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Full text of "Friedrich Naumann : seine Entwicklung und seine Bedeutung für die deutsche Bildung der Gegenwart"

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^   JUN21  19/3  ^ 


JUN^ 

Friedrich  IlaumMif 


Seine  Entwicklung  und  feine  Bedeutung 
für  die  deutFdie  Bildung  der  Segenwart. 


Beinrich  IReyersBenfey« 


G5ttingen* 
Vandenhoeck  &  Ruprecht 
1904. 


-  III  — 


Vorwort. 

Die  2lbbanbluny,  bte  icb  Her  rorlege,  bildet  mit 
meinem  im  aleicfcen  Berlage  crfcbienenen  „naumamt^ 
Bucbe"  eine  innere  Einheit  unb  entbält  bie  bort  rer= 
fproÄene  eingebenbe  Segrünbung  meiner  2UiftaiTung  unb 
Scfcätjung  llaumannr,  bie  bas  Doriport  nur  anbeuten 
fonnte.  Diefe  Se^iebung  brücft  ftcb  aucb  barin  au5,  bag 
auf  bie  einzelnen  Stücfe  bes  „rtaumann=Su(±e5"  be= 
ftänbig  renriefen  unb  fo  bie  2lustpabl  im  Detail  moti= 
riert  u?irb. 

Diefc  Scbrift  ift  entftanben  aus  einem  Dortrage, 
ben  id>  bier  im  ;februar  T903,  aȊbrenb  ber  2trbeit  am 
„llaumann-i^ucbe",  über  „Tiaumann  als  Scfcriftfteller" 
gebalten  babe.  v£r  batte,  ebenfo  tpie  jene  2lntboIogie, 
einen  rein  literarifcben  unb  burd?aus  unpolitifcfccn 
(Ebarafter,  IDie  ficb  biefer  Keim  allmäblid)  5U  einem 
Sucbe  ron  nicbt  gan^  geringem  Umfange  ausgelaufen 
bat,  hiaud>t  bier  nicbt  er^äblt  5U  roerben.  3*  ern?äbne 
aber  bieien  Umftanb,  n^cil  er  rieüeicbt  eine  fo  au5fübr= 
liebe  monograpbifd)e  Sebanblung  Naumanns,  trie  fie 
fonft  bei  politifcben  Rubrem  nid)t  üblicb,  baqe^tn  bei 
Dicbtern  unb  Scbriftftellcrn  gan5  geroöbnlicb  ift,  a"»eniger 
auffällig  erfcbeinen  lai^en  vo'ixb.  ^dq  babe  eben  aucb  llau* 
mann  ^unäcbft  einfacb  als  literarifcbe  perfönlicbfcit  5U 
erf äffen  gefucbt.  ^lls  icb  micb  jur  Dcröffentlicbung  in 
ber  anfprucbsrolleren  ;^orm  eines  Sucbes  entfcfclofj,  ba 
lieg  fivb  allerbings  jene  ^cfcbränfung  nicbt  aufrectt  er= 
balten.  3*  niuißte  nun  bcn  Kabmcn  u?eiter  fpannen 
unb  ben  Perfucb  einer  IPürbigung  ber  gcfamten  riel= 
feitigen  üätigfcit  iTaumanns  tragen.  €s  fei  geftattet, 
die  2lb]iSt  biefer  Scbrift  noi)  genauer  5U  begrenzen. 

3cb  rrill  natürlicb  nicbt  eine  Siograpbic  llaiu 
manns  fcbreiben.  Das  n:>äre  rerfrübt  bei  einem  IHanne, 
ber  fo  in  roüer  Scbaffensfraft  unter  uns  lebt  unb  eigent^ 


—    IV  - 


Itd?  erft  am  ^Ittfangc  feiner  £aiifbal>n  ftctjt.  Unb  es 
ipärc  unmöcjUd)  für  jentanö,  6er  ifyn  md>t  perfönlid? 
nabe  fielet  unb  fein  XDerben  unb  IDirfen  nid?t  in  nädjfter 
Habe  unb  uertrauter  (Seineinfamfeit  niitgelebt  bat.  €s 
ruibcrftrebte  burd^ans  nicinein  (5efül|I  über  ITaumanns 
äugern  Lebenslauf  näbere  (£rhmbigungen  ein5U3iel|en, 
nnb  ebenfo  iräre  es  beni  befdjeibenen  Sinne  Haumanns 
3un)iber  aeipefen.  XDas  id)  im  erften  Kapitel,  iro  ber 
biocjrapbifd3=d)ronoIogifdje  ^aben  nid^t  5U  entbebren  roar, 
barüber  mitteile,  ift  Icbiijlid?  ben  anc^e^chemn  Beridjten 
feiner  früE>eren  ITiitiämpfer  nadjer3äJ|It.  Heues  iUateria! 
fonnte  unb  u^oHte  id)  nid^t  bringen. 

3d>  bemerfe  babei,  baß  man  überbaupt  bie 
lX)id)tigfett  ber  äugern  %thcnsbaten  für  bas  Derftänbnis 
eines  UTenfcben  im  allgemeinen  überfdjä^t.  Das 
tereffe,  bas  ben  lebensumftänben,  Umgebungen  unb  ^e= 
5ietjungen  namentlid?  ber  Didjter  in  fo  reid^em  IHage 
gefpenbet  tpirb,  ift  jum  größten  Seife  gar  nid^t  vohU 
liebes  Perftet^enujoIIen,  fonbern  müßige  Heugier  unb 
Untertjaltungsbebürfnis.  ^ür  jeben  mal^rt^aft  fdjöpferifdjen 
ITlenfc^en  —  alfo  im  (5runbe  für  jeben,  von  bem  eine 
cigentlidje  Biograpt^ie  iDÜnfAensmert  unb  möglich  ift — 
gilt  mel^r  ober  weniger,  mas  Simmel  in  ber  erftcn  feiner 
fierrlicben  Dorlefungen  über  Kant  ausfüE^rt:  „<Zs  ift  er= 
ftd^tlid),  baß  u)ir  auf  bie  €r3äl|Iung  feines  äußeren 
Lebenslaufes  ju  t)er5idjten  l^aben.  (Seu)iß  ift  es  für 
Perftänbnis,  Hei3  unb  jrudjtbarfeit  einer  pi^iIofopI]ifd?ert 
XPeltanfd^auung  l]öd)ft  n)id)tig,  baß  il^re  steile  nicht  ein: 
fad?  ncbeminanbct  liegen,  u)ie  bie  Länber  eines  2DeIt= 
teils,  fonbern  vermittels  ber  babinterftef^enben  €int)eit 
ber  fdjöpferifdjen  perfönlid)feit  felbft  als  eine  organifdje 
€inbeit  u)irfen.  ^lüein  b  i  e  f  e  perfönlidjfeit  ift  n\(bi 
ber  reale  l^iftorifcbe  XUenfd),  fonbern  ein  ibeeües  (Sebilbe, 
bas  nur  in  ber  Leiftung  felbft  lebt,  als  ^usbruc!  ober 
Symbol  für  ben  fad^Iidjen,  inneren  §ufammen!iang  il]rer 
Seile."  (Dgl.  aud)  meine  Sdirift  „f^erber  unb  Kant", 
ßaüe  \90^,  S.  92f.)  biefem  Sinne  mödjte  id?  aud? 
I^ier  meine  2{ufgabe  rerftanben  n^iffen.    Hun  ift  aller» 


—    V  — 


bings  Naumann  md}t  bloß  ein  Dcnfer,  fonbcrn  3ugleid^ 
ein  Xdann  bcs  praftifdjen  IDirfens,  unb  infofern  ift  t]ier 
bas  äußere  £cben  bebeutungsuoüer,  treil  es  fefter  nnb 
manniaf altiger  mit  feiner  £eiftung  vctwacb\en  ift.  Sa 
fönnte  man  l]ier  mol^I  eine  (Sefcljidjte  ber  national^ 
f03ialen  Beweg uncj  eriüarten.  3<i?  '""^te  aud) 
baüon  abfeben  nnb  fonnte  es  um  fo  eber,  ba  i)ierfür 
ron  anbrer  berufenfter  Seite  (£rfat5  gefcbaffen  irirb  (S.  \, 
2lnm.  2). 

Die  2tufgabe,  bie  id)  mir  geftellt  babe,  l^at  brei 
Seile,  bie  eng  ßufammenbängen  unb  fid?  n'icbt  txcnncn 
laffen.  Xllein  näd^fter  §mecf  mar,  ein  D  e  r  ft  ä  n  b  n  i  s 
Zlaumanns  3U  geroinnen.  €inen  iHenfd^en  üerftelien 
l^ei^t,  bie  §ufamment|ängc  ^iDifdien  allen  ^Teilen  feines 
Weyens  3U  ftnben,  jene  innerlidje,  organifdje  €int]eit,  bie 
ipir  feine  perfönlid?feit  nennen,  Diefe  ift  aber  nidit  als 
etwas  (feftcs  unb  fertiges  gegeben,  fonbern  in  he- 
ftänbigem  lüerben;  n?ir  fönnen  bas  IDefen  eines  iTtenfdjeit 
nur  in  feiner  (55efcbid)te,  feiner  (Entujicflung  erfaffen. 
(Sntmicflung  ift  Beu^egung  auf  ein  giel  t^in,  fie  rohb^ 
nerftänblidj  burd?  bie  ^btc,  b.  bie  Dorfteüung  bcs 
Mieles,  njorauf  fie  gerid^tet  ift.  Die  2lufgabe  ift  alfo 
gelöft,  voenn  es  gelungen  ift,  in  bem  mannigfaltigen  unb' 
fompIi3ierten  IDefen  eines  lllenfdjen  bie  €inbeit  bcr 
perfönlid^feit  auf3uu?eifen  unb  feine  €ntn)icflung  als 
eine  folgerid^tige  unb  innerlid?  notu^enbige  bar^uftellen. 

init  bem  Derftänbnis  eines  lllenfdjen  ift  3ugleid?- 
bas  Urteil  über  it^n  gegeben;  bies  bringt  nidjt  3U  ber 
t]ifforifd)en  DarfteEung  eine  neue  unb  frembe  Betrad?tungs= 
u?eife  t^in3u,  fonbern  es  r»ergegenir)ärtigt  in  fctjarfer 
Formulierung  ben  eigentlidien  3nl]alt  unb  bas  Hefultat 
jener.  IDir  meffen  ben  lllenfdjen  an  ber  3^»^^  ^on  bem, 
lüas  er  fein  fotl,  bie  ben  Kern  feines  IPefens  bilbet, 
unb  mit  meffen  biefen  feinen  befonbern  Beruf  an  ber 
allgemeinen  2lufgabe  bcr  Xllenfd)l|eit.  W'iv  ftellen  ibn 
mit  feinem  XDirfen  t|inein  in  bas  (5cfamtleben  unb  bie 
Kulturarbeit  feiner  geit  unb  ber  IHenfdjbeit  überbauj^t. 

IPenn  wh  fo  einen  Xltenfdjen  in  Besiei^ung  3U 


—    YI  — 


feinem  Berufe  unb  bam'ü  in  bcftimmter  2X>eife  3ur  ^uf= 
gäbe  ber  lllenfcbbeit  unb  jum  giele  aller  Kulturentmii 
lung  bctxaditen,  fo  ift  es  babei  unüermeiblicb,  ba§  u?ir 
unfre  eigne  Sesiel^ung  ba3U  feftftetlen.  iPir  fönnen 
3.  bas  IDirfen  eines  politifers  gar  nidjt  üerflel^en 
unb  beurteilen,  ol^ne  felbft  3uni  probleni  ber  politif 
Stellung  3U  net^men  unb  uns  eine  Porfteüung  r>on  ibrer 
2Iufgabe  3U  bilben.  Diefe  eigne  Stellungnabmc 
mag  in  ber  biftorifc^en  Darfteüung  unausgefprorfjen 
bleiben;  fie  mag  nielleidjt  bem  (5efcbid)tfdjreiber  felbft 
gar  n'idit  3um  ^Bemu^tfein  fommen;  üorbanben  ift  fie 
auf  jeben  ^aü,  wenn  überl^aupt  gefd^icbtlidjes  Dcrftänb= 
nis  erreid^t  n?irb.  norliegenben  ^aüe,  wo  mir  Xiau- 
mann  bodj  nidjt  in  erfter  £inie  ein  (Segenftanb  biftorifdjer 
^orfdjung,  fonbern  ein  (Element  perfönliAen  (Erlebens 
unb  praftifd^er  IPirfung  ift,  tjatte  id)  natürlid?  feinen 
2lnla§,  meine  Stellung  3U  üerfdjupeigcn.  Diefe  Sd)rift 
möd)tc  baber  3ugleid)  and)  als  ein  Seitrag  3ur  Dis« 
fuffion  ber  in  ber  (Seftalt  Naumanns  perförperten  pro= 
bleme  angefet^en  fein. 

Deren  roerben  uns  befonbers  brci  befdjäftigen:  bie 
moberne  Bilbung  im  allgemeinen,  bie  rcligiöfe  Krifis 
unfrer  ^eit  unb  bas  problem  ber  politif. 

Das  Haumann^Bud)  follte  ausfcblicßlid)  Naumanns 
23ebeutung  für  bie  beutfdje  Bilbung  unfrer  geit 
beutlic^  mad?en.  2Iud)  bier  upirb  bacon  bie  Hebe  fein. 
2lber  u)äbrenb  auf  biefem  ^elbe  ein  eigentlidjer  JX>iber= 
ftreit  ber  ITleinungcn  faum  üort^anbert  ift,  fo  fommen 
Her  bie  anhctn  (fragen  bin3u,  wo  id)  auf  mebr  IPiber^ 
fprud)  gefaxt  unb  in  l^öl^erm  (Srabe  ber  Had)fidit  be= 
bürftig  bin.  Diefe  Sd)rift  ujenbet  fid?  alfo  nidbt  nur  an 
bic  n^eiteren  r>ora)iegenb  literarifd)  intereffterten  Bilbungs= 
fdiid?ten,  fonbern  and)  an  jene  engeren  Kreife,  benen 
riaumann  bisljer  faft  allein  befannt  war,  an  bie  tt)eoIo= 
gifdjen  unb  poIitifAen  Kreife.  ^3eiben  gegenüber  ift  ein 
IDort  ber  €ntfd?ulbigung  am  piat3e. 

Die  meiften  religiös  intereffterten  £efer  n^erben 
mir  3Ürnen,  ba§  id?  Naumann  gerabe  ba  roiberfpredie. 


—   VII  - 


wo  er  fonft  ben  ungetcilteften  unb  freubigften  Bctfatt 
gefunben  Jjat,  tüentgftetts  unter  freier  gertcbteten,  mobernett 
ItTenfc^en.  "Daj^  ic^  tjier  nid}t  gan3  mit  tt^m  einuerftanben 
bin,  fann  id?  natürlid?  eben  fo  ipenig  änbern,  mie  ba§ 
ich  [einen  politifdjen  2ln[d?auungen  burd^meg  3uftimme. 
Sie  merben  mir  menigftens  bie  (5ered?ttgfeit  n>iberfal|rett 
laffen,  an3uerfennen,  baß  id?  gegen  Haumann  nicht  vom 
Stanbpunfte  meiner  eignen  (Sebanfen  aus  poIemi|"terc 
{wie  idi  fie  in  meiner  „ITlobernen  Heligion"  entu?icEcIt 
hßhe),  fonbern  bag  id)  meine  (Einu)änbe  entmeber  il^ni 
felbft  ober  ben  (Eatfad^en  entnel^me,  fo  baß  fiealfogleid^fam 
in  ber  Hid^tung  feines  eigenen  X^enfens  liegen,  unb  fo 
eine  2Xxt  immanenter  Kritif  an  il^m  übe.  Tin  fie  n^enbe 
id^  midj  ferner  bcfonbers  mit  bem  Perfud),  3U  3eigen, 
u)ie  bie  XPenbung  Naumanns  rom  geiftlid^en  2lmt  3ur 
politif  burdiaus  folgerid^tig  unb  organifdj  notn^enbig 
u>ar,  unb  w\c  Naumann  bamit  feinesn?egs  feinem  Be- 
rufe untreu  gemorben  ift,  fonbern  gerabe  feinen  rpal]rcn 
<3eruf  gefunben  l]at. 

^nbrerfeits  ift  eine  Bitte  um  llad)ftd)t  notmenbig 
bei  ben  politifern,  beren  (Sebiet  id?  t^ier  mit  rcdjt 
un3ulänglid3er  ^lusrüftung  unb  mit  inncrem  IPiberftreben 
betrete,  gu  meiner  (Hntlaftung  bicne,  bai5  es  mir  nidit 
auf  bie  €rfenntuis  irgcnbu)cld)er  (£in3ell]eiten  anfommt, 
fonbern  gan3  allein  auf  bie  grof^en,  allgemeinen  (Srunb= 
fragen,  bas  problcm  ber  politif  überl^aupt,  unb  bas 
fpe3ielle  problem  ber  beutfdjcn  politif  ber  (Segenmart, 
meld^es  eben  ber  Kern  ber  llaumannfd^en  (5ebanEenu?elt 
ift.  ^in  bie  (£inf{d?t  in  biefe  (Srunbfragen  ift  bie  lllaffc 
bes  fonfreten  Details  entbel^rlid);  ja  fie  treten  flarer 
tjeraus,  je  mel^r  biefes  fern  gcl]alten  ir>irb.  Übrigens 
menbct  fid^  biefer  (Ecil  natürlidj  n^eniger  an  bie  poIi= 
tifer  (obgleid?  aud?  bei  il^nen  3Utt)eilen  eine  ^lufforberung, 
über  bie  (ßrunblagen  ber  politif  nadj3ubenfen,  bie  man 
bei  ber  praftifdjen  €in3elarbeit  nur  3U  leidet  aus  ben 
2lugen  uerliert,  üielleid^t  nid^t  gan3  überflüfftg  u)äre), 
als  an  bie  große  llTenge  ber  (Sebilbetcn,  bie  ber  politif 
ferne  ftel^t.   Unb  er  wxü  fie  nidjt  \owoi}\  in  bie  politi! 


-    VIII  — 


ctnfül^rcn  als  an  fic  Jjci-anfütjrcrt.  Datier  finb  bcfonbers 
bie  ^n\ammen^änQe  mit  bcr  €ti^if  erörtert  itnb  rcr= 
(d?iebene  ireitoerbrettete  Porurtetle  gegen  politifdje  Be= 
tätigung  berücfftd^tigt.  Unb  bies  fd?eint  mir  t^eute  feine 
iiberflüfftge  2Irbeit.  €ru?eift  ftd?  bod?  immer  met^r  ber 
Q'dn^Vxd^e  XHangel  an  politifdjem  3"^ßi"^ff^  u»^  politifdjer 
(Er5iebung  in  breiten  Scbidjten  unfers  Dolfes,  ^umal  in 
t)er  i^auptmaffe  bes  beutfd^en  Bürgertums,  als  bas 
fd?n?erfte  ^inbernis  für  eine  gefunbe  €ntn?icflung  unfers 
öffentlid^en  £ebens  unb  bie  brot^enbfte  (Sefai^r  für  unfrc 
gufunft. 

Va^  Idl  in  ber  politif  burdjaus  2lnt^änger  llau= 
iiianns  bin,  ijabe  idj  nirgenbs  3U  verbergen  gefud?t. 
Dalmer  mar  es  unmöglich,  im  legten  Kap.  meine  2iuf= 
faffung  von  ber  Naumanns  3U  trennen,  unb  mein  ^'id 
wat  l|ter  eben,  bie  (Srunblagen  ber  beutfd?en  politif  im 
Sinne  ZTaumanns  bar3ulegen.  IDenn  id?  nun  mit  ber 
politifd^en  €nta)icflung  Naumanns  im  gan3en  einr»er= 
ftanben  bin,  fo  ergibt  fic^  baraus  von  felbft,  baß  ic^  aud> 
intern  bist^erigen  €nbgliebe,  ber  ^ufion  mit  ber  ^rei= 
finnigen  Bereinigung,  3uftimme.  Unb  inbem  id?  biefen 
Sdjritt  3u  red^tfertigen  fuc^te,  Ijat  meine  5d?rift  eine  be= 
ftimmte  politifdje  Cenben3  erijalten,  bie  mir  anfangs 
gän3lid^  fern  lag,  bie  aber  im  IDefen  ber  Sadje  liegt. 
So  fdjiiege  id?  mit  bem  IPunfdje,  bag  aud?  biefe  X)ar= 
fteüung  ein  weniges  ba3U  beitragen  möge,  bie  Por= 
urteile  unb  2ibneigungen  3U  tjeben,  bie  nod?  immer  auf 
beiben  Seiten  biefem  ^ufammenfc^Iuffe  unb  ber  mit  it^m 
eingeleiteten  €inigung  bes  beutfd^en  Liberalismus  im 
IDege  ftetjen,  unb  ba§  fte  baburd?  einen  fleinen  Panf 
abstatten  möge  für  bas  (Sro§e,  bas  Naumann  mir  ge= 
geben  l^at. 

(Böttingen,  ben  \5.  0ftober  1(90^. 


Beinrich  Üleyer-Benfey. 


-    IX  — 


^nhaltsüberüdiL 

Poriport  5.  IIL 

1.  Kap.   [sehrjahre   \ 

\.      1860—1890    \ 

2.    €i-fte  Schriften.  Stellung  5ur  Sosialbemofratie. 

2Ubeiter  unb  Stubenten   5^ 

5.    Zlaumann  unb  bie  3nnere  Xfliffion    ....  \\ 

^.    Die  d?riftlid?=f05iale  Beiregung  bis  \8^o    .    .  2» 

5.  Zlanmann  unb  bie  fo5iaIe  Beu>egung  bis  ^895 

((Srünbung  ber  „I^ilfe")   oA- 

6.  Pom  (Il]ri)tIicbfo5iaIcn  3uni  Hationalfosialen  .  39- 

2.  Kap.   „6otfeshiIfe"   5^ 

\.    ^^^iialt.    praftifdjes  d]iiftentum.    2^ii\s  als 

Poibilb    53- 

2.  (form  unb  2lu5brucf.    l^ünftlerifcbe  Elemente  58- 

3.  Das  Problem  ber  prebigt  in  unfrer  ^c'ü  .  .  60 
4;.  Heligiöfe  €ntiricflung.  £osIö[ung  Dom  Sibeltej-t  o\ 
5.    Die  „(Sottest^ilfe"  im  <San^en  ber  Scbriftfteüerei 

Zlaumanns    ra 

3.  Kap.    Öffhetik  und  Weltbild  ....  75 
\.     „Kunft."    Die  Sfi35en  in  ber  .^eit."  llau- 

manns  Kunftbetraittung   75 

2.  Zlaumanns  Zlaturgef übl.  ilaturanbacbten.  Heife= 

bilber    8^ 

3.  2lusftellungsbcrid?te.  Tiaumann  unb  b.  Xllafcbine  92 
^.  Zlaumann  unb  bie  moberne  beut|"d)c  Bilbung  9& 
5.    2tftbetifd)e  Elemente  in  ber  politif.  3^^^Jpo' 

litif  unb  2^eaIpoIitif.    Das  politifd^e  Sdiauen  ^o^ 

4.  Kap.    Religion,  €fhik  und  Politik  .    .  ^08 
\.    Briefe  über  Heligion  I.    Ttaumanns  religiöfe 

Stellung.    Cl]riftentum  unb  moberne  i^eligion  ^09 

2.    Briefe  II.    Die  (Brenden  ber  d?rxftlid?en  €tt^if  U9 

Cbriftentum  unb  politif   \23- 


—    X  — 


Die  etMfcfccn  (Srunblagcn  bcx  polittf     .  12" 

2.    Xiaiimann  als  niobcrner  XTlenfcb   152 

^lUgemeines    Scbcnm    feiner  (Hnttoicflung. 

Religion  unb  politif   \5i 

formale  Beurteilung  feiner  Politif    .    .    .  ^38 

5.  Kap.    IlaMonalsfozialsIiberal     .    .   .  1:^1 

\.    Bis  tn  ar  (f  s  €  rbe   xi\ 

Bisntarcf  als  Dorausfet3ung  unb  als  Dorbilb  x^2 

2tu§ere  politif.  "Die  beutige  £age  .  .  .  146 
^nmve  politif.    Bisniarcfs  Stellung  3U  ben 

Parteien   1:^9 

2.  D  e  r  n  e  u  e  5  0  3  i  a  I  i  s  nui  s   ^  55 

Der  nationaIfo5iaIe  (Sebanfe   ^56 

Befonberbeit  bes  nationalen  5o3iaIisinus    .  ^58 

3.  Derneucnationalisntus     .    .    .    .  161 

I.  IDefen  bes  Zlationalismus. 

1)  Volt  unb  Staat   X62 

2)  Hationalisnius  unb  3T^tßJ^nationaIismus  ^6^ 
5)  Der  fittlicbe  Beruf  eines  Dolfes    .    .    .  ^68 

II.  r(ationaIfo3iaIe  2Iuffaffung  bes  Ha» 

tionalftaates   ;70 

^ifitorifcfce  €nttt)icflung  bes  Staatsgebanfcns  \-\ 

Die  £age  Deutfcblanbs    X75 

(Htt^ifcbe  XTtotiüierung   ^75 

4.  Derneue£iberalismus   ^76 

€nbe  ber  nationaIfo3iaIen  partei.  ^nfcblug 

an  ben  IDal^Ioerein  ber  liberalen   .    .  X'd 

£iberalismus  unb  Nationalismus  .  .  .  .  ^8^ 
Liberalismus  itnb  So3iaIismus. 

1)  poIitifd)er  Liberalismus   182 

2)  Üugere  rOirtfAaftspoIitif.  ^reibanbel    .  ^83 

3)  3""^f^  IDirtfcbaftspoIitif. 

Staatsbetriebe.  ^rbeiterfd)u^gefet5e  .  I86 

Nationalismus,  Liberalismus  unbSo3iaIismus  1 9  x 


Grffes  Kapitel, 
[lehrjahre« 

Was  vo'xx  über  ^ie  IDcrbc^eit  itaumanns  vov 
feinem  öffentlicben  ^tuftreten  xpifjeTi,  pcr^anfen  w'w 
au5]d-]\\e^lxcb  bcn  ZlTitteilungen  von  pauI 
(Söbrei)  imb  iHartin  XUencf.2)  ^3  ^^i-j^t 
r>icl,  aber  es  genügt,  um  tie  Porau5[e^ungen 
feiner  fpäteren  (Entoicflnng  in  großen  (5ügen  auf-- 
3uflären. 

irieörid?  Haumann  ift  am  2  5.  21Tär5  1860 
als  Sobn  eines  fäcbfijdien  Pfarrers  in  Stönntbal 
(füböftlidi  von  Ceipsig)  geboren.  X>ie  Difpofttion 
3um  geiftlidjen  Berufe  erbte  er  i?on  beiben  Altern, 
benn  feine  2T[utter  ipar  bie  JTocbter  bes  feiner^eit 
jjerüEjmten    Kanselrebners    5n^brid^    ^Iblfelb  in 


Dtc  (ScfeüfcbaftXlV  (|[898),  u.  ßeft,  5.  737—46. 
2)  Die  «Entiricflung  ber  jüngeren  (ibriftlicbfojialen. 
patria  ^901,  S.  3.^—6".  Die  ^ortfe^ung  biefer  bis  jur 
(Srünbung  bes  national^fosialen  Dereins  rcicbenben  2lr= 
beit  njiri)  bic  bcrorftebenbe  patria  für  ^jos  bringen. 

f?.  mcYcr:  ^rbr.  Naumann.  . 


Ceip3tg.  Seine  Btlbung  empfing  er  auf  5iüei 
Sdjulen,  bie  mebr  als  anbere  bie  üaffisiftifdjen 
unb  tl)eoIo9ifd^en  Crabitionen  pflegten,  auf  ber 
nifolaifd]uIe  in  £eip3ig  unb  ber  5ürftenfdnile 
in  ZHei§en.  ^uf  biefer  ipurbe  er  bereits  mit 
feinem  uier  3al^re  jüngeren  £ant>5mann  paul  (5öl]re 
hetannt  So  roirften  benn  «Slternl^aus  unb  Sd^ule, 
K?ie  es  fd^eint,  im  gansen  einträdjtig  3ufammen:  in 
beiben  J^errfd^te  ber  gleid^e  firdjlid-je,  altgläubige, 
fonferuatioe  (Seift,  ein  (Seift  ber  3^\d]t  unb  pietät. 
Vemnadi  voav  es  natürlid"»,  bag  aud^  Hau» 
mann  bie  tl) eo logif  d?  e  Caufbabn  einfd^Iug  unb 
baß  er  feine  Stubien  in  Ceipsig  unb  €rlangen 
abfoloierte,  ben  beiben  Bod^burgen  bes  ortboboren 
Cutbertums.  Viivd]  alle  biefe  (£inflüffe  ipurbe 
feinem  ^eben  unb  feinem  (Seifte  bie  ^abn  r^orge^ 
3eidmet,  in  bem  fie  ftdj  lange  beu?egt  baben.  Bis 
Anfang  \S^7  hat  Haumann  ben  Beruf  eines  (Seifte 
Iid]en  ausgeübt;  unb  nodi  \8^S  fagt  (Söt>re  von 
it^m:  „(£r  ftel^t,  tbeologifd^  betrad^tet,  nod)  beute 
auf  ber  redeten  Seite";  er  felbft  füblt  fidi  barin 
am  meiften  von  ibm  r>erfd)ieben.  Unb  bodi  fd'jeint 
beibes,  ber  geiftlid^e  Beruf  unb  ber  oxth^o'^^oiyton-' 
feruatiue  Stan'öpunh,  mebr  5ur  äußeren  Sd^ale  als 
3um  eigentlidjen  Kerne  von  ZTaumanns  perfönlid?^ 
feit  3u  gel:|ören.  (£s  ift  fetjr  bemerfensu)ert,  bag 
Haumann,  rt)ie  Wend  er5äblt,  anfangs  melir 
Heigung  3ur  ZlTatl^ematif  als  3ur  Cbeologie  batte, 
unb  bag  erft  ber  (£rlanger  Profeffor  ^rancf  itjn 
cnbgültig  für  bas  ttjeologifd^e  Stubium  gewann. 
Hnb  u>as  ben  anbern  punft  betrifft,  fo  upirb  bar^ 


über  im  ^weiten  Kapitel  311  banbeln  fein.  Vodf 
fei  fd?on  l^ier  barauf  I^ingeipiefen,  bag  Haumann 
offenbar  febr  u?enig  2^iexe\]e  für  Doqmatit  batte. 
Ellies,  was  er  vox  \S^5  gefd^rieben  I^at,  betjanbelt, 
fotoeit  es  mir  befannt  ift,  niemals  <5egenftänbe 
bes  (Slaubens  ober  ber  Cel^re,  fonbern  aus^ 
fd^Iießlid^  praftifd^c,  paftorale  ober  fosiale  Sxagen, 
3n  üiel  hßh^exm  (5rabe  ift  bie  pra!tifd)e 
Cel^rseit  für  Haumann  beftimmenb  getoorben^ 
bie  auf  bas  tl^eoretifd^e  Stubium  folgte:  Von 
\8So — 85  ipar  Haumann  0berbeIfer  im  Hautjen 
^aufe,  rjorn  bei  Bamhuxq,  jener  2tnftalt,  bie 
\S5o  als  erfter  Keim  ber  2^ncxn  ZlTiffion  gepflaujt 
u?urbe  unb  i?on  wo  aus  biefe  il^re  <3u?eige  über  ganj 
^eutfd-jlanb  ausgebreitet  liat.  IDid^ern  felbfti) 
u?ar  \SS\  geftorben;  aber  [ein  (Seift  u^ar  nod) 
lebenbig  in  ber  in5u?ifd)en  3U  einem  fleinen  Dorfe 
an(^ewadi\enen  (5rünbung,  unb  er  l^at  tiefer  unb 
innerlid^er  auf  Haumann  gemirft  als  Cutbarbt 
unb  5rancf.  IPieberboIt  gebenft  Haumann  feiner 
mit  lüärmfter,  banfbarer  Derebrung  unb  säblt  ibn 
unbebenHid]  5U  ben  großen,  fd^öpferifd^en  (Seiftent 
ber  d]riftlid]en  Heligion .2)    X)iefe  Sd^ä^ung  ift  ge^ 


')  Über  ihn  orientiert  je^t  bie  populäre  Btograpt)tc 
von  (Dtio  Sdjni3er,  3o^ann  f^einricfa  Ü^icbern  i>er  Pater 
ber  3""ßi^n  ITliffton.  (Lalvo  unb  Stuttgart  ^90-^.  Da3u 
lefe  man  feine  ßauptfArift:  Die  innere  IHiffion  ber 
beutfcben  ecangelifAen  Kirche,   fjamburg  ^849. 

Pergl.  befonbers  ben  2tuffat5  „IDicbern  unb 
bie  3n>eite  periobe  ber  3""^^^"  Uliffion",  Cbriftlidje 
IDelt  VI  (^892),  srpff.:  „3a,  IPi^ern  ift  proptjet;  benn 
er  hat  nid?t  blo^  für  feine  (Seneration  gerebet  unb  ge^ 

X* 


-  ^  - 


vo\%  bercditigt;  sugleid)  aber  niod^tc  Haiiinann 
xfyw  gccjeiiübcr  bas  (5cfül]l  fcclifd^cr  Dcrtoanbtfd^aft 
l^abciT.  Bcibe  finb  ftdi  in  fielen  ^ügcn  über^ 
rafd]cnb  äl-^nlid]:  beibc  scigcn  bicfclbc  fd]Itd]te, 
edjte,  ipebcr  ron  <5u?cifcln  geplagte  nod]  mit  bog* 
iitatifdier  ^ngl^ersigfeit  bel^aftete  5i*öminigfeit,  bie 
fid]  in  praftifd^em  IDirfen,  in  Caten  I^elfenber  nnb 
rettenber  Z1Tenfd]enIiebe  offenbart,  beibe  benfelbcn 
unerntüblid]cn  Cätigfeitsbrang  unb  bie  erftaunlid-je 
^rbeitsfraft,  beibe  bas  unr>ergleid|lid]e  Calent  für 
burd)bad:)te5  X>ifponieren  unb  0rganifieren,  beibe 
enblid^j  bie  perfönlid]e  <S>Qwa\t  über  ZlTenfd)enfeeIen, 
bie  IDidjern  fornot]!  feine  reid]gefegnete  (Srsieber* 
tätigfeit  an  üertoabrloften  Kinbern  icie  feine  grog» 
artigen  €rfoIge  als  2lgitator  unb  0rganifator  er* 
möglidite. 

Was  Haunmnn  Ijier  gelernt  I:jatte,  bie  (£in= 
fid]t  in  bas  (£Ienb  unb  bie  fosialen  Höte  unfrer 
^eit  unb  bie  Übung  d^riftlid^er  Häd]ftenliebe,  hatte 
er  audi  fpäter  in  feinem  fjeimatlanbe  reid^e  (Se» 
Iegenl]eit  3U  betätigen.  Von  \886 — \8^0  wav  er 
Pfarrer  in  einem  armen  Strumpf u^irferborfe 
Langenberg  bei  fjol^enftein  (£rnfttB)aI  (iwiidicn 
(5Iaud^au  unb  CEjemni^).  Ejier  trat  ibm  bie  Eifere 
ber  fjausinbuftrie  r>or  bie  klugen  unb  natjm  täglid^ 

bad)t.  Wh  lüiffen  ntd?t,  ob  er  3<iljr{^unbcrtc  überragen 
n)irb;  aber  je^t,  voo  bie  legten  feiner  Hilters  genoffen 
fd?Iafen  gc{|n,  ift  IPidjern  nod?  wie  ein  unfid?tbarer 
£ebenbiger.  2lüc  öie,  bie  uns  je^t  in  ber  praftifdjen 
2lrbeit  ber  eoangelifd^en  Kirdie  rorrräris  füt^ren,  3et^ren 
Don  it^m.  StöcEer,  ^obelfd^iringl^,  Sulse  fann  man 
nidit  anbers  barftellen,  als  am  bes  Stanbbilbes, 
ron  bem  IDid^erns  großer  flarer  Kopf  l^erabblicft". 


feine  fjilfc  imö  feinen  l\at  in  2lnfprud>.  (5ugleid) 
voav  er,  u?ie  (Söbre  er5ät>It,  „ber  ^J-'^nnb  aller 
^ ant>u? er fsburf dien  unb  u?anbernben  Ceute,  bie  bei 
ifyn  faft  brüberlid]e  ^lufnabme  fanben;  id">  felbft 
n?ei^  bas  von  itjnen  aus  meiner  r>anbu?erf3-- 
burfd]en5eit  in  bortiger  (Segenb."  (5.  758.)  2lber 
aud]  bie  eigentlid^  typifd";e  NSrfd^einung  in  ber 
rüirtfd^aftlid^  =  f03ialen  pbyfiognomie  iinferer  S^it, 
bie  5<5brifinbuftrie  unb  bas  5abrifarbeiter  =  prole* 
tariat,  lernte  er  bier  in  täglid^er  53erübrung 
grünblidi  fennen.  „^as  Dorf  feiner  erften  2bnt5' 
jabre  ix^ar  von  ben  Sd^Ioten  ber  ^cibrifen  auf  ber 
einert,  ber  Kol^Ienbergwerfe  auf  ber  anbern  Seite 
iimgren3t",  n?ie  (ßöt^re  an  anberer  Stelle  berid^tet 
(dl^riftl.  IPelt  V,  269). 

2. 

2iu5  biefer  ^eit  ftammen  bie  erften  f dir ift- 
Ii  dien  Kunbgebungen  Haumanns. i)  Sie  be» 
ipegen  fid^  alle  in  ber  burd]  bie  Otniere  21Iijfton 
v>orge3eid>neten  Cinie.  Sie  finb  5um  größten  Qleile 
in  (^eitfd^riften  5erftreut,  befonbers  5ablreid)  in  ber 
\S87  begrünbeten  unb  von  ZlTartin  Habe,  bamals 
Pfarrer  in  Sd-jönbadj  (Sadjfen),  berausgegebenen 
„Cliriftlidien  IPelt".  ^tud^  was  in  <3udiform  er* 
fd^ien,  beftebt  5um  Ceil  aus  prebigten  unb  Vot-- 
trägen ;  es  finb  bünne  fjefte,  beute  meift  Der  griffen 
unb  fd]iper  auf3ufinben.    Sie  seigen  uns  Haumatm 

^)  €irtige  nod)  ältere  ^tuffät^e  fteben,  5.  ü.  ohne 
rcamen,  in  ben  „^liecjenben  blättern  aus  bem  Hauben 
f7aufe". 


bcutltd^  als  bcn  „paftor  ber  armen  Ccute*.  Das 
crftc  ift  ein  Dortrag  über  Vagabund enwe^en,  Vex-- 
pflegftationen  unb  ^rbeiterfolonien,  ben  ber  Sdiön-- 
badjer  Derein  gegen  ben  21Ti§braud]  geiftiger  (Se^ 
tränFe  unter  bem  Cttel  „2trme  Heifenbe",  mit 
einem  Doriport  r>on  Habe,  i?eröffentlid]te.  3bm 
folgte,  ebenfatts  \S8S,  eine  „^Irbeiter^prebigt", 
beim  erften  3al:^re5feft  bes  er>angelifd^en  ^Irbeiter-- 
üereins  lOilf au  <  Hieberl^aglau  gelialten. 

Hun  fd^Ioffen  fid]  eine  Heibe  fleiner,  aber 
rutd]tiger  5d]riften  programmatifd^en  3"I^<^^t^  Q", 
bereu  erfte  ben  heieid]nen^en  Citel  „^Irbeiter* 
K ated] ism u 5 "  fütjrt.^)  fjier  seigt  fidi  Haumann 
von  einer  neuen  Seite.  €5  ift  ifyn  nid^t  genug, 
bie  Firmen  unb  Hotleibenben  burd]  erbaulidje  Heben 
5U  tröften  ober  bem  (£in3elnen  im  einseinen  ^alle 
mit  Hat  unb  Cat  3ur  Seite  5U  ftel^en.  3n  u?al->r:^ 
baft  brüberlidjer  XPeife  bemül^t  er  fid],  in  il]re 
(Sebanfenmelt  einsubringen,  unb  ber  innige  ZDunfd) 
5u  belfen  veranlagt  il:jn,  bie  Hot  unb  bie  IHittel 
5ur  2lbl^ilfe  grünblidj  5U  ftubieren.  Haumann  ift 
einer  ber  erften  ei>angelifd]en  (Seiftlid^en,  ber  eine 
gebiegene  Kenntnis  ber  Sosialbemofratie  fidi 
erujorben  t^at,  eine  Kenntnis,  bie  nid^t  allein  aus 
ben  f)auptu?erfen  ber  Cel^re,  fonbern  aud^  aus 
ber  populären  ^rofdiüren^Citeratur  gefdiöpft  ift;2) 

')  2Irbeiter=Katccbismus  ober  ber  malere  So^xaüs= 
mus.  Seinen  arbettenben  Brübern  baxi^eboten  von 
^x.  11.  Call»,  Dereinsbudjl^.  \888.  3d?  fenne  fie  leiber 
nur  aus  ben  IHitteilimgen  von  Wcnd,  S.  36  f.  unb 
(Söhre,  Cbriftl.  Welt  5.  979—983.     2)  Dergl. 

3.       feinen  Beriebt  über  bie  „Berliner  2IrbetterbibIio= 


imb  r>icneid]t  nodi  fcitncr  xvax  bic  llnbefangenJ^dt 
bc5  Urteils,  ipoinit  er  iljr  entgegentritt,  unbeirrt 
burdi  ben  fird:>enfeinblid]en  Cl^arafter  iE>rer  ^gi* 
tation.  Der  größte  Ccil  ber  Sd^rift  E^anbelt  von 
irirtfd^aftlidjen  Dingen,  unb  ^voav  in  aiisgefprodjen 
arbeiterfreunblid^em,  fosialiftifd^em  Sinne.  Der  uors 
Ijanbene  Hotftanb  voxvb  rücf^ialtlos  anerfannt  unb 
mittel  5u  feiner  fjebung,  befonbers  umf äff enbe 
Perfid^erungen  unb  Sd^u^beftinunungen  geforbert. 
Was  Haumann  von  ber  Sosialbeniofratie  fdjeibet, 
liegt  u?eniger  auf  u?irtfd]aftlid]em  (5ebiete  —  es 
xpirb  bie  Hotu?enbigfeit  bes  Privateigentums  be- 
tont imb  bie  pflege  bes  5<ii"iIiß"I^^'ßns  geforbert 
—  als  in  ben  allgemeinen  d^riftlid]  geiftlid^en 
3been :  an  Stelle  bes  uerberblid^en  Klaffenfampfes 
5u?ifd]en  ^ourgeoifie  unb  2lrbeiterfd7aft  ipirb  gegen« 
feitige  Ciebe  als  ^lUbeilmittel  gepriefen ;  unb  an 
Stelle  ber  materialiftifdjen  Cel^re  ber  Sosialbemo* 
!ratie  folt  fid^  bie  ^lrbeiterfd]aft  mit  d^riftlidieni 
(Seifte  burd^bringen.  biefem  ^u?ecfe  u?irb  Eintritt 
in  bie  er>angelifd]en  ^Irbeiterrereine  empfol^len,  unb 
eine  d]riftlid]e  ^trbeiter=partei  als  (5iel  liingefiellt. 

Seine  Stellung  jur  Sosialbem  of  ratie 
bßt  Haumann  tiefer  unb  r>ollftänbiger  cntmicfelt  in 
einem  fel]r  inbalts=  unb  gebanfenreid^en  Dortrage, 
beffen  Cl^ema    er  formuliert:    „tOie   retten  u?ir 


tl]eE",   (Ebriftl.  IDcIt  IV  (\890),  258  ff.  272  ff.  55\^. 

')  Was  tun  irir  gegen  bie  glaubenslofe  5o3ial= 
bemofratic?  Dortrag  auf  ber  (Seneralrerfammlung  bes 
Sdjiefif d?en  proüin3talt)ereins  für  3""^^^^  XTliffion  in 
£iegnit3,  b.  ^3.  3""i  ^899.    £p3v  <5.  Bcl^me  riadjf. 


—    8  — 


CEjriftenfeelen  aus  ber  urigel:jeuren  (5eix?alt  bcs 
Unglaubens,  bte  in  bem  Woxie  Sosialbcmofratie 
bcfdiloffcn  liegt?"  Sdion  biefe  5<iffung  aetgt  uns 
beutlidr.  Haumann  tjat  ben  (Segner  nid^t  nur 
fennen,  fonbern  babei  sugleidj  ad)ten  unb  fürd]ten 
gelernt.  Die  Sdjrift  beginnt  mit  bem  unum- 
rDunbenen  (£ingepänbnis :  „Die  Kraft  ber  Soixal- 
bemofratie  ift  nid]t  bas  Sd^Ied^te  an  iEjr,  fonbern 
bas  relatiü  (Sute.  Sie  lebt  nid^t  von  Su§erlid> 
feiten,  fonbern  burd^  iE^re  eigne  3nnerlid]!eit,  il^ren 
(Seift.  —  —  —  Die  Sosialbemofratie  ift  (Seiftes* 
mad^t."  Die  fo3iaIbemofratifd]e  Citeratur  ftel:^t  ent= 
fd]ieben  über  beut  Durd]fd]nitt  unb  fou?ol]I  itjr 
intelleftuelles  Hioeau  xüie  il^re  fittlid^e  Haltung  ift 
feljr  ad}ibav.  Unb  nun  ift  es  u?irflid7  beipunberungss 
rcürbig,  u)ie  auf  rcenigen  Seiten  bie  So5iaI= 
bemofratie  treffenb  unb  uoUftänbig  bargeftellt  unb 
fritifiert  u?irb,  nadti  t>ier  (Scfid]tspun!ten :  il^rem 
praftifd]en  Programm,  il^rent  3beal,  il:|rer  materia= 
liftifdjen  IPeltanfdjauung  unb  ibrer  prin3ipiellen 
©ppofttionsftellung.  VOäxe  biefe  ^emegung  in  fid^ 
einl^eitlid],  fo  wäve  fie  unüberi^inblidi.  ^ber  in 
U)al]rl:)eit  l>ängen  alle  uier  Ceile  mit  einanber 
nid]t  innerlidj  unb  notmenbig  5ufammen.  Befonbers 
u?id]tig  ift  ber  erfte  punft  ber  Kritif,  u?orin  bie 
2ld]illeusfer(e  ber  So3ialbemo!ratie  mit  fidlerem 
Sdiarfblicf  erfaßt  ift:  ber  XDiberftreit  bes  praftifd]en 
Programms  mit  bem  ptjantafteibeal.  Hur  glaubte 
Haumann  bamals  an  ben  Sieg  bes  pl^anta ftif d^en 
3beals  über  bas  praftifdje.  Diefe  fonfreten  rcirt^ 
fd]aftlid")en  5orberungen  ftnb   natürlid^   für  ben 


-   9  - 


(£t)viftcn  o^m  weiteves  annefynbav.  2ihev  and]  öas 
^ufunftsibcal  als  fold^es  brandet  man  vom  dvnft- 
lidien  Stanbpunft  aus  n'idbt  311  u>eru?erfen.  Dev 
ciacntlid^c  (5ecjcnfa^  liegt  v»iclmel]r  im  brüten 
punfte:  ber  Kampf  3u?i|d]en  (Il^riftcntiun  imb 
5o5iaIbemofratic  ift  ein  Kampf  3n?eier  lUeIt= 
anfd^auungen.  Dorfd^Iäge,  ipie  biefer  Kantpf  ge= 
füt^rt  werben  fann,  nel^men  ben  Sd^Iugteil  bes 
ijeftes  ein. 

Haumaun  rebct  3U  nnb  von  2lrb eitern  nid^t 
im  üblid]en  Kan3eItone,  aus  ber  fjol^e  unb  ge= 
fd]ü^ten  £age  bes  paftors,  fonbern  er  tritt  neben 
fte  als  5reunb,  ZlTitftreiter  unb  ^tna^alt.  €r  prebigt 
iJ^nen  nid^t  Ergebung  unb  (Senügfamfeit,  fonbern 
er  tritt  mit  (Snergie  für  Derbefferung  ihrer  Cage 
ein  unb  fud]t  Xl)ege  5U  biefem  (5iele.  ^wei 
punfte  fd^einen  mir  babei  befonbers  d]arafteriftifd?. 
5d]onim  „2lrbeiter=Kated^ismus"  l^anbelt  ein  Kapitel 
von  neuen  ^ ebürf nif fen,  bie  fid]  ber  ^Irbeiter 
angeix)öijnen  folle,  ^ebürfniffen  erböl:>ter  Ziehens-- 
I^altung  unb  Bilbungs^Sebürfniffen.  5ßi-*ner  bat 
Haumann  begriffen,  bag  ber  ZlTenfd^  nidit  nur 
^rot  unb  Arbeit  brandet,  fonbern  baß  für  eilt 
menfd]enu>ürbiges  Ceben  aud^  eiit  gemiffes  UTag 
r>on  5i-*ßiibe  unb  ^firl^olung  unentbelirlid]  ift,  3umal 
bei  ber  ^abrifarbeiterfd^aft  ber  großen  Stäbte,  in 
bem  feelenlofen  ZHed^anismus  ibrer  21rbeit  unb 
fern  r>on  ben  natürlidien  5i^^ubenqueIIen  bes  Catibes. 
Haumann  l]at  biefer  u?id]tigen  (£rl]oI ungsf r age 
ernftlid]  nadige^^adit  unb  fie  in  d]riftlid]em  Sinne 
'  bel^anbelt  in  einem  Beitrag  3U  einem  tl]eoIogifd^en 


-   \o  - 


SammelvoextO)  (5crn  fielet  man  il]n  fclbft  baritt 
am  VOctfe,  wenn  ex  ev^ä^lt,  wie  ber  ungenannte 
paftor  ein  altes  IDeil^nad^tsfpiel  für  feine  Dorf- 
finber  5ured]t  mad^t  iinb  sur  ^(uffül^rung  bringt. 

^Ue  eru?äl7nten  5d">riften  unb  2Iuffä^e  l">aben 
es  mit  bem  2lrbeiterftanbe  3U  tun;  fte  bleiben  in 
berfelben  Spljäre,  in  ber  fid?  bie  praftifd^e,  feel= 
forgerifd^e  Cätigfeit  Haumanns  bemegte.  Xluv  eine 
f leine  (5ruppe  fällt  aus  biefent  2\aE^men  I^eraus, 
inbem  fie  fid^  an  eine  Klaffe  u^enbet,  mit  ber  Hau* 
mann  siüar  nid^jt  burd^  ^erufspflid^ten  i?erbunben 
u?ar,  bie  il^m  aber  woi}i  befannt  war  imb  feinem 
fjer3en  nal]e  ftanb  von  ber  ^eit  i}ev,  wo.  er  felbft 
ba3u  geB^örte:  an  bie  Studenten,  Wenn  es  bie 
eigentlid^fte  ^lufgabe  ber  3imern  ZHiffton  ift,  bas 
Cliriftentum  bem  beutfdien  Volte  u?ieber  nabe  3U 
bringen,  fo  ift  ein  rid^tiger  unb  frud^tbarer  (5e» 
banfe,  bag  fid]  bie  prebigt  besfelben  mannigfad^er 
geftalten,  nad]  ben  rerfd^i ebenen  Stäuben  unb 
Klaffen  abftufen  unb  ben  ebenfo  i?erfd]iebenen  3e* 
bürfniffen  unb  bem  geiftigen  Hiueau  biefer  5dnd]ten 
anpaffen  mug.  ^ei  biefem  <5ufammenl:^ange  fd^eint 
mir  bie  5orberung  befonberer  Stubentenpaftoren 
burd]au5  fonfequent  gebadet  imb  u?ol]Ibegrünbet ; 
bie  afabemifd]e  3wgenb  ift  in  ber  Cat  mel^r  als 
anbere  Stäube  eine  IDelt  für  fid],  mit  iljren  eignen 
X)erfud]ungen,  Höten  unb  Problemen,  aud]  in  religi* 
öfer  unb  fittlid^er  fjinfidjt.  Haumann  t|at  biefen  (Se* 


^)  Ctjriftlidje  Dolfscrl^olungen.  Limmers  ^anbbibl. 
ber  Tpxaft.  ^{}eoloQic,  u-— Bb.,  ^6.  (SotJ^a,  pertt^es 
^890. 


tianfcn  meh^xfadi  in  5cit(d]nftcn  imb  aud)  in  einer 
eignen  Sdjrift  vex\oditen.  VOenn  er  it^n  fpäter 
fallen  gelaffen  l^at,  fo  l^at  er  fid?  uielleid^t  i>on 
feiner  ^tusficbtslofigfeit  überzeugt  ober  er  bat  aud) 
fein  3"fßJ^^ff^  liefen  ilTijfionsbeftrebungen  vex-- 
loren.  2)ie  ^üi^Iung  ntit  ber  Stubentenfä^aft  l-jat 
er  baruni  nid]t  aufgegeben.  Hod^  \S^^  tjat  er 
auf  beut  d]riftlid]en  5tubenten!ongref|e  3U  ^i^anf» 
furt  a.  ZIT.  einen  Dortrag  gebalten.i)  X>en  ftär![ten 
€influß  l]at  er  inbeffen  erft  erreid-jt,  fcitbeni  er  fid"> 
nid]t  mel^r  in  befonbcrer  lOcife  an  f\e  u?enbet, 
fonbern  fie  für  feine  allgemeinen  politifd^en  3^^<^1^ 
5U  gert)innen  ftrebt.  211äd)tig  l^at  er  bie  3ugenb 
aus  ibrer  politifd^en  (Sleidngültigfeit  aufgerüttelt, 
benn  er  Ijat  alles,  u?a5  bie  3"9^"^  begeiftert: 
große  unb  erbcbcnbe  3*^^^^^  i^"^  ^auberntad^t 
ber  genialen  perfönlid>feit;  unb  nur,  inbent  man 
fie  begeiftert,  fann  man  bie  Wersen  bcr  iperbenben 
(Seneration  geu?innen. 

5. 

€5  ift  faft,  als  ob  bas  Sd^idfal  Haumann 
mit  ^bfid^t  für  feine  21Tiffion  erjieben  a^oUte;  fo 
folgerid]tig  unb  fd)rittu-)C!fc  wirb  fein  Ceben  aus 
bem  alten  tljeologifd^en  ^ette  in  eine  neue  ^al^n 
B^inübergeleitet.  3^^^)^*^  \890  r>erlieB  er  fein 

ftilles    X>orf,    um    einem    Hufe  nad^ 
furt  a.  ZlTain  als   „  D  ereinsgei  ftlid]er  für 
3iniere  ZHiffion"  5U  folgen.    Ihxdi  b\cv  blieb  er 
ber  „paftor  ber  armen  Ceute" ;  aber  er  fonnte  fid] 

')  Der  Stubent  im  Dcrfebr  mit  ben  ücrfcbieöcnen 
Polfsfreifen.    (Söttingen,  Danbenboecf  &  Kuprecbt  \8^5. 


—    1.2  — 


^cm  X)ienftc  feiner  atmen  unb  niebrigen  trüber 
nun  au5fd^Iie§lid|er  unb  in  größeren  X)imenfionen 
ipibmen.  2lnnenpf(ege,  bie  ^luffid^t  über  VOohh 
tätigfeitsanftalten  unb  lDol7lfaI:jrt5einrid'>tungen, 
Ceitung  diriftlid^cr  Dereine  unb  gan5  fdjlidjte 
Sonntagsprebigt  für  einfädle  Ceute,  bas  roaren 
nun  feine  Serufspflid^ten.  2ludi  bas  fosiale  €Ienb 
unb  bie  eigentünalidjen  CebensoerB^ältniffe,  u)ie  fie 
gerabe  beim  Proletariat  ber  (Sroßftabt  fid]  ge» 
bilbet  I:jaben,  lernte  er  liier  in  anberem  Umfange 
nnb  aus  größerer  Zlähe  fennen.  Unb  u?äl]renb  er 
bist^er  bie  Sosialbemofratie  l^auptfäd)Iid:?  aus 
^üd]ern  unb  Leitungen  ftubicrt  I^atte,  trat  fie  il^m 
je^t  in  lebenbiger  (Segenwart  i?or  klugen,  imb  er 
ließ  bie  (5etegenl]eiten,  fie  3U  ftubieren  unb  fid^ 
mit  ib^v  3u  meffen,  nid^t  imgenu^t. 

Naumann  gel:|örte  ber  ^nnexn  Uliffion  nun 
gan3  unb  offi3ielI  an.  (£r  wax  nid^t  mebr 
barauf  befd^ränft,  il^r  burd]  (3ebanUn  unb  Tin-- 
regungen,  Heben  unb  Sdjriften  3U  bienen,  fonbern 
er  fonnte  praftifd^  eingreifen,  l^anbeln  unb  fd^affen. 
Zlodi  \8^0  grünbete  er  in  ^i^anffurt  einen  eoan* 
gelifd^en  5lrbeiterr>erein,  beffen  llTitgIieber3ay  balb 
in  bie  fjunberte  ftieg.  ^ber  er  mar  fd^on  je^t  eigentlid^ 
über  ben  Stanbpunft  ber  2^mexn  ITJiffion  Ijinaus» 
qewad]\m  unb  in  biefer  Hid]tung  mürbe  er  in 
;$ran!furt  burd^  feine  (Srfal^rungen  imb  fein  X>enfen 
weiter  unb  weiter  gebrängt.  €s  ift  l]ier  au  ber 
^eit,  Haumanns  Stellung  3ur  ^nnexn  2;Tliffi on 
im  (5an3en  3U  überfd^auen. 

Das  widitigfte  X>o!ument  ift  ein  2Iuffa^,  ber 


—    \5  — 

bereits  ^888  in  bex  ,(£t]riftlid]en  WcW  {Viv.  ^3, 
^5,  ^7)  crfd]ien  unc)  in  ben  beteiligten  Kreifen  leb' 
Ijaftes  ^iif leiten  erregte.  (£r  ift  über[d]rieben  „X>ie 
^ufunft  ber  3"nern  ilTiffion."  gebe  eine  ^u- 

fainmenfteUung  ber  Ceitgel^anfen. 

X>ie  3nnere  llliffion  I^at  fiel]  in  ben  50  Jal^ren 
itjres  23eftelien5  aus  ber  (£nge  unb  ^Eiefe  in  bie 
lUeite  entmicfelt;  fie  ift  aus  einent  „fd^önen  (Se^ 
I^eimnis  fleiner  gottjeliger  Kreife"  5ur  ^Ingelegen- 
Ijeit  ber  Kird^e  inib  ber  53el]örben,  fie  ift  r>olfs= 
tüntlid]  unb  faft  fdpn  ZlTobefad^e  aewovben. 
ipeitern  Derlauf  biefer  (£ntrr>icFlung  ipirb  fie  fd^lieg* 
lid?  allgenteine  Dolfsfad^e  iperben  unb  ben  dliarafter 
bes  befonberen  religiöfen  Unternel]niens  i^ollftänbig 
verlieren,  fie  u)irb  bamit  aus  beut  Stabium  bei' 
freien  priuaten  Cebenstätigfeit  in  bas  ber  gefe^^ 
lid]en  0rganifation  treten  unb  il]re  (Srünbungen 
teils  an  ben  Staat,  teils  an  bas  regelmäßige  firdv 
Iid?e  2lnü  abtreten,  u?ie  bas  bei  mandien  (£in* 
rid^tungen  bereits  gefd]el]en  ober  int  IPerfe  ift. 
„X)ie  3"^^<^^<^  llliffion  ift  bie  freie  d^riftlid^e  Dor* 
arbeit  für  sufünftige  bleibenbe  0rganifationen  iit 
Staat  imb  Kird]e."  IDenn  fomit  bie  ^^rnexe 
211iffion  bie  Cenbens  l^at,  fid]  felbft  überflüfftg  31t 
mad]en  unb  in  Staat  unb  Kird]e  auf5ugel]en,  fo- 
tperben  bod]  eben  biefe  burd]  il]ren  Hinflug  u?efent« 
lid]  veränbert  u?erben.  X>ie  ^nncxc  211iffion  l^at 
eine  grunbfäfelid^e  Deru?anbtfd]aft  mit  bem  Sosialis» 
mus;  benn  beibe  I^aben  bas  gemeinfame  ^iel:  bie- 
(Entlaftimg  ber  53ebrängten.  Die  Annexe  211iffion 
bient  bem  Sosialismus  unb  l^ilft  mit  an  ber  fjer* 


—  \^  - 


beifül^rung  feines  ^ieb,  inöem  fie  bas  Kapital  am 
VOadisium  tjitibert,  neben  bem  Eigentum  am  Befi^ 
ein  Eigentum  ber  Bed^te  (Hedit  auf  Kranfljeits^ 
unb  ^Itersuerforgung,  auf  gute  IDobnung  unb 
lol^nenbe  Arbeit)  fdjaffen  b}\\t  unb  bie  (£ntiDicfIung 
t)er  5d?u^red^te  förbert.  Sie  geftaltet  ferner  bie 
Kird^e  um  burd)  bie  2(npaffung  ber  prebigt  an 
bie  l^eutigen  Dolfsbebürfniffe  unb  bie  uerfd^iebenen 
Polfsfdjidjten,  unb  burd^  ^nbal^nung  neuer  (Se^ 
meinbeformen;  bie  Kirdje  u?irb  burd)  fie  mieber 
Polfsfird^e.  „Der  fosiale  Staat  unb  bie  volU-- 
tümlid^e  Kird]e,  bas  ift  bie  ^ufunft  ber  3"^^^i^^" 
2niffion,  bas  ift,  fo  <3ott  u?iU,  bie  ^uhmft  bes Polfes." 

Haumanns  2(uffaffung  ber  3nnern  21Tiffion 
n?urbe  in  Hr.  5\  beffelben  3al|rgangs  von  ma§= 
gebenber  Seite  (X)r.  ^.  v.  Sdjubert=fjorn,  Der 
alte  unb  ed^te  Segriff  ber  innern  2Tiiffion)  beftritten; 
bod]  I^at  er  fie  nod]  ^  3<^^i^^  fpäter  im  lDefent= 
lidjen  aufredet  erlialten  („XPidjern  imb  bie  3u?eite 
periobe  ber  3nnern  ZlTiffion",  (Eljriftl.  IPelt  \S^2, 
Hr.  39).  €5  ift  u>obI  nid^t  5U  leugnen,  ba§  feine 
(5egner  ftreng  genommen  Hed]t  traben;  fie  B>aben 
-ben  urfprünglidKn  Sinn  ber  3^^"^^^^^  ZlTiffton,  bie 
3bee  IPidierns  imb  bie  Crabition  treuer  beu^aljrt. 
-2tber  Haumanns  ^^l^Ier  liegt  barin,  ba§  er,  eine 
mel^r  V)erein3elte  Sugerung  IDidjerns  3U  febr  be= 
tonenb,  feine  ^uffaffung  mit  ber  bes  Derebrten 
2neifter5  ibentifisiert,  um  il^r  bie  I|iftorifd?e  lOeiE^e 
.3U  geben,  roal^renb  fie  in  lDirfIid:)feit  eine  neue 
unb  eben  besl^alb  roertüoll  ift.  Sie  ift  einerfeits 
^uxdi  ben  r>eränberten  Cbarafter  ber  <3eit  bebingt; 


-    ^5  - 


anbrcrfeits  he^eidinet  fie  audb  einen  gemaltigen 
gebanflid^en  xmb  fittlidjen  5ortfdjritt  über .  lPid]ern 
ijinaus. 

Was  bie  3nnere  ilTt)fion  i  nt  5  i  n  n  e  U)  i  r  n  s 
fein  foU,  bas  fagt  ber  öurd]  il]n  tjerrfd^enb  geu?or^ 
t>ene  Harne  mit  aller  u^ünfd]en5iperten  Deutlid^feit 
unb  uodi  beutlidier  fprid]t  es  bie  X)enffd^rift  von 
](8^9  t/^^^^  innere  ZlTiffion  gilt  uns  .  .  .  bie 

gefanite  ^Irbeit  ber  aus  beni  (Slauben  an  Cl]riftuni 
geborenen  Ciebe,  u?eld^e  biejenigen  Zllaffen  in  ber 
Cbriftenl^eit  innerlid^  unb  äugerlidi  erneuern  u?iU, 
bie  ber  ZTTadjt  unb  fjerrfd^aft  bes  aus  ber  Sünbe 
bireft  ober  inbireft  entfpringenben  niannigfadien 
äußeren  unb  inneren  Derberbens  anlieintgefallen 
finb,  ol^ne  bag  fie  .  .  .  von  ben  jebesmaligen  ge^ 
orbnetett  d^riftlid'jen  2lmtern  erreid]t  iverben."  (5. 
„Hod]  foU  an  biefer  Stelle  ausbrücFlid^  ...  bie 
iUeinimg  abgeu)iefen  u?erben,  als  ob  bie  iti= 
nere  ZTTiffion  als  fold^e  nid)ts  ^tnberes  fei,  als 
ein  lUerP  ber  IDol^ltätigfeit,  im  d^riftlid]en  Sinne 
betrieben;  alfo  eine  djriftlid]  erneuerte  pflege,  Per= 
forgung  ober  33efd^äftigung  ber  Firmen.  —  —  — 
<£5  lä§t  fid^  bie  reid^fte  Cätigfeit  ber  inneren  ZHif^ 
(ton  benfen  —  unb  (te  ejriftiert  ipirflid]  — ,  ol^ne 
i)ag  je  aud^  nur  eine  leiblid]e  IDol^ltat  babei 
3U  fpenben  nötig  geu?efen  voätc;  es  lägt  \xdi  eine 
(Semeinbe  benfen,  in  u?eld]er  bie  Heid^en,  (Sebil= 
beten  bas  (5ebiet  finb,  bas  fidj  bie  innere  ZUiffxon 
allein  eripäl^len  fann,  u?eil  fte  arm  finb  an  (Sott, 
roäl-jrenb  bie  Firmen,  u?eil  reid^  an  iljm,  bie  Cräger 
ber  inneren  ZlTiffion  fein  fönnten.  —  —  —  — 


-    \6  - 


IDol]Itätigfeit,  u?ddje  aud?  von  bcr  inneren 
^Tliffion  in  bes  fyxxn  Hamen  geübt  luirb,  ift  an 
eben  fo  pielen  Stellen,  als  ipie  an  anbern  Stellen 
nid)t,   ein  X)urdjgang5punft  il^rer  '  Cätigfeit,  ein 
feljr  oft,   aber  bod]  nur  5ufäIIig  mit  il>r  i?erbun* 
benes  (Element,  in  feinem  5<^öß  tiber  je  il:jr  eicjent* 
Iid?er  ^wed."    (S,  1(7— ]i9.)    m\o,  weit  entfernt 
in  ^arntl]er3igfeit   unb  IDobltätigfeit  auf5ugeben, 
liat  bie  2^ncvc  ZlTiffion  eine  boppelte  2^ufgabe, 
lüie  fie  Hr.  \  ber  Statuten  bes  ^entralausfdnifj'es 
formuliert:    „Die  innere  ITtiffion   J^at   5U  il^rem 
Svoede  bie  Hettung  bes  eoangelifd^en  Polfes  aus 
feiner  geiftigen  unb  Ieiblid]en  Xlot  buvdi  bie  Der* 
fiinbigimg  bes  €r»angeliums  unb  bie  brüberlid]e 
fjanbreid^ung  ber  djriftlid]en  Ciebe."    Unb  biefe 
beiben  ^tpecfe  finb  nid]t  nur  unlösbar  Derbunben, 
fonbern  in  ein  fold^es  Hangoerbältnis  gefegt,  ba§ 
bie  Befel^rung  ^auptfad^e,  bie  Ciebesübung  entbeBjr» 
lid^es  Beiu?erf  unb  ZlTittel  3um  ^wed  ift.  Das 
wixb  aud}  von  ben  Spätem  mit  aller  (£ntfd?ieben» 
B^eit  betont;  id]  fe^e  nod^  bie  beseidinenbften  Sä^e 
von   Sd^ubert   t|er:    „Die  Ciebestat  am  äußern 
ZTtenfdien  foll,  aud^  wo  fie  einen  breiten  Haum 
einnimmt,   bod]  nur  eine  prebigt  ber  göttlidjen 
Ciebe  fein  unb  für  bie  Seelforge  gefügig  madjen. 
—  —  —  So   geu?ig  bie  Seele  ber  Ceil  im 
21Tenfd^en  ift,  ber,  eu?ig  unb  r>on  unr>ergänglid]em 
Wevte,  bas  Zentrum  aud?  bes  Ceibeslebens  bilbet, 
fo  gemig  ift  bie  Seelenrettun  g  bas  Zentrum 
ber  inneren  21Tiffion.    fjier  I^at  fie  iE^r  felbftänbiges 
prin3ip,  unb  r>on  ijier  laffen  ftd]  it)re  (ßrunbsüge 


-    \7  - 


entfalten.  ITic  imb  nimmer  unb  niemals  ift  bie 
bloge  pflege  eines  Kranfen  aus  ebler  ^flTenfcl-jen* 
liebe  ober  bas  ernfte  ^emül^en  um  bie  fjebung  ber 
2trmut  fd^on  ein  lOer!  ber  inneren  21Tiffion." 

(Seu>ig  ein  flares  unb  beut  ^Infdiein  nadi 
unangreifbares  Programm.  Unb  bod^  Ijat  es  ftd) 
nidjt  burd'>fül:jren  laffen  unb  ift  von  ber  (Sefd^id^te 
üeriporfen.  Tcid^t  einmal  IDid-jern  felbft  I^at  fid? 
ftreng  baran  gebalten.  Denn  als  er  \86^  unb 
ujieber  \S66  unb  \S70  mit  3rübern  unb  freiwilligen 
geifern  in  ben  Krieg  50g,  unb  eine  5ßIbbia!onie 
organifierte,  bie  suerft  bas  „rote  Kreus"  in  bie  (Se* 
fd|id]te  einfül^rte,  ba  ftellt  er  ohne  ^ivcxfel  bie 
0rgane  ber  3^1"^^^^"  21Tiffion  in  ben  X>ienft  ber 
^armbersigfeit  unb  fjumanität,  otjne  ^e!el]rungs* 
I^intergebanfen,  imb  bas  ^üd]Iein,  bas  r>on  biefen 
Caten  ersäblt,  ift  bement|pred]enb  überfd^rieben 
„Kriegsbienfte  ber  5i^ßtu?iIIigen  Ciebestätigfeit." 
Unb  bie  von  ber  3""<^i^^^  ZTliffion  gefd">affene  ^in» 
rid^tung  ber  (Semeinbebiafonie  fann  ebenfalls  einen 
anbern  Sinn  nid^t  l^aben.  Unb  aud^  bas  u)irb 
fein  Derftänbiger  leugnen :  U.'^enn  bie  ^^rncve  21Tif* 
fion  nid]t  biefe  £iebesu?erfe  aud]  als  5elbft5ix>ecf 
unb  fjauptfad-te  getrieben  unb  barin  fo  Bebeutenbes 
geleiftet  l^ätte,  niemals  hätte  fte  eine  fold^e  Tins-- 
beijnung  unb  fold^es  2lnfel^en  erlangt. 

Dodi  C5  lobnt  fid)  u^ol^l,  ber  Sad^^e  prinsipiell 
nad^3ubenfen.  U^idjerns  ^Jtuffaffung  u?ar  burd^ 
breierlei  bebingt:  burd]  bie  5eitr>erl]ältniffe,  burd] 
feine  prajis  unb  burd^  gcu?iffc  tl^eoretifd^e  2lnfd]au* 
ungen.    2llle  brei  punfte  galten  für  \S^0  unb  für 

^.  mcyer:  S^br.  Naumann.  2 


-    18  - 


Haumann  ntdjt  mel^r.    X>ic  S^itvcx^äitm\\e  fommen 
infofern  in  Betvadit,  als  bas  (£Ienb   ^8^9  nod^ 
nidjt  in  bem  (5rabe  ZlTaffenerfd^einung  wav  wie 
jc^t  unb  nod]  eb.et  bie   f^offnung  julicg,  man 
fönnc  feiner  auf  inbir>ibualiftifd]em  IDege  burd> 
perfönlid^e  2lrbeit   am   (Einseinen   i^err  u?erben. 
^ie  Praxis :  foupol^I  IPid^ern  perfönlid]  u?ie  bie  von 
x^m  in  bie  IDege  geleitete  ^nmve  2Tliffion  be= 
gannen   mit   ^^ettungsl^äufern   für  permal^rlofte, 
gar  nidjt  ober  fd^Ied^t  ersogene  ober  fd^iüer  er^ieEj^ 
bare   Kinber.     fjier  ipar  freilid]  Ieiblid]e5  unb 
feelifd^es  (£Ienb  untrennbar  uerbunben  unb  würbe 
bie  feelifd]e  Beljanblung  3ur  fjauptaufgabe,  rx?omit 
in  ber  Hegel  aud^  bie  äußere  Hot  gel^oben  u?ar. 
Unb  ron  I^ier  aus  fonnte  man  leidjt  3u  ber  Per* 
allgemeinerung  fontmen,  bag  mit  ber  d?riftnd)eti 
(£r3iel|ung  unb  feelifd^en  (Srneuerung  bes  Voltes 
alles  (£Ienb  aus  ber  IDelt  gefd^afft  werben  fönne. 
Damit  war  nun  bie  fird^Iidje  Cebre  in  Überein* 
ftimmung,  bie  in  ber  Sünbe  bie  lUursel  aüer  Hot 
unb  alles  Derberbens  fal-j;  bie  Sünbe  aber  t^atte 
natürlid^    it^re    le^te    Urfad]e    im    2tbfaII  üom 
Ctjriftentum. 

2)iefe  I^er!ömmlid]e  paftoren=^uffaffung  Iie§ 
fid->  angefid]ts  bes  ^ITaffenelenbs  im  (Sefol'ge  ber 
mobernen  3^''^iifti^i^  "^^^  aufredet  erl^alten.  2Tlan 
brandet  weber  Haumanns  pfyd]oIogifd]en  Ciefblicf 
nod]  feinen  Bruberfinn  gegenüber  ben  Ernten  3u 
lijaben,  um  ein3ufel^en,  bag  bie  traurige  Cage  ber 
ijausweber  nid^  r>on  ber  Sünbe  unb  am  aller* 
wenigften  von  il^rer  eigenen  Sünbbaftigfeit  E^erfam, 


-   19  - 


fonbern  öag  ftc  reiu  öfonomtfd^c  Urfadien  bßtte, 
in  öer  tpirtfd^aftlid]cri  unb  polittfd^cn  Perfaf= 
fung  ber  (ßefellfdjaft  lagen,  unb  ba§  tl|r  burd? 
feine  Bef^I^rung  unb  fittlid^e  €rneuerung,  fonbern 
allein  burd]  Umgeftaltung  ber  fo$iaIen  PerJ^ältniffe 
abgeljolfen  u?erben  fonnte.  Unb  biefe  (£r!enntni5 
wax  n'idit  einmal  neu  3U  geu?innen.  Sie  lag  fertig 
t>or,  von  einem  genialen  Venhv  mit  u?ud]tiger 
Konfequens  5U  einem  u)iffenfd]aftlid]en  Syftem  ent^ 
loidelt  imb  von  einer  nadi  fjunberttaufenben  3ät|= 
lenben  ZTlenge  als  (£r>angelium  uerel^rt.  Diefe 
<£infid]t  brad]te  Naumann  bereits  nad^  S^<^^^'' 
furt  mit. 

Damit  u?ar  bie  fefte  Perfnüpfung  ber  beiben 
2tufgaben  ber  3nnern  ZHiffion  gelöft  unb  il^r  Per= 
l^ältnis  3u  einanber  grünblid^  r>eränbert.  iPenn 
XPidiern  unb  feine  Had^folger  u?oE^I  eine  Seelen* 
rettung,  wo  feine  materielle  Xloi  wav,  aber  feine 
blofee  Ciebesübung  ol^ne  Seelenrettung  suliegen, 
fo  verlangte  je^t  biefe  it]re  ^Inerfennutig  als  felbft- 
ftänbige  Arbeit  unb  trat  gerabesu  in  ben  Dorber- 
grunb.  Haumann  ift  fid]  biefer  IDanblung  r>olI= 
fommen  beu)ugt;  bie  „fd^öne  ^eit  ber  erften  Ciebe", 
t)ie  er  d^araf terifiert :  „eitles  badiie  nur  an  Seelen-- 
rettung;  r>on  fo$iaIer  Zlot  wav  wenig  bie  Hebe", 
gel^Ört  für  il^n  ber  DergangenE^eit  an.  Diefe  3e= 
ftrebungen  aber,  bie  allein  auf  bie  ^efeitigung 
ober  Cinberung  ber  materiellen  Zlot  gerid]tet  waven, 
liefen  fid?  nun  fd]Ied]terbings  nid]t  meEjr  als 
Ztebenu^erf  ober  als  ZlTittel  3mn  ^u^ecf  ber  (£üan= 
gelifation   treiben,    fie   geu?annen   uielmel^r  eine 


2* 


—    20  — 


IOid]ticjfcit,  vox  bcr  aücs  anbcrc  3urücftrat.  VOcv 
bic  (5rögß  (£Ienb5  fo  fannte  Haumann, 
bcm  Ijätte  es  als  ^laspljcmie  crfd]eincn  muffen,  ba§ 
man  ben  ^rmcn  tun*  I^elfen  ü:)olIe,  um  fte  feelforge* 
rifdier  (Einmirfung  sugänglid]  3U  madicn.  Xlaiu 
mann  fprtd^t  es  fd^on  ](888  aus:  „lUer  es  fonft 
nid)t  ix>eig,  ber  bemül|e  fid]  nur  einmal  vier 
XDodjen  um  Vevhiiv  mit  fogenannten  „geiPÖB>n» 
lid^en"  Ceuten,  unb  es  mirb  il^m  unerfd]ütterlid] 
gerpig  u?erben,  bag  bas  tieffte  3^itereffe,  bie  etgent-- 
lidifte  ^lufgabe  unfrer  ^eit  bie  fosiale  5rcige  ift." 
Unb  wenn  er  neben  bem  Sosialismus  ber  2^nevn 
^iffton  eine  bienenbe  unb  norbreitenbe  Holle  3U' 
u?eift,  fo  ift  bas  eine  2tuffaffung,  bie  r>on  ber 
ZDidierns  allerbings  ftarf  abn^eid^t,  aber  eben  bes* 
iialb  ben  (^uftänben  unb  bem  (Seifte  unfrer  ^eit 
gered]t  roirb. 

Hatürlidj  ftnb  bie  IDerfe  ber  bienenben 
Häd^ftenliebe  für  fid]  ein  unbeftreitbares  Hed]t  unb 
eine  pflid^t  bes  loaBjren  Ct^riftentums,  eine  not» 
u?enbige  Cebensäugerung  ber  d]riftlid]en  (5emeinbe, 
benn  „ber  (Slaube  ol^ne  bie  iPerfe  ift  tot  an  il^m 
felber".  X>iefe  Cätigfeit  fann  fidj  nid^t  an  bie 
üon  IDid^ern  gesogenen  (Srensen  hingen.  €s 
roiberfprtdit  burd^aus  bem  natürlid^en  fittlid^en 
(ßefübl,  einen  Kran!en,  ben  man  pflegt,  3ugleid? 
3um  0bieft  für  ^efeEjrungsuerfudje  3U  mad^en. 
^ud]  bie  rein  fird^Iidjen  2lnftalten  imterlaffen  bas 
unb  mad]en  l)ier  feinen  Unterfdjieb  3u?if  d?en 
5rommen  unb  (Sottlofen  (weld)  le^tere  allein  in 
ben  ^ereid^   ber  2'^ncvn   ZHiffion  in  XOid]evns 


-    2\  - 


Sinne  fallen  upürbcn);  imb  fo  E)at  bie  Kird^e  wo^i 
ftets  v>erfal:jren.  TXodi  wenxQet  Iä§t  ftdj  natürlidi 
^tefe  Sd^eibuncj  burdjfül^ren  bei  bcn  Perfud^cn, 
bcm  f05ialcn  (£Ienb  iinfrer  ^cit  311  ix?et>rcn.  Die 
5ragc  ift  alfo  nur,  ob  man  alle  biefe  Siebes» 
u?erfe  3um  (5ebiete  ber  3^^"^^^"  ZlTiffton  l^in3u= 
red^nen  ober  bai?on  au5)d]Iießen  n?ill.  (Seu?iß  ift, 
bag  fie  bem  urfprüncjlidien  Begriffe  iinb  bem 
eigentlidjen  IPortfinne  ber  3Tinern  21Tiffion  nad) 
nid]t  ba3u  geboren^);  aber  ebenfo  un5u?eifelbaft 
tpürbe  biefe  alle  Bebeutung  unb  alle  Cebenffraft 
verlieren,  wenn  fie  im  €rnft  barauf  i?er5id^ten 
u?ollte.  Denn  gerabe  als  (Drganifatton  ber  d^rift* 
lid^en  Ciebestätigfeit  ift  fie  gro§  imb  mäd^tig  ge= 
iporben;  gerabe  l^ier  l>at  fie  il^re  anerfannten  Der= 
bienfte  imb  il^ren  bauernben  Wext, 

So  Ijat  fid^  bie  2lufgabe  ber  3nnern  Zlliffton 
in  mebrere  felbftänbige,  burd^  fein  iimeres  Banb 
i?erfnüpfte  2lrbeiten  3erlegt.  5lber  aud^  biefe  l^aben 
babei  rcefentlid^e  Deränberungen  erlitten.  IPir 
betrad">ten  fie  bal^er  ein3eln. 

Die  3""^^^^  ZlTiffion  foU,  gan3  analog  ber 
^eibenmiffton,  nur  innerl^alb  ber  Kird^e,  bie 
(ßlaubenslofigfeit  inib  bas  und^riftlid^e  Xüefen  be= 
fämpfen;  il]r  IDerf  ift  prebigt,  Seelforge,  Be= 
fel]rung.  Das  fefet  voraus,  ba§  man  felbft  einen 
3u?eifello|en  (glauben  l>at  unb  bas  Hed^t  unb  bie 

0  Diefc  Scbmierigfeitcn  bei  ber  Bcgriffsbeftimnmng 
unb  (ScbictsabgrcnjUtig  ber  3nncrn  XlTiffion  bat  Naumann 
fclbft  eingefcl^ert;  er  erörtert  fie  in  einem  ^tuffat^e:  „Was 
ift  innere  Xlliffton"  in  ber  Zllltjem.  Konfercatioen  XTlonats= 
fcbrift  :^888,  S.  69^  —  6. 


—    22  — 


pflid^t,  bicfcn  andern  mttsutcilcn.  TOidicxn  voav 
im  ^eft^e  eines  fold^en  feften  (Glaubens,  unb  voo 
biefer  fel:|lte,  ba  fal^  er  geiftigen  imb  fittlid^en 
ZHangel.  2lngefid]t5  ber  Sosialbemofratie  ipar 
biefe  2TCeinung  (bei  näl]erer  ^efanntfd^aft)  nid]! 
Iialtbar.  Venn  btcfe  l]atte  felbft  ibre  Über- 
Seugungert,  il:jre  10eltanfd]auimg,  unb  bas  geiftige 
unb  fittlid^e  Hiüeau  wav  in  il^r  nid]!  niebriger, 
fonbern  el^er  tjöber  als  bei  ber  21Taffe  bes  „d]rift= 
Iid]en"  Dolfes.  fjier  tjanbelte  es  fid]  nid^t  baruni, 
einen  (ßlauben  foId]en  mitsuteilen,  bie  felbft  feinen 
hßtten,  fotibern  es  ftanb  (Slaube  gegen  (Slaube. 
IDolIte  man  bier  etu?as  ausrid|ten,  [o  ntu^te  man 
5uerft  ben  fremben  (5Ianben  grmiblid?  ftubieren, 
bann  r>ont  diviftlid^en  Stanbpunft  aus  biejenigen 
(Sebanfen  unb  ^tusbrudsformen  entmideln,  u)omit 
man  bem  (5egner  beifommen  fonnte.  ^us  ber 
prebigt  w'ivb  eine  2lufgabe  ber  2tpoIogeti?  unb 
polemif.  XUar  biefe  fd^on  gegenüber  bem  lUate-- 
rialismus  ber  Sosialbemofratie  nid]t  gan3  einfad^, 
fo  u?urbe  fie  unenblidi  fomplisierter,  ipenn  man 
einmal  anfing,  ben  „Unglauben"  ber  gebilbcten 
Kreife  unb  ibr  pielgeftalliges  religtöfes  Seltnen  unb 
5ud]en  ins  ^Muge  ju  faffen.  Da  fonnte  man 
poUenbs  mit  bem  ererbten  53eftanbe  nidjt  aus* 
fommen,  ba  galt  es,  neue  (Sebanfen,  neue 
(Slaubensart  5U  [diaffcn.  ^n  biefer  2lrbeit,  b'e  ja 
nodi  gans  im  ^luffe  ift,  k^i  Haumann  nod]  fpäter, 
ja  eigentlidi  erft  fpäter  teilgenommen;  w'ix  u?erben 
int  4.  Kap.  barauf  5urücFfommen. 

So  finb  u?ir  mitten  in  ben  i|eutigen  Kantpf 


—    23  — 


um  eine  neue  10cltanfd]auung  cjcratert,  rocitab  von 
bcr  3nncrn  ZUiffion  unb  tl^rcm  Wethen  um  bte 
cinscliie  Seele.  Diefes  fd^eint  uns  eine  minder 
belangreid]e  unb  nid]t  qan^  mtbcbenflid'>e  Sad^e. 
Unfer  (Sefübl  verlangt,  bag  w'ix  jebe  Überseugung 
adjien,  unb  in  unfre  perjönlid^ften  unb  innerlidjften 
^lngelegenl:)eiten,  ipte  es  (Slaube  unb  fittlidies 
Ceben  finb,  laffen  w'xx  uns  von  feinem  5r^i"»iben 
oI:>ne  unfern  lUunjd")  l^ineinreben.  (£igentlid^e 
Hettungsarbeit  fann  nur  an  benen  gcleiftet  u?erben, 
bie  in  offcnfunbigent  morali|d]en  ^lenbe  i?er= 
!ommen,  otjue  bie  Kraft,  fid^  felbft  barau5  3U 
retten.  f)ier  tjat  je^t  bie  rjeilsarmee  IPege  ge= 
funben  unb  energifdje,  erfolgreid^e  2lrbeit  getan. 
3m  übrigen  fann  bas  dbriftentum  prebigt  unb 
(5u[prud]  nur  anbieten,  nid^t  aufbrängen.  Dasu 
bebarf  es  aber  nid^t  einer  befonbern  *£inrid]tung, 
fonbern  bas  ix?äre  bie  Sad^e  ber  Kird^e  unb  il^rer 
georbneten  0rgane.  So  ergibt  fidi  bie  5orberung 
einer  (Erneuerung  bes  offisiellen  Kird]enipefen5, 
unb  feiner  Umgeftaltung  3U  einem  lebenbigen  imb 
leiftungsfäl^igen  ^rganisntus,  feiner  «Erfüllung  mit 
neuem  (Seifte  unb  neuen  (5ebanfen,  u?ie  fie  bie 
ntoberne  XDelt  brandet,  unb  ber  ^tusbilbung  seit- 
gemäßer,  u^irffanter,  r>oIf5tümIid]erer  formen  bes 
fird^Iidien  Cebens.  ^) 

')  Wie  icb  mir  bicfe  „Hcform  bes  proteftantismus" 
bcnfe,  iiabc  id?  im  „^ext(^c\^t"  vom  18.  ^u\i  ^90^  aus= 
gcfülirt.  €rft  nacbträglid)  habe  id)  cjefet^cn,  ba§  bie 
(5runbgebanfen  bicfes  2iii'ffat3es  fd?on  ^892  von  nau= 
mann  ausgefprodjen  finb.  (5.  Was  fann  bic  innere 
llliffiort  5ur  Belebung  ber  (5emeinben  beitragen?  5.  ^.) 


-    2^  — 


Wenn  bie  ZPirffamfeit  öer  3nrtern  IHiffton 
in  bicfcn  Hid^tungcn  un3eitgßmcig  erfd^cint,  l>at  fte 
in  bcr  organifierten  Ciebes^  imb  ßilfsarbcit  einen 
unbeftrittenen  Beruf  üon  3ix?eifenofem  IDerte. 
lOol^Itätigfeit  imb  fjilfeleiftung  ipirb  wobj,  nie  ent^ 
beljrlid)  fein,  unb  es  fragt  ficb,  ob  man  babei  auf 
bie  prioate  unb  freimillige  Ceilnabme  je  loirb  r>er= 
Sid^ten  fönnen.  5i^^ilid]  tuerben  immer  meljr  5ßlber, 
bie  von  ber  ^nnexn  2Ttiffion  angebaut  finb,  fpäter 
vom  Staat  unb  von  ber  (Sefeüfd^aft  in  pflege  ge» 
nommen.  Unb  immer  mebr  erfd]eint  bas  fpe5ififdT 
<El^riftIid]e  bei  biefen  (Einrid^tungen  als  nebenfäd^^ 
Iid]es  unb  entbebrlid^es  ©rnament,  wäbrenb  im 
XDefen  3tx)ifd]en  Cl^riftentum  unb  f)umanität  fein 
Unterfd]ieb  r>orbanben  ift. 

(£s  ift  nun  aber  bie  (£igentümlidifeit  ber 
mobernen  5orm  bes  (£Ienbs,  baß  es  fo^iale 
^affenerfd^einung  ift,  unb  bag  bal:>er  bie  VOobl' 
tätigfeit,  bie  fid^  an  ben  (£in3elnen  u?enbet,  gän3lid? 
auger  Stan'öe  ift,  bas  Ubel  an  ber  2X)ur3eI  3U 
faffen  unb  grünblid^e,  bauernbe  fjeilung  3U  fd^affen. 
Dies  fann  nur  burdj  Snberung  ber  u^irtfd^aftUd^en 
^uftänbe  erreid^t  roerben,  unb  ba^u  fübrt  allein 
politifdje  Otigfeit,  ftaatlid^es  (Eingreifen  unb  Q)v- 
ganifation.  „Die  Ciebe  im  größten  Stil  ift  unb 
bleibt  bas  barml)er3ige  Staatsgefe^. "  (Ct^riftl. 
XPelt  II,  57^.)  Haumann  getjört  3U  ben  (£rften 
innerljalb  ber  fird^Iid^en  Kreife,  benen  biefe  (£r^ 
fenntnis  in  voller  Klarl^eit  aufgegangen  ift.  (£r 
Ijat  ber  (Srfenntnis  bie  Cat  folgen  laffen  unb  ift 
felbft    ben    gewiefenen    2Deg    gegangen.  Der 


—    25  — 


fütjrtc  il^rt  aus  bem  cjeiftlid]en  2lmt  in  bic  politifd^e 
2lrbeit,  aus  ber  3nnern  ZTliffton  in  bic  d]rtftltd:j= 
f03talc  Bewegung. 

'k- 

X>a  u?ir  bereits  eine  grünblid^e  unb  gediegene 
(5ejdMd]te  biefer  Beftrebungen  aus  ber  ^ßber  eines 
tl:|rer  S^^k^^^  befi^en,!)  fo  fann  id>  mid]  auf  fur3e 
^nbeutungen  befdjränfen. 

^ud]  biefe  (Sefdnd)te  gebt  aus  von  IPidiern. 
(£r  bßt  ben  eDangelifdj-fosialcn  (Sebanfen  suerft 
i?er!ünbigt,  \S^S  in  ben  „5Ii^gcnben  Blättern"  luib 
auf  bem  Kird^entage  5u  IDittenberg  (2{.  Sept.): 
Die  feciale  5r<^gß  ift  u?eber  burd]  bas  allgemeine 
XPablred^t  (auf  liberalem  IVeqc)  nodi  burd^  ben 
Kommunismus  3U  löfen,  fonbern  burd]  eine  neue 
2^id|tung  ber  poIitiF,  bie  vom  (Seifte  bes  c£t>riften= 
tums  burd]tränft  ift.  Unb  er  fielet  biefe  Beu?egung 
als  birefte  5ortfe^ung  ber  3""^^^"  ZlTiffton  in 
jener  u?abrl]aft  propt»etifd^en  Stelle  feiner  Venh 


*)  pauI  (Söhre,  bie  euangelifcb  =  feciale  Be= 
iDCcjuncj.  !£eip3tg,  (Srunou?  ^896.  200  5.  —  Scbon 
üor  ^877  entftanben  r»erein3elt  fosialreformerifcbe  plätte 
unb  Wi\n\(bt  in  ber  fonfert^atinen  partei;  bod)  geboren  fie 
nur  tjalb  bierber,  ba  fie  ftd?  nidjt  an  bas  Volt,  fonbern 
an  bie  Hegieriing  ipenben.  Dergl.  über  biefe  „fo3ial: 
fonferr>atir>en"  Beftrebungen  ben  (ftarf  fubjeftir»en)  Bc= 
riebt  etites  il^rer  ^auptförberer,  Hubolf  lITeyer,  Die 
^^nfänge  ber  eponcjelifdj^fojialen  Betregung,  in  ber  ^u-- 
fiinft  IV,  25.  2^.  (6.l\5.  Xnär3  ^897.)  ^rüber  unb 
cnergtfdjer  tjatte  bie  fatbolifcbe  Kircbe  tnit  ber  (Srünbung 
ron  2lrbettert?ereinen  angefangen,  befonbers  in  Belgien 
unb  (franfrcid). 


—    26  — 


fd^rift  von  (5.  ^37  ff.),  bie  rcaiimann  fo  gern 

unb  oft  jitiert  imb  bic  offenbar  für  feine  ganie 
^nhütcFIung  cntfdieibenbe  Bebeutung  i]at  „^lUe 
Derbrüberungen  unb  Derfd]rDtfterungen  biefer  2lrt 
finb  bi5  je^t  nur  Derbinbungen  für  fjilfsbe» 
bürfttge;  bie  perfonen  ber  imteren  Klaffen,  bie 
ber  fjilfe  bebürfen,  ftel^en  jenen  Derbinbungen,  bie 
ilinen  Dienft  unb  rjilfe  bringen,  bod]  intnierl:|in 
pereinselt  gegenüber.  (£in  neuer  5d]ritt,  ber 
nod^  getan  inib  perfolgt  u?erben  nui§,  ift:  d]rift' 
lid-je  2tf fo3iationen  ber  fjilfsbebürf tigen 
felbft  für  beren  fo5iaIe  (5amilie,  Befi^  imb  ^trbeit 
betreffenbe)  ^wede  5U  ueranlaffen.  Begibt  fid) 
bie  innere  ZTtiffion  erft  ernftl>aft  an  bie  Deripirf^ 
Iid]ung  biefer  2lufgabe,  fo  ift  ber  cßrensftein 
aufgerid^tet  5u?ifdien  ber  bisherigen  unb 
einer  fünftigen  (Spodje  ber  d^riftlid) 
rettenben  £i  ebesa rbeit,  unb  fie  tritt  mit 
gleid]en  XDa^cn  imb  gleidier  l^üftung  wie  ibre 
(Segner  auf  bcn  Kampfe  unb  ^lunnnelpla^  ber 
Belegungen,  u?eld]e  je^t  bie  IDelt  erfdnittern". 
2Tüt  biefer  ^orberung  ber  „Derbrüberung  ber 
5Irb  eiter  3ur  5elbftl]ilf  e"  ift  IDidiern  u?eit 
hinaus  gewadifen  über  ben  (Seift  patriard>alifd|er 
Beporntunbung,  ber  nodi  lange  l^in  alle  eoangelifdi» 
fojialen  Beftrebungen  unb  ber  Bisntards  fosiale 
2\eforntgefe^gebung  gans  unb  gar  beberrfdjt. 
5reilid)  finb  bie  ^Iffosiationen  bod]  nivi^t  als  ein== 
feitige  Vertretung  ber  2trbeiter  unb  0rgane  bes 
Klaff enfampf es  g.et>ad)t^  fonbern  als  eine  „d^rift- 
lid^e    2lffo5iation   ber  rerfdiicbenen   Arbeits*  unb 


—    27  — 

^efi^ftänbß"  511  gegcitfeitigcr  tragender  inib  för= 
herüber  fjanbreid^ungJ) 

ausbrücfüd]  ber  (5ufunft  suweift,  i}ai  VOidicxn 
n\d)t  fclbft  in  bic  ijanb  genommen;  ben  crften 
Derfud]  ba3u  mad]te  ber  il^m  nal-jeftcbenbe  Diftor 
2time  ^uber.  Dod]  baben  wcber  feine  Sd^viften 
nod)  feine  praftifd]en  (Srüitbungen  buvd]fd]Iagcnben 
(£rfoIg  getrabt,  I^auptfäd^lid)  weil  er  in  ber  ge= 
noffenfd^aftlid^en  0rganifation  ba5  ^tlll^eilmittel  fal], 
biefe  aber  allein  auf  privatem  IPege,  burd]  5elbft= 
tjilfe  unb  freie  Unterftü^ung,  obnc  Znitiuirfung 
bes  Staates,  burdifübren  wollte,  ^ine  nad^baltige 
53eu?egung  int  grögern  Stil  fet^t  erft  mit  bem 
3al]re  \877  ein,  wo  gleid]3eitig  unb  im  <£ini'>er= 
nel^men  mit  einanber  5tüei  llTämier  auftraten,  ein 
d]eoretifer  unb  ein  praftifer.  3ene5  u?ar  ber 
paftor  2hl b.  ilobt  mit  feinem  23ud]e  „Vcv  va- 
bifale  beutfdie  Sosialismus  unb  bie  d]riftlid]e  <5e= 
fellfd]aft";  biefes  ber  X^ofprebiger  2tbo If  Stöcf er, 
ber  eigentlid^e  Dater  ber  gan5en  eoangelifd^  =  fo= 
jialen  Bewegung,  ber  burd^  feine  mutige  3^^it^<-'itii''^; 
feine  erftaunlid^e  Catfraft,  fein  r»ielfeitige5  poU' 
tifd]e3  (5efd]id  unb  bas  ^^n^i-*  feiner  ^erebfamf'eit 
fie  rafd"!  5U  (Erfolg  unb  i^ebeutung  gebrad^t  bat, 
aber  aud^  burd]  bie  <3u?iefpältigfeit  feiner  perfön» 

')  Später  l]at  VO\d)tvn  aud?  bic  Ttotmenbigfcit, 
burd)  bic  (Sefct5gcbung  cin3ugreifen,  eingefelicn.  €s 
»erbient  €nr)äl]nung,  ba§  er  ^872  auf  einer  Konfereii5 
länblid^er  ^Ubeitgebcr  in  Berlin  eine  Hefolution  3U= 
tjunften  ftaatlid^er  ^eftfet^untj  eines  Hormalarbeitstages 
für  £anbarbciter  unterftü^t  l^at. 


—    28  — 


lidicn  Stellung  bic  fjauptfd^ilb  an  tt^rcn  lOiber» 
fprüd^cn,  (Scfal^ren  unb  ZHigerfoIgcn  trägt. 

Bctbcn  gcntcinfani  ivat  int  (Segcnfa^  311 
il^rcn  Vorgängern  eine  grünblid^e  Kenntnis  ber 
fo5iaIbemofrattfd^en  Cetjren  unb  bie  Bereittüilligfeit, 
von  x^nen  5U  lernen,  fotpie  ber  entfd^iebene  IDille 
3ur  politif.  Daxühev  l^inaus  ift  es  eine  (Eigen» 
iümlid^feit  aller  ermätjnten  IHänner,  ba§  fie  fird^lid? 
tpie  politifd'j  r>on  red]ts,  aus  bem  f onf ert> atir> en 
Cager  fommen.  X>ie5  ift  ol^ne  ipeiteres  r>erftänblid? 
in  religiöfer  Bestellung,  ^ier  finbet  fid?  Kraft 
iinb  X>rang  3U  praftifd]em  IPirfen  unb  Caten  ber 
Ciebe  am  leid^teften  ba,  voo  ber  21Tenfd^  in  uner= 
fd]üttertent  finblid]en  (Slauben  mit  fid^  unb  feinem 
<5oit  in  ^rieben  lebt  unb  von  feinen  Sfrupeln 
unb  5u?eifeln  geplagt  ift.  Die  0rtl^oboj-ie  gibt 
<im  erften  ben  feften  Boben  unb  bie  innere  5id^er= 
I^eit,  bie  planwolles  ^an^eln  »erlangt,  dagegen 
tt>irft  bie  fd]u?anfenbe,  \ud:im^e  fjaltung  bes 
mobernen,  liberalen  dl^riftentums  Ieid]t  lätjmenb 
auf  bie  praFtifd]e  Energie,  ba  bas  Sud^en  unb 
fingen  nad^  einer  IX)eItanfd]auung  felbft  3ur>iel 
feelifd^e  Kraft  »erbraud^t,  ba  bie  Porausfefeungen 
unb  tl^eoretifd^en  (Srunblagen  bes  Vian^dns  un-^ 
fidler  u^erben  unb  ba  bie  (Semeinfamfeit  ber  Über= 
5eugungen  mit  ben  2Inbern,  3umal  bem  Polfe,  ge» 
ftört,  baburd^  bie  Perftänbigung  erfd]ix)ert  ift.  So 
ift  es  nid]t  feljr  überrafd]enb,  bag  bie  religiöfe 
^tmofpl^äre,  in  ber  IDid^ern  wie  Stöder  lüie  Hau-- 
mann  il^re  ^eimat  Bjaben,  bie  einer  fd^Iid]ten,  r>oIfs= 
lümlid^en,  bogmati[d?  n?enig  intereffierten  (Släubig* 


-    29  - 


-feit  ift.  —  Diel  merfmürbiger  unb  nur  aus  bem 
befonberen  (Il]arafter  unb  Derbältnis  ber  Parteien 
im  bamaligen  ^eutfdilanb  5U  erflären  ift  ber  po= 
litifd^e  Kon]  emativ)  ism  U5,  in  bem  [\di  f)uber, 
^obt  unb  Stöcfer  5ufanimenfanben.  €ine  ^eu^e- 
gung,  bie  auf  eine  fo  funbanientale  Umipanblung 
imb  Erneuerung  ber  beftebenben  ftaatlid-jen  unb 
u?irtfd">aftlidien  üerbältniffe  absielt,  bie  einen  fo  ent* 
fdjiebenen,  immer  beutlidjer  ausgeprägten  arbeiter» 
freunblid^en  vibarafter  bat,  gebt  nid^t  nur  aus 
bem  Sd^oße  ber  fonfcrpatiuen  partei  berr>or,  fon= 
bern  bleibt  bauernb  in  beut  ^annfreis  ibrer  (5e* 
banfen  unb  ibres  Programms  gefangen!  Das  be* 
greift  fid]  nur  aus  beut  gemcinfamen  (Segenfafee 
beiber  gegen  ben  bamals  tjerrfdienben  Ciberalis« 
mus.  Die  fonjeruatiue  partei  bagte  in  \i}m  ben  re^ 
rolutionären  llr)prung,  ben  bemofratifd^en  (Ebarafter 
unb  bie  Porliebe  für  bie  i^epublif,  ber  Sosialis^ 
mus  bie  Derförperimg  bes  Kapitalismus  unb  bie 
Doftrin  bes  llTand-jeftertunts,  beibe  aber  ba^teit 
in  il^m  ben  ärgften  5ßinb.  5ür  bie  ^briftlid]en 
u)irfte  augerbem  bie  u^eitu erbreitete  5i^^igßift^rei 
unb  Hcligionsfpötterei  unb  bie  ftarfe  Beteiligung 
bes  3ubentums  abftogenb.  So  fonnten  beibe  Ceile 
in  ber  5ßinbfd)aft  gegen  ben  gemeinfamen  (Segner 
bas  (SefüI^I  einer  geu?iffen  ^ufammengebörigfeit 
l^aben  unb  ben  (Slauben,  ba§  ibre  lX>ege  u?obI  3U' 
fammengel:)en  fönnten.  Unb  biefer  vginbrucf  tpurbe 
baburdi  ^erftärft,  baß  ber  Ciberalismus  feinerfeits^ 
gan3  beftricft  von  ber  mand]efterlid]en  Cl^eorie, 
burd]aus  fein  Perftänbnis  für  bie  fosialen  Bebürf^ 


—    30  — 


niffe  unb  Aufgaben  ber  <3cit  vextiet  2iudi  'Bis-- 
mavd  hatte  ja  bas  allgemeine  lDaI:>Ired|t  aus  bem 
(Segenfa^  3um  Ciberalismiis  beraus  unb  im  Per* 
trauen  auf  bie  Königstreue  unb  fonfer^atiüe  (5e^ 
finnimg  ber  ZlTaffe  bes  Dolfes  gegeben.  Diefe 
3IIufion  üon  einer  2lrt  XPabIr»ent)anbtfd]aft  bes 
KonferDatir>ismu5  imb  bes  djriftlid^  gefinnten  Sosia» 
lismus  ipurbe  grünblid]  S^rftört,  als  Bismartf  \887 
mit  feiner  Kartellbilbung  unb  ber  Hücffebr  ^um 
5d]u^3oIIjyftem  bie  periobe  ber  3"^^J^clK"PoIitif 
einleitete  unb  bie  fonferr>atiüe  partei  ftd^  t>ann 
überrafd^enb  fdinell  in  eine  rücffiditslofe  Vertretung 
einfeitiger  Stanbesintereffen  von  brutalftem  i£gois= 
mus  r>eru?anbelte.  Die  (ri]riftlid?  =  Sosialen  um 
Stöcfer  haben  gleidiipobl  bie  Unuereinbarfeit  beiber 
Hidjtungen  niemals  begriffen  unb  bas  Banb,  bas 
fie  mit  ben  Konfen^atipen  Dereinigte,  felbft  bann 
nid]t  burdjfdjnitten,  als  Stöcfer  im  5ßbruar 
aus  ber  partei  binausgebrängt  ipurbe. 

Unterfdjiebe  beftanben  5u?i]d7en  Cobt  unb 
Stöcfer  befonbers  in  ^wei  punften.  5ür  Cobt  wav 
bie  (Srutiblage  unb  bie  böd^fte  Jnftans  aller  He= 
formibeen  bas  neue  Ceftament,  bem  er  burdi  ein 
fel^r  bebenfücbes  3uterpretationsr)erfal3ren  birefte 
f onfrete  fiinselforberungen  entnebmen  u?oIIte.  Stöcfer 
lelinte  bi.efe  ^egrünbung  ab.  Die  Bibel  entl:jält 
feine  fosiale  (5efe^gebung  unb  fein  u^irtfd^aftlid^es 
Programm;  fie  fann  nur  bie  für  bie  fosiale 
2^eform  notu^enbige  (Sefinnung  eru?ecfen.  freilief] 
liat  er  fid]  fpäter  nidit  fonfequent  in  ben  fo  ge^ 
3ogenen  (Stenden  gel^alten  unb  nodi  u?eniger  l^aben 


feine  2lnbänger  getan.  X>er  an^re  punft 
betraf  ^)ie  Beteiligung  ^ef  (Seiftlii";en  an  ^er 
fosialpolitifcben  Cätigfeit.  ^o^t  vcvwiift  ^ie']e;  er 
»erbietet  ibnen  je^e  öffentlicbe  parteinabnte  un^ 
üeriüeift  fie  auf  öie  josial  üerfobnen^e  2trbeit  in 
<)er  (Semeinbe.  v£r  felbft  bat  biefer  iPeifung  gemäg 
gebändelt.  Um  \e^od>  feinerfeits  ^'eni  Programm 
bie  ^at  folgen  ju  laffen,  gründete  er  nod^  am 
5.  J>ei.  \S77  in  (Semeinfcbaft  mit  Zi^olf  Stöcfer 
imb  ben  rtationalöfonomen  2lbolf  ITagner  un^ 
i^ubolf  ilTeyer  ben  „  (5entralr>ercin  für 
So^ialreform  auf  religiöfer  unö  fonftitutionell= 
monardiifd";er  (SrunMagc",  einen  Perein,  ber  nid:>t 
für  bie  Perxpirflid^ung  bcr  fo^ialen  ^Aeform  fämpfen 
wollte,  fonbern  fid^  nur  ibre  I'^orbcreitung  5um 
^u?ecf  fe^te  unb,  obu^obl  ben  3ntere(fen  ber  2lr= 
beiter  5U  Lienen  beftimmt,  öod^  nur  unter  ben  <5e= 
bildeten  unb  Befi^en^en  feine  ^llitglie^er  fudne. 

Stöcfer,  eine  tentperamentuolle  Kämpfer^ 
natur  unö  ganj  auf  prattifd^es  lUirfen  angelegt, 
roar  nidit  gefonnen,  bie  ivn  «Tobt  crridncte  5d";ranfe 
3U  refpeftieren.  v£r  riß  je^t  überbaupt  ^ie  ^übrung 
an  ]idi  unt>  fanb  feinen  treueften  unb  überseugteften 
2TTitftreiter  in  bem  Berliner  Staatffosialiften  ^l^^olf 
XUagner,  c»em  eigentlid^en  u?iffenfd:>aftlid^cn  Cebrer 
imö  Berater  tiefer  gansen  (Seneration.  5aft  un- 
tnittelbar  nad^  bem  >£ntftcben  bes  (5entralv>ereinr 
untertiabm  er  ef,  ben  er>angelifd>fo5ialen  (Se^'anfcn 
in  bie  ZTTaffen  ^>er  ^Irbeiter  felbft  binaufsutragen 
unb  bie  geforderte  politifd^e  0rganifation  ins  Ceben 
3u  rufen.    2hn  5.  3anuar  \STS  gründete  er  im 


-    52  — 


„<S,\sfeUet"  unter  I^efttgcin  Kampfe  mit  ber  Sostal* 
^emohatie  eine  d]riftlid^  =  f osiale  2trbeiter* 
partei.  Sie  voudis  sunädjft  fdjnell  unb  verbreitete 
fid?  fd^on  im  Sommer  besfelben  Jahres  über  Horb* 
beutfd]Ianb.  ^Iber  bie  €reigniffe  biefes  Sonnners,  bie 
Attentate  im  2T?ai,  unb  beren  Solche:  bie  ^uflöfung  bes 
Heidjstags  unb  bas  So^ialiftengefe^  (am  2\.  ®ft.  r»er* 
öffentlid^t),  bas  bie  So5ialbemofratie  5unädift  r>olI* 
ftänbig  5u  Boben  loarf,  raubten  aud]  ihiv  bas  3"' 
tereffe  unb  bie  u?erbenbe  IDirfung  bes  öffentlid^en 
Kampfes.  X>ie  Arbeiter  sogen  fid]  jurüd ;  an  itjre 
Stelle  traten  fjanbu?erfer  unb  fleine  Kaufleute; 
unb  bie  er>angelifd^=f03iale  2lrbeiterpartet  luanbelte 
fid^  \dion  int  ^erbft  \S78  in  eine  ZHittelftanbs* 
partei  um,  bie  ein  neues  prin^ip  im  ^Intife* 
tnitismus  fanb.  2tm  Sept  \87^  formulierte 
Stöcfer  sunt  erften  ZITale  „Unfere  5orberungen  an 
bas  moberne  3ii^ß"^i""" ;  Somnter  \S80  he-- 
funbete  bie  partei  offtsiell  ihre  Ummanblung,  inbem 
fie  iljren  Hamen  in  „d^riftlidi^f  osiale  partei" 
abänberte. 

X)iefe  ^£ntu?idlung  u?urbe  tpeiter  geförbert 
burdi  bie  „Berliner  Beipegung",  bie  im  fjerbft 
{880  he(^ann.  X>ie  alten,  von  fjaus  aus  fonfer* 
t?atir»en  Bürgerr»ereine  Berlins  fud]ten  ^üyung  mit 
Stöder  unb  erlebten  burd?  feine  fräftige  Unter* 
ftü^ung  unb  feine  Hebegabe  eine  neue  Blüte.  €s 
entftanben  neue,  unb  eine  ganse  Heilje  äl^nlidjer 
(ßrünbungen,  n?ie  3.  B.  im  3^i"ii^ii^  \^^\ 
ein  beutfd^er  Stubenten,  fdjloffen  ftd^  an,  bie  alle 
burdj  bas  „Conferr>atit)e  (Ientral=(£omitee''  sufammen» 


—    33  — 


qelialten  wuv^en,  ^ud?  bei  ücrfd]tcbcncn  IDal^Ien 
evxeidiie  bic  BcrDegung  naml^aftc  «Erfolge. 
fjötiepunft  fällt  in  t>a5  3al^r  ](88^.  Sie  wav 
burd^aus  fonferc>atir>,  rerbanb  aber  bamit  bas 
antifemitifd^e  prinsip.  (Seftü^t  auf  biefe  (Erfolge 
fagte  Stöcfer  nun  einen  umfaffenberen,  tpeit  aus* 
fd]auenben  plan.  (£r  vooütc  bie  f onf err>  atiüe 
Partei,  für  bie  er  mit  unermüblidjer  Energie 
allentl:|alten  agitierte  unb  in  ber  er  baburd]  einen 
immer  fteigenben  (Einfluß  getponnen  l]atte,  3ur 
beutfd]en  (Sefamtp artei  exwexievn,  alle  itjre 
(5egner  enttx?eber  nieberfd^Iagen  ober  abforbieren, 
imb,  ipenn  fie  fo  aüeinljerrfdienb  unb  allmädjtig 
geroorben,  ^ann  mit  il:^rer  fjilfe  bie  Sosialreform 
burd]fül:|ren.  bereits  fdjien  ber  fül^ne  (Seban?e 
ber  Deru?irnid]img  näl]er  3U  fommen,  ba  trat  il^m 
u)ieberum  ^ismarcf  in  ben  ZPeg  unb  l^emmte  feinen 
Siegeslauf  burd^  fein  Kartell  aller  „ftaatserl^alten» 
ben"  Parteien,  ^ie  äugerfte  Hed^te  unter  Stöcfer 
fd]log  fid]  biefer  IDenbung  nid]t  an  imb  verlor 
baburd^  alle  politifd^e  53ebeutung.  Die  fonfer* 
vatwe  Partei  überl^aupt  aber  entu:)icfelte  fid?  nun« 
meljr  3ur  reinen  agrarif djen  ^ntexe\\cnpavte'x,  in 
ber  für  fo3iale  Heformgebanfen  fein  ^oben  unb 
am  €nbe  fogar  für  Stöder  felbft  fein  plafe 
metjr  roar. 

3n3u?ifd]en  l^atte  anbersupo  unb  unabl^ängig 
bapon  aus  ben  befd^eibenften  Urfprüngen  eine 
anbere  ^ilbung  begonnen,  bie  fid]  balb  ber  von 
Stöder  geleiteten  Strömung  näl^erte,  ol^ne  bod]  in 
x^x  auf3ugel]eu.    ^us  ben  Kreifen  ber  2lrbeiter 

tf.  in  ey  er:  ^rbr.  Naumann.  :r 


-    5^  - 


felbft  Ijeraus  voaxen  Cüangelifd^e  2trbcttcr« 
V  ex  eine  entftanben;  ber  crfte  wav  im  2Tüai  1882 
in  (Sclfenürdicn  (IPeftfalcn)  pon  einem  Bergmann 
unb  einem  Cebrer  3U  ftanbe  gehtadit  1885  be^ 
ftanben  bereits  25  in  Hbeinlanb  unb  IDeftfalen, 
bie  jtd?  3U  einem  Derbanbe  3U)ammenfcl7lof|en. 
Sie  waren  in  iE>ren  'Anfängen  rein  fonfeffionell,  im 
(Segenfa^  3U  ben  !atE>oIi)d]en  2trbeitert)ereinen  ge= 
grünbet,  unb  oBjne  alles  proletarifcbe  Klaffen* 
beroußtfein.  ^trbeitgeber  unb  Befi^enbe  aller  2ixt 
voaxen  il-jre  (Sönner  unb  „ZHitgenoffen",  bie  „gott= 
unb  tJaterlanbsIofe  5o3iaIbemo!ratie''  ibr  5^"^^. 
ben  fie  mit  aller  Kraft  befämpfen  rooUten.  Um 
-(888  heqannen  fie  bie  (Sren3en  ibres  Urfprungs* 
gebiets  3U  überfdireiten,  unb  bamit  nah^men  fie 
aud^  allmäblid^  einen  mebr  rabifalen  unb  prole- 
tarifd^en  dbaraher  an. 

5. 

Das  1890   be3eid-!net   nid>t  nur  in 

Haumanns  ^iehenshahn  einen  u?id>tigen  «Einfd'jnitL 
5ür  bas  gan3e  Daterlanb  brad^te  es  eine  neue 
IDelle  fo3ialen  unb  politifd?en  Cebens  unb  xouxbe 
baburd]  für  Haumann  boppelt  bebeutfam.  2lm 
4.  5ebr.  erfd)ienen  bie  faiferlid?en  <£rlaffe, 
bie  einen  rueitern  Ausbau  ber  (Sefe^gebung  in 
ber  Hidjtung  ber  ^5ürforge  für  ben  upirtfd^aftlidj« 
fditpädjeren  Ceil  bes  Dolfes  im  (Seifte  d^riftlid-jer 
Sitten lel:jre*  antünbiqten,  X>a5felbe  2<^hx  erlebte 
bie  <£ntlaffung  Bismarcfs  unb  bas  2lufbören  bes 
So3ialiftengefe^es. 

Von  ben  ecangelifd^-fosialen  Sd^öpfungen  ber 


—    55  — 


c)orl)crgcI>enben  Seit  xvavcn  cigentlid^  nur  bie 
evange{i]dien  2trbctterr>ereinc  uorbanbcn;  bcnrt  jene 
anbern  fonferpatiu^antifemitifd^en  Pereine  fomnten 
fyev  nxdit  in  Betrad^t.  3efet  rief  ber  raftlos  tätige 
Stöcfer,  ber  1(890  feine  fjofprebicjerftelle  uerlor 
unb  baburd^  feine  üolle  ^^^ßi^^^it  5U  politifd^er 
IPirffamfeit  u)ieber  geipann,  eine  neue  Deran= 
[taltung  ins  Ceben:  ben  euangelif  d^  =  f  Oji  alen 
Kongreß,  —  unter  allen  feinen  (Srünbungen  bie 
ipertüoUfte  unb  bis  l^eute  beu?cilirtefte.  Diefer 
nahux  in  weiterem  2^al^men  unb  freierer  (f)ffent= 
lidifeit  geupiffennaßen  bie  2lrbeit  bes  5^"traIoer« 
eins  u?ieber  auf,  ber  fd^on  \SS\  in  ber  Stöcfer'fd^en 
Partei  aufgegangen  u?ar.  2tud^  er  u?oIIte  nidjt 
parteipolitif  treiben  unb  praftifd^e  Hefultate  förbern, 
fonbern  nur  bie  allgemeinen  Dorausfe^ungen  ber 
Sojialreform,  fosiales  Derftänbnis  unb  fo^iale  (5e» 
finnung,  r)erbreiten,  unb  neben  ber  grünblid^en 
^eleJ^rung  über  nationalöfonomifd^e  D'mqe  fanb 
er  fein  eigenftes  (5ebiet  in  ber  i£rörterung  ber 
^ufammenl^änge  3u?ifdien  ben  u?irtfd^aftlid^=poIi= 
tifd]en  unb  ben  etl^ifd]en  5rcigß".  ^3  gelang, 
unter  biefem  S^idien  viele  ber  tjeruorragenbften 
Vertreter  ber  Polfsu?trtfd^aft  unb  ber  Cl>eologie, 
unb  utiter  biefen  u?ieberum  fold^e  r>on  red">ts  unb 
r»on  linfs  3u  vereinigen;  es  mag  genügen,  bie 
Hameti  lUagner,  Stöcfer  unb  fjamacF  3U  nennen. 
2hn  27.-29.  ZlTai  (89O  trat  ber  Kongreß  5um 
erften  ilTale  in  Berlin  5ufammen  unb  ijat  feitbem 
atljäbrlid]  feine  »Tagungen  gel:>abt,  beren  protofolle 
ein  u?ertr»olIes  5trd^ii?  für  bie  fo5iale  Bewegung  ftnb. 


3* 


Einfangs  voav  bcr  Kongreß  gans  von  bem 
(ßeifle  Stöcfcrs  unb  TOa^nexs  bel")crrfd]t.  Balb 
inbcffcu  seilten  fid")  X^iprcnscn,  inbem  eincrfcits 
in  ber  CB^coIogic  bie  „pofttiüc"  unb  bie  liberale 
Hid^tung  mand]mal  auseinanbergingen,  anbrerfeits 
auf  bem  politifd^en  (ßebtete  fid^  ein  (5egenfa^ 
I^erausbilbcte  3ix)tfd^en  benSitcrn,  ben  unbebingten 
2Inbängern  Stöcfers,  unb  ben  3üngern,  bie  i?on 
ber  Derquicfung  ber  fosialen  Heformbeftrebung 
mit  fonferoatiüen  ^en'Öenien  ntd]t5  u?iffen  u)oIIten. 
^ie  Seele  biefer  ©ppofttion  voav  Haumann,  ber 
\S^2  über  Cl^riftentum  unb  5<ii^ili^  fprad^.  3tjm 
5ur  Seite  ftanb  pauI  (Qö^ve,  feit  \8%  (5eneral» 
fe!retär  bes  Kongreffes.  ^um  ^usbrud]  fam  ber 
(Segenfa^  befonbers  \8^^  auf  bem  fünften  Kon* 
greg,  voo  (5öE^re  unb  Vfia^  3X>eber  auf  (Srunb 
einer  umfaffenben  (£nquete  über  „bie  Cage  ber 
Canbarbeiter  in  X)eut[d]Ianb"  referierten  imb  rücf» 
l^altslos  bie  partei  biefer  nal^men  gegenüber  bem 
(ßrunbbeft^.  3"^ß[f^"  I^f*^  fi<^]  Spannung, 
inbem  \S^6  Siödev  unb  feine  (Setreuen  aus  bem 
Kongreg  ausfd^ieben.  X>iefer  l^at  u?eber  bierburd^ 
nod?  überl:jaupt  burd^  jenen  ^u^iefpalt  (Sinbuge 
erlitten;  nur  tft  bie  Ceitung  immer  entfd]iebener 
in  bie  fjänbe  ber  „3wngen",  ber  mobernen,  übe* 
ralen  (Elemente  übergegangen,  bie  barin  anfangs 
faft  nur  burd^  Viavnad  vertreten  iDaren. 

^u5gefod]ten  u?urbe  ber  Kampf  ber  beiben 
Cager  n'idit  auf  biefem  bem  5neben  unb  ber  Per« 
föt^nung  geu^ibmeten  5elbe,  fonbern  in  ber  poli- 
tifd^en  ^rena,  in  ben  er> angelif d]en  Arbeiter» 


—    57  — 


vereinen.  5d]on  \S^0  J>atte  Haumami  einen 
Dcrcin  in  5ran!fiirt  cjegrünbet,  unb  bicfer  trug 
üon  Einfang  an  einen  ftarf  abipeid^enben  <Zb,avahev 
im  Dergleid]  mit  ber  älteren  (Sruppe,  beren  ^ütjrer 
£ic.  tPeber  in  ZTTünd^en'(5Iabbad^  ir»ar.  (£r  foUte 
nid]t  nur  ein  ^ilbungs»  imb  Unterftü^ungsüerein 
fein  unb  nebenbei  ein  frieblidies  Pertjältnis  swifd-jen 
Arbeitgebern  unb  2(rbeitern  pflegen,  fonbern  er 
follte  r>or  allem  feine  2TiitgIieber  für  ben  politifd^en 
Kampf  fd^ulcn  unb  3ur  ZHitarbeit  an  ber  2trbeiter= 
beipegung  tüd]tig  mad]en.  5al^  bod^  Naumann, 
voie  er  fid^  in  einem  (Söttinger  Portrage  ausbrücfte, 
in  ben  epangelifdjen  Arbeitervereinen  ben  Kern 
ber  IDelle,  bie  ber  fo3iaIbemofratifd]en  IDelle 
folgen  foUte.  ^ei  biefem  Seftreben  mad]te  \\d]  ber 
ZlTangel  eines  feften  fosialpolitifd^en  Programms 
bemerkbar,  unb  Haumann  unb  feine  Anl^änger, 
5U  benen  befonbers  bie  babifd^en  unb  u?ürt= 
tembergifd^en  Dereine  unter  ber  ^ül^rung  von 
VOend  unb  Craub  gei^örten,  brangen  auf  Abl^ilfe. 
3n  ber  Cat  befd]Iog  man  \S%  ein  Programm  5U 
fd]affen.  Der  (£nta?urf,  ber  {8^3  vorgelegt  u?urbe, 
u?ar  bas  Wext  bes  Haumannfd^en  Kreifes,  unb 
er  u)urbe  in  ber  Cat,  mit  einigen  ^ugeftänbniffen 
an  ben  red]ten  5IügeI,  angenommen.  (£r  offenbart 
aufs  X>eutlid]fte  ben  gansen  (El^arafter  ber  evan-- 
gelifd] 'f03ialen  Bewegung  in  ber  eingel^enben 
d]riftlidv  etBjif d^en  Begrünbung  unb  in  ber  Hinsel» 
ausfül^rung  nad^  rein  lüirtfdjaftlid^en  (ßefid^ts» 
pnntten. 

5ou?ol]l  bei  ben  Beratungen  über  bas  pro* 


—    58  — 


gramm  voie  hei  bcm  crften  r>om  Kongreß  »er« 
anftaltcten  fo5taIpoIitifd]en  Kurfus  3U  Berlin  im 
fjerbft  \8^3  iiaücn  fid?  bie  „3ungen''  f efter  3U» 
fammengefd^Ioffen.  2tu5  iJ^rem  Kreife  ging  junäd^ft 
bie  (ßöttinger  Arbeiter  *  Bibliotl^ef  Ijeruor,  beren 
fjefte  namentlid)  ber  Sdjulung  ber  er>an gelif d^en 
Arbeitervereine  bienen  foüten  unb  5um  Ceil  fel^r 
groge  Verbreitung  gefunben  l^aben.  5ür  eine 
ipeitere  X>urd^arbeitung  unb  Verbreitung  it]rer 
3been  voav  il^nen  r>or  allem  eine  eigene  ^eitfdjrift 
Bebürfnis,  benn  ber  S^<^^^uxtex  „Sonntagsgru^*, 
ein  5onntag5bIättd7en  für  3nnere  21Tiffion,  in  bem 
Haumann  üornetjmlid]  fd^rieb,  reid^te  bafür  nid^t 
aus.  <£nblid]  glaubte  man  ftarf  genug  5U  fein, 
um  eine  eigene  (5rünbung  u^agen  3U  bürfen,  unb, 
nad]bem  int  De^.  ](89^  su'ei  probenummern  VJoraus* 
gegangen  u?aren,  begann  am  6.  3an.  \8^o  w^^^ 
:^ilfe"  3u  erfdjeinen. ')  Sie  l^at  feitbem  alle 
IPanblungen  unb  (Sefd^ide  ber  Haumannfd^en 
(Sruppe  überbauert  unb  begleitet,  unb  ilir  einen 
feften  (5ufantntenl]alt  unb  eine  Stätte  für  gegen* 
feitige  Au5fprad]e  imb  gemeinfame  (5 ebanfen arbeit 
gegeben.  3"  ^k^*^^  äußeren  (£rfd)einung  l>at  fte 
fid^  nie  geänbert,  —  nur  ber  Umfang  unterlag 
einigen  Sd]tt?anfungen,  —  in  il^rem  3"I^^iit  bagegen 
ift  eine  grunbfä^lid^e,  tief  eingreif enbe  IDanblung 
eingetreten.  Denn  gerabe  bas  erfte  3<^^^^  ^^^^^ 
(grfdieinens  brad^te  bie  für  Haumanns  (SntiDid» 


1)  Über  3ntjalt  unb  (Seift  bes  crften  3at)r0an3S 
orientiert  eingetjenb  Wtnd  a.  a.  0.  5.  52  ff. 


-    59  - 


hing  cntfdici^cnbc  Krtfis,  bcr  voix  uns  nunmcljr  3U* 
6. 

Den  Naumann  von  \S^^  lernt  man  am 
bcftcn  Dcrftcbcn  als  aus  einem  ^luffa^e  mit  ber 
Überfd^rift  „(ri>riftIidv5o3iar',  ben  er  im 
Anfang  bes  3al^re5  für  bie  „^ufunft*  fd^rieb 
xmb  ber  aud]  bas  erfte  ^eft  feiner  gefam^ 
melten  ^luffä^e  ^lOas  I^eigt  di^riftlidj'Sosial"  er* 
öffnet.  €r  entl)ält  im  Einfang  eine  Stelle,  bie 
ein  fo  rpimberbares  ^efenntnis  ift  unb  3ugleid) 
eine  fo  profunbe  (Einftdjt  r>errät,  ba§  fie  tjier  nid?t 
3u  entbel^rcn  ift.    Sie  lautet: 

„€s  gibt  (II^riftIic^s5o3iaIc,  bie  im  großen  unb 
gan3en  bas  fonfcrcatice  (Etüoliprogramm  für  ben  2lus= 
brucf  ihrer  IPünfcbc  bßlttn,  es  gibt  anbere,  irelcbe  im 
ircfcntlicben  bie  ^nncxe  ITliffion  ober  bie  Kird?gemeinbe 
als  ^lusgangspunft  iE>rer  2Irbeit  anfel>cit,  unb  es  gibt 
foldje,  bie  nac^  einem  neuen  Programm  fucben,  ujelcbes 
bie  d?riftltd?e  Seantn^ortung  ber  ron  ber  So3iaIbemofratie 
aufgeworfenen  fragen  enthalten  foU.  IDir  reebnen  uns 
3u  biefer  britten  Heitre.  Uns  ift  bas  Ctjriftlid?  -  5o3iaIe 
nid)ts  (fertiges,  fonbern  etwas  IDerbenbes.  Die  neue 
(Sebanfenmadjt  fchu?cbt  über  uns  unb  mir  ringen  mit 
ihr.  IDir  liaben  fein  fertiges  f^anbbücblein  ober  ctitdjc 
wenige  fjauptfä^e,  bie  unferen  Kaften  füllen,  fonbern 
bie  gwfunft  umgibt  uns  wie  ein  ilebel,  voü  von  geiftiger 
geugungsfraft.  W'it  füt>fen,  ba§  nid?t  mir  bas  Ct>rifts 
Iid)=So3iaIe  befit5en,  fonbern  bas  Ct|riftUcfa=5o3taIc  tjat 
uns,  es  fdjicbt  uns,  tjebt  uns,  trägt  uns,  läßt  uns 
rui)ern  unb  ringen,  läßt  uns  jaud?3en  unb  feuf3en,  es 
fommt  über  uns  als  Kraft  unb  (ßnabe,  als  5n?ang  unb 
Drucf.   IDir  mätjlcn  nidjt  einen  iDeg,  meil  er  uns  flug 


-    ^0  - 


fc^eint,  [oTtbern  eine  neue  We\le  bes  Dolfslebens  raufcbt 
l^eran,  unb  tpir  liegen  3ufälltg  gerabe  ba  im  XPaffer, 
n)o  fie  fid?  beängftigenb  emporijebt.  Das  mag  meinen 
£efern  u?ie  IHyftif  Hingen,  aber  id?  fann  baxan  nidjts 
änbern,  bag  eine  religiös^fosiale  Strömung,  aienn  fie 
ernft  fein  foll,  etmas  XHyftifcbes  in  fidj  tragen  mu§. 
2X>ir  muffen  fühlen,  ba§  (Sott  in  uns  arbeitet,  u)ie  er  in 
ben  Propheten  bes  2IIten  2!eftaments  gearbeitet  hat.  €s 
mug  ber  innere,  in  fxch  felbft  geroiffc  Drang  üorhanben 
fein,  votnn  üwas  u?erben  foü.  (Serabe,  rvo  mir  je^t  fo 
riele  Parteien  haben,  bie  nur  noch  burd?  Sä^e,  aber 
nx(bt  mehr  burd)  innere  (Semalt  3ufammengehalten 
merben,  ift  es  eine  (Srunbfrage,  ob  eine  neue  Bemegung 
einen  eingeborenen  5d?öpfungstrieb  hat,  ober  ob  fte  ent- 
steht wie  ein  He3ept,  in  voelcbem  etwas  Sosialismus  unb 
etwas  XHonardjismus  mit  etlidjen  (Sramm  !Kird)Iid?feit 
unb  einem  fleinen  ^n^ai^  2tufflärung  nad)  beftem  IPillen 
forgfältig  gemifd)t  merben.  2Xhet  gerabe,  meil  mir  bas 
€hriftIid?:5o3iaIe  als  eine  lCOu(bt  unb  Kraft  empftnben, 
gerabe  barum  ift  es  nötig,  bas  (Empfunbene,  fo  üiel  mie 
möglid),  in  fefte,  einfädle  IPorte  3U  faffen.  IDir  müffen 
bie  Zloten  ftnben  3U  bem  ftürmif d?en  ^rüJjIingsgefang, 
ber  unfere  Seele  füüt.  0hne  biefen  pro3e§  ber  Um= 
fet3ung  bes  (Sefühls  in  IDorte  nüt5t  bie  Begeifte» 
rung  gar  nichts;  —  biefer  pro3eg  aber  ift  erft  im 
Beginnen.  Daher  fönnen  mir  unferen  £efern  beim 
heften  IDillen  nod)  feine  2Iusfunft  auf  jebe  ein3elne 
(frage  geben,  bie  im  Dolfsleben  auftaudjt.  IDir  finb 
froh,  wenn  bie  c^riftIid?=fo3iaIe  Sat5bilbung  riAtig  be» 
gönnen  tjat." 

IDer  bicfc  Sä^e  als  myftifcli  unb  fd^marm^ 
gciftig  befpöttclt,  ber  3cigt  bamtt,  ba§  ibj^n  jcbe 
^bnung  üon  ben  Dorausfe^ungen  voahx^x  (5rö§e 
feblt,  baß  er  nie  einen  BItcf  getan  t^at  in  bie 
^Tiefen,  xoo  alles  tt?al]rljafte  Ceben,  alles  gefdnd?t* 
Iid)e  unb  Kulturfd-jaffen  feine  IPurseln  tjat. 


—  ^\  - 


bas  cntfpringt  nidjt  in  ben  Hegioncii,  bic  bcr  Per= 
ftanb  crl>ellt,  fonöent  itt  bcn  cjcbcintnisiioUen  Unter= 
grünbcn  bcs  UnbeiPiißtcn,  bcs  ur|priinglid^cn  (Se= 
fütjis,  unb  beginnt  mit  einer  buntpfen.  lei^enfd^aft' 
lid^en  unb  fruditbaren  (Säbrung.  lUenn  biefe  bei 
Naumann  ftärfer  erfd^eint  als  bei  andern,  fo  ]prid)t 
ba5  nur  für  bie  größere  iliefc  unb  Kraft  unb 
^rud^tbarfeit  feiner  Seele.  Das  dl^arafteriftifdie 
ift  aber  gar  nid^t  biefes  buntpfe,  d^aotifd^e  lUogen 
iinb  (Sätjren  felbft,  fonbern  bag  er  ftdj  biefes  <5w' 
ftanbes  unb  feiner  Bebeutung  beutlidi  bewußt  ift 
imb  baß  es  ibm  gegeben  ift,  bas  flar  au55u]pred">en, 
was  fonft  im  X>un!eln  bleibt  unb  ben  klugen  ber 
IX^elt  ent3ogen  ift.  Unb  eben  bas  fünbigt  an,  bag 
er  nid^t  in  biefem  Stabium  i-)erl]arren  wirb,  fonbern 
baß  ibm  jugleid?  bie  überlegene  (Seiftesfraft  inne= 
ir»obnt,  bie  in  bem  (Ebaos  ber  (SefüHe  Cid^t  unb 
0rbnung  fdjaffen  wirb.  I1id]t  5diiv>armgeifterei 
u?irb  ber  !riti|'d^e  Cefer  in  biefer  Stelle  finben,  — 
wie  Naumann  entpfanben  bamals  geang  v>iele, 
wenn  aud]  nid^t  fo  tief  imb  ftarf,  —  fonbern,  bei 
ber  biuiflen  (Sefülile  (Sewalt,  aus  ber  alles  ^£d)te 
unb  (Sroge  geboren  wirb,  eine  gans  einsige  ^c- 
fonnenl^eit.  —  Haumanns  fpätere  £ntivncflung  liat 
biefe  Derl^eißung  erfüllt.  v£r  ift  ein  politifer 
von  unerbittlid^er  Klarbeit  unb  Hüd>ternl^eit  ge= 
worben,  bem  in  feiner  Heife  Hiemanb  mebr 
Sd-jwärmerei  ober  (SefüJ^Isüber|d)wang  uorwerfen 
wirb,  wäl^renb  ^Inbre  ibr  Ceben  lartg  in  ber 
(Sefüblspolitif  ftecfen  blieben.  Unb  gerabe  <)avan 
l^aben  fid^   v>iele  geärgert.     (£h(^n<>esbaib  fdjieti 


-    ^2  - 


CS  boppclt  notmcnbig,  auf  liefen  2lnfang  mit 
allem  Hadjbrutf  f:^in3Utt?etfcn. 

Tramals  wav  allerbings  bic  ausgefprod^cnc 
<£rfenntni5  rtod]  burdjaus  propl^ctifdi,  benn  nod? 
ix)ar  bas  criöfcnbe  Wovt  nidjt  gcfimbcn.  (Serabe 
bcr  Fortgang  bes  ^(uffafees  3cigt,  u?ic  fci^r  Hau* 
mann  bamals  nod]  in  bcm  d^riftlid^fosialcn  Vox-- 
ftcllungsfrcifc  befangen  ift.  Denn  nadi  ber  (£in* 
leitung,  bie  in  fel^r  intereffanter  tDeife  ba5  Vex^ 
ilältnxs  bes  d^riftlid^en  Sosialismus  3U  ber  Sosial* 
bemofratie  befprid^t,  ift  sunäd^ft  bie  Hebe  von 
3efus  Cl^riftus,  t>ann  von  ber  Kird^e  unb  ber  ^uf» 
gäbe  bes  (5eiftlid^en,  erft  ^ann  von  ber  Sosial* 
politif.  Cl^arafteriftifd?  finb  befonbers  bie  Uber* 
gangsfä^e:  „Wenn  vo'ix  bie  (Srneuerung  ber  (5e* 
fellfdiaft  von  ber  Heubelebung  bes  Bilbes  2^\\x 
ermarten"  ....  „5elbfti?erftänblid]  ift  bas  Heli* 
giöfe  im  (£t^riftlid]=5o3iaIen  nur  bie  eine  Seite,  ^as 
IPirtfd'jaftlidje  mug  aber  inijarmonie  3U  it^m  ftel^en. 
IDie  gelangen  u?ir  3U  einer  d]riftlid?'f03ialen  XPirt* 
fdjaftsauffaffung,  bie  bem  ent)prid]t,  was  vo\x  bis 
je^t  ausgefül^rt  l|aben?" 

Damit  l^ai  Haimtann  felbft  bie  fjauptfrage 
formuliert,  bie  nad?  bem  Derl^ältnis  bes  Ct^rift* 
lid^en  unb  bes  3o3ialen  im  (£t^riftIid^5o3ialen. 
^wei  2tntu)orten  finb  ben!bar  unb  tatfäd]lidj  ge« 
geben.  (Enttoeber  ift  ber  5o3iaIismus  bie  birefte 
Konfequen3  bes  (El^riftentums,  biefes  bas  beftim* 
menbe  prin3ip  für  jenen,  —  bas  i^ar  ber  Stanb* 
punft  Cobts  gemefen.  Stöder  unb  bie  nadi 
ifyn  famen,  permarfen  il^n,  unb  in  ber  Cat  ging 


—    ^5  - 


es  mdit  voohl  an,  allen,  bie  ftd^  n'idit  5um  So^ia^ 
Itsmus  bekannten,  tic  Cbriftlid)fcit  abjufprcd^en. 
21ber  voenn  aud]  bas  Zleue  Ceftamcnt  fein  u?irt* 
fcbaftlicbcs  Programm,  fonbcm  mir  einen  neuen 
(ßeift  ber  Brüberlicb!eit  bringen  foU,  u?ir  eru?arten 
bod?,  ba§  biejer  (Seift  irgenbroie  ^^^üdite  bringen, 
bag  unter  feinem  ^influffe  bas  u?irtfd:>aftlid>e  pro* 
gramm  ein  anberes,  fpesififdi  d-iriftlid-jes  ^tusfeben 
erbalten  u?irb.  v£ine  v>era'>anbte  vErflärung  gibt 
Haumann  \S^6  in  ber  Sd^rift  „Einige  (S>e^anten 
über  bie  (5rünbung  d^riftlid^'o^ialer  Dereine" : 
Der  Hame  „d:)riftIid:)=fo5iar'  bebeutet  bie  Dereini^ 
gung  ^weier  Prinzipien,  bie  daneben  gefonbert 
eriftieren,  äbniid)  u?ie  etu^a  bie  nationaMiberale 
Partei  neben  fid"»  foipobl  nationale  u?ie  liberale 
Hid)tungen  anerfennt  imb  nur  bie  <5u|'ammenfaf' 
fung  beiber  Begriffe  für  fid]  in  ^Infprud"»  nintmt. 
Had"»  biefer  2tnaIogie  u?ürben  u>ir  im  Prograntm 
ber  d)riftlid>f05ialen  partei  neben  einanber  d^rift= 
Iid";e  unb  fo^iale  5orberungen  erwarten.  3[t 
ber  5all? 

Das  Programm  r>  o  n  18  93  verneint  biefe 
5rage  mit  größter  Deutlidi!eit.  (£5  entbält  3u?ar 
einen  d^riftlid-;en  unb  einen  fo5iaIen  Ceil.  2Iber 
d";riftlid-;  ift  nur  bie  allgemeine  Einleitung,  bas 
Sinjelprogramm  felbft  ift  nur  fo5iaI  unb  fann  i?on 
euangelifd^en  (Ebriften,  Katbolüen,  3"^^^^  '^^^^ 
^Itbeiften  in  gleid^er  iX>eife  unterfdirieben  a^erben. 
Unb  biefer  lOiberfprud^  ift  fogar  in  ber  (Einleitung 
ausbrücflid]  proklamiert.  Denn  5U  Einfang  erflärt 
fie:  „Das  Si^l  unferer  Arbeit  feben  u?ir  in  ber 


-  - 


<£ntfaltung  feiner  ipcitcrneuernben  Kräfte  (bes 
<Il:|riftentum5)  in  bem  lOirtfd^aftsIeben  ber  (ßegen^ 
trart",  unb  verlangt  in  Konfequen3  baoon  „eine 
organifdie,  gefdnd|tlid]  vermittelte  Umgeftaltung 
imferer  Derljältniffe  gemäß  ben  im  (£r>ange= 
Ii  um  entJ^altenen  unb  baraus  511  entu)icFeInben 
fittlid^en  ^t>ecn."  Vanadi  eru?artet  man  ge« 
tx)ig  einen  anbern  Sdjiuß  als:  „Unfere  5orberungen 
tperben  voiv  formulieren  von  sn  5aII,  nad] 
öem  2TJage  ber  tt>ad)fenben  u?iffenfd'>aft= 
lidj en  (£rf  enntnis  bes  IPirtfd^af tslebens." 
Unb  ebenfo  beginnt  ber  fo^iale  Ceil  bes  2luffa^es 
„d]riftIid]=5o3ial"  tro^bem  er  „imter  Anleitung  ber 
diriftlidjen  (£tl^if "  vorgeben  wiü  unb  als  bie  toid^* 
tigften  Autoritäten  „2Tlarr  unb  dbriftus"  nennt 
— :  ^lOir  müffen  bie  u?irt)'d]aftlidien  (5ebanfen 
genau  an  bem  punfte  roeiterbenfen,  wo  bie  Sosial* 
t)emo!ratie  aufl:>ört." 

Das  CBjriftentum  I^atte  fid|  aI)o  imfäl^ig  5ur 
<SeftaItung  eines  fosialpolitifdien  Programms  be* 
toiefen.  Die  ridjtige  Konfequen3  toäre  natürlidi 
geu^efen,  es  gan3  aus3ufdialten,  unb  ben  <£ntwuxf 
audi  in  ber  Einleitung  als  bas  an3ufünbigen,  was 
ex  tat\ädil\di  wav:  als  ein  rein  u^irtfdjaftspolitifd^es 
fo3iaIes  Programm.  X>ie  (5rünbe,  rDesI:jaIb  man 
^>iefe  5oIgerung  nid^t  30g  unb  ftd]  überl^aupt  über 
ben  J^anbgreiflid?en  IPiberfprud^  fo  lange  täufd^te, 
liegen  nahe  genug.  2lüe  biefe  jüngeren  (£t^riftlid> 
fo5iaIen  u^aren  nid]t  nur  felbft  über3eugte  unb  be= 
geifterte  (Etjrij^en,  r>on  bem  glütjenben  Dvanqe 
nad>  einer  polfstümIid]en  Erneuerung  bes  Cljriften» 


-    ^5  - 


tums  unb  einer  IDicbercjeburt  öcs  beutfd]en  Voltes 
^uxdi  bas  (Il^rifteTitum  bcfccit,  fonbcrn  fie  iparcn 
aud)  eben  Don  ba  aus  5um  Sosialismus  gefommen. 
X>a5  (Erbarmen  mit  ben  Ernten,  ^ebrücFten,  5d]u^^ 
lofen,  bie  brüberlid^e  Ciebc  5u  ibnen  imb  bie  ^e^ 
gier  il^nen  311  l7elfen,  bas  ipar  es,  ipas  fie  mit  bem 
Ci^riftentum  meinten,  unb  xx?as  bei  il]nen  tatfäd]Iid) 
ber  ^usgangspunft  unb  Untergrunb  il]res  Sosia* 
lismus  a^ar.  Unb  aud]  ein  il]nen  felbft  unbeipugter 
3nftinft  fpielte  woiil  mit:  Dct  programmentiv?urf 
allein  nämlid]  ol^ne  alle  ^nlel^nung  fonnte  nid]t 
ftel^en.  (£s  fel]It  il^m  bie  nötige  Konfiftens  unb 
Kol^äfion.  (£r  beftanb  aus  einer  Heilte  von  €in5el= 
forberungen,  bie  jumeift  nid]t  neu  ujaren,  aus  per* 
fdjiebenen  Quellen  flammten  uitb  lofe  neben  ein- 
anber  ftanben,  ol^ne  ein  oberftes  prin3ip,  bas  it|nen 
Begrünbung  unb  sugleid]  (£inEjeit  unb  ^ufammen« 
1qalt  gab.  Dies  l^atte  man  ja  eben  im  (Il]riftlid]cn 
3u  finben  gemeint,  tuenn  aud]  nur  irrtümlid].  Unb 
erft  als  bies  in  lDab£rJ]eit  gefunben  u?ar,  burd]* 
fd]aute  man  bie  Oufd]ung  unb  lieg  fte  fallen. 

(£s  ift  befannt,  bag  biefes  prin3ip  im  natio* 
nalen  (5eban!en  gefunben  u?urbe.  3nbeffen  barf 
man  fid]  bie  Ummanblung  nid]t  fo  i^orftellen:  (£rft 
woütc  man  5o3iali5mus  unb  (Il]riftentum  3ufammen* 
f Oppeln;  bas  ging  nid]t  red]t;  ba  r>erfud]te  man 
es  mit  bem  Nationalismus,  unb  nun  gings  beffer. 
Denn  aud]  biefe  (£ntn?icflung  unb  gerabe  fie  u?urbe 
nidit  burd]  ben  beredjnenben  Derftanb  gelenft^ 
fonbern  x)oll3og  ftd]  in  ben  Seelentiefen  unterl]alb 
bes  53eu?ugtfeins  unb  entflammte  einem  Drange, 


—    ^6  — 


^cv  ftärfer  wav  als  bemühtes  Renfert  imb  IDoIIert 
wnb  Naumann  mit  bcr  inftinftiuen  5id?crl^eit  gcnU 
aUx  Xlaimen  feinem  ^iele  sutrieb.  Diefer  3nftinft 
xvav  voo^l  bie  gel^eime  Urfad^e,  marmn  er  einen 
fonft  nal^eliegenben  5d]ritt  nid]t  tat.  Denn  man 
fann  wo^  fragen,  ix>arum  er  nid]t  5ur  Sozial' 
t)emofratie  übergetreten  ift.  politifd^e  (5rünbe 
entfd^eibenber  ^Irt  lagen  dagegen  faum  üor.  IPir 
■erinnern  uns,  ba§  Naumann  gerabe  in  feiner 
irüEj3eit  nid]t  nur  bie  praftifd^en  (£in5eIforberungen 
öer  5o3iaIbemofratie  ol^ne  Hüdl^alt  anerkannte, 
fonbern  aud]  gegen  il^r  2^eai  faum  prinsipieHe 
^ebenfen  l^atte.  Die  genoffenfdjaftlid^e  (Sefell* 
fd]aft5orbnung  unb  bie  Pergefellfd^aftung  ber  pro* 
^uftionsmittel  ipar  für  iJ^n  bamals  nid^t  blog  ein 
<kn  fid]  5uläffiger  (5ebanfe,  es  fd^eint  aud?  fein 
eignes  3beal  getoefen  3u  fein.  IDenigftens  I^inbert 
.nid^ts,  feinen  ,,fo3ialiftifd^en  Staat"  in  biefem 
Sinne  3U  uerftel^en,  ba  er  feinen  (5egenfa^  3ur 
So3ialbemofratie  niemals  auf  bas  (£nb3iel  be3ieE|t, 
fonbern  ftets  auf  ben  IPeg  bal^in,  ber  für  ber 
IDeg  allmäl:jlid]er,  organifdjer  unb  gefefelid^er  <£m 
tüicflung  ift.  („Der  fo5iaIiftifd?e  Staat  u)irb  bas 
legitime  Kinb  bes  B^eutigen  Staates  fein.*  (lEjriftl. 
XPelt  II,  ^22.)  Die  ganse  Sd^ärfe  bes  Angriffs 
rid]tet  ftd]  gegen  bie  Heligion5feinbIid]feit  unb  bie 
materialiftif d]e  IDeltauffaffung  ber  So3:aIbemoFratie. 
Ztad^bem  aber  Haumann  fd^on  in  feiner  erften 
2tuseinanberfe^ung  mit  il^r  erfannt  Ijat,  ba§  biefe 
Cl^eorie  mit  it^ren  praftifd]en  fielen  nid?t  notrpen^ 
-big  Derbunben  ift,  u?ar  Haum  für  bie  fjoffnung, 


-    ^7  - 


fie  von  bcr  Sostalbemofratie  lossulöfen.  Unb  ba5 
^lel,  bte  IHaffen  ber  2lrbeitcr  u?icber  für  bas 
(Etjriftcntum  311  gewinnen,  formte  er  fogar  am 
cl^eften  5U  erretd^cn  boffen,  u?erm  er  gani  311  it^nen 
übertrat.  Diefer  Weg  wax  an  fidj  gangbar,  iinb 
2tnbre  finb  il|n  gegangen,  fo  fd^on  \893  ber  »lE^eoIoge 
Ct^eobor  pon  lOädjter,  bann  fpäter,  bereits  vom 
nationaIfo3iaIen  Derein  aus,  (Sötjre  (\898),  imb 
ipieberum  \^05,  bei  ber  ^luflöfung  bes  r>aitpti?er= 
eins,  IVia^  ^TJaurenbred^er.  lOenn  Tcaumann,  wie 
CS  fd)eint,  niemals  ernftlid)  t^avan  gebadit  bat,  fo 
tjatte  er  im  3""^'^f^^"  idoI]1  bas  (SefüM  eines 
anbern,  für  bas  politifd^e  Dertjalten  beftimmenberen 
<5egen)a^e5. 

XPesbalb  luar  nun  bas  nationale  prin3ip 
mel:jr  als  bas  d]riftlid]e  geeignet,  bem  fo5iaIen 
Streben  ein  feftes  ^unbament  3U  geben?  IPir 
tüoüen  ber  fpätern  (£rörterung  bes  ZTationalismus 
nid]t  vorgreifen,  nur  for>ieI  fei  fdjon  bier  feft= 
geftellt:  Der  nationale  (Sebanfe  ift  nidjt  ein  poIi= 
tifdjer  begriff  u?ie  anbre  aud),  fonbern,  wie  Xlau- 
mann  itjn  fa§te,  ift  er  ber  Staatsgebanfe  fdiled]t= 
fyn ;  er  bebeutet  nid^ts  anberes  als  bie  ^nerfennung 
^es  r>orl)anbenen  Staates  unb  bamit  bie  2lufgabe, 
i>ie  ^ebingungen  feiner  €riften5  unb  feines  Cebens 
3U  begreifen,  unb  ben  entfd? loff enen  iPillen,  an 
feiner  €rl^altung  imb  lX)eiterentu?icfIung  mit3u= 
arbeiten.  3"  biefem  Sinne  ift  er  bie  (Srunblage 
imb  notmenbige  Dorausfe^ung  aller  ernftl^aften, 
^ofitiüen  praftifd^politifd^en  ^Irbeit. 

Diefer  (Sebanfe  ift  in  ZTqumann  burd^  2ln= 


—    ^8  — 


regung  von  außen  gevoedt  llnö  iwax  hat  ihn 
nadb  IVends  vErsdblung  jucrft  Delhxüd  barauf 
bingctoicfcn.  Befonbcrs  nad^baltigen  vEinbrucf  tjat 
auf  ihn  bann  bic  ^ntrittsrebe  gcmadbi,  mit  ber 
einer  feiner  ZHitfämpfer,  21Tar  IDeber^),  feine 
profeffur  ber  Staatsrriffenfd^aft  in  ^reiburg  antrat: 
„X>er  Hationalftaat  unb  bie  Dolfripirtfd^aftspolitif.* 
(5reib.  i.  ^.  1895.  54  5.)  Tcaumann  bat  bie 
gebaltreid-je,  von  ed'jtem  politifcben  (Seifte  burcb* 
toebte  Scbrift  in  ber  f>ilfe  vom  3uli  1895  an» 
gezeigt  unb  im  ganzen  mit  entfdnebener  ^uftimmung 
begleitet.  3bre  (Srunbgebanfen  geboren  feitbeni 
5um  feften  Beftanbe  feiner  (Sebanfenmelt.  3"^ 
Caufe  biefes  ^ab^xes  h^at  fid)  bann  bie  neue  ^bee 
immer  mebr  in  iljm  gefefttgt  unb  nadi  aflen  Seiten 
burdigearbeitet,  unb  in  bemfelben  (Srabe  tritt  bas 
Cbriftentum  in  feinem  poIitifd";en  Denfen  in  ben 
r^intergrunb.  ^ie  nädjfte  Heujabrsnummer  ber 
„fjilfe*  rerÜinbet  beutlid^  bie  im  prin^ip  voll-- 
sogene  (Trennung:  „X>\e  dbriftlid^ Sosialen  haben 
5u?ei  ^lufgaben,  rreldje  fid?  nobe  berübren,  bie 
aber  nid")t  mit  einanber  üenped"}felt  rrerben  bürfen. 
Die  eine  ^lufgabe  ift  politifd)  unb  bie  anbere  ift 
religiös.  3^^^  toerben  beibe  2lufgaben  in  ben* 
felben  Dereinen  gepflegt,  es  ift  aber  nid^t  un^ 
möglid^,  bag  fpäter  einmal  3n?eierlei  Bereinigungen 
nötig  roßrben,  um  nid^t  bie  Heligion  burd>  bie 
(Einselbeiten  ber  politif  ju  fd^äbigen,  unb  um  nid^t 
an  politif d^er  Derbinbung  mit  fold^en  Ceuten  ge» 

»}  Der  £efer  bütc  fiA,  btc  ücrfAicbencn  „Wehex'% 
bie  an  ber  fo3iaIcn  Seipegun'g  beteiligt  fmb,  3u  rerrrcAfeln. 


-   ^9  - 


Ijinbcrt  311  fein,  bic  einen  anbern  relicjiöfen  Stanb* 
punft  einneljmen  als  von.*'  <£s  ift  bemerfensr^ert, 
bag  in  ber  Darlegung  ber  poIitifd]en  Aufgabe 
nirgenbs  mel^r  r>om  „dixi\Üxd\en"  Sosialismus  bic 
Hebe  ift,  fonbern  bafür  anbre  ^eiipörter  eintreten: 
„Unfere  politifdie  2luf gäbe  roirb  es  fein,  einen 
regierungsfätjicjen  Sosialismus  vorzubereiten."  „(£s 
mug  aber  Ceute  geben,  bie  nur  bies  eine  politijd^ 
im  2luge  ijaben,  ben  nationalen  praftifd^en  Sosia^ 
lismus  3u  treiben."  Unb  nur  am  Sd^Iuffe  beigt 
es  u)ieber:  „X>aburd->,  ba§  u?ir  uns  „d^riftIid]'fo3ial'' 
nennen,  fagen  u?ir,  ba^  n?ir  an  ben  Sieg  unb 
Hu^en  eines  praftifd^en  r>aterlänbifd]en  5o3ialismus 
erft  ^ann  glauben  fönnen,  tcenn  er  r>on  tiefer 
religiöfer  (Erneuerung  begleitet  ift."  Zlodi  beutlidjer 
rebet  bie  genannte  Brofd^üre  r>on  ^896:  „So 
liegt  es,  bag  3u?ei  gefd]id:)tlid7e  Strömungen  fid^ 
jeitgefdiiditlid]  begegnen,  eine  ^rneuerungsbe* 
tpegung  im  er> an gelif d]en  (£I:^riftentum  unb  eine 
fo3iaIe  ^eu^egung  auf  poIitifd]em  (Sebiet.  X)iefe 
beiben  gleid]3eitigen  Beilegungen  laufen  neben 
cinanber,  berül^ren  fid?,  greifen  3eitu?eife  ineinanber 
ein  unb  u?erben  vielfad^  burd^  bie  gleid^en  perfonen 
vertreten.  (£s  lianbelt  fid?  aber,  um  einen  Dergleid^ 
3u  braud^en,  nid^t  um  eine  d:jemifd)e  (EinBjeit  von 
beiben  X>ingen,  fonbern  geu)iff ermaßen  nur  um 
eine  pJ^yf^^^Jl^W^  mifd^ung,  bas  foU  Ijeigen,  ber 
pro3e6  ber  religiöfen  Erneuerung  voivt  feinen  lOeg 
für  fxdt  gelten  unb  ber  pro3e6  ber  politifd^en  (£nt» 
rbidlung  n>irb  feinen  lOeg  aud")  für  fid^  gelten, 
nur  3eittt?eife  laufen  bie  beiben  Beu)egungen  ein 


—    50  — 


Stücf  ipeit  neben  einanber."  Zladti  biefer  burcbaus 
3utreffenben  Dav\ieüung  toürbe  bie  im  VOovte 
^d^riftlid^fosial"  ausgebrücfte  (£inl^ett  auf  eine 
seitipeilige  perfonalunion  rebu3iert.  (£5  wav  nid>t 
Zlaumanns  Sad^e,  lange  in  biefer  Unentfcl^Ioffen^ 
tjeit  unb  fjalbl:)eit  3U  üerl^arren  unb  bie  als  not* 
lüenbig  ernannte  praftifd?e  Konfequen3  aus  bem 
beutlidjen  Sadivev^alt  ins  Unbeftimmte  3U  ver- 
tagen. ZXadi  mel:jreren  Dorbefpred^ungen  faßte 
ber  in3tDif d)en  errpeiterte  5i^ßunbesfrei5  um  Ziau- 
mann  am  6.  2^ug.  \S^6  in  fjeibelberg  ben  Befd>Iu6, 
eine  eigne  poIitifd]e  0rganifation  unb  3ugleidi  eine 
eigne  ^ages3eitung  3U  begrünben.  Diefe,  bie 
„^eit'',  fam  feit  bem  \,  (Dtt.  in  Berlin  l^eraus 
unb  u?urbe  mit  fd]iperen  0pfem  ein  3ai)r  ijinburdj 
gel:jalten.  längere  ^auer  u?ar  bem  „Nation al- 
fo3iaIen  Derein"  befd]ieben,  ber  im  Hor>.  \S^6 
fid]  in  (Erfurt  fonftituierte. 

2nit  ber  €ntipicflung  3um  nationalen  5o3ialis= 
mus  ift  bie  eigentlid^e  lX)erbe3eit  Naumanns  3U 
(£nbe.  Seitbem  ftel^t  feine  geiftige  pJ^yfionomie 
unb  feine  gefd^id^tlid^e  Stellung  in  ben  (Srunb3Ügen 
feft  unb  bat  feine  u>efentlid>en  IDanblungen  mefy: 
erf al:jren.  1)  Damit  laffe  xdi  ben  ^^iben  bes  ge= 
fdiid?tlid]en  Perlaufs  fallen,  inbem  id?  bafür  auf 
Wend  t)ertt)etfe.  2Tleine  2lufgabe  u)irb  nunmel^r 
fein,  bie  verfdiiebenen  Seiten  ber  Cätig!ett  Ziaw- 
manns  in  il:^rer  Per3u?eigung  unb  in  itjren  innern 
<3ufammenJ|ängen  3U  »erfolgen. 

Da§  ber  ^nfd?Iug  an  bic  ^reifinnige  Pereinigung 
feine  ift,  werbe  icb  fpätcr  bar3utun  Jjaben. 


Zweites  Kapitel. 

Die  ^ilfe  trägt  bcn  Untertitel,  ber  ben  Sinn 
'^es  fjaupttitels  genauer  fpesialifiert :  „(Sottesl^ilfe, 
Selbftl^ilfe,  Staatsl^iife,  Bruberl^ilfe/  Der  I^ier 
hcohaditeien  Hangorbnimg  entfpridit  ber  3"^^^^ 
infotpeit,  ^a^  er  ftets  bis  \^05  mit  einem  fleinen  Stücf 
religiöfen  3nl:jalt5  beginnt.  (£5  jtnb  furse  Sonn* 
tagsbetrad^tungen,  burd^weg  in  bem  unv>eränberlid^ 
gleidien  Umfange  von  einer  Spalte  unb  ftets  r>on 
Ztaumann  felbft  gefd^rieben.  Bei  bem  offisiellen 
0rgan  einer  Hid^tung,  bie  fd]on  in  il^rem  Hamen 
bas  (£I:jriftIidje  üoranftellte,  bei  einem  Blatte,  bas 
von  einem  (ßeiftlidjen  Ijerausgegeben  u?urbe,  ipar 
bas  nur  natürlid]  unb  felbftuerftänblid^  ^ber  aud^ 
als  bie  „fjilfe"  nid)t  meljr  „d^riftlid^fosial''  unb 
Naumann  nid^t  meJ^r  (5eiftlid^er  tt>ar  (feit  2lnf, 
\S^7)  u?urbe  biefe  (£inrid^tung  beibel^alten ;  es  ipar 
eine  alte  liebe  cßeu^oljnl^eit,  bie  unsät^Iigen  IHenfdjen 
5reube  mad^te  unb  niemanb  ftörte.  Diefe  2tnbadjteti 
loaren  nunmel^r  bas  (fiinsige,  was  an  fein  frül7ere5 
2lmt  erinnerte.  Sie  ipurben  am  Sd^Iuffe  eines 
jeben  3^^^^^  gefammelt  unb  in  fleinen  sierlidjen 


—    52  — 


^änbd^cn  als  „(ßottesl^ilfc*  we'itex  vevhxeitet  lü'xt 
bcm  (Snbc  bcs  3^^!^^^^  Iiaben  fte,  roie  es 

fd^ctnt,  für  immer,  aufgel^ört.  ttjrer  Stelle 

brad)te  ber  nädbfie  2^k^Q<^^9  ^ Briefe  über  Religion" , 
ipomtt  Haumann  einftipetlen  von  ber  BeJ^anblung 
religiöfer  X>inge  ^bfdjieb  nabm.  Von  ben  er* 
fd^ienenen  8  3<^I?J^9^ngen  bat  bann  ber  Huprecbt'fd^e 
Derlag  eine  neue,  fadilidi  georbnete  (Sefamtaus* 
gäbe  in  einem  fd)önen,  roürbtg  ausgeftatteten  unb 
red)t  rooblfeilen  ^anbe  üeranftaltet.i) 

X>ie]e  'Un'öaditen  hßhen  von  allen  Sdjriften 
Haumanns  ben  größten  (Erfolg  gel:|abt  — -  fomobl 
voas  ben  2tbfa^  roie  rt?as  bie  5d)ä^ung  betrifft  — 
unb  bie  allgemeinfte,  uneingefdiränftefte  2Iner- 
fennung  geerntet.  3n  ber  breifad^en  5c>rm  ibrer 
Peröffentlidjung,  in  ber  „fjilfß*,  in  ^inseb 
hän'Ödtien  unb  in  ber  (öefamtausgabe,  finb  fie 
xvobi  allen  hetannt  geu?orben,  bie  irgenb  u?eld^en 
2lnteil  an  Haumann  nebmen,  unb  piele  fennen 
it|n  nur  iiieraus.  3"  tEjeoIogifd^en  unb  an^cvn 
blättern  l^aben  bie  berufenften  Kritifer  i\:ix  tob  ge* 
fungen.  ^b^nen  Derbanft  er  aud^  bie  einsige  öffentlid^e 
(£J:)rung,  bie  it^m  bisl^er  3u  teil  geroorben  ift,  bie 
Ernennung  3um  (£l)renboftor  ber  ^tjeol.  burd]  bie 
fjeibelberger  ^^i^ultät.  3"^^ff^^  f^"^  "^^^ 
biefe  äußern  Umftänbe,  bie  mxdi  r>eranlaffen,  ibnen 
eine   eingel>enbe  Betraditung   unb    ein  eigenes 

*)  (Sottcsbilfe.  (Sefamtausgabe  ber  7lnba<bUn 
aus  ben  2^h^^^  1(895—1902  fad?Iidj  gcorbnct  von 
^ricörtcb  Naumann.  (Böttingen,  Danbent^oecf  8c 
2^upred?t.  '  1902.  XII,  6U  3.  geb.  6  IXl.  ZIad?  biefer 
2lusgabe  u>irb  im  ^olgenben  sittert. 


—    53  — 


Kapitel  3U  lüibmen,  fonbcrn  nod]  mcfy:  fadjitdje 
<5rünbe.  Von  ber  ^l^cologic  unb  üom  Pfarramt 
ift  Haumann  ausgegangen  unb  erft  fpät  i^at  er 
fxdi  ganj  bauon  getrennt.  (£5  u?irb  3um  Vex- 
ftänbnis  feines  IDerbens  unerläßlid^  fein,  ba§  u?ir 
3uerft  ben  Cl^eologen,  ben  pfarrer  fennen  lernen. 
Daiu  bieten  aber  biefe  ^nbad]ten  nidjt  nur  bas 
reid]fte  unb  sugänglid^fte  2naterial,  fie  empfel^Ien 
fid]  audj  burd"?  itjre  (£ntfteJjungs3eit,  fie  fefeen 
nämlid')  ein  hir3  r>or  bem  Beginn  ber  (£nttt)icflung, 
u)oburd7  ber  neue,  eigentlidje  Naumann  entfielet, 
unb  fammeln  ben  geiftigen  (£rtrag  ber  periobe, 
bie  porausliegt.  (£s  fei  bal^er  geftattet,  nad>  il^rer 
Einleitung  bas  Bilb  bes  „Pfarrers"  Naumann  in 
ben  £jaupt3Ügen  3U  3eidjnen. 

h 

Vcv  ^ug,  ber  3unäd7ft  in  bie  ^ugen  fpringt, 
ift  eine  groge  €t^rlid^feit  unb  H) al^ rl^aftig» 
feit,  rtaumann  ift  es  tjeiliger  €rnft  mit  bem, 
tt>as  er  fagt.  €r  madjt  nidjt  Hebensarten,  gibt 
nid^t  bie  lanbläuftge  d^riftlidje  5d7eibemün3e  u?eiter; 
er  fagt  nur,  was  er  felbft  empfinbet,  benft,  erlebt, 
unb  upofür  er  fid?  felbft  mit  feinem  Ceben  ein3u= 
fefeen  bereit  ift.  €r  fd^reibt  nid^t,  u>ei(  es  fo  ber 
Braud]  ift,  unb  u^ie  es  ber  Braud^  ift,  fonbern 
aus  bem  Drange  feines  fjer3ens  tjeraus.  Davaus 
folgt  gan3  v>on  felbft,  bag  aud?  ber  3nJjalt  feiner 
53etrad]tungen  eigenes  imb  perfönlid^es  (Sepräge 
Seigt.  (Df^ne  bies  u?äre  ja  bie  <£tjrlid^feit  eine 
leere  Sdjale,  benn  et|rlid?  fein,  J^eigt,  fid?  felbft 


-    5^  - 


xixdhiaitslos  unb  rücfftd^tslos  gehen,  fid^  offen  unb 
entfdjicbcrt  3U  feinem  Selbft  l^efennen.  llJan  mu§ 
ein  Selbft  I^aben,  um  es  geben  unb  vertreten  5U 
fönnen.  Damit  ift  nid^t  gefagt,  bag  es  lauter 
originale  unb  funfelnagelneue  (öebanfen  toären, 
voas  Naumann  l^ier  vorbringt;  —  ron  u?em  fönnte 
man  bas  fagen  ?  (£s  ,  ift  3um  großen  Ceile  bas 
alte,  gläubige,  uns  rool^Ibefannte  dl^riftentum,  bas 
Haumann  verfünbigt.  (£r  gibt  in  vielen  5ällen 
bie  überlieferten  Porftellungen  unb  (belaufen 
roieber,  wo  er  [\di  mit  il^inen  einig  fül^lt.  (£s 
fommen  u?oI^I  aud^  Stellen  vor,  obfd]on  feiten  unb 
nur  in  ber  frül:jeren  ^eit,  wo  er  trabitionelle 
Wormeln  vexwen^et,  ol^ne  bag  man  iJ^nen  eine  he-- 
ftimmte,  im  ^ufammenljange  notivenbige  ^ebeutung 
abgetvinnen  fönnte.  X>as  alles  mug  5ugegeben 
tverben ;  aber  es  I^inbert  nid]t,  ba§  ftd">  aus  bem 
(Sanken  ein  beutlidies  Bilb  einer  inbivibuellen 
perfönlid]feit  ergibt.  3n  ^usu)al:jl  imb  ^ciffu^tg 
fünbet  fid")  bie  (Eigenart  bes  Perfaffers,  aud>  u?o 
ber  Stoff  nid]t  neu  ift.  2lber  aud?  neue,  wexU 
volle  (S>ebanten  finben  fid^  in  reidjer  5üIIe. 

Der  3nt^alt  von  Haumanns  Derfünbigung  lägt 
fidi  gans  gut  burd^  stvei  Stbjef tive  d]arafterifteren :  es  ift 
ein  praf tif dies,  fo^iales  Ctjriftentum.  praf* 
tifdKs  Ctjriftentiim!  Der  2lusbrucf  tft  für  uns 
Deutfd^e  burdj  BismarcF  geprägt  in  ber  hetarxnten 
Hebe  3um  Unfallverftdierungsgefefe  vom  2. 2(pril  \88\ ; 
fo  red)t  geläufig  ift  er  uns  bod?  burdj  bie  dm^U 
Iid)=fo3iaIe  Bervegung  geu?orben.  Unb  auf  nie^ 
manb  pagt  er  fo  gut  tvie  auf  Haumann.  3" 


—  55 


ganzen  ftattlidjen  Banbc  fin^>et  \\di  auffallcnb 
tDcnig  Cl^cone.  (£5  feh^len  mdit  nur  ttcfftnnicjc 
'Betxadiiungen  über  bic  (5el)cimniffc  bcs  d^riftUd]cn 
Dogmas,  —  bas  ift  l^cutc  mcl^r  ober  ipeniger 
felbftücrftänblid?.  2lbcr  es  fch^kn  aud]  ober  ftnbcn 
fid^  nur  wcreinsclt  bic  ^useinanberfc^ungcn  mit 
anbern  IPcItanfd^auuncjen,  unb  bic  ftnb  tjcute 
feinesipcgs  übcrflüfftg.  Hur  3uu?cilcn  tt)erbcn 
einige  qan^  allgemeine  (Srunblagen  djriftlid]er 
ober  überl^aupt  religiöfer  X)enfu?eife  gegenüber  bem 
ZHaterialismus  r>erteibigt.  3"^  Übrigen  fefet  Hau* 
mann  bas  Ct^riftentum  einfad?  i^oraus;  er  u?enbet 
fid^  ja  aud]  an  £e(er,  bie  tjierin  mit  il^nt  einig 
ftnb.  2111  fein  Sinnen  unb  Streben  gel^t  barauf, 
ba§  biefes  dl^riftentum,  bas  alle  be!ennen,  red^t 
lebenbig  unb  u?irffam  u)erbe,  ein  (El^riftentum  ber 
Cat  unb  Xt>al?rl:jeit,  ber  l>elfenben  unb  bienenben 
Bruberliebe,  eine  beljerrfd^enbe  Cebensmad^t  für 
ben  (£in3elnen  wie  für  bie  (5efamtl|eit,  eine  u?irflid^c 
Hadifolge  3efu  im  Ceben. 

3efu5  als  Dorbilb  unb  Horm  unf ers 
Cebens  tritt  bal^er  in  biefen  ^Inbad^ten  febr  be= 
beutfam  unb  entfd^ieben  in  ben  Porbergrunb. 
2Iber  biefer  Haumann'fd?e  3^\us  liai  fe^^r  eigen» 
artige  <5üge.  IDir  finben  fie  überftditlidj  3ufammen» 
gefagt  in  bem  crften  fjeft  ber  ebenfalls  r>on  Haumann 
erausgegebenen  „(Söttinger  ^trbeiterbibliottjef" 
mit  bem  Citel  „3^fus  als  Dolfsmann/i) 

M  (Sötttngen,  in  bemf.  Dcriage  ^89^.  —  (3etabe 
tn  biefer  §eit  tjat  bie  <5eftalt  3^fw  Porbilb  Hau- 
mann  am  intenfiüften  befdböftigt,   Sie  beijerrfdjt  auf^ 


—    56  — 


3efu5  tft  für  Naumann  sunädift  ber  Vdann 
bcr  Cat,  bcs  IDillcns  unb  bcr  Kraft,  ntdjt  ber 
tbyllifd^e  „gute  ^irte*.  ober  ein  rpeid^er  (ßemütss 
menfd],  fonbern  ber  unermüblid^e  2trbeiter,  ber  fxdi 
in  feinem  Berufe  oersel^rt  unb  an  nid^ts  benft  als 
bas  5U  tun,  wo^u  tt|n  (Sott  gefanbt  l^at,  unb  ber 
mutige  fjelb,  ber  unerfdjrocfen  ben  ZTTad^tl^abem 
feiner  ^eit  entgegentritt  unb  fid?  burd]  feine  <S>e- 
faEjr  unb  Cobesfurd^t  in  feinem  2X>irfen  ijinbern 
läßt.  Sein  3efu5  ift  aud^  fein  fanfter  ^nebens* 
unb  fjumanitäts'^poftel;  wie  er  felbft  ben  Kampf 
nid]t  fdieute,  fo  u?eig  er,  ba§  er  ber  lOelt  nid^t 
ben  5nßben,  fonbern  bie  ^toietrad^t  bringt.  ^3d^ 
bin  fommen,  ba§  id^  ein  5ßuer  ansünbe  auf 
<£rben/  Unb  enblid?  ber  entfd?eibenbe  ^ug:  fein 
3efu5  ift  ber  „fosiale*  3^fw5,  ber  „Polfsmann", 
ber  ireunb  ber  Firmen  unb  Sünber,  unb  ber  5ßiub 
nid^t  ber  Heid]en,  aber  bes  Heiditums  unb 
ZHammonsbienftes,  ber  bie  Firmen  feiig  pries  unb 
über  bie  Heidjen  iX)el:je  rief;  ber  gefagt  b^at:  „(£s 
tft  leidster,  bag  ein  Kamel  burdj  ein  ZTabelöbr 
gelje,  benn  ba§  ein  Heid^er  ins  Heid]  (Sottes 
fomme",  ber  feine  ^ntjänger  mal^nte:  „Derfaufet, 
ipas  il>r  Jjabt,  unb  gebt  es  ben  Firmen!*  unb  ber 


ben  programmatifc^en  2luffa^  „Cl>riftIid?=5o3iaI",  f.  oben 
5.  39  ff.  Die  \ .  probenummer  ber  „^tlfe"  beginnt  mit  bem 
23efenntnts  „3efus  Cljnftus  geftern  unb  tjeute  unb  ber= 
felbige  aud?  in  (Eirigfcit",  unb  ben  3öl?rgang  felbft 
burd?3iel)t  eine  Heilte  von  Briefen  an  einen  Arbeiter 
„IDcr  wat  2t\us  von  Uaiattt^i"'  (von  anbrer  ^anb). 
Unb  noc^  IDeifjnad^ten  ^895  prebigt  U.  in  ber  „gufunft" 
„Die  Hucffcljc  3U  jefus." 


—    57  — 


beim  jüngften  (Sendete  allein  nadi  ben  VOexhn 
bcr  Ciebß  fragt,  bic  u?ir  bcn  ^rmen  unb  Ccibcnben 
eripief cn  I:|abcn.  X)iefcr  3cfu5  ift  fo  9an3  anbers 
als  bas  Ijcutige  offisiellc  Kird^en^  unb  Staats^ 
d^riftcntum:  er  l^ielt  ftd^  nidjt  3U  ben  ItTäd^tigen, 
fonbern  5U  ben  Kleinen  in  jebem  Sinne;  er  faß 
311  Cifdie  mit  Zöllnern  unb  Sünbern,  tt?a5  Hau= 
mann  einmal  fel^r  treff enb  ins  Zlloberne  überfe^t: 
er  r>erfel^rt  mit  Sosialbemofraten  unb  3uben;  er 
vexwaxf  bie  Deru?orfenften  nid">t  unb  glaubte  aud^ 
bei  itjnen  an  bie  2nöglidifeit  ber  53uße,  nur  mit 
ben  (Sered-jten  u?u§te  er  nid^ts  anzufangen,  unb 
in  ben  Vertretern  ber  ofpsiellen  Kird^e  feiner  ^eit 
fanb  er  feine  fd^Iimmften,  unperföljnlid]en  5ßinbe. 
—  Naumann  ift  f\di  ber  ^Einfeitigfeit  biefes  3^fii^' 
bilbes  burd]aus  bett?u§t.  <£r  u?eiß  wobX  baß  es 
aud]  anbre  2(uffaffungen  gibt  unb  ba§  bie  eben» 
falls  il^r  relatives  Hed^t  haben.  2tber  er  I>ebt 
biefe  ^üge  t^eraus  unb  unter ftreid^t  fie  fo  ftarf, 
u?eil  er  über3eugt  ift,  bag  fte  3U  lange  unb  3U  febr 
überfel:jen  finb  unb  bag  gerabe  fie  einem  Bebürfniffe 
unfrer  ^eit  entfpredjen.  iPir  bürfen  voo^l  liiniu- 
fügen:  u?eil  fie  vot  allem  beut  Bebürfnis  feiner 
Seele  entfpredjen,  meil  er  fidj  barin  mit  feiner 
Setjnfud^t  imb  feinem  reinften  Woüen  u^ieber 
pnbet,  u>eil  fie  nur  bas  ausfpredjen,  u?as  als  ibeale 
5orberung  in  il^m  felbft  lebt. 

rtatürlidi  ift  bamit  nid^t  ber  JnJjalt  ber  gan3en 
Sammlung  erfd")öpft;  bie  580  Stüde,  aus  benen 
fie  beftel^t,  entt^alten  eine  erftaunlid^e  5ülle  unb 
tt?ieberi^oIen  fxd}  nur  feiten.    2lber  bas,  was  wiv 


—    58  — 

exwälinten,  ift  bod^  tex  lentxale  unb  d|arafterifttfd]e 
^ug  in  bcm  Bilbe. 

2. 

(£benfo  rctditig  iinb  bebcuhmgsDoU  als  bas, 
ipas  er  fagt,  ift  beim  prcbigcr  bic  2(ri,  rote  ex 
es  fagt.  Unb  ba  entfprid^t  ber  (EEjrlid^fcit  unb 
^d^tBidt  bc5  yxlialts  bie  äugerftc  5  I  i  t  c  i  t 
bcr  ^lusbrucfsipcife.  Haumann  u)ill  bic 
breiten  Dolfsmaffcn  tt>ieber  für  bas  Cl^riftentum 
gerrinnen,  er  voxll  3efu5  als  ben  Dolfsmann  unb 
^ntoalt  ber  ^rmen  üerfünbigen,  rx>ie  er  felbft 
paftor  ber  armen  Ceute  geroefen  ift.  €s  ift 
bie  felbftDerftänblid^e  5oIge,  bag  er  bie  Spradjc 
bes  Dolfes  fpridjt,  bag  er  ben  ^usbrud  xväi}it, 
ber  biefem  am  meiften  r>erftänblid?  imb  munb* 
geredet  ift.  3n  biefer  ^infid^t  I^at  Haumann 
(Sroges  geleiftet.  Seine  X)arfteIIung  ift  überaß 
im  iiddi\ten  (Srabe  einfad],  !Iar  unb  fnapp,  foipeit 
es  bie  Hatur  ber  Sad^e  irgenb  3ulä§t,  audj  ba, 
voo  ex  S^<^Q^^  beJ^anbelt,  bie  immerl:jin  fdjon  eine 
getpiffe  ^ilbungsftufe  üorausfe^en.  Sie  ift  bas 
üollfommene  (5egenteil  eixoa  von  ber  glansoollen 
Htjetorif  Sd^Ieiermad^ers.  Sie  fann  fid?  bireft 
auf  bas  Dorbilb  2^\u  berufen,  ber  aud?  im  „Volfe" 
fein  liebftes  unb,  tro^  allem,  fein  banfhax\ies 
publifum  fanb,  unb  r>on  B^ier  aus  bie  lOelt  er* 
öberte.  Unoerfennbar  I^at  fidj  Haumann  an  ber 
Sprad?e  ber  (£r>angelien  gebilbet,  fo  toenig  er  pe 
äugerlid?  nad^al^mt.  Xlaumann  fdjreibt  3unäd?ft  in 
gan3  fur5en,  einfad>en  Sä^en;  bie  ^urdjfd^nitts* 
länge  u>irb  faum  meljr  als  eine  ^eile  betragen. 


-   59  - 


Xlehcn^äi^e  jtnb  feiten,  funftüollere  perioben  fet^Iert 
gani.  (£benfo  hirs  unb  einfad^  ftnb  bie  <5ebanfen. 
€5  ftnb  niemals  fontplisierte  (5ebanfengebäube 
imb  ^useinanberfefeungen,  fonbern  einselne,  für 
fxdi  tjingeftellte,  in  fid)  überseugenbe  unb  lebenbige- 
(5ebanfen,  bie  teilipeife  ifoliert,  teilweife  in  lofeii 
(Sruppen,  ober  in  einfadjen  (Sefügen  bargeboten 
tüerben.  X>er  2tufbau  einer  ^tnbad^t  ift  oft  locfer 
unb  funftlos,  imnter  leidet  unb  überfid^tlid% 

2tber  bie  bIo§e  Derftänbigfeit  unb  üerftänb^ 
Iid]feit  genügt  nid^t.  Der  prebiger,  jumal  ber 
Polfsprebiger,  bat  wenig  geu?onnen,  u?enn  er  beti 
Derftanb  überseugt;  er  mug  sum  (Sefübl  fpred^en^ 
unb  ber  lUeg  basu  gebt  burdj  bie  pbantafie. 
Z^aumanns  Darfteilung  ift  niemals  nüd^tern  unb 
trocFen;  fie  ift  bei  aller  Sd^Iid^tl^cit  unb  Sad^Iidi- 
feit  ungemein  bilblid^  unb  farbig.  €r  a->ei^  bas 
redete  IDort  5U  finben,  bas  sunt  fjersen  gebt.  v£r 
u>irFt  nid^t  burd]  Ijäufung,  fonbern  burd]  d^araf- 
teriftifd]e  IPatjI  bes  ^usbruds.  €s  fmb  fünftle^ 
rifd-je  (Elemente  in  feinem  Stil,  imb  biefe  be^ 
ftimmen  nid^t  nur  ben  ^lusbrud  im  (^injelnen,. 
fonbern  beleben  aud?  bas  (San^e.  Sebr  v>iele 
biefer  Betrad^tungen  fmb  als  (ßanses  ein  ^ilb^ 
nid]t  ein  (ßleid^nis  im  Stil  ber  €r>angelien,  eine 
an  fidj  belanglofe  (£infleibung  einer  leiere,  fonberrt 
eine  Ssene  aus  bem  Ceben,  beren  feelifd^en  (Sel>alt 
uns  Naumann  empfinben  läßt.  So  werben  uns- 
bie  Ssenen  ber  biblifd^en  (Sefdjid^te  ausgemalt,, 
mit  gutem  Ijiftorifd^en  Sinn  unb  bemerfenswertem 
Calent,  fid]  in  bie  feelifd]e  2lvt  unb  bie  Cebens- 


—    60  — 


formen  einer  fernen  ^eit  I^ineinsufüEjIen.  Ztod} 
Ijötjer  fteljen  bte  Stücfe,  rt?o  Haumann  ein  BUb 
aus  bem  Ceben  ber  (5egenu?art  entoirft,  btefem 
Ceben,  bas  er  fo  grünblid]  fennt  unb  bas  fein 
<5efül)I  unb  fein  Vcnfm  fo  tief  unb  intenfto  be* 
fdjäftigt  tt>ie  IDenige.  Unter  iJ^nen  gibt  es  mand]e, 
bie  fid?  beinal^e  3u  fleinen  Kunftix?erfen  ausrpadjfen. 
^m  freieften  unb  glän3enbften  offenbart  fid?  bie 
fünftlerifdje  Kraft  in  ben  Haturanbad]ten,  wo  bie 
lel^rEjafte  2lbftd^t  gans  3urücFtritt  fyntev  ber  tief 
empf  unbenen  unb  üirtuos  u?iebergegebenen  Stimmung. 
—  So  ftnb  biefe  prebigten,  roegen  ber  gleid^en 
(Sigenfdjaften,  bie  fie  ben  geiftig  ^rmen  3ugänglidi 
madjen,  audj  für  ben  fjödjftgebilbeten  eine  rei3'' 
DoUe  Ceftüre. 

3. 

Haumanns  '^n^aditen  befdiäftigen  uns  J^ier 
als  ein  Ceil  feines  literarifdien  lOerfes  unb  nad] 
tE^rer  Stellung  im  (Sanken  feiner  probuftion.  Tlhev 
daneben  ftellen  fie  bas  allgemeine  Problem  ber 
prebigt  in  unferer  ^eit  überl^aupt,  unb  audi 
biefe  5rcige  ift  l^ier  nid^t  3U  imtgeljen. 

^Ue  prebigt  unferer  ^eit  leibet  an  einer 
Sdjrpierigfeit  unb  einem  innem  lOiberfprud?,  ben 
roir  ebenfo  in  biefen  fd^lidjten,  üolfstümlidien  Tin- 
Zaditen  wie  in  ben  Hebehmfttxjerfen  Sd] leiermadiers 
finben.  Sie  gelten  aus  von  einer  Bibelftelle  unb 
tDoUen  3u  einer  ^nu?enbung  auf  unfer  Ceben  ge^ 
langen.  Sie  moUen  bamit  3rDei  ^inge  3ufammen 
üerbinben,  bie  gan3  »erfd^iebenen  IPelten  angel^ören 
xmb  suipeilen  fd^led^terbings  nid^t  3U  einanber  paffen. 


-    6\  _ 


Die  Sdjrtftcn  bes  neuen  Ceftantents  ftnb  ge= 
fdjrteben  im  ausgel^enben  2(Itertum,  im  ^Tüorgen» 
lanbe,  inmitten  eines  unfelbftänbicjen  SUavenvolUs 
tnnerl:jalb  eines  allumfpannenben  iPeltreid^es  auf 
roenig  unentu)icf elter  Kulturftufe  unb  finb  burd^aus 
auf  bie  Derljältniffe  biefer  ^eit  unb  (Segenb  3U* 
gefdinitten.  XDas  fönnen  irir,  bei  benen  feine 
biefer  Porausfe^ungen  sutrifft,  bamit  anfangen? 
2)iefe  5d]U)ierig!eit  liegt  jebod^  u?eniger  in  bem 
lOanbel  ber  ^^iten  unb  Umftänbe  an  \\di ;  frül:jere 
(Generationen  tjaben  fie  ipeniger  empfunben,  u?eil 
fid?  il]nen  ber  Sinn  ber  53ibel  mit  il:jnen  iDanbelte 
unb  fte  in  il:|rer  Haiv>ität  gar  nid^t  anbers  fonnten, 
als  bie  Sd^rift  im  Sinne  ber  eigenen  <5eit  aus* 
legen.  (£rft  bas  €ru?ad]en  bes  l^iftorifd^en  Sinnes 
Ijat  biefer  ^(aiDität  ein  (£nbe  gemad^t ;  feitbem 
fönnen  vo'iv  bie  ^ibel  nid^t  mel^r  gan3  in  ber  alten 
IPeife  5ur  Honu  bes  Cebens  unfrer  ^eit  neEjmen. 
Zninbeftens  ipirb  es  oft  nid^t  oI:jne  allerlei  (5eu?alt» 
famfeit,  Soptjifterei  unb  Selbfttäufdning  abgelten. 
IPir  müffen  entu?eber  bem  ^citfinn  ber  ^ibel,  u?ie 
il^n  uns  bie  l^iftorifd]e  5orfd]ung  i^erftel^en  lebrt, 
<ßeu?alt  antun,  um  i^n  auf  uns  anioenbbar  3U 
mad]en;  ober  u>ir  müffen  gegen  unfre  ^cit  unge* 
red?t  fein,  u?enn  luir  fie  am  ^eitd^arafter  bes 
neuen  Ceftaments  meffen;  unb  nid^t  feiten  u?erben 
|?eibe  Ceile  3U  fürs  fommen.  3m  allgemeinen 
ipirb  bie  I^omiletifd^e  Derupenbung  ber  ^ibel  um 
fo  leidster  fein,  je  f efter  ber  prebiger  in  ber 
^rabition  brin  fteljt,  je  ortlioboj-er  er  ift;  benn  um 
mit  etu?as  praftifd^  arbeiten  3U  fönnen,  mug  es 


—    62  — 


■felbft  5uerft  fcft  unb  fertig  ba  fein.  Die  tciffeiv 
fd-jaftlid^e  Sov\dii\nq  aber  bat  gerabe  bie  Cenben$, 
■alles  trabitioneE  (Segebene  in  S'^<^Q^  unb  problem 
3u  ftellen,  alles  5^ftc  unb  Starre  voanUnt)  unb 
fließenb  511  madjen,  in  lebenbige,  geiftige  Betoegung 
<ixif5ulöfen.  2lber  in  bemfelben  (5rabe,  roie  einer 
im  'Sanne  ber  Crabitton  unb  bes  Dogmas  ftel:|t, 
wirb  er  audi  unfäBjtg  fein,  bas  mobeme  Ceben 
erfaffen  unb  3U  leiten. 
IPie  ftellt  fidjnun Naumann 5U  biefem Dilemma ? 
-(^unädift  finben  u?ir  audi  bei  iEjm  bie  5d|U)ierig= 
feit  beutlid^  porl>anben.  ^ber  u?ir  bemerken  ebenfo 
^en  imbebingten  2Ttut  unb  XPillen  3ur  XPal^rbeit, 
^er  jebe  fromnte  Belügung  feiner  felbft  unb 
-^Inbrer  uerfdimäEjt  unb  bie  Sd^roierigfeit  nid^t  über» 
-fiebt  unb  umgel^t,  fonbern  il^r  entfd^Ioffen  ins  ^uge 
hlxdt  So  lefen  wxv  ben  guten  Safe  (S.  \32): 
„Das  ift  bie  2td>tung  cor  ber  Bibel,  ba§  man  fte 
Tiid^t  moberner  mad]t,  als  fie  felber  ift;  barin 
4iber  beftetjt  bie  2(d]tung  vox  bem  l^eutigen  ZUenfd^en, 
■ba§  man  ihm  aud>  in  (Slaubensbingen  ein  offenes 
lüort  geroäbrt  über  bas,  was  er  nun  felber 
wktlidi  glaubt."  So  wix^  bie  Derfdjiebenl^eit 
■beiber  IDelten  ausbrücflid)  anerfannt.  Hnb  ferner 
S.  586:  „3^\^^  f^I^^P  k<^^  öfter  üom  Perlaffen  ber 
Familie  gefprod]en  als  r>on  itjrer  Pflege.  (£r  ge* 
t)örte  ber  gansen  lOelt  unb  \ian^  mitten  im  Kampf, 
^alfd?  u?äre  es  barum,  bie  IDorte,  bie  er  in  gan5 
befonbers  perfönlid'jer  Cage  fprad^,  für  jebermann 
5u  verallgemeinern."  (£in  fel:jr  ridjtiger,  aber  ge^ 
fxäl^rlidjer  (ßrunbfafe.     Denn  was  Haumann  in 


—    65  — 


t)iefcm  S<^^^  verlangt,  bas  fönnte  man  ja  xvo\:il 
audti  in  anbcrn  5^Ücn  geltcnb  madben,  unb  wo^xn 
fommt  man  bann?  3a,  wenn  man  gans  cl^rlidi 
fein  wiÜ,  fo  mug  man  es  cinfad]  auf  alle  lOorte 
3efu  anwenben:  fie  alle  ftnb  in  gan5  perfönlid^er 
Cage  für  beftimmte  befonbers  geartete  Derl]ältniffe 
ober  für  inbiuibiielle  S<^^^  gefprod]en;  fie  alle 
bürfen  batjer  nid>t  fdiledittjin  v>erallgemeinert  werben, 
b.  Ii.  fie  finb  nid^t  ot^ne  lDeitere5  auf  uns  anu?enb» 
bar  unb  für  uns  perbinblid?. 

Cro^bem  füt^It  Haumann  als  über5eugter 
<Et|rift  bas  bringenbe  öebürfnis,  fid^  in  feinem 
(£mpfinben  unb  lUoUen  in  Übereinftinnnung  mit 
3efus,  ipenigftens  tiidH  in  iUiberfprud]  3U  il^m 
5U  u?iffen.  Venn  auf  biefe  negatioe  rjarmonie 
fommt  es  in  ben  meiften  S^lien  iixnaus,  ba  u?ir 
bie  pofitiDen,  frud^tbaren  3^^^^^/  benen  Zlaiu 
manns  (£tl^if  betjerrfd^t  ift,  bei  3^f"^  vergeblid^ 
fud]en  unb  aud^  nid^t  upoEjI  finben  fönnen.  Tlhev 
felbft  biefe  negative  Ubereinftimmung  ift  3uu?eilen 
nur  eine  fd]einbare  unb  erfünftelte.  (5eu?i§  u?ar 
3cfu5,  u?ie  il^n  ims  bie  «Eoangelien  jeid^nen,  ein 
f^elb,  ber  ben  Kampf  nid^t  fdjeute ;  aber  bag  ber, 
weldiev  gefagt  l^at:  „Ciebet  eure  ^cinbe!",  „lUer 
bid^  f dalägt  auf  bie  red]te  lUange,  bem  biete  aud] 
bie  anbere"  ufu?.,  ba§  berfelbe  jemals  ben  Pölfer^ 
frieg  gutgel^eigen  I^ätte,  liat  bod^  u>enig  Wa^v- 
fd^einlid^feit  für  fid].  Ihxdi  ijxex  bleibt  am  €nbe 
nur  bas  (ßeftänbnis:  „Das  neue  Ceftament  bietet 
fein  Kriegsgebet,  aber  (5ott  ift  nidn  "ur  im  neuen 
Ceftament.   Wo  neue  llTenfd^t^eitsgeftaltungen  fom* 


—    6^  ~ 


men,      tft  etwas  von  bcin  bcffcn  im  VOevte, 

^ev  aller  ZTlcnfd^l^cit  pfabc  leitet/  —  ZTaumann 
rpenbet  ftd?  in  einer  in  bie  (Sefamtausgabe  nid^t 
aufgenommenen  ^Inbad-jt  (fjilfe  VIII,  ^)  gegen 
ben  Hücfertfd]en  Sprud?: 

Keffer  ein  3i^i^^""^/  ^'^^  beglücft, 
2ll5  eine  IDal^rEjeit,  bie  bid?  nieberbrücft! 
in  fpesieller  ^nrpenbmtg  auf  bie  Heligion,  unb 
fommt  3u  bem  5d?Iuffe:  ^^ins  ift  uns  bod?  g^ojig, 
bag  im  (5runbe  nidits  glücflid]  madien  fann,  was 
man  felber  nur  mit  l^albem  fjersen  glaubt.  —  — 
2lud^  toenn  bie  IDaljrl^eit  bid?  nieberbrücft,  bu 
mugt  fte  fud^en!  So  fd]u?ad]  beine  Kräfte  finb, 
bu  rtJÜrbeft  bid")  felbft  üerad^ten,  wenn  bu  bid] 
nid]t  mel^r  5ur  (Sefolgfd^aft  ber  IX)aI:jrI^eit5fud^er 
red]nen  fönnteft."  X)iefe  iio^e,  tapfere  IDaljrl-jaf* 
tigfeit  ift  bas  Siegel  einer  großen  Seele;  unb  u?ir 
müffen  fte  gerabe  einem  Cl^eologen  boppelt  I^od) 
anredinen. 

^. 

Haumann  ging  aus  r>on  ber  lutl^erif d]en  0r* 
tl^oboj-ie  ftrengfter  (2)bferr>an3  unb  fd^eint  5unäd^ft 
wen'iQ  von  ^toeifeln  unb  (5Iaubens!ämpfen  geplagt 
3u  fein.  (£r  ift  feinen  (Semeinben  otjne  Zweifel 
ein  gans  I)en?orragenber  prebiger  geu)efen.  ^iefe 
fjilfe  =  2Inbad)ten  ftel^en,  namentlid?  im  2tnfange, 
rool^l  nidit  gans  fo  Bjod^.  X>enn  eine  münblid?e 
unb  eine  gebrucfte  prebigt  finb  3u?ei  gan3 
Ijeterogene  X>inge.  3ene  rt)irb  üor  einer  beftimmten 
unb  3umeift  bem  Hebner  ipol^lbefannten  ^uliötet'- 
fdiaft  gel^alten  unb  ii^r  IDert  liegt  barin,  upie  r>iel 


—    65  — 


fie  gerabc  btcfen  21Tciijd]cii  ^ehen  unb  iyifen  fatm. 
Die  2Xu5wa^  bcr  (Se^anfen  nadi  bcn  bcfonbcrcn 
^ebürfniffcn  gcrabc  biefes  Krcifcs,  bie  inbiutbuclle 
^niücnbimg  ift  bie  fjauptfad^e;  iPol>er  bic  (5c* 
banfen  ftammcn,  ift  belanglos.  Sie  u?crbcn  im 
allgemeinen  bem  von  ber  Dergangenlieit  5ufammen» 
getragenen  Sd^a^e  entlebnt;  unb  fteÜen  ftd]  um 
fo  leid'jtcr  unb  reid^Iid]cr  ein,  je  mebr  biefer  über» 
lieferte  5d]a^  bem  prebiger  fefter,  fidierer  Beft^ 
ift.  X)al]er  bier  ber  groge  Dorteil  bes  ©rtl-jobo^en 
unb  2tltgläubigen,  jumal,  xpenn  er  babei,  roie 
Haumann,  entfd-jieben  pra!tifd]  gerid^tet  unb  mit 
p{Yd">oIogifd]em  ^Talent  unb  gefunbem,  tiefem  Cebens* 
finne  ausgeftattet  ift. 

^ei  ber  gebrucften,  literarifdicn  prebigt  fallen 
alle  biefe  3e5Üge  ipeg.  X>iefe  xuenbet  fidj  nid^t 
an  eine  fonfrete  (Sinselgemeinbe,  fonbern  an  bas 
große,  allgemeine,  unbe!annte  Cefepxiblifxnn.  fjier 
fann  alfo  i>on  inbii>ibueller  ^Inu^cnbung  feine  2\ebe 
fein;  mir  ber  (Sebanfcngel^alt  als  fold^er  xviegt. 
Unb  ba  genügt  es  nid^t,  bereits  üorbanbene  unb 
überlieferte  (Sebanfen  5u  u^iebertjolen,  fonbern 
biefer  Sd^afe  mu§  burdi  neue,  eigne  3been  »er» 
meljrt  iperben.  T>ie\e  xx?erben  aber  gexpöt^nlidi  in 
innern  Kämpfen  geu?onnen. 

Soldie  fdieinen  bei  Hamnann  eigentlid^  erft 
ge!ommen  3U  fein,  nad^bem  er  bem  paftorenberufe 
entfagt  I^atte;  teils  burd]  bas  tiefere  (Einbringen  in  bie 
Cebensformen  unb  bcn  (Seift  ber  (5egcntt)art,  benen 
nun  fein  ganscs  Stubium  galt,  teils  infolge  ber 
^erül^rung  mit  ber  mobernen  tI:jeo logif d]en  IDiffen» 


—    66  — 


fd^aft,  mit  bereit  Vertretern  il^n  feine  praftifd?en 
Beftrebungen  5ufammenfüJ^rten.i) 

Die  religiöfe  €ntipicflung  Haumanns  ift, 
roie  natürlidi,  eine  aIImäBjIid]e  Coslöfung  von 
^)er  Crabition  unb  ein  (£rftarfen  ber  0rigina^ 
lität  Sie  5eigt  fid?  fd|on  in  einer  Siugerlid^feit 
3m  allgemeinen  trägt  jebe  Betrad^tung  einen 
B  i  b  e  l  f  p  r  u  d]  als  TXlotto.  Tin  bef) en  Stelle  treten 
nun  3uix)eilen  anbre  Sprudle,  aber  erft  rom 
6.  3ai^rg.  an,  unb  bann  in  fteigenbem  ZHage. 
fjier  finb  je  einmal  bas  Kird">enlieb,  PeftaIo35i, 
(5oetl^e,  Sd]Iciermad]er,  21.  10.  Sd^Iegel,  (Seibel 
vertreten.  X>er  8.  3abrg.  entijält  bagegen  nid^t 
ipeniger  als  \5  freie  „Ceitfä^e",  unter  benen  neben 
(Ebryfoftomus,  Cutber  unb  0mar  dl^ajiam  aud? 
ZTamen  wie  Husün,  5ontane,  IDilEj.  Hofd?er  vot-- 
fommen.  Haumann  mug  im  Poruport  biefe 
5reil:jeit  gegenüber  rc>ieberI:joIten  ZTTabnungen  r>er* 
teibigen.    5ür  ben  mobernen  Cefer  tpürbe  etjer  bas 

^)  £eibcr  madjt  es  bie  (Sefamtausgabc  unmöglicb, 
ben  Derlauf  biefer  Umt»anblung  3u  überfeinen,  n?eil  fte 
bie  djronologifcbe  (folge  serftört  tjat.  (5etpi§  ift  in  einem 
für  praftifd^e  €rtnoIungs3U)ecfe  beftimmten  2tnbad?ts= 
bucbe  bie  fad^Iic^e  2trtorbnung  beredjtigt.  2tud?  ift  fie 
trefflid?  geeignet,  ben  ungemeinen  Heic^tum,  bie  Kunft 
bes  Derfaffers,  bemfelben  (Segenftanb  immer  neue 
Seiten  abjugeujinnen,  in  bas  redete  £id?t  3U  ftellen. 
2iber  ihre  Hadjteile  hat  bie  Sad?e  bodj;  fo  aud?  ben,  ba§ 
nun  bie  am  menigften  get)altreid?e  unb  an3iebenbe 
von  allen  2tbteilungen  ben  Heigen  eröffnet.  („Die 
cbriftlid^en  ifefte.")  2tm  meiften  tft  'jebod?  bas  (feJjIen  ber 
Ctjronologie  3U  bebauern.  fjier  hätte  menigftens  burd? 
2tngabe  ber  urfprünglicben  ^unbfteüen  im  2'^iia[tsvei= 
3ei4nis  unb  eine  rergleidjenbe  Cabeüe  ein  Zlotbetjelf  ge= 
geben  u?erben  fönnen. 


—    67  — 


<5ccjenteil  bcr  ^ntfd^ulbtguncj  bebürfen.  Z>enn  es 
ift  flar,  bag  l^icr  bte  mciftcn  5d]u>terigfeitcn,  bie  voiv 
in  bcr  l^cuttgcn  prcbigt  fanbcn,  in  IPcgfall  fommcn, 
unb  tatfäd^ltdi  ift  bcr  5ortfd]ritt  imoerfcnnbar.!) 

Tlhev  bte  Coslöfung  oom  ^ib  eitert 
seigt  ftd]  nid^t  iceniger  in  ben  ZTummern  mit 
einem  biblifd^en  Stirnfd^mucf.  (5etpig  eripeift  fidj 
ein  foldjer  Bibelfprud]  I^äuficj  frud]tbar  als  ^n-- 
reger  unb  ^luslöfer  üon  (5ebanfen  2)  Hid]t  feiten 
aber  ift  bie  Be5iel^mig  eine  fel^r  lofe.  So  lefen 
roir  über  ber  „IDinteranbad^t*  (252)  ben  Sprud] 
3efaia  \,  \S:  „IPenn  eure  Sünbe  gleid]  blutrot 
ift,  foU  fie  bodi  fd^neeipeiß  u?erben."  Die  ^tnbad^t 
üeru^enbet  baraus  nur  bas  eine  IDort  ^fd^neeu?eiß"; 
fie  seigt,  wie  ber  Sd^nee  im  IDeberborfe  alles 

*)  Überijaupt  bemcgt  fidj  bie  €ntipicflung  Uau- 
manns  als  prcbiger  in  cnt\d>ki)m  auffteigcnber  Sinie. 
€s  ift  öaber  fcbr  bedauern,  ba§  bicfc  „(5cfamtaus= 
gäbe",  um  nod?  für  ben  lüeiljTiadjtsmarft  3ured)t5ufommen, 
bas  le^te  Drittel  bes  8.  3^IjJ^9ö"9*  (^^^n  Zlr.  36  ber 
^ilfe  an)  fortlaffen  mußte  (um  fo  metjr,  ha  vom  8.  3^l!i^9- 
audj  eine  Sonberausgabe  rermißt  n?irb).  (ßerabe  unter 
tljnen  ftnben  fid?  inbaltlicb  fel^r  bebeutfame  unb  n?ert= 
roUe,  mie  aud?  formell  burd?gebilbele  Stücfe,  u?ie 
„Zlrbeitslos"  (36),  „^djtung  ror  ben  Dätern  (3?),  „Der 
Segen  ber  ^freube"  (39),  „^Irbeit"  (^0),  „IDaljrljeit  unb 
(5[M"  {^\,  oben  sitiert),  „Unfer  (Sott"  (^^),  bie  fomit 
bem  £efer  bes  ^udjes  unterfd)Iagen  n?erben.  ^n?et 
bavon  habe  id?  in  mein  „rtaumanmSuc^"  aufgenommen,  f. 
baf.  Ux.  24)  u.  27.  2lud?  biefen  IHangel  voitb  Ijoffentlid? 
balb  eine  jroeite  Auflage  abftellen. 

2)  €in  flaffifdjes  Seifptel  bafür  ift  bie  ^Iraurebe 
über  Pf.  126,  \  —  5  (geit  1,^6,  teilo».  aud?  11.--^.  Uv.  34^). 
ITland?maI  ift  biefes  llTotto  aud?  äftljetifd>  üon  ausge^ 
3eid?neter  IDirfung,  fo  3.  3.  bei  „3m  €ifenu>erf" 
((Sottcslj.  238,  l\.--}3.  23). 


5* 


—    68  — 


<£Icnb  jubcdt  unt»  allem  ein  weites,  reines  (5es 
üpanb  überstellt.  2tn  bie  Sünbe  mal^nen  nur  sroei  furse 
Sä^e,  bie  (^ufammentjang  unb  Stimmung  bes  (Jansen 
red^t  l]äglid7  unterbred]en.  Caffen  w'ix  fie  fort,  [o 
lefen  u?ir  ein  fd^tDungüoIIes  (Sebid]t  in  profa. 
Über  563  („Mutterliebe")  fteljt:  „Kann  aud]  ein 
XDeib  itjres  Kinbleins  r>ergeffen?  34^1^  ^9, 
X)ann  folgt  eine  mit  feiner  3i^c>'^i^  ersät^lte  (Se* 
fd]id]te,  beren  3nl^alt  unb  ZHoral  ber  erfte  5a^ 
genügenb  ant)eutet:  „5räulein  5neberife  I^ätte  ein 
gan5  tüd^tiger  ZHenfd]  roerben  fönnen,  n?enn  fie 
von  iB^rer  Zllutter  toeniger  geliebt  toorben  roäre.* 
Soll  biefe  gans  moberne  Houelle  in  nuce  mit 
bem  3ibelfprud?  irgenb  etmas  3U  tun  I^aben,  fo  fönnte 
man  fie  Ijöd^ftens  als  eine  Satire  barauf  faffeit.  3" 
IDal^rl^eit  ift  ber  Sprud]  l]ier  3u  einem  burdjaus  be- 
beutungslofen  unb  überflüffigen  Sd^nörfel  geu^orben. 

lDid|tiger  unb  mannigfad]er  finb  bie  IPanb» 
lungen,  bie  ber  (Sel^alt  von  Haumanns  reli* 
giöfer  (5ebanfennpelt  im  Caufe  biefer  8  ^a}:ive 
erfal^ren  i^at;  bod?  es  u?ürbe  3u  voc'it  fül:|ren,  biefe 
im  einseinen  3u  verfolgen.  Hur  3tx?ei  fjauptfad^en 
w'iü  xd]  in  Kurse  anbeuten.  Vev  fd^Iid^te  Bibel* 
glaube  Haumanns  fommt  anmäl:)lid]  ins  lUanfen; 
er  fommt  mit  ber  rt)if|enfdjaftlid7en  Cl^eologie  in 
Berül^rung  unb  lernt  r>on  il^r,  bag  nid^t  alles  feft* 
jlel^enbe  Catfadje  ift,  was  ber  Sd^üler  Cutl^arbts 
xmb  iranfs  bafür  gel^alten  Ijatte.  Hatürlid?  ift  ber 
poIitifd]e  Kämpfer  unb  parteigrünber  nid]t  in  ber 
läge,  felbft  in  bie  Arbeit  ber  5orfd]ung  einsutreten, 
aber  er  teilt  gelegentlid]  il^re  Hefultate  mit,  unb^ 


—    69  — 


voas  meh^x  fagt:  er  tritt  unbedingt  für  fte  ein  unö 
3tel{t  ^ie  Konfequensen.  (£ine  fcf^öne,  ftntiüolle 
Parabel  „Die  alte  'Buxg"  oerfid^t  bas  Hed^t  ber 
Ijiftorifdjen  Kritif,  in  ber  Überseugung,  bag  ber 
Kern  ber  Heligion  baburdj  bod]  nid]t  serftört 
lüerben  fann,  unb  ba§  gerabe  bas  Streben  nad] 
^ex  XPabrI:jeit  eine  ipürbige  2trt,  (Sott  3U  bienen, 
ift.  Die  5oIge  aber  ift  r>or  allem,  ba§  bas  eigent* 
lid)  Cl^eologifd^e  nun  überl^aupt  5urücftritt. 
23etrad]tungen  über  bas  IPeil^nadjtstounber,  bie 
Bebeutung  bes  Cobes  3efu  u.  a.  werben  allmälilidi 
immer  feltner.  3^  ausfd^ließlidier  imb  tiefer  Hau-- 
mann  fidi  beut  ^eben  ber  (Segenioart  unb  bem 
praftifdien  IDirfen  in  ilir  u?ibmet,  um  fo  mel^r  ftnb 
aud^  biefe  2ln^aditen  bauon  erfüllt.  2lud|  bas 
fpejififd^  dl^riftlid^e  verliert  feine  53ebeutimg. 
3efus  felbft,  ber  anfangs  fo  energifd]  als  2TIeifter 
unb  Porbilb  porangeftellt  u)irb,  tritt  gan^  fad-jte 
etwas  in  ben  fjintergrunb,  nad^bem  er  jtd^  3ur 
politif d]en  5übrung  untauglid]  geseigt  l]at.  2ln 
feine  Stelle  tritt  ein  gans  neuer  (Sebanfe.  TXaiu 
mann  entbecFt  (Sott  im  Ceben  ber  (Segen  = 
wart.  (£r  finbet  il^n  im  Ceben  ber  Hatur  unb 
feiert  il>n  in  ben  präd^tigen  ZTaturl:jYmnen,  in  benen 
eine  altteftamentlid^e  ZTaturreligion  in  neuen,  fel^r 
feinen  unb  poefteuollen  formen  wieber  er  ftel^t:  unb 
er  erfennt  fein  IPalten  in  ben  wirtfdjaftlid^en  unb 
fosialen  t£rfd->einungen,  im  Saufen  ber  ZlTafdnnen 
imb  im  (Setriebe  ber  (Sroßftabt.  Hatürlid?  benft 
Naumann  nid]t  entfernt  baran,  bas  (El)riftentum 
über  ^orb  ju  werfen.  —  ba3u  ift  er  3U  feb^r  ron 


—    70  — 


Ijiftorifd^er  öilbimg  burd^brungcn;  aud]  traut  er 
unfcrcr  ^dt  bte  5^iJ^i9fdt  511  einer  reltgiöfen  Heu* 
fd?öpfung  nid?t  5U.  2(ber  es  I:|anbelt  fid?  bod) 
nid]t  mel^r  um  eine  einfädle  Erneuerung  bes  2IIten; 
es  mug  aus  bem  (Seifte  ber  (5egenu)art  u)ieber' 
geboren  u)erben.  Die  (£ru?artung  eines  Heuen, 
Unbefannten,  bas  ba  fommen  foll,  bas  nodi  ge* 
IjeimnisüoU  im  Sd^oge  ber  ^ufunft  fd?Iummert, 
Hingt  beutlidi  burd],  („Deutfd^es  cEEjriftentum."  333.) 

5. 

(£s  bleibt  bie  S^<iQ^'  bedeuten  biefe  2In» 

bad]ten  innerE^alb  ber  gefamten  5d?riftfteflerei 
Haumanns? 

Sie  finb  in  geu?iffer  fjinfid^t  bie  (5runblage 
unb  ber  2lusgangspunft.  Dom  Berufe  eines  ^ant>'' 
Pfarrers,  Don  ber  Kansel  tt?ar  Haumann  i^erge» 
fommen.  lludi  feine  poIitifd?=organifatorifd]e  ^Eätig* 
feit  u?ar  suerft  als  ^Betätigung  bes  dE^riftentums 
gebad]t.  Der  nationale  Sosialismus  ift  aus  bem 
d^riftlidien  ermad^fen.  ^reilid]  ift  im  politifd^en 
Programm  r>on  Einfang  an  ein  (ßebanfe  entl^alten, 
ber  ipeit  über  ben  djriftlidjen  fjorisont  l^inausu?eift 
unb  ben  w'xx  in  biefen  2Inbad")ten  oergebens  fud]en, 
ein  (5ebanfe,  ber  ^ann  ein  frud)tbarer  Keim  ber 
roeiteren  (£nttt)icflung  upurbe:  bie  5orberung  ber 
organifierten  SelbftE^ilfe. 

3eber  bet>euten'^e  JTlenfd],  ja  im  (5runbe  jeber 
ZITenfd^,  l^at  i>iel  mel^r  S<^tyQteiten  unb  Einlagen  in 
fid],  als  er  in  feinem  eigentlidjen  Berufe  unmittel* 
bar  hxaudit  Denn  er  ift  ja  nidjt  nur  biefer  unb 


-    7\  - 


jener  Spesialtft,  fontern  er  ift  sualeid^  211enfd^  imb 
mug  in  geroiffer  IDeife  in  ftd^  bie  ^Totalität  bes 
ZlTenfd^enroefens  3ur  ^Infd^auung  bringen.  2tber  es 
u?erben  aud>  311  ber  einzelnen  Cätigfeit  üiel  mebr 
unb  mannigfad^ere  Qualitäten  gebrandet,  als  man 
5unäd]ft  benft.  Der  Künftler  lebt  vom  Sdjauen  unb 
(Empfangen,  aber  beim  Sd^affen  fann  er  aud)  bcn 
ahwäqen^en  Perftanb  unb  ben  energifd^en  2Irbeit5= 
miüen  nid]t  entbel^ren.  Der  ijiftorifer  muß  5U 
bem  Spürftnn  imb  ber  fritifd]en  2TJetljobe  bie  auf» 
bauenbe  pl^antafte  bes  Did^ters  unb  bie  (5abe  bes 
pfyd]oIogifd]en  Anratens  beft^en.  Unb  fo  bei  ben 
anbern.  ÜberJ^aupt  ift  jebes  roirÜid?  fd^öpferifdje, 
geniale  Cun,  bas  ein  perfönlidjes  beugen  ift,  nur 
als  IDirfung  eines  gansen  21Tcnfd^en  mögIid^  <£s 
roirb  bai^er  nid)t  Ieid>t  jemanb  auf  einem  ^^Ibe 
u?irflid]c  Bebeutung  geu^innen,  ber  nid^t  aud?  für 
anbre  eine  geu?iffe  Befät>igung  »erriete;  freilid^ 
aud^  nid^t,  oJjne  ba§  ein  Calent  sur  entfdnebenen 
DorBjerrfdiaft  gelangt  imb  alle  anbern  mel^r  ober 
u)eniger  surücfbrängt  unb  perfümmern  läßt. 

Den  urfprünglid^en  Heidjtum  bes  rtaumann-- 
fd^en  (Seiftes,  feine  5üIIe  von  Anlagen  unb  ZtlÖglid^* 
feiten  fönnen  toir  nirgenbs  fo  gut  überfetjen  n?ie 
in  biefen  2lnbad^ten.  Die  tiefe  ^römmigfeit,  bas 
fojiale  (5efüI|I  ((5emeinfdiaftsgefübl)  imb  bie  l:>ilfs- 
bereite  2Tlenfd|enIiebe,  ber  liiftorifd^e  Sinn  unb  bas 
tiefe  (Erfaffen  ber  (5egenu?art,  bie  fünftlerifd^en 
iäbigfeiten:  bas  bilbl^afte  Sd^auen,  bas  0rgan 
für  Stimmungen,  ber  Seelenblicf,  fie  alle  finben 
l^ier  iljren  ^usbrucf.    ^ber  fie  erfd^einen  t^ier  nod^ 


—    72  — 


als  Keim  unb  Knofpe.  Hetfe  unb  tBjre  enb^ 

gütige  2lu5prägung  I^aben  fie,  forceit  fie  eigentlid? 
probuftio  gerporben  ftnb,  in  anbern  Sd^riften  ge^ 
funben.  X)al^er  nel:jmen  biefe  5ad>en  bodj  in 
Naumanns  gefamtem  Cebensrperfe  nidit  gerabe  eine 
i^erüorragenbe  Stelle  ein:  Sie  finb  reid^er  unb 
bunter  als  alle  anbern,  aber  u>eniger  burdigebilbet, 
unb  ben  üoUen  (Sinbrud  r>on  ber  I0ud]t  unb  Be= 
beutung  feiner  perfönlid^feit  fann  man  aus  il^nen 
nid]t  getüinnen.  (5erabe  in  ben  fpätern  3al^r» 
gängen,  voo  Naumann  fo  r>iel  originaler,  felbftän^ 
biger  u>irb  unb  ber  geiftige  (SeJjalt  ftar!  wäd^ft, 
ba  genügt  oft  ber  Haum  nid^t,  um  bie  angeregten 
(5ebanfen  u?irflid7  aus3ufül^ren,  imb  ebenfo  u^enig 
I^at  ber  angefpannt  tätige,  fampfumbraufte  politifer 
^eit,  fie  immer  3U  €nbe  3U  benfen.  X>as  Por* 
iport  fpridjt  es  aus  als  (£igentümlid]feit  ber 
Sammlung,  bag  fie  r>on  einem  Sud^enben  für 
Sud^enbe  gefd]rieben  tft.  Das  ift  ein  unsmeifel^ 
I^after  Dor3ug;  benn  es  fudit  unb  lernt  (unb  irrt) 
ber  ZTienfd],  fo  lange  er  u)al:jrl^aft  lebt.  So  ift 
aud]  ber  politifer  Haumann  ftets  ein  Sud^enber, 
infofern  als  er  nie  fertig  unb  abgefdjloffen  ift. 
2lber  ber  ^nbadjtenfd^reiber  ift  es  bod^  nodi  in 
anberm  Sinne :  er  fann  nid^t  immer  fud^en,  bis  er 
finbet,  unb  mug  oft  Dor  ber  c^eit  ahhved}cn,  (£r 
beutet  nad^  einer  Hid^tung,  ol^ne  fie  felbft  3U  üer= 
folgen.  ®ber  3uu)eilen  entlägt  er  uns  aud]  mit 
einem  ungelöften  5r^i9^3^iclien. 

So  gel^t  es  3U,  ba§  ber  abfolute  lOert  unb 
(5el^alt  biefer  2lnbad]ten  üon  ^a}:iv  3U  3al^r  3U= 


—    73  — 


nimmt,  aber  gleicbaCttig  il^re  relative  Bebeuhmg, 
vexqlidien  mit  ben  übrigen  Sd^riftcn  Haumanns, 
in  bemfelbcn  (Srabe  abnimmt.  Sic  bedeuten 
immer  toeniger  innerhalb  feiner  gefamten  pro-- 
buftion,  roeil  er  immer  entfdjiebener  über  fie 
Ijinaustpäd^ft.  IDir  haben  fürs  angebeutet,  u.^eld'je 
(£ntn?icFIung  ftd^  in  il-jnen  abfpielt;  daneben  läuft 
bie  <£ntu?icFIung  über  fte  Ijinaus,  beren  €nbe  ift, 
bag  Haumann  am  (£nbe  bie  £uft  ba5U  rerliert. 
Sd^on  im  2Infange  bes  8.  3<^^^^9^"9^  Ü"*^  \^ 
Hummern  aus  frül^eren  3«^^?^^^^  u)ieberboIt;  mit 
bem  (£mbe  besfelben  baben  fie  aufgebort.  IX^as 
Haumann  in  il^nen  gab,  bafür  bat  er  nun  anbrc, 
entn?icflungsfät>igere  ^tusbrucFsformen  gefunben. 
Das  fünftlerifd^e  Clement  bat  ftd^  frypalliftert  ju 
ben  ausge5eidmcten  Kunft[fi35en,  bie  in  ber  neuen 
nationalfojialen  IDodienfd^rift  ^Die  ^^it"  bie 
Stelle  ber  ^tnbadHen  einnel^men.  Das  €rgrünben 
bes  Cebens  unb  ber  Seele  unfrer  (5eit  fonnnt 
3.  in  ^lusftellungsberid^ten  5U  IPorte.  Das 
fosiale  (Sefübl  ift  enblidi  in  bie  große  poIitifd";e 
(Sebanfenarbeit  eingemünbet.  Das  religiöfc  J'^l^^^i^' 
effe,  bas  fonft  feine  felbftänbige  Betätigung  mebr 
finbet,  !ünbet  fidi  nod]  einmal  in  5orm  einer 
5ufammenl^ängenben  Unterfud'jung  in  ben  „Briefen 
über  Heligion".  £5  u?irb  unfre  ^lufgabe  fein, 
biefer  >£ntu?idlung  nad^sugel'jen,  unb  aus  ibr 
tt?erben  u?ir  ein  rollftänbigeres  unb  $utreffenberes 
Bilb  r>on  ber  Bebeutung  Haumanns  erl>alten. 

(5Ieid^u)oI:>l  möd^en  u?ir  barin  bie  „(5ottes= 
ijilfe*    feinesujegs   miffen.     Sd^on   n?egen  ibres 


—    7^  - 


üppigen  Hcidjtuins.  riTöcjcn  immcrl^m  bie  cinscincn 
Bcftanbtcile  Derfd^tebcn  unö  tciliDeife  ungicidjtücrttg 
fein,  von  bem  (Sansen  u?irb  Hiemanb  ol^ne  (5enu§ 
imb  (£rl^ebung  fd^eiben.  (£5  ift  für  uns  ein  xvevU 
voUes  Zeugnis  ber  (ßrunbanlage  unö  ber  <£nt* 
micfhing  Haumanns.  €s  gibt  uns  v£inblicf  in 
mand]e  Seiten,  bie  in  ber  politifdjen  2Irbeit  nid^t 
fo  offen  am  Cage  liegen.  Vov  allem  seigt  es 
uns,  —  unb  es  ift  gut,  ba§  voix  bas  fo  beftimmt 
aufweifen  fönnen,  —  ba§  aud^  bei  ibm,  roie 
überall  im  Ceben,  alles  ipal^rl^aft  (ßroge  unb 
£ebentt)ecfenbe  aus  bem  (Sefül^I  entftel^t,  aus  ed^ter 
5römmigfeit,  ftarfer  Ciebesfätjigfeit  unb  fittlid^em 
3bealismus 


Drittes  Kapitel. 
Hfthetik  und  l^eltbild« 

h 

W\x  fanden  in  Haumanns  2Inbad^tcn  he^eiu 
tcnbc  fünftlcrtfd]c  Qualitäten;  aber  u?ir  fallen  5U- 
gleid],  u?ie  fie  5uu?eilen  mit  bem  <5u?ecf  ber  pve-- 
bigt  siemlid]  lofe  sufammenl^incjen.  So  ift  es  eilt 
gans  natürlid^er  ^ortfd^ritt,  bafe  jene  ^äl^igfeiten 
fid]  neue  formen  gefud^t  unb  gefd^affen  l^aben,  in 
benen  fie  fid]  reiner,  felbftänbiger  unb  voller  aus^ 
leben  fönnen. 

Die  „fjilfe"  toar  r>on  Anfang  an  als  Volts-- 
blatt  gebadjt.  Sie  ift  3u?ar  5eitu?eife,  befonbers 
in  ben  2<^):ixen,  wo  fie  bas  einzige  0rgan  ber 
nationaIfo3iaIen  partei  u?ar,  etu^as  über  ben  Hal^men 
unb  bas  Hiueau  eines  foldien  J^inausgeu^ad-^fen, 
an  Umfang  ipie  an  Qualität  bes  (S>ehotcnen-^ 
aber  fie  I^at  bie  Hiicffid^jt  auf  bie  ^ebürfniffe  unb 
bie  ^offungsfraft  bes  „Voltes",  b.  I^.  befonbers 
ber  oberften  Sd^id^ten  ber  Arbeiter,  nie  auger  2(d]t 
gelaffen.  X>as  fd>Iie§t  nun  feinesu?egs  aus,  ba^ 
felbft  bie  fjöd^ftgebilbeten  fie  mit  (5enug  lefen  unb 
reid^en  <S>ew\nn  aus  il^r  fd")öpfen  fönnten;  —  in: 
53e3ug  auf  ben  fjauptintjalt,  bie  politif,  finb  bie 


—    76  -> 


Unterfdjicbe  ja  ot)neI:>m  u'idit  fo  groß.  2Iber  rüic 
fic  Vfiandies  bringen  mugtc,  was  bem  2niexe\\e 
^cr  (5cbilbctcn  ferner  liegt,  fo  fonnte  anbrerfeits 
Vflandies,  was  biefe  in  einer  ^eitfd^rift  311  ftnben 
^erPoB^nt  finb,  in  ibr  nur  in  befdjränftem  TXla^e 
311  feinem  Hed^te  fommen.  3mmert^in  ift  rül:jmenb 
I^emorsul^eben,  baß  andti  ber  literarifd^e  Ceil,  fo« 
lüotjl  bie  belletriftif d^en  Beiträge  ipie  bie  äftbetifdje 
Kritif,  3umeift  burd)  Sd^Iaifjers  Derbienft,  ftets 
-auf  einer  refpeftablen  f^öl^e  ftanben.  3nbeffen  ber 
X>oppeId">arafter  ber  fjilfe  u?urbe  auf  bie  ^auer 
t)od|  als  Öbelftanb  empfunben  unb  legte  ben  (5e* 
Tanten  einer  Ceilung  naije.  So  trat  feit  bem 
X.  0ft.  \^0\  neben  bie  „f^ilfe",  bie  unter  ^urücf= 
fül^rung  auf  iliren  frül-jeren  Umfang  unb  5ufd>nitt 
-als  Dolfsblatt  fortgefutjrt  tourbe,  ein  neues  Blatt, 
bie  „^eit",  ebenfalls  eine  IDod^enfd^rift,  bie  ftd^ 
nun  fpesiell  an  bie  Kreife  ber  Bilbung  u?anbte  unb 
fid]  von  Einfang  an  in  bie  erfte  Heibe  unfrer  poli-- 
-tifd^en  ^eitfd^riften  ftellte.  Ceiber  I^at  fie,  infolge 
t)er  poIitifd]en  Sd^idfale  ber  partei,  fd]on  mit  bem 
3roeiten  ^a\:ivqange  iE>r  (£nbe  eneid^t. 

fjier  tt?ar  bie  5orm  ber  erbaulid'jen  Sonntags» 
J)etradjtung  nid^t  mebr  am  pla^e.  2ln  iljre 
Stelle  tritt  etu?as  Heues,  fjinter  ben  größeren 
2tuffä^en  fommt  eine  2tbteilung  mit  ber  Überfd^rift 
„  K  u  n  ft. "  Sie  entbält  gans  f urse  Betrad]tungen  über 
Kunftwerfe  unb  Kunftfragen.  Hid]t  in  allen,  aber 
^odi  in  ben  meiften  Huntmern  ift  bie  erfte  barunter 
t?on  Haumann  felbft  unter3eidjnet.  X>iefe  f leinen 
Sfi33en,  bie  u?eniger  als  eine  Seite  einneljmen  imb 


[xdl  fyev  fo  bc]'d-;eibeii  Derftecfcn,  finb  nun  ganj 
föftlicbe  unb  in  ihrer  2lvt  einzige  (Sabcn,  bie  bcn 
predigten  an  0riginaIität  unb  allgemeinem  IPerte 
u?eit  überlegen  finb.  Sie  geben  faft  immer  von 
einem  IPerfe  ber  ZlTalerei  auf.  £5  ift,  u?ie  es 
fd^eint,  bie  einsige  Kunft,  511  ber  Naumann  ein 
nid^t  bloß  reseptiues  Perbältnis  bat;  bat  er  bod^ 
felbft  feine  Heifebe|d"jreibungen  mit  «^eidnumgen 
gefd^müdt,  bie  nid^t  gerabe  als  bebeutenbe  Kunft- 
rper!e  gelten  fönnen,  aber  ifyu  bod^  eine  Sd^ulung. 
bes  kluges  gegeben  haben,  vo'xc  fic  ber  Caie  burd> 
bloßes  ^etrad'iten  obne  eigene  Übung  fd]wer  er= 
ipirbt.  Unb  biefes  gefdnilte  ^Uigc  ift  bie  ganse 
^Uisrüftung,  mit  ber  Haumann  r>or  bas  ^ilb  bin^ 
tritt;  weber  funftbiftorifd^es  IDiffen  nod)  äftbetifd^e 
Cbeorien  belaften  imb  bemmen  ibn.  >£r  fiebt  ein^ 
fadi  bas  Bilb  an,  bis  er  begriffen  bat,  iporauf  es 
anfommt.  Unb  er  rerftebt  5U  feben,  u?ie  u?enige,. 
5umal  imter  ben  Hiditfünftlern.  >£r  ipeiß  bie  X>inge 
5u  5u?ingen,  baß  fie  itjm  Hebe  fteben  unb  ibr 
innerftes  (Sebeimnis  uerraten.  ^Er  fiebt  im  ^ilbe 
bas  malerifd^e  Problem,  bie  ^hifgabe,  bie  fidi  ber 
Künftler  geftellt  bat,  unb  sugleid^  bic  ^ebingungett 
unb  5<^rberungen  il:)rer  Cöfung.  Sein  Seben  ift^ 
roie  eigentlid>  alles  Kunftgeniegen,  ein  Had)fdiaffeti 
bcs  IDerfes  im  (5eifte.  So  u^erben  ifyn  an  bent 
Kunftu?erf  sugleid^j  bie  eigentümlid^e  2lrbeitsu?eife 
unb  feelifdje  2lxt  bes  einseinen  Künftlers  unb  bie 
(Sefe^e  unb  formen  bes  fünftlerifd^en  Sd^affens- 
überl^aupt  flar.  2ln  einem  iPerfe  r>on  Vetimann 
rpirb  erläutert,  n?ie  ber  IPinb  bargeftellt  uperberi 


—    78    — , 


fann.  „Der  (Seletjrtc"  von  lR^mbxant)t  mug  auf 
^ie  ,,Wk  malt  man  bas  VenUn?"  ant-- 

wovtcn.  Dßrfd^icbcne  porträts  erläutern  bte  ^uf= 
qahcn  ber  Bilbnisfunft.  (£ine  Canbfd^aft  t)on 
€eiftifom  5eigt,  tt)a5  eine  „ftilifierte  Canbfdiaft"  ift, 
tporin  bas  IDefen  unb  ber  Sinn  joldier  Stilifierung 
Befielet,  ^n  bem  ,,5tur5berDerbammten"  r>on  Hubens 
fönnen  rüir  lemen,  was  2Ttaffenpl^antafte  unb  „er= 
habene  epi[d>e  (ßeftaltimcjsfraft"  finb,  (£igenfd]aften, 
^)ie  ber  mobernen  DTalerei  verloren  3U  fein  fd]einen 
unb  bie  man  in  unfern  Kriegsbilbern  3.  fo  feEjr 
uermigt.  ^uu?eilen  roerben  aud^  einselne  ^aler 
in  il^rer  (5efamtperfönlid]feit  djarafterifiert.  Selten 
tft  bas  (£in3ige  unb  Unr>ergleid]lid]e  in  ^öcflins 
Malerei  fo  fein  unb  treffenb  bargelegt  wie  in  ber 
f leinen  Stubie  „Bödlin  unb  bie  2lnbern."  Das 
fxnb  einige  proben.  X)iefe  Betradjtungen  net^men 
einen  feE^r  geringen  Haum  ein,  aber  wddie  5üüe 
feinfter  Beobad]tung  unb  tieffter  äftl^etifd^er  <£v- 
f enntniffe  ftedt  barin !  Da  fie  leiber  mit  bem  (£in* 
^el^en  ber  „^eit"  üorläufig  3um  ^bfd^Iug  gefommen 
fxnb,  fo  u?äre  eine  Sammelausgabe  in  Bud^form 
-bringenb  3U  u^ünfd^en.^)  —  iPir  I^aben  je^t  enb« 
lidj  eingefel-jen,  ba§  bie  äftl^etifd7e  (£r3iel^ung  ein 
tpidjtiges  unb  u)efentlid]es  Stücf  ber  allgemeinen 
Dolfsbilbung,  bag  fie  für  uns  Deutfd^e  gerabe3u 
eine  nationale  Cebensfrage  ift,  unb  ITTänner  wie 
^Denarius,  £id)iwavt,  Dolfmann,  Cange  u.  a.  finb 


^)  €ine  ficine  2IustDabI  aus  iJjncrt  bilbct  bie  erfte 
^bteilutt0  meines  „llaumann=Sud)cs"  (Uv.  2—\6). 


-    79  - 


ctfrtcj  am  VOevU,  bas  lange  Dcrfäumte  nadi^u-- 
t^olcn.    5ür  biefen  lüürbc  nid^t  leidet  ein 

"Budi  fo  u?crtDoll  fein,  wie  eine  Sammlung  v>on 
Hamnanns  ficinen  Süssen.  (5erabe,  bag  fte  fo 
frei  von  allem  Sd^ulfram,  aller  (Selel^rfamfeit  unb 
CJjeorie  finb,  bag  fie  frtfd]  unb  unmittelbar  aus 
bem  2lnblicfe  ber  X)inge  felbft  eru?ad>fen,  unb  von 
einem  Caien  für  Caien  cjefd^rieben  finb,  fid^ert 
it^nen  bie  breitefte  lOirfung. 

ireilid^,  suipeilen,  wenn  aud)  nur  gani  feiten, 
crrüeift  biefer  Dor^ug  fid]  aud]  als  Sdjranfe.  ^lud] 
I^ier  u?irb  woiil  einmal  bie  llnterfud]ung  r>or  ber 
<5eit  abgebrod^en  unb  mit  einem  (5ebanfen  qe-- 
fd^Ioffen,  ber  für  ftd]  allein  einen  gans  annel]m= 
baren  (£inbrucf  madit,  aber  u?eniger  ifoliert  he-- 
trad]tet  unb  in  feine  Konfequensen  binein  »erfolgt 
fid?  nidit  Italien  lägt.  3^  benfe  3.  ^.  an  bas 
Stücf  „(£in  uerfpäteter  Klaffifer"  (H.^:^.  \6):  „(£inft 
ipar  es  firljebung,  einen  2tpollo  3U  finben,  benn 
cinft  u?ar  biefer  Apollo  ein  nod]  ungefunbener 
Sd]a^,  ein  problem.  .  .  .  fjeute  aber  ift  ^tpolto 
eine  Erinnerung.  €r  brandet  nid^t  meljr  gefud^t 
3U  u^erben,  benn  er  ift  gefunben."  Sinb  nid^t 
audi  für  3^fii5/  ober  für  bie  X)arftellung  bes 
Cobes  eben  fo  reife  unb  üoUenbete  Cöfungen  in 
t»er  Dergangenlieit  gefunben,  toie  für  2lpolIo? 
Unb  foUen  biefe  Poru?ürfe  nun  aiidi  ber  mobernen 
Kunft  perboten  fein?  lludt  ^IpoUo  ipürbe  fofort 
tüieber  neu,  erl^ebenb  u?irfen  u?ie  ant  erften  Cag, 
tuenn  ein  ed]ter  Künftler,  beifpielsu>eife  Klinger,  iljn 
aus  feinem  (Empfiitben  neu  fd^üfe.    Unb  u?enn  bie 


—    80  — 


antiftficrenbe  fjoffunft  eines  Begas  uns  fo  falt 
lägt,  fo  liegt  ^ie  5cl]ulb  nid]t  baran,  bag  il^re 
Voxwmfe  erlebigt  ftnb,  fonbern  bag  fie  n'idit  aus 
einer  lebenbigen,  lebenfd^affenben  Künftlerfeele  ge* 
boren,  ba§  fte  aus  falter  3mitation  entftanben 
fiiib.  —  Diefe  33emerfung  foU  burd^aus  feinen 
^label  gegen  Haumanns  Kunftbetradjtung  ent* 
l]alten.  3^^^^  Unmittelbarfeit,  bie  2Ibrunbung  unb 
DoUenbimg  ber  ein5elnen  Stücfe  rwäre  nid^t  möglid^ 
otjne  bie  3f<^Ii^J^ii"9  (£in5elnen  unb  bas  ent-- 
fd'jloffene  2Ibreigen  bes  5<^^ßns,  unb  xliv  Wext  u?irb 
burd]  foId]e  nod]  ba3u  fel]r  riereinselte  (£ntgl^ifungen 
nid)t  im  (Seringften  geminbert.  Hur  ift  es  nidjt 
nötig,  bag  man  fie  als  unfei^Ibares  (£v>angelium 
helian^elt  unb  auf  jebes  Woxt  fdju)ört.  — 
übrigen  mu§  man  ja  gerabe  an  bem  eru?ät|nten 
Stücfe  feine  I^elle  ^r^ube  B^aben. 

3nbeffen,  fo  feljr  bie  einseinen  Stubien  formell 
felbftänbig,  jebe  für  ftd]  einseln  3U  uerftel^en  unb 
3U  genießen  finb,  fte  l^aben  nid]ts  befto  u?eniger 
iljre  ftarf  ausgeprägte  innere  €inl]eit  in  ber  per* 
fönlid]feit  bes  l^erfaffers  imb  feiner  perfönlid^en 
Kunftauffaffung.  Unb  aud]  biefe  Kunftauf» 
faffung,  fo  originell  imb  inbiüibuell  fie  erfdieint, 
u?ie  fte  benn  in  ber  Cat  nid]t  burd)  Stubium  unb 
^\\eoxie  gebilbet  ift,  fonbern  gans  urfprünglid]  aus 
bem  eignen  (Erleben  fliegt,  aud)  fie  ift  feinesu?egs 
»ereinselt  unb  gefd^idjtslos.  Sie  betoegt  fid?  gans 
in  benfelben  Baljncn,  rt?ic  bie  groge  imb  fdiÖpfe* 
rifd^e  ^eit  ber  beutfd^en  äfttjetifdien  :3tlbung,  bie 
ipir  eben  besroegen  bie  Jlaffifdie''  nennen.  Unb 


-  s\  - 


bicfe  Übercinflimmung  ift  um  fo  wextvoüex,  jte 
eine  gans  fpontane  unb  n?abrfd>etnlid]  unbeiDugte  ift. 

ilaumanrt  ftel>t  burcb  bie  2Irt  unb  3"^^")'^^^^ 
feines  Haturgefübls,  burd^  feine  €infid";t  in  bie 
Bebingtbeit  bes  ZlTenfd]en  biird]  Umgebung  unb 
Derl^ältniffe  unb  feine  liebe  für  bie  ^rmen  unb 
fiebrigen,  —  beibes  finb  ja  bie  lOurseln  feines 
fosialen  Sinnes,  —  3U  ber  mobernen  Kimft  lutb 
fpesiell  5um  Haturalismus  in  einer  innern  IVahU 
üeru?anbtfd]aft.  Cro^bem  ift  er  nirgenbs  in  ber 
naturaliftifd]en  Doftrin  befangen.  (Serabe  bie 
Umbilbung  ber  Hatur  3ur  Kunft  unb  bie  eigentlid? 
form)d>affenben  ^aftorcn  finb  es,  benen  er  in  crfter 
Cinie  feine  2Iufmerffamfeit  ^uioenbet  imb  u?ofür 
er  ein  überrafd-jenb  tiefes,  gebiegenes  Derftänbnis 
5eigt:  Stilifierung,  Svmbolif,  Kompofition,  Kontraft» 
u:)irfung.  vEbenfo  ftarf  unb  entfd^iebcn  ift  fein 
Sinn  für  bie  Offenbarung  ber  perfönlid-jFeit  im 
Kunftu?erf  unb  ben  barauf  begrünbeten  Hnterfd^ieb 
3u?ifdien  Dirtuofität  unb  ed?ter  Kimft.  („€ffeft* 
maierei",  ZL-B.  \5.)  2lud)  ben  Besiebungett  ber 
Kunft  5u  ben  anbern  Seiten  imfers  Seelenlebens, 
fpesiell  3ur  Religion,  bat  er  grünblid^  nadige^adit 
unb  babei  eigene,  tiefe  (£inpd>ten  gewonnen,  nidjt 
nur  in  bem  Cürmer^^luffa^  „Heligion  unb  Kunft', 
fonbern  aud?  in  ber  liebeuollen  Stubie  über  Stein« 
ijaufen.  (SieJie  \5,  \^.)    Unb  gans  im  Sinne 

unfrer  flaffifd^en  ^eit  ift  es,  roenn  Ztaumann  jebe 
birefte  ftttlid"»  beffernbe  lOirhmg  bes  äftbetifd^en 
(£mpfinbens  ablel:^nt,  aber  beibes,  fittlidien  unb 
fünftlerifdien  Sinn,  als  5um  gansen  2TIenfdien  3U* 

ß.  rricTer:  ^xtr.  nauntatm.  g 


~    82  — 


^cl^örtg  imb  iincntbeJjrlid^  anevtennt  („Oh  man 
^uxdt  fd^öne  (SirtbrücFe  beffer  wivt)",  H.'B.  2.) 

XX)ic  fid]  Haumann  Ijicr  ben  ^cjlen  i>er  Per» 
gangcnljcit  pcrroanbt  3cigt,  ücnx?ant>t  nid>t  burd^ 
^Ibl^ängigfeit,  fonbcrn  burd)  urfprünglid^e  Einlage 
xinb  ^rt,  fo  ift  er  überl^aupt  tief  burd'jbrungen 
von  bem  ijtftor tf d^"  Sinn,  ber  ein  fo  tpefent» 
Itd^es  Erbteil  unb  IHcrfmal  ber  beut[d]cn  Bildung 
ift.  So  l^at  er  audti  für  bie  große  Kunft  ber  Vev-- 
gangenljeit  ein  feines  unb  umfaffenbes  Derftänbnis. 
X>ie  ^ntife  unb  bie  Henaiffance,  romanifd^e  imb 
germanifd]e  Kimft,  Hubens  unb  IRemhvanU  finb 
il^m  r>ertraut  unb  offenbaren  ibm  itire  Seele, 
^ber  bie  m  o  b  e  r  n  e  K  u  n  ft  fteJ^t  barunt  feinem 
fjersen  nidjt  minber  naBje;  üielmel^r  ift  er  felbft  in 
feiner  Heigung  unb  (5efd?madsrid]tung  burd^aus 
mobern.  (£ben  weil  fein  Sinn  für  bie  Dergangen^ 
I^eit  bei  il:)m  urfprünglid?e  Haturanlage,  u?eil  fein 
PerB^ältnis  5U  itjrer  Kunft  burdjaus  perfönlid] 
lebenbig  ift,  barum  u)irb  es  i£jm  nidit  5ur  Sd^ranfe 
unb  ftört  nidit  bas  (5efüljl  ber  ^ufammengel^örig^ 
feit  mit  ber  Kunft,  bie  in  unfrer  <5eit  natürlid] 
unb  lebenbig  ift.  Dalmer  bas  tiefe  Perftänbnis 
fou?ol]l  ber  „flaffifdjen"  roie  ber  mobernen  Kunft 
unb  bie  unbebingte  Peru)erfung  alles  (£pigonen= 
tums  imb  5lfterflafft3ismus.  (Dhvoo^i  er  aud^  bas 
fennt  unb  fielet,  was  bie  alte  Kunft  vov  ber 
mobernen  üoraus  l^at,  —  man  benfe  an  bie 
3nterpretation  bes  Hubensfdjen  ^ilbes,  —  fo  ftei^t 
CS  iljm  bod]  feft,  bag  bie  Kunft  von  l^eute  nidjt 
Had^atjmung   unb  XPieberbelebung  irgenb  einer 


früheren  fein  öarf,  bag  ftc  frei  unö  original  aus 
öem  Ceben  unb  öem  (Seifte  imfrer  ^eit  berauf= 
n>ad-!)en  muß.  2lIIe  aroßen  Künftler  unb  Kunft« 
epod'ien  ber  Pergancjenbeit  r>on  ben  (Sriecben  bes 
5.  3^^^^^^-  rx?aren  511  ibrer  (5cit  fesefftoniftifcb : 
fie  hxadbcn  mit  bem,  ix>a5  Dor  ibnen  war,  unb 
fcbufen  ein  Heues  unb  Eigenes;  eben  besbalb 
rpurben  fie  binterber  flaffM»^-  3"  bemfelben  Sinne 
muß  aud)  bie  mobeme  Kunft  fesefnoniftifdi  fein, 
icenn  fie  bleibenben  IPert  baben  foll.  (^£in  rcr= 
fpäteter  Klaffifer/) 

Naumann  u?enbet  biefen  (Sebanfen  in  roUer 
5d)ärfe  aud)  auf  eine  Kunft  an,  bie  im  allge= 
meinen  nodb  gans  im  Banne  ber  Dergangenbeit 
ftebt  unb  nur  erft  rereinselte  fdnid:>tenie  2lnfä^e  5U 
originalen  Heufd^öpfungen  3eigt:  bie  Baufunft. 
(£tne  alte  gotifdje  Kird>e  ift  ein  IX>erf,  bqf^n  er= 
Ijebenbe  IDirfimg  unr  aud^  beute  nod?_  empfiuben. 
Sie  ipar  5U  ibrer  ^eit  bas  ijödjfte,  was  bie 
JTlenfdien  fdjaffen  tonnten.  2tt>ev  wenn  man  beute 
eine  qotiidbe  Kird)e  baut,  fo  if^  bas  eigentlidi  ein 
2Inad^roni5mu5  unb  für  bie  fünftlerifd^e  Be= 
urteib.mg  unfrer  <5eit  roertlos.  Der  Bauftil  ifi 
burd"»  bas  Jllaterial  bebingt.  Jllle  früheren  'Bau- 
normen finb  am  Stein  ober  am  r^ol5e  ausgebilbet. 
Das  eigentümlidje  Baumaterial  ber  (Segenupart  ift 
bas  v£ifen.  2lus  ibm  muß  ber  Bauftil  ber  (^ufunft 
enx?adifen,  ein  Stil,  ber  nun  nid-jt  fd^tper  unb 
maffxg,  fonbern  leid^  unb  fd)Ianf,  frei  unb  rneit 
fein  u?irb.  Bauwerfe,  in  benen  biefer  fifenftil 
v>eru?enbet  ift,  unb  wo  bie  Konfiruhion  nid>t  burd) 


-    8^  - 


fünftlid]c  3mitatton  luic)  ^cfleibuncj  vex'öedt  i\t, 
(onbern  offen  jutagc  liegt  unb  burdj  iE^re  fadi» 
Iid]c  Klarl^cit  unb  (ßrögc  loirft,  Xüexfc  ix)ie  bas 
palmcnijaus  in  BannoveVf  bcr  5i^anffurter  ^al^n* 
Iiof,  r»or  Klient  bcr  mit  Begeiftcrung  gcpriefene 
€iffclturm,  bas  ftnb  bie  eigcntümlidjcn  wevtvoüen 
Cciftungen  ber  (Segenipart,  bic  Vorläufer  ber 
(5ufunft. 

2. 

(5an5  in  bcrfelbcn  IDcifc  rpic  ein  (ßemälbc 
interpretiert  ZTaumann  einen  Hatiireinbrucf  in  ber 
5fi35e  ,^er<3ufall  alsZlTaler*.  (rc.Ä5.)  Diefe^Irt 
ber  Haturbetradjtung  ift  fpesififcb  malerifd?;  fie 
fennt  nur,  u?er  felbft  ein  Sind  Künftler  in  fid? 
trägt  ober  voev  [\di  biird^  intenftües  'Betvaditen 
unb  Stubium  guter  Silber  basu  ersogen  J^at.  Diefe 
(5abe,  bie  Hatur  äftEjettfd?  5U  feigen,  ift  mdit  etwa 
bie  Dorausfe^ung,  fonbern  bie  5oIge  bes  Kunft* 
t>erftänbniffe5.  (Ettpas  anberes  ift  bas  tiefe,  Ivrifdje 
(Srunbgefüljl  für  bie  Ztatur,  bas  nidjt  am  (Sinselnen 
bängt,  fonbern  bie  Hatur  als  ein  (Sanges  erfaßt, 
ober  r>ielmel:jr  r>on  ibr  gefaßt  ixjirb,  ergriffen,  be* 
jaubert  ix>ie  oon  einer  tounberbaren,  taufenbftimmigen 
ZHufif.  Diefes  (5efüI^I  fprid]t  5U  uns  fd-jon  aus 
ben  alten  Ztaturreligionen  unb  3u?ar  ift  bies  bie 
Saite  il]rer  fjarfe,  bie  in  uns  nod?  am  uollften 
unb  unmittelbarften  mitfd]u)ingt.  iX>enn  es  fid"> 
mit  bem  gefd^ulten  Künftlerauge  vereinigt,  bann 
entftel]t  bie  groge  Kimft  ber  Canbfd] aftsmalerei 
unb  Haturbid]tung,  bie  3U  ben  ftolseften  Sd-jöpfungen 
bes  vergangenen  ^^b^^^un'Öexts  gel^ört.    2Iud?  bies 


—    85  — 


Haturgef  ül^I  tft  bei  Haumann  in  f eltener  Stärfe 
unb  Ciefe  r>orI^anben.  5oIaenber  Umjlanb  mag 
Ijier  eru?äl:jnt  u?erben.  2i[s  idi  Haumann  um 
ujeiteres  biograpl^ifdies  ZTIaterial  bat,  fd^icftc  er 
mir  eine  Karte  mit  u?enigen  trocfenen  Daten. 
Diefe  fannte  idi  alle  \d]on  aus  cSöl^re  ober 
VOend,  bis  auf  3tpei:  \SSO  erfte  5al^rt  ins  ZlTeer, 
unb  \S8\  erfte  ^tlpentour.    Beibe  vSrIebniffe  fdnenen 

voidit'ig  genug,  um  unter  ben  fjauptereigniffeti 
feines  Cebens  uerseidinet  3U  u?erben.  3n  ber  Cat 
l^aben  beibe  il]re  Spuren  aiidi  in  bcn  fpätern 
Sd^riften  Haumanns  binterlaffen.  ZlTan  lefe  nur 
bie  l^errlid^e  „2tlpenprebigt",  bie  bas  „Haumann= 
Bud^"  eröffnet.  Später  bßhen  bann  befonbers  bie 
Heifen  in  ben  0rient  unb  nad?  2lfrifa  fein  Hatur* 
gefül:>l  bereid]ert. 

3n  allen  Haturbilbern  unb  Haturljymnen, 
bie  uns  Haumann  gefd^enft  l^at,  Hingt  (£in  «Eon 
am  l^äufigften  tuieber:  X>ie  S<^'^<^^  ber  Sonne. 
Pier  prebigten  ber  „(ßottestjilfe"  finb  von  ibrer 
fierrlid]!eit  burdjleud^tet.  Unb  augerbent  bat  er 
il^r  bereits  im  2.  3^l^i^9-  ^^"^  n^^^\'^"  Bymnus 
gebid]tet.  {„2ln  bie  Sonne"  in  Hr.  \\.)  Haumann 
ift  ein  Sonnenmenfd"»  imb  ein  Sonneni?erel^rer  u?ie 
ujenige;  il:>re  belebenbe,  frud^tbare  (Slut  ift  für  feine 
gefunbe  DoUnatur  bie  gemäße  ^tntofptjäre,  bie 
Klarbeit  unb  Igelte  IDeite  entfprid?t  bem  3ebürfnis 
feines  (Seiftes,  unb  bas  u)unberpolIe  Spiel  ber 
5arben  ent^üdt  feinen  Künftlerblid.  —  IPid^tiger 
ift  es,  eine  anbre  (£igentümlid]feit  feines  Hatur= 
gefül^Is  feftsuftellen,  u?eit  fie  u?ieberum  ZTaumann 


als  ed?t  mobcrncn  2TJcnf d?cn  hnnieidinet  €5  ift 
ntcfjt  bas  Cicblid^e,  5reunbltdje,  3bvüif<i?e,  mas  er 
am  meiftcn  liebt  unb  fud^t,  fonbcrrt  bas  (5ro§e 
unb  <£tnf ad? e  ober  €tnförmige.  Unb  eben 
besipegen,  foipenig  il^m  bie  5i*ßube  am  beutfd^en 
IPalbe  fel^It,  empfängt  er  bie  tiefften  €inbrücfe 
erft  ba,  wo  bie  organifd^e  Hatur,  „bas  l7eilige 
(Srün,  ber  S^uqe  bes  erpigen  fd^önen  Cebens  ber 
lOelt",  auftjört,  unb  ber  ZHenfd]  gans  allein  ber 
ftarren  (firt^abentjeit  ber  (£rbe  unb  ber  Unermeg* 
lidjfeit  bes  fjimmels  gegenüberftel^t;  am  mäd^tigften 
u?irft  auf  iljn  bas  fjod^gebirge  oberl^alb  ber 
(5ren3e  bes  3aumn?ud?fes,  „wo  bie  Hippen  ber 
vErbe  nacft  am  Cage  liegen",  unb  ebenfo  bas 
VTicev,  fou?oI|I  im  u?eid?en,  u?armen  Sonnenglanse 
feiner  Hul^e,  u?ie  aud?  unb  nod?  meljr  int  2tufrubr 
bes  Sturmes.  „X>as  ZTieer  ift  erft  bann  red^t  grog, 
u>enn  es  mit  uns  fpielt.  lOenn  es  feinen  eigenen 
(5ang  gel^t,  feine  (ßlieber  redt,  fein  ijers  pulfieren 
läßt,  feine  Seele  atmen  l^eigt,  wenn  es  bie  ^ütags^ 
faulbeit  i>ergeffenb  ein  groger  u?oIIenber  Körper 
u?irb,  wenn  es  fpottenb  eine  IDoge  uns  über  Decf 
rcirft,  u?enn  es  Cäler  gräbt,  in  bie  wix  fpringen 
müffen,  u?ir  mögen  rcoUen  ober  nid^t,  ipcnn  es 
(5ebirgsfämme  tjinftellt  unb  u?egnimmt,  wenn  es 
21Tenf d]en  uerad^tenb  mit  uns  fd^altet  imb  maltet, 
bann  fönnen  ir>ir  nid^t  anbers  als  in  feinem  Traufen 
bie  Kraft  5U  fpüren,  bie  bas  IDeltall  beu?egt,  unb 
r>erel]ren  (5ott,  ben  Unbegreiflid]en,  in  feiner 
uralten  5lut."  (Heifebilber  aus  2lfrifa  III.)  2Upen 
unb  ZHeer   l^atte  Naumann   fd]on   als  Stubent 


—    87  — 


tennen  gelernt;  fpäter  tarn  ein  drittes  fyn^u,  bas 
betben  ben  Dorrang  ftreitig  madjte:  bte  lOüfte, 
Denn  tyev  wax  bie  gleid]förmige,  tote  Unenblidj^ 
feit  mit  ber  ftärfften  Sonneniüirhing  üerbunben, 
3n  einem  intereffanten  ^^wil^ßton  ber  IPiener 
„<5eit"  r>om  ](^.  Des.  ^902  „Heue  Sdjönljeit"  sälilt 
Haumann  bie  )d]önften  Caubfi^aftsbilber  auf,  bie 
er  gefetjen  I^at,  ,,unb  foll  xd}  etwas  t^erausgreifen, 
bas  bas  ^Ilerjd^önfte  u?ar,  bann  u?ar  es  ber  Süb» 
abljang  bes  ^ttlasgebirges  ntit  bem  ^lusblicf  auf 
bie  Sal^ara." 

Diefer  2Iuffa^  ift  u?id]tig,  u?eil  Haumann  I^ier 
felbft  biefe  BefonberBjeit  bes  mobernen  „(ßefdimacfs- 
für  Haturfd?önl]eit*  im  (Segenfa^  3U  frül^eren  5^^^^^^ 
ftatuiert  unb  bie  (Srünbe  bafür  fud^t;  er  finbet  fie 
i|auptfäd^lid^  in  bem  Steigen  bes  Derfel^rs  unb  ber 
^usbeljnung  bes  (Sefid^tsfreifes  burd?  bie  €ifen' 
bal]n.  „Damit  ging  eine  zweite  fintmicFIung  parallel: 
mir  gewannen  im  Dergleid)en  ben  Sinn  für  bas 
Konftru!tii>e  in  ber  ^anbfd^aft.  <£s  ift  nid^t  mel]r 
bas  'Beiwevt,  bas  uns  feffelt:  Baum,  IPäfferd^en, 
fonbern  toir  fud]en  bie  ^orm  in  il^rer  Kal^Il^eit  unb 
(ßröfee:  bie  £jori5ontIinie  bes  ZTTeeres,  bie  fjimmels^ 
fante  ber  £jod"jaIpen,  bie  5Iäd^e/  2tber  bamit 
nidit  sufrieben,  u^eift  Haumann  biefelbe  IDanblung 
bes  (Sefdjmacfs  aud]  in  ber  Bauhmft  nad">  unb 
finbet  für  beibes  eine  3uf ammenf äff enbe  5ormeI: 
„Das,  roas  in  beiben  Säüen  gleid]  ift,  ift  bie  all= 
mät>Iid]e  ^tbgewöl^nung  ber  5reube  am  Kleinfram, 
bie  u?adifenbe  Sel^nfud^t  nadj  fatjlen,  fonftruftipen 
Linien,  nad]  funftüoller  (Seometrie  im  (5ro§en." 


—    88  — 


„Vev  Blicf  auf  biß  nadten  Berge  ber  IDüfte  unb 
ber  Blicf  auf  ben  €iffeUunn,  bas  ftnb  bie  stoei 
fd^önften  Blicfe,  bie  mir  ein  Ceben  voü  von  allerlei 
IDanberungen  bot.  3^  (Srunbe  ift  es  eine  (Se= 
fdjmacfsrid^tung,  bie  ftd>  r>or  beiben  äftt>eti)d)en 
ijöbepunften  äußert,  bie  Hid^tung  bes  .^^italters 
bes  IX)eItt)er!ebr5  unb  ber  fjod-jöfen."  Ciefer  unb 
funbamentaler  ift  niemals  ber  äftbetifd)e  (Zbavaftev 
unfrer  ^eit  erfagt;  unb  gerabe  ipeil  biefe  £r= 
fenntnis  nid)t  an  ber  0berflädie  liegt  unb  bem 
allgemeinen  Beroußti'ein  geläufig  ift,  roeil  ber  erfte 
^lugenfd^ein  ibr  fo  üielfad^  roiberfpridjt,  beir>unbem 
wix  um  fomebr  bie  geniale  Sid-jerbeit  biefer  3ntuition. 

ZTaumanns  ZTaturgefübl  fommt  3U  IDorte  in 
feinen  Tlnbadiim  unb  in  ben  Heifebilbern.  Dort 
trägt  eine  ganse  (Sruppe  bie  Überfdjrift  „(Sott 
unb  Hatur,"  Diefe  Zlatuxant)aditen  finb  gerabe 
von  tbeologifd^er  Seite  mit  Hed^t  als  eine  u?ert' 
üoÜe  ^Bereid-jerung  ber  (Erbauungsliteratur  unb 
eine  moberne  (Enteuerung  altteftamentlid>er  pfalmen= 
bidbtunq  gerübmt.  Sie  seigen  bas  Haturgefübl 
nid>t  in  äftbetifd^er  Derfeinerung,  jonbem  in  ber 
urroüdifigen  gefammelten  llTäd'jtigfeit,  wo  es  religion-- 
bilbenb  ipirb.  So  Derftel^t  er  bie  Haturreligion 
ber  alten  DöÜer,  unb  finbet  in  fid^  felbft  nod) 
etwas  üon  biefem  religiöfen  (Sefübl,  ebenfo  roie 
fein  Sd^auen  ber  ZTatur  untoillfürlid)  mvtboIogi)d)e 
;^ormen  annimmt.  Hatürlid^  ift  bies  für  uns  nur 
ein  Heft  uralten  Dätererbes,  ein  bumpfer  Unterton 
3ur  2TTeIobie  unfers  Gebens;  unb  ZTaumann  überfe^t 
ihn  obenbrein  ins  Xbriftlidje,  inbem  er  aufteile  ber 


-    89  - 


alten  ZTaturgöttcr  bcn  übernatürltdien  <5ott  tyntev 
bie  <£x\dieinun^en  fteÜt.  Daburd]  fommt  luwoiUn, 
bcfonbers  am  Sd^Iuffe,  ein  für  bas  mobeme  (£m^ 
pftnbcn  ftörenber  paftoralcr  .^ug  tjerein,  teils  nad^ 
ber  ZTTelobie:  toie  groß  muß  ^ev  (Sott  fein,  ber 
alle  biefe  fjerrlid^feit  gefdjaffen  I^at!,  teils  burd^ 
erbaulidje  Pergleid^e  imb  moralifd^e  Hu^anipen= 
bungen.  2tm  tiefften  wirft  Haumann  jebenfalls 
ba,  n?o  er  bas  Haturgefüt^I  fid^  gans  rein  obne 
fremben  ^eifa^  ausfpred^en  läßt. 

Don  ben  Heifebilbern  ift  bas  umfangreid^fte 
imb  u?ertr>oIIfte  Stücf  aud)  in  ^ud")form  erfd^ienen 
unter  bem  Oel  „^Ifia",  mit  5eid"!nungen  i?on 
Haumanns  eigner  Vian"^  gefd^mücft.  (£s  ift  bie 
Sd^ilberung  einer  0rientreife  nad]  Konftantinopel, 
Syrien,  3^J^"[<^t^"^  Kairo  im  ^nfd^Iuffe  an  bie 
Kaiferfaljrt,  f^erbft  ^898.  lOas  il^n  bortbin  30g, 
u?ar  natürlid^  in  erfter  £inie  ber  lOunfd),  bei 
biefem  iUenbepuntte  beutfd^orientalifd"»er  (5efd>id-;te 
3ugegen  3U  fein  unb  fid>  auf  (Srunb  eigner  2Uv 
fd^auung  ein  Urteil  über  bie  Bebingungen  unb 
2Iu5fid^ten  ber  bier  eingefd^Iagenen  politif  5U 
bilben,  daneben  eine  religiöfe  3ii9^"^f^^^"|iicJ^t  nad) 
ber  lOiege  bes  Cl^riftentums  unb  ber  allgemeine 
X)rang  nad)  (Erweiterung  ber  IDeltfenntnis.  So 
folgen  benn  ben  roed^felnben,  farbenreid^en  Silbern 
bes  Heifetagebud]es  in  befonbern  2lbfd)nitten  bie 
religiöfen  unb  politifd^en  <£rgebnif|e;  —  bie  le^tern 
finb  bisl]er  Hauntanns  bebeutenbfter  Beitrag  sur 
auswärtigen  beutfd^en  politü.  Die  tiefe  unb 
,wol)Itätige  iPirfung   bes  Sonnenlanbes  ^tgvpteu 


—  90  — 


unb  bcr  liier  nur  eben  cjcftrciften  IDüftc  unb  bcr 
IPuttfd?,  bas  begonnene  Stubium  bcr  ^Tlittclmecr« 
füften  in  tE^rer  politif dien  Bebeutung  unb  il^ren 
5u!unft5möglicl]!eiten  fortsufefeen,  beftimmten  il:|n 
bann,  im  2tnfange  bes  ^al:ixe5  \^02  eine  von 
feiner  (Sefunbl^eit  cjeforberte  (Srl^olungsreife  nadj 
2llgier  unb  Cunis  3U  lenfen.  Don  il^r  er3äl]Ien 
bie  „Heifebilber  aus  :^\x\fa"  in  ber  «geit  (I,  \S 
bis  26).  ^lud?  Ijier  fommen  alfo  3U  bem  nädiflen 
^wed  politifdje  Hebenabfid]ten  B|in5u.  2tber  bas 
l^inbert  il^n  gar  nid^t,  3unäd]ft  bie  neue  Welt  gani 
unbefangen  auf  fid|  wixten  3U  laffen  unb  mit 
reinem,  offnem  Sinne  in  fid]  auf3unel:jmen.  <5u* 
nädift  rx)irb  bie  äußere  (Erfdjeinung  mit  21TaIerbIicf 
erfaßt  unb,  fo  gut  es  gebt,  mit  bem  ^eid^enftift 
f eftgel^alten :  bie  Canbfd^aft  in  il:|ren  d^arafteriftifdjen 
formen  unb  Stimmimgsn^erten,  bie  etgentümlid]en 
Polfstypen  in  il^ren  Cebcnsformen,  il^rem  bunten 
Durdjeinanber.  21ber  balb  bringt  ber  Blicf  tiefer 
unb  fud]t  bas  Annexe  bes  Bilbes  3U  erforfdjen: 
ber  politifer  fpürt  nad)  ben  Cebensbebingungeu 
unb  ben  gegenfeitigen  ^e3iel|ungen  ber  Z]Tenfd?en, 
ber  pfyd^olog  fud^t  iljre  feelifd^e  2trtung,  il^re 
2>enf=  unb  €mpftnbungsu?eife  3U  burd]bringen. 
<£nblid7  u?irb  bas  ^ilb  in  ben  5ufammenl>ang  ber 
IPelt  imb  ber  IDeItgefd|id]te  eingereit^t:  bie  großen 
(Erinnerungen  ber  DergangenB^eit  melben  fid)  unb 
xperben  am  21nblicf  ber  53ene  geprüft;  i?on  ibnen 
aus  ujerben  bie  möglidjen  (guentualitäten  imb 
Konftellationen  ber  ^ufunft  eru?ogen.  So  wexben, 
tDteberum  aus  ber  lebenbigen,  intenfiren  Betrad?» 


-   91  - 


urtb  Probleme  aufgetoorfen  un&,  \owe\t  es  bie  Kür5e 
ber  <5cit  5ulä§t,  beantvoovtet.  (£5  ift  biefelbe  2lrt, 
bie  mir  in  ben  äftEjetifd^en  Süssen  gefunden  Ijabeit 
imb  bie  jtd]  üon  ben  ^nbad]ten  d]arafterifti)d> 
abliebt:  ber  Perfaffer  tritt  nid]t  mit  feftftelienben 
^nfdjauungeu  unb  allgemeinen  (5ebanfen  an  bie 
^inge  tjeran,  mißt  biefe  an  jenen,  fud^t  in  il^nen 
<£j:empel  unb  Belege  für  jene,  fonbern  er  tritt  r>or 
bie  Dinge  l^in  unb  fagt  fie  fd^arf  unb  tief  ins 
^luge,  um  il^nen  felbft  ben  innern  Kern  it^res 
IPefens,  bie  (Sefe^e,  nadi  benen  fie  u?urben  unb 
finb,  5u  entlocfen.  ^lus  bem  (£in5elncn  u?irb  bas 
^tllgemeine  abgeleitet,  im  fonfreten  (£in5elbinge 
u?irb  bas  (Sefe^  gefd^aut.  Ttur  finb  biefe  Dinge 
l^ier  nid^t  mel^r  ifolierte  unb  abfeits  liegcnbe  €in5el= 
I^eiten,  u?ie  jene  iDerfe  ber  bilbenben  Kunft,  fonbeni 
fie  orbncn  fid]  3U  großen  5ufamntenl]cingen,  am 
legten  <£nbe  in  bie(5ufammenl]änge,  u?orin  Z'caumann 
mit  feinent  eigentlid^en  Berufe  unb  Cebensu?erfe- 
i?erfIod]ten  ift. 

Xiodi  beutlid]er  ift  bie  2lbfid]t  politifd^er  Stu^ 
bien  bei  iwei  Kerfen  in  benad]barte  Kulturlänber, 
von  benen  Heifebriefe  in  ber  „fjilfe"  fürs  berid]ten: 
eine  nad]  Belgien  unb  l'jollanb  im  Sommer  \8^^ 
(^ilfe  V,  29f.)  unb  bie  nad^  Ungarn  im  legten 
Sommer  (fjilfe  X,  2^—50).  fjier  tritt  bie  Hatur- 
fd^ilberung  mel^r  als  fonft  surücf  r>or  ber  einbrin^ 
genben  ^rforfd]ung  bes  u?irtfd]aftlidien,  fosialen: 
unb  poIitifd]en  (Il]arafters  ber  Cänber  unb  Pölfer. 


-   92  - 

3. 

Hod]  mebv  fübrt  eine  anbre  (ßruppe  oon 
2luffä^cn  in  bas  eigentlid^e  Zentrum  ber  Weit, 

Haumanns  fjcimat  ift:  bie  2lu5  ftcHungs'- 
bericbte.  Haumann  ersäblt  fclbft,  baß  er  feit 
](890  faft  alle  größeren  beutfd^en  ^usftellungen 
befud)t  bat.  Pon  breten  bat  er  ausfübrlid-jer  be* 
xid^tet,  r>on  ber  Berliner  im  Sommer  (^ilfß 
II,  27—30,  von  ber  partfer  \^00  (bie  roicbtigen 
„parifer  Briefe"  ^ilfe  VI,  25— 3{,  bas  Baupt- 
ftücf  biefer  (5ruppe)  unb  von  ber  ^üffelborfer 
1(902  (^eit  I,  56  —  7,  mit  geringen  Kürsungen  im 
Ttaumann-Bud^  Xlx.  20).  Ceiber  finb  fie  alle  nidjt 
in  einer  Sonberausgabe  5ugänglid');  bod)  finb  gerabe 
fie  im  Haumann=Bud>  biird?  eine  reid]Iid?e  Tlus-- 
wähl  pertreten  (Hr.  \8— 22,  28). 

3m  (Eingang  b«r  Düffelborfer  Briefe  fe^t 
Ztaumann  auseinanber,  warum  er  2tu5fteIIungen 
be^ndit  Sie  ftnb  bie  hohe  Sd-jule  für  bie  ZlTetbobe 
ber  2lnfd^auung  unb  für  oolfsupirtfd^aftlidies  X>enfen, 
ein  unenblid">  Dielfeiliger  unb  plaftifd)  greifbarer 
^Infd^auungsunterrid^t  3um  Stubium  ber  national^ 
öfonomie.  Sie  finbs  für  einen,  ber  su  feben  ge^ 
lernt  bat,  unb  in  biefer  Kunft  bat  Haumann  nidbt 
leid'jt  feines  (Sleid^en.  Unb  gerabe  bier  feiert 
^>iefe  Kunft  bes  Sd^auens  itjre  größten  Criumpbe, 
•benn  3u  bem  gefdnxlten  ^uge  gefeilt  fid^  ein  riefen-- 
bafter  ted>nifdier  Derftanb,  ber  ibm  aud^  in  ben 
fompIi3ierteften  unb  fubtilften  5i^<^gßi^  inbuftri» 
>ellen  Betriebes  eine  gebiegene  vEinfid^t  unb  ein 
felbftänbiges  Urteil  ermöglid-jt.    ZHit  grünblid^em 


-    93  - 

(£rnft  unb  gefpaimter  ^lufmcrffainfeit  ftubicrt  Xlaiu 
mann  bte  enblofcn  Vaxietäten  bcs  Begriffes  papier 
unb  verfolgt  er  bie  (5ejd^id)te  bei*  ^\]enbabn-' 
fd]iene  unb  il^re  mannigfad^en  Probleme.  X)ie 
typtfcl^e  imb  5entrale  (Erfdieinung,  bas  eigentltd">e 
IUaE^r5eid]en  ber  tjeutigen  ic>irt]d")aftlid:|en  Welt  ift 
mm  offenbar  bie  7Xla\d]\ne.  3^"!^  gebort  IXau-- 
nxanns  2^teve]\Q  von  2tnfang  an  im  I^öd^ften 
(5rabe.  (£r  bat  fie  ja  fdjon  frül|  !ennen  gelemt 
in  feinem  erften  pfarrborf,  nnb  fdion  ber  Berliner 
^tusftellungsberidit  gibt  eine  in  KIarl>eit  unb  (Srünb» 
lid^feit  unübertrefflid-je  ^lnta->ort  auf  bie  S^<^Q^ 
„Was  ift  eine  ZlTafd^ine?"  (H.=B.  21)  Unb 
3u  ber  genauen  Kenntnis  gefeilt  fid-j  eine  unbe^ 
gren5te  Beu?unberung.  3"^^"^^^  u^ieber  u?irb  fie 
x)ert)errlid]t  als  ber  eiferne  2TTenfd\  ber  alles  fann 
unb  ber  fo  tpunberbar  eraft  arbeitet,  u?eil  bas- 
einselne  (£j:emplar  immer  nur  eins  tut;  als  ber 
Sieg  bes  ZlTenf djen  über  bie  anorganifd]e  Z7atur^ 
ben  gelungenen  Derfud]  ben  roben  Stoff  5u  einem 
0rgan  bes  menfd^lid^en  (5eiftes  3u  ntad]en  unb 
baburdj  in  bie  IDelt  bes  Gebens  liinein^usieben. 

fjier  5eigt  fid^  Haumann  als  ein  burdi  unb^ 
burd]  moberner  21Tenfd>  unb  gerabe  in  biefer  Bin* 
ftd^t  ift  ers  am  frül^eften  gcn?efen.  Sd^on  \S% 
fdireibt  (Solare  üon  iEjm  ((El^riftl.  IX^elt  V,  269): 
„Der  Derfaffer  ift  ein  moberner  paftor  vom  Sd^eitel 
bis  5ur  Sol]le  .  .  .  .  ^r  tjat  feine  5reube  an  bem 
raffelnben  (Setriebc  einer  ;^abrif,  an  bem  beu>egten 
Durd^einanber  ber  großen  Balinl^öfe"  ufu?.  Unb 
bod]  fmb  itjm  bie   bunflen  Sd^atten   im  Bilbe 


-   9^  - 


^)urd)au5  rttd't  unhefannt,  btc  saMrcid^cn  unb 
^d]wexen  XXötc  unb  Übelftänbc,  bie  unfrer  ^cit 
■cigcntümlid)  unb  größtenteils  eben  bic  Begleite 
iinb  5oIgecrfd"!emungcn  bes  3nbuftnal!5mu5  ftnb. 
<£r  bat  fic  ja  fd)on  in  feiner  unpolitijdjen  ^eit 
reidilid?  unb  täglidi  aus  näd^fter  Habe  fennen  ge= 
lernt,  in  ^ausinbuftrie  unb  ^abrifbetrieb,  unb 
«ben  aus  ber  (£infid>t  in  biefe  Höte  unb  aus  bem 
innigen  ITTitleib  mit  ibren  0pfern  ift  ibm  ber  Tin-- 
trieb  ber  politifdjen  Cätigfeit  unb  5um  großen  Ceile 
CLudi  ber  3"^^^^  feines  politifd^en  ^enfens  er^ 
wadb\en.  Unb  feit  er  im  politifdjen  Ceben  brin 
ftel)t,  bat  er  biefen  Seiten  bes  Cebens  erft  red^t 
ein  allfeitiges  fvftematif dies  Stubium  u?ibmen  muffen. 
<£r  roeiß  aud?  febr  wolil,  baß  bie  2Tlafd]ine  nid]t 
nur  materielles  <£Ienb  mit  fid]  fübrt,  fonbern  baß 
fie  audi  ben  Seelen  ber  2TIenfdjen  (5efaE^r  unb 
Sd^äbigung  bringt,  baß  fte,  ber  riefenbafte  Stiave 
^es  UTenfdien,  nun  bie  große  UTaffe  ber  2TIenfdien 
ipieberum  3U  itjren  Stlaven  mad>t,  in  2nafdjinen 
ober  Ceile  einer  2TCafd)ine  perujonbelt.  2lber  bas 
alles  trübt  il^m  nidjt  bie  (£rfenntnis,  baß  ber  3n= 
^uftrialismus  bie  Signatur  unferer  <5eit  unb  für 
ims  ber  einjig  möglid]e  IDeg  in  bie  5u!unft  ift; 
unb  es  erfd]üttert  nid]t  feinen  (5Iauben,  baß  er 
■trofe  allem  ein  5ortfd|ritt,  baß  er  (Sottes  Wiüe  ift, 
unb  baß  alle  feine  ZTTißftänbe  am  (£nbe  burdi 
flare  (£infid>t  unb  feften  IDillen  übertüunben 
unb  3um  <5uten  gelen!t  u?erben  fönnen  unb 
müffen.  Hie  roirb  er  einen  2lugenblicf  fd">tx)anfenb, 
^)aß  toir  t>inburvii  unb  uorupärts  müffen;  nie  be= 


—   95  - 


fcblcid^t  iE|n  bie  5ebnfud)t  nadi  ber  guten  alten 
^eit,  bie  I:>inter  uns  liegt. 

Pielleidjt  tx>irb  es  mand^e  überra)d)en,  ba§ 
^dbon  ber  „paftor  ber  armen  £eute"  ein  ^emun= 
berer  ber  ZTTafdnne  mar.  Unb  bod^  fann  es  nid^t 
gut  anbers  fein.  Venn  Naumann  geborte  niemals 
3u  benen,  bie  vqv  bem  Ceben  itjrer  ^eit  bie  klugen 
perfdHießen  ober  ahweni^m  unb  [xd}  aus  ber  Wixh 
lid^feit  in  eine  lOelt  ber  (Träume,  ber  Sebnfudn, 
ber  s£rinnerung  flüdjten.  5ß[t  uiit  beiben  5ÜB^n 
in  ber  (Segenwart  unb  ber  Healität  5U  [teben,  feiner 
^eit  entfd^loffen  ins  (5efxdn  unb  bis  auf  ben 
<5runb  5U  feben  u>ar  fein  Streben.  Unb  einem 
foldicn  fonnte  es  nid^t  verborgen  bleiben,  baß  ^n- 
buftrie  unb  2TIafdiine  einmal  ba  fmb  unb  burdi 
feine  llTadjt  mieber  aus  ber  IPelt  gefd^afft  u?erben 
fötmen,  ba§  fpesiell  Deutfdjlanb  auf  bem  lUege 
ift  ein  3"^"f*^^^^<^"^  5"  werben,  unb  bag  audi 
b)iefer  proseß  fid^  u?eber  aufbalten  nod^  rüdgängig 
mad^en  läfet,  baß  baber  bie  fjoffnung  unfrer  S^i- 
fünft  nur  auf  ber  IX'>eiterentu?icflung  5um  3i^^ii' 
ftrialismus  berulien  fann.  IlTit  biefer  £inftd>t  ift 
bereits  bie  Bejaliung  biefer  <£ntn?icflung  gegeben; 
benn  in  einen  allgemeinen  peffimismus  5U  v>er= 
fallen,  bafür  fd^ü^t  Haumann  feine  gefunbe,  lebens^ 
ftarfe,  tapfere  unb  gläubige  Hatur.  2tber  audi 
an  pofitiren  (Srünben  feblt  es  nid->t,  um  bie  lUa- 
fd^ine  3U  lobeti  unb  auf  bie  ^ufunft  5U  vertrauen. 
Venn  auf  jeben  w?irb  burd^  ben  HTafdjinen^ 
betrieb  ber  Ertrag  ber  menfd^lid^en  2[vhe\t  auger= 
orbentlidj  gefteigert  unb  baburd^  bie  ZlTenge  ber 


—   96  — 


übcrtjaiipt  porlianbencn  Perbraucbs^  imb  (ßcnug* 
guter,  bcr  Dorrat  an  dugcrn  (5Iücf£mÖ9lid]fcitßn 
vexmchxt  Dag  btcfcr  äbßrfd]u§  3unäd]ft  nur  einer 
^ninberbeit  3ugute  fommt,  bag  für  bie  21Tenge 
im  Anfang  nur  ein  neues  (SIenb  entfteEjt  unb  bie 
Kluft  3U)i|'d]en  Heid]  unb  2lrm  eru>eitert  u?irb,  ift 
nid]t  3U  üerfennen.  (Serabe  barauf  berul^t  eben 
bie  fosiale  5rage  unb  bie  Befeitigung  biefer  Übel 
ift  bie  2tufgabe  ber  Sosialpolitif.  2Jber  biefe  "Sc- 
feitigung  erJ^offen  voix  nicbt  allein  von  unferm 
guten  IDillen,  fonbern  bie  innere  Cogif  ber  Sadie 
felbft  u?ir!t  in  biefer  Hid|tung.  Denn  bie  geu?altig 
voadi'\en'öe  ZTTenge  ber  (5üter  ift  für  bie  befi^enbe 
Zninberl^eit  felbft  voextlos,  wenn  fie  nidjt  i?erbraud]t 
tpirb;  in  beut  eigenften  3"^^i^^ff^  biefer  alfo  liegt 
es,  bag  ftd^  gleidjseitig  ber  Konfum  ber  2Tüaffe 
Ijebt  Unb  fo  feBjen  u?ir  tatfäd]Iid?,  ba§  in  aflen 
(Gebieten  ber  2nbu]ixie,  fobalb  biefe  bie  erften 
Kinberfranfl^eiten  überipunben  unb  eine  gerpiffe 
Heife  unb  5ßftigung  erlangt  liat,  bie  Cebensl^al* 
tung  breiter  l^oIFsfd^iditen  fteigt. 

2lber  bie  le^te  unb  u^id^tigfte  5rage  ift  nidit 
bas,  ob  bie  2TIafd|ine  mel^r  (5Iücf  ober  mel^r 
€Ienb  bringt;  entfd^eibenber  ift  bie  5rö9^  "^cJ? 
itjrer  fittlidjen  lOirfung,  nadi  ber  2lrt,  u?ie 
fie  bas  r>erE>äItnis  ber  2T?enfd]en  3U  feiner  Arbeit, 
ben  Spielraum  für  bie  (£ntu?icflung  unb  ^us-- 
prägung  feiner  (Eigenart  umgeftaltet.  fjier  ift 
natürlid]  bie  geipöl^nlid^e  0berfläd?enanfid7t  bie, 
ba§  bie  ZlTafdiine  gan3  unperfönlid]  ift  unb  bal^er 
fo3ufagen  entperfönlid]enb  ipirft.    ^ber  bie  Sadje 


_   97  - 


liegt  burdjaus  nidjt  fo  ctnfad]  unb  flar.  Naumann 
Ijat  fte  fcl^r  fein  unb  umfid^tig  erörtert  im  5.  ber 
parifer  23riefe  („  (5 ef amtarbeit  unb  (Einselfd^öpfimg", 
ZT.'B.  28),  unb  er  gibt  feine  ^Infid^t  mit  aller 
^urücftjaltung  bal^in  ab,  bag  es  aud?  im  Vfla^^ 
fd^inenseitalter  ftets  eine  groge  Unter[d^id]t  von 
perfönlid]  unenttoicFelten  ZTTenfd^en  geben  u?irb, 
ba§  aber  über  biefer  fid^j  ein  beftänbig  suneJjmenbes 
(5ebiet  perfönlid^er  IDirfung  bilbet,  unb  bag  bie 
ZlTafd^ine  mel^r  plä^e  für  3"^^Üigen3,  mel\v 
„Stellen,  voo  ein  3d?  in  bie  2TTaterie  tjineingelegt 
u?erben  fann",  fd^afft,  als  jemals  frütjer  porl^anben 
u?aren. 

Haumann  entbedt  fogar  eine  ^Irt  Kaufat» 
besieJ^ung  unb  IDed^felioirfung  5u>ifd]en  intelleftu* 
eller  fjöJ^e  unb  perfönlid?feit  einerfeits  unb 
ZHafd^ine  unb  (Srogbetrieb  anbrerfeits.  (£I^emaIs 
roaren  w'w  ein  Volt  ber  X^enfer.  ir>enn  u?ir  je^t 
ein  3nbuftrier>oIf  geu?orben  finb,  fo  u?irb  bamit 
unfre  Dergangent^eit  nid^t  üerleugnet,  fonbern  fie 
trägt  neue  5J^üd]te,  benn  unfer  inbuftrieller  2luf* 
fditt)ung  berul^t  burd]aus  auf  ber  liol^en  (£nt* 
roicflung  bes  X>enfens  imb  ber  ganzen  Bilbungs« 
arbeit  ber  porl^ergetjenben  periobe.  „lOas  w'xt 
in  bie  IPagfd^ale  3u  ruerfen  hßhen,  ift  bie  Kon* 
fequen3  bes  mafd^inellen  ^enf ens.  Die  pj^ilofopl^ie, 
bie  bem  Deutfd^tum  im  ^lute  ftedt,  liat  begonnen 
fid)  5U  materialifieren.  0  u?ie  imenblid)  ift  QC^adit 
u?orben,  bamit  biefes  3neinanber  v>on  2nafd]inen 
entftet^en  fonnte!"  2lud?  in  <5ufunft  r^irb  gerabe 
für  uns  Deutfdie  ber  Sieg  unfrer  3"^iif^^i^ 

^.  ITlcYcr:  ^rbr.  Naumann.  7 


-    98  - 

bcr  fjötjc  unfrer  Dolfsbilbung  abbßrxQen,  bcnn 
imfre  Uberlegcnl>eit  fann  niemals  in  ber  großem 
53ini9fcit,  fonbcm  nur  in  ber  beffem  Qualität 
unfrer  5<JJ>nfcite  liegen.  2)ie  Qualität  ber  IDare 
aber  ift  u?ieberum  burd^  bie  Qualität  bes  Arbeiters 
bebingt,  unb  ber  beffere  Arbeiter  ift  eben  ber^ 
jenige,  ber  mel^r  3nbipibualität  unb  perfönlicb^ 
feitsmert  Jjat.  XPenn  alfo  ber  inbuftrielle  (ßro§* 
betrieb  un3tpeifelbaft  eine  Cenben3  3U  Unter= 
brü<fung  ber  perfönlid^feit  Ijat  unb  ibre  ^iusbilbung 
erfd^ujert,  er  mad^t  fte  gleid^seitig  um  feiner  Selbft» 
erl:>altung  voiüen  boppelt  notu?enbig  unb  ftellt 
baburd?  ber  Sd^ule  neue,  l^öbere  Aufgaben.  — 
Naumann  Ijat  biefe  (Sebanfen  in  einem  fetjr 
gebaltoollen  Dortrage  ausgefübrt.i)  Hiemanb, 
bem  es  um  PerftänOnis  unfrer  (5eit  3U  tun  ift, 
barf  an  i^nen  porbeigel^en. 

Naumann  ift  ein  burd^aus  m  0  b  e  r  n  e  r 
2n  en  f  d> .2)  :Das  ift  fdjon  u>ieberI^oIt  ausgefprodjen 
unb  ift  in  ber  Cat  ein  ^ug,  ber  in  feinem  Bilbe 
befonbers  ftarf  in  bie  klugen  fpringt.  3" 
ber  Cypus  bes  mobernen  UTenfdjen  fo  vexd]  unb 
mäd]tig  ausgebilbet,  n?ie  oielleid^t  in  feinem  anbern 
unfrer  «geitgenoffen.    X)as  ift  eigentlid?  ber  punft, 

Die  (Hr3iebun9  3ur  pcrfönlicbfeit  im  Zeitalter 
öcs  (Sro§betnebes.  '  Hebe,  gebaltejt  am  26.  (febr.  \^0i 
im  berliner  £ebreiDerein.    ^udjuerlag  ber  „^ilfe". 

2)  Diejenigen,  für  bie  bas  IDort  „mobern"  einen 
üblen  Klang  bat,  rerireife  tcb  auf  meinen  ^iuffat,  „VOas 
Ijeißt  mobern"  in  ber  ^vant\.  Rettung  vom  6.  Sept.  ^90-^. 


—  99  - 


voox'm  mir  Haumanns  Bebeutung  außcrJ^alb  ber 
politt(cbcn  Spl^äre,  fein  cinsigcr  unt)  unerfc^lid^er 
IDert  für  bie  beutfdje  ^ilbung  unfrer  ^eit  311 
liegen  fdjeint. 

Die  beutfdje  Bildung  ift  l>eute  in  einer 
etwas  üblen  Cage;  fte  fifet  fosiifagen  3u?if d^en  5u?ei 
Stül-jlen.  Sie  bßt  ibre  groge  S'^'it  gel^abt  in  ber 
5u?eiten  ^älfte  bes  18.  3al^rb.;  bamals  bat  ber 
beutfd^e  (Seift  feine  B>errlid]ften  5nld]te  getragen, 
r>on  benen  vo'w  nodi  bleute  leben;  bamals  finb 
burd?  Kant,  X^erber,  (Soetbe,  bie  fjumbolbts, 
Sdjieiermadier  unb  il>re  ^Mitarbeiter  bie  (5runb= 
lagen  unfrer  gefamten  geiftigen  Kultur  gelegt. 
2^ber  bas  folgenbe  3al:)rbunbert  I^at  auf  biefer 
(ßrunblage  nid)t  u?eiter  gebaut,  fonbern  einen 
neuen  (5runb  gelegt.  (£5  u?ar  bel^errfd^t  von  ben 
Siegen  ber  Haturwiffenfdiaft  unb  ber  Ced^nif,  fein 
(Slaubensbefenntnis  wav  ber  21TateriaIi5mu5.  2Iuf 
biefem  Boben  ift  imfer  äußerer  lOoI^Iftanb,  finb 
unfre  öffentlid^en  Perb.ältniffe,  ift  unfer  Kapitalist 
mus  u?ie  unfer  Sosialismus  eru^adifen.  2lber  auf 
ben  Siegesraufd]  ift  eine  grünblid^e  €rnüdjterung 
gefolgt.  2tIIgemein  ift  bieute  bas  23eu?u§tfein,  baß 
bas  naturroiffenfd^aftlidie  Zeitalter  bei  allem  mate^ 
riellen  Heid]tum  unfre  Seele  ann  gemad)t  I^at 
unb  ljungern  lägt.  Diefe  fann  nid^t  leben  otjne 
3bealismus.  Unb  fo  ift  längft  ber  Huf  erfd>oIIen: 
^urücf  5u  Kant!  .gurücf  5U  (Soetl^e!  ^urücf  jur 
Homantif ! 

So  fpcift  f\d]  bas  geiftige  Ceben  ber  (Segen* 
u?art  aus  3u?ei  Quellen  gan3  cntgegengefe^ter  ^trt 

7* 


Keine  von  beiben  fönnen  wir  miffen,  aber  feine 
von  beiben  genügt  uns  unb  gibt  uns  bireft  bas, 
u?a5  u?ir  braud-jen.  XPir  benfen  nid^t  t>axan  unb 
fönnen  nid]t  <)avan  benfen,  bie  fortfd^ritte  unfrer 
iTaturerfenntnis  unb  Ced^nif  u)ieber  aufzugeben, 
aber  unfre  Seele  »erlangt  nad)  ^Inberm.  Unb 
aud)  ben  3bealismus  unfrer  großen  Dergangenbeit 
fönnen  rpir  nid-jt  einfad^  u)ieber  erneuern,  benn 
feitbem  ift  bie  lOelt  febr  anbers  gemorben,  unb 
vo'w  blähen  viel  gelernt,  roas  fxd]  nidbi  oergeffen  lägt. 
IPir  fönnen  ihn  nid]t  ohne  u?eiteres  in  unfre  ^eit 
berübernebmen,  unb  fönnen  iljn  nid)t  entbebren. 
IDir  fomnten  nid^t  mit  ibm  aus  unb  u?iffen  nidjts 
Keffer  es.  Unb  baber  unfer  toiberfprud^sDoIIes  Der- 
I:>alten,  baß  toir  gleidjseitig  he]iveht  ftnb,  iE>n  ju 
neuem  Ceben  5U  ermecfen,  u?äB)renb  u?ir  ibn  ba, 
wo  er  bisber  nod^  gel^errfdjt  bßt,  in  ber  Sdnile, 
immer  meb^v  5urü(fbrängen  imb  perfür3en. 

Wie  rerfd^ieben  ift  unfre  <5cit  von  jenem 
äflI:>etifd]=pl^iIofopbifd^en  Zeitalter!  U^ir  haben  feit* 
bem  ben  politifdjen  (Sroßbetrieb  eines  mädHigen 
Heidies,  bas  int  Kampf  um  bie  UJ^eltberr« 
fd^aft  fonfurrensfäbig  fein  u?ill,  u?ir  Ijaben  bie 
freie  vLeiInaI:>me  bes  Polfes  am  politifd^ei:  Ceben 
bes  Derfaffungsftaates,  u?ir  J^aben  Dor  allem  ben 
tDirtfd)aftIid->en  ^uffd^ujung,  bie  Derfd^iebung  ber 
öfonomifdjen  (Slieberung  unb  fo5iaIen  5d)id>tung 
bes  Dolfes,  unb  bas  (Ergebnis  bar>on:  bie  alles 
beberrfd^enbe  Hot  ber  fosialen  S^^CLge,  —  lauter 
5)inge,  r>on  benen  bas  \S.  2^bxb.  n'xdits  wn^te, 
für  beren  Betoältigung  es  feine  geiftigen  0rgane 


—  m  — 


entwxdein  fonnte.  ZXkman^  fann  unfrcr  (5cit  geredet 
irer^cn,  vocv  fte  mit  bcn  ^tugcn  ^er  Vexc^anqenheit 
ficbt.  2iud}  eine  äußere  Svntbefc  ber  alten 
tbcaliftifd^en  unb  ber  neueren  natitru?if|en[cl^aftlicf)en 
3ilbung  ift  nid>t  möglidi.  Die  neue  beifd^t 
eine  neue  IPeltanfdiauung,  bie  nur  aus  ibr  felbft 
in  originaler  »Tat  gefd^affen  u?erben  fann.  Dasu 
liefern  bie  enüäbnten  ^trbeiten  Haumanns  einen 
rc»ertt>oIIen  Beitrag.  >£r  bat  r>on  beiden  Parteien, 
r>on  Kant  imi>  (Soetbe  toie  r>on  X)aru?in  unb 
ZTTarj-,  gelernt,  u?a5  fid>  lernen  läßt;  aber  bie  ent= 
fd^eibenben  (Sebanfen  [eines  Xl^eltbilbes  bat  er  von 
feinem  anbern  übernommen,  fonbern  allein  aus  ber 
tiefen  €rfenntnis  ber  IDelt,  in  ber  mir  leben, 
gefdjöpft.  Unb  in  biefe  gegenu^ärtige  IDelt  fo  tief 
cin5ubringen,  bis  u?ir  ibrcn  Kern,  ibre  innere 
€inbeit  erfennen,  bis  wir  bie  IDursel  feigen,  u?oraus 
ber  ineläftige  ^aum  geu?ad^fen  ift,  bas  mad";t  bodi 
tt?obI  Si^l  unb  3nbalt  ber  mobemen  ^ilbung  aus. 

5. 

IPir  bähen  bisl)er  Naumanns  äflbetifd^e 
Begabung,  beren  Keime  roir  in  ben  ^tnbad^ten 
fanben,  in  ibrer  n?eitern  <£ntwicflung  verfolgt.  lOir 
faben,  u?ie  fxe  fidi  ein  eignes  5^Ib  fd-jafft  in  ben 
Kunftbetraditungen  ber  ,(5ßit.*  3nbcf|en  bie 
(Segenftänbe,  um  bie  es  ftd)  i^ier  banbelte,  geböten 
einem  Sonbergebiet  ber  Kultur  an,  einem  (Sebiet, 
bas  abfeits  r>on  Haumanns  eigentlidier  Lebensarbeit 
Hegt.  2lber  biefelbe  Kunft  bes  Sd^auens  bat  Hau- 
mann   bann  an  bebeutenberen   X>ingen   unb  in 


—    H02  — 


größerem  Xtla^c  geübt  auf  Heifen  unb  ^lusftellungen» 
3I^re  I^ödifte  X^oUenbung,  ttjre  üoUfte  2lusbrettung 
unb  il^rcn  5nfammenfd]Iu§  finbet  (te  in  ber 
politifdjen  Denf  arbeit.  Unb  es  ift  fel^r 
lel^rreid],  an  biefem  Beifpiele  3U  beobad^ten,  roie 
alle  politif  großen  Stils,  überl^aupt  alle  u?at^re 
politü,  bie  eine  Kunft  unb  ein  bemußtes  fjanbeln 
ift  unb  nid]t  gebanfenlos  in  ben  Cag  I^inein  lebt, 
5ätjig!eiten  perlangt,  bie  ben  fünftlerifd^en  naJ^e 
perroanbt  finb. 

IDir  finb  ge«?ol^nt,  einen  <5egenfa^  3u?ifdien 
3beaIpoIitif  unb  Healpolitif  5U  fonftruieren, 
unb  bann  ber  Healpolitif  ben  Dorjug  3U  geben, 
ja  fie  als  bie  roaljre  unb  einsig  möglid^e  politif 
an5ufel^en,  inbem  uns  Bismarcf  als  Cypus  bes 
Healpolitifers  gilt.  2lber  bie  ganse  (Segenüber* 
ftellung  ift  falfdi  unb  unuerftänbig.  ^Iles  men[d> 
lidje  Cun,  unb  bie  politif  im  l^öd]ften  (5rabe,  uer-- 
langt  burd]au5  3u?eierlei:  eine  (Einjtdit  unb  ein 
IPoIIen,  eine  <£rfenntnis  beffen,  was  ift,  unb  eine 
Dorfteilung  r>on  bem,  upas  roerben  foll.  2lIIe 
politif  mu§  3^^ölp<^lit^f  Healpolitif  3ugleid] 
(ein.  Healpolitif:  fte  ift  nur  möglid^  auf  (5runb 
genauer  Kenntnis  ber  tatfäd^Iid^en  (5egebenl^eiten, 
ber  üorI:janbenen  Kräfte,  ZTTittel  unb  lOiberftänbe, 
mit  benen  fie  3U  redjnen  I^at;  fie  erforbert  ben 
fd^arfen  Blicf  für  21Ten[d]en  unb  Dinge,  u?ie  fie 
finb,  ben  nüdjternen  XX)irfIid]feitsfinn,  ber  ein  Pors 
redjt  gan3  roeniger  IHenfd^en  ift,  benn  bie  große 
Znaf[e  lebt  bod?  nur  von  überfommenen  Üor» 
ftellungen,  ptjrafcn  unb  Porurteilen  unb  ftel^t  nie 


—    ^05  — 


mit  eigenen  2Iugen.  Hnb  3^^^^P^^^^ifr  ^^^^ 
unfcr  €un  ift  ein  Vewo\xU\d]en  von  3bccn.  politif 
ift  ein  fjan^cln  iinb  Cenfcn  ber  «Sreigniffc,  es  gibt 
aber  fein  ßanbeln  otjne  Dorpellung  bes  Hefultats, 
—  ein  Cifd^Ier  fann  feinen  Cifd^  mad^en,  irenn 
er  nidjt  ein  33ilb  bes  Cifd^es,  ber  irerben  foU,  in 
feinem  (5ei(^e  I^at,  —  unb  es  gibt  fein  £enfen 
otjne  ein  lüiffen  um  bas  ^iel,  tporauf  man  su» 
fteiiert.  llnftnnig  ift  eine  einfeitige  Jbealpolitif, 
bie  fidj  in  Unternel^mungen  einläßt,  ol^ne  ibre 
ZTTittel  unb  <Zl\ancen  3U  bered^nen,  unb  auf  ein 
3iel  Iosgel>t,  ol^ne  ben  IPeg  3U  fennen.  Unb 
finnlos  ift  eine  bloße  Healpolitif,  bie  nidjt  ireiß, 
toas  fte  u?ill,  unb  fidj  von  ben  5)ingen  treiben  lägt. 
Wenn  voix  uns  geipötjnt  I^aben,  in  Bismarcf  bas 
Urbilb  bes  Healpolitifers  5U  feigen,  fo  fonnnt 
bas  bal^er,  toeil  bie  leitenbe  3bee,  bas  S'iel,  auf 
beffen  €rreid)ung  fein  Cun  gerid^tet  a^ar  (bie 
Einigung  X)eutfd^Ianbs),  von  ibm  nid^t  erfi  ge* 
funben  ix?erben  mugte,  fonbem  il:jm  burd]  bie  (5e» 
fd^idjte  aufgegeben  u?ar.  2Iber  feinem  €efer  ber 
„(Sebanfen  unb  Erinnerungen*  fann  es  entgehen, 
toie  gans  feine  politif  von  großen,  burd^gebenben 
3been  beftinnnt  ift.  Unb  wenn  man  beute  bas 
5djIagu?ort  Healpolitif  fo  gern  im  ZHunbe  fübrt, 
fo  ift  bas  in  ben  meiften  fällen  n'xdits  als  ein 
ZTlänteId]en  für  bie  eigne  (Sebanfenlofigfeit  unb 
politifdie  Unfäbigfeit.  IDas  bei  einer  fold-jen 
ibeen-'  unb  siellofen  politif  l|erau3fommt,  müffen  u?ir 
ja  am  eignen  £eibe  genugfam  erfahren. 

Den  IDirflidjfeitsfmn  Ijat  Haumann  in  feltenem 


-  m  — 


(Srabe.  ^n\o\em  tft  er  unbebingt  Hcalpolitifcr 
iinb  er  tft  es  unter  bem  fid]tbaren  €influf)e  ^15= 
mar<f5  immer  entfcbiebener  gemorben.  (£r  bßt  ein 
tiefes  Derftänbnis  für  anbre  Vflcn^dion,  itnb 
ivoax  r>erftel|t  er  ebenfo  gut  bie  bumpfen  Hegungen 
ber  Dolfsfeele,  bie  2Tüaffengefül:jIe  unb  ZlTaffen^ 
gebanfen  ber  ZTTenge,  —  l]at  er  fidi  bod^  t>on 
Anfang  an  gerabe  in  bie  geiftige  iPelt  ber  ^Irbeiter^ 
maffen  ein3uleben  geftrebt,  —  roie  bie  feineren, 
bifferen3ierten  Seelenoorgänge  in  ber  fd^öpferifd]en 
(£in3elperfönlid]feit.  Das  befte  Beifpiel  für  feine 
Kunft,  2nenfd^en  3U  analyfieren,  in  iJ^rem  Ceben  3U 
erfaffen  unb  von  innen  I^eraus  3U  erleud]ten,  beffen 
idt  mid]  erinnere,  ift  feine  Hebe  auf  ^ennigfen 
auf  bem  nationaI=fo3iaIen  Parteitage  in  fjannooer 
1(902.  3n  feinen  Sdjriften  tritt  biefe  (Sabe  u?eniger 
tjerDor. 

IPie  Naumann  es  oerfteljt,  bie  Dinge  3U  fetjen, 
ift  uns  hefannt  2lber  anbevs  fielet  ber  Künftler,  anbers 
ber  Haturforfdjer,  anbers  ber  politifer.  Haumann 
Ijat  ben  Künftlerblicf  unb  bie  rein  äftb^etifd^e 
5reube  an  ber  IDelt  nie  verloren,  aber  immer 
entfd]iebener  bilbet  fid^  fd^on  in  feinem  Sdjauen 
ber  (L^avahov  bes  polttifers  aus.  ^voeievUi  ift 
bafür  beftimmenb.  <5unäd?ft  r>erbinbet  fid?  bie 
Sd^ulung  bes  kluges  mit  allem,  was  er  von  volts-- 
rt>irtfd]aftlid^en  unb  politif d^en  Dingen  u>ei§  unb 
barüber  gebadet  I^at;  unb  burd?  bie  beftänbige 
(5erx?öi^nung  riditet  fxdi  bie  ^ufmerffamfeit  gan3 
unu)illfürlid>  auf  bie  Seiten  ber  Dinge,  bie 
3u    biefen   (5eban!en    paffen.     Unb  ferner,  er 


—    {05  — 


fici^t  bie  Dinge,  bie  Bilbcr  ber  Hatuc  unb 
bic  Sscncn  bcs  Ccbcns,  nid^t  ein3eln,  abge^ 
fd^Ioffcn,  in  rul^enbcr  Selbftgenügfamfeit  u>ic 
bcr  Kürtftler,  fonbevn  er  fielet  fie,  ir>te  fxe  ja 
ipirflid]  ftnb,  in  tljrer  (5emeinfd^aft,  il^rer  aU= 
fettigen  Perbimbentjeit  unb  ipedifelfeitigen  33ebingt= 
I^eit.  Sie  orbnen  fid^  ein  in  groge  ^ufammen« 
l^änge,  in  bie  eigentümlid^  großen  unb  umfaffenben 
^ufammenl^änge,  in  benen  fid^  bas  Deuten  bes 
politifers  betoegt.  Sdion  \S^S  in  paläftina  madit 
il^m  ber  ^tnblicf  ber  fteinigen  IPege  flar,  ba§ 
3efu5  ber  Sinn  für  fosiale.  organifierenbe  Cätig- 
feit,  ba§  il^m  unfer  Kulturibeal  fel^lte.  (^tfia  S.  U^f.) 
Unb  bie  üppigen,  ausgebel^nten  IPälber  um  preg» 
bürg  r>erfenfen  il^n  n'idit  in  eine  Stimntung  bes 
großen  Haturfriebens  unb  ftiller,  lueltentrüdter 
(£infanifeit,  fonbern  fie  reben  il^m  von  beut  Über* 
ipiegen  bes  (Sroßgrunbbefi^es  unb  ben  Sd^u)ierig* 
feiten  ber  Demofratifierung  in  Ungarn  (l^iilfe  X,'2^). 

'Bei  biefer  2lxt  bes  Ventens  unb  Sd^auens 
Ijängt  5ulefet  alles  5ufammen  unb  ift  auf  unenblid-je 
U>eife  »erbunben:  ein  Volt  mit  bem  antietn, 
UTenfd^I^eit  unb  Boben,  U)irtfd]aft  unb  Perfaffung, 
(ßeiftiges  unb  ZTIaterielles,  Pergangenl^eit,  (Segen» 
tüart  unb  (gufunft.  X>ie  ganse  U)eltgefd^id]te  u?irb 
5U  einem  ein3igen,  großen  Drama,  einem  ipunber* 
bar  hunien  Spiele  unsäl^Iiger  Kräfte,  einem  Syftem 
unenblid^  DermicFelter  U)ed^felbe3iel^ungen  unb 
lt)ed^felu)irfungen.  (£5  getjört  eine  eigentümlid? 
mäd^tige  ^tnfd^auungsfraft  basu,  um  fo  nid^t  ein 
fleines  begrenstes  Stüd  Ceben,  fonbern  bas  Ceben 


—    \06  — 


eines  c^anien  Voltes  im  Su\ammcx\hiange  bes  WelU 
gctricbcs  als  €inl^eit  5U  fdjaucn, 

Unb  ^odi  genügt  es  ntdjt,  bas  3U  fcE^en,  was 
üorl^anben  ift:  ber  politifer  mu§  aud)  bas  feBjen, 
was  ipirb,  mas  it?erben  fann  unb  ruerben  foU. 
VOolil  ift  bas  Cun  bes  politüers  burdi  praftifd^e 
3been  unb  alfo  lefetlid?  burd]  etbifd^e  Segriffe  be» 
ftimmt.  2lber  bas  unterfd^eibet  ben  ed^ten  Politiker 
r>on  (Sottes  (Snaben,  rx?ie  es  Haumann  ift,  com 
Dilettanten  unb  5d]ir>ärmer,  ba§  fein  ^'öeai  nid]t 
ein  moralifdjes  ift,  entn?orfcn  aus  allgemeinen  (Se* 
Tanten  ot^ne  Hücfftd]t  auf  bie  Dinge,  fonbem  ein 
fpesififd]  politifd^es  3beal,  aus  ber  flaren 
fenntnis  ber  gegebenen  IDirflidjfeit  Ijeraus  ent-- 
micfelt  als  bie  nottoenbige  5ortfet5ung  ber  Cinien, 
bie  bereits  in  ber  (5egenix)art  angelegt  ftnb.  Das 
erB^eifd]t  einmal  bie  5ät^igfeit,  in  bem  X)orI:janbenen 
bie  Keime  unb  2nöglid?feiten  roeiterer  <£ntu?icflung 
3u  erfennen,  im  Seienben  bas  IDerbenbe  3U  al^nen, 
unb  3ugleid7  bie  aufbauenbe,  formgebenbe  Kraft 
ber  ptiantafie,  bie  alle  vox^anbmen  ZHöglid^feiten 
unb  23eipegungsrid)tungen  3ur  i£inl)eit  3ufammen' 
fd^aut  unb  fo  über  ber  (ßegenroart  aus  ber  €r' 
fenntnis  ber  (Segenroart  ein  53ilb  ber  ^ufunft 
fd^afft,  bas  bem  ^lan^ein  bie  Hid^tung  u?eift. 

33ei  ftarfen  fünftlerifd^en  Qualitäten  ift  Hau* 
mann  bod)  nid?t  3um  Künftler  geu^orben.  X>iel= 
me^v  münben  jene  Dor3Üge  in  feine  politifdje  Se* 
gabung  ein  unb  finben  bort  iljre  ^nipenbung. 
Denn  bie  gan3e  Hid^tung  feiner  Hatur  gebt  burd)» 
aus  aufs  praftifd]e  unb  nur  Ijier  toirb  er  wafyc' 


—    ^07  - 


Ijaft  probufttD.  €3  ift  bas  gegenfcitigc  Derijältnts 
unb  bie  Hangorbnung  ber  Sccicnfräfte,  was  bem 
gansen  2Tfen[d?cn  fein  (Sepräge  gibt  unb  aud]  bas 
ciTi3cInc  Vevmöqen  in  feiner  lDir!ung  beftimint 
Haumann  ift,  n?enn  man  ipill,  nid^t  eine  äftl^etifd^e^ 
fonbern  eine  ett^ifd^e  Hatur.  ^ud)  bie  2irt  feines 
Sd^auens  ift  baburd^  beftimmt,  infofern  fie  nid^t 
im  einseinen,  gefd^Ioffenen  Bilbe  ruljt,  fonbern  fid| 
in  bie  großen  <5ufammenl]änge  ergießt.  Diefe 
praftifdien  3been,  bie  Haumanns  lUefen  unb 
Sdjaffen  beftimmen,  in  il:^rer  <£ntu?icflung  5U  uer^ 
folgen,  ipirb  unfre  nädifte  ^lufgabe  fein. 


Vierfes  Kapitel. 
Religion.  Sthik  und  Politik« 

2tm  Anfang  unfrcr  btogvapijifdien  VOan^c- 
tung  ftanb  ber  prcbiger  Haiimann,  bcffcn  Btlb 
rotr  uns  nad}  ber  „(ßottesijilfe"  3u  entwexfen 
fudjtcn.  ^meierlßi  fanben  roir  babei  bemerfens^ 
Tocrt:  bie  fünftlerifd]cn  Qualitäten  ber  5orm  unb 
^te  f03iale  (5eftnniing.  2tm  (£nbc  bcr  (Sntrüicflung 
fteB^t  ber  polittfcr.  Unb  andi  biefcr  bietet  ber 
^etrad]tung  3n>ei  Seiten,  eine  ttjeoretifdje:  bas 
IDeltbilb,  bie  (£rfaffung  ber  gegebenen  XPirflid^ 
feit,  unb  eine  praftifd^e:  bie  Porftellung  oon  bem, 
was  tüerben  foll,  bas  <3iel.  Das  tl^eoretifd]e  Der« 
mögen  im  budiftäblid^ften  Sinne  bes  IPortes:  bie 
Kxmft  bes  Sd^auens,  Ijaben  u?ir  im  britten  Kap. 
in  iljrer  gansen  Entfaltung  unb  2lusbreitung  be« 
gleitet,  von  ber  gefammelten  Perfenfung  in  bas 
ein3elne  Kunftu>erf  bis  3um  tpeltumfpannenben  Über« 
fd^auen  unb  ^ufammenfd^auen  bes  poIitifd]en  Den« 
fers.  St^nlid]  rperben  rpir  je^t,  tpenn  id?  mid^  fo 
ausbrücfen  barf,  bie  praftif  d^e  (£ntix)icflung  Hau« 
manns  überbliden.  <5tx?ar,  ben  Ijiftorifd^en  Verlauf 
xmb  bie  innere  Nötigung,  bie  Haumann  t>on  ber 


—  ^09  — 


3ßfu5nad]foIgc  imb  ^ein  Cicbcsbienft  an  bcn 
armen  Gräbern  3ur  poIttifd]cn  partcigrünbung 
rocitcrbrängtc,  Ijat  bereits  bas  erfte  Kap.  bar3u^ 
(teilen  x^erfud^t.  So  bleibt  nun  bas  prinsipielle 
Derl:^ältni5  ber  (Sebanfen  3U  erörtern. 

l 

Haumanns  relicjiöfe€ntu)icflung  l^aben 
u?ir  in  einigen  f>aupt5Ücjen  aus  ber  „(5ottesI:>iIfe" 
ab5ulefen  ge(ud]t,  inbent  u?ir  bie  Urfunbe,  bie  ben 
Dorläuficjen  2lbfd)Iuß  imb  bas  Hefultat  biefer  (£nt= 
ipicfluncj  barftellt,  einftweilen  beifeite  ließen.  X>iefe 
foU  uns  jefet  im  ^ufammenliancje  befd^äftigen.  (£s 
jtnb  bie  „Briefe  über  HeIigion."i) 

X)iefe  Briefe  u)oUen  ben  ^e|ern  antivorten,  „bie 
es  nid]t  red^t  r>erftel:>en,  u?ie  Haumann  gleidiseitig 
(£l]rift,  X)aru?inift  unb  5Iottenfd^u?ärmer  fein  fönne." 
Sie  serfallen  in  5u?ei  Ceile:  ber  erfte  foll  feine 
religiöfe  Stellung  red^tfertigen,  bie  fid]  als  eine 
Bereinigung  von  ^Il^riftentum  unb  mobernem  Denfen 
(„X)aru?inismus")  djarafterifiert;  ber  iwextc  unter= 
fud^t  bas  l?erl:)ältnis  von  (£l]riftentum  unb  politif. 
3ßner  fämpft  mit  ber  boppelten  5ront[teIIung,  5U 
ber  Haumann  von  ber  einfeitig  d^riftlid^en  Hid-jtung 
feiner  5rül]3eit  aus  gelangt  i[t:  gegen  feine  ITlit-' 
d^riften  mu§  er  feine  mobern e,  barroiniftifd^e  Denf^ 
rueife,  gegen  bie  ZTTobernen  fein  Befenntnis  3um 
dtjriftentum  üerteibigen. 


')  Urfprünglid?  in  öcr  „^ilfc"  IX,  \  —  27\  bann 
als  Budj  im  3"Ii  ^903,  2.  2lufl.  llov.  \^05  (IMIfe.-Der* 
lag,  fort.  \,20  IXit). 


-  wo  - 


Das  (Sanse  ift  eine  l^ödjft  originelle  unb 
^eiftüoüe  Sd^rift,  üielleid^t  nod^  meljr  als  bie 
metften  anbern,  unb  bas  IPerf  eines  ebenfo  ur* 
ix?üd]ftgen  u?ie  grünblidjen  Denfers.  Da^  fie  eine 
Vermittlung  fud^t  sroif djen  Ctjriftentum  unb  moberner 
XDelt,  teilt  fie  5ipar  mit  unsätjligen  probuften  ber 
legten  Jal^re;  aber  bie  Wege,  roorauf  fie  biefem 
^iele  suftrebt,  fmb  burd^aus  neu  unb  intereffant. 
XDieber  betpunbert  man  ben  tiefen,  fad^lid^en  €mft, 
^en  I^eiligen  IDillen  unb  ZlTut  3ur  IDal^rtjeit,  bie 
Konfequens  unb  IDud^t  bes  Denfens,  —  lauter 
Por3Üge,  bie  man  bei  ben  meiften  Ian^>Iäufigen 
Vermittlungen  stoif d^en  „(glauben  unb  lOiffen''  fo 
ungern  r>ermi§t.  Naumann  u?ill  eben  gar  nid^t 
lim  jeben  preis  eine  Derföl^nung  3uftanbe  bringen. 
Sdiarf  unb  flar  u?erben  bie  oort^anbenen  (Segen-- 
fä^e  unb  5d?ix>ierigfeiten  aufgemiefen,  unb  niemals 
tperben  bie  Klüfte  mit  fd]önen  Hebensarten  ju^ 
^ebedt;  niemals  roirb,  u>as  im  Deuten  nidit  ^w- 
fammengeljt,  im  voexdien,  fd]u:)immenben  (ßefüEjle 
Derfdimolsen.  ^ber  freilid^,  eine  Sdjrift,  bie  mit 
fo  furd^tlofer  XPal^rl^aftigfeit  eine  fo  eigenartige, 
ifolierte  pofition  r>erteibigt,  mu§  fid]  auf  oiel 
<5  egnerf d]af t  üon  red]t5  unb  linfs  gefaßt  mad^enJ) 
3d|  glaube  inbeffen,  fie  bietet  aud)  mel:jr  Haum 

*)  €ine  (Scgenfd?rift  von  rcd?ts,  ol^irot^I  von  einem 
,,naturforfd)er"  üerf a§t,  ift:  €.  Dennert,  Vaxwinu 
fttfd?es  Ct^riftentum,  Stuttgart  ^90^.  £eiber  ift  fie 
3iemlid?  unbebeutenb  unb  unerquirflid?  ausgefallen.  IHtt 
einjelnen  Bemerfungen  über  tTaumanns  Dartrinismus 
bat  fie  rielleicbt  Hec^t;  im  <3an^tn  fann  fie  nicbt  über= 
3cugen,  u)eil  fie  iljren  Stanbpunft,  ben  einer  tjarmlofen. 


—  \\\  - 


für  Angriffe  unb  für  begrünbeten  lOiberfprud^  als 
irgenb  eine  anbre  neuere  5d>rift  Haumanns. 
lOenn  xd)  I>ier  einige  (Sinipänbe  evh^ehe,  fo  ift 
meine  2lbftd^t  babei  nid^t,  meine  eigne  pofttion, 
t)ic  mdit  tjiertjer  geljörti),  ber  Haumanns  gegen-- 
überjuftellen,  Dielmebr  u?erbe  id],  foioeit  möglid^, 
Haumann  felbft  gegen  Haumann  seugen  laffen. 

Sd^on  bie  Beurteilung  ber  gegenu?ärtigen 
Situation  ift  3U)iefpäItig.  Haumann  gel^t  au5 
r>on  ber  Cl^efe,  bag  neue,  religionsbilbenbe  ©jfen« 
barungen  unfrer  S^^^  fel]Ien,  bag  fie  feine  fdiöpfe^ 
rifd^e  ^eit  ift,  fonbern  x?om  (Erbe  ber  Dergangen-- 
tjeit  lebt  (IV).  Diefe  pefftmiftifd^e  ^luffaffung  über= 
rafd^t  boppelt,  nad^bem  fd^on  in  ber  ^(Sottesl^ilfe" 
ein  neues  Befenntnis,  bas  fid^  aus  ben  alten, 
fremben  bilben  foUte  (555),  ein  (Sott,  bem  audj 
t>k  €ifenrx>erfe  bienen  (258),  uerfünbet  u?ar.  ^ber 
fie  u?irb  aud^  tiier  nid^t  inne  gel]alten,  benn  im 
8.  Briefe  I^eigt  es:  „So  haben  ipir  bie  lange 
Heib^e  von  fertig  geseidjneten  (5  laubens  leieren 
Ijinter  uns  gelaffen  unb  u?agen  auf  eigene  ^anb 
3u  fagen:  bas  füllte  id]  alsHeligion!  0ft  ift  es 
Ijerslid]  wenig,  aber  bas  u?enige  Ijat  bann  bod> 
perfönlidjfeitstt>ert.  Hodi  ift  bas  Cappen  unb 
Sudjen  r>on  ber  Dergangenljeit  beeinflußt,  nod] 
blicfen  u?ir  5u  ben  alten  2neiftern  auf,  aber  bas 


Irabitionellcn  (Bläubigfctt,  einfacb  rorausfc^t  unb  offcn^ 
bar  feine  recbte  2lbnung  bat,  roorum  es  ftcb  in  biefen 
Kämpfen  um  eine  moberne  IDeltanfcbauung  Ijanbelt. 

2)  X?gl.  barüber  meine  „Xlloberne  Heligion",  S£eip3., 
€.  Dicbcridjs.  ^902. 


-    \\2  - 

3d^  iiat  3U  leben  begonnen."  Sonad)  tpäre  ja 
gerabe  unfere  ^eit  frudjtbarer  als  bie  Vergangen» 
I^eit.  Hun  ipirb  5u?ar  gleid)  baneben  r>erftd?ert^ 
tag  biefe  perfönlidje  ^eligtofität,  bei  ber  es  nid]t 
auf  bas  Was,  fonbern  auf  bas  Wie,  bie  Stärfe 
unb  HeinE^eit  ber  Stimmungen  anfomme,  nidjt  bas 
fjöd^fte  in  ber  Keligion  fei  (u?arum  nid^t?};  aber 
berfelbe  (Z^axattcv,  ber  eigentümlid^e  dt^arafter 
einer  Übergangsseit  u^irb  anbersroo  aud)  bem 
geu^ig  eminent  religiöfen  pietismus,  roirb  ebenbort 
fogar  bem  Heuen  Ceftament  5uerfannt.  Waten 
audi  biefe  (Reiten  in  religiöfer  fjinfid^t  minber* 
tpertig?  (Selegentlid]  ipirb  aud^  eine  ffrupellofe 
5reube  an  ber  Überlegenl^eit  bes  mobernen  (Rottes* 
glaubens  über  ben  alten  laut  (am  Sd^luffe  bes 
\0,  :8riefes). 

^roeierlei  ift  es,  was  \di  in  biefem  erften  Ceile 
3uu?eilen  »ermiffe.  Haumann  ift  I^ier  unb  ba 
mer!u)ürbig  xven'iq  u?ät^Ierifdj  in  feinen  ^rgumem 
ten;  er  nimmt,  was  fid?  auf  ben  erften  (5riff 
bietet,  ol>ne  feine  ßaltbarfeit  unb  Cragfraft  3U 
prüfen.  5ßrner  madjt  fid^  ein  ZHangel  fd^arfer 
23egrtffsbeftimmungen  bemerfbar.  Sold^e 
ftnb  ja  nidjt  immer  notroenbig;  aber  bei  polemifd? 
3uge[pi^ten  ^useinanberfe^ungen  !ommt  man  nidii 
3ured)t  otjue  fie.  Haumann  rt)ei§,  bag  bie  Heli* 
gion  nid^t  an  bie  Kird]e  gebimben  ift,  unb  fein 
3efus  roürbe  fd|Ied]t  in  unfre  gotifdien  Bacfftein« 
fird-jen  unb  unfre Konftftorialfifeungen  paffen  (XXVI); 
bas  Ijinbert  il:>n  nid]t,  ben  Sieg  ber  offi3ieIIen 
Kird]e  unb  priefterfdiaft  in  ^T^anhexdi  als  einen 


—    U3  - 


Steg  bcr  Religion  ansufctien.  (Eingel^cnb  fpnd]t 
er  über  bie  Perföl^ninigslel^re  (XIII— XIV);  er  ift 
froJ^,  bag  fie  il:|m  von  fjaus  aus  pertraut  ift  unb 
möd^te  fie  um  feinen  preis  aufgeben,  ^ber  er 
u)ei§  ^odi  nidits  ^efferes  für  fie  ansufül^ren,  als 
ben  alten,  üblen  (5emeinpla^,  ba§  aud^  fluge  Ceute 
auf  il^rem  Sterbelager  nad^  bem  priefter  gefd]icft 
I^aben.  ((£s  fommt  axid]  vor,  baß  2Tlenfd]en  im 
Hilter  finbifd^  iverben;  ift  bamit  aller  Perftanb 
il^rer  ^TJannesjal^re  u?iberlegt?)  So  ungern  er  es 
5ugeben  u)ürbe,  er  uerrät  bod^,  ba§  aud]  er  mit 
biefer  angeblid^  fo  getieimnisrollen  (übrigens  ljöd]ft 
und^riftlid]en)  Cel^re  im  (Srunbe  nidjts  mei^r  an3u= 
fangen  lüeig;  unb  er  merft  nidit  einmal,  ba§  er 
felbft  in  ^wei  Sä^en  il^re  ireffenbfte  iX^iberlegung 
fd^reibt  (XIV,  Sd^Iug  bes  2.  ^Ibfafecs). 

(£s  würbe  5U  ix?eit  fül:^ren,  alle  2Ui5füI:)rungen 
xmter  bie  fritifd^e  Cupe  ju  nel^men;  u?ir  befd]rän!en 
uns  auf  ben  sentralen  (Sebanfen:  X>ie  21Tenfd]t|eit 
fann  nidit  oljne  Heligion  leben  —  bie  Begrün* 
bung  ift  \dixoadi,  ber  Sa^  felbft  unsxveifelbaft 
ridjtig  — ;  als  Heligion  fommt  für  ims  nur 
bie  d^riftlid^e  in  Betrad^t.  X)ie  Unmöglid]feit, 
eine  neueHeligion  l^erpor5ubringen,  foll  burd^  eine 
bem  X>aru)inismus  entnommene  2lnaIogie  begrünbet 
u)erben.  2tber  2InaIogien  fönnen  nur  erläutern, 
nid]t  beipeifen.  Unb  bie  5rage,  ob  eine  neue  He« 
ligion  möglid]  fei,  verliert  allen  Sinn,  wenn  es 
ftd)  Ijerausftellt,  bag  fie  bereits  irf  Ii  di  ift.  Unb 
bag  es  ftd]  in  ber  Cat  fo  uerl^ält,  ift  n'xdit  nur 
meine  Zl'teinung ;  aud^  Naumann  u?ei§  es  unb  I^at 

£f.  ITl  e  Y  e  r:  o^ör.  riaumann.  g 


-  m  - 


CS  nur  Bjier  ücrgeffert.  3«  „(ßottesEjilfe"  trägt 
eine  2ln^adit  bte  Überfd^ift  ^(5oetijc"  unb  bas 
JTtotto:  „3ft  (Sott  nidit  aud?  ber  Reiben  (5ott? 
3a  freilid?,  aud^  ber  fjetben  (5ott."  ^er  3"^<il^ 
cntfprid^t  bcm:  (Soetl^e  rt?ar  fein  Ct^rift,  fonbem 
ein  XDeltfinb,  unb  aud^  in  Sittlid^feitsfragcn  voav 
ev  mcl>r  (ßriedjc  als  Hasarener,  aber  er  war  ein 
frommer  2T{enfd^  unb  t^atte  eine  eigene,  aber  u?irf= 
lidje  ^rt  bes  (Slaubens.  Hun  gut,  l^ier  ift  alfo 
rüirflid^e  Heligiofität,  bie  nidjt  d]riftlidj  ift.  Unb 
tpenn  fie  nur  in  (Soetlje  ba  wäve,  es  genügte,  um 
bie  S^<^<i^  nad>  ber  21TögIid]feit  einer  neuen,  nid^t-- 
djriftlid^en  Heligion  gegenftanbslos  5u  madjen. 

IDas  Haumann  geneigt  mad^t,  biefe  beutlid^e 
Catfad^e  3U  überfeE)cn,  finb  3um  Ceil  äugere  (Srünbe. 
Die  moberne  Heligion  lebt  nur  in  ben  Seelen  ein- 
3elner  lTTenfd]en;  fie  ipirb  niemals  Kird^en  unb 
(Sottesbienfte,  priefter  unb  Konfiftorien,  3e!ennt= 
nisformeln  unb  Saframente  traben.  Sie  l^at  femer 
loenig  2tusfid?t,  balb  ZTTaffenreligion  3U  lüerben. 
3n  feiner  lDerbe3eit  I^atte  Haumann  mit  ^voei  reit* 
giöfen  l?erl^altungsu?eifen  3U  tun:  mit  ber  ortI:jo* 
boren  5orm  bes  Cl^riftentums  unb  mit  bem  un= 
religlöfen  ZHaterialismus  ber  So3iaIbemofratie.  (£s 
finb  bie  beiben  formen,  bie  größere  ZTTaffen  be* 
I^errfdjen.  Die  freieren  mobernen  Birten  ber  Heli* 
giofität  traten  iljm  erft  näl^er,  als  er  bereits  in 
ber  politif  lebte ;  3U  il^nen  f onnte  er  jebod?  gerabe 
als  politifer  feine  Be3ieE^ung  finben,  toeil  fie  fo 
gar  nid^t  ZlTaffenerfd^einung  finb  unb  für  ben  po* 
litifer  nur  bie  ZTTaffe  3ät>It.    Hatürlidj  liegt  es  il^m 


-    \\5  - 


fern,  btcfc  Sd^ä^mtg  in  bie  rcitgiöfe  Spl^äre  tjin^ 
cinsutragen;  aber  bie  moberne  Heligion  u?irb  in 
feinem  ^enfen  untoillfürlid^  baburd]  3urücfgebrängt. 

Sadilxdie  (5rünbe  fommen  I:jin3u.  Naumann 
übertreibt  ben  Unterfd^ieb  3rpifd>en  d^rift* 
lid?  unb  nid^tdjriftlid].  IH an  !ann  freilid^  „feine 
neue  2(rt  ZPeltanfd^auung  unvermittelt  anfangen"; 
aud]  3efu5  Ijat  es  nid">t  gefonnt.  (5erabe  beute 
fetten  wxv  immer  tiefer  ein,  rt>ie  fel^r  er  burd^  bas 
fynf retiftif  d]e  3ubentum  feiner  ^cxt  vorbereitet  unb 
bebingt  loar.  Das  J^inbert  nid]t,  mit  ibm  eine 
neue  Heligion  3U  beginnen ;  unb  ebenfou?enig  f ann 
CS  uns  2Tloberne  an  ber  2tusbilbung  einer  neuen 
Heligion  I^inbern,  bag  u?ir  in  einer  „von  d]rift= 
Iid]em  (Seifte  burdju?irften  (Sefeüfd^aft"  leben  unb 
imter  bem  nad]tt?irfenben  (5ix)ange  ber  Dergangen= 
ijeit  ftel:jen.  Haumann  unterfd^eibet  allerbings 
3u>ifd]en  U)eiterentn?idlung  unb  ^Ibtrennung  (^nf. 
V.  V).  Die  ^ntitl^efe  ift  äugerft  geiftreid^  aber 
bod]  nur  fdjeinbar  unb  nidjt  ftid^tjaltig.  3cfu5 
bßt  fid^  fel:}r  feiten  fo  fdjroff  ZHofes  gegenüber  ge« 
ftellt,  unb  im  (5an3en  un3u?eifell^aft  bas  Banb  ber 
(5emeinfdjaft  mit  bem  3wbentume  md?t  burd?= 
fd^nttten;  felbft  bas  „\di  aber  fage  eud^"  ber  Berg^ 
prebigt  liege  fid^  gans  u?oJjl  nodj  imter  bem  Be= 
griff  ber  lDeiterentu?icfIung  imterbringen.  Xtod} 
fliegenber  finb  bie  (5ren3en  in  ber  Heu3eit.  — 
Haumann  glaubt  3n?ar  bie  (5ren3e  fd]arf  3ieJ^en 
3u  fönnen:  „5ür  ober  gegen  ^e\u5,  bas  ift 
ber  Sd^eibepunft,  an  bem  man  felbj!  erfennen 
fann,  ob  man  fid^  nodj  mit  eigenem  lOillen  imb 


8* 


—    \\6  - 


W\\\en  3um  dl^riftcntum  xed\nen  fann"  (V).  Die 
X>i5iunftion  flingt  ^e^x  einfadi  unb  ift  für  einen 
fo  Icibenfd^aftlidjcn  2^\u5vexeiixet  gan^  natürlid?; 
für  anbre  ift  fic  nid]!  cbenfo  cinleudjtenb.  Was 
l^eigt:  für  3efn5?  2lud]  bic  ZITuI^ammebaner  er* 
fennen  3efu5  als  großen  propJ|eten  an;  finb  fie 
barum  (EB^riften?  (£iner  ift  für  3^fu5,  b.  ij.  er 
empfinbet  il^m  gegenüber  große  Dereijrung  unb 
Ciebe  unb  in  tpefentlidien  pnnften  Übereinftimmung, 
aber  er  ift  ebenso  für  ^ubbE^a  ober  für  piaton; 
ift  er  Ctjrift,  Bubbl^ift  ober  platonifer  3ugleid]? 
^nbre  gibt  es,  unb  iljre  ift  Cegion,  bie  nie« 

mals  barüber  nadtiQet^adit  l^aben  unb  im  (£rnft 
gar  nid^t  3U  fagen  roüßten,  vo\e  fie  3U  3efus  ftel^en; 
vool^m  tun  voix  bie?  Selbft  bei  großen  unb  enU 
fdjieben  religiöfen  IHenfd^en  fann  man  feJ^r  in 
^voe\\d  fein.  3^>fß"/  ^jörnfon,  2TJaeterIind  I^aben 
ims  üiele  ^änbe  gefd?enft,  unb  id^  glaube  fie  gut 
3U  fennen,  aber  mir  ift  feine  Stelle  erinnerlid?, 
u?onad]  fid]  il^r  5ür  ober  (Segen  3^)'"^  imsiveifel* 
ijaft  entfd]eiben  ließe.  Unb  3U  u^eld^en  tounber* 
lid^en  Z^efultaten  fämen  xo'xx  bei  biefer  5d]eibung! 
Können  toir  u)irflid)  ben  Crennungsftrid?  fo  3iel]en, 
baß  Ccffing,  Kant,  5dileiermad]er,  Darivin,  ^is* 
mard  I^üben,  (Soettje,  5d]iIIer,  Z1Tar^  brüben  bleiben, 
rDäl^renb  Kant  unb  Ciguori,  IDidjern  unb  bie 
ZTTörber  Don  Kifd^ineu?  frieblid]  3ufammen  ftel^en? 
Kant  I^at  ftd?  xool]l  ftets  3U  ben  dl^riften  gesäl^U 
5d]i[Ier  in  einem  befannten  (Epigramme  es  abge* 
letint,  fid]  3U  irgenb  einer  Heligion  3U  befennen; 
3tDifd]en   beiben    beftel]t    roUfommenfte  Überein* 


-  l\7  - 


ftimmung  iljrer  gefamtcrt  IPcItanfdiauimg,  unb  bod? 

fielet  ber  eine  red^ts,  ber  anbre  linfs  ?    Die  rid^tige 

iragefteüung  fd]emt  mir  Dielmel^r:  ijat  3efu  perfon 

unb   Celjre  für  unfer  Ceben  eine  sentrale,  be* 

Ijerrfd]enbe  Bebeutung  ober  ift  er  nur  ein  (Element 

imfres  geiftigen  IDefens  neben  anbexn?    Hur  im 

crfteren  5ctne  I^at  es  einen  guten  Sinn,  fid]  (Ctjriften 

3u  nennen.    Wenn  es  aud^  bie  anbern  tun,  fo 

lügen  fte  nid]t,  aber  ber  Zlame  ift  bod^  irrefül^renb, 

u?eil  er  ben  Sadfoerf^alt  fdjief  barftellt,  es  ift  eine 

^rt  unbeicugter  33ilan3r>erfd]leierung.    (£t{rtften  in 

bem  angegebenen  »ollen  Sinne  bürfte  es  inbeffen 

unter  ben  mobernen  benfenben  ZTfenfd^en  nur  u^enige 

geben.    3ei  uns  allen  I^at  3^fws  an  unfrer  geij^igen 

Subftan3  mitgebaut;  aber  bei  uns  allen  ftammt  nur 

ein  Ceil  berfelben  üon  il^m,  u?ir  mögen  uns  dtiriftett 

nennen  ober  nid]t.    5)ie  n^irflid^en  religiöfen  Unter^- 

fd^iebe  innerl^alb  ber  I^eutigen  europäifd]en  Kultur* 

menfdjl^eit  —  unb  es  gibt  fetjr  gro§e  unb  toefent* 

lid^e  —  u?erben  burd]  bie  Unterfd^eibung  (EEjrift 

ober  Hid^tdjrift  in  feiner  IPeife  angebeutet.^) 

2tud^  eine  anbre  Formel,  bie  Haumann  für 

t>ie  Cage  ber  Heligion  gefunben  I^at,  fdjeint  mir 

unljaltbar:  „Die  (5efüI]Ie  bleiben,  u?ätjrenb  bie 

Begriffe  u?ed]feln.^    IDäre  bem  fo,  ^ann  voäxe 

Dicimctjr  bedt  btc  gemeinfame  Bescidjnung 
„c^riftlic^"  cjerabc  ben  burdjgrcifenbften  llntcrfd?ieb  3U. 
Katt^olisismus  unb  proteftanttsmus  ftnb  in  ber  <Lat  vet= 
fdjicbenc  Heligioncn.  Das  ift  um  fo  beutltc^cr,  ba  bie 
hcxben  getrennten  IDelten  bei  uns  alles  anbre:  Staat, 
lüiffenfdjaft  ufu).  gemein  tjaben  unb  ber  ungel^eure  2lb= 
flanb  ftd?  allein  auf  ber  religiös=ettjif d?en  Derfdjiebent^eit 
aufbaut. 


-    U8  — 


bie  Hcitgton  in  ber  Cat  bicfclbc  geblieben,  beun 
Heligion  tft  xbixem  VOe\en  nadi  (ScfüI^I.  3d?  glaube^ 
gerabc  unfrc  (Scfüljle  I^aben  fid^  fo  grünblidj  ge-- 
wandelt,  wie  bas  nur  möglid)  tft.  ^ber  jene 
Soxmei  gestattet  uns  einen  ix>ertüoflen  53Iicf  in 
Haumanns  Seele.  ^Öerbings  ift  bas  (ßefül^I  bas 
fonferoatipere  ®rgan  unfrer  Seele.  Unb  Hau* 
manns  (5efül^I  l^at  ftd?  fo  frütj  unb  fo  lange  an 
bas  dljriftentum  geflammert,  ift  fo  feft  unb  innig 
bamit  vexwad}\en,  bag  es  nid]t  mel^r  los  fann 
unb  il^n  babet  feftl^ält,  aud)  nadibem  fein  Venten 
fid^  gan3  baüon  losgelöft  B^at.  Unb  we'ü  fein  (5e* 
fül:)!  fo  gans  am  ^Iten  tjängt,  mer!t  er  nid^t,  ba§ 
bies  (5efül^l  felbft  feinesu?egs  alt,  fonbern  burdj* 
aus  mobern  unb  üom  2(Iten  r>erfd^ieben  ift.  Um 
bies  an  bem  u)id?tigften  pun!te  ftarsuftellen :  bas 
fo3iaIe  (SefüEjI  Haumanns  ift  etiuas  gan5 
anbtes  als  bie  altd^riftlidje  Caritas.  Diefe  ift  feiig, 
u^enn  fie  fd^enfen,  ^Imofen  geben  unb  Hot  linbern 
fann;  fie  bebarf  bes  (£Ienbs,  lun  ftdi  t:)axan  5U 
betätigen.  IDir  empfinben  es  als  eines  2Tlenfd]en 
imu?ürbig,  ^Imofen  nei^men  unb  üon  2IImofen  leben 
5u  müffen;  batjer  tft  uns  aud)  bas  Sd^enfen  oft 
ein  ujenig  peinlid^  unb  unfer  Streben  getjt  gan3, 
und?riftlid?er  lOeife  batjin,  bas  2tImofen  entbel^rlidi 
5u  madjen  unb  (mit  bem  <£Ienb)  absufd^affen. 

2IIfo  aud^  in  feinem  iüljlen,  nid^t  nur  im 
Denfen  ift  Uaumann  tnoberner,  als  er  felbft  al^nt. 
Hur,  ba§  iE^n  fein  (5efüy  i|inbert,  ftd?  entfdjloffen 
mit  beiben  iügen  auf  ben  ^oben  ber  neuen  IDelt 
5u  fteUen. 


-  m  - 

Soll  bies  einen  Ca^cl  enthalten?  XOex^en 
xo'iv  deswegen  geringer  von  ifyn  benfen?  (5eu?i§ 
nid>t.  (£5  ift  ja  nid-^t  Sd^wädy  ober  X)enfträgbeit, 
u?as  il^n  baran  l>inbert,  fonbern  bie  übermäd^tigc 
Kraft  feines  (5efül:>l5,  ber  beutfdien  Creue  unb 
pietät.  Unb  um  fo  größer  ift  iinfre  ^etounberung 
für  bie  Strenge  unb  Capferfeit  bes  ^enfers,  ber 
fid^  tro^bem  nid]t  von  feinem  IPege  abbrängen 
lieg.  (£r  erinnert  an  Kant,  beffen  ijers  ebenfalls 
am  alten  (Sottesglauben  I^ing,  unb  ber  bod]  mit 
unbeirrbarem  €rnft  ben  53egriff  feiner  IPelt  ber 
iTaturgefe^Iidifeit  imb  Kaufalität  3U  <£nbe  badete 
unb  ftreng  barauf  l|ielt,  bag  ber  (Sott,  bem  er 
burd^  eine  fünftlid-je  Konftruftion  ein  hauen 
u?oIIte,  feine  Kreife  nid^t  ftörte.  —  (£5  u?äre  natür» 
lid]  für  einen  ZlTann  von  Haumanns  €brlid]feit 
unb  Strenge  gegen  fidi  felbft  nid^t  unmöglid\  aud^ 
biefe  Hücfftänbe  ju  befeitigen  unb  in  feiner  (Se- 
fütjlsu^elt  biefelbe  KlarJ^eit  unb  ^inljeitlidifeit  5U 
fd-jaffen,  bie  in  feinem  X>en!en  tjerrfd^t.  ^Iber  ber 
Kampf,  ber  biefem  Siege  iJorljergeE^en  müßte, 
lüürbe  ein  größeres  ZTTag  r>on  feelifd^er  Energie 
r>erbraud]en,  als  je^t  für  biefe  Probleme  oerfüg* 
bar  ift.  lOenn  alfo  rtaumann  in  feinem  Hingen 
nadi  einer  eintjeitlidien  IDeltanfd^auung  nid^t  gans 
ans  ^iel  gefommen  ift,  fo  ift  biefer  Persid^t  in 
geu?iffent  Sinne  ber  preis,  um  ben  feine  ^ewaU 
tige  politifd^e  Denf arbeit  möglid^  mar. 

2. 

3n  ber  „ Station"  r»om  \9.  Sept.  \^0ö  hßt 


—    \20  — 


^axnad  bie  „Briefe  über  Heligion"  angezeigt  (£r 
fargt  nid>t  mit  2tnßr!ennung,  aber  nur  bem  erften 
Ceile  gibt  er  feine  ^uftimmung,  n?äbrenb  er  ben 
3u?eiten  ablel>nt.  Der  groge  fjiftorüer  möge  mir 
üerseiijen,  rrenn  idi  in  beibem  anbrer  IHeinung 
bin.  Was  über  ben  erften  Ceil  gefagt  rperben 
muß,  ift  gefagt.  Was  ben  srceiten  betrifft,  fo  ift 
Haumann  barin  ii^m  gegenüber  burcbaus  im  Hedjt 
unb  exwei]t  ftdj  als  ber  überlegene  unb  tiefere 
prinsipielle  Denfer.  (5erpi§  läßt  jebe  fcbarfe  2lnti* 
ttjefe,  jebe  ^ufpi^ung  einer  S^age  l^imbert  (£in^ 
fd:)rdnfungen  ju,  unb  gerabe  ber  ßiftorifer  roirb 
biefe  am  ebeften  feben.  2iber  es  ift  imenblicb 
frucbtbarer,  ein  problem,  einen  U)iberfprud)  in 
feiner  gansen  Ciefe  unb  IPucbt  E>erau5$uarbeiten, 
als  es  mit  2Ibfcbu)äcbungen  unb  Dermittelungen 
3U3ubecfen  unb  ftd?  mit  allgemeinen  Sä^en  3u 
täufd^en,  bie  ber  Scbmere  ber  Aufgabe  nid^t  ge^ 
u>adifen  finb  unb  vov  ber  fonfreten  IDirflid^feit 
oerfagen.    Das  problem  aber  lautet  fo: 

XPir  fönnen  nid^t  bie  IPorte  3efu  unmittelbar 
auf  uns  anvoenben  unb  unfer  gan3es  Ceben  nad) 
ben  (5runbfä^en  d)riftlidier  £tbi!  einrid^ten. 
IDir  fönnen  nicht  dbriften  im  genauen  IDortfinne 
ber  fioangelien  fein.  (Sroge  (5ebiete  imfers  Cebens 
laffen  fid)  nidjt  nadb  ben  3been  bes  ZHitleibs  unb 
ber  Bruberliebe  regeln,  fonbern  n^erben  üon  an'öem 
Crieben  gelen!t  unb  legen  anbre  pftid^ten  auf. 
3n  ibnen  fmb  (Egoismus,  (Sefdjäftstüditigfeit  unb 
€rmerbsfinn,  XD'iüe  3ur  ZtladoX  3um  (Erfolg  bie 
ent\dieibent>en  Cugenben.    Das    (Ebriftentum  ift 


-    \2\  - 


mdit  unfrc  ganie  <£thit,  fonbcrrt  nur  ein  ^Ecit 
^)crfclben.  VOiv  (Inb  im  beften  5aIIe  mit  ber  rcd]tcn 
fjanb  (ßßfd'jäftsleutc  imb  mit  ber  linfen  3üngcr  3efii. 

Haumann  empfinbet  bic  gan3e  Sdiweve  bes 
^micfpalts ;  er  tjat  pcrfönlid]  picl  tiefer  als  2lnbre 
barunter  gelitten,  u?eil  es  il^m  I:jeiliger  (£rnft  u?ar 
nttt  ber  Had^folge  3^fW'  Tiber  er  I:jält  ibn  für 
unentrinnbar  unb  tnfolgebeffen  für  erträgIid^  €5 
fragt  fid^  jebod?,  ob  bamit  nid^t  mel^r  bel>auptet 
ift,  als  vom  Sianbpnntte  bes  (ri:|riftentums  aus 
3ugegeben  n?erben  fann. 

2lu§ert{alb  ber  Kompetens  ber  d^riftlidien  €tbif 
fäHt  5unäd]ft  bie  gan3e  Spljäre  bes  Staates  unb 
bes  öffentlid]en  Cebens.  Dielleid^t  ift  biefe  Be» 
fdiränfung  nodj  am  el^eften  3U  ertragen.  Denn 
Staat  unb  Hed^t  fällt  überbaupt  aus  bem  (5eftd^ts= 
freife  bes  Cl^riftentums  l^eraus.  Die  €tl^if  bes 
CBjriftentums  ift  rein  unb  ausfd]Iie§Iid7  inbioibua^ 
liftifd?.  Dalmer  !önnte  I^ier  bie  €tl]if  bes  Staates 
als  eine  (£rgän3ung  ba3u  angefet^en  uperben.  Unb 
bie  pielen,  bie  nid^t  bireft  an  ber  Arbeit  bes 
Staates  beteiligt  finb  unb  bie  es  permeiben,  über 
bie  Probleme  bes  Staates  nadj^ubenfen,  würben 
^ann  ben  IPiberfprud^  faum  bemerfen. 

2tber  aud]  (5efd]äft  unb  Berufsleben 
ent3iel^en  fid^  ben  (Sehotm  ber  Bergprebigt.  2lud^ 
ba  l^errfdjt  ber  Kampf  ums  Dafein;  aud>  ba 
fiegen  nid^t  Ciebe  unb  ^ier3ensreinl]eit,  fonbern 
"Kraft  unb  ^Inpaffungstüd-jtigfeit,  Klugl^eit  unb  IDille 
3ur  Selbftburd?fe^ung. 

lOas  bleibt  mm  für  bie  d]riftlid]en  (Sebote 


-    \22  - 


übrig?  <£s  fielet  offenbar  mdit  fo,  bag  xfyxen  nur 
groge  (Sebicte  iinfcrs  Ccbens  cntjogen  finb,  fonbem 
alle  Banpt]phäxen  besfelben  geB>ord?en  anbem  (5e^ 
fe^en.  Staat,  (5efeIIfcbaft  unb  ^eruf,  bas  ftnb 
bie  3"^^*!^^/  unfer  Ceben  5um  größten  Ceile 
unb  immer  rollftänbiger  ausfüllen ;  was  übrig 
bleibt,  erfd]eint  baneben  faft  als  53eiu?er!.  Unb  es 
fragt  fid]  nod\  roieoiel  bier  bie  d^riftlid^e  €tbi! 
bebeutet. 

(£s  finb  nodj  iwei  pun!te  3U  beaditen:  ^ie 
(Sefe^e,  bie  jene  großen  Gebens fpi^ären  beberrfd'jen, 
finb  nid)t  nur  anbere  als  bie  djriftlidien,  fie  finb 
bireft  entgegengefe^t.  Sie  sroingen  uns  ununter^ 
brod]en,  IDorten  3c]n,  vo'ie  „Sorget  nidit  für  ben 
fommenben  ZHorgenl",  „IDenbe  bidj  nid>t  r>on 
bem,  ber  bir  ahbov^en  vo'iül"  juwiber  3U  banbeln; 
unb  nie  befinnen  rcir  uns,  voeldtiet  Stimme  wiv 
in  foldyem  Konflift  folgen  follen.  ^ud^  bas  ift 
eigentlid^  nid?t  gans  ridjtig,  bag  roir  nid^t  gan3 
Cbriften  fein  f  ö n n en,  fonbem  u>ir  rr>  0  II e n  es 
n'idit,  felbft  rrenn  toir  es  fönnten.  Va^  es  für 
ben  (Sinselnen  im  (Sansen  möglid]  ift,  ben  d)rift* 
lidien  (geboten  nad^suleben,  unb  rr>ie  bas  ausfallen 
upürbe,  bas  ^at  uns  ja  einer  unfrer  tiefften  unb 
ebelften  ^eitgenoffen  geseigt,  ein  Vflann,  ber  uns 
burd?  bie  Heinbeit  unb  ftttlid^e  Kraft  feiner  Seele 
3ur  <£B]rfurdit  3u?ingt,  gleid^uiel  ob  unfer  Derftanb 
itjm  beipflidjtet  ober  nidit.  ^ber  gerabe  bei  S^olftoi 
ipirb  es  uns  red^t  beutlid>,  baß  vo'w  bie  u?al:>re 
Hadjfolge  3efu  gar  nid]t  roollen  fönnen.  X>enn 
u?ir  müßten  fie  mit  bem  0pfer  nidjt  nur  bes 


Staates,  fonbcrn  unfrer  gcfamten  materiellen  im^ 
geiftigcn  Kultur  heiah^en.  2lber  aud]  biefe  fxub 
etl^ifdje  Uferte,  bie  3U  erl^alten  uns  pflid>t.  lTid}t 
unfre  Sdiwäd\e  unb  Sünbbaftigfeit  Iitnbert  uns, 
3efu  3w"9^i^  511  f^i^f  fonbern  unfre  reid^ere  unb 
entiüicf eitere  (£tliif  felbft. 

^Is  bie  I5auptpun!te  diriftlid]er  (£tbif  be^ 
jeidinet  Naumann  r>öllig  5utrejfenb  ZTJitleib  unb 
Keufd^l^eitJ)  Unsa^eifclbaft  a^aren  bas  bie  Cugenben,. 
burdi  meldie  ftd]  bas  urfprünglidie  ^briftentum 
von  ber  umcjebenben  iPelt  unterfdjieb.  Va^  eine 
burd?  biefc  pole  beftimmte  i£tl]if  in  unferm  beutigen 
Ceben  frentb  unb  unmöglid^  ift,  bat  Naumann  aud") 
ausgefübrt  in'  bem  l^errlidien  ^hiffa^e  „Die  Ho^ 
mantif  bes  parfifal"  (c5eit  I,  48). 

Von  ben  €in5elfällen  bes  Problems  I^at  einer 
biftorifd^e  Bebeutung:  bas  Dertjältnis  swifd^en 
(II]riftentum  unb  politif.  Die  nationalfosiale 
Partei  l^at  fid^  aus  ber  d]riftlid]f05ialen  entu?icfelt; 
Haumann  felbft  unb  ein  großer  Ceil  feiner  Ijelfer 
unb  ^nb^änger  iparen  von  Baus  aus  iIl)eoIogen; 
für  fie  alle  mugte  bie  5rage  nadi  ber  Dereinbar- 

1)  3*  bcmerfe  auch  l^icr,  ba^  man  djriftlicbe  untv 
ftoteftantifcbc  (Etbif  notirenbig  trennen  muß.  giPtfcben 
proteftantifcfcer  uni)  moberner  €tbif  beftebt  eine  fo  \(bav\e 
Spannung  nicht,  ütelmelir  finbet  t^ier  eine  organifAe 
XDetterentiDicf  lung  ^tait :  Kant  als  bie  DoUenbung  £utbers. 
man  tann  aber  nid?t  ebenfotPot>I  von  einer  IDeiter^ 
bilbung  bes  dl^riftcntums  reben,  ujeil  gcrabc  bie  Keime, 
btc  je^t  frucbtbar  geirorben  finb  (rgl.  unten  5.  |56f.),  im. 
urfprüngltcben  dtjriflentum  3um  CEeil  fel)len  unb,  sufolgc- 
i»er  esdjatologifcfaen  Orientierung  jener  ^tit,  fctjlen  mußten. 


—  m  — 


feit  beiber  prinsipien  3ur  pcrfönlid^cn  Cebensfrage 
voev^en.  Vev  Konflift  ipurbc  brcnncnb,  infolge 
eines  3ufänigen  2lnla\\es,  auf  bem  Parteitage  ju 
Ceip5ig  V)00,  unb  feitbem  ift  bie  ^useinanber* 
fe^ung  stüifd^en  €tl^if  iinb  politif  nie  u>ieber  3ur 
^ul^e  gefommen.  2lm  fd^ärfften  I^at  bamals 
Sol^m  ben  lOiberftreit  unb  bie  Unpereinbarfeit 
beiber  ausgefprod^en:  Staat  unb  Krieg,  beibe  un* 
trennbar  jufammengel^örig,  fönnen  nidit  angewandte 
€ttjif  fein,  fie  ftnb  nad?  (5runbfäfeen  ber  <£tBjif 
unmöglidi.  Das  Volt,  ber  Staat  E^at  feine  Heli* 
gion  unb  unterftel^t  feiner  (£tl]if ;  er  ift  „ber  Uber= 
menfd?,  ber  Unmenfdj".  Die\e  extreme  5ormeI  ift 
offenbar  untjaltbar.  Sie  roürbe  jeben  etl:jifd?  ge* 
rid'jteten  ZHenfdien  in  bie  unbebingte  Staatsfeinb» 
fd^aft  i^ineinbrängen,  3um  2(nard?iften  mad]en.  Dev 
Staat  voäxe  bann  bas  abfolut  Böfe,  Unftttlid^e  unb 
IX>ibergöttIid?e.  2lber  fie  fixiert  nid^t  nur  3U  un-- 
ntöglid]en  Konfequen3en ;  fie  rul|t  aud]  auf  trüge- 
rifdiem  <5runbe.  ^enn  freilid?  ift  bas  lOefen  bes 
Staates  5tr>ang,  aber  biefer  ^mang  felbft  ift  am 
legten  <£nbe  roieber  etl^ifd]  bebingt.  Denn  ber 
^wang  bes  Staates  fann  nur  burd]  ZHenfdien, 
23eamte  unb  Solbaten,  ausgeübt  toerben  unb  I:|ängt 
ab  üom  (ßet)orfam  biefer.  Hur  u>o  überl^aupt 
nodi  feine  bemühte  Sittlid]feit  fid]  entfaltet  E^at, 
fann  biefer  als  Stumpfftnn  unb  eine  ^rt  blinbe 
^Vpnofe  erfd]einen.  Bei  I:jöl]er  enttüicfelten  Dölfern 
bagegen  fann  fid^  ber  S^anq  bes  Staates  nur 
<iuf  ben  (Stauben  an  feine  Hottpenbigfeit  unb  bie 
freiu)illige  Unteroperfung  unter  fein  (ßebot,  upenigftens 


—    \25  — 


hex  einem  Ccile  feiner  0rcjaiie,  grünben,  unb  er 
brid^t  5ufammen,  wo  btefe  etl:jifd]en  TXlomente  i?er* 
fagen.  Der  Staat  ift  alfo  te'meswe^s  von  etl^ifd-jen 
(ßefe^en  ej-emt,  fortbern  er  bebarf  tl^rer  3u  feinem 
eignen  3eftanbe.  X>iefe5  „IDefen  ber  politifdjen 
lüadii"  l^at  Hiemanb  flarer  erfannt  als  Haumann 
(f.  fjilfe  VIII,  52,  rc.=3.  38);  er  l]at  bamit  viel 
liefer  gefe^^en  al5  SoEjm. 

Sol^ms  ^tusfül^rimgen  foUten  bamals  Xlan- 
manns  ^altimg  Derteibigen,  unb  biefer  Jjat  fid? 
u)al]rfd]einlid]  bamit  in  Übereinftimmung  gefül^It. 
2Iber  tatfäd]Iid7  fagen  fie  etrcas,  it?a5  Haumann 
niemals  5ugegeben  t^ätte.  Hiemals  ^at  biefer 
Staat  unb  Sittlid]feit  in  (ßegenfafe  geftellt,  er  l^at 
immer  nur  bel^auptet,  bag  in  ber  politif  eine 
anbre  (£tt^if  gilt  als  bie  d]riftlid]e  unfers  privat* 
lebens.  (£r  ift  genügenb  J)iftorifd7  gebilbet,  um  3U 
toiffen,  bag  es  anbre  (£tJ]ifen  gibt;  ^id^tes  „Heben 
an  bie  beulfd]e  Hation"  finb  il^m  nid^t  imbefannt. 
Unb  roenn  ^ismarcfs  Cebensu?erf  audt  voenxg  5U. 
ben  Dorfd^riften  ber  ^ergprebigt  ftimmt,  es  ift 
barum  bod]  nidjt  ftttlid^  u>crtIos ;  in  il^m  ftecft 
üielmel^r  eine  gan5  eminente  ftttlid^e  potens,  nämlid^ 
eine  geu?altige  Kraft  bes  IDillens,  eines  IDillens, 
ber  burd]  Pernunft,  burd?  felbftgeftecfte  ^iele  he-- 
ftimmt  ift. 

^ber  i  ft  es  nun  überl^aupt  möglid?,  r>  e  r  f  d]  i  e  b  e  n  e 
2^ToraIf obe^-e  neben  einanber  5U  h.ahen  imb  nad) 
23elieben  balb  vom  einen,  halb  vom  anbern  (5e» 
hvandi  5U  madien?  3ebe  Zlloral  ift  ein  eifriger 
(Sott,  ber  feine  anbern  (ßötter  neben  fid^  bulbet. 


—    126  — 


^ud}  bie  dinftlid^e  TXlovai  wax  Mnesvoegs  gemeint, 
nur  für  ein  Ceilgebiet  3U  gelten,  fonbern  trat  in 
bie  Weit  mit  bem  felbftüerftänblid^en  ^Infprud), 
^as  gefamte  Ceben  aller  ZTTenfd^en  3U  regieren. 
3ft  man  übert^aupt  nod^  ein  Cljrift,  wenn  man 
—  um  ein  bekanntes  lOort  vom  Liberalismus  5U 
4>arobieren  —  fid?  bie  (ßelegenl^eiten  ausfudjt,  wo 
man  d^riftlid?  [ein  Jann?  2lber  u?ir  feigen  vom 
(Et^riftentum  ab.  ZTTit  (£ttjif  fud^n  ii>ir  überl^aupt 
bie  2TJad]t  5U  nennen,  bie  unfer  Ceben  von  innen 
-geftaltet  unb  bas  fd^afft,  was  wiv  unfre  perfön* 
lid^feit  I^eigen.  Sie  ift  ber  innerfte  Kern  imb  bie 
«igentlidje  5ubftan3  unfers  IPefens.  Ellies  2lnbre 
•^rfd^eint  neben  iEjr  sufällig  unb  uniüefentlid^.  Unfer 
^enfen,  unfer  €mpfinben  mag  immerl]in  üielfpältig 
imb  toiberfprudisüoU  fein,  —  tyev  muffen  w\v 
-<£inl^eit  fein  ober  w'ix  finbs  nirgenbs,  u?ir  I^aben 
überl^aupt  fein  ^di,  feine  perfönlid^feit. 

^jat  nun  Haumann  betoiefen,  bag  es  feine 
'«inl^eitlid^e  (£tl^if  geben  fönne?  Durd^aus 
nidit.  Hur,  ba§  bie  djriftlid^e  (£tl^if  bies  nid^t  fein 
fann.  ^ud^  er  atjnt,  bag  es  irgenb  eine  l^öl^ere 
(£inl|eit  geben  mug,  bag  ber  (5ott  ber  2Tiad]t  unb 
ber  <5ott  ber  Ciebe  irgenbtt?o  3ufammenl^ängen, 
aber  er  r)er3tx?eifelt  t^axan,  biefen  ^ufammenBjang 
3u  ergrünben  unb  meint:  „Das  Ceben  felbft  ift 
•größer  als  alle  prin3ipien,  bie  ja  nur  aus  il^m 
entnommene  (ßebanfenreil^en  pnb."  (XXIII.)  Wenn 
fid7  alfo  prin3ipien  als  ungenügenb  unb  unfäEjig, 
bas  Ceben  3U  faffen,  erliefen  l^aben,  fo  gebe  man 
fie  auf  unb  fud^e  neue,  beffere.    Dies  3U  tun, 


-    \27  - 


Ijmbert  Haumann  nur  feine  unerfd)ütterlidie  ^tn» 
tjänglid]feit  an  bas  dEiriftentum.  Sonft  u?äre  ihm 
mdit  entgangen,  baß  biefes  böbere  prin^ip,  bas 
lütr  fud^en,  aus  bem  fidi  fou?obI  bie  inbiribuelle 
wie  bie  politifdje  ^tbif  ableiten  laffen,  gar  nid^t 
fo  unjugänglidi  unb  unerreid^bar  ift,  baß  es  längft 
crfannt  unb  innertjalb  bes  Kreifes  ber  mobernen 
^ilbung  anerfannt  ift.  €5  ift  gefunben  von  ber= 
jelben  ^eit,  ber  tpir  alle  (Srunblagen  unfrer 
^eiftigen  Kultur  perbanfen,  unb  fein  v£ntbeder  beißt 
Jmmanuel  Kant. 

3di  u)ürbe  am  liebften  audi  bier  meine  eigne 
Stellung  gan^  aus  bem  Spiele  laffen,  aber  id^ 
fann  eine  furse  ^Inbeutung  nid^t  entbebren,  teils 
roe'd  fonft  an  biefem  entfd^eibenben  punfte  eine 
offne  Cücfe  bleiben  u?ürbe,  teils  u?eil  bas,  u?as 
tpir  I^ier  braud'jen,  fid]  ivoax  aus  Kant  ergibt, 
aber  bei  it^m  bodj  nid^t  fo  bireft  ausgefprod^en 
unb  baljer  burd]  Hennimg  bes  Hamens  nid^t  obne 
lOeiteres  gegeben  ift.i) 

^er  ^entralgebanfe  ber  Kantifdjen  €tbi!  ift 
t)er  begriff  ber  5reib,eit.  Sie  bebeutet:  Beftimmt* 
fein  burd^  eignes  (Sefe^,  ^tutonomie,  unb  bat 
einen  boppelten  (ßegenfa^:  äugeren  ^voanq  ober 
Beftimmung  burd^  ein  frembes,  x?on  anbrer  Seite 
<mferlegte5  (5efe^  (ßeteronomie),  unb  gefe^lofe 
IPillfür.  Kant  bat,  ber  lanbläuftgen  Sd^ub  unb 
Kird^enmoral  folgenb,  biefen  (Zhßxattex  ber  S^eilieit 

IDeiteres  in  meiner  Scbrtft  „fjerber  unb  Kant", 
£taüe  a.  5.  ^90-5^,  S.  zrff. 


—    \28  — 


ober  5ittHd]feit  (bcibes  fagt  bas\dhe)  tiur  an  bet 
emielnen  ^anblung  anfd]aultd]  gcmad]t.  ^ber 
biefe  ^arftellung  ift  ungertügenb  unb  uerbirgt  bie 
gansc  Ciefc  unb  5i^ud]tbarfcit  feiner  €ntbedung. 
X>enn  ber  wahrte  (ßegenftanb  ber  (£tEjif  ift  ber 
ZHenfdi,  unb  bie  ein5elne  fjanblung  ift  burd]  ben 
Cljarafter  bes  Ijanbelnben  2TJenfd?en  beftimmt  un^ 
nur  von  tjier  aus  3U  beurteilen.  5el:jen  w'w  bavon 
ah,  fo  ergeben  fidi  nur  gans  allgemeine,  formale 
Beftimmungen  unfers  Cuns,  unb  bie  lOirfung  bes 
prinsips  bebält  etroas  Zufälliges,  (0elegentlid]e5, 
voxe  es  bei  allen  altern  <£tl]ifen  ber  S<^^  ift.  €rft 
burd]  bie  ^nwenbung  auf  ben  IHenfdien,  inbem 
voix  biefen  als  (Einlieit  faffen,  u?irb  es  mit  fonfretem 
3nEjaIt,  mit  £ebensfaft  erfüllt.  X)iefer  ganse  Vflen\dt 
ift  nun  burd?  ein  eigenes  (Sefe^  beftimmt,  ein 
(ßefe^,  bas  itjm  allein  5ugel]örig,  il^m  eigentümlidi 
ift  unb  iiin  3U  einer  fittlid^en  3nbioibuaIität,  b.  Bj. 
einer  perfönlidjfeit,  mad]t,  ein  (ßefefe,  bas  beftimmt 
ift,  fein  ganses  Ceben  5U  leiten,  unb  bas  roir  in 
ber  ^Iltagsfpradje  feinen  ^eruf  nennen,  ^nbem 
er  biefen  feinen  befonberen  Beruf  erfüllt,  inbem 
bas  in  il>m  angelegte  (ßefe^,  bas  fein  eigenftes 
XX)efen  ift,  fein  ganses  Ceben  geftaltet,  lebt  er 
mabrbaft  frei  unb  fittlidj.  So  geroinnen  roir  eine 
(£tl:|if  für  ben  (£in3elnen,  bie  nidjt  nur  bie  fleinen 
rcebenbinge  unfers  Cebens  fa§t  unb  cor  bem  fjaupt-- 
inE^alte  besfelben  r>erfagt,  fonbern  bie  xmfer  gefamtes 
^un  imb  Ceben  als  (£inl:jeit  sufammenfagt  unb  formt. 

^ber  bas  ift  nid^t  alles,  u?as  fte  leiftet, 
fonbern  fie  gibt  uns  audi  bie  2TtögIid^feit  einer 


—   ^29  - 


übcrinbiiMbucIIen,  einer  <5emeinfd]aft5  =  €tEjiF. 
5tttlid]e5  fjonbeln,  weldiev  5lrt  es  fei,  tft  nid^t 
üorftellbar  an  bem  ifolierten  (£in3elnen,  fonbern 
nur  in  Besiel^ung  auf  2(nbre.  IPir  !önnen  nid]t5 
tun,  was  nidit  irgenbrnic  ein  lOirfen  auf  2Inbre 
ober  ein  Sd^affen  für  ^nbre  ober  für  bie  2Ttenfd)* 
I^eit  rüäre.  2tl5  fittlid]e,  b.  Ii.  frei  tjanbelnbe 
IDefen  finb  voix  ganj  r>on  felbft  (ßlieber  einer  (5e* 
meinfd-jaft  üon  eben  fold^en  IPefen.  IPenn  uns 
nun  all  unb  jebes  Cun  in  Besieljung  3U  biefer 
(Semein[d]aft  fe^t,  fo  lägt  fid^  bod]  ein  befonberes 
Cun  benfen,  unb  es  ipirb  fogar  notu?enbig  fein, 
bas  eben  bie  (ßeftaltung  biefer  Bejiel^ungen  3u?ifd]en 
ben  einseinen  UTenfdien  unb  stpif dien  bem  (£in3elnen 
unb  ber  (5efamtl7eit  3um  <3egen\ian^e  ^at  Dies 
roürbe  bann  im  u?eiteften  Sinne  f  0  3 1  a  I  e  s  unb 
poHtifd^es  J^anbeln  fein.  Don  fyev  aus  ftnb 
»erfd^iebene  ^ortfül^rungen  benfbar,  bie  fid]  freilid) 
feinesroegs  ausfdiliegen,  fonbern  kombiniert  u?erben 
fönnen  unb  »ielleid^t  müffen:  Das  poIitifd]e  fjanbeln 
fann  lebiglid]  barauf  gerid^tet  fein,  bie  ^r^i^l^it 
bes  (£in3elnen  mit  ber  5reilieit  ber  ^nbern  3U  r>er* 
mttteln,  baburd)  einsufdjränfen  imb  bar>or  3U 
fd^ü^en,  —  ber  bloge  Hed]tsftaat.  Der  €in5elne 
!ann  aber  audi  von  ber  (ßemeinfd^aft  pofitioe 
5örberung  feines  Cebens  unb  Cims  erroarten. 
(2)ber  bas  lOirfen  ber  <£in3elnen  fann  3U  einer 
(5efamtleiftung  3ufammengefagt  werben,  bie  (5efamt* 
I^eit  felbft  tritt  l^anbelnb  auf  unb  bilbet  ftdj  eine 
n^ue,  foEe!tir>e  5orm  ber  5ittlid]feit  aus.  €s  tft 
nidit  I^ier  ber  0rt,  biefe  ^inu^eife  3U  »erfolgen; 


-    \30  — 


es  genügt,  wenn  idi  beutltd^  qemadit  habe,  K?te 
auf  bcm  Robert  btejcr  einem  Kulturool!  allein 
angemeffenen  (£tl]if  aud?  eine  etl|ifd]e  (Srunblegung 
ber  politif,  eine  2Iuffaffung  ber  politif  als  ^ange» 
roanbter  (gtl^if^  burd^aus  möglidi  ift. 

Dodi  nein,  eine  ^emerhmg  barf  nid]t  unter« 
brüdt  rcerben,  benn  fie  gel^ört  3U  unferm  (ßegen* 
ftanbe.  ^iefe  (£tbif  gibt  nämlidj  nid^t  nur  allge* 
mein  ben  „(5eift",  in  bem  bie  politif  getrieben 
iperben  foll,  unb  ift  gegen  ben  3nl:jalt  berfelben 
gleidjgültig,  fonbem  fie  ergibt  aud^  l^ierfür  fel^r 
beftimmte  unb  ir>id]tige  Konfequensen.  Das  bloge 
prin3ip  ber  5reiE)eit  =  Autonomie  füEjrt  3U  ber  unab« 
toeisbaren  5orberung,  bag  fein  ZTTenfd^  einem  (ßefefe 
untermorfen  toerben  foII,  bas  er  fid]  nid^t  felbft 
gegeben,  b.  Ij.  an  beffen  5^ftf^^ung  er  nid^t  mit* 
geiüirft  l^at,  unb  bag  nur  ein  (5efe^,  bei  bem  btes 
ber  5citt  ift/  fittlidj  uerpflid^tenbe  Kraft  I^at.  5ür 
uns  ift  bal:jer  bie  X)emofratie  nid^t  bIo§  aus 
toirtfd^aftlidjen  unb  anbern  €rtx)ägungen  nottoenbig, 
fie  ift  nid^t  eine  Staatsform  tt)ie  anbre  aud],  bie 
w'ix  sufällig  gerabe  je^t  traben  unb  l^aben  woüen, 
\onbevn  fie  ift  bie  Staatsform,  bie  allein  bem 
Staube  unfrer  fittlid]en  (Entroicflung  entfprid^t,  fie 
ift  für  uns  ein  etl^ifd^es  prin3ip,  bas  lüir,  nadti't>em 
es  einmal  ins  33eit)u§tfein  ber  2Tfenfd]l^eit  getreten 
ift,  niemals  roieber  aufgeben  fönnen  unb  bürfen, 
fie  ift  uns  unbebingte  fittlid^e  pflid^t.  3^^^  Staats-- 
form,  bie  [xdi  auf  bem  prin3ip  ber  2lutorität  auf« 
baut,  ift  nid>t  nur  fd]äblid7  unb  unbraud^bar, 
fonbem  ift  fittlid^  rücfftänbig.  —  Diefe  Demofratie 


-  \^\  - 


ift  Tiatürltd^  ber  lOille  ber  (Sefamtl^cit,  wcrförpcrt 
in  bcr  Znajorität.  ^bcr  für  jtc  ergeben  fid?  nod] 
tpeitere  Befttmmungen  aus  bemfelben  <5runb« 
cjebanfen.  Sie  barf  nid^t  befpotifd^  fein,  iinb  bie 
5reil:jeit  bes  (£in3elnen  r>ernid]ten,  ipie  es  bie  an- 
tifen  ^emofratien  rielfadj  taten,  ^ud^  bas  Der* 
tjältnis  3tt)ifd:)en  Staat  unb  3"^i^^^wwm  mu%  burd] 
€tl:jifd]e  (ßefidjtspunfte  geregelt  fein:  Der  Staat 
barf  bie  S^^'^k*^'^^  (Einseinen  nur  fo  toeit  he-- 
fd^ränfen,  als  es  bie  5r^il^ßit  ber  2Inbern  ober  ber 
ftttlidie  Beruf,  bie  Kulturaufgabe  ber  (Sefamttjeit 
verlangt.  Die  alte  (ßrunbforberung  bes  Ribera« 
lismus.  Unb  wexicx:  Der  Staat  mu§  bie  5i^^i* 
tjeit  bes  (£in5elnen  in  foldjen  Sdjranfen  Ijalten, 
ba§  bie  5rßil?ßit  ber  2lnbern  bamit  beftet^en  fann, 
—  bas  ift  ber  Kern  alles  Sosialismus,  ber 
alfo  nidjt  eine  Hegation,  fonbern  eine  Vertiefung 
^)e5  Ciberalismus  ift.  (£ine  Demofratie,  toeldie 
t)ie  gröfetmöglid^e  S'^^'^k'^'^^  ^^^^  (fon^eit  fie  eben 
3ufammen  befteben  fann,  wenn  wivtlxdi  afle  frei 
fein  follen;  im  u>iffenfd^aftlid^en  3^i^^9<5"*  ^'^^ 
fjöd?ftma§  foepftibler  ^i^ettjeit)  unb  bie  I^ödjfte 
Kulturleiftung  ber  (Sefamtbeit  ftd^ert,  bas  u?äre  bas 
politifd^e  3beal,  bas  fid?  unmittelbar  aus  ber 
Kantifd^en  (5runblegung  ber  €tl^if  ergibt.  lOie 
^as  nun  3U  ueru^irflid^en  ift  unb  u?ie  im  einseinen 
5aIIe  feine  äugere  (£rfd]einung  ift,  bas  lägt  fid^ 
nidjt  im  allgemeinen  beftimmen,  —  es  ift  gar 
nidjt  fidjer,  ob  bie  Hepublif  bafür  ftets  geeigneter 
ift  als  bie  UTonardjie,  —  unb  ift  Sadje  ber  poli* 
tifdjen  Ced^nif. 


9* 


—    3(32  — 


3. 

<£s  tüirb  nicmanb  entgangen  fein,  bag  bie 
politifdie  (ßninbauffaffung,  bie  id?  ijier  entmidelt 
I^abe,  genau  btefelbe  ift,  bte  Haumann  Dertrttt  unb 
in  grünblid^fter  X>urd:?füüjrung  foeben  in  ber  britten 
neubearbeiteten  Auflage  von  „X)emofratie  unb 
Kaifertum"  üorgetragen  I^at.  (£r  I^at  niemals  ben 
etl^ifd^en  Untergrunb  aller  politif  r>erfannt.  Hun 
rpiffen  u?ir,  ipeld^er  2Irt  biefe  (StE^if  ift  unb  bag; 
fie  nid]t  nur  für  einen  Ceil  bes  ZHenfd^enlebens, 
fonbern  bag  fie  für  bas  (Sanse  gilt.  XOir  u?iffen 
aud],  bag  es  fid]  nidjt  um  eine  beliebige  ober 
abfeitige  (£tl]if  I^anbelt,  fonbern  um  bie,  voov'm  bie 
fdjöpferifdie  ^eit  ber  mobernen  beutfdjen  Bilbung 
5unt  ^erpu^tfein  itjres  tiefften  XPefens  gefomnten 
ift,  bie  bis  jefet  bie  l^ödjfte  Stufe  bes  5elbftbeu>u§t* 
feins  ber  IlTenfd^l^eit  überl^aupt  ift.  IPätjrenb  er 
lange  mit  I^ei^em  ^emüijn,  bas  bann  bod]  rser» 
lorne  £iebesmül:je  voav,  t:>anadi  gerungen  l]at, 
Hadifolger  2e\u  ju  fein,  aud)  in  ber  politif,  ift 
er  in  XPal^rl^eit  längft  3ünger  Kants  geu>efen. 

(5an3  ätjnlid?  rt>ar  es  in  ber  Heligion.  ^ud> 
ba  ift  er  im  (5runbe  gans  mobern,  fou)otjI  mit 
allen  eigenen,  pofttiüen,  aufbauenben  (5ebanfen, 
voie  mit  ben  (ßrunbridjtungen  feines  (Empftnbens,. 
bem  Haturgefül^I,  bem  Hationalgefül]!,  ber  fosialen 
(ßefinnung,  bem  l^iftorifd]en  Sinne  ufu?.  2lber  er  merf t 
es  felbft  nid^t,  wie  mobern  er  ift,  weil  ein  tief 
inneres,  mäditiges  pietätsgefül^I  il]n  Ijinbert,  bie 
alten  füllen  absuftreifen.    (£r  rerfud^t  es,  ben 


—    \o5  — 


■neuen,  gäbrenben  llToft  in  bie  alten  Sdjläud^e  511 
gießen,  bie  babei  bod?  an  allen  (£nben  ^erpla^en. 

Naumann  felbft  ift  ]\<h  biefer  ^rütefpälttgfett 
^uvdiaus  bewußt,  aber  er  bält  {te  für  notcoenbig 
unb  fud^t  fie  tbeoretifd?  3U  red^tfertigen.  (£r  fpridit 
^ern  unb  oft  uom  (£rbe  ber  2ll:>nen.  bas  u?tr  in 
uns  tragen,  t>on  unfrer  (Sebunbenbeit  burdj  bie 
Pergangenl^eit  unb  burd^  bie  Perliältniffe,  beren 
probuft  w'xv  finb;  baß  unfre  S^it  eine  Übergangs^ 
seit  ift,  unb  baß  voiv  batjer  Stüde  r>erfdjiebener 
IDelten  in  uns  vereinigen.  Das  ifl  natürlid")  burdv 
aus  rid^tig,  nur  Iiinbert  es  nid^t  (was  itjm  eben« 
fomobl  beu?ugt  ift),  ba§  ein  orbentlid^er  Kerl  tro^ 
allem  Zwange  ber  Dergangentjeit  ein  ZTeues  unb 
Eigenes  tx?irb ;  unb  bie  ftttlid^e  potens  eines  2Tienfdien 
ipirb  ftd^  nisiit  3um  menigften  barin  seigen,  toie 
grünblidi  bie  bifparaten  (Elemente  in  il:jm  3U  einem 
befonberen  unb  eintjeitlid^en  IDefen  3ufammen' 
gefd]mol3en  finb.  23ei  Naumann  felbp  ift  bies  im 
J^ödiftcn  (Srabe  ber  5<iÜ  unb  )o  braud^t  er  für  fidi 
biefe  €ntfd]ulbigung  eines  Übergangstvpus  qew\% 
nid')t.  (£r  ift  fo  gan3  unb  fo  mobern,  u?ie  nur 
einer.  3"  äjllietifdjer  Be3iel^ung  ift  er  es  t?on 
Einfang  an,  —  ba  n?ar  er  burd^  feine  Crabition 
beeinflußt.  3"  ^^1^  politif  u?ar  er  anfangs  mit 
allerlei  unmobernen  Dorftellungen  belaftet,  aber  ba 
hßt  er  mit  unnad^fid^tiger  Strenge  alles  ausgetilgt, 
toas  ben  einl^eitlid^en,  feftgefügten  unb  frvftallflaren 
^au  feines  IPeltbilbes  ftören  fönnte.  Hur  in  ber 
religtös-ettjii'd^en  Spbäre,  tool^in  fidj  nidjt  bie  ooUe 
XPudit  feines  Denfens  u?erfen  fonnte,  —  ifl  es  im 


(Srunbc  aud]  mdit  anbers.  ^ud]  ba  ift  bcr  Kern 
burd]au5  mobern,  pcrfönltd?,  einftimmig.  Huv  finb 
einselne  Stücfe  ber  alten  fjülle  an  itjm  I^ängen  ge* 
blieben,  bie,  bei  feiner  unbebincjten  IDatirl^aftigfeit 
gegen  ftd?  felbft,  feinen  Sd^aben  ftiften,  als  bag  fte 
eben  bie  (£inl:jeitlid?feit  bes  Kernes  r>erbecfen,  bie 
aber  freilid^  aud]  feine  fadjlid^e  ^ered^tigung  iinb 
objeftiüe  (Geltung  meljr  i^aben. 

Don  liier  roerfen  roir  einen  flüd]tigen  ^licE 
5urücf. 

Don  ber  Heligion  ift  Haumann  ausgegangen. 
Sein  (El^riftentum  E^atte  il^n  5ur  poIitifd]en  lOirf* 
famfeit  IjingefüE^rt.  2lber  nad^bem  biefe  einmal 
angefangen  tt?ar,  madjte  fie  itjre  Hed]te  geltenb 
unb  folgte  iBjren  eignen  immanenten  (5efe^en.  (£s 
fpielt  ftdj  E^ier  ber  für  alle  Kulturfd^öpfung  typifd^e 
Dorgang  ab :  bie  53eu?egung  tpäd^ft  aus  ber  Heligion 
I^eraus,  ber  gemeinfamen  ZHutter  aller  Sdjaffens» 
arten;  aber  je  meljr  fie  erftarft  unb  felbftänbig 
rpirb,  um  fo  mel:|r  tritt  bies  religiöfe  Clement  surücf 
unb  es  üerfdjupinbet,  fobalb  fie  fid?  3U  il:|rer  voüen 
Heife  ausgeu?ad]fen  ^atA)  Das  ift  ber  <£ntvoid' 
lungsgang,  ben  Haumann  felbft  in  einent  feiner 
frül^eften  ^uffä^e  an  ber  ^nmxn  2Tii(fion  aufge* 
ujiefen  Ijat.  (5.  oben  5.  <£r  trifft  aber  genau 
fo  gut  bei  feiner  eignen  (£ntn?idlung  3U;  unb  gerabe 
I|ier  finb  bie  brei  Stabien  feljr  beutlidj  gefd]ieben: 
bie  erfte  ^eit,  wo  ber  Drang  nad?  fosialem  IPirfen 


^)  V^l  irtoberne  Heligion  S.  uff« 


—    1^5  — 


fid)  unb  fein  ctgcntlid^cs  IDcfcn  nod?  nid?t  gefunden 
iiat  imb  ftd?  in  rcitgiöfcn  formen  (Scnüge  311  tun 
fud]t:  Kaumann  als  paftor  unb  im  X)icnftc  bcr 
3nnern  2TIiffton.  Dann  bie  politif,  bic  bereits 
itircm  eignen  (5efe^  folgt,  aber  jtd^  nodj  md?t  aus 
bem  ^annfreife  religiöfer  Dorftellungen  losgemad^t 
unb  ben  TXlut  gefunben  I^at,  gans  auf  ftd^  felbft  3U 
ftel^en:  Haumann  als  <IE>riftIid]fo5iaIer.  Dann  bie 
reine  politif,  bie  fid^  gan3  als  fold^e  gibt:  Hau* 
mann  als  Hationalfosialer. 

Beim  einseinen  ZTÜenfd^en  lä^t  fid]  bie  Sadje 
aud]  fo  ausbrücfen:  Ellies  (Sroge  unb  (£dite  ent» 
fpringt  aus  bem  (Sefübl  unb  l]at  in  ber  Ciefe  bes 
(5emüts  feine  lOurseln.  Hid^ts  (Kroges  entftebt 
nur  aus  bem  Perftanbe.  ^ber  bamit  etwas  (5ro§es 
3uftanbe  fomme,  mug  bie  Beipegung  nid^t  im 
Stabium  bes  unflaren,  ipogenben  (Sefül^Is  ftccfen 
bleiben,  fonbern  biefes  mug  in  flare  (Sebanfen,  in 
bett)ugte5  IDoUen  unb  in  Caten  umgefe^t  werben. 
3n  ben  erften  5d]riften  Haumanns  fommt  bas 
(Sefül^l  felbft,  nid^t  nur  in  d]riftlid|er  €infleibung, 
fonbern  aud]  als  jugenblid]  überfd^äumenbe  Be* 
geifterimg  für  bie  Sad^e,  oft  mädjtig  unb  ergreifenb 
3U  IDorte.  2lber  baneben  liegt  fd^on  l^ier  bie  an» 
geftrengtefte  (5ebanfenarbeit  unb,  merftpürbig  ge* 
nug,  fogar  bas  flare  Bewugtfein  r>on  ber  ZloU 
roenbigfeit  biefer  (£nttt)icflung  felbft.  Später,  3iem* 
lid^  balb,  ift  biefe  (Sefüt^Isfpradje  r>erftummt  unb 
es  fprid?t  nur  nod]  bie  flare,  nüd^terne  5ad|Iid]feit 
unb  bie  ftrenge,  unerbittlid^e  Cogif.  Unb  nur  ber 
lOiffenbe  al^nt,  xvcldie  ^ülle  imb  (5Iut  unb  Kraft 


—    \ö6  — 


^)C5  fjerscns  fidi  ijmter  btefen  feften,  ujol^Igefügten 
(5ebäuben  t>on  Catfadjcn  unb  (5rünbcn  verbirgt 
Das  (El:|riftentum  fdjeibet  alfo  aus  Xlaumanns 
politifdjem  (Scbanfcnf reife  aus,  unb  an  feine  Stelle 
tritt  ein  neuer,  fpesiftfd?  politifd^er  5ciftor,  ber  Zta^ 
tionalismus,  ber  Staatsgebanfe.  Damit  üoüenbet 
ftd?  ber  politifer  Haumann.  XDie  man  über  biefe 
IDanblung,  biefe  ent\diei'^enbe  Krifis  in  feiner  €nt^ 
u>icflung  ben!t,  bas  entfd^eibet  andi  über  bte  IDer* 
tung  Haumanns.  £iegt  eine  organifdie  IDeiter» 
cntu>icflung  ober  ein  Brud]  vov?  3ft  Haumann, 
als  er  bie  Kan$el  oerlieg,  feinem  urfprünglid^en 
Berufe  untreu  getporben  ober  I^at  er  erft  je^t 
feinen  u)atjren  Beruf  gefunben?  —  3d^  i^offe,  es 
ift  mir  gelungen  nad]3uu?eifen,  ba§  biefe  <£ntu?icf* 
lung  in  äugerer  u?ie  in  innerer  fjinfid^t,  fad^Iid-) 
u?ie  pfydjologifd?,  notmenbig  unb  folgerid^tig  war, 
Wiv  rpollen  fie  aber  nod]  oon  einer  anbevn  Seite 
betxaditen, 

ZXaumann  I^at  bas  (El^riftentum  in  ber  IutB>e= 
rifd^en  (Seftalt  über!ommen.  Der  Porsug  unb 
;^ortfd)ritt  bes  lutl^erif d^en  (Ibriftentums  ift  bie 
Öberipinbung  ber  XPeltfludjt  unb  l0eltv)erad]tung 
unb  3tDeitens  bie  Uberipinbung  ber  Ctjeorie  r>on 
ben  guten  lOerfen  unb  ber  fafuiftifdjen  ^erfplitte* 
rung  bes  ftttlidjen  Gehens,  —  2Infä^e,  bie  eben 
in  ber  Kantifd]en  €tl^if  3ur  sollen  €ntfaltung 
Jommen.  Cutl^er  mad^t  (£rnft  mit  bem  paulinifd]en 
Sa^e,  ba§  all  unfer  Cun  sur  <£bje  (ßottes  ge^ 
fd^el^en,  alfo  ein  (Sottesbienft  fein  foU.  IPir  bienen 
(Sott  nid^t  allein  burd?  Beten  unb  lPer!e  ber  Barm-- 


Ijersigfcit,  fonbern  wiv  dienert  ifyn  audb  un^  vor 
allem,  inbem  vo'iv  treu  unb  cjeipiffenbaft  ben  pla^ 
ausfüllen,  auf  ben  er  uns  geftellt  bat,  unb  tun, 
toosu  er  uns  berufen  bat.  Dag  Naumanns  ^e= 
ruf  bie  polittfd^  organifatorifd^e  Cätigfeit  ift,  bat 
ber  CrfoIg  geseilt;  inbem  er  ibr  feine  ganse 
l^raft  u?ibmet,  bient  er  (Sott  auf  feine  IPeife. 

Unb  biejer  Beruf  ift  bei  ibm  nidjt  etroas  S^- 
fälliges ;  er  bängt  innig  mit  feiner  5römmigfeit  5u= 
fammen.  Das  religiöfe  (Sefübl  5eigt  mand^erlei 
Färbungen  imb  Huancen.  Die  befonbere  Hote 
Naumanns  ift  bie  fosiale  (Empftnbung,  bas  (Se= 
metufd^aftsgefübl.  llüe  Zllenfd^en  fmb  trüber, 
^um  Dienft  unfrer  Brüber  finb  u?ir  beftimmt  unb 
für  fie  r>erantu?ortIidi.  Die  Betätigung  biefer  (5e= 
meinfd)aft  in  ber  Ciebe  ift  ber  Sinn  bes  2nen]d^en> 
lebens.  Von  bier  aus  fann  man  3ur  IDobltätig^ 
feit  unb  5ur  3"'^^i^"  2ni)'fton  fommen,  ober  man 
gelangt  3U  ben  urd^riftlid]en  unb  Colftoif d)en  2hu 
fd]auungen.  Der  v£in5elne  u?irb  barin  feinen  ^n^ben 
ftnben;  eine  u?irflid^e  Überu?inbung  ber  IPelt  ift 
fo  nidjt  möglid).  Die  fann  nur  gelingen,  inbem 
man  in  ber  IPelt  bie  formen  bes  (Semeinid-jafts^ 
lebens  I^erftellt,  lueldie  biefem  (Seifte  ber  Ciebe  ent= 
fpred^en,  ober  inbem  man  bie  be\teben'^en  5ornten 
in  biefem  Sinne  um=  unb  ausgeftaltet.  €s  ift  ber 
«igentlid^e  3nl>alt  bes  politifd^en  »Iims.  Die  politif 
ifi  bie  Ijödifte  unb  gemägefte  5orm  ber  Betätigung 
ber  eigentümlid-jen  Heligiofität  Haumanns. 

Diefer  religiöfe  Untergrunb  ift  in  Hamnanns 
politifdjer  Cätigfeit  äugerlid^  nirgenbs  ftdjtbar  unb 


—    \öS  — 


beeinflußt  fte  niemals  int  (Einjelnen.  (£r  I^at  ben 
paftor  grünblid^  ausgesogen  unb  benft  unb  I^an* 
belt  rein  politifd^.  (ßerabe  bie  Konfequens  unb 
<5rünblid]feit  feiner  Uma)anblung  tft  bas  Siegel 
feiner  (ßröße.  2tber  es  ift  bod)  aud]  für  ben  po* 
litifer  nid]t  belanglos,  ba§  er  ein  tief  religiöfer 
nTenfdj  ift;  er  roirb  bestiegen  nidit  ein  befferer 
unb  hxaudit  nidjt  ein  fd]Ied]terer  politifer  3U  fein, 
aber  er  rpirb  bie  politif  in  anberm  (5eifte  betreiben, 
wenn  er  fte  als  (5ottesbienft  anfiel:jt.  (£r  u?irb 
nid>t  in  (5efaJ^r  fein,  bie  politif  jemals  5um  blogen 
fjanbiperf,  3U  einer  Ced?nif  I^erabsutPÜrbigen  unb 
bie  ZTTenfd^en  als  bloßes  ZlTaterial  für  feine  (Se* 
fd^icflid]feit  unb  Kombinationsluft  ansufeljen.  Venn 
er  ipirb  nie  r>ergeffen,  bag  bie  politif  eben  3um 
X)ienft  biefer  ZHenf d]en  gefd]affen  ift,  baß  bas 
XX)oB|I  biefer  2Henfd?en  ober  rielmetjr  bie  (Sefunb» 
Ijeit  ber  fosialen  (Drbnungen,  bie  X>eru?irflidning 
ber  Ciebe  in  ben  formen  bes  ^ufammenlebens 
bas  eigentlid^e  ^iel  feiner  Otigfeit  ift,  nidjt  ein 
oirtuofes  Spiel,  nidjt  ein  abftraft,  oB^ne  Hütffid^t 
auf  bie  ITTenfdjen  gebadeter  Staatsbegriff,  (£r  rr>irb 
aud^  nidjt  basu  fommen,  einem  fleinen,  perfönlid^en 
ober  partei=(£rfoIge  bas  2^iexe\\e  bes  (Jansen  unb 
ber  Sadie,  in  beren  ^ienft  er  ftel:|t,  3U  opfern, 
wie  wix  es  wolii  bei  an^exn  parteifüEjrern  erlebt 
i^aben. 

^amit  finb  wix  3U  einer  allgemeinen  (Zhiaxat-- 
teriftif  Haumanns  gefommen,  bie  r>om  3"^^^^^ 
feines  politifdjen  ^enfens  unb  Cuns  unabl^ängig 
ift.    IDir  laffen  es  Ijier  bat^ingeftellt,   ob  biefes 


ridjtig  ift  ober  nid^t;  aber  bas  mug  gefagt  roerben: 
wären  feine  fämtlidjen  3been  falfd],  tDäre  feine 
ganse  Hid-jtung  ein  3rrix)eg,  er  J^at  ftd?  bod]  burd^ 
bie  ^rt,  u?ie  er  feine  politif  betreibt,  ein  Perbienft 
um  unfer  öffentlid]e5  Ceben  eru?orben,  bas  man 
gar  nid^t  5U  ^od]  fdjäfeen  unb  bas  ifyn  fein  er^ 
bittertfter  (5egner  nid]t  beftreiten  fann.  Die  all' 
gemeine  politifd^e  Ceilnal^mslofigfeit  ber  (ßebilbeten 
berul^t  bod]  nid^t  lebiglid]  auf  Stumpffinn  un^ 
ZlTangel  an  3ntereffe,  fonbern  aud^  auf  ber  2lnfid)t, 
ba§  bie  politi!  ein  fd^mufeiges  (Semerbe  fei,  mit 
bem  man  fid?  nid^t  bef äffen  mag,  um  ftd^  nid]t 
bie  fjänbe  3U  befubeln.  Das  ift  leiber  3um  Ceit 
u>al7r.  ^reilid]  nur  eine  I^albe  IPal^rt^eit;  benn 
es  ift  eben  5um  Ceil  gerabe  besupegen  fo,  u?eil 
bie  feineren  unb  r>ornel^meren  (Elemente  fidj  r>om 
politifdjen  Ceben  fernl:jalten  unb  es  allerlei  Strebern 
unb  Demagogen  unb  su^eifell^afteti  <£p\ienien 
überlaffen.  (Serabe  anbre  parteigrünbungen  ber 
legten  S<^it  i}abcn  bie  Demoralifierung  unfers  öffent* 
lidjen  Gebens  in  erfd^recfenbem  ZlJa^c  geförbert. 
Dag  l^ier  ein  TXiann  aufgeftanben  ift,  bem  bie 
politif  nid^t  im  ^afd^en  nadi  fleinen  felbftfüd)» 
tigen  Sonberoorteilen  aufgeijt,  fonbern  bem  bas 
3ntereffe  bes  Dolfsgansen  oberfte  ZlTa^rime  ift, 
ber  bie  Catfad^en  nid^t  nadi  feinen  Steden  aus» 
wähilt  unb  suredjtftu^t,  fonbern  bas  ganse  ZlTaterial 
mit  üoUfter  0bjeftir>ität  erforfd^t,  ber  nid^t  nad| 
parteitaftifdjen,  fonbern  allein  nad]  fad^Iid^en  (5rün* 
ben  entfd]eibet,  ber  audj  bem  (Segner  nid]t  mit 
grunbfäfelid^er  Perftänbnislofigfeit  ober  Perleum* 


-  w  - 


^iing,  begegnet,  fonbern  audi  in  öer  polemtf 
ftrengfte  (SeredHigfeit  unb  Pomet>mbeit  voab^xt; 
xinb  ba§  biefer  llTann  eine  ganse  poIitifd>e  (5ruppe 
in  ber  gleidien  (5eftnnung  nadi  ftcb  sielet,  —  bas 
ift  ein  Derbienft,  roofür  bas  gefamte  beutfd^e  Polf 
-Ztaumann  banfen  roirb,  loenn  es  politifd?  münbig 
.getüorben  ift. 


Fünftes  Kapitel. 


Rational  — Kozial  — liberal. 

\,  ^ismarcfs  (£rbe. 
3dj  glaube  nun  allcrbings  nid]t,  ba^  u?ir  bcn 
poHtifcr  rtaumann  nur  wegen  biefer  allgemein 
ctt|ifd?ert  unb  formalen  Qualitäten  5u  fd^ä^en  baben, 
fonbern  \d\  bin  audi  mit  ben  2lnfd]auungen,  bie 
er  vertritt,  burdiaus  einperftanben,  unb  febe  in. 
iljnen  feine  größte  imb  u?ertüolIfte  Ceiftung,  wo-- 
gegen  alles  2lnbre,  für  bas  u?ir  ifyu  fonft  Dant 
fd^ulbig  finb,  bod]  als  Hebenfad^e  imb  ^eiu?erf 
erfd]eint.  (£s  fann  mir  nun  nidjt  in  ben  Sinn 
fommen,  biefe  nationalfosiale  (55ebanfenu?elt  tycv 
im  (£in3elnen  5U  entu?icfeln  ober  3U  r>erteibigen. 
Sie  ift  allen,  bie  überl^aupt  Don  Haumann  tpiffen,. 
genügenb  befannt  ober  bod-}  in  feinen  öüd-jerni) 
unb  Vorträgen  leid^  5ugänglid].  ZTTit  biefen  3U 
loetteifern  ober  il^r  Stubium  entbel|rlid]  3U  mad^en, 

')  Dcmofratie  unb  Kaifcrtmn.  €in  f^anbbud?  für 
innere  politif.  \c}00  Dritte  neubearb.  (billige)  llxxfia^e 
foeben  erfd^ienen.  —  Zleubeutfdje  lDirtfd?aftspoIitif.  1^02. 
(lleubearb.  für  bas  näc^ftc  3^^!^*  üerfprocijen.)  —  (für 
Sie  ficineren  Sdjriften  rgl.  bie  ^iblioarapl^ie  am  Sdilug. 
bcs  „naumanmBudjs." 


-    ^^2  - 


liegt  rocber  in  meinen  Kräften  nod^  in  meiner  2lbfid?t. 
Sie  ftnb  bie  I^oB^e  5d]ule  bes  politif d^en  ^enfens, 
xinb  niemanb,  ber  I^ier  mitreben  toill,  follte  ftd]  eine 
^rünblidje  Befd]äftigung  bamit  erfparen.  2lber 
felbft  bem  politifd]  »weniger  3"tereffierten  ipirb  ber 
ipeite  fjorisont  unb  umfpannenbe  3Iicf,  ber  granbiofe 
XOirflidjfeitsfinn  iinb  bie  nüdjterne  Sadjiidjfeit,  bie 
fid^  J^ier  mit  bem  feinften  unb  tiefften  Sinn  für 
^ie  „3mponberabiIien/'  für  bie  Seele  ber  ^inge 
unb  bie  Xüädite  bes  menfd^lidjen  (Semüts  part, 
^)ie  Kon[equen5,  Cogif  unb  (Sefd^IoffenBjeit  feiner 
^eiüeife  unb  bie  burd)ftd|tige  Klarl^eit  unb  leben» 
^>ige  ;$rifdje  feiner  ^arftellung  einen  feltenen  (5e* 
nug  Qewä\;]xen,  Sie  ftnb  eine  unrergleid^lid^e 
-geiftige  X>i53iplin,  erquicFenb  unb  ftärfenb  wie  ein 
Staiilhab  ober  bie  £uft  ber  ^erge  an  einem 
Haren  fjerbftmorgen. 

^ber  eben  roegen  biefer  23ebeutung  fann  \di 
<3U5  einem  Budje,  bas  meine  2Iuffaffung  imb  53e= 
urteilung  Haumanns  bartun  foll,  feine  politifd^en 
2Irbeiten  nid]t  ausf daliegen,  ^d}  roerbe  bal^er  bie 
fjauptbegriffe,  bie  (£cffteine,  bie  ben  ftol5en  Bau 
tragen,  beleud]ten  unb  il^re  <3ufammenl^änge  auf» 
3eigen,  inbem  id)  nod]  mel^r  als  bi5l:|er  alles  Detail 
Beifeite  laffe. 

3eber,  ber  fid?  J^eute  mit  beutfdjer  politif 
befd^äftigt,  Ijat  fid^  3unäd?ft  mit  bem  ZlTanne  aus* 
«inanber5ufe^en,  ber  ein  2Tüenfd?enaIter  t^inburd? 
^)ie  bel:jerrfdienbe  (Seftalt  auf  bem  politifd^en  Sd]au« 
pla^e  nid)t  nur  Deutfd^Ianbs,  fonbern  (Europas  lüar. 


-    W3  - 


Hnb  iwat  f ommt  23  t  s  ni  a  r  cf  für  jcbert  Spätem 
in  3u?icfad|cr  fjmfid]t  in  53ctrad]t:  als  Doraus* 
fc^ung  unb  als  Dorbilb.  Tils  Dorausfc^ung: 
faft  alle  politifdjcn  €innd^tunacn  unb  Derbältniffe, 
mit  bencn  toit  l^eutc  in  X)cutfd]Ianb  3U  tun  blähen, 
finb  fein  Wext,  unb  wenn  wiv  fie  üerftel:jen  u?oIIen, 
fo  müffen  u>ir  uns  vot  allem  flar  mad^en,  u?as 
fie  im  Sinne  unb  (Seifte  iJ:jre5  Sd^öpfers  u?aren. 
lOir  müffen  in  ^ismarcfs  (Sebanfentoelt  5U  fjaufe 
fein,  um  bie  ^ufammenl^änge  3U  überfeinen  unb 
bie  <5ebanfen  ba  u^eiter  3U  benfen,  wo  er  fie 
fallen  gelaffen  tjat.  Unb  als  Dorbilb:  er  ift  ber 
politifd^  (£r3iel]er  bes  beutfd^en  Dolfes  gemorben. 
(£r  l:jat  uns  burd^  bie  mud^tige  Spradie  ber  tEat* 
fad]en  unb  3ulet5t  burd"?  bas  Selbftbefenntnis  ber 
^(öebanfen  imb  Erinnerungen"  geleiert,  u?a5 
politif  ift  unb  was  fie  verlangt.  €r  l^at  ein  Volt 
von  3beologen  3um  nüd^ternen  Healismus  er3ogen, 
er  l^at  ims  ben  Hefpeft  r>or  allgemeinen  Cl^eorien 
abgemöljnt  unb  bie  fjerrfd^aft  ber  pljrafe  ge= 
Brodten,  burd?  il^n  wi\\en  wiv,  bag  man  in  ber 
politif  mit  XPünf d^n  unb  etljif d?en  ^orberungen 
gar  nidjts  erreid^t,  fonbern  nur  mit  ZTTadjt  unb 
ber  entfd]loffenen  imb  umfid^tigen  2lnu)enbung  ber 
TXiadit,  bag  alle  politif  sunäd^ft  eine  ZTTaditfrage, 
ein  Kampf  realer  Kräfte  ift.  ^ei  niemanb  merft 
man  bie  tief  umgeftaltenbe  (Sinmirfung  ^tsmarcfs 
t>eutlidiev  als  bei  Naumann,  gerabe  u?eil  bei  tbm 
eine  totale  iPanblung  erfolgt  ift,  eine  IDanblung,  bie 
allerbings  bei  il^m  innere  Hotu?enbtgfeit  unb  in  ber 
^an3en  €ntn?icflungsridntung  feines  DmUns  von 


-  m  — 


voxnlieve'm  angelegt  voav.  Unb  niemanb  l^at  nadj* 
brücf lieber  unb  imermüblidjer  auf  biefe  ^ebeuhmg 
Bismarcfs  l^ingerütefeni),  unb  baburd?  wie  burd^ 
fein  eignes  IDirfen  biefe  (£r3ieB|ung5arbeit  fortgefe^t. 
Haumann  ift  ber  größte  Sd^üler  ^ismarcfs  unb 
ber  größte  (£r3iel:jer  unferes  Dolfes  nad\  itjm. 

Der  roal^re  3ünger  ift  aber  nid^t,  u?er  getreu* 
lid?  auf  bes  DTeifters  XPorte  \d]w'6vt  unb  ibm  alles- 
nad]3umad]en  beftrebt  ift,  fonbern  wex  feine  eigen* 
tümlid]e  2(ufgabe  im  (Seifte  unb  in  ber  Kraft  bes 
2TCeifters  erfüllt.  Denn  bas  c5\^l  aller  edjten  <£r* 
Sietjung  ift  bie  5elbftänbigfeit  bes  Sd^ülers.  3^ 
I]ötier  u^ir  alfo  Bismard  gerabe  als  politif d'jen 
(Ersieljer  fd]ä^en,  um  fo  entfd^iebener  müffen  voit 
es  ableEjnen,  bie  ein3elnen  2In[d)auungen,  ^Tla^imen, 
fjanblungen  unb  Cenbensen  Bismards  3ur  imuer* 
brüdjlid]en  Hid]tfd]nur  für  alle  politifer  nad)  iB^nt 
5u  madjen  imb  alles,  u?as  von  ifyn  abu?eid]t,  nur 
besiüegen  3U  tabeln.  (£ine  fflapifd'je  Had^al^mung 
feines  Derl^altens  voäxe  nielmebr  bie  ben!bar  un^ 
glüdlid)fte  2Irt  ber  Hadifolge. 

Denn  erftens:  bie  gro§e  2lufgabe,  bie  Bis* 
mard  oblag,  ift  von  il|m  erfüllt:  bas  beutfdje  Heidr 
ift  gegrünbet.  Unb  tx>enn  aud^  bie  (£rl)altung  bes 
(Sefd^affenen  beftänbig  biefelben  Cugenben  von 
:Deutfd]Ianbs  Ceitern  forbert,  rooburd?  es  gefd^affert 
ift:  militärifd^e  Cüd";tigfeit  unb  Sd^Iagfertigfeit  unb 
eine  umfid^tige,  fefte  Ceitung  ber  biplomatifd^en 

0  €ine  ausgeßcid^nctc  tPürbigung  ^ismarcfs  ent^ 
ll'dli  bereits  ber  ^  jabrg.  ber  „i^ilfe" ;  fie  ftetjt  aud?  im 
iXavimann--'Bu(b  {XXx.  ^0}. 


—  — 


"^e^kfymqen,  —  ein  Programm  bcutfdier  (Befamt^ 
politif  ergibt  ftd^  daraus  nid^t.  ^ud]  eine  Vev-- 
»oUftänbigimg  bes  bcutfd^cn  Hcid^es  fommt  als 
möglid^es  politifdjes  ^icl  für  bic  (Segcnroart  nid^t 
in  Betrad^jt,  Vxelmehy  voixb  es  jtd^  nun  sunäd^ft 
um  bic  innere  ^inrid^tung  unb  rDobnIid->e  2Ui5- 
geftaltung  bes  fjaufes  Ijanbeln,  bas  uns  ^ismarcf 
gebaut  hßt  2Iuf  einen  gans  von  ber  äußern 
politif  bel^errfd>ten  Zeitraum  folgt  ein  anbrer, 
ber  roefentlidi  von  innern  2lngelegenbeiten  ausge* 
füüt  ift. 

5erner  bat  aud)  bie  größte  Begabung  ibre 
(Srenjen.  Unb  gans  große  Ceiftungen  in  einer 
Hid^tung  u?erben  nid^t  feiten  nur  burd]  eine  ftarfe 
(£infeitig!eit  ermöglid"!t,  u?obei  anbre  Einlagen  unb 
Calente  nid^t  5ur  (Entfaltung  fommen.  Unb  felbft 
xoenn  bie  politif d-je  Jntelligens  eines  Staatsmannes 
burd^  feine  Sdiranfen  beengt  u^äre,  bas  Bebürfnis 
bes  praftifd^en  £>anbelns  u?irb  ibn  bod]  5ur  Be= 
fdjränfung  jroingen.  3"  ^^"^  ungeEjeuer  fompli» 
Sierten  unb  fd>iüierigen  Spiele  ber  politifd^en  Kräfte 
ift  es  unmöglid],  ein  ^iel  3U  erreid^en,  u?enn  man 
ntd^t  anbre,  ebenfalls  erftrebensu^erte,  einftmeilen 
beifeite  lägt.  (£ine  (£in)eitigfeit,  bie  bei  Bismarcf, 
fei  es  aus  Begrenstl^eit  bes  Calents,  fei  es  aus 
^ttjang  ber  Üerl^ältniffe,  notu?enbig  unb  für  feine 
2T[iffion  beilfam  wax,  u?ürbe  bei  jebem  anbem, 
ber  fein  beutfd^es  Heid?  5U  grünben  bat,  unent» 
fd]ulbbar  unb  itjrc  5ortfe^ung  für  X>eutfd?lanbs 
<5efd7icf  r»erl?ängnisr>oll  fein.  Unb  fo  geu?ig  jeber, 
ber  fxd?  nad>  Bismarcf  mit  beutfd^er  politif  he* 

£}.  meyrr:  ^rbr.  nanmann. 


—  m  - 


Bcfd>äftigt,  fid]  nid]t  baoon  bifpenficren  fann, 
näcbfi   einmal   'B'ismavds   (Sekanten   burch=  imb 
nad>5ubcnfcn,  fo  geupig  tpirb  feine  fjauptauf gäbe 
bie  fein,  fie  ba  ipeiter  3U  benfen,  ipo  "Sismaxd  auf= 
gebort  l>at. 

(Snblid^  —  bie  «^eit  unb  bie  Perl>ältniffe  änbem 
ftd^  unb  jebe  neue  Seit  [teilt  neue  ^tufgaben.  VO'it 
ftet^en  im  3aBjre  1(9^^  9<^"5  «inbern  Problemen, 
als  Bismarcf  \862  ober  1(870.  2lIIein  burd^  bie 
(5rünbung  bes  neuen  Heid^es  felbft  ift  bie  politifd^e 
Situation  nad^  äugen  ujie  nad}  innen  üollftänbig 
vev\diohen.  Unb  rpieüiel  ift  feitbem  anbers  ge= 
ujorbenl  Wenn  voit  uns  biefen  neuen  Aufgaben 
5uit)enben,  fo  ift  es  babei  üöllig  gleidjgültig,  roie-- 
tpeit  Bismarcf  fie  nod?  perftanben,  unb  u?eld?e 
Stellung  er  5U  il)nen  eingenommen  I:jat.  €5  ift 
von  il^m  geroig  nidit  3U  »erlangen  unb  nid^t  ein» 
mal  3u  erwarten,  bag  er  ben  2lnforberungen  ber 
neuen  ^ext,  bie  er  bodj  felbft  I:>eraufgefüt|rt  I:|at, 
ebenfogut  i>ätte  geredet  toerben  fönnen  u?ie  ber 
2lufgabe,  bie  il^m  üon  ber  (Generation  üor  itjm  als 
I>öd]ftes  <3iel  beutfd^en  Sel^nens  überliefert  roar. 

^ismarcfs  unr>ergänglid?fte  Cat  ift  eine  Sd^öpf= 
ung  ber  äugern  politif.  IDas  er  uns  mit  ber 
<£inigung  X)eutfd|Ianbs  gegeben  Bjat,  fönnen  roir 
gar  nidjt  l>od^  genug  fd^ä^en,  unb  n'idits,  was  voit 
fonft  etwa  gegen  ibn  haben,  barf  uns  ben  X>anf 
t>afü.v  minbem.  X>as  beutfd^e  Heid^  ift  Poraus» 
fe^ung  für  alle  roeitere  (£ntu?icflung,  für  ben 
materiellen  2luffdju?ung,  für  bas  Steigen  unfrer 


-  w  - 


Vfiadit  unb  unfres  ^tnfetjcns,  für  jcbcn 
politifd^cn  5ortfcl]ritt,  für  bie  gansc  (£nttt)i(flung 
unfrer  inncrn  Derl^ältntffe.  Dicfes  Heid]  unr>crle^t 
unb  in  DoUcr  Kraft  5U  ert^altcn,  mug  bie  crfte 
Sorge  bcr  beutfd^cn  politif  fein,  ^ber  felbft  l^ier, 
wo  Bismarcf  bas  fjöd]fte  crrcid]t  Ejat,  was  nadi 
£age  bcr  Dinge  möglid]  wav,  genügt  es  nid>t,  bas 
(5eir>onnene  311  beE^aupten.  2ludj  Ijier  ift  eine 
XPeiterentipicflung  noti^enbig. 

Denn  erftens  I^at  fid]  ber  tueltpolitif d^e 
2lfpeft  feit  \870  grünblid^  geänbert.  Damals 
lüar  ber  politifd^e  fjorisont  ipefentlid]  auf  Europa 
befd]rän!t  unb  bas  (5Ieid]getüid)t  ber  europaifd^en 
(5ro§mäd]te  ber  Ceitftern  ber  Diplomatie.  5ür 
Deutfdjianb  felbft  I^ieg  bie  fjauptaufgabe:  5id]e» 
rmtg  gegen  einen  fran3Öfifd|en  Keuand^efrieg. 
legten  ZHenfd^enalter  Iiat  fid^  3um  erften  Xüale  eine 
IPeltpoIitif  im  i?oIIen  Sinne  l^erausgebilbet.  Der 
alte  (Segenfa^  i^at  feine  ^ebeutung  verloren.  2(n* 
ftatt  beffen  finb  u>ir  eingeflemmt  3tr>ifd"jen  ^wei 
Heidje  r>on  einer  ^lusbel^nimg  unb  ZTlad^tfüIIe,  wie 
fie  feine  früE^ere  ^eit  gefannt  I^at,  unb  ber  Kampf 
biefer  llTäd^te  lun  bie  fjerrfdjaft  über  bie  €rbe  ift 
ber  3nlialt  bes  fommenben  Zeitalters.  biefer 
Konfteltation  u?ürbe  audj  bie  erfte  blog  europäifd^e 
(5rogmadjt  3U  einer  lDeItmad]t  3ir>eiten  Hanges 
I^erabfinfen,  unb  ein  Stillftanb,  ein  bloges  'Qe-- 
t^arren  u?ürbe  Hürffd^ritt  bebeuten  neben  bem  un* 
geftümen  Poripärtsbrängen  unfrer  Hiualen.  (£s 
gilt  alfo  ein  2lufraffen  3U  iveiterer  (£j:panfton,  eine 
neue  Kraftanfpannung,  bie  uns  in  ben  Stanb  fe^t^ 

^0* 


-  m  - 


in  ben  VOetthcwexh  mit  €ncjlanb,  Hu§Ianb,  Horb» 
amevifa  c'miutxcten  unb  neben  il^nen  eine  unab* 
l^ängige  Stellung  auf  ber  (£rbe  3u  bel^aupten.  2)a 
es  fid^  babei  sumeift  um  überfeeifd'je  ^esiel^uncjen 
ijanbelt,  fo  toerben  u?ir  neben  bem  CanbBjeer  eine  ftarf e 
Seemadit  [d^affen  muffen.  Cuu  xvxt  bas  nidjt,  fo 
u>ürben  xoiv  fou?ol)I  unfre  Selbftänbigfeit  u)ie  imfre 
roirtfdjaftlidie  <£ntu)idlung  bem  guten  IPillen  unfrer 
2TJitbeu>erber  anoertrauen  unb  (elbft  bie  ^ufunft 
unfrer  nationalen  (£fiften3  gefät^rben. 

X>er  anbre  5<3^tor,  ber  unfre  politi!  beftimmen 
mu§,  ift  bas  ftarfe  unb  ftetige  XPad^stum  ber 
VoUsialil  rOir  finb  feit  \8S0  von  ^5  auf  60 
2T{iIIionen  angewadi^en  imb  ttad)  roeiteren  25  3al7ren 
roirb  Deutfdilanb  etu?a  80  Millionen  <£inwohnev 
Ijaben  (Demo!ratie  unb  Kaifertum  5.  20).  Sdion 
je^t  finb  es  metjr,  als  unfer  Boben  ernätjren  fann. 
XDir  finb  alfo  aus  einem  (Setreibe  ausfül^renben 
ein  (Betreibe  einfül^renbes  Canb  geu)orben.  5ür 
einen  Ceil  ber  tjeutigen  Betuobner  X)eutfd'!lanbs 
unb  für  ben  gefamten  ^uu^adjs,  ben  bie  ^ufunft 
bringen  u?irb,  muffen  bie  Cebensmittel  aus  bem 
2luslanbe  fommen  imb  mit  anbem  lOaren,  bie 
natürlid]  nur  3nbuftrieer3eugniffe  fein  fönnen, 
besalilt  lüerben.  IDir  braudjen  alfo  3^P<^'^t 
(£rport,  Ceilnatjme  am  IPeltlianbel  unb  lOelt^ 
vcxU^v,  unb  3um  5d)u^e  besfelben  toieberum  eine 
5Iotte.  Unb  wit  hvaixdien  eine  fräftige  (£ntipicflung 
ber  3nbuftrie,  bie  allein  unfre  SJusful^r  beftreiten 
unb  unfren  Seüölferungsüberfd?u§  aufnel:jmen  fann. 
2lIIe  tl]eoretifdiert  (Erörterungen  über  bie  Dor3Üge 


-  m  - 


^es  ^Igrar*  unb  bes  3nbuftrieftaat5  finb  für  ixns 
olinc  Bct)eutung.  'Denn  nur  ein  ftets  ix>ad]fenber 
3nbuftrtali5mu5  fann  unfcrm  Volte  Brot  fd^ajfen. 

Duxdi  bicfcs  beibcs  ift  bcr  beutfd^en  politif 
^)ie  Hiditung  t>orge3eid]nct :  IDcItpoIttif  unb  3^^= 
^)uftnalt5mu5.  Bcbincjung  für  heiles  ift  bie  5Iottc; 
ftc  ift  bas  5^Ib3eid]cn  für  bic  neubeutfd^c  aus» 
ix?ärtigc  politif.  23cbingung  für  bcibes  ift  ipciter* 
I^in  ^rciJ^cinbcI  besw.  fjanbelsoertragsfyftem.  ^odv 
fdju^5ÖIIe  unb  „  gcf d]Iof| cner  ^anbelsftaat"  fmb 
eine  Unmöglid^feit  für  ein  Voif,  bcffcn  Brot  in 
Huglanb  iinb  Argentinien  u?äd]ft. 

Auf  bem  (ßebiete  ber  innern  politif  ift 
Bi5mar<f  nid]t  ebenfo  erfolgreid)  geu?efen.  Audj 
tjier  t>anUn  toix  ifyn  freilidj  ein  (5efd^enf,  bas  für 
uns  Don  unfd^ä^barem  Heerte  unb  bas  5wnbament 
imfrer  gefamten  innern  Cage  ift:  bas  allgemeine, 
gleid^e  unb  birefte  Heid]stagsu?al^Ired^t.  3"^^fK"/ 
€s  ift  befannt,  bag  Bismar^  es  gleid]fam  sufäüig 
unb  ob^ne  bie  DoIIe  (£infidjt  in  feine  «Tragioeite 
gegeben  l^at  {(SebanUn  unb  <£v\nn.  II,  5.  58). 
Hm  fo  mel:|r  ift  es  natürlid]  für  uns,  bie  wit 
roiffen,  u?as  wxv  bavan  traben,  unbebingte  pflid^t, 
t»iefes  pallabium  unfrer  Polfsred^te  unb  Dolfs* 
freil^eit  mit  allen  Kräften  ju  bel^aupten. 

ÜberBjaupt  leibet  Bismarcfs  innere  politif 
t)arunter,  bag  er  fte  5umeift  unter  bem  (5efxd]ts» 
punft  ber  äußeren  politif  betxaditet  unb  fidj  burd] 
2^ücffid^ten  auf  biefe  l]at  beftimmen  laffen  (5.  5.  B. 
<Seb.  u.  (£rinn.  II,  53.  56.  68).    X)ie  innere  politif 


—    \50  — - 


ift  aber  eine  511  geiüidittge  imb  fd]ix?terige  5ad]e^ 
als  ba§  man  fie  ol^ne  (ßefal^r  anbern  3ntereffen 
unterorbnen,  als  UTittel  ju  fremden  ^tüecfert  be* 
treiben  bürfte.  ^ismarcf  lägt  Jjier  3uipeilen  ge* 
rabe  bie  ^ugen^en  »ermiffen,  bie  fonft  feine  Di' 
plomatie  in  fo  J)oI:jem  (Srabe  ausseid^nen :  bie  S^i^' 
fül^Ii^feit  für  Stimmungen,  für  geiftige  5<3ftoren, 
für  „3mponberabiIien*,  bie  ^eredjnung  aller  2TTöcj* 
Iid]feiten  unb  «Eoentualitäten^  bie  Befonnenl^eit, 
bie  mitten  im  Kampfe  fd^on  ben  5nßben  r>orbe* 
reitet ;  bafür  jeigt  er  eine  Heigung  3U  (Semaltpolitif 
unb  UnterbrücPung,  bie  nur  aus  bem  geringem 
3ntereffe,  bas  er  biefer  gan3en  21Taterie  fd]enfte, 
3U  begreifen  ift. 

ZUan  ^at  ix>eber  bas  Hedjt,  Bismarck  einen 
3unfer  3U  fd^elten,  nod^  feine  politif  als  !onfer= 
»atio  3u  be3eid]nen.  2lber  man  fann  bodi  aud) 
nid^t  leugnen,  ba§  feine  erften  (Sinbrücfe,  bie  feine 
IDeltauffaffung  beftimmten  unb  bie  burd^  feine 
fpätern  €rfal^rungen  gan3  ausgelöfd^t  u^erben 
fonnten,  aus  ber  lOelt  ber  oftelbifd^en  Hittergüter 
ftammten;  unb  bag  er  fid?  gegen  (£nbe  feines  Cebens 
immer  meEjr  ben  KonferDatiuen  nät^erte,  tro^ 
ber  geEjäffigen,  maglofen  ^nfeinbung,  bie  er 
gerabe  aus  il^ren  Kreifen  erfal^ren  I^atte.  Cat* 
fäd^Iid]  finb  bie  fpätern  großen  IDenbungen  feiner 
politif  3umeift  il^nen  3ugute  ge!ommen.  Das 
„Kartell"  J^at  itjre  21Tad?tfteIIung  gef eftigt  imb  ben 
größten  Ceil  bes  eE^emaligen  Ciberalismus  3U  einer 
2)epenben3  von  il^nen  gemad^t.  X>ie  HücFfel^r  3um 
5d]u^3oII   biente   ausfd]Iie§Iid7   ibren  3^^^'^^ff^"* 


—    \ö\  — 


ViatütUdi  wav  es  n\d>t  allein  pcrfönlid^c  Sympathie 
unb  bas  (ßcfüE|I  bcr  Stanbessugcbörtgfeit,  was 
feine  fjaihmg  beftimmte,  fonbern  in  erfter  Cinie 
voav  ber  (ßrunb,  bag  er  in  il>nen  (mit  Hed^t)  bie 
feften  Stü^en  ber  nationalen  We^xhaft  unb  2nad}t 
falj  unb  ba§  ibm  als  bem  r>erantu?ortIidien  Ceiter 
beutfd?er  politi!  (ebenfalls  mit  Hed)t)  biefe  Hücf* 
ftd?t  über  alles  ging.  2lndi  lieg  )\d}  bie  (SefäE^r» 
lid^feit  biefer  iPenbung  bamals  nid|t  fo  beutlid^ 
er!ennen  u?ie  l^eute.  X>enn  erft,  feitbem  ^eutfd> 
lanb  5U  einem  (Setreibe  einfütjrenben  3^^iM't^i^' 
lanbe  geiporben  ift,  tjat  )\di  ber  (ßegenfa^  5ix?ifd-;en 
ben  3ntereffen  ber  Agrarier  unb  benen  bes  (5efamt* 
volUs  in  aller  5d?ärfe  berausgebilbet;  erft  feitbent 
ift  ber  (5ro§grunbbefi^  ein  niebergebenber  Stanb 
gemorben,  ber  nur  fünftlid^  auf  Koften  unb  sunt 
Sdia^en  ber  (Sefamtt^eit  gebalten  u?erben  fann. 
3mmerl^in  ift  Catfad]e,  baß  bie  partei  ber  3unfer 
tJ^re  befpotifd^e  fjerrfd">aft  in  preugen  unb  il^re 
relatiü  be^eutenbe  ZHadjtftellung  im  Heid->e  sunt 
guten  Ceile  Bismarcf  r>erbanft.M 

IPäl^renb  er  bie  Konferuatiüen  fo  5um  Sd^abeit 
bes  beutfd)en  Dolfes  begünftigte,  Iiat  er  bie  anbem 
grogen  parteigebilbe  alle  Kraft  feines  fjaffes  füblen 
laffen,  mit  febr  r>erfd]iebenem,  aber  in  allen  5öllert 
mit  unbeilooUem  2lusgange.  Hur  in  €inem  Kampfe 
ift  er  unbebingt  Sieger  geblieben,  unb  an  biefem 

€inen  üiel  oerbängnisroUeren  Dicnft,  bcffcn  ^olqen 
febr  fcbipcr  beben  finb,  bat  ibr  ^ismarcf  fcbon  im 
2tnf angc  feiner  llTiniftertätigfeit  geleiftet,  als  er  ^865  in 
ber  KonfIiftS3eit  ben  Ciberalismus  bes  prcußifdjen  Bc= 
amtcntums  rücfficbtslos  rergetraltigte. 


-    ^52  - 

Siege  ijaben  toir  am  fcbiuerften  3U  tragen.  Den 
Ctberalismus  Jjat  er  grünblid]  unb  auf  lange 
bin  3u  Boben  gefd?Iagen.  €r  bat  es  erreicbt,  ba§ 
^)ie  größere  JP)äIfte  ber  alten  liberalen  es  üerlemt 
Ijat,  liberal  5U  fein,  unb  in  itjrer  gänslid^en 
^»olitifd^en  E^altloftgfeit  nur  nod?  als  2InljängfeI  ber 
Konferüatiüen,  als  Sdjieppenträger  ber  Heaftion 
^ebeutung  bat,  u?ät:jrenb  ber  anbre  5IügeI  in 
fidi  jerfpalten  unb  mad^tlos  ift.  (Seu?iß  bat  ber 
alte  Liberalismus  burdj  feine  unfluge  Haltung  unb 
politifdje  Unfäbigfeit  fein  Sd^icFfal  felbft  uerfdiulbet. 
1>ennodi  voäve  nur  eine  liberale  partei  3ur  Leitung 
bes  neuen  Deutfd^lanbs  imftanbe.  Denn  lüie  fann 
ein  junges,  fräftig  aufftrebenbes  Volt  von  einer 
niebergebenben  Sd^id^t,  u?ie  ein  3"^iM'^^^^^^^^^^ 
^Igrariem,  wie  ein  Volt,  bas  burd^  ^ilbung  unb 
Kulturfortfd^ritt  groß  geiporben  ift,  r>on  einer  bilbungs= 
feinblid^en  reaftionären  Klaffe  regiert  u?erben?  <£s 
lüirb  bie  fd-^tcerfte,  müber>ollfte  ^lufgabe  imfrer 
nädiften  (^ufnnft  fein,  bas  langfam  ipieber  5U  bauen, 
was  Bismarcf  allsurafd^  zertrümmert  bat. 

IDenn  Bismard  bier  einen  leidsten  unb  doII= 
ftänbigen  Sieg  bapontrug,  fo  erlitt  er  in  bem  nädi^ 
ften  innern  Konflift,  bem  fog.  Kulturfampf,  feine 
crfte  unb  fd)u?erfte  Hieberlage.  3n  ber  3unäd>ft 
unpolitifdjen  2:Tfad>t  ber  fatbolifdjen  Kird^e  fanb 
ber  2TJeifter  ber  politifd^en  Kunft  feinen  ZTTeifter. 
<£r  ijat  iljr  nid^t  nur  nid)ts  anhaben  fönnen,  fon- 
t>ern  er  Ijat  fie  erft  eigentlid^  3U  einer  politifdien 
Vfladbt  im  neuen  Heid^e  gemadjt.  €r  bat  alle 
beutfd^en    Katljolüen    unter    bem    Banner  bes 


—    \d5  — 


Viitx  amontanismus  geeinigt  unb  bißfcm  alle 
Dorteile  bcr  ©ppofitionsftellung,  bie  natürlidje 
SympatB^ic  aller  Ciberalen  für  bie  Unterbrü(ftcn 
unb  Pergeroaltigtcn  unb  üor  allem  bie  unbebingte 
Polfstümlid^feit  innerl^alb  ber  fatE^oIifd]en  Bei?öl= 
ferung,  in  bie  fjänbe  gefpielt;  er  I^at  es  ber  Der= 
tretung  ber  unertjörteften  Tyrannei  bei  nns  ermög» 
lid'it,  als  polfsfreunblid?,  als  ^ort  ber  ^reit^eit  auf» 
3utreten;  er  tjat  ben  ^Inftog  gegeben  3U  ber  €nt5 
roicflung,  beren  Hefultat  nun  bas  Unglaublid^e  ift, 
t>ag  ein  5U  ^/^  von  proteftanten  beu^ol^ntes  unb 
von  einer  ftreng  proteftantifd^en  Dormad]t  gefiltertes 
Heid]  nadi  bem  XPillen  bes  fattjolifd^en  «Zentrums 
regiert  ipirb,  Unb  biefe  je^t  in  X)eutfd]Ianb  aus» 
fd]Iaggebenbe  partei  ift  gerabe  biejenige,  bie  u>ir!» 
lidj  reid^sfeinblid]  ift;  benn  fte  ift  in  lDat]rl]eit 
itjrem  IDefen  nadi  international  unb  i^aterlanbslos; 
fte  l^at  einen  5d]u?erpunft  augert^alb  Deutf d^Ianbs, 
ber  bie  Hidjtung  il]rer  ^eu?egimg  beftimmt.  Sie 
ift  ein  Ceil  ber  llTad^t,  bie  fd]on  im  2TCitteIaIter 
^er  5iudj  imb  bas  Dertjängnis  unfrer  (5efd]id]te 
rx?ar.  IDie  r>iel  unerträglidier  ift  Jefet  il^re  fjerr^ 
fd^aft,  u?o  Deutfdilanb  überu^iegenb  proteftan» 
lifd]  ift! 

2(ud]  ber  anbre  Derfud?  ^^ismarcfs,  eine  gei= 
ftige  ZTÜadjt  burd]  Staatsgeu)alt  5U  erbrüden,  fül^rte 
3U  einem  ZHigerfoIge.  iPenn  oon  regierungsfreunb* 
lid^er  Seite  bie  Sad^e  3uu?eilen  fo  bargeftellt  u?irb, 
ols  u?äre  bas  Sosialiftengefe^  einer  päbagogifdjen 
2tbftd^t  entfprungen  unb  fei  fallen  gelaffen,  nadi-- 
^em  es  feinen  ^wed  erreid^t,  fo  ift  bas  offenbar 


—     lö^  — 

eine  (£ntftellung  bes  Sad}vexhali5.  ^ismarcf  woUie 
mit  biq'er  Z\'(a^xegel  uniwe'\\elha\t  bie  Sosialbc* 
mofxatie  vevmdbten  unb  er  I^at  bas  genaue 
(Segenteil:  ein  ungeheures  2Infd7u?eIIen  berfelben, 
evxeidit  Das  bxaud^iie  an  ftd-j  für  unfre  politif 
fein  Unglücf  3U  fein,  roenn  nidit  5ugleid^  eine  anbre 
5oIge  eingetreten  u?äre.  €ben  burd?  bie  brutale 
Unterbrüdung  ift  in  ber  Sosialbemofratie  bie  tiefe 
Verbitterung  unb  5ßi"bfdjaft  gegen  ben  Staat  ge= 
feftigt  unb  bas  Pertrauen  5ur  Regierung  uergiftet. 
Dies  fann  nur  langfam  u^ieber  geiponnen  u?erben, 
r>ielleidit  erft,  wenn  bie  gan3e  (Generation  ber  Ttlax'- 
tyrer  baliin  gegangen  ift;  unb  bis  baB^in  ift  eine 
u?irflidje  Befferung  unfrer  inneren  ^uftänbe  über* 
baupt  ausgefd]Iof|en. 

So  feigen  voix,  u?ie  bie  meiften  innerpolitifdjen 
ilTagnabmen  ^ismards  fid]  für  bie  (£ntu?idlung 
X)eutfd->Ianbs  fd-jäblid]  erix?iefen  hahen  unb  u?ie  bie 
Ijeillofe  ^erfal^renl^eit  unfrer  beutigen  innerpoliti» 
fdien  Situation  3U  einem  großen  Xeile  fein  Wext 
ift.  Die  innere  politif,  bie  für  bie  näd^fte  periobe 
überl^aupt  im  Dorbergrunbe  bes  3ntereffes  fteben 
rüirb,  I^at  alfo  3unädjft  bie  beftel)enben  Sd-jäben 
3U  beilen  unb  ^aE^nen  ein3ufd"!lagen,  bie  benen  ^is* 
mards  entgegengefe^t  laufen.  3br  üornebmftes 
^iel  u?irb  bie  Sd]affung  einer  neuen  liberalen 
Partei  fein  müffen,  einer  ftarfen,  einl^eitlid^en  unb 
regierungsfähigen  Cinfen,  bie  imftanbe  ift  bie  fjerr* 
fd^aft  ber  Konferuatiuen  unb  Klerifalen  ab3ulöfen. 
Um  regierungsfäl]ig  3U  fein,  muß  fie  mit  aller 
Energie  fid^  ber  €rl:jaltung  ber  nationalen  VOeliX' 


fraft  annel}men.  Unb  ba,  wie  bic  'D'mqe  cinmat 
liegen,  ihren  Kern  notivenbig  bie  Sosialbemofratie 
bilbcn  muß,  fo  lüirb  fte  ebenfalls  bie  ^orberungen 
ber  5o3iaIreform  3U  übernetimen  I|aben.  t)iefe 
Aufgabe  ber  innern  politif  ift  mit  ber  unfrer 
äugeren  burd]aus  in  Übereinftimmung.  Beibe  ftnb 
nur  bie  praftifdien  Konfeqnensen  ber  einen  (Srunb^ 
tatfad]e  unb  (5runbnotu?enbigfeit  unfrer  wirtfd^aft- 
lid^en (5efd]id^te:  ber 3nbuftriaIifierungZ)eutfd7lanb5. 

2.  X)  e  r  neue  5  0  3  i  a  I  i  5  nt  u  5. 
X>er  (Sebanfe,  ber  ^wei  21Tenfd^enaIter  l]in^ 
burd]  bie  ebelften  fersen  X)eutfd]Ianb5  am  tiefftcn 
beilegte,  u?ar  bie  Einigung  Deutfd^Ianbs,  bie 
XDieberaufrid^tung  bes  beutfd]en  Heid^es,  —  ba* 
mals  ein  problem  ber  auswärtigen  politif.  IXady- 
bem  bies  Si^l  erreid^t  tüar,  erreid^t  mit  fjilfe  ber 
militärifd^en  ZlTad^t  preugens,  erl]ielt  ber  natio^ 
nale  (ßebanfe  einen  anbern  Jnl^alt:  (£rl]altung 
unb  Dermeljrung  ber  2Del^r!raft  bes  beutfd^en 
Daterlanbes.  Der  nationale  (Sebanfe  fiel  3ufammcn- 
mit  bem  2Had]tgebanfen.  Die  Parteien,  bie  biefen 
begriffen  l^atten  unb  Dertraten,  bas  tcaren  bie- 
nationalen  ober  ftaatserl^altenben.  3"5"^^f^^^ 
wax  eine  anbre  Hot  unb  5rage  3U  immer  größerer 
Dringlidifeit  gebieljen  unb  I^atte  bie  fjer3en  ber 
heften  ergriffen:  bas  fo3iaIe  problem.  Seine 
Vertreter  fagen  auf  ber  äugerften  Cinfen.  ^eibe 
(Sebanfen  waten  im  (5runbe  bie  ein3igen  geiftigen- 
poten3en,  bie  im  politifd^en  Ceben  Deutfd^lanbs^ 
etwas  bebeuteten,  unb  bie  Parteien,  bie  fidj  um 


—    \d6  — 

f  e  fdiarten,  tjattcn  bamit  il^rc  3beale  unb  (5ielc. 
-■^ber  bas  fo3ialiftifd]e  3^^^^^  ^!<^tte  imuergleid^üd] 
mcE^r  (5Iut  unb  5pann!raft ;  bcnu  es  rt?ar  nod]  im 
XPerbcn  unb  fein  Heid^  lag  in  ber  <5ufunft;  basu 
ipurbe  es  verfolgt  unb  ijaüe  feine  Hlärtyrer.  Don 
■t>en  anbern  Parteien  u)urbe  bas  (Zentrum  burd? 
•eine  nid?tpoIitifdje  2^ee  sufamniengetjaUen ;  bod^ 
mugte  es  um  feiner  lX)äl:jIermaffen  ipillen  einen 
gemäßigten  Sosialismus  pflegen.  Unb  nur  ber 
Partei  (£ugen  Hid^ters,  bie  u?eber  national  nod] 
fo3ial  voat,  fe^te  Jeber  praftifdje  (5eI^aU  unb  jebes 
pofitioe  5iel;  fie  war  „ber  (Seift,  ber  ftets  verneint." 

^ie  Vertreter  bes  nationalen  unb  bie  bes 
-fosialen  <5ebanfens  waren  alfo  ftreng  gefd]ieben 
—  jumal  nadibem  Stöders  plan,  bie  Konfer^ 
r>atir>en  für  ben  5o3ialismu5  3U  gewinnen,  befinitio 
gefdieitert  war,  —  imb  einanber  fo  entgegengefe^t, 
wie  it^re  Si^e  im  2^eid?stage.  llnb  biefer  (5egen= 
fa^,  ber  bie  ZHad^t  nad]  außen  faum  beeinträd^tigte, 
l^inberte  jeben  innern  5ortfdjritt.  IPar  es  nidit  ein 
•erlöfenber  imb  üon  ber  Situation  geforberter  (5e= 
-ban!e,  beibe  3^^^"  vereinigen,  bie  breiten 
mäd]tigen  Strömungen,  bie  bamit  be3eid?net  würben, 
in  (£in  3ett  3U  leiten?  IDeim  man  sugleidi 
national  imb  fo3ial  fein  fonnte,  bann  mußten  ftd^ 
bod]  am  <£nbe  alle,  bie  es  mit  bem  beutfd^en 
-Polfe  el^rlid)  meinten,  unter  €iner  fammeln 
laffen.  Böfe  jungen  befinieren  baljer  bie  Hatio* 
nalfosialen  als  bie  Ceute,  bie  bie  „ItTarfeillaife" 
madi  ber  2Tlelobie  ber  ,,Wad]t  am  Hinein"  fingen. 

So  einfad]  ift  bas  Perl^ältnis  nun  bod^  nidit. 


—    \o7  — 


TXlan  faim  n\d]i  beliebig  ^wei  pritisipien,  bie  mit  cin*= 
anbet  nxdbts  311  tun  l^abcn,  in  einen  ^Eopf  luerfen 
unb  baraus  ein  neues  brauen.  tO'xe  wenig  bas  c^ebX 
I^atte  ja  bie  ecangelifd^fosiale  Bewegung  geseigt. 
Wenn  fid)  aus  ber  Bereinigung  bes  nationalen 
unb  bes  fo5iaIen  (ßebanfens  u^irflid?  ein  neues,, 
politifd^  frud]tbares  prinsip  ergab,  fo  gefd^al]  bas, 
roeil  beibe  <5ebanten  von  felbft  3ufammengel]örten 
unb  in  einer  innern  Deru)anbt)\-baft  [tauben.  €s 
lüar  nid^t  eine  Fünftlid">e,  äugerlid^e  Cegierung, 
fonbern  eine  d^eniifdie  Derbinbung  auf  (5runb  natür* 
lidier  lt)al]Iüeru?anbt(d^aft,  wobei  aus  5wei  Beftanb^ 
teilen  ein  ^eues  u?irb,  bas  jene  beiben  in  fid|  cnt- 
^äit,  aber  von  jebem  von  il^nen  r>erfd:?ieben  ift. 
T>iefe  2tuffaffung  ftel]t  ber  frül|cren  fd^arf  entgegen.. 
lOir  finb  nid^t  fosial,  tro^bent  w'w  national  finb, 
fonbern  u?ir  finb  fo3iaI,  u?cil  w'w  national,  imb 
national,  iv>eil  rcir  fo^ial  finb.  iud]t  ber  ipillfür* 
lid^e  Einfall  3ipei  bifparate  (Elemente  3U  fombinieren,. 
fonbern  bie  (£rfenntnis  ber  notu>enbigen  ^ufammen- 
gel^örigfeit  bes  Nationalismus  unb  bes  Sozialismus 
ift  bas  Heue  imb  53ebeutcnbe,  luas  ims  Naumann 
gehtadit  Ijat;  fie  erft  ift  ber  nationalfosiale  (5e* 
banfe.  X)iejer  fonnte  nur  gewonnen  rt>erben  burd]- 
eine  tiefere  (£rfaffung  bes  IDefens  ber  beiben  bis^ 
Ijer  u?iberftrebenben  prinsipien.  Unb  eben,  voeil 
es  fid")  um  eine  neue,  r>ertiefte  (£infid"{t  tjanbelt, 
bie  ein  Hadjbenfen  imb  Umbenfen  geu?ol]nter 
Dorftellungen  verlangt,  barum  ift  es  nur  natürlid?, 
bag  ber  nationaIfo3iaIe  (Sebanfe,  3umal  in  einem 
polttifd]  unreifen  Volte,  n\d}t  fogleid]  Erfolg  I^atte- 


—    15S  — 

anb  gans  langfam  unb  fdirittrücife  Boben  geiotrtnt, 
^ud]  tnnerljalb  ber  natiortalfosialen  partci  felbft 
Ijat  er  nodi  eine  (£ntipicflung  gcl^abt;  bcnn  in  ben 
Dehatten  ber  erftcn  3al:jre,  ob  bcm  Hattonalcn 
ober  beni  5o5ialen  ber  Porrang  gebül^re,  vo'ivft  im 
(Srunbe  nod^  bie  alte  Porftellung  üon  ber  (Segen* 
fä^lid]feit  beiber  prtn3ipien,  bie  alfo  einanber  ein» 
fd]rän!en  müßten,  nad>.  —  (£5  tft  unfre  Über* 
^eugung,  ba§  an  bem  Siege  biefes  (5ebanfen5  bie 
.(^ufunft  Deutfdjlanbs  I^ängt. 

Durd]  bie  neue  ^uffaffung  hßhen  fotüoljl  ber 
Ztationalismus  n?ie  ber  Sosialismus  einen  anbem 
Sinn  imb  (Sel^alt  befommen. 

rOie  imterfd]etbet  fid]  ber  neue  So3iaIi5mu5 
t>on  ben  älteren  5ormen,  bem  internationalen,  toie 
bem  d^riftlid^en  So5iaIi5mu5?  2^t)en\aÜ5  liegt 
nid^t  ber  nnterfd]teb  im  (£nb siel,  benn  biefes  tjat 
I^eute  überijaupt  feine  Bebeutung  au§er  ber  einer 
•agitatorifd^en  pl^rafe.  3d^  toeig  nid]t,  u?ie  Hau-- 
mann  über  ben  (^ufunftsftaat  benft,  unb  üermutlid^ 
ipürben  t>iele  Sosialiften  in  Perlegenl^eit  fein,  menn 
fie  ba3u  Stellung  neEjmen  foUten.  Der  allmäd^tige 
^rpangftaat  ber  neuern  Utopien,  ber  alles  bis  ins 
(Etnselne  befpotifd?  regelt,  bürfte  für  bie  lOenigften 
■ein  annelimhaxes  2^eai  fein,  ^nbrerfeits  finb  barin 
vooiil  fo  siemlidi  alle  einig,  bag  ber  0rganifation 
^er  2trbeiter  freie  'Sahn  gefd^affen  uperben  mu§, 
^a^  genoffenfdiaftItd]e  ^Übungen,  wo  fie  fid]  aus 
eigner  Kraft  emporentmicfeln,  mit  Sympatl^ie  31; 
begrüben  finb,  bag  befonber-s  bas  Konfumgenoffen» 


—    159  — 


fd]aft5u?efcn  5örberung  r>crbicnt,  ba§  Übernabme 
in  Staatsbetrieb  ba  ansuftreben  ift,  wo  fad^Iid^e 
(Srünbe  bafür  fpred^en,  mte  bei  ben  Derfel^rsein^ 
rid^tungen  unb  ber  €rfdiließung  ber  ^obenfd]ä^e 
uftx).  Daraus  ertjellt,  bag  ber  Sosialismus  überbaupt 
nid^t  mel^r  ben  alten,  ipettfüegenben,  abfohlten  Sinn 
l^at:  Dergefellfd]aftimg  ber  probuftionsmittel  unb 
genof)'enfd|aftIid]e  ©rganifation  aller  2trbeit,  — 
fonbern  ben  viel  befd^eibeneren,  relativen  unb  bes= 
rcegen  erreid]bareren :  l^ebung  ber  ^Irbeiterflaffe, 
foroeit  möglid^,  auf  bem  XPege  ber  ©rganifation 
unb  georbneten  Selbftbilfe,  unb  fou?eit  nötig,  burd^ 
gefe^geberifd^es  Eingreifen  bes  Staates,  unt  C>ie 
Sd^u?äd^ern  vox  ber  Übermad^t  bes  Kapitals  3U 
fd">ü^en  unb  bie  r)erberblid]en  2lu5wnd]\e  bes  Kapi= 
talismus  absufd^neiben.  Daß  bei  biefen  fo  gar 
nid]t  revolutionären  ^leUn  andi  ber  lOeg  ba3u 
nid^t  burdi  bie  Heüolution  fül]rt  —  fte  batte  \a 
lebiglid]  iliren  pla^  in  bem  ^ufammenl^ange  bes 
€fd?atoIogifdvpt^antafti)d]en  ^uhmftstraumes,  an 
bem  \\di  bie  nod]  jugenblidie  Sosialbemofratie  be= 
rau|d)te  — ,  fonbem  ber  IDeg  praftifd^er,  gebulbiger 
Heformarbeit  im  Einselneu  ift,  ergibt  ftd^  nunmebr 
üon  felbft.  2ludi  bie  sum  llTanne  gereifte  So3iaI= 
^lemofratie  l^at  biefen  IPeg  längft  befd^ritten  unb 
lann  gar  nid^t  mel^r  anbers  als  fid^  imnter  ent- 
fd^iebener  3U  einer  rabifalen  Heformpartei  „maufern". 

Darin  alfo  finb  J^eute  alle,  bie  fid]  irgenbwie 
fo5iaI  nennen,  im  (Sanken  einig.  XDas  trennt 
uns  benn?  —  Hur  bies,  bag  u?ir  HationaIfo3iaIe 
jnit  Seuju^tfein  imb  aus  pnn3ip,:  bgl^er  fonfequent 


—    \60  — 


unb  mit  mel^r  2lu5fid]t  auf  Erfolg  eben  bas  turt 
wollen,  was  bic  Sosialbemofratie  I^alb  lotbcripillig. 
unb  fd?u)anfcnb,  aber  burd]  bic  Umftänbc  gebrängt, 
ebenfalls  tun  mug:  ben  t>orl^anbenen  Staat  an^ 
erfennen  unb  auf  biefer  ^afis  praftifd^e  Heformen 
anftreben.  Das  verlangt  fd]on  eine  einf ad]e  taf^ 
lifd^e  (ErtDägung.  Sosiale  Heformen  laffen  ftd^ 
nur  unter  21Titu)irfung  ber  Hegierung  erreid]en 
unb  l^ängen  Don  beren  gutem  XDillen  ab.  VOas^ 
ift  ba  töriditer,  als  biefe  Hegierung  beftänbig  3U 
brusfieren?  X)iefe  Hegierung  roirb  fid]  nur  bann 
rooEjImoflenb  seigen,  roenn  man  il^r  in  bem  3U 
IDillen  ift,  ipas  für  fte  il:jrer  Hatur  nad)  £iaupt== 
fad)e  fein  mug:  in  ber  (SrB^altung  ber  militärifdjen 
Xüadit.  Die  ^tblel^nung  bes  ITlilitärbubgets  von 
Seiten  ber  5o5iaIbemofratie  l^at  für  bie  5ad]e  felbft 
feine  ^ebeutung:  X>as  Bubget  u?irb  bod?  ftets  be* 
rpilligt,  unb  gefdiäEje  bas  einmal  nid]t  unb  imfre 
XPel^rfraft  litte  barunter,  fo  tpürbe  bie  Arbeiter» 
fd^aft  am  meiften  baburd^  gefäl^rbet  fein.  Sie  ift 
nur  eine  nu^Iofe  proteftfunbgebung  unb  tjat  allein 
ben  (£rfoIg,  bie  Hegierung  in  il^rer  feinblid^en 
fjaltung  feft3ul:jalten  unb  ein  energifd^es  5ortfd^reiten 
bes  Heformu?erfes  $u  Ijinbern. 

2lber  nod}  tiefer  liegenbe  fad^Iid^e  (Srünbe 
beftimmen  unfer  Derljalten.  X>ie  fjebung  Oes  ^r* 
beiterftanbes  ift  allein  möglid?,  u?enn  unfer  Volf 
als  (Sanses  im  Steigen  ift  unb  ber  2Iuffd]tt)ung 
unfrer  3nbuftrie  anljält.  3"  <^'^nem  niebergeljenben 
Dolfe  ift  bie  Sad]e  bes  Sosialismus  von  vom 
Ijerein  ausfid^tslos.    Wo  ber  (Ertrag  ber  VolU* 


—    \6\  — 


ipirtfdiaft  im  <5an5crt  aBnimmt,  vo'wb  fid)  bies 
am  meiftcn  bei  bcn  ipirtfdjaftlid^  Sdiwadicn  hemexh 
hax  mad>en.  Um  bie  3Iütc  xmb  gebciijlid^e  €nt' 
rpicPIimg  unfrer  3T^'^iifti^i^/  Quelle  unfers  natio' 
nalen  lOoljIftanbes  311  fd^ü^en,  hvaudim  w'w  eine 
ftarfe  fjeeresmad^t  unb  5Iotte,  bie  ims  ben  ^n^bert 
fid^ert  unb  r)ernid]tenbe  KataftropB)en  fernl^ält. 
il]rem  eigenften  3ntereffe  alfo  muffen  bie  2lrbeiter 
unfre  lDeI:jrfraft  er^^alten  I^elfen. 

2tber  u?ie  verträgt  fidj  biefe  national  be* 
cjren3te  lOirtfdiaftspoIitif  mit  ber  gerabe  von  Hatio* 
nalfosialen  vertretenen  ^tnfd^auung,  bag  voxx  im 
<5eitalter  einer  roerbenben  IDelttoirtfd^aft  leben? 
Hun  eine  ^Ibfperrung  üom  IDeltuerfeE^r  u?oIIen  roir 
u?al^rl|aftig  nid]t.  (5.  oben  3.  \'{S.)  Unb  biefe  lOelt* 
ujirtfd^aft  ift  bod^  nur  eine  über  bas  einselne  Volt 
I^inausgetjenbe  2lrbeit5teilung,  ein  IParenaustaufd? 
unb  IDettbeiperb  ber  üerfd^i ebenen  Cänber.  (£ine 
roirflid^e  lX'>irtfd]aft5gemeinfd]aft,  bie  eine  einbeit* 
Iid]e  Ceitung  unb  f>olitifd]e  ^eeinfluffung  sulä^t, 
ift  nur  bie  IDirtfd]aft  bes  einseinen  Staates.  T)a% 
ber  (£rtrag  imfrer  beutfd^en  X)olf5u?irtfd)aft  mög= 
lidjft  groß  ausfalle,  ift  bas  gemeinfamc  3"^^^^ff^ 
ber  2Irbeiter  u?ie  ber  Unternel^mer  unb  überbaupt 
aller  Dolfsgenoffen.  (£rft  u?enn  biefer  €rtrag  ba 
ift,  fönnen  bie  Arbeiter  itjren  fpesiellen  Kampf  um 
bie  (5röge  iEjres  2tnteils  ^axan  mit  (£rfoIg  füljren. 

3.  X)er  neue  Nationalismus. 
<£s  n?irb  nid]t  überflüffig  fein,  bag  voxx  ben 
begriff   bes  Hationalismus  felbft  näijer   5U  be* 

^.  meyer:  ^rbr.  rtaumann.  «* 


-    ^62  - 


ftimmcn  fucben.  VOiv  betrachten  tt^n  in  brei  "Be- 
jiebungen. 

\)  ^nbem  vo'iv  ben  Nationalismus  mit  ber 
2Iner!ennung  bes  gegebenen  Staates  gleid>fe^en, 
erbebt  ftcb  bie  S^^cli^^  nad]  bem  Derbältnis  stpifd^en 
r>oIf  unb  Staat. 

Wenn  voix  ben  Staat  lebiglid]  als  Derroalter 
bes  Hed^ts  betrad^ten,  fo  fommt  es  nur  barauf 
an,  bag  überbaupt  ftaatlid^e  ©rbnung  ba  fei, 
tüäbrenb  bie  ^lusbeBjnung  bes  ein3elnen  Staats 
offenbar  gleid^gültig  ift.  ^ie  Begrenzung  bes 
Staates  unb  bie  2Tiebrbeit  r>on  Staaten  neben  ein» 
anber  xuh^t  auf  feiner  barüber  binausgebenben  "Be-- 
beutung,  bag  er  bie  0rganifationsform  eines  Polfes 
ift,  ber  fid^tbare  Ceib,  ben  fid^  bie  Dolfsfeele  baut. 

rOas  ift  ein  Volt?  Dolf  ift  bie  umfaffenbfte 
(Semeinfd^aft  oon  ^TCeufd^en,  bie  eine  Healitdt  ift. 
IDas  barüber  i)inausgel]t,  Dölferfamilie,  Haffe, 
(tnb  r>age,  mehr  abftrafte  Begriffe,  bie  feine  bauer= 
baften  Bilbungen  tragen  fönnen.  Das  Volt  aber 
ift  eine  lebenbig  empfunbene  lDirfIid]feit.  Das 
IDefen  bes  Dolfes  aber  ift:  Sprad^gemeinf d^af t. 
Dies  ift  bie  einsige  tbeoretifd?  faßbare  unb  praftifd> 
üerupenbbare  Begriffsbeftimmung.  Die  Spradje  ift 
aufs  3nnigfte  mit  unferm  Denfen  oermadjfen; 
gleid>e  Sprad^e  bebeutet  bal^er  eine  geu?iffe  Über» 
cinftimmung  ber  geiftigen  0rganifation,  rc»eld>e  bie 
Porausfe^ung  einer  eintjeitlidjen  Kultur  ift.  Die 
Spxadbe  begrünbet  nid>t  nur  eine  innere  Penüanbt» 
fdiaft,  fonbem  sugleid^  einen  äußern  ^u^ammen-' 
fd^Iug  berer,  bie  fie  fpred^en:  fte  bilbet  eine  Der- 


—    \6o  — 


fcEjrsgcineinfd^aft  unb  bei  ber  ungebcurcn  'Be-- 
^)cutung  ber  Si>vadie  als  21TitteI,  ZHebium  bcr  Kultur, 
titd^t  nur  ber  litcrarifcbcn,  fonbern  aud^  bcr  poU^ 
lifdjen,  tDiffenfdjaftlid^cn  ufm.  —  eine  Kultur« 
ijemcmfd]aft.  Diefe  umfaffcnbe  geiftige  (Scmcm= 
fd^aft  berer,  u?eld>c  biefclbe  5prad]C  fprcd)cn,  mad>t 
i)ie  cigentlidje  5ubftan3  eines  Voltes  aus;  fie 
meinen  voix,  wenn  wix  vom  Volte  als  von  einer 
<£inl:jeit,  von  einer  DoÜsfeele  ufm.  reben,  wenn 
w'ix  ein  Volt  als  einen  Organismus,  ein  3nbir>i= 
t>uum  aujfaffen. 

Das  3"^^^^^!^""^  ^^I^  <^I5  fold^es  einen 
gemeinfamen  IDillen  unb  brandet  ein  Organ  5U 
gemeinfamem  ^anbeln.  X>ies  fd^afft  es  f\d]  im 
Staat.  IDie  jebes  3"^^^i^ii*i"^r  erl^ebt  es  ben 
2lnfprudi  auf  S^^'^k^'^^i  ^lutonomie:  es  mill  feinen 
eigenen  Staat  i^aben.  Zlux  als  Polfsftaat  fann 
^ex  Staat  biefen  tiefen,  ftttlid^en  3"^^^^^  baben. 
X)er  Dolfsftaat  mu§  baber  unbebingt  als  bie  Horm 
betcad^tet  operben.  2^'öes  Volt  ^at  nidit  nur  bas 
Hed^t,  fonbern  bie  fittlid^e  pfiid^t,  für  feinen  eignen 
Staat,  für  feine  poIitifd^eUnabl^ängigfeitsufämpfen; 
xmb  nur,  wo  ftd]  gar  feine  ZTTöglid^feit  basu  jeigt 
(3.  ^.  u?enn  ein  Volt  serftreut  ober  mit  anbern 
Pölfern  üermifd^t  u?oI^nt,  wie  bie  311^^^^ 
menier),  ift  Hefignation  am  pla^e. 

Das  iX^ort  X>  0 1  f  ijat  im  Deutfdien  eine  bop* 
pelte  politifdje  ^ebeutung:  es  ijt  einmal  bie  ZTation 
im  (Segenfa^  $u  anbern  Nationen ;  es  i\t  femer 
bas  Subjeft  ber  Demokratie  im  (Segenfa^  5U  einer 
monard-jifd^en  ober  oligard^ifdjen  Hegierungsform. 


—  m  - 


T>\e  he'iben  2^l:ialte,  bie  für  uns  basfelbe  Wort 
ausbrücft,  hängen  aud]  fad]Ud?  fcft  sufammcn» 
(Ein  etgentlidicr  Halionalftaat  fann  nur  bcmofra* 
tifd]  fein.  V\e  21nl)änglid]fcit  eines  befpotifd) 
regierten  Voltes  an  feinen  fjerrfdjer  unb  fein  (5e* 
Bjorfam  gegen  bie  Hegierung  finb  unpolitifd^er  2trt. 
(£5  ift  bie  freitpillige  X>ienftbarfeit  von  Xilen\dien, 
bie  nod)  feinen  eigenen  IDillen,  fein  prinsip  ber 
5reit]eit  in  fid]  entbedt  ^ahen:  bie  5ittlid?!eit  auf 
ber  nieberen  Stufe  ber  fjeteronomie.  IDirflid) 
lebenbiges  Hationalgefül-^I  unb  StaatsbetDUßtfein, 
eigentlidj  politifd^er  Sinn  fann  fidj  nur  ba  bilben, 
wo  bas  gefamte  Volt  politifd)  frei,  Subjeft  ber 
politif  ift.  Umgefel^rt  mug  ein  internationaler 
Staat  notmenbig  unbemofratifd^  fein;  er  fann  ent* 
ipeber  eine  befpotifd]e  Hegierung  über  ber  (5efamt* 
maffe  politifd]  unmünbiger  „Untertanen"  aufrid?ten, 
ober  er  mug  fid]  auf  ein  einseines  Dolfstunt  ftü^en, 
bas  ben  anbern  in  bemfelben  Staate  vereinigten 
an  fultureller  (£ntrt)icFIung  ober  an  politifdjer  Kraft 
bebeutenb  überlegen  ift.  2^1.  beiben  fällen  »werben, 
fobalb  biefe  Dölfer  anfangen  national  5U  enipfinben, 
bie  5entrifugalen  Kräfte  bie  0berl:|anb  geioinnen 
unb  bas  Staatsgebäube  ^erfprengen.  (Cürfei,  Öfter» 
xeidi.) 

2)  Nationalismus  unb  3"ternationaIiS' 
mus.  ^et^es  Volt  ftrebt  nad'j  einem  eigenen,  auto* 
nomen  Staat.  2lber  nid]t  jebes  Dolf  ift  l^eute  in 
ber  Cage,  fid]  einen  foldjen  fd]affen  3U  fönnen. 
Diele  befinben  fid]  in  2tbl]än gigfeit  von  anbern 
unb  fönnen  iJ]re  ^^^i^^^it  nur  burdj  Kampf  er^» 


—    \65  — 


langen,  ^tnbrerfcits  J>at  jebßs  freie  unb  ftarfe 
Volt  bie  Cenben5,  feine  Spljäre  5U  eripeitern  auf 
Koften  anbrer,  biefe  3U  unteriüerfen  obei*  5U 
abforbieren.  5d?on  bas  u?ad?fenbe  Bebürfnis  einer 
u)ad]fenben  Beuölferung  nötigt  basii.  2lu§erbem 
tft  ber  (£fpanfionstrieb,  ber  XPille  3ur  21Tad]t  unb 
fjerrfd^aft  ber  unaustilgbare  (Srunbbetrieb  alles 
Cebenbigen.  Unb  biefer  XPiberftreit  ber  Hationa* 
liläten  ift  bie  Quelle  ber  unaufl>örlid^en  Kriege, 
unter  benen  bie  2TTenfd?beit  feuf5t.  (5erabe  im 
2cL^vb.,  nacl]bent  bie  <5eit  ber  Kabinettsfriege  Dor* 
über  u?ar,  finb  Kriege  in  poriger  unbefannten  Di- 
menfionen  unb  mit  unerl:^örter  Energie  gefütjrt. 
Unb  mir  u?iffen  alle,  ba§  nod}  auf  lange  l]in  fein 
(£nbe  ber  Kriege  fein  u)irb. 

Die  l]eutigen  Kriege  entfpringen  alfo  aus  ber 
2tnfpannung  bes  Hationalgefül^ls  unb  fie  «werben 
ermöglid^t  burd^  ben  militärifd^en  Cljarafter  aller 
größeren  Staaten,  bie  je^t  roie  rieftge  pansertiere 
crfd^einen.  Damit  be3al]len  u?ir  unfre  nationale 
5onberei*iften3.  2lber  ift  ber  preis  nid^t  3U  teuer? 
Durd]  unfre  gan3e  ^eit,  bie  neben  ungel^eurer 
2tnfpatmung  aud^  üiel  begreiflidje  ZTÜübigfeit  birgt, 
gellt  eine  tiefe  5nßbensfel>nfud:?t;  unb  u?eit  per» 
breitet  ift  bie  ZlTeinung,  ba§  ber  Krieg  unb  mit 
ifyn  ber  ZlTilitarismus  eine  unfrer  Kulturl>öBje  un* 
tpürbige  Barbarei  fei.  Sie  l^at  auf  ihre  lUeife 
nur  3u  feljr  Hed^t.  Ellies,  was  man  Je  bem  Kriege 
Sd]linunes  unb  S^iT^^]^l^Cite5  nad]gefagt  l]at,  reid]t 
nid^t  entfernt  an  bie  grauenvolle  I0irnid]feit. 
Sollte  es  nid]t  möglid?  fein,  biefen  fdjredlidjften 


—    \66  — 


ber  5d?recfen  cnblid]  aus  ber  lOcIt  3u  fdjaffcn  unb 
bafür  auf  immer  bcn  cblen  5ricbcn  3u  bcfcftigcn, 
bcn  QucU  allc5  Segens  unb  ^ort  ber  (ßefittung? 

€5  gibt  nur  (£in  ZHittel:  bic  (Erriditung  eines 
IPeltreid^es,  bas  alle  Dölfer  in  ftd?  umf agt. 
X>as  u?ar  einft  für  bie  bamalige  Kulturn^elt  bas 
römifd]e  Heid],  unb  fobalb  bies  feine  befinitioe 
^lusbel^nung  erreid^t  l^atte  unb  bie  innern  lOirren 
r>orbei  u?aren,  ba  toar  allgemeiner  5riebe  unb  nur 
an  ben  Hänbern  enthxannte  nodi  inweiUn  ber 
Krieg.  0t)ib  unb  Pirgil  I]aben  ben  erften  Kaifer 
als  5nßbensfürften  gefeiert  unb  nod?  ber  islänbifdje 
J^iftorifer  bes  ](3.  3al^rl].  batiert  nad]  ber  ^ett,  „ba 
Kaifer  2luguftus  in  ber  gansen  IDelt  5i^i^ben 
ftiftete/  fjeute  nel^men  bie  beftänbigen  5d|Iäd]te« 
reien  ber  afrifanifd]en  Stämme  ein  (£nbe,  fobalb 
fte  unter  europäifdie  fjerrfd^aft  fommen.  Woüen 
voiv  guten  «Europäer  uns  nid]t  aud]  unter  (Einem 
Ssepter  pereinigen  unb  fo  mit  einem  Sd^Iage  r>on 
aller  Kriegsgefal^r  unb  r>on  ber  unerträglid]en  £aft 
unfrer  Hüftung  erlöft  (ein?  3d)  3tt?eifle  nid]t, 
Englanb  u?ürbe  gern  bereit  fein,  bie  Hegierung 
biefes  Unioerfalftaates  auf  feine  5d)ultern  3U 
nel^men. 

JDir  ujollen  es  nid^t  unb  we^e  uns,  wenn 
voix  es  iPoHen  fönnten!  ^enn  biefer  Stimmung 
liegt  3ugrunbe  eine  eubämoniftifdie  ^tuffaffung, 
bie  3ur  (ßrunblage  bes  Kulturlebens  nid^t  ausreid]t. 
Hid^t  um  in  trägem,  forglofen  Beilagen  uns  3U 
bel^nen,  finb  tt?ir  auf  ber  Welt,  fonbern  um  „ben 
tOillen  <3ottes  3U  tun",  b.  Ij.  unfern  ^eruf  3U  er« 


—    167  - 


füllen,  bie  uns  innercol^nenbe  unb  unfer  eigcnftes 
IDcfen  fonftituiercnbc  3bce  511  vexvo\xf[\d]eu.  Zl\d]t 
bas  (5Iücf,  fonbern  bic  ^i^ciljcit  (=  5ittlid)fcit, 
f.  oben  5.  ^27  f.)  ift  ber  Sinn  unfers  Cebcns.  llnb 
bicfe  perlangt  als  iBirc  Bebingung  aiid]  bic  äugere 
Hnqbl^ängigfctt,  bie  ^Höglid^fcit,  ungebinbert  von 
anbern  nad\  eignem  <5efe^  5U  leben.  2lud->  bie 
Voümadit,  felbft  über  fein  Sd^icffal  5U  ent[djeiben 
unb  auf  eigne  Hed^nung  unb  (Sefal:)r  bas  £ebeu 
5u  Klagen.  Das  alles  gilt  r>om  Polfsgansen  wie 
vom  (£in3elnen.  Hur  bas  niebergebenbe,  alters» 
fd^ujad^e  Ceben  fdjeut  bie  Xlötc  unb  (Sefal^ren  bes 
Kampfes  ums  Dafein;  bas  ftarfe  unb  gefunbe 
Ceben  liebt  unb  fud^t  ben  Kampf,  benn  nur  er 
entbinbet  alle  fdilummernben  Kräfte  unb  fteigert 
fie  3u  fonft  ungeal:|nter  IPirfung,  fei  es  ber  brutale 
Kampf  ber  (ßeu?el^re  unb  Kanonen,  fei  es  ber 
u?irtfd]aftlid]e  Konfurrensfampf.  Sdjon  fjomer 
vou%te,  bag  ^eus  bem  ZlTanne  bie  fjälfte  ber  ^Eugent> 
raubt,  n?enn  il>n  ber  Cag  ber  Kned^tfd^aft  ereilt. 
(0b.  \7,  322  f.)  Unb  bie  (Sefd^idjte  hßt  iljm  faft 
immer  Hed^t  gegeben,  3"  Hegel  feben  u?ir 
einer  friegerifdjen  2tnfpannung  unb  einem  poIitifd)ert 
2luffd^tt)unge  eines  Volhs  eine  ^lüte  ber  geiftigen 
Kultur  folgen  unb  ebenfo  geu)öbnlid^  verliert  ein: 
Voif  feine  fulturelle  Sd^affensfraft  sugleid^  mit  bem 
Untergange  feiner  ftaatlidien  Selbftänbigfeit.  U^oUen 
wix  alfo  unfern  uns  angeu?iefenen  plafe  auf  ber 
i£rbe  ausfüllen,  u?oIIen  lüir  ber  ZHenfd'!l:>eit  alles 
bas  fdjenfen,  u?as  als  Keim  unb  Hlöglid^feit  in 
uns  liegt,  fo  müffcn  w\x  audi  unfre  nationale  Un» 


—    \68  — 


abl^ängtgfcit  hd^aupten  uiib  unfre  mtUtärifd^poli» 
t\\die  Kraft  ungcfd)u?äd^t  crljaltcrt.  (£5  tft  einmal 
fo,  bag  üitaiß  Energie,  Kampftüdjtig!eit  imb 
cjeifttge  ,5^ii9ii"9^fj^<ift  ^"9  cinanber  gebunben 
finb.  Unb  es  ift  gut,  bag  es  fo  ift,  benrt  tpte  follte 
fonft  in  bem  Ijarten,  graufamen  Cebensfampfe 
überljaupt  Kultur  emporfommen,  ftd]  erl^alten  unb 
ipadjfen,  upenn  fie  nid^t  eine  Blüte  loäre  am 
Stamme  berfelben  ptjyftf d]en  Cebensfraft,  bie  im 
Kampfe  ums  ^afein  fiegreid?  bleibt? 

X>er  gebadete  Unicerfalftaat  rpürbe  wiegen 
feiner  Dimenftonen  unb  infolge  bes  ^^I^lens  aller 
Hir)alität  bie  Energie  bes  politifdien  Cebens  auger« 
orbentlid]  Ijerabftimmen.  (£r  toürbe  ferner  eine 
Sprad^e  3ur  Staatsfprad^e  erE^eben  müffen  unb 
baburd^  bie  (Seltung  ber  anbern  Sprad^en  befd?rän!en 
unb  ber  geiftigen  Sonberart  ber  Pölfer  (Eintrag  tun. 
(£r  u)ürbe  alfo  bodj  eine  geroiffe  Hioellierung 
unb  Uniformierung  t^erbeifül^ren,  —  aud^  bies  3um 
SdiaCx^n  ber  (5efamt!ultur.  X)iefe  fann  nur  burd^ 
ben  freien  IDetteifer  aller  3ttbit)ibualitäten  3U  r>oIIem 
*£rblül^en  fommen.  Wiv  bienen  alfo  aud]  bem 
3ntereffe  ber  ZTIenfdil^eit,  rr»enn  u?ir  uns  als  freies 
Volt  lebenstüdjtig  unb  fd^affensfräftig  3U  erl^alten 
ftr  eben. 

3)  IPir  I^aben  u)ieberijolt  bas  Volt  als 
tEräger  eines  fittlid^en  Berufes,  einer  ge« 
fd]idjtlid]en  2Tliffion  be3eid?net.  Das  ift  allerbings 
unfer  (Slaube,  unb  ift  im  (5runbe  fd>on  bamit  ge= 
geben,  bag  ipir  bas  Volt  als  ein  lianbeln'öes 
XOefen  auffaffen.    Hur  barf  bies  nidjt  fo  r>erftanben 


-  m  - 


vocvben,  als  ob  bas  Polf  als  folcbcs  uitmittclbar 
mit  ^ilfe  feines  (Dvqans,  öes  Staates,  eine  Kultur^ 
aufgäbe  löfen  fönnte.  Dct  Staat  fann  unb  foll 
t)ie  Kultur  fördern  burdi  (Seu?äbrung  ber  nötigen 
ZlTittel,  ^inriditung  unb  Perrüaltung  ber  Untere 
ridits=  unb  ^rbeitsanftalten  ufu?.,  aber  er  fann 
immer  nur  bie  äußere  ZTTöglid]!eit,  bie  materiellen 
Dorbebingungen  barbieten:  fd^ajfen  fann  nur  ber 
<£in3elne,  bie  [d)öpferifd^  veranlagte  perfönlid^feit. 
Dennodi  ift  aud">  für  biefe  bas  '^efteben  unb  bie 
^efdjaffenbeit  eines  nationalen  Staates  nid-jt  u?ert-- 
los,  gan5  abgefel^en  von  jenen  äußern  ^eibilfen. 
X)enn  ber  ZlTcnfdi,  unb  in  befonberem  (Srabe  ber 
Sd)affenbe,  ift  einerfeits  r>on  ber  (Seiftesart  feines 
Dolfes  getragen  unb  beftimmt,  er  ift  anbrerfeits 
von  ben  äußern  £ebensbebingungen  abbängig. 
^ur  als  freier  Bürger  eines  freien  Staates  mirb 
er  fid")  frei  entmicFeln  fönnen.  lUenn  biefe  Vor-- 
ausfe^ung  feblt,  u?irb  fein  Sd^affen  leidet  baburcb 
gel^inbert,  beengt  ober  abgelenft  u?erben. 

Das  IDiditigfte,  n?as  ber  Staat  ber  Kultur  5U 
leiften  hßt,  ift  alfo,  bag  er  bem  Dolfe  feine  nnab-- 
bängige  (Sriftens  unb  bie  materiellen  Dorbebingungen 
für  gefunbe  i£ntu?icFlung  unb  fulturelle  Betätigung 
fd^afft.  Wenn  w'iv  von  ber  politif  nur  Ceiftungen 
materieller  2ht  v>erlangen,  fo  verfennen  unr  burd]= 
aus  nid^t,  baß  aud^  bas  Ceben  ber  Dölfer  nod^ 
anbre  3nbalte  bat  als  ben  Kampf  unt  bie  bloße 
Selbfterbaltung  unb  äußeres  (Sebeiben,  nur  finben 
ir»ir  tjier  bie  (Srensen  ber  IPirffamfeit  bes  Staates, 
lUir  fönnen  aber  natürlid^  biefe  nid^t  von  bem 


-    \70  - 


geiftigen  Berufe  abbänaig  tiiad';crt,  unb  nur  bcm 
VolU  ein  fclbfiänbiges  ftaatlid^cs  Däfern  5ugeftebcn, 
bas  bereits  etwas  für  bie  Kultur  gciciftet  bat. 
IPic  ber  (Einlebte  unter  allen  Umftänben,  gleid]ütel 
ob  er  einen  ^eruf  bat  unb  ob  er  Ceiftungen  auf* 
roeifen  fann  ober  nid^t,  bie  pflidjt  bat,  fein  £eben 
5u  erbalten,  unb  bas  2^edjt,  beffen  5diu^  r>om 
Staate  ju  verlangen,  ebenfo  barf  unb  mn%  ein 
jebes  Volt  5unäd^ft  feine  freie  (Eriftens  als  Volt 
mit  allen  Kräften  beijaupten  unb  barauf  r>ertrauen, 
bag  es  iB^m  bann  audi  an  fulturer5eugenben  per* 
fönlid:)feiten  nid]t  feblen  u?erbe.  Xluv  wo  ba^u  jebe 
^Töglid)!eit  fel]It,  irirb  es  üersid^ten  bürfen,  wirb 
\\di  bann  aber  aud?  befd^eiben  müffen,  als  Kultur* 
volf  nid]t  in  ber  erften  Heibe  5U  ftel^en.  5ür  uns 
Deutfd'je  ift  3um  (5Iü<J  roeber  unfre  nationale 
£riften3  irgenbiuie  bebrobt,  nod]  ijat  trgenb  ein 
^rceifel  an  unfrer  fulturellen  Ceiftungsfäbigfeit 
Haum. 

IDas  ift  nun  bas  Befonbere  an  ber  national* 
fosialen  ^uffaffung  bes  ZTationalftaates? 
(£5  ift  nidjts  anbers,  als  was  wiv  in  ber  erften 
(Erörterung  ausgef übrt  baben :  bie  ^ufammengel)örig* 
feit  ber  beiben  Seiten  bes  Begriffes  „Volt", 
Nation  unb  Demos.  €s  ift  bie  (£ntbecfung  einer 
IDabrbeit,  bie  bereits  im  ^Derben  ift;  aber  erft, 
inbem  fie  als  prinsip  erfannt  unb  in  itjre  Kon» 
fequensen  verfolgt  roirb,  ipirb  fie  5um  5unbament 
einer  poIitifd)en  <5efamtauffaffung  unb  praftifdjen 
Cätigfeit. 


—  m  - 


Die  politt!  ber  frül^ereii  3abrbunbcrtc  ift 
9an3  von  bcm  Streben  nad]  21Tadit  bel^errfd^t.  Unt 
ber  ITTadjtentfaltung  toillen  nad]  äugen  mug  int 
3nnern  möglidjfte  (Dvbming  unb  Autorität  l]err]d]en. 
Xluv  €iner  ift  poIitifd)e5  Subjeft  unb  bat  einen. 
IDillen:  ber  fjerrfd^er;  bie  „Untertanen*  liaben 
nur  5u  geE^ord^en.  Diefe  ^uffaffung  ift  gefd^id-jt« 
lid]  5U  üerfteJjen  unb  roar  ju  il^rer  S'^'xt  bered^ticjt. 
Denn  alle  größeren  Staaten  finb  aus  Heineren 
politifd^en  (5ebilben  3ufammengeu?ad]fen,  inbem  bas 
ftärfere  (5emeinipefen  anbere,  fd]u?äd]ere  fid?  untere 
u?arf  unb  einuerleibte.  •  Dabei  mugte  um  ber  Staats- 
einl^eit  millen  ber  Cro^,  bie  lPiberfe^Iid]feit,  bas 
Sonberftreben  ber  früE^er  felbftänbigen  ^Teilftaaten. 
5unäd]ft  gebrod^en  unb  unmöglid]  geniad^t  lüerben. 
Das  rerlangte  unb  fdjuf  sugleidi  bie  unbebingte 
(ßeltung  unb  biftatorifd^e  21Tad?tfülIe  bes  einen 
(£inl]eitsu?illens;  jebe  Sd]u?ädie  ber  ^entralgeu^alt 
u)ürbe  einen  ^evfaU.  bes  gansen  (Sebäubes  in  bie 
einjelnen  Beftanbteile  5ur  ^olge  gel^abt  tjaben.  Die 
(Sefdjidjte  aller  europäifd]en  Onber  beginnt  mit: 
einem  lebenbigen,  bunten  Durd^einanber  Heiner, 
gan3  bemofratifdjer  (5emeinu?efen ;  im  \8.  ^^^xli. 
finb  baraus  faft  überall  eintjeiflid^e,  abfoIutiftifd]e 
Staaten  geivorben. 

^is  bal^in  rpar  es  gan5  3utreffenb,  bag  bie- 
äußere  Znad]t  mit.  ber  ^entralifierung  imb  bem 
^Ibfolutismus  im  2^ncvn  parallel  ging.  3e  un« 
eingefd?ränfter  ber  ^entralioillc  galt,  je  imbebingter 
il]m  ITTenfd^ert  unb  ZTTad^tmittel  unteru?orfen  waren, 
lun  fo  mel|r  iparen  alle  Kräfte  bes  Staates  in  (£iner 


—    \72  — 


Jjanb  unb  um  fo  fd^neller,  encrgifd^cr  unb  it>ud]tiger 
tonnten  fic  rtad^  au^en  Dcripenbet  wetzen.  So 
voivtte  bie  ZlTad]t  bß5  Staates  nad^  innen  als 
Defpotismus  unb  fd^Iog  alle  Dolfsfreil^eit  aus.  — 
^ber  im  5ortfd]reiten  ber  geiftig^^ttlidjen  Kultur 
<5ibt  es  eine  Stufe,  wo  bie  Hedjnung  nid]t  meijr 
ftimntt.  iPenn  nämlid^  bie  2TJenfd^en  eine  geipiffe 
fittlid^e  Heife  unb  Böl^e  erlangt  l:|aben,  bann  i^alten 
fie  es  nid^t  mel^r  unter  bem  Drucfe  biefes  befpotifdien 
<5u?angsflaates  aus;  bie  münbige  Sittlid]!eit  fann 
nur  in  ber  Cuft  ber  ^i^^i^I^it  leben.  3ft  es  foupeit 
^efommen,  fo  u?irb  ber  Staat  3unäd]ft  nad]  feiner 
alten  2Ttetl|obe  r)erfal|ren  unb  biefe  ^i^^itj^itsregungen 
mit  rücffid]t5lofer  ^usnu^ung  feiner  ZTtad^t  nieber» 
fdjlagen.  2tber  bas  Hefultat  u?irb  il^m  felbft  3um 
Sdia^en  ausfallen.  Denn  er  beraubt  fid^  baburd? 
felbft  feiner  fittlid)  entrpicfeltften,  mitE^in  u?ertüolIften 
Kräfte.  (£in  anbrer  Ceil  feiner  ZTTadjt  wivb  eben 
.3U  beren  HieberB^altung  r>eru)enbet  unb  bal^er  für 
anbre  ^mede  ebenfalls  ausgefd^altet.  Unb  fo  toirb, 
je  mel^r  biefe  (£ntix?idlung  fortfd^reitet  unb  je 
brutaler  ber  Staat  feine  2lutorität  unb  Übermad^t 
geltenb  mad7t,  um  fo  mel:|r  innere  (Zerrüttung  unb 
dugere  ^l^nmad^t  bie  5olge  fein.  Wo  ber  Staat 
bagegen  bem  ^i^^if^ßitsftreben  nad^gibt,  ba  u?irb  er 
^aburd^  feinesu^egs  ober  bod^  nur  r>orübergel:jenb 
gefdju>äd]t,  benn  biefe  Kräfte  xx?ollen  nid^t  los  von 
ifyn,  wie  in  ben  alten  <3eiten  bes  partifularismus, 
fonbern  fie  tPoUen  gerabe  2tnteil  am  Staate  unb 
freien  Haum  im  Staate,  Pielmel|r  erfäl^rt  er  einen 
•imgeal^nten  ^uwad^s  an  21Tad]t;   benn  erft  bie 


5rciB>eit  entfcffelt  alle  Kräfte,  crft  in  ibr  u^ad^fert 
fic  fid?  511  ibrer  sollen  Ceiftung  aus  luib  i^er^en 
burd^  ben  aecjenfeitigen  IDetteifer  beftänbig  in  iin- 
begrenztem  ZlTage  gefteigert.  So  it>irb  ber  Staat, 
ber  feinen  bürgern  ^i^^i^^it  Iä§t,  boppelt  im  Dor= 
teil  fein  r>or  bem  (^wangsftaat  alten  Stiles,  ber 
fid]  ber  ZTTöglidifeit  biefer  ZHaditjunabme  felbft  he-- 
raubt  unb  5ugleid]  ben  beften  Ceil  ber  üorbanbenen 
Kräfte  lal^m  legt.  Siw  ben  (£ffeft  biefer  beiben 
Staatsgrunbformen  baben  u?ir  ja  an  ben  beiben 
tjeutigen  lOettbeiDerbern  um  bie  IDeltberrfd^aft, 
<£nglanb  unb  2%uBlanb,  gerabesu  flaffifd^e  Beifpiele. 

5ür  X)eutf  d-)  laub  ift  biefe  ^i^age  befonbers 
brennenb.  ^lls  jüngfte  in  ben  Kreis  ber  europäifd>en 
(5ro§mäd^te  eingetreten,  fel:>en  u?ir  uns  fofort  vov 
bie  5rage  geftellt:  fönnen  u?ir  ims  swifd^en  i£ng-' 
lanb  imb  i^uglanb  als  gleid^bered)tigter  Hcben= 
bul-)Ier  bebaupten  ober  irerben  wir  5U  einer  ^ITad^t 
jiDeiten  Z\anges  I:^erabfinfen?  llnfre  wad>fenbe 
Dolfsmenge  unb  bie  einfädle  pflid^t  ber  Selbft- 
erbaltung  »erlangt  bas  ^rftere;  aber  unfre  Cbancen 
finb  fet^r  üiel  ungünftigcr,  unb  nur  bei  äu^erfter 
2(nfpannung  aller  Kräfte  u)irb  es  pielleid-jt  möglid) 
fein.  Die  Vfladit,  bie  u?ir  5U  unfrer  nationalen 
Selbfterl]altung  braudjen,  fann  itiemals  ein  ge» 
bunbenes  Volf  aufbringen,  fonbern  nur  eins,  bas 
in  DoIIer  fr^i^^cit  fid]  regen  unb  u?ad]fen  !ann. 

Bismarcf  war  Fein  prin3ipieUer  (Segner  einer 
freil]eitlid^en  Derfaffung.  (£r  Jiat  fd^arfe  Urteile 
über  ben  2lbfoIutismus  ausgefprod^en  unb  u?ar  ebr^ 
lid^    überseugt  uon  ber  ZTotwenbigfeit  imb  berrv 


—  - 


Ttu^cn  bc5  Konftitutionalisiuus.  (5.  3.  (5ebatif. 
11.  (Erinn.  II,  5.  60  f.  68.)  Cro^bem  Bjat  er  bcr 
Derfudiung  nadigec^eben,  bic  Sosialbßmofratic  mit 
brutaler  (Gewalt  311  Boben  311  (dalagen,  —  mit 
voeldicm  €rfoIge,  ift  uns  hetannt  Dies  Beifpiel 
hätte  bie  Spätem  belel:^ren  follen.  2tber  nod] 
immer  finb  nid]t  blog  bie  fonferuatioen  ^fjerren 
im  fjaufe",  fonbern  mit  it^nen  aud]  bie  groge 
^TTel^rljeit  bes  Bürgertums,  bie  qanie  „reaftionäre 
Z\1a\\e",  auf  ben  „Kampf  gegen  ben  Umftur3"  he-- 
^ad}t  unb  erfinnen  neue  ZTÜittel,  um  bie  Sozial* 
bemofratie  3U  pernid^ten.  Unb  in  il^rer  fur3fid^tigen, 
gebanfenlofen  Derblenbung  upotlen  fie  nid|t  ein^ 
jetjen,  bag  il^re  plane,  toenn  fie  irgenb  u?eld]e 
ZTlöglid^feit  bes  (Belingens  Blatten,  gan3  einfad^  ben 
Huin  X)eutfd7lanbs  3ur  5oIge  Jjaben  u?ürben.  Hid]t 
nur  bie  IDobIfaEjrt,  fdjon  bie  (£rnäl:|rung  unfers 
X^olfs  berul:jt  auf  imfrer  3"^uftrie,  ber  Sieg  imfrer 
Jnbuftrie  ijängt  ab  von  ber  Qualität  unfrer 
;$abrifate,  biefe  ift  bebingt  burd]  bas  Bilbungs» 
nir>eau  unfrer  Arbeiter,  —  mit  einer  in  il^rem 
(£mporftreben  betjinberten  unb  gefnebelten  2lrbeiter« 
fd^aft  fönnen  wiv  nun  unb  nimmer  bie  englifd^e 
unb  amerifanifd^e  Konfurren3  (dalagen.  23alb  irirb 
ainfer  fjeer  fidj  3ur  größten  ^älfte  aus  ber  in* 
buftriellen  Beoöüerung  refrutieren  unb  fd^on  je^t  ift 
ein  beträd^tlidjer  Ceil  fo3iaIbemofratifd7,  —  u?oBjin 
foll  es  füEjren,  u^enn  u?ir  alle  biefe  3U  üaterlanbs^ 
lofen  (Sefellen  ftempeln  unb  burd?  bie  unftnnige 
Befämpf ung  am  (£nbe  u?irf lidj  ba3u  mad]en  ?  Was 
xoixb  überl:iaupt  aus  bem  beutfd)en  Volte,  wenn  wiv 


—    \75  — 


fernen  tüdjtigftcn,  aufftrebenbftcn,  boffnungsoollfteit 
Ceil  (unb  öas  tft  un3u?cifell^aft  btc  in  ber  5o5iaIbcmo= 
fratie  organiftcrte  ©bcrfd^id-jt  bcr  inbuftriellen  Cobn= 
<irbeiterfd]aft)  als  „innern  5cuib"  bcfämpfcn?  (IPcId] 
unl^eimlid^cr  tPal^nfmn  in  bcm  IVovte  liegt,  fd-jetnt 
Ttiemanb  511  empfinben.)  Hein,  bie  J^eutigc  2tufgabe 
iinfers  Polfes  x?erlangt  alle  ol^ne  ^tusnab^me;  nur 
wenn  alle  Stänbe  iinb  Sd^idjten  frei  3U  €inem  - 

3ufamntenu)irfen,  tjaben  rüir  eine  (^nhuift. 
Das  ganse  Deutfdjianb  foll  es  fein!  X>as  bat 
ijeute  u>emger  geograpl^ifd^en  als  fojialen  Sinn. 
Hnb  eben  biefes,  bag  bie  beutfd)e  politif  r»ont 
gansen  Volte  getragen  iperben  mu^,  bas  ift  ber 
neue  Sinn  bes  Nationalismus,  —  ber  Nationalismus 
im  Zeitalter  ber  fosialen  S^<^<^<^'  ift^,  u?as 

ipir  mit  bem  Namen  „nationalfooial"  nteinen. 

IDir  hßhcn  bisl]er  nur  ber  Stimme  ber  poIi= 
tifd]en  Klugl^eit  gelaufd^t,  unb  biefe  fagt  uns :  IPir 
braud^en  3ur  €rl^altung  imfrer  nationalen  (Efiften^ 
(politifd)  unb  üolfsroirtfdiaftlidi)  21Tad]t,  r>iel  2Tüadjt, 
politif d]e  unb  roirtfd^aftlidie  2Ti[ad]t,  2Tüilitarismus  unb 
3nbuftrialismus,  ZTTenfd^en  unb  (Selb.  Unb  barum 
braud]en  ujir  5J^etBjeit,  X)emofratie,  fo3talen  5ort- 
fd^ritt  unb  ^ilbung.  Venn  voiv  braud^en  mebr 
ZHad^t,  als  autoritatiue  (Sebunbenljeit  unb  ftaat* 
lid^er  ^toang  erseugen  fann.  Unb  in  einem  münbigen 
Polfe  fd^afft  bie^reil^eit  mel^r2Tfadjt  als  bet^voang. 
—  Od?  u?eife  3um  Sd^luffe  fur3  barauf  l]in,  bag 
eben  basfelbe  aud^  bas  (Sebot  unfrer  mobernen 
(£tl]if  verlangt.  X)er  (Srunbfa^  ber  Kantifd)en 
fo3ialen  (£tl^iF  ift  be!anntlid],  bag  u?ir  einen  ZlTen= 


—    \76  — 


fdjcn  niemals  bloß  als  ZITittcI  gebraud^cn  follcn. 
Vas  ifts  aber  gerabe,  u?as  bcr  abfolutc  Staat  tut: 
er  nimmt  bie  Zncnfdien  Icbiglid?  als  2TJitteI  für 
feine  ^wcde  unb  sruingt  ibnen  feinen  lOillen  auf; 
unb  felbft  roenn  er  fid?  uielleidit  il:jre  lDobIfal:|rt 
3inn  ^wede  fe^t,  er  geflattet  iJjnen  feine  eigne 
(5t»ecffe^ung  unb  ad^tet  fie  nidit  als  freie,  fid^ 
felbft  beftimmenbe  IDefen.  Hur  im  bemofratifd^en 
Staate  ift  ber  Bürger  frei,  benn  er  fteljt  tjier  nur  unter 
(Sefe^en,  an  beren  ^u^ianbetommen  unb  5ortbauer 
er  felbft  irgenbu)ie  beteiligt  ift.  (£r  ift  bier  nid^t 
nur  ein  21TitteI  für  bie  5u?ecfe  bes  Staates,  fon* 
bern  ber  Staat  ift  it^m  jugleid]  ein  Ttlittel  für 
feine  ^ipede,  5ur  Deru?irflidjung  feines  politifdjen 
3beals.  (£r  ift  sugleid)  Subjeft  unb  (Dhydt  ber 
politif. 

So  finben  w'w  bie  ;$orberungen  ber  Klugl^eit 
unb  ber  Sittlid]!eit  in  üollfommener  Übereinftim* 
mung,  roie  es  notu?enbig  ber  S<^^  ^t,  voenn  roir 
ben  Blicf  nicbt  auf  ein  (£in3elnes,  fonbern  auf  bas 
<5anie  ber  men]d^Iid)en  fjanblungen  rid]ten.  X>enn 
beibe  finb  ja  nur  üerfdncbene  Birten,  basfelbe  5U 
betrad^ten,  nämlid]  unfer  Cun  in  feiner  eigentüm* 
Iid?en  (5efefemägigfeit. 

4.  V  ex  neue  Ciberalismus. 
l^ielleidit  hätten  w'w  vor  1^/2  3al]ren  ijier 
unfre  Betrad]tung  ber  nationalfosialen  politif  ah-- 
bred^en  fönnen.  Seitbem  ift  eine  Deränberung  in 
ber  äugern  Situation  bes  Hationalfosialismus  ein» 
getreten,  bie  uns  nötigt,  ben  Blicf  nod?  nad]  einer 


—    \77  — 


anbern  Hiditung  5U  rocnben.  2luf  bcm  Ickten 
Vevtxetextage  am  29,/30.  2tucjuft  \^03  in  (Böttingen 
Ijat  Haumann  bie  ^luflöfung  bes  nationalfostalcn 
^cntralucrcins  unb  für  fid]  mit  ber  großen  2Tfcbr* 
jatj!  feiner  ^nJ^änger  ben  ^nfd^Iug  an  ben  IDalil* 
»erein  ber  liberalen  vollzogen.  Seitbem  gibt  es 
eine  nationaIfo5iaIe  partei  nidjt  mebr, 
fonbern  nur  nod]  nationaIfo3iaIe  Canbesuerbänbe, 
©rtsüereine  imb  (£in5eIperfonen,  bie  fidi,  fou?eit  fie 
überl:jaupt  politifd]  eingegliebert  finb,  sur  5reifinnigen 
Bereinigung  red^nen. 

Diefer  Sd^ritt  entfprang  ber  eignen  3"^tiatir)e 
Haumanns  unb  u?ar  bas  (Ergebnis  ber  3ipeiten 
loieberum  erfolglofen  Beteiligung  ber  National» 
fojialen  an  ber  Heidjstagsrpat)!.  €r  erregte  5U» 
näd^ft  bei  faft  allen  feinen  2lnl|ängern  Befremben 
unb  Untpiüen.  XPenn  Haumann  bann  bod^  in 
ix>enig  IDod^en  es  fertig  gebrad"»t  hßi,  ben  größten 
Ceil  feiner  partei  umsuftimmen  unb  auf  bie  neue 
23aJ^n  mit3urei§en,  fo  ift  bas  allgemein  als  ein 
ftrategifd]es  ZlTeifterftüd  unb  eine  Kraftprobe  erften 
Hanges  betDunbert  u?orben.  2tber  aud]  mand^e, 
bie  il^m  folgten,  Ijaben  fid]  bamit  nur  balb  toiber* 
Jüillig  ber  einmal  gefd]affenen  Situation  gefügt 
unb  fein  Derl^alten  burd>aus  nid]t  gebilligt.  Unb 
2Inbre  fxnb  bamals  für  immer  an  il^m  irre  geiüorben. 

2di  glaube,  alle,  bie  bamals  Haumann 
tabelten,  il^m  2TJangel  an  pf(id]tgefül^l  ober  an 
^usbauer  r»oru?arfen  (aud]  \di  gel^örte  basu),  u>aren 
fid?  bes  Unterfdjiebes  jtDifdjen  ben  pflid^ten  bes 
Solbaten  imb  benen  bes  5ßlbl>errn  nid^t  beupu^t. 

^.  m  e  Y  e  r :  5rbr.  naumann.  12 


—    \7S  — 


Vet  Solbat  fcnnt  nid^ts  f^öBjeres,  als  auf  bcm  il>m 
angeroiefcnen  poftcn  aussutjarrcn ;  er  tut  feine 
5d]ulbi9!eit  unb  ftellt  ben  Sieg  (Sott  anl^eim.  Der 
fjeerfübrer  farm  unb  barf  nidit  fo  l>anbeln,  für 
ihn  verbietet  ftdi  bie  Cofung  „fiegen  ober  fallen", 
benn  er  ift  für  ben  (Srfolg  unb  für  bas  5d]icffal 
ber  itjm  anvertrauten  Cruppen  r>erantu?ortlid:?.  (£r 
barf  fie  nid]t  nu^Ios  in  üergeblidjem  Kampfe  auf 
r>erIorenem  poften  aufreiben,  fonbern  nuig  fie  auf= 
fparen  für  eine  (5elegenl:>eit,  bie  ^lusftd^t  auf  Sieg 
5eigt.  So  modjte  fid?  ber  einselne  Tcationalfosiale 
begnügen,  feine  Über3eugung  3U  vertreten  unb  3U 
ruarten,  bis  einmal  bie  <3eit  für  praftifd]e  Betäti« 
gung  fommen  u?ürbe.  Hid^t  fo  Haumann.  (£r 
fonnte  ben  Kampf,  nadjbem  er  feine  ^usfid^tslofxg» 
feit  erfannt  I:>atte,  nid7t  fortfe^en  unb  fidj  unb 
feinen  5r^iinben  weiter  bie  ®pfer  an  2Irbeit,  ^eit 
imb  (Selb  auflegen.  So  mar  fein  erfter  (Sebanfe, 
einfad?  bie  poIitifd]e  2lrbeit  ein3uftellen.  2tber  bies 
roürbe  in  ber  Cat  gebeigen  l^aben,  alle  biejenigen, 
bie  pon  il^m  gelernt  J^atten,  was  politif  ift,  unb 
3u  il^m  als  il:jren  5üBjrer  auffd^auten,  jefet  rat=  unb 
I|iIfIo5  3u  laffen,  bas  mit  unfäglid?er  ZHütje  ge= 
fammelte  Kapital  von  politifd^er  (£infid?t  unb  (£nergie 
3u  r>erfd]Ieubern.  Unb  fo  Ejat  er  u?eiter  Qe^adit, 
bis  er  einen  2(usrt)eg  fanb,  ber  bie  5ortfe^ung  ber 
poIitifd]en  2lrbeit  in  anbrer  IPeife  möglid]  mad^te. 

Die  eigentlid^e  Hieberlage  \aii  Haumann  nidjt 
barin,  bag  r>on  allen  nationaIfo3iaIen  Kanbibaten 
nur  ein  ein3iger  in  bie  Stid^maljl  (unb  nad-jl^er  in 
^>en  Heid^stag)  fam,  fonbern  in  bem  ^lufd^mellen 


-    \79  — 

^er  5o5taIbcmofratie  sur  Hicfcnpartei  r>on  mcl^r 
als  3  2TIiIIioncu  Wä^ievn.  Damit  wat  ber  ur» 
fprünglid^e  (5cbanfc  ber  (5rünbcr  bes  national* 
f05talcn  Vereins:  neben  bic  internationale  Sozial* 
^»emofratie  eine  nationale  2(rbeiterpartei  5u  [teilen, 
eis  unausfüJ^rbar  eripiefen.  Cro^  allen  rnül:jen 
unb  ben  beften  (Srünben  famen  bie  2Irbeiter  bod^ 
Tiid^t  3U  uns  (mit  geringen  ^lusnal^men),  fonbern 
jur  5o3iaIbemofratie.  Der  Kolog  30g  allein  burd^ 
fein  <3evoidit  immer  neue  llTaffe  an.  Unb  fann 
man  es  benn  jemanb  oerbenfen,  wenn  er  lieber 
^a  ^nfd]Iug  fud?t,  wo  nid]t  nur  guter  IDille  ift, 
fonbern  aud]  bie  ZlTad]t  3U  fein  fd]eint,  ben  IDillen 
^urdi3ufe^en?  Da3U  fam,  bag  ber  nationaIfo3iaIe 
<5ebanfe  ben  geu?otinten  (5ebanfengängen  3U  fel^r 
3uu?iberlief,  um  in  bie  poreingenommenen  (Sel^irne 
t)er  Arbeiter  leidet  unb  fd]nell  (Eingang  3U  finben. 
IPas  fidj  tatfäd]Iid^  in  7  2<^\:ixen  um  bie  national* 
f03iale  Sabine  gefdjart  tjatte,  fam  tpeit  überu)iegenb 
aus  bürgerlidien  Kreifen,  befonbers  aus  ben  ftu* 
bierten  berufen.  So  gel^örten  u?ir  3U  ben  anbern 
Parteien  ber  bürgerlid^en  Cinfen,  unb  unter  il:jnen 
he\an'ö  fid]  eine,  mit  ber  u?ir  in  u?efentlid]en  punften 
einer  21Ieinung  iparen:  eben  bie  5 i^^i finnige 
Pereinigung.  Diefe  Übereinftimmung  «?ar  bei 
rerfdiiebenen  <5elegenl^eiten  3utage  getreten;  nament* 
lid]  im  Kampf  gegen  bie  (5udjtI:jausi?orIage  unb 
ben  Zolltarif  l^atte  fie  genau  bie  fjaltung  ein* 
genontmen,  bie  wix  verlangten  unb  im  Heidjstage 
leiber  nid]t  r>ertreten  fonnten.  Da  femer  bie  gleid]e 
Situation  —  Kampf  mit  agrarifd?*flerifaler  He* 

12* 


—    \80  — 


aftion  unb  5d]u^3ÖlIncrct  —  üorausftd^tlid?  iiod? 
bie  näd]ftcn  2a):ixiclinte  I^inburd?  fortbaucrn  roirb, 
fo  xvax  Ttidit  3U  befürditcn,  bag  bte  (£intrad^t  fo 
balb  eine  Crübimg  erfal^rcn  roiirbc.  €5  tx)ar  alfo 
bic  rid]tigc  Konfequcns  aus  bcr  (Erfcnntnts  biefer 
Hbereinfttmmung  iinb  ber  Catfadie,  bag  u?ir 
u)tber  unfern  IPillen  eine  faft  rein  bürgerlidie 
Partei  cjemorben  u?aren,  bie  Haumann  $og ;  unb 
er  Ijanbelte  jugleid)  in  (Semä^l^eit  ber  fo  oft  laut 
getporbenen  Klagen  über  bie  (gerfplitteruncj  ber 
bürgerlid^en  £in!en  unb  tat  einen  erften  Sdjritt 
5ur  5d7affung  ber  liberalen  (5efamtpartei  ber  ^ufunft, 
inbem  er  einen  ^ufammenfd^Iu§  biefer  beiben 
(5ruppen  I^erbeifüJ^rte.  fjeute,  mo  ein  ^^Hv  ba^ 
rüber  ^erfloffen  ift,  fönnen  xv'iv  feftftellen,  ba§  bas 
llnternet^men  fid]  hewä\:ixt  B^at. 

2ll5  ber  5o3iaIi5mu5  suerft  auffani,  ba  u?ar 
ber  Liberalismus  ber  ^ßi^ib,  an  bem  er  bie  ganse 
Kraft  feines  fjaffes  erfd^öpfte;  benn  ber  Ciberalis* 
mus,  bas  u?ar  ber  Kapitalismus,  bie  33ourgeoifie, 
bas  ZHand^eftertum.  Das  galt  3unäd:)ft  von  ber 
Sosialbemofratie.  2lber  aud]  bie  an^exn  formen 
bes  5o5iaIismus  teilten  biefe  ^bneigimg;  ja,  fte 
tourbe  bei  it^nen  nodj  burd^  befonbere  religiöfe  unb 
nationale  ober  rid^tiger  monard^ifd^e  (ßegenfä^Iid]* 
feiten  gesteigert  imb  gefärbt.  ZlTit  biefer  5^i"b* 
fd^aft  voav  Haumann  geu?iff ermaßen  erblid]  belaftet^ 
üon  XDidjem  unb  üon  Stöcfer  Ijer.  3ft  "^^^ 
merfrpürbig,  ift  es  nid]t  eine  ^xome  ber  (ßefdjid'jte, 
ba§  er  nun  bod)  in  ben  fjafen  bes  5i^^ifi""5  ein* 


-  m  - 


laufen  mu^te?  —  2^  ücrftctje  bie  Dericunberung 
vielet  DoIIfommcn;  aber  idi  glaube,  bag  bei 
nät^erem  <3ufel:)en  jeber  2(nla§  basu  fd^tt>mbet. 

Um  bas  r>ortt?eg5uneljmert  —  in  natto* 
Tialer  Bestellung  hiat  iwijdien  Haumann  unb  ber 
ll'iex  in  5i^<3ge  ftel]enben  Parteigruppe  nie  ein 
merflid]er  Unterfcbieb  beftanben.  €in  furser  Blicf 
auf  it^re  Dorgefd^id]te  fei  I^ier  geftattet.i) 

national  unb  liberal  fmb  X>inge,  bie  inDeutfdi* 
lanb  urfprünglidj  innig  üerbunben  u>aren.  Das 
einige,  freie  X)eutfd^Ianb  ipar  lange  ^eit  tjinburd^ 
^as  liödi\ie  5el:jnen  unb  ber  fd^önfte  Craum  bes 
^)eutfd)en  Dolfes.  Diefes  Streben  u?ar  bamals 
revolutionär,  benn  es  mugte  fid]  gegen  bie  be-- 
ftel^enbe  Kleinftaaterei  ridjten,  unb  es  wat  burdv 
aus  ibealiftifd?.  2lis  man  \8^9  ^iele  3U  fein 
glaubte,  ba  seigte  es  fid],  u?as  fel^Ite:  bie  reale 
Ztladtii,  um  ben  Craum  3U  r>ern?irflid]en.  ^bet 
erft  nad}  ben  erften  großen  Erfolgen  Bismarcfs 
begriff  ber  eine  Ceil  bes  Ciberalismus,  bag  bie 
<£inlieit  X)eutfd:|Ianbs  nur  mit  Blut  unb  (£ifen  3U= 
fammengefd^tpeigt  werben  fönne  unb  ba§  Bismarcks 
IPeg  ber  rid^tige  fei.  Unb  erft  in  ber  im  Q)tt 
\S66  gegrünbeten  nationaMiberalen  partei 
ijat  ber  ZTationalismus  ben  l^eutigen  „  ftaatsert^al- 
tenben"  3nl]alt  befommen:  2Tlad?tpoIitif  unb  TXi'di'' 
tarismus,  Sie  leiftete  Bismarcf  begeifterte  fjeeres^ 
folge  unb  I^at  an  bem  nationalen  €inigungstt?erfe 
u?acFer  mitgetjolfen.    2Iud)  im  neuen  Heid^e  u?ar 


Dgl.  6a3u  Demofratie  unb  Kaifcrtum^  5.  ^35  ff. 


—    \S2  — 


fte  bis  1878  bic  aiisfdjlaggcbcnbc  partei.  ^bcr 
anftatt  x^xe  XWadit  3um  ^tusBau  bcr  X)cmofratie 
5u  bcnu^cn,  folgte  ftc  Bismar^  aud]  ba,  als  er 
bte  liberale  Baljn  verlteg.  5d]on  bie  erfte  cjroge 
innerpolitifd^e  2lftion,  t)er  Kulturfampf,  ipurbe  iijr 
5um  Sünbenfall.  Seitdem  ift  il^r  Ciberalismus 
immer  mel^r  in  bie  ^rüd]e  gegangen  i;nb  je^t 
mad^t  fie  von  iBjm  im  allgemeinen  faft  nur  nod) 
rl^etorif d^en  (5ebraud?.  Xluv  eine  (5ruppe  unter 
Hi(Jert5  5ül?rung  mod^te  ben  neuen,  burd]  Sd^u^' 
5ÖEe  unb  Sosialiftengefefe  gefennseidjneten  Kurs 
nidtit  mitmad^en.  Sie  trat  am  5.  2lug.  \880  als 
„Ciberale  Bereinigung"  aus  unb  vereinigte  fid] 
am  5.  TXiäxi  \88'{  mit  ber  (in  preu^en  \86\  ge* 
ftifteten)  Deutfd^en  5ort[djritt5partei  (unter  Hid^ter) 
5ur  X>eutfd7freifinnigen  partei.  2tber  \8^5  trieben 
2Ttilitärfragen  bie  beiben  Ceile  u?ieber  aus  ein* 
anber;  am  6.  Vflai  fpaltete  fid^  bie  5reifinnige  partei 
in  3tt)ei  felbftänbige  5r<jftionen:  ber  ftärfere  anti* 
militärifdie  Hid^terfd^e  51^9^1  nannte  fid?  „^reiftn-- 
nige  Dolfspartei",  ber  militärfreunblid^e  unter 
Hi(fert  bilbete  bie  5i^ßifi""i9ß  Bereinigung, 
^iefe  ift  alfo  bas  (Srgebnis  einer  boppelten  5e3ef* 
fion,  r>on  benen  fie  bie  eine  üoHsog,  um  it^ren 
Ciberalismus,  bie  anbere,  um  il^ren  Nationalismus 
3u  retten.  Daxaus  erl^ellt,  ba§  fie  allein  bie  alte 
Bereinigung  beiber  prin3ipien,  bie  urfprünglid^e 
Cinie  bes  Hationalliberalismus  gemaJjrt  Ijat. 

Komplisierter  ift  bas  Berl^ältnis  3u?ifd]en 
Liberalismus  unb  5o3ialismu5. 

\)  Liberalismus  ift  einerfeits  eine  politifd^e, 
cmbrerfeits  eine  rDirtfd|aftlid]e  3bee.    X>er  poIi= 


—    \S3  — 


tifd]C  Liberalismus  ipill  5i*^i^]cit  im  Staate, 
VoUsvedite,  Demohatie,  53ßtciligung  aller  am  Staate 
nnb  Sid^erung  cjegcn  Übergriffe  bes  Staates.  Das 
allgemeine  Wal^lvedit  (für  alle  Vertretungen)  unb 
Dereinsfreil^eit  finb  feine  f>auptforberungen.  Sein 
2X)iberfpieI  ift  bas  ^lutoritätsprinsip  bes  Konferwa« 
tii>ismu5,  bie  patrtard]alifcl]e  ^eüormunbung  burd? 
ben  poliseiftaat.  Viesen  Liberalismus  vertritt 
natürlid^  aud?  bie  Sosialbemofratie;  ol^ne  il^n  I^ätte 
fie  nie  auffommen  fönnen  unb  fönnte  fie  fid?  feinen 
Cag  he^au^ten.  Unb  upenn  bie  d^riftlid]=f03ialen 
Strömungen  anfangs  ftarfe  fonferuatiue  Heigungen 
ge3eigt  I^atten,  fo  l^atte  Haumann  von  voxn  l^erein 
bavan  nldit  teil  genommen.  —  3"  <^^^^  biefen 
fingen  l^at  alfo  3u?ifd?en  Haumann  unb  bem 
Hicfertfd]en  5i-*^ifi"n  ftets  nöllige  Übereinftimmung 
gel^errf  djt. 

2)  2tuf  u?irtfd]aftlid]em  (5ebiete  I^at  man 
bann  n?ieberum  jupifd^en  äußerer  unb  innerer  politif 
(u?enn  ber  ^usbrucf  geftattet  ift)  5U  unterfd^eiben. 
Unter  äußerer  U:)irtfdjaftspoIitif  r>erftel]e  id?  bie 
Stellung  bes  Staates  5U  bem  internationalen  (5üter» 
austaufd?.  fjier  ift  bie  Cofung  bes  Liberalismus 
ber  5i^^iJ^cinbeI.  Unb  and)  I^ier  ift  bie  Sosial» 
bemofratie  mit  itjm  uollfommen  einig.  Denn  bem 
^uslanbe  gegenüber  tjaben  fie  beibe  basfelbe  ge* 
meinfame  3ntereffe  am  (ßebeil^en  unb  Ertrage  ber 
beutfdKH  3nbuftrie.  —  dagegen  liat  Haumann 
nid^t  Don  Einfang  an  biefen  Stanbpunft  einge= 
nommen.  3"  ^^^^  U)ürbigung  Bismarcfs,  bie  er 
in  ber  „fjilfe"  üom  3\.  IXiäxi  \S^5  gab,  red^net 
er  es  3U  feinen  Perbienften,  bag  er  „ber  5üJjrer 


-  - 


Bei  ber  HücffeEjr  t?om  5i^ßi^jcinbel  5ur  nationalen 
^olltüirtfdiaft"  n?ar.  Dodi  ift  er  3iemlid7  halb  unb 
grünblidj  baüon  surücfgefommen.  Diefe  BefeEjrung 
3um  5rßil^önbel  ift  feBjr  bemerfenstpert  gerabe  bei 
einem  Xdanne,  ber  anfangs  fo  tceit  r>om  5i^^ifinn 
entfernt  ix)ar,  ber  immer  burd^aus  national  geftnnt 
unb  niemals  t>on  Cl^eorien  befangen  tpar,  unb 
foUte  allen  el^rlid^en  ^oUfreunben  ernftlid^  3U  benfen 
geben.  Hun  roirb  in  ber  nationalfo3ialen  Citeratur 
bas  3efenntnis  3um  5i^eit!cinbel  meiftens  nid^t  als 
eine  prin3ipienfrage,  fonbern  als  eine  5i^öge  augen-- 
blidlid^er  <5tt>edmägig!eit  B^ingeftellt.  ZHir  fdjeint, 
biefe  2)arftellung  rt?irb  ber  Sadje  bod]  nid>t  gan3 
geredet.  Hid^tig  ijl,  ba§  es  für  uns  nid|t  ein 
<5lauben5arti!el  ift,  bag  5i^ßil?cinbel  unter  allen 
Umftänben  beffer  als  5d:?u^3oll  unb  imbebingt  ge« 
boten  ift.  2tber  ba§  toir  5i^ßtl?<inbel  braud]en,  ift 
bod?  aud]  nid^t  ein  3ufälliges  Ergebnis  ber  augen= 
blicflid]en  £age,  bas  fid^  möglid^er  IPeife  morgen 
änbeni  fönnte.  Sonbem  fo  fteljts:  5i^ßil^<inbel  ift 
bie  IDirtfd^aftspoliti!  eines  u>irtfdjaftlid^  ftarfen, 
röifen,  fonfurren5fäl:)igen  Üolfes.  Sdju^söUe  braud)t 
nur  eine  Dolfsipirtfdiaft,  ober  ein  XX)irtfd]afts3u?eig, 
ber  nod]  in  ben  Anfängen  ftedt,  nod]  nid|t  3U 
feiner  üoUen  Ceiftungsfäl^igfeit  gelangt  ift,  unb  in 
biefem  Stabium  burd?  bie  Konfurren^  eines  ftärferen 
Hebenbul^lers  in  feiner  (Snttüicflung  gel^emmt 
lüerben  fönnte  ((£r3iel:jung53Ölle);  unb  ^ölle  r>er= 
langt  ebenfo  eine  niebergeljenbe  Hation  ober  'Be- 
triebsform,  bie  nidjt  meEjr  basfelbe  leiften  fann, 
u?ie  bas  2tuslanb,  —  obipoljl  fte  aud^  burd^  alle 
^ölle  eine  bauerljafte  Befferung   nidjt  erreid?en 


-    \S5  — 


fann.  ^öHß  fint>  eine  Krücfc,  biß  ba5  Kinb  unb 
bcr  (Sreis  nötig  iiat,  bie  aber  für  ben  gcfunbcn 
ZHann  nidjt  nur  unnü^,  jonbcrn  Jjöd>ft  fdjäblid^  ift. 
€inft  xvav  es  bie  3"^wftrie,  bic  S'oüe  verlangte, 
bcnn  fie  ipar  bamals  nodi  idivoad}  unb  iment» 
toicFelt.  3n3U)ifd]cn  I:jat  jte  ftd^  311  einer  felbft 
iijrer  englifd^en  Sdiwe^iex  nidit  nur  geu?ad^fenen, 
fonbern  üielf ad?  überlegenen  Hiualin  au5geu?adifen 
unb  bebarf  vom  Staate  nidjts  metjr,  als  bag  fie 
freien  ZTlarft  unb  überall  offnen,  burd?  feine  <3oII= 
fd]ranfen  r>er[perrten  (Eingang  finbet.  Unb  bie 
2^grarier,  früEjer  bie  eifrigften  5rciJ^än^I^i^,  finbs, 
bie  je^t  nad?  (Böllen  fdjreien.  läge  es  nun  fo, 
bag  bie  ^ufunft  unfrer  gefamten  Canbmirtfd^aft 
von  ben  Sd^u^jöUen  abl^inge,  fo  I^ätte  man  freilid] 
allen  (Srunb,  fid?  5U  het>enten.  2lber  bas  ift  be» 
fanntlidi  keineswegs  ber  5tiü.  PielmeE^r  finb  es 
ausfd)Iie§Iid]  (ober  faft  ausfd]Iie§lid?)  bie  (Srog* 
grunbbefifeer,  benen  5d^u^3ÖIIe  ein  Bebürfnis  finb 
unb  3ugute  fommen.  XOeidies  Jntereffe  Ijätte  bas 
beutfd^e  Volt,  biefen  Stanb  fünftlid^  3U  erl^alten, 
ber  unfrer  gefamten  politif  ein  unerträglidjes 
fjemmnis  ift,  ber  ber  gefd^tuorene  ^^inb  jebes 
politifd^en  unb  fo3iaIen  5ortfd]ritts  ift,  ber  unfern 
®ften  entoölfert  unb  polonifiert,  —  unb  5U  biefem 
<5u?ecfe  eine  ber  (Sefamtl:jeit  l^ödjft  unnatürlid7e  unb 
üerberblid^e  politif  ein3ufd?Iagen  ?  X>ie  beutfd^e 
DoIfsu?irtfd]aft  ift  ben  Kinberfd-jutjen  entu)ad>fen 
imb  über  bie  ^eit  ber  „ifirsiel^ungssöUe"  ein  für 
allemal  Bjinaus.  IDenn  u?ir  uns  für  5i^^^il^<inbel 
erflären,  fo  fpred^en  wiv  bamit  aus,  bag  voit  fie 
für  münbig  unb  fonfurren3fäl?ig  I^alten.  Unb  fo  geu?ig 


—    \S6  — 


voxv  Bjoffcn,  baß  imfer  Volt  nodi  lange  ein  gefunbes- 
imb  aufftrebenbes  [ein  voirb,  fo  ftd]er  wirb  auf  ab* 
feljbare  ^eit  l^in  nid^t  5d?u^3oII,  fonbern  5rei* 
I^anbel  für  uns  Cebensbebürfnis  fein.  X)ie  Hot^ 
rrenbigfeit  bes  ^ollfdiu^jes  n)ürbe  ben  Eintritt  ber 
2IIter5fd^ix?äd^e  unb  X>efaben3  bebeuten.  Das  5u 
befürd^ten,  E^aben  roir  einftu?eilen  feinen  (5runb. 
IPenn  uns  Ijeute  burd?  ben  5u?ang  ber  politifd^ert 
Cacje  aufgelegt  trerben,  fo  ift  bas  ein  ZTTi^^ 

r>erl]ältnis,  bas  roir  mit  allen  Kräften  3U  I:jeben 
bemüt|t  fein  muffen. 

3)  Die  ganse  Sd^ärfe  bes  (Segenfa^es  be» 
fd]ränft  unb  fonsentriert  ftd^  alfo  auf  bas  (Sebiet 
ber  innern  ID irtfd?af tspolitif.i)  Unb  l^ier 
fdjeint  fte  3unäd]ft  unübertpinblid].  Der  Ciberalismus 
fe^t  alles  auf  ben  (£in3elnen;  er  m'di  biefem  freien 
Haum  fd]affen,  feine  Kräfte  3U  entfalten  unb  3U 
nutsen ;  er  entartet  alles  r>om  freien  Spiel  ber  ftd) 
felbft  überlaffenen  Kräfte,  unb  von  ber  auslefenben 
unb  fteigernben  Vfladit  bes  Kampfes  ums  Dafein. 
5reie  Konfurrens  unb  freier  ^rbeitsuertrag !  (£r 
»erlangt  ^efd]ränfung  bes  Staates  auf  bie  Z^oUe 
bes  unparteiifd^en  f^üters  bes  Hed^ts.  Dagegen 
u?ill  ber  5o3iaIismus  0rganifation  bes  gan3en 
probuftionsbelriebes  burdi  bie  (5efeIIfdjaft ;  ber 
(£in3elne  fügt  ftdj  ber  feftftel^enben  0rbnung  ein, 
imb  biefe  fdjü^t  il]n  unb  forgt  für  iE^n. 

Der  IX)iberftreit  beiber  prin5ipien  u?äre  in  ber 
Cat  unlösbar,  toenn  fie  fid]  in  il^rer  extremen 
Heinbeit  Ijätten  bel^aupten  fönnen.    Das  ift  beiber* 
eits  nid^t  ber  ^aU.. 

t^ier3u  Demofratie  unb  Kaifcrtum^  S.  26ff. 


—    \S7  — 


^eim  Sosialismus,  bas  a^ffen  ipir  fd^on^ 
bat  bas  alte  pbantaficibcal  eines  c^ani  fo5taIifti|d^ 
georbneten  ^ufunftsftaates  längft  alle  Bedeutung 
üerloren.  IPeber  ber  ^^^in^^ftc^at  nadi  bent  21Tufter 
bes  Looking  backward,  bei*  nadti  IDillfür  mit  bem 
(£in5elnen  fd]altet,  nodi  bas  freie  Syftem  von 
2lrbeit5genoffenfd"!aften  in  „5reilanb"  {v.  .^er^fa) 
ftnb   3^<^^"/  bencn   mir  irgenbipie  ernfttjaft 

politifdi  red]nen  tonnen.  Soweit  ber  Sosialisinus 
nid-jt  eirtfad^  Befferung  ber  Cage  ber  2trbeiter  auf 
bem  IDege  ber  Selbftliilfe  burd]  0rcjanifation  be* 
5ipecft  —  ber  (5eban!e  ber  0rganifation  ift  5ipar 
bem  reinen  Liberalismus  fremb,  u?iberfprid]t  it^m 
jebod]  nidit  cjerabesu  — ,  läßt  er  fid]  auf  ju^ei 
fragen  3urücffüb^ren :  \)  3nu?ieu?eit  ift  Überfütjrung 
einselner  ^Irbeits^ipeige  in  Staatsbetrieb  5U« 
läfftg  unb  ipünfd^ensipert?  2)  lU^ieixieit  barf  imb 
foU  ber  Staat  gefe^geberifd?  in  ben  prir>at  =  u?irt* 
fdjaftlid^en  Betrieb  eingreifen? 

X)ie  erfte  5rage  l^at  längft  iliren  prinsipiellen 
CEjarafter  abgeftreift,  ba  bie  beiben  ertremen  lint- 
u?orten  ausgefdjioffen  finb.  Seitbem  einzelne  große 
Betriebs3u?eige,  u?ie  bie  poft  unb  im  (5rogen  imb 
(5ani<>n  bie  €ifenbal^n,  Staatsimternel:jmung  ge* 
u?orben  ftnb,  ift  ber  gän3lid^e  2lusfd]Iug  bes  Staates 
r>on  ber  IPirtfd^aft  unbenfbar.  (£benfo  I^at  jene 
fosialiftifd^e  Utopie  einer  Übernal|me  ber  gefamten 
probuftion  burd^  ben  Staat  aufgetjört,  bisfutierbar 
5u  fein.  Die  ^J^age,  ob  prir>at=  ober  Staatsbetrieb, 
läßt  ftd]  alfo  nur  für  jeben  einseinen  ^we'ig  von. 
5all  3U  5<iII  nadi  (5u?ecfmäßigfeitsgrünben  entfd]eiben. 

^as^tnbre,  bie^lrbeiterf  d^u^gefe^gebung^ 


—    {88  — 


ift  allcrbings  bcm  urfprünglidicn  Cibcralismus 
3utpit)er.  Dod]  rocrbcn  beute  nur  Xüeniqe  prin» 
^tpienreifer  genug  fein^  um  fte  in  23au|'d^  unb 
^ogen  3U  oermerfen.  ^ud]  ift  btes  nur  bei  einer 
fel^r  fladjen  unb  äugerlidien  ^uffaffung  bes  Cibe* 
ralismus  möglidi.  Denn  ber  Arbeiter,  ber  nidjts 
bat  als  feine  Arbeits fraft  unb  biefe,  um  nid>t  5U 
rerl^ungern,  3U  jebem  gebotenen  preife  werfaufen 
"»Ttu§,  —  l^anbelt  er  frei  unb  fann  er  überEjaupt 
^inen  freien  Dertrag  fd^Iie^en?  3ft  ^'^^  5u?ang 
•bes  fjungers  gelinber  als  ber  bes  Staatsgefe^es? 
X>ie  (£rfaB>rung  iiat  ge5eigt,  ba§  überall,  wo  fidj 
■bie  2Infänge  bes  3"^iifti^t<^Ii5^ii5  imter  ber  fjerr* 
fd^aft  bes  laisser  faire  entipidelten,  bie  2lrbeiter 
Balb  nid^t  nur  alle  freie  Selbftbeftimmung,  fonbem 
<iud7  jebe  21TögIid?feit  einer  menfd^enroürbigen 
^riftens  einbüßten.  Wenn  nun  ber  Staat  fyev  ein» 
greift,  fo  befd^ränft  er  yj^ax  bie  5i^ßibeit  ber  Unter= 
nel:jmer,  nämlidi  il:>re  5reil^eit,  bie  2Irbeiter  rüd= 
fid]tsIos  auszubeuten,  aber  er  befdjränft  fie  nur 
3u  (Sunften  biefer,  um  il:|nen  einen  Ceil  il^rer 
;$reil7eit  unb  il^res  llTenfd^feins  surüdsugeben.  (£r 
erfüllt  burd^aus  nur  feinen  Beruf,  bie  5reibeit 
aller  5U  fd]ü^en,  inbem  er  bie  ^r^i^l^it  ber  IDenigen 
minbert,  um  nid^t  bie  ^r^i^J^it  ber  Pielen  gan3  üer* 
ntd^ten  3U  laffen.  Unb  u?enn  Bleute  alle  befonnenen 
Ciberalen  bafür  eintreten,  fo  I:>at  roeniger  eine  (£in» 
fd^ränfung  als  eine  Vertiefung  unb  Derinnerlid^ung 
bes  Ciberalismus  ftattgefunben. 

2lber  aud?  beim  5  0  3  i  a  I  i  s  m  u  s  ift  bier  eine 
getpifje  Derfd^iebung  eingetreten,  ober  fie  ift  üielleidjt 
<iud^  nur  je^t  ins  Beupugtfein  getreten.    2U5  Hau* 


mann  auf  feine  Begrügung  buvd)  bie  (S>enexaU 
üerfammlurtg  bes  liberalen  IDayüereins  erflärte, 
bag  u)ir  fosialen  5ortfd^ritt  nur  auf  liberaler 
(Srunblage  tüoüten,  ba  mod^te  bies  mand^e  im 
21ugenblicf  frappieren.  (£r  [agte  uns  uielleid^t 
ntd]t5  abfolut  Heues,  nur  tjatten  u^ir  es  uns 
üorljer  nid^t  red]t  flar  gemad^t.  2tber  es  ift  fo. 
Staatsl^ilfe  barf  niemals  an  bie  Stelle  ber  Selbft^ 
Blilfe  treten  unb  biefe  überflüffig  mad]en.  X>as^ 
»erlangt  ber  lUert,  ben  u?ir  ber  ^i^eit^eit  beilegen. 
Das  »erlangt  bie  einfädle  (£npägung,  ba§  ber 
^Tenfdj  nur  bann  feine  gan3e  Kraft  anu?enben 
rcirb,  menn  er  mu§  unb  für  fein  Sd^icffal  felbft 
üerantiDortlid^  ift.  Überall,  wo  5elbftl|ilfe  möglid^ 
ift,  ba  perlangen  u?ir,  gan5  im  Sinne  bes  Cibera» 
lismus,  freie  ^atjn  für  biefe,  insbefonbere  Koali* 
tionsfreit^eit,  unb  »oUe  2lner!ennung  bes  2lrbeiters 
als  eines  gleid^bered^tigten  Kontral:jenten.  Unb 
nur  bei  ben  nieberen  Sd]id:jten  ber  2lrbeiterfd]aft,. 
befonbers  bei  ben  ^ungelernten"  ^^rbeitern,  ben 
fjausinbuftrtellen  ufu?.,  wo  einftu?eilen  lüirffame 
Selbftl:)ilfe  unmöglidi  ift,  muj3  ber  Sd^ju^  bes 
Staates  ergänsenb  eintreten.  2luf  biefer  Cinte 
fönnen  fid]  Ciberalismus  unb  Sojialismus  r»er* 
einigen,  ot^ne  etwas  von  il^rem  3^^^?<ilt  auf3ugeben. 

^ennod?  tt?ürbe  es  um  bie  ^lusfidjten  bes 
^rbeiterfd^u^es  übel  beftellt  fein,  toenn  nur  biefe 
allgemeinen  etl^ifdjen  (ßrünbe  für  il^n  fpräd]en, 
nidjt  aud)  (ßrünbe  ber  (ß  ef dj äf tsf lugljeit. 
Das  tann  nun  nidjt  im  allgemeinen  entfdjieben 
ruerben,  fonbern  nur  für  ben  einseinen  Unb 
bei  uns  in  ^eutfd]lanb  trifft  5um  (ßlüd  aud]  bies 


-  - 


5U.  Die  Konfurrensfäl^tgfeit  unfrei*  3ii^wftrie  be* 
rutjt  md]t  auf  bcr  Billtgfctt,  fonbcm  bcr  (5üte 
unfrcr  IDaren.  3"  Bebürfntsloftgfcit  fönnen  u?ir 
€5,  fclbft  bei  ben  ärgften  ^ungerlöl^nen,  bod>  nie= 
irtals  mit  dt^inefen  unb  ^inbus,  \a  nid]t  einmal 
mit  ben  polen  aufnel^men.  Qualität5u?are  aber 
xierlangt  einen  ijod^cntipicfelten,  gebilbeten  2lrbeiter* 
^iant>,  Die  Untern el^mer  banbeln  alfo  im  woh^l- 
x>erftanbenen  eigenen  3ntereffe,  rpenn  fie  bas 
Streben  ber  ^Irbeiter  nadi  befferer  Cebensijaltung 
xmb  B)öl:jerer  Bilbung  unterftü^en.  2Iud)  bie  Kür* 
Sung  ber  2lrbeit53eit  fteigert  bie  probu!tir>ität  ber 
2trbeit.  So  Bjerrfd^t  audj  l^ier  im  (Srunb  3"^^^^* 
effengemeinfd^aft.  Die  2lrbeiter  Bjängen  r>om  (Se» 
beil:>en  ber  3ii^wft^^^  (Sanken  ab  unb  müffen 
batjer  alles,  was  biefer  bient,  aud^  r>on  il^rem 
Stanbpunfte  aus  förbern.  (£benfo  jtnb  bie  Untere 
nel^mer  an  ber  fjebung  il:jrer  2trbeiter  interefjtert. 
^eibe  aber  iperben  am  beften  fatjren,  loenn  fie 
fid]  nidit  burdi  unnü^e  Kämpfe  unb  Kraftproben 
fdjrtJädien,  fonbem  frieblidie  (Einigung  auf  bem 
^oben  ber  (5Ieid]bered)tigung  fud^en. 

Die  i^eutige  Cage  ber  politifd^en  Parteien  in 
Deutfd^Ianb  lägt  ein  ^ufammengeE^en  bes  entfd^ie^ 
benen  Ciberalismus  unb  ber  Sosialbemofratie  als 
bas  einsige  2TtitteI,  bie  ^errfd^aft  ber  Heaftion  5U 
bredjen,  erfd^einen.  IDir  ijaben  gefelien,  bag  bie 
toirtfd^aftlid^en  Dorausfe^ungen  für  biefes  <5ufam= 
mengel^en  üorl^anben  finb.  VOenn  fie  l^eute  an* 
fangen,  ftd^  3U  einanber  3U  ftnben,  fo  I^aben  fie 
ftd]  allerbings  beibe  in  getoiffer  IDeife  geroanbelt; 
aber  fie  Ijaben  bamit  nid]t  it)r  IDefen  aufgegeben, 


onbcrn  nur  tiefec  begriffen.  Dies  alles  b^at  fein 
le^tes  5unt>ament  in  öer  inneren  ^ufantmengel^ö* 
tigfeit  öer  prinsipien  bes  Ciberalismus  unb  bes 
Sosialismus. 

Hat  i  onalismus,  Ciberalismus,  5o5ia  = 
lismus  —  bas  finb  öie  ZlTäd]te,  bie  ben  Staat 
Bauen  unt)  bas  politifdie  Ceben  berDorbringen.  Der 
Hationalisnius  Derftd^t  bas  3ntereffe  bes  Staats^ 
gan5en:  llTad^t  nadi  äugen,  (£inl]eit  im  3""^i-*^^- 
Der  Liberalismus  tritt  ein  für  bie  Hedite  bes 
<£in3elnen  im  Staate  unb  gegenüber  bem  Staate. 
Der  So5iaIismus  ift  ber  politifd^e  lOille  ber  llTaffe, 
bie  nur  als  21Taffe,  nid]t  in  ^orm  ein5elner  ^n- 
biuibuen  fid]  burd]fefeen  fann. 

Diefe  brei  Criebe  finb  nid]t  notipenbig  imb 
roaren  nid]t  immer  in  Streit  mit  einanber.  Hatio^ 
nalismus  unb  Liberalismus  l^aben  einen  feften 
23unb  gefdjioffen  in  ber  alten  nationaltiberalen 
Partei,  ^ud?  ber  So3iaIismus  voav  nid^t  von  ^n* 
fang  an  unnational.  (£s  ift  hdannt,  bag  \S62 
eine  ^rbeiterbeputation  fid^  3um  (Eintritt  in  ben 
ZTationaIr>erein  melbete,  unb  iljre  2lbu)eifung  erJjeltt 
bie  unglaublidje  Kursfid^tigfeit  unb  innere  Sdiwädie 
^er  liberalen  Bourgeoifte,  beren  r>erI^ängnisr>olIe 
Hefultate  tr»ir  i}eute  beHagen,  Dann  aber  gingen 
bie  brei  3been  in  Deutfdjianb  gans  auseinanber, 
fanben  ii^re  Cräger  in  r>erfd^iebenen  Parteien  unb 
befämpften  fid?  grimmig  als  Cobfeinbe.  Der 
Nationalismus  tpurbe  bas  prir>ileg  ber  KonferDa* 
tiuen  (bie  erft  r>iel  fpäter  „national"  geu?orben 
ioaren  als  bie  Liberalen),  benen  man  je^t  audj  bie 


—   \92  - 


nationaUihexale  partei  im  (Sanken  ^uxed^nen  mu§; 
bcr  Ciberaltsmus  ^üditctc  ftd-}  3um  „Sveifmn'^ ber 
Sosialismus  fanö  in  ber  internationalen  5o3iaI* 
bemofratie  eine  ftets  tt)ad]fenbe  (5efoIgfcl]aft. 

Diefer  XPiberftreit  ift  bie  eicjentlidie  VOuviei 
iinfrer  unglütflid]en  poIitifd]en  ^uftänöe.  ^ie  por^ 
anfteEjenbe  Betrad^tung  l|at  uns  gelel:|rt,  bag  er 
ein  r>erl>ängni5PoIIer  3^^^^tii^  ifr  '^^  ift  "i^il^ 
lüefen  jener  prin3ipien  begründet,  fonbern  in  ibrer 
einfeitigen  unb  oberfIäd:^Iid]en  ^uffaffung  unb  ber 
j)oIitifd^en  Kursfiditigfeit  iJ^rer  Vertreter.  €ine 
grünblidjere,  vertiefte  Cinfid^t  leiert,  bag  fie  r>iel- 
niet^r  311  einanber  gel:jören  iinb  fid]  gegenfeitig. 
forbern,  baß  fie  nur  in  iE^rer  Bereinigung  iBjr  eignes 
XPefen  erfüllen  unb  bas  Wohl  bes  beutfd^en  Pater* 
lanbes  fd-jaffen  fönnen. 

DieIIeid)t  toirb  es  befremben,  ba§  bie  (£r* 
u^ägung  ber  poIitifd]en  (ßrunbmotiüe  bas  gleid^e 
Hefultat  ergeben  hßt,  wie  bie  ^etradjtung  ber 
I^eutigen  politif dien  Situation  X)eut)d]Ianbs,  mit  ber 
bies  Kap.  begann,  unb  roie  bie  X^arlegung  bes 
allgemeinen  etbifd^en  ^unbaments  ber  politif,  roomit 
bas  porige  fd^Iog.  Das  erfdjeint  als  u?iflfürlid]e 
Konftruftion.  Unb  fo  ift  es  in  ber  Cat  unb  mufe 
fo  fein,  ^e^ev  Derfudj,  ein  großes  5ßlb  bes  geiftigen 
Cebens  als  gan3e5  3U  überblicfen,  muß  an  geroiffen 
3been  orientiert  unb  baraus  fonftruiert  fein.  Die 
Sxaqe  ift  nur,  ob  bie  Konftruftion  ben  Catfadjen 
geredet  roirb,  ob  fie  nid^t  roefentlidie  Ceile  ber  ge* 
gebenen  lOirflid^feit  überfiebt  ober  entftellt.  lPie= 
roeit  bas  bier  gelungen  ift,  muß  id]  bem  Urteil  ber 
Kunbigen  überlaffen. 


—   195  — 


Die  ^usbil^ung  luib  Dcrbrcitimg  ber  poIiti]i-;en 
(Sefamtaujfafi'ung,  bcren  (SrunMintcn  J^ier  v^erfoUjt 
finb,  ift  bas  eigcntlicbc  Cebcnsiper!  ZTaiimanns. 
3br  bat  er  burd^  feine  Sdn-iftcn,  Vorträge,  (5eit= 
fdu'iften  gedient;  in  tbreiu  X)ien|'te  l^at  er  audi  ^cn 
Perfud]  einer  eignen  parteigrünbung  geu?agt,  un^, 
als  bie  5orm  511  eng  ausfiel,  fie  mit  eigner  r>anb 
5erbrod^en  nnb  burd^  ben  ^Infd^Iuß  an  bie  5rei= 
finnige  Bereinigung  ein  leiftungsfäbigeres  0rgan 
3U  fdiaffen  gefud^t.  Unb  biefc  partei,  beute  bie 
fleinfte  aller  felbftänbigen  Parteien  bes  beut] d^en 
Keidjstages,  ift  es,  an  ber  je^t  5unäd]ft  unfre 
Ijoffnung  auf  eine  beffere  5ii^ii"ft  bängt.  ^ITögc 
fte,  beren  nationale  unb  liberale  (Sefinnung  ftets 
unerfdnittert  geblieben  ift  unb  bie  je^t  it>ren 
Liberalismus  fo  erweitert  unb  vertieft,  bag  er  aud^ 
ben  5o5iaIismus  mit  einfd^Iicßt,  —  möge  fte  5um 
Krvftanifationspunft  u?erben  für  alles,  tvas  ivabr» 
baft  liberal  ift,  unb  möge  fo  aus  ibr  bie  neue 
beutfd-je  Cinfe  beruorgebcn,  bie  ims  v>om  ^'^d'^c 
öer  Keaftion  erlöft  unb  5U  neuen  rjöben  beutfd^er 
(Srö^e,  5rei^?ßit  unb  (Sefittung  fübrt  I  X)ie  partei 
ber  ^iifimft,  beren  iPablfprud^  beißt:  Station a« 
lismus,  Liberalismus,  Sosialismus  ge- 
f>ören  jufammen,  benn  nur  r>ereinigt  ergeben  fie 
eine  gefunbe  beutfd^e  politif.  2luf  fie  boffen  unb 
fie  vorbereiten,  bas  ift  alles,  mas  uns  bie  (Segen= 
ipart  erlaubt. 


^3 


-  m  - 


Vom  Perfaffcr  Dorlicgcnber  Sd^rift  crfd^icnen  frütjcr: 

f^cröers  IDerfe  I,  \.  Übcrfc^ungett.    I,  2.  Stimme  ber 

Pölfer.    (Kürfcbncrs   Deutfd?c   ZlattortaI=  iCiteratur. 

7^.  3anb.   Stuttgart,  Union  ^893.) 
Die  Sprad^e  bcr  Buren.   ((Söttingen,  ^r.  IDunber,  \90\.) 
XHoberne  Heligion.  Sc^Ieicrmad^er.  Xllaeterlincf.  (i^eip3ig, 

(E.  Dieberid^s,  ^902.) 
Pie  moberne  Literatur  unb  bie  Sittlidjfeit.  (Seipßig, 

f?.  Seemann  Zlad?f.,  1(902.) 
£ucinbe  unb  lex  ^ein3e.    {(Zhenba  \905.) 
Zlaumann=Bud?.    €ine  lluswa^i  flaffifc^er  Stücfe  aus 

^r.  ITaumanns  Schriften.   ((Söttingen,  Danbent^oecf 

&  Hupred?t,  ;903.) 
i^erber  unb  Kant.   Der  beutfd?e  3^^^tli5mus  uub  feine 

Bebeutung  für  bie  (Segentüart.   (fjaüe  a.  S.,  (Sebauer* 

Sd?u)etfd?fe,  ^90^.) 


Verlag  vonTandcnboeckÄ  Ruprecht  in  Göttingen. 


fr*  jVaumann:  6ottC9bUfe* 

GeTamtausgabe :  380  Hndachten, 
fachlich  geordnet. 

(Sin  ftarJcr  ^aitb  gr.  8.  4—7.  3;aufettb.  ^^retö  in 
Sujbbb.  6  mt  ,  feine  atuögabe  7  9Kf.  80  ^fg.  (.palblebcrbanb.) 
3)tc  f leine  Slu^c^abe—  T  ^^änbcficn  311  je  Wd.  1,80  tjcb., 
50Zf.  1,40  fart.  —  bleibt  banebeu  befte()en  2)ic  5.^änbc  1,  2,  4  u.  5 
enti)altcn  befonbere,  teilrocifc  Iäiu"icre  (Sinlcitiiniien,  2Bb.  7  ent* 
f)'dU  ein  au5fül)rli(l)eö  Sad)-  nnb  2:ertr e  13 ifter  über  alle 
[iebcn  Sänbcficn. 

^U-  0  f •  81  b  0  I  f  £>  g  t  n  Q  (f  fdjveiöt  onlöftlid)  beS  ©ric^cincnS  ber  0es 
f amtaueflabe  in  ben  ii^reuR.  ^afrbücöern :  „31  d|  kenne  keine  «n>ere  öomm- 
htn0  d)rifliid)er  ^etradjtungen,  bte  ntte  biefe  in  bem 
ber  (!3eaenn*a«rt  ninrielt  nnb  btfdj  ba«  nlte  (Snaitgelium  vtv- 
ktinbiat.  $:er  ift  nid)tS  bloß  Uebei-(ieferte*,  ntd}t3  3JafnnterteS  unb 
nii^t^  ^iinftli^eg.  ©o  toerben  bteie  2lnbacl)ten,  bie  je^t  eine  flroRe  üJliifioit 
erfüllen  nnb  and)  in  ber  S?nnft  ifirev  Sprache  ein  ÜJieifterroerf  finb,  einft  ein 
firdie!'.pefd)id)tlicf)eg  Xofnment  fein  für  bie  SUi^prägun^  ber  ebangelifc^en 
jV-römniiflteit  im  Sluefian«  bt»  19.  3al}rbunbert8  —  ein  S^ofiiment,  bcffen 
lüir  nng  nid)t  3U  fc^ämen  brnnd^en  unb  bnä  bem,  ber  e^  gefefet  ^at,  ein  un* 
toergcinfllid)eg  Slnbenfen  fiebert." 


]Vraumanti-ßuch» 

©ine  3lu§n)al)I  f(af[if({)er  (Stiirfe  auy  D.  priebrid)  3^aumann§ 
©d)ritten,  i)eranöe3ei3eben  üon  Dr.  .^^einrid)  93Zei)  er='^enfcn. 

3.  unüerätiberte  3(uf(age.   5.  nnb  6.  2;au[enb.   ^dn  fart. 
m.  1,75;  eleg.  geb.  m.  2,50. 

„^a8  ©üt^leln  ip  Jjro^tbon.  (?ine  Stueiualir  au§  9ianntann?  fämtridjen 
©c^riftcn,  43  ,<i?abinettftücfd)en  ücrfdiiebenen  ^nfiafte?,  fünftlerifd)e,  retigis 
öfe,  pl)ilofopl)ifdK,  politijd)e,  unvt)d)aft(id)e:  üorn  ein  gutc^  2?ilb  beS  ef)c= 
maügen  5Ufarrer§;  ba8  gonje  in  ein  einfad)cS  gefdjmacfootTc^  ©eiuanb  ge^ 
fleibet.   SÜSer  ba^  S3üd)lein  lieft,  mirb  beut  .s?erausgeber  bantbar  fein." 

(5öolt*tt)irt|diaftlid}e  Slätter  1903,  12.) 

„^){e  auf  iftre  Söirfung  pfDdiologifd)  loirflid)  fein  beredjnete  Jln^maöl 
unb  Slnorbnung  ocrleiljt  bem  S3ud)  einen  SBert  nod)  über  ben  f)inau'?,  ben 
für  jeben  $}Jaumannfreunb  eine  3")C5nnu<nftcllung  an  ficö  fd)on  ftaben  ttjürbe, 
unb  mad)t  e3  bal)er  befonberS  geeignet  jnr  2>erbreitung  unter  foldien,  bie 
Slanmann  nid)t  ober  oberflädjlic^  fennen."  (3nonatid)r.  f.  b^  f.  ^^irariS  1903, 10.) 


Verlag  vonTandenboed?  &  Ruprcd^t  iiiGöttingcn» 

'Kär^lidi  fmb  erfdjienen: 

Verhandlungen     15,  GyAoz.  Kongrerres 

3u  Breslau  am  25.  unb  26.  lUai  \c)0^.   preis  2  Ulf.  pfg. 


Prof.  Dr.  £reclt^<f^:  Tic  dfvifiHidfc  €ti)it  unb  bic  ifcuVtQC  <9efcUf(Itaft. 

Dcbatfereben  von  Kaftan,  Kaufmann,  II  au  mann,  Habe. 
Lic.  £rauf»;Dortmunb:  3>tc  0r0attif  atidn  5cr  2(rt>eit  in  t^rer  WittuttQ 
a»if  feie  |)crfcnli<^f«it.    Debattereben  von  fjarnacf,  Hauniann, 
ID  a  g  n  e  r  u.  a. 

Prioatboj.  Dr.  Scrn^orfc^Bcrlm  unb  ^abrifant  ^cinr.  ^rcefe:  3>a*  mos 
bevnc  Ce^nfyftcm  wnfe  6ic  Sojtalrcforin.  (Sarifgemeinfchaften, 
(SetPinnbeteiltciung  2c.)Sebattereben  von:  <Sotbein,2Ib.  ICagneru.  a. 

^rl.  Tyi}ven\uvH}  unb  Dr.  2t)i(I>ran6t:  3>ie  weibliche  ^ctmartxit.  De- 

batterebenpon:  ^  a  r  n  a  cf ,  ^rtiuJJeg-'Hatlü  e  g  n  c  r,  (frl.  ITl  a  r  1 1  n  u.  a. 

Der  Beriefet  ber  dojialcn  pvavis  filiert:  „Der  Derlauf  ber  Tagung 
tDirb  alle  fo3iaIpoIitifdj  gcftnnten  Kreife  hod^  befriebtgen.  Der  So.sfoj,  2{on= 
Qre%  bat  aufs  neue  betpiefen,  ba%  er  ein  ftarfer  jaftor  in  unferm  öffentl. 
Ceben  ift." 

Croeltfd^s  üortrag  iji  in  ertoeitertet  ^orm  erfd^ienen  u.  b.  C: 

politircbeetMh  und  Cbrirtentum,  1^^"^^^^"^* 

?^rciö  1  mt 

2{I§  ©rgänjung  fei  empfol^ren : 

Die  fittUcben  öleifungen  ^efu,  ^Hr  ffii%bratjd> 

 :^  ~          und  ihr  ricbti- 

9cr  6ebraticb.    ^on  ^^^rofefior  D.  SS.  .^errmann=9)Zar» 

burc3  1904.   ^reis  fein  fart.  1  mt 

„3eber,  ber  eine  SorfleQunfl  baüon  i)at,  bafe  ^icr  eine  ber  tiefffen  f^roflett 
gußleid)  ber  (?t^if  unb  ber  (ijefcfitc^te.  be*  )3eriönlid)eu  iieben§  unb  be§ 
25ölferbaiein§  Dorließt,  fei  auf  biefe  teiben  SSorträge  üertDiefen."  (5^rof.  0. 
^tlbrüd  —  '-jßreuB.  3at)rbü^er  1904,  Cft.) 

Randel  und  Sthik  '}}'\^'Jl^^^'^^^^^^ 

2]Dn  '^Sfarrer  e.  äß.  58u^mann,  8ueno§=5{ire§.  1902. 
-^Preiö  1  mt 

„^mn  ein  Kaufmann  mit  SBetBUBtfein  ö^rift  bfeiben?  ^aim  ein  be* 
tru&ter  6f)rift  ofine  öeioiffengbiffe  mit  erfoTg  bcn  faufni.  23eru*  aulfüCcn? 
3ur  25e^anbl  ing  bteie§  5;^robIem§  toar  33.  um  fo  me^r  befähigt,  ar§  er 
feit  Dielen  Satiren  in  einer  £»anber?metropore  in  einer  '/«  bem  ÄQuf* 
inann?ftanbe  ange^öriaen  (55emdnbe  tätig  ift  unb  nid^t  nur  bic  fiier 
tätigen  9.T?cnf(f)en,  fonbern  aucb  ben  mobernen  ^anbel§betrieb  grünblic^ 
fennt.  3*  muB  geftcben,' ba§  mt^  feine  3{U3füf)rungen  gan^  überjeugt  tjaben." 

mxm-  2BeIt  1903,  9h-.  23.) 


Verlag  vonTandcnbocck  &  Ruprecht  in  6öttingen« 


Cbonias  Carlyle: 

Cbontas  ßdrlylcs  $o2iaipoiiti$cbe  Scbriftcit. 

^srof.  Dr.       A^CttfeJ,  (Srlciui^eu. 
1895,96  I.  33anb  4        aeb.        4  80.  II.  «anb  7  93if.,  tjeb. 
5DZf.  7.80.    III.  iBaiib  6  9Jif.,  aeb.  93{f.  6,80. 
3ul)alt:  I.  5Bb.  (Einleitung.    5)er  (SI)artiöniuö.  2)ie- 
S^egerfraae.   3)en  Sfliagara  Ijinuutei  —  unb  bann  ?  — 

II.  3^b.  (5,I)arafteriitif  unferer  Seit.  glui3fd)nften  am  elfter 
©tunbe.  — 

III.  a3b.  (Sinft  unb  Seljt  (Fast  and  Present). 

5Bci  (jteic^seiti^cm  53e3Uöe  aller  brei  ^^iinbe  foftet  unfere 
Sluöcjabe    bei   BoiialpoHti^dmi    Srf)riften  (^atlt)M, 

IjerauSgegeben  üüu  ^lirofeffür  iocttfcl,  ftatt  17  53if.  nur 

SÖJan  üermeibc  ülicrwcc^elungeu  mit  einer  fpäter 
unter  9leid)em  Stitel  erittjieuenen  2  bänbigen  ^^lucn^abe,  bie  uieber 
„föinft  unb  Setit",  nocl)  Slnniertuugeu  unb  nur  eine  fur^e  (Sin»- 
leituug  bietet. 

„Ö'tnft  unb  ?let}t",  in  btefev  foitflenialcn,  ..mit  bcn  abiolut  not= 
loenbigeu  unb  3uöevläfiinen  Slnnierfunflen  tievfel)fncn  Übci-fefeunfl  ift  üon  ber 
beutidien  J?ntif  alä  „bie  ftronc  t>ev  ro!ialt>o(itird)«n  §d)trtft<n  Cttr- 
itjUo"  beaeidjnet  worben.  ©erabe  biefe^s  SBert  fiiljrt  roie  fein  anbere^  iit 
Carl^{e3  (SJebantenttielt  ein  unb  läfjt  ben,  bcv  c8  einmal  aufgefc^ilagen  i)at,. 
niit  iviebcc  lo8.   

Cebenscrinnerungett  i^ott  Cb.  Carlylc. 

Deutfd)  von  P.  Jacger. 

1.  a^ttitb.  2.  Sluflage.  1902.  mt  mbni^i  2:1).  (>arli)le§. 
4  m.,  geb.  4,80.  5nl).:  Same^ä  (5arli)Ic  (i^ater);  (Sbunirb  Srüing. 

2.  ^^ant».  1901:  Saue  Seilt)  (^arli)le.  mt  ^ilbniö  uou 
grau  5.  2ß.  CSarIi)le.   4        geb.  mt  4,80. 

S3.<er  ®arh)(e  recht  tier)"tef)eu  unb  loiirbiflen  loiü,  barf  au  ben  „(Svinnes 
rungen"  nidjt  Dovbeigeljen. 

S)iefe  el•c^reifen^en  ©cPänbniffe  unb  23cfcnntni)fe  flingcn  au^  in  bie 
ajlaljnung:  „S3linb  unb  taub  finb  wir:  o,  bcbcnfe  eg,  menn  bu  nod)  ein 
lebenbigeÄ  2Beieu  Iiaft,  baS  bu  lieb  I)aft,  toarte  nidjt,  biä  ber  Sob  bie  orms 
Seligen  ©taubttjotfen  unb  leeren  ©iffonanjen  beö  Slugentilicf«  I)erunterfegt 
unb  aüti  guleöt  )o  iraueröoa  ftar  unb  fcftön  baftel}t,  —  toenn  eS  jn  fpät  ift!" 


1895  ift  erfd)ienen: 
i^i)V^  ^ifoci^c^  Zi).  (Sarhjle.  ©in  ©ebcnfblatt  feinent 
100.  ©eburtötage.    1  ^^f.  20  i^ftj. 


Tcrlag  von  Tandenboed? & Rupred)t  in  Göttingen. 

Soeben  fitib  en'c^tcnen : 

<3rorsrtadterweiteruiiöeii.       35eitrag^um  ^^^u- 

 ^         tigen  2tabtebau.  33on 

,^eg.=33aumeiiter  C.fjcrc^cr.  53cite.farb.  ^Inne.  1  g)lf.60^f. 
5rer  Scf)n)erpunft  liec^t  in  ber  -Darftelluni.]  eines  ftreng  bur(f)ge- 
füf)rten  praf ti i'(f)en  53eii^nel§  einer  Stabterrceiterung. 

Die   jS^euordnung  des   zollfreien  Ter- 
edelungsverfeebrö  ^"^^  ^J<,3-^^^}^^'^^^^- 


Ser  neue  3oütarif  unb  bie  neuen  -panbelsDerträcie  bebro^en 
biejenigen  5nbuftne3tt)eii]e,  beren  (Jntraicflunci  für  'S^eutfc^Ianb 
angcfi(f)t5  feiner  39eöi)Iferunc5§Dermef)runc^  eine  Lebensfrage  ift: 
bie  ber  fog.  <5ertio(f abrif äte.  5)ie  rationelle  ©eftaltuncj  bc§ 
IßerebelungsDerfe^rä  gewinnt  unter  biefem  ©efirf)tspunft 
bie  gröBte  33ebeutung. 

Don  bentfelben  Derfaffer  ift  ][903  erfjjienen: 

Kartell  und  Cruft/^^^leid^^lideanter. 

 Tud^ungen  über  deren 

^eten  und  Bedeutung.  35du  Dr.  Z.  3:f(^terfc^ft). 

2  mt  80  ^fg. 

€ine  ctngebenbe  KriHf  Prof.  Hob.  Ctcfmanns  in  ben  3^^irbüdjcrn 
f.  rtationalöfonontie  u.  Stnt.  H904.,  6  fd)Iic§t  mit  ben  iüorten :  „Das  Sud? 
oerbicnt  oon  allen  ftubiert  3U  roerben,  bie  fid)  mit  ben  neucften  (Entt»icflungs= 
•erfdjeinungen  ber  mobernen  Dolfsroirtfcfcaft  befiiäfttgen." 


^erbfi  ^902  ift  erfcbienen: 

Bevölkerungsbewegung,  Kapitalbildung 
und  periodifcbe  Cdirtfcbaftshriren. 

tracbtung  der  Clrsacbcti  und  sozialen  ^dirhutigcn  der 
modernen  Jndustrie-  und  I^andelshrisen  tinter  be* 
sonderer  Berücksicbtigting  der  Kartellfrage  uon 
^rof.  Dr.  ^ubwig  ^ot)k.   t^reis  1  mt  60  '^^\. 

„€ine  intereffante,  roiffcnfdjaftlidjc  Setradjtung  ber  Urfadjcn  unb  fojiafen 
XDirfungen  ber  mobernen  3"buftrie=  unb  ^anbelsfrifen  mit  befonb.  Seräcf= 
fiditigung  ber  Kartellfrage.  Sefonbercs  3"fPreffe  perbienen  bie  2lHsfäbrungen 
übet  ben  »olfsroirtl'djaftlid^cn  (Einfluß  ber  Kartelle  unb  bie  ftaatlicbc  Regelung 
■bcs  Synbifatstoefens."  (Ceipjiger  gtg.  ^902,  ^^^3.)