance secrete entre Marie Therese et Mercy, II, 359, 3»It 1775.
^) Sainte-Beuve, NouTcaux Lundis, VII, 248.
*) Madame Roland, Memoires, Derni^res Pensees, 390.
*) Dauban, Etüde sur Madame Roland, 39. S)er njunbcröoüc, lefete
^rtcf an Buzot, 7. ^uli 1793.
268 SWabamc Sflolanb.
®afür l^at 5£Rabame SRoIanb in aßen anbcrn ^nftcti jtd>
SRouffeau um fo wiflcnlofer ergeben.
3l)r @t^l öor Mtm ift, toie ©ainte^Seuöe rid^tig bemerft,
burd^auö nid^t originell. SBenn malere £eibenf(f)aft jte erfaßt, in
ber ^öd)ften @?:altation be§ ©efül^Iö unb fd)on in ber SSerflärung
be§ Sobe^, erl^ebt jte jtd) jur n^afiren 33erebfamfeit. Slber unter
ben gett)öl^nlid)en SBebingungen jtnb il^^e 33riefe unb ffienftoürbig^
leiten üoH öon affeftirten, gefud)ten unb gefc^marflofen ^l^rafen,
unb laffen feinen 3w)^ifrt barüber beftel)en, bafe jte nic^t ber
natürlid)e Sluöflu^ eigener Eingebung, fonbem SRadibilbungen
ftnb. SBir fennen ba^ SSorbilb. SRoujfeau'S ©elbftüberfd^ä^ung
fül^rt an bie @d)iüene be§ aBal^njtnnö; er erwartet Slltäre.
SKabame 3ftoIanb ift nid^t befd^eibener: „^ä) jinbc in ber 3Belt
nur eine ©teile, bie mir entfprec^en würbe", fagt jie, „t& ijt
bie ber 3Sorfel^ung". (Sie fd)ilbert jtd) nid)t nur geiftig, jte it^
fd)reibt jtc^ aud) pli^jtfd), unb ba jte feine UnttJÜrbigfetten öon
jtd) ju berid)ten, feinen ber ©d^anbflede beö 3Weijier§ aufju-
weifen Ijat, fo greift jte auf eine ganj nebenan Itegcnbe 6^)iJobe
gurücf unb fd^reibt ein unüergeil)lid)e§ ffliatt, um jtc^ gu tl^m
ju erniebrigen.
3n SRouffeau ift nod) ein anberer 3^0/ ^^^ ^^fe 8^9^ ^i^
Srabition unb eine entfprec^enbe Slbneigung gegen aHe Oefd^ic^te,
bie fo üiele 3fieDoIutionäre, üoran @ie^e§ unb ßonborcct, mit
il^m tl)eilen. „Ungefd)id)tlic^ burd) unb burd^", nennt tl^n einet
ber beften feiner beutfd)en Siograp^en ^). ®er grofee ^iftoriler
,g)ume fonnte nid^t uml)in, baö l^erdorjul^eben : „6r l^at fel^r
menig in feinem Seben gelefen", fagt er üon % % Siouffcau,
,,unb nun (1764) ber geftüre ganj entfagt. ©elemt, jiubirt
unb barüber nad^gebac^t l^at er nid)t üiel unb weife bal^er aud^
entfpred^enb wenig, ©r f)at fein Sebenlang em))funben" 2). Unb
3louffeau felbft rid)tet, ben aWangel fü^lenb, bie SBortc an
0 ^. ^eitmx, Ocfd^tt^tc ber franaöftft^cn öttetatur im a^t^z^ntm ^a^f
^mhtxt, 3. 3(uflage, 441.
^) Hume bei Sainte-Beuve, Causeries du Lundi, II, 78.
Sl^c polttift^c gfloKc burd^ SftouffcQu bcfttntmt. 269
^umc: „^dj fürd)te immer, cö fcl^lt bei mir in beit ©runblagen,
unb bafe aße meine 5J:l)eorien öoH ßftraüaganjen pnb" ^). Unb
in ben ©onfefftong l^eifet e^: „Sie Seftüre ber SRomane gab mir
romantifd^e, bigarre Segriffe bom »irflid^en geben, öon »eichen
Weber ©rfal^ning nod) 9^aci^ben!en mid^ jemals doUftänbig be»
freiten".
SJon fold^en Sebenfen »eife 3Ra\>ame SRoIanb ebenfoioenig
ote öon ber l^iftorifd^en a3ergangent)eit it)reö eigenen ober eineö
onbem SanbeS, mit 8lu§naf)me einiger allgemeiner 33egriffe unb
wirlungööoller; Sltl^en unb ©parta entlel^nter ©ffefte. SSenn
Jebod) ein rid^tigeö 2Serftänbni§ ber SBergangenl^eit Äenntnif[e
crforbert, \o genügt für nal)eliegenbe ©reigniffe meift ge=
funbeö Urtl^eil. SBie l^at SKabame SRolanb jtd^ aber nun bie
3citgefd^td)te aufgelegt? ^ad) Dielen, mit if)rem SSoIf gufammen
bejianbenen ^Prüfungen unb kämpfen unb in mütteriid)en Se=
jiel^ungen gu il^m »ar Äaiferin 3Karia Stl^erefia, don ber 9lation
geliebt unb don gang ©uropa, mit 6infd)lu§ ^nebrid^'ö, in
il^rem Privatleben öerel^rt, gu ©rabe gegangen. Ueber biefen
^nft fd^ien eine 3Reinung§üerfd^iebenl)eit md)t möglid^, bi§
SWabame Siolanb eine fold^e aufftellte. @ie fagt in if)xtn 9Jie«
moiren öon ber Äönigin 3Rarie Slntoinctte, ba§ „Seid^tfinn,
Ucbcrmutl^ ber 3Rac^t unb ber Sugenb, bie öfterreid^ifd)e 3n*
foleng unb ©innentaumer' erft jte unb burd^ jte ben Äönig
öerleiteten. „Filarie antoinette felbft aber", fügt jte fiingu, „ift
burdE) aUe Safter be^ aftatifd^en ^ofe^ öerfül^rt morben, auf
meldte ba^ Seifpiel il^rer 3Rutter fte nur ju wol^l vorbereitet
l^attc" 2). ®a§ erflärt, xok SRaUet bu «ßan, ber fte gefannt ^at,
öon SKabame JRolanb fagen fonnte, jte fei ganj unfät)ig gett)efen,
bie ©reueifcenen mit Sreue gu fc^ilbern, bie fte mit anguftiften
pd^ nict)t gefd)eut ^abe^). ®o fanb Jte bie 3fiet)olution unb fo
0 Sainte-Beuve, Causeries du Lundi, II, 79. SRouffcau an .ipumc,
1766.
") Madame Roland, M^moires, Edition Dauban, 350.
*) Mallet du Pan, Mercure britannique, 10 D^cembre 1798, 533.
»lennet^atfett, 5rau »on etaef. I. 18
I
270 35^« politifd^c SRoIIc burd^ Sftouffcau bcftimmt.
brad)tc pe \\)x, ber bic 6;raltirtcftcn gu fül^l, btc aScrujcgcnjlen
ju gemäßigt crfdjienen, mit il^rcr erftcu, blutigen SRorgcnrötlic
jd)on eine bittere enttäufd)ung. Slnt 26. Suli 1789 fc^ricb pe
ilirem ^freunb 33o§c, betn lünftigen Herausgeber il^rer SRemoircn:
„3^r befd)äftigt ©ud) mit 6rrid)tung einer SKunictpalität unb
3^r jd^ont bie ,g)äupter; bie abermals ©reuel planen. 3^r
feib nur Äinber, 6uer @ntl)ufta§mu§ ift ein ©trol^feuer unb
tpenn bie 9lationalüerfammlung gmei erlaud^ten Häuptern nid)t
regelred^t ben ^rocefe maäjt ober ein ebelmütl^iger ©eciujS jtd)
finbet, um jte abjufd^lagen, feib ^l^r Sllle . . ." ^).
So lautet bie Slufforberung jum ÄönigSmorb, beffcn blutiger
©d^atten bi§ auf ba§ (Sd)affot üon SJiabame SRolanb fällt.
33on jener 3^it an entgünbet fte ben 2Rut^ il^rer fjrcunbe unb
©efinnungSgenoffett; ber 2antl)ena§ unb Sancal bejS Sffartö,
ber SBriffot unb Mamille ©eömoulinö. Sie prebigt im ©cptcm»
ber 1791 „bie gnfurreftion, btefe l^eiligfte ber $pid)tcn, wenn
ia^ 33aterlanb in ®efal)r ift'' ; pe appellirt an $aris gegen bic
fiaul^eit ber trägen ^rodinjen: „eö foH bem SBater felbft md)t
@nabe wieberf a^ren , tt)o ba§ allgemeine 3Bol^l in 33etrad)t
fommt"2).
2Rit einfd^lufe i^rer Beiträge für ben frei^eitlid^^republifa«
nifd)en „ßourrier be S^on", ben füolanb'^ fjreunb, ®^ampagneu]C;
gegrünbet ftatte, »aren baö bie Vorbereitungen für bie polittfc^e
afloHe, bie mit il)rer Slnfunft in ^ari§ am 20. Februar 1791
beginnenb, pe gur ©eele ber ©ironbe mad)te unb am 8. 9lo*
üember 1793 i^ren tragifd)en 3lbfd)lufe fanb.
3n mie tpeit ift nun % 3. SRouffeau aud) für biefen furjen,
aber entfd^eibenben 2lbfd)mtt i^reö SebenS üerantwortlid^ ?
(5r felbft mar ein StimmungSmenfd^ unb l^atte fel^r lidjte
Slugenblicfe.
3lu§ feinen ©d^riften • läßt pd) ba§ gange ßrebo ber rabi^
^) Madamo Roland, Correspondance, ben M^moires betgebrudK.
^) Madame Roland, Correspondance. Lettres du 20 Döcembre
1790 et 24 Janvier 1791.
S)ic Söibcrfprfid^e bon Slouffeau. 271
lalcn ©cmagogie gufammenfe^en, bis gum 6ommum§mu§ auö=
fd&Iicfelid^ ^), aber cbenfo fönnte man jeben cingelncn Slrtifel
bicfcS 6rcbo burd^ eine gegentl^etlige Sleufeerung Don SRouffeau
fclbft wibcrlegen. ©er ©ociallontratt [teilt bie Seigre Don ber
airfprünglid^en fjreil^eit unb ©leid^l^eit aller ßingelnen auf, unb
«rllärt btefe il^re %xt\f)t\t für m\Q unüeräufeerlic^. ®er Staat,
fo wie er il^n auffaßt, ift nid^tö anbereS alö ber SluSbrud be§
®efatnttittt)illen§ SlHer, ber {eben Slugenblicl bie 5!Kad^t, bie er
Dcrliel^en l^at, befd^ränlen, üeränbem, wieber jurfidfnel^mett fann. |
Suflleid^ aber forbert ber @ocialfontra!t al§ unumgänglid)e Se« j
bingung Don febem ©ingeinen ben üollftänbigen SBergtd^t auf
aUc feine 9icd)te gu ©unften beS Staate^ ober ber ©efammtl^eit,
bie ber Staat barfteHt. @ben beöwegen ift biefer omnipotent,
unb l^at belanntlid^ SlHeö, aud^ bie ©runblagen ber Sieligion
gu bcftimmen, bie er für ba§ allgemeine SBol^l nü^lid^ finbet^),
tüorauf ber ©ocialfontraft mit bem berüd^tigten @a^e fd^liefet:
^SBenn 3^wianb, nad^bem er bie 2)ogmen biefer ^Religion feiere
lid^ angenommen l^at, fo l^anbelt, als ob er nid)t baran glaube,
ift er mit bem Sobe gu beftrafen''. 9JHt anbern SBorten, bie
abftrafte, bebingungSlofe ^Jreil^eitSforbening für ba§ Snbibibuum
fül^rt gu feiner Slbforption burd^ ben Staat; bie abfolute ©emo*:
fratie löft [xä) in ben unbefd^ränften ©efpotiSmuö auf! SBer*
gebend erllärt Sfiouffeau in bemfelben ©ociallontraft, „bafe aud^
bie gereiftefte ber SReüolutionen burd) baS Slut eines cingigen
3RitbürgerS gu tl^euer erlauft toäre''^), üergebenS erMärt er,
„eine ßonftitution, nid)t für bie beftel^enbe ®efellfd)aft, fonbem
für eine gi^^^t^cpublif üon etwa gel^ntaufenb aWenfd^en erbad^t
') $. Lettner, ©efd^id^te ber franaöftWen Öitcratuv im ac^tacl^nten gal^r*
!^unbett, 483.
*) J. J. Rousseau, Le Contrat social. Barni, La Philosophie du
dix-huitieme Si^cle, II, 207, 222, 227. Lanfrey, Essai sur la Revolution
fran^aise, 62—63.
^) @. nebft bem ©ocialfontraft auc^ bie Stbl^anblung De Plfeconomie po-
litique, dtirt bei Barni, J. J. Rousseau in ber Philosophie du dix-
huitieme Siecle, U, 323.
18*
I
/
272 3^1^« StuSIegung hnxä) SRabamc 9loIanb.
ju l^aben''; üergcbenS enbUd^ rätl^ er ben 5ßoIen, nid^t etwa
Sßemirflic^ung feines ©^[temö, fonbern Sluf^ebung beS ßiberunt
SSeto unb SSBal^l eines Königs auS ber nationalen Slriftolratie.
@S l^anbelt jtd^ nt^t barum, wie er üerftanben fein wollte, fon==
bern wie er öerftanben worben ift. ©er wal^re SluSleger beS
©ocialfontraltS ift bieSmal nid^t 3. 3. SRouffeau, ber baS ©tficf
erfonnen, fonbern SHafimilian 9flobeSpierre , ber e§ gegebea
^at. 2)er SSBeg gum Serg aber fül^rt mitten burd) bie ©ironbe,
unb in ber ©ironbe pulitrt ba^ ^erj unb lebt ber ®eift bon
SHabame 9flolanb. Sie will ben Urnfturg beS SSeftel^enben, nid^t
nur weil eS il^r ®ercd^tigfeitSgefül)l, fonbern weil eS il^re ßitel^
feit öerle^t l)at. ®efellfd)aftlic^e Swftänbe, bie feinen SRaunt
für fte l)aben, muffen fd)on beSwegen untergel&n ^), unb an il^re
©teile bie ßl^imäre if)rer einfamen Sräume, bie Sbealrepublif
treten. Sin bie ©d^weHe ber Söirftid^feit gelangt, mag 3fiouffeau
bebenflid^ werben; 9Kabame SRolanb bleibt confequent. 2)er
SBenbepunft ift bie gludjt beS ÄönigS, bie Sflücffe^r öon S5a=
rennet, „gubwig XVI. auf ben S^ron gurüdbringen", fd^reibt
SJiabame SRolanb an tf)re greunbe, „ift eine S^orl^eit, ein
3öal)njtnn, wo nid)t ein ©reuel. 3^m ben ^rocefe mad^en^
wäre bie größte, bie gered^tefte SJiaferegel. Slber Sl^r feib um
\aS)\Q, fte gu ergreifen, ©ufpenbirt i^n alfo"^).
®aS würbe am 24. ^nni 1791 gef dt) rieben, ©d^on nad^
bem Job t)on 3Rirabeau, im 3lpril, erfe^nt jte bie fürd^terlid^fte
aller (Salamitäten, ben Sürgerfrieg „als bie grofee ©d^ule öffent:^
lidtier Stugenben''. Sld^t ^Äonate fpäter ift SRolanb 3Kinifter. ^r
erweift jtd) nid^t minber el)rUd^ als unfäl^ig. SJiit bem Äönig
in Serül)rung gebrad)t, ift er am ^unft, fi^ feiner gu erbarmen
unb gu entbetfen, bafe and) biefer ein ef)rlid)er 5!Wann ift. 2)a
greift TOabame Slolanb ein: „gubwig", fagt pe, „ift in allen
') Ucbcr SJZabamc SÄoIanb in biefer SBeaiel^ung gontancS, ber fte ge»
tannt l^at. Sainte-Beuve, Nouvelles Causeries du Lundi, VIII, 190.
2) C. A. Dauban, Etüde sur Madame Roland, Notice biographique, 6.
8frau öon ©tael. S^rc ^Briefe über 3. 3. Sflouffeau. 273
tBorurtl^eilett be§ ©efpotiömuö unb ber ©enufefudit aufgewadjfen,
-er fann bie ßonftitution md)t lieben" ^).
®a§ war allerbittgS fd)tt)er, ba fte bie ©d^nur tüar, bie
t^n crbroffelte. ©ein le^ter SRettungöüerfud^ ift bie ©nttaffung 1
t)er gironbiftifd^en 5!Kinifter, bie t^m bie 9Serfolgung§tf)eorie ber
neuen ©taatöreligion gegen bie unbeeibigten ^riefter aufitötl^igen.
•©ic 3lnttt)ort öon 5D?abanie Siolanb unb if)rer ?Vreunbe ift bie
offene Slnllage gegen ben Äönig, bie Snüafton ber Suilerien
i)om 20. guni 1792, bie ßinfefeung ber 5ßarifer Äommune, ber
^lan einer gijberation ber ©epartementö, il^r le^ter, fd)ulb=
belabener Sieg, ber ©turj be§ Sl^ronS am 10. 3luguft.
SSergebenS proteftiren brei SBod^en fpäter biefe Url^eber beö
9Korbe§ ber ©diwei^er ©arben gegen bie @d^läd^tereien Dom
•©eptember. SSon nun an ]^errfd)t 2)anton unb beginnt baS
©ueH gtt)ifd)en Sßabame SRolanb unb Siobeöpierre, ber, nod)
<:onfequenter atö fte, ben SJiaffenmorb mit in feine Sogit ein=
fd^liefet unb feine einfüge SSerbünbete aufö ©d^affot f^idft. „^ä)
wufete nid)t", fd^reibt bie unglfidlid^e ^elbin ber ©ironbe, Dom
3[ncien Siägime fpred^enb, „bafe e§ noc^ ein entfe^d^ereö SRegi*
tnent, eine fd^eufelid^ere Korruption al§ bie feinige gebe? 3Ber
<xud) l)ätte ba§ t)ermutl)et. 8lHe ^^ilofopl^en l^aben ftd^ barin
mit mir getäufc^t'^ 2)^ giHe nid^t. 2Bol)l aber er, t)on bef[en
SBert Senjamin ßonftant gefagt l)at, „er fenne fein ©gftem ber
Äned^tfd)aft, baö öerberbli^ere Srrtpmer fanitionirt l^abe, alö
bie cnblofe SRetaplitirtf be§ ©ocialfontrafteS"«),
Unb nun gu %xan öon ©tael unb gu tl)ren „©riefen über
tRouffeäu". SllS biefe 1788 erfd^ienen, l)atte fte, il^ren eigenen
SBorten na^, „nod^ feinen Segriff baüon, wa^ eine ^Regierung
jci"*). ©ie SJiifegriffe öon ^abame SRolanb unb fo öieler
Slnbem aber beging fte nid^t, benn fte war in ber Sltmofpl^äre
*) Madame Roland, M^inoires, Edition Dauban, 350.
2) ebenbafelbft, 99.
^) Benjamin Constant, Cours de politique constitutionelle, I, 329.
'*) D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, 11, 191.
274 S'^'^ poUtifc^cS Uttl^cil bon Sftouffeau unabl^änöis»
auffleioa^fen, n)o regiert xombt, unb luufete gang genau, bafe man
auf ^ulöermtnen feine menfd^li^en 2Bol)n[tätten gu errici^ten pflegt,
®a§ SBenige, xoa^ fte über bie politif^en 3been üon SRouffeau
jagt, läfet barüber feine ßö^eifel beftel^en, bafe jte in Wefem tt)e*
fentlid^en 5ßunfte il^rem beiuunberten Siebling fc^on unabl^ängig
gegenübertritt. „(Sx wollte", jd^reibt fie, „bie ORenfd^en auf gefeilt
{(t)aftlid^e äuftänbe gurücffüfiren , öon benen ba§ golbene QtxU
alter ber §abel allein einen Segriff gibt. . . . Of)ne 3tt)eifel i[t ein
fold)eö ^rojeft blofeeö ©ebllbe ber ^l^antaite. Slber inbem bie
3lld^inii[ten ben Stein ber SSBeifen fudjten, l^aben fie nü^lid^e
aSal^r^eiten entbedft" ^). „^ä) wage eö", fcil)rt fie fort, „3ftouffcau
bnx aSormurf gu mad^en, bafe er eine Station, bie il^rc S3er*
treter gu ©efe^gebern l^at, nid^t alö frei betrad^tet, unb bafe er
auf einer allgemeinen SSerfammlung aKer gnbiüibuen befielet. S3ei
@efül)len ift Segeifterung am 5ßla^, niemals aber bei praftifd^en
aSorfd^lägen. SSertl^eibiger ber greil^eit foHten fid) üor Uebertrei-
bungen lauten. . . . 3Ronte§quieu ift ben beftelienben gefeUfd^aft*
lid^en Swftänben nü^li^er; SRouffeau ift ber ©efe^geber ©er*
jenigen, t>k fid) gum erften 9Kal üereinigen. 2)ie meiftcn ber
öon il)m entmidelten SBal^rl^eiten ftnb fpefulatiü. . . . SSieUcid^t
j mufe man, um einem ibealen 23oHfommenl)eitöguftanb gu cnt*^
fagen, guerft felbft menf^lidtie Slngelegenl^eiten geleitet unb fo
gelernt l)aben, neben bem Seften, toaS unter Umftänbcn jtd^ er*
reid)en läfet, bat)ou ungertrennlid^e Uebel gu ertragen" 2). ©er
®leid)l)eitöbegriff be§ ©ocialfontrafteö ift öoKenbS ber ange^»
bornen Ueberlegenlieit alö feiner bireften 3legation, unücrftänb«
5 lid^. §rau t)on ©tael gebenft feiner nid)t anberö al§ um jtd^
in Uebereinftimmung mit il^rem SSater gu erflären, ber bcreiti^
1775 baoor gewarnt l^atte, fid^ nad^ bem Seben in ben SSBälbern
gurüdfgufel^nen, weil aud^ bamafö bie 9Jlenfd)en i^ren Segicrben
^) Madame de Stael, Oeuvres compl^tes, I, Lettres sur Rousseau.
Lettre I, Du style de Rousseau.
2) ©benbafelbft, Lettre IV, Les Idees politiques de Rousseau.
3^ poIitifd^cS Urtl^cil bon Sftouffeau unabl^öngiö. 275
Sd^ranfcn fefeen unb burd^ ©ewalt bcwal^ren mußten, wa^ pc
burc^ ©cfd^idf errungen l)atten^).
ülid^t weniger beftimmt lauten t^re ©tnfc^ränfungen tu
fflcjug auf bcn ßntile. ©ein Softem ber pl^^jtfd^en 2lu§*
bilbung unb ©rjiel^ung, fagt jte, l^abe feinen SBiberfprud) ge=
funbcn unb feine Serebfamleit ben grauen einer beftimmten
Älaffe ber ®efellfcl)aft mütterlidje ßmpfinbungen unb mit ben
^Pid)ten aud) baö unüergleici^lid)e ®lüd ber SSRntkx gurüdf^
gegeben. Slbcr aud^ bem Äinb l^abe er feinen t^inimel tt)ieber=
crjiattct unb mit 9ied)t fei er auf feinen Silbern öon Äin*
bem befränjt bargefteHt »orben. ®ie %xaQt iebod), ob pe
einen ©ol^n nad^ ber 9Jietf)obe öon Slouffeau ergiel^en würbe,
inufe fte verneinen. „2)enn'', fügt pe tiln^u, „fd^on blofee 6itel=
feit würbe mic^ jur SSBa^l eineö beftimmten 33eruf§ für ben
jungen 9IHann öeranlaffen, um i^n in @tanb ju fe^en, feinen
SBcg in ber 2SeIt gu mac^en'^^j j)^^ {p gerabe, voa^ ©mile \
ttid)t fann, unb bamit ift in ber l)öfUd^ften SSBeife 9flouffeau'§ '
Silbungömetljobe bal)in öerwiefen, wo nad) S^au öon ©tael
ftd^ fein ®efeflfd)aftöt)ertrag bepnbet: in§ weite Sleid^ ber (Sl^imäre.
©iefe 3lrt unb SBeife freier, felbftänbiger Seurtl^eilung Der«
ffinbet bereits eine erftaunlid)e Sefä^igung be§ ©eifteö für
poütifd^e 2)inge. §ätte SRouffeau pd^ bamit begnügt, ein
Stoturred^t gu entwerfen, fo würbe er auf §rau oon ©tael
fe^r geringen 6iubrud gemöd^t l^aben. Suganglid^er bagegen
fanbcn pe fel^r balb, unter bem boppelten ©influfe ber ßreig*
niffe unb perfönlic^er Sejiel^ungen, bie republifanifd^en Sbeen
üon 3ftouffeau. 6ö ift Slufgabe biefer Siograp^ie, ju fagen,
wie bie Sewunberung Don %xan oon ©tael für il^ren SSater pe
bod^ nid^t öerl&inbert l^at, feinen politif^en ©tanbpunft wä^renb
3al^ren gu oerlaffen, unb wie pe il^n fpäter felbft im Sinn il^rer
eigenen gi^^^n foweit beeinflußte, baß er noc^ 1802, in feinem
I
') Neck er, Oeuvres compl^tes, I, Sur le commerce des Grains, 13.
*) Madame de Stael, Oeuvres completes, I, Lettres sur Roussea\i.
Lettre III, ämile.
276 ^ geiotnnt fte burd^ baß ©efül^I.
politifd^en Seftament, bic Slutorität fcineS SlamcnS ju ©unftcn
ber repubUIanifd)en ©taatöform, al§ ber in Sranfrcid^ rinjig
möglichen öerpf anbete, obmol^l er perfönlid^ feiner SSorliebe für
bie conftitutionelle aWonard^ie treu blieb ^). @S beburftc ber
^robe beö 2)efpoti§mu§, um im ®eift öon Stau öon ©ta6l bie
grofee conftitutionette 3:l)eorie jur Sieife ju bringen, mit welcher
il^r 9?ame, al§ SSerfafferin ber 6onftb^ration§, unjertrcnnlid^
öerfnüpft ift.
8lber wir ftel^en bei 1788, fte ift gweiunbjwanjig 3a^rc
alt, unb lauter al§ ber 23erftanb, fpred^en bei il^r bie ®e*
fiil^le if)reö leibenfd)aftUd^en ^erjenS. . ©urd^ biefe Pforte bran*
gen ßel)ren ein, bie t>or il^rem Urtl^eil allein nid)t bcftanben
l)ätten. ©d^on räumlid^ ift ber ©d^merpunft ber „©riefe über
9louffeQu" auf bie 9leue ^eloife gelegt. 35ie einlettenben
SBorte: „3Ran mäßigt ftc^, um ju überzeugen. ... 3^ »erbe
über bie ?leue ^eloife fd)reiben, afö ob bie Seit mein ^crj
gealtert l^ätte", beuten fd)on an, bafe fte ftd^ üoreingenommen
fül^lt. 9^aci^ il)rer Slu^legung ift bie 9leue »^äloifc eine grofee,
moralifd)e, in |)anblung gefegte unb bramatiftrte Sbee. Qxoed
beö 23erfaffer§ ift, pr Sleue aufguforbern. @ie gefielet ju,
bafe ber t)on i^m gemäpe ©egenftanb nid^tö weniger al« mo*
ralifc^ ift. „3d) raoUte", fd)reibt fte, „ber SSerfaffer ^ättegulie
alö Opfer il^rer ^erjenSgüte gegeigt. @§ fc^eint mir, ate ob
9lad^ftc^t für gemiffe SBerge^en bie einzige Sugenb fei, bie cim
^ufd^ärfen gefä^rlid^ ift, fo nüfelid^ e§ aud^ fein mag, fte ju
Sebod), „ber mal)re 5Jlu^en eine§ 3flontan§ ift öielmel^r in
feiner Söirfung aU in feinem 5ßlan ju fud^en. SBenn bie
SJienfd^en fo ju fagen jur Sugenb gejtoungen werben muffen,
toie bürfte man SHouffeau einen SBormurf barauS mad)en, t&
burd^ bie Siebe getl^an gu ^aben? . . . SSieHeidjt, bafe in ben
^) Necker, Oeuvres completes, XI, Dernieres vues de Politique et de
Finance, 222, 226, 240.
gtau öon (gtael über bte DJeue ^eloifc. 277
€rften Sctten bic SKenfcfien feine anbete Sugenb fannten aU
jene, bte if)ren Urfprung in fold^en ©efü^len l)atte. Sie Siebe
öcrmag guweilen äße Sfiegungen ju erwecfen, bie burd) ^Religion
unb SKoral öorgefd)rieben jtnb. . . . Stugenb^aft ift man, tüenn
man baS liebt, waö man lieben foll. UnmiHfürlid) tf)ut man
bann, maö bie ^pid)t gebietet. $at man jtd) einmal üon jtd)
fclbft loögefagt, fo fann man ft^ nid^t mel^r guräcfnel^men nnb
bic Siebe folgt bem ßws "^^ ^^^^' ®oö ift bie tt)al)rfd)ein«
lid^fte ©efd^id^te be§ ^^xf^m^".
Sie wiffe wo^l, fagt jte, bafe man SRouffeau bie @d)ilbe»
tung eines ©rgiel^erS, ber feine ©d^ülerin Derfül^rt, jum SBormurf
gemaci^t l^abe, meinte aber, biefer 3"9/ ^^^ ^t-ften ^eloife ent=
lel^nt, l^abe jte nid^t geftört, benn ber Sloman fönne wol^l einen
SKann in ber Stellung üon ©aint^^reur verleiten, aber Saint*
^reujr l^anble unter bem ßinbrurf ber nod) in ber @d)n)eij
l^errfci^enben begriffe Don @leid)f)eit. 5Jlid)t fein Seifpiel, fonbem
üielmcl^r ba§ oon Sulie fei unjtttlid^, ober märe e§ gemefen,
l^ätten tl^re SReue unb xi)X fpätereö Seben biefe SBirfung nid^t
aufgel^oben.
Slud^ baö ©d^meigen t)on gulie gegen SSolmar entfd)ulbigt
grau öon @tael, fügt aber fogleic^ l)inju: „D mie gefiele mir
ber SmpulS, ber jte oeranlaffen mürbe, \ij\n Me^ ju jagen!"
Sie fül^lt ganj rid^tig, bafe bie eingig juläjjige 6ntfd)ulbigung
für Sulie b'@tange§ nid^t in il^ren refleftirenben Setrad^tungen
unb in ben ^rebigten, bie SRouffeau il^r in ben 9Jlunb legt,
fonbem in ber unmiberftel&li^en 3Rad^t ber jte bel)errjd^enben
ficibenfd^aft gegeben ift: „2Benn man ben SReijen ber Sugenb
entfagt l^at", fagt jte, „jo mufe man alle biejenigen jt^ an=
eignen, meldte bie ööUige Eingebung beS ^ergenS gemährt.
Sflouffcau l^at jtd^ geirrt, menn er glaubte, Sulie mürbe baburd)
geminnen, bafe jte jtd^ meniger leibenjd^aftlid) jeigt'^ ^).
*; Madame de Stael, Oeuvres complctes, I, Lettres sur Rousseau.
Lettre II, La Nouvelle H^loise.
278 8^0« öon ©tael über bie (SonfeffionS.
Unb nun jur Feuerprobe ber ßonfefftonS, bcrcn Scröffcnt«^
l{(t)ung in biefe gal^re unmittelbar öor ber Sieüolution fdUt unb
nod) n\6)t öoKenbet war, alö pe fd)rieb: „©iefe§ SBud^ ift nici^t
in beut eblen Jon gehalten, ben man öon einem feine eigene
©efd^i^te eriät)Ienben SRanne erwartet. Slber bafür l^at SRouffcau
ein ®efül)l beö @tolje§, ba§ für feine SBal^rl^aftigfeit bürgt.
@r l)ielt p^ für ben beften ber SJienfc^en. 6r würbe bei bem
©ebanfen errötl)et fein, bafe er, um pd) il^nen ju jeigen, aud^
nur ein einjigeö SSergel^en gu verbergen gel^abt ptte. . . . 6r
Ijat, meiner 9Jleinung nad), feine 5D?emoiren öielmel^r beS^alb
gefd)rieben, um al§ ^iftorüer benn als ^elb feiner ©efci^idötc
ju glänzen. . . . 9flouffeau war nid)t wal)npnnig, aber eine
feiner gäl)igfeiten, bie ©inbilbungöfraft, war au^er Sianb unb
S3anb geratf)en. ©eine geiftige Ueberlegenl^eit bradjte il^n bem
SBal^npnn nal^e. gür Slaturjuftänbe, aber nic^t für focialc
Snftitutionen beftimmt, war er wie ein an ben Ufern be« Drinofo
geborener Snbianer, ber glüdlid) geroefen wäre, bie SBeHen ba*
; l^inftrömen ju fef)en 6ö läfet pd^ nid)t bel^aupten, ba§
9flouffeau tugenbl^aft war, benn, um ein foId^eS Sob gu Der«
bienen, mufe man fortwäl^renb re^t gel)anbelt l^aben. Aber er
war ein 9Kenfd^, bm man benfen laffen mufete, ol^ne etwa*
anbere^ oon il^m ju verlangen; ben man füi^ren muftte, wie
ein Äinb, unb gu befragen f)atte, wie ein Drafel 3)ie
Siegung beö ©tolgeö in Siouffeau l^at mid^ uid^t Don il^m ent«
femt. 3d) jog barauS ben @d)lu6, bafe er pd^ gut wufete,
6r ift t)ielleid)t ber einzige SKenfc!^, ben ba§ Sliebrige unb ®e*
meine nur auf Slugenblide unterwarf. . . . ©eine fjel^ler Pnb
Snconfequen^en. ©eine ©d^riften atl^men bie ebelften, tugenb»
l^afteften ©epnnungen. . , ." Unb nun ju ben Sl^armetteg unb
ju ifirer fflewol^nerin, 5!Wabame be Söarenö. „5Rid^t an pe badete
SRouffeau, fonbern an bie Siebe felbft, bie einen ©egenftanb
braud)te. . . ." „@r war üon 3latur au§ gut, gefül^tooD, Der*
trauenb. 5D?an erinnere pd), ,wie fel)r er in feiner 3«9cnb bie
3Renfc^en liebte. 2S8enn er in biefer Segie^ung pd^ mel^r atö
grau öon Stael über $Rouffcau'S (Selbftmoib. 279
ein Slnbcrer öeränbert l)at, fo liegt ber ®rimb eben barin, ba§
er weniger als Slnbere auf bie 6nttäufd)ung vorbereitet war".
tJrau Don Stael ift aud) bie erfte, n)eld)e baS ©erüd^t oom
©clbfhnorb Siouffeau'S, au ben jte glaubte, mit ben 2Borten in
bie Siteratur einführte: ber 23rief, worin er ein freiwilliges
■ßnbe oerbamme, fei öiel weniger bebeutenb als jener, burd^
weld)en er ein fold)eS red)tfertige. „%üx(i)kk er etwa", fügt
jte l^inju, „jtd) biefeS legten ^ülfSmittelS ju berauben?" i)
SJiefer Slnfpielung wegen, bie unter ber ®emeinbe oon Sean
SacqucS nid^t geringen Slnftofe erregte*^), l^atte §rau oon
©tael eine ©ontrooerfe mit 9)iabame be aSaffi), ber 2:od)ter beS
^errn Don ®irarbin, in beffen ©artenwo^nung ju ßrmenon-
öiUe Sflouffeau befanntlid^ ftarb. ©ie grage felbft, obwof)l meift
im negatioen @inn beantwortet, ift bis l^eute noc^ nid)t eut*
fd^ieben^). ©ie 33eurtl)eilung oon SRouffeau bur^ g^rau oon
@tael wäre unoollftänbig, wenn fte beS ©laubeuSbefenntniffeS
bcS faoo^fd^en aSilarS nidt)t gebäd)te. @ie trennt eS ein 9Jleifter=
ftüdf ber SSerebfamfeit in 33ejug auf baS ®efü^l, unb ber 5D?eta^
pl)9itf in Segug auf bie Slrgumentation : „3fiouffeau", fc^retbt
jte, ,,ift ber etnjige ®eniuS feiner S^it; ber e^rfurd)tSooll gegen
öie frommen (äebanfen, bereu wir fo fel)r bebürfen, jtd) oer^ält.
6r befragt ben natürlid^en gnftinft unb fud^t l^ierauf mit aller
9Jlad^t ber Ueberlegung feine 5Bernunft oon ber 3Baf)rl)eit biefeS
SnftinfteS gu überzeugen" ^). 6S fei baS unfterblid)e SSerbienft
*> Madame de Stael, Oeuvres completes, I. Lettres sur J.J.Rousseau.
Lettre I, Caractere de Jean-Jacques.
^) Madame de Charriere, Lettres - Memoires , Revue suisse,
1857, 793.
^ SBrodfctl^off unb SSarni unter feinen neueren SBiogropl^en be^ttjeifeln
ben ©clbfhnorb. ßougeault, L'Etat moral de Jean-Jacques, 1888, be«
Iftauptet il^ti bagegcn, wie öor il^m Gorancea, ein S^itgenoffc öon 9louffeau,
unb in ben biersigcr Saf)xtn biefeS 3aWu"bert§ (Saint»ÜKarc ©irorbin,
S. 8 laue unb ©ainte«S3euöe (Chäteaubriaud et son Groupe litt^raire,
I, 107).
*) Madame de Stael, Lettres sur Rousseau. Lettre III, Emile.
280 ®« SSriefc über 3. 3. Slouffeau unb bad jpuMifum.
t)on SRouffeau, bafe er, SBärme mit SJläfeigung ücrbinbcnb, auf
bie Seele gemirft imb burd) geibenfd^aft jur SSercbjamIcit jic^
aufgefcfiiüungen l^abe. „@r glaubt an bie Siebe, barum ift il^m
üerjietien'' ^). 5Jlod) fei fein gob üon Siouffeau 9efd)rieben
tDorben^), beiSl^alb I)abe jte ba^ Sebürfnife, i^rc Semunbcrung
au§iufpred)en, empfunben. 6in Urtl^eil über baS ©enie ftel^e
nur ttjcnigeu, beüorgugten ©eiftern ju; ben Tribut beS ©anfcS
bagegeu bürften SlKe entrid)ten. SBol^I fefee fte jid^ bem SBonourf
auö, il)re Äraft ju frül) an einem ^u großen ©egenftanb öcr«
fud)t ju l)dbm: . . . aber wer öermöge ju fagen, ob bie Qtxt
barin nid)t mel^r neljmen al^ geben raerbe? . . . Unb ift e8 nid^t
gerabe bie Sug^nb, bie Siouffeau am meiften fd^ulbet? ©er«
jenige, ber bie S:ugenb jur Seibenfd^aft gu mad)en üerftanb unb
burd) Segeifterung ju überzeugen fud)te, l^at pci^, um c8 gu
be^errfd)en, ber ^ef)ler inie ber Seibenfc^aften biefeS Slltcrö be«
mäd)tigt'' ^).
©ed^jel^n ^aijvt fpäter, 1814, in einem jweiten SBonoort
gu ben ©riefen, beftätigt ^rau Don ©tael, bafe bie öon il^r
nid)t getoünfd^te SSerbreitung berfelben il^ren literarifd^en SScruf
entfd)ieben l^abe. „Sd^ beflage ben 3wfoK nid)t", fd^licfet jte,
„benn biefer SSeruf l^at mir mei)r ©enufe als SBibenoärtigleiten
gebrad)t. Mt^ im ©d^idfal ber grauen öertocift auf SSerfaU,
SlßeS, nur nid^t ber ©ebanfe, beffen 2Befen eö ift, aufwärts ju
ftreben. Sie 6ntfd)äbigungen beS ©eifteS pnb baju befttmmt,
bie ©türme beö ^ergenS ju beru^igen'^
33ei ®elegenl)eit biefer xijxtx erften, wirflid^en Söerü^rung
mit ber DeffentUd)feit mad)te ^rau öon Stael eine ©rfal^rung,
bie pd) fortan öfter für jte ioieberliolen foHte. Sie fanb jtd) in
*) Madame de Stael, Lettres sur Rousseau. Lettre I, Stjle de
Rousseau.
') (Sß ift bemerü toorben, bafe Bar^re's Bnd) über 3. 3. «ouffeau
1787 ctfci^ien; grau öon ©tael aber fonntc cS nid^t, als fie bie »riefe fc^rieb.
^) Madame de Stael, Lettres sur J. J. Rousseau. Pr^face de la
premiere Edition de 1788.
Äritif bon ©rimm, Sftiöorol, S^ampcene^. 281
6inflang mit ben ©eftnnungen be§ ^ubUfum§, ba§ i^r feine
anerfcnnung benn aud) nid^t öorentl)ielt. ®rimm, obiool)! er furj
guöor eine bittere Satire über bie ßonfef ftonö gefd^rieben l^atte ^),
bcftdtigte eS, inbem aiid^ er bie „33riefe" »un charmant ouvrage«
nannte. Sieben bem gob ber fd^riftfteUerifcfien geiftung brad)
jebod^ eine anbere Stimmung perfönlid)er Slnimojttät gegen
grau üon Staäl jtd) 33al)n. SRiDarol, ©egner ber gangen %a^
milie nieder, nal^m nid^t felbft ©teHung gegen jte, jonbem griff
öorlaupfl SReder'ö 33ud) „über bie religiöfen SKeinungen'^ an,
unb fd)icfte feinen ?5^^eunb unb 5Ritarbeiter (5f)ampcene^ gum
Singriff gegen bie Soc^ter. ©iefer fd)rieb im Sunt 1788 eine
ficine Slbl^anblung ,,über bie SSorliebe ber grauen für Quer«
föpfe", worin grau t)on @tael aU „Slrmanbe'' Iäd)erlid) gemad)t
wirb. 6ine birefte Ärieg^erflärung folgte in gorm ber „Slnt*
wort auf bie ©riefe über 3- 3- Slouffeau", bie ©rimm mit
öollem Siedet eine töbtlid) langweilige Satire nennt 2). SJlur ba^
6ine öerbient barau§ erwäl^nt gu werben, ba^ anä) (Sl)amp*
cene^ grau üon ©tael feinen anbern 3Sorwurf al§ ben „pe=
bantifd^er ^rfiberie" ju mad)en weife, weil fie Slouffeau, wie
frfil^er bemerft, al§ 23ertl^eibiger ber @^e feiert.
Unb nun bie le^te grage! Sft ber ßinflufe oon SRouffeau
auf ba§ ©enfen t)on grau oon ©tael ol^ne SRücfwirfung auf
il^r geben geblieben? ©ewife nid)t!
2)ie df)arafteriftifd)en ßüge feinet politifd^en @Qftem§ jtnb
I)ert)orgeI)oben worben. Slber aud) feine 9Jforal l)atte ii)x eigen*
tpmlidf)e§ ©epräge. @ie erl^ielt e§ baburd), bafe bei i^m me^r aU
bei irgenb einem anberen 9Koraliften oor il^m alle bieder feft*
gel^altenen SSegriffe t)on 9fled)t unb Unred)t in unterfd^eibungC^=
lofer SRI^etorif ineinanberfliefeen. ^Darüber ftintmeu Sitte über*
ein, bereu Urt^eil ju feinen Sopl^i^men ftd) l^erab würbigt.
„®ie 9leue §eloife", fd)reibt 9)iabame 9tecfer, „ift ein auf ben
1) Grimm, Correspondance litt(5raire, XIII, 243 u. XIV, 472.
2) ebenbafelbft, XIV, 407.
282 SRouffeau'S ÜKoral. Scugniffc botübcr.
©runblagen be§ Saftet^ errid)tete§ ©ebäube bcr Sugcnb. . . Slu§
ber geiftiflen ß^i^törung über begangene ©ünbcn hm ©ntl^uftaSs
mu§ für ba§ ®ute l^erfteflen, l^eifet bie einen mit bem anbcm
öermijdien unb ftd^ felbft ber fjäl^igfeit berauben, pc je »teber
ju entwirren, ©aö ift bie Oefal^r beö Sud^S" 0- ®cinj bcm
felben ©nbrud l^at SülaHet bu ^an. @r fagt in feiner be«
ftimmten, gerabe auf ba§ 3^^ loSgel^enben SSBeife: „SRouffcau
tiat bie (g^rlid)Ieit felbft Derfü^rt'' 2). ,,@eine aßoral", fagt
SBiHemain, „ift ber appett an bie ßeibenfd^aft gegen bie ^flid^f'S).
Serfot fprid^t t)on feiner ©ittenlel^re, al§ öon einer 3Sorfd)rift
be§ .^erjen^, „baö bie 9tid^tf(i)nur ju feinen ^anblungen in
feinen 6ni:pfinbungen fud^t, unb ben SKenfd^en nur bann »er»
ppiditet glaubt, tüenn er gerfi^rt ift" *). Slifarb geilet il^n bc«
Slergerniffeö „ju ©runbfä^en ftd^ belannt ju l^aben, bie er nidjt
befolgte ''ö),
SBer öerfud)t raäre, fold^e Urtl^eile ju ftreng gu ftnben, bcr
erprte fte am ©dbidffal ber geiftigen 5Jlad)fommen üon SRouffeau,
an „3Bertl^er", an „©elpl^ine", an einigen ber gicblingS«
fd^öpfungen öon ©eorge @anb , bie . ein Derfel^Iteö ©afein
burd) ©elbftmorb befdjliefeen, n)eil fte alle an bie 2)oftrin öon
ber Sered)tigung ber Seibenfd^aften unb Don ber urfprüng«
li^en ®üte ber menfd^lid^en 5Jlatur glaubten. „@g ift nid^t öiel
®ute§ im 9Äenfd^en", fagte ber fterbenbe Äant; »Homo homini
non Deus, sed diabolus«. „@g prüfe Seber fein ©ewiffen" ®).
„3d) ttjeife nid^t, wie ba§ geben eineö Söfewid^tS bcfd^affcn ift%
*) Madame Necker, Melanges, I, 30 u. III, 67.
^Mallet du Pan, Mercure britannique, II, 342, Du degr^ d'in-
fluence qu'a eu la Philosophie sur la Revolution.
^) Villemain, Tableau de la Litt^rature fran^aise au XVIII Si^cle,
III, 442.
*) Saint-Marc-Girardin, J. J. Rousseau, sa vie, ses oeuvres.
Pr^face de Bersot, I, 18.
*) Nisard, Histoire de la Litt^rature francaise, IV, 489.
0) ^affc, Öe^tc 5(eu6crungen Äant'S, öon einem Sifd^genoffen. 5(5nigd«
berg, 1804.
gl^r StntaöoniSmuS jum Cl&riftentl^um. 283
föflt Sofcpl^ bc ^JRaiftrc, ^id^ bin niematö einer gewefen. ©aS
über »cife id^, bafe ba§ Seben eines el^rlid^en 9Kanneö fd^on ent«
fepdö genug ift". ©agegen jprid^t SRouffeau burd) ben ÜMunb
aller SSermittler feiner 2)oItrinen: „2)er 5!Wenfdö ift gut, unb bie
dnjige Söefd^ränfung feiner 3"ftinfte wirb i^m burd^ bie Sorge
fflr fein ©Ificf auferlegt".
SBaS ift ba§ anbereö alö ber Slntagoniömuö gum ßl^riften*
t^um? ©a§ gange gunbament ber d)riftlid^en SBeltanfdfiauung
brld^t bamit gufammen unb mit il)m alle Sd^u^mel^ren , mit
weld^en e« bie |)infälli gleit beS menfd)lid^en •^ergenS umgeben
f)at ©a§ fönte aud^ %xan oon ©tael erfal^ren. 5Jlid^t nur in
i^ren äußern Sebenöfc^idffden, aud) in il^rer innem ßntwidlung
mußte jte burd^ bie Sleöolution gel)en, beöor fte, biefelbe über=
winbenb, burd^ baö @efe^ gur ffreil^eit gelangte.
IftnflfB iflpitel
Sn ber Seit gtüifdien bem 3fiüdtritt öon Sfledfer, am 19. SRat
1781, unb bem SSeginn feinet gmeiten 5D?ini[terium§, im Süiguft
1787, folgten ftd^ in ber Slbminiftration ber ^nanjen, unb,
tt)eil biefe bie öffentlid)en Slrbeiten, ben ^anbel unb einen großen
2:f)eil ber aSern^altung begriffen^), aud^ in ber inneren Slb*
miniftration Don granlreid^, t)ier t)erf(i^iebene 5ßerfönlid^feiten:
SolQ be %Umt), b'Drmeffon, ßalonne unb gom^nie be Srienne.
®en erften berjelben, gol^ be ^leurg, toäl^lte SKaurepaS, »eil
er üon reaftionärfter ©eftnnung, ganj unbebeutenb unb ben
Parlamenten genel^m xoax, Seine fur^e SSermaltung begcid^net
eine ber unl)eilDonften SJlaferegeln ber Siegierung Submig'S XVI.,
iene§ brei Sage nad) sRecfefö SRücf tritt, am 22. 9Kai 1781, er*
laffene ebift, ba^ aUt Äanbibaten für Dfpjiergftencn SlbclS*
proben unterwarf, fo ba^ burd) baöfelbe nid^t nur alle Sfirgcr^»
lid^en, fonbern aud) nod) äße @öl)ne berjenigen fjamilicn auS*
gefd^loffen mürben, meldten ber t)ierte abelige 2ll)nl^err fcl^lte.
SBol)l mit ?iicd)t fprid^t SKabame gampan bei biefer ©elegenl^cit
üon „ber Sßer^meiflung'', meldte baö ®efe^ erregt l^abe. 6S
fpaltete bie 3lrmee in gmei Heerlager unb jd)uf, nad^ bem SluS*
brud* eine§ beutfd)en §iftorifer§, ßatilinarier, bie bei einem
Umfturj nur geminnen fonnten^j.
M Cherest, La chute de l'ancien regime, I, 30.
2) £)ntfen, ®a§ 3dtalter ber JHeöoIution, I, 34—35.
2)ie SRad^foIget dltätx'» unb bie $tibtlegtrten. 285
SüiS einer jold^cn SUlaferegel jd^licfecn ju wollen, bafe bct
gefammte 8lbel atö ©tanb reaftionär unb für (ärl^altung beS
alten S^Jf^^nbeS eingutretcn bereit war, würbe einer jener Srug«'
fc^Iüffe fein, gu weld^en einjelne Stl^atfad^en in ber (äntwicflung^-
gefd^id^te ber Sfleüolution fo oft verleitet l^aben, wäl^renb il)r
®efammtergebni6 pe wiberlegt.
5Rici^t bie Slriftoftratie atö fold^e, fonbern ber §ofabel unb
ein SC^eil ber fleinen ßbelleute, bie ber ©tanbegprioilegten be*
burften, um nid^t in baö Proletariat jurfidf juöerftnf en , l^atten
biefen ^^rrl^uSfieg baüongetragen. SBie fel^r ber unabl^ängige,
auf feinen ®ütem lebenbe 3lbel bie |)öflinge Don aSerfaitteS
unb bie um fte gefd^arten Intriganten, beren Unterl^alt unb
unerfättltd^e ©elbgier baS 3Karf beö SanbeS auSfogen, oer*
ad^tetc unb l^afete, läfet pd^ in einer 9IHenge jeitgenöfftfd^er
aSerid^te, fo unter anbem in ben Sriefen unb Slufjeid^nungen
bcS SKarquiS Don ^irabeau be« SSaterS erfennen. ©erabe
bie alten ®ef d^led^ter , bie oon ber abfoluten SKonard^ie il)rer
SÄad^tfleHung beraubt worben waren unb ftd^ bod^ ftarf genug
pullten, ben Sftfidfl^alt be§ §ofe§ ju entbel^ren, geigten ftd^ als
bie öorgefc^rittenften im Verlangen nad^ ^Reform, gaben ben
Änflofe jur Bewegung unb fteKten bem britten ©tanb feine
^rer. 2)ie aHiang war eine natürlid^e unb im SSBefen ber
®inge begrünbet. ®enn in einem ^unlt wenigftenä waren bie
Sntereffen biefer ©belleute ibentifd^ mit jenen beS SierS. @r
ftrebte nad^ ber politifd^en 9IRac^t, jte wottten biefelbe wteber
erlangen unb jtd^ eine (Stellung, äl^nlid^ jener ber englifd)en
ariftofratie, aud^ wenn eö nur um ben 5ßrei§ großer mate:»
rlcHer Dpfer fein lonnte, in ber neuen Drbnung ber 35inge
fidlem.
SSerfd^ieben baüon war aßerbingS bie Stellung be§ ÄleruS.
3taäi einem auöfprud) üon ^einrid^ t)on @t)bel l^at e§ /
niemals eine SReüolution gegeben, bie md)t eine fociale ober <
eine religiöfe gewefen wäre. %üx bie fed)gigtaufenb SJiitglieber '
ber ©eelforge unb beS frangöjtfd^en SanbfleruS war fte beibeS.
»Unnerfiaftett, ^rau üon ©taeL I. 19
286 Carotine.
SBclc^c ©rünbe pc liattcn, um ^d), U)ic jtc e8 tl^atcn, bem SRuf
nad^ SRcform an jujdjHcfecn , ift bet Scjprcd^ung bcr religtöfcn
Suftänbc bcr jwciten ^älftc bc§ ad^tjcl^ntcn Sal^rl^unbert«
bereits angebeutet worben^). Slber aud^ bte fociale iJrage war
für jte nidöt ju umgel^en.
SBäl^renb bie l^ol^e «ßrälatur, bte Saine auf ungefähr 2800
5ßerfonen bered)net, bann bte reid^en Älöfter unb ©tffte, beren
SBerntögen jtdö auf Diele SRiHionen bejifferte, fiber ©infommen
üerffigten, bie in eingelnen fräßen gwifc^en 400,000 giüreS unb
eine SKißion betrugen 2), lebte ber ^farrfleruö in oufeerjter
©firftigfeit, oft aud) in 3lot\), ©enn ba§ ungel^eure, auf einen
Äapitatoertl^ üon üier SKilliarben, mit einem 6in!ommen öon
200 SUlißionen gefd^ä^te Äird^engut »ar gang unüerl^ättnifemäfeig
unter feinen Jlu^niefeem üertl^eilt. 3Bäl^renb bie 6inen über einen
loloffalen SReic^tl^um Derfügten unb in bireltem SBiberfprud^ ju
ben Äir(^engefe|en, mel^rere ^frünben in einer §anb öereinigten,
litten bie Slnbern nic{)t nur SJlangel, fonbem mußten nod^ oft
il^r fpärlic^eS ©infommen üon ®emeinben bejiel^en, bte nid^t
minber arm unb bebrücft waren alö fie felbft. 3fm Sal^r 1768
liatte ber franjö{ifd)e ^Pfarrer im ©urd^fc^nitt 500 giorcö, ber
SSifar aber nur 250 ßiüreS, bie 1785 auf 700 unb 350 8ii)re8
erpl^t würben, wäl^renb Slbbö be 33ermont, SBorlefcr bcr
Königin, einen 3al^rgel)alt t)on 80,000 Siüre«, fiom^nte be
Sricnne, (grjbifdjof t)on @en§, aber iäl^rlid^e ©inüinfte öon
678,000 ßit)re§ begog. ©ie gal^Ireid^en fjlugfc^riften, bie in
ben Salären unmittelbar üor ber SReüolution gur SBeleud^lung
biefer 3u[tänbe erfd)ienen, fc^ilbern benn aud^ bie gntpflnbungcn,
weld)e fte bei bem 5ßfarrfleru§ ermeden mufeten: „&» l^crrfd^t
ein großer SJlifebraud) in ber Äird)e", fc^reibt ber gine, ^btc*
ienigen, bie bem Slltar bienen, leben nid^t Dom aitar, wo^
') Äapltcl IV, 254—257.
'^) Taine, Les Origines de la France contemporaine. L'ancien
r(5t,nme, I, 17-20, 54-58, «Rote, 530.
ßaronnc. 287
<ibcr S^nc, bic il^m nid)t bienen'' ^). ©er 6räbijd^of üon Sou*
loufe gcftanb 1775 jelbft, bafe einem alt ober Iranf geiüorbenen
^ejier hxni Qa^ndjt gegen brödfenbe Slrmutl^, alö bie Santt=»
l^critgfett feine« »ifc^ofS blieb 2). 3Rand^e biefer »ijd)öfe aber,
bte nie burc^ bte 3Wül^en unb 6rfal^rungen ber ©eelforge ge*
fangen waren, l^atten nur SSerati^tung für ©lejenigen, bie man
t)Ott il^nen als »pretraillec bejeid^nen l^örte^). Unb boc^ waren
gerabe jte eö, weld^e bie 6^re il^reS Serufeö wal^rlen, inbem jte
in ber weitaus größeren, üon ben beftruftiüen Senbenjen ber
l^Sl^eren ©tänbe unb literarifd^en Äretje ber ^aitptftabt uuberßl^rt
gebliebenen SWel^rl^eit ber Station baS religiöje Sewufetfein wad^
^l^ieften unb bie bejd^eibenen Siugenben pflegten, welche bie
€iöHifation fti^ü^en unb bie SSölfer Dom Untergang bewal^ren.
3n ben Steigen biefer ^riefter fanben ftd^ bie geleierten 5£i)to^
logen, unter il^ren ©eftnnungSgenoffen bie frommen Saien,
töelti^c bie überlieferte lird^lid^e ©oftrin unb bie ftrenge 5ßrajrt§
beö alten franjöjtfc{)en Äatl^oliciSmug mit jener gälten Slnl^äng*
lid^feit feftl^ielten, bie felbft SBoltaire bewunbembe Slnerlemtung,
einem ^l^ilofopl^en üon bei: SRid^tung öon Siaine gerabegu be*
fleifterte ©^mpatl^ie abnötl^igen*). 3Benn ein ©tanb in granfc
reid^ öon ber frommen ®ejtnnung be§ Äönigö ©ered^tigfeit er=
toarten burfte, fo war e§ biefer. nieder erlannte e§ unb fud^te
fpftter bie Slufmerlfamleit be§ SKonard^en auf biefe feine »er«
bienten unb natürlid)en SunbeSgenoffen im Äantpf gegen ba§
^oilegium gu lenfen^). Slber e§ ftanb wie gefagt, gef^rieben,
bafe bie alte 5nionard)ie bie fib^jltinifd^en SBüd^er, bie ba§ ©d^idffal
^) Les droits des cur^s et des paroisses, consid^r^s dans leurs rapports
spirituels et temporeis, 172.
^ Essai sur la r^forme du clerg^, par un vicaire de campagne,
docteur en Sorbonne, Paris 1789, 12.
*) ©bcnbafclbft unb Taine, Origines etc. L'ancien r6gime, I, 382.
*) Voltaire bei Taine, Origines etc. L'ancien regime, I, 95.
Taine, Origines etc. La Revolution, III, 410—416.
*) Necker, De la Revolution frangaise. Oeuvres complfetes, IX,
Ö9 u. 162.
19*
2gg Salonjie.
für f{e bereit l^tte, eines naäf bem onbem t^erbremten foOte.
S&bttnb ber legten ßeiten beS alten SÜegime fteigerte ft^ bte
lenbenj , fir^lic^e ^frünben auöfd^lie&Ud^ al« ' Serforgung*'
anftalten ffir bie 9lad^geborenen beS Slbeld ju \)tmtabm^) imb
bie fünfjigtaufenb frangöjtfd^en Seelforger, bie ein öetW^rter
€prad^gebraud^ als ben f^nieberen Flenid" begeici^nete unb eine
nod) öerfel^rtere ^olitil gu l^offmingslofer Slot^ üentrtl^eilte,
gaben 1789 ben SluSfd^lag gu ®unften bed Sterö.
^anb in §anb mit biefen SÄaferegeln jn ©unjien ber ^*
Dilegirten ging bie SSemtelörung ber ©tenem, Äaften unb Sä^uU
ben unter ber furgen SSenoaltung üon SolQ be fjleur^. @r
pel im 9Jiärg 1783, ol^ne aud^ nur Sßerfud^e gur ©efferung nad^
irgenb einer SRid^tung angeftrebt gu l^aben. Slad^ bem Sob-
öon 3Raurepa§ l^atte ber junge Äönig allein regieren gu woßen
erflärt. 6ö gab bem Flamen nad^ feinen erjten 9JKniiler mel^r^
aHein feinen ©influfe übte ber Seiter ber auswärtigen angelegen*
l^eiten, ®raf SSergenneö, ber in feinem Departement ungweifel*
l^afte SBeweife Don fluger SßorauSjtd^t gegeben l^atte, in ben innem
fjragen aber gleid^falls reaftionäre 5ßolitif trieb.
2luf 30I9 be gleurq folgte ber erft einunbbreifeigiä^rige^
burd^auS et)rlid)e unb gemiffenl^afte b'Drmeffon, ber ben Äönig
üergebenö bat, it)m bie ßaft, auf bie er nid^t üorberettet war^
wieber abgunet)men. Sin feine furge Verwaltung fnftpft ftd^ bie
Erinnerung an ben gefd)eiterten Sßerfud), ba§ Softem ber @enerat
päd^ter burd) eine föniglic{)e SSerwaltung gu erfe^en. gür ben
Slugenblid war aud^ t>a^ ein blofeer Söerluft, benn SRedter l^atte
bie 5ßa(^töerträge beträd^tlid^ erl^öl^t. 5Jlad) jieben SWonaten
fd^ieb b'Drmeffon ol^ne jebe ©ntfd^äbigung au§ bem Amt, unb
nun wagte ber SJJarfd^aU be ßaftrieS, in einer gel^eimen ©eirf*
fc{)rift an ben Äönig, an ^leder'S Popularität gu erinnenu
Slber e§ war DergebenS. Subwig'ö perfönlid^e Slbneigung gegen
il^n bel^iclt bie Dberl^anb, obwol^l feit feinem 9ftü(ftritt bie 8ln*
0 CndEcn, S)ai8 Scitaltcr ber 9flcöoIution, I, 41, iRotc.
^alonne. 289
teilten um bcn SBctrag üon 345 SÄiHionen gcfticgcn waren, unb
t)cr Äönig, ber SRambouißet um 14 SWiHioncn gefauft l^attc,
ftlofe 300,000 giürcö in feinem Sc^a^ befafe. ©anbtbat ber
t)urdö SWaria Sl^erefta unb SRerc^ beeinflußten Äönigin war
jd^on biefe« 5Ral Äom^nie be Sriennc, ©rgbifd^of üon Souloufe,
ein Sln^änger ber Defonomiflen unb ffreunb üon Surgot.
Subwig XVI. iebod^ blieb ffir biefeö SRal be§ Statl^eö öon
3Ranvepa&f niemals einen ^riefler jum erften SRinifler ju
wad^en, eingebenl unb ffil^ltc fiberbieg einen perfönlid^en SBiber*
toiKen gegen bvx if)m als ungläubig unb jtttenloS belannten
Prälaten. 2)a brad^te SSergenneS, Don ber Umgebung ber Xä^
irigin, ben ^olignac'S unb öor Slllem bem ®rafen üon SlrtoiS
untcrjtü^t, ben Sntenbanten üon ßille, ßalonne in SSorfd^lag.
(St xoax üom ^ublüum ebenfo als üom 5!Äonard)en üerad^tet,
ainb eg beburfte einer Äette üon Sntriguen, um it)n burd^jufe^en ^).
6nblid^ aber gelang eS boc^ unb gleid^ bei ber erften
Unterrebung mit bem SWonard^en befannte il^m fein neuer
■ginongminifter, bafe er 230,000 giüreS ©d^ulben l&abe, bie eS
ll^m jwar leidet fein würbe, nunmel^r abjugal&len, bie er aber
ijffen anjugeben öorjielöe. ©er betroffene Subwig XVI. ging
•an feine ßaffette unb übergab bem SRinifter, ol^ne ein SBort gu
jagen, bie genannte Summe. 3)aS 5ßubli!um erfui^r bie @e*
jd^d^te nur baburd^, bafe ßalonne jte felbft bem wurbigen alten
^ad^ault, ber nid^t gu miffen üerjid^erte, woburc^ er ein fold^eS
SJertrouen öcrbient l^abe, mit bem Semerfen ergäl^lte, baS @elb
beS ÄönigS l^abe er gu anbem ^totdm üermenbet. Unb fo
war eS nod^ einmal ber Staat, ber feine ©d^ulben gal^lte^).
Sftur ber Siifto^i^ f^i^^^ eigenen iJinangen, p^tQk er gu
fagen, l^abe il^n fiber^aupt bagu üermod^t, bie ffranfreid^S gu
fibemel^men. SWan l^at i^n mit bem SluSfpruc^ d^arafteriftrt.
*) A. Ch^rest, La chute de Pancien regime, I, 32 — 37.
>) Monthyon, Particularitds sur les ministres des finances. 8(rtt!el
Calonne.
290 S)ic iRotl^ awinöt ealonnc jur SUcform.
„bk ®cf(i)äftc l^abc er wie SScrgnügungcn, bic SBergnfigungeit
bafür tüte ©efd^äfte bel^anbelt ^).
SRicbul^r, ber feine ßinbrüde über bie franjöjtfdie Sfteöolution
gutti grofeen Sl^eil nod^ au§ bem unmittelbaren Sßerlel^r mit ben
junäd^ft Set^eiligten fd^öpfte, gebrandet, Dom gtänjenb begabten,
aber Ieid)tfertigen, unguöerläfjtgen ßalonne jpred^enb, 5cn SSer*
gleid) mit ©gmont^).
SSon il^m l^atte ber ^of feine ©infd^ränlungen ju fürd^ten.
6r ermutl^igte jur Sßerfd^tüenbung , üerfprad^ unerfd^öpflid^e
^ülfSqueUen, laufte ®aint=6loub für bie Königin, bic eö feit
Salären ju bejt^en wünfd^te^), erl^öl^te bie 5ßenjtonen unb ber*
föl^nte bie ^inangtoelt mit feinen ®eIboperationen, inbem er il^r
erlaubte, bie 5Jlot^ be§ Staates auSjubeuten. ©benfo lieben«»^
würbig als genufefüd^tig, fonnte er bod), »enn e§ il^m fo gefiel,
eine erftaunlid^e SlrbeitSfraft unb bei bm fd^Iimmfien SEBiber*
lüärtigfeiten, aud) ungetrübte, gute ßaune aufbieten.
Dbwol^l 1784 ftd^ alS ein SÄifeiabr erwies, Hefe er bic ©tcuctn
mit einer ^ärte eintreiben, bie aße frül^eren ©rfal^rungen über*
bot, aber bie SluSgaben befd)ränfte er nic^t. ©amals war c8,
ba^ er 9Kirabeau'S beS fünftigen SSolfStribunen geber faufte^
um mel^rere feiner ®eIboperationen ju öertl^eibigen, waS im
weitem SBerlauf ber S)inge gur gel^eimen 9iÄifPon beSfelben nad^
aSerlin SBeranlaffung gab*), wäl^renb ßalonne in ßonflift mit
ben ^Parlamenten gerietl^, unb biefe bie Eintragung ber fflnig»
lid^en ©bifte verweigerten. 5Jlun tl^at bie §Rot^, toa^ ©infid^t,
SSernunft unb 6l^rlid[)feit üergebenS bei einem 9Jiann öcrfud^t
l^atten, „ber bie SSereinigung aller SMifebräud^e fd^ien, bic et
nun plö^lid^ abfteHen ju wollen erflärte" ^). S)ie „Stnanjorgie",
') Hallet du Pan, Analecta sur Phistoire du temps, 1785. Unebirte
gfamUienpapicre.
2) sRicbu^r, ©efd^id^tc ht& ScltalterS ber JRcöoIution, I, 152.
•^) Augeard, M^moires, 134 u. ff.
*) Droz, Histoire de Louis XVI. I, 345, ««ote.
^) Malouet, Memoires, I, 287.
(Sr beruft bic «Rotabcrn. 291
bie er eingeleitet - l^atte, war gu @nbe, unb mit il^r bie üerberb*
liiä^en SRlttel, bie bi§ bal^in ben erfd)öpften Äaffen bie leisten
Sefie \^^ nationalen SßermögenS jugewenbet l^atten.
Dl^ne Uebergang, ©d^onung ober Vorbereitung entwarf je^t
ßalonne ein troftlofeö Silb ber ßiiftänbe, bie er felbft mit ge*
fc^affen nnb bi§ gur Unerträglid^feit gefteigert t)atte unb oer^
langte in einer S)enffc^rift an ben Äönig „bie [Reform alles
©effen, was in ber ßonftitution beS Staates fci)Ied)t unb oer^
rottet fei", ftettte aber jugleid^ ben berühmten @a| auf, „TOife»
brauche feien bie ^ülfSmittel ber SKonard^ie", toaS in feinem
SKunb bebeutete, bafe jte ben SBeg ju notliwenbigen SSeränbe*
rungen ebneten.
S3ei \>m Sieformen, bie er nun in 95orfc{)Iag brad^te, waren
öon (Solbert $Iäne gur §ebung beS ^anbelS unb ber Snbuftrie,
üon SSauban Vit ^erfteßung beS .^afenS oon ßl^erbourg entlehnt.
3)er Pan ber Sefteuerung ber §ßrioiIegirten, ben ÜWad^auU mit
geitweiliger S3elaftung beS ÄleruS unter Subwig XV. oerfucä^t
l^atte, lebte im ^rojeft einer allgemeinen ©runbfteuer wieber
auf. ©en Sbeen oon SEurgot follte burd^ ^Berufung ber ®e*
meinbe^ unb ©iftriftsoerfammlungen, SRefonn ber §ßerfonalfteuer,
Slbfd)affung ber Innungen unb beS ßiittftgwcingS gel^ulbigt
»erben. S)en Delonomiften würbe bie SluSfül^rung it)reS Sieb=
lingSgebanfenS, fjreigebung beS ©etreibel^anbels geboten; bie
Sottft^ranlen gwifc^en ben ^rooingen foHten fallen, bie oerl^afete
©abeße, bie ©algfteuer, Derfd^winben, Sleder'S ^Programm ber
^roöinglaloerfammlungen auf aße 5ßrooingen, bie leine ftänbifd^e
SJerfaffung bewalirt l^atten, auSgebel^nt werben^). Slbel unb
ÄleruS l^offte ber SKinifter burd) baS 33erfpred)en ber Sil^eilnal^me
beS ®runbbep^eS an ber fünftigen lofalen SSerwaltung mit ben
Dpfem auSjuföl^nen, welc{)e feine Söorfd^läge il^nen auferlegten.
®ner ber tiefften @(^äben beS alten Slegime, bie faft unüber-
0 Henri Martin, Histoire de France, XVI, 544. Soulavie,
M^moires, VI, 120-132.
292 ^onfltft 3totf(^ aalonne iinb 9ttän.
winblic^c ©^wicrigfdt, p^ in bcn DenDorrenen %Sbm feinet
SSermaltung gured^t gu finben, fprid^t ftd^ im Sunfd^ Don @a«
lonne nad^ einem ©Aftern abminiftratiüer einfdrmigteit avi&:^)
„SBaS Sie mir ba üorfd^Iagen", emiberte £ubn>ig XVL auf
/ bie le^te ©ngabe beö SKinifterö, „tft ia ein Stcce^rt nad^ «erfer^
„©ire", lautete bie KntiDort Don 6a(onne, „mir befl^en fein
beffereS" *). ®er ©ebanfe lag noi^e, in biefem ^D bad SRittel
lieber auS erfler ^anb gu begiel^en.
9[uf bie Parlamente mar gur 2)urd^fü]^rung biefed $ro«
grammS felbftberftänblid) nid()t gu red^nen. @inen SugenblidE
bac()te 6alonne an bie 93erufung ber @eneralfiaaten, aber feine
fjinangmirtl^fd^aft, baiS mußte er, ertrug feine einge^enbe ^rfi*
fung^). Sa bot fid^ ba^ 9(ugfunftSmitteI einer Berufung Don
Slotabeln, ba^ SRirabeau guerft in 93orfd()Iag gebrad^t gu l^aben
jtd^ rühmte*).
3ule^t l^atte fie ^einrid^ IV. gur SBeratl^ung über bie 9n«
gelegent)eiten ber SDlonarcljie Derfammett, unb biefer Itmfianb
trug bagu bei, nad^ ber Si^fti^n^^ng Don SergemteiS unb bed
@iegeIbema^rerS ^MromeSnil bie bed ASnigiS gu geminnen.
tiefer fannte ben gangen Umfang beiS finangiellen StuiniS nic^t,
aber ber blo^e @ebanfe, eines Sl^eitö feiner SSerontmortungen
enthoben gu merben, Deranla^te il^n gur Sleu^erung, bie ^rrenbe
raube i{)m ben @d^laf. 2)ag bie Königin bagegen nid^t in baiS
©el^eimnife gcgogen mürbe, fottte fte nic^t Dergeil^en. — 8m
22. gebruar 1787 traten l^unbertDierunboiergig %otabIe, unter
il^nen laum fed^S ober fieben nid^tpriDilegirte SRitglieber be«
Sierö, in ®egenmart beö Äonigö gufammen, um übet bie Dor*
0 A. Ch^rest, La chute de Tancien r^ime. Introduction XIX n. |f.
unb 82—85.
') Pont^coulant, M^moires, I, 80.
^) Jeff erson, Gomplete Works. Autobiography I, 70. Droz, Histoire
de Louis XVL I, 350.
*) Mirabeau, Lettres ä un de ses amis en Allemagne, 183, ciiiit
bei DndEcn, Qntaltti ber SÄeöolution, 55.
Si^cdfet'« ajudö über 8(bminlfhration bcr ginanjcn. 293
junel^menbcn Sftcformcn ju bcratlfcn. SBcnigc Sage frül^cr war
SScrgemic« geftorbcn. Sl^n crfc^te alö SWinifter bcS Sleufeem
bcr el^rlic^c, tt)oI)Itt)o!Icnbc, aber \ä)Xoaä)t Slmtanb ©raf öon
STOontmorin, einft ©efpiele, bann Sßertrauter be§ Äönig«.
Sn feiner (Sröffnungörebe machte ßalonne ber 3Sergangent)eit
hm ^rocefe, inbem er ein öoßftänbigeä ©ünbenregtfter be§
Slncien SReginte entwarf, feine SWifebräudie branbmarlte unb bie
fd^Iimmftcn feiner SBunben aufbedfte.
Unb baö angejtd^tS einer ßffentUd^en 5Keinung, bie beinal^
au8ttol^mIo« htm Sufammentritt üon §Rotabeln feinblid^ ge*
ftimmt, burd^ ben Setrag beö angeffinbigten 2)eficitS aufö
^ctnlid^fte berül^rt war, unb in ©egenwart Don SRdnnem wie
bcr SWarquiS Don Sa %a)i)tttt, ber jwar bie Berufung unb
Sufammenfe|ung ber Sßerfammlung auSbrücflid^ gutl^iefe, aber
fernere ©elbbcwißigungen üon ber „Slnerfennung conftitutioneHer
^ncipicn" abl^ängig mad)te^), ober üon Som^nie be SBrienne,
bem cS flberl^aupt nur barum gu tl^un war, ßalonne ju ftfirjen
unb gu erfe^en. ®ie 9lotabeIn tl^eillen f\6) in jteben SureauS,
crflärten jtd^ mit bem ©runbfa^ ber Sleform im ^rincip ein^»
t)erftanbcn, weigerten jtdö Kt^od^, im ©injelnen baruber gu bi§»
futiren, bcüor über bie ßage ber ^nangen genauer Serid^t er*
ftattet fei, unb liefen Ilar erfenncn, bafe jte nicä^t gefonnen waren,
biefe SRcformen auö ben .^änben eines ßalonne^angunel^men.
3m 2auf ber SSerl^anblungen erllärten bie 6rgbifd)öfe oon
Slarbonnc, ©iüon, unb oon SlrleS, ®ulau, bafe ba§ Siedet ber
©tcuerbewinigung nid^t bem Äönig, fonbern aller SSßalirfd^ein*
lid^feit nad^, nur ben ©eneralftaaten guftel^e unb oerlangten ben
Sufammentritt berfelben gugleidi) mit ßa fja^ette unb bem ®e*
neralprolurator beö Parlamentes oon Slijr, ßaftillon^). galonne
l^attc üerfpielt, benn xoa^ üon il^m »erlangt würbe, fonnte er,
ol^ne pdf) felbft gu ©runbc gu rid^ten, nid^t geben, wd^renb bie
0 La Fayette, Memoires et Correspondance, II, 190.
*) Droz, Histoire de Louis XVL I, 482.
294 ^{ecfer'd ^c^rift gegen ^lontte.
^Dtleglrtcn ein Wittü gefunben l^atten, niti^tS gu bewilligen,
ol^ne boäf ba^ ®ef)äf jtge ber 3Beigerung auf jic^ ju laben, ©a
DoHgog ßalonne einen S^öntroec^fel, liefe feine fed^S JDenffd^riften
an bie 5)lotabeln im 5ßublitum öerbreiten, unb erflärte jtd^ bereit,
bie ^riüilegirten ju opfern unb „im Flamen ber ©ered^tigleit
ba^ ®elb öon ©enjenigen erl^eben gu wollen, bie biSl^cr nid^t
genug gegat)lt ijatkn" *).
2)iefer Appell an bie ®unft be§ SBolfeö, burd^ welchen
ßalonne ben Söiberftanb feiner ©tanbeSgenoffen gu bred^en ge*
badete, fd)lug fet)l. 3Bie furg Dorl^er bie Parlamente, fo fanben
jtd^ je^t bie 5Jlotabeln nic^t minber unüerbient als Vertreter ber
iJreil^eiten unb SRed^te ber Station gefeiert unb anerlannt. ©er
gefdl^rlid^e SSerfud), bie 9fioutine ber ©taatSgefd^äfte burd^ eine
5Jleuerung gu unterbrecl)en, unb ©d^äben aufgubedCen, ol&ne gu*
gleid^ über bie 3Rittel gu il^rer Teilung gu Derffigen, war öcr*
gebend gemad)t worben. Slm ©rfolg ber Koalition, bie fid^
nun gum @turg oon (Salonne bilbete, unb an weld^er bie Äöni»
gin jtd^ unter bem ©influfe beS mit ßomenie bc Söriennc be*
freunbeten Slbbe be SSermont, mit ben 9lotabeln, bem ^of unb
einem 3:i^eil ber SKinifter betl^eiligte, trug nid)t gum wenigjicn
ber ßonflift bei, in ben ßalonne mit SReder geriet!^. Äurj öor
Sufammentritt ber 9lotabeln l^atte biefer gel^ört, bafe ßolonne
bie Slbjtd)t l^abe, in feiner ©röffnungörebe bie SHd^tigfeit be&
Compte-rendu in 3w)eifel gu giel^en unb il^n fd^riftlid^ erfud^t,
biefeS SSorl^aben nid)t auSgufül^ren, ol^ne il^m ©elegenl^elt gur
SSertl^eibigung gu geben, ßalonne l^atte barauf in feiner leidet*
fertigen Slrt oerftd)ert, bafe er nijd^tS ©old^eS im Sinn l^abe.
3n feiner Siebe oemtieb er au(^ aUerbingS einen birelten Sin*
griff; fte bered)tigte aber nid^tSbeftoweniger gu bem Sd^lufe, ba§
§Redfer'^ SluffteHungen falfd^ gewefen feien, gelterer verlangte
beS ÄönigS ©rlaubnife, auf biefe Slnfd^ulbigung entweber öor
il^m felbft ober bod) üor einem Somite ber 9lotabeln gu ant*
') nenri Martin, Histoire de France, XVI, 580.
9l^dtt'& 93u(4 über ^Ibtniniftration bet ^inansen. 295
toorten. fiubwtg XVI. liefe barauf erwibern, bafe er mit feinen
©icnfien gufrieben fei, il^m jebod) @tittfd)n)eigen auferlege. 6in
früi^crcr Sd^ritt §RedEer'j8 t)attc bie ©ejtnnungen beS SKonard^en
für ll^n m(%t gflnfHßcr geftimmt. 3m Sal^r 1784 nämlid^ ^atte
er ein Snä) über „Slbminiftration ber ^inangen" üeröffentli^t,
bad ixt mel^r als ad^tjigtaufenb ©yentplaren über ganj Suropa
verbreitet würbe unb einen faft unerl^örten ©rfolg feierte. 3n
biefem S3ud^ waren einerfeitS 6rfat)rungen öerwertl^et unb
SKängel befprod^en, üon benen 9?eder nur al§ 3Rinifter wiffen
lonnte^), unb anbererfeitS filierte er barin ben ©runbgebanten
beö »Compte-rendu«, baS §ßrincip ber Deffentlid^feit unb 6on=
trole in ber aSerwaltung ber ^nan^en weiter au§, in weld)e§
i>cr Äönig bamalö eingewilligt, ba^ er aber feitbem wieber auf»
gegeben l^atte. ®ie ©rinnerung baran mufete bal^er aU TOal^»
nung unb aSorwurf empfunben werben, unb ber erjümte Äönig,
ben olle 5Rad^folger üon 9?eder gegen biefen einjunel^men ftd^
beftrebt l^atten, liefe benn aud^ über baS SBud^ beSfelben eine
|ener milben offlcieUen SSerfolgungen ergel^en, wie fie fowol^l
ben aSfid^em alö ben Slutoren jener B^it el^er gum Sßortt)eil als
jum ©d^aben gereid^ten^). 3llad) bem Singriff üon 6aIonne
^anbelte eg jid) jebod) nid)t mel^r um @J)fteme unb blofee
STOeinungööerfd^ieben^eiten, fonbern um 5>ledEef§ perfönlid)e 6t)re.
SBenn er jtd^ nid^t laut öertl^eibigen burfte, lonnte mel^r aB
feine Popularität auf bem Spiele ftel^en. 6r l^atte ben ©ebanfen
ttid^t aufgegeben, baS 9teformwerf üon 1780 weiterfüf)ren ju
fönnen unb nie auf bie SluSfic^t üerjid^tet, wieber 9Rinifter gu
werben. @o war e§ unter anbern nic^t unbemerft geblieben,
bafe er au§ ber Stelle beö ©aßuft, bie feinem legten SBerl"
jum 9Rotto biente, bie 3Borte wegliefe: »Et mihi reliquam
>) Sfiicbul^r, ©efd^id^tc bcS BeitaltcrS ber ^cüofution, I, 169.
*) Auguste de Stael, Notice sur Monsieur Necker, bcffcn Oeuvres
compl^tes oorauSgebrudtt, I, 188 u. ff.
296 ^Itätfi Serbatmimg.
aetaiem a republica procul habendam statuic^). Solomie
mar nid^t ber 3Rann, btx ed oi^ne bie fd^Iagenbflen Seioeife
»agcn fonnte, bie Sntegrität beSicnigen ungeftraft in QoKifd
gu gleiten, auf loelc^en nod^ immer aKe Hoffnungen ber Station
gerid^tet u^aren. SDiefe Seweife aber fel^lten, bemt er l^otte bie
tl^atfä(I)Ud^ im Compte-rendu Dorl^anbenen ^xxtfßmtt gar nid^t
nad^guweifen gewußt ^j.
3US ba^er Slecfer ^6) t)or bie S[Itentattt)e gefteKt fal^, tai^
meber bem ^önig gu gel^orc^en unb {tc^ bamit ben 9Beg jum
$ubli{um Derfperren gu laffeu, ober aKer Sßal^rfd^inlid^Ieit ttod^
burd^ 9lid^tad^tung biefeS föniglici^en SBefel^tö bie S[ui${id^t auf
Sßieberberufung inS äRinifierium in f^age gu fteQen, entfc^Io^
er ftc^ bod^ für bie le^tere, bie aufgehört l^atte, bie gefäl^rttd^ere
gu fein^), unb lieg eine SSertl^eibigungdfc^rift feiner SSenoaltung
üorläupg unter ben 5Rotabeln öerbreiten, oon »o fie balb inS
^bli!um brang. 2)er frül^ere 3Kinifter Sol^ be %ltwttif a\S
©d^iebSric^ter im Streit angerufen, entfd^ieb audbräcflid^ für
5Reder unb gegen ßalonne. Qn Slnfang Stpril erfd^ien, im
Sluj^lanb gebrudtt, bie ©enffd^rift gur SBert^eibigung be« Gomple-
rendu, meld^er fpäter eine gleite, als 9[ntn)ort auf bie @nt^
gegnung üon ßalonue folgte*). 3Dlirabeau, ber bei feinem
greunb unb 9Jiitarbeiter, bem Sanquier ^and^aub, mit 3lccfer'8
©egnern, 6laüiere unb Söriffot, gufammengulommen #egte, unb
bie ginangoertoaltung oon 5WedEer unb ßalonne^), mit bem er
fid^ entgleit l^atte, in einer unb berfelben ©d^rift angriff, fteHte
0 Auguste de Stael, Notice sur Monsieur Necker. Oeuvres com-
pl^tes I, 191.
*) Droz, Histoire de Louis XVI. I, 383 u. 0iotc
^ Madame de Stael, Du caract^re de Monsieur Necker et de u
vie privee. Oeuvres completes, XVII, 34—35. Necker, De la revolution
fran^aise. Oeuvres completes, IX, 33.
*) Necker, Mdmoire, Avril 1787 unb Nouveaux eclaircissements sur
le Compte-rendu, 1788. Oeuvres complfetes, II,
^) Mirabeau, Denonciation de Pagiotage au roi et iL rAssembl^
des Notables, 1787.
»crfer'S »rief an 8rrau oon ®tael. 297
eine ßntgeflnung auf 9»ccfcr'S Apologie in SluSfid^t, J^ielt aber
nid^t SBort, woraus fein greunb ©umont ben ©d^lufe jog, ba§
ble Argumente beiSfelben triumpl^irenb gewefen feien ^).
gubwig XVL nal^m bie @acl)e emft. 3m erften Slugeublid
war er fo aufgebracht, t>a^ er ber Königin fagte, er »erbe
nieder ou« bem Sanb üenoeifen laffen. @ie mufete an feine
Serbienjle, an feine gl^rliti^feit unb Uneigennü^igfeit erinnern,
tonnte e« aber bod^ nic^t üerl^inbcm, bafe 3lledfer buriö^ lettre
de cachet Dierjig ?BleiIen üon ^ariS üerbannt würbe 2).
Sn einem ber feltenen, befannt geworbenen ©riefe Slecfer'S
an %xan oon ©taäl tt)eilt er it)r bie 5Rad^rid)t in einem Jon
mit, ber ben SKafeflab beg 6inbrudE§ gibt, ben föniglid^e ttn»
gnabe in \mm Sagen J^eroorrief.
(St fd^reibt: „SRcine liebe 5Kinette, nacä^ reifUd^er Ueber«*
legung unb mit gebfil^renber Sl^rfurd^t für ©einen legten Siatl^
werben wir morgen in aüer S^rfil^e unb wenn nid^tö befonbereö
bagwifd^en tommt, nad^ 6]^äteau=3ienarb abreifen. 3d^ Ijalte
bie Stäumlid^fciten be« ©d^loffeS für entfpred^enb, ba e§ jeben
l^bft oon ben g^amilien b'Dutremont unb be gougeret bewol^nt
war; waS ba^ Sleufeere betrifft, fo weife ic^ nid^t, wie e^ be«
fd^affen ifl; mir bangt ein wenig oor ber fet)r auögefprod^enen
®efd^madC8rid^tung ©einer lieben 5Kama im @df)Iimmen wie im
®uten; Jebod^ mac^t fle jtd) in befter Stimmung auf ben SBeg. . .
©ie SBod^e über wirft ®u aße 9?euigfeiten fammeln; bie ©riefe
öon ®erman9^) unb nod^ mel^r bie ©einigen, bie wäl^renb einer
eiligen Sfteife gefd^rieben fd^einen, l^aben unS bij8t)er mit 9lac^»
richten oerfel&en. aber alles ©aS ift nid^t meine gute SRinette,
öon weld^cr id^ mid) bereits gu lange getrennt fül^le, unb bie
') Dumont, Souvenirs sur Mirabeau, 37 — 38, Decrue, Les idees
politiques de Mirabeau. Revuo historique, 1883, I, 280.
*) Auguste de Stael, Notice sur Monsieur Necker, I, 199—209.
Wertheimer, Documents in6dits relatifs ä Marie - Antoinette. Revue
historique, 1884, II, 326: Mercy an Kaunitz, Paris, 17 Avril 1787.
») Slcdfet'8 Sruber.
298 stallet bu $an über bie ettnunimg in VotU.
»iebergufel^en mid^ glficflid^ mad^en lourbe. 2>te liebe SRama
wirb pc^ ber ooUftättbigftcn Shi^c, bercn pc fo beturfKg ifl,
Eingeben. S^^^il^ bebünft t& mtd^, aliS ob man l^art mit
und Derfal^re, inbem man und einer fold^en ^laderei untergiel^t.
Slber ni(t)t meinetoegen, fonbem ber @attin, bie man fel^r
leibenb meiB, unb ber Zoö^kx u^egen, beren S^fianb bereits fo
n)eit Dorgerucft ift; baS änbert baSSnfel^ bief er SSerboiimmg,
unb ic^ entppnbe eS etn^ad mel^r, feit id^ mir felbfl überlaffen
unb ben Uebelftänben eines 9[ufentl^altd unter frembem 2)a(^
auegefe^t bin, n)oju noc^ fommt, ba^ ber SuiSbntd ,oorfiber:'
ge^enb', beffen ic^ mid^ in einem Srief an Saron Sreteuil be«
biente, feinen @inbru(f gemad^t gu l^aben fd^etnt. S)arfiber febod^
l^aben mir atte ßzit, gu moralipren. @ine gro^e Sntfc^äbigung
unb ein großes @egcngen)i(^t ift bai^ aUgemeine S^tereffe;
fonft . . . Slber erp burd) ©id) werbe id^ alleö äSeitere l^orcn* *)•
Unfer 33erid)terftatter über bie Stimmung in $arij$ ifl, in
(Ermangelung t)on f^rau t)on @tael, bieiSmal SRaKet bn $an,
ber, obwohl fein Parteigänger Don !Recfer, bod^ ber SSol^r^eit
gemäB barüber äußerte: „@d^merg imb Ungufriebenl^it f^ad^en
laut unb allgemein; bie 3Renge brängte pd() bis gum Kugenblicf
feiner Slbreife an 9?edfer'S Spr. . . . ©er ©rgbifd^of öon Sou*
loufe, burd^ ben Slbbe be SSermont unterftü^t, mod^te bie Seitung
ber Sinangen erl^alten. @r l^at augenjc^einlid^ gegen Scder,
beffen Slnl^änger er mar, pd^ gemenbet. Sßontmorin gilt afö
ber SSertraucnsminiper beS ÄönigS. ©ie gartet 9leder ^at
biS{)er bem @rgbtfd^of Don Stouloufe gu bienen gefud^t unb pd^
baburd^ nid^t genäht, ^an bel^auptet, er l^abe ben 9iat^ gum
©rurf Don 5Redfer'ö @dt)rift gegeben, um il^n gu entfernen unb
pd^ auf biefe 3Seife gugleid^ Don 5RedEer unb Don ßalonnc gu
befreien" ^). Sleufeerungen ber ^Jamilie, befonberS bie »M^Iangesc
Don 9Kabame 5Recfer, bepätigen bagegen bie guten Segiel^ungen
') D^Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 189.
^Hallet du Pan, Analecta sur Thistoire du temps. Unebhte
gamilicnpapiere. Slpril 1787.
ßanblbatur öon Öom^nic be Sriennc. 299
jum (Srjbtfd^of üon Souloufc, ber mit bem 9Jiarfd^aIl unb
ÜRabame bc SBeauöau, ben ^etjögcn üon ©ura§, 5RiüemoiS,
bu Sl^ätclct, bc ßaftricS, ben 6rjbif(i)öfcn üon 9?arbonne, öon
Sourd unb bcm SBljdöof Don 2lrra§ jum 5reunbc§frci§ berfelbcn
tdt Slecfcf« Stücftritt gel^örtc. @d)on 1785 l^attc i^n »aron
©taei in einer ©epefd^e an Äönig ©uftaö III. al§ einen ber*
Jenigen bcgeid^net, auf ben baö Slugenmerf, alö auf einen fünf*
tigen SWinifier, jtc^ rld^te^. Subwig XVI. erfe^ie nod^ in t>m
legten lagen ber 95ertt)altung öon ßalonne unb auf beffen 3Bunfd^
ben ©iegelbewal^rer SWiromeSnil burd^ ßamoignon, 33etter oon
3Äale8l^erbeS. 3)ie ©ntlaffung öon Sreteuil foKte folgen, als
bie Äönlgin eingriff unb, um biefen ju retten, ßalonne ftfirgte.
3n ber SReöoIution, bie er befd^leunigte, l^at %xan öon ©tael
niemals baö 3BerI eingelner 5ßerfönlid^Ieiten gefef)en. Snfofern
fle aber überl&aupt einem 3Renfd^cn jur Saft gelegt »erben
fonnte, bleibt in ben Slugen öon 5Weder'S SEod^ter ßalomte bafür
Derantwortlid^. S^^ei feiner ßoHegen, ?)?edEefS ^reunbe, ©egur
unb be ©aftrieö, bie il^m il^ren 9Kinifterpoften üerbanften, l^ielten
nun ben Slugenblid für gefommen, feine 3Bieberberufung bei
bem 9Ronard^en ju befürworten. @ie unterftü^te 3Rontmorin,
ber StedEer bamalS nod^ nid^t perfönlid^ fannte, unb eS fid^
fpäter ium SSortourf mad^te, bei biefer ©elegenl^eit nid^t nad^=
brüdElidf)er ju feinen ©unften aufgetreten gu fein 2). ©er Äönig
fd^wanltc unb njar am 5ßunft, n)enn aud^ unmutl^ig, feine Qn^
ftimmung gu geben. S)a fam Sreteuil feiner belannten 8lb=
neigung gegen SRedfer gu §ülfe, inbem er bemerlte, njenn man
biefen aus ber Söerbannung an bit Spi^e ber ©efd^äfte be-
rufe, fo »erbe jtdi) feine ftolge Ueberl^ebung DöUig unerträglid)
crtüeifen. Sn bem 1796 veröffentlichten 3Berf über bie frangö*
pfd^e SieDolution gibt 5ftedfer, auf bie Unterrebung gurücffommenb.
*) Löouzon-Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, 14, ©epe^e s«o. 15, «mära 1785.
*) Baron A. de Stael, Notice sur Monsieur Necker. Oeuvres com-
pl^tes, I, 221. A, Obere st, La chute de Pancien regime, I, 198.
/
300 ®^ StbniQ toiifß Bntnnt oud S&ihtüotOm gegen 9{eder.
aUerbingS einen ftarlen ?Ömt\^ beS @elbftbett)u6ifeut8, mbem
ler fagt: „^t^ Königs SSal^I n^ar einen Slugenblict auf mid^
jgericl^tet. äSäre er feft geblieben, fo wfirbe nici^tö Don 9Xitm,
jwaS wir feitl^er erlebt l^aben, üorgefatten fein^. Unb begeid^nenb
fügt er l^ingu: „^oö^ xoax eS Qdi, einen neuen S3unb mit ber
öffentlichen 9Keinung gu fd^liefeen. . . . Sd^ jweifle nid^t baran;
eine bnrd^auS weife SSerwaltnng ^otte bie Unrul^ befci^wid^iigt,
mit weld^er bie ©ebanfen ber Station bereit» auf ^Berufung ber
I ©eneralftaaten geri(j^tet waren''.
gubwig XVL l^atte fd^ bereits an bm gewanbten Solomte
gewöl^nt, ber il^m bie 9Käl^e ju regieren erfparte, unb nod^ jwci
SKonate früher in ber SSerfammlung ber Slotabeln bie ^Ifine beö
9Rinifter§ gutgel^eifeen , gegen beffen Verwaltung biefe nun 8te*
Ilagen erl^oben, bie il^n jur ^lud^t nad^ ©nglanb öeranlafeten. Um
ber 2Rül^e eines burd)grcifenben ©ntfd^luffeö ju entgelten, w&l^tte
er ^ourqueuf, „ben unfäl^igften Äopf", fagt %xau üon @taäl,
„ben iemals bie ^errüde beS ©taatSratl^ö gierte unb ber nun
ben SRinifterft^ etnnal^m, wie man einen Sogenplo^ befe^en
löfet, beoor baö ©tfid beginnt" ').
aber bie 9lot^ brängte unb bafür, ba^ er 3ledter entging,
mufete Subwig XVI. in bie SSSal^l oon Som^nie be SBricrate pd^
ergeben. 6r ernannte il^n oorläufig nur jum fjinanjminiper,
aber eS fam oon ba an eine bumpfe ©leid^gültigleit über il^n,
bie ber SEptigfeit biefeS oerpngnifeooßften feiner SRotl^geber um
fo freieren Spielraum gewäl^rte.
3n SBrienne, bem ßrwä^lten ber Königin, ber al8 Hb»
miniftrator ber burd) il^re befonberen Qtanb^ beftöerwaltetm
^rooinj granfreid)S, beS Sangueboc, jid^ eines großen 3lufe8
erfreute, irrte jte jtd^ übrigens nid^t allein. 2)er bemofrotifd^e
Sefferfon, ber fo weit ge^t gu behaupten, ba^ eS ol^ne bie Ä8*
nigin leinen Umfturg gegeben l^dtte, unb gu erfldren nid^t anfielet,
0 Madame de Stagl, Consid^ratioDS sur la r^volution frsn^aise.
Oeuvres complötes, XII, 127.
Ittt^circ über JBricnnc. 301
bafe er fic in ein Älofter geftecft ^aben würbe, beurtlieilte ben
6rjbifc^of öon Stouloufe tro^bem nod) Diel günftiger afö fte,
nennt i^n ^tugenbliaft, patriotifd) unb begabt", giel)t il^n aiigen*
fd^einlie^ Sfleder wx, unb plt i^n nod) Salute nad) ber 9?cüo=»
lution „für einen fälligen unb reformatorifd)en Staatsmann,
ber getl^an l^aht, was an einem fold)en ^of ju tl^un möglid)
war''^). 5Jlid)t anberS badete Sa ^yaqette, ber im -äJiärg 1787
Somenie be SBrienne „ben fäl)igften unb etirlid^ften 9!Jiann"
nannte, ben man gum erften SKinifter f)abe wählen lönnen^).
aSeffer informirt in biefem ^unft mar Saron @tael, al§ er
an Äönig ©uftaD III. fd^rieb, Submig XVI. f)abe Srienne ge»
nommcn, meil er nid^t mef)r anberS fonnte. „®er @d)redfen",
jagt er, „mar jo allgemein, bafe man ftd^ burc^ ba§ Sebürf«
nife regiert ju merben gebrängt in feine Slrme marf. ®ie
JWinifter felbft waren fo beunrul^igt, bafe fie jtd) feiner Sßal^I
nid^t miberfe^ten". „Slber er ift unftät unb manfelmütl)ig",
fügt aSaron Stael im Suli t)inju, „unb biefer SRangel an
SBillenöfraft ift überl)aupt in ber Dktion jiemlid) i)erbreitet, in
weld^er bie 33aterIanbSüebe faft erlof^en unb man ju glauben
geneigt ift, bafe grofee Si^k f^^ o^^^ Opfer erreid)en laffen"^).
®aS le^te SBort ber ^Jamilie nieder über Somenie be SSrienne
fpTidjt grau öon ©tael in ben ßonfiberationS. Sie nennt il^n
einen geiftreid^en SKann, ber in gemöf)nlic^en S^ten bie nöt^ige
Seföl^igung für fein 2lmt gel^abt ptte. 3Slü)x 6mft ber ®e*
finnung atö fein 3Sorgänger ßalonne ^abe jebod) aud^ er nid^t
gejeigt^).
0 Jefferson's Works, I, Autobiograph y, 70, 101 u. 102 imb II,
258 u. 310, »tiefe öom 31. ^lugiift unb 3. 0Joöember 1787, III, 52, »rief
öom 14. Suni 1789.
^) La Fayette, Memoires et Correspondance, II, 195 u. 199, »riefe
an 3o^n 3a^ nnb SBafl^ington.
^) Leouzon-Le Duo, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, 58 u. 60, S^epefd^en 9lo. 61, 63 u. 65 oom 31. ^ax unb
8. 3uli 1787.
*) Madame de Stael, Considerations sur la Revolution fran^aise.
Oeuvres XII, 120, 129 u. 135.
»lenner^aftett, grau »on ©tael. I. 20
\
I
■
1
302 %xaii öon ©tael über 9ietfer'S 93crbannung.
grau üon ©tael ^atte ft^ im Slpril 1787 beeilt , bie aScr=
bannung il^re^ 3Sater§ ju t^eilen. Seine milbe Seurtl^ettung
be§ SBerfal^renö ßnbwig'^ XVI. aber tl^eilte jte nid^t. „^ä)
tDar bamafö nod) red^t jung'', äufeerte jte fpäter, ,,eine lettre
de cachet, eine SBerbannung, jci)ienen mir ba§ graufamfte
ßoo§. 3d) fd)rie laut auf, al§ id) baöon ^örte unb lonnte mir
fein gröfeerejS Unglüd* benfen'' ^). 3)iefe (Stimmung xo\(i) balb
bem freubigen ©efül^I be§ Stoljeö über bie Äunbgebungcn aH^
gemeiner ^i)t\\naiimt, bie Sieder folgten. 5Rur bie SBitterIcit
über bie Haltung beö ^ofö unb inöbefonbere bcr Äönigin, öon
beren SBermittlung ju ®unften il)re§ 33aterö jte nichts iDufete,
Derjd)tt)anb nid)t wieber unb fprid^t jtd^, alö t>a^ furje @jrtl gu
6nbe fam, gegen ben in $ariö gurüdgebliebenen SSaron ©tael
au§: ,f^d) baute ®ir, lieber ^Jreunb", fagt jte, „für ben
SSrief, ben ®u mir burd^ SKabame be SSeauöau jd)reiben Ucfeeft.
3d) mar fd^on böfe auf ®id), meil 9Konjteur be ßrillon mir
nid)t§ üon 2)ir überbrad^te. 23u jte^ft, bafe bie Äönigtn jtd^
bei biefer ®elegenf)eit nid)t beffer für 3)id) gejeigt l^at, aU bei
einer früf)eren, benn nid)t^ mar cinfad)er alö ®id) öon bcr
ßurüdnal^me ber lettre de cachet in Äenntnife ju fe^cn. ©aS
ift eine Stufmerffamfeit, bie gu ben gemöl)nlid)[ten gel^ört unb
bie jte SlHen ergeigt, meld)en jte jtd) gnäbig ermeifen miK. 3^
meine aljo, ba^ e^ mel^r alö je geboten ift, fel^r jurüdfj^altenb
gu fein ; f oUte fte jebod) ben SBunf d) au§fpred)en, ©id^ gu feigen,
bann rebe fo mit i^r, mie mir übereingelommen ftnb, ba% ®u
eö t^un foUft: in ebler, meinet SSaterS mürbiger SBeifc. ßaffc
burd)fül^len, bafe bie Seenbigung biefeiS @jril§ für bie Königin
mic für ben Äönig oiel mid)tiger al^ für meinen SBatcr ift, bafe
bie ®ir perfönlid) gegeigte Äälte unb ©leidigülttgfcit S)id^
peinlid) berül)rtcn, unb bringe enblic^ in ©rinnerung, bafe
S)u ber Königin ben Dkmen meinet 3Sater!§ nie genannt l^aft.
') Madame de Stael, Notice sur le caractere de Monsieur Necker
et sur sa vie privee. Oeuvres XVIII, 35.
grau öon @tael über SReder'ä SJetbannuiig. 303
MtSf was xd) ^icr fd)rcibc, Uefee jtd), ba§ fülile id^, fel)r gut fagcn,
wenn cS mit 2)eincr gewolinten SBorpci^t weiter au§gefül)rt unb
in el^rfurdötööoner unb beftimmter SBeife gefagt würbe, befonberS
wenn bie Äönigin e§ ift, bie ®id^ rufen läfet. . . . 2luf meinen
SBrief über bie Steife nadj gontainebleau Ijaft ®u md)t geant-
wortet. SBenn ©eine Stellung, wenn ber ßl^arafter ®eine§
Äönig§ e§ erlaubten, fo würbe id), ba§ befenne ie^ ®ir, feinen %vi^
mel^r nad) SJerfaiDeö gefegt l^aben. @S wäre mir lieb gewefen,
meinem öerle^ten Stolj burd) eine foId)e freiwillige SBerbannung
ju genügen, ©a jebod) unfere Stellung ein fo entfd^iebeneS
auftreten nid)t äuläfet, fo glaube iä), bafe einige Aufwartungen
bei ber Königin unb einige Stage be§ Slufentlialt^ wäl^renb ber
Sagben unb Sl^eateroorftellungen in meinem Sllter weber auf
Sntriguen nod^ auf ben SBunfd^ fdjliefeen laffen werben, ber
Königin perfönlid^ meine .I^ulbigungen barjubringen. UeberbieS
ift .I^err üon SKontmorin ©ein 9)tinifter be§ Sleufeern, unb biefer
Umftanb wirb mir gontainebleau oiel angenel^mer alö jur Q^xt
öon SBcrgenneö mad)en" 0-
©iefe Qcxkn ftnb furj üor ber ®eburt il^reS erften @ol)ne§
gefdirieben. 9iedfer'^ SJerbannung l^atte im ©anjen faum gwel
SMonate gebauert, unb würbe oon SKabame Sledfer, bie ba§
®lücf, rul)ige unb frieblid)e Stage mit il)rem ®atten ju »erleben,
allem Slnbem t^orjog, al^ oiel gu fd)nell üorübergegangen beflagt^).
9lad( ^ariö jurüdgefefirt, fanb 5Redfer bie 9^otabeln nid)t
mcl)r berfammelt. 2)aö SBertrauen be§ Äönigö, Slatl^ unb .I^ülfe
gut Drbnung beö ©taat^l^auöl^alt^ bei i^nen gu finben, war
bitter getäufd^t worben. Somenie be SSrienne l)atte il^nen gwar
als ÜRinifter bie Sted^nungen t)orgelegt, bie er als einer biefer
Sflotabeln fo bringenb oon feinem Vorgänger im Slmt begel^rt
l^atte. aber biefe fanben ftd) in ben mangelljaften , fd)wer
') D'Haussonville, Le Salon de Madame Necker, II, 191.
') Madame Necker, Melanges. S3rtef an <Satnt*fianibert öom 19.
muguft 1787.
20*
304 Btienne unb bie ^otahtln.
i)erftänblici)cn 33crid)tcn anä) mir ungcnügcnb jurc^t^), bc=?
fc^ränften fid), ®urd)fd)nittSfummen an junctirnen , jur @)wir=
fotnfeit gu ermaf)nen, öor neuen ®(ä^ulben gn warnen imb bie
SSorlage jjälirlid^er fJinanj^aSeric^e an eine befonbet^ ^tegu ei»^
jufefeenbe (Sommif^on gn emt>fel)len. ©ie $Hotl^tt)enbi9!cit gleW^er
Sert^Iung ber Saften, 3lbgaben unb (Steuern erfannten jte
jwar naäj wie öor im ^inctp an, fdifoffen aber mit ber &^
flänmg, bafe pc nid^t befugt feien, neue Steuern üorguf dalagen
ober gu bewilligen. 211^ bie Sßerfammlung am 25. 3Rai au^
einanbergtng , l^atte fte t^atfäd^lid) mdjt^ erreid)t, otö einen
SWinifterwed^fel unb bie offene Seftätigung „be^ fd^redenerregcn*
ben Umfangt ber oorljanbenen Uebel", aber aud^ nid)t§ gu
bieten alä ba§ 33erf^)reä^en „ernfter ©rwägung ber äJorfti^lage
be§ SRonard^en mii> e]^rfurd)täootle§ ©diweigen" 2).
S)ie SSerufung ber 9?otabeln l^atte fomit b^r Äette 'ber
©reigniffe nur ein negatioeö 9iefultat angefügt. ®aS pofitiöe
©rgebnife ber SJertoaltung Don ßalonne blieb fein 3urfitfgretfen
auf 5Reder'§ $lan ber ^rooinjialüerfammlungen, ber üim ben
Sfiotabeln gutgel^en unb nun aud) oon Srienne aufredet er=
l^ten nmrbe. ®er Defonomift ®u^)ont be 9lemour§ mar e^,
ber il^n nocft unter ßalonne weiter au^fül^rte, o^t babei ben*
felben @d)Wierig!eiten, wie fte Surgot unb 91edfer bereitet worben
waren, gu begegnen, ©alonne unb SSrienne tl^ten einen weiteren
@d)ritt, bzti DIeder oertnieben f)atte, inbem fte auf Säirgofi^
^lan ber ©emeinbe« vmb Äreiöoerfammlungen gurüc^riffen. 3n
ben erfteren gaben fie bem Pfarrer unb bem ©utöl^erra @i^
unb (Stimme; bie übrigen 3JHtglieber, je nad) Qkb^ ber ©e*
meinbe brei, fed^S ober neun an ber 3^1)1, foHten an^ ber freien
aSal^l Silier Ijeroorgel^en, bie geljn gioreö ^ruttb«= ober ^ßetfötml«'
fteuer gal^lten, waö beinal^e einem allgemeinen (Stimmred)t gle«^
') Droz, Histoire de Louis XVI. I, 387.
2) 9fleb€ bcS crftcn ^aftbcntcn bcS ^arifer ^rlamentS in ber ©d^Iufe-
fi^ung ber ««otabeln öom 25. 3}?ai 1787.
Salonne unb S3rienne berufen ^tobtnstalberfammlungen. 305
tam^). 2)icfe crftc Sßcrjammlung l^atte eine gtoeite, bic Äreiö=
t)crfamtnlung, unb bicfe bie ^roöinjialüerfammlung ju toöl^lcn,
bic im ®angcu nadj 5Rcrfcr'ö 3lnorbnungen organiftrt blieb, dfo
i^t?c aScrotl^ngcn gcmcmfam, oljttc Sirennung ber ©tänbe, l^iclt
unb bcm SierS eben fo Diele S)eputirte gab, al§ äbel unb
OcruS gujammcn. Sie ^ßräfibcnten tDurben au§ ben beibcn
crftcn ©täuben gemäl)It unb biö gur öottftänbigen Drganifation
beS ®anjen, bie öor beut Sluöbrud^ ber SReüolution nid)t mcl^r
gelang, wäl^lte ber Äönig bie §älfte ber SSKtglieber, unb biefe
bann bie anbere ^älfte. ©eftimmt würbe nad^ Äöpfen, nid^t
naäi Stäuben. Sei 3Serabfd)iebung ber 5RotabeIn üerptlid)tcte
fid^ aSrienn« auSbrücflid) gur legieren 3Ra§regel aU ©ntfd^äs
bigung an ben Sierö für ba§ Uebergen)id)t ber ^riüilegirten an
aSep^ unb SEBürben^). 3m Sauf be§ Sommert 1787 begannen
neüngel^n biefer ^robinjialüerfammlungen eine 2:l)ätigfeit, bie
^ä) aud) unter ben obraaltenben, ungünftigen Umftäuben nod)
beroäl^rt unb bauernbe ^Jriid^te getragen l^ätte, wären il^re ar-
beiten nid(t öorfd)nett unterbrod)en worbeu. 3Sor ber SReöo»
lution ift feine biefer Sßerfammlungen mel^r atö einmal gu*
fammcngetreten ^).
StocqueöiHe l)at biefer (5inrid)tung ben SSoriDurf gemad)t*),
ba^ 33eftel^enbe nod) uöUig jerfe^t ju Ijaben, weil fte mitten in
ber abminiftratiDen ßentralifation baö ^rincip beö SESal^lrcc^tjS
auffteKte, bie SSefugniffe beö biöl^erigen alleinigen DrganS
ber Sltttarität, beö Sntenbanten, plö^lid^ befd^ränfte, bie priöi«
legirten ©täube ol^ne 33orbereitun{j i^reu natürlid)en ®egnem,
be« fteuerüberbürbeten 3Jlitgliebern be§ Sierö gcgenüberftellte — ,
unb bcnnod) ben großen SÄi^griff be§ alten ^Regime wieber*
') Lavergne, Les Assemblees provinciales, 107 — 109.
«) ebcnbafclbft, 107—109 u. 389.
3) ebenbafelbft, 128.
*) Alexis de Tocqueville, L'ancien rögime et la Revolution. III,
Stapxttl VII, Commeat une grande revolution administrative avait preced6
ia revolution politique et des consequences que cela eut, 317 — 332.
306 SBerföl^nnd^cr ©cift ber ^roöinaialöerfammlungen.
l^oltc, iubem jte beu @i^ ber ©ewalt gtoar öerlegtc, biefe
jelbft aber eben fo unumjd)ränft tu anbern ^änben öer=
einigte, ftatt bie ®elegenl^eit gu ergreifen unb bie Sirennung ber
gefe^gebenben öon ber au^übenben ©ewalt burd)guful^ren. ©a-
gegen läfet fid) erinnern, tuie gerabe Stocqueüille ben Semeiö
geführt l^at, ba^ biefe abminiftratiüe ßentralifation be§ alten
SRegime bie niuellirenbe 9Kad)t war, weldje bie ^errfdjaft ber
autoritären ©emofratie t)orbereitete unb emtöglid)te, unb bie
politifd)e fyrei^eit im Äeim erftidfte. 2)ie eingigen aSerfud^e, xod6)e
unter ßubmig XVI. mit 5luöfic^t auf Srfolg gemad^t würben,
um eine anbere ©ntrairf'lung anjubal)nen, waren eben bie ^läne
üon Surgot unb bie ^roöinjialüerfammlungen öon 9iecfer. 3Ba§
beibe, wenn aud) auf gang üerfd^iebene 2Beife begwedten, war
bie allmälige ^eranbilbung ber 9lation gur Sl^eilnal^me an
il)ren eigenen 5lngelegenf)eiten. 2ll§ ßalonne unb SSrienne ' in
ber gwölften Stunbe biefe ©ebanfen wieber aufnal^men, war
ber ftaatlid^e Crgani^muö bereite in feinen Sebenöbebingungen
angegriffen unb bie 3ßit ber [Reform vorüber. ®ie Erwartungen,
bie unter anbent je^t (Sonborcet an bie ^rouingialöerfammlungen
üon 1788 fnüpfte, gaben ba§ Wa^ ber eingetretenen SSeränbe^
rungen wä^renb jener fteben S^f)re, bie feit Slleder'S SRfirftrttt
.' unbenü^t geblieben waren. 9Kit ber Ungebulb be§ Sl^eoretifer^
üerlangte ßonborcet öon i^nen je^t nid)t nur eine öollftänbige
Jfteform be§ @teuerwefen§, fonbern bürgerlid^e unb politifd^e
®leid)l)eit, ©ingie^ung ber Äird)engäter gur S^ilgung ber Staats»
fd)ulb unb Trennung tion Ätrd)e unb Staat ^), alfo bie SSer«
yWirflic^ung eines Programms, ba§ gum SElieil noc^ l)eute feiner
'Söfung l)arrt. 3n einer SSegie^ung l)aben bie ^roöingtalDcr»
fammlungen aber bod) nod) ©influfe auf bie weitere ©ntwidlung
ber 2)inge ausgeübt, inbem nid)t wenige i^rer SKitglieber bie
öffentlid)e 2lufmer!famfeit auf ftd) gogen unb als S)eputirte üon
0 Condorcet, ?]ssai sur la Constitution et les fonctions des
Assemblees provinciales, 1788. Lavergne, Les Assemblees provinciales, 113.
Jiiomenic be SBricnnc öerliert 3cit. 307
1789 mcbcrfelirten , fo, um nur einige gu nennen, ber ^^erjog
öon garod)efoncaulb'giancourt in @oi[fon§, fiaüoijter unb Slbbe
(Stet|e§ in Drleanö, ber ®raf ßrilton, ber SSicomte be 9lüailleö
unb ber ^ergog öon Suqneö in Sourö, ßa ^aqette in SRiom,
Jl^ourct in SRouen, SSaron ©ietrid) unb ber ^ring öon SSroglie
im @Ifafe, 3Dlaurice be SaUeqranb, 2lbbö be ^erigorb, ber Slbbe
öon SUtonteöquiou s i5^jenf ac unb Seugnot in ßl^alonö. 6§
n)ieberl)olte pd^ bie ßrfai^rung, bie üon 1779 bi§ 1786 in btw
beiben üon ?)^ecfer eingeführten unb feitf)er nicl)t luieber aufge^
gebenen SBerfammlungen öon Sourgeö unb 3Rontauban gemad^t
morben war. 3)iefelben 9Ränner, bie al^ 9^otable ^arlamen^
tarier ober SBertreter be§ ßleru^, im Flamen il^re^ @tanbe§ einer
planlofen, unguöerläfftgen [Regierung alle pefuniären Dpfer Der*
weigerten, geigten jtd) in ben ^rooingen, mit lofalen 3ntere[fen
unb 2Serl)ättni[fen in SSerül^rung gebrad)t; weld^e il^nen bie
©tc^erl^eit, jtd) nid)t Hergebend gu fd^äbigen gewährten, beinalje
au§nal)möweife gu Opfern bereit. ®ie erhaltenen 33erid)te
ber ^roöingialüerfammlungen miffen nid)t^ üon principieller
fjeinbfeligfeit gn)ifd)en ben ^riuilegirten unb bem Sier^, be*
geugen aber bagegen bie Sereitmilligfeit ber erfteren, pd) ben
öffentlid^en Saften überall, wo e§ mit ber Sluöpcl^t auf wirf*
lid^en Sinken gefd^el^en fonnte, gu untergie^en.
SBä^renb aber biefe Snftitution in ben ^^Srooingen pd^ erft f
aSal^n bred^en mufete, f (^eiterte bie Slufgabe ber [Regierung im j
Gentrum il^rer S^ätigfeit.
SRan l^atte oon Srienne erwartet, er werbe bie oon ben
Siotabeln gutgeheißenen 9Kaferegeln feinet SBorgängerö in gorm
öon ©biften unoergüglid) ber Genehmigung be^ Äönigö in einer
befonberö gu biefem ßwcdf berufenen seance royale unter=
breiten unb fo i^re Eintragung bei ben Parlamenten burd)=
fe^en. Statt beffen begnügte er pd), £)rbonnangen über 33e=
rufung ber ^roüingialoerfammlungen, greigebung be^ ®etreibe=
l^anbelS unb 2lbfd)affung ber 5^ol)nben eintragen gu laffen.
®aö ^Parlament leiftete feinen SBiberftanb. 6§ wartete auf
308 ^^^ CoDontion bei $at(amente gegen t^n.
beffcrc ©clegcn^cit, um ftd) fß^ SBcnifutig bcr %otabeIn jju
räd^en unb feine in ben Scf)atten gefteütc Süitorität Don 9lcucm
ju befeftigen, oljne bie 93oIfögunft barüber gu verlieren, ©iefe
©elegenl^eit fam. Srienne l)atte jwei ginanjebifte bereit; ba^
eine verlangte eine territorial' Subvention, alfo eine ©runbftcucr,
bie bm SBebfirfniffen be§ @cl)afeei5 auf Äojien SlHer, ol^nc jebe
Slusnal^me gu Ounften ber ^rioilegirten, gu ^ülfe fommen
fottte; ba^ anbete war ein Stcinpelgeje^ unb biefeö legte
ber fibelberat^ene ÜKinifter bem ^arifer Parlament guerft üor.
©aSfelbe begann bamit, nac^ bem Seifpiel ber 5ftotabcln genaue
Stnangberid)te gu forbem, fül^Ite aber balb, bafe eö bomit
feine Sefugniffe überfc^ritt unb wäl^lte einen beffem Slngriff««»
punft gegen Srienne, inbem e§ burd^ ben SRunb beö Äbb^
©abatier be ßabre gum erften 9Jial erflärte, ba% e§ ba§ Siedet
ber ©elbbemiDigung , öon bem ee bis bal^in ©ebraud^ gemad^t
Ijatte, nid)t beft^e, inbem biefeö SRedjt, ©ubjtbien gu gewäl^ren
unb Steuern auf unbeftimmte 3cit gu erljeben, auöfd^liefeüd^ ben
©eneralftaaten gel^öre. 2)em 9Ronard^en, fo fugte man l^ingu,
müßten bie alten SRajnmen be§ 9leid)§ in§ ©ebäd^tnife gerufen
werben. ®en ejrtremen Sd^ritt l)atten mit öoHer ©rfenntmfe feiner
Tragweite wol^l nur ÜRänner wie ©uöal b'@§prem^nil, ein ©tfcrer
für bie SRed^te feiner Äötperfd^aft , einige emfte Slnl^dnger bcr
Sieformgebanfen im Sinn ber alten janfeniftifd^en Parlamen-
tarier, ober jüngere Seute, wie ©uport unb greteau getlftan, bie
mit £a ^aqette unb beffen ^reunben bie SBewunberung fflt
amerifanifd^e 3i^ftä^^^ ^^^ ^i^ SRefultate ber bortigcn SReoo-
lution tl)et(ten. ©ie Uebrigen, unb fte bilbeten bie weitaus
größere SHel^rl^eit, red)neten barauf, ba§ bie ^Regierung, um
ben ©eneralftaaten gu entgelten, fid^ lieber allen ^orbcrungen
ber SWagiftratur beö Sleidjö fügen werbe. 9iad^bem jebod^ ba8
^arifer ^Parlament, ol^ne Slütfjtd^t auf ben Äönig, bie von il^m
befol^lene ©ntragung ber beiben ^Jinangebifte al§ ,,illegal, nuH
unb nid[)tig'' begeid)net l^atte, würbe e§ nad^ SroqeS oerbannt.
aSrienne benu^te emfte 9lul)eftörungen in ^ariS, wo b'ßöpr^
»nenne berfprld^t bie ©enifung bet ©encralftaateii, 10. 9^oöembcr 1787. 309
Tii^nll alö bcr crftc jener mtfänglid) vergötterten nnb jd)Ue6lid)
l^ingefd^laditeten ßieblinge be§ SSolfeö öorlänfig ber 2:ageöl)elb
geworben war, um jtd^ gum erften 9Kinifter ernennen ju laffen,
worauf SHeder'S ^reunbe, @ögur unb be 6aftrie§, gurüdftraten.
Set Slnlafe il^reö 6jrtl§ nad) Siro^eö geigte eö ftd^, wie
gering bie 2ai)\ ber Parlamentarier war, bie c§ ernft mit bem
Don tl^uen gewagten @d)ritt gemeint l)atten, ®iefe SJerfamm»
lung, weld^c in bie SSerbannung gebogen war, „nid)t weil jte if)re
^rioilcgien öertl^eibigt , fonbem weil jte biefelben geopfert
l^atte^Oi tül^tte jtd| unfäl)ig, aud^ nur bie Sangeweile einer
Äleinflabt gu ertragen unb willigte, tro^ aUer ^roteftationen
b'ßSpr^menitö unb feiner 3[nl)änger, bereite im (September
in flnangiette ßoncefjtonen, wogegen nun aud) Srienne nachgab
unb feine gwei 6bifte, obwol^l er jte al§ unentbelirlid) begeid)net
l^attc, wieber jurüdgog. ©en SBiebereingug be§ Parlaments
feierte ber ^arifer $öbel burd) Sßerbrennung oon puppen,
weld^c bie ^ergogin oon ^ßolignac unb Sreteuil oorftellten.
®ne gleid)e ©emonftration gegen bie Königin würbe eben nod^
red^tgeitig oerl^inbert. 3^^i ^J^onate fpätcr fa^ SBrienne fein
anbereS SluSlunftömittel mel^r, ftd) ®elb gu t)erf d^aff en , aU bie
SBorlegung eine§ neuen Sbifte^^ baö 420 3)littionen, im Sauf
oon fünf Salären rfidf galjlbar , begel)rte, unb nad) ?(blauf
biefer fSftift bie ^Berufung ber ©eneralftaaten für ba§ Sal^r
1792 oerfprad^. 3n ber seance royale, bie gu biejem 3"^^^
am 19. 3looember geljalten würbe, liefe ber 3Äinifter bem Ä'önig
unb bem ©iegelbewal^rer alle Slnfprüd^e be§ 2lbfoluti§muö
wieberl^olen unb gur felben ©tunbe, wo er ba^ 6nbe bcSfelben
in SCuSjtd^t fteHte, ben Äönig als „im SSejt^ ber gefe^gebenben
3Rad|t, ol^ne jebe Sefc^ränfung unb Sl^eilung'' erHären.
y@Spr6menil entgegnete, oon oerfd^iebenen feiner ©ejinnungS«
genofjen unterftü^t, mit ber Sitte, bie Berufung ber Stäube
*) Leouzon-Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, 64, ©epcfd^c öoiu 16. 81uguft 1787.
310 streit im Parlament.
nid^t fpäter alö 1789 gu gett}äf)rcn. 3m Ucbrigcn fcl)icn bic
SBerfannnhmg bereit, beu 2Bünfd)en beS Äönigö entgcgengu*
fommen, al§ ber SiegelbetDal^rer ßamoignou plöpd^ unb o^ne
bie üblid)e Slbftinimung abjutuarten, üom Äönig ben SBefcl^l
gur ßintraguug ber ©bitte einl)oIte. Äaum war biefer Sefel^I
ert^eilt worben, afö ber §ergog wn Orleans jtd) gu bem für
ben %a(i t^orgefel^enen ^roteft erf)ob, ben er ftottemb öortrug.
Sn einem ber ©bitte gab ber ingtt)ifd)en in§ 3Kinijierium be-
rufene 9HaIeöf)erbe§ ben ^roteftanten bie langerfel^nten bürget*
licl)en Sftec^te. 5ßad)bem e§ öerfünbet worben war, »erliefe ber
Äönig bie 9}er[amntluug, bie nun SJtaleöl^erbeö unb ber ^ergog
üon 5Jliuernai§ »ergebend gu berul^igen fud)ten. @o begann bie
poUtiid)e SloHe beö «Öergog^ uon Orleans, ber burd) bie SSer*
fommenl^eit feiner Sitten biö^er ber öerbiente ©egenftanb ber
allgemeinen 3Serad)tung gewefen war. S^rau Don Stael l^atte
in ben SSeridöten an Äönig (Suftaö ergäl)It, wie ber ^ergog,
üon Subwig XVI. wegen be§ gefd)ilberten SluftrittS uerbanitt
unb längft mit ber Äönigin öerfeinbet, bod) lieber gu ber S)e*
müt^igung jtd) entfd)lofe, il^re SBermittelung gu erbitten, atö ben
3lufent^alt auf einem feiner @d)Iöffer gu ertragen. 2)a§ ^arijer
*??arlament aber blieb im ®enufe ber Popularität, bie öon nun
a\x SlHen ol)ne Unterfd)ieb ftd^ guwanbte, bie, gleid^öiel auf
welche 2lrt unb au§ weld)en (Srünben, ber ^Regierung opponirten.
3ugleid) aber befämpfte berfelbe b'ß^premenil, ber öom ^onig
im 5iamen bei^ Sßolfeö bie ?5tei^eit begel^rte, in l^öd^fter Er-
regung ba^ 6bift gu ©unften ber ^roteftanten , wäl^renb furg
nad)^er @rjbifd)of ©itton uon 3Rarbonne bem Äönig auf ber
aSerfammlung be§ Gleruö feierlid^ bafür banfen follte*). gfrau
Don Stael befd^reibt bie Scene, bie gu ben unöergeyid)en gel^ört:
„öewiB", fagt fie bann oon b'ßepremenil, ben fte perfönlid^ lannte,
„war er ein energifdjer, ebler 9)ienfd), biefer unglfictlid)e unb be«
rebiame Jribun ber ÜKagiftratur. Slber er war aud^ ein kxäiU
'•: Laverürne, Les Asserablecs provinciales, 409
grau öon (5tael über b'^Spremenir. 311
bcttJCgUd^er , etwaö unftäter ®eift unb fein 3Rartim§mu§ triicj
eigcntpmlid)c grüd)te. S»t Sal^r 1788 bilbetc er jtd) ein,
bie l^eUigc Jungfrau gefeiten unb gel^ört j%u l^aben, toie fic
il^m öorfd(rieb, im Parlament gegen baö Sbift öon SJtale^*
l^erbeö ju proteftiren, n)eld)e§ bie legitimen Älnber ber ^ro=
tcftanten Don bem SKafel illegitimer ®eburt befreite. 6r tl^at
eS aucf) wirtlid), inbem er auf baö SSilb be§ ©elreugigten
l^intt)ie§ unb im ))atl)etifd)en Jon eine§ Äapu jiner§ aufrief:
,@el)t 3l^r benn nid)t, wie feine SBunben gum jmeiten SJtale
bluten' '' 1).
©'6§premenil§ jüngerer goUege, ©oi^larb be 3Kontfabert,
fanb aud) noitj 9Kittel, bie Slegierung an ber ßrl^ebung fd)on
bewilligter Steuern gu ^inbern, inbem er bie öon il|r aufge=
ftcllten ßontrolbeamten ber Ungered)tigfeit in SSefteuerung
bcö 3tt)angigften ber ^riöilegirten befd^ulbigte. ®er S^f^anb
jtüifd^en SKiniftern unb Parlamentariern war nid)t mel)r tjalt-
bar unb alle Slngeid)en üerfünbeten ben naiven 5lu^brud^ einer
Äataftropl^e, bie SSrienne öergeben^ gu befd)wören fud^te. Um
öon ben ©reigniffen nid)t überrafd)t gu werben, trat ba§
^arifer Parlament am 3. 9Kai 1788 in feierlid)er ©i^ung gu*
fammen. 5)'6§premenil öerla^ bie beriil^mte ©rflärung, weld)e
unter ben ^Junbamentalgefe^en ber frangöftfd)en 3Konard^ie bie
freie ®ewä^rung ber ©ubpbien burd) bie ©eneralftaaten,
ate Drgane ber 3Ration, ferner bie l)ergebrad)ten [Redete unb
Kapitulationen ber ^rouingen, bie Snamouibilität ber 3flid)ter,
bie Eintragung ber föniglid)en ©bifte burd) bie Parlamente nur
im %aVi bie erfteren ben ©runbgefe^en ber ^roöing unb be§
Staates entfpräd)en, unb ba^ unantaftbare SRedjt iebe§ ©ingeinen,
nad^ bem ®efe^ allein, unb nid^t nad) SBillfür gerichtet gu
werben aufgäl^lte, unb, im %aU ber Slnwenbung Don ©ewalt,
ben Äönig unb atte Stäube beö iReid)§ gur 5lufred^tf)altung
biefer ©efe^e unb 9fled)te Derppid)tete. ®ie 3lntwort ber SRegie*
') Lacretelle, Testament politique et litteraire, II, 70.
312 SScrl^ftunö öon b'föspremenir unb ®ol8(atb, 3. SRal 1788.
rung erfolgte burd) Äafprung biefer SScfd^lfiffc unb ©rlafe
eines «gaftbefel^lö gegen ©uöd b'@Spr6m^niI unb ®otelarb.
©aö Parlament trat nun in feierHd)er ©i^ung gufommcn,
Struppen erfc^ienen wi bem Suftigpalaft unb ei5 nwir SKittcr*
nad)t, als ber 9)Jaior ber ®arbe§ franQai[e^, ?Warqui§ b'3[goMlt,
©inlafe in ben @t^ung§faal begel^rte unb ben löniglid^
Srief öerlaS, ber bie SSerl^aftung ber beiben ^arlamentartn
verfügte. ©'Slgoult, ber jte nid(t fannte, forbertc bic 38er«'
fammlung auf, jte i^m gu bejeid)nen, ujorauf jte in ben ein*
ftimmigen 9tuf auSbrad): „mx jtnb Stile b'@Spr6m6nil unb
©oiölarb". 2)'2lgoult gog pd) gurücf, um meitcre Scfcl^Ic einer
Sage gegenüber eingul^olen, auf bie Slicmanb vorbereitet
war. unb erft am folgenben 5tag fam nad^ breifeigftünbiöcr
®auer ein 5luftritt gu @nbe, ber gwar mit SSerl^aftung b€r
beiben Parlamentarier, aber aud^ mit i^rem moraltfd^en Sriumpl^
enbigte. 2lm 8. 9Rai tpurben bem nad) SSerfaiDeS befoi^Ienen
Parlament neue ©bitte vorgelegt, bie unter anbem SScr^ltniffeii
ben 2)anf ber 9iatiou gefunben l)ätten. Stneö berfclbcn Dci>
fügte bie 2lbfd)affung ber STortur, ein anbereö gewäl^rte mutige
^Reformen in .^anbljabung ber 3uftig, bie, gum 33^etl auf
Äoften ber biöl^er oon ben Parlamenten auögeü&ten rtd^tcr»
lid)en ®ett)alt, von 9!Jlale§f)erbe§ burd)geffil^rt mürben. Aber
bie l)eilfamen SBirfungen biefer ^iJJaferegeln oerfd^nrnnben tor
ber Sragmeite jener anbern, ber pe, baö mufete man, gum
blofeen SSorfpiel bienten. @in weiterem Iöniglid)e8 6bilt befal^l
nämlid) bie (ginfe^ung, ober, mie pe genannt würbe, bie
„2Bieberl^erftellung'' eines l^öd^ften ®eric^tSl)ofeÄ , ber cour
planiere, obmol^l bis bat)in 3liemanb bie ©pfteng einer fold^eit
einrid)tung oermutf)et f)atte, bie baS plö^lid^ ermad^tt Sbeß
bürfnife nad) 3wfö«iJ«cttf)^"0 »^'t ber aSergangcnl^eit nun in
SSerbinbung mit einer eingebilbeten l^iftorifd^en S^robition gu
bringen jud^te^). ©iefem ©erid^tS^of follte fünftig allein bic
') Henri Martin, llistoire de France, XVI, 604, Dtotc.
Sic äNai'Crbifte von hörnerne be Snenne. 313
6intragung ber fömglid)eu Sbifte itnb iSerorbnungeu jufontmen.
@r ^atte qu$ ben auf Seben«3bauer i?om 932onard)en goväblten
(SroBtvfirbentTQgem be^ 9ieict)$ unb einer beftiinmten Snja^l
Don SRitgltebem aUer Parlamente ;u beitel)en unb ber ^^önig
fdbji foUte i^n präjtbiren. Sen Parlamenten blieb ni(l)t^ a($
eUitragung ber auf locale ätngeIegenE)eiten jtd) bejie^enben ^ev^
irrtmungen, unb Dorläufig foQten jie jid) nid)t u>ieber Dendmmeln.
S>ic wic^ttgften trogen, auf beren Seanhoortung bie gefpaunte
Snfmerlfamfeit aDer edt)id)ten ber Station jtc^ ri(i)tete, ließ
Srienne unerlebigt ober begnügte fOf mit wiberfpre(t)enben
fteuBerungen, bie im @an$en bie 9ufred)t^altung ber abfoluten
@en)alt bt& äJtiman^en be;u>ecften, unb aU einziges ^^W
ftttnbniB ben unbeftimmten $inu?eie auf ^eruhing ber @eneraU
^Qüten enthielten, bis ;u beren ßummmentritt bie cour planiere
vorläufig bie Steuern beroidtgen foUte.
'3Senn ber tueitge{)enbe unb oft mtBoerftanbene Suebrucf
.äteuobition" ben SRoment im Seben einer -Ration be$eid)net,
IDO, um mit üRounier ju reben, bie diegierung @ewalt an-
»enbet, nid^t um bec- ©efefee^, fonbem um ber SSiHfiir wegen,
ntib bie ätegierten ungeftraft jum bewaffneten iBiberftanb
fc^reitcn\i, fo ijt ber Anfang ber fransönid^en äieoolution oom
Sag bcö @rIajfeS ber 6bifte t»on Srienne, bem S. 33iai 1TS8
p batiren. ^r ^rau uon Stael begann ne Dom 9ugenblicf
an, voo bie $arlammte burd) ben 'Stunb be^ ^bbe Sabotier
ja 0unftm bed ä^olfeS auf bieielben 'l^olImad)teu oerjid)teten,
bie jie gegen bie ^rone fo t)artnäcfig oertt^eibigt Ratten-).
Sag erftc ß^ic^ ^um ojfencn Siberftanb gegeit bee Äönig^
übelberat^enen S3efet)l gaben biejenigen -^^Hirlamentarier unb
@bel(eute, bie jum ©ntritt in bie cour pleniere beftiinmt
^ Mounier bei Laver^e. Les Assemblees provlnciales, oS2.
^Madame de Sta^l. CoDsideratioüs sur la Revolution francaise.
OeaTTK XII, 131. ^amit übercinnimmenb »«benji^ 3a&re »rätcr A. Che-
re»t, La chute de l'accien rcjime. I. -90.
314 ©i^ft« 8(naei(3^en bcS SöibcrftanbeS im Qanjen Sanbe.
würben. Sic weigerten jtd) ju ge]^ord)en unb bereiteten bem
@taat§[treic^ oon SSrienne bannt ein rafd^e^ @nbe. 6ine g^lge
feinet t^erwegenen £eicl)tjtnnö war bie ^erftellung eineö engen
Sünbniffe^ jwifd)en ber Slriftofratie unb ber 9Ragiftratur, waö
weiter ba^u fül^rte, bafe ber ®eift be§ 32ßiberftanb§ öornef(mH(l^
burd^ ba^ faft nur au§ ©belleuten beftel&enbe Dffigiercori)§ aud)
in bie 3lrmee brang ^). 9?id)t weniger gefäf)rlid) erwieö ftd) baS
SBol^IgefaUen ber Parlamentarier am SSeifaU ber 5!Renge, bie
Unterftü^ung, weld)e bie Vertreter ber ®efe^Iid)feit öom ©trauern
pöbet JU empfangen, feinen Slnftanb nal^men. ©ie crften ©cenen
biefer Slrt, ju (g^ren oon b'@§))remönil, wedften mit erfd^rerfenber
@d)neUigfeit ben ®eift be^ Slufru^rö in ben ^roöin^jen. Sn ber
Bretagne glaubte man jtd) wä^renb be§ ^früf)fommerS 1788
am SBorabenb eine^ SSärgerfriegö. ®er ©ouöemeur, ©raf öon
2;l)iarb, ücrurtfieilte au^ <Bci)Xt)äd)t bie 3:ru))pen angeftd^ts ber
^Tumulte jur Untl^ätigfeit^); ber Sntenbant ber ^roöinj^ aSer*
tranb be aJlolleöine, mufete fliegen unb bie fünftigen Äämpfer
ber 33enbee wanberten t)orläufig alö 3ftebellen in bie Saftitte^).
3n ^^au, im SSearn, erjwang t>a^ au§ ben Sergen ]^crbei=
geeitte Sanbiwlf bie SBieber^erftellung be§ Parlamenten. 35ie
wid)tigfte ©pijobe biefer erften Scenen ber Unorbnung fpielte
jtd) aber im ®aupt)ine ab. Seit iljrer SSereinigung mit ber
franjöftjd)en Ärone ^attc bieje ^roöing iljre ftänbifd^e SBertretung
anfangt nad) altem Stecht bewaf)rt, unb, nad)bem bicfe unter
Subwig XIII. fu^penbirt worbcn war, jte jurücfguöerlangen
nie aufget)ört. ®er SBerjud) Slecfer'ö, fte mit einer ^rot)ingiaI*
üerfammlung ju entfd)äbigen, war 1779 gefd)eitert. 2ltö il^n
') SBaron ©riinm, 2)ctiftt)ürbtgfeUen, citirt bei Smith, Lectures
Oll the french Revolution, I, 134. Thiers, Histoire de la Revolution
fran^aise, I, 14.
-) Lavergne, Les Assemblees provinciales , 421 — 426. Droz,
Histoire de Louis XVI, 11, 69-71.
'0 A. de Tocqueville, Coup d'oeil sur le regne de Louis XVI,
280 u. 283.
SJaS SJaupl^ine. 315
SBricnnc im gi^ni 1787 wic&erlööUe unb bic renitenten ^arla»
mcntarier Derbannte, läuteten bie Sauern bie ©turmglocfen,
öerl^inberten bie 3luöfü^rung ber SKaferegel mit Gewalt unb
brol^ten bcm ©ouöemeur ber ^roüinj , ^erjog öou (Slermonts
Sonncrre, il^n am ÄronIeud)ter feinet Gmpfangfaaleö aufgu«
fnüpfen, wenn ll^nen nid)t bie @d)lüffcl be§ ^uftijpalafteö au§^
geliefert würben, ©ort öerfammelten jtd^, nad) einem ©trafen*
fampf, in meld^em jmei ^Regimenter wiberwillig gegen ben
fie8rciä)en $öbel gefülirt worben waren, Slbgeorbnete ber brei
©tänbe unb befd)bffen ben Swfammentritt ber alten SSertretung
be^ 35aupl^in^, ol^ne t)or]^ergel^enbe föniglid^e ©enel^migung, [ür
bm 21. Suli, nadibem fte erflärt Ijatten, bafe bie legitime
Autorität beS 3Wonard)en nur burd^ ftrenge Seobad^tung be§
®efe^eS Dom ©eöpotiömuö ftd^ unterfd)eibe unb bie @id)erl|eit
ber ^erfonen in feinem einzelnen ^f all angegriffen werben fönne,
o^ne bie gange Station ju gefäl^rben. SlUe Urlieber unb 33e=
günftiger ber 9iÄai=@bifte würben be§ SBerrat^eö am Äönig, an
ber Station unb ber ßonftitution angesagt. SBoran gingen
ßleruö unb Slbel, wäl^renb ber Sierö, ber biefen ertremen
©d^ritten anfangt wiberftrebte, erft burd^ ben ßinflufe elneS
föniglid)en 9fiidt)terö ju ©renoble, SJtounier, gewonnen werben
mufete, ber ftd), obgleid) erft breifeig Satire alt, bereits eines
aufeerorbentlid)en anfeljenS bei feinen ^Jlitbürgern erfreute.
®ic aUegierung erfe^te ßlermont^Sonnerre burd) ben 9Jlarfd^aU
be aSauf , unb fteHte gwangigtaufenb SKann ju feiner SBerfügung,
ol^ne bafe biefer für energifd^ geltenbe neue ©ouöerneur etwas
anbereS tl^at, als ber ^Jorm nad^ gu genel^migen, was er bereits
nid^t mel^r öerl)inbent fonnte. S)aS eingige Swfl^ftänbnife , baS
il^m gemad^t würbe, war ber ßwfcimmentritt ber ©tänbe beS
®aupl)in^ im naljen ©d^lofe SBigiUe, ftatt wie anfangs beftimmt,
in ®renoble. ©ort würbe, oomet)mlid) wieber unter ber Seitung
beS Don feinem jungen Sreunb Santaoe unterftü^ten 9Rounier,
befd^loffen, Dom Äönig bie ©eneralftaaten für baS gange Sanb,
bie regelmäßige Berufung ber ©täube für bie ^roDing gu Der-
316 2^- ^aiwMne.
langen, unb fär beibe bie @(leid)fte(btng ber 3^^ ber Slbge^
orbnctcn bcs 2icr5 mit ber ber $rit>Uegirten unb bic gemein*
fame 'Sbftimmung in einer $erianim(nng unb nac^ j^opfen
f eft^u^alten , worauf bie fed)^()unbert Sbgeorbneten üon äSi^iUe
]\dl mit bem Bö^tout oertagten, über äSiebererlangung ber
9ited)te i^rer $roDin; bie 9ied)te ber Station nid)t ;u Der«
gefien. Sie Don i!Jlüunier rebigirten SorfteKungen an ben
^önig fd)(ofieu bereite mit jener, Don ber 9ieüoIuiion bem
Socialfontraft entlehnten äiebling$forme(, ,,baB bie 9Renf(!^en<
rechte bon ber Statur allein abgeleitet unb unabhängig bon aEen
SSerträgcn feien" *).
©a§ war ber äJorgang öon n)elt^iftorifd)er Sebeutung,
ben grau uon etael „bie fneblidje, mo^Ibeba^te Snjurreftion
beS S)aup^ine" nennt-), unb ber t^atfäd|Iic^ ber Prolog jur
SReöolution war.
®a§ aSeifpiel jünbete. Slu^ ben meiften ^roüingen trafen
^rotefte ber ^^arlamente unb Stäube, a3erid)te über Unorb*
nungen, mee^felnbe SSerwirrung unb ®ä^rung ein, auf bie ber
SKinifter mit jroar ungenügenben , aber bafür um fo ge«
l)äfitgeren SRepreijtömaBregeln antwortete. SSefonberS gegen bie
lettres de cachet tiijob jtd) ein @turm beö Unwillen^, bem
Saüergne üergebenö bie 3;l)atfad)e entgegenfe^t , ba^ leine 8fie»
gierung feltener baöon ©ebraud) gemadjt l^abe, a\& bie Äub«
wig XVI. fflaö Sewuptfein öon ber ungefepd^en SBMUfftr
biefeS aSerfal^ren^ war einmal erwad)t, unb liefe ftd^ burd^
milbernbe Umftänbe nid^t mel^r befd)Wid)tigen^).
3n ben ©eneralitäten üon Sorbeauf unb Sefan<jon, in 2a
JRod)eKe unb in Simoge^ war bie @infül)rung üon ^roülnjtot
öerfammlungen untcrbeffcn gleichfalls nid)t ju Staube getommen
') Lanzac de Laborie, Jean-Joseph Mounier, 13 — 20. Lavergne,
LcH Monarchiens de la Constituante. Revue des Deux-Mondes 1842,
II, 551.
-) Madame de Stael, Considcrations. Oeuvres XII, 208.
■') Lavorgno, Les Assemblees provinciales, 378-379.
SBrienne unb ber Flenid. 317
unb cö fragte pd^, wcld^c Sfflad)t bic SRcgierung bcfafe, um in
bcn wibcrfpcnftigcn 5ßrot)injen il^rcn SBitten burd)gufc|cn. 3"*
jwifd^cn aber l^atte bic ©clbnotl^ einen folc^en ®rab erreiä)t,
ba^ 93rienne atö Ie|ted ^udfunftiSmittel [\6) an ben @IeruS ju
wenben befdjlofe, ben er in aufeerorbentliä)er SSerfammlung nad^
$ari8 berief. (St legte feinen ©tanbeögenoffen ben Oebanfen
ber ©onflöfation ber Äloftergüter nal^e, unb reä)nete überl(aupt
auf feine genaue Äenntnife ber 93erl)ältniffe unb 5ßerf3nliä)feiten,
nrn 3»ictrad^t in bie 33erfammlung gu bringen unb jie baburd)
feinen SBfinfd)en gefügig gu mad^en. aber aud) l^ier fanb er
bie Stimmung fo beränbert, bafe er feine ©elbforberung auf
eine befd^eibene Summe rebujirte, ol^ne bie SSerurtl^eilung ber
3Rai»@bifte unb mit il^nen feiner gangen SSermaltung üerl^inbern
JU Knnen. SBie ber Slbel unb bie SÄagiftratur, fo würbe je^t
aud^ ber ßleruiS, obwol^l er, wie biefe, alle peluniären Dpfer
verweigerte, wegen feiner Dppojttion gegen bie ^Regierung nidf)t
minber populär afö fte. Sludf) er forberte ben 9!Konard)en
auf, lieber Äönig ber fjrangofen ate $err bon gtanireid) fein
ju wollen, unb fo balb als möglid^ bie ©eneralftaaten gu be*
rufen. 6benfo wid^tig als biefe Sefd^lüffe ber SBerfammlung
war bie Slntwort ber ^Regierung. Sie geftanb je^t bem ßleruS
gu, was fte ben ^Parlamenten verweigert l^atte, unb öerpfli^tete
pc^, öon ber allgemeinen Bewegung gebrängt, in beftimmten
SBorten gu bem ©runbfa^, bafe ber ©ouoerän nur mit 3^=
ftlmmung ber ©eneralftaaten Slbgaben erl(eben bürfe^). Se*
reitS am 8. Sluguft würbe burd^ föniglidf)en @rlafe bie Se*
rufung berfelben auf ben 1. 2Kai 1789 feftgefe^t unb bie
©infe^ung ber Cour pleniere vorläufig fuSpenbirt. @inige
Sage fpäter, am 16. Sluguft 1788, fprad^ ein ©bift bie fd)recfen-
erregenbe SBal^r^eit auS, bafe bie 3al^lungen ber löniglid^en |
Äaffen tl^eilS ausgefegt, tl^eils befd)ränft werben müßten, '
1) Sefer, Sfletfet'S aiociteS SWinifterium, 58—60. R^ponse du roi aux
remontrances du clerg^, 15 Juin 1788.
»Icnner^affctt, Sfrau »on @ta«l I. 21
3J.8 Skrl^anbluiiöen mit 9ttdtx,
inbcm nur Vs ^^^ nötl^tgcn ausgaben baar, bcr 3ieft in
ßrebitfd^cinen entrid^tet werben fottte. ©a§ war mit anbcm
SJBorten baö Sefenntnife eincö ©taatöbanfrottg mit fed^gtg
^roc^nt, unb baju war, um bie SRegierungSmafd^ine in ®ang
3U lialten, ungefäl^r eine ÜWittion Siöreö per Sag erfotbcrlid^^).
f^rau öon @tael l^atte nidjt Unred^t, wenn jte an Äönig ®uftat>
jd)rieb, bie @efdf)id^te granfreid)^ laf[e jtd^ in Epigrammen er^
Xäl^len. Sind) S3rienne trug ba§ feinige bei. 9!Kan legt il^m
ben Sluöfprudf) in ben 9iKunb, „e§ gebe ja jo biele Qn^&Ut, unb
bod^ bebürfe e§ nur einen einjigen, um ben Staat gu retten** 2).
3[Iö biefer Sufatt nid^t fam , fd^eute er nidf)t baöor jurüd, aud^
nod) bie §anb auf ben 3nt)aIibenfonb§ unb bie ©rträgniffe
einer Slrmenlotterie ju legen. ®ann, als alles öorbei war,
fnüpfte tx auf Söunfdf) ber Königin burd^ SKerc^ am 20. 8lugufl
Unterl^anblungen mit nieder wegen Uebemal)me ber fjinanjen
in feinem 9Jlinifterium an. SBaS aber öor einem 3^^^ t)iel=
leid)t nod^ möglich gewefen wäre, l^atte je^t aufgel(ört eS ju
fein. 9^edfer beantwortete bie anfragen öon SMerc^ mit ber
©egenforberung ber ©ntlaffung öon Srienne, bem 8lnfprudf) auf
bie oberfte Seitung ber ©efc^äfte unb ber ©rfüllung beS SBer^^
fprec^enS ber Serufung ber ©tänbe^). Unter bem ungcl^euren
S)rucf ber 2öünfd)e eines ganjen SanbeS l)atte aud^ fein ©tanb»
punft in le^terer |)in|td^t eine aSeränberung erfal^ren. ©r, bcr
nad) ber ßntlaffung öon ßalonne bie SSermeibung biefer Se«
rufung nod^ als bie erfte Aufgabe eineS weifen ÜWiniftcrö be*
geid)net t)atte, fteltte fte je^t jur S3ebingung unb erwartete, wie
^^ f^ßtf r/^^it unbefc^reiblid^er fjreube ben Slugenblid, wo baS
erl^ebenbe unb l^errlid^e ©d^aufpiel beS S^fammentrittS ber
Slbgeorbneten öon fed)Sunbjwanjig 9)lillionen SHenfd^en ftatt«
finben unb bie ®ered)tigfeit beS SKonard^en ber franjöftfd^en
0 Jefferson, Works, Correspondence, III, 40.
2) Dareste, Histoire de France, VII, 132.
^) Baron Auguste de Stael, Notice sur Monsieur Necker. Oeuvres
225. Jücfcr, 9^ccfcr'8 8tt?eite8 Sminiftcrium, 21—22.
• gilütftntt »on • »tienne. 3t9
Station • t^Tcn frfil^crcn ©influfe; auf bcn ®ang bcr öffcntliä)cn
Slngclegcnl^citcn jurfidfgeben werbe'' 0- ®ö unterlag feinem
3wrffel ntel^r, bafe SledEer ba§ traurige (Srbe üon SSrienne
unb ßalonue nur unter ber SSebingung anzutreten entfd^loffen
töar, ba| bie llnterftfi|ung unb Gontrolle ber 5ftation xijm bieS*
tnal gur Seite [teilen würben. „@ö barf feine ß^^t öerloren
toerben**, fdireibt er in ber um biefe S^it entftanbenen ©treitfd^rift *
fliegen €aIonne, „bie öffentlid^e 9Äeinung, biefe ftttlid^e unb |
4)oIitifd^e 9!Kad)t, mufe mit ber il^r eigenen Äraft bie SSergangem ?
]&eit auSlöfd^en unb bie ©egenioart mit ber ßwliinft öerbinben" ^).
€8 war ber SluSbrucf berf elben gbeen , bie 3ftecf er'§ Sl^ätigf eit
tüäl^renb feiner erften SSerwaltung geleitet l^atten unb nun ben
neuen SSerl^ältniffen anbequemt mieberfel^rten. @r folgte nad^
tDic öor ber öffentlid^en SReinung; ob er fte aud^ gu leiten im
©tanbe fein werbe, fonnte erft bie Su^i^nft leieren. 3!Kerc9
iam nun , öom ^önig mit offigietten 9Sottmad)ten oerf el^en,
gurüdf. 2)ic ©ntlaffung bon Srienne würbe ftittfd^weigenb gu»
geflanben. ®v erl&ielt jte am 25. Sluguft unb nid^ ol^ne bafe
•er, ber fein ©rgbt^tl^um SEouloufe gegen ba§ öiel einträglid^ere
€rgbiötl^um ' öon @en§ oertauf (i)t l^atte , feine ©intiinfte big gu
ad^tmoll^unberttaufenb 8iore§ erl^öf)t unb oon ber Äönigin baö
SJerfpred^en erl^alten l^atte, ben Sarbinaföl^ut ffir if)n gu öerlangen.
®ie ®efä)i(i^te fam nur no^ einmal in ben %aSi, xl)n gu nennen.
<SS^ gefä)a]^ ■ um gu berid^ten, wie ber unwürbige, le^te SRatfigeber
ber abfoluten 9Äonard)ie am 16. iJ^bi^ucir 1794 feinem Seben
burd^ ®ift ein ßiel gefegt l)atte. 8lm SIbenb öor feinem SRücftritt
toar 5ftedtef§ ©mennung gum ^inangbireftor erfolgt; gwei SEage
jpäter würbe er 3!Jiinifter unb SRitglieb be§ @taat§ratf)§. ©er
tRang eines erften SRinifter^ würbe nid)t wieber öerliel^en, aber
alle a3efugnif[e beSfelben gingen an Slecfer über.
*) Necker, Nouveaux ^claircissements sur le compte-rendu au roi.
De radministration, etc. Oeuvres, n, 599, VI, 59. SBcfonbcrS aber De la
Revolution fran^aise, IX, 53.
«) ebenbofclbft, If, 467.
21*
320 ^^» »^^ aRimfter, 24. Sbiguft 1788.
©cm pnanjicUcn Sluin, bcn er öon fdncm SSorgdngcr über*
nal)m, ging ein moralifd^cr fftvAn jur ©exte, ber biefen nod^ an
Umfang übertraf. S)a§ SSertrauen in bie Stegierung voax nid^t
weniger erfd)öpft als il^rc Äaffen. Seit ber a^^ronbcfteigung
gubtüig XVI. waren in granfreid^ mel^r aRifejtdnbc abgefd^afft,
mel^r 3Serbef[erungen eingefül^rt worben, ate wdl^renb eines
3al^rl^unbertS Dor il^m. ^an xot\%, ba% Slbam @mitl^ ber
franjöjtfä)en SBermaltung unter biefem SRonard^en baS ßwignife
auSgeftettt ijot, nad^ Slbre^nung ber lettres de cachet unb
ber 9JliPrdu(i^e bei ©rl^ebung ber Steuern unb inSbefonbere
ber Saille, bie I(umanfte beS Kontinents gu fein^). %a\t l^un*
bert Saläre nad) il^m l^ot Socqueüille ben Slntl^eil nad^getoiefen,
ben eben bie ^Reformen beS Slncien SRegime an feinem ©turj
l^atten. 5ftid)t nur, ba% bie SRegierung geredete gorberungen
bewilligte, jte l)atte jtd^ in wid)tigen Etagen aufgelldrter
gejeigt, als bie großen ^örperf haften ber 5Ration. @o war
baS Snftitut ber ^robiniialöerfammlungen ber freien ®ntwidt
lung unb Setl^eiligung an ben öffentlid)en Slngelegenl^eitett un*
gleid^ günftiger als bie üeralteten ©täube, ©er Äönig war eS,
ber bie Tortur abgefd^afft l^atte unb ben Parlamenten burc^
SKaleSl^erbeS bie Oerid^tSreform bieten liefe, weldt)e biefe »er«
warfen. 2)aS (Sbift gu ©unften ber 9lid)tfat]^olifen würbe bon
ber ^Regierung tro^ beS SBiberftanbeS ber SKagiftratur unb beS
ßleruS burcftgefe^t. ©ie ßenfur beftanb nur nod) bem Slamen
nad) unb l^inberte nichts; bie 8^reif)eit ber 5ßreffe forberte
Srienne nod^ am 33orabenb feines ©turjeS förmlich i^erauS.
aSiele ber ge^äf jtgften Privilegien beS abelS unb ber Oeiftlic^leit
waren aufeer Sraud) gefommen, bie ßollfd^ranlen im S^tt^nt
gefallen, ber ©ebanfe ber Delonomiften in Sejug auf ben @e»
treibel^anbel boHftänbig , unb waS §anbel unb gnbuftrie be*
traf, gum grofeen Sl^eil burc^gefül(rt. ©aS ©ünbenregijter beS
1) Adam Smith, Wealtb of Nations, angeführt bei 3. Don fOtülUx,
»riefe, ©ammtlic^e SBerle, XVIII, 29G, i«otc.
(Sl^ataftetifHI bed alten SHefiime but« ^tdtt, 321
alten giögimc, »ie e8 unter anbem öon Sefferfon entworfen
töirt)^), war fd^on in feinen fd^Ummften 5ßnnlten getilgt, ober
am fSkQ, ei8 ju werben. Sie SBertrauenSloftgleit aber fd^ien
in bemfelben 3Ra^ gewadifen ju fein, a\^ bie Uebel ftd^ öer^
imnbert l^atten ; benn bie eingige ©arantie ber 9ief orm war be8 \
Äönig« SBiUe, unb biefer fd^wanlte jwifdien ben gingebnngen
feines ©erjen«, bie immer gut waren, unb ben ©npüfterungen
öon Sinken, bie feben SWoment oon einem 6?:trem gum anbem
ffil^ren tonnten. 3Wan l^atte nid^t öergeffen, ha^ Subwig XVI.
ÜRad^ault übergangen, Surgot giel^en gelaffen, ßalonne gebulbet
unb in SBrienne fid) ergeben l^atte. 3>c|t nal^m er bai8 SWini*
flerium Sttedter an, wie ein aufgebrungeneS @jrperimcnt, mit bem
el^rlid^en @ntfd^Iu^, eiS gewöl^ren gu laffen, aber aud^ nid^t ol^ne
We im Stillen feftgel^altene Hoffnung, c8 ftd^ abnü^en gu feigen.
SBaS l^ierauf folgen werbe, wu^te 9liemanb. ®ang rid^tig
d^aralteriprt Slecfer bie alte frangöftfd)e ^Regierung bal^in, ba§
fle gwar über alle notl^wenbigen 9Kittel öerfügt l^abe, um bie
®efe|e bci8 JBeP^eiS, ber Drbnung unb ber Steilheit aufredet gu
eri^alten, ba^ t^ aber gugleid) in il^rer !Dlad)t gelegen fei, aÖe
biefe @efe|e ju öcrle^en. „^^nt irgenb einer ungelegenen
SleHamation ftd^ auiSgufe^en", fagt er, „tonnte eine foniglid^e
6ntfd^eibung bie S^f^^ ^^^ ©taatsfd^ulb rebuciren ober bie
Slütfgal^lung ber j^a:pitalien fudpenbiren; burd^ eine löniglid^e
©i^ung — lit de justice — Steuern aui8fd)reiben ober Der»
I&ngem, burd^ eine lettre de cachet, wem e« il^r gefiel feiner
greil^elt berauben" 2).
S)ie IBered^tigung bti bamali l^errfd^enben @efü]^ls, ba| >
bie @efd^icfe eineiS gangen fianbeS tl^atfäd^lid^ t)om Sufall einer |
Saune abl^ängig gemad)t werben tonnten, beftätigt eine gleid)« !
jeitige Sleu^erung öon SÄaric Slntoinette. 2)ie ©eneralftaatcn \
') Jefferson, Complete Works. Autobiography, I, 86.
*) Necker, Du pouYoir ex^cutif dans les grands Etats. Oeuvres,
VIII, 592.
322 ^i^ Sthimnntg hn Sonbe.
moren nid)t nur üerfptoc^en, fonbeni caxdf btt S^ipmät il^rc^
Sufammentritt^ fejiflete^t, ol^ fie cm Äatfcr 3öf<rt f«^ricb, pe
l^offe bte entartete :Sxitert7entu}n ^ranfretc^S in bot l^oDSnbcfc^en
SSirren üermieben ;u fe^en, ^benn im i^oll eineS ilriegeS murSe
bic ^Berufung ber Stanbe tcidjt nic^r abjmoaibfn fein" ^ €o
toar beim, mit SuStto^me beä ^ofabels, benen (Befmmmg bie
JSonigin au^fprac^, taam ^emaxä) me^r in %xaxdmäf, btt e^
noc^ für möglich gehalten §ätte, in bei alten Sa^en loeiter
ju ge^ unb fu^ bobei auf bie tno^bneinenben abftd^ten be^
Äönig!^ äu oerlaffen. 2ie »eitau^ größte ajie^r^eit fagte f^on
mit 8a ga^ette: ^"©ir motten bi^ ©eneralftaaten ober nid^tS''^)^
^a^ Softem aber i\t oerurt^It, bem bie gfä^igleit Qbgefpnxi^
»irb, ftc^ 5U reformircn, beffen 3ügcft4nbnif|e unb Serf)>re(^ungen
ber oer3agenben Slntmort begegnen: ^S)ie Sotfd^ft l^ör* iäf
Vi>of)l, attein mir fe^lt ber ©laube/ Huf biefen ^nft mar
bad alte 9iegime angelangt, aL^ Siecfer bie Settung ber &t^
fdjäfte übental)m unb fein Sort bafür oerpf anbete^ bafe ffinftig
am offenen Sag unb mit S^ftimmung ber Station regiert mer»
bcu mürbe.
$Da^ a?olf iubelte it)m entgegen; ^ri§ ffittte pc^ mit
gci^riften, Silbern unb aUegorien gu feinem 2ob. 3« ^^
Sl^eatem bemonftrirte man ju feinen ©unften unb rief Prmifc^
feinen SRamen, aU in ber ifomöbie öon Cottin b'^rleöille,
»Les Chilteaux en Espagnec, ber 35er^ gef^nrod^en mürbe:
»Je choisirais d'abord un ministre honn^te homme,
Le choix est bientöt fait quand le public le nommec').
„ÜRan ermartet SBunber t)on 3Recfer^ jd^rieb fein ©c^mie*
gerfo^n an Äönig ©uftao, ^unb beimeifelt nid)t, ba^, menn
man i^n gewähren läfet, granfrcid^ in menigen Salären
») arnct§, aWaric 8lntoinettc, 3ofep§ II. unb ßcopolb IL, »rlefwe^fel,
118. aWarie «ntoinette an Äaifcr 3ofep§, 16.. Suli 1788.
*) La Fayette, M^moires, If, 229. SBticf öont 25. SÄd 1788.
^ Grimm, Correspondance litteraire, XIV, 325.
I
Srratt t)on ßtael mtb ha» ameite aj^iniftetium il^reS S^aterd. 323
ttrfcbcrgcBotcn fein mxi>t. S)a8 il^m cntgcgcngcbra^tc SBcr^
trauen fcnnt leine ©renjcn. ©ein @entu§, feine SKäfeigung,
fein ßl^arafter, bie 9ieinl)ett feinet Privatlebens l^aben il^m fo
grofee Siebe unb Sld^tung jugemenbet, bafe e§ fd^er fein würbe,
biefelben gu überfd^ä^en" ^). SBenn aud^ nid^t of)ne SBiber*
jireben, fügte ftd^ bieSmal aud^ ber opponirenbe Slbel wenig*
jten« fd^einbar in ben nnüermeiblic^en 9Jltnifter. 3n ben erften
Sagen feiner SBerwaltung begegneten ftdf) ber fomntanbirenbe
©eneral in fiotl^ringen, ®raf ßlairon b'^auffonoiUe unb ber
3Karfd)aIl ^ergog öon Sroglie in feinen 33orjimmem. „®el)en
wir jufammen l^inein", fagte le^terer gu bem ®rafen, „@ie werben
mid^ öorftellen, benn id^ lenne 5ftecfer nicftt". „©lauben ©ie
öietteid^t, bafe idt) il^n fenne", erwiberte biefer. „9lun, fb ;
werben wir un§ eben gegenfeitig öorftellen", entgegnete ber
SWarfdiall, waö audt) gefd^af). Sie 3ftac^fommen biefer SeN
ben l^eiratl)eten fpäter 9?ecfer'§ (änfelinnen; einer berfelben,
b'^auffonöine, ^at bie ®efc^id)te ergä^It^). 33aron ©tael er-
innert baran, bafe bie einleitenben @df)ritte gu Sledter'S SBieber»
Berufung öon ber Äönigin ausgegangen waren, ©er SBiber-
ftanb gegen il^n fd)ien auc^ bei ^ofe in foweit überwunben,
ba^ feine weiteren Sntriguen bie erften 9Jionate feiner 3;i)ätig'
feit erfd)werten 3).
8lud^ ber nüd)teme ^alouet, ber ein ftrengeS Urtl^eil über
Siecler als Staatsmann fällt, gibt il^m baS S^i^Ö^ifef ^^^ ^^
il^n fowol)! an Talent wie an perfönlic^em SSerbienft ber großen
?Kel^rgal)l feiner ©egner überlegen gefunben l^abe, unb was man
aud) fagen möge, äße Unorbnungen unb i5el^lgriffe, bie gu ben j
©eneralftaaten führten, üon feinem erften Siüdtritt batirten*), {
') Leouzon-Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, 88, ©cpcfd^c SRo. 100, 31. SJuguft 1788.
*) Comte d 'Haussonville, Souvenirs et M^langes, vie de mon
Pfere, 9.
®) Leouzon-Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, p. 116, 1788.
■*) Malouet, M^moires, I, 199.
fä%s;]^iMTnmiec: s=er fmiiiinwauiiiiiiuiäi inJf lioAie
licut ifT ffffTnig". .Scctzr !zck uiiQccc SoflORfonKcr ifes! Scsd^
"ififdttDEi^ TtBDoztKL ^iBtt SdjDäOBt jfeffftr 'flii ^fec JuAiniL Sun;
-fct fe «s Ktx üntns^ tssE iscens miärai mst is: tftrB4
-^daiKtr 41 irqnr önm. 9c£Kr aii: Jwwum|giBeg6Bg:
Ttrqrqrr '^, Jncr ^hm jmt SobI? äi ancr in:
rtntr a ytartigncrr Siimmiiiu, ^feoi Jie Jni'mnie. ilc (Saeoni;
ß^vsMjiu jottx XlmgygnflyTiiiii jsir Shubt ifc. ^frUwiL ttoc
')iltipniottfdxc7 9eqncr SfriVr s, Jit. SfinjüiiKtfc späf. mt Üer
ivM ^samt^gaa»^ ;tt iierfr
'%fcä)ie ai ^fnüisr jfrfnenr^. ^frfrr. Jesr ie aie ^nrimiftr leiiier
^^fnmwq ^uerfr mm StnTmCigg mnfnr, Tnrrmr, cd# er &Eisi
"SUniftfü^ jieäte nur 3te Sar&frte 'einer Shrffmtg^ nii^ oAtr
^fi^ ^(6iictf!cT0er &rnin i tum ^i 1 1 mf?t isiuifuiÖBL Sof iot ndd^
f^en Xy\. a<n 25. Saqnit. "lel ^a^ ^ct Jki fftS&gat SsätmA^
mt^ ^4tt txm 2xaA nni§iE mah Seriirfe, «e nnr |v er*
tie<tt, 50^ 1e ^ 3er 51iuf|müiEr Imn^ !!a§ fik^ol; irk
l(SCipe Mn Ääuöem angegrifmt ;ii mer&eir mrdrtetE; d
tffr a(# oft bö« Sc^tcffol ne öccmr ftntfat meri^e, jid^ jn
(jIikfH<!^ \\ji füllen. „3tiufier ^nor^, fdireiftt fe in ben »Omih
*) Dnm'>nt, ^lonvenirs srar Xirabcaa, 44.
^; r/4?<*.T)r^, Rivarol et la äocieCe fran4;aise pendant la IU^vaiBtio&
^ PÄmiirrAtion, J47.
^> r/Attf<%«i in<WitÄs de la Marquis« de Cri<\m k Seoac de Xolbaa» 310L
^rVf nrtm Z^^em^tx 1788.
*) f*$enhMetbft, 28 \xnh Saiate-Beuye, Caoaeries du Lnadi, XU 886.
Sltdtt'ii «uffaffung ber ^ttuaHon. 325
Seffird^timgen mtr aDgu fel^r re^tfertigen". S)er SRorgen brad^te
bie erfte @mäd^terung. @ie iDurbe gugletd) mit einer Stid^te
Srietme'd k)on ber JCönigin empfangen unb biefe bmit^ burd^
bie htteäfnüt Unterfd^eibung gtoifd^en beiben S)Qmen, ba^, menn
9leder aud^ ber SKann ber SiotJ^wenbiglcit geworben war, il^re
))erf5nn(^en ©^mpatl^ien bod) feinem SSorgänger gugewenbet
blieben« %x(üx t)on @tagl täufd|te ftd^ über bie Tragweite biefeiS
Serfol^rend nid^t, ba^, ffigt fte l^injn, burd) 9led(er'iS entgegen^
tommenbe Haltung leine Slenberung erful^r, unb eine ber großen
©d^ttrterigfeiten feineiS jweiten SRinijteriumS blieb ^). Ucber
feine eigene Sluffaffung ber Situation liegen t)erfd)iebene Sleuge«
tungen Dor. SUiS il^m bie SBal^I bt^ Srgbifd^ofd t)on Souloufe
mitgrtl^eilt würbe, fagte er gu feiner Sod^ter, bie £age, bie
bereits fd^wierig genug fei, werbe balb unerträglid) werben
unb 3Kenfd^enlraft überftcigen. 9lad)bcm er an bie ©teile
k)on Srienne getreten war, lonnte er fid^ bti SluSrufS nid^t
€ntl^alten „jje^t fei t^ gu fpät! äßarum l^abe man il^m nid^t
bie ffinfgel^n SWonate beö @rgbifd^of§ öon Souloufe gegeben!'' 2).
2)en ÄSnig aber bcrul^igte er mit ber SBerpdierung , „bai8 Uebel
fei gwar grofe, nod^ größer aber feien bie ^ülfSqueHen beö
fftüäi^". &T war feit brei Sagen 9Rinifter, al« bie erfte, blutige
Stul^lSning in $arig ftattfanb, wo Srienne öom ^öbel in
Cffigie öerbrannt würbe. ®er fommanbirenbe Dfficier ber
©tabtwad^e fdjritt ein, unb liefe, ba il^m ber ©el^orfam
verweigert würbe, bie SÄenge mit bem Sa^onett angreifen,
wobei gwei bi« brei 9)lenfd^en gelobtet unb öicle öerwunbet
würben, bi« eS gelang, fte gu gerftreucn. 33on 3om unb er=
bitterung erfüllt, fammelte ftd^ ba§ SBolf am näd)ften Sag wieber,
griff bie @tabtwad)e an öerfd)iebenen fünften an, brannte gel^n
bis jw3If SBol^ngebäube niebcr unb töbtete mel(rere ©olbaten.
*) Madame de Stael, Consid^rations sur la Revolution fran^aise.
XII, 164. 166.
*) (gbenbafelbft, II, 160.
326 9ltdn'& grinonaleituitg.
tt)orauf enblid^ bem SEumxilt biird) bie Snippcn ein 6nbc gcmad)t
urtb bcr Sclaßcrung^juftanb über ^ariiS öerl^ängt »urbe 0.
SBäl^renb jo bie ©trafeen ber §auptftabt gum erjtcn 9Ral ro&lj'
renb feiner SlmtSfül^rung jtd) mit S3Iut färbten, begrüßte ber
®elbmarft ben ©efd^äftSantritt bon 5ftedEer mit einer ^auffe,
»eld^e gwar nid^t bie üon %xau öon @ta€l angegebenen bretfeig
^rocent erteilte 2), aber immerl^in beträditlid^ gemig war, um
ba§ SSertrauen gu lieben unb bem 9Jlinifter bie Slufl^ebung ber
S3eftimmungen beö ©bifteö öom 16. Sluguft unb SBieberauf^
nal^me ber Saargal)lungen gu ermöglid^en. ©rofee fjtnangl^aufer
leifteten 33orfä)ä[fe; eine ^roöing, Sangueboc, eröffnete eine 8tn*
leil^e öon gmölf ^Millionen; aUe ^ülfömittel be§ JBanhoefen^
würben in ^Bewegung gefegt. 2)ie ®efd)idöte biefer gtoeiten
ginangabminiftration SRedEer'S l^at unter anbem in ©cutfci^Ianb
fiefer gefd)rieben, ber gum @d)lu6 lommt, bafe 3iedfer gwar
, 9JJittel üon gweifeltiafter SRed^tmäfeigfeit, um bem ©taatSfc^a^
S ©elbcr gujufül^ren, angewenbet, aber baö öffentlidje Vertrauen,
j feine notl^roenbige Stü^e, bod^ niemals g^fd)äbigt l^abe^).
* ©ein gangeö Seftreben war barauf gerid^tet , burd) eine Stetige
öon ©elboperationen ben @taatöl^au§l)alt bis gum Swfömmen*
tritt ber ©eneralftaaten fortgufül^ren unb baS Slnfel^en ber
Siegierung üor ber gefäf)rUd^en ©emüt^igung , il^nen in einer
finangieHen 5Jlotl)Iage gegenübertreten gu muffen, gu bewal^ren.
2)rog, ber ^iftorifer Subwig XVI., nennt e§ gerabegu wunber^
bar, bafe e§ il^m gelang, bie ßal^lungen wieber aufjunel^men
unb ben @c^a^ gu fußen, ber na^ bem SRücftritt öon JBriennc
nur nod) fünfmalt)unberttaufenb SiöreS entl^ielt*). Unb bieS,
obwol^I ber Äampf mit ber §unger§notl^ unb ber Änfottf
') Jefferson, Works and Correspondence, II, 471.
*) Madame de Stael, Consid^rations etc. Oeuvres, XII, 158,
Scfcr, i«cdfct'3 aioeitcS SJ^inifterium, 33 u. ^ote,
.3) ßcfcr, i«cdfer'ä attJeiteS 3J2iniftcrium, 33—41.
*) Neck er, De radministration de Monsieur Necker. Oeuvres,
VI, 25.
©ie »ettJtoöiantitunfl öon ^anfttl^ im SGÖhtter 1788^1789. 327
öott ®ctrcibc attcin im SBintcr 1789 ftebenjig aJliHionen öcr*
fij^lang. 6r nennt ba^ jwcite aRinifterinm 3lccfcr in Scgug
ouf bie fjinanjcn ntd^t nur ungleid) üicl bcbeutenbcr ate ba§
erflc; et fügt aud) l^inju, bafe eö bon allen ©puren öon ßl^at*
lotattiSmuö, bie pd) in jenem ncwi^ weifen laffen, frei geblieben
fci^). 6ine burdigreifenbe Slenberung be§ ganzen ©^ftemS war
iefet, feit bie Oeneralftaaten in Sluöjtd^t gefteKt waren, ol^ne
bie 9Ritwirfung berfelben überf)aupt nid^t mel^r möglid) unb
eS galt, iJranfrcid) big bal^in am Seben ju erl^alten^). 3lerfet,
ber ftdö fo leidet Slluftonen l(ingab, l^at ftd^ über biefc Srage/
gcrabe weil t^ biejenige war, bie er am öoKftftnbigften be=
]^err[d|te, feine fold)en gemad^t . . „Sebe^Jorm be§ 6rebit§", fagt
er, „war erfdjöpft; e§ l^anbelte pd) barum, allwöd^entUdö mel^rere
SKiUionen ju befd^affen, big man ben ^afen be§ §eilg er^
reid^te"^). Slud) in biefer Scgiel^ung ftanb xi)m eine @nt*
täufd^ung beöor. Sllg bie ©eneralftaaten juf ammentraten , fanb
er, ba^ pe bie abminiftratiüen fragen über ben politifd)en öer*
Qa^m unb pd^ um bie fjinangen nid^t !ümmem wollten. »II
fallutc, fdjreibt er, »continuer la manoeuvrec*). ©röfeeren
aESertl^ alg auf feine SEptigfeit im Sinangwefeu l(at 9ledfer
barauf gelegt, bafe eg xi^m gelungen fei, wäl^renb beö SBinterS
unb 5rül^ial)rg öon 1789 bie ^auptpabt unb mel^rere ^roöinjen
üor ber ^ungerönotl^ bewal^ gu l)aben, unb l(at inSbefonbere
bie SBerproöiantirung bon ^arig feine größte SE^at genannt^).
ßu allen anberen Kalamitäten war nämlid) bie l^ingugefommen,
ba^ nad^bem wäl^renb gel^n 3cil)ren bie ßmten fd^lec^t gewefen
waren, nun elementare Kataftropl^en aUer 2lrt pd^ folgten,
S^^euerung l^erbeifül^rten unb aud^ nod) ber fältefte SBinter
i^reinbrad), ben man feit 1709 in g^ranfreid) erlebt l^atte. 3«
O-Droz, Histoire de Louis XVI., H, 94. 95.
*) Henri Martin, Histoire de France, XVI, 615.
*) Necker, De Padininistration de Monsieur Necker, VI, 25.
*) ebenbofcftft, VI, 25. .
^) ebcnbafclbft, VI, 298 ff.
328 ^^ S^etptodiaitttrung Don grranlreic^ im SBintet 1788—1789.
f^olge beffen blieben allein in ber 9lormanbie Dieriistoufenb
Arbeiter ol^ne Srob unb Sef d^äftigung ^). SluS allen @egenben
öon Stanfreid^ flrömten öerarmtc, obbad^IoS Beworbene 3Rcn^
\6)m nad^ $ari§, um bort jioar oergebenS Siettung üor
bent fte bebrängenben @lenb gu fuc{)en, um fo genriffer ober bie
©d^aren ber Ungufriebenen gu oermel^ren, bie nur auf ein
Seid^en warteten, um ©mpörer ju werben. @8 nutzte öon
Seiten ber ^Regierung öor allem ffir S^fwl^r öon ®ctrcibe ge^
forgt werben, um biefe l^ungemben Waffen ju nSl^ren; benn
Srob war fo f oftbar geworben, bafe felbft in ben ^fiufem ber
äfteid^en bie gu Siifd^ ©elabenen t^ wäl^renb feneS SBinierS in
ber Safd^e mitgubringen l^atten unb enblid^ aHe ^ftlic^teiten
eingefleKt würben, um ftatt beffen bie armen Äeute gu ernähren
unb gu wärmen, ffir bie Steuer an allen Äreugfhra|en ber ^catpU
ftabt brannten 2). SRedfer'S frul^ere «nftd^en über bie ^rrci^eit
be§ ^anbete mit ©etreibe l^attcn feine 93eränberung erfal^ren;
fte waren, nad^ feinen eigenen SBorten, ]^3df)ft einfad^ unb bar*
auf befdf)rän!t geblieben, ben SBerpltniffen pdf) angubequemen').
8ll§ er bal)er beftätigt fanb, ba^ biefe« 3^l^r einen Wi^wac^d
gebrad)t l^atte, l^ob er bie feit Suni 1788 gefefelid^ freigegebene
SluSful^r oorläufig am 7. September 1788 ffir unbefHmmte
Seit wieber auf unb bemül^te ftdf), ©etreibe, befonber« oud
Slmerifa, ffir fjranfreid^ l^erbeigugiel^en. QixQldöi liefe er ouf
äfted^nung beS Staate« im 3lu«lanb ©etreibel&ufe in großem
SKafeftab beforgen, waö wieber gur %o\Qt l^atte, bie S^ätiglett
be« $rit)atl^anbeB gu läl)men, weil biefer mit 9ied^ fordeten
mufete, mä)t ol^ne f^weren SBerluft mit ber Slegierung fonfur«
riren gu fönnen, bie il^r ©etreibe bireft auf ben 9KarIt brad^te,
unb im fdf)limmften %aU billiger abgeben fonnte, ate fle eS gc*
0 Jeffers on, Autobiograpby. Complete Works, I, Gorrespondence,
III, 40.
«) ebcnbafclbft, 11, 591. SBrtcf Dorn 14. SWäts 1789.
^) De radminfstration de Monsieur Necker, par lui-m§me. Oeuvres
VI, 298 u. ff.
S)ie 9lotfi fül^rt gut Ölnarc^ie. 329
i
fcmft l^attc. ^oi) cmpfinblid^cr wirftc ba^ aScrbot, aufecrljalb
ber SWärltc ©ctteibc ju laufen, »ontit 5RcdEer bem SBud^cr @tn*
l^Qlt gebieten ju lönnen meinte. @eine SSerorbnnngen in btefer
Stid^tung übten nid)t nur eine dfonomifd^e, fonbern aud^ bie
iDeittragenbe moralifd^e Sßirfung an^, bag baS SSolI ftd^ fogu» j
f eigen in ofpcieller SBeife im 9Mifetrauen beftärft fal^, mit bem
e8 ben ÄomI(änbler in fdiweren Seiten gu üerfolgen pflegte.
Suf aUen ^unlten beiS SReid^iS lam ed gu @en)alttl)aten, tt)eld)e
bie Sölaffen an ben Slufrul^r geroölinten, bie Sluflöfung ber
Slegierung unb baS Umftd^greifen ber Slnard^ie vorbereiteten*).
Saline bejtimmt ben 3citpw«ft i^i^f^r erften birelten Eingriffe auf
hm Sepfe, bie auögel^enb öon ber ^anif be§ §ungerö, mit
Pünberung ber 9Mel)ltran§porte unb ber Säcferläben begannen,
um JU berjenigen ber Älöfter unb @d)löffer übergugel^en, unb
mit btm Slnfprud) auf gleid^e^ SRe^t für 2(Ile bm focialen
Ärieg eröffneten. 5)er SBinter 1788 auf 1789 fa^ bie erfte
Sacquerie in ber ^rooence, wo bie SRegierung e§ fo gut wie
ungeftraft gefc^el)en liefe, bafe ber 5ßöbel bie (befangenen befreite,
bie ©teuergal^lung öerweigerte , bzn ^rei§ ber Sebenömittel be^
flimmte unb ben Slbgefanbten be§ Königs bie 3[ufnal(me oer*
fagte. Slber aud^ um ben ^rei§ einer Solcrang, bie bereite
an @elbftüemid)tung grengte, gelang ber ^Regierung loeber bie
Slufred^tl^altung ber SRul^e nod^ bie SSerproöiantirung oon fjranf*
rcld^. 8lngeft^t§ ber toadifenben 5Rotl^ war e§, bafe 5Recfer,
wie ba^ erfte 9Kal, fo aud) ie^t, auf ben fipen ©el^alt oon
220,000 giöreiS feinet 9Jiinifterium§ oergic^tenb, au§ feinem
^riöatöermögen nod) bie Summe oon gtoei ^KiUionen öiermal^
i^unberttaufenb fiioreö mit fünfprocentiger SSerginfung bem
@taati8fd)a^ jur SSerfügung gum Slnfauf oon ©etreibe mit bem
JBemerfen ftettte^), wenn man fRni^t unb ©efunb^eit aufö Spiel
*) Taine, Les Origines de la France contemporaine. Vol. II, La
R^volation, Chap. I, Panarcbie spontan^e.
*) De radministration de Monsieur Necker, par lui*meme. Oeuvres
Yly 831 unb Madame de Stael, Consid^rations XU, 92 unb 313.
330 Ü'^edet'S erfte IRegierungSl^aitMungen etfheben ä^erföl^nung.
je^c, fönne man xdo})1 anä) jctn SBennögcn risümt. JHc Sßcr*
antiDortung, bie er auf jtd) genommen l^atte, übcrftieg iebod^
feine Gräfte; e§ gelang gtt)ar> bie feä)§mall)unberttaufenb ©eelcn
ftarfe S3eöölferung öon 5ßari§ gu t»erforgen, aber um ben
^reiä lünftlidier Slrbeitbefd)affung ffir gtt)ölftaufenb Unbefd^äftigte
unb bcr SSernad^Idf jtgung ber 5ßroöinjen, au§ »eld^en ber §ülfe»
ruf ber 9Zotf) nur gu oft öergeben^ an ba§ Dl^r beö gepeinigten
aRinifterö brangO- @^ gel)ört mit gur ®efd)iä)te ber Sfieöo-
lution, bafe ber junger e§ war, ber ben ?IRaffen bie Seigren
be§ ©ocialfontraftö t»ermittelte. ©iefer SSerfudi, ba§ SBalten
freier Gräfte burd) baö Singreifen beö ©taateiS gu erfc^en, mar
ber le^te, ben SIecfer aU Slbminiftrator ber alten SRonard^ic
burc^guffil^ren untemal^m. ©en ©taatömann erwartete eine
nod) ungleid) fditoerere 5ßrobe.
9?edfer'§ erfteS Eingreifen al§ 3!Äinifter galt einer öer*
mittelnben, uerföl^nlici^cn 5ßolitif, wie jte feinen 5Reigungen am
beften cntfprad^. 2)ie bretonifd)en ©belleute würben auS bcr
S3aftiHe, b'ßöpr^menil au§ feiner §aft ber Snfel @ainte:=2Rars
guerite entlaffen. ®ie ^Parlamente oerföI(nte Sfedfer, inbem er
ben ^önig üeranlafete, Samoignon burc^ Sarantin als Siegel^
bewal^rer gu erfe^en , aber and) inbem er il^nen bie Sitformen
öon 9Jiale§l^erbe§ preisgab. ®ann liefe er biefe SBerfammlungcn,
bie er im September gufammenberufen l^atte, il^rc ®crid)töferien
antreten, beoor fte bie alten Streitfragen wieber aufwerfen
fonnten, üerfprad^ il^nen aber bm ßwf^wtmentritt ber ©täube
fd^on für ben näd)ftfolgenben Januar.
2)iefem @d)ritt lag bie Slbftc^t gu ©runbe, bcr Slufregung bcr
©emütl^er in allen ©d^id^ten ber Station, bie ein le|ter ffel^lcr
feines 33orgängerS bis gur öollftänbigften SBerwirrung gcfteigert
l)atte, fobalb als nur immer möglid^ ein 3tel gu fe^en. ©enn ate
Srienne waf)mel^men mufete, bafe feine ber beftel^enben Parteien
burd^ baS 58erfpred)en ber Berufung ber ©eneralftaaten ftd^ für i^
') Öefcr, 9?cdfcr'ö awcUeö TOniftcriuin, 45. 54.
S)ic gtanjofeit fud^en il^re ßonftttuHon. 331
gciDimien liefe, lüar bcr ©cbanfc in ii)m oufgctaud^t, bic
SBicbcrbcfeftigung feiner Stellung in ber allgemeinen S^^i^t^^^^t
3« fud^n. 6ine SSf rorbnung üom 5. guli erflärte, bafe e§ ber SRe^
^erung nic^t gelungen fei, Qlle93eftimmungen fiber benSBal^Imobud
imb bte S«f<!^tt^w^ttfcfewng ber ©tänbe wieber aufjufinben, unb
haSß bal^er im 5Ramen beS Ä5nig§ nid^t nur alle Äörperfd^aften
beS ffttid)^, fonbem aud) alle n)ol^lunterrid)teten, gdel)rten ^er=
Jonen aufgeforbert feien, Unterfud^ungen barfiber anguftetten unb
il^re SKeinung auöjufpred^en. 3^m felbft, fo l^offte ber SJlinifter,
ttcrbe es bann unfd)tt)er gelingen, im SSßiberftreit ber Sntereffen
xinb 5IReinungen bei ben ©tarieren SRüd^alt gu finben.
SBa§ burd) beftimmte S8orfd)riften feftgufe^en bie l^öd)fte
SBeiSl^eit aller ©taatöfunft gen^efen wäre, würbe fomit ber ©egen«
ftanb beS .f)aber§ unb bie 33eute be§ ßwf^^D'^f i^nb e§ be*
flannen int ganjen Sanbe §od) unb Sflieber, Sung unb Sllt,
'(Selel^rte unb Ungeklärte, (Staatsmänner unb grauen, aufrid)tige
©d^ärmer unb fü^le Intriganten, überjeugungStreue ^Patrioten
unb ej^rgeijige Slbenteurer einen Slrgonautengug nad^ bem SSliefe
Wefer üerloren gegangenen ßonftitution , bie in bem 3Rafe im
SBcrtl^c ftieg, als il^re ©ntbedfung nid^t gelingen wollte.
3)enn wie alle @inrid)tungen ber alten 9Jionard)ie, l^atte auc^
triefe pd^ im Sauf ber Seiten tl^eils üeränbert, t^eils war jie
nie feften Seftimmungen unterworfen gewefen. @o würben int
SInfang SKitglieber ber ©täube gar nid)t gewählt, fonbern Slbel
unb ®eiftlid^feit erfd)ienen üolljäl^lig auf ben SReidiSüerfamm*
lungen, bis, gegen @nbe beS fünfjel^nten 3al^rl)unbertS^ in
jebem 8lmtSbegirf eines Sailli ober @enefd)alS ßleruS, Slbel
unb Sürger ber ©täbte ©eputirte il^reS ©tanbeS burd^
SBal^l aborbneten. 6benfo unbeftimmt war bie Qaijl ber ^RxU
fllieber beS SierS^j. ©er erfte, ben Srienne auSfd)icfte, um
|id^ auf baS weite 9JJeer biefer ]^iftorifd)en tJorfd)ung gu be^
flebcn, SIbbö SJiaur^, fam mit bem ©eftänbnife wieber, fein
») Scfer, ««edcr'S attjettcS ÜKiiiiftcrium, 64.
Üanb gefe^en ju l^aben. ^JRaledl^erbeS bagegen, ber einer ber
erften getoefen maXf bte ©eneralftaaten ju einer 3^it gu t>er^
langen, ba bie QuQel ber ^(utorität anfc^einenb nod^ fefi in ben
$änben ber äUegierung lagen, üergid^tete \t^t auf Popularität, um
in einer ®enffd)ritt an ben Äönig Dom Suli 1788 öor ber ®efa^r
JU warnen, unter öeränberten aSerl^ältniffen bie in allen i^ren
Sntereffen gefd)iebenen brei ©tänbe unöorbereitet einanber gegen^
übergufteßen. 6r griff ftatt beffen auf ben ^lan feines gfreun*
beö Surgot jurücf, im Slnfc^Iufe an bie Snflitution ber ^o*
öinjialüerfammlungen eine einjige, aus gewählten Vertretern
ber beji^enben Älaffcn gufammengefe^te SSerfammlung gu ht^
rufen. 33or Witm aber befd^wor er ben Äonig, feine S^eU
beutigfeiten im Sluftreten feiner 3Rinifter mel^r gu bulben unb
baS SSertrauen in bie Slufrid^tigfeit feiner Slbfid^ten nid^t er*
fd)üttem gu laffen, „benn bie Solgen ber allgemeinen Ungu«
friebenl^eit", fo fd)lo6 er, „jtnb unbered^enbar." Sn äl^nlic^em
Sinne äußerte ftc^ ©ufreSnc Saint^Seon in einer ©enffd^rift
an Srienne. ©er SRatl^ war üortreffUd^, aber er fam um S^l^rc
gu f:pät unb gewann nur bie vergebliche Unterftü^ung einiger
Don jenen ücmünftig ©enfenben unb @rfal)renen, bie in ben
SReöolutionen weber dtanm nod) ®el^ör finben. „(gS l^anbelt
ftd^ nid)t um baS, waS war, fonbern um baS, wa8 fein
foH", erflärte SDttrabeau ^). 6l)arafterifHfd) antworteten bie
Parlamente. @ie »erlangten Berufung unb Suf^mmenfe^ung
ber ® eneralftaaten , nad^ ben 1614 befolgten 3llormen, alfo
Slbftimmung nad^ ©täuben, in bireftem ®egenfa^ gu ben
SBunfdE)en be§ SierS. ®amit fiel mit einem legten Schlag
ber Slnfprud^ biefer Äörperfd)aften, SSertreter ber nationalen
35Bünfd)e gu fein, unb unter einer §lut^ üon Angriffen in
Siteratur unb treffe traten fte oom politifcf)en ©d^aupla^ ab.
eine nod^malige, le^te Sc^wenfung im Sinn ber populären
2öünfd)e, bie fie im ©egember 1788 nac^ Sutlaffung ber SRo*
') Henri Martin, HistoirQ de France, XVI, 617, SRote.
0 Larcy, Louis XVI et les successeurs de Turgot. Gorrespondant.
Mars 1867. Bd. XXXI, 650.
*) Grimm, Correspondaiice litt^raire, XIV, 180.
*)A. de Tocqueville, Coup d'oeil sur le regne de Louis
XVI, 316.
»Unnet^attett, 3rau ton etaöL I. 22
/
^ie grtansofen fud^en i^re (Sonftttution. 333
tabcin öoDjogcn, bcwirfte feinen Umfd)lag mel^r gu il)ren ®um
ften. Sl^re SRoHe war am S;ag beenbigt worben, „xoo Sfiac^e
fe gum ©elbftmorb üeranlafet l^atte". SBä^renb bcr burd^
Srienne entfaltete Sturm in ben ^ßroüingialöerfammlungen fort«
tobte, befd)äftigten pd^ ^ampl^lete unb Srofd^üren, beren ^ai)l in
ben ge^n 3Ronaten üom Suli 1788 biö gum SKai 1789 auf brei=
taufenb angegeben wirb, mit ber göfung beS gleichen 5ßroblemS ^).
„Seit gwei g^^ren", fd^reibt bie ßorrefponbeng üon ®rimm im
3ftoöember 1788, „l^at jtd^ ®raf SauraguaiS im ©taub ber
Sibliotl^efen begraben, um äße ©ofumente gu befragen, bie
nod^ aut]^entifd)en Seric^t über unfer alte§ SRec^t unb unfere
nationalen aSerfammlungen enthalten". Slud) nannte man il^n,
ba er oomelimlid^ in ben ^rd)ioen ber Senebiftiner gu arbeiten
PP^B^^f fl^^ «*^t ^^^^ anberö aU 2)om SauraguaiS^). ^^@§ j
entftanben mel^r Sanbe über bie ßonftitution ber 5!Ronard^ie 1
atö über bie ßonftitution Unigenitu§", fügt ®rimm l^ingu, |
„benn beren foH eö nid)t mel^r al§ ge^ntaufenb gegeben l^aben".
3m 5flot)ember erfd^ien baö Sud) üon Äerfaint: »Le bon
temps« unb ein anbereS oon b'föntraigueS über bie ©eneral*
flaaten, ba§ oiel gelefen würbe unb nid)t nur bag Sßolf als
ringigen Srager ber SRegierungSgewalt begeid^nete, fonbem bereits
bie monard)ifd)e SRegierungSform gu ©unften ber republifanifd^en
oenoarf »). ©er ältere SacreteHe, S;arget, 6afau;r gaben gleid)fall§
3UiSlegungen ber conftitutioneßen grage. ©rouoette, ©efretät
bcS ^ringen üon ßonbe, mac^te^ 3Ronteöquieu gum ®egen*
ftanb feiner Singriffe, weil, wie er meinte, beffen grofeeS, bewun-
bemSwürbigeS SBerf boc^ ber boppelten ©runbbebingung aller
wal^ren ©efe^gebung, ber iJiebe gum Sßoll unb ber Siebe gur
©leid^l^eit entbel^re. ©S wirb l^ingugefügt , bafe biefer @runb«
334 ^<^ 8rtati|ofen fiu^ t^ Gonfttiuiioit.
gä)Qnfe beS Sud^S ))on aOen bebeutenbm ^krföttlid^teiten beS
SageiS get^eilt loorben fei^).
93om ^au8 beS ^gogS Don £a Stod^efoucoulb tül^mte
man, bo^ eS nid^t nur baS Sdfptel ber Gmfac^l^eit unb Sitten«
reinl^eit, fonbem aud^ baS nod^ l^ö^er gefd^fi^te ber Unabl^dngtg«
feit ))on ben SinfUiffen beS ^ofS unb Derft&nbnt^DoUer S^m«
:pat^ie mit ollen geplanten ^leuerungen gebe. @jS loar ber ge»
feQfd^aftlid^e 3)Mttelpunft für fenen ga^Ireid^en Sl^eil bed SbelS,
ber bereits bie boppelte SSertretung bt& Sierd, bie Sbflimmung
nad) Äöpfen, ben SSerjtd^t auf bie ^riöilegten mit in fein ^o«
gramm aufnal^m unb, nad^ ben Sorten Don f^au oon @taäl,
mit aUen benjenigen, bie in ben l^od^fien Greifen Srnudteid^S
; auf bie @(e{tnnung einmirlten, bie @ad^e ber Nation oertrat.
i „Sie aRobe", fagt jte, „war bal^in gerid^tet; e« wad baö Srgeb«
j nife beö gangen ad^tgel^nten Sal^rl^unbertö'' ^). SluS biefem Ärei«
I fud)ten ßonborcet, ©uport, £a f^a^ette, ber ^erjog öon 2a»
' rodl)efoucaulb«Siancourt bie Sonftitution. 2)agegen bel^auptete
ber uubeugfame Parlamentarier b'@§prem^nil ie^t wieber im
SBiberfprudj mit jtd^ felbft, bafe ^anfreid^ längft burd^ feine
a^agiftratur eine folc^e beft^e unb nur beren SSoHmad^ten gu
oerüoQftanbigen braud)e, um aQe feine SBänfd^e erffiüt gu fe^en;
ein ^ofmann, ber Sfio^alift Sefenoal, war anberer Sbiftd^t
unb wollte nur t)on S^rabitionen wiffen. £a f^a^ette, ber ba&
SSol! noc^ 1788 fo träge unb regungdloiS fanb, ba| ti i^n
IranI macf)te, baS mit anfeilen gu muffen, begann je^t eine Som
ftitution gu l^offen^). nieder fal^ bem Sreiben, bl^ne fic^ oM*
I gufpred)en gu. „®er 3Ronarc^ unb bie Äroniuriften", fagt er,
\ „bel^aupteten, bafe bie gefe^gebcnbe ®ewalt bem ^rften gel^dre;
'^ bie ^Parlamente unb il^re SRebner, bafe ol^ne freie Eintragung
1 fein ®efe^ in Äraft treten fömte .... ®aS wal^re ®egen«
0 Grimm, Correspondance litt^raire, XIV, 372.
^ Madame de Stael, Considerations. Oeuvres XII, 178—179.
») La Fayette, Memoires, II, 227.
^ie flauen unb bie (Sonftitution. 335
qmxäjit bcr ]^öd)ften ©cwalt in granfrcid^ bcftanb attcin in bcr
SffcntHci^cn ÜWeiminß'' >).
S)em @d^aufpiel, n)eld)ed bem Sanb geboten xonxbt, l^ätte
ctttKkS gefel^lt, n)enn nid)t aud) bie f^rauen ftc^ baran be»
H^eillgt Ratten, ©ine ältere ®ame, ©räfin grangoife Seau*
f)ama\&, pr&fbirte bent literarifc^en unb balb nod) mel^r poli-
tifd^en @aIon, ber jtdj fo lebl^aft an ben Sageöfragen betl^eiltgte,
ba§ il^m ber 5flame „baö © ber 3flationQberfammlung" bei*
gelegt VDUxbt, unb man jpottenb greil^eit unb ®leid)l^eit alö bie
beiben ®^renbamen ber ^auSfrau bejeid)nete. 3)ie 3Marquife
be Äaöal, bie ©räfin 6requi, bie Saronin b'äftroj wirften im
gleid^en Sinn unb man fagte üon il^ren @alon§, jte feien »de-
mocrates comme une antichambre«. 35ei ber in ^ariS an*
toefenben fjürftin üon ^otienjoHern fül^rten ber SÄarquiS üon
SBeaul^amaiiS unb ber %ixr\i @alm jpäter bie Sinfe ein. Sei
ber ^ringejfin öon Sroglie begegnete man Samaüe unb ben
beiben Samet^^j, Sßerfönlid^ am bebeutenbften war ®räfin
Seffö, Sod^ter beö legten aRarfc^aßS öon 5ftoaiIIeS unb Sante
t)on Sa ga^ette, in bem pe il^re poUtifc^en gbeale üermirllidöt
fa^*). ©iefe öomel^me üoltairianifd^e gejtnnte, originelle gtau war
in i^rer Sugenb, gur 3^^ al§ Sef jing oomel^mlid^ burd^ @rimm
in granfreid) befannt würbe, bei il^rem Sruber, bem ^erjog
öon Ä^en, in einem £efjtngfd)en ©rama unter großem Seifatt
aufgetreten. Sluf ber Sül^ne oon 1789 fpielte fie nun aud^
eine SioDe, beren ©uarb gebenft. ©iefer, einer ber SBenigen,
bie ber Saumel biefer beraufd^enben Qtxt nid^t mit fortriß,
fud^te fid^ feiner bangen (Sorgen über bie Si^funft vorläufig
baburd^ ju entlebigen, bafe er bie ©egenwart perfiflirte. 3n
I
*) Necker, De la Revolution fran^aise. Oeuvres, X, 277 unb
281.
*) £. et J. de Goncourt, Histoire de la societe fran^aise pendant
la Revolution, 15.
^ Anne-Dominique de Noailles, Marquise de Montagu. Paris 1865,
132 u. ff.
22*
336 @r&fin %t^^ mit @uaxb.
ben „Sriefcn bcr ®räfin S. an ben ß^cüaltcr . . ." läfet er
bic ®räfin fagcn: „Sie ®encral[taatcn jinb Je^t baS Sofuitflö*
wort .... Sc^ glaube xnxöi nidbt gu täufd^en, wenn id^ an-
nel^me, bafe Sie, ©^eüalier, biefe 2)infle nie flubirt l^aben. ®e6==
ungead^tet fennen jte btefelben genau. 3)a§ ift e§ eben, voa^
bie gebauten mit aSerjweiPung unb il^re Srcunbe mit ©tolj
erfüllt .... Sd^ bitte @ie barum, beüor @te fid^ morgen
auf bie 3agb begeben, fdE)reiben (Sie mir ein 3Bort, jur @r::
Ilätung ber ßonftitution". Unb ber 6l)eöalier jeinerfeits be=
fd)reibt bie ®räfin wie folgt: „®iefe grau ift wtrflid^ oufeer»
orbentUd^. ©enfen Sie jid^, bafe eS nun gwanjig ^affxt ftnb,
feit jte jtd^ mit ©ntmerfung einer 6onftitution befd^äftigt, feit
fie alleö üorl^ergefagt l^at, waS jid) nun erfüllt, feit jte bereit
ift, für baö Gelingen il^re§ ^lanö ben legten ©lutötropfen ju
öergiefeen. Sl^re Äräfte jinb erfdE)öpft, il^re Sruft fd^wac^, i^re
©efunbl^eit elenb, il^re ©eele aber erfe^t SHIe§. . . . SBenn
man mir glaubte, würbe man ii)x eine ©tatue errichten."
3)ie Slrt, wie bie ®räfin il)re politifd^en ©isfufjtonen fül^rt,
läfet ©uarb jie alfo fdE)ilbern. „3^ l^abe jugletd^ ben 6rj»
bifd)of öon 9i., ber feinen @tanb ganj wal^njtnmg Der*
tl^eibigt, unb ben Saron 3c., einen unwürbigen ^öjling, ange»
griffen. Sie l^aben mir beibt bie fc^ werf alligen , altl^erge«
brad)ten ©inwürfe oergilbter Gl^ronifen unb ber alten ©cneral«
ftaaten über bie 9^ot^wenbigfeit jener politifc^en Qrox\ä)tnWtptv
unb focialen Slbftufungen gemadE)t, an bie man, ol^ne bie 9Ron«
ard^ie ju erfd)üttem, nid^t rühren bürfe. 9lid^t einen cinjigcn
ber oielen gJemeinplä^e, mit weld)en man eine fo elenbe S^efc
ftegreic^ öertl^eibigen ju fönnen glaubt, l^aben jte öergeffen. Sd^
aber l^abe il^nen il^re ®ejd^idE)te granfreic^ö furjweg geleugnet;
id) ^abc erfldrt, bafe unfere ®ebräud)e barbarifc^, unfere ®efe^e
abfurb feien, bafe wir eine ßonftitution befommen muffen, unb-
ba jte mir mit einiger SBegwerfung wiberfprac^en , l^abe td^
erwibert, bafe ba§ 33olI 3ll(e^, jte aber gar nichts feien, nx\b
baß e§ jtd^ üießeic^t entpfel^len würbe, bie 3Ronard^ie abju»
») Suard, Melanges de Litterature, IV, 201—212.
^ E. et J. de Goncourt, Histoire de la societe fran^aise pendant
la R^Yolation, 15.
*) Dumont, Souvenirs sur Mirabeau, 44.
1
©umont über bic ©efeUf^aft. 337
fc^affcn. üReine SÄuttcr [tanb l^ierauf üom @tul)l auf uitb !
öcrlicfe baS 34"^"^^^; ^^^^ SSater errötl^ete unb blidfte mir {
fd^arf ins äuge; meine ®egtter fd^wiegen, unb nad)bem ic^ üon
ber SSoDftänbigfeit meines @iege§ mid) fiberjeugt l^atte, eilte
teil fort in bie Dper" ').
%üx baö 5ßorträt ber ®rafin 33. in biefer ^arobie t)^v^
iDcnbete ©uarb bie QiiQt ber ®räfin Seffe^), aber mand)e 3[n*
bere fonnte jtd) barin tt)iebererfennen. 3)ie Situation erfd^ien
ben meiften Scobad)tem bereits fo ernft, bafe jie nid)t mel^r ge«
neigt n)aren, il^re fomifd^e (Seite l^eröorjulieben. „6§ ift um
möglid^'', bemerlte ber im republilanifd)en ®enf aufgcmad^fene,
alö 6rjiel^er ber ©öl^ne öon Sorb @l)elbume unb fpätern
SKarquiS oon SanSbowne an bie freijinnigfte Sluffaffung ber
))olitifd^n Slngelegenl^eiten getoöl^nte ©umont, „e§ ift xmmöglid),
ftd) eine SSorfteHung üon ber SSerwirrung ber Sbeen, ben SluS«
fdjweifungen ber 6inbilbungSlraft, ben Säd)erlid)feiten ber üolfs«
tl^umlic^en S3egriffe, ben Hoffnungen, S3efürc^tungen unb geiben-
fd^aftctt aller Parteien ju mad^en". ,,3»an glaubte", meinte
®raf SauraguaiS, „bie 3BeIt am S;age nad) ber ©c^öpfung gu
feigen" ^). „®ie l^eftigften, fonberbarften unb fd)äblid)ften ©d^riften
fal^ren gu erfd)einen fort", notirte SWaHet bu ^an in fein Sage»
fiud^. „Sl^re aSerfaffer Italien eS für möglid^, in fed)S SKonaten
bie l^öd^fte SSoßenbung in SSegug auf eine SSerfaffung gu er^^
reid^en, eine abfolute 3Ronard^ie in eine SRepublif gu üer»
wanbeln unb freien SBöIfern nad) ben SSorfc^riften beS §erm
ßacretctte bie fd^önften gel^ren gu geben. Sn biefer 3Waf[e oon
^antpl^leten entbedt man meber gn^ei übereinftimmenbe Sbeen
nod) gtt)ei übereinftimmenbe 5ßläne. Sa§ Itebermafe ber Wü^^
bräud^e ber Slutorität l^at bie je^ige ÄrijiS Ijerbeigefül^rt; baS
t
338 fSRaUtt bu $an unb ®raf Sofepl^ be aRolftTe.
Ucbcrmafe bcr SRcftamationcn unb SBorfd^lägc tt)lrb flc öcrgcblid^
ntad^cn" 0-
®ang fibcrcinftintmcnb mit 5KaDct bu $an jd^ricb ©rimm
/ mit frcimütl^igcm @d)arfbHdE: ^3^ fcl^c alle Sage getoöl^nlid^e
3Rcnfci)en ben SKonard^en feiner $rärogatiöen mit weniger Se^
beulen berauben, als xotnn eS ftd^ barum l^anbette, eine i^rer
$](|rafen gu opfern. 3Bann wirb man aufboren, bie Elemente
1 ber ®efellfcl^aft wie jene eineö geometrifc^en Problems gu be^»
l^anbeln" 2). @§ begannen fc^on bie prop]^etifci)cn SBortc ftci^
gu erfüllen, mit weldjen, in ber ©nfamfeit feiner l^eimatl^Ud^en
Serge, ber nod^ unbefannte ^räfibent be§ ©enateS öon ©aöo^en
1784 feine ÄoHegen empfangen l^atte. „©er ß^töningSgeift
unfereS ^alfxJ^nnbtxt^*^ , fo lauteten jte, „](|at nici)t§ öerfd^ont;
; ©efe^e, ©itten, altel^rmurbige Snftitutionen, er l^at 3ine§ ange*
1 griffen, 8tHe§ erfd)üttert, unb bie SSerl^eerung wirb unfere Se*
l fflrd^tungen nod^ übertreffen"^).
3llS ®raf @egur, öon einer biplomatifdjen SDKfjton naci^
$ari§ gurücfgefelirt, bie ^auptftabt nad) mel^rjäl^riger 3lbwefcn*
l^eit wieberfal^, fonnte er ftd^ beS 6rftaunen§ über bie öott*
gogene 33eränberung, aud) in focialer Segiel^ung, nid^t erwel^ren.
3)er atticiömuS, bie öoHenbeten Umgangsformen unb bie rüdE*
jtd)tSooHe ^IWäfeigung ber alten S^age waren f d^on nid^t mcl^r gu
finben. ®ie politifd)en Seibettfd)aften l^atten bie ©alonö in
Sirenen oerwanbelt. g^bermann fprad^ laut für jtd^ unb l^örte
nid^t mel^r auf bie Slnbem; „bie grauen", fäl^rt et fort,
„mad)ten barin feine SluSnal^me, unb unter ben anjtel^enben
: ober bebeutenben 6rf(^einungen ber Jungen ©eneration cnt«
faltete befonberS eine, bie SSaronin ©tael, eine fo au^erorbcnt*'
lid)e Schärfe ber ©ialeftif unb Serebfamfeit, bafe nur fel^r
1) Hallet du Pan, Analecta sur PHistoire du temps. Unebirte
gamilienpapierc, 0?ot)ember 1788.
2) Grimm, Correspondance litt^raire, XIV, 319.
^) Comte Joseph de Maistre, Discours k la rentree du S^nat
de Savoye, 1874.
grrau tyon ®tael. 339
mettige 9lebner eS mit i^r aufgunel^men t)ermod)ten, ba jte nid)t
nur in (grftauncn gu je^cn, fonbem aud^ gu übcrgcugcn unb
l^ingurcifeen wufetc''^). 2Ba§ @^gur fd)on als einen SJerluft
cnU)fanb, war fein fold^er für %xavi üon @tael, bie gu jung war,
um ben SBed^fel gu ffll^Ien, ber aud) in gefeüfc^aftlid^er Se*
giel^ung ben Uebergang auö bem Sfieid) ber Sl^eorien in ba§
®ebiet ber Sl^atfad^en begleitete. %nx pe war bie SBenbung
gcfommen, bie nid)t nur über bie geiftige SRid^tung ber ^erfön«
Ud^lcit, jonbem aud^ barüber entfc^eibet, ob bem SebenSfd^iff
bei SBerlaffen beö ^afenS ein mflj^fameö Äämpfen wiber ben
Strom ober eine glfidElid^e Sal^rt, mit ben t)oHauögef:pannten
Segeln l^offnungSfreubiger SJ^atfraft unb erwiberter S^ntpat^ien
beftinrait tft. Unb je^t wenig[tenS ftanben bie Qtiäim ii)x
gfinjHg. SBaö auc^ fpäter fommen mod^te, ber Slugenblid über«»
bot il^rc fül^nften Sräume. 3ln ber Spi^e beS Staates ftanb
il^r 3Sater, unb il^re begeifterte Siebe für il^n tl^eilte eine
gange Station. Ueberall tönte i^r fein 5ftame entgegen, fanb
Pe fein Silb wieber, unb bie l^ödbften Qxotdt be§ ©afeinS,
baj5 ®lüdE eines SSolfeö, bie Hoffnungen ber greil^eit unb
ber Swiunft üerlnilpften pd^ für pe mit ben tiefften, J)d^
ligften ®efü^len beS §ergenS. Unb baS gu redE)ter Qtxt, im
grfil^ling beS SebenS, in ber SSoHfraft il^rer üierunbgwangig
Saläre, wäl^renb bie 9Kufe il^r winite unb il^ren Sug^nblodEen
Ärftnge bereit l^ielt, bie fo oft erft bie erfaltete Stirn berül^ren.
fjür StaHe^ranb war, wie fd^on gefagt, baS l^öd^fte SJlafe gefeH*
fd^aftlid^en ©enuffeS in ben Salären unmittelbar oor ber 3fle=
oolution erreid^t. ^r Srau öon Stael begeid)net e§ bie
Sal^reSgal^l 1789, benn niemals, fagt pe, feien mel^r ®eift
unb eine größere inteHeftueße Slegfamfeit gu Sage getreten. Sin
ber großen QoX)\ üon Talenten, weld)e unter bem ©inbrud ber
bamaligen SSerpltniffe pd^ entwidelten, laffe baS pd) ermeffen.
SRie fei bie ®efellfc^aft gugleid^ emfter unb glängenber, als in
») Comte de Segur, Memoires, II, 212—214.
340 ^^^ poUmtt @ianbf)unlt
ben brei ober üier S^l^ren öon 1788 btö 1791, in Icincm
iJanbe unb gu feiner 3^^^ ^^^ ^n\t ber Sftebe in Jcglid^er Sorm
bebeutenber gewefen^). @o trat jte, angeregt unb mitiöirlenb,
felbft mit fortgeriffen unb Rubere wieber bcgdftcmb, in bie
Sewegung ein, wo bie Stelle, bie jte auSfütten jottte, il^r
längft Dorgejeid^net war. ®ie poIitifd)en ©oftrinen öon fjtau
üon ©tael l^aben jtd^ mit ben Umftänben mobijtcirt. ©ie 3^*;
üon tt)eld)er l)ier bie fRtbt ift, weife, wie fd^on bemerft, wenig
ober nid)t§ Don ber großen conftitutioneHen Sl^eorie ber ßon-
I ftberation§ ; bie ^rau, welche bie Sleöolution burd^Iebtc, ift eine
anbere ate biejenige, weld^e bie Sfteöolution ergäl^lt, unb bie
gereifte (Srfal^rung üon 1816 fpricf)t eine anbere ©prad^c ate
bie iugeublid)e @d)Wämterei öon 1789. Slber fo fel^r aud^
ba^ 6rlebte auf i^re ®ebanfenrid)tung einwirfen fottte unb
mufete, fo unöeränbert blieben i^re S^mpatl^ien. ©ie gel^örten
bamalö unb fpäter jener @xu)ppt üon ©belleuten, für weld^e
fie nie aufgel^ört l^at, e§ al§ SSerbienft unb ©i^re ju be«
anfprud)en, ba§ jie e§ waren, weld^e bie SReöoIution be*
ganuen^). ^anb in §anb mit i^rem l^o^en SSegriff ber %xtU
ifcit ging bei grau üon ©tael bie Ueberjeugung, bafe eine
äteöolution ju il^ren ®unften nur bann gelingen fonnte, wenn
bie ©belften unb Seften üoranfc^ritten unb ber 3ttM>iil^ öon
j £)ben fam. ®er grofee ®ebanfe aller reformatorifd) ®eftnnten,
I oon aSauban unb g^nelon bi§ S;urgot, war noc^ ber gcwefcn,
i bie itrone jur Sleform gu oerpflid)ten unb bie nationale 3Ser*
tretung nid)t el^er ju berufen, al§ biö il^r eine üon ben
@d)laden befpotifd)er ®ewalt befreite SKonard^ie entgegentreten
fonnte. ®ie junge ©eneration, in beren 3!teil)en ^au öon
©tacl ba$ ^^Jroblem ber 3wfunft mit gu löfen oerfud^te, greift
in ber focialen ^ierard^ie fd)on um eine ©c^ic^te tiefer. SBenn
e§ nid)t gelang, ben Äönig ju gewinnen, fo mufeten bie
') Madame de Stael, Considerations. Oeuvres, XII, 385.
^) (^benbafelbft, Xll, 54 unb 132.
Sl^r Uttl^eil übet bie fran3örtf(i^e ©efd^i^te. 341
(SbcUcutc öorangcl)cn, jene liberale Sugenb üon 1789^H)eld)cr
fftcnan baö SBort, fte l^abe bett Segriff beiS SBaterloinbö ge*
fd^ciffen, auf bie Sippen legt, „bie ©lermont^Sonnerre, bie SaU^»
a4)Eenbal, bie ßritton, bie ßafteHane, bie Sa Sftod^efoucaulb, bie
Soüloitgeon, bie Sa iJa^ette, bie SÄontmorenc^, beren felbftlofe
Eingebung", wie %xa\x öon ©tael, bieSmal in Uebereinftimmung
mit ©ie^^S, fpäter fd)rieb, „nie öon ben SKännem be§ Sierö
flbertroffen U)urbe" ^). ®a§ SSerftänbnife für bie SSebeutung unb
bie Serpflid^tungen einer ftarfen, unab^ngigen, geiftig unb po=
litifd^ mächtigen SIriftofratie liegt il^rer gangen Sluffaffung ber
franjöfifd^cn ®efc^id^te wie it)xtx aSorliebe ffir bie englifd)en 3«* !
ftituttoncn gu ®runbe. Sn tl^ren äugen ift 9lid)elieu ber böfe \
®eift ber Station, weil er bie Slriftofratie üemicfttet unb bie ntäd)* |
tigen SBafaHen ber Ärone gu Höflingen erniebrigt l)at. @ie j
inad)t feinen ©efpotiömuS für bie ß^^törung ber Originalität i
unb So^alität beö frangöjifd^en (Sl^arafterö l^aftbar unb gel^t ■
fo weit, ben großen SÄinifter einen S^emben in granfreid) gu j
nennen 2).
6ö wirft beinal)e fomifd), wenn fte il^ren 33ater gegen
ben SBerbac^t, 5Rid)elieu äl^nlid) werben gu fönnen, wie gegen
btn fd)werften SBorwurf üert^eibigt^). 3Bäf)renb ber eingige
Staatsmann ber erften ^l^afe ber 9fiet)olution ben SJlinifter
aufforbert,. gcrabe biefe Slolle gur 9fiettung SlHer gu über*
nel^men*), etflärt 9ledfer faft gleid)geitig unb im SBoUgefü^l
feiner jtttlid)en Ueberlegenl^eit bem Äönig im Sauf einer Unter*
rebung über bie (Situation, ba§, „wenn je ber ®ang ber &x^
eigmffe einen SSJlagarin ober Stid^elieu erforbem foHte, er jtd^
^) Madame de Stael, Consideiations. Oeuvres XII, 352 unb
I, 54. Siey6s bei A. Cherest, II, 255.
2) ebenbafclbft, XII, 36. 38.
•^) Madame de Stael, Du caract^re de Monsieur Necker et de sa
vie privee. Oeuvres XVII, 40.
■*) Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et la Marck, I, 350,
»rief Dom Wai 1789.
i
342 3(y Urtidl übet bie franabfif^e ®ef4i4«e.
nid^t mel^r jum SRinifter eignen würbe ^). SHefelben Sin»
fid^ten beftimmen baS Urt^eil Don grau Don Sto^I fiber
gubwig XIV. unb bie SKonard^ie in fjranfreid^. ©ie grofee
f^rage beS 3:aged, ob bad Sanb eine SSerfaffung befi^e, beant^
loortet fte bal^in, bag t& ti)tH^ nad^ altem Sroud^ unb ^r«
fommen, tl^etlS nad^ äBillfür, niemals aber nad^ fefien ®efe^en
regiert morben fei. 2)ie fogenannte @onftitution bei 9teid^8
beftel^e nur in ber ©rblld^Ieit ber Kniglic^en Gewalt, feine
®efd^idt)te in ben fortgefe^ten aSerfud^en ber Station, fld^ Siedete,
unb beö Slbclö, ftd^ ^öilegten gu ftdtiem, wäl^renb blc Könige
ben SlbfolutiiSmuS einfül^rten^). @d entgeht i^r nid^t, oelc^
ungel^eurcn ®efal^r ein Staub auögefe^t ift, ber gugleid^ beoor«
gugt unb überßüfftg geworben, bie @iferfud^t nod^ l^eraudforbert,
nadl)bem er bie 9)lad)t oerloren l^at. @ie gweifelt feinen SUtgen«»
blicf, bafe ber frangöftfd)e Slbel Privilegien opfern mn%, aber
fte toiU il^n burd^ SBiebergewinnung ber politifc^en SRad^t baffir
entfd^äbigt wiffen, unb rechnet babei, nid^t auf ben nicbcm Slbel,
ber burd^ ®elb ober Seroilität feine Sitel, Sßatente, ^enfionen
ober ^frünben erworben l^atte unb mit il^nen feine gange 93ebeutung
oerlieren mufete, fonbem auf bie alten l^tftorifd^en ®ef(^led^ter,
wcld^en fte bie SebenSfraft gutraut, nad^ bem SKufier ber eng«»
lifd^en Slriftofratle gum großen nationalen ^atriciat gu werben,
baS unabpngig oon leeren @tanbeS « äSorurtl^eilen unb beleibt«
genben aSorred)ten willig feine SReil^en febem 33erbienfi auf*
fd^liefet»). SEBie in ber ibealen SBelt be« 2)idt)ter8, auf ben
Srettern, weld^e bie 3Belt bebeuten, &ö^ unb Äarl SRoor, ^tSto
unb ^of a e§ ftnb , bie bem neuen ®ef c^ledt)t atö gül^rer auf bem
SBeg nad^ aRenfd^englüd unb ^reil^eit ooranfd^reiten, fo foDten,
nad^ ber Sluffaffung oon grau oon Staöl wie nad^ ber il^rer
^) De radministration de Monsieur Necker, par lui-meme. Oenyres,
VI, 183.
*) Madame de Stael, Considerations. Oeuvres, XII, 147—- 151
3) ebenbafclbft, Xlf, 171-190 unb 201.
3)^ Stellung dU mtahtaü. 343
gfrcunbc, au(S) blc SRac^fommcn bcr alten fränfifd)cn Eroberer,
nun, tDO bie Stribfine ba& ©d^lac^tfelb unb bad SBort baS
©d^wert crfc^c, bcr neuen 3^^ öorangel^en unb iJranfreld^
ivm itmtm SSRal in Seft^ nel^men. S)iefe SKuSfül^rungen jtnb
bcn ^^ßonflb^rationö" entnommen, aber ble ®ebanfen, meldte
il^nen gu ®runbe Hegen, maren 1789 fo lebenbig in il)r, bafe
fle fld^ poetifc^ geftalteten, unb baS ®rama „SRontmorenc^"
migefäl^r jur felben 3^^* entftanb, mo SaUg bie Stragöbie
„etrafforb'' fd^rieb^) unb 9Karie Sofepl^ (Spanier „Äarl IX.",
ba« S)rama ber Sartl^olomäuSnad^t, bid)tete, meld^eS ben Sluf
Salma'S begrflnbete unb ber Slntl^eil beS Stl^eaterS an ben ©r^^
eigniffen beS erften SReöolutionöjal^rS ift. 3)er „SKontmorencq"
wn %t(m twn ©taöl würbe nid)t gegeben unb jpäter and) nic^t
öeröffentlid^t, aber guweilen pflegte jte baS StüdE im %xmnbt^^
freife öorjulefen. Unter anbem lernte e^ fo ber 9iad)folger
öon S^fferfon als ©efanbter ber SBereinigten (Staaten in SßariS,
©ouöemeur 5IRorri§ fennen, ber ben ©inbrud bel^ielt, bafe bie
aSerfafferin nod^ beffer fd)reibe als öortrage unb ber (S^arafter
SWd^elieu'S mit großem ®efd)id entworfen fei 2).
©iefelbe ©ejtnnung, bie jte beftimmte, ben SBiberftanb
gegen ben 35efpotiSmuö ber Ärone im ftebgel^nten gafirl^uttbert
gu öerl^errlid^en, oeranlafete jte, gu entf d^ulbigen , maS jte
fonfi niemals öergiel), unb wenn oon 3Rirabeau bie SRebe ift,
mel^r ate einmal gu oergeffen, ba§ jte 00m größten ®egner
tl^reS aSaterS fprid^t^). ©S beftel)t fein 3tt)eifel barüber: wäre
fjrau öon ©taöl nid)t 5fteder'S Zo&)kx gewefen, fo würbe jte
©emjenigen fid^ angefd^loffen l^aben, ber wie fein anberer ben /
®eniu8 ber SReüolution barfteHte, fo wie f^rau oon ©tael 1789 /
') Madame Neck er, Melanges, II, 157.
*) Jured Sparks, Life of Gouverneur Morris with selections from
his Gorrespondence, I, 356.
8) Madame de Stael, Considerations. Oeuvres, XII, 209. 260. 262.
302. 314. 403. 405 unb De Popinioii de la majorite de la nation, Settund^«
ortlfcl öon Stnfanö 1792. Oeuvres, XVII, 324—325.
344 ^^^ ^^^^ iRedfer?
bic SReüolutton öcrftanb. @o lange ÜRirabeau lebte, blieb
il^r Sluge auf feine Stitanengeftalt gel^eftet unb feber SRero in
il^r für fein eIeftrif(f)eS SBort entpfänglid^. Sie bewunbernbe
Suftintmung für bie politifd^e Haltung if)reö SSaterS rettete jte
nur burd^ ben ©opl^iSmu^, bafe er qI§ Staatsmann gemottt
l^abe, tt)a§ ber ariftofratifd)e SSolfötribun begel)rte.
Unb maö tt)oKte ^ßeder? 3« ^^^ beiben Sd^riften, bie er
wäl^renb ber langen 9tuf)epaufe jmif^en feinem erften unb feinem
gweiten 9JJinifterium fc^rieb, pnbet fid^ feine 3luöfunft barüber.
®a§ 33ud^ über Slbminiftration ber ginangen jeigte bie frül^ere
aSorliebe unb Setüunberung für englifd^e Snftitutionen, 01^"^
etwas 9leueS barüber gu bringen ober bie fjrage il^rer lieber-
tragbarfeit auf franjöjifd)e S^^ftönbe gu erörtern^). ®aS SBerl
über bie SBic^tigfeit ber religiöfen 9)leinungen befprad^ bie un:'
gel^eure fociale ®efal)r einer irreligiös geworbenen SBeltanfdiauung
unb erl^ielt ben $reiS ber Slfabemie im Slugenblidf, »o fein
33erfaffer 9Kinifter mürbe 2). 3lber fo fel^r eö ben ©enfer unb
ß^riften el^rt, mit fotd)en fragen in einer fold^en ß^it fid^ be«*
fd^äftigt gu l^aben, fo mar baS nur möglid^, menn baS ungel^eure
Problem ber SRefonftruftion ber SWonard^ie ben Staatsmann nic^t
abforbirte. 6rft feine fpätern @d)riften befc^äftigen ftd^ mit bem
poHtifdi)en ©Qftem, baS er als SWinifter ptte burdE)fül^ren foKen.
©ie SBereitmilligfeit , mit meld^er er bei Uebernal^me feines gtt}citen
SJJinifteriumS ben frül^eren 3Biberftanb gegen bie Serufung ber
©tänbe aufgab, murgelte in feiner üeränbcrten Uebergeugung.
®enn fpäter ift er mieberl^olt barauf gurücfgefommen, bafe bie
Ueberftürgung , mit metd)er bie ©eneratftaaten öon ber SRegie»
\ rung üerfprod^en mürben, unb bie Ungebulb, mit melc^er bie
' Station bie 3luSfü^rung ber eingegangenen aSer:pfIidl)tungen
forberte, @d^ulb an aßem fpätern Unl^eil trage. „Sie ©e*
putirten", fagt er, „ftnb gufammengetreten , ol^ne ba| Semanb
^) Neck er, Oeuvres, V, 598.
^) Grimm, Correspondance litteraire, XIV, 136.
Söa« mute «Redet? 345
Seit gcl^abt l^SAtt, ftd^ auf eine \o n)id)ttge @ad)e gel^örig öor=
zubereiten" *). „SBaruni", fügt er l^inju, „foUte ic^ üerfd^weigen,
imfe tnetnc erften unb legten ©ebanlen ftetö einem Kegierungö* I
f^ftem gflnftig waren, mit tt)eld)em »eber ble nad^ brei
©täuben gefonberten ®eneralftaaten nod) irgeub ein anbereö
Snftitut ber alten 3Monar(f)ie gu Dergleichen jinb"^).
©iefeS 3fiegierung§f9ftem war baö conftitutioneHe nad) eng«
Itfd^em SBorbilb, geftü^t auf eine ftarle, mäd)tige unb einflufe* i
rcid)e Slriftofratie, ol^ne bie aud) 9lee!er bie gemäßigte ÜRon- j
ard)ie gar md)t fflr moglid^ l^ielt. @in SÄilitärabel |d)ien
tl&m gefätirlid^, ein ^Jinanjabel gu üielen SBed^feln unterworfen;
er woHte btn ©rbabel unb eine in jwei Kammern gefc^iebene
33ertretung, weil er üorau^fal^, bafe, Dom Slugenblidt an, wo
bieö nid)t gelang, baö Verlangen nad) ®leid)l^eit über ben Se*
griff ber ^eil^eit ben Sieg baüon tragen werbe ^). Stile fpäteren
©reigniffe l)aben bie 9üd)tigfeit biefer a[nftd)t beftätigt. iJeiber
tl^at Sßedfer nid)t§, um jte burd^gufe^en, obwol^l er ben 3^^^= ,
punft üor bem 3iif<^«tmentritt ber ©täube al§ benj[enigen be=
jeid^net, wo e§ bem energifd)en SBiUen be§ ÄönigS, wäre ein
fold^er üorl^anben gewefen, gelungen wäre, bie grage in biefem ■
©inne ju entfd)eiben^). ®er Äönig t^eilte aUerbing^ bie Sintis \
patl^ie feineö ganjen §aufe§ gegen bie englifd)en Snftitutionen^), :
wenn er aud) barin nid)t fo weit wie fein Sruber, ber @raf
öott SlrtoiS, ging, ber nod^ unter ber SReftauration äußerte, e§
fei beffer, ^olj ju fägen, al§ unter ben 33ebingungen eineö
englifc^en SÄonard^en Äönig gu fein.
SIber eö gab anbere ®inge, g. 33. bie ©eneralftaaten felbft
ober bie 35Bieberwal^l 3fledfer'S, in bie Subwig XVI. gegen feine
*) Necker, De la Revolution fran^aise, 1796. Oeuvres, IX, 126—
128 u. 145.
2) ebenbafelbft, IX, 131.
^) Necker, Derniferes vues de politique et de finance 1802. Oeuvres
XI, 240.
\. *) ebenbafelbft, XI, 132.
*) Necker, De la Revolution fran^aise, 1796, IX, 132.
i
346 9Bad tuoHte Siedet?
Steigung gen)illtgt l^atte, unb ein äßinifter, ber ben banfrotten
@tQat fibemal^m, befag tt)ol^I ba^ Siedet, ein $rogtamnt in
S3or[d)Ia9 ju bringen unb eine Meinung ju l^aben. S)aB
Sieder bieö nid)t einmal Derfuij^te, lag Diel weniger in ben SBcr«
l^ältnif[en aU in feinem Sl^aralter. @r nennt fid^ felbfi unent^
fd)Ioffen unb ju SBebenfen geneigt^). UebereinfHmmcnb ba«
mit fagte grau öon ©taäl üon il^rem SSatcr, er fei burd^
Sl^aralter rok bmä) ©eifte^Sanlagen t)eranla6t n)orben, bie
Umftänbe abiun)arten unb il^nen burd^ leine Sntfd^eibung Dor«
gugreifen. „SBebenfen l^atten über il^n bicfelbe ©ewalt, wie
über Slnbere bie ßeibenfd)aft. S)ie ©rwögungen fcincS SSer«
ftanbed unb bie Sebl^aftig!eit feiner @inbilbungdlraft Derfe^ten
il^n jun)eilen in einen S^ftcinb franll^aften Qö%tm&. 2>a}u
pflegte er ftdt) leidet ebcnfo bittere atö ungered^te SSorwürfe ju
mad)en''. f^rau t)on @tael fe^t fid) !einem äBiberfprud^ au8,
wenn fte bem ©efagtcrt l^injufügt, „wiber SBiKen, unb nur
burd) bie Umftänbe gejwungen, l^abe Stecfer 3U ä^eränberungen
in ber poUtifd)en Drganifation ^anfreid^S bk ^anb geboten" ^).
Sl^rer @d)ilberung entfprid)t feine ^anblung^meife Doülommen.
@r Derfäumte nid^t nur leine @elegenl^eit, baran gu erinnern,
bag er bei Uebemal^me beS ^inifteriumiS btn StonxQ unb feine
Sftatl^geber burd) il^re 3Serfpred)ungen, unb burd^ bk Hoffnungen,
bie fte erwcdtt l^atten, gcbunbcn fanb^), fonbem er »ie« bie
barauS fid) ergebenben SSerautmortuttgen aud^ bann nod^ gurädf,
atö feine (SteKung e^ it)m gur $flid^t gemad)t l^atte, 2n)ifd^en
SSal^rung ber il^m ant)ertrauten löniglid^en Slutorität unb ben
SBünfd^en ber 3lation ju vermitteln. ®ie Stagcn, bereu @nt»
fd^eibung bröngte, betrafen bie geeignete Qafjl ber Slbgeorbneten
0 De radministration de Monsieur Necker, par lui-meme 1791. OeuTres,
VI, 88.
^) Madame de Stael, Gonsiderations. Oeuvres, XII, 66 — 67 u.
69 — 70 unb Du caract^re de Monsieur Necker. Oeuvres, XVII, 39.
^) Neck er, De la Revolution fran^aise, 1796. Oeuvres, X, 58.
Madame de Stael, Du caract^re de Monsieur Necker etc. XVII, 41.
^ie aioeite Berufung bet fflotaUln but(i^ 9ltdtt. 347
im ©ongcn unb in icbcm bcr brci ©tänbc, bic ©röfec bcr
aBal^lbcjirfc, bic 2lrt unb SBcifc bcr Scitung bcr SBal^Icn, bic
«cbingunflcn bcr SBa^lfä^igkit unb SJÖäl^Ibarlcit, bic gorm
bcr Slbfümmung unb Slbl^altung bcr aScrfammlungcn , in
wdd^cn, nad^ altem ^crfommcn, bic Aufträge bcr SBäl^Icr
an bic äbgcorbnctcn aufgcjcid)nct mcrbcn f otttcn ^). Ucbcr einen
biefer 5ßunltc ftanb Slcrfcf« pcrfönlid^c anjtd)t fcft. ©r moHtc
bcm SEicr« bic boppcitc ß^i^l ^on SIbgcorbnetcn bewilligt »iffen
unb l^iclt CS nad^ bcn SBortcn öon Stau Don ©tael nid^t für
moglid^, „bm Äönig baburc^, bafe er jtc öcrmcigcrtc, bcm
SSormurf bcr Ungercd)tigfcit unb einer gcfäl^rUd^cn Unpopularität
auSgufe^en" 2). UeberbicS l^attc er biefe boppcitc 25crtrctung
bcn $rot)ingiaIt)crfammIungcn fd^on gugeftanbcn unb n)ar in
Solge bejfcn faum mel^r in bcr Sage, jtc für bic ©cncralftaatcn
gu öcrweigcm. SBcnigcr beftimmt bagcgen waren feine Sbeen
barüber, ob bic SBäl^lbarlcit , wie Surgot c§ gewollt l^attc^),
an feftc Sebingungen bcö SBejt^cS unb an ein beftimmteS @in«
tommcn gcfmlpft fein foKtc. ßrft ate er aufgel^ört l^attc, SMi-
nifter gu fein, crllärtc er bicö für abfolut notl^wcnbig*), meinte
bann aber in einer fpätcren ©d^rift wiebcr, bic gcftftellung
fold^cr aSebingungen wäre in ^t^anfrei^ bei bcm Swft^iit^ beö
©tcucrwcfcnö nid^t burd^fül^rbar gewefcn unb würbe überbicS 1
bcn armen ^ßfarrflcruö, bcr nid^tS befafe, unb üicic bcr fäl^igftcn 1
ÜRitglicbcr bcö Sicrö auögcfd)Ioffcn ^aben, wcld^c bic bcmütl^igcnbc \
SBebingung bcr S^^Iw^Ö ^^^ SaiHc öom ßrwerb öon ®runb t
unb aSoben abl^iclt^). älö SKinifter aber tl^at er aud^ in biefer j
*) Sefer, SJetfct'S atoeitcS SWiniftcrium, 71, nad^ htm Proces-verbal de
Tassembl^e des notables tenue ä Versailles, en Tann^e 1788, 74—79.
^) Madame de Stael, Du caractäre de Monsieur Necker. Oeuvres,
XVII, 41.
^ Lavergne, Les Assemblees provinciales, 8.
*) Necker, Du pouvoir ex^cutif dans les grands Etats 1792. Oeuvres
VIII, 578.
*) Necker, De la Revolution fran^aise, 1796. Oeuvres, IX,
«7—89.
348 ^i<^ 3^^^^ 8erufnng bei 9{otabeIn hmd^ 9ltdtx.
SRid^tung nid^tö, um bie franjöjtfd^cn 3uftänbc feinem poKtifd^en
Sbeal ber brittifdöen ßonftitution naiver ju bringen, fonbern er
tarn auf bcn unglüdflic^en Oebanfen, eine 3toeitc äSerfommlung
öon 5RotabeIn ju berufen unb il^nen bie ^^ftfielfamg ber SBol^t
gefe^gebung gu überlafien. 2)iefer ©(j^ritt il^reS SSaterS wirb
felbft öon grau üon ©tael nic^t üertl^eibigt unb öon S^ier^
ber 3tbjtd)t jugefd^rieben, ba^ Slnfel^en ber erften beiben ©tänbe
JU ©unften ber ^one gu öemid)ten^), eine 8[nfd)ulbigung,
meldte audb bie äufeerfte Siedete nie aufgel^ört l^at, gegen SIedfer
gu wieberl^olen. ©erec^tfertigt ift bie Unfd^ulbigung fd^on
be^l^alb nicl)t, meil bei biefer Oelegenl^eit bie Berechnungen be§
9Kinifter§ fel)lfd^lugen. 2)er Äönig nämlid^ l^atte, atö er in bie
Serufung ber 9lotabeln willigte, bie Sebingung baran gefnöpft,
ba^ \i)xt Seratl^ungen in feiner SBeife beeinflufet werben fottten.
^®iefe 6mpfel)lung beö "Stonaxäjen" , fd^reibt 3lecfer, „fd)ien mir
burd^au^ nic^t in SBiberfprud) mit feinen Sntereffen. SRan
gewann baburd) ^dt, ben ®ang ber öffentlid^en SReinung gu
ftubiren, il^re gortfd^ritte gu beobad^ten unb il^re Ärfifte gu
bered)nen. Unb inbem bie Seratl)er beö Äönig§ bie 9lotabeIn,
ol^ne jtc^ eingumiid)en, öerl)anbeln liegen, fidjerten jte htm
2Ronard)en bie @elegenl)eit, ein wenig mel)r al§ biefe gu @un*
ften be^ Sierö gu tt)m"^). 3Jlit anbem SEBorten, 5RedEer . woDtc
3eit gewinnen unb feine Popularität wal^ren, ol^ne beSl^alb
mit ben beiben erften Stäuben gu bred^en, bereu er gur 6r*
rid^tung feinet gufünftigeu politifd^en Oebäubeö gar nid)t cnt*
beirren fonnte.
Unter biefen SSoraueje^ungen traten bie 5RotabeIn am
6. 5toDember 1788 ein gweitee 2Ral gufammen unb ftatt beiS
©iegelbewal^rer^ Sarentiu legte 9terfer, ber fid) biefe§ 9fted)t
0 Madame de Stael, Considerations. Oeuvres, XII, 178. Thiers,
0
flistoire de la Revolution francaise. Edition de Bruxelles 1838, I, 17.
-) Necker, De la Revolution fran^aise, 1796. Oeuvres, IX, 87.
iRedet getuSl^rt bie boppelte Vertretung bed %itt&. 349
oUiSbrfidflid^ üorbel^alten l)attc^), il)ncn bie ©rgcbniffc bcr 5fladö*
forfdöwnß^n bcr Sftegierung über bie Silbung ber Stcid^öftänbe
unb bie Stage t)or, ob jte an ben alten Ueberlieferungen unücr«
änbcrt fcftl^altcn ober nic^t oielmel)r, nad^ beö ÄönigS SBunfd^,
bie Sebürfniffe ber ©egenmart babei berücfjtd^tigen rooHten^).
Sn bem ©utad^ten über bie ganje SBai^Igcfe^gcbung foßten pc
Pd^ barübcr entfd).eiben. ®ie 3lotabcln waren in Scjug auf
bie wid^tigfte ffragc, bie ber boppelten SSertretung be§ Sierg,
infofem nid^t weniger gebunben alö nieder, alö pe biefelbe im
öorl^ergel^enben ^af)x ben 5ßrot)iniiaIoerfammIungen jugeftanben
l^atten. Seit ber ^tit aber war in unjäl^ligen Srod)üren
unb ©rörterungen aßer 2lrt biefe %xaQt nid^t nur al§ unbe=
bingte iJorberung be§ brüten ©tanbeö, jonbern bereite aud^ alö
Slngrifföwaffe bcöfelben gegen bie beiben anbem ©tänbe oer=
wcrtl^et worben. Slngepd^tg biefer wadt)fenben ©efal^r erflärten
je^t bie 9iotabcIn in aUen il^ren SBureauj:, mit Sluönal^me be§
Dom ®rafen oon ^rooence präpbirten, pd) gegen bie boppelte
aScrtrctung beöSierö, oerweigerten fomit 9ledEer il)re moralifdt)e
Unterftü^ung , wie pe Srienne bie pefuniären |)ülfemittel oer=
weigert l^atten, unb il)re ©i^ungen, bie ber englifdt)e 33oIföwi^
f^on 1787 alö bie ber not-ables bejeid^nete^), würben am
12. ©ccember gefd^Ioffen. %ixx nieder war, feinen angefül)rten
Sleufecrungen nac^, bie ©ntfd^eibung weber unerwartet nod^ fo
ganj unerwünfd)t. 6r l^atte gw^ar audt) je^t nod^ mand^e Se=
bcnfen unb gab nad^ 2Ralouet „nur jögemb unb unter bem
einbrucf na^, ben bie öffentlidt)e ©timme nie auf i^n ^n
mad^en oerfel^lte"^), aber enblic^ ging er boc^ ooran unb ent=
') Sefer, 9Ze(!et'S itDtiU& ^xm]tmum, 63. Barentin, M6moires auto-
graphes, 48.
2) Necker, Oeuvres compl^tes, VI, 402 ff. Arret du 5. Octobre,
412—416, Discours d'ouverture.
^) Lord Auckland, Journal and Correspondence, I, 249.
*) Malouet, Memoires, I, 249 unb Necker, De la Revolution fran-
^se. Oeuvres, IX, 97.
S3lenner](>at|ett, %xan ton ©tael. I. 23
350
Scr 3DWmfterrot^ öom 27. ©ecembct 1788.
fd)ieb im ülamcn beö Äönigö, waS bic 5RotabcIn unerlebigt ge=
laffen ober üertpcigcrt l^attcn. 6S würbe beftimmt, ba§ bie
SaiUiagcn unb @enef d^auffeen , bic feit @nbe beiS fünfzehnten
Sal^r^unbertö in allen ^roDingen, bie feine ©tänbe l^atten, bie
SBal^lbegirfe für bie ©eneralftaaten bilbeten, nid^t wie früher
ßleid)eö Sftedbt genießen, fonbern je nad^ ber Qafjil il^rer ginwol^ner
unb bem Setrag il^rer Seiftungen an ben Staat il^re SBertretung
tDäf)len foHten, waö bie Oefammtjal^l ber Slbgeorbnetcn aller,
aud) ber ftänbifdjen ^roöinjen auf minbeftenS taufenb feft^*
fe^tc^), unb bie boppelte SSertretung be§ SierS würbe gewährt.
®aö aber liefe Dtecfer aufeer 2ld^t, bafe er bie bereit» Don atten
Seiten angegriffenen gwei erften ©tänbe öoHenbS baburd^ big«
frebitirte, ba^ er fte berief, befragte unb wieber entliefe, um
hierauf ba^ ®egentl^eil t)on bem ju tl^un, xoa^ fte in i^rer weit»
au§ größeren ^JJajorität gerat^en l^atten. Unterbefe war wieber
3eit Derloren worben unb bie für Januar öerfprod^ene Se«
rufung ber Stänbe mufete abermals öertagt werben, gür bie
beiben Seftimmungen über bie SBalilbegirfe unb bie 301^1 ber
SJiitglieber beö Jier^J, bie guerft bem Äönig öorgelegt unb im
SJiinifterratl^ Dom 27. ©ccember 1788 gutgel^eifeen würben, bc»
anfprud)te 5ledfer bie Doße ä?erantwortung. SHerc^ berichtet, au8
einer Unterrebnng mit 9Kabame 9?edEer, „ber Vertrauten beS
^ergenö il^re§ ®cmal^I§'^ bie Ueberjeugung gewonnen ju l^aben,
ba^ biefer entfd)loffen war, feine ©ntlaffung gu nel^men, wenn
ber Äönig nid)t nadtigab, weil er, im %aü ber Sierg geopfert
würbe, feine 3Jiöglid^feit mel^r fal^, bem Sürgerfrieg gu ent»
rinnen. ßrfüUe man I)ingegen feine SBünfd^e, fo werbe eö
fpäter möglid) fein, ®lanj unb Stellung ber beiben anbem
stäubt ju rtd)em2). 2lber d)arafteriftifd)er SBeife fe^te 5ftedfer
fpäter au^einanber, bafe biefe Seftimmung fälfd^lid) eine bop*
') <iefer, Dfecfer'S a^oeiteS 9J?imfteruim , 87, SRotc, m^ Barentin,
Memoires autographes, 67—68.
^) Wertheimer, Documents inedits relatifs ä Marie -Antoinette.
Revue historique, 1884, II, 327. Wltxct) an Staumii, 6. Samiar 1789.
©eine Srolgen. 351
^)cltc SScrtretung, un doublement du tiers, genannt wor*
bcn fei, bcnn, fagt er, in bcn britten ©tanb fonnten ©bet
leutc unb ^ricftcr gewäl^It »erben, wäl^renb fein 5Rid^tprit)iIegirter
einen anbcm alö feinen eigenen ©tanb vertreten lonnte. S^bem
l^abe eö jtd) für bie ^Regierung nid^t fo fel^r um bic Qat)l bcr
©timmen in ben ©eneralftaaten alö öielmel^r um bie il)rer
Sln^nger in ber Station gel^anbelt ^). ®ie trcueften unb öer^^
Ififeigftcn biefcr Slnl^änger feien aber bie Pfarrer gewefen, bie
er, im einöcrftänbnife mit ben Slotabeln unb jwar auöbrücflid)
als „Anwälte unb 3Sertreter be§ armen SSolfeö" in bie SSer*
fammlungen bcö Äleruö atö SBäl^ler berufen unb t)on bencn
er Unterftüfeung für feine Sßläne ertüartet l^abc^). Sud^ in
biefem wicfetigen Sßunft, ber eine fo grofee SloUe in ber 9lie=
t)oIutionögefd^id^te gefpielt i)at, foHten 3lecfer'ö ©rwartungen
fletäufd)t werben. ®er fo lange jurüdgefe^te , oon allen ein*
traglid)en &eVim auögefc^Ioffene 5ßfarrfleruö weigerte pd),
feine 3ntereffen oen I)ol)en geiftttä)en SBürbenträgern ju über*
laffen, bic fo lange taub für feine Sitten unb SSorfteUungen
geblieben waren. ®ie 187 Sßfarrer, bie ftc^ im Sunt 1789
utit bcm 2:ierö bereinigten, gaben bm Slu§fd)Iag gu feinen
©unften. 6§ waren alfo nid)t, wie 9ledEer geglaubt l^atte,
bic beiben crften Stänbe, bie 2lnl)änger in ben 3leil)en
beS 2:ierS gewannen, fonbern biefer gog bie oppojttioneßen
©lemente in il^ren JReil^en gu ftd) l)inüber^). 35iefer falfd)en
Sered)nung fd^lofe ftd) ein anberer oerJ^ängnifeooßer Srrt^um
an. 3lecfer meinte nämlid) burd) bie Seftimmungen t»om
27. ©ecember alle ®runblagen ber conftitutioneßen t5reil)eit ge=
') Necker, De la Revolution fran^aise 1796. Oeuvres, IX, 64, 97
unb 99.
2) ebcnbafelbft, IX, 97 unb 162.
3) Male u et, Memoires, I, 279. ««iebu^t, ©efd^id^te beS Scitolterö
ber SRcboIution, 1,170—171. SBern^arbt, ©efd^td^te SRufelanbS, IP, 173.
Taine, Origines de la France contemporaine, la Revolution, I, 11. C hö-
rest, La Chute de Fanden Regime, II, 255.
23*
I
)
352 ©eine golgen.
geben ju i)ahm^), wäl^renb im ©egentl^eti bm ©encrdfiaatcn
bie ©ntjd^eibung ber tt)id)tigften gragen überwiefc« blieb, ©ie
eigentlid^e %o\Qt ber boppelten SSertretung beö SEtcrS l^ätte, wie
%xan öon @taäl ganj rtd)tig bemerft, bie SEl^eilung ber natio*
naien ä?ertretung in jwei Äammern fein müflen, unb alle
fpätern @ci)riften il^reö aSaterg beftätigen, bafe biefe§ ba« ßiel
war, tt)eld)e§ il^m öor Singen ftanb, al§ er fie gewäl^rte^). 3)te
@ntfd)eibnng beö Süiinifterratl^ö öom 27. ©ecember war nnr ber
erfte @d)ritt bajn. ®enn ber Stiert fonnte jtc^ mit bcm &t^
, botenen nid^t jnfrieben geben, wenn bod^ wieber nad^ Stänben
I geftimmt würbe, ba in biefem g^all baö Sugeftänbnife anfl^örtc,,
/ ein foldt)e§ ju fein, nnb er in baö frül^ere Serl^ältnife t)on einer
j gegen jwei Stimmen gnrfitftrat. SBollte er jur politif^cn J&err«
I fci)aft gelangen, fo mnfete er, toa^ aud^ fpäter gefd^al^, ba^
( aSotum nad^ Äöpfen in einer 58erfammlnng bnrd^fe^cn.
©oute bagegen ba^ politifd)e ®leid^gewid)t in einer gc-
mäßigten SRonard^ie, auf weldt)e 5Keder'§ ©ebanfen 8crid)tet
waren, liergefteUt werben, fo war bie Slieilung ber nationalen
aSertretung in jwei Äammern bebingt. 3)iefe Söfung tonnte
nur unter ber SSorauSfe^ung gelingen, bafe ber SOWniftcr
@leidt)gejtnnte fanb, bie bereit waren, fte mit il^m öorju*
bereiten, bi§ ber Slugenblid, jie burd^jufül^ren, fam. 6*
war feine S^tt gu verlieren, benn baö SSerlangen, bie brct
©tänbe ju einer SSerfammlung ju bereinigen, baS gucrft
im Sluguft laut geworben war 3), l)atte feitbem tägltd^ an
©tärfe gewonnen, unb eö war fd)on faum mel^r jweifcll^aft, in
weld)em Sinn bie grage, wenn ber SKinifter jte au§ ben $äm
ben gab, oon ber 9)iel^rl)eit ber nationalen SSertretung ent*
*) De l'administration de Monsieur Necker, par lui-meme 1791.
Oeuvres completes, VI, 207.
2) Madame de Stael, Considerations. Oeuvres completes, XII, 179.
Necker, De la Revolution fran^aise. Oeuvres IX, 73 unb Malouet,
M^moires, J, 279.
8) ßefcr, 92ccfcr'S ^totittS TOniftcttum, 107, 92otc, dtirt: Considerations
interessantes sur les affaires präsentes. Aoüt 1788.
SRctfer'ö gartet. 353
td^tcben tüerbcn mürbe. ^Dagegen fel)ltc e§ nid^t an Scannern,
tüic ftc 3lcder jur ©urcl)fü^run8 feiner ^i^een beburfte. ®ie
meiften berfelben braud)te er nid^t ju fud)en ; jte boten jtd^ jelbft.
^aö) ®e Sßrabt gäl^lt bie 3fteDoIution üier grofee (Sd^rift=
itcllcr: tJtau öon ©tael, Surfe, 3ftiöarol unb 3!Jiattet bu ^an.
^laö) Sainc ftnb bie öier Seobad^ter, beren UrtJ^eil am meiften
®ctt)id^t l^at, Oouöemeur 2Rorri§, SJialouet, xmb micber 3flit)arol
unb SDlaHet bu ^ßan. SBon biefen ftanb aßorriö, bcr 1789 im
Sluftrag bcr SSereinigten Staaten finanzieller Angelegenheiten
tücgen jtd) in Sßariö befanb, mit 9lcder nidt)t nur in bcm ge«
botcncn offigieUen, fonbem aud^ in regem gefettfd^aftlid^en SBer^
tcl^r. 80^ fjrember {ebem ^arteiintereffe fem unb auf bie
Siölle cincö aufmerffamen Seobad^terö angewiefen, gewannen
feine Siatl^fd^Iäge, bie 9?ecfcr fpäter wal^rl^aft propl^etifd^ genannt
l^at^), baburd^ nur um fo größeren SBertl^. 3fliöaroI mar fein
fjrcunb öon 5Kedfcr, aber burd^auö fein prinzipieller ©egner i
feiner $olitif. ®erabe bie Slrt unb SBeife, in meld^er er ben \
5Kinifter fpäter unter bem 5Ramen „9lar[eg" fd^ilberte, gibt öon \
feiner l^ol^en Sld^tung für ben SKenfd^en QtnQm^^). Slber fRu
Daröl liebte, nad^ ben SBorten feineö SSiogropl^en, „nur ben
2ärm, ben er felbft mad^te"^), unb moHte nidt)t untl)ätig
bleiben, menn er aud) feinen Stolg barein fe^te, gu feiner Partei
gu gepren. SKand^e feiner Slrgumente gegen bie JReüolution
mürben ftegreid)e SBaffen gegen pe in ber |)anb öon Surfe*).
6r ift einer ber SBenigen, bie ber 14. S«Ii ernüd^tert unb
ber fd)on l^alb verlorenen föniglid)en @ad)e jugemenbet fanb.
S)aS iJeucr ber politifd)en Satire eröffnete er 1789, unb
fül^rte, ba il^r faum mel^r etmaö ju öertl^eibigen blieb, bie
*) Necker bei Jured Sparks, Life of Gouverneur Morris, III, 110,
111 «. 121 Srief an 9JZorri§.
*) Rivarol, La Galerie des Etats-g^neraux, 1789. ©rftcS qjortrat,
S«arfe« (^etfcr).
^) Lescure, Rivarol, 147. S)oau, Caro, Rivarol et la Societe
fran^aise. Journal des Savants, Septembre 1883.
*) Lescure, Rivarol, 228.
354 matt'» ^axttl
roJ)anftifd)c treffe jum Singriff. 9Wit il^m fod^tcn jcln Srubctr
ber 9Karqui§ bc JRiöaroI, SKirabeau'S Srubcr, bcfamit otö
SWirabeau « Stonncau, Scrgaffc, Sauraguatö, ©^ampccnc^ unb
©ülcau, bic beibcn leiteten jcinc intimen f?rcunbc, bic mit
il^rcm aSIut bic ßl^rc begal^lt l^abcn, an bcr ©pl^c bc8 mon*
ard^ijd^4ibcralcn Söurnali^mu^ öon 1789 geftanbcn ju fein.
SBä^rcnb bic $arifcr ©cfcUfd^aft bcn Slidt auf Sttöator*
©pigrammc wie auf wol^Igcjieltc Sßfcilc gcrid^tct l^iclt, rcbigitte
5(lecfcr'ö Sanbömann, SRaHet bu 5ßan, im Auftrag öon ^and^oub
ben poUtifd^cn 2:i^cil bc8 „91Jlercurc bc fjrancc". ®ncr ber
erftcn, ba^ ®ctt)id^t feincö ©nfluffcS auf bic offentlid^e SRetnung
ju öerttjcrtl^en, mar SBaron @ta6l, ber bie Untcrftü^ung t)on
SHirabeau unb bie %z\>tx öon 3ßaIIet bu Sßan im S^nuar 1789
ju ©unften ©d^meben^ gegen Sftufelanb aufbot*). Se^terer war
bamal^ jd^on, mag er immer geblieben ift, ber unabl^ängigfte
ber Sßubliciften unb bcr el^rlid^fte ber Sßolitifcr, SRepublifaner
öon ®eburt unb ©^mpat^ie, 9!Jionard)ift nur beSmegen, weil
feine Sßernunft il^m fagte, bafe in einem Sanbe wie f^nlreid^
bie iJreil^eit entweber burd^ bie Ärone gefd)u^t ober Derloren
gegeben werben muffe; allen Uebertreibungen fo abgeneigt, bafe
er fd)on 1788 gegen 3!Äounier im ©aupl^inö ben SSorwurf ber
Demagogie erl^ebt;^) unnad)fid)tig gegen ©d^meid^ler, gle{d^t)iel
ob fte nad^ Oben ober Unten jtd^ wenben, ben SRonard^en
öerblenben ober bie 5!Jiaffen öerffil^ren. Sßor SlKemein ©^orolter
mel^r nodt) alö ein 2:alent, öon fold^er UeberjeugungStrcue, ba§
er für fein poIitifd^e§ OlaubenSbefenntnife eintritt, „fo lange
SÜaum für einen Sifd) unb ein ©tüdf Rapier barauf*) bleibt,
unb in @Ienb unb äSerbannung, unabpngig fo wie er gelebt l^at,
ftirbt. Um feine öoKe Äraft ju öerwert^en, beburfte StaQet
0 Leouzon-Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, 86 u. 96, ©e^jcfd^cn öom 8. 3«ni 1788 unb 29. Sonuat 1789
unb SBcrnl^arbi, ©cfd^id^tc SRugronbö, IP, 290, 291.
2) Mallet du Pan, Analecta. Unebitte gramitienpapiete. Sanuar 1789.
3) Sainte-Beuve, Causeries du Lundi, Mallet du Pan, IV, 471.
SRetfcr'g Partei. 355
bu $an unb bic 3ßonard)ijd)*Äonftitutioneßen mit i^m nur
eines ^Programms, baS pd) öcrtl^eibigen liefe. 35en 5ßlan ju
einem foId)en entmicfelte 2Raloud, einer ber öerbienteften Se^
amten beö SReid^ö, Sntenbant t)on Stouloufe unb langiöl^riger
ffrcunb be§ ^aufeS 5Recfer, ber ^Jrau öon ©tael atö Äinb ge» j
fannt unb öom erften SWinifterium il^reS Saterö einen fo l^ol^en |
SBegrift feiner gäl^igfeiten hmoi)xt J)atk, bafe er t)on il^m rül)mte, ;
er l^abe „bie Siedete ber SSölfer ben ©emiffen ber Äönige ein«
gefc^ärft« ^).
Se|t wfinfd^te er Sieder unb feine ÄoUegen gu einem
^ogramm ju öerpflid)ten, baö feine geredeten unb not^menbigen
föoncefftonen öermeigem, aber aud) feine ber ©runbbebingungen
ber Slutorität preisgeben, wx Slßem nid^tö im Unfloren laffen
unb bie ©eneralftaaten ju einer gefe^gebenben SSerfammlung
fonfHtuiren foßte^). 3m ©noemel^men mit Sice, bem ©rgbifc^of
öon Sorbeauj:, unb la Sujeme, SBifd^of üon ßangreS, ber aud)
wn fjrau wn ©tael „aU einer ber auögejeid)netften SHänner
^anfreid^ö" ^) begeic^net wirb, wünfc^te er bie gefäl^rlid^ften
fragen, wie t)or Slßem bie SBal^lprüfungen unb bie ßntfd^eibung
barüber, ob nad^ Äöpfen ober nac^ ©tänben geftimmt merben
foBe, ber ^Regierung öorbel)aIten unb bie ber ©iöfuffton gu
jicl^enben ©renjen nid^t ben ©eneralftaaten anl)eimgefteßt ju
»iffen. „Siel^men Sie eine entfd^iebene Haltung an", lieber*
l^olte er ben 2Riniftern, „benn Sie l^aben gar feine." Slber er
fanb Slecfer „verlegen unb bod^ öoß ©elbftgefül^I, ftetg jur
Äritif ber öorgefd^Iagenen SRaferegeln, niemals aber gu einem
entfd^Iufe bereit" *).
6rft 5tau öon ©tael ift biefem treuen ^eunb il^reS 25aterS
gered)t geworben. Sie rül)mt öon il^m, bafe er untoanbelbar
*) Dareste, Histoire de France, VII, 158.
*) Sainte-Beuve, Nouveaux Lundis, Malouet, XI, 269.
^ Madame de Stael, Consid^rations. Oeuvres, XII, 198.
*) Malouet, M^moires, I, 252—254. Sainte-Beuve, Nouveaux
Lundis, Malouet, XII, 269.
356 9ltdtt'& Rottet.
öom ©ewiffen geleitet morben, nennt il^n „bic reinfte Seele, bie
it)r begegnet fei", einen 2Rann, bem, um eine grofee JÄoHe in
ber SBelt ju jpielen, nic^tö ju wünfd^en gewefen wäre, aU mel^r
^Utenfci^enfenntnife unb weniger Vertrauen in bie ber SBol^rl^eit
eigene Äraft. „Sagen Sie 5!Jialouet, bafe id^ i^n Hebe",
jc^rieb jte nod^ S^i^re nad)l^er an ©amitte S^rban^).
Unjertrennlid^ üom 3lamen öon 5WaIouet ift ber öon
^Utounier, bem SBortfül^rer beö ©aupl^ine, jeineS t)erfßnlid^en
§reunbe§ unb 5Reder'§, beffen politifc^er ©efinnung er bcSwegen
am näd^ften ftanb, weil er beftimmter als SRalouet im Sinn
ber englifd^en conftitutioneßen Sbeen öorgel^en wollte. @8 ift
wieberl^olt bemerft worben, bafe bie SJoftrinen, mit weld)en bie
1 9iet)olution begann, am meiften mit benjenigen übereinjtimmen,
bie jte nac^ fünfunbjwauäig 3al)ren abfd^loflfen. Stid^tS lömmt
ber ßl^arte öon 1815 fo nal^e, al§ bie gu Anfang 1789 ge«
mad^ten 25orfdt)läge üon 3!Jlounier 2). gr mobificirte bie früheren
Sefd)lüffe beö ©aupl^ine bereite bal)in, ba^ bie ©eneralftaaten
felbft 3ur Silbung üon jwei Äammem fd^reiten foHten, nur bafe
bie erfte feine 3lbel§fammer, fonbern ein Senat üon lebenSlöng«
lid^ unb nad) SSerbienft tl)eilö üom Äönig ernannten unb tl^eil«
gewäl^lten ^Utitgliebern gewefen wäre^). 9lad^ biefem großen
ßugeftänbnife an bie bemofratifd^en S^mpati^ien be« Sixg«
wollte SKounier für ben Äönig eine um fo ftärfere ©fefutiüe.
Slud^ er l^atte feine SHujtonen unb follte jte balb erfemten, aber
ba§ furje 3al)r feiner politifd^en S:l)ätigfeit begrenjt bod^ in
ber franjöftfd)en 3fteüolution§gefd)ic^te bie Hoffnungen ber ^ei*
l^eit. 6§ gibt fein größeres £ob für xi)n, ben ^rau üon Staßl
„leibenfd^aftlid) üemünftig" — passionnement raisonnable —
0 Sainte-Beuve, Nouveaux Lundis, Madame de Stael ä Gamille
Jordan, G. Sept. 1802, Xlf, 255.
^) Lavergne, Le parti de la monarchie coostitutionelie en 1789,
Revue des Deux-Mondes, 1842, II, 552.
^) Mounier, Nouvelles Observations sur les Etats -gen^raux de France,
bei Lanzac de Laborie, 43—52.
92c(fcr'S ^Partei 357
ticrmt, unb bcffen uncrfd^fitterlid^e ß^arafterfefttgfcit tl)re Sc-
wunbcrung gewann^).
Unter feinem ©influfe ftanb, wie ernannt, ber junge a3ar= i
naöc, ber öon il^r unter dSitn großen SRebnern ber gonftttuante \
atö ©crjenige bejeid)net wirb, beffen Talent \xä) am meiften jur j
Argumentation unb ^Debatte im @inn beö englifd^en ^arlamen« /
tari^muö geeignet l^abe. SBie Jiedfer unb SRounier, fo ging
aud^ Samaöe öom Oebanfen ber gemäßigten SRonard^ie unb
ber Sinianj beö Äönigtl^umö mit ber %xex^e\t au§, t)on bem
il^n bie SSerfud^ungen be§ ßj^rgeigeö unb baö Sebürfniß nad)
Popularität entfernten, aber für bie er enblid^ bod^ fallen follte.
3n benfelben Ärei§ gehörte SaH^ Soßenbal, einer ber intimften
ffreunbe beö Sledeffd^en |)aufe§, öon grau üon ©tael „ein
ttjunberbarer Sftebner unb einer ber wal^rl^aft großen Sürger
genannt, in bem ftebenunbjmanjig ^aijve. ber Sledolutionen
immer neue 3Sorjüge enttoirfelten'' ^), Sft aud) baö Sob '
biefeö begeifterten Slnl^ängerö il^reö SSaterS, ben ber fül^lere
SaUe^ranb „einen guten Sungen, einen fel^r guten jungen
xmb fonft nid)t§"^), unb 9iit)arol fpottenb »le plus gras des
hommes sensibles« nannte, etma^ übertrieben, fo brad)te
gallQ bod^ immerl)in ben 9Konard^ifd) = (Sonftitutionellen bie
ttid^t ju unterfd^ä^enbe Äraft feinet berebfamen, oft jtinbenben
aSorteö.
®aö maren bie l)erDorragenbften unter ben natürlid)en
SBunbeögenoffen oon 9?ecfer. ®enn fo fe^r aud) in n)id)tigen
Sßunften il^re 2lnjtd)ten auöeinanber gingen ober nod^ ju un=
beftimmt formulirt waren, oerbanb ftc bod^ Sllle bie Ueber:*
gcugung, baß bie ^iüdffel^r gum Sllten nid)t mel^r möglid^ mar
unb bie 3fleform mit ber 9)lonard)ie burd)gefül^rt werben muffe.
») Madame de Stael, Considörations. Oeuvres, XII, 208—209
ixnb 268.
2) @bcnbafelbft, XII, 248, 303.
^) Madame d'Arblay, üiary and Letters, V, 410.
358 anirobeou.
Sic wären Sdccfcr'S Partei gewcfcn, wcrm er überl^aitpt bie
9lotl)tt)cnbi0fcit crfannt l^ättc, mit einer Sßartei, unb burc^ jte
ju regieren. @r[t ber Unmutig, in il^m feinen gül^rer gu finben,
öertüanbelte 9Känner tt)ie Sliöarol ober SWallct bu $an in
Sflecfer'ö perfönlid^e ©egner. ®aö ^aiir, ba« er unbenüfet Der*
ftreid^en liefe, neigte ftd^ feinem 6nbe, atö il^m ein Ic^te^
Slngebot in biefer Siid^tung, bie ^eereSfolge be& ®rafen
SRirabean, gemad^t würbe. S3om 28. ©ejember 1788 ijl ber
benfmürbige ©rief be^felben an 9)tontmorin batirt, in tt)eld^em
eö l^eifet: „Slfö Sfirger gittere id^ für bie föniglid^e Autorität,
bie nie notl^menbiger atö in biefem Slugenblldt war, »o jie fic^
il)rem SRuin entgegen neigt .... ^at ba« ÜKinlfterium, ba*
[xä) in eine oerpngnifeooHe Sage ftürgt, weil eS bie @eneral«
ftaaten l^inanöfciiiebt, ftatt ftd^ auf biefelben öorgubereiten, beun
aud^ auf SJMttel gebadet, um il^re ßontrole nid^t fürchten gu
muffen, ober inelmel)r um il^re Unterftfi^ung gu gewinnen?
^at e§ einen feften, beftimmten Sßlan, ben bie Vertreter ber
Station nur gutgul^eifeen braud^en? ©iefen $lan, ^err @Taf^
id) l^abe il^n. ©r l^ängt mit bem einer ßonftitutlon gufammen,
. bie unö oor ben Komplotten ber SIriftofratie, ben SluSfd^reitungen
ber ©emofratie, unb ber grengenlofen Slnard^ie retten würbe, in
weld^e bie Slutorität, eben weil jte fd[)ranfenIoi8 fein wollte, mit
I un§ geratl^en ift'' *).
• 9?ur bie ungel)eure Äraft, bie ber ßorrefponbent oon 9Ront^
morin in jtd^ fül^lte, fonnte feine ©prad^e unb bie Sut)erf{d)t
erllaren, bafe jte ®el&ör finben würbe.
^irabeau ftanb bamals im oiergigften ^oi)x. ©ang %xant^
reid^ ergöi^Ite pdf) bie SSerirrungen feiner Sugenb, bie ffird^tet^
lid^en Äämpfe feinet erften SHanneöalter gegen ben SBater, bie
Oattin, bie (Sd)wefter, bie jal^relange ^aft gu SBincenneä, au&
welcher er mit ungebrod)ener Energie, aber in offener Sntpörung
0 Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I^
340-341.
maf)tl übet iffiL 359
gegen aKe SBanbe, bie er öerle^t l^atte, in bie ®efeflfd)aft jurücf«
feierte, ©ann folgten ber Slnfentl)alt in ©nglanb, bie 2}er*
öffentlid^ung poUtifcf)er ^ßantpl^Iete, xi)vt SSerurtl^eilnng burd)
ba8 Parlament, eine erfte Steife nad^ ®eutfd)lanb, bie Segeg*
imng mit bem großen g^riebrid). ©aö Sal^r 1785 brad^te bie
erften SBejiel^ungen 3n ßalonne, bie SIrbeiten über bie ginan^en,
bie 1787 mit bem erwäl^nten Singriff gegen Sftecfer unb (Salonne
fd^loffcn, weil biefer le^tere bie Verfolgung feiner politifd)en
©d^riften nid^t öerl^inberte ^).
©ajwifd^en lag bie auf ben SBorfd^lag öon 3;ane9ranb ge^
gcbene SWifjton nad^ Serlin, jum boppelten Qxoed, bie legten
?üigenblicfe Äönig %mbnä)'^ gu fibern)ad)en unb 5!Jiirabeau
Don $ari« ju entfernen. So entftanb baö 3öerf über bie
preu6ifd)e SWonard^ie^) unb bie fträflid^e SBeröffentlid^ung beö
Snl^altö ber gel^eimen Son:efponbenj an 3Sergenne8, um fid) au§
bringenber ®elbnot^ ju retten^).
aSon bem jweiten Slufentl^alt in ber preufeifd^en ^auptftabt
ift eine Sluf geid^nung bei Sialiel erlialten, bie SRirabeau, fo wie
et ftd^ in il)rer 9Käbd)enerinnerung erlialten l^at, fd^ilbert: „^U
er in SBerlin war", fd)reibt jte, „fal^ id^ il^n, in bürgerlid^em
Slngug, gang ba§ Slnfel^en l^abenb wie bie bamaligen ^ofleute
fetner Station; in einfad)er Äleibung, bie obwol^l öornei^mer
©efeUfd^aftörocf ober gar (Sourlleibung, bod^ fd)on jel^r nad^
bem nad^l^erigen englifd^en Stngug l^inneigte; er trug ein leidet
gefrauft gepuberteö Soupet, |)aarbeutel, @d^ul)e unb Strümpfe,
unb bagu paflenbe Äleiber, oI)ne @olb, (Silber noc^ Stiderei.
6r l^atte bunfle, lebliafte Slugen, bie mit ftarfen Augenbrauen
I) Mirabeau, Essai sur le despotisme, 1776. Gonsid^rations sur
Tordre de Gincinnatus, 1784. Essai sur les lettres de cachet et les
prisons d'jfitat, 1782.
^ Mirabeau, De la Monarchie prussienne, 1788.
^ Mirabeau, Histoire secr^te de la Gour de Berlin, 1788 unb
Bacourt barüber, Gorrespondance entre Mirabeau et de la Marck, I,
343—346.
360 2Rira6eau in ^ariS, 1788.
bcnnod^ weit blidften, war pocfennarbig, unb breiter, aber nid^t
f elfter ©eftalt; er l)atte baö 2lnfel)en wie ©iner, ber öiel, unb
mit SSielen gelebt l^at. 2lud) bewegte er ftc^ mcl^r, ate bie
ßeute uon feiner klaffe pflegen, benn er l^atte nid^ts Äom*
pafjtrteö; er geigte jtd) in ben fleinften unb glci^gülttgften Sc«
wegungen feiner Sßerfon aU fel^r tl^ätig, unb afö ©ner, ber
2ineö felbft unterfud)t, fennen lernt unb ergrünbet; fo gebraud^te
er feine ßorgnette unb id) möcl)te fagen, fein gange« Sd^. @r
ging in bie beutfdt)e Äomöbie, in bie ÄouHf[en, unb brad^te
täglid^ feine Sriefe felbft auf bie Sßoft, wo id^ il^n gu l^alben
unb gangen ©tunben öerweilen fal), wäl^renb eine S)amc unb
fein ad^tjäliriger @ol)n il^n im SEBagen erwarteten, ^rin
SSater geigte il^n mir alö 5lid)t§, alö ben ®rafen SDlirabcau.
Sd) wufete gar nid^tö üon il^m; unb um fo guöerläfftger traue
ic^ meinem bamaligen Urtl)eil: er mad^te einen guten @inbrud
auf mid^, obgleid) er mir alt, unb nid)t nieblid^ unb l^äbfd^
üorfam, weil id) faft ein Äinb war .... 6r fal^ aud^ auS
ate 6iner, ber öiel gelitten unb bi^futirt l^atte" ^).
SSon 1788 au bulbete e^ SRirabeau nid^t mel^r fem öon
$ari§. 6r fül)lte feine ©tunbe gefommen, obwol^l er noc^ ber
Deffentlid)feit nid)t§ al^ ein ©egenftanb ber Sfteugierbe ober be«
2lergerniffe§ war; in focialer Segiel^ung ein Sluögewiefcner, in
politifd)er ein Slbenteurer; eine^ jener Elemente, auf welcher bie
SRedolutionen gäl)len, weil pe öon ber Drbnung nid^tö mel^r gu
l^offen l^aben. So wie er guerft erfd^ien, „großartig, aber be*
fledf' l)at §rau t)on @tael i^n gefd)ilbert, alö 6inen, „ber
SlKeö wufete, Sitten dorau^fal); auf feine nieberfd^mettembe SBe»
rebfamfeit red)nenb, um ben erften ^la^ gu erringen, ben feine
©ittenloftgfeit il^m üerfd^lofe; öon umfaffenbftem ®eift unb raft-
lofer Energie, bereit jtd) ben ßintritt in bie ©alonS öon $ari8
») gfla^cl, ein Bu^ bcS 3rnben!en§, II, 64—65, ju bcrgleid^cn mit ben
^ufjeid^nungen bon delaMarck bei Bacourt, Gorrespondance entre Mirabeau
et de la Marck, I, 86.
grau öon @tael üBer il&n. 361
baburd) äu frjwinöcn, bafe er eine ö^njc gefeHfd^aftHdic Drb-
nung in Sranb ftcdCtc'^
Scüor er bic l^croftrattfd)c Sll^at öoHbradEitc, öcrfud)te
SRirabcau eine SRel^abilitation. ®en ^reiö bafür bot ber ©rief
an 9Jlontmorin.
SBaS 9iccfefS ?freunbe öergcbcn^ öon il^m emarteten, unb
wa« ba§ bcftc feiner SBerfe, fein fociale^ ©öanöelium, mie
%xa\x öon ©tael e§ nennt, um öolle öier Saläre gu fpät
brad^te;^ bic ©runblagen ber gemäßigten 9JJonard)ie, fte jtnb
in SKirabeau'S öorreöolutionären Schriften eutl^alten^) unb in
ber allgemeinen SSerwirrung bel^ielt er allein jte Ihr üor
Singen.
©en ßöJecfen ber ©emofratie tt)tberfprici)t eg, il^re ©oftrinen
bei aJlirabeau nid^t mieberjufinben. 3l)re .^iftorifer fci)tt)äci)en
bal^er ben ßinflufe öon 3!Jlonteöquteu auf if)n ab, um bafür ben
öon SRouffeau ju betonen ; jte giel^en feine SSorliebe für englifd)e
3fnjWtutionen in 3tt)^if^l «nb ba feine au§gefprod)en monarci)ifct)e
©epnnung ftd) nie aud^ nur einen SlugenblidE öerleugnet l^at,
fo bejcid)nen fte bie »democratie royale« atö ba^ Qxd nad)
htm er ftrebte^). ®iefe Sluffaffung ftü^t ftd^ auf ben ^afe öon
aWirabeau gegen ben Slbel be§ Slncien SRegime, mit bem für
il^n perfönlid^ feine aSerföl)nung möglidE) tt)ar unb öon tt)eld)em
er balb erlannte, bafe er afö ©tanb nie mit ber conftitutioneUen
aWonarcftie jtd) öerfölinen werbe. Slber if)r tt)iberfprid)t ba§
3eugnife aHer 3^it8^"^ff^"f ^^^ 9[ßirabeau am beften gelaunt
l^aben unb bie Sleufeerungen öon SiRirabeau felbft, toenn bie
Seibenfd)aft H)n nid)t fortriß, feine ^läne unb feine Haltung in
ber legten Qdt feinet ßeben^. 9lad) ©umont »oHte er für
Stanlreid) eine ßonftitution nad^ bem aSorbilb ©nglanb^, aber
^) Madame de Stael, Consid^rations. Oeuvres, XII, 18. Necker,
Du pouvoir ex6cutif dans les grands Etats. Oeuvres, VIII.
^ Lanfrey, Essai sur la Revolution fran^aise, 126.
3) Decrue, Les idees politiques de Mirabeau, Revue historique,
Mai-Juin 1883, 44-45 u. 51.
362 ^'^ ^^'Q^ ^^^ lBxxn!»efia.
ben beimatblicbfn ä^nj^dlmififn eiiti>m^eiib. 8tö fiait beffen
ber Siere nd? ;ur ^taTirnabfronmilimg conftttutite, beseic^nete
er biefen Bcbrin de bie Urad^e oller nacl^^erigen JCotafhrop^en
unb fprach bae befannte Sort: ^gie svoOten ben Stöxdq be«
^errid)en, nan burds il)n bie ^enfc^aft in ber ^onb gu be«
galten" '). £e la ü)iar(f iagt ausbrücfitc^, ha% SKrobeou feine
äuefdjlieBung burd) ben abel ber ^rooence aü ben Senbepunft
be;eic^net l)abe, ber ^'eine ipätere Haltung \>trmla%tt, „benn^,
fügt er ^in^u, „feinen (E^arafteranlagen unb felbft feinen ^rin-
cipien nad) n^ar er ein 3riftofrat, ein Semunberet englifc^er
Suftänbe, voo eine ftarfe. finge unb gemfigigte Xriflofratie
5wiid)cn ber föntglid)en 9Kad)t unb ber Station t>ermittelt, unb
alle bebeutenben Elemente berfelben in fid) oufnintnif ). 9lid}t
ouberö backte grau Don gtael über i^n: „Sein (Seift*, fagt
pc, „toar 5U überlegen, um nid)t bie Ilnmöglic^fdt ber 3)cmo=
fratie in tyranfreid) ya erfennen. 9lber oud) menn fie ntoglid^
geroefeu ronre, roürbc er feinen ®eid)macf an il^r gel^abt l^aben'' *).
„ariftofrat am Sleigung, Jribun auö Seredynung" nennt i^n
9lccfer. ^n einer ber erftcn unb maplofeften feiner Schriften
wollte 9J{irabeau bo(^ fclbft bie gcuballaften nid^t o^ne @ntfd^ä«
bigung aufgefjoben miffen. gctne Serfaffung n^ugte bon feiner
Sulaffung bes Proletariats. 6r öcriangt ©arantien bed Seft^S
für bie S^ei Inadine an allen öffentlichen Slngelegenl^eiten*), t>tx^
mirft ben Stppell an ba^ 35olt «ber ben ©efe^geber jum Sflatym
niad)t", ben ©ebanfen oon SRouffeau, bafe bag S5oIf burd^ ftd^
jelbft regieren foll, loie fpäter baS ^rojeft üon ©ie^feS über
'J Dumont, Souvenirs sur Mirabeau, 218—219 u. 268. Mirabeau,
LettrcH ä Mauvillon, 468.
^) ßacuurt, Corrcspondance entre Mirabeau et le Comte de la
Marck, 100—110. Malouet, Memoires, II, 13.
'*) Madamo de Stael, Considcrations. Oeuvres, XII, 262 — ^263.
*) Mirabeau, Essai sur le despotisme. Essai sur les lettres de
rarlict et les prisons d'Ktat, 1782. Heuri Martin, Histoire de France,
XVI, 535, .O:}«, 9lotc.
£« ¥lan »an antmbcau. 363
«u^etorbentlidöc Scrfainmlungen, feine fogetiannfen ßonöentionen,
V3t\äit We ßoiiftifution jebeSmal umformen foHte«, »o bie
SRation eS üerlangte. ffiageßeii ^ält SRirabeau ben ©ebonlen
»on aRonteSquieu über bie Trennung ber ®crooIten fep unb opfert
bas 3ißS''*"Jtmcrf^ftem erft, nac^bem (eine anbere Sßa^l für il^n
bleibt als bie, entroeber gar nic^t ober burd^ ben britten Stanb
^u regieren'). S^ierS gefte^t, bafi Sftirabeau barin iitd)t auS
tteberjeugung, fonbem unter bem ©rucf ber SHot^roenbigteit
gelianbelt ^abe^), unb .^euri ?Olartin mac^t i^m „bie iinent'
, fd)lDtfenen SBebenfen" jum 33orrourf, mit roel(!^en er btefe 3Ben=
bnng üoUjog*).
@oIi^e 3(nfd)auungen lagen bem ^lan »on ^irabeau ju
©runbe. SReder (onnte anfangt 1789 MiS in bemfelben an»
nehmen, nur feinen Urheber nic^t. ®r roar ftetä Don ber Ueber=
jeugnng nuägegangett, bafe im oflentlictjen Seben bie SBefoIgung
ber morolift^en ©efe^e roomöglid) uoc^ not^iDeuMger atS im ^oat=
leben fei*). ÜHetjr alä Älug^eit unb SSorauSfif^t galt i^m bie
?Reinl)fit bet Slbft^jgten, baS SSertrnuen in beit Sieg ber 33ernunft
iiiib ber Öered)tigfeit^). „Sie 3)Ioral", ppegte er gu fagen, „ift im
efeiiicj^inge kgriinbet." @ä entipcad) nici)t nur feiner rcb»
■ II aui) feiner (äitelfeit, fie ol§ StoatSmann
in, aud^ roenn Nieder bie Singriffe auf
te, «tad)te ein 3ufai"'''C"gf^fin mit
Keii^ unmöglich- Mirabeau felbft
itungen feiner Sugenb feiner ©acEic
en. 3i"rt @egner aber braud)te unb
werben laffen. ©ein @^rgeij
de Slirabeau. llevue bistorique,
lOD, I, 139.
ance depuis 1789, 1, 49.
itions. Oeuvres, Xll, 72.
arture de Tasseniblfe dea Notables,
364 ^^^^ un^ S^abeou.
unb üor 3Ulcm feine ©elbtierlegenl^etten boten 9RitteI, i^n fefl^
gu^alten. 9?edfer ergriff jte nid^t. 6r war, wie gefagt, ein
feiner Seobad^ter ntenfd)Iid)er ©d^wäd^en unb Serfcl^rtl&citen,
aber bie ®t)m)faüjk, bie aller wal^ren SKenfd^enfcnntnife in
®runbe liegen foll, befafe er bod^ nid)t. ^n feinen ga^Ireid^en
Schriften pnben pd) beinal)e nie ^erfönlid^Ieiten erwäl^nt. 5Kit
Sluönal^me öon SWontmorin, ben er feinen ^eunb nennt, gelten
bie großen SRoUentröger ber SReöolution wie unbemerft an iffm
üorfiber, faum bafe eine pd^tige Semerfung über SRirabeau,
über ©anton ober SRobeöpierre baran erinnert, in weld^er SESelt
er lebte. @o ging bie erfte ®elegenl^eit üerloren, mit SRirabeau
ftd^ ju üerftänbigen. SJiontmorin, ber ganj emjilic^ baran
bad)te, SWirabeau auf beut 2öeg nad^ ber ^rooence aufgreifen
unb beportiren gu laffen, fd)rieb il^m einen oerle^enben SBrief,
ber ben Herausgeber ber „gel^eimen ®efd)id^te beS Serliner
Hofs" »erfolgen gu laffen brol^te. S)iefer Srief fanb ben ^tx^
fuleS ber SReoolution, wie ©oetl^e il^n nennt, fd)on in ber ^o*
üence, inmitten ber 2Bal)lfdE)lad)t, bie il^n als ben größten SÄebner
^anfreic^S offenbarte unb auS weld^er er, ber üorbeftimmte
^l^rer ber SRonarc^ifd^-ßonftitutioneHen, als Slnwalt beS SierS
wieberlel^rte.
3njwifd)en war bie ßöfung, weld)e vergebens üon ber fftt*
gierung erwartet würbe, burd^ einen Slnbem gegeben worben.
ßbenfowenig wie ber DIatur, jtnb ber ©efd^id^te unöer*
ntittelte ©rfd^einungen befanut. ©ie anfdE)einenb fpontanften
Singe, bie gepgelte SRebe, baS @tid)Wort großer J^iftorifd^er
Situationen, bie jünbenbe (Sntgegnung ber SEribune flnben ftd^
bereits irgenbwo angebeutet, ber Ston angefd^lagen unb prälu^
birt, ber im geeigneten SJloment mit pacfenber ®ewatt gum
öollen Slfforb anfd^weHen wirb.
aSeüor Sarnaoe in ber 5Rationaloerfammlung, nad^ bem
9Jiorb oon fjoulon gu SaH^ SioHenbal gewenbet, in bie »er»
l^ängnifeüoUen SBorte auSbrad): „2öar bennbaSSlut, baS eben
oergoffen worben ift, fo rein?", ^atte fd)on ein SÄitglieb beS
Siemes. 365
SicöS bcm ebelmann, bcr baDon fprad), tüte fett Sal^rl^unbcrtcn
Mc franjöjtfd^en Sd)lad^tfclbcr mit bcm Slut feiner Stanbeg^
genoffen gebüngt worben feien, entgegnet: „®lauben Sie benn,
baS öom aSolf üergoffene Slut fei SBaffer gewefen?"^)
Unb beöor bie SÄarfeiHaife im eisernen SRl^^tl^muö öon
Slouget be 2i§le aK @d)lad)tgefang ber SReöolution erfdjoH,
l^otte ber größte SRebner ber ©ironbe, l^atte 35ergniaub jte in
^ofa gebid^tet.
®raf SauraguaiS erjäl^It, bafe gegen @nbe t)on 1788 eine§
3Rorgen§ ber SDid^ter ßl^ampfort, einer ber erbittertften 3Renfd)en
feiner S^t, ju il^m gefommen fei unb gefagt l^abe: „Soeben
.l^abe i^ ein Sud^ gemad)t". „SBie, ein Sud^?'' „9hm ja,
nid^t ein Suc^, fo einfältig bin id^ nid)t; aber ben 2:itel eine^
a3ud)jä, unb biefer Sitel ift 2llle§. 3d^ l^abe il^n bereite bem
^ritaner Sie^eö gefdE)enft, ber il^n nun commentiren fann, fo
üiel er loiH. 6r fann fagen, roa^ er mag, man wirb jtd^ ftet^
nur beS 2:itete erinnern.'' „Unb toie lautet biefer?" „&x
lautet fo: loaS ift ber britte ©tanb? aileö. SBaö ^at er?
3Wd^t§!''2)
Äurg barauf erfdEjien bie berül&mte S3rod)ure oon ©ie^^S:
»Qu'est ce que le Tiers?«, bie auf bie weitere ffrage, wag ber
britte Staub verlange, bie Antwort bereit l^atte: „etwa§ ju
werben" .
3wei anbere furj guöor erfd^ienene glugfd)riften beöfelben
SSerfafferS, waren, obwol^l politifd) öon größter Stragweite, faft
unbemerlt vorübergegangen^). 3JJan l^ätte jte lefen muffen, um
il^ren Sn^alt ju fennen, wöl^renb bieömal ber üerunglüdEte
©ramenbid^ter , ber bem ^ublifum nid)t öerjeil^en fonnte, il^n
») Grimm, Correspondance litt^raire, XIV, 217, Decembre 1788.
• *) Lauraguais, Lettres ä Madame , 1802. Sainte-Beuvc,
Ghampfort, Causeries du Lundi, IV, 537.
*) Siey^s, Essai sur les privilfeges, 1788. Moyens d'cxecution dont
le8 representants de la France pourront disposer en 1789. Mignet,
Notices historiques, SieyeJs.
»lennet^affett, ^xau toon ©tael. I. 24
366 ®"n BtifUm,
ausgepfiffen ju l^aben, il^m biefe SRül^e crfparte. ©ie ©cftirttion
Don ®itX}e^ xoax äbrigenS tl^atfäd)Ud^ bte fetnige. 2)enn fe
lautete bal^in, ba% xoa& eine blatten confütuire, bie Slrbeit be&
©ingelnen unb bie allgemeinen Sienfttcljiungen feien, unb gog
baraug ben @d)lu6, bafe eben ber brittc ©tanb biefc ®cbin«
gungen erfülle. 2llö nic^t gut gefeUfd^aftlid^en Orbnung gel^örenb
erjc^einen il^m bie ^riöilegirten, worunter ©ie^eS mertoürbigcr
SBeife nur ben il^m öerl^afeten Slbel, feineSwegS aber ben ^lentis
öerftel^t, ben er nid^t al§ @tanb, fonbem afö Seruf auffaßt, wie
er aud^ biejenigen, bie il^n ausübten, nid^t ate ^riöilcgirtc,
fonbem alö Seamte betrad^tet. ®urd) SSemid^tung biefer ^r>U
legirten würbe bie 5Ration nidjt etwa verlieren, fonbem gewinnen.
©er SJioment, in weldE)em ba^ SBerf üon ©ie^äö beginnt,
ift gerabe berjenige, in weld)em SKirabeau baö fcinigc guerfl
bebrol^t weife. @r ift ber Url^eber beg S3efd)Iuffe§, burd) wcld^en
ber 2:ierö ftd^ gur 5Rationalöerfammlung conftltuirte unb fomit
bie S^rftörung ber l^ierardöifdl)en ®lieberung ber ©efeEfdi^aft
öoHgog^). 2öa§ biefem S3efd)lufe feine eigentlid^e SBebeutung
gab, war, bafe er nid)t "etwa aU le^teS 8luSlunff«mtttcI
gegen bie SBeigerung ber beiben anbem ©tänbe, jtd^ mit bttn
Sier§ gu oereinigen, ergriffen würbe, ©er barauf begfiglic^e
58orfd^lag öon ©ie^eS ift öielmel^r öon Anfang Sanuar 1789,
alfo t)oUe öier 9Jtonate öor Swfcmtmentritt ber ©tänbe batirt,
unb üon fold)er 2Bid)tigfeit , ba^ er wörtlidö angefül^rt ju wer-
ben oerbient. „SDer Stiert", fo lautet er, „foH getrennt üon bm
beiben anbern ©täuben bleiben, ©iefe vertreten etwa 200000
Snbiöibuen unb benfen nur an xi)xc ^rioilegien. 3)er Eier«
allein, fo wirb man entgegnen, öermag feine ©eneralftaatcn gu
bilben. Dlun! befto beffer! fo wirb er bie Slationalüerfammlung
fein" 2). ®a§ öerpltnifemäfeig öorfid)tige auftreten üon ©ie^e«
al§ ©eputirter täufd^te nid)t. Söufete bod^ Sebermann, bafe,
*) Expose historique des dcrits de Sieyfes. An VIII, 18; toon il^m
fclbft öeroffcntlid^t.
'^) Cherest, La Chute de l'ancien Regime, H, 276.
(Sein elftem. 367
was er dgcntlid^ sollte, nid^t bic ^Bereinigung, jonbem bie
SSemid^tung ber ©täube war^). 3(lur im ^inblicf auf biejen
britten ©taub entwirft l^ierauf @ie^5§, als f^ftematifd^er
tJeiub, nid^t btß iJ^ubalftaateS, wie 3!Jlirabeau, fonbem jeber
focialen ^lerard^ie überl^aupt^), baö ©Aftern ber SRepräfentatiü^
Derfaffung, ba§ im ©egeufa^ ju SRouffeau, nad^ iDeld^em ber
SBiUe md)t repräfentirt, bie ©ouüeränetät nid&t belegirt rotx^
ben lann, unb fomit ba§ SSoIf beftänbig einjugreifen l^at,
bie Seigre burd)fü]ört, bafe „bag aSoII alleö babei gewinne,
ttjenn eS in fo öielen ©ingen, afö nur immer möglid), pdf) re«
^)räfentiren laffe, wäl^renb bie ijreil^eit in eben b^m SlJlafe ab*
nel^me, aB man mel^rere Sfie|)räfentationen auf bie nämlid^en
^erfonen l^äufe''^).
©0 entfielet ber fänfilid)fte SRegierungömed^aniSmuö, ber je
aus ben Setrad^tungen unb Kombinationen eines einfamen
©enferS l^eröorgegangen ift. @r h^rotdt, „gleid^ meit öon
ÄUeinl^errfdEiaft, üon SlbelSl^errfd^aft unb üon rol^er SSolfSl^err*
fd^aft", Segrünbung beS 3teid^S ber SBemunft, burd) möglid^fte
S^eilung aller, aud^ ber poIitifd)en Slrbeit, unb 6rrid)tung ber
tepräfentatiöen ©emofratie, als eingig legitimen 3tegierungSform,
aufeer loeld^er eS nad) 3luSf:prud) il^reS ©rfinberS „nur Ufur«
Jpation, ©uperfiition ober SBal^njtnn gibt", toeil jte allein „ben
2ßenfd^en öor bem Särger, baS 3fled)t über baS ®efe^, bie
aSorfd^riften einer unwanbelbaren SRoral über bie wedEifelnbcn
aSefiimmungen menfc^lid^er @inrid>tungen fe^t"*).
Su biefem Qxotd foH bie fociale ^^ramibe umgeftürjt unb
0 C hörest, La Chute de Pancien Regime, III, 134, 148, 168,
183—184.
2) Beaulieu, Essais, I, 139, cittrt bei (S^bel, ©efd^td^te ber SReöo-
luttonSaett, I, 47, Sßote.
3) ©ie^eS Bei DelSner, ©manuel ©ie^eS' politifd&e ©d&riften, SBorrebe.
112-115. *
*) O eigner, ©manuel ©ie^eS polittfd^e ©d^riften, SBorrebe, I, 27. Ex-
pose historique des Berits de Siey^s. An VIII. Wlotto beS 3:itefi)Iatte8.
Mignet, Notices historiques, Sieyes, 4 u. 9^ote ©. 3.
24*
368 ^^n S^fitm.
i^re bid^erige SaftS, bie föntglid^e ©ewalt, an bie 6pi^ gefegt:
werben, weil e§ ja üorlaufig ffir Stereo no6) emriefen bleibt^
„boB in ben 3Ronar(f)ien beffere ®arantien ber ^rri^eit als iit
ben SRepublifen befielen" ^), unb weil erfterc feinem Sbeal flaafc
lieber @in^eit, politischer @(e{d)^ett unb centralijtrter Senoattung
am flünftigften er[c^einen. ©leic^ nad) ber ©d^rift »Qu'est-ce
<\u(i lo Tiers?« brad)te feine näd^fte politifd^e Srod^ure') ben
^[iorfc^Iag ber großen territorialen Umänberung, wel^ nad^ ben
ftänbifd)en bie lofalen ^riötlegien opferte, bie ^roDingen in
Separtementö eint^eilte, bie l^iftorifd^e Äarte üon $ranfreid^ in
eine abniiniftratit)e t)erwanbelte, unb fo bad untiergleid^Iid^^e
Süerfi^eug jwar nid^t ber ^^ei^eit, wie il^r Url^eber meinte,
wo^l aber ber ßentralifation fd^uf, ba§ je ber S^ronnet ber
SJiaffen ober bem ©efpoti§mu§ eines ©injelnen gur Serffigung
geftcflt würbe**). DiefeS ®enie ber Organifation, baS felbfl auf
bie liiere pc^ erftredfte, bie mit einem aHiäl^rigen 3feji begifidft
werben follten*), unb beffen politifd^eS SBerf fo oft mit einem
S(i)ac^fpicl t)erglid)en worben ift, l^atte aileS, nur baS ©ine
n\d)t bered)net, bafe feine ijiguren lebenbig unb mit eigenem
SBillen begabt waren unb nid^t SSemunft, fonbem fielbenfd^aft
fte in Bewegung fefete. S)ie @rfal)rung l)ätte il^n barüber be^
Iel)rcn fönnen, benn er war in feiner @igen[d^aft als @eneral^
üifar bcö 33ifcl)ofS t)on ßl^artreS ßommiffär ber ©iöcefe bei ben
Weneralocrfammlungen beS ÄleruS, ©eputirter feines ©tanbeS
bei ben ^^Jroöinjialftaaten ber Sretagne unb bei ber ^rouingiat
ücrfammlung in DrleanS gewefen, wo, fd^on diarafteriftift^
genug, bie Seletinung mit einer reid^en Slbtci feine erftc ftd)
heftig antttnbigenbe D^ofttion befd)WidE)tigte^), gerabe fo wie
'j Mi^nct, Noticcs historiques, Siey^s, 3, SRotc. Ferrit res, Me-
moircH, II, 405. (Stc^cö 1701, nad& ber glud&t öon SSarcnnc«.
'0 S i c y 6 s , Plan de d(3lib6rations pour les Assemblees de bailliage, 1789.
-') Sioyös bei Mißriet, Notices historiques, 12. Lanzac de Laborie,
J. J. Moiiiiier, 242.
*) Dctöncr, ßmanuci ©te^e« polittfd^c ©d^riftcn, SBorrcbc, I, 80.
*; Lavergne, Les Assemblees provinciales, 174, fflott.
©ein ©Aftern. 369
DRctpoIeon nad) bcm 18 Srumaire \f)n burd^ SScrlcil^ung eineg
Qtjofecn Scjt^tl^umS unb eine§ ®tafentttelg für immer unmöglid)
mad)tc. Slber ©ic^eö öerad^tete bic ©rfalirung nid^t weniger
üK er bie ®efciöid)te ^afete. SBon ber einen wiH er feine S3e=
lel^rung, wn ber anbem feine ^räcebentien annel)men. ®er
Sunb biefer ßonftitutfon, bie 3ine§ um il^n l^er fucftte, würbe
il^m, faUg er eingetreten wäre, gerabcjn atö eine Kalamität er«
fd^iencn fein. „Sollten wir", ruft er empört, „am 6nbe be§
ad^tjel^ntcn ^ai)v})nnbeTt^ bal)in gefommen fein, bie Äenntniffe
ber ©efe^geber üon ©Otiten unb SBanbalen ju §ülfe rufen ju
muffen!"^). @r felbft öerlor feine ß^tt ^^^i bamit, in üer*
gilbten pergamenten ben ]^iftorifd)cn ©runblagen ber Station nad)=
jufpüren. 5Rad) ber SluSfage Söldner, bie il^n fanriten, fd)eute er
bie Arbeit, lag wenig unb liefe ftd^ fpäter bie feltenen SRale, wo
er überl^aupt fpradö, feine SReben öon beö 3ienaube§ auffd^reiben,
wie benn aud) alle feine @d)riften ©elegenl^eitsf^riften , ben
IBcbürfniffen be^ 2lugenblid§ entfprungen jtnb.
3n feiner Sibliotl)ef war wenig mel^r alö eine öollftönbige
Aufgabe öon SSoltaire ju pnben, bie er iebeömal, wenn er bamit
ju @nbe war, wieber öon üorne anfing, weil, wie er ftd) auö^
brudfte, „alle SRefultate ba gegeben feien" 2). ©umont, ber gu^
weilen bei ßuberfac, Sifd^of oon 6f)artre§, mit il^m gu 5j:ifdE)e
war, erjäl^lt, bafe er nie biöfutirte. 3Benn Semattb il^m wiber*
fprad), nal^m er an, biefer l)abe H)n nid^t öerftanben unb
auf ©inwänbe pflegte er nid)t ju entgegnen. %nx ben il^n
umgebenben gefellf(ftaftlid)en S^P^«^ empfanb er bie tieffte
a3erad)tung. „Sd^ glaubte", fäl)rt ©umont fort, „ha% bie|er
Sreil^eitöfreunb ßnglanb lieben muffe unb lenfte beöwegen
ba§ ©efpräd^ barauf. Slber ju meinem ßrftaunen mufete
id) wal^mel^men, bafe er bie gange englifc^e gonftitution
ate eine ßl^arlatanerie, erfunben um bem SJolf gu imponiren,
») DciSncr, emanucl ©ic^eS politifd&c ©d^riftcn. Siey^s, Plan de
d^lib^rations pour les Assemblees de bailliage, I, 223—224.
2) Sainte-Beuve, La Fayette, SRotc.
370
btttadftttt uob mitfeiMg festen er mir yx^äfiim, oü vif ilß
auf eitrige Stnjel^en beS SqftemS anfmerffoni ntai!^ Sinei}
Zü^, tuufi einem ^rrfil^ftfict bei Sdle^ranb, flingen mir jn-
fammen im 2uileriengarten fpo^iieren. Sieq^ mar mitt^famer
nnb ge||nrä(^ger dS fmtfi mtb fagte mir tiefe Sorte, bie
idi tAdft mieber Dergeffen ^obe: ,£ie ^olitft ifl eine SBiffen«
fc^aft, bie td^ erfc^öf^ ^ ^ben glanbe . . / Sie Serfe, bie
er aUen anbem oorjog, maren ber Socialfontroft, bie @^ften
vtm eonbiOac, unb Slbom Smit^". ^SBemi Sriffot', ffigt Sht«
mont ^nju, „Don (Sonftitutionen \pvadi, fo pflegte er gu fagen,
baburd) fei @nglanb gu @ntnbe gegmtgen. €ie9^, (Sonborcä,
(fi^arat unb eine ^enge Snberer, bie idf gefamtt l^be, bockten
ebenfo'' 'j.
®iefe ©d^tlbcrung uon ©ieije« flnbet fi(]^ burd^ il^n felbfl
beftätigt. SBenn er üon SRouffeau fprad^, oerfoumte er nid^,
^injujufügcn, „bafe bicfer in feinen berebfamen, an Sinjell^ten
reichen, im ®runb bürftig gcbad)tcn SluffteKungen bie ^ncipien
ber focialen ®iffenfd^aft mit ben Anfängen ber menfd^Iid^cn
©cfeUfd^aft öermcd^felt ^abc''^). ©icfe feciale SBiffenfd^aft
glaubte er feiner SKetapl^^itl mie SRincroa bem Raupte S^ptterÄ
entfprungen. ©ein bcwunbember SluSleger, DelSner, jögert
bcnn awd) nid^t, „bie Slnglomancn'', mie er fie nennt, SRoimier,
fiall^, 3WaIouet, al« „iftted^tc ber ©rfal^rung" ju branbmarlen^.
©er ©nflufe üon Sic^ög bcl)crrfd)te bie 5RationaIücrfammIung
n)äl)rcnb ber crftcn SKonatc il^rer ®auer, bi§ jum Hugenblitf
mo fein 3lfiom: „SBir tooUcn nid)t bcnSeji^ gerftören, fonbent
bie Scfl^er wcd)fcln'' *), fid) gegen il^n »enbete, bie Sieüolution
ju tl^rcm wal^reu Süaugelium, bcm ©ociallontraft gurfidflel^renb,
»f)anb auf blc Älrd)cngütcr legte, unb ©ie^eS öergebenä baö Ur*
tl^cll über Pe fprad): ,,@ie wollen frei werben unb miffen nid^t
') Du mont, Souvenirs sur Mirabeau, 63 u. 133.
*) Sainto-Heuvc, Sicyos. Causeries du Lundi, V, 150.
^) CcKsncr, C^manucl ^SIcDo« poUHMc ©cftrlften, »orrebe, I, 7.
*) Forri^^ros, Momoiros, II, 405.
grau üon @tael unb ©ie^eS. 371
gered^ }u fein". aSon ba an ergriff i^n bie tiefftc ajerad^tung,
fein Siograpl^ fagt me^r, „ein mal^rer &Ul" öor ber 3!Renfd^=«
ffüV), bie ftd| mcl)t nad^ feinem SSernunftbegriff conftruiren
laffen tpoHte. 6r l^üHte jtd) am gufe ber Sribüne üon 5IRirabeau
in baö gel^eimni^üoHe Sdjweigen, ba§ nid^t äum menigften jur
aufret^t^oltung feineiS Slnfel^en^ beitrug unb il^m feiner 5Reigung
nad^ geftattete, bie ^äben ber politifd^en Sntriguen in ber |)anb
}u bel^alten, ol^nc für bie Slrt unb SBeife, in ber er fte fpielen
liefe, gur aSerantwortung gejogen »erben gu fönnen, unb aßen
möglic^n ßomplifationen, menn nid^t immer mit einem perfön»
Hd^en aSortl^eil, fo boö) mit l^eiler §aut gu entfd^lfipfen. ©in
©l^arafter öon fo gmcibeutiger SSefdiaffenl^eit, bafe einer ber
e^renl^afteften aSertreter ber liberalen ©ejtnnung Sranfreicf)^
nid^t gögert, bie aSerSgeile ate auf il^n paffenb angufät)ren: >I1
vlt de haine et meurt de peur«^).
Sn ber S^it feinet erften SluftretenS, unter bem 6inbrudf
bcS 6rfoIg§ ber aSrodjure >Qu'est-ce que le Tiers?« lernte
grau üon ©tael ©ie^eg fennen^) unb fa^ üjn öfters afö ®aft
in i^rem ^aufe, mo SJlorriS eines SEagö bei 3:ifd^ mit il^m gu=
fammentraf unb auc^ mit anfjörte, „wie er SltteS, aaS öor i^m
über SRegierungöfunft gefagt ober gefungen toorben, mit berfelben
aSerac^tung ablel^nte". ©eS ®egenfa^eS gwifc^en feinem ©tanb«
punlt unb il^rcm eigenen war grau öon @tael fid) bamals nod^
fp wenig bewufet, bafe fte gu 9JiorriS fagte, „bie SJleinungen
unb ©d^riften biefeö 3!JlanneS würben in ber ^oUtif eine neue
Sera, wie 5Ren)ton'S ßntbedungen in ben 5Raturwiffenfd^aften
eröffnen" *). Später, in btn ßonftberationS, l^at ftd^ biefe . I^ol^e
SReinung über ©ie^eS ba^in mobificirt, bafe fte oon il^m, ber
0 ^«I'^n««» ®manucl ©tc^eS poltttfd^c ©d^riftctt, SBorrcbc, I, 81.
^) Laboülaye, Cours de Legislation comparee, les Pamphlets de
la Revolution. Revue des Cours litteralres, Octobre 1868, 777.
3) DciSncr, ©manucl ©tc^eS poltttfd^c ©d^tiftcn, SBorrcbc, I, 108.
*) Jured Sparks, Life of Gouverneur Morris, I, 353. L^ouzon-
Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de Stael - Holstein,
1789, 144.
372 S)tc aSßal&Icn öoh 1789.
jte öielc 3al^re überlebte, fagt, er fei ol^ne StBti^ü ein 3Rann
wn ebenfo großem aU umfaffenbcm ©eifte, aber abl^ängig Don
f old^en Saunen beö 6t)arafterg unb mit SBorten fo fparfam, bo^
jeine Sleufeerungen f d^on il^rer ©eltenl^eit »egen atö Drafel galten.
5IRit an bie @pi^e ber populären Semegung gefteHt, l^abe
fein eigentl^ümlid^eg SBefen i^n ebenfo ifolirt, als fein SJerjlanb
i^m Semunberer enoedCte. S)enn nid^t baju gentad^t, mit ben
9!Jienfd)en in S3erül)rung ju treten, fei er burd) il^re ©d^wäd^en
unb %t^tx ebenfo leidet »erlebt afö baju angelegt gewefen, jte
burd) bie feinigen gu öerle^en. 5Rur ba§ ©ne l^abe man mit
@id^erl)eit oon il^m genju&t, ba^ er alle ©tanbeSüorrec^te l^affe,
obnjol^l er grofee Slnl^änglid^Ieit für ben ÄleruiS bewal^rte, bie
il^m öon ben Seuten beS Serg§ in Slnbetrad^t feiner unoerföl^n*
liä)tn ?5einbfd)aft gegen jebe Slrt ber Slriftolratie öerjiel^en
tüorben fei^).
®ie (greigniffe l)atten längft Älarl^eit in bie Sejiel^ungen
gn)ifci)en i{)r unb ©ie^eö gebrad^t. §)?adö bem 13. SBenb^miaire
toar eö gum Srud) jtt)ifd)en il^nen gefommen, ben fpätere (Sx^
eigniffe unb ber SlntagoniSmuö il^rer Stellung ju SBonaparte
nur nod) mel)r erweiterten.
5Rod) im Januar, am 24.^ toäfirenb ber Äricgäruf üon
©ie^eg in§ Sanb ging, erliefe nieder bie SBal^lorbnung jur S3e*
rufung ber ©tänbe, bie juerft am 27. Slpril, bann am 5. üRai
jufammentreten foHten. SBergebenö forberte man bie Slegierung
auf, je^t wenigftenö bie SBa^Ien ju beeinfluffen. Submig XVI.,
ber feinen SJiiniftem öerboten l^atte, in irgenb einer SBeife m
bie aSeratl^ungen ber 5Rotabeln ft^ ju mifd)en, unb Sftedtcr, ber
eine SBeeinfluffung ber 3Bal)len, toie fpäter ben SSerfud^, eine
^Partei in ber 5RationaloerfammIung ju geminnen, ebenfaHö als
unmoralifdE) öermarf, maren oor ber ^anb in fjranfretd^, wo
SlHeS öon ßonftitution fprad^, bie einzigen, bie conftituttonctt
*) Madame de Stael, CoDsiderations. Oeuvres, XII, 209 u. 305.
*) Malouet, Memoires, I, 254.
S)ic SöalWen öon 1789. 373
l^anbeltcn. So wäl^ltc bcnn guni crftcn unb legten 9!)lal mit
ööKcr iJrcil^ctt ba§ gange Sanb, unb. jwar nid)t nur bic 9Känner,
fonbcm in bcn priöilcgirten ©tclnben, xoo ber S3ejt^ repräfen*
tirt war, aud) bic ^auen, unter anbern bie Slebtif jtnnen ^),
»fil^renb brei SKonaten unb in l^unberten öon Söerfammlungen
feine ©eputirten unb rebigirte bie t)ielbefproci)encn ßa^ierö, in
weld^en nad) alter Sitte bie Älagen unb 3Bünfd)e ber SBäl^ler
fcbeS ©tanbeS il^ren Slbgeorbneten gugefteHt würben. @^ ift
wieberl^oU öerfud)t worben, in biefen gal^Uofen ©ofumenten
überctnftimmenbe ©ebanfen ju entbeden. Saboula^e, ber franjö«
pfd^e 9fled)t^elel^rte, fül^rt jte, infoweit fold)e überfjaupt öor*
^nben jtnb, auf ben ©influfe ber für bie SBal^löerfantmlungen
beftimmten ©d^rift öon ©ie^eS jurüdE, bie ber ^ergog üon Dr*
teanS verbreiten liefe '•^). @ie gab bem %itx^, mit anbern SBorten
ber Sourgeoifie, bie ben 2lu§fd)lag gebenbe 9iid)tung, benn ber
SBauemftanb unb bie Slrbeiter fpielten bei ben SBal)len eine fo
pafftöe dtoUt, bafe man unter ben fönf^unbertad^tunbjiebenjig 3!H\U
gliebem be§ %kx^ faum fünf Sauern ^äijltt^y ©d^werer alö für
bcn @tanb, ber 8(Ke§ für jtdö begel^rte, war bie Slufgabe für SDie*
icnigcn, bic nur Dpfer gu bringen t)atten. S)er Sefc^Iufe ber dtt-
gierung Dom 27. ©ejember 1788 l^atte bereite aUe pefuniären ^ri^^
öilegien öcrurtl^eilt ; übereinftimmenb bamit wiHtgten bie 6al^ier§
ber beiben crftcn Staube in baö ^rinctp glei^er Söertl^eilung ber
abgaben, gn ben wic^tigften anbern fünften, wie Sluf^ören
aKer SBiUfürl^errfd^aft, 5j:l)eilung ber ge[e^gebenben ©ewalt
jwifdöeii bem Äönig unb ber Station, 3Riniftert)erantwortlic^Ieit,
regdmäfeigc ^Berufung ber ©eneralftaaten unb ^roöingialöer^
\j_
*) Laboulaye, Cours de Legislation comparee, TAssemblee Consti-
tuante. Revue des Cours litt^raires, VI. Annee 1868—1869, 322.
*) Sieyfes, Plan de delib^rations pour les Assembl^es de bailliage.
©eigner, I, 195.
^) Laboulaye, Cours de Legislation comparee, TAssembl^e Consti-
tuante. Revue^'des Gaurs Utt^raires, VL Ann^e 1868—1869, 327. 9Ue.
bul^r, SJorlefungen über bic fransöfifc^c SRcöoIution, 1, 174.
374 S)te Sßalftlen toon 1789.
fammlungen, äiefonn ber @erid^töbarf dt ^), »ar gleid^foQd fein
principieller ©egenfa^ jmif^en ben äBunfd^en ber @tänbe gu
finben, nid^tö tuaS eine SSerftönbigung jioifd^en il^nen Derl^inbert
l^ätte, menn iDirflid^ bie Segritnbung ber f^eil^eit bad gemein^
fatne Qkl gcwcfcn wäre 2). Sflod^ in ber Srod^ure öom ©ejcmbcr
1788 Üagte @iei)eS, „ba^ QxDt\tammtx\)()ft^m gäl^le eine fo gro|e
SRenge öon Slnpngem, bo§ ntan barüber erfd^redfe" ^). 5Run,
nad^ wenigen 9Jlonaten, bie grßfeere SJeränberungen ote fonft
2;a]^rjel^nte ftd^ üolljiel^en fallen, war ba^ fd^on anberiS geworben.
S)en S:ier^, weld^er injwifd|en Don ©ie^^ bekl^rt, nid^ nur bie
^oUtifd)e, jonbem aud) bie fociale ©leid^l^eit woEte, unb bie nad^«
brängenben Sauem, bie bag Sanb begcl^rten, lonnte feine ber*
artige ßoncef jton mel^r befriebigen. 6^ fel^lte nid^t an SBamnngcn
für bie SRegicrung, wag gu gewärtigen fei, wenn fte nic^t bod^
nod) bie SSermittlung übemel^men unb mit einem beftimmten ^ro«
gramm jwif c^en bie Parteien treten würbe, ^n brei ^oöinjen, in
ber $rot)cnce, ber i5rand^e==6omte unb ber Sretagne, lam eö gu
offenen ©ewalttl^aten gwifd^en ben Stäuben. 3u 9HarfciHc unb
Slif war eg SKirabeau, ber bie Drbnung wieberl^erfteKen l^alf,
ba bie 9iegierung, wie 5Recter e§ auSbriidte, ,,oor unbebad^ter
Slnwenbung ber ©ewalt" gurüdfc^redte*). ©ie ^and^e«=6omte
gab ba§ Seifpiel be§ Slngrip auf bie @d^Iöffer> unb ber Hbel
ber Sretagne weigerte ftd^ überl^aupt, ©eputirtc ouiS feiner
3!Jlitte gu wäl^len. SBäl^renb ber öicr ÜRonate oor Sinnai^me
ber SaftiHe gäl^Ite man breil^unbcrt Slufftänbe in granlreid^,
wooon ber erfte in ^ari§ am 28. Slpril auSbrad^, weil ber. ^flbel
bie ^apierfabrif oon SReüeillon auf ben aSerbad^t einer ^erabfe^ung
beö Slrbeitlol^ng l^in plünberte unb aHer SBal^rfd^einlid^fcit nad^
') Larcy, Louis XVI et les Etats G^neraux. Correspondant 1868, 505.
^) Dareste, Histoire do France, VII, 149, Henri Martin, Histoire
de France, XVI, 648—649.
3) D eigner, ©manucl ©le^^S polttifd^e (Schriften; SBcrfudS übet bie
»orrcd^te, I, 118.
*) De Tadministration de Monsieur Necker, par lui-meme. Oeuvres^
VI, 183.
S)ie ffial^Icn öon 1789. 375
üom ^crgog öon DrKanö bafür bcjal)!! würbe ^). S)er ©arten
fernes ^alatS ro^al war jum (51ub geworben, wo Sag für Sag
aufrül^rerifd^e Sieben bie Äöpfe erl^i^ten nnb bte ^oltgei fid^
dneS alten 5ßorred^te8 wegen nid^t jetgen burfte.
©d^on üom fjebruar ift ba« ©effänbnife ?iecfer'§, bafe fein
©cl^orfam mel^r unb man felbft ber SEruppen nid)t jtd^er fei. @r
nrfeberl^oltc eS bem Äönig ütergelin Sage öor Eröffnung ber
©enerolflaaten unb fügte l^inju, er fürd^te, ba§ ber SKonard^
über bie ©timmnng in ber Slrmee getäufd^t werbe ^.
fjrau üon ©tael l^atte bieS wol^I üergeffen, als fie eine
ber irrlgflen Sel^auptungen ber „ßonfib^rationS" mit ben SBorten
tticberfd^rieb, baS SSertrauen in bie 3flegiernng fei fo grofe ge*
»efen, bafe tro| ber l^errfd^enben 9lotl) bie Drbnung in Sranf*
rcid) wäl^renb beS SBinterS 1788—1789 nirgenbs geftört worben
fei. ©n »rief üon i^r, öom 21. Januar 1789 batirt, fpridt)t
bie Hoffnung auS, unerad)tet ber S^^fpliWerung ber üorl^anbenen
Äräfte, baS SBerfaffungSwerl gelingen jn feigen, „fjranlreid^",
fd^reibt fie bem il^r perfönlid) nid^t befannten fdl)webifdt)cn 6or*
refponbenten, „ift auf bem ^unlt, ©uropa ein gewaltiges @dl)au*
fpiel ju geben. ®ieS allein foHte feinen ©l^rgeij werfen, aber
id^ gittere für ben öon Älippen umgebenen Steuermann"^).
5ftod^ blieb ber Drt ju beftimmen, an weld^em bie ©eneral*
ftodten güfammentretcn foHten. 3Ran l^at oft gegen nieder bie
©rittärung feiner fpätern ©djriftcn angefül^rt, bei gewiffenl^after
Prüfung feines öffentlidE)en §anbelnS fei er ftd^ leiner Sd^ulb
bewußt*), ©ne SluSnal^me aber i)at er boc^ gemacht. „®in
^) Taine, Origines de la France contemporaine. La Revolution, I,
13, 17, 18 u. 40. Jefferson, Complete WorJjs, Autobiography, I, 100.
Droz, Histoire de Louis XVI, 171.
') Malouet, Memoires, I, 287.
*) Uuöcbrutftc aSriefc öon 8ftau öon @tael, im SScfife ber UnlöcrfitätS«
bibUoQel Upfala. gftau öon ©tael an iRtlS öon Sfiofenfiein. ^oriS, 21. Sa*
nuor 1789.
*) De Padministration de Monsieur Necker, par lui-meme. Oeuvres,
VI, 88.
376 2)ie maf^Un t)on 1789.
Srrtl^uttt, ben ic^ bamate beging" — fo fd^rclbt er 1791 — ,
„ift nid^t befannt geworben. 3c^ fd^Iug nämlid^ bem Äönig
\)ox, bie ®eneralftaaten in $ariS ftatt in SSerfailleg ju öer^
fammeln. Seine ^JKaJeftät war e§, bie jid^ meinem Sßorfd^lag
au^ jel^r guten ©rünben wiberfe^te" *)•
®er 5JKonarci^ ffird^tete baö ^daiiS ro^al unb ben äufrul^r
in ben ©trafen, ber SRinifter bie ßabalen öon SSerfaißeS, mel^r
nod) alö ba^ Uebergewici^t ber ^avo^t^tabt, gegen ipeld^eS er
nad) bem S^iifl^ife ^on ^rau öon Staöl, burd^ bie ^oöinjiafc
öerjammlungen gu reagiren l^offte^).
@o würbe unter bem S)ad^ Subwig'jS XVI. SHaum für bie
abgeorbneten gefd^affen. 9lur ben ©ifeungSfaal beS Sierö untere,
lieg man bis jum legten Slugenblid ju beftimmen, mad äSeran«
laffung gab, bafe bie[er bie mit Tribünen öerfel^ene, fogenamtte
@aUe beö ©tats erhielt. 5JKalouet erjäl^lt, bafe SfledEer, oI« burd^
Slnwefenlieit be§ ^öbels auf ben ©aUerien bie ffölgen biefe«
öerliängnifeDoHen Qu^aM jtd^ geltenb mad^ten, auf ben ©ebanleti
öerfiel, ben @aal in einer 5)Zad^t unter bem SSorwonb ber S3au«
fäUigfeit nieberreifeen ju laffen.
©eine SWauern ftel)en nod^ l)eute. ©ie 5Konard^ie fiub«
wig'ö XIV. mar eö, bie gufammenftürjte.
^) De l^administration de Monsieur Necker, par lui-meme. Oeuvres,
VI, 54.
^) Madame de Stael, Considerations. Oeuvres, XII, 86 — 87.
^) Malouet, M^moires, I, 295.
$(#js ^flpitel
„ffiicienigcn, bic in ber franjöpfd)ctt Sieöolution eine gu*
fftBige Scgcbenl^cit ju feigen glauben, l^aben il^re SHcfe toeber
auf bic aSergangcnl^eit nod^ auf bie ßwfwnft gerid^tet. @ie
l^ben bie @d)aujpieler mit bem StüdE üerweci^felt unb in ber
Äeibcnfd^aft ben SJlännem beö 3lugenblirf§ jugefci^rieben, waö
baö SBerl ber S^l^rl^unberte war" ^).
9nit biefen SBorten eröffnet ^au Don Staöl ba§ ©enfmal,
ba« fle ber Sfieöolution gefegt l)at. 2lm 4. SJiai, bem Sag beö
feierlichen ©otteiSbienfteö, weld^er bem ßiijcinimentritt ber dttiä)^^
flänbe öorl^ergel^en foHte, unb ju tüeld)em l^alb §ßari§ nad^ 9Ser=
faiUeS geftrömt war, um ben Qmq ber 3)eputirten mitangufel^en,
befanb ftd^ Sderfer'ö Sod^ter am felben ??^en[ter mit Sßabame
be 5Kontmorin, ber S^'ciu be§ SKinifterS ber au^märtigen Sln=
gelegenl^eiten. „^6) gab mic^", fd^reibt fie, „ben lebl)afteften
Hoffnungen l^in, alö id^ gum erften 3KaI in ^ranfreid^ bie
SBertrcter ber Station erblirfte. 5[Jlabcime be 5[Jlontmorin, beren
SBerftanb im Uebrigen burd^auö nid^tS l^eröorragenbeS l^atte,
fagte mir in einem entfd^iebenen 5ton, ber feine SBirfung auf
mid^ nid^t öerfel^lte: @ie l^aben Unred^t, jtd^ ju freuen. Sluö
allem JDem werben grofee Äataftropl^en für ^Jranfreic^ unb für
ung entfielen."
*) Madame de Stael, CoDsiddrations. Oeuvres, XII, I.
378 @Töffimn0 ber ®eneralfiaaten.
„S)icfc unglficflicj^e grau", fügt fjrou Don Stael l^inju,
^ftarb auf bem Schaff ot mit einem il^rer ©ol^ne. ®er anbete
ertranf. Sl^r ®atte würbe am 2. September in ©tüdte ge-
nauen; il^re altefte Sod^ter ftarb im Äranfenjümncr eines ®e*
fängmffeö; il^re jüngere Soc^ter, SJlabame be Seoumont, ein
eble^, geiftreid^e^ SBefen, ift ber Sajt il^rer f^merjlic^en 6r*
innerungen Dor bem DoHenbeten breifeigften gebenSial^r erlegen.
®ie Sfliobiben l^aben fein tragifc^ercg ©d^idffal erfal^ren als
biefe unglürffelige SJiutter" »). Sn ben »ieil^en be« «bei« fa^
jte ,,gläujenbe 9?uHitäten", in ber l^ol^en ^rälatur mand^e be«
rüc^tigte ©rfd^einung Dorüberjiel^en, bann famen, burc^ ein
SKufifd^or öon ben geiftlic^en SBfirbenträgem getrennt, bie ga^I*
reid^en Pfarrer, unb l^ierauf ber Sierö, Slböofoten, 9h)tare,
einige Slerjte, ad^tunbbreifeig fieine ©runbbeft^er, einige fed^ig
Snbuftriette, unter fünfl|unbertjtebenunbfiebengig äbgeorbneten
etma jel)n 9Jlänner, bie grofee Slemter im Staat befieibet
l)atten2). grau Don @ta6l folgte bem auf breiten @d^nltem
liegenben, ftruppigen Sorfenl^aupt SUttrabeau'S , Don bem, l^atte
man il^n einmal in§ Sluge gefaxt, ber Slicf fid^ nidjt u^ieber
abmenben fonnte; fie toar am folgenben Sag, ben 5. 2Rai,
auf il^rem $la^ in ber Sribüne, um ber @röffnungdceremonie
beijuu)ol^nen, bie unter 9(nbem aud^ Saron @rimm old Slugen«
jeuge unb nod^ auöfül^rlid^er alö fie felbft befd^reibt. Sn
bem proDiforifd^ errid^teten ©aal, Don jonifc^en Säulen ge«
tragen, beffen Dberlid^t eine jeltartige ©rapirung Don tt)ei^em
Saffet Dämpfte unb präd^tige Seppid^e fd^mfidten, crl^ob fid^
an einem @nbe bie ©ftrabe für ben Äönig, bie ^ngen unb
©rofeiDürbenträger be§ $of§. S)er SEI^ron ftanb imter einem
prad^tDoKen Salbad^in; gu feiner Sinfen ber fiel^nftul^I Der A3*
nigin, l^ierauf ©i^e für bie föniglid^en ^ringeffinnen; bie ber
springen ftanben gur Jfted^ten. 3^^ güfeen beS Sl^ronö nal^men
ber @iegelbett)al)rer unb ber Dberftfämmerer 5ßla^, toeitcr unten,
') Madame de Stael, CoDsideratioDS, XU, 194.
^ Taine, Origines de la France contemporaiDe. La Revolution,!, 155.
©aton ©Timm botüBct. 379
an einem langen Sifd), ben ein mit golbenen Sitten reid^geftidfter,
Dioicttcr ©ammettcppid^ bebecfte, fafeen bie ©taatöfefretäre; re(f)tS
unb linfö öon il)nen ©taatSrätl^e, JRequetenmeifter, bie ®dnt)er*
neure unb 30Wtttärtommanbanten ber ^roDtngen. 3luf ber Sang*
feite jur 9fiect)ten nal^men bie ©eputirten beS Äleru^ 5ßla^, bie
(Sarbinäle unb ber ©pisfopat in öoHem Drnat. S^^nen gegen*
Aber fa^en bie beö Slbelö, in golböerbrämtem fd^warjen SJiantel,
golbgefiidftem Unterlleib, aufgefd^lagenem Seberl^ut, ©pi^en*
fraöatte unb meinen ©trumpfen. 3n ber 5!JHtte, bie Sttcfe auf
ben SEl^ron gerid^tet, ber Stierö, in bem fo oft in SBort unb 33ilb
bargeftettten fdjmargen Slnjug, mit furgem 3JlanteI unb breimal
aufgefd^Iagenen §ut, ol^ne jebeö Slbgeid)en. S)ie Sogen ber @e*
fanbten unb ber etma jmeitaufenb jäl^Ienben Sufci^auer, im erften
SHang meift nur 2)amen, oertlieilten ftc^ jwifd^en ben ©äulen.
Unter ben 5)tiniftern war SRerfer ber eingige, ber ftatt ber
rid^teriid^en Slmtöfleibung ber ^Parlamentarier ober ber arifto*
fratifd^cn Srad^t mit bem ©egen gur Seite, in einfad^ bürger«
lieber Äleibung erfct)ien, »pluie d'or sur fond canelle«, mit
teid^er ©tieferei. Sei feinem ßintritt in ben ©aal empfingen
il^n lebhafte SeifaHöbejeugungen, bie |td^ für ben §ergog oon
Orleans tt)ieberl)olten; als er, ba^ einzige 3Kitglieb beö Sierö
unter ben ^ringen be§ .&aufe§ ^ranfreid^, al§ ©eputirter für ßrep^
im 38aloi§ erfd^ien, unb feinem ßoKegen, einem Pfarrer, ben SSor*
tritt liefe. S)ie 3)eputirten be§ ©aupl^ine erl^ielten megen ber oon
il^nen burd^gefül)rten ^Bereinigung ber ©tänbe eine unbebeutenbe
Oöation, aber ben SSerfud^, jte für bie Sßertreter ber §ßroDence gu
erneuern, unterbrad) 3Ud)^^ i^nb Gemurmel, beffen Segiel^ung
auf ben ©rafen SDfirabeau er felbft am ttjenigften mifeöerftanb.
Sm ©aale öertl^eilten pd^ inbeffen feftlid^ gefleibete ^erolbe unb
föniglid^e ©arben gur Slufred^terl^altiing ber Drbnung.
Sflad) gwei ©tunben, gegen elf Ul)r, trat, gefolgt öon feinem
gangen §au§ unb umgeben öon ben l^ol^en SBürbenträgern feiner
^rone, ber ^önig ein, im großen 5Rantel unb geberl^ut, mit
^)rad^tt)ollen ©iamanten gefd^mürft, aber, toa^ auffallen mufete.
380 Sdaam Qnmm bacübcr.
o^ne aDe 3n{tgnen fotriglid^er Sßürbe^). S)ie SSerfammUtng
empfing i^n ftel^enb, mit begeifterten 3unifen. S)te Königin,
bie am Dorl^ergei^enben Sag einem eiftgen Stillfd^iDeigen begegnet
roax, lieB etmaS auf fi^ »arten unb il^re S&ge Derriet^en, als
fte eintrat, Spuren ungett)ö^nlid^er SBekoegung. Qmn erften
^al uberfam t^au r)on @tae[ ein @efül^I ängftUd^er Sangig«
feit ; fte glaubte ben gangen @mft ber Sage hn ©eftd^ttouSbruc!
ber ©eputirten ju lefen unb fragte ftd^, ,,»a8 auiS einer SBer*
einigung Don SKdnnem werben foUe, beren ganged ®ef^äft
ftd) auf ©pred^en befd^ränfte'' 2).
2)er ßönig Ia§ mit äßürbe bie Segrugungdrebe an feine
©tänbe. @ie fprac^ bie Däterlid^ften ©effil^Ie unb Hoffnungen
auf beffere Seiten au§, entl^ielt in politifd^er Segiel^ung aber
fein SEßort oon Sebeutung. ©ennod^ tourbc berÄfinig gweimal
burd) afüamationen unterbrod)en. SBaS man in feiner SRebe
öermifet l|atte, erwartete man öon Jenen feiner SHatl^geber. 3)er
©iegelbetoal^rer Sarentin ergriff nac^ xf)m baS SEßort, aber um
noc^ weniger gu fagen. ®ie grofee gtage über bie Art ber
abftimmung berül^rte er nur gang oorübergel^enb, um gu er*
wäl^nen, bafe fte burd^ bie freie ©ntfc^eibung ber ©eneralftaaten,
mit 3wfKwtwii"Ö ©einer 5)taieftät erlebigt werben würbe, unb
jic^ l^ierauf wieber in ©emeinplä^e über bie Dioti^wenbigfeit beä
fJriebenS unb ber ©tntrad^t, ben @egen ber burc^gufül^renben
^Reformen gu öerlieren. 9lun erl^ob ftd^ SiedEer gu einer mel^r
atö breiftünbigen JRebe, bie Srouffonnet, ber SSorftanb be«
lanbwirtl^fd^aftlid^en 9Serein§, nad) ber erften l^alben ©tunbe für
ben 5[Jlinifter weiter laö, worauf biefer jte oollenbete, wie man
fagt, um ben fd^Iimmen (ginbrudf gu üerwifd^en, ben fte bei ber
Sßerfammlung l^eroorgurufen fdt)ien^). Sie war oor Allem eine
g^inangrebe unb wieberl^olte aU f olc^e bie Saftil be§ ßompte renbu-
^alfd^e eingaben entl^ielt jte nid^t, aber inbem jte wid^tige ^^fte
') Droz, Ilistoire de Louis XVI. II, 174.
^ Madame de Stael, Consid^rations, XII, 174.
"*) Chcirest, La Chute de Pancien Regime, III, 22.
sRcdcr'ö SRcbc. 381
mit ©tiUfd^weigen überging, gab |te bennoc^ ein falfd^e^ Silb
bcr Situation. ®aö feit Srienne um etwa fünfgel^n 9)^iUionen
rebujirte Jäl^rUc^e deficit würbe auf 56 SRillionen angegeben,
aber bie fc^redfenerregenbe Sl^atfad^e, bafe bie fc^webenbe Sd^ulb
551 »/a SKiHionen betrug, im Unflaren gelaffen^), wä^renb bie
SRaferegeln jur §erfteUung be§ ©leid^gewid^t^ im Sat)re§bubget
mit fo peinlid)er ©enauigleit erörtert würben, ba^ felbft ber
Umftanb jur @prad)e fam, ob e§ nid^t etwa beffer fei, ben
SRcgie'Stabaf gepulöert gu üerfaufen ^). 3)iefer 8lrt ber a3el)anb=
lung ber finanziellen Slngelegenl^eiten lag übrigen^ eine wot)U
überlegte Slbjtc^t ju ®runbe. ®enn nid^t nur glaubte 3lecfer
immer nod^ ernftlid^, ba% mit Sftufie, Orbnung unb gewiffenl^after
©parfamfeit bie ®elbüerlegen^eiten be§ Staate^ ju überwinben
fein würben; er woUte üor SlKem wie fc^on bemerft, üerl^tnbern,
ba^ be§ Äönigg Slnfel^en burd) ba^ SSefenntnife einer Slotl^lage
öor bm Sßertretern ber Station gefc^äbigt werbe. ®aburd) er*
Härte ftc^ ber äuüerjtd^tlid)e Son, mit bem er üon ber Sage ber
fjinangen fprad), unb bie SlücHe^r ju feinem ©tanbpunft, nad^
welchem er bie Berufung ber (äeneralftaaten üon ©eiten be§
ÄönigS nid^t alö einen 2llt ber Slotl^wenbigfeit, fonbern alö
freies Si^Ö^ftä^i^^ife f^i«^^ ©ered^tigfeit l^injufteHen ftdt) be=
mü^te. „(5ö gibt nur eine grofee, nationale ^olitif, ein
^rincip ber Drbnung, ber Äraft unb beö ®Iürf§\ fpra^
Sdeder, „unb biefeö ^rincip ift in ber ooHfommenften 9!ÄoraI,
bcm Sieblingöwerf be§ SlBer^öd^ften gegeben" 3). ®urd^ ©in*
trad^t unb ©anfbarfeit, 5lufopferung unb Sauterfeit ber ®e=
ftnnung, Eingebung an ba^ öffentlid)e SBol^l unb alle eblen
@efül)lc in ber 9Renfd^enbruft, an bie er appetlire, werbe e§
burd^gcfül^rt werben. 6nblid^ aber, nadt) langen 5)leben§=
») (S^bel, ©efd^id^te ber SRcöoIutionSaeit, I, 45—46. Sefer, ««cdet'S
jwcttcS aWiniftcrium, 123.
2) Droz, Histoire de Louis XVI., II, 176, 92ote.
3) Neck er, Discours ä Touverture des Etats-g^n^raux. Oeuvres,
VI, 557 u. 560.
»Unncr^attett, ^rau toon ©taei. I. 25
382 9«ccler'ö SHebc.
arten, gelangte ber ^Sitnifter boc^ an btn ^aitptpunft, bie
grofee Sßerfaffungöfrage ber äbfümmung nad^ Äöpfen ober
nac^ Stänbcn. ®ie red^tltcl)e 6ntfci)e{bung lag, barfiber beftanb
fein S^^^if^l in be§ Äönigö $anb. 6ö war öergebenS, fein
Slnfel^en in ber f^inanjfrage ciferfüd^ttg gu becfcn, wenn feine
Slutorität nid^t über ßonftitnirung ber ©tänbe cntfc^ieb, bie
wenige äugenblirfe Dorl^er nod) baran erinnert toorben waren,
bafe jte bie ©rneuerung il^reS Seftel^enö nur feinem SBiUcn ju
banfen l^atteu. ©a brad)te, inmitten atl^emlofen ©d^wcigenS
ber ßi^prc^r ^i^ minifterielle Sftcbe je^t, ftatt ber erwarteten
6ntfd)eibung, bcn 3lu§brucf blofeer 3Bfinfd)e öon Seiten ber
Diegierung. ©ic Stänbe, meinte Slecfer, foHten anfangt getrennt
Don einanber beratl^fdjlagcn, bamit Slbel unb ÄlcruS mit öott-
fommen freier Selbftbcftimmung baö Dpfer xi)xtx pcfunidrcn
5ßorred)tc bräd^ten, worauf jeber Staub burd^ bcfonberc (5om*
utiffäre jur Untcrfud)ung ber ^rage fd)reiten fönnc, in weld^en
Italien eö pd) entpfel^Ie gemeinfam, in weld^en nad^ ©ton»
bcn gu ftimmen. gür beibe formen ber Slbftimmung fül^rte
er enipfel^Ienbe ©rflnbe an unb fd)Io6 mit ber Slufforbcrung an
bie 5öerfammlung, beut Souöerän, „al§ SBormunb feines Sßolfeö",
mit weifen 3iat^fd)Iägeu gur SBegrünbung ber SBol^Ifal^rt bc3
5Reid)^3 entgegengufommen unb nid)t eiferfüd^tig mit htm wol^I«
tl)ätigen ©influfe ber Qdt wetteifern gu wollen*).
2Bol)in bie per[önlid)eu S^mpatl^ien beö 5Kinifter« neigten,
üerriet^ jtdt) nur etwa in ber Semerfung, bafe eS bem SKonard^cn
leid)ter fein werbe, feinen gefürd^teten ßinflufe auf eine SBerfoumi»
lung, alö auf gwei Kammern gcltenb gu mad^en. ©ne beftimmtete
al§ bie[e negatioe (Smpfel^Iung beö S^ftemS, burd^ weites er regieren
wollte, wagte 5Jlecfer nid^t^). 2lls gu fpäter aiad^mittagftunbe
') Lord Auckland, CorrespoDdence, I, 320. 2)ec Sorrcfponbent ift
^uber, ein ^ernjanbter ber gf^^mtlte S^eder. Madame de StaeI,XII, 196—
107. L^ouzon-Le Duc, Gorrespondance da Baron de Stael-Holstein,
99—100. S^epefd^e dlo. 113' öom 10. SWai 1789.
^ Necker, Discours ä Pouverture des Etats-g^n^raox. OeuYres,
VI, 611.
Uttl&cUc über bicfclbe. 383
t)cr SBortrag unb mit il^m bie fjeierlid^fcit ju 6nbe fam, crl^ob
^ä) bcr Äönig unb öcrlte§ unter begeiftertcn 3itnifcn bie 38er*
fanmilung. SSJäl^renb bie Königin il|m gu folgen pd^ anfd^irftc,
rief eine Stimme, „nod^ gerül^rt öon ber 9JliId^ frommer
®enIungSart", il^r ein gebel)oci) gu. @ie öemeigte ftd^ tief unb
erntete eine Döation^). ®ann geleitete eine jubelnbe 3Renge
ben ^of ins föniglid^e ©c^Iofe gurücf. Slud^ SledEer mürbe
totcber ctpplaubirt. (Srft rul^igere Ueberlegung unb gegenfeiti*
fler 3Reinungöauötaufd^ brad)ten ein Urtl^eil über baS Sage*
merl öom 5. 5öiai. 9?ad^ ©ouoerneur SKorriö l^atte „Sourbon
im erften Slft bes ®rama§ gmar bie ijreil^eit gegeben, aber
bann, ol^ne eö aud^ nur gu bemerfen, gugleid^ abgebanit".
Slid^t ber Äönig, vooljl aber feine Umgebung l|abe, nad^ be§
SlmerifaneriS energifd)en Söorten »the pang of greatness going
oflfc gefül^It. 9JlaIouet fal^ „burd) beS Äönigö 33ergid)t auf
^ntfd^eibung bie SBranbfarfel ber ßwietrad^t in bie 33erfammlung
flef(f)leubert" 2). Sud^ gtau öon @tael erfennt bie Sragmeite
beg ®efd^el)enen, aber jte biUigt ben (äntfd^lufe il)reö SSaterS,
bie ^erftettung ber ßonftitution btn ©eneralftaaten überlaffen
ju l^aben. 35ie Unöerbefferlic^en ber ^ofpartei gemannen auS
Sfteder'ö SRebe ben ©inbrud, bafe bie ^Berufung ber ©tdnbe ptte
t)ermieben merben lönnen, unb ben ©eputirten be§ SierS entging
t^ nid^t, bafe ber 9Jlinifter gmar um i^ren Slatl^ gebeten, aber
il^rcr SHed^te, ber ©teuerbemiUigung öor Slttem, mit teinem SSBort
ßrmäl^nung getl^an l^atte. Siemes nannte 9lecfer „einen oott*
fommenen Sled^enmeifter, mit poetifd^en Sin* unb SlujSftd^ten" 3).
©ie befte 3ied)tfertigung, bie 5ße(!er felbft für pd^ geltenb
mad^te, mieberl^olt 9liebul^r. @r fül^rt an, bafe ber 5Ktnifter
einmal gefagt l^abe, man merfe il^m t)or, bem Äönig leinen
^) Jured Sparks, Life of Gouvernor Morris, with selections from
his Correspondence, I, 304 — 308.
^ Malouet, M^moires, I, 295.
8) 8t. SB. ©d^Iegel, galob ««ccler, STuffa^ in ben Seitgenoff en, I,
1816-1817, 37.
25*
384 i^rüfung bcr SBal^Iaeugniffe.
5Rat^ gegeben gii l^abcn. 3)a§ fönnc man nid^t toiffcn, bcnn
XDoi)l fei c3 möglid) für einen Slnbem Scrftanb, nicmate aber,
für einen Slnbern 6l)arafter ju l^aben. SBebcr bamalS nod^
fpätcr fonnte er mit 3iJöerjtct)t auf bic Unterftfi^ung bcö SJlon»
ard^en red)ncn^).
Sd^on ber folgenbe Sag fül^rte mit ber Sonnfrage über
bie i^rüfung bcr 2Bal)Ijeugniffe bie ÄrijtS gerbet. ®er Slbcl fc^ritt
ol^ne Bögern jur Sßerificirnng feiner SJianbate; bie ©eiftlid^feit
fd)icn bereit, ein ®Ieid)eö jn t^un, al§ ber SierS bicfe Prüfung
burd) alte brei ©tänbe gugleid) verlangte unb bafür auf ba§
Seifpiel von 1483 uenuie^, n)ä^renb ber 8lbel auf baS gegentl^eilige
a}crfal)rcn mi 1614 ftd) ftü^te.
(5ür ben in bered)neter Untptigfeit abwartenben SicrS war
eö nur 9Jlittel jum 3^^^*" ^^^ SSereinigung ber ©tänbe, für
nield)e u. a. bic abeligen ©eputirten ber ®aupl)ine, bann ber
^crjog üon ßiancourt unb Sa gatjette il^re ©tanbcSgcnoffen
JU gciuinnen fud)ten, obwot)! Sa ga^ette noci^ im Stpril baS
3tüeifammerft)ftent, weil e§ in Slmerifa eingefül^rt war, al§
allen feinen 2Bünfd)cn entfpred)enb, bejetd^net l^atte^), SWan er-
nannte auf btix ücnnittelnben SSürfd)lag be^ ÄleruS ßommipre,
um 33efpred)ungen jn)ifd)en ben Stäuben einzuleiten, bic über
einen ^JJionat in Slnfprud) nal)men, aber gu feiner SScrftänbigung
fül)rtcn. 2öäl)renb bcr SBiberftanb be^ Slbetö atö fträflic^er
Zxoi} iKrurtt)eilt würbe, fanb anbererfeit^ bic fricblicbcnbe
SKäfeigung beö Äleruö eine nid)t minber l^artc Seurtl^eilung.
SaUi) SoHenbal befd)ulbigte it)n, auf ben Sieger ju warten, um
jid^ benifelben l^ierauf al!§ $Berbünbeten anjufd^liefeen.
©twaö Dor biefe Qtxt, 6nbe 3Rai, fällt ber jweite SBerftän*
bigung^ücrfud) üon SKirabeau mit 5Jlerfer. Unbeirrt burd^ $afe
unb Slnfeinbungen, nur ju bereit, um ben ^eiS bcr Sie«
Solution, nidt)t aber al§ blofeeö SBerficug ber ©emoftratic, jur
') 9Mc6u^r, ©cfc^tc^tc bei Scitaltcrö bcr SÄeöoIuHon, I, 177.
^ Mortiiner-Ternaux, Histoire de la Terreur, I, 421, ©rief öon
fia ga^ctte öom 1. 9(pnl 1789.
iWirabcau unb iReder. 385
Sfi^rcr[(i^aft ju gelangen, l^atte Sßirabeau am 18. SiJlai ben erften,
inbireften SSerfud) üon ©te^eö vereitelt, auf ben öon tl^m tn=
fpirirten Slntrag feinet ^^reunbeg ßfiopelier bie beiben erften
©tänbe bringenb gut ^Bereinigung mit bem Stiers aufäuforbern
uub bann, im SBeigerungSfaH, t)m SierS gur Stationalöerfamm*
lung ju conftituiren. Slud^ 3Rirabeau wollte bie ^Bereinigung
ber ©tänbe, aber nid^t bie SlUeinfierrfc^aft beS Sierö. S^ ge*
nauer er bie Elemente fennen unb üerad)ten lernte, bie um il^n
^er fxäj bettjegten, um fo unerträglid^er würbe i^m bie Haltung
ber [Regierung. „6in @d)atten öon Talent bei 9?erfer'\ fd^rieb
er im ?!Äai, „unb er l^atte in ad^t Sagen 60 SRiUionen Steuern,
150 5!JliIlionen Slnlei^en unb fd^icfte uns am neunten Stag nad^
$aufe. ?!Äit nur ein wenig ßl^arafter wäre er unerfd^ütterlid^,
ginge mit unS, bie wir feine @ad^e öerfed^ten, bel^errfd^te ben
§of wie Slic^elieu, unb wir wären wiebergeboren" ^). 3BaS
Sleder nid^t tl^at, tl^at SRirabeau. @r warb Soumalift, griff
baS SRinifterium an, fal^ fein erfteS S^ttw^Ö^I^tott unterbrücf t -),
fd^uf |td) ein jweiteS Drgan unb mit biefem eine Partei im
gangen Sanb ^), bemäd)tigte ftd) ber Sribüne, erzwang ftdt) guerft
@epr, bann 3lpplauS, unb war am ^unft am 27. 5JKai feinen
3wecf burd^ SSerftänbigung mit bem ÄleruS gu erreid^en, als
ber Äönig am 28. 3Kai mit einem aSermittlungSöorfd)Iag ein*
griff. 3n befonberen ©enbfd^reiben an bie ©tänbe forberte er
fie auf, il^re SBoBmac^ten eingeln gu prüfen, jtd^ gegenfeitig bie
ßrgebniffe berfelben mitgutfieilen unb in gweifelfiaften fällen bie
©ntfd^eibung bem 93iinifterrat]^ gu überlaffen.
SllS ber Sn^alt beS föniglid^en SSriefeS im Stiers befprod^en
werben foHte, oerlangte SJJalouet bie 9täumung ber Tribünen
unb würbe bafür oon feinem anbern als 5Bolne^ mutl^Iofer 5ßer:=
fibie angeflagt. „©ie ®eputirten\ fprad^ er nur gu propl^etifd),
0 Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 350.
^ Mirabeau's Les Etats-generaux, bie nur eine ganj furjc 3ßit
erfd^iencn.
^) Mirabeau, Lettres k ses commettants.
386 Wlixaheau unb 9Udix,
„muffen öor tl^ren ©cbietern beratl^cn" ^). Sluf bicfcn Sribüncn^
in ben crftcn ßlubö ber ^auptftabt, öor allem im 6lub
breton, bem fpätern S^fobinerclub, unb in bm 6aff6'§ be§
5ßalatö ro^al; üerfud)te man jtc^ bereite in ber Äunft ju re*
gieren unb n^ar nic^t mel^r gciüitlt, ftd^ barin ftören ju laffcu.
®eö Äönig^ Slufforberung würbe Dom Slbel mit ©infd^ränlungen
ermibert, bie eö bem Sierö ermöglid^ten, jte feinerfeitö abgulel^nen.
3)er Äleru§ erflärte fid^ nic^t beftimmt, man wufete il^n aber in
feiner 5[Jlajorität längft ben Sntereffen beö britten ©tanbcS ge*
Wonnen. 35ie wieber aufgenommenen Sefprec^ungen fd^eiterten
am 9. Suni noci^ einmal, unb fd^on ber folgenbc Sag brad^te
ben 23orfd)lag üon @iet)eö, bie beiben anbern Stäube jur SSer*
einigung mit bem Sierö aufjuforbern, unb bamit, wie er ftd^
auöbrürft, „ba^ Sau burd^jufdt)neiben, ba^ aKein nod^ ba^ @^iff
am Ufer l^ielt".
©eine 25efürdt)tung, eö möge bem Äönig gelingen, fjricbcn
ju fdt)Iiefeen, war nid^t üon langer Sauer gewefen. ©urd^ bie
SlUianä mit ber ^farrgeiftlic^feit unter ben 35eputtrten be^
Äleruö unb mit ber liberalen SRinorität unter jenen beö 8lbel^
war ber @ieg be§ britten ©tanbeö gefiebert. SBurbe er je^t
nid^t Don Oben gugeftanben, fo liefe er fid^ ertro^en. ®a, in
ber (Spannung be§ Slugenblidö, gewann ber Staatsmann bei
SKtrabeau bie Oberl^anb. (5r allein unter allen feinen ßoKegen
fragte ftdt), waS nad^ bem @ieg gefd^el^cn werbe unb ob eS fid^
lol^ne, Don einem bcüorgugten ©tanb jtd^ ju befreien, nur um
unter bie t^errfd^aft eines anbern gu geratl^en, bie allem Slnfd^ein
nad^ mit einer Ufurpation beginnen wollte. 6ben biefc Seforgniffe
üeranlafeten feinen jweiten Slnnäl^erungSöerfudt) an 9Mer. ©ie
loyale, einftd^tSDoUe «Haltung öon 9!Kalouet l^ötte i^m in ber 33er«
fammlung beS SierS fo imponirt, bafe er burd) feinen ®enfcr
iJreunb, S)urot)era^, eine 23efpred)ung mit il^m vermitteln liefe, gu
welcher SJtalouet ftd) nid^t ol^ne Sd^wierigfeiten bereit fanb. 3n
') üroz, nistoire de Louis XVI., II, 191—192.
aWirabeau unb Siedet. 387
einem britten §au^ begegnete er ftd) mit bem ©eputirten öon Sliy
unb l^örte mit ©rftaunen, wie biefer jtd) aU feinen @eftnnung§=
genoffen erflärte. 3lkmaU, äußerte SWirabeau, werbe er ftd)
bcm ©efpotiSmuö Derfaufen; waö er aber moHe, fei eine
freie, monard^ifc^e ßonftitution. ©a§ Äönigt^um bürfe nid^t
crfd^üttert werben. Sn ben 5)leif)en feiner ßoHegen feien ge=
fäl^rlid^e geute, entgünblid^e Äöpfe. 2Ba§ in ber 3lriftofratie
an SBerflanb t)orf)anben fei, beft^e feine SBemunft. @§ fei öon
geringer Sebeutung, ob jmifd^en ben 3Kiniftern unb if)m felbft
Slbneigung ober ©^ntpatl^ie beftel^e. @ö {)anble fic^ oielmel^r
barum, ob jte einen $Ian befäfeen, ber ftc^ oertl^eibigen liefee.
w3ft ein fold^er oor^anben unb berul^t er auf öernünftigen
©runblagen", fdjiofe 5Jiirabeau, ,,fo oerpflid)te id^ mid), i^n gu
unterftfifeen, aKe meine Slnftrengungen, meinen ganjen ©influfe
aufjubieten, um bie über unö l^ereinbrec^enbe Snoafton ber
3)emofratie ju oerbinbern". 9RaIouet fanb jum erften 3Jlal
feine eigenen lang gehegten ©ebanfen, SSeforgniffe unb 3Bünfd)e
bei einem Slnbern mieber, unb eilte freubig erregt ju ben 9Ri*
niftem, um bie oon 93{irabeau begel^rte S^f^w^wt^nfunft jwifd^en
ilinen feftgufe^en. (gr f^}rad^ lange mit SD^ontmorin unb 9lecfer,
aber o^ne pe oon ber SBid^tigfeit feiner 3)Kttt)eilung überzeugen
ju fönnen. „@ie l^afeten 3Kiräbeau unb fürd)teten il^n nod)
nid^t." Sdecter fagte nid)tö unb betrachtete bie ^immtxbtd^,
toaö ate ein ßcic^en befonberer Unentfd^loffen^eit bei il^m galt.
Sebod^ erwies er ftd^ äugänglid^cr al§ 3Kontmorin, unb für bie
3ufammenlunft mit 3Kirabeau würbe ein Slbenb beftimmt.
SRirabeau fam leiber o^ne 3Kalouet unb fanb ftd) in ®c=
genwart beS fteifen, äurürf^altenben 33ianneS, ber im fälteften
3:one gu it)m fprad^: „Wdix^exT, 9Jionfteur aJtalouet fagt, @ie
Ratten mir 33orfc^läge gu mad)en. SBorin beftel^en biefe?" 5luf
biefe Slnrebe t)in trat ^JJJirabeau gurürf, ma§ benjenigen, ber
il^n fo angerebet i)atk, mit einem 33lidE ber SBerac^tung, er=
Wiberte: „9Kein 3Sorfd)lag beftet)t barin, S^nen einen guten
SWorgen gu wünfdien" unb ging. 3m Si^ungSfaal be§ 3:ier§
388 ©ifeuHö tjom 15. Suni-
fanb er 93taIouet, überftieg einige Sänfe, um bis ju tl^m ju
gelangen unb fagte jornig: »Votre homme est un sot, 11 aura
de mes nouvelles« ^j. 3" ^^ ^^ 3Kard fprac^ er um biefelbe
Seit baö ^iftürifd)e SBort: ,,®a§ StaatSfc^iff ift öom J^eftiflfteri
Sturm gepeitfcl)t unb e§ ftel^t 9iiemanb am ©teuer'' 2).
9?e(fer blieb für i^n „bie Ul^r, bie immer naä)Qtf)t", Sie
fallen ftd) nur alö ®egner, in ber 9ktionalDerfammIung wiebcr.
©egen ben Sortourf, 5[Jlirabeau nid^t ju red)ter ß^'t Ö^
lüonnen ^n l^abtn, nimmt grau üon ©tael il^ren Sßater baburd^
in Sd^ufe, bafe jte fagt, für fold)e S)inge fei er nid)t ber redete
3Jiann gemefen; fte feien beffer burdt) Slnbere beforgt worben,
unb überbiefe würbe 93iirabeau niemals mit ber Demagogie ge*
brod)en l^aben, beüor er nid)t burd^ fie auf bm ©c^ilb gel^oben
morben fei^). Sie mag ben %tijUx, einen ber größten ber SRe«
Solution, immerl^in entfd)ulbigen , begangen ptte fie il^n nid^t.
SBag nun folgte, ift befannt. 3lm 12. 3uni begann ber
Sierö bic Prüfung aller äJoUmad^ten nad^ SSaittiagen; am 13.
erfd)ienen, Don einem gwbelraufd^ begrübt, bie erften brct
^Pfarrer in feiner 9Jlitte; fd)on am nadt)ften Sag folgten fteben
ober ad)t anbere, worauf bie Sßerfammlung ftc^ al§ conftituirt
unb ©ie^eö fie am 15. Suni al§ bie 33ertreterin beS SBillenS
ber 9iation erflärte. Sin jenem Sag fprad^ 9Rirabeau brct
aßal. er verlangte bie Sanftion beö Äönig§ als notl^*
menbige SSebingung, ol^ne n)eld)e er ben ©nifd^lüffen feiner
Kollegen feine 3ted)t0fraft guerfennen fönne, unb bonnertc il^nen
JU, bafe er o^ne biefe Sanftion lieber in ßonftantinopel alö in
granfreid) leben würbe. 2)enn fd)rerflid)er bünfe i^m mdE(tiS,
als eine fouüerdne Slriftofratie Don fed^S^unbert ^erfonen, ber
eS frei ftel^e, ftd) f)eute unabfepar, morgen erblid^ gu erflären,
') Malüuet, Memoires, I, 311 unb II, 471 STppcnbir. Mallet du
Pan, Älercure britaiinique, 2. Janvier 1800. Dumont, Souveoirs sur
Mirabeau, 50. Che r est. La chute de ranoieii regime, III, 76.
-) Saiiite-Beiive, Camille Desmoulins, Causeries du Lundi, IV, 97.
•*) Madame de Stael, CoQsideratious, XII, 202.
nieder beid^Kefet einzugreifen. 389
unb, tt)ie jebeS ariftofratifd)e Siegiinent, mit ber unbefd^ränften
^crrfdjaft gu enbigcn. Sßor feinem 33Iid lag eine Sßifton be§
ÄonüentS, unb bie empörte Dppofttion fd)Ieuberte il)m ben
SBoriüurf entgegen, jtd) an bie Ärone üerfauft gu liaben^).
SlHein 3Jltrabeau njarnte öergebenö. Slm 17. Siini erllärte
ftd^ ber Sierö mit 491 gegen 90 (Stimmen auf ben SSorfc^lag
öon ©ie^eö jur Jlationaluerfammlung. 6r öolljog gugleid^ ben
erften Slft ber SouDeränetät, inbem er au^fprad), bafe aHe
Steuern, meil ol^ne 3ii[tt«twtung ber Sßertreter be§ Sanbeö er=
l^oben, ungültig feien, verfügte aber, ba§ fte biö jur 3luflöfung
ber SSerfammlung proüiforifd) fortgegal^lt twerben foBten unb
garantirte bie Sfted^te ber ©laubiger be§ Staate^.
?IKirabeau ftimmte an jenem Sag nid^t; mitten in ben
©iegcöiubel feiner ÄoHegen marf er bie büftere ^ropl^e^eil^ung,
man l)abe ben erften ©d^ritt jum 23ürgerfrieg getl^an. 3lud^
?Dlalouet geftanb, t)a% bie S)eputirten beö Sierö il)re 33efugniffe
überfdtiritten l^atten^). „®a§ S)efret", fagt grau üon Stael,
„war bie SReüolution felbft".
Se^t enblid^, nad)bem bie @ntfd)eibung gefallen mar, be=
fc^Io^ 9lerfer, bod) nod) einjugreifen.
Unermüblic^, aber ebenfo uergeblid), l^^tte er bi§ ba{)in,
tt)ic er fagt, bem Äönig mieber^olt, ftdt) in eine ßonftitution
nadi bem SKufter ber englifd)en gu fügen. @d^on SJMtte 2Kat
l^atte er marnenb auf bie SSerid^te au§ ben ^roöingen öermiefen,
xittb bie Sefürd^tung au§gefprod)en, bie 5lrmee merbe ftd) ge*
gebenen gaHeS nid^t mel^r üerläffig ermeifen. 9lodb fei bie
wirflid^e Sage ber ®inge nid)t befannt. ®er Äönig möge bie
^rift benü^en unb lieute gemäliren, ma^ er morgen fc^on ju
geben gegmungen merben fönne. 5Jliemalö, fügte 5Jle(Jer mit ber
') Mirabeau, Lettres au Major Mauvillou, 4G7, 17. Juin 1789 unb
onziäme Lettre k mes commettants, 222, 235. Laboulaye, Cours de
Lc^gi.^lation eompar^e. L'Assemblee Constituante. Revue des Cours litte-
raires. Wlai 1869, 395.
^ Malouet, Memoires, I, 319.
390 ^^^^ befc^ltest einsugreifen.
ric^tigftcn ©infic^t in ben 6f)araftcr Äubwtg'S XVI. I^ingu,
würben ®efefec i^n fo fe^r a\^ bic Scbcnfen fcincS eigenen @c«
wiffen^ be|d)ränfen *).
©er 3Kinii'ter beging bie*5mal nur ben %ci)Ux, nid^t älle^
ju jagen. 9lid)t aUein t>a^ Dffigier-ßorpS in feiner SWel^r^eit
mar burd) bie angefül^rten 3Scrorbnungen öon 1781, welche alle
l^öl^eren Stellen Don äbcl^üorrecl^ten abpngig mad^ten, in bie
Dppoption gebrängt tüorb'en; aud) bic Sruppc felbft war be§*
organijtrt unb bie ©ieciplin burd)brod)en, unb jwar l^auptjäd^*
lid^ baburd), ba^ ein burd) Srienne eingefettet ßomite, an
beffen Spi^e ®raf ©uibert, ein großer Sewunberer ffnebrid^S
be§ ©rofeen ftanb, ba§ preu6ifd)e Softem einjuffll^Ten befcftlofe.
®amit war bie Slnwenbung förperlid^er ©trafen ffir bie SWann^'
fci^aft unb bie SSorfd)rift üerbunben, ba^ nur ber Dberftenrang
jum Eintritt in ben ©eneralftab befähigte, womit ben SBürger-
lid^en unb bem fleinen 3lbel bie le^te 3Köglic^Ieit gu ben l^öl^eren
Stellen ju gelangen, oerfperrt unb anbererfeitS ber ©olbat fo
aufgebrad^t würbe, ba^ ©elbftmorbe, Sfteöolten unb ©efertionen
ftd) puften unb gwei Uebung^lager ju @aint*Dnter unb 9Jie^
1788 öorfdt)netl wiebcr aufgehoben werben mußten. Sticht beffer-
ftanb e§ um bie innere SSerwaltung. Socqueüitte l^at bereite
gefagt, wie unb aix^ welchen ©rünben bie fciöttJCtfäßige, un*
regelmäßige, öon il^ren ßeitcrn felbft nic^t mel^r bel^errfd^tc
2Rafdt)inerie be§ frangöftfdtien ©taatöwefenö inS ©todEen gc«
ratzen war unb fd)Ott Satire öor ber SReöolution burd^ Jeben
neuen 9ieformt)erfud) immer mel^r geläl^mt würbe, weil bie
bi^l^erigen Autoritäten fo ftar! in ^Jiifefrebit gerietl^en, bafe jte
feinen ©el^orfam mel^r fanben unb bie neuen Snftitutiouen nid^t
burd)gefü]^rt würben. 3ll§ bal)er bie Sfteoolution au^bra^, trat
ber merfwürbige gaU ein, ba% §anbel unb Snbuftrie, ber Seft^
unb bie ^Jinanjleute jid) gegen ba^ Seftel^enbe wanbten unfe
befonber!§ le^teren gerabeju bie 3lbftd)t juge[d^rieben würbe, ben
') Madame de Stael, Considerations, XII, 218—219.
^tdtt befc^Hefet ctnauötcifen. 391
Süifftanb, wenn nötl^ig, ju bejat)len^). ®aju tarn e§ tt)ol)l nur
in ben feltenften fJäUen, benn auf allen fünften öon granf*
rcid^, in bcr Sreigraffdjaft, in ber ^roöence, in ber ^Bretagne,
bcr Slomtanbie, bem ßangueboc, tobten, unter beut 33orn)anb
bcr SBiebert^erftellung alter promnjieKer 9ted)te unb 3Serfaffungen,
fd&on im Sauf be§ ©ommerö unb ^erbfteö 1 788 unb be§ barauf *
folgenben SBinterö Slufftanb unb ßmpörung, unb DIedfer mufete
befd)tt)iciötigen unb allen Parteien nad^geben, nur um bie ®elber
bewilligt gu erl^alten, ol^ne meldje bie 5orte;rifteng be§ Staate^
jur Unmögliä)feit mürbe. Safe eö il^m gelang, aud) je^t nod)
feine ^inanjabminiftration ju friften, nannte felbft 2Rirabeau
„md)tS geringeres al§ ein SBunber"^).
SBenn 5Reder öom troftlofen Swftcmb be§ SanbeS meg feine
Slugen auf bie ^erfönliä)feiten ri(i)tete, bie als ©eputirte ent=
fenbct morben maren, fo fonnte jtd) bei i^m mie bei fo mand^en
änbem leine Ijo^t 5Keinung t)on ber politifd)en @inftd)t unb ben
fjäl^igleiten einer §Ber[ammlung bilben, in meld)er unter 3lnbem
bcr ©arbinal t)on 9iof)an, üom Äleruö ber SSaiUiagen üon
^agenau unb SBeifeenburg gemä{)lt, eine ©teile gefunben Ijatte,
unb ^^tion unb Sriffot al§ ßanbibaten üon Suberfac, Sifd^of
öon 6l^artre§, burd)gebrungen maren^). Slecfer fprad^ fid^ fd)on
naäi ben erften 3^iten be§ 23erIe{)rS mit ben ©eputirten bal)in
au§, „bafe e§ jmedbienlid^er geme[en märe, ftatt fo öiele poli=
tifd)e ©d^mä^er unb ööHige SloDijen in Staatsangelegenheiten
ol^ne Siel unb 6nbe reben ju laffen, ben erften beften, im Sejt^
einer ©tentorftimme befinblid)en Untergebenen feines aJiiniftc*
riumS auf bie 3:ribüne ju fd)iden, unb btn 3:e;rt ber britifd)en
ßonftitution öon il)m öerlefen ju laffen"^).
©iefer 3:ejrt aber ift befanntlid) bamalS mie fpäter üergeb-
') Tocqueville, L'ancien Regime, 286—286. Rivarol, Memoires,
135 II. 186, bei Cherest, La chute de rancien regime, II, 100—101.
2) Cherest, La chute de Taucien regime, II, 136—140.
8)eBenbofcI6ft, II, 566 u. 575.
*) Necker, De la Revolution frangaise, IX. 299.
392 92cder bcf(^ne6t einjugrcifen.
lid) flefud)t tüorbcn. ®er Äönig war ju feinem ßntfd^lufe ju
bringen, unb bie Vertreter ber trangortfd)en Station empfanbeit
in il)rcr wettauö gröfeeren SWel^rl^cit ben blofeen SSorfd^lag einer
SBcrfaffung nad) bem SBorbilb it)rer englifä)en 3lad)barn aU bie
uncrträgUd)fte ber ©emütl^igungen '). ®ie SBod^en, bie oom
$of nnb ben gtänben nn^Io§ üergeubet wnrben, nfi^te ber
Slufftanb in ben ^roinnjen. 6§ meierten jid^ bie Slnjeic^en, bie
bem Parlamentarier ^retcan 3fled)t gaben, atö er fd^on Slnfang«
5Rai feine abdigen ßoHegen aufgeforbert l^atte, pd^ weniger um
politifd)c ©oftrinen gu lümmern, „benn ber Ärieg jtt)ifd[)en
Sinnen nnb 9icid)en fei erflärt-).
®a^5 !8emnBt[ein banon, bafe bie Agrarfrage eiS war, bie,
nad)bcm fte über l)unbert Satjre lang, oon S^nelon unb SBanban
biö jn ben Cetonomiften nnb ju 3:urgot öergeblid) il^re Söfung
t)on ber 5Ronard)ie uerlangt l^atte, nun abermals im SBorber*
grnnb ber ßreigniffe ftanb, fprid)t fid) aud^ bei fjrau öon ©tael
anö . . „©ie jungen ßeute unb bie Sremben", fagt pc, „bie ffranf*
reid) Dor ber SReDolution gefannt l)aben, bie l^eute ba^ fßolt
burd) bie 2:t)eilung bcj§ ßanbeS unb bie Sluf^ebung ber fjeuba-
lität bereid)crt feigen, fönnen pd) feine SBorfteHung oom Swftanb
biefe§ Sanbeö mad)en, al§ nod) aUe Saften bie ^Ration be*
brüdften. ®ic 2lnl)änger ber ©flaüerei in ben Kolonien l^aben
oft n)icberl)olt , ein franjöpfd)er Sauer fei unglücflid^cr ate ein
Sieger. ®aj§ Slrgument mufete ju ®unften ber SBeifeen, nid^t
gnr aSebrüdfung ber @d)tt)arjen geltenb gemad^t werben"*).
Se^t, wo bie meiften biefer Saften entweber fd)on l^inweg*
genommen ober bod) am fünfte waren, e§ ju werben,
fd)rieb ba§ Sanböolt feine SluSlegung ber ?5rci^eit mit bet
^lammenfd)rift eingeäfd)erter @d)löffer unb gerftörtcr Sird^iöe,
unb mitten in ber ^auptftabt, im ^alaiö ro^al. forberte bet
I
■) Necker, Du pouvoir executif dans les {;rrands Etats, VIII, 42.
-) Laboulaye, Cours ile L^pslation comparee. L^Assembl^e consti
tuante, Revue des Cours litteraires, SWai 18G9. 379.
'') Madame de Stael, Considerations, XII, 86—87.
Slcrfer befd^licfet einauötcifcn. 393
tttgc ßamiHe ©eSmouIinö aUc brutalen Snftinfte ber SRenge
xxä) Slu§jtd)t auf SBeute I)erau§. „Sßiergigtaujenb ^aläftc,
id^Iöffcr unb SRcjtbcnjcn, jiüei fünftel ber ©üter Sranfreid)§,
ttcn ber So^n ber Sapf erfeit fein: bie Station mufe gefäubert
erben", prebigte ber ©d^ulfamerab t)on SRobe^pierre, ber SSer-
ffcr ber Dbe:
»Necker descend de la montagne
Le raison seule Taccompagne:
En lui le peuple espere encor . . .«^).
Sieder burfte ni(i)t einge[tel)en , bafe nid^t nur ber britte
itanb, bie ßommunen in 3SerfaiDe§, fonbern anä) bereite ber
erte ©tanb, bie Sauern, jtd^ in offener ©mpörung gegen bie
:cgierung befanben. ®enn bie Dppofition am §of unb unter
jm ÄleruS unb Slbel lüartete nur auf ein foId^eS S^ici^en, um
feiner 3fleaftion ju fd)reiten, bereu erfteö Dpfer er, ber SRi*
;fter felbft, geworben wäre. ®ie (Stimmung toar fo gereijt,
xfe ber 2Rarquiö öon SRonte^quiou faum @el)ör jtd) Derfd^affen
nnte, alö er im Slnfd^lufe an la ßujerne, Sifd^of Don
mgreS, t)orfd)lug, ben Sntfd^Iufe be§ Sier^ mit ßonftituirung
tier aus Slbcl unb Äleruö gebilbeten erften Äammer ju be=
itworten^), unb b'@§premenil fagte laut, wenn ber @eneral=
ofurator feiner ^f(id)t eingeben! fei, werbe er bie äßitglieber
& SierS, al§ be§ §od)Derrat^§ fcl)ulbig, »erfolgen laffen. 3)aö
ler lonnte Slecfer I)offen, ba^ e§ iijm je^t gelingen werbe,
nc ^olitif bei bem Äönig, gerabe weil jte jwifd^en ben beiben
tremen Parteien bie SRitte l|ielt, burc^^ufe^en, unb fowot)l bie
n feinen ©egnern beabjtd)tigte 9tüdte{)r inm Sllten burd)
icberwerfung be§ SierS, al§ bie ß^^ftörung aller ^Regierung
xä) bebingungölofe Slnerfennung ber ©rflärung oom 17. 3uni
rl^inbern ju fönnen.
©iefem ©ebanfen entfprad^ fein SSorfd^lag, ber Äönig möge
') Sainte-Beuve, Camille Desmoulins, Causeries du Lundi, HI, 80.
*) Madame de Stael, Considerations, XII, 198.
394 SRedet'd Programm.
jc^t an^ eigener TOa(i)tt)onfomnien^cit tl^un, xoa^ bcr äicr§
foeben gegen biefelbe Qtüjan Ijattt, nämlid^ bie SScrcinigung ber
©tänbe befel^Ien. 5Rur über it)re befonbcrcn Slngelcgcnl^eiten
follten ÄleruS unb Slbel gefonbert beratl^en, bic öon ben ©tänbcn
ju entoerfenbe Sonftttutton auf bem Sw^^ifömmerfijftcm berul^,
bem Äönig eine ftarfe ß^efutiöe, üor ättem ber Dberbcfel^I über
bie beiüaffnete ^JZad^t gejtd)ert werben, alle ©elretc ber SScrfamm*
lung, um ©efe^eöfraft ju erl)alten, feiner ©anftion bcbürfen, unb
ba§ ^ublifum fünftig öon ben ©i^ungen auögefd^Ioffcn fein'),
©er Äönig bagegen öerfprad^ äufl^ebung aller bcfte^en*
ben ©teuerpriöilegien , Slnerfennung beö SRed^tö bcr ©teuer*
beiüilligung burd^ bie ©tänbe unb xljxt^ Slntl^eilS an bcr @c*
fe^gebung, bie ftd^ üor SlHem mit SSerbefferung bcS ßiöifc
unb 6riminalred)t§ , ©id)erung ber grcil^eit bcr ^rfoncn unb
ber treffe gu befaffen ^atte. 3n feierlid^er Wniglid^er ©i^ung
follte ber Äönig ben ©täuben feinen SEßitten eröffnen, unb in
ben aüerbeftimmteften SBorten l^at SRecfer feine ^olitil mit biefem
93orfd)lag ibentipcirt. „5Kein ©ntfd^lu^", fagt er, „entfprang
ber Ueberjeugung , bafe mein ^lan bie meitau« größere 9Rfl^r«
l^eit ber Sflation für jtd^ l^atte. Um biefer ben Ärieg ju crflärcn
unb bcr öffentlid^en aReinung gu fpotten, mufetc man ba9 8lugen<
merf auf einen Slnbern al§ auf mid^ merfen"^). ©er ^of »at
in 5KarI^, in tiefer Iraner um ben eben gefbrbcncn fiebcn»
jälirigen 3)aupl^in, alö 5Redfer ben 3)?onard)cn beftimmtc, am
19. 3uni, gmei Sage nad) ßonftituirung bc« Sierö, bort ben
9Kinifterrat^ ju oerfammeln. ©iefer fd^ien anfangg bem ^ro»
jeft günftig, jebod) am folgenben Sag, ate bcr gange Umfang
ber goncefftonen an ben SteriS flarer gcmorbcn »ar, erl^oben
ftd^ fd)on emftc Scbenlen, fo bafe nur bret SRinifter, 9Ront«
') Bertrand de Molleville, Memoires, ^penM^ Barentin,
Memoire autographe, 182 — 183. Neck er, De la Revolution fran^aise, IX,
182—196. 2?aö DriöinalproicÜ öcrBranntc dUätx mit öicfcn anbeten ißapiexen,
aU bie Üteüoltttion C^oppet Bebrol^te.
-) Necke r, De la Revolution fran^aise, IX, 217.
©eine Slufnal^mc im ÜJlimfterratl^. 395
moritt, ©atnts^rieft imb la Sujcme, auf SRedfer'ö Seite
blieben.
SBäl^renb ber ©i^ung, al§ ein befinitioer ©ntjd^Iufe gefaxt
»erben foUte, xombt ber Äönig plö^lid), nad) Sfledfer unb @aint=
trieft burd^ bie Königin, {)inau§ gerufen, unb al§ er jurüdletirte,
Hefe er bie @ad)e vertagen bis jum folgenben SRorgen, ben 21. Suni,
too mit bem ©taatörat^ aud) gum erften ^al bie Srüber beS
ÄönigS erfc^ienen. ßubwig, ®raf üon ^roöence, ber fünftige
Äonig Subtt)ig XVIII. fprad) in gemäßigtem Son, liefe aber bie
große ^age ber ^Bereinigung ber ©tänbe unentfdjieben. Äarl,
®raf öon Slrtoiö, [timmte für if)re gefonberte Slufred^t^altung,
aber für §ßreiögabe ber pefuniären Privilegien unb @rleid)terung
ber Saften beö SBoltö. 3n feinem Sinn äußerten ftd) bie SKi-
nifter Sarentin, be ^uQ|egur unb SSiUebeuil, unb vier beige-
jogene @taat§rätl)e ^). ®a erflärte ber Äönig ftd^ mit biefer
SKajorität einöerftanben unb ließ am folgenben Sag, bem vierten
ber Seratl)ungen, ba^ neue ^rojeft enbgültig rebigiren.
6in aSiograpl) 9ledef§ erinnert baran, baß er baö Witkl
in ber ^anb l^atte, ben SBiberftanb feiner ®egner ju bred)en.
®er @c^a^ war leer. (5r brandete nur biefe 2:t)atfac^e belannt
ju geben unb l)injujufügen , ba^ ol)ne (Sinwilligung be§ SierS
feine" 9)?öglid)feit blieb, ben @taatöl)au§t)alt fortj^ufü^ren^). 9iur
ba^ ein foldjeiS ©eftänbniß mit feiner offiziellen ©arfteHung ber
ginanjlage nid)t in (äinflang gu bringen mar, unb baß ber
@ieg feiner 5ßolitif nur um ben 5ßreiö feinet Slnfel^enö aU @e*
bieter be§ ßrebitö errungen morben märe. @o entfd)loß er ftd^
bcnn ju fd^meigen, unb nad)bem er erflärt l^atte, baß jebe
9Kobififation feinet §ßlane§ ben SSertf) beöfelben t)ernid)te, fprad^
er ^ö) nic^t weiter über ba§ au§, maö er perfönlid) im %aU
feiner SBermerfung gu tl^un gebenfe.
') Barante, Notice sur Saint-Priest. Necker, De la Revolution
franse, IX, 198—199. Sefcr, SRctfcr'S atocitcS ÜJliniftcrium, 146. Larcy,
Louis XVI et les Etats-göneraux, Correspondant, 3JJai 1868, 516—518.
2) öcfcr, gietfcr'g atoeitcä 3Kiniftcrium, 146—147.
396 Ötufreoung in SJcrfaittc«.
SBäl)renb biefeS in 9Rarl^ ßefc^ö]^, verbreiteten ftd^ in SSer*
foilleS ©eriid^te eincö nal)en ©taatöftreid^ö. ®te äufregung
n)ud)§, als ber (Eeremoniemeifter, nad^ grau öon ©taöl in
golge eineö blofeen ?!Wifet)er[tänbmffe§ , ben ©i^ungSfaal be«
Sierö fd)Iiefeen liefe, um it)n für bie föniglid^c ©i^ung in S3e*
reitfd)aft ^n fe^en. „©ie ©eputirten glaubten", fagt fie, „ober
gaben weuigfteuö vor, ju glauben, bafe man il^nen »erbiete,
ftd) 3u üerfammeln" ^), worauf fte jtd) in ben SaUfpielfaal be*
gaben unb bie betannte @cenc folgte, mo ^JJtounier feine Kollegen
jum feierlid)en 6ibid)W)ur aufforberte, jtd) niä)t gu trennen, bc«
uor bie SSerfaffung be^5 9ieid)§ üollenbet fei, atö beren ®runb»
lagen er ba§ 9ted)t ber SteuerbemiHigung unb Slntl&eil an ber
©efe^gebung für bie ©täube, il^re regelmäßige Serufung unb
9Kiniftert)erantmortlid)feit beanfprud)te. (5ö war lein S^^r
vergangen, fo fd)ricb bcrfelbe ^ounier, biefer unglüctfclige (5ib
fei ein Sittentat gegen bie föuiglid)c Slutorität gewefen; ni^t
genug tonne er ftd) auflagen, il^u in S8orfd)lag gebrad^t gu
l^aben^). 㩤 war ba^ Signal jur Snfurreftion'', fagt 5KaIouet*),
ber überl)aupt fd^on eruftlid) baran badete, feine ©ntlaffung gu
nel^men, fo tief ernüd)terte iijn ba§ nod) ungewol^nte, !Eag fflr
Sag fid^ wiebert)olenbe @d)aufpiel, wie Heine ßeute, SIböofatcn,
Äaufmäuner, Sanbärjte, ot)ne jebe 3Sorbereitung unb ©ad^fennt*
Ulfe gegen alle beftel}enben @inrid)tungen gu gelbe jogen, ben
©ocialcontraft citirten unb 33erfaffungen in S8orfä)lag brad^tcn.
35er ©d)mur im SaUfpiel^auö war am 20. 3wni geleifict wor*
ben. am 22. 3uli liefe ber Äleru§ bem Slier« bie fiubwig«*
fird)c ju 58erfailte§ gur SSerfügung ftellen. ©eine langen Sc»
beufen waren gu (än\>^; tjunbertneununböiergig SRitglleber be*
geiftlid^eu @tanbe§, öou ergbifd)öfen unb Sifd^öfen geführt,
tiereinigten fid), öou lautem 3ubel begrüfet, mit bem Sierö.
') Madame de Stael, Considerations, XII, 211.
-; Mo unier, Recherches sur les causes qui ont empeche les Fran^ais
de devenir libres. Lanzac de Laborie, Jean Joseph Mounier, 89 — 98.
**) Malouet, M^moires, i, 278 u. 323.
Slcrfer tctd^t feine (Sntraffung ein. 397
Am folgcnben Sage, 23. gitni, crf(i)tcn bcr Äönig in fctcrUä)er
Si^ung, ol^nc nieder, ©eine Siebe, in gebieterifd^em Son öor*
getragen, l^ieft baö Programm beSfelben im SBefentlid^en nod^ auf*
ted^t, aber mit einer entfcf)eibenben 2luönal)me: Slufred^tl^altung
ber gefonberten Seratl^ung ber ©tänbe. SBaö ber Sierö
im SBiberfpruä) bamit befd^loffen l^atte, würbe für miH unb
nid^tig erflärt unb ' ben ©eputirten befol^Ien, jid^ ie|t gu trennen
unb am folgenben 3:age nad) ©täuben mieber äufammen*
jutreten. ßubwig XVI. fd)b6 mit ber Setl^euerung feiner un^
parteiifä)en Sürforge für ba§ SEBol^l be§ Sanbeö. SSoHe man il^n
nid^t unterftü^en, fo werbe er allein e§ begrünben. ®ie 3Sia-
\oxxtat l^örte il^n mit eipgem @d)tt)eigen, unter bem überwältigen*
ben ßinbrudf, ba§ bie Ärone Partei für ben äbel genommen
l^obe. 2ll§ ber TOarquiS be Sräje, nad)bem pd) ber 3)?onardö
entfernt l^atte, bie Slbgeorbneten aufforberte, au^einanberjugel^en,
erfolgte bie l^iftorifd^e Entgegnung üon 3)?irabeau, „pe feien l^ier
burd^ ben SBiHen be§ SBolIeS unb würben nur ben Sajonetten
weid^en"^), unb bie Sluölegung beö ©efd^el^enen burd) ©ie^eö:
^aSir pnb l^eute, wa§ wir geftem waren; lafet unö beliberiren",
worauf bie SSerfammlung bie Unöerle^Iid^feit il^rer 3)?itglieber
auSfprad^. 2lls man bem Äönig bie SBeigerung, feinem Sefel^l
golge ju leiften, mittl^eilte, ging er einige Slugenblide nad)*
benflid^ auf unb ab, unb fagte bann unmutl)ig: „§Run, wenn
fte ben ©aal nid)t räumen wollen, fo laf[e man pe barin".
3m Sauf beö Sagg, ber gegen il^n entfd)ieben l^atte, reiä)te
Siedfer feine ©ntlaffung ein. Saron ©tael erjäl^lt, ba§ in ben
Serotl^ungen ju SRarl^ ber ®raf oon 2lrtoi§ einer erften, bar=
auf begüglid^en Slnfpielung mit bem Sluöruf begegnet fei: „9Mn,
mein |)err, ©ie muffen unö al§ Sürge bleiben; wir Ijalkn ©ie
für alleiS Uebel oerantwortlid) , ba^ ©ie angerid)tet l^aben"^).
^) Cherest, La chute de Tancien regime, III, 256 — 259.
*) Leouzon-Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, 103, ©epefd^c ««r. 116, 25. Sunt. Jefferson, Complete
Works. Autobiograph y, I, 90.
»lennetl&affett, 5rau ton Stael. I. 26
39S ^^ Stinici n;r?eTt Werfet oufj-jn bleiben.
9iecfer fagr, er t)abe ^ie feigen md)t auf ftd^ nel^men tDoQen,
roeldje fcie ©nreicbimüi feinec' ftitlanungögejut^S öor ber lönig*
Ud)cn >£itunfl für bcn f!ünard)cn gdjabt l^ättc. Sl^r bcijuttjol^nen
aber mürbe it)m, mir bem 3Ktnifterium , caxäi feine Popularität
gcfcfiet baben. gaflti^jcllenbal täuid)t ftd) tool^I, »enn er erjol^lt,
c* babe eiue^ ^ußfaü^ rcn Jfrau unb Jo(^ter beburft, um 9lecfcr'§
Jyemblciben am 23. :Juni ju errcicben. Saitt^ war bereits am
3?orabenb bauon umerricbtct^), 33al^renb ber 5IRonard^ unter
ÜNurren unb €d)mäbungen Don ber Knifllid)en ©i^ung in feine
@emäct)cr fid) juriirfbegeben mußte, war grau öon ©tael 3^8^
wie bie l^Jenge bie Sobnung it)re5 3?ater^ umbrdngtc unb taufenb^
ftimmig feinen "Flamen rief, 6^ famen ©eputirte beS Slbete, be&
Äleruö, be-5 3:icri>. >Sie iwgoffcn Ji^rdnen, ate er fte jur SRafei*^
gung aufforbcrte, unb betbeuerten i^r sBertrauen gu il^m. ©ci^
fcl)irfte ber JJönig unb ließ "Kerfcr ju fi(^ rufen. ®ie Königin wa
anuH'fcnb. Sie batte ron ibren @emäd)em au§ jum erften 9Ra
ba^^ 2oben bce Slnfnibr^ vernommen, unb öerfprad^ erfd^flttert, bei^
planen bee ')Jtiniftcri feinen SSiberftanb mel^r cntgegengufe^en.
Subwig XVI. bat i)icefer bringaib, ju bleiben, öcnocigcrte il^m
aber bennod) bie (Jntlaffuug ber "äRinifler, beren SBiberftanb
baö S^citent fein^^ $lane>> i^eranlaBt b^tte. S)ie Slufregung
in ScrfaiDcö umr fo groß, baB -Äedfer trofebem nad^gcben ju
muffen glaubte, obu^obl er ftd) nid^t Derl^elilen fonnte, toeld^en
unget)euren 93liBgriff er bamit beging-). (Sx beftonb nur auf
Surürfjie^ung ber Jnippen, fd)on beelialb, »eil il^rc ßuöer^
läfftgfeit böcl)ft gwcifelbaft fei.
S)aö giuanjnnnifterium, le contröle genöral, »ie man e«
nannte, bi«fl w^it ben @ebänlid)!eiten bftS Siefibenjfd^loffeS wn
aSerfaiHe^ gufammen. ©er ^J)linifter fonnte in baSfclbe jurfid*
festen, obne ftd) ber in bcn ^öfen angefammelten 9Rettf(%en^
') Necker, De la Revolution francaise, IX, 215. Lally-ToIIendal,
Necker, Biographie Michaud. Cherest, La chute de rancien regime, III, 249.
-) De radministration de Monsieur Necker, par lui-meme, VI, 95
unb De la Revolution francaise, IX, 214.
Seffcrfon übet bie Sage 399
menge gu geigen unb grau üon @ta6l bemerft auSbrfidlid^, bafe
möjU ü)m gefä^rUd)er erfä)ienen fei, aU ein perfönlid^er Sriumpl^
auf Äoften ber föniglid^en Autorität'), ©ennod^ öermieb er eö
nid^t, pd^ bem SBolI gu geigen, „um bie Slufregung beöfelben gu
befc^toiditigen''. e§ brad[)te il)n mit ftfirmifd^en Döationen biö
in feine SEBol^nung gurüd, unb fo fal^ berfelbe Sag ben 9Ron*
ard)en infultirt unb feinen 9Jiinifter vergöttert. ^Jrau öon
©tael fc^ien eö, a(g ob alle biefe Stimmen, bie ben Flamen
il^reS SBaterö lüieberl^olten, bie üon ^Jreunben feien, mit meldten
ba§ ©efiil^I ber Siebe für il^ren SSater jte üerbanb; pe empfing
il^n mit bem ^oä)gefü]^I, bafe er gum gmeiten 3Ral bie ßügel
ber ^errfd)aft bem 9Ronard^en gurüdgegeben l^abe^j.
,9ledef§ Säufd)ung ging nid^t fo meit. Sll§ feine ^Jreunbe
il^n umringten unb barauf aufmerffam mad)ten, bafe bie 2Renge
il^n ben SRetter granfreid^ö nenne, enoiberte er, pe mfirben oiel*
leid)t, beoor oiergel^n Sage »ergangen feien, mit Steinen nad)
il^m merfen^). ®arin aber begegnete er pd^ mit feiner Sod^ter,
bafe aud^ er nod^ glaubte, ber Sl^ron fönne, obmol^l erfd^üttert,
bod) nod^ loieber befeftigt merben,
Unabl^ängigfeit beö Urtl^cilö mar nur bei ©enjenigen gu
Pnben, bie nid^t mit in bie SBirbel be§ entfeftelten @trom§ ber
geibenfd^aften gegogen, pd^ bie gäl^renben Elemente üon ferne
betrachteten. Unter biefen 3^i*9^^ ^^^ SReüolution ftel^en bie
fdijon mel^rmatö genannten gmei Slmerilaner, ©ouöemeur
SÄorriö unb Sl^omaö Sefferfon, in erfter afleil^e. ße^terer,
ber ©efanbte ber SBereinigten Staaten, bemafe bie ^enfd^en je
nad)bem pe feinem republifanifd^en ^eil)eit§ibeal pc^ näl^erten
ober üon il)m entfernten, @r toax nid^t abpd)tlid) ungereä)t,
tool^l aber pd) felbft ben)ufet, „alle SJorurtlieile ber ©eburt, ber
0 Madame de Stagl, Gonsiderations, XII, 236.
2) Madame de Stael, Gonsiderations, XII, 234. Leouzon-Le
Duc, Correspondance diplomatique du Baron de Stael -Holstein, 104,
SJcpeWc SRt. 116, 25. Sunt 1789.
^) De Vadministration de Monsieur Necker, par lui-meme, VI, 96.
26*
40) itr*tvon übtt bi« ^oge.
@eiDO^n^eit uttb bed Stteri^ mit fic^ nadt duropa ^eräber^
genommen ;u ^aben". ßu biefen iBorurt^eilen geborte rin un-
t)eTiö^nlid)eT JpaB gegen bie üJtonar(^ie, bie er mit ben grogen
plagen ber SRenfc^^eit auf eine Sinie fleDte. Sr meinte, memi
altes Unheil, baS bit republifanifd)e ätegterungdfonn bid jur
Stunbe bed ©eric^teS bringen merbe, in bie Sagfcl^Ie gelegt
unb gegen ba^ aufgeu^ogen u^ürbe, maS ^ranfreid^ in einer
SSoc^e, ßnglanb in einem ^onat in iyolge feiner monan^ifc^
SRegierungdform ju leiben l^abe, fo mürbe (e^tered fibemiegen.
£ad ^inberte i^n aber nic^t, Don Submig XVI. gu urt^eilen,
er fei großer Cpfer fällig unb t)om bcften SBiDen befeelt, wenn
es nur gelinge, iE)n Don bem ju überzeugen, mad bai$ allgemeine
SEBo^l ©erlange, ^m auguft 1788 nennt er i^n „ben pflid^t«
treueften ^ann feines SReic^S, ben el^rlid)fien, ben fparfomfienr
ber bie eigene SReinung ben 2Bünfd)en ber Station unterjuortmen
miffe"'). »He had not a wish, but for the good of the
nationc, begeugt nod^ ber ad)tunb{tebengigiä^rige ®re{8 Don
Submig XVI. aber lefeterer war ein Äönig, unb ate foId)er
ein unt)erbefferIiä)eS Uebel. £ieber als bie republifanifd^e ©ad^e
i^m gu opfern, tt)ürbc S^fferfon nid^t nur in feinen Untergang,
fonbem in bie S^^ftörung ber i)olhm SBelt gemiHigt l^aben" *).
Um fo merfmürbiger bleibt eS, baß felbft ein ^anatifer, wie
biefer, an jenem 23. 3uni feinen greunben Dom Sier» bringenb
rict^, eS nid^t gum Srud^ fommen gu laffen, fonbem ein ßom»
promtB eingugel^en unb ftd) mit ben Bugcftänbniffen gu begnägen,
mic jte im ©rofecn unb ©angeu ber Äönig, immer nod^ bem
Programm SRedfer'S entfpred)enb gab. „aber", fagt Sefferfon,
,,mciuc greunbc bad[)ten anberS, unb bie 3cit l^at bemiefen, wie
bitter pe ftd) getäufd^t l^aben. 5Rad) fo Dielen Kriegen, bem
aSerluft Don SKiHionen, ber Untergrabung beS ©Ifidfe« Dieler
Saufenber unb enblid^ ber grembt)errfd)aft l^aben fte nid^t mel^r
') Jefferson, Complete Works. Correspondence, I, 445, II, 221.
253. 439. 41)0.
2) ebcnbafelbft, HI, 502.
aJ2orrid übet biefelbe. 401
erreid^t, als toai il^ncn an jenem Sage geboten würbe, unb
felbft ba8 ntd^t ol^ne bie Swrd)t, eö wieber ju öerlieren''. Unter
Wcfcn fjreunben öon Sefferfon, btc ftd^ nid^t fiberjeugen liefen,
war Sa fja^ettc, Je^t ©epntirter be§ SlbelS ber Slutjergne.
S)er amerilanifd)e Sl^eoretüer nnb ber franjöpfd^e @ä)tt)ärmer
für ämerifa öerftahben jtd^ oollfommen. Sa Sa^ette, ben bie
auftrage feiner SBäl^Ier Derpflid^tcten, für bie abftimmnng nad^
©tänben ju Dotiren, erflärte fid^ entfd^loffen, „biefe Snftruftionen
gu ücrbrennen unb entweber feinem ©ewiffen nad^ ju ftimmen
ober, toeutt er baö nid)t fonnte, feine ©ntlaffung ju nel^men;
benn", f treibt S^fferfon, „fein |)crj war mit bem SBoH"^).
SIm Äbenb jenes 23. guni fpeifte ©ouoerneur ÜKorri«
mit Sa fja^ette. SBie Sefferfon war ÜKorriö ber perfönlid^e
ffreunb beS nunmel^rigen 5ßräjtbenten ber ^Bereinigten Staaten,
©corge ffiafl^ington; benn audf) er war 3)?itglieb be§ Eon«
grcffeä gewefen, ber il^re Unabl^ängigleit burd^fämpfte. ÜKit
Scfferfon war er gut befannt, obgleidf) er fowol^I in SSegug auf
pcrfönlid^e ©igenfd^aften wie auf ©eftnnung mit bem ftarren
(Srflnber ber 3)?enfd^enred)te wenig gemein i^atte. %m, gewanbt,
gur Sronie geneigt, ein SBeltmann unb ein 9Jienfd)enfenner,
waren feine eblen ®eftd[)t§güge benen oon SBafi^ington fo aijn^
Hd^, bafe er bem Silbtiauer ^oubon jur SluSfüi^nmg oon beffen
Softe fafe. 3m Sa^r 1780 war il^m gu ^^ilabetpl^ia, in golge
eine« @turge§, ba^ Sein amputirt worben. als eine§ S^ageS,
wäl^renb beiS SReDoIution^ial^rö 1792, ber 5ßarifer ^öbel feine
ßaroffe mit bem Stuf „l^erunter mit bem Slriftofraten" üer*
folgte, ftrerfte er, fdf)nell gefaxt, feinen ©telgfu^ gum SBagen*
fd^lag l^erau« unb rief: „SEBaö woHt S^r benn mit einem Slrifto«
fraten, ber feine ©lieber im amerifanifd^en Unabl^ängigfeitSlrieg
gelaffen l^at!" worauf er, braufenb applaubirt, feineö SBegö
fal^ren fonnte-). 9Kit SEBorten jtdt) abfinben gu laffen, ober an
*) Jefferson, Complete Works, an ®. SBaf^ington, III, 29. Jared
Sparks, Gouverneur Morris, I, 314.
*) J. Chanut, G. Morris, Nouvelle Biographie generale, XXXVI, 654.
402 aWortl« über blefclbe.
bic unfcl^lbarc Ueberlcgcnl^cit irgcnb einer SftegierungSform gu
glauben, lag einem foldjen 2Ranne fem. ®r beurtl^eilte baS
lebenbige granfreid), ba§ öor il^m lag, niiftt bie abftraftett
(5l)imären, bie in ben köpfen jpuften. SBenn Sefferfon öon ber
SBernid^tung aller ©tanbeöunterfd^iebe fprad^, fo entgegnete SKorriS,
eö fei problematifd^, ob unb in wie fern ber SJlenfci^l^eit überl^aupt
bamit gebient fei ; ba§ fte pd) aber in granfreid) nid^t bctooi^ren
lönne, beffen fei er gewife. Sluf fold^e Sleufeerungen Sejug
nel^menb, bemerfte fein 3:ifä)genoffe Sa ga^ette an jenem 23. ^uni,
SRorriö fd)abe ber guten @ad)e fel)r, benn beftänbig iDÜrben bic
©ejtnnungen üon 3)?orri§ gegen bie . t)on il^m felbft öertretcncn
Slnjtd^ten geltenb gemad^t. ,,Unb jwar mit üoHem Sted^t", er*
tt)iberte ber Silmcrif aner, „ benn id^ belämpfe bie ©emofratie auS
Siebe jur fjreil^eit unb fel^e bie granjofen ii^rem SSerberbcn ent»»
gegeneilen. ®ern würbe ic^ jte baran üerl^inbern, wfifete id^ nur
wie". ®ie Slnfd^auuugen öon Sa g^atiette unb bie feiner fjreunbc,
fügte er ^ingu, befänben jtd^ öoUftänbig im 3Biberfprud^ mit bem
9Kenfd)enmaterial, au§ tt)eldf)em bie Station jufammengefe|t fei.
®a§ ©d^limmfte, was il^nen begegnen fönne, werbe bie Erfüllung
il^rer S33ünfd^e fein. ®ie Slntwort, bie Sa ga^ette barauf gab,
ift gleid)fallö erl)alten. 6r wiffe wol^l, lautete fte, ba§ feine
Partei toH geworben fei unb oerfd^weige e§ aud^ nid^t; tro^
SlHem aber fei er mit il^r gu fterben entfä)loffen. ^Btotüi
meinte, jwedbienlidf)er fd)eine e§ il^m, fte gur Vernunft }u bringen
unb mit ii)v ju leben').
lieber nieder lautet ba§ Urt^eil üon SKorriS nld^t weniger
beftimmt. Äurj nad^ feiner Slnfunft in granfreid^, im gebruar
1789, l^atte er ben 9J]inifter unb feine ®attin, etwa« fpäter
aud) g^rau öon ©tael fennen gelernt. 6r fanb 9!Äabame Siedter
gwar fteif, oline Slnmutl^, aber ftetö mit bem SBol^l ber änbern
befd^äftigt unb enipfanb eine aufrid)tige SBerel^rung für fte.
Taine, Les Origines de la Franco contemporaine. La R^volation, II,
Psychologie du Jacobin.
■) Jared Sparks, Gouverneur Morris, I, 314.
'!^it Stönbc öereiniöcn ftd^. 403
Slcder l^iclt er für burd)au§ reblid^, tüol)Imeinenb, uninterefjtrt,
aber aud^ für geiftig md)t bebeutenb, unb in feinem eigenen
©ebtete, ber Sinang, ungenügenb unterrid)tet , obn)ot)l eö einer
^ärefte gleid)fomme, ba§ ju fagen. 3n ber ^olitif bagegen,
nad) biefeö SBorte§ l)öt)erer, auf aRenfc^englüd gerid)teter a3e=
beutung, fei er ein üoUftänbiger Ignorant, meötDegen eö i^m
aud^ nie gelingen werbe, weber eine ßonftitution gu fd)aften,
noc^ Slnbere für eine foId)e ju geiüinnen. 3Som Slugenblicf ber
JBenifung ber ©tänbe an fei er auf bmt weiten 2Keer be§ B^fallö
fteuerloS um^ergetrieben worben^).
®er am 23. 3uni gefd)eiterte $Ian war t^atfäd)lid) 9lecfef ö
le^ter äJerfud), bem ?5al)rjeug bie SRic^tung p geben. 5ßon
ba an nal^men bie Singe noc^ einmal unge^inbert \l)xm
Sauf. Slm 24. Sunt erid)ien ber Äleruö abermals, unb gwar je^t
öoHgäl^Iig im ©ifeungöfaal be§ Stiert. 2lm folgenben Sag
folgten jtebenunbüiergig SRitglieber beö Slbeli^, mit bem ^ergog
öon Orleans an ber ©pifee, unter 5üt)rung üon 6lermont=
Sonnerre unb SaHij^Sollenbal. ®ie Slbgeorbneten , bie nod^
wiberftanben, würben bereits üom 58olf infultirt^); ben ©rg-
btfä)of öon ^ariS gwang in ben ©trafen üon SßerfaiHeS eine
brol&enbe SJolfSmenge, bem Sefd^lufe feines ©tanbeS ftd) gu
fügen. Saill^, ber proüiforifdje ^räftbent ber 9lationalüer«
fammlung, öffnete it)re Pforten ber erften jener ©eputationen
beS ^arifer aSolfeS, bie fte balb be^errfd)en foHten. Sluf
ben öffentlid^en ^lä^en \ai) man föniglic^e ©arben ftd) öer^
fammeln unb laut auSfprcd)en, fie würben beS ÄönigS ßeben
oertl)eibigen, aber nid)t gu SKörbern il^rer SRitbürger werben;
fte feien bie ©olbaten ber Station ^). @d)on im 9Rai l)atte
fjrau öon ©tael bie Slrmee „ein §eer Don Sürgern" genannt**).
^) Jared Sparks, Gouverneur Morris, I, 300, II, 93—94.
2) Necker, De la Revolution fran<;aise, IX, 219. Droz, Histoire de
Louis XVI., II, 191.
•"*) Jefferson, Complete Works, I, 93.
*) Madame de Stael, Considerations, XII, 219.
404 ^^ $of fi^fi^ 9ttdtt,
ff&int Segion t)on ^l^ilojopl^cn" betitelte pe ©amiHc ©e8mouIin§,
unter beffen Singen tägliä) l^unberte öon Solboten ber ^arifer
SRegimenter im Calais ro^al bewirtl^et würben unb ber il^re
tt)ad^f enbe ßi^dltlojigf eit verfolgen f onnte ^). ®er ©inbrud biefer
aSorgänge war fo überwältigenb, ba^ ber Äönig, fe^t burd^
bie Don SlÄerc^ gewonnene Königin beeinflußte), auf 9iedEer'«
SSorfiJ^Iag äurüdffam, unb am 29. 3unt, wo leine lluöftci^t,
feinen ©ntfd^lufe als einen freiwilligen aufgenommen gu feigen,
mel^r beftanb, bie SBereinigung ber ©tdnbe befal^I. ©ieSmal
füpe ber SKinifter bod) enblic^, „ba^ ba^ @d)wert auS
be§ Äönig§ ^änben geglitten fei, . . . bafe fein Scratl^er bie
gurdit war" 3). sim Slbenb jeneö Sag« iaumimrte aSetfaiaeS,
aber in ben ©emüttjern gäl^rte eine unüerföl^nltd^e Sitterleit.
®ie Sieger l^atten leinen ®runb mel^r, banfbar für eine er*
gwungene @abe ju fein. ®ie Seflegten ergaben ftd^ nur
fä)einbar. ®er Äönig l^atte innerl^alb Don ffinf Sagen jwei
einanber gang entgegengefe^te Sefel^le gegeben unb l^ielt
fct)on fein ßeben für bebrol^t. ®er Slbel fonnte je^t geltenb
madjen, baß eö niä)t mel^r feine @aä)e fei, bie er gu öertl^ei*
bigen l^abe, unb erllärte bem Äönig, burd^ ben 3Runb bcä
^erjogö üon Su;rembourg, baß er feiner ^Pic^t, für il^n gu
fallen, eingeben! fei, worauf Subwig XVI. erwiberte, fetner pe^
fönlict)en (Saä:jt foHe fein SKenfd^enleben geopfert werben*).
®iefe SRefignation tl^eilte feine Umgebung niä)t. SRußte man
ju ®runbe gelten, fo foHte e§ wenigftenö nic^t ol^ne @egenwel^r
fein. 9Jian fonnte in ben ^offtreifen üon SSerfaiHe« fld^ nid)t
barein ergeben, einen ßiiftonb, ber fo lange gebauert l^otte, nun
») (S^bcl, ©efd^id^tc ber SÄcöoIuttonSaeit, I, 53.
^) Wertheimer, Documents in^dits relatifs k. Marie -Antoinette.
Revue historique, II, 1884, 328—329. SWctc^ an Stamiii, 4. Suli 1789.
3) Necker, De la Revolution fran^aise, IX, 220, 277—278. Jared
Sparks, Gouverneur Morris, II, 70.
^) Laboulaye, Cours de lef^islation comparee, L^Assembl^e Consti-
tuante, Revue des Cours litteraires, Juin 1869, 445. G hörest, La
chute de Tancien regime, III, 285—286.
@in S3et{(^t t)on Wltxc^. 405
pwpd^ prctSjugebcn. ©tatt feine aSernid^tung in einer öer*
l^ängnifetjotten SBerlettung oon Urfadien, %t^km unb SSerant*
»Ortungen ju fud^en, erjd)ten e§ jwedentf pred^enber , einen
9Dlcnfd)en bafür l^aftbar ju mad)en, um jagen ju fönnen, bafe,
tocnn nur einmal biefer entfernt fei, aud) bie ©reigniffe ber
legten feä)S 3)?onate ungefd)el^en gemaä)t werben würben. SRerc^,
ber bie (äreigniffe feit fo Dielen ^oijxm Stag für Sag verfolgte,
fd^rieb forgenöoH an ben laiferlid^en ^of nad^ SBien, man fud^e
in SSerfaitteS bie Singe fo barjufteHen, ate ob Siedfer bei feiner
enoorbenen großen ^Popularität nid^tö anbereö im @ä)ilbe fül)re,
atö fid^ mittelft berfelben gum ©iftator ber ÜKonard)ie aufgu*
»crfen unb ben SHlerd^riftlidiften Äönig gleiä)fam unter feiner
SSormunbfc^aft nadt) eigenem ©utbünfen gu leiten. „3)ie Häupter
biefer fürd)terlid^en Äabale", fagt er, „jtnb bie 5ßrinjen oon
(5onbä, öon Gonti, ÜKabame äbelaibe, welche nebft mel^reren
üomel^mcn ©tanbeöperfonen ben nid)t meit auöfel^enben ^erm
ßomte b'artoig in il^re @ä)linge gebogen unb biefen 5ßrinjen
öorau§gcfä)oben l^aben, um i^re fd^äblid^en Snftnuationen gegen
oben enoäl^nten ^Jinang-SKinifter bei S^r^n 9Kaieftäten auf eine
unoerbäd^tige 2lrt angubringen" ^).
Soweit 9Kerc^, ber nid^t unermäl^nt läfet, bafe bie plö^Ud^
crtoad^te ?5teigebigfeit unb ^Popularität beö ^erjog^ üon Dr*
l6anS bei feinem befannten geijigen Gtjarafter jtdt) nic^t anber§
atö burd^ bie oerftedfte Slbjtd^t erllären laffe, an ber Spi^e
beS SierS eine bem Äönig l^öd^ft nad^t^eilige SRoüe gu fpielen^).
®er ßiiPötti^ ö^n 5pariö red[)tfertigte biefe Sefürd^tungen.
Um 30. 3uni befreite ber ^öbel elf wegen Snfuborbination
in baS ©efängni^ ber Slbba^e eingefperrte ©olbaten, ol^ne bafe
bie 3Bad)e l^altenben Struppen jid^ bem ernftlid) wiberfe^ten.
©iefe SSorgänge tjeranlafeten bie SJerftärfung ber 2:ruppen burcf)
^erbeigiel^ung üon meift frembenninb bal^er t>erläfjtgern dttQu
') Wertheimer, Documents in^dits relatifs k Marie - Antoinette.
Revue historique, II, 1881, 327. SJ^crc^ on Stami^, 4. 3"^ 1789.
*) ebcnbafclbft, Wlzxc\) an ilaunife, 4. Suü 1789.
406 ^tt^fimnht Siebe t)on äRtxabeau.
meutern in ber Umgegenb öon SBerfailleS unb $ari8 unter ber»^^
aSefe^l be§ alten 9Jiarfd)aU§ üon Sroglie, beffcn ©ol^n jur frem ^^^
finnigen 3iHinoritdt beö Slbelö gel^örte, wäl^renb bie Dppoptio:
gur 33ertf)eibigung i^rer @ad)e auf ben SBoter, ben gelben b(
jtefaeniäl^rigen Äriegö, bltdte.
3n ber Slffemblee felfaft regte ftc^ wäl^renb biefer S^W i^^ — ■
legten 9Kal, unter bem ßinbrud beö Siegel, ein ücrföl^nlid^er ©eiji^ -
Slm 27. 3uni, gwei Sage üor bem Eintreffen ber ffiniglid^en ©c^rei ==
ben, weld^e bem Slbel unb Äleru§ SSereintgung ber ©täube be=
fallen, f)atte ^trabeau eine bentoürbige SRebe gd^alten. Sl^i
erfüllte bie SSeforgnife, ben llnn^iUen ber ^ofpartet unb bie Sluf=
regung beö 33olfeö in blutige, nid)t wiebcr gut ju mad^enb«
Späten ftd) üermanbeln gu feigen, unb beöl^alb fd^Iug er jur Se==^
fd^n)id)tigung ber ©emütl^er ein ÜKanifeft an bie Station öor, ba^
an 3llte§ erinnern foHte, waö burd) ben Äöntg, felbft noc^ an
jenem 23. 3uni, geraäl^rt njorben xoax unb bie Suöerjid^t auSfprad^,
bafe e§ fefter ^Käfeigung gelingen werbe, baö begonnene 3S8erf
gu uoUenben. ®er fpätere @ntfd)lufe be§ Äönig« öereitette biefen
$lan. 6ö tuar nid)t ber le^te im Sinn einer aScrjtänbigung.
3lm 9. 3uli legte SKounier ben erften SluSfd^ufebertd^t über bie
ßonftitution ber SBerfammlung öor. 3^ bemfelben fprad^ er
mit allem 3lad)brud au§, öiel weniger n)id)tig fei eS, neue ®e*
fe^e gu mad)en aU ber S(u§füf)rung ber öorl^anbencn pd^ jü »er*
ftd)ern. 2Jfan muffe im Sluge bel^alten, ba^ bie jjranjofen fein
neueö, au§ ben SBälbem l^erüorgetreteneö 33olf, fonbem eine
Station oon fünfunbgwangig SJlillionen 3Wenfd)en feien, bie ii^re
innern SSegiel^ungen befeftigen, aber bie ®runblagen ber $Dlott*
ari^ie nic^t erf^üttern wollten. Sl^r fei unoerbrfid^ttd^e Sreue ge*
f^woren, ber Äampf gelte nur ungefepd)er SBißfürl^errf d^aft 0»
Slber eö fel^lte, wie oon Slnfang an fo aud^ je^t, iebc8 3"*
fammenwirfen mit bem leitenben SKinifter. SJiounier bejtätigt, ba^
0 Larcy, Louis XVL et les feats g^n^raux; Gorrespondant, Mai
1868, 522. Lavergne, Les Monarchiens de la Constituante. Revue des
Deux-Mondes, 1842, 555—550.
TOrabcau unb bcr «öetjog öon DrIeanS. 407
aud) er i^n nie [al^ unb nur nad) aKgemeinen 33orau§fe^ungen
l^attbeln fonnte^). ,,6S gab ©el^eimniffe unb 2lftergef)eimni[fe",
fagt Sledfer „unb id^ glaube, ber Äönig fclb[t mufetc nid)t
Sine«'' 2). gtau t)on ©tael berid^tet, SHiemanb f)abe il)ren SBater
über ben wal^ren örunb ber Suf^wiw^^^ji^^wng ber Gruppen
ofpjiett tnformirt, aber fortmäl^renb feien ii)m 3latlöfd^Iäge unb
SKittl^eilungen öon aufeen jugef ommen , bie il^m feinen ßweifel
über baS, waö jtd^ öorbereitete, laffen fonntcn. @r l^abe aud)
getoufet, bafe baüon bie 3lebe mar, ü^^ in bie SaftiKe gu [teden,
aber er fei geblieben, wie ein aufgefegter Soften, ber ben Slngreifer
über bie SSemegung be§ ®egner§ ju täufd^en t)erfud)t. ^zbtn Sag
fet er üom Äönig mit ber lleberjeugung gu ben ©einigen jurudf*
gefeiert, benSefel^l ju feiner SSerl^aftung üorguflnben^). SBieber
bot er feine ©ntlaffung an, n^enn feine ©ienfte nid^t mel^r toiH^
lommen feien unb fügte l^inju, er werbe in biefem ^alle fjrant
reid) fofort unb ntöglid)ft unbemerft öerlaf|en. „Sd) nel^nte Sie
beim SBort'\ bemerfte ber Äönig, ,,aber bleiben @ie"^). 3n==
jwifd)en, am 7. guli, war bie 3^^l ber Gruppen unter Sroglie
auf breifeigtaufenb angewad^fen; weitere fünfjefintaufenb ÜKann
würben erwartet. Sftiemanb gweifelte mel)r, bafe ein ©taat^ftreid)
beabf[d)tigt fei, alö ber 3Konard^ felbft, ber allen ®ewaltmaferegeln
wiberftrebte. 3>n biefe 3^it fällt ber ©ebanfe, ben §erjog öon
Drläanö aU ©enerallieutenant be§ SReid^ö bem unfdf)igen Äönig
an bie Seite gu geben. SJlirabeau, ber unerad^tet fpäterer
3)ementi'ö feiner ^reunbe mit bem ^rojeft bi§ gu einem ge«
wiffen ®rab einoerftanben war, bel^anbelte eö gar nid^t alö
ßontplott, fonbem al§ eine ßoentualität, weld)e bie Umftänbe
gebieten fonnten; er befprad^ fte mit Scannern gang entgegen^
gefegter 3lid)tung, mit ben Slo^aliften SSergaffe unb SJiounier,
*) Mounier, Recherches sur les causes qui ont empech^ les Fran^ais
de deveuir libres, I, 240.
^ Necker, De la Revolution fran^aise, IX, 225.
3) Madame de Stael, Considerations, XII, 236—239.
*) Laboulaye, Cours de legislation comparee, L'Assemblöe Consti-
tuante, Revue des Cours litteraires, Juin 1869, 459.
408 SBotfteUungen beim Stbni^,
tüte mit Sarget unb Stobeöpicrre^). 5(ledfer galt il^m nur mel^r
„al§ eine ^^gm^e", unb er woKte il^n ffir weitere ^äne nid^t
mel^r in Setrad^t gebogen wiffen. 6ine feubale SReaftion aber foßte
unb mufete üerl^inbert werben. Slm 8. ^vli \pxa(i) SWirabean,
einbringlid), großartig, unb aud^ je^t nid)t ol^ne SMäfeigung.
©eine Siebe würbe ber Slbreffe gu ®runbe gelegt, bie Dierunb*
gwangig 3KitgIieber ber Slffemblee am 11. Suli bmt Äönig mit
bem 2lnfud)en überreid^te, bie Gruppen gurüdfgujiel^cn. gubmigXVI.
crwiberte, er fei für bie öffentlidfie Stulpe öerantmortlid^; fte Der*
lange aufeerorbentlid^e SBorjtd^tömaferegeln unb er verlange SSer*
trauen. SBenn bie Slffemblee beunrul^igt fei, fo möge ftc mit
feiner Einwilligung nad) SHo^onö ober ©oiffonS ftd^ begeben, ßr
werbe'in biefem %aU nad) ßompiegne gelten, alfo mitten xn& 2ager.
@raf ßriHon befd^wid)tigte bie llnjufriebenen unter feinen
ßoKegen mit bem §inwei§ barauf, ba^ baö SJBort Subwig'« XVI.
ba§ eine§ el^rlid^en 9Kanne§ fei; ^irabeau aber warnte Dor
©efül^töpolitif unb brang üergebeng auf SBieberl^olung ber Sitte
um Entfernung ber Gruppen. Sia, um brei Ul^r SHad^mittagö
an |enem 11. 3wlif überbrad^te ber SJlarineminifter la Äujeme
nieder ein ^anbbiUet be§ Äönigg, ba^ il^n an fein SSerfprec^en
erinnerte, nötl^igenfaUö ba§ Sanb gu Derlaffen unb il^n auf*
forberte, eö fd^neU unb gel^eim gu tl^un. 2)er entlaffene SÄinifter
bemeifterte jtd) fo öoßftänbig, bafe einige gu Sifd^ gelabene
®äfte, unter biefen fein Sruber, fein SBetter ^uber, be 6ic6, grj«
bifd^of t)on Sorbeaujc unb %xan üon ©tael felbjt, Don bem in*
gwifd^en Vorgefallenen nid)t§ üermutl^eten. 9lur bemertte man,
bafe er ber festeren gu weilen liebeöoll bie ^anb brfidtte % 3ta6)
bem ©iner mad)te er SJlabame SRedfer, bie allein öom ©efd^el^etten
wufete, ben SSorfd^lag, etwaö frifd^e Suft gu fd^öpfen, unb beftieg
mit il^r, aU l^anble e§ |td) um eine gewöl^nlid)e Sluöfal^rt, htn
SBagen. 5Rad^ ein paar l^unbert @d)ritten, um l^alb fed^g U^r,
') Droz, Histoire de Louis XVI., II, 284—286.
2) LordAuckland, Correspondence, 1,331. SBricf öon $ttbet, ißarid,
14. Sutt 1789.
er entläfet 9ltdtt, 11. Suli 1789. 409
liefe er bcn SBcg jur crftcn $oft einfd^Iagcn unb fragte bort
feine 2)iener, ob fie i^n aufeer Sanb ju begleiten jtd) entfd)liefeen
wottten. hierauf reifte er o^ne Slufentl^alt, unb ol^ne ba^
SWabame Sleder il^m geftattete, auf ifjre fd^mad^e ©efunbl^eit
mä^ä)t gu nel&mcn, bi§ »rüffel 0- 3)ie SSefür^tung öon Sre=
tcuil, feinefti 5ftad^foIger im 3Äimfterium, nieder werbe einen
Stufftanb ju feinen ©unften in ^ari§ proöociren, eS fei bafjer
ratl^fam, il^n feftnel^men ju laffen, wies ber Äönig jurüdf. Sie
berul^tc auf feinem geringem gi^rtl^um als biefer gange Staats-
ftreiij^ überhaupt, beffen eigentlid^e Slbjtd^ten nie öoUftänbig
aufgeflärt worben ftnb. ®enug, ba^ man attgemein glaubte, eS
fei befd)(offen gewefen 5ßariS auSjul^ungern, eine Slngal^l öon 2lb«
georbneten ber SRationalöerfammlung gefangen ju nel^men, biefe
felbft oufgulöfen unb jum alten Softem gurüdfguf eieren 2).
SRecfer war tro^ aller SBarnungen auf biefe SBenbung nid^t
üorbereitet, ,,n)eil er jtd) bem öffentlid^en Söol^l in einem 8lugen=
blicf, wo er baS SReid) öor Sanfrott unb |)unger0not]^ fdf)fifete,
unentbel^rlicö glaubte^). ®em fdöarfjtnnigen 3ÄorriS bagegen
war eS nid)t entgangen, ba^ SRecfer'S Popularität fd^on lange
nid^t mel^r feinen SBerbienften galt, fonbern oomef)mlid) auf
ber Dppojttion ber |)ofpartei berul^te, bafe, wie er pd^ aus*
'bx&dtf gerabe ber SBerfud), il&n gu ^att gu bringen, feinen
©turg öerl^inberte ^). Se^t, als bie 9iad^rid)t ftd^ in 5ßariS oer=
breitete, bafe biefer 3Serfud) gelungen war, entgünbete jtd) bie
Segeifterung für il^n wie nie guöor. 3Jlan trug ßocarben öon
grüner f^arbe, weil eS bie feiner ßioreen war unb weil Mamille
©eSmoulinS baS Slatt eines SSaumeS im 5ßalaiS ro^al itd) beS=
wegen guerft auf bie ©ruft gel^eftet l)atte, wäl^renb er öor einer
unabfel^baren 9!Äenfd)enmenge, bie Verbannung SRecfer'S „baS
0 Necker, De la Revolution fran^aise, I, 226 u. ff. unb De Pad-
ministration de Monsieur Neck er, par lui-meme, VI, 97.
2) Jared Sparks, Gouverneur Morris, II, 78. SWorriS an Söaftington,
31. Suli 1789.
") De Padministration de Monsieur Neck er, par lui-meme, VI, 97.
*) Jared Sparks, Gouverneur Morris, n, 70.
410 Sinbrud beS ©efd^el^enen in $attö.
3etd)en gur SSartl^olomäuSnad^t bcr Patrioten" nannte, nnb
€ine ^iftolc in ber ^anb bie SSürgcr öon ^ari§ ju bcn SBaffcn
rief. ®ie Sl^eater tnurben gefd^Ioff en ; eö warb ©turnt geläutet
unb bie mit Srauerfior bebedten SSüften öon Slecfer unb beS
$erjog§ öon Orleans, bm man fälfd^Iic^ aud^ öcrbannt glaubte,
würben burd^ bie Strafen gefd^lept)t. 3[lS Sderfer'saSruber ftd^
anfd)icfte, il^m ju folgen, warb er mit feinen Begleitern in ber
3ftue be ßlid^^ angel^altcn unb jur SRücffei^r gezwungen, benn
wenn er gel)e, riefen bie Seute, werbe 5ftiemanb mel^r il^nen
9lad^ri(i^t öon il^rem SSatcr geben fönnen^). grau öon ©tael
war am 11. Suli Slbenbö nad^ ^ari§ jurudgefel^rt. 6rft
am folgenben SKorgen fefete jte ein SSrief il^reö SSotcrS öon
feiner Slbreife in Äenntni^ aber ol^ne il^r gu fagen, wol^tn
er gegangen fei. Sl^r aber befallt er, fid) aufS Sanb ju*
rüdjUjiel^en, um nid^t ber ©egenftanb öffentlid)er ©emonftrationen
in ber .^auptftabt ju werben. Slber baju war eS berciti^ gu
fpät. 6ine ^Deputation nad^ ber anbem begel^rte ©nlafe bei
ber jungen %xan unb verlangte öon xi)x in ben überfd^wänglid^
ften auöbrüden bie SRficffel^r il)reg SSaterö. ©nblid^ rife fte ftc^
bod) Io§ unb ging nad^ @t. Duen. 3)ort l^olte fte ein gweiter
Kurier 5Jiecfer'§ mit ber §Rad)rid^t ein, bafe il^re ßltern auf bem
SBeg nad^ SSrüffel feien, unb bereite am 13. SuH war jie mit
SSaron ©tael auf bm SBeg gu il^nen. 3flid)t ol^ne SKäl^e gelang
e^ il)r, fte in ber fremben ©tabt, unter einem fremben Slamen
unb in einem unbefannten ©aftl^auö wiebergupnben, wo fte weinenb
bem SSater gu %ü^tn fanf. 6r trug nodl^ biefelbe Äleibung, in
weld^er er SSerfaille^ uerlaffen l^atte; ebenfo il^re SKutter. Dl^nc
aSorbereitungen gur 3ieife unb felbft of)ne ^afe, l^atten f!e nur
mit 3Kü]^e bie ©renge erreid^t. 3lecfer benu^te ben furjen Huf*
entl^alt in SSrüffel um bem Sanfl^auS §ope in Slmfterbam feine
SSürgfd^aft üon gwei, au§ feinem SSermögen bei il^nen beponlrten
SRillionen Siüre§ für eine ©etreibelieferung nad) 5ßari8 gu er«
•)Lord Auckland, Correspondence, I, 335. SSrtcf bon $uber,
«Paris, 16. SuH 1789.
©et 14. Sult. 411
neuem, um in ber SSerproöiantirung ber §au^3tftabt feine
©tüdung eintreten gu laffen. «hierauf fe^te er mit SSaron
©tael feine SReife nad) SSafel fort, ba§ er am 20. ^\xü er=
Tcid)te^). %xau öon ©tael folgte in langfameren Sagereifen
mit il^rer 3!Kutter, unb fal^ fo jum erften 9KaI ba§ beutfd)e
Sü^einlanb. 6in am 16. 3uli abgefd^idfter Äurier öon Sa ^Ja^ette,
mit ber ?lad^rid)t öon ber 3ftüdffaerufung il^reS 33ater§, öerfel^lte
fte in SSrüffel^); al§ jebod^ bie faeiben ©amen in granffurt ein=
trafen, fanben jte bereite löniglid^e Kuriere au§ ^anfreid^, mit
offenen SSriefen oon Subtoig XVI. unb ber 3[ffemfafee, bie SHedfer
gum britten 2RaI an bie ©pi^e ber ©efd^äfte beriefen^).
6inen Sag nad) biefen Kurieren trafen aud^ fte in Safel
ein, unb bort erft erful^ren fte, n)a§ ftd^ in ber ßw^if^^ngeit
in §ßariö gugetragcn l)atte: ben längft gefürd^teten 3lbfatt ber
SIrmec mit Slu§naf)me ber wenigen fjrembregimenter, ben Äampf
jtt)ifd)en biefen lefeteren unb ben reoolutionirten ®arbe§ frangaifeö,
ben Slufftanb in ^ari§, bie 5ßlünberungen, bie Silbung unb
Scmaffnung ber Sfirgergarbe, mit einem 2Bort SlHeg, mag fd^on
am 13. 3uli jeber 9iegierung ein 6nbe gemad)t l^^^tte. ®ann
bie Sl^aten oom 14. 3uli, bie @iitnaf)me ber SaftiHe, bie ©r*
morbung oon be Sauna^ unb ^Jlcffetteö, bie ,,bebingung§Iofe
©apitulation" *) beö Äönig^ oor ber Slffemblee, bie l)inreifeenbe,
üon SaU^ Sollenbal al§ 5lbgefanbtem ber SBerfammlung auf
bem ©tabtl^auö gu ^ariö gel)altene SRebe gu 6f)ren 9ieder'§,
ba^ 6nbe bc§ 9Jiintfterium§ SSretcuil nad^ breitägiger S)auer,
bie Vereitelung ber ^läne gu (fünften be§ ^ergogö oon Orleans
^) Madame de Stael, Du caractere de Monsieur Necker et de sa
vie privee, XVII, 52. 9iccfer an feinen löruber ©ermant), S3afel, 24. gu^i
1789.
2) Lord Auckland, Correspondence, I, 336. S3rief öon ^uber,
^ari§, 16. Suü 1789.
•^) Madame de Stael, Du caractere de Monsieur Necker et de sa
vie privee, XVII, 44—51 unb Considerations, XII, 24G.
**) Jefferson, Complete Works, I, 99. Lord Auckland, Corres-
pondence, I, 328—333, al§ Stugenjeugen.
412 SRcdtct'S Swtüdtbcrufung.
buxä) baö 6rfd)eincn be§ Äömgö in ber $am)tflabt unb auf
bem @tabtf)au§, um baö ®efd)el^cne anjuerfcttnctt ^unb eine
abbitte ju tl^un, wie nie juöor ein Souöerän pe geleiftet, nie
ein 33olf jte empfangen l^atte'' 0- Slud^ SJMrabeau fagte, als er t)Ott
biefem ©d^ritt beö ÄönigS l^örte: „©erjenige, ber il^m baS ge«
tätigen l^at, ift ein füf)ner ©terblid^er; ol^ne biefen ©d^rltt war
^ariö für il^n öerloren. S^ei ober brei Sage fpäter, unb eS
war nid)t mel^^ möglid) für xi)n, gurüdgufel^ren" . SHid^t meniger
aufeerorbentUd^ aU bie §Rad^rid)ten felbft, waren bie SBotcn, bie
fie überbrad)ten. Slm Slbenb beö 15. guli l^atte bie crfte ®mi*
gration, bie beö ®rafen üon Slrtoiö, feiner Si^eunbe IBreteuU
unb 9Jionteffon, ber Herzoginnen oon §ßoIignac, Don @uid^e,
beö (trafen SSaubreuil, be§ Slbbe be SBermonb, lauter SSer*
traute ber Königin, begonnen. SHeder'ö SBerid^terftattcrin
war bie §erjogin öon ^olignac. @ie liefe tJ^n ju Safel in
il^ren ©aftl^of bitten, unb, nac^bem fte ju feinem ©turg bei*
getragen t)atte, fc^ilberte fie il^m bie ©reigniffe, weld)e bie
ijolge baoon gewefen waren, unb benen jte nun felbji gum
Opfer fiel, ijrau oon ©tael ergäl^lt, bafe SReder, ber nie an
bie SÄöglid^feit öon ^roffriptionen gebadjt l^atte, einiger Qtit
beburfte, um bie SBerlettung oon Umftänben, bie il^n mit ber
|)er3ogin jufammenfäf)rten, ju begreifen, ©ann trennten fid^ il^rc
SBege, um ftd) nid^t wieber ju freugen. ®ie Si^eunbin ber
Königin ging inö |)eimatf)lanb berfelben, nad^ SBien, wo Snt*
fe^en über ia^^ 6nbe ber unglüdflid^en f^ß^lün biefer ©efdl^rtin
il^rer frol^en Sage ein frül^e^ ®rab bereitete. SHedEer aber cnt«
fd)Iofe jtd), „an einen §of jurüdjuf eieren, beffen Saunen er er»
fal)ren, eine leere ©taatöfaffe unb ein SSoIf, beffen ®unfl
t)ieKeid)t nid)t weniger erfd)öpft war, wiebergupnben". 3io6) öoit
Safel auö, am 24. ^ulx, fd)rieb er feinem Sruber, Slecfer
be ©ermanQ, e§ fd)eine ifjm, alö winfe ein Slbgrunb il^m ent«
') Jefferson, Complete Works, I, 101—102. Dumont, Souvenirs
sur Mirabeau, 114—115.
ffiMU%x bet 8romiIie SRcdfer nad^ ^atiS. 413
gegen ^). SBergcbcnS öcrfud^te 3iHabame Dledfer, tf)n jurädf=
jul^alten. Sl^re S:od)tcr fagt nid^t, in tt)eld)e SBagfd^ale il^r
eigener ©influfe fiel, aber allen Slnjeid^en wie il^rer ganjcn
Slatur naäi fonnte pe nid^t anberS, al§ bie Stüdffel^r gur Sl^t
befürworten.
Sin biefen furgen 2lufentl)alt in ber ©d^weig fnüpft ftd^ bie
(Srinnerung an eine Begegnung mit Saöater. ©iefer brad)te
ben Sommer 1789 in Safel bei feinem greunb Sarajtn gnm
®ebraudö einer Äur gu, lernte SJledfer fennen nnb ft)rid^t in
©riefen „oon ben fanften, l)immlifd^en QüQtn" feiner eigem
t^flmlid^en §ß]^^ftognomie. SSon feiner ^geiftrcid)en Sod^ter" er«
wäl^nt er nur, bafe jte mit ifjm über $l)^jtognomif gefprod^en
]^abe2).
©ie SReife ber fjt'au öon ©tael öon SSafel nad^ ^ari§, an
il^reg 33aterö Seite, glidi) einem Srinmpl^gug ; fte genofe il^n in
üoKen Sügen. ©d^aren jubelnber SKenfd^en empfingen 5Recfer in
ben ©täbten; auf ben fianbftrafeen fnieten bie SSBeiber nieber,
wenn jte feinen SBagen fommen fallen; bie öornel^mften Sürger
nal^men bm ^oftillonfi| ein, um il^n gu füllten; mel^i^ al§ ein=
mal gefd)al^ e§, bafe Seute bie ^ferbe au^fpannten, um feinen
SBagen gu giel^en, fo bafe bei einer fold^en ©elegenl^eit ber
fpätere SKarfd^aU Sunot im ©ebränge faft ba§ &thm üerlor.
SRedfer fprad) l^äufig gum 93oIf, ermal^nte gur 3ftu]^e, gur Wlä^U
Qung, öerfd^affte bebrol^ten ^erfönlid^feiten 5ßäffe, um ungel)inbert
ba^ ßanb öerlaffen gu fönnen. Qti)n SKeilen öon ^ariö be=
gegnete er Sefenoal, ben ßommanbanten ber ©d^weiger 3iegi=
menter, bie am 12. guli in ber ^auptftabt eingerüdt waren,
unb bie er hierauf nadt) bem ßufammenftofe mit ben aufrüf)rerifd^en
„Solbaten ber ^Ration" öon $ariö nad^ aSerfaille^ gurüdffül&rte,
0 Necker, De la Revolution fran^aise, IX, 237—240. Madame
de Stael, Du caractere de Mr. Necker et de sa vie privee, XVII, 52.
2) ©efener, Seben öon Saöater, III, 123. üiaöater, 3(nttt)orten auf
gragcn unb »riefe. SBerlin 1790. 16—23.
asiennerl&atfett, grau »on @ta6l. I. 27
414 ^^^^^ ^uf ^^in StabtlgauS.
o^ne ba^ fte mit bem SSoIf pattixtm. 2)er j(5mg l^otte il^
ge[tattct, pd) nad^ ber @d)tt)cig gurürfjUjid^cn, aber uittcrtDeg«
war er feftgenommen worben, um ber Ifinftigen $arifer SJhi-
nictpalitdt auf ScfeI|I ber SBäl^Icr ausgeliefert ju werben, ©ic
fd^cufeliij^en SiJlorbe öon f^oulon unb Sertl^ter am 22. Suli
Itefeen fein ©d^idfal öorauSfel^en. 9iedfer öerfud^te bergeBenS,
freies ©eleit für il^n gu erl^alten, unb bcfd^Iofe nun, in ^ariS
SlfleS ju feiner 3ftettung aufzubieten. SSorerft begab er pd^ mit
ben ©einen am 29. 3uli nad) SBerfailleö, wo ber Äönig il^n
gnäbig empfing unb feines öoKen SßertrauenS öerjid^erte, unb
bann in bie Slff emblee, um ii)x feinen ©anl auSgufprcti^en ^). 9m
folgenben 3!Jlorgen eilte er nad) 5ßariS, wo Äopf an Äopf pd^
brängte, ii^n ju feigen unb ju begrüben, unb aufS ®tabÜ)(m^,
um bem 3SoIf feine Dpfer ju entreißen. „3^ warf mid^ auf
bie Änie nieber, id^ bemfitf)igte mid^ auf alle möglid^c SBeife",
erjäfilt er felbft, „um SSefenöal ju retten" ^).
Sn einer langen, rül^renben Stebe verlangte er ®nabe,
Slmneftie; er mad)te in ber 3[ufregung beS SlugenblidfS bie ge*
fä]^rUd)ften ©eftänbniffe, er fagte ben pegreid)en ^ütcpttm ber
Empörung, bafe bie Stegierung feine SKad^t mcl^r in $finben
l^abe, bafe baS |)eil beS ©taateS in ben übrigen, in bencn ber
3flationalt)erfammlung liege. @r, ber SKintfter, befd)Wor pe, ben
^^Jroffriptionen, bem Slutöergiefeen ein @nbe ju mad^en.
©ie SRebe, guerft üor ben l^unbertjwanjig aSertretem ber
(Sommune gel^alten, wirfte fo l^inreifeenb, bafe er pe im öffent*
lid)en ©i^ungSfaal wieberf)olen mufete. 2)ort erwarteten il^n
fjrembe öon SluSjeidinung, 3Jlitglieber ber 5ftationalöerfammlung,
feine ^Jrau, feine Sod^ter. Unter lauten SeifattSbejeugungcn
unb bem 9tuf „®nabe, Slmneftie'' mufete er pd) Dom 93alton
aus ber jubelnben 9)lenge jeigen, mit ber ^arifer ßocarbe ßc*
') Madame de Staöl, Du caractäre de Monsieur Necker et de sa
vie privee, XVII, 54 u. ff., 3u öergleid^cn mit Droz, II, 389.
-) De l'administration de Monsieur Necker, par lui-m6me, VI, 103,
unb Troisieme Miuistire de Mr. Necker, VII, 5.
5)ic Sage nad^ bcm 14. 3"^. 415
fd^mflcft, bte üicrjcl)n Sage frül^cr bcr Äönig auf feinen ^ut
gejiecft l^atte. ©lermont^Sonnerre; ber antt)efenb war, rebigtrte,
ttad^bem bie SSertreter ber Commune SSefentiars S^eigebung ju*
gcjianben l^atten, 9Zamen§ ber Slffcmblee, beren ©innjtlltgung
man öorauöfefete, eine 6ntfd^Uefeung, burd^ tt)elci)e bie allgemeine
Stmnefiie öerft)rod^en würbe. 9icdfer fanb ftd^ als SRetter beS
Staates gefeiert, unb bie SJlenge geriet)^ wie aufeer ftd^, als er
il^r üon triebe unb 2Serföl^nung fprad^. 3Re]^r öemal^m fjrau
t)on ©taöl in jener ©tunbe nic^t, benn öon il^ren ©eful^len
üBerwältigt, fani pe bewustlos jufammen.
6S war, fd^reibt bie t)ierunbjwanjigiäl)rige fjrau, ber le^te
t)oIlftänbtg glüdflid^e Sag il)reS SebenS unb obwol^I baSfelbe
nod^ in feiner SBIütl^e ftanb, fül^lte jte, als fte wieber gu fid)
tarn, bafe fie bie ©renge menfd^Iid^en ©lücfeS berül^rt l^abe^).
@in l^öci)ft mcrfwürbiger Srief öon if)r an Äönig ©uftaö,
Dom Sluguft 1789 batirt, gibt ben unmittelbaren ßinbrud beS
SiedEer'fd^en ^aufeS, fowol)! in Sejug auf baS ®efd)e]^ene, als
auf bie näd^fte ßwfunft wieber: „@ire", fd)reibt fie, „wirb 6ure
SWaiefiät nad) fo öielen fd^recflid^en, rul^müoKen unb unglaub-
Ud|en ©reigniffen nod^ ben SluSbrucf meiner |)ulbigung wieber*
erfennen wollen. 3^ fi^cige mid^, ob taufenb Saläre feit einem
Sal^r, feit einem' 3Konat oerftrid^en ftnb, unb fänbe id^ meinen
glorreid^en Äönig nid)t wieber, id^ glaubte mid) in eine an*
bere SBelt öerfe^t. eure SJlajeftät wirb Aber SltteS unter*
ridt|tet worben fein unb ein Urtftcil fällen, bem id) mid^ un*
bebingt unterwerfen würbe, lönnte @ie auS eigener Slnfd)auung
ober baS ®efd)el)ene ftd) Sled^enfd^aft geben. SBer aber öer*
möd)te, öom ©d^aupla^ ber ©reigniffe entfernt, bk fleinen Ur*
fad^en fo großer Söirfungen ju unterfd^eiben, wer fül)lte ftd^ nid^t
üerfud^t, für fo furd^tbare Segebenl^eiten anbere als bie wirflid)
t)orl^anbenen ©rünbe geltenb gu mad)en. ^d:j, bie id^ SlHeS mit
0 Madame de Stael, Considerations, XII, 258 unb Du caractäre
de Monsieur Necker et de sa vie privee, XVII, 60.
27*
416 ®i^^f öon gfrau öon Btael an ©uftaö III.
angefcl^en imb ©enicnigcn, ber mir am ttjeuerftcn mar, mäl^rcnb
bc§ ©turmcö am 9luber mufetc, fann über bic malere Urfad^c bcS
©efd^cl^^nen ntd)t in S^^rif^l f^in. 6§ ift mir ermiefcn, bafe eS eine
üon bm üfacrmäfeigcn gorberuugen bcö Slbetö unter[tü^tc ^offabalc
mar, für bie SSerfaiUcS ba^ Äönigreid) barftelltc unb meldte btc
t)opuläre 9Jlad)t ju üemid^ten glaubte, inbem pe in Sfledfer'j^
^er[on il^ren treueften 33ertlöeibiger traf. Sin tl^rer ©pi^e ftanb
ber ®raf Don Slrtoi§, bem e§ gelang, im ®eift beö ÄönigS feine
@ad)e mit ber be§ 3lbel§ ju ibentipciren. llmfonft leierte ba*
SBeifpiel @d)mebenö, mo ßurer ÜKaieftät nur Dom erftcn ©tanbe
@d)mierigfeiten bereitet mürben, umfonft bie SSemunft, bafe bc«
Äönigö SKad^t auf feine Popularität begrfinbet merben mufete.
SSergebenö mieberl^olte mein SSater im ^inifterratl^, bafe l^lntcr
ben 600 Vertretern beö SierjS fampfbereite SÄtßionen ftänben.
|)od)mütl)ig fal^ man auf ®inge l^erab, bie metfer ©rmägung
beburft l)ättcn. S)ie 2lbreife meinet SSateriS, bie Si^fttw^wen«
jiel)ung ber Gruppen, bie Ernennung eineö üerl^afetcn SRinifte»
riumS mirften mie ®onnerfd^läge bi§ an bie ©renjcn beS Sitid^S.
3d) fd)enfe ben überall verbreiteten ®eriid)ten über eine be*
ftel^enbe 5?erfd)mörung, ba^ SSombarbement öon $ariS unb bie
SBcrl)aftung ber ©eputirten feinen ©lauben ; mol^l aber l^altc i^
cv§ für gcmiß, baß man jtd) mit ber Hoffnung trug, burd^ 81uf«
löfung ber Ocncralftaaten bem Äönig feine üoHe Autorität gu»
rürfjugcbcn unb bicfen gu Überreben, bafe 3?edfer il&tt täuf(^e,
mcnn er i^m ftct5 mieberbole, ba^ man e3 nid^t mcl^r Dcr^
möge.
„Otid)t fobalb mar bie 3?erbannung meinet SBater« befamit
geworben, aU5 bic Olation in SSaffcn ftanb, unb id^ begtoeifle
nid)t, baß in iencm Slugcnblirt nict)t nur grembe, fonbem au^
(vranjofcn ftd) für unljciliiolle -^Jldnc geroinnen lie&cn unb bic
Unruben au!§nüj3tcn unb förbcrtcn. Slbcr ol)ne bie gel^Ier ber
iHegierung unb bic Pnttaffung ntcinc^5 -Batcr^j märe il^nen ba*
nicmaU gelungen. @inc Äabalc, ein ocrcinjelter Slufftanb laffen
fid) mittclft ©clb unb au^^gcftrcuter Sügcn ^erüorrufen; nie»
S3rlcf öon 8rrau öon Btael an ©uftab III. 417
maU aber empört jtd) ein ganjeö SReid) ol^ne n)al)re, ber 6r=
feimtnife SlKer jugänglid^e ©rünbe. ^nnerl^alb ber furjen fjnft
t)on öiergel^tt Sagen war bie Sage ber ®inge öoUftänbig t)er=
änbert. SSSlzxn SBater, ber ijranfreid) unb ben eigenen Siul^m
gcffül^en l^atte, wie Slnbere bie ©d^anbe piel^en, fel)rte afö Dpfer
beö ®emeintt)oI|I§, ntd^t afö ei^rgeigiger jurüd, um alle SRe»
gienmgStücrfgeuge jerftört ober in Unorbnung gerattjen, bie rol^e
©ewalt wie in urfprünglid^en Qtxtm l^errjd^enb geworben, eine
SRation mit uralter 33ergangenl)eit ftatt in einem 3Seriüngungö=
procefe begriffen wie in jweite Äinbl^eit gefallen, ein corrumpirteS
SBoII öon fjteii^eit nad^ amerifanifci)em 3Kufter träumenb, biefe
greil^eit oI|ne öorl)crgel)enbe Silbung be§ öffentlid)en ©eifteS,
mit einem SEBort eine fd^redenerregenbe Verwirrung ber SSegriffe,
einen unöerföl^nlid^en ©egenfa^ gwifd^en ben ßl^arafteren unb
ben jte umgebenben 33erl)ältniffen gu pnbcn. Slbl^ülfe gegen
baS im Sauf eine§ einzigen SiagS angerid^tete Unl^eil ift nur
Don ber 3^^ ju erwarten. SlUe Semül^ungen meinet 35aterö
muffen bie 3Bieberaufrid)tung ber föniglid)en Slutorität bejwedfen.
Sie üerffigt nid)t mel^r über bie 6j:efutioe, wenn bie Sruppen
il^r nid)t gel^ord^en, unb in biefem %aU ift aud^ baö Sanb ver-
loren. |)at eine ^Regierung einmal fo lange beftanben, fo be*
ftel^t alle SBal^rfd^einlid^feit bafür, bafe fte unentbel^rlid^ ift,
gerabe wie bie 5ßrobe eineö 9?ed^ene;rempel§ burd^ Umftürjen
icSfelben geliefert wirb. Jliemalö l^at mein 3Sater baran ge=
bad^t, xf)xt ©runblagen ju erfd^üttem; er wünfd)te SBerbefferungen,
bie ebenfo notbwenbig waren, al§ fte fegen§reid) geworben
toären. 3>nbem Äönig unb 3lbel biefelben oerweigerten, al§ eö
Tiod^ S^tt war, fte ju bewilligen, l^aben fte baö Sieid^ in
Sßerwirrung gebrad^t. 3Kein 93ater l^at ftet§ ben Äönig be^^
-fdiworen, freiwillig ju gewähren, wa§ man ju geben il^n jwingen
»erbe, ©em gegentl^eiligcn Softem ift bie l^erauöforbembe
Jg^altung be§ SSolIeö, bie Unpopularität be§ ÜKonardE)en unb ber
©rofeen juijufd^reiben, bie ber SSernunft 2llle§ verweigerten, wa§
fie ber rollen ®ewalt jugeftanben. Sollte biefer ßwP^nb bauern.
418 ^^^f ^on S^^u t)on Btahl an &viftat> III.
\o ift CO um granfretc^ gcfc^el^cn unb feine Sluflöfung würbe
üon entfe^Iid^cn Solgen begleitet fein. SRoiJ^ l^offe id^, baß
meinem SBater feine ^Rettung gelingen werbe. Sdglid^ wirb er
®uteö förbern unb ©c^limmeö öerpten, unb bie 3cit, bie Sitten
beruf)igt, wirb bie größten ©d^mierigfeiten auö bem SBeg ge^
räumt finben. Sollte biefe Erwartung getäufd^t werben, bann
freiließ bliebe nur bie 5lud)t. ßonftantinopel wäre in bicfem
gall eine beffere Si^Pw^tpätte atö biefeS einer fd^ranlenlofen
5reif)eit, alfo mit anbern SBorten bem ©efpotiSmuö bcr 5Dlaffen
überantwortete Sanb.
„SBirb 6ure ÜKaieftät mir oerjei^en, bafe id^ 05 wagte,
t)on fo weit mid) überragenben ©ingen i\x reben unb il^rer
f)oi)tn @injtd)t ©reigniffe ju unterbreiten, mit wcldljen ber nil^m*
reid^e 9lame meinet 33ater§ in 33erbinbung ftei^t. Sft öud^ ba^
aSilb, ba& mir ftetö Dor Slugen fd^webt, bagu angeti^an, gleid^*^
gültiger gegen weltlid)e (gl^re unb au^geid^nung ju mad^cn, fo
erf)ö^t eö bafür bie @f)rfurdf)t oor wal^rer ©röfee, unb in bem
2Wafe alö ©efpotiönm^ unb Slnard[)ie bie 5IRenfdöen einonber
gleid^ mad)en, gewinnt ein Äönigtl^um an SBerll^, baö regiert,
ol^ne JU unterbrüden, unb burd) fein Seifpiel bcn aSeftanb
monarc^ifd)er (Sonftitutionen jid^ert.
„e^ bleibt mir bie Erfüllung ber gjffid^t, eurer SMaieftdt
über mein perfönlid)eS SBerfjalten SRec^enfdiaft ju geben. 3>d^
bin e§, bie §erm oon ©tael gu jel^ntägiger Slbwefenl^ett Der*^
moc^t ^at, um meinen 33ater in einem Slugenblid ju begleiten,
wo nid^t nur feine Sreifjeit, fonbern auc^ fein Seben bebrol^t
waren, benn ber ßorn feiner geinbe wud^ö im SBerl^dltnl^ ju
ben ^ulbigungen, bie i^m entgegengebracht würben. Ol^nc iebe
Seforgnife unterbreite id^ biefen @d)ritt ber nad)trägUdöen ®e*
nel)migung 6urer SJiaieftdt, bereu ®nabe id) meinen ©atten unb
mid) mit ber SBerjtd^erung enipfef)le, bafe Sllleö, voa^ Saron ©taöl
oermag, im Sntereffe beö föniglidfien 2)ienfte§ aufgeboten
werben foU.''
2tl§ bie ©tunben ber ©faltation oorüber waren, liefe jtd^
©rad^lcgung bct Slcöieruno. 419
crft bic Umwanblung crmcffen, bk furjc brci SBod^en in ber
@t\6)\ä)k granfrcid^ö bctüirlt f)atten unb bereu n{eberfd)Iagenbc
SBirfung %xavi öon ©tael if)rem fönigltd)en (Sorrefponbenten
ntij^t öcrfc^iuieg. Sluf bem Sanbc mütl^ete bie Seöölferung mit
geuer unb ©d^wert gegen ben Seft^; in ben ©tobten l^errfc^te
bic Slnard^ie. ®ie 9Jiad)t, bie man bem Äönig entriffen l^atte,
war nid)t in bie ^dnbe ber Slffemblee gelangt: „t^ n^ar feine
äleüolutiütt, fonbem eine ©iffolution, nid^t ber ©turg einer 9ie==
gicrung unb ba§ ©mporfommen einer anbern, fonbern ber S3e*
ginn beS JDefpotiSmuö ber 2Kaffen unter bem 6inpufe ber f5urci)t,
ber Seid^tgläubigfeit unb be§ eienbö" ').
%a\t 5)liemanb gal^Ite mel^r ©teuern, bie ganje 3iegierungS=
mafd^ine ftanb ftill. S)ie Seamten xoaxm meift püd)tig, bie
Ärd)iüe jerftört. „©ie bemofratijd)en ©eflamationen, meld)e
auf ber Stebnerbül^ne Seifall jtd)erten'\ -fd^reibt ^yrau öon ©tael,
^üenoanbelten jtd^ in ben ^ßroöinjen in ebenfo öiele 33erbred^en.
©en ©pigrammen ber 3lebner ber ßonftituante ju 6f)ren
brannten bk ©d^Iiiffer unb mit $f)rafen fd^lug man ba§ Äönig=
reid^ in Irümmer"^).
3ltö Stecfer am 7. Sluguft ber 9iationaIüerjammlung ben
^lan einer Stnleil^e enttüidelte, fragte er, ob eö möglid^ gewefen
fei, bie unerf)örte SReöolution öorauögujef)en, bie in wenigen
SBo^en jtd^ öollgogen l^abe? ®aö Uebel fei ju fold^en S)imen==
ftoncn angett)ad)fen, bafe leiber SRiemanb eö fxä) xnü)x t)er]^ef)Ien
fönne ; öom centralen ©tanbpunft ber SKinifter be§ Äönigö au§
gefeiten fei baö Silb ein walirl^att fürd^terlid)eö. ©eine ©d)ilbe=
Tung beö üorl^anbenen llebelö liefe an Älarl^eit nic^t§ ju n)ünfd)en,
aber ber SJerfud^ einzugreifen raurbe üon Dlecfer gar nid)t mel^r
gemad^t. ©eine ^flid^t, erftärte er, beftef)e barin, öor bem
SBillen ber SSerfammlung fxä) ju beugen unb bem Äönig burc^
bie Popularität ju bienen, über bie er nod) oerfüge. SBie er
*) Taine, Origines, etc. La Revolution, I, 51.
2) Madame de Stael, Considerations, XII, 270.
420 ^t^ ffttoandtt bon äRirobeoiL
bie ^arifer ^unicipalität fniefäQig um baiS Seben Don Sefen«
öal gebeten l^atte, fo befd^wor er je^t bie aSertrcter ber SHation,
ben Staat ju retten^). Sag britte SRinifterium 9tedEer l^at in
ber ferneren ®efcf)id)te ber Steüolution nur mel^r eine paffioe
Sebeutung; ber furje Srtumpl^ auf bem $arifer Stabtl^oud
überbauerte ben Slbenb ntcf)t, benn biefer Äbenb fd^on fal^ bie
SReüanc^e üon SJlirabeau.
Äurj nad) bem 14. guli l^atte er burd^ feinen f^eunb
be la ^ard ber Äönigin feine ©ienfte anbieten laffen unb bie
Slntmort erhalten, ber j^önig n)erbe l^offentlid^ nie unglfidRid^
genug fein, gu einem fold^en SluöfunftSmittel feine Siiflud^t
nel^men gu muffen 2). ©a gewann bie Seibenfd^aft bei il^m bk
Dberl^anb unb meti jtd^ nid^t mit ben 9Räd)ten be^ Sagd re«
gieren liefe, wanbtc er pd^ gegen pe. ©ein erfter @ebanle war
ber gewefcn, |id) ftatt IBaillQ gum SRaire öon $ari« ernennen
gu laffen 3). Sltö er öon ber gteigebung öon Sefenüal l^orte,
eilte er nad^ ber ^auptftabt unb erregte bie öffentlid^c ÜÄcinung
bort gegen bie a3efd)lfiffe beö @tabt^aufe§. Unter feinem 6in»
Pufe erflärte bie bereits terroriftrte 5ßationalberfammlung, aSefen»
oal bürfe bem ®efe^ mdf)t entgogen werben. SRirabeau'« Drgan
in ber treffe, bie fogenannten „Sriefe an feine Sluftraggcber",
fagten je^t offen, baö Sßolf l^abe ®ered)tigfeit geübt, baS 2Ra6
fei ooH gewefeu; bie Strafe eineö SSegier« möge gur l^eilfamen
Se^re für alle anbern werben. 6r felbft fagte auf ber Sribüne,
üon ben ajlorben be§ 22. guli fpred)enb, man bürfe fic^ nid^t
üom @d)idffal ©ingelner rül^ren laffen; nur um biefen ^rei«
fei man wal^rl^aft ein Bürger*).
2)afe Sefenoars Seben überl^aupt gerettet werben fonnte,
blieb ber eingige ©ewinn beS S£ag§, öon bem 5ftedfer gel^offt
') Necker, Troisieme Ministere, VII, 13 unb De la R^Tolution
franvaise, IX, 240.
*) Droz, Histoire de Louis XVI., II, 368.
*') Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 94—95.
*) Droz, Ilistüire de Louis XVI., II, 309. Bacourt, Correspondance
oiitre Mirabeau et de la Marck, I, 99.
^it 9^ationaIk)erfatnmlung lögt bte SBetbred^en ungeftraft. 421
fiaüe, er werbe ber erfte be§ wiebergewonnenen fJriebenS jein,
uttb tt)eld)er nur ber le^te feiner ^Popularität war^).
fjür ben ffinftigen poHtifct)en ©tanbpunft üon fjrau üon
©taßl würbe bte 2lrt beö ©nfluffeö entjd)eibenb, ben, wäl^renb
il^rer lurgen Slbwefenl^eit üon $ari§, bie ßreigniffe ber legten
aBod)en auf bte ©eftnnung il^rer fjreunbe ausgeübt l^atten.
fiaK^ SoKenbal war ber erfte unter btefen, ber am 20. gult,
burd) beit 3Sorfd)lag einer ^roflamation an bie S^ranjofen, ber
9[ttard^ie 6inl&alt gu gebieten t)erfud)te. 2lm 27. guH entwarf
3Rounier ber SBerfammlung ba^ ßonftitution^proieft beS 3Ser=
faffungScomiteS, ba§, mit bem Sw^^i'^w^Ji^crf^ftem aU SajtS, bie
^rfteKung ber gemäßigten 2Ronard)ie bejwerfte. &x, aJlalouet,
bann ßriüon, a3ifd)of t)on 6{)artre§, ber junge SJtatl^ieu be
5ötontmorenc9, SEoulongeon, ein freijinniger, mit Sa iJa^ette
innig befreunbeter ©beimann unb fpäterer ^iftorifer ber 9teöo=
lution, befjen unparteiifd)e§ SBerf S^rau öon ©tael t)ielfaä) be*
nu^t l^at^), tlieilten alle mit Sall^ bie Uebergeugung, baß bie
SHationaberfammlung für SBerbrec^en, bie fie nic^t ju beftrafen
wiffe, mit öerantwortlid) fei. Slber neuauftauci)enbe ^erfönlid)*
leiten, wie Sujot, ber fünftige ©ironbift, unb 2Rafimilien
SRobcöpierre, beffen 9Zamen bei biefem Slnlafe jum erften 2RaI
genannt würbe, badeten anberö. Sie fpracl)en üon ben 33er=
fd^wörungen gegen ba§ SSolf, nic^t öon feinen wilben 2lu§=
fd)reitungen, nannten bie 5{5arifer „weil jte t)om 3fleä)te ber 5Ratur
©ebraud) gemad^t Ijatten", l^eroifc^, unb festen burd), ba^ fo öiel
als nid)t§ gefc^al^. (g§ galt öor Slllem, bie $anif ju unter*
Italien. SKirabeau unb Saill^ nennen ben Setrag ber Summen,
weld)e an bie SRul^eftörer in ber ^^auptftabt auöbegalilt würben^).
35ie Serebfamfeit üon Sall^ unb feiner g^reunbe, um bie
SBeftrafung ber 2Rörber gu erwirf en, fd)eiterte gule^t an ber
^) Ferrieres, Memoires, I, 178.
*) Madame de Stael, Considerations, XIII, 102.
») ©^bcr, ©cWtd^tc bcT «ftcöoIuttonSactt, I, 65, Sftotc. Droz, Histoire
de Louis XVI., II, 357 u. ff.
422 ®i^ 9'2ationQU)erfatnmIung lägt bie SSetbre^en ungefttaft.
gweibcutigen Haltung beS äbgeorbncten bcr ^roücncc. ©ic
üorgefd)lagene ^roflamation würbe eine md^töfagcnbe Slufforbe*
rung gu griebe unb ßintrac^t, unb eS blieb üon ber langen
©ebatte nur bie unaüSlöfc^lid)c (Erinnerung an baS 3EBort üon
Samaüe nad) bem SRorb üon fjoulon, ber bem Sftuf nac^ ®e«
rect)tigfeit mit ber beräd)tigten 5rage entgegnet l^atte, „ob benn
ba^ öergoffene S3lut fo rein gewefen fei?"
2öä{)renb bie genannten greunbe ber grau üon Staßl pd^
be^ (äinbrurfö nid^t ermel^ren fonnten, ba^ ber SBoben bereit«
unter il^ren ^feen wanfe, fanb fte einen 3[nbem aus btm il^r
gunäct)ft ftel^enben Äreife burc^ biefelben ©reigniffe auf ben
®d)ilb gel^oben.
Seit bem 15. 3uli war Sa gai)ette ©ommanbant ber
aSürgergarbe, bie nunmel^r SJlationalgarbe genannt würbe.
®er juerft öon Siemes angeregte ®ebanle, ber pe in« geben
rief, erl^ielt feine Slu^fül^rung nad^ Saron @tael öon SRccfcr fclbft,
ber in ben Sagen, wo er auf ©ntfernung ber SEruppcn bcS $er*
gog§ üon Sroglie brang, bem Äönig eine fold)e Snftitution ate
@cl)u^wel^r gegen bie waä)fenbe Unorbnung unb mit bem SBor»
bel^alt, bafe bie Offigiere burd) ii^n ernannt würben, cmpfoi^n).
9ladö bem 14. guli war eS bann ber längft aßen reüolutiondrcti
2)oftrinen gewonnene Parlamentarier ©uport, ber bie IBewaff«
nung be^ SSolfeS in ganj S^ranfreid^ mit einer mertwürbigm
®ewanbtl^eit unb Energie organiprte, „fo ba^ <)löjjlid^ bte re»
gulären 3:rut)pen im gangen Sanb pd) wie gefangen üon einer
Slrmee oon brei bi§ oier 2Rillionen bewaffneter 9Äenf(^en, meifl
brob= unb arbeitiSlofe Proletarier, umgeben fallen, bie eingig
unb allein üon ben municipalen Autoritäten abl^ingen, wä^renb
ber Äönig feit bem 14. guli über feine militärifd)e 3Wad^t mcl^r
üerfügte"^). SBenn fomit ber ©ebanfe ber 5Rationalgari>e rdäjlt
^) Leouzon-Le Duo, CorrespoDdance diplomatique du Baron de
Stael-Holsteiii, 121, 9?o. 127.
^ Neck er, De la Revolution fran^aise, 377. Madame de StaSl,
Considerations, XII, 325.
Sa gfa^etie unb bie 9^ationatgarbe. 423
auf 2a iJa^cttc gurüdfgufül^ren tft, jo bleiben i^m anberc
aScrbienfte ungcfdimälert. @r ift ber ©rfinber ber SErifoIore,
bie er au^ beit Farben ber ©tabt 5{5ari§, gu tt)eld)er er baö
löniglid^c SBeife fügte, guf ammcnfe^te ^), unb Don weld^er er
beJanntUd^ öerffinbete, jte werbe ben SEBeg um bie SBelt gu*
rüdtlegen. SWedfer mufete il^n burd) Sitten unb SBorfteKungen
baran öcrl^inbem, bie gnitiatiöe bagu burd) Slnfttftung üon re*
öolutionären Bewegungen in Srlanb unb §oIlanb gu ergreifen.
Sie greil^eit^mü^e auf bem ©äbelfnauf ber 3(lationalgarbe
öerbanfte man il^m, unb mit ber ©inbürgerung ber ßrflärung
ber aRenfd)enred)te ift er wie fein Slnberer ibentipcirt. ©ein
erfter SSerfud^, jte burd)gufe§en, ift öom 11. Suli 1789 unb
liefee jtd) .mit bcm ©ebanfen üergleid^en, bie grünen Sieifer, bie
ben glüdfUd) aufgerici)teten ®iebel einer neuen Sel^aufung
fd^müefen, in ben @ct)utt unb ©taub niebergeriffener ©runb-
mauern gu pflangen. Db Sa fjaqette wdl^renb ber gangen S^xt
feinet Dberbefel^l^ über bie 9Zationalgarbe jemals in ber Sage
gewefen ift, einen anbern, al§ il^ren eigenen SBillen über jte
geltenb gu machen, bie Prüfung biefer fjrage fällt leiber nicl)t
tng SSereid) ber öorliegenben ©tubie. 311^ i5^au öon ©tael il^n
in biefer feiner neuen SBürbe wieberfanb, l^atte er bereite, ac^t
Sage nac^ Slntritt berfelben, feine entlafjung angeboten, am
23. 3iili ndmlid), nad) ber ^infd)lad)tung Don fjoulon unb
aSertl^ier. Slber fd)on am felben äbenb l^atte er jte, ol^ne irgenb
eine ©i^erl^eit für Seftrafung ber 2Rörber erlangt gu l^aben,
wieber gurüdfgenommen, ein SBorgang, ber feitbem noc^ Diele
berartige ©cenen begleiten foHte, ol^ne bafe Sa %a^tüt Dor ber
Jg)anb aufhörte, bie populäre ^elbenfigur beö SEageS gu bleiben.
3n bem il^m gewibmeten Äapitel ber Sonjtberation^ übt biefe
Popularität il^ren ©influfe auc^ über S^rau Don ©tael. @r galt
il^r als ber ed)te Siepublilaner, unb weil er bie ©tanbeSintereffen
0 La Fayette, Memoires, II, 2Ö7, 0?otc, IV, 82. Br^htl, ©efc^tc^te
ber SReöoIutionSaeit, I, 71.
4-24
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r-:?: : ■:::: .:?:.•..:: il:r.:::^ ::: i.: i<-r-:n-: aclrenb gemad)t
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ftirtj; '.ri^-:: :: :':..--:: •.::-•: "i-:^ 'e: er unertrdg*
tijcarr ..">.:c .: j-'r^'-." ^r rr.^^ rrr. ^^^ itette
-^ v.-^v'.-: "■:.* .:::'- ^r -Cc :^ nrisbrauchte
öa Sra^cttc unb bic SRottonatgarbc. 425
Bort bcttJÖl^rt »que rhomme de bien est extremement peu
e chosec^).
Ucber feine unglaublid^ gu nennenbc poHtifd^e Äurijtd)tigfeit
)xxäit fein lautere^ S^wQ^ife alö fein eigenes: „9Jtein OlaubenS«
sfenntttife üom 11. Suli 1789", fd)reibt er, „war gugleid) ein
(ianifeft unb ein Ultimatum .... e§ erfd)ien brei SEage üor
IX großen, nationalen ©rl^ebung, ber legten, bie notl^wenbig
ar, unb ber legten, bie id) gewollt l^abe" ^).
©ic Snfurreftionen aber, bie er nic^t wollte, ben 6. Dftober
789, ben 18. 2H)ril 1791, führte er felbft ober lie§ fte gefc^e^en,
eil eö guerft bie 2Rad)t, bann bie ^Popularität gefoftet l^ätte, jtd)
neu ju wiberfe^en, unb weil bie Popularität il^m meljr galt
S baS fieben. Snmitten be§ revolutionären ©turmeö fanb er
itimmung, „ber löftlic^en ©mpfinbung be§ Säd)eln§ ber 2Renge"
3^ l^injugeben unb jid) ju beglücfwünfä)en, bafe er bie SBolK*
mft, „ol^ne bie er nid)t leben fönne", beji^e. ©ie abftrafte
lac^t, bie öffentlid)e SJleinung, ber nieder l^ulbigte, Ijattc für
X ffa^ettc ©eftalt angenommen unb war in bie ©trafee l)inab=
ifticgen. @r glaubte jte gu fül^ren, wenn er il&r, gefc^müdEt mit
X trifoloren @d)ärpe, ooranritt.
SBaf^ington warnte il^n öergebenS „oor ber ungewöfinlid^en
mpfinblid^feit für Sitten, wa§ feinen SRuf betreffe" 3); gefferfon
•ücfte jtd^ berber auö imb begeid^net aU feine fd)wac^e Seite
i canine appetite for fame«*). 5IRirabeau wieberf)olte ba§
!ort beö '^ergogS oon 6f)oifeul, ber Sa ^Jct^^tte nad) feiner
fidfc^r auö Slmerifa fpottenb „®ille§=Sefar" genannt l^atte^).
Sollten Sie aufgel^ört l^aben, ber ^elferöl^elfer ber Steoolution
») ««icbul^r, ©cfc^td^tc be§ ScttaUcrS ber «ftcöolution, I, 201.
2) La Fayette, M6moires, III, 219, Lettre ä Mr. d'flenniDgs, Witt-
)ld, 15 Janvier 1799.
^)Thureau-Dangiii, Le parti liberal sous la RestauratioD, 46.
*) Jefferson, Complete Works, II, 106.
*) Thureau-Dangin, Le parti liberal sous la Restauration, 47.
426 Sallc^ronb.
gu fein, jo ftnb @ie boc^ il^r Höfling geblieben", fd^rieb il^nt
5!)founier nac^ bem 6. Dftober^). ©afür bcfafe er ha^ um
bcftrittene SBerbienft eine§ flecfenlofen ^riöatlebenS, baö bie
l)ingebcnbe, bewunbernbe Siebe feiner grau, ouS bem ^aufe
9loaiKeö, öerflärt l^at. gl^r war e§ üorbel^alten, tl^m l^roifd^e
Seweife biefer 5Reigung ju geben.
fjrau üon ©tael, bie bem (SultuS für ben ß^aralter öon
Sa fja^ette immer treu geblieben ift, liefe ftd^ in ben Sagen, xoo
i^x nod^ bie Siomantif ber 3ugenb mand)en f<)ätcrl^in auf*
gegebenen @Iauben üergolbete, bod) gleid)geitig aud^ t)on ben
aufeerorbentlid^en ©eifteSgaben eines SWanneS gewinnen, ber
nur im ©egenfa^ gu Sa fja^ette gebadet »erben larni. Statt
wie biefer üom DptimiömuS jtc^ liinrctfecn gu laffen, ber 3t(üf0^
leon gum SluSruf öeranlafete : »La Fayette est un niaisc, legte
(5{)arle§ SKaurice üon 3:aKe^ranb*$erigorb, feit S^nuar 1789
aSifd^of üon Slutun, früligeitig SHac^brudE auf SWäfeigung, fSbäft
unb 9lüä)tem^eit beö Urtl)eü§, auf unerfä)ütteriid^en ©lei^mutl^
uub bie SBoKenbung vernünftiger SebenSanfd^auung, ber ein gu»
weilen an @enie ftreifenber @d)arfbHdE gur Seite ging. SKon
ergal^ll, bafe er aU gang junger SRann, bei einem Slnlafe, wo febem
Slnbem ber Sluöruf überrafc^ten @rftaunen§ entfd^Ifipft wäre, einer
®ame, bie nod) in fpäteren Salären ftd) baran erinnerte, ISd^elnb
mit „Dl^ ! " entgegnete. 2)ie Äleinigleit ift f d)on wie ber erjie Knfa^
gur berül^mten Sleufeerung nad) einem jener furd)tbaren 8luftritte mit
9ZapoIeon: »Quel dommage qu'un aussi grand homme soit
aussi mal eleve«. SEaHe^ranb erftaunte über nid^tS; er erfparte
ftd) unb Slnbem ben SluSbrudf einer ftttlid)en ©ntpönmg, bie
er nid)t empfanb, blieb gu einer Qdt, wo faft g^bermami ben
Äopf üerlor, ein fül^l gefammelter a3eobad)ter, ber unbeirrt
fein 3*^1 i^ Sluge bef)ielt unb barauf gufd^ritt, auf frummen
Söegen, wenn e§ nid)t anberö fein fonnte, burd^ ^rtttiQU^, ®e«
fal)r unb Komplotte, wenn eS fein mufete, burd^ feine moralifd^en
0 Condorcet, Memoires, II, 329.
SoUc^ronb. 427
aScbcnlm aufgcl^alten, aber andj niemals burd) flcinliä)e ©ttel*
feit Derleitet ober burd) leichte ©rfolge getäufc^t. @§ ift un*
geted^tferttgt, wenn fein unerbittlid^er Siid^ter, @ainte==33euoe, jtd^
gegen bie genjol^nte 35orjtd)t gur aeufeerung l^tnreifeen läfet, auf
tcm Slnbenlen öon SEaKe^ranb lafte ber SBerbac^t bcr SEI^eUnaljme
am Sob öon SWirabeau. ®enug ift eö, il^n breigel^n Saläre fpäter
mit ber 9Kittt)iffenfd)aft am 2Rorb beö ^ergogS öon ©ngl^ien
belaften gu muffen^), be§ ©id)tern)orteö eingeben!: »Ainsi que
la vertu, le crime a ses degr^s.c
SaKe^ranb wußte üon ber Slnfd)ulbigung. @r l)at fte auf
feine Seife abgelel^nt: „S3eburfte jemals ein gefd)idEter, Iluger
^enfc^ beS aSerbred^enö?" fagt er. ,2)a§ ift baö Slu§Iunft§=
mittel <)olitifd)er SEioren. 2)a§ SSerbrec^en gleid)t ber Sranbung.
@ie feiert mieber unb überflutl^et. 3(^ ijatk @d^tt)äd)en, Einige
fagen, aud) Saftcr; ,mais des crimes? Fi donc'"^^^
©er ©d^atten beö SSerbred^enö rul^t aber bennod) auf bem
f<)ätem SaHe^ranb, bem be§ (5onfulat§ unb beö Äaiferreid)§.
Sm Sal^r 1789 mar er nid)t bei biefcm fünfte angelangt.
Slber er arbeitete bereits im ©roßen, lümmerte jtc^ nic^t um
bie SKenge, imponirte ben 2Räd)ten be§ SageS unb forgte üor
SIttem bafür, fte gu überbauem. äud) il^m galten bie 2Renfd)en
ate @d)ad)figuren, aber imt mie üiel beffer mußte er jte in 33e*
wegung gu fe^en al§ fein College Sie^^S, bem fte nur leblofe
gormein barftellten. Sa gaiiette mar in ber großen SSBelt linfifd),
fteif; il^m mar nur moI)l in ben 6lub§, „mo er bie Sbeen Sin-
berer aufgreifen lonnte" ^), ober ben ©egen in ber ^anb, an
ber @pi^e feinet SSolfö in Söaffen. 3:alle^ranb bagegen fonnte
unmiberftel^lid^ liebenömürbig fein, meil im täglid)en SSerfel^r
tjon gutmütl^iger ©elaffenl^eit unb in ber Äunft geübt, nid)t
nur ben grauen, fonbern aud^ ben SJlännern gu gefallen. Sm
') Sainte-Beuve, Talleyrand, Nouveaux Lundis, XII, 12. Me
neval, Souvenirs, III, 85.
*) Lamartine bei Marcellus, Chateaubriand et son temps, 145.
^) Rivarol, Galerie des Etats-generaux, Philarete (La Fayette).
428 Sotte^ranb.
gefcKigcn 3Serfel&r üon 9ltemanbcm übertroffcn, maä)U er ffinf^^
unbbrei^igiäfirig auf SRiüarol ben 6inbrudf, bafe H)m SllleS er*
reic^bar jei^). 3lte SSerfaffer ber 6al^terS feiner ©iocefe war
er einer ber SEBenigen, bie nur praftifd)=mö9Hd)c 3Sorfd)Idge
brad^ten unb ber beliebten S^rdumereicn einer naiven golbenen
Seit mit leinent 3Bort gebaditen^). 3Äit SRedfcr fd)on lange be»
freunbet, geprte er jum intimften ÄrciS bcö fc^wcbifd^en ©e-
lanbtfc^aft§l&6tel§, xoai)xmb 33egief)ungen anbcrer 8lrt il^n mit ber
Oräfin Suffon, bann mit ber Oräfin glaljautt öerbanben. 3^
ber Slffemblee gälilte er unter bem ÄleruS gu ben cntfd^Ioffcnfteu
änl^ängern be§ Sierö. Sie erlannte eö an, inbcm jtc il^n mit
SJlounier, 6ice, gall^, ßlermont = Stonnerre, Sl^apelier, SBergaffe
unb ©ie^eg am 14. guli in ba§ 6omit6 jur SSorbcrcitung ber
Sonftitution tt)äl)tte. 2ltö bie tüidjtige grage jur ©ntfd^cibung lam,
ob bie 3lufträge ber SBäl^ler nad) ben ingmifc^en eingetretenen
(Sreigniffen nod) binbenb für il^re ©elegirten feien, l^iett ber
S3ifc^of üon Slutun feine erfte SRebe gu ©unften DöKigcr fjreil^eit
be§ §anbeln§ für jtd) unb feine 6oßegen. SBaS in Segug
barauf befc^loffen mürbe, entfd^ieb niä)t§ geringeres ate ben
fünftigen ®ang ber SReüolution. ©enn bie SRanbate öon 1789,
bie fogenannten ^al^iersS, beburften infofern einer Stenberung,
al^ biejenigen beö Äleruö unb beö 3lbel§, bie il^re Slbgcorbneten
in ben meiften fjällen gur Slbftimmung nad) ©tänben öcr<)Pid^»
teten, nunmel^r gegenftanböIoS gemorben maren. ©agegcn be*
gmecften faft aKe Sal^ierö ol^ne SluSnal^me, nid)t ©c^wäcl^ung
ober gar SBentid^tung ber 2Ronard)ie, fonbern il^rc Slcform.
®emä§igte, mie 3)?aIouet, empfal^len bal^er SReöipon ber SKon«
bäte, infofern eine folc^e gur @id)erung beS Seftanbe« ber
®eneralftaaten notl^menbig mar. 3I)re Slufl^cbung ober crfc^ien
i^nen fd)on gleid^bebeutenb mit ©infül^rung ber 3BittIürl^crrfd^aft*).
Slber nic^t ber Slntrag üon 9!Äalouet, fonbern jener üon SaHe^«
^) Rivarol, Galerie des Etats-g^D^raux, Amene (Talleyrand).
2) Sir Henry Lytton Bulwer, Talleyrand, Tauchnitz Edition, 24.
^) Malouet, M^moires, I, 299.
2)cr 4. Sluguft. 429
ranb brang burd^, unb bic üon ben erhaltenen Aufträgen nun*
mcl^r ööKig emanciptrte gonftituante conftrutrte bie Stepublif.
®ie SRoHe ber greunbe üon grau öon Stael am 4. 3luguft
war burc^ ba§ a3orf)ergel^enbe int SBorauö beftimmt. ®en erften
?lnftofe ju ben SBorgängen jener benteürbigen 5Raä)t gab 9iid)e=
Hcu'S erbe, ber ^erjog uon SliguiKon, im bretonifd)en (5Iub,
tt)o er 3[blöfung ber geubalrec^te öorfc^lug. 3n ber S5erfamm=
lung felbft mar e§ ber SSicomte be 9loaille^, Sc^mager öon ga
ga^ette, ber ben breifad)en Slntrag auf gleid)e ®teueröert{)eilung,
Slblöfung aller pefuniären SRed^te unb Slbfd^affung ber Seib«
eigenfd)aft [teilte, unb bamit bie feierlid)e ©anftion öon 2lbel
unb Äleruö gur aSemici)tung be§ S^eubalf^ftem^ forberte. Ueber
bicfeö beftbefannte ©reignife ber 3ftet)olution fci)meigen bie 6on^
jtb^rationö, aber barüber beftel^t fein 3«>^if^lf bafe grau t)on
©taäl ben opferfreubigen gntf)upa§muö tf)eilte, meld)er in biefer
9iad)t, ol^ne Ueberlegung unb of)ne Unterfc^eibung, nic^t nur
ma§ tl^atfädjlid) fd)on öerloren mar ober überl)aupt nid)t fort*
gubeftel^en Derbiente, fonbern auc^ mol)lbegrünbete a3eji^red)te
für ungemiffe 6ntfd)äbigungen preisgab. S)er Defonomift ®u=
pont be 5Remour§, einft Surgof § Sefretär, mar ber eingige, ber,
ftaatSmännifc^e ®ebanfen fePaltenb, öor Steuerungen t)on un*
beftimmter SEragmeite marnte, Slufred)]^altung ber ®efe^e unb
SBieberl^erftellung ber Drbnung empfaf)l. 2)em „eleftrifdjen
Strom", ber 3llle§ ergriffen ju l)aben fci^ien, miberftanben fonft,
man meife eö, nur gmei unter ben l^erüorragenben SRitgliebern ber
SRationalöcrfammlung. ©te^eö, üon Sanjuinaig unterftü^t, mollte
ben S^t)wt ^^^ ®eiftlid)Ieit nid)t unterbrüdft, fonbern abgelöft
miffen unb fanb auf ber Sribüne, unter bem ©inbrud biefe^
offenen 3lngrip auf ben Sep^ ba§ berül^mte SBort: „Sie mollen
frei merben unb miffen nid)t, gered)t ju fein". SKirabeau feiner*
feit§, ber feinem Kollegen jmar bemerfte, nad^bem er ben Stier
lo^gebunben l^abe, foMe er ftd) nic^t munbern, menn biefer mit
ben Römern ftofee, l^atte, öon bem ma§ ftd^ vorbereitete, rec^t*
geitig in Äenntni^ gefegt, ber ©t^ung Dom 4. Sluguft gar nid)t
430 Üleder übet*bte f^tnanslage.
bcigcwol^nt. ©a§ le^tc Qiü berfclbcn, Scgrünbung bcr @Iei(^
l^eit burd) Slufl^cbung atlcr @tanbeöuntcrfd)iebc, t^ereitelte er
vorläufig nod) baburd), baß er ben aSorfd)Iag, bic Sl^renred^te
be§ 3[bel§ abjufd)affen, Derioarf.
©ic näd)[te Slufgabc, ^acificirung bcö au^cr Slanb unb
aSanb geratl^enen SanbcS, „wo bie ®efc^e ol^nc Äraft, bie
Siic^tcr oijm Autorität, bie ®ered)tigleit ein blofeciS ^^antom
geworben war" ^), gelang fo wenig, ba^ Sficder bic ©cbatte
über bie a3efd)Iüffe üont 4. Sluguft unterbred)cn muftte, um ber
Slffemblee jum erften "äRal perfönlid) über bie 2agc gu berid|ten.
©einer eigenen SJleinung nad) war, wie er eö auäbrfidft. ba8
DZooijiat ber . ©elbftlojigfeit burd) ooHftänbige Sftid^tbead^tung
be§ öffentlid)en SEBol^le^ eingeleitet worbcn, unb baS Stufgeben
jo oieler 9ied)te, nid)t nur oon (gtänbcn, fonberu auc^ ütm
^roöinjen, ©tobten unb Korporationen, ol^ne beftimmt fcftgefe^te
Snbemnitäten ba§ Söerf unl)eilbringenber Uebcreilung gen)efen*).
3n ber Deffentlid^feit aber fprac^ er nur öon ber ©tocfung
aller ®efd)äfte, ben ©teueroerweigerungcn unb Stüdfi&nben, ber
Seere bes ©c^a^eS unb ber 9iot^wenbigfeit einer Sbtlei^e bon
breifeig 3)?illionen, um bie bringenbften 3[uögaben toäl^renb ber
gwei 9!Äonate ju beftreiten, bie 9?ecfer, wie fo SMclc mit i^m,
als junt 2lbfd)luB ber Slrbeiten ber SBerfammlung genflgenb
erad)tete. SBäl^renb ber ^Debatte über biefen SSorfd^lag pel
junt er[teu Sllal, oom SKarquiö be Sacofte unb Jllejcanbre be
Sametl^ in Slnregung gebrad)t, bie ©rol^ung, bafe bie JCird^en«
guter, al^ ber 9iation gef)örenb, gur Sefriebigung ber @taa.tS«
gläubiger Derwenbet werben follten. 3(leder'§ Stnleil^c aber fd^lug
in Solge ber S'^^rebuftion burd) bie Slffemblee öoUftänbig
fel)l. @r würbe barüber franf, weil er nid)t nur ^feinen
^rieben unb feine (äefunbl^eit, fonbem aud) feinen Sfhif compro»
mittirt, baö SBertrauen oerloren, ben (Srebit beö ganbe« nilnirt*
') SBcvic^t bcS Comite des rapports an bic 8lffcmbI6c, öom 13. Sfuguft 1789.
2) Neck er, De la Revolution francaise, IX, 267 unb Troisifeme Mi-
nisti're, VII, G8.
S)ic aWcnWcnrcd^tc. 431
fal^, in htm fein Sag mcl)r ol^ne Unorbnungcu unb [traflofe @m=
^)önm9 gegen ba^ ®efe^ oerlief ^). ©tefeö öerliängnifeooKe SRefuItat
ll^reS ©ingreifenö in bie ^nanjüerwaltung bewog bie affetnbl^c
iaib barauf, ol^ne weitere ©d^iüierigfeiten eine Slnleil^e, bteöntal
t)on 80 SRillionen, gu bewilligen, um pd) l^ierauf ungeftört Don ber
^oja bcr ®efd)äfte ben Slbftraftionen juwenben gu fönnen.
SSor ber (5on[titution entwarf jte, nad) SRiöarol al^ »pre-
face inutile d'un livre necessairec, bie ©rflärung ber
aRenfd^enred^te, nad^ bem SRufter berjenigen, bie Sefferfon 1776
t)er Unabl^ongigfettöerflärung auf bem (Songrefe ju 5pi^ilabelpl^ta
üotangefd^irft l^atte, unb bie er für ben fflaöenl^altenben Staat
SSirginien bei geftfteKimg feiner SBerfaffung auSfül^rlic^er wiebcr*
l^olte, fo bafe, nadö ber Semerfung eines beutfc^en ^iftoriferö,
t)or ber ©efinition feiner Steckte eine ©efinition be§ SKenfd^en
felbft notl^wcnbig gewefen wäre 2). 3efferfon l^atte bie @runb=
güge bcrfelben, infofem fte nid^t allgemeine menfd^liä)e 3SiaijX'
l^citen auSfprac^en, üon Sodfe unb feinem @d)üler 3^an gacqueö
SRouffeau entlelint. @o feierte unter frember ßtiquette ber
tfunbamentalfa^ beS ©ocialcontrafts, bie Seigre üon ber @ou*
öcränetät be§ 33olfö, wieber in if)re ^eimatl^ jurüdf. 2a ^Jct^ette
fiberliefe feinem Slnbern bie (gl^re ber Snitiatiüe jur SSerffinbigung
ber aRenfd)enreci)te, bie er nic^t nur feinen SanbSleuten, fonbern
bem gangen ®efd)leci)t entgegenjubringen gebad)te. „3Bir woKen",
fagt fein gteunb ^vopoxt, „eine ©rflärung ber SRec^te für alle
9Kenfd)en, aUe Seiten, alle gänber, ber gefammten 9JJenfd)f)eit
gum 33orbilb\ ©arauf ijat befanntlid) SWaßet bu g5an auf bie
aSorfdjrift ber 5Räd)ftenliebe im (äöangelium oerwiefen unb ©nei*
fenau, bie SKäfeigung anrufenb, erwibert: ,,begeiftre ®u ba§ menfd)*'
lid^e ®efc^led)t für feine ^ßflic^t guerft, bann für fein 9ied)t!" 2Bo=
gegen felbft SaHe^ranb bieömal feinen Sribut an bie %xa'\t gal^lte
unb bie 9Äenfd^enred)te „baS ®efe^ beS ©efe^gebers" nannte^).
*) Necker, Troisieme Ministfere, VII, 39.
2) iBcrnl&arbi, ©eft^td^tc SRuSIanbS, II S 175.
^) Lanfrey, Essai sur la Revolution fran^aise, 159.
28*
432 2)« aKcnfd^cnrccfttc.
®old)en Slnfprfid)en genüßte btc nod^ immer auf ganj
realen ©runblageu fufeenbe ^Definition ber SRcd^te bt& amerifa«
nifd)en ©taatsbürgerö felb[tuer[tänbUd^ nid^t. SBäl^renb cS bort
n)te in ©nglanb i^iftortfd) begrünbete Steilheiten gegen bic Ueber*
griffe ber Slutorität ju jtd^em galt, oerlor man jid^ in Sranf*
reic^ in aKgemeine Sä^e unb l^ätte jtd^ l^erabjumürbigcn ge^
glaubt, tt)enn man bei (Sonftruirung ber 3«^nft bie 3Sergangen«=
l^eit mit gu Slatl^ gejogen f)dtte. Sßad) angelfäd^pfd^cr Sluffaffun
foKte ba^ SKanbat ber [Regierung befd)ränft, nac^ franjöjtfd^e
Sluölegung gegen bie [Regierung felbft, »ie gegen eine fcinbfelige
ufurpatorifc^e SRac^t, bi§ jur S3ernid)tung alter gefcpd^en Sluto=
rität Dorgegangen loerben. ®ie Sorliebe für bie SEI^coric wa
ein fo l^erüorragenber 3ug ber 3^it, bafe nid^t weniger al
breißig ^rojefte bem erften ßntmurf oon Sa j?a9ettc folgten ^)^
3toei berfelben öerlaffen bie üorgejeid)ncten SBcgc. 2)ie au
metap]^^ftfd)en Slbftraftionen berul)enbe ©rflärung öon ©ie^
unterfd^eibet bod^ jtt)ifd)en ben bürgerlid^en [Redeten, auf wcld^
SlHe bie gleid)en Slnfprüd)e l^aben, unb ben l3oIitifdE)e
SRect)ten, bie gugleid) ^flid)ten jtnb, unb nur öon ©enicnige
ausgeübt toerben follen, bie mit für ben Unterfialt beS @ange
Sorge tragen. 2)er Stntrag öon ©regoire oerlangtc, mit be
ßrflärung ber [Redfite, aud) eine 2)efinition ber ^id^ten be*--
Staatsbürger^ an ber ©pi^e ber SSerfaffung. Slber bcibc SBor:s==^
fd)Iäge, ber öon (Siemes unb ber öon ®regoire, würben ab*=^
gelefint unb n)ä£)renb 3Bod)en glid) bie Sßerfammlung einer über'
pf)iIoiopf)ifd)e Probleme bebattirenben Slfabemie. ©umont unter
Slnbem, ber al§ Stugengeuge fprid^t, erwähnt btefer ©iSfufponot:
als „einer ^tit töbtlid^er gangeweile, leerer SBortfed^tercien,.
metapf)9ftfd)en ^lunberö unb feid)ten, enblofen ®efc^tt)ä|cj8" -)•
Sind) bei grau uon Stael fprid)t ber unmittelbare ©inbrud bt^
^) Laboulaye, Cours de legislation comparee. Revuö des cour»
litteraires, I8(i9, 567.
-) Lanzac de Laborie, J. J. Mounier, 133 — 134. Dumont, Sou-
venirs, 115 u. ff.
— r
2)ic aWcnfd^cnrcd^te. 433
Erlebten, wenn jte fc^reibt, bafe c§ beffer getuefeu ioärc, ftatt
0cfä]^rlid)cn ©opl^iömen ba^ gelb einäuräumcn, ftd) auf ba^ ju
bcfd^rdnfen, n)aö nid)t beftritten njerben fonnte. „Site bie
9Rcnfd)cnred)te Dor bie Sonftituante gebrad')t würben", l^eifet eö
in ben ßonjtberatton^, „mitten unter biefe jungen Seute, üon
weld^cn fo mand)e Sag^ üorf)er nod) Höflinge gewefen toaxm,
brad)ten pe, @iner nad) bem Slnbem, pf)iIofopf)ifc^e $]^rafen
auf bie Sribüne unb gefielen jid) in fleinlid)en Unter[c^eibungcn
über ben 3«'^^^ Don (äemeinplä^en, beren 3iid)tigfeit fo gn)eifel=
lo§ »ar, bafe bie einfac^ften SBorte in allen @prad)en genügt
l^ätten, jte wieberjugeben. 33on ba an lie§ jid) üorau§fef)en,
bafe ein 3Berf lein bauernbe§ fein fonnte, beffen ftd) ßitelfeit,
Sriöolität unb «ßarteifuc^t fo fdjneU bemächtigt l&atten" ').
als ber Stebeftrom ftd) enblic^ erfd)öpfte, blieb fo jiem*
lic^ bem ®ebanfen öon SRouffeau nad) bem SBortlaut oon Sa
fja^ette ber Sieg: Segrünbung be§ grö§tmöglid)en ®läcfe§
aller ©ingeinen ©nbgmecf beö Staate^, aU bem 3lu§brucl einer
SBerbinbung, burc^ welche ein Seber, inbem er fie eingeigt, bennod)
nur pc^ felbft gef)ord)t unb fo frei bleibt mie guoor. ©ang
öbereinftimmenb bamit beginnt aud) Sa ^a^ette mit bem @a^
oon ber urfprfinglid^en ^J^eil^eit unb ®leid)f)eit aKer 9!Äenfd)en,
ffigt aber fogleid) l^inju, fociale Unterfi^iebe fönnten nur auf
baö ©emeinmol^l begrünbet merben, tooburd) ej^ bie aJlöglic^feit
oon (ginrid)tungen nac^ ameri!anifd)em SJlufter gemalert glaubte.
©iefer ©ebanfe oermirflid)te ftd) nid)t. 3n all ben oagen,
il^m meift unoerftänblid)en Definitionen fud)te ba§ SSolf nac^
einem greifbar praftifd)en SRefultat unb fanb eö im aufgeftellten
©runbfa^ be^ Stec^teö ber gmpörung gegen bie ^Regierung, too
immer e§ biefe im Unred^t finbe.
©elbft a3entf)am, bem ebenf owenig afö Slouffeau ^flid)ten
be§ (ginjelnen gegen bie ®efammt£)eit ober gegen ben Staat al§
etl)ifd)en Drgani§mu§ unb aU bem Slu^brucf einer I)öf)eren
0 Madame de Stael, Considörations, XII, 276—277.
434 ®i« ^erfaffung.
Drbnung, mit noc^ ganj auberen Stotdm aU jenen beö inbU
üibuellen SBol^lergel^enS bemufet jtnb, nennt biejcn ©runbfa^ ben
©olc^ jur Bewaffnung ber 3nfurreftton ^). ©er fd^wanfenben,
öon SaHq unb nod) einbringlic^er öon 9Rirabeau gewarnten
Slffemblee oon ben 3:ribunen aufgebrungen^), l^at bie ©rflärung
ber 2Renfct)enred)te btefen SluSfprud) beS engnfd)en ^l^ilofopl^en
unmittelbar nad^ il^rem ©ntftelien beftätigt. ©en erften, atö
i5lugfd)rift bur^ ganj $ari^ verbreiteten SBorfd^Iag öon 2a
ga^ette beantwortete ber Slufftanb üom 13. 3uU unb bie &^
ftürmung ber S3a[tille; bie bem Äönig abgenötl^igtc ©anftion
gab er am SJlorgen be§ 5. Dftober, bem legten, ben bie 9Ron»
arc^ie unter bem ©ac^ öon aSerfaiKeg in fjrieben aufleud^ten
fal^. Unb um baö SRed^t ber ©mpörung bem fouöcränen Sott
in feiner SBeife gu fd)mdlem, l^üllte ber fpätere Safobiner SJarlet
bie bleid)e ©eftalt be*3 9JJorbe§ in bie fc^fifeenbc Formel, öor
ber blutigen 5Rotl)tt)enbigfeit „müßten bie 9Renfd^ettred)tc Der«
fd^leiert werben" ^). Seüor biefeS in großartigem SRafejtab burd^
bie 9J{e^eleien ber Dftobertage gefd)al^, würbe in ber äffemblec
bie grofee 3Serfaffung§fd^lad)t gefdE)Iagen. Sl^re entfd^eibenbcn
5IRomente waren in ber Srage, ob eine ober jwei Äammem,
unb in ber 33eftimmung ber Iöniglidt)en 2RadE)tbefugttiffc gegeben.
®a§ conftitutioneHe Somitö felbft war nid^t einig, ©ic üRaiorltät,
6ice, ßrjbif d^of ^öon Sorbeau.r, Satt^^SEoHenbal, 6Iermont*2i)n*
nerre, 2Rounier unb Sergaffe woKten, wenn aud^ nid^t in boDer
Uebereinftimmuitg über bie 9!ÄitteI jte gu begrünben, fo bod^
Mt bie gemäßigte 3)ionard)ie. S^aKeqranb, ©ieq^«, E^opelier
wollten gleichfalls bie 9!Äonard^ie, aber al§ dömocratie royale
gebadet. 2Rirabeau allein fal^, bafe btefer SRonard^ie fd^ott bie
Sebenöbebingungen fel^lten, obwoI)l nod) g^bermann, felbft SRobeS*
pierre, inbem er mit ber gangen Sinlen für ben SSerfaffungÄ*
paragra^)l^en ftimmte, ber bie ^Regierung fJranfretd^S als eine
*) Bentham, Sophismes anarcbiques, frans. Ucbcrfc^ung.
-) Taine, Origines, etc. La Revolution, I, 123.
•') Mortimer-Ternaiix, llistoire de la Terreur, II, 202.
SWirabcau. 435
itu)nard^i[d)c bcjeidinctc, jte gu wollen öorgab. SRirabeau l^atte
bcn SWutl^, bcr Slffcmblee gu jagen, entweber werbe jte nie
bie frcmäöjtjdie SBerjajjung gu ©tanbe bringen ober 50tittel
finbctt müfjcn, ber @?:e!uttöe einige 5IRad)t gurüdjugeben ').
Kn eine ßonftitution nad^ englijd)em SRujter, folglid) an eine
^iröfammer, war nid)t mel^r gu benfen. 9Zici)t nur, ba^ ber
©tanb, ben jte repräjentiren joUte, aufgel^ört l^atte gu e?:ijtiren;
bcr Heine 3lbcl üerbanb jtc^, um bie 5ßairie gu oerwerfen,
mit ber äufeerften Sinfen. ©elbjt biejenigen, bie nod)
immer eine jold)e ©inrid^tung tt)ünfd)ten, burften |te nid)t
mit 5ßamen nennen, Jonbern mußten jtd) auf ben 33orjd)lag
cineg (Senate bejc^ränfen, wie 5Wounier il&n gujammengeje^t
wifjen moKte; auö gweifiunbert, allen @(^id)ten ber SeDölferung
entnommenen SRitgliebern bejtel^enb, bie guerft üon ben ^ro*
öincialüerjammlungen , bann öon ber ©eputation unb bem
Äonig öorgejd^Iagen unb öon il^m auf SebenSbauer ernannt
werben jottten. ©iejer Senat l^ätte gegebenen %a\it^ bie Wi-
nifter gu richten, in ßonfliften gu »ermitteln, aKe ©eje^e, mit 2lu§*
nal^mc ber Sinanggefe^e unb beö Subget^, wie bie gweite Kammer
gu beratl^en unb gu öotiren gel)abt. SRounier fül^rte, jcinem
Programm getreu, baö SBort für bie 9Ronard)ijd)=Sonjtitutionellen.
©eine ©ebanfen über bie Sonjtitution l^atte er bereite @nbe
3uli in einer @d)rift niebergelegt, bie ber ^ijtorifer Subwig XVI.
bie bejte politi jd)e Srod^ure üon 1789 nennt 2). giäd)ft bem
Senat öerlegt SJlounier ba§ ®egengewid)t gegen bie übergroße
SRac^t ber Sßerjammlung in eine jtarfe @;refutit)e, wie fortan
bie Ärone genannt wirb, (gr fiebert bem 5Ronarc^en ba§ 3fted)t, bie
nationale Vertretung, wenn i^m bie^ notl)wenbig jc^eint gu
verlegen unb jelbft, unter Sebingung unmittelbar barauf tior=
') Droz, Ilistoire de Louis XVI., 11, 427-428
2) Mouiiier, Considerations sur la gouvernement et particuliere-
ment sur celui qui convient k la France. Laboulaye, Cours de l^gislation
comparee. Revue des cours litteraires, 1869, 632 u. ff. Lavergn e, Les
Monarchiens de la Constituante, Revue des Deux-Mondes 1842, 558 u. ff.
436 ^^ *«•
;une^menber 5!euiDa^len, ne au^;ul5ien: er neriet^t i^m bas
abiolute Seto, jene föniglic^e 3anfrion, o^ne toelc^ fein Se«
frf)IuB bcr Sclfeperammlung ©etefesfrah erhält. Sarin unter«
ftüfete \i)n Sülti). bcr am 3JtonteÄquicii unb feine onglo^amerifa«
ni'd)c Schule. Dor allem auf ben @enfer Selobne geftü^t, ben
Safe roicber^olte, ^einc einjige 3Ra(^t im Staat uniri>e Slle^
tcric^Iingen, ^roei fic^ gcgenfeirig befämpfen, brei bagegen ftc^
im ®Ieid)gemid)t galten''. —
Ueber biefe Srage bee 2?eto brad) ber Sturm Io§. Sic^
fclbft überlaffen, mürbe bie Gonftituantc bem ^rojeft Don 9Rou=
nier ^ugeftimmt ^aben, beun bic Siefultate ber geheimen 8lb«
ftimmungen marcn ftete ju feinen ©unften^). allein bie Ser=
fammlung mar längft burd) bie Glubs, mie biefe burd^ bie
Straße terrorifirt. gür jte aber fam bit ©efal^r flrfS unb
immer öon Cben. $!3aö norf) Dor brei SRonaten ben fu^nften
SSünfc^en als ein nic^t ju Dermirflid)enbe§ Sraumgebilbe er*
fc^ienen mar, bie ungeheure Goncefjton an bie ©emofratic, bie
SKounier'ö (Sntrourf , — jum J^eit gegen feine eigene, beffere Sinftd^t,
— burc^ 21u6|d)IieBung bes ÄönigS Don jeber S^ittötioe bei ber
©efe^gebung unb burc^ bie ber 5)eputirten oom 3ßinifterium
brad^te, genügte mieber nic^t mel^r. afö SRaUet bu ^an
im 3Kercure bafür eintrat unb meitere SBefpred^ungen bicfeS
Gonftitutionsentmurfö in 2lu6|tc^t [teilte, erfrf)ienen oier mit
^iftolen Semaffnete bei if)m unb erflärten, ate abgefanbte ber
^Patrioten beö Calais roi)al, in biefem gaU fein geben für Der*
mirtt. 3n $ariö circulirten ^roffriptionsliften gegen „bie SSer«
rät^er", mie bie anpnger ber gemäßigten SWonard^ie Don ben
9fiet)räfentanten ber SSolföfouöeränetät bejeid^net mürben. ®ie
2Ronar(t)ifcl) - ßoitftitutionetten in ber 23erfammlung erl^ietten
©rol^briefe, bie if)nen ben 23erlu[t i^rer 3Kanbate unb l^ierauf
gerid^tlid)e SSerfolgung in Sluöftd^t [teilten, anonyme 3wfd)riften
bebrol^ten bie 3lnf)änger bes 3Seto, unter anbern ben bamaligen
0 Lanzac de Laborie, J. J. Mounier, 173 u. ff.
©uport. 437
ßräftbcntcn, Sifd)of wn gangre^ „mit einer befferen ©r^
cud^tung" burdt) 3lnjünben il^rer @d)Iöffer unb SBol^njt^e.
Der Brctonifc^e (Slub, Sarnaöe, Sllej:anber be Sametl^, Sa
Jadeite, cntfd^ieben jtd^ gletd)faU§ gegen bie Sl^eorien öon
Diounicr imb feiner iJ^eunbe. 9JJan lub il^n 511 ßonferenjen,
)ic gum %i)tH in ^t^tx^on'^ $au§ ftattfanben unb tt)o, fagt
rtcfer, „in ber SBeife öon Pato, 3£enopf)on unb ßicero biöfutirt
Durbc". „Um be§ 8^rieben§ 2BiUen", unb, wie er gleid^ bar=
mf l^njufügt, „bamit bie Slri[to!ratie il^re ^läne nid)t burd)-
cfec^, erflärte jtd^ Sa %at)ttk ju einem ßompromife unter ber
Bebingung bereit, bafe [tatt be§ abfoluten ein blofe fuö:penftöeö
Bcto gegeben merbe, mie SSarnaöe unb ^etion e§ erfonnen
latten, unb meld^eö ber Äönig wäl^renb jwjei ober brei auf=
inanberfolgenben ßegiölaturperioben in Slnwjenbung bringen
onnte. Sei 3ufommenfe^ung eineö burd^ ba^ SSoIf ju maJ^Ien^
)cn füat^t^ ber Slelteften foHte er bagegen nid^tS ju fagen
laben ^). SSerfd^ieben bat»on lautet ba§ Ultimatum, »eld^eö
Ibrien 2)nport, üon bem e§ l^iefe, n)a§ er benfe, fage Sarnaöe
mb tl)ue gametl^, im Flamen feiner greunbe an ÜKounier
id)tete. @r öer:pflid^tete fid^ barin, mit il^nen für baö abfolute
Seto unb bie Qualität ber SBolfsöertretung gu ftimmen, tt)enn
(Rounier feinerfeit^ öerfpred)en woHe, bem Äönig fein Sluf*
öfungöred^t, bem (Senat nur ein fu^penjtöeö SSeto unb ber
Ration bie Serufung üon ßonüentionen jur SReöifton ber SSer-
öffw"9 jw geben. SJlounier mieS ben SBorfc^Iag jurüd. ©einer
Icberjeugung nac^ tvav bie äufeerfte ®renje ber Si^Ö^ftänbniffe
rreie^t; jebeö tt)eitere 9^ad)geben erfd)ien il^m alö SSefeftigung
►eS 2)eöpoti§mu§ ber SSerfammlung unb al§ ber 9iuin ber
freil^cit^). §ftod^ f onnte er i^offen, bafe bie ^Kajorität ber 6on=
tituante il^m 3fied)t geben merbe. Sie tiatte am 8. September
►ie 5ßermanenj be§ gefe^gebenben Äörperö ootirt. Sllö jeboc^
') Jeffersoii,Complete Works, 1,105. La Fayette, Memoires, 111,203.
2) Mounier, Rapport ä ses Commettants bei Thiers, Histoire de la
Devolution francaise, I, dlok, 406 — 408.
438 S'JicbcrIage bct 3J?onard&ifc§»(SonftitutioncIIcn.
am 10. September über bie g^rage, ob eine ober gwet Äammern,
abgeftimmt tourbe, fet)Iten 490 t»on 1200 2)eputtrten. 23on ben
Slntoefenben erflärten noc^ 122 Jid) ju wenig übet ben @egcn*
ftanb unterrid^tet, um fxij ju einer SReimmg ju Derpfüd^tcn,
unb fo blieben 89 SJiänner, bie ben ÜKut^ fanben, für eine
2:t)eilung ber nationalen Vertretung ju [timmen. ©er 3fieft ber
SKonard^if d^ = ßonftitutionetten bedte feine S^al^nenpud^t mit bcm
orafelfiaften unb ba^er um fo n)ir!fameren SluSfprud^ Don
Siabaub @aint*@tienne, einö unb ungetf)eilt wie bie 5Ration
muffe aud) il^re 9ftepräfentation fein, unb bie monard)ifd^c SRed^te,
bie nod^ ben Sluöfdjlag geben fonnte, befolgte gum erften SJial
bie öerl^ängniBOofle Saftif, „mit bem ^einb jufammen gu opcriren,
um eine Slenberung ber Situation burc^ Steigerung berfelbcn
bi§ ju xi)xm äufeerften Sonfequensen ]^erbeijufül)ren". 9Äit
23egrünbung be§ S^^if^J^^^erf^ftemS , meinte einer ber @timm=
füf)rer ber 9led)ten, 2lbbe 2Raur^, fönne aud^ bie SSerfaffung
bauern, unb ba^ muffe um jeben ^reiö oerl^inbert werben. ®ie
egalitären ßeibenfd^aften ber ßinfen über f) orten bie SBamung,
bie fold)e SBorte für fte entl^ielten, unb ben 3ftanffincn ber
Slriftofratie entfprad)en fie ooHenbö nur ju fel^r^).
3lu§ ber 3Sereinf amung , bie eine t)erfef)lte Staltif um tl^n
gefd^affen l^atte, fonnte 5fleder bie 5Rieberlage feiner ^olittl
unb ba^ t)ergeblid)e ^Ringen il^rer 3Sertl)eibiger überblidEen. Qvoax
ftanben 3}tänner oon ber Ueberjeugung^treue eines STOalouct,
23ergaffe ober SSirieu bi§ an§ (gnbe ju üRounier. Slber SInbere
fagten, wie iene§ SRitglieb ber 9fted)ten, gu gaUq^Sottcnbal:
„Sotten wir etwa unfere SBeiber unb Äinber l^infd)lad)tcn
laffen?'' unb liefeen fid) unter bem (Sinbrurf ber Snöeftiöen ber
ßamitte ®e§moulin^, Souftalot unb SRarat üon ber Slngft, unb
ntd)t mel^r oon ber Ueberjeugung, beftimmen. SBieber 3tabere
lodte ber (Sl^rgeij ober ber SBunfd), jwifd^en ben ^Parteien gu
oermitteln. 23arnaPe l)atte längft ftc^ öon SKounier getrennt
^) Madarae de Stael, Considerations, XII, 300. Ferrieres, M^-
moires 11, 122. Lanzac de Laborie, J. J. Mounier, 168.
92eder für baS fuSpenftt^e ^eto. 439
unb bcr Junge 3Ratl^icu bc SKontmorenc^ folgte Sa ^a^ette.
®ie grofee ©d^ar ©erienigcn, bie in Jcber 23erfammlung t>on
einem Smpul§ ober einem ©rfolg fxä) beftimmen laffen, loäre
nod^ bure^ ben einen ober ben anbern ju gewinnen gewefen, al§
ber 3iatl^ Sledfer'ö ben Sluöfd^Iag gab, inbem er ben Äönig auf*
forberte, t>a^ abfolute SSeto prei^jugeben. SBeil er nic^t mel^r
an bie ^Jlöglid^feit e§ burd^gufüi)ren geglaubt l^abe, fc^rieb er
fpäter jur 3fiec^tfertigung feiner ^anblung^meife in Segug auf
biefen $unft, ^abe er toenigftenö ba^ fuöpenfioe 23eto nod^
retten moHcn^). 33on ben ®rünben, bie er bamalS gu ®unften
beiSfelben anfül^rte, i)at nic^t einer bie ^robe ber (grfal^rung be*
jtanben. %nx ben 9JJinifter aber ging bie le^te ©elegenl^eit,
mit @l)ren gu fallen, verloren, ©eine Slbjtd^t, bie 2)enffd)rift
an t>m Äönig, welche feinen @tanb:punft entwirfelte, gur Äennt*
nife ber ©eputirten gu bringen, fc^eiterte an ber Steigerung
berfelben, if)m baö SBort gu geben, unb eö räd^te ftd^ noc^ ein*
mal ber 3!Kangel jeber SSerbinbung gwifc^en bem 3Kinifter unb
ben ©eputirten. Sllö am näd)ften Sag, 11. September, ah^^
geftimmt würbe, erl^ielt baö abfolute 2Seto blofe mel)r 325
Stimmen unb mit 673 Stimmen würbe baö fuöpenftöe Sßeto
angenommen. Sagö oorl^er l^atte 3Jiirabeau ben Senat oer*
worfen; nun ftimmte er mit ber 3Kinorität. SBie an jenem
16. 3uni, alö er bie 3lf|emblee ^atte oerl^inbern moHen, jtd^
gut Slationaloerfammlung gu erflären, proteftirte er je^t gegen
ben ©ebanfen, ben Souoerän gum erften Seamten einer 9ie*
publif umgumanbeln, ftatt bei if)m, alö SBertreter unb 33er=
t^eibiger ber Station, Sc^u^ gegen bie Uebergriffe einer 33er='
fammlung gu finben, bereu Ufurpation ber SÄad^t feben
Slugenblid bie einer faum gerftörten Slriftofratie überbieten
lönne. äll*3 er nid)t burc^brang, prop^egei^te er bie Sin*
arci^ie, unb al§ il^re golge ben 3)e§potiömu§ 2) , wä^renb
') Neck er, Troisieme Minist^jre, VII, 48.
-) Mirabeau, Courrier de Provence, nouveau coup d'oeil sur la
sanction royale, Septembre 1789.
440 9J2ounieT.
Stereo jebcö Sßeto eine gegen bie Nation gerid)tete lettre de
cachet nannte unb burd) eine neue, fiinftlid^e Sonftruirung ber
ßegiSlatiDe biefe gegen ftd) felbft fd)ü^en »oute, ©er $lan
fanb bamafö feine Sead^tnng, lebte aber in ber ©onftitution
Dom 3al)r VIII lieber auf. ?Jiounier, ber tt)äl)renb ber 31b*
ftimmung Don SSanf gu San! geeilt war, um bcn SJhitl^ ber
©einigen angufeuern, unb gegen bm ©top inS ^erg, ben Slcder
feiner Partei öerfefete, bie Dergmeifelte (äegenwel^r t)erjud)te, j|ebc
(Sinmifd^ung be§ Äönigö in bie Sefd)Iüf|e einer conftituiren«
ben S>erfammlung aU unge[e^Iid) gurüdfgumeifen, betrachtete bie
9ZieberIage, ba fte bennod^ erfolgte, als ba^ waS pe xoax, afe
eine enbgtiltige. §ftod) am felben Sag fd)ieb er mit SaH^«
SoHenbal, Sergaffe unb ßlermont^Sonnerre au§ bem aSerfaffungS«
comite. „Stlfo", fd^rieb SRiöarol in ben actes des apötres, mit
bem @d)arfblirf, ber il)m niemals fe()lte, menn e§ ftd^ um SDingc,
nid)t um ^erfonen ()anbelte, „warb im (September 1789 bie
franjöfifdjc 5Jtonard)ie (ob enbgültig ober nur jeittoeilig, fönnen
mir nod) nic^t fagen), aufgel)oben, nad^bem fte im Sal^r 420
d)ri[tlid)er 3^itr^d)nung gegrünbet morben unb öiergel^nl^unbcrt
3af)re l)inburd) bie oerfd)iebenften ©d^id'fale erlebt l^atte. an*
fangS föniglid)c 9)?ilitärari[tofratie, bann mel^r ober weniger
unumfd)ränfte 5Ronard)ie, ift jte je^t gur ©emofratie, mit einer
Ärone im 2iSappenfd)ilb geworben^'. ßaUg rief ber SSerfamm»
lung gu, e§ fei ß^it, ben ©d^leier gu lüften unb ben gefäl^rbeten
S£l)ron gu t)ertl)eibigen. @o blieb, nad) btn energifd^en SGBorten
ber grau üon @tael, „ber Äönig, entwaffnet unb aUcln einer
Station oon 24 SJiillionen 9[)lenfd)cn gegenübergefteßt, unb ftatt
als a3efd)ä^er i^rer 9ied)te unb 5reif)eiten, als beren gefäl^r*
lid)fter geinb erflärt. . . . ©ie Sßerfammlung l^atte eine ©on»
ftitution combinirt, wie man einen ÄriegSplan entwirft. Stuf
biefen einen Srrtl^um ftnb alle anberen guriid'gufüiiren'' ^). Slud^
baS war ber Sogif ber S;l)atfac^en entfpred^enb, bafe bem gu
') Madame de Stael, Considerations, XII, 310—311.
Die ginananotl^. 441
Sbobtn geworfenen geinb bie ©emütfitflung nid^t erfpart würbe.
Samaöe war eö, ber bie 3l|fembl^e öeranlafete, bem (Souverän
\>a& SBeto er[t nac^ SewiHtgung ber S)efrete üom 4. Sluguft ju=
gugeftel^en. ©ann, nac^bem and) bie[e§ gewährt worbeu war,
brad^te 92edfer am 24. (September ber 3Serfammlung bie
®ä)xtdtnSbot\äia\t , bafe bie Slnleif)en eine nacl) ber anbern ge=
fä)eitert feien, weil bie ©laubiger be§ franjöfifd)en ©taateS,
uncttlpfänglid^ für bie oratorifd)en Seiftungen ber ©eputirten,
©arantien verlangten, bie ber Sftinifter nid)t mel^r gewäf)ren
lonnte, unb weil bie Seitung ber ganjen 3fiegierung§mafd)ine mef)r
unb mel^r an bie SBerfammlung , ol^ne beren S^iw^^^i^^Ö fd)on
md)t§ mel^r gefd^el^en burfte, übergegangen war ^). @o bafe,
nad^ bem unt>erbä(t)tigen S^^Ö^^fe ^^^^^ Sarere, iji^anfreid^ »ä
coups de d^crets«, Don einer jugleid) beliberirenben unb ab^
miniftrirenben, üon aßifetrauen gegen ia^^ SJfinifterium erfüllten
aSerfammlung regiert würbe, beren fd)reibfelige @inmtfd)ung in
bie gange Verwaltung er nid)t beffer begeid^nen ju fönnen
glaubte, aU inbem er jte »un gouvernement plumitif« nannte 2).
3n biefer SHotl^lage fd)lug 5Recfer öor, ein aSiertel beö gefammten
©inlommenö in patriotifd)er Eingebung bem ©taatöfd^a^ gur
SSerffigung gu fteUen, benn ber (Srebit fei erfd^öpft, unb ber Äönig
woHe, ba^ bie ganje SBal^rl^eit gefagt werbe ^). 3)ie ©eputirten
gauberten üor ber Sllternatiüe beö Sanferott§ unb ber 3lotl)=
wenbigfeit, bem SSolfe, bem fte fo oft unb feierlid) 33ermin=
berung aUer feiner Saften öerfprod)en l^atten, nun plö^lid) ein
fold)e§ Dpfer aufzuerlegen. ®a erl^ob jtd) SJtirabeau unb fe^tc
in einer ber benfwürbigften unb ooUenbetften feiner SReben bie Sln^
nal^me oon 9lecfer'ö 2}orfd)lag burd). ^rau oon ©tael ergäf)lt,
wie jte il^n an jenem Sag breimal auf ber 3fiebnerbül)ne
fal^ unb wie gwei ©tunben lang feine wunberbare S3erebfamfeit
^) Madame de Stael, Considdrations, XII, 310-311 u. 321.
2) Barere, Memoires, I, 318-319.
^) Neck er, Troisieme Ministere, VII, 83.
442 SKtrabcau fpric^t für 9<c(fcr'8 S3otf(§Ia0.
bic .&örcr in Sltl^ent l^iclt. Sic fud^t ein Silb baöon ju geben,
aber fte brid^t mit einem ßitat im Sournal be $ari« ab:
„2Ba§ märe e§ erft, l^ättet if|r baö Ungel^euer mit Singen ge«
feigen!" „^an mnfete nod) nid^t", fd^Iiefet jte auf SKirabeau'S
©d^ilberung beö allgemeinen 9iuin§ jurüdCgreifenb, „bi8 ju
»eld^em Uebermafe öon ©lenb eine Station ben Sanferott, bie
^ungerönotf), SRaffenmorbe, ba§ Sd^affot, ben Sürgerlrieg, ben
Ärieg nac^ Slufeen unb bie S^rannei ertragen lann. ®a8
blofee 33ilb, baö SRirabeau baöon entwarf, genügte bamatö, um
jurud'iuf(t)recfen" *).
SRorriö fagt, ba^ %xa\x üon ©tael an jenem SEag bereit
war, ber Haltung öon SRirabeau nid^t nur Sewunberung, fon*
bern auc^ S)anf bafür ju äoHen, ba§ er „t>on ber ungcl^curen
Popularität" if)re§ SSaterö, „al§ bem Sol^n eminenter SSerbienftc,
langer (Srfal)rung unb au^erorbentlic^enSSerftänbniffeS beS f^inang*
wefenö" gefpro^en tjatte^). — 9Kan fragte jtd^ bamate in ber
ßonftituante, ob 9lecfer nun bod) enblid^ feinen gemoltigcn
©egner „Qmonmn", baö l^ei^t beftod^en l^abe, ober fprad^ bte
fpäter aud) oon grau öon @tae( getl^eilte 3lnftä)t auS, er l^obe
i^n unter ber ©röfee ber SSerantmortung, mit tt)eld)er er il^n
belaftete, nur um fo fd^netter erftidfen wollen. Äeine ber beiben
a3ermutl)ungen erwieö ftc^ alö begrfinbet. 3Rirabeau fül^Ite fld^
mächtig genug um 3ledEer gered)t gu werben, befonberiS ba er
wufete, bafe e§ eine £eid)enrebe mar, bie er il^m l)ielt.
Um fo weniger fonnte 9Jiirabeau je^t, wo er felbft balb
JU regieren badete, aUe ^Regierung unmöglid^ mad^en woUen.
aSon jenem Sag batirt feine eigentlid^e ^errfc^aft über bte S8er»
fammlung, bie nad) langem Sträuben, ftd) nun bod) cnbltd^ ber
9Rad)t feinet Sßorteö ergab, ^n ber ®unft ber SJienge l^atte
er feinen anbern Sftioalen alö Sa S^i^ette, ber an ber ©pifee ber
einzigen, in g^ranfreid^ nod) wirflid) oorl)anbenen SSHaäji ftel^enb,
^) Madame de Stael, Considerations, XII, 315.
-) Jared Sparks, Gouverneur Morris, I, 324.
Sntrifluen bcr Parteien. 443
fidb um [o mcl^r ber Säufd^ung Ijingab, bafe er bamit aud) bie
Sage bel)errjd^e, ba SaillQ, ber 3!Katre üon ^ariö, il^m bie
etgentlid^e Scitung ber ^oltjei unb bamit bie Slufftd)t über bie
^ouptftabt, Sßerfailleö, ben ^of unb bie aSerfammlung überliefe.
SBäl^renb biefer SBod^en bänbigte er mit ^ülfe be§ ©emeinbe*
ratlos bie Demagogen beö $alai§ ro^al unb l^ielt fd)einbar bie
orleaniftifd^en Umtriebe nieber, für bie unter Slnbern ©anton
bamalö als be^al^lter Slgent jenfeits ber ©eine agitirte^). ©er
momentane ©tillftanb mar aber feiner S3efferung ber Sage,
fonbem nur ben in ßonflift geratl)enen Sntriguen gugufd)reiben.
2)er ^erjog t>on Drleanö, unb noc^ mel^r aU biefer mutl^lofe
aSerfd)mörer, bie Partei, bie jtc^ feiner bemäd^tigt l^atte^), red^»
ncten auf ein 3Serbred)en, um f\ä) bann ber erlebigten ©ouöe-
ränetät unter irgenb einem 5>iamen ^u bemäd^tigen. Sa g^a^ette
ging nic^t fo meit; er moUte ben Äönig nad^ ^ariS bringen,
um bort mie über ein SBerfjeug, über if)n verfügen ju fönnen^).
gür bie SReöolution aber ging aud^ biefe Spanne 2^\i nid)t
Derloren. Sa %at)ütc, ber an ber ©pi^e feiner Sürgermeljr
©d^aren öon ßmpörern jerftreute, bie fd^on in ben Sagen ber
©iölufjtonen über baö SSeto nad) SSerfailleg giel^en njoHten,
forberte am 8. ©eptentber bie ^arifer Kommune auf, eine 3ie=
form ber ßriminaljuftiii öon ber SSerfammlung gu begel^ren unb
als biefelbe nid)t fd)nell genug erfolgte, fe^te er eö burd), ba^
injmifd^en bie Sluöfül^rung aller bereits gefällten Urtt)eile fuS*
penbirt mürbe*). (SS mar ^t\t, an bie @id)erl^eit beS ÄönigS
unb ber ©einen ju benfen. „SlHeS ift öerloren", fagte ba--
malS fd)on 9Jlirabeau ju feinem greunb be la SJiardf, „ber
Äönig unb bie Königin merben barüber iix ®runbe gelten
unb ber ^öbel mirb il^re Seid)en peitfd^en^'. »Oui, on battra
») ©^bcl, ©efd^id^te bcr g^tcöoluttonöaeit, I, 89.
2) Madame de Stael, Considerations, XII, 308—309.
^} Necker, De la Revolution francaise, IX, 275. Bt)hel, ©cfd^td^tc
ber 8flcöoIution§3cit, I, 98.
•*) La Fayelte, Momoires, II, 294 — 296. Droz, Histoire de
Louis XVI., II, 451.
444 Grfteö &Iud^tptoje!t für bic föntöUc^e Samilie.
leurs cadavres!« iDteberl)oIte er, bcn ©inbrudf n)a]^rnc]^men&,
ben feine SBorte t)erDorriefen ^). ®a5 erfte ^roieft jur S^Iud^t
tarn an bie Äonigin. @ie foKte mit i^ren Äinbem nad^ b^n
SRieberlanben '-). Um bie SRitte September gaben mel^rere gc^
mäßigte 3)eputirte, Don btn SRiniftern 3!Kontmoritt unb la Sugerne
nnterftii^t, beut Äönig ben fRatij, mit ber Slffemblöe naif
©oiffon^ ober 6om:piegne jtd) j^nrüdfiugiefien unb baburd^ ber
gefa]^rbrol)enben 9MI)e t)on ^ari§ ju entgel)en^). gubwig XVI.
gab ftd) über feine perfönHd)e Sage !aum einer Stäufd^ung l^in.
.^atte er bod) fd)on am 17. guli, beüor er ftd) nad) $ariS auf«
@tabtl^aii§ begab, fein Seftament unb feine 9ied)nun8 mit bem
$immel gemad)t, meil er niebergeme^elt ju »erben glaubte*).
Slber 2lngefid)t^ ber ®efat)r befafe er jenen pafftoen SJhitl^, ber,
xotnn er mit Sljatfraft vereint gemefen wäre, il^n gerettet l^aben
tt)ürbe. §ftedfer ergäp, bajj ber Äönig einfd)Iief ober jU fd^Iafen
öorgab, alö biefer aSorfd)lag jur Slnd)t juerft im SRintfterrat^
gemad)t würbe. 6r felbft befürmortete ein fold^eö 5ßroieft mä)t,
toeil, fagte er, im ganjen Sanbe 5lotl^, Slufrul^r unb Unftd^crl^eit
l)errfd)ten unb überbie^ ben föniglid)en Äaffen fein ®elb jur
SSerfügung ftanb. Sereitö ßnbe Sluguft l^atte SSreteuH für bic
föniglid)e 5«»tilic 3Re^, mo 23ouitte mit feinen Sntppen ftanb,
alö 3wPwd[)t^ö^^t t)orfd)Iagen laffen. Sa ga^ette, als er baöon
l)örte, ermiberte, and) bort lebten Patrioten; im äufeerften ^att
fei eö beffcr, bajj (Siner für SlUe ftürbe^). 3n biefem SEBibcr«
ftreit oon Pänen unb Slbftd)ten begnügte ftd) ber $of burd^
ben energifd)ften unter 5Rerfer'ö ßoUegen, ben ®rafen Saint»
^rieft, ben (StabtratI) uon SBerfaideio gu öeranlaffen, er möge
jum ^ä)n^ gegen broftenbe Unrul)en ba^ [Regiment ^Icinbem
0 Bacourt, Oorrespondance eiitre Mirabeau et do la Marck, I, 112.
-) Wertheimer, Dociimeiits inedits. Revue historique, II, 1884.
=^) Malouet, Memoires, I, 339. Droz, Ilistoire de Louis XVI., II, 470.
■*) Taino, Origines, etc. La Revolution, I, 65.
^) Thiers, Ilistoire de la Revolution frani^aise, I, 109. Pi&ces
justificatives, ^lotc 8, 409.
8an!ett bei @arbed bit cotpS in iBerfdUed. 445
<uid ©ouai bortl^in berufen. 6s »aren il)rer etwa taufcnb
IDlonn, unb uorauSgefe^t, bafe jte überliaupt lo^al blieben, l^ättcn
ite audb im gfinftigfien %aU ni(i)t§ SBefentlid^cö au^jurid)ten
l)cnm)d)t. ©aS ©d^idffal aber l^atte beftimntt, bafe jte auf eine
anbere Slrt ben SluSfd^lag geben foHten. @ö folgte ba^ S3anfett
im ffl^eaterfaal öon SSerfailleö gu 6i)ren ber Dffigiere beö 3ie=
gimcntS, t>a^ ©rjd^einen ber Königin, bann beS Äönigö, bie
SJerti^cilung ber »eifeen Äofarbe im ©egenfa^ ju jener, welche
ber SWonard) am 17. guni angenommen l)atte, bie begeifterten
Döationen für bie föniglic^e gamilie, Jene ganje, unöorjtci^tige
aber \o letd)t erflärlid^e @cene, auö weld^er bie in ben ©taub
getretene SJlonard^ie Sroft in unerl)örter ©emütl^igung unb if)re
Slnl^ftnger in ber 9lotl^ ©elegenl^eit jur Sleufeerung t>on (äefül^Ien
fanben, loelci^e ©efal^r unb S3ebrängnife abelten. SBittfommener
ttod^ als bem $of biefe Äunbgebung ber go^alität, mar ben
6lubS t>on $ari§ ein SSorgang, meld^er ba§ Qexä^m jum Sluf*
rul^r merben fonnte. S)ie (Srnte aud^ biejeS Sal^reS mar
nid^t gut unb uberbieö nod^ nid^t gu SJiarft gebrad^t. 5Re(fer
fud)te ber Stl^euerung burd^ ©etreibeläufe, befonberS in ßnglanb
öorjubeugen unb e§ gelang il^m aud^, bie 23erppegung, menig=
flcttiS Don ^ariS felbft, fomeit ju ftd^ern, ba^ bie Srobpreife
eine mäßige ^öl^e nid^t überftiegen ^). 3)a§ aber fonnte er nid)t
öcrl^inbem, ba§ eine 3Kaf|e öon 40,000 l^eimatl^Iofen SSagabun*
ben in 5ßari§ in Ermangelung etne§ @rmerb§ auf ben Umfturg
warteten, unb ba^ 5)iarat i^nen im Publlciste parisien fd)ilberte,
wie bie Siegierung ba§ inlänbifd)e ©etreibe auöftil^re unb \i)nm
bafür „um ©olbeömertt) auö bem Sluölanb bejogeneö vergiftetes
»rob oerfaufe'' 2). aiS bie 5Radt)rtd^t oom SSanfett in Sßer^
faiHeS in ber ^auptftabt befannt mürbe, erf)ob jtd) ber SRuf,
es bereite ftd^ bie SBerfd^mörung ber ßontre^^^ieDoIution. ®er
Idngft öorl^anbene Safe gegen bie Äönigin fd)lug in t)eHen
') ©Jjbcl, ©cfd^td^te ber aReöolutionSsett, I, 95, 9loit.
2) Hat in, Histoire du Journal en France, bei Laboulaye, loc.
cit. 653.
Slcnnerbajfett, Srau ton ©tael. I. 29
446 9flütfn)tr!ung btefeS S^organgd auf ^ortö.
^ylammcn auf; felbft unter fogenanntcn ©cBilbcten mad^tc ba
fürc^tcrli(t)c 3Bi^n)ort bie SRunbe, „um %xanivexä) ju retten
bebürfe eö eineö 3Jiarfd)aa§ Surenne (tue-Reine)" i). ©ic ffi
befd)impft erflärte patriotifd)e Äofarbe geigte \iä) überall; @e
rüd^te üon einer beabjtd^tigten g-Iud^t beS ÄönigS unb bcr ©ein
begannen laut gu luerben. Unterbeffen, am SJiorgcn be« 5. 01=^
tober, gelangte bie vorläufige föniglid)e SiHigung ber ©ctret^
oom 4. Sluguft unb ber ©rflärung ber SJlenfe^enred^te an bi^
SSerfammlung. ®od) fnüpfte ber Äönig feine enbgfiltige Qu-
ftimmung an bie SSebingung, bafe juerft bie Sonftitution öoff-
enbet unb ba^ barin bie Siedete ber 6j:efutioe genügenb gcwal^r
mürben. SwQl^id) forberte er bie SSerfammlung bringenb au
nid^t, toie fte e§ eben jU ti)un unternol^m, ben ©ang b
Suftij in einem Slugenblid' gu unterbred^en, wo bie Slutoritft "i
toeber 9Jiad^t genug beft^e, bie Steuern eingutreiben nodö
überlö^iupt bie Drbnung aufred)t gu erl^alten unb baS SanS?
gu oerprooiantiren. 3m Streit, ber ftc^ über biefe ebenfo ge*
mäßigten al§ oernünftigen S3emerfungen er^ob, l^atte foeben
SRirabeau gegen 3tobe§pierre baö SBort ergriffen, al8 i^m bie
9lad)rid)t gufam, bafe, oorläufig burd^ eine @d)ar öon Sanbiten
unb tt)ütf)enben Sßeibern re:präfentirt, „^ariS auf SSerfailfaS
marfd)ire". Slm SRorgen biefe§ Sagö I)atte in einigen äßädcr*
laben ber .^auptftabt ba§ S3rob gefep unb ber SKufftanb burc^
SSefi^nal^ute beö @tabtl^aufe§ öon Seiten ber ©mpörer begonnen.
Sener 2:f)eil ber 3lationalgarbe, ben bie aufrül^rerifd^en @arbed
fran?aifeö bilbeten, erflärte il^rem ©eneral Sa ija^ette, auf baS
l^ungembe SBolf nid)t fc^iefeen gu fönnen. ©iefer felbft ücrl^ln*
berte bie gum 2öiberftanb bereite, unbefolbete Sürgergarbe il^r
äJori^aben auögufü^ren, unb e^ ift ertoiefen, ba^ ber Siuf „ber
Äönig nad) ^ariö", ber ben ©reigniffen am folgenben Sag,
bem 6. Dftober, bie entfd)eibenbe SJBenbung gab, üon ©olbatcn
üon Sa S^agette erl^oben iourbe^).
0 Droz, Ilistoire de Louis XVI., III, 19.
2) (Bvihtl, ©cfd^id^te bcr 9lcüorutionö3cit, I, 98—99 u. 104—105.
S)ie Oltobertage. 447
So begann bcr gug nad) aSerfaiHcS, „um ben Äönig t>on
bcr SIriftofratic ju befreien unb Srob für ba§ l)ungembe 3SoIf
gu verlangen''. S)ie 2lrt unb 2öeife, wie Sa ga^ette mit [einer
bewaffneten SSRai^t ju folgen jtd^ entf(I)lo6, ift gu (I)arafteriftifä),
um nid^t erwal^nt gu werben.
6S mar an jenem 5. Dftober etwa 9lad^mittag§ 4 Ul^r.
@cit ©onnemSlufgang ertönten bie ©turmgloden unb jogen bie
©d^aren aus ben 23orftäbten unter bem 9iuf: nad) SBerf aiHeiS !
tiad) aSerfaiHeö ! an Sa ga^ette, beffen g^fll^rerfd^aft jte begel^rten,
öorüber. 6r mar gu ^ferb, am Ouai de la Greve, an ber
@pi^e feiner SSataiUone. ©tunbenlang betrad^tete er jtd^ ben
9Jlcnf (i^enftrom , ba§ ftürmifd^e 9ftufen unb ©rängen beöfelben
ft^elnbar nid)t htacifknb ober unter allerlei @d)eingrünben ab*
lel^nenb. 35a trat ein junger SJiann au§ ben SReil^en, :padfte
fecn QuqA be§ $ferbe§ öon Sa ga^ette unb fagte gu il^m:
^SJlein ©eneral, biö je^t l^^ben Sie un§ befel^ligt, jefet aber ift
€§ an uns, Sie gu fül^ren". ©inen Slugenblidf f:päter, unb ber
fo lange öergeblid^ erwartete Sefe^l: aSorwärtS! war gegeben^).
3n aSerf aiHeö l^atte ÜKtrabeau bem ^räftbenten ber 9lational«
Derfammlung, bamatö gerabe 2Rounier, 9lad)rid^t öon bem beöor*
ftel^enben Eintreffen ber ^arifer ©d^aren mit ber 3lufforberung
inö Dl^r gepftert, bie ©i^ung unüergüglid^ aufgul^eben unb
im @d)Io6 9lad^rid^t gu geben. Sllö er 3Kounier unbeweglid^
bleiben fal^, würbe er bringenber unb fprad) öon l^öd^fter ®e*
fal^r, aud^ für bie ©eputirten. @§ war eine jener ©tunben,
wo nid^t bie geiftige Ueberlegenl^eit, fonbem ber ß^arafter ent*
fd^eibet. „Sefto beffer", entgegnete SJiounier, „wenn jteunöSlIle
l^ier finben unb tobten, aber wol^l üerftanben, Me. ®ie ®efd^äfte
ber SRepublif werben bann um fo beffer gel)en" ^). 3)er ^Jauft
ber 9iet>oIution fanb nid^tö gu erwibern unb ber 6. Dftober begann.
^)Sainte-Beuve, La Fayette. Portraits litteraires, II, 141. 9Zad^
htm münblic^en S3erid^t eines betl^etltgt getoefencn ÜfJationalgarbiften.
2) Droz, Histoire de Louis XVI., III, 32. Dareste, Histoire de
France, VII, 200. Lanzac de Laborie, J. J. Mounier, 212—213.
29*
448 Setid^t ber aonrtb^rationS über ben 6. DItober.
grau t)o\\ ©tael l^af bicfcn Sag miterlebt.
Site jte bcö ÜKorgenö crful^r, xoa^ ftd^ uorbereitete, eilte jle
t>ott $ari§ auf abgelegeucn ©trafen gu il^ren ßltem nad^ aScr^
faittc^. 2luf bcm 32Bcge bal^iu begegnete fie ba^ Sctobgef ol^^ ^
beö Äönig§, ber au§ ben fjorften öon SJieubon in atl^emlofe^'^
@ile jurüd in§ @(I)lo6 berufen worben war. SflS aud^ Pc bo^:^ ^
eintraf, war 5Recfer mit bem 3Konarc^en. S^re SKutter fanb f^^^
in einem ber SSorfäle, bie ju ben fönigti^en ©emä^em füJ^rter« :sn,
in töbtlid)er Slngft um ben ®atten, aber fein SooS gu tl^cilen ent-jr^MxX'
fd^loffen. 5Rit grau üon ©tael trafen gal)lreid^e anbere ^Pcrfone- ^ :Mt^
nad) unb nad^ in SSerfaiUeö ein. Spät am Slad^mittag Iar:Ä'-«3nn
SÄoumer, um fel^r gegen bie eigene Uebergeugung üom Mni^^^^i
5Ramen!§ ber SSerfammlung bie unbebingte ©anftion ber SWenfd^eti -» i*«*
redete gu verlangen, g^rau öon @taet , ben Umftanb ergd^lenfci ^^^
bemerlt, ba% nic^tö fo fel^r ben ßorn ber grangofen errege, alr IT ^l^
SSerfuc^e bcö 2ßiber[tanb!§ Don Seiten ber ©d^mad^en, unb baf^ ^
anbererfeitö bie @en)of)nl)eit ein foIcl)e§ Sebürfnife nad) ber be^^
ftänbigen 3ntert)ention beö ©ouöeränö bei i^nen gurüdCgelaffci=^
l^abe, bafe jte fällig gewefen mären, feine Suftimmung gur 5Be ^
grünbung ber JRepublif eingul^olen.
3n ben 23orgimmern öon SSerfaißeö bisfutirte man um fie
l^er, ob ber Äönig fliel)en ober bleiben, ob er ftd^ gur SBel^r
fe^en ober in eine ^roöing gurüdfgiel^en foHe. ©pdtere Sendete
unb gorfdjungen über biefe ßreigniffe l)aben bie Angabe öon
Srau Don ©tael beftätigt, ba^ unter ben SRiniftem 6lc6, SKonb
morin unb 9?ecfer gur 2lnnaf)me beö 33orfc^lag§ Don 2a ffa^cttc
neigten, ber Äönig möge fortan in ber ^auptftabt repbiren.
@aint=$rieft allein rietl^ gur glud)t nad^ SfiambouiUct unb er«
Härte, menn Submig XVI. fid^ na^ ^ari§ bringen laffe, feine
Ärone für Derloren. „S)aö ift ein fRatt), ber Sinnen ben Jto|)f
loften fann^', ermiberte if)m Stecfer^). 3Kan ergäl^lte ftc^ in ber
*) S^bel, ©cfc^id^tc ber SReüoIutionSacit, 1,98. Ducbesse de Tour-
zel, M^moires, I, 8.
f&tti^t bet 6:onftberationd übet ben 6. Oltober. 449
Umgebung bcS iJönigiS, er »eigere ftd) ju fliel)cu, weil er bie
©ewifel^eit l^abe, bafe bie 5RationaIöcrjammlung il^n burd^ ben
^ergog üon Orleans erfe^cn »oHe, eine Scfürd^tung, bie f?rau
öon Stael webcr bamalö nod^ fpater für begrünbct i^ielt. 2luc^
tpar pe ber Uebergeugung , bafe fclbft ein militärifc^er 6rfoIg,
töärc ein fole^er überl^au:pt nod^ ntöglid) gewefen, ben Äönig
ttid^t mel)r gerettet ptte, fo öollftänbig war Sltteö öom reuo=
luttonären ©eift ergriffen. @o l^arrte man benn, ol)ne einen
(Stttfd^lufe gu faffen, auf ba^ nal^enbe SBerberben, blidfte auö ben
tJenjtem nad^ ber bem @d)Io§ gegenfiberliegenben großen 3lüenue
unb fagte ftc^ wie wn bort au§ bie erften Äanonenfd^üffe thm
nad) bem ©aal geri(I)tet werben würben, in weld^em man jtd^
bcfanb. „Slber, obwol^I ba^ ©efü^I ber Slngft allgemein war,
bad)te boä) nici^t eine S^rau baran, ftd^ gu entfernen". Um
brel Ul^r waren bie erften 3Beiberl^orben in bie Slffemblee ge*
brungen, unb e§ fpielten jtc^ bie befanntcn Sluftritte im ©d^lofe*
i^of üon aSerfaißeS ab, aU SJionfteur be ß^inon, ber fpätere
^ergog t>on SRid^elieu, bleid), in jerriffenen Äleibem, jum erften
9Ral ol^ne Seobad^tung irgenb einer ©tiquette, bie föniglid^en
©cmad^er betrat. (Sr l^atte ftd^ bem tobenben ^öbel in ber
^auptftabt angefd^loffen, um ftd^ über feine ^lane gu unter=
tid^ten, unb war il^m bann auf l)albem SBeg nad^ SSerfaiHeS
üorangeeilt, um ber föniglid^en S^amilie 9lad^rid^t ju bringen,
©eine ©d^ilberung beffen, voa^ ju erwarten ftanb, Hang ent^
fc^lidf). ®ie grauen, fagte er, feien no^ mcl^r t>om SBein
als üon wütl)enber Seibenfd^aft trunfen, bie 3!Känner bie ^efe
bt^ aSolfö, bie jtd^ begangener aßorbtfiaten rüf)mten unb fte
nod^ gu übertreffen Derfprad^en. ^nbeffen ftieg bie Slngft
mit ber ]^ereinbre(t)enben S)unfcl^eit unb ben jtd^ ftetö wiber*
fpred)enben 5Rad^ric^ten üon Slufeen, bi§ enblid^ bie Äunbe
öom Eintreffen üon Sa S^agette unb ber 3lationalgarbe um 11 Ul&r
SlbenbS jtc^ wie eine [Rcttung^botfd^aft verbreitete, g^rau üon
©tael fal) ben ©eneral auf bem SBeg gum Äönig, öon allen
©eiten umringt unb mit iJ^agen beftürmt, alö ob er, fagt fte,
450 äSert^t ber aonftb^raHonS über ben 6. Oltobec
nod) ^crr bcr Situation gctücfcn fei, unb nid^t fd)on baiS SBoW
jtd^ [eine« S^ül^rerS bemäd^tigt i^dttc. „6r fal^ rul^ig au§, wie
immer'', fügt jtc l^inju. Site er au§ ben ©emäd^ern be« ÄönigiS
wieberf eierte , l^ob er burc^ bie bünbigften a8erpci)erungen ben
SSRntf) ber Slnwefenben fo öoUftänbig, bafe nad^ unb nad^, ßcßctt
gjiitternac^t, aUeS ftd^ äurüctjog unb bie ©efal^r fd^on bcS]^aI£>
für überwunben l^ielt, »eil bie bi§ gum Sleufecrftcn crfdt)öpft
Äräfte bm SDienft öerfagten ^). @o begann jene SRad)t , btc nodE
immer unübertroffen in ber ®efd)id^te ber 9ieöoIutioncn bajtcl^
unb beren tragifd^e ®efd)id^te ba§ Urtl^eil unöerföl&nlid^er ©cgne
in ben SBorten gufammengefafet l^at: »Monsieur de La Fayett
a dormi contre son roi«. „®eneral SRorpl^cuS", fpottet'
3fiiöaroI, al§ ba§ erfte ©ntfe^en übenounben war. Slud^ %xa
t>on @tael l^atte ftd^ enblid^ mit il^ren 6Item gurfirifgcjogcn un
fd^Iafen gelegt. Slm näc^ften 5)iorgen, in aller ffrfil^e, wedft'
jte ba§ ©rfd^einen ber bejal^rten 9Jiutter beS ©rafen ßl^otfeuCT
©ouffier, bie, obwol^l if)r perfönlid^ unbefannt, jte um 3lcttun
anjuflel^en fam. aSon il^r juerft erful^r jte ba^ hereinbreche
ber Sorben in ben Äönigöpalaft burd^ einen unbeje^t gebttcbencrr
©ingang, bie §ftieberme^lung ber föniglid^en geibgarbcn, unb xoie
bie Äönigin burd^ einen blofeen Qn^aVi bem gleid^en ©d^idffal cnt^
gangen war. 9lad^bem S^au oon ©tael jtc^ rafd^ in bie JMeiber
gett3orfen tiatte, fam man il^r ju jagen, ba^ §Redfer bereit« jum
SKonard^en geeilt fei, unb il^re 2Rutter jtd) anfd^idfe, il^m ju folgen.
S)ie föniglid^en ©emäd^er ftanben, mie fd)on bcmerft, burd^ eittcn
langen 6orribor mit bem Sontröle gäneral in SSerbinbung.
i5rau t)on @tael, aU jie biejen burc^eilte, l^örte in ben ^ßfen bie
?flintenfd)üffe frad^en. 3« ^^^ grofeen ©aUerie waren überall
Slutfpuren jtd^tbar; im anftofeenben ©aal fratcmijirten in
l^öd^fter ©rregung ßeibgarbiften mit ben ®arbe5 fran?atfc«,
taufd^ten if)re Äofarben, unb riefen: eS lebe Sa ffa^ette! »51^'
0 Lanzac de Laborie, J. J. Mounier, 222 — 223 unb Expos6 de la
conduite de M. Mounier, 69-92.
S3cri(^t bcr ßonfiberotionS übet ben 6. £)!tobcr. • 451
rcttb bicfcr fclbft baS Sebcn ber bem Slutbab @ntronnencn
öor btm $ö6cl gu fd^ü^cn fudtitc. aSom näd^ften @aal au§ fal^
unb l^örtc man bic 3Rcngc l^culen, fd^reicn, ©d^üffe abfeuern
unb bcn 9lamen ber ÄiJnigin rufen. S)a plöl^Iid^ öffneten pd^
bic SPren eine^ ©eitengemad^S unb jte erfd^ien, ba^ ,§aar in
Mnorbnung, tobtenbleid^, aber roürbig, „eine ßrfd^einung, ganj
bagu angetl^an bie 6inbilbung§fraft ber 5Renfd)en gu padEen".
Sic i^örte wie ba§ SBoIf brausen, im fogenannten 5Rarmorl)of,
nadö il^r verlangte. S)ie TOönner waren alle bewaffnet; bie
meiften öon il)nen fül^rten ^iftolen ober ©ewel^re. 3n il^ren
3ügen fonnte man waö SÄarie 3lntoinette befürd)ten mufete
lefen. 3lber bennod^ trat jte, il^re beiben Äinber an ber $anb,
auf ben Slltan.
2)ie @cene, bie nun folgte, ift taufenb 9!Jfal befd^rieben
werben; jte l^at |)iftorifer unb 3)id^ter, Soqaliften unb SRepubli^
lauer begeiftert. 9lid^t§ aber erfe^t ben (äinbrucf unmittelbarer
Slugenjeugen, bie, wie g^rau öon @tael, bie töbtlid^e 32Butl^ biefer
ÜBenge erft.in lautlofeö ©taunen, bann in ftürmifd^e Sewunbe*
rung übergel)en fallen, ©erabe gu jener 3^tt waren bie
Segiel^ungen gwifd^en Sieder unb £a ?5aqette bie beften, unb
fowo^l g^rau öon @tael aU i^x äJater bemül^en jtd^, il^n oon
jcber @d)ulb an ben @reigniffen ber Dftobertage freigufpred^en ^),
wäl^renb jte beibe feinen ®runb liatten, ba^ 3Serl)alten ber Königin
il^nen gegenüber gu rülimen. 2Die ©eelenftärfe aber, weld[)e biefe
au jenem SUiorgen entfaltete, wirfte fo überwältigenb, audt) auf
5rau Don @tael, ba^ jte ber SRoHe öon Sa g^aqette babei mit
feinem SBort gebenft. Sie ergäf)lt nur, bafe bie Königin, in
ben @aal gurüdfgetreten, auf 3Kabame 9?eder guging unb mit
öon 2:l)ränen erftidfter Stimme gu il^r fagte: „@ie wollen ben
Äönig unb mid^ gur SRüdftel^r nad^ ^ari^ gwingen unb bie
Äö^jfe unferer treuen ®arben auf \f)xm ^ifen oor un§ l^er»
tragen".
^) Necker, De la Revolution fran^aise, IX, 273. Madame de
Stael, Considerations XII, 341.
452 9)2ounter betlägt bte SBetfammlung.
SBäl^renb ber Scid^enjug bcr 3Ronarci^ic pd^ einige ©tunbe
fpäter nad) bcr ^auptftabt bewegte, erreid^te grau öon ©ta
mit ben Si^rigen ^ariö auf bem fürjeren SESeg, ber burc^ ba
35ouIogner §olg füf)rte. @§ toar, fagt jte, ein tounberöottcS SEBette
fein Süftc^en regte ftd^, unb ber SlHeS öergolbenbe ©onnengia
liefe ben ®egenfa|i gwifc^en biefer lac^enben 9latur unb be
©ejd^el^enen nod) greller erfd^einen. 21m näd^ftcn SEag fal^ ft
bie Königin mieber. Sie empfing baS biplomatifd^e 6orp8 unE
bie ^erfonen be§ |)of§ in ben Suilerien, bie für i^re Slufnal^m
fo wenig eingerid^tet waren, ba^ man fjelbbetten für bie Knig
lid)en Äinber im 6nipfang§faal anfgefd)lagen l^attc. S)ie Äö
nigin öerfnd^te ju fpred^en, fonnte aber oor ©d^lud^gen M:
SBort l^eröorbringen, „unb feines üon unö", fagt grau öo
@tael, „war im ©tanbe, \i)X ein SEßort gu erwibem. 3^ i
fd)önen 300^« mifd)te ftc^ mit bem ©c^merg ein gontiger Mn
mutl). SBer fte fo gefelien l^at, fonnte pe nie wiebcr Dcrgeffen"
S)ie 3Ritglieber ber föniglic^en ^Jamilie waren nid^t bi
einjigen burd) ben ^öbel gemad^ten ©efangenen. SBierge^
Stage fpäter folgte tl)nen bie 9lationaberfammlung nad^ $ariS ,
bie, „nad)bem jte burd^ ba^ SBolf triuntpl^irt l^atte, voeber
ba§ SRed^t nod^ bie SJiad^t befafe, il^m nun nad^ ^Belieben
©d^ranfen gu fefeen unb ber nid^tö übrig blieb, atö feine |)cn*
fd^aft anguerfennen" ^). (Sine SluSnal^me baoon bilbctcn nur Sie*
ienigen, bei weld)en bie innere (Sntpörung über boS focbcn
erlebte ftärfer al§ aHe politifc^e Älugl^eit war. 2)ie gül^rer
ber ßonftitutioneHen, 2Bounier, Saßt) = SioHenbal, la Äugcme,
mit il^nen etwa l^unbertjwangig Seputirte, bie tl^cite ü^rc ßnt»
laf[ung einreid)ten, tl^cilö ftd) nid)t mel^r an ben ©i^ungen be*
tl^eiligten, gaben ba^ ©piel verloren.
SJiounier ging nad) ©renoble, „feft entfd)loffen feine $ro«
öing öor ben ©efreten ber 9lationaloerfammlung gu fc^ü^en,
unb lieber ben Sürgerfrieg l)eraufgubefd)Wören unb gu einer
') Neck er, De la Revolution fran^aise, IX, 285.
2)ad @nbe ber äRonard^tfd^'^onftitutioneHen. 453
ScrfifidHung fJranfrctd^S bie ^anb ju bieten, alö unter fold^en
tlmftdnbcn ju gei^orciöen" ^).
£a ga^ette geftanb fpäter, er fönne Surfe, SKounier,
3. abamS, unb ben erleud^tetften ^ubliciften mit il^nen, nid^t
Mitredet geben, wenn jte f^ranlreid) naä) ben Dftobertagen alö
SRcj)ubIiI begeid)neten 2). S)amalö aber fud^te er SRounier öon
feinem 6ntfd)lu6 abgubringeu, inbem er il^m fd^rieb, er
f elbft fei fid^ feiner ungel^euren SBerantwortung it)ol)l bewußt.
<Sie öcrmögc il^n jebod^ toeber ju entmutl^igen nod^ gu oerl^in*
bern, bafe fein gangeö ^erg ber @ad^e be§ SBolfeö gugetlian
Bleibe. 9Kit glei^em (gifer toerbe er bie 8lriftofratie, ben S)eö»
^)0tii5muS unb bie iJaltionen befämpfen. S)ie ?5el^ler unb 9Jti6=
griffe ber 9iationaber[ammIung feien il^m VDoi)l befannt, er l^affe
bie S^rannei eineö (gingigen, aber mef)r als SJiounier e§ al^nen
lönne, fei er öon ber 9lotl^n)enbigfeit einer ©tärfung ber &]ct^
futiöe burd^brungen^).
2)ie Antwort öon TOounier auf biefeS mit ben ^anblungen
feines ßorrefponbenten fo wenig in @inf(ang gu bringenbe ©e«
flänbnife war ber SBerfuc^ einer (grl^ebung beS ®aupl)ine.
SBaS gang befonberö beitrug, il^n gu biefem ©d^ritt gu öeran*
laffen, ber il^m [0 oft, unter anbem aud^ öon %xavi öon ©tael,
als ein fd^werer taftifd)er gel)ler vorgeworfen worben ift*), war
feine bamals laut auSgefprod^ene Uebergeugung öon ber 9!Jiit=
fd)ulb SDiirabeau'S an ben Dftobertagen, bie öon fpäteren S^wg«
niffcn nid^t beftätigt worben ift^). 6rft als SJiounier baS aSer-
geblid^e feiner 3lnftrengungen erfannte, gegen bie |)auptftabt in
ben ^roüingen eine SReaftion gu ®unften üon Steilheit unb ®e=
0 Leouzon-Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, 140-141, ©cpe^c SRo. 136 öom 22. Dftobcr 1789. Ma-
dame de Stael, Consid^rations, XII, 249.
2) La Fayette, M^moires, III, 193.
3) ebenbafclbft, II, 418.
*) Madame de Stael, Considerations, XII, 349.
^) Mounier, Appel au tribunal de ropinion publique, gegen 3Jiirobeau
gerichtet, ©agegen Lanzac de Laborie, J. J. Mounier, 252 — 253.
454 5i^^ Sebeutung für bie 3ufunft
f6^Iid)fett tn§ Seben ju rufen, legte er fein Wanbat nteber itn
joß in bie SSerbannung, anfangs in bie Sc^kDeig, bann na
SBeimar, xdo er al§ Seiter einer ßrjielöwngSanftatt fein Sro
üerbiente. ®ie @d)rift, worin er bie &t\6)\ä)tt feincS Slnt^eil
an ben (äreigniffen unb [einer ßnttäufd^ungcn niebergefd^rieb
^at, ift ein t)ortreftlid)er Seitrag jur Äenntnife ber äleüolution ')
@inige feiner greunbe nnb ©ejinnungögenoffen, ßlcrmont
lonncrre, 3RaIouet unter ben Slbgeorbneten, SMattet bu ^an i
ber treffe, faßten, ol^ne DertrauenSöoHer in bie ß^funft g:
bliden al§ 3Rounier, it)re ^flid^ten boi) anberö auf atö er. Sl
beid)loffen, auf il^rent Soften auöjuliarren, obtöol^l er aud^ i^netcr
alö ein öerlorner galt. Unter bem ^Jtamen, guerft ber Unparteit^
fd)en >lcs Impartiaux«, bann, n)äf)renb ber legten 3^*^ ^^^
SRationalöerfanimlung unter bem ber ßonftitutionettcn, l^abeir
biefe 3Känner xijx 2}erfpred)en eingclöft, biö bie SSerfoIgung fie
mit it)rcn Äampfgenoffen öon 1789 auf frember (ärbc mieber
Dereinigte ober öon Dielen berfelben baS Opfer beS gebend
forberte.
®ie ^bmx aber, bie jte Dertraten, foßten ftc überleben, unb
beömegen liegen bie Äämpfe ber 9Jionard^{fc^=6onjütutiottetten
nid)t auBerl)alb be§ SRalimenS einer Siograp^ie öon grau öon
gtaiil.
©in (gd^riftfteHer biefeS 3al^rl)unbertö, ber guioeilen a\&
^iftorifer S3ett)eife jener genialen, einem großen Salente eigenen
S)iDination gegeben l^at, 9!Äid)elet, nennt einmal bie @ef(^i(^te
3tuferftel)ung.
Ser SluSfprud) ^at ftd) für ©iejenigen bewährt, bie 1789
ben conftitutioucllcn Staat aufbauen moßten unb bafür bä|en
mufttcn tt)ic SlUe, bie il)rer Generation Doraneilen unb öor^
fd)nell bie %n\d)t politifdjer 2öei§l^eit bieten wotten, bie Don
ber (grfal)rung allein gcjeitigt loirb.
') Monnier^ Recher clics sur les causes qui ont empechö les Fran^ais
de (levenir libres, 1792.
U
35te Scbeutung für bic 3u!unft. 455
iluS bcm ©d^iprud^ bcr bmä) jtc vertretenen Seigren
gtcn funfunbgwanjig 3at)re ber Srrungen, ber ©d^reden, ber
krgerlrieg, bie oerfül^rerifd^en Siege beö SäfariSmuö unb
•c furd^tbaren SSergeltungen. S)ann, nac^ Äataftropt)en, „toeld^e
I Sntereffen be§ 9Dlenfd^engefd^Ied)t§ in S^age geftellt l^atten" ^),
irte man jum SluögangSpunIt unb bamit gu ben Sil^eorien
rficf, bie ben beften ©eiftern beö ad^tget)nten 3cii^rl)unbertö al§
•cld)bareö unb toünfc^enStDertl^eS Qkl öorgefd^mebt l^atten.
®ie politifd^e Sebeutung üon iJrau öon @tael berul&t bar*
f, ba§ Pe bie Srabittonen, in benen jte aufgemad^fen unb l^eran«
reift war, in fpätern Salären burd) bie 6rfal^rung geläutert unb
n mand^er 3;äufd)ung befreit t)at. ®ie ^rau, bie (Sd^riftfteHerin,
i il^re befonbere ®efd)id^te. Sl^r l^iftorifd)eö aSerbienft ift öor
lern biefeö, ein geiftigeö (älieb in ber Äette einer grofeen
Überlieferung gemefen gu fein unb bem neuen, unter beö^jotifd^em
rud grofegeiporbenen ©efd^led^te ben ^eil)eitögebanlen Der*
Ittelt gu l^aben, btn pe mit männlid^em SUiutl^ au§ gwölf«
Irriger Verfolgung gerettet l)atte.
*) Mounier, Recherches etc. ßc^teS ilopitcl.
§itbtnitB §Ä|Jttel
SRad) bcn Dftobertagcn regierte üorerft in Sranfreld^ bi
Sntrigue.
®aS erfte D:pfer ber öeränbcrten Situation war ber ^erjog
öon Orleans, ba t^ ga g^agette gelungen toar, bie gäben ber
SBerjc^ttJÖrung, bie jtd) um ben ^rinjen gefammelt l^atten, fo
toeit in bie ,§anb gu befommen, alö eiS nötl^ig war, um |l(^
feiner ju entlebigen.
§uber, 9?e(Jer*ö 33erwanbter; erjälilt feinem ©orrcfponbenten.
bem englifd)en ©tplomaten 3Rorton (äben, bafe ber @eneral ftcift
am 10. Dftober jum ^crgog begeben unb gu il^m gefaßt ^abc:
„SJtonfeigneur, iä) fürd)te, bafe ber Äopf einer ^erfönlid^Ieit Sl^re«
SRamenS balb auf bem @d)affot fallen wirb." Samt, wie ber
fo 3lngerebete tl)n verblüfft anfal^, fügte Sa fja^ette l^inju:
„Sie l^aben bie 3lbfic^t gel^abt, mid^ ermorben gü laffen. ®eicn
Sie übergcugt, ba^ eine ©tunbe nad^ mir baS gleid^c ©d^idfal
Sie felbft ereilen würbe". Site l^ierauf ber ^ergog feine ttn»
fd^ulb betl^euerte, entgegnete il^m ber ©eneral, er fei gwar öcr*
pflid^tet, fein gl^renwort angunel)men, allein er l^abe fo graöirenbe
SSeweife gegen il^n in Rauben, bafe er entweber ^anfrcid^ in
öierunbgwangig ©tunben Derlaffen ober öor ®erid^t erfd^einen
muffe. „Ser Äönig", bemerfte Sa fjagette bei biefer ©clegen»
l^eit, „ift einige Stufen fcineö 5£l^rone§ l^inabgeftiegen. 8Uif bie
lefete l^abe id) mid) gefteHt; biö gu biefer barf er nic^t gelten
gftanheid^ nad^ ben OüoBettagen. 457
:b bcr SGBcg ju il^m würbe über meine Seidie fül^ren. Sie
ben pd^ über bie Königin ju beflagen. ^ä) aud^. Mm
r augenblid, aße^ jugefügte ttnred^t ju üergeffen, tft ge-
nmctt" ^).
8lm 14. Oftober erl^ielt ber ^ergog unter bem SBorwanb
tcr öom Äönig xf)m übertragenen politifd^en 9Jiifjton feine
Iffe auSgefteHt; am felben 2;ag trat er mit feinem 33ertrauten
loberloö bc Sacloö, bem 33erfaffer öieler fd^led^ter SRomanc,
>nmter einer, >Ies liaisons dangereuses«, bereite 2(nf länge
Sola cntl^alten foH, eine SReife nad^ ßonbon an, bie il^n für
i ndd)ftc 3rit bem (Sd)anpla^ ber (greigniffe entrücfte. g^^te
c^bem fein oon il^m felbft t)eranfbefd^n)oreneö ©d^tdEfal jtd)
Mt l^atte, fanb ^ä) baö oernid^tenbfte S^i^gnife gegen ^l^iliW
n DrteanS oon feiner eigenen ^anb gefd^rieben oor. 6§ toar
c feitbem oft angefülirte SBrief an feinen SBanquier, mit ber
rbre, angewiefene ©eiber nid^t auöjujalilen, benn „. . . Tar-
nt n'est point gagnä, le marmot vit encore«^).
©erfelbe ^erjog oon Drlean^S l)atte einft, oon 2Birabeau
red^enb, baö SEßort gebraucht, biefer l^abe nxdjt^ gu oerlieren ^).
er gleiä)e ©ebanfe fd^ien btn Sefd^ulbigungen gu ©runbe gu
gen, bie nid^t nur feine ®egner oon ber SRed^ten, nid^t nur
ounter ober 5ftedEer, fonbern aud^ Sa ^agette, obwol^l er
inigc Sage fpäter mit il^m in Unterl^anblung trat, je^t gegen
'irabeau erl^oben*).
aSerbad^tögrünbe gegen il^n bot freilid^ bie a5ergangenl)eit
nug. Dl^ne auf feine ,§altung unb bie SRebcn oor unb nad^
ti ©reigniffen oom 14. guli gurütfjugreifen, brandete man
:r baran gu erinnern, wie er nod^ in ben erften Oftobertagen
^) Lord Auckland, Journal and Correspondence, 11,364, Mr. Huber
Mr. Eden (fpötcr ßorb Studtanb), Paris, Oct. 15. 1789. Bacourt, Cor-
pondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 126.
2) ©^bel, ®cWt(§te bet SReöoIutiongaeit, I, 105, ^ott, na^ Ducoin,
ilippe d'Orl^ans, 72.
^) Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 129.
*) Droz, Histoire de Louis XVI., II, 342, «Rote.
458 ^^^^ ^on ^ixahtau unb Sa grat^ette.
Pd^ t)etppt(i)tct l^attc, alle ttrl^cbcr bcr „faftrilcgen Drgtc" ju
SSerfaiHeö unter ber SSebingung ju benuncircn, bafe bic ^rfon
be§ ÄönißS allein unt)erle|ilici^, alle anbem babct ©ontpromiti
tirten aber gleich verantwortlich öor bem ®efe^ jcin fotttcn,
SBorte, auö weldien nic^t allein bie Königin ben ©d^Iu^ jog,
bafe SÄirabeau il^r Seben bebrol^e. Slber, tt)ic gefagt, bie un*
parteiijc!^e S^ci^wng, bie in feiner ßaufbal^n jwifci^cn ftaatt*
männifc^en ©ebanfen unb 3lbjtci^ten, Slu§brüd)en ber Äeiben«
je^aft unb ftraflid)en Swgeftänbniffen an ben blinbcn Slbgott beS
3:agö unterfd^eiben mufe, l^at bennod^ nid^tS gefunbcn, xoq& bic
3Bagjd)ale feiner Verantwortungen burd) ben 35eweiS ber SJlit*
fc^ulb an ben Dftobertagen befd^toerte. ©eine Haltung un«
mittelbar nad^l^er war burd^auö nid^t bie eineiS 3!Slarmt&, bcr bic
Deffentlic^feit gu fc^euen get)abt ptte. 6r üerl^el^lte fid^ nic^t,
weld^er QnXDad)^^ an 9Kad^t unb ©influfe eiS für Sa fja^ettc
war, bie (äntfernung be§ ^ergogö oon Drläanö burd^gcfejjt gu
t)aben. Um ein ©egengewid^t J^ergufteHen, liefe er bcm ^cr*
gog, obwol)l tl)n ba§ ^ubltfum alö feinen 5Dlitfd^uIbigen bc»
jeic^nete, ba^ fül^ne Slnerbieten mad^en, il^n öffentlid^ in ber
3tattonaloerfammlung, unb gwar auf Äoften öon 8a f^a^ette gu
öertlieibigen. ©er SSorfc^lag fd)eiterte an bcr SBeigcning bcÄ
^erjogg, ber eö öorgog, ben ®rol)ungen beS 6incn unb bcm
faum minber gefäl^rlic^en Slnerbieten be^ Slnbem burci^ bie öcr*
becfte glud^t nad) ©nglanb jtd^ gu entgiel^en ').
aSalb barauf betraute baö oom ^arifer ©tabtrati^ cingefc^
Unterfud^ungöcomite ben ®erid^t§l^of beö ßi^ätelct mit SScr*
folgung ber Sßorgänge, bie eö d)arafteriftifd^ genug „bic SScr*
bred^en be§ 6. DItober" nannte, ©enn bie Commune öort
^ariö ftaub vorläufig nod^ gang unter bem (Sinflufe öon 2a
iJatiette unb fein 9lame becfte ba§ SBerf jeneö SagS^). mg
ba^ ßl^ätelet nad) gelinmonatlid^er Unterfud^ung, im augufi
0 Droz, Histoire de Louis XVL, III, 44 u. 127.
^ Maxime de La Rochetrie, Les Journöes du 5--6 Octobre 1789.
Revue des questions historiques, Vol. XIV, 1873. TOcnrnft^iß« ©QtftdiAg.
fftoUt t)on S0{irabeau unb Sa gfo^ette. 459
■790, bic gcrlciötlici^c SSerfolgung, nic^t nur beö §ergog§ öon
BrteanS, jonbcm auij bie oon 2Rirabeau üeriangtc, waren bic
99ctt)cifc gegen ben leiteten fo fc^mad^, bafe felbft 3Raur^ baö
ÄinerfannteO unb SUiirabeau Don Sa ^agette, alö bemienigen,
icr am beften barüber unterrichtet war, ba^ 33crfpred)en er«
JfkVt, er werbe in ber 9?attonalDerfamniIung ben wat)ren
©ad^öerl^alt befannt geben. Sll§ aber ber Sag fam, erfd)ien
2a ga^ette nid^t, unb 3Rirabeau [einrieb an be la SÄarcf: „3d^
{onnie geftem £a fya^ette ein unau§lö[d^lici^e§ 35ranbmal auf*
bräden, ba§ id) il^m bi^l^er nur üor ber ®efci^id)te beftimmt
l^attc. 3c^ tl^at e§ nid^t unb begnügte mid^ bamit, baö ©d^wert
gu güdfen, ol^ne ben §ieb ju führen. 3)ie ß^it ^ii^& ^^ ftcitt
meiner tl^un ". ®ie SBorl^erfagung l^at ftd^ erfüllt.
6beit ber SSriefwee^fel jwifd^en SJiirabeau unb be la 3Rarct, unb
bie SRotigen beö letzteren über feinen g^reunb red^tfertigen biefen
cbcnfo alö jte Sa iJaijette belaften. 2)e la 2Rard l^at mit nid^t
md^r angugweifelnber a3efttmmtl)ett bargetl^an, bafe Sa %a\)etk,
mit weld^em er einen Stlieil ber 9lad)t üom 5. auf ben 6. Dftober
iugebrac^t, ganj genau gewußt i)at, weld^eö ©d^trffal bie ®arbe§
Ou Corps erwartete, ba^ er aber ntd^tsbeftoweniger, ftatt SRafe*
"cßcln gu il^rem @d^u| gu ergreifen, bem (ärafen 5Jlontmorin
:>ie trügerifdie SSerjtd^erung gab, ba^ nid)t§ ben fjrieben jener
iHaci^t ftören werbe, unb [\ä) l^ierauf gur 3fiul)e legte 2).
3[uf folc^e ©ofumente geftü^t, t)at ber bcutfc^e ^iftorifer
^cr 9fiet)olution bie Slnflage gegen Sa iJa^ette gerid^tet, ben
Kuf öom 5. Dftober „©er Äönig nad) $arig" ni# nur fünft»
liä) l^eröorgerufen, fonbern aud), beüor er überl^aupt in ber
^auptftabt erl^oben würbe, gur ßrwedung ber ^anif nac^ SSer=
faiUeS gemelbet gu liaben^).
») Droz, Histoire de Louis XVf., III, 274.
^) Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I,
115-119.
3) ©^bet, ©cfd^id^tc ber 9flcöotution§3eit, I, 97—106. Sogcgcn ben
milbcrnbcn Umftanb, bag bicfcS SScgc^rcn fc^on ä" öerfd^icbenen 2j?alen, in
460 Xenlfd^iift oon äJittabeau an ben Stiniq.
9
3Ber bemnad^ l^eute nod^ ben ©lauben an bie riiterltd^e
So^alität öon Sa ^a^ette fcftgul^aUcn wünfd^t, wirb eine bcfferc,
als bie gtDeibeutige @ntfd^ulbtgung üon 9iit)aroI für i^n finben
muffen, ber, obmol^l über feine SRoHe toäl^renb ber Dftobcrtagc
nod^ unüollftänbig unterrid^tet, boi) \ö)on meinte, „SKangel an
SSerftanb jiel^e in gewiffen %&Utn alle g^olgen ber SBerlcl^rtl^eit
be§ $erjenö nad^ pd)''^).
3m fd^roffften ®egenfa| jur ^olitil öon Sa ^a^ette ftanb
ie^t bie öon 2Rirabeau. ®ie föniglid)e fjamilic war laum Dier^*
unbjwanäig ©tunben in ^ariö, al§ er bc la 9Karcf befd^wor,
Subwig XVI. baüon gu überjeugen, ba% er, bie ©einen unb
g^ranfreid) mit iJ)nen, öerloren feien, menn er bie ^auptftabt
nie^t wieber balbmöglid^ft üerlaffe. SSon biefem ©ejlc^t&punft
auö ift bie ©enffd^rift öom 15. Oftober üerfafet.
Sie erfüllt ber ®ebanfe, bafe ber Äönig unb blc SlffembKe
in $ari§ weber frei noc^ in @id)er]^eit feien unb bie S^^^inft
bort unbered^enbare ©efal^ren berge, weil bie ^au<)tjtabt, ber
Stgiotage unb Stnard^ie anlieimgefaHen, fid) felbft unb bad Sanb
mit ii)x in§ 33erberben giel)e. @ine Station fei überl^aupt nur fo
Diel wertt), alö fte Slrbeit tl^ue, lautet eine merfwürbige ©teile
be§ SriefS, unb ?5ranfreid) l^abe ftd^ ber Arbeit entwöl^nt. ^ülfe
fei öon ber au§ gang unoerträglic^en ßlementen gufammengefe^ten
aSerfammlung nid)t gu erwarten. Sie l^abe fid) felbft bm S8eg
gur Umfelir an bem Sag öerfd)loffen, wo fle bie ttnwibenuflid^s
leit il^rer SBefdjIüffe auSfprad^. Unter ben SRinijtem lommc nur
SRerfer in S3etrad)t. Slber aud) er l^abe ftetS mel^r ©ntl^uflaflen
alö eigentlid^e ^arteigenoffen gegäl^lt; in ifinangfac^en unfähig
unb beftruftio, erhalte er in ^ariö gwar nod^ einen ©d^ein bc«
SebcnS, aber um ben $rei§ be§ nationalen 9ftuinö. ©ie Stfldt«
fdjx gum Sllten fei unmöglid^. ®el^e ber Äönig an bie ®renge,
ber $auptftabt laut gcttjorbcn toax, bei Droz, Histoire de Louis XVI., II,
344 unb III, 18.
') Lescure, Rivarol, 223.
S)et ®raf bon gJtobcnce über öubtDtg XVf. 461
•
naäi 3Rd^f fo trenne er ^ä) oon ber 5Ration unb banfe ab.
SRid^t minber gefäl^rlid^ fei ein SIppeH an ben 3lbel; ber Sturj
bcS ^eubalftaateö fei bie ©ül^ne für je^n 3at)rl^unberte ber
SBcrlrrungen. ©aö SBolf aber miffe nod) nic^t jmifd^en SIbel
unb ^atriciat ju unterfd^eiben unb ttjürbe bie ©belleute erbar*
mung^Ioö niebermc^eln, wollte man etiua mit il^rer ,§ülfe eine
Siealtion gu betoirfen fnd^en. 35ie einjige SRettnng fei 33oIl=
enbung unb Sefeftigung ber SReöolution burd^ bie engfte aSer-
binbung be§ Äönigö mit bem SBolfe. 3)iefer möge alfo, nad)
geftfe^ung ber notl^wenbigen militärifc^en SWaferegeln, am offenen
Sag bie ^auptftabt öerlaffen, [\ä) naä) SRouen, inö ^erg ber
Sttormanbie, begeben, öon bort an bie ^roöinjen gegen bie 2:q=
rannei ber ^auptftabt appeUiren, bie Slffemblee gu jtd) befd)eiben,
unb gur SoHenbung ber ßonftitution eine nationale ßonöention
berufen, um ba§, waö in ber SSerfaffung fid) nid^t burd)fül)rbar
ertDcife, gu oeränbern unb gu üerbeffern. 2Die @d)n)ierigfeiten
beg $lan§ feien fein (äinwanb bagegen; nur burd) ®efaf)ren
entrinne man ber größten ©efal^r. 6ine Ärifi^ fei unoermeib=
®ie üon ben legten föreigniffen bei ber Königin gegen
SJlirabeau bewirfte Stimmung fd)lofe jebe Hoffnung auf il^re
SBermittlung gu ®unften feiner 3Sorfd)läge an^. @o würbe benn
bie 2)enffd)rift bem ®rafen öon ^roüence übergeben, unb e§
lä^t fid^ nid^t nad^meifen, ob jte überl)aupt gur Äenntnife be§
Äönigö gelangte, um fo weniger alö be la 3Raxd auSbrüdlid) ba^
©egentl^eil annimmt. 35amate mar eö, ba§ ber @raf oon ^ro-
oence, oon Subwig XVI. fpred)enb, ben 3Sergleid) gebraud^te, ber
SEBanfelmutl) feiner ftet§ med)felnben 6ntfd)lüffe fei geölten SöiHarb^
lugeln i)ergleid)bar, bie man oergebenö gufammen gu Italien fid)
htmüljt. OTirabeau bagegen fd)redEte felbft üor ber 2Wöglid)feit
eineö SSürgerfriegg nid)t gurüd. 8ll§ S)umont bie ©enffd^rift
ba§ 3^id)^n 3^ ^i"^^ fold^en nannte, meinte er, biefer miffe
') Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 364,
»lenner^ajfett, ^rau tjon (2ta6t. I. 30
462 SWtntfteriettc aomMnotfoticn.
eben nid^t, toie fcl)r granfrei d^ nod^ an bcr ^erfon beS Äönt^^
l^änge, wie burd^auö monard^ifd) ba<S Sanb gcftnnt fci. aB< — rM
Sa 3^ai)ette — 6romtt)ell'®ranbif|on, toie er feit bem 6. Dfto^Äbtx
oon H)\n fpottete — , ben SSßafl^ington jpielen, fo öerbiene er
gu ©runbe ju gelten ^). 3» ^^ l^ 9JiardE fagte er ebenfaJT ^attS,
ber Sürgerfrieg erneuere bie Seelen unb gebe il^nen bie bii -m^ irdj
©iUenlojtgfeit öerlorne ßnergie wieber. grangofen fei cd ft^krtct^
um ®elb ober Slemter gu tl^un. Saffe 6in§ ober baS gnir Jere
jtd) üom Äönig enoarten, fo werbe balb feine Partei toicber We
Dberl^anb gewinnen. 2lud) ba§ fal^ SWirabeau, bafe nid^tö /^<^
erreid)en liefe, fo lange fein ftarfeö, energifd^e^S SRinifterium ^^
ber @pi^e ber ®efd)äfte ftanb. ®ie näc^fte 3^^ würbe bi^ ^^
SBerl^anblungen aufgefüllt, bei weld^en beinal^e feber Sag n-^^^^
Gombinationen brad)te. @d)on anfangs September l^attc ^^^^
3)eputirte oon Sli?: im Courier be ^rooence baö SBerlangen i3f ^
ftellt, bie aSerfammlung möge ben SSefd^lufe, ber bie SKinip*^^^
oon it)ren Seratl^ungen au§fd)lofe, gurüdne^men. ®ann rul5^^^^
bie @ac^e wieber einige ^t\i, unb im Sauf beö Dftobcr gW -
9Jtirabeau ba§ SJtinifterium, um feinen 3«^^^!^^ öbw fcfn-
@d)wäd^e unb Untf)ätigfeit befteJ)en gu laffen, abermals an^
3ugleid) aber üerl^anbelte er wieber mit 5RedEer, l^icrauf uiff
bem Suftigminifter (Sice, (ärgbifd^of oon SSorbeauy, unb liefe
ftd) burd^ Sa gatiette gu SKontmorin bringen. 2)ie Am
ftd^ten wiberfprad)en ftc^; ^Jeinbfeligfeit unb gegenfcitigeS
SKifetrauen erfd)werten bie Unterl^anblungen. SEaUc^ronb, ber
greuttb be§ Kaufes Stael, war ber 3lnjtc^t \^^%^ folange Siedet
im aWinifterium verbleibe, überliaupt feine lebenSfäl^ige Ab*
miniftration gebilbet werben fönne. Seine ©ntfemung fei eine
35ebingung sine que non; xoo^^ Sa g^aqette betreffe, fo l^abe er
gar feinen ^lan-). Sie Uneinigfeit war längft biä in ben
@d)ofe be§ SUlinifterium^ gebrungen. Sice intriguirte feit 3Ro*
0 Duinoüt, Souvenirs sur Mirabeaii, 164.
^) Jared Sparks, Gouverneur Morris, I, 333.
aRhabeau n&l^ert fid^ Sa gfa^ette. 463
tiotcn gegen 9?ecfer; Saint ^rieft, ber cnergijd^fte unter ben
SRittiflern, galt für ganj unjuüerläfjtg ; SUiontmorin töoHte baö
€Jute, aber er l^atte feine SBiKenSlraft, eö burd)juffil^ren. SRecfer
t)cr[u(]^te nociö einmal, mit 3Kirabeau jtd^ abjupnben, ol^ne mit
il^m jufammengclöcn ju müjfen. @r liefe il^m burc^ Sa fja^ette
ben ©efanbtfd^aftöpoften in ^oKanb ober @nglanb anbieten unb
eine Summe bis gu fünf jigtaujenb g^ranfen jur SBerffigung fteHen,
um 9Jlirabeau auö ben ärgften ©elböerlegenl^eiten gu l^elfen. ®iefer
aber wollte pefuniäre Slnerbietungen burd^ eine grofee ©teHung
motirtrt wiffen. 6r wies Sllleö gurüdE biö auf eine ©elbfumme,
bie iebod^ gleid^faHS U)ieber gurücferftattet mürbe ^). ©d^on um
bie 9Ritte Dftober mar SJlirabeau burd^ 5Rerfer'S Haltung mieber
fo aufeer JRanb unb SSanb gebrad)t, bafe er pd^ nun gang Sa
%a^tüe näl^erte unb bie fjäben ber Sntrigue burc^ biefen biö
gur Äönigin reiä)ten. @r oerfd)affte ber (gitelfeit beö ßomman»
bauten ber 5Rationalgarbe ben Sriunipl^ einer Düation ber S8er*
fammlung für il^n unb 35aillQ, am 2:ag mo biefe in §ßariö il^re
erfte ©i^ung l^ielt. ®ann brängte er ben ©iftator, mie je^t
8a f^a^ette genannt mürbe, gur Silbung eines it)m gang er*
gebenen 9Kinifterium§. 35ie 9lote üon feiner |)anb, über bereu
Snl^alt 9KorriS fd^on am 12. Dftober berid)tet, refonftruirt
baS ©abinet mit nieder als erften SWinifter, „bamit er ebenfo
ol^nmäd^tig merbe, als er unfäl)ig fei; bie legten SRefte fetner
Popularität aber bod^ nod^ bem Äönig gu ®ute fämen". 6ice
mar gum Äangler, ßiancourt als per[önlie^er ^Jreunb Sub»
mig'S XVI. gum ÄriegSminifter auSer[el)en; be la SJiard erl^ielt
bie SJlarine, SaHcgranb bie ginangen. SJiirabeau trat ol^ne
Portefeuille inS SUiinifterium, ebenfo Sa ^^a^ette als SWarfc^all
oon g^ranfreid^ unb ©eneraliffimuS, mit bem Sluftrag einer
Sleubilbung ber Slrmee. 2lud^ SMounier'S mar gebadet. S)aS
^rojeft berul^te auf einer SlHiang aUer Sialente. 3n einer
0 Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 353,
387, 395-396.
80»
464 SSefi^ergretfung bet jhrc^engüter bun^ bcn Staat
gtDeiten 97ote erhielt ZaVitX)xanb ba^ Slu^tDärtige, @ieQ68 ben
ttntcrrid)t *). ®cr neuen JRegicrung foHtcn bie ?DKttcI gu einem
jiarfen SRegtment baburd) an bie $anb gegeben werben, bafc
3Rirabeau, immer Dom ©ebanfen auögel^cnb, ^ariS fei ber
grofee ,§erb ber 3lnard)ie, ber SBerfammlung gleich nadf bem
6. Ottober ein ftrengeS, aber auf bie ^auptjtabt befd^ränfte*
Ärieg^3gefe| in 3Sorfd)lag gebradit unb l^lerauf bie Sefrciung bcS-
©taatöl^auölialtö üon ber brüdfenbften feiner finangieücn Saften^
ber ftetö antt)ad)fenben fd^ttjebenben @d)ulb, öerfud^t l^atte. ffiicr
auf S^iltörung gerid^teten abfici^ten ber SReöoIutiott fottten auf"
biefe SBeife ben 3^^^^^ ^^^^^ gi^^fe^n, lebenSfäl^igen $ottti
bienftbar gemacht toerben.
aSom 10. DItober batirt Sallegranb'^ Antrag auf »ept
ergreifung ber Äird^engüter, ben gunäd^ft ein Sud) öon ^u^fägu
über bcnfelben ©egenftanb angeregt l^atte^). 5Dlirabeau »u^t
gang genau, in n)eldf)er SBegieliung biefer Sd^ritt gu ben in ©ani
bcpnblid^en Unter^anblungen ftanb unb l^atte aud) in ben b
ftimmteften SBorten ein Portefeuille für il^ren SlntragfteHer al
^reiiS bafür bejeid^net^), fo ba% mären biefe Unterl^anblung
geglücft, bie 4 9Jlilliarben, auf meldte man ben SBertl^
Äird)engüter i)eranfd)lagte ^), gugleid) baö $fanb gemefcn mären^
baö Salletiranb ber SReoolution beim ©intritt in il^re S)ienft^^
geboten ptte.
SKirabeau feinerfeitö l^ielt gmar bie frangöpfd^e j(ird^e fütr
üerloren, billigte aber biefen ungel^euren ©emaltaft ebenfowenig
als er ben 4. Sluguft ober bie Dttobertage gebilligt l^atte, unb
nannte il^n, nad)bcm er Don ber Slffembl^e öoHgogen loorben
mar, bie giftigfte SBunbe unter allen, bie bem Sanbe fd^on ge*
*) Bacourt, Correspondanco entre Mirabeau et de la Marck, I, 411 —
412. Mal Oll et, Mcraoires, I, 373.
-) Jules Simon, üne Academio sous lo Directoire nac^ Bachau-
mont, Memoires secrets, V, 148 ii. ff.
^) Bacourt, Correspondauce entre Mirabeau et de la Marck, I, 411.
*) Taine, Origines, L'ancien Reijime, 18 — 19.
SRirabeau'd Antrag t)om 6. 2fiot)tmhtt, 465
fd^Iagcn »orbcn feien ^). SRadibem aber oon einem SInberen
ber Änftofe baju gegeben n?orben war, unterftfi^tc er ben SBor-
fd^Iag, bie Äir(f)engüter gur Verfügung ber SRation ju ftellen,
unter ber Sebingung, bafe fte unter einer gang getrennten äJer«
töoltung alö ^^otl^el für bie ttjenigftenS tJ^eitoeife SRüdjal^lung
in Äaffenfd)etnen ber fd^webenben @(i)iilb oenuenbet toerben
foQten. 3m SSerlauf biefer ©iöfufftonen über bie i?inanggefe^=»
gebung war eS, bafe ÜRirabeau ben ß^itpunft ju einem entfd^ei*
bcnben @(i)ritt für gefommen erad^tete. 8lm 6. Sloöember fteHte
er ben breifa(f)en Eintrag, bie SJiul^e öon ^ari§ burd^ Slnfamm-
lung öon (äetreibeüorrätl^en gu jtc^em, bie @taat§fd)ulb fünftig
^ner befonbem SBerwaltung ju übertragen unb beöor bie Sßer*
Raffung barüber entfd^ieben l)abe, ben 5Düniftern il^ren Pa| in
ber 3Serfammlung mit beratl^enber Stimme gu geben. 6r fonnte
l^offcn, tro^ beö 3Biberftanbö ber Siedeten unb ber äufeerften
Äinfcn, burc^ bie SJtad^t feinet 2ßorte§ bie ßi^Ptomung feiner
übrigen ßoßegen gu gewinnen, wenn ber §of, ba§ 9Jlinifterium,
unb befonber§ Sa iJa^ette burd) feinen 6influfe auf bie gemäßigte
8infe, il^n babei unterftü^ten. S)iefe ©rwartung würbe getäufc^t.
3Ran fal^ im SBorfd^Iag öon SJlirabeau nur bie ®efal^r feiner
eigenen (grt)ebung jur Sßac^t; bie Sinfe fefete eine SBertagung
ber Slbftimmung burd) unb am näd^ften Stag, 7. 3flot)ember,
bedte fid^ £anj[uiuai§, „einer ber et)rlid^ften unb tl^örid^tften
3Renfd^en in g^ranfreid^" -), mit bem großen 5Ramen öon ^Jionteö«
quieu, um burd^ ftarreö geftl^alten an einer Stl^eorie, bie er
burd)auö mifeöerftanb, bie aSerwerfung be§ SlntragS burd^jufe^en.
(gr üerl^el^lte feinen Slugenblid, wie wenig eine ber widi)tigften
conftitutioneHen ?5ragen bei biefer ßntfc^eibung in§ (äewid^t fiel,
inbem er bie 3Borte an bie a5er[ammlung rid^tete: „6in bereb*
1) ÜWirobcau an SDlauöiUon bei ©^bcl, ©eft^ld^te ber SftcöoIutionSacit, I,
114. Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 358.
»rief öom 11. DItober 1789.
2) iRiebubr, ©efd^it^te beS 3eitatterS ber Oteöofution, I, 226.
466 anirabeau'S ^ntta^ t)om G. 02ot)ember.
famer ®cniuS gicl^t Sic mit jtd) fort unb bel^crrfd^t Sic.
würbe er md)t oermögcn, märe er erji SKimjier!"
Umfonft entgegnete SUKrabeau mit fd)neibenber Srontc, bi
SSerfammlung möge baS Oefefe annel^men unb nur ifyx felbft^
ben 2)e^)utirten oon 2lif, unb feinen ®egner Sanjuinai« öorK:-
feiner SBirfung auSfd)Iie6en. Wlamtf unb b'6§premdnil, ©ic^e^^
unb SKontlofter, ©uport unb [RobeSpierre, fiametl^ unb Samaüe ^
fanben ftd^ plöfeUd) einer ÜReinung. ©ie @d^Iad)t ging öcrIorerK-
unb mit il)r bie 5[Ronard)ie ^).
3m aufPammenben S^rn barüber l)at SÄirabcau 3ttdatr
oor 2inen unb näd)ft il^m ßice für bie SBenbung oeranttoortlic^
gemad)t, bie ftd) in ber 3taäjt öom 6. auf ben 7. Sloüember tir
ber Stimmung ber anfangt unfd^lüfjtgen ©eputirten DoQgog.
aber er überzeugte ftd) balb, bafe ber eigentlid^e ©d^ulbtgc fein
anberer al^ berjenige mar, meld)er „bie gegen il^n eingegangenen
SBerpfIid)tungen aud) bei einer frül^eren ©elegenl^eit ntd^t gcl^attcn
l^atte", nämlid) ber ®eneral Sa g^a^ette^).
©elbft nad) bem SSefd^lufe Dom 7. JloDember gab SJIirabeau
baö Spiel nod) nid)t ganj Derloren. SBenn er wirllid^ not^«
wenbig fei, äußerte er bamalö, fönne unb merbe er bod^ no^
gur Wlaäjt gelangen. S)enn entmeber muffe bie SlffembUe
baö ©efret in 33ejug auf bie 9)linifter gurücfnel^men, ober bie
[Reöolution merbe ftd) nie befeftigen. Um einen bauemben
33unb beö Äönigtf)umö mit bem SSolfe l^erjujietten, fei Je^,
nad) S3ernid)tung beS ^leruS unb nad^ S3änbigung bed Uüklä,
noä) ein SerftörungSmerl gu öoHbringen ; bie ^Parlamente müßten
geopfert merben. Sann aber fei eö genug unb bie dtegeneroiion
ber föniglid^en 3lutorität muffe beginnen.
Sufofern biefes Programm ein SBernid^tungSmerl begtoedte,
0 Madame de Stael, Considerations, XII, 350. Bacourt, Gor-
respondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 130. Droz, Histoire de
Louis XVI, 111, 64 u. ff.
^) Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 423.
ÜJiirabcau an Sa ga^ette. SBricf öom 1. ©cjcmbcr 1789.
©tura bcT Parlamente. 467
gelang cj8 balb genug, ©d^on am 3. Sloöember beantragte
91. bc Santetl^, nebenbei bemerft einer ber aKerentfd^iebenften po^
Ittifd^cn ©egner öon SRirabeau, bie Parlamente auf unbeftimmte
Seit gu öertagen, fie, wie er fid^ auSbrüdte, „lebenbig ju begraben'',
bis bic aSerfaffung eine neue ®erid^t§orbnung begrünbet l^aben
werbe, ©ie legten ^roteftationen ber öerurtfieilten „ariftofratifd^en
^Oflagifiratur" l^alf ÜRirabeau burd) eine feiner l)eftig[ten 3fieben
am 9. 3anuar 1790 erfticfen, unb in ber 3tt)ifd^enjeit mar eö, baf;
er Sa fja^ette bod^ nod^ ju einem energifdE)en @ntfd)Iu6 gu
bringen öerfud)te. ®er ©ebanfe einer 9iJlinifterpräjibentfd^aft
bei5 @rafen öon ^roöence taud^te auf, mufete aber balb mieber
aufgegeben merben, meil ber ^riuj pdf) unjuöerläfjtg unb, nad^
bem Urtl^eil öon ÜRirabeau, and) ganj unfäl^ig ermieö, mäl^renb
fein Sreunb ©umont fid^ ber Sln|tdE)t anfd)Iiefet, bafe ber ÜRar^^
quiS öon gaöra^ alö f)eroifd^e§ Dpfer perfönlid^er ^läne be§
^rinjen feinen Äopf auf ba§ ©d^affot getragen l)abe. ©benfo un»
möglid^ ermieö e§ fid^, mit 2a ^a^ette jum ßiel ju fommen. ©ein
©elbfioertrauen f)atte ftd^ in ehtn bem 2Rafe befeftigt, aU 8llle§
um tf)n ^er in§ SBanfen geriet)^. 9lid)t nur, ba^ er e§ ben
glücflid^ften ©rfolg nannte, „ben Äönig in @i(i)erl)eit in ben
Suilerien ju miffen" ^), er glaubte ftd) auc^ mel)r afö je im
©tanbe ber ^auptftabt gu gebieten, feit ber 3Jiorb eineö SäderS
bie 5RationalDerfammlung üeranlafet i^atte, am 21. Dftober ein
Äriegögefe^ für gang ^ranfreid^ gu belretiren, al^nlid) bem=
icnigen, meld^e^ SRirabeau für ^ari§ allein Derlangt l)atte. @o
lange er aber bie ^auptftabt gu bel)errfd)en fd^ien, glaubte er
aud) bie 3fiei)oIution lenfen gu fönnen. @ö fd^meid^elte feiner
6itelfeit, öon SJJirabeau ummorben gu tt)erben unb mit il^m gu
oerl^anbeln; bie 9[Kad)t, bie er in feinen §änben glaubte, mar
er aber um fo meniger mit einem Slnbern gu tl)eilen gemiUt,
als er bie unget)eure ®efaf)r ber Sage t»erfennenb, ftd) in trüge*
rifd^er Sid^er^eit miegte. ©er ^ergog öon Drlean^ mar ent»
») La Fayette, Memoires, III, 217.
468 ®*Iw6 ^«s 3aSi^«ß 1789.
fernt, SRonjteur contpromitttrt, Jlecfcr uxbxanijt, bcr Äönig i
feiner §anb. SRirabeau fürd^tete er beSl^alb nidjt, weil er il^
tief öerad)tete; Sametl) galt il^m al§ ein Intrigant; Söamao
unb ©uport aU politifd^ anfällig ^). §anb in $anb mit biefe
©eringfc^ä^ung ber ^erfönlid^feiten ging ba§ blinbe SSertrauer«:
in bie 9Jfad)t ber S:f)eorien. Qu feinem nid^t geringen ©rftaune«:
oernaf)m SJiorriö im Januar 1790 bie Sel^auptung auS fctncn«:
SRunbe, ba^ bie Jlationaloerfammlung, unerad^tet mand^cr SRife^
griffe, bod^ eine ßonftitution ju ©tanbe gebrac{)t l^abe, „un«^
öergleid^Iid^ bef[er al§ bie englifd^e". ®er Srief an SÄounietr
öom 23. Oftober 2) war nur ba§ lurje 2lufleud)ten einer befferei«
(Sinftd^t gewefen; feine Orunbanfd^anung blieb burd^auS reoo==
lutionär. 9lod^ am 23orabenb beö 6. 3ioöember l^attc 5!JKrabcau
feinem g^reunb be la ÜRarcf gefd^rieben, er l^abe Sa fja^ettc
burd^fd^aut unb if)n ebenfo unfä{)ig gefunben, ein SBortbrud^ ju
begef)en afö gu red)ter 3^it Söort ju l^alten. Äaum öier
SBod^en fpäter unb er fd)rieb biefem felbft unter bcm ©nbrudt
ber bitterften ©nttäuf d^ung , »ergebend l^abc er il^n öor ben
flippen gewarnt, an weld^en er afö ber erfte jerfd^ellcn werbe.
®urd^ feine Stellung geblenbet, öon feiner Unentfd)loffen]^cit unb
feiner SBorliebe für unbraud^bare SRittelmäfeigleiten wie öon einem
aSerpngnife t»erfoIgt, werbe er ftd^ felbft unb ben Staat mit
i^m in§ SBerberben reiben ^).
3BäI)renb ber näd^ften SRonate trat bie Sii^ätiglcit t>on
SRirabeau t^erljältnifemäfeig jurüd. Sine tiefe (Sntmutl^igung
war über \i)n gefommen. ©einer geinbe fonnte er $err werben ;
aber bie eigene 35ergangenl)eit, baö fül^lte er wol^I, war nid^t
JU überwinben, unb an im SBunben, bie er ftd^ felbft gcfd^lagen
l^atte, mufete er ftd^ verbluten.
^) La Fayette, Memoires, II, 443, 458. Jared Sparks, Gouver-
neur Morris, I, 338 Leouzon-Le Duc, Correspondance diplomatique du
Baron de Stael-Holstein, 154, S)cpcWc ffto. 145.
2) @. l^icr Kapitel VI, 453.
^) Bacourt, Correspondaace entre Mirabeau et de la Marck, I, 417,
423—424.
aWorriS über fjrou öon (2tael. 469
So ging in gegcnfeitiger 55einbfd)aft, in SKifetraucn unb
©ontplottcn ba§ ^al)x 1789 gu ©nbe, an beffen Slufregungen
nnb aScdöfelfäncn Saron @tael mxb feine ®attin bi« julefet
bctl^ciligt blieben. ®er fd)tt)ebifd)e ©efanbte ift tt)ieber{)oIt
ate einer berjenigen genannt, bie ben Sefpred)ungen bei
2a %ar)dk anmol^nten ^). Um bajS iJeben nnb treiben in ben
^arijer @aIon§ nnb if)ren ©inflnfe anf bie Sage^fragen jn
fd)ilbem, öerweift ein fo aufnter!famer Seobad)ter tt)ie 5IKorriö
auf ba§ fd^webifd^e ®efanbtfd)aft<ol)6teI. (gr l)atte gran t>on
6taäl im i&crbft bei ber ©räfin Seffe lennen gelernt unb njar
tl|r mit SBorurtl^eilen gena{)t, bie ein näl)ere5 33efannttt)erben
nid^t alle gcrftreute. ?lid)t nur, bap bie Slrt ber ßofetterie ber
jungen ®ejanbtin il^m mifefiel, er fanb fte in if)rem gangen
Auftreten ju beftimmt unb felbftbett)ufet. 2lud^ il^r ßultuö für
5lcdEer war fo, mt er ftd^ äußerte, burd^au§ nid)t geeignet, bie
Sl^cilnal^me öon 9Jiorri§ gu ern)ecfen. 3Benn er fte fagen
l^örtc, SBeiöl^eit fei fürn)a{)r eine feltene ®obt unb fte fenne
nur einen matirl^aft it^eifen 30?enfd^en, nämlid^ it)ren 3Sater,
fo galt bem Slnterifaner eine fold)c Sleufeerung alö ber ^öi)t'
punit ber SSerblenbung^).
Stber balb mufete aud^ er geftel^en, ba^ er fte öon wunber-
barer Segabung unb frei öon aKen gen)öl)nlid^en Sorurtl^eilen
bc§ 3:age§ finbe. „^i)x ^aue", fd)reibt er im Januar 1790 an
SBaf^ington, „ift eine 2lrt öon SJiufentempel, wo bie geiftreid^e
unb öorne{)me SBelt ftd) graeintal in ber 2Bod)e jum Souper,
einmal, unb l^äupg audE) öfter, gum Siner einfinbet. Unter
anbcm la§ un§ bort ®raf (5lermont==S:onnerre, ber gu ben beften
Sficbncm ber SRationalöerfammlung gel^ört, eine Slblö^nblung öor,
bereu Qtütd bie Seweiöfü^rung xoax, bafe unter bem SSegriff
ber ©träfe bie öoHe, legale (Sompenfation für erlittenen @d)aben
ober begangene Serbrec^en gu öerftel^en fei, bie ®efeUfd)aft
^) Ja red Sparks, Gouverneur Morris, I. 328.
2; ebcnbafelbft, I, 212, 324, 335.
470 ^in^ d^Qtaftertftifd^e Scene in il^tem Salon.
aber fein weitere^, moralifd^eS Süci&ttflwngiSrcd^t bcfl^c. Sn
golge beffen [oHe 5. 33. ba§ Slnbcnfcn cine§ ©cl^cuftcn iDicbcr
gu e^ren fommcn, benn feine ©c^ulb an bie ©efeüfd^aft fei
burd) feine Einrichtung abgetragen. 6benfo müffc S^manb,
ber ju ftebeniöl^riger Oaleerc öerurtl^eilt worbcn fei, nad^ Slb-
büfeung biefer Strafe fo aufgenommen werben, al8 ob nid^ti^
t»orgefaKen märe. @ie merben läd^eln, aber bcbenlen @le, bii^
gu meldbem öftrem bie Sad^e in ber entgegengcfe^tcn Stid^tung
getrieben morben mar. ®ie ©ntel^rung Saufcnber megcn ber
@dl)ulb eineö ©injigen mufete jebe^ pttlid^e ©efül^I fo tief tjer^
le^en, bafe nun fold^e Slnfd^auungen in bie SDlobc gefommen
ftnb. ®er SSorfd^lag mar fd^ön, fentimental, patl^etifd^, in l^ar*
monifd^e Sorm gefleibet. 6r erntete raufd^enben SSeifaD unb
rürfl^altlofe Swfttmmung. 3llö 3ine§ fo jiemlid) öorflbcr mar,
fagte ic^ gu ßlermont^Sonnerre, feine SBorte feien gmar l^in*
reifeenb, feine 3lrgumente aber nid^t befonberö ftid^l^altig gcwefen.
SlUgemeine^ 6rftaunen! (ginige meinerfeitS i^ingugefflgtc Se»
merfungen änberten bie Sage ber ©inge oottftSnbig. ©eine
5luffaffung marb je^t öermorfen, unb er oerliefe balb barauf bie
®efeUfd)aft. SdE) braud^e laum l^inguguffigen, bafe bie Sflcbc bt*
je^t in ber aSerfammlung nid^t gel)alten morben ift. Unb
bennod^ gehörte fie gerabe gu benjenigen, bk einen SScfd^lufe
burd^ 3lffIamation gu ergielen pflegen, ^ij erinnere nur an
5ledfer'§ 33orfd)Iag ber ©rünbung einer Jlationalbanf, bei »cld^em
Slnlafe e§ 3enianbem einfiel, in Slnregung gu bringen, ieber
®ei)utirte möge feine ftlbernen ©d^ufifd^nallen l^ergebcn. S)a8
mürbe augenblidlid^ befd)Ioffen unb ber SlntragfteHer war ber
erfte, bie feinigen auf ben Sifd) beS i&aufe§ niebergulegen" ^).
@in nod) fdE)IagenbereS SSeifpiel märe 2Rorri« ju ®ebot
geftanben, l)ätte er baran gebadE)t, SBafl^ington bm 33ricf |ener
©efaHenen an bie ßonftituante gu citiren, in meld^em c8 l^iefe,
i^r, bie gur Siebe gefd^affen morben, fei eS gelungen, ©ummen
^) Jared Sparks, Gouverneur Morris, II, 89.
ßlermont'Sonncttc unb bcr Jpcraog öon ÖeöiS. 471
gu erübrigen, bie pe l^iemit bem SSaterlanbe gu ©ebote ftette.
SEBorauf bie SBerfammlung eine el^renöolle ©rwäi^nung be§ be=
trcffenben granenjimmerö befd^Iofe nnb ßonborcet über bie 33er*
nld^tung bcr SSorurtl^eile jubelte, woburd^ Seute oon ber 3lrt ber
aSricfftellerin unb @d)aujpieler bem ©d^ofe beö 35aterlanbe§
gurüdtgcgeben feien ^). ©iefe unglaublid^ erfd)einenbe unb ganj
xinbered^enbare S3e[timmbarfeit ber ©emütl^er unb ©ntgünbUd^»
Ictt ber iföpfe l^at ben unparteiijd^en, feinen i&erjog öon ii^oiö
jur Semerhing öeranlafet, bamalö, wo Solbaten regierten,
Slic^ter ^olitif, Siteraten Oefe^e machten, Slbbe'ö bie ginanj
abminiftrirten, l^abe bie a3ertt)irrung einen fold^en ®rab eneid)t,
ba% Sfliemanb mel^r übrig geblieben fei, um über biefelbe ju
lad^en^). Unter fold)en 33erl^ältnif[en war e§ burd^auS nid)t
gleid^gültig, in weld^e SBagfd)aIe ba§ ®en)id^t ber perfönlid)en
SWeinungen unb Urtf)eile geiftreid)er, lebl^after, für bie l)errfc^en=
bcn Sbeen begeifterter grauen fiel.
aSon ben brei großen Slngelegenl^eiten, weld^e bie 6om
ftituante im 3Binter unb grü^ja^r 1790 befc^äftigten, ber 3fleu=
eintl^cilung granfreid^ö in 83 Departemente, ber Sernid^tung
bcr ^Parlamente unb bcr Sejt^ergrcifung ber Äird^engüter burd^
bcn Staat, l^at grau öon @tael inSbefonberc mit le^terer grage
fld^ oiel unb eingef)enb befd^äftigt. ©d^on bamale, wie fpäter in
bcn 6on|tberationö, war il^r ©tanbpunft im wefentlid)en bericnige,
bcn Sturgot in btm für bie ©nc^flopäbie oerfafeten Slrtifel »Fon-
dations» einnal^m. 3n bemfelben finbet jtd) bie Slnjtd^t öertreten,
bafe bcr Oefefegebung ba§ 3ied)t juftcl^c, wenn baö ©emcinwol^l
c^ ocrlange, ßorporationen aufjul^ebcn ober il)re 3»^^^^ i^
anbcm. 6r Ijatte ben SSeweiS gu führen oerfud^t, bafe e§ wiber=
finnig fei, Stiftungen, mit anbern SBorten Sd^öpfungen beS
aSßitlcnS cinjelner ^erfönlid^feiten, al§ etwas Unantaftbareö gu
bctrad^ten, unb er l^atte fpäter alö 2Rinifter gegen weltli^e
0 Condorcet, Memoires, Paris 1824, II, 36.
*)Duc de Levis, Souvenirs et portraits, 1780 — 1789. Paris,
1819, 99.
472 S)i« ^^«^ grofecn polltifd^cn ^Probleme öon 1790.
ßorporationen biefer 2lnfd)auun0 gemäfe gcljanbclt. 35ic ffrage
felbft ber blofeen 33ela[tung be§ ÄirdicngutS burd^ bcn Staat
tt)urbe xoäijxtnb ber öer^ältnifemäfeig jo lurgen ©auct feine«
ÜRinifterium^ öon il^m gar nid^t berül)rt. Um il^n l^er aber
öerfäumte man nic^t, weiter ju gel)en alö er, unb mit auf feine
Slutorität ftd) berufenb, nad) unb nad^ bis jum @d)lufe gu ge*
langen, bafe baö Vermögen beö ÄleruS, als einer Äörpcrfd^aft
t»on ©ienern beS Staates, nid)t anberS benn als blofec ©ntfd^ä*
bigung für geleiftete ©ienfte ju betradE)ten fei. @o lange ber
ÄleruS als bem (Staate notl^wenbig gegolten l^abe, fei fein Slnfpruc^
barauf berfelbe tt)ie g. 33. jener ber 3lnnee auf il^ren @olb gcwcfen.
üiun fei baS anberS geworben unb mit ber ©ntbel^rlid^feit ber
©ienftleiftung l^abe aud) baS Siecht auf ^Remuneration für biefelbe
gu beftel)en aufgel)ört. Qu biefen oerberbenbrol)enbcn ©opl^iSmen
beS .^affeS, nic^t nur gegen alteS Äird^lic^e, fonbcrn gegen
jebe religtöfe Snftitution im allgemeinen fam jcfet bic ©elb«
nott) auf ber einen, auf ber anbem Seite bie öerlocfcnbe SluS«
jtd^t, il^r burd) Säfularifation beS Äird)enguteS ju fleuern, baS
gmar burd^ mand)e Untoürbige feinen Qxoedm entfrembct, nid^t
aber, wie ein großer Slieil beS abeligen 35cPfet^umS, »er*
fd^leubert unb oerloren gegangen war. (gS gibt ben SÄafeftcib
ber Stimmung gegen ben ÄleruS, bafe pd^ ein Sifd^of fanb,
um feinem eigenen Staub in materieller i&inftd)t ben SobcSjioB
ju geben unb i^n, wenn aud^ nic^t ol^ne ©ntfd^äbigung unb
finanjieHe SBorbe^alte, oon ber erften Stelle im Staat in bic
fUdijtn abhängiger, befolbeter g^unltionäre ju öerweifen. Sm
©egenfa^ gu il)rem 3Sater, ber gu ben Söenigcn gehörte, bic,
wie ber ianfeniftifd)e Slboofat ßamuS, baS 33eP^rcd)t beS ÄlcruS
feftl)ielten unb oertt)eibigten ^) , geigt ftd) grau öon Staöl
ben Sbeen il)reS greunbeS SaUe^ranb geneigt. Sic fragt,
auf bie Slrgumente oon S^ouret unb ßf)apelier in ber ßonpi«
') De l'administratioii de Monsieur Neck er, par lui-meme, VI, 276
unb 142, unb feine S^cnffd^rift an ben ilönig öom Wai 1790.
grau t). ®tael über bie ^efi^ergretfung ber j^ird^engüter. 473
teante Pd^ bcrufcnb, mit meld^em 3ied)t ber 2Rcnfd) für feine
ScfHmtnungen ewige Sauer in SInfprud) ju nel^men wage, unb
»ic c5 möglid^ fei, in ber Siad^t ber 3^4*^« nic^t mel)r nad^-
metSbare JRcd^tStitcI gu fud^en, um fte ber lebenbigen SBernunft
mtQt%miVi^a\kn^ ^) 6§ war bie§ ber ^unft, an weld^em fte,
bie ^roteftantin , Pdi) im ©efü^l erlittenen llnred)t§ mit ber
Kcöolution begegnete. @ic empfanb baSfelbe nid^t nur al*3
SKitglieb einer fo lang unb bitter verfolgten Äird)e. SBic
tlc e§ fpäter unöerl^ol^Ien auSfprad), fam ba§ ©efül^l l)inju,
ba^ am firc^lid)en aSerbot ber (Sl^e mit 3lidt)t!atl^olifen il^r
eigene!^ 2eben3gIüdE gefc^eitert fei. SBäl)renb Jlerfer in fold)en
^)erfönlid^en 5iJiotioen einen ®runb ber 3iinirf^öltung unb um
fo gered^teren Unterfd)eibung fanb, greift feine Sod)ter auf bie
®cfd)id^te ber religiöfen aSerf olgungen , auf bie (Seuennenfriege,
auf bcn SBiberruf beö ©bifte^ von 9iante*^ jurücf, um ben
größten SRepräfentanten ber franjöftfd^en Äird)e, um Soffuet für
J>cn a3unb ber Sntoleranj mit bem 25e§poti§mu§ öerantwort*
Xid) jU mad^en unb ber Äird)e, bie \i)n einging, baö 3fied^t il)rer
I^cöorjugten Stellung im Staat abjufpredjen. @o intolerant eine
-fold^e Sd^lufefolgerung felbft wiebcr mar, erfannte grau oon
Staöl bafür um fo rid^tiger, ba^ eine ber §aupturfad)en bes SBer=
fällig ber 3fieligion in granfreid) „in ber 3?erbinbung ber ©ogmen
mit ben ^rioilegien", in ber „93ermifd)ung Don @Iaubem5artifeln
mit bem politifd^en Sefenntnife'' gu fud)en mar 2). ^ijxc a\x\^
rid^tige Siebe gur gretl)eit führte fie mieber auf ben red)ten
SSeg, als ber Singriff gegen ben Äleruö nid)t mel)r bem Sejt^
unb ben meltlid)en ©l^ren, foubern bem ©emiffen beSfelben galt.
3n il^ren fpäteren Slufgeid)nungen wie in it)rem perfönlid^en
SScrl^alten mäl^renb beö 3al)re§ 1790 mad)t ftd) übrigen^, wenn
aud^ il^r felbft unbewußt, baS aHmälige ßw^rftreten be§ @tn=
') Madame de Stael, Considerations, XII, 355 — 3G2. Jared
Sparks, Gouverneur Morris, I, 335. 3J2orri§ an Sßaf^iuöton, 4. 9ioöem6er
1789.
2) Madame de Stael, Considerations. XII, 299, 355 u. ff.
474 9{edfer'§ SQlZetnung f^at fein ®ekoi(^t mel^.
Puf[eS oou Jlcdfcr'ö Slnfd^auungen auf jtc fül^lbar. SBd^rcnb er
jtd^ öon bcr crften ©teUe im Staat mel^r unb tnc^r jur Slottc
eine^ pafpöen Qn^ijantx^ ernicbrigt fal^, lag cS im SBefcn bcr
©inge, bafe grau öon @ta6l, obwol^l fic mit immer gleicher
SetDunberung gu il^rem 3Satcr cmporblidfte, bod^ Don ©cbanlen*
ftrömuugen erfaßt mürbe, bic ber jmingenben Slotl^mcnbigleit
entfprangen, ba§ 3fiettungömerf ber ©efellfd^aft, meld^eS ber gu
Soben gemorfenen [Regierung nid)t mel^r gelingen lonnte, unab*
l^ängig t)on il^r gu unternel^men.
©enn mit beut ®elret t»om 7. SRoüember war iebcS SQlini»
fterium in g^ranfreid^ gur Untl^ätigleit üerurt^eilt, inbem bie
aSerfammlung ftd^ eiuerfeits weigerte, bem ÄSnig SKinifier ani
i^rer -Bütte gu geben, anbererfeit^ aber gu regieren glaubte unb
boc^ feinen ©el^orjam gu ergmingen mufete. SlHeS Slnberc ergab
jtd) barauS unaufl^altfam unb öon jelbft. g^anfreld^ bcbecfte
jtd) mit einem $eer oon SSeamten, bic tl^atfäd^Iid^ nur öon ber
3iationaIt>erfammIung abl^ingen. ®a§ SQäal^lred^t, m&l^renb bcr
gangen reoolutionären ^eriobe nad^ ben Dcrfd^icbcnften S^ilemen
ausgeübt, fam beinal^c bem allgemeinen ©timmred^t gleid^, ba
e§ ftd) auf öier SRiHionen aftiubürgcr crftredftc, wenn e8 aud^
burd^ 3lufred^tl^altung eineö niebrigen, burd^ bic SScrfajfung oon
1791 auf ben Sol^n oon brei SlrbcitStagen ennäfeigten (SenfuS
bie oon ben -JKenfd^enredjten erträumte oöHige ©letd^fteHung Der«
weigerte^). @o gelangten bereite 1789 bie Scfifelofcn jugletd^
gur politifd)en ÜRad)t unb gum ©ntfc^lufe, bicfelbe gegen baS
6igentl)um gu gebraud^en. ©agu oerlegte bie plöfeli^ gewährte
fd^ranfenlofe ^refefreil^^it unb baS ebenfo unbebingtc SSereindred^t
bie eigentlid)e Seitung ber öffentlid)en Slngelcgcnl^citcn in bie
6lub§ unb in bie Journale.
®er bretonifd)e 6(ub, immer nod^ oom Sriumoirat ©u«
port — Sametl) — SSamaüe geleitet, tagte feit Dftober im
Safobinerf (öfter gu ^ariö, unb berfelbe ©uport, bcr ^anlretd^
^) Jules Simon, üne Acad^mie sous Je Directoire, 289.
S)ic Slationalöcrfammlung tcgicrt. 475
bewaffnet l^attc, gab eine neue ^robe jeineö Salenteö, bie Un*
orbnung gu organiftren, inbem er je^t in ben ©epartementö,
unter bem Flamen patriotif d)er ©ejellf d^aften, jtd^ mit SBerbinbungen
unb Agenten oerfal^, bie mit feinem ^arifer 6lub jufammen
o^)erirten, bie ©emütl^er in ©ä^rung, bie Seibenfd^aften wac^
erl^lelten, gugleid^ für ©pionenbienft unb ^ropaganba forgten,
unb bie a^ätigfeit rul^iger, befonnener, orbnungöliebenber 33ür-
ger fo unmöglid^ mad^ten, bafe bie SJiitglieber unb Slnl^änger
be§ fölubS ber i&auptftabt balb bie eigentlid)en Ferren ber
Situation würben, bis fte il)ren SRad^foIgem unb SEobfeinben,
ben Salobinern, in bie ^änbe fielen. %xa\x t>on ©tael öergleid)t
biefen 6Iub mit einer 2Rine, bie jeben 3lugenblid baö SSeftel^enbe
in bie Suft fprengen fonnte ^). ^m Slpril 1790 jmar mürbe ber
33erfud) gemad)t, il^m burd^ einen anbern, bem (5lub öon 1789,
ben Sa ga^ette, SSaill^, Sa [Rod^efoucaulb, SEalle^ranb, 6I)apelier,
Sloeberer grfinbeten, SRirabeau unterftfi^te unb ©ie^eö präft*
birte, ein Oegengetoid^t ju fd^affen, aber wie fortan aKe SSer*
fud^e, ben entfeffelten ©trom ju bämmen, fd)lug aud^ biefer
fel^I. „©ie Slufgabe, gu erl^alten, ju befdl)ränfen, ju oerbieten,
ift'^ , wie grau oon ©tael t>on eben biefer ^Bereinigung mit ooHem
Sfled^t bemerlt, „bie Slufgabe ber ^Regierung unb nid^t bie eineö
©lubS". Sie fonnte bieSmal um fo weniger gelingen, al§ ber
©egenfa^ gwifd)en ©uport unb Sa ga^ette, ober ber gwifd^en
Samaoe unb SEaHetiranb, burd^auS nid^t in ben ^rincipien,
fonbern im Äampf um bie 3Rad)t lag. ^ier wie bort wollte
man bie SReöolution, unb l)ier wie bort woHte man jte be*
l^errfd[)en. ©ine SSerftänbigung mit ben conferoatioen Äräften
war überbieö nid)t benfbar. SBie l)ätten SJlänner oon ber
dl)aralterfeften ßl^rlid^feit eines 5!Kalouet ober (Slermont^Sonnerre
mit 21. be Sametl^ ober ©uport gufammenwirfen fönnen, Don
weld)en ber unbebeutcnbe Sametl^ il^nen feines raftlofen 6l^r=
0 Droz, Histoire de Louis XVJ., III, 102—103. ©^bel, ©cfd^id^tc
ber SflcöoIutionSaeit, I, 121. Madame de Stael, Considerations, XII, 400.
476 ©TÜiibunG bcr iSAiiH öon 1789.
geiles uieiien aU ebcufo unjiiuerläBlid) wie gcfä^rlic^, bcr an=
bcre, Suport, aU ein Jaimtifer ijalt, ber um fein Qkl ju er*
reicl)en, aud) ber Süge fid) bebiente ^).
5^ie praftifd) n3o()lt^ätig[te Schöpfung ber Gonftituante,
bie 9tefürm ber Siifl^J» uerlor burd) bie Slbfe^barfeit bcr
iRid)ter unb i^re Söa^l burd) ba^ 3}olf miebcr bie gröBtc
i()rer Segnungen, bie 2(ueitd)t auf Unab()ängigfcit unb SBcftanb.
23ät)renb t>a^^ Sanb mit fieberl^after §aft umgcftaltct XDurbc,
blieb bem nod) immer bem Okmen nad) an bcr Spi^c bcr @e=
fd)äfte fte^enben ü)Jiniftcr feine anbcre Stufgabe, alä bie täglid)
ann)ad)fenben Äoften ber JRcuolution ju bcjai^lcn, öon bcuen
man bered)net, ba^ ber Unterhalt bCiS ^arifer Proletariats allein
bem Staat monatlid) auf mel^rcrc ÜRillionen gu ftcl^cn fam-).
9lecfer ^atte ben Seputirten am 6. SWärj mitjutl)cilen, bafe baS
Seficit für bie näd)ften ]ed)^3 9)?onatc 294 9Ktnioncn betrage.
S)ie 9}ürfd)(äge, mit me(d)en er bicfe ©röffimng begleitete, »aren
begreiftid)er 3Seiic nid)t met)r Don ber früheren 3ut)cr|td^t burd^*
brungen. Grfprad) jefet non feiner burd) fooiclc Sorgen erfd)üttcrtcn
®efunbt)eit, Don ber 9^otl)menbigfeit einer ©rl^olung, wenn aud^
nod) nid)t oon ber eine» 3fiüdftritt^5. 6r bat bie SBcrfammlung,
bie c^ Dermeigcrte, i()m eine au^5 xijxmx Sd)ofe gemäße ginang*
commijfion ^ur Seite ju geben, bamit bie 3Seranttt)ortung nid)t
mc()r auf il)m aHein lafte. -Stuf feine ©elbforbcrnngcn war feit
iH'ooember mieber[)oIt mit bem ^rojeft entgegnet worben, ftatt
ber ©rünbung einer burd) b^n Staat garantirten 9tetionalbanf,
mie D^edfer fie beabfid)tigtc , bie Sid)crl)eit für neue Slnleil^cn,
unbnor Slßem für ßmifftou be^5 ^apiergclbeS, im SBcrfauf ber
^irc^engüter, in erfter ßinie ber Äloftergütcr , ju fud)en. @*
') Malouet, Meinoire.s, I, 2S1. Leouzon-Le Duc, Correspondance
diplomatique du Baron de Starl-IIolsteiii, U4, ©cpcfc^c Slx. 136. Galerie
hislorique des contemporains, IV, 281, A. Duport.
-) A. Sorel, L'Kurope et la Revolution fran^aise, I, 206. Spbel,
«icic^id^tc bcr SficDoIutioii'^^cit, I, 130.
^tdtt unb bic ginanslagc. 477
gereid^t 5Rccfcr ju ©l^re, bafe er bieSmal mberftaub. ©r gab
fiä) Dom finanjtellen ©tanbpunft au§ feiner S:äufd)ung barüber
l^in, bafe ol^ne öorl)ergel)enbe ^Regelung ber SBertoaltung unb
aScrwenbung be§ Äirdienfonbö, tote jte and) SRirabeau uergebenS
verlangte, fold)e SBorfc{)Iäge nur jur Sßergröfeerung be§ a^iuinS,
gut Slf|tgnatentt)irtl^fd)att, unb enblic^ jum SSanferott fül^ren
lonnten. ©enn toäl^renb man bie @d)tt)ierigfeit ber SBeräufeerung
bcr ^rd^engüter unterfd^ä^te , gab man ftd^ über bm SBetrag
bcS Äird^enöermögenö felbft feiner geringeren Säujd^ung l)in.
(Sinen Sil^cil be§ ju erl^offenben ®ett)inne§ erwartete man jubem
bcreitö oon ber ^erabminberung ber Soften für ben Unterhalt
bcS @ultu§, tt)a§ fd)on bie Umgeftaltung ber inneren fird^lid^en
SBcrpitnif[e mit einfd^Iofe. ®enn ehm bie SluSpd^t, mittelft
ber ßonjtöfation il^reS 3Sermögen§ bie Äird^e jelbft töbtlidE) gu
treffen, brängte bie Sinfe öoran. Seiber l^atte SIedfer, um biefe^
neue SBerberben abjun)enben, nur ^aHiatiomittel ju bieten. Sie
©iölontofaffc, mit beren §ülfe er bi§ je^t tJorjug^tücife operirt
l^atte, mar felbft überjd^ulbet unb gegen ben 3Sorfd^Iag ber
©rünbung einer Sflationalbanf fprac^ ber Umftanb, bafe ber
Staat, ber jte garantiren foHte, feinen Srebit mel^r i^atte^).
35aS ©efret öom 19. 35ejember, melc^eö öorläufig ben 33erfauf
üon Äird)engütem bi§ jum SSetrag öon 400 ÜRiHionen gegen
SluSgabc t»on Sljjtgnaten anorbnete, mar bennodt) ntd)t a^\xx\)tnbcn
gewefen, aber öorläupg baburd) in feiner 2lu§fül)rung gel)emmt,
bafe e§ nid)t gelang, für bieje plö^Iid) unb ju fo ungünftiger
3eit auf ben SRarft gemorfenen ©üter Käufer ju finben. Stuf
bicfen Umftanb I)offte bie 9^ed^te unb gäl)lte SReder felbft jur
©urd^fül^tung feiner SBorfdjläge, al§ bie ^^arifer Commune ein«
griff unb ber @adE)e plö^Iid) eine anbere SBenbung gab. ®ie
Seforgnife, eine unöergleid^lid)e ©elegenl^eit ju ©unften beö Um=
fturgeS öerloren gel)en ju laffen, neranlafete fte gum Slnerbieten,
') Jared Sparks, Gouverneur Morris, IT, 94.
39Iennct]&attett, 5rau ton (5taöL I. 3X
478 ^^^ ^dgabe t>i)n 91fftgnaten.
Äloftcrgütcr im Setrag oon 200 SWillioncn unter gewtffen, il^r
günftigen Sebingungen ju übemel^men ; ein gleid^eS erflärten ftc^
anbere ÜRunicipalitäten gu tl^un bereit, unb fo »urbe ber SBer*
fauf be§ gei[ttid)en SSeft^eö biö jur ^öl^e ber 400 SBKttionen
gejtd^ert. 9liemanb fonnte ftd^ mel^r oerl^el^lcn, ba^ eö nur ber
erfte ©d^ritt jur @ingiel)ung be§ gejammten Äird^engutcS war.
SBergebenö erbot ber Äleruö je^t, bie gleid^e Summe alö
^^potl^el auf feine ®üter gur 33erfägung ju [teilen. 3Wan ent-
gegnete, feit bem SSefd^lufe be§ 2. Sloüember i^abe er fein Se«
ftimmung^red^t über ba^ jur ©iöpofttion ber Slotion gefteHte
Äird^enöermögen öerloren, wie eö benn überl^au|)t feit bem
27. Sunt feinen befonberen geiftlid^en ©taub mel^r in ffranfreid^
gebe. 2)ie entfd^iebenften SSertl^eibiger ber geopferten Äirdje
fäl)Iten, bafe bie ftürmifd^en Äämpfe, bie je^t in ber Slffem-
blee folgten, bod^ »ergebend fein würben, ©en le^en SSer*
fuc^ jum ^Jriebcn oon ©eiten eineö frommen, gläubigen unb
bemofratifd^en Utopiften, beö Äart^äuferS ©om ®erle§, bie
fatI)oIifcl)e [Religion al§ bie beö frangöjtfdben SBolfeö gu erflören,
beantwortete ÜRirabeau inbem er mit ber ^anb nad^ bem Scnjler
be§ Souöre geigte, öon weld)em ^erab ber glintenfd^ufe eineö
Äönigg ba§ 3^id)en gur 33artl)olomäuSnad^t gegeben i^abc. @«
war öorbei. 2lm 14. unb 17. Slpril befc^lofe bie 6onftituante
Sefolbung beö ÄleruS unb SSeftreitung be§ 6ultu8 auS ©taati^*
mittein, @ingiel)ung beö gefammten Äird)enguteS unb SluSgabe öon
2tfftgnaten im Setrag oon 400 3KiIlionen. Nieder geftanb fid^ unb
2tnberen, ba^ bie Slbminiftration beö ©taat^oermögen« bamtt ouö
feiner $anb in jene ber SRationaloerfammlung übergegangen fei.
©eine Slnftd^t über bie SJforalität beö ©efd^e^enen blieb bie gleid^,
aber wie an fel^r oerfd^iebener ©teile ber unreblid^c SSerwaltcr
ber Älugl^eit wegen gelobt ift, mit weld)er er fid^ burd^ ba«
ungered)t (grworbcne greunbe im UnglüdE ftd^ertc, fo glaubte
5lecfer bie^mal ba^ ©efd^idE bewunbern gu foHen, mit weld^em
bie 23erfammlung ber ©ituation begegnet fei, inbem fie, fiatt
auöftänbige ©teuern einguforbern ober bereu neue aufguericgen,
(^naiel^ung bed Rn^tnüexmbQtni, 17. 8(pril 1790. 479
ll^rc ^o^)uIaritSt burd) ^rciögcbung bef[en gerettet l^abc, was
il^r nid^t gcl^örtc^).
9lur nod^ wenige SBod^en, unb ber Sürgerfrieg ubemal^m
an Sledfer'S ©teile in biejem 5ßunfte oor allen bie aSerurtl^eilung
1)cr ^olitil ber ßonftituante. grau öon ©tael l^atte an bie
"SluSjtd^t ber Segrünbung einer parlamentarifd^en [Regierung in
gronfreid^ bie Hoffnung gefnüpft, ba^ eö il^rem 33ater gelingen
iperbe, als 3fiebner in ber 3lffemblee nid)t nur eine Sßartei um
fid^ ju öcreinigen, fonbem aud^ über benjenigen ju triump^iren,
üon bem fic jo rid^tig fül^lte, bafe er bie gange Sebenöfraft ber
Sieöolution in fid) concentrire — über 5Kirabeau ^). ©ic
3;dufd)ung war um jo größer, als grau Don @tael bie wunber*
bare Swjammenje^ung biejeS Talentes, „auS Äraft unb Drigi«
nalitdt, auS Sitterfeit unb 3^^onie" erfannte, beffen unöer«
gleid^lid^e ÜRac^t über bie ^örer nid^t gum wenigften barin
tefianb, bafe eS ftd) gu mäßigen wufete, ba^ „^Jlirabeau auf
ber Sribünc öor SlHem imponirte" ^). 9tur aufeerorbentlid^e
33ebtngungen öeranlafeten bei il^m bie l^erauSforbembe 2tpo*
ftropf(e, baS Slufleud^ten ber unöergleid^lid^en , momentanen Sn*
'f^)tration, ber bie ßonftituante faft niemals miberftanb. @egen
•ein fold^eS {Rebnertalent mären bie SBorte Jledfer'S, ber münblidE)
tüic fd^riftlid^ in langen SluSeinanberfe^ungen jtd) erging unb
über bie gefüf)lDolIen SRebenSarten ber Qdt faum gu eri^eben
tüufete, bod^ mirfungSloS oertjaHt. 9Ran fei eS mübe, Nieder
ftctS l)on feiner 3fieblid)fcit fpred^en gu I)ören, fd)rieb ber nad^=
l^erige berül^mte ^mi\t SRomiH^, ber 1789 in ^^JariS t>erlebte,
ttad^ einer f old^en Slnfprad^e SRecf er'S feinem greunb ©umont *).
^ubem war beS SRinifterS eigene Uebergeugung, bafe feit ben
*) De radministration de Monsieur Neck er, par lui-meme, VI, 142.
2) Madame de Stael, Consid^rations, XI, 264.
8) Droz, Histoire de Louis XVI, III, 288, S«otc, naä) ben Sendeten
Don QtitQcno^tn. Duc de Levis, Souvenirs et Portraits, 217.
*) Memoirs of the Life of Sir Samuel Romilly, I, 378. SBricf an
©umont, ©cjcmbcr 1789.
31*
480 O^Au ^^^ 3tael über fUtdtx unb ä]>liiabeau M 9lebnet.
Cftobcrtagen bic Scroal^rung bcö Äömge oor perfonlic^er ®t^
fa^r unb in golgc beffen bebingungslofc Untcrrocrfung öor bcr
affcmblec geboten feien ^), wenig baju angct^an, Screbfamfcit
ju ent^ünben. Semeife baoon gaben bie Sieben, bie eS Sleder
geftattet mar, bei befonberen ©elegenl^eiten an bie SBerfammlung
gu ricl)ten, unb me()r noc^ biejenigen, bie er für bcn Äönig
oerfaBte. 3lm 4. gebruar 1790 l^atte Subwig XVI. auf ben
SRat^ feines SRinifterS in einer foId)en Slnfprad^e an bic 5Bcr*
fantmlung ^u ©ntrac^t unb grieben aufgeforbert unb Serfic^e«
rungen opferroiltigen t?^[t^alten§ an ber Gonftitution gegeben,
bie jroar nid^t öerfel)len fonnten, bie ^erjen für bcn Slugcnblicf
iju rüt)ren unb eine jener geräufc^öoKen S)emonftrationcn l^cr»
öor^urufen, meldte ber Gonftituante geläufig waren, aber axn
Sauf ber Singe nid^t ba^ geringfte ju änbern Dermod^tcn. 6S
gehörte überf)au^t gum SSerl^ängnife ber ©ituatton, bafi bie
föniglid^e @a(^e jmar immer noc^ jal^lreid^e Slnpnger, aber feine
Slat^geber l^atte. 3Benn Siioarol burd) ben 3ntcnbanten ber
föniglic^en ßiüilüfte, Sa ^orte, Dom 9iHonard^en confuttirt
würbe, gab er gur Slntwort, ber Äönig möge mit bcm SBoIf,
wenn e§ fein muffe, aud^ mit bem ^öbel gelten, ben abel opfern,
ben Klerus nid^t öertl^eibigen ; in ber 2Roral gel^e man burd^
ungeredi)te §anblungen, aber in ber ^olitif burd) ffel^Ier gu
©runbe. 55a§ Stecht fei ber auf ^adit geftfifete Seftfe; fei ein»
mal bie 2Rad^t öerloren gegangen, fo fei \>a^ Siedet nid^t mc^r
gu retten, gür ben ^öbel gebe e§ fein erleuchtetet 3>^l^tl^unbert.
»Dites au roi de faire le roi«, liefe er il^m burd^ SRoIed«
l^erbeö fagen^). ©eine tiefe Sßerad^tung ber gelben beö Sag*
unb beS reöolutionären ®leic^l^eit§ibeal§ öeranlafete il^n gum
3fiatl^ an ben Äönig, ftd^ ber 9fieDolution als eines SBerfgeug*
gu bebienen, baS einmal öerbraud)t, nid^t fd^neU genug weg«
geworfen werben fönne. ©iefer diati) ift aUerbingS befolgt
') De radininistration de Monsieur Necker, par lui-meme, VI, 167.
'^) Lescure, Rivarol, 255 unb 195—197.
2){e ffiat^Qchtx be« 5^önigd: SJflbatoI, Sa gfa^ette, WoniS. 481
toorben, aber nid)t öom tnilben, imentfdöloffcncn £ub=
tüiß XVI., fonbern öon ber gebornen ^err jd^ematur , öon So^^
nctpartc. JEBcnn man bann bei $of, t)on ber 9lotl^ gebrängt,
feine Slntipatl^ie übertoanb unb £a ^Ja^ette befragte, fo er{)ielt
man, auS ganj entgegengefe^ten SRotioen freilid^, ben gleid^en
JBcfd^eib. Sein blinbeö SBertrauen in ben 6rfoIg ber fRtoo^
lution, feine Uebergeugung üon ber Slotl^njenbigfeit aller burd^
f e angerid(teten S^^pörungen unb t)on bent SBertl^ ber ®aran=
ticn, weld^e fte ber g^^eil^eit bietet, gipfelte, »ie ber ^afe
üon SRiüarol, in bem @a^: „®er Äönig an ber ©pi^e ber
^Bewegung''. Slbtt)eicf)enb baöon »ar unter benjenigen, bie
feine fR&dtc^x gum Sllten, fonbern nur ba§ praftifd^ 9KögIid^e
wollten, bie Stimme üon ®ouüemeur 3Rorri§. ®urd) ben
Ärgt ber Äönigin, SBic b'Slg^r, liefe er auf beffen SSerlangen
bem Äönig eine ©enlfd^rift einl)änbigen, bie t)om ©ebanfen
geleitet mar, ßubmig möge nid)t nod^ einmal t)on ben bittem
grfld^ten loften, bie fein perfönlid^er SSerfel^r mit ber 3(lational=
öcrfammlung il^m eingetragen, fonbern ben gegenmärtigen ßu*
Ponb ftd) abnfi^en laf[en unb felbft in abmartenber Stellung
öerl^arren^). SRorriS tijat xntijx al§ ba^ unb forberte öon Sa
Sa^ette, baS ßommanbo über bie 9lationalgarbe niebergulegen,
weil er leine mirflid)e Slutorität mel^r über biefelbe bep^e^).
ßS mar öorauögufel^en, bafe eine fold)e Slufforberung fein ©el^ör
finben mürbe, mol^l aber fül^rte jte gur ©ntfrembung gmifd^en
beiben unb SKorriö begab jtd^ im Sluftrag feiner Stegierung für
eine S^it nad^ ©nglanb.
9Ran ftanb mitten im ereignifeüollen grül^jal^r 1790. ß«
ben innem Sd^mierigfeiten famen je^t äufeere ßontplifationen.
8[m 10. gebruar f)atte Äaifer Sofep^ IL, ber 3[Kenfd)enfreunb
unb gefrönte Sünger ber ^f)ilof opl^ie , ermattet unb enttäufd^t.
»)La Fayette, Memoires, II, 439. iBricf an Söaf^ington öom
12. Sonuar 1790.
*) Jared Sparks, Gouverneur Morris, I, 339.
«) ebcnbafclbit, I, 351.
482 ^^e äußeren (Somt)I{Iaüonen.
bic mübcn Slugen gcfd)loffen. 2ln bcr (ärcnjc feine« Sfleld^ö, in
IBelgien, tobte, t)on il^m entfeffelt, eine Sfteöolution ju ©unften
ber 6rl^altung unb SBiebererlangung altöerbriefter Siechte, bie
mit ber ^Bewegung in gtanfreid^ nur wenig gemein l^atte, aber
wie biefe, ba§ Sanb in Slufrul^r öerfe^te. 2e|tere8 genügte,,
um il^r, bie öon 5ßrie[tem, ©belleuten unb friebliebenben Sür^
gern geleitet war, bennoc^ bie ©^mpatl^ien üon üa ga^ette unb
feiner ^reunbe gu gewinnen, bie jtd^ gegen aUe ©oibeng bem
©lauben i^ingaben, ba^ biefe 9iet)oIutton, bie ^xi ©unften bei^
gejct)ici^tlic^ begrünbeten 3fied)te§ begonnen worben war, f[(i^ mit
ber übrigen öerftänbigen werbe. 9lber aud) im ©d^o^ beg fran*
jöjtfdöen 3KinifteriumS begann man, bie auöpd^t auf Ärieg atö
Befreiung aus ber unerträglid^ geworbenen inneren Sage 8U be^
trad)ten. 9!Jiontmorin, ber auswärtige SKinifter, war nic^t
weniger geneigt, in einem Streit gu ©unften Spaniens gegen
©nglanb gu interoeniren, als Sa ^a^ette bereit war, nid^t mir
in aSrüffel für fein ^J^eilieitSibeal, fonbern aud^ in Slmftcrbam
gegen ben mit Snglanb üerbünbeten Dränier baS ©d^wert auS
ber @ct)eibe gu giel^en 0- 2öie ber [Regierung ben Slnla|, wteber
eine bewaffnete 2Jlacl)t in bie §änbe gu befommen, fo bot bcr
Ärieg bem ©eneral Sa ga^ette 2luSftd)t auf perfönlic^en Srfolg
unb erneuerte Popularität. SluS benfelben ©rünben warfen Mc
Safobiner, burd) il^re ^eerfolge in ber Slffembl^e, auf ben Sri»
bünen, in ber Strafe, im „3lmi bu 5ßeuple" öon 3Rarat, il^ren
gangen ©inpufe in bie entgegengefe^te SBagfd)ale. SftobeSpierre, bem
ber Ärieg bie §errfc^aft bringen foUte, benuncirte il^n öorläupg
nod) als eine 33erfd)wörung ber Äönige gegen bie SSöller, unb
es fam in ber 3lationaloerfammlung gur großen SSer^anblung
über baS 3fled)t, Ärieg unb ^rieben gu fd)lie6en.
SBorl^er war, anfc^einenb wenigftenS, ein anberer fJricbenS»
fd)lu§ erfolgt, ber gwifd)en ber 3Konard)ie unb SKirabeau.
®raf ^öiercq nämlid) , je^t ©efanbter Äaifer Seopolb« am
0 A. Sorel, L'Europe et la Revolution fran^aise, II, 54, 61, 93—95.
^ed jlönigd fRcä^t über jhieg unb Stieben. 483
^of fdncr ©d^toeftcr, l^attc im 3(prtl burd) bcn (ärafcn be la
SWatcf, unb gwar, auf bcfonbcrn SBunfd) bcö ÄönigS, ol)nc
fUlcdfcr'S SBomtffen, feine Slnnä^erung an ben ^of öermittelt.
@d mar il^m gelungen, bie j^önigin bat)on gu äbergeugen, ba^
2Rtrabcau leinen Slntl^eil an ben SBerbred^en beö 6. Oltober ge=
^aBt l^abe, unb einmal barüber beru{)igt, überwog il)re perfön«
li^e Slbnelgung gegen Sa ^Ja^ette bie Sebenfen einer 33erftän=
bigung mit 9Rirabeau. ©ein SSater, ber alte 5Rarquiö, >rami
des hommesc, war (Snbe 1789 geftorben, ol^ne bafe biefer Stob
ffir ben Slugcnblid wenigftenö bie finangieUe Sage feinet @ol^ne§
wefentlid) üerbefferte. @r ging alfo barauf ein, ba^ ber Äönig
feine Sd^ulben im Setrag üon 208 000 giöreö jaf)lte unb il^m
flberbieS 6000 Siöreö monatlid^ gur SBerfügung ftettte. ©er
©mpfang fold^er Summen wäre bem @l^rgefül)l eineö unbe=
fc^oltenen SKanneö unerträglid) erfd)ienen; 3Kirabeau fe^te fid^
mit bem ©ntfd^ulbigungögrunb barüber l^inauö, ba^ an feiner
^jolitlfd^cn Haltung nicl)t^ baburd^ geänbert werbe, gnfoweit
er, ol^ne feine Popularität gu gefäl^rben, bafür wirfen lonnte,
»ar er längft ein Anwalt ber föniglid^en Prärogativen, ©e la
SKard ergäl^lt öon feinem greunbe, bafe er feit lange fct)on bie
Äage be§ Äönig§ öiel brüdEenber alö biefer felbft empfanb^).
gubwig XVI., ber geborne 3Ronard^, betrad)tete bie Serminbe«
rung feiner Verantwortungen alö einen perfönlid^en ®ewinn.
SEBcnn tJtau t)on @tael üorauöfe^t, bafe eö einem Äönig nic^t
möglid) fei, in 3Rad)tlofigfeit jtd) gu ergeben, fo urtl^eilt fie nad^
bem perjönlidien ®efül)l2). ©er gnfel gubwig^ XIV. würbe in
jebe erträglid^e Sage gewilligt l)aben. SJlirabeau bagegen wollte
ein ftarleS Äönigt^um, nid)t minber gur ^dt alö er, üon ber
?!Ronard)ie gurüdgeftofeen , feine Popularität burd^ Dppofition
gegen jte fd^uf, als je^t wo er pdf) gal)len lie§, um, wenn ba§
^) Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 150.
A. Sorel, L'Europe et la Revolution fran^aise, E, Les plans de Mirabeau,
39, 46.
2) Madame de Stael, Considerations, XI, 336.
484 aJItrabeau'd üf^erbinbung mit bem $of.
fiberl^aupt nod) ntöglid) mar, bcn Sl^ron gu retten. 3n btefer
ju fpät eingegangenen SlHianj xoax merfwürbigcr SBeife ber
Sl^eü ber anfrid^tige , ber feinen Äopf babei riöfirte; bie
^albl^eiten, ber 9Rangel an SBertranen, bie öerle^cnben ©m
fd)ränfungen, bie beftänbige Unentfcf)loffenl^eit waren auf Seiten
berjenigen, bie bem Sßerberben entriffen werben foHten. 9Ran
weife wie SOtirabeau Don ber Begegnung, bie il^m SKarie
Slntoinette am 3. SuH 1''90 ju @t. 6(oub gewäl^rte, aU enfc
I)uftaftifd)er 3Seref)rer ber Königin, ,,beö einzigen SKanne«, ben
ber Äönig gur ©eite l)abe'', wieberfel^rte, wie er ftetS barauf
guriidffommt, ba^ um il^r Seben ju retten, auc^ il^rc Ärone
gerettet werben muffe. 3Rit ber einen fei aud) ba^ anbere
öerloren. Slber bie in i^rer 3Ba^l nid)t öorjtd^tige unb eben
beöwegen fo pft getäufd)te g^ürftin geigte ftd^ leineS bleibenben
3Sertranen§ mel^r fällig, (gin SBeweiö bafür war gerabe bie
^ergogin öon ^olignac, bie ftd^ if)rer ®unft nid)t mel^r erfreute,
al§ ber ^afe be^ ^öbelö fte gwang, beSwegen inS Äuölanb gu
fttel)en ^). 3Ran l)ätte glauben follen, bafe wenigftenS ®raf SKerc^,
ber treubewäf)rte ©iener i{)rer faiferlid^en SKutter unb i^r
eigener ^reunb unb Seratfjer feit il^rer frül^en Sugenb, bicfer
wed)felnben ©eftnnung nid^t unterworfen war. Slber wir wiffen
burd) bie Königin felbft, bie e§ 1792 gegen bie ^crgogin Don
Sourgel äußerte, bafe fte SRerc^ ber ©efüJ^lIojigfcit mit il^rem
©d^icffal giel^ unb nid^t minber öon il^m al§ üon il^rcm eigcnt*
lid)en SSertrauten, bem S3aron SBreteuil, getäufd)t worben gu fein
Derjtd)erte. Sreteuil, fagt fte, ^abe ftd) [tetS nur burc^ ©elbft*
fud)t beftimmen laffen^). SBenn aud) bie ^ärte foldjer Urtl^elle
gum guten 3:{)eil auf 5Red)nung beS UnglüdES gu fe^cn i[t, fo
I)atten 9^edfer unb felbft Sa ^a^ette, bem bie Jtönigin in
befferen S^W^n gewogen war, bie gletd)e SBanblung ber ®tim«
mung erfal^ren. nieder war burd) alle ©tabien ber @unft unb
') Duc de Levis, Souvenirs et Portraits, 134.
'^) Ducbesse de Tourzel, Mömoires, II, 106.
SDlirabcau'S SBctbinbung mit bcm $of. 485
Ungnabc gegangen^), ©ie unübeTOinblid)C Slbneigung, ber inftinf*
txDc SBibcmiUc, ben 9Rarie Slntoinette feit aSeginn ber SReöolution
gegen ßa ^a^ette entpfanb, ^at feine geringe JRoUe in berjelben
gcfpielt. 3n biefem ^unft wenigftenS fd)ien bie Uebereinftimmung
3Wifd)en il^r unb 5Rirabeau gejtd)ert. ©ennod^ üerl^inberte
btefe Slbneigung nid)t, bafe, wä^renb fd)on bie SBerl)anblungen
mit SKirabean im @ang maren, ber Äönig jtd) bnrd^ feier=
l\ä)C^ aSerfpred^en t)erppicl)tete , in allen conftitutioneHen fragen
Sa ga^ette fein üolleö SSertrauen gu fdjenf en 2). 3Bie bie 3Rinifter
über bie SSerl^anblungen jtt)ifd)en biefem unb ber i?rone, fo »urbe
je^t ti)ieber SKirabeau über bie %xaQ\odk ber bamaligen S3e=
giel^ungen beö Äönigö gu Sa ga^ette in Unfenntnife gelaffen,
t)erfud)te aber au§ eigenem 3mpul§ unb mof)! miffenb, ba^
man aud) ®egner öerwertl^en muffe, if)n für feine ^olitif, für
bie Bereinigung il^rer Äräfte gur ^Rettung be§ Staate^ gu ge=
wimten^). @§ gelang if)m ebenf omenig al§ |td^ be§ SSertrauenS
gubmig'§ XVI. unb ber Königin ööllig unb bauernb gu
öerftd)ern. So blieb benn nid)t§ al§ ba^ ungel^eure 3Bag=
nife, bie 9Wonard^ie tro^ be§ §ofe§, bie ^Jrei^eit tro^ ber
gafobiner, bie fociale ^ierard^ie tro^ be§ Slbelö, unb im
SlugenblidC, mo ßbmunb Surfe ^J^anfreid^ politifd^ „au§ bem
curopäifd^en Softem getilgt'' erflärte unb fein 9Kanifeft gegen
bie JReöolution oorbereitete^), biefe SReöolution öor fid) felbft gu
retten, ©er Sitanenfampf begann mäl^renb ber SBerl^anblungen
über baö 3fled^t Ärieg unb ^rieben gu fd)liefeen, gu meldten bie
Ärieg§gerüd)te Slnlafe gegeben l)atten. 9Kirabeau wollte ben
^) L^ouzon-Le Duo, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-Holstein, 116, 117, 125.
2) Droz, Histoire de Louis XVI, III, 194—195. La Fayette,
Memoires, II, 449 u. ff.
^) Hacourt, Correspondance entre Mirabeau et de Li Marck, II,
1—7, 15, 19—22. La Fayette, Memoires, II, 367.
•*) S)ie Sftebe öon 5Bur!c, weld^e bie angeführte <SteKe entl^alt, tft öom
9. Sebruar 1790; feine SBetrad^tungen über bie franjbftfd^e Steöolution folgten
im SRoöember.
486 äRtrabeau'd SSetbinbung mit betn $of.
grieben. 6r ^attc längft crfannt, bafe bcr Ärieg eben biefen
Safobinem, bie jtd) nod^ gegen il^n [trdubten, bie ^errfd^aft
bringen mufete. Slber er Derlangte aSertl^eibigungömtttel für bie
Siegierung gur SBal^rung einer ftarfen ©efenfiDe unb Heber«
tragung beö ,,a3olföred)te§ über Ärieg unb fjrieben" burd^ bie
Slffemblee an ben Äönig, unter ber Sebingung bcr (äelbbewit
ligung burd) bie Sßolföoertretung unb ber SRinifterDerantwort*
Iid)feit. 21m anbem Stag bebedte ftd) ^aris mit fjlugfd^riften
unb S^ttiingen, bie ben „großen Sßerratl^ be§ (ärafen SJMrabeau**
üer!ünbeten. ®ie Sinfe legte i^re ©ad^e in bie ^änbe Don 33ar*
naüe; bie 9fied)te fanb in SRaurQ einen SBortfül^rer, bcr fid^
bieömal übertraf. 2lber SDlirabeau fiegte, wenigftenS in fo weit,
bafe nur auf ben Antrag be§ ÄönigS unb mit feiner ©anftion
fünftig bie SRationalüerfammlung über Ärieg unb gtieben be»
fdjliefeen follte. Sin jenem Stag ftanb Sa ^a^ette ju Sölirabeou;
bie ®rö^e biefeS rebnerifc^en SEriump^eö üom 22. SRai l^at le^tcrcr
nid)t mel)r überboten, aber aud) ber poUtifdje Sieg blieb ein
unoollfommener unb oereinjelter. ©a§ geigten fd^on bie 6r*
eigniffe ber näd^ften 3Bod)en, bie ©ebatte über bie ßiöit
conftitution beö ÄleruS, an tt)eld)er fid^ 3Äirabeau nid^t be»
t{)eiligte, unb bie Slbfd^affung beö Slbetö aU SBorbcrcitung gum
grofeen Sßerbrüberungöfeft ber %xtx'f)txt unb ©Icid^l^cit, bcr
göberation, baö am Safireötag beö 14. guU in ^ariS begangen
njerben foHte.
SBie in ber ^adjt beö 4. Äuguft feine Privilegien, fo
opferte am 19. 3uli ber S^eil beS 2lbel§, ber bie SicDoIution
begonnen {)atte, il)r o{)ne QöQexn maö nod) gu opfern blieb,
bie äußern &i)xm, iEitel, SSBappen unb 2lu8geid)nungen. ©clbft
Flamen, bie gumeilcn auf oiell^unbertiäl^rigen SePfe jurüd«
fül^rten, fönten abgefd^afft, bie SKontmorenc^ lünftig SBoud^arb,
bie SKirabeau Sftiquetti l)eifeen. „@ie l^aben wäl^renb Dicr Sagen
gang 6uropa Dermirrt", entgegnete le^terer barfd^ bem Souma»
liften, ber il^n Sliquetti TSline genannt l)atte, unb wählte ben
Slbf*affung bc8 Slbcl«, 19. Suni 1790. 487
Slugenbltcf, um feine Sebienten in giüree ju Weiten ^). ^m
©egenfa^ ju 31. be Sametf), SHoaiUe^, bem Jungen SDlatl^ieu be
3!Rontmorenci), Sa ija^ette, ber bem Äönig nod) bcfonberö gut
3lbjct)affung beö Slbel^ geratl^en l^atte, betonte er bie 9Kad)t ber
(ärinnerung, bie Unmögllcf)feit, in biefer Segiel^ung ben wal^ren
Segrijf be§ 3(bel§ ju gerftören^). ®ie ®leid)l)eit üor bem @efe^
muffe gefidjert bleiben; alle§ Slnbere fei nur öerftedfteö Spiel
ber ©itelfeit. SKirabeau fal) gang rid)tig, unb fd)on bie näd)ften
SSerl^anblungen beriefen »ie öcrfe^rt e§ mar, gegen ®inge an-
fämpfen gu wollen, bie, weil in ber menfd)lid)en 9latur felbft
begrünbet, ftets unter ber einen ober anbem ^orm wieber auf-
taudien, ©tatt bie befte^enben SluSgeid^nungen aufgul^eben,
brad^te fd)on ber 9JZarqui§ Don ßonborcet in 3Sorfci^lag, e§
folle S^bem freiftel^en, ftd) biefelben angueignen, unb 9?apoleon
l^at fpäter ben SKifegriff ber Sonftituante burd) @d)öpfung eine§
?!Äilitärabel§ in feinem Sntereffe wieber gut gu mad)en gewufet.
3loäi oiel weittragenbere ßonfequengen al§ biefeö ®e!ret,
ba§ SReder üergeben§ gu oerf)inbern fud^te^), f)atte i>a§ nun
folgenbe über bie Äirdjenüerfaffung.
6§ ift gefagt worben au§ weld^en ©rünben bie Bewegung,
bie gur Berufung ber ©eneralftaaten filierte, ben ^farrfleruö
auf i^rer ©eite fanb. 3Son Slnfang an waren bie SBeweife
feiner Eingebung unb S^mpat^ie für bie öolföt^ümlidje @ad>e
fo ungweibeutig unb entfd^eibenb, bafe nid)tö leid)ter gewefen
wäre, als il^r biefe ©^ntpat^ien gu erl)alten. ®a§ fd^wierigere
Problem war ungweifelf)aft jenes, feine SlUianj gu t)erfd)ergen
unb ben frangöjtfd^en ^riefter in einen ®egner gu oerwanbeln.
3)aS gal^r 1789 war nod^ nid^t gu 6nbe, fo l)atte bie Slationat
öerfammlung ba^ Problem gelöft. Unb bieSmal lag bie
^) Duc de Levis, Souvenirs et Portraits, 209.
^) Lettres de Mir ab e au k un de ses amis d'AUemagne, 519. 3Kira«
htan an «WauöiHon, 4. 3(uguft 1790.
^) Neck er, Memoire au roi, Mai 1790. Oeuvres completes.
488 2)i« eiöilconftttutton bc8 ÄlcruS.
©d^ulb nid)t nur an ber Äurijtd^tigfeit il^i^cr pl)iIo[opl^ifd)cn
2:l)eorettfer, fonbcm in ber Scgegnung i^xtx ©oftrinen mit
anbem ©inpüffen unb Semeggrünben.
©ie poUtifd^cn Stenbcnjen ber S^it, il^r niöeHirenbe^ ©leid^*
l^eitSibeal mußten mit einer auf Slutorität berul^enbcn Drgani^
fation mie bie fat{)olifd)e Äird)e in Söiberfprud) geratl^en, aud^
o^ne bafe bie „6onf:piration beö Sltl^ei^muö'' il^r babei gu ^ülfe
fam. ©obalb man ben ©ebanfen fe[tl)ält, bafe eg jtd) 1789 in
granfreid) burd)au§ nid)t um g^reil^eit, nid)t um Sld^tung ber
SReci^te SlUer, nid)t um ungel)inberte ©ntmidflung ber geiftigen
unb materiellen Äräfte ber 9lation, fonbern um ©urd^fe^ung
einer ganj fpeciellen 3:^eorie gur aSegrfinbung ber 3Kaffenl^err=
fd)aft, unb um bie[er bie 2Bege ju bereiten, um ©nfül^rung ber
öoHftänbigen abminiftratiöen ßentralifation unb focialen ®IeidE)=
förmigfeit l^anbelte, bann mufete e§, frül)er ober fpäter, gum
.Äampf mit 3lllem fommen, ma§ aufeerl^alb etneö fold^en ©^ftemS
nod) Slnfprud^ auf ©elbftänbigfeit erl^ob.
(giner foId)en Sluffaffung be§ gefellfd)aftlicften 'Qn\tanbt&
fonnte bie 3Sernid)tung be^ Äleruö alö ©taub nid(t genügen;
fte mufete meiter gelten unb eine Umgeftaltung ber Äirdt)enöcr=
faffung felbft öornel^men.
5ftur bie 3Sergangen{)eit ber gallifanifd)en Äird)e öermag gu
erflären mie e§ fam, ba^ gerabe in biefem ^unft bie gerftörcn-
ben Ärafte ber SReöolution pd) mit ben reformircnben SScftrc»
bungen in biefer Äird^e felbft begegneten.
®urd^ ba^ ßoncorbat öon 1516 l^atte ^apft ßco X. um
ben ^rei§ grofeer materieller Sßort^eile für bie ßurte baS bis
gu biefem 3^itpiJ"ft Don ber gallifanifd)en Äird^e burd^ il^rc
Äapitel ausgeübte ßrnennungöred^t il^rer Sifd^öfe unb l^ol^cn
SBürbenträger ber franjöpfd^en Ärone ausgeliefert. Son bicfcr
Seit an batirt bie anfangt bem ÄleruS tt)ibertt)iHig aufgebrun«
gene, fpäter öon i^m acceptirte Sllliang mit ber SKonarc^tc. 35ic
@eiftlid)feit unterftü^te bie 2Kadt)t ber Ärone, begrünbetc tm
aSerein mit \i)x bie ©nl^eit be§ 9fieid^§ unb eri^ob burd^ i^rcn
2){e ^tDtlconftituHon bed j^Ierud. 489
flrofeen Seigrer bic SJoftrin üon bcr burc^ feine irbifd)c 3Kad)t,
fonbcm nur burd^ flöttlid)e§ Sted^t befd^ränften ^ürftengemalt
auf bic ^öl^e einer auögebilbetcn St^eorie, bie jtd) [tarf genug
crtoici^, um unter Submig XIV. gu fünften beg Äönig^ gegen
Sftom fdbft in Slnwenbung gebrad^t gu »erben ^).
2)ic Ärone il^rerfeitö beraubte groar bie @eiftUd)feit nad)
unb nad^ aller il^rer ©ouöeränetätSred^te unb politifd^en ©clbft*
fiänbigfeit, Hefe i^r aber bafür ©lang unb 3fleid)tf)um, entfd)ä=
bigtc pc für ben 38erluft il^reö früheren öinflufle^ burd^ a5e=
nifung gu ben tt)idt)tig[ten Remtern im Staat unb beIof)nte il^re
Eingebung für ben ©ebanfen ber politifd)en @inf)eit beö 9fieid)§
mit Süifred^tl^altung ber religiö[en ©inl^eit im ©lauben. ®er*
fclbc ?!Konard^, ber Slöfgnou befe^te, gegen ben ^apft an ein
ttEgcmeine^ ßoncil appellirte unb feinen 9luntiu§ gefangen
ncl^men liefe, verfolgte bie ^ärefie unb miberrief ba§ 6bift mn
5Rautei8. ®en §öf)epunft ber Sllliang jmifd)en ?!Konard)ie unb
Äird^e in ^Jranfreid^ begeid)net bie [Regierung Submig'S XIV.
in il)rer aSlütl^e 2). @d)on bamit ift gejagt, bafe üon biefem Qe'iU
^)unft an aud) ber unDermeiblid)e 5RücEfd)lag eintreten mufete.
©ie SSebeutung ber gallifanifd)en Äird)e beruhte nid^t nur auf
äußerer 3Rad^tfteIIung, fonbern t)ielmef)r barauf, bafe jte, einft
bic ßel)rerin ber 6t)riftenf)eit, eine grofee lüiffenfd^aftlid^e ©oftrin
unb bie tl^eologifd)e @d)ule gefd)affen l)atte, ber fte ben Flamen
gab unb burd) il^re berül^mteften ©oftoren unb ©otteögele^rten
aufred)t erl)ielt. ®ie alten gallifanifd)en ©oftrinen befanben
fdE) im fd^roffen ®egenfa^ gu btn Seigren, bereu Sträger fpäter
ber Sefuitenorben mürbe, unb alö ber Äampf gegen bie
äufeem fjeinbe, bie ^roteftanten unb Hugenotten, jtd) auf tlieo*
logijd^em ©ebiet gu erjd)öpfen begann, brad)en bie Streitig^
leiten im @d^ofe ber frangöfijdjen Äird)e jelbjt au§, bei meld)en
bie au§gegeid)netjten ®eijter ber 9lation, unb nid)t nur S3i=
^) ßossuet, La politique tiree de TEcriture sainte.
2) ©. l^ter ^apM IV, 254—257.
490 ^ie (lit)Uconftituaon bed j^lerud.
fd^öfe unb Stlicologen wie @t. ß^ran, btc Slrnaubö, Soffuct,
iJenclon, fonbcrn auc^ fiaten öon bcr genialen ®röfee eine§
Slaife ^aScal, öon ber bid^tertfd)en Sebeutung eines Siacine [xäj
betl^eiligten. Sluf baS tl^eoIogifcf)e ®ebiet blieb ber Äampf nid^t
befd)ränft. ®ewol^nt in bie religiöfen ©treitigfeiten jtd) ju
mifd^en unb einjugreifen, »o eö galt, Singriffe üon Slufeen ab==
guxüel^ren unb bie ^ärepe gu bewältigen, grijf bie tt)eltlid)e
9Kad^t aud) Je^t ein unb liefe ju (äunften ber jefuitifd^en fiel^^
ren, bie ba^ Dl^r beö Äönigö burd) feine Seid(töäter geujonnen
l^atten, xi)xm ©egnern, ben ©allifanern unb Sanfeniften, ben
ganjen ©rud ber religiöfen 23erfolgung enipfinben. gubiDig XIV.
ftarb, bie 3Serfolgung aber lebte fort unb erftidte alles geifiige
Seben in ber Äird^e.
Sleufeerlid) gwar »urbe bie SRu^e mieber l^crgefteHt, aber c8
war bie 3iul)e eines Äird)l)ofS. ®ie SBomel^tnen unb ©ebilbetcn
unter beut ÄleruS öerweltlid^ten im ©enufe, in bcr politifc^cn
Sntrigue, gu oft aud) in ben SSerirrungen cineS pttenlofen
SebenS. ©aS gelb ber Stl^eologie lag brad^. ©er ©eift beS
SBiberftanbeS lebte in ben Parlamenten fort unb öerwieS bie
franjöpfd)e 3Ragiftratur auf Jene politifd)e Dppoption, bie gegen
il)re Slbpd^t bie SReüolution vorbereitete.
gür bie Url^eber biefer Siiftänbe blieb bie SJergeltung nid^t
aus. 3)ie 2lufl)ebung beS S^fuitenorbenS war Dor Südem baS
SBerf ber Parlamente, ber SßergeltungSaft ber ianfemftifd^
gepnnten SJlagiftratur. 2)ie SBunbe aber, bie bem fronjöpfc^en
®ett)iffen gefd)lagen xoorben war, follte pd) ntd^t wicbcr
fd^liefeen. Sie erzwungene Drtl^obojcie würbe jur uuwiffenbcn
©leid^gültigfeit; bie Unterbrüdung ber iJreii^eit ergeugte ^eud^dei
2)urd^ bie offene Srefdje l)ielten bie materialiftifd^en ©oftrfaten
i^ren 6ingug. Slber baS religiöfe SSewufetfein war, »cim
aud) gurüdgebrängt unb gum ©d^weigen öerurtl^eilt, fo boäi
nid^t erftorben. 33en beftruftiöen Bd^ren, wcld^ bie über»
wiegenbe SWe^rl^eit ber ®ebilbeten bel)errfd)ten, fe^te baS SSolf
bie SluSübung ber befd^eibenen itugenben entgegen, weld^e bie
S)ic diöilconftitutton bcS ÄlcruS. 491
©iöHtfation betoal^rcn unb bie 5Jlationen erl)altcn, toai)xmt> in
bcn Seelen eingelner geleierter St^eologen unb frommer Saien
bie alte gallifanifd)e ©oftrin, bie ftrenge janfeniftifci^e ^rajrfö
mit iener gälten Sebenöfraft, wie jte allen verfolgten Ueber^
Beugungen eigen ift, pd) erl^telt.
5Run aber, wo im ftaatlid^en unb bürgerlid^en Seben alle
geffeln fielen unb greilieit, menn aud^ nid)t baS ßtel, fo bod^
bie 2ofung mar, erfd^ien nid^tg natfirlid^er, aU bafe aud^ inner=^
i^alb ber Äirdje bie fo lang bebrüdften Elemente ben Slugenblid
für gefommen erad)teten, baö [Red^t freier Semegung für fid^ ju
beanfprud)en unb einen ßuftanb l^erjufteHen, ber bie SSBieberfel^r
tqrannifd^er SBiUIür unb beö erlittenen QxoanQt^ au§fd)lofe.
S)ieS erMärt bie Set^eiligung aufrid^tig religiöfer 9Ränner mie
Saniuinaiö, beg Slbüofaten 6amu§, ber auf bem ©ebiet beö
fanonifd^en JUed^tg bem ÄleruS alö Slutorität galt, feiner Kollegen
Sreill^arb, greteau, ©uranb^SJZaiUane, an ben Slrbeiten be§
^mit^S für firdilid^e Slngelegenl^eiten, au§ meldten bie 6iüil=
4:onftitution be§ Älerug l)ert)orging. 3f)nen mar e§ aufrid^tig
um SReform, um fRMUijx jur SRetnlieit apoftolifd)er Seiten ju
tl^un. Snmitten il^reö, jeber Strabition feinblid)en ©efdiled^teö,
beffen 3l>c^l ^^nn beftanb, SlUeö öon ®runb au§ ju erneuem,
griffen pe allein auf frül)ere 3led)t§iuftanbe jurüd unb forberten
bie alte SSerfaffung ber gaUifanijc^en Äird)e.
©abei überfallen jte, in meld^em Slugenblid unb öermittelft
toeld^er Sunbeggenoffen fie ein fold^eö Qid ju erreid)en fud)ten.
<£in erfal)rener ^olitifer, ber fpätere ©djmiegerfol^n Don S^au
öon @tael, l^at öor kämpfen gemarnt, bie ber 5!KitmirIung aller
jtoeifeli^aften Elemente gemife ftnb, xoäijxmb bie orbnungöliebenben,
rul^igen Seute erfdtiredEt unb in ^Jolge beffen auf bie gegnerifd^e
©eite gebrängt merben^). ©inen foldjen Äampf begannen bie
Scinfeniften unb ©aHifaner ber ßonftituante. 2)ie Sinfe fam
*) Duc de Broglie, Notices biographiques in^dites, ctttrt bei Thu-
reau-üangin, Histoire de la Monarchie de Juillet, I, 213.
492 2)ic (Jiötlconftitution bc8 Älcru«.
i^ncn bercitirillig entgegen, benn fraft berfelben Seftimmungen,
burd^ tt)eld)e ein Samu^ ober ®rcgoire baö ßl^ripentl^um ber
erften Saf)rf)unberte tt)teberf)erju[tetten l^offte, festen bie 3afo=
biner baö ^rinctp ber Sßolföfouöeränetät, ber Dmmpoteng bei^
Staate^, aiid) in ber Äird^e burd), unb ttjäl^renb pe öom römi:=
fd^en ©tul^l SBieberl^erftellung alter Prärogativen ber gaUüani«
jd^en Äird)e »erlangten, griffen jte jelbft eigenmad)tig in baS
Äircf)entt)efen ein.
®enn nid^t nur bafe, bnxä) bie Slbgrengung ber ©iöccfen
nadf) ben 83 neuen ©epartementö, 53 öon ben biöl^erigen 136
aSif d^ofp^en wegfielen ; auä) ber aCBal^lmobuö tt)urbe eigenmächtig
gednbert, inbem bie 3Bäf)ler jebe^ ©iftriftö fünftig ben Pfarrer,
bie 2Bäl)ler be§ ®epartement§ ben S3ifd)of ernennen fotttcn.
Sur Sluöübung biefeö SBal^lred^tö war e§ aber feineSwegi^ notl^*
xoenbig, Äatf)olif ju fein. ®a§ Slnl)ören einer SKeffe genügte,
um baju bered)tigt gu werben. SlHe Äapitel unb bie gciftltd^e
®ericl)t§barfeit würben aufgehoben, ©ie Sifd^öfe l^atten ffinftig
bem ^apft il^re Ernennung mitgutl)eilen, bie fanonifd^c 6im
fe^ung bei il)m nad)jufud^en war il^nen aber verboten, unb er
oerlor ba^ SRed^t ber ©ifpenfationen. Seber ©rwäl^Ite l^attc
ber Station, bem Äönig unb ber Sßerfaffung ben ©b ber Sreuc
gu fd^wören. ®agu verlangte SRobeöpierre bie Slufl^ebung bc8
ßölibatö, unb Sarnave er!larte bie flöfterlid)en ©elflbbe für
eine aSerle^ung ber 9Kenfd)enred^te. ®ie ßrwägung, bafe bie
3)urd)fe^ung fold^er Seftimmungen ben Äleru§ von ber ©ad^e
ber 3fleoolution trennen unb gerabe ©iejenigen, bie il^r bie
größten Dpfer entgegengebrad)t l^atten, ju (äegnem mad^en
mufete, reijte bie 3ctfobiner, [tatt fte bebenflid^ ju ma(ften.
®enn ungleid) willfommener al§ bie SunbeSgenoffenfd^aft ber
Äird)e war if)nen bie SluSftd^t auf il^re ß^^prung.
(Selbft ie^t nodi) t)erfud)ten nid^t nur ber Äönig^), fonbern
') Chauvelot, Lettres de Louis XVI, Louis XVL ä Pie VI.
2 Juillet 1790.
S)ic (Stötrconftttutton bc8 Äletu«. 493
anä) Sifd^öfc, unter il^nen bcr eble S3oi§gelin, ©rjbifd^of öon
Slijc, 6ice, @rjbifcl)of üon S3orbeau;c unb ©iegelbcira^rer, unb
^c[tcr üon bcr öerföl^nHclien Stimmung beö Slbbe bc SBlonk^^
quiou, obwol^I jtc bie ßiüilconftitution mcl)t in allen .il^i^en SBc*
jtimmungen gutl^iefeen, bod) auf ®runb eingelner weifer unb
nfi^lid(cr Slnorbnungen berfelben eine SSerftänbigung mit bem
fran3öjtfd)en ßpiöfopat unb mit JRom l^erbeiguffilöi^en. Sie er^
reichten wenigftenö fo öiel, bafe ber milbe Sßiu§ VI. peben
3Ronate lang, üon ber am 24. Sluguft erfolgten ©anftion ber
giöilconftitution burd) htn Äönig bi§ jum 10. 3Rärg 1791
jogcrte, beüor er bie 5ßerurtl)eilung berfelben auöfprad).
Um öoHe jel^n SJionate früf)er, feit 2Kai 1790, beantworteten
ücrfd^tebene franjöjtfd^e ^roöinjen baö Singreifen ber SRationaU
öcrfammlung in bie innere Drganifation ber Äird^e mit bem
SBürgerfrieg. ®ag ßanbüolf, alö eö fa^, bafe bie biöl^er gut^^
ücrtoalteten ober billig Derpad^teten geiftlict)en ®üter in bie §änbe
öon ©pefulanten gerictl)en ober il^m burd) bie neuen Sefi^er
entgogcn würben, fanbte Petitionen gegen ben ©turg ber Iatl^o=
lifd^en Sfteligion an bie SRationaloerfammlung unb griff, atö
biefc erfolglos blieben, gum bewaffneten SJÖiberftanb.
3m 6lfafe, in ber Bretagne, öomelimlid^ aber im ©üben,
in ber ^roöence, in Slijc, in SWarfeiUe, in 3limeö, in 3Rontauban
fam eS jum Slutoergiefeen, ju mörberifd)en kämpfen gwifd^en
Äatl^olifen unb ^roteftanten, gwifd)en ben 2lnl)ängem ber 3le==
Solution unb il^ren ©egnern, ben S^euerern unb ben 3leaftio=
nären ^).
3)ie ßonftituante, für bie ba^ SBolt nur bann fouöerän
war, wenn eö mit ber j[afobinifd)en ÜJfajiorität ging, beant-
wortete bieje Äunbgebungen be§ nationalen SJÖiUeng mit ber
SScräufeerung , ober rid)tiger gefagt, mit ber a5erfd)leuberung
*) Taine,0rjgines, etc. La Revolution, I, 322 u. ff. Rene Lavollee,
L'J^glise et la Constituante. Correspondant, Septembre 1873.
»Icnnerl&ottett, 5rau »on ©toel. I. 32
494 ^i^ 6it)iIconftitution beS StUtuS.
alleg nod^ nid^t öerfauften Äirc^enguteS, mit bcr ofpcictt tnS
SBerf flefc^ten ^Ifinberung öon Äird)en unb ©afriftcicn, Älöftcm
unb Stiftern, unb mit SSoIlcnbung bcr ßtöilconftitution. 5)?un
bemäd^tigtc jtc^ bie Uebcrgeugung, bafe eg jtd^ um nid^tg anbere^
alö um eine SSerfcftmörung gegen bie SReligion überl^aupt l^anble,
mit unwiberfteJ^lid^er 3Kad)t beö gläubig gebliebenen Sl^eifö ber
Aktion. aSon neuen fird)lid^en SReformen tt)ar nid^t mel^r bie
3flebe, Jonbern angeftd^tö ber äußern @efal)r fd)loffen fid^ bie
3flei^en um fo fefter. 3Bag ba^ bei fo SSielen crfd(fitterte reli*
giöfe aSettJufetfein nid^t mel^r öermoct)t l^ätte, tl^at Je^t baö @e«
fü{)l ber ßufammengel^örigfeit, ber @tanbeSel)re. ,,SBir l^aben
unö 1791 U)ie mafire ©beUeute benommen", äußerte fpäter ber
©rjbifc^of üon SZarbonne; „benn öon ben meiften unter un§
fann man nid^t jagen, bafe wir eS auö Sieligion gctl^an l^aben* ^).
@ö fanben fid^ fpäter nur fünf Sifc^öfe, unter il^nen bret ber
übelberufenften SKitglieber beö franjöftfd^en @pigIo^)ate8, SaUe^«
ranb, Somenie be Srienne unb Sarente, gur Slnnal^me ber
©oilöerfaffung beö Äleru§ bereit. Unter ben ^erau^forbcrungen
ber Sinfen, in ßrmiberung auf bie ©rol)ungen Don 9Rirabeau,
fpradf) ber ®allifaner SKontlofier ba§ SBort, ba^ bie Debatten
breier reoolutionärer SSerfammlungen nid^t in SSergeffenl^eit brad^^
ten: „'S^x jagt bie a3i[d)öfe au§ il^ren ^aläften; jle »erben in
bie glitten beö öon il^nen genäl^rten Slrmen gelten. Sl^r beraubt
jte il^rer golbenen Äreuje; jte xoerben bereu pijcme finben;
ein Äreuä t)on §olj ^at bie SBelt erlöft" 2).
Sn SBiberjprud^ mit i^ren feinblid)en aSetJ^eucrungen Doli»
[tänbiger tJreil^eit unb Soleranj in religiöfen Singen griff bie
Slffemblee gur (äewalt unb gwang am 27. SHoöember 1790 aHe
^rie[ter, bei ©träfe fofortiger ©ntlaffung auS il^rem «mt unb
aSerfolgung alö öffentlid^er SRul^eftörer, loenn fie baSfdbc bemuN]^
^) La Fayette, Memoires, III, 56. A. Sorel, L'Europe et la R^
volution fran^aise, II, 119 u. ff.
*^) Bardoux, Le Comte de Montlosier, 37. S)ic SBorte flel^ett auf
feinem Setd^enftein.
2)ie atoilconftituHon bed StUtviS. 495
üudübten, ben @ib auf bie @on[titution, mit @infd^Iu^ ber
€toiIocrfaffung bc« Älcruö^) gu leiftcn. SBon bicfcm Sefd^lufe
tattrt baö ©d^ißma in bcr frangöpfd^cn Äird^c, baS jtd^ md)t
-auf pc befd^ränlcnb, bic gange Slation fpaltctc unb ba§ SBcr»
berben bcfd^Icunigtc. aBibcrmiHig, unter bem 35rucf ber Slffem«
W6e, ben 3)rol^ungen ber Tribünen unb beß 8lufftanb§, nad^
üergcblid^en Scrfud^en, eine 6ntfd)eibung öon Siom ju erlangen,
flab Äubwig XVI. enblid^ nad) unb untergeidjnete am 23. 35e*
jember ba« ®efret öom 27. 3loöember 1790. Sluf biefen ©d^ritt,
ber il^n in Sß^i^fpcilt mit feinem ©emiffen brad^te, laffen ftd^
feine glud(tgebanfen, feine ^läne gurüdCfül)ren, mit ^ülfe beS
auSlanbS mieber ^err in granfreid^ gu werben 2). „Sieber i?önig
in 9Jle| al§ unter fold^en Sebingungen Sel^errfdier t)on fji^ant
reid^^, fagte er bamalß gum ©rafen fjerfen.
S)a8 öemid)tenbe @efül)l üon ber Unl^altbarfeit feiner Sage
-überfam il^n an jenem Stpriltag 1791, an weld^em eine mütl)enbe
9Renge i^n gwang, bie gal^rt nad) @t. ßloub aufgngeben, wo»
i^in er jtd^, nad^bem bie Sßerurtl^eilung ber ßiüilconftitutton
burd^ ben ^apft nun bod^ erfolgt mar, in ber 2lb|td)t begeben
tooHte, feine öfterlid)e 3lnbad)t bei einem nid^t beeibigten ^riefter
^u öerrid^ten. 6r mar t)on bem SlugenblidE an öerloren, mo er
am 29. 3ftoöember 1791 bem ©efret ber Segißlatioe baß Sßeto
Dermeigerte, ba^ oon ber bi§ bal^in fc^meigenb gebulbeten gur
offenen Verfolgung überging unb über alle eiboermeigemben
^riefter ©el^altöentgiel^ung unb 2lu§meifung öerl^ängte. Qtod
drittel beS fatl^olifd)en Äleruö mürben oon ben ©trafgefe^en
betroffen; bie ®efängniffe füllten ftd^ mit 5ßrieftem. Ungefäl^r
28000 berfelben mürben beportirt^), anbere gingen freimittig
-In bie SBerbannung. SRan red^net, ba^ 2183 ^erfonen, ^riefter.
^) ©^bcl, ©cfd^i^tc ber SRcöoIuttonSacit. I, 230, S«otc 1.
«) S)cr StbnxQ au gctfcn, bei Droz, Histoire de Louis XVI, III, 299
unb 320 u. ff. Memoires de Bouille, IX u. X. A. Sorel, L'Europe
«t la Revolution fran^aise, II, 128.
^) De Pradt, Les quatre Concordats, II. 34.
32*
496 2)te eiöilconftitution bc8 Stitmi.
aRönd^c unb Slonncn, wäl^renb bcr SRcöoIution il^rcS geiftIi(f)Ctt
@tanbc§ wegen umö geben famen^).
&^ gereici^t ber SSerfafferin ber ßonftberationS gur ßl^re^
bieSmal feinen SlugenblidE gejögert gn l^aben, fonbem auf Seite
ber Cpfer getreten gu fein. 2)a§ Qered^tigleit^geffil^l, ba§ bie
Sejt^frage nid^t ju wecfen öermod^t l^atte, brad^te bie SSerfol^
gung gurücf. „SSerberblid^er Srrtl&um", fd^reibt ^frau öon ©tael,
„öon 5ßrieflem einen 6ib im SBiberfprud) mit ii^rem ©etoiffen
gu »erlangen, unb jte gu beflrafen, menn pe il^n öenoeigerten. . .
©aö l^tefe bie politifd^e an bie SteKe ber religiöfen Sntolcranj
fe^en unb (Sl^re unb (äemiffen gum SBiberftanb l^erauSforbern. . .
©er 5ßriefter, ber ben unter ©rol^ungen öon il^m berlangten
6ib öermetgerte, l^anbelle ungleid) mel^r alö freier SKann, U)tc
3ene, bie il^n gu einer ßüge gmingen moKten.'' Sie überfielet
nid^t, bafe ba§ ©d^mert ber SSerfoIgung ein gweifd^netbigeS
war, unb bafe, mäl^renb eS ©tejenigen traf, bie ben @tb öer*
weigerten, e§ gugleidi) Sene erniebrigte, bie benfelben Ictfteten^).
3^re Semerlung, „b'a^ gmei öon ben brei S3ifd)öfen, öon
meldijen bie ©infe^ung beö neuen conftitutioneUen ÄleruS ab*
l^ing, im legten SlugenblidE nat)e baran waren, einem Unter«
nel^men gu entfagen, ba§ 3leIigion unb ^ßj^ilofopi^ie einftimmig
öerurtl^eilten", ift ber erfte ^inweiö auf eine 6pifobe im Beben
öon Salle^ranb, bie obwol^I öon il^m felbft feinem ^cunb 2)u«
mont ergä^It, bod) erft öerpltni^mä^ig fpät in bie Dcffentltd^*
feit gebrungen ift.
2ltö e§ fid) nämlid^ barum l^anbelte, nebft StaHe^ranb nod^
gwei anbere S3ifct)i)fe gur SBeil^e öon 5ßrieftem ber confKtuttoneUcn
Äird^e gu finben, tl^eilte ®obeI, Sifd^of öon Siba in pari., einer
0 Martyrologe du Clerg6 fran^ais pendant la Revolution, Paris 1840.
Abb^ Carron, Les confesseurs de la foi dans PEglise gallicane ä la fin
du XVIU Si^cle. ©inaell^cUcn barübcr bei Delbos, L'Eglise de France,
Guettee, Histoire de PEglise de France, Sei out, Histoire.de la Consti-
tution civile du clerge.
^) Madame de Stael, Gonsiderations, XII, 363, 409.
fjrau öon ©tael über ©etotffcnSfret^elt. 497
bcr beiben, feinem ßottegen öon Slutun mit, bafe ber ©ritte
im aSunbe, SJliraubot, Sifd^of öon Sab^Ion in pari, jtd^ il^ncn
tiid)t mel^r aMJdiHefeen tüolle. 81I§ Statte^ranb baö l^örte, begab
er ftd^ gum le^teren unb jagte ju il^m, ber Sifdiof öon Siba
fei im 33egriff, jte beibe im ©tief) gu laffen. ©a er wol^I tüiffe,
»eld^e SBirfung öon Seiten beö SSoIfeö biefe SBeigerung l^aben
»erbe, fo tüoKe er wenigftenö jid) perfönlid^ nid^t fteinigen laffen,
fonbem bem SSerratl^ öon Seiten eineö ßoHegen nod^ red^tgeitig
begegnen. ®abei liefe er ben §al^n einer Keinen 5ßiftoIe fpielen,
bie er tüdl^renb beö ©efpräd^ö anö ber Slafd^e gegogen l^atte.
S)te ©rol^nng tüirfte, unb bie Zeremonie fanb ol^ne tüeitere
@d)tt)ierigfeiten ftatt*).
©a§ gefd^al^ im gebruar 1791. Sind) biefe @d)ilberung
ift mit Sefpred^ung ber fird)Iid)en gtage ben (greigniffen öor*
auSgeeilt. ©cnn öorerft l^anbelte e§ fid) im Sommer 1790
um Segel^ung eineö gefteö, beö erften ber SReöoIution. 2lm
Sai^re^tag beö 14. 3uli nämlid) mürbe auf bem SKaröfelb gu
$ari§ bie gmar nod) unöoHenbete ßonftitution am Slltar beö
SBaterlanb^, in ®egenmart ber föniglid^en fjamilie, ber 5ßationat
öerfammlung, ber ©eputirten ber SWationalgarbe auö allen
^roöinjen unb einer ungel^euren SSoIfömenge befd)moren. Slm
Slltar, gu beffen 6rrid^tung auf l^ol^er ©ftrabe unter anbem felbft
el^emalige Äartt)äufer=3Ki)nd^e unb öornel^me ©amen bie 6rbe
auf @d)ub!arren l^erbeigefül^rt l^atten, ftanb gur ©infegnung öon
Sranfreid^ö öerjüngter gal^ne unb gur ßelebrirung ber 3Keffe,
in pontififaler Äleibung Salletiranb, Sif(^of öon 2lutun. 3lfriftent
voax Wöbe ßouis, aU Saron ßouiö ber berül^mte ^Jinangminifter
ber 3fteftauration. 9Kan ergal^Ite ftd) fpäter, e§ feien gmifdjen
beiben c^nifd^e Sßorte an jener Stelle unb in jenem Slugen^
blicf gemed^felt morben^). Slm 3al^re§tag beö Slufftanbö, bei
0 Dumont, Souvenirs sur Mirabeau, XIX, 276, 277. Jared
Sparks, Gouverneur 'Morris, I, 308. Sainte-Beuve, Talleyrand, Nou-
veaiVK Lundis, XII, 12. Madame de Stael, Considerations, XII, 363.
2) Sainte-Beuve, Talleyrand, Nouveaux Lundis, XII, 12 u. ff.
498 ®«^ «ft<J Sal^tcStag beä 14. 3ult 1789.
bcr eibcölctftung auf biefelbc (Sonftttution, bic il^m in einer
SReil^e öon jwangtgtaufenb (äefe^eöparagrctpl^en unb ®efreten^>
bie ÜRad^t auö ben Rauben wanb, war ber Subel bei beni
©mpfang be§ Äönigö gaitj unbefdiretblict). S)ie ^ergogin boit
Sourjel nennt btefeö %t\i ber fjöberatton „ben legten fd^önen
Sag ber Äönigin" unb ertüäl^nt, bafe Sarnatje, auf ber fRM^
reife öon S3arenne§, ju SDtabante ßlifabetl^ geäufeert l^abe, wenn
ber Äönig bie bamafö l^errf(i)enbe Stimmung benü^enb, in bie
^robingen gegangen tüäre, fte aUe verloren gewefen fein war*
ben 2). ®ie Semerfung ber ^ergogih öon Siourgel er^It eine
weitere, meriwürbige Seftätigung burd^ ben Sni^alt eines Srief^
t)on Sa ^a^ette an SBafl^ington öom'Sluguft 1790, in wel(jf)em
e§ l^eifet, „ba^ SSoIf beginne ber SReöoIution nid^t minbcr al^
ber 9lationaIöerfammIung mübe ju fein"^). S3aron ©taöl unb
feine (äemal^lin l)aben beibe alö Slugenjeugen ben Sag gefd^ifc
bert, ben 9ledEer'ö Sod^ter unter bem ©inbrud ber l^errfd^cnben
©yaltation nod^ immer geneigt war, al§ bm erften ber neuen
Drbnung unb ber gemdfeigten 9Konard^ie mitgufeiem, l^ätte bie
bange Sorge, bie jte in ben QiiQm il^reS 3Sater§ Iai5, nid^t öor
fo unjeitigen Hoffnungen gewarnt '*).
Sl^atfädjUdö ftanb biefer erfte 3öl^re§tag ber (äinnal^me ber
Saftille feinem SSorgänger an folgenfd^weren (Sonfequengen
foum naä).
S)ie S^fobiner, als jte ungweifell^afte 3^i^^ ^^ Ueber*
bruffeS an ber 3leöolution wal^rnal^men, fammelten ii^re Äräfte
unb öerboppelten il^re Slnftrengungen. ©amitte S)eSmouIitte
prebigte bie gnf urreftion ; bei 3Jlarat fam bie SWonomante bei^
9KorbeS gum ®urdE)brud). 2)er berüd^tigte @a^: „%&n\» ober
fed^S^unbert abgefdjnittene Äöpfe l)ätten ßud^ Sftul^e, ijtet^t,
') mthnfit, ©efd^t^tc bcS SeitattcrS bcr IRcöoIution, I, 235.
^) Duchesse de Tourzel, Memoires, I, 150.
3) La Fayette, Memoires, III, 138.
^) L^ouzoQ-Le Duc, Correspondance diplomatique du Baron de
Stael-flolstein, 166. Madame de Stael, Considerations, 377—381.
SBorgel^cn bcr Salobincr. 499
©lüdE öejtd^ert; eine falfd^c 3!JJenfd)lid)fctt l)at 6uren 8lrm gurüdE*
gel^aüen", entftanb in jenen Sagen. 9Raraf§ Drgan, ß'Slmi
bvL 5ßeuple, öerlangte „Steine für Sllle, bie e^ noci) wagten,
ro^aliftifd^e Seigren gu prebigen, unb nid^t nur baö geben ber
3Kinifter, fonbem aller il^rer Slnl^änger, jener Heloten unb ©Q*
bariten, ber Slgenten ber ©fefutiöe. 2l(i^tt)unbert ©algen unb
ein rieftger @ct)eiterl)aufen im Suileriengarten feien bie redete
Slnttüort auf ba§ Söerf ber Sliebertrad^t unb fred^en ^erauS*
forberung — bie 3le!onftruftion ber Slmtee" ^).
2tuf biefen $unft war e§ benn aud), bafe ber unfel^lbare
Snftinft ber S^^ftörung gerid^tet blieb.
©ie SSernid^tung be§ 8lbel§ l^atte ein neue^ ©lement ber
Swictrad^t in bie 3lmtee geworfen, bie ©olbaten in ®leid)^eit^^
gebanfen unb in ber 8luflel)nung gegen il^re SSorgefe^ten beftärft,
baS DffijiercorpS in bemfelben SSerpltnife ber SReöolution un=
gfinftiger geftimmt. ©ie täglidjen Slufforberungen ber bemago*
gifd^en 5ßreffe ju 2lufruf)r unb 3iJ^ttöjigfeit, jur 6mtorbung
öerrätl^erifd^er Dffigiere unb ®urdt)fe^ung ber wiberjtnnigften
fjorberungen öerfel^lten il^re 2Bir!ung nid^t. 3m Suni 1790
nannte 9Jlirabeau bie Slrmee ein SBerfgeug ber ^lünberung unb
be§ 33erbredt)en§ für Seben, ber ba§ ^anbwerf im (ärofeen gu
betreiben wün[d)e. @tabt unb Sanb, fagt er, gitterten öor bem
Streiben aufrül^rerifd)er ©olbaten unb bie ^Regimenter öon SHancQ
beantworteten ba§ enblid^ öotirte S)e!ret ber 9?ationalt)erfammlung
gur Unterbrücfung militärifd)er ßlubö mit ber bewaffneten @m*
pörung, bie ber energifd^e Souille mit ber üon il^m nod^ treu
erl^altenen ®arnifon üon 9Ke^ nieberwarf. ©iefer Sieg ber
Orbnung blieb aber öereingelt unb bie 3^^fcfeung ber ©i^ciplin
fdjritt unaufl^altfam weiter, ©d^on nad^ bem 14. ^\xl\ ^atte
SRioarol fpottenb bemerft, wa§ e^emal^ einer Slrmee gur ©d^anbe
0 Marat, Ami du Peuple, Bei Droz, Histoire de Louis XVI, III,
247. Taine, Origines, etc. La Revolution, II, Psychologie du Jacobin,
333-334.
500 2)i« ^'^mcc tcbettltt.
gereicht habt, bie ©cfertion, fei jum Slnfprud^ auf militärifd^cn
9iuf)m geworben^). 6tn Slntrag üon 5)litabeau cmf (gntlaffung
ber gaitjcn Slrmee unb öoUftänbige 9leubilbung berfclbcn warb
öemorfen, aber il^re Umgeftaltung öoHjogen. Sie liefe bem
Äönig nur bie Ernennung gu ben l^öd^ften militdrifdien ©teilen,
tuSl^renb jte in allen übrigen Sejiel^ungen bie SIrmee feinem
6influfe entjog. 2luf ber einen Seite »erfdjärfte man ba§
©iöciplinargefe^, auf ber anbern geftanb man bem §eer baS
2Bal^lre(i)t, tüenigftenö bei Sefe^ung ber nieberen (Sl^argcn unb
(ginfül^rung öon @efdömornengerict)ten für milttärifd^c SSerJbred^en
ju. ^öf)er aB bie SReorganifation ber SIrmee ftanb ber 3llationaU
öerfammlung ber 3^^*^ bie ßeitung ber bewaffneten 9Rad^t ber
^Regierung ju entjiel^en unb in bie eigene §anb ju befommcn.
Sie l^atte bnxä) @olberl)ö]^ung ber ©emeinen unb anbere Qn-
geftanbniffe an fte ben Soben bafür vorbereitet; e§ galt nur,
aud^ bie finanjieHen 2Rtttel gur 2lu§fül^rung il^rer aSerfprcd^ungen
JU finben.
Sie Sluögabe ber Slffignaten l^atte im 3tpril begonnen; im
Sluguft maren breil^unbertbreifeig oon ben oierl^unbert 2Rtllxoncn
bereits t)erbrauct)t, unb bas monatlid^e ©epcit bcjtffcrte
pdö je^t auf breifeig SRiHionen, ol^ne bafe weitere ^ülfSmittcl
gu finben gemefen mären. ®emöl)nlici^ erinnerte man fld^ in
fold^en Slugenblicfen ber ßj^fteng 5ßeder'ö. ©ieiSmal aber ent*
warf baö ginanjcomite ber Slattonaloerfammlung einen neuen
$lan jur Slilgung ber fc^toebenben @d)ulb, ber bem SJKnifler
nid^t einmal mitgetl^eilt mürbe. S)en jungen Sinangfträften ber
Slffembl^e galt er nid)t nur atö überlebt unb oerbrauc^t; er
langweilte fte, unb jie fagten e§ offen l^erauS. @§ blieb nun^
mel^r bie SBal^l jwifd^en ber ©miffton öon neuen Slffignaten
unb bem ©taatsbanfrott. Ueber beibe ©oentualitäten l^otte
9Kirabeau ftd) auögefproct)en. ®ie gewaltige SRebc öom Jlo»
0 Rivarol, SBorkoort aum Petit Dictionnaire des grands hommes de
la Revolution.
9ttut emiffion öon SCfftQnatcn. 501
t)embcr fiber bic furd^tbaren ßonfequenien etnc§ foIcl)cn waren
nod^ imöergcffen. Slber anä) ba§ 5ßapiergelb galt xi)m für ein
fo gctä^rltd^eg auöfunftSmittel, bafe er c§ „bte cirfulireitbe 5ßeft"
gu nennen pflegte^). S)ennod) gab er, wie frül^er ben Slnftofe
bagu, fo ie^t ben fStatt) jur Stuögabe öon wetteren ad^tl^unbert
IKitttonen öon Slfftgnaten, unb gwar bieömal ol^ne jebe anbere
@id)er]^eit al§ SSerpfänbung unb 9Seräufecrung ber @taat§=
bontänen. SStel mel^r alö bie wirtl^fd^aftlidien, waren politifd^e
tüRottbc babei mafegebenb.
3Ran ftanb in finanziellen S)ingen wie in allen anbern be-
reits üottftänbig unter ber ^errfd^aft beö ?Jroletariat§, unb
inöbefonbere beö 5ßarifer ^öbefö, ber nur öon fold^en Steuern
Pren wollte, bie er nid^t ju gal^len l)atte, unb folglid) febeS
öemfinftige ginanjfqftem unmöglich mad^te. ©agu famen nod)
onbere ©rwägungen. ®urd) ©miffton ber Stfftgnaten mad)te
man ba§ SSermögen ber beft^enben Älaffen mtijx ober weniger
öom ©taub ber Rapiere abl^ängig, erjwang ben SSerfauf ber
@taat§bomänen, oerbanb bie Sntereffen aller neuen Sep^er
berfelben mit ben ®efd[)tcfen ber SReoolution unb befd^leunigte
eines il^rer Qkk, bie SSertl^eilung beS 33obenS in möglid^ft
Diele ^änbe.
SKirabeau gefiel pdö in ber Säufd^ung, bafe bie Slfjtg*
naten fein 5ßapiergelb, jonbern eine Sobenl^^potl^e! feien, bie
Erweiterung beS bäuerlid)en ®runbbep^eS aber eine fefte @d^u^=
mauer gegen bie SSeftrebungen ber Slnard)ie bilben werbe.
@inc ber oielen 3floten oon SUiirabeau an ben ^of bejeid^nete,
SledEer'S SRüdftritt bereits als Dollenbete S:i^atfad)e DorauSfe^enb,
feinen eigenen Seratl^er in ^nanifad)en, ben ©enfer ßlaDiereS,
als beffen 3flad^folger2).
©ieSmal fam 9ledfer feinem Sßunfd^ entgegen. 6r rid^tetc
eine befonbere ®enffd)rift an bie 3flationalDerfammlung, um Dor
0 Mirabeau, Lettre ä Cerutti, Jan vier 1789.
*) Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, II,
149—156.
502 SWcdEcr'8 ©cnlfd^rift üom 27. Sluguft über bie grinanalagc.
bcr Sluögabc neuer Slfjtgnaten aufS (äinbringlid^ftc gu »amen
unb öorl^erju jagen, tüaö auci) wtrflid^ eintrat, ba^ nämlid^ ol^ne
tjorl^ergel^enbe Orbnung be§ @taat§l^au8l^alt§ aud^ biefe neuen
Summen tierfdjwenbet tt)erben würben wie bie öicrl^unbert
SÄillionen ber Äird^engüter. 6r fanb bei biefem Slnlafe SBorte
poIitif(i)er SBeiöl^eit, um bei Sel^anblung öffentlid^er Slngelegem
l^eiten öor allen Slbftraftionen unb Dor ber ©efal^r gu warnen,
@9fteme an ©teile ber ©rfal^rung gu fe^en^. >Le gros bon
sens«, fagt er begeid^nenb, „ieben Sag möd^te td^ mit jieigenber
SSerel^rung öor il^m nieberfallen" ^j.
Sie ©enlfdirift, bereu SSerlefung bie SSerfammüing mit
froftiger ®leici)gültigfeit anl^örte, ift öom 27. Sluguft. SIm
31. Sluguft warf SouiUe bie meutemben aiegimenter gu Sftanc^
nieber. ©ie 5ßarifer ©emagogie madite in il^rer SButl& barfiber
SJiedEer für bm Sieg ber Orbnung öerantwortlid^. @d^on im
3uli l^atte ÜRarat in einem gegen il^n gerid)teten ^antp^Iet bie
wal^njinnige Stufd^ulbigung erl^oben, 9lecfer beabjtd^tige mit bcm
(Srgebnife jener niemals gegal^lten patriotif(i)en ßontribution eines
SSiertelS beö jäl^rlid^en ©infommenö bie SluSl^ebung unb S3e*
waffnung öon 500,000 3Kann gur Unterio(i)ung fjranfrciij^g ^).
©d^on frül^er, gegen @nbe öon 1789, öerjtd^erte Süobeötncrre
bem fpätem Suftigminifter ®arat, 9ledEer pifinbere ben Staat«*
fd)a^; man l^abe ©aumtl^iere, mit feinem ®olb belaben, auf
bem SSBeg nad) ®enf begegnet *). gortwäl^renb f al^ fid^ ber crftc
5!Jlinifter beö Äönig§ gu ben bemütl&igenbften Sfled^tfertiguttgen,
ben öergeblid^ften SBerfud^en gegwungen, gegen niebrige Angriffe
ben @d^u^ ber SSerfammlung angurufen^). 9lun, in ben erftett
©eptembertagen , fam e§ bal^in, bafe Sa iJa^ette, wäl^renb ber
^) De radministratioü de Monsieur Necker, par lui-meme, VII, 448.
*) Necker, Du pouvoir ex^cutif dans les grands Etats, VIII, 46.
^) Pamphlet de Marat contre Necker, Juillet 1790, bei Taine, Ori-
gines, etc. La Revolution, II, Psychologie du Jacobin.
*) Garat, Memoires, I, 97.
^) Necker, Troisieme Minist^re, VII, 402.
^ol^ungen bet $arifer Demagogie gegen 92edCer. 503
aufrfi^rcrifd^c 5ßöbcl in bcn Strafen öoti $ari§ SRad^e für bie
„9Rc^clcicn öon 9?anc9'' begcl^rtc, einen feiner Slbjntanten jn
SRcdtcr fd^icfen unb i^m bebeuten laffen mnfete, auf feine ©id^er»
l^eit bcbad^t ju fein. 6r ging naci) ©aint^Ouen, wo feine Sin*
fünft eine fold^e Aufregung l^eröorrief, bafe er e§ geratl^en fanb,
bie Slad^t aufeerl^alb feinet eigenen §aufe§, in bet ©egenb
l^erumirrenb, jujubringen. (grft be§ 3Korgen§ traf er lieber
bet feiner töbtlid^ erfd)rocfenen ©ema^lin ein^). 6r jögerte
nun nid^t länger, unter bem ^inweiS auf feine ftnfenben Gräfte
unb gänjlid^ erfdiutterte ©efunbl^eit bem Äönig feine (gntlaffung
cinjureid^en. Sie war entartet unb würbe unöerjüglid^ ange=
nommen. SKan banite e^ am |)of bem 9Jlinifter nid^t, bafe er
nod) in aUerle^ter Qtit bie ©mennungen für ben ©öil* unb
3Hilitärbienft, fowie bie fjortbeja^lung ber ^enftonen auf bie
föniglid^e Äaffe für bie Ärone gu retten gefud)t unb ber
Slationalöerfammlung 6injtd^t in baö fogenannte rotl^e Suc^,
boS aSerjeid^nife ber gel^eimen Sluögaben, ftanbl^aft verweigert
I^attc2). @elbft feinen 8flüdEtritt beutete ber ^arteiliafe gegen
ii^n a\x^, inbem (Sajaleg il^n alö einen 2lft ber ^eigl^eit branb«
marfte, im Slugenblid begangen, wo jeber gute Sürger bem
aSatcrlanb baS Dpfer beö Sebenö fd)ulbe^). 5Kid)t anberö fpradt)
ber viel gemäßigtere ferneres, ber ba§ SBort eineö anbem
l8cobad^ter§ citirt, 9ledEer l^abe mit einer SBaffermül^le auf ben
@d)ultern ftetö nad^ bem SBinb gefd^aut*).
3)er fd^eibenbe SJiinifter l^interliefe bem @taatöfdt)a^ , al§
©arantie für feine Sßerwaltung bm Setrag jener gwei SRiHionen,
bie ein Sal^r frül^er jum Slnfauf Don ©etreibeoorrätl^en öerauS*
gabt worben waren. &§ Hang wie bie bitterfte Sronie, wenn
ber SKann, bm ber ^afe ber SRed^ten unb bie ßeibenfd^aften ber
1) Droz, Histoire de Louis XVI, III, 265, 266.
2) Duchesse de Tourzel, M^moires, I, 167. Madame de Stael,
Considerations, XII, 387 u. ff.
3) Cazales, Discours du 16. Oct. 1790.
*) Ferri^res, M^moires, II, 135.
504 ^ nimmt feine ©ntlaffung, ©eptember 1790.
Demagogie itbercinftlmmenb für ben SRuin bcö Sanbc§ öcrant-
wortlid^ mad)ten, fein ©etüiffen crforfd^cnb, nid^tS anbereS ju
befemten fanb, aU bafe er, ber bem Staat ftet^ unentgeltUd^
gebient l^abe, jtd^ bod^ erinnern fönne, einmal eine ©enbung öon
grüd^ten unb Äarawanenfaffee an§ ber 5ßrot)encc angenommen
gn l^aben^).
3n ben Aufregungen beö §erbfte§ öon 1790 würbe eS
faum bemerft, \>a^ biejeö britte unb le^te 3Winifterium SledEer
mit ber gleid)en ©pifobe tüie fein erfte§ fdjiofe. 3n bem Sricf
nämlid), morin er ber Slationaberfammlung SÄittl^cilung öon
feinem SiüdEtritt mac^t, nennt er al§ einen ber Orunbe gu
biefem @d)ritt bie Slngft unb Sorge, bie eine ebenfo tugenbl^afte
als geliebte ®atttn um il^n öergelire; er fürd^te nid^t, fügte er
fpäter in ber 9fied)tfertigung§fd)rift über feine britte SScnooItung
Ijingu, ben @pott ber ©leic^gültigen ein gmeiteS 3Ral l^eraud»
guforbcrn, menn er bie SScrbienfte bcrjenigen anerfenne, bercn
unerfd)öpflid)e SBol^lt^ätigfeit ben öffentlid)en ©anf öerbienc^.
am 8. September 1790 »erliefe 5Recfer ^ari§, um ftd) mit
feiner grau nad) ßoppet gu begeben. > grau öon @ta6l bc*
gleitete bieömal i^re 6ltem nid)t. Slm 31. Sluguft war il^r jwcitcö
Äinb, ber ältefte il^rer ©öl^ne, Sluguft öon Staßl, geboren
worben, unb fo mußte ftc in mel^r al§ gered^tfcrtigtcn Sorgen
unb aiufregungcit um ba§ Sd)idfial ber Sl^rigcn gurficfbleiben.
a>icr Jage nad) Oledfer'^ Slbreife erl^ielt jte burd^ einen oon i^m
abgefd)idtten Courier bie 9?ad^rid)t, bafe er, obwol^I mit boppelten
^ffcn bc^ Äönigö unb ber Dktionaloerfammlung oerfe^en, in
3lrci^=fur::-3lube t»on einer mütfienben SBoItemengc aufgel^alten
unb al^ S^errätl^er an ber nationalen Sac^e feftgenommen loorben
fei. G^ bcburfte cinc5 befonberen Sefei^le ber ^lationaloerfamm«
lung, um bie ^eiterreife nad) ber Sc^meig gu ermöglichen,
•> De radministration de Monsieur Neck er, par lui-meme, VI,
3lV;^. ?Jotc.
^ ^rbc^^atdb•"t. VI, ;V2J. Madame de Stael, Consid^ntions, XII,
S>T - 396.
SWabamc S^cdEct nod^ einmal öffcntltd^ genannt. 505
wäl^rcnb wcld^cr er infultirt, bebrol^t, öon berfclbcn Scööifcrung,
bic il^m brciicl^n SKonate öorl^cr öergöttert l)attc, mit Steinen
getDorfen würbe. Qu aSefoul war er in Sebenögefal^r. ©eine
©letd^mutl^ öerleugnete ftd^ nid^t unb feine Älage fam über
feine Sippen, aber ber SBergleid^ mit Äönig Sear brängte jid)
il^m auf, unb \)ox ber unerbittli(i^en SBirflid^feit fan! ba§ @e»
bilbc feiner ^l^antafte, ba^ gefeierte Sbol ber frül^eren Sage
— bie öon 9?atur auö gute, gefül^löoHe SKeufd^i^eit, unb i^re
untrfiglid^e Stimme — l'opinion publique — inö tütxä) ber
Sräume jurüd. „^ä) weife nid^t", fdirieb er, ben Sarnaüe
als ben erften 3Kann beS europäifd^en ^Jeftlanbeö begeid^net,
ber wirflid^ baö, maö man ^Popularität nenne, befeffen l^abe,
„iä) weife nid^t, warum bie öffentlid^e 3Keinung nid^t mel)r
für midi) ift, xoa^ pe war. ®ie ©l^rfurd^t, bie id^ einft für fte
liegte, ift erfdE)üttert, feitbem id) pe öor benfelben 3Kenfcl)en gittern
fal^, bie pe hirge ^tit guDor gerid^tet unb ber @d)anbe über^
liefert ptte" ').
©a§ 3Kinifterium, an beffen @pi^e 9lecfer geftanben l)atte,
pel erft im 3flot)ember, junädöft in ijolge eineö SKifetrauenö^
öotumö öon 9Jiirabeau; nur 9Jlontmorin blieb in einer neuen
ßufammenfe^ung be§ ßabinetö bem Äönig al§ treuer, aber un*
entfd^lopener, ber Situation nid^t entfernt gewad^fener Slatl^geber
jur Seite. @§ blieben, al§ le^te unb eiujige 9JiögIidE)feit einer
©ntwinung ber d^aotifd^en Swfiönbe, bie SlefonftruftionSpIane
öon 3Kirabeau. 3Som Sunt bi§ jum 3. gebruar 1791 entwarf
biefer in fünfjig 9?oten an ben §of bie ©runbjüge einer ^olitif,
bic mit ftaunen§wertl)er (gnergie aKe §ebel ber nod^ t)orl^an=
benen Äräfte beö SBiberftanbö in Sewegung gu fe^en fud)te,
um ber entfeRelten Slnard^ie ßinl^^U ju gebieten. Äeine fRM^
fel^r jur alten Drbnung, fonbem Segrünbung ber Orbnung,
feine Slufl^ebung ber ßonftitution , fonbem |)erfteHung einer
^) De radministration de Monsieur Necker, par lui-meme, 1791, VI.
S3orrebe.
506 S)ic ißoten bon 9Rttabeau an bcn ^of.
©cgcn^ßonftttution, fein preisgeben beffen, waS gewonnen tt)or=
ben tft; fein Sw^ö^fornmen auf bie ^ßrioilegien , bie ungleid^e
SSertl^eilung ber Steuern, bie ©elbftänbigfeit ber ^roöinjen,
bie ©jrifteng ber ^Parlamente , be§ Äleruö unb ÄbeB al«
beöorjugter ©tänbe, wieberl^olte SWirabeau unablafjtg bem
§ot unb, beinai^ mit benjelben 3Borten, in feinen Sriefcn
an SBaf l^ington ^). 6ö fei, meinte er, für ben Äönig fein ge«=
tingerer ©emtnn als für baö 3SoIf, menn ein einl^eitlid^eö
Softem ber Steuererl^ebung , S^reil^eit, aber nid^t ©traflojtgfeit
ber 5|Jreffe, Solerang in religiöfen 35ingen, S3erantn)ortIici)feit ber
S)iener ber ©jcefutioe, ©leid^l^eit Silier oor bem ®efe|, (Sontrole
ber ^nanjen burd^ bie 5Kation geftd)ert blieben, ©agegen, fagt
SRirabeau, mufe ber Äönig bie il^m gebül)renbe Slutorität wiebcr
erl)alten, bie Uebermad^t einer g^aftion gebrod^en, ber S^ranncl
ber |)auptftabt über bie ^roüingen ein 6nbe gemad)t werben.
5Dlit jwei 3Killionen bewaffneter SUienfd^en läfet jtd) nid^t regieren;
bie Slrmee ift beSorganijirt, bie 5Rationalgarbc bagegen in bcn
Rauben ber 3!Kunicipalitäten; bem SSolf jtnb Sßcrfpred^ungen
gemad^t worben, bie 5Kiemanb Italien fann, ben ©efd^dbigten
ßompenfationen in 2lu§jict)t gefteKt, bie il^nen nie gujliefecn
werben. Sie ©efe^e jtnb nid^t beobad^tct, bie neugefd^affenen
Autoritäten, bie SRunicipalitäten, bie ©iftrifte, bie 35e<)artemettt«
l)emmen unb befel^ben jtd) gegenfeitig; bie ßonftitution tft bctö
SBerf ber gurd^t unb beö ^affeö, eine ungel^eure ßoncefjlon an
baö SSolf, um eö gu gewinnen, gu öerfüi^ren, unb il^m, jlatt
ber S^reil^eit, ein t^rannifdieS S^d^ aufguericgen. Auf ewige
©auer beredE)net, l^at jte tl^atfäd)lid^ nur für ben Äugettbücf
gearbeitet. Sie mufe umgeftaltet unb au§ il^rem aRatcrioI bie
gemäßigte SKonard^ie aufgebaut werben 2). ®a§ ift ba« 3id-
©ie 3KitteI jtnb, immer nad) 3Kirabeau, Unterftü^ng unb Ser«
wertl^ung ber ro^aliftifc^en ®ejtnnung im gangen ganb, burd^
0 Jared Sparks, Gouverneur Morris, II, 118.
^) Bacourt, Correspondance antra Mirabeau et de la Marck, II,
209 u. ff. unb 223: Notes du 6 et 13 Oct. 1790.
S)lc 9lotm t)on SWirabcau an bcn $of. 507
bic ^cffe, burd) 6Iub§, Stgentcn, glugfd^riftcn, änwenbung bcr
Softil ber ®cgner^), Befreiung bciS Äönigö unb feiner fjamilie
aus ber ^aft öon £a ga^ette unb ber 5ßarifer ©emofratte, aber
offen, öor aHer SEBelt, am l^eUen Sic^t beS Stagö, „tüte eS einem
Äönig gejiemt, ber e§ bleiben will'' 2).
S)er Sürgerlrieg gilt SUiirabeau als unöermeiblici), mal^r^
fd^einlid) aud^ als notl^tüenbig. SKan mufe ftci) nur fd^Iüfjtg
mad^en barüber, ob man il^n l^eranfommen laffen ober felbft
fül^ren Witt. Sa g^a^ette ift mad^tloS, fobalb er öerfud^t jtdö
gegen ben SBiUen beS 5ßarifer ^öbelS auf julel^nen, aber weil er
bie 3Kaci)t beSfelben nad^ Slufeen nod^ repräfentirt, mu§ fein
€inPu6 üemid^tet, ber ®eneral ber ^arifer 5KationaIgarbe un*
jdjäblid^ gemad)t werben. Se^tereS gefd^al^ aud^ wirflid) unb
gwar baburd^, bafe eS SKirabeau gelang, il^m bie bisl^er t)on
ber Giöillifte gewäl^rten S^^f^öff^ für feine ^ritjatpoli^ei ju
anfang 1791 entgiel)en ju laffen 3). ©ie SBirlung biefer SKa^*
regel madjte fid^ fo fd^nell fül^lbar, ba^ 3Kirabeau nun felbft
wieber ratl^en mufete, ben ©turj öon ßa fja^ette öorläupg el^er
oufjui^alten, als üorfdt)nell l^erbeiiufül^ren^).
3Som Dftober ift fein fül^ner aSorfd)lag, im g^all eS bod^
noc^ gelinge, bie SBal^l öon 2)eputirten ju 9Kiniftern burd^gu*
fe|en, biefe 9Jiinifter auS ben 3leil^en ber 3afobiner jU wäl^len,
bemt >les jacobins ministres ne sont pas des ministres jaco-
bins€ ; gur 9Rad^t gelangt, würben felbft fte gezwungen fein, bie
Hutorität beS ÄönigS wieberl^eräufteHen. Snt Scinuar betonte
er bie SHoti^wenbigfelt, bie 5Kationaloerfammlung in atten il^ren
Srrungen gu beftärlen unb fo burd) ftd^ felbft gu ©runbe gu
*) Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, II,
78 u. 418.
2) ebenbafclbft, H, 34.
3) @^bcr, ©efd^id^tc bcr SRcöoIutionSaeit, I, 216.
*) Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, III,
9 u. 27, Note du 17 Janvier 1791 unb S9ricf öon bc la Ward an SKcrc^
t)om 26. Sanuar 1791.
508 aWirabcau mit Sa ga^cttc cnt8»cit.
rid^ten. Sie muffe merftüürbige SBrillcn tragen, fd^rieb er feinem
Sreunb be la SKarcf, wenn bie ßntlaffung öon jwanjigtaufenb
Pfarrern il^r bie Slugen nid^t öffne ^). ©leid^geitig tl^at er iebod^
gerabe in ber fird)Ii(i^en fjrage lieber Sd^ritte, bie ba§ ®c=
wiffen be§ Äönigö erfd)redften unb aUen feinen Sebenfen gegen
SKirabeaa neue 9lal^rung gaben. 3n ben geftd)erten Seft^ be§
föniglidöen SSertrauenS gelangte er nie. 5Rad) wie öor mufete
er fxä) feiner ^Popularität al§ SBaffe gegen bie 3fteaftion§pläne
ber 3le(i)ten, ba§ SKifetrauen beö ^ofeö, ben ^a^ ber S^fobincr
bebienen. @ö war fein le^ter großer Sriuntpl^, bei Slnlafe
ber ®i§fufjion über ein ®efe^ gegen bie ©migrirten, mit ber
berül^mten Slpoftropl^e, bie ben „breifeig Stimmen" ju fd^weigen
befal^If bie ^läne feiner perfönlid)en ©egner, ber Samet^, ber
©uport, ber Sarnaöe unb il^rer Slnl^änger gu öemid)ten. @r
wieberl^olte oft, ber ®ebanfe fei ii)m unerträglid), pur an einer
grofeen S^^ftörung mitgearbeitet gu l^aben; um eingurcifecn, be«
bürfe e§ gemöl^nUdöer Äräfte, aud^ Sß^gmäen feien bagu gu
gebraud)en; gum Sßieberaufbau bagegen braud^e man SRänner,
unb eö feien feine gu pnben. „S^r werbet SKaffenmorbc, 3^r
werbet SKe^eleien l^aben", fagte er einmal auf ber SEribüne,
„aber nid^t einmal bie fürditerlidjen ßl^ren eine§ Sfirgerlriegi^
werben 6ud) gu Sl^eil werben'' ^j.
Sie gewaltige iJrage, ob 2Rirabeau im ^tanb gewefen wäre,
ben in§ SloHen gebrad)ten Stein aufgul^alten, bie SReöolution jum
©tittftanb, ben Äönig gum §anbeln, bie pafftöen Elemente ber
©efellfd^aft gur ©egenwe^r gu öermögen, l^at felbft fein bcfter
iJreunb unb aufrid^tiger Sewunberer, ber l^ier oft genannte ^rinj
Sluguft t)on 5lrenberg, ®raf be la 3!Karcf, öemeinenb beantwortet.
SKirabeau felbft ift burd) alle @tabien ber ©ntmutl^igung unb
ber 3"öc^P^)t gegangen, je nad^bem fein Slugenmerl mel^r auf
^) Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, II, 360,,
365, 370.
^) Madame de Stael, Considdrations, XII, 413. Dumont, Souve-
nirs sur Mirabeau, 218 u. ff.
SDiirabeau ftirbt, 2. Slpril 1791. 509
btc @d)n)äci)e unb UnjulängUcl)feit ber ^ülfömittel unb Sunbcö*
gcnoffcn gerict)tet war, ober baö ©cfül)! ber unerfd^ö^)fltd)en
Äraft beö ®eniii§ bei il^m überwog. SSieleö, wie bie Unterl)anb=
langen be§ Äönigö mit Sreteuil unb SouiKe öom Spätl^erbft
unb SBinter 1790/1791, ^at er nicl)t gewufet^). anfd)einenb
war er nie mäd)tiger gewefen atö im SJlärj 1791, nad) feiner
erflen glängenben $räjtbentfd)aft in ber 9?ationaIt)erfammlung,
nad) ber ©cene im ßlub ber ^afobiner, alö 2:räger beö S^reil^eitö-
gebanfenö unb Sefämpfer ber 2lnard)ie.
©a fam ber 2:ob, unb ba§ Problem, ob baS monard)ifd)e
Sranfreid) nod) gu retten gewefen wäre, blieb ungelöft. 3Jlixa^
beau ftarb am 2. Slpril 1791.
©er gewaltige (ginbrudE, t)en er auf §rau Don @tael ge=
mad)t, bie t^eilnal^msöolle ©gmpat^ie, bie er i^r abgerungen
^otte, fteigerten ftd) je^t, wo ber ajortjang über biefeö geben
gefallen war, „ba^ bie Seibenfd)aften umftridEten, wie bie
©d^Iangen beö Saofoon", gum ^)atriotifd)en @d)merj. 3loö)
unter bem unmittelbaren (Sinbrud beö SBerlufteö feierte jie bm
Sßann, „ber ftarf genug war, öon Crbnung ju reben ol^ne bie
ffurd^t öor bem ©efpotiöntuö, öon ber @id)er]^eit Sitter, ol)ne
ben a5erbad)t ju erwerfen, bafe er babei an 2lu§nal)men gu
©unften SBeniger benfe". „S)ie grofee ©id^e war gefatten'',
f(J)liefet ber erfte 2:t)eil ber ßonftberation^, „baö Uebrige liefe
jtd^ nid)t mel^r unterfd)eiben" ^j.
©afe ber erfte Slft be^ ®rama§ abgefpielt war, füt)lte
Sebermann mit il)r. S3eoor ber jweite mit jener unerbittlid)en
Sogt! folgte, weld)e bie ßreigniffe ebenfo ftd)er auö ©oftrinen
unb ^rincipien, wie bie 9?atur au§ bem ©amen bie grud)t
ableitet, fteUt ftd^ mit erf)öl)tem gntereffe bie ^Jrage, wo benn
%xau üon ©tael im SSBirrfal ber Parteien unb 9Jieinungen bie
1) Droz, Histoire de Louis XVI, III, 327.
2) Madame de Stael, Cousiderations, I, 354 unb A quels signes
peut-on connaitre quelle est l'opinion de la majorite de la nation, 1792,
XVII, 325.
»Icnncri&aifctt, 5rau non etaet. L 33
510 ff^^u ^Jöit ©tael übet feinen %oh.
ßeugen auö frül^crcn Sagen, bie ^reunbe bcö SSaterl^aufc^ unb
ber S«8^nö gefunben i^at, öor SlKem ©old^c, bereu geiftigcg
SBefen baö il^nge mit gewedEt unb beftimmt l^attc, bereu 9Rei*
nung für uuö 5lHe ben unöergleic^Iiciien Sßertl^ beplt, bafe jie
uid^t nur jur SSemunft, fonberu gum ^txf^tn fprid^t uub mit
unfern tl^euerften ©rinnerungeu öerwebt bleibt, fo bafe auf ba§
ßiuöerftänbuife mit il^r üerjid^ten muffen ju ben f(i^merjli(f)ften
Opfern beö Sebenö gel^ört.
6in Urtl^eil, ba§ befonberö inö ©etüid^t fallen mufete, war
jeneö öon ©ibbon. 3m 5)loöember 1790 erfd^ien bie Slnflage-
fd^rift öon Surfe, öon ber noc^ fünfgig ^af)xt fpäter geurtl^eilt
tt)orben ift, jie l^abe baö Sünbenregifter öon 1789 erf(i)ö<)ft ^).
S)ie SBirfung ber „Setract)tungen über bie frangöftfd)e SReöo-
lution" mar eine gang ungel^eure; in einem 3al^r öerfaufte man
über breifeigtaufeub ©yemplare biefer SBiberlegung ber SReöo^
lutiou burd) eine anbere Sleöolution, ber SBerurt^eilung öon
1789 burc^ bie SReci^tfertigung öou 1688. S)ie (äntgegnungcn
ber SBiberfact)er öermel^rten ben ©rfolg laum meniger ate bie
entl)uftaftifd^en Sobeöerl^ebungen ber ©eftunungögenoffen. Um
Surfe gu miberlegen, f(i^rieb 2:f)oma§ ^aque „bie SKetifd^em
redete'', bie lohnte nur nod) ba§ geflügelte 2Bort öor Ser*
geffen^eit bemal^rt, Surfe l)abe, baö ©d^idffal be§ frangöftfd^en
Slbel^ betrauernb, „über ber Älage um ba^ glängenbe ®cfieber
be§ fterbenben SSogel^ öergeffen''. ©er fed^Sunbgioangigiäl^rige
SameS 9Kadfintofl) rid^tete bie Vindiciae Gallicae gegen ben
SJlann, ben er bereite menige '^af)xt fpäter in reuiger Sewun«
berung neben Sorb Sacon unb ßicero fteHt^). ^ebrid^ ®en^
überfe^te bamal^, öon 3Kirabeau gu Surfe jtd^ menbenb, feine
©d^rift ate ben großen antireüolutionären ÄatedE)tMui5, ber bie
©eutfd^en im Äampf gegen bie SReööIution ftäl^Ien, ben ®eifl
ber 5ftation im ßinflang mit feiner eigenen ©ntmidlung öon
') Romusat, L'Angleterre au XVIII Siecle, 393.
-) Memoirs of the Life of J. Mackintosh, I, 91.
^olttifd^ct ©tanbpunft bcr grtcunbc i^tcS SSatcr^aufcS. 511
^attlrctd) ab unb auf ©nglanb l^inübcr leiten fottte, „ba§ burd)
bie Stimme eineö feiner größten Sürger gewarnt, ber 3Belt bie
Seigre unb ba§ Seifptel ber Steilheit erl^alte". Slud) ©Ibbon
gögerte md)t, eö il^m mit warmer Slnerfennung ju banfen. „©a§
Sud^ t)on Surfe", fd^rieb ber grofee ^iftorifer, „ift ba§ grfinb*
Hd)fte Heilmittel gegen bie franjöpfd)e Äranfl^eit. 3c^ bewunbere
feine Serebfamfeit, ic^ tl^eile feine politifd^en Slnfd)auungen, id^
fd)tt)(mne ffir feine Sfiitterlic^Ieit unb bin nic^t weit baüon ent=
femt, il^m felbft feine ©l^rfurd^t öor ber @taatöfird)e gu öer*
geilten" 0.
Sftid^t weniger rüdfl^altloS war bie Siifttow^iing be§ Saron
©rimm, ber bi§ jum @d^lufe be« 3a]^re§ 1790 in ber litera^
rifd^en 6orrefponbenj baö ©Aftern befämpfte, mit bem er feit
ber ^olemif gegen SRouffeau öertraut war, unb öon bem er öorl^er^
fagte, e§ werbe, im %aVi beö ©rfolgeö, bie ©ad^e ber SWenfd^l^eit
auf lange l^inauS in fjrage ftellen. Sll§ er bie „Setrad^tungen
Aber bie franjöftfd^e Siebolution" gu ®eftd^t befam, erfdöien e§ il^m,
ate bringe baö &6)0 feiner eigenen ©ebanlen gu il^m gurürf. „®a§",
fcftretbt er, „jtnb bie (Srwägungen be§ ^ßl^ilofopl^en unb Staats^
mannet, ber gewöl^nt ift, über bie ®runblagen ber focialen
Orbnung unb ba^ SRäberwerl, ba^ bie politifd^e SWafd^ine in
®ang l^ält, ftd) SRec^enfd^aft gu geben, ol^ne fte immer wieber
ber ®efal^r auögufe^en, ftd^ felbft gu beSorganipren unb gu ger-
ftören" ^). S3on biefem S^ttpunft an fd^weigt bie ßorrefponbeng.
®rimm mod^te fül^len, bafe bie 5ßolitif, bie er üerwarf, il^re
Seben^bebingungen in eben ben (grgeugniffen fd)öpfte, bie burd)
il^n unb burd^ ©iberot ben ®eift unb ®efd)mac! ber europäifd^en
großen SBelt gewonnen unb für il^re Sl^eorien gefd^ult l^atten.
Su bem gleid^en ©d^Iufe wie ber finge, nüd^tern unb felbft
^jefjtmiftifdö geftimmte ®eutfd)e war ber leid)tlebige @üblänber
SJtarmontel gefommen. ®ie gu lange feftgel^altene 2:äufd)ung,
0 R^musat, L'Angleterre au XVIII Siäcle, 387.
2) Grimm, Correspondance litteraire, XV, 233.
33'
512 Örimin. 3)2armonteI.
\>a^ u)enn aud) nid)t Slllc groß, fo bod) bie 3)iciftcn flut feien,
ber nam ©laube, ia^ ber 3Selt „mit moraIi)d)en ®efd)ie^ten,
wie bie ^nta^ unb Selifar" geholfen werben fönne^), W)id>
nun aud) bei i^m einer e^rlid)en ©ntrüitung. ©ouöerneur
9)torriö ersäl^It, ba^, wenn bie S^iSfuifionen jener Sage ftd)
in metap^gjt{d)e 2lllgemeinf)eiten üerloren, 3Ramtontel [trenge
SJeftnitionen ju ijcrlangeu pflegte, unb einmal, nad) bem SMuer
bei i^m, burd) Sefte^en auf einer foId)en in Sejug auf bie
aRenfd)enred)te, feine @egner entwaffnet ^abe-).
Unb 93iorri5 fclbft. 5)iefer 9Kitbegrünber einer Slcpublit
t)atte, eine 2[uäna£)me imter beinaJ)e allen feinen S^ttg^noffcn,
an feinem Urtl)eil über granfreid) nid)t3 gu änbem. S)ic ©r*
eigniffe l)atten il)n nur barin beftärtt. 5)er Job Don 3Wirabcau
galt il)m faum al^ ein SBerluft. 3luf feiner SBagc jtttlid)en
aSertl^e^ waren bie ®aben beö @eniu5 of)ne bie Sfirgfd^aft bei^
(E^aralterö gewogen unb gu lcid)t befunben worben. 3lbcr er
äal)lte eben bod) einmal ben Sribut menfd)lid)er Srrtl^umSfdl^ig*
feit, wenn er ©rfafe für 3Wirabeau in ber ^erfon oon Saße^ranb
gu finben glaubte. Um fo flarer fpiegelt pd) bie Situation in
ben Sriefen, in weld)en 2Korri!§ über bie ©inge in g-ranfreid)
an 3Safl)ington berid)tet. Sic lefeu ftd) nod) ^eute wie eine
l^iftorifd)e ©arfteHung unb geigen ftd) in il^rem öoUcn aBertl^,
wenn man fte mit geitgenöfitfd)en föorrefponbengen, wie unter
anbern mit ben unbebeutenben ©epefd)en be^S britifc^en ©efanbten,
£orb ©ower^) ober ooHeubö mit ben Sriefen öergleid^t, bie
£a 5ai)ette an SBafl)ington rid)tete. „^itlleö waS beftanb",
fd)reibt biefer im 3luguft 1790 feinem grofeen greunb, „l^aben
wir Dernid)tet. $ßietleid)t war e§ ba§ eingige SJtittel, unjä^ligc
^inbcrniffe gu überwinben. 23ir t)aben I)ierauf eine gange
9Jlenge conftitutioncUer, Icgielatioer unb abminiftratiöer ©etrctc
') Sainte-Beuve, Marmontel. Causeries du Lundi, IV, 516.
'-) Jared Sparks, Gouverneur Morris, I, 353 unb II, 89.
^) The Despatches ofEarl Gower, Cambridge University press, 1885.
awortis. 513
gefd^affen; öon ben leiteten nur ju öiele. ®lärflid^er SSSeife
l^abe id^ bie SBerfaminlung uon ber SRotl^tüenbigfeit überjeugt,
eine ßrflärung ber 9Kenfd^enred)te öorauSjufd^icfen. ®ie meiften
nnferer ©elrete jtnb beun aud^ bamit übereinftimntenb. Unfere
Errungen jtnb nteift tiopnlärer nnb f^iefulatiöer 2lrt. SBir bürfen
red)nen, bafe ber 6inflnfe ber SSRonarä)k jte in n:)enigen ^al^ren
nnb bnrd^ eine jmeite ßonüention öerbeffem ttjerbe. SBären wir
auf I)albem SBeg ftel^en geblieben, e§ roixxt unmöglid^ gewefen, bie
@d)n)ierig!eiten jn fibenrnnben, bie Sornrtl^eile au^jurotten. ®a§
war e§ eben, xoa^ ben @ifer in mir roaä) erl)ielt, alle ariftofratifd^en
(ginrid^tungen bei nn§ bi§ auf ben legten SReft ju gerftören" ^).
SBenige 9Konate fpäter fd^rieb ©ouöerneur 5Rorri§ an ben*
felben SBafl)ington: „®iefe§ unglüdfelige Sanb, burd^ SSerfoIgung
ntetapl^i)jtfd[)er ©d^ruHen in aßen feinen Gegriffen öerwirrt, bietet
bem ftttlid^en Urtl^eil ba^ Silb angefammelter 9fluinen. S)er
©ouüerän, gum ©egenftanb be§ 9KitIeib§ eine§ Settler§ l^erab=»
gerüdft, ift ol^ne ^filfiSmittel, oI)ne Slntorität, ol^ne ^eunbe.
Sie 3SerfammIung, gugleid^ ©ebieter unb ©flaöe, ift ber 3Rad^t
ungemol^nt, jügelloö in ber Sl^eorie, in ber ^ra.ri§ rol^ unb
unüerftänbig. @ie bemäd)tigt jtd^ aller Serwaltungöjweige ol^ne
auf einen berfelben genügenb borbereitet ju fein; fte l^at biefem
DertDüberten, graufamen SBoIf äße Sanbe ber SReligion unb ber
©l^rfurdbt gelöft @o bleibt nur bie eine Sf)atfad^e feft:
eine glänjenbe ©elegenl^eit ift öerfäumt worben unb, für biefe^
gWal menigften^, ift bie SReboIution mifegifidft'' 2).
5)er ßmpfänger biefer Sriefe liefe feinen S^cifel barüber
beftel^en, mit weld^em feiner beiben Gonefponbenten er überein*
ftimmte: „2lHe§ roa^ wir au§ granfreid^ l^ören", fc^rieb er an
Sa g^a^ette, „pöfet unö mel^r fjurd^t ate |)offnung ein"^).
»)La Fayette, M^moires, III, 138. Sa go^cttc an SBaf^mgton,
28. Sfuguft 1790.
2) Jared Sparks, Gouverneur Morris, II, 117. SWorri§ an SBafl^mg«
ton, «Paris, 22. D^oöcmbcr 1790.
^) La Fayette, Memoires, II, 118.
514 MoxcUtt. ©upont be SlcmourS.
®eorgc SBafl^ington, unter atten SaJ^nbrcc^cm bcr fjrcil^cit
einer ber aufrid^tigften unb ßröfeten, ftanb mit bem jtd^em po*
Utifc^en Snftinft feiner Süace ju 6bmunb Surfe.
©ie öfonomifd^e ©d^ule, bereu 3fieil^cn ber Sob bereits ge-
lid^tet l^atte, fonnte bod^ nod) gwei altbewäl^rte Kämpfer ftetten,
ben i5reunb ber Familie nieder, Slbbe SJlorellet, unb ©upont
be 5RemourS. SJioreUet rid^tete ein befonbereS „ßrebo" ber
Sbeen t>on 1789 gegen ben Umfturga^joftel ßl^amfort, unb jögcrte
mit bem ©eftänbnife nid)t, bafe ber 5Rerü ber ganjen 33ett)egung
im Slngrift gegen ben Seft^ liege ^). Sin feinen greunb 35u^3ont
ift ber l^öd^ft merftüürbige 33rief öon Surfe nad) ben Dftober*
tagen gerichtet, ber mit bem ©nburtl^eil über bie Söenbung ber
©inge jwar nod^ borpd^tig jurfidfl^ält, aber boä) fd^on gewid^«
tige Sebenfen auöfprid^t^). 3)u^3ont, alö er fat), wol^in bie SSc^
wegung gielte, öerlor feine Qütf jtd^ il^r entgegenguwerfen. 3!JKt
SRalouet, SaUg^SoUenbal unb ßlermont Sonnerre tl^eilte er bie
(äl^re, t)om ^öbel infultirt ju werben unb fe^te inSbefonberc
nad) ber Slffaire üon 3lancq unb wäl^renb ber S)i§fuf jtonen über
bie Slfftgnaten feine perfönlid^e ©ic^erl^eit gur Slufrec^tl^altung
ber Orbnung, beö Oefe^eö unb einer el^rlidien ginangwirtl^fd^aft
aufö @^3iel. ^oä) im S^l^^^ 1791 faufte er eine ©rucferei unb
grünbete ein 3^'tungSbIatt; um in ber 5ßreffe bie ©ad^e ber
conftitutionellen SRonard^ie fortgufül^ren, bie bis bo^n öon
SRallet bu 5ßan im „SJiercure" öerf ödsten »orben war.
3ur großen S^i^l S)erer, bie bereits eingulenfen fud^ten, gc»
l^örte ber erfte unter ©enjenigen, bie g^rau üon ©taöl, ba fle nod^
beinal^ ein Äinb war, gu literarifd^er Slrbeit ermuntert l^atten, bcr
Slbbe afia^nal. SKalouet, öon ©ainte^Seuoe „ber 33eid^töater ber
poUtifc^en ßonöertirten" genannt, ergä^It in feinen SKemoiren,
tt)eld)e Umftimmung über ben bereits ad^tgigjälirigen Söerfajfer
ber „pl^ilofopl^ifdien ©efc^id^te beiber Snbien" gefommen »ar,
0 Morellet, Memoires, bei Lavergne, Les Economistes franfais, 370.
2) Prior, Life of Burke, II, 41, 42, 43—50.
mU Sfla^nal. ©uatb. süiontbfter. 515
beffen ©cnbfdbreiben an bie 9?atlonalDerfammlung ber S^rn bcr
£in!en al§ bie mac^tlofe ©rol^ung eineö alter^fd^wad^en ®rcifc§
übertäubte. Unter Senen, bie ben äugenblidf für gelommen er»
ad^teten, im @inn ber gemäßigten ^btm ju wirfen, war unter
anbern aud) @uarb. ®er föniglid^e ßenfor, ber ben „^garo'\
als „ein ^robuft fcl^Ied)ten ©efd^macfs unb fd^led^ter ©itten",
üon ber 33ü^ne l^atte fem l^alten moHen, änberte feine ^Jleinung
nid^t, al§ bie Äomöbie jur Sragöbie umfd)lug. ^ont^coulant
berid)tet in feinen Sentoürbigfeiten, ba% @uarb ju fagen pflegte,
man muffe feinen Segriff öon bem 3Befen beö 5!Kenfc^en unb
feiner ©efd^id^te l^aben, um auf ben ©ebanfen ju verfallen, e§
ließen ftc^ bie e;rotifci^en 5ßflanjen ber ®emo!ratie auf bie tief=
liegenben SBurjeln einer alten 9Konard^ie fe^en^).
®iefe Sluffaffung vertrat @uarb unter 5!Jlttplfe t>on Sacre-
teile im Journal »Les Independants«, baö biö gegen @nbe
1792, ba§ l)eifet fo lange als überl^aupt nod^ möglid^ erfd^ien.
3n ber 1791 öeröffentlid^ten @d^rift öon SKontlojter „über bie
Äunft, eine Station ju conftituiren", bie ftd^ bie ©lüdfmünfd^e
Don Surfe ermarb , erfannte Sfleder feine Ueberjeugungen
iDteber^).
5lud^ ber franjöpfd^e ÄleruS, auf beffen SunbeSgenoffen«
fd^aft er fo grofee Hoffnungen gefegt l^atte, enttäufd^te biefelben
nid^t. 2)ie beften unb erleud^tetften feiner 9JKtglieber erftrebten
bis jule^t eine SBerftänbigung mit ber Siebolution. SBorftanb
beS ©eminarS oon @aint=»@ul:pice mar jener fromme unb ge»
leierte W)he ßmerg, ben SiobeSpierre nur beSl^alb nid^t l^in=
rid^ten liefe, meil feine ©rmal^nungen baS ©d^reien ber gum
Stöbe Serurt^eilten öerl^inberten ; fpäter l^at il^n aud^ Sflapoleon
nid^t JU beugen öermoc^t. Sm Sntereffe beS religiöfen g^riebenS
unb obmol^l bereits ®emalt angemenbet morben mar, öeröffent»
0 Pont^coulant, M6moires, I, 106.
2)Bardoux, Le Comte de Montlosier unb beffen Sd^rift L'art de
constituer les peuples.
516 ^^e entcr^.
Iid)te 6merq nod^ 1791 bie Dom Derföl^nlid^ftcn @eift bnrä)'
brungene @cl)rift „über bie ^rincipien ber ©ouüeränctat'' ^).
6ine ber beften ßeiftungcn in ber angegebenen 3iid^tung aber
war 3lerfer'§ Sud) über bie ©rehitiDe, ba^ ein ^a\)v nad^ feinem
afiüdtritt unb faft gleid^jeitig mit ber ®efd)ic^te fcine§ britten
93Zini[terium§ entftanben, Slnfangö 1792 erfd^ien.
3n biefer bebeutenbften feiner politifd^en ©d^riften gibt
9?e(ier bie (gd^ilberung unb ^tif be§ 2SerIe§ ber ßonftituante.
6r verfolgt ben Slufbau ber SSerfaffung, bie t>on ber 5[ÄonardE)ie
au^gel^enb unb biefelbe al§ ©taatsform ^iroflamirenb, ben 5j:i^ron
mit republifanifd)en ^nftitutionen, mit einer eingigen, über=
mäd)tigen, !einer ßontrole unterworfenen, über aBe Süegierungö^
gewalt üerfügenben Kammer umgab, bi§ i^re 745, mit tägltd^
18 granfen l^onorirten ©eputirten bem Äönig üon granfreid^,
„al§ it)rem erften 6ommi§'' il^re Sefel^Ie ertl^eilten, unb er
ftd) gezwungen fal), wenn er eine ®ratififation üon l^unbert
granfen gewäl)ren wollte, il)re ßinwilligung nad^jul^olcn. ©iefc
ol^nmäd^tige 931onard^ie, „bie gum blofeen 9lamcn geworben,
für bie Slation balb ein ju f oftfpieliger Suruöartifel fein werbe** ,
oergleid^t Sledfer mit ber ©teUung be§ ^rdjtbenten in ben SScr*
einigten Staaten, mit ben Sefugniffen ber Häupter europSifd^cr
SRepublifen, um jum ©d^lufe ju gelangen, bafe bie Gonftruirung
ber @;re!utit)e oon ben fraujöfifc^en ©efe^gebem einfad^ öergcffen
worben fei. SSon aßen Söogenfd^lagen beö ©leic^l^eitÄprinclpS
unterwül^lt, beö @d^u^e§ ber ©l^rfurd^t beraubt, fönne ber Sl^ron
ol^ne fociale |)ierard^ie nid^t beftelien. Sin feine ©tette fei bie
auf puren Slbftraltionen berul^enbe aSoIIöfouüeränetät getreten,
ein Seber l^abe ftd) in ©egenwart be§ neuen ©ebieterS gefragt,
wie biefer benn am ftd)erften gewonnen werben lömte. 3)em
fran3öftfd)en 3lationaId)arafter entfpred^enb, fei eö baburd^ ge*
lungen, ba^ man, t»or 2lßem burd) baö ©efret öom 19. Swnt
') Garnier, Notice sur l'Abbe Emery. Gosselin, Vie de TAbb^
Emery.
5«c(fcr'g S5u4 über bic ejcluttbc. 517
1790 fiber abfc^affung beö Slbetö, feiner eitelfeit gefd^meiti^ett,
unb einen ganj falfd^en 2lu§gangöpunft wäl^Ienb, bie i5reil)ett
t>on ber abfoluten ©leid^l^eit bebingt jtd^ gebadet l^abe, wäl^renb
tl^atfad^Hd^ jebe wirflic^e ^eil^eit burd) bie fd^ranfenlofe 9Kad)t
ber SftationalDerfammlung Dernic^tet fei, bie felbft lieber ber
populären Strömung in ben 6Iub§ unb anbern politifd^en ®e-
feUfc^aften gel)ord)e^).
5)ie ©d^ilberung [timmt mit jener öon Surfe überein, aber
ber Slu§tt)eg Sfleder'ö auö bem Sab^rintl^ ift nid^t ber Slu§tt)eg
bon Surfe.
©iefer ISfet bie vielerörterte ^tage bei Seite, ob fjranfreic^
eine 3Serfaffung befafe, um bagegen ben SSemeiö ju fül^ren, bafe
e§ alle Elemente ju einer fold^en, Slbel unb Äird^e, Stotabeln
unb @tänbe, Korporationen unb Sürgertl^um, ^agiftratur unb
3Bel)r[tanb gel^abt unb jerftört l^abe. 9ledfer glaubt mit il^m,
ba^ nur ber Umfturs gelungen unb bie Sleform gejd^eitert fei;
aber er fud^t ba^ $eil, ftatt in ben gegebenen SBerl^ältniffen, im
fernliegenben Sbeal ber brittifd)en ßonftitution^).
6ö üerbient bemerft ju werben, ba§ ber ©ebanfe beö
göberali§mu§, ber al§ Slnflage be§ SSaterlanb^berratl^ö gegen
bie ©ironbe gefd^leubert werben foHte, in ber gleid^en 2lbjtd)t
bem (ginflufe öon 5ßariö ©d^ad^ ju bieten, bei 5ftecfer auftaud^te.
6r l^ält gwar bie @d)öpfung t>on fjöberatioftaaten in Europa
überl^aupt nid^t für burd^fül^rbar unb bemerft inSbefonbere,
„g=ranfreid^ bebürfe mel^r be^ ©langet al§ beö ©lüdfeS", neigt
aber perfönlid) entfd^ieben baju unb fagt auöbrüdflid^, wenn bie
franjöftfd)e SSerfaffung ftd^ nid^t öerbefferungöfäl^^g erweifen
foHte, fo würbe ein göberatibftaat bem gegenwärtigen ßuftanb
^) Necker, Du pouvoir ex6cutif dans les grands itats, VIII, 23, 29,
33, 106, 108, 111, 276, 297, 306 unb IX, 290, 294, 379, 578, 582. 3«
ocrgl.: Burke, Reflections on tbe French Revolution, Nov. 1790. Lecky,
History of England in the XVIII Century, V, 469—473.
2) Neck er, Du pouvoir executif dans les grands Etats, VIII, 42, 47,
53, 157 unb IX, 290 u. 578.
518 SRedfer unb SWirabcau über bcn göbctaKöftaat.
tt)ctt öotjujtel^en jcin^). ©erabe in bicfcm $uttft l^at Slccfcr,
wie fpäter bie ®ironbc, einen Vorgänger in SKirabeau gel^abt.
©iefer war fo fel^r üon ber Slotl^wenbigfeit burd^brungen, ber
übermütl^igen Sqrannei ber ^auptftabt ein ®egengett)id)t in bcn
Sßrobingen ju fdiaffen, ba^ er an be la SKard fd^rieb: „^ä) bin
übergengt, bafe ein grofee^ SReid^ nur bann erträglid^ regiert
werben fann, wenn eö jtd^ in eine ßonföberation Reiner Staaten
auflöft unb baS unfrige entweber ju ©runbe gelten ober ftd^ fo
conftituiren wirb" 2).
5fterfer'ö wol^l nur feiten mel^r befragtes, umfangreid^eö
3Ber! entplt aud^ Sluffd^lufe über eine offen gebliebene Srage.
SiSl^er würben bie Slnfänge ber boltrinären ©d^ule auf 5ßedfer
unb feine ©eftnnungögenoffen jurürfgeffil^rt; bagegen ift au^er
Sld^t gelaffen worben, bafe ber 5ftame bafür öon il^m, aber
nid^t in Slnwenbung auf ftc^ unb feine greunbe l^errül^rt. Sn
ber ©efd^id^te feineö gweiten 5!Jlinifterium§ nämlid) f^jrid^t 5ßecfer
öon ben „öfonomiftifd^en ©oftrinören'' ^), unb im 28erl über
bie 6;refutiüe wirb „eine Heine @d^ar t>on ©oftrinären" — bie
Häupter be§ nad^l^erigen gonüentö — für ba§ ©leid^l^eitabogma
ber SReöoIution berantwortlid^ gemacht*). Sei Sittre finbet fld)
bie Segeid^nung nid^t weiter al§ biö gur Sieftauration unb einer
fpottenben SBiergeile t>on 33eranger auf 3fio^er»6oIIarb im Nain
jaune, einem SBiplatt auö bem Sa^r 1816 jurüdEgefül^rt^).
3)ie ©ejtnnung, bie pd^ bei il^rem SSater unb il^ren %xmn^
ben auöfprid^t, erfd^eint bei ^rau öon ©tael, in einer ber we«
nigen gleid^ jeitigen SReinung^äufeerungen, bie wir öon ti^r befl^cn,
*) Neck er, Du pouvoir ex^cutif dans les grands ^tats, VIII, 29,
283 u. 430. Öcfct, ««cdEer'ö stocUcS iminiftctium, 11, Si^ote. Neck er, Der-
niöres vues de politique et de ünance. Oeuvres completes, IX, 189.
^) Bacourt, Correspondance entre Mirabeau et de la Marck, I, 451.
Mirabeau an de la Marck, Paris, 19 Jan vier 1790.
^) De Padministration de Monsieur Neck er, par lui-m^me, VI, 260.
*) Neck er, Du pouvoir executif dans les grands Etats, VIII, 285.
*) Littre, Dictionnaire, II, 1205.
Uxfprung bet IBeaetd^nung : S)oItrin&r. 519
nid^t untt)efcntliä) mobipcirt. &S tft bic Sobrcbc auf bcn am
6. SJlat 1790 öcrftorbencn ©rafen ®uibert, bic gtoar nid^t im
S)ruc! crfd^iett, aber öon $anb ju §anb ging mxb brud^ftüdf«
tt)cifc in ©rimm*^ ßorrefponbcuä mitgetl)cilt würbe ^).
©uibcrt war ein Offijier öon glänjenber Sapferfeit. 5llS
Sülilitärfd^riftfteller l^atte er ein Sud^ gefä)rieben, ba§ gucrft
griebrid^, bann 5Rapoleon il^ren ©enerälen em:pfa]^len, unb baS
SBaf^ington feinen Ärieg^gefäl^rten nannte 2). Slud^ Weitete
©uibert Sragöbien, bie ju SBcrfaiUeö aufgefül^rt würben unb
tl^m bie Porten ber Slfabemie öffneten. @ein SSerfud^, bie fran*
göfifd^e Slrmee nad) bem 3Rufter ber ^3reufeifd[)en umgugeftalten,
war, wie bereite erwäl^nt, mifeglüdtt unb l^atte bem begeifterten
Sewunberer iJriebrid^*^ bie Ungnabe öon Dben unb bie l^eftigfte
©egnerfd^aft im ^eere jugegogen, an weld^er feine militärifc^e
Saufbal^n unb bann feine ßanbibatur für bk ©eneralftaaten fä)ei*
terte. Später würbe ©uibert, beffen ©^mpatl^ien ber Sieöolution
aufö iJebl^aftefte entgegen famen, bennod) ©eputirter be^ SierS.
S)a er aber ate foId)er bie 3fieorganifation be§ .^eereS unb eine
ftreng bi§ci^3linirte Slationalgarbe »erlangte, würbe er nod) ein*
mal einer ber unpopulärften SJlenfd^en in granfreid^ unb ftarb
bitter enttäufd)t im beften SJianne^alter. JDie Ungunft be§
©d^idfalö gegen il^n fteigerte bei Srau Don @tael bie ^lage
um feinen S3erluft. ©uibert'ö ritterlid^e aSerel)rung für baS
unter feinen 3lugen l^erangewad^fene junge SJläbd^en l^atte il^rer
Sugenb gefdf)meiä)elt; fie »ergafe nid^t, bafe er ber erfte gewefen
war, il^re fünftige Seftimmung gu al^nen, unb glaubte fein
Slnbenfen nid^t beffer als burd^ ben SluSbrudE einer ®eftnnung
eieren gu Knnen, t>on ber jte wufete, bafe jte aud^ bie feinige war.
3m @egen[a^ gu ben Slnfd^auungen öon 3ledfer unb feinem
Äreife neigt biefe ®ejtnnung ftarf nad) linfö. Sie mifet nid)t bie
') Madame de Stael, Eloge de Guibert, XVII, 275 u. ff. Grimm,
Correspondance litteraire, Aoüt 1790.
2) Comte de Guibert, Essai g^n^ral de tactique, 1790. Baron
Amber t, Le Comte de Guibert, Revue contemporaine, XXVI. 253.
520 SWad^ruf Don Srtau t)on ©tael an ©uibcrt, 1790.
Siefc be§ 2lbgrunb§, wie bcr ftcrbenbc SKirabeau; jte fpricl)t nid^t
mit Surfe unb ©ouüerneur Portio beu trauernben SSerüid)t auf
bie fjreilieit au§; pe n^eife nid^tö üom Sefenntnife ber 9Kounier
unb ?!WaIouet, bafe ein grofeeö @;t:periment gefd)ettert unb bcr
Älaffenl^afe be§ alten 9flegime jur $t)bra beö ^arteil^affeS öer-
öielfältigt worben i[t; mit allen Hoffnungen jugenblid^er Äraft
unb S^öerjtd^t ftel^t jte mitten in ber Gegenwart, gefällt ftd^
im Äampf unb öertraut auf bie ßi^fw^ft- S3or ben g^aftiouen
freilid^ warnt aud^ g^rau öon ©tael. Slber fte finbet e§ natür^»
lid), wenn eine ©eneration, „bie t)on ber Äned^t[d^aft gur %nH)tit
übergegangen ift, nid^ts fo fel)r al^ bie diMhf)x jur ©flaöerei
fürd^tet unb üor 5lllem üor ber Stirannei gefc^ü^t fein wiU".
©uibert l^atte bem Äönig ba§ Siedet über Ärieg unb fjrieben
nid^t jugeftanben wiffen wollen. 3m ©egenfa^ ju ben ge«
mäßigten 3iot)aliften, bie in Uebereinftimmung mit SUeder unb
5Rirabeau eine fd^were SSerle^ung unb ^nfulte ber föniglid^en
^rärogatiöe barin erblidten^), ift fjrau öon ©taäl in biefer
grage auf Seite öon ©uibert unb nennt bie am urfprfinglidE)en
Sorfd^lag 3Rirabeau'§ burd^ bie SSerfammlung vorgenommenen
SSeränberungen ,, weife SKobipfationen".
Sftod) fd^ärfer jeigt pd) biefe üorgefd^rittene Senbenj in
einem Slrtifel, ber ol^ne ben Flamen öon gtau öon Staßl, aber
öon i^r gefd^rieben, in bem bereits erwSl^nten Statt t>on ©uarb unb
SacreteHe, les Indäpendants, erfd)ien. 6r befd^äftigt pd^ mit
ber Srage, wol)in bie wal^re ^Kajorität ber Station tl^atfdd^lid^
neige unb entfd^eibet biefelbe ju ©unften einer SRittelpartci,
weld^e bie 5Ronarc^ie jwar al§ notl^wenbig, jugleic^ aber bie
SRüdffel^r jum Sllten für ebenfo fträflid^ aU unmöglid^, unb ba«
Heil in ber Slufred)tl^altung einer ftarfen gefefelid^en Drbnung
erfenne, wie SUlirabeau pe fterbenb gewollt l^abe, „um Steilheit
unb ©leid^l^eit ju retten. . . ." „&^ gibt'\ fo argumentitt Pc,
„nur mel^r jwei Parteien in iJranfreid^, 3fio^aliften unb SRepubli*
0 Necker, Du pouvoir executif dans les grands Etats, VIII, 223.
S^r ©tanbpunlt. 521
lancr. 2öarum foUten bie @inen jum ©d^weigen, bie 3lnbern
gur |)cud^elet nerurtl^eilt fein, al^ l^anblc e§ jtd) um eine Änec^t
fd^aft ober um ein ©afrilegium. ®ie 3^it, wo bie monard^ifd^e
©ejtnnung eine 2lrt oon Sieligion war, ift für immer üorüber.
35er Sio^aliömu^ bleibt lünftig eine 9Jleinung^fad^e, beren SSor*
unb Sladjtl^eile, U)ie bie jeber anbern poIitifd)en Snftitution,
gegen einanber abgewogen werben. SSarum foUten bie @inen
fie nic^t angreifen, bie Slnbern nid)t nertl^eibigen bürfen?
SJlan bel^anbelt fte me ein SBorurt^eil, ftatt jte ju analgpren
wie ein ^rincip" ^).
Sl^re SluSeinanberfe^ung läfet feinen ßw^eifel barüber be*
ftel^en, bafe bie SBerfafferin nid)t oiel bagegen einguwenben l^ätte,
foHte bie ©ntfd^eibung gegen bie 9Konard^ie unb für bie Sie-
publif fallen.
®amit war ber Söeg t)orgejeid)net, btn jte, oon nun an
ol^ne bie mäfeigenbe ©egenwart il^re§ SJaterö, aber bafür oon
einem Slnbern beeinflußt, wäl^renb ber neuen ^l)afe ber 3fieoo=
lution betreten foHte, bie im grü^ja^r 1791, furj bor ber glud^t
nad^ S3arenneö beginnenb, mit bem erften 2Kinifterium ber @U
ronbe abfd)ließt. 2luf biefen 2Beg oerwiefen nidt)t nur bie
SBed^felfäUe ber ^olitif, fonbern aud) bie il^reö weiblid^en @d)icf==
falö. ®er ©ebanfe an feine 2:od)ter mochte SfledEer nid^t fern
geftanben fein, al§ er, oon ben franjöftfd)en SSegebenl^eiten
fpred^enb, meinte, nid)t weniger alö ben Staat ptten fte bie
ßl^araftere reoolutionirt^).
^) Madame de Stael, A quels signes peut-on counaitre quelle est
ropinion de la majoritö de la iiationV XVII, 318 u. ff.
^) Necker, Du pouvoir executif dans les grands Etats, VUI, 436.
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