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Full text of "Friedrich Schleiermacher's sämmtliche werke"

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Predigten 


Friedrich Schleiermacher. 


Dritter Band. 


— — ——— 


Neue Ausgabe. 





Sriedrih Schleiermacher's 


fämmtliche Werke. 


Zweite Abtheilung. 


Predigten 









x LIBRARY. ) 
| N, 
RYARD unwierdl- 


Dritter Band. 


Berlin, 
gedruckt und verlegt bei G. Reimer. 
| 1835. 


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IV. 


V 


VI. 


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Inhaltsverzeichniß 


Des Dritten Bande 6 


1831. 


i. An tea Sonnt. nady Zrin. Wie jedes einzelne Gemuͤth in dem 


Frieben des Griöfers eine unendliche Fuͤlle der göttlichen Bee 
erbsant. Ucber Ich. 14, 27. . . . . . . 


. Am Aten Somt. nad) Zein. Daß wir uns mit ber Plage tinſ. 


tiger Zeiten nicht ſollen poreilig belaͤſtigen. Ueber Matth. 6, 34 


Am Gten Sonnt. nach Trin. Die Vorſchrift bes Apoſtels, Freuet 


euch mit ben fröhlichen und weinet mit ben weinenden. Ueber Roͤm. 
12, 15. 0 0 0 0 0 0 . 0 * 


Am Bten Sonnt wach Trin. Weber das Verbot des Richtens. 


Ueber Matth. 7, 1. 0 0 . 0 0 es 0 4 
Am Oten Sonnt. nach Trin. Was für einen Werth hat bie Rede 


Seite 


11 


2 


des Herrn, Ihe ſollt das Heiligthum nicht ben Kunden geben, 


für nnd. neber Matth. 7, 6. Fe 
Am 12ten Sonnt. nach Trin. Was der Herr über unfre Witten 


und über die göttlidye Gewährung uns Ichrt ia den Worten Matth. 


,9— 11. 0 0 . 2 0 . 0 ® . 
j . 





vi 


VIL Am 14tm Sonnt. nad Kein, X ſtiad die Verhelßungen, 
weiche bie Gottſeligkeit hat für dieſes Leben? Ueber 1 Tim. 4, 8. 
VOL. Am i6ten Sonnt. nad) Trin. Die eigenthuͤmliche Beſchaffen⸗ 
heit dee Borichrift bed Herrn, Alles was ihr wollt, daß euch bie 
Leute thun follen, das that ihe ihnen! Ueber Matth. 7, 1. 
IX. Am 20ften Sonnt. nach rin. Ueber bie Ablehnung ber göttlis 
chen Ginlabung und die Fehler der einladenden. Weber Luk. 14,18 figb- 

x. Am Uftın Gomt. nad) Trin. Das eigenthämliche in dem Ver⸗ 
haͤltniß des Herrn zu feinen Sängern, daß fie feine Freunde find 
grabe wegen Ihres Gehorſams. Weber Joh. 15, 144. . 

Al. Am Bien Sonnt. bed Abventd, Wie ber Erldſer derjenige If, um 
deſſentwillen auch wir von Bott geliebt werden. eb. Joh. 16,27. 
XII. Am erften Weitnacdhlätage. Die erſte Grfdheinung bes Erloͤſers 
als bie Berkuͤndigung einer Freude, die allen Menſchen bevorficht. 

u Ueber Luk. 2, 10, 11. . . . = . . 


‘ ® 


1832. 


T XI. Am Reujahrtage. Der Ausſpruch, ba wir bem Herrn Ichen 


ober fterben, betrachtet als unfer Vahlſpruch bei dem Gintritt in 
diefes neue Jahr unfers Lebens. Ueber Röm. 14, 7. 8.. . 


XIV. Am 2ten Sonnt. nach Epiph. Wie fi das Berhaͤltniß zwi⸗ 


ſchen dem Grlöfer und feinem Zänger Nathanael geftaltete. Weber 
Joh. 1, 47 —5l. “ . . eo . 0 ® . ® 


XV. Am. Atem Sonnt. nach Epiph. Des Gefpräd Gheii mit der 
Samariterin nach feinem eigentlichen Inhalt und ber Belchrung 
Ehriſti, die darin Liegt. Ueber Joh. 4, 25. 26. 0.00. 


VI. Am 6ten Sonnt. nad) Cpiph. Wie durch unfern Herrn und 


Eridfer die Werke Gottes an dem blindgebornen finb offenbar - 


geworben. Ueber Joh. 9, 35— 38. . ® ® . ® 
XVII. Am Sonnt. Seragefimd. In weldiem Ginn der Gridfer ſich 


dem Zachaͤus anbot. ueber Luk. 19, 6. 0 . . . eo ' _ 


XVm. Am iften Sonnt. in der Faſten, Invor. Der göttliche Rate 
flug über das Leiden unb ben Tod des Gridfers in dem Zuſam⸗ 
menhange mit feiner Herrlichkeit. Ueber Eu. 24, 25. 26. . 


"XIX. Am Atem Sonnt. in der Faſten, Laͤtare. Bon ber Ginfamtelt 


des Grlöfers bei feinem Leiden. Ueber Joh. 16, 32. 0. 


XX. Am 5ten Sonnt. in ber Faſten, Judica. Wie bie Grmunterung 


des Cridſers, daß feine Jünger follten gitroſt fein, uncrachtet fie 


121 


132 


143 


156 


‘ 


wirten Noth haben In bes Melt, mit feinem Leiden und Mode zu⸗ 
kumenbange. Ueber Joh. 16, BB. - .' 0. . . . 
XXL Am Gharfreitage. Der Tod Chrifti als bie hoͤchſte Verherrli⸗ 
dung der Liebe Gottes zu und. cher Röm. 6,7.& + 
XXL Am zweiten Oftertage. Daß unfer neues geiftiges Leben dem 
Eben der Auferfichung des Herrn auch in dem geheimnißvollen 
und unerforfählichen beffelben ähnlich fei. Weber Luk. 24, 1— 8. 
xxm. Am Yen Sonnt. nad; Oſtera. Was für einen Gewian wie 
von der rechten Betrachtung bes Erloͤſers haben follen und Können. 
cher Joh. 14, 9. . . ® “ ® “ “ “ 
XIV. Am Gten Somt. u. Oſtern. Wie bei ber Wahl eines zwoif⸗ 
ten Apoſtels das befte ber Kirche if wahrgenonmen worden. 
Ueber Apoſtelgeſch. 1, 21 u. 22. . . . . . e 
XXV. Am Iſten Sonnt. Zrinitatis. Daß wir ben Bath Gamaliel's 
m Beziehung auf bie Apoftel bes Herrn in allen ähnlichen Faͤllen 
zu befolgen Haben. Weber Apoſtelgeſch. 6, 38 u. 89. . 0. 
XXxVI. Am Sten Sonnt, Zrin. Auf weiche Art und Weiſe innerhalb 
der chriftlichen Kirche Verbefferungen in menſchlichen Dingen zu 
Stande kommen. Ueber Apoftelgefch. 6, 1—5.. eo... 
xxvu. Am Sten Sonnt. Trin. Die Bitte bes Stephanus in ihren 
verſchiedenen Beziehungen. Weber Apoftelgefch. 7, 50. W 


AXVIN. Am 7ten Sonnt. Trin. Ein Beiſpiel von der Art, wie ſich 


das Evangelium in ben erſten Zeiten der Chriſtenheit verbreitet 
hat. Ueber Agoſtelgeſch. 8, 6: 388. 
XXIX. Am Hten Sonnt. Trin. Warnung, nicht gegen die das ganze 
bewegende Macht angehn zu wollen. Ueber Apoſtelgeſch. 9, 6.. 


XXxXx. Am 1iten Sonnt. Trin. Bon dem Zuſammenhange zwiſchen 


Gebet und Almoſen des Cornelius und feiner Berufung zum Evans 
gellum, Ueber Apoftelgefch. 10, 31. ® U} ® “ ®. 


XXXI. Am i3ten Sonnt. Trin. Die Rechtfertigung bes Apoftels Pe⸗ 
trut vor den Ghriften über die Taufe heibnifcher Menſchen. Ueb. 
Apoſtelgeſch. 11, 17. . 0 . 0 


XXxxu. Am Erntefeſte. Wie wir ben Gegenſtand ber Erntefeier in 
uebertinſtimmung bringen koͤnnen mit dem Verbot des Erloͤſers 
nicht zu ſorgen? Ueber Matth. 6, 31. . 0) . . . 

XXXIII. Am 17ten Sonnt, Erin. Von derjenigen Hülfsteiftung in 
dee Roth, weldye von dem Bewußtſein der chriftlichen Gemeinſchaft 
ausgeht... Ueber Apoſtelgeſch. 11, 27-80. 0 . 

ÄAXIV. Am 19ten Sonnt. Zrin. Ueber die Erzählung vom Tode 
des Derodes. Apoſtelgeſch. 1, 19— 23. 0. 


‚Son 


* 


| 


276 . 


391 


376 


VIM 


— 


XXXV. Am Aſten Sonni. Axin. Was dem Ehriſten geziemt in Bes 
ziehung anf das wunderbare, was nicht aus ber Kraft des Glau⸗ 
bens hervorgeht unb nicht mit bemfelben zufammenhängt, Ueber 
Apoſtelgeſch. 16, 16— 18. .... 4 
XXXVI. Am 2m Sonnt. bes Advents. Daß die Gleichheit bes Er⸗ 
Iöfers mit uns umb bie Herzlichkeit bes eingebornen Sohnes vom 
Bater unzertrennlich mit einander verbunben, ja eins if und bafs 
felbe. Ueber Ebr. 4, 15. ee ee. 


1833. 


XXXVU. Am Reujahrstage. Die einzigen und wefentlichen Bedinguns 
gen, unter denen wir uns eines ungeflörten Fortſchreitens in uns 
ferm kirchlichen unb bürgerlichen Leben erfreuen können. Ueber 
öm. 45, 1—8 . . . . . . . . . 

XXXVIII. Am iftn Sonnt. nad Epiph. ueber die Wunder des 
Gridfers. Ueber Apoſtelgeſch. 2, 22. oe ee. 

AXXIX. Am ten Sonnt. n. Epiph. Die Predigt von Chriſto, eine 
Predigt von dem Frieden. Weber Apoſtelgeſch. 10, 6. - '« 

XL. Am 4ten Somnt. n. Epiph. Wie durch bie Liebe des Cridſers 
zu uns auch ſchon unfre bräberliche Semeinſchaft unter einander 
gegründet wurde und erhalten bleibt. Weber Joh. 13, 34. . 


LI. Am Gonnt. Invocavit. Was das Leiden des Gridfers war im 
feinem Verhaͤltniß zu denjenigen, weldye Madıt und Gewalt hatten 
über fein Bolt, in Beziehung auf feine Befangennehmung. 
ueber euk. 2, 49 63. 


ALH. Am Sonnt. Oculi. Was das Leiden bes Griöfers war in Bes 


giehung auf fein Bekenntniß unter Yontio Yllato. Ueb. 1 Tim. 6, 13. 
LI. Am Sonnt. Judica. Was bas Leiden beö Erloͤſers war in 
Beziehung auf daB über ihn geſprochene Urtheil des Todes. eb. 
Apoſtelgeſch. 2 WB... 
XLIV. Am Charfreitag. Die Wirkungen des Todes Jeſu Chriſti, in 
ſofern derſelbige das Werk feines Gehorſams war. Ueber KAdm. 
5, 19. . . . . 0 0 . . ® . . 
ALV. Am en Sonnt. n. Oſtern. Wie die Jünger bes Herrn zum 
Zuruͤkkſehen auf die Beit, welche fie hinter ſich hatten, angeregt 
wurden. Ueber Joh. 21, a :  . 4 
XLVI. Am Bußs und Bettage. Wie wir den Zuſtand unfrer Anges 
legenheiten nach dern Geiſt, den uns Bott gegeben ober nicht geges 


ben hat, gu beurtyeilen haben. Leber 2 Timoth. 1, 6. * 


ALVII. Am Sten Sonat. nad) Oſtern. Dex Auftrag des Herrn an 


— 


414 


470 


8 


512 


524 


537 


feine Juͤnger im Bufammenhang mit bem Wunſche, ben er vorans 
ſchickt. Ueber Joh. 20, 2. . . . . . . . 
XLVII. Am Gonnt. vor Pfingſten. Worauf es überall bei einer rich⸗ 
tigen Gntwiltelung der Sinrichtimgen im ber chriſtlichen Kirche ans 
Zommt. Weber Apoſtelgeſch. 1, 21, 2 . o . . o 
XLIX. Am en Pfingfttage. Die einzelnen, wie bie geſammte Ges 
meine des Seren, ein Tempel Gottes. Weber 1.Kor. 3, 16. . 
L. Am iflen Sonnt. Trinitatis. Die Vorſchrift bes Erloͤſers, daß 
um fein Sünger zu fein der Menſch ſich ſelbſt verläugnen und 
fein Kreuz auf fi nehmen muͤſſe. Ueber Matth. 16, 24. . 


LI. Am 3ten Sonnt. n. Trin. Won der Regel unfers Griöfers über . 


bie Liche, Ueber eu, 6, 32 — 36. ® o L 0) . © 


LI. Am sten Sonnt. nad) Zrin. Ueber das Verhaͤltniß des Reich⸗ 
thaums zum Heide Gottes. Ueber Luk. 18, 24— 27. oo. 


LIT. Am Tten Sonnt. n. Arin, on dem verſchiedenen Berhaͤltniſſe 
der Menſchen zu dem Gridfer. Ueber Eu, 11, 2. + -.  . 


LIV. Am Nen Sonnt. n. Trin. Wie es eigentlich ftehe um bie Kraft 
bes Glaubens, welche ber Erloſer Matth. 17, 20 deichreibt. . 
LV. Am 1%en Gonnt. n. Trin. Was für eine Bewandniß es hat 
mit der Selbſterniedrigung und dem Grhöhtwerben bes Shriften. 
ueber Matti. 23, 12 Oo 0 ee ee. 0. 
LVI. Am2iftm Sonnt. n. Zrin. Ueber ben wahren Gehalt ber Worte 
des Herrun, Bittet, fo wird euch gegeben. Leber Luk. 11,8. 9 


LVU. Am 23ften Somnt. n. Trin. Ueber den Sinn bes firengen 
Wortes des Sridfers, daß die Menſchen müffen Rechenſchaft geben 
von jebem unnhgen Worte, bas fie geredet haben. Ueber Matth. 
12, 3%, ® “ , [2 . ® - ® ® ® o ® ® 

LVIN. Am Todtenfeſte. Was in ben Worten der Schrift, Siche, wir 
preifen felig bie erbuldet haben, das allgemein gültige fei für uns 
und für.alle künftigen Zeiten. Ueber Jak. 51. - - 

LIX. Am Wen Sonnt. bes Abvents. Die Beſchraͤnkung in ber Wirk 
ſamkeit unfers Erloͤſers ferbft, und die größere Freiheit und Aus⸗ 


dehnung in bes Wirkfamkeit feiner Sänger. Ueb. Röm. 15, 8.9. 


LX. Am 4ten Gonnt. des Advents. Ueber bad Zeugniß des Johan⸗ 
nes, daß er ſich die Stimme eines Prebigers in ber Buͤſte nennt, 
unb daß er zeugt von dem Erloͤſer als einem unbekannten, - Weber 
Joh. 1, 3—977. . . oo. . . 0 0 . 


LXL Am ten Beihnachtötage. Wie genau unfse feftlicdye Weihnachtes 
freude damit zufammenhängt, daß ber- Glaube, daß Jeſus Gottes 


Sohn if, der Sieg if, der die Welt überwindet. neber 1 Joh. 
6, 5. . o . . 


+ ‚9 o “ % « % 0 


a 


641 





1834. 


Lxn. Am Reujohrstage. Der Inhalt bed Grußes des Erldſers, 
Friede fei mit euch! in Wezichung auf unfer ganzes mannigfaltis 
ges Leben. ueber Ich. 0, 1 2 nn 
LXH. Am iften Somnt. nadı Epiph. Welches Verdaͤltniß der Griös 
fer vorausfeze zwiſchen ber Liebe zu Gott von ganzer Seele und 

der Liebe zu dem naͤchſten ats uns ſelbſt. neb. Mari, 1, BA. 


LXIV. Am &onnt. Geptungefimd. Grmahnung und Lehre des Herrn 


in Beziehung ber natürlichen Sichtung des Menſchen auf bie uns 


verborgene Zukunft. Ueber Mark, 13, 11-37. 0 4 


Geite 


765 


779 








Am 2. Sonntage nad) Trinitatis 1831. 


Lieb 0, 1— 4 689. 
Text. Soh. 14, 27. 
Meinen Brichen lafle ich ud, meinen Zrieden ai 
ich euch. | | 


M. a. Sr. Dad Wort, deffen fich der ‚Giiöfes hier era. fi 
Zünger bedient, hat für und einen zwiefahen Sinn. Es ruft uns 
einen Zufland der-menfchlihen Gefellfchaft ind Gebächtniß, den wir 
alle immer ſehnlich zuruͤkkwuͤnſchen, wenn er geflärt worden if, von 
welchem wir allein, die gemeinfame Zufriebenheit. und gebeihliche 
. Entwilftung aller Verhoͤltniſſe erwarten. Aber es hat auch einen 
andern Sinn; denn wir kennen alle aus der Erfahrung unſeres Le⸗ 
bens die innere Bwictracht bed Menſchen in ſich ſelbſt, und ihr ges 
genhber einen ireilich für und groͤßtentheils oft unterbeochenen ſel⸗ 
sen vollkommenen Frieden ded Herzens. ‚Den, erſten konnte der Er⸗ 
loͤſer ſeinen Juͤngern nicht verheißen; in dieſer Beziehung hat er 
geſagt, Ich bin nicht. gekommen Frieden zu bringen, ſondern bad 
Schwert! *) Er hatte es ihnen vorher geſagt, und konnte ihnen 
nichts andexes fagen, ald bag fie würden gehaßt werben und ver: 
folgt wie er, ald daß. fie würben flreiten müflen mit ben Waffen 
des Geiſtes um fein Reich wie er: aber was er von Anfang an 
liebend verkuͤndiget hatte, dag bie befümmerten Seelen follten zu 
ihm kommen um Ruhe zu finden, dad konnte ex izt feinen Juͤn⸗ 
gern, nachdem . fein Werk an ihren Seelen fo weit gebiehen war, 
verheißen; diefen inneren Frieden, den Eonnte ex ihnen nun zufichern, 


*) Matth. 10, 34. 
II. 4A 


18. 


LXH. Am Reujabrötage. Der Inhalt des Grußes des Grlöfers, 
| Vriede fei ut euch! in Wezichung auf unfer sorgen monnigfeti 
ges eben. ueber Ich. 2, 1. 2. 
LXII. Am iften Sonnt. nad) Cpiph. Welches Berhältnif der Griös 
fer voraudfeze zwiſchen ber Liebe zu Gott von ganzer Seele umb 
der Liebe zu dem naͤchſten ats uns ſelbſt. neb. Mark. 12, 28-34. 


LXIV. Am Gonnt. Geptuagefimd. Ermahnung und Lehre bes Herrn 


ia Beziehung der natürlichen Stichtung des Menſchen auf Vie uns 
verborgene Zukunft. Ueber Mark, 13, 14— 37. 00.20. 


7523 


763 


719 





Am 2. Sonntage nad Trinitatis 1831. 


eied 01-4 69. 
Text. Joh. 14, 27. 
Meinen Suiten laſſe ich a meinen. Srieben. * 
ae) wen rn 


MM... a. Fr. Das Wort, beffen ha ee hier. gegen feine 
Jünger bedient, hat für und einen zwiefachen Sinn. Es zuft uns 
einen Zufland der-menfchlichen Sefellfchaft ind Gedaͤchtniß, den wir 
alle immer: ſehnlich zuxuͤkkwuͤnſchen, wenn er geſtoͤrt worden iſt, von 
welchem wir allein, die gemeinſame ‚Buftiebenpeit, und. gedeihliche 
Entwikklung aller Verfältnife ‚erwarten. Aber es bat auch einen 
andern Sim; denn wir kennen alle aus der Erfahrung unſeres Le⸗ 
bens die innese Zwietracht bed Mepicen, in ſich felbfi, und ihr ges 
genüber einen freilich für amd groͤßtentheils oft. untesbrochenen fels‘ 
ten vollkammenen Sriehen. bed Herzenß. Den erfien konnte der Er⸗ 
löfer feinen Juͤngern nicht: yerheißen; in diefer „Beziehung bat ex 
geſagt, Ich bin nicht gelommen Frieden zu bringen, fonbern bad 
Schwert! *) Er hatte «& ihnen vorher gelagt,. und konnte ihnen 
nichts andexes fagen, ald daß fie würben gehaßt werben und ver . 
‚folgt wie er, ald daß ſie wuͤrden ſtreiten müffen mit den Waffen 
des Geiſtes um fein Meich wie er: aber wad er von Anfang an 
liebenb verkuͤndiget hatte, daß bie befümmerten Seelen follten zu 
ihm kommen: um Ruhe zu finden, das Eonnte ex izt feinen Juͤn⸗ 
gern, nachdem .fein Wer? an ihren Seelen fo weit gebichen war, 
verheißen; dieſen inneren Frieden, den konnte er ihnen nun zufichern, 


) Matth. 10, 34. 
IE . 4A 


“ 2 
ald er im Begriff war ſich von ihnen zu entfernen. &o führt und 
denn dieſes m. a. Fr. darauf zurüff, was wir in unferer_lezten 
Betrachtung, als wir mit dem Apoflel Paulus eingingen in ben 
unendlichen Reichthum der göttlichen Weisheit, der darin liegt, daß 
. Gott alles befchloffen hat unter der Sünde, auf daß die Verheißung 
kaͤme durch ben Glauben an Jeſum Chriſtum *), zutüfflafien muß» 
ten, indem wir jene Worte nur auf bie großen und allgemeinen 
Verhältniffe der Menfchen in dem Reich der Erbarmung und Gnabe 
bezogen. Das Wort des Erlöferd hingegen, dad wir izt vernoms 
men haben, führt und in die innere Tiefe jedes einzelnen Gemuͤths, 
und fpricht und aus, was darin wirb und werben fol durch den 
Erldfer, was er ſich als fein Werk im unferer Seele zugeägnetz 
und fo laffet und an jene Worte zurüffdentend zum Gegenfland uns 
ferer Betrachtung machen, wie jedes einzelne Gemüth, dad an 
der Erlöfung durch Chriſtam heil nimmt, in bem Frieden, den 
er läßt, in feinem Frieden eine ſolche Hülle der göttlichen 
Weisheit erfennt, daß nichtd darüber gedacht werben kann. 
Laffet und daher zuerft fehen, was denn eigentlich ber Friebe 
des Erlöfers iflz und dam und umfehen und fragen; ob nicht 
darin und darin allein die ganze Fülle ber göttlichen 

Weisheit Fiegt, die ſich an einem menſchlichen Dafein 
offenbaren kann. 


J. Zuerſt alſo m. g. Ft. was iſt der Friede des Er 
loͤfers, den er den. fetrigen laäßt? Iſt ed der, weichen er 
feibft hatte, oder iſt es nur ein ſchwaches Bild, eine Leife Annaͤhe⸗ 
Yımg, ein dunkler Schattenrig von jenem? Was war der griebe 
des Erlöfers? Daß er- eins war fir immer und in allen Bezie 
Hungen mit feinem Vater, baß fh dad Ange feines GSeiſtes nicht 
öffnete um irgend etwas zu ſchauen, was ihn umgab, ald- war ex 
Tah es als ein Wert Gotted, daß feine Bewegung ſich in ſeiner 
Stele entwikkelte um zu einer Beſtlinmung ſeines Sillents zu wer 
den, als nur nachdem er den Willen Gottes erblikkt hatte in dem 
was ihm vblag; und daß ſo eins das andere immer aufnahm, er 
auf die Werke ſeines Vaters ſah, und der ihm immer größere Werte 
zeigte, unb daß er den Willen feines Vaters that, und immer wei: 
‚ter fortgeriffen wurde in diefer Erfüllung des göttfichen Willens, 
bis er fagen konnte, daß er alles vollbracht habe. Wed. diefe Ei- 
rrigteit bes Willens mit Gott, durch welche immer der götfliche 
‚Witte und fein anderer fein Wille war, konnte ja — wie-der götte 


) Sal, 3, 2, 








5 
dann ˖ſchilt er und: Petumhthige,: Daß wir glauben konnten, wir 
würben untergeben, ba er boch bei und war, und in bemfelben 
Schiffe wie. wir getragen wurde. Und in ber Uebenvindung biefer 
Stürme fühlen wir dann um ſo flärfer Die Kraft des göttlichen Les 
benö, welches er uns mitteilt. Freilich wuͤrde das fo fein, möchte 
wol einer fagen, wenn ber Sturm nur entflände um durch den er⸗ 
wechten Erloͤſer geftilit zu werben, wenn wir nur kaͤmpfen müßten 
"um immer zu fiegen! — Aber wer vermag dad von fih zu ruͤh⸗ 
men, wer unterliegt -nicht oft in dem Kampfe des Geiſtes wider 
Dad Fleiſch? Und doch m. g. Fr. laſſet und feft überzeugt fein, 
wenn wir nur niemals dahin kommen zu meinen, wir müßten ober 
dürften wenigſtens fündigen, damit bie Gnade beflo mächtiger fich 
zeigen koͤnne; fondern nie aufhören bie Sünde zu verdammen: fa 
kommt und aus jebem Kampf, auch wenn wir unterlegen haben, 
eine neue Kraft der Selbfterfenntnig und ber Vorſicht; und in bie: 
fen Bewußtfein Tönnen wir auch ben Frieden bed Erloͤſers gleich 
wieder fühlen in unferm Herzen, wenn die Seele zu ihm zuruͤkk⸗ 
kehrt. Wir kaͤmpfen auf ven Wellen, aber er reicht und bie Hand, 
Daß wir nicht untergehen; der, welcher fich aufrichtet von bem Fall, 
wird von ihm gehalten mit berfelben Liebe, welche auch, wenn einer 
bunbert Schaafe hat und nur eins davon fich verirrt, ihn treibt - 
die neun und neunzig in ber Wuͤſte zu. laffen und dem verloren 
nachzugehen, bis daß er es findet. Und indem er fo ben. verlore 
nen nachgeht, wir aber den Zug feiner Liebe. auch nachdem wir 
gefallen im Herzen fühlen: fo kehrt aud) fein Friede in unfer Herz 
zurüff. Aber indem feine ewig quellende Liebe den Thron aufs 
ſchlaͤgt in unferem Herzen; indem er, fo wie er eind war mit ſei⸗ 
nem -Bater, Fommt um mit bemfelben Water Wohnung zu machen 
ia unferm Hessen; indeni wir in allen was wir thun ſprechen 
Einnen, Die Liebe Ghrifli pringet uns alſo: kommen wir auch dazu, 
dag bie Sünde, gegen welche wir kaͤmpfen weit der ganzen Ruͤſtung 
des Geiſtes, und auch nur wird zu dem Mitgefühl eined und fremb 
gewordenen. Denn al& feine Streiter fühlen wir und ganz gerich⸗ 
tet gegen bie Sünde, auch gegen bie, welche in und felbft iſt; und 
wenn es bie Kraft feiner. Liebe ift, die in uns wirt, fo iſt es auch 
ganz fein Leben, welche wir führen, und wir finden uns in diefem 
nur gegen die Sünde gerichtet als folche, die feinen Theil zu ha: 
ben begehren an ihr. Wie follten wir, indem wir fo auf ihn fehen 
und ihn immer aufs neue in unferm Herzen erwekken, auf: daß er 
in uns lebe, wicht auch dad Bild feined Friedens fchauen und Dies 
fen in unfer Her; aufnehmen? wenn wir doch immer reicher werben 
an der Erfahrung, welche er und verheißen hat, bag wir fie ma⸗ 


4 
zu uͤberwinden neben einander beſtehen koͤnnten, ohne .baß -bie 


Sünde: von feiner Kraft ganz überwunden. würde: fo hätte ex Eine 
nen als fein eigehed Gefühl andrufen, was er nur audrufen fonnte 
eben in diefem- Mitgefühl mit der Sünde der Weit, Mein Bott, 


warum haft bu mich verlaſſen! Aber auch da war berfelbe Friebe 


in feiner Seele, mit welchem er wenige Augenblikle darauf feinen | 


Geiſt in die Hände feines Vaters befahl. 


Dies m. th. Fr., dies iſt der Friebe, welchen der Erlöfer hatte. 
Wenn er nun fast, Meinen Frieden gebe ich euch, if dieſes der⸗ 


felbe, ober iſt ed ein anderer? Es if derfelbige und wird berfelbige 
im dem Maaß, als wir mit feinem treuen Juͤnger und Apoftel fa 
zen koͤnnen, Was ich lebe im Fleiſch, das lebe nicht ich, fondern 
Chriſtus in. mir *); in demfelben Sinn und auf dieſelbe Weiſe 
wird in der That fein Friede auch unfer Friede. Der Erlöfer Eonnte 


auch dieſe Worte nur fagen, nachdem er unmittelbar vorher feinen 


Juͤngern die Verheißung gegeben hatte von dem tröftenben Geiſt, 
ben der Water fenden würde an feine Stelle, unb bes. fie an alles 
erinnern würde, was er ihmen gefagt hatte. Dieſe Erinnerung num 
m. 9. Fr. bat er nicht nur ihnen, fondern auch und zuruͤkkgelaffen, 
und fie ift ber erfle Anfang, fie ift ber innerſte heiligfle Grund am 
fored Friedens. Sie ruht nicht in dem Buchſtaben, ber un. ein» 
ſeine Züge feines Lebens erzählt, nicht in Dem Buchflaben; der: uns 
einzelne feiner Reven aufbewahrt: fie ruht in ber Kraft des Geiſtes 
ohne welchen bee Buchſtabe tobt: ware, welcher aber immer hätte 
auch ohne den Buchftaben dad Wort hervorgerufen, welche das 


Bild des Erloſſers durch alle Zeiten getragen bat. . In biefer Erin 


Rerung:ift und Der Kriebe gegeben: je mehr fein’ Biſd ‚unfere. Seele 
erfüllt, deſto mehr nähern wir und: feinem Frieben, je mehr fein 
Leben unfer Leben burchbringt, deſto mehr fühten wir ud hingezo⸗ 
gen in dieſelbe Einigkeit. mit Gott und in dieſelbe Ruhe bed Ges 


müths über das, was der Here über uns verhängt hat, und wond 


er unter —— ausführt. 


Aber freilich Die Suͤnde haben wir nicht nur als dad Mitge 
fuͤhl mit dem Zuſtand unſerer Brüder, fonbern fie ift und bleibt 


unfer ‚eigenes Beroußtfein. Seine Seele war immer eben und ru⸗ 
big, in ımferer giebt e8 immer Stürme zu Aberwinden; je mehr 


Chriſtus in der Seele fchläft, deſto heftiger wüthen fie, deſto ge 


waltiger toben die Wellen der Beibenfchaften, und wad ed ſonſt 
aufgeregtes und widerfivebendes giebt, daß wir oft verzagen möge 








| 


ten; wenn wir ihn aber erwelten, dann beſchwichtigt ex den Sturm, 


5.2, %. 


5 

vorn Tai es and: Peurkthige,: daß wir glauben konnten, wir 
würben untergehen, da er doch bei und war, ‚und in bemfelben 

Schiffe wie wir getragen wurde. Und in ber Ueberwindung biefer 
Stürme fühlen wir dann um ſo flärfer die Kraft des göttlichen Les 
bend, welches er und mittheilt. Freilich würde das fo fein, möchte 
wol einer fagen, wenn ber Sturm nur entflände um Durch den ers 
wachten Eriöfer geftillt zu werben, wenn wir nur kaͤmpfen müßten 
um immer zu fiegen! — Aber mwer.vermag bad von ſich zu ruͤh⸗ 
men, wer unterliegt nicht oft in dem Kampfe des Geiſtes wider 
das Fleiſch? Und. doch m. g. Zr. laſſet uns feſt überzeugt fein, 
wenn wir nur niemal3 dahin kommen zu meinen, wir müßten ober 
duͤrſten wenigftend fündigen, damit bie Gnade beflo mächtiger fich 
zeigen koͤnne; fondern nie aufhören bie Sünde zu verbammen: fa 
kommt und aud jebem Kampf, auch wenn wir unterlegen haben, 
eine neue Kraft der Selbſterkenntniß und der Vorſicht; und in die⸗ 
ſem Beronßtfein fönnen wir auch ben Frieden des Erloͤſers gleich 
wieder fühlen in unſerm Herzen, wenn die Seele zu ihm zuruͤkk⸗ 
kehrt. Wir kaͤmpfen auf den Wellen, aber er reicht und bie Hand, 
dag wir nicht untergeben; der, welcher fich aufrichtet von bem Kal, 
wirb von ihm gehalten mit berfelben Liebe, welche auch, wenn einer 
dunbert Schaafe hat und nur eins davon fich verirrt, ihn treibt - 
die neun und neunzig in der Wüfte zu. laflen und dem verlornen 
aachzugehen, bis daß er e3 findet. Und indem er fo ben. verlore 
nen nachgeht, wir aber den. Zug feiner Liebe. auch nachdem wir 
gefallen im Herzen ‚fühlen: fo kehrt auch fein. Friede in unfer Herz 
zuruͤkk. Aber indem feine ewig queliende Liebe den Thron aufs 
ſchlaͤgt in unferem Herzen; inbem er, fo wie er eins war mit ſei⸗ 
nem Bater, fommt um mit bemfelben Water Wohnung zu machen 
in umferm Herzen; inden wir in allen. mad wir thun fprechen 
koͤnnen, Die Liebe Ehriſti dringet und alfo: fommen wir auch dazu, 
daß die Sünde, gegen welche wir kämpfen wit ber ganzen Rüftung 
des Geiſtes, und auch nur wird zu dem Mitgefühl eined und fremb 
gervorbenen. Denn ala feine Streiter fühlen wir und ganz gerich⸗ 
tet gegen bie Stunde, auch gegen bie, welche in uns felbft. iſt; und 
werus ed bie Kraft feiner Liebe iſt, die in uns wirkt, fo iſt es auch 
ganz fein Leben, welches wir führen, und wir finden und in biefem 
nur gegen die Sünde gerichtet als foldhe, die feinen Theil zu ha: 
ben begehren an ihr. Wie follten wir, indem wir fo auf ihn ſehen 
und ihn immer aufs neue in unferm Herzen erwekken, auf: daß er 
in und lebe, wicht auch dad Bild feined Friebend fihauen und Dies 
fen in unfer Her, aufnehmen? wenn wir doch immer reicher werben 
an der Erfahrung, welche er und verheißen hat, daß wir fie ma⸗ 


qaen ſollen, Daß naͤnuich, indem 


8 
wir ſeine Lehre Yan, inbem wie 
ſachen in feiner Kraft zu handeln, wir auch inne werben, daß biefe 
Kraft vun Gott iſt, und immer mehe burch biefelbe in bie Gemein- 
ſchaft mit Sott hineingesogen werben. 

Sehet da im. th. Ir., das iR der Friede, ben der Eriöfer uns 
giebt! ein Friede, bee yanz und ungetheilt‘ ihm angehört, denn 
er iſt die einige Quelle deſſelben; aber auch ein Friebe, der, wie 
Chriſtus überhaupt dazu gekommen war, daß er bie Wet über: 
winbe, gewiß immer mehr alled überwindet, was in amd noch ber 
Welt angehört; ein Friebe, ber und eben wegen dieſer Frderung, 
und teil benen bie Gott lieben alled zum guten mitwirkt, in bem 
ganzen Zuſammenhang ber göftlichen Fuͤhrungen nichts anderes zeigt 
als die allmächtige Liebe des Waters im Hinnmel, wie ber are 
ſelbſt nichts anderes ſah als biefe. 


IL Je mehr nun m. g. Mr. viefer Beide, weiten ber Eeib 


ſer und mittheilt, zugleich auch ber Welllommmenkeit mach ſich dem, 


welchen er felbft empfand, um beflo mehr nähern muß, je meht wit 
in dem Leben mit ihm frei gemacht werben von allem ſtoͤrenden und 
verwirrenden:-um deſto mehr werben wir ſchon von ſeibſt und bu 
zu erhoben fühlen zu fagen, ja ed giebt Bein größeres Sut für bie 
menfchliche Seele, und Bein befriebigenberer Zuflanb des Menſchen 
läßt ſich denken, als wenn we Tagen kann, baf ber Herr ihm feinen 
Frieden giebt und läßt. Aber das iſt das eigenthürmliche unſeres 
menfchlichen Dafeine, wie wir in Raum und Zeit hineingeftellt find, 
und e8 immer mit bem Gegenfaz von groß uns Bein in allen Be 
ziehungen unſeres Lebens zu than haben, daß wenn wir uns über 
zeugen wollen, ber Friede fei in ber That bie volle Gabe des um 
erſchoͤpflichen göttlichen Reichthums, fo muͤſſen wir den Zuflanb, ben 
er hervorbringt, vergleichen mit anderem. Aber womit ſollen wir 
ihn vergleichen? Nicht mit bem ſchwankenden Zuſtand, einer Seele, 
die zwar fchon ein Verhaͤltniß mit Chriſto angelnüpft hat, aber es 
wicht feſthaͤlt. Eben fo wenig mit bem, was wir in ber chriſtlichen 
Welt, in welcher wir leben, erfennen al& Zuſtaͤnde, bie nicht von 
Chriſto herrühren. Beides m. g. Fr. würbe ber Aufgabe nicht ge: 
mügen. Wollen wir eine Wergleichung anfltellen um und zu über. 
zeugen, daß der Friebe, zu welchem bie einzelne Seele durch Chri⸗ 
ſtum gelangt, das vollfommenfte if, was ſich denken laͤßt: fo ındf 
fen wir dad, was durch den Erloͤfer geworden iſt, vergleichen mit 
dem, was da fein Bönnte, wenn er nicht wäre. Freilich iſt es im: 
mer mißlich das Auge auf dad zw richten, was nicht iſt; aber biefe 
Betrachtung hängt fo genau zufammen mit ber vechten vollen und 


7 


inigen Gbenatniß Der glthen Baikhluls- vn, pr Selhen 
in Cheiſte, daß wir uns derſelben nicht entziehen Ein 

Bellen wir nun dieſes mit einander —* m. $ Fr., ſo 
when wir nur zuvoͤrderſt bad ſeſthalten, daß wir es immer nur 
mit dem Menſchen zu thun haben, und daß wir dieſen nicht denken 
Eiunen, wenn auch vielleicht ohne bie Wirklichkeit der Sünde, doch 
sicht olme die Möglichkeit berfelben. Bei biefan Gedanken fällt 
unfer Auge von felbft auf dad und vielfältig Dargebotene aber frei- 
lich ſchwer oder gar nicht zu vollendenbe Bild der erften unferes 
Geſchlechtes, in deren Lehen und ein Zeitraum vorgehalten wirb, 
im welchem die Sünbe freilich möglich in ihnen war, aber fie war 
noch nicht hervorgetreten. Zugleich richtet ſich unfer Auge auf jene 
gläffielige Gefalt des menſchlichen Dafeins, ald noch kein Mangel 
und Leine Noth die fündliche Begier in dem Menſchen hervorlokkte, 
und ein leichtes Leben auch eine Leichte Entwikklung feiner Kraͤfte 
begünfligte; und wis fragen, .ob in dem zu beharren nicht befier ge: 
weien wöre. Allein laſſet and m. g. die Sache im großen be: 
machten. Denkt euch das ganze Geſchlecht der Menſchen in einem 
ahalichan Zuſtand, und bie Erde fo .weit fie bewohnbar ift als ei- 
nen eben folden Schauplaz eines fchuldlofen Lebens, wie wir und 
jenen Garten Gottes am Anfang des menfhlichen Gefchlechtd aus: 
zumalen pflegen; vergleicht Died mit der Geflaltung, zu welcher un: 
fer irdiſches Leben ſich entwikkelt hat, ſeitdem die Suͤnde entſtanden 
iſt, wie von den uͤbrig gebliebenen Truͤmmern jedes vergangenen 
Daſeins bis auf den heutigen Tag alles Zeugniß giebt von Verei⸗ 
nigung manſchlicher Kräfte und von Kampf menſchlicher Kräfte; 
wie uͤberall die Spuren menfchlider Kunft und Wiffenfchaft zu 
ſchauen find, wir aber auch überall fehen, das alled koͤnne nicht gewors 
ben fein ohne ben Meiz, welchen bie Luſt, ohne ben Kampf, welchen 
Die Sünde in dem Menſchen hervorbringt. Wenn wir dieſe beiden 
Geſftalten ded Lebens mit einander vergleichen: werden fie und wol 
anders beduͤnken, ald die eine wie dad Hare einfache Antliz eines 
ſchuldloſen Kindes, auf welchen freilich noch Feine trüben Erinnes 
rungen laſten, aber in welchem auch keine beflimmten Züge gefchrie: 
ben find; und bie andere wie dad von mancherlei Sorgen durch: 
furchte Seficht eines Mannes, ber die Welt erfahren und bekämpft 
bat in ſich amd außer ſich? Welches iſt das größere? welches ift dad 
veichere? wo zeigt Sich die größere Fülle der Kraft? wo eben des: 
halb auch bie größere Verherrlichung Gottes? Ihr werdet nicht zwei⸗ 
fein koͤnnen, wie ihr enticheiden folt! Aber meine Meinung ifl 
nicht auch jezt wieber auf die großen Werhältniffe der Menfchen zu: 
ruffgugehen, vielmeht laſſet uns nur nach dem einzelnen fragen, 





welcher ber einen und welcher der- anderen biefes beiden Ehtwilffieem« 

em angehört, welchem von beiben wit wol ben Borzug geben. 
—5 zwar wollen wir uns ben Menſchen, che die Sünde hervor⸗ 
- tritt, nicht in einem müßigen Leben denken; nein! er mag wißbe⸗ 
gierig fein thatenluſtig, er mag den großen: Ruf, daß er bie Weit 
beherrſchen ſoll, vernehmen: aber reizlos wird das Leben fuͤr ihm 
- fein und kampflos; denn überall wo Kampf iſt iſt and, ſchon bie 
Sünde. Die Stärke, welche nur aus dem beflandenen Kampf. her» 
vorgeht, würbe daher dem Menfchen fremd fein, fo wie auch das 
Bewußtfein feiner Kräfte, weiche er nur het, wenn er in dem 
Kampf in ber Verfuhung bis an die Gränze gefommen ift, tyım 
fehlen wuͤrde. Iſt einmal die Sünbe in unferer Natur angelegt: 
fo hängt fie auch mit allem anderen fo genau zufammen, bag un« 
fer Bewußtfein nicht cher vollfommen fein kann, als bis auch fie 
wirklich zur Erſcheinung gekommen iſt. 

Aber ein zweite! Wir wollen und denken, ja, -fie ki wirt» 
lich geworden die Suͤnde, der Menſch habe ſich gefunden und finde 
fi) immer in dem Kampf des Geiſtes gegen bas Fleiſch; aber er 
follte diefen Kampf beftehen aus feinen eigenen Kräften, unb ein 
Erlöfer wie ber unfrige ift wäre ihm nicht. erfchienen. Vergleichen 
wir auch biefen Zuſtand mit unferm gegenmwärtigen, fo werben wir 
wol gefiehen mäffen, fol die einzelne menſchliche Seele nur betrach⸗ 
tet werben nach bem, als was fie Außerfich daß ich fo fage m 
fcheint, fo wirb der Unterfchieb nicht groß fein. Wir leben mı. a. 
Fr. unfer ganzes gegenwaͤrtiges Leben gleichfem mit ans dem 
Schaz und auf Rechnung folcher Voͤlker vor und, die von den Er⸗ 
loͤſer nichts wußten, weil er noch nicht da war,- bie ‚mithin biefen 
Kampf bed Geiftes gegen das Fleiſch allerdings aus eigenen Kraͤf⸗ 
ten beftanden. Der Apoftel Paulus giebt ihnen ſelbſt dad Zeugniß, 
fo wenig hätte bie urjprünglihe Offenbarung Gotted aus ihrem 
Herzen vertilgt werben koͤnnen, baß fie, be ihnen nicht wie ben 
Juden ein Gefez gegeben war, ſich felbft wären zum Geſez gewors 
den. Dieſes Gefez war in jebem, und jeder empfand ben Ruf 
und die Macht ded Gewiſſens in Beziehung auf das, mad er ats 
recht und gut dem böfen entgegenfejte. Und wie würden wir noch 
immer fo häufig bei den Werken jener laͤngſt untergegangenen Voͤl⸗ 
ker in ihren auögeflorbenen Sprachen verweilen, wenn wir nicht da⸗ 

rin fänden hohe Vorbilder von aller menfchlichen Tugend! Da giebt 
ed Peine Aufopferung, feine Manneökraft, keine Hingebimg des ein- 
zelnen für dad gemeinfame Wohl, bie nicht auch zum Vorſchein ge 
kommen wäre; von ba find und die Namen ber Tugenden berge: 
kommen, mit welchen wie noch alles gute und edle in menfchli: 








Spahlatgen benennen. Aber wollen wir ihrem Buflande bed 
den Borzug geben! Zweierlei iſt ed, was ihnen "gefehlt ' hat, 
was jebem Menſchen immer winbe gefehlt haben, ſo lange wir 
biefem Kampf anf. und. ſelbſt wären geſtellt geblieben. Das eine 
5* iſt eben jene ewig quellende Liebe des Etloͤſers, welche 
anze menſchliche Geſchlecht umfaßt, jene Richtung auf alle feine 
Biber auf Erden, jene hoͤchſte Befriedigung, die im aus bey 
Ucbegengung erwuchs, baß er, obgleich feine Thaͤtigkeit nach Gottes 
Willen und Rathſchluß in einen engen Raum gebannt war, doch 
wenn auch erft nadı feinem Hingang bie ganze Menſchheit bes 
wegen würbe. Diefe Liebe zuerft hatte Fein Auge: gefehen, und Sein 
Ohr gehört, fie war in keines Menſchen Her gekommen und wäre 
es auch nicht, wenn nicht das Wort Fleiſch geworben wäre. "Cs 
zuhte auf der Erbe sine Finſterniß, welche bie Boͤlker ſchied, daß 
jebed nur füch ſelbſt ſah und: liebte: ‚Won oben mußte ein Licht 
kommen, das fie für einander erleuchtete; fie mußten biefeibe ‚Gert 
Iihleit des eingebomen Sohned vom Water und in ihm benfelben 
einen Water ſchauen, um ſich auch unter einander zu erkennen und 
zu lieben. Die. Richtung auf Dad eine Reich Gottes, welches alle 
Menſchen umfafien fol — und was ‚wäre benn alles andere gegen 
dieſes? — konnte und nur durch ihn gegeben werben. Aber noch 
mehr! wir wollen benfen, bad: fih immer weiter verbreitende. Bew 
kehr der Menichen, die wachfende Gemeinſchaft der Voͤlker, "bie "Img 
ganzen menfchlichen Geflecht inmer mehr hervorgehende Reife. deb 
Geifled würbe. mit der Zeit bie Feindichaft ‚unter. den Menfchen de . 
bampft, die Seibfifucht, weiche. jener allgememen Liebe hinderlih _ 
war, unterbrüfft haben, unb baß'eben daraus eine jener wenigſtenß 
ähnliche Liebe gegen alle Menſchen hätte hervorgehen koͤnnen, und 
mit ihr fogar dad Werlangen nach einer allumfaſſenden geiftigen 
Verbindung: wie ganz anders würde dieſes fich doch geſtaltet ha⸗ 
ben? doch immer nur ſo, daß wir uns ſelbſt ein Geſez geworden 
waͤren, wenn auch ein beſſeres als alle fruͤheren. Aber zweitens, 
das reine Bild des Menſchen, der ohne die Suͤnde auf Erden wan⸗ 
delte, das Bild einer ſtets mit Gott einigen Seele, wo haͤtten wir 
es her? Die Spize unſeres Bewußtſeins fehlte uns, wenn Er nicht 
geweſen wäre! Was Tann und mehr erheben als dieſes, daß das 
ort Fleifch geworben und unter und wohnete; daß ber, welcher 
mit Gott fo eind war, und bad Necht gab und feine Brüder zu 
nennen, Kinder Gotted zu werden: Mein, ohne biefe Fülle von 
Lebenskraft und Freude, die und dad Dafein bed Eriſſere giebt, 
möchte ich nicht leben. 


+ 


Hr 


8 Air fen ſein getkunnes Seit aine Fabel unter den Werts 
fen, unb- auch In dieſen Tagen wird fie haͤufig gehoͤrt; dee Un⸗ 
glaube hat fie erſonnen, und der Sieimglaube nimmt fie auf. So 
lautet fie, «ed werde eine Zeit kemmen, und fie ſei vielleicht ſchon 
da, wo auch über biefen Jeſus von Nazareth ergehen were, was 
seht. iſt. Jedes menſchliche Gedaͤchtniß fei nur fruchtbar. für eine 
gewiſſe Zeitz viel habe das menſchliche Geſchlecht ihm zu nerbem- 
Sen, großes habe Gott durch ihn ausgerichtet, aber er fei bech nur 
‚anfer einer gewefen, unb feine Stunde vergefieh zu werben muͤſſe 
auch ſchlagen. Sei es fein Ernſt geweien, daß er die Welt wolle 
gas; frei machen: fo muͤſſe es auch fein Mille gewefen fein fie Trei 
gu machen von fich, Damit Gett fei alles in allen. Dann wir: 
den die Menſchen nicht nur erlernen, daß fie Kraft genug ben goͤtt⸗ 
dichen Willen zu evfüllen im fich ſelbſt Haben; ſendern auch in ber 
wichtigen. Erkenntniß deſſelben würben fie über fein Maaß hinauſsge⸗ 
ben koͤnnen, wenn fie nur wollen. Za erſt wenn der chrifiläche 
Name werde vergefien fein, dann werde ein allgemeines Reich bex 
Liche und Wahrheit entfichen, in welchem Fein Keim der Feindſchaft 

mehr liege, wie er nudgefäet fei von Anfang an zwiſchen benen, ie 
on biefen Jeſum glauben, amd den Übrigen Rindern ber Menſchen. 
Aber ie mid mid wahr werten, diefe abe; fit ben Sage (eb 
ed Fleiſches ift ed uusloͤſchlich dem Geſchlacht der Menſchen ein» 
. geprägt dab Bild dei Erluͤſers! koͤnnte auch der Buchſtabe unterge 
hen, der nur heilig iſt, weil er und dieſes Bild bewahrt, das Bild 
ſelbſt wird ewig bleiben, za tief iſt es den Menſchen eingegraben, 
als daß es jemals verloͤſchen koͤnnte, und immer wird es Wahrheit 
ſein, was der Juͤnger ſagt, Hert! wo ſollen wir hingehen? dm 
allein haft Vorte des ewigen Leben! Ja, 
Wenn alle untven werden, | 
Gehalte aid) bie tren, 
Daß Dankbarkeit auf Erben 
Richt ausgeſtorben ſei. 
Einſt ſchaucn alle wieder 
Voll Glaubens himmelwaͤrts 
Und finken Rebend nieber 
und fallen bir aus Herz. Amen, 


Lied 8, 7.8. 


. L. 
Am A. Sonntage nad) Trinitatis 1831. 





 Bieb 846. 824. 
Tert. Matth. 6, 34. 
E& iſt genug, daß ein jeglicher Tag feine eigene Plage habe. 


Mm a. Fr. Dleſer Rath de6 Erloͤſers bildet einen ſonderbaren 
Gegenſaz zu ber Stimmmg ber Gemuͤther, welche wir izt fo Bänfig 
unkr uns anfitffn Gin Schwilkiid von Krankheit if ſchon feit 
longer Zeit aus weiter Ferne uns immer näher geruͤkkt; feit lange 
ſchon harten viele in einer aͤngſtlichen Spannung, ob ed und erreis 
dyen woetbe ober wicht, ob ſich bie frembe Plage aus anderen. Er 
Prien DIS in unfere Gegend wagen werde und auch hierher Zob 
und Verderben bringen, ober ob eine gütige Bewahrung Getteß 
mittelft menſchlichet Weisheit und Treue fie werbe abzulenken wiſ⸗ 
fen; und je näher das Uebel geruͤkkt iſt, deſto mehr hat dieſe Span: 
rung Aberhand genommen, defto mehr haben wir uns ſchon geplagt 
und gequält um das, mas noch nicht if. Mancherlei Zeichen von 
Zerruͤttung der Bälle in ſich und unter einander bewegen uns, wie 
wir in den allgemeinin Strom menfhlicher Dinge hineingeſenkt 
ſind, ſchon feit Langer Zeitz 0b Feſtigkeit des Entfchluffes den Frie⸗ 
den zu erhalten, ob die Scheu, welche innige Zuſammenſtimmung 
eines Volles andern zu gebieten vflegt uns werde zu ſichern im 
Stande fein, ober ob doch wieder eine Zeit kommen werde, wo bie 
Boͤlker gegen einander aufftehen, und bie allgemeine Noth des Axie⸗ 
ges und ber Zwietracht bie feindlichen Geſchaͤfte und ben ſchoͤnen 
Senuß des Lebens wmterbricht: feit wie Tange quälen und ſchon 
diefe Gedanken, wie erwägen wir bei ſedem Ereigniß aufs neue die 





Bahnen Tr UNE WBeE, «Ute Anufiiich find die Gemuͤther 
bewegt, unb wie viele verlieren Beſiz umb Genuß ber Gegenwart 
durch Beſorgniß über die Zukunft! In diefe Stimmung tönt nun 
ber Ausſpruch des Erloͤſers, Es ift genug, daß ein jeglicher Tag 
feine eigene Plage habe, und erinnert uns, dag wir an bem heu⸗ 
tigen Zage und nicht beläftigen follen mit der Sorge für den mor⸗ 
genden, und noch viel weniger mit ber für eine ferne Zeit. So 
laffet und denn m. g. Fr., je mehr grabe ist es uns noth thut, 
um fo dringender den Rath des Erlöferd und an dad Herz legen, 
bag wir und nicht follen mit der Plage künftiger Zei- 
ten voreilig betäfligen. Laſſet und zuerft vor allem fuchen 
die Meinung des Exiöfers hierin richtig zu verfichen, dann wirb 
und aud gewiß bie ganze Wortrefflichkeit dieſes Rathes ind Ange 
leuchten. En 


L Wenn der Erlöfer ne a. Fr. von Plage vebet, fo rebet er 
von etwas, was ihm felbfk fem wer, und laͤßt fich herab zu dem 
Zuſtand der Menfchen, welche ihn umgaben. Er redet nicht aus 


feinem eigenen Gefühl, fondern aus dem innigen Mitgefühl, wel: 


ches freilich, fo wie es ihn bewegte, mit zu ber göttlichen Kraft fei- 
ae Lebens gehörte; aber er laͤße fich ‚herab zu ber Schwachheit ber 
Menſchen, doch nicht zu der Suͤnde ber Menfhen Wir nennen 
leider oft manches in ber Zrägheit und Verkehrtheit unferes Her 
zens Plage, was ber Griöfer nit fo nennt. Wenn uns die An 
beit, welche Gott und auferlegt bat als unfer Tagewerk in der 
menſchlichen Geſellſchaft, biömweilen ſchwer wird; wenn fie unſeret 
Kiäfte ungewoͤhnlich anſtrengt; wenn fie fich nicht finden wii zu 
dem gewimſchten gluͤkklichen Ziel: wie laͤſtem wir dann baßiewige, 
was doc ein weientlicher Thell unferer Beflimmmung iſt, was die 
eigentliche Kraft umb den Genuß unfered Lebens ausmachen fol, 
und nennen ed unfere Plage! Wenn das der Erlöfer gemeint hätte, 
fo hätte ex freilich nicht Tagen können, es fei genug, daß ein jegli- 
der Tag feine eigene Plage habe; denn bie Thaͤtigkeit unſers We: 
rufs koͤnnen wir nicht nach einzelnen Tagewerken fonbem und meſ⸗ 
fen. Wiel zu bunt if in dieſem allgemeinen Zufammenhang menſch 
licher Dinge das Leben ber meiften zufammengefezst umb verwiklkelt; 
viel zu lang zieht ſich jede einzelne Aufgabe immer wieder durch 
andere unterbrochen bis zu ihrer Auftöfung bin, als daß wir fo 
unſere Pflichten und unfern Beruf vereinzeln könnten. Das Wert 
unſeres Lebens foll und fo viel ald möglich ſtets ganz vor Augen 
ſchweben; nicht mit dem Augenblikk als ſolchem, nicht mit dieſem 
ober jenem Theit bed Sehens follen mir e& zu thun haben, fondern 





immer mit bein ganzen, wie ber Mehbfen: immer. enfkült- mar- neB 
dern gemzen Werke, weiches fein Mater ihm aufgetragen hatte. Zu 
diefer Ihätigkeit in unferm Beruf und Geſchaͤft gehört denn auch 
die richtige Vertheilung unferer eigenen Kräfte unb Gühfmittel, da⸗ 
mit wir in jebem Augenblikk ine Stande fein mögen un bem Werk 
unſeres Berufed auf .erfprießliche Weiſe zu arbeiten. Uber -Diefe 
Weisheit und Richtigkeit ber Vertheilung, weiche auf .bie verſchie⸗ 
denen Zeitabfchmitte hinſieht: wer vermöchte ſie eine Pinge zu nen⸗ 
nen, . wenn er nicht ‘auch wieber feinen Beruf und feine Thaͤtigkeit 
in demfelben als Plage anfehen will. 

' Bent wir und ferner befien erinnem, was wie eben vorher 
vernommen haben *) in ben Worten bed Apofleld von der Sehn⸗ 
fücht, die er beichreibt als auf den vollen Genuß der Kindſchaft 
Gottes. gerichtet, eine Sehnfucht nach. ber vollkommenen Offenba⸗ 
rung bed göttlichen Reiches, nad) der immer weiten Entwikklung 
keines gnädigen Nathſchluſſes, wie innig biefe zufammenhängt mit 
dem großen Werk der Erboͤſung, zu wie vielem guten unbewußt 
und werborgen ein ſolches. Merlangen treibt: o wer möchte biefe 
Sehnfacht, wenn fie auch oft fich nicht aͤußern kann ohne: ſchuerz⸗ 
liche Baute bes Rage, über Die Unwollkommenheit der Gegenwart, 
wer wollte fie eine Plage nennen! vielmehr iſt fie es, aus welcher 
Heiifonme gottgefäligfe Shätigfeit. von. einem. Snge 
zu dem:anbern inmer mehr. ſich entwilldt.: . : . 

‚Mio. and; bdiefe& if: es nicht, was ber. Erloͤſer im Sinne * 
heit haben kann; vielmehr. konnte er nur bed mit Recht Plage 
sennen, was unfere Thaͤtigkeit heunct, Zuſtaͤnde die wider unſem 
Willen auf und eindringen, alles wes unſere Lebenälmft abzieht ya 
unſerm Geſchaͤft, uns in einer Zuſtand ber Umthätigkeit, ur des 
Leidens verfezt,. und anf reiche Weiſe es ach. immer —— 
frohe und freudige Wirkſamleit unterbricht: Aber die Plage des 
einzelnen Tages m. a. Fr., die wirklich gegenwaͤrtige, fo verſten· 
den, mad wird fie und anders als unvermeiblich, indem wein uns 
kur noch um deſto tiefer in das Meer der göttlichen Liebe verſcn⸗ 
ken, indem wir. unſer Vertrauen auf dieſe Liebe, welche der einig 
wehre Grund berfeiben if, noch feſter erbauen, eine Aufforderung 
kraͤfſigen Widerſtand zu leiſten gegen bie menſchliche Schwachheit? 
und indem Die Page des einzeinen Tages, bie wirklich vorhanden 
ft, eine feiche Aufforderung für und wirb, fo hört fie auf eine 
Page zu fein; denn alles druͤkkende verfchwinbet wieder in dem 
Venuftfein, wie bie Gnade Gottes fich mächtig erweiſt in de 
image 

) In der Bomtagbepifiii Kim. 8, 18 2: . 








und 

Doc; kiemte jemand fagen, wenn wir alſo ber 
ſtehen ſollen un ber Khätigfeit umd um bed Beuth win 
wir innen doch uufese Thangteit und un ' 


5 

af 

F 

Het 
I ? 
it 


fa unfenm Beruf au das mi fi Bringen, Daß mie 

fo weit als möglich. hinaus Öffnen, um zu erkennen, 
Tpäter ein Hinderniß werden kann in unſerer freien und fro 
Kgkeit! Das aber m. th. Ir., das iſt bie ſchoͤne Frucht 
hohe unb wirbige Brei eines felchen Lebens, wie es fich feit 
sit Ken unter de ——— 
daß biefer Einwurf, fo wie man ihm genamer betrachtet, 
Michts verſchwindet. Alled dadjenige, was zu irgent einer 
ten Kunft bes Berechnung menfchlicher und - natürlicher Die 
hört, bad if auch unter und überall ie Sache eines beſonderen 
Berufs. Denjenigen, welchen aufgegeben ift in groͤßeren oder Hei» 
neren Kreiſen dab. germeinfame Leben ber Menſchen zu leiten oder 
zu ſchaͤzen, gebührt es allerdings hinauszuſehen in bie Zulunft: aber 
dab iſt bei ihnen micht etwas, wad aus der Serge ober Fuccht ent 
fasänge, nicht etwaß, maß zu ihren Plagen gehoͤrte; vielmehr iſt ab 
ein Theil ihrer Thaͤtigkeit unb ihres Berufs. Und fo dann uud fol 
fh in einem wie das unfrige eingerichteten Beben alles in gottge⸗ 
füllige Thoͤtigkeit verwandeln; fo daß außer biefer und amper dem 
Kampf für fie, ber aber audp wicher ihr augchart, ger michto iR, 
was unfer Gemuͤth bewegen Tüunte. 

Darum m. th. Be, weil e8 fo 4b, md weil eb keine Berge 
giebt und Fein ſich Kümmem um das ferne und künftige, autge⸗ 
nommen in ſofern einer einen befinnten Beruf $ai far Ahlen 
fit für das ganze hierauf zu richten, wihin and bie Plage, Yon 
fie nun kommt und auch mb nicht verſchont, in jedem, der 
Werk Gottes chut, ſich auch ſogleich in eine Aufforderung zu —* 
gettgefaͤlligen Thaͤtigkeit verwandelt: beshalb ſollen wir ar nicht 
— ſa ein Behot bed Eriäkerd, ‚wenn ex fagt, Es iR ge 


E 7 Hr 
ahaktzkt 


en Hann, vorber ſchon —— made hu. eiet 
gottgefälligen Thaͤtigkeit in feinem Beruf; und wei ex mun sben 
ad ift, der in und leben fell, nicht wir ſelbſt voeber in unferer Suͤnde 
noch in unferer natürlichen Schwachheit: fo iſt ed nur eine Herab -· 
laffung zu diefer Schwachheit, wenn es vom einer Page redet. Frei 





(dien wis fein von Des Plage. durch ihm, wie. er.ed wart das iſt 
eigentlich ſein Gebot: im dieſer Sache. Wie ihm, fo ſoll durch feine 
Kraft andy uns alle, wus und vermoͤge bev.nutürlichen Verhaͤlth 
niſſe des Lebens teifft, eher noch Aufforderung, zus Thaͤtigkeit wer 
ven, als eb und Plage daͤuchten Eonnte. 
Und wie eben biefed auch won ‚einer foldyen. gukunft gilt, wir 

die, auf welche wir ſchon ſo lange mit Bangigkeit hinſehen, und 
bie und eben dadurch noch in ſolcher Ferne und Ungewißheit doch 
ſchon zur Plage geworhben iſtz wie auch von dieſer baffeibe gilt: 
wer von mund hätte dad zum Theil nicht auch ſchon erſahren, ber 
die Feten, weiche noch nicht lange Hinter umd liegen, mit exieht 
bat? Was für eine Erwellung ber Seren und (Semüther, wos 
für tin treues gegenfeitiged . Unfüfien brachten damals bie gefürchtets 
ſten Plagen herdor! mie freuten wir und des gemeinfamen verbon 
genen geifligen Lebens, als das äußere fafl. vernichtet war und als 
tem feinen Heiz verloren hattel wie glühte in: amd. sin hexrlicher 
Sim der Liabe der Hoffnung und. bed. Elaubens, aid alle menſch⸗ 
tiche Veheſqautichleit ‚Für bie. Biieberherftellung eines beſſeren Dar 
ſeins fait jedem auch minder Turzfichligen Ange verſchwunden war. 
Yo, wenn es kammen ſollte, daß nene Plagen uns treffen; wenn 


als Gott ihm barbet: in der einen: Kand: den Krieg und in. ber ae 
bern vie Pet, und er: ſprach, daß er licher wolle in die Hand Got 
tes fallen; wenn: wir auch wicht wählen wollten, denn ber Menſch 
ſel es nicht: aber was "immer: auf wid einbrechen mag, wie freu⸗ 
Dig werden wir dann auch under mu den: Bush exbliffen, ber in 
jedem: waßuhuft: gottvertrauenden Herzen ſich erhebt! wie wird kann 
dad Inwerfte Gemuͤth friſch fein wab.iebenvig, während wir von au⸗ 
Ben wihtE anderes zu athmen wähnen als. Anſtekkung ober Tod! 
Eaſſet einem jeden. Tag feine eigene Plage, und kümmert euch aicht 
1 Und wer hatte nicht duſſelbe ſchon auch. in dem 
Werhfel des einzelnen Lebend erfahren, an jenen. "ver 

* kleineren Plagen, welche bald den bald jenen treffen! denn 
au in dieſen bewaͤhrt ſich dieſelbe Kraft des goͤttlichen Worts uud 
des Dlaubens, daß bad Bertrauen auf Gott in jeder Schikkung 
Feieden und Freude gewährt, daß bad Gemuͤth uͤberall findet, woran 
es feine geiſtige Kraft ia aufrichtender Liebe und. treuer Beharrlichkeit 
offenbaren kann, daß es keinen Schmerz giebt, unter dem wir nicht 
vermoͤchten ein Werk Gottes zu thun und alfo fein Reich zu foͤrdern. 
Darum m. g. Fr. wollen wir auf dieſe Weiſe ben Rath bed 
Erloͤſers und aueignen, daß wir wiſſen, ſollen wir eigentlich auch 





7 
in Der: Gegenwart: frei: fein don ber Piage, ſol bie, Araft: hab glat⸗ 


cyan’! Erbens jeden irdiſchen Sqhenerz überwinden und noch mehr 
jedes ſchon einbeechende Hebel: wie ſollten wir uns ſchan Denen 


laſſen und unfere Freudigkeit daͤmpfen· durch die Ungewißheit ber 


Zukunft! wie ſollten wir unſere Thaͤtigkeit laͤhmen laſſen durch die 


durch vor demjenigen, was noch nidht.da iR! 


: 3. Doch laſſet uns dem Biel unferer Beratung, num noch 


näher stteten und ben Rath. bed Erloͤſers, nachdem wis ihn fo ſei⸗ 


nem Inhalt nach verfianden haben, auch in feiner ganyen Anwen⸗ 


dung ar faffen und beffen Wichtigkeit fin ben sangen Aſammen⸗ 
hang unſeres Lebens zu ergruͤnden ſuchen. 

Das erſte, was wir hierbei in Erwaͤgung zichen muͤſſen, iſt 
dieſes: Wir wiſſen m. a. Fr., daß mir nur auf eine ungewiſſe 
Weiſe in die Zulamft fehen koͤnnen. Eins giebt ed, daß willen wir 
gemeinfam mit voller Zuverſicht, naͤmlich die Unvergättglächkeit des 
göttlichen Reiches, in weiches wir geftellt find; wind giebt «&,.daB 
weiß jeder für fich allein gewiß, ullid) "abi. Globe Bi. Mom 
nicht werlaffen wird, wenn nur er fich fehk: an dieſelbe hät: aber 
alles’ zußünftige irbifche ſchwebt und. nur in einen. Ungewiphott vor, 


vburch "weiche wir nicht. zu dringen vermoͤgen. Web gewinnen wir 
denn num, were. wir und dennoch mit der ungewiſſen Mage der 
dnftigen Tage beſchaͤftigeri? Wenn traurige Bilder uam nanscherlei 
Art ſtch· lange genug gefolgt find, und Aas Gemuͤth ſich decan e⸗ 


ſchoͤpft hat, ſo ſteigen auch wieder : hefiiengönotte und: froher aufs 
beide durchkreuzen fish: in unferer Serle und’ nehmen. ſie: ahwechſand 


anderen. Und einen ·ſchlechteren Gewinn koͤnnen wir wichirmmachen, 
wiewol unter" tauſend verſchiedenen Geſtalten fich gar Diele len» 
ſchen batan verwöhnen, ald: den, wenn ſo. was⸗ in ſich ſelbſ un 
wahr iſt und ohne Gehalt fich im unſern Gemäth feſtſezt end eine 


Macht gewinnt. Die Wahrheit macht? den Menſchen frei; jo reiner 


wir bie Wahrheit haben, deſto mehr auch Zuverficht in unfene Thun 
und Laflen. Das unwahre und geheftlofe mag :allenfalld Raum 


finden, wenn es auf ein frohes heitered Spiel anfommt, um und 
von der Laſt bed Tages zu erholen: wenn es ſich aber am bie Stelle 


in Beſiz; aber vie. einen? haben :chen fo wenig. Wahrheit als die 





der Wahrheit fezen will, werm «3 in Zufammenhang. treten will nit 


unfeen Handlungen, bas ift die Quelle mannigfaltigen Verderbens 
Jedes voreilig entworfene Bild von bevorſtehenden Zuſtaͤnden macht 
und zu einem Spiel des Zufalls. Denn bald: ſo bald anders ge 


ſtalten ſich ſolche Bilder mit gleichem Recht, und jedes Auf: und 
Abwogen des Gemuͤths zwiſchen Furcht und Hoffnung, die eine fo 





17 


unwahr als bie andere, ertöbtet die Kraft der eigenen Tätigkeit, 
und macht unfern Willen,“ ob er bier oder ba anknuͤpfen wirb, eben 
fo zu einem Spiele bed Zufalls, wie unfere Borflellungen es fchon 
find. Und ad m. g. Zr. was daraus hervorgeht, wenn wir uns 
fo von dem einfachen Gang unfered Berufs abwenden laffen, das 
bebarf wol feiner großen und ausführlichen Schilderung. Sind wir 
einmal irre gemacht durch wefenlofe Borftellungen, wie follen „wir 
dann den Forberungen- bed Gemiffens genügen? Schwanten wir 
in jedem Au genblikk zwiſchen dem, wovon wir wiſſen, daß die Ge 
genwart es fordert, und dem vielleicht entgegengeſezten, was aber 
die Ausficht auf die Zukunft, wie fie und eben vorſchwebt, zu ges 
bieten feheint: wo foll dann die Freudigkeit herfommen, bie doch 
allem unferm Thun erft Kraft und Nachdrukk giebt? wie fol uns 
überhaupt nicht alles Suͤnde fein, wobei es an fefter Ueberzeugung 
fehle? Und bie iſt es gewiß vorzüglich, weshalb der Erloͤſer fagt, 
Es iſt genug, daß ein jeglicher Tag feine eigene Plage habe, und 
uns vor folchen Vorſtellungen fo unbebingt wart und bavon ab: 
zieht, daß wir auch nicht einmal für den morgenden Tag forgen, 
auch nicht einmal der Plage bed morgenden Tages gedenken follen: 
fondern jeder foll nur das vor Augen haben, dag die Nacht kom: 
men Tann, wo feinem mehr zu wirken vergönnt ift, und daher in 
jedem Augenblikk, fo lange ed noch Tag für ihn ift, wirken und 
ſchaffen, was izt grade noth thut. 

Und wie wir durch Ueberfepreitung ber Megel des Herrn: den 
ruhigen Verlauf unferes eigenen pflichtmäßigen Handelns flören: fo 
beeinträchtigen wir barin auch andere. Denn ed wäre nod) weit 
ſchwieriger und fo aller Sorge zu entfchlagen, wenn wir nicht einem 
geordneten Leben angehörten. wo es fchüzende und wachende Ges 
walten giebt, ‚und ein geregelte Zufammenwirfen der Kräfte auf 
das gemeine Wohl gerichtet. Aber unverkennbar haben die menfch. 
lichen Dinge auch je länger je mehr eine folche Geſtalt angenom⸗ 
men, daß jede oͤffentliche ſchuͤzende Gewalt nur recht kraͤftig einwir⸗ 
ken kann, wenn fie von der allgemeinen Stimmung derer unterflügt 
wird, die bewacht und gefichert werben follen. Den Bemühungen 
derer, welchen eben die Sorge für bad Wohl der einzelnen berufs⸗ 
mäßige Thaͤtigkeit ift, welche und nur vergebliche Plage fein würde, 
gebührt nicht mur unfer Beifall und Dank; fondern fie bebürfen 
deffelben. Denn es fehlt leider nirgend an folchen, welche biefe in 
ihrer geſezmaͤßigen Wirkſamkeit zu hemmen fuchen, unb bald un: 
mittelbar aus Eigennuz, bald aus Menfchenfurdht ober Menfchenge: 
fälligfeit gern verfchulden möchten, daß dieſer ober jener, dem etwas 
anvertraut iſt von dem gemeinen Wohl, nachläffig oder untreu wäre - - 

UI, | | B 


38 


in bem, was ihm aufgelesf iſt. Diefen nun gebührt, daß fle zu⸗ 
ruͤkkgehalten werden, und das geſchieht durch daſſelbe Gericht der 
Oeffentlichkeit uͤber beide. Eine reine unverfaͤlſchte Stimme der 
Billigung und Mißbilligung muß die einen abſchrekken, die andern 
ermuntern. Die einen muͤſſen Tadel und Widerſtand ſcheuen ler⸗ 
nen; bie andern muͤſſen wiſſen, daß alle rechtſchaffenen bereit find 
mitzuwirden wo ed noth ift, damit das rechte geſchehe. Wie aber 
m, g. Ir. follen wir im Stande fein diefen wichtigen Theil unfered 
Berufs zu erfüllen, wenn wir felbft theils hin’ und her geworfen 
zwifchen entgegengefezten Vorſtellungen heute bad verwerfen, was 
wir geſtern anriethen, theild durch bie vorherrſchende Sorge unfähig 
gemacht find die Dinge in. ihren wahren Verhaͤltniſſen zu: ſehen? 
Wie unficher wird unfere Stimme fein, wie wenig geachtet das &ob 
und ber Zabel, den wir fpenben, und wie wenig werben wir vers 
langen können, daß man glaube, wit würben nur geleitet von ber 
. Liebe zu dem guten und der Treue für dad gemeinfame Wohl. 
.. Denn laft und fragen, woher kommt denn diefe Neigung fich 
im voraus quälen zu laffen von ben Plagen ber Zukunft? Wie 
menfchenfreunblich fih auch die Sorge ftellen möge, ich fürchte, fie 
it immer eine Frucht der Selbſtſucht und ber rRuͤkkſicht auf das 
eigene Wohl; immer iſt es das Kleben an den zeitlichen Dingen, 
was uns ſo übermäßig ſpannt in Beziehung auf die ungewiſſe Zu⸗ 
kunft. Und wie kann dabei ein eigenes rein ſittliches Urtheil beſte⸗ 
hen, wenn wir, ſei es auch ohne es deutlich zu wiſſen, doch zulezt 
alles, was wir ſelbſt und andere zu thun haben, nur beziehen auf 
unſer eigenes zeitliches Wohl. Darum iſt eine ſolche voreilige Be⸗ 
ſchaͤftigung mit der Noth der Zukunft immer eine Stoͤrung in der 
Erfuͤllung unſerer Pflicht, zunaͤchſt eine Vergiftung jener wichtigen 
und heiligen Berufsthätigkeit, welche wir und alle ohne Ausnahme, 
jeder freilich um ſo mehr, je mehr er fih Einfluß zutrauen kann in 
ſeinem Kreis, ungeſchmaͤlert bewahren ſollen. Aber auch in vieler 
andern Beziehung wird die gottgefaͤllige Lebensfuͤhrung geſtoͤrt. Denn 
ſind es nicht dieſe ſorgenvollen, denen im Vergleich mit dem was 
ſie quaͤlt, wogegen ſie aber noch nichts thun koͤnnen, alles unbedeu⸗ 
tend erſcheint und nicht der Mühe werth, was es im Augenblikk 
wirklich zu thun giebt? Nur das reine fchlichte Auge beflen, ber 
weber an fith felbft nody an andere denkt, fondern fih und alle an« 
bere immer nur ald heile des lebendigen ganzen, bem wir ange 
hören, nur ald Werkzeuge des göttlichen Geifles behandelt, nur die: 
feö vermag in jedem Augenblift was noth thut zu erfennen; nur 
biefer wird allem, was in ben Kreid feined Berufs fällt, auch fein 
Recht unverfürzt widerfahren laffen; nur eines folchen freier redli⸗ 





her Mund wird eine richtig leitende Eräftig anfafſende gebieterifch 
wehrende Rebe von fich geben. Daruni wenn es gleich ſcheinen 
könnte, a8 ob für ein, fo zuſammengeſeztes Beben wie das unftige 
der Bath unſers Exlöferd nicht mehe anwendbar wäre, ohne ganz 
gegen feine Abficht zugleich noch eine Richtung zu befommen gegen 
bie Dicht, als ob nämlich das fich nicht Kuͤmmern um bei. folgen: 
den Zag und doch verführen koͤnnte zu -leichtfinniger Bernuchläfft: 
gung: fo iſt dies doch ein leerer Schein; und offenbar ift der Rath 
des Erloͤſers nur gegen daB gerichtet, was und in unferm Beruf 
hinten fan, was und herabdraͤngt von ber fchönen Stufe, auf 
welcher wir ald Ichendige Glieder eines geifligen Gemeinweſens fie 
hen, und und denen gleichſtellt, bie fich mit ihrem Tichten und ' 
Zrahten nur auf das einzelne zeitliche Leben beſchraͤnken. 

Ar endlich m. tb. Fr., wenn wir nun die Sache betrachten 
aus dem Geſichtspunkt, aus welchen der Erköfer fie gewiß vorzuͤg⸗ 
lich angefehen hat, und ber alfo auch und, wenn wir auch über ben 
Werth unſeres Gemuͤthszuſtandes für dad gemeine Wohl und für 
die Sinchteit unſeres Thuns und Lafend hinmegfeben koͤnnten, das 
größte und hoͤchſe bleibt, was füch unter ıma überall auäfprechen 
ſoll: ſo fange ich, In welchem Verhaͤltniß kann wol ber zu Gott 
fihen, der gegen ben Rath des Erlöfers nicht genug hat an der 
Diage eines jeden Tages, fondern noch bie Plage ber Zukunft in 
die Gegenwart bineinzieht? Die Sorge von biefer Art, was ifk fie 
aderes ald ein Kind: der Furcht? die Furcht aber ift nicht in ber 
Biebe, ſendern die völlige Liebe treibet die Furcht ans. Wer nicht 
graug bat an ben Plagen ber Gegenwart, mer nur bängliche und 
befümmerte Blikke auf Die Zukunft wirft, wem die mögliche Noth 
ſchon das Herz beklenunt: der lebt in-der Furcht, der kann nicht in 
dem Genuß der Liebe Gottes leben, denn es gehört noch Lange nicht 
die. völlige Liebe dazu um diefe Furcht auszutreiben; der kann nicht 
m dem Vertrauen auf Gott leben, denn fonft würde er auf bie - 
tehte Att, wie Gott es geotdnet hat, feine Sorge auf ben Herrn 
fen, nämlich. zunaͤchſt vertrauend auf die gemeinfame Kraft der . 
IX, welche zu bem ‚guten verbunden ‚find, vertrauend auf die von 
a Froͤmmigkeit untesflügte Weisheit derer, welche das ganze der 
Möge eines göttlichen Anordnung leiten, aber noch mehr vertrauend 
auf den, der da weiß, was heilfam iſt für fein Reich, weiche menſch⸗ 
lihen Verhaͤltniſſe, weiches Zortbeſtehen unfered Daſeins bemfelben 
ſücderlich iſt und nothwendig oder nicht. Der aber, in welchem die 

ſchon von der Liebe voͤllig ausgetrieben waͤre, der koͤnnte 

überhaupt nichts von ber Plage wiſſen, am wenigſten aber von ber 

fernen Plage; denn er befi J ein n gegenwaͤrtiges und in keinem Au⸗ 
B2 , 


20 
genbiift fid, veraͤrberndes Gut, weiche aller Rege ben Zugang in 
fein Gerz verfchließt, welches ihn zu feiner Serge zu feinem Ge 
fühl, als ob fein Zuſtand fich zum fchlimmeren neigen könne, Eoen⸗ 
men läßt; denn er weiß fich. in einem Leben, welches ſeinen Werth 
sicht hat in der Zeit, da es ja in ber Zeit zu Ende gehen wmurß, 
fondern barin, daß wir auch hier fehen mit Gott Durch ben, weichen 
er dazu gefenbet bat, eind werben formen. Wie kann alfo ein fol: 
cher um ben Wechſel irdiſcher Dinge forgen, da es ja au im Den 
fchwierigfien einen Willen Gotted zu vollbringen giebt, mb wer 
Gott fiebt auch in allan die Liebe Gottes inne werben kann; Dem. 
das iſt eine alte Lehre, bie wir alle beflätigen müflen, bag der Water 
feine Kinder züchtigt, weil er fie lieb hat. 

Darum wollen wir ald Kinder Gottes feinem ängebowmen 
Sohne nachſtreben, der, weil er in feinem ganzen Wollen in feinem 
ganzen Wefen eind war mit feinem Bater, nit nur überall in 
Diefer Welt nichts anbered ſah als Gottes Werk und Gottes Drb: 
nung, fondern au, wenn er ein Werk Gottes gefchaut hatte, fra- 
gend hinauffchaute, damit ihm ber Water noch größere Werte zeige, 
ber es ihm auch nie verfagte, fondern ihm immer größere Werke 
zeigte bid zu dieſem lezten, daß er fterben folle für bad Beil der 
Belt. So laßt aud und nit nur in allen menſchlichen Diürgen 
ben Willen Gottes zu erkennen fireben, fondbern auch immer nach 
größeren Werken Gottes fragen, und eö fcheint nicht, daß Died Zeiten 
find, wo er und verfügen wird fie zu fehen. Und hiezu werben wir 
freilich auch das Auge in die Zukunft richten, aber nicht ein durch 
Sorge getrübted, ein von Furcht umduͤſtertes, fendern ein durch find» 
liches Vertrauen erheitestes, durch giäubtge Zuverficht verflärted. Laffet 
und getroft auch ben Prüfungen entgegengehen, welche der Herr und 
beichieven hat; denn wis wiffen, daß fich zeigen muß in ihnen die 
Kraft des Glaubens und der Liebe, daß wir alle Tugenden, weidhe 
wir biefer Gemeinfchaft der Chriften verdanfen, in den Tagen bes 
Leidens werben beweifen koͤnnen zu feiner Ehre. Ja in ſolchen Zeiten 
tritt diefe Kraft erſt recht and Licht, und es erkbeint zu Sage, was 
ber Geiſt Gottes im verborgenen in und vorbereitet hat für eine folche 
Zufunft.- Alfo laſſet und dem Glauben treu bleiben, daß denen, welche 
nach nichts trachten ald nach dem Reich Gottes und feiner Gerech- 
tigkeit, alle andere zufallen wird, nicht nach ben? Maaf eines irdi⸗ 
fchen Gutes und als ein ixdifcher Beſiz; aber. bad fällt ihmen zu 
eben in diefem Streben nad) feinem Rech, daß jede Wendung des 
Lebens, die Gott verhängt, fie in Stand fezt die Mängel ihres gei⸗ 
ſtigen Lebend zu ergänzen und alle Noth deſſelben zu flilien zum 
—ife feiner Weisheit und Wiebe. Amen. (Lich 629, 8. 9.) 














IM. . 
Am 6. Sonntage nach Trinitatis- 1831. 


Lied 46. 487, 1- 68. 
Tert. Roͤm. 12, 15. 


 Sreuet euch mit deu fröhlichen, und weinet mit den 
meinenden. 0. 


M a. Fr. Diefe Worte: des Apoſtels find von jeher unter ben 
Chrifen der Gegenſtand eines. innigen Wohlgefallens gewefen, in- 
dem fi durch dieſelbigen das menfchliche unſeres göttlichen Evan: 
geiums auf eine fo befondere Weife verkuͤndigt. ESs iſt, als fleige 
Ne ewige Wahrheit in diefen Worten herab zu allem, was auf die 
mannigfaltigſte Weiſe bie menfchliche Seele in diefem Leben bewegt. 
freilich wenn auf ber einen Seite eben deöwegen ein vorzügli- 
her Bert) auf dieſe und ähnliche Auöfprüche gelegt worben iſt, 
wel man glaubte durch Berufung auf biefelben am beften die weit 
verbreiteten Vorſtellungen von einer befonberen Rauhigkeit und 
Shrenge des Chriſtenthums in Beziehung auf dieſes irbifche Leben 
tigen zu-Bönnen: fo fcheinen fie mir boch auf eine folche Weiſe 
NG Hchtig genug verftanden zu fein. Und ebenfo, wenn man auf 
ber andern Seite fagt, diefes Mitgefühl fei zwar etwas fehr fchönes 
Und großes in dem gewöhnlichen Lauf der menfchlichen Dinge; aber - 
ven einmal fo vecht im großen in der Welt Freude und Leid durch 
mander geht; wenn fich Fir beides eine Menge von Quellen, bie 
lange Zeit veiſtopft gewefen waren, auf einmal -eröffnen; wenn bie 
Srele kaum innerhalb‘ ihrer eigenen vier Pfähle zu einer ruhigen 
Veſnnung gelangen’ kann, um bad Leben in dem, was es grade 


22 N 


fordert, ſcharf umb rein mb Auge zu feffen, bamm-fei eine foldhe For⸗ 

berung zu groß und zu druͤkkend, und bad enge nach allen Seiten. 
beſchraͤnkte mienfchliche Herz könne ſich nicht immer zur Erfüllung 
derfelben erheben: dann fcheint mir ber Sinn diefer Worte auch fo 
. nicht richtig genug gefaßt zu fein. - - 

Darum m. g. Fr., fowol wegen bed einen als des ander, 
fowo! deshalb, weil au izt "unter und ein mannigfaltiger Streit 
ſich regt über dad milde wie über das firenge in bem Worte Got: 
tes, wie und der .Erlöfer und feine Boten ed verfündiget haben, als 
auch darum, weil auch izt eine ſolche Zeit iſt, daß Freude und 
Schmerz in beſonders reichem Maaße dem menſchlichen Leben zu⸗ 
firömen: fo laffet und auf diefe Vorſchrift bes Apoſtels heute 
unfge Yafıgrffeuiteit werben, um fie in Üeem ganzen ung wollen | 
Sinn zu faffen. Laffet und zuerft erwägen, in welhem Umfang. 
und in welchen Grenzen er fie gemeint haben Tann, unb dann zwei: 
tend ihren Bufammenhang mit unferem geifligen Leben 
in dem Reiche Gottes, welches der Extöler begründet hat, betrachten. 


L Zuerſt m. g. Fr. willen wir ja mol alle fehr gut, daß 
Freude und Schmerz, wie beide dieſem irdiſchen Leben angehören, 
auch beide die Unvollkommenheit deffelben bezeugen; denn wir ten- 
nen etwas höheres ald beived. Das höchfle Weſen feibft hat weber 
on dem einen noch an dem anderen heil; es iſt über allen Wech⸗ 
fel erhaben, und Freude und Schmerz find doch nur in dem Wech⸗ 
fel eines fich feiner feibft bewußten Lebend. Je größer alfe unfere 
Sheilnahme an dem göttlichen Weſen, je inniger unfere Gemein: 
haft ift mit dem, ber ohne allen Wechſel unmer und ewig dexfelbe 
it: um deſto mehr ſollten auch wir über beides hinausgeruͤkkt fein, 
und und immer mehr nähern einem folchen flilen Frieden, einer 
ſolchen gänzlichen Ruhe ber Seele in Gott, wobei und meber Freude 
noch Schmerz in der gewohnten Stärke treffen könnte. Aber wir 
wiſſen freilih) au, daß eine folche Forderung über das irdiſche 
Maaß hinaußgeht; daß fie zwar bad Ziel if, dem wir uns zu naͤ⸗ 
bern haben, aber dem wir und eben auch nur nähern können auf 
dieſem Wege, ben der Apoflel und vorhaͤlt. Damit werben wir am | 
befien beginnen und über Freude und Schmerz zu erheben, wenn 
wir nieht an bem eigenen von beiden haften, fondern immer geöff: 
wet find für beides ringd um ums ber. Und fo ift denn zuerft au 
diefed in der Megel beö Apoſtels zu bedenken, daß, ſo wie er beides 
zuſammenfaßt, ſo auch wir nicht ſollen eines von dem andern ver 
Ben: wenn wir allein an dem Schmerz theilnehmen wollten, ! 
dein wir uns fagten, in ber Freude fei ia jeder fich felbft Genug, 











23 

aber der Echmerz im dem menſchtichen Leben Hebürfe der druͤderlichen 
Tohrelinehene; oder wenn wir auf der anderen Seite fagen wollten, 
es fi ſchͤn fein Herz ber Freude anderer zu öffnen, denn in bem 
Mitgefühl, welches wir tönen weihen, gendffen fie die Zreude dann 
fe vielfältig und in höherem Maaße, aber wenn wir eben fo auch 
moliten bern Schmerz anderer Bugang bei und verftatten, fo ver. 
vielfaͤltigten wir ja ohne Noth bie Plagen des irdiſchen Lebens. Io, 
Bonnten wir die Shehnen trokknen, koͤnnten wir dem Schmerz ein 
Ende machen, das fei natuͤrlich das erfte und unmittelbarfle Werk 
der chriſtlichen Liebe: aber wo dab nicht gefchehen könne, da fei es 
weife auch unſere Mugen dem Schmerz um uns ber zu verſchließen, 
damit wenigſtens wir ungeflört den Weg bed Lebens wandeln Tann: 
ten. Das eine wäre eben fo einfeitig als bad andere: im dem ei⸗ 
un füch der Eigennwz des menfchlichen Herzens Fund, in dem’ 
anbern* Hochmuth, welcher ſich gern das Anfehen giebt nur 
zu geben, aber jeden Schein des Empfangens von fich weift. 

Uber in der Allgemeinheit, wie er fie ausfpricht, kann doch ber 
Aochtel feine Vorſchrift nicht von allen Freuden und allen Schmer 
zen haben veriehen wollen, welche das menfchliche Herz in biefem 
Leber bewegen; benn wir haben eine fehle Regel, ein unverbrüchlis 
ches göttliche Wort, weiches und -in beiden Beziehungen in ſolchen 
Scheanken hält, aus denen wir nicht weichen bürfen ohne uns felbft 
und damit zugleich unfere richtige Thätigkeit im Meiche Gottes in 
Sefahr zu bringen. Derfeldige Apoftel, welcher fagt, Weinet mit 
den weinenden und freue euch mit den fröhlichen, hat auch geſagt, 
Stellet euch nicht dieſer Welt glei, denn das Weſen biefer Welt 
vergeht; er hat auch eine Traurigkeit dieſer Welt gekannt, von wels 
der er fügt, daß fie nur den Tod bringt, und an dieſer bürfen wir, 
fo wenig fie je in unferem eigenen Kerzen entftehen foll, eben fo 
wenig auch teilnehmen unb fie mitempfinben, wo ‚wir fie bei ut: 
ferens naͤchſten antveffen. Ex ermahnt und zu einer Freude, in ber 
wis allewege leben follen: Allewege, fagt ex, follen wir und bed 
Herm freuen; aber wenn es nun eine nichtige eine Freude bieler 
Belt giebt, welche mit der Freude an dem Heren ger nicht zufams 
merhängt, nicht fie irgendwie unterſtuͤzt, nicht fie auf dieſen ober 
jmm Gegenſtand hinlenkt, fonbern unfer Gerz in einen Widerſpruch 
gegen ſie bringt: fo dürfen wir an einer folchen Freude der Welt 
eben fo wenig theilnehmen als an jener Traurigkeit ber Welt. Das 
m, g. Br., das find freitich bie fehlen Grenzen, innerhalb beren wir 
und die Regel bed Apoftels denken muͤſſen; und wenn wir une 
wundern möchten, daß er fie hier nicht ausbräßttich mit erwaͤhnt, fo 
dürfen wir ja nicht vergeffen, daß er feinen Brief an eine Gemeine 








in allen Uimfländen und in allem, was ‘uns dieſes ixbifche Dafeiz 
bringen kann. Daß wir alfo biefen Zrieden wieder ſtoͤren und die 
Gerechtigkeit durch den Glauben in ber Beberrögemeinfchaft mit Chriſto 
dadurch wieder in Gefahr bringen bürften, daß wir und im foldhe 
Freude ober Traurigkeit mit verfiriffen, weiche mit beiden in Wi⸗ 
derfpruch fleht, umd dagegen mit dem zufammenhängt, weshalb nur 
der Zorn Gottes fich offenbaren kann: das, bann er wol gewußt 
haben, wuͤrden feine Leſer fich nicht denken bei feinen Worten. 

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feiner Regel nicht ftellen. Unfere eigenen 


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ben. Wenn der Erlöfer fagt, Es iſt genug, daß ein j 
feine eigene Piage habe, fo bat er nicht auch Dad mit darunter 
fiehen wollen, es fei genug, daß jeber Menſch fein eigenes 
und fein eigenes Leid trage an jebem Tage des irbifchen 
Bielmehr weil wir jeden Tag des irdiſchen Lebens nicht 
uns felbft fein follen, fondern im Bewußtſein unferer brüberlichen 
Liebe gegen andere, und fo viel möglich alles menfchliche Leben i 
bad unfrige aufnehmen follen: fo fol auch an jebem Ta 
unferem eigenen Schmerz ber Schmerz anderer und beivegen, n 
unferer Kreube die Freude anderer Raum haben, ja mit 
eigenen Schmerz body bie Freude anderer fich vereinigen laffen, 
mit unferer eigenen Freude bie Trauer über den Schmerz, anderer. 
Das foll zufammengehen in jebem von ber Liche Gottes bewegten 
Gemüth. Können wir dem nicht wehren, daß wir felbft oft gleich⸗ 
zeitig auf entgegengefezte Art bewegt werben, bier und Freude ent 
fpringt, von einem andern Gebiete her und Schmerz entfieht, ohne 
be boch eined das andere aufhebt, fonbern beides geht mit eiman- 

: fo fühlen wir leicht, wie bad menfchliche Herz es auch immer 
— beiderlei zugleich in fi) aufzunehmen eignes und frembes 
ald eins und daffelbige. Und eben fo auch das gleiche. Richt nur 
foll unfere Freude immer dadurch erhöht werden, wenn fie zugleich 
bie Freude anderer iſt; fondern auch wenn andere daffelbe Leib wie 


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3* 


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wis ya fingen. : 

an bem feiniigen allein, ſondern ſchoͤner und licher fol es ums fein, 
daß wir zugleich auch anberer Schmetz mitfählen und mit Bewußt 
fein im unfer Leben aufnehmen und tragen innen. Ja noch mehr, 
auch unfere Verhaͤltniſſe zu denjenigen, weiche zeben und unb um 
uns ber weinen oder fich freuen, ſollen und-in der Anwendung der 
Hegel des Apoſtels nicht beſchraͤnken. Sie foll füch feiner Abßcht 
noch nieht nur über Diejenigen erſtreklken, welche und aͤhnlich find 
und verwandt, ober wit denen wir-fchen in irgend einer befonbesen 
Berbindung der Liebe ſtehen. Mein, nicht umſonſt hat er dieſe 
Worte geflelit hinter die, Segnet bie zuch verfolgen, ſegnet und 
fluchet wicht! Alſo wenn ed noch weiche giebt, die uns fo fern find, 
da fie unfer Leben und Wirken: feinen innesen Weſen nach gar 
nicht zu verfiehen vermögen: doch follen wir mit ihnen weinen, 
wenn fie weinen, und und freuen, wenn fie fich freuen. Ja wenn 
eben fo wie ber Eriöfer feinen Jungern weiſſagt, was bie Welt ih: 
nen anthun, wie fie fie haſſen werde und verfolgen, und. dabei zu⸗ 
gleich beruerlt, fie würbe meinen Gott bamit eisen Dienſt zu thun; 
wen, fage ich, bad mäntliche auf eine gewiffe Weiſe auch ist mach 
uns gefchehen Tamm: fo follen wir auf bad innigſte ben Irrthum 
berez bebauern, weiche. meinen Bott einen Dienſt zu hun, inbem - 


fe daS ebelfie zum Gegenſtand ihres Haſſes machen; aber wenn 
einmal eier alle feine Kräfte daran fezt dad zu verderben, was er 
für ſchaͤdlich Hält; wenn er dabei ganz in ber Freue gegen feine 
Ueberzeugung ſteht und fich feineß guten Gelingens freut, geſezt 
and wir felbft wären der Gegenfland feined Haſſes und feiner Ver⸗ 
folgumg: fo follen wir und doch diefer Treue mit ihm freuen und 
Gott bitten, bag er ihm offenbaren möge, was bad rechte fei, damit 
er dieſelbe Ausdauer und Tuͤchtigkeit auch koͤnne an bad gute fegen. 

Dad m. th. Fr., das ift der Umfang, in welchem bie Regel 
des Apofteld hier will verflanden und angewendet fein. So weit 
ſoll unſer Herz geöffnet fein, um und zu freuen mit allem, was ein 
wmenfchliche Herz zur Freude bewegen kann, ſo diefe nur nicht in 
Widerſpruch fleht mit ber Freude, in bie und jebe andere aufgeht, 
ws weiche wir al& bie einzige Quelle üller wahren Freude anſehen 
müfen; alles Leiden follen wir. mit empfinden, mögen wir ſelbſt 
auch Leid haben ober von Freude bewegt fein, nur nicht bad, was 
feinen einzigen Grund hat in der Anhänglichleit an das nichlige 
und vergängliche, nur nicht bad, was den Menfchen von Gott dem 
Urgquell alle! Seins und Lebend entfernt; doch dad legte freilich 
aud, nur auf eine ganz andere Weikk. 











275 335 DIRT PERESTELTETETEAETERTTER 
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kennen umb vermoͤgen fie in der Wahrheit ihres Wafekns im unfer 
He sufpumehmen; fraseri wir und und wauern wir weit ihnen, ſo 
wiſſen wir auch, wie weit. wir und mit ihnen verrinigen Tönnen zu 


auch dieſes kanmt noch hinzu, alle menſchliche dinpfindungen, weiche 
innerhalb der heiligen Schrauken liegen, uͤber die wir auch mit um 
Mitgefühl nicht hinausſchreiten dinfen, werben chen dadarch, 
fie fich mit Bewußtſein zur Anregung bed Mitgefühld entwil⸗ 
‚ auch gemildert und im vechten Maaß erhalten. Heben min 
theilscehnuende Mirüber, benen wir und gern aufichließen, fo fiab wir 
ſchen dadurch jedem Uebermaaß des Schmerzes und ber Freude we⸗ 
einer angeht, wellher bie lähmt und bob Büht 

bed Geiſtes truͤbt; und je mehr alle unfere inneren Rewegungen 
fih in einem reinen, Mitgefüht nicht nur ſpiegeln fonbern auch Ike _ 
ters: um deſto mehr werben wir dann uns jenem Zuflande naͤhern 
tianen, dei der Wechſel entgegengefezter Empfindungen in. unfemss 


Gemuath immer ſchwaͤcher wirb, umd wir inmmer weniger jenen Auf 


und- Abfleigen zwiſchen Hoffnung ud Furcht, zwiſchen Froͤhlichkein 
und -Exchwermuth augeſezt find. Deu heibed, Erhöhung der Kusft 
und Maͤßigung ihres Erregtſeins, wirb durch dad MBemußtiein bei 
Mitgefuͤhls in unfere Seele hineingeleitet; es büdet ſich ein aus 
gleihenber gemeinfamer Ton derſelben in benen, die auf urſpruͤng⸗ 
liche Weiſe bewegt find in ihrem inneren, und in denen, bie in ber 
Kraft der Liebe dieſe Bewegung theilen. Ja wir bürfen fogen, erſt 
in dieſenn gemeinſamen Gefühl ifi die rechte Wahrheit; da ſtelt ſich 
uns enſt jedes in der Bedeutung dar, Die ed auch für die anderen 
haben kann, nicht in dem Ueharmaaß, zu dem uns bad uͤbernaſchende 
des Augembliffs hingesifien bat. Wir willer, daß im biefem nicht 
die Wahrheit iſt, weil es verraucht; aber Das Auge ber Liebe wich 
immer sichtig abſchaͤzen, und das gemeinfam gewordene Gefühl wich 
unmes auch beftehen vor dem gemeiniamen Geiſt. 

Doc laßt und nicht nur bei uufen einzelnen vorübergehenden 
Zuſtaͤnden ſtehen ‚bleiben, fondern weiter zuruͤkkgehend fragen, was 
ik denn ber erſte Anfang geweſen, durch weichen fich eben bie felig« 
machende Kraft ve Evangeliums effenbaxte, ruelche ben ganzen In⸗ 
halt des apoflolifchen Briefed ausmacht, and welchem bie Worte 
unfered Zerted genommen find? Mad anders als Mitgefühl wit 
dem menfchlichen Eienb und Mitfrende an der menichlichen Em⸗ 
plänglichkeit hat ten Exiöfer bewegt? wovon anberd ging feine Pr 
digt aus, ald daß er an alles, wovon mie er wußte bad innsrfle 
des menſchlichen Herzens bewegt wurde, die Verkuͤndigung bed Reis 


ches Gottes Fnäpfte, auſ daß bie Menfheik ſich entiebigen Ihanten 
von dem Bewußtfein ihres geſunkenen Zuſtandes, und zu ber Quelle 
des Leben hinzunahend ihre Armut; nicht nur bebeffen, ſondern fie 
in eine Fuͤlle des geifligen Lebens verwandeln koͤnnten, inbem fte 
von dem nähtmen, der allein zu geben hatte. Unb cben fo m. g. 
Fr. acht es auch izt ins Meiche Gottes und in dem Leben ber ein- 
zelnen. Wenn wir weinen mit folchen weinenden, weiche zu ſtark 
in ihrem Gemäth bewegt werden durch allerlei natürliche Uebel, wie 
die Wergänglichkeit des menfchlichen. Lebens fie mit fich bringt, ober 
durch bie gefelligen Uebel, welche fich in dem zufammengefezten und 
verwilkelten menfchlichen Leben neben vielen guten unb ſchoͤnen 
doch auch immer mehr anhäufen; wenn wir ihnen in ihrer Sreube 
und in ihren Schmerz ein mitfüählenbes Herz entgegen bringen, aber 
ünen zugleich auch zu erkennen geben, daß, inden wir mit ihnen 
- weinen ober und mit ihnen freuen, wir noch einen eigenen Schmerz 
haben über fie, weil wir fie naͤmlich zu.fehr ergriffen ſinden vom 
vom Wechſel des menſchlichen Lebens: fe wirb uns bann ber na= 
türliche Lohn werden, daß wir das innerfle fchlummernbe Bewußt⸗ 
fein des höheren Berufs erwekken; und offenbart ſich dieſes banı 
und kommt zum Worfchein, dann finb wir auch die naͤchſten ihnen 
die Hand zu reichen, um fie aus biefem Zuflande zu retten und zu 
einem folchen zu leiten, ber fie über die flüchtigen Freuden und Leis 
den des menfchlichen Lebens gleich fehr erhebt. 

Allen m. g. Sr. ich Tann nicht umhin che ich endige noch 
auf gewiſſe Gegenflände des Mitgefühls in Freude und Schmerz 
aufmerffam zu machen, die wir und vorher nicht vorgehalten haben. 
Es ift leicht, daß wir theilen, indem wir felbft uns freuen, bie 
Freude und ben Schmerz, indem wir felbft weinen, bad Weinen und 
bie Luſt anderer, wenn beides nur mit einander verträglich iſt in 
einer und berfelben Empfindung bed Gemuͤths; und fo koͤnnen wir 
in derfelben Zeit umd freuen mit bem einen unb trauern mit dem 
andern. Aber wie bann, wenn bie Freude bed einen und die Zrauer 
des andern gegen einanber gerichtet find? wenn es die Zwietracht 
if, aud weldyer Freude und Schmerz in dem menfchlichen Leben her- 
vorgeht? Der eine freut fich an dem Leid, das er felbft dem an⸗ 
dern bereitet, weil er ed naͤmlich nur anficht als bie gerechte Zuͤch⸗ 
tignng Dafür, daß jener Recht und Gefez verlezt, daß er fich aufge: 
lehnt habe gegen bie Drbmung, nach der Bott die menfchlichen An: 
gelegenheiten regiert. Der andere leidet, aber er hält nicht nur ſich 
und die zumächft mit ihm verbundenen für unterbruͤkkt, und wird 
nicht nur in dem Gefühl des Unrechts zugleich der Ohnmacht imd 


Nichtigkeit feines Zuſtandes inne, ſondern in fein Leid miſcht Fich 
bad Gefichl davon, daß irgend eine von den heiligen Angelegenhei- 
terı des menfchlichen Bebend auf lange Zeit fo gut ala vertoren ih, 
daß mißbrauchte Macht ober rohe Gewalt emen Triumph feiern 
über die heiligſten Anſpruͤche der Menſchen. Wie ſollen wir. dann 
uns ſteuen mit dem einen und trauern mit dem andern? umd ſollen 
wir, wenn fo gewaltfame Auftegungen auf einem tiefliegenden in 
neren Zwieſpalt beruhen, durch unſer Mitgefühl an biefem Bwie 
ſpalt theilnehmen? Je größer ſolche Berwikklungen in bem menſch⸗ 
lichen Leben find mi; g., um deſto ſicherer koͤnnen wir fein, daß 
dabei etwas anderes und hoͤhercs im Spiel iſt, worauf wir unſere 
Aufmerkſamkeit mehr ald auf Breube und Schmerz zu richten haben 
in folchen großen Kämpfen um bie wichtigften Güter des Lebens, 
Inden wir denken, es tit eine Zeit des Gerichts, geziemt uns. za 
warten, bis der. Here feinen Thron aufichlägt und wir feinen Spruch - 
vernehmen. Nicht ald ob wir fchließen follten, der, den er wicber 
erhebt, fei auch der, auf deſſen Seite bad Necht ſtehe; der, den er 
demürthigt, fei der Verſechter bed Unrechts geweien: nein, denn auch 
im großen, nicht nur für bie vorübergehende Brit eines einzelnen 
Lebens, fondern ganze Menfchenalter hindurch ift es wahr, daß ber 
Herr Tann züchtigen, wen er lieb hat. Aber feine Wege wenigſtens 
erfennen wir dann und willen, was er gewähren will und was 
verfagen; was wir nicht beurtheilen koͤmen, fo lange ein folcher 
Kampf der Empfindungen noch beficht. Aber doch ſoll une Mit: 
gefühl fi) beiden heilen zuwenden; wir follen und freuen mit 
dem, der fich freuet, aber zugleich ein Mitgefühl bat für den, bey 
im Streit ihm gegmmüberfaht;. wir fellen tvauern und weinen mit 
bem, ber da weint, aber in feinem Schmerz noch offen iſt, wenn 
auch nicht fire bie Freude feines Gegners, doch für anbere Freude, 
wie entfernt - fie aud) von feinem. Leben aufiprieße, und wie wenig 
fie ihm felbft zugänglich fei. Und nicht anders m. g. Br. iſt es ja 
auch mit der Wirkung des Mitgeſuͤhls in Beziehung auf die uns 
mittefbaren Angelegenheiten des Reiches Gottes. Es iſt noch in de 
nem Zuſtande ded Kampfes; menfchlihe Meinungen und Anfichteis 
über Dad göttliche treten immer. noch einander gegenüber, wir koͤn⸗ 
nen nicht anders als in biefelben verflochten werben: aber bach ſoll 
auch der Streit, an dem wir felbft theifnehmen, umfer Mitgefühl 
nicht hemmen; doch follen wis bie Liebe auch au dem, der auf ber 
entgegengefezten Seite flieht, feft halten, follen ein Mitgefühl haben. 
auch für die Schmerzen, ‚welche andere über und empfinden, weil 
wir auf andere Weile, ald fie es für recht halten, ben Menfchen- zu’ 


helfen Barmen. Im Kampf für bab wahre und gute, mag bie 
Anſicht, weSche ieben leitet, bie richtige fein ober wicht, ſollen wir 
und freuen über jebe Kraft, bie ſich entwikkelt, iſt es nur eine Kraft 
des Glaubens und der Liebe, fehen wir nur Tuͤchtigkeit in Rath 
sub That, Aufopferung und Zveues über alles, was ſich fo offen⸗ 
Bart, bag wir ein Treiben des göttlichen Geiſtes darin ahnen Ein- 
nen, follen wir und foren, wenn wir auch noch mancherlei In 
thum und Verderben darin nicht nur ahnen, fonbern beutlich fchen 
mb erkennen. Und ficher, je mehr wir uns in ſolchem Mitgefühl 
halten, um deſto weniger werben wir ſelbſt leibenfshaftlich ergriffen 
werben von dem Streit der Zeit; je mehr wir fo im ber Kraft ber 


geichnet, und einen andern giebt ed nicht; durch Freude und Scumerz 
und in ber gleit des Mitgefühl, indem wir überall unfern 
3 das öffnen zu brüberlicher Theilnahme, fo follen wir 
und allmählig durchringen. Unb je mehr wir bewährt werben im 
Diefem Kampf; je mehr dad Her, ohne an Kraft zu verliesen in 
fh MU wird in dem Mitgefühl für Kreube und Leid um uns ber: 
um deſto mehr find wir bereit einzugehen in bad Seiligthum bed 

; bene um deflo mehr werben wir mit herzlichem Dank 
gegen Gott inne werben, daß auch unfer Herz ber Seligkeit fähig 
it, die über der Freude und dem Schmerz firht; um beflo mehr 
wesden wir und über alles unfiete Schwanken erheben und uns 
als Genofien deiſen bewähren, der aus Mitgefühl wit ben Men 
hen des ganzen Welt bad Heil gebracht hat. Je mehr wir fo und 
wätfteutm und mitweinen, daß ſich dem naͤchſten der ungefbörte 
Friede Gottes in unſerm Herzen kund giebt, deſto cher öffnet ſich 
auch fein ‚Her; dem göttlichen Wort. Wie ſchoͤn, wenn wir auf 
dieſe Weiſe das Baud ber. Eiche enger anziehen zund mehr Damit 
untfaſſen! wenn wir es bewähren, daß non dem Geiſt, ber bie Liebe 
zu Gott und die Gewißheit ber Liebe Gottes in unſere Herzen aus⸗ 
gießt, auch allein alles veine lobenswerthe Mitgefühl und alle bruͤ⸗ 
bauliche Theilnahme ausgeht! Keinen Kampf alſo ſcheuend und 
gegen nichts und verſchließend, von wannen und hier ein ſchmerz⸗ 
liches Mitgefühl zuſtroͤmen koͤnnte; immer in bes ganzen menſchli- 
chen Melt lebend, fo weit das Auge unſers Geiſtes ſie zu erfaſſen 








32 


und unfer Ser, fie-mit den Athenzugen ber. Liebe aufzunehmen 
weiß; fo und felbft vergefiend und immer nur auf bad große Reich 
Gottes ſehend, in dem wir und mitbeavegen, laßt uns ber Vorſchrift 
des Apoſtels nachlommen: fo werben wir gelangen zu bem rechten 
fefien unesfchütterlihen Frieden Gottes in der Kraft deſſen, ber ges 
fommen iſt ald bad Ebenbilb Gottes, um und feinen Frieden zu 
bringen, nicht wie bie Welt ihn giebt. Amen. 


eied 491, 11— 13. 


| IV. 
Am 8. Sonntage nad) Trinitatis 1831. 


tied 523. 676. 
Text. Matth. 7, 1. 
Richtet nicht, auf bag ihr nicht gerichtet werbet. 


M.. Gr. Es giebt nicht leicht ein Wort des Erlöfers, was 


uns alle unaudbleiblicd fo ‚mit dem Eindrukk überrafcht, daß wir 


immer und auf alle Weife Alle dagegen gefehlt haben und immer 
noch fortfahren Dagegen zu fehlen. Aber wenn wir anfangen wol 
len und Vorwürfe zu machen über dieſe Abweichung von dem 
Wort bed. Herm: fo kommen wir audy gewöhnlich bald’ barauf zu» 
rüff, daß fie doch unvermeiblich fei, und Daß wir nicht anders Ein 
nen als fo. Wir geben wol mancherlei Mißbräude zu in Bezie⸗ 
bung auf dieſes Richten, wovon er vebet, auf unfer Urtheilen über 
die Handlungen unferer Brüder; geht dad Leben einen flillen ruhi⸗ 
gen Gang, fo find ed dann gewoͤhnlich Mißbraͤuche eines Heinlichen 
Sinned, der im einzelnen hier nach Gunſt und dort nach Mißgunft 
fo und anders fieht und entfcheidet; aber ift das Leben bewegt, er: 


eignen fich große Weränberungen mit dem menfchlichen Geſchlecht 


vor unferen Augen; fühlen wir und hineingezogen in bie gewaltfa> 
men Bewegungen der Voͤlker: dann find ed leidenfchaftliche Mig- 
bräuche, deren wir uns auch gar wohl und gar leicht bewußt wer 
den. Wo wir das finden, was unferer eigenen Art und Weile am 
meiften entfpricht; wo es unfere Worftellungen von dem Recht’ und 
von dem was ben Menſchen heilſam ift find, auf welche wir bie 
Handlungen und Bewegungen anderer zurüffführen können: ba ent: 
brennen wir von eifrigem Beifall: nicht ohne daß unfer Urtheil ein» 





33 | 
fäitig würbe; fo wie auf ber entgegengefesten Seite wir auch in 
teidenfchaftlichem Eifer entbrennen gegen bad, was uns von verkehr: 
ten Grundſaͤzen auszugehen fcheint, weil ed nicht dad unfrige ift. 
Und nach beiden Seiten hin iſt nichts fo groß, nichts fo hoch, nichts 
feinem inneren Zuſammenhang nach uns fo verborgen, nichtö uns 
fo fem und fremd, daß wir es nicht zum Gegenfland unferes Urs 
theils wachen follten; und immer fizen wir auf diefem Stuhl zu 
Gericht 


Bie tritt nun in dieſes große Geſchaͤft bad Wort des Erlöfers 
hemmend ein, hemmend und verbietend, Richtet nicht, auf daß ihr . 
nicht gerichtet werbet. Aber wie ift ed doch möglich, fagen wir, 


nicht zu richten? . Was wäre dann bad Leben bed Menfchen, was. 


wäre feine Wirkſamkeit in diefer Welt, was nüzte ihm felbft und 
andern der Befiz aller der geiftigen Güter, die er ber Gnade Got: 
te3 verdankt, wenn er fein Leben und feine Wirkſamkeit auf fich 
allein befchränfen nrüßte, fo daß er nur feinen eigenen Weg grade 
vor ſich gehend weder rechtd noch links zu fehen brauchte auf dad 
Thun anderer Menfchen? Liegt nicht vielmehr unfer ganzer Beruf _ 
in biefer großen Gemeinfchaftlichkeit des Daſeins? muͤſſen wir nicht 
immer in dad Werk anderer eingreifen? und was follte aus bem 
menfchlichen Leben werden, wenn das irgend ‚einmal aufhörte? Sol 
ten wir aber eingreifen, fo müflen wir auch unterfcheiden koͤnnen 
was gut und was böfe ift, was -goftgefällig und was den Mens 
ſchen verberblih. Ja nicht nur urtheilen müflen wir in ber Stille 
de3 Herzens, fondern wie wir alles gemeinfam haben follen muͤſſen 
wir auch -unfer Urtheil gemeinfam haben und auöfprechen: fei ed 
um andere. zu belehren ober von anderen belehrt zu werben; fei es 
um uns von denen, bie ebenfo ırtheilen wie wir, hülfreiche Hände 
zu verfchaffen; oder fei es um und reblich denen zu erkennen zu 
geben, die weil fie anders urtheilen wie wir auch entgegenarbeiten 
unferem Handeln. u Ze 

Das m. Fr. ift die Nothwendigkeit, in welche wir und’ hin 
eingezogen fühlen durch das Leben, wie es ber Herr um uns und 
für und gefchaffen und georbnet hat; und boch bleibt fein Wort 
fiehen, ımb wir koͤnnen es nicht abweilen, wenn wir ihn zum Zuͤh⸗ 
ser des Lebens behalten wollen, Richtet nicht, auf daß ihr nicht ger 
richtet werdet. So laſſet und denn mit einander über dad Verbot 
des Richtens in diefee Stunde unferer gemeinfamen Andacht na⸗ 
her nachdenken; laſſet uns zu erſt ſehen, was denn der Sinn die⸗ 
ſes VBerbotes eigentlich ſei; dann zweitens, welches wol bie Gruͤnde 
deffeiben fein mögen; und endlich drittens, was benn nun, wenn 
wir bemfelden doch nachkommen follen, aus unferm gemeinfamen 

III. J C 





Beben und aus unferer Mirffanifeit in demſelben werden fol. Das 
fei e8, m. g. chriſtlichen Zuhörer, worauf wir ist unfer Nachdenken 
mit einander richten wollen. 


- RK Wenn der Erlöfer ſagt, Richtet nicht! fo müffen wir 


zunächt wohl unterfcheiden dad Richten ſelbſt und badjenige, wo⸗ 
nad) wir zu richten pflegen, wenn wir richten. Wo geurtheilt wirb 
über imenfchliche Thaten und Werke, da muß ein Maaß berfelben 
zum Grunde liegen; und gewiß diefed Back wi ums ber Erlöfer 
durch feine Worfchrift nicht verbeffen oder verbunkeln ober es uns 
gar aus den Händen winden. Dad Magß iſt er ja ſelbſt, und 
eben deswegen kann er auch nicht wollen, daß wir es jemals aus 
den Augen verlieren follen. Nur dad iſt gut, wad ihm aͤhnlich iſt 


und angemeffen, nur bad, was aus ber Liebe zu Gott hervorgeht, 


die in ihm eins war mit ber Liebe zu beim gefallenen Geſchlecht ber 
Menfchen, und die auch in und eins fein foll mit unferer Liebe zu 
ibm und zu unferen Bruͤdern. Nur dies allein iſt gut, dab ſoll 
ewig unter uns feflfiehen, fo wie bag alles verkehrt if und böfe und 
Gott mißfällig, was barin feinen Grund hat, daß der Menſch ans 
flatt nur dem Reiche Gottes nachzutrachten an den nichtigen Din» 
gen biefer Welt hängt. Daß alles böfe iſt und verkehrt, was ſei⸗ 
nen Grund darin hat, daß der Menſch fein eigenes vorzieht vor 


dem was ber andern iſt, dad flieht feſt und fol ewig bleiben; dieſes 


Maaß hat der Erlöfer und gegeben, und er will es und nicht nehmen. 


Aber gewiß m. g. iſt auch dad nicht feine Abficht, wiewel 
man oft biefe Worte fo hat audlegen wollen, bag wir zwar richten 


dürfen, nur foll es nicht nach diefem firengen Maaß geſchehen, fon- 


dern nach irgend einem gelinderen ber menfchlichen Schwachheit mehr 


angemefienen. Fern fei ed von und willtührlich folche WBeichrän 
ungen in bie Vorſchriften des Herrn bineinzulegen! Sollte überall 


gerichtet werben, fo gäbe es auch fein Richten ald nach diefem ein- 


zigen und ewigen Maaß. Wie würben wir und ſelbſt befrugen, 





wenn wir und fchmeicheln wollten mit einem Urtheil über unfere 
Handlungen, welchem ein andered Maaß zum Grunde liegt! wenn 


wir behaupten wollten, folche Liebe fei zwar bie Beflimmung bes 


menfchlichen Geiftes, aber er fei zu tief verfirikft in dad Gebiet vie | 


fe& zeitlichen Lebens, ald daß er ſich je fo weit erheben könnte nach 
diefem Antriebe rein zu handeln; wollten wir baber ‚etwas befichen 


laffen, wad ein Gegenſtand bed Wohlgefallend werben Einnte, fo 


müßten wir ein niebrigere® Maaß anlegen an bie Handlungen des 
irdifchen fo leicht verbiendeten und fo leicht verführten Menfchen! 


35 


Wollten wir Chrifit Worte fo umkehren: wie würden wir dann das 
ganze Werk bed Herm in feinen innerfien Tiefen erſchuͤttern! 

Aber aud das Tann er bei biefen Worten nicht beabfichtigt has 
ben, daß etwa unter denen, welche fi) zu feinem Namen befennen 
und die Gemeine ber gläubigen bilden, dasjenige Gericht über. die 


menſchlichen Handlungen aufhören folle, welches bie bürgerliche Ges _ 


feüichaft durch die Hände derer ausuͤbt, welche das menfchliche Recht 
verwalten. Er felbft hat kein Geſez in biefem Sinn aufheben wol 
im ober auflöfen und hat bad ausdruͤkklich gefagt; feine. Jünger 
haben von Anbeginn an erfannt, bie richtende Obrigkeit fei eine 
göttliche Einrichtung zum Schuz ber guten ‚gegen bie böfen, und 
fie fol fortbeſtehen und muß um ſo mehr. fortbeftehen, je verwikkel⸗ 


ter das Leben ber Menichen wird, und je größer ber Einfluß ifl, 


ben ingenb eine gefegwidrige Handlung weit um ſich her verbreitet. 
Aber dad hat er auch nicht aufheben koͤnnen durch fein Wort, eben 
weit ex fagt, Richtet nicht, auf daß ihrnicht gerichtet. werbet. Denn 
die Dbrigkeiten bie Vertreter des menfchlichen Rechts der bürgerli» 
hen Dronung find als folche nicht in dem Fall wieder gerichtet zu 
werben. Haben fie ihr Urtheil gefprochen nach ben Geſezen, welche 


vor ihnen Sagen: fo. find fie auch niemandem verantwortlih als 


Gott und ihrem Gewiflen, und keine menfchlihe Macht fol änbern 
an dem Auöfpruch derer, bie Recht und Gefez verwalten. 


Aber in dem Gebiet unferes geifligen fittlichen Lebens, in die 


ſem Gebiet umferer gemeinfamen Angehörigkeit an dad Reich Got 
te3 in dieſer Welt, in diefem Gebiet unfered brüberlichen chriftlichen 
Zufammenfeind gilt dieſes Wort des Erloͤſers, Richtet nicht, auf ba 
ihr nicht gerichtet werbet,’in feinem ganzen Umfang; da verbietet ex 
und ganz und gar von ber That aus, bie. vor und liegt, ruͤkk⸗ 
wärtd zu geben, indem wir ihre Entſtehung aufzubelten und in 
dad geheime Spiel der menfchlichen Seele einzubringen fuchen, um 
damach den Werth unferer Brüder zu beflimmen und bie That für 
eine folche ober folche und deshalb ben Menfchen für einen folhen 
oder ſolchen zu erklären. Nicht ald. ob jened ewige Geſez nicht 
auch daB einzige Maaß fuͤr das menfchliche Leben, nicht auch das 
kein ſollte, wonach wir unfere Empfindungen gegen unfere Brüber 
orbnen! vielmehr freilich je mehr und bei bem einen dad entge⸗ 


gentritt, daß ex auß bes Liebe zu Gott und aus wahrer Liebe. gu 


feinen Brüdern handelt, je mehr er und den Eindrukk macht durch 


fein ganzes Dafein, daß er in ber That nad dem Reiche Gottes 


unb nach feinee Gerechtigkeit trachtet, um beflo mehr follen wir 

wilfen, daß wir ihn ald einen Bruder in dem Herm zu lieben has 

benz; je mehr wir fehen in bem andern, daß bie Stimme des Gel» 
62 | 


* 
8 


ſtet noch nicht Die Kraft hat fein Leben zu orbnen, deſo mehr ſol⸗ 
len wir ihn lieben als einen ſolchen, den wir noch auf den rechten 
Weg muͤſſen zu bringen ſuchen. Aber wenn wir dieſem Eindrukk 
folgen, voie ihn das ganze Weſen eined Menfchen und feine Art zu 
fein uns giebt, fo ift das Fein Gericht, weil es fich nicht auf Die 
einzelne That bezieht, nicht Lohn und Strafe verhängt, fonbern nur 
die Art und Weiſe unferer Liebe beflimmt ald die Wirkung bes 
ganzen Menfchen auf. und. Die einzelne That und die befondere 
Geſchichte, bie jenfeit berfelben liegt, fol nie ein Gegenfiand der 
Unterfuhung für uns fein, fondern fo viel an uns ift bleiben was 
fie ihrer Natur nach iſt, ein Geheimniß zwiſchen dem Menfchen und 
Gott allein. Das iſt der Sinn des Wortes, daß wir nicht richten 
follen, damit wir nicht gerichtet werden. Daß aud bem Kerzen 
arge Gedanken kommen, bad wiflen wir, und wir erfahren es taͤg⸗ 
lich; daß alles der göttlichen Gnabe angehört, wad und anſpricht 
ald angemeflen dem göttlichen Willen; daß alle gute Gaben vom 
oben herablommen von bem Water des Lichts; bag er es ifl, ber 
das Wollen und Wollbringen fchafft, bad wiffen wir: aber wie es 
in einzelnen Fällen in dem Menfchen bergegangen ift zwifchen ben 
erften Regungen feines Seele und irgend einer That, irgend einem 
Werk, dad wir nur ald bad Ende biefed Herganges vor uns ſehen; 
wie fich bie finnliche Luft hat geltend machen wollen ober wirklich 
"geltend gemacht hat gegen ben inwenbigen Menfchen: verbergen ift 
es und, und wir follen es nicht aufdekken wollen. Verſtehen wir 
recht, was es heißt, Die Liebe beveflet der Sünden Menge? *) Eben 
dieſes iſt e3 und nichts andered. Wir follen und Fein Urtheil ans 
maßen, wie viel ober wie wenig bie einzelne That gilt; wir follen 
in Die geheimen. Tiefen bed menſchlichen Herzens nicht einbeingen 
: wollen, das heißt wir follen nicht richten, 


I. Wolan denn m. g. Fr., wenn und bad doch nicht an⸗ 
ders ald auf eine gewifle Weife fremd fein Fan; wenn wir uns 
nicht gleich mit ber gewohnten Art unfer Leben zu führen in biefe 
Regel. des Erlöfers hineinzufinden wiflen: fo laflet und denn zwei⸗ 
tend fragen, welches wol bie Gründe dieſes feined Verbotes find. 
Er giebt und Feine anderen, als indem er fagt, Richtet nicht, auf 
daß ihr nicht gerichtet werdet. Wolan! was wird er anf 
worten, wenn der Troz bed menſchlichen Herzens fügt, Ich will 
richten eben deswegen, weil ich auch will über mich zichten laſſen. 
Ich. will fein Gericht fcheuen; jeder fann Grund und Zufammens 





DEE NT WW 











3 


hang meiner Handlungen unterfuchen; jeber, der ſich nicht felbft 

darin zurecht ‚finden fan, möge fragen, und ich will ihm Rebe und 
Antwort ſtehen, wie es dem Menfchen ziemt, ber aud ber Wahrheit 
iſt: ober darum will ich meinerfeit8 auch richten, ich will mein Ur: 
theil über alled menfchliche in bad gemeinfame Bewußtfein hinein - 
geben, bamit es ba berichtige und berichtiget werde. — Ad und 
was wird er erfl fagen, wenn die Demuth ihre Stimme auch vers 
nehmen läßt und fpricht, Auf das Richten will ich Werzicht leiften! 
Sch weiß, wie leicht daB Auge des Menfchen durch jeden Schein 
geblenbet wird; ich weiß, wie felten wir bie Triebſedern ber menſch⸗ 
lichen Handlungen zu erkennen vermögen, weil wir leider felten ber 
Wahrheit allein nachgehn, und und auch dann das Wild berfelben 
mehr oder minder verfchoben wird durch unferen befonderen Stand: 
punkt in der menfchlichen Gefellfchaft, durch ben Zufammenbang un: 
feres Lebens mit den andern: darum will ich nicht richten. Aber. 
warum foll ich mich nicht richten laſſen? ficht dach und bringt das 
Auge des Allwiffenden in bie innere Wiefe meines fchwachen und 
verborbeuen Herzens, warum fol id; den Ichrreichen Anblikk mei: 
nem näcflen entziehen wollen? warum. fol ich nicht gern mich 
richten laſſen, damit ich nicht nur aus meinem Herzen, fonbern auch 
aus dem Munde meined nädften dad wenn auch noch fo flrenge 
Wort der Wahrheit vernehme? Ich werbe mich ja um befto flär- 
fer demüthigen, um deſto Eräftiger und inniger mich nach dem ſtrek⸗ 
ten, was allein vecht und wohlgefällig ift vor dem Herrn, um mid) 
von dem zu reiten, was noch ald bie Darftellung des menfchlichen 
Werberbend in meiner Seele erkannt wird, Und ber Erlöfer ant⸗ 
wortet hoch auch ihe -baffelbige und fagt nicht nur, Richtet nicht, 
ſondern audy, Auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Wir ſehen alfo, 
das eine ift ihm eben fo viel werth als. das andere, er verbietet bad 
eine, weil ex das andere verbietet, Keiner ſoll ben andern. richten, 
damit er nicht gerichtet werde. 

Und darin m. g. Fr., darin liegt eben das rechte Geheimniß 
dieſer feiner Weisheit. Denn laßt und nur überlegen, was aus 
dem Richten entficht! Auf der einen Seite m. g. Fr. immer 
neuer Stoff zum Richten, Denn «8 iſt mit dieſer Gegenfeitigkeiit 
des fittlichen Urtheilen& gerade fo, wie auch fonft mit ben Verhaͤlt⸗ 
niffen dee Menfchen in allen Beziehungen, bie nicht unter gefezlicher 
Owdnung ſtehen. Hat einer den andern beleibigt, fo nimmt biefer 
feine Rache; aber dem erſten erfcheint fie viel zu groß für bad, was 
er gethan, und er glaubt fih nun wieber an jenem rächen zu muͤſ⸗ 
fen. Glaubt .einer, ber andere habe zuviel an ihm gewonnen, fo 
wartet ex nur auf bie Gelegenheit es mit jenem eben fo zu halten. 


sg 
Eben fo iſt es nım auch mit dem Richten. Keiner, über ben wir 
sichten, wird fo leicht ganz unfrem Urtheil beiflimmen; bie gereizte 
Eigenliebe ſtellt ihm ein anderes Bild feiner Handlungen bar, als 
das umnfrige; und was if natürlicher, als daß er nicht etwa allein 
aud Empfindlichkeit, fondern ganz wohlmeinend denkt, er werbe uns 
auch baffelbe erfahren Lafien, indem er fireng und ohne Nachſicht, 
gerecht aber ohne billige Beruͤkkſichtigung urtheile, und werde fo 
auch wieber einfeitig die vorige Einſeitigkeit ins gleiche bringen. 
So entflcht immer neuer Stoff zum Richten aus dem Richten, und 
flatt einer heilſamen Frucht der Wahrheit fommt nur die innere Un» 
wahrheit der Menfchen in ihrem Richten and Tageslicht. Das fei 
umfere Antwort an ben richtenden Stolz. — Ad und auf ber an: 
bern Geite laßt und nun bebenfen m. g. Fr., was wir eigentlich 
kennen mäßten, wie genau das innere eined Menfchen vor und auf: 
gedekkt fein müßte, wenn wir ein richtiges Urtheil follen füllen koͤn⸗ 
nen über Schuld und Werbienfl einer einzelnen Handlung, über bie 
Abftufung von Bollkommenheit und Gebrechlichkeit, die ſich darin 
zu Tage giebt. Wenn nun wirklich jened geheime Spiel nody herr» 
fherider oder ſchon gebäntpfter Begierden, jene fid) immer wieder 
anders einPleibenden Zufläfterungen der finnlichen Luft, jener wun: 
berbare Wechfel zwifchen Wahrheit und Lüge in den fi) anlagen: 
den und entſchuldigenden Gedanken, wenn dies alles wirklich dienen 
koͤnnte um eine Handlung unſeres naͤchſten klar durchzuſchauen: 
was für Gewinn wuͤrden wir bavon haben? wuͤrde ed mehr Ichr: 
reich fein ober mehr verberblich? wiürbe cher etwas befferes daraus 
entfliehen ald nur zu oft biefes, daß wir den fchlafenden Löwen in 
unferer eigenen Bruſt welten, daß wir bad Unrecht anderer wieder 
zur Entſchuldigung umfered eigenen Unrechts mißbrauchen, Daß — wie 
der Apoſtel Paulus von dem Gefez behauptet, daß nämlich bie ver: 
borgene Luſt an ihm Weranlaffung nehme zum Vorſchein zu kom: 
men — fo auch durch bad Bichten die verborgene Sünde zu Tage 
kommen und neuen Spielraum gewinnen wird durch das, was an» 
dere gethan haben? Dies ifl es, was wir jener wohlmeinenden all: 
zu bereitwilligen Demuth antworten müflen; und fo zeigt fich nach 
beiden Seiten hin, daß auf alle Weile aus dem BRichten ſich nur 
neued Berderben entwilfeln muß. Darum m. g. Fr., darum fagt 
der Erlöfer, Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. 

Wenn es und aber dien, als ob ber jeige Zufland des gefell- 
ſchaftlichen Lebens bad Bichten unvermeidlich und umentbehrlich 
madhe, wenn jeber recht wolle das feinige thun: fo laßt und auch 
zufehn, was ſich und bort als das natürliche Ergebniß unfers Rich» 
tens darſtellt! Sind wir micht eben aus dem Grunde, weöwegen 


wir das Richten für nothwendig hielten — nämlich weit alles fo ſehr 
gemeinfam iſt in dem jezigen menichlichen Leben, daß ſich nichts 
vereinzeln läßt, und niemand gleichfam aus dem Kreife feines ein 
seinen Lebens in das gemeinfame hinaudfchauen Tann als auf ein 
fremde, vielmehr was in dieſem begegnet, auch jeben ſelbſt wifft: . 
find wir eben deöwegen nicht auch um fo unfähiger zum Bichten? 
Können wir anders fagen, als daß wenn wir richten wir inmer 
mebr ober weniger in eigener Sache richten? Denn es tft alles un: 
fere eigene Sache, was in dem Umfange unfered gemeinfamen Les 
bend geſchieht; durch alles gefchieht uns fir irgend einen Gegen: 
ftand unfered Beſtrebens entweder Worfchub oder Abbruch. Wie 
leicht müffen wir nicht dadurch verblendet werden, und unfer Urs 
theil verfätfcht! Welche Verwirrung, wenn wir und ſollen indem 
wir richten an die Stelle bed andern benfen, zugleich aber uns- 
ihm gegenüber finden und ihm Nuzen oder Schaden vorhalten, ben 
er und gebracht hat! Und wie häufig entfpringt auch baraus eine 
unvertennbare Leidenfchaftlichkeit! Wo aber Leidenfchaft iſt, da iſt 
auch Ungeredyligkeit. Welche reiche Quelle ber Ungerechtigkeit er: 
gießt fi auf diefe Weile über dad Leben, und ber Strom vergroͤ⸗ 
Gert fh immer mehr. Darum verbietet ber Erlöfer bad Richten - 
ganz und verfchliegt und die Thuͤre hinter der Xhat. Was aus 
jeder erfolgt, kann fich und nicht verbergen: aber was bahinter liegt 
— und dad müßten wir hervorziehen koͤnnen, wenn wir richten fol: 
ten, — bad verbirgt ſich und. Dabei follen wir uns nicht aufhal⸗ 
ten, fondern uns ungefäumt nach dem fireffen, was vor und liegt. 


IH. Und daraus m. g. Zr. wirt fi uns um fo leichter die 
Antwort ergeben auf unfere dritte Srage: wie nämlich nun biefes 
richten, wenn es doc) nicht fo nothwendig fein kann al& wir «8 
halten, fol erfegt werden; wie unfer gemeinfames Leben fich doch 
recht geftalten fol, wenn wir bem entfagen müflen, fo daß wir 
ohne ſolches Richten einen anderen Kührer haben in unlerm Wirken 
auf die Menfchen und mit den Menfchen um bad eich Gottes 
dadurch zu foͤrdern. Was fagt der Erlöfer feibft von fih m. g. 
Gr? Des Menfchen Sohn, fagt er, ift nicht gefommen um zu 
richten; nicht daß er die Welt richte ift ex da, ſondern bag er die 
Belt felig mache. Das ift zugleich feine Antwort auf unfere Frage, 
da wir doch mit ihm gehen mit ihm leben und wandeln wollen 
und uns beffen rähmen, daß er in ums lebt und nicht wir ſelbſt. 

‚ Richten und Gefez, dies beides m. g. Fr. hängt fo genau zus 
fanmen, daß eind von bem andern nicht getrennt werben fan; 
aber dad Evangelium Hebt Das Geſez auf. Die ber Geift Gottes 


s 


treibt, die find Gottes Kinder, und ſolche finb nicht unter bem Ge⸗ 
ſez, weil bie Zrucht des Geiſtes ſchon alles das mit fich bringt von 
ſelbſt und ohne Gefez, was nur bad Gefez gebieten könnte, wie fie 
in der Kraft bed Geiftes auch alles fchon von felbft vermeiden, was 
das Gefez ihnen verbietet. Wo nun Fein Geſez ift, ba kann audy 
nicht gerichtet werben. Beides mit einander aufzuheben, dazu iſt 
Chriſtus erſchienen; er iſt in dieſer Beziehung wie jener himmliſche 
Bogen der Gnade, er iſt das Zeichen, bei welchem der Herr uns 
verſpricht, daß er die Welt nicht mehr verderben will durch das Ge⸗ 
richt, weil ſie auch nicht mehr unter der Zucht ſtehen ſoll des Ge⸗ 
fegeg, auf ſteinernen Tafeln. Denn wo ein ſolches Geſez iſt, Da 
wird auch richten und verbanımen immer eind unb baffelbe fein. 
Will nun Gott die Welt nicht mehr verderben durch bad Gericht, 
fo follen wir auch nicht richten. In Chriſto iſt da3 Weberfehen der 
vorher begangenen Sünden, während bie Menſchen noch gefangen 
waren unter jenen Sazungen, ald fie nody durch nichts aufgefchrefft 
werben komiten aus ihrem verkehrten Handel, al3 durch bie Stimme 
des Gerichtd. Nun aber ift die neue Zeit erfchienen, und eine neue 
Gerechtigkeit gilt. Iſt nun biefe Gerechtigkeit der Glaube, der Je: 
fum aufnimmt und nur in bem leben will, ber nicht die Welt rich: 
tet, fonbern fie felig macht: fo foll auch in bem Gebiet dieſes ſei⸗ 
ned Lebens, im biefem geifligen Reich, welches er gegründet bat, 
fein Gericht feinen Drt haben. Denn beides befteht nicht mit eins 
anber; hätte Chriſtus damit anfangen wollen zu richten, fo würbe 
er nicht bazu gelommen fein felig zu machen. Sol er nun das 
auch durch und thun:- fo dürfen wir auch nicht anfangen zu richten. 
Sollen wir theilnehmen an menichlichen Handlungen, fo muͤſſen 
wir. freilich an ihnen unterfcheiden Fönnen was gut ift und was 
böfe, da8 heißt was davon in das Reich Gotted gehört und was 
nicht. Aber wie eine That eingreift in die Förberung bed Reiches 
Sotted, bad liegt auch vor unfern Augen ohne Gericht. Denn da⸗ 
zu brauchen wir nicht zu wiſſen und zu meflen, wieviel Verdienfi 
und wieviel Schuld bed Menfchen daran ifl; dad Seligmachen kann 
glei, an ber Stelle des Richtens feinen "Anfang nehmen, wenn wir 
dad dem Reich Gottes gemäße kräftig in baffelbe zu verwenden fu: 
chen, wenn wir das verkehrte bebeften und es aufzuheben trachten. 

Daß wir bie unterflügen, weiche in einem Wandel begriffen find, 
in welchem fich ber Geiſt des Glaubens und ber Liebe verfün- 

bet, das verfteht fich von ſelbſt: aber fie follen davon nur Gott bie 
Chre geben und wir auch, und indem wir beide Gott bie Ehre 
geben, fo it da fein Gegenflanb zu irgend einem Gericht, welches 
Lob ausfprädhe oder Belohnungen verhieße für das tüchtige, noch 





4 


auch Zabel und Strafe für dad unvolllommene.. Tag wir bie mit 
berzlicher. Zi:be anfaffen follen, an benen wir irgend etwas wahrneh: 
men, was mit dem heiligen Gebot der Liebe mit dem Zufammen: 
fimmen ber Menſchen zu bem Ziele, dad Chriſtus und vorgeftefft - 
bat, fich nitht-vereinbaren läßt, dad miflen wir: aber die huͤlfreiche 
Hand, die wir bem Bruder reichen, unterzeichnet Fein Urtheil vor: 
ber. Wie groß oder gering feine Verſchuldung in einzelnen Fällen 
fei zu wiffen, dad bebarf fie nicht bei ihrem Gelchäft; das laſſen 
wir, wie wir ed ja both nicht wiſſen koͤnnen, in ber Tiefe vergraben 
trugen, die Gott allein befannt iſt. Aber in ber Kraft der Liche 
‚überall eingreifend, helfend abwehrend felbft fchöpfenb aus der Kraft 
anderer auf der einen, mittheilend aus dem unfrigen auf der ande: 
ren Seite, jede menfchliche Handlung auf ihr Verhaͤltniß zum Reiche 
Gottes anzufehn und fie dem gemäß in unfer eben zu verweben: 
dazu find wir berufen, und das vermögen wir nicht nur ohne Ge: 
richt; fondern je weniger wir richten, defto beffer vermögen wir auf 
bad zu fehen, was ber Augenblikk erfordert, was wir in bemfelben 
zu geben haben ober zu leiten. 
Und gewiß, wenn wir. in .biefem Geift ber hulfreichen Liebe 
auf alle Weiſe einander- kräftig beiſtehen immer vorausſezend, jeder 
welcher fi, zeigt ald in dem Geift Ehrifti hanbelnd, wolle immer 
auch dad Werk des andern fördern; jeber wolle, in fofern ſich in fei- 
ner Zhaten die menfchliche Schwachheit offenbart, von dieſer je laͤn⸗ 
ger je mehr frei werden; wenn wir hiezu die geiſtigen Gaben, die 
uns Gott verliehen hat, willig verwenden ohne mit einander zu 
rechnen uͤber mehr oder weniger gegebenes oder empfangenes: dann 
haben wir gewiß auch die Luſt zum Richten verloren; es fuͤgt ſich 
nicht in einen ſolchen Lebenskreis, weil es immer die Liebe ſtoͤrt 
. ohne fie jemals erhöhen zu koͤnnen. Aber je weiter wir dieſes hin⸗ 
ter und haben, um beflo mehr werben wir in That und Wahrheit 
and fein, weil wir nicht mehr einen Ruhm daraus. fuchen, baf 
wir und entzweit einander gegenhberfiellen in ber gemeinfamen 
Sache, fondern und immer ald zufammengehörig anfehen und in 
wahrer Gemeinfamkeit handeln. Gefchieht es dann in biefem Bund 
der Liebe wol von felbft, daß ein Herz dem andern fich öffnet; daß 
die Liebe ein befreundetes Gemüth hineinfchauen laſſen ‚will auch 
in die Geheimniſſe der menfchlihen Schwachheit und Verkehrtheit: 
fo bringt ‚eine folche Bekenntnißthat der Liebe beiden Xheilen einen‘ 
Gewinn, ben fie freudig hinnehmen können; aber.er wird nur um 
fo veicher fein, je weniger ber bekennende ſchon geübt darin iſt 
fi) zu wunflellen und zu verwahren gegen biejenigen, welche richten 
wollen; und je mehr in den, welchem bekannt wird, fchon alle Luft 


zum Michten verſchwunden iſt. Und je mehr: wir foldhe Erfahrung 
machen von ber milden erweichenden Kraft ber Liebe, um befto 
leichter wird e3 und dann auch werben, Diefed große und dem An: 
ſcheine nad) fo ſchwere Wort des Erlöferd zu erfüllen. 

Und koͤnnten wir nun noch fuͤrchten, daß dadurch jemals ein 
Mangel entfichen werde in unferm gemeinfamen Leben, wenn wir 
gar nicht mehr vichten, fondern überall nur helfen unterflügen ab. 
wehren heilen? follte dadurch etwas verfäumt werben in unferm 
thätigen Leben? wird und bie Summe be3 chriftlichen Lebens 
auch nur im minbeften verkürzt, welche in den Worten auögefpro 
chen ift, daß ein jeder thun foll, was ihm vor Handen kommt, 
und daß jeder wirken fol, fo lange es Tag iſt? Xag iſt es über: 
al, wo dad Leben und die Werke der Menfchen offen vor uns 








liegen. . Rur dad geheinmißvolle Spiel ber Herzen mag und im: 


mer verborgen bleiben; es darf kein Gegenfland unferes Forſchens 
fein, weil e8 doch nur wenn e3 und freiwillig dargeboten wird ein 
Gegenfland unferer wirkfamen Liebe fein kann. Denken wir alfo 
gar nicht an das Richten, aber defto mehr — da Hülfe immer noth 
it — an dad Seligmachen: fo leben wir denn wirklich, fo wie durch 
. den, fo aud für den, der nicht gefommen war um zu richten, fon: 
bern um felig zu machen. Und wenn die Liebe um fo ficherer bie 
Menge der Sünden bevefft, als fie in bie geheimen Tiefen des 
Herzens nicht einzubringen firebt: fo wirb auf ber anderen Seite 
das Band der Liebe auch eben dadurch deſto ficherer dad Band ber 
Vollkommenheit. So wird dann audy immer mehr das herzliche 
Wertrauen in allen feinen Abftufungen fih entwiffeln und befeflic 
gen können, welches durch die Neigung zum Richten nur verfcheucht 
und zuräßfgehalten wird; und dann werben- wir auch zu der Er: 
kenntniß wenigſtens theilmeife gelangen, deren wir uns beim Rich: 
ten anmaßen ohne fie wirklich inne zu haben. Denn wenn es 
gleich eined jeden ewangelifchen Chriſten gutes Hecht iſt mit ben 
verborgenen Tiefen ſeines Herzens nur vor Gott and Licht zu tre⸗ 
ten: fo wirb doch oft genug die Macht ber Liebe auch ohne es zu 
wollen bewirken, daß biefe Hüllen abgeworfen werben, und fo wer- 
den auch die Xiefen des Herzens wenigſtens für engere Kreife ein 
gemeinfames Gut. Und dadurch erfl fommt recht die ganze Nich⸗ 
tigkeit des Richtens an den Zag. Wie anders erfcheinen bie Hanb- 
kungen ber Menfchen, wenn wir einzeln das Maaß eines Buchſta⸗ 
ben daran legen, und wie anders, wenn wir inne werden, wo und 
wie ſie auf dem Wege der Heiligung des Menſchen liegen, und 
wie ſich Gott derſelben bedient um ihn in der ſeligen Gemeinſchaft 


’ 


mit dent zu flärken, Der und zu ſeinem Frieden und eines bräberlis 
hen Thaͤtigkeit für fein Reich berufen bat. 

&o laßt und benn alles, was und an bie frühere Zeit an bie - 
unoolfommneren Bildungdflufen erinnert, vergeflen und verbannen, 
alles was Geſez fein will für den mändig alles was (Gericht fein 
wid für den geiflig geworbenen Menſchen, auf da ed wahr werde, 
daß die Liebe es fei, welche und über alles Geſez und über alle 
ſalſche menſchliche Weidheit erhebt, um alle zufammen zu halten 
in de: ewigen Kraft des göttlichen Geiftes und in der Luft und 
ireude an dem heiligen Willen Gottes. Amen. 


ee Re 


V. 
Am 10. Sonntage nad) Trinitatis 1831. 





Lied Kr. 48. 311, B. 1—7. 
Text. Mach. 7, 6. 


Ahr folk das Heiligthum nicht den Hunden geben, und 
eure Perlen follt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß 
fie diefelbigen nicht zertreten mit ihren Füßen und fich 
wenden unb euch zerreißen. 


M. a. Fr. Dieſe Worte des Erloͤſers koͤnnen wir nicht ohne eine 
gewiſſe Verwunderung und näher betrachtet ohne einen tiefen 
Schmerz vernehmen. Was kann er -bamit gemeint haben? Indem 
er, wenn auch nicht gerade nur zu feinen Juͤngern, fonbern vie: 
leicht zu einem vermifchten Haufen feines Volkes redete, was kann 
er unter dem Heiligthum verftanden haben als eben den geifligen 
Tempel Gottes, welchen zu erbauen er gelommen war, als bad 
göttliche Wort, welche er an die Seelen ber Menfchen brachte? 
was kann er verfianden haben unter der Perle, ald eben bie eine 
koͤſtliche Perle bed Erbes in dem Reiche Gottes, von weicher er 
fagt, daß ber Menfch, der ihren Werth zu fchägen weiß, gem alles 
bingiebt was er hat, bamit er biefe befige? Dieſes Heiligthum 
nun war er ja gelommen den Menfchen zu eröffnen; biefe koͤſtliche 
Perle zu einem gemeinen Gute zu machen für alle, bie nur irgend 
darnach greifen möchten aus innerm Triebe ihres fonft nirgenb be 
friedigten Gemuͤths: dazu ja hatte ex ſich feine Sünger gewählt, daß 
fie diefe Worte ber Einladung, bied Anerbieten ber größten göttli 





4 
den Gnabe fertieagen fellten, wohin fie nur koͤnnten; dazu fenbete 
er fie aus ſchon während feines Lebens, und bad war der einzige . 
Auftrag, ben er ihnen gab für bie Zeit, wo. er nicht mehr wuͤrde 
da fein! Und was er fo allen mittheilen wollte, was er gem al 
len wollte zugaͤnglich machen, das befiehlt er in diefen Worten zus 
rüffsuhalten, Damit es nicht verloren gehe! dasjenige, was boch 
wie er es wußte eine unzerfiörbare göttliche Kraft im fich fchloß, 
bad wollte er nun auf einmal verborgen halten, bamit ed nicht uns 
terbrüßft vwourbe und zernichtet von einer rohen Gewalt! Solche 
Verihiedenheit von feiner.und allen bekannten fonft überall fich 
gleich bleibenden Art und Weiſe muß und billig in große Verwun⸗ 
derung fezen. — Uber wad er hier bezeichnet durch die Namen 
von Thieren, bad waren doch Menſchen; denn nur für biefe ift je 
ned Heiligthum gemacht, und nur denen biefe Perle befchieden. Und 





der Erlöfer, der gelommen war zu fuchen was nerloren ifl; der im- 


mer mit der herzlichften Liebe befliffen war das ‚glimmenbe Docht 
nicht außzulöfchen, das geknikkte Rohr. nicht zu zerbrechen; ber alle 
menfchliche Gebrechen und alle Sünde der Welt zufammenfaßte vor 
feinem Vater in bad Gebet, daß er möge vergeben den unverfläns 


bigen, weiche nur nicht wüßten was fie thaͤten; der fo fundig war 


ber menſchlichen Schwachheit in allen ihren verfchiedenen Geflalten 
und fo beſtrebt ihr überall als ber heilende Arzt entgegenzulommen; 
ja der felbft fo flarfe und drohende Reden gegen die außfließ, bie 
im Uebermuthe zu großer Selbſtſchaͤzung, im Duͤnkel menfchlicher 
Weisheit andere um fich her verkleinern und erniedrigen: ber redet 
bier ſelbſt von Menfchen ald von unvernunftigen und verächtlichen 
Thieven! Was für einen Zuflend muß er im Auge gehabt haben! 
O, bag er einen folchen vorausſezt und dagegen warnt, bad kann 
und nicht anderd ald mit bem tiefiten Schmerz erfüllen. und fo 
wie biefe Werte doch nun jebenfalls Worte des Erlöferd find — 
denn gefezt auch, fie wären früher ſchon fprüchwörtlich buch den 
Mund ber Menge gegängen, fo hat er fie fi) nun doch angeeignet 
und fie zu ben feinigen gemadht, — fo gehören fie alfo mit zu ber 
koͤtlichen Perle des Worted, dad und aufbewahrt ift aus feinem 
Munde; ımb wir dürfen nicht glauben, daß es uns würde aufbes 
wahrt geblieben fein, wenn es etwa nur feine Beilimmung gehabt - 
hätte für die damalige Zeit. Darum muͤſſen wir uns fragen, Was 
für einen Werth hat dieſe Rede für uns, weiches find bie Ge 
genden bed menfchlichen Lebens, wo es auch und bevorfichen Tann 

he in Auwendung zu bringen? Und fo. laffet und zuerft die Frage 
vorlegen, was denn daB für ein menfchlicher Zuſtand iſt, für weichen . 
Me Warning. des Griöfers ſich auch: izt noch eignet? aber dann 


. 
. 
- 


laßt und auch zweitens fragen: wad uns benn wol in 
Hung auf denfelben obliegt, bamıit das Wort des Herrn nicht ver 
geblich bleibe, fonbern wo möglich feinen ganzen Zweit an ums 


L Bam wir und num, m. g. Chriften, die erſte Frage vorle 


mitzutheilen, bie ex boch eben gelommen war ber Welt zu zeigen 
und zu offenbaren: fo muͤſſen biejenigen, benen es beibed vorenthal⸗ 
ten will, in einem ſolchen Zuflanbe fein, daß durchaus gar Fein 
Nuyen von foldyer Mittheilung zu erwarten if; es muß eine geis 
flige Unfähigkeit dad Wort Gottes zu vernehmen unb ibm irgend 


thes befänbe, bad göttliche Wort verheimlichen zis wollen, fo lange 
es audy nur ben geringfien Einbruff auf’ dad menfchlidhe Gemüth 


guFt 
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frerrns 
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4 


Gefahr vor fr bad heilige ſelbſt; es denkt fi ein großed Unheil, 
was plözlich entgegentreten kann, und beutlich und lebhaft will er 
es und fehildern in biefen Worten. Iſt und nun bad Bild, deſſen 
er fich bedient, nicht gleich Mar, und wir fragen uns, Was iſt denn 
dad, was den Menfchen auf folhe Weiſe unempfänglic) macht für 
das göttliche Wert, was ihn in folchen Zuſtand vesfegt, wo es rath⸗ 
ſamer ift ed zuruͤkkzuhalten, als ed ibm hinzugeben: fo werden wir 


gewiß an nichts anderes denken, ald überhaupt an unſelige leiden . 


ſchaftliche Zerrüttungen bes menfchlichen Gemuͤths. Ja freilich, wenn - 
wir auf bie rohe Gewaltthätigkeit fehen, zu welcher biefe fich oft 
fleigen, da tritt es und entgegen, daß ed Augenblikke giebt, wo das 
menkhliche Gemüth auf eine wahrhaft feindfelige Weiſe verfchloffen 
if gegen alled höhere, dem es fich boch fo gern zu öffnen pflegt, 
wern ed ihm im ruhigen Zuſtand mit Liebe und Freundlichkeit vor 
Augen gebracht wird. Daun iſt ed nur eine natürliche Bewegung, 
daß auch die, welche dad göttliche Wort fonft überall mit Freuden 
verfündigen und _barin ben fehönften Beruf ihres Lebens finden, ſich 
doch licher zuruͤkkziehen und bie Gemeinfchaft mit fo bewegten Mens 
Ihen für den Augenblikk aufgeben. Ä | 

Betrachten wir Die Sache näher, fo wird und aus bem 
bed Eriöferd — ‚ohne daß wir ed mit dem Bilbe deſſen er ſich be 
dient genauer nehmen, ald man ed thun barf, wenn man nicht bei 
der Wahrheit vorbeizugehen Gefahr laufen will, indem man fie 
füht — zweierlei entgegentreten, was wir beutlich unterfcheiben 
kimnen nach Maaßgabe ber beiden Wilder, deren ce ſich bedient. 
Das eine bexfelben erinnert und mehr an bie leibenfchaftlichen Erre⸗ 
gungen, welche aus befonberen Werhältnifien ber einzelnen entfliehen. 
Benn Beleidigungen oder zugefügter Schabe den Bom in ber Seele 
erglͤhen machen; wenn eine gefränkte Perföntichleit nach Rache 
ſchnaubt, und folche leivenfchaftliche Aufregung jeden Gedanken an 
Recht nd Ordnung zum Schweigen bringt, fo baß bald biefer bald 
jener in folcher fchrektlichen Unorbnung in lebenögefährliche Thaten 
gegen andere ausbricht: ach, dann fehen- wir bad hier in bem 
Nenſchen entfeffelt! dann weiß auch jeder, wie fehr er fonfk dazu 
geägnet wäre und berechtigt, bag in folhen Augenblikken nichts 
auszuichten iſt mit einer aus dem göttlichen Wort gefchöpften 
Nahnung an bie höheren Verhaͤltniſſe der Menſchen, und jeber 
zieht fich gem zuruͤkk. Died nun m. g. Fr. iſt wol das eine, was 
der Aribfer im Sinne hat. — 

Dad andere Bild in ben orten des Erloͤſers aber erinnert 
und mehr am gemeinfame Verirrungen großer Maſſen. Diejenigen, 
welche zu wenig erleuchtet find, als daß ber Zuſanmenhang ber 


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menfchlichen Dinge ihnen deutlich genug vor Augen ſchweben könnte, 
die, wie fie auf das geringfle Maaf von Befriedigung befchränft 
find, fo auch auf der niedrigften Stuje der Entwilfelung geifliger 
Kräfte ſtehen und baher nicht leicht eined richtigen Urtheils fühig 
find über das, was jenfeit ihrer gewohnten Verhaͤltniſſe liezt; wenn 
diefe auf verkehrte Weife aufgeregt werden im Zeiten, wo auferen 
dentliche Umflände auch von ihnen außerordentliche. Beiflungen ober 
Entbejrungen verlangen: dann find fie leicht genug aus der ges 
wohnten Bahn der Ordnung und des Gehorfamd hinaus zu ver 
führen. Leicht find fie durch leere Beſorgniſſe zu täufchen ober durch 
grundlofe Hoffnungen; und find Begierden der einen ober andern 
Art in ihnen erregt, find fie zu dem Bewußtſein ihrer rohen Kraft 
- gelangt: dann werben aud) die heiligen Umzaͤumungen, werin Ge 
ſez und Ordnung fie halten wollten, niedergeriffen. Und dies m. 
th. Sr. if der andere Zufland, der dem Erlöfer auch bei feinem 
WVolke oft genug vorkam, und den er bei den Worten unfered Ter⸗ 
tes im Auge hat. — Doch m. g. ich finde es nöthig hier noch 
- einen Unterfchieb vor Augen zu flellen, um einem Mißverſtaͤndniß 
und einer Verwechſelung zweier ganz verfchiebener Dinge. vorzubeu: 
gen. Es giebt Zeiten, in denen das fichere Bewußtfein von der 
Zutraͤglichkeit und Angemeffenheit der beflchenden Verhaͤltniſſe ver: 
Ioren gebt, und in benen fich bedeutende Veränderungen näher oder 
entfernter vorbereiten. Da regt ſich auch ein gewaltiger Eifer, und 
die Meinungen treten hart an einander; Die einen fürchten, daß 
Rechte, die ihnen heilig find, gekraͤnkt werben follen; die andern 
glauben, daß ihnen etwas gebührt, was ihnen mit immer größerem 
Unvecht länger vorenthalten wird, daß diejenigen, welche dad ganze 
zu leiten haben, bemfelben feinbfelig gefinnt find und nur am ihr 
eigenes benfen. Je mehr fich der Streit auch denen mittheilt, die 
nicht in der Mittheilung durch bie Rebe in der Entwikklung von 
Gründen fih und andern genügen können: um befto leichter entſte⸗ 
hen auch wilde leidenfchaftliche Bewegungen und arten nicht felten 
aus in wirkliche Zerrüttungen des bürgerlichen Zuſtandes. Das 
find denn Zeiten, von denen, wenn wir nicht ımter allen Stuͤrmen 
des Lebens ben Glauben an eine leitende Vorſehung feflhielten, wir 
nicht würben wifien koͤnnen, ob fie ‘zum beſſeren ober fchlimmeren 
führen. Aber doch m. g. Fr. iſt der Streit um etwas geifliged; 
wie fehr auch dabei auf mancherlei Weife die Leibenfchaften erregt 
werben, fo find ed doch nicht dieſe Zuflände, die der Erloͤſer im 
Auge gehabt hat. Sie find nicht an und fuͤr ſich von der Art, 
daß fie bie Gemeinſchaft mit dem göttlichen Worte aufheben, fo 
lange fie aus bem Gefühl für Recht für Ordnung für ein bem 








“ 


Menfchen würbiged unb großed Bufammenleben hervorgehen. D 
diefe Bewegungen können ſchon an und für ſich ein großes Unheil 
fein; fie können zu noch größerem Unheil den Keim in fich tragen 
und es weit um fich her verbreiten: aber niemald find fie der Art, 
daß wir genöthigt fein koͤnnten die Stimme bed göttlichen Wortes 
zuruͤkkzuhalten. Vielmehr tft diefe e& allein, welche zulezt bie 
aufgeregten (Gemüther wieder befänftigen muß, bamit alles fich 
friebfich fchlichte, der Sturm fich lege, und ein Zuftand wieberkehre, 
an bem bie gutgefinnten fich erfreuen koͤnnen. Was ich aber vors 
her befchrieb, dad find bie rohen Erregungen der unvernehmlichen 
und erfermtnißiofer Maffe, die.oft audy gegen dad, was alle vers 
fländigen ald aus ber Sorge für dad gemeinfame. Wohl hervorge⸗ 
gangen ehren und. fich ihm fügen, mit thierifcher Rohheit anſtuͤrmt, 
wenn. ed ihr nur irgend Beforgniß erregt für die eingewurzelten Ges 
wöhnungen ihres Lebens. Das ift der Zuſtand, den der Erloͤſer im 
Auge gehabt, wenn .eine wilde Menge feiner Belehrung der Ver⸗ 
nunft feiner Warnung des göttlichen Worted mehr Raum giebt. 
Liegen uns etwa bie Beifpiele davon fern, und find fie und fremb? 
Leider m. 9. Fr. haben wir vor kurzem bergleichen erlebt in dem 
eigenen Bande! In derſelben Verbindung ded Rechts und der Ord⸗ 
nung, ber wir auch angehören, unter bemfelben Schu; des geliebten 
Königs haben Störungen der Öffentlichen Ruhe ftatt gefunden, Auf 
Iehnungen gegen bie von ihm gefezte Obrigkeit, weil ungelehriges 
Bolt fh gewaltfam erhob gegen von oben gegebene Vorfchriften, 
die doch nur bezwekkten in einem gefährlichen Zuftand Mittel bes 
Held aufzuſuchen und gegen dad Uebel einen Damm aufzumwerfen. 
Aber von den thörichtften Einbilbungen aufgeregt gerieth die Mafle 
in Ruth, und in wilbem Ungehorfam in unbändiger Gewaltthat 
zeigte ſich dad loögebundene Thier! Und dad in Gegenden, wo bie 
große Maſſe des Volks derfelben erleuchteten evangelifchen Kirche 
angehört wie wir! Kommt nun das erfte, was ich bezeichnete, lei: 
der noch überall in einzelnen Fällen vor; können wir und nicht mehr 
rühmen gegen das zweite ficher zu fein: wolan fo müffen wir wol 
daran benfen, wie wir und auch gegen folche Zuflände zu verhalten 
babenz; fo müffen wir. und, nachdem wir erfannt haben wad ber 
Erloͤſer gemeint bat, auch die Frage vorlegen, was geziemt und 
wol, wenn -folche rohe Gewalt hereinbricht, ſowol in vereinzelter 
Geſtalt, als wenn die Maffen fih in Bewegung ſezen? 


I. Werden wir num fagen muͤſſen, der Erlöfer wird bier wie 
immer Recht haben — iſt es einmal bi dahin gekommen, bie Ordnung 
des menfchlichen Gemuͤths fo weit geftört; ift ß das oberfle nah 

IH. ' Ä 


. 50 


unten gefehrt, daß Menfchen den unvernünfligen Geſchoͤpfen nahe 
gebracht. find; finden wir fie in einem Zuflande, wo feine Hoffnung 
mehr ift durch die Werweifung auf die Stimme des göttlichen Ge 
ſezes durch den Zuruf der. chriftlichen brüberlichen Liebe die leiden: 
ſchaftlich aufgeregten Gemüther zu befänftigen: ja bann müflen wir 
auch dem Rath des Erlöfers folgen und ihnen nicht dad Heilig. 
tum vorhalten; dann müffen wir die koͤſtliche Perle wohl verber: 
gen, bamit beides nicht befhimpft und mit in die Verwuͤſtung ge 
zogen werde, — fo koͤnnen wir ed doch dabei nicht bewenben laffen. 
Sollen wir bad nicht thun, fo muß ed etwas andered geben, was 
und obliegt; benn unthätig dürfen wir in foldyen Fällen nicht blei⸗ 
ben,. da wir ja aufgefordert find alles böfe zu überwinden durch 
dad gute. 

Wolan m. th. Zr., wenn und folche menfchliche Zuflände vor 
Augen treten, wo alle Gemeinfchaft mit dem göttlichen Wort offens 
fundig abgebrochen if, und -die Mahnung an den heiligen Willen 
des Hoͤchſten gar nicht mehr an dad durch dad Braufen der Leidens 
[haft verftopfte Ohr fchlägt, weil die Selbftfucht fich auf den Thron 
geihwungen hat und alled unter die Züge tritt, was fie zügeln 
will; hat der Blikk der brüberlichen Liebe, haben die Zeichen menſch⸗ 
- licher das gute ſchuͤzender Macht ihren Einfluß ganz verloren, weil 

dem ungöttlihen Weſen grade dad gefezwibrige wohlgefält und 
ed reizt: o dann können wir noch viel weniger hoffen, daß die 
Stimme menfhlicher Weiheit und Lehre noch etwas fruchten könne! 
Wolan dann bleibt alfo nichts übrig, ald der rohen losgelaſſenen 
Gewalt auch die Gewalt aber die geheiligte Gewalt ber Ordnung 
entgegenzuftellen, die fchüzende gemeinichaftlihe Macht hervorzuru⸗ 
fen, daß fie fich geltend mache gegen bad eingetretene Unheil; und 
dann geziemt ed allen ſich mit diefer fchüzenden Macht. zu vereini: 
gen; dann geziemt ed allen fie aufrecht zu erhalten gegen die un: 
heilvoll bewegten Gemüther; dann geziemt ed allen zu zeigen, wie 
fie dad befle erwarten auf dem Wege ded getreuen Gehorſams und 
in ber treuften Anhaͤnglichkeit an die liebenswürbigen heiligen Ge: 
walten, die ımd fo lange zufammengehalten haben. Aber m. g. Fr. 
iſt e8 wahr, daß wenn einmal folche Zuflände eingetreten find, für 
den Augenbliff nichts übrig bleibt, als daß alle ſich mit ber öffent: 
lihen Macht vereinigen um dem Recht und der Ordnung den Sieg 
zu fichern ‚gegen die zerrüttenden Bewegungen einer lodgebunbenen 
Wildheit; wenn es firafbar ift ſich dann in eine ruhige Mitte flel- 
len zu wollen zwifchen beiden, fonbern jeder fich bereit halten muß 
dem gemeinen Weſen zu helfen wo und wie er bazu aufgeforbert 
wird: fo laßt und doch ja nicht ‚glauben, daß wir bamit erichöpft 











31 


„haben was und als Chriſten fuͤr ſolche Faͤlle obliegt; ſondern im⸗ 
mer muͤſſen wir ſchon etwas wichtiges verſaͤumt haben, wenn ſolche 
Zuſtaͤnde eintreten. Und vorzuͤglich zweierlei liegt mir hier auf dem 
Herzen. — Das erſte iſt eine Beobachtung, die wol fuͤr mehrere 
Zeiten und in ähnlichen Verhaͤltniſſen wie bie unſrigen ziemlich all» 
gemein gelten wird. Nämlich jene anderen und befferen aber doch 
auch ſchon Teidenfchaftlichen Bewegungen, deren ich vorhin erwähnt, 
daß ihnen ein fei ed num richtiges ober wie es fich wol öfter fins 
bet auch fchon mißleiteted Gefühl für das rechte und gute zum 
Grunde liegt, wenn wir fie auch nicht zu denen rechnen Eönnen, 
weiche der Erlöfer hier im Sinne hat, weil fie ihrem eigentlichen 
Grunde nach auch nicht die Kraft bes göttlichen Worte lähmen 
und vergeblich machen, vielmehr wenn fie nicht weiter ausarten fol 
Im durch Berfländigung aus dem Worte Gottes, wie wir ed in 
und haben und wie es vor und liegt, gefchlichtet werben muͤſſen: 
je können wir doch die Erfahrung nicht verläugnen, die fich uns 
immer wieber aufdringt, daß gewöhnlich Bewegungen diefer Art 
ſchon vorangegangen find, ehe dieſe niedrigen und verworfenen Ges 
waltthaten entftehen; und auch wo jene in leiblichen Schranken bleis 
ben, werben body dieſe in ihrem Gefolge bei ber nächften Veran⸗ 
laſſung nicht fehlen. Iſt es erft einmal dahin gekommen, daß bie 
beftehende Gewalt des ganzen, welches zu Recht und gefezlicher 
Ordnung verbunden ift, daß biefe von Gott eingefezte ſchuͤzende 
Macht, welche Geftalt fie aud) haben möge, der Gegenfland eines 
aufgeregten Streited wird; wird ihr Recht bezweifelt und fcheint fie 
wanlend gemacht werben zu können: ach dann fühlt eben das Thier 
im Menfchen, daß fich feine Feſſeln loͤſen; dann fchöpft es fogleich 
&uft und rüflet fi zu wilden Bewegungen; dann regt fi) mit 
verfärkter Kraft die Selbflfucht und hofft für ſich Raum zu ge 
winnen in dem verwortenen Streit der Meinungen. Darum bes 
fieht umfere wefentliche Sicherheit gegen folche Unorbnungen barin, 
daß wir und auch jene Vorläufer fern halten. Oder wie, ſollte 
dies nicht möglich fein? follten wir als Chriſten zugeben müffen, 
daß erſt boͤſes gefchehen müffe, damit gutes herauskomme? ober 
iR etwa nicht der leidenſchaftliche Streit, der und in Parteiungen 
auseinander treibt, fchon etwas böfes? Ja das follten wir für un 
fere Ehre achten bier nicht aus ber richtigen Bahn zu weichen!‘ 
Uns geziemt ber ruhige flille Weg einer in gegenfeitiger Liebe durch 
freundliche Ausgleichung der Anfihten forticreitenden Foͤrderung 
unfered gemeinfamen Wohls; auf biefem laßt und auch ferner blei. 
ben, fo koͤnnen folge Zuſtaͤnde unter und nicht einheimifch werben, 
wie der Erlöfer fie hier fchildert. Der feite ur ve öffentlichen 


$2 


Lebens, das Band ber Einigkeit bed Geiftes unter ben guten umb 
verländigen hält auch in der roheren Menge das thierifche in ge 
hoͤriger Schen, daß ed nie fo fchauberhaft erwacht, nicht bei jeber 
Aufregung fich losreißt um fich in wilden Sräueln zu ergehen. So 
nur kann verhindert werden, daß ed in ber chrifllichen Welt nie 
dahin komme, daß ein Theil der Menge ſich Iöfe von bem Zügel, | 
den das Anfehn des göttlichen Wortes ihr anlegt, baß fie nicht mehr 
zu faflen wäre bei ihrem Gewiſſen, nicht mehr befchwichtiget wer: 
ben Eönnte durch bie heiligen Zöne, gegen bie fie body von Ehr: 
furcht durchdrungen ift von Jugend auf. 

Benn nun das jezt gefagte fich vorzüglich auf diejenigen Uns 
ordnungen bezieht, denen fi) die Menfchen in. großen Maflen bin: 
geben: fo ift das zweite, was mir auf dem Herzen liegt, von allge: 
meinerer Art und betrifft nicht minder aud die wilben und leiden» 


ſſcchaftlichen Ausbrüche ber vereinzelten Selbſtſucht. Naͤmlich weichen 


von biefen beiden Zufländen wir und auch vorhalten mögen, gleich 
viel ob aus unferer Nähe oder aus der Kerne her: wir können uns 
dabei bed Gedankens nicht erwehren, daß wo dergleichen hervorbricht 
wir auch eine große gemeinfame Schuld aufzufuchen haben, an wei: 
cher jeber fein Theil trägt, weil in einem foldhen Zuſammenhang 
menſchlicher Dinge wie ber umfrige feiner. fremd if dem andern; 
Bie koͤnnen wir anders m. g., wir die wir ohne Ausnahme die 
Segnungen einer gereinigten Erkenntniß Gottes und - unfere Heils 
genießen, wir bie wir mehr ober weniger Antheil haben an allen 
geifligen Gütern einer reich entwikkelten und hoch gebildeten menſch⸗ 
lichen Geſellſchaft, wir die wir von Jugend auf lernen unfer Wohl: 
fein in der Herrfchaft des Rechts und der Ordnung zu finden, aber 
noch tiefer in und vernehmen den Ruf der allgemeinen brüberlichen 
Liebe zu allen, die berfelbe Erloͤſer fih zum Eigenthum erworben 
hat, über bie berfelbe göttliche Geiſt bereit: iſt fih ausgießen zu 
lafjen, ber in und ruft Abba lieber Water! und ums fich zu eigen 
macht: wie koͤnnen wir anders m. g. Fr. als mit tiefem Sammer 
biefe große geiflige Ungleichheit ber Menſchen beklagen, die uns boch 
von Ratur und durch die Aufttahme in die Gemeinfchaft der Chri⸗ 
ſten ganz gleich find! ˖Bedenkt es, einige, die zu derfelben geiſtigen 
Ordnung gehoͤren wie wir, die Antheil an derſelben menſchlichen 
Ordnung der Dinge haben mit uns, koͤnnen fi) noch mitten unter 
uns in ſolchem Zuflande befinden, daß die heiligen Triebfedern, die 
uns alle leiten follen, fo gut als gar feine Macht über fie aus; 
üben? Unb da wir alle berfeiben Bbrüberlichen Liebe der Shriften 
empfohlen find; da feiner von uns an fih allein zu benfen hat, 
fondern jeder zugleich an daß was bed andern iſt: wie Eönnten wir 











33 


behaupten, die wir höher ſtehen als jene an geifliger Entwikkelung 
und Ausbildung, höher auch an Einfluß auf bie, welche und umge 
ben, wie könnten wir fagen, daß wir ohne Schuld find, daß wir 
alle bad unfrige gethan, wenn doch noch folcherlei unter und ges 
ſchieht? Haben wir .und nicht zu fehr gefondert von biefem ge: 
drüßften Theil unferer Brüder, fo daß fie nicht zu dem Bewußt: 
fein tommen konnten, daß fie ein vorzüglicher Gegenſtand unferer 
Liebe. und Sorge find? find wir freigebig genug geweien in ber 
Mitteilung unferer Einficht; haben wir nicht hochfahrend fie von 
uns zurüffgefcheucht, anftatt ihnen mitzutheilen von unfern geifligen 
Süten? haben wir nicht in flolger Verwoͤhnung wenigftens nahe 
genug geftreift an bie lieblofe Einbildung, als wären fie wirklich 
bazu beflimmt nur immer gewaltfam von außen gebänbigt zu wer 
ben, ald wären fie auf unbeilbare Weiſe fo tief herabgeſunken un⸗ 


ter dad Maaß der menfchlichen Natur, wie ber Erlöfer e8 in ben - 


Borten unferd Textes barftellt, und wie wir es leiber fo oft in ber 
Erfahrung fehen? D gewiß m. g. werben wir und von dem allen 
nicht freifprechen können! — So laflet und benn zufammenhalten, 


auf daß es befler werde, ehe noch foldye Uebel und nahen. In 
Eräftiger brüderlicher Liebe und milder Weiöheit laßt und ben nie. . 


drigeren Theil der Geſellſchaft jezt mehr als je zum Gegenfland uns 
ferer Sorge machen; nicht nur daß wir immer geneigt bleiben ben 
Ueberfluß ablenken zu lafien in das burflige Bett der Dürftigkeit, 
fondem noch vielmehr laßt und geifliged mittheilen und uns ihnen 
faſt aufbrängen mit ben ebelften Gütern, deren wir und erfreuen. 
Möchten fie es inne werben, wie fehr wir auch ihnen gönnen’ nicht 
inmer nur durch bie Furcht gebändigt und getrieben zu werben, 
fondern gleich und durch die Schaam gezligelt und durch die Freude 
am guten gelenkt, wie herzlich wir und jeber edleren Regung in 
ihnen erfreum. Möchten wir es fie merken lafien, daß wir nicht 
nur Dienfle von ihnen gern und leicht‘ entgegennehmen und und 
nit nur der Vorzüge erfreuen, die wir fo nicht befizen könnten, 
wenn nicht eine fo bedeutende äußere Ungleichheit unter den Men: 
ſchen beflände, fondern baß wir, ald etwas weit höheres anerkennend 
ihre Gleichheit mit und in dem Antheil an ber Fürforge und Liebe 
unfers himmlifchen Waters, ihre Gleichheit mit. und als erlöfte uns 
ſers Herrn, und auch ſchuldig finden ihnen zu bienen mit allem 


und vormehmlich ihnen nach beſtem Vermoͤgen mitzutheilen von un⸗ 


ſern geiſtigen Guͤtern. 

Wenn es und erlaubt wäre bie Aufgabe mehr in bie Ferne 
binauszufchieben, ja dann m. g. wäre ed allerdings das Leichtefte, 
dag wir nur darauf dächten für die Zukunft immer mehr. biefe zu 





34 


große Ungleichheit verfchwinben zu machen. Können wir dad nicht 
bewirken in Beziehung auf ben äußern Beſiz und bie irdifchen Gü» 
ter bed Lebens, fo möge fie nur immer mehr verfhwinden n Be 
ziehung auf die geifligen ‚Kräfte. Das würbe gefchehen, wenn wir 
noch ernfter Bedacht nähmen und mehr Kräfte wendeten auf bas 
Wohl der unter und heranwachfenden Jugend biefed Theils ber Ges 
ſellſchaft, daß fie nicht zu fehr eingetaucht werbe in bie noch jezt 
berrfchende Rohheit, dag fie zu einer freubigen geiftigen Entwiffelung 
gelangen Fönnte und zum Bewußtfein eigener Kraft um fich einft 
ein felbftfländiged Dafein zu begründen. So würde fih dann all- 
maͤhlig eine durch alle hinburchgehende geiflige Gemeinfchaft gruͤn⸗ 
ben, in welcher jene äußeren Unterfchiebe weniger beachtet wuͤrden, 
- wenn fie auch nicht ganz verfchwinden könnten. Aber wir dürfen 
und bamit nicht begnügen; es dringt uns freilich näheres, und tau: 
ſend Beifpiele mahnen und daran, wie nöthig ed ift auch mit bem 
, Iegigen Gefchlecht ganz das Band ber Liebe feflzufnüpfen, unb um 
fo mehr in einem folchen Zeitpunkt, wo allen gemeinfam, Gefahren 
drohen, auch die in die Gemeinfchaft unferer Sorgen und unferer 
Beftrebungen inniger aufzunehmen, welche ohnedies zuerft und am 
ſtaͤrkſten leiden, fo oft die menſchlichen Dinge nicht mehr in gewohn⸗ 
ter Bahn fortgehen. Möchte doch jeber in feinem Kreife ſich denen 
aus dieſem heil der Gefellichaft, mit denen er zu fchaffen haben 
kann, berzlicher brüberlicher chriftlicher hingeben, damit der Eins 
drukk herrſchend werbe, daß im ganzen der Gemeinde eine lebhafte 
Theilnahme herrſcht an denen, welche ohnehin fo viele Güter des 
Lebens entbehren müffen! möchten wir alle fo mit ihnen umge: 
ben, ohne daß fie fich doch einbilden könnten, wir fehmeichelten ih⸗ 
nen aus Furcht vor ber rohen Gewalt, welche fie und könnten fuͤh⸗ 
len lafien! Aber das kann nur gefcheben, wenn ihnen unabmweis: 
lich klar wird, daß es wahre Liebe ift, welche ſich in und regt ge 
gen fie, daß wir nicht das Bebürfnig fühlen und gegen fie zu ſchuͤ⸗ 
zen, ſondern dad fie mehr an und heranzuziehen. Das wird der 
Herr niemald ohne Segen laſſen, und niemals wirb es zu fpät 
fein, wenn wir anfangen einen folchen bruͤderlichen Sinn noch flärs 
fer vorwalten zu laſſen in unferm Betragen gegen bie, welchen wir 
und zu leicht entfremden, weil wir fie nicht ganz in unfern näc: 
ſten Kreis bineinziehen Eönnen. 

Und der Erlöfer, an dieſe betrübenden und ergreifenden Worte, 
bie wir zum Gegenfland unferer Betrachtung gemacht haben, was 
für welche knuͤpft er an? Bittet, fagt er, fo wird euch gegeben, 
Eopfet an, fo wird euch aufgethan. Wolan denn, fo Jaffet uns 
bitten, daß wir bewahrt bleiben vor allen folchen Auflehnungen ge: 





. 


55 


gen Ordnung und Recht, wobei fih das Herz gegen die Stimme 
des göttlichen Worted verſtokkt! Aber nicht nur Gott, von dem 
freitich alles "gute kommen muß, fondern auch unter, einander laßt 
uns gegenfeitig uns erbitten, daß wir nach allen Seiten aufs neue 
den Handfchlag der Liebe und Treue geben und empfangen! Laßt 
und anflopfen, aber nicht allein an den Pforten ded Himmels, und 
am wenigften damit wir ohne unfer Zuthun irgendwie verfezt wer⸗ 
den in einen fihern und friedlichen Port: fondern laßt und anklop: 
fen an den Herzen unferer Brüder; auch dieſe werben ‚und aufge: 
than werden, wenn wir in Liebe und Zuverficht anpochen. Wir 
werben Vertrauen finden für dad Vertrauen, womit wir entgegen: 
fommen; wir werben nicht zurüffgewiefen werden mit ben herzli: 
hen Gaben, die wir. barbringen. Und fo werben wir glüfftich. hin: 
durchſteuern dad Schiff unferer bürgerlichen Geſellſchaft durch diefe 
gefahrnollen Klippen, durch diefe flürmifchen Brandungen; der Sturm 
wird und nicht ergreifen, fondern ruhig werden wir fefihalten in 
Liebe und Ordnung. O wie fchön wie herrlich m. th. Fr., wenn 
wir und dad Kleinod erhalten, dag wir frei bleiben von allen fol: 
hen inneren zerftörenden Bewegungen! Mag dann ber Her von 
außen her verhängt haben was er wolle, wenn nur nicht ein ſchlei⸗ 
chende Berderben das innere bed Lebens verzehrt! mag dann, 
wenn ed fo Gottes Rath ift, auch die gefahrvolle. Krankheit viele 
einzelne Leiber zerflören, wenn wir nur auch in biefer Noth an alle 
dem fefthalten, was auch die künftigen Gefchlechter noch vereinigen 
und beglüffen muß; wenn wir und nur auch in ſolchen Leiden be- 
wahren und verherrlichen durch alle Erweifungen chriftlicher Liebe 
und Treue: dann werben wir und auch folcher Zeit rühmen koͤn⸗ 
nen als einer göttlichen Gnabenzeit, die und wunderbar gefördert 
bat, wie gefahrvoll fie auch feit Halten wir uns fo bereit, dann 
werden wir Urfach haben Gott für diefe Zeit vor dem Naben ber 
Gefahr noch zu danken, wenn fie da fen wird, und‘ wenn ber Herr 
fie einft gluͤkklich wird voruͤbergefuͤhrt haben. Hat ſich unſere Ge⸗ 
meinſchaft als eine Gemeinſchaft der chriſtlichen Liebe bewaͤhrt; ſind 
wir durch alle Pruͤfungen hindurch vom oberſten bis zum unterſten 
Io feſt verbunden geblieben, daß dieſe Kette an feinem Gliede ge: 
tiffen iſt: dann werben wir und reichen göttlichen Segend bewußt 
bleiben und uns rühmen koͤnnen, daß der Herr es wohl macht und 
wohl madyen wird mit und allen. Amen.- 


Lied 319, 9.10. 


ui 


—8 


| VI. 
Am 12. Sonntage nach Trinitatis 1831. 





Lied 31. 87. 
Text. Math. 7, 9-1. 


Welcher ift unter euch Menfchen, fo ihn fein Sohn bit: 
tet um Brot, der ihm einen Stein biete? oder fo er 
ihn bittet um einen Fiſch, der ihm eine Schlange biete? 
So denn ihr, die ihr doch arg feid, könnet dennoch, euren 
Kindern gute Gaben geben, wie viel meht wird euer Vater 
im Himmel gufeö geben benen, die ihn bitten? 


M. a. Fr. Es giebt nicht leicht eine wichtige Angelegenheit des 
frommen Gemuͤths, in Beziehung auf welche ſich unfer Blikk fo 
oft verdunkelt, die mit ſo mancherlei Schwierigkeiten umlagert iſt, 
wo Erfahrung und Nachdenken jedes in ſich ſelbſt jedes mit dem 
andern ſo im Streite iſt, als die Angelegenheit des Gebets. Kein 
chriſtliches Leben kann es geben, das nicht. von dem Segen deſſel⸗ 
ben vielfaͤltige Erfahrungen gemacht haͤtte; aber auch wie viele aus 
frommem Herzen mit ganzer Selbſtverlaͤugnung emporgeſtiegene 
Gebete ſind nicht gewiß jedem unerfuͤllt zuruͤkkgekommen! Und wenn 
wir die Sache vor den Richterſtuhl unſers menſchlichen Verſtandes 
ziehen, wie zeigt er uns das eine Mal die Nothwendigkeit, wenn es 
ein Band ber Liebe gäbe zwiſchen dem ewigen Weſen und denen 
feiner Gefchöpfe, die ed würdigt feine Kinder zu nennen: fo müffe 
auch alles fo eingerichtet fein, daß dad Vertrauen genährt würde, 
- die Liebe erhalten durch Erfüllung an ſich Gott wohlgefälliger auf 
die Zörberung des guten gerichteter Wuͤnſche. Auf der andern Seite 








57 
wie beutlich fagt er und, daß wir nicht vermögen. ben Zufammen- 
hang ber Dinge zu überfehen, und daß wir und baher fürchten folls 
ten, wenn unfere Wünfche und gewährt werben, weil wir nicht 
wifien, was wir und oder Auch andern herabbitten von oben. Go 
find wir daher im befländigen Streit mit und felbft; aber wenn 
wir num die Worte und Thaten des Erlöferd fragen, wie dann m. 
g.? Dad eine Mal flößt er den Juͤngern die unbebingtefte Zuvers 
fiht ein, alle worüber wären ed auch noch fo wenige unter ihnen 
fih vereinigen würden um «8 zu erbitten, das folle ihnen gewiß 
werden; das andere Mal aber fucht ex fie zu befchwichtigen und alle 
Sorgen unb mithin auch alle Wünfche von ihnen zu nehmen, und 
weilet fie auf das eine hin, daß fie trachten follten zuerft nach dem 
Reiche Gottes und nad). feiner Gerechtigkeit, und darin alle Wünfche 
für dad menfchliche Leben untergehen laffen. Und er felbft wäh: 
rend feines irbifchen Lebens, das eine Mal redet er mit ber größten 
Zuverſicht zu feinem Water, wie einer ber gewiß iſt, daß er allemal 
erhoͤrt wird; bad andere Mal redet er zweifelnd demüthig unterwirfig 
und fagt, Nicht mein fondern bein Hille geſchehe. Alfo auch wenn 
wir auf feine Worte fehen, wiffen wir nicht, follen wir und lieber 
an das eine, follen wir ums lieber an bad andere halten? Wie 
Fräftig flärkt das eine unfere Zuverficht, wie fehr muß es und ben 
Muth erheben, wie flellt e8 die Würde der Ehriften auf einer has 
ben Stufe dar, wenn es nur der Wünfche von wenigen bebarf um 
ſicher zu fein der göttlichen Gewährung! und auf ber andern Seite, 
wenn wir unfere Kurafichtigkeit und Ungemwißheit betrachten, wie 
wohl müffen -wir fagen würden wir uns befinden, wenn wir ims 
mer die Unterwuͤrfigkeit des Erlöferd nachahmten! Iſt nun biefe 
Frage immer eine fo wichtige und fchwierige für und: wie viel mehr 
in Zeiten wie bie gegenwärtige; in Beiten wo fo viele Verwirrun⸗ 
gen menfchlicher Angelegenheiten alle Blikke weg von: ber Gegen 
wart auf bie Zukunft richten, wo taufend Wermuthungen fich durch: _ 
freuen, wo man auf jede Begebenheit achtet, ob fie bie Erfüllung 
unferer Bünfche herbeiführen oder weiter entfernen werde, ob eine 
Stärkung der Zuverficht davon zu hoffen fei, ober ob neue Angft 
baraud hervorgehen werbe; und bie erſtrekkt fich über alles faft, 
was und das größte und liebfte auf Erden ift! Ja nicht nur bad 
m. 9. Fr. fondern wenn wir gedrängt werden von ber Ausſicht auf 
nahe Gefahren und Xrübfale, deren Umfang wir nicht überfehen 
können; wenn wir aufgefordert werben ja wenn und dringend ems 
piohlen wird beflimmte Wünfche zu Gott, darüber emporzufchils 
ten: ja dann muͤſſen wir wiffen, wie wir baran find mit dieſer An- 
gelegenheit. Aber nicht m. g., ald ob es möglich wäre einen fol: 


chen Gegenfland in einer kurzen Stunde gemeinfamer Betrachtung 
zu erledigen! vielmehr wollen voir genau bei ben izt vernomme- 
nen Worten des Erlöferd ſtehen bleiben; laffet uns nur darauf adh- 
ten, was er und in benfelben lehrt auf der einen Seite über 
unfere Bitten, auf der andern Seite über bie göttliche Ge: 
währung.. 


1. Zuerſt alfo m. g. wenn wir fragen, was lehrt und denn 
der Erlöfer in den Worten, die wir mit einander vernpmmen ha⸗ 
ben, über die Witten, die wir zu feinem unb unferm Water hinauf: 
fenden mögen: fo laßt und ja genau fliehen bleiben bei dem, was 
er und unmittelbar vorhält. Auf nichts anderes will er unfere Auf: 
merffamfeit lenken ald nur, daß died das felige Werhältniß zu Gott 
if, zu welchem er uns erhoben hat, bei welchem er und fefihalten 
will, daß Gott der Water ift und wir bie Kinder. Darum bleibt 
ee auch was Bitte betrifft bei diefem einfachen Beifpiel wie bie 
Kinder zum Vater bitten fliehen. Und was für Kinder m. 9. Fr. 
und was für Bitten! er fagt, Wenn num ein Kind feinen Water 
bittet um Brot ober es bittet ihn um einen Fiſch, — daB waren 
die allereinfachfien damals gewöhnlichften ja unentbehrlicften Nah: 
rungdmittel, die einfachfle Art die natürlichen Beduͤrfniſſe des Le⸗ 
bend zu flillen; von andern Wünfchen, wie Kinder wol hegen, die 
fhon verwöhnt find, deren Einbilvung fchon umberfchweift unter 
mancherlei Erinnerungen unb reizendben Bildern, welche ihnen zur 
Hoffnung zum Berlangen geworben find, von foldyen redet er nicht; 
nur die Eindlihen Bitten führt er an, weldye in dem unmittelbaren 
Drang des Beduͤrfniſſes um das unentbehrlidhe um bad in dem 
täglidyen Leben: nothwendige fich zur väterlichen Liebe wenden. Das 
alfe m. g. ift die Anweiſung bes Erlöferd. Won andern als folchen 
Bitten redet er nicht, wenn er hernach von ber göttlihen Sewaͤh— 
sung rebet; andere als ſolche will er nicht anerkennen, bei denen 
von der Unficherheit der menfchlichen Erfenntniß, von der Kurzfich⸗ 
tigkeit des menfchlichen Berflandes, von einer nicht überfehbaren Wer: 
wiltelung menfchlicher und irbifcher Werhältniffe gar micht die Rebe 
ifl. Aber wie m. g., heißt das nicht, wenn wir e8 auf uns an: 
wenden wollten, eben fo viel als ob er uns dad Beten ganz umter: 
fagt hätte? Denn wenn er vergleicht Vaͤter und Kinder in biefem 
irbifchen Leben, und Gott unfern himmlifcyen Water und ums, fo 
redet er auch nicht von dem irbifehen, fondern von bem geifligen 
von dem himmlifchen Leben; fo iſt es das Brot bes Lebens, wie 
ed auch fonft genannt wird, die Nahrung bed geifligen Dafeins, 
was er und anweifet von feinem Water im Himmel zu begehren, 


3 

und zwar wie bort in ber einfachfien in der alttäglichften ‚aber 
auch in der heilfamften Geſtalt. Und koͤnnen wir fagen, bag wir 
jemals im ben Fall kommen könnten darum zu bitten? müßten wir 
nicht, wie jener auf die Anweiſung bed Erlöferd, wad er thun follte 
um felig zu werben, fagte, Herr das habe ich alles gethan von 
Jugend auf: fo wir ihm auf dieſe Anmweifung zum Gebete antwor 
ten, Herr bad hat uns bein und. unfer Water immer gegeben von 
Jugend auf, unb an Beinen Zage haben wir Mangel 'gefpürt? das 
folten wie ja wol geftehen, wir benen das göttliche Wort reich an 
Ausſpruͤchen ber göttlichen Liebe, dieſer Wegweiſer ben wir immer 
zu Rathe ziehen können, biefe Leuchte die und immer begleitet auf 
bem irbifchen Wege, benen bied göttliche Buch in die Hand geges 
ben ift und and Herz gelegt feit unferer Aufnahme in die Gemein: 
fhaft ber Ehriften; wir, die wir in diefer fchönen Verbindung bed 
Glaubens und ber Liebe mit einander flehen, wo jebed träg gewors 
dene Semüth wieber gewekkt, wo jeber Hunger und Durft deö Geis 
ſtes geftillt wird aus der Fülle der Erfahrung und Erkenntniß ber 

andern, die mit und austaufchen, unb benen auch wir wieder ges 
ben, wenn fie Mangel haben und wir Ueberfluß! Können wir ir: 
gend eine Furcht und Sorge haben, daß dieſet Schaz und jemals 
könnte genommen werben? follten biefe göttlichen Einflüffe jemals 
anfangen zu fehlen, follte dieſe Quelle jemals verfiegen, von der er 
ia verbeißen bat und von der und unfer Bewußtſein fagt, fie fei 
unerihöpflich? Und doch m. g. Zr. will ber &rlöfer bei diefer Witte 
uns fefihalten, unb voeiter lehrt er und nicht und zu erſtrekken mit 
unfen Bitten, für etwas weitered will er und Feine Sicherheit ge: 
währen. Eines nur bleibt und noch übrig zu fagen, daß wir nam: 
lich nicht umhin koͤnnen unſere Augen weiter umher zu werfen, eben 
weil wir eine folhe Sicherheit haben‘ für die immer fich erneuern: 
ben täglichen Beduͤrfniſſe des Herzens zur Erhaltung bed geifligen 
Lebens. Denn wenn irgend etwas und alltäglich geworben ift, fo 
ſteigern ſich WBebärfniffe und Forderungen. Was und fo ficher ver. 
brieft iſt, daß wir Beinen Zweifel darüber haben, das hört auf ein 
Gegenſtand unferer Wuͤnſche und Gebete zu fein: aber wir fehen 
dam fchon immer eine noch größere Vollkommenheit, nicht in weis 
ter Gerne, fondern in unferer Nähe; wir ſehen auf diefem Grunde 
erbaut ben geifligen Tempel Gottes allmählig emporfleigen, allmaͤh⸗ 
lig, aber fo daß das Auge des Geiſtes das nächfte was noch nicht 
da iſt mit großer Beflimmtheit erblifft, weil ed bem Plane des 
ganzen gemäß nur auf Eine und feine andere Weiſe entfliehen zu 
koͤnnen fcheint. Run wohl, eben dieſes nächfte ift ed alfo, was ber - 
Erlöfer zun Gegenfland unſeres Gebetes machen will; was nicht fo 


ficher iſt, dag nicht Hinderniſſe dagegen eintreten Bönnten, daß bie 
Erfüllung fi nicht fheinbar in weite Ferne binaudrüften dürfte, 
‚daß wir nicht, wie es bei den Kindern ber Fall iſt, bie in einer 
wohlgeordneten Haushaltung leben, doch ploͤzlich koͤnnten einen Drang 
des Bebürfniffes fühlen, welcher die Bitte aus dem Herzen heraus: 
treibt. Aber was noch weiter von jenem urfprünglichen entfernt 
liegt, was auf ben verwißfelten Gang biefed Lebend Beziehung hat, 
je weiter wir und mit unſern Wünfchen und Hoffnungen oder Be: 
“ forgrüffen auf dies Gebiet wagen, — ein Gebiet, wo nicht nur al: 
led. ungewiß ift ob es kommen wirb ober nicht, ſondern auch un: 
gewiß wenn es ba ift, was es fein werde und wirken: um fo we 
niger bürfen wir mit berfelben Zuverficht bitten, als ob auch hiefür 
ber Erlöfer uns Gewährung ſicher geſtellt haͤtte. Vielmehr ſollen 
wir fuͤhlen, daß wir hier nicht einmal einen feſten Wunſch haben 
koͤnnen, weil viel zu unficher der Blikk unferd Geiſtes ift; und fos 
. bald ein Wunſch in und auffleigt, follen. wir ihn gleich niederfchla- 
gen mit dem und immer zur Hand feienden Wort, daß der Wille 
bes Herrn geichehen möge und ‚fein anderer. Können wir dem 
Triebe nicht widerfiehen aus ben - Berwirrungen bed Lebens bie ver 
borgenen Wege Gotted aufzufuchen um feinen Rath zu erdennen in 
ſolchem großen Wechſel menfchlicher Dinge, aus weldyem uns eben 
fo leicht eine plözliche Förderung als eine ſchwere Prüfung entfliehen 
kann im großen und im einzelnen: fo follen wir uns zuruͤkkhalten 
und nicht begehren den Herrn von Angeficht zu ſehen; fonbern uns 
nieberwerfen, wie er es jenem feiner Diener befahl, der auch fein 
Antliy ſchauen wollte, zu welchem er aber fprach, Wirf dich zur 
Erde, von vorn kannſt du mich nicht fehen, aber wenn ich vorüber 
gegangen bin, fo barfit du meine Geflalt von hinten ſchauen. So 
ift e8 auch in allen Angelegenheiten bed irdifchen Lebens; wir ver: 
mögen nicht dem Herrn ind Angeficht zu fehen, nicht iſt mas er 
bringen werbe deutlich, ſondern wir follen uns niederwerfen indem 
er vorübergeht: ift er aber vorüber, haben fich bie Raͤthſel gelöft, 
haben fich die Begebenheiten entwikkelt, was es auch geweſen fein 
möge, wir werben ihn dann erkennen, wiewol erſt hinten nach, im: 
mer aber gewiß ald bie Liebe; wir werben aus allen feinen Fuͤh⸗ 
rungen einen Reichthum von Zuverfücht fhöpfen Finnen, einen Wachs⸗ 
thum in der Demuth fowol als in ber Erhebung, in ber Unterwer⸗ 
fung eben fowol ald in bem Bewußtſein von ber Freiheit und Freu: 
bigfeit der Kinder Gotted. 

Aber m. g. Br. es iſt noch eines unſere Bitte betreffend in ber 
Rede bed Erloͤſers, dad wir nicht übergehen dürfen. Es find bie: 
felbigen, denen er Anweifung- giebt in Beziehung auf ihr Bitten zu 





61: 


Gott, und von denen er vebet im ihrem Verhaͤltniß zu ihren Kin⸗ 
den; und fo fagt er denn, So boch ihr euren Kindern koͤnnet gute 
Gaben geben, wie viel mehr wirb 'euer Vater im Himmel gute 
Gaben geben denen, die ihn bitten? Laffet uns alſo das nicht übers 
fehen, e3 ift-ein bedeutender ein beilfamer Wink. Wir follen, wenn 
wir ums bittenb zu Gott wenden wollen, erfunden werben .in dem - 
Stande, daß wir felbft auch gute Gaben mitgetheilt haben denen, . 
bie ımd baten als folche, in welchen fi die Gaben des —* 
beweiſen zu gemeinſamen Nuz *); erfunden werben als ſolche, bie 
mit dem was ihnen Gott gegeben hat arbeiten nach ihren Kraͤften 
und etwas ſchaffen fuͤr ſein Reich. Dieſe Verbindung m. g. iſt 
ganz aͤhnlich der, die der Herr uns auch in dem Gebet das er ſei⸗ 
nen Juͤngern gab niederlegt, und über die er ſich fonft*”) fo ſchoͤn 
und herrlich erflärt; wenn wir wollen Vergebung haben, fo follen 
wir auch felbft vergeben, wenn wir wollen gute Gaben haben, fo 
follen wir auch felbfi gute Gaben mittheilen. Das eine hängt fo _ 
nothwendig zufammen wie bad andere. "Wie kann man glauben, 
daß der in der That wünfchen kann, daß dad Laftende und druͤk⸗ 
tende ber Sünde von ihm, genommen werde, fein Herz aufgerichtet 
aus diefem tiefiten Kummer, ber nicht zuerfi felbit es beweifet, bag 

er auch andern, wer fie auch feien unter. feinen Brübern, fucht biefe 
Laſt zu erleichtern und von ihnen zu nehmen, auf welche Weiſe fie 
aud über fie mag gekommen fein? Aber eben fo atıch hier m. g., 
wie linnen wir glaubeh, wie kann ed eine Wahrheit fein, daß wir 
gute Saben von Gott begehren, daß wir ein fröhliches Gedeihen 
ſuchen für unfer geifliged Leben im Reiche Gottes, und in Bezie⸗ 
hung barauf alled wovon wir und überzeugt halten, daß ed unmits 
tefbar dazu gehöre, yon Gott erbitten, wenn wir nicht auch felbft 
als folche, denen der Geift Gottes die erflorbenen Glieder belebt und 
zu neuer Thaͤtigkeit erwekkt hat, nachweilen können; daß auch wir 
eben folchen Witten anderer gern und freudig entgegengefommen 
find unb die neuen Gaben bed Herm angewendet haben zum bes 
ſten unferer Brüder, vornehmlich aber derer, bie und Gott dazu ans 
vertraut hat, daß fie durch unfere Fürforge erft unfere Brüber wer 
den follen. Wir haben eine Vorſtellung, der Herr benuzt fie häufig 
in feinen Gleichnißreden und will alfo, daß fie und wohl und tief 
foll eingeprägt fein, von einer Mechenfchaft, die und allen fell ab⸗ 
genommen werben an dem Tage feiner glorreichen Wieberkunft. 
Aber m. g. Zr. nicht nur dann, wenn bie Rebe fein wirb davon 





) 1 Kor. 12, 7. 
) 8ut, 7, 47. 48, 


änzugehen in bie ewige unb unvergängliche Freude bed Herrn, nicht 
nur dann wird von jedem Rechenfchaft gefördert werben über das 
Pfund, das der Herr ihm. anvertraut: ſondern was bort im gro 
gen gefchehen fol, gefchieht auch izt fchon überall im einzeinen. 
Wir bebürfen überall neuer Gaben von oben,. aber um fie zu em: 
pfangen, müflen wir Rechenfchaft ablegen können von denen, die 
und fchen gegeben find; auch wenn wir um bie täglichen Beduͤrf⸗ 
niffe, um dad Brot unfere Bitte zum Water fenden, müflen wir 
und felbft bewußt fein, ob wir bie und gegebenen Kräfte gut ange 
wenbet haben, ob mithin das Beduͤrfniß, dad uns entflanden iſt, 
im einer Anflvengung ber Kräfte für feinen Dienſt begründet ifl, 
oder nur eine Folge von ber wmüberwundenen Gebrechlichkeit bed 
isbifchen Lebens. Denn nur in bem Maaß, ald wir alled, was 
und von Gott gegeben ift, mac beſtem Gewiffen für fein eich 
treu benuzen, Eönnen wir ben Muth haben zu ihm zu rufen um 
neue Mittheilungen von oben. | 

Das m. 9. Fr., bad iſt bie einfache Vorſchrift des Erloſers | 
über unfer Gebet zu Gott: bleibet mit euren Bitten in dem einfas 
chen Kreiſe deifen, was euch unmittelbar vor Augen liegt, wozu 
ihr unmittelbar aufgefordert feid, was zu den täglichen Beduͤrfniſſen 
eured Lebens gehört; aber nur als foldye erhebet euch bittenb zu 
eurem bimmlifchen Water, bie ihm zugleich bafür banken koͤnnen, 
daß fie die Gaben, bie er ihnen gegeben bat, ihrer heilbringenden 
Natur gemäß zum Gegen feines Reichs zum Wohl ihrer Brüder 
benugt haben. 


I. Und nun Iaflet und fehen, was es ift, bad der Herr uns 
verheißt als die göttliche Gewährung. Hier. m. g. Er. laßt uns 
zuerſt auf Die ganze Art und Weiſe feiner Rebe noch einmal zu: 
rufffommen. Es iſt nicht vergeblich, daß er fein Bild auf dieſe 
Weiſe erwählt, Wenn unter eu ein Sohn feinen Water bittet um 
Brot, wer ift es, der ihm einen Stein bafür gebe? oder um einen 
Fiſch, wer ift es, der ihm eine Schlange biete? ober um ein Ei, 
wer ift ed, der ihm einen Skorpion dafür gebe? ) So ftellt 
er gegenüber nicht etwa nur die Bitte und bad Verſagen der Bitte, 
fondern er flellt gegenüber bie Bitte und dies, daß flatt bed noͤthi⸗ 
gen unb beilfamen gegeben werbe etwas unbrauchbares und vers 
berbliches, den Stein flatt des Broted, die Schlauge flatt bed Fi: 
ſches. Darin m. g. liegt wol beutlich genug dies, daß er ed dem 
Vater vorbehalten will, wenn bad Kind beflimmt um Brot bittet 
ober um einen Fiſch, ihm auch etwas anderes zu geben, als das 


”) tut. 11, 12. 








63 

beſtimmt gebetene, nur nicht das unbrauchbare, nur nicht das vers 
derbliche. So m. g. iſt ed zunaͤchſt mit ber göttlichen Gewährung, 
bie und ber Erlöfer verheißen hat. Haben wir ſchon Urfach, wenn 
wir auf das größere umfaflende verwikkelte fehen, beflimmte Wüns 
fhe zu ſcheuen und nicht auf die Gewährung derfelberi mit freubis 
ger Zuverficht zu rechnen: fo müffen wir und auch gefallen laſſen, 
ſelbſt auf dem Gebiete unferd Berufe und der damit zufammen: - 
hangenben geifligen Bebürfniffe, daß das, was wir bebürfen und _ 
wovon wir einen beilfamen Gebraud machen können, uns oft ge 
mg in einer ganz anbern Geflalt gegeben werbe, ald gerabe fo wie ' 
wir es gebeten hatten, und wie es uns in bem Zufammenhang uns 
ſeret Gedanken und Empfindungen am nächften lag. 

Diefe Erfahrung m. g. haben vielleicht alle getreue und auf: 
merfjame Diener und Jünger des ‚Herrn gemacht; keiner hat fie in 
höherem Maaße gemacht, keiner bat den Chriften fo viele Mittheis 
lungen barüber zu ihrer Stärtung und Erbauung daran hinterlaf: 
jen, ald Paulus ber Apoftel. Dem Drange der Liebe Chrifli in 
feiner Seele dad Evangelium zu predigen und wen er könnte eins 
zuführen in bad Reich Gottes, dieſem Drange fland die ganze ihn 
umgebende Welt offen; aber irgend wohin mußten ſich boch Neis 
gungen und Vorliebe vorzüglich richten, bald auf biefen Punkt bald 
auf jenen beſonders, bald von einem fefteren Wohnſiz aus die nd» 
bern Umgebungen zu bearbeiten, bald plözlich wieber die Weite zu 
fuhen. Aber nun wird und mehr ald einmal erzählt, baf ber 
Gaft ihm nicht zuließ da oder dort zu prebigen, daß eine Thuͤr an 
der er anpochte ihm verfchlofien wärd, indem er hineingehen wollte, 
und dafuͤr eine ganz andere fich öffnete. Und in biefen Bemuͤhun⸗ 
gen für ben Dienft feines Herm fühlte er ſich immer gedrängt von 
einem Uebel, das er und nicht näher befchreibt, und von dem er nur 
ſagt, daß es ihm von Gott gegeben fei als ein Pfahl in feinem 
Fleiſch, und daß er oft ben Herrn gebeten, er möge ed boch von 
ihm nehmen, aber es fei ihm feine andere Antwort geworben als 
die, Laß dir an meiner Gnade genügen und ertrage auch dies Uebel 
zu den übrigen. Und er wie er nichtd anders gewollt hat ald eben 
fie, fo hat er auch Genüge für fein Herz gefunden und erhalten, 
wenngleich auf anderm Wege. Eben fo Außert er offen, bag er 


einen tiefen Schmerz und herzliches Leidweſen empfinde um fein. . 


Volk um feine Brüder nach dem Fleiſch, und baß es fein beftän- 
diges Gebet zu Bott fei fie zu befchren; aber ber Herr offenbarte 
ihm, daß zuvor die Fülle der Heiden eingehen müffe, daß während 
ſeiner Lebenszeit in dieſer erſten Periode bed neuen Gottesreiches 
nur eine kleine Auswahl von dem Volkt des alten Bundes in daſ⸗ 


64. 

felbe eingehen folle, befonder8 aber auch, daß grabe ihm verwehrt 
ſei durch Vertheibigung bed Evangelium in ben Schulen feines 
Volkes felbft etwa beizutragen zu dem, was ihm am nächften lag, 
weil fie ed doch nicht vernehmen würben. Freilich m. g. $r. Haben 
wir und bied vor Augen gehalten, fo kam uns ein fo großes Bei⸗ 
fpiel flatt aller andern fein, und wir haben nicht höthig erſt auf 
unfere eigenen Beinen Erfahrungen zurüffzufehen, wieviel auch wol 
jeber diefer Art mag anzuführen haben, daß ihm das zwar nicht 
geworben, was er doch al rein kindlichen Wunſch des Herzens vor 
. Sott gebracht hat, aber da ihm dach ein Genüge ber göttlichen 
Gnade geworden fei auf anderm Wege. Unb fo m. g. faßt der 
Erlöfer die alles zufammen in dem einen Wort: wenn audy an» 
deres als was ihr bittet, aber gute Gaben wirb ber Bater im Him⸗ 
mel immer benen geben, bie ihn darum bitten. 

Was tft aber gute m. g.? wohin richtet vorzüglich dies Wort 
bed Herrn unfere Zuverficht? Laffet und ja nicht vergeffen, daß 
ber Herr bied nicht gefagt hat zu einem ober dem andern einzel 
nen, am wenigften zu foldhen, welche noch nicht wußten, wohin fie 
- gehen follten und das rechte Ziel ihres Lebens noch nicht gefunden 
hatten; daß ed auch nicht gemeint ift ald auf bad einzelne Leben 
beſonders oder gar außfchließlich fich beziehend. Vielmehr wie nur 
burch den einen Geift, der in allen wohnt und waltet und alle be 
feelt und treibt, die Gaben des Geifted uns. werden fönnen, nur 
burch diefen bie Kindfchaft‘ Gottes ald der Inbegriff aller Güter 
und gegeben wird, fo daß an diefe Gemeinfchaft bed Geifled zu eis 
nem gemeinfamen chriftlichen Leben auf eine geheimnigvolle und doch 
offentundige Weife aller Segen bed Evangeliums gebunden iſt? fo 
müffen wir auch nicht alles leichtlich für gut halten, wa® nur Be 
ziehung hat auf und felbft, gefezt auch wir hielten dafür, daß es zu 

unferer geiftigen Foͤrderung von unentbehrlichem Werthe fei; fondern 
wir follen immer nur das gute im Sinn haben in Beziehung auf 
dad ganze. Was died weiter bringt, was dies in einer berrfichen 
gottgefälligen dad Bild des Erlöferd immer reiner abfpiegelnden 
Geſtalt darftelt in unferm Kreife, was biefen geifligen Tempel Got: 
tes fördert, bag er fich höher aufbaut bis an ben Himmel binan, 
dad m. g. Zr. das iſt bad gute. Guben von biefer Art giebt der 
Here immer denen, die ihn bitten; und wie umuͤberſehlich auch 
alle vereinigte Wünfche und Gebete find, die für dad Wohl feiner 
Kirche zu ihm emporfleigen, wir koͤnnen wol fagen, daß fie doch 
die Fülle von göttlichen Segnungen nicht erreichen, die imnter von 
oben berabfixömen um das gute zu fördern. Das m. g. Fr., das 
ift die wahre Deutung deſſen, was der Erlöfer einem feiner Jünger 


6 


fagte, ben er ganz unvorbereitet fand .unb ganz unerwartet. auf: 
nehm in feine Süngerfchaft, Bon nun an wirft dü den Himmel 
offen fehen und bie Engel Gottes berabfahren und hbinauffleigen 
zwiſchen dem Water und feinen Kindern. Die hinauffteigenden bad 
find die frommen Gebete derer, die nichtd anderes wünfchen, als 
dab bad Reich Gottes wachſe und fich mehre; bie herabfleigenben 
das find die göttlichen Gewährungen die guten Gaben, und dieſer 
Kreidlanf. geifliger Botſchaft zwilchen Himmel - und Erbe dauert 
fort, ſeitdem dad Reich Gottes geftiftet ifl. Jeder nun, der ben Er: 
loͤſer erfennet in feiner göttlichen Wuͤrde und baburch, daß er. in 
ihm den Water fchaut, zur lebendigen Erkenntniß Gottes gereift ift, 
erbiiftt nun mit feinem geifligen Auge auch jenen Kreislauf, und 
fein Herz wirb in benfelben hineingezogen; auch feine Wünfche neh: 
men biefelbe gottgefällige Richtung nach oben, daß fie nicht an der 
Bergänglichkeit und Nichtigkeit bed irdifchen theilnehmen, fonbern 
verflärt ald Engel binauffteigen und nichtd anders begehren ald gei: 
flige Erfüllung Förderungsmittel für dad Meich bed Herrn, bie 
denn auch ihm und durch ihm veichlich von oben herabfteigen. Und 
dad einzige Gebet, deffen wir dazu bebürfen um uns dieſes Segend 
zu erfreuen, if nur, baß und ber Herr bad Auge des Glaubens 
offen erhalte, das Auge des kindlichen Vertrauens, dag wir alles 
was von oben kommt gleich anfehen barauf, wie ed ſich wol. vers 
halte zu unferm frommen Wunſche, wie ed wol fei eine Gabe ber 
göttlichen Liebe, zu welcher Xhätigkeit e8 und auffordere, und was 
wir dadurch thun und leiſten koͤnnen zur Foͤrderung ſeines Reiches. 
Und ſo wir uns halten m. g. in dem Stande ſolcher, die da gute 
Gaben mittheilen, ſo wir immer bleiben im Gebrauche deſſen, was 
Gott ſchon gegeben fuͤr ſein Reich, und wuchern mit ſeinen Ga⸗ 
ben: o dann gewiß wird das Auge des Glaubens geoͤffnet bleiben 
und wird ſich nicht ſchließen, daß die alte Finſterniß des Daſeins 
und wieder umgebe, fo daß wir nur auf das irdiſche geruͤſtet ſeien 
mit unſern Wuͤnſchen und Gedanken, als ob Himmel und Erde 
wieder getrennt waͤren und kein Zuſammenhang zwiſchen beiden. 
Doc laſſet mich, ehe ich meine Betrachtung ſchließe, noch an 
än anderes Wort bed Herrn erinnern, — ich fage ein anderes, aber 
es ift eigentlich daffelbe. Im einer Stelle im Evangelium des Lu⸗ 
tod, die ich auch oben ſchon angeführt, und, bie ganz. übereinflimmt 
mit unferm Xert, wirb ber Herr eingeführt fagend, Um wie viel 
mehr wird. euer Water im Himmel. — nicht gute Gaben im ale 
gemeinen, fonbern — feinen Geift geben benen, . die ihn bitten. Was 
bedürfen wir noch andered m. g., wenn wir dieſe eine Gewährung 
vernehmen? was für Bitten bleiben und dann noch übrig? wie fol: 
II. ‚€ 


66 
len wir daher nicht gleich alle unfere Bitten und Wünfche in Died 
eine zufanmmenfafjen, deſſen Gewährung ber Herr jo beflimmt ver: 
heißen hat? Ja auch die, welche nur eine anfangende Erfahrung 
von biefem Leben und Wohnen bed göttlichen Geified im menſch⸗ 
lichen Herzen haben, von biefer Vergegenwärtigung bes Erloͤſers, 
- von dieſer Verklaͤrung feiner Perſon und feines Leben, feiner Worte 
und feiner Thaten, von biefer Kraft, bie alles irbifche zum himm⸗ 
lifchen wenbet, von biefem Werlangen gute und böfed zu feheiben, 
von biefer Freude an ben Blizen bed göttlichen Wortes, wie fie 
auch nieberfchmettern, damit auch dad innerfle getroffen werbe; wer 
einmal biefed Wirken und Walten bed göttlichen Geiſtes auch in 
feinem erſten Anfange kennt, wad bebarf er andered! Darum m. 
9. finden, wie auch Hierin ben vollen lezten Aufichluß über alle uns 
fere beflinmten Wünfche, nämlid das Ende derfelben, wie groß 

aud ber Gegenſtand, wie bebeutend bie Aufforderung bazu fein 
möge, wie bringenb bie Umflände, bie fie und auspreffen. Der 
Apoflel Paulus in feinem Briefe an bie Römer, wo ex voll if in 
feinem Gemüth von Wünfchen für das Volk feiner Abflammung, 
fagt, Bir wiffen nit was und wie wir bitten ſollen *), beſcheidet 
fih alfo alles feiner beſtimmten Wünfche und gefleht, es fei uns 
nicht gegeben auf irgend eine Weile etwas beflimmt zu bitten, fo 
daß wir ed billigen es feflhalten uns ficher darauf verlaſſen koͤnn⸗ 
ten. Aber, indem er und fo ermahnt jeden beflimmten Wunſch ala 
etwas in ber Umwiffenheit gerebeteö gleichſam auf halbem Wege 

noch zurüffzurufen, fügt ex hinzu, aber ber göttliche Geiſt, ber ver: 
tritt und. Womit? Nicht etwa damit, daß er und andere beflimmte 
Bitten einflößte ald bie, welche in unferm Herzen aufgefliegen find, 
oder daß er eben biefen noch eine feflere Geflalt gebe und fie in 
andern oder größern Zufammenhang aufflellte: nein! fonbern womit? 
Mit unaudgefprochenen Seufzern. Diefe follen dad Herz erfüllen, 
in diefe follen ſich alle beſtimmte Wünfche auflöfen. Die unauöge: 
fprochenen Seufzer, bie der Apoſtel meint, find nichtd andere als 
dad Sehnen und Seufzen ber Kreatur nach ber offenbar werben: 
ben Herrlichkeit der Kinder Gottes, nichts anderes als die ſich im⸗ 
mer gleich bleibende Sehnfucht des Herzend nad) Förderung bed goͤtt⸗ 
lichen Reicht. Darum wiffen fie nicht diefes und jeneö; barum fu: 
hen fie nicht dies und jenes beflimmte, fondern fielen alles einzeine 
bem anheim, der alles macht und alles leitet, ber alles kennt und 
alled orbnet; barum bringen fie nichts anders vor Gott als’ fi) 
ſelbſt, als dieſe Sehnſucht bed Herzens, nichts ald ben allgemein: 





) Rdm. 8, 26. 








67. 


fien Wunſch, ber aber aus ber inneuften Wiefe bed Weſens kommt 
und rein binaufiteigt, Dein Reich komme, bein Wille gefchehe. Mit 
diefem allein follen wir in allen und zwar am melften in ben vers 
worrenſten und bedenklichſten Zeiten des gemeinſamen Lebens vor Gott 
treten; in dieſe Sehnſucht ſollen ſich alle Bitten aufloͤſen. Dieſe 
iſt dem Frieden des Herrn eben ſo nahe, als die kindliche Genuͤg⸗ 
ſamkeit, die allein bei dem ſtehen bleibt, was wir im taͤglichen Le⸗ 
ben haben und ſo feſt haben, daß es nicht von uns genommen 
werden kann. Wie da Bitte und Dank in einander fließen, weil 
die Gewaͤhrung immer ſchon da iſt, und daher ein Friede ohne 
Wechſel und Stoͤrung: ſo haben auch, wie geheimnißvoll ſich im⸗ 
mer alles durch einander wirre, wie uns das Ziel in unendlicher 
Ferne zu verſchwinden ſcheint, dieſe gottergebenen Seufzer, dieſe 
unausgeſprochenen Bitten, die nur bad eine was noth thut für bie 
ganze Welt nur die Herrlichkeit bed Herrn im Auge halten, ihre 
Erfüllung auch unmittelbar nahe; auch in ihnen ift eben fo gewiß 
ſchon Bitte und Dank, Sehnſucht und Zuverficht vereinigt, und . 
dad Zeugniß ded Friedens Gottes, der nicht von und genommen 
werben Tann, rubet darauf. Amen. 


gie 569, 5. 6. 


E2 


va. 
Am 14. Sonntage nad) Trinitatis 1831. 





Lich 661. 698. 


Text. 1 Timoth. 4, 8. 


Die Gottfeligfeit aber ift zu allen Dingen nuͤze und 
bat die Verheigung dieſes und des zukünftigen Lebens. 


M. a. Fr. Diefe Rebe ded Apofield kann und auf zwei ganz 
entgegengefezte Arten ergreifen. Es Tann uns fonberbar auffallen 
ja gegen bie herrſchende Richtung eines chriftlichen Gemüthes frei: 
tend, wenn und gefagt wirb, bie Gottieligfeit folle zu etwas. nüze 
fin. Das, wozu etwas nüze if, iſt immer höher als babjenige, 
was dazu ald ein Mittel gebraucht wird: was fann aber über‘ ber 
Gottfeligkeit flehen, daß fie fic) dazu verhalten könnte wie ein heil: 
famed und nüzliche Mittel? fie, die alle wefentlichen Güter bes 
Menfchen in, fih fchließt, und das höchfte unntittelbar if, was er 
erreichen Eanıı!: Auf der andern Seite’aber freilich kann eben die 
fe8 und auch wieder natürlich erfcheinen, daß bie Gottfeligkeit zu 
allem nüz if. Denn wenn ber Menfch felig ift in Gott; wenn er 
fih einer innigen Gemeinfchaft mit dem hoͤchſten Wefen erfreut; 
wenn er fi) ber geifligen Einwirkung befielben bewußt if: "wie 
follte dann nicht — da in dem höchflen Weſen alles ungelrennt 
eins und baffelbe ifl, und Gotted Liebe, deren wir und -freilid am 
unmittelbarften bewußt ‚werben können, auch nicht getvennt werben 
fann von feiner Macht, — wie follte bann nicht durch diefe Selig: 
feit in Gott auch bie göttliche Macht ſich über ben Menſchen aus: 
gießen, fo daß ihm durch die Kraft der Gottieligfeit möglich wird, 








69 


was ihm ſonſt nicht möglich war, und er fich durch dieſelbe erft 
recht umb ganz verherslicht, und fein Weſen offenbar wirb in ber 
Herrſchaft über die Erbe, zu welcher Gott ihn gefezt hat. In die 
fem Sinn alfo m. g. Fr. mögen wir und denn wol dad Wort de 
Apoſtels nicht eben nur gefallen laffen, wenn ed und in jener Be: 
ziehung fremd erklang, fonbern wir müflen von feiner Wahrheit . 
durchdrungen fein. Welche unmittelbare Anwendung hiervon liegt 
uns aber jezt fo nahe, jest wo bad Uebel, welches. wir fürchteten, 
wirklich unter und aufgetreten ift! Iſt die Gottfeligkeit zu allem 
nuͤze: kann fie etwan auch dazu nüze fein, daß fie eingreife in dieſe 
gegen das menichliche Geſchlecht geſchwungene Geißel und bie 
Schläge derfelben zuruͤkkhalte? kann fie auch dazu nüze fein, daß 
fie dad vergängliche menfchliche Leben von innen heraus flähle, und 
ihm neue Kraft verleihe gegen diefen unbegreiflichen und geheimniß: 
vollen Andrang einer feindfeligen Gewalt! Die Antwort darauf 
m. g. Fr. wird davon abhangen, was wol der Apoftel meint, wenn 
er fagt, die Gottfeligkeit habe Verheißungen, nicht nur für jened — 
denn das laffen wir jet billig bei Seite, — fondern auch für bies 
ſes gegenwärtige Leben. . Welches find ihre Werheißungen? 
Darnach lafjet und fragen, denn baburch werben wir von felbft inne 
werben, ob und wozu fie unter ben gegenwärtigen Umflänben . 
nf | 

An wie viele einzelne Stellen der Schrift mag ber Apoflel ge: 
dacht haben, als er fagte, Die. Gottieligfeit hat Verheißungen auch 
für diefes Leben! wie viel troͤſtliche Ausſpruͤche dieſer Art, wie viel 
huldvolle Werficherungen des Höchften für die, welche auf feinen 
Begen wandeln und fein Mecht vor Augen haben. würben, find _ 
überall in den heiligen Schriften des alten Bundes, an die ber 
Apoftel bei feinen Worten nur denken Tonnte, zerſtreut! Aber eben- 
deswegen, weil bieß zerfireute einzelne Ausſpruͤche find, bie und den 
ganzen Zuſammenhang ber Sache nicht überiehen laſſen: fo laſſet 
md lleber nach biefem fragen und aus der Natur ber Sache es 
und beutfich machen, wad für Verheißungen die Gottſeligkeit. habe 
fir dad gegenwärtige Leben. Es iſt aber etwas großes auffallen: 
des unb zugleich auch geheimnißvolles um dad Verhaͤltniß des 
menfchlichen Geifte zu diefem „Leben; er ficht unter allen äußern 
Beingungen befielben und iſt ihnen unterworfen; er ifl feinem 
gegenwärtigen Dafein nach ein Kinb bieler Erbe; und nur inwie⸗ 
fern fie ihn hegt umb pflegt, imwiefern fie für feine Fortdauer ihm 
dad nothwendige giebt: nur in fefern vermag ber Geift ſich zu ent⸗ 
willein fortzuleben und feine Kräfte zu äußern. Aber auf der an⸗ 
dem Seite ſteht auch der Menich ‚weit unterichieden van allen le⸗ 


0 


bendigen Geſchoͤpfen biefer Erbe über feinem Leben; bad größte ge 
heinmißvollſte uns mit einem innern Schauber erfüllende, was wir 
in diefer Hinficht fagen können, iſt bied, daß er der He feines Le 
bens if. In einem Augenblikk auf taufenb verfchiebene Arten kann 
er felbft den Faden des Lebens abreißen und fich ausſtreichen aus 
der Reihe der lebendigen;. es ift fein eigenes Maaß, in wie weit er 
bie Beichwerben bes Lebens die Wiberwärtigkeiten des Lebens bie 
Feindſeligkeiten bed Lebens ertragen will, und eben died Ertragen 
iſt feine eigene That, weil er in einem Augenblikk ein Ende machen 
kann mit feinem gegenwärtigen Dafein. Aber ein andere iſt Dies. 
Der Menſch kann allem, was ihn bemeiflern- will, eine unüber: 
windliche Macht des Geiſtes entgegenfellen; es ift eine Kraft in 
ihm, bie über jebe Gewalt ber Erde hinausgeht; in ber Kraft ſei⸗ 
Willens kann er allem feindfeligen fo wiberfiehen alled wiberwär: 
tige fo überwinden, bag fein inneres Wohlſein ungefaͤhrdet bleibt, 
fo lange das Leben felbft dauert; unter allem Ungluͤkt fann er feine 
Kraft aufrecht erhalten und bad, wad ihm fein innered gebietet, 


thun und laſſen. Died m. g. Fr., die find alfe die beiden Ric): 


tungen, in welden bie Verheißungen der Gottfeligfeit für dieſes Le⸗ 
ben liegen müffen. Daß fie es iſt, der wir überall das befle das 
ebeifte und größte verbanfen, das iſt unfer gemeinfamer Glaube, den 
ich vorausnehme als von allen zugeftanden; aber in beiden Bezie⸗ 
hungen wirb num eben dies das richtige fein, daß wir, [o weit 
wir dDiefem irdiſchen leiblichen Leben unterworfen find, 
ed auch auf bie Techte Weife ehren, daß wir aber auch auf 
der andern Seite und von ben Banden biefed Lebens auf 
bie rechte Weife frei halten. Das m. 9. Fr., bad find bie 
Verheißungen, welche bie Gottfeligkeit hat für dieſes Leben. Laſſet 
fie und näher mit einander ihrem eigentlichen Inhalte nach erwägen. 


J. Benn ih bie m. a. Fr. ald bie erſte Verheißung ber 
GBottfeligkeit aufſtelle, daß diejenigen, welche in einer nahen und le 
benbigen Gemeinfchaft mit Gott fliehen, auch daS irdiſche Leben, in 
fofern fie mit ihrer geiftigen Thaͤtigkeit von ihm abhängen, auf bie 
vechte Weiſe zu ehren wiſſen: fo liegt barin wefentlich zweierlei; 
einmal, daß wir bie ganze Grideinung des Menfchen auf biefer 
Belt ſuchen zu einem Gegenflanb bed Wohlgefallens zu machen; 
baun aber, baf auch alles, was wir in Beziehung auf bies irdiſche 
Leben thun, alles was wir ihm darbringen, jede Art, wie wir uns 
mit bemfelben unb für baffelbe befchäftigen, das Gepraͤge an fich 
—A doch alles nur ſei und geſchehe um des Geiſtes willen 
und fuͤr ihn. 








71 


Wenn wir fragen, wodurch wird denn bie Erſcheinung bes 
Menſchen in dieſem leiblichen irdiſchen Leben ein Gegenſtand des 
Wohlgefallend: wie breitet ſich dann gleich dies irdiſche Leben in 
allen den mannigfaltigen Geſtaltungen vor uns aus, wie es ſich in 
dem Lauf der Zeiten unter denjenigen Voͤlkern entwikkelt hat, welche 
das größte Maaß geiftiger und irbifcher Güter befyen und fich ein⸗ 
onber mittheilen. Welche unendliche Abflufung! auf ber eimen- 
Seite von allen ben reizenden Seflaltungen des Lebens in ben hoͤ⸗ 
heren Kreifen der Geſellſchaft, bie für gar viele ein Gegenſtand bes 
Neides werben und ber Eiferfucht, weil fie dad ihrige nicht auf eine 
eben fo glänzende fchöne und anmuthige Weiſe auszuflatten vers 
mögen! und auf ber andern Geite wieber wie viel niederdruͤkkendes 
und demüthigended, wie viel Kämpfe mit ben Sorgen bes Lebens, 
wie viel Unvermögen aud nur das erſte und wmefentlichfte herbeizu:. 
ſchaffen, wodurch es ſich auf eine empfehlende Weiſe barftellen kann ! 
Wenn wir bad bedenken, fo ſcheint es allerdings, als ob es nicht 
die Gottſeligkeit fei, weiche hierüber eine Verheißung habe, ſondern 
ala ob dies gänzlich abhänge theils von dem Reichthum und ber 
Fülle äußerer Güter, ber: Wohlhabenheit, theild von ber Außeren 
Hoheit, die einem jeben eine Menge von menſchlichen Kräften bienfls 
bar macht und zinöbar. Aber nein m. g. Fr., fo ift es nicht; diele 
Verfchiedenheiten beſtanden ſchon zu bes Zeit bed Apofleld und wa⸗ 
ren ihm fo bekannt, daß fie ihm wol .müffen nahe vor Augen ges 
ſchwebt haben, als er es bach "wagte das kuͤhne Wort audzufpres 
hen, daß die Gottfeligkeit die Werheißung für dies irdiſche Leben 
habe. Sehen wir und alfo um, was benn bad weientlichfie und 
unentbehrlichfte if, damit die aͤußere Ericheinmg unferes Lebens ein 
Gegenflanb des Wohlgefallens fei: o warlich, wir werden bann, 
wenn wir unfer Auge mit biefem Wohlgefallen erfüllen unb und 
daran weiben wollen, nicht nur dahin getrieben, wo wir bie Herr⸗ 
lichkeit die Pracht die Ueppigkeit des irdiſchen Lebens fehen! nein, 
die Grundlage dieſes Wohlgefallens an ber Außen irdiſchen Er: 
fheinung des menfchlichen Geiſtes ift keine andere als Sauber: 
keit und. Reinheit, Ordnung und Ebenmaaß. Wo wir dieſe im ben 
Umgebungen bed Menſchen von feinem Leibe an durch alles hin: 
durch, gleichviel fei es viel ober wenig was er zu feinen Geſchaͤf⸗ 
ten und für. feine Bebürfniffe gebraucht, berefchend finden: da fuͤh⸗ 
len wir und angenehm. befriebigt, benn wir merken dad Walten bed 
Geiſtes. Alle Pracht aller Ueberfluß machen und diefen Eindrukk 
nicht, wenn Beinlichleit und Ordnung fehlen. Und laßt ed und 
gefiehen, baß um biefe zu gewähren feine Fülle von irdiſchen Guͤ⸗ 
ten noͤthig iſt, daß dazu nicht eine Menge von ſolchen Bedingun⸗ 


72. 

gen’ gehört, worüber nur immer eine Beine Anzahl begiüffter Men⸗ 
fen Hear fein kann. Vielmehr wo ber innere Sinn dafür nicht 
vege ift, wird er durch biefe Hülfämittel nicht erweilt. Wie oft 
machen wir nicht hiervon bie Erfahrung auch ba, wo alle Bebin- 
gungen vorhanden find um bad Leben anmuthig zu geflalten! wie 
oft fehen wir nicht, dag Pracht und Glanz nur um anderer willen 
dem Reichthum und der Hoheit unentbehrlich find aber unwillkom⸗ 
men, und daß fich hinter diefer Hülle Unreinheit und Unfauberfeit 
nur in bie verborgeneren Kammern zurüfffchieben. Es iſt ein im 
nerer Sinn, aus dem biefe Zierden des Lebend hervorgehen, und es 
if wol allgemein als thatſaͤchlich anerkannt, daß, wo fich eine engere 
abgeichloffene Gemeinfchaft des Lebens unter- foldhen geflaltef, bie 
fih in Wahrheit der Gottfeligteit befleigigen, auch in ihrem du: 
fen Sein Sauberkeit Reinheit und Ordnung überall fih zeigen 
und einen Wohnplaz folcher Menfchen verfündigen, obſchon zugleid) 
auch folcher, die nicht zu den hohen und reichen biefer Welt gehoͤ⸗ 
gen. Diefer Sinn, der eben deswegen aud ber Gottſeligkeit ber- 
vorgeht, weil er von dem äußeren Zubehör des Geiſtes, der ja das 
Ebenbild Gottes ift, alle Störungen entfernen will, weiter aber 
nichtd fucht ald dies: dieſer Sinn bedarf wenig Vorfchub von Mit: 
tein um fich geltenb zu machen. Auch in dem arbeitoollien Leben 
ein weniges von Zeit abgebrochen dem Schlaf ober den Vergnuͤgun⸗ 
- gen, welche fonft die Arbeit unterbrechen; ein wenige von Emfig- 
keit mehr gewandt auf die Gefchäfte, mögen biefe auch noch fo Fehr 
überhäuft fein: fo wird jeber Raum gewinnen alles um ſich ber 
rein und wohlgeorbnet zu erhalten, fo daß er in feinen wenn auch 
bürftigen Umgebungen ein Gegenfland bed Wohlgefallens ift, zu 
bem jeder gern zuruͤkkkehrt. Und nun fragt nur nach, wie viel eine 
ſolche Sewöhnung beiträgt um dad menfdhliche Leben ficher zu fiel 
len; wie allgemein die Erfahrung iſt gerabe in unglüfflichen Zei: 
ten wie Die gegenwärtigen, wo wie nur zu leicht fürchten fchen eine 
Berührung könne tobtbringend werben, fchon das Verkehr mit der 
Luft die wir athmen ſel eine gefährliche Gemeinfchaft: daß ba 
Weinlichkeit und Ordnung theild bad befle Mittel find um uns 
felbft zu fchügen, theild auch andern eine erheitembe Zuverfiht ein: 
flögen.. Allgemein werben biefe Wirkungen anerkannt, wenn auch 
wicht jeder den Zufammenhang der Sache ganz begreift. - 

| Aber eben fo m. g. Sr. iſt es auch mit dem zweiten, daß näm: 
lich die Art, wie wir bad irbiiche Leben und Dafein pflegen und 
dafür forgen, überall wo die Göttfeligkeit herricht dad Zeichen an 
ſich trage davon, daß, was wir aud in dieſer Hinficht thun, wir 
es nur für ben Geift thun. Allerbingd m. g. Fr., je längere Zeit 








738 


der Menſch ſchon auf dieſer Erde geſchaltet hat mit der ihm von 
Gott verlichenen. Macht; je mehr er bie Kräfte der Natur kennen 
gelemt hat und fich unterworfen: deſto größer ift auch bie Fuͤlle 


von Gegenfländen, welche ibm zu Gebote: ſtehen; um beflo mehr. 


Mittel find in feiner Hand, um fein zeitliche Dafein zu hegen und 
zum Wohlbefinden auszubilden. Aber auch da, wo wir diefe du: 
fere Bildung des Menfchen auf ihrem böchflen Gipfel erbliften; 
wenn ed an ber rechten würdigen auf das ewige gerichteten Gefin . 
nung fehlt: wie fehr zeigt fi) an der Anwenbung aller dieſer Kräfte 
nur, daß ber Menfch vorzüglich bad thierifche in fich hegen will 
und pflegen, vielleicht feiner: und milder es geflaltend, aber doch 
daß er mit feinem Sinn ganz auf ben vergänglichen irdiſchen Ge 
aug gerichtet iſt. Fuͤr biefen nach allen Geiten bin freien Raum 
zu gewinnen, ihn möglichft zu vervielfältigen, durch Abwechſelung 
aufzufrifchen und lebendig zu erhalten: das iſt bie Art, wie bie 
Nenſchen ohne höhere Gefinnung nur zu häufig alle oft von einer 
langen Reihe früherer .Gefchlechter mähfem errungenen unb ihnen 
überkieferten Schäze und Hülfsmittel für dieſes irdifche Dafein ver 
wenden. Da zeigt fich: ben freilich nicht, daß alled um des Geiſtes 
willen gefchieht, fondern der Geiſt hat feine Muͤhe zwar anmwenben 
müffen und die Gewalt, die er über die Erde gewonnen bat, im; 
mer mehr erhöhen; aber. wozu? nur bamit bad thierifche im Men 
ſchen herrlicher daftche, icppiger fich entwikkele, und er ‚hiervon im: 
mer reichere Befriedigung erhalte, ſolche natürlich, ‚die ausſchließend 
an dieſem irbifchen fefihält und von allem höheren fich entfernt. 
Dech auch bier möchte jemand fagen, es ſei mindeſtens nicht 
bie Gottfeligkeit allein, bie ſolche Verheißung habe; dazu reiche 
ſchon hin, wenn wur eine gute Außerliche Zucht ımb Sitte in einer 
menfhlichen Geſellſchaft herrſche; Diele fpreche ſchon ihr nie erfolglo⸗ 
ſes Urtheil aus gegen alles, was ſich als ein verderbliches Ueber⸗ 
maaß kenntlich macht, oder was auf allgemein verſtaͤndliche Art die 
Spuren von ber Herrſchaft ber niedern Sinnlichkeit an ſich traͤgt. 
Aber der Apoſtel iſt nicht dieſer Meinung; denn unmittelbar vor 
den Worten, die wir. mit einander vernommen haben, fagt er, Die 
leibliche Webung ift wenig nüze. Unb was gehört. wol zur leibli⸗ 
den Uebung, wenn richt eben dad, was Zucht und Sitte in ben 
äußern Handlungen ber Menfchen hervorbringt? dieſes ſtreng gehals 
tene von außen geftellte Maaß iſt ja gewiß leibliche Vebung. Und 
wol müffen wir geftehen, daß Paulus recht hat zu fügen, biefe ſei 
wenig nuͤze! Denn-auf weichem Grunde ruhet fie? wie leicht ge: 
ſchieht es nicht und oft auch plözlic genug, daß füh eine Sinne: . 
art geltend macht, welche bald über Zucht und Sitte fiegt, indem 


7% 


fie die ererbten Begein der Borfahren für Vorurtheile erflärt, wel: 
che ber gegenwärtigen Entwikkelung bed Menſchen nicht mehr an: 
gemeffen feien. Wie viele Gemüther laſſen fich verloffen, wenn’ fo 
ber Eigenliebe gefchmeichelt wirb! Und fo wird denn, was fräher 
verworfen wurde ald unwuͤrdig an ſich ober weil es jedes billige 
Maaß zu überfchreiten fchien, gar bald gepriefen ald ein Zeichen 
von einer größern Freiheit bed Geiſtes, dag man auf alle Weile 
das Leben frei madyen mäfle, um «8 auf alle Weile zu genießen. 
Und feiter als fo flehen aͤußere Zucht und Sitte nicht; fo leicht 
Tonnen fie wankend gemacht werben und finb barum wenig müge, 
wenn «8 an bem vechten innern Kern der Geſimung fehlt, aus 
welchem auch ohne ben Zwang bed Verbotes auch ohne bad Gän- 


gelband ber Gewöhnung eine würbigere Haltung entfleht unb ſich 


zur hoͤchſten Schönheit des irdifchen Lebens geftaitet. Denn bad iſt 
die Werheißung ber Gottſeligkeit, da fie alles -veredeit, weil fie al: 
led auf das geiflige Leben bezieht. Dadurch wirb ber Leib und 
alles fich auf ihn beziehende von ihm ausgehende Leben ein Tem⸗ 
pel des göttlichen Geiftes, in dem ja nichts unreines Raum findet. 
Alled niedere in und verliert allmählig feinen eignen Willen fein 
flürmifches Drängen, ohne daß wir ein laͤſtiges Band anfegten oder 
und unter leere Vorurtheile ſchmiegten; jedes finbet feine volle 
Entwikklung aber auch fein rechte Maaß in feiner Beziehung auf 
das hoͤchſte. So wie in ber ganzen Welt alles eine Offenbarung 
iſt der ewigen Kraft und Gottheit bed bödhften Weſens: fo wird 
auch alles bis zum kleinſten in und eine Offenbarung bed Geiſtes. 
Giebt es erſt in allem, auch in ber Art wie wir bad aliääglichfie 
verrichten, eine Ehre Gottes: dann it auch nichts mehr zu Uneh- 
sen, fondern alles zu Ehren. Da if dann große Freiheit von lei: 
denfchaftlihen Erregungen, große Stille von finnlichen Begierben, 
völlige Ruhe in Beziehung auf irdiſche Genuͤſſel Und nun fragt 
nach, wenn {hr «3 nicht ſelbſt ſchon wißt, wie viel biefe ruhige 
Schönheit dee Seele und bed Äußeren Lebens, dieſe geräufchlofe Frei⸗ 
heit, in welcher fich allein bie Verheißung ber Gottfeligteit offenbart, 
von der wir igt reden, dazu beiträgt uns felbfi auch in folden Ge 
fahren zu beſchuͤzen. 


1. Dod nun m. g. Fr. laſſet und auch bad zweite erwägen, 
wa3 wir zum Gegenfland unferer Betrachtung machen wollten, 
naͤmlich wie zu ben Berheißungen ber Gottfeligkeit auch die gehöre, 
dag wir auf bie rechte Weife frei feien und immer mehr frei wer: 
ben von den Banden des irdifchen Lebens, und uns über baffelbe 


75 


Ben können in jeder Beziehung, in weicher dies fuͤr das freie 
Schalten des Geißes noth chut. 

Dazu gehört m. g. Br. zunaͤchſt und zuerſt dies, daß keine 
Anhaͤnglichkeit an bad vergoaͤngliche irdiſche Leben dürfe die Kraft 
und Thätigfeit bed Geiſtes, zu der. wir berufen find, hemmen. Wie 
vide fehen wir nicht unter Umftänben wie die gegenwärtigen hierin 
zurüffblerben! Chriften, die in ruhigen Zeiten mit treuem Wohl: 
wolm alle Berbindungen, in. welche Gott fie geftellt, feſthalten und 
hegen; die fich font huͤlfreich erweiſen bienfifertig und freundlich 
allen in ihrem Bereich; die ſich wohlgefallen in allem, was aud) 
nur auf eine entferntere Weiſe zu dem Beruf gehört, den Gott ih- 
nen in ber befiehenden Drbnung des menfhlichen Lebens unter uns 
im Zufammenhang mit allen übrigen angewiefen hat: nun aber 
das Leben bebroht iſt auf eine neue bebeutenbe Angflliche Weife, 
falit piözlich alled dieſes ab, ald ob es nie gewefen wäre. Es ko⸗ 
fit fie wenig fi dem gefelligen Bufammenhang mit dem Kreife, 
für weichen fie doch ba find, zu verichließen; ja indem fie fogar den 
Ort verlafien, an ben fie mit vielen Faͤden geheftet find, und in 
unbafimmte Ferne hinausftreifen, wo fie gar feine Verbindlichkeiten 
haben, wo fie gar nicht wiſſen, ob fie jemandem etwas. werben fein 
tönen, verichmähen fie bie ihnen bargebotene Gelegenheit in der 
dringenden Roth bie hilfreiche Kiebe zu bemeifen, bie fie fonft fo 
gern zu üben pflegen: alled nur von ber Furcht getrieben, auch ibe 
Zehen koͤnne bebroht werben; alle8 nur um bie füge Gewohnheit 
dieſes irdiſchen Dafeind um deſto känger und ficherer feflzuhalten, 
von ber wir ja doch nicht willen, wie balb fie und auf dem ge 
wöhnlichften Wege entfchlüpfen kann. Wie erfcheint und bei folcher 
Handlungsweiſe die Kraft des Geiſtes gedaͤmpft und abgeſchwaͤcht, 
da ſich der irdiſche Sinn des Willens ganz bemaͤchtigt und den 
Gef von allem Antheil an der Leitung des Lebens ausgeſchloſſen 
hat. Aber die Gottfeligkeit fpricht nicht alfo m. ih. Fr., fondern fo 
fagt fie, wie es der Apoſtel anderwaͤrts ausfpricht, daß, fo wie die 
Liebe Chriſti ihn draͤngt, er auch alles, was fich dieſem Drang ent 
gegenflellen will, weit überwindet. Unb alle Gefahren, benen bad 
menfchliche Leben ausgeſezt ift, zahlt er da auf, alle Widerwaͤrtig⸗ 
keiten, denen er fich leicht Hätte entziehen können, wenn er nur ben 
Drang ber Liebe Chrifti hätte unterbrüffen wollen; unb von bem 
allen fagt er, baß er darin weit uͤberwinde. Das m. g. ifl bie 
Kraft der Sottfeligkeit, daß fie und mit ber Thaͤtigkeit bed Geifles, 
wozu wie berufen find, über das irbifche Heben binausführt; bag 
wir an bem an uns ergangenen und von und erkannten Willen 
Gottes fefthalten, ohne auf bie Folgen für bad irdifche Leben zu 


76 


ſehen; daß wir nie aufhören dad Werk Gottes, zu bem wir beru- 
fen’ find, ungeftört und ruhig fortzutveiben, nicht weil wir etwa 
glaubten, ber Tag fei noch lang, fonbern eben weil wir nicht wiſ⸗ 
fen, wie bald die Nacht kommt, da niemand mehr wirken Tann. 
Lieber ſich der Gefahr audgefezt, daß das zeitliche Leben fräher zu 
Ende geht, aber an dem aufgegebenen. Werk fortgearbeitet, damit 
wir das Bewußtfein behalten, daß wir aus der Gemeinfchaft bes 
göttlichen Willens nicht herausgewichen find! Lieber dies Leben fah⸗ 
von laſſen, als die Kraft der Gottſeligkeit befchränken: das ift Die 
Weile der Kinder Gottes, durch weiche fie hinausgeruͤkkt find uͤber 
Furcht und Angft! das iſt die Werheißung, welche die Gottfeligkeit 
für dieſes Leben hat, daß ſich auf biefe Art zugleich die höhere 
Liebe zu den Dingen diefes Lebens in ihr offenbart. Denn welcher 
menſchliche Beruf unter und binge nicht zufanımen mit den Dingen 
dieſes Lebend? weicher hätte Beinen Einfluß auf. die Werbefferung 
feiner Angelegenheiten? durch welchen würbe nicht die Macht des 
Geiftes über bie irdiſchen Dinge fichergeftellt und befefligt? Und 
an jedem folchen Beruf follen wir halten, aber ohne auf ben Ge: 
nuß zu denken, ben: wir felbft davon haben möchten; alfo nicht um: 
free felbft wegen, ſondern damit, fo lange ber Geift in biefer ver: 
gaͤnglichen menſchlichen Geftalt auf Erben walten foll, auch durch 
jeven das Werk Gottes gefchehe: das ift bie erſte Verheißung die⸗ 
ſer Art, welche die Gottſeligkeit befist. 

Indeß haben: wir freilich am biefer noch nicht genug, m. lieben. 
Wohl Tann mander fo viel über fi gewinnen, daß er die Einheit 
und bie Richtung feined Lebens im ganzen feſthaͤlt, der Furcht und 
Sorge nicht fo viel einräumt, baß er fich aus der biöher betretenen 
Bahn hinaudtreiben liege: aber nun auch auf berfelben mit ber 
nämlichen Ruhe, mit unverringerter Freudigkeit fortgehen; auch 
wenn bie Gefahr ſchrekken will, doch mit derſelben ungeflörten Be⸗ 
harrlichkeit bad ſeinige thun; jeden Augenblitt mit Beſonnenheit 
um ſich ſchauen können um nichts zu verabfäumen von dem, was 
zu den Arbeiten des Berufs, was zu ben Aufgaben bed Augenblikks 
gehoͤrt; und gerade als ob das Leben gar keine Stoͤrung erfahren 
hätte, immer eben wie ſonſt Bereit fein zu jeder Dienſtleiſtung, fo 
daß jeder Augenblikk von dem ungeträbten Frieden des Herzens 
zeugt, — dieſer Sieg über die Sorge, ber ſich immer wieder er⸗ 
neuen muß, das iſt erſt die volle Verheißung der Gottfeligfeit für 
diefeß Leben... Wie nun überall die Furcht Uebel ärger macht und 
die Gefahr vergrößert: fo wird diefe Furchtlofigkeit auch überall die 
‚Gefahr verringern und, indem bie wiberfirebenben Kräfte zufammen: 


77 


gehalten und zweftmäßig verwendet werden, auch bad Uebel ſchnel· 
ir überwinden, | 
Doch freilich, es Könnte mancher fügen, auch dieſer Vorzug fi 
nicht das Eigenthum der Gottfeligkeit allein; fonbern auch bie ſitt⸗ 
liche Gewalt der nathrlichen Wernunft gewähre benfelben. Nur ges 
höre allerdings bazu, baß, biefeß höhere geifige Vermögen gehörig: 
iſt gewekkt und gebildet worben, daß fich in einem ruhigen Echen 
eine Herefchaft- deſſelben befefliget hat; fei aber bie gefchehen, dann 
würde fich dieſe auch eben fo wie bie Gottſeligkeit bewähren: unter 
allen Stämmen und Gefahren. — Wenn der Menſch auch durch 
kein befonderes Band mit dem hoͤchſten Weſen verbunden ift, ſon⸗ 
dem nur bad Walten des menfchlichen Geiſtes in dieſem irdiſchen 
Leben im Auge hat: fo vermöge er. doch auf ber einen Seite in 
der Richtung auf dad ganze fich felbft zu vergeffen, unb auf ber ans 
den Seite fei es ihm nicht möglich aus Liebe zum Leben etwas 
femer Vernunft unwuͤrdiges zu thun. Es iſt wahr, daß es außer 
halb des Chriſtenthums viele glänzende Beiſpiele giebt von jeder 
Seloftverläugnung: aber boch werben wir gegen folche Tugend bie 
Kraft der Gottfeligkeit nicht aufgeben wollen. Wir werben doch 
geflehen müffen, wenn wir es näher überlegen, daß beides fich nicht 
vergleichen läßt. Konnte der Menich auch fich felbft vergeffen und 
fih hingeben für das ganze, dem er angehörte: was war dies 
gan? Immer nur eine beflimmte mienfchliche Gefellfchaft, beren . 
Glied er war; eine befonbere einzelne Geflaltung des geifligen Le⸗ 
bens, in ber. grade ex erwachfen und bergelommen wer: aber biefe: 
fand immer im Gegenfaz .gegen vieled andere; und feine Liebe zu 
demfelben war, wenn auch nicht die engfle, fondern eine fich weiter 
auöbreitende, boch immer Gigenliebe; und. nur für dieſes größere 


Selbſt, um es ficherzuftellen und demfelben Ehre Preis und Ruhm 


u bewahren ober zu mehren, gab er das Pleinere hin. Und beöwes 
gen bleibt immer noch ein geheimer Zugang frei, durch ben ſich 
auch die Selbftliebe im engflen Sinn wieder einfchleicht bei benen, 
die nur an biefe Tugend gewieſen find, welche dad Werk ber nas: 
tirfichen Wernunft if. Je weiter im Vergleich mit andern einer 
feine geifligen Kräfte entwikkelt hat; je größer der Kreid ift, im 
welchem ex für dad ganze wirkt: um befto leichter erwacht in jedem 
die Neigung fich ſelbſt für ehwas, ober daß ich es gerade heraus 
Tage für unentbehrlich zu halten. Sein Leben und Wirken iſt ja 
an bebeutended gemeinfames Gut; je bebenklicher die Zeiten find, 
um deſto flärker drängt es fich ihm als eine heilige Pflicht auf: für 
ſih ſelbſt zu forgen, um fi für das ganze zu erhalten: und fo 
Können andh: die beften nicht. felten in alle die Verzaͤrtelung hinein 





28 


gerathen, wie wir fie denen nicht gern zu Gute halten, bie auf ei» 

ner ganz niebrigen. Stufe des Lebens flehen. . Aber dieſes m. g. ill 
uns if allen, bie fich der chriſtlichen Gottfeligkeit befleißigen, nicht 
möglich; und das iſt vieleicht bie größte Verheißung berfelben. Der 
Herr felbft, diefe Blüte des menfchlichen Geſchlechts, bad Fleiſch ge: 
worbene Wort, wie mußte er fich bewußt fein, daß fein Dafein auf 
der Erde notwendig war für das menfchliche Gefchlecht! aber wie 
wußte er auch, biefe Nothwendigkeit fei nur auf eine gar kurze 
Spanne menfchlihen Lebens befhränkt; und darum weigerte ex fi 
nicht, wiewol er wußte in welchem unvollkommenen Zuflanbe er bie 
Ungelegenheiten feines Reiches ließ, von binnen zu gehen und ab 
aufcheiden, ald ed ber Wille feined Vaters war. Wie follte einer, 
ber dieſem Vorbilde nachgeht und von bem Glauben aus, Chriſtus 
Tonne mit keinem andern verglichen werben, unb Feiner mit ihm, 
- bach alled auf dad Meich Chriſti bezieht, jemald dazu kommen ſich 
für unentbehrlich zu halten in biefem Leben! Wir willen ja, daß 


auch daB befte, was wie thun koͤnnen, und nur von ihm kommt, 


- aud der Kraft bie Er audgießt über und, aus dem Geiſt Gottes, 
.. ber ja audgegofien ift über alles Fleiih! Iſt fonach die gemein, 
fame: Kraft ſichergeſtellt, nicht eine foldhe, bie nur hier oder bort, 
ist oder dann fich geltend macht, ſondern bie, welche immer mehr 
Dad ganze menſchliche Gefchlecht burchbringen fol: wad fann an 
irgend einer einzelnen Erſcheinung des menfchlichen Geiſtes gelegen 
ſein! wie kann einer, wenn er ſelbſt heute abgerufen wird, daruͤber 
murren, daß er ja noch eine Reihe von Jahren auf dieſer Erde 
hätte wirkſam fein koͤnnen, unb boch vorgeben, er. lage nur aud 
Liebe zu dem Werke des Herrn! Dad Leben ded Menfchen iſt ven 
gaͤnglich, aber nicht fo, daß «8 dem Herm jemals Eönne an Die 
nern zur Vollendung feined Werkes fehlen! Der Geiſt bildet. uns 
aufbörlich, feine Werkſtatt if nicht zu verwüflen, wie fehr auch die 
Krankheiten die Kriege und alle Widerwaͤrtigkeiten bed Lebens bie 
Menſchen aufreiben; denn die Pforten ber Hölle follen nicht vers 
mögen das Reich Ghrifti zu überwältigen. Wolan in biefer Sicher⸗ 
beit, ‚wie: ſollten wir und uͤberwinden laſſen von der Furcht fuͤr die⸗ 
ſes Leben! wie ſollten wir nicht freudig jeder augenblikklichen Ge⸗ 
fahr entgegen gehen! wie ſollten wir uns nicht frei machen von al⸗ 
lem, was uns hindern kann an der Erfüllung unſeres Berufs in 
aller Beſonnenheit, in aller Ruhe, die dad Leben unter allen Um⸗ 
fländen auf gleiche Weiſe fordert, wenn wir unſer Gewiſſen bewah⸗ 
ven wollen! 
ei m. g. Br. alles, was ich gefagt habe, will nicht fo ge: 
meint fein, daß etwa jemand glauben duͤrfte — doch das will ih 








79 


nicht erſt ausſprechen, — er koͤnne nun erfl nach der Gottſeligkeit 
fireben und fie fi) aneignen, damit er bie befchriebenen Früchte das 
von genieße in biefer bangen Zeit, — nei, bad fage ich nicht erſt; 
aber auch fo nicht, daß einer glauben koͤnnte, bie gottfelig find, die 
wirden nicht untergehen in biefen Gefahren, und folglich auc wer 
in denſelben untergeht, wen Gott bad Loos beflimmt fein Leben 
auf diefe Weiſe zu befchließen, dem habe es dann gewiß an ber 
Sottfeligkeit gefehlt, welche die Verheißung dieſes Lebens hat. So 
wird niemand die Worte des Apofteld mißverfiehen, unb es ift wol 
unnöthig, baß ich auch mich Dagegen ficherftelle. . Die Gottfeligkeit 
if nicht daB Gut eined einzelnen, und wir haben fie nicht ald Eis 
genthum jeber für fich, fondern fie ift ebenfalls ein gemeinfameß 
Sut: und nur in fofern ruhet jene Werheißung auf ihr, nur in for 
fem ift fie zu allem nuͤze. Soviel alfo werben wir-in ber That 
und Wahrheit fagen koͤnnen, je mehr Gottſeligkeit ift in einer Ge 
meinfhaft von Menfchen, je mehr ber Wille Gottes die menfchlichen 
Gemuͤther beberricht, um deflo mehr werben fie auch dieſe Verhei⸗ 
Fung der Gottſeligkeit erfahten: aber ald eine einzelne Frucht für 
das einzelne Lehen koͤnnen wir fie nicht verlangen; fondern da uns 
terwerfen wir und immer aufd neue, uub wir follen es mit ber 
größten Freude thun, den Fügungen des Hoͤchſten, der in allem 
über alle walte. Aber die Kraft ber Sottfeligleit und ihre Ber 
heifung wird fich jedenfalls auch offenbaren in den Leiden diefer 
Bet; nicht nur in ber Sorge für bie, bie und nahe flehen und die 
uns Gott anvertraut: fondern auch unter den eigenen Schmerzen bex 
Krankheit, auch im Angeficht des Todes wird doch der Menſch, in 
weihem ber Geift der Gottſeligkeit waltet, ein Gegenfland des 
Wohlgefallens bleiben, und die Kraft berfeiben wirb fich an ihm 
zigen und verherslichen. An ihm erfcheinen auch biefe Uebel de 
Lebens in einer milderen Geftalt, weil dad was von oben flammt, 
und bie iſt boch die. wahre Sicherheit des Dafeind, nicht bezwun⸗ 
gen wird durch die Gewalt des irbifchen. Daß wir davon Zeugniß 
ablegen mögen in ber Zeit, bie uns benorfieht, bad verleihe und. 
der Höchfle durch, die wahre GBottfeligkeit, zu ber und in ber und 
zu ſtaͤken das Biel unſers gemeinfamen Lebens fe. Amen, 


Sieb 25, 2, & 








vm. 
Am 16. Sonntage nad) Trinitatis 1831. 





Lied 3. 671 
Sert. Matıh. 7, 12. 


Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute thun ſol⸗ 
len, das thut ihr ihnen; das iſt das Geſez und die Propheten. 


M a. Fr. In der Bergpredigt, wie wir die Rede des Erloͤſers 
zu nennen pflegen, aus der bie verleſenen Werte genommen find, 
. batte er nicht feine Dünger allein vor fih, fonbern fie zwar auch, 
aber außer ihnen einen großen vermifchten Haufen bed Volks: fo 
dag wir bei den einzelnen Ausſpruͤchen dieſer Rebe oft zweifelhaft 
werben koͤnnen, ob. fie nur gemeint find für die Juͤnger des Herm, 
ober ob es vielmehr allgemeine Vorichriften und Rathichläge find, 
welche fich auf das menfchliche Leben überhaupt beziehen und nicht 
grade und audfchließend ein ſolches Berhältniß wie feine Jünger: 
ſchaft vorausſezen. So kann e8 und nun auch mit biefen Worten 
gehen, welche von ber Art find, daß fie aus feiner Rede in den 
Mund eined jeden übergegangen find, daher wir fie auf die mans 
nigfaltigfte Weiſe verflanden und den verfchiedenfien Gebrauch davon 
gemacht fehen. Wenn wir nun noch dazu das beachten, daß ber 
Erlöfer ber. Regel, welche er hier giebt,. die Worte hinzufügt, Das 
ift dad Geſez und bie Propheten: fo kommt man leicht auf ben 
Gedanken, diefe Stelle gehöre ganz vorzüglich zu denen, wobei er 
fein Augenmerk zunächft auf diejenigen gerichtet habe, welche dem 
Reich Gottes das er begründen follte noch nicht angehörten, ſon⸗ 
dern noch darin, daß fie dem Gefez genügten 'unb auf die Stimme 


8 

ber Pröpheten hörten, ihre Seligkeit und ihre Gerechtigkeit bei Gott 
fuchten. Aber doc) hatte er duch fie vorher fehon eingeladen zu feis 
nem Reich; feine Predigt, daß dad Reich Gotted nahe herbeigefoms 
men fei, war fchon ergangen; ja er hatte in-biefer Rebe felbft fchon - 
früher jene große Vorſchrift gegeben, daß wir zuerſt trachten follen 
nah dem eich Gottes und feiner Gerechfigkeit, und zwar fo, daß 
uns nach nichtd anderem zu trachten übrig bliebe, ſondern alles ans 
dere uns nachher nur zufallen folte. Darum nun konnte ex doch 
bier nicht eine Vorfchrift geben wollen, welche feine Zuhörer zwar 
darin beftärkt hätte nur das Gefez zu erfüllen und den Vorſchriften 
der Propheten zu folgen, welche aber zu gleicher Zeit jener Regel . 
nah dem eich Gotted zu trachten nicht angemefien gewefen wärey 
denn dann hätte er fie felbft durch das, was er ihnen gegeben, in 
ihrem biöherigen Zuſtande zurüffgehalten und fie von dem Tichten 
und Trachten nach dem Reich Gotted noch weiter entfernt, wenn 
fie doch im jener Regel fchon alles fanden, was ihr Gewiflen von 
ihnen forderte. Darum nun m. g. Fr. iſt dad eben die eigens 
thuͤmliche Beſchaffenheit diefer Vorſchrift des Erlöferd, - 
und das fei denn die Beziehung, im welcher wir fie zum Gegen: 
fland unſers heutigen Nachdenfend machen wollen, auf ber einen 
Seite, dag wir nichtd an berfelben haben, fobald wir nicht von je 
ner anderen Regel bed Herrn, daß wir allein nach dem Reich Got: 
tes tsechten follen, auögehen; bag aber auf der andern Seite, wenn 
wir hievon auögehen und diefe Regel auf jene beziehen, wir bann 
gewiß die vollkommenſte und hinreichendſte Vorſchrift für alles, was 
das Verhaͤltniß zu unfern Brüdern betrifft, darin finden. So zer 
fält denn von ſelbſt die Betrachtung, welche ich anftellen will, in 
biefe beiden Theile: zuerft, daß wir und das beutlich machen,. wie 
biefe Worfchrift des Erlöferd ganz nichtig fei und leer, wenn man 
fie nicht irn Beziehung bringt mit der, daß wir nur nach dem Reich 
Gottes trachten follen; fodann aber haben wir fie in Beziehung 
auf jene von allen Seiten mit einander zu erwägen. | 


1. Wenn wir uns nun denken nt. a. Sr. ben Menfchen, ber 
nad dem Reich Gotted noch nicht teachtet, welches unfer Exlöfer zu 
begründen gekommen iſt: fo haben wir freilich nicht fogleich voraus⸗ 
zuſtzen, daß er eben nur dem finnlichen Wohlbefinden nachgeht. 
Alerdingd wird ſich auch in ihm eine Stimme Fund geben, bie . 
etwas anderes von ihm fordert; aber im Streit iſt er gewiß zwi⸗ 
ſchen diefen beiden Richtungen feined Gemuͤths, und muß baber ſu⸗ 
hen beide fo gut es fich thun laͤßt mit einander zu vereinigen. 
Daraus entſteht dann allerdings zuerft eine Wiguns die Vorſchrif⸗ 

IL 





t 


ten, die bad Gewiſſen aufitellt, die Forderungen, welche es an und 
bringt, auf eine ſolche Weiſe zu flellen, daß fie unferem Trachten 
nach dem, was den Leben in diefer irdifchen Welt einen Reiz geben 
und unfere Anforderungen an daffelbe befriedigen Tann, nicht im 
Wege ftehen. Und fo fehen wir denn auch, wie ein großer heil 


der Menichen ed fo und nicht anderd zu halten pflegt. . Der Unter: 


ſchied zwilhen Recht und Unrecht, zwifchen gut und böfe ift uns 
allen eingeprägt, und feiner verläugnet ihn: aber wenn ed nun 
darauf ankommt, daß gethan werden foll was gut und recht iſt, 
dann’ finden wir leider oft genug ben Preis, um welchen ed allein 
erreicht werben kann, zu theuer; dann entſteht jenes fich gegenfeitig 
Anklagen und Entichulbigen der entgegengefegten Gedanken des Men⸗ 
fehen. Wenn nun hieraus ein Wechſel zwifchen Verlangen und Zu⸗ 
ruͤkkſtoßen, zwiſchen Befsiedigung und Reue entiteht, der dad Be⸗ 


wußtſein von ber menſchlichen Schwäche und Gebrechlichkeit fehr 
. lebhaft hervorruft: fo .gefallen fie fich in bemfelben nicht grade wohl, 


aber fie laſſen es fich doch gefallen; ſie wünfchen doch, bag biefe 


Schwäche berüßkfichtigt werde; fie wollen die Forderungen an fich 


nicht zu hoch fpannen und wollen, daß auch von anderen dies nicht 
geſchehe. Wolan, was für eine Anwendung von jener Vorfchrift des 
Erlöferd entſteht auf diefe Weile! Nun wohl, fagen fie, ed gelte, 
Was ihr wolt, Daß euch die Leute thun follen, dad thut ihr ihnen 
auch! Wir wünfchen lebhaft, daß andere Nachſicht haben mögen 
mit unferen Schwächen, daß fie die Augen möglichft gegen biefefben 
verfchliegen und ruhig an und vorübergehen mögen, als ob fie. es 
nicht merkten, wenn wir und leichter als es eigentlich) geichehen follte 
mit unferm Gewiſſen abfinden; baflelbe wollen wir ihnen nun and 
gern leiften! "und fo beflärft denn jeder ben andern in biefer ſittli⸗ 
hen Schlaffheit, die fich überall einfchleiht und überall nur zu bald 
berrihend wird, wo der Blikk nicht ganz allein auf Dad Reich Gots 
tes und feine Gerechtigkeit gerichtet ift. Be 
Daß nun eine ſolche Handlungsweiſe nicht dasjenige fein kann, 
was der Erlöfer bei feinen Worten muß im Sinne gehabt haben, 
iſt Mar; aber ich habe mehr gelagt, ich habe gefagt, wir hätten an 
benfelben, wenn ‚wir von jenem Hauptgrundſaz abſehen, gar nichts, 
überall nicht eine mit fich ſelbſt zufammenftimmende Vorfehrift, welche 
und aud nur im windeften genügen Tönnte um und zu leiten in 
unferm Thun. Denn gefegt wir wollten und auf jenen Vertrag 
mit anderen Menfchen einlaffen, daß wir eine feigherzige Nachficht 
mit ihren Schwächen haben, wenn fie nur biefelbe mit ben unfrigen 
haben: fo werden wir finden, daß ex ſich wieder auflöft, weil ſich 
bierin nicht alle gleich verhalten zu und. Bei jeder Gelegenheit 








83 


v 


werden wir, wenn auch die übrigen alles gut fein laſſen, doch im: 
mer in Streit fommen mit einigen, mit benen nämlich, deren bes 
jonderd ihnen angewiefened Berufögebiet wir flören und verlegen 
duch unfern Fehltritt. Nun hat aber ein jeder feinen eignen Beruf 
und befonbern Wirkungskreis, in welchem er nicht nur ungeftört fein 
will, fondern aud gefördert zu werben verlangt. Wenn ed alio 
viele giebt, die da fagen, Nun wohl, laß mir bad durchgehen, es 
fol dir das gleiche geichehen: fo werben auf der anderen Seite welche 
fiehen, die fich berufen auf dad, was ihred Amts und ihrer Pflicht 
fei, und wogegen fie ſich nicht dürfen einen Einfpruch gefallen lafs 
fen, und werden dann fagen, Das wirft du auch verlangen in dem 
Kreife deines Berufs, daß er nicht geflört werde durch die Nachficht 
und die Schwäche anderer, daß nicht in: den Kreis deiner Pflichten 
ein Einfpruch geichehe, und Du dem nicht nachkommen kannſt, was 
dir obliegt. Und fo, indem ed auf ber einen Seite gebt, geht ed 
auf der anderen nicht, und dad Leben bleibt getheilt und zerriffen. 

Aber wenn wir nun an ben verfchiedenen Zufland derer denken, 
die noch nicht allein nach dem Reich Gottes trachten, und aljo doch 
zulezt mehr ober weniger alled, was ihre Vernunft ober ihr Gewifs 
fen von ihnen forbert, auf Ordnung und Wohlftand, auf den "Reich: 
thum an irdiſchem und ich will. auch fagen würbigem Genuß bed 
menfchlihen Lebens beziehen: fo heißt dann für einige das Wort, 
Was ihr wollt, daß euch die Leute thun follen, das thut ihr ihnen 
auch, fo viel, Ich will gem, daß alle, die mich erreichen können, die 
mir irgend einen Beiftand zu leiſten vermögen, ſich auch meiner ans 
uchmen,, -fo oft ich felbft nicht im Stande bin mein Leben in dem 
rechten anmuthigen Gang zu erhalten; dag fie mir ihre Hülfe nicht 
verfagen, wenn es barauf ankommt irgend einen dringenden Wunſch 
meined Herzens zu befriedigen, vielmehr bereit find mit ihren Gas 
ben mir beizuftehen in dem Kreis meines Lebens: ich will eben des⸗ 
bald auch daffelbe thun in dem ihrigen. Aber zugleich giebt ed im» 
mer auch andere, die den größeren Werth nicht darauf legen, was 
und wie viel ihnen zu heil wird, fondern darauf, daß fie alles, 
was fie ald ein Gut und einen Genuß des Lebens mitzählen, fi - 
ſelbſt verfhafft haben. Nur das, fagen fie, habe einen Werth für 
den Menfchen, was fein eigened Werk fei; und fo wollen fie ſich 
ſoviel möglich in ſich ſelbſt abfchliegen mit ihrem Trachten und ib: 
rem Streben. Lieber, fagen fie, möge mir dieſes oder bad nicht ges 
lingen, lieber will ich dieſes ober jenes entbehren, als baß ich mich 
immer follte an ben Beiſtand anderer Menſchen verweilen laſſen; 
ich begehre nidytd von ihnen, als baß fie mich ruhig gehen laſſen 
und mich nicht flören: aber beöhalb, weil ich felbft fie auch nicht 

| | 2 


84 


weiter in Anſpruch nehme, will ich ihnen auch nichts anderes lei⸗ 
ſten, damit fie es recht deutlich ſehen, was meines Herzens eigent- 
liche Meinung ſei. Und fo ſehen wir m. g. Fr., wie die verſchie⸗ 
denſten Kebensanfichten und Lebenswege fich fo vereinigen laffen mit 
biefen Worten bed Herrn, dag wir eigentlich gar nichts daran ha⸗ 
ben, indem wenn wir dem einen thun, was wir von ihm wollen 
geleiftet haben, "wir ihm nicht Dad thun, was er von andern will 
gethan haben. Aber das kann des Erlöferd Meinung nicht gewefen 
fein, daß fo ganz verfchiedene und ſich unter einander aufbebende 
Ordnungen des Lebens aud einer und berfelben Regel hervorgehen 
follen. u — 
Aber noch mehr. Wenn wir den gewoͤhnlichen und herrſchen⸗ 
ben Sinn der Menfchen, denen das Reich Gottes nicht der erſte 
und einzige Gegenftand ihred Tichtens und Trachtens ift, betrachten: 
fo bat dann, wenn wir auch nicht bloß den finnlichen fondern den 
geiftigen Werth des Lebens mit in Anfchlag bringen, body alle gar 
fehr feine Beziehung auf die in der menfchlichen Gefellfchaft herr 
ſchende Ungleichheit. Se mehr fich dieſe entwikkelt hat, um deſto 
zufammengefezter aber auch um fo reicher iſt dad eben, und nur 
‚in dem auf einander und mit einander Wirken von biefer Ungleichs 
heit aus entfleht das ganze Gebäube eines folchen menfchlichen Da⸗ 
feind wie dad unfrige. Wenn wir aber auf Die Ungleichheit ber 
Menſchen ſehen, fo verliert die Hegel des Erlöferd ganz und gar 
ihre Anwendbarkeit, mögen wir fehen auf welches von den wichtig: 
flen und bedeutendften Werhältniffen der Menfchen wir nur wollen; 
‚ und ed fheint, als fei fie auf eine Gleichheit berechnet, bie gar 

nicht vorhanden iſt. Denn ber, welcher untergeorbnet ift, kann nicht 
von dem, weldyer über ihm fteht, daſſelbe verlangen, was er zu lei⸗ 
ften bat; der, welcher im Mangel ift, ann von dem, welcher im 
Ueberfluß if, nicht das verlangen, was er zu leiften hat: und je 
mehr wir alfo auf Diefe Verwikklungen und diefe Mannigfaltigfeit 
ber menfchlichen Werhältniffe fehen, um deſto weniger fcheint die 
Regel bed Erlöferd brauchbar zu fein. — Man hat fich freilich eine 
Hälfe hiegegen erfunden, um unfere Worte doch auch. in dieſem 
Sinn anwendbar zu machen, indem man gefagt hat, fie koͤnnten 
nur fo auögelegt werden, daß wir andern thun follten nicht ſowol 
was wir für und wollen, als vielmehr was wir wünfchen wuͤrden 
geleiftet zu erhalten, wenn wir uns an ihrer Stelle befänden. Die: 
ſes und an die Stelle der andern fezen fei das Mittel, wodurch Die 
fcheinbare Unanwendbarteit ber Regel des Erloͤſers ausgeglichen werde. 
Aber was entſteht daraus? Zunaͤchſt freilich wie es ſcheint, daß wir 
dem obern Gehorſam leiſten und dem niederen Schuz verleihen, wie 





85 


wir beides felbft. wänfchen wuͤrden; genauer betrachtet aber folgt 
nur baffefbe, worauf ich vorher fchon hingewiefen habe. Kann & 
wol eine und biefelbe. Art fein, wie ber eine ſich an die Stelle des 
' andern fezt? werben nicht auch fo alle die verfchiebenen Sinnesarten 
der Menfchen ihr Retht behaupten? und muß dann nicht eben das 
daraus entflchen, daß, indem alle diefelbe Megel anwenden, in dem⸗ 
ſelben Fall doch der eine dieſes thut, der andere bad entgegengefezte? 
So ift es denn nicht anders möglich, als daß diefe Megel bed Er 
loͤſes, flatt das Leben in Ordnung zu bringen, ſtatt eine auöreis 
ende Vorſchrift dafür zu fein, allen denen, die noch nicht von je: 
nee anderen Regel burchdrungen find nur nad dem Reich Gottes 
zu trachten, unndz iſt und dad Leben nur ber Willkühr preiögiebt 
flatt es zu ordnen. Statt daß daraus eine Uebereinflimmung ent: 
Rande, giebt fih nur die Mamnigfaltigkeit zu erkennen, wie Sinn 
und Geift ber Menfchen audeinander gehen; und ed gehört wenig 
Kunft dazu und wenig von jener unfeligen Uebung, die ſich überall 
findet, wo die Gedanken ber Menfchen fich unter einander bald ent: _ 
ſchuldigen bald anlagen, um fo auch dad, was am meiften von . 
dem Gedanken bed Heren entfernt ift, doch in Webereinfiimmung zu 
bringen mit feiner Regel. Ä 

So wenig nun dies die Meinung bed Erlöferd geweſen fein 
fann: eben fo wenig hätte er dadurch auch dem genügt, was er 
feibft jagt, daß nämlich dieſe Regel gleich fein fol dem Gefez und 
den Propheten. Denn auch diefe fuchten doch eine Uebereinſtim⸗ 
mung in bad Leben zu bringen; und alle die mannigfaltigen Vor⸗ 
fchriften, aus denen dad Geſez beſteht, wollten doch von allen auf 
dieſelbe Weile verflanden und ausgeübt werben: aber eben dieſes 
fann der Regel bed Erlöferd, fo lange wir jo gegen jene andere 
fießen, nicht nachgerühmt werden. 


1. Laſſet und daher nun fehen, wenn wir bie Worte unſers 
Zertes auf jene Regel beziehen,“ daß wir nach dem Reich Gottes 
und feiner Gerechtigkeit trachten follen, ob fie dann ausreichend find 
für unfer ganzes Leben, welches wir unter einander und mit einans . 
ber zu führen haben. 

Zu biefem Ende nun m. g. Fr. müffen wir zunächft einiges in 
Betrachtung ziehen, wad man gar leicht zu überfehen pflegt bei dem 
Nachdenken über diefe Worfchrift bed Erlöferd und über die Art und 
Weiſe fie anzuwenden. | 

Wenn er fagt, Was ihr wollt, daß euch bie Leute thun follen, 
das thut ihr ihnen auch: fo fagt er alfo nicht, Was fie euch geihan 
haben, was ihr von ihnen eurem Wunſch und Willen gemäß erlangt 


habt, das thut ihr ihnen wieder. So ſtellt er fie nicht, fondern 
bie, welche eine Regel des Lebend von ihm annehmen wollen, Die 
folen auch mit der Befolgung berfelben vorangehen. Was ihr 
wollt, fagt er, daß euch die Leute thun follen. Ohne euch zu Be⸗ 
fümmern, ob fie es ſchon gethan haben oder nicht, ohne baran zu 
denken, ob fie nicht dad Gegentheil davon thun werden, follt ihr ĩh⸗ 
nen dad thun, ‚wovon ihr wollt, daß fie ed euch thun, und folle 
alfo ihnen darin vorangehen. Auf diefe Weiſe verfihwinden dann 
gleich eine große Menge von den Schwierigkeiten, weldye fih ber 
Ausübung biefer Regel. entgegenzuftellen fcheinen. Wenn ein folder 
Zünger des Herrn, der nur nach dem Reiche Gottes tradhtet, wel⸗ 
ches der Erlöfer begründet hat, feine Augen um fich her wirft auf 
feine Brüder, die ihn umgeben: was fann er wollen, daß fie ihm 
thun follen? Offenbar doch nichts anderes, als daß fie ihn foͤrdern 
mögen eben in diefem Fichten und Trachten, wovon er allein etwas 
weiß! Daffelbige alfo fol er ihnen zuerft thun. So m. g. Er. iſt 
die chriftfiche Kirche, wie wir fie fehen, ganz und gar aus der Be 
folgung dieſer Regel des Herrn entflanden. Jeder fühlte es und 
mußte es fühlen, ber durch den Erlöfer zu der Erkenntniß Gottes 
und des göttlichen Willend gefommen war, daß je mehr Unterfiü: 
zung er in dem Fichten und Trachten nad) dem, was vor ihm 
liegt, in dem Streben nad) dieſem Ziel von Seiten feiner Bruͤder 
hat: um deſto fchneller werde er fich demfelben nähern, ‚mit befto 
weniger Hinberniffen werde er zu kaͤmpfen haben, deſto mehr Erfolg 
werde ihn erwarten. Darum mußten nun bie Sünger des Herrn 
zuerft fuchen das Tichten und Trachten nach dem Reiche Gottes ben 
Menfchen einzupflanzen, damit, wenn fie ihnen dieſes erft mitgetheilt 
hätten‘, dann eine gegenfeitige Unterflügung in dieſem Streben flatt 
finden koͤnne, und dann jeder auf dem gemeinfamen Wege den an: 
deren thue, was er von ihnen erwartet. Das ift num auch jest noch 
das erfte Borangehen derer, welche der Regel des Erlöfers folgen 
wollen; in bdiefem Sinne thun wir unfern Kindern, was wir von 
ihnen erwarten: aber fo m. g. Fr. geht es dann auch immer weiter. 
Ein jedes menſchliche Verhaͤltniß fol ja mit eingefügt ‚werben im 
das Reich Gottes; mo wir alfo eins anknüpfen oder in ein beſte⸗ 
henbed eintreten: da nehmen wir auch gleich Bezug auf den einzi: 
gen Gegenſtand unfered Trachtens; benuzen gleich unfere Stellung 
für dad Meich Gottes, damit und auch von da aus eine Foͤrderung 
in bemfelben werde. Was haben wir Alfo zu thun, als daß wir 
unferen Brüdern, wenn fie es noch nicht fo gefaßt haben, alles aus 
dieſem Gefichtöpunfte zeigen; daß wir ihr Auge auf diefen Gegen: 
fand hinrichten und ihrem Willen diefe Richtung zu geben ſuchen? 








83 


und fo ergeht btiderüche Ermahnung und Zurechtweiſung an alle, 
damit fie und auch fördern koͤnnen in dem Tichten und Trachten 
unferes Denens. 

Wollen wir nun noch weiter gehen und wollen auch fragen, 
ob in unſern Handlungen gar keine Beziehung ſein duͤrfe auf das, 
was dieſer Welt angehoͤrt und aus ihr ſtammt; auf alles das, meine 
ich, wovon der Erloͤſer ſagt, daß es denen, welche nach dem Reich 
Gottes trachten, freilich ſo oder anders, viel oder wenig und auf 
die mannigfaltigſte Weiſe, aber doch immer irgend wie zufalle? Wir 
duͤrſen nur jenes Verhaͤltniß feſthalten, um gar leicht gewiß daruͤber 
zu werden, was die Worte unſers Textes in dieſer Hinſicht von 
uns verlangen. Wenn wir nur nach dem Reiche Gottes trachten: 
io hat auch alles andere für und nur in ſofern einen Werth, als 
wir es dazu gebrauchen und dazu verwenden koͤnnen. Denfelben 
Werth haben alfo auch für und alle irdifchen Güter, die wir im 
Beſiz und Bereich unfered nädhlten finden. Wir verlangen dann 
auch von unferen Brüdern eine gleiche Behandlung aller ixdifchen 
Büter, welche fie beſizen; alled was jeber in feiner Macht hat, fo: 
fen es nur ald ein Werkzeug ded göttlichen Geiſtes gehandhabt 

werben kann, foll auch von jedem nur gebraucht werben für dad - 
Reich Gottes. Keiner fol darüber hinaus etwas‘ fefthalten wollen 
zu eignem Befiz oder Genuß; feiner foll an irgend etwas feine ei: 
gene Ehre und feinen eigenen Ruhm fuchen; fondern alled, was 
uns bald fo bald anders zufällt, fol nur leicht und Iofe an jebem 
bangen, damit er ed benuzen koͤnne auf jebe Weile, wie ed zu der 
Foͤrderung des Reiches Gottes beitragen kann. Und weil wir nun 
dieſes aus Liebe zu dem Reiche Gottes von unſern Bruͤdern begeh⸗ 
ren, ſo ſollen wir billig damit beginnen daſſelbe auch zu thun. Was 
ſie von uns und dem unſrigen gebrauchen koͤnnen zu dem, was ih⸗ 
nen obliegt an dem Reiche Gottes, dazu ſollen wir ihnen bereit ſein, 
und ihnen durch unſer ganzes Leben zu erkennen geben, daß alles 
was irdiſche Gabe, alles was das Werk menſchlicher Kraft iſt von 
uud nur erhalten und aufbewahrt wird für dad Reich Gottes. Wer 
zu ſolchem Behuf Anſpruch machen kann an irgend-etwad, bad nod) 
ungebraucht da liegt, dem follen wir bereit fein ed zu geben, bamit, 
wenn wir in ben gleichen Kal kommen mit andern, wir ein Recht 
haben bafjelbe auch von ihnen zu fordern. Das heißt den Leuten 
thun, wovon wir wollen, daß fie ed und auch thun. Aber keines⸗ 
weges ſoll dieſes unſer Vorangehen dadurch bedingt werden, daß 
uns die andern auch nachfolgen; ſondern die Regel bleibt fuͤr das 
ganze Leben ungeaͤndert, daß wir das thun, wovon wir wollen, 
daß es die Beute auch thun follen. Wir wollen aber immer eben 


vieeh, mögen fie eb ſchon gethan haben ober noch nicht; alſo ſeu 
auch das in unferem ganzen Betragen Feine Anderung hervorbrin- 
gen, überall follen wir dad thun,- wovon wir wollen, bag anbere 
& auch thun. Wenn fie dann nicht nachgehen, fo haben wir das 
unfere gethan. Wenn fie Daher ven Weg, ben wir ihnen vorange- 
ben, nicht einſchlagen; wenn fie alles, was Gott ihnen giebt, nicht 
auf diefelbe Weife gebrauchen unb in einem feſten Bund der ge- 
meinfamen Wirkſamkeit für dad Reich Gottes nicht mit und fliehen 
und ausharren: fo follen wir dody immer bei demſelben Berfahren 
bleiben unb nie aufhören zu hoffen, bag bad, was wir thun, früher 
ober fpäter feines Eindrukks auf fie nicht verfehlen werde. So wer: 
den wir, indem wir ber großen Regel alled auf dad Reich Gottes 
zu beziehen treu bleiben, auch bei ber Anwendung ber in unſerm 
Zt enthaltenen nie in Gefahr fommen und einer Verantwortlich⸗ 
keit andzufezen, wie wenig Nachahmung wir vielleicht auch finden, 
wie wenig biefelbe Liebe biefelbe Bereitwilligkeit und auch entge⸗ 
genfomme. 

So liegt in ben Worten bes Herm die Unerſchoͤpflichkeit ber 
Liebe, welche freilich nur der predigen konnte, der fo ganz ber Abs 
glanz des göttlichen Weſens war, daß fein ganzes Thun und Sein 
nichts war ald Liebe! Aber auch nur bie. können ihm folgen und 
feine Regel in der Wahrheit beobachten, welche von berfelben Liebe 
. burchbrungen find. Darum iſt es auch eins und baffelbe, ob wir 
fagen, wir follen überall anderen bad thun, was unſere Werpflich- 
tung auf dad Reich Gottes von und fobert; ober ob wir fagen, 
wir follen ihnen das thun, wovon wir wollen, baß fie es und auch 
thun; ober ob wir fagen, wir follen ihnen überall fo vorangehen, 
bag wir ihnen zeigen, wozu bie Liebe Chrifli und bringt, bamit 
dieſe auch fie dringe, und wir dann auch aus ihnen die Liebe Chriſti 
* berauöfcheinen fehen: benn das ift ja unfer innigſtes Werlangen, 
daß wir dieſe überall wahmehmen, baß fie in allen Lebensäußerun: 
gen der Menfchen, bie feinen Namen gehört haben, fich zeige und 
verfündige. 

Dad zweite m. g. Zr. in ben Worten unfere® Textes, was 
man auch weniger zu beachten pflegt, ift num dieſes. Wenn der 
Erloͤſer fagt, Was ihr wollt, daß euch die Leute thun follen, Das 
thut ihr ihnen auch: fo Mnüpft er damit unfer Thun an das Be 
mußtfein eined WBebürfniffes, welches wir haben, wenn wir doch 
wollen, daß fie und etwas thun follen; und die Regel, welche er 
uns giebt, laͤßt ſich alſo zugleich auch ſo faſſen, Alles, was wir den 
Menſchen thun, das ſollen wir ihnen nur thun in Beziehung auf 
dieſes Beduͤrfniß, welches wir haben, daß ſi ſie es uns wieder thun. 








Was, ich bitte euch, was iſt wol gefchiffier alle Ungleichheiten uns 
tee den Menſchen audzugleichen und fie eben dadurch in das rechte 
Berhältniß gegen einander zu fiellen, welches nur dann gebührend 
anerkannt wird, wenn fich ihm alle andern unterorbnen, Dad einige 
nämlich, welches allein in bem Reich Gottes unter uns flatt findet. 
Oder was iſt ba für eine Ungleichheit m.-g. Fr.? Wir find un 
fprünglich alle Genoſſen derfelben Schwachheit, deſſelben Verderbens, 
‘ woraus Feine Rettung war als nur durch die Hülfe, die und aus 

ber Höhe gekommen iſt; wir find in dem Reiche Gottes alle Ge: 
nofien derfelben göttlichen Kraft, die aus bemfelben auf uns eins 
firömt, derſelben aöttlichen Liebe, die fich fo unfer angenommen unb 
erbarmet hat, beffelben höheren Lebens, das auf biefe Weiſe in und 
ausgegoſſen if. Wir mögen auf bad eine fehen wie auf dad an- 
dere, auf bad frühere ober auf das fpätere: gegen biefe boppelte 
Gleichheit was will alle Ungleichheit in den äußeren Verhaͤltniſſen 
der Menfchen, ja fogar was will alle Ungleichheit in ber Entwiltes 
kung ihrer Gaben und geifligen Kräfte ſagen! Aber wie verſchwin⸗ 
bet nun biefe Ungleichheit ganz? Wenn wir überall was wir uns 
fen Bruͤdern thun auch fo thun, daß fie gleich erfennen müflen, 
wir thun e8, weil wir das gleiche von ihnen bebürfen! Unter keis 
nem anberen Zitel, unter Peiner anderen Ueberfchrift follen wir den 
Menſchen etwas thun, als weil und fofem es bad iſt, wad wir 
von ihmen auch bebürfen. Wo bleibt ba irgend eine fchmeichlerifche 
Beſtaͤrkung übrig für den menfchlichen Hochmuth; wo bleibt da ein 
trügerifches Bewußtfein von einer Erhabenheit über unfere Brüder, 
womit wir und fonft wol aufblähen können? Wir ald einzelne find 
ihnen und fie eben’ fo und nichts anderes ald Mittel und Werk 
jeuge der göttlichen Gnade. Weiter, ald was hierin liegt, können 
wir ihnen nichtö leiften, und das müffen fie und auch leiflen, ‚weil 
durch nichts anderes als durch dad Leben ber Menſchen, bie von 
dem Geiſt Gotteß getrieben werben, biefer fein Werk feſthalten und 
weiter führen kann im großen und in jedem einzelnen. So haben 
wir denm auch nichts anderes als das Bewußtſein ber brüderlichen 
Gleichheit der gegenfeitigen Abhängigkeit, und das bleibt eben fo 
fe, wie unfere Befolgung der Vorſchrift des Erlöferd nicht abhaͤn⸗ 
gig fein foll von dem, was andere Menfchen nun wirklich thun 
oder nicht. 

Sthet da m. g. Fr. in biefem. beiben zufammengenommen müfs 
fen wir zur Genuͤge erfennen, wie ausreichend für bad ganze Leben 
die Regel des Erloͤſers iſt: fo daß wir auch getroft fagen koͤnnen, 
alled was wir noch außerdem ben Brübern thun wollten,. wenn 
auch in ber beſten Meinung, das würde doch vom Uebel fein. 





Benn und auf diefe Weiſe alle jene fcheinbaren Widerfpräche ver: 
ſchwinden, fobald wir nur von der Richtung auf dad Reich Gottes 
ausgehen und alfo die Beziehung auf. die göttliche Liebe fefthalten: 
fo laßt und nun auch Feine andere Liebe geben und empfangen 
wollen als diefe allein aus der Quelle der göttlichen Xiebe entſprin⸗ 
gende, und mit allem unferm Thun an ben Wenfchen keinen ande: 
ven Zwekk haben wollen und fein anderes Ziel erreichen, wie wir 
denn auch Fein andered zu erreichen Hoffen können, ald zur biefes, 
daß durch fie wie burch und und in und bad Heid, Gottes gebaut 
gemehrt und geförbert werde. 

Und m. th. Fr. wenn wir in biefem Sinn bei biefer Regel 
bleiben, fo fchlicht und einfach fie iſt, fo wird auch unfer ganzes 
Leben immer mehr eintehren in dieſe rechte Einfalt der Kinber Got; 
ted. Wie wahr tft der Ausſpruch ber heiligen Schrift, Gott hat 
den Menfchen einfach geichaffen, aber fie fuchen viele Künfte! Was 
find e8 alles für Künfte, welche in der gewöhnlichen Anwendung 
oder, daß ich e8 grade heraußfage, in dem gewöhnlichen Mißbrauch 
dieſer Regel des Erloͤſers angewendet werben! was fir Kuͤnſte, 
durch weiche die Menſchen fi) immer bier und da eine Vorſchrift 
machen und hier und ba wieder eine Ausnahme und fo zuruͤkkkeh⸗ 
ren unter die bunte Mannigfaltigleit ded Geſezes! Wir aber ba: 
ben in biefer Regel dad Gefez und die‘ Propheten in einem höheren 
Sinn! In ihr nämlidy hat jeder ein volllommened Bild des gött: 
lichen Willens, welches ihm gebieten wird; in dieſer hat jeder eine 
‘ Stimme: der göttlichen Mahnung, welche ihn leiten wird fo flark 
und fo Bräftig, wie es nur je die Stimme der Diener ded alten 
Bundes der Propheten geweſen ift mitten unter den Verkehrtheiten 
des Volles. Wir dürfen fie nur vernehmen, um uns fo Eräftig 
aufgeregt zu finden durch diefed einfache Wort des Herm, daß Feine 
menfchliche Kunft und Beredſamkeit auch nur bad mindefle hinzu: 
fügen fann. Aber wir haben darin dad Geſez und die Propheten 
in diefer neuteflamentlichen Geſtalt, daß fie nicht wieber eine Vor⸗ 
fehrift ift, fondern das lebendige Bild bed Erloͤſers; daß wir nicht 
mehr bedürfen bald biefer bald jener izt fo izt anders geflalteten Er- 
mahnung, fondern immer berfelben die Liebe Fund zu geben in un- 
ferem Leben und dadurch zu verfünden, daß die Liebe Gottes in un: 
fere Herzen audgegoffen ift ald Regel und Richtfchnur unfered gan- 
‚zen Bebend. Einzelne Vorſchriften aber brauchen wir nicht und 
follen wir auch nicht wollen ald nur auf vorübergehende Weiſe, da⸗ 
mit jede einzelne nicht anders erfcheine denn al3 eine einzelne An- 
wendung biefer allgemeinen Regel. Aber ebenfo werden wir auch 
befennen muͤſſen, daß wir an diefer Megel unfer ganzes Leben wer: 








9a 


den zu lernen haben und an ihr lernen müflen. Immer werben 
wir noch genauere fchärfere Anwendungen derſelben entdekken als 
die, woran wir uns bisher haben genuͤgen laſſen. Immer werden 
wir uns das Ziel noch hoͤher ſtekken, ſo oft wir ſie uns bei einer 
beſonderen Anregung, welche das Leben giebt, vor Augen halten; ja 
jeder Abſchnitt des Lebens muß uns in der Erkenntniß derſelben 
klarer und ſicherer gemacht haben, wenn er uns ſoll fruchtbar gewe⸗ 
fen fein fuͤr unſer Heil. So laßt uns denn feſthalten an jenem 
Wort ded Erlöferd ald an ber rechten wahren Weiöheit, der rechten 
Weisheit aus der Höhe, wie fie durch die Liebe zu Gott und zu 
dem, den er in die Welt gefandt hat, in unfere Herzen audgegoffen 
if: dann giebt es fich mit der Ausübung biefer Regel des Erloͤſers 
von felbft; dann werden wir immer vollfommmer werben unb doch 
zugleich Schüler bleiben diefer einfachen göttlichen Weisheit bis an 
das Ende der Rage. Amen. 


Lied 23. 


u 
Am 20, Sonntage nad) Trinitatid 1831. 


Lied 44. 474. 


Zert. Lucas 14, 18 figd. 


Und fie fingen an alle nach einander ſich zu entſchul⸗ 
digen ... und ſprachen zu ihm— Ich bitte dich, entſchul⸗ 
dige mic, . 


M. a. Ir. Es bedarf wol nur biefer wenigen Worte, die ich 

- abfihtlih nur aubzugsweiſe vorgeleſen habe, um uns allen die 
ganze Gleichnißrede in Erinnerung zu bringen, woher ſie genom⸗ 
men ſind. Der Erloͤſer ſcheint dieſelbe, wie wir aus den verſchiede⸗ 
nen Darſtellungen derſelben in unſern Evangelienbuͤchern ſchließen 
muͤſſen, ſelbſt oͤfter in verſchiedenen Formen wiederholt zu haben, 
wie naͤmlich eine Einladung ergangen ſei zu einem großen Mahl, 
und die Gaͤſte auch vorlaͤufig verheißen haͤtten zu erſcheinen. Als 
aber die Stunde ſelbſt gekommen war, und ſie aufgefordert wurden 
ſich nun einzuſtellen: ſo hatte der eine dies, der andere jenes in ſei⸗ 
nen Geſchaͤften vorzuſchuͤzen , und ſprachen die Worte, bie ich euch 
geleſen habe. 

Die naͤchſte Anwendung, welche von dieſem Gleichniß gemacht 
werben follte, war von der Art, daß ber Erloͤſer öfter Beranlaſſung 
hatte es zu wiederholen. Er lebte, wie wir wiffen, ganz unter fei- 
nem Volke und hatte fich felbft darauf beſchraͤnkt, daß er nur ge: 
kommen fei zu ben verlorenen Schaafen vom Haufe Iſrael. Diefe 
börte er nicht auf zu fich einzuladen und ihnen zu verkuͤndigen, das 
Reich Gottes fei nahe herbeigefommen, fie möchten fich num auch 








zu bemfelben einfinden und fi zu dem Ende um ihn her fammeln; . 
er werbe ihrer wahrnehmen, fie gegen alles was ihnen gefährlich 
werben Eönne befchüzen, und fie ficher in dieſes felige Reich Gottes 
hinetnführen. Es waren auch immer viele, bie feiner erſten Einla» 
dung Gehör gaben; wenn fi feine Stimme vernehmen lieg, fo 
fammelten ſich die Menfchen zu hunderten und taufenden um ihn 
her, und die Begierde die Worte ber Weiöheit aus feinem Munde 
zu hören ſchien immer mehr zu wachlen, anftatt daß fie follte ge 
fättigt. werben: aber dennoch, wenn nun gefordert wurde, daß fie 
einen entfcheidenden Schritt thun follten um zu beweilen, daß fie 
auch wirklich erfcheinen wollten in dieſem Reiche Gottes, wie er es 
ihnen vorbildete; wenn er ihnen zu bem Ende nähere Winfe gab ' 
über die Beſchaffenheit des Mahles, zu bem fie gelaben waren: . 
dann zogen fie ſich zuruͤkk und gingen wieder hinter fich. 
Was mir aber m. g. Fr. diefe Worte heute um fie zum Ge 
genftand unferer Betrachtung zu machen empfohlen hat, dad war, 
daß ich veranlaßt wurde mich an unſere neuliche Erntebetrachtung 
wieder zu erinnern. Schlimm, dachte ich, freilich ſehr ſchlimm, 
wenn der Menſch ſich einladet nur zum Genuß bed irdiſchen Wohls 
lebens und des irdiſchen Beſizes, und nicht gedenket der Stimme, 
Du Thor, dieſe Nacht wird man deine Seele von bie forbern!. aber 
noch viel ſchlimmer, wenn der Menfch bie göttliche Einladung über _ 
hört in dieſem kurzen und flüchtigen irbifchen Leben, und fo wenig 
dieſer bedeutungsvoll warnenden Stimme eingeben, wenn die Worte 
an ihn ergehen, Kommet nun, mein Mahl iſt bereit! dann dies 
und jemed zu feiner Entfchuldigung anführt. Je hoͤher der ift, ber 
und zu feiner Gemeinſchaft ruft, fei es auch nur auf flüchtige aber 
befto auögezeichnetere Augenblitfe bed Lebens: deſto weniger wagen 
wir, ſelbft dann wenn -wir es ‘wol follten, weil: und eine Pflicht 
davon abhält, aber doch wagen wir beflo weniger eine Entſchuldi⸗ 
gung vorzubringen. Wenn aber denen, welce die Einladung zum 
göttlichen Mahl an und ergehen lafien, ſo oft gefagt wird, Ich bitte 
dich, entſchuldige mich; wenn wir dies immer noch um und ber 
hören und bie Folgen davon wahrnehmen: weiche Fülle tranriger 
Betrachtungen muß das · denen erregen, welche ſelbſt biefer göttlichen | 
Einladung Gehör gegeben haben und jenes Mahl in feiner ganzen 
Herrlichkeit und Schönheit kennen. Aber wohin m. g. Be. gehoͤ⸗ 
ten denn wir? Ich kann ja nur fragen, um eine Antwort zu ge⸗ 
ben, die alle voraudfegen. Wir, die wir und hier vereinigen um 
gemeinfchaftlich deffen zu gebenten, der uns in dad Reich Gottes 
berufen hat, um uns an feinen Worten iu erbauen zu flärten, wir 
kinmen ja nur als folche erfcheinen; denn fonft wirben wir uns 


9. 

gar nicht bier finden, die feine Einlabung gehört nicht nur fonbern 
“auch angenommen haben. Ob wir nicht auch hie und ba im ein 
zelnen in dem Falle find -ebenfalld zu fagen, Ich bitte dich, ent: 
ſchuldige mich, was dieſes und jenes einzelne anlangt, bad bleibe 
jezt dahin geftellt al3 eine andere Frage. Aber m. g. Fr. wenn nun 
wir in ber That der Einladung des Herm Gehör gegeben haben: 
fo find wir doch zugleich alle ohne Ausnahme, wie er ja von Am: 
fang an feine Jünger genannt hat, feine Diener, von’ ihm gefandt, 
wie ex felbft gefandt war um bie Menfchen einzuladen in dem Na: 
men feined Vaters, fo auch wir in dem feinigen und in bed Ba 
ters Namen. Liegt und nun bad ob m. th. Fr. die Menſchen ein 
zuladen zum Reiche Gottes, fo ift ja dad auch ein Geſchaͤft, welches 
gut verrichtet werden kann ‘oder ſchlecht; und mancher, ber biefen 
fhönen Beruf hat, drängt die Seelen und zwingt auch diejenigen 
feiner Einlabung Gehör zu geben und fie anzunehmen, die vielleicht, 
wenn fie auf eine andere Weile wären angefprochen und aufgefor 
dert worden, auch nichtd anders gefagt haben würden ald, Ich bitte 
dich, entſchuldige mid. Iſt nun die Erfahrung zu häufig, als daß 
wir fie unberüfffichtigt übergehen koͤnnten, daß noch immer nicht 
nur diejenigen fich oft entfchulbigen, denen bad Evangelium als et: 
was neued aus weiter Kerne gebracht wird, ſondern nicht minder 
und auf mancherlei. Weiſe auch die, welche unter und leben und 
mit dem Namen bed Herm unb feinem Wort fchon bekannt find: 
jo laßt und darauf rechnen, daß babei auch die Art ber Einlabung 
nicht außer Schuld fein kann. Und fo wolles wir benn beibes, 
wie es ſich zuſammenfindet und zuſammengehoͤrt, auch mit einander 
erwaͤgen, und wenn wir und vergegenwärtigen, wie fo manche 
die göttlihe Einladung abzulehnen pflegen, baun aud 
nad ben Fehlern fragen, bie wir wol begehen mögen, i indem 
wir bie Einladung an fie bringen. 


L. Wenn wir m. a. Fr. von der Einladung bed Herm zu 
dieſem großen fefllichen Mahle hören, weiches bad Reich Gottes be: 
deuten foll, fo denken wir zuerſt — und das ift auch volllommen 
sichtig — an die allgemeine Aufforderung, bie im Namen 
des Erlöferö gleichmaͤßig an alle Menfchen ohne Unterichieb ergeht, 
daß fie möchten dem nichtigen, welches leiber bie meiften ſchon früh 
zu umgaukein pflegt, den Ruͤkken zuwenden und fich zum ewigen 
hinkehren, um in ein höheres Leben einzugeben. Das ifl bie große 
alles umfaſſende Einladung zu einem höheren Dafein, welche aller: 
dings auch früher ſchon gleichlam vorläufig und in öfteren Wieder⸗ 
holungen erging: aber daß alled bereit fei zum Genuß dieſes Lebens 








95 - 

aus Bott, dad konnte dem Gefchlecht der Menfchen nicht cher an⸗ 
gelündigt werben, bis die Zeit erfüllt und ber Sohn Gottes er 
fhienen war in ber Belt. Auch jezt unter und unterfcheiden wir 
jene vorläufige Ankündigung, bag alle geladen find, wie wir fie 
von Jugend auf an diejenigen ergehen laflen, bie unter und aufs 
wachſen, von ber fchließlihen und dringenden, mit der wir ed fo 
lange anftehen lafjen, bis wir fie, weil wir ihnen ben Erlöfer bes 
kannt gemacht haben, auch für fähig erklaͤren nun für fich felbft zu 
unterfheiden, was dad niebere und höhere iſt, was bad nichtige und 
was das göttliche in dem Weſen bed Menſchen. Was iſt ed nun 
wol, das noch fo viele abhält diefe Einlabung, wenn fie fie auch 
nicht grabezu und offen audfchlagen, doch nicht fo wie fie gemeint 
it anzunehmen? Wenn wir ben Ruf, den wir an fie ergehen lafs 
fen, nur auf die Theilnahme an dem geifligen Leben richten, wels 
ches Chriſtus und mittheilt: fo wird fich wol nicht leicht jemand 
unter und finden, ber fi ganz und gar unb einmal für immer 
entihuldigte, fo Daß er .fich feines Antheild ganz entfagte an dem . 
feligen Leben, zu welchem wir von oben ber eingeladen werben; 
auch wizden wir bavon Feine Kenntnig nehmen, fonbern bie Eins 
ladung immer erneuern. Aber für jezt entſchuldigen fich immer 
viele und möchten. aufichieben auf unbeflimmte Zeit. Weshalb nun? 
weswegen meinen fie, noch wären fie nicht bereit und noch koͤnnten 
fie fich nicht entſchließen der göttlichen Einladung zu folgen? Bei 
manchen m. g. Fr. iſt ed allerdingd wol nichts anders ald die dem 
Menfchen fo natürliche Zrägheit und Unbeweglichkeit. Sie mögen 
lieber fortwandeln auf bem Wege, ben fie biäher verfolgt haben 3 
aber fol irgendwie eine Veränderung mit ihnen ober in ihnen var» 
gehen, ſo mögen fie felbft das unbekannte ungewiſſe nicht auf 
ihre Rechnung nehmen und. möchten lieber, daß ihnen alles geſchaͤhe, 
ohne daß fie felbft brauchten einen Entichluß zu faffen und ihren 
Willen in Bewegung zu ſezen. Bei andern dagegen waltet zu 
dem, was fie befizen und genießen, zu ber Weiſe des menfchlichen 
Lebens, in welche fie eingegangen find, eine Liebe vor nach Maaß⸗ 
gabe der Befriedigung, die fie barin finden: und was fie zuruͤkk⸗ 
halt der Einladung in bad Reich Gottes zu folgen, iſt Die. Vorſtel⸗ 
lung, baß fie nun alles, was biöher ihr Genuß geweſen iſt, fahren 
laffen follen; daß fie die Art von Thaͤtigkeit, mit der fie leicht und 
bequem auögereicht haben, in den Hintergrund flellen ober fie ganz 
aufgeben follen; und weshalb? zunächft nur um einzugehen in eis 
nen harten und befchwerlichen Kampf. Aber m. g. wenn wir und 
nun fragen, was ift denn ber Genuß, bem ber Menfch entjagen 
ſoll, um ber Einladung in das Reich Gottes zu folgen? iſt er. denn 


% 

etwas anderes, ald was ber Apoftel im Sinn bat, indem ex bie 
Chriften in Rom auf ihr voriged Leben hinweifet, Was hattet ihr 
damals für Frucht? welcher ihr euch jezt Ihämet, denn das Ende 
derfelben ift der Zub! *) Es ift ja nur bie mit ber Sünde ge 
fchwängerte Luft, nur die ber felbftfüchtigen Begierde dienende Thaͤ⸗ 
tigkeit, welche beibe nicht anders koͤnnen als bie Kähigkeit zu dem 
vechten wahren Leben ertöbten; nur benen follen fie entfagen, um 
hernach die Frucht zu haben, daß fie heilig werben, und das Ende 
das ewige Leben. 

Wenn & nun fo ift m. g. Fr., und ber Unterfchieb fo gar 
groß und in bie Augen fallend zwifchen dem, was bie Menichen 
verlaffen follen als bürftigen Genuß und nichtiged Streben, unb ber 
Seligkeit des göttlihen Lebens, die ihnen geboten wirb; wenn wir 
doch nicht fagen koͤnnen, daß irgend eine Thaͤtigkeit, bie es nur 
verbient die menfchliche Seele zu befchäftigen und die Zeit ihres 
Hierfeind mit einzunehmen, in bem Reiche Gottes verpönt wäre 
oder übel berüchtigt, fonbern ed jebe wuͤrdige Wirkſamkeit menfchlis 
her Kräfte in fi) aufnehmen kann: wenn dem fo ift m. th. Fr., 
werben wir nicht vermuthen bürfen, ed müfle doch wol an unferer 
Einladung liegen, wenigflend zum großen Theil an ihr liegen, wenn 
fo viele, flatt diefelbe anzunehmen, fich immer noch zurüßßgiehen und 
Immer noch aufichieben der Einladung bed Herrn zu folgen zu feis 
nem großen und feligen Mahl? Die Fehler nun m. g. Fr., bie 
wir babei begehen, mögen freilich fehr mannigfallig fein; derjenige 
aber, der. hier wol am meiften verbirbt, und ber gar häufig umter 
und angetroffen wirb, ift ber, daß wir anftatt einzuladen abſchrek⸗ 
ten, daß wir anflatt den Menfchen die Seligkeit bed Lebens zu zei: 
gen, zu welchem fie berufen find, ihnen gern zuerſt .einen Tod vor: 
balten, durch den fie hindurchgehen muͤſſen, ihnen eine Serlenquaal 
ankündigen über ihren bisherigen Zufland, die ihnen nicht erfipart 
werben könne, ein Vernichtungdgefüht von- ihnen fordern, aus weis 
them allein bad neue Leben hervorgehen koͤme. Das gebt jedoch 
über unfern Auftrag hinaus, und wir muͤſſen dadurch unfern Zweit 
bei vielen verfehlen. Denn fo ift der Menſch, und das iſt nicht in 
ihm zu aͤndern, zeigen wir ihm bad größte und herrlichſte, aber erfi 
in weiter Berne, in ber Nähe hingegen nichts als Kampf unb 
Mühe, Schmerz und Thraͤnen, Aufopferung und Selbftvemidhtung: 
fb hält ee ſich zuruͤkk und will nicht durch dieſes alles. hindurch zu 
jenem, wie groß und trefflich es ihm auch ſelbſt erfcheine. Eben 
deshalb “aber m. 8. hat es auch der Erlöfer nicht fo gemacht. Es 


) Röm, 6,22. ‘ 


97 


war gar nicht feine Weiſe ben Menfchen zunaͤchſt nur die Pein ei⸗ 
nes Bußlampfed anzufündigen, ben fie zunörberft beftehen müßten, 
oder ihnen Werzweiflung über ihren eignen Zuſtand einzuflößen. 
Oder koͤnnt ihre fagen, wenn er fich für ben Arzt erklärt, ber zum 
beften der kranken gekommen fei, daß er fich ihnen mit dem glüs 
enden Eifen in der Hand bdarftelt um ihre Wunden auszubrennen? 
oder zeigen fich bie Arzeneien, bie er innerlich anmwenbet, von ber 
Art, da ihre wenn auch nur erfien Wirkungen Angft und Schaus 
der erregen? Und wenn er fich ald der zu erfennen giebt, ber ges 
kommen fei zu fuchen was verloren ift: erzählt er von angflerregens 
ben Schreffmitteln, bie er ‘gegen bie verlorenen Schaafe anwenbe, _ 
um fie in feine Arme zuruͤkkzutreiben? oder nur wie er ihnen mit . 
treuer Liebe nachgeht in die Wuͤſte, fie an fich lokkt und zuruͤkktraͤgt 

und dann feine Sreude an ihnen hat? - Daraus folgt jeboch keines⸗ 
weges, daß wir ben Unterfchieb zwiſchen dem höhern Leben, zu wels 
chem der Menſch durch Mittheilung des göttlichen Geiſtes allein ges 
langen kann, und dem irbifchen Leben, wie ed fich in einer wohl⸗ 
geordneten Gemeinfchaft von felbft geftaltet, gering anfegen follen! 
Davon könnte ja kommen, bag die Menfhen zu dem großen und 
herrlichen Mahl, zu dem wir fie berufen follen, gar nicht eingelaben 
würden. Aber die Nichtigkeit de biöherigen, o bie werben fie von 
ſelbſt deſto flärfer fühlen, je deutlicher wir ihnen, wie ed unfer Bes 
ruf ift, die Herrlichkeit des andern zeigen; ber Kampf, den fie zu 
beftehen haben gegen alle Erinnerungen, die fie unter ber Gewalt 
des Geſezes in den Gliebern zuruͤkkhalten wollen, ber wirb fich, 
wem wir ihnen nur erft Liebe erwekkt haben zu ber feligen Ges 
meinfchaft in bem Geift des Herrn, ſchon von felbft entfpinnen. 
Daher werben wir ald feine Boten am meiften audrichten, wenn 
wir mit denen, zu welchen wir gefendet find, in eine möglichft nahe 
Gemeinfchaft ded Lebens treten, wo wir ihnen an uns felbft die 
Seligkeit zeigen koͤnnen, zu ber fie berufen find. Dadurd werben 


wir ſowol diejenigen reizen, welche noch von Zrägheit abgehalten. - 


werden der Einladung des Hern zu folgen, ald auch diejenigen ans 
(offen, die in anderm Genuß- oder Gefchäft befangen find. So 
wird ja auch andermärtd ber Menfch zu neuer Entwilfelung feiner 
Kräfte gelokkt durch Gemeinfchaft mit höher audgebildeten Kraͤften, 
bie fich ihm darbieten, und an die er fich anfchliegen fann. Darum 
follen wir mit Erfolg die geladenen rufen um mit und an bem 
Reichthum des neuen Lebens theilzunehmen, fo muß ed mit Freu⸗ 
digkeit gefchehen, nicht unter ängftlicher Beſorgniß, ald ob wir ſelbſt 
diefen Schaz roch leicht wieder verlieren könnten. Aber mehr noch 
als durch glaubendfrohed Wort geichehe es Pur ee ‚hat, 
II. 


+ « 





* 


indem wir durch reichliche Erweiſungen des eigenen geiſtigen Le: 


bens ihnen die Kraͤfte deſſelben vor Augen bringen und das Ber: 
langen darnach in ihnen wekken. Dann werden wir den einen 
helfen ihre Traͤgheit, den andern ihre Begierden zu uͤberwinden, 
wenn ſie einen kraͤftigen Eindrukk gewinnen von dem Frieden und 


der Seligkeit der Kinder Gottes; und haben ſie das Ziel, zu dem 
wir ihnen den Weg zeigen und ihnen darauf vorangehen, erſt ins 


Auge gefaßt, o dann wird ihnen von oben Kraft gegeben werden 
die Kaͤmpfe zu beſtehen, denen keiner freilich entgehen kann. 


IL. Aber m. g. Fr. laßt und nicht bei dieſem ganz allgemei⸗ 
nen fliehen bleiben. Es iſt nicht nur ber Ruf überhaupt zu dem 
bimmlifchen Leben aus Gott, der unter diefem Bilde einer Einla- 
dung zu einem großen und fefllichen Mahle an die Menfchen er: 
gebt, fonbern-laffet und daſſelbe auch, wie- ed zur Natur eines 
folhen gehört, in feiner ganzen Fülle, in feiner großen uner: 
ſchoͤpflichen Mannigfaltigkeit betrachten. Einf ald die Jünger 
des Erloͤſers ihn allein zurüffgelaffen hatten um Speife für das 
vergängliche Leben während einer Reife aufzulaufen, und er unter: 


deſſen Gelegenheit gehabt hatte. einer verlorenen Seele von dem 


Reich Gottes zu predigen, fagte er zu ihnen, ats fie zuruͤkkkamen 
und ihn einluden zu effen, Ich babe eine Speife, davon ihr nicht 
wißt, das ift die, daß ich den ‚Willen thue meines Vaters im Him: 
mel und bad Werk vollbringe, wozu er mich gefandt hat ). Das 
m. g. Sr. war feine das iſt unfere Speile, daß wir den Willen 
unferd Vaters im Himmel vollbringen; und an welche reiche und 
mannigfaltige Zafel, an welches volle Mahi find wir nicht in die 
er Beziehung gefezt! Wer überfichet den großen Zuſammenhang 
der menſchlichen Dinge, in welchem wir alle berufen find den Wil 
len Gottes zu thunz wer überfichet dad große göttliche Werk des 
Herrn, welches vollbracht werden ſoll durch den Erloͤſer und Die, 
welche feine treuen Diener und Gehälfen find? Und was wir 
darin thun, fei ed dies ober jenes, erfcheine es groß oder Han: es 
if ein Theil dieſes großen ganzen, es iſt eine Speiſe an biefem 
göttlichen Mahle, zu dem wir geladen find. Und wie fih in fol: 
hen Fehlen der Reichthum und die Fülle deffen, ber geladen bat, 
zu erkennen giebt: fo erfennen auch wir in der unerfhöpflichen Fuͤlle 
und Mannigfaltigkeit folder geiftigen Speifen, beren jede den Ge 
ſchmakk der feligen Gemeinſchaft in der wir mit Gott fiehen an fich 
trägt, deu: unauäfprechlichen Reichthum der Seligkeit Gottes, ber 





) Joh. 4, 32. 34, 











und geladen bat zu biefem geiftigen Mahle. Wenn nun alfo m. 

g. alles, fei ed groß ober Hein, wozu irgend einer von uns fich 
aufgefordert und berufen fühlt um bad Werk des Erlöferd zu förs 
dern, zugleich unfer Genuß ift an biefem koͤniglichen Mahl: fo laßt 
und auch anbere. zu jedem Werke Gottes immer einladen als zu 
einem jeligen Genuß. Der Gegenſaz zwiſchen Thaͤtigkeit oder 
Michterfüllung und Genuß, der und im irbifchen fo verwirrt, ift 
im Reiche Gottes aufgehoben; jedes Werk, dad wir vollbringen, 
ift der gottgeweihten Seele Nahrung und Genuß. Aber nichts ifl 
auch für fie Genuß, was nicht zugleich Thaͤtigkeit wäre; jeder auch 

fit betrachtende Genuß ber göttlichen Gnabe wird zugleich eine 
Birffamkeit nach außen, ober wo nicht, boch eine Tätigkeit beö 
inmern Lebens, wodurch wir aufd neue uns fefter einpflanzen in den 
gemeinfamen Boden bed göttlichen Reich um neue Blüthen und 
Fruͤchte zu treiben. Dieſes Ineinander von: geifliger Thaͤtigkeit und 
geiſtigem Genuß in gottgefälliger Kraft und feliger Gemeinfchaft 
der Liebe Gottes: in welcher reichen Fülle in welcher unerfchöpflis. 
den Meunigfattigkeit liegt ed nicht vor und! Und warlich, wenn 
wir fehen, wie das Reich Gottes fich erweitert bat von einer Zeit 
zur andern ohne von feiner Innern göttlichen Kraft zu verlieren, 
milten unter allen Kämpfen mit ber Welt, unter allen Kämpfen, 
die jeder mit fich felbft zu beſtehen hat, wiewol auch dieſe nichts 
anders find als der Kampf eines jeben mit ber Welt, bie noch ih⸗ 
sen Theil in ihm hatz wenn wir bebenken, wie gemeinichaftlich 
died alled iſt: fo müffen wir wol fagen, es iſt alled gefegneter Er 
folg wohlgelungener Einladung. Und. fo müflen wir freilich ver⸗ 
trauen, daß ed auch ferner noch gelingen werde, wenn wir einlaben 
ein Gotteswerk zu vollbringen, fo wir nur die Zuverſicht erregen, 
daß es den geifligen Geſchmakk an fich trage und die geiſtige Nah⸗ 
rung gewähre, - bie fich fonft an diefem göttlichen Mahle findet. 

Und wie viel freundliche Bereitwilligkeit zur Vereinigung. ber Kräfte 
finden wir nicht auch in ber großen Gemeinde des Herm um ges 

meinfam fein Wert zu vollenden, wenn ber göttliche Geift in uns 

fen Herzen bald bier bald da einen neuen Gedanken erwekkt um 
geführliched abzuleiten heilfamed zu ſammeln und bier und ba neues 

hervorzubringen, dad noch fehlt zur Schönheit des ganzen! Und 

wen ſchon jeder einzelne vom Geift Gottes außgegangene Gebante 

fh Freunde und Theilnehmer erwirbt: wie viel weniger werden 
wir vergeblich einladen, wo eine neue Geſtaltung des Lebens Huͤlfe 

fordert gegen Hinderniſſe, die ihr entgegentreten, und frifche Uebung 

für nen. erwekkte Kräfte um. neue Werke zu vollbringen! 

"62 








106 


Aber freilich auch bad andere fehlet nicht! wir wir erfahren es 
eben fo auch, wenn wir Anforderungen diefer Act im Namen bed 
Herrn an die Menſchen ergehen laſſen und ihre Kräfte zu 
einem einzelnen Wert Gottes in Anfpruch nehmen, daß 
wie bie in unferm Zerte fagen, Ich bitte dich, entſchulbige mi. Was | 
m. 8- Fr. kann es denn fein, was unſere Bruͤder abhaͤlt dem Rufe 
Bu einem Werke Gottes zu folgen? Der Hauptfehler ſcheint mir 

der zu fein, baß immer noch ein Unterfchieb gemacht wirb zwiſchen 
weitfichem und geiflfichem, zwilden Beruf in der menfchlichen Ge 
felffchaft und Beruf in bem Reiche Gottes; das follten wir aber 
nicht von einander fcheiden. Denn bat num einer fchon fein befchei: 
dened Theil Verrichtung in feinem weltlichen Beruf und glaubt 
fi) fagen zu können, feine Kräfte würben erfchöpft durch das, was 
er bier leiſten muß; er fei fchon ganz und gar hingenommen von 
feinem irbifchen Beruf und werbe, weil ja der weltliche Beruf feine 
beflimmten Rechte habe, von ber Verwendung feiner Kräfte fchon 
gute Rechenſchaft zu geben willen, wenn ex gleich für dad Reich 
Gottes in diefem und jenem, fo fchön und vortrefflich es aud war 
zur Zörberung befielben, nicht habe mitwirken koͤnnen: was follen 
wir einer folchen Entichuldigung entgegeniegen? So lange m. g. 
unfere Einladung fo klingt, bag man jenen Gegenfaz durchhoͤrt zwi⸗ 
ſchen dem, wozu jeber verpflichtet if ald Glied der bürgerlichen Ge 
fenfchaft, und dem, wozu er aufgefordert wird im Namen bed goͤtt⸗ 
lichen Reichs und durch die Stimme des göttlichen Geiſtes: fo lange 
haben wir felbft Feine Sicherheit, ob. unfere Einlabung richtig if; 
und fo lange wird ed auch immer auf einem-Ungefähr beruhen, ob 
ihr Folge geleiftet wird ober nicht. Denn foll ſich zweierlei in ein» 
ander fchilfen, was nicht fchon von felbft zufammengehört: fo giebt 
es dafür nicht leicht ein gemeinfames Maaß, ſondern jeder hat ſeine 
eigene Art und Weiſe, wie viel er dem einen giebt, und wie weit 
er das andere beſchraͤnkt; und niemand kann behaupten, der andere 
habe ein unrechtes Maaß angelegt, da jeder fein eigenes hat. Das 
rum nun m. g. follen unfere Einlabungen zu einer lebenbigen Theil⸗ 
nahme an Werken, bie zur Förderung des göttlichen Reichs gehoͤ⸗ 
ven, williges Gehör finden: fo muͤſſen wir jenen Gegenfa; aufbe 
ben, indem wir alles, wozu jeber in der Gefellfchaft verpflichtet fein 
" tan, auch mit aufnehmen in feine Verpflichtung für das Reich 
Gottes; ja wir muͤſſen dies gleichfam anfehen ald ben feſten Plaz, 
der jebem angewiefen iſt bei jenem großen Mahl, und daher zunächt 
jeden auffordern, baß er auch von biefer Art alles nur thue für bad 
Reich Gottes. Gewiß m. g. giebt es keinen menfchlichen Zuſtand, 
in welchem mehr alle Kräfte in Anfpruch genommen würden für 


we 








101 


ba3 irbifche Leben, als bee Stand ber Knechte zu ber Zeit als das 
Chriſtenthum in die Welt trat. Aber was fagt der Apoflel zu bes 
nen, die als Knechte ganz dem einzelnen Willen ihrer Herren un: 
terworfen waren und mit allen ihren Kräften nur deren irdiſchem 
Wohlergehen dienten, was fagt er zu ihnen? Sie follten in dem 
Berufe bleiben, in welchem: ber göttliche. Geift fie gefunden habe; 
aber was fie darin thäten, bad follten fie nicht thım als den Men: 
fhen, ſondern als dem Herrn. Daffelbe kann und fol nun jeber 
von feinem irbifchen Berufe ſagen. Was wir in bemfelben thun, 
dad thun wir als für dad Werk ded Herrn; denn alles was ger 
flige Kräfte entwilfelt und unterſtuͤzt, alles was den Menfchen zung 
Herrn der menfhlihen Dinge und der natürlichen Kräfte macht 
kann auch dem Reiche Gottes dienen und hängt daher zufanmen 
mit dem Werk bed Herrn, das jeder fördern fol; und was wir 
fonft noch mit Zug und Recht andern zumuthen, bad muß int Zu: 
fommenbang mit jenem bleiben und von da aus abgereidht werben 
können. Eben daher aber m. th. Zr. welch großer Unterfchieb, ob 
wir tramb etwas thun als dem’ äußern Leben, ald dem einzelnen 
Menſchen, over ob wir ganz baffelbe thun ald dem Herm! Nicht 
nur meine ich, baß «3 gewiß, wenn wir e& auf biefe legte Weiſe 
thun, beffer gefchehe und vollkommner; fondem was auf jene andere 
Seiſe gethan unfern Muth nieberbeugt, dad richtet ihn auf und 
erhöht ihn, wenn wir es auf die lezte Weife thun; das Bewußt⸗ 
fein was wir thaten dem Herrn gethan zu haben, bad wird und 
unter allem Drukk und allen Leiden erquikken und erheben. Und 
wer eininal zu biefem Bewußtſein gelommen ift, o wie ſollte ber 
nicht immer noch einen Ueberſchuß an Kräften finden, um auch aus 
Ger dem engeren Kreife des Berufs noch theilgunehmen an allerlei 
Werken für dad Reich Gottes und immer noch etwas hinzuzufügen 
zu feiner feſtſtehenden Thaͤtigkeit, wenn es gilt an dem Tempel beö 
Herm mitzuarbeiten! Ja wir werben wol. behaupten koͤnnen, baß 
arı ber Art, wie biefer uͤberall wo ed an tüchtiger Regſamkeit nicht 
fehlt fich zeigende Weberfchuß von Kraͤften und Hülfsmitteln vers 
wenbet wird, der Unterfchieb fich deutlich hervorheben muß zwifchen 
denen, welche weil fie alles dem Herrn thun auch im Aufmerken 
auf dieſes Wort des Herrn, welches an ſie ergeht, immer: neue 
Werke Gottes fehen und auch‘ Kraft bei fi finden werben mitzus 
wirken, unb benen, weiche weil fie neben ihrem Beruf nur auf den 
vergänglichen ‚Genuß zielen. und in ben Werfen ber Eitelkeit leben 
auch immer wieder in bie Sorge um bad nichtige und vergangliche 
zurükkfallen. | 





BGaottesdienſten bes Hein. Wohl wiflen wir, F wenn 








102 


Darum m. tb. Fr. laft uns immer auf biefe richlige Weiſe 
einladen das Wort durch bie That bewährend: fo werden auch im⸗ 
mer freundliche und geneigte Gemäther und. Gehör geben, und im» 
mer mehrere fich mit und auf wirklich fruchtbare Weiſe vereinigen 

zu allerlei Werken Gottes; und fo wirb auf alle Weile die Theil⸗ 
nahme an bem herrlichen Genuß bes geifligen Mahles, zu weichem 
ber ‚Herr und alle berufen Bat, fic) immer erweitern 


Einladung zu allerlei einzelnen Werken Gottes, durch welche bad 
ganze Leben ſich bed chriſtlichen Ramend wixbig geflalten unb ſchoͤ⸗ 
ner erblühen bie Gemeinfchaft ber Geiſter wachſen 

und dad eine was noth thut fich immer gleichmaͤ 

fol, auch fhon die ganze Einladung bed Herrn zu feinem göttlichen 
Mahle! Wenn ich am Anfang meiner Rebe mit Recht fagte, wir 
bie wir und bier verfammeln koͤnnten and eben beöhalb nur denken 
als foldhe, bie feine Einladung nicht nur vern 

auch Gehör gegeben haben: fo muß auch dieſes wol mit zu 
Einladung gehören, daß wir und fammeln ſollen zu den ſchoͤne 


* 


der Chriſt ſagt, Ein Tag in den Vorhoͤfen des Herrn iſt 
ſonſt tauſend ), ex nicht nur dieſen Tag und überhaupt 
der Öffentlichen Erbauung meint, fonbern was wir irgend | 
thun; babei find wir audy in feinen Vorhoͤfen ımb i 
pel, fo daß dieſes ber allgemeine große Ruf if, der bie 
liche Einladung aukdruͤkkt, Ein Zag in den Worhoͤfen 
if beſſer als fonft taufend. Wenn ich aber bennod) - 
Br., daß biefe unſere cheiftlichen Werfammiungen ein befenberer 
genfland ber göttlichen Einlabung feien, wie ja ſchon bie 
ben Ghriften ans Herz gelegt haben, daß fir biefe Verſ⸗ 
nicht verlaffen follten, ſondern fich fleißig in benfelben zufam 
ben: nım wol, fo wißt ihr vecht gut m. g., daß ich das 

ſagt haben will als eine Eimlabung zu denen, weiche in Be 
fentlichen Berfammlungen nad unferer Ordnung das Wort des 
Herrn den Seelen nahe bringen. Ihr wißt es vecht wohl, bas 
nicht meine Meinung, daf wir hier zuſammenkommen, ich um euch 
zu erbaum, und ihr um burd mich erbaut zu werben: fenbern 
daß ich nichtd, anders will, als mid ſelbſt mit euch und an euch 
erbauen durch das göttliche Wort des Herrn und eiſters, das wir 


* I BI 





) Pr. 84, 11. 


103 


un3 gemeinfam and. Herz legen. Die Sache felbji aber wollen wir 
und nicht bergen, fonbern bekennen, ja es ift ein fihöner und herr: 
licher Theil von bem großen geifigen Mahl, zu bem wir alle be 
rufen find; dieſer Wechfel des thätigen Lebens mit ber ſtillen Ein, 
kehr ded Herzend zur gemeinfamen Betrachtung des göttlichen Worts 
an einem beflimmten Zage ift eine fo fchöne Einrihtung, daß wie 
fie nicht miffen Eönnen, wenn es und Ernſt iſt die Fuͤlle geifliger 
Güter des Heren, die und hier geboten werben, gan, zu ergreifen 
und recht zu genießen. Und warlich, ed ift ja auch fo_unter und, 
daß die Chriſten fich auch hierzu fleißig vereinigen, fo daß unſere 
Serfammlungen nicht leer find unb bürftig: aber” Doch bürfen wir 
nicht laͤugnen, wenn wir auch nur bei unfern nächflen Umgebungen 
fiehen bleiben, es giebt viele unter den Einwohnern biefer großen 
Stat, weichen ber Genuß fich mit andern zur Erwekkung bed Her: 
end aus bem göttlichen Wort zu vereinigen fremder iſt ald er fein 
ſolltez ja es ift eine gewöhnliche Rebe unter und, daß ganze Abs 
theilungen unferer Geſellſchaft gleichgültig und taub ſind gegen biefe 
Einladung und ihr nicht folgen. Was m. g. iſt Davon die Urſache? 

Eine giebt es allerdingd, ber. wir auf dem Wege ber Einla: 
bung zum göttlichen Mahl nicht begegnen koͤnnen; das ift bie druͤk⸗ 
Eende Sorge für dad Äußere Leben, welche, die Seele fo aufreibt, 
daß ihr Feine Kraft übrig bleibt zum geifligen Genuß, wenn fie zu 
demfelben gelaben wird, fonbern Äußere Ruhe dad einzige ill, wor: 
nach fie füch fehnt, wen wieber eine Woche des mühfeligen Lebens 
vorüber ift. Um deſto mehr werbe bied das Biel unferer gemeinfa- 
men Thätigkeit am Meiche Gottes, daß ein fo großer Unterfchieb 
unter denen, bie zu dei Theilnahme an bemielben Mahl berufen 
find, nicht mehr ſtatt finde, und feiner in folchem Grabe hingenom: 
men fei. won ber äußern Gefchäftigfeit dieſes Lebens, dag. ihm keine 
Kraft uͤbrig bleibe zum geifligen Genuß. Dahin zu wirken, baß 
diefe zu große Werfchiebenheit ber äußeren Lage immer mehr ausge⸗ 
glichen werde, und jedem einige Faͤhigkeit zu geiſtiger Geſchaͤftigkeit 
und geiſtigem Genuß uͤbrig bleibe, wodurch dann auch jede wuͤrdige 
Thaͤtigkeit für das irdiſche Leben aufs neue belebt wird: bad m. g. 
Fr. iſt ein großer Theil unſerer gemeinſamen Aufgabe, die wir im» 
mer aud dem Gefichtäpunfte, dag wir ed bem Herrn thun, mit 
vereinten Sräften muͤſſen gu löfen fuchen. 

ber ein andered Hinderniß, welches diefer Einladung entgegen 
fieht, liegt allerdings in ‚ber bei vielen vorherrichenden Gelbfigefäl: 
ligleit und Selbſtgenuͤgſamkeit. Was wir bort hören, fagen fie, 
das koͤnnen wir uns felbft beffer fagen; dort find wir an eine be 
fimmte Zeit gebunden, zu eigener Betrachtung koͤnnen wir uns 


diejenige wählen, bie und am bequemften ifl; was wir in ber Stille 
zu unferer Erhebung fchaffen könnten entweber aus und ſelbſt, oder 
indem wir uns in Berbindung mit bem göttlichen -Worte fezen, bad 
wirb wirkfamer fein innen für uns, ald was doch nicht auf uns 
allein oder auch nur vorzüglich berechnet ifl. — Aber darin offen: 
bart fich ein großed Mipverfländniß; und liegt ed und am Herzen 
‚aud) biefem Theil der Einladung deö Herm Eingang zu verſchaf⸗ 
fen und immer mehreren unferer Brüder zu dieſem geifligen Genuß 
zu- verhelfen, fo muͤſſen wir biefe falſche Vorſtellung fo viel ald "mög: 
lich befeitigen. ‚Wie das geichehen kann m. g.? Ich denke fo. 
Wenn wir und bier getrennt haben, und jeber wieder feines Weges 
geht in feinen Kreis: bann möge weniger bavon bie Rede fein, 
was ber gefagt hat, ber dad göttliche Wert an jenem Tage zu er: 
läutern berufen war; möge dann weniger von ihm gefprochen wer: 
den als über bie Gegenflände felbft, die er berührt hat; möge ber 
Außleger mehr verfchwinden und dad göttliche Wort felbft mehr ber: 
vortreten; möge mehr bie Rebe bavon fein, was eine folche Liebliche 
Gemeinſchaft der Ehriften wirkt, wie jeder fich erbaut bat an dem 
Bewußtſein ber Gemeinfchaftlichleit ded Gebete und ber gemeinfe- 
men Ermunterung auf dem Wege zu bem Ziel, dad und allen vor: 
ſchwebt, und welche Freude wir gehabt an fo vielen auf baffelbe 
gerichteten Gemüthern: damit fo auch andere inne werben, wie viel 
Werth wir auf die Gemeinichaft legen, und wie biefe die Haupt⸗ 
fache ift bei unfern Verfammlungen. Dadurch würde fich jene fat 
fche Vorſtellung verlieren. Denn bad glaubt doch keiner, daß er 
ſich felbft dad fein könne, wad eine große Fülle von geifligen Kräf: 
ten, baß er fich daffelbe leiften koͤnne, was eine ihn freundlich be 
rührende Gemeinfchaft ihm barbietet. Daß einer aber meint felbft 
fo viel leiften zu koͤnnen, ald die Stimme eined andern einzelnen 
Menfchen, das ift fehr natürlich in biefer Zeit; aber wie groß müßte 
. bie Eitelkeit fein, wenn einer glaubte der Gemeinfchaft der fronmen 
entrathen zu können! 

Und men, müßte ich nicht noch -eined Dritten Hinderniſſes er: 
wähnen! un?” doch brängt es mich, und ich kann nicht anders! Die 
große Verichiebenheit in ben Vorſtellungen der Ghriften, durch wei: 
che fie ſich den großen Ruf bed Evangeliums näher erklaͤren, wie 
fie die weientlichen Bedingungen befjelben ber eine fo ber andere fo 
ausbrüffen: ach dieſe Verſchiedenheit zerflört nur zu fehr bie Ein: 
tracht und Zufammenflimmung ber Gemüther in unfern chriftlichen 
Befammlungen. Ladet diefen oder jenen ein, fo wirb ex fagen, 
Da böre ich dad nicht, was ich allein für das wahre Chriftentyum 
halte, da wird fo nicht gefprochen von bem Geheimniß des Glau: 








bens, wie e8 mic) erbauen Tann, ba werben bie Worte vermiebert, 
die mich am meiften zurüffführen zur Gemeinfchaft. mit dem Grid 
fer, da kommen dieſe und jene Ausbrüfte vor, bie mich flören in 
meiner Andacht, da ift die gange Wirkung, bie hervorgebracht wird, 
im Verdacht des Unglaubens, wirb ber eine fagen, ober bed Aber 
glaubens, fagt ber ander. Dad m. g. Fr. ift die unfelige Be: 
ſchraͤnktheit, welche .fo fehr die Gemuͤther trennt und uns fo vieler 
geiſtigen Segmmgen beraubt. Wie follen wir biefen entgegentre- 
ten? Schwierige Frage! Aber fo viel ift gewiß, wenn unfere Ein⸗ 
ladung felbft ſchon die Spur ſolches Parteigeifted an fich trägt, wer: 
den wir es am wenigften vermögen. Wie leuchten und doch bier 
die natürlichen Dinge vor! Die eine und felbige Kraft ber Erbe 
bringt taufend verfchiedene Gewächfe hervor; aber feht auf bie 
ſchoͤnſte Pracht ded Gartens, geht zu den unfcheinbarften Blumen 
bes Feldes: die Biene fummet und dreht ſich hinein in dieſe wie 
in jene und aus allen trägt fie benfelben Föftlichen Honig zuſam⸗ 
men. Möchten wir und ald folche Bienen vor unfern Brüdern zei⸗ 
gen, die gelernt haben ben Honig aud allem zu ziehen, worin fich 
etwas findet von ber einen geiftigen Lebenöfraft! Wenn wir ba- 
durch beweifen, daß wir uns felbft nicht gefangen nehmen laſſen 
von einer parteiifchen Einfeitigkeit, fondern überall wo nur Chriftus 
verfünbigt wird, fei es auf dieſe oder auf jene Weife, auch, Kraft 
des geiftigen Lebend zu fammeln verftchen; wenn-wir fo handelnd 
unfere Brüber einladen: dann werben wir immer mehr auch jenen 
traurigen Parteigeift befiegen. 
und fo m. th.-r. laffet und nicht müde werben einzuladen 
auf alle Weiſe zu dem großen geifligen Mahl des Herm; denn ba: 
zu find wir gefandt. Unfer Erlöfer, der fein ganzes öffentliches Le 
ben diefer Sendung gewidmet hat, Tonnte ſich nur wenig äußerlich 
fihtbaren Erfolges erfreuen: aber fein Herz war gewiß, daß er das 
Bert feined Vaters vollbringe; und ald er von diefer Erde fchieb, 
fonnte ex ihm fagen, daß er ed vollbracht habe. Darum behielt ex 
unter allem wibrigen, was er von den Menfchen erfuhr, immer ben: 
felben Muth, immer diefelbe Kreudigkeit bed Geiſtes, immer dieſelbe 
unerfchütterliche Liebe zu benen, die er einladen follte. Sehet dam. 
th. das iſt dad Worbild, dem wir.folgen müffen. Dann wirb auch 
unfere Sendung um die geladenen berbeizurufen wenigflend im ver 
borgenen gefegnet fein, wenn gleich auch wir wenig aͤußern Erfolg 
davon wahrnehmen. Und jezt ift und hierzu eine befonderd günftige 
Beit erfchienen, da jeber wol bie Stimme bören muß, daß jede 
Nacht feine Seele von ihm geforbert werben kann, und es baher 
fo leicht ift den großen Unterfchieb zu zeigen zwiſchen denen, welche 


106 
ſcch, weil fie der göttlichen Einlabung noch fein Gehör gegeben ha⸗ 


ben, vor dieſer Stimme flüchten in die Wuͤſte bed Lebens, daß fie 
ihnen fruchtios verhallt, ohne fie von ber Nichtigkeit des isbifchen 


Lebens zu dem höheren bimüberzuziehen, und zwiſchen benen, welche 
jene Stimme mit Ruhe vernehmen, weil fie der Einladung bes 
Ham Folge geleiftet Haben umd nun fchon durch ben Glauben bin- 


durchgedrungen finb zum ewigen Leben und den Tod überwunden 
haben. Wie ift-und m. g. Fr. ein rechtes Vorbild zu diefer Ein: 
ladung bie epifiolifche Lektion, bie wir am Anfang unferer Berfamm: 
lung gehört haben *)! Da redet der Apoftel vom einer böfen Zeit, 


in welche bie Chriften ſich ſchikken ſollten; aber was fagt er ihnen? 


Sie follten Dank darbringen; mitten in ber Noth fol böfer Zeit 
follten fie dem Herrn fingen und fpielen in ihrem Herzen. O wenn 


wir unfen Brüdern zeigen, daß wir das vermögen in biefer und 
jeder irdiſch böfen Zeit, bad wirb bie kraͤftigſte Einladung fein; 
wenn fie zu jeder Zeit biefelbe Ruhe und Sicherheit an uns wahr: 
nehmen, dann werben fie nicht zweifeln, es fei eine Kraft Gottes, 
die in und wirft, ber alle fich nur hingeben dürfen um auch in das 
felige Reich. Gottes einzugehen, und immer reichliher wirb die Zahl 
. deres fein, die mit und preiſen ben, ber und alle aus dem Tode 
hindurchgefuͤhrt hat ir dad Leben. Amen. 


) Eph. 5, 16. 19, 20. 


Lich 790, 8. 








X . | 
Am 24, Sonntage na) Trinitatis 1831. 


eied 47, 518. 
Text. Joh. 15, 14. 
Ihr feid meine Freunde, fo ihr. thut, was ich euch gebiete. 


M a. Ft. Was unfer Exlöfer bier in eine fo ıummittelbare Ver⸗ 
bindung beingt, das pflegt ſich in allen übrigen menfchlichen Wer: 
hältniffen vielmehr gar nicht mit_einander zu vertragen. Wenn wir 
bad Wort Freundſchaft hören, fo denken wir uns mehrere, die als 
gleiche mit einander leben, und bie Freundichaft fagen wir verträgt 
kein Gebot, Was fie leiften fol muß ganz frei aus dem innen 
hervordringen; und wenn zwilchen folchen, die lange Zeit Freunde 
gemeien find, irgend ein andered Verhaͤltniß fich entfpinnt, vermöge 
deſſen der eine gebieten ber andere gehorchen muß:. fo zieht fich ber 
legte zuruͤkk, und der helle Glanz der Freundſchaft erbleicht in der 
nen entfkandenen Ungleichheit. Und wiewol auch in vielen Fällen — 
und ein großer heil des menfchlichen Wohlergehend beruht ja dars 
auf, daß es echt im großen und verht rein und treu ſo ſei — Dies 
jenigen wol zuſammenklingen im ganzen eben, welche gebieten und 
weiche gehorchen: ſo iſt es Boch eben fo auf der andern Seite. 
Bam auch der Gehorfam mit noch fo vieler Treue mit noch fo 
vieler Buflinmmung des Herzend verbunden iſt: Freundſchaft entfteht 
doch nicht aus bdemfelben. Nicht fo m. g. Fr., als ob beöwegen 
diejenigen, deren 2008 auf diefer Erbe es ift, daß fie über vieles 
und großeß zu gebieten haben, nothwendiger. Welfe diefed Segend 
Freunde zu haben entbehren müßten, da fie fo wenige ihres gleichen 





108 


haben, daß fie fih unter einamber nur auf eine harame Be 
etwas fein koͤnnen; aber gewährt ihnen ein guͤnſtiges Geſchikk einen 
Freund unter benen, über bie fie zu gebieten haben, fo fcheibet ſich 
doch beides auf das firengfte von einander. Während ber Freund 
gehorcht als untergebener als Unterthan, tritt in feinem eignen Be 
wußtſein die Freundſchaft gegen ben ber. jezt gebietet zuräff, umb 
daB Anfehn die Würde, welche dad öffentliche Leben jenem über ihn 
gegeben hat, tritt hervor; und eben fo im gebietenden, wenn ber 
Emft wenn bie Strenge bed leitenden Willens fi zu erkennen 
giebt, fo verzieht fich das fchöne Bewußtſein ber Freundſchaft wäh: 
rend biefer Zeit. 

Sso demnach ift es überall fonfl; ber Griöfer aber befchreibt 
fein Verhaͤltniß zu feinen Juͤngern und das ihrige zu ihm auf eine 
ganz entgegengefezte Weiſe. Nicht ohnerachtet er’ ihnen gebietet, 
ſeien fie doch feine Freunde; nicht ohnerachtet fie feinen Geboten 
Gehorſam leiften, fei er doch ihr Freund: fondern gerade beöwegen 
und nur beöwegen weil- fie thun was er gebietet wären fie feine 
Freunde. So laſſet und denn m. a. 3. eben dieſes eigenthuͤm⸗ 
liche in dem Verhältniß des Erloͤſers zu feinen Juͤngern 
mit einander betrachten, daß fie feine Freunde find gerabe 
wegen ihres Gehorfamsd und durch benfelben. Wir wer 
den zu dieſem Enbe freilich, weil Zreundfchaft boch überall und im⸗ 
mer wefentlich nur baffelbige if, zuerſt ben Grund ber Verſchie⸗ 
denheit dieſer Freundſchaft von allen andern aufzufucher haben in 
dem Inhalt deffen, was ber Erlöfer gebietet; und wenn wir ums 
fo fein Gebot recht vergegenmwärtigt haben, bann werben wir zwei: 
tens fehen können, wie genau eben bad Verhaͤltniß der Freund⸗ 
ſchaft zwifchen ihm und und mit biefem Gebete und feiner Erfül: 
lung zuſammenhaͤngt. 


1. ragen wir und nun alſo zuaft m. a. $r., was iſt benn 
das, was der Erlöfer gebietet und um befientwillen weil fie 
es thaten feine Jünger feine Freunde waren: fo dürfen wir nicht 
weit ſuchen um die Antwort auf dieſe Frage zu finden; fie flieht in 
dem unmittelbaren Zufammenhang berfelbigen Rede des Herm, aus 
weicher die Worte unſers Textes genommen find. Das if mein 
Gebot, fagt er zu feinen Juͤngern, daß ihr euch unter einander lie⸗ 
bet gleichwie ich euch liebe *). Died iſt aber auch das ganze Ge: 
bot des Erloͤſers, auf welches fich biefe feine Rede bezieht; benm wir 
finden nirgend ein anderes, welche er ald das feinige angtebt. Nur 





100 


noch an einer andern Stelle fagt er ausdruüͤkklich, Ein neued Gebot 
gebe ich euch, und daran wirb man erfennen, baß ihr meine Juͤn⸗ 
ger ſeid ); aber auch bier iſt von nichts anderem die Rebe, als 
von eben diefer ber feinigen gleichen Liebe. So laflet und aljo zu: 
naͤchſt fragen, wie ed eigentlich mit ber Liebe bes Erloͤſers zu feinen 
Zungen fland, was er an ihnen liebte, und weshalb er dad an ih» 
nen liebte? 

Unb nun m. g. Fr., wenn wir und das ganze Werhältniß vers 
gegenwärtigen; wenn wir erwägen, woher ber Griöfer feine Jünger 
genommen bat, wie er fie fand, was fie waren und blieben, fo 
lange fein Umgang mit ihnen dauerte: fo werben wir wenig bon 
dem finden, was fonft. ber nächfte Grund einer auögezeichnet feften 
und treuen oder innigen Freundſchaft zu fein pflegt. Da waren 
keine aͤußerlichen Eigenichaften, die ein befondered Wohlgefallen des 
Herm auf fie ziehen konnten; fie waren vielmehr mitten aus dem 
großen Haufen bed Volks genommen, aus demjenigen Theil ber _ 
Sefellfchaft, wo die einzelnen fich überhaupt weniger von einander 
unteriheiden, und dem dasjenige großentheild fehlt, wodurch eben 
die höher heworragenden Theile der Gefellfchaft fich auszeichnen, und 
um beöwillen e8 unter ihnen mehr ald dort Freundſchaften giebt. - 
Alſo war bei ben Züngern Chriſti Feine beſonders forgfältige Aus- 
bildung geiſtiger Eigenfchaften und Kräfte zu erwarten, feine folche _ 
Gewohnheit des freien ruhigen über bie Sorgen erhabenen menfchli: 
hen Lebens, woraud großentheild die Anmuth bed gefelligen Um⸗ 
gangs entfleht; ba ware noch weniger große durch treue und forg- 
fättige Uebung in ben feltneren außergewöhnlichen Aufgaben bes 
menfchlichen Lebens entitanbene fittliche Kräfte und Tugenden. Wenn 
alſo alles dies nicht: was liebte. benn ber Exlöfer an ihnen? Weber 
eined m. g. Zr. werden wir wol leicht einig werben, nämlich wenn 
wir uns ben Gegenfaz flellen zwiſchen einem feligen Menſchen und 
einem unfeligen, weichen von beiden wir überhaupt am liebften mit 
einer befonderen Liebe und zugethan zu wiflen und ihm felbft zuge: 
than zu fein wuͤnſchen. Den lezteren wünfchen wir gewiß alle von 
uns zu entfernen, feine Nähe beengt uns und zeigt und unfer menſch⸗ 
liches Leben und Sein gerade von ber dunkelſten Schattenfeite; aber 
den erften fuchen wir, beflen Nähe erfreut und. Fragen wir alfo 
weiter, weun wir body willen, welche Menfchen der Exlöfer felig . 
preift, wa8 benn wol von biefer Seligkeit feine Jünger an fich hats 
ten, um befjentwillen ex fie lieben konnte? Ach wenn wir bie kurze 
Lifte von Eigenfchaften bed menfchlichen Gemüthes durchlaufen, die 


) 20h. 13, 84 35. 


110 


er ſelbſt uns in einer feiner Reben darſtellt: wo werben wir"flchen 
bleiben koͤnnen ald bei dem einen unb- einfachen, Selig find bie 
hungert und duͤrſtet nach ber Gerechtigkeit, denn fie werben fatt 
werden *). Bon allen Seligkeiten war ed allein biefe, welche bie 
Yünger bem Erloͤſer zuführte; diefe war es, weswegen fie bei ihm 
beharteten, weil fie inne wurden, wie fie durch ihm in feiner Nähe 
in feinem vertrauten Umgange immer mehr — geſaͤttigt zu 
werden in dieſem Hunger und Durſt nach der Gerechtigkeit. Und 
weiter werben wir wol nicht rühmen können, daß irgend eine Ges 
flalt und Schöne an ihnen geweſen wäre, bie fein Wohlgefallen 
hatte auf fich ziehen können; alled anbere mußten fie erſt von ihm 
empfangen, unb er konnte fie alfo nicht lieben um deſſentwillen, 
was fein eigenes war, ° 
Fragen wir nun, weshalb er dieſen Hunger und Durſt nad 
der Gerechtigkeit dieſe Empfänglichkeit für die geifligen Gaben für 
das göttliche ‚Heil, bad von ihm außging, an feinen Juͤngern lichte: 
fo werben wir doch wol nicht fagen wollen, eben beöwegen weil er 
in biefen erfien Anfängen ſchon ſah, daß auch aͤlles übrige was er 
zur Seligkeit rechnete ſich in ihrem eigenen Gemäth entwilkeln 
wuͤrde, wie fie immer mehr auch bie friedfertigen und ſanftmuͤthi⸗ 
gen werden wuͤrden, und allmaͤhlig ſich in ihnen geſtalten werde 
das reine Herz, welches Gott ſchaut. Nein fo bei der einzelnen 
- Perfönlichkeit konnte die Liebe des Erlöfers nicht fichen bleiben! nicht 
um ihvetwillen liebte er das an ihnen, was fie waren unb werben 
fonnten, fondern um des großen Werkes willen, zu bem er gefanbt 
war. Seine Eindliche Liebe zu feinem Water war immer fein er 
ſtes; dad Werk zu vollbringen, zu welchem ber. Water ihn gefambt 
hatte, darin fand er feine Seligdeit und Gemige, und nur barauf 
auch konnte er alles andere beziehen. Wenig wiſſen wir einzelnes 
von dem Fleinen Kreife der Zünger, zu welchem ber Erloͤſer dieſe 
Worte fprach: aber wenn wir die beiben Geſtalten heraußheben, bie 
und doch weit genauer als die übrigen bekannt find ihrem eigen: 
thümlichen Weſen nach; wenn er an bem einen Jünger den kraͤfti⸗ 
gen flandhaften Muth im Bekenntniß erlannte, der, wen er erſt 
: würde frei geworben fein von eitler Wermefienheit, wenn er erſt 
würde erfahren haben, wie biefe vor dem Fall kommt, alsdann ein 
vor andern kraͤftiger Träger ſeines Worts und Gebotd fein und 
ohne eine menfchlihe Gewalt zu fcheuen bie Angelegenheiten bes 
Heils den Menfchen fo and Herz legen würbe, daß es ihnen auch 
wirklich durchs Herz ginge, und er fie aufnehmen könnte in die Ge 


) Datth. 6, 6. 








ul 


meinfchaft des Heils, deren er fich felbft erfreute; wenn er in bem 
andern fah, wie er nichtö anders predigte ald die Liebe, welche das 
Band der Zreundfchaft zwilchen feinem Herrn und Meifter und ihm 
und den andern geweien war, wenn er in ihm voraudfah, wie dieſe 
wirten wuürbe nicht als eine weichliche Empfindung, fondern noch 
aus demfelben Genrüth, welches früher von dem Feuereifer verzehret 
warb, das fich aber nun zur himmlifchen Milde geläutert hatte: ba 
jah er im ihnen wie fie auch nachher genannt wurden die Säulen 
feiner Gemeinde, welche in dem nächflen Menfchenalter bad ganze 
Gebäude zufammenhalten würden; und fo um beffentwillen, was fie 
für fein Reich für bad große Werk feines Vaters wuͤrden thun 
fönnen, um deßwillen liebte er fi. - 
Wolan m. g. Fr., diefer Liebe fol nun unfere Liebe unter ein⸗ 
ander gleich fein! fo gebot er feinen Züngern, fie unter einanber 
ſollten füch lieben mit der Liebe, womit er fie geliebt hatte; das 
war fein Gebot, und wenn fie dad thaten und weil fie das thaten, 
waren fie feine Freunde. Wie mancherlei Geſtalten ber Liebe und 
Freunbichaft m. th. Fr. finden wir nicht in bes menfchlichen Gefell: 
ſchaft! Mandches freilich von dieſer Art iſt fo, daß wir uns gleich 
davon abwenden muͤſſen; denn wo die Liebe fi nur ald eine hef⸗ 
tige finnliche Bewegung zeigt, da beichränkt ſich das Verlangen des 
Geiſtes auf einen engen und niebern Kreid, in dem wir feine Be 
friedigung ahnen; aber freilich vieles erblilfen wir auch überall und 
zu allen Zeiten, was und groß und edel erfcheint, aber was doch 
nicht ganz dad Gepraͤge an ſich trägt vom biefer Regel für Die Liebe, 
die der Erlöfer durch fein Beiſpiel gegeben bat. Wenn wir nun 
fragen, ifi denn jede andere Liebe ald biefe leer und nichtig? fo wer: 
ben wir ed nicht wagen wollen gleichfam mit einem Worte einen 
10 großen Theil geiftigen Wohlergebend aus dem menichlichen Leben 
auf Erben gleichfam- zu vernichten. Aber wenn wir und auf ber 
andern Seite fragen, was iſt wol. bie hoͤchſte Vollkommenheit irgend 
einer Liebe, die ed unter den Dienfchen geben kann: wie leicht wers 
den wir und zu ber Antwort vereinigen, biefe höchfle Vollkommen⸗ 
heit beftehe freilich für jede Liebe darin, wenn fie fih allmählig 
ausgebildet und veredelt hat zu biefer Kiebe, die der Exlöfer gebie- 
tet, wenn alles, was ſich nicht eben fo auf bie Mittheilung der 
Seligkeit bezieht, daraus verſchwunden ift. Darin befteht dieſe Voll: 
tommenheit, wenn das Leben, welches der Siz der Seligkeit iſt, 
und weiche wir -ald bie Reben bed Weinſtokks von ihm empfan⸗ 
gen, auch jede Freundſchaft jede Kiebe jeve Verbindung, in der wir 
mit unfern Brüdern ftehen, durchdringt und das eigentliche Weſen 
derſelben ausmacht. Laſſet uns nicht erft reden von folcher. Liebe 





112 


und Freundſchaft, bie auf anmuthigen aber body nur aͤußerlichen 


Eigenfchaften eined Menſchen beruhet und beöwegen ihre Befriebi- 
gung nur findet in feiner unmittelbaren leiblichen Gegenwart ober 
in der möglichft lebendigen Erinnerung an dieſelbe; auch nicht von 
foldyer Liebe, die nur auf bem Einfluß beruht, den ein einzelner in 
diefer ober jener Beziehung auf unfer eigenes Wohlbefinden ausüben 
kann, und worin wir alfo nicht einmal ihn fondern nur uns ſelbſt 
lieben: fondern auf jene innigfle Liebe und Freundſchaft laffet uns 
fehen, welche ſich in einer befonderen Verwandtſchaft zwilchen unſe⸗ 
ren eigenen und ben geiftigen Eigenfchaften bed andern. gründet, fo 
daß wir fein innere wahrhaft zu fchauen und uns in ihn hinein⸗ 
zuleben weit mehr im Stande find als in irgend einen andern, fei 
er auch eben fo reichlich auögeflattet und nicht minder wichtig und 
gefegnet für bie menfchlihe Geſellſchaft, in der er lebt unb wirft, 
ja vielleicht auch nicht minder rein und gottgefällig ald jener. Was 
macht alfo bier den Unterfchieb? warum ziehen und bed einen geis 
flige Eigenfchaften fo viel ſtaͤrker an; weöhalb vertiefen wir uns fo 
vorzüglich gern in ihren innern Zufammenbang ; warum erfreut und 
fo viel inniger ihr fchöned Zufammenwirken zu einem uns theuren 
Leben? Wenn nicht beöhalb, weil fie und näher ſtehen in Bezie⸗ 


bung auf die und gemeinſchaftlich obliegende fortfchreitende Entwik⸗ 


telung des Heild, welches in Ghrifto iſt; wenn nicht beöhalb, weil 
wir in ihnen die Wirkſamkeit der Kraft klarer durchfchauen, durch 
welche auch andere zu dieſer Höhe des geiftigen Lebens erhoben und 
auf derfelben feft gehalten werden, um fich immer mehr von allem 
zu entlebigen, was fie von derſelben herabziehen könnte; wenn nicht 
dag wir dieſes in ihnen finden der Grund unferer vorzüglichen Liebe 
und Freundfchaft iſt: fo ift fie fürchte ich doch nur ein anmuthiges 
aber ziemlich gehaltlofed Spiel einer feineren und verftefften Selbſt⸗ 
fuht. Und fo m. g. Sr. haben wir an einander nichtd anderes zu 
lieben als die geiflige Empfänglichkeit für das geiflige Leben, wel: 
ches fi) ‚von dem Erlöfer aus durch bie feinigen immer weiter ver: 
breitet. Wie groß auch m. th. Fr. die Abftufung fei zwifchen einem 
und dem andern in ber Gemeinfchaft der Chriften; wie reich das 
Leben des einen, wie ſtill wie unfcheinbar wie verborgen bad des 
andern; wie leuchtend der eine über einen großen Kreis durch bie 
Art, wie ihm vergönnt iſt nach dem göttlichen Rathichluß die Eigen» 
fchaften feines Geiſtes wirkfam fein zu laffen; wie ein anderer nur 
von wenigen erfannt wird und alfo auch nur von biefen bebauert 
werden Tann, daß ed für ihn feinen größern Schauplaz gegeben, 


. auf dem er hätte wirkjam fein koͤnnen für dad Rei Gottes; wie 


fehr wir felbft in dem Kalle fein mögen von dem andern mehr em: 


113 


pfangen zu koͤnnen, als wie ihm zu geben vermögen: fo kann doch 
unfere Liebe zu ihm, fol fie an jener Vollkommenheit Theil haben, 
keine andere fein als die Liebe des Erlöferd zu feinen Züngern. Als 
ben gebenben koͤnnen wir keinen andern lieben ald nur ihn allein; 
benn alled, was und andere geben können um ben zur Seligfeit 
führenden Hunger und Durft, um befientwillen . wir ſelbſt der Ge 
genfland feiner Liebe find, zu flillen, dad geben fie uns nicht als 
ihr eigenes fondern ald das feinige; es wirb und nur eine gefunde 


zuträgliche Nahrung des Geiftes, in fofern wir im Stande find als - 


led anbere davon, zu fondern und nur dad in und aufzunehmen und 
in Saft und Blut zu verwandeln, was wirklich bes Erlöferd iſt 
und keine andern. Aber weiter m. g. Fr., denken wir und aud 
biefe treue Liebe unter einander immer mehr gereift; denken wir 
und auf. einer folchen Stufe ber chrifllihen Vollkommenheit, daß 
wir nichts anderes mehr achten und lieben als was auf irgend eine 
Weiſe die Zuͤge ſeines Bildes an ſich traͤgt; denken wir uns, daß 
er ſelbſt uns eben ſo wie jene erſten Juͤnger lieben koͤnne um des 
Theiles willen, den wir an dem großen Werke nehmen, welches der 
Bater ihm zu vollbringen gegeben hat: ſo bleibet doch auch dann 
dieſe Liebe immer ſein Gebot; wir koͤnnen doch nie ſagen, daß wir 
fie aun endlich hätten als unſer eigenes Gewaͤchs als unfer eigenes 
niemandem andern angehoͤriges Leben. Ach wenn wir es wagen 
wollten von dem Weinſtokk und zu fondern um und ald Senklinge 
in einen anbem Boden zu pflanzen: bald würbe fich nicht mehr 
biefe höhere Kraft des geiftigen Lebens in und regen, fonbern wir 
winben wieber ausarten; der wilde Stamm ber irdifche Menfch 
würbe wieber hervorfpriegen, und bie Abkunft von dem edlen Stamm 
nicht zu erkennen fein an dem vielleicht anmuthig geflalteten aber 
nicht mehr fruchtbaren Gewaͤchs. Immer bleibt diefe Liebe fein Ge: 
bot, und wir koͤnnen fie nicht anderd üben denn ald fein Gebot; fie 
bleibt immer nur fo lange diefelbe, ald wir auf ihn hinfehen, als 
wir fie aus feiner Zule empfangen; nur wenn er es iſt, der überall 
zwifchen uns tritt und bie, welche die Gegenflände feiner Liebe find. . 
Died m. g. Fr. ift fein einziges Gebot, aber welches hätte er benn 
wol noch biefem hinzufügen können? in dieſer Liebe ift ja zugleich 
bie Liche bed Sohnes zu feinem Water mit enthalten, weil durch 
biefe auch jede andere Lebe auf bad eine große Werk Gottes, in 
welchen ſich feine Liebe zu uns offenbart, gerichtet ift. 


IL Das alfo wäre fein Gebot! und nun laßt und fehen, was 
er meint, wenn er fagt, Ihr feid meine Freunde, fo ihr 
thut was ich euch gebiete. 

In. 9 


118 


Wenn wir und den großen Inhalt biefed Wortes Freund und 
Sreundichaft vor. Augen ftellen wollen, fo werben wir gewiß zuerft 
alle darüber einig fein: ed ift ein Verhaͤltniß des innigen Mit- 
gefuͤhls. Wer könnte fih rühmen ber Freund eined andern zu 
fein, wenn er nicht wüßte, was im innerflen feines Säfte und 
Herzens vorgeht; wenn er nicht alle bebeufenben Bewegungen bei= 
felben fo theilte, baß fie zugleich bie feinigen würden; wenn er fidy 
nicht in feine Vergangenheit zu verſezen ſuchte, von der Gegenwart 
eben fo erregt wuͤrde, wie fie jenen bewegt; wenn er nicht dieſelbe 
Zukunft ahnete, worauf jener fich im feinem Streben richtet. Died 
mit einander leben fich in einander hineinfühlen iſt gewiß das erſte, 
was zur Freundſchaft gehoͤrt. Aber m. g. Fr. wie koͤnnten wir wol 
an den kleinen Kreis denken, zu welchem der Erloͤſer dieſe Worte 
ſprach, ohne zugleich an den einen zu denken, dem ſie nicht galten? 
Auch mit dieſem hatte der Erloͤſer ein inniges Mitgefuͤhl; Des 
Menſchen Sohn muß dahin gehen, ſagt er, aber wehe dem Men⸗ 
ſchen, durch den er hingeht! ‚Und in dieſem Wehe ſprach er das 
innigſte Bedauern aus mit dem verlorenen Schaafe; und keine Re⸗ 
chenſchaft die er vor Gott brachte, kein Gedanke an das was ihm 
bevorſtand, in den ſich nicht auch der Gedanke an dieſen ungluͤkkli⸗ 
chen mit eingemiſcht haͤtte. Aber unter ſeine Freunde gehoͤrte er 
nicht und konnte er nicht gehoͤren! Dies Mitgefuͤhl war ein an⸗ 
deres; das Mitgefühl der Freundſchaft muß Billigung und Aner⸗ 
kennung des guten und gottgefaͤlligen ſein, ohne daß wir uns die 
menſchliche Schwachheit verbergen oder fie verkennen. Iſt unſer 
Mitgefuͤhl anders gemiſcht, ſo gleicht auch unſere Freundſchaft nicht 
mehr ber des Erloͤſers; fie iſt dann in engere Schranken eingeſchloſ⸗ 
fen, fie, traͤgt das Zeugniß ihrer Unvollkommenheit in ſich. Nun 


wohl m. g. Fr., konnte wol ber Erloͤſer ein fo inniges Mitgefühl 


mit den feinigen haben, wäre ed wol möglich gewefen, daß fie es 
mit ihm haben Tonnten, außer 'nur dadurch daß ſie eben dies ſein 
Gebot thaten? Nur durch dieſen Anfang eigner Erfahrung konnten 
fie einſehen lernen, das fei feine Speiſe, was fie vorher fo gar nicht 
fannten, daß er ben Willen feines Waters vollbrachte. Nur durch 
Aufmerken auf fein Gebot konnten fie ſehen, wie er in das große 
Werk Gottes, das feinem geifligen Auge vorſchwebte, immer mehr 
bineinfcpaute, und ihm ber Vater immer größeres zeigte; wie fein 
BU in die.Zufunft immer. Earer wurde immer beflimmter und 
heller, er fich immer deutlicher bewußt und ihnen mittheilend, daß 
bie Stunde die der Vater beftimmt hatte herankomme, aber mit ihr 
auch die lebendigſte Zuverfiht, daß dad Weizenkorn muͤſſe in bie 
Erde fallen und erfterben, damit es viel Frucht bringe. Wenn fie 








115 


aber dies nicht mit ihm fühlen konnten, fo waren fie nidht feine 
Sreunde; wenn er nicht mit ihnen fühlen konnte, daß fie bei aller 
Schwäche und Unvolllommenheit fich doch nicht zerfireuen würben 
iever in das flinige; daß ber Troͤſter, ben er ihnen fenben werbe, 
fie fe zufammenhalten würbe in den Banden der innigen Liebe und 
Verchrung gegen ihn; daß fie dem Worte folgen würben auszuge⸗ 
ben in alle Völker und das Evangelium zu predigen; wenn er das 
nicht im ihnen wahrgenommen nicht in ihrer Seele gelefen hätte, 
daß fie nicht im Stande wären von ihm zu laſſen: fo hätte keine 
Freundſchaft flatt finden können zwilchen ihm und ihnen. 

Aber die Freundſchaft iſt auch zweitens ein Berhältnig des ins 
nigen Vertrauens. Je weniger es giebt zwifchen zweien, was 
fie einander verheimlichen könnten oder müßten; je mehr jeder feine 
Freude darin findet ganz Mar und offen bem andern hingegeben zu 
fein, daß ihm keine Kalte des Herzend verborgen bleibt, deren er 
fh nur felbft bewußt ifl: um deſto inniger iſt die Freundſchaft. 
Darum fügt auch ber Erlöfer in dem Zufammenhange der Worte 
vnſers Tertes, Ich ſage hinfort nicht mehr, daß ihr Knechte ſeid; 
denn ein Knecht weiß nicht was ſein Herr thut, ich aber habe euch 
alles kund gethan was ich von meinem Vater gehoͤret habe. Aber 
ohuerachtet ex ihnen das Fund gethan hatte, fo waren fie doch feine 
Freunde nicht durch diefed mitgetheilte Wiffen, fondern nur dadurch, 
daß fie thaten mad er ihnen gebot. Nämlich deswegen, weil fie 
fonft das auch nicht hätten verfichen Finnen, was er ihnen kund 
gethan hatte. Denn eben für jenen einen war ja dad alles auch 
kein Geheimniß geblieben, was der Erlöfer mit feinen Süngern ge 
redet hatte; er war mit zugegen geweſen bei allen Aufichlüffen, die 
ihr Meifter ihnen gab über dad Reich Gottes; und er war wol 
nicht tiefer in Unverfiand und Dunkelheit verfunten als fie, ehe bie 
Erleuchtung des Erxlöferd zu ihm gelangte: aber wem er fie ver: 
landen hätte, wenn diefe Kundgebung in fein inneres eingebrungen 
wäre, fo hätte er nicht ber geworben fein koͤnnen, ber feinen Herrn 
und Meiſter verrieth. Alled was der Erlöfer feinen Juͤngern fagte, 
das wurde erſt Kraft und Leben in ihnen durch den Durft mit wel: 
chem die verlangende Seele ed aufnahm, durch die Richtung auf das 
Reich, Gottes welche fich immer mehr in ihnen befefligte, durch bie 
Sicherheit mit der fie immer reiner ben eingeboren Sohn vom 
Bater in ihm zu fchaum vermocten. Und fragen wir nun, wos 
durch wächft denn wol und konnte allein wachſen ihre zu ber Zeit 
ſelbſt wo ber. Exlöfer fi) von ihnen trennte noch fo unvollfommne 
Einſicht in dad eigentliche Weſen des Reiches Gottes? Wodurch 
anders, als daß ſie nach ſeinem Gebot ſich unter einander liebten 


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116 


als die vom ihm erwählten Werkzeuge zur allgemeinen KBefeligung. 
Dadurch allein konnten fie erfennen lernen wad in ihrem Unver⸗ 
fand in dem Vorurtheil, in dem fie befangen waren, nothwendiger 
Weiſe ein Hinderniß dieſer Liebe wurbe, und mußten fich. immer 
mehr nach dem nicht nur fehnen, fonbern fich auch hineinverflehen, 
wa fie von diefen Schranken befreite und fie immer mehr befähigte 
diefem großen Werte Gottes und des ewigen Heil zu dienen. Und 
fo kamen fie denn auch nur dadurch, daß fie thaten was er ihnen 
gebot, immer mehr ‚in fein Vertrauen hinein und konnten immer 
mehr ihn verfichen und fich in ihn hineinleben. 

Aber Zreundichaft ift drittens auch und muß fein ein treues 
und ‚uverläffiges Zuſammenwirken. Es ift etwas fehr ein- 
feitiged und unvolllommened um eine Freundfchaft, welcher biefed 
fehlt; wenn ber eine in folcher Zhätigkeit und ſolchem Wirken be: 
griffen iſt, daß der andere nur gerade fo viel Davon faßt und ver- 
ſteht, als er.vermöge feiner Liebe zu ihm und feiner Anhänglicykeit 
kann, aber ohne daß er felbft dad Wermögen hätte daran Theil zu 
nehmen. Je .mehr fo bie Werke ded einen und deö andern aus⸗ 
einandergeben, um beflo enger ift ber Kreis, ben die Freundſchaft 
fich flelft; aber je mehr gemeinfame Werke es giebt zwifchen denen, 
die zu inniger Liebe mit einander verbunden find, um beflo beutli- 
cher giebt fich die ganze Kraft der Freundſchaft zu erfennen. Und 
bad wer nun m. g. Fr. und iſt ja ganz vorzüglich bie Freundſchaft, 
welche flatt finden Tonnte zwifchen dem Erloͤſer unb ben feinigen. 
Sie wären ihm nicht geweien und hätten ihm nichts fein können, 
wenn er nicht in ihnen gefehen hätte was fie fein würden und thun 
für dad Werk, das ihm Gott anvertraut hatte. Und fie, wie waͤ⸗ 
ven fie im Stande geweſen ihn zu faflen ihn feflzubalten, wenn 
nicht eben bie Eiche bie fein Gebot war fie auch wirklich befeelte, 
und fie in ihm eben beöwegen, weil er biefe Liebe ihnen zum Ge 
bot gemacht, die Quelle alles Heild für die Menſchen erkannten. 
Nur in diefem Zufammenwirken in ber Thaͤtigkeit für fein Reid 
war Dad Weſen der Icbendigen Freundſchaft zwifchen ihm und ib: 
nen. Unb gewiß, je mehr unfer Gemüth voll wäre von Gedanken 
bie wir ausführen, von Werken bie wir vollbringen möchten, aber 
bie ſich ganz abfonberten von dem göttlichen Werl des Erlöfers: 
deſto ſchwaͤcher auch koͤnnte nur das Band ber Freundſchaft zwi- 
ſchen ihm und uns fein. Aber m. g. Fr. laſſet und bedenken, wie 
eine falſche und kleinliche Anwendung diefer großen und heiligen 
Wahrheit fo viel dazu beigetragen hat um bie Foriſchritte der Meh- 
ſchen in ihrem großen Beruf auf Erben aufzuhalten. Wenn übri« 
gend fromme Chriften zu Eurzfichtig find um einzufehen, wie alles 














117 


mas wahrhaft gut if, weil es aus dem Verhaͤltniß des Menſchen 
zu biefer Erde auf natürliche Weiſe hervorgeht, weil es bie Kraͤf. 
tigteit feines Geiſtes zu feinem Beruf die Herrichaft- über bie Dinge 
dieſer Erbe auszuüben bekundet — wie dies alles. in bad Reich Got 
te8 auf Erden hineingehört und feinen Ort findet in ber Geflalt, die 
der Erlöfer dent menichlichen Leben geben wollte, ja wie fid) alles, 
was die Menfchen mit Recht werth halten, erft in feiner Reinheit 
und Bolllommenheit darftellt, wenn es fo auf bad eine was noth 
thut bezogen wird, — wenn fage ich viele dieſes in ihrer Kurzſich⸗ 
tigkeit verfehlen: dann entfleht jene fo oft dem Chriſtenthum zum 
Vorwurf gemachte Zuräffziehung von weltlichen Gefchäften einer 
müßigen Betrachtung -zu Liebe; und fo wird ein großer heil von 
dem Werk, zu dem wir berufen find, verfehlt. Aber damit wirb 
dann auch immer eine kleinliche Vorftelung von dem Erlöfer und - 
finem großen Wert zufammenhangen; fo wie auch eine unvolls 
fommne Ausübung feines Geboted dabei zum, Grunde liegen muß. 
Begleiten wir mit ber Liebe die er und geboten unfere Bruͤder in 
ihrem irdiſchen Beruf, wie er feine Bünger: dann werben wir im⸗ 
mer mehr lemen zu merken und und bavan zu freuen, wie in ihrem 
großen Zufammenhang betrachtet alle menfchliche Gefhäftführung, 
auch die dem erften Anfchein nach weniger zu ber großen Angele: 
genheit der Seligkeit des Menfchen gehörende, bock Diefer zu Gute. 
kommt; nicht nur fofern fich in jeder die Reinheit der Gefinnung. 
daB Streben nach bem göttlichen offenbaren Tann, fondern auch in. 
fofern alles, was aus ſolcher Thaͤtigkeit hervorgeht, auch Nuzen flifs 
ten kann für die Gemeine bed Heren. Aber nur in ſofern wir dieſe 
Liebe, welche dad Gebot des Herm ift, unter einander üben, und 
folglich jeber auch. auf dieſem Gebiet. darauf eingerichtet ift aufzu⸗ 
opfern was fein eigened wäre um das zu fuchen, nicht was irgend 
einem einzelnen wohl thut, fondern was dem großen ganzen fördern _ 
lich iſt; nur fofern jeber liebt wie ded Menſchen Sohn, der gelom: 
men war, daß er biene, nicht herrfche: nur in dieſem Gehorfam ‚ges 
langen wir zu ber wahren Freundfchaft des Erloͤſers und zu treuer 
Mitwirkung für feinen großen und heiligen Zweit, . 
Allein m.’g. Fr. es war nur ein Heiner Kreis von wenigen, 
zu welchem ber Erlöfer dieſe Worte fprach; fie. waren die der Zahl 
nach fo unbebeutende Auswahl aus dem ganzen Wolf nicht nur, 
unter welchem und für welches er lebte, fondern aus dem menfchli: 
chen Geſchlecht, zu welchem ex gefandt war: und auf biefen weni 
gen beruhte feine ganze Hoffnung. Ach darum mußte er ſich freis 
lich wol zu dieſen eined befonderd innigen Verhaͤltniſſes bewußt fein! 
da konnte ed Beinen Namen geben, ber freundlich ſuͤß und zart ges 











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fie 
5 Erler, wie 
unter bderfelben Bedingung? 
fen Anſpruch auf die Freundſchaft bes 


119, 


Durft nad der Gerechtigkeit, eben die Empfänglichkeit für die Fuͤlle 
geifliger Gaben, die von ihm audgehen: dann verbient die Chriftens 
heit recht ben Ramen feines geiftigen Lelbes. Und fin” wir nun 
al& einzelne fo in.dem ganzen eingewurzelt, dem wir zunaͤchſt an⸗ 
gehören; befeeien wir es mit biefer Liebe und verbreiten fie auf alle 
Weite über diefe Mannigfaltigfeit von Gemeinfchaften des Chriften: 
thums: o dann haben wir wol einen Anfprucd darauf auch und 
perfönlich bad anzueignen, daß "der Erlöfer folche Jünger feine 
Freunde nennt! Denn warlich fo haben wir feinen Sinn recht ver: 
fianden, fo haben wir dad Mitgefühl von feiner Liebe, die dad ganze 
menfchliche Gefchledht umfaßt ohne fi an Kleine Verſchiedenheiten 
zu ſtoßen oder die eine mehr zu achten ald bie andere. Dann find 
auch wir eingeweiht in fein Wertrauen, und er hat und bie volle 
Kunde gegeben von dem Bande der Liebe und ber Einigfeit des 
Geiſtes, welches alle zufammenfaffen fol, unter denen fein Name 
befannt wird; dann find auch wir zu freier und, Eräftiger Mitwirs 
tung mit ihm verbunden. Aber in folcher Gemeinſchaft finden wir 
und dann auch felbft recht wieder und verlieren und nicht mehr ald 
ein unendlich Fleined in bem großen Gewühl. Seber von uns kann 
beitragen, daß diefer Geift in der Gemeinſchaft der er angehört im: 
mer lebendiger gewekkt werde; jeber kann die andern in biefem 
Sinne kräftig anfaffen und auch wieber von ihnen empfangen: und 
fo find auch wir berechtigt das auf und anzuwenden, daß wir Freunde - 
des Deren find, wenn wir thun was er gebietet. 
Wir fichen m. a. Fr. an dem Ende eined firchlichen Jahres, 
und der eime gotteödienflliche Tag, ber und noch übrig ift, hat feit 
einiger Zeit eine eigenthuͤmliche Beſtimmung. Sehen wir auf bie 
Bergangenheit zurüff, wollen wir uns jelbft erfennen: was Fünnen 
wir größered fragen, als ob wir und in der That dies Wort ans 
eignen Tonnen? ob wir feftftehen in dem Gehorfam gegen fein einis 
ged Gebot, und ob wir dadurch Anfprüche haben feine Freunde zu . 
fein? ob wir Kortfchritte gemacht haben in der Erkenntniß des goͤtt⸗ 
lichen Wortes, welches in feiner Liebe fich über das ganze Gefchlecht 
der Menſchen verbreiten foll? ob wir immer mehr und gereinigt ha> 
ben in feinem reinen Herzen, ob wir und immer mehr befefligt ha⸗ 
ben in feiner Sanftmuth und in feiner Friedfertigkeit eind geworben 
find mit ihm? Darauf vorzüglich Laffet und unfer Augenmerk rich⸗ 
ten, wenn wir prüfenb in die Vergangenheit fehen; und was wir 
dann auch fagen könnten und dürften: er ift allein ber, welcher ges 
geben hat; er ift-allein ber, welcher geben muß was noch fehlet! 
Nichts fol nichts kann und von ihm trennen, fondern wie wir auch 
und felbft erkennen wir werden nur immer fefter mit ihm verbun« 


120 
den werben und ed feinen Jumgern nachfagen, daß feine Freund⸗ 
{haft das einzige iſt, nach dem wir zu. trachten haben, und Er al 
lein ber, von welchem wir nicht laſſen koͤnnen, von weichen: wir 
uns nicht entfernen dürfen, wenn wie nicht ben Zufammenhang mit 
dem Wort und der Kraft des Lebens verlieren wollen. Amen. 


eied 517. 





. | 
Am 3. Sonntage des Advents 1831. 





Lied 49. 137. 


Text. Ev. Joh. 16, 27. 
Denn ex felbft der Water hat euch lieb, darum bag ihr 


mich liebet und glaube,, daß ich von Gott ausgegan - 
gen bin. 


M a. Br. Dad war ein großed Wort bed Enbſers uͤber fi 
ſelbſt, woruͤber wir neulich mit einander geredet haben, in welchem 
er fih nämlich darſtellt ald den alten und urfprünglichen Gegen: 
fand des Werlangend und ber Sehnfucht für alle beften unter dem 
menſchlichen Gefchlecht, für diejenigen, welche Gott am nächften was - 


sen und von ihm am meiften hervorgezogen: aber noch ein größe 


red Wort iſt biefed, daß er fich darſtellt ald die eigentliche Urfache 
der Liebe Gottes zu und, ald denjenigen, um beffentwillen vermöge 
unſers Verhaͤltniſſes zu ihm, das heißt vermöge unferer Liebe zu 
ihm und unferd Glaubens an ihn, wie nun auch erft Gegenflände 
ber Liebe Gottes feines und unferd Waterd würden. Er ift es aber, 
der von fich ſelbſt fagen konnte was man fonft nicht leicht einem 
gelten läßt, -&o ich von mir felber zeuge, fo iſt mein Zeugniß wahr; 

den in ihm felbft und in feinem eigenen Bewußtſein ruhete das 
in ewiger Klarheit, was er dem menfchlichen Gefchlecht fein follte, 
wozu er gekommen war; in allen andern Eonnte es fich erſt burch 
die Erfahrung allmählig entwikkeln, dadurch daß fie feinem Worte 
folgend den Willen Gottes den er verkündigte, bag fie nämlih 
glauben fonten an den ben er geſandt hatte, wirklich vollführten. 


Darum lafiet und nun, ba wir ja auch felche find, bie ihn lieb ge 
wonnen haben und zu bem Glauben gelangt find, ba er von Gott 
ausgegangen fei, fein Wort aus unferer eigenen Erfahrung beleuch- 
ten und und klar machen, inben wir mit einander barüber veben, 
wie der Erlöfer derjenige if, um beffentwillen wenn wir 
ihn lieben 'unb an ihn glauben aud wir von Gott gelicht 
werben. 


1. Zuerſt m. a. $r. wird aber freilich ein jeber biegegen bei 
fich felbft fagen, wenn Gott die Liebe ift, fo muß feine Liebe fich 
auch fo weit erſtrekken als feine Allmadıt, fo muß es eine allge 
meine Liebe Gottes geben. Und allerbingd werben wir es auch 
beiennen müflen, daß diefe beſondere Liebe, von welcher der Erloͤſer 
in unferm Xerte redet, nur ein Ausflug iſt aus jener allgemeinen. 
So gewiß als dad die höchfle Erkenntniß ift, zu welcher wir eben 
durch den Sohn Gottes gelommen find, daß Gott die Liebe ift: fo 


.: gewiß müffen wir auch glauben, daß alles, was ein Werk feiner 


Hände ifl, auch ein Gegenfland feiner Liebe fein muß. Nur frei: 
lich, was tobt wäre, bad koͤnnte Fein Gegenfland feiner Liebe fein; 
was zwar lebte, aber doch ihn nicht wahrnehmen Tönnte, au das 
fönnte an und für fi) nicht ein Gegenfland feiner Liebe fein: aber 
fo wird ja auch bald benen, bie ihn ertennen, bad geiflige Auge 
geöffnet über die ganze Wet, daß fie einfehen, badjenige fei gar 
nichts an und für fich, was wir nur betrachten können als leblos 
und tobt. Dasjenige hätte Fein eigened Dafein, wad wir auf feine 
Weife im Zuſammenhang mit dem Geift zu denken vermöchten; der 
allein unter ben geichaffenen Dingen bad Ebenbild Gottes iſt: aber 
ed giebt auch nichtd, was nicht irgendwie mit biefem in Werbindung 
flände. Alles nun was geiflig iſt, alles was fei ed auch auf noch 
fo unvollfommme und entfernte Weiſe Gott vernehmen Tann, . alles 
was feiner Natur nach auch getroffen werden kann vom Strahl 
feiner Xiebe: das ift auch gewiß ſchon an und für fi ein Gegen: 
fand feiner Liebe. Darum fchliegen auch jene alten Erzählungen 
in den Büchern bed alten Bundes bie Gefchichte von der Schöp- 
fung ber Welt damit, daß fie fagen *), Und Gott fah an alles, 
was er gemacht hatte; und fiebe ba, ed war fehr gut... Dad war 
bee Hauch der Liebe der Blikk des göttlichen Wohlgefallens über 
das ‘ganze feiner Werke, und er erſtrekkte fich fo weit, als feine AU: 
macht was nicht war hervorgerufen hatte in das Sein: aber alles 
war immer nur gut im BZufammenhang mit dem, was in dieſem 





1 Mol. 1, 31. 








gefehafferren enblichen Geht ber Abglarız feines Weſend fein Bonnie, 
was feiner Erkenntniß ihn zu ahnen in feinen Werfen fähig wer. 
Unb wenn wir bedenken ˖ m. g. Fr., wie jene alte Erzählung doch 
vorzüglich nur diefe Erbe den Schauplaz unſerd Lebens und Wir; 


fend zum Gegenfland hat und alle übrigen nach unferer jgigen - 


Kenntniß fo viel größeren fo viel umfaffenderen Werke Gottes nur 
in Beziehung auf diefe Erde beirachtet; und wie auf dieſer wieder: 
um ber Menſch das einzige geiflige Weſen iſt, auf welches ſich als 
led bezieht, für den und zu bem alles geichaffen ift, was dieſer Erde 
angehört unb was fih in andern Weltkoͤrpern auf fie bezieht: o 
wie koͤnnen wir dann wol ahnehmen, daß Gott der Herr bad Wort, 
- Und es war alle gut, gefprochen habe, da doch vor. feinen Augen 
nicht nur ber Menſch daſtand als das ebeifte Werk feiner Hände, 
beſtimmt zur Herrſchaft über alles was auf Erben ift, ſondern ihm 
auch ſchon eben fo deutlich vor Augen fland ber Zall bes Menfchen 
und alle Berringerung feines geifligen Lebens und Wirkens, welche 
die Sünde über biefen Menfchen und bad ganze menfchliche Ge - 
(dylecht bringen würde? Darum m. g. Fr. mögen wir wol fagen, 
wenn Gott der Herr damals über den Menſchen und bie Erbe, bie 
fein Eigenthum fein ſollte, fprach, daß es alles gut fei: fo muß 
auch wieberum nicht nur bie Suͤnde und ber Fall bed Menſchen 
vor feinem Auge geweſen fein, ſondern auch berienige mit in fein 
Bohlgefallen nicht nur eingefchloffen fonbern der eigentliche Grund 
deſſelben gewefen fein, der beflimmt war alles wieberzubringen. Ja 
nur in Beziehung auf diefen, nur weil die menfchliche Natur das 
Wort, welches Fleiſch werden follte, in fich aufnehmen konnte, das 
rum nur weil durch ihn ber Menſch Gott näher und inniger wie 
ber zugeführt werben follte, ald es vorher möglich geweien wäre: 
darum ſprach Gott der Herr, daß alled gut ſei; darum gab. er Sch 
(don in diefem Wort zu exfennen als den, der fich über bie Sun 
der erbarmen werde, ald ben, welcher die Tage ber Unwiſſenheit 
überfehen wollte, wenn dann nur derjenige, ber damals fchon ber 
Gegenſtand feines Wohlgefallend wor, bie Anhänglichleit den Glaus 
ben die Liebe fände, ohne welche er den Menſchen fich ſelbſt nicht 
mittheilen noch ihre Werbindung mit Gott zur Vollkommenheit 
bringen konnte. Und fo m. g. Fr. zeigt ſich denn überall diefe all« 
gemeine Liebe Gottes zu dem Menſchen ald dem Geichöpf feines 
Ebenbildes in allen feinen verfchtebenen Zuſtaͤnden; bas if die Art, 
wie-und die Schrift überall jene Liebe Gottes und jened Erbarmen 
Gottes erfiärt und anfchaulich macht, alles habe er unter bie Sünbe 
alled unter den Unglauben befchloflen, damit die Verheißung kaͤme durch 
den Glauben an den, in welchen erſt allen Far werden konnte, zu 


mM 

toelcher Herrlichkeit Gott ben Menſchen erfchaffen. Habe. Darum 
wor alles, was und von befonderer Liebe von einzelnem Wohlgefal- 
Ien Gottes erzählt wirb, auf diejenigen gerichtet, die feiner uner- 
forfchlichen Ordnung nach beflimmt waren in einem nähern irdi⸗ 
fhen Zufammenhang mit bem zu flehen, der ba kommen follte. 
Darum war bad Rolf, aus welchem ber Erloͤſer entfpringen ſollte, 
das Wolf feiner Wahl; darum wurde e8 aufbewahrt und ausgefons 

bert; immer wieder herausgerifſen aus jeder Noth, in welche e& ſich 
durch die Sünde geſtuͤrzt hatte, damit die Offenbarung Gottes be 
wahrt bliebe, daß aus dieſem der eingebome Sohn des Höchften 
hervorgehen werbe. So werben wir denn fagen müflen m. g. Fr., 
ja alles menfchliche war ein Gegenflanb des göttlichen Wohlgefals 
lens und der göttlichen Liebe vom erflen Anfang an; nichtE was er 
zu feinem Bilde gefchaffen hatte, nichts was mit biefem Gefchöpfe 
feiner Aehnlichkeit irgend in Verbindung flieht war audgefchloffen 
von feiner väterlichen Fuͤrſorge: aber Feiner war ein Gegenflanb ber 
Liebe und Sorgfalt Gottes an und für fich ſelbſt unb um fein 


ſelbft willen. 


IL Hieran m. a. Fr. knuͤpft ſich denn unfere zweite Betrach⸗ 
“tung, naͤmlich, was iſt das eigenthuͤmliche Weſen dieſer 
beſondern Liebe Gottes zu uns um unſerer Liebe und unſers 
Glaubens an Chriſtum willen. So aber ſchließt fich dieſe beſondere 
Liebe an jene allgemeine, daß ſelbſt in dem, was ber Erloͤſer hier 
zu feinen Juͤngern beſonders fagt, doc nur das nämliche liegt wie 
in jener allgemeinen. Nicht feine Juͤnger an und für fich, als bie 
welche fie fchon ohne ihn geweien waren, ald bad was fie auch ohne 
ihn würden geblieben fein, waren der Gegenfland der göttlichen 
Eiche, von welcher er redet: ſondern nur beöwegen, fagt er, hat euch 
der Water lieb, weil ihe mich Lieb gewonnen habt, weil ihr zu bem 
Glauben gekommen feid, baß ich von Gott audgegangen bin. Denn 
wie der Erlöfer ber Welt ald der eingeborne Sohn Gottes ſchon 
von Anbeginn an ber einzige yumittelbare Gegenfland bed goͤttli⸗ 
chen Wohlgefallend war im ganzen Umfang biefer irdiſchen und 
menfchlihen Welt: fo zog auch Gott vorher fchon, wie wir neulich 
an Abraham gefehen haben, nur diejenigen auf befonbere Weiſe an 
fich heran, welche mit feiner Zukunft in Verbindung fanden, wenn 
fie auch von berfelben nur eine entfernte Ahnung bekamen in ben 
größten Augenblitten ihre Lebens, bie aber dann auch ihr größter 
Befi, war unb ber koͤſtlichſte Schaz ihres Dafeins. Und eben fo 
zog er num bie Jünger feined Sohnes vor nur wegen ihrer nähern 
Verbindung mit biefem; wie ed ja natürlich war, daß ihre Liebe zu 





* 
‘. 125 
‘ 
X} 


bem geliebten Gottes nun auch bie Liebe Gottes auf fie zog. Wie 
menfchlich m. th. Br. fcheint dad von bem höchfien Weſen gefpro: 
hen! und doc, wie muß und bie ewige. bie göttliche Wahrheit ba: 
von mit ber menſchlichen zugleich fo unmittelbar eimleuchten! Das 
ift es, wad wir alle erfahren; ber die liebet, welche wir lieben, wird 
dadurch auch ber Segenftand unferer Liebe. Und wenn er dad vor 
ber fchon auf irgend eine Weile war: fo wirb er nun ber Gegens 
fland einer anderen neuen und innigeren Liebe. Anders als fo kann 
es nicht fein; war der Exlöfer ber unmittelbare Gegenſtand bes 
göttlichen Wohlgefallend, wie follte Gott nicht Wohlgefallen an be 
nen gewonnen haben, die in ihm die Herrlichkeit des eingebornen 
Sohnes vom Bater erfannten? war er beöhalb der Gegenſtand feis 
nes Wohlgefallens, weil durch ihn das ganze menfchliche Gefchlecht 
ſollte zu Gott geführt und verherrlicht werben: wie follten nicht 
die auch Gegenftand feined Wohlgefallend geworben, und gleichfam 
ein Abglanz feiner Herrlichkeit auf fie hinuͤbergefloſſen fein, die nicht 
nur in ihm in der That die Erfüllung aller göttlihen Verheißun⸗ 
gen erkannten und von ihm wußten, er fei die Quelle, welcher bie 
Worte ded Lebens allein entflrömten, fonbern die auch nun nicht 
anberd fonnten als ihm in ber Erfüllung aller göttlichen Rath: 
ſchluͤſe zum Heil der Welt mit ihrem ganzen. Dafein dienen! | 
Unb m. g. Fr. wie flellt nun ber Erloͤſer und biefe Liebe Gots 
tes dar, beren Gegenflanb wir um feinetwillen werden? Er fagte : 
in ben vorhergehenden Worten zu feinen Züngern, Ich will nicht 
fagen, wenn ihr etwas bebürfet, wenn ihr ben Water. etwas bitten 
wollt, daß ich für euch den Water bitten werbe; nein, denn er ſelbſt 
der Water hat euch lieb, weil ihr mich liebet und glaubet, daß ich 
von Gott ausgegangen bin. Iſt nun nicht bdiefed m. th. Fr. dad 
hoͤchſte Verhaͤltniß, in welchem der Menich zu Gott. flehen kann, 
bag er-bitte, und daß Gott gewähre, baß er frage, und daß Gott 
antworte? denn jede Frage. ift doch ſelbſt eine Bitte, und jebe Ants | 
wort iſt eine Gabe. Auch ift Died Verhaͤltniß niemald irgendwo 
unter bem menſchlichen Gefchlecht anders gedacht und anders ausge⸗ 
druͤkkt worben ald eben jo. Gab es irgendwo ein befondered Heis 
ligthum für höhere Weſen ober für das höchite: fo war es, bamit 
dort Gebet dargebracht werden könne vor Gott, und damit feine, 
Erhoͤrung von da ausſtroͤme; bamit bie zweifelnden Gemüther ba 
ihre Sragen nieberlegen könnten und eine Antwort empfahen aus 
irgend einer geheimnißvollen Ziefe des göttlichen Weſens. Und nur 
das iſt daB eigenthuͤmliche Verhaͤltniß, in welchem wir zu ihm dem 
Bater fichen, daß er und nur zu ‚geben braucht wonach bad buch 
bad Wort feined Sohnes gereinigte. Herz begehrt, daß .er und nur 


- mug geweſen wäre. um dies ganz auszudruͤkken, als wenn er fie 
nannte feine Brüder und feine Freunde gegenüber dem ganzen uͤbri⸗ 
gen Gefchlecht der Menfchen, das ihn verfannt hatte und bas ihn 
gas nicht aufnehmen konnte. Jezt aber wir feine Belenner bilden 
eine große Menge von Wöllern, einen bebeutenden Theil bed menſch⸗ 
lichen Geſchlechts; unzählig find jezt bie, die boch im Grunde und 
in der innerfien Wahrheit in derfelben Beziehung ber Liebe und des 
Belenntnifjes zu ihm fichen: koͤnnen alfo wol audy wir und bad 
aneignen als auch zu und gefagt, daß wir jeber fein Freund fein 
koͤnnen und er der unfrige? Laßt und m. g. der Beicheibenheit für 
einen Augenblikk Raum geben, bie diefen Zweifel erregt; fie wird 
und von jelbft auf einen anden Standpunkt führen, von dem aus 
die Gleichheit uns wieder näher vor Augen treten wird. Diefe große 
Menge chriftiches Voͤlker aus fo vielen Ländern faft aller Zonen, 
unter welchen in fo vielen Sprachen fein Name verfünbigt wirb, 
vor dem ſich alle Kniee beugen, tft fie eind? Nein fie ifl getrennt 
- in mandherlei Gemeinfchaften, beren Glieder inniger zufammenhans 
gen unter fich als mit andern; theil& iſt fie getheilt durch biefelben 
Berhältniffe, die auch in andern Beziehungen Menfchen von einan« 
ber trennen und abfenbern, theild auch auf eigenthuͤmliche Weiſe ge- 
theilt nicht ſowol durch eine verfchiedene Anficht von feiner Perfon 
und feinem Zwekk, ald vielmehr nur durch bie verfchiebene Art und 
Weife dad auszudrüffen und zu erklären, was im innerflen des Ges 
müthes eins ift und baffelbe. Wohl! flatt ber unendlich vielen ein; 
zeinen laßt und dieſe verfchiebenen Häuflein von Ehriften denfen: 
jeder folcher ift doch auch wieder einer, und fo kommen wir auf eine 
Zahl, die weniger verfchieden ift von dem Haͤuflein ber Zünger, zu 
welchem der Herr biefe® große Wort ſprach. Soll nun nicht von 
jedem unter diefen daſſelbe gelten? iſt nicht jebe ſolche Gemeinfchaft 
von Ehriften, fofern fie eins ift in derfelben Treue, auch eben fo ein 
Freund des Erlöferd, wie jeder einzelne unter jenen Juͤngern und 
unter berfelben Bedingung? Wohl! fo laſſet und denn zuerſt um: 
fern Anſpruch -auf die Freundfchaft bed Erloͤſers fo ftellen, .baß wir 
wenn nicht als einzelne doch ald Glieber einer chriftlichen Gemein; 
ſchaft, der wir angehören, feine Freunde find, wenn biefe gegen bie 
übrigen eben die Liebe ausübt, die der Erlöfer geboten hat. Jede 
wenn auch von und unterfchieben und abweichend von unferer Art 
verfündigt ihn doch und weifet zu ihm hin; und mit jeber, burdh 
wie manche Berfchiebenheit fie auch von uns getrennt ift, follen wis 
doch als mit einem Werkzeug feiner Verherrlichung durch dieſelbe 
Liebe verbunden fein, die er feinen Juͤngern befoblen hat. Wenn 
‚nun diefe Häuflein an einander lieben eben denfelben Hunger und 


119 


Durft nadh- der Gerechtigkeit, eben -die Empfänglichkeit für: die Fuͤll⸗ 
geifliger Baben, die von ihm auögehen: dann verbient die Chriften: 
heit recht ben Namen feines geifligen Leibes. Und fin” wir nun 
als einzelne fo in dem ganzen eingewurzelt, bem wir zunaͤchſt an⸗ 
gehören; befeelen wir es mit biefer Liebe und verbreiten fie auf alle 
Weife über diefe Mannigfaltigkeit von Gemeinfchaften des Chriſten⸗ 
thums: 0 dann haben wir wol einen Anſpruch darauf auch und 

perfönlih dad anzueignen, daß der Erlöfer folche Zünger feine 
Freunde nennt! Denn warlich fo haben wir feinen Sinn recht ver 
fianden, fo haben wir dad Mitgefühl von feiner Liebe, Die das ganze 
menfchliche Geſchlecht umfaßt ohne ſich an Eleine Verſchiedenheiten 
zu ſtoßen oder die eine mehr zu achten ald die andere. Dann find 
auch wir eingeweiht in fein Wertrauen, und er bat und bie volle 
Kunde gegeben von dem Bande der Liebe und ber Einigkeit des 
Geiſtes, welches alle zufammenfaflen fol, unter denen fein Name 
befannt wird; dann find auc wir zu freier und. Eräftiger Mitwir⸗ 
fung mit ibm verbunden. Aber in folcher Gemeinfchaft finden wir 
und dann auch felbfl recht wieder und verlieren und nicht mehr als 
ein unendlich Fleines in dem großen Gewühl. Seder von und kann 
beitragen, daß, diefer Geift in ber Gemeinſchaft ber er angehört im: 
mer lebendiger gewekkt werbe; jeder kann die andern in biefem 
Sinne kräftig anfaflen und auch wieber von ihnen empfangen: und 
fo find auch wir berechtigt das auf und anzumwenden, dag wir Freunde - 
des Hesen find, wenn wir thun was er gebietet. 

Wir fichen m. a, Fr. an dem Ende eined Firchlihen Jahres, .. 

und ber eine gotteöbienflliche Tag, der und noch übrig ift, hat feit 
einiger Zeit eine eigenthümliche Beſtimmung. Sehen wir auf bie 
Bergangenheit zuruͤkk, wollen wir und ſelbſt erfennen: was können 
wir größeres fragen, ald ob wir und in ber That dies Wort ans 
eignen Tonnen? ob wir feftftehen in dem Gehorfam gegen fein einis 
ged Gebot, und ob wir dadurch Anfprüce haben jeine Freunde zu . 
fan? ob wir Fortfchritte gemacht haben in der Erkenntniß des gött: 
tichen Wortes, welches in feiner Liebe fich über das ganze Gefchlecht 
der Menfchen verbreiten fol? ob wir immer mehr und gereinigt ha: 
ben in feinem reinen Herzen, ob wir und immer mehr befefligt ba: 
ben in feiner Sanftmuth und in feiner Friedfertigkeit eins geworben 
find mit ihm? Darauf vorzüglich Lafjet und unfer Augenmerf rich: 
ten, wenn wir prüfend in die Vergangenheit fehen; und was wir 
dann auch fagen Fünnten und dürften: er ift allein der, welcher ges 
geben bat; er ift-allein der, welcher geben muß was noch fehlet! 
Nichts foll nichts kann und von ihm trennen, fondern wie wir auch 
uns felbft erkennen wir werden nur immer fefter mit ihm verbun« 





4 


den werben unb es feinen Sängern nathfagen, baß feine Freund⸗ 
ſchaft das einzige ift, nach dem wir zu. trachten haben, unb Er al 
lein ber, von welchem wir nicht laſſen können, von welchem wir 
uns nicht entfernen dürfen, wenn wir nicht ben Zuſammenhang mit 
dem Wort und ber Kraft bed Lebens verlieren wollen. Amen. 


eied 517. 


| x 
Am 3. Sonntage des Advents 1831. 





Lich 49%. 187. 
Text. Ev. Joh. 16, 27. 


Denn ex felbft ber Water hat euch lieb, darum bag ihr 
mich liebet und glaubet, daß ich von Gott ausgegan - 
gen bin. 


MM... Fr. Das war ein großeh Wort des Endſers über fh 

felbft, worüber wir neulich mit einander geredet haben, in welchem 
er fih nämlich barflellt ald den alten und urfprünglichen Gegen: 
fand des Werlangend und der Sehnfucht für alle beften unter dem 
menfchlichen Geſchlecht, für diejenigen, welche Gott am nächflen was - 
ren unb von ihm am meiften heroorgezogen: aber noch ein größes 
res Wort ift dieſes, daß er ſich darſtellt als die eigentliche Urſache 
der Liebe Gottes zu und, ald denjenigen, um beflentwillen vermöge 
unſers Verhaͤltniſſes zu ihm, bad heißt vermöge unferer Liebe zu 
ihm und unferd Glaubens an ihn, wir nun auch erft Gegenflände 
der Liebe Gottes feines und unferd Waters würden. Er ifl 95 aber, 
der von ſich felbft fagen konnte was man fonft nicht leicht einem 
gelten läßt, -So ich von mir felber zeuge, fo ift mein Zeugniß wahr; 
denn in ihm felbft und in feinem eigenen Bewußtſein ruhete daß 
in ewiger Klarheit, was er dem menfchlichen Gefchlecht fein follte, 
wozu er gekommen war; in allen andern konnte es fich erſt durch 
die Erfahrung allmählig entwikkeln, dadurch baß fie feinem Worte 
folgend den Willen Gotted den er verkündigte, daß fie nämlich 
glauben follten an den den er gefandt hatte, wirklich vollführten. 


« 


und nun, ba wir je auch felche find, bie ihn lieb ge 
haben und zu bem Glauben gelangt find, baß er von Gott 
ausgegangen fei, fein Wort aus umnferer eigenen Erfahrung beleuch 
ten unb und Har machen, indem wir mit einander barüber reben, 

Erloͤſer derjenige ifl, um beffentwillen wenn wir 
ihn lieben 'unb an .ihn glauben auch wir von Gott geliebt 


Hi 


1. Zuerſt m. a. Sr. wird aber freilich ein jeber hiegegen bei 
ſich ſelbſt fagen, wenn Gott die Liebe ift, fo muß feine Liebe ſich 
auch fo weit erſtrekken als feine Allmacht, fo muß es eine allge 
meine Liebe Gottes geben. Und allerdings werben wir es auch 
befennen müflen, daß dieſe befonbere Liebe, von welcher der Erloͤſer 
in unferm Texte rebet, nur ein Ausflug ift aus jener allgemeinen. 
So gewiß als das die höchfte Erkenntniß iſt, zu welcher wir eben 
durch den Sohn Gottes gekommen find, daß Gott die Liebe if: fo 


gewiß müffen wir aud glauben, daß alles, was ein Werk feiner 


Hände ifl, audy ein Gegenfland feiner Liebe fein muß. Nur frei: 
lich, was tobt wäre, das Eönnte Fein Gegenftand feiner Liebe fein; 
was zwar lebte, aber doch ihn nicht wahrnehmen koͤnnte, auch das 
könnte an und für fich nicht ein Gegenfland feiner Liebe fein: aber 
fo wird ja auch bald benen, die ihn erkennen, bas geiflige Auge 
geöffnet über die ganze Weit, daß fie einfehen, badjenige fei gar 
nichts an und für fich, wad wir nur betrachten können als leblos 
und tobt. Dasjenige hätte kein eigened Dafein, was wir auf feine 
Weile im Zufammenhang mit dem Geift zu denken vermöchten, ber 
allein unter den geichaffenen Dingen das Ebenbild Gottes iſt: aber 
ed giebt auch nichts, was nicht irgendwie mit biefem in Verbindung 
flände. Alled nun was geiflig ift, alles was fei es auch, auf noch 
fo unvollkommne und entfernte Weite Gott vernehmen Tann, alles 
was feiner Natur nad auch getroffen werben kann vom Strahl 
feiner Liebe: dad ift auch gewiß ſchon an und für fi ein Gegen⸗ 
fland feiner Liebe. Darum fchliegen auch jene alten Erzählungen 
in den Büchern bed alten Bundes die Gefchichte von ber Schoͤp⸗ 
fung der Welt damit, baß fie fagen *), Und Gott fah an alles, 
was er gemacht hatte; und fiehe da, ed war fehr gut. Dad war 
ber Hauch ber Liebe der Blikk bes goͤttlichen Wohlgefallens über 
das ganze feiner Werke, und er erfirefite ſich fo weit, als feine All⸗ 
macht was nicht war hervorgerufen hatte in dad Sein: aber alles 
war immer nur gut im Zufammenhang mit dem, was in dieſem 





223 


geſchaffenen endlichen Sein der Abglanz ſeines Weſend fein Bonnte, 
was feiner Erkenntniß ihn zu ahnen in feinen Werken fähig war. 
Und wenn wir bebenfen- m. g. Fr., wie jene alte Erzählung doch 
vorzüglich nur diefe Erbe ben Schauplaz unſers Lebens und Win 
tens zum Gegenfiand hat und alle übrigen nad unferer jezigen 
Kenntnig fo viel größeren fo viel umfaffenberen Werke Gottes nur 
in Beziehung auf diefe Erde beirachtet; und wie auf diefer wieders 
um ber Menſch das einzige geiflige Weſen ift, auf welches fich als 
led bezieht, für ben und zu bem alles geichaffen ift, was biefer Erbe 
angehört und was fi in andern Weltkoͤrpern auf fie bezieht: o 
wie koͤnnen wir dann wol annehmen, daß Gott der Herr dad Wort, 
- Und es war alles gut, gefprochen habe, ba doch vor feinen Augen 
nicht nur der Menſch daſtand als das ebeifte Werk feiner Hände, 
beſtimmt zur Herrſchaft über alles was auf Erden ift, fondern ihm 
auch ſchon eben fo deutlich vor Augen fland ber Fall des Menfchen 
und alle Werringerung feined geiftigen Lebens und Wirkens, welche 
die Sünde über dieſen Menfchen und bad ganze menfchliche Ges - 
ſchlecht bringen würde! Darum m. g. Sr. mögen wir wol fagen, 
wenn Gott der Here damals über den Menfchen und die Erde, bie 
fein Eigenthum fein follte, ſprach, daß es alled gut fei: fo muß 
auch wieberum nicht nur bie Sünde und der Fall des Menſchen 
vor feinem Auge geweien fein, ſondern auch derjenige mit in fein 
Wohlgefallen nicht nur eingefchloffen fonbern ber eigentliche Grund 
deſſelben geweſen fein, der beſtimmt war alled wieberzubringen. Ja 
nur in Beziehung auf biefen, nur weil bie menfchliche Natur das 
Wort, welches Fleiſch werben follte, in fich aufnehmen Eonnte, das 
rum nur weil durch ihn ber Menich Gott näher und inniger wie 
ber zugeführt werben follte, ald es vorher möglich geweſen wäre: 
darum ſprach Gott der Herr, daß alled gut ſei; darum gab. er fd) 
fhon in diefem Wort zu erkennen ald den, ber fich über bie Sün» 
der erbarmen werde, als ben, welcher die Tage ber Unwiſſenheit 
überfehen wollte, wenn dann nur berjenige, ber damals fchon ber 
Gegenftand feines Wohlgefallend war, die Anhänglichkeit den Glau⸗ 
ben die Liebe fände, ohne welche er den Menſchen fich ſelbſt nicht 
mittheilen noch ihre Verbindung mit Gott zur Vollkommenheit 
bringen fonnte. Und fo m. g. Fr. zeigt fich denn uͤberall biefe alls 
gemeine Liebe Gottes zu dem Menfchen ald dem Gefchöpf feines 
Ebenbildes in allen feinen verfchiebenen Zuflänben; bad ift bie Art, 
wie-und die Schrift überall jene Liebe Gottes und jened Erbarmen 
Gottes erklärt und anfchaulich macht, alles habe er unter bie Sünde 
alles unter den Unglauben befchloffen, damit die Berheigung kaͤme durch 
den Glauben an ben, in weichem erft allen klar werden konnte, zu 


12° J 
welcher Herrlichkeit Gott ben Menſchen erſchaffen habe. Darum 
war alles, was und von beſonderer Liebe von einzelnem Wohlgefal⸗ 
len Gottes erzählt wird, auf diejenigen gerichtet, die feiner uner⸗ 
forſchlichen Ordnung nach beſtimmt waren in einem naͤhern irdi⸗ 
ſchen Zuſammenhang mit dem zu ſtehen, der da kommen ſollte. 
Darum war das Volk, aus welchem ber Erloͤſer entſpringen ſollte, 
das Volk ſeiner Wahl; darum wurde es aufbewahrt und ausgeſon⸗ 
dert; immer wieder herausgeriffen aus jeder Noth, in welche es ſich 
durch die Suͤnde geſtuͤrzt hatte, damit die Offenbarung Gottes be⸗ 
wahrt bliebe, daß aus dieſem der eingeborne Sohn des Hoͤchſten 
hervorgehen werde. So werben wir denn ſagen muͤſſen m. g. Fr., 
ja alles menſchliche war ein Gegenſtand des göttlichen Wohlgefal⸗ 
lens und der göttlichen Liebe vom erſten Anfang an; nichts was er 
zu feinem Bilde geihaffen hatte, nichts was mit dieſem Gefchöpfe 
feiner Achnlichleit irgend in Verbindung ſteht war audgefchloffen 
von feiner väterlichen Fürforge: aber: keiner war ein Gegenſtand der 
Liche und Sorgfalt Gottes an und für fi ſelbſt und um fein 


ſelbſt willen. 


I, Hieran m. 0. &r. knuͤpft fich denn unfere zweite Betrach⸗ 
"tung, nämlih, was iſt das eigenthuͤmliche Wefen diefer 
befondern Liebe Sotted zu und um unferer Liche und unfers 
Glaubens an Ehrifium willen. &o aber fchließt fich dieſe befondere 
Liebe an jene allgemeine, daß felbft in bem, was ber Erlöfer hier 
zu feinen Züngern befonders fagt, doch nur das nämliche liegt wie 
in jener allgemeinen. Nicht feine Jünger an und für fi), als bie 
weiche fie fhon ohne ihm gewelen waren, als bad was fie auch ohne 
ihn würden geblieben fein, waren ber Gegenflanb ver göttlichen 
Liche, von welcher er redet: fordern nur beöwegen, fagt er, hat euch 
ber Vater lieb, weil ihr mid, lieb gewonnen habt, weil ihr zu bem 
Glauben gelommen feid, bag ich von Gott audgegangen bin. Denn 
wie ber Erlöfer ber Welt ald ber eingeborne Sohn Gottes fchon 
von Anbeginn an ber einzige unmittelbare Gegenſtand bes goͤttli⸗ 
“ben Wohlgefallend war im ganzen Umfang biefer irdiſchen und 
menſchlichen Welt: ſo zog auch Gott vorher ſchon, wie wir neulich 
an Abraham geſehen haben, nur diejenigen auf beſondere Weiſe an 
ſich heran, welche mit feiner Zukunft in Verbindung flanden, wenn 
fie audy von derfelben nur eine entfernte Ahnung befamen in ben 
größten Augenblikken ihred Lebens, die aber dann auch ihr größter 
Beſiz war unb ber koͤſtlichſte Schaz ihres Dafeind. Und eben fo 
zog er num bie Jünger feined Sohnes vor nur wegen ihrer nähern 
Berbindung mit Bien wie es ja natürlich war, daß ihre Liebe zu 








: 12) 


bem geliebten Gottes nun auch bie Liebe Gottes auf: fie zog: Wie _ 
menſchlich m. th. Br. fcheint dad von bem höchfien Weſen gefpro: 
chen! und doch wie muß und bie ewige. bie göttliche Wahrheit da: 
von mit ber menfchlichen zugleich fo unmittelbar einleuchten! Das 
ift es, was wir alle erfahren; der bie liebet, welche wir lieben, wirb 
dadurch auch der Gegenfland unferer Liebe. Und wenn er dad vor 
ber fchon auf irgend eine Weile war: fo wird er nun ber Gegen: 
fland einer anberen neuen und innigeren Liebe. Anders als fo kann 
es nicht fein; war ber Exlöfer ber unmittelbare Begenftand bed 
göttlichen Wohlgefallend, wie follte Gott nicht Wohlgefallen an de 
nen gewonnen haben, bie in ihm die. Herrlichkeit des eingebornen 
Sohnes vom Bater erlannten? war er deshalb ber Gegenftand feis 
nes Biohlgefallend, weil Durch ihn das ganze menichliche Gefchlecht 
ſollte zu Gott geführt und verberrlicht werben: wie follten nicht 
die auch Gegenfland feined Wohlgefallend geworden, und gleichfam 
ein Abglanz feiner Herrlichkeit auf fie hinübergefloffen. fein, die. nicht 
nur in ihm in ber That die Erfüllung aller göttlichen Verheißun⸗ 
gen erkannten und von ihm wußten, .er fei die Quelle, welcher bie 
Torte ded Lebend allein entfirömten, fondern die auch nun nicht 
anbers konnten als ihm in ber Erfüllung aller göttlichen Rath: 
fchlüffe zum Heil der Welt mit ihrem ganzen Dafein dienen! | 
Und m. g. Fr. wie flellt nun ber Exlöfer und biefe Liebe Gots 
tes dar, deren Gegenflanb wir um feinetwillen werden? Er fagte : 
in den. vorhergehenden Worten zu feinen Süngern, Ich will nicht 
fagen, wenn ihr etwas bebürfet, wenn ihr ben Water etwas bitten 
wollt, daß ich für euch. ben Water bitten werbe;. nein, denn er felbfl 
ber Water bat euch lieb, weil ihr mich ‚liebet und glaubet, daß id) 
von Gott ausgegangen bin. Iſt nun nicht dieſes m. th. Fr. das 
hoͤchſte Verhaͤltniß, in- weldyem ber Menfch zu Gott fliehen kann, 
daß er. bitte, und daß Gott gewähre, daß er frage, und daß Gott 
antworte? denn jebe Frage. ift doch felbft eine Bitte, und jebe Ant 
wort iſt eine-Sabe Auch ift died Verhaͤltniß niemald irgendwo 
unter den menfchlichen Gefchlecht anderd gedacht und anders ausge⸗ 
druͤkkt worben ald eben fo. Gab ed irgendwo ein befondered Hei⸗ 
ligthum für höhere Weſen oder für das höchfte: fo war ed, bamit 
dort Gebet bargebracht werben koͤnne vor Gott, und ‚damit feine, 
Erhoͤrung von da ausſtroͤme; damit bie zweifelnben Gemüther da 
ihre ragen nieberlegen koͤnnten und eine Antwort empfahen aus 
irgend einer geheimnißvollen Ziefe beö göttlichen Weſens. Und nur 
bad iſt daß eigenthümliche Verhaͤltniß, in welchem wir zu ihm dem 
Bater fichen; daß er und nur zu ‚geben braucht wonach bad buch 
dad Wort feined Sohnes gereinigte. Herz begehrt, daß er und. nur 


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und dieſen — bakken. D was können wir uns 
g oon uf va Gait baden! IR das hoͤchſte 
BE aut ln mabrocn benfdhen fa wolan, fo muß 

ut fein was von demſelben kommt. Sind aber feine 
——— uf: Bitten: fo ifl ja das ein Zeichen, daß 
ir dad bitten, was er zu gewähren geſonnen iſt, daß unfere Seele 
in Uebereinfiimmung mit dem iſt, wonach er bie Welt ber geifligen 
Weſen, welche zu feinem Bilde gefchaffen find, regiert und orbnet; 
ein Zeichen, baf wir nur das begehren, was er ſelbſt ald bad gute 
für und gefezt hat. Denn fonft würbe er nicht gewähren was wir 
bitten, wenn wir etwas anderes bäten als dieſes. Und dies m. g. 
Br. fieht der Erlöfer alfo an ald bie Frucht unferer Liebe zu ihm; 
bie ihn lieb geavonnen haben und zum Glauben gelangt find, ba 
er von Gott audgegangen fei, wad Sonnen fie anders bitten als nur 
was zu. bem gehört, um befientwillen er von Gott anögegangen 
it und in die Welt gekommen, wie er nachdem es erfüllt war auch 
wieder bie Welt verlieh und zu feinem Vater zuruͤkkkehrte? was 
Tönen fie anderd bitten ald was dazu gehört, bag bie Welt felig 
werbe durch ihn? Und wenn unfere Bitten einen andern Gegen: 
fland haben, ald der aud unferer Liebe und unferm Glauben zum 
Erlöfer hervorgeht: wolan! fagt er, fo barf ich nicht erſt fagen, bag 
ih den Water für euch bitten will, benn er felbft ber Water bat 
euch fchon lieb; das heißt, von ihm wird euch von felbfi die Ge 
währung kommen. Aber freilich m. g. dies beides, das gehört we 
fentfich zufammen und ift ber eigentliche Grunb biefed Verhaͤltniffes 
zwiſchen Gott und und, wie der Erlöfer es fliften will: daß wir 
ihn in der That lieb gewonnen haben fo wie er war, wozu er ges 
fommen if, wozu er gelebt, wozu .er fein Leben gelaflen bat, und 
daß wir zur Ueberzeugung gelommen find, er fei von Gott ausge 
gangen, von Gott den Menfchen gegeben zu ihrem Beil um feine 
beieligenben Rathſchluͤſſe an ihnen zu erfüllen. Darum fagt auch 
ber Erloͤſer zu feinen Jüngern nicht lange vor Diefer Rebe, Vorher 
habt ihr noch nichts gebeten in meinem Namen. Dean nur was 
and dieſem Glauben an ihn und aus biefer Eiche zu ihm herruͤhrt, 
bas ift ein Gebet in feinem Namen; und nur für das, was in feis 
nem Namen gebeten wird, fagt er feinen Juͤngern, bie Gewaͤh⸗ 
zung zu. Nun alfo, fagt er, wenn ich nicht mehr unter euch 
fein werde, werbei ihr bitten in meinem Namen: dann wirb eure 
Seele erſt ganz gereinigt fein von ben fälfchen Worfiellungen, bie 


453351 


127 


früher noch eurer Liebe und eurem Glauben beigemifcht waren, und 
dann werbet ihr nur das erbitten wollen, was von Anfang an ber 
eigentliche Gegenſtand eured Tichtens und Trachtens geweſen ifl, 
nur dad nämlich, wad zu bem großen Werk gehört, welches ber 
Bater mir gezeigt hat, daß ich ed vollbringen fol. So demnach, 
fofern wir nichtd anderd mehr bitten als was in feinem Namen ge 
beten werden Tann, bat ber Water und lieb, fo daß er und gewaͤh⸗ 
vet was wir bitten; und folche Liebe zum Erloͤſer iſt unzertrennlich 
verbunden mit dem Glauben, daß er von Gott audgegangen if. 
Wie könnten wir und fonft fo ganz an bad Werk und Wollen eines 
einzelnen Menfchen binden! 

Doch m. g. Sr. left und einen Augenblift bei biefen Worten 
befonberö verweilen! Seit wie langer Zeit fchon find fie unter ben 
Ehriften immer wieber Veranlaſſung geworben. zu beftigem Streit 
und ſchmerzlichem Zwieſpalt! wie ſehnlich haben die gläubigen ges 
flrebt immer tiefer einzubringen in das geheimnißvolle diefed Auss 
gegangenfeind des Erlöferd von Gott! und wie oft hat eine befon- 
dere Art fich daffelbe fo oder: fo zu benten die Chriften ganz und 
gar entzweit und ihre fonft fo innige Gemeinfchaft zerriffen! Wenn 
folche geheimnißvolle Lehre, wenn irgend folche nähere Beflimmuns 
gen ber Art, wie ber Erlöfer von Gott ausgegangen ifl, mit zu 
dem Glauben gehörten, auf welchem bie befonbere Liebe Gottes zu 
und beruht: o wie wärbe dann er, ber ja ber Abglanz biefer Liebe 
war, bie feinigen fo im Stich gelaffen haben, baß er ihnen nicht 
die deutlichften und beſtimmteſten Aufichlüffe hierüber auf dad ein: 
dringlichſte mitgetheilt hätte! wie hätte er es fo gleihfam auf das 
Ungefähr hinlegen innen, ob fie zu biefer Erkenntniß gelangten 
oder nicht,. wenn body ihr Antheil an biefer befonderen Liebe des 
Baterd zu und bavon abhing! Wie leicht ift nicht immer balh die: 
fer bald jener auf eine neue Vorſtellung hierüber gerathen! wie 
ſchwer haben ſich von jeher die Ehriften über eine und biefelbe ver 
tragen Eönnen, und jeber doch hat die feinige geſtuͤzt auf die Schrift! 
Wie unheilbringend ift dieſe dem Anfchein. nach fo unvermeidlihe - 
Verſchiedenheit, wenn e8 nicht genügt zu glauben, daß er von Gott 
ausgegangen fei; fondern wer nicht auch feft darauf hält, daß dies 
fo nit fondern nur fo zu verfiehen fei, auf bem ruhe auch nicht 
die Liebe bed Waterd. Aber m. tb. Fr. eben deöwegen, weil ber Er⸗ 
Löfer beides unfere Liebe zu ihm und unfern Glauben fo unmittels 
bar in Verbindung bringt, können wir auch fücher fein, was unfern 
Stauben, baf ex von Gott ausgegangen iſt, nur auf folche Weiſe 
berührt, daß ed nicht auch. zugleich auf umfere Liebe zu ihm Gin 
Ruß bat, das kann auch Kn keinem Einfluß fein auf die Liebe fe 


nes Waters zu und; unb alle Verſchiedenheiten biefer Art koͤnnen 
wir ruhig gewähren laflen, fo daß dies immer aufs neue zum Ge 
genfland der chrifllichen Forſchung mag gemacht werben! Aber was 
unfere Liebe zum Exlöfer nicht fördern kann, mithin auch nicht bie 
Liebe ded Vaters zu und beilimmt: o das foll noch viel weniger 
unfere Liebe unter einander flören; das foll noch viel weniger bad 
Band der Einigkeit bed Geiſtes trennen, in welcher wir dadurch 
daß wir fein Werk förbern unſere Liebe zum Erlöfer beweifen. Das 
rum möge jened alles auf ſich beruhen! .wenn wir nur gewiß find, 
die Frage, die in unferm heutigen Evangelio Johannes an ihn thun 
läßt *), Biſt bu der da kommen foll, ober follen wir eines anbern 
warten?. Tönne nicht anberd beantwortet werben, als ja, in ihm 
feien alle Gotteöverheißungen Ia und Amen, fein anderer fei zu er- 
warten nach ihm; in ihm fei und die ganze Fülle ber göttlichen 
Liebe und Gnade eröffnet, und das wahre Leben und durch ihn 
mitgetheilt; ja alle heillame Wahrheit fei und durch ihn vor -Augen 
gelegt: wenn wir das wifien, das heißt glauben, baß er von Gott 
auögegangen if. Denn die Erfüllung ber göttlichen Rathſchluͤfſe 
kann nur von Gott audgehen, und der muß von Gott audgegangen 
fein, in welchem fich das fo bunt verfchlungene oft fo dunkle Schikk⸗ 
fal der Menfchheit auflöfen follte, fo daB aus allem immer wieber 
berfelbe Frieden der von oben kommt hervorgehen muß, und daſſel⸗ 
bige ewige Leben, zu welchem alle burch ben Tod binburchgebruns 
gen find, welche an ihn glauben. 


DL Doch laſſet und m. 9. Fr. noch eine dritte Frage vorle⸗ 
gen unb fie beantworten. Nun alfo deöwegen weil wir ben Erld- 
fer lieben und glauben, daß er von Gott ausgegangen ifl, der Va⸗ 
ter uns liebt, unb wir alfo zu Gott in einem folchen unmittelbaren 
Verhaͤltniß der Liebe fliehen: wird nicht von dem Augenblilf an, 
wo wir und beffelben bemädhtigt haben, wo dad wirklich unfer Eis - 
genthbum geworben ift, unfer befonderes Berhältnig zum 
Erlöfer etwas überflüffiges und wieder aufgehoben? fo daß 
wir am richtigften fagen wuͤrden, das erfle und urfprürgliche fei 
immer die allgemeine Liebe Gottes zu allem, was lebt und ihn in 
feinen Werken wahrzunehmen fähig iſt; weil aber die Menfchen bie 
Wahrheit in Ungerechtigkeit aufgehalten haben, weil fie Gott nicht 
erfennen wollten in feinen Werten und ihn preifen, weshalb fie 
denn in immer tiefered Verderben hinabfinten mußten: barum habe . 
er von Ewigkeit beichloffen feinen Sohn zu fenben, an weldem nun 
ihr Liebe und ihr Glauben zunaͤchſt haften fo Durch diefen fol: 


9, matth. 11, 3. 





129 


len fie fähig gemadyt werben bie Drbnung Gottes wahrzunehmen 
und feinen Willen zu erfennen; fie follen nicht nur feiner Allmacht 
inne werben, fonbern auch auf feine Waterliebe ſchließen. Iſt aber 
nun fo dad leitende Bewußtfein dieſes Werhältniffes zwifchen Gott 
und den Menfchen wieder hergeftellt, und fie fo zur Kindfchaft Gots - 
ted wieder gelangt: dann entſtehe auch aus der Erfenntniß feiner 
Liebe die Gegenliebe; und eines fo befondern Punktes, durch wel: 
chen bad Verhaͤltniß vermittelt würde, bedarf ed nicht. mehr. Liebt 
und ber Bater: fo bedürfen wir auch keiner Zürbitte mehr, auch - 
nicht defien, den er und zum Heil gefandt hat; wie. ja auch Chris 
ſtus das ſelbſt ſage. Woher follten wir alfo nicht in dieſem unmits 
telbaren Verhältnig zu Gott ‚bleiben koͤnnen, und die Dazwifchen: 
kunft Chrifti eben fo gut mit der Zeit vergeffen werben, als früher 
nicht bie Rebe davon war? Sehet da m..g. Fr., das ift der Un 
terfchieb zwoifchen ven Chriften, welche von dem: Erlöfer nur lernen 
wollen, welche glauben, daß er dazu gefandt fei um dad Auge ded 
menfchlichen Geifted für bie nothwendige für die feligmachende Wahrs 
heit wieber zu eröffnen; fei aber der Menſch wieber zur Wahrheit 
bindushgebrungen unb werbe von ihrem Licht erleuchtet, fo entzüunde 
ed ſich auch an ihm felbft und brenne in ihm fort, und fein Geift 
wäre ja nicht eins, wenn nicht auch die Kraft in ihm wüchfe der 
erfannten Wahrheit zu folgen. Und fo müfle nun auf das Beſtre⸗ 
ben eines jeben gerechtiet werben ſich felbft weiter fortzuhelfen, nach⸗ 
dem und bie Wahrheit gegeben ift in Chriſto; dankbar müffe fein 
Anbenten gefegnet bleiben unter ben Menfchen, und feine Lehre fei 
immer bie erfle-Stufe auf ber fie feſtſtehen: aber unmittelbar beftehe 
nun bad Werhältniß bed findlichen Gehorfamd ber Menfchen gegen 
Sort fo wie dad Vertrauen auf die Segnungen feiner väterlichen 
Liebe in der eignen Einficht gegründet. Aber anders ifl die Rede 
derjenigen, welche nicht nur vom Erlöfer lemen wollen und nicht _ 
bloß glauben, daß er dazu habe nothwendig in die Welt kommen 
müffen um als das Licht die Finſterniß zu durchdringen: fondern 
daß er auch dad Leben ber Welt fei, und dag wir nur in ihm das 
Leben haben. Diefe glauben niemald des Erlöferd entbehren zu 
konnen; find fie auch durch ihn zum Water gelommen, fühlen fie 
auch die Wahrheit davon, daß der Water fie liebt um ihrer Liebe 
und ihres Glaubens willen: ach, fie trauen es fich nicht zu in Dies 
ſem Verhaͤltniß bleiben zu Binnen, wenn fie den Erlöfer wieder fah: 
ven liegen. Auf welche von beiden Seiten m. g. lenken fih nun 
wol die eignen Worte bed Herrn überhaupt und befonderd auch bie, 
welche wir zum Gegenfland unferer Betrachtung gemacht haben? 
Wenn der Vater und deswegen liebt, weil wir den Sohn lieb ges _ 
I. - k 





2130 


wonnen haben: müßte nicht bie Liebe bed Waterd aufhören, wenn 
wir je aufhören Eönnten den Sohn zu lieben, um befientwillen ja 
er und liebt, fo wie immer die Wirkung aufhört mit ber Urſache? 
wenn ber Bater und liebt, weil wir glauben und vertrauen, baß 
Chriſtus von ihm audgegangen ifl: müßte nicht die Liebe des Va⸗ 
terd aufhören, wenn dieſer Glaube. und biefed Vertrauen für und 
felbft an feinem Werth verlöre? Aber die Worte des Erlöferd fa: 
gen auch zu beutlich, daß das nicht möglich ift! fo wie er auch bie 
Schwachheit feiner Zünger fannte und vorher wußte, daß wenn fie 
auch in Verſuchung kommen würden ſich zu zerfireuen und jeder in 
dad feinige zu gehen, nachdem ber Hirte geichlagen worden, fo 
würbe doch fein Gebet in Erfüllung gehen muͤſſen, daß fte bei fei- 
ner Wahrheit blieben: fo ſprach er ja eben dadurch aus, daß ihre 
Liebe zu ihm nicht aufhören koͤnne. Was wäre eine Liebe m. tb. 
Fr., die jemald den geliebten Gegenftand los laffen könnte! ein 
flüchtiger Rauſch nur fönnte eine folche geweſen fein, aber nicht aus 
der ruhigen Tiefe ded eignen Dafeind hervorgegangen! Haben wir 
den Erlöfer wirklich lieb gewonnen, fo koͤnnen wir auch nicht von 
ihm laffenz und wir können und die Frage gar nicht vorlegen, ob 
wenn wir von ihm liegen wir in ber Liebe bed Waters bleiben 
würden. Wir fühlen die Wahrheit von dem, was er fagt, Weil 
ihr mich liebt, Eönnt ihr auch nichts ohne mich thun; unfer Dafein 
ift mitgefährbet, ob wir in ber Liebe zu ihm beharren ober ob wir 
von ihm loßlaffen. Haben wir einmal bad Vertrauen gewonnen, 
daß er von Gott ausgegangen ifl: muͤſſen wir dann nicht unficher 
werben über jeden Schritt, den wir thun auf unferm Wege zum 
Heil, wenn wir wiffentlid ihm weniger folgen wollten, fonbern und 
einen Weg für und allein fuchen? Nein, das ift nicht möglich; wir 
fönnen weil wir ihn lieben auch nicht aufhören ihn zu lieben; wir 
koͤnnen weil wir glauben, baß er von Gott audgegangen ift, auch 
nicht in der Abfonderung von ihm leben wollen. Darum bleiben 
wir der Liebe Gotted zu und ficher, weil in und die Liebe zum 
Sohn nicht erlifcht. Und immer wird ed wahr bleiben, Daß ed keine 
andere urfprüngliche Art für und giebt ben Water zu ſchauen als in 
dem Sohn; immer wird er und die naͤchſte und vollfte Offenbarung 
des höchften Wefend bleiben; immer werben wir in unferer Verbin⸗ 
dung mit ihm auch der väterlichen Liebe Gotte inne werben und 
in ihr bleiben. Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und 
Gott in ihm; aber das ift die Liebe, die von Gott gelommen 
ft, dag wir den Sohn lieben, den er gefandt hat, dag wir im fe 
ften Vertrauen an bem halten, außer welchem für das menfchliche 
Geſchlecht Fein Heil zu finden ifl. 








131 


Und fo m. g. Fr. laffet und auf3 neue ben Erlöfer bewill: 
kommnen ald den, durch welchen wir in die Gemeinfchaft der väter: 
lihen Liebe Gotted aufgenommen werben; laffet und dad erkennen 
als die höchfte Wohlthat, die Gott über -und ergießen konnte, daß - 
ee und ihn gefendet um und in eine folche Verbindung der Liebe 
mit fih zu bringen; aber laffet und nicht übermüthig auf uns felbft 
vertrauen, als ob wir nun ohne ihn‘ auf dem Wege ded Lebens 
fortgehen tönnten, fondern laßt und dem Wort der Jünger treu 
bleiben, weiches von jeher der Wahlſpruch aller geweſen ift, die ihn. 
liebten und an ihn glaubten Wo follen wir hingehen, wenn wir - 
von dir gingen? Herr, bu haft Worte des Lebens! Amen. 


eied 131, 6. 


32 


XII. 
Am erften Weibnadhtstage 18331. 


Lieb 148. 118. 


‚Ehre fei Gott in der Höhe, Friede auf Erden unb den Men: 
fhen ein Wohlgefallen. 


Text. Luc. 2, 10. 11. 


Und der Engel fprady zu ihnen, Fürchtet euch nicht, 
fiehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Welt 
widerfahren wird; denn euch ift heute der Heiland gebe: 
ren, welcher ift Chriſtus der Herr in ber Stabt Dayibs. 


©, m. a. Sr. wurbe die Ankunft bed Erloͤſers auf diefer Welt 
verfündigt als eine Freude, die dem ganzen Volk widerfahren werde. 
Sogleich alfo wurden die Gedanken derer, welchen biefe Verkuͤndi⸗ 
gung geſchah, ganz auf die Zukunft gelenkt. Xreilich war es nicht 
eine auf nichts weiter beruhende ſich ſelbſt begründen wollende Ber: 
kuͤndigung eine künftigen; fondern auf etwas dad ſchon gefchehen 
war nahm fie Bezug. Denn, heißt ed, heut iſt euc geboren ber 
Heiland, welcher iſt Chriſtus der Herr in ber Stabt Davids; aber 

doch nicht ald etwas gegenwärtige wurbe ihnen bad Heil barge: 
ſtellt, welches von dem neugebornen auögehen follte, fonbern als 
eine Freude, welche erſt in der Zukunft den Menfchen widerfahren 
werde. Und freilich, ſollte es ein Retter fein, der ihnen geboren 
war, follte ihnen ein Heil burch ihn werben: fo konnten fie ed nicht 


133 


al ein gegenwärtiges ſchon haben und fich beffelben erfreuen, wenn 
eben erft feine Geburt angekündigt wurbe. Und grabe fo ift es 
nun audy mit und m. a. Fr. Wenn wir und in biefen heiligen 
Tagen jene Augenblifte der Geburt bed Herm an das Licht dieſer 
Belt jenen bemüthigen Schauplaz ſeiner erſten Erſcheinung verge⸗ 
gemwärtigen: fo beſtreben wir und vergeblich in demſelben ſchon das 
Heil der Welt das Licht, welches die Finſterniß bereinft durchdrin⸗ 
gen follte, zu erblikken; in dem Kinde bie göttliche Geftalt deflen 
wahrzunehmen, der ed nicht für einen Raub hielt Bott-gleich fein; 
in dem unvermögenden hülföbebürftigen Säugling denjenigen, befien 
Kraft dad menfchliche Gefchlecht wieber erheben follte aus der Tiefe, 
in welche ed burch feine vielen Verſchuldungen herabgeſunken war. 
Darum weil die Geburt des Herrn fo wenig gegenwaͤrtiges darbie⸗ 
tet, ift auch. erſt foäter in ber chrifllichen Kirche dieſe Feier derfel- 
ben eingefezt worben, und giebt ed noch viele Gemeinfchaften von 
Ehriften, welche diefelbe nicht begehen, weil ja ihr Glaube ihre 
Zuverficht auf dem fi) und und vollendenden ruhe, aber nicht auf 
dem, der erft an das Licht diefer Welt geboren wird. Der Glaube 
m. th. Fr., welchen ich immer vorausſeze bei denen, zu welchen ich 
an dieſer Stätte unferer gemeinfamen Erbauung rede, fchließt frei⸗ 
lich das in fich, daß nicht erſt in irgend einem fpäteren Zeitpunkt 
mit ‚dem Menſchen Jeſus die göttliche Kraft fich vereinigt habe, 
durch welche allein er der Retter ber Welt werden konnte, bamit 
wir ihn nicht theilen duͤrfen auf eine bedenkliche Weile; weil, wenn 
er je allein ein Menſchenkind geweien wäre wie wir, ohne dad gött: 
liche Wort in ſich zu tragen, er auch unvermeidlich ebenfo hätte 
der Sünde theilhaftig werben müflen wie wir. Dad nimmt unfer 
Glaube an von ihm, wenn wir und in feine erfle Erſcheinung auf 
Erden zurüßfverfegen; aber wir vermögen ed nicht in dem Kinde 
Jeſus zu fchauen, und vergeblich. wuͤrden wir und nach irgend et⸗ 
was in feiner erften Erfcheinung umfehen, was diefen großen und 
unermeßlichen Unterfchied bon allen anderen Menfchen verkünbigt. 
hätte. Aber wenn bemohnerachtet Schon. damals, als es auf ber 
Erde erfchienen war, auf eine fo .außerorbentliche Weiſe, wie unſere 
hung es befagt, die Andacht an die Wiege ded Erlöfers ge: 
führt wurbe: warum foll die unſrige fich nicht auch in jene Zeit 
und unter jene Umſtaͤnde feiner erften Erſcheinung zurüßfveriegen? 
Darum ift denn auch diefe Zeier feiner Geburt allmählig in ber 
Kirche des Heren faft allgemein geworben; freilich erſt zu einer Zeit, . 
als alle fichere Weberlieferung davon, zu welcher. Zeit des Jahres 
der Erlöfer das Licht der Welt erblikkt, fchon verloren gegangen . 
war, und und nur ſo viel uͤbrig iſt, daß wir willen - fönnen, man 


% 


fei bei der Beſtimmung ber Beit unfered Feſtes einem anberen Ge⸗ 
fez gefolgt als der Wahrfcheinlichfeit, welche aus ben und angege⸗ 
benen äußeren Umſtaͤnden hervorgeht. Um fo mehr fei dies auch 
und ein Zeichen bavon, bag wir wenn wir biefes Fehl begehen nicht 
bei dem, was damals ſchon erfchienen war, ſtehen bleiben müflen, 
fondern auf das hinfehen, was damals noch zulünftig war. Aber 
eben dieſes damals noch zukünftige, welch eine lange Bergangenheit 


” ift es nun ſchon für uns, und welch eine Gegenwart flieht vor und! 


wie viele Herzen ber Menichen bat fich der Erlöfer der Welt fon 
gewonnen, in wie vielen Zungen. wirb feine Herrlichkeit anerlannt, 
für wie viele ift er ſchon das Gefeg und der Ordner ihred ganzen. 
Lebens geworben! Aber ift etwa die Gegenwart fehen dad, wobei 
wir fiehen bleiben bürfen? ift dad göttliche Weſen des Erlöfers ſchon 
— wie er ja dazu gelommen ift, daß er fih und mittheile und 
fih uns dazu vornehmlich hingeben will — in dad ganze Gefchlecht 
ber Menfchen ja nur in irgend eine einzelne menfchliche Seele ganz 
und volllommen übergegangen? hat bad Licht ſchon ganz und gar 
bie Finſterniß durchdrungen und fie alfo vertrieben? ober müflen 
wir nicht geflehen, daß auch izt noch, wenn wir ihn in feiner Herr⸗ 
lichkeit erblikken wollen, wie nicht Bei ber Gegenwart fiehen bleiben 
bürfen, ſondern unſern Blikk in die Zukunft richten müffen? Und 
fo laffet und denn nach Anleitung der Worte unfered Textes eben 
die erſte Erſcheinung bed Erltoͤſers betrachten als die Ber 
Fündigung einer Krende, weihe den Menfchen bevor: 
fieht. Es iſt zweierlei, was wir und in diefer Beziehung and 
Herz legen wollen: einmal, baß biefe Freude an der Erſcheinung 
bed Erloͤſers bas wahre. Urbild fei für eine jede Kreube, die wir an 
der Zukunft haben; dann aber auch zweitens, daß ber Glaube, 
welcher biefe zukuͤnftige Freude ergreift, die einzige Sicherheit ſei 
und gewaͤhre in Beziehung auf alle Beſorgniſſe, die wir von der 
Zufunft hegen koͤnnen. 


1. Zuerſt alſo m. a. Fr., dieſe Freude an der Zukunft, 
welche mit der Erſcheinung des Erloͤſers beginnen ſollte, wel⸗ 
che aber bei feiner Geburt noch gar nicht ſichtbar war, iſt dad Ur: 
bild aller Freude, welche wir an der Zukunft haben- können. 
So gewohnt wir es aud alle find oft und. vielfältig von ber Ge: 
genwart hinweg über das nächfle hinaus unfern Blikk in die Zu: 
kunft zu richten: fo werben wir doch, je reicher wir an folder Er: 
fabrung find, auch um deſto gewifler, daß jede folche Freude ihrer 
Natur nach etwas ſehr unbeflimmtes if. So war es denn au 
bie Freude, welche Durch den Zuruſ des Engels bei benjenigen cr: 











135 


regt werben konnte, weiche feine Worte vernahmen. Eine Freude, 
fagt er, iſt es, welche dem ganzen. Volk wiberfahren wird. Muß: 
ten nun nicht alfo auch ihre Worftelungen von dem, was fich aus 
der Geburt dieſes Kindes entwikkeln follte, fich auf ihr Volk be: 
fchränfen, alles außerhalb beffelben aber unerleuchtet von bem Glanz 
biefer Freude in eine dunkle Kerne zuruͤkktreten? Wenn fie erinnert 
wurden, Daß er ihnen geboren fei in der Stadt David, daß er ein 
Herr fei in der Stabt Davib: mußten nicht ihre Blikke ruͤkkwaͤrts 
gelenkt werden in die Wergangenheit, um jene glänzende Geſtalt aus 
der Zeit ihrer Worfahren näher ind Auge zu faffen? mußten fie fich 
nicht eine Aehnlichkeit denken zwifchen jenem alten Könige ihres 
Bolles und dem, welcher ihnen jezt ald ihr fünftiger Herr geboren 
war? Je mehr fie fi) alſo an biefe Worte gehalten hätten: wie 
lacht hätten fie in vielen Stuͤkken irren müflen; wie wenig hätten 
fie die Wahrheit ergriffen; wie leicht hätten alle Bilber, welche fie 
fich von diefen Worten aus geflalten konnten, etwas anderes darge: 
ſtellt als das, was hernach wirklich geworben ift! Eine Freude 
wurde ihnen verfünbigt, welche dem ganzen Wolf wiberfahren wirb. 
Ad, fie ift noch bis auf diefe Stunde nicht dem ganzen Volk wi: 
derfahren, von welchem bort der Engel bed Herrn rebet; ein großer 
"heil deſſelben ift noch immer abgewendet von bem Heil, welches 
auch ihnen In diefem Kinde erfchienen war: aber dafür wie viele 
anbere Voͤlker Haben biefed Licht erkannt, ſich an demfelben erwärmt 
und find durch baffelbe zu bem höheren Leben erwekkt worden, wo: 
von jeme aus den Worten des Engeld auch nicht bie entferntefte 
Ahnung fchöpfen konnten! Wenn alfo auch, wie bie Schrift ed und 
verfüchert, eine Zeit kommen wird, wo das ganze Ifrael zu der Ge: 
ligkeit gelangen wirb — aber eine andere Seligkeit giebt ed nicht 
als bie, welche den Menfchen in dem Einen Namen dargeboten ift, 
— fo iſt diefe auch ist noch eine Zukunft. So wenig alfo konnten 
die Hirten, wenn fie fih an bie Worte der Werkündigung hielten, 
in Beziehung auf diefen Punkt ber göttlichen Rathſchluͤſſe die Orb- 
nung der Zeit recht und ficher ind Auge faſſen. So finden wir, 
dag dad der Charakter ift aller Weiffagungen, von benen bie Bü- 
cher ded alten Bundes voll find; baffelbe ift auch der Fall mit den 
wenigen, die wir in ben Büchern des neuen Bundes finden: und 
immer vergeblid) hat fich der Scharffinn derer, welche diefelben aus» 
zulegen verfuchten, bemüht ein beflimmted Bild deſſen, was in bie: 
fen Beiflogungen gemeint war, fuͤr fi) und andere zu entwikkeln. 
Und fo m. g. ift ed auch der Fall mit und! wir ebenfalls 
müffen und, wenn wir bei der Erfcheinung bed Erloͤſers an bie 
Freude denken, welche und noch wiberfahren wird, ‚auch deſſen be 


ſcheiden, daß unfere Bilder von ber Zukunft — wie glorreich fie 
für ihn fein, wie deutlich und heil fi an ihr feine göttliche Kraft 
offenbaren werde — boch auch nichts anberes find als aus foldyen 
unbeflimmten Borftellungen zufammengefett. Eher vermögen wir 
noch da8 legte und mit einer gewiffen Klarheit barzuftellen. Fra⸗ 
gen wir und: was iſt bie Vollendung ſeines Heils? Wann Eine 
Heerde ſein wird, wie es nur Einen Hirten giebt; wann die Ge⸗ 
meine des Herrn in der ganzen Mannigfaltigkeit ihrer Zuſammen⸗ 
ſezung und in der vollen Groͤße ihres Umfanges ſich darſtellen wird, 
wie fie uns beſchrieben iſt, als ein lebendiges ganze als ſein geiſti⸗ 
ger Leib auf Erden, alles regiert von dem Geiſte, welchen er aus⸗ 
gegoſſen hat, aller Widerſtand des Fleiſches uͤberwunden, alle heran⸗ 
gereift zu der Aehnlichkeit mit dem vollkommenen Alter Chriſti. 
Davon, ſage ich, koͤnnen wir uns noch eher ein beſtimmtes Bild 
machen, wenigftend im allgemeinen. Denn freilich, follten wir als 
les das als gluͤkklich befeitiget und überwunden noch mit —— 
ken, was uns noch von dieſer Vollkommenheit entfernt haͤlt, was 

uns noch beengt und druͤkkt; kurz follten wir uns zugleich unſeren 
Unterſchied von jener Vollendung beſtimmt vergegenwaͤrtigen: dann 
muͤßten wir allerdings auch die ganze Gegenwart durchdringen um 
bad Bild der Zukunft auf dieſe Weiſe zu vollenden. Und daraus 
folgt fchon, daß wenn wir bie Zwifchenpunkte ind Auge faſſen; 
wenn wir in bie weitere GEntwilfelung ber göttlichen Rathichlüffe 
bis zu biefem Ziel eindringen; wenn wir wiflen wollen, was für 
Kämpfe noch werben zu befiehen fein; wie vieles von bem, was 
uns izt, wenn auch nicht in feiner Wollenbung zu ſtehen, doch we 
nigftend feiner ganzen Richtung nach jenem Bilde zu entiprechen 
fheint, noch wieder wird zurüßfgebrängt werben durch die oft wie: 
derlehrende Gewalt des Fleiſches und der Sünde; aus welchen 
Punkten zuerft noch fich ein Licht entwikkeln wirb für bie, welche 
noch fizen in dem Schatten bed Todes; auf welche Weiſe bie vie 
len widerftreitenden Stimmen, welche wir izt fo oft hören unter be 
nen, welche body Einen Herm befennen, zum Frieben und zur Ein: 
tracht und zu einem feiner würbigen Wohlklang bei aller Verſchie 
benheit werben gefammelt- werben: — bad vermögen wir und eben 
fo wenig zu denken, wie jene Hirten fich vorftellen konnten, auf 
welche Weile bad neugeborene Kind das erfüllen werbe, was von 
ibm verheißen warb. 

Aber, könnte man fragen, ift die Unbeflimmtheit fo groß, weiche 
unferer Freude an der Zukunft nothwendig anhaftet: verliert dieſe 
Freude dann nicht für und ganz ihren Werth? Allerdingd m. th. 
Fr. gehört etwad dazu, bamit fie einen Werth für und habe; und 


137 
wir bürfen ed und nicht bergen, alles was wir vermögen in ber 
Zukunft zu ſehen, alles was und über dieſelbe mitgetheilt und ver- 
Eimdigt werben kann gewinnt nur eine Wahrheit für und, gehört 
nur zu den Sütern unfered Lebens, wenn es übereinftimmt mit un 
ferem inneren erlangen, wenn ed die Richtung unfered eigenen 
Gemuͤthes befriedigt und und fo zur Ruhe bringt. Die Hirten, 
weidhe die Verkuͤndigung bed Engeld hörten: — wir wiflen nicht, 
in wiefern fie fetbft foldye waren, welche auf dad in den Weiſſa⸗ 
gungen des alten Bundes verfünbigte Heil warteten. und ſich gem 
von der druͤkkenden Gegenwart ab jener: fchöneren und freien Zu: 
funft zumwenbeten. ‚Die Erzählung, aus weicher bie Worte unferes 
Terteö genommen find, giebt und darüber Feine Rechenfchaft. Sie 


verfhmähten zwar die Verkündigung nicht, fonbern fie fagten, al | 


die himmlifchen Heerfchaaren verfchwunden waren, So wollen wir 
denn gehen nach Bethlehem und wollen bie Gefchichte fchauen, wel: 
che fie uns verfünbigten; und als fie es fo fanden, fo redeten fie - 
dad Wort weiter. Aber ob ed nun für fie felbft eine ihr Leben leis 
tende Wahrheit geblieben ſei; ob es fie bervogen habe dem bamals 
fo unfcheinbaren Kinde weiter zu folgen. in der Entwißfelung feines 
Lebens; ob fie je-zu den Juͤngern des Herm gehört haben: davon 
wiſſen wir nichts. Wie leicht iſt ed möglich, daß ihnen dieſe Ver 
kündigung num geworben war ohne Beziehung auf ihren eigenen 
Zuſtand, nur damit fie Träger würben eines Gerüchte, welches fich 
nun nicht mehr verlieren follte, baß enblich jest ber Meſſias erfchie: 
nen fei. Dagegen finden wir in anderen Erzählungen aus ber .ers 
fin Lebenszeit unfered Erloͤſers ein beſtimmteres und fchöneres Bild. 
Jener Greis, welcher den Erloͤſer fah, da feine Mutter und Joſeph 
ihn darfteliten in dem Tempel um zugleich das vorgefchriebene Op» 
fer dem Höchften barzubringen, der war gewiß einer von denen, bie 
auf dad Heil Ifraels warteten; bem war auf bie Frage auf den 
fehnfuchtsvollen Wunſch feines Herzens eine Verkündigung von oben 
geworben, baß er noch den Heiland der Welt Ichauen follte: und 
deſſen Seele wurde nun fo erfüllt, daß er für ben Reſt feines Le: 
bens genug hatte, ohmerachtet er ihn auch nur noch in feiner find: 
lichen Unvolltommenheit gefchaut hatte, ohne ein Zeichen zu haben 
von der göftlichen Würde, welche er trug. Aber dem war biefe 
Verfündigung eben beöwegen weil fie dem inneren Verlangen feines 
Herzens entfprady ein Grund und eine Urfache des Briebens ‚und ' 
er wußte, nun werde ber Herr und könne nicht anders ald in die 
ſem Frieden ihn feinen Diener fahren laffen. Und baffelbe galt von 
jener Prophetin, welche eben bamald zufällig anwefend war, welche 
uͤbereinſtimmend mit ihren Hoffnungen und aus ber Fülle bed Be: - 


128 
bürfuiffes und eignen Glaubens mm eine gam; anbere Trägerin bie- 
fer Veckuͤndigung wurde al wahrfcheintich jene Hirten. 


So m. th. Fr. ik es nun auch mit und. Kommen wir dlie 


nicht anders als eingefichen, die Gegenwart fei in Bergleich mit dem 
was werben foll noch eben fo unvelllommen, wie bie 
Erfcheinung des Erlöfers damals war, ald zuerft fein Auge ſich dem 
irbifchen Licht öffnete; werben wir alle auf tauſenderlei verfchiebene 
Weife getrieben in die Zukunft binauszufehen: die rechte Freude an 
derfelben, wie fie fi von diefem Heil in Chriſto aus unb durch 
baffelbe entwilteln wird, haben nur bie, weiche ſelbſt ein herzliches 
Verlangen tragen nach dem Frieden, den fie aus eigener Kraft nicht 
zu erreichen wiſſen, nach der geifligen Vollkommenheit und Fuͤlle 
welche fie ſich zwar als das Ziel ihres Strebens vorſtellen muͤſſen; 
aber doch wiſſen, daß fie es nie vollſtaͤndig erlangen koͤnnen. Da⸗ 
rum fagte der Exlöfer immer mit Recht, er fei nur gekommen ein 
Ant ver Franken. Jedes Wort bed Troſtes, jede Einlabung, welche 
er ausſprach, beides war boch immer, wenn es auch wirklich faßte 
und Wahrheit wurbe in ber menfchlichen Seele, nur eine Ahnung 
von ber weiteren Gntwillelung, weiche ber Zukunft vorbehalten 
blieb, und konnte als folche nur zu einer lebendigen Wahrheit wer- 
ben in empfänglichen aber dad heißt auch in bebürftigen Gemüthern. 
Darum kiagte der Erloͤſer fo oft, daß bie, unter welchen er lebte, 
wie gewizigt fie auch wären in Begiehung auf irbifche Dinge, wie 
fehr fie ſich auch gehbt hätten auf biefem Gebiet aus der Gegen: 
wart bie Zukunft zu erforfchen, doch bie wahren Zeichen ber Zeit 
in Beziehung auf das himmlifche Leben nicht verfländen. Darum 
ift es eine fo gewöhnliche Klage in der Welt, welche ſich überall 
bei jevem großen: Wendepunkt ber menfchlichen Dinge, in jebem 
Augenblift, welcher mit großen Dingen ſchwanger geht, immer wie: 
der aufs neue erhebt, daß alle Zeichen ber Zukunft, welche bie Se: 
genwart darbietet, alle Erkenntniß wie das jezige aus bem vergan- 
genen entſtanden ift, kurz alle Erfahrung die Menfchen nicht Flug 
nahe in Beziehung auf das, was fich aus der Gegenwart entwik⸗ 
fein werde; fonbern fie dennoch nur zu oft fo handeln, daß basie- 
pige erfolgen muß, was fie am wenigſten wuͤnſchen. Wenn unfer 
Gemuͤth eine andere Richtung nimmt, als die der göttlichen Weit: 
heitz wenn wir etwas anberes begehrten, ald was Gott in feinen 
ewigen Rathichluffe geordnet hat: ſo ift ed auch nicht möglich, daß 
wir die Spuren ber Zukunft in ber -Gegemvart verfolgen können; 
wir werben durch ben Trieb unfered eigenen Herzens irre geleitet. 
Und nur bie können alfo die rechte wahre ſowol als heilfame Freude 
an ber Zukunft haben, welche nichtd andere begehren, als daß ber 


göttliche Rathſchluß ber. Eiche in Erfüllung gehe; welche nichts an: 
deres fuchen, als das einfache Heil, welches Chriſtus allen Menfchen 
gebracht hat; melche nad) nichts anderem fireben, als nach bem Fries 
den dee Menſchen mit Gott, weicher allein in ber Vollendung fei- 
ned göttlichen Werkes fichergeftellt ift. 


N. Zweitens m. a. Fr. laffet und num überlegen, wie auf ber 
onderen Seite aber auch diefe Freude unferes heutigen Fe⸗ 
fie, weiche fich in die Zukunft hinauswendet, eben deswegen, weil 
fie auf dens beruht, was fchen geſchehen ift, auch uns allein Si: 
herheit gemährt und Zuverſicht in Beziehung auf alle 
—— welche wir eben in vinſicht der Zukunft ha 

fonnen. 


Hierbei num ‚müflen wir freiich zuerſt erwaͤgen, daß dieſer ganze 
Zuſammenhang immer nur eine Sache des Glaubens iſt, indem 
auch was damals ſchon geſchehen war nur mit dem Glauben er⸗ 
griffen werden konnte, ſo daß nur auf dem Glauben auch der Troſt, 
welchen wir fuͤr die Zukunft haben koͤnnen, beruht. Was ſagte der 
Engel den Hirten nach den Worten feiner Verkuͤndigung, welche 
wir geleſen haben? Das iſt das Zeichen, ihr werdet finden das 
Kind in Windeln gewikkelt und in einer Krippe liegend. Welch 
ein Beichen! Wie hätten fie daraus auch nur eine Ahnung faflen 
koͤnnen von einer- Freude, welche dem ganzen Wolfe wiberfahren 
werde! weich "ein Zeichen dafür, baß heute geboren fei der Heiland, 
weicher iſt Chriſtus der Herr? Ja wem nicht vorher fchon bie 
außerordentliche Erfcheinung body die Gemüther diefer Hirten zu eis 
ner gläubigen Zuverficht geftimmt hätte, daß einer geboren fei, ber 
nicht ohne eine höhere Schikkung komme: fo, würbe biefed Zeichen 
fie eher abgeneigt gemacht haben dem Wort ber Verkuͤndigung zu 
glauben, als baß es fie darin beſtaͤrkt hätte. So war ed von An- 
fang an und immer; nur der Glaube konnte in der Geftalt bes 
Erloͤſers feflhalten die Freude, welche nicht riur dem ganzen Wolf, 
ſondern dem ganzen ‚Gefchlecht der Menſchen widerfahren ift. Was 
ſprach der Unglaube auch damals noch als ber: Herr ſchon aufge: 
Randen war und lehrte, ald.er ſchon umberging und Wunder that, 
als ſchon das Volk in großer Menge ihm anhing und ſich um ihn 
ber drängte? Glaubt wol irgend ein oberfler an ihn? hieß es, 
Kann aus (Galitia etwas gutes kommen? ift je von daher ein Pro: 
phet aufgeftanden? Und fo wurde. denn ber Wunſch des Herzens 
falich geleitet, fo würden die Zeichen welche der Höchfle gab miß⸗ 
verflanden, fo vermochte eben der Unglaube nicht von dem aus was 
er fah die Zukunft zu ergreifen. Darum mußten hernach auch bie 


10 


Apoftel ded Herrn immer wieber barauf zurüfflommen, die Lehre 
von Chriſto die Verkündigung feines Heils fei den einen eine Thor⸗ 
- beit und ben andern ein Xergemiß, weil es ihnen eben fehlte an 
dem Glauben, mit welchem fie in ber Gegenwart die Zukunft er: 
greifen koͤnnten. 

Haben aber die Hirten den Glauben, ber fo in ihnen gewekkt 
worben war, feflgehalten: o dann werben fie auch bei.dem, was 
bald naher in Bethlehem geſchah, boch gefagt haben, bad Knaͤblein 
ber ‘großen Beflimmung wird dennoch gewiß gluͤkklich entronnen 
- und nicht mit getroffen worden fein von dem mörberiichen Schläge. 
Und bei’jeber Roth der Zeit werden fie gebacht haben, Iſt doch ber 
geboren in der Stabt David, ber, unfer Eöniglicher Herr fein foH 
und und gegen bad alles fchüzen wird. Und wenn fie füch gedruͤkkt 
fühlten von ber Laſt des Geſezes, werben fie fich bamit getröftet ha⸗ 
ben, Iſt doch ber Heiland geboren, der auf eine ober bie andere 
Weiſe auch diefe Laſt von feinem Volk nehmen wird. In foldyem 
Glauben find Simeon und Hanna froh geweſen währenb ber freis 
lich wahrfcheinlich nur noch kurzen Zeit ihrer Wallfahrt, ohnerachtet 
fie nichtd weiter fahen und hörten von dem Kinde ber Verheißung; 
und diefe Freudigkeit allewege feſtzuhalten gebuͤhret noch weit mehr 
uns allen. Wenn wir hingegen immer wieder beſorgt gemacht wer⸗ 
den, weil wir ſehen, daß noch nicht alles boͤſe uͤberwunden iſt durch 
das gute; daß vieles wovon wir großes hofften immer wieber in 
feiner Wirkſamkeit gehemmt wird; daß bie Kräfte der Menſchen, 
welchen doch allen dieſelbe Außflattung geworben ift von oben ber, 
und welche äußerlich zu derſelben Gemeinſchaft der glaͤubigen gehoͤ⸗ 
ren, ſich ſo wenig vereinigen um das gemeinſam zu foͤrdern, wozu 
fie fich als zu ihrem hoͤchſten Wunſche bekennen; wenn fo unſere 
Freude an ber Zukunft immer wieber fich trübt: es giebt Beinen 
anderen Grund davon ald immer benfeiben, nämlich den Unglau: 
ben. Sind wir einmal feft geworben in ber rechten Weihnachts: 
freude, daß und ber Heiland geboren ift und wir Feines anderen zu 
warten haben: nun wohl, fo dürfen wir und auch durch nichts was 
geſchieht irre machen laſſen an ber Zukunft, wie er fie ſelbſt ver⸗ 
tündiget hat, und für weiche, wenn wir und ſelbſt fragen, die in- 
nere Stimme unfere® Herzens zeugt. Ja ehren wir auf eine gläu: 
bige Art in unfer innereö ein und betrachten uns felbft in dem ver- 
wikkelten Gewebe der Gedanken und Empfindungen; vergegenwaͤr⸗ 
tigen wir und und vergleichen die befferen Augenblikke unferes Le: 
bens, für welche wir Gott danken, und bie, welche wir gem in 
Vergeſſenheit begrüben, wenn wir nicht wüßten, bag ihre Erinne 
rung zu unferer Beſſerung dient, aber dexen wir und doch zu fchä: 


11 


men haben: werben wir je ein anbered Zeugniß ablegen können als 
biefed, das, wofür wir Gott danken und loben, ift immer nur das, 
wad wir gethan haben in dem Namen bed Herm, wobei er uns 
gegenwärtig war, fo daß wir getrieben von der Liebe zu. ihm mit 
‚Berläugnung alles andern unfer ganzes Wohlfein nur in ihm und 
in dem Beſtreben fanden ibm zu dienen und ihm nachzugehen? 
Diefe Erfahrung, die fich in jebem bedeutenden Verhältniß immer 
wiederholt, die jeber dem andern beflätigt, wie jeder fie an fich felbft 
macht, bewährt. ſich und zugleich als der Schlüffel für alles was 
geſchehen ift von der Zeit an, wg der Erlöfer der Welt auf Erben 
erſchien, bis auf ben heutigen Mag, unb giebt und eine fichere 
Buͤrgſchaft — nicht nur in Bezug auf dad was uns felbft noch bes 
vorfieben mag, fondern auch auf das was weit über unfer irdiſches 
Dafein ‚hinaus liegt — dafür, bag dieſes Maaß immer gelten werbe: 
fe daß alles vergehen muß, wie fehr es auch glänze, was fich von 
ihm fonbern will und ohne ihn beſtehen, und dag auf der Verkuͤn⸗ 
digung feines. Namend auf dem Bunde ber gläubigen, welchen er 
geftiftet bat, auf ber Lehre von bem Kreuz, welche nie aufhören 
wird verfünbigt zu.werben, wo fein Rame genannt wird, daß ba> 
rauf allein bie Zuverficht beruht, welche jebe Zucht vor ber Zu: 
funft vertreibt. | oo Ä 

Und fo.m. th. Ze. wollen wir benn mit freubigem Auge in 
die Zukunft hinausfchauen,. indem wir und bei dem erflen Anfange 
des Lebens umfered Erloͤſers verfammeln. Wir werben freilich alle 
gen geftehen, nachdem wir und das Bild. der Vollendung "vorgehals 
tin haben, bag bad Reich Gottes wie es ist vor und liegt noch 
nicht viel weiter emporgewachfen ift, ald daß ed in den Tagen ſei⸗ 
ner Kindheit fieht. Weit entfernt davon ein vollfommenr Mann 
zu fen ähnlich. dem Mannesalter Chrifti, ift es noch kaum fo weit 
entwikkelt wie ein Kind, das feiner felbft nur eben fo weit mächtig 
geworden ift, daß es nun Ich fagt und fich gefunden bat — Sa 
faum fo weit; denn wie wollten fonft die Stimmen ber Chriften 
fh fo fehr zerfireuen, wie glaubte faſt jedes Häuflein dad Reich 
Gottes zu fein für ſich allein! wie müßten, wenn es weiter gedie⸗ 
ben wäre, fchon immer alle fich unter einander in dem ganzen Um⸗ 
fang der Bekenner des Erloͤſers als Eins denken, unb jedes Häufs 
kin fih felbft nur als einen einzelnen Theil, der nur in dem gro 
ben ganzen beſteht, mir vermöge deſſelben, nur für daſſelbe! Wie 
vieles alfo auch noch anderd werben muß als es ifl, wie vieles erſt 
fe werben miuß, was noch zu wanken ſcheint, wie wieled noch eis 
ug werben. muß, was ſich nad) ganz vesfchiedenen Seiten hin zer: 
freut: dad kann und nicht flören; denn wie oft bietet und nicht die 


134 


fei bei der Beſtimmung ber Beit unfered Zefle einem anberen Ge- 


fez gefolgt als der Wahrfcheinlichkeit, weiche aus ben und angege- 
benen äußeren Umfländen hervorgeht. Um fo mehr fei bied auch 
und ein Zeichen davon, bag wir wenn wir biefeß Feſt begehen nicht 
bei dem, was damals fchon erfchienen war, ſtehen bieiben muͤſſen, 
fondern auf bad hinfehen, was damals noch zufünflig war. Aber 
eben dieſes damals noch zukünftige, welch eine lange Bergangenheit 


- if ed nun fon für und, und welch eine Gegenwart flieht vor und! 


% 


wie viele Herzen ber Menfchen bat fich der Erlöfer der Belt ſchon 
geroonnen, in wie vielen Zungen wirb feine Herrlichkeit anerkannt, 
für wie viele ift er fchon dad Geſez und der Ordner ihres ganzen 
Lebens geworben! Aber ifl etwa die Gegenwart ſchon dad, wobei 
wir fiehen bleiben bürfen? iſt daB göttliche Weſen des Exlöfers ſchon 
— wie er ja bazu gefommen ift, daß er fich und mittheile und 
fih und dazu vornehmlich hingeben will — in das ganze Geichlecht 
ber Menfchen ja nur in irgend eine einzelne menfchliche Seele ganz 
und volllommen übergegangen? bat das Licht fehon ganz und gar 
die Finſterniß durchdrungen und fie alfo vertrieben? oder muͤſſen 
wir nicht geſtehen, daß auch izt noch, wenn wir ihn in feiner Hem: 
lichkeit erblikken wollen, wir nicht bei der Gegenwart fiehen bleiben 
dürfen, fondern unfern Blikk in die Zukunft richten muͤſſen? Und 
fo laflet und benn nach Anleitung ber Worte unſeres Xerted eben 
bie erfle Erfheinung bed Erloͤſers betrachten ald die Ber: 
Fündigung einer Krende, weldhe den Menfchen bevor: 
ſteht. Es iſt zweierlei, was wir und in diefer Beziehung and 
Gerz legen wollen: einmal, daß diefe Freude an der Erſcheinung 
des Erlöferd dad wahre. Urbild ſei für eine jede Freude, Die wir an 
ber Zukunft haben; dann aber auch zweitens, baß ber Glaube, 
welcher biefe zufünftige Freude ergreift, bie einzige Sicherheit fei 
und gewähre in Beziehung auf alle Beſorgniſſe, die wir von ber 
Zufunft hegen koͤnnen. u 


1. Zuerſt alfo m. a. Fr., diefe Freude an ber Zukunft, 
welche mit der Erfcheinung bes Erloͤſers beginnen follte, wel: 
che aber bei feiner Geburt noch gar nicht fichtbar war, ift dad Ur: 
bild aller Freude, weldhe wir an der Zukunft haben- fönnen. 
So gewohnt wir ed auch alle find oft und vielfältig von ber Ge: 
genwart hinweg über das nächte hinaus unfen Blikk in die Zu: 
Eunft zu richten: fo werden wir doch, je reicher wir an foldher Kr: 
fahrung find, auch um deſto gewifler, daß jede folche Freude ihrer 


. Natur nad etwas fehr unbeflimmtes if. So war ed denn auch 


die Freude, welche durch den Zuruf des Engelö bei benjenigen cr; 





135 


regt werben Sonnte, welche feine Worte vernahmen. Eine Freube, 
fagt er, ift .e8, welche dem ganzen Volk wiberfahren wird. Muß: 
ten nun nicht alfo auch ihre Worflellungen von dem, was fi) aus 
ber Geburt diefed Kindes entwikkeln follte, fi) auf ihre Wolf be 
ſchraͤnken, alles außerhalb beffelben aber unerleuchtet von dem Glanz 
dieſer Freude in eine dunkle Ferne zuruͤkktreten? Wenn fie erinnert 
wurden, baß er ihnen geboren fei in ber Stabt David, daß er ein 
Herr ſei in dr Stadt David: mußten nicht ihre Blikke ruͤkkwaͤrts 
gelenkt wesden in die Bergangenheit, um jene glänzende Geftalt aus 
ber Zeit ihrer Vorfahren näher ind Auge zu faſſen? mußten fie ſich 
nicht eine Aehnlichleit denken zwifchen jenem alten Könige ihres 
Volles und dem, welcher ihnen jezt als ihr künftiger Herr geboren 
war? De mehr fie fich alſo an biefe Worte gehalten hätten: wie 
leicht Hätten fie in vielen Stuͤkken irren müflen; wie wenig hätten 
fie die Wahrheit ergriffen; wie leicht hätten alle - Bilder, welche fie 
fi) von diefen Worten aus geftalten konnten, etwas andered darge: 
ſtellt als das, was hernach wirklich geworden iſt! Eine Freude 
wurde ihnen verkündigt, welche dem ganzen Volk widerfahren wird. 
Ach, fie ift noch bis auf diefe Stunde richt dem ganzen Volk wis 
berfahren, von welchem bort der Engel des Herm redet; ein großer 
Theil deſſelben ift noch immer abgewendet von dem Heil, welches 
auch ihnen in diefem Kinde erfchienen war: aber bafür wie viele 
andere Voͤlker haben biefed Licht erkannt, ſich an demfelben erwärmt 
und find durch daſſelbe zu dem höheren Leben erwekkt worden, wo: 
von jeme aus ben Worten des Engeld auch nicht die entferntefte . 
Ahnung fchöpfen konnten! Wenn alſo auch, wie bie Schrift es und 
verfichert, eine Zeit fommen wird, wo dad ganze Ifrael zu der Se 
ligkeit gelangen wird — aber eine andere Seligkeit giebt ed nicht 
ald die, welche der Dienfchen in dem Einen Namen dargeboten ift, 
— fo ift diefe auch izt noch eime Zukunft. So wenig aljo konnten 
die Hirten, wenn fie fih an die Worte ber Verkündigung hielten, 
in Beziehung auf diefen Punkt der göttlichen Rathſchluͤſſe die Drd- 
nung ber Zeit vecht und ficher ind Auge fallen. So finden wir, 
bag das der Charakter ift aller Weiflagungen, von benen bie Bü: 
cher des alten Bundes voll find; baffelbe ift auch der Fall mit den 
wenigen, die wir in den Büchern des neuen Bundes finden: und 
immer vergeblich hat fich der Scharffinn berer, welche biefelben aus⸗ 
zulegen verfuchten, bemüht ein beſtimmtes Bild beffen, was in bie 
fen Weiffagungen gemeint war, für ſich und andere zu entwikkeln. 
Und fo m. g. iſt ed auch der Fall mit und! wir ebenfalld 
müffen und, wenn wir bei dee Erfcheinung des Erlöferd an bie 
Freude denken, welche und noch wiberfahren wirb, ‚auch befien be 





fcheiven, daß unfere Bilder von ber Zukunft — wie glorreich fie 
für ihn fein, wie deutlich und heil fih an ihr feine göttliche Kraft 
offenbaren werde — doch auch nichts anderes find ald aus folchen 
unbeflimmten Vorſtellungen zuſammengeſezt. Eher vermoͤgen wir 
noch das lezte uns mit einer gewiſſen Klarheit darzuſtellen. Fra⸗ 
gen wir uns: was iſt die Vollendung ſeines Heils? Wann Eine 
Heerde ſein wird, wie es nur Einen Hirten giebt; wann die Ge⸗ 
meine des Herrn in der ganzen Mannigfaltigkeit ihrer Zuſannnen⸗ 
fraung und in ber vollen Größe ihred Umfanges fich barftellen wird, 
wie fie und befchrieben if, als ein lebendiges ganze als fein geifli» 
ger Leib auf Erben, alled regiert von dem Geifle, weichen ex aub⸗ 
gegofien hat, aller Widerſtand des Fleiſches überwunden, alle heran 
gereift zu der Aehnlichleit mit dem volllommenen Alter Chrifli. 
Davon, fage ich, Tönnen wir und noch eher ein beflimmtes Bilb 
machen, wenigftend im allgemeinen. Denn freilich, follten wir als 
les dad als gluͤkklich befeitiget und überwunden noch mit hinzuden⸗ 
fen, was und noch von, biefer Vollkommenheit entfernt hält, was 
uns nod) beengt und druͤkkt; kurz follten wir und zugleich unferen 
Unterſchied von jener Vollendung beſtimmt vergegenwaͤrtigen: dann 
müßten wie allerdings auch die ganze Gegenwart durchdringen um 
dad Wild der Zukunft auf diefe Weife zu vollenden. Und daraus 
folgt fchon, dag wenn wir die Zwiſchenpunkte ind Auge faflen; 
wenn wir in bie weitere Entwilfelung der göttlichen Rathſchluͤſſe 
bis zu diefem Ziel einbringen; wenn wir wiflen wollen, was für 
Kämpfe noch werben zu befiehen fein; wie vieled von bem, was 
uns izt, wenn auch nicht in feiner Vollendung zu fliehen, doch we 
nigftend feiner ganzen Richtung nad) jenem Bilde zu entfprechen 
ſcheint, noch wieber wird zurüffgebrängt werben durch bie oft wie: 
derkehrende Gewalt bed Kleifched und der Sünde; aus welchen 
Punkten zuerſt noch ſich ein Licht entwikkeln wird fuͤr die, welche 
noch ſizen in dem Schatten des Todes; auf welche Weiſe die vie⸗ 
len widerſtreitenden Stimmen, welche wir izt ſo oft hoͤren unter de⸗ 
nen, welche doch Einen Herrn bekemen, zum Frieden und zur Ein: 
tracht und zu einem feiner würdigen Wohlklang bei aller Verſchie⸗ 
benheit werben gefammelt- werben: — das vermögen wir und eben 
fo wenig zu denken, wie jene Hirten fich vorftellen konnten, auf 
welche Weiſe dad neugeborene Kinb dad erfüllen werbe, was von 
ibm verbeißen warb. 

Aber, könnte man fragen, ift die Unbeflimmtheit fo groß, weiche 
unferer Freude an ber Zukunft nothwendig anhaftet: verliert dieſe 
Freude dann nicht für und ganz ihren Werth? Allerdings m. th. 
Fr. gehört etwad bazu, bamit fie einen Werth für und habe; und 











137 

wir bürfen e8 und nicht bergen, alles was wir vermögen in ber 
Zukunft zu fehen, alle was und über dieſelbe mitgetheilt und ver- 
Bunbigt erben kann gewinnt nur eine Wahrheit für und, gehört 

nur zu den Gütern unfereß Lebend, wenn es übereinflimmt mit un - 
ferem inneren Verlangen, wenn ed die Richtung unfered eigenen 
Gemüthes befriedigt und und fo zur Ruhe bringt, Die Hirten, 
weiche die Verkündigung bed Engel hörten: — wir wiffen nicht, 
in wiefern fie fetbft foldhe waren, weiche auf dad in den Weiſſa⸗ 
gungen des alten Bundes verfünbigte Heil warteten. und ſich gern 
von der brüffenden. Gegenwart ab jener: fchöneren und freien Zu⸗ 
kunft zumendeten. Die Erzählung, aus welcher die Worte unferes 
Textes genommen find, giebt und barüber Feine Mechenfchaft. Sie 


‚verfchmähten zwar die Verkündigung nicht, fonbern fie fagten, als 


die himmliſchen Heerichaaren verfchwunden waren, So wollen wir 
denn gehen nach Bethlehem und wollen bie Gefchichte fchauen, wel: 
che fie und verfündigten; und als fie es fo fanden, fo redeten fie - 
Dad Wort weiter. Aber ob ed nun. für fie felbft eine ihr Leben lei: 
tende Wahrheit geblieben fei; ‚ob es fie bewogen habe dem damals 
fo unſcheinbaren Kinde weiter zu folgen. in ber Entwikkelung feines 
Lebens; ob fie je zu ben Juͤngern bed Herm gehört haben: davon 
wifien wir nichts. Wie leicht iſt ed möglich, daß ihnen diefe Vers 
kuͤndigung nur geworben war ohne Weziehung auf ihren eigenen 
Zuſtand, nur damit fie Träger wuͤrden eines Gerüchte, welches fich 
zum nicht mehr verlieren follte, daß enblich jest ber Meffias erfchie: 
nem fe. Dagegen finden wir in anderen Erzählungen aus ber .er: 
den Lebenszeit unſeres Erloͤſers ein beflimmtered und fchönered Bild. 
Jener Breiß, welcher den Erlöfer fah, da feine Mutter und Joſeph 
ihn darſtellten in dem Tempel um zugleich dad vorgeſchriebene Op⸗ 
fer dem Hoͤchſten darzubringen, der war gewiß einer von denen, die 
auf bad Heil Ifraels warteten; dem war auf bie Frage auf ben 
fehnfuchtövollen Wunſch feines Herzens eine Berfündigung von oben 
gesvorben, daß er noch ben Heiland der Welt fchauen follte: und 
defien Seele wurde num fo erfüllt, daß er für den Reſt feines Le 
bend genug hatte, ohmerachtet er ihn auch nur noch in feiner Eind» 
lichen Unvollkommenheit gefchaut hatte, ohne ein Beichen zu haben 
von ber göttlichen Würde, welche er trug. Aber bem war biefe 
Verkündigung eben deswegen weil fie dem inneren Verlangen feines 
Herzend entſprach ein Grund und eine Urfache des Friedens, und 
er wußte, nun werde ber Herr und fünne nicht anders als in die: 
fen Frieden ihn feinen Diener fahren laſſen. Und daffelbe galt von 
jener Prophetin, welche eben bamald zufällig anweſend war, welche 
uͤbereinſtimmend mit ihren Hoffnungen und aus ber Fülle des Be⸗ 


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bürfuiffes und eignen Glaubens num eine ganz anbere Zrägerin bie- 
fer Verfündigung wurbe als wahrfcheintich jene Hirten. 

So m. th. Fr. ik es nun auch mit und. Können wir alle 
nicht anders als eingefichen, bie Gegenwart fei in Vergleich mit bem 
was werben foll noch eben fo unvelllommen, wie bie 
Erſcheinung des Erlöfers bamald war, ald zuerft fein Auge fich dem 
irbifchen Licht öffnete; werben wir alle auf taufenberlei verfchiebene 
Weiſe getrieben in die Zukunft hinauszuſehen: bie rechte Freude an 
berfelben, wie fie fich von biefem Heil in Ehriflo aus unb durch 
bafjelbe entwilteln wird, haben nur die, weiche ſelbſt ein herzliches 
Verlangen tragen nach dem Frieben, ben fie aud eigener Kraft nicht 
zu erreichen wiffen, nad) ber geifligen Vollkommenheit unb Fülle, 
welche fie ſich zwar als das. Ziel ihre Strebens vorfiellen muͤſſen; 
aber boch wiſſen, daß fie ed nie vollfländig erlangen Tünnen. Da⸗ 
rum fagte der Erlöfer immer mit Recht, er fei nur gelonmmen ein 
Arzt der kranken. Jedes Wort bed Zrofted, jebe Einlabung, welche 
er audfprach, beides war doch immer, wenn es auch wirktich faßte 
und Wahrheit wurde in der menſchlichen Seele, nur eine Ahnung 
von der weiteren Entwiklelung, welche ber Zukunft vorbehalten 
blieb, und konnte als folche nur zu einer lebendigen Wahrheit wer: 
den in empfänglichen aber bad heißt auch in bebürftigen Gemüthern. 
Darum kiagte der Erlöfer fo oft, daß bie, unter welchen er lebte, 
wie gewizigt fie auch wären in Beziehung auf irbifche Dinge, wie 
ſehr fie fich auch gehbt hätten auf dieſem Gebiet aud der Gegen: 
wart die Zulunft zu erforichen, boch die wahren Zeichen ber Zeit 
in Bgiehung auf das himmlifche Leben nicht verfländen. Darum 
ift es eine fo gewöhnliche Klage in ber Belt, welche fich überall 
bei jedem großen Wendepunkt der menfchlichen Dinge, in jebem 
Augenbliff, welcher mit großen Dingen ſchwanger geht, immer wie 
der aufs neue erhebt, daß alle Zeichen ber Zußunft, welche bie Ge: 
genwart barbietet, alle Erkenntuiß wie dad jezige aus bem vergen- 
genen entfianben ift, kurz alle Erfahrung die Menfchen nicht ‚Hug 
nache in Begehung auf das, was fich aus ber Gegenwart entwil: 
fein werde; fonbern fie bennoch nur zu oft fo handeln, daß babje 
nige erfolgen muß, was ſie am wenigflen wänfcden. Wenn unfer 
Gemuͤth eine andere Richtung nimmt, ald bie ber göttlichen Weis 
heit; wenn wir etwas anbered begehren, ald was Gott in feinem 
ewigen Rathſchluſſe geordnet hat: fo iſt es auch nicht möglich, daß 
wir die Spuren ber Zukunft in ber -Gegemvart verfolgen Tonnen; 
wir werben durch den Trieb umfered eigenen Serzend irre geleitet. 
Und nur die können alfo bie rechte wahre ſowol ald heilſame Freude 
an der Zukunft haben, weiche nichts anderes begehren, als daß der 


göttliche Rathſchiuß der Liebe in Erfüllung gehe; weiche nichts an: 
deres ſuchen, als das einfache Heil, welches CEhriſtus allen Menſchen 
gebracht bat; welche nach uichts anderem fireben, als nad) dem Frie⸗ 
den der Menfchen mit Gott, weicher allein in ber Vollendung feis 
nes göttlichen Werkes fichergeftellt ifl. 


1. Zweitend m. a. Er. laffet und nam überlegen, wie auf ber 
anderen Seite aber auch dieſe Freude unferes heutigen Fe 
füed, weiche fi) in die Zukunft hinauswendet, eben deswegen, weil 
fie anf dem beruht, was fchon geſchehen iſt, auch uns allein Si⸗ 
cherheit gemährt und Zuverſicht in Beziehung auf alle 
Beſorgniſſe, welche wir eben in vinſicht ber Zukunft ba: 
ben koͤnnen. 

Hierbei num müflen wir freitich zuert erwaͤgen, daß dieſer ganze 
Zuſammenhang immer nur eine Sache des Glaubens iſt, indem 
auch was damals ſchon geſchehen war. nur. mit bem Glauben er⸗ 
griffen werden konnte, ſo daß nur auf dem Glauben auch der Troſt, 
welchen wir fuͤr die Zukunft haben koͤnnen, beruht. Was ſagte der 
Engel den Hirten nach den Worten ſeiner Verkuͤndigung, welche 
wir geleſen haben? Das iſt das Zeichen, ihr werdet finden das 
Kind in Windein gewikkelt und in einer Krippe liegend. Welch 
ein Beichen! Wie hätten fie daraus auch nur eine Ahnung faflen 
koͤnnen von einer- Freude, welche dem ganzen Wolle wiberfahren 
werbe! welch ein Zeichen dafür, bag heute geboren fei der Heiland, 
weicher iſt Chriſtus der Herr? Ja wem nicht vorher ſchon bie 
außerordentliche Ericheinung body die Gemüter diefer Hirten zu eis 
ner glänbigen Buverficht geſtimmt hätte, daß einer geboren fei, ber 
nicht ohne eine. höhere Schikkung komme: fo, wuͤrde biefed Zeichen 
fie eher abgeneigt gemacht haben bem Wort ber Verkündigung zu 
glauben, ald daß es fie darin beftärkt hätte. So war ed von An- 
fang an und immer; nur der Glaube Tonnte in ber Geftalt des 
Erloͤſers feflhalten die Freude, welche nicht riur dem ganzen Wolf, 
ſondern bem ganzen Gefchlecht der Menſchen widerfahren if. Was 
ſprach der Unglaube aud) damals noch als ber Herr ſchon aufge: 
landen war und lehrte, als er fehon umberging und Wunder that, 
als fhon das Melk in großer Menge ihm anhing und fi um ihn 
ber drängte? Glaubt wol irgend ein oberfier an ihn? hieß es, 
Kann aus (alilaͤa etwas guted kommen? iſt je von baher ein Pro: 
pbet aufgeftanden? Und fo wurde. denn der Wunſch des Herzens 
faljch geleitet, fo wurden die Zeichen welche der Hoͤchſte gab miß⸗ 
verflanden, fo vermochte eben der Unglaube nicht von dem aus was 
er fah Die Zufunft zu ergreifen. Darum mußten hernach auch bie 


148 


weiter geben auch in der Zuhmft, unb wir wollen nur barin wei⸗ 
fer werben, daß wir und weniger muͤhen und barmen um bad, was 
noch nicht da ifl. Und auf der andern Seite bad verzagte Herz 
wie würbe es immer tiefer in Aengfllichkeit verfinten! Wiſſen wir 
doch ſchon immer, das iſt fäne Sprache, Was aufgefchoben ift, ift 
deöwegen nicht aufgehoben! Hatten wir bei unferer Furcht. dad Ges 
fühl der göttlichen Gerechtigkeit; mußten wir geflehen, wa3 wir be 
forgten fei nur was wir verdient haben mit unferem Zhun und 
Laſſen: fo fliehen wir auch noch unter demſelben Bann. Sind feine 
Strafen nicht gefommen, fie werben und ereilen, che wir es und 
verfehen, — und immer bänger und bänger wird der Blikk folcher 
Menſchen in die Zukunft. Menfchliche Weisheit fucht hiergegen als 
lerlei Arzenei zu bereiten nach ber befonderen Natur eines jeden, wie 
der eine fo fein Gemüth in Zaum und Zügel halten foll, und ber 
andere auf andere Weile ſich allmählig erheben kann oder erhoben 
werben zu immer größerer Freiheit bes (Geifled zu einem feſteren 
Gleichmuth, welcher die Dinge diefer Welt richtiger zu. beurtheilen 
vermag: aber eine allgemeine Arzenei gegen biefe Uebel, gleich gut 
und diefelbe für alle, die Daran leiben, giebt ed nur in dem Reiche 
Ehrifti, in diefem Glauben, dag wir mit allem was und begegnet 
immer des Herm jind. 

Aber wenn wir jo alles wad und gefchehen kann auf dad Reich 
Chriſti und den großen Zuſammenhang feiner Entwiltelung bejie 
hen: vergeilen wir dabei nicht gänzlich uns felbfi und fiellen uns 
zu fehr in den Hintergrund? fol etwa in diefer Regel des Apoſtels 
auch bad andere tröflliche Wort verloren geben, was er in bemfel: 
ben Briefe ausgeſprochen bat, daß denen bie Gott lieben alle Dinge 
zum beften gereihen und zum guten mitwirken follen? Es wäre 
nur unfer eigenes Unrecht, wenn :wir bied beides von einander tren: 
nen wollten! es wäre nur ein Mangel an richtigem Verſtand in 
den Dingen bed Reiches Gottes. Das ift das Geheimniß feiner 
Weisheit, daß dad befle des einzelnen und dad Wohl des ganzen 
darin auf eine unzertrennliche Weife verbunden find. Was fo oft 
in. menfchlichen Dingen und entgegentritt, biefer gewaltige Streit 
zwiſchen den Wuͤnſchen und dem Wohl des einzelnen, der nur auf 
das Begehren feined Herzens hört, und zwifchen bem, was das all: 
gemeine Wohl fordert: wo immer er- und. entgegenlomnt, da fe er 
‚und nur ein Beweis, bag bie menſchliche Weisheit noch nicht über: 

- gegangen iſt in bie göttliche; daß wir uns mit unferen gemeinſa⸗ 
men Angelegenheiten noch nicht ganz eingefügt haben in biefed gei⸗ 
flige Reid) Gotted. Denn in dem Leibe Chriſti giebt eö feinen fol: 
hen Streit und Gegenſaz; ba beflcht alles einzelne. nur durch das 


⸗ 


Wohl des ganzen, durch den frelen Umlauf der geiſtigen Kraͤfte des 
einen goͤttlichen Lebens, welche von dem einen Mittelpunkt ausge⸗ 
hend das ganze burchflrömen; und das ganze beſteht nur durch die 
Liebe, mit welcher alle einzelnen dad ganze umfaflen, mitfühlen was 
ihm begegnet, mittheilen von ihrer gefunden Lebenskraft, mo ihm 
etwas zugefloßen iſt, was bie gemeinfame Einheit bed Lebens flören 
tönnte oder bedrohen. Einen ſolchen Streit alfo m. th. giebt es 
bier nicht: was irgend für und gefchieht, daB gefchieht Auch dem 
Ham. Kommt und alfo in der Zukunft durch ben göttlichen Rath: 
ſchluß etwas was und eine Verringerung ded Lebens fcheint, was 
uns, indem und ein Theil unferes Wirkungskreiſes entzogen wird, 
indem unfere Kräfte nicht ihren freien Gebrauch haben wie biöher, 
als eine Annäherung an den Rob erfcheint: fo mag e8 und wol 
bemüthigen, wenn wir benten, dad gemeinfame Wohl des Reiches 
Gottes fordert izt von bir nicht einen höheren Grab von mitwir 
Tender Thaͤtigkeit nach außen; aber bemüthigt und das, fo foll es 
und wieder aufrichten, daß wir wiſſen, wenn es nicht burch und 
gefördert wirb in einem höheren Grabe, fo ift boch alle Förderung, 
welche von anderen audgeht, auch die unfrige, fo fol und darf dad 
unfere Freude an dem Reiche Gotted nicht verringern, fonbern wir 
follen wiflen, bag wir unfere Theilnahme an demfelben auch bewei- 
fen koͤmen, indem wir leiven. Auch indem wir zuräffgebrängt er 
fcheinen und und nicht nad) gewohnter Weiſe frei bewegen, kann 
doch und fol ber Geift Gottes in unferm Ertragen fich offenbaren. 
Auch in folhen Zufländen fol das Bild Chrifli an uns beutlich 
fein; und wo wir ihn den Menfchen vergegenwärtigen, wo wir ans 
dere daran erinnern, daß wir fein find, da fördern wir auch fein 
Reich. Traͤgt fich aber mit und etwas zu von Träftigender und er: 
hebender Art: dann vor allen Dingen laßt und an dad Wort bed 
Apoftelö denken, Heben wir, fo leben wir dem Herm; damit wir 
nur nicht gleich uns felbft ſchaden durch die leere Einbildung, als 
ob fich das bezöge auf und ſelbſt. Laßt und denken, was und ge 
ſchieht, das gefchieht dem Herm, damit wir und nur nicht von dem 
rechten Gebrauch feiner Gaben durch eine leere und eitle Freude 
daran abhalten laſſen; daß wir nur nitht, indem wir bei uns felbft 
verweilen, den Augenblikk verſaͤumen, in welchem wir das neu er 
worbene gute in Wirkſamkeit fezen Finnen für ben Theil ded Rei⸗ 
ches Gotteß, der in dem Bereich unſeres Berufs liegt, und für ben 
wir mit verantwortlich find. Aber ebenfo wollen wir und auch das 
zu unferem Troſt fagen, Wo etwas gefchieht für Chriftum, Das ges 
ſchieht auch fuͤr uns, das muß auch unſerm geiſtigen Leben dienen, 
wenn wir es nur recht zu ergreifen verſtehen. 





150 


Und wie fehr m. g. find wir feit geraumer Zeit in dieſer Bes 
ziehung geförbert durch einen größeren Reichthum regen Lebens, wel» 
ches ſich in dem Reiche Gottes entwilfelt! wie vieles gelangt nicht 
zu unferer Kunde, was in ben verfhiebenfien heilen der Erbe ge= 
ſchieht zur Förderung dieſes Reiches! und auch alled biefes, wie 
weit es auch aud unferm eigentlichen Wirkungskreiſe herausgeruͤkkt 
fei, muß doch weil e dem Herm gefchieht auch zu unferem beſten 
bienen! Leben wir bem Herm, fo follen auch wir dem Herm le 
ben; unb wie follte auch wicht bie herzliche Freude an allem, wa3 
fi in dem Reiche Gottes im großen günfliges ereignet, unfere ei⸗ 
gene Seligkeit mehren! wie follte nicht bie beilfame Bergleihung 
bed einzelnen was babei vorkommt unfere Selbſterkenutaiß 
Und ſo moͤgen wir und denn deſſen getroͤſten: ſo innig iſt unfer 
Zufammenhaug mit bem ganzen, daß wir überall getroſt zuerſt uns 
ſelbſt vergefien können um nur darauf zu ſehen, wie alled was ge: 
fchieht nach ber göttlichen weilen Leitung bem Herrn gefchieht, das 
wohl wiffenb und m unferem Herzen tragenb, was ihm gefchieht, 
ba8 gefchehe auch und. Deun nicht nur für bie Zufunft, ber er 
damals perfönlidy entgegenging, fenbern auch für die ganze Zukunft 
feined Reiched auf Erben gilt dad Wort, daß Er unter uns iſt und 
wir ba fein follen, wo Er if. Wenn Er größeren Einfluß auf die 
Menfchen gewinnt, fo wird auch unfere Wirkfamfeit reicher gefegnet ; 
wo feine Macht und Herrlichkeit ſich offenbart, ba fällt auch etwas 
davon auf und zurüßf; und wenn fein Leben in und kraͤftiger wird, 
fo wird aucd Er dafür gepriefen, durch welchen Gott ben Menſchen 
die Macht gegeben hat ſolche Kindes Gottes zu fein. 


U. Unb fo laſſet und auch zweitens fehen, wie biefe orte 
de Apoſtels auch unſer Wahlſpruch ſein ſollen fuͤr alles, 
was uns in der Zukunft vorhanden kommen kann zu 
thun. Darauf waren unmittelbar ſeine Worte gerichtet, wenn er 
in ber Beziehung auf jenen Gegenſtand, von welchem er eben ge: 
handelt hatte, fagt, Leben wir, fo leben wir dem Herrn; flerben 
wir, fo-flerben wir dem Herrn. Was will er ben Chriſten dadurch 
anderes zu Gemüthe führen, ald daß, wenn einer, ber fich einer 


größeren Freiheit bed Geiſtes rühmt, fie nur für ſich ſelbſt gebraucht . 


um fi in feiner veineren Einficht wohlzugefallen und dann dadurch 
aufgebläht wird, ein folcher nicht dem Herrn lebt. Und auf der 
andern Seite wenn ängfllichen Gewiſſens einer auch alles bad Au: 
ßerlich treu beobachtet, wozu er verpflichtet geweſen war auf einer 
früheren Stufe feines geifligen Lebens; aber er thut dad nicht um 
feined Gewiflend willen, fonbern um zu zeigen, welcher Entſagung 


| | 151 

er fähig fel, in welchen Schranken ex fich zu halten wiſſe, wie we 
nig er von ber Luft verfucht werbe, weiche biefe Schranken fonft zu 
zerbrechen droht: dann lebt auch ber nicht dem Herrn. Das war 
alfe feine Abficht bei diefen Worten, daß die Chriften lernen follten 
bei allem, was ihmen zu thun vorhanden kommt, nur auf ben fe- 
hen, welcher dazu geflorben ifi und auferfianden und lebendig ge 
worben, damit er Über todte und lebendige ein Herr fei. Dem laßt 
und nun folgen und auch unfrerfeitö bei allem, was und obliegt 
auch in ben befchränkteften Berhältnifien, nicht auf und felbft fehen, 
fondern immer nur dad Reich Gottes im Auge haben. Denn alles, 
was wir immer verrichten mögen, hat genau betrachtet auch einen 
Einfluß auf dad Ergehen der Gemeine bed Ham, ob fie fich mehr 
oder weniger erbaut, ob wenn auch nur wenig gutes hinzulommt 
durch uns ober vielleicht geflört wird. So m. 9. fagt der Erloͤſer 
ja audy von’ fich, Des Menſchen Sohn thut nichts von ihm felbft, 
nicht aus feiner eigenen perfönlichen Luft. und Liebe geht irgend. et» - 
wad hervor; ſondern was er den Vater than fieht, dad thut er ſelbſt 
auch gieich.*); und fo war alfo bad feine eigene Regel nur zu 
handeln in der Uebereinflimmung . mit ber göttlichen Orbnung, nur 
in feinen Werken und feinem Thun abzubilden die Werke und das 
Thum feines Waters. Iſt nun alſo bad unfer fefler Glaube, von 
welchen wir nicht weichen wollen noch wanken, bag Gott ber Vater 
alled leitet zur Förderung feined geifligen Reiches in dieſer menſch⸗ 
lihen Welt: wolan, fo müflen auch wir nady berfelben Regel han: 
dein; fo müffen auch wir bei allem unferem Thun nicht anderes 
ſuchen, als daß auch wir in biefe göttliche Ordnung eintreten. ' 

Eben diefes nun m. g. ift auch erſt dad rechte Trachten nach 
dem Reiche Gottes, wenn wir überall nach nichts anderem trachten 
als darnach, und wenn, ſobald uns klar geworden iſt was wir ſelbſt 
dazu zu thun haben, auch alles andere vor unſeren Augen ver⸗ 
ſchwindet: ſo daß wir weder auf uns ſehen noch auf andere, weder 
rechts noch links, weder was ſteht noch was fällt, ſondern immer 
nur leben und wirken dem Herrn, der allezeit leben und wirken 
wollte fuͤr feinen Water und nach deſſen Willen. Und wenn. ber 
Etloͤſer fich. hiebei fo herabläßt zu dem gewöhnlichen Sinn der Men: 
ſchen, daß er fagt, Trachtet am erften nach dem Reiche Gottes und 
nach feiner Gerechtigkeit, fo wird euch bad andere alles zufallen: 
wos m. g. kann benn für und bad andere noch fein, was und bann 
noch zufallen ſoll? Iſt das wahr, was ber Apoſtel fagt, Wir leben 
oder flerben, fo find wir des Herm: nun wohl fo muß auch was 





u Job. 5, 19. 


* iſt nichts anderes als die 3 Art, wie 
ſich waͤhrend dieſes irdiſchen Lebens der gemeinſame Beruf aller 
Menſchen und der eines jeden einzelnen geſtaltet. Wenn wir nach 
nichts anderem trachten ſollen als nach dem Reiche Gottes und ſei⸗ 
ner Gerechtigkeit: a eat blopen Genuß 


Gleich, willfommen alfo foll ums fein was und zufält: foßt und 
nur fehen,; daß wir ed recht verwenben, bad heißt, Daß wir es wie 
der ganz ımb allein auf fein Reich beziehen. 

Aber freilich wad wir uns audy für die naͤchſte Zukunft win; 
fhen müflen; was und, fo wie wir und biefe unfere Beſtimmung 
Har vor Augen ftellen, ſchwer aufs Herz fällt, wie wir wol bazu 
gelangen mögen: bad iſtedie rechte Weisheit, um in jebem Falle 
richtig zu umnterfcheiben was bem Reiche Gottes frommt, damit wir 
nicht in ber beften Abficht von itgend einem. falſchen Schein verleitet 
irre gehen ober hindern, wo wir förbern wollten. ‘Dem woher Bü» 
men, wenn ba8 nicht gefchähe, fo vielE Berwirrungen in ber Kirche 
und in ber Gefellfchaft überhaupt, die aus Handlungen wohlgefinns 
ter Menfchen hervorgehen? Aber dürfen wir und wol beflagen, daß 
wir in biefer Beziehung rathlod gelaflen wären unb zu biefer heil: 
famen Erkenntniß nicht gelangen koͤnnten in dem Reiche Gottes, im 
welches wir geftellt find? Wol findet ſich manches chriſtliche Ges 
müth oft hart bebrängt in fchwierigen Berathungen und ſchwankt 
bald auf diefe bald auf jene Seite: aber wiſſen wir nicht gewoͤhn⸗ 
lich hintennach wenigſtens bald genug, wie wir ſollten gehandelt 
haben? Wovon if das alſo ein Zeichen? Doc, immer nur baven, 
daß bad Herz noch nicht feft geworden if, und dad Auge noch nicht 
ganz licht; daß noch verfchiedene Gewalten den Menfchen die eine 
dahin die andere dorthin ziehen: und freilich in ſolchem Streite vers 
liert fi nur zu leicht die Sicherheit feines Blikks; da ergreift auch 
den reblichen und wohlgefinnten leicht ein Schwindel, indem er nicht 
mehr erkennt, welches der Weg ift, welchen er einzufchlagen bat, 
ober wo dad Ziel flieht, welchem er fich nähern will. Aber daß bad 
Herz feſt werde und bad Auge licht, wie viele Hülfsmittel finb uns 
dazu nicht verliehen! wie leuchtet und darin derjenige vor, auf den 
wir alles beziehen follen, fo daß wir und nur fein Bilb vergegens 
wärtigen dürfen um gewiß fehr balb zu erkennen, was und von 
ber Achnlichleit mit ihm abziehen würde! wie dürfen wie nur bie 








153 
Bewegungen unfereö Gemuͤthes vergleichen mit bem Eindrukk, wels 
chen fein Bild auf und macht, um zu: wiffen, was für ihn fein 
würde und was. wiber ihn! wie vernehmlich redet bie Stimme bes 
göttlichen Worts zu einem jeden, bem ed Ernſt ift den Willen Got: 
tes zu vollbringen! wie-einfach ift doch diefe Weisheit, welche und 
den Weg zeigt; wie grade und rein tönenb bie Stimme bed Geifte 
in. und, welche und auf bie Gott wohlgefällige Bahn leiten will! 
Sieht ed nicht immer um und her folche, welche in biefem und je 
nem mehr Verſtand haben von bem Reiche Gottes als wir? ergeht 
ſich die chriftliche Liebe nicht gern in gemeinfamen Berathungen und 
Veberlegungen, bamit ein Urtheil bad andere fchärfe? Wie Finnen 
wir jemals fagen, daß ed und fehlen koͤnne Rath zu finden, wo wir 
befien bebinfen. Und darum, weil wir fo wohl berathen find und 
wir dad nicht verkennen können ohne die ſchreiendſte Unbankbarkeit 
gegen Gott, der und fo viel gegeben hat: darum kann und fol 
auch in dem Sahre, welches vor uns liegt, viel von uns gefordett 
werben. 
Mit diefem Bewußtſein uiaſſet uns der Zukunft entgegengehen, 


wie viel ober wenig bavon und in dieſem irdiſchen Leben noch ber _ 


vorfiehen mag. Was und begegnet, was und vorhanden fommt zu 
thun: dies beibed mußten wir in unferer Betrachtung zwar trennen; 
in dem Leben, bad vor und liegt, entwikkelt ſich aber beides mit 
einander, und eined aus dem andern. Und für beides giebt und 
daftelbe Bewußtſein Troſt und Kraft, dag fich nämlich zwar fchon 
immer viel beutlicher aber jest, nachdem bad Reich bed Gefezed 
vorüber ift, alles immer bezogen hat und beziehen wirb auf den eis 
nen, welchen Gott den Menſchen gefezt hat zum Gnabenfluhl zum 


Zeichen feiner huldreichen Gegenwart. Wir können bad Bewußtſein 


nicht haben, daß alles was und begegnet ihm gefchieht, ald nur ins 


dem wir auch alled zu Gut zu machen fuchen für fein Reich Wir 


innen zu bem, was und obliegt zu thun für fein Reich, nicht 
Nuth und Kraft behalten, wenn wir nicht zugleich dad Bewußtſein 
haben, daß andy was uns begegnet nad) Gottes Leitung dazu zus 
ummenflimmt. Und fo laßt uns vertrauensvoll beachten, wie aus 
dem, wad Gott uns zuſchikkt, uns unfere Pflicht erwachſen wird, 
und wie wiederum aus unferem eigenen Thun fich wieder bad ents 
wikkeln wird, was uns begegnen fol. Wenn je in ber Zukunft 
ah uns trübe Tage entgegentreten; wenn ber einzelne fich in ſei⸗ 
nem Leben und Wirken gehemmt fühlt: nichts wird ihn binbern 
beſiimmt zu erkennen, wie aud) das dem Herrn gefchieht, ausgenom⸗ 


men ed müßte feine eigene Schuld ihn mahnen; das nöthigt. dann 


iden, ſtatt von dem was ber Herr und begegnen läßt vorwärts zu 





134 


—3 auf bad was und obliegt, unſern Bülke ruͤkkwaͤrts zu wenden 
auf das wodurch wir es verſchuldet haben. Wenn jemals und er⸗ 
freuliche —— — zu einer größeren Wirkſamkeit in dem Reiche 
Gotted rufen; wenn fich in einzelnen Augenblikken unfered Lebens 
alles vereinigt ums unfere Kräfte zu erfrifchen und und neue Werke 
Gottes zu zeigen, die wir zu thun haben: dann farm nur bie Ei: 
telfeit nur der Troz und bie Verzagtheit des menſchlichen Herzens, 
welche nicht mehr in das Reich Gottes gehören, uns baran hindern 
das rechte zu finden. Sind wir darin treu, dag wir uns felbft bins 
tenanftellen und nur fuchen was bed Herrn iſt; beharren wir babei 
lebend ober ſterbend nur bem Harn anzugehören unb und redlich 
von jeber perfönlichen Ruͤkkſicht auf uns felbft Iodzufagen um für 
ihn zu eben: fo wird auch jene Unficherheit verfchwinden; immer 
heller wird und bad Licht des Lebens leuchten, ber göttliche Geiſt 
immer vernehmlicher in unferem inneren reden, und bie Ziebe, welche 
alle burchbringt, die erfahren haben, welches Heil in dem Einen if, 
ben Gott gegeben hat, unfer Her, immer mehr reinigen; unb fo 
wirb alles, was wir zu thun vermögen, zum Wohl unb en wab: 
ven Förderung feined Reiches geleitet werben. In biefer Gemein 

ſchaft der Chriſten, der wir angehören; auf biefer Stufe der Ent: 
wikkelung bed menſchlichen Geiſtes, an ber unfer aller Leben einen 
fo reichen Theil hat; im biefem burch fo viele Prüfungen bewähr: 
ten, durch bie herzlichſte gegenfeitige Zuneigung unaufloͤslich geknuͤpf⸗ 
ten Verband menfchliher Drbnungen und Geſeze, dem wir angehoͤ⸗ 
sen: o welche Fülle von Hülfsmitleln hat uns bie göttliche Gnade 
darin gegeben um auf eine Fräftige Weife dem Herrn zu leben in 
unferer ganyen irbifchen Zukunft. Wie könnten wir, inben wir 
darauf binfehen, zagen und und felbft auf eine vergebliche Weile 
.. mit Sorgen quälen! Was und nur gefchieht, woran wir feinen 
Theil und alfo auch keine Schub haben können, bad kommt ja von 
dem Einen, ber nur fein Reich mehren und förbern will; wad und 
zu thun obliegt, wie gering es audy fcheine, es iſt nichts Bein, benn 
in allem follen ſich bewähren alle bie reichen Schäze ber göttlichen 
Gnade, welche und geöffnet find: und wobei bie ſich zeigen koͤnnen, 
Dad hat aufgehört ein geringes zu fein, deſſen dürfen wir und nicht 
ſchaͤmen, ald ob es in ber Werborgenheit verſchwaͤnde; denn ed ge: 
fehieht in der Stabt Gottes, welche auf bem Berge liegt, damit fie 
von allen gejehen werde. So laflet und zu biefem treuen Gebrauch 
aller ber Gnadenmittel, mit welchen Gott uns fo reichlich gefegnet 
bat, auch für die Zufunft, welche noch vor uns liegt, immer enger 
zuſammenhalten um ben Bund bed Glaubens und ber Liebe, in 
- welchem wir fliehen, fo zu bewahren, daß jeber fei das Licht bed 


155 | 
anbern, ber im Dunkeln wandelt; baß jeber fei ber Stab bes an- 
‚dern, der grade nicht vermag fich aufrecht zu erhalten; daß jeder 
fuuche zu fördern zu tragen zu heilen zu leiten zu erfreuen, fo weit 
er es um fich her vermag: damit immer herrlicher unter uns fein 
Reich ſich erbaue, und -wir ed durch bie That beweifen, daß es feine 
. größere Weisheit fo wie Feine größere Seligkeit giebt ald die lebend - 
und fierbenb nicht fein eigen zu fein, fonbern bed. Herrn. Amen. 


eied 663, 8—9. 


. XIV, 
Am 2. Sonntage nad) Epiphan. 1832. 


Lied 4. 62% - 
Zert. Ev. Joh. 1, 47 — 51. 


Jeſus ſah Nathanael zu fi) kommen und fpricht von 
ihm, Siehe, ein rechter Siraeliter, in welchem fein Falſch 
iſt. Nathanael fpricht zu ihm, Woher Eenneft du mich? 
Sefus antwortete und ſprach zu ihm, Ehe denn did Phi: 
lippud rief, d3 du unter dem Feigenbaum wareft, ſah ich 
dich. Nathanael antwortete und fpricht zu ihm, Rabbi du 
bift Gottes Sohn, du bift der König von Iſrael. Jeſus 
‘antwortete und fprach zu ihm, Du glaubeft, weil ich bir 
gefagt habe, daß ich dich gefehen habe unter dem Zeigen: 
baum; du wirft noch größeres denn das fehen. Und fpricht 
zu ihm, Warlich warlich, ich fage euch, von nun an wer: 
det ihr den Himmel offen fehen und die Engel Gottes 
binauf= und herabfahren auf des Menſchen Sohn. 


M. a. Fr. Wem wir die ganze Thaͤtigkeit unſers Erloͤſers waͤh⸗ 
rend ſeines oͤffentlichen Lebens ins Auge faſſen: ſo koͤnnen wir zwei 
Arten derſelben ſehr beſtimmt unterſcheiden. Die eine iſt diejenige, 
die er ausübte ind große und allgemeine hinaus, ohne Berechnung 
‚ gleichfam und ohne eine beflinmte Wirkung für fein Reich zu beab: 
fihtigen. So fehen wir ihn häufig unter großen Mengen bed Wolle, 
benen er ſich offenbarte in der leiblichen Huͤlſe, welche er ihnen’ uns 
ter allerlei Roth und Leiden diefed Lebens leiflete, aber nicht ohne 
zugleich bad Wort zu reden, bad ihm anvertraut war. Go fehen 


157 


wir ihn, wo zufällig eine Menge von Menſchen fih um ihn ſam⸗ 
melte, fie ſtaͤrken fie.erbauen fie zu fich einlaben durch feine Rede, 

und oft erſt hintennac erklärt er fich darüber und bedauert, bag 
fein Wort nicht haften wollte unter ihnen, ohne jeboch deshalb mit 
diefer Uebung aufzuhören. So Iehite er in den Schulen, fo zu ben 
feftlihen Zeiten in den Hallen des Xempels, bald indem er das 
Volt warnte gegen die, welche. durch Unterhaltung bed eitlen Stoß 
zes auf dad Geſez als blinde bie blinden ‚mißleiteten, bald indem er 
auf fi) hinwies, ald ber gekommen fei ein Arzt für. die Franken zu 
fuchen was verloren fei, ald bie fich allen öffnende Quelle des Lich⸗ 
te8 und des Lebens. Aber neben diefer Wirkſamkeit finden wir eine 
andere, fliller, geräufchlofer, aber ficherer in ihrem Erfolge, die ex 
nämlich übte auf einzelne. Auf biefem Wege vorzüglich ift er zu 
dem Fleinen Häuflein feiner Sünger gekommen, welche ihn: hernach 
in dem ganzen Lauf feined Lebens begleiteten und in ihrer vereinten 
Kraft der Fels wurden, auf dem er feine Gemeinde gründen konnte. 
Daffelbe können wir.nun auch jezt noch immer unterfcheiden in bem 
Fortgange des Chriſtenthums. Fragen wir, wie find fo viele Voͤl⸗ 
Ber fo viele verſchiedene Geſchlechter der Menſchen dazu gekommen 
oft ploͤzlich in einem Zeitraum weniger Jahre von den finſtern Bah⸗ 
nen des Heidenthums und des Aberglaubens hinweg ſich dem Licht 
des Evangeliums zuzuwenden: ſo war dies immer die Wirkung ſol⸗ 
cher allgemeinen ins unbeſtimmte hinausgehenden an die Menſchen 
uͤberhaupt ſich richtenden Verkuͤndigung des Reiches Gottes. Aber 
freilich, wenn ſo große Mengen gewonnen waren, ſo war nicht im⸗ 
mer alles das aͤchte Gold, was in dieſem Licht des Evangeliums 
glaͤnzte; ſo muß immer noch die Arbeit an den einzelnen Seelen 
das weiter fuͤhren und gaͤnzlich zur Reife bringen, was durch jene 
allgemeine Predigt an denen, die ſich fuͤr das Bekenntniß ſeines 
Namens erklaͤrt hatten, begonnen war. Und ſo geſtehen wir auch 
jezt, diejenigen, welche am meiſten in dem unmittelbaren perſoͤnlichen 
Genuß dieſer ewigen Kraͤfte des Evangeliums ſind; diejenigen ‚an 
denen wir beutlich bemerken die bebeutendften Fortfchritte. in ber 
Heiigung, die klarſte Einficht in dad Weſen des göttlichen Wortes, 
.unb bag fie den andern vorleuchten: das find folche, die. für ſich 
feibf in einem. befonderen perfönlichen Verhaͤltniß zum Erloͤſer fies. 
ben. Wie nun beided immer wird neben und mit einander fortges 
benz wie eben fo auch jezt unter und nur durch beides zufammens 
genommen bie chriftliche Jugend des Namens würdig werben kann, 
den fie mit und und nach und zu führen beilimmt ift: fo lehrt die 
Erfahrung, daß jeder am unmittelbarften und Fräftigfien zum Ziel 
der. chriſtlichen Vollkommenheit gefördert wird durch irgend ein ein« 


158 
zeined perſoͤnliches Verhaͤltniß, im welchen bie Anleitung liegt zu 
dem ſtillen innigen Umgang mit dem Erloͤſer. 

- Darum nun gebachte ich m. g. Fr. diefe Zeit, bie vor uns 
liegt, biß die Tage herannahen, welche ganz beſonders dem Anden⸗ 
fen an das Leiden bed Erloͤſers gewibmet find, und von biefer feis 
ner befonderen Arbeit an einzelnen Menfchen zu unterhalten. Aber 
auch hier ift wieber ein zwiefaches zu unterfcheiden; denn ein anbes 
res iſt ed, wenn einzelne Denfchen fchon auf irgend eine Weile auf 
ihn aufmerffam gemacht waren und ſich daher ſelbſt an ihn wen⸗ 
beten, wo wie dann die erften Anfänge nicht fo beutlich verfolgen 
koͤnnen; ein anderes hingegen find die Fälle, die uns immer beutli- 
der zu Rage liegen und alfo auch lehrreicher und erwekklicher für 
uns fein müffen, wenn ber Erloͤſer fich ſelbſt zuerft zu einem Men» 
ſchen wendete und feine Liebe dad Beſtreben die Menfchen für das 
ewige Heil zu gewinnen auf ihn richtete. Zu dieſen gehört nun 
auch die Begebenheit, an die wir und fo eben mit einander erinnert 
haben; und fo laffet uns jezt unfere Betrachtung barauf richten, 
wie fih dad Verhältniß zwifhen dem Erlöfer und dem 
Jünger, ber der Gegenſtand unfers Zertes ift, geflaltete. 

Es iſt uns in einem hoben Grade mertwürbig und giebt uns 
bedeutende Aufichlüffe, fowol wenn wir fehen auf die Art, wie 
es ſich anknuͤpfte, ald auchauf die Art und Weife und, daß ich 
mich fo ausdruͤkke, auf bie Bedingung, unter welcher es befe 
fligt wurde; und auf dies beides Laßt und mit einander unfere 
Aufmerkfamteit richten. 


J. Rathanael war zwar allerdings ſchon aufmerffam gemacht 
werben auf den Erloͤſer; Philippus hatte ihn angetroffen unb wahr: 
ſcheinlich als zu einem bekannten zu ihm gefagt, Wir haben ben 
gefunden, von welchem Moſes im Gefez und bie Propheten gefchries 
ben haben, Iefum Jofephs Sohn von Nazareth. Und Nathanael 
fprach zu ihm, heißt ed, Was kam von Nazareth gutes kommen? 
Da ſpricht Philippus, Komm und fiche! und auf diefem Punkt 
fängt bann dabjenige an, was wir mit einander gelefen haben. 
Aber wir fehen; von bem Erlöfer war noch keine Wirkung auf ihn 
audgegangen; er fühlte ſich auch noch auf Feine Weiſe ſelbſt zu ihm 
hingezogen: vielmehr war feine erfle Antwort zweifelnd, und die 
Art wie er ber Einladung bes Philippus folgte deutet mehr Darauf, 
daß er prüfen wollte wieniel an jener Rebe fei, ald ba fick in ihm 
ſelbſt ſchon irgenb eine Neigung irgend eine Vorliebe für diefen, der 
ihm fo angekündigt war, entwikkelt gehabt Hätte. Darum iſt au 
dieſes wirftich einer von den Faͤllen, die ich vorher bezeichnete, wo⸗ 


159 


bei ber Erldfer daß ich fo fage ben erſten Schritt that um ein Ber: 
haͤltniß zwifchen einem einzelnen und ſich anzuknuͤpfen. Was nun 
der Herr zuerft fagte, dad fagte er nicht fowol zu Nathanael, wie 
fih unfer Gvangelift deutlich ausdrüßkt, fondern von ihm zu an 
dern; und burch was für ein vorhergegangened GSefpräch mit jenen 
dies herbeigeführt wurde, das willen wir nicht: aber ber Erlöfer 
fagt es ſo, daß Nathannel es hören konnte, und gewiß auch mit 
bee Abficht, dag er ed hören ſollte. Da tritt und nun zuerſt bies 
merkwuͤrdige entgegen, was für ein großes Lob ber Erlöfer hier dies 
fem Marne beilegt, und wir verwundern und wol, wie ein folches 
auögefprochen aus dem Munde der Wahrheit über einen Menfchen, 
ber nod in gar keiner Verbindung mit dem Erloͤſer fland und von 
deſſen himmlifcher Kraft noch gar nicht erfahren ober in fich aufs 
genommen hatte: wie folche8 Lob ſich Doch vertragen fol mit un» 
fern gemeinfchaftlichen Worflellungen von dem tiefen und allgemeis 
nen Werberben ber menfchlichen Natur! Ein wahrer Ifraelit, fagt 
er, in welchem kein Falſch if. Wie felten m. g. Fr. finden wir 
folchen Meufchen, von dem wir bad fagen koͤnnen! Ja, ich will 
noch genauer und beſtimmter veben, wie viele giebt ed, benen wir 
nicht abfprechen Eönnen, daß fie auf bem rechten Wege des Heils 
wandeln, von denen wir nicht leugnen möchten, daß fie keinesweges 
in eitler Zuverficht auf fich felbft fondern nur in der lebendigen Ges 
meinfchaft mit dem Erlöfer ihr Heil fuchen: aber doch, wenn wis 
dad von ihnen fagen wollten, daß Fein Falſch in ihnen fei, wuͤrden 
wir fie nur in die Gemäthöverfaflung fezen, daß fie befchämt bie 
Augen nieberfehlagen müßten. Iſt die menfchliche Seele der After, 
in welchen ber göttliche Saͤemann bad Wort Gottes ausſtreut, fo 
ift die Unwahrheit ein Unkraut, welches der Feind fchon immer vor 
her in biefelbe Seele ausgeſtreut hat, und ein fo gefährliches und 
verberbliched, daß wir fagen müffen, es gelingt nicht es mit allen 
feinen Wurzeln der Seele zu entreißen, und ‚bie Meinfte, welche noch 
darin ‚bleibt, wuchert gleich weiter, fo daß che wir und beffen ver 
fehen auch daB Unkraut felbft wieder an das Licht des Tages tritt. 
Wie wenig Menfchen, bie nicht immer noch zu kaͤmpfen hätten mit 
der verborgenen Zalſchheit und Unwahrheit in ihrem innen! Sch 
vebe nicht davon m. g. Ir., was wir oft mehr träumend wuͤnſchen, 
als daß wir es ernſtlich glauben koͤnnten, dag nämlich jemals unter 
den Menſchen gegen einander eine allgemeine Offenheit werde herr⸗ 
fchen koͤnnen; daß eine Zeit kommen koͤnne, wo es Teiner Behut⸗ 
ſamkeit und Worficht mehr bedarſ weder in ber Mittheilung ber 
allgemeinen Wahrheit noch in ben Mittheilungen über unfern eig: 
nen Zuſtand, wie wir ihm erfennen! "Auch bavon rede ich nicht, 


‚160 
obgleich allerdings das Evangellum uns auch dazu der Reg wer» 
den foll, daß wir in dem, was wir innerlich in bie Seele auffich 
men und bei und fefiflellen, immer mehr frei werden follen von 
Irrthum; denn der unwilllührliche ber fich felbft nicht erfennende 
Irrthum hindert ja das nicht, daß bie Seele ohne Falſch fei. Son: 


tdern ich meine es fo, wie es ganz eigentlich. und genau in ben 


Worten des Erlöferd heißt, ein wahrer Sfraelit, in welchem feine 
Argliſt iſt. Denn jede bewußte Unwahrheit ift eine Arglift, weil 
wir ja damit hintergehen wollen, unb wer dürfte ſich rühmen ganz 
frei davon zu fein, daß er fich bald über fich felbft und feinen im» 
nern Zuſtand bald über. fein Verhaͤltniß au den Menfchen bald über 
das alles zufammenfaflende Verhaͤltniß, in welchem er flieht eben zu 
ber ewigen Wahrheit und Liebe, welche und leiten fo, und ſo auch 
uͤber anderes vielfältig ſelbſt zu taͤuſchen ſucht! Wer wäre in bie 
ſem Punkt ganz uͤber alles Schwanken hinaus, daß er wol moͤchte 
der innerſten tiefſten Stimme Gottes auch gang und vol Gehör ge- 
ben, aber daß er doch auch nicht. loslaſſen kann von. ben fchönen 
Eimbildungen, welche vielleicht einmal feine Wahrheit geweſen find 
ald unerfannter Itrthum, nun aber nachbem er tiefer in fein inne 
res eingedrungen iſt zur Lüge geworben find. Und was fo vielen 
fehlt unter denen, bie in dem Licht und der Gnabe bed Evanges 
liumd wandeln, die einen Antheil haben an bem göttlichen Geiſt, 
ber und in alle Wahrheit leiten fol, das fchreibt ber Erloͤſer Einem 
zu, der von biefen himmliſchen Kräften noch. gar feinen Beiſtand 
empfangen hatte, vielmehr alles was er war nur aus fich ſelbſt 
kann geworben fein. Ja er fchreibt ed nicht einmal nur ihm zu 
ald einen ganz befonderen perſoͤnlichen Vorzug, fondern: indem er 
fügt, Sehet da, ein wahrer Iitaelit, in weichem Ten Falſch if, 
foricht er. es ja ald eine Forderung auß, die er an alle die. macht, 
benen er biefen allgemeinen Namen daß fie Glieber des alten Bum 
desvolkes wären beilegt. Aber felbft dieſes m. g. Fr., daß er doch 
nur fagt, Ein wahrer Ifraelit, macht Feine Aenberung in ber 
Urt, wie und dieſer Auöfpruch des Erlöferd befremdet. Denn -wir 
. werben wol alle nicht umhin Lönnen dem Apoflel Paulus beizuſtim⸗ 
men, welcher wo ed auf dad Verhältniß der Menſchen zu Gott an⸗ 
kommt und auf ben Ruhm, ben fie bei Gott haben follten — ach, 
und welcher andere Ruhm wäre etwas ohne diefen, und welche Be 
friebigung koͤnnte ed geben in dem Verhaͤltniß zu Gott ohne dieſen 
Ruhm! — aber. in biefer Beziehung behauptet Paulus, baß.die 
Inhaber des Geſezes die Glieder des Volkes, welches ein beſonde⸗ 
res Heiligthum Gottes zu ſein beſtimmt war, und die Heiden, die 
ohne das Licht des goͤttlichen Geſezes wandelten, vollkommen gleich 


161 


zu flellen fein. Unb fo finden wir aud in den allgemeinen einla- 
denden Reben des Erlöfers, daß er überall.von biefer Voraudfezung 
ausgeht, daß eine Liebe zur Wahrheit in allen Menfchen zu finben 
fei; und wo dieſe ift, ja da wird auch bie Unwahrheit ausgetrieben. 
Je Härter wir und in der menfchlihen Seele die Liebe zur Wahr: 
heit denken, befto weniger iſt der Menſch im Stande die Unwahr⸗ 
heit in fich zu dulden; und dieſe Worausfezung ſpricht ja der Erloͤ⸗ 
fer aus, wenn er fich pm dadurch den Menfchen anpreift, daß er 
von fih rühmt, er fei die Wahrheit. Denn wozu konnte er dieſes 
gefagt haben, wenn fie die Wahrheit nicht fuchten und Liebten? 
Diefelbe Boraudfezung Tpricht er aus, wenn er ben Menſchen fagt, 
fie follten zu ihm kommen, dann würbe die Wahrheit fie frei ma- 
hen; wo nicht, dann würben fie Knechte bleiben. Ueberall alfo 
fezt er. bei den Menfchen Empfänglichfeit und Liebe zur Wahrheit 
voraus, und ed iſt nur ein höherer Grab alles beffen, was er bei 
allen Menfchen vorausſezt, wad er hier an. dem Nathanael rühmt. 
. Bad werben wir alfo fagen müflen? Dffenbar müffen wir uns 
entichließen unfere Worftellungen von bem Werberben der menfchli- . 
hen Natur nach bem einzurichten, was ber Exlöfer hier und felbft 
fagt. Wir müßten fonach bekennen, ja dahin kann die menfchliche 
Seele kommen aud eignen Kräften, unerleuchtet von dem Erloͤſer 
kann fie doch dahin kommen, daß kein Falſch in ihr ſei, daß fie eis 
nen Widerwillen habe gegen die Unwahrheit, daß ſie überall fuche 
und Tiebe und ſich nur daran erfreue, was. wahr ifl. 

Aber demungenchtet wird ed babei bleiben, daß das Verderben 
der menſchlichen Natur ein tiefes und allgemeines iſt; und eben ſo 
wird auch das wahr bleiben, daß das Bewußtſein der Suͤnde in 
dem Menſchen lebendig geworden ſein muß, wenn ein Verhaͤltniß 
zwiſchen ihm und dem Erloͤſer entſtehen ſoll. Wie nun dieſes bei⸗ 
des fich mit einander verträgt m. g. Fr., daruͤber giebt und ber Apo⸗ 
fiel Paulus einen deutlichen und fehr beflimmten Aufſchluß in dem 
Briefe an die Römer, indem er in einem fehr befannten Abfchnitt 
deflelben *) den ganzen Zuftand des wohlgefinnten natürlichen Men: 
{hen darſtellt, ven er fo redend einführt, Sch habe ein Wohlgefallen 
dem innen Menfchen nah an bem Willen Gottes; aber was ich 
wit, das bin ich unvermögend zu thun, hingegen muß ich immer 
dad thun, was ich nicht will. Ich finde ein Gefez in den Glies 
bern, dad meinen Willen gefangen nimmt, fo baß ich das nicht 
vollbringen kann, woran ich das -innigfte Wohlgefallen habe. Iſt 
dad nicht die Stimme der Wahrheit, nicht die Stimme eines Men: 


Kap. 7, 7-3 
III. J g 


162 


ſchen, in dem Bein Falſch iſt? und doch die Stimme eines ſolchen, 
der fich bewußt ift, daß er nicht vermag aus eigenen Kräften fich 
dem Werberben zu entziehen, daß er über dies innere Wohlgefallen 
als ein boch leere mur müßiged eigentlich thatenlofed aus eigenen 
Kräften ſich nicht erheben kann, daß was er. vollbringt nur feinen . 
Grund hat in der Gewalt, welche dad Geſez in feinen Gliedern über 
ihn ausübt? Unb was wollen wir fagen, wenn Nathanael wirt: 
lich eine ſolche Seele ohne Falſch geweien ift, eind von dieſen ſelte⸗ 
nen menſchlichen Gemüthern, welche das Herz haben in ihr inneres 
bineinzufchauen und jebe Unwahrheit himwegzuräumen, bie ihnen ihr 
‚inneres verbergen koͤnnte; follte er nicht zu eben diefem Bewußtfein 
ber Sünde und des Unvermögens, wie ed ber Apoftel Paulus dort 
andipricht, gelommen fein? Das m. g. Fr. dinfen wir nicht be- 
‚zweifeln! nicht die Wahrheit iſt es, bie dem Menfchen fein inneres 
Unvermögen verbirgt, fondern eben nur die Lüge bewirkt biefes, die 
Unwahrheit, welche ihm gleichfam mit Gewalt dad Auge verfchliegt. 
Denn. dem Elaren Auge, woburd ber ganze Leib Licht wird, bem 
hellen Schein ber Wahrheit kann das menfchliche Werberben, dieſes 
leider nicht abzufchüttelnde Joch, an keinem Tage zu Feiner Stunde 
verborgen bleiben. Wenn ſich alfo beides wohl mit einander ver: 
trägt; wenn wir nun aus den Morten bed Erloͤſers ſelbſt dieſen 
Ruhm der menfchlichen Natur beilegen müfien, daß wie tief fie auch 
in dad Unvermögen binabgefunken fei fie doch noch die Fähigkeit 
befizt in ber Liche zur Wahrheit auch fich ſelbſt in ihrem Unver⸗ 
mögen: und in ihrem Berberben zu erkennen und burch diefe Er: 
kenntniß zur Sehnfucht nach einer Kraft, weiche ihr fehlt, erwekkt 
zu werben; wenn dies beibeö fo genau mit einander zufammenhängt: 
nun fo koͤnnen wir und volllommen hierüber beruhigen; dad Be 
wußtfein ber Sünde, welches bem Rathanael nothwendig war um 
ein Jünger bed Herrn zu werden, iſt nicht etwa ungeachtet deſſen 
daß er eine Seele ohne Falſch war, fonden nur um fo mehr als 
er bied war in ihm lebendig geweſen. 


1. Gehen wir nun weiter m. g. Ye. und fehen zweitens, anf 
welche Weife dies Verhaͤltniß, was der Erloͤſer durch folchen 
lobenden Ausfpruch anknüpfte, fich befeftigt habe: fo finden wir 
wiederum nicht wenig Urfache uns über fo manches babei zu wun⸗ 
bern. Bei biefer Liebe zur Wahrheit, bei dieſer Argiofigleit des Ge: 
müthes, welche ber Here an dem Nathanael rühmt, und da biefer 
von vorm herein mehr entfchloffen war den Glauben feines Freun⸗ 
des zu prüfen als felbft Chriſto näher zu treten, müflen wir das 
freilich wol von einer &eite angefehen natürlich finden, daß er fo 





163 
unkefangen fo — daß ich es herausſage — breift und kuͤhn ſich 
dem Erloͤſer gegenuͤberſtellt und ihn fragt, Du der du fo von mir 
rebeft woher kennſt du mich denn? Nun ift uns hieraus zugleich 
ganz Flar, daf er. dies Zeugniß bed Erlöferd annahm und es ſich 
zueignete; denn wenn dad nicht wäre, fo hätte er ihn nicht fragen 
können woher Jeſus ihn Eenne, fondern hätte ja daraus gleich be- 
flimmt erfehen, daß er ihn nicht fenne, und würde ihn auf feinen 
Irrthum zurüffgeführt und dadurch zugleich ben Philippus in ſei⸗ 
nem Glauben wankend gemacht haben. Er nimmt es alfo an und - 
fragt den Erlöfer gleihfam um fich dieſes Lob beftätigen zu laſſen, 
weil er nämlich eben deöwegen weil fein Zalidh in ihm war auch 
fein unbegründeted Lob von jemandem annehmen und fefthalten 
wollte: deshalb fragt er den Erlöfer nad dem Grunde feined Auss 
ſpruchs. Wie ed nun mit diefem zufammenhängt, davon willen 
wir nichtö; wie viel wunderbare fei es nun nur außerordentlich 
oder fei ed übernatürlich zu nennen darin wär, daß der Exlöfer zum 
Rathanael fagen Tonnte, Ehe dich Philippud rief, da du unter bem 
Feigenbaum wareft, fah ich dich; was er da von ihm gefehen hatte, 
oder was da in ihm und mit ihm vorgegangen war, fo baß bie 
Erinnerung baran dem Erloͤſer zur Rechtfertigung dienen konnte, 
dag fein Ausſpruch wahr fei und wohlbegründet, dad alles koͤnnen 
wir nicht, überfehen. Aber nun legt Nathanael ſogleich das Be 


tenntniß feines Glaubens von Jeſu ab und fagt, Warlich bu bift u 


der Sohn Gottes, von dem Philippus mir gefagt hat, bu biſt der 
König von Ifrael, den wir ale erwarten. — Wenn nun m. g. 
Fr. mit diefem Bekenntniß, wie wir dad vorher ſchon vorausgeſezt 
haben, in feinem innern dad Bewußtfein feiner Sünblichleit und 
feines Verderbens verbunden fein mußte, wenn doch fein Glaube 
ber rechte war: muͤſſen wir nicht ein ganz andere Betragen von 
ihm erwarten? Wie, wenn er nun fich gegenüber ben ber. mit ihm 
redete ald den Sohn Gottes erfannte, mithin nicht nur als dem, 
der eben deöwegen noch in einem ganz andern Sinn und in einer 
andern Weile die Wahrheit fein mußte, ald er ihm bad Zeugniß 
davon gab, fondern auch ald den, ber für alle die Quelle eben bes 
höheren Lebens werben mußte, welches in fich ſelbſt heroorzurufen 
und zu fördern er vermöge feiner Liebe zur Wahrheit fich für völs 
lig unvermögend erfannt haben muß: koͤnnen wir nicht billig er 
warten, Daß ehe er ohne weitered bie Juͤngerſchaft Chriſti annimmt 
ex zuerſt noch ein ganz anderes Belenntniß vor dem Erlöfer abges 
legt, daß ex zuerft wie jener andere Dünger gefagt haben werde, 
Sehe hinaus von mir, Herr, ich bin ein fündiger Menfch! es ift 
zwar etwad wahres an bem, was du von mir gelagt; aber weil 

e2 — 


164 " 


du doch weißt, wie wenig id) vermögenb bin, wie auch in mir das 
Gefez in den Gliedern lebt, und dad Wohlgefallen an dem heiligen 
Willen Gotted nur ein untüchtiged iſt: o fo wage ich nicht dir zu 
ſagen, was gleihwol die Wahrheit meines Herzens ift, fo wage ich 
nicht als ein fündiger Menfch ſolch Verhaͤltniß mit bir anzuknuͤp⸗ 
fen? Aber nichts davon! fondern ohne alle Spur von Zerknir⸗ 
fhung mit der gleichen Unbefangenheit mit bem gleichen heitern 
Muth, wie er dad Lob ded Erlöfers hinnahm, legt er nun auch 
das Bekenntniß feine Glaubens an ihn ab. Widerfpricht das nicht 
allem, was wir bei der Bekehrung bed Menfchen fordem?! — Nun 
finden wir allerdings in den weitern Worten des Erlöfers eine leife 
Spur von Unzufriedenheit mit dem Nathanael: aber doch nicht fo, 
als ob der Exlöfer verlange, er folle ihm mit dem Audbruff ber 
‚Selbftvernihtung oder Verzweiflung eben dieſes Unvermögens we 
gen entgegengelommen fein. Died vielmehr fcheint er nicht zu ver- 
miſſen nach feinen Aeußerungen. Hierbei m. g. Fr. laflet und ei- 
"nen Augenbliff verweilen und daraus die Folgerung ziehen, daß wir 
. nicht vergeblich follen die Gemüther der Menfchen ängftigen auf 
eine Weife, wie ber Erlöfer felbft ed nicht that. O es giebt unflrei- 
tig viele, die nicht anders zu einem frohen Genuß bed Held, wel: 
ched und in Chrifto zugefichert ift, kommen mögen, als bis fie Durch 
folhen der Selbftvernichtung nahen Zuftand des Gemüthed hin⸗ 
durchgegangen find; aber daß wir nur dad nicht aufftellen als eine 
allgemeine Forderung ald ein Zeichen, welches jeder muͤſſe aufwei: 
fen Eönnen, wenn er felbft feiner Gnadenwahl ficher fein, und wenn 
‘andere in ihm einen Bruder und Genofien ihres Glaubens erkennen 
follen! Denn wie nahme fonft der Erlöfer bier dieſen einen gleich 
in ben vertrauteften Kreid feiner Jünger auf, ohne bag aud nur 
die Leifefte Spur von etwas ähnlichem und entgegenträte. Darum 
m. 9. Fr., fo wie eben jene Liebe zur Wahrheit ein allgemeines 
Eigenthum bed Geiftes ift und von allem Verderben body aus ber 
,menſchlichen Seele nicht bat audgetrieben werden können; fo wie 
wir es wenn gleich in jehr verfchiebenem Grabe bei allen Menſchen 
ohne Ausnahme finden, fo daß das ganze Leben in allen feinen 
Verzweigungen barauf ruht: eben fo ift es in bemfelben Berhält: 
niß aucd mit bem Bewußtfein der Schuld und Sünde; das eine 
wie bad andere find wefentlihe Bebingungen, wenn wir zu dem 
feligen Verhältnig Jünger des Herm zu fein um durch ihn Kinder 
Gottes zu werben gelangen wollen. Aber heftigere Ausbruͤche bie: 
ſes leztern bedarf es nicht, damit der Chriſt ſich ſeines Heils be⸗ 

wußt werde, banit er in ein ſicheres und feſtes Verhaͤltniß zu dem 
Erloͤſer trete. Ja ich moͤchte es noch weiter fuͤhren und ſagen, je 


165 . 


mehr einer als eine folche Seele zum Erlöfer kommt, die ohne 
Falſch ift, defto Leichter wird ed ihm werben das rechte Verhaͤltniß 
mit ihm anzulnüpfen, ohne durch folche ftürmifche Kämpfe hindurch: 
zugehen. Aber freilich je mehr einer fich noch beffen bewußt ift, 


“ dag die Unwahrheit feiner Seele einwohnt, deſto weniger hat er 


Recht zu hoffen, bag wenn er in dem Erlöfer dad LKicht der Wahr: 
heit erkennt auch feine erfle Annäherung ſchon ein feſtes Band fei 
und eine innige unzertrennliche Bereinigung flifte, wie ed mit Na: 
thanael geſchah; fondern ein folder muß wahrfcheinlid noch durch 
taufenderlei Verwikkelungen feined inneren hindurchgehen, bis end⸗ 
lich der Boden der Seele gelaͤutert iſt. 

Aber welches war nun die Unzufriedenheit des Erloͤſers mit 
dem Nathanael, deren ich vorher ſchon erwaͤhnte? Er war nicht 
ganz zufrieden mit dem Grunde ſeines Glaubens. Denn mit einer 
ſolchen Bedenklichkeit fragt ihn der Erloͤſer, Du glaubeſt deswegen, 
weil ich dir geſagt habe, daß ich dich geſehen habe unter dem Fei⸗ 
genbaum? Etwas muß nun doch da geweſen ſein, was fuͤr den 
Nathanael der Grund ſeines Glaubens war; etwas uͤberraſchendes 
treffendes in Bezug auf das vorige Zeugniß des Erloͤſers muß in 
dieſer Andeutung deſſelben gelegen haben, was ihn ſo ergreifen 
konnte, wenn wir auch nichts genaueres darüber fagen koͤnnen. Den⸗ 
noch aber giebt der Erloͤſer ihm deutlich genug zu verſtehen in ſei⸗ 
nen Worten, daß dieſes fuͤr ſich allein eigentlich nicht der Grund 
ſeines Glaubens ſein ſollte, und weiſet ihn auf etwas anderes, Du 
glaubſt deswegen, aber bu ſollſt noch groͤßeres ſehen. Demungeach⸗ 
tet laͤßt ſich der Erloͤſer auch dieſen unvollkommen begruͤndeten Glau⸗ 
ben gefallen, ja er nimmt auf den Grund deſſelben den Nathanael 
in den engeren Kreis feiner Juͤnger auf. Denn alſo lauten buch: 
ftäblidy feine Worte, Du glaubeft, weil ich Dir gefagt habe, daß ich 
dich gefehen habe unter dem Feigenbaum? Du wirft noch größeres 
denn das fehen. Warlich, warlich ich fage euch — und nun rid): 
tet er feine Worte über dies größere nichtmehr an ihn allein, fon: 
dem an feine vorher ſchon anmefenden Jünger, und zwar fo, daß 
er dieſen Neuling nun ſchon mit unter fie begreift, — ich fage euch 
insgeſammt bir und ihnen, von. nun an werdet ihr dies fehen. 

So war denn Nathanael aufgenommen in die Zahl der Juͤn⸗ 
ger mit diefem Bewußtſein und Zeugniß, welched der Erlöfer von 
ihm ablegt, daß fein Glaube noch auf einem unfichern Grunde ruhe. 
Das kann und im erſten Augenblikk wundern, aber genauer betrach⸗ 
tet werden wir ed ganz natürlich finden und in der Ordnung. 
Benn wir auch gewohnt find das Wandeln im Glauben und das 
Banden im Schauen zu unterfcheiden, und wol faft immer fo, 


106 


daß wir und das lezte nur als das Worrecht eines Zuſtandes ben- 
fen, voelcher erſt auf bie Unvolllommenheit biefes irdifchen Lebens 
folgen könne, und hier aber nicht befchieden fei, vielmehr bad ganze 
irdifche Leben immer nur aufgefaßt werben koͤnne als ein Leben im 
"Glauben: fo denken wir doc; auch diefes niemals ald einen Stil: 
ftand, fondern haben und das feſt eingeprägt, daß jeder Stillſtand 
fhon ein verborgener Ruͤkkſchritt fei; daß jeber vergeffen müfle was 
dahinten ift und fich ſtrekken nach dem, was vor uns liegt. Auch 
fo betrachtet erfcheint uns alfo der Glaube fo, daß er während un: 
ſers irdifchen Lebens wachfen und zunehmen muß; beöwegen Tann 
er auch in feinen erften Anfängen nicht anders ald unzureichend 
‘fein. Verfolgen wir nun den Zuftand des Nathanael ruͤkkwaͤrts, fo 
war gewiß feine Neugierde erregt durch die Nachricht des Philip: 
pus, aber gemifcht mit Zweifeln, indem er ſprach, Was kann aus 
Nazareth guted kommen? Aber dody folgt er feiner Einladung, und 
nun überrafcht ihn der Erldjer mit dieſer ihm unbegreiflichen Ans 
beutung, und ba wurde ber Glaube an bad, wad ihm vorher fchon 
gefagt war, fein eigener in feinem Gemüth. Iſt e3 anders als fo 
mit uns allen m. g., daß der Glaube foldhen unvolllommenen An: 
fang hat? In den Jahren der Kindheit hören wir den Namen bes 
Erlöferö, wir hören von feinen Wohlthaten, bie über das menfch: 
liche Gefchlecht auögegoffen find, zu einer Zeit, wo wir den Sinn 
und die Bebeutung derjelben noch gar nicht verfiehen. Da ſchon 
fezt fih ein Eindrukk fefl, von dem wir nicht fagen können, daß er 
eine Wahrheit fei, noch weniger eine Weberzeugung, aber er ift doch 
ber erfie Keim des Glaubens; und wenn ſich hernach Chriſti Ge: 
fchichte vor uns entwikkelt, iſt es nicht zuerſt eben fo das feine ganze 
Erſcheinung begleitende unbegreifliche, welches biefen Keim in der 
Seele befeftigt? Dies alles iſt freilich noch nicht das rechte; aber 
es ift der natürliche es ift der nothwendige Anfang. Sol das Le 
ben im Reiche Gottes ein gemeinfchaftliches fein; fol fi auf na: 
türlihem Wege bie göttliche Kraft deffelben verbreiten: fo kann es 
fih nicht anders damit verhalten ald fo. Müßte jeder unmittelbar 
von dem Erlöfer die erſte Anleitung empfangen ihm zu folgen, dann 
möchte ed anders fein; fo wie wir aber erwekkt werben zu dem 
Glauben durch dad gemeinfame Leben, fo iſt es nicht anderd mög: 
ih, als dag in ben erften Anfängen unfer Glaube unvollfommen 
und unzureichend erfcheinen muß, beruhend auf dem was andere 
empfunden haben, ohne eigene Weberzeugung und Erfahrung. Aber 
eben deswegen, weil ber Erlöfer ſolch Reich Gottes fliften follte 
und wollte, eine geiflige Gemeinichaft der Menſchen; weil bie bis: 
ber dem menfchlihen Gefchlecht nicht eigene nicht in ber urfpräng: 


167... 


then Erfcheinung deffelben vorliegende höhere Kraft, mit welcher er 
auögerüflet war, auf dem natürlichen Wege der menfchlichen Ge⸗ 
meinichaft, der Predigt und Ueberzeugung, bed Beifpield und ber 
Nahahmung fich verbreiten ſoll: fo kann ed nicht anders fein und 
wird niemald anders fein können als fo. 

Aber bei dem unvolllommenen Glauben bürfen und follen wir - 
und nicht beruhigen; und darum leitet der Exlöfer auch gleich in 
den erfien Anfängen in diefem bedeutenden Moment, als er den 
neuen glaͤubigen aufnimmt unter die Zahl der Apoſtel, ſeinen Blikk 
auf das groͤßere kuͤnftige hin. Und was iſt dies? Das bildliche in 
dem Ausdrukk des Erloͤſers kann hier niemand verkennen. Wenn 
er fagt, Bon nun an werdet ihr den Himmel offen fehen, und bie 
Engel Gottes hinauf und herabfahren auf des Menfchen Sohn: fo 
Tönnen wir dad nicht eigentlich und buchftäblich nehmen. Einmal 
ober keinmal ift etwas, dad eine buchfläbliche Erfüllung hievon fein 
Zönnte, in bem Leben bed -Erlöfers vorgelommen: und darauf kann 

er fie hier nicht verwiefen haben. Aber was ift ber Sinn bed Aus- 
—* Er deutet auf die Verbindung zwiſchen Himmel und Erde, 
die auf dem Erloͤſer ruhte, daß nicht mehr jedes von beiden ein. be⸗ 
fonderes fein follte, nicht mehr getrennt das eine von dem andern, 
fondern eine Gemeinfchaft zwifchen beiden eröffnet, die nun nicht 
mehr aufhören durfte, urfprünglich aber ihren Siz in ihm allein 
batte, von andern zunaͤchſt nur angeſchaut wurde, aber ſich doch 
hernach durch dieſe immer mehr verbreitete, Kragen. bie Engel des 
Himmels hinab zu der Erbe Botichaft von des Menihen Sohn, fo 
kommt biefe Botfchaft zu allen, die feine Werke fehen; und es iſt 
daffelbe, was der Erloͤſer anberwärts ausfpricht, wenn er feine Juͤn⸗ 
ger auffordert in ihm den Water zu fchauen, weil er nichtd von . 
ihm felber thue ſondern nur was ihm der Vater zeige, baher auch 
nur durch) ihn und in ihm bie Werke des Waterd recht können er- 
kannt werben. Was iſt bad anderd m. g. ald ber vollfie Ausdrukk 
von ber vollkommenſten und ſeligſten Erfahrung eines glaͤubigen 
Gemuͤths? Die Gewißheit daruͤber, daß durch den Erloͤſer dies 
Verhaͤltniß zwiſchen Gott und den Menſchen wieder hergeſtellt iſt, 
dieſe Erfahrung erſt iſt der wahre lebendige ſeligmachende Glaube; 
ohne dieſe koͤnnen wir uns noch nicht ruͤhmen, daß das Herz feſt 
geworden ſei. Aber wie der Herr ſagt, dieſe Feſtigkeit des Herzens 
dieſe Vollkommenheit des Glaubens faͤngt an mit jener unvollkom⸗ 
menen mit jener noch nicht gehoͤrig begruͤndeten Anerkennung des 
Erloͤſers; aber nur inſofern als ſie der Grund iſt von einer beſtaͤn⸗ 
digen Richtung des Gemuͤths auf ihn, von einer treuen Aufmerk⸗ 
ſamkeit, mit der wir ihn unermuͤdet in allen ſeinen Aeußerungen 


168 

begleiten, vom einem woißbegierigen Blikk, mit bem wir überall Son 
ihm zum Water im Himmel und von diefem zu dem Sohne bin 
überfehen, ‚an welchem er Wohlgefallen hatte. — Daß nur auf 
biefem Wege das Band bed Glaubens und der Liebe, des vollkom⸗ 
menften Bertrauend und bed treueften Gehorfamd zwifchen dem Er⸗ 
Löfer und biefem Zünger feſt geworben ift, dad fehen wir aus Dem 
Erfolg. Wir wiflen freilich nicht weiter von feiner eigenen Fuͤh⸗ 
- vung ober von bem, was er fpäterhin im Dienft des Herm gefei- 
ſtet hat; nur einmal *) erwähnt Sohannes feiner in den Zagen ber 
Auferftiehung des Herm und nennt ihn unter einer Heinen Anzahl 
der Jünger, denen ſich ber Herr in Saliläa, wohin fie auf feinen 
Befehl gegangen waren, offenbart. Er iſt alſo in diefem Kreife 
geblieben, und wahrfcheinlich, daß bie Berzeichniffe ber Apoflel, in 
denen fein Name nicht vorkommt, ihn unter einem andern Namen 
begreifen; denn wir finden ihn in den Zagen ber Auferfiehung im 
ber innigften Gemeinfchaft mit ben vertrauteften Jüngern de Herrn. 
So laſſet und m. g. Fr. daraus bie Folgerung ziehen, daß auch 
wir keines ficherem Anfangs bebürfen, ald der ift, welchen dieſer 
- Zünger gemacht hat; daß es Feine beffere Worbereitung giebt um 
die rechte Gemeinſchaſt mit dem Erlöfer anzufnüpfen, als die, wenn 
eine Seele ohne Falſch ift und der Wahrheit ergeben. Sind wir 
nun alle dazu berufen zur Förderung bed Reiches Gotted beizutra= 
gen; iſt und dazu vor allem die Jugend anvertraut, die unter uns 
aufwaͤchſt: ach, daß e8 und gelingen möchte fie alle zu bilden zu 
folhen Seelen, in denen Fein Falſch iſt! daß wir die Liebe zur 
Wahrheit in ihnen allen recht entzuͤnden Tönnten, damit fie Feinde 
würden aller Unwahrheit und Lüge! Dann wird der Erxlöfer in ihr 
Herz einziehen, dann wird ihnen ihr eigened Unvermögen nicht ver: 
borgen bleiben fondern von einem Tage zum andern beutlicher wer: 
den; und wie ja dad Licht der Wahrheit kenntlich aus dem Erloͤſer 
leuchtet, zu wen würben fie anderd gehen als zu dem, welcher das 
Licht ift? bei wen würben fie bleiben wollen ala bei dem, ber die 
Wahrheit ift und die Liebe und der Abglarz des göttlichen Weſens 
in ber Herrlichkeit des eingebornen Sohnes? Amen. 


) ZI 31, 2. 
- Lied 3. 








XV. 
| Am 4. Sonntage nad) Epiphan. 1832. 


Sieb 4,1—3. 516 
Tert. En. Joh. 4, 25 und 26. 


Spriht dad Weib zu ihm, Ich weiß, daß Meflias 
tommt, ber da Chriſtus heißt. Wenn derfelbige kommen 
wird, fo wirb er ed und alled verfündigen. Jeſus Ipricht 
zu ihr, Ich bin ed, ber mit bir rebet. 


M. a. gr. Nicht um diefer Worte allein willen, auch nicht ein⸗ 
mal um unſere Aufmerkſamkeit beſonders auf ſie zu richten, habe 
ich ſie geleſen; ſondern nur als das Ende jenes bekannten Geſpraͤchs 
Chriſti mit der ſamaritiſchen Frau, an welchem wir auch ein ſolches 
Beiſpiel haben, wo der Erloͤſer ſelbſt den Anfang machte ein per⸗ 
ſoͤnliches Verhaͤltniß mit einem einzelnen anzuknuͤpfen. Es ſei alſo 
dieſe ganze Geſchichte, welche wir zum Gegenſtand unſerer Be⸗ 
trachtung machen wollen; und ich denke, ich kann eine ſolche Be⸗ 
kanntſchaft mit derſelben vorausſezen, daß es nur dieſer oder jegli⸗ 
cher anderen einzelnen Worte aus der Erzaͤhlung bedurfte, um ſie 
ganz in Erinnerung zu bringen. Es ſcheint mir aber nothwendig, 
daß wir zuerſt ſuchen uns uͤber die Begebenheit ſelbſt ihrem ei⸗ 
gentlichen Inhalte nach gemeinſchaftlich zu verſtaͤndigen; denn wo 
das nicht der Fall waͤre, und der eine ſie anders anſaͤhe als der 
andere, ſo koͤnnten wir dann auch nicht daſſelbe als die Belehrung 
Chriſti die darin liegt herausnehmen, und dieſe zu entwikkeln wird 
dann ber zweite Theil unſerer Betrachtung fein. 





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I. Um nun ben agentlihen Inhalt ber Geſchichte zu verfte- 
hen, laffet und zunächfl unfere Aufmerkſamkeit auf den Gemuͤthszu⸗ 
fland der Frau richten und dann auf das Verfahren bed Erlöfers 
fehen. Wir finden nun allerbingd, fobald der Erlöfer fein Verhaͤlt⸗ 
niß zu ihr dadurch anknüpft, daß ex fie bat ihm aus dem Brun⸗ 
nen zu trinken zu geben, bei ihr eine gewiſſe Geneigtheit fi mit 
ihm einzulaffen. Denn fie hätte dies nicht nöthig gehabt; fie komute 
fchmweigend oder mit wenigen Worten fein Begehren erfüllen und 
dann ihr eigened Gefchäft zu Ende bringen und ihres Wege von 
bannen gehen. Nun wußte fie nichtö weiter, als baß fie aus feiner 
Tracht und Art und Weiſe fab, er fei ein jüdiicher Mann, fie aber 
war eine famaritifche Frau, und zwildhen beiden Zeilen war Zwie⸗ 
tracht geſezt feit langer Zeit. Der Widerwille war freilich thätiger 
und flärker auögeprägt auf der Seite ber Juden, aber. er blieb we⸗ 
nigftend nicht unerwiedert von Seiten der Eamariter. Indem alſo 
. num jene Frau die Frage an ihn richtet, Wie bittefl du von mir 
zu trinken, ba du ein jüdifcher Mann bift, und ich ein famaritiiches 
Weib? fo giebt fie dadurch zu erkennen, daß auch fie über biefes 

Vorurtheil hinweg fei und an dieſer Spaltung ebenfalls nicht theil- 
nehme, indem fie freiwillig mit: Jeſu ein Geſpraͤch anknuͤpft und 
ihm Rebe abzugewinnen ſucht. Das für fi) allein beweift aber 
wol nicht viel für fie; denn aus dem, was der Exlöfer ihr hernach 
fagt über ihr bisheriges Leben, können wir wenn wir es auch nicht 
genauer zu beflimmen willen doch nicht anders urtheilen, als daß 
doch wenigftens ein gewiſſer Leichtfinn und mancherlei tadelnswer⸗ 
the3 in den vertrautefien und genaueften Berhältnifien des menſchli⸗ 
chen Lebens auf ihre Rechnung kommt. Mit einem ſolchen Sinn 
verträgt es fich denn fehr leicht, wenn man ed einmal mit dem 
was dad Gewiſſen fordert nicht genau nimmt, daß man ed audy 
- mit dem nicht genau nehme, was bad Gefez und die äußere Sitte 
fordert, und auf biefe Weife über manches, was in diefen Dingen 
nur Borurtheil iſt oder Anhaͤnglichkeit an alt hergebrachtes, fi) er: 
bebe. Deshalb alio dürfen wir noch Feine auch nur entfernte Ab: 
nung davon, wer ber geweien fei, den fie da vor fich habe, voraus. 
fegen. Als nun der Erloͤſer endlich zu ihr ſpricht, Wenn bu die 
Gabe Gotted erkennteſt und wüßteft, wer ber ifl, ber zu bir fagt, 
gieb mir zu trinken: bu bäteft ihn, und er gäbe bir lebendiges 
Wafler; und ſich hernach hierüber noch weiter auf eine folche Weile 
erfiärt, daß fie nicht anders glauben konnte ald dieſe Worte müßten 
einen geiftigen Sinn haben und wären nicht buchfläblich zu verfte: 
ben: fo nimmt fie fie boch grade nur in diefem buchſtaͤblichen Sinn 
auf eine gleichſam fcherzende Weile auf, indem fie dem Erloͤſer er: 


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wiedert, Ei das wäre ja vortrefflich, wenn du r;'r von dieſem Waſ⸗ 
ſer gaͤbeſt, ſo haͤtte ich nicht mehr noͤthig aus der Stadt heraus an 
dieſen Brunnen zu gehen und zu ſchoͤpfen. Daran ſehen wir alſo 
ebenfalls nur biefelbe äußere Leichtigkeit deö Umgangs und des Ge- 
ſpraͤchs, aber keinesweges eine ernfle Richtung auf das geiftige. 
Wenn bdiefe in ihr gewefen wäre: wie anders würde fie bann ge⸗ 
wiß eben dieſe Rebe bed Erlöferd gefaßt und beantwortet haben! 
Und wenn das, was er nur in flüchtigen Zügen anbeutet von dem 
wechfelreichen in ihren nächften Zebendverhältniffen, fich doch kaum 
anders erflären läßt ald durch eine vorherrfchende Richtung bed Ge- 
müth3 auf dad, was und augenblifflih auf eine finnliche Weife 
bewegt, und durch eine nur zu große Leichtigkeit um beöwillen bie 
heiligen Geſeze des Lebens und ben tieferen Gehalt beffelben hintan 
zu flellen; wenn fie fich alfo eines folchen Werlangens nur nach 
dem äußeren finnlichen bewußt fein mußte, und ber Erloͤſer fagte, 
er könne ihr geben was ben Durft ihrer Seele fo flillen würde, daß 
fie nicht mehr nach diefem und jenem zu fireben brauchte, fondern 
daran Genüge hätte: was für eine Wirkung müßte dad auf fie her⸗ 
vorgebracht, zu welcher ernften Einkehr müßte es fie aufgefordert ha⸗ 
ben, wenn fie zu einem Haren Bewußtſein ihres Zuftandes gewekkt 
geweſen wäre! Ebenſo hernach, ald ber Erlöfer fich ihr zu erfen- 
nen giebt, wies ſie doch die Sache mehr von fich hinweg ald daß 
fie darauf eingegangen. wäre, indem fie nun eilend ihres Weges 
zurüft ging nach der Stadt um den Männern der Stadt zu fagen, 
fie möchten doch hinausgehen und fehen, ob diefer Mann nicht Chri⸗ 
ſtus fei. Dadurch ſchob fie Sorge und Verantwortlichkeit von ſich 
ab auf andere. Und eben fo ift auch wol ſchon jene Antwort an: 
zufehen, welche wir mit einander vernommen haben, und welche fie 
dem Herm gab, ald er ſich auf ihre Frage welches denn bie rechte 
Anbetung Gotted fei einließ und ihre ben großen bebeutungsvollen 
Beicheid gab, welchen fie auch wenn fie ernfler geflimmt geweſen 
wäre auf eine andere Weile hätte ergreifen müflen, wenn fie hörte 
von einer Nothwendigkeit nicht mit äußeren Gebräuchen ſondern im 
Geiſt und in der Wahrheit Gott anzubeten. Denn darauf war ihre 
Antwort auch abweifend, und fie fucht dem Erlöfer auszumeichen 
indem fie fagt, Nun dad mag audgefezt bleiben bid auf die Zeit bes 
Meffind; wenn der kommt, dann wird er über alles das und Auf: 
fhlug geben. Und fo muß ein ganz befonberer Drang in bem 
Herm gewefen fein, daß er fich ihr dennoch ald den Meſſias zu er 
fennen gab, womit er fonft gar nicht fo leicht vorzufchreiten pflegte. 
Daher haben wir auch mol die Wißbegierbe nicht zu hoch anzufchlas 
gen, welche fie zu erkennen. gab, als fie aus ber Kenntniß welche 


172. 


ber Here von ihr hatte fchloß, daß ein prophetifcher Geift in ihm 
fein müffe. Denn bie Frage, welche fie an ihn richtete, mußte wie 
fie leicht denken konnte einem Propheten angenehm fein, weil fie 
fi) eine Auskunft über etwas von ihm erbat, was dem Stande ei- 
ned folchen angemeffen war. Es fcheint .alfo auch diefed -mehr aus 
jener Leichtigkeit und Angemeffenheit in dem Umgange mit den Men- 
fchen herzurühren, ald daß -fie ein wahres Verlangen gehabt hätte 
über biefen Streit zwifchen ben beiden benachbarten Voͤlkerſchaften 
und über bad, was ber eigentliche Wille Gottes hierin fe, auf 
reine zu fommen. So müffen wir benn freilich geftehen, wenn wir 
dieſes alled zufammennehmen, fcheint bie Frau nicht eine foldhe ge- 
toefen zu fein, von welcher der Erlöfer große Erwartungen hegen 
konnte, daß feine perfönliche Zuſprache auch eine ganz entſcheidende 
bis in das innerfte ihres Gemuͤths durchbringende und fie ergrei= 
fende Wirkung auf fie hervorbringen werbe. 
Um deſto wichtiger muß es und nun fein dad Verfahren bes 
Erlöfers im Zufammentreffen mit diefer Frau ebenfalld und genauer 
vor Augen zu flellen. Freilich wendet er ſich an fie und fucht ihr 
Rebe abzugeroinnen, während er da allein an dem Brunnen ver 
weilte, als feine Zünger in die Stabt gegangen waren um Speife 
zu holen; und freilich fügt er feiner Bitte um bie Löfchung feines 
Durfted gleich ſolche Worte hinzu, welche zugleich ebenfo eine Ein- 
ladung enthielten, wie er gewohnt war alle Menfchen indem er zu 
ihnen redete einzuladen zu bem Reiche Gotted. Allerdings hatte er 
fi) fo an diefe Frau gewendet; aber er hätte ja einen Augenblift 
verfäumen muͤſſen wo er thätig fein Eonnte in feinem Beruf, wenn 
er diefes nicht gethan hätte. Das alfo konnte er nicht anders; und 
daher find wir noch nicht berechtigt hieraus zu fchliegen, daß er es 
auf eine eben ſolche Weiſe perfönlich auf fie abgefehen hatte wie 
auf den Nathamael, deſſen Zufammentreffen mit ihm wir neulich 
zum Gegenftand unferer Betrachtung gemacht haben. Das zeigt 
fi und denn noch beflimmter, wenn wir und baran erinnern, wie 
als fie fi) mit Chriſto einließ und ihn bat, er folle ihr von. diefem 
Waſſer geben, er freilich in den Sinn welchen fie damit verfnüpfte 
nicht weiter einging, aber auch bad Mißverflänbnig nicht Löfte, in 
welchen fie entweder begriffen fein konnte, ober weldyes fie vorwen⸗ 
dete um dem geifligen Gehalt bed Geſpraͤchs, weldyes ihr unbequem 
geworben wäre, aus dem Wege zu gehen. Vielmehr wendet er fich 
von da an gleichfam von ihr ab, indem er fie aufforbert, fie folle 
ihren Mann holen und mit dem wiederkommen, dann wolle er ſich 
weiter über diefe Sache erflären. Denn das bürfen wir doch nicht . 
. glauben, daß er diefe Aufforderung nur zum Schein hinzugefügt 








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um an ihre Antwort baß fie feinen Mann habe das anzuknuͤpfen, 
was er aus befonderer Kenntniß ihres Lebendganges ihr fagte; denn 
das konnte er auch ohne jenen Auftrag thun, und er bedurfte dazu 
keiner folchen Einleitung. Aber fie fchien ihm eben nicht eine folche 
zu fein, daß eine weitere Erörterung über die geifligen Beduͤrfniſſe 
der Menfchen und über die Art und Weiſe, wie diefe durch ihn folls 
ten für das ganze Leben und für alle Menfchen befriebiget werben, 
— fie ſchien ihm nicht eine ſolche zu fein, mit ber fich hierüber re 
den ließ, und barum forbert er fie auf ihren Dann zur Stelle zu 
bringen, damit er fi mit dem verfländige. Seinen Willen alfo 
eine große Wirkung hervorzubringen erkennen wir beutlich; und -fo 
gewinnt es dad Anfehen, ald ob feine Abficht gleich von Anfang an 
mehr auf das ganze jener Stadt und deren Einwohner gerichtet ge - 
weſen wäre ald auf bie einzelne Frau. Das zeigt fich nun noch 
deutlicher in bem ‚weiteren Verfolg der Gefchichte. Denn nachdem 
Chriſtus die Worte unfered Zerted gefprochen und ihr gefagt hatte 
wer er fei, fo kamen feine Jünger aus ber Stadt zuruͤkk; und ber 
Evangelift erzählt, fie hätten fich zwar gewundert ihn im Gefpräc) 
mit der rau zu finden, aber boch hätte Feiner ihn gefragt, wie er 
- Dazu gekommen wäre. Aber er felbft erklärt fich auch nicht daruͤ⸗ 
ber, ſondern läßt das ganz fallen, giebt ihnen aber wol zu erken⸗ 
nen, wie ex fich freue einer großen Wirkung, die er im Begriff fei 
beroorzubringen; und ungeachtet fie des leiblichen Bebürfniffes we 
gen in die Stadt gegangen waren um Speife zu kaufen und ihn 
nun aufforderten zu effen, war er davon faſt ganz abgewendet und 
fagte, er fühle diefed Beduͤrfniß nicht mehr zu eſſen, er habe fchon 
eine Speife von ber fie nicht wüßten, nämlich es fei ihm eine Ge: 
legenheit gegeben etwas großed zu thun in bem Werke feined Va⸗ 
terd. Und fo betrachtet er das ganze Sefpräch mit der Frau.nur 
als eine Beranlaffung, welche er wohl benuzt hatte zu dem, was 
fi nachher begab. Und ald nachher Männer aus der Stadt ka⸗ 
men: und ſich mit ihm in ein Gefpräch einließen und an ihn glaub: 
ten ald an den Meſſias und ihn baten bei ihnen zu bleiben: fo 
blieb er wie der-Evangelift erzählt zwei Tage in ber Stabt; aber 
von der Frau ift weiter gar nicht bie Rebe, ob fie weiter irgend 
einen ober gar feinen Antheil-an ihm genommen, ob auch für fie 
perfönlich etwas gewonnen worden fei oder nicht. Vielmehr was 
und der Evangelifi nachher erzählt von ber Art wie bie Männer - 
der Stadt mit ihr gerebet hätten, bad fcheint nicht auf eine leben: 
bige Zheilnahme an dem Erloͤſer zu deuten, wenn fie zu ihe fpras 
hen, Wir glauben nun nicht mehr um deiner Rebe willen, baß er 
wirklich Chriſtus der Heiland fei. Hätte die Frau an den weiteren 








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Geſpraͤchen ded Erlöferd mit ben Einwohnern der Stabt theilge: 
nommen: fo wuͤrde fie biefelbe Erfahrung auch gemacht haben, und 
es wäre dann ja viel natürlicher geweien, daß fie zu ihr gejagt 


. bitten, Nun glaubft du felbft doch wol nicht mehr nur deöhalb an 
ihn, weil er dir gelagt was du gethan haft, fondern wegen ber un⸗ 
. mittelbaren Erfahrung, welche bu von ihm gehabt, wegen bed Ein: 


drukks, den feine Rede und feine ganze Erichenung auf dich) wie 
auf und gemacht hat. Die Art alfo wie die andern zu ihr reden 
ſchließt fie gleichfam aus von einer näheren Theilnahme an dem, 
was der Erlöfer in jener Stadt gewirkt hat; und fo finden wir 
auch in ber heiligen Gefchichte weiter gar feine Spur von ihr. Unter 
ben Frauen, welche den Erlöfer auf feinen Wanderungen begleiteten 
und ihm bienten, unter- biefen finden wir fie nirgenb weiter ges 
nannt; aber daß der Aufenthalt des Erloͤſers in diefer Stadt nicht 


iſt vergeblich geweien, das giebt und bie fpätere Geſchichte zu er- 


tennen, indem und die Apoftelgefchichte erzählt, nach der Himmel: 
fahrt des Erloͤſers, und als feine Jünger anfingen fi) aus Jeruſa⸗ 
lem. zu zerflreuen wegen ber auf Weranlaffung bed Stephanus über 
fie ergangenen‘ Verfolgung, habe die Landſchaſt, zu welcher auch 
diefe Stadt gehörte, das Evangelium mit großer Leichtigkeit aufge- 
nommen. Hieraus fehen wir, wie ein Glaube an ihn übrig geblie: 


E ben, der bernady durch neue Zufprache feiner Jünger wieder ange- 


facht fi) auch fehnell weiter verbreitete. 

Das m. g. Fr. iſt dad eigentlich gefchichtliche der Sache, und 
dad muß uns freilich verlangend machen dad Verfahren des Erloͤ⸗ 
ferö in dieſer Gefchichte zu unferer Belehrung genauer zu ermägen. 
Denn wenn wir und denken follten, er hätte irgend eine menfchliche 
ent bloß als Mittel gebraucht um durch fie auf andere zu wir 

: fo glaube ich wuͤrde und das allen nicht recht in bad Bild, 
—— wir von ihm haben, zu paſſen ſcheinen, weil uns ja keine 
Spur von ber Liebe, welche in ihm als ber Abglanz der. göttlichen 
Liebe war, baraud bervorleuchten koͤnnte; und das wäre eine Art 
von Verdunkelung des Eindrukks, welchen ſonſt alled was er ges 
than hat auf und macht. Darum laffet und nun bad Betragen bed 
Erlöfers in Beziehung auf bie Frau genauer mit einander erwägen. 


1. Wenn wir nun auch zugeben, baß er fich bei ber Kennt: 
niß welche er von ihr hatte nicht mit einer großen Ausſicht etwas 
bleibendes in ihrem Gemuͤth bervorzubringen an fie gewendet habe, 
fondern vornehmlich nur weil fig die erfie war, bie ihm entgegen 
fam aus jener famaritifchen Stadt; in welcher er einen Samen bei - 
göttlichen Worts bei feiner Vorbeireiſe zuruͤkklaſſen wollte: fo muͤſſen 


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wir boch geſtehen, er hat ed nicht auf folhe Weile gethan, daß er 
fie ſelbſt dabei vernachläffigt Hätte; fondern feine Rede war ganz fo 
eingerichtet den größten Eindrukk auf fie.zu machen, in fofern fie 
für denfelben empfänglich geweſen wäre. Dad liegt ſchon in dem 
was ich vorher ſchon aus feiner Rebe bemerdlich gemacht, wie er 
zu ihr fagte, Wenn du wüßtefl, wer der iſt der mit bir redet, und 
die Gabe Gottes erkennteſt; benn biefe Worte enthalten fchon einen 
Zweifel daran, ob fie wol bie lebendige Erkenntniß babe von ber 
allgemein erwarteten Gabe Gottes, welche ihr Herz ihm aufichlie: 
gen mußte. Und wenn er binzufügt, Wem bu bad wüßtelt, fo 
würbdeft bu mich bitten, baß ich bir dad lebendige Waſſer gäbe, nach 
welchem ‚wer einmal im Beſiz deſſelben ift nun ewig nicht mehr 
anbered begehrt, fondern welches in jebem ſelbſt eine Quelle wird 
zur Mittheilung für andere, fo daß fie fiih ungemeflen in dad ewige 
Leben ergießt und ein ewiges Leben hervorbringt, — indem er das 
fagt, fo wollte er ja offenbar ihr Gemüth treffen, wollte ihr ſich 
ſelbſt kenntlich machen als eine foldye, der ed an dem rechten Wen 
langen nach dem heilbringenden und ewigen fehlte. Und dieſe Ans 
Deutung unterließ er nicht, ohngeachtet ex, fo wie er mit ben Schikk⸗ 
falen ihres Lebens bekannt war, eben fo auch den Sisn erkannte, 
der dieſen Schikkſalen zum Grunde gelegen, unb von dem fie noch 
beberzicht war. Alſo werben wir ihm auch bier bad Zeugniß geben 
müfien, daß er fie keinesweges vernachläfligt, fonbern daß er grabe 


fo zu ihr gerebet habe, wie es bie größte Wirkung hätte hewor 


bringen Eönnen. Dieſes m. g. Fr. iſt nun eine’ befländige Regel, 
welche wie ber Erlöfer fie beobachtete auch in dem Reich Gottes 
immer befolgt werben muß. Es ift ein fo lebendiges ganze, daß 
niemand darin, Beine lebendige Seele bie ihm angehört nur ald Mit: 
tel angefehen werben darf auch nicht zu dem heiligfien Zweit; fons 
bern jebe iſt zugleich fire alle felbft der Zwei, fofern je in jeber die 
völlige Befeligung bewirkt werben foll, welche überall in dem Reiche 
Gottes fein muß. Nun kommen wir alle freilich oft-in ben Fall, 
daß wir bie Kräfte anderer in Anfpruch nehmen um vermittelft ih⸗ 
rer etwas in dem Reiche Gotted audzurichten, grabe wie ber Erlös 
jer etwas ausrichten wollte burch diefe Frau an dem Orte wo fie 
wohnte. Aber aud) dad. follen wir nie thun ohne und zugleich den, 
beffen wir und bedienen wollen, felbft zum Zwekk zu machen, mit 
hin unfere Thaͤtigkeit zugleich darauf zu richten, daß auch in jebem 
ſeibſt Luft umb Liebe zu dem Reiche Gotted entweder erſt aufgehe, 
ober durch das gemeinfame Werk in ihm geförbert werbe, ober follte 
er in irgend einen fchlechten Buflanb geräthen fein er aus demfelben 
wieder erhoben werde. Nun aber bebürfen wir überall ber Mitwir⸗ 


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fung aller, die wir erreichen können, unb müffen uns alfo auch alle 
ohne Ausnahme in biefem Sinne zum Zwekk machen. Darüber 
giebt es nun freilich fein Maaß; und viel wirb unter den Chriften 
bin und her geffritten, welches das rechte fi. Die einen halten 
ſchon alle für eine heilige Pflicht, wozu das Herz fie um dad Sees 
lenheil anberer zu förbern treibt; andere hingegen achten fchon alles 
was jene thun für Zubringlichleit und unbefugte Einmiſchung in 
die geheimſten Angelegenheiten ber menſchlichen Seele. Wenn wir 
daher dad Maaß entbeiten könnten, welches der Erlöfer ſelbſt hierin 
beobachtet hat, jo könnte und das von großem Ruyen fein. Und ich 
benfe, wenn wir fein Verfahren in ber Gefchichte unſeres Xertes 
mit anberem vergleichen was wir von bem Erlöfer wiffen, fo wuͤr⸗ 
den wir dieſes wol entdekken können. Denn eines fehlt und nicht, 
daß wir ed nicht alle recht gut wiffen follten; wäre es und auch 
nicht in mehreren einzelnen Zügen aus feinem Leben aufbewahrt, 
die ich aber jezt nicht ausdruͤkklich in Erinnerung bringen kann, 
fo wüßten wir ed doch aus dem Gefammteinbruff, den fein ganzes 
Leben und Thun auf und macht, daß er namlich die irdifchen Dinge 
auch irbifch behandelt und nicht in-alle alltäglichen gefelligen Ber: 
hättniffe die Angelegenheit feines Berufs erzwungenerweiſe und 
gleichſam gewaltſam eingemiſcht hat. Aber wenn er in einer Thaͤ⸗ 
tigkeit in Beziehung auf das Reich Gottes begriffen war, ſo konnte 
er dann auch keinen Menſchen bloß als Mittel behandeln; ſondern 
er wußte jeden fo zu gebrauchen und aufzufaflen, bag wenn es its 
gend moͤglich war zunaͤchſt in ihm ſelbſt eine heilſame Wirkung eine 
Vermehrung ber goͤttlichen Gnade eine Kräftigung auf dem rechten 
Wege erfolgen mußte. Und dad m. g. Fr. wird auch für und alle 
die rechte Regel fein! je genauer biefed oder jenes mit bem Reiche 
Gottes zufammenhängt und ſich darauf bezieht, defto mehr find wir 
darauf gewieſen, daß wir jeben den wir zu irgend einer Mitwir: 
fung auffordern auch fo behandeln, daß daraus hervorgeht, auch 
“feine Seele beſonders fei ein Gegenſtand unferer Liebe und Sorge; 
und indem wir ihn auffordern mit und thätig zu fein, fuchen wir 
für ihn thätig zu fein. Und gewiß, was wäre eine größere Freude 
für den Erloͤſer geweſen, als wenn er den irdifchen Sinn biefer Frau 
ganz durchbrochen hätte! wenn er burch die Gitelfeit, welche barin 
lag, bag fie mit ihm weil fie ihn für einen Propheten erklärte aud) 
gleich ein Gefpräc über geiflige Dinge anknüpfte, wenn er durch 
dieſe hindurch ihr innerfted Gemüth hätte treffen können! Gr hat 
dazu alled gethan; er machte fie erſt aufmerffam auf bie Richtige 
keit ihres Beſtrebens, er hat fie hernach gefaßt durch die unmittel: 
bare Kenntniß ihres Lebenswandels, er hat ſich hernach auf alle ihre 


177 
Tragen eingelaflen und zulezt noch das hinzugefügt, womit er fonft 
ſo fparfam war, ja was er zuweilen feinen Juͤngern auszubreiten 
verbot, indem er ihr eröffnete, er fei Chriſtus ber Meſſias. So er 
fennen wir alſo allerbingd die treue ernfle Liebe, bie Richtung auf 
-dab Wohl ber Seele, welche damit zugleich anfing, bag er fie wollte 
zu einen: Werkzeuge machen, um auf biefe Beranlaffung. großes bei _ 
anberen auszurichten. 
Das jweite aber, was uns in dieſer Geſchichte als hoͤchſt (ehr 
reich und auch wol allgemein geltend auffallen muß, geht auch 
fchon aus derjenigen hervor, welche wir neulich mit einanber bes, 
trachtet haben; wir können es aber biefed Mal ftärker herausheben, . 
als es und damals vergönnt war, nämlich wie der Exlöfer nur eine 
entfcheidende Wirkung ‘auf ein einzelned Gemüth dadurch hervorzu- 
bringen trachtet, daß er ihm zur Anſchauung bringt, wie er in das 
verborgene fieht, und wie bad innere ihm nicht fremd if. So dus 
Bert er fich gegen ben Nathanael, und ber konnte darauf nicht ans 
derö als beiennen, Ia du bift gewiß der Sohn Gottes der König - 
von Jsrael; fo fpricht-er auch zu diefer Frau, indem er ihr das, 
wovon fle glauben mußte, baß es ihm verborgen fei, aus ihrem Les 
benswandel aufdekkt und ihr zeigt, daß er wohl wußte wer fie fei, 
‚und aud fie kann fi) dann bed Bekenntniſſes nicht enthalten, Here 
ich fehe, dag du ein Prophet bift, und fie lenkte dann gleich das 
Sefpräh von ihrer Perfönlichkeit weg auf größere oder doch allge 
meinere Gegenflände War nun biefed nur während ber Zeit feines 
irdiſchen Lebens die Art und Weiſe des Erlöferd, wenn er ein Ver 
haͤltniß mit einer einzelnen Seele anknüpfen wollte? ober iſt es 
nicht noch die Art, wie er an jebem einzelnen Gemüth feine Wirk: 
famkeit beginnt? Wenn wir uns bewußt find befonderd ergreifen: 
ber Augenblikke „welche und zum Segen für unſere Lebensführung 
gereichen: wie oft haben fie nicht dieſen Gehalt, daß ein Wort bed 
Erloͤſers ober auch das ganze Bild deffelben wie es und begegnet 
etwas verborgened aud dem Grunde unferd Herzens. hervorziebt, und 
wie aufmerfjam werden auf stwad worüber wir den Schleier der 
Bergefienheit zu dekken fuchten, oder wad uns doch in dem Wechſel 
des Lebens verborgen geblieben iſt, oder auf das woruͤber wir als 
Seelen die nicht ganz ohne Falſch ſind uns ſelbſt auf eine oder die 
andere Weiſe zu taͤuſchen ſuchen! Und wenn wir fragen, was iſt 
denn der echte Grund des feſteſten Buͤndniſſes der einzelnen Seele 
mit bem Erlöfer: fo werden wir fagen müflen, es ift daſſelbe Be⸗ 
wußtfein, welches Petrus ausſprach ald er fagte, Herr du weißt 
ale Dinge, du weißt daß ich Dich Liebes; ed ift eben dieſes dag ihm 
nichts verborgen bleibt, daß feine geiftige Gegenwart feine Wirkſam⸗ 
II. - M 


178 


feit in unferer Seele auch ba8 geheimfte beherricht und es zu rech⸗ 
ter Zeit ans. Licht bringt. Der eigenthümliche Glaube des Chriften 
an eine göttliche Führung der einzelnen Seele, bie Feſtigkeit unferer 
Zuverficht, daß der Erlöfer die welche er einmal ergriffen bat nicht 
fahren läßt, beruht ganz vorzüglich darauf, daß er und immer wie: 
der auf da3 verborgenfte zuräffführt. Und durch jeden Blikk in das 
innerfte Getriebe unfered Herzend wird allemal unfer Band mit ihm 
fefter geknuͤpft; während. wir erkennen, daß wir ohne ihn nichts 
wären, empfinden wir ed beflimmter und beutlicher, daß wir bei 
ihm bfeiben müffen um das lebendige Wafler des Lebens Ichöpfen 
zu tönnen und durch das Licht, welches er und anzündet, alle Fal⸗ 
ten unſers Herzens allmählig zu erleuchten, Damit dad was unſau⸗ 
ber darin ift und feinem Weſen wiberfprechend immer noch möge 
hinweggefchafft werben. 

So m. g. hat der Erlöfer alfe auch an biefer Serle das fei: 
nige gethan; aber es fcheint wol daß wir fagen müflen, ihre Stunde 
- hatte noch nicht gefchlagen. Denn dad können wir und nicht ber 
gen, daß wie fie fich ihm entzog fo auch der Erlöfer fich ihr num 
entzieht. Und fo finden wir in ben beiden Faͤllen, wo wir ben Er: 
loͤſer in einem befonderen Verhältniß mit einer einzelnen Seele er- 
btiffen, wenn wir beide vergleichen, ein beflimmtes Geſez. Wie ganz 
anderd war der weitere Verlauf mit dem Jünger, von welchem wir 
neulich "geredet haben! wie nahm biefen der Herr gleich in feine Ge: 
meinfchaft auf, ald er -ihm fagte, Du bifl der Meffiad! und daß er 
‚nun fein Zünger fein und bleiben follte, wie verpflichtete er ihn 
dazu gleichſam durch dad große WBerfprechen, welches er ihm und 
den andern gab, von nun an würden fie den Himmel offen fehen 
und bie biöher unterbrochene Gemeinichaft zwiſchen Himmel und 
Erde durch ihn wieder bergeftellt. In unferem Falle aber, nachdem 
feine. perfönlihen Bemühungen an der Frau felbft für den Augm: 
blikk wenigſtens gefcheitert waren, und ihm nun die große Thuͤr der 
BVerfündigung ded Heil in biefe Stadt geöffnet wurde, fo daß er 
jwei ganzer Zage da verweilte um die Gemüther zu erwekken und 
zu befefligen: fo ift von ihr weiter nicht die Rebe. Wenn wir nun 
dieſes Ende der Sache für die Perfon mit dem vergleichen, welches 
die Unterredbung des Herm mit Nathanael genommeh: fo muͤſſen 
wir und wol geflehen, es macht einen großen Unterfchieb was ber 
Menfch vorher geweien ift, ehe ihm das perſoͤnliche Verhaͤltniß mit 
dem Erlöfer dargehoten wird, ob er e3 ergreifen kann ober nicht. 
Die Seele ohne Faljch ließ der Erlöfer nicht fahren, die hielt er in 
dem erften Augenblikke feſt; aber dieſe noch in den Dingen der Erde 
verftriffte ungeachtet mancher ſchoͤnen Gaben, die auch aus der Art 








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wie fie fi) in dem Gefpräch betrug hervorleuchten, biefe ließ er 
Doch für den Augenblikk fahren, weil fie wie fie war zu einem 
Werkzeuge in feinem Gefchäft. nicht wäre zu gebrauchen geweſen. 
Diefed m. Fr. wird aber nur gar zu fehr von vielen Chriften über: 
fehen, und deshalb iſt ed nöthig, daß wir und dieſe Lehre aus ber 
Bergleichung dieſer beiden Gefchichten herausnehmen. Es wird naͤm⸗ 
lich fehr oft gefagt, Alles was ald menfchlihe Tugend erfcheint, 
aber nicht aus der Verbindung bed Gemüthes mit dem Erlöfer her⸗ 
vorgeht alfo auch nicht bad Werk des göttlichen Geiftes ift, ſondern 
nur dad Werk der Erziehung der Sitte der gemeinfchaftlichen Ord⸗ 
nung der innern und Außen Verhaͤltniſſe des Lebens, welche nun 
den einen ober ben andern auf günflige Weiſe gebilbet haben:. dad 
alled fagt man oft habe keinen Werth, ed fei doch nur falſch und 
ungenügend; und eben beöwegen, weil erfl eine gänzliche Werändes 
rung mit dem Menfchen durch bie Werbindung mit dem Erlöfer 
vorgehen muß, fei es auch völlig gleich, ob er ben Menfchen in ei⸗ 
nem folchen Zuſtande finde als eine Seele ohne Zalfch wie den Ras 
thanael, als ein feſtes zuverläfltges Gemüth wie den. Petrus, oder 
ob noch mitten in dem tiefften Schlamm ber Sünde und des Un- 
rechtd. Dad m. g. Fr. ift eine falfche Meinung, ber wir nicht kraͤf⸗ 
tig genug begegnen koͤnnen. Der göttliche Geift ift freilich an und 
für fi) eine unendliche Kraft, — das erkennen wir daraus, daß er 
als berfelbige, wie er von dem Exlöfer verheigen und über feine Juͤn⸗ 
ger ausgegoſſen iſt, alle Zeit fortwirkt und am Ende dad ganze 
menfchliche Geſchlecht um den Erlöfer und fein Kreuz vereinigen 
wird: aber er wirkt doch in ber chriftlichen Kirche überall und in 
jeder einzelnen Seele nur ald eine dem Gefez ber Natur unterwor: 
fene Kraft. Mit der Hinwendung bed Herzend zu dem Erloͤſer, 
wenn auch die Folge davon ber lebendige Glaube iſt, ben Nathanael 
als den feinigen ausfprach, ft doch bei weiten, das willen wir gar 
wohl, noch nicht alles gethanz nun beginnt erſt bad langfame all: 
mählige und nad) den allgemeinen Gefezen bed menfchlichen Lebens 
fortfchreitende Werk der. Heiligung. Und muß ed da nicht einen 
großen Unterfchieb machen, ob ber Menſch in einer folchen Stim: 
mung unb fo vorgerichtet unter bie Leitung bed göttlichen Geiftes 
und in die Verbindung mit dem Erlöfer kommt, dag nun feine 
Fortſchritte ſchneller fein können, feine Gaben fi rafcher fo weit 
entwikkeln um zum gemeinfamen Nuzen verwendet werben zu koͤn⸗ 
nen, daß die Arbeit des goͤttlichen Geiſtes gleich eine Arbeit durch 
ihn fein ann, und nicht noch eine große Zeit lang allein eine Ar- 
beit in ihm und an ihm fein muß? Das alfo mußte freilich für 
den Erloͤſer einen großen Unterſchied madpen, Der ed .ja darauf an⸗ 
2: 








188 


am, fo viel, baß der Fortgang feines Werkes gefichert wäre, in ber 
kurzen Zeit feined Lebens zu 'vollbringen, Aber das ift auch jezt 
nicht anderd, und darum geziemt es und nicht gleichgültig zu ſeĩm 
- gegen den großen Unterfchieb ber guten und fchlechten fittlichen Ei⸗ 
genfchaften, auch nicht bei denjenigen, von welchen wir fagen muͤſ⸗ 
fen, daß fie noch nicht zu dem näheren feflen Eigenthum des Erlö- 
ſers gehören und noch nicht in dem Verhaͤltniß eines lebendigen 
Glaubens fliehen. Doch follen wir diefen Unterfchieb bed fittlicherz 
und geifligen Werthed der Menfchen überall anerkennen und in un⸗ 
ferm Urtheil hervorheben; wir follen eine größere Freude haben arı 
ſolchen, die wegen ihres ganzen perfönlichen Dafeind fo beichaffen 
find, daß fie gleich koͤnnen als Werkzeuge des göttlichen Geiſtes in 
ihrem Lebenökreife gebraucht werden. Freilich nicht als .ob wir bie 
andern zurüfffegen und ganz fich felbft überlaffen folten; aber es 
bleibt eine andere Art ber Liebe, die wir nur an denen beweifen 
können, an welchen noch viel zu arbeiten ift, und auch biefelbe Freude 
fönnen wir an benen nicht haben, in welchen noch vieles anders 
werben muß, in welchen eine Menge von nachtheiligen Gewohnhei- 
ten zu ertödten ift, ehe der göttliche Geift mit ihnen arbeiten kann 
für andere. So hat ber Erlöfer es gehalten, warum follten wir es 
anders halten? Dabei bleibt aber bad feft, daß alles, wie fchön es 
auch fcheine, wie viel Achtung es auch und abnöthige, in bie rechte 
Gemeinſchaft der Chriften nicht eingehen kann, wenn ed nicht gehei: 
ligt ift durch den Glauben an den Sohn Gottes und durch bie 
Liebe zu feinem Werke; wenn nicht die Ueberzeugung zum Grunde 
liegt, daß hieraus alled Heil hervorgeht, dag alles was wir follen 
sühmen koͤnnen fein Bild und feine Ueberfchrift tragen muß, durch 
welche ed zu einer Münze in feinem Reich geſchikkt gemacht wird: 
doch iſt ein Unterfchied des edlen und des fchlechten Metalld, auf 
welched dieſes Bild geprägt iſt und dieſe Ueberſchrift geſezt, und ſo 
iſt auch unterſchieden der größere und der geringere Werth, den je: 
ber hat für dad Meich Gottes. Aber um den möglich größeften 
ficher zu erreichen, was koͤnnen wir anders ald feinen Augenblift 
vernachläffigen, in welchem ſich der Erlöfer einzeln an unfere Seele 
wendet, Damit wir den Segen beffelben ungetheilt genießen, immer 
tiefer in unfer innered geführt werden und fowol immer völliger er: 
fennen die Herrlichkeit bed eingeborenen Sohnes, ald auch immer 
fefter an ihm bangen in unerfchütterlicher Liebe und Treue. Amen. 


Lieb 517. 


> 








xvi. 
Am 6. Sonntage nad) Epiphan. 1832. 





gie 49. 536. 
Text. Ev. Johannis 9, 35 ff. 


Es kam vor Iefum, daß fie ihn audgefloßen hatten. 
Und da er ihn fand, fprach er zu ihm, Glaubefl du an 
den Sohn Gotted? Er antwortete und ſprach, Herr, 
weicher iſt's, auf Daß ich an ihn glaube? Jeſus ſprach 
zu ihm, Du haft ihn gefehen, und der mit Dir redet, der 
ift es. Er aber ſprach, Herr, ich glaube; und betete 
ihn an. | 


M a. Fr. Was ich jezt vorgelefen habe ift wiederum nur das 
. Ende einer ausführlicheren Erzählung von einem ähnlichen Bei: 
ſpiele wie Die, welche wir bisher mit einander betrachtet haben, wo 
nämlich ber Erlöfer der erfle war um ein Verhaͤltniß mit einem 
einzelnen Menfchen anzufnüpfen, indem er fich zuerſt an ihn wen: 
dete. Unfere Textesworte find nämlich dad Ende jener Gefchichte 
von dem durch Chriftum geheilten blindgebornen, welche der Evan: 
gelift Sohannes mit einer fo großen Ausführlichfeit erzählt, daß es 
deshalb nicht thunlich war fie von Anfang bis zu Ende vorzuleſen. 
Was aber der Erlöfer an biefem einzelnen that hatte einen leibli⸗ 
hen Anfang, indem er nämlich feine Augen dem Licht öffnete, bei: 
fen er fi noch niemals in feinem Leben erfreut hatte, und ein gei: 
fliged Ende, indem er den Glauben an ihn als den Sohn Gottes 
in feiner Seele erwelfte; beides aber war für ben Erlöfer gleich von 








182 


Anfang an nur eins und baffelbe. Denn das waren feine erften 
Worte, nachdem er den Juͤngern Beſcheid ertheilt auf ihre Fragg, 
wer benn die Sünde gethan, diefer oder feine Eltern, um derentwil⸗ 
- Ten er blind geboren fei: Dieweil ich in der Welt bin, fagt er, bin 
ich das Licht der Welt, und muß wirken die Werke beffen, der mid) 
gefandt hat, fo lange es Tag ift ). Wenn er fih nun bier das 
Licht der Welt nennt, fo that er das freilich nicht ohne Anfpielung 
auf die leibliche Gabe, welche er eben mittheilen wollte; aber er 
konnte e3 doch nur verftanden wiffen wollen in dem höheren geifti- 
gen Sinn und mit weiterer Hinausſicht auf dad große Werk feines 
Berufs unter den Menfchen. So laffet und denn — wie er feinen 
Juͤngern auf ihre Frage die Antwort giebt, dad mad biefem Men: 
fchen begegnet fei fei nicht die Schuld ber- Sünde, fondern «8 fet fo 
damit die Werke Gottes offenbar würden an ihm — biefe ganze 
Geſchichte fo mit einander erwägen, daß wir fehen, wie denn nun 
durch unfern Herm und Erlöfer die Werte Gottes an diefem 
feien offenbar'geworben. 


1. Das erſte aber m. a. Fr., was ich glaube hier befeitigen 
zu müffen, ift diefes, daß wir und recht mit einander verflägbigen 
über ben Anfchein des zufälligen, welcher auf diefer ganzen 
Begebenheit ruht. Der Zufammenhang der: Erzählung ergiebt 
nämlich fehr deutlich, daß biefer blindgeborne irgendwo in ber Nähe 
ober am Eingang oder in einem von ben Höfen des Tempels dad 
Mitleiden der vorübergehenden in Anfpruch nahm, indem er nicht 
im Stande war für feinen Unterhalt felbft zu forgen. Der Erlö- 
fer, der wenn er in Jeruſalem war den Tempel täglich zu befuchen 
pflegte, nicht nur in den Stunden bed Gebete fondern auch fonft 
um im Tempel zu lehren, ‚mochte wol ſchon oft an ihm vorüber: 
gegangen fein; denn die Zünger kannten ihn ja nicht nur als einen 
blinden, was fie freilich hätten fehen tönnen, fondern als einen ber 
blind geboren fei, wozu fie ja fchon feine Geſchichte wiffen mußten. 
Hätten fie nun aber nicht diefe Frage an ihren Herrn und Meifter 
gerichtet — noch dazu eine Frage, die in einer falfchen Anficht von 
der göttlichen Führung ihren Grund hatte, welche der Erlöfer daher 
zu berichtigen fuchte, — hätten fie dieſe Frage nicht gethan: fo 
würde der Erlöfer. auch wol diefes Mal an dem unglüfflichen vor: 
übergegangen fein; und wenn biefer auch eine milde Gabe von ihm 
empfangen hätte, fo würbe e3 nicht bad Licht der Augen geweien 
fein, diefe koͤſtliche Gottesgabe, mit ber .er ihn wieder ausſtattete. 
Te 


) 30.9, 5. 





183. 


Kind. fo iſt es denn allerdings! . in allem, fei ed Eleiner ober auch 
größer als died war, aber in allem, was zu unferm äußern irdiſchen 
Seben gehört, finden wir ſolche Abhängigkeit des einzelnen von dem 
allgemeinen Zufammenhang der menfchlihen Dinge und dann dem 
Anſchein nach natürlicher Weife auch wieder ‘von einzelnen, fo baß 
uns diefer Zuſammenhang ald etwas zufälliged erfcheint. Bleiben 
wir nun auch nur hiebei fliehen und bedenken nur zugleich, wie beide 
fo genau durch einander bedingt find bie irdifchen Uebel und bie ir: 
difchen Wohlthaten, fo daß die einen nicht Eönnen anderer Art fein 
oder auf andere Weiſe entfliehen ald die anderen: fo müffen wir und 
daraus allein fchon überzeugen, daß dad eine fchiefe Frage war, 
welche bie Juͤnger an den Erloͤſer richteten, indem fie dabei von 
einer ganz irsthümlichen Vorausfezung auögingen, ald ob nämlich 
jedes einzelne Leiden jeded einzelne Unglüff eined Menfchen feinen 
Grund haben muͤſſe in der Suͤnde, wenn nicht in ſeiner eigenen, 
denn doch in einer fruͤheren, die er als Erbe zu vertreten hat. Da⸗ 
rum nun widerlegt auch der Erloͤſer dies und fagt ſeinen Juͤngern, 
ſo waͤre es nicht; weder in der Suͤnde dieſes Menſchen ſelbſt, und 
das war ja unmoͤglich, weil er blind geweſen war ehe er irgend 
etwas gethan hatte weder gutes noch boͤſes, noch in der Suͤnde der 
Eltern habe dieſes beſondere Ungluͤkk feinen Grund, ſondern e3 fol: 

ten an ihm die Werke Gottes offenbar werden. Nun erſcheint uns 
bad fehr richtig in dem gegenwärtigen Fall, denn eben durch dieſe 
Frage wurde der Erlöfer aufgefordert feine wunderthätige Kraft auf 
diefen Menjchen zu richten und ihn durch biefelbe aus feinem Zu: 
flande zu erretten. Aber die Frage der Jünger, die freilich auf den 
einzelnen Fall gerichtet war, ging doch von einer allgemeinen Bor: 
ausſezung aus; und fo wie ber Erlöfer überall die Werke deffen _ 
wirfen mußte, ber ihn gefandt hatte, fo durfte ex auch diefe Gele: 
genheit nicht vorübergehen laſſen, ohne ſeinen Juͤngern zu der uͤber 
den einzelnen Fall auch noch eine allgemeine Belehrung zu geben. 

Und ſo finden wir es denn auch, ſobald wir den ganzen vollen 
Sinn ſeiner Worte erkennen. Denn ganz im allgemeinen koͤnnen 
wir das behaupten, alle Unvollkommenheiten des menſchlichen Le— 

bens, die uns unſer Sein und Wirken auf dieſer Erde beſchraͤnken 
und verkuͤmmern, moͤgen ſie nun von dem Verhaͤltniß ausgehen, in 
welchem wir gegen einander ſtehen, oder von denen zu den natuͤr⸗ 

lichen Dingen und Kraͤften dieſer Welt, — alle Unvolltommenhei: 

ten und alle Uebel diefes Lebens find dazu da, bamit die Werke 
Gottes. offenbar werben. Hatte dies einen befonderen Sinn in je: 

nem Kall, wo ber Exlöfer durch feine ihm eigenthümliche Kraft das 
Uebel aufhob: fo gilt e3 doch anf natürliche Weife im allgemeinen, 


daß alle Uebel des Lebens früher ober fpäter follen aufgehoben zsmub 
bi8 fie aufgehoben find gemildert werden durch die und allen ge- 
. meinfamen geifligen Kräfte, welche bem Menfchen bazu verliehen 
find, daß er vermöge derſeiben werbe, wozu ihm Gott gefent hat, 
nämlich zum Herrn über alles was auf Erden if. Denn fofern er 
an den Uebeln dieſes Lebens leidet, fofern fein Dafein fich noch als 
ein unbefriedigtes und den natürlichen Kräften biefer Erbe unter- 
geordnetes darſtellt, zeigt er ſich nicht ald den Herrn berfelben: aber 
dazu ift Dad alled, um feine geiftigen Kräfte zu weten und ihmen 
immer neue Gegenflände vorzuhalten, worauf fie ſich rien. Daß 
aber alles was wir thun vermöge biefer geifligen Kraft, mit wei- 
cher Gott das menfchlidhe Geſchlecht audgerüftet hat, ein Werk Got⸗ 
tes ift, von dem die Gabe kommt, wer wollte das läugnen! ein 
Ausflug von ihm ift diefe Kraft des menſchlichen Geiſtes; wer wollte 
alfo läugnen, daß auch die Werke Gottes find? nicht Die unfrigesz, 
fondern feine, welche er verrichtet. durch und? 

Aber eben beöwegen m. a. Fr. giebt ed doch noch einen wenze 
glei anderen Zufammenhang der aͤußern Uebel diefes Lebens mit 
der Sünde, welcher fich eben bieraus erflärt. Denn wenn es wahre 
ift, daß alled Uebel dazu ift, Damit die Werke Gottes follen offen⸗ 
bar werben: fo verfündigt ja bie Fortdauer aller diefer Uebel und 
Unvolllommenheiten, daß bie geifligen Kräfte des Menſchen noch 
nicht gehörig gewekkt find; daß er auf der ihm beftimmten Lauf: 
bahn noch verhältnißmäßig geringe Fortfchritte gemacht hat; daß es 
vermöge dieſes Sporns, weldyen Gott in den natürlichen Lauf ber 
Dinge gelegt hat, ihm noch nicht gelungen ift ben Kräften des 
Geiftes - einen höheren Schwung zu geben. Da müffen wir denn 
geftehen, ja ed iſt unfere Sünde, vermöge deren bie menfchlichen 
Uebel noch fo gewaltig erfcheinen und den einzelnen noch fo tief 
nieberbeugen, wie wir es vor und fehen; es ift unfere Traͤgheit, ber 
unrichtige Gebraudy unferer Kräfte, der Mangel an lebendigem Ei: 
‘fer, wenn nicht überall durch uns die Werke Gottes: offenbar wer: 
ben. Wäre dieſer Eifer größer, wäre dad Auge des Geifles lichter, 
wäre bie Kraft des Willens geübter: weit fchneller würben biefe 
Mebel unter unfern Händen verfchwinden; weit ſchneller würde ſich 
bad menfchliche Gefchlecht dem Ziele der Vollkommenheit nähen, 
das ihm geftefft iſt. Diefen Zufammenhang nun bat ber Erloͤſer 
durch feine Rebe nicht aufheben wollen; er fagt nur, dad einzelne 
Uebel babe feinen erſten Grund nicht in der Sünde bed einzelnen, 
ed fei nicht in Zolge der Sünde entflanden, und damit bezeugt er, 
es habe feinen Grund in der Natur. Zugleich aber zeigt ex buch 
ſein Beiſpiel, daß überall, fo wie er durch feine außerordentliche 











J 


Mraſt, fo wir durch die gewöhnlichen Kräfte, bie Gott in jeden 
Menſchen gelegt hat, an diefen Uebeln das Wert Gottes verrichten 
follen; und thun wir dies nicht, fo dauern fie fort durch bie Schuld 
der menfchlichen Traͤgheit und menfchlicher Suͤnde. 

Allein m. g. Fr: auf das geiflige bürfen wir eben dies nicht 
anwenden; da giebt ed auch nicht einmal jenen Schein bed zufälli- 
gen. Wenn die Jünger nicht ihre Frage an ben Erlöfer gerichtet 
hätten, als fie wieder dieſen blinbgebornen am gewohnten Orte fa: 
ben: fo wäre er biesmal gewiß nicht — benn auch bed Erloͤſers 
Aufmerkfanteit würde nicht auf ihn gelenkt worden fein — zum 
Licht feiner Augen gelingt; aber wenn er nicht bem ohnerachtet 
zum Glauben an der Sohn Gottes gelangt wäre, Dad wäre. immer 
feine Schuld geweſen. Jeſus konnte ihm nicht verborgen geblieben 
fein, da er täglich in den Tempel ging, ba er täglich in feiner Nähe 
auf die Menfchen einwirkte, nicht vermöge bed Sinnes ber ihm 
fehlte, fonbern vermöge des andern ber ihm geöffnet war; unb fo 
fheint er ihm auch nicht unbekannt geweſen zu fein. Wäre alfo 
fein Berlangen nach dem Licht, welches dem Menſchen innerlich 
leuchten muß, eben ſo ſtark geweſen, als er gewiß ſchmerzlich das 
aͤußere Licht entbehrte: ſo wuͤrde es ihm nicht gefehlt haben Chriſti 
Wort vernehmen zu koͤnnen. Haͤtte er ſeine Worte nicht vernom⸗ 
men: ſo waͤre es ſeine eigne Schuld geweſen, und er haͤtte mit zu 
denen gehoͤrt, von denen der Erloͤſer am Ende ſeiner Laufbahn mit 
vollem Rechte ſagen konnte, Wie oft habe ich euch verſammeln wol⸗ 
len, wie eine Henne verſammelt ihre Kuͤchlein unter ihre Fluͤgel, 
ihr habt aber nicht gewollt! *) wie oft habe ich euch geſagt, was 
zu eurem Frieden dient, ihr habt aber nicht gehört!‘ Diefer Bor 
wurf hätte felbft den blindbgebornen treffen müffen, und auch feine 
fo hoͤchſt nachtheiligen Außern Umſtaͤnde hätten ihm nicht zur Recht: 
fertigung gereichen koͤnnen. Hier auf dem Gebiet des menfchlichen 
Willens gilt Teine Abhängigkeit; ſobald nur bad Wort Gottes in 
deri Bereich eined Menfchen gelommen ift, fobald nur ver Ruf von 
dern zu ihm gelangt, der bad Licht der Welt ifl, und. er wendet ſich 
ihm nicht zu, ſtrebt nicht nach Wermögen von ihm zu empfangen:- 
fo ift das feine Schuld; denm es hat feinen Grund nur darin, daß 
er fo_ift, wie er iſt. | . ' 


1. Nun aber m. a. Fr. laßt und zweitens mit einander be: 
rauf achten, wie denn nun, foviel wir aus bem was vor und 
liegt urtheilen koͤnnen, in eben biefer Beziehung nämlich der Rich⸗ 


*) Matth, 93, 87 





: andern gewieſen find. Ach das iſt eine — Lage, bie gar zu 
viel der menfchlichen Traͤgheit dem Mangel an guten Willen Bor: 
ſchub leiſtet! Wenn wir ald Chriſten ja ſchon ald Menfchen nicht 
umhin koͤnnen und auch nicht dürfen die gewöhnlichen Werke der 
ohlthaͤtigkeit an denjenigen zu üben,- bie fei ed num aus Schuld 
der Natur oder durch die Eimichtungen ber menfchlichen Sefellichait 
in folche Lage gekommen find, daß fie auch für die erfien und we⸗ 
fentlichkten Bebuͤrfniſſe eines. menfchlichen Dafeins ſich ſelbſt nicht 
genügen koͤnnen; wenn wir. fage ich nicht umbin koͤnnen immer 
aufs neue biefe Werke zu verrichten: wie oft müffen wir nicht be 
dauern, daß es und eben fo wenig gelingen will die vechte ge 
wünfdyte Wirkung bervorzubringen als dabei eine falfche und ver⸗ 
kehrte zu vermeiden! wie oft haben wir vicht Urfache es zu bekla⸗ 
gen, daß diejenigen immer mehr in gleichgültige Traͤgheit unthätige 
Sorglofigbeit zu verfinten pflegen, die fo an die Hülfe anderer ge 
widen find! In biefer Beziehung nun bemerken wir bier an dem 
Ertöfer etwas befonderes, von feiner fonfligen Handlungsweiſe in 
ähnlichen Faͤllen verfchiebenes, wodurch er gewiß nur and Licht brin» 
gen wollte, was für eine Gefinnung in biefer Hinficht in jenem 
Menſchen war. Denn warn er zu einem beflen Arm vertrokknet 
war und in Folge deſſen ganz bewegungslos dennoch fagen konnte, 
Strekke die Hand aus, und er that ed; wenn er zu einem, ber 
gichtbruͤchig viele Jahre da gelegen hatte nicht einmal im Stande 
eine ihm ſehr nahe liegende Hülfe fich zu rechter Zeit anzueignen, 
wenn er zu bem fagen fonnte, Stehe auf, nimm dein Bett und 
gehe heim! und er that ed: warum follte er nicht eben fo durch 
fein bloße Wort auch diefem haben fein Geficht geben können? 
Aber was that er? Er nahm feine Zuflucht zu etwas, bad an und . 
für fich felbft dieſe Birkunz nicht hervorbringen konnte; nachdem er 
mit ſeinem Speichel einen Koth gemacht, wie es in unſerer deut⸗ 
ſchen Bibel heißt, und ihn auf des blinden Augen geſtrichen hatte, 
ſprach er zu ihm, Gehe hin zu bem Teich Siloha und welche did. 
Wenn ed aber wie dad überwiegend wahrſcheinlich iſt um die 
Stunde des Gebets war, wo gar viele fromme immer in der Naͤhe 
bed Tempels wandelten und es für ein gutes und goͤttliches Wert 
bielten,. den bürftigen und gchecchüchen— die ſich da auldielten, dann 


187 


milde Gaben mitzutheilen; und wenn ber blinde ba bei fich uͤber⸗ 
legt hätte, wie unmwahrfcheinlich das fei, daß ihm dies zum dt 
feiner Augen verhelfen koͤnnte: wie leicht hätte er ba zu fich felbft 
fagen tönnen, Das. ift ja doch vergeblich, Daß du zu dem Teich 
bingeheft, und du verfäumft unterbefien die befte Gelegenheit etwas 
zu erwerben; und dann wäre er ba geblieben. Der Erlöfer wollte 
alfo etwas auf ben Willen des leidenden ja auf feinen Glauben 
unb Vertrauen rechnen, darum richtete er ed fo ein und fprach das 
zu ihm. Da nun jener Hinging und fich wufch unb fo wie er fe: 
ben konnte dann fich gleich unter die Menfchen mifchte und nicht . 
an feiner vorigen Stelle blieb: fo fehen wir beutlich, daß er jene 
flräfliche Denkungsart jenes ſich Werlaffen auf die allgemeine Wohl 
thaͤtigkeit nicht an fich hatte, und daß ſich wenigftens ein Funken 
von Slauben an das wa8. ber Erloͤſer that, ein Keim von Ver⸗ 
trauen auf das was er fagte fchon in feiner Seele entwikkelt hatte. 
Aber laſſet uns nun auch aus dem Verſolg der Geſchichte uns 
des zweiten erinnern, woraus wir erkennen koͤnnen, wie es im in⸗ 
nern ſeines Gemuͤths beſchaffen geweſen. Die Geſchichte kam naͤm⸗ 
lich vor diejenigen, die das Volk leiteten, indem viele Menſchen die⸗ 
ſen kannten als einen blindgebornen und als ſie ihn nun unter 
den uͤbrigen fanden im Tempel wandeln natuͤrlich fragten, wie es 
denn zugegangen ſei, daß er ſein Geſicht erlangt habe? Nun war 
es aber wieder am Sabbath geweſen, und wie das nun vor die 
Phariſaͤer kam wurde ed der Grund zu einer neuen feindlichen Auf: 
regung wider ben Erloͤſer, weil fie meinten, er hielte den Sabbath 
nicht, und ſprachen, wie der Evangeliſt ſagt, Der Menſch iſt nicht 
von Gott, dieweil er den Sabbath nicht haͤlt. Deshalb nun ließen 
fie jenen vor ſich kommen und befragten ihn, was denn vorgegan⸗ 
gen fei mit ihm, und was er von bem bielte, ber ihm bie Augen 
aufgethan? Da ſprach er denn und läugnete nicht, ohnerachtet er 
ihre Widrigkeit gegen den Erlöfer wohl kannte und wol auch wußte, 
was und der Evangelift bei dieſer Gelegenheit erzählt, daß fie ſchon 
Öffentlich hatten ausgehen laſſen, fo jemand ihn für den Meſſias 
befennte, daß derfelbe in den Bann gethan würde; er befannte aber 
dennoch auf ihre Frage und fprach, Ach glaube er if ein Prophet, 
Und nachdem er das gefagt, und fie dabei blieben, daß er ein fün- 
diger Menſch fei: fo wollte er fich auf eine weitere freundliche ober 
unterroürfige Weife nicht mehr mit ihnen einlaffen ſondern ‘wies fie 
von fih weg. Als fie nun noch neue Verſuche machten um eine 
andere Rebe von ihm zu gewinnen und ihn aufs neue fragten, Was ' 
that er? wie that er dir die Augen auf? da fagte er, Ich habe es | 
ud) ja ſchon gefagt; habt ihr es noch nicht gehört? wozu wollt | 


188 


ihe e8 abermals hören? - wollt ihr auch feine Jünger werden? Und 
fo ſchied er denn in Unfrieben; und, wie es nicht anderö zu erwar⸗ 
ten war, es wird und erzählt, daß fie ihn herauöftiegen, das beißt, 
* fie jenes Urtheil an ihm vollzogen und ihn in den Bann tha⸗ 
„ſo daß er alſo nicht mehr in den Verſammlungen des Volks, 
7 yur Erklaͤrung der Schrift gehalten wurden, durfte gefehen wer⸗ 
den, und er audgefchloffen war von diefen gotteödienftlichen Uebun- 
gen. Diefed giebt und allerdings den Eindruff, daß er eine kraͤf⸗ 
tige Natur war, fähig feine Weberzeugung wie er fie gewonnen 
hatte geltend zu machen. Und worauf er fich in diefem Streit be: 
rief, dad war dies daß er fagt, Wie kann ein fündiger Menfdy 
folche Zeichen thun? on der Welt an, ſprach er, ift ed nicht er: 
bhöret, daß jemand einem geborenen blinden die Augen aufgethan 
habe. Wäre diefer nicht von Gott, er Fönnte nichts thun. Indem 
aber nun die Pharifäer von Jeſus gelagt hatten, er fei ein Menſch 
ganz in Sünden, doch aber nicht Iäugnen Fonnten, daß bad eine 
That fei, welche die menſchlichen Kräfte überflieg: fo wollten fie 
alfo eigentlidy, wie fie das ja öfter von Jeſus fagten, baß er die 
Teufel austriebe durch den oberften ber Teufel, daß die Schuld 
zwar follte einer andern übermenfchlichen aber böfen Macht beige: 
legt werben; und dad war e3 eben, worüber biefer Menfch feine 
ganz entgegengefezte Ueberzeugung nicht ‚verläugnen wollte. Und 
wir koͤnnen doch nicht anders ald dieſer Ueberzeugung wegen ihn 
loben; aber zu gleicher Zeit auch ihn loben wegen bed Maaßes, 
das er darin hielt. Denn m. th. Fr. was natürlich iſt oder über: 
natinlih, was ein Wunder ift oder Fein Wunder, bad liegt ja. fo 
fehr außer den Grenzen der menfchlichen Erkenntniß, daß wir ſchwer⸗ 
lih im Stande jind ein Urtheil darüber von und zu geben, welches 
binlänglich begründet wäre. Aber das Tonnte wol jeder Menfch mit 
Geœwißheit fagen, wer feine Kraft auf folche Weife gebraucht wie 
dee Erxlöfer fie ba gebrauchte, wer fie gebraucht zum MWohlthun zur 
Erwekkung menfchliher Kräfte zur Linderung des Unglüfls und der 
Leiden, ohne daß er etwas anderes dabei beabfichtigen konnte als 
bie Sache felbft, ohne immer für fich felbft etwas zu fuchen oder zu 
begehren — denn ber Erlöfer hatte fich ja gar nicht weiter um ihn 
befümmert, nachdem er gelagt, Nun gebe bin zum Teich Siloha 
und wafche dich, — ber Pönne nicht mit dem böfen in Verbindung 
ſtehen, fonbern ber Geift der ihn trieb müffe ein guter Geift fein; 
und fo ihm eine Kraft gegeben ſei, ſo ſei das ein Zeugniß Gottes 
fuͤr ihn wie alles was ſich als eine auf das gute gerichtete Kraft in 
bem Menſchen offenbart. Darum ſagte nun jener, Ein ſuͤndiger 
Menſch Tann das nicht thun, womit er nur fagen wollte, weil diele 


r 


es . 


Kräfte nur von -Gott kommen können, fa Binnen fie auch nur fein 
in einem, der ein Gegenfland des göttlichen Wohlgefallens ift, und 
muͤſſen in Verbindung fichen ‚mit dem, was Gott Durch folche Mens 
fchen ausrichten will; und darum fprach er, Sch glaube, daß er .ein 
Prophet iſt, ald fie ihn fragten, was er von ihm hielte. Nun konnte 
er ihn nicht ſchon deswegen für einen Propheten halten, weil er 
ihm die Augen aufgethan, benn dad war wenngleich ein Erweis ei⸗ 
ner hoͤhern Kraft doch nicht dad Werk eined Propheten. Aber- ex 
voußte wohl, Jeſus fei ein Lehrer, und in diefer Beziehung fagt er, 
jezt halte ich ihn nun für einen von Gott gejandten Lehrer, weil 
er ſolche Thaten audrichtet. Wenn ich baher fage, ich lobe ihn we: 
gen des Maaßes dad er in feiner Denkungsweiſe beobachtet, fo 
meine ich dad fo, daß er auf diefes Wunder hin in Verbindung 
mit dem Gefchäft bed Lehrens, welches ber Erloͤſer trieb, ihn für 
einen Propheten hielt, aber beöwegen noch nicht für ben Meſſias. 
Diefed meine ich ift an ihm billig zu loben, daß er durch dad was 
ibm felbft widerfahren war nicht zu ſchnell gläubig wurde. Denn 
grade weil dad Wunderthun ald etwas angelehen wurde, wodurch 
fich jeder Prophet bewähren könne und müffe: fo konnte es auch 
nicht angefehen werden ald eine befondere Unterfcheidbung des Mei: 
fias, der ja über alle Propheten war. Denn blindgeborene fehend 
machen war zwar etwas unerhoͤrtes; aber ſobald wir etwas für. 
Wunder erklären müffen, können wir auch feinen Unterfchieb weiter 


machen zroifchen größeren und Bleineren; und daher Eonnte auch ber . . 


Meſſias nicht von einem andern Propheten unterfchieden werben 
aus den Wundern, die der eine oder der andere that, 

Soviel alfo fehen wir m. g. Fr., dieſer Menſch war ein fol- 
cher, der gern mit feinen Kräften den Beruf des Menfchen auf ber 
Erde erfüllen wollte; und daher ald ihm die Hülfe dargeboten 
wurde lieber aus der Zahl derer heraustrat, Die nur von der Milde 
und Wohlthaͤtigkeit anderer ihr Leben friften, um nun in rechter 
 Xhätigkeit fich felbft zu genügen und ben Beruf den Gott dem 
Menichen gegeben zu erfüllen. Aber nicht nur Died rechtliche und 
loͤbliche muͤſſen wir anerkennen; ſondern auch eine Empfaͤnglichkeit 
muͤſſen wir ihm zuſchreiben fuͤr die Wahrheit und einen Muth ſeine 
Ueberzeugung, ſo wie ſie in ihm entſtanden war, vor der Welt zu 
bekennen. Seine Eltern fuͤrchteten ſich, als ſie gefragt wurden wie 
es mit ihrem Sohn zugegangen ſei, weil ſie wußten, was die Pha⸗ 
tifäer über Jeſus beſchloſſen hatten; und deshalb ſprachen fie, Daß 
er unfer Sohn if, das wiſſen wir, blindgeboren ift er auch, aber 
wie er fehend geworden, das willen wir nicht; fragt ihn felber, er 
ift ja alt genug! und fo-zogen fie fih aus der Sache, ohnerachtet 


fie wol die erflen geweſen fein werben, denen ihr Sohn ſich mit 
. feinem wiedererlangten Geficht gezeigt bat, und fie eben fo gut hät. 
ten. Rechenfchaft geben könnten wie ex. Aber in ihm war ein Geiſt 
des Muthes, und er fcheute die Folgen nicht, die daraus entflchen 
tonnten, ſondern er bielt es für bie erfte Pflicht des Dante nun 
feine Ueberzeugung auszufprechen, und laͤugnete nicht ſondern fagte, 
Er iſt ein Prophet! 

Wenn daher auch ber Erloͤſer fid) nicht weiter um ihn befüm: 
mert hätte: dürften voir ‚bennoch wol vermuthen, baß auch Diefer 
erfte Grad des Slaubend an ihm nicht würde ungeſegnet geblieben 
fein, und daß er felbft immer mehr würde Veranlaſſung geſucht ha⸗ 
ben um von bem, ben er ald Propheten erfannt hatte, ben Peg 
Gottes zu erfunden und feiner Lehre zu folgen. 


DL So hätte denn der Erlöfer ihn füglich feine eigenen Wege 
tönnen weiter gehen laflen. Wie fam ed alfo dahin, und das fer 
nun das dritte und lezte Stuff unferer Betrachtung, daß: der Er- 
4öfer fih an dbenfelben noch einmal wendete und noch ein- 
mal den erſten Schritt that ein Verhaͤltniß mit ihm anzuknuͤpfen? 

Der Apoftel erzählt und, es fei vor Ielum gefommen, daß fie 
jenen blindgebornen auögeftoßen hätten. Das war ihm boch um 
feinetwillen wiberfahren und um des Belenntniffes ‚willen, das er 
von ihm abgelegt hatte; und beöhalb glaubte ber Erloͤfer eine Ver⸗ 
pflichtung gegen ihn zu haben, damit er nicht ald ein von ber Ge- 
ſellſchaft ausgeſtoßener des Segend frommer Gemeinſchaft entbehre. 
Dies iſt die Abſicht, in welcher er ſich an ihn wandte und einen 
Verſuch machte ihn in die ſeinige hinuͤberzuziehen. Ja wenn mın 
der Apoftel erzählt, Als er ihn fand, ſprach er zu ihm: fo dürfen 
wir bad nicht fo anfehen, ald hätte Chriſtus ihn zufällig angetrof- 
fen, ſondern er muß gewünfcht haben ihn zu treffen, er muß ihn 
geſucht haben, weil er ihn nachher fand. So ging denn ein anbe- 
red Wort des Erlöferd an biefem in Erfüllung, welches er nämlich, 
wie und ber Apoſtel Matthäus *) erzählt, nach Vollendung ber An- 
weilwng, bie er feinen Jüngern zur Führung ihres Berufs gab, zu 
ihnen fagte, Wer einen Propheten aufnimmt, ber wirb eines Pro⸗ 
pbeten Lohn empfahen; wer einen Jünger aufnimmt, ber wird ei: 
ned Juͤngers Lohn empfahen. Diefer nun hatte den Erlöfer aufge: 
nommen in feinem Gemuͤth ald einen Propheten, dafür. hatte er 
ihn erkannt, verfündigte ihn als folchen und hielt auf ihn wie auf 
einen gottgefendaten Lehrer. Nun empfing er beöhalb auch. von 





» Matth. 10, 41 











zz 


5m den’ Lohn, ben’ ein Prophet geben Tonne. Dem wozu anders 
waren biefe von Gott gefanbt, wozu erwekkte er. ſolche Männer un: 
ter feinem Wolke, ald un: allen benen ben Weg zu Gott zu zeigen, 
die darnach verlangten, ald um feine Gebote geltend zu machen, um 
Dad Geheimniß ber Regierung feined auderwählten Gefchlechtes, fo 
weit fie es felbft in den Stunden höherer Erleuchtung fahen, vor 
dem Volk aufzudekken? Diefed Hingewiegenwerben auf ben vi 
Weg ift der Lohn eines Propheten, und ben empfing dieſer. Aber 
ehe wir bied näher erwägen, laffet und noch einen Augenblikk bei 
dem Bewegungögrund des Erloͤſers fichen bleiben. So fand ed 
vamald. Die einzelnen Lehrer, die in unfern heiligen Buͤchern mit 
dem Namen der Schriftgelehrten ' bezeichnet werben, batten foldhe 
Schulen, wo fich wißbegierige jüngere und ältere um fie fanımelten, 
welche fie im Gefez unterwielen; außerdem gab es allgemeinere Ver⸗ 
fammlungshäufer Synagogen genannt für größere Gefellfchaften, in 
weichen fich diefe an den Tagen bed Sabbath, welche ohnebies 
eine irdiſche Arbeit geftatteten, zu dem. Behuf verfammalten um bie 
Scyift erklaͤren zu hören. Aber die Vorſteher von allen dieſen bil: 
deten unter fich wieder gewiflermaßen eine geſchloſſene Geſellſchaft 
unb hanbdelten in Uebereinflimmung mit einander. Und fo hatten 
fi) denn biefe Leiter der gotteöbienfllichen Uebungen bevebet jeben 
auszuſchließen, welcher bekennen würde, Jeſus von Nazareth fei der 
Chriſtus. Der Erlöfer aber- war nicht in ihrem Bunde, er war 
nicht bei ihren Schulen hergekommen fondern auch in biefer Hin: 
ficht feined Weges gegangen für fih: Wir können feine Gefelifchaft, 
wie ſie damals war, als eine jenen aͤhnliche anſehen; zumal wenn 
er in Jeruſalem war, ging er in die Gallen des Tempels und lehrte 
daſelbſt wie jene auch lehrten, und e3 verfammielte fich um ihn wer - 
wollte. Nur wollte er von Anfang an, feine Geſellſchaft folle eine 
freie Geſellſchaft fein, ein- folched Richteramt über den einzelnen nicht 
üben und feinen audfchliegen, der hören wollte wie er lehrte. Unb 
fo:m. th. Fr. fol die chriſtliche Kirche nach der Abficht ded Erld- 
ſers auch immer in der Welt ftehen ald eine folche freie Gefellichaft, 
die fich nicht anmaßt jemals irgend einen abzumweifen, wo es Darauf 
ankommt theilzunehmen an der Lehre und dem Gebet und an der 
Erflärung bed göttlichen Worted. Derjenige, der bie Sünder zu 
ſich rief, der mit den Zoͤllnern aß, der konnte Feine Geſellſchaft ftif: 
ten wollen, welche irgend einen auöfchloß; und wenn er allerbingd 
an einer Stelle feinen Jüngerh Tagt, Wen einer im Streit mit 
feinem Bruder weder diefen hört noch feine Bruder noch die Altes 
fien der Gemeinde, fordern bleibet bei feinem ftreitfüchtigen Sinn, - 











192 


fo haftet ibn für einen Sünder und Zöllner: *) fo hat er Damit 
nicht gefagt, daß um irgend einer Meimung eines Irrthums willen 
einer folle auögefchloffen werben, fonbern ex meint ben ungefelligen 
&inn, ber eigentlich fich ſelbſt ausſchließt. Alfo auch deshalb fol 
doch Feiner ausgeichloffen werben von ber Gemeinfchaft der Ehriften, 
von ber Anhörung des göttlichen Worts und ber chriflichen Lehre; 


denn wie koͤnnte fonft ihm dieſe and Herz gelegt werben, wie könnte 


er überzeugt werben, baß Chriſtus geflem und heute und für immer 


gekommen ift um die Sünder felig zu machen? aber eine folche in 
“ der Liebe unbegrenzte nichts von fich ſtoßende alles ans Gerz druͤk⸗ 


Sende alles an ſich ziehenbe Gefellichaft ſollte die feinige fein und 
war ed von Anfang an; und als einer um feines Bekenntniſſes 


-willen von jenen auögefloßen wurbe, ja ba fonnte er nicht anders 


nem Gliede feiner Gemeinde 

Was that er num hiezu? Als biefer gewärbigt worben war, 
ungeachtet er ihn. nur erkannte ald einen Propheten, dad heißt als 
einen folchen, der zwar in einem göttlichen Auftrag rebe und hanbie, 
aber doch viele feined Gleichen gehabt — wenn gleich damals bie 
Stimme der Propheten feit lange verflummt war, — alfo als bie 
fer ungeachtet feiner noch ſehr mangelhaften Erkenntniß gewärbigt 
worden war für ihn zu leiden: ba konnte der Erxlöfer nicht anders 
als ſich einzeln an ihn wenden. Und dies m. g. Fr. ift auch im⸗ 
mer ber Segen bed Leidens um Chrifli willen geweien. Wenn wir 
auf frühere Zeiten zuruͤkkgehen, wo das öfter geſchah: fo müflen wir 
geflehen, es war oft nicht die reine chriſtliche Wahrheit nicht immer 
ber ungefärbte Glaube, den die befannten, welche gewuͤrbdigt wur⸗ 
den zu leiden; aber immer iſt aus biefem Leiden eine innigere Ver 
bindung der Chriften und aus diefer Verbindung eine flärkere Er: 
leuchtung bed Geifteß hervorgegangen, und es ift Fein Leiben ver: 
geblich geweien in ber Kirche, fondern aus allen find neue Segnun⸗ 
gen hervorgegangen. Dies ift eigentlich ber Weg bed Kreuzed, auf 
welchem ber Erlöfer das menfchliche Gefchlecht geführt hat und im: 
mer noch führt, wenngleich auf andere Weiſe; immer find Diefe Leis 
den dazu da, damit die Werke Gottes offenbar werden. 

Aber damit der Exlöfer diefen ausgefchloffenen aufnehmen fonnte 
unter die feinigen, war dad freilich nicht genug, daß er ihn für ei: 
nen Propheten hielt: denn das Tonnte ihn nicht auf ben Gebanlen 
einer folhen Anfchliegung bringen, weil Propheten -bazu nicht Be- 
ruf und Auftrag hatten eine innigere beflimmte Gemeinichaft unter 


als ihm an fich ziehen und verfuchen, ob ex ihn nicht koͤme zu ei⸗ 
machen. 


) Matti. 18; 15— 17. 


193 


den Menfchen zu errichten. Darum. fragte er ihn, Glaubeft bu an 
den Sohn Gottes? denn der follte eine folche, ein Reich Gotted uns 
ter den Menfchen gründen. Und dad war bie Frucht feined Glaus 
bend, daß Jeſus ein Prophet fei, daß er nun gleich bei füch felbft 
beihloß, wenn ber mir einen ald den Meſſias bezeichnet, fo wii 
ich ihm glauben; denn da er ein Prophet ift, fo muß er auch in 
diefem Stuͤkk die Wahrheit kennen; wogegen wenn auch der Pros 
phet den Meifiad nicht kannte, fo konnte um fo mehr er fich dabei 
beruhigen, daß er auch für ihn nicht zu erkennen fe. Darum ants 
wortete er auf jene Frage, Beige mir nur, welcher es ift, fo will 
ich an ihn glauben;. wenn bu mir fagft, wer ber- Meifiad ift, fo. 
will ich ihn auch dafür halten. So wie die erften Juͤnger Ahnlis 
ched von Sohannes hörten und, ald der fagte, Diefer ift dad Lamm 
Gotteö, welche der Welt Sünde trägt, auch zu ihm gingen und 
bie Erfahrung davon an ihrem eigenen Herzen machten. ' Diefer 
nun hatte fchon eine Erfahrung von dem Erlöfer und zwar nicht 
erft in bem Augenblikk gewonnen, ald er ihm das Licht der Augen. 
wiebergab; fonbern er mußte ſchon eine- Erfahrung von ihm als - 
Lehrer gehabt mußte fchon mit eingeflimmt haben in das Urtheil, 
welches immer fchon dad Wolf von ihm fällte, Jeſus rede viel ans 
ders und gewaltiger ald andere. Daß Jeſus nun ein Prophet war, 
barin war. er beftätigt durch die That, die er an ihm felbft gethanz 
und darum fagt er nun, Wenn bu mir fagft, welcher der Meſſias 
it, fo glaube ich an ihn. 

. Und das m. g. Fr. wird auch immer das eigentliche wahre 
Kennzeichen der Gemeinfchaft der Chriften bleiben. Auf gar vie 
fache Weiſe wird von ihnen die audgezeichnete Wirkſamkeit bed Er: 
Löferd erklärt, und wir wollen und darüber nicht wundern und noch 
weniger ed tabeln fondern und freuen, wenn es jeber möglichft ges 
nau damit nimmt nach dem Manß feiner Einfiht. Keiner will 
dem der bad Licht der Welt geweſen zu wenig zufchreiben, "Feiner 
aber will auch etwas aufnehmen, was ihm bie Einheit des göttli- 
chen Welend aus den Augen rüffen Eönnte; und daß es barüber 
viele Werfchiebenheit giebt der Ausbrüffe und der Meinungen, dar: 
über wollen wir und freuen, denn in bem allen regt fich dad Leben 
des Geiſtes. Wenn nur ba feſtſtehet — und anberd Tann die 
chriftliche Gemeinfchaft nicht beflchen mit Zug und Recht, — wenn 
nur das feſtſtehet, daß er allein und Fein anberer mit ihm neben 
ihm nach ihm das, Licht der Welt ift; wenn nur das feflftehet, daß 
wir in ihm allein und in Feinem ‚andern mit ihm neben ihm nach 
ihm den Water ſchauen, dag wir durch ihn allein und durch feinen 
andern mit ihm neben ihm nach ihm den freudigen Zugang haben 

III. N 





194 


zum Water: dad iß ber unbewegliche Grund bes chriſtlichen Ges 
meinfchaft, und feiner kann einen andern legen; auf diefem werd 
fie fih fortbauen, und nichts wirb fie überwältigen können, wie viel 
Verſchiedenheit der Meinungen ſich auch innerhalb berfelben finbe. 
Aber diejenigen, welche auf folche Weile anders vom Erlöier halter, 
daß fie ihn andern gleichfegen ober ungewiß find, ob nicht noch am⸗ 
dere kommen könnten, die über ihn emporragen: ja die halten fich 
nur mit halbem Herzen und nur gleichſam vorläufig zu der Ge: 
meinfchaft der Ehriften. Denn wenn er mehrere feines Gleichen ha⸗ 
ben kann: warum follte ed nicht auch mehrere ſolche wirkiicy geben 2 
warum foll er alö ber einzige Name aufgeführt werben, in welchem: 
Gott den Menfchen Heil giebt? Der Ausdrukk, deflen fi) der Er- 
(öjer hier bedient, wenn er fragt, Glaubeft du an den Sohn Got: 
tes, und hernach fagt, Du haft ihn gefehen, und ber mit bir vebet, 
der ift es, ish brauche ihn dir nicht erfl zu zeigen, — biefer Aus- 
drukk war auch ein vielbentiger, und ber eine dachte mehr, der an= 
dere weniger darunter. Doch fragte Chriſtus nicht damadh, wad der 
blindgeborne ſelbſt Dabei dachte, ſondern als er fagte, Herr, ich glaube ! 
und vor Jeſu nieberfiel, welches das höchfie Zeichen ber Verehrung 
war, bad er ihm geben fonnte: da war bed Herrn Werk an ibm 
vollendet, und er nahm ihn unter feine Jünger auf, fo daß das 
Wort an ihm in Erfüllung ging, Wer um meinetwillen verlaffer 
muß fei es nun Vater und Mutter, ober wie biefer eben vermöge 
feined freien Bekenntniſſes aus der Gemeinde verfloßen wurbe, ber 
findet alles taufendfältig wieder im Reiche Gottes. Und diefer Se 
gen des Bekenntniſſes wirb auf und allen ruhen, und immer mehr 
werden wir erfennen, wie im Reiche Gottes alle Bande der Ge 
meinfchaft taufendfältig fefler find und fchöner und edler, und nir: 
° gend anderöwo der Menſch die volle Ruhe für feine Sehnfucht nach 
Gott den vollen Frieden für feine Seele findet, als bei dem, durch 
den und Gott gefammelt hat zu feinem Wolf, unb bei dem uns 
Gott erhalten wolle durdy den lebendigen Glauben bis and Ende 
ber Tage. Amen. 


xvn. 
Am Sonntage Seragefimä 1832. 


eied 43. 1003. 


Zert. Lukas 19, 5 ff. 


Und ‚ald Jeſus Fam an biefelbige Stätte, ſah er auf 
und ward feiner gewahr und fprach zu ihn, Bachäe, ſteig 
eilend hernieder! denn ich muß heute zu beinem Haufe 
eintehren. Und er flieg eilenb hernieber und nahm ihn- 
auf mit Freuden. Da fie das fahen, murreten fie alle, 
baß er bei einem Sünder einkehrte. Zachaͤus aber trat 
bar und fprach zu dem Herrn, Siehe Herr, die Hälfte 
meiner Güter gebe ich den armen, und fo ich jemand bes 
trogen habe, das gebe ich vierfältig wieber. Jeſus aber - 
fprach zu ihm, Heute ift diefem Haufe Heil widerfahren, 
fintemal er auch Abrahamd Sohn iſt; denn des Menfchen 
Sohn ift gekommen zu fuchen und felig zu machen das 
verloren ift. 


M. a. Fr. Dies fei nun dad Iezte von ben Beilpielen, die wir 
und nach einander davon vorgehalten, wie ber Erlöfer fich öfters 
während feined Wandels auf Erden um eine einzelne ‚Seele bemüht 
habe. Etwas eigenthümliched hatte jedes von ben Beiſpielen, die 
wir betrachtet haben; ein anderes war es mit dem Nathanael, ber 
dem Erxlöfer näher fland dadurch, daß er fehon befreundet war mit 
einem feiner Sünger; ein anbered wieder mit der famaritifchen Frau, 
mit ber er fich allein fand, und bei der er anknüpfen konnte an ein 
N2 





1% 


Bebürfnig, dad er: felbft eben empfand; ein andered war e8 mit 
dem. blindgebornen, auf welchen die Juͤnger feine Aufmerffamfeit 
richteten, und der durch bie Folgen der leiblihen Wohlthat, die der 
Erlöfer ihm erwiefen, ihm noch näher gebracht wurde, fo daß er fich 
gebrungen fühlte ihm auch bie größere -geiftige anzubieten. Anders 
wiederum ift ed mit dem gegenwärtigen Fall, defien früher erzählte 
Umftände ich ald allen befannt voraudfezen kann: und fo laßt uns 
fehben, was benn biervon ber nähere Zufammenhang war, und tn 
welhem Sinn der Erlöfer fih dem Zahäus anbot. Wir . 
achten dabei zuerft auf diejenigen Veranlaffungen, bie in ben frü- 
ber erzählten Umftänden liegen, aber dann auch zweitens beſon⸗ 
derd auf die eigene Erklärung des Erlöferd über fein Verfahren. 


J. Der Erlöfer wird und hier dargeflelt auf der Neife und 
zwar ald auf der Reife nach Ierufalem, wohin er zum Feſt gehen 
wollte; ja wir müffen und Died als feine lezte Neife denken, denn 
unmittelbar darauf ft in unferm Evangelio die Rede von feiner 
Ankunft in Bethanien und von feinem Einzug in Serufalem. Er 
309, wie erzählt wird, durch die Stadt Jericho hindurch und wollte 
daſelbſt fein leztes Nachtlager halten; und da hatte Zachäus eine 
Stelle wahrgenommen, wo er nöthwendig vorübergehen mußte, alfo 
wahrfcheinlich bald am Anfang der Stadt, ehe fich an ber Seite, 
- von wo ber Erlöfer herfam, mehrere Straßen theilten. Der Erloͤ⸗ 
fer m. a. $r, würde immer wol auch auf andere Weife, gefest auch 
er hatte Beine nähern Belanntfchaften in dieſer Stadt gehabt, eine 
Herberge gefunden haben. : Denn ed war. für viele ein Ehrenpunft 
fih überhaupt derer anzunehmen und ihnen Hülfe zu leiften, bie 
aus entfernten Gegenden kamen, um ben gemeinfchaftlichen Feften 
des Volks beizumohnen; noch mehr war es ein allgemeines Beſtre⸗ 
ben diejenigen zu ehren, welche zu dem Stande der Lehrer gehörten 
wie ber Erlöfer; und außerdem gab ed wol noch mancherlei befon- 
dere Stiftungen, welche die wohlthätige Abſicht hatten die Treue 
gegen dieſe gefezlichen Vorfchriften zu erleichtern. Daher finden wir 
denn audy in andern Erzählungen unferer Evangelien, daß der Er: 
(öfer auf feinen Reifen eingeladen wurde von diefem und jenem ja 
bisweilen auch von folchen, die ohnerachtet fie eher zu feinen Geg: ' 
nern gehörten, ald zu feinen Freunden, body nicht umhin Eonnten ihn 
auf folche Weife aͤußerlich zu ehren, es aber dafür an alle dem feh- 
ken ließen, wodurch fid) eine innere Zuneigung zum Erlöfer hätte 
zu erkennen geben müffen. . Das erfte alfo, was wir hier in Ned: 
nung zu bringen haben, ift doch gewiß dies, Daß der Erloͤſer wünfchte 
auch eine herzliche und. freundliche ‚Aufnahme zu finden, daß er durch 








197 


“ 


feine Gegenwart auch gern unter anderen Freube und Bufriebenheit 
verbreiten wollte. Wie follte er fich alfo nicht vor andern einen 
folchen Mann auderfehen haben, der es ſich etwas befonderes koſten 
lieg und eigene Anflrengungen machte um nur einen yerfönlichen 
Eindruff von ihm zu befommen? benn irgend ein näheres Verhaͤlt⸗ 
niß mit dem Grlöfer anzuknuͤpfen, daran dachte Zachaͤus nicht, und 
Darauf war dad wad er that nicht berechnet. Es war alfo auch 
bier der Erlöfer, der zu einem perfönlichen Verhaͤltniß mit dem Za⸗ 
chaͤus den erften Schritt that, aber einen perfönlichen Eindrukk von 
dem Erlöfer wünfchte der Mann zu haben. Was er von ihm hielt, 
darüber wird und nichtd gefagt; aber dad geringfle mad wir vor: 
ausſezen koͤnnen ift doch dies, daß der Ruf von feiner Lehre wie 
von feinen Wundern von feinem "ganzen ausgezeichneten Leben mußte 
zu feinen Ohren gefommen fein, und daß er nun fehen wollte wer 
denn ber fei, wie gefaltet, wie äußerlich erfcheinend, von dem er fo 
viel vernommen hatte Ob er ihn für einen Propheten hielt — 
wie wenigftens nachdem er die Huͤlfe des Erloͤſers erfahren hatte 
der blindgeborne, wie die Frau aus der ſamaritiſchen Stadt, nach⸗ 
dem fie vemommen, wie genau ber Herr Beſcheid wußte um ihr 
Leben und ihren Gemüthszuftand, — oder ob er ihn ſchon für ben 
Meffias hielt‘ wie Natharael, nachdem ihn der Erlöfer. aufmerffam 
gemacht auf dad was er von ihm wußte, ‚davon wird und gar 
nicht3 gefagt. Aber foviel ift offenbar, daß bei dem Zachaͤus Doch 
mehr und etwas andered vorwaltete ald jene Teere Neugierde, die in 
allen fotchen Zällen eine Menge von Menfchen herbeiführt und auch 
bier die herbeigeführt hatte, welche nachher murreten über das, wad 
der Erlöfer that. Denn Zachaͤus war wol ein reicher Mann, wie 
vorher gefagt wird, aber er gehörte doch zu jener verachteten und 
gehaßten Kiaffe, zu denjenigen Mitgliedern bed Volks, welche un: 
mittelbar den Römern, welche das Volk als feine Unterbrüffer an- 
fah, Dienſte leifteten und deswegen, weil fie in einem häufigen Ver⸗ 
kehr mit. den Heiden flehen mußten, die Aeußerlichkeiten des Gefe: 
zed nicht mit Genauigkeit zu erfüllen im Stande waren, Wenn 
nun ein Zufammenflrömen von Menfchen durch Die Neugierde be: 
wirkt wird, fo ift immer auch der Muthwille rege; was in einem 
folchen Gedränge gethan oder gefprochen wird, darnach wird Feine 
Rachfrage weiter gehalten, weil doch nicht erforfcht werden kann, 
von wen es ausgegangen if; und fe war gewiß auch Zachaͤus in 
der Stellung die er genommen hatte manchen Aeußerungen des 
Muthwillens audgefezt, denen man fich aus bloßer Neugierde nicht 
gern preißgiebt: aber er achtete deffen nicht um den Erlöfer wenn 
auh nur von fern. doch wenigftend von Angeficht zu fehen. So . 


\ 








198 


glaubte denn ber Erlöfer an ihm feinen Mann gefunden zu haben; 


er wußte, daß ey bei diefem willkommen fein würde und eine freund- 
liche Aufnahme finden, wie denn auch Zachaͤus eilend herniederſtieg 
und ihn mit freudigem Herzen aufnahm. 

Aber freilich das iſt nicht alles, ſondern wie der Erloͤſer hernach 
ſelbſt ſagte, Heute iſt dieſem Hauſe Heil widerfahren, und wir 


nicht überfehen dürfen was wir freilich aus unſerer deutſchen Bibel‘ 


nicht erkennen koͤnnen, daß das daſſelbige Wort iſt, deſſen er ſich 
hier bedient, Heute iſt dieſem Hauſe Heil widerfahren, und was 
er hernach ausſpricht, Des Menſchen Sohn iſt gekommen zu ſuchen 
und ſelig zu machen was verloren iſt: ſo wollte er alſo auch 
dieſes, daß wo er einging zur Herberge da ſollte ſeine Erſcheinung 
heilbringend ſein, da wollte er etwas thun zum Wohl der Seelen, 
worauf ja ſein ganzes irdiſches Daſein berechnet war, und die ei⸗ 
genthuͤmliche Kraft des Menſchen⸗Sohnes, die ſich uͤberall in ihm 
erwies das verlorne ſelig zu machen, ſollte ſich auch da jedesmal of⸗ 
ſenbaren. Keinesweges m. a. Fr. dürfen wir das fo verſtehen — 
denn dad würde fich gar nicht mit dem fanftmüthigen und bemü- 
thigen Wefen des Erlöferd vertragen, — daß er ed angefehen hätte 
als ganz und gar eine Sache feiner Willführ die Seelen ſich zuzu⸗ 
wenden, mit der Kraft feined Worted und feiner Liebe in das ins 
nere berfelben einzubringen und fie vom Wege des Werberbens auf 
ben Weg des Lebens binüberzuleiten. Wenn er dad ſo angejehen 
hätte; wenn dad ber Gebrauch geweſen wäre, ben er hätte machen 
koͤnnen von der göttlichen Kraft, die ihm einwohnte: wie würde 
denn wol von allen denen, mit welchen er es zu thun hatte ober 
in beren Nähe er wenn auch nur vorübergehend kam, ja bie er nur 
irgend Außerlich erreichen Eonnte, auch nur ein einziger übrig ge 
biieben fein, der nicht auf den Weg bed Lebens wäre geführt wor: 
ben! Go war es nicht, und wenn ed fo geweien wäre, fo wäre 
ihm auch keine Auswahl geblieben, fondern ganz allgemein, wie es 
einen nach dem andern traf, wäre diefe göttliche Wirkung in jedem 
Augenblitte an einem von- feinen Zeitgenofjen vollbracht worben. 
Sondern, wie er fih in dem Gleichnig, welches wir im heutigen 
Evangelio vernommen haben, ald ben Säemann barftellt, welcher 
dad Wort auöftreut in die menfchlichen Seelen — aber ed gebeihet 
auch nur in jedem nach ber Belchaffenheit des Bodens, und es iſt 
nicht die Kraft feiner Hand, nicht die Richtung, die er bem Saas 
men giebt, welche an dem einen Drt dad Gebeihen hervorbringt und 
welche bewirket, daß an dem andern ber Saame den Vögeln des 
Himmeld preiögegeben wird und gar Feine Pflanze hervorbringt: fo 
war es und fo Sollte es fein. Mit einer göttlichen Kraft wirkte der 





Erloͤſer; aber nur nach dem natürlichen Gefez der menfchlichen Dinge, 
nad) dem Maaß in welchem jeder fähig war feine Mittheilung auf: 
zunehmen, nach dem Maaß ber Bereitwilligkeit die jeder ihm ent: 
gegenbracdhte, nach dem Maaß der Vorbereitung und Vorarbeit die 
ſchon mit dem Boden einer jeden menfchlihen Seele vorgegangen 
war. Aber nirgends konnte der Erlöfer fein, nirgends konnte er re: 
den und wirken, nirgends konnte er ein beſonderes Verhältnis mit 
einem Menſchen haben, ohne zugleich dieſes fein Ziel dad Seligma⸗ 
chen der menichlichen Seelen im Auge zu haben und darauf zu wir: 
fen. Bar es dann oft auch nur eine entfernte Vorbereitung, war 
e3 auch oft nur ein augenbiifflicher Eindrußf, der aber doch etwas 
zuruͤkkließ im menfchlichen Gemüth, worauf hernach weiter gebaut 
werden konnte — wie wir denn folcher verlosen: gefchienenen Saa⸗ 
mentömer gar viele aufgehen fehen in den Seelen der Menfchen 
durch bie Predigt feiner Zünger, nachdem er felbit den Schauplaz 
der Erde verlaffen: immer doch mußte er dahin gehöriges thun; 
fonft hätte er ja nicht immer im Auge gehabt die Werke, die fein 
Water ihm zeigte zu thun; ſonſt hätte er ja nicht gewirkt, fo Lange 
es Tag war, fo viel er konnte. Darauf war alfo auch biefe feine 
Auswahl berechnet; diefer, in dem fich dad Verlangen einen unmit: 
telbaren Eindrukk von der Perfönlichkeit des großen Lehrers zu em: 
pfangen fo ſtark auögefprochen hatte, diefer bad -wußte er war ein 
empfaͤngliches Gemüth. Und auch dad Eonnte er fich leicht denken, 
dag fi ihm in dem Haufe diefed Mannes auch eine größere Wirk: 
famfeit aufthun würde; da fanden fich leicht mehrere gleichgefinnte 
zufammen, die auch fchon in dem guten und edlen Sinn des Worts 
etwas auf ihn hielten, und er wuͤrde nicht ohne Erfolg den Saa⸗ 
men des göttlichen Wortd auöftreuen können in bie Gemüther. So 
wird und auch hernach erzählt, daß fich da mehrere verfammelt hät: 
ten, faft alle in dem Glauben, da er nun nach Ierufalem ginge 
würbe das Reich Gottes jezt auch Außerlich offenbar werden. Das 
waren alfo fehon nach dem Reiche Gotted verlangende Seelen, wenn 
gleich nicht frei von mancherlei Irrthuͤmern, indem fie gangbare. 
Borurtheile und unvolllommene Vorftelungen von diefem Gottes⸗ 
reich mit in fich aufgenommen hatten. Deshalb trug ihnen hernach 
ber Erlöfer ein Gleichniß vor, aus welchem fie wol merken konn⸗ 
ten, die Stunde die fie meinten fei noch nicht gelommen; und wo- 
raus fie inne werden fonnten, auch wenn er nicht mehr unter ih- . 
nen wanble fondern in ein andered Land gegangen fein werde, auch 
dann noch werde fich die Feindfchaft feines Volkes gegen ihn beut- 
ih ausſprechen: aber vorher thue er feine Guͤter aus unter feine - 
Knechte, und fpäterhin werde er wiederlommen und Rechenſchaft 


verlangen und geben jebem nach bem, was er in ber Sache feines 
Reiches in der großen Sache Gotteö werde gethan haben. Und fo 
wie er died Gleichniß da vortrug, merft man recht deutlich, baß es 
eine ganz freie gefellige Rebe war: benn es findet fi mancherlei 
darin, was ſich nur daraus recht erklären läßt, und was er unter 
andern Umfländen nicht fo würde gefagt haben, — wie denn aud) 
ähnliches vorlommt- in andern ſolchen Fällen, wo ber Erlöfer zu 
Gaſte geladen war und doch auch da etwas in feinem großen Be: 
zuf reden und handeln wollte. Sehet m. g. Fr., bad war bie Art 
und Weife feined ganzen Lebend; beides war in ihm in einem und 
bemfelbigen Geifte, was er ausdrüfflich ald Lehrer des Volks, fei 
es im Tempel fei ed in ber Schule fei ed wo irgend bie Menge 
fih eigend dazu verfammelte um ihn zu hören, was er da rebete 
und that, und was er redete und that im gefelligen Leben, — beis 
des war immer in bemfelbigen Geifte, überall diefelbe Richtung auf 
dad Reich Gottes, überall diefelbe Liebe zu den Menſchen, diefelbe 
Kreude an dem Wohlfein menſchlicher Seelen, überall der treue 
Sinn gegen fein Volt, deffen Dienft er fich für feine Perfon aus: 
fließend gewidmet hatte: aber überall redete und that er alles nad) 
ber eigenthümlichen Weife und Gelegenheit des Orts. So fügte er 
fi freundlih und gefellig in dad tägliche und feftliche Leben der 
Menſchen; fo beichreibt uns ihn Sohannes gleich am Anfang feines 
öffentlichen Berufs als hochzeitlichen Gaſt; fo ſtellt er fich felbft dar 
in jener Rebe, wo er fih mit Johannes dem Taͤufer vergleicht, 
und weiß ed wohl, weil er nicht die Einſamkeit fuchte fondern fich 
unter die Menfchen freundlich mifchte, fo fagten fie freilich von ihm, 
Was ift der Menfch ein Freſſer und Weintrinfer, der Zöllner und 
Sünder Gefel! — Und wenn wir bie gefellige Weiſe des Erloͤ— 
ferd recht verſtehen wollen: fo dürfen wir auch eben biefes nicht un: 
bemerkt laffen, daß der Erlöfer indem er fich grade bei dem Za— 
haus zu Safte einlub auch noch auf eine recht Öffentliche Weiſe dem 
Vorurtheil gegen ben Stand, zu welchen biefer gehörte, entgegen= 
wirken wollte. Denn da er ihn bei Namen rief, als er ſich bei 
ihm anmelden wollte, fo muß er auch gewußt haben wer er war; 
und da er das that vor einer fo großen Menge von Menfchen, fo 
muß er es auch nicht nur nicht gefcheut haben fondern ausdruͤkklich 
gewollt, fie follten es wiſſen, daß er auch izt noch berfelbe fei wie 
immer und fich eben fo gern zu den Zöllnern thue, ald er auch zu 
den oberften der Schule gehe und auch feinen Gegnern Rebe abzu⸗ 
gewinnen wiffe, wenn anders fie felbft nur mit ihm verkehren 
wollten. 
Aber nun m. Mi Er. laßt und, ehe wir zu bem zweiten Theile 





unferer Betrachtung übergehen, doch erſt von bem jest gefagten bie 
uns fo nahe liegende Anwendung machen auf uns ſelbſt. Wie ift 
boch fo häufig bad Leben der Chriſten nach einer ganz anderen Re: 
gel geftaltet ald die ift, welcher der Erlöfer hier folgt! und zwar 
auf zweierlei Weiſe. Auf der einen Seite, was für einen gar fchrof: 
fen Gegenfaz findet man nicht bei vielen zwifchen dem Ernſt, auch 
der wirklichen Treue, auch ber befonnenen Richtung auf bad ganze, 
fo weit ihr Leben dem Berufe und den Gefchäften gewidmet iſt, 
und bem ganz anderen Geift, ben fie unbedenklich überall walten 
laſſen in dem anderen Gebiet ded Lebens, von dem fie glauben, es 
handle fi} da nur um Erholung: von der Laft der Gefchäfte. Wie 
dicht ftreifen fie da an frevelnden Leichtfinn, welcher doch allen fern 
bleiben müßte, die fi) mit der großen Beflimmung unfered Lebens 
befreundet haben! wie weit werben da alle Regeln der Mäfigung 
weggeworfen! und ber Ernſt, welcher in dem übrigen Theile bes 
Lebens berrfcht, wie verichwindet oft bie leifefte Spur von ihm! 
Dagegen bei bem Grlöfer, wiewol für jebed feine eigene Art und 
reife geltend blieb, war doch beides in bemfelben Geift! dafür aben 
blieb auch izt, wo er wohl wußte, daß er zum legten Mat in bie 
Hauptftabt feines Volkes ging, indem er. fhon früher feinen Zün: 
gern fein Leiden und feinen Tod verkündet hatte, feine reine Hei⸗ 
terfeit unverringert biefelbe; auch jezt noch blieb er jener Art und 
Weiſe, wie er fie felbft befchrieben hat, getreu dad menfchliche Leben 
menfchlich zu behandeln. — Auf der andern Seite entfernen fich 
auch Diejenigen nicht minder von dem Beifpiele des Erlöfers, welche 
diefen Unterfchied ganz aufheben und das fröhliche Zufammenfein ber _ 
Menfchen in denfelben firengen Ernft in die gleichen herben Formen 
wie fie dem gefchäftigen Leben eignen hineinziehen wollen, ja wol 
gar nirgend eine anbere Stimmung des Gemüthd gelten laſſen moͤ⸗ 
gen als diefelbe, in welcher wir und öffentlich oder haͤuslich verfams 
meln um das Wort Gotted in unfere Seelen aufzunehmen oder um ' 
es zu lehren; ald ob es fich nicht geziemte, daß wir und freundlich 
zufammenthun um auch als Menfchen und nicht nur ald Menichen 
fondern auch, als Ehriften, aber auf eine andere Weiſe ald jene wenn 
gleih in bemfelben Geift, und froͤhlich einander mitzutheilen. Je 
bewegter bad menschliche Leben iſt in manchen Zeiten, je mehr gro 
ßes auf dem Spiele zu ſtehen fcheint, je weiter die Gemüther in 
den wichtigften Beziehungen aus einander gehen, je fehwieriger ed 
wird daß fie ſich verftändigen um gemeinfchaftlih zu ziehen an 
demfelben Joch zu bemfelben Ziele: um fo wichtiger ift ed, daß 
auch unfer freies gefelliges Zufammenfein hiezu mitwirke in dem: 
felben Geifte; aber dazu gehört auch, daß wir der eigenthümlichen 


Art und Weiſe deflelben treu bleiben, ohne welche wir feine heilfazııe 
Wirkſamkeit darin ausüben können. So und nicht anders konnte 
auch der Erlöfer überall etwas fchaffen für das Reich Gottes, ohme 
wad Drt und Zeit und Gelegenheit foberten aus ben Augen zu ſe⸗ 
zen; fo werben auch wir immer im Stande fein -etwas zu thun zur 
beilfamen Bearbeitung ber. Seelen, mit denen wir und eben in eĩ⸗ 
nem näheren Berhältniffe befinden. Und wie vieles kann grabe in 
unferem gefelligen Zufammenfein gefchehen um ben leidenfchaftlicyen 
Geift fei es in Beziehung auf die Angelegenheiten unferer hriflti- 
chen Froͤmmigkeit oder unferes bürgerlichen Lebens zu mäßigen, Die 
getrennten Gemüther einander näher zu bringen, heilfame Lehre aus⸗ 


zuſtreuen vermittelft der gefelligen Unterhaltung, bie Richtung auf 


dad große und höhere auch mitten in der Froͤhlichkeit des Lebens 
feflzuhalten, den Gleichmuth, von weichem weiter fortgefchrittene 
Ghriften befeelt fein müflen, überall nicht nur zu Ichren fonbern audy 
zu verbreiten unb mitzutheilen, und vielfältig. auf die Gemüther fo 
zu wirken, daß etwas für dad Reich Gotted in ihnen gefchehe. Je 
weniger wir alle ed darauf anlegen koͤnnen in jedem Augenblikk 
große und enticheibende Wirkungen hervorzubringen, um deſto we= 
niger dürfen wir bad Beine gering achten und irgend eine Gelegens 
beit verfaumen, wo und etwas vorhanden kommt zu thun um dem 
chriſtlichen Beruf zu dienen, aud) indem wir wie der Erlöfer, nidye 
ängftlich befümmert um bad Urtheil der Menfchen, bald in diefem 
bald in jenem Kreife unfer Licht Leuchten laſſen, wie er allen ſchaͤd⸗ 
lichen Vorurtheilen entgegentreten und fir bampfen unb nieberichlas 
gen, am meiften aber foldye, welche bad Band der Liebe ſchwaͤchen, 
welche die Gemüther ber Menſchen trennen, wie jenes Vorurtheil, 
welches gegen den Stand der Zöllner gerichtet war. Der Jünger 
ift nicht über feinen Meifter und foll es auch nicht fein wollen, wie 
er es nicht kann; aber .nachfolgen- follen wir überall nah Vermoͤ⸗ 
gen dem Erlöfer in allen Theilen unfere& Lebens. 


1. Aber nun m. g. Zr. laſſet und zweitens fehen, wie ber 
Erloͤſer fich feibft über diefe feine Handlung erflärt. Wir haben 
mit einander vernommen, daß ald er bem Zachaͤus fagte, er wolle 
heute in feinem Haufe einfehren, ‚Diejenigen, welche auch die Neu⸗ 
gierde zufammengeführt hatte, alle murreten, bag er bei einem Sim: 
der einkehren wollte Da trat nun Zachaͤus feibft hervor und 
ſprach, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den armen, und fo 
ich jemand betrogen habe, das gebe ich wierfältig wieder. Wohl 
vielen unter und m. g. Fr. wirb bierbei einfallen jener andere Zoͤll⸗ 
ner, welchen in einer Gleichnißrede unſer Erlöfer einem Phariſaͤer 


- - 


Dharifker fo gegenüberflellt, daß ber leztere fich rühmte wie geriau 
er dad Geſez erfülle, jener aber der Zöllner nichts that, ald indem 
er beten wollte flug ex an feine Bruft und Tprach, Gott fei mir 
Sünder gnädig. Scheint nicht unfer Oberzöllner, bei bem doch der 
Erxlöjer einkehren wollte, dem Phariſaͤer in jener Rede ähnlicher als 
dem Zöllner? Allein gewiß wollte er nicht damit fich felbft ruhmen, 
noch weniger lag in dem was er fagt irgend ein verbammenbed Urs 
theil über die, welche ihrerfeitö ihn fo laut und öffentlich ald einen 
Sünder brandmarkten; nur vor dem Erlöfer glaubte er fich rechts 
fertigen zu müffen und damit zugleich diefen felbil, daß er bei ihm 
einfehrte. Es liegt in ſeiner Rede, daß er fagen will, freilich kann 
ich nicht alle Aeußerlichleiten des Gefezed erfüllen wie andere, das 
leibet mein Beruf nicht; aber was das welentliche iſt des Geſezes, 
dad glaube ich nach Vermögen zu thun. Und aljo war dad ganz 
ein andered ald der Ruhm, welchen jener Pharifäer in ber Gleichs 
nißrebe des Erloͤſers fich beilegte, welcher eben auf die Genauigkeit 
in den äußeren Kleinigkeiten bed Geſezes ging, womit wie ja ber 
Eriöfer oft fagt fich doch ein gänzlicher Mangel an ber wahren 
Bruberliebe an innerer Gerechtigkeit und herzlicher Wohlthätigkeit 
gar leicht vereinigen läßt. Diefed beides nun, bie Gerechtigkeit und 
bie Wohlthätigkeit, die eine in ber Erflattung, wo er einen übervor: 
theilt hatte, fei es abfichtlich ober fei ed zufällig gewefen, nach ei⸗ 
nem firengeren Maaße ald ed dad Geſez vorfchrieb, die Wohlthätig- 
keit in der Art, wie er dad erfparte in feinem Beruf mit den duͤrf 
tigen theilt: dad beideö vereint er in. feiner Nechenfchaft, die er dem 
Erlöfer ablegt, ald daffelbe. Und fo ift ed auch! beides hat feinen 
Grund in demfelben rechtlichen Verhaͤltniß; und die Wohlthätigkeit 
derer, die reichliches mit den Gütern Diefed Lebens auägeftattet find, 
iſt nichtd anderes als eine Gerechtigfeit, welche fie ausüben gegen 
Dad gemeine Weſen um bie allzu große Ungleichheit, die dad bür: 
gerliche Leben heroorbringt, nach Vermögen wieder auszugleichen. 
Was fagt nun aber m. th. Fr. der Erxlöfer zu dieſem Zeugniß, 
welches Zachaͤus von ſich ſelbſt ablegt? Er übergeht ed ganz mit 
Stilfchweigen, ald ob er darauf gar feinen Werth lege, als ob dies 
fed gar nicht mit zu dem Bewegungdgrund gehöre, weöwegen. er 
bei dem Zachaͤus einfehre. Das m. g. erinnert mich an etwas, was 
ich damals hier gelagt habe, ald wir die Gefchichte des Nathanael 
zum Gegenſtande unferer Betrachtung gemacht. Dort nämlich wurbe 
und klar, wie es auch dem Erlöfer nie gleichgültig gewefen fei noch 
babe gleichgültig fein koͤnnen, wie ein Menich welchem er fich mite 
theile vorher befchaffen gewefen fei, weil nämlich eine ganz andere 
Wirkung auch des Erloͤſers möglich fei in einem fo ald in einem 





anders vorgerichteten Gemüth. Hier hingegen fcheint ed ja, indem 


er dieſes mit Stillfchweigen übergeht, ald ob er hierauf gar Feinen 
Werth lege; fondern was fagt er? Heut if diefem Haufe Heil 
wiberfahren, als ob er fagen wollte, morgen kann es einem andern 
widerfahren, es ift aber diefem Haufe Heil wiberfahren, weil er auch 
ein Sohn Abrahams if. Und dann fügt er hinzu, Des Menichen 
Sohn ift gekommen, und eine andere Ruͤkkſicht hat er nicht, als zu 
fuchen und felig zu machen was verloren ifi. Keinesweges aber m. 
th. Zr. ſteht dies wirklich fo wie es wol fcheinen fönnte in Wider: 
fprudy mit unferer damaligen audy aus der Handlungdweife des 
Erloͤſers entwikkelten Rede. Gewiß würbe ber Erlöfer nicht zu Za- 
haus eingegangen fein, wenn biefer zu denen gehört hätte, bie auf 
eine leichtfinnige Weife nur fich felbft und das ihrige ſuchten und 
nur in biefem Sinne die Gelegenheit, welche ſich ihnen darbot, be 
nuzten um bie Güter ded Lebens in einem reichern Maaße zu er: 
werben. Aber fchon: dad Verlangen, welches ex hatte den Herm zu 
fehen, die Richtung auf feine Perfon fpricht für ihn. Denn wer 
wollte wol ben natürlichen Zufammenhang läugnen zwifchen der 
Sewiffenhaftigleit des Gemüthd, der Treue des Menichen gegen das, 
was er als gut und recht erkennt, wie unvollkommen auch Diele 


Erkenntniß fei, und dem erlangen der Seele nach einer reineren 


Erfenntniß, nad) einer höheren Einficht, nach einem Strahl des bi:nm: 
liſchen Lichtd, wie e8 aus dem Erlöfer hervorleuchtet! Gewiß wird 
niemand fagen wollen, wie leichtfinnig auch ein Menſch gelebt und 
die Stimme feined Gewiffend übertäubt habe um den Gelüften ſei⸗ 
nes Fleiſches zu fröhnen, daß dennoch eben fo gut wie in jeber an- 
deren auch in einer folchen Seele ohne weitered ein wahrhaftes Ber: 
langen nach dem Erlöfer entſtehen koͤnne. Das alfo überfah der 
Erloͤſer wohl, und diefe Sehnſucht kannte er auch in bem, welchen 
er fih ausgewaͤhlt um bei ihm zu berbergen; aber er ftellt biefes 
doch nicht als feinen Bewegungsgrund dar, fondern er führt uns 
zuruͤkk auf die größere allgemeine Regel feines Lebens und auf das 
gleiche Verhaͤltniß, in dem alle Menfchen zu ihm flanden. Eine 
Megel Hatte er fich gemacht, wodurch fein Leben zufammengehalten 
wurde, indem es fich fonft fehr leicht hätte zerfplittern und zerftreuen 


koͤnnen; nämlidy er für feine Perfon wollte nur geſandt fein zu ben 


verlorenen Schanfen aud dem Haufe Israel; hernach wenn das 
Geſez ihn würde getöbtet haben, dann folle es feinen Süngern er: 
laubt fein auch dem Gefez zu fterben und dad Wort auch zu ande: 
ren Gefchlechtern der Menfchen zu bringen: aber er war bloß ge: 
ſandt und blieb auch mit feinen Worten und Thaten ganz in bem 
Gebiete feines eigenen Volles. Und daraum giebt er auch hier zu 





erkennen, als folche feien ihm alle gleich; dieſem Haufe ift Heil 
voiderfahren, weil er auch ein Sohn Abraham if. Doch aber fügt 
er binzu, Des Menfcher Sohn. ift gelonimen zu fuchen und felig 
zu machen was verloren if. Und merfet ed wohl m. a. Fr., es 
giebt mehre andere ähnliche Ausfprüche des Erlöferd, wo er fagt, er 
fet nicht gefommen die Welt zu richten fondern die Welt felig zu 
macden, er fei nicht gelommen für die gefunden ein Arzt fondern 
für die kranken, er fei gelommen felig zu machen was im Begriff 
fei verloren zu gehen: aber daß er gefommen fei zu ſuchen, das 
ift unferer Stelle eigen. Und diefen hat er wirklich gefucht, er hat 
ihn gefucht und ausgewählt um bei ihm bie Herberge zu nehmen, 
aber als einen folchen, zu deſſen Seligkeit er beitragen wollte auch 
in dem kurzen Verhältniß, in welches er nur mit ihm treten konnte, 
da fhon bie Zeit feined Keidend und feined Todes nahe war. — 
Und m. a. Sr. das ift nun die allgemeine große Regel ded Erlöferd 
geweien. Allen Menfchen war er erfchienen, aber wo er nun felbft. 
zu wählen hatte, was konnte er anders fich für ein Geſez machen 
old dahin zu greifen, fich denen zu nähern, zu deren Seligfeit er 
am meiften beitragen konnte. So trat ihm biefer entgegen; und 
aus beiden Urfadhen, weil er doch auch zu benen gehörte, auf welche 
er felbit fich in feinem Leben ein für allemal beſchraͤnkt hatte auf 
ber einen Seite, aber auf. ber anderen auch, weil er in einer folchen 
Lage feines Gemüthd.war, daß der Herr zu feiner Seligfeit beitras 
gen konnte in diefer Stunde, darum bat er ihn auderwählt: und 
- fo war das feine Befriedigung, daß er auch da Tonnte an ber Wer: 
befjerang eines menſchlichen Gemüthes arbeiten. 

So m. a. Fr. ift er immer berfelbe geweſen. Diefed war num 
auf bem legten Wege in die Hauptflabt feines Volkes, fein Leiden 
ftand nahe bevor, wie auch und izt die Zeit nahe bevor flieht, welche 
der befonderen Betrachtung beffelben gewidmet iſt; aber wir finden 
ihn unverändert denfelben wie in jener früheren Zeit, wo ihm bie 
Entwilfelung feines irdifchen Dafeind noch nicht jo nahe war. Al: 
les was ihm nun fo nahe bevorftand brachte feine Veränderung in 
feiner Lebensweife hervor; biefelbe Liebe und Freundlichkeit, wie fie 
in feinem ganzen Leben. verbreitet war, berfelbe Zug des Wohlwol: 
lens zu denen, welche Gebrauch davon zu machen fähig waren, ber: 
ſelbe Gleichmuth, dieſelbe unerfchütterliche Ruhe in allen Verhaͤlt⸗ 
niffen, wie wir fie immer gefunden! Und fo allein vermag auch 
ber Menfch alle Aufgaben bed Lebens zu löfen, jede Zeit gluͤkklich 
und tapfer zu beflchen, niemald mübe zu werden, niemald zu wan⸗ 
fen auf feinem Wege, Feine Gelegenheit porübergehen zu-laffen wo 
er wirken Tann, um mit feinem Pfunde zu fchaffen, was feine Kräfte 





vermögen für den großen gemeinfamen Beruf aller. Ja m. g. Fr. 
das ift der, welchem wir nachfolgen follen! fo follen wir feiner Kraft 
und feiner Liebe, feiner Weisheit und feiner Milde nachzuflreben 
fuchen in unferm ganzen Leben; auf diefelbe Art und Weife wie er 
follen auch wir unfere Verhältniffe unter einander ordnen ımb bes 
nuzen. Was dann Gott auch über und für eine Zeit verhängt ha: 
ben möge; welches Geſchikk dem einzelnen näher ober ferner drohe; 
wie mancher verfannt werde von ber Menge, wie ed der Erloͤſer 
auch wurde: immer auf diefelbe Weife treu und eifrig ben Weg bes 
Berufe zu gehen, dad iſt dad Ziel, welche wir und alle vorzufes 
zen haben! Wenn wir mit berfelben Liebe, wie er ben Menſchen 
zugethan war, nicht aufhören und unter einander anzufaffen und 
möglichft fuchen alle zu dem Einen binzuführen: fo wirb dann das 
Wort aufd neue wahr, daß er auch izt nicht aufhört zu fuchen und 
felig zu machen was verloren ift; denn er thut dann dieſes durch 
und. Wollen wir aber auch nad) feiner liebevollen milden Weiſe 
den Menfchen uns überall öffnen und und hingeben jebem, wie er 
e3 bedarf: fo dürfen wir auch nie aus den Augen laffen, wie er 
immer eind war mit dem Water, wie er immer auf die Werke ſei⸗ 
ned Vaters fah und auch im Meinen feine Sreube daran hatte diefe 
Werke zu fördern. Dann wird auch und unfer großer Beruf fein 
Reich unter den Menfchen zu bauen immer im vollen Licht erſchei⸗ 
nen; dann werden auch wir unfer Werk getreulid, erfüllen und un: 
ferem gemeinfchaftlichen Ziel mit feiner Ruhe und feinem Frieden 
entgegengehen koͤnnen: welches er nach feiner Gnabe und allen ver: 
leihen wolle durch ben Beiftand feines Geiſtes. Amen. 


eich 103, 8. 


XVII. 


Am 1. Sonntage in der Faſten, In— 
vocavit 1832. 





eieb 187. 166. 


Tert. Lukas 24, 25 und 26. 


Und er fprach zu ihnen, D ihr Thoren und träged 
Herzend zu glauben alle dem, was bie Propheten geredet 
haben. Mußte nicht Chriſtus folched leiden und zu feiner 
Herrlichkeit eingehen? 


M. a. Fr. So oft wir wieder dieſen Zeitäbfchnitt unſeres kirchli⸗ 
chen Jahres beginnen, welcher der Betrachtung des leidenden Erld: 
ferd ganz vorzüglich gewibmet ift: fo muͤſſen wir und immer wie 
der aufs neue in dieſe Tiefe der göttlichen Weidheit in dieſe ges 
heimnißvolle Führung. unfered Gefchlecht3 verfenten, daß der Erlöfer 
der Welt mußte ben Widerfpruch der Sünder erbulden und von ber 
Hand der Sünder fterben; und unergruͤndlich erfcheint biefer Rath: 
ſchluß immer wieder aufd neue dem Gemüthe ber Chriften. Was 
tönnen wir aber hiebei für eine beffere Anleitung haben als folche 
Worte wie diefe, welche uns lehren, wie ber Erlöfer felbft, nachdem 
er fein Leiden hinter fich hatte, an dem erften Tage feiner Auferftes 
hung auf daſſelbe zuruffficht. Wenn er nun fagt, Mußte nicht 
Chriſtus folches alled leiden unb eingehen zu feiner Herrlichkeit: fo 
liegt ja barin dad Bewußtſein einer Nothwendigkeit; es war ihm 
deutlich, daß es nicht anders ald fo habe fein können. Aber weder 





für und noch für ihn giebt es irgend eine andere Rothwenbigkeit 
als die des göttlichen Rathſchluſſes. Alles ift fo wie es ift, weil 
e3 der Emige fo befchloffen hat; alles kann nicht anders fein und 
nicht anderd gedacht werben, ald es ift, weil nichtö werben kann als 
nur durch feinen Rath und Willen. Darum auf diefe in dem gött: 
lichen Rathſchluß gegründete Nothwendigkeit führt und ber Erlöfer 
in feinen Worten zuruͤkk; das ift der Geſichtspunkt, aus welchem 
auch wir fein Leiden und feinen Tod betrachten- follen: denn es ift 
der, welchen er bier feinen entmuthigten Züngern ſelbſt angiebt. 
Nur freilich feheinen die Worte des Erlöferd auch etwas anderes zu 
enthalten. Indem er zu feinen Züngern fagt, Ihr Thoren unb trä- 
ges Herzend zu glauben alle dem, was in ben Propheten gefagt 
ift; indem hernach noch hinzugefügt wird, nachdem er die Worte 
unfered Textes geredet, habe er angefangen ihnen die Schrift aus⸗ 
zulegen, anfangend von Mofe und durch alle Propheten hindurch: 
fo fommen wir freitich gar leicht auf ben Gedanken, bie Nothwen⸗ 
digkeit des Leidens und des Todes Chrifti habe ihren Grund in bie 
fen Weiffagungen der Propheten. Allein m. g. Fr., je mehr eben 
alle Weiffagungen, welche den Erloͤſer der Welt betreffen, und als 
göttlichen Urfprungs gewiß find, und wir baher glauben, daß feine 
ſolche Weiffagung nach menichlihem Willen gefchehen ift: um befto 
mehr ift es ja derfelbe, von dem die Weiffagung kommt, und der: 
felbe, von dem die Erfüllung kommt. Wenn wir alfo fagen, darum 
mußte Chriftus aljo leiden, weil es alfo geweiflagt war von ben 
Propheten bed alten Bundes, und wir wollen nun aud) ohne weis 
tered zugeben, daß ihre Worte und Darftellungen in der Xhat dem 
Erfolge ganz entfprechen, und wir alle fo finden in dem Leiden 
des Erlöfers, wie fie e8 geweilfagt haben: fo führt und bas doch 
nicht weiter ald zu fragen, und warum mußten fie benn alfo von 
dem Herm weiffagen? Beides alfo bie Weiffagung und die Er: 
- füllung bat nur einen.und benfelben Grund. Weil es alfo in bem 
göttlichen. Rathe beichloffen, weil es alfo der ewigen Weisheit ge 
mäß war, darum mußte eö fo gefchehen; und dag dem die Weiſſa⸗ 
‚ gung voranging, bad war nur ein anleitendes Werk der göttlichen 
Liebe zum beften derer, die mit diefen Weiffagungen umgingen: 
aber e3 kann nicht den Grund in fi halten, warum es fo und 
nicht anderd gefchehen if. Darum nun m. g. Fr. muͤſſen wir body 
bei dem anderen Worte bed Herrn ftehen bleiben. Nämlich wenn 
er fagt, Mußte nicht Ehriftus ſolches leiden und in feine Herzliche 
keit eingehen: fo wollte er gewiß dieſes beides nicht nur neben ein: 
ander ftellen, fondern eine genaue Beziehung zwifchen beiden wollte 
er aufftelen, nicht anders als wenn er gefagt hätte, Mußte nicht 


209 


Chriſtus ſolches leiden um in feine Herrlichkeit einzugehen? Konnte 
Chriſtus anders in feine Herrlichkeit eingehen ald nachdem er gelits 
ten hatte? Und fo defft er uns alfo den göttlichen Rathſchluß 
über fein Leiden und feinen Tod auf in dem Zufammen: 
bange deffelben mit feiner Herrlichkeit. Das fei ed nun, 
was wir izt zum Gegenftand unferer andächtigen Betrachtung mas 
hen wollen. Wir werden dazu freilich m. a. Fr. zu erſt und bie 
Frage beantworten müffen, worin denn nun diefe Herrlichkeit des 
Erloͤſers beftehe, und dann erſt bie zweite Frage, wie ihn benn 
nun fein Leiden zu dieſer Herrlichkeit gefuͤhrt hat. 


J. Fragen wir uns alſo zuerſt, Was iſt denn das fuͤr eine 
Herrlichkeit, von welcher der Erloͤſer redet, daß er in ſie einge⸗ 
gangen ſei, und daß er habe alſo leiden und ſterben muͤſſen um in 
dieſe Herrlichkeit einzugehen? Dieſe Frage m. a. Fr. ſcheint uns 
freilich ſehr weit zu entfernen von demjenigen, was uns das naͤchſte 
iſt, naͤmlich uͤberhaupt von dieſem Schauplaze der menſchlichen Dinge. 
Denn dad iſt die gewoͤhnliche Art, wie wir und dad Daſein des 
Erloͤſers darftellen: fein hieſiges Leben und fein Wirken, fein Leiden 
md Sterben ald einen Zufland der Erniebrigung; fein Aufgenoms 
menwerden in ben Himmel, feinen Abfchied von diefer Erde und aus 
biefer vergänglichen Welt als feine Erhöhung und Herrlichkeit. Als 
lein m. g. $r., wenn wir ed genauer betrachten und und nur alled 
beöjenigen entfchlagen, was ‚nur aus einem ganz anderen Gebiet 
unferer Gedanken hergenommen ift, und.fragen und, was für eine. 

Herrlichkeit hat denn ber Herr dadurch gewonnen, in die er erfl ein⸗ 
gegangen wäre, baß er nach feinem Leiden und feinem Tode ben 
Schauplaz diefer Erbe wieder verlafjen hat? Wie! giebt ed eine 
anbere und größere Herrlichkeit ald die einer folchen unmittelbaren 
Verbindung mit Gott, von welcher ex ja, fo lange wir ihn in ſei⸗ 
nem irbifchen Leben begleiten können, bad Bewußtſein nie einen 
einzigen Augenblikk verloren hat? Tann etwas größeres gefagt wer: 
den von irgend einem Weſen, ald daß ed fo eins fei mit dem Schoͤ⸗ 
pfer, mit dem ewigen Vater aller Dinge und.aller Geifter, als ber 
Erlöfer .ed von ſich fagt? kann es eine größere Herrlichkeit geben 
ald das Bemußtfein, welches ihn fo ganz durchdrang, daß er nie 
etwas anderes that, nie etwas anderes fuchte ald den Willen feines 
Baterd im Himmel zu vollbringen; aber daß er den auch wirklich 
ganz vollbrachte und in biefem Vollbringen des göttlichen Willens 
einer ungetrübten und durch nichtd zu ftörenben Seligkeit genoß? 
Gewiß wenn wir ed fo erwägen, fo werden wir fagen müffen, Diefe 
Herrlichkeit de3 Herm war eine unvergängliche, er gt fie nicht ver 

III. 


210 


Ioren durch fein Leben auf Erden, Feine menfchliche Gewalt hat fle 
ihm auch nur auf einen einzigen Augenblikk entziehen können, nie 
hat er eine Verringerung derfelben erfahren weder durch innere Zu⸗ 
flände noch durch äußere Verhaͤltniſſe, fie ift immer dieſelbe geweſen 
und geblieben, und er Fonnte alfo nicht erſt in dieſe Herrlichkeit 
eingehen. 

Sp wie wir mögen wol auch bie Junger, zu denen er dieſe 
Worte redete, zweifelhaft und bedenklich geweſen ſein; aber ſie koͤn⸗ 
nen es nicht laͤnger geblieben ſein als nur wenige Stunden bis auf 
den ſpaͤteren Abend deſſelben Tages. Denn als fie nun nach Je⸗ 
ruſalem zuruͤkkkehrten um ſeinen anderen Juͤngern zu ſagen, der 
Herr ſei wahrhaft erſtanden und nur noch eben mit ihnen gewan⸗ 
delt, da trat der Herr mitten unter ſie, und da ſprach er zu den 
Juͤngern, die es nicht glauben wollten, ſondern noch immer zweifel⸗ 
ten, als fie ihn ſahen, ähnliche Worte. Mußte nicht Chriſtus alſo 
leiden, fagt er da, und flerben und auferfichen und in feinem Ras 
men predigen laffen Buße und Bergebung ber Sünden? Können 
wir alfo wol anders, ald das, was er hier fagt, Mußte nicht Chri⸗ 
ſtus leiden und flerben und in feine Herrlichkeit eingehen, jenem 
gleichftellen was er dort fagt, Mußte er nicht leiden und flerben, 
auferftehen und in feinem Namen predigen laflen Buße und Berges 
bung der Sünden? Nur bei welchem von biefen beiden follen wir 
vorzüglich ftehen bleiben m. g. Fr., bei dem XAuferfiehen oder bei 
dem Predigenlafien? War dad Auferfichen feine Herrlichkeit, dieſes 
aus dem Grabe Hervorgehen, um abermals menfchliche Geflalt an 
fih zu tragen und ald Menſch unter Menfchen zu wandeln, mit 
ihnen zu reden, und alles was zu dem menfchlichen eben gehört 
mit ihnen zu volbringen? Was war doch dieſes anders ald wie 
es und auch beichrieben wird wieder nur ein Dienft, den er feinen 
Juͤngern leiftete, daß er fi) noch unter ihnen fehen ließ, und daß 
er mit ihnen redete von dem Reiche Gottes; ein Nachtrag ein fur 
zer Nachtrag zu- feinem vorigen Leben, ein wieberholter Abfchied 
von ihnen? das Tann feine Herrlichkeit ntcht geweſen fein! Er führt 
und alfo auf dad andere, daß in feinem Namen folle gepredigt 
werden Buße und Vergebung der Sünden allen Wölfen anhebend 
zu Serufalem: das ift die Herrlichkeit, in welche er einging, und in 
welche er nur durch Leiden und Tod eingehen Eonnte. 
Inder nun in feinem Namen Buße und Bergebung ber Sim⸗ 
den gepredigt warb allen Voͤlkern m. th. Fr., da ging bad in Er 
füllung, daß ihm ein Name gegeben fei, der über alle Namen if; 
denn in weſſen Namen ift jemals folched gefchehen? und was giebt 
e8 größeres, das in eined Namen gefchehen Fönnte, als wenn in 








al. 


Demfelben geprebigt wird Buße, eine gänzliche Umkehrung bes 
meenfchlichen Geſchlechts von dem nichfigen vergänglichen verberblis. 
chen zu dem ewigen und göttlichen; geprebigt Wergebung ber Suͤn⸗ 
den, Aufhebung aller Entfernung der Menſchen von ihrem Schöpfer 
und Vater, Ruͤkkkehr derſelben zur Eindlichen Liebe zu ihm, freier 
Zugang in allen Bebürfniffen zu ihm als ihrem Vater! Daß in 
feinem Namen geprebigt werbe, und daß aus ber Predigt der Glaube 
komme, weil wad geprebigt ward auch aud dem Glauben Fam: 
ja das ift feine Herrlichkeit, daB ift die Herrlichkeit, nach welcher 
iHn verlangt hat, fo lange er auf Erben lebte und wandelte, und 
von welcher er eben fagt, daß er doch nicht anders in biefelbe ein⸗ 
gehen konnte ald durch Leiden und Tod. Das ift feine Herrlichkeit, 
Daß er alſo nicht mehr allein ein einzelner Menſch auf Erben fon» 
dern in aller. Menfchen innerfiem Geift und Leben lebt, wie der 
Apoflel fagt, Was wir die wir glauben nun leben, das leben nicht 
wir, fondern bad lebt Chriſtus in und *). Diefe Verbreitung feines 
Lebend über dad ganze menfchliche Gefchlecht, für welches und um 
deflentwillen er erfchienen iſt; dieſe Fräftige Gegenwart, welche fi 
über das ganze geiflige Leben auf Erden erſtrekkt: o wie follte er 
wol bie nicht feine Herrlichleit genannt haben, die einzige, in bie 
er noch eingehen konnte; denn eine innere fonnte aufd neue für ihn 
nicht entſtehen, und Feine größere innere Vortrefflichkeit Tonnte es 
geben, ald die er von Anfang an hatte, und bie er niemald verlor. 
" Wolan m. th. Fr., in diefe Herrlichkeit geht er noch immer ein, 
denn fie ift noch nicht vollendet. Immer noch muß gepredigt wer: 
den Buße und Vergebung der Sünden in feinem Namen; ba wo 
fie ſchon gepredigt ift, muß biefe Prebigt fortgepflanzt werben von 
einem Geſchlecht auf das andere, auf daß nie und nirgend ber 
Mund der Menfchen verftumme von Jeſu zu reden ald dem Erlöfer 
der Welt. Aber auch dahin muß diefe Predigt dringen, wo fie nod) 
nicht erfehollen war; das Licht der Welt, ald dad er gelommen ift, 
muß alle noch dunkele Gegenden erhellen. Und dazu find und wer: 
den immer wieder alle aufgefordert, welche in die Fußſtapfen feiner 
erſten Zünger getreten und Nachfolger derſelben im Glauben gewor: 
den find; denn es gieht Feinen Glauben ohne Predigt, wie ed Feine 
Predigt giebt ohne Glauben. Muüffen wir alfo alle auf der einen 
Seite durch diefe Herrlichkeit leben und fie mit genießen, auf der 
anderen Seite aber auch biefe feine Herrlichkeit mit bewirken helfen: 
nun fo muß e3 und ja wol wichtig fein, baß wir ben Zuſam⸗ 
menhang recht verftchen, welchen er bier anbeutet, und fo laffet 


) 8 2, 2%. | 
| 92 


2123 


und denn nach diefem in bem wein Theile unſerer Betrachtung. 


fragen. 


11. Sa fragen wollen wir darnach m. g. $r., wie doch fi 
ches Leiden und folcher Tod bes Erlöfers bie Bedingung babe fein 
müffen für: biefe feine Herrlichkeit: aber ob ich will nicht fagen izt 
in biefer meiner Rebe, fondern ob. überhaupt jemald eine Antwort 
auf biefe Frage wird gegeben werben, welche alle auf gleiche Weile 
befriedige, und -in welcher fich eben biefes Geheimniß des verborge⸗ 
nen göttlichen Rathfchluffes ganz enthüulle, wer möchte bad behaup- 
ten! jeder aber höre nicht auf zu ſuchen und zu fragen; denn daß 
er eine Antwort finde für fich, die ihm genügt, in ber fein Glaube 
ruht: bad iſt ja die einzige Bedingung, unter der jeber felbit auch 
wieber theilnehmen kann an der Herrlichkeit des Herrn und ars 
beiten für die Herrlichkeit ded Herm. Wenn wir aber überlegen 

g. Fr., wie feit fo vielen Sahrhunderten fchon immer gefragt 
* iſt nach dieſem Zuſammenhange, der Glaube immer hinge⸗ 
ſchaut hat auf das Kreuz Chriſti, dad Herz immer feine Befriedi⸗ 
gung gefunden hat in dem, ber um unferer Sünde willen geſtor⸗ 
ben und um unferer Gerechtigkeit willen. auſerwekket warb; aber wie 
doh — fo innig aud dad Gefühl und bie innerfie Hergendempfin- 
dung ber gläubigen, fo fefl auch und umerfchütterlich der Glaube 
war von Anfang an — bie Zungen fo mannigfaltig zertheilt ge 
weien, die Worte fo verfchieden, fo unverſtaͤndlich bem einen bie 
Sprache des andern, als ob Chriſtus nicht wäre eine Fahne des 
Heild aufgerichtet für alle Völker, fondern nur ein neuer Thurm zu 
Babel, an welchem fich die Sprachen der Menfchen verwirren und 
ihre Gemeinfchaft zerfplittern fol: fo Finnen wir wol unmoͤglich 
anderd glauben m. g. Sr. ald auf der einen Seite, daß fich von 
jeher mancherlei falfches und bebenfliched in die Antworten auf diefe 
Frage muß eingemifcht haben; auf der andern Seite aber auch, daß 
die Sache felbft etwas unerfchöpfliches ift, fo daß ſich, wenn auch 
jened alled gluͤkklich beſeitigt waͤre, gar vielerlei verſchiedene Verſuche 
denken laſſen das innere Weſen dieſes Zuſammenhanges an den Tag 
zu bringen. Daher weniges wird es nur ſein, was in beider Be⸗ 
ziehung in einem fo kurzen Raum wie dieſer auseinandergeſezt wer 
ben Tann. 

Zuerſt alfo laffet und einiges befeitigen, was oft und vielfältig 
bie Chriften verleitet hat ſich diefen Zufammenhang auf andere Weiſe 
zu benten, ald ihn der Erlöfer Eonnte gemeint haben. Nur freilich 
wenn wir ſolche Warnungszeichen aufftellen wollen für die Art, wie 
wir unfern Glauben fund geben: fo dürfen wir das nicht aus 





213 


menfchlicher Willkuͤhr; fo barf babei wieder nicht die Denkungsweiſe 
bie Anficht bed einzelnen zum Grunde liegen; fondern uur bavor 
werben wir und mit voller Gewißheit warnen koͤnnen, was bie Ein- 
heit unferer Ueberzeugung von dem Erlöfer und unferer Hoffnung 
auf ihn flören koͤnnte. Wenn wir nun auf dad Wort des Herm, 
wodurch er und bie Herrlichkeit in welche er eingegangen iſt erklaͤrt, 
näher mit einander achten, naͤmlich daß in feinem Namen folle ge: 
prebigt werden Buße und Vergebung der Sünden: fo.wird es und 
gar leicht zu denken, ber Zuſammenhang ſeines Todes mit ſeiner 
Herrlichkeit beſtehe darin, daß ſein Tod eine unerlaßliche Bedingung 
der Vergebung der Suͤnden iſt oder auch eine Bedingung des Glau⸗ 
bens an ihn, welcher doch das wahre Weſen der Buße und der 
wahre Anfang jeder Umkehr zu dem goͤttlichen Leben iſt. Und frei⸗ 
lich muß das auch wahr ſein, wenn es einen ſolchen Zuſammen⸗ 
hang geben ſoll; aber nur auf eine ſolche Weiſe, wie geſagt, daß 
die Einheit in dem Leben und Wirken in dem ganzen Daſein des 
Erloͤſers nicht geſtoͤrt wird. Wenn wir nun ſo oft ſagen hoͤren m. 
a. Fr., der Tod des Erloͤſers ſei die Bedingung des Glaubens an 
ihn geweſen: ſo wird das nicht felten ſo dargeſtellt, als ob, indem 
er durch ſeinen Tod erſt ſeine eigene Ueberzeugung von ſeiner Lehre 
recht bekraͤftigt habe, indem er fuͤr dieſelbe geſtorben ſei, nun erſt 
dieſe Staͤrke ſeiner eigenen Ueberzeugung der Grund unſeres Glau⸗ 
bens werde. Wie aber, haben ſeine Juͤnger nicht ſchon an ihn ge⸗ 
glaubt, waͤhrend er noch unter ihnen wandelte? hat er nicht ihren 
Glauben anerkannt als den rechten wahren gottgefaͤlligen Glauben, 
als einer von ihnen zu ihm ſprach, Wir aber — nachdem fie naͤm⸗ 
lich ihm audeinanbergelezt hatten, was bie Leute von ihm fagten — 
wir aber haben erfannt und geglaubt, dag du wahrhaftig biſt Chri- 
flus, der Sohn des lebendigen Gotted *); erklärte nicht biefed der 
Erlöfer fo für den rechten vollfommenen genügenden Glauben, baf 
er zu dem wortführenden Jünger ſprach, Simon Jonas Sohn, fe: 
fig bift dul denn Steifh und Blut hat dir dad nicht geoffenbaret, 
fondern mein Water im Himmel. Diefes Siegel. des Wohlgefallend 
bat er alfo fchon bamald auf den Glauben. an ‚ihn gedrüfft, als 
feine Juͤnger noch nichts von: feinem Tode ahneten. Ia er. felbft 
verwies fie nicht erfi auf feinen künftigen Tod; fordern fo. wie ihr. 
Glaube ſich audfprady als die Erfahrung von ber Mittheilung des 
ewigen Lebens durch ihn in feinem Leben. und Wirken, fo fagt der 
Erloſer, Das hat dir nicht Fleiſch und Blut offenbart, ſondern mein 
Vater im Himmel. Und auch) hier, wie anders wuͤrde er x feine Sün- 





*) Maith. 16, 1. 


214 


ger haben fchelten müffen, wenn. fein Tod erſt ber Grund ihres 
Glaubens Hätte fein folen! Er ſchilt fie deswegen, daß fie nun 
aufhören wollten zu glauben, daß ihr Glaube wollte wankend wer⸗ 
den durch feinen Zod. Denn, fo fprachen fie, nachdem fie ihm er: 
. zahlt hatten von dem was fich in Serufalem begeben, Wir aber 
hatten gedacht, wir hatten gehofft, er würde Israel erlöfen, ald ob 
nun ihre Hoffnung im WWerlöfchen geweien wäre. Darum fchalt er 
fie Thoren und träge Herzend. Wenn aber ihr Glaube erſt ſei⸗ 

nen Grund hätte haben follen in feinem Tode: fo hätte er ja viel: 

mehr fagen muͤſſen, Was ihr bisher von mir geglaubt gelehrt ges 

dacht habt, das war alle nur leerer Schein; bad Weſen iſt erft 

nun geworben, nachdem ich den Tod erlitten; nun bin ich erſt der 

Gegenfland eure Glaubens geworben. Dergleichen aber hat er we⸗ 

ber damals noch jemals zu feinen Sängern gefagt; fonbern wenn er 

ihnen fagt, Wenn ihr nicht mein Fleiſch effet unb mein Blut trin⸗ 

tet, fo habt ihr kein Leben in euch: fo fagt er ihnen zugleich, Das 

Fleiſch ift Fein nüze, aber die Worte, welche ich zu euch rede, find 

Geift und Leben; und er denkt bei feinem Fleifche und Blute, was 

fie effen follten und trinken, nicht an feinen Tod, fonbern nur eben 

an biefe innige Gemeinfchaft bed Lebend. Und genauer läßt ſich ja 

biefe nicht ausdruͤkken als fo, daß feine Zünger fi) von ihm naͤh⸗ 

ren, daß fie von ihm leben, von ihm durch den Slauben die Kraft 

eined reinen höhern Lebens empfangen follten. Aber an eine Noth: 

wendigfeit feined Todes in biefer Beziehung, um dieſes Band des 

Glaubens erſt anzufnüpfen, bat er niemals gebadht; und ſo wäre 
alſo feine eigene Predigt von ſich unvollftändig. gewefen, und er 

hätte die Gelegenheit, welche feine Auferftehung ihm gegeben um fie 

nad) feinem Zode zu vervolfftändigen, auch unbenuzt gelaflen, benn 

auch in den Tagen feiner Auferftehung hat er nichts dergleichen 

gelagt. " 

Ein zweites iſt diefes, wenn der Erlöfer fagt, Alfo mußte ich 
leiden und flerben, damit in meinem Namen Buße und Vergebung 
der Sünden geprebigt werben, unb wir benfen nun, fein Tod fei 
auf bie Weife die Bebingung der Vergebung der Sünden, daß 
"Gott ohne denfelben, ohne einen folchen Tod des Erlöferd die Suͤnde 
nicht hätte vergeben Eönnen: wie leicht m. g. Fr. bringt das eine 
unauflösliche Verwirrung in unfere Vorſtellungen von dem hoͤchſten 
Weſen hinein! wie müffen wir und hüten die Liebe unferes himm⸗ 
liſchen Vaters und die Gerechtigkeit des ewigen Gottes ald zwei fo 
einander entgegengefezte Seiten feined Weſens anzufehen, daß bie 
eine am fich zieht, was die andere von fich flößt, daß wenn die 
Liebe ihre Arme öffnet um die verfomen Kinder zu umfangen, bie 


215 

Gerechtigkeit fie nur zu Öffnen wüßte um das Schwert zuſammen⸗ 
ſchlagen zu laſſen uͤber dem Haupte des Suͤnders. Wohl giebt es 
- einen Zuſammenhang zwiſchen dem Tod des Erloͤſers und der Ver: 
gebung der Sünden, weil alled auf eine unauflösliche Weife in die: 
fen großen Werke Gottes zufammenhangt: aber wir können nur zu 
leicht beides auf eine folche Weife vereinigen wollen, daß wir ben 
feften Grund des Glaubens eher verlieren, ald daß er und dadurch 
fichergeftellt würde. Jeſus Chriſtus geſtern und heut und in Ewig- 
keit derfelbe, dad müflen wir und auch fo denken und fefthalten, 
Jeſus Chriftus ſchon ald er lebte auf Erben die Quelle des geifti- 
gen Lebens für. alle Menfchen, wie er es war, fo auch unmittelbar 
ed austheilend, ehe er noch für die Menfchen geftorben war, unmit: 
telbar feinen Jüngern die Augen des Geiſtes öffnend, daß fie die 
Gemeinihaft zwifhen Himmel und Erde hergeftellt fahen, gleichſam 

mit leiblichen Augen das Wohlgefallen Gottes an ſeinem Sohne 
ſchauen konnten; und heut, nachdem er geſtorben iſt und auferſtan⸗ 
den, in den Himmel aufgenommen und uͤber den Schauplaz dieſer 
Welt erhoben iſt, derſelbe, von welchem wir noch aus den Worten 
des Lebens, welche uns hinterlaſſen ſind, und welche nie verſtum⸗ 
men werden bis an das Ende der Tage, allein das Leben ſchoͤpfen 
koͤnnen, eben ſo unmittelbar als ob er noch nicht geſtorben waͤre, 
nur aus dieſen und ganz aus dieſen. 

Wolan m. th. Fr., wollen wir daher fragen, Nun gut, wie 
haben wir und benn biefen Zufammenhang zwifchen dem Tode bed 
Erlöferd und der Herrlichkeit, in die er eingehen follte, zu erflären? 
fo möchte ich zuerft fagen, daß von dem Tode bed Erlöferd über: 
haupt in diefer Beziehung gar nicht die Rede fein kann. War er 
ein Menfc geworden wie wir, hatte er Fleiſch und Blut an fi) 
genommen wie die Kinder: fo war er auch durch fein irdiſches Le: 
ben dem ode geweiht, denn fein Leben wäre fonft nicht ein menſch⸗ 
liched Leben geweſen, nicht das unfrige, fondern ein fremde. Wenn 
alfo der Erlöfer fagt, Mußte nicht Chriftus ſolches Leiden und in 
feine Herrlichkeit eingehen? fo meint er bie Art und Weife feines 
Todes. Bei diefer giebt es nun vorzüglich zweierlei, was und in 
Erflaunen fezt, was wir und fo gern anderd benfen möchten, wenn 
ed anders hätte fein können, und wovon wir doch immer die Noth: 
wendigfeit fühlen, dag es nicht anders babe fein dürfen als fo. 
Dad erfte m. g. Fr. ift dieſes, daß der Erlöfer fo zeitig wieder den 
Schauplaz der Erde verlafien mußte; das andere ift dieſes, Daß er 
nicht fo wie der größte Theil der Menfchenkinder durch die Ver: 
wikklungen der Teiblichen Natur unfered Lebens, fondern daß er 


216 


durch die Hand ber Sünder flerben mußte und den Miffethäterrs 
beigezählt werden. 

Das erſte m. g. Fr. wird wol manchmal ein Gegenfland un= 
ſerer Sehnſucht, wenn wir auf ben unfchäzbaren aber fo wenigen 
Blättern von dem irdifchen Leben bed Erlöferd mit innigem Wohl⸗ 
gefallen verweilen. Ad, denken wir, wenn Doch diefed Leben län= 
ger gewährt hätte! wenn noch mehr Worte bimmlifcher Weisheit 
aus feinem Munde gegangen wären, einige um fo manches vors 
dem beffer zu erhellen, was und nicht in feinem vollen Lichte er= 
fcyeint, andere um noch eine Menge bedeutender Fragen, welche wir 
immer auf den Pippen tragen, zu beantworten, und um und immer 
aufs neue in einer anderen Stellung bdafjelbe Bild deflen, von wel⸗ 
chem wir unfer Leben fchöpfen, zu wiederholen! das, fage ich, iſt 
wol mandmal ber Gegenflanb unferer Sehnfucht: aber wenn wir 
es recht. überlegen, wie wenig ift boch das, was und auf den we⸗ 
nigen Blättern ber Evangelienbücher aufbewahrt ift, felbft von bie 
fem nur fo kurzen Leben bes Herm! Wenn ed nur ber Wille des 
Höchften gewefen wäre, baß noch mehr hätte follen niedergefchrieben 
werben von bem Leben bed Erlöferd: deshalb hätte er nicht nöthig. 
gehabt länger zu leben. Denn vieles hat er noch geredet, wie fein 
Fünger fagt, vieled hat er noch gethan, was nicht gefchrieben iſt in 
diefem Buche: aber das geichriebene ift boch genug um ben Glau⸗ 
ben zu erwekken und zu befefligen. Und der Erlöfer felbft, wie war 
er daß ich mich fo ausdruͤkke gleihfam ungeduldig auf feinen Tod! 
Ah, ſprach Er, ich bin gefommen ein Feuer anzuzünden, und was 
wollte ich lieber, ald daß es fchon brennete ). Wann aber hat es 
angefangen zu brennen? Nicht eher als bis feine Jünger ausgin⸗ 
gen Buße und Vergebung zu predigen in feinem Namen, nicht eher 
ald bis ihre Worte in die Herzen der Menfchen drangen und ba 
dad Bebürfnig eined neuen Lebend erregten: fo daß dad himmlifche 
Feuer, welches er gebracht, nun anfangen konnte in den Seelen ber 
Menfchen zu zünden. Denn was in ben Gemüthern feiner Jünger 
fhon anfing ſich zu regen, fo lange er noch bei ihnen war, auch 
dad war freilich das Licht und die Wärme feines Lebens; aber es 
war noch nicht dad Feuer, welches felbfiftändig für fi) brennen 
konnte. Mehr folcher Dünger hätte ber Erlöfer fich erwerben koͤn⸗ 
nen, hätte er noch länger gelebt; aber es ift gut, ſprach er, daß ich 
hingehe, denn wenn ich nicht hingehe, fo kommt ber Troͤſter ber hei- 
lige Geift nicht zu euch. Diefer war ed, der das Licht follte zum 
Heuer malhen, und diefer Eonnte nicht eher fommen, als bis Chri⸗ 


) 8uf. 12, 49. 











217 


ſtus ſelbſt den Schauplaz biefer Erbe verlaffen hatte. Juͤnger hätte 
er fich noch viele erworben, aber die Kirche fein geifliger Leib wäre 
fpäter zum Leben geboren worden, wenn er länger gelebt hätte. 
Das Weizenkorn, fagt er, bleibt allein, ed fei denn daß e8 in bie 
Erde gefenkt werde und erfterbe; wo ed aber erflirbt, fo bringt es 
viele Früchte *) Darum m. th. Fr. müflen wir das irdiſche Leben 
des Erlöfers fo anfehen als eine Sache der Nothwenbigkeit, welche 
nicht länger währen burfte, bis der Zwekk erreicht war. Der Sie 
mann freut dad Saamentorn aus in die Erde, und dann geht er 
davon **). So war biefer himmlifche Shemann, fo war er gekom⸗ 
men und freute den Saamen bed göttlichen Worts in die menfchs 
lichen Seelen; viel bat er beflen audgeflreut, in wenigen nur hat 
feine Rede gefaßt, aber doch fo daß er nun wieber konnte wieder 
burfte den Schauplaz biefer Erbe verlaffen, und beöhalb konnte er 
auch länger nicht bleiben. Der Glaube war gegründet in den we 
nigen Gemüthern, fo daß die Fülle des Geiſtes bie Kraft aus ber 
Höhe fich ihrer bemächtigen Tonnte, und dad Wert des Herrn feinen 

großen geichichtlichen Gang weiter geführt werben ohne befjen per: 
fönliche Nähe. 

Aber m. th. Fr. dad zweite. Der Erlöfer mußte flerben von 
der Hand der Sünder, dad Erbulden ihres Widerſpruchs mußte das 
Ziel feines irdiſchen Lebens. fein! Barum bad? warum ber heilige 
ben Uebelthätern gleichgezaͤhlt? Warum ber, welcher nie etwas an: 
deres als Wohlthun unter den Menfchen geuͤbt hatte, zuerſt verra- 
then von einem feiner angehörigen und dann in dem Namen ber 
menſchlichen Gerechtigkeit als ein Uebelthäter hingerichtet? Ja, da 
mögen wir wol ausrufen, voelche verborgene Tiefe ber göttlichen 
Weisheit! Aber wenn der Herr unfer Auge öffnet, jo wird es uns 
ergehen wie jenem, von welchem erzählt wird, daß, als fi ihm 
Gott auf eine Außerliche Weiſe offenbaren wollte, erſt vielerlei ans 
dere beftigere Naturerfcheinungen an ihm vorübergingen; -aber er 
wurde inne, in biefen fei ber Herr nicht, und nur in einem fanften 
Säufeln des Windes erkannte er die göttliche Offenbarung: fo 
würbe es auch und in diefer Beziehung ergehen, aber umgekehrt. 
Wie vielerlei: Geftalten des Todes giebt es nicht unter den verfchie: 
denſten Umftänden, in allen Lebendaltern, plözliche, langfame, alle 
mild in Vergleich mit diefer: aber in keiner werben wir ben Herm 
ertennen ald nur grabe in biefer gewaltfamen, vor ber wir. am meis 
ften zuruͤkkſchaudern; als nur in diefer, von ber uns ein tiefes in: 


*) Sob. 12, 24. 
”) Mark, 4, 26. 


nered Gefühl fagt, Ja ed muß eine Zeit kommen, wo nicht mehr 
der Menfch feine Hand erhebt auch in dem Namen der Gerechtig: 
keit gegen das Leben feines Bruberd. Aber einem ſolchen Tode 
zum Opfer mußte ber Fuͤrſt ber Gerechtigkeit fallen! Wie? könn: 
ten wir und ihn denken fierbend ‚nach dem Gange ber Natur, das 
Eare Auge feined Geifled allmählig verloͤſchend durch Alter oder 
Krankheit, und bad follte nicht eine Truͤbung feined Begeiflerung | 
erregenben Bildes fein? Doch freilich, wie viele fchönere Geſtalten 
bed Todes giebt ed nicht! Wenn einer bei vollem Bewußtfein in 
der Fülle feiner geifligen Kraft fi) mit dem Leben verabfchlebet, 
wer hält das nicht für ein fchönes und großes Loos, wenn fich ei: 
ner fo weit über die gewöhnliche menſchliche Schwachheit zu erbe: 
ben weiß! welch ein aufregendes Beifpiel ift und das immer! wie 
wohlthuend, wenn ein Menfch in bem vollen Bewußtſein feiner 
Liebe den Schauplaz diefer Erde verläßt; wenn wir bei der Beruͤh⸗ 
rung bed Todes die kindliche Ergebung in den göttlichen Willen an 
einem frommen Gemüthe gewahr werben! Und fo Fönnte ja wol 
‚auch ein ſolcher natürlicher Tod des Erloͤſers doch eben fo unfere 
Begeifterung unterhalten haben, uns eben fo dad Bilb feines goͤtt⸗ 
lichen Lebens in feinen lezten Augenbliffen vergegenvoärtigen, ohne 
daß die frevelnde Hand der Menfchen dieſes Leben hätte hinweg: 
nehmen müffen. Dennoch m. g. Fr. werben wir geflehen müffen, 
nur diefer Tod war der volle Ausdrukk feines Lebens, nur in die: 
fem können wir ihn ganz wiedererfennen. Denn der allen Verge⸗ 
bung bringen follte, mußte fo viel zu vergeben haben; einen ſolchen 
Schaz von Liebe mußte er audfpenden koͤnnen noch in ben lezten 
‚Augenblikten feined Lebens; von fo vieler Feindſchaft von fo bit: 
term Haß mußte ex umgeben fein: und doch mußte fidy die Kraft 
ber göttlichen Liebe nicht im geringflen in ihm getrübt zeigen. Ad) 
ja m. g. $r., dad ift der Zauber des Kreuzed! deswegen fchon war 
ed, wenn man fo reben darf von einem göttlichen Rathſchluß, ber 
Mühe werth, daß Chriftus flarb an dem Kreuze, welches den Zu: 
den ein Aergerniß war und den Griechen eine Zhorheit! Aber bas 
eine und dad andere wirb überwunden, wenn wir anfangen in ihm 
bie Herrlichkeit ded eingebomen Sohnes zu Ichauen, und dann wird 
auch grade bad Kreuz bed Herm und allen die rechte Begeifterung 
des Lebens, das ficherfte Zeugniß von der Fülle der Seligfeit, welche 
fi) von ihm über und ergießt, eben weil es ber vollſte Genuß die 
vollſte Offenbarung der göttlichen in ihm wirkenden Liebe iſt. Da: 
rum wird er und erfi an biefem Kreuze der volllommene Abglanz 
- der göttlichen Liebe; darum konnte er nicht eher in feinem vollen 
Lichte leuchten, als bis er fo zum Zeichen aufgerichtet war; darum 


⁊ 
> 


fagt ex ſelbſt, Wenn ich fo werde erhoͤhet fein, dann werbe ich fie 
alle za mir ziehen ). D felige Erfahrung aller gläubigen Gemuͤ⸗ 
tber, welche immer aufs neue ihren Glauben an bem Kreuz bed 
Erloͤſers finden, immer ba das innigfte Gefühl von ber göttlichen 
Kraft, weldye in ihm lebte, immer ba dad volllommenfle Bewußt⸗ 
fein von der göttlichen Liebe, welche die Sünder zu fich vief, immer 
da den volllommenften Glauben, daß ein anderer nicht kommen 
Tonne, welcher biefen überbiete, daß Bein anderer Name fei, in wel: 
chem den Menfchen Heil gegeben iſt! darin iſt ber unmittelbarfte 
Zufammenhang zwiſchen feiner Erhöhung am Kreuz und feinem 
Aufgehobenwerben in den Himmel, Ja alfo m. g. Zr. gegiemte es 
dem Water, der viele zur Seligkeit rufen wollte, daß er den Herzog 
der Seligfeit vollenden ließ durch Leiden bed Todes; alfo ziemte es 
Jeſu, daß er gekrönt wurde mit Preis und Ehre durch Leiden bes 
Todes *"*). - Amen. . 


) Sog, 12, 32. 
”) Hebr. 2, 9, 10. 


Lied 9. 


Am Sonntag Lätare 1832. 


Lied 164. 202. 


Text. Sobannis 16, 32, 


Eiche es kommt die Stunde und ift fchon gekommen, 
daß ihr zerfireuet werdet, ein jeglicher in bad feine, und 
mich allein laſſet; aber ich bin nicht allein, denn- der Ba: 
ter ift bei mir. 


M. a. Fr. Schon öfter in bem Laufe biefer Neben, aud deren 
Ende die Worte unferd Textes genommen find, hatte ber Erlöfer 
feinen Jüngern gefagt, er werde nun nicht viel mehr mit ihnen re: 
den. Aber eben darum fagte er ihnen unmittelbar vorher noch recht 
deutlich, die Zeit fei nun gefommen, fo wie er vom Vater auöge- 
fandt fei in bie Welt, bag er nun aud die Welt wieder verlaſſe 
und zum Water gehe; und zu feiner Freude hatten fie fich freudig 
geäußert über diefe Offenheit feiner Rebe und ihm bezeugt, obner: 
achtet deffen bag er fie nun fchon verlaffen wolle und zu feinem 
Vater zurüffgehen, glaubten fie doch, daß er von Gott audgegan: 
gen fei. Wie fie alfo nun eben dadurch ihr feftes Halten an ihm 
zu erkennen gaben: fo brach er gegen fie in die Worte aus, Iezt 
glaubet ihr; aber die Stunde kommt und ift Thon gefommen, 
daß ihr zerfiveuet werdet, ein jeglicher in das feine, unb mid) 
allein laſſet; nun bin ich aber nicht allein, fondern der Water iſt 
bei mir. So laffet uns denn, wie der Erlöfer fonach hier offenbar 
auf fein ihm fo nahe bevorflehendes Leiden hinweifet, was er bar: 





221 


über infonderheit in biefen Worten von feinem Zuflanbe während 
deffelben fagt, zum Gegenſtand unferer Betrachtung machen und 
alſo mit einander reden von ber Einſamkeit bed Erlöfers 
bei feinen Leiden. Er fielt fie und felbft fo bar, daß er eins 
ſam fein werde und allein in Beziehung auf die Menfchen;z 
aber dann auch zweitens nicht allein, fondern der Vater 
werde bei ihm fein. Auf dies beides alfo laffet und jest 
unter Gotted Segen und Beifland unfere andächtige Aufmerffam- 
keit richten. 


I. Wenn ber ehe m. a. 3. zu feinen Juͤngern ſagt, Es 
kommt die Stunde, daß ihr zerſtreuet werdet, ein jeglicher in das 
ſeine, und mich allein laſſet: ſo duͤrfen wir nicht glauben, daß 
er das zu ihnen ſage als einen Vorwurf, den er ihnen macht. 
Vielmehr ſtellt ex es nicht einmal bar als ihre eigene That, als ob 
e3 von ihrem freien Willen abhinge; benn er fagt, Ihr werdet zer⸗ 
ſtreuet werden ein jeglicher in das ſeine. Und er war ſo wenig 
geſonnen ihnen daruͤber einen Vorwurf machen zu wollen, daß er 
unmittelbar nach den Worten unſers Textes hinzufuͤgt, Solches — 
alſo mit Einſchluß der Worte, die wir eben vernommen haben, — 
ſolches habe ich mit euch geredet, daß ihr in mir Frieden habet; 
und zugleich flellt er fie als Theilnehmer feiner Leiden bar, In der 
Welt, fagt er, habt ihr Angft, aber ſeid getroft, ich habe bie Welt 
überwunden, und nun ſollt ihr Frieden haben. Indem er ihnen 
alfo biefen nicht nur im allgemeinen verheißt fondern ausdruͤkklich 
ſagt, daß dieſe ſeine Reden die Abſicht haben ihnen den Frieden ein⸗ 
zuflößen: fo war ja auch diefes ein Wort feiner Liebe und nicht 
ein Wort feiner Mißbilligung. Ja er hat fogar auch eben dieſes 
Zerftreutwerben feiner Jünger, wie und berfelbe Evangelifi erzählt, 
begünftigt und befchüzt. Denn ald fie famen um ihn gefangen zu 
nehmen, ſprach er zu ihnen, Suchet ihr mich, fo laffet dieſe ges 
ben *); und fo war ed denn auch freilich bei der Beichaffenheit defa 
fen was ihm unmittelbar bevorftand natürlich, daß fein Zufammen- 
bang mit feinen Züngern mußte unterbrochen werden. Von -einem 
unter ihnen und von feiner Mutter wird und erzählt, daß fie unter 
feinem Kreuze flanden: aber fie waren auch nur in feiner Nähe; an 
irgend. einen geifligen Verkehr irgend einen Audtaufch der Gedanken 
und Empfindungen, noch viel weniger an irgend eine Hülfe war 
nicht zu benfen, die fie ihm hätten leiften Sonnen. Und wie er 
faum vermochte dad eine gewichtige und bebeutende Wort mit ih: 


”) Joh. 18, 8. 


- 
p 241 


nen zu reden, welches uns überliefert ift: fo konnten fie auch dies 


nur fo eben vernehmen; und nicht einmal eine Erwieberung wird 
und erzählt, die fie ihm hätten geben koͤnnen. Wo nım alſo aud 


die übrigen mögen geweien fein, ja wenn fie auch zufammen wa: 
ren: fo war boch jeder zerfireut in das feinige, dad Band ihrer bi 


herigen Bereinigung war zerriflen; jeber war allein mit feinen Zwei: 


fein, weil fie gevacht hatten, er folle Israel eriöfen und er ihmen 
num doch nicht mit Zuverficht dazu beflinnmt fchien; mit femen Be 


forgniffen, ob dennoch irgend wie dad Werk feinen Fortgang wuͤrde 
finden koͤnnen; mit feinem Schmerz über die. plözliche ihnen fo uner 


wertete aller Barnungen und Andentungen ohmeradhtet unerwartete 
Trennung von ihrem Herm und Meifter. — Und m. th. Zr. wenn 
wir e3 recht erwägen, fo müffen wir fagen, dad war nicht einmal 
etwas eigenthümliches in dieſem Fall; fondern es if eine allgemeine 


Eigenfchaft ded Leidens, daß ed die Menfchen vereinzelt und zer 
fireut, jeden in das feinige, fo wie es eine eigenthümlidhe Ei- 
genfchaft der Thaͤtigkeit iſt, daß fie die Menſchen zufammen: 
bringt -und vereinigt. Bol ‚hören wir alle immer und bei jeber 


einzelnen Veranlaſſung, bie und in dem Kreiſe unferes Wirkens 


vorfommt, nicht nur von außen ald ein Wort der Etmahnung 
fonden aud von innen ald eine Stimme unferd Herzens das, 
Weinet mit ben weinenden: aber es ift auch nur ein Mitweinen 


ein Mitfühlen deſſelben Zuflanded und nicht eigentlich eine Verein: 


gung. Weinet ihr felbfl: wer unter euch koͤnnte, würbe er ed auch 
wollen, feinen Zuftand auf andere übertragen? Aber es will auch 
feiner; in jedem Augenbliffe des tiefften Schmerzeö fagen wir zu 
uns feldft, Keiner kann dies empfinden wie bu! keiner kann wiſſen, 
wie bein Herz zerrifien iſt! Seiner kann biefen Augenblikk deines Le 
bend mit feinem Bewußtfein ergreifen! So ift der Schmerz immer 
ein Verſinken des Menfchen in fich felbft; und nicht viel ander if 
ed auch mit denen, die da weinen mit den weinenden. Sieber bat 
feine Art und Weife auch das Leiden anderer mitzuempfinden; aber 
welche zarte Beſorgniß verfchließet fo oft dennoch auch den freund: 
lichſten und vertrauteften Mund, wetl wir wol wiffen, der Unter: 
fchied fei zu groß zwilchen dem, was ber Ausdrukk unferer Theil⸗ 
nahme if, und dem, was der leibenbe felbfl empfindet. Wenn wir 
und hingegen aufichließen wollen, wenn die Seele verlangt fich an: 
bern mitzutheilen mitten aus dem Schmerz heraus: das iſt fchon 
ein Werk der Liebe und Thaͤtigkeit; ba zerreißet die Sonne bed Les 
bens fchon den Schleier der Wolken und bricht wieder hervor. Wol⸗ 
len wir ein Gemüth ergreifen mitten aus dem Bewußtfein deffen 
was wir verloren haben: bas ift fchon ein Ruf aus Dem Schmerz 











zur Thaͤtigkeit. Wollen wir und an einen halten: bamit beginnt: 
fhon wieder die Verbindung zur gemeinfamen Thaͤtigkeit. Aber 
das konnten die Yünger, bie es fo deutlich vor fich fahen, der Hirte 
fet gefhlagen und die Heerde eben dadurch fehon zerftreuet, das 
konnten fie noch nicht empfinden, dazu mußte ihnen noch etwas an⸗ 
dere zu Hülfe fommen. Aber eben beöwegen, weil bied bed Leis 
dens Art ift, daß ed den Menfchen in fich zuruͤkkzieht, weit jedes 
Leiden ein folched Verſinken in ſich felbft ift, und nur ein ſolches 
Verſinken in fich felbft ein wahres Leiden: fo dürfen wir niemals 
lange freiwillig in dieſem Zuſtande bleiben. Es ift unfere Beſtim⸗ 
mung, es ift dad Weſen unferer Natur, mit andern durch andere 
für andere zu leben: und fo müflen wir die Bande zerſprengen ſo 
bald als moͤglich, die uns auf uns ſelbſt beſchraͤnken, in uns ſelbſt 
gewaltſam zuruͤkkhalten wollen; nur dann geht auch ſchon in dem 
Ruf zum Mitgefuͤhl die erſte Aeußerung der Thaͤtigkeit das neue 
Leben wieder an. 

Aber m. th. Sr. wie konnte denn der Ertöfer, was boch nur 
von feinen Juͤngern galt, fo allgemein auöbrüffen? weil fie zerftreut 
wurden, jeder in das feinige, war er beöwegen verlaffen von andern 
Menſchen? Laſſet und: die verfchiedenen Augenblikke zufammenfaffen 
von da an, wo er in ber Nacht von der gegen ihn audgefandten - 
Schaar gefangen genommen und feiner Freiheit beraubt wurde, bis 
zu feinem lezten Athemzug am Kreuz: welch' ein Gewoge von 
Menfchen um ihn her! in feinem Augenbliff ja war er allein! Und 
doch fagt er es Mar, wenn fie wuͤrden zerflveut werben, jeber in 
da3 feinige, fo würden fie ihn allein laffen! mitten unter diefer 
Menge, unter diefem Gewühl von Menfchen allein? Was heit 
bad, m. g. Fr.? Freilich macht es nicht bie Nähe der Menfchen, 
nicht ihre Teibtiche Gegenwart, daß wir nicht allein find; es gehört 
Dazu, daß wir von ihnen aufgefaßt werden und verftanben, bag uns 
fere Wirkſamkeit, die wir auf fie üben möchten, fich ihnen mittheile, 
daß ed ein Leben gebe zwoifchen ihnen unb und. Und biefeß eben 
hatte der Exlöfer nicht in den Stunden feined Leidens. Die, welche 
zu ihm hinausgegangen waren in ber Stille ber Nacht, ald gingen 
fie zu einem Räuber und Mörder, und welche er erfl daran erin: 
nern mußte, wie er täglich Öffentlich gelehret habe im Tempel: die 
konnten ihn nicht verfiehen und nichtd. von ihm haben. Der Hohes 
priefter und feine Genoſſen, bie als fie ihn fragten, ob er Ghriftus 
fi und er ed beiahte, in diefer Antwort nichts anderes fahen als 
eine Sottesläfterung, die konnten nichts von ihm verfichen. Der 
heidnifche Richter, wie wohlwollend er fich auch zeigte, ald er fich 
mit ernflen Worten dem Anfinnen ber Hobenpriefter weigerte, war 


boch nicht im Stande ihn zu begreifen, als er fagte, Er fei aller 
bingd ein König, dazu fei er gelommen, daß er dad Reich ber 
Wahrheit aufrichte. Die, weldhe um fein Kreuz herum fpotteten 
über dad vereitelte irdifche Königthum, welches die verleitete Menge 
ibm batte auforingen wollen, von dem aber feine Seele immer 
gleich weit entfernt geweien war: was verfianden die von dem Koͤ⸗ 
nig ber Wahrheit mit der Krone von Domen auf feinem Haupte! 
Sp war er denn allerdingd allein; und je weniger er verfianben 
wurde und aufgefaßt, um deſto weiter waren auch alle bie ihn um: 
gaben ausgefchloffen von aller Wirkſamkeit Chrifti auf fi. Wohl 
fland ihm feine Beſtimmung Mar vor ber Seele auch in den Stun: 
den feined Leidend; wohl wußte er auch damals, es fei fein erhabe 
ned Ziel das Wollbringen ded göttlichen Rathſchluſſes; in feiner 
Seele arbeitete ed auch da wie immer ununterbrochen fort für dad 
Heil der Menfchen: und wie gern hätte er fie burch bie wenigen 
Worte, die ihm verflattet waren unter den Schmerzen zu reben, wie 
gern hätte er fie zurechtgewiefen und ihnen zum Bewußiſein ge 
bracht, ob fie nicht verfländen was fie thaten! 

Soolche Einfamleit m. th. Zr. fol und kann es nun nicht mehr 
geben. Damals wurde dad Wort in feinem höchften Sinne: wahr, 
Das Licht fcheint in die Finſterniß, aber die Finfternig hat ed nicht 
begriffen *). Es fchien wohl aus ihm hervor das Licht der göttli- 
chen Liebe, welche dad Weſen feined Lebend audmadjte: aber wenn 
wir die beiden vertrauten Seelen ausſsnehmen, die unter feinem 
Kreuze ftanden, fo ſchien es vergeblich, nirgends war ein Punft, 
wo es die Finſterniß durchdringen konnte, fo daß ihm von dort ein 
milder Wiederſchein davon entgegengeflrahlt hätte. So foll und 
Tann ed nicht mehr fein; denn feitbem ber Kampf bed Lichtd mit 
der Finſterniß auf diefem entfcheidenden Punkt ſtaͤnd, ift auch der 
Sieg des Lichtes immer mehr allgemein geworben. Set, ba wir 
wifien, daß wo zwei ober drei verfammelt find in feinem Namen, 
er mitten unter ihnen ift: jezt koͤnnen wir nicht mehr vereinzelt da 
fliehen, wie oft auch die Meinungen der einzelnen fich entfernen von 
denen der andern; er ift unter und, und an ihm verftändigen wir uns 
immer mehr; er ift unter und um die Verbreitung feines Reiches zu 
fördern , und unfere Zheilnahme an feiner Wirkſamkeit ift dad un: 
auflösbare Band, welches alle die, die dad Heil unter feinem Kreuze 
gefunden haben, nun zum Dienfle des Lichte mit einander vereis 
nigt. Und immer milder werden die Schatten ber Zinflernig, im: 
mer weiter muß fich das Licht verbreiten, immer mehr müffen die 


) So. 1, 5 








225 
Menſchen geheiligt werden in rechter wahrer Liebe und immer inni⸗ 


ger vereinigt zur Wirkſamkeit gegen jene Finſterniß, die damals ibs- 


sen höchften Gipfel erreicht hatte. 


1. Aber freilich ber Griöfer konnte fich über w Aleinfein in . 
dieſer Finflernig der Welt Damit tröften, daß er doch nicht allein 
fei, fondern der Vater bei ihm, und das fei der zweite Ges 
genfland unferer Betrachtung. 

Aber ich bin nicht allein, fagt er, denn der Vater ift ber mir. 
Diefed bei mir, dad willen wir wohl, war in feinem Munde m. 
tb. Fr. nicht ein außer ihm; ed war ber Ausbruff für die innigfte 
Verbindung, in welcher er mit dem Vater fland, und vermöge ber 
- er au fagen Fonnte, Ich und der Water find eind; vermöge der 
er.auch fagen Tonnte, Wer mich fiehet, der fiehet den Vater. In 
demſelben Sinne, ſagt er, werde auch in den Stunden des. Leidens, 
bie vor feiner Seele flanden, der Vater bei ihm fein; von den Mens 
ſchen würbe er. verlaffen fein und in Beziehung auf fie allein, aber 
ganz allein nicht, denn der Vater, fagt er, ift bei mir. Und wie 
er auch fonft dies fein Verhaͤltniß auf mannichfaltige Weife aus⸗ 
druͤkkt: wir können alled indgefammt auch in diefe Worte hinein« 
bringen. Wie fagt er nicht. fo beftimmt, daß er nichts vermöge von 
ihm felber, fondern nur auf die Werke des Waters fehe, und bie - 
Werke, die diefer ihm zeige, die.täue er *). Das ift -die Beſchrei⸗ 
bung feiner ganzen irdiſchen Laufbahn, feitbem er öffentlich aufges 
treten war in der Welt; und fein Leiden, dem er jezt entgegenging, - 
lag nicht nur nicht jenfeit& derfelben, fondern es war nur die höchfte 
Höhe diefer Laufbahn. Wie er izt feinen Feinden enfgegenging, er 
feiner Freiheit ‚beraubt wurde, vor Gericht geftelt, dad Bekenntniß 
Der Wahrheit ablegte, zum Tode verurtheilt und and Kreuz erhöhet 
wurde: fo fland, wie immer in feinem Leben, fo auch jezt der-ewige 
Rathſchluß feines Vaters zum Heil der Menfchheit durch. ihn vers 
Flärt vor feiner Seele. Er wußte, daß er dem Ziele feiner irdiſchen 
Wirkſamkeit entgegen ging, er wußte nicht hur, daß ber Fürft ber 
Belt, als er gekommen war, nichtd an ihm finden Eonnte, fondern 
auch, daß, wenn er auch nun auögeflogen wurde von ber Welt, 
eben fein Leiden und Tod der Wendepunkt fei für das Geſchikk des 
ganzen menſchlichen Gefchlechtd. Ja dad große Schlußwort, Es ift 
vollbracht, war nur der Nachklang von biefem innigen Bewußtfein 
des göttlihen Rathichluffes der ewigen Liebe, der durch ihn erfüllt 
wurde. Aber nicht nur dieſes, fondern bad bei ihm Sein bed Bas 


) Joh. 5, 19.20. 
IL P 


terd wurbe auch eine liebevolle und baher ihm ſelbſt erquikkliche 
Richtung feined Gemüthes auf daS ganze Gefchlecht ber Menfchen, 
wiewol dieſes ihn hier nur in fo wibriger Geflalt umgab. Denn 
war der Water bei ihm, fo war jg auch dad Auge bei ihm, weiche 
die Weit erleuchtet; fo waren ihm ja die Bedingungen und Gelege 
gegenwärtig, nach welchen unter göttlicher Vorſehung die geiflige 
Welt geleitet wird: und feine Seele war erfüllt von Gefühlen wie 
die eined Vaters zu feinen Kindern, wie ja fein Vater für das Heil 
der verlorenen Kinder feinen Sohn dahin gab. Und fo war er auch 
damals wie immer der Fürfprecher der Welt bei feinem Water; und 
dad Gebet, Vater vergieb ihnen, denn fie willen nicht was fie thun, 
war nur dad Zufammenfaffen dieſes feined tiefen Blikks in die goͤtt⸗ 
(ihen Ordnungen mit dem menfchlichen Geſchlecht, inbem nun bie 
Zeiten ber Unwiffenheit vorüber fein aber auch überfehen werben 
follten, und die Menfchen nun zufammengehalten werben nicht un» 
ter der Sünde, fondern im Glauben bis an dad Ende der Tage. 
Aber der Water Eonnte auch nicht bei ihm fein als nur zugleich 
mit dem Bewußtfein, daß er ber eingeborme Sohn des Vaters fei, 
voller Gnade und Wahrheit. Die Stimme, bie fih andern nur 
bei befondern Gelegenheiten in feinem Leben hörbar machte, Das iſt 
mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, diefelbe tönte im⸗ 
mer in feinem Herzen, fie war fein innerfied Bewußtſein von ſich 
ſelbſt; und fo in biefer Liebe zu ihm als dem eingebormen war ber 
- Vater bei ihm auch in den Stunden feined Leidens. Und in bie 
fem Bewußtfein der Liebe feined Vaters wie hätte er da noch Be 
dürfnig nach menſchlichem Troſte gehabt? nad) was für Erquiffung 
hätte er ſich noch fehnen können aus irgend einem einzelnen menſch⸗ 
lichen Verhaͤltniß, während er fich dieſes feines Verhaͤltniſſes zu fei- 
nem Bater im Himmel bewußt war? Und m. tb. Fr. iſt dad nit 
bad Vermaͤchtniß, dad wir von ihm empfangen haben, wie er es 
in feinem lezten Gebet fagt, Vater, ich will, dag wo ich bin auch 
bie feien, die du mir gegeben haſt? War er alfo fo bei dem Water 
und der Water bei ihm, fo ift Dad auch fein Gebet zu feinem Ba: 
ter und feine Bitte an ihn, daß wie auch wir vielleicht zu Zeiten 
allein fein mögen, wie es auch um und oft dunkel werben möge — 
wie denn damals die ganze Fülle geifliger Dunkelheit hervortrat, 
von welcher bie äußere Verfinſterung nur ein ſchwacher Wieberfehein 
war, — wie fehr fich auch unfer Leben verdunkle: das follen wir 
von ihm haben, daß der Water audy bei und immer ifl, daß wir 
alles was und begegnet ald einen Theil hinnehmen ſeincß Rath: 
Ihluffes zum Heil der Welt. Alle, die an den Sohn glauben und 
fih ihm zum Dienft ergeben haben, wiſſen ed auch, wie unfcheinbar 


227 


immer ihr Dafein und wie gering ihr Wirken fei: es flieht doch im 
Zufammenhang mit den Rathfchlüffen bed Vaters zum Heil ber 
Welt. Und fo follen wir immer fowol in biefem Bewußtſein leben, 
als aud in dem andern eben fo großen, daß wenn anders Chriftus 
in und lebt und wir in ihm wir eben auch Theil haben an bem 
göttlichen Wohlgefallen; fo wir anderd folche find, bie durch ben 
Glauben an ihn die Macht empfangen haben, mit ihm, dem heilis 
gen Sohn Gottes, Kinder Gotted zu werden: fo ift auch umter als 
len Umftänden der Water bei uns, wie er bei ihm war. 

Aber es ift doch m. th. Fr. noch eins, was wir nicht überfehen 
dürfen; ber Vater war boch auch fo bei ihm, bag ihm feine Ge: 
genwart feine Nähe eine tröftende war in dieſem Augenblikk. War 
es nicht eben auch eine Fügung der göttlichen Liebe, bie ihm’ felbft 
in feinen Leiden ald Ausnahme von biefem großen Alleinfein ein: 
zelne zuführte, gegen die er feine göttliche Ruhe und feine unverrins 
gerte Liebe befunden konnte? der fo oft fih un einzelne Menfchen 
gewandt hatte mit feiner Liebe, an den wandte fi) nun no am 
Kreuz einer und bat ihn um einen Antheil an feinem Heil, und 
nicht vergeblich bat er! Und wenn auch allein unter Schmerzen, 
vermochte er dennoch ben Jünger, den er liebte, mit feiner Mutter 
unterm Kreuze ſtehend zu fehen und mit ihnen einen Abſchied zu 
machen, der beiden ein inniges Band für ihr "ganzes noch übriges 
Leben wurde. Ja noch mehr, woher m. g. hätten wir benn alle 
biefe einzelnen Nachrichten, an denen wir und in diefen dem Leiden 
bed Erlöferd gewibmeten Tagen fo oft flärken und erbauen, woher 
alle die einzelnen Nachrichten von ben einzelnen Begebenheiten Dies 
ſes lezten Tages? Der Yünger, ber unter feinem Kreuze ftand, hat 
nicht alles gefehen und vernommen; wie viel alle die andern, bie 
zerfireut waren jeder in das feinige,. von dem geſehen haben, was 
ihren Herm und Meifter betraf, dad wiflen wir nicht: aber viele 
von denen, bie damals noch Feinde bed Erlöferd waren, mögen ſpaͤ⸗ 
terhin erfannt und erfahren haben, was fie gethan; vielen mag ihre 
Berblendung burch die Seele gegangen fein, daß fie fih auch taus 
fen ließen auf den Namen ded Herm. Was diefe damals nicht 
verftanden, ift ihnen hernach Far geworden; und aus wie vielen 
ſolchen Zügen mögen wol die einzelnen Nachrichten, die wir in ben 
Büchern der Evangeliften Iefen, zufammengefezt fein! So fehr war 
der Erlöfer alfo auch damals nicht allein, daß nicht felbft unter die: 
fem Nichtverftandenwerden von den Menfchen, unter diefer Wuth, 
die fich gegen ihn erregt hatte, auch heilbringende wenn gleich noch 
unfichtbare Wirkungen von ihm auögegangen wären, fo daß viele 
fpäterhin zur Einfiht in ben göttlichen Rathichluß gelangten und 

P 2 | 


228 | 
umwenden mußten von ihrer bisherigen Verblendung um feine Sun 
ger zu werben, nachbem fie vorher feine Spötter geweſen waren. 

Und ift das nicht m. th. Fr. die fich immer wieder erneuernde Ge 
fchichte des Reiches Gottes? Wo es fih zu verbunfeln ſcheint und 
die Macht des boͤſen überband zu nehmen; wo der Irrthum vor 
den Augen wie ein Schleier liegt, daß bie Sonne nicht hindurd) 
fcheint: da bereitet fi) auch immer wieber beffereö vor, und mitten 
unter den fich flreitenden Leibenfchaften bricht die Wahrheit fich fteg- 
reich ihre Bahn. Haben wir nur die rechte Ueberzeugung von Got: 
tes Weisheit und Liebe, fo fehen wir, wie immer beffere und herr: 
lichereö fich verbreitet, unb alle, was im Meich der Wahrheit fo 
geſchehen ift, wird und nun eine neue Buͤrgſchaft für einen fchönen 
und herrlicheren Sieg. Dad m. g. Fr., das ift an und alle dad 

Wort der Ermahnung des leidenden Erloͤſers: laffet und, wie er es 
that, nirgends wo anders hinfehen, nicht zur rechten nicht zur lin- 
Een, immer nur auf die Werke, die und ber Water zeigt zu thun, 
und wir fehen fie in feinem Sohn, wie er in der That burd Die 
Menſchen und auf die Menfchen wirkt; dann wird auch er immer 
bei uns fein, und auch die Tage bed Leidens und Schmerzed auch 
die unvermieiblichen Kämpfe des Lebend werden und immer mehr be; 
fefligen in dem Glauben, daß dad Reich des Herm nicht könne 
überwältigt werden von ber Macht der Finſterniß, in dem auch in 
unferer Schwachheit fich bethätigenben Glauben, daß benen die ihn 
lieben auch alle Dinge zum guten dienen müffen: Amen. 

Fa, allgütiger Gott und Vater! laß auch an und nicht ver 
geblich fein die Erinnerung an die Tage bed Leidens beined Sohnes 
‚auf Erden; laß und durch feinen Steg befefligt werben in dem Glau⸗ 
ben an bein durch ihn gegründetes ewige Reich; laß und immer 
ernfter immer ungetheilter alle unfere Kräfte deinem Dienfte weihen, 
damit wir immer wahrnehmen dad Bewußtſein deiner Gegenwart 
und Nähe. Darum bitten wir dich im Namen defien, den du uns 
gefezt haft zur Erlöfung und zur Gerechtigkeit, zur Weisheit und 
zur Heiligung. Amen. 








XX. 


Am 5. Sonntage in der Faſten, 
Judica 1832. 


Lied 204. 171, 1-26. 
Text. Ev. Johannis 16, 33. 


Solches habe ich mit euch geredet, daß ihr in mir 
Frieden habt. In der Welt habt ihr Angſt; aber ſeid a“ 
troft, Ic) habe die Welt überwunden. 


M a. Fr. Um zu überfehen, wie diefe Worte unfered Erlöfers 
mit dem izigen Gegenflande unferer Betrachtung naͤmlich feinem 
Leiden zufammenhangen, müflen wir und au die Verbindung erin» 
nern, in welcher fie mit denjenigen ſtehen, Die wir ſchon früher bei 
unferen Paſſionsbetrachtungen gebraucht haben. Sie gehören eben . 
wie ‘jene in den ganzen Werlauf der Iezten Abfchiebörede des Erlö: 
ſers mit feinen Süngern, durch welche er fie allerdings zuerft über 
fein frühes Hinfcheiden Überhaupt zu tröften fucht, indem er ihnen 
zeigt, daß es fo gut für fie fei, und ihnen die Verheißung giebt, 
dag der tröftende Geift der Wahrheit feine Stelle bei ihnen verfre: 
ten werde, durch beffen Kraft fie nach feinem Hingange würden 
vermögen feine Zeugen zu fein. Aber feitbem er nun mit ihnen 
aufgeflanden war von bem lezten Mahle und ihnen gelagt hatte, 
Laffet und von binnen gehen, denn ed kommt der Kürft diefer Welt 


und hat nichtd an mir; ſeitdem er ihnen gefagt hatte, eben damit 


würde fein Zurüßfgehen aus biefer Welt zu dem Water von wel: 
hem er gekommen fei zufammenhangen,. und ein folche& würde es 


230 


fein, daß fie indem er vor ben Zürften bes Welt geftellt wärbe ihn 
würben müffen allein laffen und zerftreut werben jeder in das feine: 
feitbem bat er nicht nur feinen Tod überhaupt ſondern auch die be 
fondere Art und Weiſe deſſelben, feinen leidenden Tod im Sinne. 
Und wenn er ihnen in den Worten unfered Zertes fagt, Soldyed 
babe ich mit euch geredet: fo meint er eben mit allen anderen aber 
auch vorzüglich diefe feine lezte Rebe. Und fo laſſet und denn fe 
ben, wie die Worte unfered Xerted, welche die Ermunterung 
bed Erlöfers enthalten, daß feine Jünger follten getrof 
fein, uneradtet fie würden Noth haben in ber Belt, 
mit feinem Leiden und Tode, worauf er fie hinweifl, zu ſam⸗ 
menhangen. Wir werben m. a. Sr. zuerft zu betrachten haben, 
welches eigentlich der Inhalt diefer Ermunterung ded Erloͤſers iſt, 
Seid getroft, wenn ihr gleich in ber Welt Angft habt, und dann 
zweitens, auf welche Weife er diefe Ermunterung an feine Juͤn⸗ 
ger durch bevorftehendes Leiden begründet. 


l. Was nun das erfte betrifft m. a. Fr., fo fagt der Erloͤſer 
zu feinen Züngern, Solches habe ich mit euch geredet, auf daß ihr 
Frieden habet in mir; und fagt ihnen, eben beöwegen follten fie 
ungeachtet fie in ber Welt Angft haben würden dennoch Muth faf: 
fen und getroft fein. Ehe wir alfo ben Werth dieſer feiner lezten 
Ermahnung gehörig fchäzen koͤnnen, müffen wir auf dad erſte Wort 
bed Herrn zuruͤkkgehen, Solches habe ich mit euch geredet, daß ihr 
Frieden habet in mir. Was ift denn diefer Sriede, ben wir in 
Ehrifto haben, an und für. fich betrachtet? Friede im allgemeinen 
m. g. Fr., das if Wohlſein mit Sicherheit verbunden. Wo bad 
erfte fehlt, da ift doch in dem Menfchen Eein Friebe fondern em 
unbefriedigtes Beftreben ſich aus einem bebürftigen wiberwärtigen 
Zuftande herauszureißen; wo aber zwar bad Wohlfein wäre, aber 
wir wären und befien nur bewußt ald einer Sache bed Augenblifts, 
und jeder nächfte brachte die Gefahr mit fich, dag wir deſſen verlu: 
flig gehen koͤnnten: da wäre ebenfalld weil die Sicherheit fehlt auch 
Fein Friede, fondern wir müßten befländig gerüftet fein zu dem 
Kampfe gegen bad, was und unfer Woplfein rauben will. Run 
‚aber redet der Erlöfer natürlicher Weiſe nicht von dem auf dem ir: 
biichen beruhenden Wohlfein des finnlichen Menfchen und von fol: 
cher Sicherheit, fondern von dem Zrieden, welchen wir in ihm ba 
ben. Wie natürlih m. g. Fr. führt und nicht diefed zuruͤkk auf je 
ned Bekenntniß, welches der Verfaſſer unfered Evangeliumd an bem 
Anfange deſſelben ablegt! Denn flellt nicht auch er ben Exrlöler als 
die Quelle des Friedens des Wohlſeins und der Gicherheit bar, in: 





231 


dem er auch im Gegenſaz zu dem Geſez von ihm fügt, Das Geſez 
ift durch Mofen gegeben, aber Gnabe und Wahrheit tft in Ehrifto 
und durch Ehriflum geworden; aus feiner Fuͤlle nehmen wir nun 
Gnade um Gnade, Wohlfen um Wohlſein, weil wir nämlich in 
ihm erfannt haben Die Herrlichkeit des eingebomen Sohnes vom 
Water! *) Dad m, th. Fr., dad ift der Friede, welchen wir in 
Chriſto haben an und für fich betrachtet. Aus feiner Fülle ſchoͤpfen, 
Damit wir und immer mehr Gotted und unfered eigenen Verhaͤlt⸗ 
niſſes zu ihm bewußt werben Eönnen, fo wie er e8 war, und durch 
ihn; aus feiner Fülle fchöpfen eine göttliche Mittheilung nach ber 
enden, auf daß immer bie Kraft auögehe von dem flarten; aus 
feiner Fülle fhöpfen eine Wahrheit um die andere, auf dag wir im: 
mer tiefer eindringen in bad innere unſeres Lebens’ und Dafeind und 
zu dem Bewußtfein unferer großen und feligen Beſtimmung gelan: 
gen, alfo daß alled andere hiergegen und gänzlich verfchwinbe, aus 
Ber in fofern es eben mit dieſer in einem natürlichen und nothwen⸗ 
digen Zufammenhange fteht: dad m. g. Fr., bad ift der Friebe, wel: 
hen wir in Chriſto haben follen; das heißt vermittelt durch die 
Gemeinschaft des Lebens, in welcher wir mit ihm ftehen können, 
ber in feiner Einheit. mit dem. Water der Grund und aud) für uns 
die Quelle diefed Friedens ift. Aber freilich biefer Zriede fcheint an, 
und für fich betrachtet unmittelbar mit bem Leiden und dem Tode 
des Erloͤſers nichts zu fchaffen zu haben; vielmehr ift fein Leben 
fein Dafein die ‚Fülle der göttlichen Kraft, welche ihm einwohnt, 
das iſt die Quelle dieſes Friedens, den hatten feine Sünger in ihm 
und durch ihn fchon vor feinem Leiden und feinem Tode, und er. 
war und follte und Fonnte nur fein” eben derjelbe auch nad) dem 
Leiden und nach dem Tode deö Herrn. Beides fcheint alfo in Be: 
ziehung auf diefen Frieden Feine .befondere Bedeutung zu haben; ift 
es dad Leben bed Erlöfers in feiner göttlichen Kraft, welches diefen 
Frieden bewirkt: fo kann die zeitliche Geftaltung dieſes Lebens, feine 
Länge oder Kürze, bie Art wie ed auf Erben zu Ende ging, damit 
unmittelbar nicht zufammenhangen. Wenn alfo doch der Erlöfer in 
den Worten unſeres Textes eben dieſes Friedens gedenkt in Verbin: 
dung mit dem Zuſtande feiner Sünger in ber Welt, ben er ihnen 
freilich nicht anders befchreiben Fonnte ald fo, In der Welt werdet 
ihr Roth und Truͤbſal haben, aber fagt er da ihr zugleich den Fries 
den in mir habet, fo feid nun getroft und faflet Muth: fo tft dem» 
nach dieſes Getroftfein und Mutbfaffen, wozu er fie hier aufrichten 
will, dad Zufammenfein des Friedens, den wir in Chriſto haben, 


2 3%. 1, 14-17, 


232. 

mit ber Noth, der Truͤbſal, der Angft, von welcher er feinen Juͤn⸗ 
gern fast, daß fie fie in der Welt haben werben. 

So laffet und denn zunächft fragen, was für Noth unb Zrüb» 
fal hatte er im Sinn, welche feine Jünger in der Welt haben wer: 
"den? Da kommen uns zunaͤchſt die vielfältigen früheren Aeußerun⸗ 
gen des Erlöferd gegen feine Jünger in ben Sinn. Seitdem er 
nämlich angefangen hatte von feinen Leiden zu ihren zu reben, fagte 
er ihnen auch, ed werde in Zukunft den Juͤngern nicht beffer erge- 
ben, wie es früher dem Meifter ergangen fei; die Welt haſſe ihn 
und fo werde fie auch fie haſſen; die Welt werde ihn vor Gericht 
ftellen und fo würben auch fie vor Gericht geftellt werben: ber Juͤn⸗ 
ger, fagt er zu ihnen, kann nicht fein über feinen Meiſter. Das iſt 
aljo der Kampf mit der Welt, -auf welchen er fie vorbereitet hat, 
und in welchem, wie er ihnen fagt, fie immer würden Noth und 
Truͤbſal und Angſt haben. Denken wir und nun m. a. Fr., daß 
wir die Fülle diefed Friedens in Chrifto haben; fo begründet auf bie 
lebendige Gemeinfchaft des Lebens mit dem, beffen Friede ja unzers 
flörbar war; fo unangreifbar von des Welt, wie er niemald cine 
Berminderung der Fülle göttlicher Kraft, welche in ihm war, er: 
fahren konnte: fo beruht freilich dieſe Möglichkeit noch Angſt und 
Noth in der Welt zu haben nicht auf unferer Achnlichleit mit bem 
Erlöfer, fondern auf unferm Unterfchiede von ihm. Wenn den Juͤn⸗ 
gern nicht hätte der. Gedanke einfallen können, fie koͤnnten doch wol 
um biefen Frieden, welchen fie in Chrifto hatten, fommen: was hätte 
ed dann je für eine Noth in der Welt für fie geben können? Aber 
m. a. Fr. wollen wir und hierüber recht verfländigen: fo müffen 
wir bedenken, e3 handelt ſich bier nicht allein um den Frieden in 


Chriſto, den jeder einzelne in dem inneren feines Herzens. bat; benn 


der Erldjer war mit feinem Herzen nicht den einzelnen als ſolchen 
zugewendet; der Gegenfland feiner Liebe, um befientwillen er litt, 
feiner Mittheilungen und feiner Kämpfe war das ganze menfchliche 
Gefchlecht. Jeder einzelne, der in ihm eingepflanzt war, konnte frei» 
lih eben in dem Bewußtiein feiner perfönlichen Schwäche bie Be⸗ 
forgniß hegen, es könne doch in ihm der Friebe, den er in Ehrifto 
habe, geftört werden; die Melt Tönne es erreihen — fei ed nun 
durch die Drohungen, welche fie ausflößt, durch Die Furcht, weiche - 
fie erregt, oder fei es durch die Loffungen, welche fie dem fchwachen 
menfchlichen Herzen vorhält, — fie fünne es doch wol erreichen, daß 
ber lebendige Zufammenhang mit Chriſto getrübt werben koͤnne, vers 
mindert oder für den Augenbliff aufgehoben. Aber wenn auch bie 
Verfiherungen feiner Liebe und feines Beiſtandes, welche er ihnen 
gegeben; wenn auch die wachiente Erfahrung, welche fie machten 





233 


von einem Tage zum andern, fie über biefe Beſorgniß ganz hätte 
erheben Fönnen: fo war baburd doch die Noth noch nicht befiegt, 
wovon ber Erlöfer hier redet. Er war gelommen ein neued gemein: 
ſames Leben zu fliften, nicht nur jeden einzelnen mit ſich zu verbin: 
ben, fondern andy alle unter einander mit ber Liebe, mit welcher er 
ale geliebt hat: das iſt daS einige Gebot, welches er ihnen gegeben, 
Dad ift audy der Ausdrukk und zwar allein der volle Ausdrukk bes 
Zwekkes, den er erreichen wollte, um defientwillen er gekommen war. 
Wenn nun auch der einzelne hätte glauben können in dem Beſize 
des Zriedend ungeftört zu bleiben; wenn auch der einzelne fühlte, 
wie dad Band der Liebe und des Vertrauens, welches ihn mit dem 
Erlöfer verknüpfte, fi ch immer enger zufammenzog in feiner Seele 
und diefe Verbindung immer unauflöslicher wurde: fo konnte doch 
Feiner diefelbe Sicherheit haben, wenn er auf dad gemeinfame Leben 
der Zünger bed Herrn fah. Und gegen diefes richtete ja auch die 
Welt immer ihre Kraft; ber alte Spruch, Schlaget ben Hirten, fo 
wird fi) die Heerde zerfireuen, war ber Grund ihre Verfahrens 
nicht nur gegen ben Erlöfer, fondern auch gegen feine Juͤnger. 
Ueberall in den Zeiten der VBerfolgungen, wo fie nur irgend Dieje: 
nigen berauöfanden, deren Glaube die andern flärkte, deren Wort - 
fie zufammenhielt, an weldyen die übrigen ald an den Säulen bes 
neuen Gebäudes am fefteften hielten, war auch ihre Feindſeligkeit 
immer vornehmlich gegen diefe gerichtet, und fie glaubten von Zeit 
zu Zeit, daß es ihnen hiedurch möglich fein würde biefen ganzen 
neuen Bund der Denfchen mit Gott und unter fich wieber aufzu⸗ 
loͤſen. Wie nun nicht leicht ein einzelner ein fo beflimmtes Bes 
wußtfein haben kam von dem gemeinfamen Zuftande, wie e8 mög: 
lich ift ed zu haben von feinem eigenen: fo wäre — gefezt auch je: 
der wäre für fi in feinem Herzen der Erhaltung dieſes göttlichen 
Friedens gewiß geweſen, — doch nody immer die Beſorgniß geblie 
ben, als der. Gemeinbefiz aller, ald dad Band, welches fie zuſam⸗ 
menhielt, koͤnnte diefer Friede doch ‚verloren gehen, und indem fo 
der Grund erfhlttert. würde könnte der geiflige Tempel Gottes, der 
fih erhoben habe, doch wieder einflürzen, und feine Herrlichkeit eben 
fo zerfallen, wie die Herrlichkeit deſſen, der mit Händen erbaut ge⸗ 
weien war. Indem aber der Erlöfer fie ermahnt auch in diefer Be: 

siehung, ohnerachtet fie in ber Welt immer würden Noth und 
Angft haben, doch getroft zu fein, und fie deshalb auf den Frieden 
in ihm verweifet: wozu anders fordert er fie auf ald zum engften 
Anfchließen. an ihn. Wie Er fein Wohlfein darin fand, daß er das 
Werk volibrachte, wozu ihn fein Vater gefandt hatte, die Welt felig 
zu machen: fo fol auch die Gemeine der gläubigen ſich wohlbefin: 


2A 


den in dem Bewußtſein ihrer Sendung. So wie feine Sicherkeit 
nur in dem Bewußtſein war, daß fein Werl und feine Herrſchaft 
beſtehen werbe nach der Verheißung des Vaters: fo fol auch bie 
Gemeine der glaͤubigen ihre Sicherheit darin haben, daß er durch 
fie herrſchen muß, und fie mit ihm. Durch dieſen Frieden ſollten 
feine Zünger bahin fommen getroft zu bleiben mitten in bem Kanıpfe, 
in welchem fie gegen die Welt flanden, und ungeachtet aller Noth 
und Zrübfal, weldye ihnen immer wieber aufs neue erregt wurbe 
durch die Feindſeligkeit der Menſchen. 

Aber auch dad m. th. Fr. iſt noch nicht genug, ſondern nicht 
aur fo, wie die Feine Heerde bamals war, follte fie bleiben: fon» 
dern indem ihr Beruf war, daß fie feine Zeugen ſein follten, fo 
mußten fie auch darauf vertrauen Tönnen, daß dad Wort, welches 
fie redeten, nicht würde leer zu ihnen zurüfflommen; daß bad Reid) 
Gottes, welches fie verfündigten, fi) auch immer weiter verbreiten 
würbe; daß immer mehr bie Menfchen würden zufammengefaßt 
werben in bemfelben Frieden, und immer mehr burch die Anerfennt: 
niß derfelben Herrlichkeit bed eingebornen Sohnes vom Water in die 
felige Gemeinfchaft der Kinder Gottes zuruͤkkkehren. Aber freilich 
jedes Hinderniß, welches fich der Verbreitung bed Evangeliums ent- 
gegenflellte; jeder wenn auch nur fcheinbare und vorübergehende 
Sieg, welchen die alte Drbnung ber Dinge oder ber alte Wahn der 
Menſchen über die Wahrheit davon zu tragen ſchien, mußte ihnen 
immer wieber Noth und Angft und Truͤbſal in der Welt erregen: 
und fo war benn bieled fo lange ihr Theil und muß auch das un: 
frige bleiben, bid dad Werk bed Herrn ganz vollendet ift und das 
Ziel erreicht, daß alle Zungen berer die auf Erben find feinen Ra: 
men befennen, und er von allen ald eben ber Herr anertannt wird, 
in welchem die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes wohnt, und 
welcher die Quelle der Gnade und der Wahrheit und fomit eben 
des Friedens für alle allein ift und bleibt. 

Wie follte aber nicht der Herr auch barauf feſ vertraut ha⸗ 
ben, daß auch die Worte, welche er hier ſeinen Juͤngern ſagt, Ohn⸗ 
erachtet des Friedens, den ihr in mir habt, werdet ihr zwar in der 
Welt Angſt und Noth haben, aber dennoch ſeid getroſt — daß dieſe 
auch an ihnen wuͤrden in Erfuͤllung gehen? Wie haͤtte denn ſonſt 
ſeine Sendung zu ihrem Ziele gelangen koͤnnen; wie waͤre er im 
Stande geweſen die Welt getroſt zu verlaſſen um zu ſeinem Vater 
zuruͤkkzukehren! Wenn die Juͤnger ſich der Truͤbſal hingegeben haͤt⸗ 
ten und fo von der Welt wären überwunden worden, daß fie er: 
mübet wären in ihrem Beruf und fich zerfireut hätten jeder in das 
feine: fo Hätte auch er bie Welt noch nicht techt überwunden ge: 


235 


habt in ihnen. Wenn bad Licht, welches in bie Finſterniß hinein; 
fhien, nicht nur von dieſer nicht waͤre begriffen worden, fondern 
auch dieſer Beinen baffelbe zunächft umgebenden Schaar nicht Si: 
cherheit auf ihrem Wege gegeben und fie nicht zu getroftem Muth 
erquikkt hätte: fo wäre auch biefes Licht wieber ein. falfcher Glanz 
geweien, ber nur eine Zeit lang bad Auge ber Menichen blenden 
Tonnte, und bie Herrlichkeit, bie fie in ihm zu fehen glaubten, 
wäre auch nicht die Herrlichkeit des aingebornen Sohnes vom Bas 
ter gewefen. 


1. Aber nun m. g. $r., wenn wir doch nicht. laͤugnen koͤn⸗ 
nen, es war eben das Leiden und der Tod des Erloͤſers, was ihm 
bei allen dieſen Worten und ſo auch bei den Worten unſeres Tex⸗ 
tes vorſchwebte; wenn wir bedenken, daß er alſo nicht nur auf die 
ihm einwohnende Fuͤlle goͤttlicher Kraft an und fuͤr ſich, nicht nur 
auf den Glauben an ihn, welchen ſeine Juͤnger gewonnen hatten 
an und für ſich, bie Werheißung und bie. Ermunterung gründet, 
weiche er bier ausfpricht, ſondern vorzüglich auf fein Leiden und 
feinen Tod: fo laflet und denn in dem zweiten heile unferer Bes 
trachtung fehen, wie body dieſes Leiden mit jenem Frieden und je 
nem getroſten Muthe zufammenhangt. Denn bei dem, was der Er; 
löfer felbft hier kann im Sinn gehabt haben, bleiben wir doch bil⸗ 
lig ſtehen. u 

Zueft m. a. Fr. kamen unläugbar den Juͤngern bed Herrn 
biefe Ankündigungen feined Todes unerwartet und überrafchend, und 
fezen wis uns an ihre Stelle, fo finden wir bad fehnlichfte Verlan— 
gen ihn noch länger unter fich zu haben nur natürlich! Und doch, 
hätten fie ſich von biefer Beſorgniß übermannen laflen, daß er zu 
zeitig für Die Erreichung ber göttlichen Abfichten von ihnen gefchies 
den ſei: fo mußte dieſes fie gehindert haben immer gerüftet und 
wakker zu fein iin feinem Dienft und als feine Jünger Fräftig zu 
wirken. Dieſes nun fehen wir wol leicht ein, baß mit ihrem fefte, 
fin Glauben, mit ihren heiterften Hoffnungen fein frühes Hinſchei⸗ 
ben fich vertragen mußte: aber ein anderes ift, wie ihr Getroftfein 
mitten in der Zrübjal ber Welt gerade daraus hervorgehen follte, 
Indeſſen würbe nicht der Unterfchied zwifchen ihnen und denen, bie 
durch ihr Wort an ihn 'gläubig werben follten, deflo größer gewe⸗ 
fen fein, je länger fie fich ded gemeinfamen Lebens mit Chriſto ers 
freut hatten? würbe nicht bie Gefahr, daß ſich Meifter aufgeworfen 
hätten, wo lauter Brüber fein follten, um beflo größer geweien fein? 
und mußte nicht dieſe vermieden werben, wenn der Eine allein follte 
Meiſter bleiben? Würden bie Apoftel felbft fo Leicht geglaubt ha: 


ben, daß aud Eine Rebe von Chriſto den Menfchen zu heilſamer 
Buße könne durchs Herz dringen; daß Einmal Jeſus ald der Chrifl 
vor die Augen gemalt die Menfchen Tönne zum Gehorfam bes 
Staubend bringen, wenn fie felbft nur vermittelft eines durch eine 
lange Reihe von Jahren fortgefesten Zufammenlebens eben dahin 
gekommen wären? Ja Eonnten fie felbft ſich des befländigen unb 
Fräftigen Lebens Chrifli m ihnen — und davon follte body ihr 
Mund übergehen — recht lebendig bewußt werden, fo lange er 
noch vor ihnen lebte und wandelte? Dann aljo wenigftens, als fie 
biefeö inne wurden, mußten fie glauben, es fei dad Werk ber gött: 
lichen Weisheit, daß er fo zeitig von binnen genommen wurbe, und 
mußten fie feinen Worten trauen, das Weizenkorn müffe in bie 
Erde gelegt werden bamit ed Frucht bringe, und es fei ihnen gut 
ja’ beffer,' daß er hinginge, ald wenn er bliebe. Aber das iſt nicht 
genug! dem Erlöfer ſchwebte bei feinen Worten auch die befondere 
Art feines Todes vor; und wir fragen alfo, was hat benn biefe, 
was hat fein Tod durch Leiden, fein Kreuzeötod für einen Einflug 
auf das Getroftfein feiner Zünger mitten unter aller Angft, bie ih: 
nen in der Welt bevorfiand? Ich frage Dagegen, Tonnte wol ber 
Erlöfer der Welt die Welt überwinden durch irgend einen äußeren 
Sieg? Nein, ein folder wäre zugleich ein Sieg von ber Welt ge: 
weien, und dann hätte auch fein Reich ein Reich von eben biefer 
Welt fein müflen! Er konnte fie nur überwinden burdy ben inne: 
ren Sieg, durch bie vollfommenfte Hingebung und Selbfiverläug: 
nung, die er eben durch dieſes Leiden und diefen Tod übte Alles 
was die Zeindfchaft ber Welt auf ihn- bringen Fonnte mußte er 
übernehmen, unb was ihm die Welt hätte geben können, wenn er 
fein Verhaͤltniß zu berfelben anders geſtaltet hätte, deſſen mußte er 
fih entfchlagen. Nur fo konnte er die Welt überwinden, indem er 
feft an dem Willen Gotte hielt, und nur auf dieſen Sieg gründet 
‚er ja diefe Ermahnung an feine Zünger, weil er die Welt über- 
wunden habe, darum follten auch fie getroft fein in der Welt. Und 
eben deshalb, weil er einen folhen Sieg im Sinne hatte, welcher 
lediglich abhing von der Stärke feines Entfchluffes, deren er ſich 
auf das beflimmtefte bewußt war, konnte er — wie ed auf diefem 
Gebiet feiner freien Thaͤtigkeit demjenigen geziemt, welcher der Ab: 
glanz der Herrlichkeit des höchften Weſens war — fihon damals 
fagen, Seid getroft, ich habe die Welt überwunden, wiewol fein 
Leiden und fein Tod, wodurch er biefen Sieg errang, noch nicht er: - 
folgt war. Denn dazu, daß er eind war mit feinen Water, gehört 
vorzüglich auch dieſes, daß er, wo alles von feinem Willen allein 
abhing, auch dad noch nicht geichehene als fchon gefchehen betrach: 





237 


ten konnte. Seinen Willen hatte er ausgelprochen, ald er fagte, 
Lafjet und’ gehen, denn er ift da, der mid) verräth; fein Bewußts 
fein von dem, was ihm bevorfland, hatte er ausgefprochen, als er 
fagte, Der Zürft diefer Welt fommt und hat nichts an mir: und 
nun fonnte auch nichtd mehr treten zwifchen den Willen und bie 
Ausführung. Dad geziemt dem eingebörnen Sohne bed Vaterd, daß 
Dies beides in ihm baffelbe ift; im diefer ausreichenden Kraft feines 
Willens, in dieſer unbezwinglichen Feſtigkeit feines Entfchluffes und 
in biefer heilen Einficht in ben Zufammenhang der Dinge Eonnte er 
fagen, Ich habe ſchon die Welt überwunden; es ift ſchon geichehen 
was gefchehen muß um euch Muth und Troſt einzuflößen in aller 
Noth und Angft und Truͤbſal; die Welt iſt uͤberwunden, das Reich 
Gottes iſt gegruͤndet und befeſtigt. 

Woſllen wir und aber noch genauer vorhalten was ber Erlöfer 
meint, wenn er fagt, Ich habe die Welt überwunden: o fo dürfen 
wir nur an die Worte zuruͤkkdenken, welche wir neulich zum Ge - 
genftand unferer Betrachtung gemacht haben. Der Fürft biefer 
Belt, fagte er, bat nichts an mir; aber damit die Welt erkenne, 
Daß ich den Vater liebe und thue was er mir geboten hat: darum 
laſſet und auffichen und von hinnen gehen. Was kann der Sieg 
des Sohnes Gotted über die Welt fein? Nicht der ‚Sieg eines 
Feindes über feinen Feind, nicht bad Zerflören oder Vernichten def: 
fen, was ihm entgegenftrebt: fonbern daß er das widerfirebende in 
bie Gemeinfchaft feines Lebens aufnimmt. Er unterwirft es fich, 
ja! aber er Eennt Beine andere Unterwerfung ald bie, welche fi) die 
Gewalt der Liebe erzwingt. Von einer anderen weiß er nicht, und 
von einem anderen Siege weiß er auch nicht, als wenn alle aufge . 
nommen werben und zufammengefaßt in feiner Liebe. Das tft ja 
das große Geheimniß feines Leidens und feined Xoded, bag immer . 
barin aufs neue immer inniger immer weiter verbreitet die Welt 
erkenne, daß er ben Water liebt, und daß er thut wie ihm der Bas 
ter geboten hat. Aber wo biefe volle Liebe zum Water, wo biefer 
unverlürzte Gehorfam gegen ben Willen des Vaters ift: da ift auch 
das Panier ded Heild, da iſt auch derjenige, auf welchen Gott als 
fein es gründen will und Tann, weil ba bie Kraft ift, durch deren 
Mittheilung die geiflige Welt zu einem neuen Leben befeelt werben - 
fann. - Darum fagt der Herr, weil nun durch meine gänzliche hin⸗ 
gebende Selbftverläugnung, durch mein Gehen in den Tod und 
durch das Gericht, welches über den Fuͤrſten der Welt felbft ergeht 
indem er waͤhnt mich zu richten, weil nur dadurch fuͤr alle Zeiten 
die Welt immer mehr erkennen wird, daß ich den Vater liebe und 
thue wie er mir geboten hat: darum iſt mein Tod der Sieg uͤber 





bie Welt, und ihr koͤnnt getroft fein und Muth faffen, denn bie 
Belt iſt überwunden. Predigt nur immer von mir, von meinem 
Leiden und Tode, weifet die Welt hin auf daB Kreuz, an welchem 
ich das Opfer geworben bin für die Sünden der Welt: fo wirb fie 
meine Liebe, fo wird fie meinen Gehorfam das ihr biäher verbor⸗ 
gene Geheimniß erfennen. Und auf diefem Wege hat fi) auch das 
Reich Gottes in Chrifto verbreitet: das iſt die theure Erfahrung 
aller Zeugen ber Wahrheit, daß fo bie Welt immer mehr bat er: 
Eennen lernen, wie in dem Erlöfer die Liebe Gotted lebendig gewe⸗ 
fen ift, daß feine Liebe zu feinem Water, fein Gehorfem gegen befs 
fen Willen, feine Liebe zu den Denfchen feinen Brüdern, feine Kraft 
fie zu fich binaufzuziehen und fie dem Water zuzuführen, eins und 
baffelbe, und wie in allem biefem das Geheimniß der Vollendung 
des göttlichen Rathichluffes ruht. Und darum find nun biefe Worte 
und werden auch immer bleiben der Wahlſpruch aller derer, welchen 
es ein Emft ift für dad Reich Gottes zu leben und zu arbeiten. 
Er hat die Welt überwunden, darum find wir getroft; und feine 
Noth Feine Angft Feine Trübfal, weiche die Welt und bereiten kann, 
kann jemald den Frieden flören, welchen wir in ihm haben. Aber 
wir haben ihn nicht, wenn wir nicht zugleich auch wiſſen, daß fein 
Reich immer tiefere Wurzeln ſchlaͤgt, und die Grenzen defielben fich 
immer weiter verbreiten; wir haben feinen Frieden nicht ganz, wenn 
wir nicht wiffen, daß in und allen gemeinfam die Kraft wohnt für 
ihn zu leben und zu wirken, zu leiden und zu flerben. j 

Und doch m. g. Fr. wad Finnen wir reben von Roth und 
Angft, welche wir in ber Belt hätten ober haben würben? was für 
Srübfate giebt es für und, die in irgend einem Sufammenbange 
fländen mit unferem Leben für Chriftum und durch ihn? Das 
Port des Erlöferd ift fo wahr geworben, daß num ımter uns, fo 
wie wir in bie Mitte ber chriftlichen Kirche geftellt find, bie Welt 
auch ſchon in der Wirklichkeit überwunden iſt. Allee Kampf und 
Krieg ift nur noch an bie aͤußerſten Grenzen feiner Gemeine ges 
bannt; da wird er nod) geführt, da giebt e8 noch bier und da ui» 
ter den Völkern, die bisher in dem Schatten des Todes gefeffen ha⸗ 
ben, einzelne theure Zeugen ber Wahrheit, welche bad Reich Gottes 
predigen; da regt fi) wol noch die Welt und will das Wort Get- 
tes von fich weifen; ja da giebt ed noch Roth und Truͤbſal für 
die, welche treue Diener bed Herm find: aber wo wäre bergleichen 
unter und? Freilich hören wir noch oft folche Aeußerungen, bie 
äußere Kirche zwar fei weit verbreitet, ber Name des Herm werde 
zwar von vielen anerfannt: aber die wahre Gemeine Chriſti, ach 
diefe fei nur klein; ber größte Theil derer, welche fich Außertich zu 





feinem Namen befennen, fei nur erfüllt von einer tiefen inneren 
verborgenen Seindfchaft gegen ihn; und was fie nur thun Tönnten 
um feine Herrlichkeit zu fehmälern, um dad Herz der Menfchen von 
iym abwendig zu machen, das thäten fie nur gar zu gern: fo daß 
deshalb auch jezt noch jedes gläubige Gemüth in der Welt die Fülle 
von Angft und Noth und Truͤbſal habe. Aber m. th. Fr. daß wir 
nur nicht mit folchen trüben Anfichten eigentlich nur unferer Eitels 
keit fröhnen und unferem geiftlichen Hochmuth! daß wir nur nicht. 
weil es fo lange wahr geweien tft glauben, es muͤſſe auch noch 
wahr fein, baß «8 eine Feindfchaft gebe gegen den Erlöfer! Das 
freilich wiſſen wir wohl, daß nicht alle auf gleiche Weiſe durchdrun⸗ 
gen find von dem wahren Glauben an den Erlöfer; bag nicht alle 
‚ auf gleiche Weife von Liebe zu dem entbrennen, welcher fie zuerft 
geliebt hat: aber wo wäre benn bie Zeindichaft gegen Chriſtum in 
denen, welche doch in das was feine Gabe ift und fein Werk fo tief 
eingewurzelt find, daß fie ſich nicht davon zu-trennen vermögen? 
wo wäre bie Zeindichaft gegen Chriflum in denen, welche body ſei⸗ 
nen und unferen Gott und Water anbeten; in denen, welche doch 
zugeben müffen, feine Lehre fei der Weg der Seligkeit, wer ihm 
ähnlich fei, dem koͤnne ed nicht fehlen, daß er fich des göttlichen 
Wohlgefallens erfreue? Nein m. Fr. dad Wort des Herm wäre 
nicht wahr, wenn auch fo viele Jahrhunderte nicht dad Ueberwuns. 
benfein der Welt follten gefördert haben; wenn fo vieler Kampf der 
Diener des Herrn nicht follte die menfchlihe Natur gebändigt ha: 
ben und ihm unterwürfig gemacht! dad Wort wäre nicht wahr, 
wenn biefee ganze Umfang der chriftlichen Kirche nur ein leerer 
Scyein wäre! Und doch m. g. Fr. — aber auf eine andere Weife, 
in einem anderen Sinne — koͤnnen und müfjen wir alle und das 
Wort des Herrn aneignen. Wir haben Heinen Streit zu führen mit 
der Welt außer und. Wenn ed bisweilen dad Anfehen haben will, 
als ob die Herrlichkeit Chriſti follte gemindert werden, und bie 
Menſchen ihre eigene aufrichten wollten, fo wir nur babei bleiben, 
daß wir feflhalten in der Liebe zu ihm, daß wir feflhalten an dem 
Zeugniß, welches wir für ihn abzulegen haben, daß in der That er 
und die Quelle der Gnade und der Wahrheit geworben iſt: o wie 
bald wird unfer Zeugnig alle jene leeren menſchlichen Anmaßungen 
zum Schweigen bringen! Wenn biöweilen andere aufflehen, welche 
fagen, Chriftus fei freilich ein theures Werkzeug Gotted gewefen für 
eine gewiſſe Zeit, aber da er einmal in menfchlicher Geſtalt war, fo 
hätte er auch nicht können bie Grenzen der menfchlichen Natur übers 
ſchreiten; feine Drbnungen und feine Gefeze feien vortrefflich gewe⸗ 
fen, aber fie reichten doch nicht hin für die erweiterte Einficht, für 

















240 
bie gefleigerten geiftigen Bebürfniffe, für ben gänzlich geänberter 
Zufland der Menſchen. Eben deswegen fange ja, wie ſich beutlich 
zeige, die Verbindung auf feinen Namen an abzuflerben, ein neues 
müffe entftehen, und jenes fei noch nicht bad lezte gemeien: Dagegen 
bedürfen wir keines Kampfes! Nur feflgehalten an ber rechten 
Liebe, welche dad Band der Vollkommenheit iſt; nur feilgehalten 
an unferm gemeinfamen Beruf den Menfchen dad Bild Chriſti ims 
mer mehr in feiner ganzen Herrlichkeit, wie wir felbft von demſel⸗ 
ben durchdrungen find, deutlich vor Augen zu fielen: fo wird ſich 
bald das leere und eitle jener menfchlichen Bemühungen zeigen. 
Außer und bedarf ed alfo nicht, daß wir erft erfahren müßten, wie 
wir follen getroft werben und gutes Muths: aber in und wiſſen 
wir, daß ed noch Welt giebt, weiche muß überwunden werben. Sa 
fobald wir- wahrnehmen, daß noch Zurcht vor Zrübfal und Wider 
wärtigfeit — wenn fie auch nicht zufammenhangt mit dem Glau: 
ben und dem Reich Chriſti, wenn fie auch auf dem zufälligen 
Wechſel der menſchlichen Dinge beruht — die Ruhe und den Frie⸗ 
den und zu flören vermag: bann wiflen wir, daß Angſt und Truͤb⸗ 
fal ſchon Wurzel geſchlagen haben in unferen Herzen, und fie wer 
den fich bald offenbaren! Ja gleich giebt es einen Kampf, durch 
weldhen die Welt in und überwunden werben muß, und fo erſt der 
Friebe in Chriſto, nachdem er vorübergehend getrübt worben ift, in 
feiner ganzen Klarheit und wieder aufgehen Tann, fobalb wir wahr 
nehmen, daß die Luſt der Welt und verloffen Tann zum Ungehor: 
fam gegen feinen Willen. Und diefe Gefahr hat allerdingd in dem⸗ 
felden Maaß zugenommen, ald die Welt mehr überwunden worben 
ift; denn um fo mehr ift nun aud alles, was bie Menfchen treis 
ben und fchaffen, in dad gemeinfame Leben ber Chriften aufgenom⸗ 
men. Ihre Verbindung ift nicht mehr eine beſchraͤnkte von folchen, 
welche fi) von den größern Gefchäftößreifen abjondern, und ſich mit 
den erften Nothiwendigkeiten bed Lebend begnügen; fonbern alle 
Theile unfered allgemeinen irdifchen Beruſs müflen in der Chriſten⸗ 
heit ihren Ort finden, und überall follen wir in allem das geiflige 
ſuchen, und dad finnliche fol diefem allem dienen. Wo nun eine 
Gefahr entfteht, daß fich dieſes Verhaͤltniß umkehre; wo bad rechte 
Gleihgewicht in unferer Seele verloren gehen will: ba ift ficher 
auch eine ‚Quelle von Noth und Angit, die fih für und in der 
Welt hervorthun wird; da muß immer aufs neue die Welt über: 
wunben werben in ber Kraft ded Friedend, ben wir burch ihn ha⸗ 
ben. Aber wie anderd koͤnnen wir bad und wie befler, als wenn 
wir auf fein Leiden und feinen Zod hinfehen? Dad Vorbild bef- 
fen, der von irdifchen Gütern nichts begehrte,. zufrieden mit bem 








was ihm zuflel; ber die Unficherheit. wo er wol fein Haupt binles 
gen werde für nichtd achtete; der alles über fich ergeben lieg um 
nur nicht zu wanken in ber Liebe feines Waters: das iſt die rechte 
Dudle der Stärkung für jede in Gemeinfhaft mit Gott lebende - 
Seele! das iſt die Quelle der Sicherheit, die wir haben für ein 
Wohlſein, welches auch durch die Regungen der finnlichen Seele 
nicht mehr kann geflört werben. Er hat bie Welt überwunden buch 
Leiden und Tod, und darum follen aud wir getroſt fein in ber 
Belt, und der Friede, den wir in ihm haben follen, wirb in uns 
allen ein ewiged und unverlegliches Gut fein. Amen. 


Li ed 167, 7. 


III. .. | " Q 


XXI. 
Am Charfreitage 1832. 


Lied 174. 185, 1— 5. 


Ser. Roͤmer 5,78. 


Denn fchwerlich firbt jemand um eined gerechten voll: 
ten; um eined guten willen dürfte vielleicht jemand fter- 
ben. Gott aber ftellt feine Xiebe gegen uns barin dar, 
daß Chriftus für und geflorben ift, da wir noch Sünder 
waren. 


M. a. Fr. In dem ganzen Zufammenhange, aus welchen bie 
verlefenen Worte genommen find, fucht der Apoſtel feine Leſer be: 
von zu überzeugen, daß wir nur durch Ehriftum in dad rechte Ver⸗ 
hältniß zu Gott gefommen- find. Denn fo fängt er an, Haben wir 
den Frieden mit Gott durch unfern Herrn Jeſum Ghriftum: fo ruͤh⸗ 
men wir und ber Herrlichkeit, die Gott geben foll; ja noch mehr, 
wir rühmen und auch der Truͤbſal. Die Liebe Gottes, fagt er wei: 
ter, ift ausgegoſſen in unfer Herz durch den heiligen Geiſt; und 
dann fährt er fort mit den Worten unfere Textes, denn baburd) 
flelle Gott uns feine Liebe dar, daß Chriſtus für und geſtorben fei, 
da wir noch Sünder waren. So ſtellt er uns alfo ben Tod 


Chriſti, deffen Gebächtnig wir heute mit einander feiern, als die 


hoͤchſte Verherrlichung der Liebe Gottes zu und Dar, und 
dad laflet und izt zum Gegenſtand unferer Feſtbetrachtung machen. 
Es kommt dabei auf zweierlet an, was Paulus in dem Verfolg un: 
ſerer Textesworte weiter auseinander fezt, daß nämlich Bott unferem 


Erlöfer den Tod aufgelegt habe als den allervollkommenſten Beweis 
des Gehorfams, und dann zweitend, daß nun durch diefen Gehors 
fam, wie er fagt, viele gerecht werben. An biefem beiden zufammen 
ertennen wir bie Bolllommenheit ber goetuichen Liebe in dem Tode 
des Erloͤfers. 


I. Wenn wir nun zuerſt m. die. 3. mit einander awigen 
wollen, wie Gott unſerm Herrn und Heilande das Leiden und den 
Tod als den vollfommenften Gehorfam aufgelegt habe: fo glaube 
ich dabei zuerſt einen Gedanken befeitigen zu muͤſſen, welcher gewiß 
einem jeden von ſelbſt einfällt. Nämlich daß in dem Tode bes Er: 
köfers die Liebe Gottes, feines und unfered himmliſchen Waters, fich 
in ihrer ganzen Herrlichkeit zeigt, das feheine doch bei weitem nicht- 
fo nahe zu liegen, als daß die Liebe bed Erlöfers felbft zu feinen 
Brüdern fid) darin befunbet; und gleichfam nur vermittelft feiner 
Eiebe zu uns dürften wir erfl in feinem Tode bie Kiebe Gottes zu 
und erbliffen. Aber dennoh m. g. Zr. verhält es fich hiemit fo, 
voie ich es eben aufgeftellt habe. Freilich ift ſchwer zu fondern- was 
auf das alleritinigfle vereinigt iſt; die Liebe des Erlöferd zu uns’ 
und feinen Gehorfam gegen feinen unb unferen himmliſchen Vater, 
wer wollte wol dies beides von einander trennen? Aber body ſteht 
beide8 gegen einander fo, daß feine Liebe zu uns fich am unmittel⸗ 
barften zeigt in feinem Xeben, fein Gehorſam gegen ben Water aber 
in feinem Leiden und Tode. Darauf führt er und felbft in gar 
manchen von den herrfichen und koͤſtlichen Worten feines Mundes 
. auf das beflimmtefte Hin. Seine Liebe zu den Menſchen war das 
Beflreben zu ſuchen ˖und felig ‚zu machen wus verloren war, fich 
fiberall als ben berritwilligen Arzt der Franken zu zeigen, fein Les 
ben mitzutheilen und einzuflößen durch feine Worte und durch feine 
Werke; fi) den Menſchen anzubieten, damit fie bei ihm’ Ruhe unb 
Erguiftung- finden möchten fir ihre Seelen. Da hingegen wo er 
von feinem Tode redet, indem er fich darftellt unter beim Bilde des 
guten- Hirten, ber fein Leben läßt für feine Schaafe, ſtellt er fich 
dem Miethling gegenüber, welcher flieht, wenn der Wolf kommt. 
Dieſer nämlich fliehe, weil bie Schaafenicht fein Eigenthum find; 
der gute Hirte alfo laffe fein Leben fir die Schaafe, weil fie fein 
Eigenthum find. Aber wer vermag wol m. g. bie Liebe zu feinem 
Eigenthum zu unterfcheiben von der Liebe zu fich ſelbſt? Alles was 
unfer Eigenthum iſt in dem genaueren Sinne bed Wortes, das iſt 
auch ein Theil unferer Kraft und unfered Lebens, und die Liebe 
dazu gehoͤrt weſentlich und unabtrennbar zu ber Liebe zu ums ſelbſt. 
An einer anderen, Stelle pet ber Erlöfer zu fe Juͤngern, Nie⸗ 

Q2 


manb hat rgebere; iche, Van, en fein Sphyıy Kit, Kir. feine. 
Freunde. Sie,. ſagt er zu- ihnen, feien. ſeine Freunde ne 
dem Worte. hielten, dad ex; ihnen gegeben babe., Aber nicht für. fie 
al feine ‚Freunde,.nich für fie in gingm bejonberen ‚außfchliehlichen 
vorzüglichen Sinn hat er fein Leben gelafien; fondern zum Heil ber 
Belt hat er fein Leben gegeben, und die Welt war nicht ſein 
Freund. Ja wenun wir m. g. denken an das große Wort. bei Er: 
loͤſers, welches er und als fein einziges Gebot aufftellt, indem er zu 
feinen Züngern jagt, Ein neues Gehot gabe ich euch, daß ihr euch 
unter einander liebet mit ber Liebe, mit welcher ich euch geliebet 
babe *): fo freuen wir und deſſen freilich, daß wir ‚mit feiner 
Liebe, fofern fie dad Beftreben war alles um fich her mit feiner 
göftlichen Kraft zu nähren und zu erfüllen und dadurch zu beifigen, 
bag wir mit bieler Liebe und unter einander ‚lieben koͤnngen, denn 
es findet darin dieſe fchöne Gegenfeizigkeit hast, weiche, dad Weſen 
der chriſtlichen Gemeinſchaft ausmacht; wie koͤnuten wir und aber 
unter einander lieben mit ber Liebe des allein ‚Heiligen umb zsyinen, 
der fein Leben gegeben hat für bie Geſammtheit ber Suͤnder? Da⸗ 
rum, ſaͤhe er ſelbſt ſeinen Tod an als die eigentliche unmittefbare 
Folge als den weſentlichſten und höchften Ausdrukt feiner Liebe: jo 
wäre dieſes fein Gebot nichtö; und wir müßten gerabe das beſte 
und größte erſt wegſchneiden, ehe wir. anfangen könnten, an die Er⸗ 
füllung deſſelben zu denken, Ugberall aber ſtellt er feinen Zoh bar 
ald den Willen feines Vaters. Iſt es moͤglich, ſagt er, fa gebe 
dieſer Kelch an wir ‚vorüber, was. er nicht gejagt haben koͤnnte, 
wenn, ed daß Werk feiner Liebe Die Wahl ſeiner Liche geweſen wäre 
ihn zu leeren; bach. nicht mein, faͤhrt er hoct, ſondern dein Mille 
geſchehe. So redet er nun freilich überall ‚ppp-. feinem Gehgrſam 
gegen ſeinen Yater im: feinen ganen Sehen, und ‚bau .nggimögen 
wir. dieſen von, feiner Liebe nicht ‚au trennen; feine Lietze war eben 
dad Werk, weldyes der Vater. ihm zeigte „.und peſches er haſtaͤndig 
that. - Aber, wenn wir nun befonders pon, feines Hingebupg,.in fei- 
ben und Tod zeben -wollen:, fo müffen wir fagen,: daxin ‚Rellt fh 
überall ber Gehorſam ‚gegen. bey. Willen ſzines Bafere, ‚daxı.. Und 
dad muß und je. um deſto ‚deutliches fein,: x wenn wir datani, achten, 
wie es fo Har in den: Worten: zu ‚Rage leg bie ich ehgwagggführt 
habe, daß um, es menfhlic, auszuprüffen. fein Gehorſapu alaiälgre 
im Kampfe war mit feiner Ligbe, Night ſuͤr fie, —* hitten, 
Vater, iſt es möglich, „lo gebe. biefer Kelch yor.nir peräber, (ondern. 
nur um berer willen, | die ihm fein Water Ahoy een hatte. Die 





») Io. 13, &4 


gq . 
mn di ww ui 0 “. 





17 

ur ‚Halle: vn wetheunga Geile akt Minen nad vr "fie, die:biebe 
Hatte‘ ihnen: gein Yioch: mehr mitbetheilt aus der Flulle ſelnes goͤtill 
chen Weſenstaber · er aͤbenließ eb: bem Uethell feines Vaters; wann 
Zät und Stunde gekommen fi," und‘ barımt ſprach er zu chin 
:erf, Iſt es moͤglich,nſo gehe bieſer⸗ Helch⸗ af'mir'odriber, — 
"war bir Ausdrukk finer, innigen und unveranderlichen Liebe zu ven 
ſeinigen: "Ode: nicht, - wie Ich’ ER, Tühtt: er fort, ſondern wie du 
win, — das Mar: der Ausdrukkſeines völligen" Gehorfams und 
ſeiner gaͤnzlichen Ergebung in den’ Willen ſeines Vaters. 

Aber nun m. hr. 3.:laffet uns der Betrachtung ‚näher treten, 
wie der Tod des Erloͤſers in der What der völlendetſte Gehorſam 
war, den ihm: Gott auflegen konnte. Ars füldden ſtellt ihn auch 
anderwaͤrts die Schrift bar. So ſagt der Werfaffer des Briefs an 
vie Sebiket,’dag' er, indem er liti und Gehorfam übte, durch Ge⸗ 
horſam vollendet wurde *), d. h. in ſeiner ganzen Vollkommenheit 


den Menſchen dargeſtellt. Sollte alſo in ſeinem Gehorſam ſich ſeine 


VBVBollkommenheit darftellen: fo mußte auch dieſer Gehorſam ſelbſt der 
ventommenſte und der groͤßte fein. Aber auch hier treten uns gar 
Zeicht iR große Menge nen Beifpielen und mannigfaltigen Betrach⸗ 
tungen entgegen, die danach fireben dem“ Erlöfer dieſen Ruhm fel- 
nes Gehotſams zu verringeen, als ob es naͤmlich doc..gar viel 
aͤhmches "gegeben Halte und auch noch immer geben werde in ber 
menſchlichen Geſellſchaft. Wie viele haben nicht, auch abgefehen von 
dieſem heiligen ind goͤttlichen Werkder -Erlöfhtg: und den blutigen 
gZeugen dieſes Glaubens, wie viele haben nicht ˖ zu: allen Zeiten ihr 
‚Beben gelaffen fuͤr ihre Ueberzeugung? » Db Diefe wahr: ober‘ ob fie 
falſch iſt, ob fie. ein deutliched oder ein dunkles Abbild: der goͤttli⸗ 
chen Wahrheit iſt, das hat ˖ darauf: weiter keinen Einfluß. Und dl: 
erdiugs iſt es wahr, viele Menſchen haben durch die Bereitwillig⸗ 
keit mit der ſie in den Tod gingen bewieſen, daß fie lieber das Le: 
ben: hingeben ‘wollten als es auflöfen in einen Widerſpruch mit ſich 
eb Mit ueberzeugung vekennen uad dann ohne Ueberzengung 
wieber : zunllfnchmen, das kann Peiner, in welchen bie Liebe zur 
Woahrheit Ievanbig iſt; das Fänn- kriner, für den es ſchon etwas 
groͤßeres ‚gibt als · die nichtigeũ und vergaͤnglichen Dinge dieſes ve⸗ 
bend; aber fa einfach wie’ ir allen aͤhnlichen Beiſpielen war auch 
gar wicht - der Faul -unfered" Erloͤſers. Warn wir erwägen, wie bau: 
fig wir in den Erzählungen von feinem Beben einen im einzeneh 

belrachtet ſchwer zu erkliaͤtenden aber doch gar zu deutlich und vor- 
geftellten Wechſel antreffen zwifchen offnem Bekenntniß und vorfich- 


*) Hebr. 5, 8. 9. 





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Watth. 26; 64. 
Kol. 1,2. 


yo 


Moch! von wie vielen Borurtheilen unb. untichtigen Vorſtellungen 
war die Hingebung fo wieler ſonſt ebien Semuͤther in ben Tod be 
gleitet, aber dan auch gewiß nicht ber reine Gehorſam des Erid 
fer. Wenn wie nun beienfen, wie auf ber einen Seite fein Ge 
bosfam im. Kampf war mit feiner herzlichen und treuen: Liebe zum 
den feinigen, benen er gem nwoch länger gelebt hätte um fie. fefter 
zu gründen in bem gemeinfamen Leben; wenn wir bebenken, eh war 
der Gehorſam gegen rin Geſez, von: weichen er bentlich. fagt, balb 
werbe es überhaupt fein ganzes Anfehen und feine ganze Kraft ver 
fieren; von bem er wußte, wie falfch bie Menſchen es von Anbe: 
ginn an verſtanden hatten, inbem fie das, was nur zwiſchen einge: 
treten war mm die Welt zufammenzuhalten unter ben Bewußtſein 
ber Simde, ald das Mittel anſahen, wie ber Menſch könne Gott 
wohlgefällig werben und fich ber göttlichen Belohnungen für . bie 
Zukunft ficher halten: ber Gehorfam gegen foldyed Geſez war ber 
Gehorfam, um befientwillen er in den Tod ging; und eben deswe⸗ 
gen war ex nichts anderes als bie reine Grgebung in. den Willen 
Sottes, ohne baß unmittelbar irgend etwas in ber ‚eigenen ‚Seele 
des Erloͤſers menfchlicher Weiſe genommen. für Seiten und ob gei 
fprochen hätte. 

Und- fragen. wir num, wofür? ja dann kommen wir. natürlich 
auf die erften unſerer Werteßworte: zurkll. . Schwerlich, jagt Paulus, 
firbt jenrand um eines gerechten willen, um eines rechtichaffenen 
willen; denn jeber achtet fich Telhft baflır, daß ex bied eben fü gut 
fei ⸗wie irgend: ein anderer. Vielleicht, führt .er- fort, dürfte. wol um. 
eined guten willen jemand fterben; wenn, .nzeint. er nämlich, ein 
Menſch in einem anbem::fähe eine lebendige Liebe zu dem, was bad 
Wohl und Heil aller föbert, eine rüftige Kraft dad gute zu ſchaf⸗ 
fen nicht nur für fi fonbern im allgememen: für alle: ba könnte 
wol einer, damit ein ſolcher ungeftört in feier Wirkſamkeit bleibe, 
damit Velten Wer gedeihe, and deſſen herrliche Kräfte noch Länger 
auf eine edie Weiſe wirkten könnten, fein eigenes wenn auch nicht 
umvinbigeß doch weniger werthes Beben in :ben Add geben. .. Aber 
Boch Wie Viel Winerfireben der Natur, wie. vielexlei Bedenklichkeiten 
wuͤrdeni nicht biebek jedem attgegantreten. Wird der, vem ein fol 
ches Opfer gebrucht wird, auch⸗ hernach bleiben, der er geweſen iſt? 
birtgt ſaaind fuͤr dle Meſtaͤndigkeit feines xeinen Willens, feiner 
treten Pfuchteefuͤlnug /nſeiner· Hingebung zum ded guten willen? 
Oper im es fich mehr unıbas Gebeilen.eimed einzelnen Werks 
oder aller feiner Werke zufammen handelt: wer ſteht dafür, fragt 
man alsdann, wie viel davon den Menfchen zu Gute fommen wird? 
wer weiß, wie viel davon wieder unterbrüfft wird durch die Ge: 


Erloͤſer, das ift eine Liebe, über welche ed Feine größere gibt. Gott 
daß 


aber, ſagt Paulus, ſtellt uns feine Liebe zu und darin bar 


vermöge feined Gebots und Willens Ehriftus flerben mußte für ums, 
da wir noch Sünder waren; nicht um ber gerechten. willen, nicht 
um eimed guten willen, nieht um eines Kreiſes von Freunden wil⸗ 
len, fondern um der Gefammtheit der Günter willen. So bürfen 
wir wol nicht zweifeln, das ift ber vollkommenſte Gehorfam, ber 
gehbt werben konnte, und ben hät Gott Chriſto aufgelegt um um: 
ſertwillen; denn nicht für ibn, nicht um ingenb anderer guter Zwekle 
willen, fonben um das Heil ber Suͤnder zu ſchaffen mußte er im 
dieſen Tod gegeben werben. - 


H. Unb fo Laffet uͤns denn in bem zweiten Theile unferer 
Betrachtung fehen, wad durch biefen Web bed Griöfers erreicht wer: 
den follte und alfo auch erreicht worben ift — denn beibes laͤßt ſich, 
wo von einem göttlichen. Ratbichluffe die Rebe ift, nicht von einan⸗ 
der trennen, — bamit wir fehen,. wie biefee Tod mm bie ganze 
Herrlichkeit der göttlichen Liebe iſt. 

Die groͤßeſte Liebe ift die, welche demjenigen, weldyer ber Ge: 
genfienb derfelben ift, dad meiſte gute ſchafft. Eine andere Erklaͤ⸗ 
zung wärben wir und vergeblich bemühen zu gebens unb ber Apo⸗ 
ſtel fagt im Verlauf feiner Rede, Gleichwie Durch Eines Menſchen 
Ungehorfam viele Suͤnder geworben finb, alfo auch durch Eines Ge 
borfam werben viele gerecht **)._ Das alte m. g., das ift ed, was 
aus den Gehorfan bed Eriöfers bi6 zum Tode am ren; hervor 
gehen follte. Ehriſtus, fagt Paulus, mußte ſterben für und, als wir 
noch Sünder waren. Sünder waren! Sind wir ed nicht mehr? 
bleiben wir es nicht immerdar? Nein, fagt-er, darch Eines Gehor— 
fam werden viele gevecht, durch Eines Gehorſam kommt bie Merht: 
fertigung bed Lebens über alle, die an ihn glauben. Was heißt 
das aber, ed werben durch ihn viele gerecht? Es gibt nicht Leicht 





) 3. 15,71% 
N B. 1% 








| DR 
ein Wort m. th. 3., welcheh wechſelveichte späte in dem "Unfenge . 
feiner: SBebeutungen. Gerechtſein iſt auf der ‚einen ‚Seite. Dad wer 
nigſte, wad wit. von jebem Menfchen fobern zu duͤrfen glauben; auf 
Der anderen Seite verbinbet fich mit biefen Worten zugleich. — und 
Das ift ber Sinn, ben es fo oft in unferes heiligen Schrift, aber 
nicht in ihr allein ſondern auch in unterer menfihlicher Rebe hat, 
— es verbindet fich damit zugleich der Begriff ber hoͤchſten Voll⸗ 
kommenheit. Woher m. th. Fr. dieſe große Verſchiedenheit? Die 
Frage danach führt uns in bie innerfien Ziefen unfered Weſens zus 
ruft und gibt und den Schläffel zu ber ganzen Geſchichte des em 
ſchen und dem Zuſammenhange ver göttlichen Rathſchluͤſſe. 
hätte nicht wenigſtens in den früheren Zeiten keneh Sehens gur of 
in feinem Sinne gehabt dad Bilb eines yaradiefiichen Zurflandes, 
wie wir und aus ben wenigen Zügen, hie und baven ‚mitgetheilt 
find, das Leben der. erfien Menfihen denken, bad Leben derſelben, 
ehe. die Simde in die Welt kam. Fragen wir- und, war da eine 
Gerechtigkeit? Wir werden ſagen müflen, Nein! War da eine Ber- 
gleichung, welche der Menich hätte machen können zwiſchen dem 
was er wirklich war, und einem anderen, was er fein und werben . 
ſollte? Wir werben: jagen müflen, Nein! Fragen wir umd nun, 
Können wir dieſen Zufland, in welchem es fo ım ben Menfchen. 
ſteht, für den adhten, ber wirklich unfere& Beſtrebens und unfereä 
Berlangend werth wäre, ben wir ein Recht hätten zurſcktzuwuͤnſchen 
und zuruͤklklzurufen? Wir werden gewiß ſagen, Nein; zu einer ſol⸗ 
chen Art von Uebereinſtimmung mit fich ſelbſt und mit der aͤußeren 
Natur, die ihn umgibt, zu einen ſolchen Genuß unb Befiz des Les 
bens ohne Hindernifſe ohne Kaͤmpfe ohne große Entwikkelung von 
Kraͤften, dazu iſt der Menſch nicht. geſchuffen. Was heißt aber num, 
gerecht ſein, und worauf beruht es? Davauf:m. th. Fr., dag uns 
etwas vorſteht, was wir erreichen wonach wir ſtreben ſollen, was 
wir alſo nicht find, und nicht haben Mur unter dieſer Bedingung 
gibt es eine Gerechtigkeit; und unter disfer iſt fie dann auch auf 
der einen Seite dad kleinſte und geringfte, auf ber andern das höchfte 
und größte, was wir fireng und buchfiblich genommen niemals er: 
serchen koͤnnen. Sie iſt dad geringſte, wenn das, wad vor umd 
fieht und was wir erreichen follen, nichts anderes iſt als ein Auße 
res Geſez, welches gegeben if um bie Verhaͤltnifſe der Menſchen zu 
leiten. An dieſem Maaßſtabe ſoll ſich nicht nur jeder meſſen; fon: 
dem den ſoll auch jeder erfüllen: Thut er das nicht, fo wird er 
ein: Hinderiß ber menichlichen Geſellſchaft für. alle; und flatt. ein 
Beſtandtheil derfelben zu fein. wird er vielmehr etwas, dad aus der- 
felben entfernt werben muß, damit fie beſtehe. Das iſt Die Gerech⸗ 


' 
358 . | 
| 


uigkeit, Vie das wenigfte iſt, was weit ſodern Bbunen. Fragen wir 
und nuh, was für einer Gerechtigkeit war ber Menſch fähig, zus 
welcher Gerechtigkeit konnte er es bringen, che der Sohn Gottes auf | 
Erben erfihien? Ach wie arınfelig erfcheint und bad Weichen an 
ber edelſten ber auögebilbetften ver begabteflen Möller in ber menſch 
lichen Geſellſchaff! Was war bad Biel, dab fie vor fih hatten? 
Es war bad Wohlfein einer Heinen Anzahl von Menfdien; um die 
ſes feflzubalten, waren fie in jedem Augenblikk bereit ſich in Feind⸗ 
ſchaft zu ſezen gegen alle anderen. Was war. das Maaß, womit fie 
fih verglichen? Es war immer eine befondere Gefluitung des 
menfchlichen Lebens, wie fie fie in ihrer Geſellſchaft ſchon Fanben, 
wie ein Gefchlecht fie von bem andern ererbte. Wohl uns, daß wir 
einen Hobenpeiefter haben ohne Water und Butter, ohne Geſchlecht, 
und in ihm ein Maaß, nicht ein befonbereö endliches auf biefe ober 
jene Zeit auf dieſen ober jenen Raum beichränftes, ſondern das 
Ebenbild des göttlichen Weſens in menſchlicher Geflalt, den Abglanz 
der göttlichen Herrlichkeit, bad ganze. Gehdlecht ber Menſchen umter 
ſich geftellt und er über bemsfelben ſtehend als das Maag, zu wel 
dyem fie alle hinaufflreben mäffen! Und er mußte eben Deöwegen 
durch den Gehorſam bis zum Rode vollenbet werden, bamit wir ihr 
fo fchauen, Damit feinem mehr irgend ein Zweifel ‚über ihm einfal- 
ien koͤnne, ob er wol biefe ober jene Verſuchung beflanden haben, 
ob er fich wol im biefer ober jener Lage bewährt haben wuͤrde, ob 
nichts Hätte fommen Binnen, was auch ihm zu viel geweien wäre, 
und worin auch er und bad Bild der menfchlichen Schwaͤche dar 
geſtellt hätte. Darum mußten wir in ihm den vollkommenen &e: 
horſam fihauen bid zum Tode am Kreuz, und durch dieſen Gehor⸗ 
ſam werben wir num gerecht, wenn wir ihn in unſer inneres auf: 
nehmen als das Maaß, wonach wir und richten. Darum fagt er 
auch ſelbſt, Wer an ben Sohn glaubt, der konnnt nicht in dad Ge 
richt, -weil er im jedem Augenblikke ſich feibft richtet, weil en bab 
rechte Maaß für fich gefunden bat. 

Aber bin ich nicht in offenbarem Widerſpruch mit dem Apoflel 
geweien, als ich fagte, auf der andern Seite fei die Gerechtigkeit 
das, was wir niemald erreichen, und er fagt, Durch Eines Gehor⸗ 
fam werben viele gerecht? Wir werben gerecht,. aber nur nicht des⸗ 
wegen und in fofern, ald wir ihn als unfer Maaß und vor Augen 
geftellt haben, denn fo’ erreichen wir ihn nicht; aber wohl, weil und 
in fofern wir ihn als die Quelle des Lebens in und aufgenmummen 
haben. Wir werben gerecht, wenn wir nicht mehr leben was wir 
leben im Fleiſch, fondern Chriſtus der Sohn Gottes in uns lebet; 
wenn wir ganz aufgeben in biefem gemeinfamen- Leben,’ beffen Mit: 


. - 


teipundt ex iR. Dean bann kann jeber von ſich ſelbſt ſagen, Wer 
äft bier, der verkamen will? CEhriſtus iſt bier, ber gerecht machti 
Bir find in ihm, ex iſt in und, unzertrennlich iſt er mit denen bie 


an ben Sohn Gottes glauben verpunden, und in biefer Gemein, 


ſchaft mit ip find fie dann wehrhaft gerecht. Gehen wir. aber im 
und felbft zuruͤkk, betrachten wie unfer einzelnes Leben für fich allein ; 
dann vergeffen wir gern was. babiuten iſt und firelien und immer 
nach dem, was por und liegt. Dann wiflen wir wohl, immer aufs 
neue müflen wir zu ibm unfere Zuflucht nehmen, immkrauf ihn 
hinſehen, auf ſeinen Geherſam am Kreuz, immer und fättigen mit 
den Kröften feines Lebens und Dafeind; und bazin iſt das * 
thum in der Gerechtigkeit in der Heiligkeit in der Weisheit, und 
das zuſammen if unſere Erloͤſung durch ihn durch ſein Leben ſeine 
Liebe ſeinen Gehorſam ſeinen Tod. 
Wolan alſo m. th. Fr., was für eine Feier dieſes Todes gibt 

ed bear gemäß für und? Keine beffere gewiß als bie, bag wir auf 

jede Weiſe, wie ex fich uns barbietet — und in dem Mahle feines 
——2 geſchieht Dies auf die innigſte geheimnißvollſte Art — 
ibn auch aufnehmen, indem wir bie Worte ded Lebens. aufnehmen, 
bie wir von ihm empfangen, und bie unverganglich find unter ben 
Menſchen; indem wir niemals ablafien und fein Bild vor Augen 
zu halten; indem wir mit feiner Liebe und unter einander liebens . 
fo daB in unferm ganzen Leben auf bie mannigfaltigfie Weiſe er 
mitten unter nnd it, in der Stille ber einfamen Betrachtung, da 
wo zwei ober brei vereinigt find in feinem Namen, in ben großen 
Berfammiungen der Chriſten, in dem Gebränge ber Welt, in allem 
Thun und Leiden immer Chrifiud in und, Chriſtus unter und, Chris 
ſtus Die Kraft unſeres Lebens, fein Tod die Kraft unfered Gehor⸗ 
ſams gegen ben goͤttlichen Willen, und wir wie er feine andere 
Speife begehrend ald bie, daß wir thun den. Willen unſeres Vaters 
im Himmel. Dazu lafiet uns aufs neue und mit einander ver. 
pflichten unter feinem Kreuz! das fei bie Treue, bie wir ihm gelo⸗ 
ben, der und treu gaweien ift bis in ben Tod; das fei die Nach: 
folge, zu welcher ber Gehorſam bis zum Tode, durch den er iſt voll⸗ 
endet worden, auch und vollendet und und feinem Leben näher 
bringt! Dann werben wir ed einfehen, was bie Schrift fagt, Es 
geziemte dem, der viele feiner Kinder wollte zur Seligkeit führen, 
daß er den Herzog ihrer Seligkeit vollkommen machte durch Beiden 
des Todes *). Amen. 

Ja, heiliger barmherziger Gott und Water, bein Name fi ge: 


7) ger. 4, 10. 





prieſen Für "peine "pädge uns Wei Führung: "ve menſchachen Be 
ſchlechts! Anderd gab es fuͤr und Feine ˖ Seligkelt als die/ Kauf: wir 
trachten nach deinem Reich und nach veffen Getechſigkeit. Um uns 
die zu offenbaren, mußteſt bu deinen Sohn fenben auf Erben‘, ber 
den niebergebeugten Blikk des Geiſtes wieder gen Himmel iberibete, 
das Herz wieder erhöbe und veihägte zu ber wahren Liebe zu dir; 
der und zeigte, wie dein Bild in dem Menſchen lebt; und was es 
fei das Biel der Heiligung, welches uns allen vorgehalten wird. DS 
fo gib ihm denn immer eine größere Menge zur Beute, fo laß denn 
dad Wort von dem Kreuze Chriſti geſegnet ſein ⸗izt und unter allen 
zukuͤnftigen Geſchlechtern! verbreite feinen Schall immer mehr über 
alle Völker der Erde, daß bald Feines mehr fei, wo nicht ſein Rame 
gepriefen wuͤrde, wo wir nit inimer mehr die herrlichen Wirkun⸗ 
gen dieſer göttlichen Verkuͤndigung deiner Liebe und deiner Gnade 
wahrnaͤhmen auch af denen, bie am tiefften ſizen in der Dunkelheit 
und dem Schatten bed Todes! Laß ed und alle erfahren, daß es 
- für uns Feine andere Weisheit gibt ald und immer inniger zu ver⸗ 
einigen mit ihn; Feine andere Seltgleit, als welche kommt aus dem 
Bewußtfein unfered gemeinfchaftlidhen Lebens nit ihm; keinen ande 
ren Frieden, als indem wir und bir darſtellen als Mejenigen, welche 
dein Sohn verfähnt hat durch Leiden des Todes, In: fie die Liebe zu 
bir wieder außgegoffen eben deöwegen, weil du ihn haft ſterben laf- 
Ten für uns, ald wir noch Sünder waren. Und dann wird es bein 
Werk das Werk deines Geifted fein, daß wir aufhört Sindre "zu 
fein, wenn wir glei immer bleiben fündige Menſchen, daß auf die 

Gewohnheit der Suͤnde folge die Gewohnheit DIE Gechorfams gegen 
deinen heiligen Willen, daß und immer mehr ‘alles. zuwibes werde, 
was nicht eingehen kann in ſein Bild, und wozu wir die Achnlich 
Kit nicht finden in ihm, auf: daß unter dieſem Maaße nur. alle ich 
vereinigen, von diefer Kraft ale immer mehr erfüllt erben, und fo 
Chriſtus Geſtalt in und gewinne, unb ſein geiſtiger Leib immer meht 
dargeſtellt werde vor dir als ein Zeuge feiner Beiden und feines No: 
des, aber immer mehr entkleidet von aller Imsolifonmenheit, dakait 
fo er felbft ‘werde der erfigebome, bee Erfling u unker dienen Br: 
den: Amen. 

Lied 907, 


: xxv. ee u | 
Am zweiten Dfersage 1832. 


eied a.‘ Bu, en 
+. “ Er N 


u er. Rules 24, 13. .. 

. Mer an ber Sabbather einem ſehr fruͤhe kamen fie zum 
Grabe und trugen bie &pezerei, bie ſie bereitet hatten, 
und etliche mit ihnen. Sie fanden abe den Stein ab: 
gewaͤlzt von dem Grabe‘ und gingen hinein‘ unb fanden 
den erid bed Herm Jelu nicht, ' 


Du L J 


45? en en 153 
a; a3. Richt‘ um orgüglich ober "andilistenp ‚arahe üben he 
Morean ben: hohe ich fie:ib. yenadeim ,..fanbern ‚mar. ald ben 
Ef in allenxunẽon· Cvquo⸗lien gleichlautenden· Anfang. aller Rache 
richicn ꝓon bex Yaferfiebung hah Heurm. In: biefem Aka. nun 
— *— * [u per web Pu ren 


Do eigenen, Gruß un. qur, eigenen — ihrer Sir übergen 
* Bauch, mit dan. Ergähiangen aus Digi Tagen bekannt find, 
will ieh; chen. auf diefes Gine nämlich: das geheimmißvolle und un. 
eigrichliche in dieſem Auflanbe bed gem. unſere Aufmerkſamkeit 
hinlenken. Vornehmlich aber ſoll es in dieſer Beziehung geicheben, 
bie. gewiß auch keinem unter, und fremd iſt, wie: wir denn pe 
ſchon is aſggemn hautjgem Gebee derſelten emmähnt. haben. daß 


nämlidy wir, bie wir in. ber Taufe mit begraben finb dem altem 
Menſchen nach in den Tod Chrifli, mit ihm auch auferfichen zu ei⸗ 
nem neuen Leben. So flellt und bie Schrift biefes Leben des auf: 
erftandenen Erloͤſers gleichſam ald das Urbilb unſeres neuen geiſti⸗ 
gen Lebens vor Augen, wie wir es burch bie Kraft feiner Erloͤſung 
führen follen. Diefes ift nun jenem Leben der Auferfiehung 
bed Herrn, eben auch was diefed geheimnißvolle und 
unerforfchliche betrifft, ahnlich, und das fei ber Gegenſtand, 
mit dem wir ums in unferer heutigen Aeflbetrachtung unter dem 
Beiſtande des göttlichen Geiſtes beichäftigen wollen. Wir werben 
dabei in Beziehung auf: beides zuerſt zu ſehen haben auf den An⸗ 
fang des neuen Lebens, aber dann auch auf den ganzen Fortgang 
beffelben, fo lange wir hier auf Erben wanbeln. 


1. Die verlefenen Worte der Schrift haben eB vornehmlich 
mit dem Anfange jened, neuen Lebens Ehrifi zu thum. Die erſte 
Kunde, welche feine Juͤnger bekamen, war die, daß das Grab leer 
fei; erſt allmaͤhlig wurden dann in ihnen Vermuthung unb Gewiß- 
beit begründet, es fei deöwegen leer, weil ber Herr erfianden fei 
und nicht mehr unfer deu todten zu finden: aber vom bem eigentü⸗ 
hen Anfange feined neuen Lebens bat Fein ſterblicher eine Wahr 
nehmung gehabt, und Feiner Fonnte mehr fagen als biefes, daS 
Grab fei leer, und ber Herr fei hernach Lebenbig gefehen werben. 
Auch der Evangelift Matthäus, welcher erzählt, ein Engel fei vom 
Himmel berabgeftiegen, habe ben Stein von bem Grabe wegge⸗ 
wälzt und ſich darauf geſezt, fo daß man glauben ſollte, nun werde 
er melden, wie der Herr aus dem Grabe hervorgegangen ſei, ſchweigt 
hleruͤber ebenfs wie alle anberen. 

Wie flieht es num’in diefer Beziehung mit: unſeren newen Le⸗ 
ben? Deſſen koͤmen wir und bewußt fein, daß bie Gnade GSottes 
Ein ſolches ih und angeregt! aber wer bermag ben Anfang deſſelben 
zu beflimmen, mögen sie nun fehen- auf das neue Leben bed ein 
zeinen, oder mögen wir, wit denn dad menfchlicdhe GSeſchlecht der 
Segenflarb der Eiche und der Erlöfung des Herrn geweſen if, die 
Verbreitung biefe® neuen Lebens auͤberall unter dem menfchlichen Ge⸗ 
feglechte ind- Auge faffen? Wer vermag von fich zu ſagen, zu Dies 
fer oder jener beſtimmten Zeit habe dad neue Leben in ihm begon⸗ 
nen, irgend eime fei es leife innere Regung, fei es gewaltſame Er» 
ſchuͤtterung bed Gemuͤths fek der erſte Anfang beffelben gemweien? 
Bielmehr, wenn wir bergleichen vieles fefen in ben erbaulichen Le⸗ 
bendtäufen erwekkter Gemuͤther: fo befommen wir gar häufig auch 
hinterher zu erfahren, daß dieſes Bewußtfein ihnen über kurz oder 








Lang wieber verſchwunden fei wie din Traum, baß fie nachher wie: 
der ungerwiß geworben wären über ihre Berufimg ımb ihren An: 
theil an ber Seligkeit. Aber body waren ſolche Zuflänbe gewiß eine 
Vorbereitung zu dene, was fich erſt hernach durch die Wirkung des 
göttlichen Geiſtes in ihnen entwilfelt hat. Unb nicht anders ift es 
auch, wenn wis auf das große Werk ber Verkuͤndigung des Evans 
geliums unter ben Woͤlkern ber Erde ſehen. Wie fhöne Nachrich⸗ 
ten finden wir in. bez Büchern unfered neuen Bundes von einzel: 
nen Gemüthern, die noch che der Herr wirklich erfchienen war 
ſchon voll waren von bem. Blauben an bie göttlichen Werheißungen, 
die einen Grloͤſer and allem Drukk und Elend und einen neuen 
Bund Gottes mit den Menſchen verſprachen. Diefe Schnfucht eins . 
zeiner, welche feiner Erſcheinung voranging, war fie fchon der Ans 
fang bed neuen Lebens für das menfthliche Gefchlecht? Dann wäre 
daffeibe ja anf gewiſſe Weile unabhängig gewefen von ber wirfli- 
hen Erſcheinung Chriſti af Erben! Sondern nur etwas dieſem 
Leben vorangehended waren. bie Borftellungen, welche folche Gemüt: 
ther esfüßten, wie fehr fie auch aus den Tiefen des göttlichen Wor⸗ 
te3 hergenmmmen waren. Doch wären fie wieder auf ber anbern 
Seite ganz andere geweien, ganz verſchieden von.bem was hernach 
im Erfüllung giuge wie konnten fie ſich dann überhaupt auf ihm 
beziehen? wie Hätte ſich der erſte Glaube an den Erköfer an fie ans 
knuͤpfen Binnen? So verbirgt. ſich und ifo auch bier bes erſte Ans 
fang im einem undurchdringlichen Dunkel. Und wenn wir nun fe 
ben auf die ſpaͤtere Verkundigung des Evangeliumd unter benjenis 
gen Wölfen, welche nichts. wußten ven ben’ göttlichen Verheißun⸗ 
gen, welche in dem dunkelſten Schatten bed Todes fagen: welche 
große Verſchiedenheit finder wit da! Wie leicht: kamen bie: einen 
dee Berkuͤndigung des göttlichen Wortes entgegen, wie wurden fie 
oft in großen Schaaren zu. Bekennern des Evangeliumd umgewans 
deit! und ach, wie oft: und Sange:zmb. doch ‚vergeblich mußte das 
Wort wiebechalt werden bei andeten! Sollen wie nicht fagen, bei 
jenen · erfiuıw: fei ſchon etwas vorangsgangen, was wir boch nur als 
eine. Bewegung, als eine. Wirkung. des göttlichen Geiſtes im ben 
Gemüter. anfehben können? . Und doch giebt es keinen Antheil au 
dem Geiſte Gottes ald durch bie Predigt bed Evangeliums; durch 
kein -Bofez: konmmt er, durch Feine Ruͤhrung kommt er, durch Feine 
allmaͤhlige Gefittung und Wereblung kommt er: fondern immer nur 
geht er aus durch die Predigt von. bem Erloͤſer der Well. So 
wiffen wir auch hier nicht zu. unterfcheiben, was nur Worbereitung 
bfieb, und was wirklicher Anfang wurde. 


os 


- Dasım abet Iaffe uns auch nahähmen m. a. 3., was in Die 
fe Beziehung zwiichen den Juͤngern und den Herrn ſelbſt vorging. 
Sehr oft leſen wir in nden Klagen ber Kuferfehung Pehubes, bag 


jigegungen fd mit — ‚Zsde, uf 
Weiſe er das Grab verlafier babe, wie lange. ſchon che er 
fen unter ihnen erfchien er wieber gewankelt fei in. der erſten 
gendämmerung ober ſchon in bem Dunkel der 8 auf der 

fläche der Erbe. Weber haben fie danach geſragt, noch fuben 
auch irgendwo, daß er ihrem Wunſch mit einer. Erzählung Dow 
Hergang entgegengelommen fe. Er bemuzte dieſe ibm 
verlichene Zelt um mit ihnen. zu veben von bem Reiche 
aber fie. über den Anfang feiner Wiederbelrbung genau 
sen, bad muß ihm nicht fo wichtig erfchienen * daß 
ders hervorgehoben hätte. Den Wiſang umfered neuen 
gegen finden wir oft ganz anders behandelt unter ben 
* nicht zum Vortheil ſandern nur zum Schaden 

Lebens ſelbſt. Wie viele giebt es nicht, weiche auf das 

barauf dringen, ber Menſch folle ihn angeben: können, - 
beöhalb auch jeden, der da glaube und hofft in Ki 
fein, danach fragen, wann denn nun biefe große Umkehrung feines 
Weſens in ihm vorgegangen fei;. im welcher Stunde, in welchen 
Augenblikke er ber Vergebung der Sünden, der lebendigen Gemein⸗ 
ſchaft mit dem Erlöfer gewiß. geworben. Und wie vergehläd 


grringfle: und das erhabenſte iſt für une Ei — i 
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.. ger erfuhren nicht, in welcher Stunde ber vor 
worden fet von ben tobten, amd alfo iſt ed 
a5 dem Geiſt geboren iſt⸗ und wer verlengt © 
wiſſen zu wollen, der treibt ‚einen. fiväflichen Be m mit dem 
beimmißunlien Werk ded gättlichen Geiſtes. D wie oft iſt 
ganz unfcheinbar, ganz in den Tiefen bed Gemuͤthes een: und 
doch der erfie Anfang des neuen Lebens! was hingegen ſchr in bie 

Erfiheinung tritt, heftige Erſchuͤtterungen ber Seele, wie würben bie 
Wenſchen ſich felber taͤuſchen, wenn fie glauben wollten, dadurch ſei 
das neue Beben unzerſtoͤrbar in ihnen gegründet! 

. Mber. 68 giebt noch eine andere Frage, deren wir und in biefer 
Beziehung nicht entichlagen koͤmen. Wiel iſt darüber gefragt unb 
gefiritten worden, feitbem man das gefchichtliche in dem Reiche Gots 


F71 
583 


237 


ted näher zu erforfchen. geſacht hat, ob es mit der Ruferſtehung un⸗ 
ſers Erloͤſers als dem hoͤchſten bedeutendſten unter allem, was wir 
Wunder nennen, ob es damit natuͤrlich zugegangen ſei oder uͤberna⸗ 
tuͤrlich. Viele Chriſten m. a. Z. werden ſchon gleich von der blo⸗ 
Ben Frage abgeſtoßen und weiſen fie zuruͤkk; und wenn fie das des⸗ 
halb thun, weil fie lieber einen ſolchen Streit nicht haben möchten, 
lieber nicht folche Worte gegen einander ſtellen in ben geheimniß- 
:vollfien Dingen, fo haben fie dann freilich ganz recht. Aber laßt 
uns nicht ſcheuen dieſen Streit wenigſtens zu betrachten, um zu ſe⸗ 
hen, wie es ſich damit verhalte. Wenn wir leſen, Chriftus fei auf 
erwekket worden durch die Herrlichkeit bed Waters: o fo werben wir 
alle von dem Eindrukk erfüllt, dies fei eine außerorbentliche eigens 
thümliche nicht mit irgend etwas anderem zufammenhangende ober | 
vergleichbare Dffenbarung der Herrlichkeit des Waterd geweſen; ohn⸗ 
erachtet wir boch auf ber anderen Seite geftehen muͤſſen, daß viels 
mehr alle weſentlichen Ordnungen der Welt, in denen ſich ſeine All⸗ 
macht offenbart, und grade auch die ganz regelmaͤßigen Fuͤhrungen 
und Beweiſe feiner allwaltenden Liebe doch eigentlich die Herrlich⸗ 
keit find, welche wir. mit unferm geifligen Auge wahrnehmen und 
auffafien, an denen wir unfer Leben ftärken und erneuern können. 
Wenn auf der andern Seite ber Apoftel in feiner Pfingftrede die 
Worte aud dem alten Bunde auf bie Auferfiehung des Herm an⸗ 
wendet, Dein heiliger burfte nicht die Verweſung fehen *); und 
wir fragen, was if Die Werwefung anders, als daß der fonft belebte 
und von bem Geſez bed Lebend regierte Leib nun, nachdem der Geift 
davon gewichen ift, dem Geſez ber todten Natur anheimfält: fo 
beginnt die Verweſung mit bem Ende bed Lebens zugleih, und 
fierben und zu verweien anfangen ift nur daſſelbe. Hat ber Apoftel 
alfo, feine Worte eigentlih und fireng genommen, nicht denken 
müffen, das eben des Erlöferd fei doch nicht ganz und gar entflo: 
ben geweſen? weil er fonft doch ſchon wenn gleich nur’in deren er- 
ſten Anfängen die Berwefung muͤſſe gefehen haben. Welch ein nich 
tiger Streit m. g. Fr., und wie viel größer ift gewiß die Weidheit 
derer, welche ihn gar nicht aufrühren! Immer bleibt ed die Herr: 
lichkeit des Vaters, durch welche Chriſtus ift auſerwekket worden 
von den tobten; unb wenn wir fragen, was bazwifchen vorgegan: 
gen fei mit ihm, in ihm, um ihn her: fo kümmern wir und um 
etwas, worüber und Fein Auffchluß gegeben ift, und worüber wir 
auch Feines bebürfen. 





IH. R 


Eben fo nun und nicht anders iſt ed auch mit unferem meuen 
geiſtigen Leben. Der erfie Anfang beffelben ift ja doch bie Erſchei⸗ 
nung beö Herm, bad Fleifchgeworbenfein des Worte auf dieſer 
Erde, daß ber eingebome Sogn menfchliche Geftalt angenommen 
bat und fo unter und gewandelt ifl. Dad wifjen wir, daß er nicht 
hätte fein koͤnnen der eingeborne Sohn, ber von dem Himmel ge: 
kommen iſt, wenn er geweſen wäre, unb geworben wäre ganz und | 
gar auf biefelbe Weiſe wie jedes andere Menſchenkind. Aber wenn 
der Apoftel fagt, Als die Zeit erfüllet war, fandte Gott feinen Sohn, 
und wir und fragen, wie ift ba8? ift es nicht eben der natürliche 
Lauf und Zufammenhang der Dinge, in Beziehung auf welchen es 
einer Erfüllung der Zeit bedarf? war nicht von Ewigkeit her die 
Zeit, wo ber Erlöfer erfcheinen follte, von Gott georbnet und bes 
fimmt? muͤſſen wir ihn aljo nicht zugleich doch anfehen als ein 
Glied in der allgemeinen Kette der Entwilfelung aller menſchlichen 
Dinge? Und wie ift e3 mit dem neuen Leben in einem jeben ein 
zelnen unter uns, ed beginne auf.welche Weiſe ed wolle, wir moͤ⸗ 
gen feinen Urfprung erforfchen können oder nicht? wenn wir das, 
wad bei diejem Anfang in und geichehen ift, anfehen könnten als 
unfer eigene? Werk, oder wenn wir es verfolgen könnten, wie es 
aus den Einwirkungen anderer auf und hervorgegangen fei: wie 
Fönnten wir einen folchen Unterfchied machen, wie wir es ja thun, 
zwifchen dem Zuſtande des natürlichen Menjchen und bem, ber da 
wiebergeboren ift durch den Geift aus der Höhe? Aber auf der 
anderen Seite, wie kommt der Geifl! Danach fragt der Apoſtel 
felbft und antwortet, Durch die Predigt; den Geift erhaltet ihr durch 
ben Glauben und mit bemfelben zugleich, der Glaube fommt aus 
der Predigt, Die Predigt ift die natürliche Bewegung beffen, deſſen 
Herz voll ift, und deſſen Mund deswegen übergehen muß von ber 
göttlichen Gnade in Chriſto. St das nicht alles ber Gang der 
menfchlihen Natur? Können wir hier etwas anderes finden als 
eben diefelben Geſeze des geiftigen Lebens, nach welchen es ſich über: 
all weiter verbreitet? So laßt und doch ja diefen leeren und nich: 
tigen Streit nit zu einem Gegenftande ber Zwietracht machen un: 
ter ben gläubigen! fo wollen wir doc, nicht wunderwelchen Preis 
auf diefed oder jenes Wort fezen! fondern wer da befennt, Sefus 
fei der Chriſt; wer da befennt; daß er das Leben deſſen er ſich er: 
freut durch ihn habe; wer da weiß, daß nur der Geiſt Gottes feis 
nem Geift dad Zeugniß giebt, daß er ein Kind Gottes fi: wozu 
fol der ſich noch irgend genauer gegen uns erklären über das, was 
fi) doch nicht ergründen laßt? oder was fehlte uns noch um ihn 

“in der Liebe des Erloͤſers als Bruder zu lieben? 





259 


Wegen biefer Dunkelheit aber der Anfänge ber Auferftehung 
des Herrn verzeihen wir e3 wol den Süngern, daß fie die erfte 
Nachricht davon daß er wieder Tebe nicht mit einem recht gläubigen 
Gemüth aufnahmen; ja auch wenn fie, ald er ſich felbft vor ihnen 
Darftellte, noch zweifelten und fcheu waren fich ihm zu nähern, fo 
dag er fie dazu aufmuntern mußte und ihnen fagen, er fei fein 
Geiſt, fie möchten fommen und ihn berühren, um das ganze volle 
menfchliche Leben an ihm zu erfennen. Aber ebenfo m. g. 3. wer: 
den wir und auch entſchließen müffen ängftlihen Gemüthern baf- 
felbe zu vergeben, wenn fie auch nach den erften Erfcheinungen des 
neuen unb höheren Lebens in ihnen felbft und bei anderen noch 
Mißtrauen hegen und bange find, ob das, was für ein neues und 
höheres Leben gehalten wird, nicht doch nur eine voruͤbergehende Er 
fheinung fei, eine wefenlofe Wirkung von inneren Bewegungen, de: 
nen aber nichts bjeibendes zum Gründe liegt, fonbern welche vers 
fhwinden, wie fie gefommen waren; wenn fie das höhere Leben 
des Chriften anfehen als eine Erſcheinung, der man nicht nahe tre: 
ten dürfe, welche feine Berührung Peine nähere Erforfchung ver: 
frage, ohne wieder zu zergehen. Und auch weiter, wie der Erlöfer 
feine Jünger auffordert, fie möchten fich nahen, ihn betaften, ihre 
Finger in feine Wundenmale legen und fih auf alle Weife über: 
zeugen, daß er Fleifch und Bein fei, ganz derfelbe, welcher er ge 
wefen: fo laſſet auch uns bafjelbe thun. Es giebt etwas, daß alle 
ſolche Aengſtlichkeiten zerftreut, das ift bie lebendige Wirkſamkeit des 
höheren Lebens in aller unferer Thätigkeit auf Erden; dazu laßt 
und die Menfchen rufen, die nicht glauben wollen, daß es ein hoͤ⸗ 
heres Leben aus Gott gebe, und daß biefed aus der in Chriſto und 
geöffneten Quelle herrühre! laſſet fie und zu Zeugen rufen unferes 
ganzen Dafeind, auf daß- fie in unferem gottgefälligen Thun und 
Wirken, in der Selbfiftändigfeit unfered® auf das Neich Gotted ge: 
richteten Willens erkennen, bier gebe ed ein Fräftiged zufammenhan: 
gendes Leben, beflimmt ebenfo auf andere zu wirken, wie der Erloͤ⸗ 
fer in den Sagen ber Auferfiehung auf bie feinigen wirkte. 


NM. Aber nun haben wir in dem zweiten Theile unferer Be: 
trachtung zu erwägen, wie es benn ſteht um ben Fortgang des Le⸗ 
bens Chriſti in biefen Tagen feiner Auferſtehung? Wie fehr unter: 
ſcheiden fich aber hierin unfere heiligen Bücher eines von dem ans 
dern! Lieſt man das eine, fo follte man glauben, der Erlöfer habe 
fih nur ein Mal ober das andere feinen Süngern gezeigt; in ans 
deren finden wir wieder mehrere Dffenbarungen beffelben erwähnt 
an einzelne ſowol ald an die verfammelte Beine Schaar; und nur 

N 2 


an einem einzigen. Orte in der Gefchichte. ber Apoflel wirb uns 
gleihfam ald eine Nachſchrift zu den Erzählungen von dem neuen 
Leben ded Herm gefagt, es feien vierzig Tage gewefen, während 
deren der Erlöfer fich lebendig erwielen feinen Juͤngern und mit ih: 
nen gerebet babe von bem Reiche Gotted. Aber diefe Zeit, wenn 
wir fie beflimmt angeben können, wie war fie doch auögefüllt?! War 
fie wieder ein befländiged Leben bed Erlöferd mit feinen Juͤngern? 
Kein, immer nur furze Zeit hindurch und unterbrochen ließ er fich 
‚ unter ihnen fehen. Wo er fich die übrige Zeit aufhielt, was er in 
derfelben that ober wirkte, Davon ift und auch nicht die leilefle Spur 
geblieben in den Erzählungen feiner Zünger: fo daß wir glauben 
müffen, bied habe zu bem gehört, worüber fie fich feheuten ihn zu 
fragen. Wenn er erfchien unter ihnen, fo fragten fie nicht, von 
‚wannen kommſt bu Herr? wenn er ſich wieber hinwegbegab, fo 
fragten fie nicht, wohin gebft du Herr? und wenn er Abſchied 
nahm, fo hatten fie nicht den Muth zu fragen, wann unb wie wer: 
ben wir dich wieber fehen? 

Wie fleht es nun in eben bdiefer Beziehung um dad geiflige 
Leben der Kinder Gotted im einzelnen? Das wiffen wir, daß das 
Leben des Herm in ben Tagen feiner Auferftehung ein wahres zu- 
fammenhangended menſchliches Leben war; daß er nicht nur auf 
Augenblikke menfchliche Geftalt. annahm und fie dann wieder von 
fi) warf, um fie wann er mit feinen Züngern reden wollte wieder 
zunehmen: das wiflen wir; benn fonft hatte er unrecht gehabt ih⸗ 
nen zu fagen, er fei nicht ein Geift fondern habe wirklich Fleiſch 
und Bein; fonft hätte er unrecht gehabt fie zu fragen, ob fie etwas 
zu effen hätten, als ob er ein Beduͤrfniß hätte haben können nach 
Speife, wenn es fo um ihn fland! Alſo ein wahrhaft menfchliches 
Leben war bad feinige. Ad) und dad unterbrochene beffelben, wie 
fehr nehmen wir dad in unferem geifligen Leben alle wahr! wie 
wenig bedarf e8 daran erfl erinnert zu werben! wie oft entfchwin- 
det und dad deutliche beflimmte Bewußtfein davon unter den Sor- 
gen, unter den gewöhnlichen Geſchaͤften, unter den Zerfireuungen 
des irdifchen Lebens! wie wenig find wir ficher in jedem Augenbliff 
andere zu fein als alle die, von denen wir freilich oft mit Unrecht 
glauben, daß fie an diefem geifligen Leben gar keinen Theil haben! 
Dennoch ift auch diefed ein zufammenhangended Leben; unb davon 
finden wir ja gewiß auch in dem Verhaͤltniß des Erlöferd mit ſei⸗ 
nen Juͤngern die Spuren. Wenn er unter fie trat und ihnen ſei⸗ 
nen Frieden brachte und mit ihnen redete von dem Neiche Gottes, 
ihnen Aufträge gab für ihr fünftiges Leben: bad waren bie fchönen 
Stunden feiner unmittelbaren perfönlihen Offenbarung; da freuten 





261 


fih die Yünger, daß fie den Herm fahen. Solche giebt es denn 
aud für und, bald in der einfamen Stille der Betrachtung, fei es 
nun daß wir und mehr erwekkt finden zu einem bußfertigen Zuruͤkk⸗ 
ſehen auf die vergangene Zeit, oder daß wir uns im Gebete zu 
Gott ruͤſten auf die Zukunft, welche uns bevorſteht; bald im lie⸗ 
benden Verein mit unſern Mitarbeitern an dem Werke des Herrn, 
mit unſern Mitgenoſſen im Dulden oder im Widerſtehen: o wel: _ 
chem GChriften follte es wol fehlen an folcyen fegensreichen Offenba- 
rungen ber unmittelbaren Gegenwart bed Erlöferd in unferem Ge 
müthe! Aber wie fehr fich auch Die Jünger des Herrn dieſer Er: 
fcheinungen deffelben unter ihnen erfreuten, nie verbrachten fie Doch 
in Diefen Tagen ihre Zeit damit, daß fie gewartet hätten auf ben 
Herm, ob er etwa Fommen werde, fo daß fie inzwifchen die Hände 
folten in den Schooß gelegt haben. Und fo könnte ed auch für 
unfer neues Leben nur fchädlich und verberblich fein, wenn wir daß, 
was und in diefer Welt anvertraut ift, gering achtend immer nur 
warten wollten auf eine Offenbarung bed. Herrn in den Tiefen des 
Gemuͤthes, und alles andere darüber vernachläfligen. So machten 
e3 die Jünger nicht. Wie Fönnten fie zufammen "gelebt haben, ohne 
daß nicht geiflig der Herr immer ihnen ‚gegenwärtig gewefen wäre; 
was Eönnten fie gethan haben, wo fie ganz hätten feiner vergeffen 
follen! Aber er gefellte fi) auch in allen Umftänden zu Ihnen. - 
Nicht nur wann fie zufammen waren bei gemeinfamen Mahlzeiten, 
erfchien er ihnen, oder wann fie mit einander auf dem Wege gin- 
gen und rebeten von ihm, trat er zu ihnen; fondern ebenfo über 
rafhte er fie auch in den Geſchaͤften ihres gewoͤhnlichen Berufs, 
wann ſie mit einander fiſchen gingen, auch da geſellte er ſich zu 
ihnen. Auf dieſelbe Weiſe iſt nun auch wiederum das gewoͤhnliche 
alltaͤgliche Leben der Chriſten, wenn es nur im Glauben und in der 
Liebe gefuͤhrt wird, der gemeinſchaftliche Grund, aus welchem ſich 
jene beſonderen Offenbarungen des Herrn erheben, zwiſchen denen 
wir und aber doch auch, wenn gleich bald mehr bald weniger deut— 
lich, der Gegenwart feined Geifted in unferer Mitte bewußt find. 
Und eben diefed m. g. Fr. iſt die Urſache jenes Scheined, ald ob «6 
keinen wefentlichen Unterfchieb gebe zwifchen diefem höheren Leben 
der gläubigen und dem gewöhnlichen Leben der Menichen. Bon 
diefen höchften befeligenden Offenbarungen der göttlichen Liebe, ber 
Treue des Erlöfers, der Wohnung feines Geiftes in unferer Mitte 
und der Wirkungen bdeffelben in den einzelnen Gemüthern: wie viel: 
fältige Abſtufungen bis zu benen Zeiten, in welchen auch wieber bie 
Schwäche und Gebrechlichkeit dieſes menfchlichen Weſens an das 
Licht des Tages kritt! Und nicht nur daß dad Leben bunt und un: 


gleich erfcheint durch dieſen Wechſel von Entzuͤkkungen ber Froͤm⸗ 
migkeit und von Beſchaͤmungen, durch die wir inne werden, daß 
die Suͤnde noch nicht ganz uͤberwunden iſt; daß der alte Menſch, 
wenn gleich dem Weſen nach getoͤdtet, ſich doch immer noch in uns 
regt durch einzelne Lokkungen und Reizungen; nicht nur dieſes: 
ſondern denen, welche dies Leben am wenigſten kennen, verbirgt ſich 
das geiſtigſte und ſeligſte auch am leichteſten, oder es erregt ihre 
Verwunderung, ob es auch aͤcht fei und wahr; dasjenige aber, wo⸗ 
durch wir allen anderen gleich werben, tritt am hellfien an das 
Licht des Tages. Und je weniger wir und, wie bie Jünger des 
Herm es auch nicht thaten, abſondern und ausſcheiden von dem 
thätigen und gefelligen Leben: um beito mehr breitet fich jene 
mittlere gemeinfame Gebiet aud, auf welchem ſich wenig ober Fein 
Unterfchieb wahrnehmen läßt zwilchen denen, bie von der Liebe Chrifli 
burchdrungen find, und allen andern. Wenn wir und nun body 
nichts deſto weniger bed Lebend mit Chriſto und durch Chriſtum 
bewußt und befien gewiß find in unferem inneren: wozu foll jener 
entgegengefezte Schein und auffordem? Was könnten wir befiered 
thun, damit die göttlichen Segnungen in ihrem ganzen Umfang er: 
kannt und bie Gnade Gottes gebührend gepriefen werde, ald wenn 
wir auf alle Weife darauf bedacht find, unfern Brüdern in ihnen 
felbft auch die leiferen noch faum wahrzunehmenden Wirkungen de3 
Geiſtes aufzumeifen und ihnen die Anfänge jened höheren Lebens in 
ihrem Unterfchiebe von dem was fie gewoͤhnlich bewegt vor Augen 
zu ftellen, auf daß der Wunfch ſich in ihnen rege und fie die Hoff: 
nung faflen, daß jenes fich mehren fönne und dieſes allmählig ver: 
fhwinden! Darum laßt und allen immer mit dem Glauben ent: 
gegenkommen, daß fie ja nicht leben können in dieſer Luft des Gei⸗ 
ſtes ohne von ihr einzuathmen; daß bie reiche Zufammenflimmung 
mannigfaltiger Zöne, welche ber Geift hervorruft, nicht an ihren 
Ohren vorübergehen könne ohne in ihr innere aufgenommen zu 
werben und einen Mitflang hervorzurufen. Und wir felbft wollen 
und immer mehr in dem Glauben befefligen, daß auch die und am 
meiften erfchreffenden Geftalten der Sünde innerhalb der chriftlichen 
Kirche doch nur aus folchen Gemüthern hervorgehen, in welchen 
ber göttlihe Saame ſchon aufgenommen und im Keimen begriffen 
ift, wenn er auch noch lange nicht an das Licht des Tage? tom; 
men follte. 

Weiter aber, weiter ald fo weit werben wir e3 in biefem menſch⸗ 
lichen Leben auf dieſer wechfelreichen Erbe nicht bringen. Der Un: 
terſchied muß fich freilich immer mehr herausſtellen zwifchen dem 
Leben des Geiſtes und dem Leben des Fleiſches; aber wie weit fich 


audy jened vervollkommne: gänzlich verſchwinden wird bach niemals 
in der chriſtlichen Kirche die Spur ber Gebrechlichkeit des menſchli⸗ 

chen Wiberfircbend gegen ben göttlichen Willen im einzelnen. Ja 
DaB 8 des Evangeliums wird immer heller und veiner unter und 


ſcheinen; wir werben immer fefler und Fräftiger burch chriftliche Drbs 


nung und Zucht, durch die Bande ber Liebe bie und vereinigen, 
durch die Einwirkung bed ſtaͤrkeren auf den ſchwaͤcheren zufammen: 
gehalten unb immer mehr bereitet werben zur Wolllommenheit: aber 
anderd wird es auf diefer Exbe nicht! Das neue Leben verbirgt 
fih bei allen einzelnen immer wieber in feinen erfien Anfängen und 
tritt erft allmählig an das Licht bed Tages und vor bad Auge ber 
Welt; und es erfcheint aud dann immer nur als ein wechſelndes 
und unterbrochenes bie und dba in einzelnen Dffenbarungen, wenn 
gleich in allen die dem Herrn angehören bad Bewußtſein wirkt, 
daß fie doch fei ed auch in großer Schwachheit mit ihm in ihm 
und durch ihn leben. 

Aber der Herr, ald nun bie vierzig Tage vollendet waren, und 
ex im Begriff aufgehoben zu werben gen Himmel von feinen Juͤn⸗ 
gern Abſchied nahm, gab er ihnen die Anweifung, fie follten nun 
bleiben in Zerufalem, bid die Werheißung die fie von ihm gehört 
an ihnen würbe in Erfüllung gehen; und als fie ihn fragten, Herr, 
wirft du un biefe Zeit aufrichten das Reich Israel? antwortete er 
ihnen, Es gebühret euch nicht Zeit und Stunde zu wiffen, welche 
der Bater feiner Macht vorbehalten hat. Und eben dies ift nun 
auch unfer Glaube! Es giebt aud für das höhere geiflige Leben, 
wie e3 fich unter den Menſchen entwißkelt, ein Aufgehobenwerben 
gen Himmel; dort ift dad höhere Reich, welches der Herr aufrichten 
wird, dort die volllommene ununterbrochene Offenbarung feiner Ge: 
meinfchaft mit und; dort wirb ed erfcheinen was wir fein werben, 
wann wir ihn fehen werden wie er iſt: aber ed gebühret und nicht 
Zeit und Stunde zu wiffen, welche der Vater feiner Macht vorbe- 
halten hat. Dafür aber laffet und forgen, wie das der Auftrag 
war, den er feinen Züngern gab, baß auch wir feine Zeugen feien; 
daß immer fefter fein Leben fich gründe, immer weiter die chriftliche 
Kirche auf Erden fih erbaue bi an dad Ende der Erde hin; daß 
die Verheißung, wie fie unter und gekommen ift, auch immer reich» . 
licher unter und wohne, die Kraft aud der Höhe als fein Geiſt 
und immer reiner alle befeele. Dazu fei ihm izt und immer unfer 
ganzes Leben geweiht; dafür laßt und arbeiten. und wirken, auf bag 
Chriſtus in uns allen Geftalt gewinne und ſich immer herrlicher in 
und verkläre, Damit auch durch und wenn gleich nur ald durch ein 
ſchwaches Abbild die Welt immer mehr erfenne bie Herrlichkeit des 


200 
eingebornen Sohnes vom Water. Das ſei unfere 


die 
Gottes hinauf⸗ und herabfahren *); und eben fo werben auch wir 
und immer lebendiger bewußt werden diefer Gemeinfchaft feined gei: 
fligen Leibes auf Erben mit ihm felbft dem Haupte im Himmel. 
Amen. | 





*) 30 1, 61. 


Lied 237. 








| XXI. | 
Am 4. Sonntage nad; Oftern 1832. 





Lied 3ß. 103, 1—7. 
Text. Johannis 14, 9. 


Jeſus fpricht zu ihm, So lange bin ich bei euch, und 
dus kenneſt mich. nicht? Philippe, wer mich fiehet, der . 
fieht den Vater. 


M. a. Fr. Die erſte Hälfte unſeres Firchlichen Jahres, beren 
Ende wir uns ist nähern, ift auf eine befondere Weiſe Dazu be 
fimmt, daß wir uns in unferen Berfammlungen mit der Perfon 
des Erlöferd befchäftigen. Sie enthält bie fefllichen Zeiten, welche 
ſich auf fein Andenken beſonders beziehen; wir feiern feine Erſchei⸗ 

nung auf Erden und bereiten und dazu vor; wir haben unfer Aus 
genmerk auf fein Leben gerichtet in der längeren ober Fürjeren Zeit 
jwifchen jenem Feſte und denjenigen, welche dem Andenken feines 
Eeidend und Todes und feiner Auferſtehung befonderd gewibmet 
find; und wir fehen noch einmal auf feine irdifhe Erfcheinung in 
diefen lezten Tagen zuruͤkk, bis wir nun fein gänzliched Erhöhtwer: 
den von ber Erde feiern, welches das legte auf feine Perfon fich bes 
zichende Feft ift und ums in biefen Tagen bevorfteht. Es gibt aber 
eine zwiefache Art, wie wir uns mit der Perfon des Erloͤſers bes 
Ihäftigen. Die eine nämlich ift mehr allgemein, wenn wir ihn und 
vorhalten und vergegenwärtigen ald ben Gegenfland unſeres Glau⸗ 
bens in feiner ihn von allen anderen Menfchen als einen höheren 
unterfcheibenden göttlichen Würde; als benjenigen, in welchem alle 





göttlichen Werheißungen Ya und Amen geworben find, burch wel: 
chen m der göttliche Rathſchluß zur Seligkeit der Menſchen erfallt 
bat. Aber es gibt auch eine andere, nämlich wein wir mit einan- 
der in das einzelne feiner menfchlichen Erfcheinung auf Erben ein- 
gehen; wenn wir feine Reden unb feine Handlungen bei verfchiebe- 
nen Beranlaffungen und in ben merkwuͤrdigen Augenblikken feines 
Lebens mit einander betrachten. Diefe Iezte ift ed, von weldyer ber 
Erlöfer redet in den Worten, die wir izt mit einander vernommen 
haben. So lange bin ich bei euch, fagt er zu feinem Juͤnger, und 
du kenneſt mich noch nicht? Jene allgemeine Auffaffung des Erlö- 
ſers in feiner höheren Würbe ift nicht eine Sache ber Zeit, fie ift 
überall und immer baffelbe; fie iſt das fich gleich bleibende in un- 
ferem Glauben und wieberholt fi in allen frommen Bewegungen 
unfered Gemüthes. Hätte ber Erloͤſer von biefer reden wollen, -fo 
hätte ex nicht fagen dürfen, So lange bin ich bei euch; ſondern nur 
etwa, So Har fo deutlich habe ich mich euch, wäre e8 auch mir in 
‚einem einzigen Augenblilfe, gezeigt als ber, welcher ich bin. Indem: 
er aber fo rebet, wie wir eben vernommen haben: fo druͤkkt er feine 
Verwunderung aud, daß die Länge feines Aufenthaltes auf Erben 
und feined . Lebens, bie mannigfaltigen Momente ihres vertrauten 
Umganges, ‚Die verfchievenen Beziehungen, in benen fie Gelegenheit 
gehabt hatten ihn zu fehen und zu beobachten, ihnen nicht einen 
größeren Gewinn gebracht hätten, ald er aus ber Frage feines Juͤn⸗ 
gers fchliegen mußte. 

Diefe Brage m. a. 3. legen wir und billig auch vor, indem 
wir den gegenwärtigen Abfchnitt unſeres Firchlichen Lebens für dieſes 
Jahr befchliegen. Ueberall wo wir einen Abfchluß machen in un— 
ferm Leben ift ed eines jeden befonnenen Menſchen natürliche Rich⸗ 
tung in bie Bergangenheit zurüßlzufehen, fich zu fragen was fie 
gebracht, ſich Rechenſchaft bauen zu geben wie ex fie benuzt bet. 
Und war jest ber Erlöfer auch wieder. fo oft und fo-Iange der Ge: 
genftand unferer gemeinfamen Betrachtungen: billig fragen wir und, 
was für einen Gewinn wir auch dieſes Jahr davon gehabt haben. 
Aber das kann ein jeder fi) nur beantworten, wenn wir erſt dar 
- aber einig find, was für einen Gewinn wir bavon haben 
follen und koͤnnen. Darauf beutet der Erlöfer eben in ben 
Worten, welche ich gelefen habe, hin. Allein wir binfen doch nicht 
bei dieſen allein flehen bleiben, fondern ben ganzen Umfang der 
Rede, welche mit diefen Worten beginnt, müflen wir im Sinne ba: 
ben: dann wird und deutlich werden, es ift ein zwiefacher Gewinn, 
den ber Erlöfer erwartet, baß feine Jünger von feinem nähen Um; 
gang mit ihnen follten gehabt haben. Nämlich das erfte iſt das, 


207 


was unmittelbar in den Worten unſeres Dextes ſteht, fie follsen ihn 
sum fo erfannt haben, daß er ihnen in ber Rhat zu einge lebendis - 
gen Ankbauung feines und unſeres Vaters im Himmel geworden 
wäre; aber dann ſagt er quch in dem weiteren Verfolg, wenn. ih⸗ 
nen nun durch die Wirkung des Geiſtes, den er ihnen ſenden werde, 
die ganze Fuͤlle der Erinnerung wieder wuͤrde aufgegangen ſein; 
wenn ſich ihnen nun ſein ganzes Leben aufs neue wuͤrde vergegen⸗ 
waͤrtiget haben: dann wuͤrden fie erkennen, daß ex in ihnen fei wie 
der Bater in ihm. Und dad ift alfo ber zweite Gewinn, ben wir 
von der rechten Betrachtung des Exlöferd haben follen, daß wir ihn 
nun in der That in und wohnend finden und ertennen, eben fo wie 
er bier fagt, bag der Vater in ihm fei. Dieſe beiden Stuͤkke m. 

a. Fr. wollen wir und nun in unferer folgenden Betrachtung * 
her vorhalten und erlaͤutern. 


L Zuerſt alſo ſagt ber Erloͤſer, Wenn du mich kennteſt, fo 
wuͤrdeſt du wiffen, dag wer mich fieht,. den Water fieht, 
und würbefl alfo nicht begehren, baß ich dir ben Water: zeigen: fol 
Was meint er: damit anders m. th. Fr., ald dag die Erkenntniß 
deſſen was er if, feiner Art zu fein zu leben zu wirken und eine 
folche Anfchauung von feinem und unferem himmlifchen Vater ge: 
ben fol, dag wir nach Feiner anderen Dffenbarung deſſelben, nad) 
feiner vollſtaͤndigeren und helleren Erkenntniß verlangen als die iſt, 
welche wir in ihm finden. Fragen wir uns nun, was iſt denn das 
Weſen unſeres himmliſchen Vaters, wie es uns diejenigen beſchrei⸗ 
ben, welche am meiſten durch dieſe Schule des Erloͤſers hindurchge⸗ 
gangen ſind und zu einer befriedigenden Erkenntniß Gottes durch 
ihn und in ihm gekommen waren? Was ſagt uns der Juͤnger, 
von dem wir leſen, daß er an der Bruſt des Herrn gelegen habe, 
und daß dieſer ihm eine beſondere zaͤrtliche Zuneigung geweiht hatte? 
Gott, fagt er, iſt die Liebe *). Was fagt jener andere große Apos 
fiel des Herrn, welcher freilich nicht duch den unmittelbaren per, 
ſoͤnlichen Umgang mit ihm erzogen worden war, aber weldem ex 
fih auf eine andere Weife doch ganz ebenſo geoffenbaret hatte, und 
der ausdruͤkklich verlichert, wad er empfangen habe, das habe ey 
nicht von Menſchen, nicht mittelbarer Weiſe durch andere Juͤnger 
bes Herrn, fondern von ihm felbft: was fagt der. von unferem himm: 
Küchen Bater? Er fagt, Der Gott, welchen id) euch verkuͤndige, 
wohnt nicht in Tempeln von Menfchenhänden gemacht, bedarf auch 
nicht, daß Menſchenhaͤnde und menſchliche Sorge irgendwie feiner 





7 130. 4, 16. 


268 

mente und pflege, ober ihm irgenb etwas gebe und barreiche, denn 
er ift ed ber allein allen alle gibt °). Sagt num jener, daß Gent 
die Liebe it, fo fagt dieſer, daß Bott unfer Water im Himmel bie 
allgenugfame Seligkeit iſt, Beine anderen bebürfend, alles in fich 
ſelbſt habend, und alles was irgend einer wahrhaft hat ihm geben 
und verleihend. Wenn nun der Erlöfer fagt, Wenn du mich ſiehſt, 
fo fichk du den Water, fo meint er alfo, daß feine Sünger durch 
ihr Leben mit ihm dahin gefommen fein follten in ihm den Abglarız 
der göttlichen Liebe in menfchlicher Geflalt, und eben dieſelbe nicht 
nur ihm felbft fondern dem ganzen Gefchlechte der Menſchen genu- 
gende und fich demſelben mittheilende Seligfeit zu fehauen. 

Wenn wir den Erlöfer allein auf jene allgemeine Weiſe be: 
trachten in feiner höheren Würbe und ald ben Erfüller des göttli: 
chen Rathichluffes: fo denken wir auf der einen Seite zunaͤchſt da⸗ 
rar, daß er bas Fleiſch gewordene Wort ift, daß ihm bie Fülle des 
göttlichen Weſens einwohnte, welche er verborgen trug in menſch⸗ 
licher Geſtalt; und eben biefe verborgene Majeflät des Sohne Got: 
tes, wenn wir mit ihr allein unfer Gemüth erfüllen, ſtellt es uns 
als etwas faſt zu kuͤhnes dar ihn menſchlich auf menſchliche Weiſe 
betrachten zu wollen und fo mit ihm umzugehen und zu leben. 
Wenn wir in den Erzählungen unferer heiligen Bücher leſen, daß 
ſich Menfchen mit einer gewiflen zuverfichtlichen Dreiftigkeit zu ihm 
wenden und fich an ihn andrängen: fo iſt und bange, dag fie bie 
Ehrfurcht verlegen werben, welche ihm „gebührt; und nichts ſcheint 
und der Wahrheit bed Verhaͤltniſſes angemeffen als eben jene heilige 
Scheu, deren auch hie und ba bie heiligen Bücher erwähnen, daß 
nämlich niemand wagte ihn zu fragen. Aber fo entfremdet fi) uns 
durch biefe einfeitige Betrachtung die natürliche Anficht feines Le⸗ 
bend. Wenn wir ihn allein auf jene allgemeine Weife betrachten 
als den, in welchem fich der göttliche Rathſchluß erfüllt hat; wel- 
cher eben beöwegen durch Leiden bed Todes mußte vollendet werben, 
um herrlich mit Preid und Ehre gekrönt der Grund der Seligkeit 
aller zu werben: fo denken wir und eben dieſe Nothwendigkeit fei- 
ned Leidens und feined Todes nur zu leicht und zu gewöhnlich fo, 
daß fein Todesleiden eigentlich gleichgeltend fein folle allen Leiden, 
weiche die Menfchen ald Strafe verdient hätten mit ihren Suͤnden. 
Darum fcheint und dann die kurze Zeit feines eigentlichen Leidens 
“md zumal ber eigentlich unerforfchliche Augenblikk feines Todes dem 
nicht zu entſprechen; uͤberall moͤchten wir ihn dann ſehen als den, 
weicher von Gott gefchlagen war und von ben Menfchen verachtet; 


überall als den, an weichem kein Wohlgefallen zu fehen war, und 
Feine Schöne am liebſten weber Außerlich noch auch innerlich am 
ihm zu finden. Und fo entfremden wir und burch diefe einfeitige 
Betrachtung die Kieblichkeit, die ihn auch in feinem Leiden, und bie 
Kraft, die ihn bis zu dem Augenblikk feines Todes night verließ, 
Das aber fol uns eben die Betrachtung feiner menfchlichen Erſchei⸗ 
nung auch in biefem Abfdmitte unfered Jahres bewirkt Haben, wie 
ja oft während beffelben unfere Aufmerkſamkeit auf feine Reden mit 
einzelnen Menfchen, auf einzelne Momente feines Lebens bingelenft 
worden ift, daß wir in ihm fehen bie göttfiche Liebe und die goͤtt⸗ 
liche Seligkeit audy in ber Erſcheinung ſeines irdiſchen Lebens, bei⸗ 
des in einander als eins, wie es in dem Vater eins iſt: die Selig⸗ 
keit, die nach nichts anderem ſtrebt als ſich mitzutheilen und aus 
ihrer Fuͤlle zu geben jedem, der nehmen will, und zu ſaͤttigen jeden, 
der hungert und duͤrſtet nach den ewigen Guͤtern; die Liebe als die, 
welche wo ſie ſich den Menſchen zuwendet und ihnen hingiebt 
zugleich den rechten Genuß der Fuͤlle der Kraft und ber Selig⸗ 
keit hat. 

Und-fo m. g. Zr. erfcheint und allerdings ber Erlöfer, wenn 
wir ihn betrachten in feinem menfchlichen Leben. Zinden wir je .. 
etwas anderes in ihm ald Liebe und Freundlichkeit; fucht er nicht 
die Menfchen und ladet fie ein zu fich, damit fie von ihm nehmen 
und empfangen follen was ihnen noth iſt; damit er fie befreien. 
kann von allem waß. fie druͤkkt; damit. Die mühfeligen und belades 
nen bei ibm Ruhe finden Eönnen für ihre Seelen? Und wenn wir 
bisweilen finden, daß er fi auch in harten Reden zu ben Men- 
fehen wendet: was war dad anderd ald auch wieber Liebe zu eini- 
gen, welche von ben anderen zurüftgelest wurden und in Be 
ziehung auf ihr geifliges Leben unterdruͤkkt? ed war feine Liebe, 
weiche dieſe befreien wollte von ben Bubringlichfeiten einer leeren 
Anmapung. 

So fehen wir, je zuſammenhangender wir den Erloͤſer in der 
Erſcheinung ſeines Lebens betrachten, um ſo mehr nichts anderes in 
ihm als die Liebe, welche ſich mittheilen will. Und wo er mißbil⸗ 
ligt, wo er tadelt, wo er ſich über die Gebrechen der Menſchen 
auslaͤßt: was iſt es anders, als daß er ſie zuruͤkkfuͤhren will auf 
dad Beduͤrfniß einer anderen Anleitung, daß fie ſich nicht möchten 
bingeben ben blinden Leitern, fondern ihm, welcher allein das echte 
erleuchtete Auge hatte, woburch er felbft nicht nur hell war durch 
und durch, fondern auch alle erleuchten Tonnte, welche zu ihm auf: 
fahen. Und wenn wir ihn betrachten zugleich in allem bem, worin 
wir ben leidenden Erlöfer erkennen wollen: haben wir uns nur 


suerfi-erfällt mit diefem Biſde der inneren Kraft und Züle, was 
fehen wir dann anderes überall in der Art, wie er der Entwifflung 
feiner Verhaͤltniſſe entgegenging, wie er fein Leiden trug, was ſehen 
wir anders als bie. Freudigkeit des Sohnes, der in dem Willen fei: 
ned himmlifchen Vaters ruhete wie immer, weil er nie etwas an: 
dere zu thun begehrte als diefen heiligen Willen? was fehen wir 
anderes ald die Ruhe des guten Hirten; ber in ber weifen Leitung 
der ewigen Vorficht für die ganze Welt, welche er mit feiner Liebe 
umfaßte, Sicheiheit und Schu; fand? Wie lernen wir dann im: 
mer mehr unterfcheiben den Ausdrukk der Betruͤbniß und des Schmer- 
zes, der in ihm michtd anderes fein konnte als dad Mitgefühl mit 
dem Zuffande der fündigen Welt, beffen Verwerflichkeit fih am 
hellften zu Tage gab in dem Widerjtande, welchen er von der Sünde 
erbulden mußte; biefed Leiden des Mitgefühld wir unterfcheiden es 
dann von dem unmittelbaren innerften Selbftbewußtfein deſſen, der 
wie er den Geift in die Hände feines Vaters befahl auch wußte, 
daß er in deffen Armen ruhte, ber in jedem Augenblikke fi, bewußt 
war in bem Bollbringen des ihm aufgetragenen Werkes begriffen 
zu fein, bis er zulezt fagen konnte, Es iſt vollbradt. Wo gäbe es 
eine ber Natur der Sache angemeffene Betrachtung eined Augen- 
biiftes in dem Leben des Herrn, die nicht zu diefem Bilde immer 
nur einen neuen Zug hinzufügen nur das uns beflätigen Tönnte, 
was auf diefe und jene Weile unfere frühere Betrachtung in unfe 
ren Herzen uns deutlich gemacht hat? 

Aber m. a. Fr., auch den Erlöfer Tennen und unferen Water 
im Himmel in ihm und durch ihn erkennen, wenn es nichts wuͤrde 
und immer nichts anderes bliebe als eben Erfennmiß: fo wuͤrde e3 
damit fein wie mit allem, was weil es nicht in das Leben übergeht 
auch felbft kein Leben hat, fondern tobt if. Darum ſagt der Erloͤ⸗ 
fer, Beil ihr mich denn nun nod nicht fo Fennet, wie ihr mid 
kennen ſolltet; weil dieſes Bild dieſe Anichauung des Waters in mir 
noch nicht feft geworden ift in euren Seelen; ich aber body nun zu 
bem Bater gehe: fo will ich euch fenden den Geiſt, der euch erin: 
nern foll an alled, was ich euch gefagt habe, der euch mein göftli- 
ches Leben nun herrlicher deutlicher vergegenwärtigen fol, daß es 
‚auf eine wirkfamere Weiſe vor euch flehe ald es biöher gefchehen iſt; 
und dann, fügt er hinzu, dann werdet ihr erkennen, daß ich in 
euch bin und ihr in mir, wie ich in meinem Water und ber Ba: 
ter in mir. — 


II. Und das alſo iſt das zweite, wozu uns unſere gemeinfa: 
men Betrachtungen in biefer Weife führen follen, dag wir ben Er: 


| 


271 

löfer in ber That auch immer mehr int und haben und finden, ‚fo 
wie ber Vater in ihm war. Wollen wir aber darliber wie der Bar 
ter in ihm war noch sine nähere Erklärung haben:. fo finden wir 
fie in ben Worten, welche er vorher fagt, Die Worte, welche ich zu 
euch rede, die zebe ich nicht von mir felbft, und die Werke, welche 
ih thue, die thut ber Vater. Dad alio m. Fr., das ift die Art 
und Weile, wie wir ihn immer mehr in uns haben tollen, weil es 
Die iſt, wie er den Vater in ſich hatte. 

Auch in dieſer Beziehung aber ift nichtd mehr zu beklagen, als 
daß jene beiben verfchiedenen Arten den Erlöfer zu betrachten, Die 
allgemeine, welche nur auf feine Würbe und feine Beflimmung als 
auf den Gegenfland unfered Glauben® fieht, und Die, welche in bad 
einzelne feiner menfchlichen Erfcheinung hineinfieht,. fo oft von eins 
ander getrennt werben. Denn, fragen wir und, Was haben benn 
diejenigen von ber Erkenntniß Chrifti,. welche wenn fie gleich ben 
Namen ded GErlöferd keinesweges wollen fallen lafien, dag er uns 
wirkſam werde und almählig verfchwinde, fonbern fie wollen zur 
Kräftigung zur Erleuchtung zur Erhebung der Gemüther fleißig auf 
das einzelne feined Lebens hinweifen, ihn ald ein fchöned und herr 
liches Vorbild darftellen in allen menfchlihen Vollkommenheiten, 
nach denen wir felbft zu trachten haben, aber feine höhere Würde 
und eine anderweitige Erfüllung göftlicher Rathfchläffe durch ihn 
laſſen fie lieber auf fi) beruhen? . Ach, wer nicht an ihm im Glau⸗ 
ben die Herrlichkeit ded eingebomen Sohnes erkennt, dem gerathen 
auch die wohlgemeinteften Beftrebungen das einzelne in dem Leben 
des Erlöferd auf dad unfrige anzuwenden doch immer dürftig und 
leer. Es gibt dann nicht leicht etwas einzelned, wozu wir ein lei⸗ 
tendes Vorbild in feinem Leben auffuchen möchten, daß uns nicht 
von irgendwoher ein anderes entgegenträte, welches und heller und 
fchöner zu leuchten fcheint. Und wenn nun davon, wie er fi in 
den einfachen Berhältniffen feined Lebens erwieſen, die Anwendung 
gemacht werden foll auf bie verwißfelten Verhältniffe des unfrigen, 
und wir fezen nicht gläubig einen völlig reinen göttlichen Grund in 
feinem inneren voraus: ja freilich dann erfcheinen alle Wergleichuns 
gen fhief und unzureichend. Und wenn man dem Beftreben ihn fo 
überall ald Vorbild aber ohne jene Boraudfezung aufzuftellen recht 
auf den Grund geht: fo wirb man befennen müffen, es fei eine era 
folgloje Huldigung, nicht mehr geltenden Vorftelungen bargebracht, 
wenn man den Namen Iefu immer noch aufrecht halten will als 
einen Namen über alle anderen. Aber auf der anderen Seite dieje⸗ 
nigen, die nur bei jener allgemeinen Betrachtung feiner Würde und 
der Art und Weife wie ber göttliche Rathſchluß Durch ihn erfüllt 


23 

fei ſtehen bleiben, ohne daß fie ſich fein menſchüches Leben aneignen 
wollten: was fuͤr umfelige Gtreitigleiten erregen fie uns! welden 
verzehrenden Unfrieden fliftet ihr wohlgemeiuter aber boch- gewiß 
nicht verfländiger Eifer, wenn fie die allein richtigen unb genuͤgen⸗ 
den Ausdruͤkke zur Bezeichnung feiner höheren Wuͤrde und feines 
Verdienſtes feflftellen wollen! Und wie tritt dann allen bie daran 
theilnehmen in bemfelben Maaße das eleuchtenbe und erwärmenbe 
Bild feiner menfchlihen Erſcheinung in ben Hintergrund zuruff! 
Und doch, wie leicht geſchieht es, daß ganze chriſtliche Gefchlechter 
diefed vergeffen und um Worte von fei ed nun geringerer ober grö- 
erer Bedeutung, immer doch um untergeorbnete dad Wort in wel- 
chem das Leben ift verlieren, und in ihrem Eifer nur eine Wirkſam⸗ 
teit der Leidenfchaft offenbaren, weiche fi) nur durch ihren Gegen: 
fland von anderen menfchlichen Leidenfchaften unterfcheidet! Aber 
wenn wir den Erlöfer erfl in dieſem Lichte des Glaubend betrach⸗ 
ten, dann aber mit biefer Einfiht und mit dieſer dankbaren Liebe, 
welche der durch ihn erfüllte göttliche Ratbichluß in uns herverbrin- 
‚gen muß, in das einzelne feined Lebens eingehen: dann Eönnen auch 
wir dieſes Kleinod erlangen, bag wir in Beziehung auf ihn fagen 
tönnen, was er in Beziehung auf feinen Water von fich fagt, Die 
Worte, welche ich rede, die find nicht von mir, und wenn er es 
auch nicht ausdruͤkklich hinzufügt, wen Tann er fie anders zuſchrei⸗ 
ben ald dem Water, und die Werke, bie fagt er grabezu, die thue 
der Bater. | 
Wie weit m. th. Fr. fiheint aber die Chriftenheit von dieſem 
Ziele entfernt? Die Worte, welche wir reden, follen nach jener 
Rede nicht von und fein. Wie er fagt, die welche ex rede wären 
nicht von ihm und nicht die feinigen, fondern feined Vaters: fo fol- 
fen auch die unfrigen nicht von und fein, ſondern die feinigen. Er 
der Eine, beffen Worte ja natürlih alle unter fi zufammenflim: 
men; wir fo ®iele, fo verfchiebene; und doch follte ed möglich fein, | 
dag die Vielen daffelbe Tagen follten in Beziehung auf Eine, wie | 
er der Eine immer nur baffelbe fagen konnte in Beziehung auf ben | 
Water, ber eben auch wie er Einer war und in ihm wohnte? Und 
doch ift dad allein der rechte Geift und die rechte Zuverficht bes 
chriſtlichen Glaubens und ber chriftlihen Liebe! Wohl find wir 
viele und jeder ein anderer, und wir follen und bürfen und biefe 
Verſchiedenheit eben fo wenig verbergen ald wir es vermögen. Nicht 
nur anders fpricht jeber die Worte aud, bie er für die feinigen in 
ſich erfennt, fondern es beruhen auch alle auf einer anderen und 
verfchiedenen Auffaffung ded Einen, benn ſonſt koͤnnten fie nicht fo 
verfchieden lauten. Sollte bad anders fein? Er kann es nicht an: 








2 


ders gewollt haben. Als er in die weite Ferne ber Zeiten und auf 
die verfchiedenen Voͤlker feinen weiffagenden Blikk richtete; als ex 
redete von den Schaafen, die gr habe nicht aus biefem Stalle fon» 
bern anderwaͤrts herz als ex feine Jünger fandte und ihnen befahl, - 
fie follten hingehen unter andere Voͤlker von verfchievenen Sprachen 
und Auffaffungen: wie konnte da anderes als diefe große Mannig⸗ 
faltigkeit ihm vorfchweben? Und boch richtet er an feine Juͤnger 
und nicht nur an fie fondern an alle, die durch ihr Wort an. ihn 
glauben würben, eben biefelbe Vorfchrift. Aber was ifl es, woburd 
die Wahrheit feiner Worte, wenn gleich--jene WBerfchiebenheit eben⸗ 
falls nie vergehen vwolrd, boch immer befleht? Niemals werben ir - 
genb eines einzelnen Menfchen Worte ganz die feinigen fein; aber 
eben beöwegen muß es biefe verfchiebene Art geben, wie bie vielen 
unter: fich verfchledenen feine Worte auffaflen und audfprechen, ba» 
mit das fehlende und das irrige des einen feine Ergänzung finbe in 
den Worten des anderen. Gewiß aber find die Worte, welche wie 
reben, nicht unfere fondern bie feinigen, wenn wir von ihm ſchoͤp⸗ 
fen, und wenn es nicht nur der Wunſch und bie Richtung unferes 
Herzens fonbern wenn es unfer ernſter Wille iſt, daß wir nicht ei⸗ 
genes reden wollen, wo es ſich um bie Angelegenheiten des Heild 
handelt, ſondern das ſeinige. Nur muͤſſen wir nicht etwa verlan⸗ 
gen, daß unſere Auffaſſung des ſeinigen von allen, denen wir uns 
gebrungen fuͤhlen fie mitzutheilen, fo ſolle angenommen werben, als 
ob er felbft geredet hätte. Daffelbe gilt aber auch von den Mor 
ten, welche wir mit andern wechſeln tiber alles, wad und in bem ' 
menfchlichen Leben vorkommt, - in noch fo verfhiebenen. Verhaͤlt⸗ 
niffen, bei noch fo verfchiedenen Geflaltungen der Dinge. Auch 
diefe find doch. in Wahrheit die feinigen, wenn nur immer bie 
Art wie wir das menfchliche Leben auffaflen, wenn nur jeber 
Rath den- wir geben, jebe Darftellung ‚von dem was noth thut, 
wie wir fie aus ben Tiefen unſeres Geiſtes entwikkeln, wenn 
das alles nur noch immer in und hervorgeht-auß dem Drang ſei⸗ 
ner Liebe, mit welcher ex die Menfchen umfaßte, und immer ange: 
fehen werden kann als eine Aeußerung von biefer; wenn nur alle 
—* Ausſpruͤche Zeugniß geben von unſerer ſeſten Zuverſicht zu 
er Wahrheit, welche in ihm war, und welche er uns gebracht hat. 
und in dem Bewußtfein unferer Unvollfommenheit in biefer Hin 
fiht was müßte und denn willkommner fein als eben biefe Ver⸗ 
ſchiedenheit unter denen, die der Geſinnung nach gleich find? Denn 
wie ſicher ſtellt uns dieſe nicht nur daruͤber, daß unſere Bruͤder, 
was wir ihnen nicht geben koͤnnen, anderwaͤrts her empfangen, 
ſondern auch daruͤber, daß wir überall noch Wahrheit erkennen wer: 
HL 


274 


den und feine Wahrheit finden eben fo bei anderen wie bei uns, 
und das, was er aus anderen rebet, auch uns ein Wort der Wahr: 
heit werben könne um uns felbft zu erleuchten und in der Erkennt: 
niß zu. fördern. Aber eben fo follen auch bie Werke, welche wir 
thun, nicht. die unfrigen fein; fondern wie Chriftus fagen konnte — 
und er fagt ed ohne allen Unterſchied nicht etwa nur von dem 
wunderbaren in feinem Leben, fondern auch von dem alltäglichen ; 
es gilt nicht nur dem, wad dem natürlichen Menfchen unbegreiflidy 
war, fondern auch dem, was diefem vollfommen klar ift, aber we- 
sin doch ber erleuchtete Menſch feine göttliche Kraft erkennt; von 
allen fagt ex, die Werke die thue der Water in ihm: fo follen auch 
wir dahin kommen durch die Betrachtung feines Lebens, dag auch 
wir fagen können, die Werke die thut ber Herr in mir, er ber in 
mir lebt; denn was ich noch lebe im Fleiſch, dad lebe nicht ich ſon⸗ 
dern der Sohn Gottes in mir. 

- Sollen wir aber dahin gelangen, fo laßt und nicht vergefien, 
daß wir ed nur fönnen durch die immer erneuerte liebevolle Be 
trachtung feines Lebens, durch das fich immer wiederholende glaͤu⸗ 
bige und verlangende Aufſehen auf ihn. Wie ed in den Tagen 
feined Fleiſches war, wenn ein gläubiged Gemüth, wäre ed auch 
nur einer äußeren Hülfe bedürftig gewefen, fein Gewand anrührte, 
dag eine Kraft von ihm auöftrömte: fo gefchieht ed auch und fo 
foll es immer geichehen, wenn wir eben biefeö äußere Gewand bad 
Sleiſch, m welchem dad ewige Wort wohnte, berühren oder. viel: 
mehr nur es in feinen einzelnen Momenten, in ben verfchiebenen 
Berhöltniffen feines Lebens mit unferem geitiigen Auge betrachten, 
daß eine Kraft von ihm ausgeht; und eben biefe fol fich immer 
mehr ausbilden zu einem ihm angehörigen Leben, ja zu feinem Le 
ben in und Und wenn wir eine foldye Zeit wie bie izige vollenvet 
haben: fo mögen wir uns billig fragen, haben wir, von diefer Kraft 
‚aufgenommen? find unfere eigenen Worte und immer mehr ver: 
ſchwunden, fo Daß wir nichts andered mehr veden möchten als feine 
Worte? haben wir und immer mehr losgemacht von allen Werfen, 
welche wir nicht ihm azufchreiben Eünnen? Mögen wir aber dad 
auch nicht im einzelnen nachzuweilen vermögen: wenn wir und nur 
bewußt find, dag wie mit diefem Willen in fein eben bineinge 
fehaut: haben und dabei und felbft nicht. geichont und ber Flekken, 
die wir an und erblifft haben! Denn Er ift eigentlich der Spie 
‚gel, in den wir fchauen follen, nicht dad ‚geichriebene Wort, fon- 
den Er dieſes Zleiih gewordene Wort; aber dann auch, wenn 
wir in dieſen fehauen, vergeſſen wis nicht, wie wir geſtaltet 








275 


waren, und vergeffen nicht, wie er gefaltet war! Und wenn er 
und in feinem Lichte immerbar und felbft zeigt und offenbart, 
dann werben wir gewiß auch nicht vergeßliche und flüchtige Hörer 
geweſen fein, fondern immer mehr werben feine Worte in uns zu 
Thaten, und ald Xhäter bed Wortes werben wir wirken, indem 
fih feine Liebe und feine Seligkeit in unferem Leben fpiegelt zu 
feinee Verherrlichung und zu feinem Preiſe. Amen. 


- 


tied & 


XXIV.. 
Am 6. Sonntage nad Oftern 1832. 


zied 46. 314. 


Tert. Apoſtelgeſch. 1, ZI und 22. 

So muß nun einer unter biefen Männern, die bei uns 
geweien find die ganze Zeit über, welche der Herr Jeſus 
unter und ift aus: und eingegangen, von der Taufe Jo⸗ 
bannid an bis auf den Zag, da er von und genommen 
ift, ein Zeuge feiner Auferflehung mit und werben. 


M. hr. 3. Ich habe nur wenige Worte aus biefer Erzählung 
herausgenommen, in ber Borausfegung, daß fich aus ihnen jeber von 
und Die ganze Nachricht von ber Wahl eined zwölften Apoſtels in 
bie Stelle des Judas von ſelbſt wirb zu vergegenwärtigen wiſſen. 
Diefe Begebenheit fällt in eben ‚den Zwiſchenraum zwifchen ber Hinz: 
melfahrt bed Her unb der Audgiegung bed Geiſtes an dem Zage 
der Pfingften, den auch wir im Andenken an jene erften Zeiten bes 
Chriſtenthums jezt durchleben. War nun bies ohnflreitig eine große 
unb wichtige Angelegenheit für bie bamaligen Chriſten; bürfen wir 
ed wol geflehen, baß in ber gegenwärtigen Zeit eine lebenbigere 
Theilnahme an allem, was zu unfern firchlichen Einrichtungen und 
unferm gemeinfamen chrifllichen Leben gehört, erwacht ift als nach 
bem Maaße früherer Zeiten: fo mögen wir wol, ba es fich gerade 
in diefen Tagen fo ſchikkt, unfere Aufmerkfamkeit auf jene Begeben⸗ 
beit richten. Denn es Tann nicht fehlen, dag wir nicht follten das 
Ziel unferer Wuͤnſche fefler Ind Auge fallen, ben Weg ber dahin 








277 


führt richtiger beurtheilen, wenn wir erwägen, wie damals bei ei⸗ 
ner ſolchen Beranlaffung dad befte der Kirche ift wahr: 
genommen worben. Und bie rei ber Gegenflanb unerer ; jezigen 
andaͤchtigen Betrachtung. 


L Das erſte num, wovon ich geglaubt habe, es r nöthig uns 
darüber vorgängig zu verfländigen, ift die wichtige Frage: da doch 
damals ber Geiſt Gottes noch nicht ausgegoffen war über die Apo⸗ 
flel, fondern fie noch in ber Zeit flanden, in welcher fie wie der Er⸗ 
löfer ihnen gefagt hatte nur warten follten auf die Erfüllung bef: 
fen, was er ihnen verheißen hatte, ob wir fie tabeln dürfen, als ob 
fie an fo wichtiges Gefchäft wie dies war ‚unternommen hätten 
ohne den Geiſt Gottes? als hätten fie bad Gebot ihres Herrn und 
Meiſters vermachläfligt, indem fie eine fo wichtige Handlung: in eine 
Zeit legten, die er nur ber flillen eingezogenen Ruhe, der Erwar⸗ 
tung und Hoffnung fchon im voraus gewidmet hatte? Ungern moͤch⸗ 
ten wir dad, und doch finden wir allerdings in den Ausdruͤkken 
unferer Erzählung felbft darauf faft hingewieſen! Erſt in dem fol 
genden Kapitel, wo von dem Tage ber Pfingften die Mebe ifl, wirb 
erzählt, daß fie alle'wären voll geworben des heiligen Geifted: fo 
waren fie e8 alfo damals noch nicht! - Und auch von Petrus, dem 
die Worte, welche wir gehört haben, angehören, wirb erſt in Folge 
jenes fpäteren. großen Ereigniſſes gefagt, er habe geredet voll bes 
heiligen Geiftes zu den oberften und zum: Volke Israels. Aber auf 
der andern Seite, was fagt der Apoftel Paulus? Niemand kann 
Jeſum einen Herrn nennen, benn durch den heiligen Gef. Nun 
nannten alle, die bei diefer Gelegenheit verfammelt- waren, fchon feit 
langer Zeit Jeſum ihren Herm und Meifler, und dad Wort war 
in ihnen auch eine wahrbafte That und beftimmte ihr ganzes Les 

ben: wie follten fie alſo bamals nicht auch fchon theilhaftig gewe⸗ 
fen fein bed Geiſtes, ohne welchen, wie der Apoſtel fagt niemand 
Jeſum einen Herm nennen Tann? Erzählt und nicht ber Evange: 
liſt Johannes, wieder Erlöfer ſchon in den Tagen feiner Aufefle 
bung zu feinen Juͤngern geſagt, Nehmet bin den heiligen Geiſt! 
und fie zu gleicher Zeit begabt mit einem folchen Vorrecht, mit ei» 
ner ſolchen Einficht, wozu ed ganz vorzüglich des göttlichen Geiftes 
bedarf, nämlich auf die rechte Gott wohlgefällige mit dem was im 
Himmel gefchieht übereinflimmende Weile den Menfchen ihre Suͤn⸗ 
den zu behalten und zu vergeben? Wenn ed und jezt immer etwas 
aͤngſtliches iſt und uns mit einem. innern Schauer erfüllt, wenn wir 
einzelne Chriſten wie es nicht felten gefchieht in Beziehung auf- die: 
fen oder jenen fagen hören, der fei nicht wiebergeboren aus dem 


—3 


Geiſt, der Habe Beinen Theil an dem Geiſt aus Gott ſondern ge 


böre ganz und gar ber Welt an; ohnerachtet doch überall unter und 
der Name bed Herm genannt wird, und jeder fich dazu befennt, fo 


daß wir in Uebereinflimmung mit bem Worte bed Apoſtels fagen 
müflen, wenn jenes Bekenntniß in bem Munde eined Menfchen nz 
nicht ganz Lüge iſt und Ummahrheit, wenn nur etwas davon wie 


wenig es ES ui) fi and dem innen berborgeht, fo it auch das ein 
Werk jenes Geiſtes, und er iſt ihm nicht ganz fremb unb nicht ge 
ihm: wie follten wir es wagen wirflich zu fagen, Daß 


Ein 


‚ geweien wären ohne ben Geift Gottes? Aber jo war es 


J 


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gehabt hatten, ein hoͤheres Maaß, eine ſtaͤrkere Rex 
göttlichen Kraft; und ehe fie biefe empfangen haͤtten, 
in ber Stile bleiben unter fi) und warten, bis ber götts 


rt 


— 
? 


‚ ſollten fie öffentlich auftreten umb zeugen von ihm durch 
das ganze Land, in welchem fie lebten. In Beziehung hierauf nun 
betrachteten und orbneten die Apoflel bed Herrn auch diefe Sache; 
fie glaubten, indem fie der Erfüllung feiner Worte entgegen ſahen, 
wenn fie hernach gleich anfangen follten feine Zeugen zu fein, fo 
müßten fie auch fo vollzählig beifammen fein wie damals, als er 
ihnen jenes gefagt. In dem Bewußtfein alfo, dag fie dann gleich 
ihren ganzen Beruf in reihem Maaß würden zu erfüllen haben, 
that nun Petrus’ eben biefen Vorſchlag, daß bie auf eine fo beirk: 
bende Weife leer gewordene Stelle wieder folle befezt werben burd) 


einen andern. So angefehen bürfen wir wol nicht anders fagen, 


als daß Petrus auch dieſes ſchon damals gerebet habe durch den 
Geift Gottes, fo dag auch dieſe Handlung wie fie iſt verrichtet wor: 
den als ein Werk beffelben Geiſtes muß angefehen werben, ber aud) 
hernach alled georbnet und geflaltet hat, und wir alfo auch an bie: 
fer ebenfalls die Art und Weile erkennen müffen, wie in ben Ange 
legenheiten ber chrifllichen Kirche immer Toll verfahren werben. Denn 
wie auch bie äußern Dinge in der Gemeinde des Herm werfen, 
der Geiſt bleibt immer derfelbe, und aus ihm und feiner Fuͤlle koͤn⸗ 
nen wir alle Regeln unferd Verhaltens und unferer Wirkſamkeit fo: 
wol für einen jeben in dem Beinen Kreife feines Lebens, als auch 
um fo mehr Died dad größere if in den gemeinfamen Angelegenbei: 
ten und in ber Leitung der chriftlichen Kirche heruchmen. 


des Herm, daß die Schaar derer, die feinen Namen be 


ber Verheißung des Erlöfers nicht gemeint, fonft fände 

erfor) It jenem andern Zone Dei Den wich 
es fo. Er fagt ihnen, fie würden Kraft empfangen, ins 
bem Geiſt Gottes über fie kommen würbe, nämlid zu bem 





ſt komme; und dann erſt, nachdem biefe Werbeifunng wahr 








279° 


So laſſet und denn alfo zunaͤchſt das g · ahren va, bad if 
dieſer Berfammlung beobachtet wurde, näher beirachten. 


N. - Die Erzählung unferd Textes fängt bamit an, Petrus fer 
aufgetreten unter den Yüngern in jenen Tagen; es war aber, heißt 
ed, die Schaar der Namen zu Haufen bei einhundert und zwanzig. 
So viel alfo hatten ſich in jener Zeit zu Ierufalem, wo die Apos 
Kel warten folten auf die höhere und reichlichere Audgiegung des 
Geiſtes, von den Belennern des Herm -zufammengefunden. Vorher 
aber war gefagt worden, nach ber Himmelfahrt feien die, bie ba« 
mals verfammelt gewefen, umgewandt und nach Serufalem zuruͤkk⸗ 
gegangen, und darauf werben angeführt Die Namen ber noch von 
handenen Apoſtel, und. gefagt, dieſe alle wären ſtets bei einander . 
geweſen einmüthig mit Beten und Kleben, fammt Maria der Mut . 
ter Jeſu, fernen Brüdern und ben zur Gefellfchaft gehörigen Wei⸗ 
bern *). Stellt fih und nun hierin nicht eine doppelte Berfamm: 
lung der Ehriften dar: diefe, die immer einmüthig bei einander wa: . 
ven, und. fo wie fie früher fchon bie befländige Gefellihaft des Er⸗ 
Löferd gebildet hatten und gleichfam einen und benfelben häuslichen. 
Kreis, fo auch damals fortfuhren auf eine fo befländige und ner: 
traufe Weiſe mit einander zu leben; naͤchſt diefer aber jene andere 
zwar immer noch Beine aber boch bei weiten größere Schaar berer, 
Die den Namen Jeſu ald des Chrift befannten, die fich damals [chen 
belief auf einhundert und zwanzig? Jene Pleinere Werfammlung 
aber befland aus denen, welche fich des befländigen Umganges, ber 
ununterbrochenen Belehrung bed Herm erfreut, und bie immer in 
der Anfchauung feined Lebens gewandelt hatten, ſeildem fie fich zu 
ihm gewendet. Welche Vorzüge mußten biefe fich nicht zufchreiben 
vor den andern! Aber dies Gefchäft, daß zu den eilf Mpofteln noch 
ein zwölfter follte hinzugefügt werden, vollendete ſich nicht in diefer 
Heineren Verſammlung, fondern bie größere wurde dazu gezogen 
und zmar nicht etwa fo, daß ihr nur wäre mitgetheilt worden was 
die Apoſtel befchloffen hatten, fondern Petrus ald der Sprecher der 
Apoſtel befchränkte fich Lediglich Darauf audeihanderzufeggen, wie und 
weshalb es fich gebühre eine Wahl zu treffen, Damit die leere Stelle 
deffen, der an feinen Drt gegangen- war, auf biefe Weiſe wieder be: 
fezt würbe, und barauf, ba er angiebt, nad) welcher Regel das 
wol gefchehen mäfle. Naͤmlich fagte er, von denen, bie mit ihnen 
gewefen wären von. Anfang des Öffentlichen Lebens Chriſti, das 
heißt von feiner Taufe an bis zu dem Tage, an welchem er von 


) Ap. Geſch. 1, 12— 14 


280 

ihnen genommen wäre, muͤſſe num einer georbnet werben um biefe 
leere Stelle ald ber zwoͤlfte zu ben eilf Apoſteln zu füllen. Wenn 
aber nun bierauf gefagt wird, Umb fie ſtelleten zwei, Joſeph ges 
nannt Barnabad, mit dem Zunamen Juſt, und Matthiam: fo bür 
fen wir dad nicht fo anfehen, als ob außer den Apoſteln nur noch 
biefe vorhanden geweſen wären, welche Ghrifto fo treu. gefolgt was 
ren. Sondern vielmehr, weil ja Petrus fagt, von den Männern, 
die fo lange mit: uns geweſen find: fo müflen wir vorausſezen, es 
habe deren mehrere gegeben; aber bie verfammelse Schaar ſtellte 
aus den mehreren biefe beiden als diejenigen dar, zu benen fie bad 
meifle Vertrauen, von benen fie bie befle Meinung batten, und auf 
welchen fich ihre Wuͤnſche vereinigten, daß einer von biefen ed wer 
ben möge. Und als fie nun biefe beiden geftellt hatten, nahmen 
andy die Apoſtel ed ſich nicht heraus einen von benfelben ſelbſt zu 
wählen; ſondern fie vereinigten ſich mit der größeren Schaar ber 
gläubigen im Gebet, daß Gott ber Herzenskuͤndiger möge feinen 
Willen kund geben, und dann loofeten fie zwilchen beiden, unb das 
2008 fiel auf den Matthiad, welcher fo zugeoronet wurbe zur Se: 
noffenfchaft der Apoftel. 

Died m. a. Fr. kann und in mancher Beziehung wunderbar 
erfcheinen und. nicht ald ein nachahmungswerthes Beifpielz aber laſ⸗ 
fet und nur ehe wir urtheilen die Sache in ihren einzelnen heilen 
und in. ihrem ganzen Zufammenbang erwägen. Zuerſt, wenn eins 
mal einer gewählt werden follte zu den eilfen, konnte ed dann wol 
eine andere Regel batür geben ald die, welche Petrus aufſtellte? Es 
war ja diefelbe Art und Weiſe, wie ber Herr felbft fich hieruͤber zu 
beftimmen pflegte, und die er alfo felbft eingerichtet bat; denn nur 
ſolche gehörten zu der Zahl ber Apoftel, die fi fo ganz und gar 
zu einem gemeinfamen Leben mit ihm vereinigten. Nur bag wir 
eben aus diefer Rebe bed Petrus fehen, daß das doch keinesweges 
ein ausfchließliches Vorrecht diefer zwölfe geweien war; daß es meh⸗ 
vere folcher gab, bie den Erlöfer auf feinem öffentlichen Wege fo 
genau und. befiänbig ald moͤglich begleiteten, wenn fie gleich nicht 
auf diefelbe Weiſe zu feiner befländigen häuslichen Gefellicheft ge 
. hörten: und deshalb Fonnten bie Apoftel auch damals nur auf je 
ned ſehen, das Ieztere aber durften fie weniger beachten. Gab es 
nun wmehrere ſolche, von benen wir nicht fagen fönnen, bee ‚Herr 
felbft habe fie beſonders dazu berufen und erwählt: fo koͤnnen wir 
auch nicht anders glauben, als er habe eine ſolche Begleitung je: 
dem geflattet, ben fein Herz Dazu frieb, und ber fo weit Here über 
- feine Verhältniffe war, baß er auf ähnliche Weiſe wie bie Ayoftel 

ſelbſt ihm folgen fonnte, an wie verfchiebenen Orten er auch fein 








281 

öffentliches Leben führte. Wenn nun ber Apoftel fagt, Einer von 
diefen muß mit uns ein Zeuge feiner Auferfichung werben: fo ſehen 
wir wol aus bem ganzen Zufammenhang feiner Rebe, daß wir das 
nicht auf eine fo genaue und ängflliche Weife zu nehmen haben, als 
ob es dabei allein auf ein Zeugniß für die Auferfiehung des Herrn 
angelommen wäre. Denn fonft hätte Petrus ein richtigered Maaß 
aufftellen können, wie er in einer anbern Rede fagt, Jeſus habe fich 
nach feiner Auferfiehung nicht allem Wolf gezeigt fondern nur uns, 
bie mit ihm gegeſſen und getrunten; dann alfo hätte es nur eines 
folgen beburft, ber den Herm als ben erflandenen gefehen und ges 
kannt hätte, denn jeber folche wäre ein gültiger Zeuge feiner Aufer- 
ſtehung geweſen, und deren wie wir von andenwärts her wiflen gab 
ed ja fehr viele. Denn der Apoftel Paulus erzählt uns im feinem 
erſten Briefe an die Korinther, daß ber Herr erfchienen fei nach feis 
ner Auferfiehung fünfhundert Bruͤdern auf einmal; aber von biefen 
war gar nicht bie Mede, und aus biefen ſollte nicht gewählt wer: 
den, fondern nur aus benen, bie Jeſum begleitet hatten von bem 
Tage feiner Zaufe an bis zum Tage feiner Aufnahme in den Him⸗ 
mel. Zeuge feiner Auferſtehung Tonnte alfo auch nur ber fein, ber 
wie eb anderwaͤrts heißt zeugen Eonnte, wie und auf welche Weile 
Gott fein Kind Jeſus erwellt habe und aufgerichtet zu einem Zei⸗ 
hen, welchem die Menfchen folgen follen, und wie er fich als fol 

ched bewährt bat in feinem ganzen Öffentlichen Beben. Solche bes 
fändige Begleitung ließ aber zweierlei voraudfegen, und das war es 
eigentlich, was Petrus im Namen aller übrigen babei im Sinne 
hatte. Wer den Erlöfer beſtaͤndig fo begleitet hatte, ber Eonnte auch 
die befte Einficht haben in den Zufammenhang feines: ganzen Le⸗ 
bens, feiner Abfichten mit den Menichen, feiner Lehren und feiner _ 
Gebote; dem mußte einiges, was an und für fich wäre unverſtaͤnd⸗ 
lich geweſen, erläutert worden fein durch dad andere; in bem mußte 
fi alles vereittigen zu bem hellen und klaren Bilde von der Herr: 
lichkeit des eingebornen Sohnes, wie fie fih an dem Erloͤſer wäh: 
rend feines . Lebens. ‚gezeigt hatte. Aber nicht nur die Klarheit des 
Bewußtfeind, nicht nur die Vollſtaͤndigkeit der Einficht, ſondern 
vomehmlich auch die Beſtaͤndigkeit und. die Treue des Glaubens 
mußte fih Dadurch bewähren, daß einer fein Begleiter geweſen war 
von dem Anfang feined ganzen Öffentlichen Lebens an. Wenn einer 
nicht hinter fich gegangen war, wie viele andere als fie merkten, 
Chriſtus ſuche nicht dad was fie wollten, weil fie fich vorgeſtellt, es 
fei etwas anderes, wozu er verheißen worden, ald ein geiſtiges Reich 
Gottes; wenn einer nicht. abgefchreftt war dadurch, baß Feiner ber 
oberfien an ihm glaubte, nicht abgeſchrekkt durch fein Leiden und ſei⸗ 


nen Tod: von einem folchen war allerdings aud) zu erwarten, durch 
feine Seele werbe auch bad Wort gegangen fein, daß es bem Tün: 
ger nicht befier ergehen koͤnne als dem Meifter, und daß bie, weiche 
die Zeugen feiner Auferfiehung fein wollten, eben fo wuͤrben gehaßt 
werben von bem Bolfe, wie er. Das m. g. Ir. das war das we⸗ 
fentliche in bem Maaßſtab, welchen Petrus hier aufflellt, unb ber 
felbe Maaßſtab muͤſſe auch immer angelegt werben in allen Ange: 
legenheiten der chrifllichen Kirche. Wie groß und weit unnfaffend 
oder wie bem Anfchein nach und in äußerer Beziehung geringfügig 
ein Auftrag fei, der einem einzelnen gegeben wird als einem Bit: 
glied der chriſtlichen Kirche und für fie: immer und ewig wird es 
wefentlicy auf biefe zwei Dinge .anlommen, auf bie Kiarheit bes 
Beroufitfeind von dem göftlichen Rathſchluß in Chriſto, ber Wuͤrde 
die Gott ihm mitgetheilt, ber Herrlichkeit die Gott ihm gegeben, 
und auf eine Treue in feiner Nachfolge, die durch nichts kann ab: 
gefchrefft und abwenbig gemacht werben. Wenn auch freilich die 
Zeiten ber Verfolgung lange vorbei find, und es fchon feit langer 
Zeit mehr eine Einbilbung iſt, ald daß etwas wahre Darin laͤge, 
wenn einzelne Ghriften oft meinen, auch umter und hätten Die Zeu: 
gen Ehrifti noch manches zu leiben um ihrer Treue und ihre Blau: 
bend willen, — denn wie könnte man das wol ald Leiben achten, 
wad einem in unferer gegenwärtigen Ordnung ber Dinge von be: 
nen begegnen Tann, die nicht gleiches Sinnes ſind? — wenn gleich 
. wir alfo in diefer Beziehung weit entfernt find von bem Gepräge 
jener erſten Zeiten: ach fo iſt doch nichts deſto weniger eine folche 
Treue, eine foldye Anhänglichkeit dasjenige allein, vermoͤge beffen ei» 
ner neben feiner Einſicht neben feiner Klarheit in den Dingen bie: 
. fer Welt zu einem Verkuͤndiger bed Herm zu einem Diener der 
Gemeinde mit Recht und Zug kann befiellt werben. Denn wem 
diefer Sinn fehlt, ja der Bann freilich leicht auf diefe ober jene Seite 
abweichen von dem rechten Wege, ber fann gar leicht, wenn auch 
nicht um Leiden zu entgehen fo Doch um von den Annehmlichkeiten 
und von bem aͤußern Schein der Welt dies ober jenes mehr für bie 
Gemeinde des Herm und ihre angehörigen zu gewinnen, gar leicht 
den rechten Weg der Einfalt verlaflen; wo aber dies beides ift bie 
Einſicht und die Treue, ba ifl auch alled was erfordert wirb, um 
ein Diener der chriſtlichen Gemeinde ein Verwalter ihrer Angelegen- 
heiten ein Verkuͤndiger ded Worte zu fein, kurz zu jedem Geichäft, 
was wir irgend zum Dienft der chriſtlichen Kirche rechnen mögen. 

. Zweitens aber, wenn nun biefe @igenfchaften ſich damals in 
mehreren Chriſten ald nur in diefen beiben vereinigten, bie von ber 
Gemeinde gefiellt wurden, warum flellten fie beun nur biefe zwei? 


Darin mı. th. Fr. liegt ein offenbares Geheimniß, was aber doch 
ein Geheimniß if. Wir find uns fehr ungleiher Empfindungen 
über. Menſchen bewußt, benen wir wenn allein von jenen beiden 
Hauptſtaͤkken die Rede ift denfelben Preis zuerkennen müffen. Wo⸗ 
rauf das beruht, died wie gefagt iſt ein Geheimmiß, in welches wir 
eigentlich nicht eindringen koͤnnen; nur ſoviel wiflen wir, je vereins 
zeiter dieſe befondere Empfindungsweiſe ift in einem ober dem ans 
dern einzelnen gegen dad Urtheil und die Stimme ber Übrigen: 
deſto mehr hat jeder Urſach vorauszufezen, nicht das gemeinfame 
fondern fein Urtheil und fein Gefühl fei verunreinigt und verfälicht, 
und ihm liegt ob zu erforfchen, wie ihm doch dieſes gefchehen fet. 
Eben fo aber auf der andern Seite, wenn dad gemeinfame Gefühl 
einen bebeutenben Unterfchieb ausipricht zu Gunften des einen, zum 
Nachtheil des andern, und zwar fo bag alle zugeben müflen, auch 

der bintangeftellte fei ein treued Gemüth, auch der zuruͤkkgeſezte habe 

Einfiht in das Evangelium, nur daß dad Herz fich ihm nicht eben 

fo zuwenbe; je mehr das eine allgemeine Stimmung ift: um deſto 

nothwendiger iſt es Fuͤrkficht darauf zu nehmen. Denn ſo ſi nd die 

menfhlihen Dinge in diefer Welt eingerichtet, dag nur in dem 

Maafe dad gute gewirkt werben kann bei. gleicher Treue und gleis 

her Einfiht, ald auch eine herzliche Neigung bem ber da wirken 

ſoll entgegentommt. Sind wir nun in manchen andern Werhälts 

niffen oft und auf eine heilfame Weile an andere Regeln gebun⸗ 

den: fo müffen wir boch wol aus dieſem Beiſpiel fchließen, in der 

Gemeinde des Herrn ald folcher, in den Angelegenheiten unferd 

Hriflichen und Eirchlichen Lebens fol Feine andere Regel gelten als 

diefe; da fol die gemeinfchaftliche Stimme derer, weldye es betrifft, 

einem jebem bei übrigens gleich guten Eigenichaften feine Stelle 
anmeifen; ba foll dad gemeinfame Gefühl aller walten, weil es den 
Nuzen verbirgt, den jeder in ber Gemeinde des Herm fliften wirb. 
Endlich aber, wie wurde aud diefen zweien, welche fo burch 

die Öffentliche Stimme herausgehoben waren, da boch nur Einer 
jene Stelle einnehmen konnte, biefer Eine beftimmt? Schon das 
war eine Mäßigung jener Anfprüche des gemeinfamen Gefühls, daß 
bie Schaar ber gläubigen fich nicht herausnahm ſogleich gegen den 
zweiten, welchem faft gleiche Anſpruͤche eingeräumt wurben, zu ent: 
fcheiden; fondern daß fie wenigftend zwei den Apofteln darftellten, 
um nicht willkuͤhrlich und ohne gehörigen Grund ben einen auch 
über diefen zu erheben. Aber auf eine wie fehr von allem was jezt 
unter und Gebrauch und Sitte ift abweichende Weife wurde nun 
aus dieſen zweien einer beflimmt! Daß ed unter Ehriften Feine 
ſolche Wahl geben könne, die nicht begleitet fei von Gebet um goͤtt⸗ 


lichen Gegen, bad wol verficht ſich von ſelbſt; aber erwarten, baf 
füch der Wille des Herzenskuͤndigers kund geben werde durch das 
2008: kann das wol auch jest noch irgenbwo zuläffig fein in der 
chriſtlichen Kirche? müßte und nidyt bange werben, daß ein ſolches 
Verfahren eben fo leicht zum ſchlimmeren ausfchlagen Tönnte? ja 
hieße das nicht Bott verfuchen, da wir ja auf. eine wunderbare Daß 
ich fo fage zauberhafte Einwirkung beflelben rechnen müßten! Da: 
rum laßt und näher zufehen, wie ed denn bamald war. Zuerſt war 
wol die Abficht bei biefem Verfahren bie zu verbinden, daß num 
nicht aus Mangel an befieren Gründen noch irgenb eine Nebenchll: 
ficht mit ind Spiel komme, der man immer nicht mit ganz vollem, 
Vertrauen umd beruhigtem Gewiffen nachgeben. kann. Unb hätte 
man dem was wir Zufall nennen nicht eben ſoviel ald beim Loofe 
eingeräumt, wenn man ed unter zweien, welche bie öffentliche 
Stimme fo gleich geftellt hatte, umd in denen alle weientliche Ei⸗ 
genſchaften vollfommen biefelben waren, darauf hätte ankommen laſ⸗ 
fen, für welchen von beiden eine wahrfcheinlich nur geringe Ueber 
zahl ihre vielleicht nur ſchwach begründete Vorliebe erklärt hättet 
Darum müffen wir es natürlich finden, daß unter dieſen Umſtaͤn⸗ 
den weder die Schaar ber gläubigen noch bie Apoſtel fich derglei⸗ 
. den heraus nahmen, fondern nur ein folched Verfahren für ange: 
meffen hielten, worin fich Feine menfchliche Reigung offenbaren oder 
ein geheimes Spiel treiben Tonnte, bie vielmehr nur dad Bekennt⸗ 
niß enthielt, daß die Kirche gleich gut berathen fein werbe durch 
den einen wie durch ben andern. Dermalen aber, je zufammenge- 
fezter der Maaßſtab tft, nach weichem bie Züchtigleit der Menſchen 
zu öffentlichen Angelegenheiten beurtheilt werden muß unb Tann, 
deſto feltmer if ed, daß man nur auch zweie findet, die einander im 
ſolchem Grade gleich wären. Faͤnde ſich aber auch jezt noch irgend: 
wo ſolche Gleichheit, und würde fie in der That von bem öffentlis 
chen Urtheil anerfannt: dann follte auch eben fo wenig wie damals 
weber eine größere oder Fleinere Verſammlung noch auch ein einzel- 
ner fich einer Entſcheidung anmaßen. Wo auch nur bie Außeren 
Berhältnifle ſo zufammengefezter Art find, daß es an mancherlei 
Beilimmungsgrüunden nicht fehlen kann um auch zwiſchen folchen 
. Mitbewerbern zu entfcheiden, die im wefentlichen einander gleich ge: 
nug find: da bedarf ed einer folhen Verfahrungsweiſe nicht, wie 
die Ehriften bamals wählten, aber von einer folchen Gleichheit aus, 
wie fie hier vorausgefegt wurbe, wo auch äußere Berhältniffe kaum 
in Rechnung kamen, gab es nichts, was größere Sicherheit ge: 
währte, daß fich nichts unreined mit einmilchen koͤnne. Und ſo wol⸗ 
len wir es nicht tabeln, ba man dem, ber alles anfcheinendb zufäls 








lige lenkt, eine freilich hochwichtige Sache auf dieſe Weiſe anheim: 
ſtellte da diejenigen zu Feiner ficheren GEnticheibung in fi fommen 
konnten, bie. babei betheiligt waren; vielmehr werben wir nicht nur 
in jenen Zeiten fonbern auch jezt noch unter denſelben Umflänben 
dad ganz richtig und gut finden, was freilich auch in ben meiften 
unferer gemeinfamen Angelegenheiten jest nicht mehr anwenbbar ' 
fein möchte. 


ML Aber nun laſſet uns zulezt noch fragen, Was hatte denn 
wol Petrus eigentlid für einen Grund ben eilfen einen zwölften 
zuzuordnen? und wie lange find benn bie Ghriften eben ber Regel, 
welcher fie damals folgten, treu geblieben? Der Herr hatte zwoͤlfe 
erwaͤhlt; aber auf welche Weile? unter welchen Umfländen? Dars 
Über find wir wenig unterrichtet! nur biefe Zahl zieht fich unlaͤug⸗ 
bar durch alle unfere Nachrichten hindurch; und fo fcheint es ganz 
natuͤrlich, bag nachdem ber eine hingegangen war an feinen. Dit 
nun ein anderer ald zwölfter beflimmt wurbe zu ben eilfen. Aber 
hätte nicht daſſelbe auch hernach jedesmal geſchehen müflen, wenn 
der Herr einen von ihnen abrief von bem irbifchen Schauplaz feis 
ner ‚Zhätigfeit? Und wir finden nicht, baß es gefchehen feil auch 
reicht es um biefen Unterfchied zu erflären nicht hin zu fagen, baf 
dies bach nur fo lange gefchehen konnte, ald ed noch ſolche gab, wie 
Pers ‚hier fordert, welche nämlich Begleiter bed Herrn geweſen 
wären vom Anfang feines Öffentlichen Lebens bi. an daB Ende deſ⸗ 


ſelben. Denn nicht ‚vide Jahre nach biefer Zeit geſchah es, daß | 


Jakobus, der Bruder bed Johannes, hingerichtet wurbe von Hero⸗ 
des. Damals gab ed. gewiß noch mehrere, bie ben. Hewu begleitet 
hatten durch fein Lehramt; aber niemandem fiel ed ein ihnen au 
damals wieder einen zwölften zuzumählen. Was war alfo dazwi⸗ 
ſchen getreten? Der Herr hatte felbft etwas ‚gethan um bie Zahl 
zu zerſtoͤren. Bwölfe waren nun wieder, nachdem Matthias binzus 
gekommen, und wenige Jahre darauf berief: der Herr einen Apoſtel 
aus den Werfolgern ber GChriften, wandelte ben Saulus in ben 
Paulus um, in ben, von welchem nachher gefagt werben konnte, 
daß er mehr gethan habe ald alle bie anden. Da hob er ſelbſt die 
Zwoͤlfzahl wieber auf, und ſeitdem lieg fi kein Grund mehr den. 
Im, weshalb diefe Zahl folite wieder hergeflellt werden. Worauf - 
bat fie denn aber beruht? warum hatte der Herr grade zwoͤlfe ges 
wählt? und war ed etwas richtiges ober falſches, was ben Petrus 
bei dieſem Vorſchlag leitete? Freilich ſagte ber Herr einft zus ben 
swölfen, fie wuͤrden dereinſt, wenn er fizen wuͤrde auf dem Stuhl 
feiner’ Herrlichkeit, auch figen anf: zwoͤlf Staͤhlen und richten bie 


zwoͤlf Stäinme Isracls. Aber keinesweges wol gehörten bie Apo⸗ 
ſtel jeber zu einem andern von ben zwoͤlf Stämmen Israels, fo daß 
fie ſolchergeſtalt an dieſe Zahl waͤren gebunden geweien. Das fehen 
wir beutlich . auch aus „unferer Erzaͤhlung; dena fonft hätten fie ja 
hierin ganz anders verfahren und vor allen Dingen fragen müffen, 
aus weichen Stamme wol Judas gewefen fei, um aus bemfelben 
Stamme an feine Stelle einen andern zu wählen. Das thaten fie 
aber nit. Weshalb alfo hatte ber Here ihnen ſolches verheigen, 
unb weshalb hielt. er fih an biefe Zahl? Mir ift wahrfcheinlich, 
Daß er auch dies that um zu beweifen, fein Reich fei ein anderes 
Reid, als das weltliche; es folle auch nicht unter benfelben Bedin⸗ 
gungen aufgerichtet werden, wie bad alte Reich ber Nachkommen 
Davids, Darum berief er zwölf, nad) ber Zahl der zwölf Stämme 
Israels ber ungetreuen nicht minber ald ber getreuen; aber nicht 
nach der Verfchiebenheit der Stämme, um anzudeuten, daß nun alle 
frühesen Beftimmungen aufgehoben feien, daß es bei ihm nicht an- 
tommen folle auf Abflammung oder auf Ordnung bed WBelige, und 
daß fein Reich nicht treten folle in bie Fußſtapfen bed alten idrae 
Iitifchen Reiche. Sobald alfo daB erſt recht deutlich war in dem 
Berußtfein feiner Zünger, daß ber Israel nad) bem Gef ein an 
derer. war als der Israel nach dem Fleiſch: fo war ed nicht mehr 
nöthig auf folche Zahl zu halten. Aber fo burchgebeungen im ben 
Sinn des Herrn waren die Apoftel damals noch nicht; und darum 
war es natürlich und geziemte fich für fie an biefer Zahl feſtzuhal⸗ 
‚ten, die ja eine Einrichtung bed Herm wer. Allein bald machte 
der Here ihnen feine Meinung deutlich, ald er den Petrus auffon 
derte in bad Haus eined Heiden zu geben, um .biefen unmittelbar 
Theil zu geben an ber Bemeinfchaft mit dem Erlöfer. Sobald bie 
ſes fetftand ımb anerkannt. war von ber Geſammtheit der glaͤubi⸗ 
gen, brauchte binfort auf keine Zahl mehr gehalten zu werben, bie 
ſich nur auf bad Volk bed alten Bundes bezog. 

Aber auch ein anderes ift zu bebenfen. Durch die Daywi: 
ſchenkunft des Paulus wurbe ja auch jene Regel zerflört, bie Petrus 
damals flelite, daß nur aus benen ein Apoflel gewählt werben ſollte 
weldye ſtets Begleiter bed Herrn geweien waren, Paulus war weit 
entfernt davon gewefen dem Herrn gefelgt zu fein bis zu feiner 
Himmelfahrt; vielmehr war er vorher vielleicht ein Veraͤchter we: 
nigftens ein gleichgältiger, nachher gar ein Verfolger des Henn ges 
weien. Und das darf und nicht Wunder nehmen Natürlich muß: 
ten derer immes weniger werben, welche dad Kennzeichen ber Apo⸗ 
ſtei an ſich teugen, welches Petrus hier angabz darum mußte ein 
anderes an Die Stelle treten, ein anderes dem Namen und dem 














287 


außeren Anſehn nach, aber baflelbe dem Weſen nach. Was half es 
überall mit Ehriflo gewelen zu fein, wenn jemand Doch nicht das 
Leben Chrifti im fich aufgenommen hätte? Die nun dieſes gethan 
hatten, wie viel oder wenig Zeit auch bazu gehert haben mochte, 
und dahin gefommen waren, daß fie mit Paulus fagen konnten, 
Nicht ich lebe hinfort mehr was ich lebe, fondern was ich lebe, das 
lebet Chriftud in mir; Die waren die mußten nun, aud ohne bag 
fie auf eine fo außerordentliche Weiſe Dazu gelegt zu. werben brauch⸗ 
ten, jeder wie er konnte Verkuͤndiger des Erlöferd und Zeugen ſei⸗ 
ner Auferficehung werben. Denn die Liebe Chriſti drängte fie felbf 
dazu; und weſſen dad Herz voll war, beffen mußte der Mund über 
gehen. Und wie nun fo die ganze Gemeine buch ihren Geiſt und 
ihre Erſcheinung Zeuge war: fo konnte auch jene Außere Regel nicht 
mehr gelten. Gine Ungleichheit von biefer Art, wie fie anfänglich 
ſo ſtark hervorgetreten war zwilchen den älteren Chriſten, die fich 
jenes großen Vorrechts erfreuten von dem perfönlichen Leben bes 
Erloͤſers Zeugen geweien zu fein, und ben jüngeren, die durch das 
Bart diefer Zeugen gläubig geworben waren, mußte aufhören, noch 
ehe jenes den Apoſteln gleichzeitige Gefchlecht ganz ausgeftorben war: 
damit es immer mehr fo würde, wie ber Herr es felbft geordnet 
hatte, Ein Herr und Meifter, und alle andern unter fich Brüder 
und feine Diener, alle auf gleiche Weile Gegenflände feiner Sorge 
und Liebe, fowol bie. ber Water ihm felbit gegeben hatte, als bie 
durch deren Wort gläubig geworden waren. 

Und fo m. th. Fr. ift e& immer in ber Gemeinde bed Herm 
und muß auch immer weehr- fo werben. Eine Ungleichheit. freilich 
erzeugt fig immer wieder. Wie Petrus bier, was ber Geift Got— 
tes ihm in feinem innern klar gemacht hatte, der Verſammlung vor 
trug um ed zum gemeinfamen Willen und zu einem Gelommtbe 
fhluß zu machen: fo gefchieht ed immer, daß der Geifl Gottes in . 
einzelnen die erfien Gedanken zu bem was noth thut erwekkt. Kom: 
men nun Zeiten ber Gefahr für Die Gemeinde des Herrn oder der 
Verdunkelung des göttlichen Lichtes: dann hat er fich noch immer 
einzelne Rüftzeuge erwekkt, denen viele zuflimmen und folgen, weil 
fie fein Werk in ihnen erkennen. Aber iſt burch ihren Dienſt das 
Werk wozu ber Herr fie gefandt hatte begründet und zum Gebeis 
ben gebracht: dann verfchwindet auch und zwar in jeder folgenden 
Zeit fehneller der Unterfchieb zwilchen wenigen fo «auögezeichneten 
Dienern ded Herrn und der großen Menge der gläubigen. Dürfen 
wir nun hoffen, daß auch die Ungleichheit der Zeiten felbft von ei: 
nem Geichlecht zum andern immer geringer wird, daß bie Gemeine 
bed Herrn immer weniger aͤngſtliche Verdunkelungen zu beforgen 


haben, unb das eicht von oben ihr immer gleichmaͤßiger ſcheinen 
wird: fo muͤſſen auch ſolche Unterſchiede unter ben einzelnen immer 
weniger in bem Reiche Gottes vorkommen. Der Her beruft und 
erhebt einzelne nur wenn es noth thut; fie achten es aber für ih⸗ 
ven fchönften Lohn, wenn fie in die Gleichheit mit ihren Brüdern 
zurüßftreten, auf daß nichts ſei ald Ein Hirt und Eine Heerde, 
und alle glei werden in berfelben Kraft und in bemfelben göttli: 
chen Leben. Darum gebühret es fich auch, wenn es boch weil Gott 
nicht ein Bott der Unordnung iſt Aemter giebt und Berrichtungen 
in der chrifllichen Kirche, daß biefe keinen andern Urfprung haben 
als aus ber Gemeinde bed Herrn felbfi, damit biefe immer ſtehe 
über benen bie ihre Diener find. Denn in ihr felbft lebt und hat 
feinen Siz ber gemeinfame Geift, welcher alles leitet; und nur in 
ihrem Auftrag mögen einzelne ihrer lieber georbnet werben, ber 
eine zu biefem ber andere zu jenem Gefchäft, Zwar bat Gott fie 
gefezt; denn der Herr ordnet bie Geflalt der Kirche, und was ge 
fchieht geichieht, fo weit es Gedeihen und Segen hat, burch feinen 
Willen: ober ber Geift, durch den er alles wirkt, bat nicht mehr 
vorzüglich feinen Siz in diefem ober jenem einzelnen, in vielen ober 
- wenigen, fondern er ifl in der Gemeinde, er wirket burch fi. Und 

giebt fie einem einen Auftrag ober ein Amt nach den hier und bort 
beftehenben Orbnungen: fo thut fie es in Kraft biefes Geiſtes und 
in ber feſten Zuverficht, daß wer ein Amt hat, wie e8 in unferer 
heutigen epiftolifchen Zection heißt, auch feiner warten wirb, alles 
aus dem Vermögen, das Gott darreicht. Unb fo fommen wir im: 
mer darauf zuruͤkk, Ein Gott und Water, Ein Herr und Meiſter 
und Gin Gef, der. da iſt und waltet in der Gemeinde und fie füh- 
ven wird, wie ein Geſchlecht auf bad andere folgt, von einer Kraft 
zur andern, von einer Serrlichleit zur andern. Amen. 


Lied 308, 5. 6. 








xxv. 
Am 1. Sonntage Trinitatis. 





Lied 19, 1—5. 201. 


Texrt. Apoſtelgeſch. 5, 38 u. 39. 


Und nun fage ich euch, Laßt ab von diefen Menfhen 
und laßt fie fahren. Iſt der Rath oder dad Wert aus 
den Menfchen, fo wird es untergehen; ift ed aber aus 
Gott, fo Eönnet ihr ed nicht dämpfen, auf baß ihr nicht 
erfunden werdet ald die wider Gott ſtreiten wollen. 


M. a. Fr. Als ich mir biefen Text erwählte für unſere heutige 
Betrachtung, fiel mir ein, daB wol auch mancher fragen möchte, 
ob es Recht gethan fer folhe Worte zum Grunde unſers chriſtli⸗ 
hen Nachbenkens zu legen. Es find weder Worte. des Erlöfers, 
noch Worte eined feiner Apoftel, noch Worte eined Menfchen,  wels. 
her das für ſich hat, daß er des Geifted Gottes theilhaftig ſei; es 
find Worte eines Manned, ber ein Mitglied war eben jener Ver: 
fammlung, welche den Tod des Herrn befchlofien hatte. War er 
damals gegenwärtig? Sch weiß es nicht. Hat er bamald auch 
feinen Theil dazu gegeben unb mit ihnen geftimmt für ben Tod 
bed Erloͤſers? Ich weiß ed nicht; das weiß ich aber, hat er es 
gethan und hernach biefen Rath gegeben in Beziehung auf bie 
Apofiel des Herm: o fo muß inzwifchen ein fcharfes Schwert burd) 
feine Seele gegangen fein, und bitter muß er es bereut haben, daß 
er damals in bie Meinung ber übrigen eingeflimmt ohne ſich ges 
nau davon zu überzeugen, ob bad ein Menfchen Thun fei ober ein 
II. . | 8% 





290 


Gcted Wert, wovon es ſich handelte. Und fo fehr bin ich über: 
zeugt, daß diefer Rath ben er hier ertheilt ganz dem Geiſte Chriſti 
gemäß ift und ganz aus feinem Sinne heraus, daß ich gewiß bin, 
wenn ihn der Erlöfer gehört hätte, er würde wenn jemals fo ge: 
wiß zu diefem Mann gelagt haben, Du bift nicht fern vom Reiche 
Gottes. Und fo will ich denn ungeachtet deſſen, dag Gamaliel Fein 
Jünger bed Herrn geweſen und kein Mann bes neuen Teflaments, 
doch diefen Rath, den er hier in Beziehung auf bie Apoflel des 
Herm giebt, und allen and Herz legen ald ben, welchen wir 
in allen ähnlichen Faͤllen zu befolgen haben. Wir werben aber zu 
dem Ende zuerft diefen Rath feinem ganzen JInhalt nach und ge: 
nau vor Augen legen müflen, und dann wirb ed doch wol nöthig 
fein mancherlei Einwendungen, die von guten und eifrigen Chriften 
gegen benfelben gemacht werben könnten, zu befeitigen. 


1. Die Sade ihrem ganzen Zufammenhange nad) war biefe. 
Es war den Süngern bed Herrn, feitbem fie an dem Tage ber 
Pfingften zuerfi öffentlich aufgetreten‘ waren als Verkuͤndiger be3 
Evangeliums, und in Folge deſſen ſich almählig fchon viele Men: 
fhen als gläubige zu ihrer Gemeinfchaft gefammelt hatten, vom 
hohen Rathe verboten worden, fie follten nicht mehr predigen im 
Namen dieſes Jeſu von Nazareth; fie aber hatten dennod damit 
fortgefahren, waren deshalb gefangen gefest worben, und nun wur: 
ben fie abermald vor den hoben Rath geführt. Als nun Petrus 
fi) und feine Genoſſen vertheidigte über das, was fie gethan hat⸗ 
ten: fo gebachten die von dem hohen Rathe die Apoftel nun aud) 
zu tödten, wie fie ben Herrn getöbtet hatten. Da, heißt es, lieh 
Gamaliel die Apoftel hinausführen und fland auf in bem hoben 
Rath und führte manche andere Beiſpiele an, wie auch fonft fon 
bald diefer bald jener aufgeflanden war und unter allerlei Vorſpie⸗ 
gelungen dad Volk auf beforgliche Weife an fich gezogen hatte: wie 
aber alle folche Zufammenrottungen wären zerfläubt worben ohne 
bed hohen Rathed Zuthun; und fo fchloß er feine Rede mit ben 
Worten unferd Terted. Darum ſprach er zu ihnen, Ich fage euch, 
laßt ab von biefen Menfhen! Denn ift auch dies ein Menfchen 
Rath und Berk: fo wird es untergehen, wie jene. Iſt es aber ein 
Gottes Werk: fo würdet ihr ja, wenn ihr ed zu hemmen fucht, als 
folche erfunden, die wider Gott flreiten wollten und zwar ohne al» 
len Nugen und Erfolg. Denn ift es ein Gotted Werk, fo könnt 
ihe es doch nicht bämpfen. 

Indem wir und nun aber diefen Rath feinem eigentlichen In: 
halte nach deutli machen wollen, muͤſſen wir zuerft die Frage die 


291 


wol jedem einfällt beantworten, Was ift das für ein Gegenfaz, den® 
Gamaliel hier aufflellt, zwifchen eineni Rath und Werl von Mens 
fchen und einem Rath und Wert von Gott? Giebt ed denn m 
dem geifligen Leben der Menfchen irgend ein Gotted Merk, das 
nicht zugleich ein Menfhen Werk wäre? Hat jemald der Höchfte 
irgend einen Rath über das menfchliche Gefchlecht anders ausgeführt - 
als durch Menfchen? Mußte nicht das Wort ſelbſt Fleiſch werden 
und als Menſch unter uns wohnen, damit auch das ein Menſchen 
Werk ſei, wodurch der Hoͤchſte ſeinen allgemeinen Rath zum See⸗ 
lenheil an der Geſammtheit der Menſchen ausfuͤhrte? Und auf der 
andern Seite, kann denn irgend wo und wie ein Menſchen Werk 
zu Stande kommen, das nicht auch ein Gottes Werk waͤre? Waͤre 
nicht die Allmacht Gottes zu kurz geworden, wenn irgend etwas 
koͤnnte ausgefuͤhrt werden, Leben gewinnen und eine Kraft aus⸗ 
üben, dem dies nicht von Gott beſchieden waͤre? und iſt dann das 
Werk nicht auch ein Gottes Werk? Steht nicht alles ſo unter der 
Leitung des Hoͤchſten, daß wir alles was geſchieht als ſein Werk 
und als ſeine That anſehen muͤſſen? Und doch hat dieſer Unter⸗ 
ſchied fuͤr uns alle eine tiefe Wahrheit; das Gemuͤth eines jeden 
legt Zeugniß dafuͤr ab, jeder erneuert denſelben in vielen bedeuten⸗ 
den Faͤllen, und ſo ſezte auch Gamaliel ihn als ganz bekannt vor⸗ 
aus. Aber freilich ſoll er und zur Richtſchnur unſeres Verhaltens 
dienen: fo dürfen wir uns auf unfer Gefühl, wie ed in dem einen 
Fall fo in dem andern anderd unterfcheidet, nicht allein verlaffen. 
Sonden wollen wir und eine allgemeine Regel bilden: fo müffen 
wir auch zu einem beutlichen Bewußtſein darüber zu gelangen ſu⸗ 
chen, was es mit diefem Gegenfaz für eine Bewandniß hat. Frei⸗ 
lich das ift gewiß, und das ift ja der Glaube, auf dem die ganze 
Freudigkeit unferd Lebens auf diefem Schauplaz nicht nur bes. 
Kampfes fondern auch ber Sünde ruht, daß alles fo unter der Lei⸗ 
tung Gottes fleht, daß e3 zum guten mitwirken muß; und alfo in 
fofemn: ift alled ein Gotted Werl. Aber bad iſt der große Unter: 
ſchied, ob etwaß fihon feinem erften Urfprunge nach, fo wie es in 
dem Sinn und Geift eined ober mehrerer Menfchen aufgeht, in ih: 
rien felbft diefe Richtung auf das gute hat; ober ob ed davon heißt 
wie dort gefchrieben fteht, Ihr gebachtet ed böfe zu marhen, aber 
Gott gebachte ed gut zu machen *). Denn freilich iff dann dieſes 
Gutmachen dad Werk Gotted; aber wie ed im Sinne der Men: 
fchen gemeint war, fo war e3 böfe. Auf dieſelbe Weife auch, was 
nicht grade böfe gemeint ift aber doch verkehrt und in dem Unver⸗ 





1. Moſ. 50, W 


"fand der Menfchen feinen Grund hat, auch das weiß Gott zu fer: 
nem Willen zu wenden; und dies iſt denn Gottes Werk, jenes aber 
war Menfchen Rath und Eonnte nicht beftehen, fondern mußte einen 
andern Ausgang nehmen, al fie gerechnet hatten. Auf eine andere 
Weiſe ald fo werden wir uns biejen Unterfchied niemal3 koͤnnen 
deutlich mahen. Was feinem innerften Antriebe nach dem Geifte 
Gottes angehört und alfo mit feinem Willen übereinftimmt, das ift 
im voraus Gotted Werk von feinem erften Anfange an. Es kann 
fih hernach freilich auch unvolllommenes darunter mifchen; e3 kann 
auch durch menfchliched Tichten verunreinigt ‘werden: aber dieſe 
fremden Zuthaten find dann ebenfalls ein Menfchen Werk, welches 
untergehen muß, damit jenes allein beftehe. Und auf diefe Weiſe 
werden wir den Unterfchied fefthalten können. Wo wir nur wiſſen, 
was der urfprüngliche Sinn die eigentliche Abficht eined menfchlis 
chen Werkes fei, da werben wir auch unterfcheiden Tonnen, ob «3 
ein Wert Gottes fei zugleich und von dem Geifte Gottes gewirkt 
in der menfchlichen Seele, oder ob ed ein Menfhen Werk fei, nicht 
aus der Erleuchtung des göttlichen Geifted hervorgegangen, und eben 
deswegen nur in dem was Fleiſch iſt an dem Menfchen begründet. 
Wenn daher der Rat) Gamalield in unferem Zerte fagt, Iſt e8 ein 
Menihen Wert, fo muß es untergehen: fo iſt das ganz daffelbe, 
als was anderwärt3 der Apoftel fagt, Wer auf das Fleiſch fäet, der 
fann audy vom Fleifh nur das Berderben ernten, Was nur auf 
ſolche Weiſe entflanden ift und nur foldhen Grund hat, von wie 
vielen es auch für gut gehalten werde, wie feſte Wurzel ed gefaßt 
zu haben fcheine: ed muß doch untergehen; denn es war ſchon von 
feinem Anfang an dem Verderben geweiht. 
Was war nun aber m. dir. 3. in Bezug auf diefen Unter: 
fchied zwifchen Menfchen Wert und Gottes Werk der Rath unfered 
Mannes? Das wefentliche beffelbigen befteht meines Erachtens in 
folgendem. Zuerft dachte er felbft fi und wollte, dag auch dieje⸗ 
nigen an bie er feine Rebe richtete fich denken follten, es fei doch 
eine Möglichkeit, dag das ein von ihnen biöher verfanntes Gottes 
Merk fei, was fie jezt im Begriff waren, wenn fie die Apoftel auch 
zum Zode geführt hätten, fo weit ed in menſchlicher Macht fland 
ganz wieder zu zerflören. Wie war fchon dieſes edel und groß in 
diefem Mann! Er war felbft ein Glied jener Verfammlung, unter 
deren befondere Obhut damals das Gefez ded Herm fammt allen 
baraud hergefloffenen alten Einrichtungen ded Volkes geftellt war, 
welcher oblag dad Volk foviel nur immer möglich bei der ganzen 
Ordnung ded alten Bundes feftzuhalten, und was nur irgend ba: 
von noch befland und noch nicht untergegangen war unter den man: 


293 : 


nigfaltigen Stürmen ber . Zeit. aus allen Kräften zu fehlen; und 
al3 ein ſolcher dachte er ſich doch die Moͤglichkeit, das was er ſelbſt 
mit faſt allen angeſehenen im Volke von Anfang an verworfen hatte, 
weil es ganz und gar ihrem Sinne und ihrer Weife widerfirebte 
und eben fo wenig ben Hoffnungen und Envartungen 'angemeffen 
war, die fie von ber Zukunft hegten: eben dieſes könne doch ein 
Gottes, Werk fein. Bon diefer Möglichkeit aus fagt er nun, in. 
dem Fall, daß ed ein Menſchen Werk fei, hätten fie gar nicht nd: 
thig auf gewaltfame Weile gegen baffelbe einzufchreiten, es werbe 
ſchon untergehen durch feine eigene Schwäche, ſo wie durch die un: 
wiberfiehliche Kraft der göttlichen Anordnung, und durch alles was 
auch von Seiten ber Menfchen aber ohne Gewaltfamkeit und ohne 
zerſtoͤrende Abficht dagegen gefchehen werde. Sei es aber ein Got: 
tes Werk, fo würden fie ed ja nicht dämpfen fünnen; denn was 
durch fich ſelbſt zur Entwikkelung der göttlichen Rathſchluͤſſe gehört, 
dad vermöge Beine menfchliche Macht zu dämpfen: aber fie für ſich 
würden dann erfunden als folche, welche gegen Gott ſtritten. Das 
allo m. a. Fr., das find die beiden Seiten dieſes Rathes; die eine, 
daß es nicht nöthig fei gegen das was Menfchen Werk ift die Ge: 
walt zu Hülfe zu nehmen; bie andere die, dag und nichts übleres 
begegnen. koͤnne, ald wenn wir auch unwiſſentlich gegen ein Gottes 
Werk angehend doch mit unferm Rath mit unferer Mühe nur er: 
funden werben alö folche, die gegen Gott ftreiten. 

Mas nun den erften Theil dieſes Rathes betrifft, fo müffen 
wir ihn freilich fo verfiehen, wie er. dem Zufammenhange nach und. 
dem Gegenftande nach nur will und kann verflanden werben. Daß 
nicht Gewalt zu Hülfe gerufen werden dürfe gegen Menſchen Rath 
und Menfchen Merk, welches fich thätlich vergreift an dem was zur 
göttlichen und menfchlicyen Dronung gehört, daran wird Feiner von 
uns zweifeln: aber das ift ganz die Suche derer, denen es obliegt 
die menfchliche Ordnung in menfchlichen Dingen zu handhaben; es 
iſt Die Sache derer, denen e3 obliegt die guten zu ſchuͤzen gegen die 
Thaten der böfen. Dazu aber war ber hohe Rath des jübifchen 
Volkes nicht mehr gefezt; er hatte ed nicht mehr zu thun mit dem 
äußerlichen Leben in feinen verfchievenen Geflalten, mit den Gefezen 
der bürgerlichen Gefellichaft — denn biefe zu handhaben und zu 
beſchuͤzen, dad war fhon in fremde Hände gegeben; fondern nur 
mit dem Theil des öffentlichen Lebens unter dem jüdifchen Wolf 
hatte es diefe Werfammlung zu thun, welcher fi) in den göftlichen 
Anordnungen und Gefezen gründete, wie Gott Gaben und Opfer 
darzubringen feien, wie Gotted Segen durch Gebet und Gehorfam 
zu erflehen, und wie jeber fich rein und unbeflelkt zu erhalten habe 


als ein Glied des Volkes Gotted. Keinesweges alfo war Gama⸗ 
liels Meinung die, daß wenn nur ber hohe Rath noch dad Anfchr 
gehabt hätte in weltlichen Dingen, und die Apoftel hätten ſich im 
der Erfüllung ihres Berufd irgend etwas zu Schulden kommen 
laſſen, was mit ber Orbnung und dem Beftchen der Gefellihaft 
nicht zu vereinigen gemweien wäre, baß dann nicht aud) gegen fie 
Gewalt hätte gebraucht werben follen; daß fie dann nicht auch hät» 
ten des Todes fterben können, wenn fie ihn nach den Gelezen ver» 
dient hätten: das war feine Meinung nicht, benn bas lag ganz au» 
fer feinem Wirkungdfreife. Aber gegen das was nur geiftig gerich⸗ 
tet werden Eonnte, wenn ed auch Menſchen Wer iſt, ja wenn es 
auch verberhliches Menſchen Werk ift, fol keine Gewalt gebraucht 
werben, Daß aber nicht Dagegen gewirkt und gehandelt werben 
folle mit der Kraft des Geiftes, dad hat er ihnen nicht. abgerathen, 
und daran würde er felbft ed auch nicht haben fehlen lafien. Haͤt⸗ 
ten fie e3 über fich gewinnen Binnen, als bie welche auf ben Stüb» 
len Mofis ſaßen und wie der Herr fagt die Schlüffel ded Himmels 
reichs hatten, fich in einen Streit einzulaffen mit ungelehrten Zeus 
ten wie die Apoftel waren; hätten fie es uͤber ſich gewinnen koͤnnen 
fie zu widerlegen, mit ihnen zu flreiten aus ben Offenbarungen 
Gottes: davon würde Gamaliel fie gewiß nicht zurüflgehalten ha⸗ 
ben; denn das wäre vielmehr ihre Pflicht gewefen.. Hätten fie ihr 
Anfehn über das Volk gebraucht um diefed zu warnen gegen bie 
Apoftel, weil fie fie hielten für Verfuͤhrer des Volks, welche es ab» 
lokkten von der rechten Bahnz hätten fie auch alle die, welche ibs 
nen anhingen und einen Theil ihres Anfehens mit zu genießen bat: 
ten, indgefammt aufgefordert mit allen Kräften des Wortes gegen 
biefe neue Lehre zu flreiten und bie neue Ordnung bed Lebens, 
welche die Apoftel verfündigten und flifteten, dadurch zu befchämen, 
daß fie fie durch ihr eigned Leben überboten: wie gern hätte Gas 
maliel das alled gewähren laffen, ja ſich daran gefreut. Denn nun 
hätten fie ſich mit einander auf dem rechten Kampfplaz befunden, 
wo diefe Dinge müffen gefchlichtet werden; und kämpften dann 
beide Theile auf gerechte Art, fo mußte Necht und. Wahrheit her: 
vorgehen aus folhem Streit. Aber Gewalt follten fie nicht brau⸗ 
chen gegen ein. Unternehmen, was ſich noch gar nicht auf dad Ge 
biet der Gewalt geftellt hatte durch irgend eine Störung, Die davon 
auögegangen wäre. Gewalt follten fie nicht brauchen gegen ein 
offenes Bekenntniß, welche nur von der gewonnenen Weberzeugung 
Rechenfchaft gab, ohne einen andern Zweit ald nur dieſe Weberzeu: 
gung mitzutheilen, fo wie Petrus fich damals in feiner Rebe an 
ben hohen Rath) auögelprochen hatte, 











295 


Das .m. th. Fr. iſt die eine Seite des Rathes, den Gamaliel 
ben Männern vom hohen Rath bed jüdifchen Volks gab! Die an 
dere ift die, daß er ihnen fagt, Wenn es ein Gottes Werk wäre, 
dämpfen würdet ihr es dann doch nicht koͤnnen; bad muß ja eure 
eigene Veberzeugung fein,.fo gewiß ihe an den Gott eurer Wäter 
glaubet; aber ihr würbet bann erfunden werben ald die, welche wi: 
der Gott fireiten. Wenn ed überhaupt wahr ift, daß was in jenem 
Sinn ein. Menfchen Werk ift, weil e3 nicht auf dem Wege zur Er⸗ 
füllung des göttlichen Willend vorzufommen pflegt, auch nothwen⸗ 
big untergehen muß; unb wir wollen und benfen, ein wehlwollen- 
des und wohlgefinntes Gemüth nimmt doch -in einem Zuflande der 
Verbindung biefe Richtung auf folche gewaltfame Weiſe gegen, et: 
was anzugehen, was ihm zwar als ein folched Menfchen Werl .er 
(heint, in der That aber ift ed ein Werk Gottes: je eifriger dann - 
der Menfch alle feine Kräfte an biefen Streit fezt, je beharrlicher 
es fein Ziel verfolgt, je mehr er fucht auch andere in biefelbe Rich⸗ 
tung hineinzubringen, je gewaltiger alfo der Kampf entbrennt ben 
er aufregt; aber endlich kommt bann doch bie Stunde, wo dad 
Gottes Werk fiegt, und fein Beſtreben ſich in feiner Nichtigkeit dars 
ftelit, fo daß aus biefem Erfolge felbit dem eifrigen Streiter erſt 
deutlich wird, was ihm lange hätte deutlich geworben fein Eönnen 
und folen; aber er war in ber Verblendung und: tonnte nicht in 
Ruhe und Stille‘ die Zeichen der Zeit. um fich her beachten und 
prüfen, deren Bedeutung ihm nun freilich and Licht tritt, nun ihm 
aus dem Erfolge Elar wird, daß das das unrechte war, dem er fein 
Leben geweiht hatte: kann e3 einen groͤßern Schmerz geben als die: 
fen? Wenn gar vielleicht erſt zulezt, wo ed nicht mehr möglich iſt 
umzukehren und einen andern Weg einzufchlagen, dem Menichen 
beutlich wirb, wie weit er von dem rechten Wege abgeirt iſt; daß 
er edle und große, herrliche und fchöne von Gott ihm gegebene 
Kräfte gebraucht hat auf eine dem Willen Gottes. ganz zumwiderlaus 
fende Art; fo daß, nun ihm die Schuppen von ben Augen gefallen 
find, er fich ſelbſt fogar freuen muß, daß dad ganze Werf feines Le: 
bend zertrümmert wird: kann es einen tiefen Schmerz geben als 
vielen? So lange daher, ald bad noch moͤglich ift, dag wir in 
Ungewißheit fein Tonnen über irgend etwas, ob es ein Menfchen 
Berk iſt oder ein Gottes Werk: fo lange giebt eö feinen weileren 
Rath ald ben, welchen bier Gamaliel feinen Genoffen gegeben hat; 
keinen, der wirkfamer fein Fan um wohlmeinende Menfchen zurüff: 
zuhalten von dem Wege des Verderbens und jeden zu bewahren, 
daß er fein Leben nicht in den nichtigften Beflrebungen verliere; 
feinen Rath giebt. ed, der zugleich geſchikkter fein koͤnnte um jedem 


; 296 
das rechte Licht anzuzänden auf feinem Wege und ihn fählg Zu 
machen zur Erkenntniß der Wahrheit. 

Darum m. g. Fr., verbinden wir das beides mit einander, fo 
wie es in dieſem Rath des Mannes liegt, daß wir auf der einen 
Seite und hüten vor allem gewaltfamen Cinfchreiten gegen etwa, 
was lediglich auf dem Gebiete bed Geiſtes liegt; auf der andern 
Seite aber und reblich beſtreben richtig unterfcheiben zu lernen Men« 


fhen Werk und Gottes Werk: wie werden wir bann, indem wir 
uns das erfle verfagen, dem anderen doch genügen koͤnnen alö eben 


durch den freieften durch den reinften Austaufch der Gebanten und 


Ueberzeugungen? Denn was wirb berjenige, welcher bei fih feb 


überzeugt iſt, fei ed nun eine neue Lehre ober eine neue Lebendord⸗ 
nung oder irgend ein neuer an bie Geſellſchaft gemachter Anſpruch, 
der ihm entgegentritt, fei ein gefährliche umb verberbliches Ben 
fihen Werk; der aber body, fo lange noch nicht Thaten daraus ent» 
flanden find, welche bie Ahnbung der Geſeze verlangen, fich micht 
getraut auf gewaltfame Weiſe dagegen zu treten: was wirb ber aus 
derd wollen, was für einen andern Weg kann fein Eifer für bes 
gute nehmen, ald daß er fo fräftig er ed vermag feine Uebergeugung 
gegen bie andere fiellt, um ſich und ben Gegnern bettlich zu mas 
hen was er für heilſam hält, und wovon er glaubt, bag ed zum 
Verderben führe? Und indem fo die Liebe zur Wahrheit ihm leitet; 
indem er fich in ſolches Werhältnig einläßt, welches ja nur gebeiben 
fann, wenn er ſich eben fo offen zeigt für die Meinung der andern 
als Träftig in der Darlegung ber- eigenen: was Tann aus folchem 
Beſtreben anders hervorgehen als eine hellere Einficht? wie können 
wir beffer als fo dazu wirken, daß Menfchen Werk ald Menfchen 
Werk ericheine und ſchon dadurch untergehe, che alle die verderbli⸗ 
den Folgen daraus hervorgehen, bie niemald audbleiben koͤnmen bei 
einer zu früben Einmifchung ber Gewalt? Und wenn wir bie rechte 
Ueberzeugung davon haben, wie leicht fich in ben Verwirrungen 
diefed Lebens auch die Einficht der Menfchen verwirrt; wie gefähr: 
lich es ift fich zu früh zu entfcheiden, fo oft neue Gedanken neue 
Anfprüche hervortreten gegen das, woran wir und feit einer Reihe 
von Jahren gewöhnt haben, was ja in und auch nicht unfer eige: 
nes Werk ift fondern Dad Werk vieler vorangegangenen Geſchlechter, 
welches wir nur in und aufgenommen haben; wie leicht wir in Ge 
fahr kommen können, dad neue was ein Gotted Werk ift unter fol: 
chen Umfländen nur für ein verderbliched Werk menfchlicher Eitel: 
feit und .menfchlicher Selbſtſucht zu halten: ja gewiß wir koͤnnen es 
und nicht ernfllich und oft genug vorbalten, wie leicht wir Gefahr 
laufen am Ende doch erfunden zu werben als folche, bie gegen Gott 











firiten! Halten wir und aber auf jenem Wege der Gewalt zu ent: 
ſagen und. bad geiſtige nur burch bad geiflige zu richten: dann koͤn⸗ 
am wir niemals gegen Gott fireiten; dann werben wir jebenfalls 
Werl jeuge Gottes um die Wahrheit ans Licht zu bringen; dann 
werden wir jedenfalls ihm dienen, mögen wir fo lange der Streit 
fortdauert auf der einen ober auf der andern Seite fliehen. Auf 

dieſen allein heilbringenden Weg wollte denn Gamaliel auch die 
Sache des Evangeliums leiten. Hatte man erft ber Gewalt ent: . 
fagt, fo konnte ed dann nicht anberd kommen, ald wie und bald 
barauf in der Gefchichte der Apoftel erzählt wird, dag in den Schu: 
len auf den öffentlichen Lehrflühlen im Angeficht des Volks die 
Vertheidiger ded alten und neuen gegen einander traten; daß Gründe 
gegeben wurden für das Evangelium und für bad Geſez, und alle 
Geſchichten der Vorzeit alle Stimmen ber Wahrheit hervorgezogen, 
um das was Gegenfland des Streited war zu erhellen. Ja wenn 
auch hernach wieber dann und wann folche Ruͤkkfaͤlle kamen, daß 
bie Gewalt fich einmifchte:: fo konnte auch das nur bazu beitragen 
den Sieg der Wahrheit deſto herrlicher zu machen und die, welche 
eben dadurch Daß fie Gewalt einmiichten ihre Theil an dem Gottes 

Wert verloren, in ihrer Nichtigkeit Darzuftelen. 

Dos m. 9. Sr. ift der Rath des Mannes, anwendbar auf als 
les, was wie der damalige Gegenſtand auf dem geiftigen Gebiete 
liegt. Auf dem aber liegt für und nicht nur was unmittelbar die 
Angelegenheiten der chriftlichen Kirche betrifft; nein auf diefem gei- 
ſtigen Gebiet liegt überhaupt alles, was unfere menfchlichen Bew 
haltısiffe angeht. Alles was wer ed auch fei im gemeinfamen Le⸗ 
ben von dem Beſtreben aus wirkt, daß aus dem guten das beffere 
bervorgehe, und daß alle Mängel follen verbeffert werben, fo lange 
dabei nicht eine That eintritt, die vor den Richterfluhl des Gefezed 
gehört, fondern nur Weberzeugungen mit ihren Gründen dargelegt 
werden: fo lange bewegt ſich alle auf dem geiftigen "Gebiet, und 
da wird alles nur richtig gehandelt werben gemäß dem Rath diefed 
Mannes. 


I. Aber wie ich vorher geſagt es iſt zu beſorgen, daß in bei⸗ 
der Hinficht, ſowol auf das was unmittelbar die Angelegenheiten 
ber chriftfichen Kirche, als auf dad was die Angelegenheiten ber 
Hriflichen Voͤlker betrifft, gegen bie Richtigkeit biefes Mathe non 
vielen wohlgefinnten Menfchen werben. Einwendungen gemacht wer: 
den, Laffet fie und vernehmen und fuchen fie zu befeitigen. 

" Zuerft unftreitig werden viele jagen, diefer Rath fei fehr gut 
und. weife gewefen in dem Munde eines Mannes wie Gamagliel. 


Er wußte, bie Dehnung bed Gotteödienfied, die Art wie die Ber 


hältnifle der Menfchen zu Gott beflimmt und aufgefagt wurbese, 
und wie man ihrer wahrnahm, follte nicht ewig bleiben; er und 


alle feine Genoffen theilten die: Erwartung einer befiem Zulumft. 
Neu alfo mußte ihnen noch von oben her gebraht warden; nur 


ob dad, was die Apoftel verkimdigten, eben dieſes fei ober nicht, 
darüber allein war der Streit. Da fie nun zwar wußten, bad was 


fie zu vertheidigen hatten fei doch nicht beftimmt beftehen zu bleis 


ben, von bem bevorftehenden aber keine deutliche Beſchreibung bat: 


ten: fo Eonnten fie nicht anders als im folder Ungewißheit fein, 
und auf biefe Ungewißheit, ob etwas Gottes oder Menfchen Wert 


fei, bezieht fich diefer ganze Rath ded Gamaliel. Bir aber, fo wird 
dann weiter gefragt, dürfen wir denn behaupten in ähnlicher Unge: 
veißheit zu fein? .wir, denen das Licht des Evangeliund leuchtet, 
wiflen wir nicht, daß und nichts neues gebracht werden. fanın, und 
find wir daher nicht-viel flärker ald jene verbunden bad zu verthei⸗ 
digen, was und anvertraut iſt? müffen wir nicht willen, bag inner 
balb bed Gottes Reichs, welches der Herr begründet hat, alle Heil 
der Menfchen liegt und fich nur von diefem aus weiter entwiffeln 
fann? müffen wir alfo nicht fchon im "voraus im Stanbe fein zu 
unterſcheiden, was Gottes Werk iſt und was Menſchen Werk? Ha: 
ben wir aber hierüber Gewißheit: fo iſt uns jener Rath nichts nüge; 
und wir behaupten vielmehr, gegen dad Menſchen Werk mülle uns 
alles auch erlaubt fein, was in unferer Gewalt fieht, für das Got⸗ 
tes Werk muͤſſen wir fämpfen mit allen Waffen, die wir ergreifen 
Eönnen, damit ed nicht Schaden leide. So wäre denmach, wenn es 
alfo liegt, zweierlei zu fagen gegen den Rath unfered Textes. Eiw 
mal, daß er auf eimer Ungewißheit beruhend, unter welcher wir 
nieht mehr leiden, ben Eifer unterbrüfft, welcher bem ungewifien 
zwar nicht geziemt, aber demjenigen nicht nur wohl fleht fonbern 
die pflichtmäßige Stimmung deſſen if, der fich im Beſiz der Wahr 
- heit findet. Wohl! was ich indeß diefer Einwendung zugeben fann, 
ift nur folgendes. Wenn einer kommt um uns ein anderes Evan: 
gelium zu verkündigen, indem er die Behauptung aufſtellt, jezt fei 
die Herrfchaft ded Chriſtenthums ihrem Ende nahe, und und werbe 
jezt von Gott ein andered Licht gefendet um und zu erleudhten: 
dann follen wir allerdings gewiß fein, das fei Menfchen Werk; aber 
doc) folgt hieraus noch nicht, dag wir dagegen auf andere Zeile 
ald mit dem Schwert ded Geiſtes zu kaͤmpfen hätten. So lange 
feibft die Anhänger einer folchen Behauptung doch nicht anderes 
thun, als daß fie den Wahn von weichem fie beſeelt find als ihre 
Ueberzeugung geltend zu machen fuchen: fo gebuͤhret auch und nichts 


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anderes ald mit dem Worte Gotted mit. den Waffen des Geiſtes 
gegen fie zu flreiten, mit unferer göftlihen Gewißheit gegen ihren 
menfchlihen Wahn mit unferer feſten Uebergeugung gegen ihre 
ſcheinbare Lehre aufzutreten. Sollten jene hingegen einen anderen 
Weg einichlagen; "follten fie jemald Gewalt gebrauchen gegen bie 
Gemeinde des Herm: ja dann wirb es auch unfer guted Hecht fein 
ben Schuz .berer anzuflehen, welche unter chriftlichen Voͤlkern nad) 
göttlicher Ordnung verpflichtet find die guten zu ſchuͤzen gegen bie 
böfen. Anders hingegen ift es innerhalb der chrifllichen Kirche; ac) 
und hier ohne daß einer von beiden heilen hätte ben Namen des 
Herrn verläugnen ober etwas ganz neued außerhalb feines Reiches 
ſeiner Lehre ſeiner Wahrheit ſeiner Ordnung ſuchen wollen: wie viel 
Streit hat es doch von Anfang an gegeben! wie vieles iſt nach 
einander aufgeſtanden, was als Gottes Werk wollte anerkannt ſein 
und nur Menſchen Werk war! wie vieles iſt lange Zeit hindurch 
als Menſchen Werk verdammt worden und war doch Gottes Werk! 

Gleich in den erſten Tagen des Evangeliums, was fuͤr ein heftiger 
Eifer entbrannte, als die Lehre aufkam, daß bie göttliche Gnade in 
Chriſto mabhaͤngig ſei von der Abſtammung von Abraham, von der 
Theilnahme an ben Verpflichtungen des alten Bundes! und doch 
war dieſes das rechte "Gottes Werk: denn darauf beruhete die Ver- 
breitung des Evangeliums unter alle Menfchen. Aber wie wurde 
es für ein Menfchen Werd angefehen gleich in den erſten Tagen bed 
Chriſtenthums! wie heftig wurbe ed als ſolches befiritien! Und 
wir, die wir der evangelifchen Kirche angehören, wie gefchah es in 
jenen Tagen ber Werbefferung unferd Glaubens und Lebens? wurde 
fie nicht von dem bei weiten größten Theil ber Chriflen für ein 
firäfliches Menfchen Werk gehalten? und doch find wir fo innig 
überzeugt, ed war ein Gottes Werk, es war die Errettung aus ber 
Finſterniß und dem Werderben, und wiflen, baß wir feitdem erft in 
der Freiheit der Kinder Gottes fliehen und uns an ber Kraft des 
Evangeliumd freuen. Warum m. th. Zr., warum hat ber Herr zu: 
gelaffen, daß auf ſolchem Wege fein Reich. auf Erden gefördert wer: 
den fol? warum denn fo viel Streit, ald nur um und weife zu 
machen zur Seligkeit, um und bad zu lehren, daß nicht auf dem 
teichtellen und ebenften Wege, ſondern nur durch Dad Gegeneinan: 
derwirfen der Gemüther die Wahrheit and Licht kommen kann, und 
bad Licht des Evangeliums befto kraͤftiger leuchten? wozu anders 
ald um und weife zu machen zur Seligkeit, auf daß wir nicht zu 
ſchnell feien und in einer Meinung feflzuftellen, und nicht die Kraft 
des göttlichen Worte verwechſeln mit der fo zweideutigen wenn⸗ 
gleich oft zauberiſchen Kraft angewoͤhnter Vorſtellungen, welche nur 


zu oft ein gar üble Menſchenwerk iſt und ganze Geſchlechter in 
verworrener Dämmerung erhält? Darum möge fich Feiner anma: 
Ben weder allein noch in Gemeinfchaft mit andern, daß er im 
Stande fei beſtimmt unb mit Sicherheit zu unterfcheiden, auch wenn 
fi) jemand wegen feiner Behauptungen ober Beflrebungen auf Chri⸗ 
ſtum beruft und für diefelben -in der Ordnung Gottes, in ber chrifl: 
lichen Kirche feinen Schuz und feine Vertheidigung fucht, was da⸗ 
von Gotted Werk fei und was verderbliches Menfchen Werk; außer 
nur für fih, wie er ed an ſich ſelbſt erfährt. Gegen jede Entichei: 
bung im voraus muß und bie ganze Gefchichte ber Kirche warnen; 
und thöricht wären wir, wenn wir glauben wollten, unfere Vaͤter 
nur wären in biefem Fall gemefen, und aber fei die volle Weisheit 
gefommen, unb wir wären keines Irrthums mehr fähig, wo es bar: 
auf ankommt, was in chriſtlichen Dingen und in den Angelegenhei⸗ 
ten der chriftlichen Geſellſchaft Menfchen Berk oder Gottes Werk fe. 
Wohl! dad geben vielleicht viele zu; aber dann kann einer 
weiter fagen, es kämen doch immer wieber Zeiten, wo wir gewiß 
werben über dies oder jened einzelne, was zu chriftlicher Lehre und 
Leben gerechnet worden, daß ed Menfchen Werk ift und nicht Got: 
tes Bert. Haben wir nun dieſe Gewißheit: dann folle und auch 
niemand unfern Eifer bämpfen und hemmen; dann folle feine Grenze 
gefteftt werden, was wir dagegen thun dürfen oder nicht; fonbern 
alles was in unfen Kräften ift wollen wir anwenden, um uns 
und andere eined Wahnes zu entledigen, ber immer irgendwie ein 
Gözendienft if. Hat alfo jemand Macht über menfchliches Leben, 
fo gebrauche er fie und führe die zum ode, welche dad Menfchen: 
werk aufrecht halten wollen gegen Gottes Werke; hat einer Gewalt 
über menfchlidye Ehren und Güter, fo beraube er berfelben.die An- 
hänger des Menſchenwerks und theile fie nur denen mit, welche für 
dad Werk Gottes arbeiten und flreiten. Dad wäre benn freilich 
dem Rath unfered Gamaliel ſchnurſtrakks entgegen, als weldyer nit 
wollte, daß der hohe Rath bie Apoftel töten follte, wenn ihre Sack 
auch Menfchenwert wäre, indem bergleichen dann nicht nöthig fe, 
fondern e3 won felbft untergehen werbe. Aber ift ed etwa ber Rath 
Chrifli und des Evangeliums? iſt ed ber Rath beffen, welcher vor 
einem menichlicyen Richter und, in Beziehung auf die Gewalt menſch⸗ 
licher Geſeze audfagte, wenn mein Reid) von dieſer Belt wäre, 
dann würden meine Diener barob flreiten auch mit dem Schwert? 
Wollen wir alfo auf irgend eine Weile mit dem weltlichen Schweit- 
für irgend etwas kämpfen, bad zu dem Reiche Chriſti gehört: fo 
bezeugen wir, daß wir fein Reich für ein weltliches halten; fo wird 
der und verläugnen, baß wir nicht feine Belenner find, dem wir 








"0 


auf fo verkehrte Weiſe dienen wollen. Und das erſtrektt ſich auf 
alled die geiftigen Angelegenheiten der Menfchen betreffendes, was 
nicht vermöge der Thaten, in denen es fich dußert, unter die Ge 
walt der Geſeze fällt. Sollte der je zur Gewalt gerathen haben, 
der auch wo man ihn gar nicht aufnehmen wollte, fondern fich alle 
Gemeinfchaft mit ihm verbat und ihn folchergeftalt aud dem Gebiet 
vertrieb, dennoch zu feinen Iüngern, welche Feuer vom Himmel 
fordern wollten über die, welche den Herm nicht in ihren Grenzen 
leiden mochten, fagte, Wiſſet ihr nicht, weß Geiftes Kinder ihr fein? 
Donnerföhne nannte er fie Deswegen; aber er gab ihnen zu beden⸗ 
ten, ob fie nicht wüßten, daß fie Kinder des Gottes feien, ber feine 
Sonne aufgehen läßt über boͤſe und gute und regnen über gerechte 
und ungerechte. Will auch einer Chriſtum nicht annehmen: was 
kam ein folcher für und anders fein, ald ein Gegenfland unferer 
mitleidigften Liebe? will einer auch aus allen Kräften bem Reich 
Chriſti entgegenwirken: was für einen fchönern oder überhaupt wels 
en andern Gewinn könnten wir dem Herm daraus ermitteln, als 
wenn wir fuchen des Widerfacherd Seele zu gewinnen? Den Bahn 
aber Tann Feiner haben, daf die gewonnen werben koͤnne, gegen bie 
man äußere Gewalt anwendet; ben Tann ber nicht haben, der ben 
Sinn des Apofteld in unferer heutigen epiftolifchen Lection begriffen 
bat, daß die Furcht fich nicht mit der Liebe vertrage. Denn bie 
Furcht treibet die Liebe aus, eben wie die Liebe die Furcht aus⸗ 
treibt; und wer in ber Liebe ift und lebt kann nicht wirken wollen 
durch die Furcht. 

Diefer Mann m. a. Fr., ald er jene Worte redete, hatte einen 
Schüler, der zu feinen Füßen faß; der hieß Saul. Dem war aber 
in feinem jugendlichen Zeuereifer diefe Weisheit des Greifen zu hoch 
und zu tief und genügte ihm nicht. Und wie in dem alten Bunde 
geiftliches und weltliche unter einander gemifcht war: fo konnte 
auch einer leichter glauben, daß ed bem angemeffen fei ber Kraft 
des Wortes auch die Gewalt beisugefellen. So that nun auch 
Saul; er begnüigte fich nicht damit die Belenner bed neuen Glau⸗ 
bend anzugreifen mit der Schärfe ded Wortes, die ihm in fo hohem . 
Grade zu Gebote fland, fondern er wollte jened Menfchen Werk 
auch vertilgen durch die Gewalt. Aber ganz vergeblich war body 
auch für ihn dies weile Wort feined Lehrerd und Meifterd nicht ges 
wein. Als er, che bad Licht vom Himmel ihn umleuchtete, auf 
dem Wege nach Damaskus war im Begriff viele gläubigen ihrer 
sreiheit zu berauben und zu peinigen: da mag ihm boch wol ab 
und zu eingefallen fein, was fein Lehrer gefagt hatte, Huͤtet euch, 
daß ihr nicht erfunden werdet als foldhe, die wider Gott ſtreiten! 


. 


Und darum, ald bie Stimme an ihn gelangte, Saul! es wirb bir 
ſchwer werben wider den Stachel auszufchlagen, welcher die menſch⸗ 
lichen Dinge vorwärtd treibt: da ergab er fich in den Willen Got: 
te, daß nicht nur dad Außerliche Licht vom ‚Himmel ihn umleud» 
tete, fondern auch dad Licht ber Wahrheit in feine Seele hinein: 
ſchien, und er nun ein folcher Verkuͤndiger ded Evangeliums wurbe, 
welcher in feiner ganzen Wirkſamkeit keiner andern Regel ald den | 
beiden Sprüchen folgte, zuerft, daß denen bie Gott lieben alle Dinge 
zum guten mitwirten müffen, und dann, baß wir bie wir dem gu⸗ 
ten dienen das böfe nicht anderd überwinden follen ald durch gutes. 
Das ift der Rath ded Schülers, ded von bem göttlichen Geiſt er: 
leuchteten, er ift ganz berfelbige wie ber Rath feined Lehrers. Nur 
wenn wir bem folgen, werben wir auf chriftliche Weiſe bad Reich 
Gottes erbauen koͤmen; nur wenn wir bem folgen, fönnen wir 
göttliche Werkzeuge fein aud in allen menſchlichen Dingen; nur 
wenn wir bem folgen, werden wir und aus den Werwirrungen der 
-Zeit gluͤkklich herausfinden und für und und unfere Nachlommen 
dem Reiche Gotted breitere und ebenere Bahn mahen. Dazu lite 
uns denn ber Geift Gotted, welcher zugleich iſt der Geift der Wahr: 
beit und ber Geiſt der Liebe! Amen. 


eied 313, 2. 








xxvi. 
Am 3. Sonntage Trinitatis. 


| Lied 42. 508. 
Tert. Mpoftelgefh. 6, I—5. 


In den Tagen aber, da der Jünger viele wurden, er- 
hob ſich ein Murren unter den riechen wider die Ebräer, 
darum daß ihre Wittwen überfehen wurden in der 'tägli: 
chen Handreihung. Da riefen die zwölfe die Menge ber: 
Juͤnger zufammen und fprachen, Es taugt nit, daß wir 

das Wort Gottes unterlaffen und zu Tiſche dienen. Da: 
rum, ihr lieben Brüder, fehet unter euch nach fieben Män- 
nern, bie ein guted Gerücht haben und voll heiligen Gei: 
ſtes und Weisheit find, welche wir beftellen mögen zu 
diefer Nothdurft. Wir aber wollen anhalten am Gebet 
und am Amt bed Worte. Und die Rebe gefiel der gan⸗ 
zen Menge wohl. | | 


PIE und hier mitgetheilt wird m. a. Fr. war ein wichtiger Fort: 
ſchritt in der Einrichtung ber chriftlihen Gemeinde, welcher ‘aber 
allerdings, wie ed auch erzählt wird, erſt nachdem diefe zu einer ges 
wiffen größeren Zahl herangewachfen war fi als nothwendig er: 
weifen konnte. Denn in allen menfchlihen Dingen erkennen wir 
das immer ald eine Verbefferung, wein die Arbeiten und Gefchäfte 
nady ihrer Verſchiedenheit auch unter verfchiedene vertheilt werben. 
Früher, wie wir aus unferer Erzählung fehen, hatten bie Apoſtel 
das Herm gemeinfchaftlich die. ganze Leitung der Gemeinde unge: 


" 598 ” 


theilt übernommen, fowol das innere, naͤmlich bie Lehre nach bem 
Worte Gottes, ald auch dad Äußere, nämlich die gegenfeitige Huͤlfs. 
leiftung und alles was dazu gehört. Hier wirb und nun erzählt, | 
‘wie beides von einander getrennt wurbe, bie Apoftel ſich bad eine 
vorbehielten und ben Chriften anheim gaben für das andere ſich an⸗ 


dere Männer zu wählen, und wie bied allgemeinen Beifall fand 
und ſeitdem auch in allen chrifllichen Gemeinden, wie fie balb bau 
auf an verfchiedenen Orten entflanden, nachgeahmt wurbe. So Laflet 
uns denn, m. chr. Zuhörer, an dieſem Beifpiel fehen, auf welche 
Art und Weiſe innerhalb der chriſtlichen Kirche Verbeſ⸗ 


ſerungen in menſchlichen Dingen zu Stande lommen 
Dad erfte, was und unfere Erzählung: lehrt, iſt offenbar dies, daß 
fie hervorgehen aus Mängeln und .Gebrechen, weldye fi) bemerklich 


machen; aber dann freilich laffet und aus derſelben Erzählung auch 


zweitens lernen, was für eine Geſinnung und was für eine 
Handlungdweife dazu erfordert wird, damit bemerkte Mängel und 
Unvollfommenheiten auch wirklich Werbefferungen zur Folge haben 


koͤnnen. 


I. Merdings kann und das für den erſten Augenblikk fonber: 
bar dünfen und unmahrfcheinlih, daß Berbefferungen nur follten 


hervorgehen aus Mängeln und Unvolltommenpheiten, die vorher müß- 


ten da geweſen fein. Wo einmal etwas gutes ift, ein Keim des | 


Lebend und Gedeihens, follte der nicht, wie wir ed überall in ber 


Natur fehen, von feinen ihm einwohnenden Kräften aus fi weiter 
entwiffeln und auch weiter verbreiten, feine ganze Geflaltung ge 


wimen und zu feiner Vollkommenheit und Vollendung gedeihen 
Eönnen, ohne daß irgend etwas flörended voranginge? Das mag 
nun allerdingd wol der Gang der Natur fein, wenigftend unter ge: 
wiſſen Bedingungen, und wenn die Umſtaͤnde guͤnſtig find: aber 
wenn wir auf das Gebiet der menfchlichen Dinge fehen, fo können 
wir wenigftend ald Chriften wol nicht anderes erwarten ald bie, 











daß das gute und dad beffere immer erft hervorgehe aus ben Maͤn⸗ | 


gein und Unvolllommenheiten, welche wahrgenommen werben. Denn 
ift nicht eben dies dad Weſen ber göttlihen Fuͤhrung mit dem 
menfchlichen Gefchlecht, wie es fich in unferm Glauben, wie es ſich 
in unferm ganzen chriftlichen Leben ausdruͤkkt? haben wir ein Be 
wußtfein von und felbft in Bezug auf bie Angelegenheiten unſers 
Heils, welches fich nicht auf dies beides zurüffführen ließe, auf die 
Sünde und auf die Erlöfung? wirb und anders und iſt und anders 
enthüllt worden in ber heiligen Schrift ber Rat, Gottes über bie 
Menfchen als eben ſo, daß fie follten unter die Sünde zuſammen⸗ 


5 
gefaßt bleiben, daß alles unter die Suͤnde befchlofien wäre, bis die 
Zeit erfüllet waͤre, wo ber Sohn Gottes in die Welt kommen Eonnte, 
umd nun auc durch ben Glauben an ihn alle göttliche Segensver⸗ 
Heißungen über die Menfchen in Erfüllung gingen? Und fo wie 
die Führung ber Menfchen von Gott. im großen angelegt ift, baf: 


felbe zeigt ſich auch überall vor unfern Augen im einzelnen. Jenes 


ist: und fo wahr, fo natürlich, daß wir gewiß wenn wir ed genau 
siberfegen nicht im Stande find, und von den erſten Anfängen bed 
menſchlichen Geſchlechts, von dieſer urfprünglichen Mittheilung goͤtt⸗ 
lichen Geiſtes an den Menſchen, vermoͤge deren er Hert uͤber alles 
ſein ſoll was auf Erden iſt, anhebend eine durch nichts aͤhnliches 
wie der Suͤndenfall geſtoͤrte ruhige Entwikkelung des Menſchen zu 
denfen, eine ſolche Fortſchreitung von dem guten zum beſſeren, daß 
jedes Geſchlecht immer in vollkommner Unſchuld aufgewachſen waͤre, 
und in jedem Volk jedes ſpaͤtere Geſchlecht weiter gediehen in der 
Erkenntniß und Ausuͤbung des goͤttlichen Willens als alle vorher⸗ 
gegangenen. Nein, wir vermoͤgen uns das nicht zu denken; denn 
nicht nur unſer eigenes Selbſtbewußtſein, ſondern eben ſo alles was 


wir im menſchlichen Leben ſehen und erfahren widerſtrebt dem jeden 


Augenbliff. Aber wie? nachdem num die Zeit erfüllt war und ber 
Eitöfer erfchienen, und ein Reich Gottes anfing fich zu bauen kraft 
jener böhern Mitteilung göttlichen Geiftes, die durch den Erlöfer 
auf das menfchliche Gefchlecht gefommen war: nun in biefer neuen 
Zeit, in fo feifcher Kraft, bei folcher Fülle göttlicher Gaben wäre 
body .wol zu erwarten geweſen, daß bie.chriflliche Kirche, dieſes Reich 
Sottes auf Erben, ſich auf jene edlere Weiſe entwikkelt hätte, ohne 


ſelbſt wieder in Mängel und Unvolllommenheiten zu: gerathen, bie 


doch von ber Sünde, welche ja dort überwunden iſt, herrühren müß- 
ten? ber nein! fo volftändig ift die Sünde nicht überwunden 
worden, fp auf einmal’ fo gänzlich konnte die menſchliche Natur 
ssicht umgeaͤndert werden, auch nicht durch den Geift Gottes; und 
uͤberall in der Schrift wirb uns dies als etwas unvermeidliches dar⸗ 


geſtellt, daß auch in dieſem ixdifchen Reiche Gottes ber Streit zwi 


ſchen Geiſt und Fleiſch fortwaͤhrt. Wo aber dieſer einmal iſt, da 
entſtehen überall und immer wieder Mängel und Unvollkommenhei⸗ 
ten unvermerkt, . und an beren Wahrnehmung vornehmlich knuͤpft 
ſich jede Fortſchreitung zum beſſeren. So war denn auch hier ein 
Mangel wahrgenommen, und aus dieſer Wahrnehmung ging etwas 
beſſeres hervor. Worin der Mangel beſtanden habe, ob jenes Mur⸗ 


ven gegründet geweſen fei oder nicht, bavon werben wir gar. nicht. 


unterrichtet; aber. ſchon daß Murren entfliehen konnte, mithin wenig: 
ſtens ein böfer Schein als eine Weranlaffung dazu vorhanden war: 
III. u 


das war ſchon em Manget, eine Unvollkommechrit. Wäre aber 
dies nicht gefchehen, wäre jene Unvollkommenheit, weiche dem iu 
ren zum Grunde liegen mußte, befland fie nun woris fie wollte, 
nicht and Licht getreten: fo wäre auch biefe Verbefferung damals 
nicht erzielt worden. 

Laſſet und weiter fehen umb ums erinnem, wie nicht lange 
darnach ein anderer Zwiefpalt entſtand im ber chrifilichen Kirche, in⸗ 
dem naͤmlich einige glaubten, alle Ghriften ohne Unterfchieb nukten 
noch erft aufgenommen werden in jenen alten Bund Gottes wait 
dem Volke Israel, wenn fie Theil Haben follten an den Wohltbe: 
ten Chriſti, als welcher ja felbft zu jenem Volke gehört umd im 
Geiſte deffelben gelebt und gewandelt habe. DaB war eine Unvell 
tommenheit; bad Neid, Gottes, Dad anf einem ganz andern runde 
ruhen follte, wäre dadurch wieber herabgezogen worden in bie fräs 
bere Bermifhung bed geiflfichen umd weltlichen, bed innerlichen umb 
äußerlichen, in welcher Fein dauerndes Heil fein konnte für bie 
Menſchen. Diefem nun mußte deshalb der Apoflel Paulus enige- 
gentreten und biefe Forderung ald eine Unvolllommenbelt in ber 
Auffaffung des Ehriftenthyumd rügen. So laut und flart wie er 


es ausſprach, indem er fagt *), Wenn ihr euch wieder aufs neme 


wolt dem Gefez unterwerfen in der Meinung, daß bad zur Gerech⸗ 
tigkeit vor Gott gehöre, fo ift Chriſtus für euch vergeblich geſtorben 
und ift euch nichts nüze: fo mußte es wol gefchehen, wenn jene 
reinere Auffaffung des Chriſtenthums, bie feitdem dem gangen Wachs 
thum des Reiche Gottes zum Grunde gelegen bat, bie Oberhand 
gewirmen follte. — Und wenn wir auf biefe Berbefienung der Kitche 
zurüfffehen, der unfere Gemeinden angehören, und der fie ige freied 
und fihönes geifliged Leben verbanten: ift fie etwa anders. antfan: 
den, ja Tonnte fie wol anders entfiehen als auch aus der Mahruch 
mung von Mängeln unb Unvolllommenheiten? Wie vitled war in 
die chriftliche Kirche eingedrungen, was welt entfernt war auch nur 
im minbdeften eine Anbetung Gottes tm Geiſt und in der: Wahrheit 
barzuftellen! Wie vieles hatte fid, eingeſchtichen, was wicber wicht 
anderes war ald auf ber einen Seite Vergoͤtterung bed menfchlidgen, 
auf der andern Unterfiellung des geoffenbarten Wortes umter menſch 
liched Anfehen und inenſchliche Sazungen, wodurch alfo die glaͤubi⸗ 


gen body wieder zurüffgehalten wurden von der unmittelbavn Ge 


meinfchaft mit Gott und ſich nicht erfreuen konnten unmittelbar be 
feelt und getrieben zu werben vom göttlichen Gef! Solche Maͤn 
get und Unvolllommenbeiten mußten fogar erft eine gewiſſe Hoͤhe 


“) ®al. 5,2% ® 


erreicht haben; denn oft ſchon waren fie vergeblich zum Bewußtſfein 

vergeblich zur Sprache ‚gebracht worden, weil Eifer. und Unwille 
noch nicht fo weit gebichen war, daß aus dem Mangel das beffere 
heworgehen mußte. Als aber die Zeit in diefem Sinne erfüllet 
war, und bie ganze Ehriftenheit gleichſam gefättigt mit diefem Be 
wußtiein ber Berumeinigung und Verfinſterung: ba konnte auch 
kraͤftig das Licht in dieſe Finſterniß einbrechen und einen Theil wes 
nigßens ber Chriſtenheit von der Herrſchaft derſelben losreißen. So 
iſt es auch immer in der Kirche Chriſti ergangen und wird auch 
immer fo ergehen! Wenn aber bad) ber Geiſt derſelben fich auch 
in allen Gebieten des menichlichen Lebens Eräftig erweifen fol, fo 
wirb auch dort ber Hergang überall derſelbe fein; fo weit die Ver: 
anlaffung zum befferen von ber chriftlichen Kirche ausgeht, Tann fie 
auch keine andere Geflalt haben als diefe; die Mängel und Unvoll: 
Tommenheiten, welche und noch anbaften, müffen zur Sprache kom⸗ 
men, ber Unwille muß fich dagegen regen, und dann iſt es moͤg⸗ 
lich, daß die Verbeſſerung entſtehe. 

Darum m. a. Fr. will mir nichts verkehrter vorfommen ja 
wiberfinniger, ald wenn fich fo oft Stimmen: bed Unwillens regen 
gegen die, welche auf die Mängel und Gebsechen, die auch noch ge⸗ 
gemwärtig im Reiche Gottes obwalten, aufmerkſam machen. ‘Denn 
gefezt auch ‚ fie thaͤten es zu früh für irgend einen unmittelbaren 
Erfolg: immer muß verfucht werden bied Bewußtfein anzuregen, 
ob es fo weit durchdringen koͤnne, daß das beſſere daraus hervor⸗ 
gehe. Wollen wir uns hingegen in ſolcher Taͤuſchung feſthalten, 
als ob ſchon alles unter und gut wäre und vollfemmen, dann hal⸗ 
ten wir felbft das gute zuruͤkk, welches der Geiſt Gottes dadurch 
vorbereitet, daß er die Maͤngel und Gebrechen, unter denen wir 
noch ichen, uns zum Bewußtſein zu bringen ſucht. Daher wenn 
uns geſagt wird, manches ſei noch in unſerm Glauben und in un⸗ 
ſerm Leben, was nicht zur Anbetung Gottes im Geiſt und in der 
Wahrheit gehöre, nicht zur reinen Werehrung bed Water in dem 
Sohne; wenn wir aufmerkſam gemacht werben auf biefed und jes 
‚nes in uarferer Lehre und. unfern kirchlichen Einrichtungen, was feine 
andere: Stuͤze habe als menfchliched Aniehn, bad fi) doch unmög: 
lich koͤnne dem göttlichen gleichſtellen wollen und alfo nothwendig 
auch ſolche Unvollkommenheit in ſich tragen muͤſſe, welche wir be: 
ſtrebt fein müßten zu entdekken und zur Anſchauung zu bringen, 
damit befieres daraus hervorgehe, — wenn wir folche Stimmen his 
ven, geſezt auch, wir koͤnnten ihnen nicht beifallen: fo müffen wir 
uns doch darüber freuen; benn ed erhellt daraus, Daß wir dem was 
uns fördern kann kein Hinderniß in ben Weg legen, daß das Ver⸗ 

| 2 | 


- 


langen’ nad) dem befferen unter uns vege ift und fich noch nicht ver- 
loren hat in einer eitlen Zufriebenheit mit bem gegenwärtigen Beltz, 
Aber laßt mich noch eins hinzufuͤgen! Eben beöhalb kommt 
mis auch nichtö wunberlicher vor und ungehöriger, ald wenn zwei 
freilich verfchiebene Richtungen bed menſchlichen Gemkths, von bee 
nen bie eine in einigen die andere in anbern vorwaltend iſt, Die 
aber beide notwendig find zum Beſtehen unb Ertragen des gangen: 
wenn dieſe fich einander fo mißverſtehen, daß fie faͤlſchlich meinen, 
die eine fei gegen die andere, und bie eine nrüffe die andere zu 
übertoinden und zu vertilgen fuchen. In allen menſchlichen Ber: 
Hältniffen giebt es einige, die fefthalten wollen an bem, was be 
ſteht; wohl, wir wollen fie nicht befchulbigen, bad jei nur Mangel 
an Lebendigkeit bes Geiſtes, Mangel an Freiheit bed Willens und 
nichts. anderes ald dumpfe Traͤgheit. Vielmehr laßt und ihr Be 
fireben ehren; fie wollen und die Bürgfchaft erhalten, welche immer 
bad was jedesmal Ordnung iſt und Recht baflır gewahrt, daß wir 
fortfchreiten Finnen in fliller Zhätigkeit, um aus dem was und jezt 
gegeben ift und wofür wir verantwertlidy find ſoviel gutes zu ent: 
wikkeln ald wir vermögen: bis eine Zeit kommen wird, wos feiner 
füh länger der Erkenntniß entziehen Tann, daß noch ein befferes 
Biel vorgefteftt iſt, und jeder aud bie Möglichkeit zugefichen muß 
ihm ſtufenweiſe näher zu kommen. Ueberall giebt ed auch andere, 
die nach allen Seiten immer umber fchauen mit einen lebendigen 
aber -fehr beweglichen geiftigen Auge, ob ſich nicht hier und ba zeige 
irgend eine Spur des beſſern, ob ſich nicht ein Weg ermitteln laſſe 
von dem Flekk, auf welchem wir vielleicht ſchon zu lange vermweilt 
haben, endlich vorwaͤrts zu fchreiten. Wohl, wir wollen ihnen nicht 
nachfagen, bad fei nur ein Streben ber Unruhe, eine felbftfindikige 
Zerſtoͤrungswuth ded vorhandenen. Nein! wir wollen berir nur 
den natürlichen Ausdrukk des Bewußtſeins anerkennen, welches wir 
ja ehren muͤſſen und achten, daß ber menfchliche Geift beſtinunt ij 
in allen Theilen feines Berufs immer vorwärts. zu bringen. und 
durch ben göttlichen Geifl von einer Klarheit zur andern gefühet zu 
“ werben. Wie koͤnnte er alfo jemals befriebigt fein. durch das, was 
ba iſt? O fo große Zerrüttungen eintueten, wenn biefe beiden Den: 
kungsarten ſich eine gegen bie andere aufregen: eben ſo ſehr kann 


geſichert iſt, wenn beide das rechte Maaß gelunden haben und ohme 
Entzweiung zugleich auf einander und mit einander wirken. Frei⸗ 
lich wuͤrde es ja um alle Staͤtigkeit in allen Gebieten der uns auf⸗ 











getragenen Thaͤtigkeit gefchehen fein, wenn alle immer wollten un: 
ruhigen Auges umherichauen, ob fi ihnen nicht etwas anderes 
Darftelle als das was fie haben, ob fich nicht nun ſchon eine an⸗ 
dere Geſtalt der menfchlichen Dinge entwikkeln laſſe, günfliger und 
wohlgefaͤlliger als die, in welcher wir geflelt find. Aber auf ber. 
andern Seite, wenn ed nicht eben jene Thätigkeit und für dieſelbe 
ſolches Umberfchauen gäbe; wenn alle Gebrechen und Mängel um: 
fonft da wären, und: alle verfchlöffen immer ihre Augen bagegen um 
aur. nicht aufgeforbert zu werben bied ober jenes zu ändern an-bem 
gemeinfamen Zuftande: ja dann verurtheilten wir uns ja ſelbſt zu 
einer verfleinernden Mittelmaͤßigkeit, und indem wir nicht weiter 
fortiehreiten wäre ed nicht anberd möglich, als daß wir zuruͤkkgin⸗ 
gen. Denn was nicht beſtehen kann ohne Mängel in ſich zu ſchlie⸗ 
den, dadurch wird gewiß, wenn das beſſere nicht daraus hervorge: 
ben kann, bad gute allmählig immer mehr unterdrüfft. 

Darum m. 9. Fr. laffet uns das feflftellen, wie wir ed bier 
fehen, fo und nicht anders and ber Wahrnehmung der Mängel und 
Unvolitommenbeiten entftehen alle Werbefferungen des menfchlichen 
Lebens in diefem ganzen Umfang bed Reiches Gottes auf Erden. — . 
Aber laſſet uns nun 


U, aus unjerer Erzäftung and lernen, was denn für eine Se 
famung, was für eine Handlungsweife allein aus der Wahrneh⸗ 
mung von Mängeln und Unvollfonmenheiten ba8 beſſere hervorru⸗ 
fen Tamm. 

Wenn wir in biefer Hinficht zertt den einzelnen Ban betrach 
ten, von welchem unſer Text handelt, und wir hoͤren, es ſei ein 
Murren entſtanden ber Griechen — d. h. der Chriſten, welche aller⸗ 
dings auch vorher ſei es durch ihre Geburt oder ſei es durch ihre 
Wahl dem Volke des alten Bundes angehört hatten, aber nicht in 
dem Sande, weiches der Herr jenem Volk gegeben, felbft entfproffen 
und- geboren waren, auch nicht uriprünglich deſſen Sprache geredet 
hatten — gegen bie Hebräer — d. h. gegen die Chriften, welche 
ſchon durch ihre Abflammung und von ihren Vorfahren ber inner: 
halb des juͤdiſchen Landes gewohnt hatten, — wenn wir hören, es 
fei über der Handreichung ein Murren ber einen gegen bie andern 
entflanden, und wir fragen, was hätte benn wol davon das Ende 
fin Sinnen und muͤſſen, wenn nicht eben jened gute und beflere 
daraus hervorgegangen waͤre: nun ſo werden wir nicht anders ant⸗ 
worten koͤnnen, als eine Spaltung zwiſchen beiden. Wenn die ei⸗ 
nen feſtgeblieben wären in ihrer Ueberzeugung, daß ben ihrigen Un⸗ 
recht gefchähe, die anbern dad nicht hätten einfehen und mithin 


auch keine Maaßnahme dagegen treffen wollen: was bitte daraus 
anber& entfiehen können ald eine Trennung, wenn fie auch ebem 
frieblich geweſen wäre als bie zwifchen Abraham und Lot, meil 
ijhrigen fich nicht vertragen konnten? Aber was für 
wärbe Died cf ie Grikiipe Kinhe gehalt baden, Tnens Fe 
im Anfang fi) getvennt hätte, und — de be egt 


ber Verfchiedenheit der Abflaumiung und Sprache! Wer kann fe 
gen, ob dann bad Bewußtſein von ber Beſtimmung aller Möller 
für dad Chriftentbum fo bald würde erwacht fein! und alled erwekl. 
liche und fürbernde, was in bem nahen und engen Aufammenicben 


alle Zertrennung ber Gemuther, alle Spaltung im gemeinfamen 
Leben, wie fie auf ber andern Seite entfliehen können, za befeitigen 
und ihnen zuvorzulommen. Wenn nun bier ein Muren entflan- 
ben beöwegen, weil bie Wittwen und bürftigen ber Griechen über 
fehen würben in der täglichen Handreichung, weiche bis dahin ganz 
und gar in den Händen ber Apoftel rubete, indem biefe fänımtlich 
aud den urfprünglichen Bewohnern des Landed genommen waren 
und aljo zur andern Seite gehörten; wenn nachbem dies Kurren 
entfland nun eine Unterfuchung wäre eingeleitet worben, ob ed auch 
einen Grund habe ober nicht, ob eine Zuruͤkkſezung fiattgefunben, 
und an wen die Schuld liege: welche bedenkliche Annäherung wäre 
ſchon dieſes allein geweien an folche Spaltung! Dem ba eine 
Unterſuchung nichts wieber gut machen ſondern nur bie Abficht ha⸗ 
ben konnte, daß entfchieben wurbe wer von beiben echt habe im 
bem, worüber fie fireitig waren: fo wäre dadurch fchon eben br 
Grund zu einer Bertrennung gelegt worben. Allerbings, wo ed ſich 
um ein menfchliched Geſez und eine Uebertretung beffelben banbelt: 
da iſt nothwendig, wenn bem Geſez fein Recht wiberfahren ſoll, 
daß Die Thatſache audgemittelt werbe und bie Schuld beflimmt; 
und wenn bad verabfäumt oder nur obenhin betrieben wirb, da 
läuft die ganze Ordnung den menfchlidhen Dinge Gefahr. Aber wo 
e& fich nicht von dem Geſez handelt fondern von Werken ber Liebe; 
wo die Beichuldigung darin liegt, daß in dieſer ein Mangel fei: ad) 
da laſſet uns alle Unterfuchung über" Schuld und Unſchuld ganz 











SR 


unb gat vermeiden, wie Petrus fie vermied; denn babei kann nichts 
anderd als ein feibfläiichtige Werlangen zum Grunde liegen Recht 
zu haben. Iſt dad Uebel einmal geſchehen — und das befland nicht 
fowel darin, daß die einen zurükkgeſezt wurden, fonbern daß bas 
gegmfeitige Vertrauen einen Stoß erhielt — ift das Uebel einmab 
geſchehen: fo hilft bie Unterfuchung über feinen Urfprung und ſei⸗ 
nnen Grund und feine Beſchaffenheit gar nichts; ſondern ſo ſchnell 
als möglich muß zu einer ſolchen Abhuͤlfe geſchritten werben, daß 
altes Miptrauen grünblich gehoben werde. Aber ebenlo auf des ans - 
dern Seite, wenn bie Mitglieber der hriftlichen Gemeinde, die ſich 
und bie ihrigen beeinträchtigt glaubten, die natürliche Orbnung ums 
‚gelehrt hätten und, flatt daß fie die Leitung ber Apoftel annahmen, | 
Sich felbft Hätten leiten und helfen wollen ımb von fich aus bie neue 
Ordnung begründen, — und. wir dürfen nur des einen gedenken, 
der unter ihnen war, des Stepbanus, dieſes erfien Märtyrerd des 
Glaubens, diefed großen Vorgaͤngers des Apofteld Paulus, wir duͤr⸗ 
fen nar an dieſen denken um es natürlich zu finden, wenn fie auf 
den gepocht hätten und ſtolz geweſen wären und fich durch ben ihre 
eigene Einrichtung hätten machen laſſen für fih: wie wäre dann 
jene Zertrennung augenblikklich bageweien! Darum. die unnöthige 
Untefuchung vermeiden über dad vergangene, aber die Drbnung 
nicht umlchren fondern aufrecht erhalten: das war Dad erfie, wor 
durch moͤglich gemacht wurde, daß aus jenem unvollkommenen Zu⸗ 
flande etwas beſſeres hervorgehen konnte. 

Aber nun laſſet uns auf den Grundſaʒ hinſehen, der ſich zu 
erkennen gab, als Petrus das Wort nahm in ſeiner Eigenſchaft des 
erſten unter den zwoͤlfen, damit uns der deutlich werde als unſer 
Vorbild für alle aͤhnliche Verhaͤliniſſe unſers Lebens. Fragen wir, 
was war das weſentliche in jener taͤglichen Handreichung, in jener 
Bertheilung gemeinſamer Gaben unter bie, welche nicht im Stande 
waren für fich felbft zu forgen? war ed etwa dies, daß fie etwas 
beſſer ſollten genährt werben und bekleidet, daß fie etwas weniger follten 
den Drußt der äußern Roth empfinden? dad wäre ein gar geringes Ziel 
für eine chriſtliche Tugend gewefen! ba follten wir benten es wäre 
beffee gervefen, fie hätten ſich dad gefallen laſſen wie ber Apoftel 
Paulns, der von fich fagt *), Ich habe gelernt mit dem was ba if 
mir genfgen zu laſſen; ich kann niebrig fein und Tann hoch fein, 
ich bin in allen Dingen und bei allen geſchikkt, beides fatt fein-und. 
hunger. Denn was er bulden Tonnte im Dienfte bed Herm, das 


”) Philipp. 4, 11. 12. 


sB 
möffen doch alle, bie nichts beſonderes leiſten für 
dulden Eönnen ohne ſich in ihrer Thaͤtigkeit weiche es 
ren zu laſſen. Was alſo iſt wenn nicht 
allen fohen Hülflikungen, 23 
habt werben? Gewiß nichts anders als bied, daß nicht in 
großen Ungleichheit der wahre Geifl ber Liche verloren gebe 
die einen zu weit entfernt werben von aller Gemeinfchaft mit 
andern; gewiß nichts anders als dies, daß biejenigen, welche 


Ir 


13 


den Geiſt Ehrifli auch in ſich trugen, wein fie von allen aͤußerli⸗ 
hen Hülfsmitteln zu fehr entbloͤßt waren ihre Kraft nicht gebram 
chen konnten für das Neid, Gottes. —— ie seien 
Kräfte zur Wirkſamkeit kommen könnten, daß überall die Liebe Chriſti 
ſich fund gäbe, bad ift der Wunſch, aus dem alle biefe äußeren 
Hülfdleiftungen hervorgingen; unb darum war auch bie erfie Sorge 
des Apofteld nicht zu unterfuchen, wie fich die Sache verhalte, nicht 


den fchuldigen Vorwuͤtfe zu machen und bie Unfchuld 
ans Licht zu bringen, fondern nur darauf gerichtet, daß 
nicht geftört werde, daß bie Liebe ungelchwächt bleibe, daß dab 
der Vollkommenheit nicht die geringfle Erſchlaffung erleide. Und 
wie ging er babei zu Werke? Nicht etwa fo, baf er zu einer Im: 
Schrung der natürlichen Orbnung — denn nad) biefer waren ja bie 
Apoſtel die Leiter der chrifllichen Gemeinde — ſich hergegeben und, 
indem er mit ben feinigen ſich zuruͤkkzog, ben übrigen Chriſten über: 
laſſen Hätte, wie fie fich hätten ordnen wollen in Beziehung auf ihr 
" Außereö Leben; aber auch nicht fo, daß er die Stimme haͤtte über 
hören wollen, bie von ihnen auöging, um was ber Mangel und 
die Unvolllommenheit des damaligen Zuflandes war zu befunden. 
Darum brachte "er felbft im Namen dev zwölfe eine neue Orbnung 
in Vorfchlag, damit auch fie felbft orbnungsmäßig fei und won bis 
nen auögehe, die dazu berufen waren die chriſtliche Gemeinde zu lei: 
ten und fie an dem Bande ber Vollkonmnenheit feſt zu halten. Aber 
feht, wie hell bier das heilige Vorrecht bervortritt, welches überall 
wo jened Band der Liebe waltet denjenigen zufteht, weiche ihr Be 
wußtfein ausfprechen, bag ein Unrecht fich eingefchlichen hat. Dies 
muß überall aufrecht erhalten werben unb gefchont, das iſt die 
Stimme im Reiche Gottes auf Erben, welche auch diejenigen aufs 
merkſam machen foll, daß etwas anderes noth thut, welche nicht 
felbft unter dem gegenwärtigen leiben. And auf weiche Weiſe hat 
der Apoftel dieſe walten laſſen? Indem er gerabe eine Oxbmung 
vorfhlug, worin jene klagenden felbfi eine Stelle fanden und in 
Wirkſamkeit gefezt wurden für das beffere Beſtehen der chriſtlichen 
Kirche! Die ganze Gemeinde, nicht die Griechen allein ſondern die 


ai 








ganze Gemeinde folite ſolche Männer unter fich wählen, welche gus 
ten Gerüchte wären und voll heiligen Geiſtes und Weisheit um 
auch dies zu fördern. Auf diefe beiden. Stuͤkke fage ich ſah er, weil 
auf biefen daß gegenfeitige Allgemeine Vertrauen und ein guter Aus⸗ 
gang beruhte; auf ein gutes Gerücht, dad allgemeine Vertrauen als 
Ler ımb auf das Bewußtſein, daß die welche geroählt würden ſolche 
Beweiſe fihon gezeigt hatten in ber Yührung ihres eigenen Lebenös 
auf die Weisheit, weiche noth war um bie Führung der allgeme 
nen Angelegenheiten zu leiten: auf biefe verließ er ſich. Aber wenn 
er num auf die entgegengefezte Weiſe hätte handeln und bie hätte 
auöfchliefen wollen von ber Verwaltung der allgemeinen Angelegens 
heiten, weldye bie Unvolllommenheit hatten and Licht gebracht, weil 
fie nämlich unzufriebene wären, welche die Ordnung flören wollten; 
wenn er biefeß Geſchaͤft zwar in andere Haͤnde gegeben haͤtte, aber 
es doch auf der einen Seite gelaſſen haͤtte: ja ſo wuͤrde ſtatt der 
Eintracht gewiß eine neue Spaltung eingetreten ſein. 

Das alſo m. g. Fr. das iſt der Grundſaz, welcher ſich überall 
in einer Leitung menfchlicher Dinge ins Geiſt ber chrifllichen Kirche 
Fund geben muß. Die Stimme, welche Mängel und Unvollkom— 
menheiten and Licht bringt, ift die Stimme Gottes: darum kann 
es auch in der chriftlichen Kirche kein heiligeres Recht geben als 
Dieß, jeber muß ausfprechen können unb and Licht bringen was er 
für Mängel hält, damit ſich fo ein allgemeines Bewußtſelin bilde 
der Mängel, wodurch dad am meiften Har wird, deſſen Abhülfe am - 
nöthigften if. Und fo wie folche Stimme ſich vernehmen läßt, fo 
muß alles darauf gerichtet werben, daß bei dem Beſtehen ber Orb 
nung, welche da& ganze leitet und zufammenhält, die Liebe fich zeige; 
baß die Gemüther zufammengehalten werben; daß bie Ueberzeugung 
fich fefter begründe, daß die welche die Orbnung zu erhalten haben, 
bie von benen alle ausgehen muß, was ber Gemeinfchaft zum Se 
gen fein fol, nicht fich felbft wollen, nicht ihr eigened Hecht und 
Anfehn fondern das gemeinfame Wohl, und daß fie fich denjenigen 
zur weiteren Prüfung hingeben, weiche Mängel und Gebrechen ofs 
fenbaren, bie ihnen ſelbſt vielleicht entgangen waren. Wo nun bies 
geſchehen ift, da ift auch überall in der chriftlichen Kirche und in 
den menfchlichen Angelegenheiten chriftlicher Voͤlker durch freimuͤthi⸗ 
gen Tadel, durch offne Mittheilung gemachter Erfahrungen dad befs 
fere and Licht gebracht worden. Wo das nicht gefchiehtz wo biefe 
Stimme entweder verflummen muß, oder man fo burdy fie erfchreftt 
wird, daß fich unorbentlichen Bewegungen ein Spielraum öffnet: 
da wirb das gute verzögert; da wechlelt ein Mangel mit bem an: 


94 


dem; ober vielmehe c& kounnt cin Mangel um andern hinzu, und 
immer mehr verwirsen fich die gemeinfamen Angelegenheiten. 

Laſſet uns daher überall jeder nach feinen Vermoͤgen jenem 
Beifpiel feinem ganzen Inhalt nach folgen. Keiner verfätme es 
jever fo viel er vermag, bad was ihm nach feinem beften Gewiſſen 
als mangelhaft in ber Gemeinde in, ber bürgerlichen Geſellſchaft en 
ſcheint auch als ſolches zu bezeichnen; aber feiner maße ſich deswo 
gen an — und wenn er ſich auch noch ſo ſehr überzeugt hat, daß 
er recht ſieht und zuerſt recht geſehen hat, oder gar daß er allein 
vecht ſieht, — keiner maße ſich deshalb an bie menſchliche Drbmung 
umzukehren und eigenmaͤchtig ſeinen Rath in That zu verwandeln 
Denn dadurch wird alles zum ſchlimmeren gewendet. Was in rei 
nem Sinn und beſonnen verarbeitet Segen bringen konnte, das ge 
deiht nur zur Spaltung ber Kräfte, ergeugt nur Elend mb Ber 
wimung. Möge ber Geiſt der Liebe, der Geiſt der Selbflverläng 
nung, wie wir ihn überall finden, wo wir bie Apoſtel bed Herrn 
zufanımen fehen mit der Gemeinde ber Ehriſten, wie er fich in allen 
ihren Betrachtungen, in allen ihren Anorbnungen zeigt, auch üben 
au in allen Angelegenheiten chriftlicher Möller walten! dann wird 
auch durch bie befhämende Wahrnehmung eines trägeren Ganges 
und mannigfaltiger Verſaͤumniſſe bad große Wort bed Apoſtels ſich 
beflätigen, daß denen, bie Gott lieben — aber bad find die, welche 
wenn fie Mängel fehen auch bad gute daraus hervor zu lokken 
wiffen, — daß benen welche Gott lieben alle Dinge und alfe auch 
die Mängel und Unvolltommenbeiten, welche von menfchlichen Die 
gen ungertrennlich find, zur Foͤrderung bed guten und zum bein 
mitwirken müffer. Amen. 


Lied 297. 











xxvn. 
Am 5. Sonntage Trinitatis. 





eied 674. 
Text. Apoſtelgeſch. 7, 59. 


Stephanus kniete aber nieder und ſchrie laut, Herr, 
behalte ihnen dieſe Suͤnde nicht! Und als er das geſagt, 
verſchied er. 


M. a. Z. Frei imd ungebunden wie wir find in unſerer Kirche 
aus den Schaͤzen des göttlichen Wortes für die Betrachtung der 
Chtiſten auszuwaͤhlen was uns am beſten duͤnkt, mögen fich viel 
leiht manche ımter euch wundern, weshalb ich dieſe Worte zum 
Grunde unferer- Betrachtung nehme, da ich doch gerabe noch vor 
Iunem öfter Weranlaffung genommen mich daruͤber zu äußern, daß 
die Berhättmiffe, auf welche fich dieſe Worte beziehen, unter und 
- ht mehr flatt finden; daß es gewöhnlich mur eine eitele Vorſpie 
gelung des Herzens fe, wenn unter und einzelne fich rühmeh, daß 
He Liden zu ertragen hätten um Chriſti willen; wie es benn ges 
Bauer betrachtet entweber feine Leiden wären, wenn man auch wir 
uf das gewöhnliche Maaß unferd menfchlichen Lebens fieht, oder 
wenn ja, dann gewiß nicht Leiden um Chrifli willen fondern irgend 
menſchlicher Sazungen und Meinungen wegen. Aber alle Schrift 
von Gott eingegeben iſt nüge zur Lehre und zur Büchtigung in ber 

igleit; und es giebt nichts im unfern. heiligen Schriften, wie 
Wenig es auch unmittelbar auf unfere Verhaͤltniſſe Beziehung habe, 


316 
wovon wir nicht Urfache haben bad zu rühmen, und woran fich bas 


nicht immer beflätigen würde, ohne daß wir nöthig hätten uns wei 


ab von dem unmittelbaren Sinne ber Worte unferer heiligen Schrift: 


fieller in entferntere Anmwenbung berfelben zu verlieren. Und ie 
wollen wir im WBertrauen auf dies Wort jezt biefe Bitte dei 
Stephanus in ihren verfhiedenen Beziehungen zum 


Gegenſtand unferer anbächtigen Betrachtung machen. 


I. Ich will zuerft das vorweg nehmen, was am meiften das 
Gemüth zu bewegen und zu erichätten pflegt, damit wir hernach 
um fo aufmerffamer aud der ruhigern Betrachtung folgen können. 
. Dies nämlich wollen wir zuerft erwägen, daß die Worte die wir 


vernommen haben die Bitte eines fierbenben waren, und zwar 


nicht eines foldyen, dem bad gewöhnliche Loos des menfchlichen Ge 
ſchlechts widerfährt, ſondern diefe wirklich eines folchen, der um des 

Erlöferd willen und wegen des Bekenntniſſes feines Namens ſtarb, 
die Bitte des nach dem Erloͤſer felbft erfien Maͤrtyrers in ber if: 
: lichen Kirche. 

Wie müflen wir uns freuen, wenn wir biefe Worte fo in ih 
rem urfprünglichen Zufammenhange betrachten! wie lebhaft und un: 
mittelbar erinnern fie uns an jened Wort des Erlöferd am Kreuz, 
ald er auch zu feinem Water rief, Vergieb ihnen, denn fie willen 
nicht was fie thun: mit welchen Worten eben biefe, Herr, behalte 
ihnen dieſe Sünde nicht, die größte Achnlichkeit haben! Und doch 
wiffen wir nicht einmal, ob derjenige ber fie ausſprach eine Kunde 
hatte von jenen Worten bed Eriöfers; denn erſt fpäter iſt das Zu⸗ 
fammentragen und Uecberliefern der Reben bed Herm ein für bad 
Wohl ber gläubigen fo ſegensreich geordnetes Geſchaͤft geworben, 
daß jeber von dem wichtigſten leicht Kenntniß bekommen Tomte. 


Aber um fo gewifler war es berfelbe Geift, der aud dem Jünger re - 


dete, wie aus feinen Meiſter. Und weil biefer ſeitbem nicht wieder 
gewichen iſt aus ber Gemeinde ber Ghriflen; weil ex es if, be 
noch immer alle gute Gaben, alle Worte und Thaten, bie zur Foͤr⸗ 
berung des Reiches Gotted gereichen, in den gläubigen wirkt: ſo 
dürfen auch wir alle und Died aneignen als unfer.eigened, eingeben 
der Worte des Apoſtels, bag alles unfer if, jeder einzelne mit fe: 
nen Gaben und mit feinen Werken, und bag in ber Gemeinde bed 
Herm alle gottgefälligen Thaten nicht nur ein gemeinfames Gut 
find, fonbern daß auch alle, wie fie Glieder Eines Leibes find, ſich 
diefeiben aneignen koͤnnen als das ihrige. Und wie oft mögen aͤhn 
liche Bitten wenn auch nicht vernommen doch aus bem Herzen de 
rer empor gefliegen fein, bie auf diefer bornenvollen Laufbahn den 


an 


erſten Verkuͤndigern des Evangeliums folgten! wie viel theured Blut 
iſt auch ſpaͤterhin noch vergoſſen worden kraft derſelben Erbitterung 
der Gemuͤther gegen die größte Wohlthat, die jemald Gott den 
Menfchen erzeigen Tonnte! und wie follte .alfo nicht in denen, die 
von demſelben Sinne getrieben foschen Gefahren und Leiden entge . 
gengingen, auch derſelbe Geift"gleicheö gerebet haben und auf gleiche 
Weiſe dad Herz bewegt in Ähnlichen Verhaͤltniſſen! Aber freilich 
jezt ſeitdem der Glaube der Ehriften auf dem Throne fo vieler Voͤl⸗ 
Ber fit, da niemand mehe dazu verfucht fein kann weil ohne Hoff: 
nung bed Gelingens, wenn fich auch die Herzen ber. Menfchen auf - 
aͤhnliche Weiſe wie damals erheben wollten gegen ben Namen bed 
Herm und-mit dem Schwert ber äußern Gewalt gegen benfelben 
kaͤmpfen; jest nachbem bie Wölfe, die des chriftlichen Namens theil- 
baftig find, durch die Entwillelung geifliger Gaben in ihnen und 
dusch die mannigfachen dußern Segnungen, die aus bem milden 
Geiſte deſſelben hergefloſſen ber Werbreitung des Chriſtenthums ges 
folgt find, ſolches Uebergewicht behaupten über alle andern: wo ſoll⸗ 
ten jezt auf ähnliche Weife Leiden um bed Erloͤſers willen herkom⸗ 
men? Je weiter von jenen Zeiten entiernt,: beflo feitener wurben 
folche Beiſpiele; und daß auf ähnliche Weife wie damals die Chris 
Ken ſelbſt gegen einander wüthen, weil jeber glaubt, auf feiner Seite 
fei die Wahrheit. ded Erlöferd und die reine Liebe zu ihm, fein Ans 
theil ausſchließend bie richtige „Erfenntnig und Auffaffung feiner 


Lehren: biefed, wie es auch nur im Zeiten einer feltenen Berwirrung - 


der Bemüther und auf vorübergehende Weiſe geſchehen ift, wollen 
wir gem mit der Vexrgeſſenheit ber Liebe bedekken. Aber do wer: - 
den wir fagen müffen, wenn ‘auch wicht eben jo wie bamald, auf 
verwandte Weile wenigfiens- können auch uns, ähnliche Zeiten bea 
vorfiehen. Demi eben beömegen, weil an bie Werbreitung des 
chriſtlichen Glaubens ſich angelnäpft bat ein fo großer Reichthum 
von Entwilfelung aller menfchlihen Kräfte, alles geiftigen Gaben, 
aller Segnungen für das irbifche Leben; weil Darauf nun zu glei- 
cher Zeit beruht die Möglichkeit noch inamer weiter dad Wort bed. 
Henn unter ben Menichen zu verbreiten und allmählig bie ‚ganze 
Exde mit demfelben zu erfüllen: eben deswegen ſteht auch alles, 
was dad wahre Wohl der Menfchen betrifft in allen ihren Angele: 
genheiten, in einem nahen Zuſammenhang mit. dem Reiche Gotted. 
Und wenn nun über dad was dad Wohl der Menfchen fördert ents 
gegengefezte Meinungen entſtehen; wenn dieſe in heftigen Streit ſich 
etzuͤnden, weil jeder glaubt in dem ber auf, ber entgegengeſezten 
Seite fieht einen Feind des guten zu fehen, fei es einen Gegner ber 
weitern Gutwilltung. des menſchlichen Gefshlechtd, ober einen Feind 


der Ruhe und des Frichens, bes Sicherhelt im Genuß beffen was 
und Gott gegeben bat; wenn auf biefe Weiſe die Stimmung ber 
Gemuͤther in Thaten übergeht, und jeber glaubt fo weit nur feine 
geſezliche Macht und Befugniß reicht ben andern 

dürfen ober gar zu müflen, und ihn demgemäß in feiner 


} 


feit lähmt, die Gemüther von ihm abwendig macht und gegen ihn 
einnimmt, wie er nur kann: ja dann giebt es Leiben um ber Heben 
zeugung willen, um bes guten willen. Und je mehr bie, weiche im 
ſoichem Streite begriffen find, auch bem Geifte nad Gheiflen fein 
und nicht etwa nur fo heißen wollen; je mehr fie alfo alles gute, 
was fie den Menfchen gönnen und bewirken möchten, in Zuſam⸗ 
menhang bringen mit jener Quelle alles gutem und es hinleiten 
möchten zur Förderung des Reiche Gottes: um beflo mehr freilich 
fehen fie in allem, was ihnen bei ihren Beſtrebungen entgegentritt, 
die Sünde im eigentlichen Sinne, die welche fich feinbfelig erhebt 


gegen den Herm. 
Aber m. g. Fr. Iaffet und nur Eins nicht vergefien! 
fotcyen Faͤllen, wenn wir dad was uns begegnet auf uns 
ziehen, wenn ber welcher in biefem Sinne leibet fich feibft mei 
wenngleich fofem er ein Werkzeug der Förderung des g i 
m Beziehung auf feinen Beruf und feine Pflicht, a 
ſelbſt meint und an fich feibft denkt: dann kann eine 
vote wir fie aud dem Munde des Stephanus vernehmen, 
nem Herzen nicht hervorgehen; dann ift es nicht bie 
gentlichen Sinn, von welcher ex wünfcht, ber Ser 
Marien micht behalten, fonbern bad Unrecht was ihm 
er nur gern verzeihen. Wenn aber einer fiarf genug if 
ſelbſt abzufehen, und wie denden uns einen folchen i 
Augenblikken des Lebens, nachdem er vielleicht im 


3; 
fs 
HTH: 


EN: 
155 
in 


Theile deſſelben und bis an das Ende ein Gegenflanb 
feindung und Berfolgung geweſen iſt, einen der alles 
was ſich aus dieſer Quelle bitteres über das menfchliche 
gießen kann, und er ſieht als ein ſolcher, der wenn er an ſich ſelbſt 
denkt nur dad Heil feiner Seele im Auge hat, auf bie vergangene 
Zeit zuruͤkk: wie muß ihm wol die Vergangenheit erſcheinen? Ha 
ben ihm ‘die Leiden, die der Herr über ihn verhängt hat, nicht zur 
Reinigung feined Gemüt gedient; if Dabusch wicht. aus feinem 
eigen Herzen ber legte Keim der Seiubfchaft gegen feine Drüder 
getigt worden; haben fie fein Herz nicht gereinigt, feinen Geiß 
nicht gereift, indem ex ja befläubig an fich arbeiten mußte um mit: 
ten unter biefen zerfireuenden Yeinbfeligleiten bad Ziel, das er ſich 
vorgeſtekkt, fe im Auge zu halten; hat ihm alled was er erfahren 


b 


Fir 
3ER 














hat hiezu nicht gebient: o weit entfernt an andere zn denken mb 
Wimſche für fie zu haben, was kann ihm näher Siegen als Buße 
zu thun und für fich ſelbſt um Nachficht zu bitten, daß er biefe 
wenn gleich bittere Gaben Gottes nicht femem häligen Willen ges 
mäß für fich ſelbſt benuzt hat? Haben fie ihm aber dazu gebientz 
ift er geveift in der Schule ber ‚Leiden ımb Verfolgungen und 10 
des wahren Weisheit der ‘Kinder Gottes näher gelommens hat er 
in Ri -aufgerichtet das Bild der Miülbe bed Erloͤſers, fo daß er es 
Dahin hat bringen tönnen, daß durch bie Zeindbfchaft gegen ihn nie 
mals Feindſchaft in ihm wieber erzeugt werben. konnte, ſondern er 
immer benen mit ‚Siebe entgegen gegangen iſt, bie ihm widerſtan⸗ 
den: 0 dann hat er ja Gott zu. preifen für das, was er an ihm 
geihan hat! Und was für eine Bitte wird er haben für die, deren 
Gott fih als feiner Werkzeuge bediente? welche andere, als bag 
Sott fie fegnen möge für dad Heil, bad ihm widerfahren iſt durch 








fie, für das gute, was fie an ihm gewirkt haben? und weit ent - 


fernt an das Unrecht wie bitter es auch geweſen zu denken, bad er 
erlitt, wirb er feine Feinde nur ald Werkzeuge: ber. göttlichen Gnade 
und -Biebe fegnen auch in den lezten Augenblikken feines Lebens. 


u. Darum m. g . $r. laſſet uns moeitend dad mit einander 
erwägen, baß biefe Si Herr, behalte ihnen dieſe Suͤnde nit! 
unter allen Umſtaͤnden, die denen ‚ähnlich find, in welchen fich jener 
Dimmer des Herm befand, doch nur die Bitte eines-folhen Ge 
miüthes fein Bann, welches ganz fich felbft vergißt. Hierun⸗ 
tee-aber will ich dieſes verflanden ‚haben, Buß. wir und-gar nit 
nit ben Abwägen- unſerer eigenen Zuſtaͤnde befchäftigen in Bezie⸗ 
Yang wimlich auf ihren Gehalt nady "den gewöhnlichen und herr 
ſchenden Begriffen der NRenſchen von Gluͤkkſeligkeit und Wohlerge 
hen. - Wer ſich hleruͤber sticht erheben kamun vielmehr immer bei bier 
ſer Schäyung des Bebens verweilt, ſich in: biefem Sinn mit andern 
vergleicht und bei. altem, was ihm ald eine -günflige oder unguͤn. 
flüge Werimberung erſcheint, danach fragt, wer fie ihm zuwege ge 
bracht; wer auf dieſe Weiſe niemals fich felbft vergigt: ver kann 
auch wol nicht anberd als diejenigen, bie von feinem Standpunkt 
aus angefehen fo nachtheilig auf fein Leben eingewirkt haben, wie 
«5 hier der Fall war, au nur als ſeine Feinde und Widerſacher 
betrachten. Und wenn fi) dann ein ſolcher zu einer aͤhnlichen Witte 
erheben und voll dieſes Geſuͤhls doch fagen koͤnnte, Ders, behalte. 
ihnen die. Suͤnde nicht: fo wäre das nichts weniger als: baffelbe, 
was Gtephanus that. Vielmehr wäre es wicht anders als eine 
eitie ſalſche Großmuth; es waͤre was die Menfchen fo oft aber mit. 


— — — — — — — — — — 


Unrecht edel nennen und ſich darauf als fr gap 
erreichbares viel zu Gute thun, wie fie es denn auch aber 
— id tan es nicht läugnen — für ben hoͤchſten Gipfel ber 
genthümlichen Zugend ber Chriſten erflären, daß er ch 
Stande fei feinen Feinden aufrichtig zu vergeben. Ich wenigftens 
bin fo weit bavon entfernt died für bi i 


Ss: 
& 
hi 
1 


ben begegnet, gleich‘ viel gewoͤhr 

Menſchen erfreulich iſt oder niederdruͤlkend, immer gleich in That 
umzuſezen ſucht und nur danach fragt, wie er ed anzuwenden habe; 
wer fo gefinnt ift und in biefem Sinne immer handelt: für ben 
giebt es niemals Feinde, und alfo auc niemals ſolche, über die er 
ſich eitel erhebt und dann großmüthig gleichfam um feinehwillen 
für fie um Verzeihung bitte. Wenn wir und alſo noch irgend 
über einem ſolchen Gefüpl ergreifen: fo laflet und fogleich einfchren 
in unfer Herz, Damit wir bie verborgene Selbſtſucht erkennen und 
uns zu jener Selbfivergeffenheit erheben, daß wir und innuct nur 
als folche anfehen, weiche für dad Reich Gottes als deſſen Wert: 
yeuge arbeiten. Nein, laft uns nicht wieder dahin zuruͤkkkehren, daß 
wir wenn auch un des guten willen nad irbifchen Guͤtern und 
Borzügen ‚fireben und dann einen fo nichtigen Maaßſtab anlegen au 
ein. Dafein, weiches, wenn es doch mit dem Erloͤſer wahrhaft eins 
geworben if, auch auf nichts anderes gerichtet fein. kann als barauf, 
wie ex den Willen Gottes zu thun. Haben wir und einmal gegen 
die Menfchen fo geſtellt, daß für uns ein ſolches Verhaͤltniß gar 


nicht vorhanden iſt, vermoͤge deſſen wir einige unfere Feinde nennen 


koͤnnten: fo find fie, wie fie auch gegen und handeln mögen, für und 
immer nur Bruͤder, für die wie zu forgen, bie wir zu warnen und 
zu belehren haben, we wir im Stanbe find; die wir von dem was 
ipnen gefährlich if abzulenken haben, fofern fie und anhören und 
bie angebotene Hand ergreifen wollen; aber vergönnien fie und dad 
alles auch nicht, Feinde oder Wiberfacher Eönnen wir an ihnen nicht 


finden. Sondern je mehr wir behaupten können, unfer Leben bem 


Erlöfer zu weihen; je mehr wir und als feine Diener und ald 


-fosche, an weiche fein Wort ergangen ift, und die in demſelben den 


Willen: ihres hinmliſchen Vaters erfannt haben, mit Hecht betrach⸗ 
ten Tonnen: um befto weniger faun es etwas anderes fein als ein 
Ueberreſt jene gefährlichen geifllichen Hochmuthes, durch weichen 








821 


wir und nur zu gern über andere erheben, wenn wir dennoch in 
irgend einem Fall unfer Verhältniß gegen andere fo betrachten, als 
hätten roir ihnen Vergebung von oben zu erbitten für Sünden, die 
fie gegen und begangen hätten. Wir verlangen, fie follen uns eh⸗ 
ren als folche, die dem Reiche Gottes leben; fie follen deshalb ges 
gen und wol nod weniger ald gegen irgend andere ben leidenfchafts 
lichen Aufregungen ihres Gemuͤths Raum geben. So erheben wir 
und erft über fie, und nachdem wir dad gethan haben, wollen wir 
ihnen Bergebung erflehen von oben; aber immer heißt das nicht 
bitten, daß ber Herr ihnen die Sünde nicht wolle behalten, welche 
fie ja an und nicht können begangen haben. Denn ed giebt feine 
Sünde, die niht Sünde wäre gegen Gott; und gegen dieſe, mag 
fie ihnen nun behalten werben oder nicht, muß dad Unrecht, das 
und. von ihnen widerfahren ift, ganz verfchwinden. Ja Unrecht koͤn⸗ 
nen die Menfchen und thun, und das mögen wir ihnen Telbft. ver: 
zeihen und werden wohlthun, wenn wir ed ihnen verzeihen: aber 
Sünde begehen fie nur gegen Gott, das heißt gegen feine "heiligen 
Ordnungen, gegen feinen uns durch feinen Sohn verkündigten Wil: 
len. Daher kann auch nur wer hierauf allein fein Augenmerk ges- 
richtet hat, nur wer auf nichts anderes in biefem Leben achtet und 
feine Wuͤnſche auf nichts anderes richtet ald auf das immer felter 
ſich gründende immer weiter ſich verbreitende immer herrlicher ſich 
aufbauende Reich Gottes, nur ein folcher kann ganz ohne Ruͤkkſicht 
auf fich ſelbſt, wenn er fieht, wie die Menfchen gegen dieſen Rath 
Gottes fündigen, in der That und Wahrheit fagen, Herr, behalte 
ihnen die Sünde nicht! 


N. Und dies denn fei der lezte Theil unferer Betrachtung, 
daß diefe Worte überall nur die Gedanken und Empfindungen 
fein können eines Menfchen, der nad) nichts anderem ald nad) 
dem Reihe Gottes und nad feiner Gerechtigkeit trachtet. 
Ein ſolcher ˖ war nun freilich der, deſſen legte Worte uns hier mit⸗ 
getheilt werden. Bedenkt m. chr. Z., er gehörte unter diejenigen, 
weiche die Schaar der glaͤubigen vor- andern auswaͤhlte in dem 
Vertrauen, fie würden mit vollkommener Gerechtigkeit und einer 
allen gleichmäßig zugewendeten Treue ihre Außern Angelegenheiten 
verforgeh und die Werke der Liebe ſelbſt verrichten oder auch bie 
Gaben der Liebe unter bie vertheilen, welche es bebürften. Ein reis 
ches Feld von Thätigkeit war ihm aufgethan durch dieſen Beruf, 
zu dem er durch die Apoſtel des Herrn mit den andern eingeſegnet 
wurde: aber dennoch hat er daran nicht genug gehabt. Er meinte, 
dieſes beſondere Geſchaͤft duͤrfe ihn nicht hindern jene große Pflicht 

III. | * 





322 
zu erfüllen, bie damals allen Chriſten oblag, namlich ſich dafür 
überall zu befennen, daß fie glaubten an Jeſus von Nazareth, daß 
er der Chrift fi. Darum zog fi auch Stephanus nicht zurüft 
von dem Ort, an welchem er an ben feſtgeſezten Tagen fich mit 
andern zu vereinigen pflegte zum Gebet und zur gemeinfamen An: 
börung und Betrachtung der Schrift; fondern nach wie vor befuchte 
er jene Berfammlungen der frommen bed alten Bundes. Er that 
e3 aber jezt vornehmlich um Rechenfchaft zu geben von feinem be 
feligenden Glauben, ob er etwa vermöchte einige in die feige Ge 
meinfchaft bed Sohnes Gottes hinüber zu führen, und eben die 
Beftreben brachte ihn dahin, wo die Worte unferd Zerted ihn uns 
zeigen. Und von weldhem Eifer für diefe Förderung de Reiches 
Gottes zeugt feine ganze Rede! Er war in dem Lande bed alten 
Bundesvolfed ein Fremdling, von denen Nachkommen Abraham: 
“einer, welche in der Zerſtreuung wohnten; aber die frömmften von 
diefen trachteten immer am meiften darnach fo bald ald möglich ih: 
ven Wohnſiz in das Land der Verheißung zu verlegen, wo ihnen 
die Stätte de Tempels nahe war, und wo fie die lieblicken Got: 
tesdienfte und alle die herrlichen Fefte ihres Volkes an diefer Stätte 
feiern konnten. Das war nun auch dem Stephanus gelungen; 
und darum ergießt fich feine Rebe über die früheren Geſchichten des 
Volks um den Beweid zu geben, bag wenn er gleich lange Zeit 
dem Wohnfiz nach ein Zremdling gewejen fei ihm doch auch in ber 
Ferne die Führungen feines Volkes nicht fremd geblieben feien. Er 
zeigt fich als einen Kenner der Geſchichte und zwar nicht nur ber 
Außerlichen fondern auch der innerlichen; er erinnert warnend Daran, 
wie immer die Propheten wären verfolgt worben, welche dem Volk 
den Willen Gottes einfchärfen wollten, und zeigt feinen Zuhörern, 
daß diefe alle gepredigt hätten von dem gerechten, befien Namen er 
jest verfündigfe. Und fo fehr war fein ganzes Gemüth auf nichts 
anderd gerichtet, Daß obnerachtet er wol hätte ahnen können, was 
er fich bereiten würde durch feine Werfündigung — denn fie biffen, 
wie es vorher heißt, bie Zähne zufammen über ihn, — er doch ſich 
felbft fo vergaß, daß er im Eifer feiner Rede und Ermahnung in 
die Höhe fhauen und fagen mußte, ja er fühe den Herm ſizend 
zur rechten Gottes; fo lebendig war in ihm bie Gewißheit, Daß ber 
‚Weg der einzige fei, den er verfündigte, und alle nur auf dieſem 
zu Gott gelangen koͤnnten, ja daß bereinft noch alle fich würden 
beugen müffen unter ben, welchen er jezt im Geifte fah zur rechten 
ber Majeflät in der Höhe. So war biefer; und barum gedachte er 
auch nicht des Unrechts, das ihm widerfuhr, nicht der wilden Lei: 
denfchaft, welche gegen fein Leben wüthete: fondern nur bed Wider: 








323 


Derſtrebens gegen alle Beweiſe aus ber Gefchicdhte und aus bem 
Worte Gotted; fondern nur ber Sünde, in ber fie fortfuhren, vor 
Der er fie an dem Bilde ihrer Väter gewarnt hatte; nur der Wis 
ierfezlichkeit gegen den Rathſchluß Gottes gebachte er. und bat, Herr, 
behalte ihnen dieſe Sünde nicht! 

Dazu nun werden auch wir nicht etwa nur am Ende unfers 
"Lebens Gelegenheit finden, fondern fo lange wir in diefer Welt 
wandeln, wo das nicht aufhört, daß das Fleiſch gelüftet wider ben 
Geiſt, werden wir immer baffelbe ausrufen können. Darum moͤ⸗ 
gen wir auch jeder Gelegenheit wahrnehmen und in ber Gefinnung 
zu flärfen, aber noch mehr jeder wo wir fie auch bewähren innen, 
Daß indem wir bei allen menſchlichen Handlungen nur daran den⸗ 
Een, wie fie ſich zu dem heilfamen Willen Gottes verhalten, wir 
auch in allem Unrecht immer nur dad Widerſtreben gegen das gute 
fehen, welched Gott den Menſchen zugebacht hat, und wenn wir fa 
gen, Herr, behalte ihnen dieſe Sunde nicht, ohne an und zu denken 
niemald etwas andered meinen als das, wad auch Stephanud im 


Sinne hatte. Denn m. g. was heißt wol dad, dem Menfchen wird . 


die Sünde behalten? Sie wirb- ihm behalten, wenn er fie behält; 
fie wird ihm behalten, wenn fie ihm gedeiht; fie wird ihm behal: 
ten am gewiffeften und ach auf die traurigfle Weife, wenn er fei 
ed auch nur vorübergehend dad Ziel erreicht, bad er fich geſtekkt hat; 
fie wird ihm. behalten, wenn er fich allen Mahnungen einzugehen 
in das Reich Gottes immer mehr weigert und ber ernften Stimme, 
bie alle dazu ruft, bad Gehör ganz verſagt. Wenn Stephanus 
fagt, Herr, behalte ihnen dieſe Sünde. nicht: was hatte er anders. 
Dabei gedacht ald Died, Gott möge fie deswegen nicht ganz aus⸗ 
fchliegen aus diefem feinem Reich, in welches er felbft als ein treuer 
Diener fie bis auf feine lezten Augenblikke hatte rufen und ziehen 
wollen; er möge ihnen bie Sünde nicht behalten und ed nicht zu 
zeitig vor ihnen zufchließen, damit auch fie der Segnungen beffelben 
noch während ihres irdifchen Lebens genießen koͤnnten; er möchte 
bie. Kräfte, die jezt feindfelig gegen das Reich feines Sohnes auf: 
traten, beugen unter feine Befehle. Das war ed, was Stephanus 
im Sinne hatte, ald er fagte, Herr behalte ihnen diefe Sünde nicht: 
und niemals follen auch wir etwas anderes babei benfen als eben _ 
dies. Wenn ber Widerfland gegen dad Reich Gottes fich vermins 
dert; wenn fich bie uneinig gewelenen Gemüther immer mehr vers 
fammeln um bei berfelben Quelle dad Heil zu fuchen; wenn das 
Auge bed Geifled immer heller wird um wahres von falſchem zu 
unterfcheiden und fi dem bimmlifchen Lichte zuzumenden: bann 
werben dig Sünden vergeflen und vergeben; bann find fie ver: 
2 | 


32% 


ſchwunden, denn ihre Wirkfamfeit hat aufgehört. Wenn hingegen 
die Menfchen fi) immer mehr in dem Widerftand gegen die Ord⸗ 
nung bed Heild befefligen; wenn fie ihre Ohren immer mehr ver. 
fchliegen gegen dad Wort, Stehe auf ber du todt biſt, damit Dich 
Chriſtus erleuchte *): dann ja dann werben ihnen bie Sünden be- 
halten. Und wie fchön ging das Gebet des Stephanus in Erfuͤl⸗ 
fung wenigftend an einem, aber an wad für einem! Gaulus war 
ed, zu deſſen Füßen diejenigen ihre Kleider niederlegten, die im 
„wilden Grimm ſich zufammenthaten um den Stephanus zu fleini- 
gen. Er wurde dadurch der Zeuge nicht nur fondern ber Theilha⸗ 
ber der That und hatte fein Wohlgefallen daran. Und wenn wir 
auch nicht3 willen von andern, die dabei betheiligt‘ waren: was für 
ein Segen biefes Gebets, wenn wir auf bie Wirkjamfeit dei ge: 
waltigen Apoftel3 fehen! und wer kann es fagen, was bie Erinne 
rung an dieſes große Bild mitgewirkt hat, als der Erlöfer auf Dem 
Wege ihm zurief, Saul, es wirb bir ſchwer werden gegen ben 
Stachel auszufchlagen. Und ſolches Segens werden fich immer biz 
zu erfreuen haben, die auf biefelbe reine Weiſe der Bitte zu Gott 
fähig find, dag Gott die Sünde ihren Brüdern nicht behalten wolle. 
Aber eben je mehr wir Beranlaffung haben zu dieſem Gebet, 
um beflo weniger darf es nur eine Bitte bleiben. Iſt der eigent: 
lihe Sinn diefed Gebets berfelbe bei und wie bei Stephauud: o 
fo muß unfer Wunſch, fo lange wir noch in ben Fräftigen Jahren 
des Leben ftehen, ſich nicht begnügen aufzufleigen in den Himmel, 
fondern von dort gleichlam gefegnet zurüfffehren in unfer eigene? 
Herz und eine Quelle werden von Gott gefälligen Thaten, von 
nicht zu. ermübenber Liebe, von nie erkaltendem Eifer um die Mn: 
fchen zu bem zu führen, in dem fie allein das Heil haben. Wir 
dürfen nicht ermatten die Menfchen zu ihm zu ziehen, fondern feſt⸗ 
ftehen auf dem Beruf, immer bereit Verantwortung zu geben von 
bem Grunde der Hoffnung, die in uns ift, immer geneigt jeden auf 
den rechten Weg hinzuführen. Endlich aber dann, wenn ber Herr 
uns felbft vom Schauplaz des thätigen Lebens abruft, und das ir: 
difche Leben ſich für uns fchließt, wird fich zu der Bitte, daß ber 
Herr fein Reid) fördern wolle und überall mit feiner Gnabe woh- 
nen, wo ihn fchon treue Seelen ehren und lieben, als unerlagliche 
Hälfte unfrer legten Segnung bei jedem Chriften die andere hinzu: 
fügen, daß denen die Sünde nicht behalten werde, welche noch firei: 
ten gegen das Reid) de3 Erloͤſers. Und diefer Segen, ber auf ber 
Bitte ded Stephanus ruhte, wie er: auf dem Gebet des Erloͤſers 


) Epheſ. 5, 14 . 








935 
fhon geruht hatte, der allein immer diejenigen bie Märtyrer bed 
Glaubens waren geheiligt hat — denn die folcher Bitte nicht fähig 
waren, bie waren auch Feine reinen Zeugen bed Glaubens, — die 
fer Segen wirkt fort, und wir koͤnnen deutlich feine Spuren wahr: 
nehmen. Darum wie viel wir noch Zwielpalt fehen in ber Ge 
meinfchaft der Chriften und in allen Angelegenheiten des Glaubens; 
wie oft fich noch Leidenfchaften barein mifchen, daß auch Zorn und 
Haß entbrennt: laſſet und fo lange wir noch leben dem entgegen 
wirten durch die Kraft der Liebe, nie nach etwas anderem trachtend 
als das boͤſe zu uͤberwinden durch das gute! Dann werden wir ſicher 
ſein, auch in unſern lezten Augenblikken ſelbſt fuͤr die, die uns am 
meiſten feindſelig entgegen treten, keinen andern Gedanken zu haben 
als dieſen; und auf ſolchem Gebet wird immer der Segen deſſen 
ruhen, dem wir alle nachfolgen ſollen in den Worten, Vater ver⸗ 
gieb ihnen, denn ſie wiſſen nicht was ſie thun; der ſogar die Suͤnde, 
welche ſich gegen ihn den Sohn Gottes erhob, nur anſehen konnte 
als Unwiſſenheit, als bedauernswerthe Finſterniß, welche nur der 
Erleuchtung bedurfte. Zu dieſem Gebet wollen wir uns alle durch 
das goͤttliche Wort erheben und uns ſtaͤrken unſer ganzes Leben der 
Vereinigung der Gemuͤther zu weihen, damit es immer weniger 
Suͤnde gebe, von welcher wir wuͤnſchen muͤſſen, daß ſie nicht moͤge 
behalten werden. Amen. 


Lied 25, 2. 8. 


xxvm. 
Am 7. Sonntage nach Trinitatis. 





Lied 9. 437. 


Zert. Apoſtelgeſch. 8, 36. 38. 


Und ald fie zogen ber Straße nach, kamen fie an ein 
Waffer; und der Kämmerer fprach, Siehe, da ift Waſſer, 
was hindert es, daß ich mich taufen laſſe? °) Und er 
bieg den Wagen halten, und fliegen hinab in das Waſſer, 
beide Philippus und der Kämmerer; und er taufte ihn. 


M. a. 3. Ich habe nur dad Ende dieſer Erzaͤhlung aus ber 
Sefchichte der Apoftel vorgelefen, in ber Vorausſezung, daß fich aus 
bemfelben ber ganze Verlauf zwifchen dem Diener des Herm, Phi: 
lippus, und biefem Kämmerer aus Mohrenland einem jeben verge: 
genwärtigen werde. Wir fehen darin, und fo wollen wir es mit 
einander jest betrachten, ein Beifpiel, Ichrreich wie jedes einzelne 
if, von der Art, wie ſich das Evangelium in ben erften 
Zeiten ber Ehriftenheit verbreitet hat. Laßt und dabei zuerft 
auf die göttliche Ordnung fehen, bie wir babei wahrnehmen, aber 
dann ˖ auch zweitend auf bie menfchliche Handlungsweiſe, bie fich 

und darin zeigt. 


l. Was nun zueft die göttlihe Ordnung betrifft, die 
wir in dieſer Erzählung wahrnehmen, fo Tann es freilich fcheinen, 


) Der B. 37. if jet wol allgemein als ein fpäterer Zufaz anerkannt, 





a — — — — 


327 


wenn und ba gefagt wirb mit abwechfelnden Worten, bald ber En: 
gel des Herm fagte bem Philippus, bald der Geift fprach zu ihm, 
und der Geift rüfkte ihn wieber hinweg: fo Bönnte es fage ich 
Kheinen, als ob Died eine Art und Weiſe wäre dad Evangelium 
biefe größte Gnabenwohlthat Gottes in ber Welt zu verbreiten, 
welche Feine vernünftige Auslegung zuliege, in welcher fich Feine 
feſte Regel zeigte, ja worin wir eher fcheinen Eönnten das zu ver- 


mifien, was der Apoftel Paulus an einem Orte in feinen Briefen - 


fagt, daß Gott nicht ein Gott der Unordnung ift in ben Gemein- 
den ). Denn ed erfcheint uns freilich ald etwas fehr zufälliges 
umd aufs Gerathewohl unternommened, wenn Philippus fo wun⸗ 
derbar auf eine nicht gerade fehr häufig befuchte Straße gebracht 
wird und dba unerwartet und zufällig einen einzelnen findet, wel: 
chem er fi) nun berufen fühlt das Evangelium zu verkünbigen. 


Aber wie ja in Gott nichtd auf folche Weife einzeln ift, einzeln bes- 


fhloffen wird und ausgeführt, fondern alles in einem großen, Zu: 


fammenhange: fo müffen wir auch dieſes nicht fo für ſich allein bes 
trachten fondern in feinem Zufammenhang mit allem übrigen, wenn. 


wir eine richtige Anficht davon auffaffen wollen. - Gehen wir in bie 
Geſchichte zuruͤkk, ſo müffen wir unfere Betrachtung daran Enüpfen, 
wie ber Erlöfer zu feinen Süngern Furz vor feinem Erhobenwerben 
in ben Himmel fagte, fie follten Serufalem nicht verlaffen fondern 
da fo lange warten, bis fie würden angethan werben mit Kraft aus 
der Höhe; und dann follten fie feine Zeugen fein anfangend in Je: 


rufalem bis and Ende der Erde. Darin hatte alfo der Erlöfer ih⸗ 


nen fchon eine Ordnung vorgezeichnet; mit Serufalem follten fie 
anfangen aber nicht eher, als bis fie die Erfüllung feiner Verhei⸗ 
ßung erfahren hätten; und von ba an follte ſich nach allen Seiten 
bin das Evangelium verbreiten.- Nun kam jener denkwuͤrdige Tag, 
wo fie angethan wurden mit Kraft aus der Höhe, und den wir 
als den erften beflimmten Anfang ber fichtbaren Kirche Chrifti auf 
Erden anfehen können. Wenn wir aber weiter betrachten, wie fie 
feitvem zu Werke gegangen: fo müffen wir fie darum loben, daß 
fie nicht eine unruhige Ungebuld bewieſen, gleich nachdem fie das 
erfte befolgt, Ywas ber Herr ihmen aufgetragen, nun auc auf dad 
ſchnellſte zum zweiten fortzufchreiten. Sie zerftreuten fich nicht, nach: 
dem fie die Gemeinde von zuerft breitaufenb Seelen, die ſich aber 
immer mehr anhäuften, gefammelt hatten, fie zerftreuten fich Feines: 
weges gleich willkuͤhrlich der eine hierhin, der andere dorthin; ſon⸗ 
dern wie es allerdings noth that das Wort, das einen ſo ſchnellen 


*) 1. Kor, 14, 33. 


£4 
— — 
ö— — — — — — — 


Eingang in bie Gemüther gefunden hatte, nun aud den neuen 
gläubigen recht tief einzuprägen und es ihnen feinem ganzen In⸗ 
halt nach, welches ja immer dad Werk des göttlichen Geiſtes fein 
folte, immer mehr zu erflären: fo begnügten fie ſich mit dieſer ſtil⸗ 
(en Wirkſamkeit bed regelmäßigen und ruhigen Lehrens in ver Ge 
meinde, die ihnen Gott anvertraut hatte. So geflaltete fi) alfo in 
Ruhe und Ordnung bad Geichäft der chriſtlichen Lehre; fo began- 
nen die heilfamen Ordnungen der chrifllichen Gemeinſchaft fi im: 
mer mehr zu entfalten: damit aber etwas weitered gefcdhehe, mußte 
der Herr erft anderes herbeiführen. Da entfland jener feindfelige 
Ausbruch gegen dad Werk des Erlöferd, welcder fih ben Stepha⸗ 
nus zum Gegenfland nahm und ihn ald den erflen chriftlichen Mär: 
torer auözeichnete; ba erhob ſich die Verfolgung, die einer großen 
Menge von Chriften dad Zeichen gab ſich zu zerfireuem. Zu denen, 
die fich fo zerſtreuten, gehörte auch Philippus; er begab fi) in ben 
: Theil des jüdifchen Landes, den wir in ben Schriften bed neuen 
Teſtaments mit dem Namen Samaria bezeichnet finden, und hans 
beite daran ganz vernünftig. Denn hier war er ficher vor ber aus: 
gebrochenen Verfolgung, weil die Juden die Gemeinfchaft mit ben 
. Bewohnern diefed Landes fcheuten; ed war eine Stätte, wo auch 
der Erlöfer ſelbſt jene Zeindihaft nicht achtend ſchon geweilt und 
einen Samen bed göttlichen Wortes ausgefireut hatte, der feine 
Juͤnger mit den fchönften Hoffnungen erfüllte. Hier predigte nun 
Philippus, und ganz in der Ordnung wie die Apoflel in Jeruſa⸗ 
lem gethan trieb er dad Werk der Lehre und fammelte eine Ges 
meinde des Herm. Aber ald die Apoſtel, welche zu Jeruſalem ge 
blieben waren, davon hörten, fandten fie zweie aus ihrer Mitte, 
den Petrus und Johannes, dorthin um dad angefangene Werk zu 
vollenden und auc dort alle Ordnungen der chriftlichen Gemeinde 
wie in Serufalem aufzurichten. Als diefe beiden nun das dortige 
Merk in ihre Hände nahmen, wurbe eben dadurch der Dienft be3 
Philippus uͤberfluͤſſſg. Er aber trachtete nur danach noch mehr 
Seelen zu gewinnen für dad Wort des Lebens; und in dieſer Lage 
war e3 denn jener Zug des Geiftes, jene Stimme, oder wie wir es 
fonft nennen wollen, was ihn auf jene Straße führte. Andere, die 
fih zu derjelben Zeit zerflreuten, gingen in ihre Heimath zurüft, 
indem fie dort vor der Verfolgung Ruhe und Frieden zu finden 
hoffen durften, weil Die Gewalt jener Feinde des Evangeliums nicht 
fo weit hinaus reichte. Die nun dieſer freilich natürlicheren Ord⸗ 
nung folgen Fonnten — was dem Philippus nicht gegeben war, 
denn er wohnte wahrfcheinlih in vder in der Nähe der jübifchen 
Hauptftadt, — von diefen nun kamen unter andern einige auch 





329 


nach Antlochia, wo fich eine große Gemeinde fammelte nicht nur - 
von Juden fondern auch von Heiden. Und weich großer Segen 
it nicht von dort audgegangen! Diefe Stadt wurbe ber Mittels 
punkt, von wo aus der Apoftel Paulus feine Reifen betrieb, und 
fo iſt auch zu glauben, baß dieſe Gemeinde ihn zu feinem großen 
Wer? ausrüftete und überall darin unterflügte. Wie faffen wir nun 
die göttliche Ordnung in dieſen verfchiebenen Faͤllen doc ald dies 
jelbe richtig zufammen? Offenbar auf diefe Weif. Wo durch bie 
menfhlichen Verbältniffe deutlich genug darauf hingewielen war was 
jeder zu thun habe, ba war es bie göttliche Ordnung diefer Anden: 
fung zu folgen; wo es aber an folchen Zeichen fehlte, was anders 
konnte da dad Gemüth eines Juͤngers beſtimmen, welcher begierig 
war dem Herrn Seelen zu gewinnen, wohin er ſich zu wenden 
habe, als irgend ein ſolcher innerer Zug des Gemuͤths? Darum 
wenn wir dies nur in ſeinem ganzen Zuſammenhang betrachten: ſo 
erblikken wir auch in dieſem Geſchaͤft uͤberall den Gott der Ord⸗ 
nung. Denn dieſes bleibt ſich doch uͤberall gleich, bei aller Ver⸗ 
ſchiedenheit in der Art und Weiſe, wie dieſes und jenes, was zur 
Erfuͤllung ſeines heilſamen Rathes dient, allmaͤhlig ins Leben tritt. 
Je mehr einem ſein Gang ſchon durch den gewoͤhnlichen Verlauf 
des menſchlichen Lebens vorgezeichnet iſt, um deſto mehr wird er 
alles was er fuͤr das Reich Gottes erſprießliches thun kann erreis 
chen, indem er in dieſen gewohnten Verhaͤltniſſen ſich fortbewegt; 
wo aber dieſe nicht ausreichen, da muß die Stimme des Geiſtes 
enticheiden, was ber eine was ber andere thun kann und fol. 

Aber wenn uns nun freilich in diefem Zufammenhang betrach: 
tet auch. ein fo befonderer Fall wie ber, welcher in dieſer Erzählung 
vorliegt, weniger ungeregelt weniger auffallend erfcheint: Eins For 
nen wir doch nicht davon abwenden. Wir müffen und fragen, wad . 
hatte denn dieſer für einen Vorzug vor fo vielen, daß gerade zu 
ihm Philippus gefandt ward um ihm dad Evangelium zu verfün- 
digen und ihm ben göttlichen Rathſchluß klar zu machen aus ben 
Schriften der Propheten? Diefr Mann war, wie. wir aud ber 
ganzen Erzählung ſchließen müffen, - ein Judengenoffe, der aber in 
jenem Lande, von wannen er nach Serufalem kam, wir wiffen nicht 
war es fein Vaterland oder nicht, einen angefehenen Wirkungskreis 
in ber Nähe ber Zürftin hatte. Er war nun ald frommer jüdifcher 
Dann nad) Serufalem gereift zu einem von ben hohen Zelten und 
kehrte jezt von da zuruͤkk. Wie virle Verehrer beö Einen Gottes 
frömten aber nicht aus allen Gegenden, wo Mitglieder des jübi: 
ſchen Volks und Anhänger feined Glaubens zerftreut lebten, zu je: 
dem Zefte nach Jeruſalem zufammen! Und gewiß find viele darun⸗ 


- 


3% 


ter geweſen, bie eben fo empfänglich waren das Wort bed Lebens 
in fich aufzunehmen, viele bie nicyt minder, wie biefer Mann es 
mag geweien fein, genährt waren.mit ber Hoffnung auf den, ber 
da zum Heil feines Volkes kommen follte.e Denn bag auch biefer 
fi) mit ſolchen troͤſtlichen Gedanken beicyäftigte, können wir wol 
daraus fchließen, dag wir ihn mit feiner Aufmerkſamkeit auf einer 
Stelle des Jeſaias feftgehalten finden, aber ohne freilich daß ex fi 
von ber genauen Beziehung deſſen, was in jenen Schriften lag, 


‚hätte BRechenfchaft geben koͤnnen. Wie viele Gemüther von gleicher 


Froͤmmigkeit, voll eben folcher gottgefälligen Hoffnung mögen da: 
mald auf der Rüflkehe geweſen fein nach ihrem Vaterlande: aber 
zu allen diefen fam niemand, fondern zu dem einen Kämmerer aus 
Mohrenland wurbe Philippus gefandt. Und ging ed nicht fall 
überall fo mit der Verkündigung des Evangelium3? Daß von de 
nen, bie bamals zu Zerufalem ber erften Gemeinde der Ehriften an: 
gehörten und durch die Berfolgung, die ſich über Stephanus erhob, 
zerftreut wurden, einige aud Cypern waren, andere aus Antiochia 
in Syrien, das gab diefen Gegenden einen Vorzug: woher, womit 
hatten fie den verdient? warum waren nicht andere Länder bie be: 
günfligten? Solche Fragen m. a. Fr. fleigen immer bei ähnlichen 
Gelegenheiten in und auf; und wenn wir auch biöwellen an die 
Art denken, wie der Apoftel Paulus fie befchwichtigt, indem er fagt, 
der Töpfer mache ein Gefäß zu Ehren, andere zu Unehren, fo hätte 


Gott die Menfchen ber damaligen Zeit georbnet, einige Dazu, daß 


fie follten erleuchtet werben durch die Predigt des Evangeliums, 
und einige wieder bazu, daß fie ſollten fortwandeln in derfelben Fin: 
fterniß wie bisher; wenn wir auch biöweilen auf dieſe Art beſchwich⸗ 
tigt werden: jene Fragen kehren uns body immer wieder. Aber m 
a. $r. laffet und bebenten, iſt ed in der irbifchen Welt anders mög: 
lich geweſen? Alles was und hierin unbegreiflich erfcheint hängt an 
zwei Worten der Schrift, welche die Angabe bed göttlichen Kath: 
ſchluſſes find, um weldye fich feine ganze Führung bewegt. Das 
eine ift died, Sie find allzumal Sünder und ermangeln des Ruhms, 
den fie vor Gott haben follen *). — Keinen Borzug batte einer 
aufzumeifen vor bem andern, nach welchem fich die göttliche Ord 
nung hätte richten koͤnnen; die Sünde überall dieſelbe, der Grund 
bed Verderbens berfelbe bei jevem ohne Ausnahme, und alle gleich 
vor dem, vor welchem fie des Ruhmes, den fie hätten haben follen, 
ermangeln. Das andere Wort ift diefes, Das Wort ward Fleiſch 





9 Roͤm. 3, 23. 





331 


und 'wohnete unter und ”)., — Nämlich nicht anders als auf 
menfchliche Weile konnte Gott bie Menſchen befeligen, in einem 
Menſchen wie fie mußte er fich offenbaren; und indem. fo dad Wort 
Sleifh wurde, fo war bamit zugleich ſchon auch diefes beflimmt und _ 
geordnet, daß auch alled was daraus folgen follte, dad ganze Werk 
ber Begnabigung in dieſer Offenbarung Gotted durch einen Men: 
fhen die Geſtalt menfchliher Dinge annehmen mußte. Darum 
konnte auch das Evangelium nicht anberd als allmählig von einem 

Ort zum andern ſich verbreiten, bald ber Stätigkeit der Ueberlieſe⸗ 
tung folgend, bald durch einen Zug des Geiftes in. Gegenden ge 
langend, wo es fonft nicht verbreitet worben wäre. Anſpruch war 

nirgend, jeber Vorzug erfcheint nur ald Begünftigung; aber daß 
fi) deffen Feiner überhebe, dafür war geforgt durch das innere Ges 
fühl, was ſich in allen-ausfpricht, daß es in Beziehung auf dieſen 
Rath Gottes und. die Erfüllung befjelben an den Menfchen kein 
vorhergehendes Werbienft giebt, welches einer hinzubringen könnte. 


Aber fo gewiß Gott auch bier nicht ifl ein Gott der Unordnung, . . 


gebührt e8 und den Spuren ber göttlichen Weisheit nachzugehen ; 
und diefe werben fich überall zeigen, wenn wir eben fo mit einfäl: 
figem ald mit aufrichtigem Sinne darnach fragen, was um und ge 
Mhieht, Bringt Feiner ein Verdienſt hinzu und wirb doch begün: . 
figt:: fo kann er nicht begünftigt werben um fein felbft willen fon 
dern um anderer willen. So fagt Chriflus zu feinen Iüngern, und . 
das iſt Die befländige Regel für das ganze Werk Gottes durch ihm, 
Ich habe euch ermählt, auf daß ihr hingehet und viele Frucht brins 
get **). " Nicht um ihretwillen wurben fie begünftigt vor andern, 
die alle gleich gut gewefen wären für ben Erlöfer wie fie, fondern 
um ber Frucht willen, die fie bringen follten. Und das iſt die 
Drbnung, nach der überall in ber Welt dad Evangelium ift ver 
breitet worden; das ift Die göttliche Weisheit, die wir ergreifen fol: 
len, die aber freilich ein gläubiged Gemäth vorausſezt: Gott lenkt 
bie Berfündigung des Evangeliums fo unb bahin, wo bad größte 
geihehen kann, und die meifte Frucht gebracht werden kann in ber 
geringften Zeit, auf daß fich fo ber Reichthum und die unerfchöpf: 
liche Fülle feiner Gaben verherrliche. Und jeder, der nach biefer 
göttlichen Orbnung als ein begünftigter erfcheint, weil grade ihm 
das himmliſche Licht leuchtet, und ihm ber Ruf ertönt iſt zu einer 
glüfftichen Stunde, wo ihm Auge und Ohr geöffnet war: ber ſei 
ernſtlich darauf bedacht mit diefer himmlifchen Gabe. hauszuhal: 
— — . 
) Joh. 1, 14. 
) Io. 15, 16. 


332. 


ten, die ihm nicht um feinetwillen anvertraut iſt fonden um bes 
großen Zufammenhangs willen, der in ber Verbreitung des Evan- 
geliums flatt findet. Wenn wir darauf jene Frage binlenten, damm 
wird und bie göttliche Weisheit in unferer eigenen wie in ber Fuͤh 
rung aller menfchlihen Dinge immer mehr beutlid werden, und 
dann wird fie und biefen Weg der Weisheit führen, bag wir nichts 
verfäumen von dem wohlgefälligen Gottes Willen, ber an ums 
alle ergeht. 


U. Aber m. a. Fr., damit wir hier nicht den rechten Weg 
verfeblen, fo laßt und in dem zweiten Theil unferer Betrachtung 
auch auf die menſchliche Handlungsmweife, die fih in 
dieſer Gefhichte offenbart, Ruͤkkſicht nehmen. 

Wie ich ſchon vorher aufmerkſam darauf gemacht habe, daß 
wir in diefem und ähnlichen Fallen bald Ieien, Der-Engel des 
Herrn ſprach zu dieſem ober jenem, bald wieder, Der Geiſt ſagte 
ihm diefed und jenes: fo haben wir Feine beftimmte Vorſtellung 
von der Art und Weife, wie dies geſchehen iſt; aber wir finden doch 
etwas ähnliches in und. felbft, worauf wir nothwendiger Weife auch 
alle ſolche Ausdruͤkke der Schrift beziehen müffen. Oder iſt dad 
nicht das ſchoͤne und große Ziel, dem wir alle entgegen gehen, daß 
ber Geift Gottes auf foldhe Weife einheimifch werde in und, daß 
wir den Zrieb unferd eigenen Gemuͤths und die Eingebung und 
bad Werk des göttlichen Geiſtes in unferer Seele nicht mehr zu 
unterfcheiden vermögen? Go lange noch beide in und fo weit 
audeinandergeht, daß wir es beutlich zu unterfcheiden willen: fo 
lange muß es noch etwas in und geben, bad bem göttlichen Geiſt 
wiberfpricht; denn anderd al3 an biefem Widerſpruch würden wir 
es nicht unterfcheiden fonnen. Wo aber das nicht if; wenn und 
nichts entgegentritt in unferm leiſeſten Gefühl, was wir gegemüber 
bem Antriebe des Geiſtes als menfchliched und verberblicyed erken⸗ 
nen müffen in einer Bewegung unferd Herzens: da wenn wir al: 
berö ſchon dem göttlichen Geift Raum gegeben haben, und er um: 
ferm Geifte ſchon dad Zeugniß audgefpsochen hat, dag wir Gott 
Kinder find, da mögen wir glauben, daß dad was und bewegt in 
Wahrheit ein Zug und Werk des heiligen Geifted ift. Aber damit 
-wir und darin nicht auch irren und uns felbfl, wie ed ja-zu leicht 
gefchehen Tann, mit leeren Vorſpiegelungen taͤuſchen: ſo laßt uns 

auch die Handlungsweiſe des Philippus in ihrem ganzen Zuſam⸗ 
menhang betrachten, aͤhnlich wie wir vorher den Zuſammenhang der 
goͤttlichen Ordnung betrachtet haben. 











333 


Ehe ihm alfo dieſes begegnete, war er in einer von ben Staͤd⸗ 
ten ded Landes Samaria gewefen und hatte da eine geraume Zeit 
dur Wort und That gewirkt um eine Gemeinde von Chriften zus 
fammen zu bringen. Wenn ihm während diefer Zeit ein ähnlicher 
Gedanke gekommen wäre aufs unbeflimmte anderwärts hin zu gehn, 
und er haͤtte einen folchen Zug gefpürt dad Werk, worin er begrifs 
fen wer, zu unterbrechen um aufs Gerathewohl bald da bald dort 
fih etwas neues aufzufuchen: hätten wir dad loben koͤnnen? hätten 





wir es für einen Zug des göttlichen Geiſtes halten Tonnen? Mit 


nichten! wenn er doc, hätte ein’ angefangened Werk liegen laſſen 
müflen; wenn er ein Gefchäft hätte abbrechen müffen, das ihm um 
fo lieber fein mußte, je gelegneter e8 von Gott war! Und was 
that er hernach? Sobald der Kämmerer getauft war, heißt es, 
ruͤkkte ihn der Geift wieder weg. - Diefer Drang diefer Zug feines 
Geiſtes war geſtillt, dieſes Saamenkorn war in guten Boden ges 
fallen, diefed Werd war durch thn, fo weit er ed fördern Tonnte, 
vollbracht. Wenn er fi) nun in diefem außerorbentlihen und fels 
tenen fo gefallen hätte, daß er an dem alltäglichen feinen Geſchmakk 
mehr gehabt und gern die Hände in ben Schooß gelegt hätte um 
su harten, bis ihm wieder etwas eben fo außerordentliche vorkaͤme: 
ach wie leicht hätte ihn dad nicht nur täufchen koͤnnen; fonbern 
auch an und für ſich fchon, wofür müßten wir ed halten, als für 
einen Zug von der gefährlichen Eitelkeit, die fih fo gem an das 
wunderbare hängt! Aber nein; einmal war Philippus ‚dem Zuge 
des göttlichen Geiſtes gefolgt, es war ein fegendreiches. Werk daraus 
entftanden; aber nun heißt es fing er an, ſeitdem jenes geſchehen 
war, alle Städte hindurchzugehen längs der Küfte ded Meere um 
fie mit dem Evangelium zu erfüllen, bis er nach Caͤſarea fam. So 
entſpann ſich denn auch aus jenem außerorbentlichen Zug bed Geis 
fied gleich wieder, eine zufammenhangende geregelte Thaͤtigkeit, die 
nicht nöthig hatte aufd neue von etwas außerordentlichem unterbro: 
chen zu werden. 

Darum zweierlei müfjlen wir wohl in Acht nehmen, wenn auch 
wir jemald in den Fall kommen und durch ſolche Stimme im ins 
nern ziehen und treiben zu faffen. Einmal daß ed nicht: etwa ein 
unfläter .Geift fei, der und treibt, um indem er uns ferned und 
weites zeigt und aud dem Werke, dad und von Gott anvertraut 
ift, hinauszulokken; denn foldy unſtaͤtes Werk ift nicht die Art des 
göttlichen Geifted. Und bann, daß wir und nicht verführen laffen 
von der Eitelkeit, weil doch die welchen ein folcher Zug bed Gei- 
ſtes wiberfährt als auögezeichnet erfcheinen, als nicht den gewöhnli: 
chen Weg der Menfchen wandelnde, fondern die zu ungewöhnlichen 





33% 


höherem von Gott befiimmt find. Sondern das iſt die Natur ber 
menſchlichen Dinge: alled neue und gleichſam urfprüngliche kann 
nur Durch folche lebhafte Erregung bed Menfchen in feinem inner, 
durch folchen oft unbegreiflihen Zug bed Gemüthd beginnen; aber 
dieſes darf immer nur der Anfang fein von einer vegelmäßigen und 
zufammenhangenden Xhätigfeit, von einem wohlgeorbneten Wert, 
dad in bie gefammte gottgefällige Thaͤtigkeit aller eingreift. Nur 
wenn irgend etwas auf folche Weiſe zu. Ende gebradht if, Tann et: 
was von jener Art wieder gefchehen und dann für einen. Zug de 
Geiſtes geachtet. werben. Wer aber mitten in einem Werk begriffen 
iſt, das zu dem ihm von Gott beſtimmten Beruf gehört, der würde 
fi) wol immer täufchen, wenn er dad für eine Stimme bed Ge: 
ſtes hielte, was ihn aus ber gottgefälligen Thaͤtigkeit entfernt, fon- 
dern der fol wie ber Apoftel fagt in dem bleiben, worin er beru⸗ 
fen if. Nur wenn wir und fo aller Eitelfeit und aller unfläten 
Thaͤtigkeit entichlagen, wenn wir dad zum Gebeihen bringen was 
uns anvertraut ift, und nur wenn eines vollendet iſt und ein neue 
beginnen fol, dann wollen wir auf die Stimme des göttlichen Gei⸗ 
ſtes laufchen, und wohl vorfehend, daß uns nicht eine menfchliche 
Eitelkeit befchleihe: dann wird fi) auch in dieſem Zug des Her⸗ 
zens uns, wie es damals geſchah, Gott offenbaren unb feinen 
Weg führen. J 
Aber wir koͤnnen hiermit die. Betrachtung ber Handlungsweiſe 
bes Philippus noch nicht ſchließen; ed ift noch ein wichtiger Punkt, 
den wir nicht aus den Augen laſſen bürfen. Philippus fand ben 
Kämmerer leſen im Buch ded Propheten Jeſaias, und ald er ihn 
fragte, ob er auch verflände was er.lefe — ber Sprache war er 
wohl kundig, denn dad müffen wir ihm zutrauen, und bed Philip: 
pus Frage konnte ſich nur darauf beziehen, worauf der Prophet 
deute: — ba befannte jener fromme Mann aufrichtig, das vermoͤchte 
er nicht, wenn ihm nicht eine Anleitung gegeben würde; und er 
hätte noch nicht Far darüber werben können, von wen ber Prophet 
rebe. Und hievon, heißt es, nahm Philippus Veranlaſſung ihm ben 
Erloͤſer zu verkuͤndigen aus biefen und andern übereinflimmenden 
Zeugniffen ber Schrift; und während er noch hierin begriffen war, 
beißt ed, kamen fie an ein Wafler, und ber Kämmerer fprach, Hier 
it Waſſer, was hindert, daß ich getauft werde? Und Philippud 


. fand fich bereitwillig dazu; . ohne weitered flieg er hinab, ex taufte 


ihn, und damit. war fein Werk an ihm vollendet. GCrfcheint- und 
das nicht als eine große Leichtigkeit in Beziehung auf ein fo wide 
tiged und heiliges Geſchaͤft? Wie mußte nicht jenem Manne das 
auffallend und als eine wunderbare göttliche Fuͤgung erfcheinen, daß 


38 


einer wie ausdruͤkklich zu ihm gefandt wurde um ben Durſt feines _ 
Herzend zu flillen und die Worte der Zeugen Gottes ihm klar zu 

machen; und je mehr er davon durchdrungen war, um beflo leich⸗ 
ter mußte er auch geneigt fein dem Gehör zu geben, was jener fagte. 
Iſt das aber nicht eine zu flüchtige Bewegung ded Gemuͤths, als 
daß darauf eine neue Ordnung des Lebens erbaut werben könne? 
nicht eine zu leicht vorübergehende beifällige Aufregung um eine 
fefte Zuverficht zu begründen, dad Werk Gotted habe wirklich Wur⸗ 
zel gefaßt, und es werbe ein ganz neued Leben hieraus entſtehen? 
Wie ungewiß erfcheint und das, und wie hätte alfo-auch Philippus 
zweifeln follen! Aber nein, ex weigerte fich ded Manned Begehren . 
nicht, flieg hinab und taufte ihn im Namen Jeſu! Und find nicht 
die andern Apoftel des Herrn immer fo zu Werke gegangen? Wie 
friſch und fröhlich taufte Petrus auf einmal an breitaufend Seelen 
am Tage ber Pfingfien, von denen auch zu vermutben war, ed 
fonne bei mehreren berfelben nur eine fluͤchtige Bewegung fein, 
wenn gleich gelagt wird, ed ging ihnen durchs Herz, und fie frags 
ten, Ihre Männer, lieben Brüder, mas follen wir thun, baß wir 
klig werden? aber alle taufte Petrus. Und eben ſo friſch und froͤh⸗ 
ih handelt er hernach aud) ‚beim Hauptmann Cornelius mit der 
ganzen Hauögenoffenfchaft, von ber er doc wenige kannte. Wenn 
ihm auch dad Haupt derfelben auf jene außerordentliche Weiſe em⸗ 
biohlen war, waren ed bie andern auch? Und wenn fich in einis 
gen eine folche Erregung zeigte, daß fie anfingen die Thaten Gottes 
iu preifen: war bad eim hinreichender Grund zu glauben, bag in 
der That Dad neue Leben begonnen habe, fo daß fie nun auch im⸗ 
mer im Glauben treu bleiben würben? So koͤnnten wir bedenklich 
fragen: aber bei den erften Juͤngern finden wir nichts von dieſer 
Bedenklichkeit, nichtd von einem Bekenntniß, dad fie gefordert, und 
nichts von beftimmten Formen der Lehre, auf welche fie ihre Taͤuf⸗ 
linge verpflichtet hätten; fondern nur auf den Eindruff bin, ben e8 
ihnen machte, wenn einer begehrte in diefen Bund des Herzens mit 
Gott aufgenommen zu werden, fchon auf diefen Eindrukk hin tauf- 
ten fie. Worauf doch haben fie fich verlaffen? und war ihre Zu: 
verficht wohlbegründet oder nisht? Zweifeln koͤnnen wir wol nicht: 
denn fie waren ja die außerwählten Werkzeuge des göttlichen Geis 
ſtes; diefer war es ja, ber fie leitete; und überall erfiärte er ihnen 
Chriftum und lehrte fie auf ihn zu fehen, wie Chriftus immer ſah 
Auf die Werke, die ihm der Water zeigte. Alfo in einer Gott unb 
dem Erloͤſer wohlgefälligen Zuverficht thaten fie, was fie thaten. 
Nur freilich nicht auf das allein vertrauend, was fchon geichehen- 
war, fondern noch vielmehr vertrauend auf bad, was noch kommen 


ſollte: auf die Anfaffung ber Gemüther durch das göttliche Wort, 
auf dad Zufammenleben der Neulinge mit denen, die fchon feft wa: 
ren im Glauben, auf die fchönen erbaulihen Ordnungen bed neuen 
Lebens, auf die Kraft einer geiftigen Anbetung Gottes, welches al« 
le fie immer mehr befefligen mußte in dem angefangenen Wert. 
Nicht nur auf die Vergangenheit, nicht nur auf dad, was fie ſchon 
gewirkt, und ber Geift Gottes durch fie, verließen fie fi, fondern 
auf das fortgehende Wirken bed Geifled, darauf dag weil num der | 
. Grund gelegt war, auf den Fein anderer gelegt werben Eonnte, auch 
dad Gebäude felbft ungefäunt darauf müßte errichtet werden, damit 
jeber, auf deſſen Herz der Geift gewirkt hatte, nun auch immer 
mehr von biefem Geift könne erfüllt werben.-. Als folchen Anfang 
fahen fie es an, wenn fie einzelne aufnahmen durch dad Waſſerbad 
der Taufe in bie Gemeinfchaft der gläubigen. Aber am. weiteften 
waren fie entfernt von irgend einem Vertrauen auf einen Buchfla: 
ben, von einer Bedenklichkeit in Beziehung auf die Gedanken, in 
welchen fich die neue Lehre in den Gemüthern geflaltete, fondern 
nur auf den Eindruft fehend und ihm folgend, den diefelbe auf bie 
Gemüther gemacht. Wäre in diefem etwas faliched geweſen, wie 
wir an dem fehen, welcher für Geld meinte die Kraft zur Mitthei: 
lung des Geiſtes empfangen zu können *): o dann würden fie ſich 
auf kein Bekenntniß verlaffen haben, wie genau es auch übereinges 
fiimmt hätte mit ihren Worten und denen des Erlöferd! Aber dem 
ergriffenen Gemüth, wenn ed erfüllt war von dem, was der Geifl 
Gottes durch die Apoſtel redete, dem vertrauten fie; dem Werlangen, 
was fi) in ben Menfchen zu erkennen gab, aufgenommen zu wer 
den in eine Gemeinfchaft, die Feine Art von aͤußern Vortheilen ver: 
fprach fondern nur Zrübfale und Verfolgung; welche fich feiner 
Ehre zu erfreuen hatte, fondern gefhmäht und geringgefchäzt wurde: 
dem Verlangen in dieſe aufgenommen zu werden vertrauten fie; 
und auf diefe Weile find fie überall verfahren bei Verkündigung 
bes göttlichen Worts und bei der Sammlung ber erften chriftlichen 
Gemeinde. 
Wolan, fo wollen denn auch wir ihnen: überall folgen, auf daß 
wir ihrem Vertrauen und ihrem Glauben ähnlich fein! zunaͤchſt 
und hauptfächlich und nur auf das verlaffen, was orbnungsmäßig 
geichieht durch die Verkündigung bed Evangeliums in der Gemeinde; 
nicht Angfllich fragen, wie dad Wort laute bei diefem oder jenem, 
fonbern feft vertrauen, wo eine Luft ift an dem göttlichen Wort, Da 
fei auch ſchon ein Werk des göttlichen Geiſtes, da werde fich Glaube 


7) Ap. Gel. 8, 18. 19. 





337 


und Liebe Eräftiger und reiner geftalteır, und das Werk Gottes fich 
immer herrlicher ausprägen, fo wir nur einander zugethan bleiben 
in rechter hülfreichet Treue, um die Gemeinde Gotted mehr und 
mehr zu geflalten ald ein Bild Chriſti und- fie vor ihm barzuftellen 
ohne Flekken und Zabel. Und wie der Geift Gottes niemald aufs 
hören wird in der Gemeinde: fo laſſet uns niemals aufhören mit 
unferm Wirken nad bem Worte bed Herrn, Er wirb zeugen und 
ihe follt auch zeugen *). Und wie dad Reich Gottes nicht befteht 
in Worten und auch nie gekommen ift mit Worten und äußern 
Werken: fo laffet und immer nur darauf fehen, wie die Gemüther 
der Menfchen Bott zugewandt find. Darin fie fördern, das ift bie 
Liebe, welche das Band der Wollfommenheit ift, welches. und alle 
immer enger umfchließen fol, und das iſt die rechte Kraft, durch 
welche fich ber geiflige Tempel des Herrn immer höher erheben muß. 
Wenn nur feiner in pollem Sinn etwas anders fein will, als an 
finem Orte ein Werkzeug des göttlichen Geifted um dad Reich 
Gottes zu fördern: dann wirb ed auch keinem jemald fehlen hiezu 
nach Kräften wirkſam zu fein, fei ed in ber gewöhnlichen Ordnung 
bed Lebens, fei ed, wo und jene im Stich läßt, durch folchen bes 
ſondern Bug des Geifted; jeder wird etwas thun koͤnnen zur For: 
derung bed Reiches Gottes, denn dazu find wir alle berufen. ‚Amen. 


. 





9 Joh. 15, 8. 27. 


Lied 431, 5 


u XXIX. 
Am 9. Sonntage nad Trinitatie. 


Text. Apoſtelgeſch. ©, 5. 
E35 wird Dir ſchwer werben wider den Stachel auszu: 
ſchlagen. 


Mi diefer Warnung m. hr. 3., welche Saulnd erhielt, fei es 
nun vorher ober erſt nachdem ihm kund geworben war, weß bie 
Stimme fei, welche er vernahm, mit diefer Warnung begann eigent: 
li die Umwenbung feined Sinne, feine Belehrung zum Glauben 
an Jeſum ald den Chrift und den Erlöfer ber Welt. Welch eine 
wichtige Begebenheit für die ganze Geſchichte bed Reiches Gottes 
auf Erben, wie ein folched auserwaͤhltes Rüflzeug Gottes umgeflal: 
tet wurbe aus einem Verfolger in einen gläubigen, in einen Ber: 
fündiger der Wahrheit, in einen Apoftel des Herrn, von welchem 
gefagt werben konnte, und zwar er felbft konnte es fagen, daß er 
- mehr gearbeitet habe als die andern alle! Aber nicht nur, wenn 
wir auf die unmittelbare Wichtigkeit diefer Worte in Beziehung auf 
den einzelnen Fall fehen: fie haben an und für fich etwas, was 
und allen fehr bebeutend fein muß, weit fie eben die Art und Weiſe 
betreffen, wie ſich das Thun des einzelnen Menfchen gegen bie alles 
leitende und lenkende Gewalt, die er um ſich ber wahrnimmt, ver: 
halt. Darum laßt und diefe Warnung nicht gegen bie das 
ganze bewegende Macht angehn zu wollen in ber gegen: 
wärtigen Stunde zum Gegenfland unferer Betrachtung machen. Wir 








werben aber babei auf zweierlei zu fehen haben um fie in ihrem 
ganzen Sinn und Erfolge richtig aufzufaffen; zuerft die Art und 
Beife, wie Paulus fie erhielt, und dann ben eigentlichen wahren 
Inhalt berfelben. _ 


J. Bad nun zuerfi die Art und Weiſe betrifft, wie 
diefe Warnung an Saulus gelangte: fo wißt ihr wol m. 
a. 3, daß es nicht meine Art und Weife ift dad wunderbare, wels ' 
ches in ber heiligen Gefchichte des Chriſtenthums erfcheint, erklären 
und dadurch zum begreiflichen herunter ziehen und wie eine gewoͤhn⸗ 
lihe Begebenheit verſtehen zu wollen; vielmehr wollen wir uns 
auch diesmal dem unmittelbaren Eindrukk, den die Sache macht, 
ruhig und getroft hingeben. Es umleuchtete ploͤzlich am lichten * 
ihn und ſeine Gefaͤhrten doch noch ein anderes Licht von oben, es 
zog fie mit Gewalt nieder, daß fie zur Erde fielen, und der Apoftel 
hörte eine Stimme, welche ihm die Worte ausſprach, die wir hier 
leſen; daß ihm alfo zu Muthe geweſen fei wie einem, bem wunber 
bares begegnet, das ift allen Mar, und niemanb wirb es bezweifeln. 
Aber um defto mehr werben wir und nun fragen, Soll denn etwas 
von dieſer Art einen folchen Einfluß haben auf die Ueberzeugung 
des Renſchen? Der Apoſtel redet ſelbſt von jener fruͤhern Lebens⸗ 
zeit in ſeinen Briefen immer nur auf ſolche Weiſe, daß er ſagt, er 
ft was feinen Eifer für dad Geſez betrifft ein Verfolger der Ge. 


weinde geweſen. Diefer Cifer für das Gefeg muhte auf der Beichäf: · 


tigung feines ganzen biöberigen Lebens, welches ber Grforkhung 
dieſes Geſezes in allen feinen mannigfachen Werzweigungen mit ber 
Gefchichte des Volks, welche fich darauf begründete und bezog, ges 
widmet geweſen war; es wer alfe feine fehle Ueberzeugung, daß er 
nur ſolche werfolge, welche eine gegen bad Gefez gerichtete Lehre ver 
‚ welche etwas neues. nicht nur von bem biößerigen abwei⸗ 
chendes fordern diefem auch verderbliches auf bie Bahn bringen 
wollten. Handelte ex alfo biſsher im biefem Sinne nach feiner bes 
ken Ueberzeugung: follte er fich darin wankend machen laſſen burdy 
eine wunderbare äußere Erſcheinung; durch ein Licht, wovon er 
nicht wußte woher ed kam; durch eine Stimme, bie er vernahm, 
ohne zz wiſſen woher ſie kam? Wenn wir weiter nichts ald dies 
ins Auge faſſen, ſo werden wir nicht im Stande ſein den Apoſtel 
zu Das wunderbare, das der Menſch nicht begreift, bad 
unerklaͤrliche in folchen äußern Grfcheinungen darf ihn doch wol nies 
mals aufhalten auf bem Wege des Lebens, welchen er mit voller _ 
innerer Ueberzeugung eingefchlagen hat! Wenn wir bie Regel ge: 
ben, Jeder ich will nicht ſagen ſoll ſondern nur darf ſich in dem, 
Y2 


. 340 
was er zu thun befchloffen ober worin er fchon begriffen ift, auf: 
halten laſſen durch irgend folche frembartige Ereigniffe: wäre das 
etwas anderes als eine Begünftigung bed Aberglaubens, der dad) 
mehr als ein anderes Uebel dad menfchliche Leben in feiner inner: 
ften Wurzel zerflört und aufreibt? Wenn und etwas gefchieht oder 
unferm Auge fihtbar unfern Sinnen wahrnehmbar wii, wovon 
wir nicht begreifen, wie es gefchehen kann; aber wir haben eine 
Stimme in und, welde fagt, was durch uns geſchehen fell, wozu 
wie berufen find, worauf wir unfere Kräfte zu: verwenden verpflich- 
tet find, wie ja Paulus eine folche feit lange her in ſich hatte: iſt 
denn eine ſolche Verwandtſchaft zwifchen dem einen unb dem an⸗ 
bern, daß un das, wovon wir nicht wiffen wie es gefchehen fann, 
bindern foll in dem, wovon wir wiflen, vaß es burch uns geſchehen 
fol? Ganz anberd war die Meinung des Apoſtels felbfl. Denn 
was fagt er zu den Gemeinden in Galatien, welche ſich von ber 
Lehre, die er ihnen verkündigt hatte, auf ſolche Weile hatten ab- 
wendig machen laffen, daß fie im Begriff waren zu bem Geſez zu⸗ 
rüffzufehren, von welchem ber Apoftel fagt, daß unter ihm als 
unter äußerlihen Sazungen die Minfchen gefangen geweſen feien, 
bis die Zeit erfüllet war, ımb Gott feinen Sohn fandte, auf daß er 
die die umter bem Gefez waren erlöfete *); was fagt er ihaen?- Und 
wenn ein Engel vom Himmel fäme und predigte ein anbered Evan- 
gelium, fo follt ihr ihm nicht glauben **).. Ein Engel vom Him⸗ 
mel iſt doch auch ein für und wunderbares Weſen, daB in unferm 
Leben fonft nicht vorkommt, und wir wiſſen nicht, wie es mit ben 
Erſcheinungen derfelben zugeht; nur foviel wiflen wir, daß diefe 
Ericheinungen ſchon von alterd her bad Recht hatten für Botſchafter 
von oben gehalten zu werben, und boch fagt ber Apofiel, wenn 
auch ein Engel vom Himmel fäme, ſollt ihr doch nicht glauben, fo 
er euch ein andered Evangelium prebigen will. Daß fie Ueberzen: 
gung gewonnen hatten von dem Evangelium, dad er ihnen gepres 
digt, dad fezt er voraus: und hatten fie die, fo ſollte auch ein En» 
gel vom Himmel fie nicht von derſelben wegrüffen koͤnnen, auch 
nicht im mindeſten. Und derſelbe Apoſtel, der ſollte in ber inner 
ſten Ueberzeugung, nach welcher er biöher fein Leben georbnet- batte, 
nicht nur wankend geworden fein fonbern auf einmal in bad Ge 
gentheil umgewandelt burch eine foldye wunderbare Erfcheinung und 
Stimme? Das m. g. Fr. ift nicht zu glauben; das fähe weber 
ihm ähnlich, in fofern er jene Worte gefagt, noch andy überhaupt 





) @al. 4, 3.4.5. 
”) Sal.'1,8. 





34 


dem heidenmütpigen Traftigen Geift, welcher fi) im ganzen Leben 
Des Apoſtels verräty,. Er hätte vielmehr fagen müflen. wie dert, 
Und wenn aud eine Stimme vom Himmel an mich ergeht und 

mich abwendig machen will von dem Wege, dem ich mit Ueberzeus 
gung folge; und wenn auch die Gewalt, gegen bie ich anflrebe, 
noch fo mädıtig wäre; ja wenn ich auch, wie er fich anderwaͤrts 
ausdruͤkkt *), geopfert würde liber bem Dienft, den ich Gott bringe: 
fo will ich auch gern fallen als ein ſolches Opfer; — das wuͤrde 
das müßte er auch bort gefagt haben, denn eben dieſer mutbige 
kraͤftige Geift war in ihm ſchon ehe ex fich zum Herrn bekannte. 
ad tollen wir alfo fagen? Offenbar nicht durch das wunderbare, 
nicht durch das .überrafchende hat diefe Ericheinung auf ihn gewirkt, 
fondern vielmehr durch den Inhalt der Worte, die er vernahm; und 
diefe Wirkung war fchon auf mancherlei Weife vorbereitet in feinem 
Gemüt. Er war ein Schüler deſſelben Gamaliel, welcher als die 
Apoftel, wie wir dad vor einiger Zeit zum Gegenfland unferer Be 
trachtung gemacht haben, vor dem hohen Rath zu Jeruſalem flan- 
den, und man im Begriff war über fie ein aͤhnliches Urtheil des 
Todes zu fällen, wie über den Erlöfer felbft früher war gefprochen 
worden, der damals abmahnte dies nicht ‘zu thun, indem er fagte**), 
Wenn dad Werk aud den Menfchen ift, fo wird ed untergehen, tfl 
eö aber aus Gott, fo Eönnet ihr ed nicht dämpfen, und ihr folltet 
nicht dagegen ſtreiten, auf daß ihr nicht erfunden werdet als bie 
wider Gott fireiten wollen. Saulus war ferner Zeuge geweien und 
wel mehr. als Zeuge, denn Dadurch daß er die ‚Kleider berer vers 
wahrte, welche den erſten Märtyrer der chriftlichen Wahrheit fleinig- 
ten, war er Theilnehmer an dieſer Handlung und nicht einer ber 
geringften geweſen. Als naͤmlich Stephanus gefteinigt ward, da fah 
er biefen Zeugen ber Wahrheit nicht ‘von fern; und. wenn von die 
ſem gejagt wird, daß fein Antliz gewefen fei wie dad Angeficht ei- 

nes Engeld, fo bat dad Saulus geſehen; wenn Stephanus bie 
Worte gefprochen hat, Siehe, ich fehe den Himmiel aufgethan und 
ded Menfchen Sohn ſtehen zur rechten Gottes ***), fo bat er es 
gehört: und gewiß, weber jenes Wort feined Lehrers noch auch bie; 
fer bebeutende und erichütternde Augenblikk kann verloren geweſen 
fein an einer Seele wie biefe. Der fcharfe Gegenſaz zwilchen dem 
Gotteswerk, welches fiegen muß, und dem Menichenwerk, welches 
von ſelbſt vergeht, angewendet auf Die Srage, ob das was er ver: 





pi. 2, 17. 2 Tim. 4, 6. 
“ip. Geld. 5,3: 
. .) Ap. Beſch. 7, 55. | 


feige wo Daß eine fi ober bed anbere, mug mel Un mh 
femen Eifer unterbrochen haben; das Bild jenes edlen Banned, 
deffen Tod er bereiten half, bat ihm gewiß nicht felten wieber vor 
der Seele geſchwebt und einen Stachel darin zuruͤkkgelaſſen, Deffen 
er fich nicht entlebigen Eonnte Ja gewiß fo iſt es m. g. Er., fe 
geſchieht eß dem Menſchen! nicht nur dem Apofel iſt es fo ergam 


gen, fordern es geht und allen wol eben fo. Wir haben eine Ue⸗ 


berzeugung wie auch immer gewonnen fei es über göttliche Ditmge, 
fei e8 über andere, weiches auch ber Gegenſtand berfeiben fi; wir 
find ihr treu ergeben, wir handeln ihr ‚gemäß chne und durch etwas 
irre machen zu laſſen: aber dabei bleibt ed nur in ruhigen gewöhn- 
lichen Zeiten des Lebens. Kommen andere, fo treten auch viel Gau: 
figet ganz entgegengefezte Ueberzeugumgen, eben fo Exäftig verfoch⸗ 
ten, eben fo Mar vorgetragen, ber unfrigen gegenäber. Da trifft 
zwar ein Stachel die Seele, da entficht wol eine Ungewißheit, eine 
Aufforderung zu weiterer Forſchung: aber nicht immer ſind wi 
gleich fo ſtark aufgefordert, daß wir ſofort unfen gewohnten Lauf 
unterbreihen. Vielmehr kann ed leicht geſchehen, daß wir noch ge 
raume Zeit in berfelben Handlungsweiſe beharren, wenn es auch 
ſchon nicht felten Stunden gegeben bat, wo wir bei uns und überlegten, | 
ob es auch da fiber fei wo wir gehen, ob auch das 
daher komme, von wo wir eb erwarten; aber ed giebt ei 
Zuſtand, und oft genug ereignet er ſich in unferm fo verwilleiten 
bunten Leben, daß nämlich die Ueberzeugung chen anfängt wan⸗ 

kend zu werden, aber bad Handeln geht noch feinen gewohnten 
Sang fort; wir warten immer noch auf etwas, das ben Zwieſpalt 
zum Spruche bringe. Dann geben wir und ganz ber ruhigen Be 
trachtung ber Sache bin, laffen alle Gründe auf und wirken: und 
was ſich dann auch ergebe, in dem find wir nun feſt und beginnen 
von neuem; denn auch das alte, wenn es fiegt, ift ein neues ges 
worben durch diefe Durkparbeitung. In diefem Zuflaub war der 
Apoftel, fo fand ihm jenes Licht, und in dieſem Zuſtand kounte bie 
Stimme von oben herab auf ihn wirken und den lezten Auöfchlag 
geben. Nur fo koͤnnen wir felne Hanblungsweife in Diefem Augen: 
blitk im Zuſammenhang mit feinem ganyen übrigen Leben begreis 
fen; aber auch nur fo verfichen wir die göttliche Fuͤgung. Denn 
das kann nicht der heilige wehlgefällige Wille Gottes fein, mit 
bem wad dem Denfchen das Heiligfle iR, mit feines innigſten Ueber 
zeugung auf folche Weiſe zu verfahren, daß er fie allein umaͤndern 
fol, weil ihm aͤußerlich etwas begegnet, wie wunderbar wis uner: 
klaͤrlich ja wie offenbar auch ein befonderes Werk der göttlichen AU 
macht es fein möge.. Wozu denn gäbe es fonft ein andereö wichti⸗ 





J 

3 

| ges Wort und ein viel mehr zu beherzigendes, daß ber Hert die 

Herzen ber Menichen lenkt wie Wafferbäche *)? Nicht durch etwas 

Ä aͤußeres vom Himmel herab, fondern von innen wirb ex ben ergreis 

| fen, den fein gnäbiger Wille ift hinzulenfen auf ven Weg der Wahr: 
beit; nicht durch ein Außeres Zeichen fondern in. feinem tiefften. ins - 
nern wird fich eine Stimme erheben, welche ihn beftimmt. ja ibm 
Gewalt thut, weldye den Zwieſpalt aufdekkt und zugleich die Bunde, 
bie fie gefchlagen hat, heilt. Auf ſolche Weiſe lenkt der Herr die 
Herzen ber Menſchen von ihrem eigenen innerſten Leben aus. 


1. Aber nun laffet und zweitens fehen, was denn eigentlich 
der Sinn der Barnung war, welche der Apoſtel durch Die 
himmliſche Stimme erhielt, und welche eine ſolche Vorbereitung . für 
ihn wurde um ihn zu einem Apoflel des Herm zu weihen. Es 
wird bir ſchwer werben, heißt ed, wider ben Stachel auszufchlagen. 
Nämlich dad Zugvieh, weiches vor den Wagen gefpannt wirb, bad 
wurbe in jenen Zeiten getrieben durch einen Stachel; war es nun 
ummillig und wollte fich der Ordnung und dem gebiefenden Willen 
nicht fügen, fo baͤumte es ſich und ſchlug aus gegen den Stachel. 
Ms ein foldyed nun flellt die Stimme den Apoftel in feinen biöhe: 
rigen Beflrebungen dar und fagt ihm, ed werbe ihm ſchwer werben, 
ed werde ihn hart angeben diefer Gewalt, weldye ihn einen ganz 
andern Weg treiben wollte ald den er im Sinne hatte zu gehen, 
WBiderfiand zu leiften. Iſt nun diefer Inhalt der himmlifchen War: 
nung mehr geeignet ein fefles, an die Unterfuchung der Wahrheit 
gewöhntes, immer klar eingefehenen Gründen folgendes Gemüth auf 
feinem Wege aufzuhalten! Sollen wir dad anfehen etwa ald eine 
an und ‘alle ergebende Stimme? wenn irgendwo in ben menſchli⸗ 
chen Dingen fi eine Gewalt zeigt, bie und eines andern Weges 
treiben will, aldö den wir uns vorzeichnen nach grüublicher Leber: 
zeugung, nach reiflicherem Urtheil: fo follen wir, fobald wir mer: 
den, daß wir doch nichts auörichten würden, unfere Ueberzeugung in 
ben Wind ichlagen und und ber Gewalt bingeben, bie auch alled 
andere treibt? Das koͤnnen wir wol eben fo wenig glauben oder - 
es für einen Bath halten, welcher ben Menfchen gegeben werben 
koͤnnte von oben herab! Oder wo ift. bie Weisheit? Sie ift immer 
aur bei wenigen auf Erben. Wo iſt aber Die Gewalt? Sie iſt in 
der Menge, wenn es etwas giebt, dad fie zufammenhält, in ber 
Menge, Die in der Regel doc nur dunkeln Vorſtellungen folgt und 
von dem was das wahre Wohl der Menfchen, von dem was bie 





Spr. ai, l. 








240 
Kraft der Wahrheit iſt wenig ober nichts weiß. Und biefi 
zugeben ſollte eine Stimme von oben herab einem ſolchen 
lus war gerathen haben, unb * eben in der Abficyt 
nem treuen muthigen Verkuͤndiger bes Gvangeliund zu machen? 
ihm gerathen haben, ex folle ſich boch nicht vergeblich abmuͤhen 
ner Vebergeugung Raum zu verfchaffen, dad zu fördern, was er 
gut bielte: denn bie Gewalt auf ber Entgegengefegten Seite fei 
zu groß, und er werbe ihr doch nicht Widerſtand leiften fönnen. 
Unmöglich m. 9.5 aber eben barum war auch bied nur eine War 
nung; eben darum war fie es auch nicht, was bie Belehrung dei 
Apoſtels vollendete. So wie es in unferm Tert lautet, batte bie 
Stimme nachdem fie ihn gerufen damit angefangen ſich auf feine 
Frage ihm zu erkennen zu geben, Ic, bin Zeus, den bu verfolgft! 
und dann biefe Worte folgen laſſen. Wie er ſelbſt an einem an: 
dern Drte *) erzählt, waren biefe Worte die erfien, und barauf 
fragte er erfl, Herr, wer bift du? und dann antwortete die Stimme, 
- Ich bin Jeſus, den bu verfolgſt. In beiden Zällen abes war bei, 
was durch diefe Worte erreicht wurde, nicht andere als daß er 
fragte, Herr, was fol ich thun? Was ibm wohlthätiges begegnete 
durch diefe Warnung war unmittelbar nichtd andered, ald daß er 
aus jenem peinlihen Zuflande, aus bem Zwieſpalt zwiſchen dem 
Zorthandeln auf die vorige Weile und den Bedenklichkeiten, die 
fhon in ihm aufgefliegen waren, nun plözlich befreit wurbe, daß er 
fih nun ein Herz faßte gänzlich inne zu halten, und daß er ohne 
fih um die Welt zu befümmern überlegte was er zu thun, welche 
Schritte er zu machen babe um bie ganz neue Erforſchung der 
Sadıe ‚ die ihm oblag, und wozu er ſich nun gebrungen fühle, zu 
einem erfreulichen und beruhigenden Ziel zu leiten. Laſſet und nun 
jene Borftellung, die er ſelbſt dem Konig Agrippa hieven gab, wie 
wir fie im 26. Kap. ber Apoflelgefchichte finden, in Beziehung auf 
Dad was weiter mit ihm vorging in Erinnerung bringen. De faßt 
ber Apoftel in einem kurzen Bericht, wie ed vor einem folchen 
Manne fi) wol geziemte, alled zufammen, was auf dem Wege 
nad Damaskus ihm widerfuhr, ohne genau gu unterfcheiben, was 
ihm im Augenbliff die Stimme fagte, und was er von einem ’äls 
tern Jünger des Herm fpäter. hörte, fondern das alles faßt ex hier 
in einer Rede zufammen, die er jener Stimme beilegt, und fagt **), 
Dazu bin ich dir erfchienen, daß ich Dich ordne zum Diener und 
Zeugen deß, dad du gefehen haft, und das ich bir noch will erſchei⸗ 


*) Ap. Geld. 26, 1A. 18. 
Bf 











35 . 

sen laſſen; und will Dich erretten von bem Volk unb von den Hei: 
den, unter welche ich dich jezt fende aufzuthun ihre Augen, baß fie 
fich bekehren von der Finſterniß zu dem Licht und von der Gewalt 
Des Satans zu Gott, zu empfangen Vergebung der Sünden unb 
das Erbe fammt denen, die geheiligt werben burch den Glauben an 
mid. Und erft nachdem er fo weit gefommen in feiner Erzählung 
von dem, was er vernommen hatte in biefer großen Sache, fährt 
er fort, Daher, lieber König Agrippa, war ich der himmliſchen Er: 
fcheinung nicht ungläubig. | 

Bragen wir uns alfo nun, Worauf gründete fi) feine Bekeh⸗ 
rung von einem Verfolger der Gemeinde zu einem Verkuͤndiger des 
Evangeliums? was koͤnnen wir anders antworten, als nicht auf 
dieſe Warnung allein, die nur etwas vorbereitendes war, freilich 
gewiß geordnet um den Weg auf dem er ging ihm zu erleuchten, 
um die Zeit der Unentſchiedenheit abzukuͤrzen, um ihn ſchneller zu 
der rechten reinen vollen Erkenntniß der Wahrheit zu bringen; ſon⸗ 
dern was ihn nun dazu beſtimmte Jeſu von Nazareth zu folgen 
und fich zu feinem Diener und Zeugen ordnen zu laſſen: das war 
dies, was er eben vernahm, was eigentlich der Beruf und das 
Werk jenes Jeſus fei, nämlich alle Heiden zu erfüllen mit bem 
Worte Gottes, fie zu erretten aus der Finfterniß und fie in bie 
holde Gegenwart des Lichtd zu bringen, fie zu befreien aus der 
Gewalt der dunklen Mächte und fie zu befehren zu Gott. Das 
daͤuchte ihm etwas fo großed und herrliches, wie er fich bisher nicht 
gedacht hatte; und nun konnte ex nicht unterlaffen ſich vergleichend 
zu fragen, Was will diefer und was hafl du biöher gewollt? Da 
mußte ihm fein eigener früherer Eifer fo erfcheinen, wie er hernach 
von ſeinen Brüdern nach dem Fleiſch fagte, er müffe von ihnen 
rühmen, daß fie einen großen Eifer hätten um Gott, aber es fei 
en unverfländiger. -Da leuchtete ihm das als ein Unverftand ein, - 
dem er fich nicht länger hingeben koͤnne, daß Gott auf befondere 
Beife eigen fein follte einem einzelnen Volke und dann noch wies 
der auf befondere Weife einigen wenigen aus diefem einzelnen Wolf; 
fo daß von andern Voͤlkern nur fparfam einzelne und immer nur 
als befondere Beguͤnſtigung und unter fchwierigen Bedingungen, 
denen fich die Menſchen nur ungern unterwerfen Ponnten, zu einem 
Antheil gelangen durften an diefem näheren engeren Verhaͤltniß zu 
Gott. Ehen dieſes, worauf er fonft mit allen feinen Stammesge⸗ 
noſſen ſtolz geweſen war, mußte ihm nun als etwas Heinliches ers 
fheinen, ‚woran der von oben her erleucdhteten Seele nicht länger 
genügen konnte, Diefe allgemeine Verbreitung der geifligen Güter, 
der Vorzüge, die aus der Erkenntniß Gottes und der Gemeinfchaft 


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ter; da wurbe es ihm Bar, daß biefer Jeſus ber fei ber ba om: 
men ſollte, und zwar gu etwas viel höherem, als er mit andern biö- 
der die Weiffagungen der Männer des alten Bundes gefaßt hatte. 


alten Bundes und gehört mit zu ben Urfachen, weshalb ein heili⸗ 
ger Schriftfleller ded neuen mit Recht fagt, der alte Bund habe wur 
den Schatten gehabt nit bad Weſen der wahren Güter *): daß 
diefes Wolf, in dem Genuß der Erkenntniß Gotteb, in bem Beſn 
vorzüglicger Ordnungen, die ihm von oben gekommen waren, doch 
abgefchloffen bleiben follte für ſich allein. Der Apoflel begreift des 
aber auch nur ald einen vorübergehenden Zuſtand; benn fo erklärt 
ex ed, unter dem Gefez wie unser der Suͤnde follten die Menſchen 
zuſammengehalten werben, biö bie Zeit erfüllet war und ber Sehn 
Gottes erſchien, indem dann erf bie göttlichen Verheißungen erfüllt 
werben konnten durch den Glauben *°). Aber nun erging an ihn 
ein Ruf, ber ihn auf einmal won biefen Beſchraͤnkungen befseite, 





ger. 10, 1. 
*) Bor 3, 2—24. 4 3.8 





7 


umb wie er erbannte, daB Jeſus der Sohn Gottes fei, wurde auch 
in feinem Herzen der Grund gelegt zu biefem Drange ber Liche, 
weiche fein ganzes Leben befeekte, daß er fagte, Ich kann nicht ans 
Ders, ich muß bad Evangelium verfünbigen; denn bie Liebe Chriſti 
Dreinget mich alfo.°). Und das iſt die Verbindung, bie eigentlich 
Den wahren Geiſt des Chriſtenthums auszeichnet, daß Feiner von uns 
die himmlifchen Güter weber für fich allein haben will, nech auch 
nur vermeinet fie fo haben zu koͤnnen jeber für fich allein; ſondern 
wo fie find und leben, von ba aus wollen fie fich auch. weiter um⸗ 
ber verbreiten, die Gewalt der Finſterniß immer mehr befchränten, 
ja wenn es nur möglich wäre lieber alle abwenden von ber Gewalt 
des böfen und binführen zu Gott. 

M. a. Br. Died veranlagt mid zu einer zweifachen Betrach⸗ 
tung für eine Zeit, wie bie gegenwärtige ift, in einem folchen Streit 
ber Dleinungen über alles wichtige und große in den menfchlichen . 
Angelegenheiten diefer Welt fowol ald auch bed Reichs Gottes. 
Wie viele befinden fich in demſelben Zuflanbe, in welchem den Apo⸗ 
fiel die bimmlifche Stimme fand! Sie gehen ihres Weges, nicht 
ohne den Streit ihrer Anficht gegen eine andere zu fennenz und 
nicht lange koͤnnen fie unbefangenen Gemuͤths und in umerſchuͤtter⸗ 
licher Ruhe bleiben, wenn fie inne werben, daß auch folche, die fie 
nicht verwerfen Fönnen, in denen fie ben gefunden Verſtand das freie 
Urtheit nicht verkennen dürfen, doch ber entgegengeisgten Meinung 
mit fehler Ueberzeugung zugethan find. Aber in welchen Zwieſpalt 
geräth dann der einzelne mit fich ſelbſt! IE er es, ber ben Sta: 
chel in feiner Hand Hält? if feine Uebergeugung bie Gewalt, weiche 
bie ganze Zeit treibt? und kann er ficher fein, daß ex auf feinem 
Wege zum Ziele gelangen vwoirb? der ifl er der, welcher vergebe - 
lich mit feiner Ueberzeugung und Handlungsweiſe audfchlägt gegen 
den Stachel? ift die Gewalt, welche die Zeit wirklich treibt, auf ber 
Seite, die ihm gegenüber ſteht, und er in ben. Händen berfeiben? 
Weiche Ungewißheit! und ach welch einen großen Theil manches 
fehömen manches fonft mufterhaften Lebens bebericht fie! Wie ift 
Rettung daraus zu finden? Soviel fcheint gewiß, wer nur das ir⸗ 
diſche im Auge hätte, der wirb auch in irdiſchen Angelegenheiten 
fih nicht zur Gewißheit burcharbeiten können; fonbern immer wie 
ber wirb etwas neues vorkommen, das ihn bienbet und ungewiß 
macht; ja da ift auch nicht einmal- Empfänglichleit für ein ſolches 
Licht, welches den hellen Mittag der irbiihen Dinge üͤbherſtrahlt. 
Aber unſere Gefchichte giebt und eine beutliche Amweifung. Wer 


9 2. Kor. 55 14. . 





ſich in der Richtung bewegt, wo er geiſtige Güter möglich verbreiten 
kann; wer Recht Licht und Orbnung, denn diefe Drei finb une: 
trennlid) von einander, feflzuftellen und geltend zu maden ſucht; 
wer nicht dem Vortheil von dieſem ober jenem Zheil der Geſell⸗ 
fhaft dient, fonbern einer folchen Einrichtung ber menſchlichen Dinge 
nachtrachtet, wodurch am ficherfien der Gewalt des boͤſen gefleuert, 
und ed den Menfchen erleichtert wirb in ben göttlichen Willen ein: 
zugehn: der geht mit ber verborgenen treibenden Gewalt und be 
darf der Warnung nicht, daß es ihm ſchwer werben würbe gegen 
fie anzugehen. Eben fo lehrt fie und auch noch dieſes. Wer es 
mit feinen Beflrebungen anlegt auf einen Beſiz und Genuß, wir 
veredelt auch immer, ja auf irgend etwas, was er für ſich behalten 
will, der fchlägt aus wiber ben Stachel. Wer hingegen nur bem 
nachtradhtet, was ihm ſelbſt deſto Lieber wird, je mehr er es verbrei: 
ten und mittheilen kann; für wen nur dad Wahrheit hat, was ihn 
auch gleich wie dad Evangelium den Saulus ald Zeugen und Die 
ner in Beflz nimmt: deſſen Stimme laßt uns folgen, dem koͤnnen 
wir getroft nachgehn, ‘er wirb und niemals irre führen. Wenn wir 
jeden Streit hierauf anjehen und die einander entgegen firebenden 
Parteien fo ind Auge faflen, alddann wird auch und Gott erleuch⸗ 
ten mit feinem himmlifchen Licht, und wir werden des rechten We: 
ged nicht verfehlen. 

Die zweite Betrachtung, die ich euch noch vorlegen wollte, if 
dieſe. Wenn wir und denken den Menfchen, wie. und bier der 
Apoftel erfcheint, im Begriff fi) dem ber zum Heil der Menſchen 
gefandt war hinzugeben: wie flellen wir und gewoͤhnlich dieſen Zu: 
Hand vor? Dft genug kommt er und allerbings fo vor, wie bie 
meiften ihn denken: das Gemuͤth niebergebrüfft vom Bewußtſein 
femer Schuld und Sünde, unter dem es längere oder Fürzere Zeit 
hingeht, nicht felten nahe am Rande der Werzweiflung, bis dann 
plözlih auf irgend eine Weiſe eine rettende Hand als die rechte er: 
fcheint und ihm eine Gewißheit wird, die in das faft zerflörte Her 
Ruhe und Frieden bringt. Sp wird und die Sache immer barye 
ſtellt; fo befchreiben viele fromme ihre eigene Erfahrung: und wer 
wollte darin nicht einen Weg Gotted anerennen? Aber lapt uns 
nur auch zugeben, e3 ift nicht der einzige; denn wir finden gleich 
hier nicht die geringſte Spur von bem allem in der Geſchichte der 
Belehrung diefed Apoſtels. Wenn ex auch feine. biäherige Ueberzeu: 
gung bei dem neuen Lichte als umrichtig erfennen mußte;- er konnte 
ſich des Irrthums zeihen, er hat. nicht: aufgehört zu geſtehen, Daß er 
der unmürbigfte fei unter den Apofteln, weil er früher ein Verfol⸗ 
ger der Gemeinde gewefen: aber da er feiner Ueberzeugung- treu ge: 


weſen war, einer Ueberzeugung, welche die reife Frucht feines gan⸗ 
zen befonnenen Lebens gewefen war, fo war fein Grund gu ;einer 
folhen Verzweiflung an fich ſelbſt. Nicht als ob er ohne Buße 
ind Himmelreich eingegangen wäre, benn Buße iſ Aben Siunedäns 
derung; aber wie er von dieſer großartigen Verkuͤndigung göftlicher 
Gnade ergriffen wurde; wie ihm der Sinn aufging für ein rein 
geifliged Reich Gotted: fo war es grade ein freubenreiches Ueber⸗ 
ftrömtwerben von ber Herrlichkeit bed Evangeliums, was eins war 
mit feiner Sinnedänberung; unb mie er ſich nun von biefer Sache 
nicht. mehr trennen konnte ſondern fich ihr bingeben mußte, fo ge 
dachte ex auch deilen nicht. weiter was ‚hinter ihm lag. If nicht 
dieſes eben fo gründlich und eben fo von Gott gewirkt als jenes? 
Ja wir bürfen kuͤhnlich jagen, beides iſt gleich nothwendig, das eine 
eben ſo gut ein Weg Gottes als das andere, und nur in beiden 
zuſammen kann die Kraft und Herrlichkeit. bed Evangeliums ganz 
erfannt werden. Der Weg ber Zerfnirihung bezieht ſich vornehm⸗ 
lich auf das Verhaͤltniß der einzelnen Seele, die ihren Frieden fucht, 
zum Erloͤſer. Aber wenn dieſes Verhaltnig mehr ald nur die eine 
Seite des göttlihen Rathſchluſſes zur Seligkeit wäre: fo koͤnnte 
dad Chriftentyum nicht die Gewalt fein, welche die menfchlichen 
Dinge im großen leitet und treibt. Denn babei kommt e3 auf et: 
was andered an, al3 nur auf dad Wohlſein der einzelnen Seele für 
ih. Aber wer nun gleich ‘über fich felbft hinausgehend und fich 
nur als den kleinſten Beftandtheil in das ganze mit einbegreifend 
von dieſer weltbeherrfchenden vorwärt3 treibenden Kraft des Evans 
geliumd ergriffen wird: wollen wis ben etwa weniger für unfern 
Bruder halten, wenn er nicht durch folche ſchwere Kämpfe eines 
lange bei fich allein verweilenden Gemuͤths durchgegangen iſt? Dann 
müßten wir und ja losfagen von dem großen Apoftel! Darum laßt 
und in biefen Dingen dem Herm nichtd vorfchreiben. Sehen wir 
einen in biefer Richtung getrieben, in welcher der Apoſtel ſich dar⸗ 
ftelit, daß er ber himmlifchen Stimme nicht konnte ungehorfam fein, 
weil fie ihn ordnete zu einem Diener ded Evangeliumöz fehen wir 
einen, ber wie Paulus ſich deöwegen zum Diener des Herm be 
kennt, nicht ſowol weil er aus einem Zufland der Verzweiflung über 
dad Bewußtfein feiner Sünde herausgeriſſen worden, ſondern vors 
nehmlich weil ſich ihm in Zefu der Rathichluß der Gnade Gottes 
über das menſchliche Gefchlecht‘ und dad Bild feiner Herrlichkeit of: 
fenbart: er fol uns eben fo willfommen eben fo lieb fein als Pau: 
lus. Aber dad eine kann nie gan, von dem andern getrennt fein; 
und nur in dem Maaß ald beides eind wird, als dieſe große bie 
ganze menfchliche Welt zu beherrfchen beflimmte Kraft auch in das 


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Lieb 297. 


Am 11. Sonntage Trinitatis 1832. 





Lied 10, 1—4 508. 


Zert. Apoſtelgeſch. 10, 31.. 


Gorneli, dein Gebet ift erhöret, und deiner Almoſen iſt 
gedacht worden vor Gott. 


Die Worte m. a. Fr. find aus der. Erzählung genommen, welche 
dieſer Cornelius dem Apoſtel Petrus machte, ald er ihn hatte zu 
fi) Holen lafien um ihm dad Wort Gottes zu verlündign. Es ' 
find die Worte, welche ein Mann *) zu ihm rebefe, ber ihn im 
Gebet fand, der ihm erfchien in einem glänzenden Kleibe, fo baß er 
ihn achten mußte für einen Boten Gottes. Der fprach alfo zu ihm, 
Dein Gebet ift erhöret und deiner Almofen iſt gedacht worden vor 
Gott, darım fende hin gen Joppen und laß bir rufen von bert 
den Simon genannt Petruß, der wird dir fagen, was bu thun ſollſt. 
Der Zufammenhang, welcher bier aufgeftellt wird zwiſchen 
dem Gebet und den Almofen des Cornelius und biefem 
Winke der göttlihen Gnade, daß er fich follte den Apoftel 
des Herrn in fein Haus holen laflen um von ihm zu vernehmen 
den rechten Weg zur Seligfeit, dieſer Zufammenhang m. a. Zr. 
kann und auf vielerlei Weiſe befremden. Wie? giebt ed irgend et⸗ 
was, wodurch ber Menfch wie es hier doch fcheint verdienen koͤnne 





) B. 3. - 


einer mehr als der andere, baß bie östliche Gnade ſich ihm zuwende 
und er befchienen werde von dem himmlifchen Licht? und doch 
fpricht hier einer fo, welchen derjenige, zu dem er rebete, fowol ver: 
möge der Art wie er ihm erfchien, ald vermöge diefer Worte ſelbſt 
und des heilvollen Auftrages, den er ihm gab, nicht anders als für 
einen Boten Gottes anfehen konnte! Wir alle find fo überzeugt, 
es ift fo fehr der allgemeine Ausſpruch unferer evangelifchen Kirche, 
daß eben diefes Werk, wenn die Ordnung bed göttlichen Heiles ben 
Menſchen befannt wird, nichts iſt als eine göttliche Gnade, bie durch 
nichts erworben werben kann und- verdient, baß ed und allerdings 
befremben muß dad Gegentheil hiervon in diefen Worten dem Ans 
ſcheine nach fo deutlich zu vernehmen; und fo kann wol manchem 
bange werden, ob auch diefe unfere evangelifhe Denkungdart, wie 
genau fie much damit zufammenhängt, daß alled unter und nur fein 
fol eine Anbetung Gottes im Gaft und in der Wahrheit, ob fie 
- dennoch vielleicht nicht ganz den Aeußerungen des göttlichen Wortes 
“gemäß fei. Das laffet und denn in Beziehung auf die. verlefenen 
Worte der Schrift izt zum Gegenflanb unferer gemeinfamen Be 
rachtung machen. Wir werben dabei zuerſt zu fehen haben auf 
diefe beiden Stüffe jedes für fi), die hier erwähnt unb dem Cor: 
nelius nachgerühmt werben, -fein Gebet und feine Almofen; und 
dann erft werden wir wol im Stande fein und zweitens bie Frage 
zu beantworten, wie benn bdiefer Zufammenhang berjelben mit der 
göttlichen Gnade, der bier angegeben ift, eigentlich zu verſtehen fei. 


J. Zuerſt alfo m. a. $r. wollen wir uns bie Frage vorlegen, 
Was find denn Almofen, dag ihrer hier fo befonders erwähnt 
werden kann, als ob fie etwas ganz vorzüglich ‚den Menichen Gott 
empfehlended wären, indem gefagt wird, Deiner Almofen iſt gebadht 
worben vor Gott? D fie find unflreitig ein Werk löbliher Orb. 
nung, ein Auöfluß menfchlicher Gerechtigkeit und Billigkeit. Denn 
wenn wir und zuruͤkkverſezen in bie urfprünglichen Zuflänbe ber 
Menfchen: fo finden wir gar wenig Anlage zu einer ſolchen Un: 
gleichheit wie biefe, Daß ber eine kann der Almofen bebinfen,. und 
der andere im Stande fein fie ihm zu reihen. Se mehr wir bie 
- Menfchen noch an den erftien Anfängen ihrer Bildung und Gem: 
ſchaft über die Erbe erblikken, deſto weniger iſt hiervon wahrzuneh⸗ 
men. Dabei nun durfte es freifich nicht ftehen bleiben, wenn- dad 
menfchliche Gefchlecht den großen Beruf, den ihm Gott gegeben 
bat, Herr zu fein über alles was auf Erden ift, erfüllen ſollte. Da 
mußten ſich alle menfchlichen Berhältniffe mehr verwikkeln; da mußte 
ein großer inniger oft fehr weit verbreiteter Zufammenhang entfle: 


33 


ben zwiſchen bem was hier bem einen, und bem was oft in weiter 
Entfernung bem anbern begegnet. Dadurch wurbe ber Grund ge 
legt zu dieſer, je mehr ſich jenes verbreitet, um befto mehr auch zus 
nehmenden Ungleichheit in den äußeren Zuftänden ber Menfchen. 
Wenn wir nun ſo wahrnehmen, wie eben auf diefem Wege ber Er: 
füllung. unſeres urfprünglihen und allgemeinen Berufs hernach das 
entſteht, daß man ſagen muß, Gott hat den armen gemacht neben 
dem reichen *): fo ſehen wir dann ſehr wohl ein, und unſer inner⸗ 
filed Gefühl fagt ed uns, daß nicht nur ber eine gemacht ift neben 
dem andern fonbern auch der eine für ben andern. Alle, welche ſich 
in ben befier audgeftatteten Kreifen bed menfchlihen Lebens bewes 
gen, müflen es ſich ja fagen, die Worzüge deren wir und erfreuen 
find eine Folge von diefem großen Verkehr, von diefen mannigfalti 
gen Verwikklungen in den menfchlihen Verhaͤltniſſen; wir genießen 
den Vortheil davon, und andere haben die Nachtheile davon zu 
tragen. Was iſt es da anders als nur die Stimme. ber Gerechtigs 
feit, welche durch menfchliches Wohlwollen und menſchliche Thätig: 
keit das audgleicht, was auf folhem Wege ungleich geworden ift? 
Und nicht befier wird auch diefe Pflicht erfüllt, ald wenn fie zuruͤkk⸗ 
geführt. wird auf ein verfiändiged und wohl berechnete Zuſammen⸗ 
wirken menfchlicher Kräfte; wenn ed .ald eine allgemeine Angelegen- 
heit aller angefehen wird und fo behandelt, fo weit wir es erken⸗ 
nen koͤnnen nach dem richtigfien Maagßſtabe, dieſe Ausgleichung der 
aͤußeren Ungleichheit unter den Menſchen immer wieder aufs neue 
hervorzurufen, je mehr ſi ich jene Ungleichheit immer wieder erzeugt. 
Was aber ſo einfach ein Werk der menſchlichen Gerechtigkeit iſt; 
was in ſeiner beſten und allein wahrhaft huͤlfreichen Geſtaltung ein 
fo gemeinſames Werk fein muß, daß der Antheil des einzelnen da⸗ 
ran fehr beſcheiden zuruͤkktritt und verfchwindet: wie kann denn ba- 
von fo befonderd geredet werben, ald ob nur biefed vorzüglich das 
Wohlgefallen Gottes und um menſchlich zu reden feine Aufmerk⸗ 
ſamkeit ervege, wie hier gefagt wird, Deine. Almofen find ind Ges 
daͤchtniß gekommen vor Gott? Lag es etwa in den befonderen Ver: 
hältniffen, in denen biefer Mann lebte, ba wo ihn Gott bingefezt 
hatte, wenn wir es boch in den allgemeinen Berhältniffen nicht fin- 
den können? Gr war, wie und die ganze vorhergehende Erzählung 
zu erkennen gibt, ein roͤmiſcher Kriegemann, geſezt über einen Theil 
ber Schaar, welche bort zur Beſazung lag; er lebte unter bem juͤ⸗ 
diſchen Volke und war, wie uns erzaͤhlt wird, gottesfuͤrchtig mit ſei⸗ 
nem ‚ganzen Hauſe; und ſeine Amoſen, N wie es vorher erwägt 





) Gpr. 3, 2.. 
I. 


354 


wird, wurben vorzüglich eben benen, unter welchen er lebte, bem 
Mitglievem des jüdifchen Volkes zu Theil. Iſt es im allgemeinen 
nur ein Werk der Gerechtigkeit, wenn dem Mangel ber Menichen 
in Beziehung auf die erfien Bebürfnifie abgeholfen wird: fo kann 
ed ja dort noch außerdem ein Wert der Klugheit geweien fein. 
Nicht mit Recht waren die Römer in den Beſiz des Landes gefom- 
men, welche Gott jenem Volke gegeben, und welches fie nun: inne 
hatten, fondern durch einen unveranlaßten Streich der Gewalt; und 
nicht immer nad Recht und Billigkeit waltete dieſe herrſchende 
‚Macht über dem unterdruͤkkten Voll. Wie viel neue Bewegungs 
‚gründe alfo die Laft fo viel ald möglich zu mildern, bamit nicht 
plözlich das gebrüffte Wolf fich erhebe und neuen Kampf unb neue 
Verwirrung bereite! Ja wir können und denken in feiner Lage, 
daß diefe Geneigtheit Almofen zu vertheilen unter jenem Volk an 

dem Orte feined Wohnſizes volllommen hätte beflehen koͤnnen zit 
der ‚großen Geringfchäzung, ja Verachtung, weiche bie Römer im 
ganzen gegen jened Volk begten. Aber wenn num auch bei ihm 
dieſe Beweggruͤnde nicht in Anſchlag kamen; wenn wirklich ein 
herzliche Wohlmeinen feiner Handlungsweife zum Grunde lag; je 
wenn wir fagen müffen: wirb er uns in einer Erzählung, bie eine 
folche Quelle hat, als ein gottesfuͤrchtiger Dann gefchildert, fo ha⸗ 
ben wir alle Urfache zu glauben, feine Gotteöfurcht fei nicht eine 
heidniſche geweſen, ſondern e8 war ihm, wie er unter den Vereh⸗ 
tern des Einen Gotted lebte, eine Ahnung davon aufgefliegen, unb 
ſo lag denn feinen Almofen wahrfcheinlich ein befonderes Wohlwol: 
len zum Grunde, eine eigenthümliche Achtung gegen bad Volk, wel: 
ches troz mancher Verirrungen, troz manches Abfalld bach die Er- 
kenntniß des Einen. Gottes treu unter fich bewahrt hatte: aber wenn 
wir aud dies alles gelten laffen, koͤnnen wir dann von diefen At 
mofen mehr fagen, fie verdienten, daß ihrer beſonders gebacht werde 
vor Gott? follte auch dieſes Mittheilen, auch diefe Geneigtheit zu 
geben von dem, was er in feiner Lage noch dazu in einem gewil- 
fen Ueberfluß haben konnte, ihm auf bejondere Weiſe die Gnabe 
Gottes haben zuwenden können? Wie wenig m. g. Fr. Fönnte bad 
etwas allgemeines fein, und wie wenig vermögen wir eben beöwe: 
gen auch es wahr zu finden! Denn fragen wir uns, was ifl Denn 
in diefer Beziehung ber Zuſtand, nach dem uns alle verlangt, auf 
ben auch unfer Almofengeben feine Richtung hat, obgleich wir frei⸗ 
lid) wol einfehen, daß dieſes an und für fi nur wenig Dazu thun 
Tann? Sicherlich iſt unfer Wunſch in diejer Beziehung der, es 
möge früher oder fpäter dahin kommen, daß das Almofengeben nicht 
mehr nöthig fe. Der Unterfchied zwifchen einem geringeren und 

















: 365 

größeren Wohlſtande wird freilich in einem ſolchen Leben wie das 
unfrige immer bleiben; aber ber Drukk des eigentlichen Mangels, 
bie lähmende Wirkung des wahrbaften Elendes ſoll doch in einer 
folchen Gefelichaft, wie es ein chriflliched und gebilbeted Wolf iſt, 
bald mehr und mehr aufhören. Dann alfo, wenn bad gefchähe, 
wonach wir mit dem beften Wiffen und aus dem reinften Willen 
fireben, dann entginge und ja die Gelegenheit das zu thun, wovon 
hier gerühmt wird, daß e& ganz befonberd ben einzelnen Menichen 
ind Andenken bringen fönne vor Gott! &o werben wir alfo body 
fagen müffen, wir wollen uns feflhalten in unferer evangelifchen 
Gefinnung, daß folche äußere Werke gar nicht im Stande find dem 
Menichen das göttlihe Wohlgefallen zu erwerben; daß es auf et⸗ 
was gan; anderes dabei ankommt, und alſo auch wol hier etwas 
anderes gemeint. fein müfle, wenn die Rede bavon fein fol, wie 
Gott ‘den Menfchen und feine Gerechtigkeit anfieht. 

Wolan denn bad zweite, das Gebet! Ja freilich dad Klingt 
uns allen erfreuticher und fagt und mehr zu, wenn es heißt, Gors 
neli, dein Gebet iſt erhöret, und darum fage ich dir, fende hin gen 
Joppen und laß dir den holen, der in dem Namen Gottes bir fas - 
gen wird, wa8 du thun folft zum Heil deiner Seele. Dein Ge 
bet iſt erhöret worden. Worauf kann der Allgegenwärtige und 
Alwiffende einen größeren Werth legen als auf ein betenbes Herz, 


wenn fich daS tieffle innerfie Gemüth ded Menfchen tiber bad ver . | 


gängliche und nichtige, dad ihn von allen Seiten umgibt und be 
fländig feine Aufmerkſamkeit fodert und feiner Thaͤtigkeit ihren Ge 
genſtand anweift, dennoch erhebt, und er fich fo ganz fammelt,. daß 
er auch fich ſelbſt num erſt vollkommen findet, indem er den Hoͤch⸗ 
fien findet in fih, um ſich und über fih! Und nicht nur eben Dies 
ſes Bewußtfein Gottes, in deſſen Erwekkung das menfchliche Ges 
müth feiner höhern Beflimmung gewiß wirb und nicht nur auf 
Dem Wege zur Seligkeit if, fondern fo weit e8 unfer irbifcher Zus 
fland vergoͤnnt fich des wirklichen Beſizes ber Seligkeit und des 
ewigen Lebens erfreut; nicht nur dieſes, ſondern wenn wir auf den 
Mann ſehen, den wir vor und haben — doch warum das allein? 
wir koͤnnen und muͤſſen es alle von uns ſelbſt ſagen, — nicht nur 
dieſeb gleichſam ruhende Bewußtſein, ſondern ſchon das innige Ver⸗ 
langen, die tiefe Sehnſucht nach dem hoͤchſten Weſen, welche ſich 
regt in dem menſchlichen Gemuͤth, ſo oft wir uns in dieſem Zu⸗ 
ſtande des Gebets wahrhaft befinden! Was kann wol der ohnmaͤch⸗ 
tige Menfch, in dem bie geiſtige Kraft, wenn wir auf ſeine ur⸗ 
ſpruͤngliche Natur ſehen, ſo gering iſt, und das Geſez in den Glie⸗ 
dern welqes gegen jene ah fi) fo gewaltig beweiſt, was kann 
32 


. 
j 356 


der ohnmächlige Menfch wol mehr, als in diefem Verlangen, im 
dieſer Sehnfucht feiner Seele fich zu Gott wenden, ſobald er dieſe 
Quelle des Heild in dem Bewußtſein des einigen böchften Weſens 
auch nur ahnet? Daran konnte wol, baran mußte ber Höchfte fein 
- Wohlgefallen haben. Denn vermag doch ber Menſch urſpruͤnglich 
“nicht mehr als dieſes, find wir zu allem andern erfl gelangt burdy 
die lebendige Gemeinfchaft mit bem, der auch diefem Beter damals 
erſt follte verfündigt werden: o fo mußte ja wol feinen Gebete ſich 
die liebende Hand des Waterd hülfreich entgegenfirelten; und wir 
fönnen und hieraus die Botichaft, welche an ihn gelangte, hinrei 
hend erflären. Er in dem finfteren Wahn — finfer oder and 1a 
chend, wie er fich eben geflaltete — aber in dem Bahn bed Hei⸗ 
denthums erzogen, burch beſondere göttliche Gnade vermittelft feines 
Berufs unter das Volk verfezt, in welchem er — wenn aud noch 
fo fehr mit Worurtheilen und Irrthum vermifcht, wenn auch von 
fo mancher Verblendung begleitet — doch ben Namen bed Ewigen 
hörte, fo dag jene mannigfaltigen bunten Trugbilder verſchwanden 
vor dieſer einen heiligen Geflalt: o wie oft mußte wel fein Der, 
wenn er diefed Gluͤkk zu fchäzen wußte, von jenem erlangen, von 
jener Sehnfucht erfüllt fein! Und wenn er nun wahrnahm, wie 
das jüdische Volk felbft, wiewol in dem Beſiz folcher heilſamen Er- 
tenntnig und gleichſam der Träger und Bewahrer eines göttlichen 
Geſezes, doch herabgeſunken war in fo vielen anderen Beziehungen 
und fich in feiner aͤußeren Lage nirgend befriedigt und gluͤkklich füh- 
lend immer von einer befferen Zeit redete, die da kommen follte, 
und 'von einem, burch den fie fommen follte; wenn ihm das faum 
entgehen. konnte, baß eben dies ein Theil der Werbiendung ded Vol⸗ 
kes war, daß die meiften ſich biefe erfehnte Werbefferung ihres Zu: 
ftanded verbunden dachten mit einer. äußeren Herrlichkeit, zu ber fie 
erſt ſollten wiederhergeſtellt werben, er der einem Volke angehörte, 
welches und bad größte Bild Außerer Macht unb Herrlichkeit dar 
- flelt, das in bem Verlauf ber menfchlichen Geſchichte uns jemals 
vor Augen geflanden bat: wie mußte ihm bie innere Stimme fa- 
gen, das ſei gewiß eine faliche Auslegung der göttlichen Weiſſagun⸗ 
gen, benn durch alle Außere Herrlichkeit werde das innerſte Beduͤrf⸗ 
niß des Herzens nicht befriedigt. O wie viele Urfach hatte er alfo 
zu beten, Daß er heller möge erleuchtet werben, als bie ex um fich 
‚ber fah, obgleich ihm biefelben das erſte Licht aufgeſtekkt hatten; wie 
viele Urfach hatte er da zu beten für ſich und für fie! 

Aber m. ‚8. dr. wenn wir ber Wahrheit ganz treu bleiben wol⸗ 
en, duͤrfen wit doch bei diefer Anficht der Sache nicht fiehen -blei: 
ben. Cornelius ſelbſt erzählt dem Petrus, vier Tage vorher habe 





:357 


‚er fein zur neunten Stunde gewöhnliches Gebet fortgefezt bis auf 
biefefbe fpätere Stunde, in der Petrus jest vor ihn trat *). Das 
war alfo ein Gebet an eine beflimmte Tageszeit gebunden, ‚wie es 
zu den aͤußerlichen gofteöbienfllichen Webungen der Juden gehörte, 
an welche er ſich, wie wir hieraus ganz deutlich fehen, bereits in 
einem hohen Grade angefchloffen hatte; ein Gebet, an eine gewiffe 
Stunde des Tages gebunden, ber Zufland bed Gemüthes mochte 
übrigens fein welcher er wolle, und dieſes Gebet hatte er noch wie 
er erzählt in die Länge gezogen auf eine ungewöhnliche Weiſe. Wie 
finden wir doch hier fo vieles, was und an bie Warnung bed Ex: 
Iöferd erinnert, wie er fie auöfprach in ber Bergrede in Beziehung 
auf die Gebete feined Volkes, daß fie nicht ſollten "beten wie bie 
Heiden und viele Worte machen, indem Gott deren gar nicht be: 
dütfe fondern alles vorher wiffe; woraus denn folgt, daß dad Ge 
bet nichts fein folle was ber äußeren Worte bedarf oder burch fie 
zu feiner Vollkommenheit gelangt, fondern nur eine innere Bewer . 
gung des Herzend. Dad Gebet auf jene Weiſe gehandhabt ald eine 
äußere Uebung, mehr ober weniger an beftimmte Beiten gebunden 
und nicht felten auch an beflimmte Worte, und dann noch über die 
gewöhnliche Länge hinaudgezsgen von ber Meinung aus, Daß Diefes 
Wortemachen in bem Gebet, diefed Beitauöfülen mit dem Gebet 
etwas Gett wohlgefälliges fei: was der Erlöfer fo ald eine Ber: 
blendung darſtellt, was er als Irrthum bezeichnet, wovor er warnt, 
das kann doch nicht ber Grund des beſonderen Wohlgefallens Got: 
tes an biefem Manne gewefen fein. Wollen wir alfo auch in bie, 
fer Beziehung feflftehen bei unferer evangelifchen Sefinnung, daß 
wir nämlich das Gebet nur anſehen als eine innere. Angelegenheit 
des Herzens, fo daß ed feine Wahrheit und feinen Werth nicht von. 
der Stunde, nicht von ben Worten, nicht von ber. Länge bekommt, 
fondern nur dadurch, daß ed ber natürliche Ausdrukk ift von dem 
Verlangen ded Menfchen nad) dem Emigen: fo ‚werden. wir jagen 
müffen, auch feines Gebete wegen konnte Gott ihm nicht gnäbig 
fein vor andern, ze - 


Nn. Alfo dürfen. wir davon nicht abgehn, weder die Almofen 
Des Mannes wie er fie geübt hat, noch fein Gebet wie er es geübt 
hat konnte einen Grund-enthalten, weshalb Gott: ihn vorzugäweife 
dazu auserſah ihm auf vinem fo befonderen Wege zur Kenntniß bed 
Evangeliums zu verhelfen; und fo hat bie Frage nicht wenig Schwie⸗ 





*) Dies ik der wahre Sinn der Worte V. 30. Luthers Ueberſezung iſt 
hier theils ſelbſt unrichtig, theils folgt fie nicht den beſten Handſchriften. 


358 
rigkeit, die wir und jest vorlegen, wie wir uns ben Zuf 
denten follen, ber boch in den Worten jened Beten Gottes fo un: 
verfennbar angeorbnet iſt, wenn er fagt, Dein Gebet ifi erhoͤ⸗ 
ret, und beiner Almofen iſt gebaht werben vor Gott; 
fo fende num gen Joppen, und laß dir rufen- einen Simon, genannt 
Petrus. 
- Barden wir nicht am beflen thun m. a. Ir. went wir uns 
zunächft auch hier wieber feflfegen in dem Ausſpruch bed Apoſteis 
Sie find allzumal Sünder und ermangeln bed Ruhmes, ben fie 
vor Gott haben follen? *) Davon war feiner ausgenommen sum: 
ter allen Menſchen, die ba lebten, che die Zeit erfüllet war, uab 
der Sohn Gotted eintrat in biefe Welt; Feiner machte davon eine 
Ausnahme, und feiner alſo, wenn fie alle bed Ruhmes ermangelten 
ben fie vor Gott haben follten, hatte etwas in was 
gefällig fein konnte. Und obgleich und das freilich fon als 
großer Fortſchritt, als eine bedeutende Hinwendung zum befferen in 
biefem einzelnen erfcheint, daß er in ber Mähe dieſes wiewol von 
ben feinigen unterbrüfften und gering geachteten body vom Gögen: 
dienft freien Volkes fich hatte bis zu einem gewiſſen Grabe wenig» 
fiend befreien laffen von feinem alten ihm gleichlan angeborenen 
oder body von Jugend auf anerzogenen Irrthume, flatt jenes Wah⸗ 
nes und jener Trugbilder den Gedanken bed Eines. ewigen (Bottes 
in feine Seele aufgenommen und fich bem entgegenfireffte, — wie: 
wol und bad als ein großer Fortſchritt erfcheint: wie -empfänglich 
zeigt fich nicht boch auf ber anderen Seite berfelbe Mann wieber 
zuruͤkkzufallen in die Werthſchaͤzung des äußeren, bes 
und nichtigen! denn fo war es mit feinem ‚Gebet, fo war ed mit 
feinen Almofen. Da war alfo, wenn wir es frei umb redlich her: 
audfogen wollen, außer jenem SBerlangen ber menſchlichen Gele, 
außer jener Richtung nach dem Ewigen bin — unb wo biefe nicht 
if, da muß auch bie lauierſte Botfhaft bes Evangeliuns verloren 
fein an der Seele, — aber außer ihr war nichts an ihm, was ba 
Gott Hätte koͤnnen wohlgefällig fein und angenehm; aufer biefer 
war nichts an ihm, was nicht beburft hätte bedekkt zu werben von 





°) Koͤm. 3, 23. 











359 

ſeln? Alfo fprach ex zu ihnen ), Es waren viele arme Wittwen 
zu ber. Zeit des Elias in Israel, aber der Prophet wurde zu Feiner 
gefandt in jenen Zeiten des Mangeld als gen Sarepta ber Sidos 
nier, alfo in der Heiden Band; und viele audfäzige waren in- 38: 
rael zu ben Zeiten bed. Propheten Elifa, aber Feiner wurbe dadurch 
gereinigt ald allein Naeman aus Syrien, alfo ein Heide. Als fie 
Dad. vernahmen, da ahneten fie den Sinn feiner Worte, daß er ih: 
nen wollte zu verflehen geben, der Here fuche mit den erſten Stroh: 
len feined neuen Lichted, wie er ed fchon mit feinen Außern Wohl: 
thaten gethan, mehr die entfernteren auf, als bie ihm hätten nahe 
ſein ſollen ald dad Volk feiner Wahl, und da wurden fie voll Zors 
nes und fließen ihn hinaus aus der Stadt. So muͤſſen wir auch 
bier fagen, Viele gab es unter den Juden und Heiden, welche burs 
ſteten nach der göttlichen Wahrheit, welche ein eben fo fehnliche& 
Berlangen hatten nad) ber Seligleit und dem Frieden, den die Welt 
nicht geben Tann, viele gab es folche: aber zu feinem wurbe Simon 
Petrus gefandt als zu diefem Cornelius, dem römifchen Hauptmann 

in Caͤſarea. | 
Was wollen wir alfo fagen? Die Worte jenes göttlichen Bo: 
ten fcheinen allerdings einen Zuſammenhang anzubeuten zwiſchen 
dem Gebet und Almofen des Cornelius und ber Sendung bed Pe; 
trud: aber ed war doch in dieſen Uebungen des Cornelius nichts 
gutes, ald nur daß ihnen eben jened Verlangen zum Grunde lag, 
weiches die allgemeine Bebingung für alle. Menfchen ift, wenn. fie 
follen.der göttlichen Erleuchtung fähig werden — eine Bedingung, 
die fid) bei vielen eben fo finden mußte, wie bei ihm. Alſo erklaͤ⸗ 
ren und dieſe Worte nicht, warum grade dieſer auögewählt wurde 
um vorzugsweiſe durch Petrus zu bösen von Jeſus von Nazareth 
und mit allen den feinen, die er um: fich verfammelt hatte, von fei-. 
ner Rede gewaltig ergriffen früher ald andere theilhaftig zu werden 
bed Geifled und aufgenommen zu werden in die Gemeinſchaft der 
glaͤubigen. Sie erklaͤren es uns in ſofern nicht als wir behaupten 
müffen, es gebe überall keinen beſondern Grund in irgend einem 
Menſchen, der ihn zu einem Gegenftand göttlicher Wahl und goͤtt⸗ 
lichen Vorzuges machen koͤnnte, fonbern nur jenes Eine, was allen 
noth thut, und an das allein bie erbarmende göttliche Liebe fich an- 

knuͤpfen kann. 

Jene Worte find alfo nur eine Ankündigung ohne Grund ba: 
von, daß gerade feine Gebete und feine Almofen vor Gott gekom: 
men fein. Wollen wir aber ben Grund hievon willen: ſo werben 





°, gut. 4, 25-27. 


wir boch wieber unfere Zufludyt nehmen müffen zu bem Worte des 
Apoſtels Paulus, ber auch vertieft in biefes Geheinmiß der göttki> 
hen Führung, wie wenige von feinem Volke eingingen in das Reich 
Gottes, welches ihnen doch zuerft verfünbigt worden war, denen bie 
ſich nicht darein finden wollten halberzuͤrnt zurief, Menſch, wer biſt 
du, daß du mit Gott rechten willſt? Ach und freilich wäre das 
ein viel tiefered viel bemüthigereö viel mehr Wahrheit in fich ent⸗ 
haltendes Rechten mit Gott, wenn wer fich in einem foldhen Falle 
der Begünftigung findet fagte, Herr womit habe ich dem bad ver: 
dient, was ift denn ber Grund dazu? ich Tann ihn nicht finden im 
mir! warum find fo viele andere zurhflgefezt gegen mich? Ein viel 
richtigereö Rechten mit Gott wäre dad ald das entgegengeſezte! So 
aber fährt der Apoſtel fort, Menich, wer biſt du, daß bu mit Gott 
rechten willſt? hat nicht der Zöpfer Macht aus dem Thon zu ma- 
dien was er will, dad eine Gefäß zu Ehren und das andere zu 
Unehren, und wer vermag zu rechten mit ihm? ) Das heißt doch 
gewiß, dag wir in dem einzelnen nie den Grund finden koͤnnen fol: 
cher göttlichen Wahl. Wenn aber durch biefen Ausſpruch der Apo⸗ 
ſtel den Vorwiz derjenigen bemüthigen wollte, welche mit Gott rech⸗ 
ten zu Tönen meinten, weil fie geneigt waren fich über andere zu 
erheben: follen wir und nun auch bei biefem Unvermögen allein be> 
ruhigen? Vielmehr laßt und verfuchen unfer Auge nicht auf ben 
einzelnen, weil wir ja an dem nichtd finden, ſondern auf bad ganze 
zu richten, ob nicht die Wahrheit die if. Wenn Gott ben einen 
zum Gefäß der Ehre macht, ihn auserwählt auf folche Weile wie 
es dort gefchehen ift: fo thut er das nicht um dieſes einen willen, 
fondern um der anderen willen. So hängt dann alled zufammen 
in Einer göttlichen Zührung-im großen: und eine andere Orbnung 
konnte es ja wol nicht geben in der Verbreitung des Evangeliums, 
auf deſſen Segnungen ja alle kein echt hatten, keiner mehr als 
ber andere; eine andere Regel konnte es nicht geben als dieſe, der 
Herr leitete bie göttliche Stimme der Verkündigung fo, wie baraus 
bad meiſte und größte entftehen Eonnte in der Welt, in ber der 
Name feined Sohnes fein fol ein Name, der über alle Namen ift. 
Und ehren wir zuruͤkk zu den Umfländen ber damaligen Zeit: wie 
leicht werden wir dann begreifen, warum unter folchen Umſtaͤnden 
an einen folchen wie Comeliud der Ruf Gottes erging. 

Was war zuerft die Lehre, welche Petrus — der Apoſtel, ber 
gewöhnlich hervortrat wo es galt: Die neue Gemeine des Herm zu 
vertreten vor ber Welt, — was war bie Lehre, die er fich aus dies 


) Rom. 9, 20 21. 


361 
fem Ereigniß zog? Nun fagt er fehe ich, daß Gott die Perſon 
nicht anfieht, fondern in allerlei Volk wer ihn fürchtet und Recht 
thut, der ift ihm angenehm, — nicht etwa als ob er dadurch we: 
niger ein Sünder wäre, ber des Ruhmes ermangelt, ben er vor 
‚Gott haben fol, aber angenehm ift er ihm dazu um ihm feine 
Wohlthaten zu erzeigen, angenehm tft ihm ein foldyer um ihn zu 
erleuchten mit dem bimmlifchen Licht. Wo diefe Sehmfucht bes 
Herzens iſt nach dem Ewigen, wo biefer Hunger und Durſt if 
nach dem Reiche Gottes und nach feiner Gerechtigkeit, nur daß bie 
verirrte Seele noch nicht weiß wo es zu finden iſt: er mag aus eis 
nem Bolt fein wie er will, fo ift er ein Gegenſtand ber göttlichen 
Erbarmung. Und wie nothwendig war dem Petrus biefe Erkennt: 
niß! Denn er fagte zwar, ald er in des Cornelius Haus eintrat, 
Ihr wiffet, wie es ein ungewohntes Ding ift einem jübifchen Mann 
fich zu einem Zremdling zu thun ober in das Haus eines ſolchen 
zu fommen; aber Gott hat mir gezeigt keinen Menfchen gemein ober 
unrein zu heißen. Das war ihm alfo ſchon gezeigt worben; aber 
woerm nicht zu gleicher Zeit ein folder Ruf an ihn ergangen wäre, 
den er nicht ausfchlagen Tonnte, weil er davon bad befte für bie 
Werbreitung des Reiches Gotted erwarten mußte: wer weiß, ob biefe 
Sache doch zu voller Klarheit in feiner Seele gekommen fein würde, - 
ob dies ein Grundfaz würde geworben fein, nach welchem er fortan 
fein ganzes Leben führte. Und ald nun in der folgenden Zeit der 
Streit entfland, ob nicht die and den Heiden doch müßten zuvor 
Hinzugethan werben zu dem Buͤndniß des alten Volkes mit Gott, 
ehe fie der chriſtlichen Gemeinſchaft einverleibt werden könnten: wie 
berief fi da der Apoſtel auf diefen Vorfall als den erſten; wie 
nöthig war es, daß ein folches Beiſpiel vorangegangen, und ein 
folcher Vorgang nachzuweiſen war, wenn bie hriftlihe Lehre und 
Gemeinfehaft in ihr volled Recht ſollte gefezt werben. 

Zweitens aber; wenn wir bie erſten Geſchichten der Ehriften be 
trachten: fo müffen wir geftehen, nie hätte es eine bleibende Ruhe 
gegeben für unfern Glauben, nie wäre eine Zeit gekommen, wie bie 
Gemeinen fich- in Frieden bauen konnten, und ihnen nicht mehr zu⸗ 
gemuthet wurbe den falichen Gözen zu hulbigen und bad Bekennt⸗ 
niß Chriſti zu verläugnen; nie wäre das gefchehen, wenn nicht bie. 
Zahl der- Anhänger des Glaubens fo groß geworben wäre unter 
dem vömifchen Bolt und namentlich unter dem roͤmiſchen Heere, 
daß die Sache nicht mehr zu dämpfen war, ſondern ihnen frei ges . 
geben werben mußte ihres Glaubens zu leben. Irgendwo mußte 
doch der Anfang hiezu gemacht werden; und er iſt eben hier ge: 
macht worden durch diefe Wahl, welche eine Seele traf, die zwar 


Anen Hunger und Durſt hatte nadı der Gerechtigkeit, bie vor Gott 
gilt, aber doch nur wie auch mandyer andere, und bie in allen ih- 
sen Handlungen bie herrſchende Werblenbung ber Zeit nicht minder 
theilte wie andere. 
- Indem wir nım bielen Gang ber göttlichen Weisheit erfennen 
in jenen erſten Anfängen ber chrifllichen Kirche, was zn. g. Er. fol: 
len wir fagen in Beziehung auf und ſelbſt? Alle die in dem 
Schooße der chriftlichen Kirche geboren werben, bringen daß ich fo 
fage fchon ein beſonderes Recht einſtmals biefer Gemeinſchaft anzus 
gehören mit auf die Well. Sie find Pfänder einer Liebe, die von 
beim erften Anbesinn nach nichts anderem trachtet, ald die Seelen, 
bie in ihren Bereich kommen, zur Gemeinfchaft Gottes zu leiten. 
* wiſſen demohnerachtet wohl und erfahren eö von ba an, wo 
und zuerft daS Bewußtſein bed Höchften in der Seele aufgeht, daß 
auch wir dennoch Feine Ausnahme machen von jener allgemeinen 
Regel, da die Menſchenkinder allzumal Sünder find und des Rub: 
med ermangeln, ben fie bei Gott haben follen. Aber keiner darf 
für fi felbft fragen, Wie bift doch du als ein ſolcher zu biefem 
Heil gelommen? denn ed liegt in ber Regel und Ordnung bed gan» 
zen gemeinfamen Lebens, dem wir angehören. . Aber wenn wir nun 
an jener Erkenntniß feflhalten und fagen, benen Gott einen Vorzug 
- giebt, die begnadigt er nicht um ihrer felbft willen, nicht als dieſe 
und jene einzelne, fonbern nur deshalb, weil nach diefer Ordnung 
fein Reich am meiften gefördert wirb; wenn wir babei bie Ausfüh- 


zung biefer Ordnung beachtend überlegen, durch welche große Kette 


von Weltbegebenheiten, die großentheild ausgingen von bem bewußt: 
Iofen Treiben der Menſchen, ed geſchehen ift, daß das Evangelium 
in diefen Ländern und unter diefen Wölfern Plaz gefunden bat, in 
denen izt am meiften ber chriftliche Name herrſcht; durch welche 
wunderbare Schitungen zum Zheil die Finfternig ba wieder Pla; 
gegriffen hat, wo zuerſt das Licht ded Evangeliums fchien, und der 
Leuchter hinweggeruͤkkt ift an einen ganz anderen Ort, um von da 
unter anberen Berhältnifien weiter zu fcheinen als es bort geſchehen 
konnte und allmählig dad ganze Geſchlecht der Menſchen zu erleuch⸗ 
ten; wenn wir fagen müflen, fo groß ift die Gnade Gottes, die 
über und gekommen ift: o fo haben auch wir, flatt nach andern 
AUrſachen zu grübeln und Unteripeibungen aufzufuchen, die wir nicht 
feflzubalten vermögen, fo haben audy wir nur banach zu fragen, 
wie. haben wir unfere Kräfte darauf zu richten, daß bad Licht un: 
tee uns rein erhalten werde gegen alle Verdunkelungen, bie ſich 
aufs neue einftellen wollen, daß wir es bewahren und es unjeren 
Nachkommen überliefen; aber nicht nur bad fondern auch wie wir 











363 

theilnehmen an biefem Geſchaͤft, es immer weiter zu verbreiten 
aısıter ben Denfchen, und alled was menfchliche Gemeinichaft iſt zu 
einem Werkzeuge zu machen, damit dad Wort Gotted weiter ge 
führt werde. Danach laffet und fragen, wenn wir über bie geheim⸗ 
ssißoolle Gnade Sotted nachdenken und wohlgefällige Selübbe vor 
Gott darbringen, daß wir ald Werkzeuge feiner Wahl zur Ermeites 
rung feined Reiched wollen wirkſam fein mit allem was er und ge- 
geben hat, auf daß wir in ber That feine Wahl rechtfertigen unb 
wirklich ericheinen als Gefäße, bie er gebilbet hat zu Ehren. Amen. 


Lied 14 


).0.0.1 
Am 13. Sonntage Trinitatis 1832, 


ticd 668. 315. 


Text. Apoftelgefh. IL, 17. 


So nun Gott ihnen gleiche Gaben gegeben hat, wie 
auch und, die da glauben an den Herm Jeſum Chriſt: 
wer war id), daß ich konnte Gott wehren? 


Dieses m. a. 3. find Worte bed Apofteld Petrus in Serufalem 
gefprochen, als er zuruͤkkkam von der Predigt bed Evangeliums, 
die er in dem Haufe des Comelius gethan hatte. Schon wenn 
wir fie allein leſen, müffen fie einem jeden den Eindrukk machen, 
daß fie eine Rechtfertigung enthalten, welche der Apoftel aufſtellt; 
und das beftätigt aud der ganze Zuſammenhang. Es wird erzählt, 
vor die Apoſtel und die andern Brüder in Ierafalem wäre gekom⸗ 
men was er bort gethan hatte," und ald er num zurüffgelehtt, fo 
‚hätten. fie ihn zur Rede darüber geftellt, daß er zu heibnifchen Men: 
(hen eingegangen fei und diefe auf ben Namen Jeſu getauft: habe; 

darauf habe er zu feiner Rechtfertigung den ganzen Hergang ber 
Sache erzählt, und diefe Erzählung befchließt er mit ben verlefenen 
Worten. Laffet und num eben biefe Rechtfertigung des Apo⸗ 
field jet zum Gegenſtand unferee Betrachtung machen. Es muß 
und m. a. Fr. dabei zu erſt ſchon merkwuͤrdig fein, bag der Apoſtel 
fi) rechtfertigt vor andern Chriſten; dann aber iſt zweitens auch 
die Art und Weiſe lehrreich, wie er es thut. I 


5. 

k Zuerſt alſo iſt das gewiß ganz am allgemeinen ein fehe 
auffallender Eindruff, den biefer ganze Zufammenhang ber Schrift 
worte auf und Ehriften macht, daß diejenigen welche bie Gemeinde 
bilden einen Apoftel bed Herm zur Rebe fiellen, und daß er ſich 
vor ihnen rechtfertigt. Wir find fo fehr gewöhnt uns dad Verhaͤlt⸗ 
niß zwifehen beiden ganz anderd zu denken; diejenigen, welche, fich 
des nähern Umganges mit unferm Exlöfer und feiner unmittelbaren 
Belehrung erfreuten, denken wir und auch ald fo weit und fo hoch 
über die anderen geftellt, daß fie gleichfam dem Uztheil ber andern 
nicht zu erreichen wären. Wir find fo fehr gewohnt alle Werke der 
Apoftel alle ihre Reden und Handlungen als etwas volllommenes 
und untrügliches anzufehen, und es fcheint doch hier als follten wir 
und davon losmachen. Denn wenn das eben fo damals wäre bie 
Ueberzeugung der Ehriften gewefen: wie wäre es denn möglich ges 
weſen, daß fie ben Apoftel hätten zur Rebe geflelt? Wie weit alfo 
würden: wir und von ber Wahrheit, die und aus der unmittelbaren 
Anfhauung der Schrift entgegenleuchtet, entfernen, wenn wir und. 
den Abfland zwifchen den Apofleln und ben übrigen Ghriften fo 
groß vorflellen wollten. Seitdem der Geift des Herrn über bie 
Gemeine auögegoflen war, war von biefer Ungleichheit eigentlich 
keine Spur mehr. In diefem Geift und feinen Wirkungen waren 
fie alle gleih; und eben bie Bewußtſein lag auch babei zum 
Grunde, baß bie Ehriſten jener erſten Gemeinde, die ſich ihrer bis⸗ 
herigen Anſicht nach in das neue und unerhoͤrte, was damals ge 
ſchehen war, nicht finden konnten, fich doch nicht fcheuten auch eis 
nen Apoftel des Herrn zur Rebe zu flellen und ihn zur Vertheidi⸗ 
gung und Rechtfertigung aufzuforden. Davon will ich gar nicht. 
einmal reden und deſſen erwähnen, daß es gerade Petrus war bem 
biefed begegnete, welchem wir wol, wenn wir bie Erzählungen ber 
Apoflelgefchichte einfach betrachten, dad nicht abfprechen koͤnnen, daß 
er unter den Apofteln des Herrn immer ber geweien, welcher zuerfl 
hervortrat, fo oft fie fich aus ihrer: Zuruͤkkgezogenheit hinaus geben 
mußten in bad öffentliche Leben. In ſolchen Faͤllen vertrat er ‘die 
Gemeinde und war, baß ich fo fage, gleichlam ber Anwalt und. 
Brortführer derfeiben. Dennoch. aber glaubte auch er hierbucch Fein 
ſolches Vorrecht zu haben, daß es ihn davon hätte befreien koͤnnen 
überall bereit zu fein auch innerhalb ber Gemeinde Verantwortung 
zu geben von dem Grunde feiner Hoffnung, feined Glaubens, fei- 
ned Thuns. Und fo fehen wir ed auch hier. Aber wie nun biefes 
für die andern etwas neued war, daß dad Evangelium aus ben 
Schranken der Nachlommen Abrahams hinausging und unmittelbar. 
ben Heiden gebracht wurde: fo tritt nun Petrus auch in. feiner Wer: 








XXXL 
Am 13. Sonntage Trinitatis 1832. 





Lieb 658. 315. 


Tert. Apoftelgefh. 11, 17. 


So nun Gott ihnen gleiche Gaben gegeben hat, wie 
auch und, die da glauben an den Henn Jeſum Chrift: 
wer war ich, daß ich konnte Bott wehren? 


Die m. a. 3. find Worte bed Apoſtels Petrus in Serufalem 
gefprochen, als er zuruͤkkkam von ber Predigt bed Evangeliums, 
die er in dem Haufe des Gomeliuß gethan Hatte Schon werm 
wir fie allein lefen, müffen fie einem jeden ben Eindrukk machen, 
daß fie eine Rechtfertigung enthalten, weldye ber Apoſtel auffiellt; 
und das beflätigt auch der ganze Zufammenhang. Es wird erzählt, 
vor die Apoftel und die andern Brüder in Jeruſalem wäre gekom⸗ 
men was er dort gethan hatte, und als er nun zuruͤkkgekehrt, fo 
‚hätten .fie ihn zur Rebe darüber geftellt, daß er zu heibmifchen Men⸗ 
(hen eingegangen fei und diefe auf ben Namen Jeſu getauft habe; 
Darauf habe er zu feiner Rechtfertigung den ganzen Hergang ber 
Sache erzählt, und diefe Erzählung befchließt er mit ben verkefenen 
Worten. Laflet und num eben biefe Rechtfertigung des Apo: 
flel3 jezt zum Gegenflanb unferee Betrachtung machen. Es muß 
und m. a. Fr. dabei zu erſt ſchon merfwürbig fein, daß ber Apoſtel 
ſich rechtfertigt vor andern Chriſten; dann aber ift zweitend and) 
die Art und Weife lehrreich, wie ex es thut. 


5. 

J. Zuerſt alſo iſt das gewiß. ganz am allgemeinen ein- fehe 
auffallender Eindrukk, den biefer ganze Bufammenhang ber Schrift: 
worte auf und Chriften macht, daß diejenigen welche bie Gemeinde 
bilden einen Apoftel des Herrn zur Rebe flellen, und daß er ſich 
vor ihnen vechtfertigt.. Wir find fo fehr gewöhnt uns das Verhaͤlt⸗ 
niß zwilchen beiben ganz anders zu denken; diejenigen, welche fi ch 
des naͤhern Umganges mit unſerm Erloͤſer und ſeiner unmittelbaren 
Belehrung erfreuten, denken wir uns auch als ſo weit und ſo hoch 
uͤber die anderen geſtellt, daß fie gleichſam dem Uztheil ber andern 
nicht zu erreichen wären. Wir find fo fehr gewohnt alle Werke der 
Apoſtel alle ihre Reben und Handlungen ald etwas volllommenes 
und untrügliched anzufehen, und es fcheint doch hier als follten wir 
und davon losmachen. Denn wenn bad eben fo damals wäre bie 
Ueberzeugung der Chriften geweſen: wie wäre es denn möglich ges 
wefen, daß fie den Apoftel hätten zur Rede geflelt? Wie weit alfo 
würden wir und von der Wahrheit, die und aus der unmittelbaren 


Anſchauung der Schrift entgegenleuchtet, entfernen, wenn wir und. 


den Abftand zwifchen den Apoſteln und ben übrigen Ghriften fo 
groß vorftellen wollten. Seitdem ber Geift des Herm über bie 
Gemeine auögegoffen war, war von biefer Ungleichheit eigentlich 
Beine Spur mehr. In diefem Geift und feinen Wirkungen waren 
fie alle gleich; und eben dies Bewußtſein lag auch dabei zum 
Grunde, daß die Chriften jener erften Gemeinde, die fich ihrer bis⸗ 
berigen Anficht nach in das neue und unerhörte, was damals ges 
fchehen war, nicht finden konnten, fich doch nicht fcheuten auch ei: 
nen Apoftel des Herrn zur Rede zu flelen und ihn zur Vertheidi⸗ 
gung und Rechtfertigung aufzuforden. Davon will ich gar nicht 
einmal reden und beflen erwähnen, Daß es gerade Petrud war dem 
dieſes begegnete, welchem wir wol, wenn wir bie Erzählungen. ber 
Apofleigefchichte einfach betrachten, dad nicht abfprechen können, daß 
er unter den Apofteln des Herrn immer ber geweien, welcher zuerſt 
hervortrat, ſo oſt ſie ſich aus ihrer Zuruͤkkgezogenheit hinaus geben 
mußten in das öffentliche Leben. Im ſolchen Faͤllen vertrat er die 
Gemeinde und war, daß ich fo fage, gleichfam ber Anwalt und. 
Wortfuͤhrer derfelben. Dennoc aber glaubte auch er hierdurch fein 
ſolches Vorrecht zu haben, daß es ihn davon hätte befreien können 
überall bereit zu fein auch innerhalb der Gemeinde Berantwortung 
zu geben von dem Grunde feiner Hoffnung, feines Glaubens, ſei⸗ 
ned Zhund. Und fo fehen wir es auch hier. Aber wie num biefed 
für Die andern etwas neues war, baß dad Evangelium aus ben 
Schranken der Nachkommen Abrahams hinausging und unmittelbar. 
den Heiden gebracht wurde: ſo tritt nun Petrus auch in ſeiner Ver⸗ 








366 

Ohebigumg Teinehmeges fo auf, atß ob ihm bike @infiäk khom von 
laͤngſt wäre. zu heil geworben, ımb ed babe biöher nur au 
der Gelegenheit gefehlt fie geltend zu m — ihr * 
handen. Nein! er bekennt ganz einfach und reblich, wie es fidh 
auch verhielt, daB er erſt Damals zu biefer Einfächt gekommen fei; 
dag er ummittelbar vorher noch baffelbe Widerfirehen Dagegen in ſich 
gefühlt habe, welches bie andern ihm jet zu erkennen gaben: aber 
er fezt auseinander, anf welche Weile dies in ihm wäre Aberwun: 
den worden. So fehen wir denn, daß auch in biefer Beziehung 
die Apoftel des Herrn nicht unterfchieben waren von ben übrigen 
gläubigen ober von und. Auch fie theilten das allgemeine 
wie es ein anderer Apoſtel darftellt, daB wir geführt werden von 
einer Klarheit zur andern *), daß nach und nach uns das Licht ber 
Wahrheit immer heller leuchtet, daß es erſt allmählig auch die Ges 
genden des Gemuͤthes erhellt, welche länger ald andere dunkel ge⸗ 
blieben waren, und daß wir niemals behaupten koͤnnen, die ganze 
Hülle der Erkenntniß, welche bie Seisheit Sottes und enthällen 
wid, ſchon wirklich zu befizen. So fehen wir denn ganz deutlich 
aus dieſer Rechtfertigung bed Apoſtels, wie wir jene Worte bed 
Herm zu verftehen haben, als er zu feinen Juͤngern Taste 1 ber Geiſt 
der Wahrheit, den er nme fenden wolle, werde fie in alle Bahr: 
heit leiten. Nicht, denn fo klingen auch die Worte des Eroſers 
nicht, nicht als ob er ſie auf einmal aus der Finſterniß in das 
vollſte Licht in den hellſten Glanz der Wahrheit verſezen werde; 
nicht als ob er auf einmal ihr ganzes inneres Weſen umgeſtalten ſolle: 
fonbern leitenb, fchrittweife vorwärts führend, allmählig dem Ziele 
näher. bringend, jezt diefen dann einen andern Irrthum, jest dieſes 
dann ein andered Vorurtheil als ein ſolches vor den Augen ihres 
Geiſces darflellend; und zwar am meiften Tiebften fruchtbarften dann, 
wenn es barauf ankommt eine foldhe Einfiht zu benuyen zur Er⸗ 
weiterung bed Reiches Gottes, durch eine höhere Erleuchtung Ein: 
wenbungen zu befeitigen, welche unter den gegebenen Umſtaͤnden ber 
Verbreitung ded Reiches Gottes nachtbeilig werben müßten. Go 
war es damals, und ald bie Gelegenheit ſich barbot, kam auch die 
Erleuchtung bed Geiſtes Über den Apoftel: und beides fam gemein- 
fanı um ber Verkündigung bed Evangeliums einen neuen Weg zu 
bahnen und um nun auch allen Chriſten das Auge des GSeiſtes zu 
oͤffnen über einen foldyen Gegenſtand, über ben fie bisher nech mit 

manchen Vorurtheilen befangen waren. 
Und wenn nun dad VWerhaͤltniß der andern Chriften zu dem 


g 


*) 2 Gor. 3, 18. - 


867 


Apofteln des Herm überhaupt ‚ober wenigflend zu biefem einen ins 
fonderheit ein anbered geweſen wäre; wenn fie fo vol geweſen wäs 
ren von einer fcheuen Ehrfurcht, ba fie geglaubt hätten, ihnen ge 
zieme es nicht von ihm Rede und Antwort zu verlangen über das, 
was er gethan habe; wenn fie geglaubt hätten, fie müßten alle ihre 
Einwendungen bagegen bei fich ſelbſt verfchließen und nur Daraus, 
was ein ſolcher Juͤnger des Herrn gethan habe, bei ſich ſelbſt feſt⸗ 
ſtellen, wie ſich etwas verhalte, und mas in einer beſtimmten Be 
ziehung der Wille und die Wahrheit Gottes ſei, aber ohne daß fie 
auf dem rechten Wege ber- Uebergeugung zu einer Haren Einficht 
gelangt wären: wie wenig wäre banm bei jeber fo großem Veran⸗ 
laffung wie biefes eine war wirklich gutes gefchehen; wie wenig 
wäre dann ber Strahl der Wahrheit in die Gemüther ber Chriſten 
gebrungen! Gewiß eine ſolche flillichweigende Fuͤgſamkeit in das, 
was diejenigen thaten und forderten, welche in Anfehn flanden, 
wäre nur etwas fehr geringed gewefen im Vergleich mit der Ueber 
zeugung, zu ber fie nun gelangten durch des Petrus Rechtfertigung. 
Denn wenn ed im Verlauf be& Textes heißt, Da fie dies hörten, 
fchwiegen fie: fo will das fagen, fie nahmen mit Ueberzeugung ihre 
vorigen Einwendungen: zuruͤkk und lobten Gott, als fie ausriefen, 
So hat Gott auch den Heiden Buße gegeben zum Leben! Sehet 
da den Weg, auf welchem damals bie Chriſten zu einer ſelbſtſtaͤndi⸗ 
gen und wahrhaft heilbringenden Erkenntniß gelangten! Freimuͤ⸗ 
thig fordern fie den Apoftel auf zur Rechtfertigung wegen eines un» 
gewohnten Beginnend, und fchlicht und einfach erzählt er ihnen, 
wie er zu feiner Ueberzeugung und feinem GEntichluß gekommen: 
und biefer Weg voird immer für Chriſten ber einzige. angemeffene 
und anfländige fein um fich zu verflänbigen, wo fie nicht gleicher 
Meinung find! Aber eben beöhalb, weil es fchon von Anfang an 
Teinen andern gab um zu einer felbfiftändigen Erkenntniß ber Wahr 
heit zu fommen, durfte ed auch ſchon damals einen folchen Unters 
ſchied nicht geben unter Chriften, wie wir ihn und gewoͤhnlich den⸗ 
fen zwiſchen den Apofteln und ben übrigen Ehriften; eben deshalb 
durfte es auch damals nicht anders fein als daß die, die in demſel⸗ 
ben Glauben an denfelben Herrn und Meifter einig waren und von 
den Gaben und Kräften beffelben Geifted geſchmekkt hatten, auch 
ſich einander gleich halten mußten und nur in biefem Verhaͤltniß 
einer wahren brüberlichen Gleichheit von einander lernen und em⸗ 
pfangen und einander gegenfeitig mittheilen konnten. 


U. Aber nun m. a. Sr. laffet und auch zweitens darauf fe: 
ben, wie fich denn ber Apoftel Petrus in Beziehung auf dies das 








mals noch ganz ungewohnte Werfahren rechtfertigt. Er hatte füch 
‘ nämlich über zweierlei zu rechtfertigen: einmal darüber, baf er über: 
haupt eingegangen war zu heibnifchen Menſchen. Denn dad war 
nach den Gewohnheiten des jüdifchen Volks, welche fich auf bas 
Geſez gründeten, und nach ben fcharf genommenen Ausſpruͤchen bes 
Geſezes ſelbſt allen Aus dem Volk Israel verboten; unb biefem 
Geſez hielten ſich doch alle Ehriften ald Glieder des jübifchen Volks, 
als Nachkommen derjenigen bie bad Gefez empfangen hatten, ver: 
pflichtet. Das zweite, worüber er ſich zu rechtfertigen hatte, wear 
dies, daß er auch bie Heiden getauft hatte, ohne fie auf dem vom 
Geſez angewiefenen Wege dem juͤdiſchen Wolke einzuverleiben; denn 
daß die Rechtfertigung des Apofteld auch hierauf geht, fehen wir 
deutlich aus den Worten felbft, bie wir mit einander vernommen 
haben. Wenn er fagt, Wer war ich, bag ich konnte Gott wehren? 
fo flellt ex eben dies, dag diefe Menfchen wie fie waren in bie Ge 
meinde ber Chriften aufgenommen worben, ald den Willen Gottes 
dar, dem er nicht wibderfireben könne. Wenn wir nun barauf ach 
ten, wie ber Apoſtel fidy über bie beibed rechtfertigt: fo muß und 
auffallen — benm ich kann ja wol den ganzen Berlauf ſowol bie 
fer Sefchichte ſelbſt als der Wertheibigung, in welcher ber Apoſtel 
fie noch einmal wieberholt, ald bekannt vorausſezen, — daß er ſich 
nicht durch dad himmlische Geficht allein rechtfertigt, welches ex den 
verfammelten Chriften erzählt, wie ihm nämlich ein Tuch voll von 
unreinen Xhieren aller Art erichien, welches vom Himmel herabge: 
laſſen, und ihm die Zumuthung wurde, er folle ſchlachten und effen. 
Darauf weigerte er fi dem Herrn und fagte, Noch nie iſt gemei⸗ 
ned und unreined in meinen Mund gegangen; und bie Stimme des 
Herm antwortet ihm darauf zu dreienmalen fo, Was Gott gerri: 
nigt bat, das erkläre du nicht für gemein. Dies Geficht erzaͤhlt er 


zwar, aber keinesweges bricht er bamit ab, als ob dadurch feine 


Rechtfertigung vollendet wäre: vielmehr koͤnnen wir audy aus bem 
ganzen Zulammenhang der Erzaͤhlung gar nicht beſtimmt abnehmen, 
was fuͤr einen Eindrukk dies Geſicht allein auf ihn gemacht, und 
in wiefern es eine Ueberzeugung hervorgerufen habe. Was ihn be⸗ 
ſtimmte und wodurch er ſich vor ſeinen Bruͤdern rechtfertigt, iſt der 


Umſtand, daß zu gleicher Zeit mit jener Aufforderung auch die Maͤn⸗ 


ner erfchienen, welche ihm die Einladung überbrachten, er möge zum 
Cornelius kommen; unb nicht nur bie, ſondern wie er hinzufügt, 
dag mit ihm auch zugleich fechd andere Brüder, bie bei ihm waren, 
diefelbe Bereitwilligkeit bezeigten und mit ihm bingingen. Dies 
Zufammentreffen einer auf außerordentliche Weiſe ihm geworbenen 
Belehrung über etwas ihm ganz fremdeö und nened mit ber Aufs 


3 

forberung zur Verbreitung beö Glaubens einen Weg einzufchlagen, 
den bisher weder er noch ein anderer betreten hatte: dies Zuſam⸗ 
mentreffen war ed, was ihn beflimmte, darin erfannte er den Fin⸗ 
ger Gottes. Wie nun Petrud über jenes Geficht für fich allein, 
wenn, nicht die beflimmte Aufforderung bazu gefommen, fonbern es 
ihm nur eine allgemeine Andeutung geblieben wäre, würde geur⸗ 
theilt haben, in wiefern ihm eine fefle Ueberzeugung daraus würbe 
entftanden fein, Dad vermögen wir nicht zu beurtheilen: aber aller: 
dings werden wir fagen müffen, daß wir wenigftend das nicht koͤn⸗ 
nen als eine nothwendige Vorfchrift des chriftlichen Geiſtes anfehen, 
beöwegen etwas für wahr zu halten, weil ed und auf eine folche 
außerordentliche Weife Fund geworden. Jede Aeußerung eines uns 
fremden Gebantens, deſſen Gegenſtand aber wichtig ift, fol allerdings 
einen Eindruft auf unier Gemüth machen, und einen Eindruff 
hätte gewiß das Geficht auch auf den Apoftel immer gemacht: aber 
für fih allein beftimmen fol und gewiß niemald etwas beöwegen, 
weil uns ber erfle Gedanke darüber auf außerordentliche Weiſe ges 
geben worden iſt. Vielmehr ift ed eine wichtige Regel ber Weis: 
heit, daß wir von der Art und Weife,; wie und eine Erkenntniß 
dargeboten worden iſt, auf die Wahrheit ihres Inhaltes niemals 
ſchließen dürfen, fondern beides wohl von einander zu fcheiden ha⸗ 
ben. Denn fonft kommen wir gar zu leicht in ein Verfahren hins 
ein, welches und, bie wir und ber Erleuchtung des göttlichen Geis 
ſtes erfreuen, am wenigften geziemt. Wir follen und ja feinem An» 
fehn unterwerfen fondern den Geift allein richten laffen. Glauben 
wir aber alled für wahr halten zu müfjen, wad und auf eine au⸗ 
Berordentliche ungewöhnliche, ich will fagen übernatürliche Art und 
Weiſe zur Vorftelung gebracht wird: was heißt das anders, al& 
daß wir dem unbegreiflichen ein folcyed Anfehn einräumen, dem wir 
auch dad Urtheil ded Geifted in und unterwerfen? Nein, in allen 
hieher gehörigen Dingen fol die Wahrheit ihren reinen ungetheil- 
ten Eindruff auf und machen, nicht durch etwad fremdes unterflügt; 
ihre eigene Kraft für ſich allein fol und bewegen. Und baher war 
auch gewiß das eigentlich wirffame für die. Entfchließung des Apo⸗ 
feld nicht das Geficht fondern die Aufforderung ; aber wol war jes 
ned eine weißlich herbeigeführte Vorbereitung feines Gemuͤths bar: 
auf. Es ift wol möglich, daß die Aufforderung, wenn fie allein 
an ihn. gelommen wäre, ihn nicht fo bereitwillig bürfte gefunden 
haben, daß er zu den Boten eben fo würde gelagt haben wie zu 
der Stimme, Das fei ferne von mir, denn noch nie bin ich zu de⸗ 
nen eingegangen, die mir im Geſez als unrein bezeichnet ſind. Aber 
nachdem er ſo vorbereitet war, mußte ihm wol, wenn eine ſolche 

III. Aa | 


Aufforderung an ihn gelangte und er bebenkiich war, feine eigene 
beffere innere Stimme fagen, Du bift ja fo feft überzeugt davon 
wie du es auch ſchon oͤffentlich verfündiget haft, daß in feinem an- 
dern Heit ift für alle ald im Namen Chriſti: aber wie follen denn 
an diefem Heil in dem Namen Chrifti die andern Antheil erhalten, 
die nicht zu den leiblihen Nachkommen Abrahams gehören! Wie? 
fol ein ſolcher Umweg nöthig fein, daß dieſe Menfchen erfi müfien 
eingefpannt werben in dad Joch des Geſezes, damit doc hernach, 
wie e3 in unferer heutigen epiftolifchen Lection heißt, die Verhei⸗ 
ßung an ihnen in Erfüllung gehe, nicht im minbeflen durch das 
Geſez fondern nur durch den Glauben, ben wir ihnen verfündigen? 
Nachdem er durch foldhe Gedanken fein Gemuͤth frei gemacht hatte, 
war er denn fo geftimmt, daß biefe Aufforberung ihn bereit und 
willig traf; und da nicht nur er allein ſich fo bewogen fühlte, fon: 
dern auch mit ihm bie andern: fo rechtfertigt er fich durch bie Er: 
zählung de3 ganzen Zufammenhangs der Sache vor denen, welche 
Rechenfchaft verlangten von dem Grunde feiner Handlung. 

Aber nun laßt und auch zweitens fehen, nachdem Petrus auf 
diefe Weiſe eingegangen war zu dem heibnifhen Manne, ber ihn 
hatte auffordern laſſen, und ihm gelagt hatte, wie das in feiner An: 
rede flieht, Ihr wiflet, wie ed ein ungewohntes Ding iſt einem juͤ⸗ 
difhen Manne zu kommen zu einem Fremdling, aber Sott hat mich 
fchon gelehrt, daß was er gereinigt bat Fein Menſch für gemein 
und unrein erflären fol, — nachdem er fo eingegangen war umb 
geprebigt hatte dad Evangelium von Jeſu: wie rechtfertigt er fich 
darüber, daß er fo unmittelbar feine heibnifchen Zuhörer auch durch 
das Wafjerbab der Taufe aufgenommen hatte in- die Gemeinfchaft 
der Ehriften? Cornelius war bereit gewefen mit feiner ganzen Haus: 
-genoffenfchaft ihn zu hören, Petrus erfchien ihm als ein eriehnter 
Bote ded Heild, ihm war gelagt worben, biefer Simon Petrus 
würde ihm die Worte fagen, durch welche er felig werben koͤnnte 
mit feinem ganzen Haufe, und nun alfo hub Petrus an zu reden 
von Jeſu von Nazareth, was er geweſen fei, was er gethan habe 
unter feinem Volk, wie er überantwortet worden fei in die Haͤnde 
feiner Feinde, wie ihm Gott auferwekkt und gefezt ‚babe zu einem 
Nichter Über die lebendigen und bie tobten. Und ba geſchah es, 
wird uns erzählt, daß ald er noch redete der Geift Gottes feine Zu: 
hörer erfüllte und fie anfingen mit Zungen zu reben und die gro- 
gen Thaten Gottes zu preifen. Laßt und hier zuerſt eins nicht 
überfehen. Wie leicht m. a. Zr. hätte doch Petrus dieſen begeifter- 
ten Ausbruch anfehen können als eine Wirkung feiner Rede! Wie 
natürlich würde e8 uns vorkommen, wenn er in feiner Wertheibi: 


37 

- gungörebe gejagt hätte, Als ich nun fah, daß ber Herr meine Worte 
auf fo audgezeichnete Weiſe fegnete, indem ich, eine folche Bervegung 
der Semüther aus benfelben entftehen ſah: wie hätte ich nicht fols 
ien noch das lezte hinzufügen und benen, bie offenbar fchon zum 
Stauden gelangt waren, auch bad Waflerbab der Taufe als bie 
Aufnahme in bie chriftliche Gemeinfchaft angebeihen lafien? Aber 
nein! er flellt das gar nicht dar als die Wirkung feiner Rebe, feine 
Bertheidigung klingt vielmehr fo, als ob dieſe dabei nur als etwas 
zufälliged anzufehen wäre; nicht vermöge feiner Rede, nicht durch 
die Kraft feiner Rede, fondern, Als ich noch vebete, fagt er, wurbe 
der Geift über fie audgegoffen! nicht als feines, fondern lediglich 
als ein göttliche Werk fah er Died an. Und allerdings, wenn wir 
dad, was uns in ber Apoftelgefchichte aufbewahrt ift von feiner. 
Rebe, dem weientlihen Inhalte nach betrachten: fo war fie auch fo 
einfach und fchlicht, daß, wenn nicht fchon die Herzen durch ben 
göttlichen Geiſt auf eine befondere Weile wären bereitet geweien — 
wie denn überall, wohin der Ruf Chriſti gelangt war, feit ber Aus⸗ 
gießung des Geifted eine folche Erregung ber Gemüther ald eine 
gleichfam nachlommende Wirkung der Gefchichte felbft zu bemerken 
war, — wenn nicht fo ber Schlaf des Todes ſchon geflört gebeſen 
wäre, daß Chriftus fie erleychten Eonnte, die Rede der Apoftel hätte 
es nicht vollbracht. Wollen wir dad etwa ben Apofteln zur Unvoll⸗ 
tommenheit anrechnen, ald ob fie weniger gethan hätten als fie fol» 
ten, um ihrer Predigt Eingang zu verfchaffen? Das fei fern von 
und m. a. Ft! Das Wort des Herm iſt ein Schwert, dad durch 
die Seele bringt und Mark und Gebein theilt, aber es kommt alles 
barauf an, in welchem Zuftand ed bie Semüther findet, wenn es 
fie zuerſt trifft. Damit es alſo wirke und nur burch feine eigene 
Kraft wirke, darf fi ihm nichtd von menfchlicher Kunſt beinstfchen, 
denn dies koͤnnte nur zu einer Verunreinigung beffelben gereichen 
und feine Wirkung zweifelhaft machen. Wir wiflen es wol, was 
menfchliche Beredſamkeit wohlberechnet hervorbringen kann; ploͤzlich 
fehen wir oft die Gemüther der Menichen ganz neuen Gedanken zus . 
gewendet, ald im welchen fie biöher gelebt hatten; ploͤzlich aus eis 
nem gleichgültigen Zufland die Menge in eine Aufregung verfezt, 
deren Ende man nicht abfehen kann: aber wenn fich eine folche im» 
mer and leidenfchaftliche grenzende Wirkung zu der des göttlichen 
Wortes fügt, das ift nicht der Wille des Herrn, da mifcht ſich 
menfchliches unter dad Werk des Herrn, vorübergehended und nich: 
tiges ja verwerflicheh unter bad ewige, fich immer gleich bleibende. 
Wenn dad Wort Gottes erft wirkſam werden foll, muß ed vorge 
tragen werden ohne menſchliche Zuthat, einfach un ſchlicht, wie der 

a2 


_ 372 a 

‚Here ſelbſt es zuerſt vorgetragen. Denn nur ein folder Vortrag 
konnte im kurzen dargeftellt werden in ben Worten, Thut Buße, 
benn das Himmelreich ift nahe herbeigefommen *)! Die fchlichte 
Erzählung von Iefu von Nazareth allein hat es ausgerichtet und 
die Menfchen in folher Menge dem Evangelium zugeführt und fie 
empfaͤnglich gemacht fir das von Gott beflimmte ewige Heil. Aber 
etwas anderes ift es freilich, wenn es nicht auf eine Wirkung an⸗ 
tommt, welche hervorgebracht werden fol auf Die Gemüther. Wenn 
die gläubigen unter fidy reden und bie großen Thaten Gottes prei- 
ſen, wie bie Junger am Tage ber Pfingften, als der Geift- über fie 

fam, wo fie voll: waren von dieſer großen That Gottes; und wie 
ed auch in diefer Erzählung heißt, daß die anweſenden als fie bie 
Predigt vernommen aucd, angefangen hätten diefe große That Got: 
tes zu greifen: da denkt ein jeder von felbft ſchon nicht an die ge- 
wöhnlichen einfachen Worte des täglichen Lebens, fonbern an eine 
aufgeregte eime höhere Kraft ber Rede, an ein Preifen Gottes in 
mancherlei Zungen, an ein Lieb in einem höheren ungewohnten 
Ton; ſo war Died damals und fo barf es auch jezt fein. Aber ber. 
Apoftel, der durch feine Rede erft die Wirkung bervorbringen follte 
die Gemüther dem Glauben zu öffnen, der konnte nicht anders als 
mit der größten Einfalt dad Wort des Heild verkuͤndigen, eben des⸗ 
halb aber auch dad was geſchah nicht dem was an feiner Rebe fein 
war zufchreiben, fonbern es anfehen ald Wirkung bed göttlichen 
Geiſtes, der freilich auch aus feiner Rede fprach. 

Aber fragen wir nun, woran erkannte denn Petrus, daß er 
wirklich ein Recht hatte, und baß bad der göttliche Wille fei, biefe 
fo wie fie damals waren in die Gemeinfchaft ber Ehriften aufzumeh⸗ 
men? Geſchah das deswegen, weil -fie mit andern Zungen rebeten, 
‚ wie es in den Worten ber Schrift heißt? Wie? das allein follte 
es gemacht haben und ihm gleich gegolten, was fie gefagt hätten? 
Was fie auch möchten gerebet haben in fremden Zungen, würbe er 
daran erkannt haben, daß fie reif waren in bie Gemeinfchaft auf 
genommen zu werben? Das wirb fich Feiner getrauen zu behaup: 
ten! Nicht auf die äußere Schaale Tonnte es ihm ankommen, fon- 
bern auf ben Inhalt beffen was fie fprachen; hätten fie in fremben 
Zungen etwas anderes gethan als bie großen Thaten Gottes in 
Chrifto zu preifen und zu verherrlichen: fo würbe ihn das wol bes 
fremdet haben, aber gewiß nicht beflimmt fie durch die Zaufe auf: 
zunehmen in die Gemeinfhaft der Ehriflen; gewiß würde er deswe⸗ 
gen nicht gefagt haben, Wer will dad Waſſer wehren, daß ich bie 





*) Watth. 4, 17. 











TB 


8 


saufe, bie ben Geift empfangen haben wie wir? Denn der Geiſt 
iſt nicht in der Beſchaffenheit der Sprache, ob es auch eine fremde 
ober ungewöhnliche iſt, ſondern in dem was ſie von ſich giebt. In 
der Berehrung ber ewigen Wahrheit, in ber Zefligkeit ber Ueberzeu⸗ 
gung, in der Wärme des Herzens für bad, was die Seele als ihr 
Heil aufnimmt, darin giebt ſich der Geift zu erkennen, und daraus 
erkannte audy Petrud, wad jezt fein Auftrag fei, und fprach, Wer 
war ich, daß ich konnte Bott wehren? 

Sewiß m. a. 3. iſt dies eine der wichtigfien Erzählungen, wei: . 
che die Geſchichte der Apoſtel enthält, eben beöwegen, weil fie bas 
erfte Beifpiel if, woran fid) dad bewies, wodurch bad zu gleicher 
Zeit den gläubigen klar wurbe, daß die Segnungen beö neuen Bun: 
des etwas ganz eigenthümliched wären und nicht auf folche Weiſe 
zufammenhingen mit ben göttlichen Veranſtaltungen für das jüdifche 
Bolt in dem alten Bunde, dag alle nothwendig erft hätten durch 
diefen zu jenem gelangen können. Diefer reine unverfälfchte Glaube 
an das Evangelium von Chriſto, an die Erlöfung buch Chriftum 
ald ein allgemeined Gut aller Menfchen, als eine Segnung ber 
göttlichen Gnade für unfer ganzed Gefchlecht, nicht wieder für dieſen 
oder jenen einzelnen heil deſſelben: der wurde damals zuerſt Flar, 
und alle Verkündigung bed Evangeliums unter allen Voͤlkern ber 
Erde ift von dieſem erfien Anfang ausgegangen. Unb hier koͤnnen 
wir wol nicht umhin, wenn wir auf die Gemüthöverfaffung mer: 
Sen, in welcher den Apoftel eben dieſe göttliche Aufforderung fand, 
und recht anfchaulid davon zu Überzeugen, wie die Wahrheit -fich 
iusmer Bahn macht, wenn bie rechte von Gott dazu beſtimmte 
Stunde gefommen if. Wie war er noch verfenkt in feine alten 
Borurtheile, wie ftellt er fich felbft fo dar in der Erzählung von 
jenem bimmlifchen Geficht! wie war ihm bad eine große Gewil: 
fenbfache nicht unreines anzurühren, mit nichtd unveinem nach ben 
Borftellungen des alten Bundes zu fchaffen zu haben! Aber in bem.. 
Augenblift mußte er umgeändert werben, jezt gleich mußte er zu 
der Einficht gelangen, daß das nur eine Hemmung fei für dad 
Reich Gottes, jezt mußte fid) ihm verflären, wie bad Evangelium 
fei ein Segen für alle Menfchen ohne Unterfchieb;. und dies große 
Wort, Wer war ich daß ich mich weigern konnte, wie Fonnte je 
mand bad Waſſer weigern dieſe zu tauſen? das mußte ihm eine 
ſeſte Ueberzeugung geben, dag es einen andern Unterſchied nicht mehr 
gab als zwifchen denen, welche bed göttlichen Geiſtes theilhaftig waͤ⸗ 
sen, und benen, welche für diefen empfaͤnglich zu machen und fie 
feinen Wirkungen zuzuführen dad fegendreiche Gefchäft von jenen 
fein ſollte. Darum fprach er fchon beim Cornelius mit einem fol: 





97% 


chen innern Wohlgefalien das ſchoͤne Wort aus, Gott Hat mir. das 
gezeigt und ich fehe es mit der Klarheit des hellen Tages, daß al- 
les Bolt was recht thut und Gott fürchtet Gott dazu angenehm if, 
daß ihm der Frieben verkuͤndigt werben fol in Jeſu Chriſto; nicht? 
weiter gehört Dazu, ald daß das Herz des Menfchen erft geöffnet 
fei dem Berlangen nach dem ewigen und unvergängliden, daß es 
fi nicht mehr begnuͤge mit dem, was die Erbe dem Menfchen 
giebt, daß eine Ahnung in bemfelben aufgegangen fe von feiner 
ewigen Beflinmung, und eben bamit zugleich — denn beides iſt 
nothwendig mit einander verbunden — ein Mißfallen an fich ſelbſt, 
in fofern er biöher mit dem niedrigen fich begmügte. Nur das ges 
hört dazu, und alle können dann des Heild in Chriflo Jeſu theil⸗ 
haftig werden. 

Aber dieſelbe Wirkung des Geiſtes wie damals, ein nicht min⸗ 
der lebhafter und eben ſo ſiegreicher Kampf gegen die Vorurtheile, 
die dem Gedeihen des Evangeliums im Wege ſtanden: wie oft fin⸗ 
den wir dies nicht in der Geſchichte der Verbreitung des Chriſten⸗ 
thums ſich wiederholen! ja nit nur, wenn wir auf die Verbrei⸗ 
tung beffelben nach außen fehen, fondern auch wenn wir feine in» 
nere Sefchichte betrachten. Wie oft bat ähnlicher Streit müffen ges 
führt werden, wie oft hat fich in das Chriſtenthum eingefchlichen 
was ihm fremd war; äußere, dad ſich mit eindrängte und einen 
Werth behaupten wollte, den ed gar nicht haben konnte, ſeitdem 
diefe Semeinfchaft des Glaubens und Geiſtes gebildet war: ımb 
noch muß immer wieder berfelbe Kampf gefämpft werben. Aber 
fo wird es auch bleiben. Nur allmählig werben wir burdy den 
göttlichen Geift geführt von einer Klarheit zur andern; zwiſchen je 
der Stufe und einer höheren liegt gewiflermaßen eine Zeit der Ber 
dunkelung, manche Gegenflände erfcheinen in einem unfichern Licht, 
und was unmittelbar zufammen gehört, findet fich oft nicht, weil 
der verhüllende Nebel erſt zertheilt werben muß, damit man er 
kenne und erkannt werde. Wenn wir und dann mur fo halten 
empfänglich zu bleiben für alle Regungen des göttlichen Geiſtes, 
für jede neue Erleuchtung, zumal wenn wir Veranlaſſung haben et: 
was zu thun, und wenn folche Erkenntniß Einfluß hat auf das, 
was und obliegt. Je mehr wir dann unter einander jeber bereit 
‚find Verantwortung zu geben, aber auch keiner ſcheut andere zur 
Verantwortung zu ziehen, damit jede Einficht, die Gott dem einen 
gegeben hat, ſich auch ben andem mittheile und ein gemeinfames 
Gut werde, damit jeder lerne zu ſcheiden was Wahrheit bed gött: 
lichen Geiſtes und was menſchliche Zuthat wo nicht gar menſchli⸗ 
cher Irrthum ift — denn dad vermögen wir nur in ber Gemein: 








375 


ſchaft des Geiſtes, in dieſem brüberlichen Vertrauen, womit einer 
von dem anderñ Rechenſchaft ſordert und fie ihm giebt, — je mehr 
wir und in biefem Zuflande halten: um deſto mehr wirb der Geift 
Gottes und alle erleuchten, defto mehr wird jeber Kampf ſich ab- 
kuͤrzen, um deſto hellere Einficht wird gewonnen werben, -auf daß 
zulezt die Zeit komme, wo wir erkennen, wie wir erfannt find, wo 
dad Stuͤkkwerk aufhört und bad ganze und gegeben wirb, wo wir 
eingehen in bie volle Klarheit und Einſicht des göttlichen Willens 
zu unferm Heil und unferer Seligkeit. Amen. 


tied 2, i— 2 





XXXIL 
Am Erntefelte 1832 





Lied 661. BE. 


Text. €. Matth. 6, 31. 


Darum follt ihr nicht forgen und fagen, Was werben 
wir efien? was werben wir trinfen? womit werben wir 
uns Heiden? 


Dide Worte des Eriöfes m. dr. 3. fcheinen in einem fehr auf: 
fallenden Widerfpruch zu ſtehen mit dem freudigen Dankfeſte, wel: 
he wir an bem heutigen Tage mit allen unfen Mitbürgern bege: 
ben. Dieſes große und wichtige Geſchaͤft die Erbe zu bauen und 
ihr die Zrüchte zu entloffen, bie zu bem Beſtehen des Menfchen 
nothwendig find: ift ed denn etwas anbered als die Sorge barım, 
was wir efien werden, was trinken und womit und Heiden? und 
gerabe biefe verbietet ber Herr feinen Yüngern in ben Worten, bie 
wir eben vernommen haben. Wenn wir nun freilich fagen wollten, 
- diefe Worte erſtrekken fid) auf noch weit mehrereö; was unfern has 
tigen Zag trifft, iſt mehr nur das Beiſpiel, welche ber Erlöfer an: 
führt, aber es iſt die Sorge überhaupt, die er feinen Jünger un: 
terfagen will: fo bat dad allerdings einen Schein für fich und müßte 
und noch viel weiter führen; aber fo weit, daß und dann ein gro: 
Per Theil auch deſſen, was noch wichtiger ebler und größer iſt ja 
- fih unmittelbar auf dad Reich Gotted bezieht, unterfagt bliebe. 

- Berfiehen wir unter der Sorge alle Gebanten an die Zukunft, allen 
Antheil, den fie an unfern Entichlüffen und Handlungen hat, und 











977 


denken dann, daß der Erlöfer fie uns unterfagen will: fo koͤnnten 
wir leicht dahin kommen, baß ed unter ben Menfchen auch nichts 
geben folle was Ordnung und Gefez ift, denn das alles hat eben 
fo fehr ja weit mehr die Zukunft im Auge ald ben gegenwärtigen 
Augenblikk; daß ed Feine Erziehung und Ausbildung: des herans 
wachfenden menfchlichen Gefchlechtd geben dürfe, denn wer hätte da: . 
bei nicht die Zufunft im Auge und auf dem Herzen? Vereinigen 

wir und aber fehr leicht darüber, daß wir und folcher Gedanken 
entfchlagen mäflen bei den Worten bed Erlöferd: fo werben wir um 
fo mehr feftgehalten: bei dem Gegenftand unferer heutigen Feier. Es 
ift Die Sorge um das irdiſche Beſtehen, welche den Gegenfland ber 
heutigen Feier audmacht, und dieſe ift es gerade, welche der Erloͤſer 
ganz deutlih und unumwunden feinen‘ Süngern unterfagt. Go 
laffet uns benn fehen m. a. $r., wie wir den Gegenftand uns 
ferer heutigen $eier in Uebereinflimmung bringen kön: 
nen mit diefem Verbot des Erlöfers 


1. Das erfle, was wir babei zu bebenten haben, ift gewiß 
bied. Die Sorge ift allemal etwas eigennüziges und ſelbſtſuͤch⸗ 
tiges; verbietet fie uns alfo ber Erlöfer, fo verlangt er, daß wir 
auch dies große Geichäft, für deſſen Gelingen heute Gott unfer 
Dank dargebracht wird, nicht jeder auf fich felbft beziehen follen 
fondern etwas anderes und größeres babei im Auge haben. Aber 
was? m. g. 3. Wenige Menfchen find wol fo engherzig und zus 
gleich auf ein fo geringes Maag von Sorge fo wie von Thätigkeit 
befchräntt, daß fie nur an fich felbft nur an ihr einzelnes Leben zu 
denken hätten! Wer forgt, auch für Effen für Trinken für Kiel: 
dung, ber hat dabei auch die feinigen, feien es nun viele ober we: 
nige, im Sinn: aber diefe, find fie nicht unfer Fleiſch und Blut 
näher oder entfernter? find fie. nicht ein Theil unferd eigenen Le 
bens? fühlen wir und nicht auf tauſenderlei Weiſe von ihnen abs 
bängig und beziehen deswegen auch 'ihr Sein und Wohlfein boch 
wieber auf und felbft? Auch das alfo ift nichts weiter als bie 
Sorge, welche der Exlöfer den feinigen unterfagt. Aber viele unter 
und werben ſich noch erinnern — benn Menfchengebenten ift ja 
barüber noch nicht Hingegangen, — daß es eine Zeit gab, wo fehr 
viele ja wir dürfen fagen ber größte Theil derer, welche unmittelbar 
dies große und wichtige Gefchäft zu betreiben haben, gar nicht ein- 
mal für fich felbft und die feinigen arbeiten konnte fondern für ans 
dere; aber dieſe Zeiten, feiner unter und wird fie zuruͤkkwuͤnſchen! 
Denn wenn unfere Sorge für andere, unfere Thaͤtigkeit für andere 
auf folche Weile in Widerſpruch tritt mit dieſer natürlichen Sorge 


für und ſelbſt: weiche Werwirrungen entſtehen daraus im menſchli 
chen Leben! Ja wir dürfen nur gerade hieran denken um uns recht 
feft zu überzeugen, wie eben aus ber Eigennügigkeit und aus der 
Selbſtſucht, welche der Sorge einwohnt, wir dürfen wol fagen bei 
weiten ber größte Theil alled Unfriebens auf Erden entſteht. Ar 
beitet der Menſch für füch ſelbſt, aber er hat keine Sicherheit dabei 
fo viel zu, gewinnen, baß er die Frage, wad werben wir effen, was 
trinken, womit und Heiden, auf eine freubige Weile beantworten 
kann; ober arbeitet er für andere und fieht, wie fie bei weitem den 
größten Theil von feiner Arbeit und feinem Schweiß auf ihr Wohl: 


ſein und Wohlbehagen verwenden können: in beiden Fällen ficht er 





fcheel auf andere und mit Bebauern auf ſich ſelbſt, und alles was 
auf diefe Weile Quelle bed menfchlichen Elends wird, bad alles hat 
feinen Grund und feine erfte Quelle in ber Selbſtſuͤchtigkeit der 
Sorge, Andere nicht, weber bie einen noch bie audern find es, für 
welche wir forgen follen, eben fo wenig als für uns ſelbſt; .fondern 
an die Stelle der Sorge foll in diefer Beziehung etwas anderes 
und größeres treten. Es ift der Gemeingeifl, welcher bie. Stelle der 
Sorge einnehmen foll und unfere Zhätigkeit in dieſem wie in allen 
andern Gefchäften leiten. Ich fage, in allen andern: denn es ifl 
ein fchöned und großed Wort in unferer Sprache, ba wir ein jes 
des Geſchaͤft, in foferm einer die Erhaltung feines irdiſchen Lebens 
darauf baut, dad Aufhören der Sorge und die Sicherheit feines Da: 
feind davon erwartet, daß wir in fofern ein jedes den After und 
Pflug des Menichen nennen. Und mit Recht; benn was auch jeber 
in der Gefelichaft thue und treibe: wie genau flieht es nicht alles 
. mit diefem erften, wozu Gott den Menfchen berufen hat, mit ber 

Anbauung der Erde in Werbindung! bad alled werbe daher auch 
“getrieben nicht aud ber Sorge, fondern aus dem Geift der Gemein 
ſchaft. Dieſes Wort, wie weit m. a. Fr. führt es und? Wenn 
wir bedenken, wad Gott an und gethan hat, bamit wir fähig wer 
den auf diefe Weile alle unfere Thaͤtigkeiten aus dem Gemeingeif 
herzuleiten, fie durch ihn lenken und beflimmen zu laffen: gevoiß, bie 
‚ganze Fülle feiner Wohlthaten, feiner höchften und erhabenften, muß 
uns dann in dad Gebächtniß kommen! Nur ba kann es folchen 
Gemeinſinn und Gemeingeifl geben, wo ed ein heilige Banb ber 
Ordnung und bed Rechts unter. den Menfchen giebt, und wo. bie 
fich zugleich auf eine natürliche Zuſammengehoͤrigkeit der ſo verbun: 
denen gründet. So entfieht ein kleines ganze, welches fich auf man 
nigfaltige Weile im Verlauf ber Zeiten erweitert. Unb lange haben 
wir fie hinter und jene traurigen Zeiten bed menfchlichen Geſchlechts, 
wo jedes Eeinere ganze diefer Art immer nur feinbfelig, immer nut 











eigennuͤzig jedem andern entgegentrat. O wie ſchoͤn und herrlich 
find überall unter uns in biefem gefitteten Theil der Welt. fchon 
feit Langer Zeit biefe kleinern umb größer ganzen zu einem noch 
größern verfchlungen; wie beſtimmt fühlen fie es und wiſſen fie es, 
daß nirgend dad Wohlfein, nirgend bie gute Drbnung, nirgend aud) 
der innere Frieden geftört werden Tann, ohne daß died überall ge: 
fühlt, und überall der natürliche Gang der menfchlichen Dinge das 
durch unterbrochen werde. Aber freilich, was biefen Kreis erſt ganz 
erſchloſſen und uns feinen ganzen Umfang hat erkennen laffen; was 
unfer geifliged Auge erft völlig geöffnet und unferm Herzen ben 
ganzen Gegenfland der Liebe und Theilnahme gezeigt bat: das iſt 
Doch nur dad Evangelium bed Herrn, nur die Gemeinfcheft bes 
Glaubens und der Liebe, die gar Feine Grenzen kennt, nicht ‚mehr 
auf eine befondere irdifche Zufammengehörigfeit, nicht auf eine folche 
Zahl beichränkt ift, über welche hinaus Hecht und Orbnung nicht . 
mehr: feftgchalten werben Tann! Und wie fommen wir dem :großen 
Ziele immer näher von einem Zeitraum_zum anberr, beflimmt das 
ganze menfchliche Gefchlecht zu umfaffen! Das ift ber Gegenfland 
unferer Liebe und unferer Thaͤtigkeit, und eben diefer Gemeingeiſt, 
dDiefe Liebe zu dem ganzen Gefchlecht ber Menfchen, dies Mit: 
empfinden feines wahren Wohls, biefe Gefchäftigkeit für daſſelbe, 
diefe freudige Stimmung ſoll an die Stelle ber Sorge treten, und . 
diefer Geiſt fol und leiten und treiben auch in bem großen und fo 
bedeutenden Theil des menfchlichen Lebens, auf weichen ſich der 
heutige Tag bezieht. 

Aber m. a. Fr. hat uns Gott der Herr, wie wir es ihm ja 
nicht genug verdanken koͤnnen, in biefes himmlifche Licht geftelltz 
hat er und für diefe Rage aufgefpart, wo dad Leben des Menfchen 
fo reich fein kann, fein Herz fo erfüllt, wo ihm nie ein Gefühl ber 
Xeere kommen kann, wenn fie nicht aus dem Verberben feined eige: 
nen Weſens entfpringt; hat er fo viel an und gethan, und wir fühs 
len und aufgeregt zum Dank gegen ihn: was können wir benn 
und was follen wir als den natürlichen Dank anfehen, den wir ihm 
“ barzubringen haben, ald daß eben dies, was wir feiner göttlichen 
Worſehung verdanken, nun auch der Gegenfland unferer Thaͤtigkeit 
werde, um auch durch und immer mehr feinem Biel entgegen zu 
rüßfen, Sind es zunaͤchſt die heiligen Bande bed Rechts und ber 
Ord ung, welche die Arbeit des Menfchen an dem Boden diefer 
Erde, die ihn träge und nährt, zu einem feiner würdigen Gefchäfte 
machen: o fo laſſet und alle unfere Kräfte Daran wenden, bag biefe 
heiligen Bande unter und nicht durch unfere Schuld gelöft fondern 
immer mehr befeftigt werben. Aber find wir nicht nur ein Volk, 


” 208. 


würdig daß Geſez und Ordnung unter bemfelben wohnen, wärbig 
daß es von der gemeinfamen Weisheit bed ganzen geleitet werbe 
und bewahrt, fonbern zugleich ein folched, welches zu der hoͤchſten 
Wuͤrde des Menfchen erhoben ift, indem es zu bem königlichen Prie: 
ſterthum gehört, welches der Sohn Gottes auf Erben gefliftet hat; 
find wir eben durch ihn, der fich felbft nicht für bied oder jenes be 
ſtimmte Volk ober um eine abgefondert bleibende Gemeinfchaft zu 
fliften, fondern für alle Menfchen gegeben bat, auch zu der giche 
gegen alle Menſchen berufen, deren würbigfied Biel immer wieber 
diefeö bleibt fie ihm und feiner Liebe zuzuführen: o wolan fo laßt 
nun biefeß die einzige Sorge werben, die uns treibt, laßt und dies 
als das reinfle Opfer bed Dankes anfehen, den wir Gott darbrin⸗ 
gen können, wenn wir aud mit unfern irbifchen Gütern und unfe 
rer fih immer mehr befefligenden Herrſchaft über die Erbe ganz 
diefer heiligen Gemeinſchaft angehören und fie auf alle Weife zu 
pflegen und zu förbern fuchen, fofern fie alles in. ſich enthält, und 
von ihr alle ausgeht, wad Speife und Trank und würbige Beklei⸗ 
dung des geifligen Lebend der Menfchen if. Das darf nicht nur 
fondern foll der Gegenfland unferer Sorge werben, inbem ber Herr 
die leibliche und unterfagt, und nur um jener leben zu Eönnen will 
er und von biefer befreien. Denn ift dad einige Gebot, weiches er 
feinen Züngern gegeben, daß fie fich unter einander lieben follen 
mit der Liebe, mit welcher ex fie geliebt bat: fchließt es nicht dieſes 
in fih, baß wir fuchen follen immer mehrere zum Genuß dieſer 
Liebe zu bringen, auf daß wo möglich niemand durch feine Stel 
Yung zu ben irdifchen Dingen, buch Drukk und Roth verhindert 
werbe fich feiner geifligen Güter zu erfreuen, ſondern jeber hinzu⸗ 
komme zu bemfelben Heil und derfelben Herrlichkeit eines Gott er 
gebenen, Bott dankbaren Lebens? Dazu alfo laßt uns alles, was 
Sott und von Gaben verliehen hat, mit dem rechten Maaß der 
Drbnung, mit dem rechten Verſtand feines heiligen Willens, mit 
einem nie fich ſelbſt fondern alled was aller iſt fuchenden Gemüth 
anwenden. 


I. Das zweite m. a. Fr., was wir aus ben Worten unfers 
Erlöferd zu entnehmen’ haben, iſt bie. Die Sorge ift wol ein 
ängflliher Zufland; und wenn ber Exlöfer fagt, Sorget nicht, 
fo will er und in Beziehung auf unfer dußered und irdiſches Be: 
flehen ganz und gar von biefem ängfllichen Zuſtande befreit wiſſen 
Wenn wir dad Gefchäft, befien Gelingen bie heutige Feier. gewib- 
met iſt, von feinen erſten Anfängen an begleiten: wie oft fehen wir 
nicht, daß es eben eine ſolche Aengfllichkeit- in den Gemüthern der 


8 


Menfhen erregt! Raum iſt ber Sanmen dem Boden ber Erbe 
anvertraut: fo ſchaut dad Auge derer, bie ihn hineingelegt haben, 
bange unb beforgt auf alle Zeichen bed Himmeld. Wechſelt die 
Witterung nicht fo, wie fie meinen bag es heilfam fei und das Ges 
deihen der Früchte dadurch befördert werbe: fo bemaͤchtigt fich fchon 
Unzufriedenheit gar vieler Gemüther, und Sonnenfchein und Wol⸗ 
ken, Regen und Sturm, heiterer und bedekkter Himmel, alles wie 
es wechſelt giebt ihnen in dieſem Wechſel vielfaͤltige Urſache zu mur⸗ 
rendem Tadel, zu truͤbender und aͤngſtlicher Sorge. Denken wir 
und nun gar dieſen Zuſtand nicht als einen zufälligen bald vor⸗ 
übergehenden, ſondern baß er fich mehr ober weniger im’ Leben gel: 
tend macht: wie wahr wie wohlthätig und wichtig muß und dann 
die Vorſchrift des Erlöfers erfcheinen, daß wir nicht forgen follen! 
Alled was den Menſchen herabwuͤrdigt unter die Stelle, bie ihm 
Gott in dieſem Leben beſtimmt hat, nämlich ein Herr zu fein auf 
der Erbe, alles feigherzige in feinem Handeln und Wirken, alles 
hoffnungsloſe und niebergebrüftte in feinem innern Zuflande, ba 
doch wie fein Auge fo auch fein Gemüth immer gen Himmel ges 
hoben fein fol: dad alles geht aus von biefem ängfllichen Zuſtand 
der Sorge. Wolan, wir follen nicht -forgen in diefem großen Ges 
khäfte und eben fo wenig in allem, was mit bemfelben näher ober _ 
entfernter sufammenhängt; wir follen dies und alles andere der Art - 
treiben in einer freubigen und frifchen Zuverſicht; aber in welcher? 
m. a. Fr. Es gilt bier feine andere ald bie Zuverficht auf die 
Uebereinflimmung, welche Gott georbnet. hat zwiſchen ber Thaͤtigkeit 
des Menfchen und den großen Gefezen der Natur. Nicht umſonſt 
ſteht es gefchrieben, daß der Herr diefe Erde und alles was außer 
ihr fich auf fie bezieht eher gefchaffen hatte und georbuet; und nach⸗ 
bem er bad alles vollbracht, da fchuf er den Menfchen, der dies al: 
led bedurfte und für den es fein follte, auf dag er nun Herr fei auf 
Erden: aber er fchuf ihn zugleich zu feinem Bilde, und beibes ge: 
hört wefentlich zufammen. Denn Gott iſt der Herr, und wir koͤn⸗ 
nen nicht feines Bildes theilhaftig fein ohne auch feiner Herrſchaft 
theilhaftig zu fein, die fo wefentlich zu ihm gehört, daß ex nicht ge- 
dacht werben kann ohne Herrſchaft. Hätte er aber den Menfchen 
fegen können zum Herm der Erde, wenn kein folher Zufammenhang 
geordnet gewefen wäre zwifchen der Einrichtung feined Dafeind und 
dem Weſen ber Dinge um ihn her, zwilchen feinen Kräften und 
denen, bie er beherrſchen follte? Dann hätte ihn ja Gott der Herr 
zum Spott geſchaffen und nicht zu feinem Bilde! Dieſer Zuver: 
fiht follen wir immer mehr voll werben, fo daß fie fich überall in 
unfern Handlungen um befo flärker audfpreche, je mehr wir uns ' 


zu dieſer Erbe und den Ordnungen 
der einen Seite die reichen Gegenden, wo bie Natur dem Menſchen 
freiwillig ohne erſt feine Arbeit zu erwarten alles giebt, was zur 
Befrieigung feiner Bebürfnifie gehört; auf ber andern finden wir 
ihn verfchlagen an die umwirthbaren Außerfien Grenzen ber 

wo wir faum begreifen, wie er fo wenig unterflüzt von ben Muaͤf⸗ 
ten der Natur auch das burftigfle Leben friften und 
tan, fo daß er entweber gleichgültig auf bad Leben keinen 
Werth legt, ober wenn er daran hängt, je weniger Gewaͤhrleiſtung 
er findet für die Sicherheit feined Fortkommens, um befto bülflefer 
er jener Angft hingegeben il. So lange nun eben biefe beiden ent⸗ 
gegengefezten Zuflände ohne allen Zuſammenhang find, kann auch 
bad Leben ber Menſchen nicht zu feiner Vollkommenheit gebeihen. 
Die Zreigebigfeit der Natur, wie leicht verleitet fie nicht zur Zxig: 
heit, zu einem träumenben Dafein, worin.ber Menſch fich feiner 
ſchoͤnſten Kräfte kaum bemußt wirb; aber ift fie zu fparfam gegen 
ihn, unterſtuͤzt fie feine Mühe und Anflvengung zu wenig, eröffnet 
ihm zu wenig Audficht, daß es ihm gelingen Sinne fie fih günfli- 
ger zu machen: dann bleibt fein Dafein ein bürftige8 und thaten- 
leeres ohne irgend bebeutenbe Fortſchreitung. Aber nur in ben en 
ſten Anfängen des menſchlichen Geſchlechts konnten biefe entgegenge: 
ſezten Zuflände fo abgefondert beftchen. Je mehr die Menſchen mit 
einander in Berbindung treten; je mehr ber Geiſt derſelben gleich 
fam mit einem Schlage diefe ganze Erbe durchdringt, und fie ſich 
gegenfeitig mitteilen was irgend im Leben einen Werth hat: um 
deſto mehr verfehwindet auch diefe Abhängigkeit deö Menſchen von 
der Natur nad) beiden Seiten bin; um deſto mehr wächft biefe frohe 
Zuverſicht, die wir fchon feit langer Zeit als unfer Erbtheil rahmen 


37 
5 


* 


koͤnnen. Wie ſehr bedauern wir mit Recht diejenigen, bie ſich auch 


- unter und dennoch diefer Aengſtlichkeit noch nicht entſchlagen koͤn⸗ 
nen! Wie ficher Fönnten fie fein bei der Mannigfaltigkeit dieſes 
großen Gefchäfts, daß möge fich der Himmel fo ober anders geflal: 
ten, mögen bie Wechfel des Dunſtkreiſes fo oder fo auf einander 
folgen, bad was dem einen nachtheilig if werbe ſich boch für einen 


andern wieber günflig zeigen; unb wie alles zufällige immer wech⸗ 


felt, fo hat Feiner allein den Nuzen, Feiner allein ben Schaden, in 
der großen Gemeinfchaft der Menſchen gleicht fich alled gegen ein: 
ander aus. Das ift die Zuperficht, weiche an Die Stelle jener ängfi: 








lichen Sorge treten fol, eine Zuverficht, die auf ber Erfahrung fo 
vieler Gefchlechter beruht, zu unferer Zeit aber von einem Sabre 
faft zum andern fih fleigert. Denn warlid wir können es uns 
nicht bergen, wie beides einander in bie Hände arbeitet, der treue 
Fleiß, die fparfame Mühe, die an das einzelne und Meine in den 
menſchlichen Dingen gewendet wirb, und ber glüffliche BHEE .des 
geöffneten geifligen Auges, welches über bie Erfcheinung hinaus in 
das innere Wefen der Dinge zu dringen und Die Kräfte, die in ber 
Erbe ruhen, zu erforfchen ſucht. Denn was erft der Menfch kennt, 
wie bald tritt das jest auch ein in den Kreis feiner Wirkſamkeit, 
wie bald weiß er es zu benuzen zur Serrfchaft über die Natur. Ja 
wieviel reicher ift unfer Leben feit kurzem geworden an- foldhen Er: 
findungen, und wie fehen wir faft jebes Jahr unfere Hülfsmittel 
ſich erweitern auf diefem Wege der Erfenntnig der Natur! Aber 
wenn wir nun bdiefer frohen Zuverficht leben Fönnen, und wir fo 
begründete Urfach haben uns ihr hinzugeben, daß nur bie zaghafte . 
ften oder am wenigften vom Licht der Erkenntniß erleuchteten Ge 
müther ſich in Beziehung auf diefen großen Beruf auch jest noch 
ber "Aengftlichkeit und Sorge hingeben koͤnnen: welch einen Dank 
haben wir Gott darzubringen, wenn nicht den, daß wir fuchen eben. 
die von der Aengfllicheit und Sorge zu befreien, welche derſelben 
noch unterliegen? Das heißt aber zunächft nichts anders als dies, 
dag wir und alle folche Einrichtungen vornehmlich angelegen fein 
Laffen, wodurch die Menfchen fich einander die Gewähr Ieiften, daß . 
wie. e8 in unferer heutigen epiftolifchen Kection heißt *) einer bed 
andern Laſt tragen will. Und thun wir dad nicht bloß vermöge 
unferer erweiterten Einficht von dem, was einem jeden felbfl am 
meiften frommt und nüzlich iſt; fondern iſt e8 zugleich, wie ed un⸗ 
ter und als Chriften nicht anders fein kann, das Werk der Liebe: 
o welch ein Zuwachs an menfchlicher Gtüfkfeligkeit und Wohlbefins 
den ift nicht auf diefem Wege zu erreichen! Iſt nun darin fchon 
viel gefchehen, daß wir und gegenfeitig ficher felleri gegen bie Nach: 
theile, welche die großen Erfcheinungen der Natur oft dem Mens 
fhen bringen: fo iſt doch noch gar viel zu leiften übrig, wenn auf. 
diefelbe Weiſe auch die allzu große Ungleichheit in den Erfolgen, 
indem die Mühen der einen oft über die Gebühr belohnt werden, 
und die der andern gleichfan verfpottet, fo auögeglichen werben fol 
len, daß feiner mehr auf fich felbft allein gemiefen ift, fondern jeder 
an dem gemeinfamen Erfolge aller feine Stüze hat. Das fei um: 
fer Beftreben; das wirb dann zugleich eben jenen Gemeingeifl, ber 


) ®al. 6, 2. 


uns in allen irdiſchen Geſchaͤften erheben: fol, immer erhöhen unb 
nur immer fefler ben Zuſammenhang gründen zwiſchen dem irbifchen 
Theil umferd Beſtehens und dem höhern geifigen Leben, wei 
allein die Quelle der wahren Liebe if. 


1. Men m. a. Fr. & iſt noch ein Drittes, was wir aus 
den Worten unfers Erlöfers zu entnehmen haben. Wenn er fagt, 
Sorget nicht, was werben wir eſſen, was werben wir trinken, wo⸗ 
mit werben wir und Beiden? fo bat er das eben auch fo gemeint, 
Braget nicht, was ihr eflen werdet, was trinken, womit euch 
Heiden! und bat und befonderd dadurch hingeführt auf die Genuß 
ſüchtigkeit, die fi immer ba zeigt, wo die Sorge herrfchend iſt, 
yeren fich feine Zünger vorzüglich enthalten. follen. 

Das iſt eine allgemeine Erfahrung, und traurig genug ift fie. 
Je mehr die Menfchen bei ihrer irdifchen Thaͤtigkeit von der Selbſt⸗ 
ſucht ausgehen und fie nur perfönlich betreiben; je mehr fie baher 
ingfllich find und verzagt, fo lange fie es noch nicht zu einer gewil- 
en Herrichaft über die Natur gebracht haben: um befto fücherer ent: 
teht, wenn fie einen folhen Grund zu ihrem Wohlergehen gelegt 
yaben, da wir erwarten dürfen, die Sorgenfreiheit werbe fie erhes 
ven, flatt defien eben diefed Beſtreben nun den noch übrigen Theil 
‚ed Lebens in einen Zufland des möglichft größten finslihen Ge: 
ıffed zu verwandeln. Wie fehr died den Menſchen von feinem hoͤ⸗ 
ven Biele ablenkt; wie fehr ed und auf die Vorſchrift zuruͤkkfuͤhrt, 
ie der Erlöfer in bemfelben Zuſammenhang feinen Juͤngern giebt, 
nbem er ihnen fagt, Niemand kann zweien Herren dienen, nicht zu⸗ 
leich Gott und dem Manmon *); und wie viele eben beöwegen 
uch diefe Sucht nad) finnlihem Genuß in einen unfeligen Zwie⸗ 
palt gerathen mit fich felbft und zulezt doch von ber reinen Anbe⸗ 
ung Gottes im Geiſt und in der Wahrheit immer mehr zurüff: 
ommen: ach bad ift eine allzu traurige und fich zu oft wieberho 
mbe Gelchichte! Und wie, wenn wir nun an den Gegenflanb un: 
rer heutigen Keier denken, muͤſſen wir nicht fagen, gerade das Ge 
ngen diefer Art von menfchlichen Beſtrebungen, «8 trägt am mei: 
en dazu bei biefe Genußfüchtigbeit diefe Richtung auf das irbifche 
nd vergängliche in dem Menſchen zu nähren? Sonſt fand man 
nen Unterfchieb, ber in der That äußerlich angefehen ſehr bebeu- 
nd erfchien zwifchen benen, bie auf eine höhere Stufe in ber Ges 
Ufchaft geftellt, von einem weiteren Kreife von Beſiz getragen, we 
en der mannigfaltigen Werbindungen bie fie unterhalten mußten 





*) Watth. 6, 24 








385 

faſt aenbthigtn waren fich mit einem gewiſſen aͤußern Schein u um⸗ 
geben; wir fanden ſage ich einen großen Unterſchied zwiſchen dieſen, 
weiche durch ihre Stellung zu einer ſolchen Lebensweiſe gefühet wur: 
den, und .benen, welche noch am meiſten bie urfprünglichere Geftalt 
bed Lebend beibehalten Tonnten, . weil: fie vorzüglich an biefe un 
ſpruͤnglichſten und natürlichften Mefchäftigungen gewiefen waren. 
Vergleichen wir nun jened aufanmengefeztere Leben ber großen und 
vornehmen mit der Einfait, in welcher biefe Kinder der Natur leb⸗ 
ten: wie oft hat dann, wenn auch bad irbifche Auge gebiendet war 
durch jenen Glanz, doch in der Stille bad innere Gefuͤhl des Her⸗ 
zens bie lezteren gluͤkklich geprieſen, welche in einer Lage waren, 
durch welche ſie aus der ruhigen Einfalt des Herzens nicht hinaus⸗ 
getrieben wurden! Aber gerade der jezige Reichthum des Daſeins, 
gerade die Erweiterung unſerer Thaͤtigkeit in allen. Geſchaͤften: wie 
ſehr hat fie nicht alle ohne Ausnahme in biefelbe Richtung auf den 

Genuß und dad Wohlleben hineingezogen! wie finden wir nicht 
manche Genüffe, welche den höhern Kieifen vorbehalten waren, übers 
au nerbreitet und immer die Begierde darnach erregt und erhalten! 
Und gewiß iſt das nicht ber Heinfte Theil in dieſer Vorſchrift des 
Erloͤſers, daß wir nicht forgen follen; denn alles was bie menſch⸗ 
liche Seele verweichlicht, alled Berberben was mit biefer Verweich⸗ 

lichung zuſammenhaͤngt ift bie erfie und unfelige Quelle befjelben. 
Wolan denn m. g. Fr., fo laſſet und bied und alle damit zus 
ſammenhangende Geſchaͤfte des irdiſchen Lebens nicht betreiben um 
des finnlihen Genuſſes willen, fonbern ben ganzen Werth legen 
auf unfere pflichtmäßige- Thaͤtigkeit Darin und auf ihren Ertrag für 
daB gemeine Wohl: dann werden wir immer ald Gott wohlgefäl- 
ige feinen Segen empfangen und feine Gaben feinem Willen ge: 
mäß anwenden. Denn es ift doch immer ber heil der menfchli- 
en Seele, der. am meiflen mit. bem irbifchen und vergänglichen 
zufammenbängt, in welchem dieſe Mannigfaltigkeit ber finnlichen 
Genuͤſſe waltet. Der geiflige Theil, vermöge deſſen der Menſch bed 
göttlichen Bildes theilhaftig iſt, weiß nichts von ſolchem Genuß; 
der zeigt ſich ganz und gar nur in alle dem was Kraft iſt und 
Thaͤtigkeit: und das iſt doch auch allein dasjenige, was ein jedes 
menſchliche Leben zu einem wuͤrdigen macht. An dad Beduͤrfniß 
hängt fi der Genuß an. Je mehr der Menfch durch dad Bebürf- 
niß gefangen ift, deſto mehr fällt er bernach in die Schlingen des 
Genuſſes; je höher er fich zu heben weiß zu dem Verlangen nad) 
dem geifligen, und je mehr ex biefes ſchmeklt deſto mehr flreift er 

jenes ab. Dazu haben wir. alle die größte Grmuneuung, wir bie 

IL B 


wir zum gelfligen Beben berufen. finb, feitbens win aus ber irdiſchen 
Zinfterniß des frühen Zuſtandes in bad hinmmlifche Licht gerettet 
wurden durch Chriſtum unfern Herm., D bed ſagt jebem die Er: 
fahrung eines jeben Tages, je mehr wir amd dem fianlichen Genuß 
bingeben, beflo mehr wirb umfer Eifer fhr:gotsgefällige Thätigkeit 
gebämpft und zurcköfgehalten. Haben wir hingegen ben Memnſchen 
erſt dahin gebracht, daß er dem finnlichen Genuß etwas geifliges 
beimifche; und wiſſen wir dies in Aufammenhang zu bringen mit 
dem was unmittelbar zu feinem Heil gehört: fo winb ex fich -im- 
mer mehr befreien von dieſer Anhaͤnglichkeit an das fſinaliche; umb 
die Thaͤtigkeit des neugeweklten geiſtigen Lebens verbreitet ſich dann 
auch bald uͤber alles was zu feinen irdiſchen Geſchaͤften gehört. 
Werden wir von der Stimme geleitet, baß wir ben Willen Gottes 
auf Erden vollbringen follen: dann kann und niemald eiwad ge 
ting erfcheinen, was zu unſerm Beruf gehört; unfere irdiſchen Ge 
fchäfte können darunter nicht leiden. Der Menſch kann fi dage 
gen nicht verfchließen, daß er Kerr fein fol auf Erben, beun es iſt 
der erſte Beruf, den ihm Gott angewiefen; und je genauer wir mit 
jener Gemeinſchaft des Glaubens und ber Liebe zufammenhangen, 
je mehr wir fuchen dieſe zu erweitern unb zu förbem, beflo deutli⸗ 
cher fehen wir auch ein, daß alles, was aus unferer irbifchen Thaͤ⸗ 
tigkeit hervorgeht, ihr dienen fann unb um fo mehr in ihren gro⸗ 
Ben Zwelten verwandt werben wirb, je mehr wir dieſe Bosfchrift 
Chriſti befolgen und und nicht von der Sorge für bad irdiſche nie 
derdruͤkken laffen. - 

‚Und m. g. Zr. verweilen wir hierbei, fo verſtehen wir auch ben 
Wechſel, den Bott in died Gefchäft gelegt Hat. Dieſes Jahr haben 
wir unb bei weitem ber größte heil bed Vaterlandes Gott zu dan: 
ten für eime teichlich geſegnete Ernte; wie oft ſich auch eine Zag⸗ 
baftigleit vernehmen ließ, bie auf einem ungewohnten Wechſel ber 
Witterung beruhte, jet wird fle faft überall als ‚alle Erwartungen 
uͤbertreffend anerfannt und gepriefen. Aber ift bad ber Gegenſtand 
unferer Dankbarkeit? Unſer Feſt iſt und unvermeidlich geordnet für 
ein jedes Jahr; und kommen auch folche Sahre, wo Gott den 
Fleiß der Menſchen nicht wie gewöhnlich gejegnet hat, ja ſolche, 
welche einem großen Theil von und ein Recht zu geben feheinen 
fih aufs neue mit Sorgen zu quälen: wir werben doch eben fo 
zufammengerufen zu einer Feier des Danks in biefe Häufer unferer 
Andacht, und nicht foll Diefer Dank .ein anderer fein in dem einen 
Jahr als in dem andern. Darum iaſſet und denn auch Hierauf 
fehen. Iſt der Menſch nicht zum Genuß ſondern zur Thaͤtigkeit 








67 
geſchaffen: fo fehen wir, daß fich dleſe nur eutwikkelt in einem 
zwiefachen Verhaͤltniß. Daß eine iſt dies, wenn bie Umfänbe Ihm 
Dazu behilflich find, dag er mit feinen Kräften viel ausrichten kann. 
Das iſt es m. a. Fr., wozu eine geſegnete Emte und aufforbett. 
Jezt da Gott fo veichlich gefegnet hat, jest laſſet uns auf alles dab 
Bedacht nehmen, was wir und vorher vergegenwaͤrtigt haben als 
dad Gelübde unferd Danke! Jezt laffet und darauf benten, wie 
wir mittelft dieſes Segens neue Kortfchritte darin machen koͤnnen, 
daß -immer. mehr gegenfeitige Gewähr geleiftet werbe gegen bie 
Roth und die Sorge, und wie wir dabei überall auf folche Weiſe 
zu verfahren haben, daß nicht der einzelne ſich dem einzelnen ver: 
pflichtet fühle, fondern daß alle ſolche gegenfeitige Huͤlfsleiſtung 
hervorgehe aus dem lebendigen chriftlichen und bürgerlichen Gemeins 
geift. Jezt laffet uns überlegen, wie. wir die Gaben womit Gott 
und überfchüttet hat dazu anmenden wollen, dag wir unfere gefells 
ſchaftlichen Zuftände allmählig immer mehr verbeffen um mit Got- 
tes Hülfe dahin zu gelangen, baß in dem kuͤnftigen Gefchlecht das 
geiftige Leben noch heller gewekkt fei, damit in dieſer Beziehung 
jedes Pünftige Gefchlecht beffer werben koͤnne ald das frühere. 
Kommen Zahre, wo det Herr die Mühe der Menfchen nicht fegnet; 
wo er ed fie empfinden läßt, wie fie doch immer noch abhängig 
find troz alles deffen was fie fchon erreicht haben von den bunfeln 
Kräften der Natur: wolan dann tritt bad zweite ein. Dann wers 
den wir berufen von inmen heraus einen neuen höheren Grad- von 
Kräften zu entwiffeln, damit burch gemeinfame Anftrengungen durch 
ein innigered Band bed Wohlmollend durch ein flärkered Zuſam⸗ 
menbalten, welches vor allem ausgehen muß von der himmlifchen 
Kraft, von der wir wiffen, daß fie und allen einwohnt, allem ges 
wehrt werde, was fonft nachtheiliges den Geift niederdrüffendes das 
höhere Leben hinderndes aus ſolchem Zuftand des Augern Mangels 
nur allzu Leicht hervorgehen Tann. Wenn es folche Zeiten niemals 
gegeben hätte, wie hätten ſich die menfchlichen Kräfte fo entwil: 
keln können, wie wir es jest fehen? Denn je häufiger unfer Zu: . 
fand dem ähnlicdy wäre, wo die Natur dem Menfchen von felbft 
alles giebt, deſſen er bedarf: um deflo weniger würde unfer Wachs⸗ 
thum befördert werben. Darum wird ber Herr auch willen ſolche 
Zeiten zu ſchikken, wenn es heilfam iſt; und wir wollen ihn‘ prei- 
fen in allem diefen Wechfel, alles feiner Weisheit die auch zugleich 
feine Liebe ift anheim ftellend, uns ſelbſt aber aufs neue dem gror 
Ben Zwekt weihend, zu welchem er und gefchaffen und begnadigt 
hat. Dann werben wir in ber That bie eiehrum nicht machen, 





34138 


nl 











Am 17. Sonntage Trinitatis 1832. 





‚Lieb 46. 676,1—5. 


Text. poftelgeih. 11, 27— 30. 


In denfelbigen Tagen kamen Propheten von Serufalem 
gen Antiochia. Und einer unter ihnen mit Namen Aga- 
bus fland auf und beutete durch ben Geiſt eine große . 
Zheuerung, die dba fommen follte über den ganzen Kreis 
ber Erde, welche gefchah unter dem Kaifer Claudio. Aber 
unter ben Juͤngern beſchloß ein jeglicher nachdem er ver⸗ 
mochte zu ſenden eine Handreichung den Bruͤdern, die in 
Judaͤa wohnten. Wie ſie denn auch thaten und ſchikkten 
es zu den aͤlteſten durch die Hand Barnaba und Seuli. 


M. a. Fr. Dieſe Worte, wie ſie uns in bie erfte Zeit ber chrift: 
lichen Kirche zurüffverfezen, geben und zugleich ein großes Beifpiel 
von ber Innigkeit ber Gemeinfchaft, bie fich unter den gläubigen 
bildete. Einer deutete Durch den Geift von einer großen Theuerung, 
weiche bevorſtehe; und wie bie Worte fo wie wir fie gelefen haben 
dieſes allerdings in einer Tolchen Allgemeinheit befchreiben, wie fie 
fih wenn wir dad buchftäblich nehmen wollten kaum denken läßt: 
fo fehen wir doch aus dem Erfolg, daß fie vorzüglich jene Gegen- 
den treffen follte, in welche bad Chriſtenthum zuerft gepflanzt wurde. 
Bon Jeruſalem aus war es nach Antiochien gekommen, zuerſt eben⸗ 
falls durch eine Noth aber durch eine Noth anderer Art, naͤmlich 
durch die Verfolgung gegen die Chriſten, welche ſich erhob auf Ver⸗ 


308 
den; wie wenig wiürben fie dann zu leiften vermögen; wie wuͤrde 
das was ein Band ded Friebend und ber Gemeinſchaft werben ſoll 


. mer die Spaltungen unter den Chriften noch immer mehr befefli« 





gen! Laffet und deshalb noch einmal auf dad Beiſpiel unfered ers 
tes zuruͤkkgehen. Während der Zeit, daß jene Ehriflen in Antiochie 
ihren Vorſaz ausführten und im Beinen und allmählig ihre Gaben 
fammelten, ehe noch jene, welche fie nach Jeruſalem bringen woll« 
ten, bereit dazu waren, bafte fich etwas anderes ereignet. Da was 
ven Chriſten gelommen auch aus Yubäa, welche fagten, alle die an 
den Ramen des Herm glaubten müßten fi) auch dem Gef un- 
terwerfen, dem er ſelbſt unterthan geweien war in feinem Leben, «3 
ganz auf fih nehmen und es genau erfüllen. Das war eine Be 
drängniß der riftfichen Freiheit, eine Beſchraͤnkung bes chriftficyen 
Heiled, gegen welche ſich die Lehrer zum großen heil erhoben; unb 
da ward denn in biefem Streit auch Zufludgt genommen zu ber 
Gemeinde, in welcher dad Wort Gottes zuerft Wurzel gefaßt, unb 
von welcher aus es fich weiter verbreitet hatte; und biefelben, welche 
. jene Gaben für die nothleidenden nach Serufalem brachten, brachten 
auch diefe Frage zur Enticheibung borthin. Wie auch beibed ganz 
verfchtebene Aufträge waren und gänzlid von einander getrennt: fo 
faßte doch der Geift Gottes durch ben Mund ber erften Jünger des 
beided zufammen. Es wurde ben Chriften gefagt, wie we 
nig Laſt ihnen in diefer Beziehung follte aufgelegt werben, aber es 
wurbe auch zu einer feften Regel und Ordnung gemacht, daß fie 
auch follten der armen und bürftigen gedenken *), unb fo follte bie 
äußere Huͤtfsleiſtung, indem fie allen ohne Unterſchied gegeben wuͤrde, 
auch ein Band der Gemeinſchaft für alle werben. Daran foliten 
alle erkennen, daß fie zufamnengehören, und ſich durch bie Verſchie⸗ 
denheit der Denkungsart über einzelnes nicht flören Tafien; an bem 
Umfang der Huͤlfsleiſtungen, welche um des Bekenntnifſcs Chriſti 
willen geleiftet wurben, follten fie ben äußeren Umfang der Ge 
meinde erkennen unb meſſen, und biefelben, welche bie Ordnung 
überhaupt zu erhalten hatten, follten auch dieſe Hülfsleiflungen über 
dad ganze verbreiten. Auf diefelbe Weiſe ſoll auch unter uns das 
äußere dem inneren zu Huͤlfe kommen; bie herzliche Mittheilung 
äußerer Gaben fol und auf bie Einheit des inneren zumüffführen, 
auf daß wir und bed Bewußtſeins erfreuen, daß jeder der den Ra: 
men Chrifli bekennt — wie viel wir auch ſonſt an ihm auszuſezen 
haben, wie wenig wir auch fonft in unferer Lebensweiſe und ben 
Regeln, die wir und bilden, mit ihm uͤbereinſtimmen, — bennod) 





*) Gt. 2, 10. 


nur bie Wuchtheild. tan erführen. Dieſes einfache Geſuͤhl bes 
Mechts if alſo auch der eigentliche Grund aller bürgerlichen Wohl: 
thötigeit. Darum nimmt fie auch, Feine Ruͤkkſicht und foll feine 
nehmen auf bie perfönlithe befonbere Befchaffenheit derer, denen fie 
ihre Gaben und ihre Huͤlfsleiſtungen zumendet. Sie kann nur ben» 
jenigen zit gutem. Gewiſſen von bem Genuß derſelben aber doch 
auch nur in einem: gewiſſen Grade anschließen, von dem es ganz 
deutlich ifl, daß bie Noth, welche ihn betrifft, nicht in dem gemein: 
ſamen Zuftaude der Menſchen und deſſen mannigfaltigen Verwikke⸗ 
lungen ihren Grund hat ſondern ausſchließlich und unmittelbar in 
feinen eigenen Handlungen, usd zwar in ſolchen, bie ihm mit Recht 
zum Borwurf gereihen.: Sie kann nur denjenigen reichlicher mit 
aner größeren mb. entichiebenen Vorliebe bedenken bei ihren Gaben, 
von bem fie vorausßeht, er werde fich um deſto eher wieder in ben. 
Stand fegen. nidyt nur wieder umabhängig und felbfländig für fich 
fortzuleben fondern auch wieder ſelbſt mittheilen zu fünnen da, wo 
ein Fall der Noth eintritt. Im Abrigen aber muß fie ed auf das 
Gewiſen eines jeden empfangenden legen, wie er die Gaben, welche 
ihm in dieſem Sinn die Gerechtigkeitsliebe ſeiner Brüber zufließen 
läßt, nisch windig anwenden will. 

Aber aus. demſelben Grunde erſtrekkt ſich nun auch dieſe buͤr⸗ 
gerliche Wohlthaͤtigkeit in der Regel nur uͤber denſelben Umfang 
menſchlicher Geſelligkeit, in welchem einerlei Geſeze des Rechts und 
der Ordnung gelten. Von dieſen ſind dem einen die Vortheile zu⸗ 
gefloſſen, deren er ſich erfreut; und eben dieſe haben Veranlaſſung 
gegeben zu den Nachtheilen, unter denen ber andere leidet und ſeufzt. 
Aber eine folche Sorge wie bie 5. B. war, von ber in unferem 
Zerte die Rebe ift, für Menfchen von ganz anderer Abflammung, 
von ganz anderer Sprache und. wenn gleich bamald in einem weis 
teren Sinne genommen demfelben weltlichen Scepter unterthan Doch 
gar wenig in irgend einem Verhaͤltniß wechielleitigen Einfluffed auf 
einander, von einem folchen Umfang ber Sorge und Mittheilung 
weiß. jene geſellſchaftliche Wohlthaͤtigkeit in der Regel nichts. Go: 
hald ‚von einer gegenwärtigen Noth die Rebe iſt, beſchraͤnkt jih je 
ber auf feine Landsleute und denkt mit Recht, daß ebenſo in ande: 
ven menfchlichen Gefellfchaften baffelbe Gefühl der Gerechtigkeit wal- 
ten wird, und auch dort Diejenigen, welche fich des Vortheile der 

gefelligen Ordnung erfreuen, die Nachtheile verfelben werben zu mil- 
dern ſuchen. 

Das hoͤchſte aber freilich, was wir in dieſer Beziehung kennen, 
iſt unſtreitig das Beſtreben jene Wohlthaͤtigkeit ſelbſt je laͤnger je 
mehr überflüffig zu machen; und dieſes freilich kann, je mehr fi) 


2 
bad Verkehr der Menfipen erweitert, je außgebifbeter unb mung: 


diefed Beſtreben geht von demfelben Grumbe aus; ed entlicht eben⸗ 
falls aus bem Bewußtſein, was für eine große Ungleichheit in ber 
äußeren Sage ber Menſchen durch bie mannigfaltigen Zufälligleiten, 
Denen wir in einem fo verwilkelten Leben ausgefezt find, entfichen, 
und wie bei biefer Ungleichheit Wortheil und Nachtheil eben fo gut 
ben einen. treffen Tann ald den andern, indem alle in dieſer Bezie⸗ 
bung benfelben Gefegen unterworfen find. Je mehr dieſes Befreben 
ſich ausbreitet, und über je mehr Gegenſtaͤnde es ſich erſtreklt; je 


mehr Menſchen auf dieſe Weiſe unter einander 


zuſammengeſaßt wer 

den: um deſto mehr iſt fuͤr alle äußere Roth bie fie treffen fazın 
immer fchon im voraus geforgt; und um befto weniger fommt bann 
eine eigentliche Wohlthätigleit von bem einen bem anbern zu fhat« 
ten; um beflo weniger fühlt einerfeitd einer ſich bein anderen per- 
fönlich verbunden und verpflichtet, ımd kann andererſeits der eine 
ſich perfönlich rühmen, daß er dem anderen fein Leben erhalten ober 
erleichtert oder den Wohiſtand beffelben gerettet habe. Daher er⸗ 
ſcheint fobalb ein folches Berfahren eingeleitet iſt eben jene Augend 
der Wohlthätigfeit nur ald eine Sache ber Noth, und eben beöiwe: 
gen ift es bad hoͤchſte und würbigfle, daß fie als eine ſolche mit 
der Zeit aufhöre. 

Mürden wir aber um bei biefem Lgien anufangen, wärten 
wir es wol wünfchen koͤnnen, daß —— gegenſeitigen — 
ſtungen aufhoͤrten, welche auf dem Bewußtſein unferer dh 
Gemeinſchaft beruhen? wuͤrden wir wuͤnſchen koͤunen, vor an fo 
irgend etwas anbered an bie Stelle von biefen trete? Wir bärfen 
uns biefe Srage nur vorlegen um aus ber Antwort, die wir ‚noth- 
wendig geben müflen, fchon zu fehen, wie groß der Unterfchieb iſt 
zwoifchen der einen und der anderen. Fragen wir und, worauf biefe 
Vorſchrift beruht, bie einer von ben Apofleln beö Herrn mit ben 
Worten ausdruͤkkt, Laſſet und gutes thun an jebermann, am mei 
fien aber an des Glaubens Genoffen *): diefe Worfchrift hatte, wie 
wir ſchon daraus fehen, baß fie die Genoflen des Glaubens beſon⸗ 
ders heroorhebt, ihren Grund vomehmlid in dem Bewußtſein die 
fer Gemeinfchaft. Der fühlen wir uns alle von je ber ſchon ver: 





) Sat. 6, 10. 


> 203 

pflichtet und verſchuldet; fie iſt es, die als dad Werkzeug bed gött- 
lichen Geiſtes fich unfer angenommen hat von: dem erflen Anfange 
unferes Lebens an; unfere Eltern unfere Erzieher alle die, welche 
an ber Entwillelung unſeres Geiſtes und an dem SBeftreben ben 
Kräften beffelben bie vechte gottgefällige Richtung zu geben theilge⸗ 
nommen haben: fie finb in biefem Gefchäft, wie unmittelbar fie und 
auch übrigend verbunden waren durch bie Bande des Blutes, doch 
nichts anderes geweſen als die bevollmächtigten ber chrifllichen Ge: 
meine. So wie jene Ghriften in Antiochia fich bewußt waren, ihr 
Heil fei ihnen gelommen von denen in Serufalem aber freilich auf 
eine zufällige Weiſe: fo wiflen wir alle und fühlen es, unſer Heil 
ift und gekommen aus ber Mitte ber chriſtlichen Gemeinfchaft aber 
nicht auf eine zufällige Weile, fondern durch bad regelmäßige Be⸗ 
fiehen berfelben nach. ben Gefezen, welche daB eigentliche Weſen ber: 
felben ausmachen, durch die Thaͤtigkeit ber Liebe, welche unaufhoͤr⸗ 
lich die dringet, welche die Liebe Gottes durch Chriſtum an ſich 
ſelbſt erfahren haben. Sobald jene Ehriften in Antiochta hörten, 
Daß eine folche allgemeine Roth bevorfiche, wurbe auch ihre Nei⸗ 
gung zur Wohlthätigkeit fogleih und wol audfchlieglich auf jene 
Gegenden hingelenkt und auf jenen Kreid von Menſchen, welchem. 
fie fih für ſolche geiflige . Babe verpflichtet fühlten. Darum be: - 
ſchloſſen fie gleich ohne zu bedenken, wie viel ober wenig von ber: 
felben Noth auch fie felbft koͤnnten zu leiden haben, zunaͤchſt für 
dieſe Gegenden zu forgen. Es fiel ihnen ein, diefelbe Noth habe 
frägerhin in den erſten Anfängen bed Wolle Gottes: in dem alten 
Bunde biefes binausgetrieben in ein fremdes Land, wo fie leiber 
ſchon in ben nächften Sefchlechtern in einen erniebrigenden Zuftand von 
Krechtſchaft geriethen. Die Gemeine bed Herrn in Ierufalem ftellte 
Damals den ganzen Kern ber chriftlichen Gemeinfchaft dar; wie weit 
ın der Nähe oder Ferne das Evangelium fich fchon verbreitet hatte, 
davon konnten jene neuen Chriſten in Syrien noch wenig Kunde 
haben: aber der ihnen bekannten erfien Quelle der geifligen Güter, 
weiche fie empfangen hatten, der wenbete fi nun ihre Liebe und 
Serge zu. Ron wo.ihnen dad Heil gefommen wear, von daher 
dachten fie koͤnne und folle es noch vielen anderen fommen: und 
deshalb fühlten fie fich gebrungen bafür zu forgen, daß biefelbe Au- 
Bere Roth nicht etwa jene Gemeinfchaft der Ehriften auflöfen möchte 
ober zerfiören; baß jene Verbindung nicht nöthig hätte aus einan⸗ 
der zu geben um fich in ber Zerflreuung anderwaͤrts bie Lebend« 
nothdurft zu fuchen, fondern in ihrem äußeren Beſtehen gefichert 
bleibe; darum befchloß ein jeder einzelne je nachdem er vermochte 


398 u. 


ya geben, un eine Derbrckheisg ju Iifen ben‘ Efeiken in Satufa 
lem und Judäa. 

Aber weiter ald über bie Genoffen bed Glaubens erſtrekkt fich 
auch biefe Huͤlſsleiſtung nicht, welche vom dem Bewußtſein bes 
chriſtlichen Gemeinſchaft ausgeht. Wohl wußten es jene Chrifken, 
daß die Weiffagung, welche einer von dort and ber Kraft des Gei⸗ 
fleö gedeutet hatte, nicht die Ehriften allein betreffen konnte, ſondern 
bie übrigen Bewohner des Landes nicht minder leiben würden un: 
ter ber Roth des Humgerd; aber ihre GHaubreihung bie leiſteten fie 
natuͤrlich nur den Brübern, bie da wohnten in Jeruſalem unb in 
Indaͤa. Daraus fehen wir denn von ſelbſt, daß dieſe Hülfsleiflung, 
welche von bem Bewußtſein unferer chriftlichen Gemeinſchaft aus: 
geht, die keiblichen und äußeren Gaben nur giebt um bed geifligen 
willen. In jener Gemeine in Antiedyia lebten und lehrten Männer 
wie Barnabas und Saulns, ber ſchon damals Gefahren und Neth 
genug erlitten hatte um bed Evangelii willen; unb beide fltliten 
idnen gewiß ſchon bamald ein foldyes Bild des Muthed und ber 
Ergebung nicht nur fonbern auch ber Kraft allen Biberwärtigfeiten 
des Lebens tapfer zu widerfichen vor ihren Augen dar, daß wir um- 
möglich glauben koͤnnen, der Sinn der Gaben, weiche die neıten 
Chriften für die Muttergemeine ſammelten, fei nur der geweſen die 
- Shriften dort von dem Drukk einer äußeren Roth zu befreen: dem 
eben die Kraft des Geiſtes offenbart fich ja vorzüglich barin, wie 
der Dienfch in dem allen weit überwindet ohne in bem Genuß ber 
geiftigen Güter, bie ihm zu Theil geworben find, durch die Neth 
ber Erbe gehemmt zu werben. Aber freilich ein gam; anderes iſt es 
in dem eigneh Genuß biefer geifligen Güter nicht gehemmt zu wer⸗ 
den; ber ift vollkommen unebhängig von allem was den —* 
Außerfich treffen kann, der ift in jeber Roth eben fo rein und giebt 
bem gläubigen eben fo unmittelbar dad Bewußtſein feined ungeflör- 
ten Zufammenhanges mit Gott, wie mitten unter den Freuden und 
dem Wohlergehen; unb wieber ein andered iſt eö mit ber Thaͤtig⸗ 
keit für die Sache des Glaubens. Denn dazu gehören eben alle 
bie äußeren Hütfömittel, welche Gott dem Menſchen auf Erben ge- 
geben hat; um biefer Thätigfeit willen zumächft fell er Herr fein 
und inmer mehr werden über alle Kräfte, weiche Gott in bie Exbe 
gelegt hat. Wollten fie alfo, daß biefe Thaͤtigkeit von dert aus 
noch weiter geben follte; daß bie dortigen Chriſten follten im Stande 
ſein ihre Zeit der Verkündigung bed göttlichen Wortes zu widmen 
oder auch foldye auszuruͤſten und auszuſenden, bie dad Wort Got: 
tes hintruͤgen wo es noch nicht erichollen war, und den Zufammen: 
Hung des Glaubens und der Liebe immer wieder zu erneuern mit 





den jerfireuten gläubigen umher; follte biefe Adaͤtigheit fortbauern: 
ja dam durfte ed nicht an ben irbifchen Hülfsmättele fehlen, unb 
nur um biefer geifligen Thaͤtigkeit willen erfolgt zunaͤchſt auch jezt 
noch überall jede Huͤlfsleiſtung, bie aud dem Bewußtſein unferer 
chriſtlichen Gemeinichaft ſtammt. 

Aber eben deswegen ſind wir keinesweges gemeint ſelbſt dahin 
zu wirken oder koͤnnen auch nur wuͤnſchen oder erwarten, daß ohne 
unſer Zuthun bie cine Art der Wohlthaͤtigkeit durch die andere ver⸗ 
draͤngt werde. Nein, dieſelben Chriſten, weiche izt ſich unter einan⸗ 
der verbanden nach Vermoͤgen beizutragen, um denen Genoſſen des 
Glaubens in Judaͤg Handreichung zu leiſten, welche würden bes 
brängt werben von ber Roth: biefelben, werm auch zu ihren Gegen: 
den fpäterhin bie Neth wirklich hindurchdrang, werden als Glieder 

ber bürgerlichen Gemeinfchaft und in dem Bewußtſein der buͤrger⸗ 

lichen Ordnung und des bürgerlichen Rechts auch dem hungrigen 
ihre Beot gebrochen haben ohne Ruͤkkſicht darauf, ob er ſchon ein 
Jünger des Herrn fei oder nicht. Für und nun mifcht fich dem 
äußeren Anfchein nad) gar leicht beibes unter einander, eben weil 
wir fa nur von Genoſſen ded Glaubens umgeben. find, weil unfer 
ganzes Wolf feinen Kerne nach ein xhriftliches Volk if; aber doch 
follen wir beibed von. einander unterjcheiden und gefondert halten 
unb wohl wiſſen, daß die einen Anfprüche wie von ganz anderer 
Art find fo auch eine ganz andere Audbehnung und Erſtrekkung 
haben ald die anderen. Aber eben deswegen weil dieſe aus dem 
Bewußtſein der chriftlichen Gemeinfchaft entftehende chriſtliche Huͤlfs⸗ 
leiſtung, indem fie das leibliche nur mittheilt um des geiſtigen wil⸗ 
len, ſich natuͤrlich auch innerhalb der Grenzen ber geiſtigen Gemein 
(haft hält und ihrer Natur nach nicht Aber biefelben hinausgehen 
farm: fo muß fie nothwendiger Weife auf diefe Gemeinfchaft ſelbſt 
zuruͤkkwirken. Und das ift ed, was wir noch in dem zweiten Theile 
unferer Betrachtung mit einander erwägen wollen, wie nämlich diefe 
wenn gleich dem. Anfcheine nach äußere Huͤlfsleiſtung doc, Immer 
wieder ein neues Band wird für bie Genoffen ded Glaubens. 


N. Diefes m. a. 3. gefchieht nun zu erſt dadurch, daß eine 
ſolche Huͤlfsleiſtung auch unter ſchwierigen Umftänben jedem feinen 
Antheil an der Sorge für dad Fortbeſtehen der chriftlichen Gemein⸗ 
Schaft. feibft fichert, und eben dadurch auch in jedem bad Bewußt- 
fein, wie fheuer und werth ibm’ biefe ift, wie er bereit iſt alle für 
fie hinzugeben und ihr zu bienen mit allem, wie. was ex iſt ſo was 
er hat, immer lebendig erhält. Iſt unfere aͤußere Dienftfertigfeit 
und Bereitwilligfeit zu heifen Witt dieſe chriftliche: fo haben wir 





205 
dabei auch ümmer nur daS innere und geiflige im Auge unb umfer 
Abſehen iſt anf dieſes alfein gerichtet. Run iſt es nothwendig, daß 
die chriſtliche Gemeinſchaft auch unter gewiſſen Ordnungen Sitten 
und Geſezen beſteht, daß ſich in derſelben bie Gefchäfte auch bie 
Geſchaͤfte des Heils auf eine beflimmte Weife vertheilen, und eben 
daburdy gewinnt ed gar leicht dad Anfehen, als ob umter ben Chri⸗ 
ſten wiewol fie fich unter einander Bruͤder nennen boch ein fo be: 
deutender Unterfchied flatt fände, bag nur einige Spender ber gei- 
fligen Gaben Mittheiler der geiftigen Güter wären, unb bie ande⸗ 
ren hingegen alle nur von jenen empfingen. Diefer Schein hat ber 
dyrifitichen Gemeinſchaft lange Zeit Werberben gedroht, ja er ifl ein 
Keim von Verirrungen geworben, welche in einem großen Zeil 
derfelben immer noch fortwirfen, unb von welchen nur unfere evan⸗ 
gelifche Kicchengemeinfchaft fich, wenigſtens fo weit es unter ben 
damaligen Umfländen möglich war und noch möglich ift, befreit hat. 
Dem freilich muß es ein Verderben fein unb und das Weſen bes 
Evangeliums von Chriflo in hohem Grade verbunfeln, uns von 
dem unmittelbaren Zufammenhang, in bem wir alle durch ben Geift 
mit Sott fliehen follen‘, wieder zum Vertrauen auf Menſchen zu: 
shffführen, wenn ein ſolcher Unterfchieb unter den Ehriften gemacht 
wird, daß ber Menge immer nur einige wenige gegenüber ſtehen, 
welche fie zu verehren hat als ſolche, von denen ihr die Güter des 
Seiftes mitgetheilt werben, von benen es alſo abhängt, wie veichlich 
oder wie bürftig bie Seelen follen genährt und geflärft werben. 
Das muß den wahren Geift bed Evangeliums nicht allein verdun⸗ 
keln fondern auch verfälfchen. Run wiffen wir freilich, und es geht 
aus unferen Ordnungen hervor, daß alle bie, weldye anf befondere 
Weife dem göttlichen Worte dienen, es nur thun in bem Auftrage 
der Gemeine, fo wie kurz nad ber Erzaͤhlung unferes Zerted es 
weiter in der Apoflelgefchichte heißt, Als die Diener des Herrn und 
die Juͤnger beffelben Gott gebienet im Geift, ba habe der Geiſt fie 
getrieben einige audzufenben zu dem Dienfle unter. ben Heiden *); 
und nur immer fo ald ein von ber Gemeine aufgetragened Geſchaͤft 
wollen wir, daß die welche bem göttlichen Wort im befonberen die 
nen, ihr Amt verrichten. Aber womit ich meine Rebe anfing, das 
- findet nun freilich auch hier feine Anwendung. Wir willen es alle, 
bag wir in unferen häuslichen in unferen freunbfchaftlichen und ge: 
ſelligen Verhältniffen, wo wir geiflige Gaben mitzutheilen vermö- 
gen, wir e8 immer nur thun nicht als aus und ſondern aus dem 
gemeinfamen Schaz, den der Geift in. ber Gemeinfchaft der Chriflen 





I Ap. Geſch. 13, 2. 


27 

erhält, bewahrt unb von Zeit zu Zeit vermehrt; und fo fehlt «& 
feinem unter und, daß wir nicht follten bad Bewußtſein haben 
wirkſam fein zu koͤnnen in dem Reiche Gottes auf Erben. Dem 
ohnerachtet wie herrlich leuchten und immer gewiffe befondere Thaͤ⸗ 
tigteiten entgegen! und wie find wir auf eine fehr natürliche Weife 
und ohne daß wir und Vorwürfe dariiber machen koͤnnten geneigt 
Diejenigen beſonders glüfflih zu preifen, ‚ welche folchen ihr Leben 
weihen können. Durch feinen befonderen Beruf immer aufgefordert 
fein fich zu befchäftigen mit dem göttlichen Wort, um bie Schaͤʒe 
deſſelben ſich und andern zu enthuͤllen: wem ſollte das nicht ein 
beneidenswerthes Loos ſcheinen? ſich allem irdiſchen entziehen koͤn⸗ 
nen, alle anderen Bande loͤſen um als Traͤger des goͤttlichen Wor⸗ 
tes die aufzuſuchen, welche noch in der Finſterniß des Wahnes und 
in dem Schatten des Todes ſizen: welch ein herrliches unvergleich⸗ 
liches Loos! Das koͤnnen immer nur einige ziehen, und es fehlt 
und ja nicht an Erfahrungen darüber, wie oft es doch vergeblich 
gezogen wirb; wie viele einzelne ohne ben rechten Grund ohne in» 
nern Beruf danach fireben und, anflatt Der gemeinfamen Sache 
Nuzen zu ſchaffen, nur biefe hindern und ſelbſt Schaben nehmen 
an ihrer Seele. Aber vermöge jener Huͤlfsleiſtungen ‚Eiunen wis 
an allem theilnehmen, was großed fegensreiches das Reich Gets 
ted ſoͤrderndes von der chriftlichen Gemeinfchaft auögeht; auf Diefe 
Weife kann jeder doc, benfelben geiftigen Durft feines Herzens ſtil⸗ 
len und wenn nicht unmittelbar doch mittelbar wirkſam fein überall, 
wo etwas großed und heilfamed von der chriftlichen Gemeinfchaft 
ausgeht. 

Aber laſſet und auch ein zweites ja nicht uͤberſehen, wie 
nämlich diefe Hülfsleiflungen auch beſonders dadurch immer ein 
neue? Band ber chriftlichen. Gemeinfchaft werben, daß fie die innes 
ven Unterfchiede, welche unter ben Chriften flatt finden, in unferen 
Augen und in unferem Gefühl verringem ‚und zum Theil ausld- 
fhen. Die Gemeinfchaft der Chriften, die ih auch izt in meiner 
Rede immer ald Eine behandelt habe: wie vielfaͤltig iſt ſie nicht 
getheilt; wie iſt ſie nicht geſpalten in ſich ſelbſt; wie viel Streit 
regt ſich immer aufs neue darüber, ob alle die dieſen Namen fuͤh⸗ 
ren, nicht nur im einzelnen fondern auch alle verfchiebenen Gemeins 
ſchaften, welche nd benfelben aneignen, ihn wirklich verdienen! 
Wollten wir nun jene Vorſchrift auf eine engherzige Veiſe ber 
ſchraͤnken; wollten wir fagen, jene Hülfsleiftungen find wir nur bes 
nen ſchuldig zu geben, ja es iſt und nur vergönnt fi fie denen zu ge 
ben, welche mit und. ganz und. vollflommen in allen Stuͤkken des 
Glaubens übereinflimmen: wie unbebeutend würden fie baun wer» 


ben; wie wenig würben fie dann zu feiflen vermögen; wie wuͤrde 
daB was ein Band des Frievend und ber Gemeinfchaft werben foll 
nur die Spaltungen unter den Chriften noch immer mehr befefli- 
gen! Laſſet und deshalb noch einmal auf bad Beiſpiel unfered ex: 
te8 zurüßfgehen. Während ber Zeit, daß jene Ehriften in Antiochia 
ihren Vorſaz audführten und im Meinen und allmählig ihre Gaben 
ſammelten, ehe noch jene, welche fie nach Serufalem bringen woll⸗ 
ten, bereit dazu waren, hafte fih etwas andered ereignet. Da wa⸗ 
ven Chriften gekommen auch aus Judaͤa, welche fagten, alle bie an 
den Namen des Herrn glaubten müßten fi) auch dem Geſez un- 
terwerfen, dem er ſelbſt unterthan geweſen war in feinem Leben, es 
ganz auf fich nehmen und e8 genau erfüllen. Das war eine Be 
drängniß der chriſtlichen Freiheit, eine Beſchraͤnkung bed chriftfichen 
Heiles, gegen welche ſich die Lehrer zum großen Theil erhoben; und 
da ward denn in dieſem Streit auch Zufludyt genommen zu ber 
Gemeinde, in welcher dad Wort Gottes zuerft Wurzel gefaßt, unb 
von weicher aus es ſich weiter verbreitet hatte; und diefelben, welche 
. jene Gaben für die nothleidenden nach Jeruſalem brachten, brachten 
auch diefe Frage zur Entſcheidung borthin. Wie auch beides ganz 
verfchiebene Aufträge waren und gänzlich von einander gefrennt: fo 
faßte doch der Geift Gottes durch den Mund ber erſten Juͤnger des 
Herrn beided zufammen. Es wurde den Chriften gefagt, wie we: 
nig Saft ihnen in diefer Beziehung follte aufgelegt werben, aber es 
wurbe aud zu einer feflen Regel und Ordnung gemacht, daß fie 
auch follten der armen und bürftigen gedenken *), unb fo follte bie 
äußere Hülfsleiftung, indem fie allen ohne Unterfchieb gegeben wuͤrde, 
auch ein Band der Gemeinſchaft für alle werben. Daran follten 
alle erkennen, daß fie zufammengehören, und fi) durch bie Verſchie⸗ 
denheit der Denkungsart über einzelnes nicht flören Tafien; an dem 
Umfang der Hülfstelflungen, welche um des Bekenntnifſcs Chriſti 
willen geleiflet wurben, follten fie ben äußeren Umfang ber Ge 
meinbe erkennen und meffen, unb biefelben, welche bie Drbnung 
überhaupt zu erhalten hatten, follten auch diefe Huͤlfsleiſtungen über 
dad ganze verbreiten. Auf diefelbe Weife fol auch unter uns das 
äußere dem inneren zu Huͤlfe kommen; vie herzliche Mittheilung 
äußerer Gaben fol und auf bie Einheit des inneren zuruͤkkfuͤhren, 
auf daß wir und bed Bewußtſeins erfreuen, baß jeder der den Ra: 
men Chrifti befennt — wie viel wir auch fonft an ihm auszuſezen 
haben, wie wenig wir auch fonft in unferer Lebensweiſe und den 
Megeln, die wir und bilden, mit ihm äbereinflimmen, — dennoch 





) Sat. 2, 10. 








ein Gegenftand unſerer Liebe fei, daß wir ihm um bed geifligen 
willen zur Abhülfe bed leiblichen Leidens behülflich find und da⸗ 
durch bezeugen, auch von ihm könne die Zörderung dieſes ausgehen 
unangefehen alle jene Unterichiebe. 

So. wurde damald dad Band enger geknüpft zwiſchen den 
Chriſten, die aus dem Volke des alten Bundes ſtammten, und de⸗ 
nen, die aus den Heiden geſammelt waren, und dadurch wurde die 
innere Gemeinſchaft erhalten. Und dazu dient denn auch izt noch 
diefe Hülfleiftung, fo daß wenn dad Bewußtſein unferer Verſchie⸗ 
denheit in einzelnen Stüflen der Lehre ober der Lebensweife bie 
Richtung nimmt, daß wir auc ber armen und bürftigen unter be: 
nen, bie fo von und verfchieden find, nicht mehr gedenken wollen, 
alsdann gewiß jeber, der es fich zum Geſez gemacht bat für diefe 
chriſtlichen Hülfsleiftungen das Außere nur zu geben wegen beö 
und als Chriften gemeinfamen inneren, fogleich merke, daß ſich etwas 
eingemiſcht hat, was nicht rein iſt und gottgefaͤllig, und wir uns 
dann froͤhlich zuruͤkkwenden zu der unbegrenzten Gemeinſchaft aller. 

Alle zuſammengefaßt, wie wir es in unſerer heutigen epiſtoli⸗ 
ſchen Lection vemommen haben, unter dem Einen Gott und dem 
Einen Herrn, in ber Einen Taufe und der Einen Kraft des Geis 
ſtes *): fo fol, wie überall in diefem geiftigen Reiche Gottes ‚das 
feibliche und irdifche dem geifligen dient, auch dieſe gegenfeitige Ab» 
hängigfeit und Hülfsleiflung unter den Chriſten ein Bild werben, 
weiches fich feft den Gemuͤthern einpräge, von der Einheit jener 
inneren unfichtbaren Gemeinfhaft aller derer, welche ben Namen 
deffen bekennen, der allein Herr iſt über alle, weil er allein bie 
Duelle des Heild iſt, aus ber ed und Gott zufliegen läßt und zu: 
fließen laſſen wird izt und immerdar. Amen. 





Eyhel· 4, 4—6. 
j Lich 676, 6. 


XXXIV. 
Am 19. Sonntage Trinitatis 1832. 


tied 32. 450. 
Tert. Wpoftelgefch. 12, 19— 23, 


Herobes aber z0g von Judaͤa hinab gen Caͤſarien und 
bielt alda fein Weſen; denn er gebachte wider die von 
Tyrud und Sidon zu friegen. Sie aber famen einmü- 
tbiglich zu ihm und überredeten bed Königs Kämmerer, 
Blaflum, und baten um Frieden, darum daß ihre Ränder 
fi) nähren mußten von des Königs Lande. Aber auf ei» 
nen beilimmten Tag that Herodes das koͤnigliche Kleid 
an, ſezte ſich auf den Richtſtuhl und that eine Rede zu 
ihnen. Dad Volk aber rief zu, Das iſt Gottes Stimme 
und nicht eined Menfchen. Alfobald fchlug ihn der Engel 
bed Herm darum, daß er die Ehre nicht Gott gab, und 
warb gefreffen von den Würmern und gab ben Geifl auf. 


M. a. Z. Es wird vielleicht vielen von euch, ohne daß ich es 
ausdruͤkklich vorher geſagt habe, bemerklich geworden ſein, daß ich 
ſeit dem Ende unferer diesjährigen Feſtzeiten zu unſeren Berfamm: 
lungen um biefe Stunde den Stoff immer aus den Gefchichten der 
Apoftel genommen babe. So war ich denn in dem Lefen derſelben 
zu diefem Behuf über bad Kapitel, aus welchem unfer Xert genom- 
men ift, ſchon hinweggegangen und wollte weiter gehen, als ich body 
meine Gedanken auf einmal bei biefem Ende defielben feftgehalten 
fühlte. Wie, fprach ich, wird mandyer bei fich fagen, fommt wol 


40 
biefe Erzählung in unſere heiligen Bücher? wie Mein ift doch das 


gefammte Wort Gottes bed neuen Bundes; wie viele Fragen über 


die wichtigften Gegenſtaͤnde ber chriftlichen Lehre und bes chriſtlichen 
Lebens bleiben uns übrig, über bie wir feinen unmittelbaren Auf: 
ſchluß in Maren und beutlichen Ausſpruͤchen dieſer Bücher. finden; 
fondern wir find nur unferem Zorfchen und Nachdenken, was wol 
mit diefem oder jenem Ausſpruche derfelben am beften flimme, über: 
laſſen: und bei diefem Zuſtande derjelben finden wir num hier doch 
den theuren uns fo Foflbaren Raum auch noch von folchen Erzaͤh⸗ 
lungen wie biefe eingenommen, welche den Umkreis des chriftlichen 
Lebens ganz verlaffen-und uns in ganz fremde Zuftände hineinfühs 
ven! Wol, dachte ich, Fann das manchem großes Bedenken erregen, 
ob es überhaupt wol eine folche bijondere göttliche Leitung über bie 
Berfaffung. und die Sammlung biefer Schriften gebe, wie wir fie 
uns zu benfen gewohnt find; und ob nicht vielmehr auch fie, wenn 
man dieſe ihre Beichaffenheit erwägt, doch müßten eben fo wie als 
les andere für ein natürliches Menfchenwerk, in dem es immer: mars 
cherlei gleichfam zufälliged nicht vollkommen mit dem übrigen zu: 


ſammenſtimmendes giebt, gehalten werden. Sol fich aber dieſes 


Bedenken heben laffen: fo muͤſſen auch dergleichen Theile der Schrift 
etwas für und enthalten, wodurd ihnen mit Recht ihre Stelle in - 
diefen heiligen Büchern, welche ber Leitftern unfered ganzen Lebens 
fein follen, zukommt. Indem ich nun in diefem Sinne m. a. 3. 
über die vorgelefene Erzählung von dem Zobe des Herodes 
zu euch reden will, muß ich euch zwei ganz verfchiebene Betrach⸗ 
tungen vorlegen; bie eine bezieht fich darauf, worauf fich denn | 
wol eben das gründe, daß diefe Erzählung einen Ort gefunden hat. 
in der Gefchichte der Apoftel, und erft wenn wir und Diefe Frage 
beantwortet haben werben wir in ber. zweiten auf ben Inhalt ber 
Erzählung, der und eben dadurch wichtig wird, unfere gemeinſchaft⸗ 
liche Aufmerkſambeit richten koͤnnen. 


J. Um die erſte Frage, worauf es ſich gruͤndet, daß die verle⸗ 
ſene Erzaͤhlung einen Plaz in der Apoſtelgeſchichte gefunden hat, zu 
beantworten, muͤſſen wir uns den Zuſammenhang, in welchem die⸗ 
fer Abſchnitt vorkommt, vergegenwaͤrtigen. Am Anfange dieſes Ka: 
pitels war erzaͤhlt worden, daß Herodes ſeine Haͤnde an Jakobum 
den Bruder des Johannes gelegt hatte und ihn hingerichtet mit 
dem Schwert; und weil ſolches dem Volke wohlgefiel, ſo ließ er 
auch den Petrus greifen und wollte ebenfalls, wenn das Feſt der 
ſuͤßen Brote voruͤber ſein wuͤrde, dem Volke das Schauſpiel ſeiner 
vin tung geben. Darauf wird weiter er wie Petrus durch 

c | 


402 

einen Boten des Herrn aus bem Gefängniffe befreit worben ſei und, 
als er hinaudgeführt werben follte um hingerichtet zu werben, nicht 
gefunden wurde, und wie Herodes im Born feine Hüter an feiner 
Stelle hinrichten ließ; darauf erft folgt unfere Erzählung. Steht 
fie etwa hier um und davon zu: belehren, daß durch den Zob des 
Herodes jene Verfolgung, die er über die Chriſten verhängt hatte, 
ihr natürliches Ende gefunden? Defien wirb faum erwähnt in ber 
allgemeinen Beichreibung , daß dad Wort Gottes wuchs; denn das 
geſchah auch mitten unter ben Verfolgungen, ja unter dieſen oft 
‚auf eine ganz vorzügliche Weiſe. Wohin Petrus gegangen, nad 
dem er befreit worden, ob und wie er nach dem Tode des Herodes 
‚zurüffgelehrt, von dem allen wird und nichts gefagt; und alfo Eön- 
‚nen wir auch nicht behaupten, daß ber Tod des Herodes zählt 
werde um bed eigentlich gefchichtlidhen Zufanmenhanges willen, wel 
cher der Zwekk diefed Buche if. 

Wie aber wenn etwa der Verfaſſer defielben biefed Ereigniß 
bargeftellt hätte ald eine Strafe eben für diele Verfolgung, welche 
Herodes Uber die Chriſten verhängt hatte?! Zum Gluͤkk findet ſich 
davon auch nicht die leiſeſte Spur; vielmehr giebt unfer Verſaſſer 
amd gar Feine Weranlaffung hiebei an jene wiewol eben erſt erzählte 
Unthat dieſes Herrfcherd gegen ben neuen Glauben zu denken, fon= 
dern er bezieht ausdruͤkklich ſeinen Tod auf etwas ganz anderes in 
feinem Reben und Thun. Zum Gluͤkk, fagte ich; denn fehr wohl⸗ 
thätig ift es allerdings, daß wir dergleichen nicht finden. Wenn 
wir in ber Schrift eine Werft icherung darüber fänden, daß bie Geg⸗ 
ner des Evangeliumd allemal in der Kürze ein Gegenfland ber gött: 
lichen Strafe würden: wie fehr würbe es dann bei vielen ſchwachen 
Gemuͤthern gethan ſein um die Reinheit des Glaubens! wie ſehr 
wuͤrde der Sieg ber Wahrheit dann zweifelhaft werden, ob nicht 
doch die Unterwerfung ber Menfchen unter diefed Wort, welches ib: 
nen verfündigt wird, zum Theil wenigfiend eine Wirkung fei von 
der Furcht vor der göttlichen Strafe, wenn fie es vernachläfligten 
und verfchmähten! Oder follen wir glauben, unfere Erzählung 
wolle uns einen Bin? davon geben, baß ein folcher plözlicher, ein 
fo in feiner Art und Weiſe feltener und außerordentlicher Tod wie 
ber dieſes Könige allemal angefehen werden folle als eine göttliche 
Strafe, und wir hätten bann nur aufzufuchen, worauf fie fidh bes 
ziehe, und welched ber Frevel fei, ber davon getroffen werbe? Solche 
Vorfielungen finden wir freilich früher in ben Zeiten bed alten 
Bundes: aber fie hängen auch damit zufammen, dag damals ber 
Bott der Väter zugleich verehrt .wurde als ber weltliche Oberherr, 
ald der Geſezgeber und Richter diefed Volkes; und einem folchen 


403 


freilich geziemt es zu flrafen. Darum werben bort alle Hebel, fos 
fern fie auf Gott und feine Führung zurüffgeführt werben mußten, 
auch immer ald Strafe angefehen, und Weranlaffung davon genom. 
men bie fittlichen Zuftände zu prüfen. Beduͤrfen aber wir noch ei 
nes folchen Spornes? und würde e8 der Wahrheit des Evangelixinb 
"gemäß fein, wenn unfere heiligen Schriften begleichen in fi) faß⸗ 
ten? Wie fehr vermannigfaltigen fich nicht in dieſem verwikkelten 
Leben der Menfchen, dem wir angehören, die Geflalten des Todes; 
von einer Zeit zur anderen entfliehen neue Krankheiten und Uebel, 
weiche auf eine neue Art bald im einzelnen balb in großen Maffen 
die Menſchen hinwegraffen. Je außerorbentlicher je plözlicher, befto 
fonderbarer wird freilich ba8 Gemüth allemal von einer foldhen Ers 
ſcheinung bewegt; aber diefer Zuftand- ift nicht ber, in welchem ber 
Menſch am geſchikkteſten ift feine eigenen ober fremde Handlungen 
zu beurtheilen. Welcher Ungerechtigkeit würden wir und fchuldig 
machen! wie oft würden wir um eine Urfache zu folcher Strafe zu 
finden für ein Verbrechen gegen des Hoͤchſten Majeſtaͤt halten, was 
es nicht iſt! wie würden wir unſer Gewiſſen verwirren, wie unver: 
meibli würden wir auf eine Art, wie es und nicht geziemt und 
wie wir es nicht vermögen, immer dahin getrieben werben in die 
verborgene Tiefe des einzelnen und unbekannten menfchlichen Lebens 
bineinfchauen und fie Durchbringen zu wollen! Nein, deſſen können 
wir und getröften, weber dieſes noch jenes ift der Grund, weshalb 
diefe Erzählung ihren Plaz gefunden hat in unferen heiligen Büchern. 
Wenn wir aber doch nach diefer Urfache fragen follen, es foll 
weber bie eine noch die andere fein: fo weiß ich nur eine zu fin: 
den, bei ber wir ftehen bleiben müffen. Die erften Chriſten m: a. 
Fr. waren ein kleines verborgeried Häuflein; bie ganz neue Dffen- 
barung von einem geiftigen Reiche Gottes, von einer Erlöfung ber 
Menfchen durch Einen, der menfchliche Geftalt und Weſen an ſich 
getragen hatte und eines gewaltſamen Todes geſtorben, hernach aber 
von Gott erhoͤhet und zu einem Herrn und Chriſt gemacht war *), 
wie der Apoftel fagt, dieſe beherrfchte natürlich ganz und gar ihr 
Gemüth und. Leben. Indem fie biefen göttlichen Saamen immer 
tiefer in ſich aufzunehmen fuchten und zugleich theild Öffentlich theils 
in ber Stilfe, aber doch immer mit einem Erfolg, der fi nur fel- 
ten tiber große Maffen erſtrekkte fondern nur allmählig und eins 
zeine hinzufügte zu der großen Gemeine, bad Wort das ihnen an: 
vertraut war verfündeten: fo fchnitten fie ſich auch natüurlicherweife, 
fo weit es mit biefer Abficht beftehen konnte, von dem übrigen ih: 


*) Xp. Geld. 2, 36. 
62 


404 

nen fremb geworbenen Leben ab. In bad große Getriebe ber Welt 
hinauszutreten, dazu hatte keiner ber gläubigen einen Beruf; denn 
die da gläubig wurden gehörten größtentheild nicht zu benen, welche 
einen Einfluß Hatten in den weltlichen Dingen. Aber zu etwas 
ganz anderem war boch dieſer Glaube beflimmt als gleihfam in 
der Stille ein geheimes Gut weniger Menfchen zu fein; von An: 
fang an war es barauf abgefehen, daß er je länger je mehr das 
ganze Geſchlecht der Menſchen beherrſchen ſollte, und ſeine Ordnung 
follte uͤber ihr ganzes Leben walten! Wie übel wären wir alfo be 
rathen, wenn alled in unferen heiligen Büchern ſich ausſchließlich 
befchränkte auf bad damalige Bebürfnig! Betrachten wir nun bie 
Erzählung, welche unfere Aufmerkfamkeit izt beſchaͤftigt: fo iſt ihr 
Gegenſtand ganz und gar das Verhältniß jened Herrſchers zu dem 
Volke, welches er zu regieren hatte, und zu ben äußeren Angele 
genheiten deffelben; nicht nur die unmittelbaren Worte unferes er: 
teö fondern auch alles, was vorhergeht in diefem Kapitel. Darum 
rechnen wir es billig mit Recht zu ber göttlichen Zeitung, welche 
über der Verfaſſung und Sammlung der heiligen Bücher des neuen 
Bundes gewaltet hat, daß fie auch ſolche Beflandtheile enthalten, 
welche fi) auf dad damalige Bebürfniß nicht unmittelbar beziehen, 
in welchen wir aber boch, fo wir nur recht darauf merken, Lehre 
und Anweifung finden auch über die Art und Weife, wie ſich das 
Leben unter und geftaltet hat; Lehre und Anweifung, wie der chrift: 
liche Glaube und die chriftliche Gefinnung auch die andern Theile 
des gefammten menfchlichen Lebens verwalten fol, ımb wie auch 
die menſchlichen Dinge gehandhabt werden follen, mit denen bieje: 
nigen, die damals ihr Geil | in Ehriſto ſuchten, am wenigſten zu 
thun hatten. 

Hierauf haben wir alo, wenn bie Abſicht weshalb diele Gr: 
zaͤhlung in unſeren heiligen Büchern ſteht an und erreicht werben 
fol, jezt unfere Aufmerkſamkeit zu richten; .und fo laſſet und bemn 
in dem zweiten Theile unferer Betrachtung ſehen, was uns eben 
diefe Erzählung, wenn wir zugleih an ben Ort denken wo wir fie 
finden, über biefe große menſchliche Angelegenheit lehrt. 


1. Zuerſt m. a. 3. möchte ich fagen, durch ihr bloßes Da: 
“fein beihämt und widerlegt unfere Erzählung diejenigen Chriften, 
welche fich auch izt noch fo viel fie es nur irgend vermögen von 
aller Theilnahme an den größeren Beziehungen des gefellfchaftlichen 
Lebens in der chriftlichen Welt zuruͤkkziehen wollen. Denn ſolche 
m. hr. 3. giebt ed überall und auch unter und gar viele, und fie 
koͤnnen freilich auch manches zu ihrer wenrfertgung fagen. Ich 


. 405 

meine diejenigen, welche den Beruf, der’ihnen in der menfchlichen 
Geſellſchaft unmittelbar angewiefen ift, worin er auch beftehen möge, 
mit möglichfter Treue und ihrer beften Erkenntniß gemäß zu erfül: 
len fuchen; aber alle Zeit, die er ihnen übrig läßt, widmen fie am 
liebften nur Einem Gegenftande, dem vertrauten Gefpräch mit glei: 
gefinnten Seelen über die inneren Erfahrungen und Angelegenheiten 
des einzelnen Gemuͤthes. Wer follte dad wol an fich tadeln? wie 
Fönnten wir darin wol ein Hülfsmittel verkennen, welches jedem 
unentbehrlich jft, der zunehmen will an ber Selbfterfenntniß, auf 
der ja alles Fortfchreiten in der chriftlichen Weisheit beruht! Aber 
nur follen fie und zugeben, daß da8 nicht alles iſt; fie follen ſich 
nicht dahinter zurüßkziehen wie fie es gewöhnlich thun, daß fie fa: 
gen, Weſſen Beruf es ift die menfchlichen Dinge fei ed im großen 
oder im einzelnen und Beinen zu leiten, der möge fich darum kuͤm⸗ 
mern, grade fo wie wir uns jeder um feinen irdifchen Beruf kuͤm⸗ 
mern: unfer Beruf aber ift es nicht, und fo wollen wir und auch 
gar nicht in daB mifchen, wovon wir überzeugt find, daß es uns 
nicht angeht; fo. wollen wir auch die Sorgen nicht theilen, welche - 
Bott nicht auf und gelegt hat fondern auf andere. Ja wenn diefe 
"Ueberzeugung richtig wäre, fo wollten wir fie danach handeln lafs 
fen; wenn in der gegenwärtigen Zeit und Lage der menfclichen 
Dinge noch eine folhe Trennung wirklich beftände, dag man fagen 
Könnte, es ift nur der Beruf einer gewiffen Klaffe von Menfchen — 
derer, die Gott unmittelbar über die Voͤlker gefezt hat, und berer, 
denen diefe einen Theil ihres Anfehend anvertrauen, — ed ift nur 
beren Beruf darauf zu fehen, daß in den allgemeinen Angelegenhei: _ 
ten alled zum befferen geführt werde, und alles unvollfommene im: 

mer mehr verfchwinde; und je mehr fich die übrigen dabei nur lei: 
dend verhielten, um befto beffer fei ed; — wenn man das fügen 
könnte: fo follten fie Recht haben; fo wollten wir feine andere Ein: 
theilung der menfchlichen Zeit, Teine andere Führung des menfchli: 
chen Lebens für richtig anerkennen als diefe. Aber fo iſt ed nicht; 
die gefellfchaftlichen Angelegenheiten der Menfchen find izt etwas 
weit mehr gemeinfamed. Wie viel diejenigen wirklich ausrichten, 
welche zum unmittelbaren Einwirken in biefelben berufen find; ja 
wie weit fie auch nur erkennen was eigentlich Zeit und Umftände 
von ihnen fordern: beides geht zum großen Theil izt hervor aus 
der freien und je länger je weniger zu befchränfenden Deffentlichkeit 
des Lebens. Die gemeinfamen Angelegenheiten find auf der einen 
Seite keinem mehr etwas verfchloffenes; auf der anderen fann man 
es eben deshalb nicht mehr ald etwas erlaubted gelten laſſen, wenn 
fich einer von denſelben zuruͤkkziehen wil. Die herrfchende Anficht, 


die Art und Weife wie die menſchlichen Dinge öffentlich in bem 
gemeinfamen Geſpraͤch verhandelt werben, und bie Vorſtellungen, 
welche fich auf diefem Wege ausbilden, haben einen Einfluß, ber 
nicht abgeläugnet werben kann, audy auf die Art wie fi die Bor 
ſtellungen derer geflalten, welche zu gebieten haben, fo wie auf die 
Luft und Freudigleit, mit welcher diejenigen gehorcdhen, denen das 
Gehorchen obliegt. Aber weil biefe Chriften am liebflen nicht wis 
berlegt werben auch durch noch fo wohl zufammenhangende menidy: 
liche Rebe, auch nicht aus dem, was ein einzelner, der aber anders 
denkt als fie, ihnen ald die Stimme feines Gewiſſens mittheilt, 
fondern weil fie am liebften fo wie geleitet fo auch widerlegt wer: 
ben aus der Schrift: fo widerlege fie nun eben dieſer unfer heuti: 
ger Zert. Was ging den Verfaſſer der Apoftelgefchichte dieſes Ende 
des Heroded an? ob er fo ob er anders geftorben war, das fonnte 
ihm nicht nur fofern er ein Glied der chrifilichen Gemeine war, 
fondern auch in Beziehung auf feinar befonderen Beruf die Ges 
ſchichte der Apoflel der Nachwelt aufzubewahren ganz gleichgültig 
fan; um fo mehr als er ſich ausdruͤkklich enthält auf einen Zuſam⸗ 
menbang, ben dieſes Ende auf die chriftlichen Angelegenheiten ge= 
habt hätte, aufmerkſam zu machen. Und doch hat ihn diefe Ge= 
fhichte fo beſchaͤftigt und bewegt, daß er ſich nicht hat enthalten 
koͤnnen fie feiner Erzählung einzuverleiben. 

Aber ed muß wol jevem, ber einigermaßen in ‚ber Schrift bes 
wandert ift, bei dieſer Erzählung noch etwas anderes einfallen. Es 
war auch ein Herodes, wenngleich nicht berfelbe, deſſen Tod uns 
bier berichtet wird, von welchem ber Evangelift Lukas einmal er: 
zahlt, daß Chriſtus dem Anfchein nach von wohlmeinenden Freun⸗ 
den gewarnt wurbe, er folle fi aus dem Gebiet deſſelben hinweg- 
begeben, weil er ibm nach bem Leben flände. Da antwortete er, 
Gehet hin und faget dieſem Fuchs, fiehe, ich treibe Teufel aus und 
mache gefund heute und morgen, und am dritten Tage werbe ich 
von binnen geben‘). Daß nun der Erlöfer in Beziehung auf feine 
Seldfterhaltung fi nicht um jenen Herodes und beffen Art und 
Weiſe befümmert habe, das fehen wir eben daraus, daß er biefer 
Warnung fein Gehör gab fondern feinen Aufenthalt fo lange als 
es fein Beruf erforderte fortfegte: aber doch mußte er fich um biefen 
Fuͤrſten befümmert haben; denn wie bätte er ihm ſonſt einen ſol⸗ 
chen Namen beilegen koͤnnen, welcher doch offenbar eine Bezeich⸗ 
nung ſeiner Gemuͤthsart und Handlungsweiſe ſein ſoll? ſo mußte 
er ſich doch um ihn und um die Art wie er die oͤffentlichen Ange⸗ 





Lut. 13, 32. 


40⸗ 

legaheiten leitete, um die Geſinnung aus der ſeine vbandtunger 
hervorgingen bekuͤmmert haben. Und fo werben wir ſagen, daß -wir- 
biefe Gteichgültigkeit gegen die menfchlichen Dinge um fo weniger 
rechtfertigen. können aus ber Schrift und mit der Schrift, als. wir. 
vielmehr deutlich fehen, daß zu einer Zeit, wo die Bekenner bes 
neuen Glaubens noch weit entfernt waren von. jebem unmittelbaren 
Einfluß, den fie auf die gemeinfamen Angelegenheiten hätten aus⸗ 
üben können, fowol der Exlöfer ſelbſt über die öffentlichen Perfonen 
ein Urtheil ‚hatte, die auch ganz außer feinem Bereich lebten, als 
auch die Art wie unfere heiligen Schriften abgefaßt find und beuts 
lich lehrt, daß jeder Ehrift, wenn gleich fein unmittelbarer Beruf 
bad nicht mit fich bringt, ſich den Zuſtand ber öffentlichen Angeles 
genheiten fol am Herzen liegen laffen ı und von demfelben Kennte ' 
niß nehmen. 

Fragen wir aber, was war denn ı nun in biefer Begebenheit 
genau betrachtet dasjenige, was den Werfaffer der Apoftelgefchichte 
dazu bewog fie, fo wenig fie auch in den unmittelbaren Zuſammen⸗ 
hang gehört, doch feiner Erzählung einzuverleiben? - Wenn nicht in 
dem Bufammenhang, den er in ben Worten barflellt, Der- Engel. 
Gottes fchlug ihn, weil er Gott nicht die Ehre gab; wenn in bie 
fen Worten nicht eine tiefe Wahrheit gelegen hätte, bie fein ganzes 
Gemuͤth ergriff; eine folche, von welcher ihm der Geift beutete, daß 
fie wichtig fei und immer wichtiger werden müfle für alle Genoſſen 
des Glaubens: fo würde, wie ein merfwürbiger Mann für feine 
Zeit auch diefer König geweſen war, doch Fein Wort von feinem 
ode in unfere heiligen Bücher gelommen fein. Welches nun iſt 
biefe Wahrheit! So wie der Buchftabe Klingt, möchte man zuerſt 
glauben, die Meinung des heiligen: von Gott erleuchteten Schrift: 
ſtellers fei die gewefen, weil ald bad Volk ausrief, Das ift Gottes. 
Stimme und nicht eines Menfchen, Herodes Gott nicht die Ehre 
gegeben hätte, fo hätte ihn der Engel des Herm geſchlagen und 
zwar in demfelben Augenblikk; wie leicht aber muß nicht eigentlich 
andy nach unferer Art und Weiſe zu reden bad Vergehen erſchei⸗ 
nen, was hierbei zum Grunde gelegen! Wir ſollten es freilich nicht, 
denm «8 ift immer etwas nachtheiliges, wenn man den menfchlichen 
Worten ihre rechte Kraft und Bedeutung nimmt durch einen leichts: 
finnigen und erweiterten Gebrauch, wir follten es alfo nicht: - aber 
wie oft bedienen wir uns nicht ähnlicher Redensarten? wie oft nen: 
nen wir nicht etwas göttlih, wad uns in feiner Art vortrefflich. und. 
gut erfcheint? und gewiß nicht immer was mit göttlichen Gegen 
fländen zufammenhängt! Indem dad Volk fagte, Das iſt Gottes 
Stimme und nicht eines Menfchen: was that es anders, als daß ' 


fin Bofifen an de fühns Me u ala ga, Die Se 
rodes von feinem Throne herab an die abgeorbneten berer 
ud und Sidon hielt?! Wie könnte und Be Cini menden 
ſcheinen und wirkſam, wie es doch jede Strafe fein foll, die fo im 
Augenbiilfe noch vor vollendeter That eintrat! Gellte denn Hero⸗ 
des mit einem von frommem Zorne erfüllten Gemüth in bemfelben 
Augenblikke das Volk firafen über feinen Ausoruff, da wir nicht 
einmal wiflen, ob er feine Rebe, um derentwillen bie ganze Ber: 
fammlung veranftaltet war, fchon vollendet hatte? Das alfo kann 
die Meinung nicht fein! Aber wenn wir fie verfichen wollen, ſo 
müflen wir auf ben Zufammenhang dieſer Begebenheit mit dem vo- 
tigen fehen. Da war erzählt worden, daß Herodes ben Jakobus, 
den Bruder Johannis, hingerichtet hatte, und weil es dem Wolle 
wohlgefiel habe er auch ben Petrus greifen lafien. Hätte er wol 
den Jakobus hingerichtet, wern er nicht geglaubt hätte, es werbe 
dem Wolfe gefallen? Wie die Fortfegeng, fo war gewiß auch ber 
Anfang gewefen! Er felbft jo wie fein ganzes nicht vor langer Zeit 
erft in die Gemeinfchaft des jüdiichen Volkes aufgenommene Ge⸗ 
ſchlecht war nicht von ſolchem Eifer für dad Geſez, daß wir ed und 
aus einem Eifer um Gott erklären könnten, wenn ee ben. einen 
Apoftel hinrichten den andern greifen ließ! er feibft nahm an biefem 
Geſez keinen ſolchen Antheil, daß wir glauben müßten, eb fei eine 
beflimmte Ueberzeugung geweien, warum er fo gehandelt! Was 
war ed alſo? Er wollte dem Wolle gefallen. Das wer. entzündet 
durch die Pharifaer und Schriftgelehrten ven wilden Grimm ges 
gen den neuen Glauben und feine Bekenner; bad freute ich, weun 
die ihrer Freiheit beraubt wurden, von benen fie glaubten, fie ſuch⸗ 
ten dad Anfehn zu untergraben, burch welches fie nun ſchon feit 
langer Zeit her geleitet wurben. Diefer wilden Luſt, dieſer grauſa⸗ 
men Stimmung des Volkes wollte Herobed gefallen; darum richtete 
er den Jakobus hin, barum ließ er den Petrus gefangen nehmen. 
Wie nun diefes eine graulame Schmeicdyelei war gegen das Koll, 
indem er deſſen Geluͤſte nahgab und bemfelben zu Liebe bad 
ſchreiendſte Unrecht that um zu zeigen, wie ſehr ed ihm am Kerzen 
lag dem Wolle wohlzugefallen, und wie ſehr geneigt er fei no 
deſſen Ueberzeugung, wenn er fie auch nicht theilte, doch zu has 
bein: fo hatte er auch izt diefen Tag ber Pracht eingerichtet dazu 
um aufd neue dem Wolfe zu fchmeicheln und von bemfelben ben 

Lohn dafür zu empfangen. Wenn er ald ein Herrſcher, der fh 
auf feine Macht verlaffen konnte, bie bemüthigte, welche von frem⸗ 
den Städten zu ihm gefandt waren um feine kriegeriſche Luſt zu be 


ſchwichtigen, unb er machte hiervon das ganze Volt zu Zeugen: fo 








hatte er keine anbere Anficht, als daß es in der Größe und Macht 
bed Herrſchers auch feine eigene fühlen follte; daß. ihm follte zu 
Muthe werden, ald wäre es wieder ein Bolt, als habe er es abge: 
ſehen auf die Wieberherftellung feines vorigen Glanzes. : Aber in: 
dem er fo dem Wolke fchmeichelte, fo begehrte er auch zum Lohne 
dafür, daß es ihm wieder fchmeichele; und das Volk verfiand den 
Wink, und mag ihm die Rede fo wohlgefallen haben oder nicht, 
aber ed fah die Begierde ded Königs Zeichen bed Wohlgefallend zu 
haben, und da rief es aus, Das ift Gotted Stimme, nicht bie ei- 
ned Menfchen. Und darauf fchlug ihn der Engel bed Herm um 
diefed gefährliche Gewebe gegenfeitiger Schmeichelei zu zerflören, wel: 
ched nicht anders kann als alle: menfchlichen Dinge verunreinigen 
und zum Verderben bringen. 

&o m. th. hängt das zufammen, und wenn gefagt wird, daß 
ihn der Engel bed Herm deshalb gefchlagen habe, weil er Gott 
nicht die Ehre gegeben: fo ift dad etwas tiefered, ald nur daß er 
ſich jenen übertriebenen Ausruf habe gefallen laſſen. Denn Sort iſt 
ein Sott der Wahrheit, und nur der giebt ihm die Ehre, ber bie 
Wahrheit fucht; aber die Schmeichelei iſt nichts ald Lüge, das iſt 
das Werk des alten Menfchen. Wenn Fürft und Volk fich gegen: 


feitig fchmeichein, fo thun fie das, wovor wir gewarnt find in un 


ferer heutigen epiftotifchen Lection *), dag wir burch Züge bad Werk 
bed Herrn verderben. Darum iſt diefe Erzählung nichts als ein 
Beifpiel zur Lehre, wie gefchrieben flebt, So lege nun jeber die Lü- 
gen ab und vede die Wahrheit mit feinem nächflen. Das iſt Die 
tiefere Auſicht dieſer Begebenheit, und laffet und immer bei ihr ver 
weiten; fie ift in einer folchen Lage, wie die jezige der Öffentlichen 
Angelegenheiten in unferem ganzen Welttheil, auch für uns als ein 
chriftliches Volk von der größten Wichtigkeit. Früher fand in jenen 
Ländern des Morgens, von welchem zunächft bad jüdifche Volk eis 
nen großen Theil feiner Sitten hernahm, mit welchen es früher in 
ber nädıflen Verbindung geftanben hatte, ein ganz entgegengefezteä 
Berfahren Statt; wir finden es noch bei vielen morgenländifchen 
Bölfen. Der Herrſcher verbirgt fih und bleibt feinen Voͤlkern un: 
ſichtbar; durch dieſe Unfichtbarkeit ſoll die Ehrfurcht erhalten wer⸗ 
ben, von biefer Unfichtbarkeit aus verwaltet er, und fie verringert 
ſich von ihm aus nur allmählig, je mehr die Mittheilung bed dfz 
fentlichen Anfehnd und der Gewalt ſich in die unteren Zweige der _ 
Geſellſchaft verbreitet. Iſt es möglich, daß fo dad ganze gefördert 

werden kann? Gott ift.unfichtbar und fieht, aber der Menich, der 





*) Eyheſ. A, 2 fie. 


ſich unfichtbar macht, Fan auch felbft nicht fehen.. Nimmt ee eine 
unmittelbare Kenntniß von benen, für bie er zu forgen bat: fo kann 
er auch nicht das richtige thun. Und fo erhidt- fi) auf biefem 
Wege ein Gewebe von Unwahrheit und Büge; und wiavol es nur 
aus Umviffenheit entfland, fo war boch die Unwiſſenheit nur eine 
Folge von dem Beflreben eine unnatürliche Trennung zu erbalten' 
zwifchen denen, ‚die für einander von Gott gemacht waren md nur 
in ber Gemeinfchaft mit einander fich gegenfeitig wohlthun Fonmten 
und Gottes Willen nachlommen. Aber was ift der größte Gegen: 
ſaz zu jenem? Eben biefed werm die, die ba herrfchen, bem Wolle 
fhmeicheln und folchen Lüften nachgeben, welche fie zügeln fellten 
um es zum befieren zu führen; und wenn ebenfo dad Wolf glaubt, 
durch fein wenn gleich nie als begründet nachzumeifenbes Lob, durch 
Huldigungen, bie es der perfönlichen Eitelkeit darbringt, etwas hin- 
juzufügen zu dem wahren Ruhme und Preife deſſen, der e& leitet. 
Nothwendiger Weiſe muß die Wahrheit, die Gott will, muß dieje⸗ 
nige Geftaltung dieſes Werhältniffes, in ber fein Wille erfhlit wer: 
den Tann, in der Mitte liegen zwifchen beiden. Aber das iſt der 
gewöhnliche Gang der menfchlihen Dinge, daß fie von einem du: 
Berflen zu dem anderen: gehen; unb das fehen wir benn auch häufig 
zu allen Zeiten in der Gefchichte ber Menſchen. Wenn fich jene 
Kennung zwifchen Fürft und Volk, welche freilich eine lange Reihe 
von Sefchlechterm bindurch dauern kann, nicht mehr zu erhalten ver: 
mag, weil jene unfichtbare Herrfchaft, der zugleich die rechte Kennt: 
niß von dem Geſammtzuſtande ber Dinge abgeht, Beine Sicherheit 
mehr bat, und oft unverfehens ein Gewaltſtoß von unten ben Herr 
fcher erfchüttert auf feinem Throne; wenn folche Unficherheit wahr 
genommen ift, und die Drbnung des Herrfchens und bed Gehorchens 
muß doch bleiben: dann entfleht aus dem einen Verderben das ent: 
gegengefezte, aber ganz gegen ben Zweit, weshalb Gott die gefezt 
bat, die da herrſchen follen, und die gehorchen. Wozu follte er das 
gethan haben, da er doch felbfi zuvor verfehen hat, daß alle Men⸗ 
fhen aus Einem Blute und Saamen flammenz wozu follte er das 
gethan haben, wor dem alle gleich find, eben weil er ber Her if 
über alle; weshalb follte er es georbnet haben und gelaffen auch in 
biefer chriftlichen Zeit, wo ihm alle gleich angenehm gemacht ſind 
in Chrifte feinem Sohne und nur in ihm und durch ihn ihm an⸗ 
genehm fein Binnen? Wozu anders ald bamit durch eine ſolche 
Drbnung die Wahrheit und die Weisheit, das Licht und bie Liebe 
— eben beöwegen weil biele Kräfte nicht gleich die ganze Maſſe 
durchdringen, wenn gleich fie aus einer Quelle flammen, die unter 
den chriftlichen Voͤlkern allen geöffnet ifl, — damit diefe Die menſch⸗ 


an 

lichen Dinge leiten follen. Leichter Eönnen fe zu benen gelangen, 
fih in ihrem Geiſte befefligen und fie leiten, welche durch folche 
Ungleichheit weit erhoben find über bie andere Menfchen herabzie⸗ 
bende Sorge, weit erhoben über das druͤkkende Gefühl des Beduͤrf⸗ 
niſſes und außer allen den Verwirrungen gefezt, in welche bie, Die 
fi) gleich find in irdifchen Dingen, nur zu leicht gerathen. Mer 
da herrfcht, der. fol befeelt fein von ber Liebe, die er ja im ſich tra⸗ 
gen muß, wenn er mit Recht den Namen .eined Ehriften führt; und. 
bie ifl zwar mild und nachfichtig, aber fie fchmeichelt nicht. Wer 
berrfcht, der fol herrſchen burch Wahrheit und Weisheit, wenn nicht 
burch feine eigene doch burch die, welche er wenn er fie ſucht auch 
in dem Bezirk, über welchen Gott ihn gefezt hat, finden ann. : 
Diefe fol ex für die einzigen Kräfte externen, welche im Stande 
find die menfchlichen. Dinge zufammenzuhalten und zu bem befferen 
zu leiten. Machen fich hingegen die welche regieren follen dadurch 
zu Knehten der Menge, daß fie ihren Worurtheilen ihren Lüften 
fhmeicheln, in der Meinung, es komme nur darauf an, baß fie 
gleich viel auf welche Weiſe eine Anhänglichkeit an fich erwekken 
und bewahren koͤnnen: wie gefährlich. Fehren fie dann die göttliche - 
Drönung um. Aber eben, fo wenn nun die große Maffe ber Mens . 
chen dieſes Gift, welches ihr bargeboten wird, einfaugt: welche Ex 
fahrungen haben wir davon gemacht! Wie fchiept jeder Saame bed 
Verderbens auf, wenn bie Menge bie fich felbft nicht beherrfchen 
kann doch fühlt, wie es unter folchen Umſtaͤnden natürlich ift, daß 
jene in ber That nur den Schein bed Herrichene haben, aber bie. 
wahre Wacht in ihr felbft liegt! Wie 'gebeihen die Schwachheiten 
. und bie umgöttlichen Lüfte beider Theile immer gehegt von dieſer 
gegenfeitigen Schmeichelei! Wie geht das gemeine Wohl zu Grunde; 
wo es an Kraft und DOrbnung fehlt, welche immer nur ba bewahrt 
werben koͤnnen, wo nichts was der Schmeichelei auch nur ähnlich 
fieht in Bewegung gefezt wird. 

"Sagt nun der heilige Schriftfteler, Da fchlug ihn ber Engel 
des Heren darum, daß er nicht Gott die Ehre gab, und er warb 
von den Würmern gefreffen und gab feinen Geift auf: fo. Taffet 
und des Wortes gedenken, dad wir anderwärtd lefen, Der Her 
macht die Winde zu feinen Boten unb bie Fenerflammen zu feinen 
Dienern *) Diefer Engel, ber ſchlaͤgt dann die Geſchlechter der 
Menſchen, wann ſie ſich in jene dem goͤttlichen Willen widerſtre 
bende Verkehrtheit hingegeben haben. Da entſtehen jene Stuͤrme in 
dem geſellſchaftlichen Leben, da brechen die Flammen aus, ach und 


*, PL. 103, & 


der verberbliche Wurm er nagt fchon tief in dem Inneren des Bol: 
kes fowol als derer, bie es leiten. Was iſt alfe die Wahrheit, die 
wir in dieſer Erzählung fehen follen als in einem beutlihen pie | 
gel? Daß nicht durch Schmeichelei nicht durch Rachgiebigleit ge 
gen Lüfte und Leidenfchaften der Menſchen die gefellfchaftliche Drb: 
nung aufredyt erhalten werben und bie gemeinfame Wohlfahrt ge: 
beihen kann, fonbern nur ba, wo man frei ift von beiden. Bo: 
durch aber vermeidet man beides? Es if in einfachen Worten zu 
fagen m. th. aber ſchwer zu erreichen; es gehört eine Freiheit des 
Geiſtes dazu, willige Aufopferung feiner ſelbſt und vornehmlich die 
ſes, daß Feiner fehe auf fich felbft fonbern auf das was des anderen 
it, daß wir jeber fein und aller anderen Gebühr nur ſchaͤzen, in: 
dem wir auf ben ewigen unveränderlichen Willen Gottes fehen. So 
kann ed dann gefchehen, daß bie, weiche ein ihnen von oft an- 
vertrautes Anfehn üben follen über bie Menſchen, nicht rechts fe- 

ben ober links, wonach der vielgefpaltnen Menge gelüftet, um jezt 
diefem Theil und dann bem andern zu fröhnen, fonbern mit heili⸗ 
gem Emft ohne ſich um den Beifall der Menge zu befümmern ib: 
- reg Uebergeugung folgen, immer nur dad (Gebet jened Königs wie: 
derbolenb *), der ed freilich nicht lange genug wiederholt hat um 
auf dem Wege bed Herm zu bleiben, daß Gott ihm ein gehorfa: 
mes Herz geben wolle und Weisheit um feinen Beruf zu erfüllen: 
dann wird in dem erleuchteten Gemuͤth chriſtlicher Herrſcher nicht 
die Eitelkeit bed Herodes walten fonbem bie wahre Liebe, wenn 
auch zunaͤchſt nur zu bem zeitlichen Wohlergehen der Völker, wel: 
ches zunäcft den Herrſchern anvertraut iſt — aber was ift dieſes 
unter Ehriſten anderd als nur die Art, wie ſich dad geiflige geflal: 
tet? — bamit fie biefed auf die rechte Gott wohlgefäßige Weiſe lei: 
ten, weber nach eignem Ruhm fragen noch einem eitlen und fluͤch⸗ 
tigen Wohlgefallen nachtrachtend, fonbern nur an bie Rechenfchaft 
denkend, welche fie vor Gott abzulegen haben. Und denen, welche 
zu gehorchen haben, wirb nichtd vorangehen vor dem Gehorfam, 
und fie werden fich nicht hexanzudrängen fuchen, wie bort dad Volk, 
ob fie fih wol wäre es auch nur durch Schmeichelei fo wichtig 
machen koͤnnen, daß die eitlen Lüfte ihre Herzens, von denen fie 
erfüllt find, fih Bahn machen und Berufffichtigung verlangen bür: 
“ fen von denen, welche body Gott vielmehr dazu gefezt hat, daß fie 
alles biefed in Saum und Zügel halten follen. Nur eben beiwe: 
gen, weil fie eben fo wenig werben wollen gefchmeichelt fein als 
fhmeicheln, wird in dem gegenwärtigen Zuſtand der menfchlichen 





) 1 Kin. 3, 9-19. 


413 


Dinge — ber wicht mehr eine folche Trenmung zuläßt, daß nur 
wenige für die Öffentlichen Angelegenheiten einen Beruf haben, viel⸗ 
mehr verlangt, alle follen die gemeinfamen Zuſtaͤnde empfinden, und 
alfo auch alle den Beruf haben ihre Empfindungen zu dußern — 
ber bürgerliche Gehorfam ein freimüthiger Gehorfam fein. Und 
wenn das rechte von beiden Seiten zufammentrifft, und beibe Theile 
ſich gegenfeitig immer mehr reinigen und erleuchten : dann wird ein 
feſtes Band der Kiebe.und Treue entfiehen, welches im Stande ift 
allen Gefahren zu trogen; wir werben eine fefle Orbnung Gottes 
in den menfchlichen Dingen walten fehen, und der Zwei ber wars 
nenden Stimme unfered Textes wird erreicht fein. Wenn dann 
auch ploͤzlich etwas fchreffenvolles begegnet, werben wir doch nicht 
zittern, als ob der Engel des Herm erfchienen fei um feine Stra⸗ 
fen auszuführen; fondern find wir und nur bed Beſtrebens bewußt. 
den Willen Gotted zu thun, fo werben wir ficher ſtehen und fefts 
halten an dem Glauben, daß auch das fchwere auch das betrübende 
denen muß zum guten mitwirken, bie nichtd als den Willen Gottes 
thun, weit fie von ber Liebe zu Gott erfüllt find. Amen. 


eied 2, 2u. 8. 


xxxv. 
Am 21. Sonntage Trinitatis 1832. 





Lich 314 


Text. Apoftelgefh. 16, 16— 18, 


Es geichah aber da wir zu bem Gebet gingen, daß eine 
Magd und begegnete, die hatte einen Wahrfagergeifi und 
trug ihren Herren viel Genuß zu mit Wahrſagen. Die 
felbige folgte allenthalden Paulo und und nad, fchrie 
und fprach, Diefe Menfchen find Knechte Gottes bed Als 
lerhöchften, die euch den Weg der Seligkeit verkünbigen. 

Solches that fie manchen Tag. Paulo aber that bad 
wehe, und wandte ſich um und ſprach zu dem Geift, Ich 
gebiete dir_in dem Namen Jeſu Chrifli, daß bu von ihr 
audfahrefi. Und er fuhr aus zu derfelbigen Stunbe. 


M a. 3. Da wir bad nädfle Mal, wenn wir und wieder um 
diefe Stunde bier zufammenfinden, unfer Tirchliches Jahr mit Be 
trachtungen von anderer Art zu befchließen haben: fo ift biefe die 
lezte in der Reihe berer, die wir mit einander angeftellt haben über 
einzelne Stellen aus ber Gefchichte der Apoſtel. Der Ort wo ba3 
geſchah, was wir mit einander vernommen: haben, war ber erfte, 
wohin der Apoftel feinen Fuß fezte um bad Evangelium zu predi⸗ 
gen in biefem unferm Welttheil; und darum war ed mir fo befon: 
ders merkwürdig dieſen Anfang des Evangeliums in ber Weltge⸗ 
gend, in welcher jest am meiſten dad Chriſtenthum verbreitet ift 


| 45 

und am hellften leuchtet, noch gemeinfhaftlich mit euch zu betrach⸗ 
ten. : Aber freilich was wir gelefen haben handelt nicht von ber 
Verlündigung des Evangeliums an fich, wie ber Apoflel ed pres 
digte .zu Philippi — aber diefe war auch und ift überall immer 
biefelbe, — ſondern von etwas, das ihm bei diefer Predigt und in 
Beziehung auf biefelbe begegnete. Was war biefer Wahrfagergeift 
und dies Zeugniß, welches er ablegt? woher gefommen in ein heid⸗ 
niſches Gemüth wie diefe Magd es war, in eine ſolche, welche doch 
nur ihren Herren Nuzen und Gewinn brachte dadurch, daß der 
Wahrſagergeiſt in ihr zu Rathe gezogen wurde? Was anders koͤn⸗ 
nen wir davon ſagen, als es ſei ein verworrener Gemuͤthszuſtand 
geweſen, genaͤhrt durch den Aberglauben der Menſchen und auch 
ihn wieder hervorbringend; und ſo finden wir den Apoſtel, wie er 
in dieſe Laͤnder und Weltgegenden tritt, gleich zunaͤchſt in einem 
Kampf gegen ſolche Erſcheinungen, in einem harten Kampf, der 
auch damals ihm felbft wenn auch nur auf kurze Zeit feine Frei⸗ 
beit Eoftete und ihm mancherlei Gefahren drohte. Darum laffet und 
biervon Veranlaſſung nehmen durch dad was .ber Apoſtel thut uns 
darüber zu belehren, was dem Chriſten geziemt in Bezie 
bung auf bad — fei e8 dem Schein ober auch irgendwie ber 
Wahrheit nah, — wunderbare, was nidht aus der Kraft 
des Glaubens hervorgeht und nicht mit bemfelben zu 
fammenhängt. Laflet und babei zuerft die Handlungsweiſe 
des Apofteld recht genau ind Auge faflen und bann zweitens fe 
ben, was wir von berfelben ald einem Beiſpiel welche und gege 
ben ift, ald einer Regel die wir zu befolgen haben, für eine An: 
wendung machen koͤnnen. 


l. Wenn wir und fragen, was bewog denn ben Apoſtel diefe 
Magd alfo zu hemmen in ihrem Beginnen, daß fie nicht mehr follte 
das Zeugniß geben, Paulus und feine Genoſſen wäreri Knechte bed 
Allerhoͤchſten, und bie Worte bie fie rebeten wären ber Weg ‚zur 
Seligkeit: fo müffen wir und ‚zugleich fragen, wer denn biejenigen 
vorzüglich gewefen fein mögen, welche auf. ben Wahrfagergeift. der 
Magd horchten und ihn zu Rathe zogen und fie baburch zu einer . 
Quelle des Gewinnes für ihre Herren machten. Unb was werben 
wir anders fagen können, als daß ed eitle neugierige Menfchen was 
ven, welce fo. zwiihen Scherz und Emft hindurch wie bad ges 
wöhnlich ift über dasjenige, worüber fie ſich felbft nicht zu rathen 
wußten, ober weshalb fie gern in Zeiten Maaßregeln getroffen haͤt⸗ 
ten, ſich eine Wiflenfchaft herholen wollten auf einem unbelannten 
und verborgenen Wege. Ueberall werben bie Menſchen angezogen 


-. 416 


von allem, was die gewoͤhnlichen Kräfte überfleigt; es barf fich nur 
irgend etwad ber Art zeigen, was ſich ald wunderbar und unge 
wöhnlicy zu erkennen giebt, fo reizt es diefe Sucht und diefe Neu 
gierde. So verbreitet fich die Neigung zu dieſen Dingen immer 
weiter, und durch jeden einzelnen Kal, der die Behauptung zu be 
flätigen feheint, daß auf diefe Art etwas zu erreichen ſtehe, fchlägt 
immer tiefere Wurzel ein mehr ober weniger gefährlicher Aberglaube. 
Darum zunaͤchſt wollte der Apoſtel nicht, baß von folcher. Wunder: 
fucht geleitet Menfchen follten zum Evangelium gebracht werben. 
Was fie zu dieſem führen follte, das durfte nicht ein fo eitleß lee: 
tes Treiben fein; nicht baffelbe, wodurch fie am meiften boch immer 
und am gewöhnlichften. die geringfügigften Dinge bed Lebens und 
. die ungewiſſen Einzelnheiten deſſelben zu ordnen und zu beherrſchen 
fuchten! So ſollten fie nicht dad Werk ihrer Seligkeit ſchaffen, wie 

fie beſtrebt waren ſich von einzelnen voruͤbergehenden Uebeln des Le 
bens durch einen ſolchen Rath, den der Wahrſagergeiſt gab, zu be⸗ 
freien, oder was ſie zu traͤge waren zu erforſchen, vielleicht auch 
wicht erfahren konnten, davon auf dieſem Wege Kunde zu erlangen! 
Bemerkt es wohl m. a. 3., derſelbe Apoſtel, der anderwaͤrts ſagt, 
wenn auch einige nur in böfer Ahbficht das Evangelium ausbreite 
"ten, fo fe ihm auch das recht, wenn nur Chriſtus irgendwie zur 
Kenntniß der Menfchen käme *), — ber wollte doch nicht, daß Ehri- 
ſtus auf diefe Art verfündiget würde. Dadurch meint ex würbe 
kein Glauben entflanden fein, ber bie Seligkeit hätte fchaffen koͤn⸗ 
nen, und darum würbe bad Evangelium auf ſolche Weile getruͤbt 
und ernſten Menfchen zum Spott werben; bie Predigt beffelben 
hätte fi dann nur vergeblich gezeigt, und vermifcht mit biefen 
Nichtigkeiten hätte es gar nicht Frucht fchaffen können: in ber 
menfchlichen Seele. 

Aber fo leicht wir dies einfehen Eönnen m. a. 3. unb barin 
dem Ayoftel. beiflimmen müffen: fo werdet ihr mir boch auch zuge: 
ben, wenn dies des Apoſtels einzige Abficht war, ericheine feine 
Hanblungsweife immer doch voreiig. Denn wiewol jene Magd 
ſchon manchen Tag ihren Spruch vorgebracht hatte, fo wirb ung 
doch nicht erzählt, dag nun wirklich beömegen Menſchen gelommen 
wären, unb hätten ben Apoflel, und bie feinigen darauf angerebet, 
daß fie ihnen doc; möchten bad fagen, was fie zu fagen hätten, 
und wad nad dem Wart: biefer Wahrſagerin fie könnte auf den 
Weg der Seligkeit und bed Friedens führen. Darum, be er ihr 
wehrt, ehe er noch eine folche Frucht geiehen hatte, muß ex noch 
eine andere Abficht gehabt haben als jene allein; und wir werben 


) Phil. l, 14—18B, 


417 


gewiß nicht Unrecht thun, wenn wir fagen, er wollte Aberhatıpt bad 
Evangelium nicht vermiſcht haben mit bemjenigen Gebiet bes 
menfchlichen Lebens, in welchem biefe falfche Kunft ihre Wefen treibt; 
er wollte überhaupt aus ſolchem Munde kein Zeugniß für bad Evans 
gelium haben, mochte ed nun. eine Frucht fchaffen oder auch nicht. 
Denn warlih, wenn wir und fragen, auf welchem Wege denn 
folche Erfcheinungen wie diefe im menfchlichen Leben entflehen, und 
wodurch fie genährt werben: fo werben wir geflehen müflen, das 
fei etwad, womit wir jede Gemeinfchaft lieber vermeiden müflen als 
fie fuchen. Womit anders hängt dad Werlangen zufammen, wels 
ches allein folche Richtungen in ber menfchlichen Seele nährt, ats 
gerade mit bem eitelften, teerften und nichtigften, mit unferer natürs 
lichen Zrägheit, welche fi) nur zu gern die Anwendung ber eignen 
Kräfte erfparen möchte und lieber auf anderem Wege das Ziel er⸗ 
reichen, ohne Aufwenbung von Zeit und Mühe, ja mit bem Ver⸗ 
langen überhaupt über dad hinauszugehen, was dem Menſchen bes 
fchieden if, aber dody immer nur um be& finnlichen Menfchen wils 
len, um deſſen Richtung auf bad irdiſche und vergängliche zu be 
friedigen. Wenn von daher ein Zeugniß kommt für dad Evange⸗ 
lium; wenn biejenigen ed ruͤhmen und preifen, bie ſich auf folche 
Weiſe zeigen mit der Richtung ihred eigenen Gemuͤths: wofür würbe 
dadurch diefe göttliche Hülfe auögegeben, ald mir für eine eben- 
fotche, wie dieſe Menfchen fonft auf ihrem Wege fuchen? eben fo 
wenig zufammenhangend dad Mittel mit dem Zwekk, und daher 
eben. fo wenig mit frifhem und hellem Geift zu erfaflen, und eben 
fo wenig auf ein höheres geiftiged Leben gerichtet, ſondern wie fie 

ſelbſt dein amerorbentlichen und wunderbaren vertrauen, um eine 
nur hoͤhere ſinnliche Befriedigung zu erreichen und um bie Pein 
nämlich. die der göttlichen Strafe zu vermeiben. Darum wollte ber 
Asoftel überhaupt nicht, daß biefe Wahrfagerin von. dem Werke ve 
den follte, weiches er und feine Geneffen zu treiben hatten, weil 

Die göttliche Wahrheit des Evangeliumd durch ein ſolches Zeugniß 
nur mußte verdunkelt werden. Darum wollte er überhaupt nicht, 
Daß die, welche ſich dem Dienſt der Eitelkeit und Nichtigkeit erge⸗ 
ben hatte mit ihren Kuͤnſten, auch von dem allein großen wichtigen 
und heiligen reden ſollte, damit nicht das Weſen deſſelben nur miß⸗ 
verſtanden und verkannt wuͤrde, wenn ſie davon zeugte. So ſcheint 
ſeine Strenge zwar im Widerſpruch zu ſein mit dem milderen Worte 
des Erloͤſers über ben, ber in feinem Namen Wunder that und ihm 
doch nicht folgte *), aber fie ſcheint es auch nur; denn biefer 





9 Mark, 9, 38.: 39. 
III. | Od 





418 
mahnte nicht ihm zu folgen und gab fein Zeugniß über feine 
Predigt ab. 

Aber doch, doch kann auch bad noch nicht alles geweien fein! 
Barum hätte fonft der Apoflel feiner Kraft und der Sicherheit fei: 
ner Worte ſich bewußt ſich nicht damit begnügt, mochte fie uͤbri⸗ 
gend ihr Weſen treiben nach wie vor, ihr nur zu fagen, bavon folle 
fie nicht reden, was ihn angehe und bie feinigen; um bie Werk 
Gottes, welches ihr ganz fremb fet unb unbekannt, follte fie ſich 
gar nicht kümmern. Da er aber mehr thut ald dad, da er ihr ganz 
und gar wehrt, ba er dem Geiſt gebietet von ihr auözufahren, was 
er auch that zur Stunde: fo müflen wir wol auch diefeö noch fa: 
gen. Er wollte ba, wo bad Evangelium anfing Wurzel zu ſchla⸗ 
gen, wo dad Wort Gotted anfing in Segen verfündigt zu werben, 
wo ed wenn gleich wenige Menfchen erſt gab, die bemfelben ihre 
Aufmerffamteit und Vertrauen fchenttenz da follte dies auch das 
anzige Wunder fein und bleiben, unb anderes follte ba nicht ver: 
nommen werben; bad Evangelium allein follte biefe Kraft und Ge 
walt beweifen verborgene Wahrheit zu enthüllen und fonfl unmög- 
liched wirklich zu machen, und nichts anderes follte fi) auf gleicher 
Höhe zu fliehen anmaßen. Darum wollte er ſich den Boden für 
die Verkündigung des göttlichen Wortes gänzlich reinigen von jeder 
folchen Beimifchung; darum hielt er e3 für recht und wichtig, wo 
der Geiſt redete, der aus ihm und feinen Genoffen rebete, da follte 
kein anderer Geift reden, fondern jeder verflunmen; wo bad Wun⸗ 
der geichah, daß bie Menſchen zum Glauben an ben Exlöfer geze 
gen wurben, ba follte ihre Aufmerkſamkeit nicht abgezogen werben 
durch dieſe nichtigen mit dem geifligen Heil gar Beinen Zuſammen⸗ 
hang habenden Wunder, mochten fie nun wahr fein ober falfch. 

Das alfe, das ift erſt der rechte Schlüffel zu dem Berſahren 
des Apofleld, und darum auch died m. a. Fr. die Regel, bie wir 
und zu machen haben! Anders bürfen wir nicht handeln als er 
und müflen uns alfo fagen, das ift eben fo unfere Pflicht, Feine 
Vermiſchung foll Statt finden zwiſchen wunderbarem, was aus ei: 
uer ſolchen Duelle kommt, und dem großen Wunder des Heils; 
und nicht nur bie, fondern wo dies waltet unb herricht, da fall es 
überhaupt kein andered geben. Das alfo fei der zweite Theil un⸗ 
ſtrer Betrachtung. 


IL Aber freilich um bie Anwendung von dem Verfahren des 
Apoſtels auf dad unſtige richtig zu machen, müffen wir zuerft ben 
Unterfchieb feftfiellen zwifchen dem Wunder bes Evangeliums, dem 
Wunder wad mit der Erfcheinung des Eriöferd und dem. GHauben 





49 


an ihn zufammenhängt, und demjenigen was ihm fremb ift; und 
wenn wir und zwifchen dieſen beiden eine fichere Unterſcheidung feft« 
geftellt haben, dann werben wir erſt ben rechten Gebrauch machen 
können von ben Beifpiel, was und ber Apoftel gegeben hat. Das 
mit wir alfo dies zu unterſcheiden vermögen, fo Laffet und fragen, 
was ift denn dad Wunder worauf wir und alle gründen, dad Wun⸗ 
ber was unzertrennlich iſt von unferm Glauben ald der eigentliche 
tieffie und innerfte Grund bdeffelben, und ohne welches auch alles 
natürliche auf dem geifligen Gebiet wie herrlich es auch fei doch 
für uns feinen rechten Werth verlieren würde! Es tft das Wun- 
ber Ehriftus ſelbſt; es ift dad Wunder, daß dad Wort Fleifch ward, 
bad Wunder, daß die Herrlichkeit des eingebomen Sohnes ftrahlte 
in einem menfchlichen Antliz und in einer menfchlichen Geftalt, da 
alle andern ohne Ausnahme nur Shnder waren und jeden Ruhmes 
ermangelten, den fie bei Gott haben follenz ed iſt das Wunder, daß 
Chriſtus nicht nur fo war in dieſer Herrlichkeit des eingebornen 
Sohnes, fondern baß er auch von Anbeginn an allen die an ihn 
glauben die Macht gegeben hat und noch giebt Kinder Gotted zu 
fein. An diefem Wunder können wir nicht genug fefthalten, in dies 
koͤnnen wir uns nicht genug vertiefen?! Jeder neue Blikk, den wir 
in daſſelbe thun, muß auch für uns ein Zuwachs fein an Weisheit 


und an Kraft; nur je mehr wir in daffelbe hineinichauen, defle _ 


mehr gewinnen wir felbft die Macht Kinder Gotte zu werben, 
denn in demfelben Maaße waͤchſt nur in und der Glaube, der bie 
Quelle der Seligkeit ift. Aber die Wunderthaten Chriſti des Herm 


felbft, von denn ums fo viele ausfuͤhrlich befchrieben werden in dr 


Gefchichte feines Lebens und nody mehrere, ohne fie genau zu bes 
fchreiben, in großen Maffen erwähnt werden? Diefe Wunder m. 
a. $r., fie hingen allerdings in ihm zufammen mit jenem großen 
Wunder: aber hinaustretend in die Gefchichte umb unter bie Er⸗ 
ſcheinungen bed menfchlichen Lebens waren fie von Anfang an von 
jenem getrennt und haben fich niemals damit vermengt. Zehn aus⸗ 
fäzige heilte der Erlöfer, und nur einer kehrte um auf daß er ihm 
die Ehre gäbe und fiel vor ihm nieder; die andern — fie blieben 
geheilt, fie waren ihreß leiblichen Uebeis febig, aber an dem geiſti⸗ 
gen Wunder bekamen fie feinen Theil. Biele gichtbruͤchige wurden 
geheilt, viele blinde ſehend, viele taube hoͤrten wieder: aber nur die, 
die noch eim andered Wort hörten als das, Gehe hin, dein Glaube 
hat die geholfen! mur bie, welche weit fie darnach bon Herzen vers 
Iangten auch das Wort hörten, Gehe bin, deine Sünden find dir 
vergeben, aber fünbige hinfort nicht mehr! nur diefe befamen ihren 
Theil an dem großen geiftigen Wunder Bone \ = ſchied fich bei⸗ 


" 40 


des von Anfang an; aber je mehr ſich das große geiſtige Bunber 
Gottes auöbreitete, um fa mehr verſchwand nach und nad jenes 
äußere. Es ging uoch über von der Perfon des Erloͤſers auf feine 
naͤchſten Sänger, aber wer noch nach diefer Zeit. fih rühmte Wun⸗ 
der zu thun, wie ber Exlöfer und feine Jünger es gethan hatten, 
der wirb uns, je fpäter wir dergleichen annehmen follen, im ber Ge⸗ 
ſchichte der Kirche um fo mehr verdächtig; unfichre Mähren, welche 
wenig ober gar feinen Glauben verdienen, find diefe Erzählungen, 
‚aber weil wir ihrer nicht mehr bebürfen für jenes große geiflige 
Wunber, Tann und auch ihre Wahrheit vallfommen gleichgültig 
fein. Aber die Verheißungen Chriſti, die er den feinigen gab, die 
fo groß und fo wunderbar Elingen? Ja mit diefen. m. th. Fr. bat 
es diefelbe Bewandniß; diefe find die wahre Fortfegung jenes gro- 
ßen geifligen Wunderd: aber bie Wunder, welche bie Jünger bes 
Herrn äußerlich thaten wie des Herr ſelbſt, die waren eben fo von 
jenem gefchieben wie bie feinigen. Was fagt er zu feinen Jüngern ? 
wenn fie Gift trinfen würden, fo muͤrde es ihnen nicht fchaben; 
wenn fie auf Schlangen treten würden, fo wuͤrden fie fie nicht vers 
legen; wenn fie Glauben hätten wie ein Senflom groß, wuͤrden fie 
Berge verfegen, und bad Meer werbe vor ihnen zurüffweichen. O 
wie herrlich find diefe Verheißungen in Erfüllung gegangen! in 
welchem großen und ganz anderen Maaße, ald wenn wir auf jene 
einzelnen wunderbaren. Begebenheiten fehen! Ob die Berge verfezt 
werben, dad kann und gleichgültig fein; aber wir ſchreiten barüber 
ald wenn fie nicht da wären! Wo ber Glaube die Jünger getrie⸗ 
ben hat bad. Wort bed Herm zu verfündigen, ba .hat ihnen Fein 
Berg zu hoch gefchienen und zu gefährlich; und bad Meer, eb if 
eine Straße geworben-um dad Wort zu entfemten Völkern zu brin- 
gen, auf der es nicht größere Gefahren zu hefichen giebt, ..alä. der 
ebene Boden unter unfern Süßen barbietet. Unb die Jünger bes 
Herrn, benen hätte es nicht ſchaden follen, wenn fie Gift trinken, 
wenn fie auf Schlangen treten würden? Wohl giebt es viele Zeug: 
niffe auch von folchen beſondern Bewahrungen in ber Geichichte der 
Apoflel ; wie fchüttelt ber Apoflel Paulus die Viper von feinen 
Händen, ba die umfichenden erwarteten, er würbe jeben Augenblikt 
des Todes fein, und wie manches andere ber Art ift nicht geiche 
hen! Aber doch iſt das nicht bie wahre Erfüllung ber ermuthigen- 
ben Worte Chriſti, ſondern Dies, daß bie feinigen wiffen, nichts 
ſchade ihnen, wenn fie auf feinem Pfade wandeln unb bem guten 
nachtrachten, daß mögen jie leben oder flerben fie immer des Herm 
find; das ift die große Erfüllung, dag wir fiher find ed auszurid: 
ten, wenn wir, wie wir ed heut gehört haben, . anlegen ben. Krebs 

















s a . 
ber Gerechtigkeit und ergreifen den Schilb des Gldubens, mit wel. 


dem wir ausloͤſchen alle feurigen Pfeile des Böfewichtd *); Dicke 
große Kortfezung des geifligen Wunders, welches feitbem ber Ser 


erfchienen: iſt nicht mehr aufhoͤren ſoll auf der Erbe, iſt unſer be⸗ 


ſchĩedenes Theil. 

Aber nun, ſollen wir von ben Lichte weg auf einmal in die 
bdunkelſte tiefſte Finſterniß hineinſchauen? Wohl muͤſſen wir es, 
wenn wir dad recht ind Auge faſſen wollen, was mit dieſem Wun⸗ 
der nicht zufammenhängt. So laſſet und denn herabfleigen zu den 
Vürftigften und verberbteften GBeftalten des menfchlichen Dafeins; 
laffet und - dahin gehen, wo die Erkenntniß Gottes am meiſten ver 
koͤſcht iſt, und ein leerer Wahn die Menſchen regiert; wo ſie am 
wenigſten von dem großen Zuſammenhang ber Werke Gottes. wiſſen, 
unter welche fie gefejt find, unb wo eben am meiften jened dunkle 
reiben des Geifteß leere Bilder hervorbringt. Da werben alle na 
türlichen Bebel, bie mit dem großen Gefez bes Lebens zufammen- 
bangen, gehalten für die Werke böfer den Menſchen feindfeliger 
Geifter. Wo num. diefer Stande gilt, da finden fich auch leicht 
Menſchen, die ſich dafür audgeben, daß fie im Stande feien bie 


Geifter zu beſchwoͤren; wo Die Menfchen am meiften gequält werben. 


von den Mebeln des Lebens und am wenigſten bie Kräfte der Na: 
tur beherrfehen um ihnen zu wiberflehen, o ba fehlt es niemals an 
Menſchen, die ſich rähmen der Erkenntniß geheimnißvoller Mittel. 
Und wie ed im großen iſt, ſo iſt es auch im Heinen. Die Eleinften 
Uebel-ängfligen viele unter und am meiften, weil fie am haͤufigſten 
wieberfehten, und wo bad. menfchliche Gemuͤth dieſen Weg einge 
ſchlagen hat, folfte es da wol an Berfuchen fehlen fich ihrer auch 
auf ſolche Weiſe zu entledigen? Wo ed darauf anlommt und vor 
einem unbebeutenden Uebel zu befreien und einen geringen Erfolg 


herbeizuführen, da kann man taufend Rathichläge vernehmen für ei _ 


nen, und von einem wirb jemand fagen können, baß er auch nur 
im geringflen mit der Sache ſelbſt zufammenhange. Das find vom 
großen bis zum- Beinen vom gefährlichften bis zum gleichgültigfien 
die manmigfachen Geftaltungen des wunderbaren, welches mit jenem 
großen Wunder Gottes gar nicht zufammenhängt... Ich fage ven 
dem gefaͤhrlichſten auf der einen Seite! Denn freilih, wenn fich 
der Menſch umgeben glaubt von geiſtigen Weſen, die er nicht ge: 
wahren kann, von benen ex weiter Feine Kenntniß hat, in deren 
Gewalt er ſich aber body befindet ohne zu wiffen wie: das freilich 
iſt ein gefährliches Nebel; denn je mehr Wahrheit ed gewinnt, um 


) Epheh 6, 14— 16. ° 


= 


deſto elender und nichtiger erſcheint ber Menfh, um befle mehr hin- 
‚gegeben der Furcht, um deſto weniger beffen froh was ihm mach 
übrig bleibt, weil ja bie Furcht ihm hindert fich beffeiben zu en 


feeuen. Bis zum fcheinbar gleichguͤltigſten, füge ich, auf ber anbern 
Seite! Denn warum follte man nicht gegen etwas nichtigeö auch 
etwas nichtigeö verfuchen, eben fo gleichgültig, ob es helfen werbe 
oder nicht, wie wir es bei allen Kleinigkeiten im alltäglichen Le 


lichen Kirche und ihrer Geſchichte gehört, wenn fie ſich mit bem 
Glauben an bad Evangelium vermiſcht; wenn was fo ber dunkel. 
ſten Geſtaltung des menfehlichen Lebens angehört wieder Gewalt ge 
winnen will auch in der Gemeine des Herm: was follen. wir dann 
fagen und thun? Und wie, wäre bad etwa nicht der Zell! Me 
trachtet nur biefen ganzen WBelttheil, wo jest am hellſten bad Licht 
der Wiffenfchaft leuchtet; wo am vielſeitigſten bad ganze Leben der 
Menfchen ausgebildet ifi; wo bie Kirche Chriſti am feſteſten gegrän- 
det fcheint; wo wir ben Glauben im feiner reinften Geflalt erbliften 
und bie wohlthätigfien Werke der chriſtlichen Eiche in großer enge 


nem Verderben! Da follen bie Leichname ber gläubigen Wunder 
thun; da fol die Inrufung diefer und jener verſtorbenen für dieſe 
und. jene Uebel eben ein ſolch Mittel fein, wie ber Aberglaube es 
fonft an feinen Zauberfprüchen findet; ba follen an gewiſſen Staͤt⸗ 
ten vor gewiflen Bilden Wunder gefchehen, und bad leiber nicht 
ohne Zufammenhang mit vielem was uns theuer iſt im ber chriſt⸗ 
lichen Kirche, nicht ohne Namen bineinzumifchen, Die unfere innigfte 
Ehrfurcht fordern, um dadurch auch dad heiligfte fortzureißen im dad 
Gebiet des verderblichſten Unweſens. Nein! dagegen follen wir uns 
überall erheben wie der Apoflel; wir follen nicht folche Vermiſchung 
dulden, daß das große Wunder Gottes und was irgend bamit zu⸗ 
fammenbängt hinabgezogen werde in dies unreine Element; wir fol« 
lem es nicht Deöwegen, vorzüglich beöiwegen nicht, weil es nie ohne 
Gefahr it für den Glauben, weil bad große Wunder Gottes ſelbſt 
an feinem Licht und feiner Kraft verliert, wenn es vermifcht wird 
‚mit dem, was fo den menfchlichen Geiſt verbienbet und irre leitet. 
Denn dad dürfen wir und nicht läugnen, da wo am meiflen ber 
Staube an folche wunderbaren Erfolge in der chriſtlichen Kirche ver 
giert, da ericheint audy nur gar zu vielen dad große Wunder Got: 

tes fo, ald ob es von berfelben- Art wäre. Wie jene alles natürli: 

hen Zufammenhanges ermangeln und nur willtührlich erfonnen find: 

fo fragt man denn auch wicht nach dem Aufammenhang zwiſchen 


der Erloͤſung Chrifli und unferer Seligkeit; fo bleibt man gern da⸗ 
bei fliehen, auch dies große Wunder felbft eben fo als eine Einrich⸗ 
tung ber göttlichen Willkuͤhr zu betrachten. Wenn jenes wunder: 
bare gewöhnlich zu Huͤlfe gerufen wird um gegen die Uebel des 
. Lebens geſchuͤzt zu bleiben: fo ift dann bei vielen auch der Glaube 
an ben Erlöfer nichtd anderes als die Hoffaung vor den Uebeln je: 
ned Lebens gefichert zu werben; als fei alled nur geicheben um und 
von der Strafe zu befreien, weiche die Sünde verdient, aber nicht 
‚um und zu befreien von der Suͤnde felbfi! als beflche fein Werth 
nur darin, dag wir ohne Furcht und Sorge unfers Weged wandeln 
und die irdiſchen Güter genießen können; aber nicht darin, daß er 
und erheben foll zu einer befeligenden Gemeinfchaft mit Gott. De: 
rum nun follen auch wir und immer aus allen Kräften dagegen 
ſtemmen, wenn irgend eine Verbindung gemacht wird zwifchen je: . 
nern wunderbaren, mag ed wahr fein oder. falich, und bem was zu 
unferm heiligen Glauben gehört. Sagt man nun vielleicht, das fei 
nur derjenige Schein der Sache, durch den die Menfchen geblendet 
wärben, welche nicht den wahren Zufammenhang fehen koͤnnten; 
alle Wunder, weiche die Keiber der gläubigen thun follen, ale Wun⸗ 
Der, welche vor ben Bildern heiliger Perfonen gefcheben, alle Wun⸗ 
ber, welche von Zeit zu Zeit von lebenden bewirkt werben, welche - 
fi) rühmen von Gott mit befondern Kräften ausgeruͤſtet zu fein, 
fie wären doch eigentlih Wunder des Gebetd. Nein m. th. Fr. 
laßt und auch dagegen feſtſtehen und mit Flaren Augen in das Licht 
der Wahrheit hineinichauen. Bete und arbeite! das ift das heilige. 
Band, weiches Gott gemacht hat; das ifl ed, wodurch das geiflige 
Leben mit dem leiblihen und irdiichen zufammenhängt. Ihr be: 
bauert diejenigen und gewiß mit großem echt, welche glauben, daß 
fie alles was dem Menſchen noth thut erreichen wollen mit der 
Arbeit und wenn fie gearbeitet haben fi) nun des Lohnes ihrer Ar- 
beit erfreuen. Die einen nämlich, nachdem fie ihre Glieder ange: 
firengt haben, wollen ſich dann ber leiblichen Erquiffung und Stär: 
tung erfreuen, welche fie ſich dadurch verfchaffen; die andern, nach: 
dem fie die Kraft ihred Verſtandes auf mancherlei Weile gebraucht 
haben, fuchen ihren Lohn darin, daß fie fich möglich alled aneig- 
nen, was der menſchliche Verſtand, indem er fich auf die Dinge 
dieſes Lebens richtet, ald Annehmlichkeit und Werichönerung deſſel⸗ 
ben hervorgebracht hat; enblidy andere, welche fich erhoben haben 
bis zu der höchfien Arbeit des Geiſtes in die Tieſe der Wahrheit 
einzubringen und nun biefer ihr ganzes Leben widmen, wollen fich 
jened höheren Gewinnes erfreuen, Daß fie fi erhoben fühlen über 
alle Furcht durch ihre Erkenntniß der Natur, daß fie frei find auch 


von ber fchlimmften nämlidy der Furcht vor dem Tode als ſolche, 

‚die ihm mit geifligem Auge befländig ind Angeficht fehen, frei auch 
von vielen Hoffnungen, beren fich andere Menfchen getröflen, bie 
aber fie ſelbſt für nichtig halten, und fähig fich ihrer ganz zu em: 
ſchlagen, weil fie leben im reinen Schauen der Wahrheit. Ach wir 
bedauern auch diefe legten, wenn fie Durch bie angeftvengtefle Arbeit 
nur ben Lohn folcher Kraft folcher Selbftentfagung gewinnen, aber 
die Seligleit des Zriedend mit Gott und bes Bewußtſeins der goͤtt⸗ 
lichen Liebe nicht kennen; dieſe bedauern wir. Aber laffet und auch 
die bedauern, welche alled erzwingen wollen durch das Gebet ohme 
bie Arbeit. Unb heißt es nicht in bad Gebiet der Arbeit eingreifen, 
‚wenn bad durch bad Gebet erreicht werben fell, was in das Gebiet 
der Beruföthätigkeit unferer Brüder fait? Iſt aber biefe noch nicht 
weit genug gediehen: fo fol der Menſch fich unterwerfen, bis er 
das Uebel bezwingen lemt durch feine Kräfte Dazu iſt und bie 
Noth auf ber Erbe gegeben, damit wir um ums fchauen unb wach 
werben, wo und bie Hülfe herkomme; und fo lange follen wir ber 
Moth dienen, bis unfere Kräfte fo weit entwikkelt find, bag fie uns 
-überall zur Hülfe gereichen; und auf biefem Wege foll ber Menſch 
-allmählig emporfleigen zur Herrſchaft über bie Erde durch Arbeit. 
Das Gebet ift Sache unferes geiftigen Lebens; es iſt die Unterhals 


tung unferer Gemeinfchaft mit Gott; es iſt das lebendige und fichere 


Gefühl, daß wie weit dad menichliche Leben auch noch in jener Bes 

ziehung zuruͤkk ſei doch ſchon jezt dad große Wunder Gottes an 
allen in Erfüllung gehen kann, und ihm alle auch angenehm wer: 
den können und ſich fättigen an feiner Liebe und an dem Bewußt: 
fein, daß benen die ihn lieben alles zum guten mitwirten muß. 
Wo aber folche Vermiſchung gemacht wird; wo das große Wunder 
Gottes umgewendet werden fol um ben irdiſchen Bebürfniffen zu 
dienen, bie wir nur auf bem Wege unfers Fleißes follen befriedigen 
lernen; wo ed zur Bekaͤmpfung der natürlichen Uebel bienen fell, 
deren wir nur Here werben follen, indem wir allmählig Herr wer: 
den über die Kräfte der Natur, — mo folche Vermiſchung gemacht 
wird: da leidet auch der Glaube Schaden. Und: felbft die, welche 
meinen, das fei feine Vermifchung, ihre Meinung gehe nur dahin, 
bag auch in diefer Beziehung denen befondere Kräfte von Gott ges 
geben feien, in welchen bad große Wunder Gottes ſchon geſchehen 
iſt: — wie? kann ſich jemand dafür verbürgen, dag bie, von denen 
geglaubt wird, bag ihnen wunderbares gegeben ſei mehr als andern, 
auch die feien, in denen eben jenes Wunder Gottes reichficher voll: 
zogen ift als in andern? wie? iſt das Verhaͤltniß nachzumweifen, wel: 
ches doch in dieſem Fall vorhanden fein müßte, daß die, welche am 





meiften in ber Kraft des Geiftes leben und mit jenen. göttlichen 
Baffen ruͤhmlich freiten für die geifligen Güter, auch am meiften 
ſolche Wunder thun, die fih auf das leibliche Leben beziehen? O 
biefe wuͤrden es nicht ber Mühe achten Zeit und Kräfte ſolchem 
Zhun zu weiben, ba fie zu anderem berufen find. Nein! laſſet 
und bem fo viel wir vermögen ganz und gar wehren und jede Ver⸗ 
mifchung dieſes Bebieted mit bem unferd Glaubens und dem Ge 
biet unferer Seligkeit aufheben. Bete und arbeite! das iſt das ein⸗ 
zige, was unfer Schuz fein fol! gegen alles, wogegen wir Schuz 
gebrauden!. Seibſt feine Pflicht thun und andere in ben Stand 
fezen, daß auch fie die ihrige thun koͤnnen; jedem, der dazu gefezt 
iſt einer Noth des Lebens. abzuhelfen, bie eigene Noth, die uns 
druͤkkt, vortragen unb ihn in ben Stand fezen, daß ex feine Pflicht 
thue, das übrige aber Gott anheim flellen: das ift bie einzige Res 
gel, welcher wir folgen ſollen. Dann. brauchen wir feines andern 


Wunders ald nur beöjenigen, in welchem wir immer leben, weben . | 


und find. 

Aber nicht nur follen wir jede Gemeinfchaft mit dieſen Wun⸗ 
dern aufgeben, fonbern wie ber Apoflel es that zu jedem folchen 
Geiſte follen wir fagen, Fahre aus! Wir follen es gebieten im 
Namen Chrifti, dag Feiner fi herausnehme wahrzufagen und Wuns 
der zu thun: Aber vermögen wir da8? Der einzelne freilich nicht 
anders ald jeder durch fein Wort und Zeugniß; aber wir find auch 
nicht einzeln, wir find in der großen Gemeinfchaft ber Kinder Got⸗ 
tes; und auch biefe follte e8 nicht vermögen? Wohl vermag fie ed 
Dadurch, Daß zuerft laut und öffentlich und überall wo «8 noth 
thut gefagt wirb, das wunderbare von biefer Art, was fi) und das 
fleüt, fei entweder nicht: wahr fondern falfch, oder wenn ed wahr 
iſt, fo erfcheine e8 und wunderbar, weil wir noch nicht tief genug 
eingedrungen feien in die Geheimniffe der Natur: und fo wie wir 
dies fagen, fagen wir zu jedem folchen Geift, der Wunderfraft in 
fi) zu haben meint oder vorgiebt, er folle ausfahren; denn ber Uns 
woiffenheit rühmt fich niemand, fondern ber befcheibet fich jeder. Und 
wein wir das feflhalten, daß jezt Fein anderes Wunder mehr iſt 
als jened große Wunder Gottes, daß wir alle andere begreifen 
ſollen als in dem großen Gefez der Natur georbnet und in ber 
Führung Gottes begründet, wenn wir es ſchon vermögen; vermds 
gen wir es aber noch nicht, daß wir ed denen zur Erforihung ges 
ben, deren Beruf es ift, und dann wenn ed erforicht ift Feine ans 
dere Anwendung davon machen, ald bie einem jeden offenbar werben 
kann, damit und nichts mehr flöre auf unferm ebenen und geraden 
Dege: dann thun wir dad, was der Apoftel gethan hat, ald er je: . 


ned Wort fprach, und das iſt ed, was auch und allen obliegt. Rem 
‚falfched Licht und kein falfcher Stanz werbe geworfen auf das 
Bunber Gottes in feinem Sohn! Nichts‘ werbe darin nichts werbe 
dadurch geſucht ald der Friede de Herzens, bad Heil ber Gere, 
die große ımvergängliche Gemeinſchaft des Glaubens und ber Liebe, 
bie zugleich die heilige Gemeinfchaft mit dem iſt, ber ba if über 
alle und in allem und durch alles. Unb - wenn wir uns fo 
von allem falichen Werthe befseien, den bie Geheishiffe des GSlau⸗ 
bens haben follen; wenn. wir diefe ſelbſt vom jeder irdiſchen Knecht⸗ 
ſchaft befreien — denn ed ift eine Knechtſchaft, wenn fie den irbi- 
fchen Zweiten bed Menſchen dienen follen: — um bdeflo mehr wer: 
den wir und ben Weg ebenen zum freubigen Genuß der Wohltha 
ten Gottes und zu jedem ihm wohlgefälligen Fortichritt in bey rich⸗ 
tigen Kenntniß und dem richtigen Gebrauch der Kräfte der Natur, 
über weiche er und gefezt hat, dag wir über fie bereichen follen. 
Über dad eine, um beffentwillen alleö andere ift, das iſt das Wun⸗ 
der Gottes in Chriſto: was wir durch dieſes vermögen in Treue, 
Kraft und Liebe, dad ift dad, wofür die Menfchen, je mehr es in 
ben Tag bineinleuchtet, um fo mehr auch Gott preifen werben, ber 
duch Chriſtum den Menfchen folche Macht gegeben hat. Amen. 


tied 319, 2. 10 








XXXVI. 
Am 2. Sonntage des Advents 1832. 


Lied 112. 111. 


Text. Ebraͤer 4, 35. 


Denn wir haben nicht einen Hohenprieſter, der nicht 
koͤnnte Mitleiden haben mit unſerer Schwachheit; ſondern 
ber verfucht iſt allenthalben gleichwie wir, doch ohne 
Suͤnde. 


M. hr. 3. Diele erfien Sonntage unſeres firchlichen Jahres, wie 
fie befonders beftimmt find zu ber Worbereitung . auf die würdige 
Feier der Erfcheinung unfered Erloͤſers in biefer irdifchen Welt, eig: 


nen fich eben deshalb auch ganz befonders dazu, daß wir gemein: 


ſchaftlich allgemeine Betrachtungen. anflellen über das Verhaͤltniß, 
welche obwaltet zwifchen ihm und und, und baß wir und diefes in 
feinen großen Zügen lebhaft vor Augen fiellen. Dazu gehört denn. 
ganz vorzüglich und wefentlich dieſes, daß er auf der einen Seite 
fein mußte einer von und ald der Anfänger und Vollender üunferes 
Gtaubens, als der, der und würdigte feine Brüder zu nennen; auf 
ber anderen Seite aber gefondert von allen Menichenkindern und 
weit erhaben über alle ald derjenige, in welchem bie Herrlichkeit des 
eingebormen Sohnes vom Water erichien, und ohne ben wir nicht 
könnten zum Vater kommen. Betrachten wir unſern chriftlichen 
Wandel im Glauben an ihn und die Art, wie fich unfere lebendige 
Gemeinſchaft mit ihm mehr und mehr entwikkelt und flärkt: fo fin: 
deu wir gewiß oe und wiſſen «8, daß unſer Glaube ſich nährt 


aus dieſen beiden Wurzeln. Aber wenn wir die Geſchichte ter 
chriſtlichen Kirche betrachten: fo erbliffen wir auch unter ben Be 
kennern beffelben Herm, bie e& nicht nur dem Namen nad) finb — 
denn wie kaͤmen fie fonft zu dem gleichen Glauben, zu den gleichen 
Hoffnungen, zu ber gleichen Kıyft der Liebe, durch die der Glaube 
thätig iſt, — aber unter biefen finden wir von Anfang an fdben 
und von einer Zeit zu ber andern fich unter verfchiedenen Geftatten 
erneuernd einen lebhaften Streit über eben biefe beiten Eigenſchaf. 
ten bed Erlöfers. Unb das iſt leicht genng zu erflären. Dem 
wenn wir ımd nun von bem Leben felbft in bie Betrachtung zw: 
rüffziehen und eines von jemen beiben abgefondert von dem anbern 
und vergegenwärtfigen und barüber nachdenken: fo wirb es faſt ei: 
nem jeben fcheinen, als ob indem ex bad andere hinzudenken wı 
er an bem erflen verlieren muͤſſe. Barum halten fi num unter 
den Chriſten fo viele ausſchließlich an der reinen Menfchheit des Er 
Löfers feft, und andere wieder ausſchließlich an feiner goͤttlichen 
Würde, und beide Theile find bereit bad andere um bes ihrigen 
willen auch ganz aufzugeben, wenn ed nöthig wäre. Alle Worte 
und Audfprüche der heiligen Bücher unferes neuem Bundes nehmen 
feinen Theil an biefem Streit und find nicht Urfache baren; fie 
halten fich alle näher an eben jene Unmittelbarleit des Lebens in 
. Chrifte, von weldhem fie das reinfte verftänblichfie und vollgüftigfle 
Zeugniß ablegen wollen. So ift es auch in unferm Tert. Leſen 
wir das beides, Er konnte Mitleiven haben mit unferer Schwach 
heit, er iſt verfucht worden wie wir ohne Sünde: fo muͤſſen wir 
und eben fowol nach dem einen wie nad) dem anderen von $enen 
beiden’ hinwenden; fo müffen wir ihm als einen unferes gleichen und 
zugleich unendlich über und erhaben erkennen. 

Und fo laßt und denn dieſe Worte in unferer Betrachtung ba: 
zu anwenden, daß wir uns überzeugen, wie in beidem wovon bier 
“die Rede. iſt beides, bie Gleichheit des Erlöfers mit uns 

und die Herrlichkeit bes eingebornen Sohnes vom-Ba: 

ter unzertrennlich mit einander verbunden ja eins ifl 
und Daffelbe. 


’ 1. Laffet uns zuerfl das ins Auge faflen, was unfer Teyt 
ausdruͤkkt mit den Worten, Er ift verfuht worden allenthalben 
gleichwie wir, doch ohne Sünde. 

Verſuchung und Suͤnde, wir haben alle befländig bie Erfah: 
tung davon, wie ſich beides zu einander verhält. Ueberall geht bie 
Verſuchung vor der Sünde her; eine Sünde, der nicht einmal eine 
Verſuchung voranginge, deutete freilich von der einen Seite angefe: 


28 


hen auf. eine um fo größere Gewalt des böfen und verberbten im 
Dem Menfchen, aber auf der‘ anderen Seite würbe und boch eine 
folche That nicht als ein eigener neuer Augenblikk, als eine friiche 
Aeußerung des Lebens, ſondern nur ald eine Nachwirkung von dem 
was fchon lange beftanden hat erſcheinen. Aber wie jedesmal der 
Suͤnde die Verſuchung vorangegangen iſt: ſo wiſſen wir auch, daß 
nur allzu oft auf die Verſuchung auch wirklich die Suͤnde folgt. 
Aber wo beginnt dieſe leztere? Wenn die Luſt, wie die Schrift 
ſagt, empfangen hat, und die Begierde iſt aufgeregt, ſie wird aber 
ehe ſie ihren Gegenſtand ergreifen kann zuruͤkkgedraͤngt durch die 
Macht des Gewiſſens; wenn auf die Seele ſolchergeſtalt eingewirkt 
worden iſt von außen, daß die Leidenſchaft in derſelben aufgeregt iſt 
und gegohren hat, aber es giebt eine Staͤrke des Willens, welche 
dieſe Wogen des Gemuͤthes anhalten kann und ſagen, Bis hierher 


und nicht weiter! und ſo wird ſie gebaͤndigt, ehe ſie noch in der 


Geſtalt in den Bewegungen in den Worten herausgetreten iſt: o ſo 
iſt das ein ſchoͤner Sieg; aber er iſt nicht ohne Suͤnde. Jene Be⸗ 
wegungen ſelbſt, ſie waren ſchon Suͤnde, und auf dem innerſten 
Grund der Seele bleibt ein dunkler Flekk zuruͤkk, den nicht ſo leicht 
etwas wieder abwaſchen kann. Ja wenn vor der Verſuchung nur 
uͤberhaupt ſchon irgend Suͤnde in uns geweſen iſt: ſo wiſſen wir 
auch, eine jede übt eine ſolche Nachwirkung aus, bag, wenn aͤhn⸗ 
liche Yale wieberfehren auch nach einem foldhen mühfam errungenen 
Siege, fle immer noch von ber früheren Gewalt ber Begierde und 
ber Leidenichaft eine größere Kraft empfangen. Ja wenn wir noch 
weiter zuruͤkkgehen: fo werben wir fagen müffen, es giebt ‘in dem 
menschlichen. Gemuͤth leider Vorbereitungen .auf die Suͤnde, welche 
ſelbſt noch gar.nicht ald Sünde erfcheinen aber ſchon wirkſam ſind, 
ehe uns auf dieſem oder jenem Gebiet unſres Lebens eine Verſu⸗ 
chung entſtehen kann. Haben ſich ſchon Gewoͤhnungen in einem 
gebildei, oder hat er ſich von manchem entfernt: wie nun ber Aus 
genblikk eintritt, ſo hat das eine oder andere eine Macht in der 
Seele, die ihn dann unwiderſtehlich faſt der Suͤnde anheimfallen 
macht. 

Was gehoͤrt alſo dazu, daß der Erloͤſer verſucht worden fein 
ſoll in allem, jedoch ohne Suͤnde? Alſo in dem innerſten ſeines 
Gemuͤthes nirgends eine. folche Bewegung, welche der in dem Au⸗ 
genblikke darauf wieder erwachende Geiſt hätte dämpfen müflen ober 
mißbilligen; alfo von der erſten Kindheit an in feinem Leben Feine 
folche Gewöhnung an das, was den Menſchen fpäterhin zur Sünde 
reizt und. lokkt, keine folhe Entwöhnung und Entfremdung von- 
dem, was ihm befchwerlich ift und feine Trägheit gefangen nimmt. 


4 








430 

So mußte er fein um verfucht werben zu innen in allem, aber 
ohne Simbe. 

Was aber m. a. Fr., was bleibt wol übrig, was wir Dann 
noch in feinem Leben und in den Bewegungen feiner See Werfe- 
jung nennen koͤnnten? Seine menſchliche Seele — das zeigt ſich 
in dem ganzen feiner Erſcheinung, wie fie und in allen einzelnen 
Zügen feined Lebens zu Tage liegt; dab ift auch ſchon darin and 
gefprochen, wenn von ihm gefagt wird, er fei Fleiſches und Blutes 
theithaftig geworben wie alle Menfchen; er fei uns gleich geworben 
in allem ausgenommen die Sünde, — feine menfchliche Seele, fage 
ich, hatte diefelbe Beweglichkeit in allen Stüften, welche die 
bat; der Gegenfaz von Luft und Unluft, von Freude unb Schmerz 
wie in der unfrigen, war auch in feiner Seele: unb in ſolchen Ge 
genfägen feine Kraft bewähren müffen, das heißt verfucht werben. 
- Alles alfo, was uns innerlich bewegt und fo bag und hernach da: 
raus die Suͤnde entficht, dad bewegte ihn auch, aber ohne daß die 
Sünde in ihm entfland. Er konnte fagen, Deine Sede iſt betrubt 
bis zum Tode *): aber in biefer Bettuͤbniß war feine Spur von 
einem Willen ober auch nur einem Wunſch nur einen Schritt zu: 
rüffthun zu dürfen auf bem Wege, der ihm vorgefchtieben war. Er 
konnte fagen, Ich danke dir Water, daß du es verborgen haft vor . 
den weifen und haft e8 ben unmünbigen offenbaret *): und in die 
fen Ausſpruche finden wir ben Ausdrukk einer reinen Freude daran, 
daß das Evangelium durch ihn den armen verkuͤndiget wurde: aber 
in dieſer Freude keine Spur von Abneigung, Widerwillen, Feind⸗ 
ſchaft gegen diejenigen, die da aufgeblaͤht waren in ihrer Weisheit 
und ihn von ſich fließen; feine Abneigung auch ihnen auf ihre Fra⸗ 
gen zu antworten; feinen Wunſch, daß ed auch fo bleiben möchte, 
‚ und fie immer möchten ausgefchtoffen fein von dem Genuß feiner 

. Güter. Er wußte, daß er gekommen fei ein Feuer zu entzuͤnden 
und wönfchte freilich, baß es bald brennen möge: aber der Munich 
wurbe zu feiner Ungebuld über den langſamen Weg, ben der Batır 
für feine Sache beftimmt hatte. Unb fo war er auch dußerlich al- 
fen Wechſeln des Lebens audgefezt, die und bewegen, und wenn dad, 
dann auch uns verfuhen. So weit alfo als fie eine foldye Un: 
gleichheit in daB irdiſche Leben bringen, die und andere vom rechten 
Wege verlofft, verfuchten fie ihm auch: aber Suͤnde entfland nicht 
daraus. Er ging durch gute und boͤſe Gerlchte, bewundert als ein 


4 








*) Mati$. 26, 38. 
) Matcth. If, 35 


45 

Prophet, angeflaunt ald Wunderthaͤter, geringgeſchaͤzt als einer ber 
die Schrift nicht wife, beargwohnt als ein Werführer des Wolter 
aber jenes erregte ihn nicht zu Eitelfeit und Uebermuth, und dieſes 
vermochte nicht ihm einzufchlichtern.. Er mußte bald nicht, wo er 
fein Haupt hinlegte, weil er vermieden wurde und binweggewünfcht: 
aber niemals konnte ein folcher Zuſtand feinen Muth lähmen oder 
feine Freudigkeit flören. Er fand ſich oft gepflegt in feinem irdi⸗ 
fchen Leben unb getragen von den Händen zarter Liebe und Vereh⸗ 
rung: aber ohne die mindeſte Spur von Werweichlichung feines Ges 
müthed wer er immer ba wo er war nice weil es ihm wohlging, 
fondem weil fein Beruf es fo mit fih brachte. Er hatte Mangel 
bier und Ueberfluß dort, er fühlte diefe Ungleichheit des irbifchen Bes 
bens wie wir: aber auf bie fich gleichbleibende Aeußerung feiner 
geifligen Kraft, auf den Blikk, mit dem er immer fchaute auf bie 
Werke, bie ihm fein Water im Himmel zeigte, hatte dieſe Ungleich 
heit keinen Einfluß; in keinem Augenblikk war er verbroffen ober 
mißmuͤthig, ſeine Freudigkeit ſein Gehorſam ſeine Liebe, Alles blieh 
ſich immer gleich. 

Das m. th. Fr., das iſt das Verſuchtſein des Erloͤſers ohne 
Suͤnde. Wenn wir es begreifen wollen, ſo koͤnnen wir es nur, in⸗ 
dem wir das Menſchenkind zugleich betrachten als das Fleiſch ge 

wordene Wort, in welchem die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes 
vom Bater erſchien; als den, ber vom ſich ſagen konnte, ba er eins 
fei mit bem Water; ald den, ber dad große Wort von fich fagen 
durfte, daß er nicht3 aus ibm felbft thue, heun was der Menſch 
aus ihm: felbft heraus thut, das trägt auch die Spuren der menſch⸗ 
lichen Schwaͤche nicht. nur fondern dev menschlichen Gebrechlichkeit 
an fih: fonkem alles, was er that, bad that er aud dem. reinen 
Gehorſam gegen dad ihm offenbazte und in: ihm lebende Gebot, ges 
gen den Willen feines Waterd, ders ex immer vollbrachte. 


IL Und eben biefes führt und nun zu dem zweiten heile 
unferer Betrachtung, wie nämlich der Werfaffer unferes Briefes in 
den Borten unfered Zerted fagt, Wir bonnten nicht einen ſolchen 
Hohenprieſter haben, der nicht hätte Witleiden haben koͤmen mit 
unſerer Schwach heit. 

Das war eben. bad wahre Ergebniß von feinem Berfuhtwon 
denfein in allem, doch ohne die Suͤnde, daß er nun auch lonnte 
Mitkeiden haben mit unferer Schwachheit. Wenn aber unfer Text 
das fo ausdruͤkkt, Wir konnten nicht einen ſolchen Hohenpriefter 
haben, der nicht hätte Mitleiden haben koͤnnen mit unferer Schwach⸗ 


heit: fo fehen wir daraus beutlich, er hat babei eines andern De 
benpriefterd gedacht, von welchen eben biefed allesdingd gefagt wen 


ben konnte. Unb fo fland es eben mit dem aus ben Menſchen ge 
nommenen Hobenpriefter bed jüdifchen Volks, wit dem ber Werfaf 
fer den Erlöfer in diefen Worten und an vielen Stellen ded Brio 





feö vergleicht. Diefer war ſchon durch feine Geburt zu dem ge 


gen Beruf beſtimmt ber Vermittler zu fein zwilchen Gott unb dem 
Volke, und deshalb von Kindheit an anders betrachtet und geleitet 
als andere. Durch ihn: follten alle Wünfche alle Opfer. und Gaben 
des Volkes dem Hoͤchſten dargebracht werden; denn bie amberem 
Priefter und diejenigen, welche den Dienft verfahen in den gerin 
geren Sefchäften deö Tempels, waren nur feine Werkzeuge und ge 


borchten feiner Anordnung. Perfönlidy aber war er dagu berufen 
dad allgemeine Opfer der Verföhnung an dem einen großen Tage | 


des Jahrs barzubringen für alle noch unerlannten unb noch amge 
bußten ‚Sehltritte .ded Volks; aber zugleich war er aud fo fehr auf 
gefondert und getrennt von dem übrigen menfchlichen Leben, baß er 
keine unmittelbare Anfchauung hatte von denjenigen Zuſtaͤnden ber 
Menſchen, welche ed am meiften notbwendig machen Gebet und 
Zürbitte um Bergebung vor Gott darzubringen. Darum galt nun, 
weil das ihm felbft fo fremd und fern fland, auch von ihm bad, 
was die Schrift von dem Wolke felbft fagt burdy ben Mund ber 
Propheten, Dieſes Volk naht mir mit feinen Lippen, aber fan Herz 
- if ferne von mir. Er mußte freilich zuerſt für ſich und feine eig 
nen Sünden Gott Opfer darbringen; aber auch fo, und ohnerachtet 
hiedurch dad Bewußtſein in ihm genaͤhrt wurde, daß auch .er ein 
ſindiger Menſch ſei, war es doc, fo gut als gar nicht mitderwikkelt 
in die Sagen noch mitergriffen von allen den Beweguugen des Ge⸗ 
muͤthes, die aus ber: Noth der Erde, von allen den ſuͤndlichen Re 
gungen, die aus ben Verhaͤltniſſen des Wetteifers und des Streites 


unter den Menſchen hervorgehen. Denn über das alles wer er 


weit erhaben und fland auf einer Höhe, art bie kein anderer reichte. 
Darum num waren auch feine Gebete nur Worte, unb ſeine Dpfer 
die er darbrachte nur Gaben, von benen ber Verfaſſer unſeres Brie⸗ 
fe ſagt, Sie vermochten nichtö anderes ald nur ein‘ Gebächiniß ber 
Sünde zu erhalten ). Einen ſolchen Hohenprieſter ſollten und 
konnten wir nicht haben, ſonſt wären auch wir nicht weiter gebie 
ben, und immer wäre das menfchliche Geichlecht auf bemfelben 

Sekt geblieben nichts vor Gott beingen zu können als das immer 


Hebr. 10, 3. 


483 
. woieber fi) ermeuernde Gebächtniß "der immer wieber begangenen 
Sünden, und immer hätte die Sünde diefelbe Gewalt ausgeuͤbt 
über die menichlichen Gemuͤther. Damit nun ber Erlöfer ein folches 
vollkommenes Mitgefühl Haben konnte mit unferer Schwachheit, weit . 
unterfchieden von jenem Hohenpriefter feined Wolke, dazu nahm er, 
wiewol er mit diefen Gaben und Kräften auögeflattet auch aͤußer⸗ 
lich gleihfam Gott ähnlich Hätte unter den Menfchen wandeln koͤn⸗ 
nen, aber darum mußte er ftatt deſſen Snechtögeftalt armehmen, um - 
gleichſam in dad volle Gewühl der Menfchen mitten hinein gewor- 
fen zu werben und bie mancherlei Art wie fie fich: verirrten, alle 
die. Wege, welche die verlornen Schaafe feines Volkes einfchlugen, 
mit feinen eigenien Augen zu fehen. Und weil er’ in fich felbft zwar 
dad Bewußtfein hatte von ber Kraft, die ihn immer zu feinem 
Bater und zu dem Anichauen von befien Werten und defien Willen. 
emporhob und ihm eben daburch auch Uber die Sünde .erhob, zus 
gleich aber dieſelbe Beweglichkeit des .menfchlichen Gemäthes in ſich 
trug: darum konnte er eine klare Einſicht davon haben, woran «8 
und fehle, und ein lebendiges Mitgefühl mit unferer Schwachheit. 
Schwachheit ift Mangel; und wie er in fich den Reichtum und 
die Fülle der göttlichen Macht inne wurde in feinem ganzen Da⸗ 
fein, fo Eonnte er in den Verirrungen der Menfchen, wie ihnen jede 
auch die Heinfle Verſuchung zue Sünde wurde, darin konnte er das 
erfennen was ihnen fehlte und was er allein ihnen. zu geben im 
Stande war. ee | 

Das war dad Mitgefühl, welches er haben Eonnte mit unferer 
Schwachheit. -Er konnte ed fühlen aus ber Gleichheit feiner menfch- 
lichen Seele mit der unfrigen, aus ber Gleichheit der Bewegungen, 
die in ihm waren wie in und, aber in.und einen anderen Auöfchlag 
nehmen ald in ihm, weil .in ihm bie Züulle der Gottheit wohnte, 
die und fehlt, indem die Menſchen alle abgewichen waren von Gott 
und des Ruhmes ermangelten, ben fie vor Gott. haben. follten. Und 
wie eben. deswegen, weil jener Hohepriefter des jüdifchen Volks nicht 
folches Mitgefühl haben konnte mit ber Schwachheit. feiner Brübder, 
auch feine ‚Gebete nur Worte waren und Worte blieben: fo war 
im Gegentheil dieſes Mitleiden des Erlöfers. die Zurbitte, mit der 
er und ald unfer Hoherpriefter vertrat, nicht Worte und Empfin- 
bung fondern That. So wie dad Opfer, welches jener darbrachte, 
nichts anderes konnte ald ein Gebächtnig ber Sünde fliften: fo war 
deffen, -der da Mitleid haben konnte mit unſerer Schwachheit und 
zugleich fich in dem menfchlichen Leben bewährte. ald in allem ver: 
fucht aber ohne die Simde, unferes Gobenpriefen Opfer fein gan⸗ 

UI. e 


4% 


zes Lehen, welches er darbrachte für ıwnfere Suͤnde, nicht um cm 
Gedaͤchtniß derſelben zu ſtiften, ſondern auf daß feine Kraft in uns 
überginge durch den Geifl, welchen er ben feinigen fanbte, und wir 
nun in der Gemeinfhaft mit ihm vom feinem Leben durchdrungen 
würden und in bemfelben geheiligt wären vor Gott, und als eins 
mit ihm auch fo wie er ſelbſt freien Zugang hätten [> dem Bater. 
Einen ſolchen Sohenpriefter m. a. 3. mußten wir haben! Aber 
wolan, wie er unſer Hoherpriefter iſt, der einzige welcher den Nas 
men verdient, Der einzige Mittler zwiſchen Gott und ben Menfchen 
und ber, deſſen hoheprieſterliche Verrichtung ewiglich gilt: fo find 
. auch wir dazu berufen ein prieſterliches Voll zu fein. Er war m 
allem verfucht wie wir, aber ohne die Sünde; wir werden verfincht, 
und wir fallen. Aber halten wir feſt an ihm, fo flehen wir. auch 
immer wieber auf; und je mehr ſein Leben in und übergeht, um 
deſto mehr auch wächft die Kraft, die er und mittheilt, und die 
und allein von ihm kommen konnte; um deſto leichter fiehen wir 
wieber auf, um deſto feltener allmählig fallen wir, und um beflo 
größere Gewalt erlangen wir auf biefem Wege über alled, was ms 
verſucht und und gewöhnlich zur Sünde führt. Und alſo erbauen 
wir und in feiner Kraft gemeinfchaftlich zu einer folchen Stadt auf 
dem Berge gebaut, auf dem wahren bimmlifchen Zion, weiche ftch 
nicht verbergen kann. Da follen ohnerachtet aller menſchlichen 
Schwäche und Gebrechlichkeit die guten Werte die gottgefälligen 
Thaten entiichen, welche die Gemüther der Menſchen lokken ben 
Bater im Himmel zu preifen, daß er den Menfchen ſolche Macht 
gegeben hat, die da ruhet in feinem Sahne — Wir find ſelbſt 
der Schwachheit unterworfen, mit ber er nur Mitleiden haben 
fonnte! aber wenn wir fell an ihm halten: fo giebt es doch auch 
bald etwas, was hinter uns liegt, und was wir vergeffen bürfen, 
dafern wir nur niemals aufhören und zu fireffen nad dem, was 
vor und liegt. Erſtarken wir in bem Glauben an ihn; zeigt ſich 
feine Kraft mächtig in ben ſchwachen; ſiegt immer mehr ſein Geiſt 
in und über die Gewalt des Fleiſches: dann verwandelt ſich audı 
in und das Bewußtiein ber menfchlichen Schwahheit und das ei 
gene Leiden an berfelben immer mehr in dad priefterliche Mitgefühl 
mit denjenigen, bie noch von flärkeren irdiſchen Banden gefeffeit 
find. In feinem Dienft reichen wir ebenjo den fchwachen bie Hand, 
wie er die feinige dem ganzen menfchlichen Geſchlecht gereicht hat; 
und als feine Diener in dem geifligen Tempel Gottes laden wir 
die Menfchen ein mit der Stimme feiner Liebe, dag fie zu ihm 
kommen follen, bie mübfeligen und beladesen, um Ruhe und Er: 











435 


quikkung zu finden für ihre Seelen. Dann erft wird es uns im⸗ 
mer anfchaulicher, wie recht der Apoftel hat zu fagen, Alles ift 
euer! Auch dad wird immer mehr unfer, wodurch er fi} über alle 
erhebt; auch in und wirb die felige Gemeinfchaft mit Gott unferem 
himmlifhen Vater immer genauer; auch in und fühlen wir bann 
nur fein Leben und fprechen wahrhaft, Das was wir leben, bad 
leben wir in feinem Geift und nicht mehr im Zleifch: und dann 
ift fein Opfer, dann ift fein hoheprieſterliches Gebet auch an uns 
erfüllt, und dad Wort erhört, daß wir eins find mit ihm, wie er 
es ift mit dem Water. Amen. 


eied 101, 6— 8. 


Ee2 


XXXVIL 
Am Neujahrstage 1835. 





Lied 648, 1—3. 834. 


Test. Rom. 15, 1—3. 


Wir aber, die wir ſtark find, follen der ſchwachen Ge: 
brechlichkeit tragen und nicht Gefallen an und felber ha⸗ 
ben. Es ſtelle fi) aber ein jeglicher unter uns alfo, daß 
er feinem nächften gefalle zum guten, zur Beflerung; 
denn auch Chriftus nicht an ihm felber Gefallen hatte. 


M. 0. 3. Ich kann mir wol denken, baß vielen unter euch bie 
verlefenen Worte erfcheinen werden, als hätten fie doch einen zu 
befonderen einen zu fehr in bad einzelne gehenden Inhalt für einen 
Tag wie der heutige, ber und mehr auf dad gemeinfame, auf ba3 
was allen angehört und allen obliegt Hinführen fol. Aber lafet 
und nur und über ben Zwekk unferer Berfammlungen an einem 
Tage wie der heutige verfländigen. Freilich ſoll vorzüglidy das fo: 
wol unfere Gedanken befchäftigen ald auch ber Gegenfland unferes 
Gebetes zu Gott fein, was allen angehört, bad gemeinfame unferes 
riftlichen fo wie unferes bürgerlichen Lebens: allein fehen- wir auf 
das leztere, fo fol doch gewiß nicht basjenige uns am meiften am 
Herzen liegen, was mehr äußerlich ift und leiblich, fonbern biele 
doch immer nur um des geifligen willen, unb eben fo iſt es mit 
dem erften; aber auch nicht dasjenige, was bie Sache bed einzelnen 
iſt an und für fich, fondern biefes immer nur in dem Maaß, als 














Fi 


437 


e3 zufammenwirdt zu bem gemeinfamen. Und eben diefe Betrach⸗ 
tung war ed, die mich feftgehalten hat, ald ich mit Neujahrögeban: 
Een erfüllt zufällig wieder auf dieſe Worte des Apoſtels kam; und 
ich wollte nur, meine Rebe koͤnnte recht durchdrungen fein, euch 
allen recht empfehlen und einfchärfen das fehöne Wild des Friedens, 
welches mir vor ber Seele fand in biefer Beziehung, als ich mir 
diefe Worte aneignete. Ich dachte, wenn wir nun genreinfam Dant 
und Gebet vor Gott bringen, wie beibed immer zufammengehört 
am Anfange eined neuen Jahres; wenn wir erleuchtet Durch Das 
Zurüftfehen in die Vergangenheit und durch ein klares Bewußtſein 
‘der Gegenwart in die Zukunft hinausfchauen: was Fünnen wir an: 
ders ald den Dank gegen Gott übenwiegen lafien! Sind wir nicht 
ein gluͤkkliches, ein wohlbehaltened Wolf, wir mögen und anfehen 
aus dem einen oder aus bem anderen Geſichtspunkt? Wohnt nicht 
das Wort Gottes reichlich unter und; hat fich nicht das Gefühl für 
die Segnungen deffelben aus einem faft erfiorbenen Zuſtande wieder 
ſowol flärker hervorgehoben als auch weiter verbreitet? Und wie 
überall unter der Leitung Gottes, wenn in menfchlichen Dingen aus 
dem alten ein neues wirb, bad neue einen größeren Reichthum goͤtt⸗ 
licher Gnade in fich ſchließt als das frühere, und bad gilt aud), 
wenn das göttliche eine Zeit lang niebergebrüfft erſchien: müffen 
wir es nicht geftehen, daß ber chriftliche Glaube, daß die auf das 
Bild des Grlöfers gegründete und an ihm haltende Froͤmmigkeit 
ebler freier von dem Joche des Buchſtaben erftanden iſt, ald fie ed 
vorher unter und war? Müffen wir nicht baffelbe fagen, wenn wir 
auf unfern buͤrgerlichen Zuſtand fehen, von jener Beit der Demüthi- - 
gung, die noch nicht ein Menfchenalter hinter und liegt? Iſt nicht 
auf biefem Gebiete ebenfalls neues und beflered hervorgegangen aus 
jener Zerſtoͤrung? Iſt nicht eim lebendigered Bewußtfein von un: 
ferer Zufammengehörigkeit in und; find micht abgefchliffen fo viele, 
trennende Ungleichheiten, und ein feſteres Band ber Gemeinſchaft 
uͤber alle Theile verbreitet? So ſind wir denn ſolche, die nichts 
anderes brauchen in unſerem kirchlichen ſowol als buͤrgerlichen Le⸗ 
ben, als nur daß uns Gott erhalte auf der Bahn, auf der wir 
wandeln, ſo daß wir uns eines ungeſtoͤrten Fortganges erfreuen 
koͤnnen, und der Saame des dunkeln und des verderblichen, der 
freilich noch nicht ganz ausgerottet iſt, wie er niemals aus dem 
Boden dieſer Erde ausgerottet werden kann, daß der ſich nicht wie⸗ 
der kräftiger zeige und unſer Leben aufs neue flöre und trübe. Al⸗ 
les dieſes nun m. a. Fr. hat mic an den Worten unfered Terted 
feflgehalten; fie find mir erfehtenen durch die Regeln, welche fie. und 

"geben, als bie einzigen und wefentlichen Bedingungen 


438 

unter denen wir amd folche ungeflörten Kortfchreitens im 
unferem kirchlichen und bürgerlichen Leben, in dem goͤtt⸗ 
lichen und menſchlichen Theil unferer Angelegenheiten erfreuen Ein: 
nen. Und auf diefe Zeile laſſet Fe uns denn ist näher erwägen. 
Es if eine Warnung, bie und ber Apoſtel giebt, und es iſt eime 
Ermabnung, ble er und ertheilt. Die Warnung lautet fo, daß 
wir nicht follen Gefallen haben an. uns ſelbſt; die Ermahnung lau⸗ 
tet fo, daß ein jeglicher feinem naͤchſten gefalle zur Bieflerung. Laſſet 
. um beide mit ihren natürlichen Folgen zu dem vorgeſtellten Zweite 
in Erwägung ziehen.. 


L. Alſo zuerſt m. a. 3. bie Warnung des Apofleld, Es fol 
Beiner unter und Gefallen baben an ihm ſelbſt. Ich weh 
wohl, daß gegen dieſe Vorſchrift mancherlei Einwendungen gemacht 
werben können, und ed wäre wol Gefahr, Daß fie uns auf Seban- 
ten führten, die wenn gleich tieffinnig unb wahr body für einen 
Tag wie ber heutige zu weit entfernt liegen von der Unmittelbar: 
keit des Lebens. Man könnte fagen, wir follen nicht Gefallen be: 
sen an uns felbft, aber bad Gefallen wird doch nicht ganz und gar 
verboten. Wenn bad alfo doch flatt finden darf, daß wir an etwas 
Gefalten haben: wie faun denn wol, ohne daß wenigfiend eine ln: 
wahrheit barin wäre, ganz und gar verboten werben bad Gefallen 
haben an ihm ſelbſt? Denn der Gegenfland bed Gefallens fell hoch 
dad gute fein, und wenn wir nun deſſen bei und finden, was an: 
deren fehlt, dürfen wir auch dann nicht, oder vielmehr können wir 
uns alsdann Überhaupt enthalten Gefallen zu haben an und ſelbſt? 
Aber eben weil bad fo gefährlich ift, fo hat es nie an folchen ge: 
fehlt, welche herber als die Lehre bed Evangeliums lautet das Wohl: 
gefallen ganz unb gar ausſtreichen wollten aus dem menfchlichen 
Leben. Der Menſch fagen fie fol nur zweierlei, denken ſoll er das 
wahre, thun fol er das gute; aber Wohlgefallen haben ober Mif- 
fallen an etwas ift Feines von beiben, weber Denfen noch Thun, 
und würde alfo nur ein leerer Augenblikk fein in feinem ohnedies 
fo kurzen Leben, ein Augenbliff, durch den weber bad wahre noch 
das gute könnte gefördert werden. Das iſt eben jene Ziefe, in die 
ich mich nicht gern verlieren möchte; aber doch duͤrfen wir diefen 
Gedanken, weil er fo fehr die Wahrheit des Evangeliums trifft, 
nicht abweifen. Ich frage alfo zuerſt, follen wir und etwa entſchlie⸗ 
gen zu beflehen in der Welt, fo bag wir dad wahre erlennen und 
und von dem falfchen entfernt halten, bad gute thun und das boͤſe 
überwinden, ohne bie Stimme des Gewiſſens? Das wirb feiner 
wagen wollen! und was ift- diefe anders ald Wohlgefallen auf der 











439 


einen Seite und. bMißlellen auf der andern? Und koͤnnen wir uns 
das hoͤchſte Weſen, auf welches wir doch ganz gerichtet ſein ſollen 
mit unferem Tichten und Trachten; welches uns fo erfüllen fol, 
Daß wir jeden Augenblikt, wo wir ganz fern von bemfelben wären, 
und es uns ganz fremb wäre und verfchloffen, micht nur fuͤr lerr 
halten müßten fondern auch für verderblich für alle folgenden: koͤn⸗ 
nen und follen wir und das höchfte Wefen anderd denken, als wie 
Die heiligen Bücher deö neuen Bundes «8 und hefchreiben, Gott ift 
bie Liebe; und giebt ed eine Liebe ohne Wohigefallen? Und Eönnen 
wir, die wir ben Namen des Erloͤſers bekennen und auf ihn unfer 
Heil baum, können wir von ihm anders denken als wie und gefagt 
wird von jener bimmlifchen Stimme, Das iſt mein lieber Sohn, 
an bem id) Wohlgefallen habe? Nein, das koͤnnen, das duͤrfen wir 
nicht! Alſo duͤrfen wir auch nicht das Wohlgefallen ausſtreichen 
aus den Beſtandtheilen unſeres Lebens. 

Aber wenn nun das nicht m. a. Fr., wie ſollen wir alſo das 
verfiehen, daß Feiner folle Gefallen haben an ihm felbft? Laſſet 
und zuerft nur bemerken, in weichem Zufammenhang der Apoftel 
Diefe Regel giebt, aber ums auch biefen Bufammenhang ganz und 
ungetheilt vorhalten. Er ftellt es freilich nicht auf unmittelbar als 
‚eine allgemeine Regel, fondem, wie wir ed auch vernommen habeıt, 
im Bufammenhange bamit, daß er einige die. flarfen nennt und an- 
dere die ſchwachen und ben erſten auflegt, fie follten bie Laſt der 
anderen tragen und eben deswegen nicht Gefallen haben an ihnen 
ſelbſft. Das führt und nun zuruͤkk in jene Zeiten ber chriftlichen 
Kirche, als überall faft ein Zwieſpalt auöbrach unter den Chriften, 
welcher der Einigkeit des Geiſtes gefährtich zu werben drohte. Es 
war der Streit zwifchen denjenigen auf ber einen Seite, bie in * 
Strenge des juͤdiſchen Geſezes erzogen die ganze Art und Weiſe des 
Lebens, welche dieſes vorſchreibt, auch in das chriſtliche Leben uͤber⸗ 
tragen wollten, und denen auf der anderen Seite, welche in dem 
Bewußtſein der Freiheit ber Kinder Gottes — wie fie auch in un- 
ſerer heutigen epiſtoliſchen Lertion *) beſchrieben iſt, dag wir nicht 
mehr unter bem Zuchtmeiſter ſtehen, unter Dem Gefe; und unter den 
Sazungen — doch wieder in Gefahr waren ſich in eine Zuͤgelloſig⸗ 
keit zu verirren, wobei. ihnen ebenfalld ber echte Segen bed Evan: 
geliums. verloren gegangen wäre, fo wie jene fich beffelben auch 
nicht hätten erfreuen koͤnnen, wenn fie in ihrem knechtiſchen Geift 
geblieben wäre. In dieſem Zwieſpatt nun nennt der Apoſtel die 


*) &al..3, 23. 29.6 


einen bie flarfen unb bie anberen bie ſchwachen. Indem er ſich 
nun felbft zu den flarken zählt fagend, Wir die wir ſtark find: fo 
wiflen wir, auf welcher Seite er in biefer Beziehung fand. Aber 
iſt es nicht überall fo! Wo aus einem gemeinfamen ein 
Zwiefpalt hervorgeht, ber eine gewiſſe Verbreitung gewinnt: dba 
kann e8 nicht anders fein, jeder Theil hält fich für flarl umb den 
andern für ſchwach; und fo wirb denn bie Hegel des Apoſtels von 
felbft wieber eine allgemeinere, als es auf ben erflen Anblikk fchien. 
Erleben wir es nicht auch fo unter und in beiderlei Beziehung 
m. a. Fr.? Die einen fagen, wir find bie flarten im Glauben, 
Fark dazu, daß wir unfere Vernunft gem und leicht gefangen neh⸗ 
men und wohl wiffend, bag wir uns felbfi nicht trauen koͤnnen, 
deshalb nur um fo mehr feſthalten an der überlieferten Lehre, welche 
der Zeit angehört, in ber das Licht des Evangeliumd wieder heller 
aufglänzte aus ber Finſterniß. Unfre Gegner, fahren fie fort, wäh: 
nen ſich flark zu fein im Geift: aber was ihnen ald Stärke er 
Scheint, iſt eben nur bie Schwachheit des Glaubens, es iſt bie 
Schwachheit ihrer Anhänglichkeit an dem, worin doch allein das 
wahre Heil beruht. Und biefe wieberum, was fagen fie anders als 
freilich eben biefed, fie wären ſtark im Geift feflzubalten den Geif 
des Evangeliumd und ihn zu fondern von dem ertöbienden Buch⸗ 
Haben menfchlicher Lehre und Sazungen, aus welcher Zeit fie auch 
kommen mögen; jene aber, fügen fie hinzu, wären eben ‚Deswegen 
ſchwach, weil fie ſich bewußt wären nicht fo ſelbſtſtaͤndig zu fein, 
Daß fie es wagen koͤnnten fich loszumachen von ben Feſſeln bes 
Buchſtaben. Und auf der Seite des bürgerlichen Lebens giebt es 
nicht auch unter und folche, die fich für die ſtarken achten, ſtark 
mitten unter allen Stürmen der Zeit feflzuhalten an allem guten, 
was wir exerbt haben von unferen Worfahren; andere aber um fie 
ber feien ſchwach, ſchwache Seelen nämlich, die fi) hin und ber 
wiegen ließen und bewegen von jedem Winde ber Lehre, immer 
binfehend nach fcheinbaren Gütern, aber dad wohlerkannte und 
wohlgeprüfte nicht fähig feflzuhalten mit der gehörigen Kraft. Und 
was fagen bie anderen wieber? Sie duͤnken ſich auch nicht ſchwach 
zu fein fondern ſtark Das wahre Wohl der Menſchen ins Auge zu 
faffen und bie Forderungen der Zeit zu verfichen, feft ‚eitfchloffen 
bie Srüchte ihre Lebens ber Zukunft zuzuwenden und fie nicht un 
tergehen zu laflen einer Vergangenheit zu Liebe, die doch nichts 
mehr darzubieten vermag; . jene aber, fagen fie, feien ſchwach, weil 
fie nicht fich getrauten auf dem Wege fortzufommen, den doch bie 
Zeichen ber Zeit fo deutlich angeben, ſchwach, weil fie nicht anders 
feſtſtehen zu fünnen glaubten als an dem hergebrachten an bem cr: 


Ä 





41 


erbten ſich haltenb, und an bem Gängelbande ber Gewohnheit fort: 
ſchleichen. 

Das iſt die Art, wie uͤberall in den menſchlichen Dingen ſich 
ber Zwieſpalt geftaltet, wie jeder fich für ben flarfen hält und fei- 
nen Widerpart für den ſchwachen. Und beöwegen follen auch und 
koͤnnen bie, welche ber Stimme des Evangeliumd folgen und fie zu 
verfündigen haben, ohne daß daraus etwas folgen Tönnte, auf wel: 
cher Seite fie felbft ftehen, allen ohne Unterfchied dieſes Wort des 
Apoſtels zurufen, Alle die ſtark find follen ſich dazu berufen fühlen, 
daß fie Die Laſt der ſchwachen ‚tragen, und ſollen nicht Gefallen fin: 
den an ihnen felbft. Denn wie kann es anders fein, als daß bad 
Gefallen an ſich felbft, wenn wir uns für ſtark halten, nothwendig 
verbunden iſt mit einer Geringfchäzung der ſchwachen? Unb wenn 
ſo jeder, indem er füch für ſtark hält, fich felbft wohlgefaͤllt und ben 
anderen als den ſchwachen ftatt feine Laſt zu tragen gering achtet: 
wie iſt es anderd möglich, ald daß jebed Band zwilchen ihnen im- 
mer lokkerer wirb, baß fie fi) immer weiter von einander entfernen 
und bald nicht mehr im Stande find einer dem andern den Ge: 
genftand des Streites deutfich zu machen und ſich zu einer Verftän- 
digung zu verhelfen, vielmehr in Wohlgefallen an fich felbft, aus 
Geringſchaͤzung bed anbern jeder fich immer mehr verhärtet gegen 
den andern. Darum wenn unter ſolchen Umftänden nicht aus der 
Eintracht immer wieder fol die Zwietradht entflehen, wenn nicht bie ' 
Liebe unter dem unvermeiblichen Widerſtreit, ber fich in jeber Zeit 
einftellt, erfalten fol, iſt das bie erfle und nothwendigfle Bedin⸗ 
gung, daß wir nicht dürfen Gefallen haben an uns ſelbſt. 

Aber können wir nicht dies alles ruhig bei Seite ftellen, als 
ob «8 dar nicht wäre, und würben boch geftehen muͤſſen, das Wohl⸗ 
gefallen an fich felbft tft überall dasjenige, was das menfchliche Le- 
ben vergiftet? Das felbfigefällige Weſen, wir erkennen es ja aud- 
druͤkklich, ſo oft wir und verfammeln um ben geheiligten Tiſch des 
Herrn, fuͤr einen ach leider uns allen gemeinen Beſtandtheil des 
menſchlichen Verderbens, fuͤr einen Feind der Liebe und deswegen 
auch alles menſchlichen Wohlergehens und bed geiſtigſten und hei⸗ 
ligften am meiften. Und fo wollen wir denn auch feine Einwen- 
bung dagegen hören, als ob es nicht möglich wäre, ohne auf ber 
anderen Seite der Wahrheit Eintrag zu thun, daß wir und follten 
enthalten Finnen Gefallen zu haben an uns felbft. Denn was fagt 
der Apoſtel? Wie denn auch Shriftus nicht Gefallen hatte an ihm 
ſelbſt. Wie Chriſtus? Konnte er anders ald Gefallen an fich ſelbſt 
haben? Woher kommen bem Apoftel biefe Worte? hat ber Herr 
felbft jemald eben dieſes gefagt? Nicht daß wir wuͤßten; aber frei- 


4/ 





HR 

lich keiner unter uns wird auch ein einziges Wort aufzuzeigen wiſ⸗ 
fen aus feinem heiligen Munde, woraus dad Gegentheil hervor 
ginge. Freilich preift er fich den Menfchen als benjenigen, ber ih⸗ 
nen von Gott: gefandt fei; ald denjenigen, ber ihnen Ruhe und Er- 
quikkung ımb Frieden bringen wolle für ihre Seelen: aber bad war 
ein Theil feines Berufes, das gehörte weientlich zu feiner Berkim: 
digung! Und wenn wir und fragen, werben wol biefe Worte ij: 
mals in ihm felbft begleitet gewefen fein ‚von einem ſolchen Wohl: 
gefallen an ſich felbft in ber Vergleichung mit anderen, wie ber 
Apoftel ed meint? Wir duͤrfen und biefe Frage nur vorlegen um 
wit berfelben Gewißheit wie er ſelbſt zu fagen, ungeachtet es nit: 
gend geichrieben ſteht, nein, Chriſtus hotte nicht Wohlgeſallen an 
füch ſeibſt. Und wir ſollten uns deſſen nicht enthalten koͤnnen? Was 
iſt doch dad Gefalienhaben an ihm ſelbſt? Es foll fein rin Gefal: 
len an dem guten. Wohl, möge e& dieſes fein! Aber wenn wir 
und felbft wohlgefallen, ruhen wir dann nicht? Haͤngt nicht beibes 
wefentlich und unumgänglicd mit einander zuſammen? Unb follen 
wir dad? D es giebt freilich eine felige Ruhe des Gemuͤths, und 
‚ wir wiflen es, wenn wir zurüftieben auf bie Nergangenheit, wie 
wefentlicy wie nethwendig es ift, Haß wir und ba aller Thaͤtigkeit 
entfchlagen; aber biefe Ruhe ift fie ein Wohlgefallen am ſich ſelbſt? 
Sie iſt das Beſtreben eines frommen Gemüthes Gott und den Er: 
Iöfer tiefer im fich einzuziehen und aufzunehmen, etwad zu werben 
was man moch nicht ift, aber nie ein Ruben in fich ſelbſt als ei: 
nem Gegenftande des Wohlgefaltend, 

Aber wolan, laffet und auch bie natürliche Folgerung, bie wir 
aus ber Warnung des Apofleld ziehen Eönnen, nicht Aberfehen. Sie 
ift eine Ermahnung, die er zwar nicht buchſtaͤblich ausgedruͤkkt bat, 
die aber doc; deutlich genug in feinen Worten liegt. Wenn Wohl: 
gefallen doch nethwendig gehört zu ber menfchlichen Ratur, und wir 
follen kein Gefallen haben an uns ſelbſt: wolan, was bleibt äbrig, 
als daß wir Mohlgefallen baden follen on anderen? An anderen! 
An allen ohne Unterfchieb, wie fie auch gegen uns flehen, wie fie 
fich auch gegen und verhalten mögen? Leer wie ber Erloͤſer war 
an dem Gefallen an fich ſelbſt, hätte er nicht Wohlgefallen haben 
Tonnen an ber Meufchheit, an der fündigen Menſchheit freifich, aber 
doch an ihr, deren Ratur er felbft theilbaftig geworben war, nad 
von ber er alfo wußte, fo wie er mit dem Water eins war, fo fei 
fie fähig mit ihm eins zu werden, fo fei doch ber innere Keim des 
göttlichen Lebens, den er zum Bewußtfein und zur Kraft bringen 
ſollte, noch in ihr verborgen. So war er voll von biefem Wohl: 
gefallen an ber gefallenen. Menſchheit, und überall hat ex ed bewie⸗ 

















fen, und Feiner war, von dem wir fagen könnten, er fei davon aus⸗ 
geichloffen geweien. O wenn wir es denn bahin bringen, daß wir 
und felbft entichlagen des Wohlgefallend an uns felbft, aber daß 
wir Wohlgefallen haben an andern: ja was für ein neues Jal r 
des Friedens und ber Seligfeit wird und dann jedes beginnend: ! 


dann ift ja gewiß alle Keindichaft und alled Uebelwollen verſchwun ⸗ 


den. Aber freilich, denken wird ‚bei fich gewiß jeber, ſchwer fei «8 
ſchon ſich des Wohlgefallens an fich felbft zu entfchlagen, doch bie 
Möglichkeit davon muß jeder zugeben, weil ed eben nur in ihm 
feibft Liege; aber Wohlgefallen zu haben an allen Menfchen, wie fi 
das möglich, fo lange ed noch folche giebt, von denen wir nie 
etwaß anderes fehen, als daß fie allem guten entgegenfiveben, daß 
fie nichtö ald nur das ihrige fuchen, al& daß fie fern find von ber 
göttlichen Liebe, bie allein den Meifchen zum Gegenſtand des Wohl: 
gefallend machen Tann. Und doch iſt es eine Forderung, bie wir 
uns felbft fielen müflen; doch werden wir fagen müflen, jede feind- 
felige Empfindung gegen einen Menfchen ift etwas, dad uns flört: 
in unferem Beruf, dad wir nur anſehen können als einen Funken 
des Verderbens, der bei ber erſten Gelegenheit zu einem verzehren- 
den Feuer auöbrechen kann. Und wenn ber Erlöfer, der fo weit 
über alten andern fland, Wohlgefallen haben konnte an allen: wie 
follten wir ed nicht? Darum ſoll das eine Regel fein, bie wir uns 
alle machen für bie Zufunft, Hat einer unter und einen ober mehre, 
bie Gott in den Kreis feines Lebens geftelt hat, mit denen er zu: 
fammen fein muß, mit denen er fich aller menfchlichen Verhaͤltniſſe 
nicht entichlagen Tann, und bie ihm doch beftändig ald Gegenflände - 
bed Mißfallens entgegentreten: feiner wolle dann eher ruhen, als 
bis er etwas an ihnen gefunden bat, dad ihm ein Gegenfland des 
Wohlgefallens fein kann, irgend etwas, was es auch fe. Wenn 
nur erft die Liebe einen folchen Faden gefunden hat, an ben fie fich 
anknüpfen Tann, fle wird ihn bald zufammenfpinnen zu einem flars 
Een Seil. Und wenn wir fo bem Keim ber Zwietracht überall Wis 
derſtand leiſten, dann wird es nicht möglich fein, daß fie fich ver 
breite und unſer Wohl flöre. Ach und welcher Segen liegt darin 
für einen jeden einzelnen felbft! Denn natürlich dad gute, dad uns 
felbR am fernften liegt, überfehen wir Immer ams leichteften in be; 
nen, welche Gegenftände des Mipfallend für und find. Faͤnden wiv 
etwas in ihnen, dad wir in uns ſelbſt nicht finden und es doch 
ald etwas guted anerfennen müffen, dann würden fie und von feibfl 
nicht mehr Gegenflände des Mißfallens fein; und es ift doch nicht 
möglich, daß nicht in jedem etwas fein follte, woran bie Liebe ſich 
fefthalten kann und ihn zum Gegenſtande bed Wohlgefallend ma: 


chen. Unb wenn dann in dem Maaße, als jene auf dieſe Art am 
fangen und Gegenflände des Wohlgefallens zu fein, wir ſelbſt Ge 
genflänbe des Mißfallens für und werden: bann haben wir ſchen 
eine Mliht der Dankbarkeit gegen fie zu erfüllen, daß fie uns ge: 
fördert im unferer Selbfterfenntniß; und wie follte dann nicht die 
Liebe immer fortfahren ber Sünden Menge zu bedekken, bi3 wir 
auch ſolche Brüder und nahe gebracht haben und fie hineingezogen 
in das gottgefällige Leben. 


U. Und mın m. a. Fr. laſſet und zweitens die Ermahnung 
des Apofleld mit einander erwägen. Ein jeglicher, fagt ex, ſtelle 
fih fo, daß er feinem naͤchſten gefalle zur Befferung und zur Er: 
bauung. Eine Warnung will fi allerdings biefer Ermahnung von 
ſelbſt anfchließen, und laßt fie und ja fogleich betrachten. Naͤmlich 
wenn wir fo fuchen ſollen unferem nächften zu gefallen in Bezie 
bung auf dasjenige, was gut iſt und förbert und zur Erbauung 
gehört: fo follen wir ihm alfo auf andere Weiſe nicht zu gefallen 
fuhen. D diefe Warnung laflet und ja noc vorher zu Herzen 
. nehmen, damit wir bie Ermahnung des Apoſtels beflo reiner auf: 
faſſen. &o wie ed ein verberbliched Wohlgefallen an fih ſeibft 
giebt, eben fo giebt es auch ein verberbliches Beſtreben anberen zu 
gefallen. Möchten dad alle recht zu Herzen nehmen in Beziehung 
auf diejenigen, die ſich in anderen Lebenöfreifen beavegen als fie 
ſelbſt, damit nicht die niederen den höheren zu gefallen fuchen auf 
eine andere Weiſe ald zur Beflerung! Wir Tennen es alle bad ge 
faͤhrliche Gift der Schmeichelei und ber Menfchengefälligfeit, wir 
wiffen, wie reich ed an verderblidyer Frucht ift, und wie ſich biefe 
aus der menſchlichen Schwachheit auf bad mannigfalligfte und uͤp⸗ 
pigſte erzeugt! Wir innen es als eine von den traurigfien und 
gefährlichften- Folgen aller bedeutenden und großen Ungleichheit unter 
den Menſchen. Wo eine folche iſt, was auch ber Gegenflanb ber: 
felben fei, ba erzeugt fich auch dieſe verberbliche Neigung. Denn 
derer, die hervorragen und fich auszeichnen, find immer nur wenige; 
und wenn fie num fürchten ober es zu fürchten Urſache haben, baf 
die große Menge einen Gegenfaz gegen fie bildet, dad Uebergewicht 
nicht ertragen will, fondern fich lieber von ihnen loöriffe; wenn fie 
fürchten müflen, daß aus biefem Ueberdruß Unordnungen entfichen 
und irgend einem Theile bed gemeinen Weſens Verderben drohen: 
dann laſſen fie ſich herab benen zu fchmeicheln und zu gefallen, 
welche fie doch regieren follten, welche fie immer foliten ihr Anfehn 
fühlen Laffen zu ihrem eigenen Heil. Aber ebenfo gefchieht auch in 
anderen Werhältniffen bad umgekehrte. Die heruntergedruͤkkt find, 


445 
wie viele ihrer auch feien, es gehören beſondere Umſtaͤnde und Zeit: 
täufe dazu, wenn fie fich verbinden follen unter einander; fleht aber 


jeber allein, fo fühlt ex fich ſchwach und ſucht ſich anzufchließen . 


nicht an ſeines gleichen fondern an bie, welche hervorragen. Und 
fo entfleht von beiden Seiten daffelbe, daß einer dem andern zu gem. - 
falten. ſucht nicht auf eine gottgefaͤllige Weiſe ſondern um ihm zu 
dienen in dem, worin er keinen Diener finden ſollte ſondern nur 
einen wohlgeordneten Widerſtand. 
Aber daß wir ſuchen unſerem naͤchſten zu gefallen zum guten 
und zur Beſſerung, Das iſt die große Ermahnung des Apoſtels. 
Aber wie, koͤnnte man ſagen, vermoͤgen wir das auszufuͤhren, und 
wenn wir es nicht ausfuͤhren koͤnnen, ſollen wir es uns erſt zur 
Regel machen und uns dadurch ſelbſt beſchraͤnken? Iſt es nicht 
edler und groͤßer auf das Wohlgefallen des naͤchſten Verzicht zu 
thun aber ihm doch zum guten und zur Beſſerung zu gereichen 
mit jener Strenge, die nur das rechte ins Auge faßt und genau 
darauf haͤlt, gleichviel wie ſie aufgenommen wird? Warum ſollen 
wir nun dad noch -Daneben fuchen, dag wir, indem wir an ber Beſ⸗ 
ferung und für dad Wohl unſeres nächflen arbeiten, ihm auch wohls. 
gefallen? Vermochte doch der Exlöfer felbft, um fein Beifpiel auch. 
hierher zu ziehen, vermochte Doch auch er nicht allen wohlzugefallen. 
zum guten und zur Beflerung! Oder meinen wir, daß er wohlge:. 
fallen habe den Phariſaͤern und den Schriftgelehrten, denen ex doch 
oft mit ſolchem Ernſt und ſolcher Strenge entgegentritt? meinen 
wir, daß er denen wohlgefallen habe, vor denen er genoͤthigt war 
daB ganze. Wolf zu warnen, auf daß ed nicht von ihnen ind Ver⸗ 
berben geführt würbe? Aber diefesmal m. a. Fr. ſteht der Erloͤſer 
außer unferem Kreife, und wir können fein Beiſpiel nicht anführen. 
Ja wenn wir ed mit Menfchen zu thun hätten, Die außer unferer 
auf ihn gegründeten Gemeinfchaft mit Gott flehen, welche nicht wie, 
wir dad Heil fuchen, das er gebracht hat; wenn wir ed mit fol: 
chen zu thun hätten: dann wollten wir auch nicht danach trachten 
gleich von vom herein, wie wir ihnen wohlgefielen zum guten ober 
zur Beflerung, fondern mit Hintenanfezung unfer felbft nur das 
gute für fie fuchen, gleich viel wie fie und bafür anfehen mögen; 
aber in dem Falle befinden ‚wir und nicht! Eben beöwegen aber. 
muß und nun bie. Regel des Apofteld gelten, die er auch ben Chris, 
fien gegeben hat für einander und zwar auch folchen, die keineswe⸗ 
ged einig mit einander waren fondern in Zwieſpalt begriffen, und. 
unter deuen bie Keime ber Trennung ſchon aufgegangen waren, die 
alfo weit von einander entfernt ſtanden in ihrer Anficht und Den: 
tungsart auch. über die Gebote des Evangeliums und die Art und 


Weiſe das Reich Gottes zu fürbern. Doch aber fagt er, jeder folle 
fih fo fielen, daß er feinem nächften gefalle, unb da hat er alfo 
unter ben nächften nicht die verftanden, die auf berielben Seite ſtan⸗ 
den, fondern bie anderen. Unb fo wie wir und dieſes vergegemmär: 
tigen, daß die Regel des Apoſtels gegeben ift zumaͤchſt in Beziehung 
auf eine brohende und fchon angefangene Zwietradyt unter den Chr: 
fin: ad damm erkennen wir gewiß das wefentliche berfelben fehr 
leicht. Denn daran muß und doch gelegen fein, daß bie, für die 
wir dad gute und bie Beflerung fuchen, unfere Liebe darin erken⸗ 
nen, nicht etwa nur daß wir umfere Sache führen, baf wir unferer 
Meinung Eingang verfhaffen, daß wir unfere Anficht durchſezen, 
ba wir den heil, zu welchen wir gehören, zum Herrn machen 
wollen über ben anderen; ſondern bie Liebe mäffen fie erkennen, 
Die dad gemeinfame Wohl und nicht das ihrige ſucht. Wenn wir 
dem guten und der Beflerung fo nachfireben, daß dieſes nicht ber 
Fall it: ach dann ift auch der rechte chriftliche Geifl und Sinn 
nicht in unferm Thun. Erkennen fie aber darin bie Liebe: fo if 
es auch nicht möglich, daß fie ihnen nicht wohlgefallen follte! Sie 
denken vielleicht dennoch, was wir ihnen and Herz legen fei für fic 
unbrauchbar; was wir für dad gute, halten’ fei es nicht: aber was 
denken fie dabei? Diefer hat doch Liebe in füh, er meint e3 doch 
gut; und daran nüpft fich die Gegenliebe und bad Belieben, baf 
fie auch uns fuchen Gegenflände des Wohlgefallend zu werben, daf 
fie nicht ſich ſelbſt zu gefallen fuchen ſondern und. Unb fo ifl dies 
daB einzige Mittel, woraus eine gründliche Verſtaͤndigung herver: 
geht unter denen, die fich verftehen müflen, wenn fie ihre Aufgabe 
in diefem irbifchen Leben erfüllen wollen. 

Sehet ba m. a. Fr., es iſt nichts geringes, ed iſt nichts einzel⸗ 
ned, nicht etwas, wovon fich einer unter und andichließen könnte, 
als bebürfe er nicht viefer Regel, fowol der Bamung ald ber En 
mahnung des Apoſtels! Es iſt nichte darin, wovon wir nicht far 
gen nrüffen, wenn wir es wohl erwägen, Keiner der bebenft, was 
zu feinem Heil wad zu dem gemeinfamen Frieden dient, Tann etwas 
für wichtiger halten in Beziehung auf die Zukunft ald eben dieſes. 
Fa gewiß, wenn dad immer mehr unter uns zu Stande kommt, 
daß Feiner Gefallen bat an ihm felbft, wie auch Chriſtus nicht hatte, 
aber daß jeder bem andern will zu gefallen fuchen zum guten unb 
zur Beflerung: dann werben wir ein Wolf von Bruͤdern bleiben, 
und nichts wird im Stande fein und von einander zu trennen oder 
audy nur und aufzuhalten auf der Bahn, auf ber wir unter Gotte 
Schuz und Leitung fliehen! Immer fefter und tiefer werben alle in 
einander wachfen; immer größer wirb bie Einigkeit des Geiſtes wer 





ı » 447 - 
"den; immer mehr wird alled auögeichloffen bleiben aus unferem ge- 
meinſamen Leben, was nicht aus dem rechten chrifllichen Sinn und 
Geift hervorgeht; ımd in demfelben Maaß wird auch jeder dem an⸗ 
dern die Wahrheit auffchliegen, einer den andern lieben, einer an 
dem andern arbeiten, auf Daß es wahr werde, wie wir es heut in 
unferer epiftolifchen Lection *) gehört haben, Daß wir alles Unter 
fchieds ungeachtet aller. Verfchiedenheit ungeachtet doch Einer find 
und bleiben in Chriſto. Dazu möge jeder in dem Jahre, das wir 
beginmen, beitragen nach allen Kräften, barauf ſich aufs nee prüs 
fen nad) dem Wort Gottedz und indem. wir fo ber Liebe nachtrach⸗ 
ten, wird es nicht fehlen, dag wir nicht auch bie Wahrheit finden 
follten und in beiden den wahren Grund menfchlichen Heild, wo: 
durch wir denn immer mehr den Namen beffen verherrlichen und 
etwas beitragen zu feinem Preife, der und gefegnet hat unb immer 
mehr fegnen will in Chrifto feinem Sohne. Amen. 


„ Sal, 3, 28. 


Lieb 830, 7. 


| XXXVIlL 
Am 1. Sonntage nad) Epiphanias 1833. 


Lied 43. 100. 


Zert. Apoſtelgeſch. 2, 22. 


Ihr Männer von Jsrael, höret diefe Worte: Jeſum 
von Nazareth, den Mann von Gott, unter euch mit Tha⸗ 
ten und Wundern und Zeichen bewiefen, welche Gott durch 
ihn that unter euch, wie denn auch ihr felbft wiſſet. 


M. a. 3. Wenn wir jezt mit unfern Eirchlichen Betrachtungen 
zwifchen die Zeier der Geburt des Erlöferd und die Zeit, welche der 
Betrachtung feines Leidens gewidmet if, gleichfam in die Mitte ge: 
ftellt und alfo vorzüglich auf eine allgemeine Ueberſicht feined Le: 
bens und feiner Wirkſamkeit auf Erden gewiefen find: fo Tann uns 
freilich dad, was in den Worten unferd Textes hervorgehoben if, 
nicht entgehen. Ueberall in den Erzählungen der Evangeliften tre: 
ten uns bald einzeln und ausfuͤhrlich bargeftellt, bald mehr nur er: 
wähnt ald etwas, was einen nicht unbebeutenden Theil ber Zeit 
feiner irdifchen Wirkſamkeit eingenommen halte, eben diefe Zeichen 
und Wunder des Erlöferd entgegen. Nun ift ed freilich etwas an: 
bereö, wenn wir und mit ben einzelnen Erzählungen beichäftigen, 
wo dann natürlich gleich die Art und Weile bed Erlöfers mit den 
Menfchen umzugehen, auf fie zu wirken, dad was wir unmittelbar 
von ihm fehen und empfinden, über alle8 andere immer hervorragt; 
anders iſt ed, wenn wir fie mehr im allgemeinen betrachten, wie fie 


449 


allen Gefegen und Ordnungen ber Natur zu wiberftreiten oder weit 
uͤber fie hinauszugehen fcheinen, und nun eben dieſes als einen fo 
bedeutenden Beflandtheil von dem Leben des Erloͤſers anzufehen has 
ben. Mehmen wir noch dazu, wie eben dies immer unb auch noch 
-jezt ein Gegenftand des Streit unter den Chriſten iſt; der Werth, 
welcher darauf zu legen ift, von dem einen ganz anders gefchäzt als 
von dem andern; das Licht, welche davon auf den Erlöfer zuruͤkk⸗ 
FAR, dem einen weit guͤnſtiger erfcheinend ald dem andern: fo muß . 
e3 und wol wichtig fein, wenn es naͤmlich überhaupt möglich ift, 
aber jeder kann dazu nur beitragen nach dem Maaß des Glaubend 
und der Einficht, die ihm verliehen find, zu einer zufammenflimmens 
ben Freude daran zu einer gemeinſchaftlichen Anſicht über bie 
Wunder des Erlöferd zu gelangen. Und dad fei denn nad) 
Anleitung der Worte unferd Textes der Gegenfland meiner heut an 
euch zu richtenden. Rede. Eben in Beziehung auf diefe verſchiede⸗ 
nen Anfichten, welche unter den Chriften obwalten, wird es und 
aber wichtig fein, daß, ich mich zuerft darüber erklaͤre, was nad 
meiner beften Ueberzeugung und meinem Gewiflen bie Wunder des 
Erloͤſers für und nicht find und fein koͤnnen; aber bann zweitens 
euch das and Herz lege, was fie eben fo gewiß und find und blei- 
ben können und follen. . 


I. Wenn ich nun zuerft fagen fol, was die Wunder des 
Erloͤſers für und nach meinem beften Gewiffen nicht fein koͤnnen, 
fo ift es dies: fie Fönnen nicht fein der Grund und die Quelle 
unfers lebendigen und feligmadyenden Glaubens an ben Erlöfer. 
Mo m. a. 3. ſollten wir wol zu einer fichern Ueberzeugung zu ei— 
ner Haren Einficht kommen in ben Zufammenhang zwiſchen ſo ganz 
verfchiebenen Dingen? Diefe Wunder bed Erlöferd, wenn wir fie 
anfehen als feine Handlungen und fie ihren Wirkungen nach bes 
trachten, fo muß freilich jeder geſtehen, fie geben ein Zeugniß von 
Kräften, die ihm eingewohnt haben, welche dad Maaß aller menſch⸗ 
lichen Kräfte überfteigen. Aber was für welche find das? Es find 
Kräfte, die ihre Wirkung dußern im Reich ber Natur! Die er 
florbenen Sinne wieder beleben, bie gelähmten, Glieber wieder be: 

weglich machen, Krankheitszuſtaͤnde aus dem menſchlichen Koͤrper 

verſchwinden laſſen, Beduͤrfniſſe des Menſchen aber des leiblichen 

Lebens auf eine ganz ungewohnte und nie geſehene Art befriedigen: 

das alles find Wirkungen im Reich der Natur; koͤnnen wir, dürfen 

wir daraus einen Schluß machen auf bad, was derfelbe Mann ver: 

mag und wozu er beflimmt ift im Reich der er Er felbft 
III. 


458 


- flelit beideö neben einander *) und fragt, Was iſt wol größer, zu 
fagen, Stehe auf und wanbele, zu dem, ber feiner Glieder nicht 
mächtig ift, oder zu fagen, Gehe hin, deine Sünden find dir verge 
ben? D wer Eönnte wol anftehen, wenn ihm die Frage vorgelegt 
wird, welches von beiben dad größte fei?. Aber gilt denn ein Schluß 
von dem geringen auf bad größere? Können wir alſo unfern 
Glauben, dag wir in ihm haben bie Vergebung der Sünde, darauf 
gründen wollen, daß er fagen konnte zu diefem und jenem, Stehe 
auf und wandele; daß er koͤrperliche Kräfte wieder erregen konnte, 
wo fie verfchwunden waren; daß er bad leibliche Leben aus feinem 
innerften verborgenften Schlupfwinfel wieder heroorholen -Tonnte, wo 
es ſchon ganz erftorben fchien? Won dem Eleinem auf dad größere 
von dem leiblichen auf ein fo ganz verfchiedened auf das geiflige zu 
fehließen: daS wäre warlich Fein ficherer Grund, den wir legen 
könnten für unfern Glauben! Und fragen wir nun, wovon muß 
der allein lebendige Glaube an den Erlöfer ausgehen: kann er eher 
in dem Menfchen entfliehen, ald wenn er zum Bewußtfein gekom⸗ 
men ift von dem elenden Zuflande, in welchem der Menfch feiner 
geiftigen Natur nach fich befindet ohne die Gemeinfchaft mit dem 
Erlöfer? kann er zum lebendigen Glauben an ihn kommen, als 
wenn er zu gleicher Zeit die Gewalt der Sünde, und wie fie ben 
Menfhen von Gott fiheidet, in feinem eigenen Bewußtfein fühlt 
und beides mit einander verbindet? Nun denket euch eine Seele in 
Diefem Zuflande und denket, daß ihr alle Wunder des Erlölerd, fo 
viele ihrer nur aufgezeichnet find, vorgehalten würden: wären dieſe 
nun das, wodurch fie ſich ſtillen und befriebigen Eönnte? würde fie 
nicht vielmehr fagen, wollte ich doch eher alle diele Keiden alle dieſe 
koͤrperlichen Gebrechen auf mic) nehmen und fie ertragen, fo lange 
ed die menfchliche Kraft vermöchte, fo ich nur befreit werden Könnte 
von allem, wad mich innerlich druͤkkt, was den geiſtigen Menfchen 
niederfchlägt und ihm das Leben je länger je mehr zu rauben droht, 
fo ih nur von dem Leibe diefes Zobdes **) erlöft werben könnte? 
Derjenige alfo muß von einem. ganz andern Bebürfnig getrieben 
werden und aus einer andern Urfache einen Exlöjer fuchen; in dem 
muß ein ganz andered Verlangen fein ald das von dem wir aus 
gehen, naͤmlich von der Gewalt welche die Sünde über und gewon⸗ 
nen bat befreit zu werden, und die Entfernung in der wir und von 
Gott befinden aufgehoben zu fehen: ver feinen Glauben darauf 


2) Watth. 9, 5 
) Roͤm. 7, 2A. 








451 


gründen und eine Befriedigung bei dem Erlöfer zu finden deswegen 
hoffen Fönnte, weil er folche Zeichen und Wunder gethan. 

Aber nicht nur m. a. 3., daß wir einen folchen Zufammenhang 
nicht finden Tönnen unb und ſchon deöwegen fagen müffen, es ftehe 
gar fehr zu beforgen, daß ein Glaube an bie höhere geiflige Würde 
und Kraft des Erloͤſers, der hierauf gegründet wäre, nicht aushal⸗ 
ten möchte in den Gefahren, denen auch der lebendige Glaube in 
dieſer irdifchen Welt fo oft ausgeſezt iſt, indem er auf biefem - 
Grunde nicht könnte eine fo fefle Wurzel faflen um nicht zu ver 
- troffnen in diefer Zeit der Hize und Anfechtung: ſondern auch ber 
Erlöfer ſelbſt auch die heilige Schrift weifet und nicht auf bie Zei: 
chen und Wunder ded Erlöfers ald den eigentlichen unb wahren 
Grund unferd Glaubens. Petrus in ben Worten unferd Textes 
fängt freilich damit an, indem er von Jeſu von Nazareth reden 
will, ihn feinen Zuhoͤrern alfo darzuftellen ald den, ber ſich als ein 
Mann von Gott gefandt unter ihnen bewährt habe durch Zeichen 
und Wunder, bie Gott durch ihn gethan; und ähnliche Stellen in 
ben erften Reden, mit welchen bie Apoftel unter feinem Wolfe das 
Evangelium verkündigten nad) dem Tage ber Pfingſten, liegen fich 
noch mehrere nachweilen. Aber zu wem reben bie Apoftel da? Zu 
denen, die felbfl Zeugen gewelen waren ober doch von unmittelbaren 
Augenzeugen, ja von benen, die es felbft betroffen, dieſe Wohlthaten 
des Erloͤſers vernommen hatten und vernehmen konnten. Und in 
welchem Sinne denn führt er ihnen dieſelben zu Gemuͤth? Immer 
in der Werbindung, daß er unmittelbar darauf fagt, den habt ihr, 
freilich fo wie es von Gott beftimmt war und nicht ander fein 
konnte, aber ben habt ihr genommen und habt ihn erwürgt Durch 
bie Hand der ungläubigen: Um fo gegen einander zu ftellen und 
recht herauszuheben dieſe erbarmende mitleidsvolle hülfreiche Wirk - 
ſamkeit ded Exlöferd, keinem verfagt und allen erwiefen, bie ſich an 
ihn wandten, und dann die ſchnoͤde Art, wie dad Wolf ihn verwarf 
und überantwortete zum Tode: um Died gegen einander zu ftellen 
und eine folche Wirkung in ihnen hervorzurufen, daß fie dann fa- 
gen mußten, Ihr Männer, lieben Brüder, was follen wir thun, 
daß wir felig werden? dad war die Abficht, warum er dieſe Zeichen 
und Wunder erwähnte. Kam aber bie erfie Verkuͤndigung des 
Evangeliums in folche Gegenden und unter foldhe Menfchen, welche 
nicht Zeugen gewelen waren von ben Thaten des Erlöferd, zu bes 
nen- der Ruf von feiner Wirkſamkeit nicht auf ſolche Weile gekom⸗ 
men war: ba treten auch die Wunder ded Herrn in ihren eben 
nicht fo hervor; da gehen fie unmittelbar darauf aus die Menfchen 
auf das geiflige Beduͤrfniß aufmerkſam zu machen und ihnen aus 

5f2 


452 


ihrer und anderer Erfahrung ben anzupreifen, ber es befriebigen 
könne. Und der Erxlöfer felbft, allerbingd beruft er ſich öfter auf 
die Werke, die er thue, wenn er auffordert an ihn zu glauben; aber 
indem er fich eines fo allgemeinen Ausdrukks bedient, haben wir 
auch Feine Urfache anzunehmen, daß er nur biefe wunderbaren Tha⸗ 
ten nur dieſe Hülfßleiftangen gegen die äußern und leiblichen Lei⸗ 
den der Menfchen unter feinem Wolfe verfianden habe; aber doch, 
wie fpricht er auch) dann? Wenn ihr, fagt er, mir nicht glauben 
wollet, fo glaubet mir body um der Werfe willen *), bad heißt 
ao: wenn ihr mir fonft nicht glauben wollt, fo glaubt mir we: 
nigftend bis ihr jenes im Stande ſeid vorläufig um ber Werke wil: 
“ten. Alſo nicht alö fei das der Glaube, den er vorzüglih zu er 
weten und zu fördern wünfcht; fondern ald eine vorbereitende An: 
leitung dazu ald einen leichten Uebergang dahin weifet er fie auf 

bie Empfindung, weldye feine Thaten und Wunder in ihnen ber: 
vorbringen mußten. Ja laffet uns nur ein Beifpiel diefer Art, das 
und mit befonderer Ausführlichkeit erzählt wird, eben in diefer Be 
ziehung näher betrachten. Der blindgebome, weldyem der Erlöfer 
dad Geficht wiebergab, hatte eine tiefe Ucberzeugung davon gewon: 
nen, dag ein Menſch, mit welchem Gott nidyt auf befonbere Weiſe 
fet, dergleichen nicht vermöge; und, wie fich gebührt einem danfba- 
ren Germüthe, hatte er dieſe Ueberzeugung auch da nicht verſchwie⸗ 
" gen, wo die Aeußerung derſelben ihm mancherlei Unannehmlichkeiten 
bervorbringen und ihm Gefahr drohen konnte; ja als ihn die Mit: 
glieder des hohen Rath über den Hergang befragten und ſich de: 
bei nachtheilig über Jeſum äußerten, entgegnete er ihnen, Das if 
eine wunderbare Sache, daß ihr fagt, diefer ift ein fünbiger Menſch; 
bat man jemald gehört, Daß ſolches ein fündiger Menfch thun könne? 
- Aber eben diefe aus dem Wunder entflandene Uecberzeugung, war 
fie fchon ber lebendige ſeligmachende Glaube an den Erlöfer? Nein, 
dad fagt und diefer ſelbſt und verfündigt ed und durch die That; 
denn ald er hernach jenem Menfchen im Tempel begegnete, nachdem 
er eben dieſes Bekenntniſſes wegen ausgefchloffen war aus ber Ge: 
meinde, fprach er zu ‚ihm, Glaubſt bu an den Sohn Gottes? Und 
da antwortete ihm biefer, Zeige mir ihn, Herr! und als bernad) der 
Erloͤſer ſich felbft dazu bekannte Diefer zu fein, da glaubte er. Richt 
aus dem Wunder alfo war diefer Glaube hervorgegangen, fonbern 
daraus Fam ihm nur ein anderer. Daß Jeſus ein von Gott be: 
ſonders begabter und begnadigter, vor ben übrigen Menfchen her: 
vorragender, ein folcher fei, der ben Propheten gleich zu achten fein 


*) 309. 10, 38. 








458. 


muͤſſe, diefe Ueberzeugung hatte er durch das Wunder gewonnen; 
aber .die Ueberzeugung, daß Jeſus ber erwartete, ber Sohn Gottes 
fei, erhielt er dadurch nicht, und biefe vermochte auch ein folch red⸗ 
liches offnes Gemüth, wie diefer befaß, nicht aus einer folchen Hand: 
lung zu fchöpfen. Nur das Wort ded Erlöferd, das Zeugniß, das 
er von fich ablegte, erwekkte in ihm diefen Glauben. Und eben das 
ift nun auch die Meinung ded Erlöfers in den Worten, die ich vor: 
ber angeführt habe. Wenn er fagt, Wenn ihr mir nicht glaubt, 
fo heißt das fo viel, wenn ihr dem Zeugniß nicht glaubt,. das id) 
von mir ablege, indem ich fage, Das ift der Wille Gottes, daß ihr 
an den glaubet, welchen er gefandt hat; wenn ihr dem Zeugniß 
nicht trauet, das in den Worten liegt, Ich und der Vater find eins, 
oder wenn ich. fage, Ich vermag nichtd zu thun von mir ſelbſt, 
fondern nur bie Werke, die mir der Water zeigt, die thue ich; wenn 
ihr ſolchem Zeugniß nicht glauben wollet: wohl, fo vertrauet mir 
doch um der Werke willen, bie ich unter. euch thue, ald einem ber 
es wohl mit euch meint und dazu gefegnet ift, und ber nicht ver: 
dient überfehen und überhört.zu werden. . . 

So fehen .wir atfo, darüber m. a. 3. follte eigentlich Fein 
Streit fein unter den Chriften! Keiner folte ed dem andern zu: 
muthen und dad ald dad rechte Zeichen des Glaubens fordern, daß 
er fi) gründen müffe auf die Wunder, die der. Erlöfer that. Was 
find. wir doch, daß wir zu wiffen behaupten, was ein Wunder fei 
oder nicht? Wie kommen wir dazu, daß wir und anftellen wollen, 
als hätten wir die Grenzen ber Natur. ausgemeſſen und müßten ge: 
nau, wie weit fih der Zufammenhang und die Wirkung ihrer und 
zum Theil noch ganz verborgenen und unbefannten Kräfte erſtrekkt. 
Freilich, wenn wir Die Wunder bed Erlöferd im. einzelnen betrach- 
ten, fo ift faſt keins darunter, dad und nicht auf beſondere Weiſe 
an die geiftigen Uebel und Gebrechen erinnerte, deren Heilung eben 
der wahre Glaube von ihm ‚nicht nur erwartet ſondern fie auch 
durch ihn findet:..aber das ift eben bie Richtung, welche ber Glaube, 
wenn wir ihn ſchon haben, welche die Erfahrung von dem, was 
der Erloͤſer innerlich in der Seele wirkt, wenn wir ſie ſchon ge⸗ 
wonnen haben durch die Gemeinſchaft unſers Lebens mit ihm, die⸗ 
fer unſerer Betrachtung feiner huͤlfreichen Liebe giebt. . 

Aber eben beöwegen,- weil wir zwar. die Wunder des Erlöfers 
nicht anfehen koͤnnen als die eigentliche Begründung unferd Glau⸗ 
bens an ihn, aber doch auch, fo wie von allem was er gemefen ifl 
und gethan hat, und befonderd von biefen aus immer auf dieſen 
innigen von Gott geordneten Zuſammenhang zwiſchen ihm und der 
Zührung ber menſchlichen Natur und des menſchlichen Geiſtes zu 





feinem rechten Srieben und feiner vollen Beſtimmung hingewieſen 
werben; weil wir biefen Webergaug immer darin finden und fie und 
-auf vorzügliche Weile dazu auffordern bad Bewußtfein von ihm im 
und lebendig zu erhalten: eben beöwegen bürfen und Eönnen fie 
auch zweitens für Beinen unter und ein Anftoß und Hinber- 
niß des Glaubens werben. j 

Leider m. hr. 3. ift das freilich nicht felten der Fall! Schen 
von Anfang an haben fich die Gegner des Evangeliums, diejenigen 
welche diefen neuen Weg bed Heild befiritten und verfolgten, unb 
befonder8 die unter ihnen, welche am meiften vertraut waren mit 
der Weisheit biefer Welt, von Anfang an haben fich diefe auf Die 
Zeichen und Wunder bed Herrn geworfen und gerabe durch bie na- 
here Betrachtung ber Art, wie fie erzählt werben, durch bie Be 
fchaffenheit der Nachrichten, welche davon auf uns gekommen find, 
des Widerfpruchd, in welchem fie mit ber Erfahrung unb ben all: 
gemein bekannten Gefezen der Natur fländen, ben Schluß begruͤn⸗ 
den wollen, daß einer Gefchichte, deren innerer Kern, wenn man 
diefen auch unangetaftet wollte flehen laffen, von ſolchen Erzaͤhlun⸗ 
gen umgeben und eingefaßt ift, gewiß wenig Glauben zu ſchenken 
fei, und Fein Grund vorhanden unfer Vertrauen in Beziehung auf 
die ganze Orbnung bed Lebens auöfchliegend in fie zu fezen. Aber 
auch jest und noch heut, und ohne Daß wir fagen koͤnnten, es liege 
dabei ein Widerwille gegen ben Weg Gottes mit dem menſchlichen 
Sefchlecht durch Chriſtum zum Grunde, gereichen doch aber fehr vie 
len wohlwollenden um ihr Heil befümmerten Seelen bie. Wunder 
des Herm zum Anſtoß und Aergerniß. Sie Elagen darüber, wenn 
nur diefe Gefchichten nicht wären, bie ihnen immer ein neues NRäth- 
ſel aufgäben, bei denen man fich bed Gebankens kaum erivehren 
Tonne, daß fie ihre Entflehung nur ber Leichtgläubigfeit bed großen 
Haufens verbankten; wenn biefe Gefchichten nur nicht wären, fagen 
fie, fondern die Geſtalt des Erloͤſers abgefondert von diefem allen 
vor ihnen fände in ber Reinheit feiner Liebe, in der Kraft feines 
- Wortes, in ber Erhabenheit feiner Gebanten, in der Sicherheit, mit 
welcher er über fein Verhaͤltniß zum Water fpriht und ben DRen- 
ſchen fagt, was ihm der Water gezeigt habe; wenn fie das allein fo 
abgefondert von jenem wunberbaren indgefammt vor fich hätten: 
-wie leicht, fagen fie, würde uns bann ber Glaube werden! Aber 
nun flogen uns immer wieder diefe Dinge ab; immer müffen wit 
einen Verdacht hegen gegen bie ganze Erzählung, weil fich barunter 
gemifcht findet folched, was im Widerfpruch fleht mit der allgemei- 
. nen Erfahrung und ihren Gefezen. Das freilich ift ein großer Un: 
fegen für eine Zeit wie bie unfrige, daß fo viele fich auf ber einen 


«+ 





Seite angezogen finden durch das Bebürfniß einer innern Erfahrung, 

auf der andern aber abgefloßen durch ihr Urtheil über Das, was freis 
lich nur mit dem Verflande gefaßt und von dieſem beurtheilt fein 
will! Aber wenn jened Bebürfnig nur vecht wahr iſt und tief em: 
pfunden: follte dann nicht ein Gemüth, dem das erwünfchte Heil 
vorgehalten wird, Doch leicht genug hinweg kommen über dieſe doch 
nur anfcheinenden Schwierigkeiten? Habt ihr nicht, fo möchte ich 
zu folhen Gemüthern reden, habt ihr nicht eine andere Gefchichte, 
bie ihr dieſer gegenüberftellen koͤnnt; habt ihr nicht das gefchichtliche 
Zeugniß von den Wirkungen, welche die lebendige Gemeinfchaft mit 
dem Erlöfer hervorgebracht hat auf die, welche mit ihm lebten und 
füch ihm hingaben? habt ihr nicht diefe wunderbare Gefchichte von’ 
der Gründung einer folhen Gemeinfchaft durch ihn vermittelſt fol- 
cher faft ohne Audnahme in bem gewöhnlichen Sinn ungebildeter 
Menfchen, in Feiner Kunft und Wiffenfchaft geübt, wie die Jünger 
des Erlöferd ed waren? müßt ihr nicht diefer Gefchichte glauben, 
weil ihr felbft fie immer noch mit erlebt, weil fie euch vor Augen 
ſteht, weil durch fie die ganze gegenwärtige Geflalt der Welt be: 
flimmt iſt? Wolan, wenn ihr dad doch glauben müßt, fo haltet 
euch daran! wenn ihr noch jezt täglich, fofern ihr nur das geiflige 
Auge mit Liebe öffnet, die Zeugniffe derer befommen Fönnt, welhe 
aus der größten Bekuͤmmerniß des Gemüthd aus der tiefften Troſt⸗ 

lofigfeit herausgeriſſen wurden, fobald das lebendige Verhaͤltniß mit 
dem Erlöfer der Welt in ihrem Gemüthe aufging; wenn ihr biefe 
Erfahrung doch täglich wiederholen koͤnnt: o fo fchließt ihr auch 
euer Herz auf, vergeffet alle die blinden, denen er die Augen aufge: 
than, bie lahmen, welche er gehend gemacht, bie tauben, denen er 
die Ohren geöffnet, die fprachlofen, denen er das Band ihrer Zunge 
gelöft, vergeffet alle die Eranken, die er geheilt, und bebaltet nur 
biefe einzelnen Gefchichten von feiner fich immer gleihen Wirkung 
auf das innere der Menfchen, behaftet nur jene eine Gefchichte, wie 
von ihm dad Amt ausgegangen ift, welches die Werfühnung pre: 
bigt, und dann werdet ihr auch nach dem Worte defjelben Apoftels 
glauben koͤnnen; daß Gott in ihm war um bie Welt mit fih zu 
verſoͤhnen. 


1. Und nun, nachdem wir dieſes beſeitigt haben m. a. 3. , 
0 laßt und nunmehr unfern eignen Standpunkt wieder einnehmen 
als ſolche, die ihr Heil im Erlöfer gefunden haben abgefehen von 
feinen Zeichen und Wundern durch die geiftige Gewalt, die er über . 
das Gemuͤth der Menfchen ausübt, und der wir und hingegeben 
und ihm ben Eingang in unfere Seele geöffnet haben; und nun 


456 


laffet und fragen, fie flehen nun einmal ba, wiewol wir erkennen, 
bag wir ihrer nicht bedürfen um an ihn zu glauben, aber fie ſtehen 
einmal da im Zufammenhang mit feinen heilbringenden Worten, 
mit feinem großen immer noch fortgehenden Werke die Gemeinſchaft 
ber gläubigen zu fliften, fie flehen nun einmal da feine Zeichen und 
Bunder: was können fie und fein! Sch antworte zu erſt, fie 
find und ein freudiges Zeihen von dem Wohlgefallen 
Gottes an ihm; fie find die finnliche Darftellung der himmli⸗ 
fhen Stimme, Das ift mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen 
habe. Denkt euh m. a. 3., aber verzeihet die Kühnbeit meiner 
Rebe, denkt euch alle diele Zeichen und Wunder bed Erlöferd und 
wenn ed möglich wäre noch größere und zahllofere; aber denfet euch 
binweg aus der Seele deſſen der fie verrichtet die Liebe, durch die 
er bad Ebenbild des göttlichen Weſens war; denket euch, wie einer 
das alle verrichtet hätte mit einem Gemüth voller irdiicher Ruhm» 
fucht, ſich brüftend wegen feiner Kraft und ſich erhebend über die 
Menſchen: was würden und feine Zeichen und Wunder fein Eön- 
nen? Nichts, nichtd ald ein trauriger Beweis, daß Gott alle bie 
berrlichften Gaben gleihfam verfchwenden kann, wenn fie an ein 
Gemüth kommen, welches feines Weſens nicht voll ift, weil ja ber 
Geiſt der Liebe nicht darin wohnt. Aber der wohnte in’ dem Erloͤ⸗ 
fer, durch den follte ex fich den Menfchen empfehlen; die Kiebe, die 
ihnen zurief, Kommt ber ihre mühfeligen und belabenen, ich will 
euch erquißfen: die follte fie ergreifen und zu feinen Füßen hinfüb. 
ren, damit fie fich ihm ergäben. Aber dabei konnte es Doch zugleich 
nicht anders fein, ald daß er Knechtögeftalt annahm, daß er es nicht 
für einen Raub hielt unter ben Menſchen aufzutreten mit gebieten: 
dem dußern Anfehn oder fonft auf eine fie irgendwie biendende 
Meife; und in diefer Knechtögeftalt follte doch der Geift der Liebe 
Spielraum in ihm haben, er mußte frei wirken können und ſich of: 
fenbaren. Darum Iegte Gott eben biefe Kräfte in des Erlöferd ir⸗ 
diſche Erfcheinung, auf daß er durch die Wohlthaten, bie er ben 
Menſchen zu erzeigen vermochte, durch die Werke der Barmherzig⸗ 
feit, die er übte in dieſer feiner Knechtögeftalt, und durch die Art, 
wie er fich dabei herablieg zu ben elendeften und gebrüffteften und 
feinen von fich fieß, daß er dadurch bewiefe den Geift, der in ihm 
wohnete. Und was können wir anders, wenn wir die Sache von 
biefer Seite betrachten, als eben an feinen Wundern ihn erkennen 
für den, an welchem Gott Wohlgefallen hatte haben konnte und 
mußte. Der Erlöfer, deſſen Geihäft auf der Welt rein geifliger 
Natur war, ber nicht haben konnte irgend einen andern äußern Be: 
ruf: wie fonnte c3 anders fein, als daß er auf irgend eine Weife 


457 _ 


mit dem wirklichen Leben der Menfchen 'zufammenhängen mußte, 
Daß er fich ihnen auch in den Forderungen bed gewöhnlichen Lebens 
zeigen mußte ald den, ben der Vater gefandt hatte? Darum Eonnte 
es faft nicht anderd fein, ald daß ihm. folche Kräfte. mußten mitge 
theilt werben, und daß er durch folche Zeichen und Thaten, die wie 
ber Apoftel fagt Gott durch ihn that, fich zeigen mußte als der 
Mann von Gott gefandt. Und darum wendet ſich auch dad gläu: 
bige Gemüth fo gern zur Betrachtung biefer Tchaten ded Erlöfers, 
foviel deren und einzeln berichtet worden find. Denn wie fie uns 
auf der einen Seite erzählt -werben als Mahnung an die geiflige Ä 
Noth an das geiflige Elend, dad immer mit einem leiblichen eine 
Aehnlichkeit trägt bald auf diefe bald auf jene Weife: fo finden wir 
auch darin eben biefelbe Liebe und eben fo in dem kleinen das grö- 
Bere wieder, und jede folhe That des Erlöferd bringt uns die Liebe, 
mit welcher er ſich aller Menichen in ihrem geifligen Elend ange: 
nommen bat; zu immer neuem Bewußtfein und erfüllt unfer Ge 
müth immer aufs neue mit ber Dankbarkeit nicht ſowol für daß, 
was er damals leiblich geleiftet, ald eben für diefen in ihm wohnen: 
ben Geifl der Liebe, welcher allein vermochte dad Heil der Men: 
[hen zu gründen. Wo fich uns diefe zeigt, o da ift uns immer ein 
teichliched Mahl bereitet, da find wir geladen zu einer geiftigen 
Sreube, die nichtd und verfümmern fann, und jedem Zweifel, den 
der menfchliche Verſtand erregen möchte, halten wir unfere Unwif: 
fenheit vor, dadurch verfchwindet er und, und nur das bleibt uns, 
worauf bad Verlangen unfered Glaubens gerichtet ift, nämlich daß 
wir auch hierin ihn als denfelben geftern und heut, denſelben in al: 
len feinen Verhaͤltniſſen erfennen und ehren. 

Aber es iſt noch ein zweites, was und bie Zeichen und Wun- 
der des Erloͤſers fein Eönnen, nämlich eine anfpornende Weik- 
fagung in Bezug auf unfer eigened Thun. Was fagt der Herr _ 
ſelbſt in Beziehung auf diefelben? Er fagt, Wer an mich glaubt, 
wer mein Werk treibt, ber wird diefelben Zeichen thun und noch 
größere als dieſe. Welch eine MWeiffagung m. a. 3., welch ein 
Wort ded Herrn! und gefagt, allen gejagt, die weil fie an ihn glau« 
ben auch fein Werk treiben, allen, die weil fie in ihm leben auch 
Glieder feines Leibes find, feines wahren geifligen Leibes! Aus die. 
fer Einwohnung bed Zleifch werdenden Wortes in der menfchlichen 
Natur nad Seele und Leib gingen alle jene Zeichen und Wunder 
bervor. Die irdifche Erfcheinung iſt verfchwunden, aber der geiftige 
Leib des Herrn beſteht; und eben deöwegen konnte und mußte ber 
Erlöfer. fagen, daß feine Zeichen nicht aufhören würden, fondern daß 
fie immer fortgehen würden in eben biefem feinem geifligen Leibe. 


458 - 


Aber wo und wie? Müffen wir nicht hier diefelben Worte ſpre⸗ 
chen, die der Erlöfer in einer feiner Reben benen in den Mund legt, 
zu welchen er fagen würde an jenem Tage, fie hätten ihn bekleidet 
da er nakkend gewefen, fie hätten ihn gefpeift als er hungrig, fie 
hätten ihn getraͤnkt ald er durſtig geweſen; und die dann fagen 
würden, Herr, wann haben wir dad gethan? So freilich find auch 
wir verfucht zu fagen! Aber wad wird er und antworten? hr 
feid auf diefe Erbe gefezt — nun nicht mehr um fie zu beherrfchen, 
damit ihr euer finnliched Beduͤrfniß befriedigt und auch dazu eine 
immer größere Zülle von Mitteln fammelt: ihr ſollt fie beherrſchen 
durch den göttlichen Geift der Liebe. Der fol und wird euch im- 
mer mehr dad Auge bed Geiſtes erleuchten; er wirb euch tiefer und 
tiefer eindringen lehren in alle Geheimniffe der Natur; ihr werdet 
durch ihn neue Kräfte in ihrem innern aufregen, weldye gefchlafen 
haben; und in dem gemeinfamen eben des Geiſtes und der Natur 
wird die Macht des erften fi) von einem Gefchlecht zum andern er: 
weitern, ohne daß ihr ein Ende abfehen koͤnnt: bis diefe ganze Welt, 
- wie fie dem Menfchen übergeben ift, auch durchſichtig für ihn ge 
worden fein wird und dem göttlichen Geiſte in ihm dient, obne 
dag ihm etwas verborgen und verfchloffen wäre, und feine Gewalt 
gehemmt durch etwas andere®. 

Und fehet da, alles, was der menfchliche Verſtand geleitet vom 
Geift fortfchreitend vollbringen wird, ift die Kortfezung der Zeichen 
und Wunder ded Herm; und wir find berufen nicht nur an ſie zu 
glauben, nicht nur fie zu verfündigen, fondern fie zu thun. Wo 
wir unfere Kräfte vereinigen auch die äußere Noth des Lebens zu 
lindern, über die Gebrechen der leiblichen Natur den Menfchen bin: 
auszuhelfen und überall wo feine Kräfte gebrochen find fie zu beie 
ben, die mißgeleiteten zurüßfzuführen auf den richtigen Weg: über: 
all da geichehen die Werke bes Herrn. Aber fehet euch wehl vor! 
rühmet nichts, preifet nichtd, vwertrauet auf nicht als mur auf Das, 
was gefchieht mit dem innigen Glauben an das Eine große Wert 
Gotted, welches nicht nur begonnen fondern feinem Geift und We 
fen nach vollendet iſt in Chriſto! So werben fich immer mehr bie 
berrlichften menfchlichen Kräfte .entfalten; fo werben wir immer maͤch⸗ 
tiger werben alled zu thun und zu erreichen in feinem Namen; unt 
von allem großen und guten werden wir wiſſen, baß e3 von ihm 
ausgeht, daß ed fein Segen iſt, und dag ber Werth befielben ba: 
rauf beruht, daß ed gebraucht wirb zu feinem Preife und feiner 
Verherrlichung: damit fein Geiſt durch uns ihn auf alle Weiſe den 
Menfhen immer mehr verkläre, auf daß fo alled Eine Heerbe werde 
des Einen Hirten. Amen. (Lieb 525, 5.) 





Am 3. Sonntage nad) Epiphanias 1833. 





Lied 4,1—3. 99. 
Text. Apoſtelgeſch. 10, 36. 


Ihr wifjet wol von der Predigt, die Gott zu den Kin: 
dern Israel gefandt hat, und verfündigen laffen ben Frie⸗ 
ben burch Jeſum Chriftum. 


M. a. 3. Als wir neulich mit einander und von den Wundern 
des Erlöferd unterhielten, da verftand es fich wol von felbft, daß 
wir unterfcheiden mußten einigeö, was nur ihre damalige unmittel: 
bare Wirkung war, und dadjenige, was fie auch noch für uns und 
für alle Zeiten der chriftlichen Kirche fein Binnen. Aber wenn von 
ber Lehre bed Erlöfers die Rebe ift, von feiner Predigt, da: ift Feine 
Beranlaffung zu einer folchen Scheidung; da iſt alle unfer, unfer 
ebenfo wie derjenigen, die ihn felbft hörten, und für alle Zeiten ift 
dad Wort ded Herrit eind und baffelbe. Davon nun redet in ben 
veriefenen Worten der Apoftel Petrus, ald er anhub feine Predigt 
vor dem Somelius; und was kann er anderd gewollt haben als in 
diefen Worten den allgemeinen Inhalt der Predigt Chrifli bezeichs 
nen? Und wie nennt er fie? Er nennt fie eine Predigt von bem 
Sieden, weldye Gott habe thun laſſen dem Volke durch Chriflum; 
und als eine folche, als eine Predigt von dem Krieden wol: 
len wir fie denn izt mit einander betrachten. 

Ih kann mir- aber denten m. a. 3., Daß es euch geht wie 
mir. In dem erften Augenblikt .erfcheint und dieſe Bezeichnung 


460 


als nicht recht der Sache angemeffen, auf der einen Seite al3 zu 
viel, auf der andern Seite als zu wenig: aber freilich, als ich es 
genauer erwog, verſchwand mir ſowol das eine ald bad andere; und 
darum will ich nun meiner Rede an euch eben diefe Richtung ge 
ben. Zuerfl laßt und darauf unfere Aufmerkſamkeit richten, in 
wiefern und dieſes, die Lehre Chrifti eine Predigt von dem Frieden 
zu nennen, zu viel fcheinen kann; hernach aber andy darauf, wie 
und biefe Worte des Apoftel3 fcheinen können viel zu wenig zu fa- 
gen, wenn wir fie vergleichen mit unferem Befiz und Eigenthum 
an Chrifto. 


L Beam wir nun m. a. $r. auf bad erfle fehen: fo Tafiet 
und fragen, wie. bezeichnen andere heilige Schriftfteller, wo fie in 
der Kürze von ber Lehre unfered Herrn reden, feine Verkuͤndigung? 
So fchreibt der Evangelift Matthäus *), Bon der Zeit an begann 
Chriſtus zu predigen und ſprach, Thut Buße, denn dad Reid, Got⸗ 
tes ift nahe herbeigekommen. So ifl denn die erfle Aufforderung 
" gleihfam der erfte Theil feiner Predigt, Thut Buße; und diefes 
Bußethun, wie weit ift ed entfernt davon ein Zuſtand bed Friedens 
zu fein; und alfo auch die Aufforderung bazu wie iſt fie ganz et- 
mas andre ald eine Predigt von dem Frieden! Um Buße zu thun 
muß der Menfch inne werben der Gewalt der Sünde, die in ihm 
berrfcht, und indem er nun fich diefes feines Zuflandes bewußt wird 
als des tiefften Elend und der tiefften Exrniedrigung, und ihm ba: 
bei zugleid vor Augen ſteht, was auch von benjenigen gelten muß, 
welche die Predigt des Evangeliums fchon feit ihrer Jugend ber 
vernonimen haben, und was gewiß jedem fein eigened Gewiſſen fagt, 
nicht nur wie lange er eben biefe Stimme, welche dad Amt der 
Verſoͤhnung von ſich gibt, überhört habe, ſondern auch wie er felbit 
mit feinen Sünden immer aufs neue Chriflum gekreuzigt habe: dann 
bemächtigt ſich des ganzen Gemüthes eine tiefe Traurigkeit, ja mehr 
als das, es geräth in einen Zuftand, der nicht felten nah an das 
hoffnungslofe und an die Verzweiflung grenzt. Indeſſen diefer Zu⸗ 
fland fol freilich ein Ende nehmen, wenngleich nicht auf einmal; 
oft fogar wird auch ſchon während beflelben auf eine vorübergehende 
Weile dad Gemüth befhwichtigt: aber die Unficherheit, ob wir uns 
in dem Stande ber Gnabe befinden oder nicht, Tehret immer wie 
der, und immer wieber werben wir benfelben inneren Kämpfen zum 
Raube, bid endlich Doch zulezt eine gewiffe Sicherheit in unjerem 
Gange eintritt. Dann ifl die Buße freilich überftanden, aber Doch 


*, Matth. 4, 17. 








461 


auch nur bie erſte. Denn wie oft werben wir und nicht immer 
wieder noch bewußt des Streited in und’ felbfl, daß dad Fleifch ge: 
Lüftet wider den Geift, und daß der Geift ac) oft genug auch nicht 
mehr fann, ald nur daß auch ihn feinerfeitd gelüftet wiber das 
Fleiſch, wider jened Geſez, welches mächtig ift in feinen Gliedern. 
Das ift ja die allgemeine Erfahrung aller Chriften; fo ftelt fie 
auch der Apoftel dar und ruft zulezt aus, Wer wird mich erlöfen 
von dem Leibe diefe® Todes *)! Diefer Kampf zwiſchen dem Wohl 
gefallen an dem heiligen Willen Gotted und dem Gefez, welches re: 
giert in den Gliedern, hört nicht auf, fo lange wir auf Erden le⸗ 
ben; und alfo haben wir auch hier feinen Zufland des Friedens, 
und indem uns die Verkündigung Chrifli ebenfalls nicht nur fo 
durch die Buße Bindurchführt, fondern und auch nicht davon befreit 
in dieſem inneren Streite fortzuleben: wie ann fie eine Predigt 
des Friedend heißen? 

Allein dag nur nicht eine Aufforderung zur Buße, bie wir fo 
verftehen, und die ſolche Gemuͤthszuſtaͤnde hervorbringt, vielleicht gar 
nicht auf eine nothwendige Weife mit der Predigt Chriſti zufam- 
menhängt!- Denn wenn Chriftus auffodert Buße zu thun, fo heißt 
dad eigentlich und genau feine Worte genommen nichts anderes als 
feinen Sinn zu ändern und fi ihm zuzumenden. Und der Apo⸗ 
fiel Paulus antwortet auf jene Frage gleih, So danke ich nun 
Gott, ber mir den Sieg gegeben hat durch Chriſtum und weiß, daß 
nichts verdammliches iſt an denen, die in Chriſto Jeſu ſind. Und 
wie ſehen wir eben dieſe Verkuͤndigung nach den Tagen Chriſti 
fortſchreiten und ſich geſtalten? Als zuerſt Petrus auftrat an dem 
Tage der Pfingſten **), da ſagte er freilich denen, Die ihn hörten, 
daß eben diefer Jeſus, den fie — ohnmerachtet er folche Zeichen und 
Wunder und nichtd anderes gethan hätte in feinem Leben, ald daß 
er umbergegangen fei und wohlgethan habe — durch die Hände 
der ungläubigen an dad Kreuz geheftet hätten: daß eben den Gott 
zu einem Herrn und GChrift gemacht habe. Da war nun freilich 
diefe unmittelbare Tcheilnahme, welche mehr oder weniger ber größte 
heil des Volkes bewiefen ‚hatte an dieſem legten Theil der Lauf- 
bahn ded Erlöferd, die ihn dem Leiden und dem Tode zugeführt, 
da3 war freilich nothwendig eine befondere Veranlaſſung zu einer 
tiefen Bewegung ded Gemuͤths; und dieſe wird und auch darge 
fleltt, indem fie ausriefen, Ihr Männer, lieben Brüder, was follen 
‚ wir thun, daß wir felig werden. Aber nun wies fie auch Petrus 


°) Röm. 7 24. ” 
-) Ap. Geſch. 2. 








nicht mehr an fortwährende Schmerzen der Selbfivemichtung, ned 
überließ er fie beängfligenden Zweifeln, ob auch wol für bie, welche 
den Fürften des Lebens gefreuzigt, noch Gnade zu hoffen wäre: 
fondern mit der größeften Zuverficht fagt er zu ihnen, So laßt euch 
taufen auf den Namen Chriſti zur Wergebung der Sünden, banı 
werbet ihr auch diefer Gnade theilhaftig werden; benn euer und 


eurer Kinder ifl fie diefe Verheißung, fie if euer Eigenthum, fie ge 


bührt euch, e8 bedarf nur, daß ihr kommt fie in Beſig zu nehmen. 
So leicht macht er es ihnen nach dieſem drüffenden Gefühl über 
das, was fie gethan hatten; fo leicht hilft er ihnen barüber himweg 
und öffnet ihnen auf bie freudigfle Weiſe von ber Welt dad Reich 
der Gnade, gewiß alſo ald eine wahre Wohnung bed Friedens. 
Und auch der Apoftel Paulus, wo er zuerft den Heiden dad Evan: 
gelium verfündigt und gegenüber dem gögendbienerifchen Wahr bie 
große Wahrheit aufftellt von dem Einen Gott, der Himmel und 
Erde gefchaffen, und der über das ganze menfchliche Geichlecht feine 
Führung von Ewigkeit ber verfehen habe, was fagt er ihnen? Der 


wolle nun die Zeiten ber Unwiffenheit überfehen und halte nun al 
len Menichen vor den Glauben *). Derfelbe Apoftel, der in feinem 


Briefe an die Römer einen fo tiefen Bikk zeigt in den Zuſammen⸗ 
bang zwifchen den Werirrungen bed menichlihen Verſtandes und 
den Werfehrtheiten bed menfchlihen Willend; der uns fehen läßt, 
wie dieſes beides fi) immer gegenfeitig unter einander geflärft habe, 
das Nichterfennen das Verkennen und Umbilden des hoͤchſten We⸗ 
fend, deſſen Bemwußtfein deffen Ahnung wenigſtens in der menfchli- 
chen Seele ruht, und dad Hingegebenwerben in alle verberblicdhen 
und den Menſchen erniedrigenden Lüfte: eben derſelbe, welcher bach 
diefed alfo auch die Schuld des Menfchen fo deutlich anerkennt, 
flellt doch ebenfalld da, wo er die Predigt Chrifti fortſezen will, 
diefe Zuftände dar als die Zeit der Unmwiffenheit, die Gott überfehen 
will, wie er auch anderwaͤrts fagt, dag Gott nun eine neue Ge 
rechtigfeit aufgerichtet habe, Eraft deren ex vergebe alle bie Sünben, 
welche biöher geblieben wären unter feiner Gebuld, und alle gerecht 
werden durch den Glauben an Chriftum **). Was. follen wir alſo 
fagen? daß, wenn die fanfte Friedensſtimme des Evangeliums eine 
folhe an die Vernichtung grenzende Verwirrung in dem menfchli: 
hen Gemüthe hervorbringt, wenn die göttliche Traurigkeit, die da⸗ 
bei unvermeidlich ift, eine fo zerftörende Geflalt annimmt, und eben 
dadurch die menjchliche Seele in eine unorbentlihe Bewegung ges 


” Ap. Geſch. 17, 20 
Rom. 3, 21 folgd. 


rath, in der fie nicht im Stande ifl die Ueberzeugung von ber goͤtt⸗ 
lichen Gnade zu gewinnen und feflzuhalten, dieſes gewiß nicht die 
eigentliche Wirkung von der Predigt des Evangeliums if, Denn 
fragen wir, wo finden wir denn die Züge, welche diefem Bilde aͤhn⸗ 
lich find in der Schrift? Ja wir finden fie aber in ben Zeiten bes 
alten Bundes, wo bie Predigt bed Gefezed galt, welche Lohn dar⸗ 
bot und Strafe androhte. Da erlannte der König, ber gefünbigt 
batte, ein geängfteter Geift fei ein Opfer, dad Gott gefällt *); da 
find die Gebeine verbrannt und kleben am Fleiſch vor Heulen und 
Seufzen **); da ſtekken Gottes Pfeile in ihm und ift keine Sreube 
in feinen Gebeinen ***); da ruft ex, wenn er ed ſich endlich aneig- 
nen kann, Wohl dem Menfchen, welchem nachdem er ſolches erlitten 
bat die Uebertretungen vergeben find und die Sünden bedekkt ****). 

Solches m. Fr., wenn es in der menfchlichen Seele vorgeht, 
ift nicht die Wirkung von ber Predigt des Hertn; dieſe ift nichts 
anderes ald eine Predigt des Friedens, fie verdient keinen anderen 
Namen von Anbeginn an und in Ewigkeit fort ald dad Amt, wel: 
ches die Verföhnung predigt. Wo jene Zuflände vorangehen in bem 
menfchlichen Gemüth, da find fie eine natürliche Wirkung von der 
auch nothwendigen Richtung ber menfchlichen Seele auf bad Gefez, 
welches überall unter den Menfchen dazu da ift jedem feine Sünde 
vorzuhalten. Aber wie fchnel nun einer burh ben Glauben bie 
Gnade in Chrifto ergreift, das hängt nur von der Beichaffenheit 
feined Gemüthd ab. Die Predigt des Evangeliumd fezt ihm feine 
Zeit bie er zubringen und Fein Maaß dad er erfüllen müßte in ben 
Bewegungen ber Buße; fie beflimmt feinen Grad von Schmerz von 
Selbſtvernichtung und Selbftverachtung, burch den wir erft hin- 
durchgehen müßten. Nein, euer unb eurer Kinder, fo fagt fie im: 
mer noch zu allen Menfchen, ift diefe Verheißung, ihr dürft fie nur 
ergreifen, wie fie euch dargeboten wird, ihr dürft euch nur verfenten 
in dad Bewußtſein der göttlichen Xiebe, welche fich even darin ver: 
fündet und preift, dag Chriftus für und geftorben ift, da wir nod) 
Sünder waren +). Und jener fortwährende Streit, den wir freilich) 
nicht abläugnen wollen, von dem fagt derfelbe Apoftel, der ihn uns 
auf ſolche MWeife- darftellt, es gebe für den Mienfchen, der hier auf 
Erden wandelt, der nie ganz aus dem Zulammenhang mit ber 


2) 9. 41, 19. 

) H9f. 102, 4, 6. 
») 9. 38, 3. 4. 
) Pf. 32, 1. 

+) Roͤm. 4, 8. 





464 


Sünbe herausfommt, eine göttliche Traurigkeit, bie niemanden ge 
reut, weil fie ihn nur immer wieber zur Seligkeit führt. Freilich 
ift e3 eine Traurigkeit, wenn uns dad zum Bewußtſein kommt, daß 
noch immer in unferem Leben fi die Nachwirkungen zeigen von 
dem früheren Zuflande, wo wir entfrembet voaren der Gemeinfchaft 
der göttlichen Gnade und noch nicht Bürger mit den Heiligen und 
Hausgenoffen Gottes; und daß freilih nur unter manchen Abwech⸗ 
felungen der Menfch auf feiner Laufbahn weiter kommt, daS aller: 
dings iſt eine Urfadhe zur Demütbhigung, bie wir und alle weber 
abläugnen fünnen noch wollen. Aber ift eben diefe im Stande uns 
feren Frieden zu flören? wiffen wir nicht, daß ber Herr eben bei: 
wegen in die Melt gefandt worden ift, damit er den ſchwachen zu 
Hülfe kumme? fagt er nicht ausdruͤkklich ſelbſt, daß er nicht ge 
fandt fei zu den flarfen und zu den gefunden? Alfo haben wir das 
Bewußtſein, dag wir ſchwach find und frank, fo haben wir doch 
auch diefed dabei, dag wir feine ſchwachen find und Teine Tran: 
fen: und in bisfer Zuverfiht kann und ber Zröfter, den er gefen 
det, Der Friede, den er den feinigen gegeben hat, nicht entgehen. 
Aber wie nun, wenn wir aus und felbft hinausgehen und fe 
hen auf unfer gefammtes Leben in dieſer irdifchen Welt: wo bleibt 
da der Ruhm einer Predigt von dem Frieden? Hat nicht der Er: 
föfer felbft gefagt, Ihr wähnet, ich fei gefommen Frieden zu brin: 
gen auf Erden; nicht Frieden fondern da8 Schwert? Hat er nicht 
feloft gefagt, e8 werde ein Bruder den andern zum Xode überant: 
worten, und ber Vater den Sohn, und die Kinder würden fi) em: 
pören gegen die Eltem? Hat er nicht felbft zu feinen Juͤngern ge: 
fagt, der Juͤnger fei nicht über den Meifter, und wie die Welt ihn 
gehaffet und verfolgt, fo werde fie auch fie haffen und verfolgen *)? 
Wenn wir nun bedenken, was für Zuftände über unfere menfchliche 
Welt gegangen find eben in Beziehung auf dieſe Prebigt, die eine 
Predigt von dem Frieden fein fol; wie fange Zeit hindurch Die 
Chriften verfolgt worden find auf alle Art und Weile um de3 Pa: 
mens Chrifti willen, und auf welche gewaltfame Art die Menſchen 
ſich diefer Predigt von dem Frieden widerfest haben; ja wenn wir 
noch weiter gehen und bedenken, was innerhalb eben ber Geſellſchaft 
felbft, welche durch bie Predigt von dem Frieben gegründet wurde, 
ähnliches gefchehen ift; wie zeitig ſchon diefes neue gemeinfame Le: 
ben zerfallen iſt in feindfelige Spaltungen, in benen oft die, welche 
- lange ald Brüder einträchtig beifammen gewohnt hatten, eben fc 
gegen einander aufgeregt waren, und auch bie nächften füch umter 


) Matth. 10, 21 — W. 


465 


einander bis aufs Blut verfolgten; und wir und kaum jezt nach 
einer folchen Reihe von Jahrhunderten fagen können, wir find ficher, 
daß ein fo gewaltſam geführter Streit fich nicht wieder erneuern 
‚wird, benn wiewol im Heinen unb eimelnen wieberholen fich boch 
von Zeit zu Zeit diefeiben Bewegungen: wo bleibt da die Predigt 
von dem Frieben? Und wenn wir nun fehen, welche Noth eben 
diefer Zwiefpalt auch fonft im ganzen Leben anrichtet; wie ber Ers 
löfer grade in Beziehung auf biefe feine Predigt ſchon von fich ſelbſt 
fagen mußte, Des Menſchen Sohn hat nidyt wo er fein Haupt hits . 
lege; wenn. feine Apoftel das nämliche fagten, daß fie ſich durch 
alle Gefahren und Biderwärtigkeiten, durch alle Entbehrungen muͤß⸗ 
ten hindurchdraͤngen: iſt bei einem ſolchen Zuſtande fuͤr den Men⸗ 
ſchen, wie er in dieſer irdiſchen Welt ſein kann, wol Ruhe und 
Friede zu finden? 

Aber laſſet uns m. g. auch auf die andere Seite der Sache 
ſehen: ſo werden wir finden, der Erloͤſer war doch und gewiß der 
einzige wahre Prediger des Friedens. Wenn die Welt ſich gegen 
ihn und gegen die ſeinigen wendete, ſo hoͤrte er und hoͤrten ſie nicht 
auf ihr mit Liebe zugethan zu ſein. So haben wir noch heut in 
unſerer epiſtoliſchen Lection die Worte bed Apoſtels) vernommen, 
die uns die Worte Chriſti des Friedenspredigers felbft **) wieder⸗ 
holen, Habet ihr Feinde, ſo liebet ſie; habet ihr ſolche, die euch 
verfolgen, ſo ſegnet ſie. Und in einem Gemuͤth, welches ſo geſinnt 
iſt, kann es doch wol an dem Frieden nicht fehlen. Und wenn der 
Apoſtel in Beziehung auf das aͤußere Leben den Chriſten den Rath 
gibt, ſie ſollten die da weinen ſein als weinten ſie nicht, und die 
ba kaufen als beſaͤßen fie es nicht ***), und alles was irdiſch und 
vergaͤnglich iſt auch als ungewiß anſehen und gleichſam gar nicht 
als ihr eigen, ſondern auf jeden irdiſchen Wechſel beſtaͤndig gefaßt 
ſein: wie koͤnnen wir ſagen, daß es bei einer ſolchen Geſinnung je⸗ 
mals unter dem irdiſchen Wechſel fehlen koͤnne an dem inneren 
Frieden? Aber freilich wenn die Zwietracht in der chriſtlichen Kirche 
ſelbſt entbrennet; wenn das, was ein gemeinſchaftliches Suchen und 
Forſchen nah der. Wahrheit fein ſollte, in einen Streit audartet, 
ber wenn er auch nicht mehr blutig fein Darf doch alle Zeichen eis 
ner leidenfchaftlichen Gemüthöbewegung an fi trägt, in welcher . 
Liebe und Wohlmollen nicht mehr: zu fpüren find: das ift freilich 
kein friedlicher Zuftand, aber es ift auch nicht die Wirkung von-ber 





9 Abm. 13, 17-31. 

”) Matt, 5, 48 

”), 1 Kor. 7, 29 30. 

Il, Gg 








pro 
Yrebigt des Friebens und hat auch feinen Grund nicht in berieben. 
Bielmehr die fich fo flreiten — fei es auch über ben Namen Ehwifli, 
glauben fie auch, es fei feine Ehre oder die Reinheit feiner Predigt 
und feiner Lehre, was fie auf diefe Weiſe zu befchüzen glauben, 
wenn fie von einem folchen ixbifchen Feuer entbrennen, — mögen 
daraus urtheilen, daß fie noch nicht durchdrungen find von der Pre 
digt des Friedens; ja fie.können ſich mit Sicherheit fagen, daß bie 
rechten Wirkungen von dieſer Predigt noch nicht angefangen haben 
in ihrer Seele; daß dad was fie von dem Evangelium befijen nur 
die Schaale ift und nicht der Kern, nur der Buchſtabe, auf den fie 
eben deshalb fo fehr halten, und nicht ber Geiſt. Wo die Predigt 
ded Friedens in die Seele eingedrungen ift, da ift fein andrer Eifer 
möglich, ald ber aus der Liebe hervorgegangen iſt und deshalb auch 
in allen feinen Aeußerungen die Liebe erkennen läßt; ba iſt Fein 
Streit möglich, der im Wertheidigen der eignen Ueberzeugung aus 
ſchließend wäre und abfprechend:- fondern jeder muß von dem Be 
fireben zeugen in brüberlicher Vereinigung ben gemeinfamen Trieb, 
der in bee menfchlichen Seele ruht, befriedigen zu wollen und jo 
und gegenfeitig zu erleuchten. Das iſt der Zuflend, ber in Hin⸗ 
füht auf die Unvollkommenheit unferer Erkenntniß allein unter be 
nen flattfinden Bann, welche wirklich ergriffen find von der Predigt 
des Friebend. 


U. Aber nun laffet und zu dem zweiten heil unferer Bes 
trachtung und wenden, wie freifich von einer audern Seite angefe- 
ben diefe Bezeichnung der Lehre des Erloͤſers nicht genug zu fein 
ſcheint für das, was wir an berfeiben haben. 

Zriede! was benfen wir dabei zunaͤchſt ald nur dad Ende bes 
Zwielpaltd und des Streited? Liegt in bem Ausdrukk irgend ein 
beftimmter Beliz, irgend ein bedeutender Grab bed Wohlbefindens? 
Nur die Möglichkeit davon liegt darin. Und freilich wenn bie Pre 
digt Chriſti nicht wäre die Predigt von der Seligkeit fonden nur 
die Predigt von einem Zrieben, welcher fie möglich macht aber Doch 
nicht in fich ſchließt: wie follte fie-nicht viel zu wenig fein. für das, 
was wir bedürfen, und dad gar nicht auöbräffen, was wir wirt: 
li haben? Zumal wenn wir über dad hinwegſehen und es ums 
als fchon befeitigt hinwegdenten, was in der Gemeinfchaft der Chri⸗ 
ften noch nicht dad Werk ift von der Predigt des Friebens; fordern 
" fie und ganz fo denken, wie fie dem Weſen nad) iſt und fein foH, 
wie ber Apoſtel fie und beichreibt, daß alle mit einander zufammen; 
gehören wie die Glieder Eines Leibes, alle von einem und bemfel: 
ben Leben durchdrungen und weſentlich einander beiſtehend und för- 














467 
dernd; wenn wir benfen, wie eben derjenige, welcher noch leidet 
unter dem Streit bed Geiſtes gegen das Fleiſch, derjenige, welcher 
noch nicht zur Ruhe gekommen ift und zum Frieden in Beziehung 
auf feine Vorſtellungen von dem-einzelnen, was zu feinem ‚Heil ge: 
hört, wie jeder, der auf irgend eine Weiſe ſchwach iſt, in der chriſt⸗ 
lichen Gemeinfchaft ben ftärkeren empfohlen ift, daß fie nicht nur 
ihn tragen und halten und leiten, fondern auch daß fie felbft feine 
Laſt und feine Buͤrde tragen follen um ihn zu erleichtern und ihm 
mitzufheilen von ihrer Kraft: wenn wir diefed überlegen und uns 
boch geftehen müffen, das ift dad Weſen der chriftlichen Kirche, und 
ohne dieſes wäre auch die Prebigt Chriſti nicht zu ihrer Wirktichkeit 
gelangt — benn er ift dad, was er iſt, nıı geworben dadurch, dag 
er dieſe Gemeinfchaft, in der fein Leben ein gemeinfames werde, bil: . 
dete, und daß er fie noch leitet und erhält: — wie wenig ift dage⸗ 
gen biefer Audfpruch des Apofteld, daß fie fei eine Predigt von 
dem Frieden! | 

Ad) und laffet und auch an unfer VBerhältniß zu feinem und unfes 
rem Gott zu feinem und unferem Water im Himmel denken, welches uns 
überall dargeftellt wird in feiner Predigt und feiner Lehre, Wenn er und - 
in feinem Gebete Gott dazu empfiehlt, daß wir Eind mit ihm fein follen, 


fo wie er Eins mit ihm ifl, und er in und fein folle, fo wie der Bas - 


ter in dem Sohn ift, und fo alles Eins fein mit ihm; wenn wir 
alfo eben biefes, den göttlichen Geiſt, die lebendige Gemeinſchaft mit 
Gott, als den Grund unfered Lebens anſehen; wenn ber Geift Got: 
tes in uns ruft, Abba, lieber Water, und wir bad ald bad Ziel 
unferer Beſtimmung als bie eigentliche Wirkung Chriſti erfennen, 
bag auch wir die Sohnfchaft empfangen, und ebenfo auch unfer 
Wille mit dem göttlichen Willen uͤbereinſtimmen folle, wie ber Sohn 
mit ihm übereinflimmte, und ebenfo mit neuem Xriebe, ben ber 
göttliche Geift in und entzündet, die Werke thun, die der Geift uns 
zeigt, wie er fie gethan hat: mas ift doch das viel höheres und - 
groͤßeres, ald wenn wir nur ben Zrieden mit Gott denken! 

Aber doch m. a. $r., wenn. wir beides fo von einander tren⸗ 
nen oder gewiffermaßen einander. entgegenfezen, daß wir bann nur 
nicht geringer denken von ber menfchlichen Natur, wie fie doch das 
und befannte ebelfte Werk Gottes ift, zu feinem Bilde erfchaffen, 
als der Apoftel von ihe denkt! Die menfchliche Natur ift fie nicht 
dieſelbe in allen? fühlen wir und nicht von innen her zu einander 
hingezogen? und müffen wir. nicht fagen, wenn nur der Keim des 
Verderbend ausgerottet ift aud ben Menſchen, bann fließen fie von 
ſelbſt in Liebe zufammen? Ja ik nur der Grund des Zwieſpaltes 
erft aufgehoben; find fie erſt gerichtet mit ven sehenöbräften auf 





268 
dad ewige und unvergängliche, um welches Fein Streit ift, weil alle 
e8 gleichermaßen genießen koͤnnen und befigen: o bann fließen fie 
auch gleich in ein gemeinfames Leben zufammen; dann erfennen fie 
fi) unter einander verbunden; und ed gibt feinen Frieden, der nicht 
gleich zu ber innigſten Gemeinfchaft fich geflaltete. Eines iſt von 
dem andern nicht zu trennen; unb wenn bie Predigt bed Erloͤſers 
die Predigt von dem Frieben war umter den Menſchen, fo wear fie 
ſchon dadurch auch die Prebigt von biefer lebendigen. Gemeinfchaft, 
die ja nichts anderes war ald die Wieberholung ber Liche, mit wei: 
cher er und geliebt bat. Und eben dieſes ift ja feine Predigt von 
dem Frieden. Und dürfte es wol anders fein, wenn wir ſehen auf 
unfer Berhältnig zu Gott? Iſt es etwa nicht lediglich das Wert 
‚ber Sünde, daß ber Menſch auf eine gewiſſe Weiſe von Gott ge 
trennt ifi und von ihm getrennt befichen Tann? Iſt ed möglich, 
dag wir mit Gott mit dem lebendigen Bott Frieben haben, wir die 
auch lebendigen, nachdem einmal durch diefe Predigt von dem Frie 
"den das geiftige Leben in und erwacht ift, ohne daß ſich dieſelbe 
felige Gemeinfchaft mit Gott ausbildete? Können wir denn etwas 
anderes fehen und wollen al3 fein Werk und feinen Willen, wenn 
einmal der Vorhang hinweggenommen ift, wenn einmal allen durch 
den Einen, der den Frieden predigt, der Zugang zu dieſem Heilig: 
thum geöffnet iſt? O dann ift auch gleich von felbft die innigfle 
Gemeinfchaft mit Gott hergeftellt, und in dem einen Wort von dem 
Frieden Tiegt in ber That alled, wir können und nicht das eine von 
dem andern getrennt denken. Wo Friebe in und ſelbſt if, da ifl 
Wohlfein; wo Friede mit den Menſchen ift, da ifi auch bie immigfle 
Gemeinſchaft mit ihnen; wo Friebe mit Gott ift, da if auch Zu: 
fammenflimmung unfered Willens mit bem einigen. 
Aber dennoch fcheint noch Eins übrig zu fein, worin bie 
Worte bed Apoſtels offenbar zu wenig enthalten für dad, was zu 
unferm Heil gefchehen iſt, wenn Petrus fagt, Gott hat durch Chri⸗ 
flum ben Frieden predigen laſſen. Predigen, das beißt doch 
nichts anderes als verfündigen, und Verkuͤndigung und Mitthei: 
lung: weldy großer Unterſchied! Chriſtus ift aber unfer Friede; er 
iſt e8, der aus allem was getrennt war Eins macht, aus den Men: 
. fhen, die von einander getrennt waren, aus dem Gefchöpf und dem 
Schöpfer, die von einander getrennt waren; er bringt den Frieden 
— und zu ſagen, daß er ihn gepredigt habe, iſt viel zu wenig. 
Aber laſſet uns nicht vergeſſen, daß der Erloͤſer überall uns darge 
ſtellt wird ald das Fleifch gewordene Wort, und das Wort Got: 
tes was iſt e8 anders ald jebeömal ein gebietendes, ein hervorbrin⸗ 
gendes, cin fchaffended. Und fo iſt auch feine Predigt ald die Ber: 


40 
kuͤndigung des Friedens ein ſolches Wort, daß ſo er gebeut, ſo ge⸗ 
ſchieht es. Dieſe Predigt, ſie richtet ſich an alle Menſchen; aber 
wo ſie aufgenommen wird, da wirkt ſie auch, da wird ſie gleich 
das ſchaffende Wort, da durchdringt ſie den Menſchen bis in das 
innerſte, und was das Wort ausſpricht, das in ihn eingeht, das 
wird in ihm. Darum iſt in dem neuen Bunde kein Unterſchied 
mehr zwiſchen Verkuͤndigung und Erfuͤllung; nicht mehr iſt beides 
getrennt in verſchiedenen Zeiten; nicht mehr leben wir in dem Zu⸗ 
ſtand der Sehnfucht, wo die Verkuͤndigung etwas fruͤheres waͤre, die 
Erfüllung aber lange ausbliebe. Beides iſt eins und daſſelbe, und 
wir duͤrfen nur der Verkuͤndigung das Ohr oͤffnen, ſo dringt ſie in 
das Herz und erſchaffet da, was das Ohr vernommen hat. Darum 
iſt der Erloͤſer nichts anderes geweſen und brauchte nichts anderes 
zu fein als der Prediger des Friedens. Von Anfang an hat er 
feine andere Gewalt gehabt ala die Gewalt des Wortes, und -jebe 
andere hat er verfchmäht; aber Dusch feine Worte, durch feine Tha⸗ 
ten, infofern fie auch Worte waren und feine innere Herrlichkeit 
audfprachen, hat er gewirkt und wirkt auch noch immer fort. Und 
wir alle find berufen feine Prebigt fortzufegen, d. b. feine Zeugen 
zu fein; aber, wie er felbft zu feinen Süngern fagt, nicht wir wer 
ben es fein, die ba reden, fondern ber Geift wirb es uns geben. 
Das diefer Geift in und wirkt, dad iſt unfer Zeugniß von Chriſto; 
die Predigt unfered Lebens ift nichts anderes als die Erhaltung und _ 
Verbreitung bed Friedens‘, den der Erlöfer gefchaffen bat. Dazu 
hat er und alle gemeinfam berufen; und fo mögen wir denn in bie: 
fen Frieden und immer tiefer verfenten, indem wir auf dad Wort 
feiner Lehre merken, daB Welen feines Geiftes wirkſam fein laſſen 
in unferem innern, und was er in und fchafft, das als unfre Pre 
Digt als unfer Zeugniß hervortreten laſſen an das Licht, damit 
aud buch und fein Werk fich mehre und feine Schöpfung fh 
ausbreite, bis alle Zungen bekennen, daß Ehriftus der Here ift über 
alled. Auen. 
Lied 40, 2—3 


00 XL 
Am 4. Sonntage nad) Cpiphanias 1833. 





 kied 8 308. 


Test. Er. Joh. 13, 34. 


Und ich fage euch nun, Ein neu Gebot gebe id «ud 
daß iht euch unter einander liebet, wie ich such geliedet 
babe; auf daß auch ihr einander lieb habet. | 


Fon neulich, als wir mit einander rebeten vom: der ehrt m 
Predigt bed Erloͤſers, konnten wir die Beſchreibung berfeiben, Di 
fie eine Predigt von dem Frieden fei, nicht ganz und vollem 
verftehen, wenn wir nicht auch dieſes bebachten, daß der Erifer we} 
er und geworben iſt uns nicht allein durch feine Lehre werde 
tonnte; ſondern es gehörte dazu zugleich die Gemeinfchaft ber gin 
_ bigen, welche ex fliftete, fo daß fih das eine von dem andern Sl 
trennen läßt. Und eben von diefem andern heile feines allgem" 
nen Berufs auf Erden, die Gemeinfchaft der giänbigen bes Ra 
Gottes zu fliften, hätten wir nun noch zu reden, machbem #" 
zuerfl von den Wundern, bie fein irdiſches Leben begleiteten, u 
dann von feiner Predigt und Lehre gehandelt haben. Aber Ind 
ich mir biefes vorfezte und mich fragte, wie ſich doch ein ſo grohe 
Gegenſtand nach der Art und Sitte unſerer öffentlichen Bomis 
on ein einziges Wort der Schrift binden ließe: da wurde ich w 
denkiich und fuchte hin und her, bis mir bieß Wort bes Hem Di 
Gemüth kam ais dasjenige, welches in der That dad game © 





471 


heimniß der chrifttichen Kirche in fich fchließt: Und in dieſem Sinne 
bat e3 aud der Erxlöfer gefprochen.- Denn wenn er in unferm Texte 
fagt, Ein neu Gebot gebe ich euch, und das hernach dieſes ift, daß 
‚fie ſich unter einander lieben ſollen, und wir recht gut wiſſen, ei⸗ 
nerſeits daß er ihnen dies gewiß fchon fonft oft unb viel eingefchärft 

hat, anbrerfeitö daß die Liebe fich nicht erzwingen läßt, und alfo 
auch kein eigentliched Gebot darüber gegeben werden Tann: wie an- 
ders kann er dieſe Worte gemeint haben, als grade fo? Denn in- 
bem er hier in feinen lezten Reben an feine Jünger an Died neue 
geiflige Reich Gottes dachte, welche ſich Durch ihn gründen folkte,, 
mußte er ed fafl unwillführlich vergleichen mit dem früheren Bunde 
zwoifchen Gott und feinem. Wolfe. Das war freilich ein anderes; 
der ruhte auf einem Geſez und befand in einer Menge von. einzel: 
nen Geboten; er hingegen hatte nur Died eine, Died eine einzige, 
.worauf fein Reich ruhen follte. Und weil dieſes ebenfo der Grund 
des neuen Bundes war, wie die Geſezgebung Mofid der Grund von 
der Berfaflung und dem Beſtehen ded alten Bundes: fo konnte er 
ed in biefer Wergleichung nicht anderd nennen; er .mußte jagen, ed 
fei ein Gebot. Es giebt aber nirgends eine wahrhaft geiflige Ge 
meinfchaft, welche beſtehen Zönnte ohne Liebe und anderd als dur 
die Liebe; und die feinige, wie koͤnnte fie anders beflehen als eben- 
durch die Liebe, welche die feinige war? So fehr ed und daher 
anfangs überrafchen kann, wenn wir die Worte des Erlöferd ver- 
nehmen, wir follen uns unter einander lieben mit der Liebe, mit 
welcher er und geliebt hat; wir alle unter einander glei), nämlich 
gleich, in: dem Mangel des Ruhms, den wir bei Gott. haben follen, 
und.ex, der Über alle erhaben ifl, eben ‚beöwegen weil ber Water in 
ihm war und er eind mit: ihm, wir follen uns. unter einander mit 
derfelben Liebe lieben: fo iſt es doch gewiß, daß wir nur dadurch 
Glieder feined Reiches fein können, und daß nur in biefer Liebe 
fein Reich befichet. Und fo laſſet und über biefes Wort bes Erloͤ⸗ 
fer mit einander nachbenfen, indem wir fragen, Was giebt es wol 
gieiches zwiſchen feiner Liebe zur feinen Jungern und ber Liebe, Die 
wir unter einander haben follen, jo daß und beutlich wuͤrde, wie 
eben durch feine Liebe zu und auch fchon unfere brüderliche 
Gemeinschaft unter einander gegründet wurde und erhal: 
sen bleibt. 


1. Auerſt m. a. Fr., wenn es gewiß ifl, Daß eine geiflige Ge— 
meinſchaft nicht beſtehen kann ohne Liebe, weil fie ſonſt nur ein 
Bert der Gewalt fein koͤnnte, und bad kann feine geiflige Gemein: 
ihaft fein, denn Geiſt ift nur wo Freiheit iſt: fo iſt auf der an: 


473 


bern Seite eben fo wahr, daß jebe geiflige Semeinſchaft mm fort- 
beftehen kann durch dasjenige, wodurch fie entflanden il. Und fo 
wenn wir und fragen, wie ift benn biefe Gemeinfchaft der Siusger 
bed Erlöfers unter einander zuerft entflanden, fo dürfen wir ur 


fragen, wodurch befland denn ihre Gemeinfchaft mit ihm fort? Und 


da finden wir in bemfelben Evangelio ein merkwuͤrdiges Wert des 
Erlöferd mit einer Antwort feiner Jünger, welche und darüber ben 
Aufſchluß giebt. Es war eine Zeit, wo ber Erlöfer zu dem Wolke 
vieled geredet hatte auf eine ſtarke Weile von dem eigentlichen Zwekl 
ſeines Dafeind, wie er das Brot fei, dad vom Himmel gekommen 
wäre für fie alle, aber wie fie auch der Segnungen feines Dafeins 
nur theilhaftig werben könnten, wenn fie fi auch wirklich von ihm 
nährten und ihn ganz und gar in fi aufnähmen, fo ald ob fe 
fein Fleiſch ßen und fein Blut traͤnken. MS das nun vielen eine 
harte Rede fchien, die fie nicht vernehmen konnten, unb fie hinter 
fih gingen und nicht ferner mit ihm wanbelten: da fragte ber Er 
löfer auch die zwölfe, eben diejenigen, an die zunaͤchſt auch bie 
Worte unferd Texrtes gerichtet find, Wollt ihr nicht auch hinter euch 
sehen? Da ſprach Petrus zu ihm im Namen aller, Wo ſollen wir 
hingehen? die Worte des ewigen Lebens haft bu *). Das war es 
alfo! durch diefe fich mittheilende Liche gewann er feine Jünger, 
durch bie wurden fie bei ihm gehalten, dadurch wurben fie diejeni⸗ 
gen, von welchen er fagen konnte, was er gern von fo ‚vielen der 
andern gelagt hätte aber ihnen dad Zeugniß nicht geben kormte 
daß feine Rede bei ihnen gefaßt Hätte. Durch die Worte des ewi⸗ 
gen Lebens, die fie immer von ihm vernahmen, babusch wurden fie 
zu ihm geführt, dadurch bei ihm feflgehalten. Und fo ſagt er, fell 
nun ba ich hingehe, da ich nur eine Heine Weite noch bei: euch bim, 
eure Gemeinſchaft fortbefichen, fo müßt ihr euch unter einander Lie: 
ben mit der Liebe, mit ber ich euch geliebt habe. 

Alfo diefe mittheilende Liebe des Erloͤſers, weiche bie Barte 
bed ewigen Lebens von ſich giebt, die Serien der Menſchen darrch 
diefelben naͤhrt und ſtaͤrkt, dad tft die Liche, weiche Dad Wand war 
zwiſchen dem Grlöfer und ben feinigen; fie ift auch das Band, wel: 
ches die Gemeinſchaft ſeſthaͤlt, die er gegründet bat. - 

Es giebt viele und fchöne zarte Bande m. g., melde einzelne 
Menſchen auch geiflig mit einander verknüpfen. Wo ſich und ir- 
gend eine eigenthümliche Gabe des Geiſtes darſtellt, irgend eine vor: 
zügliche Fertigkeit in irgend etwas, was zu bem gemeinfamen höhe: 
ven Beruf der Menfchen gehört: da werben wir in Liebe hingezo- 





) Joh. 6, 68. 


RR 


gen; und durch ſolche einzelne Eigenfchaften ift von je her fo mande _ 
fchöne dauernde und wahrhaft gutes wirkende Verbindung einzelner 
Menfchen unter einander .entflanden, Und welche Fuͤlle von folchen 
Saben war nicht auch in der menfchlichen Seele bed Erloͤſers; weis 
he Liebenswuͤrdigkeit, welcher Zauber muß geweſen fein in feiner 
ganzen Erfcheinung! Aber was feine Jünger an ihn knuͤpfte und 
feft bei ihm hielt, ed war alles dies nicht: ed waren bie Worte bed 
ewigen Lebens, bie er fprach, die Offenbarung Gotte, die aus ihm 
firablte; e8 waren die Reden und Worte, welche Zeugnig davon 
ablegten, baß ber Water in ihm fei und ihm feine Werke zeige, ba . 
er: gekommen fei beffen Willen zu verkünden, und daß ed feinen am 
dern Willen des Höchflen gebe, ats bag die Menfchen glauben folk 
ten an ben, welchen er gefandt hatte. So wie biefe Worte bed 
ewigen Lebens eine Seele ergriffen, fo war fie auch feft an ihn ges 
müpft und konnte nicht mehr von ihm laflen; und nur eben dieje⸗ 
nigen, welche noch irgend etwas andered fuchten, welche meinten, . 
das Reich Gottes müfle kommen mit äußern Geberben, welche eine 
Geſtalt wie die Herrlichkeit diefer Erde davon verlangten: nur bie 
wenbeten fich wieder um von ihm hinweg, als fie hörten, ba es 
nur barauf ankomme fich von biefem himmlifchen Brote zu nähren 
und zu flärfen. Alles was fonft einem Menſchenkinde an dem ans 
bern wohlgefällen kann, wie geifliger Natur es auch fei, es iſt doch 
nur etwas geringes und voruͤbergehendes in Vergleich mit jenem. 
U nun aber diefer Mund verftummt war und verfchloffen; als 
auch die kurzen feligen Tage der Auferflehung vorüber waren, und 
die irdiſche Erfcheinung des Erlöferd gembigt für alle Zeiten; als 
die Fünger wußten, fie wären zurüflgeführt darauf, was fie nun 
in der That und Wahrheit von ihm aufgenommen hatten in fi: 
ad wie mußten fie da an einander bangen, weil jeber wußte, er 
babe von jenen Schaͤzen zwar einiged aber nicht alled! Da Tonnte 
und mußte jeder dem andern helfen fich lebendig zu erhalten und 
aufs neue in Erinmerumg zu bringen dies und jened von den Wor⸗ 
ten des Lebens; und auch. der Geift Gottes Eonnte ſich jeben ein⸗ 
zelnen unter ihnen nur zu einem befondem Werkzeug bilben, ben 

einen fo den andern anders, um fo durch alle allen zu verklaͤren, 
was er von den Worten bed Herm nahm, und es lebendig in ih⸗ 
nen zu erhalten. Dieſe mittheilenbe Liebe ift alfo von der Zeit an, 
wie fie der erfte Anfang war und die göttliche Kraft, durch welche 
menſchliche Seelen dem GErlöfer zugeführt wurden, fo auch noch jest 
ber rechte und urfprüngliche Grund von ber Liebe ber Chriſten um: 
ter einander. Wie viel und einer dafür fein ann, daß ſich uns 
die Worte des Lebens, die wir von dem Herrn empfangen. haben, ' 








Er aber, er fagt auch nicht einmal, daß ex von ſich ſelbſt hatt, 
was er gab. Meine Lehre, fo fagt er iunmer wieder, if nicht mem 
Fendern def, ber mich gefandt hat. Der Sohn, fprach er imma 
wieder, kann nichts von ihm ſelber thun — und was ift benn wel 
eine herrlichere That als bie Worte des ewigen Lebens ausſpie 
den? — er kann nichts thun von ihm felber, fagt er, ed zeige © 
ihm denn ber Bater. Und fo mäffen wir es auch; denn nur dw 


reinigt fein würde vom ber menfchlichen Sehrechlichkeit: fenben 
wenn wir nur wiedergeben. wollen, was wir empfangen habe 
So fagen auch er und feine Zünger von Anfang an; Ich habe euch 
‚gegeben, fagt ber große Apoſtel, was ich vom Herrn empfangen 
habe; und er ſelbſt, der Exlöfer, dad lezte Zeugnig, was er füh ih 
giebt im Beziehung auf feine Zünger vor feinem Vater, iſ die, 


Ich habe ihnen alled kundgethan, was bu mir gegeben. So auch 
wir, wur inbem wir mittheilen was twir empfangen haben; info 
es nicht unfer ift ſondern Gheifli, was wir fagen und. then um die 


Worte des Lebens Mar und wirkfam in unfrer Brüder Geden zu 


‚erhalten unb zu flärfen; nur in ſoſern wir nicht dad unfrige gl 


fondern bad feinige: befleht unter und das wahre Band der Eimg 
keit des Beifled, auf weichem bie. Gemeinihaft ber gihubigen nut. 


Aber jede Mittheilung m. a. 3. muß doch ein Ziel habt. 


‚Ber cedet wol hinaus ganz ind unbeſtimmte, ob jemand bice oda 


nicht? wann uͤherlegten wir wol nicht, ob Sieienigen, bie wir 9 
und Haben, auch wirklich hören ober nicht? und fo mar auch du 


mittheilende Liebe bed Eribſers von Ambegiun an eine ſolche übe“ 
‚gende und weißlich unterfcheibenbe Biche. Lange ſchon hatte er iM 
‚Yanger-um ſich gehabt, wiel ſchon hatten fie won ben Fox 
kebens von ihm vernommen, ja fogar bie Zeit feined Hinſcheiden 
war ſchon nahe genug, als er doch von ihnen ſagte, Ich habe 


niech viel zu ſagen, aber jezt koͤnnt ihr es doch nicht ragen ") 





*, oh. 16, 12. 


ad 





475 


Und baran erfennen wir allerdings die vechte Kunft und Weisheit 
in ben Mittheilungen ber Liebe, nur mitzutheilen was aufgenom⸗ 
men werden kann, nur ſo mitzutheilen, wie es wirklich empfangen 
werben kann. Das iſt das Licht, welches nur die rechte vollkom⸗ 
mene Liebe über die menſchliche Seele ausgießt, das iſt bie ge⸗ 
beimmißvolle Erleuchtung, deren fi nur bie Liebe ruͤhmen kann, 
welche bis in die Tiefe der Seele einbringt, daß fie immer an den 
Menſchen zu unterſcheiden weiß, was fie von ben Worten des ewi⸗ 
gen Lebens in ber That auffaffen und aufnehmen können, und was 
wieber nicht, daß. fie bei bem beginnt, was gewiß zuerft in dem 
menfchlichen ‚Herzen fängt und dann um fo ficherer fortfährt; das 
it die Kunft, es ift aber zugleich auch bie wahre Einfalt der goͤtt. 
lichen mittheilenben Liebe bed Erlöferd. Dem wenn wir fragen, 
woher ed. fommt, baß fo viel mohlgemeinte Mittheilung unter und 
vergeblich ift, daß fo oft was gemeint war gutes zu wirken zum 
Gegentheil ausſchlaͤgt, was gemeint war die Gemüther in Liebe zu 
verbinden und in Frieden zu: erhalten nur Weranlaflung zu neuem 
Streit giebt; wenn wir fragen, wie e8 body damit zugeht: gewiß 
nur daher fommt ed, baß wir in unferer mittheilenden Liebe das 
Maaß der Weisheit des Erloͤſers verfehlen. Und warum verfeblen 
wir e8? ach weil wir mehr uns felbft in Gedanken haben als bie, 
weichen wir geben wollen; weil und mehr darauf ankommt und 
felbft geltend zu machen mit unferm Befiz als mur darauf wohlthk: - 
tig zu wirken auf fi. Rähmen wir immer mit bem reinen unbe 
fangenen Blikk der Liebe jeben in und auf, wie er wirklich iſt, ſo 
würde und nicht in ben Sinn kommen einem etwas zu geben, was 
er ſich nicht aneignen kann; wäre unfre Mittheilung immer frei 
von aller Eitelkeit, von aller Ruhmfucht und aller Selbſtgefaͤllig· 
keit, fo würde fie auch immer fegendreih und wohlthaͤtig fein. 

Aber biefe weiſe mittheilende Liebe bed Erloͤſers, wie war fie 
doch zugleich eine fo zuvorkommende Liebe! Das fagt ex feinen 
Sängern in bemfelben Zufammenhang, in weichem er auch die Bor 
fchrift unferd Textes wieberholt, in ben Worten, Ihr habt mich . 
nicht erwählt, fondern ich habe eudy erwuͤhlt *). Damit wollte ex 
eben dieſes ausbrüfken, ex habe nicht gewartet, bis fie ihn etwa gen 
fucht hätten, ſondern ex fei ihnen entgegengelommen, er habe fie ex 
wählt dazu, daß fie in ihm erkennen koͤnnten die Herrlichkeit bes 
eingebornen Sohnes vom Water. So fehen wir ihn audy von Ans 
beginn an handeln. Wir willen freilich wenig von ber Art und 
Weiſe wie feine Werhältniffe zu einzelnen Menfchen entflanden find; 


) Iop. 165, 16, ° 





476 


ein paar kurze abgebrochene Erzählungen müffen uns fatt ms 
dern dienen. Aber wie kamen doch feine erfien Jünger zu 
Nachdem Iohanned ber Täufer feinen Schülern zuvor abe ha 
. wie er dazu gefommen fei nicht nur dad Beugniß abjulegen, daß er 
der erwartete nicht fei, für welchen viele ihn faͤlſchlich hielten, fom- 
dern auch anzufündigen, biefer fei bereitö erfchienen, geſchah es, 
er Jeſum wieder ſah, und da ſprach er zu diefen zweien, Sehet ba 
dad Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt! So gingen 
denn diefe ihn nach, und weiter beburfte e8 nichts ald baß ber 
Herr merkte, fie wollten ihn doch kennen lernen, ihr Urtheil freitich 
fi) ganz frei haltend ohne einen beftimmten Entfchluß fich näher am ax 
ihn anzufchließen, fondern ganz unentichieben, ob fie bei. ihm blei⸗ 
ben wollten oder nicht. Doch Ind er fie zu fich ein, und daran 
knuͤpfte fich jene erſte Bittheilung, durch welche fie glach gewiß 
wurden, wie fie auch hernach fagten, Wir haben den Meſſias ge 
funden. Unb als einer von feinen erflen Sengern bei 
zu ihm brachte, was konnte er von biefem rühmen, als dag ex füch 
entfchlofien hatte dad Worurtheil zu überwinden, ald ob nichts gu: 
te8 aus Nazareth kommen Tonne, und dem Worte zu folgen, Komm 
doch wenigſtens hinzu und ſiehe! Und gleich auf biefen Grund 
redete er ſolche Worte zu ihm, dag auch biefer ſich entſchloß sur 
Zahl ſeiner Begleiter zu gehören fuͤr ſein ganzes Leben. Und in 
wie viel ſchoͤnen Reden hat der Erloͤſer nicht daſſelbe autgebricktt, 
die alle den Sinn haben, er ſei gekommen zu fuchen ja ſelbſt zu 
fuchen was verloren ift, nicht eiwa zu erwarten, ob bie Merſchen 
ſich zuerſt an ihn wenben wuͤrden, nicht ſich vorläufig in füch zu 
verfchließen,- bis er aufgeforbert würbe Rede zu fichen, ſandern fe: 
‚chend die Menſchen au fich zu ziehen: fo war von Anfang an feine 
Mittheilung. | 
Und eben bie$ gehört gfeich wefentfid) Day, wenm wir bauch 
bie Liebe, mit welcher wir uns unter einander lieben, ald Chriſten 
foBßen verbunden fein. E giebt zwar vide loͤbliche Werfidht in 
allerlei menfchlichen Verhaͤltniffen zurüßfhaltend zu fein unb ſorg⸗ 
fam, fich nicht uͤberrilt an andere anzufchließen ſondern jeden feichen 
Schritt zuvor wohl zu überlegen; aber dieſe Weisheit, bie ich weit 
entfernt bin zu tadeln, bat bach ipte Sahrheit nur im jenem für 
und äußerlichen und mehr weltlichen Verhaͤltniſſen, worin mazsche: 
für einige fehr gut fein kann, für andere aber nicht: aber auf Dem 
Gebiete bed Reiches Gottes, wo eö auf den Geifi und auf Die Worte 
antommt, die das ewige Leben begründen und erhalten; auf dieſe⸗ 
einige, was gleich iſt für alle und immer baffelbe bleiben muß fin 


8 


Bit 


477 

alle: da giebt es Feine andere Vorſicht und feine andere Zuruͤkkhal⸗ 
tung, ald bie ich euch eben empfohlen habe nur mitzutheilen was 
aufgefaßt werben kann. Das aber follen wir, um alle andern Fol⸗ 
gen unbeforgt, nicht nur wie wir es empfangen haben immer geben 
und mit derfelben Bereitwilligkeit, wie der Erlöfer mittheilt, auch 
unfrerfeitdö mittheilen; ſondern wie er felbft fucht um zu geben, fo 
folen auch wir ſuchen. Unb nur -in biefem gegenfeitigen Suchen 
und Finden, von jedem auögehend, ber Die Worte bed ewigen Le. 
bens in fich aufgenommen bat um. mitzutheilen aud feinem Schaze 
alte8 und neued, wie ber Exlöfer fagt, daß jeder ed muͤſſe: barin 
befteht die Liebe der Chriſten unter einander; baburch werben wir 
inne, welch ein theured Gut jeder dem andern ift; an biefem Zu: 
vorkommen in ber geifligen Miüttbeilung erkennen wir die Wirkſam⸗ 
feit des göttlichen Geiftes, der eine treibende Kraft ift, die alle zu 
ber Duelle hinführen will. Ja ich möchte fagen, ein anderes Mit» 
tel giebt ed kaum um die zu erkennen, welche dad Werk des Herrn 
fördern wollen, als biefed nichts fparen nichts für fich haben wol 
len, die ewigen Güter nicht als etwad befonbered ſich ausſchließend 
aneignen wollen, ſondern überall, wo wir nur fünnen, wo wir die - 
Zuverfiht haben, ed werde aufgenommen werben koͤnnen, mittheilen 
was und gegeben iſt; denn ed ift die allen gemeinfame Gabe Got: 
ted, allen geworben durch ben Einen, ber fie den feinigen giebt, da⸗ 
mit fie Durch fie weiter geführt werden. 


1. Aber wenn nun biefe mittheilenbe Liebe bed Erldierd al- 
(erdingd dad erſte und wefentlichfle ift: fo giebt er und doch noch 
eine andere Befchreibung feiner Liebe; unb gewiß nur dadurch, daß 
auch dieſe für die Liebe gilt, mit welcher wir und unter einanber 
lieben, geht die chriftliche Gemeinfchaft aus feiner Liebe hervor. Er 
fagt, Des Menſchen Sohn ift nicht gekommen daß ex berriche, ſon⸗ 
dern daß er diene: und fo ift feine mittheilende Liebe von Anfang 
an zugleich eine dienende Liebe geweien. Was heißt bad doch 
eigentlid) mı. a. Fr., und wie kann von bemjenigen, ber ja felbit 
des Herr ift über alles — denn auch das ift er eigentlich zu reden 
nicht esft geworben fondern war ed fchon immer, — wie kann von 
dem gelagt werben, er fei gelommen, daß er diene! Was heipt 
Dienen? So wie dad Wort dort zu nehmen iſt nichts anders, als 
auf dad Beduͤrfniß eined einzelnen, an ben wir gewielen find, mer: 
ten und dies Bebürfniß, fo wie wir ed merken, auch befriedigen 
mit aller Anftrengung unferer Kräfte. Das iſt das Loos derer, 
welche dienen; und alle, auch bie es nur im irdiſchen und geringen 


— 


Sinn des Wortes thun, follen es doch thun wie der Apeſta ſagt 
von Herzen *), dad heißt nicht etwa nur weil fie es muͤſſen und 





es ohne eignen Nachtheil nicht unterlafien können, fonder es fol 


ihnen eine Freude fein, und wo fie ein Beduͤrfniß wahrnehmen fol: 
(en fie ſich befleigigen es zu befriedigen: das ift die Dienftbefliffen- 
heit, das ift der Eifer, der auch im aͤußern fo viel gutes fchafft 
und dad menfchliche Leben erleichtert. Die mittheilende Liche des 
Erloͤſers ift die, welche allen zugewenbet war. Wer Ohren bat zu 
hören fagt er, ber höre; von dieſer mittheilenden Liebe follte jeber 
Nuzen ziehen, jeder konnte und burfte vernehmen, unb wo Chriſtus 
einmal redete, da waren ihm alle willfommen. Aber außerbem 
hatte er noch befondere Verhaͤltniſſe zu einzelnen, und wo er ein 
zeln einem andern einzelnen gegenüber fland, dba wurbe zugleich 
feine Liebe eine folche dienende Liebe. Und wie ſchoͤn hat er ums 
diefelbe verfinnlicht durch eine Handlung, bie Johannes ber Apoftel 
erzählt am Anfang ded Kapiteld, woraus die Worte unſers Xertes 
genommen find **). Als ex mit feinen Juͤngern beim Mahle ſaß, 
ftand er auf, nahm ein Gefäß mit Wafler und ging umber ihnen 
die Füße zu wafchen und ſprach hernach, Ihr nennt mich Herr und 
Meifter, und ihr thut recht daran, denn ich bin ed; aber merfet 
wohl, was ich euch gethan habe! So ich nun, euer Herr und 
Meifter, euch bie Füße gewaſchen habe, wie folltet ihr nicht auch 
eben fo euch unter einander tun? Ihr wißt m. th. 3., daß auch 
jegt noch hier und da in ber chrifllichen Kirche zwar baffelbe ges 
fhieht al3 ein löblicher Gebrauch theild von allen, theils von denen, 
welche am hoͤchſten über den andern flehn: aber wie weit bleibt 
doch dieſes hinter jenem zuruͤkk! Wohl können wir zugeben, es fei 
nicht unrecht an die Herablaffung des Grlöfers auf eine eben fo 
finnbitdliche Weife wieder zu erinnem: wenn nur auch daffelbe da⸗ 
bei gebacht würbe! Aber wovon denn follte die Handlung des Er 
(öferd ein Sinnbild fein? Das erfahren wir, wenn wir auf das 
Geſpraͤch merken, weldyes fi) darüber entfpann zwifchen dem Erloͤ⸗ 
fer und dem Petrus. Denn diefer wollte das nicht leiden eben in 
dem Bewußtſein, baß es ja fein Herr und Meifter fei, und vie: 
mehr er beffen Diener. Da fprach der Herr zu ihm, So du denn 
nicht will dir deine Fuͤße wafchen laſſen von mir, fo haft bu Bei: 
nen Theil an mir. Auf dieſes Wort hin wendete denn Petrus ſei⸗ 





479 


nen Sim und ſprach, Her, dann nicht die Füße allein fondern 


auch dad Haupt und die Hände. Aber Jeſus entgegnete ihm, Ihr 
feid rein, und zwar wie er andenwärtd hinzufezt °), um der Worte 
willen, die ich zu euch geredet habe, und wer rein iſt, ber bedarf 
nur, daß ihm die Füße gewafchen werden. Und wenn ex, indem 
er fagte, Ihr feid rein, den einen audnahm, der dad verlorene Kind 
war: fo fehen wir Daraus um fo deutlicher, wie er bei diefer Rebe 
auf jene erfle und urfprüngliche Mittheilung zuruͤkkging. Wer die 
Worte bed Lebend in fi aufgenommen und ben Erlöfer ald ben 
erkannt hat, der von Gott gefandt fei um fie den Menfchen zu brin 
gen; wer in biefen Worten des ewigen Lebens lebt und ſich von 


ihnen nährt: der ift vein. Aber, fagt er gleichfam zu feinen Juͤn⸗ 


gern, ihr betretet ja immer noch biefen irdifhen Boden, und wer 
den’ betritt, dem klebt auch immer wieder irdiiched an, und das ver 
unreinigt euch von außen ber. Darum, wiewol ihr rein ſeid, und 
wenn auch Haupt und Hände rein geblieben find, thut euch doch 
noth euch zu reinigen von dem was euch anklebt von dem irbifchen 
Weſen; und bad thue ich euch, der ich euer Herr und Meifter bin, 
und fo follt ihr euch unter einander thun. Dad m. a. Fr., das ift 
die dienende Liebe des Erlöferd, wovon fich fo viele fchöne Beiſpiele 
finden in den Evangelien, wie er fich zu ben einzelnen wenbet um 
ihnen zu dienen in Beziehung auf ihr geiftiged Leben, wie er bem 
einen biefen, dem andern jenen befondern Wink giebt, wie es keine 
Schwäche feiner Juͤnger giebt, die er nicht wahrnimmt, und für je 
den hat er dann ein belehrendes heilended Wort. Das ift die Dies 
nende Liebe des Erlöferd; und was kann wol mehr als fie feine 


Sünger an ihm feflgehalten haben! wie muß das wol ein ganz bes 


fondered Band zwilchen ihm und ihnen gewefen fein! — Doc 
was rede ich davon wie von einer ungewiſſen oder entfernten Sache, 
die wir nur vermuthen dürften: wir erfahren fie ja täglich an und 
ſelbſt. Diefe dienende Liebe ded Erloͤſers, fie hört nicht auf, und 
fie wird nicht aufhören. Es giebt ja auch jezt noch ein befonberes 
Verkehr der einzelnen Seelen mit ihn, ja ed ift fogar eine Gegens 
feitigleit darin! Wozu wäre und denn der Schaz feiner Worte ers 
halten wenn gleicy nur auf einigen wenigen Blättern, wenn nicht 
die geiflige Gegenwart bed Herrn fich darin gleihfam verkörperte, 
wenn wir ihn nicht darin wahrnähmen, wie wir es jebeömal bes 
dürfen, wenn er nicht für einen jeden fein befonderes Wort hätte, 
gleihfam feinen befondern herzlichen Blikk, feinen befondern freund: 





) Joh. 15, 3. 





480 


lichen Wink, den keiner verfehlt, der ihm nur willig begegnet. Aber 
ohne diefe dienende Liebe koͤnnte auch die Gemeinfchaft der gläub 
gen nicht beftehn ımb noch weniger werben, was fie fein fol. So 
wie er, follen wir aud uns unter einander, wie er befohlen hat, 
zu reinigen fuchen von dem, was und noch anklebt. Zwar, wub 
man fagen, hat das der Erlöfer der kleinen Schaar ber zwölfe ge 
fagt, und fo kann ed auch jezt wol noch fein und if auch wol 
häufig, daß eine geringe Zahl von Seelen barauf unter fih ven 
. bunden ift, daß fie fuchen fich gegenfeitig zu reinigen nach ihrem 
beſten Vermoͤgen, unb daß jeber im Bewußtſein der gemeinfchaftli 

chen Quelle, aus welcher ihnen eben das gekommen iſt, daß ſie 
uͤberhaupt rein ſind, ſich auch gern im einzelnen reinigen laͤßt und 
fi) dem andern auch wieder bingiebt um ihm eben dazu zu bie 
nen? aber dad ift immer nur dad Verhältniß weniger, koͤnnte man 
einwenden. Das ift wahr m. g., aber jedes kleine Häuflein, wel⸗ 
ches mit dem Erlöfer verbunden ift, ift auch wieder eind; und wie 
umgeben fie ſich nicht, wie nahe ſtehn fie nicht einander, wie sft 
bemerken wir nicht auf eine Weile, wie wir es lieber nicht merken 
möchten, daß das eine Häuflein gar wohl. die Schwächen bed au 
dern kennt! Ach wenn fie einander nur immer die bienenbe Liebe 
zumenbeten, wenn nicht die einen oft zu bereichen fuchten flatt zu 
dienen; ach wem nicht noch immer gar zu häufig fich einſchliche 
was nicht aus feinem Vorbild genommen ift: wie bald würden wir 
fehen, wenn biefe dienende Liebe fich immer mehr emporhebt und 
immer weiter verzweigt, daß auch ein Land fie dem andern eine 
Gemeinſchaft der Chriften fie der andern zuwendet, und daß fie 
eben fo von einem Zeitraum zum andern fich vererbt, wie ber Er: 
Iöfer dad feinen Juͤngern ald ein Vermaͤchtniß hinterlaffen hat, daß 
fie ſich follen unter einander reinigen. | 


111. Aber laffet und noch eined nicht vergeflen, was aud fo 
weientlich gehört zur Liebe des Erloͤſers. Er fagt feinen Juͤngern, 
* Dazu babe ich euch gefezt, dazu habe ich euch erwählt, daß ihr viel 
Frucht bringet, und daß eure Zrucht bleibe. Wie? nicht um ihrer 
felbft willen erwählte er fie, nur um ber Zrucht willen, bie fie brin⸗ 
gen folln? Ia m. g. fo. ift e8 und nicht anderö! Die Liebe des 
Erloͤſers konnte ja fie mußte fich dem einzelnen herzlich "zuwenden 
und mit welcher Innigkeit, mit welcher fchöpferifchen Kraft und 
Fuͤlle! aber nie um fein felöft willen. Sein Auge war weiterhin 
gerichtet, fein BIER, und dad war immer ber Blikk der Liebe, ums 
faßte das ganze menfchliche Geſchlecht; ein Feines Häuftein hatte er 





zwar nur um fich, aber die große Heerde hatte ex im Sinn. Das 
mals rebete er unter wenigen. Menſchen: aber die ganze Zukunft 
war vor ben Auge feines Geiſtes aufgerollt, benn der Water. hatte 
ihm alle feine Werke gezeigt. Wie verſchwindet ber ‚einzelne, wie 
muß er verichwinden, wenn ber Blikk ded Herten auf das ganze 
menfchliche Geſchlecht gerichtet iſt. Das iſt der Sinn feiner Worte; 
und darum fagt er allen baffelbe und wird es immer fagen, Ich 
habe euch erwählt, aber dazu habe ich euch erwählt, daß ihr Frucht 
bringet und eure Frucht bleibet. Und warlich, mas fagt er von 
fich ſelbſt? Er fagt felbft zu feinen Juͤngern, Es ift euch gut, daß. 
ich hingehe; denn fo ich nicht hingehe, fo kommt ber Troͤſter nicht 
zu euch; fo ich aber. hingehe, will ich ihn euch fenben. Er wußte, 
er hatte feine Frucht gebracht; das Weizenkorn, wenn ed nun in 
die Erbe gelegt fei, würbe es nicht mehr allein bleiben fondern viel 
Srucht bringen; barum wollte er auch gern von hinnen gehen. 
Die Worte bed Lebens, die hatten gefaßt und wuͤrden fich nicht 
wieder verlieren aus der menfchlichen Welt, dad wußte er. : Das 
Fleiſch, fagt er einft und das fagt er auch von- feinem irdifchen 
Dafein, ift für ſich allein Fein Nuz; die Worte, die ich rede, find 
Geiſt und Leben. Geiſt und Leben follen die Worte des ewigen 
Lebens fein und bleiben, die wir reben, die wir einander mittheilen, 
burch die wir einander dienen, durch die wir einander zuvorkom⸗ 
menb anfallen um uns ihm zuzuführen und bei ihm zu erhalten, 
Und wenn fie Geift und Leben geworden find, dann foll auch jeber 
gern hingehen dad zeitliche verlaflen und wiſſen, auch fein Leben ift 
dazu geweſen, damit bie Worte des ewigen Lebens Geiſt und Leben 
wirken und immer mehr in dem menfchlichen Gefchlecht den ver 
herrlichen, ber bad Leben wieder gebracht hat. 
Sehet da, von dem erften Anfang ven bem erften Hinwenden 
des Herzens zum Erloͤſer bis zu dem freubigen Abſchied aus biefer 
Welt gilt nichtd anders als dieſe mittheilenbe dieſe dienende Liebe 
in ihrem zuvorkommenden ihrem fich bingebenden Wefen! fie iſt e&, 
mit welcher der Exlöfer. die Welt umfaßt; fie, mit ber wir und lie 
ben follen unter einander. Sagt man euch etwas anderes von der 
chriſtlichen Kirche, fo glaubet es nicht! Sagt man euch, ed gehörs 
ten. dazu menfchliche Sazungen: fo antwortet, dazu ift ber Sohn 
Gottes gekommen, daß er und befreite von ber Herrſchaft ber Sa: 
zungen, auf baß wir ben Geift ber Kinbfchaft empfingen. Sagt 
man euch, es gehoͤre dazu ein Bekenntniß, dieſe oder jene Gebräuche: 
fo erwiebert, der Exlöfer fagt, Ein Gebot gebe ich euch, daß ihr 
euch unter einander liebet mit ber Liebe, mit welcher ich euch ge⸗ 
liebet habe. Und wenn man euch entgegnet, gr diefe Weiſe würbe 
11. | h 


482 


ja die chriſtliche Kirche etwas fein, was man bei nichts anfaffere bei 
nichts halten könne, man würbe nicht wiflen, wo fie wäre, wo fie 
anfinge, wo fie aufhöre: fo entgegnet, Alfo iſt jeder, ber aus dem 
Geift geboren ift; ihe wiffet nicht, von wannen er fommt, noch we- 
bin. er fahrt, aber ihr höret fein Saufen. Und wohl eu, wenn 
ihr es vernehmet; wohl euch, wenn euer eigenes eben mit zufam- 
mengefaßt ift in biefem Wehen des Geifles; wohl euch, wenn auc 
burch euch bie Worte ded ewigen Lebens Geiſt und Leben werben 
in bem menfchlichen Gefchlecht! Amen. 


Lied 306, 6. 





. XLL 
Am Sonntage Invocavit 1833, 


Lied 187. 159, 1—7. 


Tert. Ruf. 22, 49 — 53. 


Da aber fahen die um ihn waren, was ba werben 
wollte, fprachen fie zu ihm, Her, folen wir mit dem 
Schmert drein fchlagen? Und einer aus ihnen fchlug des 
Hohenpriefterd Knecht und hieb ihm fein rechtes Ohr ab. 
Jeſus aber mtwortete und ſprach, Laßt fie doch fo ferne 
machen. Und er rührte fein Ohr an und heilte ihn. es 
ſus aber fprach zu den Hohenprieftern und Hauptleuten 
des Tempels und ben älteflen, bie über ihn gekommen 
waren, Ihr feid ald zu einem Mörder mit Schwertern 
und mit Stangen ausgegangen. Sch bin täglich bei euch 
im Tempel gewefen, und ihr habt Feine Hand an mic) 
gelegt; aber dies if eure Stunde und bie Macht: ber 


Sinfterniß. 


M a. 3. Wir beginnen izt wieder die Zeit, und was wir mit 
einander geſungen haben hat uns ſchon darauf vorbereitet, die ganz 
beſonders ber Betrachtung der Leiden des Erloͤſers gewidmet iſt, — 

ein reicher ein unerſchoͤpflicher Gegenſtand, der von Anſang an auf 
eine ganz eigenthuͤmliche und ſegensreiche Weiſe die Gemuͤther aller 
Chriſten bewegt hat und immer wieber bewegt. Aber fo unleugbar 


biefe Thatſache iſt, fo groß, weit um fich au mannigfal⸗ 


— 


tig: ſo ſchwer iſt es auf der andern Seite ſich eine genaue Rechen 
ſchaft davon zu geben, worauf eigentlich dad eigenthuͤmliche Dieter 
Kührung beruhe, ſchwer das reinere geifligere in dem tieferen Sinne 
des Wortes chriftlichere von dem, was demfelben ‚eher unvolllom- 
mened und mangelhaftes beigemifcht iſt, zu fcheiben. Auf bereinen 
Seite naͤmlich mäffen. wir m. a. Fr. das Leiden, bed Erloͤſers ſon- 
dern von feinem Tode; diefer- hat allerdings feine ganz eigene Be 
"deutung, aber ihm ift auch eine eigene Feier gewidmet. Auf der 
anderen Seite wem wir bedenken den Unterfchied, der ja von An 
fang an geweſen ift zwifchen dem Erlöfer und allen Menfchen, und 
fo auch zwifchen der Art wie er und ber Art wie diejenigen, bie 
ihn umgaben, ihr gegenfeitiged Verhaͤltniß betrachteten und ed be 
handelt haben: fo können wir nicht leugnen, fein ganzes Leben, fein 
öffentliches wenigftens, läßt fich anfehen als ein Leiden, weil er bei 
jeder Gelegenheit von einem fchmerzlichen Gefühl davon durchdrun⸗ 
gen fein mußte, wie wenig die Menfchen bedachten was zu ihrem 
Frieden dient. Was alfo, fragen wir billig, was iſt das eigenthuͤm⸗ 
lich bewegende in unften Betrachtungen über dad Leiden des Erloͤ⸗ 
ferö, fofern es erſt begonnen haben foll mit dem Ende feines oͤf⸗ 
fentlichen Lebens und Wirken, mit der Beraubung feiner Freiheit, 
mit feiner Sefangenfchaft? Wir Eönnen ed nicht leugnen, fehr viele 
Chriften haben dabei immer überwiegend im Auge die körperlichen 
Schmerzen ded Erlöferd; darauf werben fie in vielen Betrachtungen 
über das Leiden des Herrn auf eine befondere und vorzügliche Weiſe 
bingeführt; ja auch unfere chriftlichen Gefänge find auf eine befon- 
dere Weife mit diefem Gegenftand erfüllt. Aber wenn wir es ge 
nauer betrachten: fo ‘werden wir fügen müffen, das ift doch nicht 
dasjenige, worauf wir vorzüglich achten, was und am lebenbigften 
beichäftigen fol! Was find doch Förperliche Leiden und Schmergen 
an und für fih! Werlangen wir denn nicht fchon von dem ge 
wöhnlichen Menſchen, daß er in einem gewiſſen Grabe Herr darüber 
fein fol; daß fie ihn fo wenig ald möglich flören follen in feinen 
geifligen Verhältniffen; daß fie feinen Gedanken die Befonnenheit, 
feinem Gemüth die Liebe, dem ganzen Ausdrukk feines Weſens das, 
was wir von dem vernünftigen mit Gott befchäftigten auf ihn ge 
richteten Menfchen zu erwarten haben, nicht. flören ober verkuͤmmern 
follen? Wie viel weniger noch darf aljo der Erlöfer bavon eigen: 
lich gelitten haben! Indeſſen wenn wir nur barauf unfere Aufmerk⸗ 
famleit richten, wie auch hierin ber Exlöfer und vorangegangen ifl 
mit einem heldennrüthigen Beilpiel: fo wäre dad allerdings etwas. 
Wenn wir aber, wie das fo häufig gefchieht, überwiegend auf bie 
Größe bie Mannigfaltigkeit diefer Lörperlidyen Leiden unfere Auf: 








485 


merkſamkeit binlenfen, fie uns ins einzelne hinein zerlegen: fo find 
wir immer in- Gefahr ihnen eine Beziehung auf den großen Beruf. 
des Erloͤſers beizulegen, einen Zuſammenhang mit ber großen ges 
heimnißvollen Bedeutung feiried Todes barin zu fuchen, ber doch 
gar nicht flattfinden fan. Sehen wir nun hievon ab, fo-find das - 
nächfte die mannigfaltigen Schmähungen, die Ergießungen des Spot: 
te3, welche der Erlöfer in der Zwiſchenzeit von feiner Gefangermehs 
mung an bid das Gericht über ihn erging und ihm fein Urtheil ge: 
fprochen wurde ja auch hernach von rohen Menfchen zu erdulden 
hatte. Allerdings ift das fchon etwas mehr von geifliger Art, und. 
ed konnte wol auch ihn in ſeinem innern bewegen und erfchättern, 
wie leicht fich der Menfch umwandeln läßt; wie die nämlichen ober 
Die naͤchſten Genoffen von’ denen, die ſchon früher gegen ihn ausge⸗ 
fandt wurden aber von Ehrfurcht ergriffen nicht im Stande gewe⸗ 
fen waren ihren Auftrag auszuführen, fi) nun in einem foldhen 
Uebermuth von Schmähungen über ihn ergoffen. Aber zu hoch 
Fand doch der Exlöfer über diefer rohen Klaffe niedriger Men: 
fchen, als daß ihn das anderd als zu einem ihm fchon lange. ges 
wohnten und von dem Anfange feined äffentlihen Lebens an ihn 
immer begleitenden Mitleid mit dem menfchlichen Werberben bewe: 
gen konnte. Auch darin alfo ift nichtd der Art nach eigenthümli- 
ches, was biefer Zeit allein angehörte. Aber bei dem folgenben 
werben wir wol flehen bleiben koͤnnen. Bisher war er umherge⸗ 


gangen und hatte. gelehrt und Wunder gethan und hatte felbft und - 


‚ in Gemeinfchaft mit feinen Süngern die Menfchen aufgefobert ſich 
dem Reich Gotted, das nahe herbeigefommen ſei, zuzuwenden: aber 
e3 waren immer nur größere oder geringere Maſſen des Volkes ge- 
weſen, mit denen er es zu thun hatte, wie ſich jedesmal zufällig 
irgend eine Anzahl Menfchen um ihn her verfammelte, in fich ſelbſt 
verfchieben, auf welche dann feine Reden und feine Thaten eben fo 
zufällig bald einen größeren bald einen geringeren Eindrukk mach⸗ 
ten; und fo wechfelten dann in bdiefem Verhaͤltniſſe Lob und Be: 
wunderung, Gleichguͤltigkeit und Zurufftreten mit einander. Aber 
izt begann ein Verhaͤltniß zwiſchen ihm und dem ganzen Volk, wie 
es ſich in der feſtlichen Zeit darſtellte, in der Hauptſtadt des Lan⸗ 
des dem Siz der Macht und der gottesdienſtlichen Herrlichkeit ver⸗ 
einigt. Da kam es darauf an: wuͤrde es ihn anerkennen, wuͤrde 


es ſich zu ihm wenden, wuͤrde es ihn verwerfen. Aber noch etwas 


anderes iſt es um die bewegliche Maſſe des Volkes, und ganz ein 
anderes ſind diejenigen, welche daſſelbe zu leiten haben, die Macht⸗ 
haber, die Obrigkeiten, die vorgeſezten! Mit dieſen war der Erloͤ⸗ 
ſer bisher noch in gar kein Verhaͤltniß gekommen. Zwar hatten 


bie auf ihn erbaut if: fo werben wir auch in bieier Betrachtung 
feines Leidens nur wenige wefentlide Punkte können zuſammennch⸗ 
men. Deren aber find nun brei, feine Sefangennehmung, feine Ver⸗ 
antwortung, bad Urtheil weiches über ihn geſprochen wurbe: und 
in dieſer Beziehung laffet und heut mit der erſten beginnen, unfere 
Aufmerkſamkeit darauf richtend, was eigentlich fein Leiden wear in 
feinem Verhaͤltniß zu denjenigen, welche Macht und Gewalt hatten 
über fein Volk. 

‚Inden wir nun uns diefe Frage in Beziehung auf feine Be 
fangennehmung vorlegen, freilich nach Anleitung ber Worte, bie 
ich geleien habe, aber doch fo, dag wir. dad, was auch in ben Er 
zählungen anderer Evangelifien darüber vorkommt, von unferer Be: 
trachtung nicht ausfchließen: fo. werben wir auf zweierlei mit einan⸗ 
ber zu fehen haben, erſt lich, wie er ſelbſt fich Darüber äußert, wo⸗ 
rin fein Leiden hierbei beſtand, und dann zweitend, wie er ſich 
in dieſem Leiden betrug. - 


1. Legen wir und nun bie erfle Frage vor, worin bean bei 
feiner Sefangennehmung dad Leiden des Erlöfers befanp: 
fo giebt und nun unfer Text zuerſt eine abweilende Antwert in Be: 
ziehung auf etwas, worauf wir fonft wol leicht zuerſt fallen koͤnn⸗ 
ten, Der Erlöfer hatte freilich ſchon vorher feinen Juͤngern deutlich 
genug gefagt, was ihm bevorfläube; ex felbft hatte darüber mit. ei: 
ner volllommenen Gewißheit gerebet: ‚aber ed iſt menfchlicher Weile 
immer ein bebeutenber Unterſchied zwifchen unferer Gemuͤthsfaſſung, 
wenn wir etwas erſt vorausfehen als Fünftig, und derjenigen, wenn 


as⸗ 


es denn nun. wirklich da iſt und uns unmittelbar ergreift. Se 
hatte ber Erlöfer von feinem Leiden und Tode, weiche ja nothwen 
Diger Weile mit der Beraubung feiner Freiheit mit feiner Gefan⸗ 
genſchaft beginnen mußten, ſchon feit einiger Zeit mit der größten 
Ruhe geredet: aber ald nun die Stunde beinahe hesangelommen 
wor, da fühlte auch er das bittere berfelben mit; da that es ihm 
bange ſchon jezt von denjenigen hinweggeriflen zu werben, mit de 
nen er biöher gelebt hatte, und auf denen die Fortfezung feines’ 
Wertes ruhte; da ergriff ihn bad Bewußtſein biefer Lage, fo baß er 
fich in dem Gebet ergoß, Iſt es möglich, Water, fo gehe biefer Kelch 
izt noch vor mir vorüber, doch nicht mein ſondern dein Wille ges 
ſchehe. Wäre ihm biefe Unruhe, wäre ihm biefed bitfere Gefuͤhl ‚ges 
blieben, hätte es fich in feiner Seele noch gefteigert, ald fie nun ka⸗ 
men Hand an ihn zu legen: fo möchten wir bad billig für das erfle 
in feinem Leiden erklaͤren. Denn freilich in dem Bewußtſein feiner 
Kraft, bei dem Hinblikk auf dad große äußerlich anzufehen noch fo 
wenig geförderte Werk, weiches ihm oblag: wie ſollte ihn nicht eine 
tiefe Wehmuth ergriffen haben und ein Verlangen noch länger uns 
geſtoͤrt auf diefelbe ruhige flile Weiſe wie biöher zu wirken und 
das Reich Gottes vorzubereiten! Aber unmittelbar vorher ehe fie 
wirklich kamen ſagte er in der groͤßten Ruhe des Gemuͤths zu ſei⸗ 
nen Juͤngern, Laſſet uns aufſtehen, denn der iſt Da, ber mid) ver 
raͤth *); und ald nun feine Jünger endlich merkten was bevorfland 
— denn vorher hatten fie auf feine Worte in diefer Hinficht nicht 
immer fo viel Aufmerkfamfeit gerichtet als ihnen gebührt hätte, -- 
und fie ihn fragten, Herr, follen wir mit dem Schwerte drein fihla- 
gen? da erwieberte er mit der größten Ruhe, Laßt fie doch fort 
weiter fo machen, und fprach hernady zu ihnen, Sol ich etwa ben 
Keich nicht trinken, den mir mein Water darreicht? Da fehen wir 
alte mit ber größten Klarheit, fo wie es wirklich da war, fo wie 
ihm keine Ungewißheit mehr übrig bleiben Fonnte, war er mit ber 
größten Ruhe in dieſes Aufhören feiner Öffentlichen Wirkſamkeit, in 
Diefed Ende feiner wohlthätigen Aufregungen. und Einwirfungen, ja 
in diefe Beraubung. feiner Freiheit esgeben. Das alio, dad war 
fein Leiden nicht; worüber er fo ruhig fpricht, dab kann ihm feinen 
Schmerz gemacht haben. 


Aber wie aͤußert er ſich in Beziehung auf ſein Verhaͤltniß zu 


den vorgeſezten, die gelchiktt hatten um ihn zu greifen? Ihr kommt 
bei naͤchtlicher Weile uͤber mich, wie man ausgeht gegen Moͤrder 
und Räuber, auf.eine folche Weiſe angethan und bewaffnet und zu - 





) Matth. 26, 36. 


- Daß man ben Erloͤſer fo anſah unb behandelte, bas 


Sache mit ihm ausmachen wollten, fi von Anfang an auf eime 
foiche Weiſe gegen ihn ſtellten, als dürften fie ihn dem Abſchaum 

dee Menſchen beigefellen, als gehörte er zu benen, die bat Licht | 
Tages fcheuen, deren man nur habhaft werben Tann, wenn 
fie in ihren nächtlichen Schlupfwinkeln auflucht, gegen bie 


"Gewaltthätigkeit wegen noch auf befondere Weiſe bewaffnen 


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F 
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Seele mit tiefem Schmerz; und ich hoffe, wir alle ſtimmen 
‘überein, daß das ein gerechter Schmerz wer, und Daß daS ein 
fes Leiden if, gar nicht mit irgenb einem auch dem heſtigſten 


f 

7 

3 

2 
384*85 


bi 


den iſt nicht nur die Quelle des allgemeinen Wohlergehens, 
nicht getrübt werben fan, ohne daß auch zugleich die 
welche urſpruͤnglich eine Quelle bed Segens ift, fi auf ei 
heerende Weiſe in das Gegentheil umkehrt; aber nicht nur das i 
ed, fonbern es ift auch bie erfie Quelle, die unnachlaßliche MBebin- 
gung ber Gemüthöruhe und der Zufriebenheit eined jeben einzelnen 
Menſchen. Wie wenig ift doch ber einzelne, wern ex loßgeriffien itt 
von dem großen Zuſammenhang mit bem ganzen! Diefe Zufam 
menhanges war fich auch der Erloͤſer bewußt gewefen in feinem 
Öffentlichen Leben und hatte fich deffelben erfreut. Damals war m 
ter feinem Wolle eine große Freiheit denjenigen gegeben, die wie a 
als Lehrer auftraten; es warb nicht einmal unterfucht, auf weichem 
Wege fie zu den Kenntniffen gelommen waren, bie fie andem mi: 
theilen wollten; ſondern $reiheit hatte jeder in den öffentlichen Bm 
fammlungen an den Sabbathtagen zu reden, wo bie Abſchnitte aus 
den Büchern bes alten Bundes gelefen wurben: denn ed erging ei 
allgemeine Aufforderung, ob jemand etwas zu fagen hätte zur Be 
lehrung zur Ermahnung ber Gemeine, und wer etwas hatte, ber 
Eonnte auftreten. Das war dad Recht bed Erloͤſers, deſſen er wie 
oft gefagt wirb fich bebiente, wenn er umberging in den Städten 
und Zielen, bald in biefem bald ih jenem Theil von dem gelobtn 
Lande ‚feines Volkes, um in den Berfammlungshäufern und an den 
Stätten des Gebet zu lehren. Diefer Freiheit hatte er ſich bi 


l 


— 














Diefen Augenbiift- ungeftört bedient, und ging bied nicht ab ohne. 
Streit mit anderen, die auch öffentliche Lehrer waren aber von 
ganz anderen Gefichtöpuntten außgingen wie er: fo freute er ſich 
andy hierbei der Freiheit diefen Streit oͤffentlich führen und feine 
Wahrheit öffentlich behaupten zu können, um fo das Volk nicht nur 
auf den rechten Weg zu leiten fondern auch oft in: flarken Ausdruͤk. 
fen vor denen zu warnen, die ed irre führten; und der Genuß dies 
fer Freiheit, das war der Grund von der Zufriedenheit feines Les 
bens, darauf beruhte feine ganze Wirkſamkeit. Wird nun ein fol: 
ches Verhaͤltniß wo es ruhig beflanden hat ploͤzlich geflört; greifen 
diejenigen, welche Recht und Ordnung durch die ihnen gegebene 
Macht handhaben follen, auf gewaltfame Weile ein, daß andere fich- 
nicht mehr mit dem Grabe von Freiheit, den ihnen bie biöherige 
Ordnung zufichert, jeber in feinem Berufe bewegen: wird eine folche 
Störung auch nicht allgemein, faßt fie audy nieht fo das ganze, daß 
die öffentliche Wohlfahrt Gefahr leidet, — jeder einzelne ‚ den fie 
trifft, verliert Doch von dieſem Augenbiift an die gewohnte Faſſung 
- feine Gemuͤths, wenn der Boden, auf weldhem nicht nur der Ge 
nnuß ſeines Lebens ſondern ſeine freie Thätigfeit beruht, unter feinen 
Füßen wanft. 

ber nicht dad war es allein, daß man gegen ihn verfuhr, als 
ob er diefe Freiheit ſchon verwirkt haͤtte; ſondern er wurde behan⸗ 
delt, als wäre er einer von denen, die auf offenbare Weife dad Ge 
feg und die Heiligkeit des Rechts und ber Orbnung verlegt haben. 
Und dies mußte ihn nicht minder mit einem tiefen Schmerz erfüls 
ien, theild fchon an und für ſich, theild aber auch wegen alles def: 
fen, was auf das natürlichfle damit zufammenhängt. Denn wars 
Lich, wenn auch nichts weiter daraus erfolgt wäre, fo war bas fchon 
boͤſes genug, dag die aͤlteſten des Volkes ihn fo behandelten, wie ei» 
gentlich nur ein Verbrecher foll behandelt werben. Denn «8 iſt 
ganz etwas anderes, wenn ber einzelne vielleicht von Leidenichaft 
verblendet, vielleicht von Parteifucht getrieben, vielleicht aus eigens 
nuͤzigen Beweggruͤnden ein verkehrtes nachtheilige Urtheil über ei: 
nen einzelnen fällt. Auch das iſt fchon ein Schade, ber ſchwer zu 
erfegen iftz denn immer bleibt etwas haften, wodurch die Wirkfam: 
Beit eines befchuldigten gehemmt und gefährbet wird. Aber weit ge: 
fährlicher ift «8, wenn bie Obrigkeit eben dieſes thut, deren Urtheil 
ja da8 allgemeine Urtheil leitet, eben weit fie als folche Fein Eigen: 
thum bat, indem das öffentliche Wohl ie Gut iſt, weil fie nie foll 
von Leidenfchaften bewegt werden fondern immer nur ben Weg des 
Rechts der Ordnung und der Einficht zu wandeln hat, weil es für 
fie keine Parteien geben fol, indem fie über allen fleht, — wenn 


408 


die noch dazu durch die That ein folched Urtheil über den einzelnen 


fallt, fo ganz, abweichend von der Wahrheit feines ‚Lebens: wie of: 
fenbar auch dad falidye davon ben nachdenkenden und kundigen ein: 
leuchtet, e8 muß doch jebem aus ſolchem Urtheil durch Verwirrung 
der Gemäther durch Schwächung des Vertrauens —— — ent: 
fichen, welcher durch nichts, was nachher ald Erſaz geboten werben 

mag, jemald wieber gut gemacht werben Tann. Died Gefühl er 


guiff den Erlöier, jezt wurde er ſich noch anders ald fonft bewußt 
- in welchen leicht freveluden Händen bad Wohl feined Wolked rue, 


und was ihn ſelbſt betrifft, fo fühlte ex fih des koͤſtlichſten Gutes 


beraubt, umb dies brüfft er aus, wie ed nur ein tief bewegtes un 


erfchütterted Gemüth ausdruͤkken kann. 

Wie waren aber die aͤlteßen und Hohenprieſter zu einem Tel 
den Verfahren gelommen? Um bied deutlich zu fehen und den 
richtigen Eindrukk davon zu befommen, laflet und ben geichichtli⸗ 
hen Zufammenhang ind Auge faſſen. Lange fchon waren bie aͤlte 
ſten des Wolks, die Prieſter, die den hohen Rath bildeten, langt 
fhon waren fie aufmerfiam und mit Sorge aufmerffam auf ben 
Weg, welchen ber Erlöfer ging, nicht als ob fie etwas von ihm 
beforgt hätten, nicht als ob ihnen an ihin audy nur bie Ahnung ir⸗ 
gend eined falſchen eines Irrweges aufgegangen wäre; ſomdern fit 
ſagten, Laſſen wir den Menſchen ſo gehen, und er thut mehr ſolcher 
Zeichen: ſo wird ihm alles Volk zufallen, und dann werden die 
Römer kommen und und Land und Leute nehmen. *). Sie dachten 
alio, ed Tönnten aus ber Art, wie ber Erlöfer lebte Ichrte handelte, 
Störungen hervorgehen, bie den ganzen damaligen Zuſtand be 
Dinge änderten. Umb was fagten fie? Dahin waren fie gekom⸗ 
men, daß bes Hohepriefter fagte, Es iſt beffer, ba Einer flerbe,- al 
daß das ganze Wolf verberbe. Hätte er geglaubt, dag eine Schulb 
an Ghrifto fei: fo hätte er nicht erſt nöthig gehabt den lezten Grund 
"anzuführen und es für beffer zu erklären, denn es wäre dann an 
und für fich gut geweien und hätte feiner Rechtfertigung beburft. 
Aber dahin waren fie gelommen, daß fie boͤſes thun wollten, bamit 
gutes herauskomme; das wußte ber eridie, und bavon ergriff ihn 
nun ber erſte Erfolg. Und damit war es fo zugegangen, daß wit 
deutlich fehen, wie Ein faliher Schritt immer noch andere nad) ſich 
zieht, wie ein an ſich gefährlicher und verberblicher Grundfaz in ft: 
ner Anwendung immer noch gefährlicher und verberblicher wird. 
Sie hatten zuerſt einen Befehl ausgehen laſſen, wer da wiſſen wuͤrde, 

wo Jeſus von Nazareth fich aufhalte und herberge, folle es ihnen 


) Joh. 11, #8 


I) 


befannt machen. Dadurch hatten fie gehofft ihn zuruͤkkzuhalten, daß 
ex nicht -auf das Zeft komme, wenn er höre, was für eine Gefahr 
ihm drohe; und ald er nun doch erfchien, hatten fie unter fich dem 
Rathſchluß gefaßt, nicht auf dad Zeft wollten fie fich feiner bemaͤch⸗ 
tigen und ihn den Weg ded Todes führen, Damit nicht Dadurch eben 
das entflänbe, was fie vermeiden wollten, nämlich öffentlicher Auf⸗ 
lauf und Unruhe, welche die Römer hätten zu einer Beranlaflung 
nehmen Eönnen ihnen noch niehr von ihrem Einfluß und ihrer Macht 
zu entziehen. Aber nun trat. Judas dazwiſchen und gab fich zu ers 
kennen als ein folcher, der wifle, wo Jeſus von Nazareth herberge, 
und ihnen alfo feinen Aufenthalt verrathen könne. So waren fie 
denn gebunden durch ihr Wort und konnten es nicht zurüßfnehmen; 
und nun gab es Feine Art und Weiſe ihres Verfahrens, wenn fie 


beided vereinigen wollten, als daß fie fo Jeſum bei nächtlicher Weile ... 


in feinem Aufenthalt überfallen liegen, wie man bie Mörder und 
Räuber überfällt mit bewaffneter Hand. Darum drängt fich auch 
fein ganzes Gefühl in biefen Augenblikken auf biefen Punkt zufams 


- men. Woruͤbergehend freilich richtet er auch einen Blikk der Trauer 


auf den, der ihn mit feinem gewöhnlichen Gruß, als ob er noch zu 
denen gehörte, weiche dort mit ihm der Ruhe pflegen wollten, in. 
bie Hände feiner Feinde überlieferte; aber nur wenige flüchtige Worte 
fpricht er darüber aus, dieſes aber fagt er und giebt fein ganzes vol 
les Gefühl darin, zu erlennen. 


ll. Und nun laffet und fehen, wie er fich denn in dieſer 
Beziehung betrug. Zweierlei müfjen wir‘ dabei ind Auge fallen, 
feine Unterwürfigfeit und feine Freimuͤthigkeit. 

Seine Unterwürfigkeit zuerft giebt fi und fchon in bem 
Wort zu erkennen, welches ich aus unſerem Texte bereitd wiederholt 
habe, Laßt fie doch fo ferner machen, warum wollt ihr nicht, daß 
ich den Kelch trinken fol, den mir mein Vater darreicht? Von 
dem Augenblikk an, wo fie wenn aud auf biefe unangemeflene 
Weite über ihn kamen, aber doch abgeſchikkt von denjenigen, welche 
ein Mecht hatten Verantwortung von ihm zu fobern: von bem Aus 
genblikk an hielt er es nun für entſchieden, daß ihm fein Vater ben 
Kelch darreiche, und nun konnte er auch wicht mehr anders wollen 
als ihn trinfen. Der Evangelift Johannes erzählt und, ber Here 
wäre der Schaar entgegengegangen an den Gingang bed Gehöfts, 
wo er fich befand, und hätte fie gefragt, Wen fuchet ihr? und als 
fie fagten, Jeſum von Nazareth, und er ihnen entgegnete, Ich bin 
es, fo feien fie zuruͤkkgewichen und zu Boden gefallen. Wäre es 
ibm da nicht leicht geweſen dieſen Augenblikk des Schreftend zu 





402 

benuzen, um mit ber kleinen Schaar feiner Juͤnger in das nahe ihm 
befreundete Bethanien zu entkommen, wo er ſchon öfter währen 
feines Aufenthalt in und bei Serufalem geherbergt hattet Aber 
nein, das hielt er nicht mehr für fein Recht fich dem, was die u 
benpriefter und die aͤlteſten feines Volkes von ihm verlangten — 
md fie verlangten, daB er vor fie gebracht werden follte — ad 
num er es beflimmt wußte zu entziehen; wiewol er es konnte, un 
wiewol zu einer folchen Art fich feiner Perfon zu. bemädhtigen ſo 
wenig Beranlafjung war, daß ihm fchwerlich irgend jemand einm 
VBorwurf gemacht haben würbe, wenn er fid) biefem erfahren att: 
zogen hätte. Aber die abgeſchikkten kamen in dem Namen der Obrig 
keit, und er umterwarf fich wenn gleich in dem tiefen Gefühl, wi: 
amwürbig fie ihn behandelten, . wenn gleich wohl wiſſend, was Rt 
noch weiter beabfichtigten, wenn fie anders das erlangen wollte, 
weshalb fie fich entfchließen konnten böfes zu thun, bamit gute 
berausfomme. Doc unterwarf es fich und fagte zu ſeinem Iir 
ger, Meinft du nicht, daß ich meinen Water bitten koͤnnte, daß & 
mir zuſchikkte mehr denn zwölf Legionen Engel zum Beiſtande 
aber was er will, dad gefchehe *). Auch feiner wunderthaͤtigen Kraft 
auch des befonderen Werbältniffes, in dem er zu feinem Water fand, 
wollte er ſich nicht auf ſolche Weife zu feinem Vortheil bedienen. 
Des Menſchen Sohn, der Menſch Yefas erfannte bie Stinm um 
den Willen derer, die nur menfchlicherweife über ihm fanden, wie 
wol ihr Recht über ihn keinen Anfprudy darauf machen konnte In 
ſolchem Sinne von oben herzurühren, als ob es zu dem Gen ge 
hörte, welches Gott feinem Wolke durch Moſes gegeben hatte. Dem 
eined viel fp&teren und unficheren Urfprunges war diefer hohe Rat 
zu Ierufalem; aber doch feit längerer Zeit als Menſchen " 
hatte das ganze Volk diefes Anfehen anerkannt, und and die 3% 
mer, bie wenn gleich unrechtmaͤßigen Beſizer des Landes, af 
Daffelbe beflätigt, und eben deshalb erkannte Chriſtus in deſſen 2% 
fehl den Willen feine Vaters, gegen welchen ihm num nicht me 
gebührte auch nicht fein eigentpümliches Werhältnig zu dieſem eh 
zu Huͤlfe zu nehmen, fondern fi) ihm rein und ganz zu unten" 
fen. Stärker m. g. Fr. konnte der Erloͤſer nicht ausbräffen, 9 
er über. diefen Gegenfland denke, als dadurch, dag er fogar einer ſe 
zweideutigen ſo unficheren Gewalt, Die ſelbſt ihre Grenzen uͤberſchtu⸗ 
ten hatte, nicht nur nicht mit Gewalt widerſtehen ſondern auch, was 
er ohne eigentlichen Widerſtand haͤtte thun koͤnnen, nicht einmal 

iht entziehen wollte. Nichts dieſer Art hielt er für recht, für ſeiner 





) Mattb: 26, 53. 





493 
würdig; nicht einmal nachbem feine Widerfacher fi durch die That 
‚zu dem verderblihen Grundfaz befannt hatten böfes zu thun, damit 
gutes herauskomme. Und eben biefe firenge Unterwürfigkeit ſoll 
auch immer walten in der Gemeine ber gläubigen. So iſt ed auch 
geſchehen in der erſten Zeit der chriſtlichen Kirche, daß die, welche 
in Anſpruch genommen wurden ihres Glaubens wegen, ſich nie ges 
weigert haben der Obrigkeit zu gehorchen, den Grunbfaz, daß man 
Gott mehr gehorchen müfle ald den Menichen, allerdings treu bes - 
folgend. Denn wenn man ihnen befahl anzubeten vor den Bildern 
. bes Kaiferd oder vor ‘den Goͤzen zu opfern, fo thaten fie «& nicht; 
aber fie. gehorchten, indem fie alle Strafe erbuldeten und fogar ihr 
Leben liegen. So find die erfien Bekenner des Erlöfers ihm ges 
- folgt, und auf eine andere Weife hat es nie geichehen dürfen unter 
ben Chriften, auch fo lange fie noch flanden unter heibnijcher Obrig- 
teit. Und wiewol der Ayoftel bie Chriſten ermahnte, fie follten ſich 
huͤten den Schuz ſolcher Obrigkeit anzuſprechen in ihren beſonderen 
Angelegenheiten, ſo daß ſie Streitigkeiten, die ſie unter einander 
hatten, vor die heidniſchen Richter braͤchten: ſo liegt auch darin keine 
Verachtung ſolcher Obrigkeit; ſondern weil dadurch die Liebe, durch 
welche ſie mit einander verbunden waren, und das Wort Gottes 
verlaͤſtert wurde, darum verbietet er dieſes. Aber niemals haben ſie 
eine Ausnahme machen wollen von dem Gehorſam gegen die Obrig⸗ 
keit; ſondern dieſelbe Unterwürfigkeit, welche das erſte war, was ber 
Erlöfer damals ‚zeigte, fol auch immer die unfrige fein, und auch 
von uns gelten wie von ihm, daß keine Bewegung bed Gemuͤthes 
im Stände fei und jemals von biefen einzig richtigen Wege abzu⸗ 
führen. 
Aber eben fo wenig laffet und auch zweitens verkennen des 
Erloͤſers Freimuͤthig keit. Wenn nur bie Diener da geweſen 
wären, bie gegen ihn auögefandt waren: fo wären es vergebliche 
leere Worte geweien, wenn er biefen zu Gemüthe geführt hätte, auf 
welche Art fie kaͤmen, und wie fie ganz anders hätten kommen fol- 
lenz denn diefe waren nur Werkzeuge, fie konnten nicht ändern was 
ihnen aufgetragen war, und fie hätten fein Wort nicht einmal des 
nen überbracht, welchen es galt. Aber ed waren von denen, welche 
fie gefandt hatten, mit dabei; und biefe vebet er an und hält ihnen 
Träftig vor, wie weit fie über die Grenzen der ihnen zuſtehenden 
Gewalt hinausgegangen waren. Denn war er ein Uebelthäter,. fo 
hatten fie. ihn nicht aufzufuchen fondern bie Römer; und wollten - 
‚fie ihn nur vor ihren geiſtlichen Richterftuht ziehen, fo beburften fie 
weder der Nacht noch ber Waffen. Aber, fagt er, dad iſt eure 
Stunde und die Macht der Finſterniß. So hat er alſo kein Heht 


498 


gegen fie, daß er z fi in dem was fie thaten nicht für Diener Get: 
te3 erfennen konnte, bie rein ihr anvertrautes Anfehn nad tem 
Willen Gotted gebrauchten, fonbern für folche, die in die Macht der 
Zinfterniß bingegeben und alfo knechtiſche Werkzeuge derſelben in 
einer Stunde wären, die zugleich die Stunde ber Enticheidung für 
fie felbft war. Wie haben wir biefe Freimuͤthigkeit bed Erlöferd zu 
betrachten in. $r.? Hat -er fie ausgeübt vermöge feiner höheren Ge 
walt, nicht als der Menfchenfohn fondern ald det eingeborene Get: 
tefohn, ald der, der da kommen follte? Nein, er rebet auch hier 
nur von dem Berufe, den er in der Geſellſchaft hatte, von ber Art, 
wie er ihn übte, und von dem Berhaͤltniß bed hohen Rathes zu 
ihm als einem folhen. Hat er alfo dieſe Freimuͤthigkeit geüͤbt ats 
fein gutes Recht oder wol gar ald ein Wageſtuͤlk, wie es wol ei⸗ 
ner, ber nichtd mehr zu verlieren hat, in dem gerechten Ausbruch 
eined gereizten Gemuͤths zu thun pflegt? Dazu Bingen feine Worte 
zu ruhig. WWielmehr hat er fo geſprochen, weil es ihm eine. heilige 
Pflicht war; das fehen wir daraus, wie feine Rebe audgeht in ein 
Wort der Wartung, welche er feinen Gegnern ertheilt. men die 
Wahrheit zu fagen audy über ihr Bettagen gegen ihn ſelbſt, dad 

war fein Beruf, und dem fonnte er nicht untreu werben, fe lange 
es noch in feiner Macht fland ihn zu erfüllen. Run aud ihnen zu 
fagen, wie wenig fie wuͤßten, was zu ihrem Brieben diene, wie fe 
ſich ganz im Gegentheil bahin gegeben hätten in bie Maft der 
Finflerniß, fo daß dies auch ihre Stunde fei, die Stunde, in ber 
der Fürft der damaligen Welt folte gerichtet werben, biefe Pflicht 
mußte er üben, und darum redet er fo zu ihnen. 

Sehet da m. th. 3., fo iſt der Herr bis zum lezten Augen- 
blikk und überall unerſchuͤtterlich derjenige geweſen, der von ſich fe: 
gen fonnte, Ic, bin der Weg die Wahrheit unb bad. Leben. Den 
Weg zeigen, die Wahrheit reden und das göttliche Beben, welche: 
in ihm war, unter allen Umfländen auf gleiche Weiſe befunden: 
‚dad war fein Beruf, das hat er gethan, das finden wir überall auch 
in -biefer Zeit feined Leidens. Wir m. a. Fr. innen zwar an dem, 
was er bier gethan hat, nicht leicht ein unmittelbares Beiſpiel neh⸗ 
men, da die Verhältniffe, unter denen wir leben, ganz andere find; 
aber doch ift nicht zu leugnen, daß ſich auch in umferer Zeit aud 
unter den Chriften ja auch unter ben Chriften unſeres Volkes auch 
unter denen, die mit und das helle Licht des Evangeliums theilen, 
häufig ein ähnlicher Zwieſpalt zu erkennen giebt zwiſchen denen, 
weiche die Macht in Händen haben und mit ihr die Pflicht alle 
gute Ordnung zu erhalten, und denen, welche diefen untergeben find 
und ihnen audy unterworfen bleiben follen; ja viefältig find alle 





Zchatfachen biefer Art und alles, was in baffelbe Gebiet einfchlägt, 
der Gegenfland unferer Unterhaltung und unfered Urtheild. Diefes 
Urtheil Tann um fo unbefangener fein, je weniger wir felbft in der 
Sache: betheiligt find; aber ein anderes Maaß dürfen wir doch nicht 
anlegen ald den Erldfer und was er hier darſtellt. Wohl ift es 
nicht genug zu beflagen, wenn je auch chriftliche Obrigkeiten follten 
in den Zal konimen böfes thun zu wollen, damit gutes heraus: 
komme; wohl wäre nichtd trauriger, ald wenn auch unter chriftlis 
hen Völkern ed fo gefchehen follte, daß auch in dem Namen ber 
Obrigkeit der unfchuldige fhon im voraus behandelt wirb wie ein 
Räuber und Mörder: aber auch nicht minder zu beflagen, wenn ed 
felbft in diefem Zalle ben einzelnen an der unbebingten Unterwürfigs 
keit unter bie Obrigkeit fehlt, die der Erlöfer geleiftet hat, oder wenn 
fie es auf ber anderen Seite, indem fie fich knechtiſch einfchüchtern 
lafien, an dem Zeugniß der Wahrheit fehlen laſſen, welches abzules 
gen für alle, die dem Erlöfer folgen, eine Pflicht if, der fie fich 
nicht entziehen dürfen! Wohl aber allen, wenn jeber Schein vers 
fchwindet von einem folchen Zwiefpalt; wenn bie einen nicht mehr 
nöthig haben vor den andern fich zu frheuen, und diefe nicht mehr 
fich vor jenen zu hüten! Aber das kann nur gefchehen, wenn wir 
ale und unter allen Umftänden nach der Weile des Erlöferd han⸗ 
deln und fein Vorbild zum Maaßſtabe nehmen um ähnlichen Leiden 
auch eben fo würdig. zu. begegnen. Und was wuͤrde es und helfen 
den leidenden Erlöfer zu preifen, ihn zum Gegenftand unferer Be 
trachlung zu machen, wenn wie nicht fo viel an und ifl auch ſeine 
Nachfolger bleiben immer und uͤberall. Amen. 


Lied 169, 9. 


| XLIL 
Am Sonntage Dculi 1833. 


Lied 49. 18. 


Text. 1 Timoth. 6, 13. 
Ich gebiete dir vor Gott, der alle Dinge lebenbig macht, 


und vor Chrifto Jeſu, der unter Pontio Pilato begeuget 


hat ein gutes Bekenntniß. 


M. a. 3. Xu wir unfere diesjährigen Pallionöbetrachtungen an: 


fingen, habe ic) ſchon für alle zugleich die Richtung, welche biefel: 


ben nehmen würden, bezeichnet; unb wir würben bemzufolge heut 


mit einander zu reden haben von der Berantwortung bed Eridferd 
vor feinen Richten und von dem, was babei eigentlich als fin 


Leiden anzufehen if. In Feiner. unferer einzelnen evangelifchen Er: 


zaͤhlungen finden wir aber einen vollſtaͤndigen Bericht darüber; das 


rum babe ich diefe Worte des Apoſtels zum Grunde gelegt, welde 
“auf das ganze gute Bekenntniß bes Erloͤſers zuruͤkkgehen. Denn 
eben dieſes gute Bekenntniß der Wahrheit war feine Verantwor⸗ 
tung, und indem ber Apoftel feinem Schüler und Mitarbeiter, an 


welchen diefer Brief gerichtet iſt, befichlt ‚bei dem guten Bekenntniß 


feftzubalten, das auch er abgelegt hatte vor vielen Zeugen, unb das 
Wort ohne Flekken und untabelig zu bewahren bis auf die Erſchei⸗ 
nung bed Herrn: fo führt er und dadurch nicht nur auf bem gan: 
zen Gehalt jened Welenntniffes hin, ſondern auch, fofern ed und al: 
len zur immerwährenden und Mahnung dienen fol, 
auf den Zufammenhang befielben mit ber ganzen weiteren Eutwil: 


| 


40 


kelung des Reiches Gottes auf Erben. Wenn es aber in unſerm 
Texte vorzugsweiſe heißt, daß Jeſus Chriſtus ein gutes Bekenntniß 
bezeugt habe unter Pontio Pilato: ſo iſt damit nicht nur das ge⸗ 
meint, was der Erloͤſer vor dieſem perſoͤnlich bezeugt hat, ſondern 
auch das, was er vor dem Hohenprieſter ablegte. Denn immer 
war es unter Pontio Pilato, als welcher die hoͤchſte irdiſche Gewalt 
über das juͤdiſche Volk damals handhabte, und wie er allein Herr 
war über Leben und Tod alfo auch allein als folcher den Erlöfer 
richten konnte. Wir werden aber dies Bekenntniß bes Erloͤ⸗ 
ſers zu betrachten haben ald ein breifaches feiner verfchiedenen Art 
und Wirkung nah: das eine nämlich war ein fchweigendes Bes 
kenntniß, dad andere ein ſtrafendes Bekenntniß, bad Dritte ein 
fanft und ruhig belehrendes Bekenntniß. Laffet und das auf Diefe _ 
Weiſe betrachten, und zugleich was darin. ohnerachtet de fiegreichen, _ 
was in biefem Bekenntniß lag, doc dad Leiden ded Erlöferd war. 


1. Alfo zuerfl, wenn ich fage, e8 bat hier gegeben ein fchweis 
gendes Bekenntniß des Erlöferd, fo werdet ihr euch gewiß alle 
aus verfchiebenen Erzählungen der Evangeliflen erinnern, wie er als 
er vor feinen Richtern fand mit Fragen ber Art gleichlam bebrängt 
wurde, Antwortefi bu denn gar nicht auf dad, was dieſe gegen 
dich ausſagen? hörft du denn nicht, wie hart fie dich verklagen, oder. 
haft du in der That gar nichtd entgegen zu fezen? Er aber fchwieg 
dennoch; fo geichah ed, ald er vor dem Hohenpriefier fland, und 
allerlei Zeugen, wir wiflen nicht wie fie zufammengebracht waren, 
bied und jenes gegen ihn ausſagten; und fo geſchah «8 auch, als 
er vor Pontius Pilatus fland, und derjenige, der im Namen bed 
hohen Raths vor dem Lanbpfleger rebete, bie unbegrünbetften Be⸗ 
ſchuldigungen gegen ihn vorbrachte. Was war doch nun ber Grund, 
‚weshalb Chriftus fehwieg, und was war es in der Art und Weiſe 
ſeiner Gegner, was ihm Stillſchweigen auferlegte? Und, wenn wir 
ſchon immer davon ausgegangen ſind, daß ihm oblag auch in die⸗ 
ſen Augenblikken der Entſcheidung nicht minder als waͤhrend ſeines 
ganzen Lebens alle menſchlichen Verhaͤltniſſe, in denen er ſtand, un⸗ 
verſehrt und heilig zu bewahren: hatte er denn auch ein vollguͤlti⸗ 
ges Recht ſo zu ſchweigen gegen die Beſchuldigungen, uͤber welche 
doch ſeine Richter ihr Urtheil faͤllen ſollten? Sobald es ſich aller⸗ 
dings von Thatſachen handelt, welche bezeugt werden ſollen und 
welche zu ſchlichten find, wo diejenigen alſo, die ein Urtheil ſollen 
ausſprechen, vollftändig müffen unterrichtet fein: da giebt es feinen, 
bad wiffen wir wol alle, ber nicht ſchuldig wäre der Obrigkeit die 
Bahrheit zu Tagen, bie er r weiß; ba iſt das ® Srilfcmeigen, wenn⸗ 

I 


498 


gleich es nichts zu fein fcheint, doch ſchon eine Verlezung bes heilt: 
gen Rechtes, welches die Verwalter bes Geſezes im ganzen Umfri 
deffelben müffen ausüben koͤnnen. Aber wie war ed nun zuerft, al 
Beihuldigungen gegen den Exlöfer vorgebracht wurden, mie er ſtand 
vor der Verfammlung bed hohen Rates? Der hatte nicht zu ſchlich 
ten über Bergehungen gegen die gewöhnlichen menfchlichen Gear, 
‚über Störungen ber äußeren Ordnung, fondern nur über dasjaigt, 
wa3 zu den Drönungen bed Tempels und ber Gotteddienfte te 
Hoͤchſten gehörte, nur über diejenigen Gebote des Gefezes, dem 
‚Gegenflände die römifche Obrigkeit nicht mit zu ihren Befugnia 
oder Obliegenheiten rechnete. Aber ber -Erlöfer hatte niemals de 
geringſte gegen dad Gefez gelehrt oder gethan, alfo auch Fonnte ri 
ſolches Zeugniß gegen ihn nicht aufgebracht werben; fonbem di 

Evangeliften erzählen und, ed wären allerlei Zeugen wir wiffen met 
woher gekommen, welche bie8 und jenes von den Reben bes Ham 
ausgefagt hätten aber ohne allen Erfolg; denn es fei nicht von MT 
Art geweſen, daß es den Hohenprieflern eine Weranlaffung gegeben 
hätte ihr Anfehn über Jeſum durch irgend ein Strafurtheil gelten 
. zu machen, weil nichts vorgebracht wurde, was im Streit geweſen 
wäre mit dem auch von ihm anerfannten Gefez Gottes. Ander 
waͤrts wird auch erzählt, es wäre freilich allerlei gegen ihm ausge 


fagt worben, was vielleicht etwas hätte gelten koͤnnen, wenn es ge 


hörig wäre bezeugt gewefen; aber die Zeugniffe hätten nicht bereit 
‚ geftimmt, fo daß biefe ganze Mühe verloren war, und der Grit 

gar nicht nöthig hatte fi) durch Erwiederungen in irgend eine Zt: 
‚ rührung mit diefen Menfchen zu fezen. Wenn dasjenige, was nt 
von ihm ausſagten, von ber Art: war, daß er es felbft zugede 
fonnte — denn allerdings darf in allen folchen Fällen das Cam: 
gen als Zugeftändnig angefehen werben — ohne daß daraus ehW 


zu feinem Nachtheil hätte gefchloffen, ober irgend eine Ahndung men 


auch nur ein amtlicher Verweis gegen ihn verfügt werden Füntn: 


fo durfte er e8 auch eben fo gern mit Stillfchweigen uͤbergehen 


Wenn aber, mochte ber Inhalt der Beſchuldigungen fein melde © 
wollte, der Umſtand eintrat, daß das eine Zeugnig dem andern | 
derſprach, fo daß fie ſich unter einander aufhoben: fo hatte der ET 
löfer ja nicht nöthig fein Wort auch mit dazu zu geben. Und eben 
darum finden: wir in dieſem Falle durch das Stillſchweigen am 
größten und vollftänbigften die natürliche Kraft ber Wahrheit aus— 
geiprochen. Nicht anders war es, als er vor bem Pilatus fan 
Da fagte freilich der Kläger gegen ihn, daß er anfangend von 9: 
lilaͤg bis nach Jeruſalem im ganzen ande durch feine Lehre 


Volk aufgeregt habe; ja es wurde auch geſagt, daß er verboten habe 


20 


den Kaifer Schoß zu geben. Wenn das erſte in gewiſſem Sinne 
- wenn dad andere überall wahr geweien wäre: fo wäre ber Grlöfer 
freilich firaffällig gewefen vor dem römifchen Landpfleger. Aber auh 
als diefer ihn fragte, ob er nichtd zu antworten habe, fihwieg er; 
er ſchwieg nämlich, weil zu biefer Behauptung ber Anklaͤger noch 
ein Beweis gehörte, den fie auf Feine Weife gegen ihn führen konn⸗ 
ten; darum hatte er nicht nöthig vorher zu antworten. Dad Volk 
hatte er freilich aufgeregt durch feine Lehre aber auf eine wohlthaͤ⸗ 
tige göttliche Weiſe, nicht als ob das wozu er fie einlub nicht bes 
ſtehen Eönnte mit der damaligen zwar nicht rechtmäßigen aber Doch 
- feit geraumer Zeit beftehenden Ordnung ber Dinge. So hatte er - 
Die Menfchen nie aufgeregt, daß diejenigen, welche nad) Zerrüttung 
der bürgerlichen Werhältniffe trachteten, auch nur im geringflen eis 
nen Vorwand davon hätten nehmen koͤnnen; fondern nur zur Buße 
hatte er aufgeregt und ben fehnfuchövollen Blikk des Volkes hinges 
wendet auf dad nahe herbeigefommene Reich Gottes. Darum war 
eben dies fein ſchweigendes Bekenntniß ein volftändiger Sieg ber 
Wahrheit und eben deswegen auch, weil es Schweigen war, ber 
reinſte und ber herrlichfle. , Denn freuen muß es und, bag ber Er⸗ 
Löfer nicht nöthig hatte vor Gericht auf einen gewiflen Zuß ber 
Gleichheit folchen Menfchen gegenüber zu treten, die — mögen wir 
fie auch nicht abfichtlichen Betruges zeihen, wollen, mögen wir es 
von ber gelindeften Seite anfehen — doch immer zu benen gehörs 
ten, weiche wie ber Apoftel fagt die Wahrheit aufhielten und ben 
Lauf berfelben hemmten in Ungerechtigkeit. Denen durfte der Erloͤ⸗ 
fer nur fehweigend gegenüber ftehen, keinen Verkehr folder Art durfte 
e3 geben zwiſchen ihm und ihnen. | | 

Und wenn wir m. chr. 3. nun von feiner Perfon auf die weis 
tere Entwikkelung des Reiches Gotted auf Erben fehen: wie viels 
fältig finden wir baffelbe fich wiederholen! Wie oft ift nicht fal⸗ 
ſches Zeugniß von aller Art abgelegt worden gegen die heilfame 
Lehre des Evangeliums! wie lange Zeit find nicht die gläubigen 
bargeflellt worben, als verdienten fie ben Haß ober die Verachtung 
des Menfchengefchlechtö! Und nicht nur bie Gegner des Evange⸗ 
liums find ſo gegen daſſelbe losgebrochen; fondern auch in der Kirche 
ſelbſt, fobald uͤber etwas bedeutendes ber Glaube ber Chriſten aus⸗ 
einander geht, wie leicht entbrennt der Eifer dahin, daß die eine 
Partei die andere als verfuͤhreriſch als gefaͤhrlich als gotteslaͤſterlich 
vor der oͤffentlichen Meinung verklagt! Und in beiden Faͤllen, wie 
oft moͤgen die, welche zwiſchen beiden Theilen ſtehend wenn auch 
nur für ſich ſelbſt ein Urtheil fällen und zwiſchen beiden entſcheiden 
ſollen in der Stille ihres Herzens, dem u eben fo wie dort 

—— i 2 


300 

feine Richter verwundert zurufen, Aber ſchweigeſt bu dem fo gan. 
lich zu allem, was dieſe gegen dich gegen die beinigen gegen bie 
heilige Wahrheit reden? giebft du, ber du bein Reich von oben re: 
giereft, fein Zeichen um ben Streit unter den beinigen zu ſchlichten, 
fo daß man erfenne, auf welcher Seite die Wahrheit iſt? Und wie 
er damals fchwieg vor feinen Richtern, fo auch immer in ber Folge; 
und fo ziemt es auch feinen getreuen Nachfolgern gegen folde Be 
fhuldigungen am liebften und fo weit «8 irgend die menfchliche 
Schwachheit zuläßt auch zu fchweigen aus demfelben Grunde. Nicht 
baß fie fich flolz über ihre Gegner erheben, nicht daß fie fie in ib 
rem innern verachteten, eben fo wenig wie er. Denn wenn von 
Stolz oder Verachtung auch dad mindefte in feiner Seele geweien 
wäre, wie hätte er dann der Erlöfer der Menfchen fein können, ber 
dad am meiften verlorene am eifrigften fuchte! Sondern wie er 
theils ſchwieg um auch frei zu erfcheinen von allem leidenſchaftli⸗ 
chen, was und wol unter ähnlichen Umftänden begegnen könnte, an: 
derntheild aber auch weil fich die Kraft ber Wahrheit fchweigend 
am meiften und berrlichften zeigen Tonnte: fo follen auch wir bei 
foihen Beſchuldigungen fchweigend am ficherfien von ber Sünde 
gefondert und bewahren;. und immer wird unter allem falfchen 
Zeugniß und allen Migverftändniffen — kommen fie mın von au: 
en ober walten fie im innern der hriftlihen Kirche — die Wahr: 
heit fich fchweigend am beften bewähren. So wie ed auch von ben 
gegen den Erlöfer vorgebradhten Beſchuldigungen ohnerachtet feines 
Stiüfchweigend jedem klar werben mußte, fie ſeien von ber Art, 
daß fie auch nicht einmal Yparteiifchen gegen ihn eingenommenen 
Richtern einen irgend haltbaren Vorwand zu einem nadhtheiligen 
Spruch geben konnten, fei ed baß fie fi) durch in die Augen fal- 
Ienden Widerfpruch gegenfeitig aufhoben, ober daß hinter all 
inhaltihroeren Worten doch kein begründeter Vorwurf aufzumei: 
fen war. 

Aber mitten in biefem fchweigenden und eben im Schweigen 
fo unwiderſtehlich fiegreihen Bekenntniß bed Erlöfers, was war 
dennod) fein Zeiden? Der hohe Rath, vor dem er zunädft flant, 
war Peine eigentlich bürgerliche Obrigkeit; nur über das hatte er 
. unabhängig nach dem Gefez des alten Bundes zu richten, was fich 
in demſelben auf die Gefchäfte und den Dienft des Tempels bezog 
und auf alle Vorfchriften der Reinigung, woburd bie Abfonderung 
des Volkes und mit derfelben dad Bewußtfein daB ed das auder 
wählte Volk fei aufrecht erhalten werden ſollte. Darüber hatten 
biefe Männer fowol einzeln ald gemeinfchaftlich Anweifungen zu er: 
theilen, was jeder in den verfchiedenen Faͤllen des Lebens geſezliches 


501 
zu thun oder zu berbachten habe, und in ihnen ſollte daher vorzuͤg⸗ 
lich die unverfaͤlſchte Wahrheit des alten Bundes fortleben. Aber 
wie treten fie hier auf, indem fie biefes Richteramt an dem Erlöfer 
üben wollen? Im Bunde finden wir ſie ich will nicht grade fagen 
mit abfichtlihen Luͤgnern; denn wenn freilich die welche gegen, ihn 
zeugten etwas vorgebracht hätten, was gar nicht mit irgend einem 
feiner Worte oder Thaten zufammenhing fondern ganz aus ber Luft .- 
gegriffen wäre: bann freilich hätte es nöthig. fein koͤnnen, daß er 
feine Ausfage Dagegen. geftellt oder Zeugen für dad Gegentheil auf- 
gerufen hätte; aber eben weil das nicht der Fall war fondern fie 
aur feine Thaten und feine Worte fo verunftaltet, daß die Unrich- 
tigkeit von felbft einleuchten mußte: beöwegen konnte er ſchweigen. 
Alſo möglich iſt, daß auch dieſe Zeugen nicht abſichtlich die Unwahr⸗ 
heit geredet haben. Aber wie kamen ſie dazu ſolche falſche Zeugen 
gegen Chriſtus zu ſein? Die Mitglieder des hohen Rathes hatten 
ſchon immer diejenigen fuͤr gaͤnzlich unkundig und verleitet erklaͤrt, 
welche Jeſum von Nazareth für den verheißenen, der dba kommen 
folte, oder auch nur für irgend einen Propheten erfannten; und 
wie natürlich mußte baburch das Urtheil der Menge beflochen wer: 
ben, welche ja gewohnt war ſich von jenen leiten zu laffen. Da⸗ 
rum konnte es nicht fehlen, daß fehr viele den Erlöfer immer ſchon 
mit ber Voreingenommenheit hörten, in feinen Reden müffe doch et: 
was fein,. was nur ein Verführer und Berfälfcher nur ein heimli- 
cher Feind bed göttlichen Gefezed fagen könne. Darauf lauerten fie 
und fpürten nach dergleichen um benen, bie bad Gefez verwalteten, 
einen Dienft zu leiften. Wenn alfo auch nicht abfichtliche Diener 
Der Züge, waren biefe Angeber doch voreingenommene Lauſcher, und 
die unverflänbigften konnten immer am leichteften feine Worte ver: 
kehrt auffaſſen; ſolche alfo hatten die Hohenpriefter angeregt und 
aufgemuntert um fie zu brauchen gegen ben Erlöfer, ber feinerfeits 
nichts anderd hatte, worauf er vertrauen konnte, als die Kraft der 
Wahrheit, nicht nur fir ſich ſondern auch in alle Ewigkeit hinaus 
fuͤr das Reich der Anbetung Gottes im Geiſt und in der Wahr⸗ 
heit, welches er gruͤnden wollte. Aber indem er diejenigen, welche 
die Wahrheit aufrecht erhalten und ihr dienen ſollten, ihren Beruf 
auf ſolche Weiſe uͤben ſah, daß ſie ſelbſt Anlaß wurden, daß die 
Wahrheit verfaͤlſcht werde durch Verdrehungen voreingenommener 
Menſchen, über welche fie ſelbſt ſich nicht taͤuſchten: wie viel tiefer 
noch gefunten mußten ihm bie oberften feined Volkes erfcheinen, 
feitbem fie einmal befchloffen hatten böfes zu thun bamit gutes her: 
auskomme! Lind was war ed, was fie ald gutes bezwekkten? War⸗ 
lich wie ehedem dad Volk bei feiner langen Wanderung durch bie 


900 

Wuͤſte unter mancherlei Kämpfer und Entbehrungen in feinem Ges 
horfam gegen Gott vorzüglich durch die Erinnerungen an den frü- 
heren freilich Tnechtifch herabgewürbigten Zuſtand in Egypten geſtoͤrt 
wurde, der aber äußerlich betrachtet ein Zuſtand bed Wohllebens 
war: eben fo wurden die Führer jened Gefchlechtd und mit ihnen 
der größte Theil deffelben, welches freilich aud eine wuͤſte Zeit zu 
durchwandern hatte, in ihrem Beruf feft zu halten wad fie hatten 
und übrigens ruhig zu erwarten, warn und auf welche Weiſe der 
Hoͤchſte feine gnaͤdigen Verheißungen erfüllen werde, doch vorzüglich 
dadurch geftört, daß fie auch eine längft vergangene Herrlichkeit zu 
ruͤkkwuͤnſchten. Weil num ihr Sinn ganz auf das Auferliche geſtellt 
war und ihnen immer ein maͤchtiger König vor Augen ſchwebte, 
den ber Herr erwekken werbe, darum konnten fie nicht glauben, baf 
ber der Sottgefandte wäre, der ihnen ein Reich verkündete, im wel: 
ches Fein anderer Eingang fei ald durch aufrichtige Buße Und um 
fi) jened umwieberbringlich verlorene, deſſen Wiederkchr fie aber 
träumten, nicht vorweg zu verfeherzen, deshalb follte ber Sränber 
jenes geifligen Reiches fich verftriften in den Mezen, mit welchen fie 
ihn umftellt hatten, wie fie denn fchon deshalb befchloffen hatten, 
es fei beffer dag Ein Menich flürbe, als dag dad ganze Volk auf 
Veranlaſſung deffelben ind Werberben ginge; unb beshalb beflekkten 
fie fih nun mit folcher Unmwahrheit! Und der Anblikk eines fo tie 
fen Berfalld, daß gerade die das unheiligſte ergriffen, welche bes 
ſtimmt waren das heilige zu bewahren und die Stimme Gottes zu 
boimetfchen, wie follte der nicht die Seele des Erlöfers mit bem 
tiefften Schmerz erfüllt haben. " 

Aber gewiß m. a. Fr. hat der Erlöfer nicht nur auf jenen Au— 
genblikk allein gefehen und nicht für ihn allem gelitten! Gr kannte 
zu gut den ganzen Umfang ber menfchlichen Gebrechlichkeit, um 
nicht ähnliches auch in der Ferne voraus zu fehen. Er wußte nur 
zu gut, wie längfam bad gute gedeihen, mit wie viel Schwierigkeit: 
tn aller Art der Saame bed göttlichen Wortes in diefe irdiſche 
Belt auögeftreut würbe zu kämpfen haben, unb wie auch nach ci: 
‚nem fegendreichen Anfang die ſchwachen Menſchen body immer wie 
der Rüufffällen ausgeſezt find. Und fehen wir auf bie Geſchichte der 
chriſtlichen Kirche: wie viel nicht genug zu beklagendes und ned; 
lange nicht wieder gut gemachtes iſt in biefer Beziehung gefchehen! 
Wie bald hat fich doch, wenn wir auf die ganze Chriſtenheit fehen, 
der rechte Eindrukk von der Krechtsgeſtalt des Erloͤſers abgeftumpft, 
ſo daß die Richtung in weicher die Kirche fich Immer hätte erhalten 
ſollen verlaffen wurde! Wie wenig hat ſich bie Vorſchrift Chriſti 
geltend gemacht, daß der größte immer nur ber fei, der ber andern 








503 

Diener. nicht. nur fich nennt fondern es auch wirklich iſt! Wie hat 
ſich dem Gefchäft derer, welche an ber Gemeine arbeiten, allmählig 
immer mehr Außere Macht und Außeres Anfehn zugefellt! Und wie 
verführerifch ift das nur zu oft auch folchen geworben, die urſpruͤng⸗ 
lich nicht dad ihrige oder das äußere fuchten und felbft auf Macht 
und Anfehn nicht ausgegangen wären! Aber wie wenige von be: 
nen, welche die weltliche Macht fchon an ihre Stellung in ber Ges 
meine gefnüpft fanden, Tonnten ſich über den Wahn erheben, daß 
fie auch für ihren geiftlihen Beruf wer weiß welchen Verluſt mach: 
ten, wenn jene fo bedenkliche fo gefährliche Verbindung bedroht 
wäre! Und fo oft diefer Kampf ſich erneuerte, ift er von Seiten 
der geiftlihen Machthaber viel anders geführt worden als damals 
der hohe Rath feine Sache führte? Haben fie .nicht alle verberb- 
liche in der Kirche in Schuz genommen, was irgend ihrem Anſehn 
konnte zur Stüze dienen? haben fie nicht diejenigen, welche nur die 
reine Wahrheit bed Evangeliums fuchten, auf alle Weife verdächtig 
und verhaßt zu machen gefucht? haben fie nicht ebenfalls folche ge: 
fuht und aufgemuntert, die gegen jene Vertheidiger der Wahrheit 
mit eben fo unhaltbaren Gründen und nichtigen Zeugniffen auftra- 
ten, wie jene falfchen Zeugen gegen den: Erlöfer? Und diefer noch 
lange nicht beendigte Streit um die Trennung beider Gewalten ift 
warlich ein nicht unbebeutender Theil von der Gelchichte ber chriſt⸗ 
lichen Kirche! Sah der Erlöfer Died voraus; erfchien ihm an bem 
wad er vor fih ſah und was an ihm gefchah zugleich die ganze 
Schwäche und Gebrechlichkeit der menfchlihen Natur, auf welche 
doch fein Reich gebaut werden mußte; fah er, daß dies Verderben 
auch in feinem Reich entftehen und mit der Verbreitung beffelben 
wachſen müffe; ahnete ihm etwas von ähnlichen Prieftern und . 
Schriftgelehrten auch in feiner Gemeine: o wie mußte das ber tiefſte 
Schmerz fein für den, ber lieber auf dem einfachen Pfade bed Ge: 
horfamd gegen die Wahrheit die Menfchen ohne folche Rüfkfchritte 
ihrem Heil entgegen geführt hätte. 


1. Darum Eonnte es auch nicht anders fein, zu feinem ſchwei⸗ 
genden Bekenntniß mußte hinzukommen ein firafended. Das 
vernehmen wir, ald die Hohenpriefter und die Mitglieder des hoben 
Raths, nachdem alle folche nichtige Zeugniffe nicht fchaffen konnten, 
nun mit der Frage herausruͤkkten, So fage und doch und halte un: 
fere Seelen nicht länger auf, ſprich, bift du Chriftus oder nicht? 
Als ob fie jet, nachdem fie fo gegen ihn gehambeit hatten, doch 
noch ein Recht gehabt hätten ihm ſolche Frage vorzulegen! Als ob 
fie dadurch, dag fie ihm nächtlich uͤberfallen ließen, bewaffnet wie 


man audgeht gegen Räuber und Mörder, und ihn nun gebunden 
vor fich hinſtellten, nicht ſchon deutlich genug zu ertennen gegeben 
hätten, fie feien überzeugt, er fei nicht Chriſtus! Als ob fie auch 
vermöge bed Rechtes beffen fie fih anmaaßten zu enticheiden, ob 
einer Chriſtus fei und ein Prophet ober nicht," einen dem fie hatten 
Die Frage vorlegen wollen, worauf er denn feine Anfprüche er fei 
Ghriftus gründe, auf eine folche Weile Hätten im voraus behandeln 
dürfen! Deſſen alſo hatten fie fich laͤngſt felbft fchon begeben. Denn 
wenn fie dad wiffen wollten, fo. hätten fie zu ihm gehn oder aud) 
ihn zu fi) kommen laſſen muͤſſen, ald er lehrte im Tempel, wie er 
fie ja auch felbft darauf zurüffführt. Alſo diefe Frage war in dem 
Augenblikk Feine redliche Frage eines wißbegierigen, "und eben Des» 
wegen mußte der Erlöfer fie um die Nichtigfeit und die Unwahrheit 
dieſer Frage firafen. Und wie that er dad? Er fagte ihnen, Sage 
ich es euch, fo glaubet ihr mir nicht. Denn was fie hernach thaten 
als er doch noch antwortete, Du fagft es, ich bin ed, daß fie naͤm⸗ 
lich fagten, Was bedürfen wir weiter Zeugniß, haben wir nicht bie 
GSottesläfterung felbft gehört? das mochte er wol ahnen aber über 
feine Lippen Fam es nicht! Auch nicht die Möglichkeit durfte übrig 
bleiben, dag jemand denken Eonnte, er felbft habe fie erſt durch feine 
orte zu dieſer Berfündigung gleichfam gelokkt. Aber das fagte er, 
Ihr glaubet ed nicht, wenn. ich «8 euch fage, Wenn ihr Luſt hät: 
tet aufrichtig danach zu fragen, Gründe und Gegengründe abzumä- 
gen: fo würdet ihr anders gehandelt haben als fo. Wollte ich euch 
nun Fragen vorlegen, durch welche wir einander näher kommen oder 
bie Sache zur Entſcheidung bringen koͤnnten, was für Hoffnung 
Fönnte ich haben, daß ihr antworten würdet, da ihr mix nicht mehr 
gegenüber ftcht wie ein Lehrer dem andern fondern euch hingefezt 
habt ald meine Richter! So läßt er es fie empfinden, wie wenig 
Zufammenbang war in ihren. Schritten, und wie -fehr-fie fih ba; 
durch felbft der Unreblichfeit ziehen, Und wenn er fortfährt, 2o8 
würdet ihr mich doch nicht geben: fo fagt er ihnen gleihfam ing 
Angefiht, Daß alle weitere Verhandlung nur Schein fei, daß fie 
feine Gründe mehr erwägen wollten fondern ihren Beſchluß fdhon 
im voraus gefaßt hätten. Das war ber befchämende Theil feiner 
Strafrede. Aber wie demüthigt er fie unter fich, wenn er weiter 
fagt, Von nun an wird es gefchehen, daß ihr fehen werbet bes 
Menihen Sohn ſizen zur rechten der Kraft und kommen in ben 
Worten bes Himmels! Bon nun an, fagt er; alfo daß fie ſich das 
gegen ihn herausgenommen, daß fie ihn fo vor ihr Gericht geſtellt, 
das rechnet er als den Anſang ſeines Reiches. Jezt, ſagt er, jezt 

ſeid ihr gerichtet, denn ihr habt euch ſelbſt gerichtet. Was fie als 











505 


ihren Sieg und feine Nieberlage anfahen, das ſtellt er ihnen mit 
Der größten Zuverſicht dar als den Anfang ſeines Sieges. Er ſpricht 
es nicht aus als eine Warnung, als ob ſie es noch vermeiden koͤnn⸗ 
ten, ſondern es iſt geſchehen; er ſtellt ſich ihnen von dem Augen⸗ 
blikk an ſo gegenuͤber, als der uͤber und gegen den ſie nichts mehr 
vermoͤgen. Was ſie noch thun konnten, was ſie vielmehr thun 
mußten, fuͤhrte ihn nur zu ſeinem Ziele. Zuruͤkktreten konnten ſie 
nun nicht mehr; das ſagt er ihnen in den Worten, Los werdet ihr 
mich doch nicht geben. Sie mußten nun das Urtheil des Todes 
“gegen ihn auf jede Weiſe erzwingen: aber eben fo ficher wie ſie 
deffen waren, fpricht er ihnen feinerfeitd bie Weberzeugung aus von 
dem Siege, der mit feinem Tode beginne. Dad: war die Herrlich 
keit des eingeborenen Sohnes vom Water, ber diefem und fich felbft 
befriedigende Rechenfchaft davon abgelegt hatte, wie er ben an ihn 
gerichteten Willen feines Waterd vollbracht habe, und nun nur noch 
ber Wille feined Vaters der an alle Menfchen ergeht zu vollbringen 
fei, daß fie nämlich glauben follten an ben ben er geſandt hatte. 
Nun aber wenn er erhöht fein werde von ber Erben, werbe auch 
beffen Vollbringung in größerem Maaß beginnen, und er fo alle zu 
fich ziehen von der Erde. 

Aber diefed zuverfichtliche fiegreiche Hervortreten bed Erlöfers, 
welches faft die Herrlichkeit feiner Auferſtehung vorwegzunehmen 
fheint, entzieht uns faft ganz die Wahrnehmung feines Leidens in - 
dieſem Augenblikk. Wo follen wir e8 ſuchen? Die Schmach des 
—— ſcheinbaren Unterliegens? dergleichen konnte er nach die⸗ 
fen Aeußerungen nicht empfinden! Die unmittelbare Nähe bed To: 
beö? war ihm ja nur der nähere Anfang feine Triumphes! Und 
doch fezt die flrafende Rede ein innered Leiden voraus. Es ent: 
ftand aber nur aus ber Art, wie bie oberften feined Volke die große 
entfcheidende Frage ob er der Chrift fei ober nicht bisher behandelt 
hatten, und wie fie fie nun Iöfen wollten. Sie maaßten ſich das 
Recht an zu enticheiden, wer ein Prophet bed Höchften fei, aber fie 
hatten es nicht gehbt an Johannes dem Taͤufer; und was uns ber 

Evangelift Johannes von ihren Berathungen über Chriftum erzählt, 
laͤßt nicht vermuthen, daß fie ed jemals zum Gegenfland einer ern 
fien gemeinfamen Prüfung gemacht hätten, was wol und wer Je⸗ 
ſus von Nazareth fei. Er hat die Schrift nicht gelemt, aud Ga- 
lilaͤa fleht Fein Prophet auf: das genügte ihnen hierin. Nur was 
mit ihm zu thun fei, fragten fie. Und fo waren fie dahin gekom⸗ 
men, daß fie im voraus befchloffen hatten, denn verabredet war es 
offenbar, wenn er fich nun frei heraus erklären würbe für Chriflum, 
dann zu fogen e3 fei Gottesläfterung, weil ex fich felbft zu Gottes 





396 


Sohn gemacht habe. Daß die goͤttliche Einladung, die durch Chri⸗ 
ſtum an alle: erging, grabe an denen fo ganz verloren blieb, die am 
geeignetfien waren zu prüfen, und bie auch am meiften hätten dazu 
aufgelegt fein follen; daß dieſe von: ihrem ausgezeichneten Anfehn 
im Wolf einen fo ſchnoͤden Mißbrauch machten, bis auf den lezten 
Augenblikk damit fortfahrend, wie der Erlöfer ihnen fonft ſchon war: 
nend vorgeworfen hatte, daß fie nicht nur felbft nicht ins Himmel: 
seich wollten, weil fie da nicht auf diefelbe Weile die erften hätten 
fein tönnen, fondern nun auch andern ben Eingang wehrten, und 
durch ihr fo ſelbſtſuͤchtig fo gewiſſenlos gefällted Urtheil vorzüglich 
Schuld daran wurben, daß dad Volk fi) von Chrifto abwendete; 
dag die Inhaber des göttlichen Wortes troz aller warnenden Bei: 
fpiele der Vorzeit einen ſolchen Beſchluß faflen ja was noch mehr 
fagen will dem Eindrukk zum Troz, den die unmittelbare Nähe des 
Erlöferd nothwendig auf fie machen mußte, dabei beharren Eonnten: 
dad war eine Tiefe des Verderbens, ein Zuftand ber Verworfenheit, 
welcher bem Exlöfer, ber in feinem Mitgefühl die Sünde der Weit 
trug, bad Maaß dieſes Leidens voll machen mußte. 

Aber auch hier werben wir fagen müflen, ed war nicht bie un: 
mittelbare Gegenwart allein, um die der Erlöfer litt! In dem was 
damals geichah erblikkte ex wie im Spiegel einen großen Theil ber 
GSefchichte feiner Gemeine. Wie oft haben mit nicht mehr Ueber: 
zeugung und auf eben fo gewaltfame Weife die heibnifchen Macht: 
haber die Sache bed gözendienerifchen Wahns geführt gegen die des 
lebendigen Glaubend und die dem Erlöfer gezolte Verehrung als 
gotteßläfterlichen Frevel geftraft, aud nur weil fie glaubten, ihre 
Macht und das Fortbefiehen der äußeren Ordnung hinge daran, 
welche die Chriften eben fo wenig fören wollten, wie der Erlöier 
baran dachte dad Gefez aufzuheben. Wie oft hat fo beftochenen jo 
ſich ſelbſt mißleitenden Richtern gegenüber aud ber Ausdruff des 
kindlichſten Glaubens der lebendigften Ueberzeugung der wärmften 
und ungefärbteften Liebe eben fo wenig gewirkt! Unb wenn e3 nur 
das wäre! Aber. wenn ihm auch das hiebei nicht entgangen iſt, es 
koͤnne auch unter Ehriften geichehen, daß. in leidenfchaftlicher Vorein⸗ 
genommenheit im Eigenfinn des Streite die Wahrheit und Ren 
beit der Gefinnung nicht minder verfannt werde; und wo eine 
Macht in ber Kirche vorhanden ift, die zu Gericht fizen kann über 
bie Lehre, ba koͤnne diefe auch aus denſelben Grünben wie der hohe 
Rath, mit eben fo wenig wahrer Ueberzeugung Säze, die aus dem 
Glauben an CEhriſtum in einem reinen Streben für bie Wahrheit 
hervorgegangen, dennoch ald gottedläfterliche brandmarfen und ver: 
folgen: hat das ber Erlöfer geſehen, welch ein Schwert muß burch 





7 
feine Serie gegangen fen! Doch wie fih bamals fein weiſſagend 
firafendes Wort fo herrlich bewährte, und er eben darin bas Be 
wußtfein von feinem Siege hatte: fo ift es auch ſeitdem geweſen, 
und wird es auch immer fein. Seitdem fchon ift ed eingeleitet; 
alle feindfeligen Gewalten erbliften immer mehr feine fleigende Macht, 
indem fich feine Herrfchaft immer weiter verbreitet; alle Verhaͤlt⸗ 
niſſe gleichviel ob draußen ober drinnen, welche fo fchnöbem Mißs 
brauch untenvorfen find, fo wibergöttlichen Frevel entwikkeln können, 
werden immer ſtrenger gerichtet, bis ſich alle Knie vor ihm beugen. 


IE. Aber nun laßt und zulezt auch noch das ruhige beleh⸗ 
rende Bekenntniß des Erloͤſers betrachten, welches er ablegte vor 
dem Pilatus. Wir müffen und aber zuerfi dad Verhaͤltniß, in 
welchen der Erlöfer gegen diefen fiand, genauer vergegenwärtigen, 
Pilatus Hätte feiner Wollmacht ganz gemäß gehandelt und fic) gar 
Feiner Verantwortung ausgeſezt, wenn er ohne alle eigne Unterfus 
hung das Urtheil des hohen Raths beflätigt hätte; ex konnte die 
Weraatwortlichkeit dafür ganz, auf biefe Männer wälzen. Er konnte 
fagen, ich muß mich in dieſer Beziehung lediglich auf euch verlaf: 
fen; habt ihr ein Gefez, ihr-feid ja die Fundigen deſſelben, hat er 
das verlezt und muß nach bemfelben fterben, fo will ich euch meine 
Macht leihen es audzuführen, denn ich habe Fein Urtheil über biefe 
Dinge Wir finden auch dies einzeln in feinen Reben ausgedruͤkkt; 
aber body ging er in die Sache ein. Daraus könnten wir ihm ein 
Verdienſt machen; aber auch damit. müflen wir vorfichtig fein. Wir 
dürfen ihn nicht nach unferm Maaßſtab meſſen ober ihm unfer Ges 
wiſſen leihen. Wenn wir bedenken, wie wenig Werth damals das 
Leben eines einzelnen und noch dazu eines aus jenem fremden vers 
achteten Volk in römifchen Augen hatte, fo dürften wir es ihm gar 
nicht verargen, wenn er gleich auf ihre Angabe den Stab gebrochen 
hätte über Jeſum; aber dag er ed nicht gethan und ſich des Erloͤ 
ſers annahm fo lange er konnte, das iſt auch wol nicht einem ſo 
reinen Antrieb zuzuſchreiben, als es auf den erſten Anblikk ſcheint. 
Pilatus wußte recht gut, wie viele auf Neuerungen fannen, und. 
wie weit unter dem vom harten Joch gedruͤkkten Volke bie Hoff: 
nungen auf: den Meflind verbreitet waren, ben ſich die meiften als 
den Wiederherſteller äußerer Macht und Herrlichkeit dachten. Cr 
batte aber den Auftrag und auch die Macht dad Joch zu befefligen, 
bad dem Wolfe obwol ungerecht aufgelegt war; und beöhalb wollte 
er diejenigen, von denen er wußte, baß fie auch mit Verlangen eis 
nex Zeit barreten, wo fie dad Joch abzufchütteln gedachten, feine 
Macht fühlen laſſen, indem er ihnen zeigte, daß fie ohne ihn nichts 


. 
. “ 


vermöchten. Darum, ließ er fi) ein mit Chriſtus und wollte fett 
eine Einficht in ber Sache haben. WE fie nun bie Beichulbigung 
vorbrachten, Jeſus habe fi zum König machen wollen, fo fragte 
er ihn, Biſt du der König der Zuden? Und der Ertöfer ſcheut füch 
nicht dies Wort audzufprechen und zu fagen, Du fagft ed, ich bin 
ein König! Laſſet und bemerken, dag wir in unfern Evangelien: 
büchern fonft nicht ein einziges Mal finden, baß der Erloͤſer ſich bie: 
fen Ramen König ausdruͤkklich beigelegt hätte; er verkündigte zwar 
ein neues Reich, er nannte fi) Menfchen Sohn, er fcheute ſich auch 
nicht Gott feinen Water zu nennen und mithin fi) defien Sohn, 
aber das Wort König fprach er niemals aus. Wie leicht hätte er 
alfo auch Hier Iäugnen Barmen und fagen, Ich habe das nie geſagt; 
laß fie Beweife bringen, daß ich es gefagt! bad that er nicht fon» 
dern giebt es zu. Er hielt es nämlich unter feiner Wuͤrde fich 
burch den Buchflaben zu ſchuͤzen; indem ex fi) aber an den Sinn 
hielt, blieb ihm nur übrig zu fagen, wie er auch that, Du fagefl 
es, ich bin ein König. Aber dann erfiärt er fich auf bie ruhigfle 
Weiſe weiter und fagt zu ihm, Du kannſt dir denten, bag ich das 
nicht in dem Sinne meine, in bem es mid, fchulbig machen wuͤrde, 
und den du damit verbindefl; ich bin nicht ein König nach beiner 
Weiſe. Ich bin niemals darauf ausgegangen, obwol ich die Mit: 
tel dazu in Händen gehabt, mir eine Außerlich hilfreiche Macht zu 
verichaffen; auch bin ich nicht umgeben geweien mit bewaffneten 
Dienern, und meine Diener haben auch fuͤr meine Freiheit nicht 
einmal im geringſten gekaͤmpft. So belehrte Chriſtus ben Landpfle⸗ 
ger und zwar ſo, daß dieſem kein Zweifel übrig blieb und fein 
Verdacht an Chriſto haften, als hätte er ein König fein wollen im 
gewöhnlichen bürgerlichen Sinne zum Nachtheil bed römiichen Kai: 
ferd. Getroft aber fagt er, Ich bin dennoch ein König, ic) bin ge: 
tommen ein Reich ber Wahrheit zu gründen; und dadurch theilt er 
ihm nun die Wahrheit mit über feinen Zweit und feinen Beruf 
als einen folchen, worüber Pilatus nur grade foviel Urtheil haben 
koͤnne zu wiſſen, daß er nichts flrafbares in fich ſchließe. Ja jenes 
Wort ded Landpflegerd, dad man gewöhnlich ald ein umwürbiges 
und feine niedrige Gefinnung auöfprechendes anfiebt, Was ift Wahr: 
heit? druͤkkt doch zugleich eben dieſes aus, die Sache fei eine ſolche, 
worüber er fein Urtheil zu haben brauche; daher wird auch. erzählt, 
bag unmittelbar nach dieſem Geſpraͤch Pilatus herausgetreten fei 
und gefagt habe, Ich finde keine Schuld an diefem Menfchen. 

So wußte der Erlöfer, ohne daß er feine Zuflucht zu irgend 
einem Heinlihen Hülfsmittel genommen hätte, feine Unfchuld bar: 
zuftellen vor feinem hoͤchſten icbifchen Richter bloß durch ein ruhig 








D 


belehrendes Bekenniniß. Das if feitbem immer bie Kraft ber Wahr: 
heit geweſen. Wie fi der Erloͤſer geftellt hat gegen bie Außere 
Gewalt, fo find immer die welche Boten bed Friedens wurden das 
von ausgegangen, daß fie fich vor allen Dingen als foldye barftel 
len müßten, bie feinen Anfpruch darauf machen in ber Geflalt bes 
gemeinfamen Lebend dad geringfte zu Anden. Darum iſt ed ein 
fefter Grundſaz geweſen feit den erſten Zeiten des Chriſtenthums ber, 
dag alle Obrigkeit von Gott gefezt fei, die dann ihm Verantwor⸗ 
tung ſchuldig ifl, wie fie bad Schwert der Gerechtigkeit gebraucht, 
das ihr anvertraut ift zum Schuz der guten gegen bie böfen. Aber 
eigenmaͤchtig und willlührlih an dieſem Werhältnig etwas zu Ans 
dern, dazu kann ſich die Berfündigung des Evangeliums, wenns 
gleich diefes hier wie überall Verbeſſerungen allmählig hervorrufen 
‚muß, niemals berufen glauben und muß immer ein eben fo gie. 
tes Zeugniß hierüber von fich abgeben koͤnnen, wie ber Erlöfer es 
hier that. 

Wenn alfo auch hier vor Pilatus dad Bekenntniß Chriſti fieg⸗ 
reich war, worin beſtand denn ſein Leiden? Daß er vor Pilatus 
als vor ſeinem Richter ſtand, dabei blieb es doch; und darin fuͤhlte 
nun der Erloͤſer unmittelbarer als es bisher der Fall geweſen war 
die Erniedrigung ſeines Volkes als ſein eignes perſoͤnliches Leiden. 
Daß es unter eine ſolche Herrſchaft geſtellt war, das hat er tief 
mitgefühlt und hat dieſes auch vor dem Pilatus auögefprochen, ins 
dem er fagt, Du wirft ed wohl willen, daß bu keine Macht über 
mich haͤtteſt, wenn ſie dir nicht von oben gegeben wäre. Denn bie 
Macht ded Pilatus über ihn ging aus von der, die er über fein 
Volk übte. - Alfo giebt ex dem Pilatus dadurch zu verſtehen, biefe 
Macht überhaupt fei ein göttliched Geſchikk und Verhaͤngniß uͤber 
das juͤdiſche Wolf, und kraft deſſen, ſagte er, ſtehe auch ich in einer 
Sache vor dir, Über welche bu nicht zu richten vermagfl. Aber in 
biefem befonberen. Zall war ed nun nicht bie fremde Herrfchaft, 
nicht die heidnifche, vor welcher zu flehen ihn leiden machte: ſondern 
daß ed eine weltliche Macht war, welche geiſtliches richten follte; 
dag um ihn zum Node zu bringen ber hohe Rath feines Volkes 
ſich in den Zall ſezte ſein Urtheil dem hoͤheren Spruch einer welt⸗ 
lichen Macht zu unterwerfen. Dieſe Herabwuͤrdigung des geiſtli 
chen Gebietes mußte der Erloͤſer auf das tiefſte empfinden; und 
überall wo daſſelbe wiederkehrt, wo über die heilige Sache der Wahr: 
beit von denen, welche bie äußere Ordnung handhaben, gerichtet. 
wird ald von folchen, da ift auch ein ähnlicher Zufland der Ernie: 
drigung für bad Meich Gottes. In der Sache her Wahrheit giebt 
ed fein Gericht, das weltliche Schwert hat hier nichts zu entichel: 


310 


den, fonbern nur daB Schwert des Wertes fell’ fchlagen, umb jeber 
der es zu beſizen glaubt führe es, wie er es zu banbhaben verſteht; 
anders kann nicht im Reich Gottes die Wahrheit entfchieven werben. 
Wer in biefen Dingen die weltliche Racht das aͤußere Anſehn zu 
Huͤlfe ruft, der führt dad Reich Gottes in dieſelbe Erniedrigung, 
welche damald der hohe Rath fich feibft und dem Moll Gottes 
bereitete unter jene heibnifhe Obrigkeit. Wer begehrt, daß das 
geiflige weltlich gerichtet werde, der bezeugt, Daß er ſich nicht ge 
traut dad Schwert des göttlichen Wortes zu führen, daß er fuͤrch⸗ 
tet, es fei abgeftumpft und habe feine Kraft verloren; und wie fol 
das Reich der Wahrheit beſtehen, wenn feinen Kinbern feinen Ber 
theidigern jemals dies Vertrauen ausgeht! Doc, fo wie ber Erloͤ⸗ 
fer dennoch fagt, daß er ein König fei und ein Reich habe, das 
nicht von diefer Welt iſt, und in folcher Zuverfücht auch Died Leiden 
überwand durch die göttliche Kraft, welche ihm ald dem Sohn. Got: 
te8 einwohnte: fo wollen au wir ihm in dieſem Vertrauen nadı 
folgen. Wo fi) noch ähnliches Gericht findet über bad, was im 
ber Gemeine des Herm gefchieht: ba wollen wir mit ihm fagen, es 
iſt eine Macht, die fi) aus feinem Recht erklären läßt aber durch 
göttliche Schikkung gegeben wird; und fie muß mit zu bem Wege 
gehören, auf welchen ber Höchfle die vollkommene Wahrheit ans 
Licht zu bringen befchloffen hat. Denn nicht anders als eben ba» 
durch bag das Webel oft wiederkehrt, daß ed immer tiefer gefühlt 
wird, kann Befreiung von bemfelben herbeigeführt werben. 

M. a. Fr. Als wir unfere Paffionsbetrachtungen anfingen, 
habe ich daran erinnert, wie das Leiden bed Erloͤſers einen fo eis 
genthümlichen mit nichts anderm zu vergleichenden Eindruff: auf 
und macht, und daß diefer feinen Grund hat in ber unmittelbaren 
Beziehung zwifchen diefem Leiden des Herm und ber Sünde ber 
Belt. Auf diefe fehen wir immer wieber ald auf die Urfache feines 
Leidens hin. Aber bag es doch nicht nur bie Suͤnde im allgemets 
nen fei, an welche wir babei denken! daß es nicht immer wie es 
wol bei vielen der Fall ift nur ober vorzüglid bie Geftalten der 
Sünde feien, die ihren Grund haben in bem, wad dem Menſchen 
in dieſem Leben vermöge feined Zufammenhanges mit dem irbifchen 
anhaftet, in dem finnlihen bag ich fo fage thierifchen feiner Natur! 
Möchten vielmehr alle auch befonders und bei dem Leiden des Er 
loſers zunäcft an die Sünde denken, welche ganz eigentlich und 
unmittelbar bdaffelbe hereorgebracht hat! Denn warlich weit ver 
berblicher ald aller Mißbrauch irdiſcher Gaben ald alles Uebermaaß 
in finnlihen Genüffen, weit verberblicher find alle die Werzweigun: 
gen ber Sünde, welche bie geſezlichen Werhältuiffe ber Menfchen 


511 


zerruͤtten, die Wahrheit darnieder halten, den Sieg des guten er⸗ 
ſchweren uud allem verkehrten zum Schuz und zur Stuͤze dienen. 
Und eben das war es ja, was das Leiden des Erloͤſers herbeifuͤhrte. 
Dieſe Verwirrung aller menſchlichen Verhaͤltniſſe, dieſe ſich einan⸗ 
der entſchuldigenden Gedanken, die ſich doch unter einander anklagen 
ſollten, dieſes Aufhalten der Wahrheit in Ungerechtigkeit: das iſt es, 
was wir am genaueſten ins Auge faſſen ſollen, wenn wir fragen, 
wie hat denn die Sünde den Tod des Erloͤſers herbeigeführt; da⸗ 
gegen ſoll ſich unſer Herz immer am kraͤftigſten auflehnen, und bei 
jeder Betrachtung der Leiden des Erloͤſers ſollen wir immer aufs 
rieue davon ergriffen werden und und bed troͤſten und freuen, daß 
fein Reich in diefem Sinn. wenigflend immer mehr ein ſolches wer 
den fol, in welchem Fein Seufzer fein wird, Fein Leib, fein Schmerz, 
fondern nichts als Frieden und Freude im heiligen Geifl. Amen. 


Lied 176. 


u BE < 7 ı 
Am Sonntage Judica 1833. 


Lied 10,1—4. 1%. 
Text. Apoftelgeih. 2, 23. 


Denfelbigen [Iefus von Nazareth], nachdem er aus 
bebachtem Rath und Vorſehung Gotted ergeben war, habt 
ihr genommen durch die Hände der ungerechten und ihn 
angeheftet und erwürget. 


M. a. 3. Die gemeinfchaftliche Richtung unferer bieBjährigen 
Paffionsbetrachtungen ‚geht davon aus, daß ber Erldfer ber Welt 
während feines ganzen Lebens und namentlich während feines öf: 
fentlichen Wirkens die Sünde der Welt geträgen, daß alfo auch fein 
ganzes thaͤtiges Leben zu gleicher Zeit das Leiden durch biefe Sünde 
gewefen fei. Wenn wir aber nun dieſe lezten Greigniffe, bie fein 
irdifched Leben zum Beſchluß brachten, auf eine befonbere Weiſe als 
die Zeit feines Leidens anfehen und und genauer vor Augen flellen: 
fo muß denn babei auch biefes unfere Meinung fein, bag er in bie 
fer Zeit auf eine befondere Weife, fo wie ed aus jenen Umfländen 
hervorging, und durch das was in dieſem Zufammentreffen bie bes 
fondere Kraft und Gewalt der Sünbe war gelitten habe. So ha: 
ben wir ihn denn begleitet durch bie welentlichen Augenblifle eben 
dieſes feined Leidens und haben heute mit einander zu reben von 
dem über ihn gefprochenen Urtheil, von dem Urtheil bed Todes 
und dem was dabei das befondere Leiden bed Erloͤſers gewefen ifl. 


313 


Die verlefenen Worte bed Apoſtels Petrus aus feiner erften 
Öffentlichen Verkündigung am Tage ber Pfingften faffen hier beides 
zuſammen. Es war zuerft ber hohe Rath feines Volkes, der das 
Urtheil des Todes über Iefum ausſprach, indem ber Hoheprieſter 
fagte, Bir haben alle die Gotteslaͤſterung gehört, was duͤnket euch? 
und fie indgefammt fprachen, Er ift des Todes ſchuldig *); aber es 
war dann auch Pilatus, ber römifche Landpfleger, welcher jenes 
Urtheil erft beftätigen mußte und. ihn überantworten, daß er gekreu⸗ 
äiget würde **). Died beides faßt der Apoftel zufammen, indem er 
zuerft fagt, Ihe — derin bamit redet er nun das Voll an, beffen 
Wille und Meinung jener hohe Rath ausfprechen follte, und wel 
ches fih auch zum großen Thell zu demfelben bekannt hatte, — 
ihr habt diefen Jeſus von Nazareth genommen und habt ihn ver: 
urtheilt und erwürget, und dann fügt. er hinzu, Durch die Hände 
ber ungerechten, d. h. mit ber Hülfe und burch bie Gewalt bed. 
heibnifchen Volkes, dem ihr felbft unterworfen ſeid. Aber die Worte 
unfered Textes unterfcheiben zugleich zweierlei, was wir überall in 
ben Gebiete menſchlicher Dinge eben fo ſehr unterfcheiden müffen 
als auch wieber beides auf einander beziehen. Petrus fagt nämlich, 
Ihr habt das gethan, nachdem biefer Jefus durch ben Rath und die 
Vorſehung Gottes dazu ergeben war. Dieſes m. a. 3. find bie 
beiden fo oft verwechfelten aber wenn wir und in unferem Gewiſ—⸗ 
fen nicht venwirren wollen fo beſtimmt zu unterfcheidenden Dinge, 
ber göttliche Rathfchluß und bie menfchlihe That. Jener iſt übers: 
all umd in allen Fällen dad Werk der allmächtigen göttlichen Liebe 
— benn Allmacht und Liebe können wir in dem höchften Weſen 
nirgend und in Feiner Beziehung von einander trennen, — und ber 
Hoͤchſte weiß auch die verberbte auch die feinem Gebot wiberfire: 
bende menfchliche That zu dem Ziele hinzuführen, unter welched er 
alles beſchloſſen hat. So war ed auch mit bem Rathſchluß Gottes, 
durch den der Exldjer ergeben war, bamit er duch Leiden. und Tod 
vollendet und mit Ruhm und Preis gelrönet würde. Aber bad ans 
dere bad ift die menfchliche That, bie abgefehen bavon, wozu ber 
göttliche Rathſchluß fie hinführt, an und für fich ihrem inneren Ge 
halte ihrem geifligen Werthe und. ben Berhältniffe nach beurtheilt 
werden muß, in welchem fie zu dem gebietenden göttlichen Willen 
ſteht, weichen jeder in dem innen feiner Seele vernimmt. So un: 
texicheidet der Apoſtel. Wenn wir und nun fragen, worin haben 
wir benn dad Leiden des Erlöfers in dieſem Augenblitt ald dad 





9 Matth. W, 65. 66. 
) Matth. 27, 2%. 


IL Kt 


814 


Urtheil des Todes uͤber ihn gefaͤllt wurde zu fuchen? war es ber 
goͤttliche Rathſchluß, ber ihn leiden machte oder war ed die menſch⸗ 
liche That? Wenn der Apoftel fagt, Ihn der dur Rath und Bor- 
-fehung Gottes exgeben war: fo mäüflen wir dieſes Ergeben auch 


‚auf ihn felbft auf fein eigenes Gefühl auf feine volldommene Leber: 


einfimmung mit dem Ratbichluffe Gotted beziehen. Die hatte er 
ja auch oft und vieljeltig audgefprochen, indem er fagte, Das Wei: 


zenkorn wenn ed nicht exflirbt bleibt ed allein, fo es aber erfticht, 


.fo bringet es viel Frucht *), und in dem Zufammenhange dieſer 
: Rebe feinen .Xod wegen ber Frucht, Die davon ausgehen wolıbe, 


zugleich als feine Werherrlichung anfieht. So hatte er au kurz 


-sorher noch zu feinen Juͤngern gefagt, Es ift euch gut, daß id 
: hingehe; denn wenn ich hingehe, fo will ich euch den Troͤſter fen- 
ben, ben Geift der Wahrheit, der nicht fommen würde, wenn ich 
„nicht hinginge **). Und eben diefe gänzliche Ergebung hatte er ja 


auch audgefprochen, felbft indem er das fchwierige feined Todes, die 
.heilfamen Früchte, welche daraus werm er noch länger bei feinen 
.Züngern bliebe entfliehen könnten, in feiner Seele überlegte, immer 
‚ ‚aber damit fchloß, Doch nicht mein Wunſch fondern bein Wille ge: 
ſchehe! So würden wir denn wol fagen müflen m. a. 3., ber 


göttliche Rathſchluß ift Fein Urfprung irgend eined Leidens im ber 


Seele des Erlöferd geweſen und hat ed auch nicht fein Emmen. In 


‚den war er nicht nur ergeben, fonbern wie überall fo auch da war 
‚ber Wille feines Vaters fein eigener Wille; aber bie menſchliche 
That, die laffet und betrachten und „und dann fragen, road war 
‚durch diefe und in dieſer beſonders ˖ das Leiden des Erloͤſers? 

Wir werben aber dabei zweierlei zu unterſcheiden haben, zu erſt 
ben unmittelbaren augenblifflichen Ausſpruch, die That felbft dieſes 
‚Urtheild, welches zwiefach über den Erlöfer gefällt wurde; aber dam 
auch zweitens die Nachwirkungen und die Folgen dieſer That, in 
ſo fern fie ebenfalld wieder ald ähnliche menfchliche That muͤſſen 

angeſehen werden, und in fo fern fie dem Erlöfer in biefem Augen: 
blikk gewiß ebenfo gegenwärtig fein konnten ald das, was unmit: 
‚telbar geſchah. 


J. Zuerſt alfo m. a. Fr. laffet und auf das erfle Urtheil feibft 
ſehen, welched der hohe Rath feines Volles zum Tode über ihn 
ausiprach, und dann wie auch ber roͤmiſche Landpfleger nach man- 
cherlei Kämpfen und manchem Widerfireben jened erſte dennoch zu⸗ 


) Joh. 12, 24. ... 
) 308. 16, 7. on .. 








315 


Lest beſtaͤtigte durch daB felnige; diefes Laffet und zuerſt unmittelbar 
" betrachten und uns fragen, was. babei bad Leiden‘ des Erloͤſers fein 
Tonnte und mußte. 

Aber wie könnten wir uns hiervon eine anfchauliche Worftel: 
lung machen, wenn wir nicht eben biefe Handlung auch in ihrer 
Allgemeinheit betrachten. Was ift ed allemal für ein Augenblikk 
m. a. Fr., wenn ein Menſch dem anderen dad Urtheil bed Todes 
antündiget von Angeficht zu Angefiht! Einer fpridht zu dem ans 
bern, biefe Werkftätte in welcher der Geift gearbeitet hat ſoll zerbro: 
chen werben, diefed Gebäude in, welchem die Erkenntniß Gottes ei⸗ 
nen Siz hatte werde zerflört! Beine Wirkſamkeit des göttlichen Ge 
ſezes gehe weiter von hier aus! und nicht nach dem Geſez ber Nas 
tur fondern durh meinen Willen und meinen Beſchluß foll dies 
geichehen; der Geift ſoll in dieſem Leibe aufhören zu walten, bie 
Seele fol audgetrieben werben aus bemifelben, er ift dem Tode ver: 
fallen! Freilich waltet hiebei nicht die Willlühr des einzelnen Men: 
fchen; der fo fpricht thut ed immer in bem Namen bes Gefezes. 
Aber diefe Geſeze find fie nicht auch dad wenn gleich gemeinfante 
wenn gleich durch langes Alter ehrwürbige aber immer doch wieber 
das Werk der Menfchen? Und woher, woher fommt unter Den» 
ſchen dem einen diefe Gewalt über den anden? Ich weiß wohl 
m. a. $r., daß diefe Frage und der Wunfch, welcher daran hängt, 
dag eine Zeit kommen möge, wo Feiner mehr einen ſolchen Augen: 
blikk erlebt mit einem anderen, idy weiß es, daß dieſes von vielen 
ald eine Verweichlichung bdargeftellt wird, wie denn oft den Mens 
ſchen dad wahre und rechte zu fireng ift, und baß gefagt wird, man 
thue unrecht diefe Gewalt zurüßfzuführen auf menfchliche (Gefeze, 
weil ed ja ein altes göttliches Geſez fei, Der Menfch, der Menfchen- 
biut vergießt, aber freilich kein anderer, deſſen Blut fol wieder ver: 
goſſen werden. Aber fragen wir und doch genauer, Woher ift bie 
ſes Gefez, dad wir ald ein göttliched ehren? Go ſteht freilich ges 
fchrieben in den Schriften des alten Bundes; aber fo. fteht ed nicht 
in den erfien Erzählungen von den Anfängen bed menfhlichen Ge 
fchlechtö! Denn der Herr fehonte felbft den Kain, daß ihn Feiner 
am Leben firafe wegen des Mordes, den er an feinem Bruder be: 
gangen hatte; und in dem Geſez Mofid fieht dieſes Geſez, Wer 
Menfchenbiut vergießet des Blut fol wieder vergoffen werben, ne: 
ben fo vielen anderen, bie unfer innerſtes Gefühl und niemals ge 
flätten fondern ſich gewaltfam dagegen auflehnen würde fie für gött: 
liche Geſeze zu erkennen, welde für alle Zeiten gelten follen. Denn 
ed ſteht auch gefchrieben, Wer am Sabbath arbeitet, der ſoll ſterben; 
und als am Sabbath ein einzelner vor daB Lager bed Volkes hin» 

Kk 2 


.986 


aus ging um. Holz zu fammeln, fo ging Moſes in bie. Hütte bes | 


Herm und holte die Entſcheidung, er muͤſſe ſterben. Und aͤhnliche 
Zodeögebote giebt ed dort noch viele. Daher können wir fuͤglich 
von allen dieſen fagen, was Ehriftus felbft von einem andern mo- 


faifchen Gebote fagt, daß Moſes es fo geftellt um ber Herzenshaͤr· 


tigkeit ded Volkes willen; und eben fo wenig als biefed können wir 
auch jene anfehen als ewige für alle Zeiten und Voͤlker gältige 
göttliche Einrichtungen. 

Demnach werden wir freilich fagen muͤſſen, ſchon dieſe Her: 


zenshaͤrtigkeit, die es nothwendig oder wenigſtens natuͤrlich machte, | 


daß eine folche Gewalt über Leben und. Tod damals noch beftand 
und noch fo Lange befichen konnte, ſchon dieſe machte den Erlöfer 
indem fie ihm fo nahe trat leiden. Allein das bei weitem bittrere 


entſtand ihm doch aus ber Anwendung dieſes Geſezes auf feine Per: 


fon. Hiebei walteten Berhältniffe ob, Die wir und auch nur in ih 
zer Allgemeinheit vorflellen dürfen, damit wir in jenem Wunfch ben 
ich ausgeſprochen habe auf dad kraͤftigſte beflärkt werben. Denn 
nicht nur zeigen menfchliche Gefege überall auch die Spuren ber 
menfchlichen Unvollkommenheit, ſondern dad Uebel zeigt fi erſt 
ganz, wo ed darauf anlommt, daß dad Gefez angewendet werben 
ſoll auf einzelne Falle. Ach da ift ed oft nicht nur .die Unvollfom- 
menheit der Einficht, nicht nur die Verblendung des Verflandes, 
nicht nur der zufällig ſich einſchleichende Irrthum: nein, es iſt oft 
vecht eigentlich dad verderbte dad von Leidenfchaften zerriffene Her, 
welches die Anwendung jchon der umfichtigflen der Zeit angemeſ⸗ 
"fenften und weifeflen Geſeze verdirbt, wieviel mehr noch im feiner 
ganzen Werwerflichkeit erfcheint, wenn ed auch ſolche Gefeze betrifft, 
die nicht mehr befichen follten. Pilatus nach allen Fragen, die er 
an den Exlöfer richtete, nach allen Ueberlegungen zwilchen der Klage 
und. ber Vertheidigung, zwifchen dem Eindrukk, welchen die ihrem 
ganzen Thun und Treiben nad; wohlbefannten Männer alö fie ge 
gen Jeſum aufflanden auf ihn machten, und dem, welcher von ber 
Perſon des Erloͤſers felbft auf ihn ausging, fprach, Ich finde an 
biefem Menfchen keine Schuld. War denn die Unfchuld fo wohl: 
feit und fo häufig zu jener Zeit auch nur nach dem bürftigen Be 
griff, den biefer römifche Richter von ihr hatte, daß er ben unſchul⸗ 
digen doch hernach fo leichtfinnig fonnte in ben Tod geben? Und 
es war in feinem Munde fchon viel in jenem Worte enthalten. 
Denn da die Herrſchaft, welche die Römer über dad jüdifche Bolt 
ausübten, feine ber Natur gemäße nicht einmal eine wohl erwor: 
bene fondern eine gewaltiam aufgebrungene war: fo war fie aud 
keine ruhige; und Darum war ed bie natürliche Richtung ber römis 


sn 


ſchen Obrigkeit überall umherzuſpaͤhen nach allen Bewegungen in’ 
Dem Volke, alles wodurch es aufgeregt werben konnte ängftlich zu 
beachten, bei Allen Menfchen, bie einigen Einfluß auf die Menge 
aubuͤbten, nach den Gefinnungen die fie hegten zu forfchen und ſich 
Der Bewegungsgrände, von denen fie getrieben würden, zu verfichern. 
Denn died war damals, wie ed unter ähnlichen Umftänden auch 
immer gewefen ift und fein wird. Wenn Pilatus nun’ von dem 


Crlöfer fagt, Ich finde Feine Schuld an dem Menfchen: fo liegt 


nicht nur das Urtheil darin, daß feine Anklaͤger keine beſtimmte That: 
fache keine Handlung von ihm nachgeroiefen hatten, vermöge bereit 
er eine Strafe der Gefege verwirkt hätte; fordern er fagte dadurch 
auch, daß er nicht an Ghrifto finde, nichts in feinen Gedanken und 
Geſinnungen, in den Aeußerungen feines innen, woburd er ihm 
als ein gefährlicher -Menfch erfcheinen koͤnnte. Denn über einen . 
ſolchen würde er freilich zum beften ber übrigen Fein Bedenken tras 
gen das Urtheil des Todes zu fprechenz aber, fagte er, Ich finde 
keine Schuld an diefem Menfchen. Wie ließ er fich nun bennoch 
zulest bewegen daB Urtheil bes Todes weiches die Hohenpriefter ge: 
fallt hatten zu beftätigen, ohnerachtet ex. ihre Beweggründe wohl 
durchſchaute? Was war ed alfo, was ben Eindrukk der Anfhuld 
bei dem Pilatus fo uͤberwog? Wie wenig hatte er fich doch beftes 
chen Laffen durch die Einflüfterungen der Ankläger! wie unbefangen 
ſchien er ſowol das Schweigen ald auch bie fchlichte reine Rebe des 
Eriöfers aufgefaßt zu haben. Was kann es gewefen fein, was ihn 
fo ploͤzlich umgeaͤndert bat? Aber fo wenig heilig war ber Menfch 
dem Menfchen, daß der römifche Landpfleger ben welchen er ſelbſt 
für unfchuldig hielt dem Tode überantwortete, fich felbft freilich von 
der Schuld freifprechenb, aber bazu hatte er bad: Recht nicht mehr, 

nachdem er ſich in bie Unterfuchung ber Sache eingelaflen; denn 

nun mußte er auch fein eignes Urtheil geltend machen! Und ex 

that es nur aus Feigherzigfeit um einer Beſchuldigung zu entgehen, 

mit welcher der hohe Nath ihn bedraͤngte. Wenn er dieſen losließe, 
fagten fie, fet er des Kaiferd Freund nicht; als einen ſolchen wol: 

ten fie ihn darftellen, ber nicht aufrichtig und von ganyem Herzen. 
an ber Sache feines Herrn hinge, von dem er gefandt war. Eine 

Drohung, durch welche ein gutes Gewiffen keinen Augenblikk wäre 
zum Wanken gebracht worden. Aber freilich dad hatte er. nicht, 
und das verunremigte das belaftete Gewifien fanb mun hier aud) 
feine Wollendung und vollbrachte fein’ Maag! Und welche Tiefe 
bes Berberbend liegt darin! wie mußte barin der Erlöfer die Suͤnde 
der Welt tragen, daß ein fo beflefltes Gewillen konnte als Verwal⸗ 
ter des Geſezes jene fchauberhafte Gewalt an dem unfchulbigften 


318 


üben, wie es ſich zeigt in dieſem Urtheil des Tedes, welches Pila- 
tus uͤber den Erloͤſer ſprach! 
Aber wie war ed nun mit dem hohen Rath des juͤdiſchen Bol⸗ 
Bes, vor dem ber Erlöfer fand? Mor diefem flanb er nicht nur als 
Menſch fonden als Genoſſe defieiben Wolle und Stammes; er 
trug die verwandten Züge an fi), er konnte fein Dafein auf den⸗ 
felben Urfprung wie fie zurüffführen, er ſtand mit ihnen in der en⸗ 
gen Verbindung des abgefchloffenen Lebens, wodurch dieſes Volk ſich 
von allen anderen trennte, und vermoͤge deſſen alle einzelnen unter 
ſich genauer zuſammenhingen und⸗hielten, als anderwaͤrts der Fall 
war, wo man fich leichter den fremden vermiſcht. So in dieſer 
verwandtſchaftlichen Natur in diefer Angehörigkeit and er vor ib 
nen, und außerdem nicht wie jeder andere fonbern wie ein ausge 
zeichneter. Außerhalb des gewöhnlichen Ganges ohne durch bie da⸗ 
mals beſtehenden Schulen fich hindurchgelernt zu haben, ohne auf 
bem gebahnten Wege zu einer genauen Kenntniß des göttlichen 
Wortes gelangt zu fein, war er doch ein Lehrer geworben, beffen 
Weisheit das ganze Volk pries umd bewunderte, und war außerdem 
berühmt in demfelben durch eine Menge von mwohlthätigen und mech 
bazu wunderbaren Handlungen, in benen fie hätten den Finger Got» 
tes erkennen follen. Aber noch mehr: er fland vor ihnen ald ber 
jenige, der fie felbft oft und vielfältig noch vor kurzem gewamt 
hatte vor biefer Stunde, welche wie er ihnen fagte die Macht der 
Sinfterniß fei und die Stunde ihres Gerichtd; er hatte fie erinnert 
an bie Art, wie ihre Vorfahren umgegangen waren mit ben Pro: 
pheten des Hoͤchſten, und hatte ihnen gefagt, daß fie dad Maaf 
ihrer Väter erfüllen würden. Diefes Wort hatte er warnend nod 
wenige Tage vorher gegen fie ausgeſprochen; er hatte es ihnen ans 
Herz gelegt, wie die Schuld alles unfchuldigen Blutes, daS von 
Anfang an vergoffen wäre, und wovon die Schrift Zeugniß ablegte, 
eben mit biefem was fie zu vergiegen in Gefahr waren voll würde 
gemacht werden in ihrem Maaße. So ſtand er vor ihnen, und in: 
dem er wol in biefem Augenblikk felbft fich feiner Worte erinnern 
mußte, fühlte er fich daß ich fo fage ald das lezte Glied von biefer 
Kette, welche er hinaufführte bis zu dem erften unfchulbigen Blute, 
dad von Menfchenhänden vergoffen war, und er machte feinen we 
fentlichen Unterfhieb zwifchen dem, was in bem Aufbraufen des 
Zornes in ber Heftigfeit der Leibenfchaft won den einzelnen geſche⸗ 
ben fei, und was in bem Namen des Geſezes von denen gejchehen 
war, bie es verwalteten. Unb fie follten dies alles vergeffen ha: 
ben? fie follten fich nicht auch feiner Worte über ſich erinnert ha: 
ben? und wenn bied, dann follte nicht bie frevelnde Rebe gehemmt 
werden fein von ihrem Gewiffen? Wad war ed alfo, was bei ih: 








7 3 


nen bie Demüthigenbe Kraft tiefes Eindrukks uͤberwog? Immer 
noch baffelbige, was ihre erſten Schritte gegen ihn geleitet hatte, die 
Worte ded Hohenpriefierd, die und Johannes in feinem Evangelio 
berichtet, Es iſt befier, dag ein Menſch flerbe, ald dag das ganze 


Volk ind Verderben geflürgt werde. Diefe wirkten immer noch fort,. 


und Diefe brachten auch hier das Urtheil Des Todes hervor. Aber 
was war dad Berderben, das fie bejorgten? Es Eonnte ein Zuſtand 
entflehen, des ihnen ganz fremb war, und in dem fie fürdhteten nicht 
viel gelten zu koͤnnen. Hätte es indeg dazu einen fo gewaltthäti-. 
gen Uebergang gegeben, wie jie fürdhteten: fo. wußte man war ber 
Erloͤſer frei davon und hatte keinen Theil daran, und fo hätten fie 
ſich audy an ihn nicht halten follen Und was war benn nur bad 
gute, was fie nicht wollten untergehen lafien? Es war nichtd an⸗ 
bered als der Zuftand des Volkes wie er Damald war, den fie doch. 
ſelbſt nicht anders anfehen konnten ald dag ed ein Zuſtand des fies - 
fen Berfalld fei, deſſen Ende. fie felbft.auf das fehnlichfte herbei. 
wünfchten, und von einer Zeit zur andern hofften, der Herr werde: 
fein Wolf wieder in Gnaden heimfuchen. Wenn ed nun nicht ihre: 
eigene Macht und ihr eigened Anfehen. gewelen wäre, was an bem- 
damaligen Zuflande der Dinge hing: wie würben fie nicht ihre 
Wünfche vereinigt Haben mit dem, was fie leicht ald das geiflige 
und göttliche Ziel des Erlöfers erkennen fonnten, und dann in eine 
ganz andere Bahn ded Lebens und Wirkens bineingeführt worden 
fen! Aber fo wie ed bei dem Pilatus bie Selbftjucht. war, welche, 
fi) die Beſorgniß und die Furcht vor dem ungewifjen Ausgang ei: 

ner Beichulbigung erfparen wollte: fo war es bei ihnen die Selbſt- 
fucht, daß fie die Macht und dad Anfehen, welches fie durch Ge: 
wohnheit erlangt hatten, nicht wollten fahren laffen, was den Ein- 

drukk, den der Erxlöfer auf fie machen mußte, was die innere Stimme. 
des Gewiſſens übertäubte und das Urtheil bed Todes ſprach. O wie 

follte alfo diefer ganze Zufland und die daraus hervorgegangene 

That nicht ein tiefes Leiden für den Erlöfer geweien fein! Schon: 
feyen wir and früheren Reden, welche ich in Erinnerung gebracht 

habe, wie ihm dad unfchuldig vergoffene Blut früherer Zeit fchwer 
auf der Seele lag. Und nun follte dad Maaß der Schuld fich 
fühlen durch das was ihm felbft geichah! ihm ber gelommen mar 
lediglich damit er den Menfchen diene, der gelomimen war dad ver: 
lorene zu fuchen und felig-zu. machen, der ſich felbfl ganz und gar 
dem Dienfie und dem Wohle deffelben Volkes geweiht hatte, wel: 
ches ihn izt in die Hände der ungerechten überlieferte. D wie ge: 
nau läßt ſich das beides mit einander vereinigen, die reinfle Erge . 
bung in ben göttlichen Willen, die. völligfte Zufimmung feined Her⸗ 


” ss 
* 


zens den Kelch zu trinken, den ſein Vater ihm zu trinken gab, in 
fo fern er nämlich von ihm kam, und dabei das tiefſte Gefühl von 
der Laſt der Sünde, ja und hier koͤnnen wir wol fagen auf eine 
befondere Weiſe der Sünde ber ganzen Welt, weiche e: mug! Denn 
eben fchon jenes, daß Menſchenblut vergoffen wirb durch Menfchen 
im Namen und in Zolge ihrer Ordnungen: ach bad ift eine Macht 
der Suͤnde nicht nur in denen, welche Handlungen begeben, auf 
denen biefer Fluch bed Geſezes ruht; fonbern ed ift auch eine Macht 
der Sünde in der ‚menfchlichen Geſezgebung ſelbſt; es liegt babei 
eine Ruͤkkſicht zum Grunde auf bie Härtigkeit bed Herzens; es iſt 
ein fich Anfchließen ber öffentlichen Macht an bie aufgeregte Leiden: 

ſchaft Dex beleidigten, welches zeigt, wie wenig fie noch ihre rechte 
Stellung genommen hat; ed iſt ein trauriged Zeichen baven, wie 
wenig noch ber Menſch in fich felbft dad Ebenbild Gottes erkennt; 
denn wie koͤnnte ex es fonft in einem anberen zerſtoͤren wollen! Nur 
fo. tft es zu erklaͤren, daß noch ein folcher feinbieliger Ausipruch im 
Namen bed Befezed über bie Lippen eines Dienfchen kommen konnte! 
Aber nun war es nicht nur die Herzenshaͤrtigkeit des Geſezes ſelbſt; 
ſondern es iſt die ſchauderhafteſte Wirkung der Selbſtſucht, wenn 
fie wie bier die Anwendung eines ſolchen Geſezes ſo vergiftet! Die: 
ſes innerſte Herz ber Sünde, aus welchem alle ihre verberblichen 
Zweige bervortreiben, dad war bie unmittelbare Urſache an dem 
Tode des Herm! Denn wenn die Selbftfucht nicht wäre, koͤnnte 
in den Menfchen nichts .berrfchen ald die Liebe; und wenn bie 
Selbſtſucht nicht dad Auge des Geifles trübe machte unb fihielend, 

Fönnte nichts aus den Menfchen handeln und fie treiben als ber 
reine Geift der Wahrheit. Das war dad Gewicht der Sünde, wei: 
ched auf der Seele ded Erlöferd lag in dem Augenbiitt; wo über 
ihn das Urtheil des Todes gefprochen wurde. 


IL Aber nun laßt und zweitens auch. uber dieſen Augenblikk 
felbft und über die Werurtheilung bed Herrn an und für fich auf 
‚dasjenige binaudfehen, was dem Erlöfer zu gleicher Zeit vor feiner 
Seele ftehen ‚mußte in Folge dieſes über ihn geſprochenen Urtheils. 
Das hatte er feinen Züngern fchon vorhergefagt, ES geht bem Juͤn⸗ 

ger nicht beffer als dem Deifter, haben fie mich gehaßt, fo werben 
fie auch euch haffen, haben fie- mich verfolgt, fo werben fie auch 
euch verfolgen, ja es kommt bie Zeit — und fie war je damals 
Ihon da, denn wie mancher von feinen Richtern - bildete fich nicht 
ein, daß er nicht nur fich felbft nicht nur der Gewalt und dem An: 
fehen, welches er zu vertreten hatte, fondern in Wahrheit Gott ei: 
nen Dienft damit leifte; es kommt die Zeit, fagt er feinen Iün- 











gern, daß wer euch töbtet meinen wird, er diene bamit Gott. Unb 
die Erfüllung dieſes Wortes war nun eingeleitet! mit bem Todes⸗ 


urtheil: des Erlöfers hatte der Geift der Verfolgung Befiz ergriffen 


und eine neue Kraft gewonnen; benn in feiner"Perfon und von 
‘feiner Perfon aud war. nun die heilige Sache, die Verkündigung bed 


Reiches Sotted, die Anknuͤpfung der heiligen Gemeinfchaft der glaͤu⸗ 


bigen ein Gegenfland ber ‚Verfolgung. Ihm zunaͤchſt mußte Stes 


phanus fein Leben laffen in einem Augenblikke, wo ber hohe Rath 


fich einem bis zu wuͤthender Leibenfchaft aufgeregten Zorn gegen 
die neue Lehre bingab; bald darauf fah ber folgende Heroded, daß 
er dem Volke einen Dienft bamit that — fo hatten bie Hohenprie⸗ 
fier es aufs neue in ihre Bande gefchlagen — und ließ Satobus 
- ben Bruder bed Johannes enthaupten, und nur durch eine beſon⸗ 
bere Veranſtaltung des Höchften entging Petrus noch feinen bluti⸗ 
gen Händen. Bald fo übte Saulus — ach wären nur alle jene 
Berfolger nachher Pauli geworden! — feine Verfolgungen gegen 
die neue Gemeine der gläubigen. So hatte ſich bie Kraft des bös 
fen zufammengedsängt in biefen Augenblikk des Urtheild über ben 
Ertöfer, daß eine Reihe von ähnlichen Hanblungen ſich daran knuͤpfte 
und ein Kampf entfland, von welchen mit Recht bie Apoſtel des 


Ham fagen konnten, Wir haben nicht zu kämpfen mit Fleiſch und 


Blut, d. h. nicht aur gegen bad, was ber einzelne Menſch vermag, 
fonbern mit den Mächten und Gewalten ber Erbe, benn das ift die 
vereinte Kraft der Menſchen, welche glaubten Recht und Ordnung 


zu handhaben, indem fie dad Wert Gotted die größte Wohlthat für 


das menſchliche Geſchlecht zu zerflören fuchten. Aber der Erloͤſer 
Dachte nicht nur an feine Juͤnger; er liebte fie auf eigenthümliche 
Beife ja nur als die Werkzeuge, welche er fich bereitet hatte; ber 

eigentliche Gegenftand feiner Liebe war bad ganze Gefchlecht ber 
Menfchen. Und was ſah er für diefes voraus? was war ber un: 


mittelbare gewaltige Eindrukk, den dieſes über ihn gefällte Urtheil 


bes Todes nach allen Seiten hin machte? - Wie ploͤzlich fehen wir 
das Herz des Volkes gegen ihn umgewendet! wie übereilt wie ganz 


fi ſelbſt untreu flimmte ed ein in bad Gefchrei, Fort mit diefem, - 


freuzige ihn! denfelben, weichen fie hatten begrüßen helfen als ben 
der da komme in dem Namen bed Herrn; benfelben, nad) dem fie 
fo oft eifrig gefragt hatten, wo er denm bliebe, wenn er nicht gleich 
erſchien auf den großen fefllichen Verſammlungen bed Volkes; den⸗ 
felben, von dem fie gefagt hatten; er lehre gewaltig und nicht wie 
die Schriftgelehrten, und von dem fie gefragt hatten, Kann. ein 
fündigee Menſch ſolche Zeichen thun wie biefer? Das war bie Ge 
walt des menſchlichen Anfehend, welchem die Menge unterlag! 


t 


az. 


Hatte dieſes fo ‚öffentlich und entichieben geſprochen, Tam ber Er⸗ 
folg ihm zu Huͤlfe: fo konnte fich dagegen die freilich noch nicht 
auf bem rechten Grunde berubende noch nicht zur feſten Ueberzeu⸗ 
gung gefleigerte günflige Meinung, die fie von dem Werth und bem 
Weſen dieſes Jeſus von Nazareth gehabt hatten, nicht mehr erhal: 
ten. Sie wurden mit fortgerifien, und von biefem Augenblikk an 
begann bad Aergerniß bed Kreuzes! Das mußte ber Erlöier wol 
gleich damals voraudfehen, als dad Urtheil des Todes über ihn 
gefällt wurde! wie ed ſich ja aud unmittelbar genug kund gab- 
gleich in ber kurzen Zeit, während dieſes Urtheil außgeführt wurde; 
(don da zeigte fich, wie der. Exrlöfer am Kreuz den einen ein Wer: 
gerniß war und den andern eine Thorheit! D wie mwohltgätig 
würbe es ihm geweſen fein — baß ich boch nad) menfchlicher Weiſe 
von ihm rede, ber ja ein menfchliche Herz in menfchlicher Bruſt 
teng, — rote wohlthätig wuͤrde ed ihm gewefen fein, ‚wenn. ex mit 
dem Bewußtfein von der Welt hätte fcheiben Binnen, daß duch 
fein Opfer nicht nur in jenem ewigen Sinne. bed Worte, . in wel: 
dein er diefes felbit audfprach, fondern auch in bem zeitlichen Sinne 
alles vollendet fei; wenn er hätte hoffen können, freudig wuͤrde nun 
die Verkündigung ded Evangeliums fortichreiten, dad Zeuguiß feiner 
Fünger von ber SGerrlichleit bed eingebornen Sohnes würde als 
Befriedigung einer alten Sehnſucht willigen Gtauben finden, das 
Gedaͤchtniß feiner Thaten würbe ungehemmt fich immer weiter fort« 
pflanzen in den. Gefchlechtern ber Menichen, feine Worte wuͤrden 
geſammelt und von einem Volk zum andern immer vollkommener 
verflanden werben, und fo alle Segnungen feined Dafeins ſich in 
subigem $ortichreiten über dad menfchliche Gefchlecht verbreiten. 
Aber nun wetteiferte beibed heftiger mit einander, und die Hize der 
Berfolgung wurbe noch übertroffen von dem Aergerniß des Kreu⸗ 
zed. Welches Widerſtreben der Menfchen ihre Heil von. Einem zu 
empfangen, ber gefallen war ald ein Opſer beö Geſezes und ben 
verachteten Tod der Knechte geftorben! . Auch die Herrlichkeit der 
Auferfiehung konnte das Aergerniß bed Kreuzes nicht hinwegnehmen, 
fordern alle Gewalt der Zeugnifle glitt ab von ben durch ben Zau: 
ber dieſes Urtheils verhärteten Gemüthern. Gin gekreuzigter fol er: 
ſtanden fein! ein gekreuzigter fol verehrt werden! Nein, ba bad 
Geſez ihn fo gerichtet hatte, konnte füch ihr Auge nur. mit verwer⸗ 
fender Geringfchäzung von ihm wegwenden. Ob das Urtheil ge: 
recht geweſen eder ungerecht, ja ob es überhaupt in einem Gefez 
feinen Grund gehabt, dad noch gelten folle und fönne, oder das 
au nur wirklich regelmäßig angewendet werde: niemand fragte 
danafh! Die Schmach bed Kreuzes fiheuchte weit umher beide Ju⸗ 





323 

Den und Heiben zurüff. Und wie ber Erloͤſer des Zuſammenhangs 
menſchlicher Dinge wohl kundig war und wußte, wad der Menfchen 
Herz bewegt, und welchen Einflüffen es zugänglich if: fo mußte 
auch diefe fich fo oft wieberhofende Schuld, welche feinem Reich fo 
viel‘ Hemmungen bereitete, ſchwer auf feiner Seele liegen in biefem 
Augenblift, und das war die herbefte Bitterfeit des heilfamen Kel⸗ 
ched, welchen fein Water ihm zu trinken reichte. 

Izt m. a. Sr. liegen die Zeiten der Verfolgung um ded Evan; 
gelii willen hinter und, das Aergerniß des Kreuzes ed hat Raum 
gemacht der Verehrung, ber Sinn der Menfchen ift geöffnet worben 
Dafür, daß der heilige Gottes fo mußte vollendet werden durch Lei: 
ben bed Todes, und wir empfinden die Herrlichkeit bed eingebores 
nen Sohnes vom Water auch da, wo er unter. der Gewalt ber 
Sünde fein Leben läßt. Auch diefe fpäteren Fruͤchte auch dieſe 
fhöne ruhige Zeit der Herrfchaft des Evangeliums. hat er in feinem 
Geifte gefchaut! er hat ed gewußt, daß der Water ihm eine große 
Menge zum Lohn geben würbe feiner Leiden, und das ift der Sieg. 
geweſen, welchen er auch in demfelben Augenblift verfündigte, wo 
das Urtheil des Todes über ihn gefprochen wurde, indem er fagte, 
Bon nun an wird ed gefchehen, daß ihr kommen fehet des Men: 
fhen Sohn in der Kraft von oben. Und freilich wie hätte er auch 
leiden koͤnnen ohne fich zugleich zu verherrlihen! wie hätte in ihm 
beides nicht eind und baffelbe fein müffen! Denn bad. Leiden ſelbſt, 
weil es nichts anderes ſein konnte als das Mitgefuͤhl von der Suͤnde 
der Menſchen, war eben dadurch auch ſeine Verherrlichung, weil es 
das ſicherſte Zeugniß war von der goͤttlichen Kraft der Liebe, die 
ihr beſeelte. Uns aber geziemt immer mehr alles dad von uns zu 
werfen, was noch eine Erinnerung in ſich ſchließt an daſſelbe menſch⸗ 
lihe Verderben, welches das Urtheil des Todes uͤber den Erloͤſer 
faͤlltez und geziemt in jeder unreinen Bewegung unfered Gemuͤthed 
in jeder Spur der Selbſtſucht, welche ſich in unſerem Herzen zeigt 
und Raum gewinnen will nach außen, dieſelbe Suͤnde zu erkennen, 
welche dem Erloͤſer den Tod brachte, und alles was uns auf jene 
Seite ſtellen kann dadurch zu uͤberwinden, daß wir uns hingeben 
dem. Anſchauen feiner Herrlichkeit, da wir und uͤberlaſſen ber ‚Kraft 
von oben, mit der er waltet: auf daß ed auch durch und immer 
mehr wahr werde, daß er fein Leben gelaffen bat, auf daß er es 
wiebernehme, fo wiebernehme, wie er verheißen bat unter und zu 
fein alle Tage bis an ber Welt Ende. Amen. 


Lied 19. 








XLIV. 
Am ECharfreitag 1833. 


Lied 174. 166. 


Text. Römer 5, 19. 


Denn gleichwie durch Eines Menfchen Ungehorſam viele 
Sünber geworden find, alfo auch durch Eines Gehorſam 
werben viele gerechte. 


M. a. 3. Die Worte bed Apofteld, die wir izt vemommen ha: 
ben, enthalten buchfläblich nichts von ber großen WBegebenheit, mel: 
cher die Feier des heutigen Tages gewidmet iſt; wir haben darin 
das Wort, Der Tod des Erlöferd, nicht gehört, nur von feinem 
Schorfam iſt die Rebe. Aber es find Worte beffelben Apoſtels, 
weicher gelagt hat, daß der Herr gehorſam gewefen ift bi3 zum 
Tode am Kreuz, und daß deswegen Gott ihn erhöht habe und ihm 
einen Namen gegeben, der über alle Ramen ifl*). So nmhffen wir 
alfo daß ich fo fage dieſes als bie Gewohnheit feines chtiftichen 
Dentend mit beachten, daß er ben Gehorfan und ben Rob bed Er: 
loͤſers als eins und baffelbe anfah. Und fo ift denn auch daB, was 
er in den Worten unferd Textes dem Gehorfam des Griöfers zu: 
fchreibt, ald die eigentliche Wirkung feines Todes anzufehen, in fo 
fen naͤmlich biefer ber höchfte Gipfel feines Gehorſams ift. 
Es wäre vergeblich nı. a. 3., wenn irgend einer, dem es ob: 
liegt dad Wort des Herm in den Gemeinden zu verfünbigen, an 





) Phil. 2 8. 9. 


einem Tage wie dieſer in ejner einzigen Betrachtung auf. eine. furze 
Zeit befhränkt den ganzen Gegenfland, der Himmel und Erde um- 
faßt, weil er beide mit einander verbindet, erfchöpfen wollte; es ift 
‚immer nur Eine Seite beffelben, die wir uns vorhalten, die -wir 
überhaupt auch nur mit dem fchwachen Auge unferd Geifted auf 
einmal fafien koͤnnen. Und fo laßt und denn gegenwärtig biefen 
Worten des Apofteld mit Beziehung auf ben Tod bed Erlöfers fol- 
gen, fo daß wir und aus bdenfelben anfchaulich zu machen fuchen 
die Wirkungen feines Todes, in fofern als derfelbige 
das Wert feined Gehorſams war. 

Ich kann wol voraudfezen, dag der ganze Bufammenhang, in 
welchen die Worte unferd Textes gehören, ben hier verfammelten 
Chriſten bekannt iſt; denn dies ift eine von denjenigen Stellen in 
den Schriften des neuen Bundes, in welchen eben fo. Ear und aus⸗ 
fuͤhrlich ald beflimmt und eigenthümlich das, was dem großen Apoſtel 
von dem Geheimniß der Erlöfung durdy Chriſtum offenbart war, 
feinen Zeitgenoffen und allen kuͤnftigen Gefchlechtern mitgetheilt 
worden if. Darum weil nun die verlefenen Worte in dieſem gan: 
zen Zufammenbang eigentlich der Mittelpunkt find, aus welchem er 
fih ganz überfehen läßt, habe ich fie gewählt und bin bei ihnen 
ftehen geblieben, aber nicht ald ob wir grabe auf fie allein fehen 
wollten, fondern wir werden in ben gefammten Zufammenhang Dies 
fer Rebe des Apoſtels hineingehen müffen, wenn wir bad was er 
bier von den Wirkungen ded Todes Chrifti fagt, wenngleich ed nur 
eined ift, in feinem ganzen Umfang verfichen wollen. Dies eine iſt 
naͤmlich Died, daß er jagt, Durch den Gehorfam des Erloͤſers bis 
zum Tode am Kreuz werden viele gerecht. Und fo laßt und denn 
fehen, wie er fi) an verfchiebenen Stellen, die aus bemfelbigen Zu: 
fammenhang genommen find, bierüber weiter erklärt, damit und 
feine Gedanken und mit benfelben ein fo wichtiged Stuͤkk unſers 
Glaubens eine für alle Ehriften fo weſentliche Seite ber Feier die. 
ſes Tages moͤglichſt anſchaulich werde und erwelklich in unſerm 
innern. 


J. Das erſte nun m. a. 3. nehmen wir aus den Worten un⸗ 
ſers Textes ſelbſt her, indem naͤmlich der Apoſtel ſagt, Wie durch 
den Ungehorſam des einen viele ſind Suͤnder geworden, ſo werden 
durch den Gehorſam des andern viele gerecht. Er will alſo hier 
das eine durch das andere erklaͤren, und wenn wir und bie Frage 
beantworten, wie iſt denn das zu verſtehen, daß wir durch den Un⸗ 
gehorſam des einen Suͤnder geworden find? jo werden wir auch) 
von diefer Seite das verfichen, wie wir burch den Gehorfam bes 


ge 
worden? Diele viele, dad find eben alle, wie auch der Apoftel an: 
derwärts in biefem Briefe fagt, Es if hier Fein Unterfhieb — wnb 
dabei dent er vorzüglich an den Worzug, weichen dad Volk bed ei 

ten Bunde zu haben glaubte vor den übrigen Dienfchenfinbern, — 

es iſt bier Fein Unterfchieb, fie find allzumal Sünder und ermangeln 
des Nuhms, den fie bei Gott haben follen ). War nun bices 
etwa wie oft gefagt wirb eine willlührliche Einichtemg bed Hoch 
ſten, daß durch ded einen Ungehorſam alle follten -Günber werden?! 
und müffen wir fo unfer Berfländnig an bem Geheinmiß ber Er 
fung ableiten von einem andern Geheimniß, bad wo möglich ned 
viel unverflänblicher wäre! So wird und freilich erzählt, daß Bent 
ber Herr dem erſten Menſchen ein Verbot geflellt Habe umb üben 
angekündigt, wenn ex eb übertreten werde müffe er bed Todes Fer 
ben. Das galt ihm; aber von feinen Nachkommen von einem gan» 
zen Gefchlecht ber Menſchen, weldyes aus ihm hervorgehen felle, 
hatte er feine Ahnung, und die verbietenbe Stimme Gottes erwäßutz 
deffen auch mit feinem Worte. Hätte ed nicht ganz anders mm 
. am geflanden, wenn ber Herr fo wie er dem Abraham um ibn 
zur Gebuld zu ermahnen und zum ausharrenden Glauben die große 
Nachkommenſchaft zeigte, die alle durch ihn follten gefegnet werben, 
eben fo audy dem Stammvater ber Menfchen alle bie Menfchen ge 
zeigt hätte, welche er durch eine einzige That in ben Abgrund des 
Verderbens flürzen werde? Nein! daß auf eine fo willführliche 
Weiſe alle durch ded einen Ungehorfam Sünder geworben wären, 
das Fönnen wir und wol nicht als eine Einrichtung denken, weiche 
von ber allmäcdhtigen Liebe Gottes hätte ausgehen follen. Oder fl 
es wie wieberum andere fagen etwa fo, bag wir nur in fofern derch 
den Ungehorfam bed einen alle Sünder werden, als wir ihm bed 
alle auf eine oder die anbere.Art nachahmen, fo daß das Günter 
werben dann unfer eigenes Werk wäre? Aber was treibt uns denn 
zu folder Nahahmung? Geht die Sünde geht der Mangel bes 
Ruhmes bei Bott erſt an mit der That, ober geht beides an mit 
der Luft? Sit es aber die Luft, welche ſchon Sünde iſt: fo geht 
auch die Sünde der Nachahmung voran, und biefe ift erſt eine 
Folge der Sünde, fie ift nur eine nähere Art wie ſich diefe be 
flimmt, aber keinesweges der Anfang berfelben. Daher iſt niemand, 
auch die erften Nachkommen ded Adam nicht, noch viel weniger wir 
fpäteren alle deshalb Sünder geworden durch den Ungehorfam bes 


) Abm. 3, 2. 








7 


Adam, weil wir feinen Ungehorſam nachahmten. Was bieibt alfo 
übrig? Wir. dürfen nur ohne alle Kunft einfältig unfte eigne Er⸗ 
fahrung fragen. Wir find Sünder geworden durch bed .einen Un- 
geborfam, weil es bafjelbe Leben tft, welches in ihm ift und in uns; 
diefelbe Gefchichte erneuert fich bei jedem Menfchenkinde, und nicht 
nur wo ed zum erſten Dale übertritt, fondern jedes Mal fo oft e8 
‚wieder auf eine neue ihm vorber ungewohnte Weife in die Sünde 
falit. Weberall ift es derfelbe Reiz der Sinnlichkeit, überall baffelbe 
Nachgeben gegen die Ueberredung, überall derfelbe Ungehorfam gegen 
das Verbot, welches fehr zeitig ſchon fei ed ein inneres Gefez oder 
ein aͤußeres Wort den Menfchen aufſtellt. Die fündlihe Luft hat 
fich verbreitet, wie ſich dad menſchliche Keben verbreitet hat, taufend: 
fältig in taufend verfchiedenen Geftalten verzweigt; aber aus Einer 
Quelle alle entflanden und in bemfelben Ungehorfam und Traft befs 
felben Ungehorfams des einen find alle Sünder geworben. 

Wolan m. a. Fr., auf biefelbe Weiſe haben wir alfo auch das 
andere Wort ded Apofteld zu verftehen. Ebenfo werben auch durch 
den Geborfam bed einen durch feinen Gehorfam bid zum Tode am 
Kreuz alle gerecht. Nicht ift auch das eine willlührliche Einrich⸗ 
tung Gottes, ald ob er den Erlöfer in die Welt gefandt habe, da⸗ 
mit nun eben durch feinen Zod, ber von ihm angenommen würde . 
als eine Genugthuung, die wir felbft geleitet hätten, wir nun für 
unfhuldig und für gerecht erflärt würden. Dadurch, wenn wir es 
und fo denken wollten m. th. hr. 3., würden wir ja doch nicht ge 
recht; wir find auch nicht für Sünder erklärt worden durch den 
Ungeborfam bed einen, fondern wir find es in der That und Wahr: 
heit geworben, Aber wenn wir bei jener Betrachtung bed Todes 
Ehrifti ftehen bieiben, würden wir dann wol auf diefelbe Weiſe ge 
echt, wie wir freilich ſtraflos würden? folgt dad eine etwa noth: 
wendig aud dem andern? müffen wir das nicht alle zugeftehen, daß, 
gefezt auch alle Zurcht vor der Strafe würde von uns hinwegge 
nommen, gefezt auch in unfere Seele fehrte in diefer Beziehung die 
größte Sicherheit ein, wir dadurch und deöwegen auf feine Weile 
die Kraft erhalten würden den Willen Gotted zu erfüllen? Iſt 
aber died nicht der Fall: fo folgt auch, daß wir durch eine folche 
willführlihe Einrichtung nicht gerecht werden. Unb werden wir ed 
etwa beffer und vollftändiger dadurd), daß wir nun ſchwach wie wir 
find den Erlöfer in feinem volllommenen Gehorfam und zum Wor⸗ 
bitde ftellen und ihn nachzuahmen fuchen? Was halten wir benn 
von einer folchen Nahahmung Ehrifti, wie wir hier leiſten koͤnnen? 
Se richtiger wir ihn in feinem Thun erfennen, um beflo unvoll⸗ 
fommner muß und ja unfre Nachahmung ericheinen;. umb wir Tin: 


x 


nen uns um fo weniger babei beruhigen, je vollfonnmmer wir fin 
Gehorſam gegen den Willen feines Vaters erfamen. Ya febk bä 
denjenigen unferer Hanblungen, welche wie Menſchen fie beurtheim 
können feinen andern Anfchein barbieten als ebenfalls ‚ben des Ge 
borfams gegen den Willen unfered Vaters im Himmel, finden mt 
doch je mehr wir auf unfer innere achten um fo gewiſſer imme 
noch den Kampf gegen den Willen bed Waters, fo daß wir die 
Hoffnung bald aufgeben müflen durch die Nachahmung Chrifli ge 
recht zu werben in bem Sinne wie der-Erlöfer es war. So ie 
daher auch nicht; fondern es verhält fich hier wie dort. Bir me 
den gerecht durch des einen Sehorfam, in fofern als baffelbige en 
ben ift das feinige und das unſrige; da hebt bie Gerechtigkeit a 
bei ihm, aber jeder hat an berfelben Theil, welcher mit dem Are 
ſtel fagen Tann, So lebe denn nicht mehr ich, fonbern Chriſtus I 
in mir *). Die fündfichen Neigungen, weil fie an der Sinnlichlea 
des Menfchen halten, verbreiten fi) von Adam aus durch die lüb⸗ 
liche Abflammung; und auf mancherlei Weife zur innerfien eigam 
Beſchaͤmung erkennt jedes Gefchlecht in dem welches unter ihm am 
wächft feine eigenen Fehler und Suͤnden wieder. Das geiflige & 
ben weil e8 von oben kommt Fann ſich nicht fortpflangen und mi: 
theilen durch die leibliche Abflammung; darum bat Gott bem e 
loͤſer auch Teibliche Nachkommen nicht geben tönnen: aber 9 
theilt e3 fich mit; und dieſes Aufnehmen be fich von Chriſto 00° 
mittheilenden geifligen Lebens ift eben der lebendige Glaube. Du 
ift es auch nur was der Erlöfer fordert von den feinigen, ft een 
an ihm bleiben wie die Rebe am Weinſtokk, fie follen ſich in Ihe 
immer mehr einleben, auf daß er in ihnen fei und fie im ihm. = 
diefer Vereinigung des Lebens liegen alle die feligen Verheißungen 
die er ihnen gegeben hat, und nur daraus kann bie Erfüllung der 
felben hervorgehen. Aber eben in biefer Wereinigung bed I 
werben wir auch in der That gerecht, find es geworben dunh ſo 
nen Gehorfam, wie unvollfommen unfer eigener aud) fd, wie ſch 
unfere Nachbildung des feinigen; ja wir find es und werden 9 
ehe noch diefe beginnt-fchon dadurch dag wir ihm den unſtigen nen 
nen, badurch dafi wir nicht mehr wollen ſelbſt Icben ſondem « 
und. Und indem wir ihn fo den unfrigen nennen und WI " 
Schrift fagt ihn anziehen oder uns in ihn einpflanzen — DE 
wechfelt mit einem Reichthum von Bitdern, — fo wird fan % 
sechtigkeit die unfrige; aber auch nur in biefer Einheit bed um 
mit ihm werben wir gerecht burch feinen vollkommenen Bee 











) Sal, 2, 2. 


Dam das ifi ed, was und reizt fein.Beben zu bem unfkigen zu ma⸗ 
hen und und mit ihm zu vereinigen, das ift bie Herrlichkeit des 
eingebomen Sohnes vom Water, die wir in ihm anfchauen, das iſt 
ed, von dem alle-Fülle von Gnabe und Wahrheit ausgeht, die er. 
und darbieten Tann. | 


I. Laßt und aber num zweitend auch auf ein anderes Wort 
des Apoftels über den Tod des Herm fehen, bad er auch in dem; 
felben Zuſammenhang wie unfer Xert auöfpricht, indem er nämlich 
fagt, Alle die auf Chriftum getauft find, die find in feinen Tod 
getauft, wir find mit ihm gepflanzt zu gleichem Tode; und das er 
klaͤrt er hernach fo, daß er fagt, Unfer alter Menfch iſt mit ihm ge 
kreuzigt, auf daß ber fünbliche Leib aufhöre *). Aber auch das 
hängt auf bad genauefte zufammen mit ben Worten unferd Textes, 
und aud dad denkt ſich her Apoftel ald die Frucht feines Todes, 
in fofern fein Tod ber Gipfel feined Gehorfamd war. Das ift ed 
m. a. $r., worauf bie Paffiondbetradhtungen, die wir. in ben lezten 
Wochen in dieſen Stunden mit einander angeftellt haben, hinziel: 
ten; ba behandelten wir in ihren mannigfaltigen Seftaltungen und 
Abſtufungen die Sünde als die eigentliche Urfache an dem Tode bes 
Erloͤſers. Aber je mannigfaltiger fie ſich hier auf ber .einen Seite 
zeigte, und je mehr alles doch auch wieberum zurüffging auf bie 
eine Wurzel alles böfen und verkehrten in dem Menfchen: um deſto 
deutlicher muß es uns ja fein, daß die Sünde ber Welt nur in 
fofern tie Urſache am Tod des Erlöfers fein konnte, als in ihm 
felbft von dieſem ganzen Werk der Sünde auch nicht die leifefle 
Spur: zu finden geweien ifl. Denn alles böfe, wenn es gleich in - 
fich felbft eben in fofern nichtig iſt, als es nur das Nichtwollen des 
göttlichen Willens ift, und feinem finnlihen Gehalt nach betrachtet 
einer Neigung immer eine andere gegenüber fteht und fie in Schran⸗ 
ten bält: fo wirkt es doch vorübergehend zufammen und bildet eine . 
Macht gegen die Befolgung bed göttlichen Willens; und ſo ſtellt 
und ja auch die Schrift immer diefen Gegenftand dar. Wäre nun 
etwas von ber Sünde in dem Erlöfer geweſen, fo hätte dieſes auch 
mitgewirkt zu dem, was bie Urfache feined Todes war; und alfo 
wäre ein Theil diefer Schuld immer auch in ihm felbft gewefen und 
zwar in bemfelben Maag, als in ihm nicht der volllommene Ge⸗ 
borfam gegen den göttlichen Willen gewefen wäre. Dad m. a. Fr. 
erfahren wir gewiß alle, die wir buch bie Sünde leiden an und 
ſelbſt. Können wir auch fagen, daß wir in ber unmittelbarften 





m. 6,4—6. 
IL | el 


30 


Beziehung unſchuldig find an dem, was uns übles wiberfährt durc 
bie Sünde anderer; ift es auch wahr, daß grade die Geflaltung 
der Sünde, deren Aeußerungen und eben leiden madyen, indem wir 


ihre nachtheiligen Kolgen im Leben zu empfinden haben, unferm e: 


genen Gemäthe fremb ift: wir finden boch anderes darin, was mi 


jenem zufammenhängt; und immer finden wir und noch wenn aud 
nur entfernter Weiſe in’ dieſes Zuſammenwirken alles finnlichen Be 


gehrend gegen dad gute mit verſtrikkt, inſofern ber Erloͤſer nicht n 


uns lebt. Darum fagt der Apoftel, Unfer alter Menfch iſt mit ibm 


gefreuzigt, auf daß der fünbliche Leib aufhöre. Damit meint a 


nicht, daß der fterbliche Leib etwa ber fündliche fei, und daß ber 
aufhören folle,. fondern feine Worte lauten eigentlich, der Leib ter 
Sünde fol aufhören, und nach einer damals befannten und ge 
wohnten Art zu reden verficht er unter diefem Leib der Sünde eben 
jenen lebendigen Zuſammenhang jene gefchlofiene Macht der Suͤnde, 
wie er fih auch anderwaͤrts auf ähnliche Weiſe ausdruͤkkt, Wer 
wird mich erlöfen von dem Leibe dieſes Todes *)! wo er auch un- 
ter Tod eben jenen Zuſtand unter der Macht der Sünde verficht, 
weichen wir fo oft ben geifligen Tod nennen, und unter Leib des 
Todes verfteht ex eben fo die Lebenökraft und Einheit in dieſem 
Gefammtzuftand; denn eine Einheit des Lebens aus vielen Theilen 
ift ein Leib. Und wie denn wird der alte Menfch mit Chrifle ge 
kreuzigt? Nur dadurch, daß wir in feinem Tod erkennen den Gip: 
fel des Gehorſams, die reine Uebereinfiimmung mit dem göttlichen 

Willen, die Fülle ber Selbfiverläugnung, die Liebe, die fich ſelbſt 
bafür giebt, daß fie über alles Maag hinausgehe, weil er nämlich 
geftorben ift für bie, Die noch nicht feine Freunde waren *). &o 
wie wir bie in ihm erkennen und in und felbft — weil ja die 
Sünde auch in uns ift — - die Urfache des Todes, in welchem ſich 
eben fein höchfter Gehorfam offenbart: fo wendet fich, wo der ie 
bendige Glaube an den Erlöfer aus dieſem Anerfennen feine Ge 
horſams entfteht, die innerfte Gefinnung des Menfcher von der 
Sünde ab; und das ift der Tod des alten Menfchen, fo wird er in 
dem Zod des Herm gekreuzigt. Daffelbe ift auch der Sinn des 
Ausdrukks, welchen ein anderer Jünger gebraucht, wenn er fagt, 
Er hat unfere Sünden an feinem Leibe mit auf dad Holz hinauf: 
getragen ***), damit fo ber fündliche Leib überall wo das Leben des 
Erlöferd lebt aufhöre, und wir um fo leichter ber Sünde abflerben, 


) Rom. 7, M. 
8 Joh. 15, 13. 
)1 Petr. 2, 24. 








331 


wenn dieſe verderbliche Macht dieſes zerſtoͤrende Leben des boͤſen nicht 
mehr vorhanden iſt. Daß aber die Suͤnde ſelbſt nicht gaͤnzlich auf⸗ 
Hört; daß wir. dad Bewußtſein derſelben bier nie. ganz verlieren: 
dad m. a. Fr., das beweift nur den. leider langen in biefem irbis 
ſchen Leben von fo viel Hinderniffen durchkreuzten Weg zwiſchen 
dem innerfien Menfchen und dem äußeren. Der: innerfte Wille dei 
fen der dem. Erlöfer angehört ift ganz ber Sünde abgewenbet, ohne 
das eine kann das andre nidt fein: aber der Weg von bdiefem ins 
nerften Willen zu ber Außen Xhat, ber ift lang; ber geht eben 
durch. jened Gebiet deu Sinnlichkeit durch, vermöge welcher wir bem 
erfien Adam angehören, den Water bed Ungehorfamd; da mifchen 
ſich immer noch bie Weberrefte ded alten Lebens, welche durch bie 
finnliche Welt genährt werden, in dad wad aus dem neuen hervor. 
gehen fol mit hinein; das ift die Unvollfommenheit unferd Geiſtes, 
das iſt der unvertilgbare Meft der Sünde! = 
. Aber indem der alte Menfch dennoch gekreuzigt ift, fo haben 
toir die Sünde nur noch ald unſern Tod, nicht mehr ald unfer Be 
ben. Als unſern Tod, das heißt ald den Mangel unjer Lebens; 
was wir aber haben von Leben, das ift nur in ihm, und in fofern. 
find wir durch. feinen Gehorfam gerecht geworben, als es bie Wir⸗ 
ung feines Gehorfamd ift, was in unferm innerfien Willen an- 
kaͤmpft gegen dad boͤſe. Und ſo unfern innerften Willen mit dem 
feinigen vereinigt, fo tragen wie geduldig nicht nur fein Kreuz fon 
dem auch das unfrige. Seined, indem wir an unferm Theil ergaͤn⸗ 
zen was noch mangelt am Leiden Chrifti *); das unfrige, freilich Teiber 
nicht ein ſolches, auf welches die Sünden mit hinauf getragen find, 
fondern dad Kreuz der Geduld mit der Schwachheit des Menfchen 
in und, aber ihm nad) um immer mehr feine Gerechtigkeit zu för 
dern in und und andern. | | 


II. Aber ift nun auf diefe Weife in unferm Leben der Zus 
fammenhang des neuen Menſchen mit dem alten nicht ganz aufges 
hoben: haben wir bemohnerachtet genug hieran? und koͤnnen wir 
Ehriſti Tod preifen, wie er ihm felbft preift als feine Wollendung, 
indem er fagt, Es ift vollbracht? koͤnnen wir ihn preiſen ald das 
Ende feine ganzen Werks, wenn wir doch nur auf biefe Weiſe 
durch feinen Gehorfam gerecht geworden find? Laßt und um uns 
diefe Frage zu beantworten noch ein anderes Wort bed Apofteld aus 
demfelben Bufammenhang ind Auge faflen. Er fagt nämlich **), 


) Kol. 1, Mr | 
”) Rom. 3, 25. 
21.2 


‚ „Gott Habe Chriſtum vorgefielt zum Gnabenfiuhl in feinem Mint 

unb vergebe nun die Suͤnden, indem er bie Gerechtigkeit barbtetet 
Died Vergeben ber Suͤnde, worauf beruht ed denn? Der Apofkel 
verbindet es hier mit dem Darbieten ber Gerechtigkeit unb beibes 
damit, daß Gott Chriſtum bargeftellt Hat zum Gnadenſtuhl in fe- 
nem Blut. Um das recht zu verfichen, laßt und zuerſt eine kurze 
Betrachtung anflellen über dad biöher gefagte. Was ic) zuerſt aus 
einander gefezt babe m. a. 3., dad knuͤpfte fich an die Wergleichung 
zwifchen Adam und Ghrifto, wie der Apoftel fie aufſtellt. Er denkt 
dabei alfo an bie ganze Fülle des menſchlichen Lebens, welches von 
Einem Leben abflammt, das heißt an die unendliche Reihe von auf 
einander folgenden Gefchlechtern, weiche Rachkommen Adams finb. 
Aber die von Chriſto abhangenden Gefchlechter find in daſſelbe gei⸗ 
flige Leben nur dadurch aufgenommen, wenn fich jeded unmittelbar 
wieder einpflanzte in dad Leben Chrifti, fo wie ed füh in der gan- 
zen Folge der an ihn gläubig geworbenen Gefchlechter, fo wie es 
fi in diefem unfterblichen Leben feines geifligen Leibes offenbart. 
Dad zweite was wir and einander gefezt haben bezog fich mehr auf 
Dad Leben ded einzelnen Menfchen für ſich und zeigte und, wie fich 
nun in biefem der alte und neue Menſch gegen einanber verhalten, 
der eine nämlich ald zum Tode verurtheilt und im Sterben begrif: 
fen ja wenn wir auf bad innere fehen fchon wirklich ganz geflor: 
ben, der andre aber burch dad Leben mit dem Erlöfer und in ihm 
in der Gleichheit ber Auferfiehung Chriſti. Diefe Kreuzigung bes 
alten Menfchen, diefer Wandel im neuen Leben, bad ifi es, was 
der einzelne Menſch um fich felbft und fein Werhältnig zum Erloͤ 
fer vecht zu verflehen in feinem wahren. Zufammenhang auffaffen 
muß. Wenn nun ber Apoftel hier fagt, Gott habe Chriflum bar 
geſtellt zu einem Gnadenſtuhl: fo hat er dabei dad Verhaͤltniß des 
alten Bundes vor Augen; denn von dort ift diefer Ausdrukk ber: 
genommen. Da hatte fi) Gott in ein befonderes Verhaͤltniß gefezt 
zu einem einzelnen Volk; defien Mittelpunkt und Heiligthum war 
zuerft die Stiftöhütte, hernach ber Tempel, und bad Heiligthum 
wieberum in diefem war bie Lade bed Bundes, verborgen vor aller 
Menfchen Augen, bedekkt, und dieſe Dekke als bie Stätte der goͤtt⸗ 
lichen Gegenwart angefehen. So, fagt ber Apoftel, hat Gott Chri⸗ 
flum dargeſtellt, und bied bat den zwiefadhen Sinn, daß er Die 
Sünde vergiebt, die wie er fagt biäher unter der Langmuth Gottes 
beftanden hatte, und daß er die Gerechtigkeit barbietet. Aber um 
bie recht deutlich zu machen weiß ich nichtE anders, als daß ich 
euch auffordere etwas zu denken, was viele andere wol wir aber 








333 
eigentlich nicht benfen ‚können. Und das erfordert die menfchliche 
Schwachheit gar oft, daß wir, um richtig zu denken was wir ben» 
ten follen aber nicht von ſelbſt verfichen koͤnnen, diefem etwas ge: 
genüber fielen, was wir nicht denken Binnen; daher will ich auch 
dieſes ausſprechen. Denket alfo, wenn Chriſtus nicht wäre gehor⸗ 
ſam geweſen bis zum Tode am Kreuz; wenn er auch nur in ei⸗ 
nem Augenblikk gewankt, und die menſchliche Schwachheit ihn ſei 
es nur in einem inneren Streben gehemmt und wirklich behindert 
hätte; wenn’ ber leiſeſte Widerſtand gegen den goͤttlichen Willen je: 
mals in feinem Gemüthe wirkfam geworben wäre: was dann? Gäbe 
ed dann eine Bergebung? gäbe es eine Gerechtigkeit. vor Bott? 
gäbe ed einen, der vorgeftellt werben könnte zum Gnadenſtuhl? Al⸗ 
les daB wäre nicht. Der felber Theil hätte an der Sünde koͤnnte 
nicht -Urfache fein ber Bergebung ; ber ſelbſt — o wie wenig ed auch 
geroefen fein möchte, aber wir wiffen ja, ‚vor Gott giebt es nicht 
- großes und Beined, --- ber felbfl an einem Ungehorfam Theil ge 
nommen ‚hätte, in beim koͤnnte Peine Gerechtigkeit dargeboten wer: 
den: und wenn ed fo mit Chriſto geweien wäre, wo bliebe bie 
Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Water, bie Fülle von 
Gnade und Wahrheit! So wäre benn alles beim alten geblieben! 
Und welches wäre dies alte! Daß die Menfchen nicht wie es jezt 
ift, indem fie ein vollkommenes Leben vor ſich fehen, fich an dieſem 
tröften können uͤber die Unvollkommenheit des übrigen: fondern fie 
müßten fich wie fie e8 fchen immer getban nur tröften mit ber Uns 
vollkommenheit felbft; fie müßten fich troͤſten, daß dad nun einmal 
der Wille Gottes fei, und dies Gefchlecht ber flexblichen nicht ans 
derö als fo weit gebeihen koͤnne. Aber was. wäre dann auch eben 
fo beftändig geblieben? Eben fo gewiß wäre es geblieben bei ber 
Entfernung des Menfchen von Bott, und babei daß es Feine Stätte 
det Gegenwart Gotted unter ihnen gäbe. Nun aber füllen wir als ' 
led dieſes aus mit dem Gehorfam bed Herrn bis zum Tode am 
Kreuz! Bis zum Tode am Kreuz war er fich treu geblieben;. in 
der Erfüllung bed göttlichen Willens konnte er fagen, Es ift volls 
bracht, wie er fagen Tonnte, Wer von euch Tann mich einer Sünde 
zeihen? — Denn hätte er biefed nicht gekonnt, wie hätte er jenes 
vermocht? — An feinem vollkommenen Gehorfam gegen Gott hängt _ 
alles dies, unb barum ift eben dieſer auch ber Mittelpunkt unferd 
Glaubens, Doch laßt uns eben fo wie ich vorher angefangen habe 
menfchlich zu reden noch einmal fortfahren. Wir hören gar nicht 
felten auch wohlgefinnte Ghriften die Meinung audfprechen, daß Gott 
ohnerachtet feiner Allwiffenheit doch bie freien Handlungen ber Men: 





334 


ſchen nicht beflimmt porauswifien könne, wenn alſo bem Ooͤchſten 
in biefem Sinne vorher zweifelhaft geblieben wäre, ob Chriſtus ſũch 
bewähren würbe bid ans Ende, nun aber hatte er alles erfüllt umb 
vollbracht, war treu geblieben bid zum Tode am Kreuz: fo Tommiz 
doch nunmehr Bott biefen feinen geliebten Sohn bed Wohlgefallens 
mit vollem Rechte darftellen zu einem Snabenfluhl für dad menſch⸗ 
liche Gefchlecht, auf bag aun alle gewielen werben an bie Fülle der 
Gottheit, die ihm einwohnte, um fi von ibm beieelen zu laffen zum 
der Liebe und dem Gehorſam, worin Gott die Gerechtigkeit darbie 
tet. Wohl! aber was follte nun Gott in Beziehung auf bie Sumbe 
tun? Da entfchloß er fi um bdiefer Gerechtigkeit willen die 
Sünde zu vergefien und ſprach aus, nun follte des vergangenen 
nicht mehr gebacht werben, benn es fei alles neu geworben; 
fagte er if die Volllommenheit gefunden, bie ich für fie ald mem 
geiſtiges Ebenbilb gewollt habe, nun iſt fie ba und bes frübern fol 
nicht mehr .gebacht werben. — Aber der Gnadenſtuhl bed alten 
Bundes fland in dem innerften Heiligthum bed Volks, und fo iſt 
auch diefe göttliche Gnabenerbietung baran gebunden, daß wir eim 
Volk find, welches ſich geweiht bat zu feinem Heiligthum, das gei⸗ 
flige Volk des neuen Bundes, in deſſen Mitte der Herr wohnet im 
der Kraft feines Geiſtes, der durch Chriſtum ausgegoſſen ii in um: 
fere Herzen. In diefem feinem volllommenen Gehorfam, in ber 
Bewährung ber göttlichen Kraft, die ihm mitgegeben. war, darin iſt 
die Vergebung, weil in ihrer Mittbeilbarkeit die Gerechtigkeit iſt, 
und darin ift auch bie Sammlung ber Menfchen zu einem gemein: 
famen Leben, in welchem fih was noch in ihnen übrig ift vom ber 
Sünde nicht wieder zu einem Leibe zufammenballe, fondern worin 
alles natürliche fi) immer mehr vereble durch die gegenfeitigen Ein: 
wirtungen bed göttlichen Lebens, durch welche alle immer mehr 
berangebeihen zur Aechnlichkeit mit dem volllommenen Maunebalter 
Chriſti in der Reife feined Lebens, in welchem er den volflonımenen 
Gehorfam gegen Gott bis zum Tode am Kreuz bewährt hat. Des 
ber fagt ber Apoflel, Sind nun durch des einen Ungehorfem viele 
Sünder geworben, bat die Verdammniß geherricht durch die Sünde 
ded einen: wie viel mehr werben biejenigen, weiche durch den Ge 
horſam bed einen gerecht geworben find, nun hberrichen im Leben 
durch diefen einen, Jeſus Chriſtus. Auch das alſo, auch das knuͤpft 
er an ben Tod bed Erloͤſers, und zwar fofern er die Erfüllung fei- 
ned Gehorſams ifl. Denn als die Belohnung feines Gehorſamd 
wird auch feine Herrfchaft dargeſtellt. Wir follen mit ihm herr: 
fchen und leben! Die mage end Bi bob Aces e gamg On 








535 - 


ben hindurch Knechte fein mußten follen bereichen; die weiche tobt 
waren in Sünden: follen herrſchen im Leben, in dem hoͤheren Leben, 
welches ausgeht von dieſem einen. Darum iſt die Vollendung des 
Erloͤſers nun fein Tod, darum iſt dieſer wie er ſelbſt ſagt feine 
Verklaͤrung, darum iſt er an ſeinem Kreuze zu einem Zeichen erhoͤ⸗ 
het fuͤr alle, die es ſehen koͤnnen, auf daß ſie an ihn glauben und 
in ihm das Leben haben. Hat er fein ganzes Leben damit zuge⸗ 
bracht das, verlorene zu fuchen, auf daß er es felig mache; ift- fein 
ganzes Daſein nichtd anderd geweſen als ein Dienſt um die Selig: 
feit ber Menfchen, alfo als Liebe zu ihnen, auf daß er alled ver: 
einigte in fich, was fähig wäre fich mit ihm zu vereinigen; hat ihn 
darin auch das MWiderftreben der Sünder nicht irre gemacht, fondern 
er ed erduldet ohne daß er im mindeſten von feiner Liebe gewichen 
wäre, bie er auch gegen bie auögeiprochen hat, welche unmittelbar 
Die Urfache feines Todes waren; ift er in berfelbigen Uebereinftim- 
mung mit bem göttlichen Willen geblieben auch durch die dunklen 
Führungen feined Geſchikkes hindurch, auch in Diefem frühzeitigen 
Tode bei.der noch fo großen geiftigen Schwäche feiner kleinen Heerde: 

wie ift fein vollendeter Gehorfam nicht das Zeichen feiner vollkom⸗ 
menen Liebe zu Gott feinem und unferm bimmlifchen Water! Und 
dieſes iſt ja Die Kraft des geifligen Lebens, welches er unter und 
begründet hat. Diefe Fülle der Liebe wie fie zugleich fein Gehor: 
fan ift fchauen wir nirgends reiner und vollfommener an ald unter 
feinan Kreuz. Hat er unfere Sünden mit daran hinaufgetragen, 
damit fie mit ihm flürben: fo ift er felbft daran erhöhet worben zu 
einem hbeilfamen Zeichen bed Lebens für alle. Von da aus offen: 
bart fich die Külle der Gottheit, die in ihm wohnetz von ba geht 
auch erſt bie rechte Herrichaft bed menfchlichen Geſchlechts aus, denn 
nur. der Geift kann herrfchen. Und fo ift Ehrifli Tod das hoͤchſte 
bes Lebens, weil von ihm aus das Leben fich verbreitet, er ift feine 
Verklaͤrung, weil darin ber Gipfel ift feined volllommenen Gehor⸗ 
famd; und darum ift der Exlöfer am Kreuz die gemeinichaftliche 
Fahne der Chriften, unter welche fie fi) fammeln, und fie wird es 
bleiben bis and Ende der Tage. So lange ed noch Kampf giebt 
in biefer Welt, weil der fünbliche Leib noch nicht aufgehört- hatz ſo 
lange wir noch zu flreiten haben jeber einzeln mit feinem eigenen 
Fleiſch und Blut und alle insgemein mit ben gewaltigen Seiftern 
in ber Zuft; fo lange wir noch ald das Volk des Herm auch un: 
frerfeit8 an ber Sünde der Welt zu tragen haben: fo werden die 
nur den wahren Muth und bie volle Treue beweifen, die hinauf: 
ſchauen zu dem Kreuze des Herrn. Dieſes wird bie heilige Stätte 


336 
fein, wo wir umfer Gelaͤbde immer wieder erneuen, wen füch bie 


Sünde in jebem einzelnen emeuern will, —e— 
ben Bweifin am bem, in meiden bie Zile ber Betiheis fh ofen 


Bub vr au wege Kin Fu un Kine Ei 


in einem neuem Beben wandeln 


Lied 179, 5. 6. 





XLV. 
Am 2. Sonntage nad Oſtern 1833. 


Lied 10, 1—4. 541. 
Tert. Ev. Joh. 21, 2 —8. 


Darnach offenbarte”fich Jeſus abermal den Jünger an 
dem Deere bei Tiberias. Er offenbarte- jich aber alfo. 
Es waren "bei einander Simon Petrus und Thomas, der 
dba heißt Zwilling, und Nathanael von Cana aus Galilaͤa 
und bie Söhne Zebebäi und andere zween feiner Jünger. 
Spricht Simon Petrus zu ihnen, Ich will hin filchen 
geben. Sie fprachen zu ihm, So wollen wir mit Dir ges 
ben. Sie gingen hinaus und traten in das Schiff alfo- 
bald, und in verfelbigen Nacht fingen fis nichts. Da es 
aber ist Morgen war, ſtand Jeſus am Ufer; aber bie 
Juͤnger wußten es nicht, daß ed Jeſus war. Spricht Ies 
ſus zu ihnen, Kinder, habe ihr nichts zu effen? Sie 
antworteten ihm, Nein. Er aber ſprach zu ihnen, Wer⸗ 
fet das Nez zur rechten bed Schiffö: fo werdet ihr finden, 
Da warfen fie und konnten ed nichtmehr ziehen vor ber 
Menge der Fifche. Da fpricht ber Juͤnger, welchen Jeſus 
lieb hatte, zu Petro, Es iſt der Har. Da Simon Per ' 
trus hörete, daß es der Herr war, gürtefe er dad Hemde 
um ſich, denn er war naffend, und warf fi in. bas 
Meer. Die andern Zünger aber famen auf dem Schiffe, - 
denn fie waren nicht fern vom Lande fonbern bei zwei: 
hundert Ellen, und zogen dad Nez mit den Zifchen. 


538 


M.-. 3. Diefe Zeit zwilchen ber Auferfleßung bed Herrn und 
feiner Himmelfahrt war für feine Jünger. eine fehr eigenthüntliche 
und merkwürdige Zeit. Was für Beſorgniſſe in Beiehung auf das 
göttliche Werk mit dem- menfchlichen Geſchlechte in ihnen entſtanden 
- waren durch ihred Meiſters überrafchenden Tod, die weren aufgeho⸗ 
ben durch feine Auferfiehung; und fie fahen nun dem entgegen, was 
fie in dem Berufe, welchen ex ihnen zugetheilt hatte, wuͤrden zu 
wirken haben. hr früheres Verhaͤltniß mit ihm aber, ja das war 
feiner Auflöfung nahe; ed waren nur noch zerfireute abgebrochene 
Stunden, in denen ex fich ihnen offenbarte, und fie wußten niemals, 
ob oder wann es ihnen wieber fo gut werben mwürbe, und ob nicht 
jebed Mal das lezte geweſen wäre, bag fie ihn in biefem Zuſtande 
gefehen hätten. - So waren fie denn natürlidyer Weile getheilt zwi: 
ſchen dem Zuruͤkkſehen auf die Vergangenheit und dem Hinausſehen 
in die Zukunſt. Die Geſchichte aber, welche wir izt mit einander 
vernommen haben m. chr. 3., gehört ganz beſonders dem Zuruͤkkſehen 
"In die vergangene Zeit an; fie bietet im allgemeinen und einzeln 
betrachtet gar viele, wobei ihnen nothwendiger Weiſe diefed und 
jenes aus ber früheren Zeit einfallen mußte: unb fo wollen wir 
und aus biefer. Erzählung ba& vor Augen halten, wie bie Sün- 
ger des Herrn dadurch mußten zum. Zurüfffehen auf die 
Zeit, welde fie hinter ſich hatten, angeregt werben. Laſſet 
und das mit einander betrachten, indem- wir zu erſt näher auf bäs: 
jenige eingehen, was ihnen allen dabei gemeinfchaftlich war, aber 
dann auch hernach auf das Acht haben, was einzelne won beuen, 
die und bier genannt werben, befonders betrifft, 


I. Der Evangelift alſo erzählt und, einige von ben Jüngern 
des Heren, deren mehrere er namhaft macht, ein Paar aber nennt 
er auch nicht, wären bei einander geweſen in Galilaͤa; und als Pe 
trus zu ihnen gefagt, Ich will fiichen gehen, hätten ſich dann bie 
anderen mit ihm bazu vereitigt. Das war ber Beruf des bürger. 
lichen Lebens, bei dem fie hergelommen waren; dabei hatte der Er: 
loͤſer fie gefunden, und auch nachdem er fie in das nächfle unmit- 
telbare Werhältnig mit fich gezogen. hatte hatten fie ‚boch baneben 
noch immer biefed gewohnte Gefchäft fortgeführt, und oft hatte er 
fie begleitet auf biefem Wege ihres irbifchen Berufs. Wie wäre es 
möglich geweien, daß ihnen das alled nicht Hätte gegenwärtig fein follen, 
wenn fie nun nach einer langen reichhaltigen Unterbrechung unter 
fo ganz anderen Umfländen: mit einander hingingen um zu fifchen! 
AS der Erlöfer fie zuerft dabei fand, den Petrus und, feinen Bru: 


der, ben Johannes und feinen Bruder, ba forach er zu ihnen, wie 
wir in unferen Evangelienbüchern Iefen, Laßt bied und kommet und 
- folget mir nach, ich will euch zu Menfchenfifhern machen. Darauf 

war nun alled abgefehen geweien, was er feither an ihren Seelen 

gethan hatte; feine Werkzeuge follten fie fein um bie Gemeine ber 
äubigen zu fammeln. Und wie oft hatte er nicht zu ihnen gere 
det von dem Reich Gottes unter Bildern, die von. ihrem Beruf her: 
genommen waren! wie mußte es ihnen eindringlich fein, daß er das 
beides auf folche Weiſe mit einander verknüpfte! In dem Neze ded 
göttlichen Wortes follten fie durch bie Treue ihrer Werfündigung 
die Seelen der Menfchen gefangen nehmen, Menichen von ganz ver: 
fchiebener Art umb ganz verſchiedenem Werthe alle in das Reich 
Gottes fammeln; und auf Geduld und treued Ausharren hatte er 
fie von Anfang an verwielen, fo daß auch darin ber Beruf ihres 
täglichen Lebens jenem neuen, zu welchem er fie geftaltete, ähnlich 
war. Denn wie e8 auch bier heißt, daß fie in berfelben Nacht 
nichts fingen, eben fo waren auch manche von ihren Bemühungen 
um dad Reich Gottes vergeblih. Dad hatten fie fchon erfahren, _ 
wann er fie audfandte um das Reich Gottes zu verfündigen noch 
in ben Zagen feines Fleiſches, das follten fie bald in dem neuen 
Abfchnitt ihrer Laufbahn in noch viel größerem Maße erfahren. 

Wie kann es anders fen, ald daß fie in ber flilen Muße, welche 
eben die unmittelbare Ausubung ihres Berufögefchäfts ihnen geflat: 
tete, jeber das bei fich felbft erwogen, und fie fich gegenfeitig ver. 
gegenwärtigt haben bald dies bald jened, was der Erlöfer an ihren | 
Seelen gethan, feitbem er fie zuerft aus dieſem geringfänigen irdi⸗ 
ſchen Berufe an ſich gezogen zu bem viel größeren, ben er ihnen 
beichieden hatte. Aber indem er biefe beiden Geſchaͤfte fo oft in feis 
nen Reben auf einander bezogen hatte: wie muß nicht doch auch 
dieſer irbifche Beruf ihnen dadurch befonderd lieb unb werth gewor⸗ 
ben fein! welcher Duft der Heiligkeit daß ich fo fage mußte auf 
bemfelben ruhen, weil er eben fo oft geheiligt werben war durch 
bie Gegenwart und dad Wort bes Erlöferd! Und wenn fie fi 
nun betrachteten, wie fie izt mit einander hingingen zu filchen, viel: 
leicht auf demfelben Zahrzeuge, gewiß in denfelben Gewaͤſſern ihr 
Gewerbe treibend wie damals, und fie verglichen was er ihnen nun 
geworden mit dem, was er ihnen gleich bamald war: welch ein fe: 
liger Zortfchritt in dem größten und vwoichtigften muß ihnen zum 
Haren Bewußtſein gelommen fein! 

Aber m. g. Fr. wie der Erlöfer von dieſem Berufe rebete, To 

nahm er feine lehrreichen Bilder und Gleichniffe aus allen Gebie: 
. ten des gefchäftigen menfchlichen Lebens und machte fie felbft auf: 


Rn. ‚' 
mwerkſam darauf, wie nothwenbig auch fie ſih eine ſolche Fertigkeit 
aneignen muͤßten, wenn a bad fein follten, wozu er fie machen 


wollte, Schriftgelehrte, die zum Himmelreich gelehrt wären; wie fie 
müßten ans bem alten das neue aus dem alltäglichen das geiflige 


aus dem irdiſchen das ewige auf alle Weiſe herausbringen ans Licht | 


und ben Denfchen and Herz legen können. Auf diefelbe Weiſe alfo 
kann und foll auch jeber andere irdifche Beruf geheiligt werben: und 
das gehört mit zu dem neuen Leben, weiches und durch ben Ens. 
: fer aufgegangen ift, baß wir überall auch in ben Geſchaͤſten des 
alltäglichen Lebens auch in unferem irbifchen Berufe Des Heiches 
Gottes koͤnnen froh fein. Denn es giebt keinen nuͤzlichen Zweig 
menfchlicher Thaͤtigkeit, bei dem nicht dad Maaß, welches darin zu 
beobachten ift, bie Geſeze, denen er folgt, die Richtung auf das 
menſchliche Wohl, welche nothwendiger Weiſe jeber haben muß, je 
den ber einmal in das Heid Gotted aufgenommen iſt und barin 
lebt unb athmet audy immer auf dieſes geiflige Leben hinfuͤhren 
follte. Wenn alſo fpäterhin, als fich die Gemeine des Herrn wei: 
ter ausgebreitet hatte, viele Ehriften es für etwas große und wich 
tiged hielten und für ein beſonders wuͤrdiges Biel. ihrer Beſtrebun⸗ 
- gen, wenn fie ſich losmachen konnten von jedem irdiſchen Gefchäft 
um in der Stille der Einfamkeit ganz und audfchließend der Be— 
trachtung des göttlichen zu leben: fo war das nicht der Sinn Chriſti, 
und es war nicht dem Beifpiel feiner erfien Jünger gemäß, auch 
" nicht in biefer Zeit, da fie doc in Bezug auf ihren Beruf für das 
KReich Gottes lediglich auf das ſtille Warten gewieſen waren. Fuͤr 
dieſe Apoſtel kam freilich auch nun ſehr bald eine Zeit, wo fie jedes 
gewerbliche Geſchaͤft ganz niederlegen mußten, aber nicht um in die 
Einſamkeit zufammen zu gehen, nicht um ber flilen Betrachtung 
allein zu leben, fondern um nur ihre ganze Zeit ber großen. Angele: 
genheit ihres Meiſters zu widmen und eben fo auf: die Gemuͤther der 
Menſchen zu wirken und fie eben fo zufammenzubinden, wie fie ſelbſt 
mitten aus ihrem ixbifchen Beruf aufgenommen unb feflgeheiten 
worden waren von dem Erlöfer. | 
Aber Iafiet und nun auch bad damalige Zufammenfein dieſer 
Sünger näher ind Auge faflen. Johannes erzählt uns, er wäre ba 
gemwefen und fein Bruder, Petrus, Thomas und Nathanael und noch 
zween andere. Alle waren fie alfo nicht ba. Gehoͤrte das etwa 
noch zu ber traurigen Zerſtreuung, über welche ber Erloͤſer ſich fo 
ausdrüffte, daß er fagt mit ben Worten eined alten Propheten, 
Wenn fie den Hirten fchlagen werben, fo wirb bie Heerde fidh zer: 
freuen, und. ihr werbet gehen jeglicher in das feinige )? das kön: 


* Matth. 26, 31. — Joh. 16, 32. 











Al 


nen wir wol nicht mehr glauben, feitbems - feine Auferfiehung ihnen 
Fund geworben war, und fie baburch nun volllommen zuruͤkkgekehrt 
waren zu bem alten Glauben, zu bei alten Freudigkeit, zu dem al 


ten Muth. - Sp waren fie beiſammen gewefen in Jeruſalem in den ' 


erfien Tagen ber Auferfiehung bed Herm, und er hatte ſich ihnen 
da offenbart bald diefem und jenem einzelnen, zweimal aber auch 
als fie nach gewohnter Weiſe und an gewohnter Stätte alle bei 
einander geweſen waren. ° Hernach hatte fie ber Herr beſchieden 
nad Galilaͤa. Ob fie ihn auch da ſchon geſehen hatten vor dieſer 
Erzaͤhlung, das wiſſen wir nicht; wie oft ſie ihn nachher eben dort 
wieder geſehen haben, das wiſſen wir auch nicht, nur daß der Apo⸗ 
ſtel Paulus in feinem erſten Brief an bie Korinther erwähnt *), 
der Herr hätte fich in jenen Tagen offenbart: fünfhundert Brüdern 
auf einmal, und dag wir eher denken koͤnnen, das fei dort geichehen 
in Galilda, ald in Ierufalem ober in ber nächften Umgebung. diefer 
großen Stadt. Diefedmal aber waren fie nicht alle beifammen, 
fondern einige waren offenbar anderswo. Aber das erklärt fich nun 
eben daraus, daß Petrus zu dieſen fagte, Ich will hingehen fifchen, 
und fie fih. mit ihm vereinigten. So mögen andere vereinigt ges 
weien fein anf eine andere Weile. Sie hatten in biefer Zeit feine 
feſte und befländige Regel ihres aͤußeren Lebens; aber darum Tann 
auch aus ihrer Zerſtreuung nichts nachtheiliges für ihr Verhaͤltniß 
geichloffen werden. Das Band ber Liebe und bed gemeinfamen 
Berufes wenigſtens war dach unter ihnen aufs neue: fefl geknuͤpft 
feit der Auferfiehung des Herm durch die gemeinfamen Aufträge, 
bie er ihnen ertheilt,: Durch die geiftigen- Gaben, womit er fie auch 
damals fchon auögeflattet hatte, indem er ihnen feinen Geiſt mit: 
theilte durch den Hauch feines Mundes und ihnen feinen Srieben 
gab. Wie fie aber bier beifammen waren: auf wie verfchiebene 
Weile waren fie zu dem Erlöfer gelommen! bie einen durch Johan⸗ 
ned ben Taͤufer; die anderen durch eben diefe, welche zuerft den 
Erlöfer ald denjenigen, welchen ihnen Johannes namhaft machte, 
kennen lernten; andere wieberum burch einzelne unter jenen, wels 
chen fie näher befannt waren. Wie verfchieben waren fie ihrer ganz 
zen Art und Weiſe nach! bei jevem fafl gab eö etwas, wie bei dem 
Nathanael, was ber Erlöfer erſt überwinden mußte um ihn fich 
ganz fo zu gewinnen, wie ex ihn haben wollte. Unb fie unter fich 
waren fo verfchieben ihren Gaben nach und wurben baber auch 
bald einander ziemlich ungleich in ber Stelle, die fie-in dieſer klei⸗ 
nen und engen Gefellfchaft einnahmen, aber body in einer ſolchen 


°) 1 Kor. ib, 6. 








brüberlichen Liebe vereint, daß wir kein Bedenken tragen koͤnnen zn 
fagen, das Band, welche fie unter einander verknüpfte, erfegte ib 
nen jedes andere. Wie fie der Erloͤſer vereinigt hatte zu Verkuͤn⸗ 
digern des Meiched Gottes, zu feinen und feiner Auferfiehung Zeus 
gen, fo waren fie, mochten fie nun leiblich beifammen fein oder nicht, 
auch unter ſich durch dad Band ber geifligen Liebe, die er ihnen 
gezeigt und empfohlen hatte, auf das engfle verknüpft, und wir mil: 
fen audy nicht, daß das je lofe geworben wäre unb feine Kraft ver 
loren hätte. | 

So nun m. a. 3. bat es ſich auch feitbem immer verhalten in 
der Gemeine bed Herrn. "Die gemeinfame Liebe zu ihm, das gleid« 
mäßige Geöffuetfein für fein Wort, für feine Forberungen an bie 
menfchliche Seele, für feine Zröftungen und feinen Frieden: das if 
immer ein ganz eigenthümliched Band ber Liebe und des Vertrauens 
unter den gläubigen gewefen, ohne’ daß .fie deshalb aus der Drb: 
nung bed menfchlichen Lebens irgendwie hätten hinaus treten muͤſ⸗ 
fen. Ja auch in ben fpäteren Zeiten, als das Chriſtenthum is 
menfchliche Gefellfchaften von ganz andern Ordnungen und Einrid- 
tungen bineingedrungen war, welche fich durch eine fehr große In: 
gleichheit unter den einzelnen Gliedern der Gefellfchaft auszeichneten, 
zumal wenn man fie mit ben Verhaͤltniſſen vergleicht, die. bamals 
unter dem Wolke, aud welchem ber Erlöfer feine Dünger erwaͤhlie, 
ſtattfanden: fo iſt doch das immer allgemein von allen anerkannt 
worden, wo es ein rechter Ernſt iſt mit der Liebe zu dem Erloͤſer, 
da haben auch die, welche fie einer an dem andern erfennen, fofem 
fie nur die Gelegenheit haben fich dieſer gemeinichaftlichen Liebe 
auch gemeinfom bewußt zu werden und bie Einflüffe, welche fie von 
dem Erlöfer erhalten, mit einander zu theilen, kurz fo fen Re nur 
in diefer Beziehung eine gemeinfame Gefchichte haben und ein ge 


meinfames Leben führen Binnen, dieſes brüderlihe Verhaͤlmiß auch 


immer für das flärkfle Band erkannt, unbefchadet aller andern 
menfchlichen bürgerlichen und göttlichen Ordnungen. Und fe. koͤn⸗ 
nen auch die Ehriften immer allem, was zu ihren menfchlichen Ge 
ſchaͤften gehört, rubig nachgehen ohne einige Beſorgniß, daß jeme 
geiftige Gemeinfchaft darunter leiden koͤnne. Denn fo war es auch 
mit diefen Süngern. Wie fie hier mit einander vereint waren be3 
Herin wartend, nicht als ob fie ihn in demſelben Augenblikk enwar- 
tet hätten aber in ber befländigen gemeinfamen Erwartung feiner 
weiteren Aufträge und Befehle oder der Erfüllung ber Verheißun⸗ 
gen, welche er ihnen gegeben und auch noch vor kurzem wiederholt 
batte: wie follten fie fich nicht dieſes Bandes, welches fie verfnäpfte, 
auf eine fo innige umd erfreuliche Weiſe bewußt geweſen fein, daß 


"auch: bie Gefchäfte ihres irdiſchen Berufs das nicht flören Tonnten; 
und auch mitten in biefer Thaͤtigkeit, welche ohnedies nicht von ber 
Art war den. Geifl ganz zu beichäftigen und. in Anſpruch zu nehs 
men, werben fie mit einander des Herrn und ihrer Berbindung mit 
ihm gebacht haben. 

Wenn wir nun aber auch auf bie biesmalige Zufammenkunft 
der Sünger mit dem Erlöfer beſonders Acht haben: fo hat die Ers 
zaͤhlung unſers Textes m. a. 3. eine ganz beſondere Aehnlichkeit mit 
einer andern aus ihrem gemeinſamen Leben vor dem Tode des Er⸗ | 
loͤſers. Es hatte fih fchon einmal fo ereignet, daß die Juͤnger auf 


dem Schiff geweſen waren und ber Meifter auf dem Lande, und. 


daß er fich ihnen ebenfo ganz unermwarteter Weile zeigte. Das war, 
nachdem er jene fünftaufend gefpeift ‚hatte, hernach in eine gtoße 
Bewegung gerathen war durch das verkehrte Unternehmen bed Vol⸗ 
kes, welches in feinem irdifchen Tichten und Zrachten ihn greifen 
wollte, wie und Johannes erzählt, daß fie ihn zum” König audries 
fen. Da batte er fchnell feine Juͤnger in das Schiff, welches fie 
dahingebracht, zuruͤkkbefehligt, und fie mußten mitten in der Nacht 
über den oft und auch damals fehr unruhigen See fahren; er aber 
hatte fi) in die Einfamleit bed Gebirged zurüffgezogen, von dem 
Volk getrennt. Als ed nun gegen Morgen fam, fie auch nicht mehr 
weit von dem Lande waren, beides grade wie in biefer Erzählung, 
aber. mit Sturm und bewegten Wogen zu kämpfen hatten: ba fas 
ben fie ihn am Lande, aber fie wußten nicht, daß ex e8 war, wie - 
bier; fie waren nicht einmal ficher, war es ein Menfch, ober war 
ed eine übernafürliche Erfcheinung, was fie ſahen, und fie fuͤrchteten 
fih noch mehr. Er gab ſich ihnen freilich alsbald zu erfennen, aber 
alle Erzählungen flimmen darin überein die Sache fo barzuftellen, 
ald habe dieſes nächtliche Begegnen bed Erloͤſers, wo fie ihn noch 
gar nicht erwarten zu koͤnnen glaubten, einen befondern Eindrukk 
auf fie gemacht. Diele ihre Aufregung war wol verurfacht duch . 

das, was fich fo plözlich ereignet hatte, durch ihre eilfertige Tren⸗ 
nung von ihm, durch die Gefahr, in der fie fchwebten. Jezt er 

fcheint er ihnen ebehfo nach einer wenn auch gefahrlofen doch ver 
geblich durchwachten Nacht, auch wieder ald es Morgen werden 
wollte, und fie wußten auch nicht, daB ex ed war, ‚nicht cher als 
er fie anrebete. Aber ald nun Johannes dem Petrus ſagte, Es iſt 
der Herr, fo glaubten fie; und wir finden nicht, daß es einen fol: 
chen wunderbaren befonderen Eindrukk auf fie gemacht hätte. Welche 
Verfehiebenheit der Zeiten! Diesmal hatte fich doc Eur, vorher 
viel wunberbarered ereignet; denn troz aller Andeutungen Fam es ih⸗ 
nen doch unerwartet, als der Herr in Leiden und Tod hinelngeführt 


wunderbaren Greigniffen, von benen fie tief in ihren innern age 
fen fein mußten: welch ein Unterfchieb, daß nun ist eine folk 
Ruhe in ihrem innern und in ihrem ganzen Betragen war, wir 
rend ſich bei ber früheren Gelegenheit eine ganz 
Aufregung ihrer Gemüther fund giebt! Das m. Zr. if ein [hin 
Fortſchritt, den fie gemacht, und wen fie fich jener früheren Beze 
benheit erinnerten, wie ja faſt nicht möglich if, daß fie es nicht el 


ten gethan haben, mit welcher Freude mußten fie fich deſſen bewui 
fein! Was war ed auch anders ald die fortgefezte Wirkung mm 
‚ bem fich immer gleich bleibenden Frieben, von ber unerfcütterlihe 
Sefligleit des Herzens, mit welcher er unter ihnen gewandelt wat. 
Dadurch hatte er fie allmählig reif gemacht: und über bie ala 
große Beweglichkeit bed Gemüthes erhoben; dadurch waren auch M 
zu einer größeren Ruhe und Zefligkeit des Herzens gelangt, ba 
das außerordentliche nicht mehr auf eine allzu heftige Weile april, 
wie es früher geſchah. | 

Das m. a. 3. iſt nun der wahre auch uns allen aufgegehat 
Zortichritt in der chrifllichen Weisheit, und jeber, der eine gem 
Zeit in dem Umgange mit dem Erloͤſer gelebt hat, wenn- ihm aM 
Beranlaffung entfteht, wie es diefe für bie Juͤnger bed Herm ML 
in eine frühere weit hinter ihm liegende Zeit zuruͤkk zu ſehen, Pl 
fi eined ſolchen Fortfchrittes bewußt fein... Die Leichtigkeit, 
das innere ber Seele unruhig bewegt werbe, muß ſich verloren We 
ben, wo ein langer frieblicher Umgang mit bem Erloͤſer fattgelur 
ben bat, und fein Geiſt zur Regel des Lebens geworben il. * 
mehr wir fo alles auf bad eine was noth iſt und wozu wir alı 
berufen find beziehen; je mehr wir lernen, in allem Wechlel dei ? 
diſchen Lebens doch immer nur dad was überall baffelbe bleibt ab 


den eigentlichen Gehalt deſſelben erkennen: um fo mehr mäflen MT 


reif werben zu dieſer ruhigen Weisheit, zu biefer grögeren E 
beit des Gemuͤths, zu diefer Gleichheit mit uns felbft auch bei der 
unerwarteten, was und begegnet. Und befien werben ſich auch Dt 
FJuͤnger erfreut haben ald der lebendigen Wirkung ipred Herm 

Meiſters, der auch ist auf eine unerwartete Weiſe vor ihnen kam 


IL. Aber freilich hebt und bie Erzahlung unfered Zeries 1 
manches merkwürdige, was nur einzelne unter biefer Heinen en 
betrifft, beſonders hervor; und dies wollen wir nun auch noch 
Erwägung ziehen. u 


- | 545 | 
Der Herr. war auch einmal unb zwar wahrfcheinlich bald am - 
Anfange ſeines Lehrend auf dem Schiffe bed Petrus geweſen, ald 
Der auch nichtd gefangen hatte; und auf die Anweifung des Herrn 
that er einen großen unerwartet reichlichen Zug *), grabe wie ed 
uns hier erzählt wird in unferem Text. Als aber damald Petrus 
das gewahr wurde, erfchraf er und fprach, Herr, gehe hinaus von 
mir, ich bin eim fündiger Menſch. Und doch war daB nicht etwa 
fein erſtes Begegnen mit dem. Erlöfer, denn er hatte ihn fehon Een» 
nen gelernt, als Jeſus noch da verweilte, wo er von Johannes war 
getauft werben, und zwar durch feinen Bruder, der ihm fagte, Wir 
haben den Meſſias gefunden. . Dafür muß alfo er felbft ihn auch 
gleich damals 'erfannt haben, weil ſich von biefer Vorausſezung aus 
fchon damals ein enges Band zwifchen ihm und dem Erldfer ans 
knuͤpfte **); aber doch war er in dieſen erften Anfängen feines 
Glaubens noch nicht darüber hinaus, daß ihm nicht ein folched Wort 
entfahren wäre, Herr, gehe hinaus von mir, ich bin ein fünbiger 
Menfh! Das war noch die Zeit, wie ja alle Lebensanfänge find, 
der Schwachheit feined Glaubens und feiner Erkenntniß; und fchon 
eben dieſes, daß er durch die Wohlthat, welche ihm Jeſus auf folche 
Weiſe erwies, einen fo eigenthümlich ſtarken Eindrukk von ber hoͤ⸗ 
heren Wuͤrde des Erloͤſers bekam: das zeigt wol ſchon, daß er von 
dem maͤchtigen belebenden zum goͤttlichen Leben uns entzuͤndenden 
Geiſt, der in feinem Herrn und Meiſter wohnte, bie rechte Erkennt⸗ 
niß noch nicht gewonnen hatte; fonft wäre ihm ja dieſes ein gerins 
ges geweſen. Aber daß er fagt, Herr, gehe hinaus von mir, ich bin 
ein fündiger Menfch, dabei lag doch auch eine Verwirrung bed Ges 
müthe8 zum Grunde, als koͤnne es ihm auf irgend eine Weile Ges 
fahr bringen, wenn er in der Nähe des reinen und heiligen wäre, - 
der fi ihm fo hatte zu erfennen gegeben. Nun aber lag dad weit 
hinter ihm, und dergleichen begegnete ihm. Diedmal nicht mehr. War 
er weniger ein fündiger. Menſch ald damals? Nein, gewiß nicht, 
und gewiß war auch dad nicht fein Bewußtiein! Aber was lag 
zwifchen jener Zeit und biefer? Die lange Erfahrung, welde er 
gewonnen hatte von dee wohlthätigen Nähe feines Herm und Mei⸗ 
ſters, die fefte Ueberzeugung, daß biefe nie etwas anbered ald gutes 
und beiffames wirkten Tann. Wie lange war bad ſchon feine ins 
nerfie Meberzeugung gewefen, daß er nirgend wo anderd hingehen 
und richt von Jeſu laſſen Sinne, weil ex fonft auch. hätte laſſen 
muͤſſen von den Worten bed ewigen Eebend. So erbliffen wir ihn 





Luk. 5, 2 flgd. 
), 308. 1, 40 — 42. , . 
In. | \ | Mm 








alfe eben in biefer Beziehung als einen fortgefeheittenen, ber um 
reine Freude haben Tann auch obnerachtet des Bewußtſeins, def c 
ein ſuͤndiger Menſch fei, an jedem Augenbliff der Nähe des Hm 
Und iſt es nun einmal fo mit und beflellt, daß wir beö Bewait 
feind der Simbe und ber Sünde felbft in dieſem isbifchen Lebe 
niemald ganz ledig werben: fo muß ja eben Dies auch unſer gr 
meinfames Ziel fein, und wir müffen wünfchen eö gleichfalls baka 
zu bringen, wohin jener Jünger es gebracht hat, daß biefes Br 
wußtfein unfer Berhältniß zu dem Exlöfer nicht mehr flöre, dej w 
und feiner geifligen Wohithaten obnerachtet dieſes Behaftetſeins mi 
der Sünde und grade in Beziehung darauf immer ungefört un 
möglich gleichmäßig erfreuen. 

Aber Petrus hatte wol noch ein ganz ambereö unb beſonders 
Bewußtfein in diefer Zeit. Es war doch noch nicht lange her, fe 
dem er ſich felbft und feinem Wort fo untreu geworben war, I 
er ohnerachtet der Warnung bed Erlöferd wenn auch nicht dem 
Geiſte nach doch buchfläblich genommen und wenn wir auf die dr 
fere That fehen eben das gethan hatte, wovor jener ihn wart 
nämlid ihn verläugnet. Finden wir, daß auch dieſes ihn, hier md 
im geringſten geflört habe? Es läßt ſich davon feine Spur 
nen in feinem ganzen Betragen. So wie er hört, Es iſt der DM: 
fo hat er nichtB eiligered zu thun, ald dag er fich in das Ber 
wirft uni nur ber erfte zu fein bei feinem Derm; dag es noch @ 
was flörendes gäbe zwiichen ihnen beiden, davon fcheint ti auc 
nicht die leiſeſte Ahnung gehabt zu haben. Aber wir finden frei 
hierüber auch noch einen befonderen Aufſchluß. In dem Evanst 
kum des Lukas wird und erzählt, als jene beiden Juͤnger ve 
Emaus zurüfflamen zu ben anderen, feien diefe ihnen mit der Rad 
richt entgegen gekommen, daß der Herr auferflanden fei, denn ® h 
bem Petrus erichienen ). Gab es alfo über diefe Sack am 
auszugleichen zwifchen ihnen; mußte er die Thränen, die er in M 
Stille geweint hatte, noch einmal weinen vor dem Erlöfer; 
er die Bergebung von dem Erlöfer noch beſonders empfangen: r 
war bad bamald gefchehen; aber nun konnte auch nicht? weht 
flören, dag er nicht in dem Drange der Liebe dem Erloͤſer engee 
gekommen wäre. Und bad m. g., dad iſt der rechte Charaller we 
vollfommenen Bergebung, deren wir und in der Berbinbung Si 
dem Erlöfer erfreuen über alles, was noch von der menſchliche 9 
brechlichkeit an uns if. Wo bei dem Wewußtfein dieſer, was 40 





) !ut. 24, 34. 


347. 


geſchehen fein mag äußerlich, wie-fich auch innerlich dad Verderben 
mmag gezeigt haben, doch bie Liebe zu ihm unverlezt iſt: ba iſt auch 


Die Bergebung aller menfchlihen Zehitritte eine volllommene, bie 


Teinen Stachel in dem Herzen zuruffiäßt. Als ber Erlöfer bei jes 
ner früheren WBegebenheit fich- zu erfennen gab von bem- Ufer ber, 
daß er e8 wäre: da ſprach Petrus, Herr bift du es wirklich, fo laß 
mich über dad Waſſer zu bir fommen, und der Herr fprach, Komm. 
Aber weil der See unruhig war, und der Wind wehte, wurbe ihm 
bange, und er fing an zu finten, und der Herr mußte ihm bie 
Hand reichen und fagte, Kleingläubiger, wad zageſt du *)? Hier 
hingegen wirft er fi) ohne fich vorher einen einwilligenden Zuruf 
zu exbitten in das Meer und weiß von Feiner Furcht, bedarf auch 
keiner Huͤlfe und Unterſtuͤzung mehr. So ſehen wir denn auch hier 
die gewachſene Freudigkeit des Glaubens, worin ihn was er verſe⸗ 


hen hatte nicht ſtoͤren konnte. Er war und blieb was er geweſen 


war nach wie vor; ſein Verhaͤltniß zu dem Erloͤſer, ſein Verhaͤltniß 
zu den Juͤngern, daß er ihnen voranging nach wie vor, alles war 
daſſelbe. 

Aber eines anderen einzelnen duͤrfen wir doch auch nicht ver⸗ 
geſſen Johannes war es, der den andern Juͤngern ſagte, Es iſt 
der Herr; aber ſich ins Meer zu werfen, ihm entgegen zu. eilen, 
das überließ er dem Petrus. Woher kam ed, baß er ihn zuerſt er⸗ 
kannte, ſo daß er den andern ſagen konnte, Es iſt der Herr? Es 
gab ein beſonderes perſoͤnliches Verhaͤltniß zwiſchen ſeinem Meiſter 
und ihm; er nennt ſich ſelbſt auf die unbefangenſte Weiſe, ſo daß 
wol niemand fagen kann, es liege irgend ein Ausdrukk von Eitel⸗ 
keit von Erhebung von einem Worzuge, ben er ſich beilegte, darin, 
aber er nennt fich felbft den Zünger, den Jeſus lieb hatte. Worauf 


dieſes befondere perfönliche Verhaͤlmiß eigentlich beruhte, woher es 


entftanden war, und auf wie mancherlei Weiſe ed fi) äußerte: das 
wiffen wir nicht. Nur ſo viel koͤnnen wir fagen, in ben wenigen 


Spuren, die und davon überliefert find, giebt fich uns eine befon- 


dere Innigkeit dieſes Juͤngers zum Exlöfer fund, und wir ahnen ei⸗ 
nen befonderd feligen Genuß, den er in bem Umgange mit ihm 
hatte. So wurde es ihm zuerft Bar, weil .er ihn immer auf befons 
dere Weiſe in feinem Herzen trug, baß ber. weicher fie fragte,. ob 
fie etwas gefangen hätten, der Herr ſei; aber nun er ed wußte, 
blieb er auch ruhig in gewohnter Stille und wartete es gelaffen ab, 
bis er mit ben andern in bem Schiffe in die Nähe des Herm kom» 


) Mätth. 14, 3 — 31. 
Nm 2 


1) 


348 


. men würbe, unb er fich ſeines Gefprächd und feiner Gegenwart er: 
freuen könnte. Wir wollen nicht fragen m. g., wad bad vorzüg: 
lichere ſei; der rafche Eifer bed Petrus, der flile Genuß ber Seele 
des Johannes. Beide gehörten zufammen, beide waren verbunden 
auf das innigſte; fo finden. wir fie auch in ber Gefchichte Der Apo⸗ 
ſtel, fo. lange fie von ihnen redet... Aber freilich wenn wir- hinweg: 
fehen von ber großen Verſchiedenheit, welche die mannigfachen Gas. 
ben der Menfchen, die fie befizen, weiche ihre aͤußeren Verhaͤltniſſe 
unter ihnen aufrihten: fo müflen wir fagen, dad gemeinfame Ziel 
- "für jeben einzelnen befonderd, mag nun ber eine. es früher der ans 
dere es fpäter erreichen koͤnnen, ift doch dieſe flille Ruhe, dieſer 
fichere Friebe, den wir an dem Johannes finden; aber dem find 
“auch alle Juͤnger bed Herrn immer mehr entgegengefommen und zu 
ihm berangereift. Das war wenn auch nicht grade mit vollem Bes 
wußtfein ihr gemeinfames Streben, das ber Erfolg, der gewiß an 
allen immer mehr and Licht trat; und wie fie ihn an fi) wahrge: 
nommen, wird ihnen auch klar geworben fein, daß fie fich gegenfei- 
tig darin auf mannigfaltige Art unterflüzt hatten, und bazu war 
eben auch die Verfchiebenheit ihrer Naturen ein großes Hülfsmittel. 
So m. a. und g. hat der Erlöfer und alle verſchieden geftaltet 
und und einander gegeben zur gegenfeitigen Hülfleiflung und Bear: 
beitung. Haben wir daffelbe Ziel im Auge, find wir von berfelben 
Liebe befeelt: fo werden wir und auch gern einander hingeben, um 
uns je nachdem einer ſchwach iſt von dem flarken leiten gu laſſen; 
fo werden wir und immer mehr auögleichen in der Verſchiedenheit; 
und wonach wir alle auf gleiche Weiſe trachten, was ben wahren 
Werth unfered Lebens ausmacht: ed kann boch nichts anderes fein 
ald eben die Ruhe und ber Friebe, welchen der Erlöfer gibt im Zu: 
ſammenhang mit dem Wirken, fo lange ed Tag iſt. Als folchen 
gab er fih ja von Anfang an zu erfennen, der die mühfeligen und 
beladenen zu fi ruft und alle die gedruͤkkt find von ber Laſt des 
Geſezes und bed Buchſtabens, daß fie Ruhe finden follen. bei ihm; 
er gibt feinen Jüngern ſeinen Frieden, nicht wie die Welt ihn gibt, 
ſondern feinen eigenthümlichen göttlichen Frieden, ber auf nichtö an⸗ 
derem beruht als barauf, daß er feinen Vater in ſich trug und die 
Werke that, die ihm biefer zeigte. Dazu, fich dem zu nähern, hatte 
er feine Jünger unter einander mit ber innigften Liebe verbunden, 
das eine Gebot ihnen gegeben, fie ſollten fich lieben mit der. Liebe, 
mit welcher er fie geliebt, und das war eben bie; mit der er fie zu 
fi ziehen wollte von ber Erde und ihm felbft gleich machen. 
‚ ‚Daß ift die Liebe, die er uns anbefichlt, und aus ber alle gotige: 








549 
Faͤllige Thaͤtigkeit von ſelbſt hervorgeht. Dazu war ſeine irdiſche 
Erſcheinung, dazu hat er die Gemeinſchaft der glaͤubigen geſtiſtet, 
Dazu ſeinen Geiſt uͤber ſie ausgegoſſen; und wenn wir ihm folgen, 
ſein Bild vor Augen behalten und uns nach ihm geſtalten, ſo 
werden wir auch immer mehr dieſes Ziel erreichen und ſchon hier 
der Wahrheit ſeines Wortes inne werben, daß bie, welche an ihn 
glauben, zum ewigen Leben bindurchgedrungen find. Amen. 

* 
gied 631, 1 — 4. 


| XLVL 
Am Buß- und Bettage 1839. 


eied 8,1—6. Al. 


Text. 2 Zimorh. 1, 6. 


Dem -Gott hat und nicht gegeben den Geifl der Furcht 
fondern der Kraft und der Liebe und der Zucht. 


M. a. 3. Diefe Tage, wie wir heut einen feiern, ordnet jede 
hriftliche Obrigkeit in ihrem Gebiet nach ihrer Ertenntnig von bem 
allgemeinen Beduͤrfniß und der Schikklichkeit. So läßt fie fie öfter 
wieberholen oder feltener, ändert Zeit und Stunde, heftet fie an de 


flimmte. Tage oder fpart fie auf befondere und außerordentliche Go 
Iegenheiten, wie fie das nicht thut und folchen Wechſel nicht anord 
net oder geftattet mit denjenigen fefllichen Tagen und Zeiten, weld« 


unmittelbar mit der heiligen Gefchichte unferer Erlöfung durch Eh: 


flum zufammenhangen. on ihr alfo, von ber Obrigkeit hriftlicer 


Völker geht die Aufforderung aus zu einem folchen Tage ber But 
und bed Gebetd und muß fich alfo auch vorzüglich auf dasjenige 
beziehen, was ihres Amtes if. Das-ift alfo der Sinn und de 


Abficht diefer Zage, wir follen uns an denfelben chriſtlich befinnen 
über unferen gemeinfamen Zuftand, über feine Mängel. und Gehtt: 
chen, fo wie wir auch zugleich mit Dankbarkeit Gott die Ehre ge 


ben follen für alles gute, was er unter uns fchon gewirkt bat. 


Sol dad nun .m. a. zu einem gemeinfamen ficheren Ziele führen: 


fo muͤſſen wir einig fein über den Maapflab, welchen wir anlegen. 





© | 
nach welchem wir das volllommene und das’ unvolllommene, das 


gute und das boͤſe in unferem gemeinfamen Leben beurtheilen. Aber 
wir ald Chriften koͤnnen feinen geringeren Maaßſtab anlegen als 


den, daß alles fo wie «8 unter und iſt aus Gott fei; denn dazu 


find wir berufen, daß wir und in allen Dingen zu erkennen geben 
als feinen geiffigen Tempel, in dem fein Geift wohnet und lebt, als 
dad Wolf feined Eigenthums und die Heerbe feiner Weide, ‚welche 
überall nur auf ihn fieht und achtet. Wolan ein ſolches Maaß ges 
ben und nun die Worte unferes Terted an die Hand. Was für ei: 
‚nen Geiſt Gott und gegeben habe, das fagen fie und, was für eis 
nen er und nicht gegeben habe, das ſchikken fie voran; und fo wer. 
ben wir alfo daran, mit welchem von beiden jedes zufammenhängt, 
das göttlihe und das ungöttliche in unferm Leben unterfcheiden 
tönnen und wiflen, wie wir den Zuftand unferer Angele: 
genheiten zu beurtheilen haben. Und das ift ed, was wir 
ist zum Gegenſtand unferer gemeinfamen Betrachtung machen wollen. 


Es folget aus den Worten unfered Textes aber, daß alled un: 


ter und um fo beffer fein wird‘, je mehr. der Geift der Furcht das 
raus verfchmunden ift, und ebenfo auf der andern Seite, daß alled 
um fo beffer fein wird, je mehr fi) darin der Geift der Kraft ber 
Liebe und der Zucht offenbart. Indem nun aber ber Apoftel beis 
des einander fo gegenüber flellt: fo werden wir auch feinen Sinn 
nur dadurch richtig erfaffen, wenn wir diefes beides in feinem ge 
genfeitigen Verhaͤltniß zu einander beurtheilen. 


I. Wenn wir alfo zuerſt dieſes, dag und Gott nicht gegeben 


bat einen Geift der Furcht, recht nach dem Sinn des Apoſtels er⸗ 


kennen wollen: fo werben wir das müffen einzufehen fuchen, bag in 


dem Maaße ald noch der Geift der Furcht unter und waltet gewiß 


der Geift der Kraft der Liebe ımd der Zucht fehlt. Jener ungötts 
liche Geift ift aber ein zwiefacher. Der Geift der Furcht iſt freilich 


fchon in und m. a. 3., wenn wir felbft in dem innern unferes Ge 


müthes fehr beweglich find durch die Furcht; aber nocd in einem 
weit höheren wahrhaft verberblichen Maafe und daß ich ſo fage 
felbftändig und Eräftig ift er in und, wenn wir felbft darnach trach: 
ten fo auf andere zu wirken und fie zu bewegen durch Die Furcht. 


Und auf: beiberlei Weiſe werben wir finden, daß der Geift der Furcht - 


dem Geifte der Kraft und der Liebe und der Zucht: entgegen iſt, 


Daß es nicht Kraft ift fondern Schwäche, wenn-wir und fehr bes 
weglich zeigen durch bie Furcht, darüber find wir gewiß alle einig, 
und es bedarf einer Erörterung. Wir bekennen und freilich alle 
auf die allgemeinſte und unbefchränktefte Weiſe zu der gänzlichen 


v 


552 
Abhangigkeit alles endlichen und alfo auch unferes Seins und uk 
. ferer Ereigniffe von dem ewigen Weſen; aber eben biefe Anerkemt: 
niß fol in und nicht ein Geift der Furcht fein und Feine Funk 
erwelten, ſondern der Geift der Freude an dem Herm. Bam wi 
nun m. a. Zr. durch den Tod des Erlöferd und abgefunden habe 
mit dem Tode und durch den Glauben an ihn zum Leben bindurd 
gebrungen find; wenn wir, wie wir alles nur als göttliche Gebe 
anfehen wad und anvertraut ift und uns. ſelbſt als Haushalter übe 
diefe göttlichen Gaben und Güter, darauf feſtſtehen, daß unfer Wohl 
allein davon abhange, ob wir treu finb über das, fei es nun me 
ober weniger, worüber wir gefezt find, und ob wir wachend afım 
den werben in unferem Beruf: in dieſem beiden zuſammen beflet 
die Kraft bed Chriften, und wo die ift, da kann Feine Furcht fan. 
Wer den Tod nicht mehr fürchtet, wer weiß baß er nidyt in de 
Gericht kommt, wer es weiß daß er in ber lebendigen Gemeinicaft 
-mit dem Erlöfer auch die Kraft hat ihm ähnlich wenngltich nicht 
in demfelben Maaße den Willen des himmlifchen Waters zu erfül 


“ In, und daß er in dieſem Beſtreben überall unterflüzt und getragen 


wird durch den mächtigen Geift, der in der Gemeinfchaft der gläw 


bigen ‚waltet: wie ſollte in defjen Seele wol noch Furcht fomma! 


Gewiß, von der Furcht bewegt werden, dad ift ein ficheres Zeichen, 
daß es an diefer Kraft fehlt; und was daher aus der Zurdt if, 
bad ift nicht aus bem Geift, den und Gott gegeben hat. At 


ebenfo werben wir wol geftehen müffen, andere burch die Zucht be 
wegen wollen das iſt ein ſicheres Zeichen davon, daß es an ba 
Geift der Liebe fehlt. Die Liebe zieht an fich, bie Furcht Rip abi 


. um bie Liebe fammelt fich alle gern und erfreut fich ihrer, UM 
dem was gefürchtet fein will entfernt fi) alles, fo weit e& Nut 
fann. Das Gewürm windet fich unter dem $ußtritt bes 

hen, die Sklaven lafien gern feinen Zuß auf ihren Nakken Tg 
um fo in feinem Gefolge die Früchte feiner Macht zu genicht: 
aber alles worin fich ein geifliges Leben regt, alles was fen Me 
ned Gefez und fein eigened Verlangen in fich fühlt entfernt ſich von 
da, wo die Kurcht walten fol. 

Aber nicht nur fo getheilt iſt es richtig, ſondern wir werd 
auch fagen müffen, durch die Furcht andere bewegen wollen, dad 
gleichfall ein Zeichen der Schwäche; und von der Furcht leicht be 
wegt werden, dad beweiſt auch ebenfo fehr einen Mangel an Libe 
Denn die Liebe m. g. Fr. iſt in Beziehung auf bie Furcht ſo um 
ſchuldig wie das Kind, welches noch nicht iſt eingeſchuͤchtert 
durch Schrekken und durch Strafe. Sie hat keinen Gedanken und 
feine Vorſtellung von Uebelwollen, yon Störungen des Leben? um 





553 


Des Friedens, von Feindfeligkeit, die von einem auögehen könne ge: 
... gen den andern; und felbft wo fie ben Geiſt gewahr wird, ber Durch 
Furcht bewegen will, verfteht fie es nicht, fie lächelt und denket, das 
ganze Fönne nichtd fein _ald ein Mißverſtaͤndniß, ein Irrthum, der 
nichtö weiter bebürfe zu feiner Entfernung als aufgedekkt zu wer 
den. Und derjenige, der andere durch Furcht bewegen will und dlfo 
ben Geift der Furcht beftändig in fich trägt, kann der flark fein und 
kraͤftig? Da doch von fich entfernen und zurüßfichreften an fich 
feine Freude iſt, was ift ed denn als daß er felbft einen noch ent 
fernten ungewiſſen Augenblikk fürchtet, von dem er glaubt, er werde 
vieleicht nicht „mehr in feiner- Macht ftehn, und daß er eben deswe⸗ 
gen demfelben vorbeugen will und ihn entfernen dadurch, daß er 
Furcht erregt. Die wahre Kraft kann ſich in den menfchlichen Ver⸗ 
hältniffen immer nur darin zeigen, wenn wir und ben Willen der 
Menfchen gewinnen, wenn wir fie dahin bringen, daß ihr Gemüth 
mit dem unfrigen fei, daß unfer Wunfch unfer Trieb unfer Gefez 
auch das ihrige werde, nicht von außen auf irgend eine Weile an 
fie. gebracht, ſondern ald ihr eigened in ihnen lebend und wirkend 
fo wie in und. Aber nichtö vermag weniger den Willen der Men: 
fchen zu gewinnen als die Furcht; denn fie begehret, wohl fich. felbft 
tennend, weil fie nichts anderes erreichen Tann nur das, was bie 
Menfchen im Stande find zu thun ohne ihren Willen und wider 
ihren Willen. So ift denn alled wodurch die Furcht: wirken will, 
wie fie audgeht von dem Mangel an Liebe und von engherziger 
Selbfifucht, auch ein Beweis der Schwäche, ‚welche dieſer nothwen⸗ 
big anhaftet, und auch deöhalb alles was aus der Zurcht ift nicht 
aus bem Geift, den und Gott gegeben hat. 

Denn aber der Geift der Furcht von beiden Seiten angefehen 
nicht befichen Tann mit dem Geift der Kraft. und ber Liebe, fo noch 
vie weniger mit dem Geiſt der Zucht. Died ift ein großes und 
berrliched Wort, deffen wir uns aber oft auf eine ungefchikfte und 
verwirrte Weife bedienen. So oft wir nämlich Zucht und Zuͤchti⸗ 
gung eben mit Furcht und Strafe verwechfeln, fo verwirren wir den 
richtigen Gebrauch. Der ift nur da, wo wir Zucht und Sitte, Zucht 
und Drbnung mit einander verbinden. Zucht, befonderd auch fo 
wie der Apoftel dad Wort hier gebraucht hat, bedeutet nichts gerin- 
gered, ald daß der Geift der Zucht daffelbe iſt mit dem Geift der 
Maͤßigung und der Beſonnenheit. Wo aber ber Geift der Furcht 
wirkſam ift, da mehr ald irgendwo ift jene Unftätigfeit ded menfch: - 
lichen Gemuͤths zu finden, jenes leichte Uebergehen von einem ent: 
gegengefezten zum andern, jener fehnelle Wechfel von Erfülltfein und 
Ausgeleertfein der Seele: und was ift dies anders als ein gänzli: 





554 


der Mangel an Maaß und Befonnenheit! Wo der Gef der 
Furcht wirkten will, da kann er auch nicht anders, als daß er ſeine 
Macht zugleich in der Geflalt der Willkuͤhr äußert und ber Baune. 
Denn wo ein fefles Geſez wäre, fichere Orbnung und alfo eime 
wahrhafte Zucht, da verfchwindet die Furcht, weil jeber weiß, wie 
er vermeiden kann was er nicht will, wie er erreichen Tann was er 
fucdht: wo aber der Beift der Furcht ift, da kann nur Willführ und 
Laune walten, aber eben. darum bleibt auch der wahre Geil der 
Zucht fern von ba. 

Werfen wir nun m. a. Fr. von diefer Beſchreibung aus einen 
Blikk auf unfere gemeinfamen Angelegenheiten. Laffet und zuerfi 
anfangen bei dem Tage felbft, welchen wir heut feiern. Ss iſt nicht 
zu läugnen, in der erften Einfezung foldher Tage in der urfprüng- 
lichen Geſtaltung verfelben finden wir gar vieles von dem Geiſt der 
Furcht, vieled was wir nicht anders als einer noch fehr unvollkom⸗ 
menen und unentwillelten Geftalt der chrifilichen Froͤmmigkeit zu: 
ſchreiben Fönnen. Denn was war bie eigentliche Meinung foldyer 
Tage in den früheren Zeiten ber chrifllichen Kirchenordnung, worin 
wurbe dad eigentliche Weſen berfelben gefest? Es war die Furcht 
vor den göttlihen Strafen. Waren biefe Tage an gewille Zeiten 
gebunden, fo hing died damit zufammen, daß jebe Zeit des Jahres 
auch ihre eigene Plage mit fich bringt, wodurch fie fi) auszeichnet. 
Daß jede Zeit des Jahres für die fich immer wiederholende Thätig- 
Zeit der Menſchen und für dad Gedeihen ihrer Werke befondere Hin- 
derniiffe darbietet und alfo audy eines befonderen göttlichen Schuzes 
bedarf, defien Mangel alles zerflören würde: das war dad herrfchente 
Bewußtſein, und darum follten nun bie Voͤlker aufgefodert werben 
Buße zu thun, damit Gott feine firafende Hand zuruͤkkziehe; darum 
war bad ber urfprüngliche Inhalt. faft aller Gebete, die für ſolche 
Tage georbnet waren, daß er von und abwenden möge alle großen 
und allgemeinen Landplagen. Wenn wir nun dad noch izt befen: 
ders hervorheben wollten bei der Zeier folder Tage; wenn bad ben 
Mittelpunft derfelben ausmachen follte, und von bier aus der Geiſt 
der Frömmigkeit fi) wirffam zeigen: würden wir dann nicht han: 
bein aus dem Geiſte der Furcht, von welchem der Apoftel fagt, daß 
Gott ihn und nicht gegeben habe? Wir haben fie ja alle erfahren 
. in ihren mannigfaltigen Geflalteni dieſe weit verbreiteten Uebel bes 
menfchlihen Lebens, welche ber noch unreife Menſch das im ber 
Frömmigkeit noch nicht feſt gewordene Herz für göttlihe Strafen 
anfieht. Der Krieg hat uns heimgeſucht ın'“ feinen Schrekkniſſen, 
verheerende Kranfheiten haben unter und gewüthet, theure Zeifen 
haben ben allgemeinen Wohlfland unterbrochen: haben wir und ba: 


555 

bei von Gott verlaffen gefühlt? haben wir dabei dad Bewußtfein 
gehabt, daß er feine väterlidhe Hand von und abgezogen habe? oder 
haben wir nicht vielmehr auch mitten unter diefen Uebeln bie freus 
dige Erfahrung gemacht von der Frucht der Gerechtigkeit, welche 
hervorgeht auch aus ſolchen Beiten, wenn der fronime fie fi will 
gereichen lafjen, wozu fie von Gott gefenbet find, zur Unterweiſung 
und zur Züchtigung in ber Gerechtigkeit? Sollten wir alfo noch 
nicht foweit gediehen fein in: ber Froͤmmigkeit, daß der muthige Aus: 
ſpruch des Apoftels, daß denen bie Gott lieben alle Dinge zum be: 
fien. mitwirken, die Furcht vor ber göttlichen Strafe and unferem 
Herzen verbannt hätte; follten wir nicht fo viel. gekoſtet haben von 
ber Freude an bem Herm, von welcher ber Apoſtel ſagt, daß fie 
allewege bei uns fein folle, um zu willen, daß boch die Furcht vor 
bem- Herm den Frieden ftöre, der uns fo fheuer erworben iſt: dann 
gewiß m. g., bann wäre auch biefer Tag noch aus einem Geiſt, 
den Gott und nicht gegeben hat. 

Aber laffet und auch auf alle bie verfejiebenen Zweige unfere® 
gemeinfamen öffentlichen Lebens fehen. Wo ed einen Gegenfaz gibt 
zwiſchen Befehlen und Gehorchen, fei es in dem großen. Gebiete des 
öffentlichen Rechtes, fei ed in ben engeren Kreifen des häußlichen 
Lebens, fei es in den mannigfaltigen Werzweigungen menfchlicher 
Geſchaͤfte: ba ift auch die Möglichkeit ver Furcht. Aber fragen wir 
und nad dem allgemeinen Zuſtand der Dinge unter und und ver: 
gleichen ihn mit dem, was früher unter und gewefen ift, was wir 
noch kennen aus der Zeit unferer Jugend, wovon wir lefen in den 
Befchichten, wovon und erzählen bie älteflen unter und, welche noch. 
frühere Zeiten erlebt. haben: ‚wohl müflen wir fagen, der Geift ber 
Furcht habe in allen diefen Gebieten immer mehr abgenommen ums 
ter und und fei zurüßfgewichen. Wer von uns koͤnnte wol fagen, 
von denen anfangend welche die niebrigfee Stelle einnehmen in Dies 
fer mannigfaltigen Abſtufung der Außeren menichlichen Dinge, baf - 
fein Leben regiert werde von ber Furcht? Iſt es nicht ein gegen: 
feitiges Wohlwollen, welches immer mehr überhand nimmt und fie 
beflimmter und ordentlicher gefaltet. in jeder Art und Weile, wie 
der eine an ben Angelegenheiten des andern Theil nimmt? find es 
nicht weit mehr die Züge des Vertrauens ald ber Furcht, womit Die 
welche unten ftehen hinauffehen zu denen, welche höher geftellt find? 
Ja ˖wemn auch dieſe Glieder der Gefellfchaft, wenngleich oft ohne 
Dazu die Einficht und ben gehörigen Grund zu haben, ſich herausneh⸗ 
men die höheren zu tabeln: ift das nicht immer ein beutliher Be 
weis, daß wenigftend ‚der Geift der Zurcht aus unferer Mitte ges 
wichen iſt? Schlagen wir unfere Augen auf und fragen, wo und 


356 


wol einer entgegentritt, von bem wir fagen müffen, ber eigentliche 
Geift und Gehalt feines Lebens ſei der, daß er begehre gefürchtet 


| zu werden?! Wol felten treffen wir in biefer Ordnung in dieſer 


Zucht in dieſer Kraft der Liebe, bie unter chriſtlichen Voͤlkern iſt. 
auf die Eriheinung eines Menfchen, welcher fo fehr fein eigenes 
Wohlergehen verkennt, dag er wünfchts Kurcht zu verbreiten über bie 
andern! auf einen, den nicht das fchönere Loos lieblicher anlächelt, 
das er fich bereiten kann, indem er ben Frieden um fidy verbreitet 
durch die Gaben und Kräfte, welche Gott ihm verliehen, fonbern der 
eine innere Zufriebenheit empfinden follte, we er nur Furcht erregt! 
So mögen wir denn freudig fagen m. a. Fr., um ein vide 
find wir fchon befreit von dem Geifte der Furcht und wollen Gott 
dafür danken; denn es ift freilich ein böfer Geift. Aber wenn er 
follte gewichen fein unter und nur deöwegen, weil diejenigen, welch 
mächtig find in menfchlihen Dingen, fich unglüfffeliger Weife ver: 
griffen hätten in ber Wahl ihrer Mittel und dadurch fic) der Macht 
und des Cinfluffes beraubt, welchen fie üben follten; wenn ber 
Geiſt der Furcht follte gewichen fein, ohne daß ein anderer Geil 
unter und eingezogen wäre: dann gewiß würden wir nichts anderes 
zu erwarten haben, als was der Erlöfer fagt in einer feiner Gleich: 
nißreden. Wenn ber böfe Beift ausgefahren if aus dem Menfchen, 
und er wandert umber in der Wuͤſte ohne Ruhe zu finden: dann 
fallt ihm ein, er wolle doch einmal fehen, wie es ausſiedt in feiner 
früheren Wohnung. Und wenn er fie leer findet, nicht von einem 
andern befiern Geifte bewohnt: dann kehrt er zuruͤkk und bringt 
-fieben andere Seifter mit fich, bie noch ärger: find denn ex felbfl *). 
So könnte ed und geſchehen, wenn der Geift der Furcht zwar aus: 
getrieben aber ein befierer Geift nicht. bei uns eingefehrt wäre! Das 
- haben wir ja gefehen unter andern Voͤlkern, daß er zurüßfgelchtt 
iſt als ber Geift des Schrekkens und ber Werwirrung, als ber Geiſt 
der Willkuͤhr und der Juͤgelloſigkeit, und wir haben geſehen, wie 
Dann die Menfchen zuruͤkkgeſunken ſind in den Zuſtand der Außer: 
ſten Rohheit, und wie Furcht und Schreften unter immer neuen 
und andern Geftalten gewechſelt haben. Und nicht eher haben wir 
wo folche Geſchikke walten eine Sicherheit und eine beffere Ausſicht 
für. die Zukunft, als bis ein beſſerer Geiſt endlich einkehrt an die 
Stelle des vertriebenen, welcher immer wieder vertrieben werden 
muß; und das kann denn kein anderer ſein, als der Ga ber Kraft 
der Liebe und der Zucht. 


>) Matth. 19, 8. 














357 
| So laffet und denn m. a. Fr. hierauf unfere Aufmerkſam · 
keit —* in dem zweiten Theil unſerer Betrachtung. 

Kraft — ein wichtiges und großes Wort, aber was meinen 
wir damit? In dem Gebiet des Todes und der Unfreiheit verſte⸗ 
hen wir uns ſehr gut darauf; da haben wir ein Maaß fuͤr alle 
Kraͤfte, wir koͤnnen ſie aufs genaueſte abſchaͤzen und wiſſen, was 
wir einer jeden zumuthen duͤrfen: wenn aber von dem geiſtigen Ge⸗ 
biete die Rede iſt, wie oft verwirren ſich da unſre Vorſtellungen! 
wie oft haͤlt der eine fuͤr Kraft, was dem andern als eine verbor⸗ 
gene Schwachheit erſcheint! wie ſchmaͤht der eine das als Schwaͤche, 
worin der andere eine ſeltene Kraft verehret! Wo finden wir alſo 
das, woran wir und halten koͤnnen? was iſt die eigentliche Wahr: 
heit diefed Begriffs, wenn von unferem menfchlichen Leben die Rebe 
iſt? Laffet un& hören, was ber Erlöfer fagt, indem er und fih unb 
fein Verhältnig zu feinem und unferem Water befchreibt. Wie der 
Vater, ſagt er, das Leben hat in ihm felbft, fo hat er auch dem 
Sohn gegeben dad Leben zu haben in ihm felbft, und der Sohn 
macht lebendig welche er will *). . Das iſt Kraft! das fühlen wir 
alle; aber anders gibt ed auch keine in dem Gebiete des geifligen 
Seind. Die Fülle ded Lebens im fich haben, fo dag man geifliges 
Leben erwelten kann und mittheilen, das ift Kraft. Was aber ber 
Sohn hat, dad hat er allen denen mitgetheilt und theilt ed ihnen 
fortwährend mit, bie fich fein Leben aneignen und das ihrige in daß 
feinige einpflanzen. Hat er die Macht lebendig zu machen welche 
er will: fo ift das auch das einige Maaß, welches wir anlegen 
fönnen an unfere Kraft. Sol ich aber ebenfo erft noch ehe wir 
weiter geben euch eine Beſchreibung geben von dem, was bie Liebe 
fei? Deſſen bedürfen wir nicht! Sie ift die Luft, in der wir les 


ben und athmen, fie ift Dad Band, welches und vereinigt, fie fi in _ 


ihrer herrlichſten reinften Eräftigften Geftalt das theure Vermaͤchtniß 
unſeres Erlöferd an die feinigen, fie ift e8, bie wir ja in allem an 
treffen müffen, worin wir chriftliches Leben und chriftlichen Geiſt 
ahnen und finden follen. Aber nicht umfonft ſtellt der -Apoftel dies 
ſes dreied zufammen m. a. 3., Kraft Liebe und Zucht, und daß 
wir fie in ihrem Verhaͤltniß zu einander erkennen, das ift es was 
uns noth thut, wenn wir das Maag wirdlich follen gebrauchen koͤn⸗ 
nen, welches er und vorhält. Wenn aber dieſes Kraft iſt, dag wir 
geiſtiges Leben mitzutheilen und zu erwekken vermögen: ift daſſelbe 
nicht auch dad Weſen der Liebe? Beſteht nicht auch fie darin, durch 


) Joh. 5, 21. . 





558 


bie Offenbarung des eigenen Weſens unb Sein: auch das des an- 
‘dern frei zu machen und burch bie Mittheilung bed unfrigen das 
feinige zu kraͤftigen? Wohl ift es auch nicht anders! Wie wäre 
bern Gott die Liebe, da er die Allmacht. ift, wenn Kraft und Liebe 
nicht eind wären und baffelbe! wie wäre ber Erlöfer, welcher Herr 
ift über alled, der Abglanz des göttlichen Weſens, welches ja bie 
Liebe ift, wem Kraft und Liebe nicht daſſelbe wäre! Aber daß die 
Liebe zugleich Kraft ift, das zeigt fidh darin, wenn bie Liebe ihres 
Wunſches wirklich theilhaftig wird und ihren Zwekk wirklich erreicht. 
Und wie gefchieht dad? Durch nichts andered gewiß als durch Ein- 
fiht und Verſtand; andere Mittel hat bie Liebe nicht, andere Kraft 
giebt es nicht in dem Gebiete des geifligen Lebens. Unb. wie das 


- Auge des Menſchen auf der einen Seite der Zeuge iſt unb Zeug: 


niß ablegt von feinem auffafienden Verſtande, davon daß er. bie 
Welt um fih ber anichaut und fie in jedem Augenblikke wie fie 
um ihn her erfcheint in fich aufnimmt: fo iſt eben dieſes auch der 
erſte der unmittelbarſte Ausdrukk der Liebe in ſeinem äußeren Be 
fen. Und nicht umfonft fondern eben deswegen ift es ein altes hei: 
liged Sinnbild, daß wir bad göttliche Weſen nicht etwa abbtiden 
und barflellen aber uns baffelbe vergegenwärtigen durch dad Bild 
des flrahlenden Auges, weil eben in dem göttlichen Weſen bie Kraft 
des Geiſtes und dad Licht ber Liebe eins ift und baflelbe, das alles 
auffaffende alles durchbringende alled mit Liebe erfällenbe haftende 
tragende Welen. Aber daß die Kraft zugleich Liebe ift, das zeigt 
ſich auch wieder. dadurch, wenn wir uns felbft feenen bed mitge- 
theilten und entwißfelten Lebens, wenn wir es frei gewähren laſſen 
ohne es durch ein neues Band der Furcht an und zu Betten, wenn 
wir ed in jedem ſich geflalten laſſen nach feiner eigenthuͤmlichen 
Matur und Weile. Denn erft dadurch beweifen wir, daß wir das 
Leben, welches wir erwekkt haben, welches wir erhalten heffen, wei 
ches wir durch die Aeußerung unferer Kraft begünftigen, auch nun 
anſchauen und genießen können ohne daß es uns eine Spur von 
Furcht erregte, oder und ein Werbacht darüber entflände, wie es füch 
weiter zu und verhalten werbe. Und ebenfo genau: iſt das Band 
zwifchen Kiebe und Zucht. Denn wenn diefe m. a. Zr. darin be 
flieht, daß wir fuchen Maaß und Befonnenheit überall in uns und 
in andern hervorzubringen und zu erhalten: was tft daB anders als 
das fchönfte und größefte Merk der Liebe? Denn wo einmal ber 
rechte Geift erwacht iſt, wo das höhere Leben aus Gott ſich geflal: 
tet hat, da gibt es Feine andere Gefahr mehr und feine andere Stö- 
. rung .ald eben, was dem Einfluffe des irbifchen auf" unfer geifliges 








Leben immer. noch von Zeit zu Zeit bei einem jeden gelingt, und 
aus dem rechten natürlichen Maag und aus der Befonnenheit unfes 
red Dafeind heraus zu verloffen. Was Tann die Liebe alfo größe 
red thun, worin kann fie ſich mehr zeigen, als daß fie das feflzu- 
halten und immer wieber herzuftellen fucht. Bei den mancherlei 
innerlich verworrenen Zufländen und äußeren Verwikklungen, denen 
wir immer noch ausgeſezt find, Tann died kaum in den engfien 
Kreifen der einzelne dem einzelnen leiften; fonbern, es muß dadurch 
vornehmlich ‚erreicht werben, daß jeder Eräftig getragen und gehalten 
wird von dem Maaße und der Ordnung in dem öffentlichen und . 
gemeinfamen Leben. Darum ift nun diefe immer. ficherer. feflzuftels 
len und unter allen Gefahren zu beichügen das fchönfte Werk der 
Liebe und das würdigfte Ziel der Kraftz und fo find Kraft. Liebe 
und Zucht ungertrennlic) verbunden die Aeußerungen bed Geifte, 
welchen und Gott gegeben hat. Welche Geftalt menſchlicher Dinge 
wir und denken mögen: wenn dieſes Bündnig nicht waltet, wie 
fchön fie auch erfcheine, fie kann nur etwas vergängliched und 
untergeorbneted fein; das göttliche Leben, wenn ed auch ba ift, kann 
ſich darin’ weder frei geftalten noch ficher bewahren; fondern nur in 
dem Maaße, ald Kraft Liebe und Zucht unfer ganzes Leben durch⸗ 
bringen und reinigen, alle unfere Angelegenheiten ordnen und bes 

bereichen: nur in dem Maaße kann ſich unter und der geiflige Zem- 
pel Gottes immer höher und kräftiger erbauen, nur in dem Maaße 
unfer ganzes gemeinfamesd Leben Zeugniß ablegen von dem Geifle, 
welchen und Gott gegeben hat. | 

M. a. Fr. Nichts kann dem Orte, auf weldyem ich ſtehe, we: 

niger ziemen als fchmeichlerifche Reden, und nicht3 weiter entfernt 
fein von dem Sinn eined Tages wie der heutige ald eben‘ diefe. 
Denn ich alfo über unfere gemeinfamen Angelegenheiten folche An⸗ 
Deutungen gegeben habe, daß wir nicht verfennen follen, wie fehr 
biefe fchon geheilt find und befreit von dem unwuͤrdigen und uns 
nicht geziemenden Geifte der Furcht, und wie. Kraft Liebe und Zucht 
allerdings ihren Siz unter und aufgefchlagen haben: fo iſt es nicht 
geſchehen um euch, die ihr hier verfammelt ſeid, ober unferem ge- 
meinen Wefen überhaupt ober denen, welche ed Leiten und fich Ver: 
bienfle darum erwerben, auf irgend eine Weiſe zu fchmeicheln. Denn: 
alled, was ich von dieſer Art gelagt habe, wie weit iſt es noch ent⸗ 
fernt von bem Ziele der Vollkommenheit, wie gehört es noch ganz 
den Vorfchriften zu, welche der Apoflel die Milch des Evangeliums 
nennt, wie fie den Kindern gebührt, ald. welche dadurch ihr kindli⸗ 
ches ſchwaches Leben friften und naͤhren! Gollte der Geiſt ber 





Furcht gan, von und gewichen fein; follte Kraft Liebe und Zudt 
fhon allein und vollkommen unfer Leben regieren: wie ganz ande? 
würde es dann geflaltet fein. Sehen wir über den Kreis, in we 
chem wir eng verbunden find unter einem und bemfelben Geſez un 
einer und berfelben fchügenden Macht, weiter hinaus, was gewahre 
wir in diefen Tagen? DO vieled was und zurüffruft die Erime 
sung an frühere Zeiten, auf welche ich auch hingebeutet habe nm 
ferer Rede; vieles, was uns baran erinnert, daß es doch aud in 
dem großen Verbande chrifllicher Wölfer nicht nur ſondern id ma 
ed felbft fagen in dem Verbande berer, weldye diefelbe von dm 
Lichte ded Evangeliums fo ſchoͤn durchleuchtete Sprache mit un 
reden, noch fo viele gibt, wo Kraft Liebe und Zucht’ nur erfl eina 
ſchwachen und wanfenden Siz haben, wo ber Geift der Zurdt in 
feiner fchreftiichen Geftalt gar leicht wieder erfcheinen kann, abe 
eben beöwegen auch ſchon izt die Gemüther zum Beweis ihrer & 
genen Schwäche mehr als fie es fein follten bewegt find von der 
Furcht vor bem, was daraus entflehen könnte, daß aus andem I 
Geiſt der Furcht auögetrieben ift durch die Schwäche ohne de 
Geiſt der Liebe und. Zucht. Diefe Beifpiele find uns fo wenig It, 
daß wir leicht auch uns felbft vergeblich ſchmeicheln würden, wen 
wir ficher und kuͤhn auftreten wollten und fagen, folche Verirrungen 
wären nicht möglich bei und.” Es mag Gott fei Dank faum mög: 
lich fein, daß fie äußerlich hervortreten follten: aber das iſt ja nich 
unſer Maaß. Ob es nicht auch unter und Gemuͤther giebt, die 
denfelben unorbentlihen Bewegungen ausgeſezt find und ned ſo 
fern von Liebe und Zucht und dur fo falfche Vorſtellungen von 
Kraft eingenommen, daß fie in der Verwirrung und Zerftörung ein 
neues Heil fuchen: wer kann ed ſagen? Wir dürfen nichts kuͤhnes 
behaupten. Darum laſſet und dieſen Tag einen Tag ber Barum) 
fein und des ernfien Nachdenkens und der Befinnung. Aber mi 
ed an diefem Orte nicht geziemt durch fehmeichlerifche Reden # 
täufchen: fo bat auch das Öffentliche Strafamt eines chriſtlichen eb 
rers feine beflimmten Grenzen. Wir dürfen nicht in das einzeln 
gehen, eben weil wir nicht in das innere dringen Binnen. . 

habe ich es auch in biefer Beziehung für das rechte gehalten un 
dad Maaß vor Augen zu ftellen, nad welchem wir den. Zuftand 
unfered öffentlichen Lebens allein dem göttlihen Worte 8 

- beurtheilen Tönnen. Nun gehe jeder in fich in der Stille und M 
nach diefem Maaße fich felbft, auf welche Weife er entgegenge" 
dem Geifte der Furcht, was er gethan um Zucht und Liebe zu . 
dern; meſſe jeder den Kreis in dem er lebt, den Theil de affn 


61 


Lichen Lebens auf den er wirken kann, um einzufehen was biefer 
moch bedarf, und auf dieſe großen Aufgaben beziehe jeder alles was 
er weiß von unferem gemeinfamen Zuflande. Und wenn biefes freis. 
Lich ein Werk der Zeit ift und ber Ueberlegung; wenn bazu - biefer 
Tag weit entfernt binzureichen nur einen neuen Anſtoß geben fannı - 
Ahnungen genug Davon, wie ed in allen biefen Beziehungen um 
uns fteht, müflen und doch auch ſchon während meiner Rede duch 
dad Gemüth gegangen fein. Was alſo Eönnen wir beffered- thun 

als mit inbruͤnſtigem Gebete dieſe Betrachtung ſchließen. 

Ja heiliger Gott, wir demuͤthigen uns vor dir; du haſt uns 
alle Schaͤze deiner Liebe und deiner Macht anvertraut dein Geiſt 
iſt durch deinen Sohn ausgegoſſen in unſere Herzen; in dieſem iſt 
uns das Bild deiner Heiligkeit der Abglanz deines Weſens vor 
Augen geſtellt, und ſein Wort lebt unter uns und laͤßt ſich hoͤren 
alle Tage unſeres irdiſchen Lebens. Indem wir nun das erwaͤgen 
und uns fragen, ob wir getreue Haushalter ſind uͤber deine Gaben 
und Güter: fo werden wir gedruͤkkt von dem Bewußtſein aller 
Mängel und Gebrechen, aller mannigfaltigen Unvollkommenheit, 
welche wir immer noch in unſerem Leben finden. Wir wiſſen es, 
fie haben. alle ihren Grund in demjenigen unfered Wefend, was 
noch nicht ganz durchdrungen ift von deinem Geifl. Darum flehen 
wir in Demuth um den Beiſtand deſſelben, darum moͤchten wir ver⸗ | 
eigen aufmerkſam zu ſein auf ſeine Stimme, darum moͤchten wir 
uns inniger und herzlicher verbinden nach nichts anderem zu trach⸗ 
ten, als frei von leerer Furcht in deiner Kraft in der Kraft der 
Liebe zu leben, die alles traͤgt, alles hofft, in allem vertraut und 
deswegen nichts fuͤrchtet, in der Kraft der Zucht, die ein deines 
Namens wuͤrdiges Leben unter den Menſchen geſtaltet: auf daß 
wir ſo als ein Volk deines Eigenthums zur Anſchauung geſtellt 
ſein moͤchten allen Voͤlkern, damit ſie ſehen, wie wohl denen iſt, 
die auf deinen Wegen wandeln. Darum verleihe du uns, daß die⸗ 
ſer Geiſt immer mehr unter uns herrſche und wir uns ihm gern 
und ganz hingeben. Was für Mittel deine Weisheit wählen wird 
um und zu biefem Ziele zu führen, welches Verhaͤltniß von Leid 
und Freud, von Luft und Schmerz, von gebeihlichem Leben, und ſtoͤ⸗ 
. renden Hemmungen: wir fürchten e8 nicht fondern vertrauen bir, 
Bater im Himmel, und geben alled in deine Hand, denn wir wif: 
Ten, du. wirft alled wohl machen. 

Und in eben dieſem Sinn empfehlen wir bir denn an biefem 
Zage ganz befonderd zunaͤchſt die ganze Kirche deines Sohnes auf 
Erden. Du wolleſt ſie immer mehr loͤſen von allem Geiſt des 

III. Nu— 








362: 


Irrthums und der Anechtfchaft und fie immer mehr entgegenführ 
der fchönen und lebendigen Freiheit der Kinder Gotted. Dazu web 
left du laſſen gefegnet fein unter uns unb überall in dem ganze 
Umfange deiner Kirche die Verkuͤndigung deines Worte und be 
Gebrauch der geifligen Gaben und Güter, welche niebergelegt fin 
in ber Gemeine. Aber du wolleft ihr auch in allem deffen fie zu 
ihrem Außeren Beſtehen bedarf Beiftand und Schu; verleihen von 
denen, welchen du Macht gegeben haft über chriftliche Voͤlker. Segne 
zu dem Ende infonderheit unfern theuren König u. f. w. 


(nad dem Kirchengebit.) 


gied 409, 6—7. 








XIVn. | | 
Am 5. Sonntage nad) Oftern 1833. 


gied 4,13. 708. 
Terre. Joh. 20, 21. 


Da fprad) Jeſus abermal zu ihnen, Friebe fei mit euch ! 
Gleichwie mich der Vater gefandt. hat, fo fende ich euch. 


M. a. 3. Wenn wir, ald ich dad lezte Mal zu ber gleichen. Stunde 
bier redete, ein Zufammentreffen bed Erlöfers mit feinen Juͤngern 
zum Gegenfland der Betrachtung machten, welches ihnen vielfältige 
Veranlaſſung gab auf die mit ihm verlebte vergangene Zeit zuruͤkk⸗ 
zufehen: fo find was wir jezt vernommen haben Worte bed Erloͤ⸗ 
ferd aus ben Tagen feiner Auferfiehung, welche fie ausfchließend auf 
bie Zubunft: hinweifen, die nun vor ihnen lag. Seine GSenbung 
mußte der Erlöfer nun. anfehen als beendet; denn er war im Be 
griff aufzufahren zu feinem und unferm Water. Nun fagt er ihnen, 
fenbe er fie; alfo die ihrige begann, fie follten fih nun rüften das 
Werk zu treiben, wozu er fie ermählt und auf mannigfache Weife 
bereitet hatte: Die Worte des Erlöferd aber enthalten einen Auf- 
trag, wenn er ihnen fagt, Gleichwie mich ber Water gefandt hat, fo 
fende ich‘ euch; und einen Wunfch, wenn er nämlich bie Worte vor- 
anſchikkt, Friede fei mit euch! Diefe Worte m. a. waren freilich 
der damals gewöhnliche Gruß; allein ber Erlöfer hatte fie ſchon zu 
einer tiefen Bebeutung früher geheiligt, indem -er einſt zu feinen 
Süngern fagte, nachdem er fie eben fo begrüßt, | Nicht gebe ich ihn 
n 





568 
wie die Welt ihn giebt, meinen Frieden gebe ich euch, meinen Fries 
den laffe ich euch *). Wie hätte alfo nicht diefer tiefe Sim feimer 
Worte ihnen immer gegenwärtig fein müflen, fo oft er fich derſelben 
wieber gegen fie bebiente! Aber hier hatte er fie überdied ſchon bei 
feinem - erften Eintritte mit benfelben Worten begrüßt; wem er 
. alfo nun, nachdem wie der Apoftel fagt die Jünger froh waren, daß 
.. fie den Herm fahen, wieberholte, fo that er dad in offenbarer Be 
ziehung auf den Auftrag, den er ihnen giebt. Aber eben bicder 
Auftrag, war er nur an fie gerichtet, an bie damals verfammselten 
Sünger des Herm, die den engften Kreis bildeten, ben er um füdy 
verfammelt hatte in ben Tagen feines Fleifched! Sein Werl auf 
Erden war noch lange nicht zu Ende, ald aud ihre Senbung be 
endigt wurde, indem einer von ihnen nach dem andern ber eme fo 
der andere anders das zeitliche verließ. Hatte alfo der Erloͤſer in» 
mer das große ihm von feinem Water anvertraute Werk vor Au 
gen: fo war diefer Auftrag nicht nur einer an feine damaligen Sum: 
ger; fondern fo wie feine Lehren nidyt nur für fie waren fonbern 
für alle; fo wie feine Kürbitte bei feinem Vater, wie er auöbräfk: 
lich fagt, nicht bloß für fie war fondern für alle, bie durch ihr 
Wort an ihn glauben würden **): fo war auch fein Auftrag nicht 
nur für fie fondern für alle. Und wenn er nicht auch für und gel 
ten follte, wie follte e8 werben mit jenem großen Werke des Herm? 
Etwa fo, daß wie feine nächfien Juͤnger von ihm gefandbt waren, 
wie er bier fagt, eben darin auch ber Auftrag für fie lag, daß fie 
auch wieberum andere ſenden follten nach ihnen, wie er fie gefanbt 
hatte? Aber ber ba fendet iſt größer ald ber gefenbet wirb; alle 
aber, die an ihn glauben, follen unter einander Brüber fein, und 
Meifter keiner ald u! Er allein fandte jene erften, und fein an⸗ 
derer kann auch alle nachfolgenden fenden; unb fo werben wir bie: 
. fen Auftrag anzufehen haben ald einen aud an und gerichteten. 
Aber wir können ihn nur vecht in bem Sinne des Herm faflen im 
Zufammenhang mit dem Wunſch, den er voranfchidt. Darum laffet 
und zuerſt mit einander ben Sinn feines Auftrags, fo wie er auch an 
und gerichtet ift, zu erforfchen fuchen; dann werben wir zweitens, 
wein wir miteinander Überlegen, wad in bem Wunſch liegt, den er 
voranſchikkt, auch ben Zuſammenhang zwifchen beiben nicht werfeblen. 


1. Ban wir alfo zuerſt m. a. den Auftrag. des Herm an 
feine Jünger, daß er fie fendet wie ihn fein Water gefandt Hat, anf 


”A, 


uns anmwenben wollen, fo finden ſich dabei mancherlei Schwierigfeis 
ten, aber nur folche, die wenn wir es genau erwägen nicht und als 
lein betreffen ſondern eben fo auch fchen ihnen mußten vorfchweben. 
Zuerſt, wenn ber Erlöfer fagt, Wie mich ber Water gefendet hat in 
die Belt, fo fende ich nun euch: fo druͤkkt er alfo died aus, daß 
feine Yünger ald feine gefendeten in demſelben Verhaͤltniß zu ihm 
fländen, in welchem er zu feinem Water flieht. Er felbfl nun war 
gefommen, wie er vielfältig fagt, daß er von feinem Water zeuge, 
daß er feinen Water offenbare, daß er den Willen defielben kund 
mache, daß man ben Vater in ihm fchauen könne, denn dieſes fpricht 
er ſelbſt buchftäblich aus. Wenn wir nun in demfelben Verhaͤltniß 
zu ihm. ſtehen follen: o fo ift das freilich großes und herrliches, daß 
wir demnach dazu berufen find, bamit wir feinen Willen kund mas 
chen follen, jened eine große Gebot, welches er ben feinigen gelaflen 
bat, baß fie ſich mit feiner Liebe lieben follen ; fo ift es freilich großes 
und herrliches, daß wir in der Welt baflehen follen ald die, in wel: . 
hen man ihn den Erlöfer der Welt fchauen kann, und bie feine 
GSeftalt, wie lange fie auch verfchwunden fein mag, den Menfchen 
wieder vergegenwärtigen follen, Großes ift bad und herrliches, aber 
wie foll es ‘denn werben wegen ber Gemeinfchaft ber Menſchen mit 
Sott, welche zu begründen ex doch gefommen ift, wenn wir immer 
auf Chriſtum allein zurüfffehen? Und eben dies m. a. bat nun 
freilich in ber chriftlichen Kirche fchon oft und fo auch in unfern. 
Tagen fehr entgegengefezte Handlungsweiſen veranlagt. Die einen 
halten fich buchfläblih an die Zolgerung, welche fid) unmittelbar 
machen läßt aus biefen Worten bed Herrn. Sie fagen, wir find 
von ihm gefendet, und wir gehen in allem auf ihn zurüff und auf 
ibn allein; wir verfündigen ihn als den Herm über alles, ihn als 
den welcher den Krieden der Menfchen begründet, ihn als bemjents 
gen welcher in allen Dingen allein über fein eich waltet. Und 
alles was den Menfchen irgend betrifft, die.ganze Regierung ber - 
Welt wie fie vor unfern Augen fich entfaltet, wie fie unfern Ver» 
ſtand befchäftigt, wie fie unfer Leben taufenbfältig berührt, alles 
führen fie auf den Sohn Gottes zuruͤkk; und damit tritt freilich 
fein und unfer himmlifcher Water ganz in den Hintergrund zuruͤkk. 
Andere im Gegentheil um eben bied zu vermeiden fehen ed ald ben 
Beruf der Zünger an, wie ed ber Beruf des Meiflerd war, bie 
Menfchen zur lebendigen Ertenntnig Gottes und zu ber Daraus von 
ſelbſt hervorgehenden Gefinnung gegen ihn zu entwikkeln; fie reben 
überall von dem ewigen allmächtigen Weſen von. der alles lenken⸗ 
den Güte bed himmlifchen Vaters, aber oft eben fo, ald ob fie ganz 
aus ihrem eigenen redeten, als ob fie eben fo unmittelbar wie ber 


Erloͤſer ven dem Vater geſendet wären. Aber was if davon die 
natürliche Folge? &o wie der Bater fih in dem Sohn geeffenbe | 
set bat, dieſes göttliche Walten in einem menſchlichen Beben, fo wir 
feine Liebe fich gezeiget hat darin daß er ben Sohn geſandt bat, 
auf daß er fich hingebe für die Menſchen, bie noch Sünder und 
feindlich gefinnt waren: dieſe väterliche Liebe tritt zuruͤkk gegen bie 
allmächtige Güte, die fie überall zu verkuͤndigen fuchen; und fo tritt 
feinerfeitd wieder der Erlöfer als ein früherer und gewiß größerer 
und weiferer Lehrer aber doch als ein folcher, der zunächfi für feine 
Zeit geiendet war, und an deſſen Stelle nun wir geſendet find, eben 
fo fehr in den Hintergrund zurüff. Weder dad eine noch dad am- 
dere iſt gewiß die Abficht des Eriöferd geweſen, aber es liegt auch 
weber das eine noch bad anbere. in feinem Auftrag. -Benn wir auf 
ihn zuruͤkkgehen als bie, bie von ihm geſendet find; wenn wir in 
der That durch den Beiſtand feines Geifte und als. ſolche zu zeigen 
ſuchen, in welchen er lebt: wie ſollte nicht eben nach ſeinen eigenen 
Worten auch ſein und unſer himmliſcher Vater ſich durch uns in 
Wort und That offenbaren? wie koͤnnten wir ihn verkuͤrdigen ohne 
eben dies mit zu verfündigen, daß ed ber Water war, deſſen Wort 
er vortrug, daß es deffen Werke waren, bie er zu verrichten hatte, 
und durch die er die Menfchen zu ihm zurüflzuführen ſuchte? Eins 
fol eins kann und darf dad andere nicht ausfchließen; wir find nur 
von ihm gefendet, wenn wir wie er es that durch ihn den Men: 
fhen feinen und ben Willen des himmlifchen Vaters zu offenbaren 
fuhen; aber wir find aud.nur von ihm gefendet, wenn wir bas 
zu fühlen befennen und und baran halten, baß alle lebendige Er: 
kenntniß Gottes, daß bie göttliche Flamme der Liebe, daß das goͤtt⸗ 
liche Leben nur durch ihn in die Herzen ausgegoffen if. Und fo 
ift es benn der Sohn mit dem Water und ber Water mit dem 
Sohn, von denen wir zeugen follen ald bie, welche von dem Sohn 
Gottes gefendet find. Dieſes alfo wäre: bad eine; aber freilich des 
anbere iſt noch dad größere und fchwierigere! Wie fagt der Erid- 
fe? To fende er feine Jünger, wie der Water ihn gefandt hat? Hat 
der Water ihn nicht gefandt um die Welt zu erlöfen, und 

wir etwa auch, feine erſten Juͤnger nicht ausgeſchloſſen, die Welt 
zu erlöfen? Hat der Water ihn nicht gefandt ald ben einigen Men: 
ſchen ohne Sünde, ald den ber in allen Dingen feinen Bruͤderm 
gleich werben mußte uud verfucht werden mußte überall aber immer 
ohne Sünde, und koͤnnen wir eben fo gefendet werben von ihm? 
Welcher unendliche Abſtand zwiichen ihm und und, ben er ganz zu 
überfpringen fcheint in feinen Worten! Das wahre Geheinmiß be: 
von aber m. a., Das iſt dies, daß wir hiebei eine zwiefache Stelle 


07 


einnehmen und eine wieſahe Rolle Duschpuführen haben; wir find 
die, die er ſendet, aber wir ſind auch immer die, zu welchen geſen⸗ 
det wird. Sofern wir noch die ſuͤndigen ſind, ſofern wir noch wir 
ſind, ſofern noch in uns das Fleiſch geluͤſtet gegen den Geiſt, und 
die Suͤnde ſich zeigt als unſer Erbtheil wie aller Menſchen Kinder: 
ſofern ‚find wir die, an welche geſendet wird, Und wo wir eben 
dieſe Spuren der menſchlichen Gebrechlichkeit in uns merken; wo 
ſein Licht wieder verdraͤngt wird von den Schatten der Finſterniß 
in der Seele: da ſollen wir diejenigen aufjuchen, die ber Herr an 
uns fendet, und follen durch die Worte feiner Sendung, welche wir 
von ihnen vernehmen, durch das Band ber Liebe, das und mit ih: 
‚nen verbindet, aus der Finſterniß immer wieder aufs neue gerettet 
‚werben an dad Licht, von der menfchlihen Schwachheit immer aufs 
neue. befreit und geſtaͤrkt werben durch die göttliche -Straft, die von 
ihm auögeht. Aber in fofern wir in der. That: und Wahrheit ſa⸗ 
gen tönnen, daß er in uns ift, ſo find. wir auch die, welche er fen 
det; fofern wir verkündigen können feine Worte, weil fie in uns 
Wahrheit geworben find und ben eigentlichen Gehalt unfer& Lebens 
bilden, fo find wir die, bie er fendet, wie fein Water ihn gefendet 
dat. Und in diefer Ungleichheit, in biefer zwiefachen Stellung un: 
ſers Daſeins, werden wir nicht alle gefiehen müffen, dag darin alle 
Erfahrung des göttlichen Heils eirigefchloffen iſt, Die wir in diefer 
Welt machen können? und daß fi) und darin die ganze Herrlichkeit 
des Reiches Gottes auf Erden offenbart, indem ſich durch die von 
ihm ausgehende Kraft alle Ungleichheit ausgleicht, alle Maͤngel er⸗ 
gaͤnzt werben, alle trennenden Schranken allmaͤhlig verſchwinden, 
und eben dadurch Licht und Leben, Wahrheit und Liebe, und alſo 
goͤttliches Daſein auf Erden immer zunimmt von einer Zeit zu an⸗ 
dem? Und ift ed nicht ſo m. a. Fr., wären wir immer nur die, 
zu welchen gefendet werden muß: wo bliebe daun das Werk des . 
Herrn, um beffentwillen er gefendet war? . Seitbem er biefe Welt 
verlaffen bat, ift fein unmittelbare Wirken zu Ende; und wenn er 
nicht hätte die er fenbet bid an. das Ende der Tage, wie follten 
denn bie Menfchen geführt werben in fein Reich? wie follte denn 
feine. Herrſchaft fich erweitern, fo daß in Erfüllung gehen könnte 
was von ihm gefagt ift, und ſich bewähren wozu er felbft gefendet 
war von Gott? Denn auch die Worte des Lebens, die aud feinem 
Munde gingen, woher haben wir fie, wodurch find fie und_aufbes 
wahrt worden? Nur durch die Zreue derer, die er gejendet hat; 
und ebanfo ift ed nun auch jest. Wie weit verbreitet bid an die . 
aͤußerſten Enden ber (Erde tragen ſich diefe Worte des Lebens in 
den heiligen Blättern ber ger des ‚neuen Bundes umher! aber 


508 | | 
ift es nicht immer dad Bekenntniß zu ihm und alfo feine Gent 


durch welche fie fich aufs neue erhalten, aufs neue vervielfältigt we: 


ben von einem Gefchlecht zum anden?! DO hörte jemals dieſes Be 
kenntniß auf; wäre niemand mehr gebrungen zu zeugen, daf bien 
ihm geoffenbarte göttliche Wahrheit auch die Wahrheit unferes e 
bens ift: wie bald würben biefe Blätter ſich wieder verlieren! mx 
viel Worte menfchlicher Weiſheit, wie viel Denkmäler, welche de 
Wiffen der Menfchen um bie Dinge der Welt betreffen, ja wie nid 
menfchliche Dichtungen und Zabeln würden fich viel länger aufbe 
wahren und fortpflanzen, als dieſe Worte ewigen Lebens in ihm 
unfcheinbaren Geftalt es vermöchten! Denn etwas muß eb imma 
geben, wodurch diejenigen welche jebesmal leben fich als wahre un 
lebendige Glieder am geifligen Leibe des Herrn bewähren, als old 
bie von ihm gefendet find, wenn es auch zuerft num biefes if, dub 
fie mit Treue und Sorgfalt feine Worte fein Gebächtnig den Bund 
feiner Liebe unter den Menfchen erhalten. Und wie Eönnten fir, wie 
würden fie auch nur dad thun, wenn fie nicht aufs neue immer bit 
Erfahrung machten, welche der gemeinfame Grund ift für alle, de 
von ihm gefendet werben, nämlich dag er allein es iſt, bei weichen 
wir die Worte ded ewigen Lebens finden. Darum mögen wir ımd 
 tröften in dem Bewußtfein aller Schwachheit und Gebrechlichkcit! 

in dem Bewußtfein fowol unferer unvollkommenen iß als 


auch davon, daß wir hier in biefer Welt immer alles nur als Stuͤll. 


wert haben und befizen Eönnen, mögen wir uns boch damit trifin, 
daß auch wir von ihm gefendet find wie feine erften Juͤnger, daß 


aud von uns fein Gedächtnig erhalten feine Kraft fortgepflanzt 


wird in der Welt, überall wo fein Name- erfchallet, wo fein Bor 


eine lebenvige Stätte hat, überall wo es eine Gemeinfhaft br 


giebt, die-an ihn glauben. 


1. Nun aber was für eine Bewandniß hat ed mit DM 
Wunſch, den ber Erlöfer voranſchikkt, den er fo muͤſſen wir gt 
ben wußte voranſchikken zu müffen, ehe er diefe Worte des bis 
Ende der Zage dauernden Auftrages an feine Jünger a 
dürfte? Friede, fagte er, fei mit euch! Wenn das zu mehreren 9° 
fagt wird m. a. Fr., fo benfen wir wol immer zunaͤchſt daran, I 

leicht fi) unter mehreren größere ober geringere Uneinigfeit 
Felt, wie leicht Friede und Uebereinſtimmung ſich in Zwiefpalt und 
Streit verwandelt. Und wenn wir mit diefem Gedanken jene 
des Erloͤſers überlegen: fo erfcheint uns als die erfte fhöne © 
lung derfelben, was von eben diefen Juͤngern des Herrn und iger 
nächften angehörigen gelagt wird, noch ehe fie den Auftrag ben eꝛ 





ihnen: gab im feinem ganzen Umfang erfüllen konnten, weit fie noch 
-nicht angethan waren mit ber Kraft and ber Hoͤhe, daß fie nämlich 
einmäthig bei einander‘ waren mit Gebet und Flehen. Einmüthig 
bei einander, das war ber ‚Friebe, den er ihnen gewünfcht, zu wel⸗ 
chem er fie ermahnt hatte. Aber wie lange bauerte denn auch. uns 
ter jener Schaar der erſten Jünger eben biefe Einmuͤthigkeit? Wie 
bald ereigneten füch folche Begebenheiten, die und koͤnnten glauben 
machen, jened große Beichen, welches ben Tag der Pfingften ver 
berrlichte, habe neben dem fröhlichen und erhebenden auch einen trau» 
rigen Sinn gehabt, daß ihnen nämlich bie Zungen getheilt waren! 
wie bald entfianden verfchtebene Meinungen, von denen eine gegen. 
bie andere trat; wie bald war die Einmuͤthigkeit des Lebens geftört 
auch in der erften kleinen Gemeinde bed Herm! Unb wenn wir 
jezt die Chriftenheit betrachten, wie zertheilt erfcheint fie! Ja fo, daß 
wen wir biefe Mannigfaltigleit von Meinungen von Aeußerungen 
des Glaubens von Lehren, die für heilig und unentbehrlich gehals 
ten werben von denen, die ihnen anhangen, betrachten unter ben 
Bekennern des Herm: fo fcheinen fie wenn fie gefendet find doch 
nicht dazu gefandt um ihre Mitbekenner in eine Einheit des Lebens 
zu fammeln, damit fie ſich als Ein Leib darftellen von Einem Haupt 
regiert, fonden um ein recht vielgeftaltiged fich immer mehr von 
einander fonbernded Leben auf die mannigfaltigfte Weife unter den 
Menſchen zu gründen. Und eben diefe Trennung, bie ben Frieden 
zu zerſtoͤren ſcheint, wie feſt wird fie nicht von vielen gehalten und 
ald das rechte Zeichen von der Stärke und Kraft ihres Glaubens 
angefehen! fo daß, wenn der eine und der andre erfcheint mit einer 
Aufforderung den Streit zu mäßigen, alle entgegengefezten Meinun⸗ 
gen auf das Ziel einer Fünftigen Uebereinfiimmung binzuführen und 
fie nur aus biefem Gefichtspunkt zu betrachten, fie ſich gegen einen 
folchen oft noch mehr ereifern als über die, welche ihre eigentlichen 
Gegner find, indem fie Magen, daß einer Frieden verfündigen wolle, 
Da doch Fein Friede fei noch fein könne. Wenn wir bebenten, wie 
Die erften Juͤnger des Herrn handelten überall wo folche Berfeiies 
venheiten unter ihnen hervortraten: fo werben wir wol fagen müfs 
fen, fie hatten den Wunſch das Gebot des Herm tief in ihr Herz 
geihrieben; fie fuchten jede Uneinigkeit, die unter ihnen entftand, 
wieder auszugleichen; und es war ihr eigener Grundfaz, wie fie es 
auch Ihren Gemeinden verkündigten, daß fie feflhalten follten die Eis 
nigkeit ded Geiſtes. Indem fie fo überall auf bad woefentliche zus 
rüßfgingen, fahen fie e8 mit Gelaffenheit an, wie auch der Apoftel. 
fagt, wenn einer ober ber andre etwas anders hielt, und lebten ber 
Zuverficht, Daß Gott allen dad rechte offenbaren werde. Aber auch 


‚jest iR dieſer Wanſch des Herrn ein heilige Wort von ihne, bei 
nicht in das leere geſprochen iſt; auch wir Binnen und ſollen Frie 
den.haben in aller dieſer Verſchiedenheit chriſtlicher — 
chriſtlicher Bekenntniſſe und verfchiebener Geflaltung ber 

Gemeinſchaft. Damm Einer — Ust 
freilich war es ein Vorzeichen aber nicht ein traurige ſondern ei- 
ned, weldyed mit deſto größerer Sicherheit verküubigte, wie weit wie 
allgemein das Evangelium beſtimmt fei ſich auszubreiten, daß auch 
jene Heine Zahl, wie fehr fie angethan war mit der Kraft aus der 
Höhe, anfing in verfchiebenen Zungen zu weben. Je verfchiebener 
die Menfchen find, die füch dem Herm hingeben, je verfchiebener der 
Ausbruft, deffen fie gewohnt find, der in ihrer Sprache im ihren 
‚Sitten liegt: wie kann es anders möglich fein, «ld daß auch dic 
Verſchiedenheit übergehe in die Sprache ihres Glauben! Aber we 
nur die Liebe if, dad Band der Volllommenbeit, wo nur die Ein: 
heit des Geiſtes if und dad gemeinfame. Ziel unter dem Erloͤſer die 
Menſchen zu vereinigen: da koͤnnen wir alles andre dem anbeim 
fielen, der alle Dinge leitet, Daß er es immer mehr werbe allen ef: 
fenbaren und alles zur GEinigfeit des Geiftes hinlenken. 

Aber freilich, dad war es nicht allein, was der Gerz meinte, 
and diefe Richtung überall die Einigkeit des Geiftes feflzuhalten un- 
ter denen, die er ſendet, ifl gar nicht der ganze Inhalt feines Wun⸗ 
ſches, wie unentbehrlich biefed auch fi. Wenn wir bevenfen, daß 
er fagt, feinen Zrieben gebe er ihnen: fo war dies nicht ein Friede 
amter mehreren, fondern es war ein Friede, wie er fein kann in ei- 
nem einzelnen Gemüth. Was war fein Friebe, den er den feinigen 
geben und laffen mußte, wenn fie follten in die Belt gefenbet wer- 
den von ihm, wie er geiendet worben war von feinem Water? Sa 
ihm war kein Streit eben deswegen, weil er ohne Suͤnde war; 
ihm war fein Streit eben beöwegen, weil er nie etwas anbere 
wollte als ben Willen feines Waterd, weil er wie ex felbft fagt nichts 
von ihm felbft thun konnte ſondern nur was ihm der Bater gezeigt. 
In uns if Streit; das Fleiſch Hört nicht auf zu gelüflen gegen den 
Beil! Und indem nicht auf eine fo urfprüngliche Weiſe wie «3 

" im ihm der Fall war der Wille unſers himmlliſchen Baterd uns ein: 
wohnt, indem nicht auf eine urfprüngliche Weife Chriſtus in uns 
lebt: fo hört auch das eigene Leben das Leben des alten Menfchen, 
wie wahr es auch fei, daß er feiner innern Kraft nach getöbtet iſt, 
niemals ganz auf in unferm Leben. Und mo biefer Zwieſpalt noch 
waltet: wie Finnen wir mit biefem gefenbet werben von ihm in die 

Welt, wie ex gefendet. war von feinem Water? wie können wir ei: 








471 


was ausrichten, bad auch nur im geringſten verglichen werben 
Ekoͤnnte mit feinem Werke?! Darum. freilich find wir mir in ber 
That und Wahrheit feine gefenbeten, wenn ber Friede in uns ber 
geftellt ift; nur in den Augenbliften unferd Lebens, wo der Sterit 
geichlichtet if, wo wir fagen formen, wenn er doch immer fo auds 
fchtießend fo rein in und lebte wie iat, wenn wir doch immer fo 
gewiß wären nichts anderes als ihn in unferme Dafein und Wirken 
zu zeigen, wie es wol in dieſem „feligen Augenblikk ift: nur dann 
find wir in ber That feine gefendeten und Finnen wirken in Ueber 
einflimmung mit ber Art, wie er wirkt gefenbet bon ‚feinem. Water, 
Wolan m. a. Fr., dazu iſt dad gemeinſame Leben der Chri⸗ 
-ften, dazu finden wir und zufammen als bebürftig chen dieſes feines 
Friedens, darum vereinigen wir und unter feinem Kreuz und bei 
feinem Wort, um immer aufs. neue von der Kraft, die allein alles 
andere übenvinden kann, burchdrungen zu werden und fie und ge 
genfeitig mitzutheilen, damit ber ſchwache gekraͤftiget werde durch 
den flarken, und um Augenbliffe zu haben, bie inbem fie alles ir 
diſche ausgleichen, indem wir und mehr ald es fonft möglich iſt zu 
zu feinem Frieden erheben, einmal wieder ganz neu fein Leben im 
innen unferd Gemüthed begründen. Und fo rüften. wir uns alle 
aus jeder für ſich und alle zufammen einer durch den ‚andern, um 
aufd neue -gefendet zu werden ald bie feinigen -und zu wirken in ” 
der Welt ald feine gefendeten. - Aber Friede ift auch nicht nur 
Mangel des innen Streitö fo wie ded äußern! dieſes große reiche 
und heilige Wort iſt ganz gleich mit dem, welches und vorher .in 
unferm Gefange befchäftigt hat, denn. Ruhe und Zriebe iſt eins und 
Dafielbe. Aber beibe beftehen nicht nur ‚barin, dag Eein Streit fei, 
Daß keine Zwietracht walte: nein, ed gehört ein wirkſames Eräftiges 
und fichered Gefühl des Lebens und Dafeind dazu, und bad ift es, 
was der Erlöfer ausfprechen wollte, wenn er zu den feinigen fagt, 
Daß er ihnen feinen Frieden gebe und laffe. Diefe innere Sicher: 
heit und die Fülle göttlicher Kraft, die in ihm wohnte, dies Eins; 
fein mit dem Vater und biefer Friede iſt beibes eind unb bafı 
felbe; und fo auch, wenn er und feinen Frieden wünfcht und mits 
theilt, will er nicht nur dies, daß fein Streit in und fei und uns ' 
ter und, fondern daß bad Lebendige Bewußtſein der und von ihm 
einwohnenden göttlichen Kraft und ganz burchbringe und mit einer 
feften. Zuverficht beielige. Das war fein Friede und feine. Einheit 
mit dem Vater, daß er wußte, ber Water fei in ihm und wirke in 
ihm; deswegen war dad der Ausdrukk feined Kriedend -in ihm, daß 
er fagte, er wife, fein Bater wirke in ihm, fo-lange ed Tag ift; 


372 
bdasbs iſt es was wir gefungen haben, Ruhe fei vorzüglich da zu 
finden wo ber Gehorſam iſt, und nur in dieſem treuen Gehorſam 
koͤnnen wir und ſeines Friedens bewußt fein. Wie wäre es auch 
anders? Entweber müßte fonft feines und unferd bimmlifchen Ba 
ters gebietendes Sort fchweigen in uns, und dad wäre in ber hat 
ein folcher Friede, der Feiner iſt; ober wir müßten und im WWiden 
foruch befinden gegen baffelbe, und das wäre dann bie fchlimufte 
Zwietracht. Alſo wenn wir feines Friedens voll.find muß aud 
feine Kraft in und mächtig fein, wie fehr wir auch zu den ſchwa⸗ 
chen gehoͤren; wir haben ſeinen Frieden nur in der beſtaͤndigen 
Wirkſamkeit für ihn und fein Reich. Wird dieſe in uns geſchwaͤcht, 
hoͤrt fie auf, tritt entgegengeſeztes gar in unfer Leben ein, und wir 
. wähnten noch bes Zriedens zu genießen: das waͤre ein betrüglicher 
FZriede, der und nur in das alltägliche Leben ber Nichtigkeit zuräft: 
. führen Eönnte. Haben wir einmal feinen Frieden geſchmekkt, fo 
koͤnnen wir ihn auch nur feſthalten in der freudigſten Mitwirkung 
zu ſeinem Werke, in ber allein befriedigenden Erfüllung feiner Ge 
bote, das heißt in dem lebendigen Bewußtſein der Liebe Gottes, die 
durch ihn ausgegoffen ift in unfere Herzen. Dad allein ift der 
Briede, und nur wenn wir ind beffen ungeflört erfreuen, können 
wir von ihm 'gefanbt fein und als feine gefendeten von ihm zeugen 
eben durch das, was und innerlich treibt und regiert. 

&o m. a. Fr. hat er zu feinen Juͤngern ge erebet in den Tagen 
ſeiner Auferfiehung: und immer noch tönt dies Wort in unfere 
Ohren, und es muß auch noch diefelbe Kraft haben, bie ed damals 
bewies. Was können wir und größeres denken als von ihm ge 
fendet zu fein und in feinem Namen zu "leben und zu wirken in 
ber Welt! fo daß auch durch und bie die ihm zwar angehoͤren aber 
noch an Schwachheit leiden geſtaͤrkt werden in ihrer Schwaͤche; 
daß auch durch uns das unter uns aufwachſende Geſchlecht zeitig 
eingepflanzt werde in ſein Reich, lieb gewinnen lerne ſeine Geſtalt, 
verehren lerne den den der Vater geſandt hat und in ſeinem Leben 
und Sein die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater er: 
kennen! Und was auf der andern Seite koͤnnen wir beſſeres ver⸗ 
langen dagegen, als daß auch wir wo wir ſchwach ſind Staͤrkung 
finden und Kraft bei denen, bie er geſendet hat an uns? Und 

diefe Gegenfeitigkeit in biefem Bunde, das ifl e8 allein, worin wir 
die Liebe beweifen koͤnnen, mit welcher er Die Welt geliebet hat, 
worin wir uns als feine Jünger zeigen, baß wir gegenfeitig fuchen 
das Heil zu fchaffen zu erhalten zu mehren, weldyed er der Welt 
gebracht hat. Wenn dann alle die feinen Namen bekennen immer 








573 


"mehr feinen Frieden verfündigen und anstheilen als feine gefenbe: 
ten unb fo fein heilbringendes Leben‘ in ber Welt fortführen: o wie 
wirb dann überall in ber Gemeine alled wenn auch nur dem Scheine 
nach feindfelige fich immer mehr verlieren; wie wirb allein bie Liebe 
und lehren die Wahrheit erfennen; wie wirb das Herz feſt werben, 
wenn ed auf biefem einzig ficheren Grunde beruht; unb wie wer 
des wir es ihm nachruͤhmen koͤnnen, daß in der Wahrheit wenn er 
in uns lebt wir auch feinen Frieden um uns her verbreiten koͤnnen 
wie er, den der Vater geſandt hat! Amen. 


Eied 710, 4. 3. 


XLVIM. 
Am Sonntage vor Pfingften 1833. 


Lied 249. 300. 


Tert. Wpeftelgefh. 1, 21. 22, 

So muß nun einer unter diefen Männern, bie bei uns 
gewefen find die ganze Zeit über, welche der Herr Jeſus 
unter und iſt aus- und eingegangen, von der Zaufe Io: 
banned an bis auf den Tag ba er von und genommen 
ift, ein Zeuge feiner Auferftehung mit und werben. 


M. a. Z. Dieſe Worte ſind das Ende eines Vortrages, welchen 
der Apoſtel Petrus an die verſammelten Chriſten hielt, und worin 
er ihnen den Vorſchlag machte die Zahl der Apoſtel wiederum zu 
ergaͤnzen. Die Begebenheit ſelbſt, nach ber Ordnung zu urtheilen 
wie ſie uns in der Geſchichte der Apoſtel erzaͤhlt wird, faͤllt in die 
jezt wiedergekehrten Tage nach der Himmelfahrt des Herrn, aber 
ehe ber Tag der Pfingſten erfuͤllet war. Sie war bie erſte Hand. 
lung, welche die Apoſtel des Herrn gemeinſchaftlich mit den uͤbri⸗ 
gen Chriſten aus ihrem eigenen als eine eigene und freie Wil⸗ 
lensbeſtimmung vollbrachten, um eine Einrichtung in der Gemeinde 
zu machen; und wenn wir ſie mit einander genauer betrachten, ſo 
werden wir daraus ſehen koͤnnen, worauf es uͤberall bei ei⸗ 
ner richtigen Entwikkelung der Einrichtungen in der 
chriſtlichen Kirche ankommt. Laſſet und m. a. zu erſt das 
Verfahren, welches dabei beobachtet wurde, genauer mit einander 














575 


erwaͤgen, und: dann zweitens fehen, was fr. eine Anwendung wir 
aud) auf und und auf eine dem angemeffene Führung der chriftli⸗ 
chen Angelegenheiten davon zu machen haben. | 


1 Benn wir alfo zuerft die ganze Handlung wie fie und er 
zahlt wirb genauer erwägen: fo find die Worte, die wir vernom«. - 
men haben, fo der eigentliche Schlußftein ber ganzen Rebe bed Apo⸗ 
ſtels, aber dasjenige zugleich, woraus fich das folgende unmittelbar 
entwiftelt, daß wir von hier aus den Hergang des gamen vollkom⸗ 
men überfehen koͤnnen. Einer, fagt ber Apoftel, muß mit’ und ben: 
übrigen Apofteln ein Zeuge ber Auferfiehung des Herrn werden, weil. 
nämlich Judas, der wie er vorher fagt mit und gezählet warb, hins 
gegangen iſt an feinen Ort. Er führt alfo als einen Bewegungs⸗ 
grund an, daß die Zahl ſolle aufrecht erhalten werden, welche der 
Herr felbft wie es fcheint beftimmt hatte, und welche: fo. feft ange 
nommen war unter allen denen nicht nur, welche an Chriftum fchen 
glaubten, ſondern auch unter denen, bie fi nur näher um biefe 
Angelegenheit befümmerten, daß bie zwölfe und bie Apoftel bed 
Herm durchaus eind und daffelbe waren. Aber wie lange wurde. . 
denn dieſe Zahl aufrecht erhalten? Es geichah nach einigen Jahren, 
daß ber Herr fi) aus einem der größten Widerfacher des Chriften: 
thums einen eifrigen Werlündiger defjelben bereitete, der hernach 
von fich fapte, er habe unter den Apofteln fo viel gearbeitet: ald fie 
alle; und da war alfo die wieberhergeftellte Zahl ſchon überfchritten. 
Und nidyt lange darauf geſchah ed, daß Herodes den Jakobus, ben 
Bruder ded Johannes, einen von jenen dreien, die dem Erlöfer nody 
befonderd nahe flanden, und die öfterd auf eine ausſchließende Weiſe 
ald Zeugen ber merkwuͤrdigſten Augenblifte feines Lebens genannt 
werben, hinrichten ließ; aber keinesweges wurde hernach daran ge 
dacht einen Apoftel zu wählen an deſſen Stelle. Unb das unter 
biieb nicht etwa beöwegen, weil nun Paulus an feine Stelle getres 
ten, und die Zahl der zwölfe damit wieber audgefüllt worben wäre; 
fondern wie Paulus den übrigen zwölf gleich geachtet wurbe und 
kein Unterfchieb weiter gemacht zwifchen ihm und ihnen, fo wurde 
auch Bamabad, der Genoffe feiner erften Meile, ihm gleich geflellt, 
und fie machten feinen Unterſchied weber zwilchen beiben. noch zwi⸗ 
fhen ihnen und fi. Kurz von der Zahl zwölf war fchon damals 
nicht mehr die Reve. Was hatten alfo die Apoftel für einen Grund 
jest diefe Zahl aufrecht zu erhalten, die doch fo kurze Zeit nur bes 
ftehen ſollte, und von der fie auch damals gewiß ſchon -fehen konn⸗ 
ten, daß fie nicht lange beftehen koͤnne bei der Bebingung, bie fie 
daran knuͤpften? Denn fo fagt Petrus, Einer von benen, die die - 





. 376 


‚ganze Zeit über, bie der Herr Jeſus unter und aus⸗ und eingegam 
gen ift, von der Taufe an, bad heißt von der Zeit an wo Jeſus 
felbft anfing zu verfündigen, dad Reich Gottes fei nahe herbei ge 
Tommen; bis auf ben Tag feiner Himmelfahrt, — nur ein folder, 
fagt er, könne Zeuge feiner Auferfichung werden, ber die ganze Zeit 
über, bie Jeſus unter ihnen gewandelt hatte, ihn begleitet hätte. 
Solcher gab ed nun bamald freilich noch mehrere, das fehen wir 
deutlich, indem die Gemeinde aus ihnen zwei ben Apöfteln vorfellte: 
aber wie kange konnte e8 noch folche geben? wie lange konnte es 
dauern, baß die au allmählig hinübergerufen. wurden aus dem 
zeitlichen? und dann wäre boch biefe Regel dieſe Art und Weiſe, 
wie die Zahl der Apoſtel follte ergänzt werden, nicht mehr auszu⸗ 
führen geweſen. Aber wenn wir zurülfgehen auf bad, woran ich 
ſchon erinnert habe, wie wenig hat biefe.Regel felbfl gegolten, aus _ 
ßer eben in diefem einen Fall! Die Apoflel Segten. diefen Mecf- 
ſtab nicht mehr an, als fie urtheilen follten über ben geheimnigwol 
"len Beruf, durch welchen Saulus war ein Paulus geworben; und 
wenn fie ihn angelegt hätten, fo hätten fie dieſes beſonders von 
‚Gott erwählte Werkzeug feiner rechten Stellung beraubt, dem An 
fehn feiner Verkündigung geſchadet und den, der ſo eigenthuͤmlich 
vom Herrn berufen war, einer Regel wegen, bie doch eigentlich mur 
fie gemacht hatten, bintenangeftelt. Aber weit entfernt waren fie 
auch, ald es hierauf ankam, diefe Regel halten zu wollen; unb doch 
konnte der hier befchriebene Vorgang unter ihnen noch nicht vergeh 
fen fein; doch war die Zeit noch zu kurz, ald daß die. Sache hätte 
zurüßfgetreten fein koͤnnen im Gedaͤchtniß; zumal noch viele vorhan- 
den waren, bie im Grunde ihres Herzens ber Verkuͤndigung deö 
Paulus nicht traüten, und biefen hätte es willfommen fein muͤſſen 
die Apoftel zu erinnern an bie Regel, welche fie felbft geflellt hat 
ten. So wenig war die Art wie die Apoſtel damals verfuhren et 
was, das lange hätte bleiben können in ber Ordnung ber chriſtli⸗ 

chen Kirche. 
- Aber laffet und auch bie Hauptfache erwägen. Als nämlich 
Petrus jene Ergänzung vorfchlug und zugleich die Regel aufftellte 

nach welcher dabei verfahren werben ſollte, und bie wir oben be 
trachtet haben, hatte ex vorher ven dem Judas gefagt, Er war mit 
und gezählet und hatte biefen Dienft und diefed Amt mit uns 
überfommen; und im erfolg feiner Rebe wendet er eine Stelle 
ber Schrift auf ihn an, dag nun eben fein Auffichtdamt fein Bis⸗ 
thum ein anderer empfangen müfle. So ſah er alfo damals bie 
zwölf an, daß ihnen ein befondere® Amt übertragen ſei. Aber biie 
ben denn bie Apoflel noch lange Zeit hindurdy, fo wie ed Petrus 








377 


bier darftellt, Inhaber eines‘ befonderen Amtes? Als. der Herr am 
Zage der Pfingften durd die mächtige Ausgießung des Geiſtes meh 
tere taufend Seelen ber Gemeinde zugewenbet hatte, wirb gelagt, 
Unb ale die-gläubig geworben waren blieben fleißig und treu in 
der Lehre und Gemeinfchaft der Apoftel, und fo zeigt fih und, daß 
damals allerdings alles in ihren Händen war. Auf ihnen ruhte 
Die ganze Zeitung ber neuen Gemeinde, und alles was zu berfelben 
gehört fehien ihr ausfchließendes Geichäft zu- fein. Aber nicht lange 
Darauf fehen fie fich ſelbſt ſchon genöthigt dies Amt zu theilen, in 
dem fie zu der Sorge für die aͤußern Angelegenheiten andere berus 
fen ließen durch die Gemeinde und fich felbft nur vorbehielten ben 
Dienft der Belehrung und der Verkuͤndigung des Worted. Hier: 
aus müffen wir allerdings fchließen, daß noch einige Zeit in biefer 
Gemeinde zu Jeruſalem die Apoftel des Herm, fo lange fie dort 
vereinigt lebten, fo lange.fie zufammenwirkten, bie einzigen Lehrer 
waren. Aber wie lange blieb dieſe Gemeinde zu Jeruſalem ſelbſt 
Die einzige? Gott fei Dank! bald verbreitete fich dad Evangelium 
über viele Gegenden, und alle neue Gemeinden mußten ihre Lehrer 
haben, und dieſe alle harten eben fo ihren Theil. an ben Gaben. 
des Geiſtes und waren eben fo auf die Erinnerungen an den Erld: . 
fer und die von ihm überfommene Lehre gewielen, ald bie Apoftel 
ſelbſt. Somit verſchwand die eigenthlimliche Würde der Apoftel 
ſehr bald, und wir mögen fagen, dad Wort war ſchon in der Zeit, 
weiche wir "noch verfolgen koͤnnen eben aus. den Erzählungen bed 
Buches, and welchem unfere Textesworte genommen. find, nur noch 
eine beſondere Ehrenbezeichnung, die aber doch nicht ausſchließend 
denen eignete, welche noch übrig waren von ben zwoͤlfen, ſondern 
allen vorzüglich ehrwuͤrdigen und in ihrer Wirkſamkeit gelegneten 
Lehren gegeben wurde ohne irgend eine befonbere Wahl oder Er: 
nennung, welche hätte vorangehen müflen; mehr jo erfcheint es, als 
daß es ein beſonderes Amt mit eigenthuͤmlichen Rechten und Pflich⸗ 
ten geweſen wäre. - Unb doch geht ber Apoftel in diefem Vortrag 
von der Vorausſezung aus, daß ihm und feinen Gefährten ein be 
ſonderes Amt übertragen fei, und daß eben beöhalb auch bie bes 
ſtimmte Zahl müffe erfüllet werden. | 
Das m. a. 3., das war bad. Verfahren des Apofteld. Fragen 
wir aber nun nach den Gründen befielben, fo finden wir uns bei 
der Vergleichung mit dem, was fo bald auf diefe Handlung er: 
folgte, in nicht geringer Verlegenheit. So viel indeß fehen wir 
wol aus dem Zuſammenhang des ganzen unb aud ber Art wie 
fich diefe Begebenheit zu dem was fpäter geſchah herausſtellt, daß 
die Apoftel keinesweges ber Meinung gewefen ib, in diefer Zahl 
IL. 0 








578 


zwölf, in biefem befondern Amt und Auffichtörecht, welches auf 
derfeiben beruhen follte, eine Einrichtung zu machen, welche gleich- 
fam für alle Zeiten der chriftlichen Kirche ‚gelten follte, ober ein 
Herlommen zu begründen, welches von da ab unverlezlich fein follte. 
Denn wäre dies ihre Abficht geweſen, fo würden fie eine andere 
Regel geftellt und auf die fpätere Zeit Rülfficht genommen haben, 
da fie doch vorherſehen konnien, daß es [päterhin Feine foldye mebr 
geben konnte, die von Anfang der öffentlichen Wirkſamkeit bed Er: 
köferd an bei derfelben zugegen geweſen wären bis zu feiner Him⸗ 
melfahrt. Das alfo haben fie gewiß nicht gewollt. Und eben ſo 
leicht werben wir und überzeugen, daß fie nicht in ber Abficht ihre 
Zahl ergänzen wollten, um dadurch, daß fie äußerlich fo genau als 
möglich bei einer Einrichtung blieben, welche fi auf den Erloͤſer 
zurüffführen ließ, dafür zu forgen, daß ihr eigened Anfehn um fo 
fiherer aufrecht erhalten werde, fo daß ed alfo eigentlich ihtetwegen 
gemweien wäre, baß biefe Zahl, die von dem Erloͤſer felbſt beflimmt 
war, unverlezlich erhalten werben follte, fo lange es ſich irgend than 
ließ. Denn wenn fie darauf bedacht geweien wären ſich eine be 
fondere Stellung zu bewahren ober einen engeren Kreis zu biiben, 
der immer die dem Erlöfer zunaͤchſt flehenden auch durch die be: 
fiimmte Zahl von allen andern unterfcheiden follte: gewiß, dann 
würden fie anderd zu Werke gegangen fein. Wer würbe ed ihnen 
gewehrt ober wer auch mur gewagt haben das geringfie Dagegen 
einzuwenden, wenn Petrus, flatt vor fo vielen der damaligen Bak: 
der als nur zufammentommen wollten — es waren aber etwa han⸗ 
bert und zwanzig an der Bahl — einen Vortrag über biefe Angeles 
genheit zu halten, fie vielmehr nur in jenem engflen Kreife befpre: 
chen hätte, wo außer den Apofleln niemand war ald hoͤchſtens bie 
Frauen, welche in Chriſti Geſellſchaft geweſen waren, und die Bris 
der des Herm, die nun ſchon zum Glauben an ihn belehrt waren? 
Ja wenn dieſe ganze Angelegenheit nur da völlig abgemacht werben 
wäre, fo daß die Apoflel einen gewählt, ſich diefen. aus eigner Made: 
volllommenheit zugeordnet und der Gemeinde nur Anzeige Davor 
gemacht hätten, es fei alſo gefchehen: gewiß, wenn fie fo verfahren 
wären, nie hätte die Gemeinde einem Zweifel Raum gegeben, daß 
nicht die Apoftel fi fchon den beflen und tüchtigflen würden ge: 
wählt haben, da es ja ihre Sache war und fie vomehmlich betsof, 
indem fie künftig mit ihm vereinigt wirken mußten. Da fie num 
jo nicht handelten, fo fehen wir deutlich, um ſich ein eigenes An- 
fehn zu bewahren, um ſich etwas ausſchließendes vorzubehalten in 
der chriſtlichen Kirche, darum haben fie es nicht gethan. 


979 


ragen wir aber, was Tann wol ber Grund davon gewefen 
fein, und worum war es denn bem Petrus unb ben andern Apo⸗ 
ſteln ſo eilig? zumal fie doch die Anweifung des Herrn vor fich 
hatten, fie follten nur fo lange in Ierufalem bleiben, und Tange 
wuͤrde es nicht mehr währen, bis fie die Verheißung in Erfüllung 
gehen fähen, daß fie würden angethan werben mit Kraft aus ber 
Höhe! Warum warteten fie nicht wenigfiend die Erfüllung dieſer 
Verheißung ab um audgerüftet mit diefer Kraft aus der Höhe zu 
thun was fie wollten? Diefe Frage führt und auf die erfle trau: 
rige Weranlaffung zu diefer Rebe und diefem Vorſchlag. Judas 
fagt Petrus war.der Wegweiler und Führer derer geworben, welche 
Jeſum gefangen nahmen, und war dadurch felbft herausgetreten aus 
der Zahl der Apoftel; feine Stelle war leer, und diefed Bewußtſein 
einer auf ſolche Weiſe leer gewordenen Stelle bebrängte fie in ih⸗ 
rem Gefühl. Was konnte ed fchmerzlicyered für fie geben, als dag 
einer aus ihnen aus biefer Meinen Zahl Verraͤther des Erloͤſers ge 
worden war? Sa diefe fchmerzliche Erinnerung war gewiß nicht- 
chne allen geheimen Vorwurf; denn der Erlöfer hatte ed hie und 
da angebeutet in feinen Reden. Ste waren freilich ängfllid) gewor: 
ben, umb jeder hatte fich felbft geprüft, ob es mol möglich ſei, daß 
er fo etwas thun könne, follte ed auch auf die unfchuldigfte Weiſe 
gehepen. die fich denken laſſe: aber doch hätte nach folcher War: 
nung jeder nicht auf fi) allein fehen müffen! wie genau hätten fie 
wegen biefer Andeutungen bed Erlöferd ihre Schritte gegenfeitig bes 
wachen müffen, auf jebed Zeichen eined unficher gewordenen. Ge: 
muͤths unter ihnen achten und darauf merken, ob nicht einer ober 
der anbere unter ihnen eine verbachtige Berbindung anknüpfte! Won 
dem allen hatten fie nichts gethan und alfo fcheinbar vieles verab⸗ 
ſaͤumt, wodurch fie hätten diefe fchwarze Begebenheit verhindern 
koͤnnen. In diefer fchmerzlihen Erinnerung alfo wollten fie ben 
Tag, der die Erfüllung der göttlichen Verheißung bringen follte, 
nicht abwarten; nicht mit biefem Bewußtfein einer verftümmelten 
Zahl nicht in biefer ſchwermuͤthigen Empfindung follte die Kraft 
aus ber Höhe fie finden; fie verlangten nad) einer beruhigten und 
in das gewohnte Geleis zurüßfgekehrten Stimmung: und darum 
begehaten fie. von ber Gemeinde, daß ihre Zahl ergänzt würde, da⸗ 
mit unter der Beichäftigung mit dem ‚neuen Genofen das Anben- 
ten an ben ausgeſchiedenen gleichfam begraben würde und fie fo die 
Luͤkke weniger fühlten, bie freilich unter ihnen doch entflanden. war 
und auch biieb. Aus der Art, wie bie Rede des Apoftels anfängt 
mit dieſer Einnerung an das Ausſcheiden des Judas, wird es wol 
On? | 


— 


33 


Mar, daß biefes in der That der Anknüpfungdpunft war und der 
innerfte Grund für den Vorſchlag, den Petrus that. 


D. Auf diefe Weile freilich m. a. 3. koͤnnte es auf den erſten 
Anblikk fcheinen, als fei die ganze Handlung eben deswegen, weil 
fie fih fo ganz auf bie augenblifflidhen Umflände bezog und auf 
ben perfönlichen Verhaͤltniſſen der Apoftel beruhte, jeder näheren Au⸗ 
wendung auf und und auf dad was zu allen Zeiten unfern Ge 
meinben obliegt entzogen; dem ift aber nicht fo, und das Laffet uns 
jegt im. zweiten Theil unferer Betrachtung mit einander erwägen. 
Doch aber nicht bloß aus dem angeführten Grunde möchten 
"viele glauben, es fei auf und Feine weitere Anwendung von dieſer 
Handlung der Apoftel zu machen, fondern weit mehr noch deshalb 
fei dies unthunlich, weil fie ſich ausſchließend auf die bezog, bie von 
dem Herm felbft geſezt waren feine Heerbe zu meiden und bie An- 
. gelegenheiten ber .gläubigen zu leiten; und das, fo böre ih noch 
‚ hinzufügen, ift ja doch nicht unfer Beruf. Mag dies Beiſpiel der 
Apoſtel vieleicht lehrreich fein für die, welche jest eine ähnliche 
Stellung einnehmen: aber die Glieder ber Gemeinde, was haben 
die über ſolche Einrichtungen und darüber was dabei mehr oder we- 
niger gottgefälliged gefchehn nachzubenten? was haben fie Danach zu 
fragen, benn fie haben nichts dabei zu thun? Allerdings m. a. 
3. ift ein folcher Unterfchied da und bleibt, und er muß um fo 
nothwendiger bleiben, je größer Die Gemeinde bed Herrn geworben 
ift, je wohlthätiger es ift, daß fie fich nicht in lauter kleine einzelne 
Gefellichaften zerfplittert, wo eher alle gleich fein können und ſolche 
Unterfchiede weniger flattfinden, ſondern daß fich die wahre Kirche 
des Herm in großen weitverbreiteten Gemeinden erhält. Aber was 
diefen Unterfchieb nothwendig macht für alle Zeiten, das verringert 
ihn wenigftend für fehr viele Chriften, für fehr viele von denen, 
welche an der unmittelbaren Leitung ber Gemeinden nicht theilhe: 
ben. Ihr Chriften, die ihr an einem Drt wie dieſer lebt, in der 
Hauptſtadt eined großen Reichs, dedjenigen deffen Oberhaupt allge 
mein für bie rechte und ficherfle Stüze ber evangeliichen Kirche beuts 
fer Zunge gilt, an einem Drt, von welchem ſchon fo viel Licht 
aber auch, wir wollen ed nicht läugnen, fo viel Verwirrung ausge 
gangen ift: verlennet die Stellung nicht, die euch der Herr gegeben 
bat! Erinnert euch ber Zeit, wo bad ganze Vaterland in einer 
tiefen Trauer darüber war, und man konnte es mit gewiffen Grunde 
fagen, daß grade in dieſer großen Stadt, die beſtimmt fet ihr Licht 
weit umher leuchten zu laffen, alles Licht, ja man fürdhtefe fagen 
zu müffen, auch aller chriftlicher Sinn untergegangen ſei; wo bitter 


.yr 








81 


geklagt wurde über dieſen Ort, daß ſo viele dem Ghriftentyum feind⸗ 
felige Schriften von hier. ausgingen, dag bier jede leichtſinnige Rede 
jedes den Glauben ald etwas verkchrted darflellende Wort ben leich: 
teften Anklang finde und immer am willlommenften feil Gedenket 
Diefer Zeitz aber wenn ihr Gott dafür danket, daß fie fich gewendet 
hat, fo vergeflet um fo weniger, daß ihr in der That beſtimmt feid 
weit umber einen nicht geringen Einfluß zu üben. Das ift richtig, 
Das die Leitung der Angelegenheiten der chriftlichen Gemeinden uns 
ter und immer nur in ben Händen weniger fein kann, die fo ge: 
fteut find, daß von allen Seiten her bie Kenntniß ber wechſelnden 
Zuftände, der Mängel und Gebrechen fo wie alled guten, dad in 
weitern Kreifen zerflreut .vorgefunden wird, zu ihnen gelangt; dieſe 
allein können unmittelbar die Leitung der chriftlichen Angelegenhei⸗ 
ten führen, das gilt jet wie damald. Aber im. übrigen, wie ver: 
fchieden ift unfer Zuftand von dem in ber erflen chriftlichen Kirche! 
ZJezt wo fo vieled. gewirft wirb durch bie ſich weit umher verbrei⸗ 
tende mündliche Rede, noch mehr durch die gedrukkte Schrift, Tann 
jeder der in dieſem Verkehr fteht rühmen, daß er einen Einfluß 
habe auf die gemeinfamen Angelegenheiten. Die, welche fi) in oͤf⸗ 
fenttichen Schriften vernehmen laffen, hören fie etwa nicht und fra⸗ 
gen, ich will nicht fagen, was den Beifall der Menge gewinne, aber 
doch wofür fie werden eine Regung erwekken können, wofür fich ih⸗ 
nen huͤlfreiche Stimmen zugeſellen werden und wofuͤr nicht? So 
uͤbt jeder einen Einfluß durch ſeine Rede, durch ſein Urtheil; jeder 
hat durch die Art wie er redet uͤber die Angelegenheiten der Chri⸗ 
ſten, wie er urtheilt uͤber die leitenden, wie er die Zuſtaͤnde ſieht 
und darſtellt, ſei es in glaͤnzenden ſei ed in ſchwarzen Farben, einen 
Antheil an allem dem was geſchieht. Ja wenn die oͤffentliche 
Stimme, die auf ſolche Weiſe entſteht, nicht ſelten verworren iſt 
und in dieſer Verworrenheit unwirkſam: wie kraͤftig erſcheint fie 
nicht, wenn alle ſei es in dieſem oder ſei es in jenem übereinflims - 
men, ja auch dann fehon wenn ed nur wenige find, bie ihr in fehr 
beſtimmten Anfichten gegenübertreten! Darum kann ist Feiner ber 
ſo geſtellt ift fagen, die Frage fei ihm etwas fremdes, was gewirkt 
und wie gehandelt werden müffe in ben Angelegenheiten ber chriſt⸗ 
lichen Kirche. EB iſt ehe es geſchieht ein Gegenſtand für feine Em» 
pfindung, wenn er Antheil nimmt an ber Gemeinde ber gläubigen, 
und was getan ift wird ein Gegenfland feined Urtheild; denn nies 
mand enthält ſich aller Mitteilung, Und wer fi in größeren 
Kreiſen vernehmen läßt, weſſen Stimme felbft bid zu benen bringt, 
die unmittelbaren Einfluß auf die Leitung der Dinge haben: befien 
Won iſt ein einflußreiches Wort, von bem er — möge ed zum gie. 





⸗ 


. ten ausſchlagen, möge es Schaden bringen ber Gemeinde — im 
theure Rechenfchaft abzulegen hat vor Gott. Darum laſſet un ke: 
ben, was für Biegeln ben Apofleln in bem was .fie thaten-ma 
Grunde lagen, bamit wir felbfl. darnach tun jeder an feinem Ou 
Das erſte iſt gewiß bie. Aus ihrem ganzen Werſehren hit 
und bad. Bewußtfein entgegen, daß fie keine Einrichtung in de 
chriſtlichen Kirche für etwas umverlegliches und unabaͤnderliches bi: 
ten. Wenn fie vielleicht jezt bie Zahl der. zwölf Apeſtel aus jam 
befonberen Grunde ergänzen zu müffen glaubten, den ich ind Ydı 
zu ſezen gefucht habe: fo thaten fie das wohl wiſſend, ed mat: 
doch nicht fange mehr fo dauern koͤnnen. Sie mußten. voraudihe, 
biefe Zahl. koͤnne nicht lange mehr aufrecht erhalten werben als da 
allgemeinen Mittelpunkt bildend, von bem bie oberfle Leitung aln 
Gemeinden ausgehen folle; das zeigt ſich, wie. wir.gefehen haben, 
an ihrem ganzen Verfahren in biefer Sache. Und wie wenig hi 
ten fie auch ihren Herm und Meifter verftanden, wenn fie von m 
ner anderen Verausſezung auögegangen wären und biefe Ergaͤeng 
als etwas feſtſtehendes hätten einrichten wollen! Wie oft hate a 
nur mit andern Worten baffelbe gefagt, was fein Juͤnger fo at 
druͤkkt, Daß der Buchſtabe tödtet, ber Geiſt aber allein lebendiz 
macht. „Alle Anorbnungen, betreffen fie die Lehre ober betreffen ft 
bie äußern Angelegenheiten, find indgefammt Buchſtabe Dadurh 
will ich fie keinesweges herabſezen, — denn wie kann ber Geil ib 
anderd zu erkennen geben als durch den Buchflaben? -- ade 
giebt in manchen Zeitpunkten Regungen des Geiftes, während deren 
bad innere Leben ſich ganz anders geflaltet; es entfalten ſich Fliege, 
bie unter ber biöherigen Dekke nicht wirken Tonnen ſondem fie ef 
fprengen müffen; bann muß der Buchſtabe wanken. Daram di 
nicht von biefer Art angefehen werben, als folle, ja auch mar als 
dürfe es ewig bleiben; dies wäre nur ein trauriges geichen bavan 
daß ‚Der Geift ber Kirche in ber Gegenwart nicht mehr lebendig 
wirken koͤnne, ſondern daß fie regiert fein wolle ganz durch die 
Vergangenheit. 
Aber dies Bewußtſein, wenn wir es fefthalten — and © it 
doch die einzige Vertheidigung für das Entſtehen unferer eoangel 
ſchen Kirche, — in welche ſcheinbare Verwirrung fommen WI 
Was fol bleiben und was vergehen, und wer fol das eine beit 
men ober das andere? Sollen wir ſelbſt Hand anlegen und un 
ſtuͤrzen, oder follen wir warten, Daß es von außen her geſchehe 
Schwer ſcheinen dieſe Zweifel zu entſcheiden! aber laſſet und aut 
. darauf achten, wie bie Apoftel ‚hier gehandelt haben, und wit * 
den zwei große Regeln finden, wodurch noch immer wie banal" 











58 


Der Geift ſich offenbart, und die für alle ‚Zeiten richtig und wirt: 
fam bleiben werben. Zweierlei fehen wir in dem Belragen ber 
Apoſtel offenbar: zuerft, fie wollten alled bisherige feflhalten, ſo 
Lange es feflzuhalten war, nämlich fo lange fie noch eine fräftige 
Wirkſamkeit bavon erwarteten, fo lange ihr eigenes Bewußtfein ihm 
noch Zeugniß gab, daß ed in dad gemeinfame Leben eingreife, daß 
es ihren Kräften Unterfilzung gewaͤhre. Dahin gehörte nun auch 
Die Einrichtung des Herm, in ber fie felbft georbnet waren in fol: 
cher kleinen Zahl mit einander zu gehen. Daß dad nicht immer To 
bleiben Tounte, wußten fie wohl; aber fo lange fie felbft nicht durch 
Die Verbreitung bes Chriſtenthums andere Wege geführt wurden; fo 
Kange fie noch ald ein folder befonderer Verein an 'bemfelben Ort 
unter gleichen Verhaͤltniſſen fortwirken konnten: fo lange fühlten fie 
babe diefe Einrichtung noch Kraft und Wirkſamkeit, und wollten fie 
erhalten. Der eine war hingegangen an feinen Drt durch eine That, 
die fie gern der Wergeffenheit übergeben hätten: fie wählten einen 
andern, damit ihnen die Zahl bliebe, in welcher. fie den Herrn fo 
oft begleitet hatten; damit nicht an jenem Zage, an welchem fie 
angethan werben folten mit Kraft aus ber Höhe, der Herr zu ib: 
nen fpreche, Habe ich nicht euerer zwölf ‚gewählt, nun. feid ihr nur 
eilf? Um ſich dies bittere Gefühl zu erfparen, darum fuchten fie 
einen zwöfften. _ Und warlich wer den Segen in dem was längere 
Zeit wirkſam geweſen ift um das gute zu erhalten zu fördern zu 
fchügen fo verfennt, Daß er es willkuͤhrlich vor der Zeit abbrechen 
fann, und ed nicht vielmehr fo lange zu bewahren fucht, als es 
diefe Wirkſamkeit noch an den Tag legt: der verfteht ſich wenig 
auf menfchlihe Dinge, und ber bleibe lieber ganz davon, wenn es 
darauf ankommt gemeinfchaftliche Angelegenheiten zu leiten! Ja 
gang anders wäre es geweſen, wenn bie Gemeinde bed Herrn ba: 
mals zu Petrus und den andern Apofteln geſprochen hätte, Seid 
doch nicht mehr Kinder im Glauben fondern ſtark, wie es Männern 
geziemt! was liegt an ber Zahl? möget ihre immer nur eilf fein, 
ihr feid doch eben fo fehr bie gewählten bed Herrn und und eben 

fo lieb als da ihr noch zwölf waret; wir werben eben fo treu eu: 
zen Worten glauben, und möge ed aud) gefchehen, dag der Lauf 
der Dinge biefen oder jenen: von euch abruft, wir werben eben fo 
treu zu ben übrigen halten, lieber als wenn ihr zwölf bieibt, aber 
manche wären nicht vom Herrn gewählt fordern von und! Dann 
wäre es ein andered geweſen! So war ed aber nicht, fondern wie 
es ihre Ueberzeugung war, jo war es auch die Ueberzeugung ber 
Gemeinde, und Darum’ war 83 auch etwas wirkſames kraͤftiges heil - 


ſames, was fie erhalten wollten und auf biefem MBege allein erhal 
ten Tonnten. 

Die zweite Regel iſt dann aber diefe, daß fie bie Gemeinbe 
fragten.” Davon war früher niemald bie Rede geweſen, konnte auch 
nicht die Rebe fein, fo lange ber Herr auf Erden wandelte. Denn 
fo lange ging alles von ihm aus, er allein kannte die Werke feines 
Vaters, er allein: offenbarte befien Willen, und fo beflinmmte er auch 
fhon im voraus manche Regeln, nad) denen feine Gemeinde folite 
geführt werden. So hatte er denn auch biefes fchon georbnet, wenn 
an biefem ober jenem Bruder etwas nicht fei wie es fein folle, und 
er den einzelnen nicht hören wolle, dann folle es gebracht werben 
vor bie Gemeinde. Und immer flärfer immer kraͤftiger macht fich 
auch die Stimme ber Gemeinde geltend. In den fpäteren Zeiten 
ber Geſchichte der Apoſtel, ald Paulus eine Schaar von gläubigen 
aus folchen die zuvor Heiden geweſen waren ſchon gefliftet und fie 
frei gemacht hatte von ben Vorfchriften bed Geſezes, dad nur für 
das Wolt bed alten Bundes gegeben war, ald man. deshalb umges 
rechter Weiſe ben Verdacht auf ihn geworfen hatte, er fei ein Feind 
des Geſezes: da geſchah ed, ald er nach Serufalem kam, mb er 
zuerſt zu den Apofteln ging und ihnen erzählte, wie Bott feine Ber: 
kuͤndigung gefegnet habe, daß diele ihm bekannten, wie es vide Ei: 
ferer um dad Geſez in ber Gemeine gebe, und wie er unter biefen 
verfchrieen wäre ald wolle er das Gefez gänzlich abfchaffen. Da 
wurde num in Weberlegung genommen, was gefchehen müffe um die 
fen Theil der Gemeine von dem Ungrumd jenes Gerüchte zu über: 
zeugen und dadurch zu beruhigen. So fehr hatte fi) damals fchon 
bie Stimme, der Gemeinde geltend gemacht! Daher erfcheint uns 
nun wad bie Apoftel hier thaten als eine Mare und richtige Mor 
ausſicht, Die ber lebendige Geift der Wahrheit in ihre Seeie legte. 
Dad wovon fie beflimmt erwarteten, es werbe ſich immer Träftiger 
und allgemeiner geltend machen, das fuchten fie felbft ind Leben zu 
rufen, indem fie die erſte große Angelegenheit, welche in Frage kam, 
in bie Hand ber Gemeinde legten. Sie hatten auch nicht einmal 
das beflimmt, baß die Gemeinde ihnen zwei Männer fielen folle 
zur Auswahl, fondern biefe hätte auch gleich einen wählen koͤnnen, 
wenn er nur bie Eigenfchaften befaß, welche fie gefordert hatten. So 
vertrauten fie ber Gemeinde und flellten ſich gleichfam unter fie, in- 
dem fie nur folche fein wollten, die vorangingen mit gutem Rath, 
nicht mit Gebot. Denn das hatte ihnen fchon ihr Hear und Me: 
ſter gefagt, daß fie nicht Herrſcher ſondern Diener der Gemeinde 
fein ſollten. Und gewiß, für alle Zeiten iſt dieſe Regel eben fo 
wichtig für die Gemeinde, als jene vorher beisuchtete. Denn wo 





5 

Die eigermözige Sucht herrſcht Neuerungen hervorzubringen, etwas 
zu zerftören in dem chrifllichen Leben, was es auch immer fei, das 
noch wirffam ift: da freilich waltet ein fchlimmer Geiſt, der nicht 
in bie Angelegenheiten der Gemeinde eingreifen fol. Wo es aber 
ganz an einem ahnenden Wermögen fehlt; wo bie Zuftänbe ber 
chriſtlichen Kirche fo wenig in ihrer Wahrheit begriffen werben, daß 
Die welche die Gemeinde leiten nicht vorher erfennen, was bald ge: 
nug kommen wirb, um es lieber bei Zeiten ſelbſt zu Kraft und 
Wirkſamkeit zu bringen und in guter Ordnung und unter feflen 
Neyeln herbeizuführen; wo dies: fehlt: da muͤſſen die Angelegenhei⸗ 
ten der a anbe bald in Werfall kommen. 

Aber laſſet mich noch: eined mit wenigen Worten erwähnen, 
etwas großes und wichtiges für und ale! Was war geichehen, bad 
bie Beranlaffung gab zu dieſer wichtigen Begebenheit? Der Abfall 
nicht nur fondern auch der Verrath eined aus ber Heinen Zahl der 
Bekenner des Herrn. Welcher Gegenfland für den heiligen Un: 
muth, welcher. zu entbrennen pflegt, wo bie göttliche Gabe mit Fü: 
Ben getreten wird! welche Gelegenheit fire jenen glühenden Eifer, 
der, wenn er alle andere umher mit entzunden möchte, was nicht 
von gleicher Glut ergriffen iſt, um fo mehr alles feindfelige zu ver: 
zehren droht! Aber wie milde rebet Petrus, er ber immer gleich 
aufleberte; mit welcher forglihen Mäßigung um ja keine leiben- 
ſchaftliche Bewegung in den Gemüthern zu erregen; wie hütet er 
fih auch nicht - ein heftiged Wort audzufprehen! Das ift bad 
flärffte, wad er von dem fchnöben Verraͤther fagt, Judas iſt ein 
Wegweiſer geworden derer die Jeſum fingen, er iſt abgewichen von 
biefem Dienft, daß er hinginge an feinen Ort! Wenn er anders 
‚geredet, wenn er der tiefen Trauer feined Herzens Raum gegeben 
und dem Unmuth feiner Seele Luft gemacht hätte: wäre es wol 
anders möglich gewefen, ald daß die ganze Berfammlung diefen Un» 

muth und Eifer geteilt hätte? Aber würden fie dann im Stande 
gewefen fein mit ſolcher unbefangenheit dem weitern Vortrag des 
Apoſtels zu folgen, eine ſo beſonnene Maaßregel zu nehmen, indem 
fie unter mehreren zwei darftellten, bie fo gleich waren, baß fie zwis 
fhen beiden nicht zu entfcheiden. mußten? Wären fie fo aufgeregt in 
ber Stimmung des Gemlthe& gewefen mit reinem Herzen zu flehen 
zu dem Herzenskuͤndiger, daß er ihre Wahl lenken möchte auf bem, 
- von wen bie möglichfte Förderung bed Reiches Gottes zu erwarten 
fit D der Eifer auch um das größte und beiligfte, wenn er bad 
Gepräge der Leidenfchaft annimmt: dann thut er nicht was recht 
iſt vor Gott; dann iſt dad Auge ded Geifled getrübt. Darum m. 
a. Ft., es iſt eine -fhöne Sache um ben Eifer für das Haus’ bed 


. Herm; es iſt etwas ‚großes für die Sache der Wahrheit, und kein 
Eifer fofern er nur rein iſt bann zu flark fein. Aber alles Ding 
„bat. feine Zeitz ed iſt gut dem Eifer Luft machen, bamit er uns 
‚nicht verzehre, aber nur nicht in dem Augenblift wenn gehandeu 
werben foll, nicht in der Verbindung mit einem Entihing! Wo es 
baranf ankommt, daß etwas gefchehe, da thut ber übel, ber im lei: 
denfchaftlicher Stimmung handelt; und Barum. war das in dieſem 
Augenblikk ſo groß an dem ‚Jünger des Herm, daß auf fo mä- 
ßige Weiſe ſprach! Aber wie laſſen fich alle Abweichungen von dem 
reinen Sinne ber Kixche, wie laſſen fich alle verſchiedene Meinungen 
über die Lehre ober über bie befte Weiſe bie Gemeinde. zu leiten, 
wie. läßt fich irgend etwas dieſer Art, wie ed ‚unter unſern Kirchen: 
gemeinden fireitig iſt, vergleichen mit ber That bed Judas! Und 
‚body wie oft hören wir ben Eifer ganz in der. leidenfchaftlichen Ge 
-flalt des Unwillens ja des Zorns, ber niemald weiß was er thut; 
wie oft hören wir ihn bie Chriſten offen auffordern zum Handeln 
Und fei es auch immer nur ein Wort, der Zuſtimmung ober Ber: 
werfung, denn auch bad kann ſich zur großen und wichtigen That 
entwilfeln! Darum: ift ed das erfle überall .wo „gehandelt werben 
fol, daß wir niemals Die vechte Befonnenheit verlieren, und bie he: 
ben wir nur fo lange ald wir im Stande find alle Perfonen wie 
alle Verhältniffe mit Unbefangenheit zu betrachten, nur fo lange als 
‚wir und bewußt find, daß wir betenb aufiehen können zu Gett; 
denn nur das Gebet ift ihm. angenehm, welches aus reinem Herzen 
kommt, nicht aus einem von leidenfchaftlichem Weſen verblendeten Eifer. 
Sehet da m. a. Zr. auch unfere Aufgabe! Halten wir fo mit 
Treue was wir empfangen haben von den Vätern, und wovon wir 
fühlen, «8 fei. noch Eräftig lebendig unter und; ſehen wir mit fol: 
cher Liebe und Treue in die naͤchſte Zukunft hinein, dag uns nichts 
entgehen kann was dem Haufe des Herm noth thut: fo wird uns 
ver Herr ſchon entgegen kommen mit dem, deſſen feine Gemeinde 
bedarf: Und wie er feine Wergänger hatte ihm Bahn zu duschen, 
_ to find auch wir gern bie Vorläufer der beſſern Zukunft ums bie 
Thaͤler audzugleichen und die Hügel zu ebnen, damit dad kuͤnftige 
GSefchlecht freie Bahn findet bie Gemeinſchaft Gottes in noch ſchoͤ 
nere Geſtalt zu bringen. Halten wir und in dieſer Befonmenheit 
und Maͤßigung ded Gemuͤths: dann werben aud wir fo oft es 
noth thut mit Kraft angethan werben aus ber Höhe und werden 
bazu wirken können, bag die Gemeinde bed Herrn ſich baue wuͤr⸗ 
dig nach feinem ‚Namen genannt und als fein geifliger Leib darge⸗ 
 Mellt zu werben, befien Haupt in ber Höhe leitet und nicht deidet, 
daß irgend ein anderer regiere. Ann. (Eieb 406, 1. 2.) 











| XLIX. ° | 
Am zweiten Pfingfttage 1833, 


Lied 271. 261. 
: Sept. 1 Kor. 3, 16. 


Wiſſet ihr nicht, daß ihr Gotted Tempel feib, und ber 
Geift Gottes in euch mohnet? | 


M a. 3. Diefe Worte hat der Apoflel nicht etwa geredet gu 
folcyen, bie unmittelbar. Theil gehabt hätten an ber großen Bege⸗ 
benheit, welde geſchah, ald der Tag der Dfingfien erfüllet war; 
auch .nücht etwa zu ſolchen wie bie, von benen wir. heut. in- unferer 
epioliichen Lektion gelefen, daß auf bie Verkuͤndigung bed Apoſtels 
Petrus ähnliche Zeichen fi) an ihnen ereigneten, und die Gegen: 
wart bes göttlichen Geiſtes ſich dadurch auf. eine unerwartete und 
ungewohnte Weife fund. gegeben babe. Denn. folche Erfcheinungen 
kamen nur in ſeltenen Zällen vor und an einzelnen; wo aber:.all: 
mählig große Gemeinen in dem Glauben an ben. Exlöfer.entflanten, . 
ba geſchah es durch die allmähligen ruhigen in ihrem $ortfchreiten 
fowol als auch ſchon in ihren erfien Anfängen geößtentheild unmerk⸗ 
lichen Wirkungen bed Wortes: der Verkuͤndigung. Auf biefe Weile - 
hatte ſich auch bie Gemeine in Korinth theils aus felchen bie fruͤ⸗ 
ber Auden warm: gefammelt, theils auch ‚waren: viele hinzugetreten, 
bie in dem Wahn des Heidenthums geboren unb erzogen waren, 
Zu folchen alio redet der Apoftel dieſe Worte, woburd er ihnen 
eben die Würde derjenigen bie an dem göttlichen Geift Theil haben 
zu erfennen geben und fie ihnen auf eine. ihnen allen mehlbefannte 


| se8 | 

ife befchreiben wäll. Wiſſet ihr nicht, fagt er, daß ihr Bein | 
Zempel fe. Das konnten beide Theile jeber auf feine Bit 
verfiehen. Diejenigen wußten was er meinte, welche bergelommu 
waren bei dem Heidenthum, unter denen alles voll war von fe 
chen heiligen Stätten, die ber Verehrung von Weſen beflimmt we 





ten 
haft mit dem Ewigen, wie abgeflumpft es auch geweſen ſei, w 
barg und offenbarte zu gleicher Zeit. Ex konnte aber daſſelbe au⸗ 


fo wußte er, baß die Züge dieſes Bildes beiben heiten aub kn 
was ihnen befannt war ſich vergegamärtigen würden. Ucherbi 


Brief fagt ber Apoflel Paulus an einer andern Stelle ’), iM 
ihr nicht, daß eure Leiber Tempel Gottes find, in denen fin GR 
wohnt, und feid alfo nicht euer felbft: fo daß da bie- einzelnen jcder 
für fih genommen der Tempel find; aber er fagt aud ander 
waͤrts **), bie ganze Gemeine des Herm auf den Grund bes Apo 
fiel und Propheten gebauet fei ein ſolcher Tenwel Gottes, eint De 
hauſung Gottes im Geift, in welchen- bie. einzelnen Geneſſen des 
Stlaubens indgefammt mit eingebaut wären, welche eben in demit 
ben Sinn an einer andern Stelle ber Schrift genannt werden IP 
bendige Steine ***), aus benen ſich der Herr feinen geifligen Tes 
pel erbaut. Auf beides werden alfo auch wir zu fehen haben, me? 
wir das große Wort des Apoſtels verftchen wollen, fowol wie d 
- anwendbar ift auf bie einzelnen als auch auf die gefanmate Ge 
meine bed Herm. 


L. Fragen wir un nun m. a. Z, was benn bad wefentäch! | 
was in dinens jeden Tempel, und fehen zuerfi auf jenen Reichthun 
von heiligen Gebäuden faft überall in den Ländern ber vielgotiſchen 
Menſchen: fo war das weientliche, daß in jedem ſolchen vorher“ | 





1 Kor. 6, 19. 
”) Sphf. 2, RD. 
’ 5. 


3 
50 


fein mußte ein heilige Bild, gleichviel von welchem Stoff mit wie 
viel oder wie wenig menfchlider Kunſt verfertigt, welches eined von 
jenen Weſen nicht etwa nur abbilden und andeuten follte fondern 
gewiſſermaßen darſtellen und die Kraft ſeines Daſeins in ſich ent⸗ 
halten. Aber auch in dem Tempel, welcher dem einigen Gott ges 
bauet war, von welchem kein Bild konnte oder durfte gemacht wer⸗ 
ven, und früher fchon in der wanbelbaren Stiftähütte: auch da fand 
Fich ein befondered Heiligthum, welches als die Stätte ber eigentlis 
chen Wohnung ded Jehovah unter feinem Volke angefehen wurde, 
wo feine Gegenwart ſich auf mancherlei Weiſe verfündigte, fo daß 
Die Gewißheit des Volkes von feinem Verhaͤltniß zu feinem Gott, - 
wie durch einzelne Erfahrungen immer emeuert, fo auch an biefen 
heiligen Ort beionderd geheftet wurbe. 
Hat nun ber Apoftel an biefes Hauptſtuͤkk auch zunächft ges. 
Dacht bei feinen Worten: wie gilt dies, wenn wir. Doch Tempel 
Gottes find, von uns felbft ald einzelnen Gliedern ber Gemeine bes 
Herm? Jenes heibnifche war freilich ein Wahn, davon herrührend, 
wie auch der Apoftel in feinem Brief an die Römer *) fagt, daß 
die Menfchen die Wahrheit in ihrem freien Lauf aufhielten durch 
ihre Ungerechtigkeit, daß fie ſich das hoͤchſte Weſen zerfpalteten in 


eine Menge von ſolchen Einzelheiten, welche je zahlreicher fie wur . 


den um fo weiter entfernt bleiben mußten von ber höchften Voll⸗ 
kommenheit, fo daß fie fich nicht nur der menichlichen Gebrechlich 

Zeit näherten, fondern oft waren ed Welen unterhalb des menfchliz 
chen Daſeins, weiche doch als göttliche verehrt wurden. Dad war 
ein Wahn; aber doch werden wir gefichen müflen, nur auf eine 
fehr aͤhnliche Weiſe ift in jevem von und ein göttliches Bilbniß ans 
zutreffen. Der Geift mit feinen Gaben, der Glaube und bie Liebe, 
durch die er thätig ift, geflalten fich in jebem einzelnen nur zu eis 
nem folchen unvollfommnen nicht von allen Seiten auch nur fich 
felbf gleichen Bilde. Es find einzelne Züge, bie ſich in manchen 
Augenbliften bed Lebens faft ind unkenntliche verlieren, in ‚anderen, 
wieder beutlicher. hervortreten, aus welchen wir aber immer, wenn 
fie auch. durch fremdartiges beigemifchte mannigfaltig entſtellt find, 

ahnen tönnen, daß da in der That etwas throne von dem hoͤchſten 
Weſen, daß da der Geift Gottes hauche lebe und wirke. Und nicht 
nur mit dem einzelnen fteht ed fo, fondern ‚wenn wir bie ganze 
Chriftenheit wie fie izt auch in eine große Menge von einzelnen . 
Kirchengemeinſchaften gefpalten ift betrachten, werben wir nicht laͤug⸗ 

nen Binnen, daß jede einen Strahl von jenem ewigen Lichte in fich 


) Adm. t, 18 


508 
trägt, jede ſtellt auf eine Ihr eigenthuͤmliche Weiſe aber 
unvolllonnnen das Bild beflen bar, nad) deſſen 


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innern zu ſolcher Hut erwärmen, daß dieſe i 
nicht mehr abſtoßend berühren: dann fſinden wir in ifmen 
mengenemmen nicht nur ben ganzen Chriſtus, fo wie ben 
ungetheilten Geift Gottes, fondern wir fdyauen barin auch den 
ter an, der fi in bem Sohn offenbaret hat, unb uͤberſehn es, 
aus einem Mittelpunkte alle jene verfchieben gebrochenen Strahlen 
des göttlichen Lichte auögehn. Denn wie auch der Leib bed ein- 
zeinen Menfchen ein Tempel Gotted heißt, oßmerachtet nicht biefer 
unmittelbar fonbern nur bad innerfle Heiligthum ber Seele, ver 
möge deſſen fich fein Geift über alle& irdiſche erhebt, der eigentliche 
Wohnſiz des göttlichen Geiſtes fein kann, von warnen er dann bald 
ſtaͤrker bald fchwächer, weil das Fleiſch nie aufhört zu geluͤſten wi: 
ber den Geiſt, ſich auch nach außen offenbart: fo ift auch bie chriſt⸗ 
liche Kirche in ihrer ganzen äußern Erfcheimung der Tempel Got: 
tes, wiewol nur in ihrem innerfien von eben biefen Spaltungen 
nicht berührten Leben der Geiſt Gottes in feiner ganzen Fülle wohnt. 
Und haben wir und fo von bem allgenteinen, was es heißt. cin 
Tempel Gottes fein, weil der Geiſt Gottes in uns: wohnt, über: 
zeugt: fo laffet und nun auch nach einander bie bebeutenbfien ein 
zelnen Züge und näher ver Augen fielen. 


1. Zunaͤchſt m. a. 3. war jeber Tempel, mehr als irgend ein 
anbered von Menfchenhändben errichtete Gebäube, ein Gegenfland der 
tiefften Ehrfurcht und der genaueften und treisften Sorgfalt für alle, 
in deren Gebiet er fich befand, und welche eben in bemefelben ben 
Wohnſiz eined höheren Weſens ehrten. Schon der äußeren Geſtalt 
wegen, weil fie zu erfennen gab, dieſes Gebäude fei nicht für in 
gend eines der Beichäfte bed gewöhnlichen Lebens nicht zur Schlich 
tung menfchlicher Händel und Angelegenheiten. beflinmt, fonberk 
Gebaͤude zur Verehrung folcher Weſen, vor benen ber menſchliche 
Geiſt fich nieberwerfen fol: ſchon um beöwillen war jeber Teurpel 
ein Gegenſtand der Verehrung für-alle. Und ift dad nicht überall 
unter und eben fo jeber einzelne Menſch? Ja wohl m. th., fehon 
ehe wir ihn noch als einen Wohnfiz des göttlicdyen Geiſtes erkennen, 


E11, 





ur‘ 
gleich wie er das Licht dieſer Melt erblikkt und uns noch nichts 
darftellt ald die menfchliche Schwäche und die Gebrechlichleit eines 
vorübergehenden Daſeins. Nur erfi wenn. bad Auge allmaͤhlig ein 
Zeuge des inmohnenden Geifted wird, dadurch daß ed nach Licht. 
ftrebt, und daß es den Ausbrußl.der Liebe von ſich gibt, dann erſt 
fangen wir an ein geifliged Welen zu erkennen; aber wie weit noch 
Davon entfernt ein Wohnfiz des göttlichen Geiſtes zu fein! nd 
Doch, weil wir wiflen, bad Kind iſt. hiezu beflimmt, ſo ‚betrachten - 
wir ed mit ber überall unferer Liebe zu Kindern ſich einmifchenben- 
heiligen Scheu, wie fie einem Tempel bed Hoͤchſten gebührt; fo 
widmen wir feinem fchwachen Dafein ſchon bie zärtlidhe Sorgfalt; 
einer Liebe, welche nicht nur die Liebe iſt zu einem unfered Ge⸗ 
ſchlechts; fondern wenn fie rechter Art ift, wenn fie aus dem Glau⸗ 
ben herfiammt, fo bat fie Theil an ber ehrfurchtsvollen Liebe zu 
Gott, von dem fo wie.alle gute Gaben kommen fo vor allen auch 
diefe, daß nicht aufhören immer aufs neue ind Dafein zu treten bie 
einzelnen Erfcheinungen bes Lebens, in benem ſich fein Geift offens- 
bart. Ach und geräfh der heranwachfende Menfch hernach in Bin 
nie ganz zu beendigenden Kampf zwiſchen Geiſt und Fleiſch; he⸗ 
merken wir in manchen Augenblikken ſeines Lebens dieſes Ringen 
des goͤttlichen Geiſtes mit dem was Feindſchaft iſt wider Gott, 
nämlich dem Fleiſchlichgeſinnetſein; gewahren wir bad Seufzen der 
Kreatur, welche ſich ſehnet nach der Freiheit der Kinder Gotted, zu 
ver fie aber immer nur mangelhaft gelangen fonn: o weiche Scheu. 
und Ehrfurcht fol uns da eräreifen; wie gern follen wir jedem in 
befcheidener Liebe unfere hilfreiche Hand darbieten, wo wir es ver: 
mögen, um ihn in dieſem Kampf zu umterfiägen; und wie ſollen 
wir uns in inniger Ehrfurcht erfreuen jeder Wirkſamkeit des goͤttli⸗ 
chen Geiſtes in diefen Kämpfen des irdiſchen Lebens! Und welche 
Sorgfalt und Treue beweifst die wahre chriftliche Liebe dadurch, 
dag wir gegenfeitig ‚unfer wahrnehmen nnd und einander reizen zu 
guten Werken, durch die ſich der Geift Gottes in: den einzelnen vers 
fündigen Tann! So ehren: wir in jedem unſerer Brüber ben. Tem: . 
pel Gottes. 

Aber bie Gemeine bes Ham’ im ganzen betrachtet, wiewol ſie 
auch nur ein ſich immer ernenerndet Tempel iſt, der noch. höher 
und herrlicher hinauffteigen foW, doch werben wir fagen müflen, in. 
ihr erfennen wir bie volle Offenbarung bed hoͤchſten Wefend in bie- 
fer Welt. Nicht nur wenn wir fie mit jenen Zuflänben verglei: 
hen, wenn bie Menfchen das, was wie ber Apoflel fagt all kund 
ift, daß nämlich Gott fei, verkannt haben und ihn nicht geprieſen, 
fonden eben weile bie Webeheit in’ Ungerechtigkeit. aufbielten. in 


büfteren ober frevelhaften unb icicifinnigen Bahn verfunten finb; 
nicht nur wenn wir zuruͤkkdenken an bie Zeiten bes 
zwar ber einige Gott erkannt wurde aber boch nur auf ei 
volltommene Weile, ald ob er nur Einem Rolle und 
ndlchts der Mhruften cignck, und bad) von bem größten frheit 

fo verehrt, als ob ex ein Weſen wäre, welches mehr durch Furcht 
und Schrekken vor feinem Born die Menſchen regieren wollte umb 
* Bunte, nicht wie ber welcher ſich als bie ewige Liebe offenbust; 


fondern auch wenn wir bie menfchliche Weisheit auf ihrer — 
"Höhe betrachten, welche fie freilich auch nicht hätte erſſeigen koͤnnen. 
wenn fie nicht dazu geborgt hätte bie Kräfte bed Evangeliums, ja 
welche fie nicht anders würde erblifft haben als bei ſeinem Lichte 
Denn wie unflät und ſchwankend flellt und auch biefe das Bilb dei 
hoͤchſten Weſens dar! wie unentichieben ſchwanket Die Wage, ob fir 
es als bad hoͤchſte Leben barflellen foll oder nur als bie tobte Nech 
wendigkeit aller ewigen Drbnungen und Gefege! Und indem fie ie 
den Urgrund aller Dinge zu erfennen und ſich in bie Tiefen bei 
Seins zu verlieren firebt: wie wenig vermag fie bad Gemäth des 
Menſchen in den Zuſammenhang mit dem ewigen Vater ber Liebe 
hineinzuführen, es fei denn, daß fie fih ganz hingiebt in bie Zie 
fen beb Goangeliumd und eher al6 shae Bikes ‚noch etwas A 
fein zu wollen nur eine Bitverfündigerin diefes Licht und Lebens 
wird. Aber weil num biefed auf folche Weiſe in der Gemeine des 
Herm feinen Wohnfiz hat: welcher Gegenfianb der Ehrfurcht fol 
fie nicht und muß fie nicht für alle fein! welche Sorgfalt follen wir 
ihr nicht wibmen! wie muß nicht jeber auch ber geringfle Dienfl, 
den wir ihre leiften Eönnen, für uns ein Kleinod fein und ein Sch, 
und was wir für.fie thun uns als das befle erfcheinen, was wir 


Geſch 
Aber nicht nur als einen noch wachlenden Tempel ſtellt ber 
Apoflel bie Gemeine des Herm bar m. 9. Fr., fonbern ber Zuſam⸗ 


fagte vorher, Einen andern Grund kann niemand legen als der ge 
legt. it, Jeſus Chriſtus; aber auf biefen -baut der eine weittz mit 

und bauerhaften Stoffen, ‘der andere mit vergänglichen, 
welche leicht wieder auseinander getrieben werden und alſo der Bau 
yerfidet. - Und wenn einer fo baut, fo wird freilich ſein Merk das 
Beuer ber göttlichen nicht aushalten, fonbern es wird un 





503 


. tergehen; aber er felbft weil er boch nichts anderes wollte als ben 
Tempel bed Herm bauen wirb gerettet werden aus dieſem Feuer 
heraus. Und nachdem er das gefagt, fährt er fort, Wiſſet ihr nicht, 
Daß ihr ‚Gottes Tempel ſeid, und ber Geift Gottes in euch wohnet? 
So jemand ben Tempel Gottes verberbet, ben wirb Gott verder⸗ 
ben. So ftellt er und alfo biefen Tempel dar als einen folchen, 
Der auch noch mancher Verderbniß ausgeſezt iſt, befien hoͤher hinan⸗ 
ſteigender Bau zum Theil auch wieder zerſtoͤrt werden kann, wenn 
nichtiges menſchliches Werk mit hineingekommen iſt wiſſentlich oder 
unviffentlih; und er ruft ein Wehe aus über den, ber ihn vers 
Dirbt. Was ift das anders als der Ausdrukk der tiefften Vereh⸗ 
rung, von ber er. felbft erfüllet war gegen biefen geifligen Tempel, 
und was anders ald eine Auffoderung zu ber größten Sorgfalt, bie 
wir ihm wibmen follen, damit er bewahrt werbe vor allem was 
vergänglid und nichtig iſt, uud wir nichts hineinbauen als dad, 
was dem einigen Grunde der gelegt werben Tonnte gemäß ift, und 
was wir in Chrifti Namen und auf fein Geheiß bineinfegen Eönnen 
in fein ewige Gebäude. 


M. Ein Tempel m. a. 3. war dam aber audy ein Ort, wo 
viele theure Andenken göttliher Wohlthaten aufbewahrt wurben; 
überall in feinen Außenwerken war ein folcher geſchmuͤkkt mit ben 
dankbaren Gaben derer, welche ber. Werehrung ber Weſen, bie dort. 


herrſchten, Befreiung von irgend einem Uebel des Lebend oder Er - | 


reihung irgend eined gewünidhten Gutes zu verbanten glaubten 
Und laͤßt fich auch wol beides trennen, daß der Ort wo das hoͤchſte 
Weſen wohnen fol und verehrt wird nicht auch berfelbe fei, der bie 
Aeußerungen ber Dankbarkeit ber befchüzten ber gepflegten. derer des 
nen Wohlthaten zu Theil geworben find in ſich ſchloͤſſe So iſt 
es auch in dem geiſtigen Tempel des Herrn. Jeder, in dem der 
Geiſt des Herrn wohnt, wie klein auch und unſcheinbar ſein Wir⸗ 
kungskreis ſei in menſchlichen Dingen, iſt doch gewiß immer um⸗ 
geben von einzelnen Seelen, welche in dem kaͤmpfenden Fortſchrei⸗ 
ten auf dem Wege des Heils oft Belehrung oft Unterſtuͤzung oft 
Warnung beduͤrfen. Jedes ſoiche Werk richtet ein dankbares Am . 
denken auf in dem Gemüthe, an welchen es gefchehen ift, und fo 
ift jebee einzelne, im welchem ber Geift Gottes wohnt und durch 
welchen er wirft, ein folcher, auf den mancherlei geiflige Wohltha⸗ 
ten Gottes nicht als auf ihren Urheber, denn ber ift immer nur ei⸗ 
ner und berfelbe, aber doch ald auf den Ort bezogen--werben, an 
welchem und von welchem aus fie und find zu Theil geworden. 
Und betrachten wir erſt die Gemeine des Herm, wie reich iſt fie an 
III. Pp 


folhen Weihgeſchenken! weiche Wohlthaten. hat fie gehäuft über de 
menſchliche Geſchlecht, und wie hat fie fi überall rebende Dal: 
mäler ihres Daſeins gefliftet! wie viele Irrthuͤmer find aufgehen 
worden, wie viele Gegenden haben fi) aus Stätten des Kriege 
und ber Zerfiörungöfucht in Wohnungen bed Friedens und Bal: 
fätten einer ruhigen Bildung verwandelt! wie viele Fortſchritte i 
allem was wohl lautet nicht nur vor Gott fondern auch vor Ra: 
ſchen verdanken ihr allerlei Menſchen und Boͤlker; nicht nur die 
weiche felbft fchon aufgenommen find in diefe Gemeine, aber zu de 
nen wenigftend das Licht des Evangeliums ſchon burdgebrugm 
ift, fondern auch andere erfreuen fich ihrer Wohlthaten ohme fie md 
zu kennen. Bedenken wir nım m. Fr., daß die Menſchen, ven 
fie ihre irbifchen Angelegenheiten ordnen, wenn fie auf ihr und ir 
ver Nachkommen äußere: Wohl Bebacht nehmen, wenn fie buntem 
pel ber Gefege ergänzen und ausbauen ‚und alle ihre Verhaͤltuſe 
von gegenfeitigen echten und Pflichten mit immer höherer Ber 
heit reiner und dauerhafter einzurichten freben, ba fie dann nid 

eigentlich die unmittelbaren Gefchäfte der Gemeine des mir 
treiben fonbern weltliche Dinge: in dieſer Eigenfchaft aber groß | 
was für Gaben und Geſchenke haben fie nicht der chriſtlichen Lirte 
basgebracht! Wergleiht nur, wie in den erfien Seiten bie | 
diger des Evangeliumd theild. verachtet waren theild werfolgt, ſo dej 
fie ihr Zuſammenhalten bis zu äußerer Unfichtbarkeit verbergen UP 
ten, entfernt von ben Wohnungen der. Menſchen um am unter 
ſchen Stätten und bei nächtlicher Weite ihrem Gott ihr Lob Dup 
bringen. Unb nun weich ein Anfehen genießt in aller Bet die 
Gemeine bed Gern; zu welcher Stufe ber Ehre iſt fie abebei 
wie find ihr im vielen ändern auch in ben bürgerlichen Bald 
gen ber Menfchen befondere Worzüge verliehen; wie hoch werdet 
die geachtet, weiche fih ihrer Angelegenheiten auf befonbere Beit 
annehiuen! Das alles find bie bankbaren Gaben und Weihgeibenk 
welche ihr in Anerkennung ber Güter, wonit ber gottuiche Geiſt u 
ſeine Wirkungen auch die irdiſchen Verhaͤltniſſe geſegnet bei, 
Alten Zeiten her dargebracht worden find und noch immer aufs Melt 
bargebracht werben. Je weniger nun biefe dargebrachten Gehe 
aͤußerlich ins Auge fallen wollen; je weniger fie ums mit der * 
ſchr auch hochgeachteten doch nichtigen Dingen dieſer Belt wem 

teln; fonbern je mehr fie geifiger Art und auch dadarch beffe 
fie ehren follen würbig find, daß fie der Gemeine bes Herm A 
wohltgätigen Einfluß ſichern auf die Angelegengeiten der Bi 
um deſto linber bürfen fie uns fein. Aber wenn der, welcher n 
einen Tempel eintrat, etwa außfchliehlich verweilte: bei den dort au 











395 


geftellten dankbaren Gaben und Weihgefchenken; wenn er daran fei 
es die menfchliche Kunft bewunberte ober fich in dad Gebächtnig 
rief, was die Infchriften ihm fagen von ber Gefchichte der Mens 
Then: dann gelangte er nicht zu dem inneren Heiligthum, und bie 
Zeit, bie er der Betrachtung ber göttlichen Dinge widmen wollte, 
verging ihm nur über diefen äußeren Nebenbingen. Darum laſſet 
und biefe ber Gemeine erteilten Ehrengaben wohl bewahren aber 
nicht dabei verweilen! Wir follen und nicht freuen, wir follen nicht 


darauf einen vorzüglichen Werth legen noch unfer Herz daran hans | 


gen, wie bie Gemeine des Herm äußerlich geehrt wird; fonbem 
baß nur in ihrem innen der Geift Gottes frei fei und fich Außen ' 
koͤnne, daß nur alle Glieder immer mehr zufammenflimmen zu Aeu⸗ 
Berungen deffelben Lebens, alle ihre Handlungen aus berfelben 
"Quelle herrühren: das allein foll der Gegenſtand unſeres eifrigſten 
Beſtrebens ſein. 


IV. Aber ein Tempel war auch ein Ort, wohin häufig bie 
Menichen kamen um in zweifelhaften Faͤllen ſich über wichtige 
Dinge Raths zu erholen. So war es in den Tempeln heibnifcher 
Menfchen. Da ertönten Sötterfprüche auf mancherlei geheimnigvolle 
Meile den fragenden: ach oft dunkel genug, oft mehr dazu gemacht 
fie zu mißleiten als ihnen den rechten Weg zu zeigen, oft erft fpäs 
terhin recht verflanden und dann die Menfchen: in dem Wahn bes 
ſtaͤrkend, das höchfte Weſen fei neibifcher Natur und habe feine _ 
Freude daran und flerbliche, wenn es und zu wohl ergehe, in Irr⸗ 
thum und in Schaden zu führen, auch wenn wir uns ihm bemüs 
thig und flehend nahen. Aber es war fo auch in dem Tempel, der 
Dem Jehovah erbaut war, und früher ſchon in jener wandelbaren 
Hütte des Stifte. Dahin ging Moſes, dahin fein Bruder, dahin 
fpäter die Nachfolger deffelben, wenn fie Rath fuchen wollten bei 
dem Sott ihrer Väter; da empfing Mofes- deffen Befehle und kehrte 
zuruͤkk mit leuchtendem Antliz; bahin ging ber Hoheprieſter und ers 
kannte an dem geheimnißvollen Schilbe, bad er ſich umbängte, was 
in zweifelhaften Faͤllen der Wille des Hoͤchſten ſei. Iſt es denn 
aber auch eben ſo in dem geiſtigen Tempel des Herrn? Ja m.th. 
aber nur auf geiſtige Weiſe. Wer in demſelben Rath und Anwei⸗ 
ſung ſucht in Beziehung auf einen aͤußeren Erfolg: o dem wird es 
oft freilich nicht fo gehen wie jenen, die durch den nachtheiligen Er⸗ 
folg beſtaͤrkt wurden in einem verderblichen Bahn, aber doch fo, 
daß er erkennen wird, und gebühre nicht dad zukünftige zu wiflen, 
und wenn einer doch irgend Zeichen folgt, wird ex finden, daß Got⸗ 
tes Wege nicht die unfrigen find, und daß was einem begegnet ſich 

.. 9p2 


oft ſehr verfchieben zeigt von dem, was er darunter gewuͤnſcht und 
geſucht hat. Aber ganz anders iff es, wenn wir Rath ſuchen in 
geifligen Dingen, Wenn wir und da nicht felbft trauen, wehn wir 
in unentfcloffene Verwirrung. gerathen Durch die einander unter: 
ſtuͤzenden und einander befriegenden Gedanken, welche auf dieſe und 
jene Seite fich ‚wenden: o wo beſſer als in biefem geifligen - Sem: 
pel können wir Rath und Hülfe finden in Beziehung. barauf, wie 
wir unfer Herz bewahren und unfer Gewiflen ficherfiellen können, 
damit wir. nicht wählen was dem Herrn mißfällig iſt und ohne es 
gu merken einer verkehrten aus dem finnlichen Triebe hervorgehen» 
den Stimme folgen, die Stimme unfere® Gewiflen® hingegen hints 
anſezen. Wenn wir in folchen Faͤllen Rath. fuchen wollen: was 
ift leichter, al& bag wir das unbefangene Gemüth irgend eined red⸗ 
lichen Chriften, fragen, ber weit außer dem Gefichtöfreile unferer 
Zweifel und‘ Verwirrungen fteht, der in dem Augenblifte fein an: 
bered Maaß hat ald dad Wort Gottes, nady dem er fih und und 
zu vichten fucht? Aber noch fieherern Rath, finden. wir, wenn wir 
auf die Gemeine des Herm als einen göttlichen Tempel fehen, eben 
beöwegen weil in biefem Tempel jenes Wort ded Herm wohnet, 
weil baffelbe immer verfländlicher und zugänglicher zu machen das 
gemeinfame Beflreben aller derer ift, die fi dem Dieaft br Ges 
“ meine bed Herrn weihen, weil bie weifen Sprüche deflelben immer 
vielfältiger anzuwenden auf dad Leben bad ‚gemeinfame Gefchäft un: 
ferer öffentlichen Verſammlungen und Exrbauungen if. Ya hier ſoll 
jedes zweifelhafte Gemüth zur Entſcheidung kommen; hier ſoll in 
allen Faͤllen, wo unſer Verſtand ſich verwirren will, jeder bei dem 
klaren Licht des Evangeliums das rechte finden; hier wird uns die 
Ueberzeugung nicht fehlen, welche von oben kommt; und keiner, der 
ſich um ſeine Gemeinſchaft mit dem Erloͤſer aufs neue zu beleben 
mit ſeinen glaͤubigen verſammelt: keiner wird hinweggehen ohne im 
allgemeinen ſicherer erleuchtet beſſer berathen und in Stand geſezt 
zu ſein, daß er feſteren Schrittes ſeinen Weg wandele. Das ſind 
die Spruͤche, welche hier ertoͤnen in dem geiſtigen Tempel des Herrn. 


V. Aber endlich in jedem Tempel war das eine Hauptſache, 
daß darin. dad Werk der Verſoͤhnung getrieben wurde zwiſchen ben 
Menſchen und den höheren Weſen, welche ba verehrt wurden. Durch 
Opfer und Gaben oder heilige Gebräuche mancherlei Art läuterten 
und. entfünbigten fi bie, welche wußten, daß fie fich verfündigt 
hatten. an bem höheren Weſen, welches da thronet. Da wurben 


Dpfer und Gaben gebracht für befannte und unbelannte Vergehun⸗ 


gen; da wurde der geglaubte Zorn der hoͤheren Weſen gemildert 














307 


und ihre Gnade wieder erworben; und in dem Tempel des a. B. 
geſchah es jaͤhrlich einmal, daß der Hoheprieſter in das allerheiligſte 
ging, wo die Herrlichkeit des Hoͤchſten thronte, indem er an den 
Dekkel der Bundeslade das Blut der Verföhnung anſprizte, und 
dadurch follte bad Gedaͤchtniß der Sünden bei Gott hinweggenom⸗ 
men fein. Aber wie ber Werfaffer des Briefs an die Hebraͤer ſagt, 
* Opfer vermochten doch nichts als ein Gedaͤchtniß der Suͤnde 
fuͤr die Menſchen ſelbſt zu ſtiften, das wiederholt werden mußte alle 
Jahr. Dieſer ſelbe Brief ſtellt uns ben Erloͤſer dar als den Ho 
henprieſter, der einmal eingegangen iſt in das allerheiligſte, das nicht 
mit Händen gemacht iſt, und nicht mit fremden Blut der Thiere 
fondern mit feinem eigenen um eine ewige Erlöfung zu vollbringen 
Aber eben dieſe wird nun vollbracht in ber Gemeine des Herm. 
Denn worin befteht fie anders als in ber Gewißheit, daß in ber 
belebenden Gemeinfchaft mit biefem SHohenpriefter, der in das aller 
heiligſte naͤmlich den Himmel felbft eingegangen ift, auch wir Ge 
nofjen find der Liebe, welche der Water trägt zu feinem Sohne; 
daß er und nicht ald fremde fondern ald die (Slieber feined Leibes 
bei feinem Water vertritt; und bag nachdem er felbft nicht mebr ' 
hier ift ber unmittelbare Gegenſtand des göttlichen Woblgefallens 
auf der Erbe die Gemeine derer ifl, die an den Namen feines Soh⸗ 
ned glauben, dad ihnen dargebotene Heil annehmen und von dem 
Geift, den er ja ald ben Zröfter an feine Stelle geſendet hat, fich 
leiten laſſen. Und woburd wird ber Menfch biefer Verſoͤhnung 
ficher und gewiß, wenn nicht dadurch baß.in feinem Gemüth ber 
&riebe wieberhergeftellt wird, daß dad Bewußtſein feiner. Verſchul⸗ 
dungen, wenn gleich er ed nicht ablegen Tann, doch aufhört ihn zu 
drüffen, und zwar nur beöwegen weil er weiß, bie Kraft bed ewi: 
gen. Lebens, welches in Chriſto offenbaret iſt, muß immer mehr bie 
Macht der Sünde hinwegnehmen, und der Geift ſich immer mehr 
fiegreicd bewähren in jenem Kampfe gegen das Fleifh. Wenn biefe 
Verſoͤhnung nicht vollbracht würde in jedem einzelnen gläubigen 
Gemüth; wenn nicht jedes folched eine Offenbarung wäre, eine fücht: 
bare unverfennbare Darfiellung von dem Frieden, der durch die Ge: 
meinfchaft mit dem Erlöfer der Welt in die menſchliche Seele 
tommt; wenn nicht die Gemeinfchaft der gläubigen — eben inbeni 
fie mit vereinten Kräften allem böfen Widerfland leiftet, nicht an: 
ders jedoch als fo daß fie das böfe überwindet durch das gute, — 
wenn fie nicht dahin firebte uͤberall die Liebe zu offenbaren, die nir⸗ 
gends eifert, alles hofft, fich jedem guten Werke wibmet ohne alle 
Scbftgefälligkeit und . Selbfifucht; wenn nicht dieſer Friede fi 
überall kund gäbe: fo wäre fie nicht mehr die Gemeine des Herrn, 


das iſt der heilige Altar der Werföhnung. Daß wir getreu find 
und hören auf bie Stimme bed Geifled, die in und wohnt: von da 
muß jedem einzelnen Gemüth, von da muß dem ganzen ber Friebe 
fommen, um befientwillen uns die Gemeinfchaft der gläubigen als 
dad Himmelreich bargeftellt wird, indem wir burch ben Glauben aus 
ben Tode zum Leben und zwar zum ewigen Leben burchgebruns 

. gen find. ' oo 
Aber wenn wir auf bie Worte unfered- Zerted zuruͤkkſehen m. 
a. Z., wie gefchieht es, daß ber Apoſtel, ber felbfl jene Gemeine 
von Ghriften gegründet hatte, der lange Zeit in berfelben in geſeg⸗ 
neter Wirkſamkeit geweien war, doch zu jenen Chriſten fagt, Wiflet 
ihr nicht, Daß ihr Gottes Tempel ſeid? ald ob er fie boch in Ber 
dacht hätte, fie könnten es etwa vergeffen haben, und in der Leitung 
ihrer gemeinfamen Angelegenheiten koͤnnte dem ganzen oder auch eis 
nem jeden einzelnen in ber Kührung feines Lebens dieſes Bewußtfein 
boch ‚wieder verfchwinden. So muß es wol geweſen fein, dad be 
deuten feine Worte; und freilich auch wir mögen oft genug Veran⸗ 
laffung haben und zuzurufen, Wiffet ihr nicht, Daß ihr Gottes Tem⸗ 
pel ſeid und ber. Geiſt Gotted in euch wohne? Ach wir follen es 
und zurufen, fo oft einer ben andern barüber ergreift, daß etwas in 
feinem Gemüth vorgeht, was nicht begriffen werden kann aus einer 
Wirkung des göttlichen Geiſtes, fo oft einer den andern barüber er: 
greift, daß er fich verirrt hat in ben Dienſt bes finnlichen und nich» 
tigen, weit entfernt von dem Tempel bed Herrn. - Wolan dazu ifl 
jede chriftliche Mittheilung, dazu find dieſe öffentlichen Berſammlun⸗ 
gen, aber was wol mehr ald biefe Tage bed Gebächtniffes an bie 
erfte Ausgießung des göttlichen Geiſtes! Seitdem ift biefer Wem: 
pel Gottes, in welchen fein Geiſt wohne, weiter erbaut und fefler 
. gegründet, und alle, die Theil haben an feinen Segnungen, follen 
deſſen gedenken, nicht nur damit fie nicht leichtfinnig auf irgend 
“ eine Art ben Tempel Gottes verberben, fondern auch damit ſie auch 
- ihrerſeits fo wie für fie gebaut worden ift nicht aufhören weiter zu 
bauen. Unb bazu benn, damit wir und beflen vecht bewußt wer: 
ben, möge und. dieſe heilige Feier ber Ausgießung des Geiſtes ge: 
fegnet fein, auf daß wir aufs neue-und reinigen mögen zu einem 
nicht unwuͤrdigen Wohnſiz beffelben; auf daß wir in unferem Ge: 
daͤchtniß auffriichen alle Segnungen, die und geworben find, ſeitdem 
ber Geiſt Gottes auch in uns übergegangen ift, und wir ein Bes 
ſtaͤndniß haben von dem ewigen Worte bed Held und des Friedens; 
daß wir und alle jeder an feinem Zheil old vüflige Bauleute er: 
- weilen, welche .nichts vergängliches nicht Tolched, dad durch Die 
Flamme ber Prüfung wieber zerflört werden muß, ſondern unver: 


sl 








gängliched bauen an bem Tempel bed Herm umb- füh dereing 
freuen, wie gering es auch fei, ihre Werkes, weil ed in Gott gu 
than ifl. Amen. 
Ja heiliger Gott unb Water! dazu finb wir je alle berufen, 
bag wir dich nicht etwa fuchen follen in ben umerreichbaren Höhen 
bed Himmels, nicht in irgend einer Ferne, wie gefagt if, Wer wirb 
über dad Meer hinüberfahren um ed uns zu holen. Rein! beim 
Wort ift nahe in unferem Munde und unferem Deren, bein Geiſt 
Guade fei 


bat fidy und gewählet zum Wohnftz, und dir und beiner 
gedankt, dag du und deſſen gewürdigt haſt durch bie Sendung 
ned Sohned. O möchten wir uns alle immer mehr hineinleben 
die felige Gemeinfchaft feines Lebens, auf dag fein Geiſt 
mächtig fei in unferer Schwachheit, auf daß immer mehr bad 
liche Leben ſich unter uns verherrliche, und wir in ber chat 
fielen den geifligen Leib Ehrifli! Dazu erueuere bein Geiſt 
immer herrlicher dad wahre Bild deines Sohnes, dazu nehme er ed 
fortwährend in ber Gemeine ber gläubigen von dem theuren Eigen» 
thum und Beſiz Ehrifli um ed und zu verklaͤren, dazu fei ex uns 
und bleibe wozu er geſandt iſt ein Leiter in alle Wahrheit. Dann 
gewiß, heiliger Water im Himmel, wirb er auch immer beutlicher 
in uns rufen, Lieber Vater, unb nichts wird fein zwifchen dir und 
und, fondern wie der Erloͤſer ed verheißen hat, du in und unb wir 
in dir! Dazu, gütiger Gott und Mater, laß die Zeier diefer fchö- 
nen feſtlichen Tage, dazu aber auch überall unb immer jebe ers 
kuͤndigung und jede Betrachtung deines heiligen Worted geſegnet 
fein in .der Gemeine Chrifli, Damit fie auf ihn als auf den einigen 
Grand: immer fefber höher und herrlicher ſich erbaue u. f. w. 

0 (nad) dem Kirchengebet.) | 


Lied W, 325. 


# 





2 


oft ſehr verſchieden zeigt von dem, was er darunter gewuͤnſcht um 

geſucht hat. Aber ganz anders iſt es, wenn wir Rath ſuchen in 
geifligen Dingen. Wenn wir und da nicht felbft trauen, wenn wir 
in unentichloffene Verwirrung gerathen burdy die einander unte: 
flügenden und einander befriegenden Gebanten, welche auf dieſe un 
jene Seite fih wenden: o wo befler ald in dieſem geifigen Tem 
pel Finnen wir Rath und Hülfe finden in Beziehung. darauf, wit 
wir .unfer Herz ‚bewahren und unfer Gewiſſen ficherfiellen koͤnnen, 
damit wir nicht wählen was bem Herm mißfällig iſt und ohne d 
gu merken einer verlehrten aus dem finnlichen Triebe hervorgehen: 
den Stimme folgen, die Stimme unſeres Gewiſſens hingegen hin 
anfegen. Wenn wir in folhen Fällen Rath. fuchen wollen: we 
ift leichter, ald daß wir das unbefangene Gemüth irgend eined red 
lichen Chriften, fragen, ber weit außer dem Gefichtöfreife una 
Zweifel und: VBerwirrungen fleht, ber in dem Augenblifte fein on: 
bered Maaß hat ald das Wort Gottes, nad; dem er ſich und un 
zu vichten ſucht? Aber noch ficherern Raih finden. wir, wenn mt 
auf die Gemeine des Herm als einen göttlichen Tempel fehen, eben 
deswegen weil in biefem Tempel jenes Wort des Herm wohnk, 
weil daffelbe immer verftänblicher und zugänglicher zu machen de⸗ 
gemeinfame Beſtreben aller derer ift, die fich dem Dienft da Ge 
meine bed Herm weihen, weil die weifen Sprüche befjelben immt 
vielfältiger anzuwenden auf bad Leben dad gemeinfame Geſchaͤft ur 
ferer Öffentlichen Werfammlungen und Erbauungen ifl. Ja ha jod 
jebes zweifelhafte Gemüth zur Entfcheidung kommen; hier fl in 
allen Faͤllen, wo unfer Verſtand fich verwirren will, jeber bei DM 
‚Haren Licht des Evangeliums das rechte finden; hier wird und die 
Ueberzeugung nicht fehlen, weldye von oben kommt; und feine, de 
fih um feine Gemeinfchaft mit dem Erlöfer aufs neue zu beleb 

mit feinen gläubigen verfammelt: keiner wird hinweggehen ohne I 
allgemeinen ficherer erleuchtet beſſer berathen und in Stand geht 
zu fein, daß er fefleren Schritte feinen Weg wanbele. Das fm 
die Sprüche, welche hier ertönen in bem geifligen Tempel des ‚Her. 


V. Aber endlich in jedem Tempel war das eine Hauptſach 
daß darin dad Werk ber Verföhnung getrieben wurbe zwiſchen ben 
Menfchen und ben höheren Weſen, welche ba verehrt wurden. Du 
Opfer und Gaben oder heilige Gebräuche mancherlei Art Uucenen 
und. entfündigten fih die, welche wußten, dag fie fi perfändit 
hatten an bem ‚höheren Weſen, welches da thronet. De wurder 
Opfer und Gaben gebracht fuͤr bekannte und unbekannte Vergebur 
gen; da wurde der geglaubte Zorn der hoͤheren Weſen gemider 





397 


und ihre Gnabe wieber erworben; und in dem Dempel des a. ©. 
geſchah es jaͤhrlich einmal, daß der Hoheprieſter in das allerheiligſte 
ging, wo bie Hemlichkeit des Hoͤchſten thronte, indem er an ben 
Dekkel der Bundeslade das Blut der Berföhnung anfprizte, und 
dadurch follte bad Gebächtnig der Sünden bei Bott hinweggenom⸗ 
men. fein. Aber wie der Verfaſſer des Brief an bie Hebräer fagt, 
dieſe Opfer vermochten doch nichts ald ein Gedaͤchtniß der Sünde 
für die Menfchen felbft zu fliften, Das wiederholt werben mußte alle 
Jahr. . Diefer felbe Brief ſtellt uns den Erlöfer dar ald den Ho⸗ 
henpriefier, der. einmal eingegangen, ift in das allerheiligfte, dad nicht 
mit Händen gemacht iſt, und nicht mit fremden Blut der Thiere 
fondern mit feinem eigenen um eine ewige Erlöfung zu vollbringem. . 
Aber eben diefe wird nun vollbracht in der Gemeine des Herm. 
Denn worin befleht fie anders ald in der Gewißheit, baß in ber 
beiebenden Gemeinfchaft mit biefem Hohenpriefter, ber in das aller 
heiligfle nämlich den Himmel felbft eingegangen tft, auch wir Ge 
nofien find der Liebe, welche der Water trägt zu feinem Sohne; 
daß er und nicht als fremde ſondern als die Glieder feined Leibes 
bei feinem Water vertritt; unb bag nachdem er felbft nicht mehr ' 
hier iſt der unmittelbare Gegenftand des göttlichen Wohlgefallens 
auf der Erbe die Gemeine derer ifl, die an den Namen feines Soh⸗ 
nes glauben, das ihnen dargebstene Heil annehmen und von bem 
Geiſt, den er ja ald den Troͤſter an feine Stelle gefendet hat, fidh 
jeiten laſſen. Und woburd wird ber Menfch dieſer Verführung 
ficher und gewiß, wenn: nicht dadurch daß in feinem Gemüth ber 
Friede wieberhergeftellt wirb, daß dad Bewußtſein feiner Verſchul⸗ 
dungen, wenn gleich er es nicht ablegen kann, doch aufhört ihn zu 
druͤkken, und zwar nur beöwegen weil er weiß, bie Kraft bes ewi⸗ 
gen Lebens, weiches in Chrifto offenbaret ift, muß immer mehr die 
Macht der Suͤnde hinwegnehmen, und ber Geift fh immer mehr 
fiegreich bewähren in jenem Kampfe gegen bad Zleifch. Wenn dieſe 
Verſoͤhnung nicht vollbracht würbe in jebem einzelnen gläubigen 
Gemuͤth; wenn nicht jedeö folched eine Offenbarung wäre, eine ſicht⸗ 
bare unverkennbare Darftellung von dem Frieden, der durch die Ge⸗ 
meinſchaft mit dem Erloͤſer der Welt in die menſchliche Seele 
kommt; wenn nicht die Gemeinſchaft der glaͤubigen — eben indem 
fie mit vereinten Kräften allem boͤſen Widerſtand leiſtet, nicht an: 
ders jeboch als fo daß fie das böfe überwindet durch bad gute, — 
wenn fie nicht dahin firebte uͤberall die Liebe zu offenbaren, die nir 
gends eifert, alles hofft, fi jedem guten Werke wibmet ohne alle 
Sabfigefälligkeit und . Selbftfuchtz wenn nicht dieſer Friede ſich 
überall kund gäbe: fo wäre fie nicht mehr die Gemeine des Herrn, 








| u. | 
Am 1. Sonntage Trinitatis 1835. 





2ied 47. 468. 


Text. Matth. 16, 24. 


Da fprach Jeſus zu feinen Züngern, Will mir jemat 
nachfolgen, der verleugne ſich ſelbſt und nehme fein Ars 
auf fih und folge mir. 


M. a. 3. Es if ein ſehr merkwuͤrdiger Bufanımenhang, in md 
em ber Erloͤſer dieſe Worte gefprochen hat. Er hatte feine I 
ger gefragt, wer denn bie Leute ſagten daß er. fe, und wei ſ 
felbft von ihm meinten, und nachdem Petrus für ſich und in ben 
Namen der Übrigen geantwortet hatte, fie wüßten wohl, er fei Ei 
ſtas, der Sohn bes Iebenbigen Getted: fo hatte er ihm deribe — 
nen vollen Beifall gegeben. und ihm gefagt, das habe ihm wi 
Fleiſch und Blut offenbaret, das könne er weber aus ſich ſelbſt oc 
von anderen Menſchen her willen, fondern fein Vater im Piem. 
Aber unmittelbar darauf, denn fo erzählen es übereinfi 
unfere drei erſten Evangelien, unmittelbar darauf als der Ei 
anfing feinen Züngern vorher zu fagen, daß er nun iR * 
würde leiden muͤſſen und uͤberantwortet werben und getoͤdtet, ’ 
Petrus ihm darauf entgegnete, Herr, ſchone doch bein felbfl: ’ 
daß dir das nicht widerfahre: - da wieß er ihm von ſich mit gi 
barten Rebe, ald ob er in diefem Augenblift von einem Geh ' 
ihm gänzlich wiberfirebe, in Befiz genommen fei und miht ber 
was göttlich fondern was menſchlich if. Unmöglic aber konnie 


wi . 

rider das nicht mehr im Sinne haben, was er fo Kurz vorher 
Demſelben Sünger gelagt hatte; und wir müflen uns alfo beides 
ald mit. einander. verträglich denken, daß der Slaube-an Ehriftum 
nen Sohn ded lebendigen Gottes, ber in ber That die Offenbarung 
Gottes felbft in dem menfchlichen Gemüth ift, in einem fein koͤnne, 
Zugleich aber doch jener Sinn, welchen ber Erlöfer auf eine ſolche 
Weiſe von fi wies. Und als er den Petrus fo angerebet, da ſprach 
ex zu ber Gefammtheit feiner Zünger, wie auch. darin alle brei 
Evangeliften übereinflimmen, die Worte unfered Textes, worin er 
alfo gleihfam dieſes zu ber Bebingung macht, unter ‚welcher allein 
ber Glaube, daß er der Sohn des lebendigen Gottes fei, den Men: 
(chen zu feinem Juͤnger machen kann, daß nämlich jeder ſich felbft 
verleugnen müfle und fein Kreuz auf ſich nehmen. 

Wenn wir nun eben biefem Zufammenhange nach erwaͤgen m. 
or. 3., wie die Worte unſeres Textes in Verbindung flehen mit 
der Vorherverkuͤndigung bed Erlöferd von feinem bevorſtehenden Leis 
den — wie wir benn in dem ganzen Inhalte berfelben nut wiebers 
ertennen ein anderes Wort des Herm, ald er fagte, Es kann dem 
Zünger nicht befler geben ald dem Meifter, und dem Diener nicht 
befier ald dem Herm: fo werden wir gern geftehen, daß dieſes Wort 
ganz in die damaligen Umflände der erften Zünger bed Herrn hin 
eingebört, ganz angemeffen ben exften Zeiten des Chriſtenthums, als 
noch dad aufrichtige und treue Bekenntniß zum Erlöfer natürlich 
mit vielen Leiben verbunden war: aber eben beöhalb fo könnte man 
wol lacht hinzufügen, für und habe ed keine wahre Geltung mehr. 
Inbefien geroiß wird jeder, ber dies lexere hört, füch ſelbſt fragen, 
follen dürfen wir denn einen ſolchen Unterfchieb machen in den Re 


den des Erloͤſers, daß einiged davon fich nur bezöge auf den naͤch 


fien Kreis, unter dem er lebte, für den er rebete, und nur anderes 
ſolche allgemeine Worte. und Vorſchriften feien, welche der ganzen 
Gemeine der gläubigen bis an dad Ende der Mage. gegeben find? 
Diefe Brage m. a. 3. entzweit auf mancherlei Weiſe die Chriſten 
und iſt faſt immer aber beſonders auch in unſeren Tagen eine Urs 
ſache vielfaͤltigen Streites unter ihnen geworden; und in der That 
muͤſſen wir das, wenn wir es genau überlegen, auch ſehr natuͤrlich 
finden. Könnten wir wol wirklich überzeugt fein, unfer Herr und 
Erloͤſer habe wahrhaft ald Menfch unter Menfchen ‚gelebt, wenn ex 
nicht auch, wie.fie ihm gegenwärtig waren in Beiehung auf bad 
jededmalige Bebürfniß, alfo für ben Augenblift und aus der befon: 
deren Kraft, bie diefer gab und forderte, zu ben Menfchen gevebet 
haͤtte? So müffen wir benn auf ber einen Seite glauben, daß gar 
vieled unter feinen Reben von dieſer Art geweſen fei: aber auf ber 


onberen Seite, wußte es es nicht, und war es ihm nicht aud im 
mer gegenwärtig, daß er nicht nur für dad damalige Gefchlecht, med 
weniger mur für die Beine Heerde redete, welche ihm damals folgte, 
fondern daß er gefenbet fei als ber. Erlöfer der Welt,. fo daß im 
merbar allen menfchlihen Gemüthern Licht und Wahrheit in Bezie 
Yung auf bie göttlichen Dinge nur in feiner Bolllemmenheit auf: 
geben werde umb könne aus ber Kraft feiner Rede, aus ber Weil 
heit feines Munde? Mußte er alſo nicht immer neben ber Menge 
des Volkes und feinen Juͤngern alle die, welche burch ihr Wort az 
ibn gläubig werden würben, bis an bad Ende der Tage im Eim 
und im Herzen tragen? Das eine läßt ſich eben fo wenig leugnen 
als das andere. Was bleibt und alfo übrig zu fagen, als es muüfle 
fi wol fo verhalten mit den Reben bed Erloͤſers, daß fie groͤßten 
theils werben wir wol fagen können zwei verfchiebene Seiten ha⸗ 
ben; einigeö in ihnen habe feine ganze Arafı nur in ben Bezichun 
gen und Verhältniffen bed Augenblilfs; für den er ſprach, aber in 
allen fei eine für alle Zeiten beſtehende und gültige Wahrheit vor 
handen: und aus biefem Geſichtspunkte laßt uns mit einander über 
dieſe Vorſchrift des Erloͤſers nachdenken, daß um fein 
Juͤnger zu fein der Menſch ſich ſelbſt verleugne und 
ſein Kreuz auf ſich nehmen muͤſſe. | 
Laſſet und zuerft Das bedenkliche erwägen, was nicht auöbleiben 
Bönnte, wenn wir biefe Rebe bed Erloͤſers ganz fo wie ex fie in 
dem damaligen Zufammenhange geiprochen allgemein nehmen wol; 
ten; dann aber zweitens bie befläubig gleiche auch und tveffenbe auch 
‚und eben fo nothwendige Wahrhrit derſelben zu Herzen nehmen, 


L Zuerſt alfe m a. 3., wenn ber Erldier fagt, Wer mir 
nachfoigen weil, ber vertengne ſich ſeibſt und nehme fein Kreuz aul 
ſich, und fo folge er mir nach: fo waren biefe Worte hoͤchſt treffend 
in bem unmittelbaren. Bufammenhaug, in welchem ea fie fpxadı. 


Bußprae fenes Snget, ba er ——— 
ſolches Leiden und ein folder Tod wie er zu verftehen gab mich 
wiberfabre. Er deutet ihnen an, auch fie würden in feiner Na: 
folge über fi ‚ergehen laſſen muͤſſen, was ihnen ſchwer falle und 


im täglidden Leben bebienen. Aber wenn wir diefe Vorſchrift in 
demfelben Sinne allgemein machen wollen: fo entfleht eine zwirfache 
Verwirrung in ben Gemuͤthern, je nachbem fie fo oder fo befchaffen finv. 


Bebenket nur zunächft, wie groß ber Unterfchieb iſt in dem 
Verhaͤltniſſe, in welchem einzeluen Menfchen die Widerwärtigkeiten 
und Truͤbſale dieſes Lebend zugelegt find. Und biefe Ungleichheit 
beruht keinesweges auf den wenn ‚gleich nur dußerlichen aber doch 
in einem gewiſſen Sinne für die ganze irbifche Raufbahn ber Men⸗ 
ſchen feſtſtehenden Unterſchieden des Standes und des Geſchaͤftes 
Nein! in- dem Gebiet der Duͤrftigkeit und in dem des uͤppigen 
Reichthums, auf der Stufe ber Niedrigkeit und in. den Verhältniffen 
derer, welche hoch geftellet find in ber menfchlichen Gefellichaft, fins 
ben wir auf jeber beided an und für fi in gleichem Maaß. Unter 
Den einen wie unter ben andern giebt ed. foldye, bie immerfort bes 
wegt wetden von ben Stürmen bed Lebend und aus einem Unheil 
aus einem Schmerz und Leiden kaum gerettet wieber bem andern 
preißgegeben werben. Aber ebenfo findet fich in dem unfcheinbarften 

und einfachfien Leben felbft unter. ben ungünfligften Verhaͤltniſſen 
oft eine aͤußerliche Ruhe, .ein fliller Friede, welcher wenig getrübt 
wird, ſo daß das Leben wenig Leiden und eigentlichen Schmerz bat 
bietet. Diefe Unterfchiebe haben vielmehr eine ganz andere Quelle, 
fie haben ihren Grund auf ber einen Seite in dem uns fo tief ver 
borgenen aber unfere Wißbegierde immer aufd neue reizenben ge 
heimnigvollen Zufammenhange. zwifchen bem was leiblich ift, ber ir 
biichen Ratur angehörig, und zwifchen dem was geiflig iſt in uns 
ferem Weſen; auf der anderen Seite entftehn fie. auch aus den man⸗ 
cherlei Verwikkelungen, in welche das Leben eines jeden: in Bezie⸗ 
bung auf die allgemeinen Verhaͤltniſſe gerathen kann, je nachdem 
füh Begebenheiten und Umflänbe, welche gar nicht von ben einzel» - 
nen abhangen und den niebrigften wie ben höchften treffen können, - 
fo ober anders in feinem Leben orbnen und ſtellen, alfo am meis 
ften demjenigen aͤhnlich, was wir nach unſerer kurzſichtigen Schwach⸗ 
heit in dieſem Zuſammenhange der irdiſchen Dinge als das zufaͤl— 
lige, was keiner Berechnung unterliegt, wofuͤr kein Geſez aufgeſtellt 
werden kann, anzuſehen gewohnt ſind. 

Wolan denn, denken wir uns alſo ein aͤngſtliches und um ſein 
Heil beſorgtes Gemuͤth, welches ſich dieſe Vorſchrift des Erlöferd 
tief singeprägt hat, daß es nöthig fer fich ſelbſt zu verleugnen und 
fein Kreuz auf fi zu nehnten um fein Juͤnger zu fein; ein folches 
Gemüth ift aber in-jener ſonſt fo wuͤnſchenswerthen ruhigen Lage; 
eben fo fern von großen Siuͤkksfaͤllen ald von tief greifenden Schmer⸗ 
zen und Leiben, ungeſtoͤrt bingehend in ben Merhältniffen, welche . 
ihm angewöhnt find und angebilbet von Jugend an, ohne eine be 
flunmte Veranlaſſung ſich zu verleugnen, irgend etwas was in den 
gewehnten Kreis ſeines vebens hineingehoͤrt ſich zu verſagen, Fin 


übrigens dieſe Verhaͤltniſſe weiche fie wollen: welche Zweifel were 
da ein folches aͤngſtliches Gemuͤth ergreifen, daß es ihm bei de 
bereiteften Willen nicht gelingen will des feften und ficheren 3r 
chens fih zu bemächtigen, woran ber Herr feine Nachfolger eus 
nen will. Wenn ed nun nichtö giebt, worin fich zu verlaugne: 
wenn ed nun fein Kreuz giebt auf fi zu nehmen: woher die & 
wißheit, daß er uns boch rechnet zu feinen Nachfolgern; woht t: 
Gewißheit, daß der lebendige Slaube an ihn als den Sohn Sat: 
und der von ihm felbft dafür erfannten Schaar feiner Fünger r 
zaͤhlet? O weiches Ringen Tann leicht vos biefer Vorſtellung a: 
in mandem frommen Gemüthe entfliehen! wie Jakob mit dem dar 
vang umd ihn nicht laſſen wollte, er fegne ihn denn, aber oh dee 
er eines beflinnmten Segend fich bewußt geweſen zu fein Idein. 
den er begehrte: fo ringt wol ein ſolches Gemuͤth um ben beſende 
ven Gegen bed Kreuzes mit bem Herm, und wie leicht immer m 
geblich, bis die lezte Stunde feines irbifchen Lebens ſchlaͤgt. Far 
wir und alfo bad denken follen, ber Herr, ber und ben Bila © 
nes himmliſchen Waters offenbaret hat, ber hat gefagt, nur dire: 
gen feien feine wahren Nachfolger, welche es baburch beweiſen, N 
fie ſich ſelbſt verleugnen und ihr Kreuz auf ſich nehmen; fein Di 
ter im Himmel aber, deſſen Willen eben er und offenbart, und da 
zugleich alle Begebenheiten und Geſchikke der Menfchen leitet, m 
fagte diefen, die doch nicht minder als anbere in bem Griöfer IX 
Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes gefchaut haben, dab Fra 
deffen fie bebürfen um fich recht ihres Glaubens zu werfichern u 
ihrer Seligkeit gewiß gu fein: was für eine Vorſtellung von AM 
Bater der Liebe muß daun wol das Ende fein von sinem falhe 
vergeblichen Ringen! 
Uber laſſet uns noch eins erwägen. Wenn davon die Fit 
ift, daß eine menfchliche Seele erſt gelöfet werbe von ben bit 
Banden, und die Sehnfucht nach dem höheren und ewigen ef " 
ihr erregt: ba iſt vielfacher Streit unter ben Menfehen, wei dap 
ein fihered Mittel fi, die Ruhe eine ungeträhten Lebens, wi’ 
und fo fehr geneigt macht eine ewig waltenbe Güte zu *7 | 
oder Die manzigfaltigen Verwikkelungen von Roth und Elend, wi 
bad Gefühl wie wenig der Menſch fich ſelbſt gemüge, wie wei 
fein eigener Herr fei, und chen bamit dab Auffchauen nah E° 
höheren in bez Gele erregen. Uber wenn wir und bank, © 
Menſch Habe diefe Richtung fchon gewonnen, bie u 
dem Beipe Gottes auf Erben fei ihm fchon aufgegangen, = Pi 
die Gemeinſchaft mit dem Erloͤſer ſchon aufgenommen; und yo 
fengen, was if denn wol bie günfligfe ZBitterung bed Leber 


Den Keim der himmlijchen Liebe und alle guten in ber Seele wäh; 
rend biefer irdiſchen Zuſtaͤnde zu pflegen; welches ſind wol die Ver⸗ 
Hältniffe, unter denen am allgemeinſten der Menſch gedeiht und zur 
Weisheit ded männlichen. Alters Chrifli heranreifet ohne Stoͤrungen 
und Unterbrechungen: dann wird mol wenig Zweifel fein; dann 
voerden die meiften darin zulammenflimmen, je ruhiger und unges 
flörter, ohne in Verfuhung geführt zu werden durch bie Wiberwärs 
tigleiten und Zrübfale des Lebens, ohne daß bie finnliche Luft ges 
Lofft und der Uebermuth gewekkt wird durch eine Zuͤlle von irdi⸗ 
ſchen Guͤtern, in einem ſolchen mittleren Maaße, in einer ſolchen 
Ruhe der aͤußeren Verhaͤltniſſe, darin gedeihe der zarte himmliſche 
Keim während dieſes irdiſchen Lebens immer am ſicherſten und bes _ 
fien. Das ift dad allgemeine Gefühl, Wenn wir aber nun bie 
Rede ded Erlöferd fo fafien, wie er fie. dem Zuſammenhange nach 
befonderd gemeint bat, und fie doch allgemein wollen gelten laſſen: 
ſo muͤſſen wir alſo alle Wuͤnſche in Beziehung auf dad, was wir 
für das natürlihe und wahrſcheinlich befte in ber Führung des 
menſchlichen Lebens halten, und was herbeizuführen doch alle ange: 
ſtrengten Bemühungen ber ebeiften und beften unabläffig fireben — 
denn was wäre wol fonft bad Ziel aller Weisheit, -aller gegenfeitis 
gen Aufopferung, aller treuen Liebe, woburd wir umfere gefelligen 
Berhältniffe:in eine heilfame Ordnung zu bringen fuchen, als eben 
dieſes, daß ber Störungen bed Lebens, wohurd Ruhe und Stille 
mit Gewalt unterbrochen wird, immer weniger werben, was anders 
wäre bad Biel unferer Bemühungen .ald eben dieſes? — und Doch 
müßten wir bavon ablaflen, damit es keinem fehle an dem, was 
ihm noth thut zur Seligkeit, bamit jeder Gelegenheit genug finde 
zur Selbfiverleugnung, damit jeber Kreuz genug finde auf fich zu 
nehmen um nur ficher zu fein, daß er einer fei von dem Nachfols 
gern bed Erlöfere. 

Diefed m. a. Fr. iſt die eine Verwirrung, welche natürlicher: 
weife entficeht, wenn wir diefed Wort ded Erloͤſers in feiner Beſon⸗ 
derheit. als ein allgemeined wollen geltend machen; aber laffet uns 
auch die andere betrachten. 

Es giebt Gemüther unter den Chriften, ich weiß fie ‚nicht beſ⸗ 
fee zu bezeichnen und wahrer ald daß ich fie flarfgläubige nenne, 
weiche fobald fie den Erlöfer erfannt haben und fich ihm hingeges 
ben auch feinem Zweifel mehr Raum geben fonbern ihrer Beſtim⸗ 
mung zu ber Seligkeit, welche von ihm ausgeht, auf eine uner 
fchütterliche Weife gewiß find. Aber nun tönt ihnen dieſes Wort 
in die Ohren, Wer mein Jünger fein will, der verleugne fich felbft 
und nehme fein Kreuz auf fi und folge mir nach. Was entflcht 





in biefen aus einer folhen Anwenbung von bem Worte Chr! 
Ad; wir werben es nur zu oft gewahr in dem menfchlichen cha! 
dieſes, daß fie nun audy gewiß find, es fehle ihnen nicht an m 
Kreuz, weldyes nöthig ifl um bie Rachfolger bed Herm zu bank 
nen; es fehle ihnen nicht an ben Aufforberungen zur Selbſwerlen 
nung, woran er die feinigen erfennen will. Unb doch iſt ihr Ex 
von feinen größeren Schwierigkeiten umgeben, doch haben fie nit 
anbere Kämpfe zu beftehen, wie jeber andere auch; aber fie mada 
ſich was ihnen begegnet, was vielleicht für ſich und der Wahre: 
nach betrachtet von gar weniger Bebeutung iſt, bergleichen ıle 
machen fie fi zum Kreuz; fie betrachten es als ein ſolches un 
fteuen fi) dann darüber. Was vielleicht gar Feine Aufkrengumg 
menfchlicher Willenskraft erfordert, was vielleicht bei anberen gan 
von ſelbſt entflcht als eine thätige Uebung in ber Gottieligkeit, de 
bilden fie fi) aus zu einem hohen Grade: der Selſtoerleugnung, de 
mit es zufammenflimme mit der inneren Gewißheit, welche fie hab 
Und damit wir diefe Richtung des Gemuͤths in ihrer gan 
Verderblichkeit erkennen, laſſet und auf zweieriel in dem menkhlihe 
Leben merken. Es giebt gar vielerlei — und gewiß iſt ed ein gie 
fer Theil von dem, was dem einzelnen Menfchen Truͤbſal un Br 
derwärtigkeit if in feinem Leben, — was feinen anderen Grm 
bat, warum es ihm trifft, ald feine eigene Unvollkommenheit, aß 
feine eigenen Fehler, als die noch immer fo häufigen Siege be 
Fleifches über den Geiſt. Und eben dieſe ſtarkglaͤubigen Gemitht: 
fie find dann auch zum heil befeelt von einem Gifer, der wat 
wir auf feinen Gegenfland fehen nicht andets ift als loͤblich geng | 
fällig mb wohllautenb vor ben Menfchen, aber wenn wir Kir 
Heftigkeit betrachten, fo hat er eben ſchon an und für ſich vide ı 
fi) von jenem irbifchen und fleifchlichen Weſen. Wenn fie MM 
auf irgend eine Weiſe, indem fie diefem Eifer Raum geben, ander‘ 
verlegen unb dann das zu erfahren haben, was bie gewoͤhnliche 
davon ift, wenn einer ben anderen verlegt: fo erfreuen fie 66 Ib | 
fen ald eines Leidens, das ihnen wiberfährt um Chrifi willen; r | 
“ glauben fie, dag fie nun fein Kreuz auf ſich nehmen und tragen 
und was ihnen, wenn fie von biefer Meinung nicht andgegang® 
wären, in ber That und Wahrheit hätte heilfem werden er 
indem fie nur auf bie eigentliche Urfache deffeiben zuruͤkkgehen 
ten um in ihrer Unbehutſamkeit bei ber Behandlung ber Ran 
in ihrem leichtſinnigen ober felbftfüchtigen Weſen, ihrem Bene 
Liebe den eigentlichen Grund zu erfennen von bem was ihnen "" 
derfahren ift, was ihnen auf biefe Weiſe hätte heilſam fett — 








607 


wenn fie es nur als bie natürliche-Kolge ihre® eigenen Bettagens 
hingenommen hätten: das verliert jene beilfame Kraft, je mehr fie 
es ald ein Leiden betrachten, welches ihnen um CEhriſti willen wis 
derfährt. Aber je mehr es ihnen natürlich ift fich in diefer Meis 
nung mehr zu befefligen, um fo.mehr geben fie jenen menfchlichen 
Gebrechen Raum und freuen ſich dann immer aufs neue ber Leiden, 
die fie um Chrifti willen dulden, und durch welche fie von ihm als 
folche bezeichnet zu fein glauben, welche mehr füherer beſſer feine - 
Nachfolger find .ald andere. Iſt das nicht eine wenn gleich ber vo⸗ 
rigen entgegengefezte body eben fo große Werirrung? können wir 
glauben, daß in einer Denkungsart, welche fo offenbar fo anfchaus 
Itch To vor aller Welt Augen: die wahren Fortichritte der Heiligung 
aufhält, koͤmen wir glauben, baß darin die Wahrheit bed Exloͤſers 
- fönne getroffen fein? Und doch ift. auch dieſes eine natürliche Folge 
von ber Art, wie jened Wort bed Herm allerdings richtig, wenn 
voir auf den damaligen Zuſammenhang fehen, aber zugleich als eine 
allgemeine Regel und Vorfchrift deffelben angefehen wird. 

Aber dad iſt ed. noch nicht allein; fondern wenn wir auch ‘auf 
diefed zweite merken, daß wir nur gar zu leicht das, was uns wenn 
ed und felbft begegnet ald ein großes Uebel erfcheint, geringer ach» 
ten, wenn andere es zu leiden haben: fo werben wir nicht überfes 
ben, daß biefe Art fich die Vorſchrift des Erloͤſers anzueignen. zu 
ganz unrichtigen Vergleichungen führt, zu ganz veriehrten Urtheilen 
über andere. Unb welche Störung ber wahren Einigkeit des Geis 
ſtes, welche Beichränfung der chriftlichen Liebe ift nicht die natuͤr⸗ 
liche Folge hievon! Wenn nun andere, benen eben fo fehr bad 
Reich Gottes am Herzen liegt, weil fie einem folchen blinden Eifer 
nicht Raum geben, auch nicht In diefelben Berwikkelungen bed Les 
bend gerathen fondern ruhig und ſtill den Weg ber chrifllichen Gott⸗ 
ſeligkeit dahinwandeln; fie- werden aber von diefen als folche anges 
fehen, welche das rechte Zeichen der Jünger Chriſti nicht an fich tra⸗ 
gen; mar merke niemald, daß fie ald wahre fich felbft verleugnende 
aufträten; man merke niemals, daß fie dad Kreuz ded Herm auf 
fih nahmen, fondern fie wüßten den Weg durch daß irdiſche Leben 
auch ohne dad Kreuz zu finden; fie wäßten fich fo mit ihren Ver⸗ 
haͤltniſſen abzufinden, daß fie nicht nöthig hätten fich felbft zu ver⸗ 
leugnen: wird nicht dann die höhere chriftliche Weisheit, welche in. 
einer ſolchen Fuͤhrung bed Lebens liegt, verfannt? wird nicht da⸗ 
durch die ganze Borftellung von bem wahren Weſen der durifilichen 
Gottfeligkeit in ihrem innern verfälfcht? Und auch das iſt bie na: 
türliche Folge von einem folchen Mißverſtaͤndniß! 


608 
U. Wolan, fo laſſet und num m. tb. in dem zweiten heil 
unferer Betrachtung fehen, wie wir denn dieſes Wort des Eriöfer 
fo aufzufaffen haben, - daß es aud ein Wort beffelben an alle 
feine Zünger ift, für alle Zeiten, für alle Umflände ohne Us 
terfchied. 

As Petrus zum Erlöfer, der fein Leiben vorher verfünbigtz. 
jene Worte fagte, er möge doch fein ſchonen, damit ihm das mut 
wiberfahre: was hatte er dabei anders im Sinne, als daß doch ge 
wiß eine längere Dauer ber Erfcheinung des Erlöfers auf der Erde 
nothmwenbig fei, wenn bad Reich Gottes ſolle vollendet werben; unt 
ihm war bange, muͤſſe der Erlöfer in Leiden und in ben Tod ge 
ben, fo fei es wol — wie hernach auch einige andere Jünger ſich 
äußerten — wieder nur eine Hoffnung gewefen, daß Jeſus Ifrael 
erlöfen werde. Diele Vollendung fchwebte ihm alfo vor als etwas 
nahes unmittelbar bevorftehenbed; aber welche Wege dad Reich Get: 
tes noch auf Erden zu machen habe bis zu feiner Vollendung ; weiche 
Geduld und Langmuth, welches Beharren unter mancherlei Wider: 
waͤrtigkeiten dazu gehöre, wenn jeber audy nur ein wenige® abe 
wahrhaft und treu thun folle um baffelbe zu fürbern: das war im 
fremd, und davon hatten gewiß auch die übrigen Jünger bamals 
keine Vorſtellung. Daß fie vielmehr fo auf die Nähe geflellt ws- 
ren, hoffend daß auf irgend eine Weife bald unter göttlicdher Lei 
tung burch die perfönlihe Einwirkung bed Herm das Reich Gotter 
in feiner ganzen Herrlichkeit daſtehen werde: es fehlt uns Nicht au 
vielerlei Zeugniffen in unferen heiligen Schriften um uns zu über 
zeugen, baß bad. damals ihre Meinung war; fo daß ber Erloͤſer 
erft mußte gelitten haben und geftorben fen, ehe fie zu ber ihnen 
fo nothwenbigen rechten Erkenntniß gelangen Tonnten, auf welche 
Weiſe ihnen obliegen werde ſein Werk weiter zu fördern. 

Abgefehen von biefer Meinung m. a.&r. find wir in ber Sade 
feibft ihnen gleih. Auch und liegt die Vollendung bed Reiche 
Gottes noch fern; auch wir müffen fagen, wenn wir biefelbe ſchauen 
wollen, ſo ſchauen wir nur durch einen Spiegel und wie in einem 
dunklen Wort *); dad wahre lebendige und ganze Bild deſſelben 
kann fich unferer Vorſtellung noch nicht darftellen, weil wir immer 
noch zu fehr umgeben find von den Unvolllommenheiten des menſch⸗ 
lichen Zuſtandes auf Erben. Aber fo lange noch biefelben Werpäit: 
niffe obwalten, fo lange ift auch noch dieſelbe Nothwendigkeit für 
alle Zünger des Herrn fich felbft zu verleugnen und das Krenz auf 


°) ı Kor 13, 12 








“2 


609 


fi zu nehmen;_ eben fo wie der Erlöfer beibes unmittelbar mit 
einander verbunden hat. j 

Dad Kreuz, welches er ſelbſt beflimmt war auf fi zu neh⸗ 
men, ftellt ſich und zuvörberft dar als eine bedeutende Laft; abgefes 
ben davon daß ed eine Laſt war auf bem unmittelbaren Wege zum 
Tode, war ed eine Laft, die er felbft tragen mußte, und daß er es 
trug, war feine freie Handlung aber freilich nicht feine urfprüngliche 
Wahl. Er nahm nicht fein Kreuz auf fi, weil er leiden wollte, 
weil.er Schmerzen und Wunden "begehrte, nicht weil er früher als 
ed fonft gefchehen wäre zu flerben wünfchte: fondern er nahm fein 
Kreuz auf fih um den Kelch zu trinten, welden ihm fein Vater 
im Himmel zu trinken reichte; um in keinem Augenblikke weniger 
ald in dem anbern den Willen feines himmlifhen Vaters zu voll» 
bringen, welchem er dann alles übrige die Äußere Fortſezung und 
Vollendung jeined Werkes anheimftellte. . Wolan, in diefem Sinne 


muͤſſen wir denn alle ebenfalls uns felbft verleugnen und unſer 


Kreuz auf und nehmen. Welches Selbft haben wir zu verleugnen? 
Freilich das beffere nicht, vermöge deſſen wir Glieder find in dem 
Reiche Gottes und an dem lebendigen geiftigen Leibe des Herrn, 
Diefes nicht, dad Selbft nicht, welche unmittelbar der Tempel bed 
göttlichen Geiftes ift, in dem er wohnt; aber wir willen auch wohl, 
das ift nicht unfer ganzes Selbfl. Was wir zu verleugnen haben, 
und alle immer verleugnen müffen, eben weil wir dad Kreuz auf 
und nehmen follen um dem Herrn nachzufolgen: das ift dieſes ſinn⸗ 
liche Selbft, dieſes welches auf eine zwiefache Weiſe bewegt wird, 
wenn wir aud dabei nicht an die Sünde fondern nur an bie 
menfchliche Gebrechlichkeit denken; ed wird bewegt von ber Madıt 
der Gewohnheit, ed wird bewegt von der Gewalt augenblifflicher 
Eindrüffe. So oft wir diefen Antrieben folgen, fo fehlt ed uns 
an diefer Verleugnung unfer felbft; und wir koͤnnen ihnen nie⸗ 
meld folgen ohne irgend etwas zu verfäumen von dem, was und 
aufgetragen ift in dem Reiche Gotted. Sobald wir etwas thun was 
es auch fei, weil ed unfere Gewohnheit ift, oder weil wir nicht in 
den Sewöhnungen unferes Lebens geflört werben wollen; fobald wir 
irgend etwas thun, weil wir von einem heftigen Reiz ergriffen find, 
von welcher Art er auch fei: dad kommt nicht von dem Geifte, der 
das Reich Gottes erbauen will, und muß alfo mehr oder weniger 
demfelben entgegenwirken. Seder folhe Augenblikk, wo ed und an 
ber wahren Selbflverleugnung fehlt, reißt und auch tiefer in bie 
Sinechtichaft der Sinnlichkeit hinein, und alſo verfümmert er und 
die lebendige Freiheit ber Kinder Gotted. Ohne und nun durch 
Diele Selbflverleugnung jenen Antrieben zu entwinben, Tönnen wir 

IUI. Da 








610 


auch dad Kreuz des Erloͤſers nicht auf und nehmen, fein Ara als 
feine Laſt. Denn wenn gleich nicht mehr unter und die Rede iſt 
von folchen Leiden, wie feine erfien Sünger fie zu erbulden hatten 
für dad Reich Gottes — vielmehr gehört dad nur zu den Träumen 
jener verirrten Gemüther; denn was find alle falichen Audlegungen 
unferer Reben, was die ohnebied immer feltener werdenden Spötte: 
reien über den lebendigen Glauben der Chriften, was find wol alle 
dieſe erbärmlichen Kleinigkeiten, dag wir es wagen Eönnten, fie als 
‘ein Kreuz anzufehen? — aber wie died auch fei, feine Laſt hat je 
der zu fragen, dem es ein Emft ift für das Reich Gottes zu wir» 
ten. Leicht ift es immer nicht, überall in allen Berhältniffen dieſes 
Eine im Auge zu behalten und alle Schritte danady abzumeſſen. 
Halten wir auch und felbft frei von aller Macht der Gewohnheit; 
räumen wir keinem augenblifflichen Eindrukk eine Gewalt über uns 
ein; handeln wir felbft aus bem reinen Triebe des Geifles dem 
Ziele gemäß, welches und vor Augen ſteht: fo flogen wir doch überall 
auf andere, die wenn gleich im allgemeinen betrachtet in demfelben 
Grade wie wir von bem göttlichen Geifte beherrfcht, von dem goͤtt⸗ 
lichen Worte erleuchtet, doch in biefem Augenblikk uns entgegentre: 
ten, in welchem Gewöhnung ober augenblikklicher Reiz fie verleitet. 
So haben wir, wo wir hell fehen unb das rechte getroffen haben, 
doc zu kaͤmpfen mit den Worurtheilen und den Irrthümern ande⸗ 
rer; und fo hat jeder feine Laſt zu tragen, fein Wirkungskreis ſei 
welcher er wolle, größer oder Peiner, fofern es ihm nur Ernſt iſt 
dad Reich Gottes zn fördern. Wer alfo nicht in diefem fleten Durch⸗ 
kreuzen menfchlicher Wege unb Richtungen ſich felbft verleugnet und 
fein Kreuz auf fi) nimmt: der ift auch in der That nicht ein Nach⸗ 
folger ded Herm, und fein Glaube, daß diefer der lebendige Schu 
Gottes ift, befteht doch dann mehr in Worten, in vorübergehenden 
Regungen, ald in ber Präftigen lebendigen hat. 

Aber weiter! dad Kreuz, welches ber Erlöfer auf jich nahm, 
war zu gleicher Zeit bad Zeichen einer fremden Herrſchaft, unter ber 
er mit feinem ganzen Volke lag und feufzte. Denn wäre dieſe nicht 
geweien: fo wäre aud das nicht die Todesart geweſen, welche der 
Herr würde geftorben jein; fo hätte die ganze Entwikklung feines 
irdiſchen Geſchikks nicht grade diefen Ausgang nehmen können. Daſ⸗ 

ſelbe nun fland feinen Iüngern überall bevor. So wie ber, wel 

cher bie Gewalt übte in dem Namen eined fremden heidniſchen Bol: 
kes, mit hineingezogen wurde in die Bewegungdgründe derer, welche 
dem eigenen Volke des Erloͤſers angehoͤrten, und auf dieſem Wege 
ſein irdiſches Geſchikk erfuͤllet wurde: ſo wußte er, daß daſſelbe auch 
feinen Juͤngern bevorſtand. Ueberall wuͤrden fie treffen auf eine an⸗ 








611 


dere Herrſchaft als die des Reiches Gottes, und dieſe wuͤrde ihnen 
der Widerwaͤrtigkeiten Fuͤlle bereiten; aber doch ſollten ſie auch die⸗ 
ſes Kreuz auf ſich nehmen und eben ſo freudig in dieſe Widerwaͤr⸗ 
tigkeiten eingehen, wie ſie freudig die Laſt des thaͤtigen Lebens und 
des Gehorſams gegen den goͤttlichen Willen tragen ſollten. 

Und ſo m. a. iſt es auch immer; denn wenn wir auch alle 
den Namen des Erloͤſers bekenneten, wenn auch alle in der That 
nicht bloß dem Namen nach Chriſten waͤren ſondern wirklich den 
Sinn und Willen haͤtten ihm zu folgen: ſo wuͤrden wir doch ſagen 
und geſtehen muͤſſen, es herrſcht in der Welt noch eine andere Macht 
als die Macht des Reiches Gottes; es iſt immer noch der Beruf 
der Menſchen auf dieſer Erde, der eine Gewalt uͤber ſie ausuͤbt, 
welche nicht ſelten dem Reiche Gottes feindſelig iſt, aber wenn ſie 
auch das nicht iſt, ſo bleibt fie ihm doch immer fremd. Alles was 
unter und gefchieht, und deſſen ift nicht wenig, nicht rein in ber 
Abfiht das Reich Gotted zu fördern, nicht indem biefer Sinn bem 
Handeln und Wirken der Menfchen einwohnt und fie treibt ober ihr 
Thun billigt, kurz fo wie e8 auch gefchehen könnte, wenn wir nitht 
Chriften wären: dad gefchieht durch eine fremde Macht. Und wenn 
fo die Richtung auf das irdiſche, die Freude an ber Herrſchaft bes 
Menfchen über die natürlichen Dinge an und für fich ald ein bes 
fonderer Antrieb wirkt: wie leicht geichieht ed dann, daß was am . 
beften gemeint ift für dad Reich Gottes zurüffgebrängt wird, und 
daß fich alle, welche die eifrigften Diener bed Herrn find, unter biefe 
Macht beugen müffen, welche fie. gürtet und führt wohin- fie nicht 
wollen *), eben wie der GErlöfer fich gebeugt hatte unter fein Kreuz. 
Und das hat er feinen Züngern aufgegeben, gemeinfam allen ohne. 
Unterfchieb, bis das endlich zur Wirklichkeit gelangt, was fchon Die 
damaligen Dünger fich als nahe bevorfichend dachten, daß ed gar 
feine andere Macht gebe in. menfchlichen Dingen, welcher Art fie 
feten, nidhtö wovon wir getrieben werben, oder wad und entgegens 
ftehen ®önnte, fondern allein die Macht de Geiſtes und bed Wortes 
Gottes. So lange das nicht ift, fo lange werben wir. alle dieſes 
Entgegentreten gewahr und muͤſſen und zwiſchen andern Anfprüchen 
bindurchwinden jeder feinem Ziele zu, müffen dieſes Bewußtſein, 
daß eine fremde Gewalt die ſreien Bewegungen des Reiches Gottes 
hemmt, mit Muth und Freudigkeit tragen ohne in unſerem Eifer 
zu ermuͤden, indem wir immer wieder aufs neue dieſes Kreuz auf 
und nehmen. Und wenn wir nun bebenken, was für einen Stachel 
jede ſolche Wahrnehmung in die menſchliche Seele wirft; wie e Tea 





”) Joh. 31, 18. 
D2g2 














612 

wir dann dazu kommen auch wieder von einem augenbliffliches 
Reize bewegt zu werden, wenn auch nur zu einem Gifer für des 
Haus Gottes, der aber nicht mehr ber rechte klare befonnene it few 
den ein verzehrender leidenfchaftlicher Eifer: wie follten wir bouz 
nicht zugeftehen müffen, daß jede Art, wie wir berufen: werben fee 
nen dad Kreuz auf und zu nehmen, immer anfangen muß mit te 
Verleugnung unfer felbft und darauf zurüffführen. 

Endlich aber war doch auch dad Kreuz auf fich nehmen für 
den Erlöfer dee Gang zum Tode, zu einem frübzeitigen Tode, ehe 
bie Krüchte feined Dafeind reifen konnten. Und diefer Gebaufe bat 
ihn fo oft und viel befchäftigt, dag wol fein Zweifel if, wenn a 
feinen Züngern fagt, fie follten dad Kreuz auf fih nehmen, er auch 
dieſes Loos ihnen ebenfalls hat ankündigen wollen. Mehr freilich 
ſahen fie fhon von den Zrüchten ihrer Arbeit, als ihr Herr und 
Meifter von der feinigen fah. Denn an wie vielen Orten ging 
fhon immer doch von ihrer Verfündigung aus dad Wort Gottes 
auf, und chrifllihe Gemeinen fammelten fih! Aber je mehr auf 
ber einen Seite dad Auge bed Glaubens heller wurde, je zuverſicht⸗ 
licher fie. auf der andern Seite erwartet hatten felbjt bie Vollendung 
zu fehen, und größtentheild immer noch ber zweiten Ericheinung 
Chriſti entgegenhartten: um deſto mehr mußte doch was fie wirklich 
vor Augen fahen hinter ihrer Erwartung zurüffbleiben. Und tie 
Zeiten ber Zerſtoͤrung, welche ihr Meifter fo deutlich vorhergeſagt 
hatte, durch welche fich ihr Werk erft bewähren ja fogar erſt voll: 
fländig rechtfertigen mußte, wer weiß ob mehr ald einer von ihnen 
fie erlebt und überlebt hat. \ 

Eben fo nun müffen auch wir diefed Kreuz auf und nehmen 
und und darin fügen die Srüchte unferer Arbeit nicht mit zu erle 
ben und zu genießen. Gleichmäßig fihreiten bie menfchlichen Dinge 
nirgenb vorwärtd; und auch der Boden, auf dem jeder zu füen unb 
ihn zu bearbeiten hat, ift ungleich ausgetheilt. Leben wir nun aud 
in einer Zeit, von der wir rühmen bürfen, baß fie große Hortichritte 
bed Evangeliums fieht: was ift doch auch im großen ihr Werk an: 
berö, ald daß mehr Boden urbar gemacht wird zur Saat? Wir 
pflanzen auch freilich und begießen; aber wie wir felbft in anderer 
Arbeit gekommen find und fdmeiden wo wir nicht gefäet haben, was 
ja auch der Erlöfer zu den Apofteln fagte: fo kommen wieder ans 
bere in unfere Arbeit und ernten, wo wir und bemüht haben. Aber 
bie Liebe geht nach unten; und darum kommen wir nicht leicht dazu 
die Gleichheit anzuerfennen, die hier wirklich flattfindet. Won ber 
freubigen Ernte, die wir in die Scheuern fammeln, ifl wenn das 
Erben fich in feinen gewöhnlichen. Grenzen beivegt gar wenig unfere 





613 


Kıbeit. Die neue Zeit, zu ber wir ben Grund haben legen helfen, 
wir wiſſen es, aber nicht ohne tiefen Schmerz, daß wir ihre ſchoͤnſte 
Bluͤte nicht genießen werden. Das junge Geſchlecht, in welches 
wir den Saamen geſtreut haben und feine erſten Keime gepflegt? 
wenn ed feine Schuld abträgt, wird es fich nur bei unfern Gräbern 
unfer erinnem. Wir wiffen ed, aber wir bürfen und nicht ſchaͤ⸗ 
men zu gefteben, daß das ein Kreuz ift, welched wir auf und neh 
men müffen; und foll es uns in unfrer Arbeit nicht ftören, fo muͤſ⸗ 
fen wir auch hier damit anfangen uns felbft zu verleugnen. - 

Alles zufammengenommen alfo hatte der Exlöfer wol recht dieſe 
Zorderung fo allgemein auszufprechen. Wir dürfen behaupten, fo 
Lange diefe irbifchen Dinge währen, wirb es feinen Sünger des 
Herrn geben, der nicht Urfache hätte fich felbft zu verleugnen und 
das Kreuz auf fich zu nehmen, und beides gehört wefentlich zufams 
men. 8 giebt Chriften, die ed anderd meinen, welche denken, frei: 
lich dad Kreuz müflen wir auf uns nehmen, fo lange wir in: ber 
Belt find, und dieſer Gegenfaz zwifchen der Welt und dem Reiche 


Gottes noch befteht: aber über die Selbflverleugnung follten wir 


doch hinwegkommen; das follte doch ganz von und audgetilgt fein, 
weshalb wir nöthig hätten Selbftverleugnung zu üben. Der Erloͤ⸗ 
fer hat dad Kreuz auf. fi) genommen und dazu ſich felbft bekannt; 


bag er aber fich felbft verleugnen mußte, dad lag nicht in feiner _ 


göttlichen Würde, bad hätte er nicht in bemfelben Sinne von fich 
fagen können, ohne ſich und auf eine foldhe Art gleich zu ftellen, 
wie er ed nicht war. Aber weil bied fein befondered Vorrecht mar, 
weil das zu feiner Herrlichkeit ald bed eingebornen. Sohnes gehörte, 
daß er nicht nöthig hatte Selbflverleugnung auszuüben: fo ſprach 
er ed aus ald eine allgemeine Korberung für alle feine Jünger, und 
e3 wäre nur leere Einbildung, wenn wir glauben wollten, wir hät: 
ten e8 zu bem Grabe der Vollkommenheit gebracht, bag wir berfel> 
ben nicht mehr bedürfen. Nur tiefer in und hineingefchaut in den 
Augenblikken menſchlicher Schwachheit : Feiner wirb da fein, der von 
fich fagen Tann, daß er nicht nöthig habe fich felbft zu verleugnen; 
fo wie jeder von fich fagen muß, die ganze Lage ber menichlichen 
Dinge fei die, daß er müffe fein Kreuz auf fich nehmen, wenn er 
wolle den Willen feined Vaters im Himmel thun und aljo in der 
That und Wahrheit dem Erlöfer nachfolgen. 

Wenn alfo auch unfer Leben ganz frei fein könnte von Truͤb⸗ 
falen und Widerwärtigkeiten; wenn es nichtd von außen gäbe, was 
bie Erfcheinung des Friedens, welchen bad höhere Leben in den 
Menfchen wirkt, in irgend einem Augenblifte trüben könnte; wenn 
dad alles vorliber wäre und nicht mehr da: fo werden wir boch fa 


618 


gen muͤſſen, dies bleibt die Regel bed Erloͤſers für alle feine Juͤnge 
bis an bad Ende ber Zage. Nur die haben den lebendigen thaͤti⸗ 
gen Glauben an ihn ald an ben zum wahren Seile erichienenen 
Sohn Gottes, welche fich felbft verleugnen und ihr Kreuz auf ſich 
nehmen. Und wenngleich wir wohl wiflen, daß wir auch dieſe Re 
gel niemals vollkommen erfüllt haben werben: fo haben wir doc 
nur in dem Maaße ald wir fie erfüllen audy das Zeugniß des giu: 
lichen Geiſtes in uns, daß wir Kinder Gottes find, welche turk 
ihn unfern Herm und Erlöfer die Macht bekommen haben foldhe zn 
fein; und nur in biefem Maaße wird auch unfer Leben ein Bit 
jened Friedens fein, welchen der Erloͤſer den feinigen ließ, und wis 
hen er allein geben ann izt und immerdbar. Amen. 


Lied 50. 





LI. 
Am 3. Sonntage nad Trinitatis 1833. 


eied 22. 676, v. 1—5. 


Text. Luk. 6, 32 — 35. 


So ihr liebet die euch lieben, was Danks habt ihr da⸗ 
von? denn bie Sünder lieben auch die, welche fie lieben. 
Und wenn ihr euren Wohlthätern wohlthut, was Danks 

habt ihr davon? denn die Sünder thun baffelbige auch. 
Und wenn ihr leihet, von benen ihr hoffet zu nehmen, 
was Danks habt ihr davon? denn die Sünder leihen ben 
Sünden auch, auf daß fie gleiched wieder nehmen. Doc) 
aber liebet eure Feinde; thut wohl und leihet, daß ihr 
nichtd dafür hoffet: fo wird euer Lohn groß fein und 
werbet Kinder bed Allerhöchften fein; denn er ift gütig 
über die undankbaren und boshaftigen. j 


M. a. Z. Diejenigen unter euch, welche etwa zugegen geweſen 
find in unferer lezten Betrachtung um dieſe Stunde, werben, wenn 
fie die eben verlefenen Worte mit denen welche und damals beichäf- 
figten vergleichen, vielleicht ſchon bei. fich felbft vermuthen, bag ich 
im Sinne habe in dieſer feillofen Zeit unferd firchlichen Jahres un: 
fere Aufmerkſamkeit auf Ausfprüche unferd Erlöfers zu richten. Aber 
nicht fo ſchlechthin und ohne Unterichied, ſondern auf ſolche vornehm⸗ 
lich, bei welchen zu beforgen ſteht, dag, weil fie auch wenn man fie 
oberflächlicher Weile betrachtet ſchon etwas haben, was das Gemüth 


[2 


616 


an fich zieht und ihm Genüge zu thun fcheint, fie gar leicht in i% 
rem eigentlichen und tieferen Sinne fönnen verfehlt werben: fo baf 
es eben in Beziehung auf fie befonderd wuͤnſchenswerth ifl, wenn 
diejenigen, welche darauf gewiefen find ihre Zeit mit einer gemauern 
Betrachtung des Worted Gottes auszufüllen, ben übrigen babei zu 
Hülfe kommen. So ift es denn auch mit der Regel, welche der 
Erlöfer in den verlefenen Worten giebt über bie Liebe, auf welde 
wir jest unfer gemeinfchaftliched Nachdenken richten wollen. Abe 
ich läugne ed nicht, es wirb mir ſchwer dasjenige alles zu fagen, 
was ich darüber. fagen möchte, deswegen weil ich beiorge, ed werben 
gar viele fein, welche glauben, das fei mehr übertrieben, als daß es 
dem Sinn des Eilöferd gemäß wäre, mehr kuͤnſtlich und fpizfimdig, 
ald daß es die Wahrheit ded Evangeliums aufſchloͤſſe. Dennoqh 
bin ich überzeugt, wenn ihr nur tief genug in euren Buſen greift 
und auch die verborgenen Halten ded Herzens auffinbet; wenn ihr 
das geiftige Ohr fo fchärft, dag ihr auch die leiferen Stimmen in 
eurem innen vernehmt, die guten ſowol ald die verkehrten und ver 
. „berblichen: fo werdet ihr geftehen, es fei alled recht und wahr. De 
rum laffet mich nun von diefer Regel unſers Erlöfers über 
bie Liebe, denn es hängt doc, alles in den verlefenen Worten ge 
nau zufammen, auf ſolche Weife handeln, daß ich zuerft auf das 
aufmerkſam mache, was leichtlich falfch gedeutet werben unb zu fab 
ſchen Borftelungen führen kann; bann aber zweitens dasjenige, 
was ich als ben eigentlichen und ganzen Sinn biefer Worte de} 
Erlöferd erkennen konnte, euch mitzutheilen fuche. 


1. Wenn wir alfo bei dem erfien anfangen m. hr. 3., wenn 
der Erloͤſer fagt, So ihr liebet die euch lieben, fo ihr wohlthut und 
leihet wo ihr gleiches wieder erwarten fünnt, was habt ihr Dante 
dafür? geminnt ed nicht gar leicht dad Anfehn, als ob er nur bei 
wegen dasjenige herabzufezen fuchte, wofür Fein Dank zu erwarten 
ift, weil feiner eigentlichen Meinung nach das, was er feinen dama 
ligen Zuhöhern empfiehlt, nicht nur allerdings des Dankes werth 
. it; fondern er empfehle es ihnen auch eben deöwegen, weil es ic 
nem getabelten ungleich wirklich des Dante: werth fei? Und ge 
wiß ift dad einem jeden erfreulich zu hören. Wer erwirbt fich nicht 
gern. Dank und bekommt dadurch dad Bewußtfein, die Urfache, fei 
auch der Gegenftand gering und vieleicht nur voruͤbergehend, det 
Zufriedenheit feines nächflen geworden zu fein? Aber wenn wir & 
genauer erwägen, werben wir doch fagen müflen, das kann nicht 
die Meinung des Erlöfers fein; vielmehr, wenn wir ed Dafür hal: 
ten, ſezen wir und mannichfaltigen Gefahren aus. Der Eriöfer hatte 





67 


einft zehn ausfaͤzige geheilt *), und als fie num beffen gewiß wurs. 
Den, indem fie dad Zeugniß befamen von dem Priefter, daß fie ges 
heilt feien, fo Eehrte nur einer um, ber Gott pried aber auch vor 
züglich dem Erlöfer felbft feinen Dank bringen wollte. Was fagte 
aber diefer? Er ſprach, Sind ihrer nicht zehn rein geworben, wo 
find die andern? ift es nur ber eine Frembling welcher zuruͤkkgekehrt 
iſt und, fagt er, Gott die Ehre gegeben hat? von der Dankbarkeit 
gegen ihn felbft alfo fah er ganz hinweg. Er wollte für fich felbft 





auch für folche Wohlthaten wie diefe — und bebenkt es, wie fehr 


Diefe Krankheit den Menfchen von. dem Genuß aller andern menſch⸗ 
lichen Wohlthaten, weil von der menfchlichen Geſellſchaft ſelbſt, 
ausſchloß — auch für dieſe wollte er keinen Dank haben: fondern 
er hielt das für übel angebracht und lobte, was jener aud ber Tiefe 
feines Herzens that, nur in fofern, ald er Sott die Ehre gebe! Und. 
wir folten es auf Dank anlegen? Wie ſtellt ſich auch derjenige, 
weicher Dan fich felbft darbringen läßt und ihn mit freudigem Her⸗ 
zen annimmt? Stellt er fich nicht wenigftend für ben Augenblikk 
über den, welchem er wohlgethan. hat? und freut ſich nicht nur ſei⸗ 
ned größern. Beſizes, feiner höheren Stellung in den menfchlichen 
Verhaͤltniſſen, fondern auch eined Verdienſtes, das er fich erworben 
bat? Iſt das aber dem Sinne besjenigen gemäß, welcher jagt, 
Wenn ihr alles gethan habt was ihr zu thun fchuldig feid, fo fpres 
yet, wir find doch nur unnuͤze Knechte, und der doch gewiß nicht 
babei die Meinung hegte, der Menſch koͤnne irgend wie und warn 
mehr thun ald er zu thun ſchuldig fei! Steht ed nun aber. fo, fo 
wird es und allen immer fhon im voraus ohne daß wir jeboch ba: 
durch zurüffgehalten würden gewiß fein, daß wir eben ſo wie ber 
Ertöfer überall, mögen wir, gethan haben was wir wollen, mögen 
wir fo gluͤkklich geweſen fein unferen Nebenmenfchen die größten und 
ausgezeichnetfien Wohlthaten zu erweifen, doch bed Dankes und nicht 
erfreuen ja ihm nicht einmal annehmen fondern die Dankbarkeit auf 
Gott zuruͤkkweiſen wollen:. denn diefer ift die alleinige Quelle aller 
guten Gaben, auch derer, die er andern durch die Hand feiner Ges 
ſchoͤpfe zufließen läßt. 

Doch darin werdet ihr alle mir beipflichten. Aber wenn ich 
nun fage, auch dad kann nicht-bed Erloͤſers Meinung geweſen fein, 
was er buchftäblich fo ausfpricht, Liebet eure Feinde! denn laßt und 
nur fragen, wer koͤnnten denn bie Feinde derjenigen fein, welche 
Juͤnger des Erlöferd find? denn zu feinen Jüngern vebet er body. 
Er fagt ihnen felbft anderwärts, Es wird ‚eine Zeit fommen, wo 





) tut. 17, 13—18. 





"018 


fie euch verfolgen werben unb vor Gericht ziehen, unb werben eh | 


fuchen zu tödten unb meinen, daß fie Gott einen Dienſt dama 
thun. Wolan! wir haben bad nicht mehr zu erfahren: aber wen 
dem auch fo wäre, könnten wir wol mit Recht fagen, bag feld 
Menfchen unfere Feinde feien? wenn fie meinen Goit einen Dier 
zu thun, fo wollen fie ja baflelbe wad wir wollen, nämlich Gone 
Willen vollbringn. Wer nun bad gleiche wi, von gleichem Duche 
befeeit ift wie wir, wie fehr er auch in den Gegenfländen irre, m 
falich er feine Regeln auch anwende: ift er beöhalb unfer Kam: 
weil er gerade in Beziehung auf und irrt? Wenn einer, ber be 


gemeinfamen Angelegenheiten der Menfchen wohl will, aus gm 


einer Verblendung einen von uns für einen gefährlichen Menſche 
hält, der mit folchen Gedanken umgehe, welche bad gemeinfam 
Wohl nur flürzen koͤnnten flatt ed zu fördern, und er wendet alie 
allen feinen Fleiß daran den Kreid unferer Wirkſamkeit zu ver: 
gern, unfern guten Ruf bei andern zu fchmälen, auf das gefähe 
liche unferer Gefinnung aufmerffam zu maden und es hervanzube 
ben:.ift er deshalb unfer Feind, wenn er doch alles biefed nur that, 
indem er ber gemeinfamen Sache ber Menfchen zu bienen glaubt, 
der wir ja auc dienen wollen? Ja laßt und noch mehr in ba 
geroöhnlichen Lauf des Lebens hineingehen. Wenn einer glaubt 
wir wetteifern mit ihm auf berfelben Bahn bed Gluͤkks, und jeder 
Vortheil den wir erringen könne nur zu feinem Nachtheil ausſchla⸗ 
gen, oder wenn es gilt dieſen uud jenen Beſiz oder eine Stufe ie 
Ehre und einen Kreis ber Wirkfamfeit, der nur Einem zu Theil 
werden Tann, fo dag wir nicht zum Ziele fommen fönnen, ohne def 
er felbft mehr oder weniger zurüffgebrängt wird, und er bebient fh 
dann vielleicht auch nicht der Löblichfien Künfte um und zu verbrän: 
gen: iſt er wol deswegen unfer Feind? Er hat ja dieſelben Wuͤn 
ſche, von welchen wir auch erfüllt find, und muͤſſen wir ihn alie 
nicht vielmehr begrüßen ald einen ber und beſonders verwandt if, 
weil er daffelbe Ziel verfolgt? Oder kann und darf bie Rüfficht 
auf uns felbft fo mächtig in uns wirken, daß wenn wir übrigen 
fein Beftreben für Löblich halten wir ihn boch beöwegen für unfen 
Zeind achten müffen? Wohl! aber, werben viele fagen, das Won 
des Erlöferd muß doch eine Wahrheit haben, und es giebt ja auch 
. jegt nicht felten Beiſpiele, daß ein Menſch gegen einen andern eine 


Widrigkeit hat in feinem innern, ohne daß. er einen ſolchen ober it 


gend anderen beflimmten Grund dafür anzugeben weig. Ich bin 
gewiß nicht der, ber dies rechffertigen wollte ober auch nur von fern 
entfchuldigen, denn ſes iſt etwas unnatürliches; aber laßt und bob 
einmal hören, da der Herr ja felbft gefagt, der Jünger ſei nicht 


619 


Jiber den Meifter, was einer von ben Juͤngern bed Herm hierüber 
fagt. Er fagt *), Die Liebe duldet alled, die Liebe trägt alles, bie 
Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Muthwillen. Und gewiß ift 
Dad alles nichts, was über den Meifter ginge ober über feine Lehre! 
Aber nun fragt einmal euch felbft, fragt eure Erfahrung, alles was 
ihr von menſchlichen Verhältniffen jemals erlebt habt, ob ihr je bei 
einem Menſchen eine Widrigkeit gegen einen andern gefunden habt, 
der es nicht in einem von dieſen Stuͤkken verſehen hatte? Warlich 
wer nie Muthwillen getrieben hat gegen einen andern; wer niemals 
geeifert hat mit einem ſolchen Eifer, der nicht weiß und thut was 
recht iſt vor Gott; wer nicht unduldſam geweſen iſt; wer ſich nicht 
geweigert hat zu ertragen, was wir alle einer an den andern ertra⸗ 
gen muͤſſen; wer nicht auf eine von dieſen verſchiedenen Arten ſich 
bewieſen hat als ein ſolcher, dem es eben an der Liebe fehlt: gegen 
den wird kein Menſch eine Widrigkeit haben in ſeinem innern, die 
nicht irgend einen von jenen beſtimmten Gruͤnden haͤtte. Aber was 
meint der Herr, wenn er ſagt, Ihr ſollt eure Feinde lieben, da doch 
eigentlich unſere ganze Lage eine ſolche iſt, daß wir keine Feinde ha⸗ 
ben ſollen? Giebt es daher auch ſolche, die uns zuwider handeln: 
wenn wir nicht darauf bedacht ſind dergleichen auszumitteln, ſo 
brauchen wir ed nicht zu erfahren! Giebt es folche, die und widrig 
find: wenn nichtd von der Art in und ift, werden wir ed kaum 
‚wahrnehmen. Alfo wenn ed nun auf keine Weile kommen fol, 
daß wir Feinde haben: wie koͤnnen wir fie dennoch lieben follen? 
Aber noch eins! Wenn ber Herr fagt, So ihr wohlthut und 
leihet wo ihr gleiches zu empfangen hoffet, wenn ihr wohlthut des 
nen die eure Wohlthäter find, was Danks habt ihr dafür? fo fcheint 
es doch, ald ob er hier manches ald unbedeutend .anfchlüge, was in, 
ver That in unfern Verhältniffen ſchon nichtd geringes ift, und wie 
derum ald ob er etwas voraudfege, wad wir in unferer ganzen Lage 
nicht finden: fo daß auch diefed Wort bed Herm wenigftend unfern . 
gegenwärtigen Verhaͤltniſſen nicht mehr angemeflen ift, wenn es auch 
damals feine volle und ganze Wahrheit könnte. gehabt haben. Denn 
warlich wenn wir bie Verdaͤltniſſe, in welchen jezt die Menſchen zu 
einander ſtehen, wenn wir dieſen ganzen verwikkelten Zuſtand unſers 
Lebens betrachten, wie ſehr immer mit den Kraͤften der Menſchen 
und wie es auch natuͤrlich iſt und in der Ordnung mit ihren Huͤlfs⸗ 
mitteln auch die Aufgaben des Lebens und im beſten Sinne des 
Worts auch die Beduͤrfniſſe eines jeden ſteigen: muͤſſen wir nicht 
geſtehen, es iſt in der Lage der meiſten unter uns ſehr oft ſchon 





etwas recht bebeutended ja was fogar fehon genaue Prüfung ver 
dient, ob wir es wirklich verantworten können ober nicht, wenn wur 
von unfen Mitteln von unfern Kräften von unferer Zeit zum Ge 
brauch anderer hingeben, auch wirklich in der Erwartung, daß wenn 
es und nöthig fein follte wir gleiched von ihnen wieder erwarten 
dürfen. Denn wenn doch nun dies nicht gerade in eben bem Au 
genblikk möglich wäre, wo uns felbft etwas obliegt und uns drängt, 
was wir zu thun haben: würden wir nicht dann boch in den Zul 
fommen, vor dem ber Herr feine Jünger warnte, daß ed ihnen nie 
mals fehlen follte an dem nöthigen um ihm entgegen zu geben, baf 
fie nicht ſchlafen follten, wenn der Herr kommt, fondern fich imme 
von ihm wachend finden laffen? So iſt denn allerdings was der 
Erlöfer ald etwas fo geringes barzuftellen fcheint, daß auch die 
Sünder ed vermögen, für und etwas großes und bebeutendes, fe 
dag wir fagen müffen, viele koͤnnen es niemals weiter bringen al: 
nur dahin, daß fie unter folcher Bedingung und Hoffnung ber Ge 
genfeitigkeit hülfreich in bad Leben und die Wirkſamkeit ander 
hineintreten. 

Eben fo aber auch dad andere. Wenn ber Erlöfer fagt, Se 
ihr euern Wohlthätern wohl thut, was habt ihr Danks dafür? fe 
“möchte ich auf der andern Seite fragen, fezt er nicht etwas voraus, 
was in unferer Lage nicht anzutreffen iſt? Denn wenn wir uns 
recht befinnen über den ganzen Zufammenhang unferd Lebens, wo 
fanden wir denn jeder in feinem Kreife folche, die nicht unſere 
Wohlthäter wären? Freilich wenn wir bie große Ungleichheit unter 
den Menſchen betrachten, einige auf der Spize der Macht und be 
Reichthums, andere in die niebrigfle Ordnung ber menſchlichen Ge 
fellfchaft zurüffgeftellt und ganz und gar mit der Befriebigung ber 
erften und nädften Bedürfniffe des Lebens beſchaͤftigt: fo ſcheint es 
wol, ald ob jene allein die Wohlthäter für dieſe wären, und als ob 
diefe auch - für ihr ganzes Leben nichts als Schulbner ber ande 
fein und bleiben müßten. Aber wer fo urtheilt, wie fehr läßt ſich 
der durch den Außern Schein blenden! Wenn doch offenbar jener, 
die auf dem Gipfel der menfchlichen Gefellichaft ſtehen, fo wenige 
find, der andern fo viele: kraft welches Verhaͤltniſſes befteht denn 
diefe Ungleichheit in ungeflörter Ruhe fort? Denn auf weflen Saite 
dad Webergewicht ber natürlichen Kräfte fei und alfo auch, wenn 
Streit entftände und jeder Theil in fich‘ zufammenhalten wollte, da? 
Uebergewicht ber Gewalt fein würbe: darüber kann fein Zweite 
ſchweben. Wodurch alfo erhält fich jene große Ungleichheit , und 
was ift denn die Natur eined folchen Verhaͤltniſſes fo weniger zu 
fo vielen? Schwerlich werben wir ed auf etwas anderes zurüff- 





021 


führen können m. a., wenn wir und die Wahrheit fagen wollen, 
als darauf, daß die mächtigen und reichen leben von den Anſtren⸗ 
gungen der niedrigen und bürftigen, indem fich dieſe gefallen laſſen 
in folcher Ordnung der Dinge zu bleiben, wenn’ fie einmal babei 
Hergefommen find, und durch ihren Fleiß dazu beizutragen, dag ans 
Dere auf folder Höhe können geftelit bleiben. Wenn wir nun ges 
nau betrachtet jagen müflen, dag ihr guter Wille dabei eine Haupt> 
Sache ift, fo daß wenn dieſer auögeht oder verbraucht wird fogleich 
Die gräulichften Verwirrungen ausbrechen: koͤnnen wir benn läug> 
nen, daß jie Wohlthäter find ihrer Seit3? Dabei bin ich weit ent» 
fernt die Sache umkehren zu wollen; benn Diejenigen, die über viele 
Mittel gebieten und viele Menfchen in Thätigkeit fezen können, find. 
auch die MWohlthäter von diefen. Eben weil fie höher geftellt find 
und weiter fehen, Eönnen fie ihnen auch Anweifung geben für ihre 
Thaͤtigkeit und haben ed in ihrer Gewalt ihr Ldos zu erleichtern; 
ja fie können dazu beitragen, daß die allzu große Ungleichheit alls 
mählig aufgehoben werde. Aber wird ed nicht uͤberall daffelbe fein, 
daß je größer die Ungleichheit ift, mag fie beftehen worin fie wolle, 
um fo. mehr auch dad die eigentliche Wahrheit des Verhältniffes iſt, 
dag wenn vom Wohlthun die Rede fein foll, von dem was jeder 
beiträgt um ben andern zu erhalten und zu fördern, auch im geiflis 
gen eine vollkommne Gegenfeitigkeit unter den Menfchen flatt fin 
det? Ja wenn wir zurüffgeben auf dad, was wir vorher gejagt 
haben, wie wir eigentlich Eeine Feinde haben follten um fie lieben 
zu können nad der Vorſchrift des Erlöferd: fo werden wir fagen 
muͤſſen, felbft die, welche wir gewöhnlich für Feinde achten, find auf 
bie mannichfaltigfle Weiſe unfere Wohlthäter, wenn fie es gleich 
weber wiflen noch fein wollen. Denn was ift wol ein ungeprüftes 
Gemuͤth werth? wie viel Verlag auf ein noch nicht burchgearbeites 
tes Leben? und was ift wol, dad und mehr reinigen kann, ald wenn 
wir auf mancherlei Weife mit der Widrigkeit der Menſchen zu thun 
haben? Ja ſelbſt die nachtheiligen Urtheile über und nicht minder 
alö bie wiberwärtigen Beftrebungen find wenn wir verftehen fie zu 
gebrauchen eine große Wohlthat auf dem Wege des Lebens für und; 
wenn wir fie nür der Mühe werth halten, fie genau überlegen und 
und fo weit überwinden nicht gleich dad unmwahre Wort auszufpres 
chen, daß weil fie aus einem feindfeligen Gemüth fommen ſie keine 
Wahrheit enthalten koͤnnten. Koͤnnen und wollen wir nur im Le⸗ 
ben ſelbſt ſo ruhig uͤberlegen, wie wir es hier gemeinſchaftlich thun: 
jo werden wir immer wahres genug in abſprechenden Urtheilen fin⸗ 
den, fie werden und auf mancherlei Weiſe zurüffführen auf bie 
Mängel und Schwächen, durch die wir felbft Urfache der Widrigkeit 


+ 


- 


x 





622 


anderer gegen und geworben find; unb helfen fie und denn nicht 
zu der Selbſterkenntniß, welche der Grund alles Friedens mit Gott 
und ber Welt iſt? Ya m. g. Fr. in dieſem Zufammenhange der 
Belt, in welchen wir geftellt find, müffen wir Gott fei Dank fa- 
"gen, baß wir feine Feinde haben, und daß ed und auch nicht an 
Wohlthätern fehlt; wir koͤnnen jeden als einen ſolchen begrüßen, 
und vergeblich feinen wir und. umzufehen nach Gegenfländen ge 
rade für die Liebe, welche ber Erlöfer am meiften empfiehlt. 

Aber ich habe noch etwas zuräffgelaffen, was das fchwierigfle 
zu fein fcheint in diefer feiner Rede. Denn zulet fagt er auch 
noch, Wenn ihr eure Keinde liebt und da wohlthut wo ihr keinen 
Gegendienft erwartet: fo wird euer Lohn groß fein und werdet Kin: 
der des Allerhöchften fein. Alſo auf einen Lohn weift er uns bin? 
und wie es fcheint ohne ihn zu bezeichnen, welcher Art und wel: 
chen Inhalts er eigentlid, ſei! Kann nun dad wol eine rechte Re. 
gel fein für die Liebe? hört fie nicht ſogleich auf Liebe zu fein, 
wenn fie ed auf irgend einen Lohn anlegt? Denn alsdann haben 
wir ja doch wieder und felbft im Auge; und können wir dad noch 
für Liebe geltend machen, was wir in folcher Beziehung thun? Und 
wenn der Erlöfer und verheißt, wenn ihr fo handelt, werdet ihr 
Kinder ded Allerhöchften fein: wie? ift das feine Meinung, daß wir 
aus der von ihm empfohlenen Liebe handeln koͤnnen und doch erſt 
bernach Gottes Kinder werten? fo bag zwar wenn wir fo handeln 
wir Kinder des Allerhöchiten find, aber fo daß die Liebe, welche er 
uns empfiehlt, und erft Dazu macht, aber nicht felbft daraus hervor: 
geht, daß wir Kinder des Höchften fchon find? Dann wären ja 
auch diejenigen diefer Liebe fähig, welche den Geift der Kindichaft 
noch :nicht empfangen haben, welche in diefe felige Gemeinſchaft mit 
Gott noch nicht aufgenommen find! Dad kann unmöglidy die Rei: 
nung des Erlöferd gewefen fein. Aber dies als das fchwierigfle 
babe ich zulezt verfpart in diefem erſten Theil unferer Betrachtung, 
weil ed den Uebergang bahnt zu dem andern, indem wir und nur 
hieran halten dürfen um recht zu wiſſen wie der Erlöfer feine ganze 
Rede gemeint hat. 


Il. Einen Lohn giebt ed, von dem rebet er oͤfters felbfi ver: 
fpriht und verheißt ihn ben feinigen. Das ift der, wenn er fagt, 
Wenn der Herr wieberlommen wird und wird Rechnung zulegen 
mit feinen Knechten und wird finden, daß fie das feinige recht ver: 
‚waltet haben: fo wird er zu ihnen fprechen, Du getreuer Knecht, 
du biſt uͤber weniges getreu gewefen, bu ſollſt über viel gelegt wer: 
den. Dieſes Lohns können wir und nicht nur alle erfreuen, fon: 





623 


dern nach diefem follen wir auch alle ſtreben. Diefer Lohn aber 
iſt nichts anderd als unſer Ziel felbft, er ift nichts anders als bie 
Freude an dem Willen Gottes, welchen zu vollbringen eben unfer 
Ziel if. Kann der Erlöfer wol wenn er unmittelbar ‚hinter einan: 
der fagt, So wird euer Lohn groß fein, und ihr werdet Kinder des 
Hoͤchſten fein, in ben erſten Worten noch einen andern Lohn im 


Sinne haben, ald den er in den lezten auöfpricht? O wer follte 


nicht, was ed auch gewefen fein möchte, und wenn ed auch die 
ganze Welt geweſen wäre, was er zuerfl meinte, wer follte es nicht 


doch gleich wieder vergeflen und es weit hinter fich werfen, wenn er 


hernach dieſen Ton hört, Ihr werbet Kinder des Allerhöchften fein! 
Aber freilich muß Chriſtus etwas anderd mit diefen Worten meinen 
als dad, was ganz gewiß und nothmwendig, eben weil jened ber 
Menfch nicht aus feinen Kräften vermag, vor der Liebe, welche er 
den feinigen empfehlen will, vorangehen muß. Ja erft müffen- wir 
Kinder Gotted fein, ehe unfere Liebe der feinigen ähnlich fein kann 
auch nur auf entfernte Weile und in ihren erften Grundzügen. Aber 
üben wir nun dieſe Liebe, dann werden wir Kinder Gottes fein 
noch in einem andern Sinne. Wir werden ed fein nicht nur fo, 


daß das etwas feſtes und gewiſſes ift zwifchen Gott und uns, fons 


bern wir werben als folche anerkannt fein und fo genannt werben; 
und das ift eben jener Lohn, welchen der Erlöfer meint, wenn er 
fagt, Ihr werbet über mehr gefezt werden. Denn nichts erweitert 
ja fo fehr unfern Wirkungskreis ald Vertrauen und Liebe, Und 
fann ed einen größer und unerfchütterlicheren Grund des Vertrauens 
geben, ald wenn wir in einem unferer Brüder erfennen ein Kind 
des Allerhächften? kann irgend etwas anders und mit einer feftern 
Liebe an ihn fetten ald eben dies, dad er ein Kind ift des Aller: 
höchften? kann ed etwas geben, das und mit einer größern Sehn⸗ 
fucht erfüllte fein Leben zu fchügen zu pflegen ihm zu dienen, wie 
wenn wir felbft es wären, ald wenn wir erkennen, einer ift ein 
Kind des Allerhöchften? Darin alfo liegt auch der Kohn der Liebe, 
die Chriſtus im vorhergehenden befchreiben wollte, dag wer fo liebt 
wie er fagt auch gewiß ald ein Kind des Allerhöchlten erkannt wird, 
die Menfchen es fühlen einfehen und fich geftehen müffen, ba wal⸗ 
tet der Geift der aus Gott ift, in ſolchem Gemüth und Leben da 
offenbart ſich der Höchfte felbft, und einen größeren Lohn als dieſen 
giebt ed nicht. Aber eben deöwegen hat auch ber Erlöfer in dem 
ganzen Bufammenhange feiner Worte nichtd anders befchreiben wol: 
len ald eine folche Liebe, die der Natur der Sache nach diefe Frucht 
“bringen muß, eine folche Liebe, in welcher ſich unfere Aehnlichkeit 





und Verwandtfchaft mit Gott zu erfennen giebt. Unb aus biefem 
Geſichtspunkt laßt uns feine Worte noch einmal erwägen. 

Giebt ed für den Höchften einen folchen Unterfchieb zworichen 
einigen, die ihn lieben ober gar bie feine Wohlthäter wären, und 
anden? Wenn der Erlöfer fagt, Ihr werdet. Kinder des Allerhoͤch 
ſten fein, weil biefer gütig ift über die undanfbaren unb über tie 
boshäften: follen wir daraus fchliefen, daß der Allerhoͤchſte feibii 
eine Empfänglichleit habe für den Dank der Menſchen, und alie 
daß ed in ihm foldhe Bewegungsgruͤnde gebe, von welchen wir fa 
gen mußten, daß wir fie, wenn wir in ben tieferen Grund ber 
Wahrheit eingehen, und felbft nicht geflatten können? Muͤſſen wır 
nicht fagen, daß, weil die Liebe des Höchften zugleich feine Allmadht, 
feine Allmacht zugleich feine fchöpferifche Kraft ift, in feiner Liebe 
gar keine Beziehung auf etwas vorhergehende anderes fein kann, 
weil ja alled erſt durch diefe wird. Und dad hat alſo der Erloͤſer 
gemeint; fo ſoll unfere Liebe auch fein. Wenn er fagt, Liebet nicht 
blos die, die euch ſchon lieben; thut wohl nicht nur denen, die in 
der Lage find euch auch wohl zu thun, fondern liebet eure Feinde 
und thut auch denen wohl, von denen ihr nicht. gleiched erwartet: 
was will er anderd ald nur eben uns dies einſchaͤrfen, dag wir bei 
unferer Liebe und den Erweifungen berfelben von gar feiner Bezie⸗ 
hung auf uns felbft ausgehen follen? So ift e8 mit der göttlichen 
Liebe; und nur ſo bat er auch die Worte gemeint und meinen koͤn⸗ 
nen, Gott ift gütig über bie undanktbaren und bodhaftigen. Wenn | 
wir ein göttliche Maaß anlegen. wollen an die Empfindungen un: 
ferd Herzens, an die Regungen unferd innern,.an die Reinheit uns 
ferer Zriebfedern: was werden wir wol fagen mülfen, wie groß ober 
wie gering der Unterfchieb fei in Beziehung auf Gott zwiſchen ben 
dankbaren und undankbaren, zwifchen den reinen und unreinen, zwi: 
fhen den guten und bifen? Wird ed nicht immer babei bleiben, 
Sie find allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den fie bei 
Gott haben follen? *) Ye mehr wir bad ewige Welen ind Auge 
faffen, um fo geringer wirb jeder folche Unterfchieb und erfcheinen; 
wir werben und alle zu den undankbaren zählen muͤſſen und zu de: 
nen, die nicht als gute vor ihm gelten koͤnnen. Bei allen alfo muß 
Gott auf gleiche Weiſe abfehen von ihrem Verhaͤltniß zu ihm. Nur 
dies konnte die Meinung bed Erlöfers fein, und bad iſt feine Regel 
über die Liebe. Was ift doch unfer natürliches leibliches Leben? 
wodurch befteht es? Wir athmen die Luft ein und geben fie wieder 
von und um fie aufs neue einzuathmen. ft dad cin Verhaͤltniß 





) Alm. 3, 23. 





623 


zu irgend etwad beſtimmtem außer und? iſt es ein beflimmtes Wiſ⸗ 
ſen um uns felbft und etwas, das und am nächlten angehört? 
Mein! es ift das allgemeine Verhältniß des lebendigen Dafeind zu 
Dem ganzen unermeßlichen Raume, der unferer Erde angehört; "aus 
Diefem athmen wir ein, in biefen athmen wir wieder aud. So ift 
Die Liebe! der Geiſt fuchet den Geift, weil er ihm angehört; und 
überall wo er ihn findet Öffnet fi) dad Herz gegen menfchliches 
Leben und Sein nach allen Seiten hin ohne Unterfchied. Es fühlt 
fich befriedigt, wenn es in ſich einzieht die Kenntniß von allem was 
fchönes was gottgefälliges da iſt; aber es giebt fein Leben auch 
- wieder heraus um fich fund zu geben und durch feine Mittheilung 

anderes Leben zu flärken; an eine Beziehung auf fich feldft ſoll da⸗ 
bei gar nicht gedacht werden. So ſoll unfere Liebe fein, dann iſt 
fie wie die. Liebe Gottes. Dannu machen aud) wir feinen Unterfchied, 
ob die Menfchen ihrerfeitd ſich willführlich in dieſes oder in jenes 
Berhältnig zu, und- felbft fegen. Wir follen davon aud) gar feine 
Kenntnig nehmen fondern phne Unterſchied nach nichts trachten als 
außer und wie in und bad Neid Gottes zu finden und feine Ge: 
rechtigfeit zu fördern. Wer und göttliched Eund thut, wenn wir das 
zu dienen koͤnnen goͤttliches in ihm zu fördern, der ift in dieſem 
Augenblikk unfer nächfter, und follten fi auch die feinfteligften 
Gedanken gegen und in feiner Bruft regen. Sehen wir eine Mögs 
lichkeit einem einen Strahl der göttlichen Liebe mitzutheilen: fo ift 
diefer der Gegenftand unferer Liebe ohne Rükkfiht auf das, was er 
für uns ift ober verkehrter Weife fein „oder nicht fein will. Das 
ift die Regel des Erlöferd; und wir fönnen auch nicht anderd fas 
gen, ald daß er ſelbſt und in feinem ganzen Leben fo erfcheint und 
niemals anderd. Deswegen war er ber Abglanz der göttlichen Kiebe, 
weil ihm überall nur das Beduͤrfniß der Menfchen entgegentrat; 
für fein Handeln und Sein fah er nichtö anders ald ihre Bebürf: 
tigkeit. Die beladenen und mühjfeligen lud er zu ſich ein, und 
wenn er fagt, die gelunden bebürfen des Arztes nicht fondern bie 
Franken, fo fpricht er nur mit Leidweſen aus, wie fie felbft feine 
Bereltwilligkeit ihnen zu dienen durch die VBerfinfterung ihres Be⸗ 
wußtfeind beſchraͤnkten. Was ihm ald Frank entgegen kam, das heilte 
er auch durch die Kraft feiner Liebe; und wer noch nicht fähig das 
zu war geheilt zu werben, bem warf et wenigftend einen Zunder in 
die Seele, weil er ja gelommen war ein Feuer anzuzünden, und 
fein liebſter Wunſch immer war, daß es ſchon brennen moͤchte. Eben 
ſo ſind auch ſeine Worte, welche wir heute betrachtet haben, ge⸗ 
meint; und wir verſtehen ſie erſt ganz, wenn wir einſehen, wie der 
äußere Buchſtabe derſelben nur auf die menfchliche Gebrechlichkeit 

un Rr | M 


fi) bezieht. Zreilich mußte er die bie ihn hörten erſt darauf auf: 
merffam machen, von weichen Heinlichen Rüfkfichten in Bezichung 
auf ihre Liebe fie ausgingen; dad mußten fie erft erfennen um be- 
bin zu kommen, daß fie nichts anders fein wollten als Werkzenge 
be3 göttlichen Geiſtes in Mittheilung der göttlichen Wahrheit durk 
Erweifungen der Liebe. Und eine andere Regel hat das chriſtlice 
Leben nicht, und die Gemeinde bed Herm würde fi) niemals erbe 
ben zu dem Ziele, das ihr geſtekkt ift, zu ber Gleichheit de vol: 
Tommenen Mannedalterd Chrifti, zu der unbefleftten Schoͤnheit, ın 

- der fie fich ver ihm darftellen fol, wenn fie fich eine andere Regel 
ſezte als eben dieſe. Diefer nun zu folgen, barın-möge er feib 
und immer weiter fräftigen immer fefter gründen und immer vel- 
fommner machen. Amen. 


Lied 676. 8. 6. 











LIL 
Am 5. Sonntage nad) Trinitatis 1833. 


eied 46. 42. 
Zere Luk. 18, 24 — 27. 


Da aber Jeſus fah, daß er traurig war geworden, 
ſprach er, Wie ſchwerlich werden die reichen in dad eich 
Gotted kommen. Es iſt leichter, dag ein Kameel gehe 
duch ein Nabdelöhr, denn daß ein reicher in das Reich 
Gottes komme. Da fprachen bie das hörten, Wer kann 
benn felig werben? Er aber ſprach, Was bei den Men- 
ſchen unmöglich ift, dad ift bet Gott möglich. 


M. a. 3: Auch diefes ift ein folcher Ausſpruch unferes Herrn 
und Erlöfere, der einem jeden wenn er ihn genau überlegt gar viel: 
fältiged Bedenken erregt. Ich glaube, ich kann wiewol ih nur 
eben diefed Ende derfelben gelefen die ganze Erzählung, wohin dieſe 
Worte gehören, fo weit «ld bekannt vorausſezen, daß ich nur an 
das weſentliche des Zuſammenhanges zu erinnern brauche. Der Er⸗ 
loͤſer hatte einen, der ihn fragte, was er denn thun ſolle um das 
Leben zu erwerben, auf die (Gebote gewielen, und als er gefagt, dad 
alles habe er gehalten von Jugend an, fprach er zu ihm, So fehlet 
bir noch Eind; verkaufe was du haft, gieb e& den Armen und folge 
mir nach. Dazu aber konnte fich jener nicht entfchließen, weil er - 


wie gefagt. wirb vide Guͤter hatte; und hierauf fprach "der Erloͤſer 


biefe Worte aus. Aber dürfen wir es wol einer folchen augenblikk⸗ 
lichen Bewegung feines Gemüthes- zufchreiben, daß er Worte gefpro: 
Kr 2 


chen, welche fo fehr bedenktichen Inhaftes find? Wie, dieſe gering 
fügigen Unterfchiede in Beziehung auf die äußere Auöflattung der 
Menſchen mit irdiſchen Gaben follten einen foldyen Einfluß haben 
auf dasjenige, in Beziehung worauf alle Menfchen einander gleich 
find, alle in berfelben natürlichen Unfähigkeit, und alle derſelben 
göttlichen Hülfe bedürftig? Der Reichtum, die Hand voller Sand, 
Kummer der Gemüther, wie einer unferer chriftlichen Liederdichter 
ihn nennt, der follte die Gewalt haben auch eine verlangende Seele 
zurüßfzuhalten von dem Reiche Gottes, ja es fo fchwierig faſt um: 
möglich zu machen, daß eine foldhe den Weg bahin finde, wie ja 
der Erlöfer fich hier ausdruͤkkt? 

Man könnte freilich fagen, ber Rath, welchen der Erlöfer dem 
fragenden vorher ertheilt, indem er zu ihm fagt, Verlaufe alles 
was du haft und gieb ed den armen und dam folge mir nad: 
ber fei fo wenig allgemein anwendbar auf alle Verhältniffe und alle 
Zeiten, daß daraus fchon deutlich genug werde, auch die Werte un- 
ſers Zerteö, welche uns allen biefe Schwierigkeit erregen, bezögen 
fi) nur auf die damaligen Umſtaͤnde, auf die Verhaͤltniſſe des Rei⸗ 
ches Sotted in der damaligen Zeit. Aber auch biefe Auskunft, fo 
leicht fie fich darbietet, will Doch genauer erwogen nicht audreichen ; 
denn um in dad Neich Gotted einzugehen, konnte auch Damals ſchon 
nicht erfordert werben, daß jeder feinen ganzen Beſiz dahin gebe, 
ihn den armen audfiefere und fo dem Erlöfer nachfolge. Denn das 
war allerdings in gewiffen Maaße nothwendig für diejenigen, wel: 
he ſich auch allen ihren gefelligen Verhältniffen entriffen und als 
die Feine Schaar feiner naͤchſten Juͤnger ihm überall nadhfolgen und 
ihn begleiten wollten; aber auch nur für biefe. Wenn nun alfo 
such jener nach der Seligkeit fragende Dann diefen- Rath des Er- 
loͤſers nicht hätte annehmen Eönnen: fo hätte der Erlöfer wol fagen 
mögen, Wie fchwer ift es, daß ein reicher ſich bequeme zu vieler 
gänzlihen Nachfolge in dem engflen Sinne; aber er hätte lange 
nicht fagen Fönnen, Wie ſchwer iſt es, bag ein reicher in dad Reich 
Gottes eingebe. Denn wenn wir nun Iefen, wie ſchon bald nad 
ber Himmelfahrt des Herm, ald die Jünger zuerft die Schaar ber 
gläubigen in Jeruſalem verfammelten, ihrer einhundert und zwanzig 
zuſammen famen um benjenigen zu wählen, welcher den Judas er: 
fegen follte: fo fehen wir, Chriftus hatte fchon damals viele Juͤnger, 
bie niemals zu jener engen Nachfolge gehörten, und ‘alle dieſe wa- 
ven in ihrem Beſiz und Gigenthum geblieben und gehörten doch 
bem Beiche Gotted an. Gbenfo wenn wir ganz unerwartet lefen 
in bem erſten Brief des Apoſtels Paulus ar bie Korinther, daß 
aud in den Tagen nach feiner Auferſtehung noch vor feiner Sim: 











melfahrt ber Herr fünfhundert Brüdern -auf einmal erfchienen fei, 
fo hat er niemals eine folche Zahl gehabt, welche ihm unmittelbar 
nachgefolgt wäre und alfo alle& andere hätte verlaflen muͤſſie. 
| Berm alfo auch diefed die Schwierigkeit nicht Iöfet, was follen 
wir fagen von diefem Worte bed Herrn? Spricht nicht unfere Er: 
fahrung ganz und gar dagegen? fehen wir nicht überall. in ben Ge. 
meinen ber Ehriften nicht wenige, welche die Laſt ber Güter dieſer 
Erde tragen und allen Senüfien aber auch allen Befchwerben bed 
Reichthums ausgeſezt find; aber ihre Seele ift eben fo erfüllt von 
ber heilſamen Gnade Gottes, fie theilen bie Guͤter des Heils auf 
eine fo erbauliche Weife mit und anderen, daß die Vorſtellung von 
einem folchen Unterfchiebe und nothwendiger Weiſe verfchwinden 

muß. Und in welchen Widerſpruch würde auch eben dieſes Reich 

Gottes gelegt werben müffen mit allen anderen menfdhlichen Wer: 
häftniffen, wenn jeber auf diefed Wort des Herm bauen wollte und 

alfo, um in bad Reich Gottes einzugehen, fi) aller ihm anvertraus 

ten irbiichen Güter entfchlagen und fie für fein heil einem ohnge⸗ 

fähren Schikkfale überlaffen. So m. a. 3. nimmt biefes Wort bed 
Herrn unfer Nachdenken in Anfpruch, wenn wir doch gewiß Fein 

Recht haben ed bewegen von ber Hand zu weilen, weil ed nur 

ein Wort fel für die damalige Zeit. Wie hat er ed eigentlich. ge: 

meint, was ift ber wahre Sinn beffelben, welcher Doch eben aus dem 

innerften feiner göttlichen Wahrheit hervorgegangen fein muß, wie 

jedes andere Wort, welched er geredet. hat? So laffet und benn 

nad Anleitung biefer Worte mit einander nachdenken über das 

Verhältnig des Reihthums zu dem Reihe Gotted. Laſ— 

fet und zuerfi und fragen, Was ifl denn eigentlich die Gefahr 
Deffelben, welche der Erlöfer bier im Sinne hat, und dann zwei: 
tens, Wie fleht e8 denn in Beziehung auf die Hülfe, welche er 
Dagegen verheißt. 

Doch muß ich vorher wol dem zu begegnen fuchen m. a. 3., 
Daß mancher unter euch vielleicht denkt, eine folche Unterfuchung wie 
diefe möge fehr nüzlich fein für jeben, ber ſich auf eine befondere 
Weiſe mit der Auslegung der Schrift mit bem genauen Verſtaͤnd⸗ 
niß aller Worte, des Herrn zu befchäftigen habe; aber für eine Ber- 
fommlung von Chriften, unter welcher verhältnigmäßig immer nur. 
fehr wenige oft vielleicht gar Seiner zugegen fei, den das unmittels 
bar angeht, fei fie doch wenig geeignet. Aber laffet und nur be 
denken, in welchem innigen und genauen Zufammenhange wir alle 
unter einander flehen, wie im geifligen Sinne des Worted dad noch 
immer wahr ift, fo wenig es auch äußerlich wahr zu fein fcheint, 
daß in der Gemeine des Herrn Feiner fagen kann, daß etwas fein 


eigen fei, fonbern fogar alle find ſelbſt aller gemeinfames Gut. Gicht 
ed alſo folche Gefahren, welche ber Beſiz irdiſcher Güter bringt, 
giebt es eine folche Hülfe Dagegen: wolan, fo iſt auch beibes uns 
allen gemeinfam; wie werben alle unfer Theil daran zu thum umb 
zu tragen haben. Und eben fo auf ber andern Seite iſt doch offen: 
bar, daß die Schwierigkeit felbft ihren Grund haben muß theils im 
bem inneren Weſen ber menfchlichen Seele, theild in ber eigentlichen 
Natur des Reiches Gotted, und alles was uns in. eines von beiben 
einen eigenthuͤmlichen und befondern Blikk eröffnet, dad muß auc 
für alle ohne Unterfchieb von gleicher Wichtigkeit fein. 


I. So laffet und alfo zuerft fragen, wa8 denn wol bad Hin: 
dernig geweſen ift, welches der Erlöfer im Sinne gehabt habe, als 
er fagte, Wie fchwer iſt ed, daß ein reicher in bad Rech Gottes 
eingebe? Manches freilich liegt fehr nahe, was wol jeber zuerft da⸗ 
bei denkt, aber ich glaube nicht, daß eben dieſes grade das redhte 
- und bad wahre if. Man denkt ſich, durch den Beſiz der irbifchen 

Guͤter befämen die finnlichen Lüfte und Begierden des Meufchen 
eine immer größere Nahrung, und je mächtiger biefe in ihm wären, 
um deſto weniger könne er fich entichließen auf die Stimme, weiche 
ihn mahnt, daß er ben Eingang in dad Reich Gottes fuche, eber 
zu merken, bis feine Begierden alle würben gefättigt fein. Allein 
eben diefes ift doch nicht Dad wahre, wie wir deutlich fehen, wenn 
wir auf die Zuflände ber Menfchen achten, welche in ganz entge 
gengefezten Äußeren Berhältniffen leben. Ach wie viele fchauberhafte 
Beilpiele, wie fie in chriftlichen Ländern, wo bad Evangelium fchon 
fo lange feinen Siz aufgelchlagen hat, freilich gar nicht mehr vor: 
tommen follten, giebt es nicht immer nody unter und bavon, bis 
zu weldher Wuth die Begierden auch in denjenigen entbrennen, weldye 
am weiteſten davon entfernt find durch den Beſiz einer foldyen gro: 
gen Fülle irdifcher Güter verführt zu werden; und wenn dann doch 
die Begierben fo mächtig in der Seele erwachen, was entflcht da⸗ 
raus ald eben jene und alle nieberbeugenden mit Entfegen erfüllen: 
den Ericheinungen einer Gefezlofigkeit und Gewaltthätigkeit, welche 
alled was Recht und Ordnung ift mit Füßen tritt um nur in ben 
Beliz der Mittel zu gelangen, woburd die Begierben koͤnnen befrie: 
digt werden. Zinden wir alſo dieſes von dem Reiche Gottes zu: 
rüffhaltende Anwachſen der Begierden nicht minder bei den armen 
- ald bei den reichen: ſo hängt ed auch nicht ab von dem Befize der 
äußeren Güter ober dem Mangel derfelben ; fondern e3 hat feinen 
Grund in der Art wie der Menſch von Natur gebildet if, und wie 
er dem gemäß von Jugend an geleitet und gezügelt wirt. Davon 








nur hängt es menichlicher Weile ab, in welchen günfligen unb un. 
günftigen Verhaͤltniſſen der befonnene und eblere Theil der menſch⸗ 
‚lichen Natur fich findet zu diefen rohen Lüften und Begierden. 
Auf ber anderen Seite fagt man, daß eben bie Leichtigkeit, 
Durch einen reichlichen Zufluß von irdiſchen Hülfsmitteln alle Lüfte 
und Begierden zu befriedigen, wenigitend dad Wohlgefalen daran 
bis zur Knechtichaft fleigere: fo dag mancher, wenn er fich vielerlei 
verfagen müßte, vielleicht eher fireben würde in dad Reich Gottes 
zu gelangen; aber bie ruhige Fülle des Genuffes halte die reichen 
diefer Welt feit in dem Gebiete des finnlichen Lebens und verleite 
fie zu einer Geringfchäzung alles höheren und geiftigen. Aber auch 
diefed würden wir nicht ohne eine große Ungerechtigkeit ausſprechen 
können, und zwar nad) zwei verfchiedenen ja einander fafl entgegen: 
gefezten Seiten hin. Denn zuerft, wie weit ift doch bad von der 
Wahrheit entfernt, daß die Leichtigkeit alle finnlichen Neigungen zu 
befriedigen unb allen .eingebildeten Bebürfniffen zu genügen ben 
Zauber des Genuſſes erhöhe. Iſt ed nicht vielmehr die allgemeine 
Erfahrung, daß die Gewohnheit jeglichen Reiz abftumpft? und. auch 
wir, die wir nicht in einer foldhen Zülle leben, dag ein Genuß im: 
mer den andern verbrängt, erfahren wir ed nicht ebenfalls, daß was 
in bem Gebiet des Genuſſes und ber Bequemlichkeit lange Zeit ber 
Gegenftand unferer Wünfche geweien ift, wenn wir ed erft haben, 
wenn ed erſt befeffen wird, von einer Zeit zur andern ber Seele 
gleichgültiger wird, fo daß ſich auch die Erinnerung daran wie leb⸗ 
haft wir danach geftrebt haben bald genug verliert! Je weniger 
nun alfo der Befriedigung Hinderniffe in ben Weg gelegt werden, 
je rafcher die Genüffe auf einander folgen koͤnnen: defto mächtiger 
zeigt fich diefe abflumpfende Macht der Gewohnheit. Und wie oft 
hören wir nicht hierüber lagen! wie oft bedauern nicht die reichen 
diefer Welt den Irrthum derer, welche fie ohne Urſache beneiden, 
weil fie ſich von diefer Leichtigkeit der Befriedigung eine fo große 
Gluͤkkſeligkeit denken, während ihre eigene Erfahrung fie darauf 
hinführt, daß eher die Mühe, weldye angewendet werben muß wo 
ed Schwierigkeiten zu überwinden giebt, den Genuß erhöhen müfle. 
Auf der andern Seite aber dürfen wir doch nicht läugnen, daß ber 
Beſiz irdifcher Güter eben fo fehr auch die Mittel an die Hand 
giebt alles edle in der menfchlichen Seele zu pflegen und and Licht 
zu bringen, alle höhern Anlagen des menfchlichen Geiſtes mit bem 
zu umgeben, was fie nöthig haben um fich frei zu entwikkeln, und 
Daß alio auf der andern Seite darin ein höherer Reiz und Sporn 
fiegt dad bloß finnliche und eitle liegen zu laffen und bem höheren 
nahzutrachten, weiches wenn es auch nicht dad wahre Gut felbft iſt 


632° 


doch eine Annäherung dazu in fich fchließt und eine Worbereitung 
dazu mit vollem Nechte genannt werben Tann. Diefes alfo find 
wol nicht die Gedanken bes Erloͤſers geweſen. 

Darum laßt und zuvörberft etwas genauer zufehen, was er 
benn wol eigentlich mit dem Ausdruff, Ein reicher, gemeint bat. 
Reichthum ift doch das müffen wir und geflehen ein Wort, beffen 
Gebrauch nicht gerade durch die Menge der Güter, nicht gerabe 
burch die Größe des Beſizes beſtimmt wird, fondern immer verhält: 
nigmäßig. Durch den Gegenfaz zwifchen armen und reichen bezeich⸗ 
nen wir keinesweges an und für ſich einen Unterfchted zwifchen zwei 
Klaffen von unter fih gleichen Menfhen, fondern vielmehr, - wenn 
ſich uns die große menſchliche Gefellfchaft, der wir angehören, in fo 
mancherlei verfchiedene Kreife und Abflufungen vereinzelt: fo finden 
wir diefen Gegenfaz innerhalb einer jeden. In jedem Stande giebt 
ed arme und reiche, ja bis zu den höchften hinauf gilt dieſer Unter: 
fhieb und wird von und in Anwendung gebracht; denn wir be 
dauern oft einen folchen, der zu den höchften Kreifen der menſchli⸗ 
chen Geſellſchaft gehört aber in benfelben als ein armer erfcheint. 
If diefed nun offenbar, weswegen ift benn jeder in feinem Kreije 
arm oder reih? Im einem jeden menfchlichen Verhaͤltniß bildet fich 
- zu jeber Zeit durch dad Zufammenleben der Menfchen ein gemwiffer 
Durchfchnitt deffen, wa8 man für das befchiedene Theil eined jeben 
achtet. Thätigfeiten und Hingebungen werden von ihm gefordert 
für den Kreis, welchem er angehört; denfelben follen feine Erſchei⸗ 
nung und feine Außftattung angemeffen fein. Bleibt er hinter die: 
fem Maaße zuruͤkk, ſo iſt er in ſeinem Kreiſe und in ſeinem Ver— 
haͤltniſſe ein armer; kann er aber alles leiſten, was dieſe Verhaͤlt⸗ 
niſſe von ihm fordern, kann er alle billigen Anſpruͤche welche an 
ihn gemacht werden befriedigen, kann er allen andern darbieten was 
ſie von ihm wuͤnſchen koͤnnen um das geſellige Leben zu erheitern 
es fruchtbar und angenehm zu machen, und hat doch noch eine 
Fuͤlle von irdiſchen Guͤtern uͤbrig, der iſt dann der reiche. Mithin 
kann einer mit demſelben Maaße von irdiſchem Beſiz reich ſein oder 
arm, je nachdem er unter dieſen oder jenen Bedingungen lebt. Was 
alſo das Weſen des Reichthums ausmacht, das iſt der Ueberfluß 
der Güter in Oeziehung auf das, was jedem obliegt in der ganzen 
Darftellung des menfchlichen Lebens. 

Mo num ein folcher Ueberfluß ift, laſſet und bie Grfahrung fra: 
‚gen m. th. 3., was er denn wirft? Gleich bei diefer Frage zeigen 
fih uns fehr leicht und ald gewöhnliche Erfcheinungen zwei entge: 
gengefezte Abwege. Zunaͤchſt alfo waltet darüber, was jeder in fei: 
nem Krelſe zu feiften hat um bemfelben zu genligen, eine gewiſſe 





allgemeine Regel; jeder. tft- einer ſtillſchweigend fich verflehenben Sitte 
und Ordnung unterworfen und fucht biefer nachzukommen und zu 
genügen. Aber wenn ihm bied nicht nur leicht wird, fondern er noch” 
über vieled außer dem zu fehalten bat, dann ergözt ihn innerlich das 
Bewußtſein, daß was auch hierüber hinaus in feiner Seele aufftei: 
gen möge, bem fei er gewachſen; jeben Wunſch jeben Traum jeben 
flüchtigen Einfall und Gedanken koͤnne er zur Wirklichkeit bringen, 
wonach andere vergeblich fireben, das koͤnne er befizen und genießen. 
Diefe Möglichkeit fchon fehmeichelt der Selbſtſucht des Menfchen 
und feiner Eitelfeit auf eine folche Weife, daß viele in dem Zauber, 
welchen dieſe um fie webt untergehen. Denn was follen wir ans. 
ders fagen von benen, die fobald fie ein gewiſſes Maaß erreicht has 
ben nad) nichts mehr trachten, als nur die Maffe der irbifchen Güs 
ter immer mehr um fich anzuhäufen, nur bamit fie fi) an dem 
Sedanfen weiden Finnen, Was du dir irgend bisher haͤtteſt wüns 
fchen Eönnen, das koͤnnteſt du nun ſchon haben, und dennoch würde 
auch jedem neuen Gedanken dein Beſiz und beine Habe immer noch 
gewachfen fein. Diefer Zauber, welcher das Leben fo mancher Mens 
fchen beherrſcht, daß fie die Möglichkeit über die Wirklichkeit fezen 
und fih an dem Traum, daß fie jedem Wunſche genügen koͤnnten, 
erfreuen ohne einen wirklich zu machen: biefer ift eine folche Verir⸗ 
rung der menfchlichen Seele, die man ſich faum erfiären kann, und 
niemand, würde auf die Meinung kommen, daß fie möglich wäre, 
wenn wir fie nicht fo oft vor und fähen. Das iſt alfo allerdings 
das eine, was ber Erlöfer vor Augen gehabt hatz denn ifl der . 
Menſch fo gewöhnt in dem Anblikke feiner Mittel und Schäze fich. 
zu freuen alles deffen was er erreichen könnte, wenn er fie wollte 
in Anwendung bringen: womit ift feine Seele erfüllt, womit bes 
ſchaͤftigt fie fih? Nur mit dem mas auf eine folche Weife zu has 
ben ift, alfo mit dem was -außerhalb des Meiched Gottes liegt; 
benn in dieſem ift doch nicht3 zu haben nichts zu erwerben durch 
äußere Schäze. Iſt nun aber die Seele in folchen Gegenftänden be 
fangen: wie fol die Aufforderung in das Reich Gottes einzugehen 
auf eine irgend wirkſame Weife an fie gelangen? 

‚Aber es ift freilich auch noch ein anderer Abweg, wenn näms 
lich derjenige, welcher in dem Beſiz eined foldyen Uebermaaßes von 
Mitteln ſich befindet, fich nicht an ber bloßen Möglichkeit begnügt 
und beöhald-immer mehr von biefen Mitteln um ſich anhäuft, fons 
dern feine Freude daran findet wirklich jeden Wunſch jeden flüchtis 
gen Einfall jebe vielleicht auch wunderliche Laune zu befriedigen. 
Und ach wie wir die Menfchen kennen, müffen wir wol geftehen, 
nicht leicht fonft etwas reizt fo fehr den großen Haufen der Men: 


157 | 

ſchen zum Neid und zur Eiferfucht als ein folcher Anblitk. Wenn 
einer auf folche Weiſe ſich feibft geltend machen kann, unabhängig 
und fich ſelbſt genug auch dazu, wobei jebem fonft erfi anbere zu 
Hülfe kommen mußten, unabhängig und fich ſelbſt genug auch da, 
wo andere nur durch allgemeine Orbnung ficher geftellt werben, rein 
aus ber Fülle feines einzelnen Lebend, aus ben Umgebungen feiner 
eigenen Perfönlichleit heraus: das gewährt in der Regel jebem ge 
fellig lebenden Menfchen ein Selbfigefühl, dem wenig gleichlommt, 
bied wird dad Maaß feiner Selbflichäzung für ihn, und leider- reizt 
jedes folche Beiſpiel viele andere auch ſich baffelbe Ziel vorzufezen, 
ja wenn wir fragen, was wol in bem Gebiete biefer irdiſchen Dinge 
am meiften verbiene erfirebt zu werden, fo hören wir fehr allge: 
mein, Diefed. 

Welches von beiden, den Geiz ober die Gewalt der Willkuͤhr 
und ‚der Laune, bat nun ber Erlöfer inr Sinne gehabt als das 
Hinderniß, welches der Befiz des Ueberfluffes erregt in der menſch⸗ 
lichen: Seele, fo daß fie deshalb nicht in das Reich Gottes kommen 
koͤme? und dad wird doch baffelbe fein, ald wenn wir fragen, wel: 
ches von beiden feiner Natur nad) ben Eingang in das Reich Got: 
tes am meiften erfchwere. Der Geiz iſt doch nur eine Herrſchaft 
des Scheind, und wir werben wol geftehen müfjen, wenn nur ein 
Strahl der Wahrheit in eine folhe von diefem Schein bebaftete 
‚Seele hineinfält, müffe ed möglich fein, daß fie in einem Augen: 
blikk entzaubert werbe und fich diefer unerklärlichen Gewalt, welche 
fie beherriht hat, entwinde. Ja nothwendig wird jeber aufhören 
müffen die irdifchen Mittel auf fo thörichte Weiſe zu überfchäzen, 
wenn ed und nur gelingt ihm eine Ahnung beizubringen von irgend 
einem geifligen Gut, welches durch alle diefe Mittel. auch nicht im 
geringften erworben werben kann. Aber daß fich der Menfch des 
Genuſſes entfchlagen fol, den ihm jened Selbftgefühl gewährt; daß 
er darauf Verzicht leiften fol in jebem beliebigen Augenblikk fich 
felbft und andere davon Überzeugen zu koͤnnen, daß er vermag was 
er nur will: das. iſt, werben wir wol fagen müffen, fchwer zu er 
reichen. Und fo wie wir und dies in der menfchlichen Seele den: 
ken, die Gewöhnung jebe Laune und jeden Einfall zu befriedigen, 
‚and die Freude nicht hieran allein fondern auch Freude an bem 
Neid und der Bewunderung, welche died bei anderen erregt: fo wer: 
den wir gen in die Worte des Erloͤſers ausbrechen, Wie ſchwer ifl 
eß doch, daß ein reicher, der einmal dieſen Weg eingeichlagen bat, 
in dad Reich Gottes komme! Denn barüber werden wir und wol 
leicht verſtaͤndigen m. a. 3., dag in dem Reiche Gottes jeder ſich 











635 
der Laune und ber Willkuͤhr entihlagen muͤſſe, und daß bort keine: 
ſolche perfönliche Befriebigung irgend etwas gelten fann. ' 

‚Doch wird vielleicht mancher einwenden, Wie? ift denn wirt: 
ih in dem Reiche Gottes in ber Gemeinfchaft der gläubigen alles 
fo genau beftimmt durch feflftehende Ordnung und von allen aner: 
kannte Geſeze, durch allgemein geltende Regeln, daß keine Willkuͤhr 
mehr Plaz findet? Freilich mit nichten ift darin alled gefezlich bes 
flimmt; oft das größefte kommt ganz frei ungejucht unerwartet aus 
dem innern.einer einzelnen gläubigen Seele hervor, die ausgezeich⸗ 
netften größeflen Werke rühmen fich eines foldyen Urſprungs; aber 
vie fehr verfchieben ift Diefer au von dem, was wir unter jener 
Laune unter jener Willkuͤhr und jenen oft ganz unerflärlichen Ein⸗ 
fällen der Perfönlichkeit verflanden haben wollten! Es ift freilich 
ein unergrünbliched Geheimniß, wie in der menfchlichen Seele oft 
ohne allen äußern in die Augen fallenden Zufammenhang Gebanten 
entſtehen, die eine folche Stärke gewinnen, daß es nicht mehr mög» 
ich ifl fie von der Hand zu weilen, fo baß fie die Menſchen gleich 
ſam mit unwiberfiehlicher Gewalt zum Handeln treiben. Aber vers 
gleihen wir die in finnliche Genüflfe und Beſtrebungen verfenfte 
Seele und dad, was auf folche Weife in ihr entfieht, mit ber glaͤu⸗ 
bigen in die Gemeinfchaft bed Reiches Gottes verfenkten Seele und 
dem, was ebenfo geheimnigvoll in diefer entficeht aber immer von 
dem Triebe aus, der dad Weſen ihres Lebens ift, dem dad Reich 
Gottes zu fördern: welch ein gewaltiger Unterfchied! Wie redet bie 
Schrift unferd neuen Bundes über folche in der Seele des Men: 
fchen entfiehende Gedanken, die eine Richtung haben auf die Körbe 
rung. des Reiches Gottes? Was wir darüber lefen in ber heiligen 
Schrift, dad lautet immer fo, Der Geift forach zu ihm, der Geift 
trieb ihn dazu. Was ift diefer Geift? ift er eben jene willlührliche 
Laune, die bald diefem bald jenem Einfall folgt, von diefem zu je 
nem Genuffe regellos umherſchweift? Wie weit entfernt! Aber 
freilich ift e8 nicht genug dieſen Unterfchieb zu bemerken; wir müf 
fen auch wiffen, woher kommen denn diefe Gedanken, welche auf fo 
unwilfführliche Weiſe entftehen aber immer im Zuſammenhange mit 
der Foͤrderung bed Reiches Gottes auf Erden find? Der Geiſt, iſt 


er etwad anderd ald das gemeinfame Leben der gläubigen mithin . | 


als dad Leben und die Kraft Chrifti, welche durch ihn audgegoffen 
ift über die, welche ihn erkennen für ihren Herm und Meifter? 
Was in einer folchen Seele entfieht, fei es oft- auch ein plözlicher 
Schneller unerftärlicher Gedanke, aber es gewinnt eine Kraft in ihr: 
woher gewinnt es dieſe, wenn wir auch nicht begreifen koͤnnen, wie 
es entftanden ift? Doc gewiß nur dadurch, daß jeder jich felbft 


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überzeugt, Das iſt ber Ausdrukk des chrifllichen Gemeingeiſtes in 
dir, dieſer Gedanke iſt dad Ergebniß von der Treue, mit welcher bu 
in die allgemeinen Angelegenheiten des Reiches Gottes in die Be 
bürfniffe deffelben in das was bu ſelbſt dafür leiſten kannſt hinein: 
. gefehaut Haft; daraus ift dir diefer Gebanfe geworden. Denn ohne 
eine ſolche Ueberzeugung wird Fein gläubiger feinen Gedanken eine 
folhe Kraft einräumen; vielmehr verwirft er fie als felbflifch, als 
nur aud feinem einzelnen Leben her. Die er aber ald vom Geiſt 
kommend erfennt, benen fchliegen fi dann aud andere gläubige 
an, ſtimmen ihm bei mit ihren Gedanken und unterflügen ihn mit 
ihren Kräften. Dem niemals geht ein gläubiger, weil er ein Glied 
des Meiches Gottes ift, darauf aus irgend etwas zu verrichten allein 
durch fich ſelbſt; ſondern wie alle Gaben des Geiftes fich bewähren 
zu gemeinfamem Nuzen und keinen andern Gegenfland haben als 
diefen: fo fuchen auch alle gläubigen für ihre Gedanken die befreun: 
dete Unterflüzung. Diefe Gedanken wollen wie fie auch entflanden 
find fogleich ein gemeinfames Gut werden, nehmen nicht nur bie 
eigerte Kraft deflen in dem fie entftanden find fondern auch bie der 
andern in Anſpruch, haben auch gar feine Richtung auf ihren Ur- 
beber fondern wollen alles nur fein für das gemeinfame Weſen, für 
den geifligen Leib des Herm, und dadurch allein geben fie fich Fund 
als das Malten bed Geiftee. Kann ed nun wol einen größeren 
Gegenfaz geben al8 biefen, ob ber Menfch fich ganz hingiebt in ben 
Gehorſam des Geiftes, daß er auch in den geheimnigvollen Bewe⸗ 
. gungen feiner Seele nichfd fein will ald ein Werkzeug deſſelben, 
und ob er fich feiner Laune bingiebt und feiner perfönlichen Bil: 
kuͤhr folgt um nach ihr zu denken und zu handeln? Einen gwöße: 
ren Gegenfaz giebt ed nicht, und darum hatte der Erlöfer Recht zu 
fagen, Wer einmal dem fich hingegeben bat, wen fein Reichthum 
verlofft hat in biefe Freude an der Willkuͤhr: wie fol der fi in 
einen fo hingebenben fo auch das geheimnißvolle innere in Anfpruch 
nehmenden Gehorfam hineinfinden, wie die Kinder bed Reiches fich 
auflegen! Davon iſt er weit entfernt und muß alfo traurig wers 
ben, wenn ihm zugemuthet wird nicht etwa biefer Güter ſich ganz 
oder theilweife zu entäußern, aber doch der Gewohnheit willkuͤhrlich 
mit ihnen zu fchalten ſich zu entichlagen. 


U. Das alfo m. a. 3. fei gefagt über die Gefahr, welche ber 
Erloͤſer darftellt; nun aber laſſet und fragen, was für eine Huͤlfe 
giebt er dagegen an? Er fagt, Bei Menfchen iſt es unmöglich, 
aber bei Gott ift ed möglich. Auch diefe Worte erregen und wieder 
ein neus und befondered Bedenken. - Wie, ift es benn bei andern 


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der Laune unb ber Willkuͤhr entfchlagen müfle, und daß bort keine 
ſolche perlönliche Befriebigung irgend etwas gelten kann. ' 

Doch wird vielleicht mancher einwenden, Wie? iſt denn wirk⸗ 
Lich in bem Reiche Gottes in der Gemeinfchaft der gläubigen alles 
fo genau beftimmt durch feftftehende Ordnung und von allen aner⸗ 
kannte Geſeze, durch allgemein geltende Regeln, bag Feine Willkuͤhr 
mehr Plaz findet? Freilich mit nichten ift darin alles gefezlich bes 
flimmt; oft dad größefte kommt ganz frei ungefucht unerwartet aus 
dem innern einer einzelnen gläubigen Seele hervor, bie ausgezeich⸗ 
netſten größefien Werke ruͤhmen fich eines ſolchen Urſprungs; aber 
wie fehr verfchieben ift diefer auch von dem, wad wir unter jener 
Laune unter jener Willkuͤhr und jenen oft ganz unerklaͤrlichen Ein⸗ 
fällen der Perſoͤnlichkeit verflanden haben wollten! Es ift freilich 
ein unergrünbliched Geheimniß, wie in ber menfchlichen Seele oft 
ohne allen Außern in die Augen fallenden Zufammenhang Gedanken 
entftehen, die eine ſolche Stärke gewinnen, daß es nicht mehr mög> 
lich ift fie von der Hand zu weilen, fo daß fie Die Menſchen gleichs 
fam mit unwiderſtehlicher Gewalt zum Handeln treiben. Aber ver: 
gleihen wir bie in finnliche Genüfle und Beſtrebungen verſenkte 
Seele und dad, was auf folche Weife in ihr entfteht, mit der gläu: 
bigen in die Gemeinichaft des Reiches Gottes verfenkten Seele und 
dem, was ebenfo geheimnigvoll in diefer entjteht aber immer von 
dem Triebe aus, der dad Weſen ihres Lebens ift, dem dad Reich 
Gottes zu fördern: welch ein gewaltiger Unterfchieb! Wie redet die 
Schrift unferd neuen Bundes über folhe in der Seele ded Men: 
ſchen entflehende Gedanken, die eine Richtung haben auf die Foͤrde⸗ 
rung ded Reiches Gottes? Was. wir darüber leſen in ber heiligen 
Schrift, dad lautet immer fo, Der Geift fprach zu ihm, der Geift 
‚trieb ihn dazu. Was ift diefer Geift? ift er eben jene willkuͤhrliche 
Laune, die bald diefem bald jenem Einfall folgt, von diefem zu je 
nem Genuffe regellod umherſchweift? Wie weit entfernt! Aber 
freilich iſt es nicht genug biefen Unterfchieb zu bemerken; wir müf: 
fen auch wiffen, woher fommen denn dieſe Gedanken, welche auf fo 
unwillkuͤhrliche Weiſe entflehen aber immer im Zufammenhange mit 
der Foͤrderung des Reiches Gottes auf Erben find? Der Geift, iſt 
er etwas anders ald das gemeinfame Leben der gläubigen mithin 
ald dad Leben und die Kraft Chrifti, welche durch ihn ausgegoffen 
ift über die, welche ihn erkennen für ihren Herrn und Meifter? 
Was in einer folhen Seele entfieht, fei ed oft- auch ein plözlicher 
fchneller unerklärlicher Gedanke, aber ed gewinnt eine Kraft in ihr: 
woher gewinnt es diefe, wenn wir auch nicht begreifen können, wie 
es entftanden iſt? Doc gewiß nur dadurch, daß jeder ſich felbft 


638 
Gott möglich if; und fie iſt wol Mar genug. Freilich müffen wir 
den gemeinfamen Zuftand ber menfchlichen Dinge wie er vor uns 
liegt beachten; wir bürfen nichts aus dem Auge laffen, was uns in 
dem Umkreis unſeres gefelligen Lebens irgend bedeutend bewegt: 
aber dann werden wir auch den Sinn biefer Anweifung des Erloͤ⸗ 
ſers gewiß verfichen. Denn das Tann. feinem entgehen, je mehr in 
der menfchlichen Gefelfchaft Laune und Willkuͤhr gilt, um deſto 
‚mehr wird dieſer Uebermuth bed Reichthums genährt. Und gewiß 
dieſes Wort braucht kaum ausgefprochen zu werben, fo wird ſich 
auch jeder in der Stille feines Herzens fagen, dies gelte nicht nur 
‚von dem äußeren Reichthum irbifeher Güter, fondern es giebt einen 
innen Reichthum, in Beziehung auf welchen wir leider oft ganz 
daffelbe bemerken. Auch die Kräfte bes Geiſtes müflen in ihrer 
Thaͤtigkeit fi in die gemeinfame Ordnung ſchikken und dem bas 
‚ganze umfaffenden Gefez dienen; aber wie oft haben wir nicht ſchon 
erfahren, und noch immer gefchieht ed, und wir werben es auch 
noch erfahren müflen leider an vielen ausgezeichneten Männern, die 
von der Natur ganz befonderd ausgeſtattet mit geiſtigen Gaben, an⸗ 
ſtatt ſich mit dieſen Gaben in eine Laufbahn des Lebens zu fuͤgen, 
in der ſie auf regelmaͤßige Weiſe beſchaͤftiget waͤren und in jedem 


Augenblikk verpflichtet und veranlaßt etwas fuͤr das gemeinſame 


Wohl zu thun, ſich nur der Laune oder der Willkuͤhr hingeben mit 
allen ihren Gaben und Kraͤften. Auch dieſe ſind doch ſolche reiche, 
von denen wir oft mit der tiefſten Wehmuth und mit der Außer 
fien Bewegung bed Herzens, eben weil fie fo reich ausgeſtattet find, 
fügen müffen, Wie ſchwer ift e8, daß ein reicher in das Reich Got: 
tes eingehe!- Aber um fo dringender ift bie Aufforderung, welde 
an und ergeht, und ganz von dieſer Schäzung menfchlicher Dinge 
zu Iöfen, auf nichts einen Werth zu legen und nichts hoch zu ach⸗ 
ten, was ohne Rükfficht auf den Zuſammenhang bed guten und 
auf das, was den Menfchen frommt, nur die Laune und bie per: 
fönlihe Willkuͤhr verkündigt. Das gefchieht aber nur durch ben 
Ernſt, mit dem wir darauf halteri, daß in allen’ Angelegenheiten ber 
Menfchen eine Herrſchaft des Gefezes eine Macht der Sitte eine 
gemeinfame Zucht walte, welcher jeber auch der am reichflen ausge 
ftattete fi unterwerfen muß, wenn er etwas gelten will in der 
Meinung und Achtung der Menfchen. Je kraͤftiger wir hierauf 


binarbeiten, deſto eher. erlöfen wir die armen reichen von der Ge 
fahr, die über ihnen ſchwebt, und nehmen hinweg von ihnen, wa 


fie hindert. ihren Weg in das Reich Gotted zu finden. Ja indem 
fie dem gemeinfamen zu bienen genätbigt find, werben fie vorher 


639 
Fchon darauf bereitet die eigene Luft zu baͤndigen und zu zähmen, 
zınd auf diefe Weife gebt und bearbeitet werben fie fi) dann in 
Dem Reiche Gottes anfehen lernen — mag ed innerer ober äußerer 
Meichthum fein womit fie außgeflattet find — nur als foldhe, die 
von Gott gefezt find über mehr als die meiflen ihrer Brüber, nur 
als Haudhalter über die ‚Gaben und Geheimniffe Gottes. Denn 
gewiß nicht nur die geifligen in ihren Aeußerungen oft fo unbegreif: 
‚lichen und wunderbaren Kräfte der Menfchen, ſondern auch. ihre 
aͤußeren Hülfsmittel in der Beziehung, welche fie haben auf. das 
Reich Gottes auf die Verbreitung bed Lichtes und der Wahrheit 
unter dem menfchlichen Gefchlecht: wohl gehören fie zu den geleg: 
nneten Gaben und in ihrer- Verwaltung und ihrem Einfluß zu den 
ſich imnier mehr offenbarenden Geheimniffen Gottes. Wie lange 
find fie unerforfcht geblieben, wie lange haben die Menichen ihre 
Kräfte und Hülfsmittel nur irbifchen Zwekken gewidmet: izt aber 
ift es offenbar „geworben, izt Tann Feiner fagen, daß er nicht fehe, 
wie er feinen Reichthum fol anwenden zum Nuzen bed Reiches 
Gottes! Und wenn dann noch diefed dazu kommt, daß Lob Ehre 
Zheilnahme der Menfchen nur denen folgt, welche den Regeln des 
Reiches Gottes dienen; wenn fo immer mehr an ben Tag kommt, 
Daß alle die welche nach diefen Regeln einhergehen einen Abfchen 
haben gegen alled Walten ber Laune der Wilführ und der Eigen: 
macht: um fo mehr wird dann ber Unterſchied verfchwinden zwi: 
fchen armen und reichen, und alle werben nur fein Haushalter über 
die Gaben Gottes, der eine über vieles Der anbere über weniges 
gefezt, aber alle nur gefchäzt nach nichts anderm als nad) der Treue, 
womit fie darüber walten. Darum aber können wir auch feinen 
Gegenftand haben, ‚den wir inniger im Gebete vor Gott bringen, 
ald den: daß in einer Zeit von der man fagen kann, ſie iſt reich 
an Früchten für die Zukunft; der man ed nachruͤhmen muß, daß 
die Gefeze, nach denen dad Reich Gotted verwaltet wird, den Men: 
fchen immer befannter werben und fie beherrichen, und daß bie Ge: 
müther fich immer mehr bem einen gemeinfamen höheren Ziele zu⸗ 
wenden; eine Zeit, von ber wir fagen müflen, es gefchieht viel 
darin um die Herrichaft der Ordnung der Sitte und der Zucht in 
alien menfchlihen Dingen an die Stelle der Laune der Willkühr 
der Eigenmacht zu fezen: ach daß fie nicht ihren: fchönen Ruhm 
verliere; daß nicht in dem Streben bie beftehende Ordnung zu er: 
halten oder eine höhere und befiere zu gründen felbft wieder bie 
Willkuͤhr die Zerſtoͤrungsſucht fid) Raum mache, und böfed gefchebe, 
damit — o wie im Widerſpruch mit aller göttlichen Ordnung, wie 


entfernt von aller menfchlichen Wahrſcheinlichkeit — bamit gutes 
daraus erfolge. So wir aber auf jenem ebenen und flillen Wege 
-fortwanbeln, diefes und alle Worte bed Erlöferd treu zu Herzen uch 
men und auf dad Leben anwenden: dann werben balb immer mehr 
:alle, reiche und arme, hohe und niebrige, erleuchtete und bie weiche 
‚noch vorzüglich ber leitenden Hülfe der andern bebürfen, zu 
und demfelben Zwekke hinwirken, auf daß alle Thaͤler immer mehr 
gefüllt und alle Höhen geebnet werben, damit fo gebahnt und be 
reitet werbe ber Weg des Herm. Amen, 


Lied 25, B. 2—3. 

















LI. 
Am 7, Sonntage nad) Trinitatis 1833. 


Lied 41. 437. 


Text. Luk. 11, 23. 


Wer nicht mit mir iſt, der iſt wider mich; und wer 
nicht mit. mir fammelt, der zerftreuet. | 


Mm 9. 3. Diele Worte bed Erlöfers werben wol jedem ganz na⸗ 
tuͤrlich erſcheinen, der ſich in ſeine Lage verſezt. Denn wenn er 
derjenige war, welcher kommen mußte um ein Reich Gottes zu ſtif⸗ 
ten und die Menſchen zu der ſeligen Gemeinſchaft mit ſeinem Va⸗ 
ter zuruͤkkzufuͤhren; wenn dabei das Ziel ſeiner irdiſchen Laufbahn 
ſeiner unmittelbaren Einwirkung auf die Menſchen ſo kurz abgeſtekkt 
war: wie waͤre es anders moͤglich geweſen, als nur durch die Un⸗ 
terſtuͤzung anderer, durch das Fortwirken derer, die zuerſt ſeinen Wor⸗ 
ten Gehoͤr gegeben, daß er folche Anbeter Gottes im Geiſt und in 
der Wahrheit ſammeln konnte, wie der Vater ſie begehrt. Da er⸗ 
ſcheint es als der ſehr natuͤrliche Ausdrukk eines ganz auf ſein ho⸗ 
hes Ziel hingerichteten Gemuͤthes, alle die nicht mit zugreifen woll⸗ 
ten, alle die nicht ihm fainmeln halfen auch als feindſelig als wis 
ber ihn gerichtet als zerfireuend anzufehen. Aber wenn wir nur 
nicht ein anbered bem ganz entgegengefezted Wort. bed Erloͤſers häts 
ten, welches gewiß auch einem jeben gleich eingefallen ift bei bie: 
ſem! Denn ein anbermal- fagt er, Wer nicht wider und ift, ber ifl 
für und *). So fehr wir jemed firenge Wort unferd Textes natürs 


) Marl, 9, 40, Luk 9,50. . 
lil. Sf 


642 


lich. finden: fo fehr ergreift und auf der andern Seite und erfcheimt 
und in ber - göttlichften Liebenswuͤrdigkeit dies Wort der Milde 
Wer nur nicht geradezu fich gegen ihn erklärt, wer nur nicht gere- 
dezu feindfelig gegen ihn handelt und wirkt, der müffe nothwendig 
für ihn fein und mit ihm, von dem müfle aud ihm und feiner 
Einwirkung auf die Menfchen etwas zu ftatten fommen. Betrach 
ten wir nun m. a. 3. die Geflaltung des chrifllichen Lebens wm 
und, ber, die verfchiedene Art wie fi) die Anhänglichkeit der glän- 
bigen an den Erlöfer ausſpricht: fo muͤſſen wir geflehen, es iſt das 
gewoͤhnlichſte, daß ſi ſie ſich theilen in dieſe beiden Ausſpruͤche des 
Herrn. Die einen halten es mit jenem Worte des Eifers und der 
Strenge, das wir zuerſt vernommen haben, die andern halten es 
mit dieſem duldſamen Wort der Milde, an dad ich hernach erin- 
nerte. Aber wenn fie ſich nicht nur auch darin wieder theilen, ſon⸗ 
bern auch eben dieſes wiederum ein Gegenftand des Streitd und ber 
Zwietracdht für fie wird; wenn die, die ſich an das eine Wort bed 
Erlöferd halten, von den andern für kurzſichtige thörichte blinde Ei⸗ 
ferer um todte Buchflaben und Außerlihe Einrichtungen dargeſtellt 
werden, und wiederum, die fi) an dad andere Wort der Milde be3 
Erlöferd halten und dem folgen wollen mit ihrem eigenen Sinn 
und Weſen, von den andern bargeftellt werden als laue Chriften, 
denen wenig oder gar nicht zu thun fei um bie Erhaltung ber lau: 
tern. Gefinnung unter den Chriften: was follen wir fagen, ald daß 
beide gewiß dem Erlöfer hierin nicht gleichen, und feiner von bei: 
den ein Recht habe fid) auf ihn zu berufen, weil die Wahrheit des 
Erlöferd in beiden Ausfprüchen nur ift, nicht ſofern fie entgegenge- 
fezt find, fondern wenn fich auch in uns beides, fo wie e& in bem 
Erlöfer war, vereinigt. Alfo durch dieſe Wergleichung unfered Ter. 
tes mit jenem andern Ausſpruch wird auch diefes Wort bed Erioͤ— 
jerd, fo klar ed auf ben erften Anblikk zu fein ſchien, fobald es uns 
jenes ind Gedaͤchtniß zurüffruft, wieder zu einer ſchwierigen Rebe 
für und. Und foviel ift doch gewiß, daß wir weber ben einen noch 

den anderen Ausfpruch richtig verftchen koͤnnen, wenn wir fie nicht 
beide auf einander beziehen und nicht auch in uns die Strenge des 
einen und die Milde des andern daſſelbe iſt. Und fo laßt und aus 
beiden gemeinfam zuerſt fehen, wie der Erlöfer daB verfchiebene Ber- 
haͤltniß der Menfchen zu ihm beurteilt, und welchen Maaßflab er 

dabei anlegt. Dann werben wir, wenn wir dies zuerft betrachtet 

haben, nun aud zweitens fragen koͤnnen, weiche Aumenbung für 

uus in unferm Werhältniffe zum ganzen chrifilichen Leber von bie 

fen Worten des Ertöfers zu machen ifl. Das fei ed. denn, "wozu 


643 


der Herr uns in biefer Stunde der Andacht feinen Segen und Beis 
ftand verleihen wolle. | 





1.‘ Wenn wir alſo zuerft fragen m. a: 3., welches Maaß giebt 
der Erloͤſer feibit an, wonach er das Verhaͤltniß der Menfchen zu 
ihm beflimmt: fo würben wir immer ungewiß bleiben müffen und 
würden und. in manchen Fällen zu dem einen in anderen aber zu 
dem andern biefer beiden Worte hinwenden, wenn uns nicht in den 
Erzählungen der Evangeliften die Umſtaͤnde aufbewahrt wären, uns 
ter welchen er dad eine und. unter welchen er das anbere gefprochen 
hat: fehr ähnliche allerdings, wenn man auf die Weranlaffung fieht, 
aber fehr verfchieden zugleich, wenn man die Aeußerungen ber Men» 
ſchen in Erwägung nimmt, auf welche: fie fich beziehen. Das milde 
Wort, Wer nicht wider uns ifl, der ift für uns, fprach der Exrlöfer,. 
als feine Jünger ihm erzählten, fie hätten einen gefehen, der. hätte 
Geifter auögetrieben in feinem Namen, es wäre aber ein folcher ge 
weien, ber boch nicht mit ihnen und andern ihm nachgefolgt wäre; 
da hätten fie ihm denn .gewehrt. Darauf fagt der Erföfer, Ihr 
hättet ihm nicht wehren follen, denn wer nicht wider und ift, ber 
ift für und. Aber finden wir hier nun dad Maaß um zu beſtim⸗ 
men, wer denn eigentlich wider ihn fei? das Liegt in ben Umſtaͤn⸗ 
ben jener Erzählung nicht. Das flrengere Wort des Erlöfers, wel⸗ 
ches ich vorgelefen und unferer Betrachtung zum Grunde gelegt: 
habe, ſprach er, als auch einer zu ihm gebracht wurbe mit einem 
böfen Geifte, der ſtumm war. Als er ihn aber nun befreite von 
diefem Uebel, fo fagten einige von ben anwelenden, die zu den Phas 
rifäern gehörten, er treibe die böfen Geifter aus durch die Hülfe des . 
oberften unter ihnen; und in der Antwort, die der Erlöfer hierauf 
gab, finden wir dies Wort, Wer nicht für mich iſt, der iſt wider 
mich; wer nicht mit mir fammelt, der zerfireuet. Nun willen wir 
wol, diefe waren gewiß wider ihn, denn welche Veranlaſſung hätte 
er fonft gehabt hiervon zu reden? aber: in diefer Erzählung und Be 
gebenheit finden wir wiederum dad Maaß nicht, welches beftimmen 
muß, wer denn nun für ihm ſei. Und dies muß doch eigentlich ent» 
fcheiden, weil das wider ihn fein anfängt wo jened aufhört. So 
müffen wir alfo nothwendiger Weife den einen biefer Audfprüche 
durch den andern ergänzen. Was war es denn, weswegen ber Ers 
Iöfer in jenem Fall fagt, dem hätten fie nicht wehren follen, denn 
er wäre ja eigentlich für fie, weil er nicht wider fie ſei? Er hatte 
in dem Namen des Erloͤſers böfe Geiſter audgetrieben, er hatte ſich 
alſo ſeines Namens und des Eindrukks den dieſer machte bedient, 
aber ohne eigentlich ihm nachzufolgen. Bir er ſelbſt Jeſum 
u | 2 


644 


alfo eigentlich hielt, , dad freilich geht aus biefer Erzählung nik 
hervor. Daß er noch nicht in dem Fall gemweien ber naͤhem Se 
meinfchaft mit dem Erlöfer fein ganzes Leben hinzugeben, das ſehen 
wir ganz beutlich aus dem, was die Jünger vom ihm fagen, un 
was der Herr auch gar nicht widerlegt oder für unrichtig erklärt 
Weswegen denn fagt er, daß biefer doch für ihn fei? Wir finm 
in einer von diefen evangelifchen Erzählungen noch ein erläutern 
Wort hierüber, welches von der größten Merkwuͤrdigkeit iſt. Zu 
fügt er nämlich hinzu, Denn ed kann nicht leicht einer eine Zi 
tbun in meinem Namen, und bald darauf doch wiederum übles ven 
mir reden ). Alfo das erkannte er an und gab es zu, dieſer habe 
eine That gethan in feinem Namen alfo allerdings auch dazu be: 
getragen, daß diefer Ruhm von den Thaten des Erloͤſers fich weite 
verbreitete; und die Thaten dieſes Mannes, weil fie in dem Rama 
Jeſu von Nazareth gethan waren, kamen zu ben Thaten hinzu, Die 
diefer ſelbſt und feine eigentlichen Zünger in feinem Ramen verrich 
teten. Aber welche außerordentliche Demuth und Beſcheidenheit liegt 
nicht in den Worten des Erlöferd, Wer eine. That in meinem No 
men thut, der kann nicht hernach leicht wieder uͤbles von mir 1e 
den; dadurch alſo, das ift offenbar feine Meinung, fezt ſich jede 
außer Stand wider ihn zu fein, unb wer nicht wiber mich if, fügt 
er, der ift für mich. - ' | 
Was follen wir nun aber in Beziehung auf ben andern Fall 
fagen, als der Erföfer zu denen, welche ihm Schuld gaben, daß @ 
die böfen Geifter austreibe Durch den oberflen von ihnen, bie Bor 
unſers Textes fagte, Wer nicht für mich ift, Der iſt wiber mid; 
wer nicht mit mir fammelt, ber zerſtreuet? Offenbar koͤnnen mE 
nur jene andere Rebe bed Erlöfers dabei zum Grunde legen, fodP 
er alfo fagen wollte, wer nicht wenigſtens fo weit für mich if, dej 
er meine Thaten gelten läßt, daß er die Kräfte bie Gott in mid 
gelegt hat anerkennt, wer nicht fo wenigſtens von dem was ich bin 
und von der Art wie ich mich darſtelle ergriffen ift in feinem Ge 
muͤth, daß er außer Stande wäre und ed nicht über ſich gewinnt 
Eönnte uͤbles von mir zu reben: nun wol! wer das nicht if, der 
ift wider mich; ber fammelt nicht, fonbern ber zerfireut. Und ur 
felbe wiederum auf jenen andern Fall angewendet, will alſo der 
Erlöfer dort fagen, jeder der nicht fo wider mich if, daß er ma® 
Thaten ald nicht aus einer guten Quelle kommend anſieht, jede der 
nicht in dem Sinn wiber mich ift, daß er auch üble von mir IF 
det, und ba was ich bin und thue einem Bufammenpange mit DM 


) Merk. 9, 19. 








685 

böfen zufchreibt, o ber ift auch gewiß für mich, ber zerſtrenet auch 
nicht, fondern der fammelt. Ze 

Was und nun hierbei m. a. noch auffallen Eönnte, das ift wol 
dies, daß der Exlöfer eines dritten zwiſchen beiden gar nicht ers 
wähnt, ja daß er ein folche gar nicht fcheint ‚gelten laflen zu wols 
len: benn bad geht aus beiden Ausſpruͤchen gleichmäßig hervor, 
daß niemand koͤnne weder für ihn fein noch wider ihn. Wohl! 
dieſes Bewußtfein alſo ‚von dem Verhaͤltniß zwifchen ihm und ben 
Menſchen lag in beiden Fällen feinen Aeußerungen zum Crunbe, 
überfehen koͤnne er nicht werben, gleichgültig koͤnne er feinem fein, 
als nichtig koͤnne fein Dafein und feine Wirkſamkeit feine ganze 
Art und Weiſe feinem erfcheinen, vielmehr erfiären müfle fich jeber 
und beſtimmen in fich ſelbſt für ihn ober wider ihn. Aber wie? 
liegt ed nicht vielmehr in ber Natur bed Menfchen, wie wir fie ja 
alle kennen, daß es gar viele geben muß, für weiche das ganze Ge 
biet, welches die Wirkſamkeit des Erloͤſers umfaßt, fo gut ald‘gar 
nicht vorhanden iſt, und. denen alfo auch er mit feinem Zwekk und 
Biel und mit der Art wie er wirkte ganz gleichgültig fein muß? 
Giebt es nicht nur zu viele Menfchen, die ganz und gar verſunken 
find indie Sorge für das. vergängliche und irbifche, fo daß fie noch 
den Gedanken an ein höhered Leben gar nicht fafjen können? Ich 
seine nicht Diejenigen, denen ein ſolcher Zuruf als etwas verführes 
riſches oder gefährliches erſcheint, weil fie die Sache ſelbſt für etwas. 
nichtiges halten, aber fie doch koͤnnten angeftefft werben und für 
Den Augenbliff von ber richtigeren Bahn abgelenkt, wenn einer auf: 
tritt, der andere Forderungen an die Menichen ‚macht, ein ganz an: 
deres Ziel ihred Lebens: ihnen vorhält unb einen ganz anden Ge 
Brauch ihrer Kräfte verlangt; ſondern bie meine ih, an benen bie: 
fed immer unvernommen vorübergeht. Allerdings iſt ed von Feiner 
Zeit zu laͤugnen, daß «8 folche giebt; und wenn wir auch, fo breift 
wären zu fagen, baß wenigſtens izt bergleichen nicht .mehr vorhan⸗ 
den fein Eönnten ober wenigfiend nicht in dem Umfang ber chriſt⸗ 
lichen "Kirche, wo die Anforderungen an ein geiſtiges Leben täglich 
erichallen und in die Dhren ber Menfchen eindringen: fo werben 
wir dach zugeben mäflen, daß ed nur deſto mehr folche gehen Fonnte - 
in ben Zagen bed Exlöjerd, wo ja biefe Stimme zuerſt ald etwas 
neues erfchallte, um die Menfchen aus dieſem Zuflande der Sorge 
um das irbifche zu einem höhern zu erwekken. Und ſolche hat ber 
Erloͤſer gewiß auch nicht überfehen: wie kommt ed nun, baß er ih: 
ver gar nicht erwähnt, ja feine Rede fo .einrichtet, ald ob fie gar 
nieht da wären? Freilich waren. bie auch gar nicht ba für ihn! fie 
kamen auf dieſem Gebiet gar nicht in Betracht, vielmehr mußten 





fie erſt auf alle Weiſe gereizt unb ‚aufgeregt unb fo dahin gebradt 
. werben, baf fie fi) entweber für ihn erklärten oder gegen ihn. So 
lange biefed nicht in. ihnen bewirkt werben Tonnte, hatte er freilich 
über fie nichtö zu fagen; aber inbem feine Rebe ja auch an fie ge 
langte, war dad wenigfiend die Abficht feiner Liebe, daß fie nick 
folche bleiben follten, ſondern alle follten wenigfiens zu einem fol 
den Erwachen gebracht werben, baf ber Unterfchieb zwifchen dem 
gevohnten und bem neu verkündigten Leben ihnen ebenfalls Far 
vor Augen treten, und fie zu einer Wahl gebracht werben müßten, 
um dann mit Bewußtfein in bem angegebenen Sinn entweber für 
ihn oder gegen ihn zu fein, und fie entweder in ihrem früheren Zu: 
ſtand bleiben ober ihn verlaffen für bie fchöne Ausficht auf ein hei 
led freundliches Dafein in einem feft begründeten Frieden Gottes. 
Das alfo m. a. Fr. ift dad Maag, welches der Erlöfer in bie 
fen feinen Reben anlegt. Es kann und nun freilich leicht umzurei⸗ 
chend erfcheinen, nidyt nur um wiederum auch unfer Maab zu wer 
den, fondern auch ald das feinige im allgemeinen, weil es fich im 
beiden Fällen fo genau auf die beflimmte Weranlafjung, die im bei: 
ben fo fehr diefelbe war, zu beziehen fcheint. ‚Wie? war bean das 
alles, worauf ed dem Erlöfer überhaupt ankam, wie die Menſchen 
urtheilten über die Thaten dieſer Art, welche er verrichtete? war es 
ihm genug, wenn nur ber Glaube ſich immer mehr befefligte, dei 
er im Stande fei dad Wolk durch wunberthätige Wirkungen von 
gewiffen leiblihen Uebeln zu befreien? ober wären es auch ſolche 
Zuftände, an denen allerdings die Seele ihren befondern Theil bet, 
immer waren ed doch nur krankhafte Zuftände derfeiben in Bee 
bung auf den natürlichen Gebrauch der geiftigen Kräfte, ohne def 
ber -innere Menſch daburch litt. Denn riß auch ein folcher boͤſer 
Geift den Menfchen hin und bes zu frampfhaften und wilden Be 
wegungen, fo tonnte dach in allen felbfibewußten Augenblikken feine 
Seele Sott zugewendet fein: aber war der böfe Geiſt auch noch fo 
ſehr aus dem Menfchen auögetrieben, war er ehwa ſchon deswegen 
für dad Reid) Gotted gewonnen? Das Ohr war ihm wenn er 
taub geweſen war geöffnet, daß er bad Wort bed Lebend vernehmen 
Tonnte: aber mit dem Eräftigen Worte, das fein Ohr aufthat, war 
bewegen noch lange nicht auch dad Wort bed Lebens ſelbſt in feine 
Seele gebrungen. Dad Auge war ihm geöffnet, wenn er blind ger 
weien, und von ber Dunkelheit in ber er gelebt war er befreit: 
aber indem ex fich des irdifchen Lichte wieber erfreute, war damit 
noch lange ‚nicht auch bad himmlifche Licht von der Herrlichkeit des 
Sohnes Gottes in ihn gedrungen. Und wenn ber böfe Geift den 
Menſchen verließ, daß er nicht mehr genöthigt wurde unfreiwillig 








647 


zu thun was er nicht wollte, fondern Herr feiner Kräfte war: fo 


war er dadurch lange noch nicht der treue Haushalter über bie von 
Gott ihm anvertrauten Kräfte geworben. Und was half doch alles 
andere, wenn fich auch über biefe Thaten des Erloͤſers das Urtheil 
der Menſchen noch fo fehr zu feinen Gunften beflimmte, aber fie er⸗ 
Tannten ihn doch nicht für den, welcher ihnen zu dem geifligen Leben - 
verhelfen fonnte! War ed alfo wol richtig und der Wahrheit ge 
maͤß, wenn der Erlöfer diefed Maaß anlegte, Der ift für mich, der 
meinen Namen braucht um folche Thaten zu thun; ber iſt wiber 
mich, ja ſchon deswegen vollkommen wider mich, weil er dieſe Tha⸗ 
ten einer unachten Quelle zuſchreibt? 


1. Denn wir nun m. a. Fr. diefen Zweifel mit hinuͤber neh⸗ 
men wollen in den zweiten Theil unſerer Betrachtung um die Frage 
zu beantworten, was fuͤr eine Anwendung wir nun von der Rede 
des Erloͤſers zu machen haben, wenn es darauf ankommt zu be⸗ 
ſtimmen, welche von denen die mit und leben für ihn oder wider 
ihn find, Damit auch wir und auf die gehörige Weife zu ihnen ſtel⸗ 
Ien: fo zeigt fi) und die Rede des Erlöferd zuerft ald ganz im 
Widerſpruch mit der bei und gewöhnlichen und herrfchenden Art 
diefe Frage zu enticheiden. Denn wenn wir und vergegenmärtigen, 
wie ed bei und zu geſchehen pflegt, wenn jemand nach einem an⸗ 
dern fragt, ob er wol eigentlich fuͤr Chriſtum ſei oder wider ihn: 
ſo iſt die herrſchende Weiſe die, man verweiſet ihn auf des Mannes 
Lehre. Aus der Art wie jemand feine Meinung von dem - Erlöfer, 


feinen Glauben über ihn, über bad Ziel welches bie Menfchen durch 


ihn: erreichen follen, über die Art und Weiſe feiner Wirkſamkeit aus⸗ 
foriht, follen wir ihn erfennen, ob er für Ghriflum iſt oder wider 
ihn. Aber diefen Maaßſtab hat hier der Erloͤſer gar nicht angelegt, 
fondern. einfach nur Das Urtheil der Menſchen uͤber ſeine Thaten, 
das legt er zum Grunde. Verrichtete nun ohne Vollmacht dazu ei⸗ 
ner Thaten in Chriſti Namen, fo lagen dabei mancherlei wunber- 
liche Vorſtellungen zum Grunde; aber allerdings glaubte ein ſolcher 
wol, daß eine eigenthuͤmliche Kraft eben demjenigen den dieſer Name 
bezeichne beigelegt ſei, und ſezte auch wol voraus, daß dieſe von 
oben her komme. Ja es mag wol anzunehmen ſein, daß ein ſol⸗ 
cher auch zu denen gehoͤrte, die Jeſum von Nazareth wenigſtens 
fuͤr einen Propheten hielten. Aber wenn wir behaupten wollten, er 

habe ihn ſogar fuͤr den Chriſt Gottes gehalten: hat der Erloͤſer wol 
bei dieſem Ausſpruch daran gedacht, daß ja doch dies ein ganz an⸗ 
derer Glaube ſei, je nachdem jeder den einen oder den andern von 
dieſen Ausdruͤkken verſtand? und das iſt es doch ganz vornehmlich 


648 
wonach wir fragen, wenn wir die Lehre der Menſchen zum Ruf 
fiab nehmen um zu beurtheifen, ob fie für ihm oder wider ihn fm. 
Der Erlöfer alfo dachte dabei an etwas anbereö, aber welches wir 
fein Maaßſtab? Das giebt nun unfer Xert ganz bemtlich zu verſe 
ben; Sammeln ober Zerfireuen, das ift fein Maaß, und bamad 
beurtheilt er, wer für ihn und wer wiber ihn if. Sammeln, de⸗ 





heißt die Menfchen zu der Gemeinfhaft bilben und heranzicken 
welche von. ihm auögehen foll; Zerfireuen, das heißt fie zum 


fernen fuchen von feiner belebenden Kraft, fo bag fie von ihm 


nicht angezogen werben Tönnen, und alfo auch einander felbft nicht 


auf die rechte Weiſe näher gebracht fondern nur immer mehr g6 


trennt werden. Wie fich einer in biefer Beziehung verhielt, ob 
einer bie Gemeinſchaft förderte, bie Chriſtus zu fliften gefommn 
war, ober ob ex darauf ausging fie zu hemmen, bad war fm 


Maaß. 
Wenn wir m. a. Fr. alle bie vielfaͤltigen Streitigkeiten in de 
. Lehre von des Perfon von ber Würde des Erloͤſers, von ber An 
und Weife feiner Wirkſamkeit, welcher-Xheil feines großen Ber 
eigentlich auögerichtet worden fei busch feine Lehte, und welden wi 
hingegen feinem Leiden verdanken, fo wie weswegen zunaͤchſt fen 
Tod und zwar gerabe auf diefe und keine andere Weiſe mothmendis 


geweſen fei, — wenn wir und alle diefe Streitfragen denken: be. 


ben fie irgend einen unmittelbaren: bebeutenden Einfluß darauf bie 


Gemeinfchaft, in welcher das Reich Gottes beſteht, zu fördern ei 
zu hemmen? Wie? werben wir nicht geftehen müfjen, wenn mt 
ehrlich fein wollen, wenn einer unterfucht, weiche unter ben verläie 
benen Vorflellungen von der Würde bed Erloͤſers ihm mehr ode 
weniger zufagen, in was fir fie beflreitende ober mit ihnen übe: 
einflimmende Ausdruͤkke er feine Meinung ‚am beften zufanamenfor 
fen würde, gleichgültig wie viel oder wie wenig er i 
den großen erhabenen Ausdruͤkken, deren man zur Bezeichnung fer 
ner Herkunft feiner Kraft feines Leidens und Todes ſich bebient: 
bat nicht dieſes Beſtreben zu prüfen und zu vergleichen doch Imme 
biefelbe Beziehung auf bie Gemeinſchaft, die zu fliften der Erikt 
gekommen war? Liegt nicht in jeber Mittheilung zu dieſem — 
immer die Abſicht auch andere dahin zu bringen, daß ſie ſich mis 
Chriſto befhäftigen? und gehört ed alfo nicht weſentlich zu dem 
Thaten in feinem Namen volbringen? Und wenn nun if ’ 
ber. That bie heilfame Wirfamteit des Exlöfers auch weit grins" 
anſchlaͤgt ald mancher andere: zerftreut er deswegen? Oder 

wir nicht geſtehen müffen, daß doch alle dieſe verfchiebenen 

lungen, abgefehen von bem wahren, welches fie enthalten neben dem 








649 


Irrthum, ſchon dadurch daß fle den Streit weiten, doch immer und 
zwar mit Willen. und. Willen defien der ihn erregt dad Bewußtſein 
Davon aufs neue aufregen und nähren, daß eö keinen größeren und 
wichtigeren Gegenftand gebe, als bie richtige Erkenntniß bed Erloͤ⸗ 
ferd. Denn biefed fteht offenbar unter allen, die darüber flreiten, 
ald das ihnen indgefammt gemeinfchaftliche feit, und fie flößen e& 
auch allen denen ein, welche dem-Streit mit Theilnahme zufehen: 
fo daß auf welche Weiſe fie auch flreiten, mehr oder weniger befons 
nen und freundlich, und welches auch der Audgang bed Streites 
fei, doch die Gemeinfchaft, Die durch den Erlöfer gegründet ift, im» 
mer dabei gewinnen muß. Ia dies iſt auch aller flxeitenden heile 
eigentlicher innerſter Wille. Der Erlöfer felbft hat es nicht vers 
fchmäht feine Juͤnger einmal zu fragen, wahrſcheinlich als fie zus 
rüfffamen von einer ber Verkuͤndigungsreiſen, wozu er fie auöge 
ſchikkt, wer- denn bie Leute fagten, daß bed Menfchen Sohn feiz 
und ald er die verfchievenen Aeußerungen hörte, die damals alle 
über ihn ergingen, daß er ein göftlicher gefandte fei, daß Gott wie 
der einmal durch ihn fein Volk heimgefucht habe, und dag nun ges 
wiß wieber etwas großes gefchehen folle in Beziehung auf das Vers 
haͤltniß Gottes zu feinem Volke: da gab er freilich ihnen allein 
beftimmten Beifall und fagte, dad habe ihnen nicht Fleiſch und 
Blut, fondern fein Vater im’ Himmel offenbart, ald fie ihre Mei: 
nung ausfprachen, Wir aber glauben, du bift ber Sohn des leben: 
Digen. Gotted *). Aber verwarf er etwa jene andern, und Außerte 
er ſich firafend über die, welche ihre Aufmerkſamkeit doch auch ſchon 
auf ihn gerichtet hatten, wenn gleich fie noch nicht diefe höchfte Mei: 
sung von ihm gewinnen Eonnten? Hätten damals feine Juͤnger 
ihn gefragt, Sollen wir.nicht Feuer vom Himmel herab bitten, da⸗ 
mit es bie verzehre, welche eine fo geringe Meinung von bir hegen, 
Daß fie. dich nur andern Propheten gleich ftellen? wie viel ftärker 
noch würde er ihnen gefagt haben, Bedenkt ihr nicht, welches Geis 
ſtes Kinder ihr fein? welche Worte er nämlich bei ähnlicher Gele: 
genheit fagte, als fie dieſe Erlaubniß wirklich von ihm erbaten, ob - 
fie nicht follten Feuer vom Himmel herab regnen laffen gegen bie 
Samariter, bie ihn nicht aufnehmen wollten unter ihr Dach fondern 
ihn ausſchloſſen von ihren Mauern. 
Wohl! wenn wir und nun fragen, wie haben wir in ber ge 
genwärtigen Lage ber Dinge und bed’ Neiched Gottes auf Erden 
biefe Worte anzumenden, und von wen haben wir sin Recht zu 
fagen, daß er für ihn, oder von wem, daß er wiber ihn fei? fohas 


Metth. 16, 16. 


680 
ben wir wol ein Recht uns daran ſtreng zu halten. Nur der M 


wider ihn, der da glaubt, daß der Erlöfer gehandelt habe im Zu 


_ fammenhang mit dem, was die Quelle bed böfen ifl; denn das war 
die Meinung derer, welche fagten, er treibe.die Teufel aus durch 
ben oberften berfelben. Wenn man fi) auch die Verhaͤltniſſe, un: 
ter denen biefe Worte geiprochen wurden, noch fo verfchiebenartig 
denkt, ja wie mannigfaltig man felbft fich die Mebe der Phariſaͤer 
erBlären mag: dad bieibt immer dad wefentliche darin, fie wollten 
dad Wolf abwenden von dem Glauben, ald ob ein Zufammenhang 
flatt finde zwifchen dem Erlöfer und dem, welchen er vorzugsweiſe 
feinen Water nannte, dem Gott SIfraeld; davon wollten fie das 
Volk abhalten und es lieber glauben machen, er handle vielmehr 
in befonderer Gemeinfchaft mit dem böfen. 

Sehen wir und nun um und fragen, ob ed dergleichen giebt 
in der chriftlichen Welt um uns ber. Wir ‚wollen e3 nicht ganz 





lAugnen m. a. 3. Wir werben geftehen müffen, wenn wir zurüft: 
fehen auf frühere Zeiten, deren Erinnerung unter und noch nidt 


verfchwunden ift, daß freilich manche folder Stimmen laut gewor: 
den find. Es hat eine Zeit bes Leichtfinnd gegeben und der Spoͤt. 


texei, worin viele ben Erloͤſer erflärt haben für einen wehlmeinen: 


ben Schwärmer, ber allerdings etwas gutes mit ben Menfchen beat: 


ſichtigt, der aber wedet die menfchliche Natur erkannt habe noch die 
Art und Weife, wie die Menfchen zu dem höheren hingeführt wer: 





ben könnten, noch eine richtige Worflellung von bem gehabt, wa 


sauf ed biebei eigentlich ankomme. Ya es hät aud) nicht an an: 


dern gefehlt, die ihn gerabehin bargeflellt haben als einen, der die 


Menfchen abfichtlich habe zu täufchen geſucht, der einen falfchen 
Schein von höherer Würde und außerorbentlicher Kraft, welche ihm 


verliehen fei, um füch ber zu verbreiten fich bemüht babe, um fih 


dadurch eine Gewalt zu erwerben über die Gemüther und dann den 
Beift in die Feffeln zu fchlagen, in denen er auch Jahrhunderte 
hindurch. geleufzt babe. Allerdings folche, wir wollen e8 Fein Hehl 
haben, die find wider ihn; bie ihm nicht die reinfle Wahrheitsliebe 
zutrauen, nicht den vollkommenſten Ernſt bei allem was er lehrte, 
bie nicht glauben, daß er die eigene innerfle Ueberzeugung aus: 
forach, als er fagte, daß feine Neben umd Thaten von Gott feien: 
von denen wollen wir zugeben, daß fie wiber ihn find; denn es iſt 
auch deutlich genug, daß fie flatt zu ſammeln vielmehr zerftreuen; 
und gegen folche wollen wir alle aus allen Kräften zuſammenhal⸗ 
ten. Aber wenn wir num fragen, was fie denn ausgerichtet; wie 
wol fie gar fehr zu den weifen gehört haben, von welchen gefagt 
wird, daß ihre Weisheit zur Thorheit : geworben iR; wiewol fie 





651 j - 


srößteritheild zu benen gehören, die auf fehr fcheinbare Weife ihre 
Behauptungen geltend zu machen gefucht haben und biele gefahr 
Kiche Kunft fehr gut verflanden: wie wenig haben fie doch damit 
gewonnen! wie kurz ift die Werblendbung gewelen, in melde bie 
Menſchen durch fie Hineingezogen wurden, theils gefchrefft durch ih⸗ 
ren Spott, theils gelokkt dadurch daß ihnen eine Freiheit verheißen 
wurde, auf welche ſie haͤtten immer Verzicht leiſten muͤſſen, wenn 
fie auf dem Wege des Erloͤſers fortwandeln wollten. Aber wie 
wenig hat doch dieſes Werberben um fich gegriffen! Und wenn ed 
jezt noch einzelne giebt, welche behaupten, fie freuten ſich darüber 
und dankten Gott, daß fie losgekommen wären von ber Anhaͤng⸗ 
lichkeit an diefen Jeſus von Nazareth, von bem doch niemand recht 
wiffe, wad für eine Bewanbniß ed mit ihm habe: fo reden fie ind 
leere hinein, indem. fie fich zu neuen Wegweifern erbieten, und jeder 
bedauert fie ald verirrte; wir aber follen freilich mehr thun, nam: 
lich die Stunde auf alle Weife heranzuführen fuchen, in welcher es 
auch licht in ihrer Seele werde. Treffen wir einzeln noch auf 
folche Erfcheinungen, fo follen fie und allerdings Iehrreich ſein; denn 
fie Iegen ein Zeugniß davon ab, wo. bad gefährliche Werberben der. 
menfchlichen Seele feinen Siz bat, welches und abzulenken ſucht 
von der Wahrheit, mit der Gott und erleuchten will, und auf eis 
nen andern Weg hinlokkt, ald den Gott fchon lange gezeigt hat ald 
ben wahren Weg zum Heil und Frieden. Aber Furcht fol und 
dies alles nicht erregen, daß wir etwa in heftigeren-Eifer gerathen 
ihretwegen, old worin wir ben Erlöfer fehen, ober gar nöthig fin⸗ 
ben follten eine andere Gewalt gegen fie anzumenben ald auch die 
Kraft des Wortes und der Ueberzeugung. Nein! wir vertrauen 
allein diefer Kraft der Wahrheit, vorzüglich aber dem großen Wort, 
worauf der GErlöfer fein Wertrauen richtete, unb woͤrauf wir alle 
binzuseifen haben, Wer diefe Lehre thun wird, ber wirb erfahren, 
ob fie von Gott fei.- 

. Sehen wir alfo nun ven biefen. wenigen ab und auf alle bie 
übrigen ‚größeren ober kleineren Werjchiedenheiten hin, bie ſich zu 
allen Zeiten und auch jezt fo reichlich finden unter denen, bie. ben 
Namen Chriſti befennen: werden wir fagen koͤnnen, daß ed unter 
ihnen viele giebt, welche zerfireuen? Wenn wir bed Erlöferd ges 
denken als des Hauptes, ber feine Kirche regiert, und wir möchten 
gern wiflen, auf welche Weife er diefe Mannigfaltigkeit anfieht, wie . 
ihm. unter allen biefen Berichiebenheiten der Sitte und diefem Streit 
über Meinungen und ehren der Zuftand feiner Kirche erfcheint: fo 
bürfen wir nur baran denken, wie geringes ihm vorlag, ald er je 
ned Wort der Milde ausſprach, Wer nicht wider uns .ift, der üb 


652 


für und; nur daß einer ohne ihm nachzufolgen Thaten zu verik 
ten fuchte in feinem Nanien. Wo demnach m. a. 3. unter un: 
noch irgend dasjenige was fündlid iſt und crmiebrigendb für ten 
Menſchen ald unchriſtlich bezeichnet wird; wo. wir noch hoͤren, dus 
die roheren oder leichtfinnigeren aufgefordert werben, wenn fie s= 
freveln geneigt find, fie follten fich body) betragen wie es chriſtliche⸗ 
Menfchen gezieme, — welches nun aud bie Lehre deſſen fei, am 
deffen Munde wir foldhe Reden hören: iſt er nicht dann ein foldser, 
ber es unternimmt eine That zu thun ja einen böfen Geift aud:m- 
treiben im Namen Jeſu? Dürfen wir ihn alfo unter die rechnen, 
welche zerfireuen; oder gehört er nicht vielmehr unter die, weiche 
fammeln, gefezt auch, daß er ihm nicht in bemfelden Sinne nad 
folgte als wir? Denn wer eine foldhe That im Namen Sefu and 
nur verfucht, gleichviel fogar, ob fie gelungen ift ober nicht, ber 
kann nicht leicht übled von ihm reden, denn er ift gebannt in fei- 
nen eigenen Worten. Und follte e8 wol Ichnen, wenn auf felde 
Weiſe ermahnend oder firafend der Menge das chriſtliche vorgehal⸗ 
ten wird, ja fällt es auch nur irgend denen ein, an weldye eine 
ſolche Aufforderung ergeht, exrft zu fragen, Wie denkſt du dir bemm 
eigentlich den Chriſtus, deſſen Lehre und Gebot bu uns bier von 
haͤltſt? Gewiß würbe jeder die Frage ungehörig finden und über 
flüffig! Wer fo immer ihn Hinftellt als den, nach beffen Bild nah 
deffen Wort und Lehre dad menfchliche Leben georbnet werben fell, 
der erkennt ihn auch immer für einen von Gott gefanbten. Ein 
anderes freilich wäre ed, wenn einer fagte,. er fuche zwar alletbings 

die Menſchen zufammen zu balten unter Chriſto, weil das für jet 

dad beſte fei, aber ihm ſelbſt .geite es nur als ein 

Zuftand. Es werbe nody ein hellered Licht aufgehen, es werben 

noch andere kommen nad) diefem Jeſus von Nazareth und bie 

Menfchheit weiter führen; darum wolle er felbft fich fo halten, daf 

er dann durch fein Vorurtheil fo gebunden fei, daß ex dem fpäte 

ren nicht ben Vorzug geben könne vor dem frühen Das wär 

wielleicht eine ſchlimme Annäherung an bie, welche ſich abgewendet 

haben und wider Chriſtum finb;‘ aber auch ein folcher wäre doch 

noch - fein Zerfireuer, denn er hilft body bie andern durch bie Ge 

walt der menſchlichen Dinge zu dem binfähren, was für ihn frei: 

lich nur das jet beftehende if. Darum glaube ich nicht, daß ber 

Erlöfer und jemald anweiſen würbe folche als feine Widerſacher zu 

betrachten. Denn wie fehr fie auch geringere Meinımg hegen hir 

ſichtlich des Worzuges, der ihm einzuräumen iſt vor andern Men 
fihen: fo lange fie die Menfchen im ganzen nur fefihalten wollen 

an feiner Gemeinſchaft und ihre Freude daran finden, daß dieſe noch 





653 


Fortbeftehe und nicht geſtoͤrt werde, find folche nicht zu denen zu 
rechnen, die da zerfireuen, fonbern fie fammeln, fie gehören. zu de 
ren, welche für ihn find und nicht wider ihn. 

* Und diefed bedenkend, welche Ueberzeugung drängt fih uns 
auf von der Gewalt, welche Chriſtus ausübt, von der Feftigkeit, in 
welcher dad Neid) Gotted durch ihn befteht, von der Macht, welche 
ihm gegeben iſt im Himmel und auf Erden, weil ed eben bie ifl, 
welche diefe beide zu Einem zufammenzufügen vermag!- Und wie 
snüffen wir und freuen, wenn durch die richtige Anwendung biefer 
Worte ded Erlöferd bie Nebel verfchwinden, die unfern Blikk fo oft 
umbüftern! wenn wir nun fehen, wie gering die Zahl derer ift, 
welche zerftreuen, wie groß die Zahl derer, welche fanımeln. Köns 
nen wir aber hierbei nicht Iäugnen, ed giebt viele und gar viele, 
welche und doch nicht anderd erfcheinen Pönnen ald in der Mitte . 
zwoifchen beiden ftehend, weil fie gleichgültig find gegen die großen 
Güter, zu deren Befizergreifung ber Erloͤſer die Menfchen anloften 
will: was werben wir anders fagen können, ald daß das unfere 
Schuld ift! unfere Schuld, weil wir ihm nicht gleich ganz und 
frisch nachtolgen, wenn wir auch mancherlei Thaten durch ihn thun. 
Denn wir ihm nachfolgten auf die rechte Weile, fo würden wir 
auch alle um und her fo lange reizen, bis fie fich entſcheiden muͤß⸗ 
ten; wir würden ihnien den Unterfchied fichtbar machen zwifchen bem, 
was aus guter dußerer Zucht und. Sitte herrührt, aus dem löblis 
chen Streben nach menfchlicher Ordnung Kunſt und MWiffenfchaft, 
und bem was ausgeht von ihm, was bad Gepraͤge deſſen an fich 
trägt, welcher der Abglanz der ewigen Liebe if. Und vollbringen 
wir ed, daß fie dieſes unterfcheiden: bann wird auch ihre Stunde 
fchlagen, und fie muͤſſen entweder für ihn fein ober. wider ihn. Aber 
wie wäre ed möglich, wenn wir alle bie Thaten zuſammennehmen, 
die feit jener Zeit in feinem Namen gefcheben find und vor aller 
Augen baliegen, daß fie nicht follten den höheren Geift erkennen, der 
in allem ift was von Chriſto kommt. Laßt und nur die Menfhen 
unabläffig weiten und reizen. und nicht aufhören ihnen Jeſus von 
Nazareth vorzubalten ald den, in weichem und die Herrlichkeit des 
eingebormen Sohnes vom Water‘ erfchienen ift: dann gewiß werben 
gegen einen, der etwa noch wiber ihn fein und bleiben Tönnte und - 
alfo zerflreuen, taufende von denen, die aus ber Gleichgültigkeit auf 
geftört werben, für ihn fein wollen und ſammeln und mit uns 
Gnade und Wahrheit aus feiner Fülle nehmen, weiche unaufhörlich 
ſtroͤmt und niemals verfiegen wirb bis and Ende ber Tage. Amen. 

Lied 480, 3. 4. 








| LVVV. | 
Am 5. Sonntage Trinitatis 1833. 


Lied 47. 445. 


Text. Mattb. 17, 20. 


Warlich, fo ihr Glauben habt ald ein Senflom: fo 
möget ihr fagen zu diefem Berge, hebe dich von binnen 
dorthin, fo wird er fich heben, und euch wird nichts um 
möglich fein. 


M. a. 3. Es ift fehr natürlich, daß wir und von gewiflen Au 
fprüchen des Erloͤſers lieber mit einer ehrfurchtsvollen Scheu ent: 
fernt halten ald binzutreten. Was auf der einen Seite nicht um 
mittelbar bie große Angelegenheit betrifft, um berentwillen er ge 
tommen ift, die Stiftung und bie Pflege ded höheren Lebens aus 
Gott, und was auf der anderen Seite zugleich fo fehr außerhalb 
der Grenzen liegt, in welchen wir und zu bewegen gewohnt find, 
damit wollen wir und auch lieber nicht beichäftigen. Was, fo kann 
wol mancher bei fich fetbfk fagen, was thut das dem Frieden Got: 
tes, nach welchem ich trachte, und welchen mir die Gemeinfchaft 
mit dem Grlöfer geben foll, ob ich Berge verfezen kann, ‚oder ob 
ich mich in Pindlicher Ergebung mit den Kräften begnüge, bie be 
himmlische Water mir wirklich verliehen hat. Aber auf der andern 
Seite m. a. 3., wenn wir boch fehen, wie folche Ausſpruͤche fobald 
fie nicht mit reinem Wahrheitöfinne aufgefaßt werben nicht umhin 
koͤnnen mancherlei Verwirrung hervorzubringen; wie auf ber einen 


655 

Seite bei vielen ein trübed Bedenken entfteht, als ob doch wirktich 
in ben erflen Zeiten des Chriftenthumd gewaltige Kräfte des Geis 
ſtes wirkfam gewelen wären, welche unfer Antheil nicht mehr find, 
alfo als ob doch die göttliche Kraft, welche von dem Erlöfer aus: 
geht, nicht mehr alled daffelbe hervorrufe, was fie anfänglich ver 
mochte, alſo auch ald ob doch unſer Werhältnig zu ihm auch nicht 
mehr das urfprüngliche fei, weil wir das nicht audrichten koͤnnen, 
was er feinen erften Juͤngern verheißen bat; auf der antern Seite 
aber wieder in manchen Chriften Anfprüche erregt werben, "welche 
fie doch niemald befriedigen können, und welche dann ihr Gewiſſen 
ängftigen,- ald ob es ihnen doch an dem rechten Glauben fehlen 
maüfje, weil fie nicht Berge verfegen Eönnen, — wenn wir das be 
denken: fo müflen wir doch verfuchen, ob uns nicht auch über folche 
dunkele Auöfprüche des Erloͤſers ein Licht aufgehn wil. Und fo 
laffet und denn in Beziehung auf bie ‚verlefenen Worte und’ die 
Frage vorlegen, wie ed denn eigentlich fiehe um bie Kraft des 
Gelaubens, nicht freilich im allgemeinen fondem um diejenige, 
welche der Erlöfer hier befchreibt. Aber freilich werden wir biefes 
nicht anders erledigen können, ald wenn wir zunächft auf den 
Sinn diefer feiner Worte felbft fehen, dann aber auch fragen, wie 
ſich denn diefe Kraft ded Glaubens zu dem verhält, was er .felbft 
anderwärtd und auch feine Jünger ald die wefentliche Kraft des 
Glaubens darſtellen. 


1. Bein wir num m. a. 3. zunaͤchſt uns die Frage vorlegen, 
was ift das für eine Kraft des Glaubens, welche ber Erlöfer in den 
Worten befchreibt, Wenn ihr Glauben hättet auch nur ald ein 
Senfkorn, fo möchtet ihr fagen zu dieſem Berge, hebe did) weg von 
bier, und er würde ed thun: fo brauche ich wol darüber nicht erft 
ein Wort zu verlieren, daß dieſes nicht kann buchftäblich "zu verfte- 
ben fein. . Denn. Died wäre nicht einmal ben verfchiedenen Veran⸗ 
laſſungen angemeflen, bei denen unfere Evangelien diefed und aͤhn⸗ 
liche Worte von dem Erlöfer erzählen; vielmehr läge an und für. 
fich felbft dieſes -jedem am allerfernften, ja jeder-müßte ed als etwas 
auf dem Gebiet, womit ber Glaube es zu thun hat, unnüzes und 
unbebeutended anfehn. Und auch das ift eben fo deutlich, bag wir 
dieſen Spruch nicht anzufehn haben ald einen, um gleich etwas gro: 
ßes zu fagen, abjichtlich gewählten übermäßigen Ausdrukk, daß aber 
doch ähnliches und ganz von berfelben Art wirklich von dem Erloͤ⸗ 
fer gemeint-wäre. Denn dann handelte es ſich hier um eine Macht, 
welche der Menſch vermoͤge des Glaubens ausuͤben ſoll in der aͤu⸗ 
ßeren irdiſchen Natur. Aber wie hinge wol dieſes mit dem eigent⸗ 


656 


lichen Bert und Weſen bed Glaubens zufammen? wie könnten ws 
fagen und in welchem Sinn, baß ber Erlöfer was wir auf Piefaz 
Gebiet der äußeren Natur vermögen als bad Maaß bed Glaube: 
barfiellen wollte? Allerdings gehört e& zu ber urfprünglichen Be 
fimmung des Menſchen, daß er je länger je mehr ein Herr wert: 
über alles, was auf Erden ifl, daß die aͤußere Natur mit allen ir 
ren Kräften immer mehr ihm und feinen Abfichten diene unb um 
ter feinen Gehorfam gebannt und gebeügt werbe: aber bad gefchieit 
nicht kraft des Glaubens; fondern ed gefchieht durch bie wachſende 
Einficht in die Kräfte der Natur und vermöge ber hieraus entipein 
genden Kunft und Gefchikflichfeit in ber Behandlung ‚berfefben :e 
dem Zwekke der Menfchen. Alſo Tann der Exlöfer dieſen Austruft 
nicht anders als in einem bildlichen Sinne gemeint haben; mut 
fragt. fich, welched denn diefer eigentlich ifl._E8 giebt m. a. 3. a: 
nen Kreid von Bildern, in welchem fich die heiligen Schriftem theils 
gemeinfchaftlich die bes alten und neuen Bundes theils jebe wiede 
rum für fich befonderd bewegen; aber gemeinfam iſt ihnen biefe:, 
dad Leben des Menſchen in feinem ganzen Umfange und alfo and 
die geiſtige Seite defielben anzufehen als eine Wanderſchaft. Ge 
ben wir nun von diefem Bilde aus: fo find Berge auf diefer Wan 
. berung das, was ſchwieriges und hinberliches entgegentritt und ben 
Wandrer fein eigentliche Ziel nicht erreichen laͤßt, was muͤhſam en 
fliegen werben muß ober auf irgend eine Weile umgangen und kei 
Seite geſchafft. Das alfo m: a. 3. kann allein der Siun biefer 
Worte bed Erlöfers fein. Wenn ihr Glauben hättet, fagt er zu fa: 
nen Juͤngern, fo würdet ihr in eurem Beruf alle Schwierigkeiten 
überwinden, alle Hinderniffe aus dem Wege räumen; ja ed wire 
euch nur dad Wort nur die einfache That bed Glaubens Äsfen, 
daß euch nichtö unmöglich wäre, was ihr erreichen wollt. 

Das alfo m. a. 3. iſt die Kraft des Glaubens, um welche & 
fi) Hier handelt, und welche der Erlöfer befchreibt! Aber wenn wir 
nun wiflen wollen, wie es benn in dem ganzen Umfange des chrifs 
lichen Lebens um die Wahrheit diefer Behauptung bed GErlöfer 
fteht, ja wenn wir auch im voraus zugeben wollten, ed handle ſich 
bier um etwas, worin wir uns ben erften Juͤngern bed Herm nicht 
gleichftellen koͤnnten, ‘wie fie felbft Denn zu diefer Behauptung des 
Erlöferd geflanden, und inwiefern fie fie bewährt Haben: fo muiflen 
wir freilich zufehn, welches denn die Hinderniffe waren, mit denen 
die Jünger des Herm auf ihrer Laufbahn zu kämpfen hatten, weicht 
ihnen ald Boten bes Friedens entgegentraten. Was anders weolm 
a. als zunächft die Hartherzigkeit der Menſchen, uͤber welche fie auch 
fo oft lagen, wenn fie auf diejenigen, welchen fie dad Evangelium 





067. 


Des Friedens verlündigten, die Worte des Propheker: anwenden, 
Diefed Volk hat Augen, aber es fieht nicht, und es hat Ohren; aber 
es vernimmt nicht,. auf daß fie nicht umkehren won ihrem Wege und 
ich fie heile. Dad iſt es, worüber fie befländig klagen. Haben fie 
Diefen Bergen geboten, fie follten ſich hinwegheben? Und die Ans 
zahl derer, weiche auf ihre Predigt bin wirklich ummenbeten, denen 
eö fo durch burch das Has ging, daß fie fagten, Ihr Männer, lies 
ben Brüder, was follen wir thun, daß wir felig werben, wie ver 
bielt fie fih zu der Gefammtzahl derer, welche fie hörten? Wie 
klein erſcheint überall die .erfie gegen bie andere! Naͤchſtdem aber _ 
Elagen fie ja auch bie und da noch über ihre Glaubensgenoſſen 
ſelbſt über deren Traͤgheit und Gleichgültigkeit über Mangel an Ei⸗ 
fer unb Theilnahme im Verfolgen ded gemeinfamen Zwekks; dent 
allen Ermahnungen dieſer Art liegt doc) eine Klage zum Grunde. 
Und diefe Mängel, burch: weiche .fich doch bie Apoftel ſelbſt natuͤrli⸗ 
cherweife auf: ihrem Wege mußten gehemmt fühlen, ‘wenn fie ‚die 
Unterfikzung, deren fie bedurften,. auch da nicht fanden, wo fie fie 
billig vorausſezen konnten, haben fie je aufgehört? iſt es nicht im⸗ 
mer baffelbe geblieben, und immer fo geweſen, daß bad Maaß des 
Glaubens und feiner Wirkiamteit ja das Maaß aller chriflichen 
Tugenden verfchieden vertheilt war unter den Menfchen, fo dag we . 
niger geleiftet wurde als wenn alle ben beften gleich geroefen wären? 
Wie follten wir alſo fagen, daß ſich das Wort des Erlöfers 
bewähret habe auch in ber Erfahrung jener feiner erſten Juͤnger? 
Wie viel mehr noch, wenn wir ed anf und anwenden wollten, was 
werden wir.bann erſt fagen muͤſſen m. th. Mitchriften? Auf der 
einen Seite freilich wäre ed etwas fehs leichtes zu ſagen, nun wohl, 
indens der. Erloͤſer feinen Juͤngern dieſes fagte, fo wollte er freitich 
-auf der. einen Seite ihren Muth beleben und ihre Zuverſicht flär- 
fen, auf der andern aber auch ihnen eine weiſe Vorſicht einflößen, 
daß fie nicht erſt etwas wagen ober unternehmen follten, wovon fie, . 
nicht bie. Zuverſicht hätten, es müffe ihnen in feiner Kraft gelingen:  - 
Denn. freilich, wer dad Über fich gewonnen nichts zu wollen was 








er nicht: kann, der werbe bad Wort des Erloͤſers niemals zu Schan: 


den machen. Aber hieße das nicht erſt die deutliche unverfennbare 
ermuthigende Abficht dieſes Wortes aufheben, um ihm einen ganz 
andern Sinn unterzuiegen, wo es dann freilich in bem Belieben - 
eines jebem flieht ed. nicht zu Schanben zu machen? Aber au das 
laßt: und nicht. uͤberſehen, ed liege und -eine weiche und vielfältige 
Erfahrung davon vor, daß biefe Kraft‘ auch da angewendet wird 
und. wenigſtens nicht immes verfagt fordern fich auch oft fiegreic & 
zeigt, . won keineßeweges dad wahre und rechte bezwekkt wird. Dein 
III. Tt 


638 

wenn wir und nun fragen, auf welche Weile koͤnnen beun bie Gi= 
derniffe, welche und. auf unferer Laufbahn aufftoßen, aud dem Wege 
geräumt werben, und wir feben babei zunächft auf dasjenige, we} 
und, obliegt in Beziehung auf die göttlichen Wege mit. ben Bien: 
fen auf Die: große Angelegenheit bei Heild und ben Beitrag, den 
wir alle dazu zu leiften ſchuldig find: was werben wir fagen win | 
. fen, als bald ift es der Glaube in ber Geftalt bed kuͤhnen Muthes, 
der. es wagt auf Entfagungen und Entbehrungen aller Art, ber 
Tod und Leben auf. die Spize flellt um vorzubringen zu feinem 
Ziele; bald ift ed der Glaube in der edlen unb ehrmärbigen Ge: 
alt der beionnenen Beharrlichleit, weicher bei jebem Widerſtande | 
immer eine, neue Kraft aufzubieten hat, wo etwas zerflört wirb, | 
gleich wieder bei der Hand. it eö herzuftellen, und aller Gindermiie 
ohnerachtet, fei ed auch noch fo langſam, eher doch immer. forsichreis 
tet, fo daß man ihm weiſſagen kann, er. werde fein Ziel erreichen; 
bald iſt es ber Glaube in ber freitich auch edlen aber nicht fo er- 
freulichen Geſtalt der Geduld, der Glaube, der alles über fh erge⸗ 
ben läßt und ſich im ſchlimmſten Fall nur zurältzieht auf eine in 
nere Wirkſamkeit, bis er einen. Augenbliff erfieht, wa ed ihm ver: 
gönnt ift wieder kraͤftig heworzutreten, und fi dann auch der Zeit, 
die er überflanben bat, freut,. wenn. ihm auch ein. beſtimmtes au 
feses. Denkmal feiner Wirkſamkeit waͤhrend berfelben geblieben if. 
Aber alles dieſes, der Higne Muth bie befonnene Behardlichkeit bir 
unermüdliche und unerfhäpfliche Geduld, wie oft m. a. Fr. Tchen 
wir jie nicht nur im Dienft menfchlicer. Ierthinner fonbern foger 
verwendet auf Werke, welche bed. nicht Werke bei. Gridferd find 
und nicht aus der Wahrheit gethan;. wie oft wird auch, was ga 
nicht beſtehen kann fondern wieder untergehen muß. im bem- Fener 
ber Zäuterung, dennoch mit.ehen ſolcher Aufopferung ven Sıkiten 
mit eben fo unerfchütterlicher Behartlichkeit betrichen als. bad’ War 
des Herrn! Wollen, wir. deshalb etwa fagen, die Werheiguugen 
des Erloͤſers gelten den: einen eben fo wie ben anderen? Wer mörhte 
dad behaupten! Und denaoch,. wenn keined von biefen beiden, wenn 
“ wir weder behaupten können, bad Werk deö Gern kann nur ge: 
fördert werben durch jene weile Worficht,. weiche nicht begimmt, dei 
‚fen günfligen Ausgang fie nicht Mar überfehen kann, noch amd fe 
gen wollen, feine Verheißung gelte. allen menfchlichen. Kräften ofme 
Unterfchted auch denen, welche sben fo gut bem Ircthuure diesem 
fönnen als der Wahrheit; wenn wir, fage ich, weben das eins zu: 
geben koͤnnen noch dad andere behaupten wollen: was mirb. uns 
übrig bleiben zu fagen als dieſes, fol das: ort des ‚Griöferd- als 
Wahrheit erfunden werben, wolen, fe.mnf «6 für-ben Ghrifen a: 





650 


nen Glauben geben, welcher in ber That gar Fein Mißlingen kennt, 
welcher fein Biel überall unausbleiblich erreicht und feines Selins 
gend fo ficher. ift, wie ber Erlöfer es bier befchreibt. 

So kommen. wir denn freilidy m. a. 3. auf dasjenige zuruͤkk, 
was auch bie einfältige und fchlichte Betrachtung dieſer Worte eis 
nem jeden gleich unmittelbar ald den wahren Sinn berfelben zeigt. 
Aber wenn e8 nur ein und berfelbe Glaube iſt, der welchem dieſes 
verheißen. ift, und ber auf welchem alle andern Verheißungen ru» 
Ben: fo mögen wir denn freilich aucz fagen, vwoir werben dad Wort 
des Herm nicht verftcehen, wenn wir nicht auf die Gefammtheit der- 
Kräfte des Glaubens zurüßfgehen, wenn wir’ nicht eben dieſes eins 
zelne in feiner natürlicher ‚Berbindung mit bem Abrigen betrachten. 
Und fo laffet uns denn 


II. uns die Frage vorlegen, wie ſich denn dieſe hier beſchrie⸗ 
bene Kraft des Glaubens zu: dem verhaͤlt, was ſonſt der Erloͤſer 
ſelbſt und der von ihm. ausgegoſſene Geiſt durch den Mund ſeiner 
Juͤnger uͤber die Kraft des Glaubens ſagt. 

“ Laffet mich das alles, m. th. Mitchriſten, in wenigen Worten 
zufammenfaffen. Es wäre mur etwas bebenfliched mit. allem Berge 
verfegen, werm es nicht bem Glauben verheißen wäre, von dem ge- 
fagt wird, alled was nicht aus bemfelben kommt, das fei Sünde, 
wenn: nicht demſelben, von dem gefagt wird, daß wir durch ihn 
aus dem Tode zum: Leben hindurchgedrungen find. Denn das ift 
eigentlich die wahre und hoͤchſte Kraft des Glaubens, daß aus ihm 
nichts fommen kam "was Sünde wäre, während alles Suͤnde iſt 
was nicht aud ihm kommt; das iſt bie rechte Kraft des Glaubens, 
daß wir dur ihn. aus. dem. Tode: zum Leben: hindurchgedrungen 
find. Diefes m. a. 8. tft: zufammengertommen: die Beſchrelbung des 
lebendigen des feligmachenden Glaubens; denn: wer fidy. deffen ers 
freut, erfährt auch gewiß, wie überall. eben: biefer Glaube thaͤtig iſt 
durch die Liebe: Aber: wie verhätt fih num zu. diefer, weil fie bie - 
geifttafte weiß fie die ewige iſt, gewiß noch höheren Kraft des Glau⸗ 
bens jene andere, welche der Erlöfer in den Worten unfered Xertes - 
befchreibt! 

Wenn wir m. a. Z. in: dem. Fall fein follen. uns der Verhei⸗ 
ßung des Erloͤfers in unſerem Texte zu. getroͤſten: ſo muͤſſen wir 
alſo einen Entſchluß gefaßt haben, wie muͤſſen in ber Ausführung 
eines ſolchen begriffen fein, und: dann muß unferem Glauben die 
Kraft: einwohnen alle Hinderniffe, welche uns dabei entgegenſtehn, 
zu aberwinden. Woher muß ein ſolcher Entſchluß kommen? Bent 
er nicht aus dem Slauben kommt, ſo iſt er Suͤnde und keine 

Tt 2 


se 


Kraft Berge zu werfegen kann ihm einwohner, weit er ſchon im 
fich felbft ein Werk des Todes tft, indem ber welcher ihn faßte 
felbft noch nicht zum Leben binburchgebrungen war. Wenn ber 
Sntfchluß nicht aus dem Glauben kommt, wie follte, fei es in dem 
innern Geſez beffelben oder in der Art und. Weiſe feiner Ausfüh 
rung oder in-ber Richtung auf das, was dadurch erreicht werben 
fol, irgend etwas von ber Liebe koͤmmen wahrgenommen werben, 
durch welche der Glaube thätig if! So m. a. verhält ſich dem⸗ 
wach diefeß beides gegen. einander; der Glaube in feiner geiftigen bes 
feligenden Kraft, welche erſt unſer Dafen zu einem wahren einem 
in ſich felbft sufammeuftimmenben Leben macht, "muß -die Quelle 
unferer Entfchlüffe fein; unter biefer Bedingung fleht jened Wort 
des Erlöfers, daß auch eines Senflorned groß von diefem Glauben 
fhon hinreihen wird alle Berge, die auf unferm Wege liegen, zu 
verſezen. Daß bie Entfchlüffe, Die aus dem Glauben kommen, ohne 
Sünde find, daß fie aus der Kraft bed göttlichen Lebens hervorge⸗ 
ben, dad ift der Grund dieſer Macht, welche der Eroſer ihnen 
beilegt. 
: Sollen wir alſo Antheil haben an dieſer Verheißung des Er: 
Iöferd: nun wohl, fo darf In unſern Entſchluͤſſen nichts aus jener 
leichten Veränderlicheit des Gemuͤthes hervorgehen, welche fchen 
weber jedem in fich noch einem in Beziehung .auf den andern bie 
mindeſte Zuverſicht einflößen kann. Wenn ein Entfhluß in folchen 
Bewegungen bed Gemüthes gefaßt-:wird, welche: morgen ſchon nicht 
mehr biefelben find wie heutes wenn wir uns beflinmen laſſen 
durch etwaß, deſſen Werth für und ſelbſt nicht Feflfleht, fo DaB wir 
ihn ſelbſt morgen vieleicht anberd ſchaͤzen als heute: danm Taun 
auch der Ausführung Feine größere Kraft einwohnen als -bem-Ent: 
fehluffe; und wir werben auch vor dem kleinſten Hinderniß zuruͤkk⸗ 
weichen, was ſich in den Weg ſtellt. Soll unferen Entſchluͤſſen 
dieſe Kraft bed Glaubens einwohnen, fo dürfen. wir babei auch 
nit von irgend einene unfichern Schein gebiendet geweſen fein; 
feine Ungewißheit darf obgewaltet haben, ob. alle. dahin gehörige 
auch wahrhaft: fo fei, wie e8 und vorſchwebt. Denn alsdann fehlt 
nicht nur die Gewißheit des Glaubens, fondern je mehr wir noch 
folhem Blendwerk ausgeſezt find, deſto meniger- habe wir ja dic 
Kraft und ſelbſt zu beſtimmen; mithin find -wis auch noch nicht 
zum Leben durchgedrungen, fondern Werkzeuge derer, ‚bie uns bald 
dies ‚bald jenes unter biefem oder jenem Schein vor Augen ‚bringen 
und die Kraft der Mehrheit hemmen, indem fie unfer Auge-blenben 
aber trüben. Aber um gleich zufammenzunehmen, was unmoöglich 
m ‚einander . getzennt werden Team, wenn umſern Entſchluͤſen Die 


— — 








[7 
‘ % 
. . 
. . 


Verheißung des Erloͤſers zu falten. kommen fol: fo bärfeh fie vor 
allen Dingen gar nidytd. mit ber Cigenliebe zu ſchaffen haben, denn 
dieſe wirft auf alle Gegenſtaͤnde den nachtheiligften Schein, ber uns 
nur bienden kann. Mer ingend etwas fein zu Binnen meint für 
ſich ſelbſt ober etwas fein will durch fich ſelbſt, des ift dem verderb⸗ 
lichſten Irrthum unterworfen, welcher auch am meiften ber befeli- 
genden Verheigung unferd Terxtes entgegenfieht. Und wenn eines 
Menſchen Entichlüffe von folchen Worausfezungen aus beflimmt 
werben: ja freilich dann iſt es möglich, das willen wir aus vielen 
Beiſpielen, die eben fo ſchauderhaft find auf der einen Seite als fie 
unfere Bewunderung auf ber anderen errigen, baß einer mit an 
Begeiſterung grenzendem Eifer die größte Geduld und Beharrlic 
teit anmendet um feinen Zwekk zu erreichen, baß er die Bühnften . 

Beweiſe des Muthes giebt, aber von ben Werheißungen und Sep... 
nungen des Erloͤſers ruhet gewiß michtd darauf. Und fragen wir, 
welches das befte Ende von folcher Shätigkeit if, fo kommen wir 
nur auf jened, welches der Apoſtel befchreibt, daß der Menfch felbft 
früher oder fpäter die Nichtigkeit feines Unternehmens erkenne und 
fo aus dem Feuer gerettet werbe, fein Werk aber untergeht, und er 
ſelbſt nichts beffered wuͤnſchen kann, als bag alle bie Berge und 
die Höhen, welche er hinwegraͤumt hatte Durch feine Anftrengungen, 
je eher je lieber wieber über feinem. Werk zufammenflürzen möchten, 
Damit ed nicht noch länger Zeugniß ablege von feiner frühen Ber 
blendung. Solche Gould ſolche Beharrlichkeit ja in ber That fol- 
chen. kuͤhnen Muth haben oft auch bie entichiebenften Feinde des 
Erloͤfers bewieſen, ja oft hatte ed das Anfehn,. als ſei es ihnen ges 
Jungen, und ald hätten fie bie Verheißung bed Erlöferd zu fich bins 
übergelendt, daß auch fie im Stande wären die Berge zu verfegen 
in der Kraft ihres Unglaubens. Aber was hat fich doch ald bas 
eigentliche Ziel der Begebenheiten ald das lezte Ende auch ihres 
Thuns und Zreibend bewährt! Was anders ald der immer forts . 
fchreitende Sieg des Evangeliums! Und fobald wir und m. a. 3. 
"auf biefe überfichtliche Höhe fielen und bedenken, bag er nur die 
fen Sieg im Auge gehabt haben kann, ja dann gewiß muß uns 
die Wahrheit in dieſer Verheißung des Erlöfers fo beutlich und 
klar vor Augen fliehen, dag und aud) nicht mehr der geringfte Zwei 
fet dagegen einfallen kann. Wir heduͤrfen alſo auch nicht einer 
ſolchen beſchraͤnkenden Erklaͤrung als ſei ſie dadurch bedingt, daß 
wir mit beſonnener Vorſicht zuvor wohl uͤberlegen muͤſſen, wenn 
wir etwas beginnen moͤchten in dem Dienſte des Herrn, ob wir es 
auch werden ausfuͤhren koͤnnen. Das wuͤrde der Geſinnung derer 
nicht entſprechen, welche den ganzen Grund ihres Treibens nie an⸗ 


* 


EEE 


BR 
derd beſcheeiben können mis, Mir. Binnen nicht anders, die Eich 
Ghriſti beinget uns fo; was wir.thun, bad muͤſſen wir, ob wird 
gem thun ober ungern. Aber in biefer Geſimung iſt allerdings 
auch Fein Erpichtfein anf irgend einen beſtimmten Erfolg, da if 
von Feiner fiheren‘ Erwartung eines einzelnen Gelingend die Rede 
ſondern jeber Beitrag zum ganzen ift gleich willkommen, wie ihn 


* jedesmal Gott bei treuer Thaͤtigkeit giebt," und nur wad dem gan 


gen feiner Natur nad Hinberlih ift, das find die Berge, gegen 
welche ber Glaube feine Kraft richtet. Laßt und das ſchoͤne Wort 
nicht vergeffen, was wir in einem apofloliichen MBriefe*) leſen, Be 
het dar in eurem Glauben die Tuͤchtigkeit, und in ber Tüchtiglei 
hie Beſcheidenheit. Jene Tuͤchtigkeit enthält alles bad zuſammen 
genommen, was aus der ſicheren Ueberzeugung von dem was wir 


zu thun haben hervorgeht, tapferen Muth Beharrlichkeit durch nichts 


zu überwindende Geduld in jener Uebereinſtimmung, buch weit 
jedes dad andere überträgt ud eines dad andere weiter führt. Abu 


in jeder Tuͤchtigkeit follen wie auch darreichen bie Beſcheidenhen 
Und iſt das nicht die rechte Beſcheidenheit, weiche der Erloͤſer kl 
. feinen Juͤngern empfiehlt, indem er ihnen fagt, Euch gebührel nicht 
Zeit und Stunde zu wiſſen, welche ber Water feiner Macht vote 


halten hat. Sehet da m. Fr. den wahren Schlüffel zu allem, m 


in den Worten, mit welchen wir und izt befchäftigen, ſchwierig © 
ſcheint! Das Biel der Macht des Waters Tannen wir, eb ik fin 
anderes als bie Herrlichkeit des Sohnes; das ift bie Ueberzeugug 


welche ex ſelbſt immer ausgefprochen hat, das if bie einige Aufn 
derung, welche ex an feinen Water. ergehen ließ, daß er ihn verlib 
zen folle, wie ex ihn verklaͤrt habe; baffelbe ift nun auch unfer Zien 


darauf gehen alle unfere Handlungen aus, das follen unſere Bert 
unterflügen, und was wir in ber Kraft des Glaubens thun, Mi 
meinen nie etwwad anbered als nur dieſes allein, was aber icden 

dafuͤr geſchehen müffe, dad wiſſen wir nicht. Nur ſoviel, es fl nic | 


möglich, daß dieſes Ziel ſich weiter entfernen ſolle, nicht moglich⸗ 
daß irgend etwas, was wir in Beziehung auf daſſelbe thun, © 
geblich fein koͤnnte. Wenn bie Juͤnger bed Her ſprachen, mit 


felbft gethan hatte, So thut nun Buße, denn bad Rad Gore I | 


nahe herbeigekommen: fo waren ed freilich oft feiner oft einer MM 
zwei, au weichen bad Wort unmittelbar zur Wahrheit wurdt; 9 


taufenden hingegen ging es vorüber; aber e8 gab and ander 3° 


ten, wo e3 taufenden auf einmal in dad Herz drang und den 
sen Flekk traf, und dad große Werk fie Chriſto zuzuwenden 


pi, 6. _ 














5 M 
J n 


Brachte. Beides war aber nicht nur baffelbe Wort. ſonbern auch 
Beides eine und dieſelbe That, die erſte bertitete dor und wirkte mit 
zur zweiten, und ſo war beides in Beziehung auf das Biel, welches” 
vor und liegt, auch nur ein und berfelde Augenblikk. Darum wir 
verwirren uns nur in ber richtigen Betrachtung ber Worte des Ur 
loͤfers, wir täufchen und nur fetbft, wenn wir auf umgehörige Weiſe 
vereinzeln, was nicht zu vereimgeln iſt. 3a er hat echt, wenn er 
fagt, Sprechet zu diefan Berge, hebe dich weg, fo wird er ed thun; 
alles was ein Hinderniß if für dad Reich Gottes, fo wie wir «6 
Dafür erkennen, fo wird ed auch überwunden "werben. ' Aber wenn 
Dad Wort nicht nur laut und deutlich geſprochen, fondern wenn 
auch oft wieberhoft ift, da ſteht ein Hinderniß, welches hinwegge⸗ 
zäumt werben muß, und es flieht doch noch immer ba: iſt etwa Die 
Kraft des Glaubens gebrochen, bat fich dad Wort des Exlöferd in . 
feiner Nichtigkeit gezeigt?! Rein, dad Wort hat ſchon gerüttelt an 
feinen Wurzeln, ber Berg fleht fchon unficher auf feinem Boden, 
nit jeder Wiederholung des Wortes wird er lofer, und bie Zeit 
wird kommen, wo er zuſammenſtuͤrzt. Und woburd, iſt er geflürzt? 
Doch nur durch die Kraft ded Wortes, welches in ber Zuverficht 
des Glaubens geredet ward. Aber freilich, Hängen wir au dem Aus 
genbiißt, wollen wir unbefcheiden Zeit und Stunde beftimmen flatt 
in unſerm Glauben die Beſcheibenheit darzureichen, welche immer 
won dem wahren Glauben ausgeht und mit ihm ungertrennlich ver - 
bunden ift: dann können wir nicht verlangen, daß bad Wort bed 
Erlöfers in Erfüllung gehe; denn wir haben es nicht in feinem 
Sinne angewundt, wir haben es nicht nach feinem Maaße gemeffen. 
In diefem Sinn alfo m. a. 3. fol dieſes Wort des Herrn und 
aufmuntern, daß wir friſch fortfchreiten follen auf dem Wege, der 
uns angewiefen ift zu gehen, und frifch alles thun, was und vor 
hauden fommt zu thun, und und immer geſchikkter machen zu je⸗ 
Dem Werk, was von dem Menſchen Gottes gefordert werden Tann, 
weil wir gewiß fein koͤnnen, daß an und und an allen dieſes in 
Erfülung gehen wird, daß bie Berge, welche ber Glaube fortſchaf⸗ 
fen will, auch verfchwinben werden, unb bie Zeit wird kommen, wo 
fie nicht mehr da find. Dazu hat benn alles, wovon ber kurzſich⸗ 
tige Sinn ber Menfchen wähnte, es fei vergeblich gethan, aud; mits 
gewirkt, und bie Kraft, welche alle Höhen ebnet und alle Thaͤler 
ausfuͤllt, iſt wirkſam gewefen in jeber That und in. jedem Wort, 
die in lebendigem Glauben aus Gott gethan und gejprochen wur⸗ 
den. So ift der Gang bed gläubigen durch dieled Leben von bem 
Herrn gezeichnet. Was wir in jeder Zeit und Stunde fehen folley 
von der Wirkung des Glaubens, das hat ber Herr in feinen Haͤn⸗ 


‚entgegen flieht; dag nichts in biefer Beziehung vergeblich iſt und ber 
. vereinigten Kraft eben dies Glaubens auch nichts unuͤberwindlich 
wenn dieſes Wort des Erlöferd nicht wahr fein follte: fo muüͤßte er 
nicht dad fein, was er if, Die Gemeinſchaft ber Dienfchen mit Gott 
müßte nicht vermittelt fein Durch ihn; ex müßte und nicht bie Si⸗ 
cherheit geben,. daß wir aus dem Tode zum Leben bi 
gen find, und daß alles ja nur das lebt und Träftig wirkt, was 
. von biefer . inmerfien Quelle der Wahrheit und der Liche ausgeht. 
Darum laſſet und nichts Auferliched ober übernatürlicheB erwarten 
von biefem Werke bes Herm, fondern wie er ſelbſt Geiſt iſt fo auch 
. von feinem Worte nur eine geiflige Kraft forbern, aber dann auch 
wem wir e8 immer nur geiflig amvenben an befien volle Wahrheit 
glauben. Denn fo wir umd nur das von ihm erbitten, daß wir 
weber mit getrübten und verdunkeltem Blikk Berge zu fehen glau- 
ben, wo keine find, und unnäger Weiſe unfere Schritte hemmen, 
wo wir muthig und getroft vorwärts ‚gehen koͤnnen, noch auf der 
andern Seite eigenfinnig und auf unfere eigene Ehre bedacht das 
von dem Augenblikk erwarten, wovon er Zeit und Stumbe ſich vor: 
behalten hat: fo werben wir auch alle jeder an- feinem Theil zu un: 
ferer vollkommnen Befriedigung ja Beſchaͤmung die Wahrheit die: 
ſes Worted erfahren. Und wie Chriſtus dieſes und aͤhnliches gefagt 
bat, als feine Jünger vergebens fi) Mühe gegebeh hatten einem 
böfen Geift auszutreiben, welder feinem Worte und feinem Aus: 
fpruche fogleich weichen mußte: fo laffet num auch uns im ber rech⸗ 
ten Kraft des Glaubens kämpfen gegen alle böfen (Seifler, derm 
Herrfchaft noch Die Luft in dieſer menfchlichen Welt verbiftt mb 
ungefunb macht: dann werben wir auch in biefer Beziehung bie 
Wahrheit feines Wortes erfennen; denn auch biefe werben weichen 
muͤſſen, wenn wir nur nicht nachlaffen noch muͤde werben, voie ums 
denn nur fo verheigen iſt, bag wir ernten follen ohne Aufhoͤren 
Amen. 
Ä Lied 439, 6—6. 








LV. . 
Am 19. Sonntage Trinitatig 1833. 





Lieb 48. 482. 


Text. Matıh. 23, 12. 


Denn wer fich felbft erhöhet, ber wird erniebriget, und 
wer fi) felbft ermiebriget, der wird erhoͤhet. 


Manze unter euch: m. th. 3. werben fi) erinnern, daß wir ſeit⸗ 
her in einer Reihe von Betrachtungen begriffen waren uͤber ſchwie⸗ 
rige, ich meine nicht leicht verſtaͤndliche aber doch zur Erkenntniß 
unſers Heils, wie alles was er geſagt, weſentliche Ausſpruͤche un⸗ 
ſers Erloͤſers; und dieſe moͤgen zum Theil wol, wenn fie unſeren 
.bentigen Text vernommen haben, zweifeln, ob auch biefe Betrach⸗ 
tumg noch eine Fortſezung jener früheren ſein ſolle. Denn wie find 

sicht dieſe Worte unfered Herrn in aller Chriften Munde! Wie find 

wir nicht alle gewöhnt daran fie anzufehen auf ber einen Seite ald 
bie leichtefle und umgezwungenfle Darftellung von dem Wefen ber 
hriftlichen Demuth, fo wie auf der anderen Seite auch wieder als 
Dad Gemälde von ber natürlichen Belohnung, welche eben biefer 
chriſtlichen Tugend zu Theil wird. Aber dieſe dem Aufcheine nach 
fo große Leichtigkeit und Klarheit wie verbuntelt fie ſich nicht hei 
ver erften näheren Erwägung! Iſt bie chriftlihe Demuth eine gott: 
gefällige Eigenfchaft: fo kann fie auch nicht etwas voräbergehenbes 
fein, ſondern fie muß bleiben. Beſteht fie nun darin, daß ber - 
Menſch, wie hier gefagt wird, fich felbft ‚erniebrigt, daß alfo feine: 
eigene Selbfithätigkeit Darauf gerichtet iſt fich herabzuftellen: wie. ift 


ed dann möglich, daß er hätt werden Terme während er ferb e⸗ 
verſchmaͤht und immer auf dad Gegentheil hinwirkt. Sollte abe 
das eine auf bad andere folgen, diefed das frühere fein umb jene 
das fpätere, d. h. follte eine Zeit kommen fei es in diefem Eeben 
ober nachher, wo wir und bad Erhöhtwerben gefallen liefen ohee 
daß wir und felbft niedriger flellen: fo wäre bann dad Weſen ber 
ehriftlichen Demuth aufgehoben, und fie wäre etwas vergaͤnglicher 
und voruͤbergehendes. Auf der anderen Seite denken wir uns, diele 
Vorſchrift des Erlöfers könne fo verflanden werben, daß eben dei 
wegen, weil einer wünfcht erhöht zu werben, er fich ſelbſt ermishri: 
gen folle, bamit er biefen feinen Endzwekt um fo ficherer erreiche: 
würben wir wol läugnen dürfen, baß bann eigentlich in dem inne 
ven des Menſchen bie Selbfterhöhung if, und dad fich fſelbſt Ermie 
drigen nur ber äußere Schein; daß er alfo eigentlich ein folder if, 
der ſich ſelbſt erhöht und der folglich) muß erniedrigt werben, wenn 
es gleich äußerlich fcheint, als wolle er ſich felbft erniebrigen und 
ſollte alfo erhöhet werben. Und fo hebt in biefem Fall einer von 
den beiden Audfprüchen bes Erlöferd ben anderen wieder auf. 
Darum m. a. Er. ift es mit einer ſolchen oberflächlichen Be 
trachtung diefer Worte Chrifti noch nicht gethan; fondern wir mil: 
fen uns noch in einem andern Sinn und auf eine andere Weile 
die Frage vorlegen, was für eine Bewandniß ed denn hat 
‚mit biefer Selbflerniedrigung und mit diefem Erhöht 
werden des Ehriften, denn zu feinen Sängern und gar möcht zu 
anderen hat ber Erloͤſer diefe Worte gerebet. Laſſet und aber bei 
der Beantwortung dieſer Frage fo zu Werke geben, daß wie zuerfl 
durch Vergleichung diefer Ausfprüce des Herm mit dem, was wir 
fonft von ihm wiſſen, uns darüber mit einander verfländigen, was 
er gewiß bei diefen Worten nicht koͤnne gemeint haben, und ſedenn 
zweitens, indem wis ben Bufemmenhang in weldem, ımd die 
Umfläube unter weichen er dieſe Worte geredet hat, in Betracht 
ziehen, alsdann, indem wir ımd vor jenem hüten, um fo ſicherer 
feine eigentliche Meinung dabei erkennen mögen. 


1. Bam es und alfo zuerſt darauf ankommt darüber ſicher zu 
(ein, was der Erlöfer gewiß nicht koͤnne gemeint haben mit dieſen 
orten: fo laffet und zunächft nur bedenken, daß er von ſich feihk 
fagt, Ich bin der Weg die Wahrheit und dad Beben, und daß Kt: 
jenige welcher bie Wahrheit iſt unmoͤglich kann einen Preiß am 
wenigſten einen fo Hohen gefegt haben auf irgend eine Art der Un 
wahrheit. Wenn aber der Menſch, indem er eine beffere Meinung 
von fich Hat, fich ſelbſt unter dieſe erniedrigt: was koͤnnen wir an⸗ 











PR 


ders fagen, als baf bie eine. Ummahtheit fei, ımb. wenn er back 


begriffen if, er and) gänzlich gegen die Borfchrift des Woftels Hans 
Dele, welche wir vorher in unferer Lection-*) vernommen haben, daß 
jeder folle die Lüge ablegen, als ‘weiche. nur dem Mewichen noch 


dem alten Wandel angehörte, und. vielmehr, wer bar neuen Man 


ſchen angieht, bie Wahrheit folle reden mit feinem naͤchſten. Wenn 
nun aber einer, indem er eine befiere Meinung von ſich hegt im 
feinem innern, ſich Außerlich ſelbſt erniebrigt: ſo redet er nicht die 
Wahrheit. Hat jemand wirklich eine zu hohe Meinung von fich: 
nun fo: willen wie wol, bad iſt eine Krankheit, und es iſt eine vom 
den fchlimmeren Krankheiten ber menfchlichen Secle; uber kann das 
durch etwas gewonnen werben, wenn fie durch eine äußere Selbſt⸗ 
erniedrigung verſchleiert wird? Geſezt auch wir haͤtten eine Ahnung 


Davon, daß wir uns zu hoch ſtellen, und es waͤre alſo in der That 


ein Kampf, weichen wir gegen ben alten Menſchen in und und feine 
natürliche Neigung führen, wenn wir uns felbft erhiebrigen: fo.find 
wir ja gar nicht baran gewiefen, biefen Kampf ober irgend einen 
aͤhnlichen für und allein abzumachen; ſondern das Leben, weiches 
ber Erlöfer gebracht hat, ift nur in ber Gemeinſchaft der Ehriften, 


und einen andern Weg hat er und nicht zeigen wollen al& Durch 


dieſe, und fo kann alfo die Wahrheit auch nur in dieſer bad Leben 
fein. Hat der. Menſch eine zu hohe Meinung von fich, nun mohl, 


jo gegiemt ed in ber chriſtlichen Gemeinfchaft, Daß er damit heraus⸗ 


trete; dann kommt er an dab .Licht und Tann an dem Lichte ge 


firaft und durch Strafe gebeſſert werben. Will er aber für ſich 
allein bleiben, fo wird er in biefem Streite ermäden, und ber alte 


Menſch wird fiegen; er wird. feine gute Meinung von fich behalten, 
fei fie auch noch fo fehr Aber die Wahrheit hinaus, und uͤberkommt 
noch dazu alle die Uebel, welche aus jeder Gewöhnung an die Um 
wahrheit entftehen, fo Daß er noch außerdem auch den. Unfegen ber 
Lüge in fein geiftiged Dafein bringen wird. &o werben wir denn 
alfo fagen müffen, dad kann die Meinung des Erlöferd nicht gerden 


fen fein irgend einen Preis zu fezen auf bie Unwahrheit, ihr einen 


Lohn zu verheißen, und irgend etwas, was die Menſchen fördern 


ſollte, auf ſie bauen zu wollen. 

Es laͤßt ſich aber auch wol denken, janand haͤtte in der That 
eine richtige Meinung von ſich und ſtellte fich nicht zu hoch, hielte 
auch nicht mehr von ſich als ihm gebührt; aber ohne gerade «8 


buchſtaͤblich zu nehmm mit dem ſich feibfk Erniedrigen fuchte er om 


nigſtens nicht fich geltend zu machen mit dem, was eigentlich feinen 





) Bphele 4, 22- 2. 


Zuet ausmacht. Wäre wol darin, ſobald es als eiwash 
in ſich ſchtießen koͤnnte? wuͤrde nicht vielmehr eben iu 
entweder ſich ben anderen mittheilen, und fie ihn alſo au 
achten, wie es ſich gehört ihn zu achten, ub ihm nicht di 
anweiſen, welche ibm zukommt, weil fie ſich auf fein Urbe 
fi, ſelbſt verließen; ober auf der andern Seite, wenn fie ik 
ft höher ſtellten, fo könnte doch daB kein Grund für fie werde 
erhöhen, wenn fie glaubten ihn anfehen zu muͤſſen als du 
Dem jwar Gott manchetlei Kräfte und Gaben verliehen hätte, ber 
es aber an bem Muth fehlt, weicher notinvenbig iſt, um damit kt 
vorzutreten, benn alddann würbe auch für die Gemweinfchaft aus «: 
ser folchen Erhöhung eben fo wenig ein Gegen emtfichen wie fu 
den einzelnen Menfchen ſelbſt. 

Aber wenn wir nun weiter-an andere Worte des Erloͤſers der 
®en, und an bad, was in feinem ganzen Weſen liegt, nämlich def 
er überall die Eigenliebe der Menfchen zurüffzachatten und zu dem 
thigen fucht; wie wir benn in dem ganzen Zuſammenhang anf 
dieſer Rebe finden, wo er überall feinen Juͤngern die Schriftgeldr 
ten und Pharifäer gegenüberftellt ald ein warnendes Beiſpiel vn 
dem, wohin der übermäßige Eigendünkel die Menſchen führt, un 
ihnen zu erkennen giebt, fie follten ihnen nicht darin folgen: — m 
Sönnen wir ander, wenn wir uns hieran erinnem, ald uud gl 
überzeugen, daß er keinesweges hat die Meinung haben koͤnnen ie 
nen Juͤngern irgend einen Erfolg zu verheißen, welcher ber Eiger 
liebe der Menſchen ſchmeichelt. Wenn er nun aber hier auf am | 
Solche Weiſe das Erhoͤhtwerden darſtellen wollte als bie natirliht | 
Folge ober als die von Gott gefezte Belohnung bes ſich fehk Er | 
- niebrigend: was wäre bad anders ald eine Lokkung ober Babe 
Eung, welche er der Eigenliche gäbe. Das if möcht möglich, DW 
ein Wort don ſolchem Gehalt kann aus feinem Munde gelomme 
fein; es iſt nicht möglich, und noch viel weniger möglid, baf a 
beides mit einander follte haben verbinden wollen, ben Denke 
eine-Anleitung zu geben zur Unwahrheit, unb zu gleicher Zeit ai 
Diefer eine Lokkung zur Eigenlicbe _ 

Und warlich wir bärfen nur m. th. Zr. baramf achten, au 
welche Weiſe diefe Mebe Chriſti iſt mißverſtanden worden, 17 
ſehen, wie wenig jene oberflächliche- Betrachtung derſelben in 1“ 
Sinn eingedrungen iſt. Wer hat wol mehr fi ſelbſt zu hl“ 
gefucht, und zwar auf bie Weiſe, ver welcher der Erlöfer am DE 
fien warnt, nämlich in dem geiftigen Sinne des Worte, a vn 
nigen, welche fich felbft Knechte ber Knechte Gottes nennen? 


Mu 


* 
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ausdruͤkklich der Herr auch feine Sänger wart, fie ſollten fich nicht 
Vater nennen, denn e8 fer nur ein Water aller, ber im Himmel: fo 
haben jene, indem fie fich ſelbſt fo bemüthig bezeichneten, ſich doch 
gem gefallen laſſen, daß ihre Bruͤder ſie heiligſte Böter nannten, 
Aber auch davon abgefehen, wie oft finden wir nicht in ber Gen 
meinfhaft der Chriften den geifligen Hochmuth ſich verbergen unter 
einen Schein von Selbſterniedrigung; wie oft finden wir .nicht, daß 
biejenigen, welche am meiften in ihrem ganzen Weſen und Betra⸗ 
gen bie Demuth zur Schau tragen, boch in ihrem Leben felbft ben 
Stolz und ben Hochmuth üben, indem fie jene Herrſchaft über. bie 
"Gewiffen, wovor ber Herr fo fehr gewarnt hat, daß keiner fie. an 
ſich reißen: fole, wenigſtens dadurch ausüben, daß fie fich ſelbſt ei⸗ 
nen Richterſtuhl bauen, auf weichem fie ber die Grundſaͤze über 
den Lebendwandel-über bie Anſichten ihrer Brüder zu Gericht figen, 
und alſo fich feibft erhöhen, inben fie fcheinen fich felbft zu ernie⸗ 
drigen. Hätten: fie aber nicht geglaubt, baß ber Erloͤſer wirklich 
eine ſolche Unwahrheit beguͤnſtigen koͤnne, haͤtten ſie es nicht ſeiner 
Meinung gemaͤß geachtet, daß es eine beſondere Erhoͤhung gebe, 
welche mit jener Selbſterniedrigung zuſammenhinge: ſo wuͤrden fie 
ja, indem‘fie ſich als feine Schuͤler und Juͤnger darſtellen wollen, 
nicht ſo ganz wider ſeinen Geiſt und ſein Gebot gehandelt haben. 

If nun dieſes außer allem Zweifel geſtellt, daß wir den Sinn 
des Erloͤſers bei diefem Worte gewiß nicht getroffen haben, wenn 
wir etwas hineiniegen, was eine Unwahrheit ifl, oder wenn wir eb. 
was darin fuchen, was auf irgend eine Weiſe fei ed die äußere unb. 
geſellſchaftiiche oder noch vielmehr die geiſtige Eigenliche der Men⸗ 
ſchen befoͤrdert: ſo laſſet uns denn in dem zweiten Theil unſerer 
Betrachtung darauf achten, wohin uns der Zuſammenhang fuͤhrt, 
in welchem der Erloſer dieſe Worte geſprochen hat. 


u. Es gehoͤren aber hierher zwei Stellen in unſern Evange⸗ 
lien. In der erſten wird, was freilich der Erloͤſer auch in dem Zu⸗ 
ſammenhange unſeres Tertes beilaͤufig erwähnt, ausfuͤhrlicher dar⸗ 
geſtellt. Naͤmlich bei dem Evangeliften Lukas) wird und erzaͤhlt, 
wie der Erloͤſer geladen geweſen ſei zum Mahle bei einem ber ober⸗ 
fien, und ald er bemerkte, wie bie mit ihm geladenen Säfte ſich 
hinzu brängten, um möglichft die höheren Piäze einzunehmen in der 
Geſellſchaft, habe er zu einem vom ihnen geſagt, es fei beſſer fich. 
untenangufezen, Damit nicht wenn einer gelaben ſei welcher größere 
Anſpruͤche habe, ber Gaftgeber - fagen mäfle, rum Price biefem, 





rn 


TH. en TE tem 


60 

und ruͤkke hinunter, ſondern vielmehr zu ihm treten und ſagen, E 
ruͤkke bu nur höher hinauf, denn dahin gehoͤrſt du! und dieſe Lehre 
enbigte ex mit ben Worten, Denn wer fich felbft erhöhet, ber wird 
erniebrigt werben. Das zweite iſt nun. der Zufammenhang im dem 
Evangelio des Matthäus, aus weichem. ich die Worte unſeres Xer: 
tes genommen habe, we bie Hauptſache die iſt, daß ber Erlöfer zu 
feinen Züngern fagt, die Schriftgelehrten und Pharifäer ließen ſich 
Meifter nennen und Herr; Bad follten fie aber nicht, denn es ki 
nur Einer ihr Meiſter, naͤmlich Chriſtus, der größefte aber unter ib» 
nen folle ber andern Diener fein, denn, fagt er, wer fich ſelbſt erboͤ⸗ 
het der wird ertiiebriget werden, und umgekehrt. 

Nun ift wol gewiß, daß ber Erlöfer in der erflen Stelle jene 
äußere Kleinigkeit ded Obenanfizens bet Tiſche nicht kann gemeint 
haben; er Hätte ſich darüber ſo ausfuͤhrlich nicht ausgelaflen. Aber 
wir wiffen, wie haufig er das ganze eben darftellt unter bem 
Bilde eines Guſtinahls, und in mehr als einer feiner herrlichen 
Gleichnißreden daraus Die wichtigften. und größten Belchrungen ah 
leitet. &o mögen wir mithin auch bier feine Worte nicht ander 
ober geringer faffen, ald daß er dabei an das ganze -menihliche Lo 
ben gebacht habe, aber freitich in ber beflimmten Beziehung, auf 
welche fidy jenes: Gleichniß anwenden läßt. Hat er geſehn, wie die 
Menſchen ſich bei dem Gaſtmahle drängten oben zu ſizen: fo hat 
er fie alſo in einem Zuſtande des Weiteifers gefunden; und wir 
vielfältig find fie nicht unter einandre im biefem- begriffen! Wo 
mehrere nach einem und demfelber Ziele fireben, wo meßrere irgend 
ein Gut zu befizen wünfden, das nicht gemeinſam fein Farm: ta 
finden wir diefen Zuſtand. Auf biefen geht alſo hier bie Lehre be 
Erlöferd, und für alle folche Berhältniffe will er uns die Vorſchrift 
geben, welche er hier auf einen -befonderen Fall anwendet: fo daß 
. in allen bie Lehre gelten toll, Wer fich ſelbſt erhoͤhet, ber wird en 
niebriget werben. 

Allein m. g. 3. wenn nun dieſes als eine Vorfchrift des Er 
loͤſers von allen befolgt würde, und, damit wir bei feinem Bilte 
bleiben, alle bet jedem ſolchen Gaſtmahl des menfchlichen Leben: 
fi) untenhin zu fezen flrebten: was entflände denn daraus? Ge: 
wiß doch nichts anderd, als eben‘ ein Zufland der Unentſchiedenbeit, 
welchem alsdann der Wirth ein Ende machen und‘ jedem fein 
Plaz ammweifen muß. Sobald das fich felbft Erniedrigen affe al 
eine allgemeine Vorſchrift bargeftellt wird; wie der Erlöfer ja offen: 
bar will: fo kann unmöglidy etwas anderes ald nur biefe3 barımter 
verflanden werben. Was iſt alfo in biefer Beziehung feine Mei: 
. nung? Daß wir irgend einen bichen Zuſtand bes Welteifers, in 











61 


weichem wir uns mit andern befinden, nicht nach unſerer eigenen 
Meinung von uns felbſt ſollen entſcheiden wollen, ſondern dieſe zum 
Schweigen ‚bringen, ‚und. lieber. bie Sache unentſchieden laſſen, fo Ä 
Lange fie nur nach unferer eigehen Meinung koͤnnte entſchieden wer⸗ 
den: Aber wen wird. benn mun. die. Enticheibung bieiben? Der 
Birth fagt. nicht nach eigner Willkuͤhr in. dem einen Yalle, Komm 
und weiche jenem! in bem anbern, Ruͤkke du weiter hinaufs ſondern 
wenn er ed thut, fo weifet er jeden an feinen ihm gebührenben 
. Paz, und wendet: alfo nur eine ſchon vorhandene. Entfcheibung an; 
weiß. ex feine folche, fo uͤberlaͤßt er es dem Zufall. Alfo au in 
dieſem ganz Außerlichen. Zheit: bed gemeinſamen Lebens entſcheidet 
derjenige, dem es obliegt, nicht auf eine man willkuͤhrliche Weiſe; 
ſondermn wie es ihm die Sitte, wie es ihm das, was in der Geſell⸗ 
ſchaft angenemmen iſt, lehrt: Deren Stimme hoͤrt der Wirth. und 
ift alfo been. Werkzeug, indem er jebem feinen Plaz anmeift, und: 
er verhätt: ſich ſelbſt auch nicht. fo, ald ob das von ihm audginge. 
Und fo iftı e8 in allen Fällen, auf welche. diefe Rede Chriſti An⸗ 
wendung findet. Mur bie Öffentliche Stimme und Meinung det 
Merfehen iſt es, welche, fei. ed. num: in Beziehung auf die Stellung. 
der einztlnen in: der Gefellichaft ober auf ihren perſonlichen Werth, 
fo oder anders eutſcheidet. Wenn alſo der Grloͤſer ſagt, Wer ſich 
ſelbſ eyhößet,. Der wird erniedriget werben, und wer ſich ſelbſt ernies 
drigt, ber. wird erhoͤhet werden: fo iſt ſeint · Meinung nur Die, daß 
uͤberall in..allen: folchen Fällen auf dieſem ganzen: Dem Wetteifer 
hingegebenen Gebiet des menſchlichen Lebens keiner fol feine Mei⸗ 
nung von fich ſelbſt fo geltend: machen, daß er nach diefer fein Wer: 
haͤltniß zu andoren ſelbſt entſcheiden wollte; ſondern er fol zuruͤkk. 
treten: und: wie Entſcheidung der herrſchenden Meinung der oͤffentli⸗ 
chen Stimme der Diemfchen überlaffen, wohl wiſſend, bag ex nur- anf 
drefe Weiſe anf ‚den rechten Pla; kommen kann, wo er wirkfam 
fein wird, indem es nur ein vergeblicher Kampf fein- würbe fie ihn 
gegen: bie: öffentliche Stimme aufzutreten. Ja felbft, wenn er biefe 
verleiten koͤnnte, wuͤrde nur. daraus entfichen, daß er einen Plaz- 
erhielte, welchen er aus Mange an freier Huͤlfsleiſtung anderer 
nicht - ausfüllen koͤnnte, dem .er alfo auc nicht: gewachfen- waͤre;“ 
welches dann Feine Erhöhung für ihn fein würde, fonbern nur- eine - 
andre Art der-Erniedrigung. Darum bat auch der Erloͤſer im die⸗ 
fer Beziehung unter bein Ethoͤhtwerden nichtd verſtanden, was der: - 
Eigentiebe ber Meridien ſchmeicheln koͤnnte, und Feine Belohnung 
und feinen Preis für fie gefezt und eben ſo wenig wie in anderen 
Wortes des: Exrloͤſers finden wir in dieſen eine Werheißung für bie: 
Serbfthiebe der Menfchen Denn find. fie einmal in biefem Bere 





2 

des Wetteiferd mit ‚einander, und ihr Herz ift nicht durch ben goͤn 
lichen Geiſt gereinigt. von ber Selbfifucht : fo wirb Doch Teiner ze: 
frieden fein mit dem Plage, den ihm die ‚öffentliche Stimme as: 
weiſt, und bie. Erhöhung wirb doch Feine Erhöhung fein für ben, 
welcher zu viel von ſich hätt, fondern nur ber wirb juirieben fein 
mit dem was ihm wird, der Werzicht darauf geleiftet hat im dem 
gemeinfamen Leben ber Menſchen feine Meinung ausſchließend gel: 
tend zu machen. 

Aber wenn wir num zweitens auf den Zufammenhang fchen, 
in welchem diefe Worte bed Erloͤſers an der Stelle gefprochen wer 
ben find, wo wir fie unmittelbar hergenenumen haben: fo fuͤhrt un? 
‚ bad freilich auf eine mehr unmittelbare Weife in das eigentliche Le 


- ‚ben der Ehriften ald folder. Wiewol ic) keintsweges hiermit gefagt 


haben will, daß bie Worte bed Herrn in jener erſten Beziehung 
nicht auch das ganze chriftliche Leben umfaflen; denn ed iſt mid 
anders möglich auf diefer Erbe, als daß wir und haufig und eben 
- fo gut die wahrhafteften Juͤnger des Herm in bieem Zuftande bes 
Wetteiferd und bed Wettrennens mb einem und dewſelben Ziele 
befinden. Es ift nach ber Natur der menfchlichen - Dinge auch im 
der chriftlichen Kirche ſelbſt nicht anders möglich; ımb was ber 
loͤſer bier jagt, ift die allgemeine Entfcheidung u 0 gi 
chriſtlichen Geiſtes in allen biefen Berhäktiffen. Beam ih ei 
ſage, daß bie zweite Stelle, in welcher jene Worte fich finden, und 
mehr unmittelbar. in das eigentliche Leben bex Chuſten einfuͤhrt: 
erinnere ich zunaͤchſt, daß ber Erloͤſer hier nur zu. feiten u Sogn 
als folchen redet, und zwar über ihren Beruf. Die Apoftel follten 
dad von dem Erloͤſer ausgegaugene Zehen erhalten unb zweiter wer 
breiten. Dieled Verhaͤltniß derfelben zu andern was fein Zuſtend 
des Wetteiferd, ſondern fie ſollten ſich andere. zum. Gegenßand ihrert 
Wirkſamkeit machen, und immer im Auge ‚haben, daß fir ihnen 
dazu gegeben feien. ' 
Was fagt; nun alfo ber Erloſer in Diefer- Beriehung? & fagt, 
Ihr ſollt euch nicht Meifter nennen laſſen, ihr fot auch nacht Bü: 
ter genannt werben, denn es giebt nur einer Water, ber im Him⸗ 
mel, und nur einen Meifter, welcher iſt Chriſtus; der größte aber 
unter euch, nicht ber, welcher ber größte fein will, nicht der melcher 
erhöht zu werben. begehrt; ſondern jeber in dem Verhaͤltniß, ald ex 
wirklich hierin größer ift ald andere, ſoll dieſen anderen dienen. 
Wenn wir nun etwas genauer auf biefe Worte. bed Herrn merken 
m.. a, Fr., fo fehen wir alfp, wie er alles wes ein Anfchen des ci: 
nen. über ben anderen iſt unter den feinigen aufgehoben wiſſen wil. 
Der ‚Bater. übt ging natürliche Hercſchaft, ber Meiſted übt eine Den- 





, 673 
ſchaft aus, welche ſich wir wiſſen nicht immer in welchem Grade 
auch auf angeborne Vorzuͤge gewiß aber zum Theil auf erworbene 
gruͤndet. Das ſind alſo wahre in der Natur liegende Verhaͤltniſſe, 
die ein Uebergewicht und ein Anſehn ausdruͤkken; aber der Erloͤſer 
ſagt, in dem chriſtlichen Leben ſoll keiner ſo genannt werden, auch 
der wirklich groͤßere ſoll keine Herrſchaft uͤber die anderen ausuͤben 
wollen, ſondern er ſoll ihnen dienen. Wenn er nun hinzufuͤgt, 
Denn wer ſich ſelbſt erniedrigt, der wird erhoͤhet werden, wer ſich 
aber ſelbſt erhoͤhet, der wird erniedrigt werden: was kann das in 
dieſer Beziehung heißen? Der größere fein und dienen, das ers 
fcheint uns als entgegengefezt und ſchwer mit einander zu reimen, 
ſondern wir find gewohnt fo mit einander zu verbinden, der größere 
ſoll herrſchen, dienen aber ſoll der Eleinere; der Erlöfer aber kehrt 
ed um, ber große folk dienen, und was bleibt bem Pleineren übrig? 
Nichts anderes offenbar m. 3., als daß er ihm bienen laffe. Unb 
fo hebt denn der Exlöfer alles, wad Herrſchaft was Anfehn ifl, un; 
ter den feinigen auf; er kennt Feine andere Wirkfamkeit ald die des . 
Dienend, und nur wo fie noch nicht geübt werden kann und in fo: 
fern fie e8 nicht Tann, ift auch unter den feinigen einer, dem ge: 
dient werben muß und ber fi muß dienen laffen. Der natürliche 
Menſch, um mit ber heiligen Schrift zu veden m. Fr., ber noch 
nicht erleuchtet ift von dem Geift Gotted, ber noch nicht. zu ber 
Gemeinſchaft .mit Gott durch Chriftum wieder gebiehen ift, kann 
noch gar nicht bienenz aber eben darum ift er auch noch gar nicht 
da, eben deshalb heißt ed von ihm in Beziehung auf das chriftliche 
Leben, er müffe noch gefchaffen werben zu einer neuen Kreatur, er 
müffe erft geboren werben aus dem Geil. Wer alfo- noch nicht 
dienen Tann, der ift auch noch nicht da. Seber alfo, in dem Maaß 
als er noch in der menfchlichen Schwachheit lebt und wandelt, hat 
noch fein eigenes Leben, und infofern muß auch jeber fich dienen 
Laffen fich helfen laffen von den anderen. Gebeiht er aber zum eig: 
nen Leben: dann hört diefe Beduͤrftigkeit auf, und er kann auch 
dienen. So iſt alles, was der Erloͤſer ſeinen Juͤngern auflegt, im⸗ 
mer von der Art, nicht daß eine Ungleichheit dadurch ſoll feſtgeſtellt 
werden, ſondern aufgehoben. Der ſchwache ſoll geſtaͤrkt werden, 
ſo daß er von der Schwachheit, die ihn hindert zu dienen, befreit, 
und denen, die ihn ſtaͤrkten, gleich gemacht ſich nun auch anderen 
hingeben und ihnen dienen koͤnne; damit ſo in immer weiteren Krei⸗ 
ſen und immer groͤßerer Staͤrke das goͤttliche Leben ſich verbreite. 
Der kranke kann nicht dienen, ſondern er leidet, aber er ſoll geheilt 
werden; die geiſtige Geſumdheit ſoll allen aus derſelben Quelle des 
Lebens, die in Chriſto und aufgeſchloſſen in, i, mitgeteilt werden. 


674 


Aber in dem Maaß als einer geheilt if und gefundb geworben jel 
er dienen. Der unentwikkelte kann noch nicht dienen, beun er iñ 
noch nicht Herr feiner Kräfte; aber er fol herausgebildet werke 
zum. Befize derfelben, die Wahrheit fo fein Licht werden, und ir 
fol er dann in den Stand fommen auch andere zu erleuchten un? 
ihnen zu dienen. Und eine andre Wirkſamkeit als Dienen fennt ber 
Erlöfer gar nicht in feinem Reihe. Wenn er alfo fagt, Wer ad 
ſelbſt erniedrigt der wird erhöhet werden, und wer ſich ſelbſt erhoͤhe 
der wird erniedrigt werben: was meint er eigentlih Damit? wa 
ſoll erhöhet werden? Kein einzelner Menſch kein einzelned vergäng 
liches irdifches Weſen als ſolches; fondern der Geilt in uns iſt es, 
welcher erhöhet werben foll. Jeder einzelne aber foll ſich ſelbſt er: 
niedrigen, d. h. er fol fih nur anfehen ald dad Werkzeug bieies 
Geifted, und wie diefer nur dazu Werkzeuge gebraucht, damit er fc 
fortpflanze in andere und zum Leben in ihnen gelange: fa joll jeder 
fih andern hingeben um ihnen dazu zu dienen, und der größte if 
der, welcher am meiften dient. Aber eben dieſes m. a. 3. muß jub 
nun fo gewiß über dad ganze menſchliche Leben verbreiten, ala es 
auch in allen feinen VBerzweigungen fol ein chriftliched Leben wer 
den und von demfelben Geift ausgehen und geleitet fein. Wem 
Macht und Anfehn in der Welt über andre zugetheilt ifl, der jell 
dienen, er foll den anderen nüzlich fein und fie fördern, und in dem 
Maaße ald er dad nicht thut wird er unaudbleiblid erniedrigt und 
erſcheint ald einer, ber ſeiner Stelle nicht gewachſen ift, eben weil 
er nicht dient dem geiftigen Xeben der Menſchen nicht nuͤzlich ui 
Mer aber alles nur als ein ihm anvertrauted Gut anfieht, wie & 
ihm von Gott gegeben ift, nur um damit zu. wirken unb zu icsi: 
fen um das gute zu mehren um das Leben zu fördern, und aljo 
den anderen nüzlicy zu fein und ihnen zu dienen mit jeinen Gaben 
und Gütern, ber wird erhöht. Freilich auch nur in jenem beſchei⸗ 
benen Sinn bed Erlöferd, indem er als einer erfannt wird, der fa: 
nem Pla; angemefjen if; aber er gewinnt doch immer mehr das 
‘ befriedigende Gefühl, daß er an einem Plaz fleht, wo er gutes 
thun und wirken kann; und indem er anerkennt, daß dieſes nicht 
. fein Werk ift fondern dad Werk des göttlichen Geiftes, fo emiebrigs 
er fi) immer, indem der Geift in ihm erhöht wird. 
Wie wollten wir auch mit einer anderen Vorſtellung vom der 
chriſtlichen Demuth und von dem Sinne unfered Erloͤſers bei bie: 
fem Worte uns felbft und feinen Worten getreu bleiben? SA & 
und nicht gelagt, und ift ed nicht unfer gemeinfames Gefühl, dab 
er und ein Vorbild gelaflen hat, deffen Zußftapfen wir follen nad: 
folgen? So ift er der Weg, fo ift er die Wahrheit, fo ift er das 








675 


Leben; und wenn er alfo und etwas vorgefchrieben hätte, was er 
micht felbft gethan, fo blieben wir in Zweifel. Aber was fagt ber 
Apoſtel von ihm, wo er die Ehriften ermahnt, daß fie nicht follten 
jeder bad feinige fuchen, fordern das, was des andern ifl? Da 
fügt er hinzu *), fie follten gefinnet fein wie Jeſus Chriftus auch 
var, der ob er wol in, göttlicher Geftalt war, hielt er ed nicht für. 
einen Raub Gott gleich fein, fondern erniebrigte fich felbft und 
ward gehorfam bis zum Xode, ja bis zum Tode am Kreuz. Und 
Dayum, fagt er weiter, habe ihn auch Gott erhöht und ihm einen 
Namen gegeben, der über alle Namen if. Und fo werden wir 
Denn finden, wie der Erlöfer auch diefem feinem Worte in feinem 
ganzen Leben getreu gewefen und geblieben ift und und auch hier 
ein Vorbild gelaffen hat, deffen Fußflapfen wir nachfolgen follen. 
So wie er lebte, diente er den Menfchen mit allen feinen Gaben 
und Kräften, geiflig indem er ihnen den Weg des Lebens zeigte, 
Leiblih) indem er.mit den ihm von Gott auf eine eigenthümliche 
Weiſe mitgetheilten Kräften ihre Uebel zu lindern ſuchte. So war 
er und wußte, daß er fo war: Aber nie hat er das geringfie ges 
than, um die Öffentliche Meinung um die Stimme ber Menfchen 
auf irgend einem anderen Wege zu gewinnen. . Nirgenb fehen wir 
ihn auf irgend eine Weife ſich hervordraͤngen; fondern indem er 
that, was ihm in jedem Augenblikk vorhanden fam zu thun, indem 
er Teine Gelegenheit ungenuzt ließ den Menfchen zu dienen, ließ er 
e3 darauf ankommen, wie bie Menfchen fich zu ihm ftellen und was 
fie ihm einräumen würden, wohl wiffend, daß wenn fie ihn nicht 
erkannten für bad was er war, fie fich felber den größten Schaden 
zufügten. Eben darum hat er es auch nicht fehlen laffen an Zeugs 
niffen über fich ſelbſt und fich nicht geringer geftellt, als er fich 
fannte, fondern hat der Wahrheit die Ehre gegeben. Aber wie frei 
finden wir ihn von jeglicher Selbftgefälligkeit! wie wollte er durch 
nichtd anderes als nur durch die Wahrheit und die Kraft feiner 
dienenden Wirkfamkeit etwas bei den Menfchen außrichten und über 
fie gewinnen! Er wußte ed wohl, daß er der Meifter war, und 
fagte ed auch; aber hat er irgend wie anderd gefucht eine Herrichaft 
bei den Menfchen zu gewinnen, als indem er ihnen diente? Mie 
herablaffend ift nicht feine Belehrung, wie giebt er fich nicht den 
Beduͤrfniſſen der Menfchen bin und redet nicht von einer himmlis 
fchen Höhe herab zu ihnen, ed ihnen überlaffend, ob fie ihn verfte: 
ben würden; fondern inbem fie zu feinen Füßen fizen, läßt er jich 
herab zu ihnen und fucht feine himmlifchen Kräfte zu nichts anderem 


9%, 5. f. | 
Uu 2 


676 


zu gebrauchen als ihnen zu bienen. Aber daß ex num erhoͤhet iR, 
ift auch nichts, was ein Preis feiner Eigenliebe gewefen wäre. Mena 
er einen Namen befommen hat, der über alle Namen iſt: fo iſt e 
nichtd geworben wad er nicht von Anfang an fchon war, ber ein 
geborene Sohn bad Fleifch gewordene Wort; und alfo keine Erho— 
bung, die ein Preis für ihn fein konnte, ift ihm zu Theil gewer: 
den, fondern er ift getreten an feinen natürlichen Plaz. 

Sind wir nun aus dem Geifte geboren, fo können auch wu 
nicht anders ald den Unterfchieb zwilchen dem göttlichen Leben, wei- 
ches in und entzündet ift, und bem gemieinen irbifchen Leben im 
Streben nad) dem vergänglichen anerfennen, und ihn nicht nur ia 
unferem Bewußtſein fefthalten, ſondern auch fo viel an uns iſt den 
Menfchen zu vernehmen geben. Darum follen wir Zeugniß geben, 
wie der Erlöfer es gethan hat: aber wehe und, wenn wir es auf 
eine andere Art thun als fo, wie wir den Menfchen Damit am be 
fien dienen fünnen! Suchen wir babei unfere (Ehre und unfer An ! 
fehen, wollen wir und perfönlich geltend machen: fo werben wir eben io 
gewiß ald wir baburch wiber fein Wort handeln auch unfern Ginflus 
und unfere Wirkſamkeit auf die Menfchen verringern, und werben dan 
fo gewiß um fo weniger auf fie wirken, ald wir und von jener Regel 
. bed Erlöferd entfernen. Aber wenn wir fie befolgen, wenn wir- ihr 
treu bleiben immer und überall: bann werben wir auch fo erhöht 
werben, wie wir allein banach zu trachten haben, b. h. in immer 
größere Wirkſamkeit des Dienend gefezt werben. Wir werben durch 
Gewöhnung durch Uebung durch dad Vertrauen, welches Die Ra: 
fchen und fchenten, immer geſchikkter werden ihnen zu dienen, be: 
sum daß wir weber Herren fein noch Väter und Meifter beißen wol: 
Ien, auf Daß alle den allein ald die Quelle des Lebens anfehen, der 
unfer Vater ift und auch der Water des Erlöferd war, und feinen 
andern Meifter anerkennen noch felbft einen über fich ſezen wolle, 
und felber am wenigften, ald ben einen Meifter Chriftum. So 
werben wir immer mehr bahin gelangen, daß wir felber als einzelne 
und erniebrigen, baß aber in und und von und unb burch uns im: 
mer mehr erhöht werbe der Geiſt, welcher von ihm ausgeht, deſſen 
Werkzeuge wir ſein ſollen und nie etwas anderes begehren zu fein 
ald dies. So war er unfer Herr und d Meiſte, ſo ſollen feine Sun: 
ger ſein zu allen Zeiten. Amen. 

Lied d, 2—38. 








LVL 
Am 21. Sonntage nad) Trinitatis 1833, 


Lied 41. 838. 


Text. Lukas 11,8,9, 


Ich ſage euch, und ob er nicht aufſteht und giebt ihm 
barum daß er fein Freund iſt, fo wird er doch um fei- 
ned ungeflümen Anhaltens willen aufſtehen und ihm ge: 
ben wieviel er bedarf. Und ich fage euch auch, Bitter, 
fo wird euch gegeben; fuchet, fo werdet ihr finden; klop⸗ 
fet an, fo wird euch aufgethan, 


M. a. 3. Ich darf vorausſezen, daß der Zuſammenhang, aus 
welchem ich dieſe Worte hergenommen habe, fich allen gleich wieber 
vergegenwärtigen wird. Sie enthalten dad Ende von einer jener 
vielen Gleichnißreden des Erlöferd zugleich mit der unmittelbaren 
Anwendung derfelben, worin alfo feine Meinung über bie Sache 
Har und vollkommen audgelprochen fein muß. Aber über diefen . 
und allen fo wichtigen und bedeutungsvollen Gegenfland, über dies _ 

ſes fo unentbehrliche das Weſen der Frömmigkeit darſtellende und 
boch fo geheimnißvolle Verhaͤltniß, dad Gebet und die Erhörung 
deffelden, wie viele‘ nicht nur verfchiedene fondern dem erften 
Anfchein nach fehwer zu vereinigende Aeußerungen von unferm Er: 
löfer finden wir. nicht aufgezeichnet! Bald ftellt er es bar ald et⸗ 
was, fo wie es die meiften Menfchen behandeln, beinahe überflüffis 
ged, wenn er fagt, Was ihr auch bittet, euer Water weiß immer 


678 


ſchon vorher maß ihr bebärft *). Ein andermal Außert er. fich wie⸗ 
der. fo als müffe es fchon eben deswegen fehr wichtig fein und be 
deutend, weil alles dabei auf die Gewißheit der Ueberzeugung auf 
die Sicherheit des Herzend anlommt, wenn er nämlich fagt, Wo 
zwei ober drei einig werden über etwas was fie bitten wollen, das 
wird der Water ihnen geben **). Hier endlich flellt ee die Erbi | 
rung dar ald abhängig davon, daß dad Gebet anhaltend genug fa 
und nicht aufhöre, bis die Erfüllung und entgegengetreten if. Was 
ift nun dieſe Werheißung, die er offenbar auf ein ſolches anhalten: 
des Gebet legt, wenn er fagt, So wie in jenem Fall jener empfing 
um feines ungeflümen und rüfffichtölofen Anhaltend willen, fo fag: 
ich auch euch, bittet, fo wird euch gegeben, fuchet, jo werdet ihr fin 
den, klopfet an, fo wird euch aufgethan? Dieſes m. a. 3. iſt nicht 
nur, wenn wir es mit jenen andern Aeußerungen des Erloͤſers ver 
gleichen, fondern auh an und für fich felbfl auf mannigfaltige 
Meife fchwierig, wenn wir ed und deutlich machen und und zu et: 
ner klaren Ueberzeugung davon bringen wollen. Darum, inbem id 
biefe Worte des Erlöferd zum Gegenftand der folgenden Betrach 
tung machen will, glaube idy werden wir auch zuerft darüber ei: 
nig werben müffen, was der Erxlöfer mit biefen Worten ganz ge 
wiß nicht kann gemeint haben, und dann wird und wol um fo 
leichter deutlich werden, was davon eigentlich übrig bleibt als der 
wahre von ihm beabfichtigte Gehalt. 


I. Wenn wir und nun die Sleichnißrebe des Erlöferd, deren 
Schluß ich nur herausgehoben habe, vor Augen fielen, wie einer 
bei nächtlicher Weile zum Zreunde kommt und ihn bittet eine; 
dringenden Bebürfniffed wegen, das ihm fo eben erft entflanben war 
‚durch die unerwartete Ankunft eined fremden, jener aber fagt, er 
koͤnne ihm nicht gewähren, weil er ſchon mit feinen Kindern zu: 
rüffgezogen ſei im feine Schlaflammer, er müffe fich gebulden bis 
zum age; der andere aber nun boch nicht abläßt, und der Erloͤ— 
fer endlich fchließt, Gewiß wird jener in ſolchem Kalle um feine 
ungeflümen Anhaltens willen aufftehen und ihm geben. wad er be 
darf? follen mir dad fo unmittelbar anwenden auf unſer Berbältnif 
zu Gott? Hat e8 die Meinung bed GErlöferd fein Binnen, Ger 
ſchlage und wol zuerſt etwas ab, aber wenn wir nur nicht aufbe 
ven daffelbe immer wieder zu bitten, fo gewähre er es zulezt body? 
Das freilich wiſſen wir ſehr wohl, daß wenn-wir etwas recht drin: 


) Matth. 6, 8. 
) Watth, 18, 19. 














679 . 
gend’ wünfchen, es doch fehr oft nicht gleich, wenn wir e& zum Ge 
genftand unferd Gebets machen, Gottes Wille iſt und zu gewähren, 
fondern oft fehr ſpaͤt erft, nachdem ſich manches in den Verhaͤltniſ⸗ 
fen der Menfchen und der Lage ber Dinge geändert, oder dies und 
jened, woran wir damals gar nicht denken Eonnten, voraudgegangen 
ift, Zeit und Stunde gefchlagen hat für die Erhörung bed Gebet, 
Das wiflen wir wohl: aber das kann ber Erlöfer hier nicht meinen, 
denn hier hatte fich nichtd geändert zwifchen dem erſten Anfang ber 
Bitte und der Erhörung derfelben, fondern nur das anhaltende Bit: 
ten für ſich bewirkte eine Veraͤnderung in der erft ungeneigten Stim⸗ 
mung des Freundes. Und fo veränberlich kann er wol nicht mei: 
nen, daß wir uns feinen und unſern himmlifchen Water denken fol: 
len! Aber wenn wir ed noch genauer betrachten, wodurch wird 
denn eigentlich die Weränderung in jenem hervorgebraht?! Das 
Anhalten, was ihn alfo doch in ber Ruhe flörte, der er eigentlich 
pflegen wollte, war ber Bewegungsgrund, warum er doch zulezt 
auffteht und dem Freunde giebt, wad er von ihm erbeten; und ber 
Erlöfer ſagt ausdruͤkklich, Giebt er ihm auch nicht deshalb, weil er 
fein Freund ift, fo wird er ihm doch geben um feines ungeflümen 
Anhaltens willen. Er denkt fich alfo, daß dieſer was er aus blo⸗ 
fer Freundſchaſt nicht thun würde nun beöwegen thut, bamit er 
denjenigen, den er doch eigentlich liebt und der ihm fonft nahe fteht, 
los werde und Ruhe vor ihm habe. Wie wäre es boch möglich, 
daß wir Died unmittelbar und buchſtaͤblich auf Gott anwenden koͤnn⸗ 
ten! Was kann ihm wol dad Bitten für Befchwerde machen, da 
er ja doch vermöge feiner Allwiffenheit alled auch eben fo gut bie 
thörihten und verkehrten als bie richtigen und ihm wohlgefälligen 
Gedanken der Menfchen weiß und alfo anhören muß? Und wenn 
fo etwas in ihm fein koͤnnte, Daß er dies und jened thäte nur um 
die Menfchen 108 zu werben: was für ein Vertrauen Tönnten wir 
haben, daß das Wahrheit fei, was fo ſehr den innern Kern ber 
Lehre des Erloͤſers ausmacht, daß er und feinem himmliſchen Bater 
wieder zuführt als feine Kinder? Ja, wenn wir daffelbe noch von 
einer andern Seite betrachten, was wäre das wol für .eine Freund⸗ 
ſchaft, wenn lediglich aus Bequemlichkeit und Zrägheit ber Freund 
dem Freunde abfchlagen kann, was dieſer von ihm begehrt? ober 
auch ſchon wenn öfters ein Freund von dem andern begehren kann, 
was biefer. nur mit Widerwillen gewährt? Iſt in jenem Fal die 
Kraft ber vorforgenden und theilnehmenden Liebe nicht vorhanden, 
daß jeder gern eine Beſchwerde übernimmt, um den Wünfchen des 
Freundes entgegen zu kommen, fo ift wol auch, wenig Kraft in 
ber Freundfchaft; und in dem lezten wiederum, hat der eine fo we: 


680 
nig Kenntniß von bem innern des andern, daß es ihm leicht be 
gegnen kann eine Bitte vorzufragen, beren Gewährung ber Ein: 
nedart des andern entgegenftrebt, fo ift dad Band der Freundſchaft 
nicht ſonderlich befeftigt, und ‘jede folche Erfahrung wird ed imme 
mehr und mehr auflöfen. Sol alfo das wahr fein, was ber Er: 
fer zu feinen Züngern fagt,. daß fie nicht mehr Knechte wären fon: 
bern feined und unferd bimmlifchen Water Freunde: fo kann m 
unmöglich was er bier bildlich barftellt in dieſem buchflaͤblicher 
‚Sinne auf unfer neued Verhältnis zu Gott wollen angewende 


Aber endlich laffer und noch eins in Erwägung ziehen. Ben 
wir auch bei der Anwendung allein ftehen bleiben, welche der Er 
Löfer hier macht, indem er fagt, Bittet, fo wird euch gegeben, Tu 
chet, fo werdet ihr finden, Eopfet an, fo wirb euch aufgethan, und 
er fagt died fo unbedingt und ohne Unterfchieb: fo find wir un 
freilich alle fehr wohl bewußt bisweilen etwas zu wuͤnſchen, wa 
ganz außerhalb des Gebietes unferer Thaͤtigkeit liegt; viele unſer 
Gedanken bleiben eben beöwegen nur Wünfche, weil ihre Wenvir 
lichung nicht innerhalb des Kreifed unferer Wirkſamkeit Liegt; aba 
folhe Grenzen zieht der Exlöfer ‚hier gar nicht. Hat ed nun ml 
feine Abficht fein koͤnnen feinen Züngern zu fagen, ihr anhaltendes 
Bitten könne oder folle zu gleicher Zeit ihre eigene Thaͤtigkeit et 
zen? was fie immer begehrten, wenn es auch von ber Art mit, 
daß fie ed durch Anſtrengung ihrer Kräfte erreichen koͤnnten, des 
folten fie. aus mit Schonung diefer im anhaltenden (Gebet Get 
vortragen, fo würden fie e8 auch finden, und die Thür dazu wirt 
ihnen eröffnet werden, ohne daß fie felber etwas weiter zu fu 
brauchten? Das kann unmöglich die Meinung beffen fein, wiht 
felbft von fich gefagt hat und uns auch barin ein Vorbild Ihn 
wollte, deſſen Fußſtapfen wir nachfolgen follen, daß er wi 
lange es Tag fei, ehe denn die Nacht komme, ba niemand mit 
wirken kann, daß er immer auf den Gebrauch der von Gott iM 
verliehenen Kräfte geftellt fei und niemald aufhoͤre thäfig zu je 
für ‘den großen Zwekk feines göttlichen Sendung! So wie MT 
alfo bei dem buchſtaͤblichen auf eine unmittelbare Weiſe ſtehen Di 
ben: fo berfehlen wir nothwenbig den Sinn bed Erloͤſes. 

Aber dad ift hierbei, ehe wir weitergehen, eine fehr natuͤrlite 
Frage, wie iſt doch er, ber auch als Lehrer immer und uͤberall ven 
goͤttlicher Weisheit durchdrungen und geleitet war, dazu gekommm 
fich über einen fo wichtigen und zugleich fo zarten und an und N! 
fih fo ſchwierigen Gegenfland auf eine folche Weile auszulafle! 
Laßt uns m. a. Fr. eben dieſe Frage erſt aber auf eine allgemeint 


! 


681 


Weiſe ind Auge faflen! Was ift es doch mit allem, was wir von 
&Sott und fo auch von feinen Berhältniffen zu uns fägen können 
um unfere eigenen Gedanken und Empfindungen barüber gegen ein« 
ander zu äußern? giebt es unter biefen Reben irgend etwas, wovon 
wir behaupten bürften, es treffe. bie Wahrheit der Sache genau, ed 
fei der richtige Ausdrukk für das göttliche Welen und Wirken und 
frei von allem menfchlichen, infofern fich dies nothwendig von bem 
göttlichen unterfcheibet? Das wird wol niemand behaupten wollen, 
auch nicht von den einfachften und mit andern verglichen reinften 
Ausdruͤkken! Ja flatt aller andern, wenn ich nur bei bem einen 
fiehen bleibe, was nun gerabe ben eigenthümlihen Glauben der 
Chriſten an Gott und von Gott ausdruͤkken foll, dag geſagt iſt, 
Gott ift die Liebe; und wir fragen und, können wir und bei die 
ſem Ausdrukk etwas andered denken als. baffelbe, was wir in menſch⸗ 
lichen Berhältniffen fo nennen? und gilt ed alfo nicht immer wies 
der aufs neue, wenn Died fol ber reine Ausdrukk für das göttliche 
Weſen fein, died und jened, was zur gewöhnlichen Gebrauchöweife 
bes Wortes gehört, Davon audzufcheiden, damit nicht einer wieder 
etwas unvollfommened etwas finnliches bineinbringe in dad rein 
geiſtige Weſen bes Hoͤchſten? So und anberd nicht iſt ed mit uns 
beſtellt. Wollten wir nun deöhalb und in unfern Gebanten nicht 
mit dem höchften Weſen befchäftigen; wollten wir ed beöwegen, weil 
wir ed nicht mit menfchlicher Rebe erreichen koͤnnen, gar nicht zum 
Gegenſtand unferd Nachdenkens machen, denn auch beim Rachdens 
ten brauchen wir die Sprache; wollten wir und gleichfam hüten 
Davon zu reben, bamit wir nicht auf irgend eine Weiſe diefen ober 
jenen zu falfchen Urtheilen ober zu Irrthuͤmern verleiteten? Sehet 
Da, welch ein Beiſpiel hat der Erlöfer gegeben! auf welche menich- 
liche Weiſe redet er hier, wo er doch von Gott redet! und es iſt 
ja öfter fo der Fall mit feinen bilvlihen Reben, dag wir fehen, es 
iſt nicht feine Abficht, dag wir fie buchfläblich nehmen und unmit- 
telbar auf Gott anwenden follen! Dadurch hat: er und ben Muth 
geben wollen, daß wir es auch magen follen auf menſchliche Weife, 
weil wir boch nicht anders können, von Gott zu reden und und 
dabei nur auf bie Wahrheit unferer Geſinnungen auf die Reinheit 


unſerer Empfindungen verlaflen, wenn wir gleich wiſſen, was du- 


erlich davon hervortritt, erreicht niemals die Wahrheit und kann 
ihr nicht, gleich fein. Darum m. a., wenn wir bad in unferm 
gemeinfamen chriftlichen Leben nicht felten erfahren, baß viele Chri⸗ 
ſten gewöhnlich unter folchen Bildern von Gott reden, die freilich 
auch eine unmittelbare und buchfläbliche Anwendung auf ihn und 
fein Wirken ger nicht leiden, aber wir werben boch gewahr und 


‚ Tonnen es nicht Iäugnen, was fie fagen fommt doch aus einem aui 
Gott gerichteteri Gemüth, es foll und. will eine Wahrheit damit ge: 
‚meint fein die unter dieſer menfchlichen Einkleidung in das Her, 
eingehen fol, und dadurch fchon bezeugt, wie auch fie ſelbſt aus 
dem innerften des Herzens hervorgeht: fo Laßt ſie uns deshalb nidt 
tabeln; denn wir bringen und dadurch nicht nur um ben geifligen 
Senuß ihrer Liebe und Mittheilung, fondern auch um eine Beni: 
derung oder Belebung unferer Erkenntniß, welche uns nicht fehlen 
würde, wenn wir bie Wahrheit, welche fih unter jener Hülle ver- 
birgt, treu und einfältig fuchen und in unfer Herz aufnehmen wol: 
ten. Und fo laffet uns das überall vor allen Dingen aber mit den 
Worten des Erlöfers thun, und alfo auch über diefes, nachdem wir 
alle buchfläbliche Auffaffung, die uns nur befchränfen und verwir: 
ren Fönnte und nicht die Wahrheit des Erloͤſers wäre, befeitigt ha⸗ 
ben, und fragen, was ift denn eigentlich der Inhalt feines Aus: 
fpruch8 über das unabläffige und anhaltende Gebet zu Gott? 


1 Diefe Frage m. th. 3. kann ich aber auch nicht ander 
beantworten als auf eine mittelbare Weiſe, indem ich andere Fre 
gen vorlege, die uns von ſelbſt darauf führen werben, was bie Mei⸗ 
nung des Erlöferd hiebei muß geweſen fein. 

Ich frage zuerft, was wäre'benn ein Gebet, von welchem wir 
‚ablaffen tönnten? Ein folched, dad wird wol die erfte Antwort 
fein, die jeber giebt, was in Erfüllung gegangen iſt; denn mit der 
Gewährung natürlicher Weife hört die Bitte auf. Aber laßt mich 
dann weiter fragen, was für eine Bitte zu Gott kann das gewefen 
fein, von ber man fagen dürfte, baß fie ſchon ganz in Erfüllung 
gegangen iſt? Ach, dann iſt es ja body nur irgend ein einzelner 
zeitlicher vergänglicher fomit ſchon an und für ſich geringfügiger 
Gegenftand gewefen, denn eine Bitte um das gute iſt niemals ſchon 
volftändig erhört; alfo nur einer von denen, wovon ber Erloͤſer 
fagt, es ift nicht nöthig, daß ihr Worte davon macht zu eurem 
bimmlifchen Water, denn er weiß ſchon, ehe ihr bittet, ob ihr das 
bebürfet, wa8 ihr bitten wollt, ober nicht. Aber wenn nun bes 
nicht die rechten find: Tann es denn wol Bitten geben, von denen 
wit im Stande wären abzulafien? Das müßten dann ſolche fein, 
bei denen es an jener Gewißheit bed Herzens fehlt, welche der Er- 
Iöfer an andern Stellen, wo er hierüber zu feinen Juͤngern rebe, 
zur nothwenbigen Bebirigung der Erhörung macht, das heißt, fie 
müßten folche" Gegenftände betreffen, beren Werth wir ſelbſt wieber 
in. Zweifel fellen, che noch entfchieden ift, ob bie Bitte erfüllt wer: 
den wirb oder nicht. Laßt und nicht überfehen, daß im Leben de 





683 
Erlöferd ein Beiſpiel der Art vorkommt, welches fo wie es erzählt 
wird in unfen Evangelimbüchern eine Wahrheit in ſich tragen 
muß, bie ber Erzaͤhlung zum Grunde liegt, aber auch deutliche Spu⸗ 
ren davon zeigt, da fie mit ganz befonderer Ruͤkkſicht auf die Bes 
lehrung ber feinigen abgefaßt if. Ich meine nämlich, ald ber Er 
Löfer im Garten betete, Water iſts möglich, fo gehe diefer Kelch an 
mir vorüber; da war alfo ſchon in diefem Iſts möglich die Unges 
wißheit ausgedruͤkkt, und zu breien malen wirb erzählt, daß er diefe 
Bitte wiederholt habe; aber worin enbdigt fie fih? In dad, Doc 
nicht mein fondern dein Wille geichehel Und eben died, daß bed 
Vaters Wille geichehe, mar doch gewiß Dad unabläffige Gebet des 
Herrn der Wunſch, welcher niemals fchwieg in feinem innen und 
ſich aljo auch immer an Gott richtete! Wenn uns von ihm erzählt. 


wird, dag er Nächte über im Gebet gewefen ſei: laſſen fich dife 


Unterhaltungen ded Sohnes mit dem Water anderd zufammenfaffen, 
ald daß er eben über den Inhalt: diefed großen Wunſches immer 
mehr im Plaren fein wollte? Gab es eine andere Richtung in feis 
ner. Seele, oder geht aus allen feinen Handlungen ein anderes Stre⸗ 
ben hervor, ald daß der Wille feines Waterd im Himmel gefchehe? 
Aber diefe Bitte ift endlos; wer ihren wahren Sinn recht erfaßt 
hat in feinem innern, wer fie auch nur einmal mit Wahrheit aus; 
geiprochen hat, ber kann unmöglich wieder von ihr laflen. Und 
wollen wir etwa behaupten, daß zwifchen biefen beiden ber Bitte - 
des Sohnes, zu ber bie unfrigen auch gehören, und ber Gewährung 
des Vaters gar Fein Zufammenhang ftattfinde? Gewiß einer, ber, 
wenn auch noch fo geheimnißvoll auf ber einen Seite, Doch auf ber 
andern zugleich höchft natürlich erfcheint! Denn das Reich Gottes 
fonnte nicht eher kommen bid der Sohn gelommen war, und in 
biefem Reich kann ed eine Erfüllung ded göttlichen Willens nur 
geben, infofern ed Menfchen giebt, in welchen fich das Leben Chriſti 
fortfezt, und die in feine Wirkſamkeit fo eingreifen, daß alled ans 
dere immer mehr in ihnen zum Schweigen kommt, und nur das 
innige Verlangen des Herzend nach. diefer immen größern Offenbas 
zung immer vollfommneren Erfüllung des göttlidyen Willens fie bes 
feelt. Hat der Erlöfer alfo nicht Recht zu fagen, Was Gott thut, 
dad thut er um bed unabläffigen Gebetd willen, eben fo gut als er 
auch: fagen fonnte, daß er ed nur vermittelft beffelben-thue? benn 
daß Gottes Wille geichieht iſt nicht minder. die Freude ald die Kraft 
und dad. Werk derer, weiche nie aufhören danach zu verlangen. 
Laffet und nun auch eine zweite Frage auffiellen. Wir uns 
tericheiden gar häufig dad, was wir im engeren Sinne Gebet nens 
nen, noch als etwas befonderes und einzelnes von demjenigen, was 


684 
wir mit einem mehr umfaffenden Ausdrukk die Gemeinſchaft ber 
Menfchen mit Gott nennen. Aber laßt und doch fragen, was gäbe 
ed für einen Bufammenhang mit Gott, ber nicht nothwendiger Beil 
auch in dem eigentlichen und gewöhnlichen Sinne des Worts Geht 
waͤre? Wovon müßte dann ber Gedanke an Gott die Richtung 
des Herzens auf Gott gelöft fein? Offenbar von aller Betrachtung 
feiner Werke von aller Erkenntnig und allem Gefühl unſers Zuſam 
menhanges mit denfelben und unferer Stellung darin! Und ma 
bliebe davon übrig, ald ein leeres und nichtiged Brüten des Geifk 
über fich felbft und den Tiefen feiried Weſens, in welche er eigat: 
ich doch nicht hinabfleigen Tann. Denn wie Tönnten wir an ir 
gend etwas, bad zum Meiche Gottes gehört, und an ihn, deſſen 
Meich es ift, denken, ohne dag zunächft ein inniger und reiner Dont 
in und wäre für dad, was ſchon da ift, für die Erfüllung feind 
Willens, die fhon vor unfen Augen liegt? Aber giebt ed aud ir: 
gend einen Dank, ber in einem menfchlichen Semüth zur Wahıkit 
werden koͤnnte ohne zugleich wieder Gebet zu werden, bad heift 
Berlangen und Sehnſucht nach dem,. was noch nicht da iſt? Bir 
haben wir irgend eine göttliche Wohlthat ganz ausgenoffen und aus 
gelogen, fo daß und nichts übrig bliebe als dafür zu banken? iſ 
nicht alles, was und theuer und werth ift ald unfer Befiz und Er, 
doch zugleich immer wieder. ein Gegenfland unfers Wirkens und un 
ferer Thaͤtigkeit? Und wie? giebt e& irgend eine Thaͤtigkeit für um, 
welche fo ganz abgefchloffen in uns wäre, daß wir fagen Fonnten, 
fie ließe fich ganz löfen und feheiden von den, was nur durh die 
göttliche Anordnung in dem ganzen ber menfchlichen Dinge gehe 
ben ann? Müffen wir nun das in Abrede flellen: fo Tann es auf 
kein lebendiges Bewußtfein keinen Gedanken Fein Gefühl von Gett 
und feinem Willen geben, welches nicht Gebet wäre! Sollen mi 
und aber einen Zuftand denken, in welchem Gott in uns erloſchen 
ift: o der müßte zugleich leer fein von allem geifligen Gehalt; ® 
dann müßten wir ganz verfunken fein in dad nichtige und vergaͤng 
Yiche, welche felbft gar nichts iſt, wol aber uns felbft im biefe dunll 
Tiefe in diefen bodenlofen Grund. des Nichtfeind in dem geiftige 
Sinne des Wortd wieder mithinabzuziehen droht. Hat alfo der Er 
loͤſer nicht vollkommen ‘Recht, wenn er fagt, Gott giebt was er gi 
. wegen bed umabläffigen Gebets der feinigen? ober hat er ed «m 
nicht ganz fo ſtark meinen können, wie er es ausdruͤkkt? Dem 
wenn ed noch eine Luͤkke und eine Leere giebt im Zuſammenhange 
unſers Herzend mit Gott: dann giebt es auch nod andere Wuͤnſch 
in und als den, daß ber Wille Gottes in Erfüllung gehen mögt; 
bann giebt es noch ein anderes Streben in und, als baf fein Reid 


kommen möge, und dann gehören wir nicht zu benen, zu welchen 
er rebet; denn zu ber Heinen Schaar feiner Jünger und nicht in 
die große Menge hinaus bat er biefe Worte gefprochen, bie vor * 
und liegen. | 

Endlich laßt und noch ein dritte fragen. Giebt es wol ir 
gend eine Art, wie wir unfer Gebet zu Gott und unfere wohlgefäls- 
lige Thaͤtigkeit in feinem Reich von einander fondern fünnen? Was 
wäre dad für eine Gefchäftigkeit, welcher Art auch übrigens, bie eine 
Sache .unferd Gewiflend wäre, fo daß wir durch die Freude an 
guten dazu getrieben würden, und wobei wir Doch ganz auf unferm 
eigenen Thun und Werk beruhen könnten, wiſſend dag, wenn wir 
das unfrige daran vollbringen wie wir es wünfchen, wir uns auch 
einer vollkommenen Zufriedenheit erfreuen werben? ragen wir und 
felbft, wie wir überhaupt eine Zufriedenheit erringen: fo werben wir 
geftehen muͤſſen, nur auf bie Weife, dag wir und’ bald biefen bald 
jenen Theil unferer Pflicht und unferer Wirkfamkeit in der Welt 
vereinzeln; aber indem wir. fie vereinzeln, gerathen wir auch fchon 
in die Gewalt eines Buchſtaben, welcher tödtet, und unferm Werte 
fehlt der lebendig machende Geiſt. Was iſt dieſer Tebendig ma» 
chende Geiſt? Gewiß nur die allgemeine Richtung auf das eich 
Gottes auf Erden, nur die Gefinnung, in welcher wir überhaupt 
alles einzelne gar nicht thun um und mit irgend einem Buchftaben 
abzufinden und ihm zu genügen, und eben -fo wenig um irgend et» 
was beflimmted zu erzeichen ober zu vermeiden, fondern bei welcher 
alle unfere Handlungen ausgehen von der Liebe zu Gott, ober von 
der Liebe zu Chrifto, welche zugleich fowol die Liebe zu Gott iſt, 
den wir in ihm fohauen, ald auch bie Kiebe zu allen denen, bie er 
und gegeben hat, damit wir unter ihnen und mit ihnen fein Reich 
bauen. Was wir alfo auch thun mögen, wenn wir es ſo thun, 
begleitet und gewiß in jedem Augenblikk ein Zuſtand des Gebets; 
denn immer müffen wir ja wiflen, unfer Thun wäre nichtd, wenn 
nicht auf bem was wir thun der göttliche Segen läge, wenn nicht 
der allgemeine Zufammenhang der Dinge und bie Stimme deö Ge⸗ 
wiſſens in und vermöge ber Allmacht der göttlichen Liebe eins und 
daffelbe wäre. 

Und eben fo auf der andern Seite m. a. 3. Eönnen wir und 
ein Gebet denken, welches ſich fondern ließe von der That, welches 
nicht felbft, fo wie wir ed näher ind Auge faflen, fi) ald That er 
wieſe? Ja freilich, wenn ed eine Mannichfaltigfeit von zuſammen⸗ 
gelefenen ober auch zufammengebachten Worten ift! aber Davor warnt 
der Erlöfer immer ald vor einem folchen, welches den Menfchen ins 
äußerliche zieht. Aber ein Gebet, welche im innern des Herzens 


feinen Urfprung bat, unläugbar muß uns dad immer zu einer Ba: 
‚mehrung unferer Erkenntniß gedeihen; und erfrifchte lebendige Er 
kenntniß Gottes in irgend einer Beziehung muß audy wieber en 
leuchtete gereinigte hülfreiche dad Reich Gotted erbauende Thaͤtigken 
berbeiführen!- Was nicht ein folched Ende gewinnt, dad iſt and 
fein rechte Gebet gewefen. 
Um wie viel deutlicher wird fich uns dies noch aufklaͤren, wenn 

wir etwas weiter in den Zuſammenhang unſers Tertes zuruͤkkgehen 
Der Erloͤſer, fo erzählt der Evangeliſt, war an einem Ort und be 
tete, und als er aufgehört hatte, trat einer von feinen Züngern zu 
ihm und bat, er möge fie doch auch beten lehren, wie Sohannes 
ben feinigen gethan. Da gab er ihnen jened Gebet, welches feitbem 
in der chriftlihen Kirche immer ald das Gebet ded Herm in Ee 
gen geweſen iſt, und welches, ſo wie er es urfprünglich geſprochen, 
ſo wie er es gemeint hat, frei von allem Ueberfluß an Worten, das 
allereinfachſte und allertiefſte iſt, aber zu gleicher Zeit ein Gebet, 
welches einen unendlichen Gegenſtand hat und darum niemals auf 
hören darf. Als er ihnen nun dies mitgetheilt hatte, da fprach er 
die Gleichnißrede, welche in unferm Zert endigt. Died Gebet alie 
bat er auch nur im Sinn gehabt; aber alle unfere (Gebete, in fe 
fern fie nur-nichtd anderes find als eben dieſes felbft auf einn be 
flimmten Zal in einem beftimmten Augenbliff unferd Lebens ange 
wandt, Eönnen fich dieſer Verheißung getröften. Unb wovon ham: 
- delt nun fein Gebet, als eben von diefem unmblichen Gegenfianb 
der Erfüllung feined Willend vom Kommen feines Reiches? Wie 
- wenig ift dabei irgend etwas Außerliches berührt ald nur dad, me: 
rauf, fo lange wir auf der Erbe wallen, auch alles innerfte reinfe 
geiftigfte Wirken des Menfchen beruht! Eben dieſes hat er in fer 
nem Gebet an einem einzelnen Beiſpiel eingefchärft, wie nothwen⸗ 
dig That und Gebet müfjen mit einander verbunden fein. Bon 
einer menfchlichen That redet er, von ber man wol fagen Tann, daß 
- fie ein göttliched Werk ift, nämlich, Wie wir vergeben unſern Schul: 
dDigern. Aber wie fommt diefe That vor? nur in der innigen Ber 
bindung mit dem Gebet, daß Gott und vergeben möge; und wie 
derum diefe Bitte, worauf fol die Kraft berfelben beruhen? be 
rauf, daß auch wir unfern Schulbigern vergeben. Ja indem wit 
bier mitten in bie menfchliche Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit 
hineingeflihrt werben, müffen wir fagen, wie dieſe gegenfeitig ſich 
bald verftärfen kann, aber auch wieber aufheben, fo ift eben ver 
Verbindung bed Gebets mit der That dad Siegel der Kraft, mel: 

che auf dem Gebet bed Herrn ruht. Wie die Bitte um Bergebung 
ein leeres Gebet wäre, wenn fie nicht barauf ruhte, dag auch mir 














687 
Denen vergeben, bie gegen und ſich verfünbigt haben; unb eben fo 
wie Died Vergeben felbft wol fchwerlich. etwas anders fein würde 
als eine leichtfinnige Geneigtheit die Sünde überall und alfo auch 
in uns felbft zu entichuldigen, wenn ed nicht zugleich das Gebet 
waͤre um die Vergebung unferer eigenen Schuld: fo .werden wir, 
wenn wir von hier aud auch auf den. Mittelpundt dieſes Gebets 
hinſehen, dafjelbe ſagen muͤſſen; wo nicht That und Gebet eins ift, 
Da wird aud diefed Gebet in aller feiner Kürze nichtd anders fein 
als ein leered Gepränge mit Worten. Was wäre ed anders, wenn 


wir beten wollten, dag dad Reich Gotted komme, aber wir wollten - 


nicht dad unſrige tbun ed überall herbeizuführen? wenn wir beten 
wollten, baß fein Name geheiligt werde, aber. wir wollten nicht dad 
unfrige thun, um das lebendige Bewußtſein Gotted, weldyed allein 
die Menfchen reinigen kann, überall hervorzurufen, wohin unfer 
Blikk unfere Stimme unfer Wirken reicht? Daher m. a. ift denn 
auch dad unabläffige Gebet dad ungeflüme Anhalten auf der einen 
und ber innere thätige Drang des Herzens, daß das Reich Gottes 
fomme und fein Wille gefchehe, auf der andern Seite nur in Dies 
fem Zufammenhang etwas wahres, nur fofern beided eind und daſ⸗ 


fetbe iftz und in diefem Sinne ruht auf dem anhaltenden Gebet die 


geiftige Kraft, Die von Chriſto auögegangen ift, ja der ganze Segen 
des geiftigen Lebens. 

Diefed nun m. g. wird unfehlbar auch unfere eigene Erfah⸗ 
rung ſein. Schweigt das Gebet ganz in unſerer Seele: dann, wie 


lebendig wir auch beſchaͤftigt ſein moͤgen, wie loͤblich auch erſchei⸗ 
nen vor den Augen der Welt, iſt ſchon etwas in uns, was uns 


zugleich von Gott entfernt, eben deswegen aber auch bewirkt, daß 
was wir thun nicht in Gott gethan iſt. Und was der Erlöfer hier 
fagt, daß Gott was er giebt eben in Verbindung mit dem anhal- 
tenden und nicht nachlaffenden Gebet und in Bezug darauf giebt, 
das ift auch der Sinn des Apoſtels, wenn er die Chriften auffor- 
dert, fie follten beten ohne Unterlaß *); es iſt auch daffelbe was 
der Herr meint, wenn er von fich felbft fpricht, daß er wirke, fo 
lange es Tag ift, wie ed daſſelbe ift, was ſchon fonft gejagt ift **), 
daß der Menſch alles frifch thun fol, wad ihm vorhanden kommt 
zu thun, fofern wir Died nur von demjenigen verfiehen, wozu ein 
Menih Gottes aufgelegt und geſchikkt fein fol. Wie jede That 
von felbft Gebet wird, wenn fie eine innere Richtung hat auf das 
ganze Reich Gotted: fo wird auch wieder jedes Gebet nicht nur.ba: 





- 


1. Theſſ. 5, 17. 
*) Pred. Cat. 9, 10. 


% 


durch That, daß es in bem innem unfer® Gemüth "eine lebendig 
Erkenntniß wirb zur Erfüllung des göttlichen Willens, fonbern and 
dadurch, daß dad Zeugniß von diefer innem Richtung und Base 
gung äußerlich heraudtritt und fi fortpflanzt von einem zum ar 
den. Darum iſt auch unfer gemeinfameö Gebet wie befto edle 
und würbiger, in je weniger Worte es gefaßt wird, unb je mehre 
fi) in dem einen zufammendrängt was noth thut, fo auch dadurd, 
daß es Öffentlich wird, eine fruchtbare That, deren Wirkſamkeit mi 
zuerft an unferm eigenen Herzen erfahren. Amen. 


LVO. 
Am 23. Sonntage nad Trinitatis 1833. 





eied 46 473. 
Text. Matth. 12, 36, 
Ich fage euch aber, daß die Menſchen müffen Rechen: 


fchaft geben am jüngften- Gericht von einem jeglichen un⸗ 
nuͤzen Wort, das ſie getedet haben. | 


[4 


M a. 3. Gewiß gehört die ernfle und ffrenge Wort des Erlo⸗ 
ſers zu denjenigen, bei welchen es nicht leicht iſt eine vollkommene 
Sicherheit zu erlangen uͤber die Art und Weiſe, wie er es gemeint 
hat; und wir koͤnnen nur gar zu leicht dahin kommen, durch eine zu 
aͤngſtliche Anwendung und zu weite Ausdehnung deſſelben das ganze 
menſchliche Leben zu zerſtoͤren. Auf der andern Seite aber iſt auch 
nicht minder gewiß, daß in dieſem Ernſte und dieſer Strenge ſich 
der ganze Sinn des Exrloͤſers ausdruͤkkt, und daß dieſes Wort alle 





wohl zu Herzen’ zu nehmen haben, die nach feinem Sinn und Geift 


wandeln wollen. Es wäre nun freilich leicht den Inhalt deffelben 
gewiſſermaßen zu mildern, wenn wir fagten, dad Wort, wad in un: 
ferer deutſchen Bibel unnüz lautet, dad hat doch eigentlich, fo wie 
es der Erlöfer gerebet hat, einen frengern Sinn. Wie es naͤmlich 
in dem Evangelium urfprünglich verzeichnet iſt, heißt es genauer 
nicht fowol unnuͤz ald vielmehr verderblich und foll dad Gegentheil 
von dem, was Nuzen und beilfame Frucht heroorbringt, bezeichnen. 
Aber wenn wir und felbft auch hiebei beruhigen wollten: würben 
wir nicht doch in bie. nämliche Verlegenheit zuräfffallen? Denn 
UL Xr | 


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wie fönnen wir wol, wenn von einem fo geifligen Gegenflanb bu 
Rede ift, zu willen behaupten, daß nicht alles, was in Der hat 
unnüz ift, auch ſchaͤdlich und verberblich fein muß? unb fo fäma 
wir doch wieder auf ben Buchſtaben des Erlöfers zurüfl. Darum 
laßt uns feine Worte nur fo betrachten, daß fie uns nicht zum töt- 
tenden Buchflaben werben, fondern zu einem lebendig machende 
Geift. Das iſt die Richtung, welche ich unferer heutigen Anbadt 
zu geben wuͤnſche, damit wir auch in dem Emft und der Gtreme 
bes Erloͤſers daſſelbe Leben und benfelben Geift erkennen, der in fe: 
nen mildeften und freundlichften Worten berrfcht. 


I. Laſſet und zuerft m. a. Fr. fehen, wie leicht dies Wort bei 
Herm uns kann zum tödtenden Buchftaben werben. Beginnen wir 
gleich bei dem, wad und gewiß allen dad heiligfle und größte fein 
muß! Der Errloͤſer felbft in feiner göttlichen Kraft wird uns be 
zeichnet in ber heiligen Schrift unter dem Ausdrukk, Das Bert; 
und indem fein Zünger fagt, Dad Wort warb Zleiih und wohnte 
unter uns, fo fügt er gleich hinzu, Und wir fahen feine Herlichkät 
ald die des eingeborenen Sohnes vom Water voller Gnade md 
Wahrheit. Und müffen wir nicht zugeben, daß in ber That alle 
befeligenden Wirkungen, bie er ausgelbt hat, vermittelt geweien 
find durch dad Wort? Und fo if denn freilich died Wort Das, we: 
von die Schrift mit Recht fagt, Es iſt dad Wort welches kann un: 
fere Seelen felig machen, und welches fie und ermahnt aufzunch 
men mit Sanftmurh *). Fangen wir nun an von diefer befeligen: 
ben Kraft bed Wortes, wie fie vom Erlöfer auögegangen if, wie 
fie ſich durch feinen Geift und mit demjelben in feine Jünger er: 
goffen hat; erfennen aber hernad) auch wieder, „wie von demſelbigen 
Streben. aus die Menfchen. in dem Het, welches von Chriſto aus⸗ 
gegangen ift, zu befefligen, eben über bad Wort und feine Deutung 
Zwifligfeiten entftanden find, in welchen der Geiſt der Liebe gan; 
und gar verfchwand, und der Eifer in Verfolgung und in Zerkö- 
rung ber Gemeinde von ihrem innen her audartete: wie nahe liegt 
es dann aus Zurcht vor diefem Wort der Sache diefe Wendung zu 
geben, Wenn wir gewiß fein wollen nicht Worte zu reden, von be 
nen wir ald umuͤzen Rechenfchaft geben müffen an jenem Tage: fo 
ift ja offenbar das ficherfle ledig und allein bei ſolchen zu bleiben, 
von welchen wir gewiß find, es find unmittelbar Worte Chrifti ſelbũ 
und des Geiftes, der in den erflen Tagen ber Kirche durch feine 
Jünger geredet hat. Das lautet freilich fehr ſchoͤn ‚aber ſollte es 





) Jat. 1, 21. 








.691 


wol moͤglich fein die wahrhaft beſeligende Kraft des Wortes in eis 
nem Buchſtaben feflzuhalten, der für fo ferne Zeiten doch nicht mehr 
fo Far den Geift ausdruͤkken kann, als damald und da, wo er ur 
fprünglich einheimifh war? Ja noch weiter! wenn wir nun wirt: 
Lich zugeben müflen, die Kraft des feligmackhenden Wortes erfchöpfe 
ich ganz und gar in dem Worte, welches die Seelen felig macht: 
follen wir und nun in allem andern von einander abwenden, wenn 
doch auch bie Dienfte, die wir einander gegenfeitig Seiften in der Er: 
fuͤllung unferd Berufs, nothwendig vermittelt find durch dad Wort? 
Und dod werben wir geftehen müffen, es bat von jeher gegeben 
und giebt noch viele Chriften, die fich beftreben alles, was in ihren 
Kräften fteht, zu-thun um fi in diefen engen Grenzen zu erhal» 
ten! Sie reden nichts anderd ald dad, was unmittelbar zur Se: 
ligfeit gehört; fie reden auch hievon nicht gern anderd ald in fol- 
chen Ausdrüffen, welche ihnen zugleich geheiligt erfcheinen, fei es 
nun deämwegen, weil fie in der Schrift flehen, oder weil folche, bie 
ſich auch freier in Reden ergehen, fich diefer gerade weniger bebie: 
nen. Aber indem fie fo unmittelbar mit dem Licht umgehen und 
verkehren, vergeffen fie ganz: dad eigentliche Gefchäft. des Lichts, naͤm⸗ 
lich daß ed die Gegenftände erleuchten fol; indem fie ſich an Zei: 
chen und Buchſtaben halten, erftirbt die belebende ja auch die er: 
leuchtende Kraft ded Worted in ihnen, ehe ed noch über ihre Lippen 
fommt. Und wenn fie doch an die Rechenfchaft erinnert werben, 
welche wir abzulegen haben: fo mögen fie bevenfen, ob wol alles, 

was fie gewirkt haben in fich und andern durch ihre wohlgemein- 
ten aber allzu befchränft und ängfllic gehaltenen Reden, audy nur 
für die mäßigften Zinfen gerechnet werden Tann von dem Ihnen ans 
vertrauten Pfunde. 

Laßt und nun aber auch auf der andern Seite von einem ent: 
gegengefezten Punkt auögehen. Wie erfheint und die Gefahr des 
Wortes zuerft in der heiligen Schrift und am flärkften bargeftellt? 
Der .Apoftel fagt, Als ich ohne das Gefez lebte, war die Sünde 
todt; nun aber hörte ich das Gefez, und jedes Geſez ift doch über: 
all nichts anders ald Wort, da nahm die Sünde Urſach vom Ges ' 
fe, und erregte allerlei Luft in mir, fo daß die Suͤnde lebendig 
wurde, ich aber ftarb. Aber, fügt er hinzu, ift dad Geſez Sünde? 
Das fei fern! dad Geſez ift und bleibt heilig geiffig und gut, wenn 
gleich die Sünde Anlaß genommen hat vom Geſez und mic) betros 
gen *). So ber Apoftel. Und dennoch m. a. Fr. meinen viele 
Chriſten, ſobald in ihren Worten nur etwas waͤre, wovon die 





) Roͤm. 7, 82 12. 
xx2 


6% . 

Sünde einen wenn auch noch fo entfernten Anlaß’ nehmen Timnte: 
fo wären diefe auch verberblih und mehr ald unnüz felbfl in jenem 
firengeren und herberen Sinne des Worted, fo daß fie faum wür: 
den Rechenſchaft bavon zu geben im Stande fein an jenem Tage 
Was aber ift wol mehr geeignet als eine ſolche Betrachtung die 
Menfchen einzufhüchtern ja allmählig ganz zurüffzubalten von bem 
Gebraudy der größten und Wwichtigften Gabe. Gottes? Auf biefem 
Wege ift ed denn allerdings dahin gelommen, daß es Chriften ge 
geben hat, weldye fich darauf verbunden haben ber Kraft der Rex 
ganz und gar zu entfagen. Ja nicht einmal die Worte Cheifk, 
welche und den Willen Gotted offenbaren, wagen fie auszufprechen, 
ald ob etwa auch davon die Sünde Anlaß nehmen. könnte, fondern 
das einzige, was man von ihnen hört, ifl nur die Wieberhelung 
einer Thatſache, bie ohnedies fchon jebem täglich vor Augen tritt, 
dag wir gedenken follen des Todes; aber daß auch dieſe fonft Lehr: 
reiche Erinnerung in fo mechanifcher Wiederholung und ſolcher Tren⸗ 
nung von dem frifchen eigentlichen Leben nichts anders als ein toͤd 
tender Buchflabe geworben ift, das giebt fi) genugfam an ber oͤden 
Unfruchtbarkeit eined Lebens zu erkennen, welches ben erquißflichen 
Keiz freier Rebe ganz entbehrt. 

Aber nicht nur an denen, die auf ber einen ober andern Seite 
bis zu folchem Außerften abirren, fehen wir, daß dad Wort, wenn 
es über die Gebühr eingeengt wird, nicht mehr vermag die fchei: 
fende Kraft des Geiſtes zu erregen und zu unterflügen: ſondern id 
babe nur-grabe diefe angeführt, um deutlich zu machen, wohin die 
ängftlihe Behandlung diefed Wortes Chrijli führen farm. Je mehr 
wir unterlaffen dem auch Wort zu geben und es herauszuſprechen, 
fei ed auch auf mancherlei Weiſe unvolllommen, was und dod in⸗ 
nerlich bewegt: um deſto weniger werden wir auch in der That be 
wegt, und die Erflarrung nimmt von innen her überhand. Je mehr 
wir und verleiten laffen, weil. jedes Wort, wir wiffen oft nicht wie, 
leicht Sünde in andern erregen Tann, uns ganz zuruͤkkzuziehen von 
einem ber wichtigften Theile unfered Beruf: defto mehr, bad müls 
fen wir geflehben, wird dad Wort des Erlöfers fo verſtanden und 
angewendet und zum todten Buchftaben werben und unier Lehen 
verfümmern anftatt es zu berichtigen und zu befreien. So laßt uns 
benn jezt im zweiten Theil unferer Betrachtung barauf fehen m. «. 
Fr., wie es und im Gegentheil zum lebendig machenten reife gedei: 
ben kann. 


1. Wenn der Erlöfer hier fagt, Die Menfchen werden Re: 
chenſchaft geben müffen von jedem unnigen Wort, das fie geredet 





693 


haben, am jüngften Tage: fo führt er und alſo auf den Gedanken 
Diefer allgemeinen Rechenfchaft hin. Fragen wir und nun, wie es 
ja natürlich ift, auf welche Weife er denn fonft über dieſes Ende 
der Tage redet: fo ift und bad allen befannt aus derjenigen Rede 
des Herm *), worin er fih am ausführlichften hieruͤber aͤußert, daß 


nämlid Die Hauptſache davon darin befteht, daß er zu bem gerech⸗ 


ten fagen wird, fie hätten ihn gefpeift als er hungrig geweſen fei, 
fie Hätten ihn getränft ald er durſtig gewelen fei, und gekleidet als 
er feine Blöße nicht beffön konnte. Wenn ihn dann bie gerechten 
fragen follten, Herr, wann fahen wir dic) hungrig und fpeifeten 
dich, oder durflig und tränkten dich, oder nakkt und Heideten dich? 
dann werde er ihnen antworten, Was ihr gethan habt dem gering: 
ftern meiner Brüder, dad habt ihr mir gethan. Alſo führt er. und 
ia ſelbſt auch in Bezug auf diefe lezte Nechenfchaft darauf hin, daß 
wir mit den Gaben, die und Gott gegeben hat, einander auch pülf: 
veich fein follen in allem, was zum äußern Leben ‚gehört. Wird 


ein Beduͤrfniß geftillt, wenn man ben hungrigen fpeift und den 


burfligen tranft, indem er dadurch einer drüßfenden Sorge entledigt 
wird und fich wieder zu frifcher Thätigkeit wenden Farm: wie koͤnn⸗ 
ten wir behaupten wollen, da3 feien unnüze Worte,. die freilich in 


unferm Leben reichlich genug vorfommen, nämlich die feine andere 


Abficht haben, als unſre Nebenmenjchen unter den Sorgen des täg- 
lichen Lebens zu erleichtern, und die Seele wieder in einen frifchen 


Zuftand zu verfezen, fo daß jeder mit voller Kraft thaͤtig ſein kann 


nach ſeinem Maaße und in ſeinem Berufe. Duͤrfen wir wol, wenn 
wir dieſes Wort Chriſti mit dazu nehmen, aus dem in unſerm Text 
Beſorgniß ſchoͤpfen uͤber dieſe heiteren Wechſelreden, dieſe fluͤchtigen 
Worte, die freilich nichts großes und bleibendes ſchaffen, auch nicht 
von gewichtigem Inhalt ſtrozen, aber doch auch huͤlfreich ſein wollen, 
Wolken zerſtreuen, Abſpannungen aufloͤſen und friſchen Muth foͤr⸗ 
dern fuͤr dieſen Schauplaz menſchlicher Thaͤtigkeit? Sollten dieſe 
unnuͤze Worte fein, von denen wir ſchwerlich Rechenſchaft wuͤrden 


geben koͤnnen an jenem Tage? Gewiß werden wir nicht ſagen, das 


ſei unnuͤz, was doch eine efiſchende belebende Wirkung auf die 
Seele hervorbringen will. 

Und wie viel weit groͤßere und edlere Beduͤrfniſſe des Geiſtes 
giebt es nicht, wie viel verſtaͤndige und bedeutende Reden, die doch 
alle nicht unmittelbar zu dem gehoͤren, was die Seelen ſelig macht, 
aber wol dazu dienen, daß das Bild Gottes ſich klarer im Menſchen 
ausdruͤkke! Was nun auch nur wenig hiezu leiſtet, nur manche 





) Matth. 25, 35 ff. 


v 


694 


Schranken nieberzureißen flrebt, durch bie der Geift ſich einengen 
lieg, nur Vorurtheile, wie es auch immer gefchehe, befeitigt,, . nur 
heilſame Zweifel erregt, Ahnungen wekkt und fo der Wahrheit vor- 
"arbeitet; was auch nur entfernt dazu beiträgt die Kenntniß der 
Werke Gottes zu fördern, Luft und Freude an der Herrſchaft be 
Menfchen über die Kräfte der Natur zu verbreiten, ja was ihn aud 
nur irgendwie zu folder Erkenntniß und Freude auffordert und er: 
muntert: unmöglich doch kann auch daS geringſte diefer Art unnü; 
fein. Nein! das bat der Erlöfer gewiß nicht hemmen wollen, als 
er ermahnte, daß wir Rechenfchaft geben müßten von jebem unnü⸗ 
zen Worte, bad wir gerebet haben: denn wad auf irgend eine Weiſe 
die menfchliche Seele fördert, das kann nicht unndz fein. 


Aber freilich, betrachten wir unfer gefelligeö Leben in feiner der: 


maligen Geftalt, die Sitten und Gebräuche, die von den mancherlei 
Abftufungen unter den Denfhen Zeugniß abfegen, und wie fidh da: 
nach größtentheild die menfchlichen Dinge unter und geartet haben: 
‚fo wird wol nicht leicht jemand läugnen, hier'giebt ed einen großen 
Reichthum von überflüffigen ja man kann wol fagen unnuͤzen Bor: 
ten, an denen Kraft und Geſchikk genug vornehmlich aber auch Zeit 
bie Fülle verfchwendet wird, um zulezt mit vielen gefchnörfelten 
Morten großentheild weniger auszurichten, als mit wenigen fchlic: 
ten und einfachen wäre zu thun gewelen. Das ift ein großes Ue— 
bel unläugbar, auf deſſen Heilung wir müffen bedacht fein! Denn 
‚je mehr das Wort feine Kraft verliert und in leere Formeln ausar: 
tet: deſto mehr geichieht grade dad, wovor der Erlöfer anbermärt 
warnt, daß nämlich das Salz dumpfig wird, und man hernach 
nicht weiß, womit man ed wieber falzen fol. Aber wenn wir auf 
ber andern Seite die Verhaͤltniſſe ber einzelnen in dieſem Leben be 
trachten: fo werden wir hoch etwas nachlaffen müffen und zugeben, 
Wenn ich weiß, dadurch, daß ich dad überflüffige hintanfeze, was 
aber durch die Sitte gerechtfertiget ifl, verleze ich den andern, indem 
er glaubt, ich wollte ihm etwas gebührended entziehen: fo kann 
mich Feine Verantwortung für unnuͤze Worte treffen, wenn ich auch 
das überflüfftige gebrauche, fo lange bis der andere in der richtigen 
Einfiht mit mir uͤbereinſtimmt. Vielmehr bis dahin flelt es fid 
ganz in biefelbe Reihe mit dem, was ein wahres Beduͤrfniß iſt. Al 
lerdingd aljo werden wir wohl thun, wenn wir veraltete Sitten bie 
fer Art verdrängen helfen und laͤſtigen Ueberfluß in Worten und 
Gebraͤuchen abzufchaffen fuchen: aber den einzelnen werben wir nicht 
tadeln koͤnnen, wenn er, bis fie wirklich fo befeitigt find, daß nic: 
mand fie mehr fordern kann, fortfährt auch die unnüzen Worte zu 
gebrauchen gegen alle diejenigen, die noch einen Werth darauf Ic: 








695 


gen; fofern er nur nicht etwas andered baburch fucht, fofern nur 
Diefe Nachgiebigkeit von nichts anderem audgeht, ald von der guten 
Abficht dem andern zu geben, was er ihm fchuldig ift in der Liebe. 
Darum m. a. Fr. ift auch hier alles nach dem großen Wort zu 
richten, daß nicht nur für den reinen alles rein ift, fondern auch al: 
led, was von dem reinen auögeht, ift rein; was aber alled reinigt, 
ift nur diefed eine, die Liebe. Was irgend geredet wird in guter 
liebreicher Meinung, das kann ſchon ald treuer Ausdrukk von: Diefer 
niemals unnüz fein. Und fragen wir und, was uns noch am ehe: 
ſten Weranlaffung giebt auf dem Gebiet unfred gejelligen Lebens an 
vie Warnung unferd Textes zu denken: fo ift es nicht die einfache 
beitere Sröhlichleit; fondern wo wir angelernted und erkuͤnſteltes 
Weſen finden, wodurch nichtige Selbfigefälligkeit glänzen will, oder 
wo wir Abfihten ahnen, die fich hinter aufgeblähten Reden ver: 
fteffen. Und wo erfcheint und der Ueberfluß der Spradye am mei- 
ften als .unnüzed Wort? Gewiß nicht dba, wo er mit irgend einer 
wenn auch nur Außerlihen Pflicht zufammenhängt, fondern wo ins 
nere Leerheit fi) einen Schein damit andichten will, oder wo krie⸗ 
chendes Weſen auf den Kizel ber Ohren feine unerfreulihen Hoff: 


nungen baut. In dem allen ift aber nichts durch die Liebe gerei: - 


nigt, und dad Wort ded Herm trifft in feiner ganzen Schärfe. 
Doch um unfere Einfiht in den Sinn unſeres Terted zu ver: 
volftändigen, laßt und noch eine andere Beobachtung zu Hülfe 


nehmen! Gin anderer treuer Jünger bed Erloͤſers ſagt, Wer in 


feinem Worte fehlt, der ift ein vollfommener Mann *). - Nun leuch: 
tet wol dad gleich ein, daß die, welche aud Scheu vor dem Worte 
Chriſti auf einen freieren und reichlicheren Gebrauch des Worted Ver: 


zicht leiſten und ſich felbft auf ein möglich geringes Feld beſchraͤn- 


ten, diefed Wort wol nicht bedenken, oder wenigftend nicht danach 
fireben können in dieſem bedeutenden Sinne der vollkommene Mann 
zu werben. Denn fo hat es doc) dieſer Jünger nicht gemeint, wer 
deöwegen in keinem Worte fehlt, weil er überhaupt nicht redet, der 
fei der vollkommene Mann. Aber wer fonft wird ſich diefe Voll: 
fommenheit beilegen wollen? Gewiß feiner! fondern fie ift eine 
folhe, wonach wir ſtreben follen und in fleißiger Betrachtung bed 
göttlichen Worted und ihr zu nähern fuchen, was denn dem einen 
vor dem andern gelingt; aber anderd als durch Uebung kann doc) 
niemand auch zu einer untergeordneten Vollkommenheit gelangen. 
Sind wir alfo noch nicht vollkommen, fehlen wir alle noch man- 
nigfaltig in Worten: fo laßt und fortfahren und darin zu üben; 





9 Jak. 8, 2. 





denn e3 giebt niemanden, ber nicht ben Beruf hätte durch bie Rebe 
kraͤftig einzuwirken zur Förderung deö guten. Wenn wir num aber 
auf diefe Art dem Ziel immer näher fommen aud in Teinem Werte 
mehr zu fehlen: fo ift natürlih, bag und dann manches frühere, 
wie redlich es auch gemeint war, doc auf irgend eine Weiſe us 
nüz vorlommt. Wenn wir aber darüber hinaus find, wenn mi 
. der gefchärften Aufmerkſamkeit auf uns felbft und andere die richtige 
Einfiht und gefommen ift, und diefe hat fich die Ausübung umter 
worfen: darf und dann wol noch bange fein vor ber abzulegenten 
Rechenſchaft? Wie follte wol, wenn wir doch und felbft. gezüchti⸗ 
get haben, und bie Uebung nicht vergeblich an uns geweſen if! 
Denken wir nur an dad ſchon angeführte Wort bed Apoflels, baj 
an dem Worte des Geſezes ſelbſt, wie geiflig und rein und heilig 
auch dieſes ift, doch die Sünde Veranjaflung nimmt. Wie folte 
das alfo auch nicht und begegnen, wenn wir im Sinn unb Geil 
des göttlichen Willend reden. So find wir denn an fich zwar eben 
fo außer Verantwortung wie dad Gefez: aber fo fen wir mit ke 
fimmten Menſchen zu thun haben, wird es doch eine Uebung in 
der Weisheit geben, welche, indem fie und aufbelft, wovon bei je 
dem am leichteften die Sünde Anlaß nimmt, und auch Ichrt Diele 
zu vermeiden; fo daß wir immer weniger im Wort unfern Zweit 
verfehlen und dadurch der hoͤchſten Vollkommenheit des Mannes 
näher treten. Aber um dahin zu gelangen, ift es nothwendig mit 
einer gewiſſen Zuverfiht zu Werke zu gehen, welche frei iſt won 
Aengftlichkeit; und dem ſteht auch das Wort des Herm nicht ent: 
gegen. 

Das wird und noch deutlicher werben, wenn wir aud nicht 
aus der Acht laffen, zu wem der Erlöfer zunaͤchſt unfere Tote: 
worte gerebet hat. - Als er eben eined von jenen herrlichen Zeichen 
gethan und einen unter großem geiftigen Drukk leidenden Menſches 
befreit hatte, da hatten ſich die Schriftgelehrten und Pharifier um 
ihn verfammelt und fpradyen unter fi) und aud unter dad Ball 
binein, Er treibet die Teufel aus durch Beelzebub, den oberfien der: 
felben. An diefe nun richten fich zunächft unjere Worte. Diele 
Phariſaͤer und Schriftgelehrten waren die Leiter des Volks, und je 
der ift in dem Maaße, ald er fich in bemfelben Kalle befindet, ab 
lerdingd im höhern Grade verantwortlich für feine Worte. Darm, 
in fofern wir noch dabei fliehen, daß wir im Bewußtfein mender 
Unvollkommenheit und noch üben in dem kräftigen Gebraud de} 
Wortes; in fofern wir und mit einer gewiffen Zuverjicht fagen kön: 
nen, daß unfer Wort noch wenig Wirkung bervorbringt, bag wi 
und für baffelbe noch Fein Anfehn erworben haben: fo Lange bürfen 


' 697 
wir auch mit Mecht verlangen, daß was irgend einem andern in 
unferm Wort bebenklich vorfommt, er entweder durch uns, indem 
er fich bei und erkundigt, ober- Durch andere ‚berichtigen laſſe, und 
fo koͤnnen wir fortfahren und in dem Gebrauch des göttlichen Wor⸗ 
te3 fowol ald der menſchlichen Weisheit zu üben. Se mehr Anfehn 
hingegen unfer Wort ſchon genießt, um deſto größer muß unfere 
Borficht fein, und um befto reiflicher jedes Wort bedacht, je weni- 
ger wir erwarten bürfen als folche angefehen zu werden, welche noch 
lernen. wollen. Denn wenn wir fchon vielen von benen, die uns 
hören, als Lehrer gelten: ſo gefchieht ed nur allzu leicht, daß das 
unvollfommene mit dem befjeren vermwechfelt wird; und baburd) 
wird, wie denn Worte immer auch Thaten find, gar manches nicht 
nur unnuͤz, ſondern verberblich. Um befto mehr alfo iſt Vorſicht 
und Weiöheit nöthig, je mehr eine Annäherung an die Vollkom⸗ 
menheit in den Aeußerungen, durch die wir auf andere wirken wols 
len, vorauögefe,t werben kann. _ 
Was aber der Erlöfer zu jenen Phariſaͤern gefagt hat, hat er 
- freilich auch zu allen ‚Chriften insgefammt gejagt. Und geziemt es 
Dienft zu leiften mit unfen Worten in allen Beziehungen bed Le: 
bend; und in unferm Umgang mit einander ald Chriften, auch das 
mit eingefchloffen, was weniger auf irgend. einen beftimmten Zwekk 
gerichtet ift, ald es nur die Abficht hat durch Unterbrechung bes 
Ernſtes der Berufögefchäfte der Seele eine freiere Haltung wieber- 
zugeben und einen fräftigeren Ton hineinzubringen, kennen wir und 
ja alle als folche, welche dad Wort, fo die Seelen felig madjt, nicht 
nur mit Sanftmuth aufnehmen fondern daran, audy einen Richter 
haben über alles, was fie felbft reden und von andern hören. Mit: 
bin dürfen wir ruhig fein, felbft wenn wir unfere Rede mit jenem 
Ausſpruch des Apofteld Jakobus vergleichen: benn wir wiflen, bie, 
mit denen wir reden, haben ein Maaß, woran fie dad unvollloms 
mene unferer Rebe berichtigen koͤnnen; wir haben auch ein Recht 
voraudzufegen, die, mit denen wir reden, ‘feien nicht folche, welche 
alles nur fo zu wenden fuchen, wie die überall in ihnen lauſchende 
Luft einen Anlaß daran hernehmen kann zur Sünde. Und fo bürs 
“fen wir kühn behaupten, daß wir ald Chriſten unter und, auch in: 
dem wir diefes Wort des Erlöfers und zur Richtſchnur machen, und 
doch frei halten Finnen von aller ängftlichen Beichräntung im Ge: 
brauch der Rebe. "Bleibt und nur immer dad erfte, dad Mort, dad 
die Seelen erretten und felig machen kann; ift nur unfre Rede im: 
mer ein Werk der Liebe zu unſern Brüdern, welche Liebe ja u 
gleich die Liebe ift zu dem, der unter und gewohnt bat, und bie 
dankbare Liebe zu dem, von dem biefer ausgegangen iſt: fo wirbed 

















098 

auch Feinem unferer Worte fehlen weber an Lieblichkeit noch a 
Salz, und feines wird unmiz fen. Das was hievon ausgeht, # 
heilig rein und gut; und was in foldhem Sinne vernommen mitt, 
wird auch in feiner Unvollfommenheit gute Frucht tragen, inden 
immer nur das davon bleiben wird, was Wahrheit darin wır. 
Und wie ber Erlöfer ſich ſelbſt darftellt ald den Säeman, ber N 
ausfäet und zwar nichts anbered als das Wort; und wir alle dern 
doch ihm gleichen ſollen: wie follten wir nicht freudig fein zu jetem 
Gebrauch der Rebe, welcher auch nur etwas dazu beitragen fam 
uns tüchtiger zu machen, damit wir auch dad ewige auch das in 
fih unendliche in menſchliche Rebe zu faſſen vermögen und mi 
treuer Liebe zur Wahrheit den Saamen ber Wahrheit auf alk 
Weiſe aubzuftreuen in die Seelen, bie und umgeben! 

Und fo laßt und babei bleiben, daß in diefem fo ernflen un 
firengen Wort des Erlöferd nichts furchtbares und ſchrekkliches if, 
wenn wir uns gleich nicht weigern ed als Ghriften feinem ganm 
Ernft und feiner ganzen Strenge nad) geltend zu machen, ohne er 
wa3 baran zu mildern und zu löfchen. Denn auch von und gil, 
was er von feinen Züngern fagt, fie follten das Salz der Eik 
fein, und wenn das Satz felbft bumpfig werde, fo gebe ed nicht, 


womit man ed wieder falzen koͤnne. Wie er nun durch dad Ber 


gewirkt hat: fo follen auch wir durch daffelbe als das Salz da 
Erde wirken und alfo diefe große Gabe verwalten als eins ve 
den koͤſtlichſten Geheimniffen, über welche wir zu Haushalten geſcz 
find. Aber nicht fol dad Wort des Herm unfere Liebe einſchüch 
tern noch unfere freie Thaͤtigkeit laͤhmen durch ängftliche Sotge; 
fondern, auf daß alles zufammenftimme, müffen wir dem Bort auf 
feine Stelle anmweifen, und es muß feine Kraft bewähren im garen 
Umfang des menſchlichen Lebens. Wenn wir nun fo fortfahren m 
a. Fr. nach der Freiheit der Kinder Gottes zu fchalten mit dieſer 
göttlichen Gabe, weiſer zu werben durch jede Unvollkommenheit eigne 
fo wie fremde, die und bei dem Gebrauch berfelben noch aufſtößt: 
fo werden wir immer mehr dahin gelangen, jener vollkommen 
Mann zu werden, der in keinem Worte mehr fehlt, wiemol er ſit 
der Rede auf alle Weiſe und in allen Geſtalten ſtrenge und milde 
in Ernſt und Scherz bedient, um auf viele ober einzelne Seelen und 
durch fie weiter auf die Gefammtheit des Lebens zu wirken. 21 
Bollfommenheit ift allerdings nicht das Werk des einzelnen; vi 
mehr ift jeber, indem er danach firebt, irgend einer Abweichung AU 
gelegt. Wenn aber der eine zu fehr dahin neigt, daß er ſich der 
Gebrauch des Wortes verfagt, aus Furcht doch in feiner Unvolllom⸗ 

menheit unnuͤzes zu reden, und dadurch das verfäumt, wodurch ei 


699 


Stich felbft der Vollkommenheit nähern und feinem mächften dienen 
Fonnte; der andere hingegen fich zu fehr auf jened andere Wort 
Frist, daß dem reinen alles rein ift, und ed vieleicht damit zu leicht 
zrtmmt, daß, wenn: bei andern die Sünde Veranlaſſung von feinen 
Woorten nähme, ihm das nicht zum Vorwurf gereichen fönne; wenn, 
Tage ich, diefe beiden Abweichungen immer in ber Chriftenheit fein 
werden: fo ift ed dad Merk des göttlichen Geiſtes, daß fich beide 
immer mehr ‚gegenfeitig ausgleichen, daß eind verfchlungen werbe 
zmit dem andern, und jeder fich an’ dem andern fpiegle um hinein: 
zufchauen in dad vollkommne Gefez der Freiheit *) und fich nach 
Diefem immer mehr zu geflalten. Darum auch hievon gilt, daß wir 
einander wahrnehmen und, wie die Schrift fagt, und unter einan- 
Der reizen follen zu guten Werken **), damit durch die Kraft des 
göttlichen Wortes auch die Kraft unferes Wortes erflarke, aber auf 
Der andern Seite auch nur gottgefällige Werke, evfrifchende belebende 
zu neuen Thaten reizende Werke ed find, wozu wir einander er 
muntern und und gegenfeitig bie Hand bieten: dann wird wenn 
nicht genau ber einzelne doch je länger je mehr die Gemeinde bed 


Herm, die er feinen Leib nennt, der vollkommene Dann werben, 
der in keinem Worte fehlet. Amen. 


) Jak. 3, 2. 
) Hebr. 10, 24. 


Lied 25, 23— 3. 


uvm 
Am Todtenfeſt 1833. 


Lieb 706. 752. 


Text. Jakob. 5, 11. 
Siehe, wir preifen felig die erbulbet haben. 


M. a. 3. Wenn wir bebenfen, was für ein Bild von Bert. 
zung beö Lebens, von einander wiberfprechenben und fich gegen: 
tig aufhebenden Tchätigkeiten, von, einem ſich immer wieder mit 
zweifelhaften Erfolge erneuernden Ringen mit Widerwaͤrtigkeiten 
und Gegenfäzen vor unfere Seele tritt, wenn wir bad Wort leſen, 
Erduldet haben: fo mögen wir gar leicht denken, bag dieſer Tu: 
ſpruch des Apoſtels zu denjenigen gehöre, welche in ber heiligm 
Schrift weniger allgemein für alle Chriften zu allen Zeiten gell 
find, fondern nur vornehmlich auf jene erften Zeiten der chriſtlichen 
Kriche berechnet waren. Da gab ed freilich nicht leicht einen, da 
nicht hätte erdulden müflen, deſſen Leben von den erflen Anfängen 
feines Glaubens an, wenn er beharrlich bleiben wollte, nicht a 
Heihe von mannigfaltigen Kämpfen geweſen wäre. Aber freilih 
wenn wir auf der andern Seite bedenken, wie in bem Ausbrufft, | 
Selig preifen, wenn er auf das vergangene Leben bezogen wind, 
fo daß wir einen um beffentwillen felig preifen follen, unläugbar 
zugleich ein Ausdrukk von Vollendung liegt wenigftend von amt 
mehr ald gewöhnlichen Vollkommenheit; dann fragen wir und Dil: 
lig wieder, ob wol zu einer ſolchen irgend ein menfchliches Leben 





701 


&elangt fein koͤnne, und alfo irgend einem es zukomme, ich will nicht 
ſa gen einer verdiene, felig gepriefen zu werden, ohne daß er erdul⸗ 
Det hat. So laſſet und denn m. a. verfammelten diefe feierliche 
Stunde der Betrachtung dazu anwenden, daß wir mit einander bie 
Frage beantworten, was denn in biefen Worten ber Schrift das 
allgemein gültige fei auch für und und für alle fünftigen Zeiten. 
Ich glaube, wir werden ed zufammenfaffen können in folgende zwei 
Betrachtungen; es wird und-zuerft leicht fein und zu überzeugen, 
Daß, wen wir felig preifen follen, ber wirklich nrüffe erduldet haben; 
auf-ber andern Seite aber auch zweiten, daß wer in dem rech⸗ 
ten Sinn, wie ber heilige Schriftfteller es meint, erbuldet hat, für . 
Den es auch weiter nichts anderes bebürfe als diefes, damit wir ihn 
mit voller Zuverfiht des Herzens felig preilen koͤnnen. 


L Wenn wir nun zuerft und überzeugen wollen, daß wir 
nicht leicht einen werben felig preifen können, der nicht erbuldet hat: 
fo führen und die Worte unfered Textes zunächft zuruͤkk auf einen 
verwandten Ausdrukk in demſelben Briefe, wo der nämliche heilige 
Schriftfieller jagt, Selig if der Mann, welcher die Anfechtung er: 
duldet hat *). Damit m. a. 3. hatte .er feinen Brief angefangen, 
dag er den Chriſten fagte, fie follten. e8 für lauter Freude achten, 
wenn fie in allerlei Anfechtungen und Berfuchungen’ fielen, in fofern 
fie nur mit ber Erkenntniß hineingingen, daß die Prüfung des 
Glaubens auch Beharrlichleit hervorbringe. Und wie felten wir 
e3 auch wol für möglich halten, dag wir ohne dies in dieſem irdi⸗ 
fchen Leben zu irgend einer Sicherheit zu einem feflen Vertrauen 
auf dad gelangen follten, was wir noch dürch. Gottes Gnade ver⸗ 
mögen werden, wenn wir und in dieſe oder jene Umflände des Les 
bens hineingezogen finden! Gewiß, ohne die Anfechtung erdulbet 
zu haben, ohne in mancherlei Berfuchungen bineingerathen zu fein 
und fie gluͤkklich befanden zu haben. ift das nicht möglich. Aber 
das Leben, wenn wir auch ganz -abjehen von jenen Zeiten der. Ver: 
folgung um ded Glaubens willen, wenn wir die Gemeinfchaft der 
Chriſten in folchen Zeiten betrachten, von denen ja auch fchon in 
der Schrift Erwähnung gethan wird ald von feligen Ruhezeiten, 
welche Gott ihnen gegeber habe zwiſchen ben Drohungen der Feinde 
und dem Schnauben der MWiderfacher, wenn e8 heißt, daß die Ge: 
meine fich gebaut habe in Frieden, ja aud) wenn wir auf folche 
Zeiten fehen, wie wir denn die unfrigeri von vielen Seiten angefes 
ben nur als folche betrachten Tönnen: o es ift doch nicht möglich, ' 





) 8 1, 12. 





daß eb ben Chriſen fehlen fönne am Anfechtumgen, auch mit: 


dem ruhigen Leben, auch mitten unter foldyen, bie biefen heilise 
Namen ber gläubigen an ben Erlöfer mit uns theilen. Dem: 


lange bad wahr ifl, was wir vorher mit einander gefungen babe | 


und es wird wahr bleiben für alle Zeiten dieſes menſchlichen & 
bens, da fo lange Gottes Kinder bier auf Erben wallen, fie as 
noch Sünder find: fo bleibt aud noch immer der Zufland uk: 
daß die auf das irdifche gerichteten unb von ber Suͤnde beflfte 
Wuͤnſche der Menfchen gegen einander zu Zelde liegen, und daß ĩ 
eine Urfache bed Streite werden. Da giebt ed denn, wenn! 
Wuͤnſche verſchiedener Menfchen nur durch denfelben Gegenſtand k 


friedigt werben fünnen, ein mannigfaltiged Ringen, und das da 


derer, die auf der gleichen Bahn einhergehen, ift nicht3 anderes u 
ein ernfler eiferfüchtiger Wettlauf; ja es kann nicht fehlen, daß mic! 
von diefer oder jener Seite drohende Anfechtungen auch uns teen. 
die wir nicht mit ihnen wandeln. Aber wer. dann in ber Ant: 
- sung feflhält; wer dadurch, baf er fieht, wohin bie Racıgiebigke: 
gegen dieſe irbifhen Wünfche ben Menſchen bringt, fich zuruͤkkych 
läßt von dem Beſtreben nad) den vergänglichen Dingen ber Ba 
und nur beflo emfiger dem ewigen nachtrachtet; wem in be 
Kämpfen dann eben fo der Glaube geftärkt wird: ja bem entfet 
aus der Anfechtung, bie er gluͤkklich erduldet, die Bewährung. A 
freitich wo es ſchon einen georbneten Zuftand der menfchlichen Ding 
giebt, wo der Willkuͤhr des einen über den andern des fürn 
über den fchwächern weniger Spielraum geftattet ifl, wo jeber, mem 


er nur felbft auf ber richtigen Bahn bleibt, fih des Schuzes da 


Geſeze zu erfreun hat und dad Bewußtfein mit ſich herumträgt, des 
die Öffentliche Meinung der Menſchen ſich immer auf die Seite de 
jenigen flellt, dem es anzumerken ift, daß er mür das rechte des 
wahre und dad gute fucht: da müflen allerbingd ſolcher Anfechtun 
gen immer weniger werben, je mehr fich die geiflige Seite des 
menfchlihen Lebens entwilfelt. Allein giebt es nicht dennoch be 


-fländig die Anfechtung einander widerftrebender und alſo auch at | 
gegenwirkender Meinungen und Ueberzgeugungen eben über baden! 


was recht ift und wahr und gut? D weldye Kette von Berluhut 
gen entſteht und aus diefem Zuflande ber Uneinigkeit und des Stur 
tes über badjenige, wa8 das gemeinfame Ziel nicht irbifcher Bin 
ift fondern der Sehuſucht und ded Verlangens unfered Geiſte⸗ mach 
dem ewigen und unvergänglichen! Welche Anfechtung enwähl uns 
allen, wenn es barauf ankommt, baß wir in diefem Streite ſeſtdeb 
ten, jeder feines Glaubens leben in der Ueberzeugung, bag was mid! 
aus dem Glauben kommt doch nur Sünde wäre, jeber fehhalt 











703 2 
aud dann fogar, wenn bie Liebe anderd denkender Menſchen, wo 
fie weiß und fieht, daß fie und nicht, überzeugen Tann, und lieber 


erbitten möchte und erweichen. Da doch feft ſtehen auf der Wahr⸗ 


heit, welche Gott einem jeden anvertraut hat, immer freilich war⸗ 
tend darauf und bereitwillig es anzunehmen, wenn er und heffer 
erleuchtet, fei es auch durch ſolche, die wir uͤbrigens wol hinter uns 
zu ſehen glauben in der Erkenntniß und in der Uebung bed guten, 
ja da feftzuftehen, welche Anfechtung verurfacht und bad, aber auch 
welche Bewährung beö Glaubens, die auf einem anderen Wege und 
nicht kommen kann! 

Doch m. g. laflet und noch weiter gehen, laſſet und in eine 
noch befjere Zeit und verfegen, wo auch biefer Streit weniger laut 
wäre in der chriftlihen Welt. Sehe jeder nur auf fich ſelbſt und 
bleibe bei fich felbit flehen; wenn er nicht mehr ben Widerfpruch 
der Sünder umher erdulden muß, indem er fortichreitet auf der ihm 
angewiefenen Bahn: wem fehlt es wol jemald, daß er nicht müßte 


den Widerſpruch des Suͤnders, ben er in feinem eigenen innern 


wohnen hat, ertragen und erbulden! Wem erwaͤchſt nicht in diefer 
menfhlihen Welt bald ber Uebermuth aus einem glüfflichen Er⸗ 
folge, bald der blinde Eifer, wo er fich weit den anderen vorauszu⸗ 
fehen glaubt, und wen flört nicht, macht nicht in den Fortfchritten, 
welche ihm immer noch obliegen, auch ſelbſt der Theil irre, den er 
noch hat an dem finnlien und an dem vergänglichen in bem 
menſchlichen Dafein! Ja wir willen ed, wie lang und auch unfere 
Laufbahn geſtekkt fei, und wie weit wir ſchon fortgefchritten fein 
mögen auc in dem mehr beruhigenden Zeitraum bed menſchlichen 
Lebens: doch geichieht ed, daß Stürme von außen ber fich tief in 


dad innere einwühlen, fo daß dann die Wogen fich in die Höhe - 


thürmen und braufen. Und um dann dad Schiff des Glaubens zu 
fieuern, vermögen wir dem Entflehen der Wellen nicht zu wehren; 
fondern wie andere Schiffer find wir beſchraͤnkt auf die Kunft 
gluͤkklich und geſchikkt bie immer fich wieder erhebenden Wogen zu 
durchſchneiden, feſt im Auge den. Hafen, in welchen wir einlaufen 
follen, um und bort zu freuen, dag ber Kampf gluͤkklich überfianden 
if. Und wenn ed möglich wäre, daß für eine Zeit lang die Leber: 
zeugungen aller derer, welche berufen find ihre Gedanken gegen ein- 
ander audzutaufchen, und welche mit vereinten Kräften wirken fol: 
lien, wenn ed möglich wäre, daß fie alle zufammenftinnnten ſelbſt 
eine geraume Zeit lang: wuͤrden wir behaupten duͤrfen, daß es eine 
geſegnete Zeit ſei, wenn doch auch das wegfallen muͤßte, daß in ei⸗ 
nem jeden ſelbſt mancherlei neue und ungewohnte Gedanken entſte⸗ 
hen, wenn nicht das Leben ſelbſt jedem wieder neue Anſichten dar⸗ 


708 


böte, die ihn wenn auch nur auf einen Augenblikk zweiichaft m- 
chen, ob das, was er biöher feſtgehalten hat, auch überall das ırdz 
fei? Und fo gewiß ohme biefed fein ficheres Fortfchreiten in te 
Erkenntniß der Wahrheit und bed guten flattfände: fo gewiß girk 
es überall, wo ein folcher Wechſel von fireitenden Gebanten iu de 
menfchlichen Seele entfteht, auch eine Anfechtung, bie überflane 
werden muß. Da gilt ed, auf ber einen Seite der Ueberzeugun 
welche und fo lange gegolten und geführt hat, ihr Recht wideri& 
ren zu laffen; ba gilt e8 aber auch auf ber andern Seite, uns md 
zu verfchließen gegen das, was erſt genau ind Auge gefaßt fu 
will, damit wir unterfcheiden, ob es auf irgend eine Weiſe mit der 
verborgneren Berberben des menfchlichen Herzend zuſammenhang. 
oder.ob es Gedanken find, welche und bie Ahnung geben, daß Get 
"und aufs neue ein noch dunkeles Gebiet des menſchlichen Leben: e: 
leuchten, oder durch eine hellere Erfenntniß einem ſchwankenden 3u 
fland ein Ende machen will. Ja diefen Streit der Gebanten, wi 
he fi) in der nrenfchlihen Seele belämpfen, diefen Streit führt r 
der, der mit Ernſt die Wahrheit und das Recht fucht, der feine © 
genen Ueberzeugung leben will, bamit er Rechenfchaft geben fu 
von fich ſelbſt; und wie viel e8 auch in diefem zu erdulden geh. 
das wiffen nicht nur diejenigen, die es am fi) erfahren haben, fr 
dem auch andere belehrt das chriftliche Leben vielfältig darüber, mt 
wenigen nur e3 gelingt im demfelben ſich das rechte Gleichgewich 
und bie innere Ruhe zu bewahren. 
Es ift wol wahr m. th. 3., es giebt auch andere ſchoͤne Di 
der des Lebens! Kein Jahr unfered Lebens Tann und wol me 
ben, daß fi und nicht jedem in feinem Kreife mehrere folde dar 
ſtellen follten, die auch von einem Jahr ind andere uns fetwib: 
rend erfreuen und erquiffen, und wenn die Borfehung ihrem irdi⸗ 
ſchen eben ein Ziel fegt, und zw ganz anderen Betrachtungen fir 
ren ald zu den Worten unferes Textes, Selig preifen wir bie erß 
bufdet haben. D wer gebächte hier nicht felbft jenes fchönen frer 
lich in einem Xeben wie das unfere größtentheitd nur flüchtigen 
Bildes, was wir, wenn auch auf das feftefte Äberzeugt von dem 
Berberben der menfchlihen Seele, doch immer vergleichungswenc 
durch den lieblichen Namen der Unſchuld bezeichneri! Gemuͤther, du 
von feinem innern Kampfe von feinem Streit der Gedanken oder 
Meinungen von feinen heftigen Wogen, die im inneren fluthen, 8: | 
was zu wiffen fcheinen: wer follte an einem ſolchen Bilde nicht 
mit Wohlgeſallen verweilen? Und wenn, wie es benn haufig 9" 
ſchieht, viele noch in diefer Zeit einer gluͤkklichen Unſchuld von bir 
Erde hinweggenommen werben: wer folte nicht mit Freude und 


705 


.Zuft dad liebe Bild noch lange Zeit in.feinem Innern bewahren? 
Aber felig preifen für dad vergangene Leben können wir fie dennoch 
nicht! ‚Wer kann dafür flehen, was für Verſuchungen fie nur da⸗ 
Durch entgangen find, bag ber Faben des irdiſchen Lebens zeitig abs 
geichnitten wurde! wer kann es wiflen, wie bald dieſe heitere Ruhe 
dieſer fülle Friede ſich würde verwandelt haben in einen fo ernflen 
und wilden Streit der Seele nach außen und mit fich felbft, daß 
und bange geworden wäre für ben Ausgang! Was bemeift biefer 
Zufland mehr ald foviel, dag ed dem aufblühenden Leben, denn läns 
ger als bis dahin erſtrekkt er fich sticht, noch fo lange hat gelingen 
koͤnnen, fei ed in der Stile und Zurüffgezogenheit oder auch mits 
ten in einer bewegten Umgebung, dennoch. die Welt mit allen ih⸗ 
ren Verfuchungen von fich entfernt zu halten, und baß ed fich eben 
fo noch frei gehalten bat von der eben fo müßigen als bedenklichen 
Neigung, früher ald das Leben es nothwendig macht in uns felbft 
hineinzuſchauen, und über dem, was wir in ben verborgenften Tie⸗ 
fen zu fehen glauben, brütend zu grübeln. . 

Es giebt ein anderes eben fo fchöned Bild aus dem reifen und 
mehr erftarkten Leben, wie wir ed freilich weniger finden auf dem 
großen Schauplaze eines Öffentlichen Wirkend, aber. wie gern fuchen 
wir nicht die verborgenen und mehr zurüßfgezogenen Wohnpläze ber 
Menfchen auf, wie gern entfernen wir uns auf eine Weile von den 
großen Straßen bed menfchlichen Verkehrs, um eben biefed anmus 
thige Bild einer flillen frieblichen Thaͤtigkeit aufzufaffen, bie fich bes 
fcheiden genügen. läßt an dem engen Kreife, welcher ihr angemwiefen 
it, um da zu wirken und zu bauen. Wo keine widerſtrebenden 
Kräfte der Erfüllung der einfachen Pflichten entgegentreten, wo al⸗ 
(ed leicht und von felbft von flatten geht, und ber Menſch feine 
Laufbahn bis in ein hohes Alter vollenden kann ohne Theil genom: . 
‚men zu haben an jenen äußeren und inneren Kämpfen und ohne 
viel erfahren zu haben von der Anfechtung, welche andere erdulden 
müffen: das iſt gewiß ein befriebigender Zuſtand; aber was beweift 
er m. a. 3.° Allerdings eine große Verfchiedenheit in den Geſtal⸗ 
ten des menfihlichen Lebens, allerdings fo viel, daß wo einmal mit - 
‚ Gottes Hülfe Wahrheit und Recht zur Herrfchaft gelangt find, auch 
immer ein großer Theil der menfchlichen Gefellfchaft ungeflört und 
unangefochten nach diefer Regel einhergehen Tann und das feinige 
fhaffen. Aber werben wir wol ein ſolches Gemüth um ein folches 
Leben ſelig preifen koͤnnen? ift eine Seele, die auf ſolchem Wege 
an ihr Ziel gekommen ift, auch wirklich durchgeprüft worben? Frei⸗ 
lich hat fie ihr gutes genoffen, ja fie kann die Fülle der göttlichen 
Gnade geſchmekkt haben, und es kann Wahrheit in ihr geworben 

ul | Vy 


fein mit ber Verheißung eines göttfihen Friedens: aber zu einem 
rechten Bewußtfein deflen, was bie menfchlidhe Seele in ihrem in 
nern verbirgt, zu einem gänzlich durchgeſchauten und vollfonume 
bewährten Dafein, um welches body allein der Menſch verbient Teig 
gepriefen zu werben, weil man nur dann weiß, was eigentlid, jan 
Werth ifl, und weil man nur dam einen Maafftab anlegen kam, 
um feine Kraft zu erkennen, zu einem ſolchen fommen wir auf ke 
fem Wege nicht! Darum bleibt e& dabei, felig preifen koͤnnen wu 
nur bie, welche erbulbet haben, weldye nicht nur die Anfechtung von 
augen erbuldet haben unb von Innen ben Streit ber Gedanken, jo: 
bern welche auch durdy die mannigfaltigen Kämpfe bed Geiſtes ge 
gen das Fleiſch, welche sin bewegted Leben darbietet, zu dem rech 
ten aber dann auch ficheren und unveriezlichen Frieden des Men 
fhen mit Gott gelangt find. 


I. Aber nun laſſet und auch noch das zweite hinzufügen. 
Was es auch anders noch zu geben fcheine in dem menfchlichen Le 
ben, was und erfreut und erhebt, was und darin glänzend und herr: 
lich erfcheint: diejenigen, welche erduldet haben in diefem Sinne des 
Mortes, befizen auch alle, und wir beduͤrſen einer andern Kunde 
von ihnen um fie felig zu preifen. 

Was m. a. 3. fagt der Apoflel Paulus zu ben Korinthem, 
wo er die verfchiedenen Geftalten des chriftlichen Lebens, die verſchit⸗ 
denen Gaben des Geiſtes den Blikken feiner Zefer Yorüberführt °ı? 
Glaube, Liebe, Hoffnung, fagt er, diefe drei bleiben; und wenn mir 
und auch alle der koͤſtlichſten Gaben befleißigen, es gibt doch neh 
einen berrlicheren Weg, und das iſt der, daß wir fefthalten am ber 
Liche. Derjenige aber hat nicht erdulbet in dem Sinne der Werte 
unfered Textes, welchem nicht die Anfechtung, die er beflanden hat, 
gediehen ift zu einer Bewährung des Glaubens, der durch bie Lie 
thätig iſt. Es gibt freilich leider Anfechtungen genug, die ein ent: 
gegengefezted Ende nehmen. Lange Zeiten hindurch) kämpfen wir 
oft und erdulden auch wirklich; aber zulezt werben wir übenwund:n: 
So geſchieht es in dem Streite gegen bie Beiltebungen und da3 
reiben anderer Menſchen, fo auch in den Anfechtungen, welche un: 
fer eigenes innere und bereitet. ‘Haben wir die Anfechtung nicht 
glüfflich beftanden: ja dann wird auch bie Kraft des Glaubens we 
nigftens für eine Zeit gebrochen; dann ift die frohe Zuverjicht, zu 
ber wir fchon gebiehen ‚waren, gelaͤhmt, und wir finden uns obat 
das füchere Steuer wieder, welches wir wicht haben fefthalten fin: 





1. Kor. 12, 31. u. 13, 13 








707 


zıen in. dem unfläten und unficheren Meere bed Lebend. Erdulden 
aAber das heißt nicht bloß leiden, fondern ed heißt im Leiden ohne 
Machtheil ausharrenz und nur der wird als ein folcher, welcher erbuldet 
Hat, felig gepriefen, welchen die Anfechtung nicht hat hindern Zins 
nen auf dem richtigen Wege beharrlich fortzufchreiten, welcher alle 
Berfuchungen wenigftens fo weit überwunden hat, daß er am Glaus 
Ken feftgehalten hat und in der Zreue geblieben if. Wenn und 
aber fo die Prüfung zur Bewährung des Glaubens -audgefchlagen 
ift: wie wäre ed dann anders möglich, als daß wir dann auch fefts 
ftehen werden in der Hoffnung! Denn m. a. 3. bie Hoffnung, 
welche der Apoftel fo zu den fchönften und höchften Gütern bes Le- 
bend rechnet, hat Beinen” andern Gegenftand ald dad Reich Gottes. 
Die Hoffnung, daß dieſes ununterbrochen forfbeftehen immer feftere 
“ Wurzel faffen und fich immer weiter umher verbreiten werbe, daß 
der Same bed Glaubens aufichlagen werbe zu einem Gewächs, un: 
ter dem alles Schuz und Sicherheit findet, und wohin fich jeder 
flüchten fanın unter allem Ungewitter, das ift Die, welche neben dem 
Glauben und der Liebe zu flehen verdient unter den Gütern unſeres 
geitigen Lebens. ‚Worauf. gründet fie ſich aber als auf die Erfah: 
. rung, wenn wir fie immer aufd neue machen in unferem Leben, 
daß die Gnade Gotted mächtig ift in dem ſchwachen, daß fie fich 
inmitten aller Berfuchungen bewährt, ja daß auch dad Straucheln 
und dad Wanken denen, die Gott lieben, fowol zur Erhöhung ihrer 
Selbfterfennmiß ald zur Stärkung ihrer Kraft und: zum angeflreng- 
teren Zufammennehmen ber Vermögen, welche ihnen von Gott gege: 
ben find, und fomit auf alle Weife zum beflen gereichen muß. So 
giebt es auch gewiß vielerlei Anfechtungen, welche der Liebe in der 
Seele des Chriften Gefahr drohen. Aber wer fi) durch folche Ans. 
fechtungen ftören läßt in der Liebe, der hat fie eben fo wenig erbuls 
det ald derjenige, welcher Schiffbruch Ieidvet an dem Glauben. Sa 
jede Verringerung ber Liebe, welche wir in den Kämpfen bed Le: 
bens erfahren, ift ein fichered Zeugniß davon, daß wir biefed Mal 
wenigftend bie Anfechtung nicht erduldet haben jondern unter ber: 
ſelben erlegen find. Wenn wir in dem Streite ber Ueberzeugungen 
davon, was gottgefällig recht und gut iſt, flatt uns für andere auf: 
zuopfern, vielmehr und felbft zu ihrem Nachtheil fchonen; wenn wir 
und lieber zurüftziehen, einen nad) dem andern von unferen Säzen 
Preis geben, um nur nicht ganz aufgerieben zu werben durch ben 
immerwährenden Streit; wenn wir ermuͤdet benjenigen dad Feld 
räumen, von welchen wir doch überzeugt find, meinen fie «ed auch 
gut und redlich, daß fie wenigftend auf einem verberblichen Wege 
wandeln: dann ift und nichts geringered begegnet, al® daß wir 
. 9,2 


708 
Sciffbruc gelitten haben an ber Liebe, fomel was unfere Liebe zu 
den fchwächeren Zeitgenofien und zu dem jüngeren Gefchledht be 
trifft, welche wir nicht aufbören follten zu warnen und zu fchüzen, 
Damit fie nicht fortgeriffen werben in irgend ein Verderben, ald auch 
was unfere Liebe zu denen. betrifft, welche und ald Widerfacher ent: 
gegenflehen, weil wir biefe ja ebenfalld zu büten haben nach Ber: 
mögen, baß fie fich nicht noch größere Vorwürfe für bie Zukunft 
bereiten. Und wenn wir gar, weil es uns bie und da nicht gel 
gen will ben Widerſtand anberögefinnter zu überwinden und das 
geltend zu machen, was wir ald gut erfennen, dann lieber untere 
Berhältniffe in der Welt einfchränfen, mit benen nicht mehr leben 
wollen noch und weiter um fie bekuͤmmern; weiche in ihren Grunt: 
fäzen und Entwürfen fo weit von und abgehen; wenn wir, weil es 
und nicht gelingt die Mißtöne aufzulöfen, lieber die Eintönigfeit 
wählen, welche fogleich entfteht, wenn. wir nur mit denen zuſam 
menleben und wirken wollen, die auf bad genauefle mit uns zu- 
fammenftimmen in dem, was zwifchen und und anderen flreitig if: 
dann gewiß haben wir den fchlimmften Schiffbruch gelitten am ber 
Liebe. So beweift fich denn freilich die ganze Kraft der Liebe du 
rin, wenn wir erbulden und bie Anfechtung: glüfflich beftehen; fo 
‘tft es nur bie Wirkung ber volltommenften Selbfiverleugnung dei 
ChHriften, wenn wir auch unter ben aufregendflen Werhältniffen doch 
feft bleiben in der Liebe zu allen, unter die Gott und gefezt hat, 


bis endlih doch alle Trennungen anfangen wenn nicht zu ver 


‚Ihwinden fo doch ihre herbed zu verlieren, als welches immer der 


= erfte Sieg ber Liebe if. Wenn wir fo ein Leben denken, welches 


‚in Glauben Liebe und Hoffnung immer bewährt wird in der An- 
fechtung, bie es gluͤkklich erduldet: was Tann einem ſolchen noch 
fehlen, um des willen ein Menſch müßte ſelig gepriefen werben! 
womit Fönnten wir bie noch ſchmuͤkken wollen, von welchen dies 
gefagt werben kann? 
Doc) freilich noch eins. Je länger wir auf Erden wandeln, 
um fo mehr fol auch das Gemüth des Menfchen fich bereichern; 
wir follen Schäze fammeln, denn dazu find wir da, Schäge, welche 
zuerft und felbft zu gute kommen, aber dann auch von und überge 
ben ald ein gemeined Gut in ben heil des Reiches Gottes, in 
welchem wir zu leben und zu wirken berufen find, Schäze der Er: 
fahrung und der Weißheit. Aber wie gelangen wir am ficherfiex 
zu diefen? Sie fommen auch nicht jedem überall entgegen! Derje⸗ 
nige fammelt feine Erfahrung, 'welcher engherzig nur auf fich feibk 
und das feinige fieht und. nicht im Stande ift fich in das Leben 
anderer liebevoll hineinzugeben, fondern fich immer geräflet hält, ob 


709 


ihm etwa Streit und Anfechtung und Verſuchung daraus entftchen 
werde; ber fammelt. feine Erfahrung, bem fo bange ift, ihm möchte 
feine Stille und Ruhe. geflört werben, daß er lieber aus feinem 
nächften und engflen Kreife nicht herausgeht. Sondern nur in dem 
Maag, als wir. und ber Anfechtung und Verfuchung zwar ſtellen 
aber in ber Kraft der Liebe, kann und das Leben feine Schäze oͤff⸗ 
nen, und entfleht und ein wahres Mitempfinden und Mitwiflen def 
fen, was fi in menfchlihen Dingen um und her begiebt. Und‘ 
wodurch anberd koͤnnen wir denn wachfen in ber Weisheit ald durch 
ein richtiged und reines Anfchauen und Aufnehmen aller der Man⸗ 
nigfaltigkeit, weiche Gott in bie menfchlihe Natur gelegt hat? Nur 
Der ift weife, welcher alles ald ein. Werk Gotted zum guten zu len» 
ten weiß, auch an dem fremberen nicht Anflog nimmt, fondern alle 
menfchliche Gaben zu dem großen gemeinfchaftlichen Ziele hinzufuͤh⸗ 
zen firebt. Wollen wir diefe Weisheit, die und nur im thätigen 
Leben werben Tann, gewinnen: fo laflet und, wenn fie uns lange 
fern geblieben wären, grade die: Anfechtungen berbeirufen und wuͤn⸗ 
schen, welche ed lohnen wirb erduldet zu haben, eben die Verſuchun⸗ 
gen, durch welche wir fehen, was in der menfchlichen Seele’ ver 
borgen ift, ja auch den Kampf mit allem bem noch fo verfchiebenen, 
was und, fo lange wir ed noch nicht richtig erfaßt haben und mit 
der Kraft des göttlichen Geifted ergriffen, freilich entgegenzuftehen 
‚Scheint, aber was wir auch gewiß, fobald wir die Berfuchung erbul: - 
det und den Kampf glüfflich überfianden haben, nicht minder zu 
brauchen wiflen werben zur Förderung bes guten, welches und ans 
vertraut ifl. 

So m. a. Fr. ift es wahr, was der Apoftel fagt, Selig prei· 
ſen wir nur die erduldet haben. Jedes chriſtliche Leben in dem 
Maaße, als man dieſes von ihm fagen kann, ift- auch allein zu ſei⸗ 
ner Bollendung gediehen: Selig ift der Mann, fagt der Apoftel, 
der die Verſuchung und die Anfechtung erduldet hat! felig iſt der- 
jenige, ber in allen Kämpfen des Lebens. auögeharret hat, und hat 
Glauben gehalten! felig ift berjenige, von dem gelagt werben kann, 
daß er nicht müde geworben ift in dem Laufe, fei e8 auch immer 
ein Wettlauf und ein Kampf, wie der Apoſtel Paulus ihn auch nie 
anders beichreibt, der aber eben fo leicht als dieſer vergefien kann, 
was fchon hinter ihm liegt, um ſich immer nach dem zu ſtrekken, 
was er noch vor fich fieht auf einer Bahn, auf welcher es nie fehlt 

“an Anſtoß und Hinberniffen, auf einer Bahn, auf welcher wir nie 
fortichreiten koͤnnen, ohne daß und neue Anfechtungen und Berfu: 
chungen entſtehen aus denen, welche ſchon gluͤkklich überwunden find! 
So ift das Reich Gottes auf diefer Erde ‚geflaltet; und ‚nur indem 


710 


jeber erduldet, wirb er froh feiner Kraft, nämlich ber Kraft, bieite 
geworben ift in der fchönen Gemänfchaft, welcher wir alle angeht 
ren, und ohne welche unb außer welcdyer wir überhaupt wel ı 
manden würben felig preifen wollen. 


Wenn wir nun zurüfffehen m. a. auf bad auch it wieder eb 
gelaufene Jahr; wenn wir uns ber Faͤlle erinnen, wo wir fl 


in unferer Nähe erfahren haben die Zlüchtigkeit des menfchlihake 
bend; wenn wir und ber Worte bed Troſtes und ber Ermahımı 
zur Weisheit erinnern, wie fie gefprochen zu werben pflegen, fo o 
wir unfere entfchlafenen Brüder begleiten zu ber ihnen für ihr vr 
wesliches Theil beflimmten Ruheſtaͤtte, und hiebei freilich une 
Aufmerkſamkeit oft mehr auf die einzelnen Zufaͤlligkeiten des Lebe! 





gerichtet wird, indem wir in dem einen Falle uns freuen, baf Get 


dem entfchlafenen ein flilles und ruhiges Gelingen zu heil werder 
ließ, ohne daß er viel erfahren hätte von ben Widerwaͤrtigkeiten 
diefed irdifhen Zuflandes, indem wir in einem andern Kalle Get! 
preifen für ben Schuz, mit welchem er unter den fchwierigfia le 
“ fländen über dem. entichlafenen fein ganzes Leben hindurch gemalt 
bat, wogegen auf ber anderen Seite andere und viel geprüft zu kn 
fheinen durch ein größeres Maaß von Kummer und Leiden, ald ge 
wöhnlich dad 2008 des Menfchen auf der Erbe zu fein pflegt: ah 
dag wir dann nur nicht ganz und allein bei dem ſtehen geblichn 
find mit unfern Gedanken und Empfindungen, was boch nur des 
äußerliche ift, und fo das rechte verfehlt haben! Die wir bafür cr 
fehen, da Gott ihnen das gluͤkkliche Loos eines friedlichen Lehr’ 


weges befchieden habe: es ftände ja übel um fie, wenn bie des 


beſte geweſen waͤre, was von ihnen zu ſagen war! wenn wir mel, 
Tönnten wir hineinfchauen in das innere, Urſache fänden uns and 
bed Verſtandes und ded Muthe zu freuen, den fie haben aufm: 
ben müffen um fich jene Ruhe zu erhalten! Doch gewiß, and 
folche find nicht unverfucht geblieben; und nur deswegen fönnen ſe 
verdient haben felig gepriefen zu werben, weil fie erbulde haben. 
Und mancher, der tief gebeugt ift von äußeren Leiden und Kumm 
von dem wir fagen, es fei ihm zu gönnen, daß ihm endlich Ruhe 
verliehen fei, nicht ſowol von feiner Arbeit, als von den Ruͤhſelig 
feiten, welche er vielfältig in feinem irdifchen Leben erfahren Mi’ 
ja viele koͤnnen viel gelitten haben, aber ob fie erbuldet haben " 
dem Sinne unfered Textes, das ift eine ganz andere Frage, und 

Antwort fteht nicht auf ben aͤußeren Blättan des Lebens! Sen 
bern nur wenn wir fagen Tonnen, daß unter den Leiden bie © 

reif geworben if, nur wenn wir ihnen dad Zeugniß geben Können, 
fie haben nicht bloß gebulbet, ſondern auch ausgeharret in der ZW 


711 


ũãgkeit: dann nur konnen wir die Borte bes Tertes auf fie anwen . 
Den und fie felig preifen. 
Und fo laffet denn auch uns m. Fr. in das Leben, welches 
moch vor uns liegt, aufs neue hingehen und und das feſt einprä: 
gen, ſelig geprieſen zu werben verdient nur ber, welcher erduldet hat. 
Sehen wir aljo noch mancyerlei Kämpfe vor uns: fo laffet uns ih: 
zıen, des göttlichen Beiſtandes gewiß, ber. feinem entfleht, welcher 
um Weisheit und Zucht des Herzens bittet, zuverfichtlich entgegen: 
gehen und im voraus und barauf fchiffen zu exbulden, fo lange ed 
zu dulden gibt,. Anfechtungen und Verſuchungen zu beftehen, fo 
lange fie und entfiehen, auf daß wir reif werben und weife. Scheint 
Dagegen ein ruhiged und ſtilles Leben vor und zu liegen: o baß wir 
uns daran nicht zu fehr erfreuen und etwa verfäumen ed und zur 
rechten: Prüfung ja zur Verſuchung gereichen zu laſſen! daß wir und 
nur ja feft einprägen, je weniger wir von außen geftört werden, um 
fo mehr werde gefordert von unferer inneren Wirkfamleit, um deſto 
- rüfliger ſollen wir unferer Traͤgheit widerftehen, um befto fchärfer 
follen wir um und fehen, wad wir zu thun vermögen, wenn wir 
nicht gebrängt und übereilt werden von den Wiberwärtigkeiten- des 
Lebend. Aber wenn wir richtig ind Auge faflen, wad von und ver 
langt werben kann: o dann pflegt ed und nicht zu fehlen an heil: 
famen Verfuchungen und Anfechtungen, welche wir zu beftehen ha: 
ben; und darum wollen wir Gott loben und preifen und zu ibm 
und feiner Barmherzigkeit hoffen, daß es und daran auch nie fehlen 
werde. Denn in dem Sinne hat die Schrift gefagt, daß ber Vater 
die Kinder züchtigt, welche er lieb hat, Damit und alles in biefem 
irbifchen Leben zu einer Zucht werde und und gebeihe zu einem 
größeren Reichtum ber Liebe und einer Fefligkeit in der Hoffnung. 
Auf dieſe Weiſe werden wir auch zunehmen an Weisheit, und wenn 
unfere Stunde fommt, wird man fagen koͤnnen, Siehe, felig iſt der- 
zu preifen, der erdulbet hat. Amen. 


⸗ 


eied 767, 3—4. 


LIX. 
Am 2. Sonntage des Advents 1833. 





Lieb 112. 120. 


Text. Röm. 15, 8 u 9. | 


Sch fage aber, daß Jeſus Chriftus fei ein Diener ge 
wefen der Befchneidung um ber Wahrheit willen Gate 
zu beftätigen die Verheißung, den Vätern geſchehen; dez 
die Heiden aber Gott loben um ber Barmherzigkeit m 
len, wie gefchrieben fleht, Darum will ich dich Joben I 
ter den Heiden, und deinem Namen fingen. 


M. a. 3. Die Abſicht, in welcher ber Apoſtel dieſe Date I: 
nem Briefe einverleibt hat, erhellt am beutlichften aus ber 
Ausführung, welche er dem Iezten verlefenen Saze giebt, indem -" 
nämlich eine Denge von Stellen aus ben heiligen Büchen de 
alten Bundes anführt, in welchen auch für bie Heiden an 
von ferne angedeutet wurde. Seine Abficht dabei war alſo zund 
eben diefen Gang ber chriſtlichen Verkuͤndigung zu vertheibige, 
die Jünger des Erlöfers nicht wie er felbft fich beſchraͤnkt hätten 
auf dad Volk des alten Bundes fondern ausgegangen wären 1 
alle Welt, um unter allen Voͤlkern folche zu fuchen und 34 © 
ten, welche an feinen Namen glauben. Cine ſolche Bertheikal 
biefed Ganges bes alten Bundes ift wol m. a. für uns alle mic 
nöthig, da wir ſelbſt es ja find, welche bie Früchte davon gr 
und wie dieſes göttliche Werk vor unſeren Augen ausgehteit 7 
ſo Tann wol niemand zweifeln, daß fich hierin nur be gnäbig‘ 


713 


Wille Gottes an dem menſchlichen Geſchlecht erfuͤllt. Eher aber 
koͤnnte vielleicht fuͤr uns eine entgegengeſezte Vertheidigung noth⸗ 
wendig ſein. Wenn wir naͤmlich zuruͤkkdenken an jene perfoͤnliche 
Beſchraͤnkung, in welcher der Lebensgang bed Erloͤſers zuſammenge⸗ 
faßt war, daß er immer gebunden bleiben mußte an dieſes Volk, 
welchem er doch immer umſonſt predigte, welches freilich viele von 
ſeinen Wohlthaten genoß, auch mancherlei von ihm zu ruͤhmen 
wußte, aber ihn doch als denjenigen, der er eigentlich war, am we⸗ 
nigſten in der entſcheidenden Stunde, wo es noth that, aber auch 
ſonſt nicht aus rechter voller Ueberzeugüung anerkannte; ja wenn wir 
dann auch weiter fagen müflen, es fcheine, als ob die Jünger des 
Erlöferd über fein eigened Maaß hinauögegangen wären: fo koͤnnte 
ed wol gar dad Anfehen gewinnen, ald ob ber Dünger über dem 
Meifter gewefen wäre gegen dasjenige, was er felbft fagt. So laf: 
fet und denn in Diefer heutigen Stunde unferer andächtigen Bes 
trachtung eben biefed beides, wie ed zufammengehört, mit einander 
vereinigen, die Beſchraͤnkung in der Wirkfamkeit unfers 
Erlöfersd ſelbſt, wenn wir auf feine Perfon fehen, und bie groͤ⸗ 
Bere Freiheit und Ausdehnung in der Wirkſamkeit fei- 
ner Zünger. Laffet und, wie wefentlich” beides zufammengehört, 
auf der einen Seite betrachten in der unmittelbaren Beziehung auf 
ben Erlöfer und die -feinigen, welche ihn damald umgaben, aber 


bann auch zweitens davon die richtige Anwendung machen auf 
und ſelbſt. 


L Wenn wir alſo zuerſt fragen, wie gehoͤrte denn eben dieſes 
beides natuͤrlicher Weiſe zuſammen, daß der Erloͤſer in ſeiner Wirk⸗ 
ſamkeit gleichſam feſtgebunden war innerhalb des Volkes des alten 
Bundes, feine Juͤnger aber ausgehen burften in alle Welt und un⸗ 
ter alle Voͤlker: fo ift es eben die Abficht des Apofteld uns biefen 
Zuſammenhang beutlih zu machen. In dem ewigen Ratbfchluffe 

. Gottes ſtellt er beided als eind und bdaffelbe bar, bie Verheißung, 
welche den Wätern gegeben ift, und. bie vielen Stimmen’ gnäbdiger 
barmherziger Verheißung, welche in ben Büchern des alten Bundes 
felbft auch ſchon über die Heiden erflungen waren, daß fie folten 
Theil nehmen an ben Segnungen jener urſpruͤnglichen Verheißung. 
Aber nun fährt er fort, Der Here ift geweien ein Diener feines 

Volkes um die Wahrheit ber Verheißung zu beftätigen, feine Juͤn⸗ 

ger aber durften auägeben. in alle Welt, auf daß bie Barmherzigkeit‘ 


Gottes erfüllet würde, und bie Gelben auch dazu gelangten ihn zu 
loben in ſeinem Sohne. 


718 


Es giebt m. a. 3. unter benjenigen, bie ich nicht anfehess wil 
ald Gegner des Evangeliumd, weil fie ja immer erflären von dem, 
was Chriſtus gethan bat um umjere Seelen zu erleuchten unb um 
und ben Weg bed Lebend zu zeigen, nicht abweichen zu wollen, aber 
weiche boch glauben, baß fie bem menſchlichen Geſchlechte, ber 
menfchlihen Natur, dieſem herrlichſten Werk Gottes in ber Scho— 
pfung, fo weit fie und vor Augen liegt, zu viel entziehen mmichten, 
wenn fie einen fo großen Unterfchied annähınen zwiſchen dem Erik 
fer und denen, weldye er body feine Brüder nennt, wie es ber gı= 
fere und firengere Theil ber gläubigen thut: unter diefen giebt es 
viele, welche boch den Zufammenhang, weichen uns der Apefld 
Paulus hier angiebt, nicht eben fo begreifen wollen. Vielmehr füh 
ren fie und anf frühere Reben bed Erloͤſers zurüff, worin er and 
feinen Juͤngern bie Anweifung giebt, fie follten nicht gehen auf bie 
Straßen ber Heiden ja auch nicht einmal in die Städte der Same: 
ziter, fondern nur in ben Städten bes Volkes Sfrael follten fie bla: 
ben unb verlündigen, das Reid Gottes fei nahe herbeigekommen; 
und indem fie ſich vorzüglicd, an diefe Reben halten, glauben fte be 
haupten zu koͤnnen, der Erlöfer felbft habe auch feinen Juͤngen 
Fein. größered Feld eröffnen wollen fondern nur baffelbe, auf dem 
auch er den Samen bed göttlichen Worted audzuflreuen ging. Bes 
dieſe aber nachher gethan nach feinem Dahinfcheiben von ber Erbe, 
dad, fagen fie, fei allerdingd wol recht gewefen und in dem ewigen 
Plane Gottes enthalten, fo daß fie darin nichts anderes al3 ben 
Willen des Höchften vollbracht hätten: aber über bie Einficht über 
den Auftrag ihred Herm und Meiſters wären fie dadurch body hin⸗ 
audgegangen. Wenn wir dies anerkennen müßten: fo wuͤrde zurfer 
Glaube fehr viel von feiner Einfachheit und von feinem Zufammen- 
hange verlieren, fo wuͤrde bad Bild des Erlöferd gewiß ein große: 
von feiner Wirkſamkeit auf unfer Herz und Leben einbäßen Ja 
es wäre auch nicht anderd mit ben Jüngern bed Herm; wenn wir 
ihnen zufchreiben wollten, was fie fi) felbft nie zugefchrieben haben, 
eine Weisheit, welche fie anderswoher hätten als von bem, ben ft 
ald ihren Herm und Meifter verehrten, ein Hinausgehen über feim 
Abficht und über feine Pläne, und wir wollten boch auch mit um 
ferer Verehrung gegen ihn befiehen: fo müßte dieſes wieder auf fk 
einen Schatten werfen, ald ob fie ſich einer allzu kuͤhnen und zu he 
ben Selbſtſchaͤzung unterfangen hätten. Aber wenn wir bie Reben 
unfered Herrn und Meiſters zu verfchiebenen Zeiten betradyten, um 
den Andeutungen, welche und daven aufbewahrt find, zu folgen: fo 
werben wir wol fagen müflen, fo fireng er fich ſelbſt Dabei hielt, 
daß er nur geſendet ſei zu den verlorenen Schafen aus dem Hauſe 





713 


Ifrael, fo war er boch ſchon, feitdem er, aufgetreten um bad Reich 
Gottes zu verkündigen, keinesweges bed großen Zieles- ber göttlichen 


Barmberzigkeit unkundig; daß er aber ſich daran hielt ein Diener - - 


zu fein feined Wolke, wie ber Apoftel fagt, um ber Wahrheit ber 
Berheifung willen, dad gehört dazu, was eine andere Stelle ber 
heiligen Schrift fo ausdruͤkkt, daß er Gehorſam gelernt bat in bem, 
was er litt; Das war ber Gehorfam, welchen er übte, in welchen 
er fich einlernen mußte, aus biefer Schranke nicht zu weichen und 
alle feine Kräfte zu verfuchen an dem Wolfe, welchem er angehörte, 
und unter welched ihn Gott geftellt hatte. Wie fehmerzlich er die 
ſes nicht felten in dem Werhältniffe mit einzelnen Menſchen empfand, 
das fehen wir fehr deutlich aud jenem Gefpräche mit bes heibnifchen 
rau, welche Hülfe, begehrte für ihre Tochter, und welcher er es, ba 
fie von ihm forberte,-er folle mit ihr unter ihr Dad) eingehen um 
biefer leidenden zu helfen, mehr ald einmal weigernd mit einem ges 
wiffen Nachdrukk ausſprach, er fei nur gefandt zu den verlorenen 
Schafen aus dem Haufe —* aber was er thun konnte ohne die 
Schranken des Geſezes zu uͤberſchreiten, das that er, denn ohne ihre 
Schwelle zu betreten befreite er dennoch ihre Tochter von dem un⸗ 
ſauberen Geiſt, welcher ſie quaͤlte. Aber was ſollen wir wol den⸗ 
ken, was die Seele des Erloͤſers erfuͤllt habe, als er in einer ſeiner 
Reden ſagte, Abraham habe ſeinen Tag geſehen und waͤre des froh 
geweſen. Was war denn eben dieſer Tag des Herrn, welchen Abra⸗ 
ham ſah? Er ſah ihn nur in der goͤttlichen Verheißung, die ihm 
zu Theil geworden. Was war aber die ganze Fuͤlle dieſer Verhei⸗ 
ßung? Nicht nur daß er ſelbſt gemacht werden ſollte von Gott zu 
einem großen Volk, ſondern daß durch ſeine Nachkommen alle Voͤl⸗ 
‚ ter der Erde und alle Stämme des menſchlichen Geſchlechtes ſollten 
gefegnet werden. Das erkannte alfo der Herr ald die größte goͤtt⸗ 
lihe Verheißung, dad war ber Tag, welchen er felbft nur ſah ald 
ben’ herrlichen Segen für eine fpätere Zeit, und wicht auf biefelbe 
Weiſe durch feine unmittelbare Zheilnahme herbeigeführt. Und in 
den legten Zagen feined Wandels und feines öffentlichen Lehrens in 
dem Tempel, als ihm berichtet wurde, es ſeien einige Griechen da, 
welche verlangten ihn zu ſehen: da ſtrahlte ihm der Glanz jenes 
Tages auf eine beſondere Weiſe ins Auge, da ſprach er von der 
ihm bevorſtehenden Verklaͤrung, weil nun auch in dieſen ſchon vor⸗ 
bereitet wurde der Eingang fuͤr ſein Wort und fuͤr die Lehre von 
ihm. Und eben in dieſem Zuſammenhange ſeiner Gedanken in ſei⸗ 
ner feften Ueberzeugung von dem allgemeinen Umfange ber goͤttli⸗ 
hen Barmherzigkeit ſagt er auch hernach in ben Tagen feiner Auf 
erftehung zu feinen Zungen, fie folten gehen unter alle Wölter und 


716 


alle zu feinen Juͤngern machen. &o alfo werben wir denn wel ;s 
geben müffen, daß der Erlöfer keinesweges unbelannt war mit be 
Größe feiner Beflimmung und mit ber Zufammenfegung und ka 
Umfange der Gemeine ber gläubigen, daß er ſelbſt vielmehr ka 
Dienft feiner Juͤnger auf jene große alle Voͤller der Erbe umfafer 
Berheißung Gottes zuruͤkkfuͤhrte Er aber, wie er treu fein frlk 
in dem ‚Haufe feined Vaters ald ber Sohn, wußte auch, dein 
fein Leben ganz folte feinem Wolke fchulbig fein: ja erſt barıl, 
daß diefes ihn nicht erfannte, daß diejenigen, welche unmittelbar di 
feinigen waren, ihn nicht aufnahmen, dadurch entfland hernach it 
nen Süngern dad volle Recht zu dem Zeugniß unter ben Haba 
was ben größten Theil ihre Lebens mit fegendreichen Muͤhen aus 
gefüllt hat. Allein auch fie waren boch nicht gleich und auge 
blikklich befreit von dem Geſez, unter welchem er ſelbſt lebte um der 
Wahrheit der Werheißung willen; fonbern wenn auch bie früher 
Anweiſung, bie er ihnen gab, fie follten nicht geben auf bie Wax 
ber Heiden und in die Stäbte ber Samariter, fi) nur aufbasiaix 
. bezog, was fie thun follten in feinem Auftrage, welchen er ibm 
damals während fetned eigenen Lebens und Wirkens ertheilte, m 
fie ganz unter bemifelben Gefez wie er felbft ſollten und mußten de 
faßt bleiben: fo fagt er ihnen body auch hernach, als er ihn ba 
Auftrag gab feine Zeugen zu fein bis an das Ende ber Erbe, N 
fie follten anfangen von Jeruſalem. Auch fie follten fid im 
Wolke fchuldig fein, fo lange es fie hören wollte, und fo lange ſr 
wirken tonnten unter demfelben, bis ein foldyer Anfang des nem 


Reiches Gottes gegründet wäre, daß fie felbft nun ihre Kräfte ah 


anderwärt$ hinwenden könnten. Sie freilich befamen bad Keil, 
wie ber Apoftel Paulus es ausdruͤkkt, dem Geſez zu fterbe bare 
das Geſez, in fofern dies nämlich Chriſtum getoͤdtet hatte, und ſit 
mit ihm geflorben waren. So gehörte denn zu feiner Treue wi 
feinem Gehorſam dieſes willige Verharren unter dem Gdg, mr 
welches fein Leben geftellt war, und welches getreu bis in de 
kleinſte hinein wenn gleich’ frei von allen nur menfchlichen Sat 
gen erfüllt zu haben ein Ruhm war, den er fich nicht durfte me 
men laffen; und auch feine Zünger Eonnten nur auf einem ba 
gemäßen Wege ihre Freiheit erhalten von jenem Geſez. 
Betrachten wir nun m. a. 3. diefen Zuſammenhang der Sol: 
fo finden wir darin ein. neues Beiſpiel von etwas fehr gewoͤbel⸗ 
dem. Der obenhin denkende und urtheilende Menſch nämlich fra! 
fi, wenn er ſich den Hergang ber Dinge in ber Welt, fi es in 
einzelnen ober im großen, fei es in weltlichen ober in geifligen Die 
gen, anders benfen kann als er ift; ja es exhebt fich nicht ſelten M 





m 


ihm ein Hochmuth, über ben er ſich aber nicht zeitig genug ſtrafen 
kann, als ob irgend etwas, ſo wie er es ſich denkt, beſſer haͤtte wer⸗ 
den koͤnnen, als es geweſen iſt. Aber je mehr wir zunehmen an der 
xechten beſcheidenen Weisheit der Kinder Gottes, bie aber mit dem 
völligen Gebrauch ihrer Freiheit eind und baffelbe ift: um fo mehr 
finden. wir auch, das höchfte, wohin ber Menfch gelangen kann, wes 
nigftend was fein Beftreben fein muß für fein Nachdenken über den 
BZufammenhang ber Dinge in der Welt, fei dieſes, zu fehen, daß 
alles nicht anders fein konnte als fo, wie es durch den göttlichen 
Kath georbnet if. Wenn wir und über dad, was gemeien ift, er 
heben wollten und wollten und denken den Erloͤſer nicht weilend 
unter dem Volke, welchem er feine Pflicht mit folcher Ausdauer lei⸗ 
ftete, fondern ermüdend gleich bei dem erften Widerſtreben und von 
der vorgezeichneten Bahn abweichend, unftät umherirrend unter ben 
heibnifchen Völkern, bald hier bald ba einen Verſuch anfnüpfend, 
da er doch dort immer nur auf folchen Punkten hätte wirken koͤn⸗ 
nen, von denen aus fein feſter Grund fich legen Fein großer Zu⸗ 
fammenhang fich bilden ließ für das Reich Gotted: wie vergeblich. 
würben- und doch dieſe Handlungsweiſen erfcheinen, wie würde und 
nicht fich dad reine Bild des Erlöfers in -unferer Seele zerflören! 
Aber eben fo wenn wir und feine Jünger denken wollten, wie fie 
zu ängfllich geweſen wären fich frei zu bewegen, wie fie ihr Beſtre⸗ 
- ben den Ruhm ihres Meifterd zu verkündigen und die menfchlichen 
Seelen ihm zu unterwerfen immer aufd neue nur entwikkelt hätten 
in den Städten und Zleften des Landes, wo fie geboren waren, 
immer wieber da anfangend, wo fie fchon den Staub von ihren 
Fügen gefchüttelt hatten, und dad Evangelium, welches das größte 
Gut für alle Gefchledhter fein ſollte, vergeblich einfchließend an eis 
nem Ort, der bald nichtd anderes mehr fein follte als ein Raub der 
Zerſtoͤrung: fo könnte und diefed eben fo wenig zufagen als jenes. 
Darum fo war. ed und fo mußte es fein! der Erlöfer feibft fein Les 


benlang ein Diener feined Volkes um ber Verheißung willen; er 


mußte feine Treue auch darin bewähren, daß ex dad Geſez erfüllte, 
unter dem er geboren, und unter das er geflellt war, ohnerachtet ex 
wohl wußte, es fei. eigentlich in dem göttlichen Rathſchluß nur das 
Mittel, um dad Volk zufammenzuhalten bis auf ihn, aber keines⸗ 
weged ald eine ewige Ordnung für die Menſchen aufgerichtet wor: 
den. So mußte er fein; aber feinen Züngern mußte er eben diefe 
Sreiheit geben durch das Geſez dem Gefez zu flerben, und nicht 
mehr gebunden auf diejelbe Weiſe dad Evangelium überall hinzu: 
tragen, wo fie offene Ohren finden würden, bie ed aufnehmen 
koͤnnten. 


718 

1. Aber nun m. a. 3. laffet uns in dem zweite Theile unfe 
ver Betrachtung von bdiefem Zufammenhang auch Die richtige An: 
wendung machen auch auf unfer Leben und Wirken. Allerdings 
wir, die wir in den vollen fröhlichen Lauf ded Evangeliums gell: 
let find, koͤnnen und bürfen nicht auf biefelbe Weife ſcheiden zwei 
verfchiebene Zeiten, ‚eine frühere, wo alles Wirken beſchraͤnkt ud 
wäre auf einen engen Kreid um der Wahrheit irgend einer Veche⸗ 
ßung um des Beſtehens irgend einer Orbnung willen, und eine fp& 
tere, wo die frohe Botichaft, welche Gott zu den Menfchen geſende 
hat, erft einen fröhlicheren Lauf nimmt und fich- ohne alle Schrar: 
fen über bie ganze Erde fortbewegt. Eine foldye Trennung ver: 
fchiedener Zeiten giebt «8 für uns nicht, aber das koͤnnen wir un: 
doch nicht bergen und follen es auch’ nicht, daß beides fo wie d 
damals auf einander folgte fo izt gleichzeitig verbunden if. 
Wenn wir die gegenwärtige Geflaltung der chriftlichen Kirche 
betrachten, ‘wie fie zertheilt ift im verfchievene von einander geſen⸗ 
derte Gemeinfchaften, nicht nur beöwegen von einander geſonden, 
weil nur innerhalb gewiffer Grenzen des Raumes und in einer ge 
wiffen Anzahl die Menfchen zu einer wirklichen Bereinigung Ihre! 
Kräfte zu einer wirflihen Mittheilung ihres Daſeins koͤnnen ver 
bunden fein, fondern getrennt auf eine folche Weiſe, daß fih in a 
ner jeden das himmlifche Licht des Evangeliums anders bricht un 
in eine andere Farbe hinhberfpielt, friſch und fröhlich umberfind 
lend in der einen, trüber und mehr gedämpft erſcheinend im der an⸗ 
deren, mehr diefe Gegenftände- des Lebens beleuchtend in ber EINEN, 
jene mehr in ber anderen; wenn wir hiebei bebenfen, wie jeder, der 
in dem Umfange der chriftlichen Kirche geboren wird, auch durch 
die Verhaͤltniſſe, in welche Gott ihn vermoͤge der Geſeze der Natur 
fielt, auch in einer dieſer Gemeinfchaften feinen Raum finbei: i 
werden wir fagen müffen, daß diefe Gemeinfchaften im Gegen bins 
ben follen, ift für jeden eine Verheißung, und dieſe fol in jdes 
* ihre Wahrheit finden. - Seder foll danach fireben, da mo ihn Gon 
bingefest bat wirkſam zu fein nah dem Maaße feiner Kräfte, de 
die Wahrheit, die ihm Gott eingegeben, geltend zu machen ſo gut 
er es vermag, da den Glauben zu erfrifchen, die Liebe zu "" 
und an allem guten, was fich in der Gemeinfchaft geftaltet, * 
Theil zu haben, wohl wiſſend, daß eine jede von biefen noch 
Theil von Unvollkommenheit an ſich traͤgt, und keine einzel i 
ſich etwa dad Urbild der Gemeinfchaft der glaͤubigen barftelt, ii 
fie zum Ruhme des Herrn fich über bie ganze Welt verbreiten n n: 
überalk ihre lieber und angehörigen -haben fo. Wohl db“ 
det ſich jeder der feinigen verpflichtet und bleibt e3, ihm müßte 


719 
zu Muthe werden, als fei fie ein Gefez, welches Chriſtum toͤdtet. 


Sonft bleibt e3 dabei, fo wie jede ihre eigene Lehre hat umb ihre . 


eigenen Ordnungen, wie fie gebunden ift an’ diele oder jene Geſtal⸗ 
tung bed Lebens, fo ift jede die Verheißung, welche ber einzelne 
mitbefommt bei feinem. erften Eintritt in die chriftliche Kirche, und . 
die fol auch jeder zur Wahrheit. machen nach feinem beften. Vermögen. 

: Aber freilich dürfen wir nicht. bei irgend etwas menfchlich bes 
ftehendem auch flehen. bleiben, als fei eö ein unverbrüchliched Gefez, 
unter welched jeder geftellt wäre. Denn wie könnte es fonft geſche⸗ 
hen, wenn wie wir es fchon öfter erfahren haben, daß die chriftliche 
Kirche bald hie bald dort Zeiten der Werfinfterung audgefezt ift, daß 
Dann dad Licht wieder entflände, wenn jeder glaubte auf eine voll 
fommene Weiſe gebunden zu fein auch an dasjenige, was doch in 
dem Beſtande der Kirche nur menſchliches Werk iſt. Und auch in 
dieſem Stuͤkke werden wir uns nie zu genau an das Vorbild des 
Erlöfers halten können. Denn welhe Verwirrung würde in allen 
menfchlichen Dingen entfichen, wenn jeder fich wollte berufen glaus 
ben aus bem alten ein neues zu ſchaffen; aber auch welcher in Ver: 
derben uͤbergehende Stillſtand, wenn nicht jeder Anfpruch machte 
auf dad Recht, in dem Maaß als er eine feſte Ueberzeugung eine 
lebendige Erkenntniß in ſich trägt, biefe auch andern mitzutheilen. 
So verkündigte je auch der Erlöfer nicht nur bie Freiheit von den 
Menſchenſazungen und zeigte uͤberall in ſeinem Leben, wie weit dieſe 
zuruͤkkſtehen muͤßten hinter dem goͤttlichen Geſez, unter welches er 
ſich ſelbſt gebunden fühlte; fondern er, wie aud) deutlich Darauf 
bin, daß felbfi diefed nur eine vorübergehende Drbnung fei, und baß. - 
die göttliche Liebe und Weisheit von Anfang an auch diefed Volk 
mit allen andern zu einem fchöneren Bunde auderfehen babe. Eben 
ſo liegt ed und ob, wie der Erlöfer fi fügte dem unvolllommnen, 
weil es die befichende Ordnung war, während. er felbft daS beſſere 
erkannte und feine Erfenntniß auch mittheilte, eben fo auch unfers 
feitd die Erfüllung der Verheißung dadurch mit herbeizuführen, daß 
wir einerfeitö da, wo Gott und hingeftellt hat zu dienen und zu 
wirken, alles was zum gemeinfamen Leben. gehört, fo wie es be: 
feht, ehren und feſthalten, anbererfeitd aber dem befferen die Bahn 
bexeiten und Raum machen, indem wir unjere Ueberzeugung und 
Erkenntniß von. dem, was wir als das befiere erfennen, auch in 
Umlauf bringen, 

Nicht minder aber ſchen wir nun auch in der chriſtlichen Kirche | 
dad andere, wad den Loofe ber Jünger be Herm näher fleht. 
Das find in zuerſt wol gewiß die befonderen Diener der Barmher- 


728 


zigfeit, wenn gleich ed zu verfchiebenen Zeiten beren balb mehrere 
giebt bald weniger, inbem dieſes Beſtreben ſich bald flärker bald 
fhwächer in ber chriftlichen Kirche entwikkelt, Diejenigen meine ich, 
weldye dad Licht der Wahrheit dahin tragen, wo es nody nicht ıf, 
welche Boten des Friedend werben da, wo bad menſchliche Gemäth 
- und bad gemeinfame Leben noch unter allen Zerrüttungen ber inne 
ren und ber aͤußeren Zwietracht feufzt, welche bad himmliſche Licht 
dahin bringen, wo noch ganze Sefchlechter der Menfchen in ber gm 
flemiß ded Wahns wandeln. Diefe find bie. befonberen Dieser der 
Barmherzigkeit; aber fie find es nicht allein. Laflet und dem ge 
genwärtigen Bang ber menſchlichen Dinge ind Auge faflen, dick 
Leichtigkeit der -Gemeinfchaft zwilchen ben entfernteflen Gegenden, 
diefe gleichlam unmittelbare Gegenwärtigleit, mit ber Menfchen von 
. verfchiebener Sprache und Sitten von verfchiedenem Lebendgange 
einander vor Augen fliehen. Wie erfreulich leuchtet es und ein, ba 
bie Wirkſamkeit der Menfchen nicht befchränkt ift durch das, was 
fie in ihrer unmittelbaren Nähe reden und thun, ſondern wie fi 
izt nicht nur das geflügelte Wort, fondern mittelft deffelben auch 
die That mit allem, was gutes und Löbliches, mit allem was ſchlech 
tes und verwerfliched an ihr iſt, weit verbreitet und überall kund 
giebt. Wie auch jeder in biefen allgemeinen Zuſammenhang ver: 
flochten ſei und mehr oder weniger Theil nehmen koͤnne an einer 
Wirkſamkeit, die über ben engen Kreis bed einzelnen Lebens hin⸗ 
ausgeht: da find wir eben fo frei wie die Jünger deö Herm von 
dem Gefez, unter welchem er felbft gebunden war; unb wir hax: 
dein ald treue Diener der göttlichen Barmherzigkeit, wenn wir ım- 
ſere Wirkſamkeit mittelbar oder unmittelbar fo weit wir koͤnnen 
über jenen engern Kreis hinauderfireffen, ben die Geburt uns an⸗ 
gewiefen bat. Aber wenn fich fchon nicht berechiien läßt, wie bie 
Wirkſamkeit des Menfchen ſich heutiges Tages mit Leichtigkeit weit 
über den nächften Kreid und die gewohnten Grenzen hinaus erfiref: 
fen Tann: fo gilt dad noch weit mehr von unferm Wohlgefallen 
unferer Freude unferer Theilnahme an dem, was die Audflrahlung 
des göttlichen Lichted, was bie Verkuͤndigung der göttlichen Wahr: 
heit wirkt bier und dort. An unferm engeren Kreife follen wir 
fefthalten, auf daß jeber erfülle die Wahrheit der Werheigung, bie 
ihm gegeben ift; an diefer freien geiftigen Lebensgemeinſchaft ſollen 
wir Xheil nehmen und uns ihrer erfreuen, auf daß wir zugleich 
Berkündiger der Barmherzigkeit feien, die unferer Zeit widerfahren iſt. 

"Aber wohl verftanden, laſſet und dies nicht nur fo im allge 
meinen auöfprechen fonbern auch überlegen, auf welche Weiſe ſich 





za 


dieſes beides in und vereinigen nm. Keiner ſei ſo befangen, daß 

er glaube, nur in dem Kreife, dem er zunächft angehört, nur ba, 
wo.er auf das beitimmtefle und genauefle in allen Einzelheiten fein 
eigened Bild wiederfindet, wo bie Ausdruͤkke am beſten verfianben 
werben, bie ihm die ficherfien und klarſten Zeichen feines Glaubens 
und feiner Ueberzeugung find, wo ganz nach benfelben Regeln ges 
wirkt wird und. gelebt, denen er folgt, nur ba fei dad Reich Got 
tes; alle anderen aber müßten erft herbeigeführt werden burch. bie, 
welche ber göttlihen Barmherzigkeit dienen. So. befangen möge 
Peiner unter und fein! benn fonft würden wir und des größten Se 
gend berauben, dad große Werk Gottes, wo ed befteht, unter den 
mannigfaltigfien Geflalten anzuerkennen und uns deſſen zu. freuen, 
überall die wenn gleich zerfiveuten Züge des Bildes Chrifli zu er 
bliffen und in vielem, was weit entfernt iſt von uriferer befonberen . 
Art und Weife von unferer Sprache und unferen Sitten, body bie 
ſelbe Wirkſamkeit beffelben Herm mit Dank wahrzunehmen. Aber 
Peiner ſei auch von einem fo unfläten Verlangen getrieben, daß er 
fich dem nicht fügen wollte, wa zur Wahrheit der Verheißung ges 
hört, fondern mißmüthig und abgefloßen von bem nahen und ge 
genwärtigen immer am lebten da fein möchte und wirken, wo ihn 
Die göttliche Weisheit nicht hingeftellt hat. O wie viel bittere Em⸗ 
pfindungen nicht nur fondern auch beflagendwerthe Verirrungen in 
dem menfchlicyen Leben entfliehen aus dieſer gewiß nicht Tauteren 
Quelle! Wie dad ber erfle Anfang des Chriftentbums überhaupt 
war, daß ber Erlöfer der Diener feined Volkes blieb um ber göftlis 
chen Verheißung willen: fo muß auch ein jeder den Anfang bed 
hriftlichen Lebens damit machen, daß er feine Wirkſamkeit übe fo 
weit er damit gedeihen kann in dem Kreife, in welthen Gott ihn 
geftellt hat. Nur dadurch kann einer die Zuverficht zu fich felbft 
gewinnen, daß auch er als ein Diener ber Barmherzigkeit vielleicht 
in größerer Ferne wirken kann; nur auf diefem Wege ber demuͤ⸗ 
thigen chriftlichen Erfahrung kann einer hoffen, daß fein Licht und 
fein Zeugniß auch in weiteren Kreifen wirken fönne, wo feine un: 
mittelbare That es nicht mehr begleitet. Nur ber, welcher gelernt 
hat über weniged getreu fein, kann mit gutem Gewiſſen wünfchen 
über mehrered gefezt zu werben; denn fonft würbe ihn jebed Her: 
auötreten aus ben engften Schranken nur unter eine- bedenkliche 
Werantwortlichkeit "fielen. Nur in diefer Ordnung laffet uns da⸗ 
siach fireben beided mit einander zu vereinigen, Damit fo jeder mit 
alten feinen Kräften wahrhaft wirkfam fein koͤnne für das Reich 
Gottes. N 

IL. 7. 





722 

Und wie ander m. a. wollten wir auch wol unſere Seligkät 
* ‚fchaffen; wie anders wollten wir, wie es und gebührt, fie ſchon in 

biefem eben .finden, als nur gerabe fo! Es giebt freilich keinen 
anderen feflen Grund zu ben Frieden des Höchften, Fein ander) 
Mittel die allzu leichte Beweglichkeit und bie herumfdyweifende Un 
:zuhe des Gemüthes zu zaͤhmen, ald wenn jeber fich ſchuldig erkamt 
ber Diener der. Gemeinſchaft zu fein, in welche Gott ihn hinange 
ſtellt bat, und fich dort mit anderen gleichgefirinten zu verbinden zu 
gemeinfamer Thätigkeit, die nur um fo erleuchteter fein wird, wen 
wir auch die Unvolltommenheit bed jebeömaligen Zuſtandes nich 
nur einzufehen fondern auch darzuftellen vermögen, aber aud m 
um fo wirffamer, wenn auch jeder Gehorfam übt und lernt, wied 
von dem Erlöfer heißt, und wie er auch leidet unter ben Unvel: 
kommenheiten ber. menfchlihen Dinge. Aber je mehr wir dem 
ben Grund unſeres Friedens unb unferer Rube fuchen: fo if aud 
eben fo wahr, baß wir zu dem vollen feligen Genuß, zu dem mit 
berufen find, doch nur gelangen, indem wir über den unmittelbares 
Kreis unferer Thaͤtigkeit hinaus auf den großen und weiten Zum 
menhang ber Wege Gottes fchauen und und Vergangenheit und 
Gegenwart zu einem eben fo würdigen als wahren Bilde ber dr 
Zunft geflalten, daß nämlich die Wahrheit des Evangeliums immer 
mehr Raum gewinnt unter dem menfchlichen Geſchlecht, und immer 
mehrere hinzugeführt werben, um aus diefer Quelle Frieden —— 
fchöpfen, und unter dem Schein dieſes himmlifchen Lichte in tt 
Gemeinfhaft mit Gott zurüffgeführt werden. Wie könnte ud 
was geringeres das menſchliche Herz flillen und ausfuͤllen, ad die 
frohe Erkenntniß und die aus der ‚rechten Freude fic immer mb 
wikkelnde thätige Theilnahme an diefem großen Zufammenhang IM 
dem Reich der Wahrheit und des Lichts! was fann uns mil be 
ferer Hoffnung erfüllen, ald daß wir es fo zu fagen beredmen kön 
nen, mit wie. befchleunigter Geſchwindigkeit immer mehr alle Schran⸗ 
ten fallen werden, welche die Menſchen noch auseinander. ball 
während uͤberall heilige Ordnungen feflfiehen, die fie wohlihang 
verbinden, immer mehr die Werfchiebenheiten aufhören werden, 
he fie trennen, indem fie fie erfennen lernen als nur verjepiebent 
Arten, wie jebem auf dem ihm angemefienften Wege das Licht 3° 
frömt und die Kräfte zugeleitet werben. Finden wir MR ws 
und felbft in dieſen Bufammenhang geflellt mit bem Kreiſe, in 
welchem wir wirkſam ſind: ſo haben wir ja darin ſchon 
bendige Vewußtſein von ber Herriichteit des Reiches Goltch MN 
ewig währt, und mögen in Wahrheit ſagen, daß wir ſchon au 








dem Tode zum ewigen Leben hindurchgedrungen find, nicht an ben 
gegenwärtigen Augenblikk, in bem wir leben, nicht an ben 'engen . 
Raum, ben wir einnehr:z, z. unſerra Dafein gebunden, fondern 
wahrhaft lebend in dem umenblichen Saum, aber alles zuruͤkkfuͤh⸗ 
rend auf den Einen, welcher zum Herrn gefezt ift über alle, weil 
fie nur in ihm ihre Seligkeit finden koͤnnen und ben Frieden, wel⸗ 
cher urſpruͤnglich nur in ihm wohnte und ſich nur von ihm ver⸗ 
breiten kann uͤber alle. Amen. 


&ied 118, 426 


32° 


LX. 
Am 4. Sonntage des Advents 1839. 


Lied 143: 131, 1—5. 


Tert. Ev. Joh. 1, 23 — 27. 


Johannes ſprach, Ich bin eine Stimme eines Prii 
gerd in der Wüfte, Richtet den Weg des Herm, wie da 
Prophet Eſaias gefagt hat. Und die gefandt waren, DE 
waren von ben Pharifäen und fragten ihn und fpraden 
zu ihm, Warum taufeft bu denn, fo bu nit Chrifu? 
bift, noch Elias, noch ein Prophet? Johannes ammer 
tete ihnen und ſprach, Ich taufe mit Waſſer; aber al 
mitten unter euch getreten, ben ihr nicht kennet. Der 
iſt, der nach mir kommen wird, welcher vor mit gene 
fen iſt, deß ich nicht werth bin, daß ich feine Schuh 


riemen auflöfe. 





M. a. 3. Mancherlei Zeugniffe finden wir in ben heiligen DW 
ern unferes neuen Bundes, welche gleich bie erfle Erfcheinung Wi 
Erlöfers auf der Welt begleiteten. Gier gaben bie Engel Zeug) 
von ihm an bie Hirten bei Bethlehem, und dieſe fanden ed, wi r 
gefagt hatten. Dort winkte ein Stern Männer aus fern Banıc 
berbei, welche kamen ben zu fehen, ‘der erwartet wurde, m 
fanden e8 alfo, wie fie geglaubt hatten; in Zerufalem endlich nah 
Simeon im Tempel ben Grlöfer auf feine Arme und freute 1 
feinen Tag gefehen zu haben, fo daß er nun als ein ſeit fo langet 


Zeit ſehnſuchtevoller Diener des Ham | in Frieden dahin fahren 
koͤnne. Aber alle dieſe Zeugniſſe waren laͤngſt verklungen, als der 
Erloͤſer ſein öffentliches Lebin anfing. Denn wir finden nirgend, . 
daß .er felbft-im Streit mit feinen Wiberfachern oder feine Juͤnger, 
wenn fie ihn ald den gottgefenbeten verfünbigten, fih auf. eines 
derfelben berufen hätten: fo dag wir nur einer befondern Leitung . 
aber keinesweges einer allgemein verbreiteten Kunde bie Erhaltung 
Diefer einzelnen Züge zu ‚verdanken: haben. Wenn nun ‚gleich das 
Zeugniß des Simeon im Tempel auch dem Orte nach ein oͤffentli⸗ 
ches war: ſo ſtand es doch in ſo genauer Verbindung mit einer 
bloß haͤuslichen gottesdienſtlichen Handlung, daß andere wenig 
Kenntniß davon nahmen. Deshalb moͤgen wir wol ſagen, daß 
dies Zeugniß des Johannes das erſte war, welches oͤffentlich 
abgelegt der eigentlichen Wirkſamkeit des Erloͤſers voranging. Aber 
es iſt allerdings viel zu reich, als daß wir ben ganzen‘ Inhalt deſ⸗ 
felben follten in ber Betrachtung einer Stunde erfchöpfen Tönnen, 
und was ich mir aud .demfelben herausgemählt habe für unfere heu⸗ 
tige Andacht ift nur diefes: daß Johannes, indem er fein Zeugniß 
ablegt, fih die Stimme eined Predigerd in ber Wuͤſte 
nennt, und daß er zeugt von dem Erlöfer ald einem, unbe: 
Tannten. Dies beided laffet und gegenwärtig, fo wie es damals 
war, und wie es auch jest noch in gewiſſer Hinſiht eben ſo ſein 
mag, mit einander betrachten. 


1. Bern Johannes, nachdem er gefagt hatte, er fei nicht Chris 
ſtus, er ſei auch nicht einer der alten Propheten, deren Wiederer: 
fcheinung, erwartet. wurde um den gefalbten des Herrn anzukuͤndi⸗ 
gen, denen bie ihn fragten, wer er denn alfo fei, die Antwort gab, 
‚ex.fei:die Stimme eined Predigerd in der Wüfte: fo, fällt wol. je> 
dem zunächft ein, was andere Evangeliften erzählen ‚bag Johannes 
der Taͤufer fi) auch wirklich aufgehalten habe in der, Müfle und 
vorzüglich bort gelehrt das herannahende Reich Gottes geprebigt und 
die Menfchen mit Wafler zur Buße, getauft “babe. Aber. gerabe 
dies, wad Johannes der Guangelift. hier. erzählt, geſchah nicht in 
der Wuͤſte, ſondern wie er ausdruͤkklich ſagt zu Bethabara jenfeit 
bed Jordan, einem Ort, ber ald ein gewöhnlicher Uebergang über 
biefen Fluß immer zahlreich genug von reiſenden hin und her be⸗ 
ſucht war. Aber wenn gleich Johannes in der Wuͤſte lehrte und 
predigte: ſo hoͤrte ſie doch eben durch ‚feine Predigt auf bie Wuͤſte 
zu ſein. Denn, ſo wird in derſelben Verbindung erzählt, alles Volk 
‚von allen Orten ſtroͤmte zu ihmhinaus: fo daß ‚auch. dad reich bee | 
"wohnte: Land fich. glacham in die Wuͤſte ergoß um ſeine Predigt 


zu bören, Wenn wir num unterfuchen, was er denn gemeint habe, 
als er fagte, Ich bin bie Stimme eined Predigers in 
Nichtet den Weg bed Herrn, wie ber Prophet Jeſaias — hat: 
ſo muͤſſen wir denn auch glauben, er habe dieſe Worte in 
ben Sinn verſtanden und angewendet wie jener prophetiſche Mann 
des alten Bunde. Da lefen wir nun im vierzigſten Kapitel des 
Jeſaias zuerft die Ausrufung, Redet mit Jeruſalem freundlich und 
predigt ihr! und dann folgt, Es iſt eine Stimme eines Predigers 
in der Wuͤſte, Bereitet dem Herrn den Weg, machet auf dem Ge 
filde eine ebene Bahn unſerm Gott! Alle Zhäler follen erhoͤhet 
werben, und alle Berge und Hügel follen geniebrigt werben, mb 
was ungleich ift fol eben, und was bökkricht iſt ſoll fchlecht wer 
ben: denn bie Herrlichkeit des Herm ſoll geoffenbart werben. 

Wenn wir und dem zufolge fragen m. a. Fr., wad dem in 
dem Zufammenhang diefer Rebe die Wuͤſte für eine Bedeutung ha⸗ 
ben koͤnne: fo dürfen wir das nicht überfehen, daß eben die Stimme, 
welche fich fo erhebt, den Auftrag erhält dad Volk zu tröften mb 
freundlich zu reben mit Ierufalem. Alfo das if freilich der Sim 
diefer Worte, nicht mitten aus dem lauten und geräufchvollen Le 
ben und reiben ber Menfchen, nicht von bem großen Mittelpunkt 
bed gefelligen und bürgerlichen Lebens aus, nicht von da ber, fon 
bern von außerhalb befien her erging dieſe Stimme, aber als eime 
freundlihe Stimme an eben biefes bunte mannigfach bewegte und 
bamal8 auch von großen Truͤbſalen betroffene unb leidenfchaftlich 
aufgeregte Leben bes jüdifchen Wolke, ald eine freundliche Stimme, 
um fie zu tröften. Aber wie? Mit ber Aufforderung, fie follten 
den Weg des Herm bereiten, alles was hoch wäre folle gerbnet 
werden und alle Thaͤler und Gruͤnde ausgefuͤllt, damit es einen 
leichten und ebenen Weg gebe für den Herrn, der da kommen und 
beffen Herrlichkeit follte geoffenbaret werden. Gerade fo war auch 
in den erften Tagen des Herm die Rebe ded Käufers Iohannes. 
Er felbft entzog ſich allerdings für den größten Theil feiner Lauf 
bahn dem gewöhnlichen Zreiben ber DMenfchen, und aus einer weis 
teren Zernie ber, wohin fie aber doch durch den Ruf, da eine folche 
Stimme bes Predigerd fid) dort hören laſſe, in großen Haufen bin: 
außgelofft wurden, trug er ihnen feine Rebe vor und ließ diefeibe 
Aufforderung an fie ergehen, welche in jenen prophetifchen Worten 
enthalten tft, daß fie fich follten gefaßt halten auf bie Ankunft des 
Herm; und daß eben deshalb alles, was für body und erhaben 
gelte, fich vorher müffe herablaffen zur Ebene, wogegen auch alles, 
was niedrig fei und gedräfft, fid) emporbeben folle zur Gleichheit 
mit dem Übrigen, damit alle Muth gemwönnen hineinzufchauen in 


Hi 








u — — 
. 
\ 7127 J 
‘ 


Die Herrlichkeit. des Herrn, welche. ſollte geoffenbart werben. Und 
fo fehr war diefe Stellung der Natur des Johannes gemäß, ba 


alls er aufhörte fich fo abzufondern von dem gewöhnlichen Leben 


Der Menſchen, audy fehr bald die Stunde ſchlug, die feiner irdifchen 
Zaufbahn ein Ziel feste. Denn gewiß nicht aus ber Wuͤſte hers 
aus, ſondern aud feiner Nähe her und von ben gebrängteren Wohn» 
fizen der Menfchen ließ Herodes ihn greifen und hernach ſeines Le⸗ 
bens berauben. 

Dieſes nun vorangeſchikkt laſſet uns denn fragen, was bedeu⸗ 
ten dieſe Worte, daß das Zeugniß von Jeſu die Stimme eines 
Predigers in der Wuͤſte iſt, auch jezt noch und für und? Zunaͤchſt 
werden wir freilich behaupten koͤnnen iſt die Sache in dem Sinn 
noch dieſelbe, wie Johannes die Worte meinen mußte, wenn wir ſie 
uns doch erklaͤren ſollen aus jener prophetiſchen Rede. Freilich er⸗ 
toͤnt uͤberall die Kunde vom Erloͤſer und das Zeugniß von ihm 
nicht aus der Mitte des geſchaͤftigen und vielfach bewegten menſch⸗ 
lichen Lebens heraus — denn auf den Raum und die Entfernung 
deſſelben, ob fie größer oder geringer iſt, darauf kommt es hiebei 
nicht an, — ſondern von einer andern Stätte her erſchallt allerdings . 
dieſe Stimme und. zieht diejenigen an fich, welche begierig find das 
Zeugniß von dem Herrn zu vernehmen, und auf eine Zeit lang bins 
weg von ber unmittelbaren Theilnahme an dem gefchäftigen Trei⸗— 
‚ ben und von dem eignen Bewegtfein durch die Dinge dieſer Welt, 
"Damit von nicht unterbrochen Durch nichts geftört dieſes eben fo 
frohe als herrliche eben fo wichtige als Eräftig belebende Wort, dag 
der Erlöfer da fei, immer aufs neue ihre Ohren treffe und mo moͤg⸗ 
Lich zu ihren Herzen bringe. Und fo ſucht ſich allerdings dad Zeug: 
niß des Herm auch in jedem Gemüthe erft die tiefe Stille des ins 
nern auf, um in biefer fich zu verfchließen und ba erft zu einem 
eigenen neuen Leben zu feimen. Und nicht nur gebt auch jezt dad 
Zeugnig von Chriftud eben fo von einem eigenen abgefonderten Ort 
aus, wie damals, fondern es flellt auch jezt noch bdiejelbe Forderung 
an die Menfchen. Denn wie ift ed möglich, daß einer dad Zeugs 
niß vom Erlöfer, die Kunde von einem höheren geiſtigen Leben, 
welches er in dieſes irdifche hineinzupflanzen gekommen fei, auch nur 
hören koͤnnte, ohne daß bie Zorberung ‚zugleich dabei laut wuͤrde 
ven Weg bed Herrn zu ebnen, welches jezt eben fo wenig ‚wie ba> 
mals zu bewirken ift ohne eine allgemeine Auögleichung der Mens 
(hen. Sie müffen alle jene Unterfchiede von hoch und niedrig von 
erhaben und gebeugt zu vergeflen fuchen und fi vor Gott bar: 
ftellen alle in verfelben geifligen Beduͤrftigkeit und deshalb auc) 
mit gleichen Anfprüchen auf gegenfeitige- Unterftüzang, kurz eben fo 


wenig von einanber. verfchieben, wie bie eine Stelle bed ebenen 
Raumes von der andern, auf daß fie fo von allem, was fie aͤu— 
Serlich von einander trennt, entfernt ihre Seelen Teufch zu machen 
teachten, wieder Apoftel fagt *), burch den Geift zur ungefärbten 
Bruberliebe; denn das ift der Sinn jened Rufes, bag alle Thaͤler 
follen erhöht und alle Berge und Hügel follen geniebrigt. werben. 
| Aber m. a. Fr. es ift auch nur das Beugniß von Chriſto, wei 
ches ſo gleichſam von der Wuͤſte her von einem ſonſt unnüzen oben 
hiezu beſonders geeigneten unb abgefonderten Drte ausgehend fit 
von außen her an die ganze weite Fuͤlle bed menſchlichen Leben: 
wendet. Iſt aber dad Wort erſt aufgenommen in die Tiefen be 
menfchlichen Herzens und keimt daſelbſt; hat es angefangen Wahr: 
heit zu werben, daß wir nicht mehr felbft leben fonbern Chriſtus in 
uns: o dann ifl auch unfer Leben nicht mehr nur wie das Zeug: 
niß des Johannes eine Stimme in der Wuͤſte, fondern ed geſtaltet 
ſich, wie auch das Leben Chrifti felbft war, der ſich ja eben in bie 
fen Sinne dem Johannes entgegenftelt und fagt, jener fei gelew 
men zurüßfgezogen -in die Wuͤſte ohne Antheil an menihlichen Ti 
gen, er aber hätte fich mitten unter die Menfchen begeben unb ja 
ganz geworben wie ihrer einer. So fol daher auch bei und, het 
dad Zeugniß von Ehrifto erft Leben in uns gewonnen, Dad Leben 
‚Chrifti, welches nun in’ und ift, heraustreten in die Welt, und « 
fol: dann keinen Unterfchied mehr geben zwifchen ber Wuͤſte und 
Serufalem, keinen Unterfchteb mehr zwiſchen folchen Augenblikten, 
wiewol fie und immer theuer bfeiben und werth, und: wir ihrer 
auch bedürfen der menfchlihen Schwachheit wegen, aber ihrem ei: 
gentlichen Wefen nad. fol ed dann feinen Unterfchieb mehr geben 
zwiſchen unferm thätigen Leben felbft und dieſen Augenbiiften der 
fih erneuemden Sammlung in ber Stille ber Zurüffgezogenbeit, 
wo. wir dad ganze menfchliche Leben wie von der Ferne her vor um 
fern Augen fi ſich ausbreiten fehen, ald fei eb nicht das unfrige. 
Denn in unſerm wirkſamen Leben unter ben Menfchen ſoll ſich dann 
recht die Kraft des Lebens, welches Chriſtus in uns gegruͤndet bat, 
zeigen, unfre gefammte Pflihtübung fol dann auch em Zeugnif 
von Chrifto fein, ein Zeugniß der That und bes Werfd. Und wie 
ber Erlöfer das Wort gelöft hat, dag er gefommen fei zu wirten, 
fo lange es Tag ift, und eben dieſes auch ein Zeugniß war von 
feinem Einöfein mit dem Vater: fo follen auch wir alle Berhäit: 
niſſe des menfchlichen Lebens, in welche ed Gott gefällt uns zu 
‚ fellen, mit bem Leben, welches Chriftus gebracht hat, durchbringen 





7) 1 Per. 1, 22. 














729 


und fie durch baffelbe heiligen, auf baß überall ohne Unterfchieb ber 
empel Gottes fich erbaue, nicht um auf kurze Zeit ald etwas abs 
gefonderted alle in fich zu fanımeln, fondern um das ganze irbifche 
Leben, wie ed durch Chriftum ein himmlifched und göttliched gewor⸗ 
Den if, auch als eined darzuftellen, das von berfelben „Kraft Durchs: 
Drungen noch überall denfelben geiftigen Gehalt bewahre. 

Hingegen nicht in dem Sinn ift dad Zeugniß von dem Herm. 
eine- Stimme bed Predigerd in der Wuͤſte, wie ed fchon von jeher 
aber aud, in unfern Zagen viele Chriften glauben, wie aber Johan: 
nes felbft auch feine Worte nicht gemeint hat, als ob nämlich, wer 
von Chrifto zeugt, nur in der Wuͤſte rede, wo ihn niemand vers 
nimmt. Sohanned hätte mwarlich nicht zu klagen Urſache gehabt, 
wenn feine Worte deshalb ungehört verhallt wären, weil er ſich ab⸗ 
geſondert hielt von dem menfchlichen Leben und fich in die Wuͤſte 
hinaus begeben hatte; denn bad war- feine eigene Xhat. Aber wie ' 
er nicht Darüber hätte Hagen bürfen, fo war ed auch nicht. der Fall; 
fondern dad Volk firömte hinaus ihn zu hören. Und eben fo thun 
wir unrecht, wenn wir glauben, wie auch mitten unter den Mens 
fchen dad Zeugnig vom Erloͤſer geiprochen werde, ed verhalle doch 
ungehört, eben fo ald wennn es in ber Wuͤſte gerebet wäre; es 
werde nicht vernommen fondern fpurlos verweht vom Treiben bed 
wdifchen Lebens, und alle diejenigen, welche es ſich zum Gefchäft 
machten von dem Erlöfer der Welt zu zeugen, wären eben damit 
wie mitten in eine unfruchthare Wüfte geftellt, fo daß alles, was 
von ihnen ald ein Werk ihred Berufes und ihrer Liebe ausgeht, für 
die Welt fo gut ald ohne Erfolg bleibe und ohne Frucht. Nein - 
m. th.! wenn gleich wir alle, die wir dazu berufen find, denn es 
ift gemeinfamer Beruf von Chriſto zu zeugen, geftehen müffen, daß 
leider unfer Zeugniß immer in menfchlicher Schwachheit geredet iſt: 
fo dürfen wir doch nicht Hagen, daß wir mit- unferm- Zeugniß in 
ber Wüfte fliehen, und daß ed auch in der Wuͤſte verhalle. Denn 
wenn der Ort nicht der Garten Gotted zu heißen verdient, wenn 
der nicht gleichlam das wiedergewonnene Paradies ift, von wannen 
her dad Zeugniß von Chrifte erſchallt, obſchon die Worte einer je 
den. Seele, die es verfündigt und befennt in ihm ihren Herrn ge 
funden zu haben, auch nicht unmittelbar Zeugniß geben von dieſem 
fhönen fruchtbaren Leben, das durch den Erlöfer begonnen ift, wenn 
ſich da nicht die Herrlichkeit zeigt, zu welcher die Menfchen um bie 
Erde zu beberrfchen auf biefelbe gefezt find, dieſe ganze Schönheit 
des geiftigen Lebend: o fo Eönnten auch dieſe Aeußerungen Fein 
Zeugniß von Chrifto feim! Und wie dürften wir wol fagen, baß 
jedes folche Zeugniß wie in der Wüfle verhalle, da wir boch gefle: 


730 


ben müffen, daß welcherlei Abwechſelung auch allerdings bie Pre 
bigt des Evangeliums mitten unter benen, welche ben Ramen der 
Chriſten führen, audgefezt ift, hieraus body nichts weiter hervorgeht, 
als daß es allerdings auch auf dem. Gebiet de geifligen Lebens ei: 
nen großen Unterfchied ber Zeiten giebt, und daß fruchtbare mb 
unfruchtbare Jahre günftige und ungünflige Zeiten mit einander 
wechfeln. Ja genau genommen find nirgend bie Früchte vom dem 
Zeugniß von Chrifto nicht ſichtbar, nirgend fehlt ganz alles chriß⸗ 
Hiche Leben, fondern überall giebt es Theile der Gemeinſchaft, wel 
che Chriftus gegründet hat, überall zerfireute Glieder der unfichtbe- 
ren Kirche Chrifti, welche mit einander fein Werk fördern, feinen 
Weinberg bauen und fo nicht in der Wuͤſte fchaffen und wirken 
ſondern in einem wohl georbneten und gefegneten geiftigen Leben. 
1. Aber laflet und nun zweitens febhen, in welchem Sinne 
denn Johannes fagte, Ich taufe mit Waſſer, aber der ift ſchon mit⸗ 
ten unter euch getreten, ben ihr nicht kennt; in welchem Siun er 
alfo von Chriſto gezeugt als von einem unbefannten, und 
wie es ſich in biefer Beziehung nun mit und und unferm Zeugaiß 
verhalte. Wir können nicht fagen m. a.-Fr., daß Chriſtus fein 
Würde nad) ganz unbelannt gewefen wäre, ald Johannes von ihm 
‚zeugte; vielmehr war derjenige, ber biefe Würbe an ſich tragen 
folte, damald ein Gegenfland einer weit verbreiteten, ja wir koͤnnen 
faft fagen überall unter dem Wolle ded alten Bundes allgemeinen 
Erwartung. Diefe Erwartung gründete fich auf die in den heil 
gen Schriften bed alten Bundes enthaltenen Weiſſagungen. Abe 
freilich muß es dabei wol fein Bewenden haben, bag Weiffagungen 
niemals fönnen ber Gegenwart gleichen, daß folche begeifterte Worte 
auch in ’benjenigen, die mit der gefpannteften Aufmerkſamkeit daraul 
lauſchen, doch niemald ganz daſſelbe Bild erregen können, was die 
Erfüllung, wenn fie hernach eintritt, denen giebt, die. fie ſchauen 
Und darum iſt e8 natürlid, Daß, wenn fchon das, was vor uniem 
Augen erfcheint und fich bewegt, doch nicht von allen Menfchen auf 
dieſelbe Weile angefehen und beurtheilt wird: fo noch; viel weniger 
daffelbe den Worten jener Weiffagungen kann wiberfahren fein. 
Auf gar verfchiedene Weiſe wurben vielmehr bie Weiſſagungen des 
alten Bundes von dem, ber da kommen ſollte um ein neues Rad 
Gottes zu gründen, auf ganz verfchiedene Weife wurben fie geben: 
tet und ausgelegt, je nachdem das geiflige Auge der Menfchen rei» 
ner und fchärfer war oder nicht. Da gab es viele, welche gar 
nichts anderes in dieſen Worten ber Weiflagung fahen, als, wie je 
fi entweder in ihrer. befonderen Wuͤrde perfönlich berintraͤchtigt 
fühlten ober mitlitten. unter dem allgemeinen Drulfe, unter welden 





731 
Hr Wolf feufzte, die Verheißung einer äußeren Dielahecſellnng in 
Den fruͤheren unabhaͤngigen Zuſtand oder gar zu noch groͤßerem 
Tberragenden Glanz. Aber doch werben wir gewiß alle als wahr 
anerkennen muͤſſen, daß ein Volk, welches ſolche Erfahrungen ge⸗ 
macht hat, wie die ganze Geſchichte des juͤdiſchen Vols voll davon 


war, doch wenigſtens ben eitelſten Leichtſinn muß von ſich gethan 


Haben. Was fuͤr erſchuͤtternde Ungluͤkksfaͤlle, was für zerſtoͤrende 
Widerwaͤrtigkeiten waren uͤber dieſes Volk ergangen! wie oft wa⸗ 
ren ſie ihm noch dazu vorher angekuͤndigt worden als die unver⸗ 
meidlichen Folgen des Ungehorſams gegen die Geſeze Gottes und 
Der ſchnoͤden Abweichung von den Wegen des Herrn! Da muß es 
wol je länger je weniger moͤglich gewefen fein, daß fi die Ges 
muͤther auch nur zu einer foldhen Hoffnung dußerer Wiederherſtel⸗ 
Lung erheben Fonnten, ohne daß ihnen das innerfie Gewiſſen fagte, 
eine geiflige Veränderung muͤſſe nothwendig voraudgehen, wenn 
auf fichere und bleibende Weife audy nur ein aͤußeres neued Heil 
für fie folle gehofft werben dürfen. Und fo verhielt es fi gewiß 

auch damals felbft in denen, beren Erwartung am meiften nur auf 
Das äußere und irdiſche gerichtet war. Mußte doch nothmendiger 
Weiſe ſchon die eigenthämliche Art bed alten Bundes, als weldye 
ıberall den unmittelbarften Zufammenhang zwifchen Sünde und 
Ungluͤkk fo wie zwifchen Gehorfam und Belohnung ind Licht zu 
ftelen und eindruͤkklich zu machen fucht, fo viel wenigftend in allen 
gegründet haben, daß fie fich eine geiftige Auferfiehung und eine 
Ruͤkkkehr zu dem freudigen Gehorfam gegen den, welcher ihren Vaͤ⸗ 
tern verheißen hatte, daß. er fie gnädig leiten wolle, ald Bedingung 
dachten, wenn das, was fie im Grunde ihred Herzens am ſehnlich⸗ 
ften wünfchten, in Erfuͤllung gehen follte. Darum muͤſſen wir wol 
zugeben, feiner Würde nach war der Erlöfer da, wo Johannes fein 
Zeugniß von ihm ablegte, keinesweges ganz unbefannt; aber feiner 
Derfon nach war er es fo fehr, daß felbft Johannes der Taͤufer, 
wie unfer Evangelium gleich hinter diefer Erzählung, aus der uns 
fer Text genommen ift, meldet, erſt ald Jeſus von Nazareth zu 
inm fam um fich auch von ihm taufen zu laffen, erfuhr, diefer fei 
berjenige, von welchen zu zeugen er felbft berufen war von Gott. 
Troz aller jener frühern Zeugniffe, deren ich vorher fhon erwähnte, 

war alfo feiner Derfon nach der Erlöfer ganz unbefannt. Ja felbft 
ein Ifraelit ohne Zatih, ald ihm fein Freund voller Freude die 
Nachricht gab, fie hätten den Meffiad gefunden,. und ihm nun 
nannte Jeſum von Nazareth, entbiödete fich nicht zu fagen, was 
Tann von Nazareth gute kommen? Wie alfo nun, war Das 
mals der Erlöfer feiner Perfon nach ſo unbelannt, und rubte auf 


‚. 


. 733 


dem Ort, nach bem er genannt wurde, eine fo üble Worbebeutung: 
von wie großer Wichtigkeit war nicht eben beöwegen ein ſolches 
Zeugniß, wie das bed Johannes! eines Mannes, durch deſſen ver: 
Tündigende Stimme bad ganze Wolf ohne Unterfchieb der Stände 
und ber fonfligen Abtheilungen beffelben zu ihm binausgezogen 
wurde, ja auch diejenigen nicht ausgenommen, von welchen er ſelbſi 
glauben mußte, daß fie fih am meiflen dem neuen Reich Gottes, 
das nahe herbeigefommen war, entgegenftellen würben; eines’ Man: 
ned, welchen hernach der Erlöfer wieder feinerfeits dad Zeugniß gab, 
er fei größer ald.ein Prophet, ja mehr ald irgend ein Mann im 
alten Bunde! Es ift wol nicht zu berechnen, wie fehr unter bie 
fen Umftänden bie fchnelle Verbreitung ber ZJüngerfchaft Chrifli pure 
das Zeugniß- eines folhen Mannes iſt ‚gefördert worden. Aber auch 
dad wenige, was wir bavon mit Sicherheit wiſſen, muß uns bewe 
gen biefem Zeugniß die dankbarſte Anerdennung zu ſchenken; denn 
eben dieſes Geſpraͤch veranlaßte ben Täufer hernach, ald ex Jeſum 
wieder ſah, feinen Juͤngern zu erzählen, dad fei nun ber, von wel: 
them er neulich den Phariſaͤern gelagt, daß er fchon mitten unter 
ihnen fei, jezt aber bezeichnete er ihn als dad göttliche Yamımz, da} 
der Welt Sünde trägt, und eben auf dieſes Zeugniß bin gingen 
zwei feiner Juͤnger zu Jeſu, fo daß Chriſtus durch dieſes Zeugnis 
allerdings feine erften Jünger gewonnen bat, bie ihm wieber ihre 
Yiebften und nächften zuführten. 

Aber wie fieht es nun, wenn wir-eben dies auf uns amdenden 
und fragen wollen, ob denn auch jezt nach das Zeugniß von Jen 
ald dem Chrift ein Zeugniß fein koͤnne von einem unbekannten? 
Ah, fehr oft allerdings hören wir folhe Stimmen ſich erheben, 
welche klagen und ed immer wieber. auf alle Weiſe beflagen, der 
@rlöfer fei auch jezt noch faſt uͤberall nur verlannt, ja feinem wah⸗ 
ren innern Welen nady felbft den meiften von denen fremd; welche 
fi) doc) nady) feinem Namen nennen. Darum lafjet und doch ja 
fragen, mit welchem Rechte diefe Behauptung auögeiprochen wir! 
Solte ed nicht hiermit ganz daffelbe fein, wie mit dem worauf ich 
"vorher aufmerffam machte, und in folhem Sinne dad Zeugnig von 
Chrifto auch in unfern Tagen eben fo wenig ein Zeugniß von ei: 
nem unbefannten fein, wie ed in bemfelben Sinne auch Feine if, 
bad in der Wuͤſte gefprochen wird? Seiner Perfon nach iſt de 
‚ Exlöfer jegt überall bekannt, wo feine Gemeinde befleht; ja größten: 
theild ift auch da ſchon, wo zuerft ein abfichtliched Zeugniß von ihm 
abgelegt wird, fein Ruf diefem bereitd vorangegangen, denn üͤberal 
in der ganzen Welt ift der Name ber Chriften befannt. Sein Name 
alfo und zwar ald der Name dejenigen, auf welchen fich der Glaube 


! 


733 


eines großen Theiles der Menfchen gründet, dem -fle ihre Erkennt: 
ri von göttlichen Dingen und ihr Leben darin verdanken, fo ift 
Der Name bed Erloͤſers ja bekannt überall, dürfen wir fagen, unter 
Dem menfhlihen Geſchlecht. Unſere Jugend wächft mit bemfelben 
auf und kennt biefen Schall weit früher, ald fie noch fähig iſt bie 
erſten Züge von ber Bedeutung deffelben zu verftehen. Aber ift er 
etwa nicht in feiner Würde anerkannt? Es kann euch eben fo wes 
nig ald mir unbelannt fein, daß allerdings viele Chriften auch bei 
uns immer wieder darüber Hagen, daß es unter benen, welche Chriſti 
Namen befennen, fo viele gebe — doch das gilt eigentlich einerlei, 
feier es viele oder wenige, aber jene freilich fagen, es wären nicht 
nur fehr viele ſondern bei weiten die meiften, — ‚welche gar feinen 
‚Begriff Hätten von einem - geifligen Leben und ganz und gar vers 
funten wären in, dem nichtigen reiben mit ben vergänglichen Din⸗ 
gen der Well. So klagen viele, aber werden wir wol recht 
thun ihnen beizuftimmen? Wenn ed nun darauf anfäme einen wes 
fentlihen Unterfchied anzugeben zwifchen und und allen jenen Brüs 
dern in bem Namen. Chriſti? Wenn wir reblich fein wollen, wer 
Dem wir nicht fagen müffen, daß von allem, weshalb wir jene fo 
bitter tadeln und fo fireng verdammen möchten, ſich in und felbft 
auch noch fehr deutliche Spuren finden, wäre es auch nur ald ein 
Ueberreft vergangener Zeiten, ber biöweilen wieder erjcheint, ober als 
eine Erinnerung, die und warnen will, oder als eim Schatten, wel 
cher Fein Leben mehr bat aber und doch mit feinen drohenden Bes 
wegungen erfchrefft? Mer nun das zugiebt, wird auch nicht hart 
naͤkkig fein dürfen, wenn man. ihm fagt, daß es fich mit jenen leicht 
umgekehrt eben fo verhalten koͤnne. Ja gewiß, wir dürfen nicht 
vorausſezen, daß da, wo Chriſtus verkuͤndigt wird, irgend ein Ge⸗ 
muͤth ſei, in welchem gar nichts von Verlangen nach einem geiſti⸗ 
gen Leben aufgegangen waͤre, fuͤr welches immer auf gleiche Weiſe 
Gott und ewiges Leben Erloͤſung und Vergebung der Suͤnden ein 
leerer Schall wäre ohne Kraft und Bedeutung! O daß wir uns 
nur nicht ſchwer und hart verfündigen, wenn wir dergleichen fagen ; 
o daß wir nicht dadurch ein Zeugniß ablegen vom Erxlöfer, welche 
ganz das Gegentheil wäre von dem, welches wir abzulegen glauben! 
Oder find etwa folche Reden. dazu geeignet den Glauben an ben 
Erlöfer und feine Kraft hervorzurufen, daß auch, nachdem er fo 
viele. Jahrhunderte gepredigt worden, nachdem fo oft, wenn die . 
Welt von Finſterniß bethört war, durch diefe Predigt das Licht fich 
wieber verbreitet bat, Doch noch imimer unter denen, welche auf Er⸗ 
den in ber Gemeinde bed Herm gleichzeitig leben, nur fo wenige 
nur ein fo Eleined geringes Häuflein ihn wirklich kennen und feine 


734 
Wohlthaten genießen, größtentheils aber nur folche angetröffen wer 
den, die nicht einmal zu ben erften Anfängen bed geifligen Lebens 
burchgebrungen find? Gewiß könnte bad feine günftige Meinung 
von feiner Kraft erwekken bei benen,. vor welchen wir zeugen wel: 
fen; aber eben deshalb ift auch gewiß der Erloͤſer in feiner Kraft 
und Würde nicht unbekannt. 

Aber freilich giebt es etwas, das wir nicht Iäugnen können und 
dürfen. Wie Damals bie vorher aufgenommene Kunde von Chrife 
eine fehr ſchwankende, das Wild, welches fich jeder machte vor der 
Weiſſagung, die ihn zum Gegenſtand hatte, ein ſehr mannigfaltige: 
war, ähnlicher bei einigen, auf vielfache Weiſe -entflellt bei anderen 
und weit hinter der Wahrheit zurüffbleibenb bei allen: fo iſt « 
- auch jezt, nachdem Chriftus erfchienen iſt. Ohnerachtet er fein per 
fönliched. Werk auf Erben vollbracht bat, und bad eich Gottes, 
das zu gründen er gekommen ift, bereitö einen fo großen Umfang 
gewonnen hat unter den Menfchen: ift doch auch jezt noch dad Ir 
theil der gläubigen über ihn gar fehr verſchieden. Und dieſe große 
Mannigfaltigkeit kann und um fo mehr in Erflaunen und Verwus 
derung ſezen, als doch alle für ihr Urtheil nur dafielbe haben, won 
auf fie es gründen. Bleiben wir. bei der Hauptſache flehen, wis 
verſchieden find nicht die Urtheile der Menfchen über bad Verhaͤl⸗ 
niß zwiſchen Chriſto und den uͤbrigen Menſchen! Einige ſtellen ihn 
und allen, die wir doch willen, daß wir mit der Suͤnde behaftet 
und von ihr beflekkt find, weit näher ja faſt zu nahe, fo daß ein 
Unterfchleb kaum ſeſtzuhalten iſt; andere entfernen ihn ſo weit von 
ben übrigen, daß das menſchliche an ihm faſt nur noch ein leere 
Schein bleibt. . Unb fo weit haben fich faſt von Anfang an bieje 
nigen in ihrem Urtheil getrennt, welche er boch ſelbſt gewürbigt bat 
feine Brüber zu heißen! Gehen wir weiter und fehen darauf, wie 
der Bufammenbang feiner Thaten, wie fein erhalten bei dieſen und 

‚jenen Umfländen angelehen, und wie ber Sinn feiner einzelnen Re: 
den aufgefaßt wird: o welch eine Menge verfciebener Meinungen, 
die eben fo viel berfchiebene Zeugniffe find, welche von einem Ge 
fhlecht zum andern nicht nur fi) immer wieber erneuern, ſondern 
die Mannigfaltigkeit vermehrt ſich noch von einer Zeit zur anbern! 


"Und alle haben doch nur diefelbe Quelle, woraus fie ſchoͤpfen; alle 


find gewieſen auf diefe wenigen Blätter, welche die Nachrichten von 
jeinem Leben enthalten, auf dieſe Bücher, in welchen und theils 
feine Reben aus dem Munbe feiner Zuhörer überliefert ſind, theils 
auch die Erfahrungen derer, welche fein geiſtiges Leben zuerſt ein⸗ 
fogen, und ihre aus feinem Umgang geichöpften Anweifungen! Und 
aus berfelben Quelle doch wird uns nun ſolche Menge verſchiedener 





735 


Getraͤnke gereicht, die und nähren und flärken ſollen. Das freilich - 
iſt wahr, und alfo gewiß auch died, daß er nicht allen gleich genau 
und von allen Seiten befannt if. Aber m. th. was folgt daraus 
für und und für alle die, welche fich rühmen ihn beffer zu kennen 
ald viele andere? Died gewiß, daß wir ihn doch alle nicht recht 
kennen; benn wenn einmal die Wahrheit von ihm ganz da wäre, 
völlig gefchieben von allen Werfälfchungen, welche ber irdiſche Sinn 
der Menſchen mit hineinlegt, ganz abgefondert auch von allen Irr⸗ 
thümern, in welchen doch faft immer auch ein Antheil von Sünde 
it, wäre fo die Wahrheit erft irgendwo ganz ba: o dann würbe 
aud) der Irrthum bald überall ſchwinden. Das Licht treibt überall 
wo ed ift die Finſterniß aus, je reiner es ift um deſto ficherer und 
vollftändiger. 

Aber wenn wir nun Died zugeflehen mffen, fo geziemt es und 
sicht zu klagen über die große Werfchiebenheit in diefen menfchlichen 
Zeugniffen von Chrifto, noch viel weniger und mit dem unfrigen 
zu erheben über andere; als welches eben voraudfegen würde, daß 
wir fchon im Befiz ber unbebingten Wahrheit wären. Laffet und 
zuerſt damit zufrieden fein und und beffen freuen, daß überall, wo 
der Name und bie Würde bed Erloͤſers bekannt find, doch irgend 
ein wenn auch noch fo fehr verfannte® und noch fo wenig im dus _ 
Bern Leben fich geltend machendes, doch mit und in dem Verlangen 
nach geifligem Leben auch ein Keim beffelben enthalten if. Damit 
Lafjet und zufrieden fein, daß alle diejenigen, welche darauf rechnen, - 
daß ein ſolches ſchon hier auf Erben koͤnne und müffe gegründet 
werben, alle weiche glauben, daß folched von einem einzelnen auds 
gehen könne oder vielleicht gar muͤſſe, hiebei an keinen andern dens 
Een als an Jeſus von Nazareth, mögen fie ſich ihn übrigens für 
jezt noch bei weitem anders vorſtellen als wir. Denn freilich, wenn 
wir in unſern Zeiten wol auch einzelne erlebt haben, welche die 
Meinung vernehmen ließen, es koͤnne wol noch ein anderer Erloͤſer 
kommen, welcher die menſchlichen Dinge noch zu einer groͤßern Voll⸗ 
kommenheit und einer ſchoͤnern Uebereinſtimmung herſtellte, als wel⸗ 
he in den Gedanken und Endzwekken Jeſu von Nazareth geweſen 
wäre; wenn es auch einige gegeben hat, welche gelagt haben, ber 
Sinn diefed Jeſus von Nazareth fei freilich rein geweien und fein 
Beſtreben göttlich, aber natürlich habe ihm. zu feiner Zeit und bei 
ber Beſchraͤnkung auf die Einfichten feined Volkes doch das rechte 
klare Bewußtſein fehlen muͤſſen, welches ſich erſt in einer ſpaͤteren 
Zeit hervorarbeiten koͤnne, die mithin auch ihm erſt ſeinen rechten 
Ort anweiſen werde: o ſo wiſſen wir, wie leicht dies alles wieder 
verhallt, wie wenig ſolche Betrachtungen Raum ſinden auch bei de⸗ 


78 


nen, über welche wir zunächft Hagen, daß fie Jeſus von Nayarei 
als den Chrift doch nicht hoch genug flelen, um von ber Gemen: 
fchaft mit ihm den rechten Segen für ihr Leben zu haben. Ri 
einer folhen Anerkennung, mit einem foldyen feſtſtehenden unerihit 
terlihen Grunde laffet und zuerft zufrieben fein und dann wei 
darauf bauen. 

Aber um nun wäter darauf zu- bauen, wird wol bad imme 
‚wahr bleiben, fo lange die menfchlichen Dinge währen, daß ein el 
ches Zeugniß, wie dad des Johannes war, eine koͤſtliche Gabe il 
für viele Menſchen. Je mehr überall und zu allen Zeiten mank 
einzelne in ben Zalle find, wenn auch nicht fo vom ganzen Bolk 
geehrt gepriefen bewundert zu werden, wie Johannes ed wur, 
doch vor vielen audgezeichnet da zu flehen: um befto wirkſamer Ein | 
nen fie ein eben fo herrliched Zeugniß von Chrifto ablegen, wie Je: 
hannes von ihm zeugte ald von dem, der zwar nad ihm fomme 
aber’ vor ihm gewefen fei, vornehmlich aber dem er nicht watt ſii 
die Riemen feiner Schuhe zu löfen. Ein folches Zeugniß von he% 
geachteten Perfonen abgelegt, welche durch die That beweifen, IF 
fie nicht getrieben werden von eitlem Verlangen nach Anfehn un 
Ruhm bei Menfchen, fondern dag fie höheres und ewige: ud 
und danach trachten, ein folched Zeugniß von folchen wird zu la 
Seiten einen hohen und großen Werth haben. Aber nicht von kb 
chen allein; fondern jeder, der fidh deſſen bewußt ift, daß er eine 
Wirkſamkeit ausübt auf die Gemuͤther anderer, und diefes theilc 
alle erwachfene Chriften, wenn alfo jeder nur das thut, was det 
Erloͤſer felbft von den Phariſaͤern nicht vergeblich verlangte, beim 
rebli angaben, ald er fie danach fragte, weflen das Bild ſei und 
die Ueberfchrift auf ihrer Muͤnze; wenn nur jeber fich in Bazichung 
auf alles, was gut und loͤblich an ihm iſt, immer auf den bejichl, 
von welchem er die Lehre darüber und bie Kraft Dazu empfang 
. bat: jedes folched Zeugniß ift eine koͤſtliche Gabe und hat einen ber 
hen Werth. Iſt ed uns alfo darum zu thun, daß der-Name de 
Erlöferd immer mehr verherrlicht werde und er felbft immer gründe 
ficher erfannt: nun wohl, fo ift das das erfte, was wir zu beachten 


haben, dag wir nur nichtd verfäumen, um immer in bem Br 





. den Menfchen; zeigen wir und fo in dad Bild Chriſti gefaltet 

die himmliſche Anmuth der göttliche Zriede, wie er in ihm war, 
auch aus und vor den Menfchen Ieuchtet: fo wird bad zeugniß 
welches. wir ablegen, daß das nicht aus uns ſelbſt iſt, ſondern von 





737 


dem, ber bie göttliche Kraft, welche die Menfchen zu ihm. führen 
fol, in feinem Sohn niedergelegt und burch feinen Geiſt audgegofs 
fen bat über alles Fleiſch, auch gewiß in unferm Kreife eben fo 
wenig unfruchtbar bleiben, wie auch dad des Johannes in feinem 
freilich weit größeren nicht unfruchtbar blieb, Ja wenn gleich bie 
Phariſaͤer, an die ed zunächft gerichtet war, nicht unmittelbar nach 
jenem unbelamnten fragten: fo wird doch wol auch ihnen fein Wort 
einen Stachel zurüßfgelaffen haben in der Seele, unb fie werben 
wol im Stillen geforfcht haben, wer doch ber fein Eönne, von dem 
der merkwürdige Mann auf_fo dunkle Weife redete. So kann es 
auch nicht fehlen, jeder der ihn gefunden hat, und ber von ihm 
Kunde giebt unter den Menſchen in folhem Wert und That, 
regt durch folches Zeugniß einen Stachel in den Menfchen auf und 
fchaffet dad Verlangen nach dem Frieden, der auf einem andern 
Wege nicht gefunden wird, nach der Kraft, die nur aus einer und 
derfelben Quelle kommen kann. Und fo werben wir und denn auch 
über diefe Ungleichheiten tröften und am kraͤftigſten tröften, indem 
wir ihnen auf folhe Art entgegenwirken, und werben erfahren, wie 
weſentlich bad beides zufammenhängt, was wir in’unferer heutigen 
epiftolifhen Lektion vernommen haben, daß wir und allewege des 
Herrn freuen, und daß wir unfere Lindigkeit kund werden laſſen 
vor allen Menſchen. Amen. 


Eich 131,6 


ui. | Aaa 


LXL 
Am zweiten MWeihnachtöfeiertage 1833. 


Lied 125. 152, 1—7. 


Text. 1. Joh. 5, 5. 


Wer ift, der die Welt überwindet, ohne der ba glau: 
bet, daß Jeſus Gottes Sohn ift? 


M. a. 3. Wie es eine beftändige und wohl begründete Ordnung 
ift in unfern chriftlichen Berfammlungen, daß dabei unferer andaͤch⸗ 
tigen Betrachtung immer irgend ein beſtimmtes Wort ber heiligen 

Schrift zum Grunde gelegt wird: fo giebt es natürlich bei ber gro: 


- sen Menge von Gegenfländen für das fromme Nachdenken ber Chri⸗ 


ften und bei dem Eleinen Umfange der Blätter unfered neum Bun- 
des fehr verichiedene Arten, eben dies Verhaͤltniß der heiligen Schrift 
zu unfern chriftlichen Vorträgen zu behandeln. "Bald iſt es gam 
eigentlich dad Wort der Schrift felbft feinem genaueren Inhalt nad 
und in feinen verfchiebenen Beziehungen, welches die Gedanken. des 
redenben leitet, der dann auch die Aufmerkjamkeit der hörenden auf 
demfelben Wort fefthält; bald aber geichieht ed auch, daß ein vor: 
gelefened Wort der Schrift nur durch irgend etwa einzelned, was 
es enthält, eine Veranlaffung wird, um Gedanken, bie allerdings für 
unfere Zwekke an diefer Stätte wichtig fein müffen, daran zu ent: 
wiffeln. Und das lezte ift eben fo wenig zu tadeln ald das erite. 
Eben fo giebt ed auch für die Feier unferer chriftlichen Fefle in die: 
ſen unfern gotteödienftlichen Verſammlungen eine zwiefache Weiſe. 

Bald iſt es ganz eigentlich der Gegenſtand des Feſtes, an welchen 








739 

wir und mit Gefang Gebet und öffentlicher Rebe halten; bald auch 
wwieberum gefchieht ed, daß die WBegebenheit, welche eigentlich ge 
feiert wird, ebenfalls mehr zur Beranlaffung dient, um nicht fowol 
Das einzelne Moment felbft, als vas eine, was noth ift, in irgend 
einer feiner wefentlihen Beziehungen den -Chriften and Herz zu les 
gen. So koͤnnten wol auch viele unter euch glauben m. a. Fr., 
indem fie bie verlefenen Worte der Schrift bei fich wiederholen, 
wenn doch darin von bem unmittelbaren Gegenfland unferes Feſtes, 
naͤmlich der Geburt des Herm, eigentlich gar nicht bie Rebe iſt, 
Daß quch meine heutige Rebe auf biefen zweiten Weg ablenken 
werde, ſowol was den Inhalt des Textes und den Gebrauch, den 
ich davon zu machen gedenke, ald auch was die Behandlung bes 
heutigen Feſtes betrifft. Dem ift aber nicht fo, es ift vielmehr 
- meine eigentliche Abficht euch darzuftellen, wie genau jene unfere 
feſtliche Weihnachtsfreude damit zufammenhängt, dag, wie 
unfer Xert fagt, der Glaube, daß Jeſus Gottes Sohn ift, ber 
Sieg ift, ber bie Welt überwindet. 


5 Wenn wir nun hierbei zuerft dies zu betrachten haben; 
wie eben dies der eigentliche Gegenfland unferer Freude ift, daß in 
Jeſus und der Sohn Gottes geboren ift: fo laßt und zuvoͤrderſt 
einmal im allgemeinen auf alles, was es in unferm täglichen haͤus⸗ 
lichen und buͤrgerlichen Leben dieſer Feier aͤhnliches giebt, mit ein⸗ 
ander hinſehen. 

Wie die Schrift ſagt, das Weib, wenn ſie gebaͤren ſoll, hat 
ſie Pein, aber wenn ſie geboren hat, hoͤrt ihre Angſt auf und macht 
der Freude Raum, daß der Menſch and Licht geboren iſt ): fo iſt das 
num ein fchöner Ausdrukk der innern Dankbarkeit unferd Herzens 
gegen Gott, wenn wir im häuslichen Kreife den Zag feiern, ber 
durch die Geburt eined unferer Kinder bezeichnet wird. Aber eben; 
fo auch umgekehrt feiern die Kinder mit, herzlicher Dankbarkeit ben’ 
Tag, wo Gott ihnen hat die Eltern geboren werden laffen, bentn 
fie felbft dad Leben verdanken, und an deren Hanb fie in ber in» 
nigften Gemeinfhaft den Weg des Lebens wandeln. Beides iſt bie: 
felbe Freude, daß ber Menſch ans Licht geboren iſt, der uns von 
Gott nahe gelegt iſt als ein beſonderer Gegenſtand unſerer Liebe 
und Sorge. Aber laßt und auch auf weitere und größere Kreiſe 
fehen! Mo es einzelne giebt, weldye von Gott fo geftellt find und‘- 
ausgerüftet, daß fie ſich Verdienſte, welcher Art fie auch fein moͤ⸗! 
gen, erwerben koͤnnen um die menſchliche Geſellſchaft, dag in ihr 


9 Joh. 16, 21. | 
Aaa-2 


740 


Leben und Wirken viele verflochten find, deren Wohl abhaͤngt wı 
der ungeftörten Fortdauer ihrer Wirkſamkeit; ja auch wo bad wc 
ber Fall ift, vielmehr eine noch reinere und getfligere Theilnahe 
an dem Dafein eined anbern nicht bloß auf dem, was er fon z 
than bat oder noch thun wird, fich gründet, jonbern ganz « 
gentlich auf dem, was er felbft if, von der Bewunderung ber fdi 
nen Geftalt auögehend, unter welcher ber menſchliche Geiſt zuweilt. 
auf Erden erfcheint: beide, diejenigen, welche ausgezeichnete Be 
thäter der menfchlichen Geſellſchaft find, und diejenigen, bie kun 
ihr Dafein auf außerordentliche Weiſe leuchten, werben von vida 
auf diefelbe Weiſe geehrt; ja es giebt fogar einzelne Faͤlle, wo did 
nicht bloß währt für bie Zeit, in welcher fie leben, fonbern bi 
ganze Geſchlecht, welches perfönlich ihres Umgangs und !hrer Ei: 
wirkung genofjen hat, feiert noch, nachdem fie längft ſchon hinüber 
- gegangen find, mit berfelben Dankbarkeit diefen Tag als ein ſche 
ned Feſt freubiger Erinnerung. Aber wie lange währt bie? wie 
lange kann ed währen bei dem rafchen Gang der maidlita 
Dinge? So weit Menfchen Gedenken dauert nach dem gemötal: 
chen Sinne des Worts, das zweite dritte Gefchlecht, was neh 
audgezeichneten, die fo geehrt werden, wenigſtens in ben Jagen de 
Kindheit noch gefchaut haben kann! aber darüber hinaus bu 
die Vergeſſenheit jeded unmittelbaren Zufammenhangs vide mit 
bem Leben eines einzelnen; darüber hinaus fällt alles nur als mal: 
würdig ben allgemeinen und befondern Gefchichten der Menſcha 
anheim. - | 
Wie weit unterſcheidet fih nun von jeber folchen Feier die 
Geier diefer Tage? welche allgemeine Theilnahme begehren wir! 
wie ift eö immer noch nicht genug, daß nur ein ſolcher Deil des 
menſchlichen Gefchlechtd mit und die Erfcheinung des Erloͤſers auf 
Erden feiert! wie möchten wir, bag noch viel mehr und viel welt 
alles, was athmet in dem Leben bed Lichts und des Geiſtes, bie 
Freude mit und theilte, und alle des Grundes berfelben immer 
fiherer wären in ihrem innen! 
Ich will indeffen nichts verbergen auch auf der andern Call 
Es giebt chriſtliche Gemeinden, fogar zahlreiche, welche dieſes IHM 
Feſt eben fo wenig ald unfere andern großen chriftlichen Feſte aus 
gezeichnet begehen. Aber nicht etwa deswegen unterlaffen ſe 9 
weil fie weniger glaubten ober fich weniger deſſen freuten, deß se 
ſus von Nazareth geboren ift als Gottes Sohn; fondern gan eihig 
mit und in dieſem Glauben geben fie nur davon aus, deß chen 
weil dieſer Glaube von oben kommt, weil er goͤttlicher Art iß, ar 
das Bewußtſein befjelben und die Freude daran nicht fo ſoh dem 








741. 


Wechſel und der Veraͤnderlichkeit des irbifchen unterworfen . fein. 


Sie verlangen, nicht auf befondere auögezeichnete Tage folle fich 
Das tieffle umd innerfte Gefühl der Dankbarkeit für die Erfcheinung 


Des Erloͤſers erſtrekken und fich fo darin offenbaren: fondern immer: 


auf gleiche Weiſe ſollten wir biefer Freude vol fein; jede gemeins 


ſame Betrachtung der theuren Wahrheiten unfers Glaubens jebe 


genteinfame Erwekkung zu Hoffnung und Liebe gegen ben, an wel 


chen wir glauben, folle diefelde Freude daffelbe Bewußtſein alles 


großen und göftlichen von feinem erften Anfang an bis zu feinem 
Lezten großen Werk der Ausgießung bes Geiſtes in fich ſchließen. 
Ja noch mehr, e8 giebt auf der andern Seite auch viele einzelne 
Chriften, fowol jezt unter und ald es deren auch zu allen Zeiten 
gegeben hat, welche der Gemeinfchaft ded Glaubens angehören und 
eben dies Feſt in wahrer Freude und herzlicher Dankbarkeit mit und 


. feiern; doch wenn wir fie fragten, ift auch der Grund eurer Freude 


wirklich derfelbe, und iſt dad auch fuͤr euch ber Gegenfland biefer 
Beier, daß Jeſus der Sohn Gottes geboren ift, winden fie theild 
zweifelhaft fein zu bejahen, theilß lieber geradezu ihre Verneinung 
audfprehen. Viele von ihnen finb babei ‚gewiß in ber beflen Mei 


nung. Es erfeheint ihnen fo, als ob Diejenigen, welche zuerfl den - 


Weg dazu 'geebnet haben, das unerfchöpfliche im innern der gläubis 
gen urfpränglich lebende Gefühl der Werehrung gegen ben, welchen 
Gott gefandt hat, in Worte zu bringen, welche es fo darſtellen ſoll⸗ 
ten, daß fich alle zu denfelben bekennen koͤnnten, als ob biefe nicht 
immer mit der größten Umſicht vielleicht auch nicht immer mit ber 


zuverläffigften -und genaueften Kunde menfchlicher Sprache. zu Bere 


gegangen wären. Sie glauben, eben hieraus wären alle jene uns. 


feligen Streitigkeiten über diefe Gegenftände unter den Ehriften ent 
ſtanden; und ed möchte daher beffer fein fich mit ſolchen Ausſpruͤ⸗ 
chen zu begnügen, welche nicht ſo Leichter Mißdeutung fähig, dabei 
aber. allen verftändlic wären, und wenn fie auch ben Erloͤſer nicht 
gerade auf diefelde Höhe ded wunderbaren fhon vom Anfang ſei⸗ 


ned Dafeind an erheben, doch daB Weſen ded Glaubens an ihn - 


zichtig und vein darſtellen. Wir wollen fie nicht verdammen! Nur 


wenn fie deswegen Bedenken tragen zu fagen, daß aud) ihnen Je⸗ 
ſus der Sohn Gotted geboren fei, weil fie meinen, wie groß und . 


audgezeichnet auch die Wohlthaten wären, die uns durch ihn zu 
Theil geworben find, fo wären fie doch nicht das legte und hoͤchſte, 
was wir von oben her zu erwarten hätten; bie göttliche Güte werde 
nicht ermuͤden ſondern und noch andere unb neue Quellen eröffnen, 
weiche in -Chrifto noch nicht gefloffen find, und noch ein helleres 
‚Licht anzünden, welches er noch nicht gefehen habe; wenn fie des⸗ 


73 


wegen immer noch Bedenken tragen in bie Worte unferd erte 
mit einzuflimmen, weil. fie vermutben, ed werde eine Zeit kommen, 
wenn erſt lange genug die Menfchen werben gelchöpft haben au! 
der noch unbefannten Quelle, die ihnen Jeſus nicht aufichliegen 
fonnte, und ſchon werben einheimifch geworben fein unter Dem neuen 
Licht, weiches Jeſus von Nazareth noch nicht gefehen hatte, fo werde 
eine Beit fommen, wo auch er mit feinen Verdienſten mehr werk 

zuruͤkkgeſtellt werden in den Gebanten und Empfindungen der Me: 

ſchen, indem fie fi) nun dem größern mit vollem Herzen zuwenden. 

was ihnen feitvem Gott gegeben hat, gerade wie und bei bem Lichte 
des neuen Bunde bie Offenbarungen, die der Altere enthält, in den 
‚Hintergrund treten: wenn daB, fage ich, ihr Grund: ift, fo entfemt 
ſich freilich ihre Anerkenntniß Chrifti gar fehr von dem unfrigen 

Aber aus beiderlei Abweichungen, aus der erſten nicht minder ali 
aus ber lezten, fehen wir ja, wie wahr ed ift, der Gegenflanb m: 

ferer Freude iſt nur die Geburt Jeſu des Sohnes Gottes. I: 

nämlich verlangen eben deswegen, daß bie Empfindungen unſers 

Herzens fo durchaus gleichmäßig fein follen, und unfer Benouftien 

von dem Erlöfer durchaus fo ununterbrodyen und im ganzen Lehm 

fich felbft gleich, weil fie erfeunen, daß es von oben gekommen ill 

und göttliched zu feinem Grunde und Gegenflande hat. Und cben | 
dieſe leztern wollen ja über unfere Beier und Freude hinaus, weil 

ſie es nicht dafür anerfennen. Aber eben dadurch, dag fie unfen 
Beier nicht wollen, bezeigen fie ja für ums, bie wir fie wollen, bei | 
bis der Zag kommt, wo wir nad dem Wunfche jener aus dem 

veränderlichen in bad unwandelhare übergegangen find und alle 
immer den ganzen. Erlöfer gleichmäßig feiern werben, wir fie nur 
‚deöwegen wollen Zönnen, weil in ber What zwiſchen ihm unb allen. 
:anderen ein ſolcher Unterfchied iſt, was Gnade Gottes und göttliche 

Barmherzigkeit anbetrifft, den wir nicht anders beichreiben können, 

:al8 wie ihn überall. die Schrift, wie ihn die Worte unſeres Dexter, 
‚bie Worte des Juͤngers, den der Herr lieb hatte, bezeichnen. 

Aber freilich wie würben wir. und dies fchöne Feſt der Freude 
‚verberben, wenn wir nun biefen Ausdrukk wollten auf bie Gold 
wage menichlicher Spizfünbigkeit legen! wenn wir uns nun genaun 
vertiefen wollten in jene Beftimmungen ber menfchlihen Sazung— 
weisheit darüber, was wol und was wieber nicht in biefen Aus 
drukk liegen koͤnne! Nein, laffet uns lieber, damit wir zum red 
ten Bewußtſein hierüber fommen, auf foldhe Worte ber Schril 
KFuͤkkſicht nehmen, Die eben den eigentlichen und wahren Subalt die 
fes Ausdrukks bezeichnen wollen. So fagt der Verfaffer bed Brich 
er die Hebraͤer, Einen folchen Hohenpriefler mußten wir haben, 





743 


Der ba wäre heilig. unbeflefft ven den Suͤndern abgeſondert *). : © 
giebt es etwas m. a. Fr., was felbft in unfere Weihnachtsfreude 
Hinein, eben infofern fie auf Jeſus den Sohn Gotted gerichtet if, 
nnody einen ſolchen wehmüthigen Ton bringen Fam, wie ihn freilich 
wiele fromme Zuflände eines chriftlichen Gemuͤths in fich tragen: fo 
wäre ed eben dieſes, daß wir das fo beſtimmt wiſſen und in un 
ferm innerften gewahr werben: heilig wird Beiner, ber es nicht von 
Anfang an geweien iſt; von ben Sündern abgefondert kann Feiner 
woerden, ber nicht von Anfang an unbeflefft war. Müffen wir nun 
einen folchen Hohenpriefter haben, fo mußte er auch fp weit erha⸗ 
ben fein über andere menfchliche Wefen, wiewol derfelben menſch⸗ 
lichen Natur theilhaftig, daß er heilig war von Anfang an, unbe: 
flekkt war und blieb in feinem ganzen Wandel durch diefe fündens 
volle Welt und daher, mitten unter ben Suͤndern wanbelnd bie 
Sünder liebend auf die Sünder wirkend mit allen Kräften feines 
Geiſtes, doch abgefondert blieb von den Suͤndern, abgefondert fo 
weit ald der Himmel von der Erde ift, ja noch mehr, denn ber 
felbe Verfaſſer fügt hinzu, Einen folchen Hohenpriefter mußten wir 
haben, der höher iſt denn der Himmel. Und als Jehannes ber 
Taͤufer die größte und bebeutungsvolfte Handlung feines ebenfalls 
von Gott befonderd. gefegneten Lebens verrichtete, als Jeſus von 
Nazareth Jam um fich von ihm taufen zu laſſen: da gelchah eine 
Stimme zu ihm vom Himmel, welche ſprach, Das ift mein lieber 
Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Wohlgefallen kann Gott 
sicht haben an der Sünde, Wohlgefallen kann er nicht haben an 
alten, was nichtig ift in fich felbft und leer; ja Wohlgefallen kann 
er nur haben an ſich felbft und an bem, was unmittelbar aus ihm 
if. Darum ift auch Died beides nur eind und baffelbe, was jene 
Stimme auögefprochen hat, Er ift mein lieber, ja noch mehr, er ifl 
mein einiger Sohn, und er ift derjenige, an welchem ih ein wah—⸗ 
zed reines ungetrübtes mit nichts anderm vermifchted Wohlgefallen 
habe. Wenn wir bies beides zufammenfafjen,. wenn wir und babei 
durchdringen eben von jenem Bewußtfein, daß die Sünde nie mehr 
zuläßt, wo fie einmal iſt und wirkt und mitlebt,- bag einer ganz 
abgefondert werbe von ihr, eben beöwegen auch niemals. zuläßt ein 

reines göttliches Wohlgefallen an einem beflefften Gegenfiande: o 
fo werden wir wol fagen müffen, für ben, ber dies dennoch war, 
giebt e8. Feine andere Bezeichnung ald diejenige, welche bie Schrift 
gewählt hat, unb.beren fish auch ber Apoſtel in unferm Texte ber 
dient. Ja, das giebt fie auch vielfältig auf andere Weiſe zu erken⸗ 





) Hebr. 7, 26. j . ' ü 


* 


nen. Der Herr ſprach, als er alle Dinge gemacht hafte und fi 
anſah, es fei alle gut. Die Welt alfo war der Gegenftand fein 
Wohilgefallens, diefelbe Welt, in welcher doch fo bald hernach di 
Sünde lebte und wirkte, diefelbe Welt, in welcher fich die Abne: 
"Hungen von dem reinen und heiligen göttlichen Willen ſo vereid; 
fältigten! Aber eben deswegen fagt auch die Schrift, daß ber Er 
Köfer, der Sohn Gottes, durch den Gott zu und gerebet hat inte 
lezten Tagen, berjenige fei, der alle Dinge trägt. Der Erloͤſe tig 
die Welt, daß fie ein Gegenftand bed göttlichen Wohlgefallens bleitt; 
nur um deöwillen weil ex in derfelben ift und wirkt, nur um de 
willen kann fie ein Gegenfland des göttlichen Wohlgefallens fen. 
Und fo werben wie alfo fagen muͤſſen bezeichnet uns eben bie Ge 
burt des Grlöferd — wie wir ja alles nur zeitficher Meile fen 
tönnen in ber Reihe der zeitlichen Entwikkelung aller menſchlichn 
Dinge, alles und wirklich befannten geifligen Lebens — bie Bir 
verkehr zu ber Gemeinfchaft mit Gott in ber Erfcheinung beim 
der ald der Sohn Gottes auf Erden lebte und wirkte. 

Aber eben. fo, wie nun Jeſus ald der Sohn Gotteb der % 
genſtand ift umferer heutigen feftlichen Freude, und wir. ed wii 
wir innen nur dann daran glauben, daß auch wir durch ihn mi 
der Gott gefällig find und ihm angenehm in feinem Sohn, mil 
ex fo ber reine Gegenftand des göttlichen Wohlgefallend, wen eh 
das Ebenbild de3 göttlichen Weſens und der Abglanz feiner He 
lichkeit gewefen; umb wie wir eben beöwegen unfere Freude an It 
nem Dafein und Wirken zuruͤkkfuͤhten wollen auf feine Geburt, ml 
er von Geburt an mußte fein heilig unbeflekkt und von den Sir 
bern abgefondert; ja fo gewiß, ald wir eben deshalb auch nicht au 
hören wollen dies fchöne Feſt mit einander zu begehen, bis wir } 
diefer Vollkommenheit gelangen, bi die ganze Welt non ihm und 
von feinem Leben durchbrungen und fo wieber zu bem zuriffgekit 
if, als was fie Gott wohlgefiel, da er fie gefchaffen hatte: fo m" 
den wir Doch auf der andern Seite auch fagen müffen — und Di 
iſt es, was wir im zweiten Theil unferer Betrachtung erwägen 1 
len, — der Inhalt diefer Freude ift eben fo der Sieg, der die DM 
überwindet, | 


U, Aber indem ich dies fo faft unmittelbar. nach bem au 
fpreche, was id) nur fagte, daß die Welt in dem Sohne Gottes u 
durch ihn ein’ Gegenftand bes göttlichen Wohlgefallens iſt: To U 
mir das freilich bei diefer Gelegenheit befonderd auffallen, wie N 
Ausdruͤkke der Schrift, wie fie auch aufgenommen find in une 
Allgemeine chrifttiche Sprache, oft ſcheinbarer Weiſe einander fo ſch 








765 


wiberfprechen. Die Welt ift Gott wohlgefaͤllig, weil fie fein Werk: 
üſt, und die Welt fol überwunden werben; derjenige, welcher bie 
Belt überwindet, fagt zugleich von fi), er fei nicht gefommen bie 
Melt zu richten fondern die Welt felig zu machen; die Welt, welche 
überwunden werden foll, dieſelbe fol alfo auch felig gemacht wers 
Den; und wenn er fagt, er fei nicht gekommen bie Welt zu richten, 
fo fagt er doch zu gleicher Zeit auch, derjenige, welcher nicht an 
ihn glaubt, fei fchon gerichtet. Mithin ‚bleibt es doch dabei, bag 
die Welt fol gerichtet werden; überwunden ſoll ſie werden und ge⸗ 
richtet, ſelig ſoll ſie gemacht werden und zu einem Gegenſtand des 
goͤttlichen Wohlgefallens: wie kann ſich das vereinigen in einem 
und demſelben Gegenſtand? und wenn das nicht, wie unbequem iſt 
dann die Sprache unſeres Glaubens, indem ſie durch die Anwen⸗ 
dung deſſelben Wortes verſchiedene Dinge verwechſelt und unter 
einander miſcht, Die ſorgfaͤltig von einander geſchieden gehalten wers 
den follten, da fie einander entgegengefezt find? Aber dieſe . Klage 
wäre dennoch hier nicht richtig angebracht, denn es ift fo und nicht: _ 
anberd; ed ift diefelbe Melt, welche felig gemacht wirb, und bie: 
felbe, welche überwunden wird, diefelbe Welt, welche gerichtet wird, 
und biefelbe, welche zum göttlichen Wohlgefallen zurlikfgeführt wird. 
Aber wie? Ueberall m. a. Fr. fommen wir zulezt bei ber. Betradys 
tung aller menſchlichen Dinge, fo weit fie zu unferm geifligen Les 
ben gehören, auf einen großen Gegenfaz zuruͤkk, an welchem wir 
auch beftändig alles menfchliche meffen und abfchäzgen. Die eine 
Seite ift dad göttliche dad wahre bad weientliche; die andere ift daB 
nichtige das verberbliche jenem widerſtrebende. Jenes aber ift nur 
Gott felbft und was aus Gott ift und if fo nad Manßgabe ber 
göttlichen Allgegenmwärtigkeit auch überal] verbreitet; dieſes hingegen 
finden wir freilich ebenfalls aber nur nach Art des leeren und nich⸗ 
tigen überall in biefer unferer Welt, und zumal überall, wo bie 
und wohlbefannte finnliche Natur des Menfchen walte. Die Welt 
alfo enthält freilich das nichtige und verberbliche, dad dem wahren 
wefentlichen widerftrebenbe in fich, aber ald dad, was überwunden 
und zufezt vernichtet werben fol. Aber das göttliche, welches in 
ihr if, das, was Gott dem Menfchen mittheilte, ald er ihn zum 
Herrn der Erde fezte, und was nun nicht nur wiedergebracht iſt, 
fondern auf eine weit höhere Weife, ald ed damals befland, herge⸗ 
flellt in demjenigen, der das Ebenbild des göttlichen Weſens iſt, 
died göttliche ſoll doch nicht leer bleiben und allein? Mein, ed fol 
ſich aller Kräfte der menfchlichen Natur, in welcher ed felbit mit⸗ 
enthalten ift, bemächtigen, fol durch fie über alles walten und wir 
In, und dies ift die Welt, welche felig gemacht werden foll- umd 


746 

als der Gegenſtand bed göttlichen Wohlgefallend wieder in der in 
nerſten Gemeinfchaft mit Gott fiehen buch den, ber bad Ebenbiit 
feined Weſens iſt. Ueberwunden foll alſo werben und gerichtet al- 
led, was nichtig ift im fich ſelbſt, alled badjenige, was dem wahren 
und göttlichen wiberfirebt , alled, was nur aus dem v i 

iſt mit ihm zuſammenhaͤngt und, ſo weit es Macht hat, ſo weit es 
waltet und wirkt, auch im Stande iſt bad höhere und goͤttliche hin 
abzuziehen in dad vergängliche; das iſt bie Welt, welche vernichtet 
werden ſoll und gerichtet. 

Aber eben dieſe menſchliche Natur, eben dieſes irdiſche Daſein, 
in ſofern ed. fähig iſt beherrſcht beſeelt durchdrungen zu werden von 
dem goͤttlichen, das iſt die Welt, welche beſeligt werden ſoll, die 
Welt, in welcher Gott ſelbſt ſich immer mehr offenbart und in ihr, 
wenn fie vollendet fein wird, eben fo erkannt und geſchaut werden 
fell und kann, wie wir ihn jet kennen und fchauen in feinem Sohn, 
welcher bie Quelle iſt von biefer Wiederbringung ja Berherrlichung 
ber Welt. - 

Aber eben dies, daß die Welt überwunden und gerichtet wird 
um befeligt zu werden, kennen wir nicht ald etwas ſchon vollbrad- 
teö ſondern auch jet nur ald ein immer noch fortgehendes Ge 
fhaft. Denn wenn wir gleich wiſſen und uns bad mit Wahrheit 
bezeugen koͤnnen, bag ber alte Menſch licht, fobald wir durch den 
&iauben an Zefum als ben Sohn Gottes auch aus Gott geboren 
find; wenn es glei wahr ift, daß ex flirbt: ſo dauern doch bie 
Nachwirkungen feined Lebens in dem unfrigen noch fort. Wenn 
gleich das göttlihe mehr und mehr den Menfchen ergreift: immer 
entſteht das nichtige das verderbliche wieder, fo oft wieder ber 
Menſch, feeilich ald der auch das göttliche in ſich trägt, and Licht 
der irdiſchen Welt gebosen wird; und überall kommt wieder zum 
Borfchein bie Welt, welche überwunden werben muß, damit ſich aus 
ihr gebäre die neue, welche befeligt ift, und in welcher bie göttliche 
Liebe ſtrahlt. 

Wenn wir aber num fragen, wie ed mit unferem Ueberwinben 
der Welt zugeht, und wie biefed eben, wenn es auch ein folches 
beſtaͤndig fortgehended Werk fein fol, mit einer ſolchen an beflimmte 
Zeiten gehefteten und in biefe fich zufammendrängenden eier, wie 
unſere heutige iſt, in Bereinigung zu bringen fei, fo daß fie ber 

und ber Inhalt derfelben fein fol: fo laſſet mid ef 
über das legte diefed bemerken. Was wir ald ſolches fortgehendes 
Bert Sotied kennen, es in uns felbfi inne werben ald den nie auf: 
hörenben Streit zwifchen ben Geiſt und Fleiſch; was ber (Gegen: 
ſtand aller bruͤderlichen Bereinigung unferer Kräfte alles gemeinfa: 





767 


men chriftlichen Thuns und Wirkens auf. Exben iſt, dag wir nam« 
lich überall Die nichtigen Dinge ber Welt und dad Weſen und Werk 
berfelben befiveiten und zu überwinden fuchen um das Reich Gottes 
zu geflalten und zu erweitern: das ift freilich fo als ein gemeinſa⸗ 
med Werk Gotteö in uns der Inhalt unſerer gefammten Thaͤtigkeit, 
fo weit fie aus Gott iſt. Aber wenn wir irgendwo ſtehen bleiben, 
wenn wir und irgend befinnen über bad, was wir thun und wie 
wir es thun, über died Werk Gotted und wie ed gefchieht: worauf 
fallen unfere Blikke, worauf richtet fi) unfer geiſtiges Auge anders 
ald auf Jeſus den Sohn Gottes vom Anfang feines irdiſchen 2e: 
bend an? und fo wird uns eben dad Bewußtſein biefer fortgehenden 
Ueberwindung ber Welt, fo wie wir ed in und zur Klarheit brin- 
gen, nichts anderes als die Freude über das Erfcheinen Jeſu des 
Sohnes Gotted. Denn an biefem Ort und mit diefem Moment 
begann jener Sieg; vorher konnte davon Feine Kumde fein in einer 
menſchlichen Bruſt, ed wäre denn nur ald dunkle Worahnung ber 
Dinge, die dba kommen folten. — Was aber die andere Frage bes 
trifft, wie bad Ueberwinden ber Welt geſchieht: fo find wir hier 
wieder in. demſelben Fall, dag anicheinend widerfprechende Ausdruͤkke 
der Schrift dabei jedem in den Sinn fommen. Der Apoftel fagt 
in unferm Text, Wer uͤberwindet Die Welt als nım des, welcher 
glaubt, daß Jeſus der Sohn Gottes iſt? So flelt er alfo dies 
Ueberwinden der Welt dar als unfer Werk, ald dad Werk unferes 
Glaubens wenigfiend. Der Erlöfer aber fagt zu feinen Juͤngern, 
und das hatte diefer Juͤnger auch gehört und berichtet ed, In ber 
Belt habt ihr Angft, aber ſeid getroft, ich habe die Welt uͤberwun⸗ 
den *); und fo ſtellt er daffelbe dar ald fein eigened Werk, was 
bier vor. feinem Jünger bargeflellt wird als unfer Wert und das 
Wert unferes Glaubend. Beides aber m. a. Fr. iſt doch nur eins 
und daffelde Wenn wir unfere heutige Feier recht verſtehen, wie 
fie und auf die Geburt auf das erfie Erſcheinen ded-Erlöferd in ber 
Welt hinführt, und doch nichts andered ald eben bied, daß er ber 
Sohn Gottes if, zu ihrem Gegenftand hat: fo ift doch offenbar, 
dag wir dabei von allem, was ber Erlöfer wirklich gethan hat, ab⸗ 
fehen, denn damals hatte er noch nichts gethan; und boch fo, wie 
er ba ift, als er zuerft erſchien, thatenlos, alles noch in fich fchlies 
end, was allmählig. aus ihm hervortreten follte, fo doch ift er der 
Gegenftand unferd Bebenntniſſes und biefed Feſtes. WIN und das 
wundern, wolan, fo laffet uns frage, giebt es denn irgend eine 
einzelne That des Erloͤſers oder ihrer mehrere, ober ift es etwa bie 





) Ih. 16,9. 


788 

Geſammtheit feiner Thaten, worauf er fih beruft, wen er fagt, 
Ich habe die Welt überwunden! Wir find freilich fehr gewohnt 
_— wie denn aud bie heilige Schrift felbft und darin mit ihrem 
Beifpiel vorangeht, und niemand wird auch wol irgenb etwas be» 
gegen einwenben wollen, — baß wir alle Wirkſamkeit des Ertöfers 
zufammenfaffen in biefem Gipfel feined Gehorfamd bi zum Tode 
am Kreuz, in der Hingebung feines Lebens für das eben der en: 
. fchen. Aber jene Worte hat er gefprochen, ehe er zu diefem Gip⸗ 
fel feiner Thätigkeit gefommen war. Ja wenn wir au Itevon 
abfehend fragen wollten, ob denn eben der Tod des Erloͤſers Die 
bewirkt hat die Welt zu überwinden: fo müßte ja, wenn wir es 
buchſtaͤblich bezeichnen wollen, eben diefer Sieg nicht mehr aim fort: 
gehendes Werk Gottes fein, fondern er wäre dad ein für allemal 
gefchehene; wir hätten babei nichts mehr zu thun und fländen viel: 
mehr ſchon längft ald Sieger über der überwundenen Belt. Wenn 
wir das zufammenfaffen, was der Erlöfer gethan hat, inſofern wir 
dazu noch feinen Tod und feine Leiden rechnen können, wie es freis 
lich auf der andern Seite die That feines Gehorfamd war: adh, wie 
weniges wie vereinzelte wie unzufammenhängendes iſt es doch ge 
wefen! wie wenig war doch hierin. ſchon wirflich gethan, als er 
fügte, Es iſt vollbracht! wie wenig von dem, was wir eigentlich 
Werke und Thaten nennen eben in Beziehung auf die Reinigung 
der Welt auf die Gründung und den Ban des Reiches Gottes, wie 
wenig bat er gethan! Aber fo ift es, er hat nicht die Welt übers 
wunden durch Dad, was er gethan hat, ſondern er uͤberwindet fie 
durch das, was er if! Aber eben deöwegen, weil er dies bewirkt 

durch das, was er iſt, infofern er zugleich dafür auch anerkannt 

wird; weil alle feine einzelnen Thaten alle feine einzelner Werke 

nichts find in Vergleich mit dem einen, was fein befländfgeö wear, 

aber was wir in dem engeren und gewöhnlichen Sinne bes Wortes 
weber ein Werk noch eine That zu nennen pflegen, nämlich daB er 
Zeugniß gab von fich ſelbſt, Daß er ſich eben fowol wie er ſich ent: 
äußerte auch Äußerte und zu erfennen gab, wie er nur eins war 
mit feinem Vater: eben deshalb ift Fein Widerſpruch zwiſchen feinen 
eignen Wort und bem feines Juͤngers in unferm Text. Gegen diefe 
Reden Chriſti über ſich felbfl, gegen dies befländige Zeugniß able 
gen von ſich, fo wie er ſich in feiner Wahrheit und Liebe als das 

wahre göttliche Ebenbilb den Menſchen Fund gab: hiegegen find alle 

feine Werke und Thaten, die wir eigentlich fo nennen fönnen, nur 
wie nichts. . Aber jenes Ebenbild war er.aud nur, infofern eben 
dies Zeugniß geben eine Macht in ſich ſchloß, welcher ſich die Ben 
ſchen nidyt entziehen konnten, und zwar eine folche, welche in ben 











78 


Menſchen felbft fogleich wieber zu ber Macht wurbe ald Gottes Kin: 
der zu Ieben. Er that eigentlich nichts einzelnes und beſtimmtes, 
fondern fein ganzes Leben war nur, wie der Evangeliſt Johannes 
fagt, bag in ihm erfchien, daß aus ihm fich zu erkennen gab bie 
Herrlichkeit ded eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und 
Wahrheit, und bag eben died die Menfchen noͤthigte zur verlangen: 
den Anerkenntniß eben biefer Herrlichkeit, woburd denn biejenigen, 
die ihn fo aufnahmen, bie nicht zu der Finſterniß gehörten, welche 
ihn ausſchloß und von fich fließ, wiewol auch biefe von ihm erleudy 
tet werben follte, die Macht empfingen Gottes Kinder zu fein. Da⸗ 
ber iſt ed in Wahrheit einerlei, ob. der Erloͤſer fagt, Ich habe bie 
Welt überwunden, oder ob fein Juͤnger, dem es wol niemald ein> 
gefallen ift fich meflen zu wollen mit dem, an beflen Seite er zu 
ruhen gewohnt war, in unferm Text fagt, Unfer Glaube iſt ber 
Sieg, der die Welt überwindet, denn wer überwindet die Welt ald 
nur ber, welcher glaubt an Jeſus ald den Sohn Gottes? So ift 
beides in der That eins und daffelbe! durch unfern Glauben über: 
windet der Sohn Gottes, die Welt, und unfer Glaube überwindet 
Durch ihn die Welt, durch feine göttliche Kraft; wie auch unfer 
Glaube nichtd anders ift ald die Fortfezung feiner Kraft und feines 
Lebend in und, die Hoffnung, in welcher wir und rühmen, daß wir 
an allen feinen Thaten, ja an der Ebenbildlichkeit und Kindfchaft 
Gottes theilhaben durch ihn. 

Sehet da m. g. Fr., wenn wir hier am erften Anfang unferd 
kirchlichen Jahres die ganze Reihe unferer chriftlichen Hauptſeſte zu> 
fammenfaffen: fo werben wir geftehen müflen, jedes nimmt feine 
eigenthümliche Stelle ein, feines ift dem andern‘ vorzuziehen ober 
ſteht hinter dem andern zurüßf; aber jedes hat feine befondere Zeit, - 
in welcher ed fich vor ben übrigen geltend macht. So konnte das 
Feſt der Auferfiehung Ehrifti nirgend herrlicher fein ald in. den er: 
fien Anfängen der chriftlicden Kirche; und wie herrlich und freudig . 
wir es auch jezt begehen, fo fteht natürlich unfere Feier deſſelben 
doch weit zuruͤkk gegen die Art, wie -biefe Begebenheit in der erſten 
Verkündigung der Apoftel ded Herrn ihnen immer gegenwärtig war.. 
Jedes Wort, dad fie verfündigten, war nichts anderes ald eine neue 
Oſterfeier. Chriſtus ift erflanden! wie dieſes die Seele ihrer Muthes 
war, wie ihnen darin nach feinem Tode feine Herrlichkeit aufs neue 
aufgegangen war: jo wollten fie auch nichtö fein, wie fie jelbft ſag⸗ 
ten, als Zeugen, feiner Auferfiehung, und ihr ganzes Leben und 
Wirken war ein fortgehendes Ofterfefl. Und wenn wir denken an 
die Verbreitung der chriftlichen Kirche nad) außen hin, wie ein 
Volt nach dem andern ergriffen wurde von ber Wahrheit des goͤtt⸗ 


750 


liches Wortes und von biefer Kunde, daß der Sohn Gottes gebe 
sen fer und habe bie Gewalt der Sünde gebrochen und den Fries 
den’ aus Gott wiedergebraht; wenn wir bebenten, wie fich bie 
Apoftel felbft darüber Außern und fagen, der Glaube fomme ans 
der Predigt, die Predigt aber aus dem Worte Gottes *), vote der 
- Geift es giebt audzufprechen: fo werben wir fagen müffen, überall, 
wo wir biefe Wirkung bed Chriſtenthums auf das menſchliche Ge 
fchlecht betrachten, da wird ein Pfingfifeft gefeiert. Dieſes lebendige 
Bemwußtfein von dem göttlihen Geiſt und von feiner Wirkſamkeit 
in auch von der Suͤnde allerdings gefchwächten Werkzeugen, denn 
andere giebt ed nicht mehr, feitbem der Erlöfer nicht mehr auf Er: 
den ift, aber ein folched Bewußtſein von feinen ihn von aller an 
dern nur menfchlichen Weisheit -unterfcheidenden Wirkungen, als 
welche doch nicht vermocht hat die Menfchen zufammenzubringen 
und zu befchliegen in ein Reich Gottes, das ift das befländige 
Pfingſtfeſt; und fo lange dies Werk der Verbreitung des Chriften- 
thums fortgehen wird, wird ed die gläubigen wie eine Pfingſtfeier 
bewegen. Aber das flille ruhige Leben mitten in der chriflfichen 
Kirche, wie ed unfer fchöned und beſcheidenes Loos ift, was iſt es 
anders als, indem wir mit daran arbeiten die Welt zu überwinden, 
zunächft jeder in feinem innern dann aber auch in allen, mit benen 
wir durch Bande der Liebe und Freundfchaft zufammenhangen, fie 
immer mehr zu überwinden in unferm ganzen öffentlichen und gro: 
fen Leben, fo wie wir an biefer ungeftörten Entwikklung unfers 
Daſeins uns felbft befinnen um unferer felbft gewiß zu werben: 
was feiern wir dann anders, ald immer aufs neue dies ſchoͤne Feſt 
- der Weihnachten? Unfere Freude an allem, was ber Erföfer mit 
und und durch und thut, was ift fie in der That anderes als bie 
Freude an ihm, daran, daß er der Sohn Gottes für und geboren 
ift und gelebt hat, daß das ewige Wort Fleifh unter uns - worden 
ift, und -dann auch eben fo feine Erfcheinung auf Erben und bas 
Bild, welches fih von ihm unter und feflgefezt hat, und eine Quelle 
der Seligkeit fo wie die Quelle unferd Glaubens und der Thaͤtig⸗ 

keit des Glaubens durch die Liebe geworden iſt. Und fo laffet uns 
auch gern geftehen, es ift ein fchönes Feſt, voelches jebed Jahr uns 
wieberfehrt; aber e3 hat body feine Wahrheit und Bebeutung nur 
in diefem immer fortgehenden Werke, nur dadurch, baß wir es in 
jevem Augenblift aufs neue feiern, fo oft wir und unferd' Berhält: 
niffe zum Erlöfer bewußt werben, dadurch daß, wo wir reden zu 


) m. 10, 17. 


| 751 s 

- einander aus der Fülle unfers Herzens, wir und tmmer aufs neue 
Daran erinnern, der Heiland der Welt ift geboren, Jeſus iſt erfchies 
nen ber Sohn Gottes! In ihm alfo Taffet und immer mehr die 
Beitimmung fefihalten, welche wir befommen haben durch ihn 
Gottes Kinder zu werben, daß auch unfer Glaube ed fei, der ims 
mer mehr die Welt überwindet und fie feiner Herrfchaft unterwirft, 
auf daß fich alle Kniee beugen vor dem, ber über alles Herr ift, 
was Menfc heißt. Amen. 


Lied 199, 8-9. 


LxIL | 
Am Neujahbrstage 1834. 


Lied 829. 650. 


Text. Joh. 20, 19, 
Jeſus Ipricht zu ihnen, Friebe fei mit euch! 


M. a. 3. Dieſe Worte des Erloͤſers an feine Juͤnger an dem 
Abend des Auferftehungstaged waren nichts anbered als der ge: 
wöhnlihe Gruß, mit welchem ſich damals die Menſchen begegneten, 
wenn fie zuerft an einem Tage - zufammentrafen. Aber wir willen 
ed wohl, auch dad gewöhnliche und alltägliche, fchon wenn «3 uns 
von irgend einem lieben. und verehrten Haupte kommt, wenn es 
den Ausdrukk der Milde der Freundlichkeit der Liebe trägt, wird 
etwas erquikkendes und erfreuended; wie -viel mehr nody wenn auch 
das gewöhnlichfte alltäglichfle uns kommt aus dem Munde bed Cr: 
loͤſes! Und bei diefen Worten wer bächte nicht daran, wie er fie 
auch ein anbermal zu feinen Juͤngern geiprochen hat, indem er hin: 
zufügte, Meinen Frieden gebe ich euch, nicht gebe ich euch wie bie 
Welt giebt? Der heutige Tag m. cur. 3. beruht eigentlich auf ci» 
ner willlührlichen menſchlichen Einrichtung. Der Jahreslauf freilich 
ift tief gegründet in ber göttlichen Ordnung unferer Welt: aber daß 
wir an biefem Tage gerade bad neue Jahr beginnen, ba3 if aur 
aus der Nothwendigkeit, bag ed eine gemeinfame Berfländigung 
über ſolchen Anfang ber Zeit geben muß, ohne irgenb einen be 
ftimmten Grund entflanden. Aber wozu verfammeln wir und an 
ſolchem Tage, wie biefer, auch bier, wenn es nicht ift, daß wir auch 





753 , 


wollen einen Gruß ber Liebe bekommen von dem, nach befien Na: 
men wir und nennen, ben wir anſehen al3 denjenigen, durch wel: 
chen und alle gute Gaben von oben kommen, weil nichtö ein Se 
gen ift, nichtd ein Gut, was nicht zufammenhängt mit dem Segen 
und dem Gut, welches wir ihm zu verdanken haben. Darum wie 


koͤnnten wir diefe Stunde unferer gemeinfamen Andacht wie unferr 


gemeinfamen guten Wuͤnſche befjer anwenden, ald wenn wir und . 
den Inhalt von diefem Gruß des Erloͤſers fo entwißfeln, wie bie 
Betrachtung des ganzen mannigfaltigen Lebens, welches fich gleich: 
fam heut vor unfern Augen wieder aufrollt, und darauf führt. 


1L. So laßt uns denn zuerſt ſagen, Friebe fei allen Voͤl— 
Fern, welche. heut den Anfang eined neuen Jahres beginnen! Denn 
diefe alle verfammeln ſich heut mit und vor demjenigen, welcher und 
diefen Gruß des Friedens gebracht haf. Ä nn 
O es iſt freilich dantendwerih und nicht zu verkennen m. a: 
Fr., daß eine Zeit mannigfaltigen fi fo häufig erneuenden Streits 
der Völker hinter und liegt, fo daß nicht mehr um jedes, was Doch 
nur eine, Kleinigkeit iſt für den großen Zufammenhang ber Dinge, 
das Schwert gezuͤkkt wird, daß ſich die weifen nicht mehr abzumuͤ⸗ 
hen brauchen um zu änträthfeln, auf welche MWeife und in welchem 
Sinn der blutige Krieg doch aud) eine. Wohlthat fein’ könne für 
das menfchliche. Geſchlecht, weil wir wiffen, er wird je länger je 
mehr nichts anderes fein ald nur ein wahres Werk der Noth. Es 
ift Schön und dankenswerth, daß der menfchliche Berftand mehr und 
mehr zu der Einficht gelommen ift, daß alle ihr Wohl am beften 
erbauen koͤnnen unter dem Schuz und au der fanften Hand. ded 
Friedens, und daß dad nicht gebeihe, was als erworbenes neued 
Gut beflekkt iſt mit dem Blut der Menfchen. Es iſt [him und 
dankendwerth, wenn biejenigen, welche «3 in ihrer Macht habeh bie 
Völker aufzuregen und in Bewegung. zu bringen, ſelbſt nicht mehr 
bewegt werden von einem ſolchen verberblichen Ehrzeiz, ber - feine 
Befriedigung nur finden kann, indem er über menſchliche Leichname 
binfchreitet; und je mehr Died Verderben abgenommen hat, je mehr 
wir zu jener beffern Einſicht gekommen find, um defto mehr laßt 
und unfern Zuftand mit Dank erkennen. Aber bad ift Doch nidht 
der Friede, auch nicht in dem äußeren Sinne bes Worted, welchen 
wir den .hriftfichen Voͤlkern wünfhen. Daß ein.jebed in fich felbft . 
feinen -eigenen Weg gehe nach der ihm aus feinem eigenen Leben 
werbenben Grienntniß des guten und vechten, keines fich felbft zum 
Knechte macye in blinder Nachahmung ‚beffen, wad bei andern ges 
fchieht, aber keines auch in fich mtbrenne von einen blinden Haß, 
id. 





7% 


von einem unbegrünbeten Widerwillen gegen ein anbered, welde. 
werm ex ſich freilich auch auf Thatfachen der Gefchichte zu grüne 
fcheint, doch immer nur auf ben Irrthümern beruht, welde ſich 
dad Verhalten der Menſchen einfchleichen und ihre Geſchichte ver: 
falten; daß fo jedes feinen Weg in Frieden für fich gehe und i 
alfo baue, alle aber unter einander nur verbunden feien, um ir 
gegenfeitig ihred Wohls zu freuen, um fich gegenfeitig zu unterſtin 
und zu fördern, alle Schranken dagegen, welche fie von einander ide 
den wollen, immer mehr nieberzureißen durch die Fräftige Hand dk 
Wohlwollens und der Bruberliebe; bag alle ihre Kräfte mit einante 
vereinigen zu den großen und edlen Zwekken des menſchlichen Ge 
fchlechtd auf Erden: das iſt ber Friede, den ber Erloͤſer ihnen bringt. 
wenn er mitten unter fie tritt, wie er hier unter feine Juͤnger trat. 
Aber freilich was hilft ber Friede der Voͤlker in ihren Bee 
bungen zu einander, wenn nicht innerhalb eines jeden ſelbſt Fricde 
ift? Und wenn wir und umfehen.in diefer Beziehung an bem den 
tigen Tage in ber chriftfichen Welt, deren Ereigniffe umd täglich dit 
Öffentlichen Blätter zuführen: wie viele Wölfen find nicht ned MP 
wiffelt in innerem theils fogar blutigem Zwiſt! wie entbrennt hl 
auf mancherlei Weiſe ber Streit und Haß der Parteien: gegen ein 
ander! welche verberbliche und in der That feindfelige Eiferjucht jagt 
fih nicht hier und da unter deu verfchiebenen Stäuden und Abther 
kungen ber Gefellfchaft! welche neue Gährungen fehen wir nidt of 
ſich allmählig vorbereiten, oft ſich ploͤzlich entwikkeln! Lauter Sir 
rungen bed Friebend, von benen wir niemals wiſſen fönnen, mt 
viel Verderben fie noch herbeiführen werben, wie weit fie ſich nt 
waͤlzen koͤnnen bei biejer Anfleflungsfähigkeit des menſchlichen G. 
ſchlechts von einem Volk auf das andere O wie ſehr bebirfen Rt 
noch alle, daß dieſer Wunſch des Erlöferd an ihnen im Ejjüllung 
gehe! Wenn wir m. a. 3. biefe aͤußeren Veiſchiedenheiten um 
den Menſchen ind Auge fallen, wie ber gegemwärtige Zuſtand M 
Geſellſchaft fie bei und zeigt, wie fie fich aus unjern früheren dr 
gebenheiten entwikkelt haben, und dabei auf ber anderen Seite bus 
Trachten der Menfchen nach einer allgemeinen Gleichheit, welches 
nicht nur in dem Bewußtſein gegründet iſt, dag es dieſelbe men 
liche Ratur iſt, deren fie alle theilhaftig find, ſondern unter Coriten 
noch viel mehr geflüzt und angefeuert zu werben fcheint dunh de 
Gleichheit aller vor demjenigen, vor dem wir uns ja alle auf gl 
Weiſe demütbhigen müffen, und vor feinem -Sohn, nach deſſen or 
nungen und alle auf gleiche Weiſe verlangt; wenn wir dies beides 
in feinem gegenfeitigen Streit betrachten: woher, koͤnnte mad " 
ten, fol anders wol der Friede kommen, als bis entweder dad Ct 








755 


ober dad andere völlig geflegt hat? und doch wäre das eine fowol 
als dab andere nur dad Werberben der menfchlichen Gefellfchaft. 
Mein, ed darf nicht audgerottet werben jened edle Streben, daß je 
Der ald Menfch gelten könne nach feinem vollen Werth! der wohl⸗ 
wooliende Wunſch, daß die Geftalt, welche auch der Sohn Gottes 
an fih getragen hat, nicht an bem einen weniger gelte und weniger 
geehrt und geachtet werde als an dem andern, verdient gewiß feine 
Erfüllung! Aber auf ber andern Seite, verfchieden find die Ge 
Schlechter ber Menſchen in mancher Beziehung geartet. Es hat folche 
gegeben, weiche würdig gerungen haben nad) einer möglichft voll» 
kommenen Gleichheit in ihrem gemeinfamen Dafein, und haben fie 
gluͤkklich erreicht; aber eine vielfältig und zu verfchiedenen Zeiten 
wiederholte Erfahrung hat fattfam erwiefen, daß eine ſolche ſich auf 
Die Dauer nur in .einer Meinen Vereinigung von Menfchen erhalten 
Tann. Wir aber, bie wir fchon feit einer fo langen Reihe von Ge 
fchlechten gewöhnt find an eine fo große weit verbreitete Vereini⸗ 
gung menſchlicher Kräfte, die wir lieber alles in eind zufammen» 
brächten, was biefelbige Zunge redet und in berfelben Spradye Bott - 
lobt: wie follten wir und nun mit wenigerem begnügen können, 
wie follten wir und wol befreunden wollen mit einer folchen 3er: 
ſtuͤkkelung, wie fie entweber fchon nothwendig wäre, um bie gepries 
fene Gleichheit herbeizuführen, ober doch "bald aus ihr entftehen 
müßte! Vielmehr dad muß unfer Ziel fein, der ‚Friede, ben unfer 
Text wünfcht, und durch ihn eine höhere. Gleichheit eben vwermittelft 
der Ungleichheit, welche bei und noch obwaltet, und welche unter: 
ſolchen Berhältniffen wie die unftigen vecht geleitet auch nur fe 
gensreich wirken fann! Das muß unfer Ziel fein, daß aus biefen 

verfchiebenen Abtheilungen in der menfchlihen Geſellſchaft, wenn fie 

in der gleichen Liebe zum ganzen in bem herzlichen Sinne der Eins 

tracht zufemmentreffen, ein viel ſchoͤnerer herrlicherer Wohllaut ent» 

ftehe, als er möglich iſt da, wo bei einer allgemeinen auch äußeren 

Gleichheit alles auch gleichſam nur auf ein eintöniges Daſein zus 

ruͤkklaͤuft. Und verbindet und bie gleiche Liebe zu dem ganzen, bem 

wir angehören, ald zu einem folchen, in welchem ſich alle Segnuns 

gen, bie der Erlöfer gebracht hat, auf eine befonbere Weiſe offenbas 

ren follen; benuzt jeder dazu reblich feinen Ort in der Gefellichaft, 

hält das in klarem Bewußtfein feſt, daß er, um ihn dazu gehörig 

zu benuzen, fich freundliche Werhättniffe mit allen erhalten muß: 

dann werden wie und biefem Ziele nähern dürfen, unb bann 

wird unfer innerer Friede ein folcyer fein, den der Kerr und ges 

macht hat. 


Bbb 2 


756 


I. Aber zweitens Friede fei aud mit den Gemeinde 
mit allen, welcher Benennung fie auch fein mögen, die den Name 
chriſtliche führen! O wenn wir bebenten, wie vielfach die Ehrife 
heit getheilt ifl, wie verſchiedene Geflaltungen der Eine Glaube :: 
Eine Verehrung Gottes in feinem Sohn unter den Menfchen = 
genommen hat; wenn wir und erinnern, wie biefe Mannigfaltigke 
zum größeren Theil nur hat entfichen koͤnnen aus eineme ame 
Zuftande bed Streitd und aud Kämpfen oft von ganz amberer Zr 
ald der Natur der Sache gemäß war, und wie ed bad Anfehn be 
ben will, ald wenn was fo entflanden ift auch nicht anders a: 
fo fortbeftehen könne: wo fol dann der Friebe herkommen zwiſche 
den verfchiedenen Gemeinden des chrifllihen Namens? Und dec 
will die Bruberliebe, die Liebe derer, welche Glieder find und fe 
follen an bdemfelben Einen geifligen Leibe, welcher ſich mehr mn 
mehr dad ganze menfchliche Gefchlecht anzueignen bat, fie will nick. 
aber fie kann und darf auch nicht in foviel engeren Grenzen einge 
fchloffen fein! Darum aud hat man oft genug Verſuche gemadt 
diefer Trennung ein Ziel zu fegen, und möglichft alle fonfk zuriam 
mengehörigen auch zu einer und berfelben Weiſe bed Glaubens ud 
der Ueberzeugung fo wie zu der gleichen Geftaltuug bes öffentlichen 
Gotteödienftes und was fonft dahin gehört zu vereinigen Gemis 
an fich ein Löbliches Beſtreben; aber doch iſt aus demſelben aud 
oft genug viel verberbliched hervorgegangen! Verderblich offenbar 
und auch aͤußerlich fo anzufehen, wena bie mächtigen dadurch ſch 
verleiten ließen im dieſen Dingen eine äußere Gewalt zu Hülfe gu neh 
men; wenn fie in der Meinung im Beſiz ber Wahrheit des Glau 
bens zu fein überall, wo Chriften von verichiebenen Gemeinfehaften 
'zufammen lebten, die einen, wenn fie treu auf ihrer witerlichen 
Weiſe beharrten, auf allerlei Weife bedruͤkkten ober fie gar zum Ge 
genftand der Verfolgung machten, um fie durch folche Gewalt, an? 
welcher ihnen freilich nichts anderes entgegen leuchten follte als bie 
Stärke ber Ueberzeugung in denen, welche ihnen biefe Gewalt ax 
thaten, zur Einheit‘ mit den anderr hinuͤberzufuͤhren. Aber gewij 
nicht minder wenn gleich auf eine andere Weiſe verberbiidy, wen 
man biefe Einheit dadurch zu erreichen glaubt, daß man- zur Were; 
nigung und zum Vertrage irgend einen Buchſtaben aufftellt, be 
benn doch nichts anderes ift ald eine menfchliche Sazung, nichts an: 
berd ald eine aus vielen andern Erklärungen über dies ober jene 
im göttlihen Worte ober in dem innern Bewußtfein der Chriſten 
Laffet und bedenken, die Worte, Friede fei mit euch! wie wir fir 
heut vernahmen aus bem Munde bed Erlöferd, waren Worte de 


erflandenen, unb laffet ums nicht glauben, daß wir biefes Frieden: | 


757 


theilhaftig werben, wenn wir ben erflanbenen bei dem .tobten fü: 
chen. Der Buchſtabe aber ift todt unb töbtet, und nur der Geiſt 
belebt und ift Leben felbfi! Dafür aber giebt es eine fchönere Art, 
woie ber Triebe unter den verfchiebenen Gemeinden ber Chriften kann 
gegründet werben. Wenn wir und alle der gleichen Liebe zu dem 
bewußt find, der alle felbft gleichmäßig mit feiner Liebe umfaßt hat 
und allen die Segnungen feined Dafeins und ‚feiner Erlöfung gönnt; 
wenn wir mit bem Bewußtſein diefer gleichen Liebe das chriftliche Leben 
in feiner in verfchiebenen Gemeinden ‘auch verfchiebenen und überall 
eigenthämlichen Gellaltung betrachten, nur. darauf bedacht zu erken⸗ 
nen umb zu begreifen, wie fie fih von dem Grund biefer Liebe aus 
in dieſem ober jenem Stuͤkk auch auf eine uns ganz fremde ja ge⸗ 
gen unſere Sitten und Vorſtellungen mehr oder weniger anſtoßende 
Weiſe haben geſtalten koͤnnen; wie ſich auch in dieſer oder jener Art 
zu denken und zu leben doch biefelbe Liebe wahrhaft und thütig zeigt, 
fo dag wir fie finden, wenn wir nur mit ben Augen ber Liebe fu: 
Ken: wie erfcheint und dann alles m. a. 3., was unter verfchiedes - 
nen chriftlichen Gemeinden in ben Angelegenheiten ihres Glaubens 
vorgeht? alles was fie aufrichten um ihre Gemeinfchaft feit und 
bieibend zu erhalten, alle Anordnungen bie fie treffen, alle Schritte 
die fie thun, um ihre Erkenntniß immer. wmehr- zu reinigen und die 
erkannte Wahrheit aufrecht zu erhalten und zu ſchuͤzen? O ed find 
alles Gaben, welche fie, jede auf ihre Weife, demjenigen barbringen, 
der fich ſelbſt für alle dahin gegeben hat, "und ihn wollen fie alle 
ohne Ausnahme dadurch loben und verherrlihen! Und wie, wenn 
viele aus Dankbarkeit fich beflreben an einem fefllichen Lage Einen 
zu befchenfen, und bann ber eine biefed ber andere jenes darbringt, 
nad) dem eben jeder das verehrte Haupt beobachtet hat und zu wii: 
fen glaubt, was ihm genehm fei, und wie er ihm im dieſer oder je: 
ner Beziehung gefällig fein möge; und wenn auf biefe Art eine 
noch fo große Verſchiedenheit ber Gaben: entfteht: entwikkelt fich das 
raus Streit und Hader? freut fich nicht jeder barüber, daß ber an⸗ 
dere auf feine Weife und in feiner Art doch auch nichtd anderes 
gerollt hat ald dem feinen Dank zu bezeugen, dem alle Dant 
ſchuldig find, und ihn zu erfreuen mit feinen Gaben? So laft - 
und num auch alled anfehen, was in den verfchiedehen Gemeinden 
der Chriften gefchieht! Es kann nicht fehlen, daß nicht doch die 
Liebe zu dem-Erlöfer bei allen der innerfle Grund davon fein follte; 
denn warum würden fie fonft feinen Namen befennen, warum wür: 
den fie ſich fonft zu ihm. nod) immer balten, da fie fich ja’ eben fo 
leicht gemeinſchaftlich und in Maſſe von ihm losſagen koͤnnten? 
Und wenn wir erſt hieruͤber einig geworden ſind: o dann werden 


wis auch bald finden, wie wir, ohne jemand in feines freuen Be 
ehrung irre zu machen und in den Ermweifungen feiner Liebe zu P> 
sen, ihn boch aufmerkſam machen können auf das, was —— Fk 
oder was er verfehlt, und fo frieblich umjere Ucherzeugung 

fern Glauben gegen ben feinigen halten. Das ift bie Like, = 
nicht einfeitig eifert, das bie Liebe, ‚die alles auch dad verfchiebemke 
neben einander verträgt. 

Aber eben dieſer Zuſtand findet ſich nicht ollein im den ver 
fehievenen Gemeinden der Chriften in ihrem Verhaͤltniß gegen an: 
ander, fondern er ift berfelbe auch im einer jeden ſelbſt: jo daß wir 
oft nicht wiffen, was wir fagen follen, ob Diejenigen weiter ver 
einander entfernt find, die fich wirklich durch verfchiebene Ramen 
unterfcheiben, ober ob nicht innerhalb einer jeden ſolchen chriſtliches 
Gemeinſchaft fetbft noch viel mehr Hader und Zwiſt noch viel mehr 
leidenfchaftlicher Streit ift, ald zwilchen denen, die ſich ſchon aufge 
wiſſe Weiſe durch die Werfchiedenheit bed Namens audeinambergeie;t 
haben und von einander gefondert. Daher allein entileht ja im den 
„Gemeinden, wenn gleidy in ber einen’ mehr in ber andern weniger, 
jened und fo oft entgegentretenbe Verlangen, bie im engeren Sinne 
gleichgejinnten woieber durch einen netten Namen unter ſich zu wer 
einigen unb von ben übrigen zu fondern; und indem fie ſich wit 
diefen audeinanderfezen, meinen fie Frieben zu fliften und einen On 
bed Friedens wenigſtens für die wenigen fih gleichgebliebenen zu 
gründen, von welchem aud fie Dann um die andern nicht weiter zu 


ſorgen brauchen. Allein m. th., wenn ber Erlöfer ſelbſt, wenz die 
Apoftel in jenen erften Beiten fo gehandelt hätten: wie wäre wei 


jemals eine chriftlihe Kicche entflanden oder auch nur kurze Zeit 
zufammengeblieben? und jene Bruberliebe, deren ſich die Cheiflen fo 
befonderd rühmen, was wäre fie anderes als eine Anhängliäkeit 


zwar aber eine Heinliche, ja ich möchte fagen kindiſche Auhänglic- 
keit weniger unter einander, bie fich über daſſelbe Wort und beufel 


ben Buchflaben verflehen und fich in benfelben Bewegungen und 
zu bemfelben Gange ded Lebend vereinigen, aber verbunden mit ei⸗ 
“ner gänzlidhen Blindheit, mit einem gänzlihen Mangel an Lich 
über alles, was außerhalb biefed engen Kreifed flieht! Fern bleibe 
von uns auch in Zukunft folch verkehrte Betreiben! Giue folde 
Abſchließung bringt keinen Frieden; denn Friede iſt nur, wo Ber: 
ſchiedenheit iſt! Ja es iſt mit ber größten Sicherheit vonsuszuie: 
ben, ein ſolches abſonderndes Aneinanderſchließen, wie innig & auch 


erfcheine, kann doch, weil es nicht aus bem lebendigen Wunſch nad 


bem rechten viel umfaffenden Frieden entflanden if, auch niemali 








759 

eine wahre Befriedigung gewähren. Der Geift der Abfonderfing 
wird fi) immer wieder aufs neue entwilfeln und auch Diejenigen 
szur zu bald wieder unter fi) veruneinigen und um nody geringeres 
von einander trennen, welche auf dad genauefle zufammenzuhalten 
gemeint waren. Dad lehren und aus foldhen Gegenden und Seis 

ten, mo Xrennungen und ereinigungen leichter‘ entfliehen, viele 
Beiſpiele. Darum wollen wir und freuen, daß wir auch in dem 
Gebiet ded Glaubens und ber Gemeinfchoft des Glaubens biefe herz: 
liche Gewoͤhnung haben an einen großen Verein menfchlicher Kräfte! 
Zapt uns den Segen erkennen, der darin liegt, daß wir einem fo 
weit verbreiteten Firchlichen Verbande angehören, wie unfere deutſche 
evangelifchE Kirche ihn darflelt, von dem nun unter und jeder fas 
gen kann, alles was in demfelbigen iſt fei auch dad feinige.. Wie 
der Apoftel Paulus died ſchon den Chriften zu Gemüthe führt als 
eine große Gabe, indem er fie erinnert, fie follten fich nicht theilen 
und fondern von einander burch die Anhänglichkeit an dieſen und 
jenen einzelnen Diener Gottes, an biefen und jenen einzelnen Saz, 
an diefe und jene einzelne Uebung; nein, fagt er, alles ift euer: fo 
auch wir! Je mehr wir uns befleißigen aus diefem großen Verein 
und alles anzueignen, aus bemfelben zu ſchoͤpfen neues Licht und 
neue Wärme, wo wir beren ‚bedürfen: um defto mehr werben wir 
auf die rechte Weiſe darnach flreben jeder nach dem Maaß feiner 
Kräfte und nach dem Umfang feined Kreiſes auch allen eigen zu 
werden und alten alled zu fein. Und dies, jeber in fich nach der 
Geftalt, zu der Gott ihn erfchaffen, und bie er ihm mitgegeben hat 
für fein Leben, dad befte zu fein, was er werben kann zur Verherr⸗ 
lihung bed Erlöferd; aber eben fo auch jede andere Geſtalt des 
chriftlichen Lebens mit Liebe und Freude zu betrachten, und nicht 
blos zu betrachten fondern auch nah Wermögen fih anzueignen, 
um überall mit dem Licht der Wahrheit hinzuleuchten, forweit wir 
Fönnen, und überall die Segnungen der Liebe und des Zriedend zu 
bringen: ja das iſt der Friede, den ber Erldfer gewiß mit feiner 
innigen Liebe allen feinen Gemeinden wünfcht, und den von einem 
Jahr zum andern von einem Gefchlecht zum andern immer herrli: 

her darzuftellen er für feinen göttlichen Beruf achtet, ‚welchen ex 
auch gewiß ausführen wird. Aber nur diejenigen helfen ipm bauen, 
nur ‚diejenigen koͤnnen feine Werkzeuge dabei fein, welche ben Fries 
den ſuchen und wollen, ben er ben feinigen bringt. 


il. Und .was mit beiden, mit bem Frieden ber Völker und 
mit dem Frieden ber Gemeinden, fo genau sufommenhängt m. th., 


> ⸗ 





Friede fei auh ben Schulen! Ach verfiehe barımter m. a. 3. 
älle die großen Sefammtheiten menfchlicher Beſtrebungen, welche 
unter und fowol der Erforfchung als auch ber Erhaltung und Fort 
pflanzung der Wahrheit gewidmet find; der Erforfhung der Wahr: 
heit in dem heifigen Gebiet bed göttlichen Wortes, welches bie 
Quelle unferd Slaubens iſt; aber auch der Erforfchung ber Wahr: 
heit in Beziehung auf die mannigfaltigen und großen Werke Get: 
tes, unter die- wir geftellt find; der Erforſchung der Wahrheit ent: 
lich in den tiefen ımö noch in fo hohem Maaße unergrümblichen 
Geheimniſſen des menfchlichen. Geiftes; jede edle Thaͤtigkeit, bie in 
den Häufern, in dem Öffentlichen Zeben, in den gemeinfamen An- 
falten des öffentlichen Unterrichts darauf verwandt wird, was bie 
vergangenen Gefchlechter, was wir felbft. mit Anflrengung unferer 
geifligen Kräfte erforfcht haben und erkannt auch zu bewahren umb 
zu uͤberliefern ben kuͤnftigen Sefchlechtern, damit ihnen der Weg von 
unfertwegen nicht verfperrt fonbern vielmehr geebnet werde zu gr 
ßerem Hortfchritt, und fo in jeder Beziehung, wohin die Wahrheit. 
ihr Licht und ihren Segen verbreiten kanm, auch bie Söhne befter 
werden mögen ald bie Väter. O wenn biefer Igte Wunſch alle 
wahrhaft befeelte, welche berufen find an bdiefem großen Werl zu 
, arbeiten: wie viel weniger würben wir dann fehen,- daß ein leeres 
und eitled Trachten nach menfchlihem Ruhm und nach überwiegen: 
dem Anfehn, ein Beſtreben feine eigene Perſoͤnlichkeit ausſchließlich 
geltend zu machen diefen heiligen Dienſt ber Wahrheit verfülfck, 
und ein Gebiet bed geifligen Lebens, welches nur gebeihen kann in 
dem frieblichften Verein von Kräften, auch wieber zu einem Schau: 
play bed Streit bed Haders des leibenfchaftlichen Zwiſtes gemacht 
wird. Aber nicht nur wänfche ich unfern Anftalten, um in bie 
Kenntniffe und Fertigkeiten, welche wir errungen haben, das jänger 
Geſchlecht zwekkmaͤßig einzuleiten, einen friedlichen und ficheru in: 
sem Gang; nicht nur gemahnt es mich ald ob, fo lange wir noch 
fo unftät wie feit geraumer Zeit von dem einen zum andern bin 
und ber wanken, jezt eine neue Regel, dort eine neue Borfchrift, 
hier eine neue Art und Weife, noch Fein rechter Friede im biefer 
Angelegenheit fei, wobei ich nicht fo mißverflanden fein möchte, als 
ob-ich bier eine heilfame Mannigfaltigkeit flören wolle: aber wenn 
fih auch hier feindfelig Parteien gegenüberftellen mit Beſchuldigun⸗ 
gen, ald wollten bie einen das jüngere Geſchlecht anführen gegen 
das wohlperdiente Anfehen des älteren, und die andern, ald wollten 
fie es um die größeren Segnungen betrügen, zu denen ed durch bie 
Entwikklung der menſchlichen Dinge berufen fei: wie ſehnlich muͤſ⸗ 








761 


fen’ wir dann eine treue Wereinigung ber Kräfte herbeiwuͤnſchen, 
weiche in der Zugend und Tüuͤchtigkeit aud) . bie: Befcheidenheit dar· 
zeiche, ein gegemfeitiged Anerkennen loͤblicher und gottgefälliger Ans 
firengungen, eine chriſtliche Selbfiverläugnung, welche nichts für fich 
ſelbſt fein. will und fuchen, und dadurch den Stachel jeder Afterrebe 
abftumpft, fondern nur ſich dem Dienfte der andern weihen, zufries 
den, fobald befferes ans Licht gebracht werben kann ald das eigene, 
auch diefed untergehn zu fehen in dem beffiem, und ſich deſſen mit: 
zufreuen um bie größeren Segnungen mitzugeniegen. Wenn dieſe 
Sefinnung alle befeelt: ja dann wirb ein wahrer Friede auf bie 
fem großen und allen fo wichtigen Gefchäft unferd gemeinfamen - 
Lebens walten. . | u 

IV. Aber endlich und zulezt m. th., derfelbe Friede fei nun 
auch den chriſtlichen Häufern, in welchen boch wenigſtens ober 
an welche fi) anlehnend jede einzelne Leben unter und ſich be» 
wegt. Auch in biefer Beziehung müffen wir vieles rühmen. Die 
Zeiten find nicht mehr, wo alter eingewurzelter Haß zwilchen gro⸗ 
fen Familien dad gemeinfame. Wohl gefährdete und oft genug das 
Feuer einer weit verbreiteten Zwietracht entzündete; die Zeiten find 
nicht mehr, wo um dieſes ober jenes Außern Beſizes willen, der in 
andere Hände übergegangen war, ein bleibender Wiberwille von eis 
nem Geſchlecht zum andern forterbte. Aber dem ungeachtet, wenn 
wir es bedenken,‘ welche große zufammengefezte Anflalten. in jedem 
irgend bedeutenden chriſtlichen Volk und Land nur dazu errichtet 
find und mit Anfirengung aufrecht erhalten werden, um. die Streis 
tigfeiten zwifchen einzelnen: Familien und Perfonen über ihren Bes 
fi, und Eigenthum zu fehlichten; wenn wir dies bebenten: fo muͤſ⸗ 
fen wir erflaunen, wie unvollkommen noch ber Friede ifl. Ja frei⸗ 
lich, wenn es ſich jedesmal darum handelte zu wiſſen, was nun 
wirklich recht iſt: o dann waͤre das ein edles Beſtreben, der Ge: 
genſtand möchte noch fo geringfügig fein und noch fo wenig bedeu⸗ 
ten. So wie in irgend einem Falle ald fehroierig und nicht leicht 
zu enticheiden in Frage kommt, was in Webereinftimmung fei mit 
unfern Gefegen und Orbnungen, und wad ihnen zuwiber, welches 
hier die Regel fei, nach der entfchieben werben muß und geſchlichtet: 
dann gewiß, da der naͤmliche Zweifel ja auch vorkommen kann in 
groͤßeren und wichtigeren Dingen, wollen wir es nicht tadeln, wenn 
jemand die Zuflucht zum Richter nimmt, wie freilich der Apoſtel 
Paulus es uͤberhaupt tadelt an den Chriſten, daß ſie ihre Streitig⸗ 
keiten braͤchten vor die Richter, die abet damals nur Heiden waren, 


wir wollen es nicht tabeln, daß Streitigkeiten gebsacht: werben vor 
chriſtliche Richter um diefer Urſach willen. Allein wenn wir dieje 
nigen fragen, welche ihr Leben dieſem Berufe widmen, was dem 
wol in ber Regel ber Grund ſei, warum bie Menſchen ihre Ent: 
ſcheidung in Anfpruch nehmen: fo werben fie und fegen, daß jenes 
nur vom Heinften heile gilt, daß bei weiten bie meiften Streitig 
keiten, weiche vor ben Richter kommen, entweber nur ihren Grund 
haben in einer betrüglichen Abficht bed einen Theils, welcher bem 
andern ben Genuß feines Mechte fo lange ald möglich zu vermei: 
- gern fucht, ober im einer leibenfchaftlichen Aufregung, welche auch 
das einfachfte und klarſte nicht fehen will. Wenn wir dad hören 
unb und fragen, ob ed fi) wol für Chriften ziemt einander fe ver 
- den Richter zu ziehen: fo wird dad niemand bejahen wolln. Gel: 
Nlen diefe ſich um Kleinlichkeiten in leidenſchaftliche Zuflände verſe 
zen und dann die Zeit und Kräfte fo vieler Männer für ihre Arm 
feligkeiten in Anſpruch nehmen? Gebührte ed fidy nicht in allen 
nicht ganz verwilkelten Fällen, daß Chriſten als Wrüber ihre frei: 

tigen Anfprüche einem britten auch als Bruder vertrauten und fe» 

nee Enticheidung unterwürfen? Was am fchnellien den Zw 

fhlichten kann, dazu follten unbefümmert um den. Gegenſtand beide 

Theile bereitwillig greifen, um nur bald moͤglichſt wieder in dem 

Berhaͤltniß des Frieda und der Liebe mit einander zu ſtehen! Se 

wenn wir und denen, daß dieſer Weg beireten würde, bag allmäh: 

lig immer mehr jene großen und weitverzweigten Anflalten dei 

Staateb um dad Recht zu erkennen überflüffig würben: dann Hi 

ten wir einen Fortfchritt zum Frieden gemacht und würden beld 

auf bebentende vergangene Zeiträume mit Werwunderung. juräfffe 

- ben, wie lange man doch dieſen Zuflanb ertragen und nicht Ion 

früher dieſes einfache Mittel ergriffen habe, wie nicht Die Liebe fir: 
Ber geweien iſt als der Eigennuz unter denen, bie ja ganz von ber 
Kraft der Liebe follen geleitet werben! 

Aber fehen wir nun auf das innere der chriflfichen Häufer! 
Bern ein neued Jahr. beginnt, wie viel neue chriftliche Hausweſen 
werben in bemfelben wieber errichtet werben! ach, viele werden dar 
unter von der Art fein — denn fo iſt ed biöher noch immer gewe: 
fin, — daß diejenigen, weiche fie fegnen follen im Namen der drif: 
lichen Kixche, den neuen Hausſtand aufnehmen als ein Sieb im bie 
chriſtliche Gemeinde, nur bad bange Bewußtſein in fich tragen, daß 
daB Feine Stätte bed Friedens fein werde und fein inniger Bund 
für dad Leben, kein treues Zuſammenwirken ber Gefchlechter zu un: 
fern gemeinfamen großen Zwekken! Und wie beflätigt nicht immer 


die Erfahrung aufs neue Da Be wie weit find wir noch 
davon entfernt fagen zu können, es. fei bedeutend befier geworben! 
Ach, wenn body alle bedaͤchten, was eb für eine große Sache iſt, 
wenn zwei ſich vereinigen ſollen um dem Herrn einen neuen ges 
- meinfamen Altar zu erbauen; welcher Emft ber Gemüther dazu ges 
- hört, weldye tiefe Ergründung feiner felbft und des andern; wie 
weit jeber. flüchtige Raufch aufgeregter Sinnlichkeit entfernt bleiben 
fol von folchem Entichlug! wie für diefen nur eine Liebe genügt, 
welche begründet iſt auf die Liebe zu Gott und zu dem Erloͤſer! 
ja dann wuͤrden wir wol mehr Frieden in den Haͤuſern haben! 
Und wie koͤnnten wir an einem Tage wie der heutige hier 
verſammelt ſein, jeder ſeinen ganzen Kreis, alle, die Gott in ſeine 
Naͤhe geſtellt hat, vor Augen und im Herzen habend, jeder ſeine 
Gedanken gerichtet auf dieſes große verwikkelte Treiben ber Mens 
ſchen in einer Stabt wie die unfrige, und unter einem großen weit. 
verbreiteten Volke wie das unfrige, jeder mit dem Bewußtſein, das 
Wohl bed ganzen fteht nur in dem. Wohl ber einzelnen, bie eins 


zeinen haben ihre Wurzel und befommen ihre geiflige Nahrung in 


dem chriftlichen Hausweſen: und Eönnten nicht dabei bebenfen, wo 
der Friede herfommen fol unter den Voͤlkern, wenn überall in ber 
Stile ‘der Häufer die Leidenfchaft wühlt, bie fi ch Bahn machen 
muß nach außen; wo der Friede herkommen ſoll in den Gemein⸗ 
den, wenn in den Haͤuſern nicht die Kraft der Gottesfurcht in dem 
ſchoͤnen aͤchten Sinne des Wortes waltet, wenn nicht der Friede 
Gottes in den Herzen iſt; wo der Friede herkommen ſoll in den 
aͤußern Verhaͤltniſſen des Lebens, wenn die tägliche Nahrung des 
Geiſtes nur Hader und Zwiſt iſt! Aber mitten in dem Bewußt: 
fein unferer Unvollkommenheit, o laßt und bedenken, dazu find wir 
bier verfammelt gewefen, daß ber Erlöfer in unfere Mitte treten - 
folle; hier findet er Feine verfchloffenen Thuͤren; fie find ihm geoͤff⸗ 
net, er wirb erwartet, er wird erfehnt, und wir hören nichts aus 
feinem Munde als diefe fhönen und herrlichen Worte, Zriebe fei 
mit euch! Und wir wiffen ed und fühlen ed, wirb dieſes und in 
dieſem neuen Jahre des Lebens in immer reicherem Maaße zu 
Theil: o fo fehlt-e8 und auch nicht an ber Seligkeit, welche er ges 
Tommen ift der Welt zu bringen; bann werden wir auch in uns 
ſelbſt fchon immer mehr die freudige Erfahrung machen, daß er 
nicht gelommen iſt die Melt zu richten — benn ed giebt nichts 
mehr zu richten, wo fein Friede waltet, — fonbern die Welt ſelig 
zu machen. Laßt uns benn laufchen auf fein Wort und es tief 
eingraben in unfer Herz, vaß es darin gebeihe zu einem Träftigen 





768 


Gewaͤchs des Glaubens und der Liche! "Denn went ſchon alle 
me im Zrieben gebeiht: fo find in dem Frieden des SHerm alle 
Güter eingefchloflen, die uns entgegenglaͤnzen als Gegenſtaͤnde um: 
ferd Beſtrebens fowol in dem geifligen und innern als in bem Au: 
Sen unb öffentlichen Leben. Se alfo fein Friede mit uns! feien 
wir jeber an feinem Ort und nach feinem Maaß auch Gehälfen 
des Herm um biefen Frieden herbeizuführen: dann wirb es em 
geſegnetes Jahr des Herrn ſein, in welchem alle Worte ſeiner theu⸗ 
ren Verheißung zu immer reicherer Erfuͤllung gelangen werben für 
und alle! Amen. 


eied 659. 








LXMmI. 
Am 1. Sonntage nad Cpiphan. 1834. 


Eich 38. 5 


Text. Mark. 12, 28 — 34. 


Und es trat zu ihm der Schriftgelehrten einer, der ihs 
. nen zugehört hatte, wie fie fi mit einander befragten; 
und fah, daß er ihnen fein geantwortet hatte, und fragte 
ihn, Welches ift dad vornehmfte Gebot vor allen? Jeſus 
- aber antwortete ihm, Das vornehmfte Gebot vor allen . 
Geboten ift das, Höre, Israel, der Herr unfer Gott ift 
ein einiger Gott; und du folft Gott deinen Herm lieben 
von ganzem Herzen von ganzer Seele von ganzem Ges 
müthe und von allen deinen Kräften. Das ift das vor» 
nehmfte Gebot. Und das andere ift ihm gleich. Du 
ſollſt deinen nächften lichen als dich felbfl. Es ift Fein 
anbered größere Gebot denn biefe. Und der Schriftges 
lehrte ſprach zu ihm, Meifter, du haſt warlich recht ges 
redet; denn ed ift Ein Gott, und iſt Fein anderer außer 
ipm. Und benfelbigen lieben von ganzem Herzen, von 
. ganzem Gemuͤthe, von. ganzer Seele und von allen-Kräfs 
ten, und lieben feinen nächften wie fich felbft, das ift 
mehr denn Brandopfer und alle Opfer. Da Jeſus aber 
ſah, dag er vernänftiglich antwortete, ſprach er zu ihm 
Du biſt nicht ſerne von dem Reich Gottes. 


M. a. Z. Dieſe Rebe unfers Erloͤſers iſt gewiß auf der einen 
Seite und allen pa8. allerhefanntefle; fie “ e8, an welcher und.von 





708 
Kindheit an der gefammte goͤtlliche Wille an bie Menſchen darge: 
ſtellt wird; fie ift 8, welche wir und immer vorhalten als 
Spiegel für unfere Sebfiprüfung und unfere Selbſterkenntniß, in 
welchen wir hineinzufehen haben vorzüglid bann, wann wir uns 
bereiten ‚wollen dad Mahl ded Herrn zu begehen, und alfo uns 
felbft zuvor vor ihm prüfen. Aber gewiß finb auf ber andern Seite 
eben fo fehr auch diefe Worte des Erlöferd das unerfchöpflichfte, wa? 
fi denken läßt. Wie könnten wir ed jemald ausbenfen, was in 
diefen „wenigen Worten enthalten ift! wer wollte ſich zutrauen, ba 
er den Inhalt davon ermeffen koͤnne, daß er fo, wie er freilich von | 
dem Weſen der Sache burcchdrungen ift, doch ben Anfang und ba} 
Ende diefer Liebe zu Gott und zu dem naͤchſten in ihrem ganzen 
Umfange ſich könnte vorhalten und vergegenmwärtigen, eines nad 
dem andern in Worten ausfprechend! So fcheint fie denn in beiden 
"Beziehungen wenig dazu gemacht, um einer einzigen kurzen Be 
tradhtung, wie die find, welche wir hier mit einander anftellen, zum 
Grunde gelegt zu werden. Es iſt aber auch meine Meinung m. 
a. 3., das bekannte dabei zwar vorauszuſezen und darauf zu bauen, 
in dad unerfchöpfliche davon aber mich nicht zu vertiefen; ſondern, 
worauf ich unfere Aufmerkjamkeit in dieſer Stunde hinlenken ml, 
iſt nur das Eine aus diefer Rebe des Eriöfers, nämlidy daß wir 
uns recht deutlich machen mögen, was für ein Verhaͤltniß er ei⸗ 
gentlich voraudfezt zwifchen ben beiden hier aufgeflellten, ber 
Liebe zu Gott von ganzer Seele und der Liebe zu dem näd- 
ſten als uns felbfl. Zu dem Ende werden wir zuerſt auf das 
Gefpräch, in dem ber Erlöfer diefe Antwort gab, genauer merken, 





"am feine eigentlichen Gedanken dabei zu erforfchen, und dann laß 


fet und fehen, wie «8 in diefer Beziehung mit ynferem eigenen in 
neren Bewußtfein fleht, ob wir darin auch bie Meinung, des Erl 
ferd auffinden koͤnnen. 


I. Was alfo zuerſt dad Geſpraͤch betrifft, in dem wir ben 
Erlöfer finden: fo haben wir, wenn wir doch an feine Worte da: 
bei vorzüglich gewiefen find, zweierlei zu untericheiden, zuerſt die 
Antwort, welche er giebt, und dann bad Lob, welches er dem fra⸗ 
genden ertheilt in Beziehung auf die Art, wie er feine Antwort 
aufgenommen hatte. Aber freilich um die Antwort bed Erloͤſers 
richtig zu verftehen, müffen wir auch erft willen, was denn wol für 
einen Sinn und für eine Meinung der fragende hatte, weswegen 
ee mit diefer Frage zu dem Erlöfer trat, welches benn bad Bor: 
nehmſte fei unter allen göttlichen Geboten. Deren nämlich gab es 
in ben Büchern des a. B., in den Neben Moſis an bad Well 


7867‘ 


‚ während ber langen Beit, baß er es führte in der Wuͤſte, und Sum 
zufammengefaßt noch einmal, indem er im Begriff wär eB über ben 
Zug zu führen, damit fie dad Land einnehmen follten, welches der 
Herr ihr Gott ihnen ‚gegeben hatte, deren gab’ ed. eine große Menge, 
auf dad .mannigfaltigfte zufammengeftellt und vertheilt in dieſen 
Büchern. Aber ein merkwuͤrdiges Wort fprach ber Herr, ald ex 
dem Volke zuerft dieſes Gefez in feinen Anfängen vorlegte, aus bes 
nen ed hernach weiter follte entwilfelt und ihm in nerfchtebenen 
Abfäzen vor Augen geflellt werben. Er läßt ihnen nämlich fagen, 
wer nicht bei allen diefen Worten bleibe, welche gefchrieben wären 
in diefem Gele, der koͤnne auch an ben Segnungen, bie bem Volke 
bei der Befolgung biefed Geſezes verheißen wären, deinen Theil 
nehmen. ‚Bei. allen alfo follten fie bleiben! Darin lag aber beub 
lich genug die Vorausſezung, daß ed einen ſolchen Unterfchieb wie 
der, nach weichem ber Schriftgelehrte unferd Xerted fragte, nicht 
gäbe; denn nur in fo fern, ald alle Gebote einander gleich waren, 
konnte eine foldye Forderung geftellt werben, bei allen- ohne Unter⸗ 
fchied zu bleiben, Feines hinter dad andere zu ftellen. Und ba die 
Unmöglichkeit hievon je länger je mehr erkannt wurbe und in das 
allgemeine Bewußtſein bed Volkes aufgenommen war, baß wol je 
der fat unvermeidlich. fehlen müffe bald gegen das eine bald gegen 
dad andere unter diefen Geboten, in biejes Bewußtfein, fage ich, ' 
hatte ſich zugleich faſt allgemein der Glaube eingefchlichen, daß eben 
beöwegen, weil eines von diefen "Geboten benfelben Werth habe als 
das andere, indem fie alle von Bott kaͤmen, und alle einander gleich 
geftelt wären, dad einzige, was der Menſch thun Tönne, doch ins 
mer nur dieſes fei, habe ex dad eine überfehn und dagegen gefehlt, 
fo müfle er deſto treuer und fleißiger deſto genauer und anbächtiger 
irgenb andere beobachten. Aber bavon wurbe zu ber Zeit bed Er: 
(öferd ber verberblichfte Mißbrauch gemacht. Darauf gehen fo viele 
von benjenigen Reben unferd Herm, worin er die Schriftgelehrten 
und die Phariſaͤer tadelt, indem er ihnen vorwisft, daß fie Aber 
dem Heinften in dem Geſez mit fo großer Wichtigkeit hielten, aber 
dafür dad größte vernacdhläffigten, und indem fie nun felbft fo leb⸗ 
ten und bandelten, dadurch zugleich wenn auch nicht mit Worten 
doch mit der That dad Volk, welches auf fie zw fehen gewohnt 
war, eben alſo lehrten und ed verführten auf unheilvolle Abmege. 
Diefe feine Reden fezen alle im Gegenfaz gegen bie bergebrachte 
und allgemeine Meinung eine folche Ungleichheit voraus, eim grös 
ßeres und ein gesingered in dem Geſez; und darauf bezieht fich ei« 
gentlih die Frage diefed Schriftgelehrten, fo daß wir auch nicht 
wiſſen tönnen, ob er babei ganz fo nur wißbegierig geweſen et, 


wie er und wol erſcheint, ober ob nicht auch er anfänglich cim 
ähnliche Abficht gehabt habe, wie vorher in unferem Evangelio un: 
erzählt wird von den Sadducaͤern und früher von ben Pharifäcn, 
daß er nämlich auch woßte dem Erloͤſer eine verfängliche Frage 
vorlegen, wie er fi) wol heranöziehen würde, wenn ex nun ein von 
nehmſtes und erfled Gebot vor allen übrigen wirklich nambaft ms 
chen follte. Nun aber bleibt ber. Erlöfer doch genau bei den Won 
ten bes Geſezes fliehen, inbem er ihm fast, dies fei das vornchmik 
und größte Gebot. Und. wie wäre es wol möglich, daß irgenb je 
mand Bönnte diefem (Gebot irgend ein andered gleich flellen! Aber 
freilich muͤſſen wir auch wol gefiehen, wenn ber Schriftgelehrte an 
biefe Worte gebacht hätte, ſo würde er wahrfcheinlich feine Frage 
nicht gethan haben. Das fehen wir aus ber Art, wie er fi fe 
gleich felbft, fo wie er die Antwort bes Erlöfers erhalten hat, zum 
Schweigen bringt und ihm Recht giebt. Allein dieſe Worte, Höre, 
Israel, der Here dein Gott iſt ein einiger Gott umb du fol ihn 
lieben von ganzem Herzen und von ganzem Vermoͤgen *), biefe, 
fage ich, flanden nicht in irgend einer Reihe von einzelnen Gebeten 
und Borfchriften, wie ed deren fo viele giebt in ben Büchern Moſis, 
nicht als ein Gebot und eine. Vorfchrift feibft, fonbern unter bem 
Beweggründen, welche dem Volk vorgehalten werben, bamit es won 
alle dis einzelnen Gebote und Vorſchriften, welche in bem Gele; 
enthalten find, auch zu halten fich beflrebe, unter diefen Beweg⸗ 
gründen wirb ihnen das vorgeftellt, daß ihr Gott der einige Gott 
fei, den fie von ganzer Seele und ihrem ganzen Wermögen zu lie 
ben hätten, und deöwegen auch alled zu thun und zu beobachten, 
was er ihnen vorfchriebe. So konnte denn ber Erfofer allerdings 
damit zufrieden fein, daß feine Antwort demjenigen genligte, weicher 
ihn geftagt hatte, und daß biefer ergriffen war von dem Unteridiebe 
zwifchen einem folchen göttlichen Willen an die Menfchen, wie ber, 
daß fie ihn lieben follten von Grund ihres Herzens, und allen fel- 
chen einzelnen Vorſchriften, bie in dem Geſez enthalten find, und 
von denen wieder bie meiften und die ausfuͤhrlichſten gerabe bie 
Opfer betreffen, welche dem Herm bei verfchiedenen Gelegenheiten 
auf verfchiedene Weile darzubringen waren; wie denn darauf aud 
die Antwort ded Schriftgelehrten deutet, indem er fagt, Das freilich 
ift mehr als alle Opfer, mithin audy ald die einzelnen Borfepriften 
des Geſezes. 

Aber der Erloͤſer ſelbſt hatte doch an dieſer Antwort auf die 
Frage des Schriftgelehrten, welches denn das vornehmfte Gebot fei 





8 Moſ. 6, 4. 8. 





769 


vor allen, fo weit fie nur bie Liebe zu Gott angiebt, noch nicht 
genug, fonbern er fügt hinzu, Dad andere ift dem gleich, bu ſollſt 
lieben deinen ‚nächften als dich felbfl. Wenn wir uns nun aber im 
diefer Beziehung an bie. Stelle jenes Schriftgelehrten fegen: fo wer: 
ben wir und wol fagen müflen, baß er fehr leicht grade durch Dies 
fen Zuſaz auch bei dem reinften Willen nur in eine neue Verlegen: 
beit gerathen konnte und fich zu einer neuen Frage an den Erlös - 
fer ‚genöthigt finden. Denn wenn jenes erfte, die Liebe zu Gott - 
von ganzem Herzen, das vornehmfte Gebot war, das andere aber, 
die Liebe zu dem nächften, wie fie ber Exlöfer beichreibt, ihm gleich: 
fo. gab es ja doch wieder -wenigftend zwei Gebote, die ein gleiches 
Recht hatten an den Menfchen .und gleiche Forderungen machen . 
konnten, fo wie Chriftus das eine dem andern gleich ftellte: und fo 
entftand ja natürlicher Weiſe aufs neue die Frage, Ia unter diefen 
beiden welchem gebührt denn der Vorzug? ine Frage, die ber 
Erlöfer freilich nicht mehr zulafien zu wollen fchien, da er aud 
druͤkklich ſagt, Jenes zwar ift das vornehmfte unter allen den Ge 
boten, welche bu im Sinne haft; das andere aber: ift eben jenem 
gleih. Aber wenn fie nun wirklich zwei find, wenn fie wirklich ei» 
nes von dem anderen verfchieden find: wie kann der Menfch zu 
gleicher Zeit beiden genügen? In jedem Augenbliff feines Lebens 
wird alfo das eine von ihm gefordert und dad andere zugleich, wie 
ift e8 alfo möglih, daß er in irgend einem Augenbliff feined Le 
bens fich felbft oder dem, welcher dieſe beiden Gebote an ihn ſtellt, 
gerecht fein Eönne? Indeſſen der Schriftgelehrte fchlug diefen Weg 
nicht ein fondern ließ ſich die Sache fo gefallen, ohnerachtet der 
Erlöfer beide Gebote als verfchiedene hingeftellt hatte, fie doch gleich 
zufammen zu faffen und fie als eined anzufehen, indem er einges. 
fieht, Das ift wahr, die Kiebe zu Gott von ganzer Seele und bie 
Liebe zu dem nächften als uns felbft, das beides, indem er es fich 
ald eines dachte, ift mehr werth ald alle Opfer. Und mit diefer 
Zufammenfchmelzung nun erktärt fich ber Erlöfer zufrieben, wie 
denn ber Evangelift fagt, weil ber Mann verfländig geantwortet, 
babe Chriſtus zu ihm geſagt, Du biſt nicht ferne vom Reich Got⸗ 
tes, worin ja natuͤrlich eine gaͤnzliche Billigung dieſer ſeiner Ant⸗ 
wort liegt. Aber ſo ſind wir nun zwiſchen beide geſtellt; der Er⸗ 





loͤſer in ſeiner Rede ſtellt beide Vorſchriften als zwei verſchiedene 


dar, das eine als das vollkommenſte, naͤmlich in Vergleich mit al⸗ 
len den einzelnen Geboten und Vorſchriften des Geſezes, das an⸗ 
dere aber als ihm gleich; derjenige hingegen, den er belehrt und der 
ihn gefragt hatte, faßt gleich beide als eines zuſammen. So ſind 
ſie alſo geſchieden und ſind doch auch eines; das iſt das Verhaͤlt⸗ 
Ecc 


770 


niß beider, worauf und ber ganze Zufammenhang unfered Zert: 
führt. Und nun laffet und denn fehen, ob und wie auch wirt: 
ſes in unfer eigenes innerftes Bewußtſein aufnehmen Eönnen, uw 
“ wie wir alfo nun bei der Treue, die wir dem Herrn fchulbig fe 
unfer ganzes "Leben in dieſer Beziehung zu ftellen haben, ob m: 
biefe beiden Gebote ald zwei zu erfüllen haben, ohne eines in Ned- 
theil zu fellen, ober ob wir ein Recht haben fie nur als eines «: 
ten zu laſſen. 


Tl. Zuerſt m. a. 3. werden wir wol hierin gleidy zuſamme 
flimmen, beide find nicht fo von einander verſchieden und nidt ir 
dem Sinne zroei, dag die eine von dieſen Vorfchriften koͤnnte befelgı 
werden unb die Hegel unferd Lebens ausmachen ohne bie anten. 
Liebe zu Gott von ganzem Herzen, wie der Erlöter fie beſchreibt, 
ohne Liebe zu dem nächften ift etwas, was wir und nicht benfen 
Tonnen. Wenn wir die Liebe zu dem nächften hinweg denken: ma 
follen wir ihm an die Stelle ſezen? Nur entweder ben Haß oder 
die Gleikgültigkeit! Aber was konnten ed wol für Gedanken ven 
dem hoͤchſten Weſen, was für ein Bild Vorſtellung oder Begrĩ 
von Gott fein, und was für eine Liebe zu dieſem, welche verrun: 
den fein Eönnte mit Haß gegen den naͤchſten? So müßte jan 
türliher Weiſe, wenn die Kiebe zu Gott doch den Menfchen beit: 
len foll, der Haß auch etwas haben, was Gott wohlgefiele; Gett 
müßte gedacht werden ald auch den Haß mit Wohlgefallen ame 
hend alfo auch felbft ihn theilend! Oder wenn "wir und denen 
follen Liebe zu Gott auch nur verbunden mit Gleichgültigkeit gegen 
den nächften: woran foll fich denn die Liebe zu Gott beweiſen, med 
fol fie bewirten? oder fol fie eine ganz unthätige fein und nut 
darin beftehen, dag der Menfch wol für ſich allein im ſeinem ie 
fchränkten und ohne alle Wirkfamkeit dody nur nichtigen Dalin 
fih Gott, ihn mit Wohlgefallen dentend, gegenüberftellt? Was für 
eine verworrene Borftelung von einer Liebe, die fich fo in fich lebt 
verzehrt! Oder was für eine verworrene Vorftelung von Soft, 23 
ob der Menſch ihm feine Liebe koͤnne zu erkennen geben burd e 
wad, das ohne Verbindung mit dem Wohl bder- Menfchen ald 7 
äußerer Dienft Gott zu leiſten wäre, oder wie willkuͤhrliche Empe 
fungen und Zeichen, welche von ber Liebe follten Zeugniß geben, 
die er in dem. Herzen trägt, ohne alle Verwandtſchaft mit der Liebt 
zu feinen Mitgeſchoͤpfen! Das ift mithin gewiß, Liebe zu S 
kann nicht fein, wenn nicht zugleich Liebe -zu dem naͤchſten dobei 
ift, alfo getrennt auf diefe Weiſe kann beides nicht fein. 











771 


Aber ebenſo werden wir auch leicht zugeben, daß eine Liebe zu 
Dem naͤchſten, fo wie der Erloͤſer fie hier beſchreibt, ſich nicht den⸗ 
Ten läßt ohne bie Liebe zu Gott. Doc wird dies m. th. 3. viel: 
leicht nicht fo unmittelbar von euch aufgefaßt wie jenes, und es 
Drängt fih wol gar ein’ bitterer und fchwermüthiger Gedanke ba- 
zwiſchen. Es giebt ja, wir wiſſen es nicht nur aus den Gefchich: 
ten älterer Zeiten, fondern wir vernehmen nicht felten noch hier und 
Da, daß laut genug darüber geflagt wird, ed gebe Menfchen, welche 
unglüfflid genug find den Glauben an Gott nicht in ihrem Her: 
zen zu tragen. Wo nun ber Glaube nicht ift an Gott, da Tann 
ja unmöglic bie Liebe zu ihm fein. Won biefen, wie fehr fie ber 
Gegenſtand unſers Bebauerns fein mögen, ſollen wir nım auch das 
noch behaupten, daß fie, weil fie aus Schuld ihres vielleicht doch 
unverfchuldeten Unglaubend, und willführlih ift ja doch einmal 
nicht3 in dem Glauben oder Unglauben, der Liebe zu Gott nicht 
fähig find, auch der Kiebe zu dem nächften nicht fähig feien? Wie 
follte e8 möglich fein, daß wir anf irgend. eine Weife mit folchen 
lebten, wenn es dergleichen gäbe! wie follte ed möglich fein, daß 
fie fih nicht ganz von felbft ausgeſchloſſen fanden aus der Gemein: 
fchaft ber Menfchen, daß ſich nicht jeder von ihnen entfernen müßte, 
um fie ganz ihrer ungläubigen und lieblofen Nichtigkeit zu über: 
laffen? Und body wenn wir dem genauer nachgehen, wa8 nicht fels 
ten von bergleihen Menfchen, welche an Gott nicht glauben, ges 
fagt wird, ich nehme aus wenn e3 folche find, die noch auf ber 
niedrigften Stufe ded Bewußtſeins niebergehalten werben und noch 
nicht fo viet aufgenommen haben in ihrem Gemüth und fich ſelbſt 
noch nicht fo weit entwißfeft, daß ein Bewußtſein von Gott in ih: 
nen erwacht wäre; wenn ed aber folche nicht find, wenn mitten aus 
einer Welt wie die unfrige, in einer Geſellſchaft, wie bie unfrige 
ift, und einige als folche von felbft entgegentreten, ober e8 wird 
und gefagt von ihnen, daß fie an Gott nicht glauben Tönnten: wird 
es ſich nicht größtentheild fo verhalten, daß biefelben Zeugen, welche 
dieſes audfagen, auch dad von ihnen rühmen, fie übten ohne alle 
Nebenabficht gar viele wohlmollende und wohlthätige Handlungen 
und fchienen ſich für jenen Mangel in den innerften Tiefen ihres 
Gemuͤths am liebften dadurch fchablod halten zu wollen, daß fie 
auf allerlei Weiſe Liebe und Freundlichkeit gegen ben nächften be: 
wiefen, kurz, fie gäben und das Bild eines Gemüthes,. welches, 
wenn wir nur jened abrechnen wollten, fo gut und edel bewegt und 
erfünt ift im jedem Augenblikk, daß wir ed nur billigen und uns 
deffen freuen koͤnnten? Und wir follten dennoch fo fireng fein zu 


behaupten, eben bewegen, weil fie Feine Liebe zu Gott haben, fei 
Cec 2 


772 


auch das, was wir ald Liebe zu bem nädhflen nicht umhin tm 
ten zu loben, doch nur ein leerer Schein und babe Feine Wahre 
und keinen rechten Grund? O daB freilich wäre hart! ja was mi 
mebr ifl, wir würden e8 kaum über und gewinnen Fönnen von c. 
nem Weſen, welches doch die menfchliche Natur mit und theilt, & 
feö audzufagen, daß ed eben fo leer von Liebe und Wohlwellg :: 
gen die Menfchen fei, ald ihm in ben innerfien Tiefen feines & 
müthes ber - Glaube an Gott mithin auch die Liebe zu ihm fer 
Aber m. a. 3. dies mag fi) wol ganz anderd verhalten, als m 
e8 und gewöhnlich vorftellen. Ich wenigftend benfe, ed mögen m. 
viele fagen, fie könnten durchaus an Gott nicht glauben; aber m! 
fie bamit meinen, wirb wol nichts weiter fein, als daß gewiik 
Vorftelungen von Gott feinem Weſen und feinen Gigenfheftn, 
die fie am meiften in dem Munde ber Menfchen vernehmen, bi id 
nen nicht einheimifch werben wollen fondern ihnen allerlei Zmuid 
erregen, fo daß fie fich das, was jene vollfommen befriedigt, nicht 
zu einem ganzen Bilde geftalten Fönnen, das fie feflzuhalten ur 
- mögten. Dadurch werben fie dann verwirrt; und gerabe weil iß 
nen die Sache fo groß ift und wichtig, fo erfcheint ihnen dic Un- 
fiherheit um fo mehr als ein gänzlicher Mangel des Glaubens, und 
als hätten fie mit dem Gegenftande beffelben gar nichts zu tie 
Aber ift ed wol möglich, wenn wir doch Zufammenhang fehm u 
einem menfchlichen Leben, wenn fie doch nach denfelben Geſezen tun: 
fen und handeln wie wir, wenn fie fich berfelben geiftigen Regun: 
gen ihres Weſens bewußt finb wie wir, baß ber lezte Grund ven 
allem diefem ihnen ganz und gar fehlen folte? Das iſt nicht mi 
lich! es kann nur ein Mißverfiändnig in ihnen fein, und fie legen 
über fich felbft ein falſches Zeugniß ab, wenn fie fagen, fie könnten 
nicht glauben an Gott! Wol ftehen fie vieleicht auf einer Ihn 
Stufe, wo fie mit Recht fagen mögen wie jener in dem Evangelio 
zu dem Erlöfer: Here ich glaube, hilf meinem Unglauben; aber 
dann wiflen fie doch wie jener in ihrem innerfien um einen Glas 
ben; ihr ganzes Weſen würde fi) verwirren, fie wuͤrden ſich fehl 
verlieren, bad wiffen fie, wenn es nicht ein andere gäbe, von dem 
fie getragen würden und gehalten. Aber weil fie nicht alle meſch 
lichen Vorftelungen bavon zufammenreimen koͤnnen wie andere, weil 
fie fih manches nicht audzufagen getrauen, was auch viele andfpre 
chen und nachiprechen, ohne ſich genaue Rechenſchaft daruͤber zu 
- geben, was damit gefagt werden foll: deswegen geben fie ih den 
Unglauben Schuld, was doch auch nur ein Schein if und nicht 
die innerfte Wahrheit ihre Gemuͤths. Wie Fönnten wir, wir M 
wir in dem Chriſtenthum leben, diefe Zuflände wol anders beur 


973 


Eheilen! Bir, benen es gefagt iſt, Gott iſt bie Liebe, wir müflen 
Ja glauben, wo die Liebe ift da ift auch Gott, wo in einem Men 
ſchen Liebe zu dem nächften fich zeigt, von derſelben Art wie feine - 
Liebe zu fich felbft, fo daß fie dieſelben Gegenflände hat und die 
Felde Richtung, daß er für feinen naͤchſten daſſelbe will und begehrt 
und abwenden zu koͤnnen wuͤnſcht wie für fi ſelbſt, wo dieſe Liebe 
iſt: da iſt auch Gott in der Liebe. Und wo ein ſolches von ihm 
auögehendes Keben ift: da kann ber Menſch fich täufchen in feinen 
Worten, er kann fich verwikkeln in mannigfach ſich durchkreuzende 
Gedanken, er Tann ab und zu in einem traurigen Zuflande des 
Zweifeld und mancherlei innerer: Zerrüttung ‚fein; aber der in das 
innerfle ſieht, der fieht auch in ihm ben wenn auch verbunfelten 
Stauben und wird ihn anderd richten und beffer als er ſich felbfl. 
Und wir,.die wir in ihm die Liebe fehen, was können wir ihm ans 
ders bezeugen, ald indem er diefe hat babe er auch dad Weſen bes 
Glaubens, welchen wir felbft haben, und an biefed Weſen deffelben 
fol er fih halten und fi) aller "weiteren Entwikklungen und bes 
ſtimmten Meinungen lieber entichlagen, fo lange fie ihn verwiren, 
bis ihm vielleicht auch darüber ein hellered Licht aufgeht. So ge 
wiß ift ed m. Fr., daß wir biefe beiden Gebote nicht trennen koͤn⸗ 
nen und in bem Sinne fie für zwei halten, daß eines ohne das 
andere fein Eönne.. Liebe zu Gott ift nicht möglich), wo nicht Liebe 
zu dem nächften iſt, und wo Liebe zu bem naͤchſten iſt, da iſt auch 
wie unzureichend es auch ſein moͤge, ja ſelbſt wie unbewußt es dem 
Menſchen ſein koͤnne, dennoch gewiß auch Liebe zu Gott. 
Aber zweitens, dieſe beiden Vorſchriften des Erloͤſers ſind auch 
auf eine ſolche Weiſe eins, denn daß ſie auch eins ſind, hat er ja 
ſelbſt zugegeben, indem er die Darſtellung des Schriftgelehrten lobte 
als eine verſtaͤndige und vernunftmaͤßige, ſie ſind ſo eins, daß wir 
das eine zu beobachten und befolgen zu koͤnnen uns nur bewußt 
find. vermittelſt des andern. Du ſollſt lieben Gott deinen Herrn 
von ganzem Herzen von ganzer Seele von ganzem Gemüth und 
aus allen deinen Kräften. Indem nun bier nicht nut das Her 
und dad Gemüth in Anfpruch genommen wirb fondern auch bad 
Bermögen und die Kräfte des Menſchen: fo liegt alfo darin ſchon 
von ſelbſt dieſes, daß bie Liebe zu Gott nicht etwa nur ift eine Liebe 
des Wohlgefallens, eine innere Freude des Herzens an dieſem hoͤch⸗ 
ſten Gegenſtande, welchen zu denken und an welchem Theil zu neh⸗ 
men der Menſch faͤhig iſt; ſondern es liegt darin, daß es eine Liebe 
ſei, welche auch ſeine Kraͤfte in Bewegung ſezt und auch ſein Ver⸗ 
moͤgen und deſſen Aeußerungen regiert. Wie alſo ſollen wir denn 
die Liebe zu Gott, die in unſerm Herzen iſt, beweiſen, wie ſollen 


778 


wir und ihrer als einer thätigen bewußt werben, ald nur durch di 

Liebe zu dem nächften, weiche gleich ift der Liebe zu und feihf? 
Ja wenn wir noch weiter gehen, auch wenn wir die Liebe nur be 
trachten ald die Sache des Gemüthd und ber Empfindung, wen 
wir auch nur denken an bad innere Wohlgefallen des Menichen as 
bem unauöfprechlichen Weſen, welches wir mit biefem Euren um 
türzeften Wort bezeichnen, auch deſſen iſt der Menſch nicht andırz 
fähig ald durch die Liebe zu feinem naͤchſten. Wir hoͤren es ft 
fagen, wir erfennen Gott an feinen Werken, und freilich ohne biek 
gäbe es keine Erkennmiß Gotted, und ber Apoflel Paulus fh 
beruft ſich auf diefe Offenbarung Gottes in feinen Werken, inden 
er in dem Brief an die Römer fagt, Daß Gott fei, iſt aud da 
Heiden offenbar; Gott hat ed ihnen offenbart, fo fie das nur wahr: 
nehmen wollen an feinen Werfen, nämlid an der Schöpfung de 
Welt *). Und wie oft wird und nicht auf allerlei Weiſe in biefem 
- Sinn zugefprocdhen! An den Schönheiten ber Natur, die und um 
geben, an der Anmuth, die Gott fo mannigfaltig und reich in die 
fer Welt auögeftreut hat, an dem unendlichen, was vor und lieg, 
fo weit unfer Blikk nur dringen fann in dad Gewölbe bes Him 
meld hinein, an diefen unzähligen Welten, welche wir nun al 
folche erkennen: daran könnten wir Gottes wahrnehmen nicht nur 
fondern und auch fein freuen in der Ordnung dem Maaße und ver 
Zuſammenſtimmung, unb alfo und der Liebe zu ihm bewußt wen 
den. Ja wenn bie Rebe wäre von einer an Staunen und Erfler 
rung grenzenden Bewunderung, wenn bie Rebe wäre, daß wir un 
von einem Gefühl des erhabenen und unerreichbaren wollten burd: 
dringen lafjen, um gleichſam zum Erflarren genöthigt und bis an 
die Grenze unferd Bewußtfeind zu verirren: bann wäre jene Be 
trachtung der Werfe Gottes unflreitig dad erfle und nächfle! Abe 
wenn von ber Liebe zu Gott die Rebe iſt: wo follen wir die be: 
nehmen, wenn wir nicht achten auf bie menſchliche Welt! Be} 
find alle dieſe Schönheiten der Natur, was if bie Anmuth unke 
irdifchen Aufenthalts, wenn wir den. Menfchen binwegbenten! De} 
ſchoͤnſte das anmuthigſte verödet und in dem Augenblikk und ij 
nicht mehr im Stande unfer Herz zu rühren und noch weniger ji 
einer Empfindung der Liebe zu bewegen, Und was bebürfen mir 
auch noch dad entgegengefezte aufzuzeigen und zu fogen, Sollen wir 
um bie Liebe Gotted zu empfinden an die äußere Natur gerwicks 
werben; fo fönnen wir doch auch die zerflörende Gewalt nicht un 
beachtet laſſen, welche wir in ihrem Kräften wahrnehmen, fo langt 





’ 


- am. , N 











775 
der Menſch noch nicht feinen Beruf an ihnen geübt und fich. zum 
Herm über fie gemacht hat; und wie fehr wiegt eben diefe wilbe 
Zerſtoͤrung nicht alles anmuthige und alles lieblihe in andern Ew 
fheinungen auf, fo daß zum mindeſten eind das andere aufhebt, 
und wir durch dad Bewußtfein, wie mannigfaltig und von allen 
Seiten dad Berderben droht, in jeber ſolchen Stunde an den. wohl» 
gefälligen Erfcheinungen der däußern Dinge gleichfam eher wieber 
geftört werden müffen und irre gemacht, als fie fich in und zu ei⸗ 
ner Liebe Gottes entzuͤnden Tonnen. Aber wenn wir die Offenba> 
rung Gottes in dem Menfchen betrachten, wenn uns die Welt auf: 
geht, in welcher wir eben unfere Liebe zu beweifen haben, und ins 
dem wir zu bem Bewußtfein derfelben kommen dann auch erft recht 
in unferm inneren Gottes froh werben: ja dann fehen wir ed wol 
ei, wir fommen nicht anderd zu dem Bewußtfein davon, wie fehr 
oder wie wenig wie herzlich oder wie getrübt wie rein ober wie 
unvollfommen wir Gott lieben, als wenn wir unfer Leben Weben 
und Wirken unter den Menfchen betrachten. Gewiß, wo bie Liebe 
zu ihnen in unferm Herzen erſtarrt ift, wenn auch nur in’ vorüber 
gehenden Augenbliffen, o da fehlummert in demfelben Augenbliff 
auch bie Liebe zu Gott in und, und wir werben und ihrer nicht be: 
wußt, ſondern nur indem wir liebend unter den Menfchen leben. 
und wirken, tritt auch die Liebe zu Gott in unferm innern hervor. 
Aber eben fo auf der andern Seite, wein ed darauf ankommt. uns 
zu überzeugen, ob die Liebe zu unferm nächften auch bie ift, ‚welche 
der Erlöfer befiehlt, ob fie auch biefelbe ift wie die Liebe zu und 
felbft, ob wir dahin gekommen find Feinen Unterjchied zu machen‘ 
swifchen ihnen und und: darüber fönnen wir nicht anderd zu einer 
fihern Erkenntniß kommen, ald werm wir in unfer inneres gehen 
und und darauf prüfen, ob wie bei aller Dangelhaftigkeit und Uns 
vollkommenheit doch darin die Liebe zu Gott finden ald das, wovon 
unfere Liebe zu dem nächiten auögeht; denn alsdann iſt diefe auch 
gewiß die rechte. Wenn ein Streit iſt zwifchen der Liebe zu uns 
und ber Liebe zu dem nächften und biefe beiven noch nicht ganz eis 
nerlei fein wollen, wie ber Erlöfer es doch will: woher kann das 
kommen ald nur daher, daß-wir für und und für ihn, und wir 
koͤnnen für den nächften doch nichts beſſeres wünfchen als für und, 
alfo daß wir für und wie. für ihn und für ihn wie für und noch 
das nichtige und vergängliche fuchen und daran unfer Herz noch 
hängt, und wo nody die Xiebe ber Welt ift in diefem Sinne, Da iſt 
nicht die Liebe zu Gott. Da giebt es denn auch beſtaͤndig Streit, 
da koͤnnen nicht alle daſſelbe haben, denn es entgeht dem einen, 
was dem andern zufaͤllt, da iſt der Streit zwiſchen der Liebe zu 


776 


füch ſelbſt und zu dem nächften eigentlich Im jebem Augenbift im 
Gang, und es ift nur, daß ich es grabe heraußfage, eine Men: 
nungslofigfeit ein Wergefien, wenn wir und in einzelnen Augen 
biiften über biefen Streit erheben. Wenn wir aber für und felbi 
das geiflige fuchen und fo unfern nächften lieben als uns felbf, 
und ihn nicht nur zum Diener fonden zum Bitgenofien an dieſen 
geifligen Gaben haben und wuͤnſchen, und ihn immer mehr baza 
zu machen fuchen, wenn wir ihn fo lieben ald und felbfi: das TR 
ganz baffelbe mit ber Liebe zu Bott; benn ed ift ja eben dieſes, 
daß wir uns feined Werkes und Weſens in und bewußt find. Und 
wenn ‚wir mit und felbft rechten, wenn wir ben Werth unferes de 
bend abfchäzen wollen, und uns darin die Unvolllommenpeit unferer 
Liebe oft zu Vorwuͤrfen bringt, die wir und felbft nothwendig ma 
chen müflen: woher fommt und zulezt Zroft und Beruhigung, als 
wenn wir und bezeugen koͤnnen, du liebſt doch in deinem innen 
Gott und jageft feinem Willen nad), alled andere iſt nur voräber: 
gehender Irrthum, deine Liebe geht: aus und iſt eind mit dieſer 

Liebe zu Gott, und nur indem bu in einem Augenblikk venwirt 
warft und nicht klar faheft, wie diefed und jenes fi verhält, baf 
du koͤnnen in Zwieſpalt gerathen mit bir ſelbſt. 

Aber eben diefes führt und dann nothwendig auf bad britte. 
Beide, nämlich die Liebe zu Gott und bie Liebe zu dem naͤchſten 
als zu uns felbft, find eind mit unferer Liebe zu Chriſto unferm 
Herrn. Ber in der That in lebendiger und feliger Gemeinfchaft 
mit ihm lebt, der zweifelt auch nicht an dem, wovon er bie eigene 
Erfahrung hat nad) dem großen Wort ded Erlöfers, Philippe, wer 
mich fiehet, der fiehet den Vater. Sa in ihm fehen wir Bett als 
in feinem reinen und einzigen Ebenbilb; in ihm erkennen wir ben 
Abglanz der göttlichen Liebe, und diefer iſt die Herrlichkeit des ein⸗ 
gebornen Sohned. Und wie wäre es möglich, daß wir in ihm ben 
Vater fchauen könnten, ohne bag wir ihn in ihm auch lieben? Eben 
diefeß nun, baß wir den Water in ihm fehen und lieben, bat von 
jeher, auch noch ebe fie fi ber Urfache beflimmt bewußt waren, 
feine Zünger feflgehalten und unzertrennlih mit ihm verbunden. 
Deöwegen weil fie durch ihn und in ihm zur Gemeinfchaft mit 
Gott kamen, rühmen fie es, Wohin follen wir gehen? bu bafl 
Worte bed ewigen Lebens, bei bir finden wir. eben bad Leben in 
Gott mit Gott durch Sott. So lieben wir denn Gott in feinen 
Sohne, wie der Apoftel fagt, Durch Chriftum iſt bie Liche Gottes 
auögegoffen in unfere Herzen *); in ihm erfahren wir Gottes. Liebe 


) Roͤm. &; % 


717 


zu und, weil in ihm bie Erfillung iſt ber göttlichen Verheißungen, 
die Löfung aller Raͤthſel, die Aufklärung aller Geheimniffe, weil 
wir in ihm die Zufammenflimmung ber göttlichen Zwekke fehen, 
und deswegen alles andere und nur ein Mittel wirb biefe' göttlichen 
Zweite zu erreichen, weil in ihm und burch ihn uns ber Glaube 
aufgeht, daß denen, die Gott lieben in feinem Sohne, auch alle 
Dinge mitwirten müffen zum guten, Freude und Leid Luft und 
Schmerz und alles verfchwinden in bem- einen, ber Liebe zu Gott, 
die ba iſt in Chriſto. Aber eben fo ift auch in ber Liebe zu dem 
Erloͤſer allein bie rechte Liebe zu allen Menfchen, die rechte Liebe zu 
dem naͤchſten ald zu uns felbft, und ift in der Kiebe zu ihm mit 
der Liebe zu unferm himmlifchen Water nur eins und baffelbe. Wer 
den Erlöfer erfannt hat: wie kann ber behaupten, daß er feinen 
nächften liebt, wenn nicht feine Liebe die Richtung nimmt ihm zu 


ber Seligfeit zu verhelfen, welche in der Gemeinfchaft. mit dem Er: . 


Löfer ifl? wie kann der noch eine andere Liebe zu feinem nächflen 
in fein Gemüth faffen ald die in Chriſto war, indem er fich für 
die Welt dahin gab um fie mit Gott zu vereinigen? was Tann ber 
feinem nächften beſſeres Teiften wollen, ald wenn er ſchon zu Chriſto 
geführt IfE nun mit ihm dad große Werk bes Herm zu fördern. 
‚Denn dab ift ja eben der Wille deffen, ber ihn gefandt hat, und 
das ift die Liebe zu Bott, dag wir an ihn glauben und deswegen 
fein Berk thun; an ihn glauben aber heißt an dad Werk glauben, 
welches Sott ihm gezeigt hat, und von ihm hören und vernehmen, 
welches ba fei, wie wir heut vorher mit einander gelefen haben, der 
reine volllommene ihm wohlgefällige Wille. Und in diefen uns 
immer mehr hinein zu üben, das ift bie Liebe zu Chriſto, welche 
eins ift und daffelbe mit der Liebe gegen andere wie gegen uns. 
Darum m. a. 3. fagt auch der Exlöfer zu dem, welcher ihn 
gefragt hatte, ald er an feiner verfländigen Antwort. hörte, wie dies 
fer beides, die Liebe zu den Menichen und zu Bott, fo ald eins zus 
ſammenfaßte und burchdrungen war von dem Bewußtſein, daß ed 
Feinen andern Dienft Gottes geben könne ald nur dieſen, alle Op⸗ 
fer aber, Brandopfer und Schuldopfer und alle heiligen Gebräuche, 
wie ſinnvoll fie auch fein möchten,‘ doch verfchwänden gegen diefe 
Liebe zu Gott und dem nächften, darum, weil er dad in ihm fand, 
fo fagt er zu ihm, Du bift nicht fern von dem Reich Gottes; weil 
er einfah, wenn nicht voieber die Dinge diefer Welt, wenn nicht 
bie menfchliche Eitelkeit das Gedaͤchtniß dieſer Stunde in ihm ver 
wifchte, fo müßte er nothwendiger Weife zu ihm kommen und fich 
mit ihm verbinden zur Förderung des Meiched Gotted, indem num 
beided nie mehr von einander getrennt werben ‚Tann, nun bad eine 


778 


das andere erhöht und bewaͤhrt, und jedes immer auf das anhere 
zuruͤkkfuͤhrt. 

Aber deswegen m. 3. ſchließt auch unſere Erzählung mit ben 
Worten, Und ed durfte ihn niemand weiter fragen. Was wäre 
auch jebe Frage, wenn wir dieſes vernommen haben, was follten 
wir noch weiter begehren, nad) welcher Erkenntniß follten wir noch 
verlangen, welche Geheimniffe follten wir und noch aufgefchlofien 
wünfchen, welche Schäze ber Weißheit hätten wir noch zu heben, 
nachdem diefer und aufgethan ift, wie bie Liebe zu Gott und dem 
‚nächften eins und baffelbe if! Darauf allein ruhet bie geiflige 
Welt, dadurch allein kann bad Reich Gottes gegründet werben, und 
nie Tann e8 eine anbere Seligleit geben als dieſe. So wir das 
haben, was bürfen wir weiter fragen? Xaffet es und nur feſthal⸗ 
ten immer ficherer und reicher darin werben, fo werden wir aud 
immer reicher Zeugniß geben von dem, in welchem wir in der That 
alle Schäze der Weidheit gefunden haben und die Ziefen ber Weis 
beit unb den Reichthum der Erkenntniß Gottes mit erfannt. Amen. 


Lied 29. 


am. 
Am Sonntage Geptungelimä 1834, 


eied 2. 689. 


Zert. Marl. 13, 14 — 37. 


Menn ihr aber fehen werbet ben Graͤuel der Verwů⸗ 
ſtung ꝛc. — was ich aber euch ſage, das ſage ich allen, 
Wachet. 


Dir Reden unferd Erlöferd m. a. 3, bei feinem legten Aufent: 
halt in der Hauptſtadt feines Volkes kurz vor dem Anfang feiner 
Leiden find und von dreien Evangeliften in einer fo großen Aehn⸗ 
lichkeit wiedergegeben, daß daraus ber hohe Werth, welchen bie 
gläubigen von Anfang an darauf gelegt haben, hinreichend erhellt, 
Bir finden in benfelben auf der einen Seite viele Ausdruͤkke und 
Andeutungen, durch welche die Jünger bed Herm, an welche ſich 
biefe Reben unmittelbar richteten, auf den Gedanken geführt werben 
mußten, der Herr rede von etwas, was noch während. ihres Lebens 
alfo auch noch ihnen ſelbſt bevorſtaͤndez und dieſe Vermuthung hat 
ſich auch in ſo weit beſtaͤtigt, als buchſtaͤblich das Geſchlecht, welches 
damals lebte, noch nicht vergangen war, indem uͤber das Volk, dem 
er angehoͤrte nach dem Fleiſch, die Gerichte Gottes ausbrachen, und 
die Hauptſtadt deſſelben, die ihn verwarf und ſeinen Tod herbei⸗ 
führte, zerflört wurde auf die grauſenvollſte Weiſe. Aber auf ber 
andern Seite findet fich noch eines in biefen Neben, weöhalb auch 
nachdem jenes bereit erfolgt war boch noch immer bie Aufmerkſam- 


Beit der Chriften auf die Zukunft gerichtet blieb, als fei body ned 
nicht alles erfüllt. Wir wiffen, dag auch nachdem Jeruſalem ſchen 
gefallen war, und wie ed ber Herr gelagt von bem herrlichen Tem: 
pel des Gottes feined Volkes Fein Stein auf dem andern blieb, die 
Chriſten doch noch immer diefer Rede wegen auf eine baldige Zu: 
Zunft des Herm warteten, die fi) ihnen nur allmählig immer wei⸗ 
ter hinausfchob. Wie oft aber m. a. 3. hat fi) nicht ſeitdem Ahr 
liches wiederholt! wie viele große Voͤlkerkriege find nicht mit chen 
fo zerflörender Gewalt hereingebrochen bald über biefen bald übe 
jenen Theil des menfchlichen Gefchlechtö! wie oft hat ſich nicht al: 
les Elend ber einzelnen, wie es ber Erlöfer bier darftellt, im derſel 
ben allgemeinen Noth wiederholt! ja wie wenig hat es unter alla 
diefen Berwirrungen und Zerflörungen unter dem menfchlichen Se 
fchlecht auch an dem Gräuel der Berwüflung an Heiliger Stätte 
gefehlt! Denn wenn ber auf bie unmittelbare Noth ber Erde fo 
ſtark gerichtete Sinn der Menfchen dann die Ausfidt auf dad ewige 
ganz verliert und fie fich hoffnungslos von Gott abwenden, al 
feien- doch Feine ebleren Gaben von oben zu erwarten: dann fich 
ja der Gräuel der Verwuͤſtung im Heiligthfum! Und wie oft bat 
nicht auch die Warnung bed Herm in biefen Beben fich fchon be 
währt, Wenn dann einer fagen wird, Sehet hier iſt Chriſtus oder 
da ift er, fo glaubet ihm nit! Denn fo oft die Menfchen mitten 
unter folchen Berftörungen glauben in den Stürmen ber Berwi: 
flung göttliche Offenbarungen zu vernehmen; wenn fie durch dieſes 
ober jenes irdifche ober himmlifche Zeichen verleitet wähnen, nun 
breche eine ganz neue Zeit herein, welche alled vergangene weit hin: 
ter ſich laffen werde, und der Geift der Zerſtoͤrung hauche noch un: 
erhörte Segnungen aus, da doch biefe nur troz der Zerflörung und 
immer nur aus berfelben Quelle hervorgehen Eönnen: ja dann glau: 
ben fie, bier fei Chriflus oder da fei er. Aber nach allen dicken 
Erfülungen finden wir doch in biefen eben immer noch etwas, 
das noch nicht erfüllt ift; etwas, dad nur fcheint eine Antwort fen 
zu follen auf die Trage, welche wir fo oft aufwerfen muͤſſen, wenn 
wir an den großen Zufammenhang und bie großen Beränberungen 
in Diefer Melt Gottes denken, ich meine die Frage, Wirb dieſes im 
difche Dafein immer fo bleiben wie es ift, kehrt alles fo immer wie 
der, wie es gewelen iſt von den Zeiten ber Wäter ber, oder wir 
das buchfläblih in Erfüllung gehen, baß die Welten werben zu⸗ 
fammengerollt werben und vergehen, und der menſchlichen Dinge auf 
Erden ein Ende fein? Darum laffet und nun aus biefem Worte 
des Herm vernehmen, welches benn feine Ermahnung, welches 
feine Lehre an uns ift in Beziehung auf biefe natürlich 


TEL. 


Richtung des menſchlichen Geiſtes auf die uns verbor 
gene Zukunft. 


I. Daß erfte, was er feinen Juͤngern fügt, ift dieſes, daß fie 
folen merken auf die Zeichen der Zeit. So fagt er in unferm Text, 
Von dem Feigenbaum nehmet ein Gleihnig. Wenn ihr merket, 
daß er Saft gewinnt, und daß er anfaͤngt Blaͤtter zu treiben, dann 
wiffet ihr, dag der Sommer nahe if. Aehnliches führt er ander 
wärtd aus und fagt dann zu denen, welche ihn hören, Ihr Xhoren, 
bie Zeichen ded Himmel und der Witterung die könnt ihr verfle 
hen, aber auf die Zeichen der Zeit wollt ihr nicht achten *). Wolan 
m. 3., was find denn alfo dieſe Zeichen der Zeit, auf welche ber 
Erlöfer und hinweiſt? Da iſt nichts willtührlich erdachtes und zu: 
fammengeftelltes, da ift kein Verweiſen in Beziehung auf dasjenige, 
was fih auf- Erden ereignen fol, an den Himmel und an feine fei 
es nun und belannten oder und noch unbegreiflichen Erfcheinungen! 
Nein, wenn der Feigenbaum Blätter gewinnt und feine Säfte ihn 
aufs neue durchdringen: woher wiffen wir denn, baß der Sommer 
nahe iſt? Weil ed fchon die erften Wirkungen berfelben Kräfte 
find, in deren vollem SHerausbrechen überall und an allen Enben 
eben diefe Emeuerung ber Natur befteht. Auf die wirklichen Ans 
fange der Dinge alfo weiſt uns ber Erlöfer hin al& auf die Zeichen - 
der Zeit. Nicht will er bier irgend eine verborgene Weisheit Ich- 
ven,.wozu nur wenige ben Schlüffel hätten; nicht will er unfere 
Aufmerffamteit von demjenigen ablenten, was ’in dem Gebiet un: 
ferer eigenen Thaͤtigkeit liegt, fonbern nur ben Zuſammenhang ber 
Dinge, nur bie natürliche Einheit des Anfangs und ber Vollendung, 
darauf weift er und hin. Die Zeichen ber Zeit, auf die er feine 
Jünger verweift, daß fie daran erkennen follen, was ba gefchehen 
werbe, find nichts anderes, ald worauf unfere Aufmerkſamkeit ims 
naer muß gerichtet fein, wenn wir: die Gegenwart wollen freubig 
genießen richtig verftehen und Eräftig auf fie einwirten. Wenn ei» 
ner fo wie wir auf diefem von Gott gefegneten Schauplaz ber ir⸗ 
bifchen Natur wandelte, aber, weil er immer in ganz andere Dinge 
vertieft wäre, es bliebe feinem Auge verborgen, wenn fich dieſe ſchoͤ⸗ 
nen Kräfte, nachdem fie in der winterlichen Zeit geruht haben, aufs 
neue regen; biefe erften Zeichen bes wieberkehrenden Lebens ber Na⸗ 
tur drängen nicht bis in feine Sinne ober zögen feine Aufmerkfam:. 
keit nicht auf fich: wie vieled entginge nicht. dem von ber Anmuth 
und den Befriedigungen dieſes Lebens, wie wir fie am allerunfchul: 





7) Matth. 16, 3. 


782 


digften und reinften finden in biefer Aufmerffamkeit auf die un 
umgebenden Werke Gottes. Aber eben fo iſt es auch mit den Ber 
änderungen in ber geifligen Welt. Derjenige, welcher nicht dareui 
merken wollte, nady welcher Seite hin fi) denn die neueren: BcAr 
bungen der Menfchen zu richten anfangen, was für Kräfte fi in 
den menfchlichen Geiſtern regen, und mo fie am meiften gewelft en 
fcheinen, aber deswegen auch neue Aufgaben bed Lebens geftellt, die 
geloͤſt werden follen, wen das in feinen erſten Anfängen entging, 
und. er wollte nicht darauf merken: ber würbe auch nicht die fort: 
fhreitende Entwifflung der menfchlichen Dinge begreifen, aber ge 
wiß er wäre auch nicht im Stande, an dem Drte wo ihn Gett 
bingeftellt bat das zu thun, was ihm obliegt. Denn verbintn 
‚ follen wir unfere Kräfte mit dem Wirken ber Menſchen, wen f 
fi dem guten zuwenden, oder abwenden follen wir uns von ihnen, 
wenn wir merken, daß fie nur bewegt find von finnlichen Begier 
ben oder von einem nur auf das vergängliche Weſen dieſer Belt 
gerichteten Sinn. Das find die Zeichen der Zeit, auf bie wir mer: 
fen follen; und wenn wir fie gehörig beachten, fo kann es uns auch 
nicht fehlen richtig zu fehäzen, ob es in dem Kreiſe, in weldem wir 

leben, in der That an der Zeit ift große Weränderungen in den 
menfchlihen Dingen zu erwarten, oder ob wir uns eined ruhigen 
fanften Fortichreitend auf dem eingefchlagenen Wege werden er: 
freuen können; ed wirb und nicht entgehen, welche Kämpfe bie ver: 
ſchiedenen Richtungen des menfchlichen Geiſtes werden auszufechten 
haben, auf welcher Seite Ruhe und Friede, und auf welcher Seite 
Streit und Kampf fein wird, und in welchem Maaße die Kräfte, 
von denen Heil und Segen auögeht, gegen diejenigen flehen, welche 
Verderben bringen. 

Wenn wir nun diefes betrachten m. a. $r., fo werden wir wol 
geſtehen müffen, der Erlöfer befriedigt zwar die Wünfche und die 
Fragen feiner Juͤnger in fofern, daß er ihnen ein ſchrekkenvolles und 
das Gemüth bis in das innerfte erfchütterndes Bild von zufünft: 
gen Verwüflungen und Zerftörungen vorhält: aber was er zunächl 
von ihnen verlangt, dad ift doch nur diefelbige Aufmerklamkeit auf 
bie menschlichen Dinge, die wir auch jedem Augenblikk ſchuldig find, 
wie weit er immer davon entfernt fein möge irgend einen bedeu⸗ 
tenden Einfluß auf die Entwikklung der Zufunft auszuuͤben. Und 
dies ift um fo merfmürdiger, als er feinen: Süngern zwar ſagt, 
Brenn ihr folcherlei gefchehen fehet in der geifligen Welt, mie das 
erfte Treiben des Saftes in den Bäumen ift in der natuͤrlichen 
Welt: dann wiffet, daß das wovon ich euch gefagt habe naht if, 
und fie aljo allerdings in ben Stand fezen. will den allgemein 





783 


Gang der menſchlichen Dinge durch diefe Aufmerkſamkeit mit einer 
gewiffen Sicherheit beobachtend zu ahnden, aber doch zu gleicher 
Zeit hinzufügt, Aber Zeit und Stunde weiß niemand, Fein Menſch 
und fein Engel, felbft der Sohn nicht, fondern nur der Vater. Die 
thörichte Neugierde alfo in Beziehung auf die Zukunft, welche von 
den großen Veränderungen in der Welt, die noch. bevorftehen moͤ⸗ 
gen, Zeit und Stunde erforfhen will, diefe weift er gänzlich zurükk. 
Wie wenig aber m. a. 3. iſt biefem Wort des Herm Gehorfam 
geleiftet worden von Anfang an! wie finden wir die Menſchen doch 
immer, wo fich irgend ihre Blikke der Zukunft zumenden, ganz vor: 
züglicy darauf gerichtet Zeit und Stunde zu erforfhen! Wer da: 
von irgend eine geheime Kunde zu haben vorgiebt,- wie viele ver: 
blendete Menſchen zieht der nicht immer nach ſich! mit welcher Be 
gierde folgen fie jeder Spur, mögen fie den Zuſammenhang deſſen, 
was einer annimmt um bie Zukunft zu erforfchen, mit dem, was 
er leiften will, noch fo wenig begreifen, audy dad abenteuerlichfte 
und thörichtite ift ihnen recht, wenn nur eine menfchliche Vorherſa⸗ 
gung fei ed auch noch fo räthfelhaft und geheimnißvoll Zeit und 
Stunde andeutet! Und wenn gar einer auftritt und verkuͤndigt die 
Dinge, die da kommen ſollen, in der Naͤhe: wie wenig handeln 
dann die meiſten in dem Geiſt und Sinn, welchen die Rede des 
Erloͤſers fordert! fondern ſind ſie einmal ſo weit gekommen zu glau⸗ 
ben, das Ende der menſchlichen Dinge ſei nahe: ſo halten ſie es 
auch gar nicht mehr der Muͤhe werth ſich mit den irdiſchen Dingen 
zu beſchaͤftigen, dann legen ſie nieder ihre taͤgliche Arbeit und laſſen 
ab von dem Werke, das ihnen obliegt als ihr beſchiedener Theil an 
der Erfuͤllung des goͤttlichen Gebots, daß der Menſch herrſchen ſoll 
uͤber die Erde, dann laſſen ſie den ganzen Faden ihres Lebens fal⸗ 
fen, und in banger Erwartung deſſen, was da kommen ſoll, erge⸗ 
hen fie fi) der eine in diefer der andere in jener Uebung ber Gott: 
feligkeit, durdy die fie in der Schnelligkeit ihr Heil zu fchaffen mei- 
nen, ohne auf dem ihnen von Gott angeriefenen Weg ihrer Thaͤ⸗ 
tigkeit zu bleiben in folchen bewegten Zeiten ber Erwartung. Das 
von hat der Erlöfer alle die feinigen befreien wollen durch dieſes 
ernfte mit folher Stärke außgefprochene Wort, ja gewiß mit einer 
beftimmten Abficht hat er gefagt, daß felbft er der Sohn Zeit und 
Stunde nicht wiffe. Alfo auch felbft aus jenem Buche, in welchem 
feine Offenbarungen auf befondere Weife enthalten fein follen, möge 
niemanb fuchen Zeit und Stunde zu erforfchen von dem, was ber 
Welt bevorfteht! Denn wenn ber Sohn felbfl ed nicht weiß, fo 
- hat er auch Feinem ed offenbaren können und mittheilen; wenn bie 


784 


Menfchenkinber e nicht wiſſen ſollen, koͤmen fie es auch auf bie 


ſem Wege nicht erfahren! 


Wenn wir aber Zeit und Stunde nicht wiſſen können, was 
folgt daraus mit größerer Gewißheit, ald dag auch Fein Theil um: | 
ferer Pflichterfüllung bavon abhängig iſt, und daß es für uns in 


keiner Beziehung ein Beduͤrfniß fein kann in Kenntnig davon ge: 
ſezt zu werden. Daß ber Erlöfer dieſes auf eine fo beflimmte 


Weiſe fagte, beftärkt und noch ganz befonbers in dem, was ich vor: 
her gefagt habe, daß auch unfere treue Aufmerffamkeit auf biejeni: 


gen Zeichen, an denen man auch ohne beöhalb Zeit und Stunde 


beflimmen zu wollen doch die nächftbevorftehende Geflaltung der 
menfhlihen Dinge erkennen kann, uns: doch nit in den Stand 


ſezen kann und foll in Beziehung auf die Zukunft etwas anderes 
zu thun, ald was und auch fchon in der Gegenwart und für die⸗ 


felbe obliegt. Und darin m. th. müffen wir zugleich Die eigenthäm- 


liche Weisheit des Erlöferd "erkennen und bie Art und Weiſe des 
Friedens, welchen er ben feinigen verheißt unb giebt. Denn es 
giebt Feinen mehr verwirrenden und feinen bitterern Streit in ben 
Menſchen und unter den Menfchen ald ben, welcher entfteht, indem 
wir auf ber einen Seite an der Gegenwart bangen und ihr Icben 
wollen, auf der andern Seite aber auch nach ben Forderungen der 
Zukunft fragen. So lange ſich noch eine befondere Richtung auf 
diefe leztere bei und geltend macht; fo lange wir nicht unfen gan⸗ 
zen Beruf darin finden koͤnnen, daß, wenn wir nur die Gegenwart 
ſo anſchauen und aufnehmen, wie ſie allerdings auch immer die 
Zeichen der Zeit in ſich trägt, wir in aller diefer Hinfiht der Ge- 
genwart zu genügen fuchen in Beziehung auf den Gebrauch unferer 
Kräfte und aller der Mittel, welche Gott in unfere Hände gelegt 
bat, fondern wir glauben, wir hätten noch etwas beſonders zu thun 
fuͤr die Zukunft: ſo lange ſtreuen wir den Samen zu einem Streit 
in unſer Gemuͤth, welchen wir niemals zu loͤſen vermoͤgen. Immer 
taͤuſcht ſich der Menſch, immer entſtehen ihm truͤgeriſche Bilder, 
wenn fo fein Auge ſich bald auf die Gegenwart bald auf bie ferne 
Zukunft richtet. Verſuchen wir ed mit dem leiblihen Auge: fo er: 
fennen wir bald, wie und bei ſolchem Werfahren die” Klarheit und 
Sicherheit des Blikks die Beflimmtheit der Umriffe verfchwindet. 
Aber eben fo iſt es mit dem geifligen Auge. Auf die Zeichen ber 
Zeit laßt und gerichtet fein, denn fie gehören zu ber Gegenwart; 
thun wir was biefe fordert, dann wird von felbfi alles gethan fein, 
worauf die Zukunft wie ernſt und bedeutend fie auch fei einen ver: 
änderten Anſpruch bat. 


| 








785 
‘ 71. Aber freilich, eine große Lehre fügt der Erlöfer noch hinzu zu 
ber, bag wir merken follen auf die Zeichen der Zeit, ohne deswegen 
Zeit und Stunde beflimmen zu wollen; fie liegt in dem einen Wort, 
das er zu feinen Jüngern fagt, Bade! Und bemerkt dies wohl,. 
nachdem er biefe Ermahnung in einem Gleichniß erläutert hat, 
Gleich wie, fagt er, ein Mann, ber fein Haus verließ um eine 
Reife anzutreten, feinen Knechten Macht gab und Befehl,. Anweis 
fung jedem über fein Werk, und dem Thuͤrhuͤter fagte, Wade; fo 
auch ihr: fo befinnt er fich hernach gleichfam und bedenkt, es könnte 
doch leicht einer von denen, bie ihn hörten, dieſes unrichtig audles 
gen, ald ob das Machen nur dad Gefchäft einiger wäre, bie er di: 
gend dazu beftellt habe fein Haus zu hüten; darum fügt er hinzu, 
Was ich euch fage, das fage ich allen, Wachet! Daß ift alfo bie 
allgemeine Regel, welche er ben feinigen gab, als fie ihn um bie 
Zukunft gefragt hatten, und weldhe allen gilt, die nad) den Dingen 
fragen, die noch beoorftehen. Zuerſt, wo er diefe Worte einführt, 
fagt er, So wachet nun und betet; ‚aber ich habe geglaubt beides 
en einen zufammenfaffen zu dürfen, was er auch hernady allen 
wiederholt; und dadurch kann auch der Werth bed andern nicht 
verringert werden; bad Wachen bed Chriften kann ich mir wenig: 
fiend nicht anders denken, ald daß ed immer zugleich fein muß Ge 
bet. Sind wir in einem Zufland Maren Bewußtſeins, fähig um 
und er zu fchauen und zu erkennen, was und umgiebt: wie könn: 
ten wir dann anders als zu gleicher Zeit mit dem innerften unferes 
Gemuͤths auf ben gerichtet fein, deffen Willen zu thun wir berufen 
find! Wer einmal befchloffen bat, baß er mit feinen Kräften bem 
Her dienen wolle, der wacht audy nur für befien Reich und Haus, 
und Dadurch iſt fein Wachen zugleich ein Beten. Aber dbeöwegen 
ſtellt der Erlöfer diefe auch nicht dar als einen befonderen Beruf 
einiger, welche allein bazu gefezt wären Acht zu geben, und bann 
zur vechten Zeit und Stunde erſt die andern herbeizurufen; fondern 
ausdruͤkklich fezt er hinzn, Was ich euch ſage, das ſage ich allen, 
Wachet! | 
Darin nun m. a. 3. liegt zugleich eine fehr bedeutende Ber: 
fchiedenheit der geiftigen Gemeinfchaft, welche der Erlöfer unter den 
feinigen geftiftet hat, von allen andern Vereinigungen menfchlicher . 
Kräfte. Sehen wir auf die Ordnung ber Dinge in bem äußeren 
menfchlichen Leben, wie fie befteht durch mehr oder minder woeife 
Geſeze, wie fie in irgend einer jener Gefellfchaften gehandhabt wird 
durch die, denen obliegt auf die Befulgung der Gefeze zu wachen, 
und deren Willen eben beöwegen die Kräfte ber andern unterwor: 
fen find: o ba kann es allerdings wol ſchaͤdlich fein, wenn fich alle 
IT. Dd 





786 


des Wachens auf beſondere Weiſe annehmen wollen, auch biejeni- 


gen, welche dazu weder den Beruf haben noch auch die gehoͤrige 
Kenntniß der Dinge. Wie oft geſchieht es nicht, daß ſolche, weil 
fie ſich nicht genug auf den Werth deſſen was da geſchieht ver 
ſtehn, durch die Beſorgniſſe, die ſie erregen, nur Verwirrung in die 
menſchliche Geſellſchaft bringen! Da mag es wol beſſer fein, daß 
das Wachen vertheilt werde unter einige, welche dazu beſonders be⸗ 
rufen und geruͤſtet ſind, und auch von dieſen jedem ſein beſonderer 
Kreis angewieſen; da mag ed immerhin ein ſolches Geſchaͤft fein, 
welched mit Nuzen nur verwaltet werden kann ald ein befonderer 
Auftrag an einige, wie der Hausherr in unferm Gleichniß dem 


Hförtner aufträgt, Wache. Aber indem der Erlöfer zu den feinigen 
vedet, zu ihnen ald Gliedern feined Leibe, weiß er nicht von eis 


nem ſolchen Unterfhiede; fondern ausdruͤkklich ſagt er, Was id) 
euch fage, dad fage ich allen. Auch nicht einmal für diejenigen 
feiner Juͤnger, welche ihn zunächft umgaben, follte dad eine befon- 
dere Regel und Borfchrift fein, fondern, Wie euch, fpricht er, fo al- 
len fag’ ich ed, Wachet. 

Allein m. a. 3. was ift benn nun endlich dieſes Wachen? 
Wenn der Erlöfer dad Wort mit einem ſolchen Emfl ausſpricht in 
diefem Zufammenhang feiner Gebanten bei einer foldhen Richtung 
feined Gemüthes, und es feinen Juͤngern ald dasjenige empfiehlt, 


worin’ er zulezt alles zufammenfaßt, was ihnen für die Zukunft zu 


thun obliegt: was hat er wol eigentlich darunter verflanden?! Ge 
wig m. a. 3. bat er hier nicht zunaͤchſt noch weniger allein das 
jenige gemeint, was wir noch jezt in umferer chrifllichen Sprache 
‚ eben fo bezeichnen, wenn wir von ber Aufmerkſamkeit reden wollen, 
die jeber auf fich felbft haben fol, und wir und deshalb unter ein: 
ander ermahnen doch. nicht in einem unbedachten Zuſtande hinzu: 
gehn, fo daß wir in unfer Gemüth aufnehmen ohne zu willen was, 
und fich in und Weränderungen vorbereiten und Zuflände entwik 
fein, die, wenn wir fie nicht bei Zeiten merken und ihnen Wiber: 
ftand leiften, wir hernach nicht im Stande find zu hemmen. Das 
war hier nicht Chrifti naͤchſte Meinung; fondern wie ja unter feinen 
Züngern eigentlich die Frage war nach dem, wad der Welt bevor: 
flände, .fo kann er auch, nachdem er ihre Aufmerkfamfeit auf den 
großen Zufammenhang aller menfchlihen Dinge gerichtet hatte, 
nur dad Wachen verftanden haben in unferm Berpäimif zu allem, 
was und umgiebt. Dadurch m. a. 3. bin ich weit entfernt ben 
Werth jened nach innen fehenden Wachens herabfezen oder in dieſer 
Hinſicht eine falſche Sicherheit begünftigen zu wollen, ald ob des⸗ 
halb der Menfch, weil er wachen ſoll nach außen, weniger berufen 





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waͤre und weniger verpflichtet zu wachen nach innen. Vielmehr 
haͤngt beides ſo genau zuſammen, daß wo das eine fehlt das an⸗ 
dere unmoͤglich gedeihen kann. Wem nicht zuerſt daran liegt klar 
zu ſehen in ſich ſelbſt und über ſich ſelbſt, wer fi in jedem Au⸗ 
| genblikt von unbewußten Eindruͤkken bewegen laͤßt, ohne ſich ſelbſt 
in den innerſten Tiefen ſeines Gemuͤths zu beachten: wie ſollen wir 
dem wol auch nur einen maͤßigen Grad von Wachſamkeit zutrauen 
koͤnnen in Beziehung auf dad, was außer ihm vorgeht! Aber ge: 
nügen kann allerdings die Wachfamkeit nach innen nicht für diefe 
Borfchrift Chriſti. So hat und der Erlöfer nicht geflellt, daß jeder 
nur für fich zu forgen und nur für fich Rechenfchaft abzulegen hätte, 
wie er das ihm anvertraute Pfunb verwendet hat, fondern vereinigt 
hat er feine Jünger zu einem geifligen Leibe, deffen Haupt er fein 
will; alle hat er jedem, und jedem hat er alle anvertraut, und Fei. 
ner bat für fi allein zu ftehen, fondern alle gehören dem ganzen, 
und das ganze ift auch der Treue aller und der Wachſamkeit aller 
anvertraut. 

Aber wenn er nun fagt, Wachet, denn ihr wiflet nicht, wann 
der Herr kommt, ob am Abend oder zur Mitternacht oder um den 
Hahnenſchrei ober bed Morgens: fo find dad alles nur verfchiedene 
Zeitpunfte, welche die Nacht bezeichnen, und wachen follen eben 
deswegen alle, weil fie nicht wiffen, wann der Herr kommen wird, 
nämlich um welche Stunde der Nacht. Dabei fezt er freilich vor: 
aus eben diefen großen unterſchied, der auch das ganze menſchliche 
Leben regiert, zwiſchen einer Zeit, wo alle von ſelbſt wachen, und 
einer andern Zeit, wo die menſchliche Natur der Ruhe bedarf und 
genießt. Wenn er nun aber ſagt, Was ich euch ſage, das ſage ich 
allen, Wachet: wie koͤnnen wir doch dieſe Forderung grade wenn 
ſie auf eine ſolche Weiſe naͤher beſtimmt iſt doch als eine allgemeine 
gelten laſſen? Nicht nur wenn es natürlich ift, fondern auch bei 
nächtlicher Weile follen: nicht etwa einige wachen, fondern alle? 
Unfkeeitig ift dabei der Sinn feiner Worte der. Was ſich am bel: 
len Tage begiebt, was alfo vor den Augen aller Menſchen gefchiebt, 
damit hat ed Feine Noth, daß ed ihrer Aufmerkſamkeit entgehen - 
folte, und für dieſes ift gar nicht nöthig einen befonbern Befehl 
und Auftrag zu geben, daß auch gewacht werde; aber anders iſt es 
in der Zeit der Nacht, in der Zeit der Dunkelheit und Verborgen⸗ 
heit. Dunkel und verborgen aber ſind freilich alle erſten Anfaͤnge 
der Dinge; alles beginnt im Dunkeln, und das meiſte, wenn es 
ans Licht tritt, ſo erregt es das Erſtaunen und die Verwunderung 
aller derer, welche es in ſeinen erſten Anfaͤngen nicht bemerkt ha⸗ 
ben. Auf dieſe alſo will er ſeine glaͤubigen verweiſen, den erſten 

Dd 2 


Anfängen in ben Veränderungen ber menfchlichen Dinge follen fe 
nacfpüren mit aufmerkſamem Geift, jeder fol in feinem reife, we 
Gott ihn hingefezt hat, wachen, auf daß er bei Zeiten im Stande 
fei dem Widerſtand zu leiften, was ſich als eine Hemmung im dem 
gemeinfamen 2eben, in der Förberung bed guten wirb zu erfennen 
geben, wenn ed erft heller an das Licht getreten if. Auf das ver 
borgene in ben menfchlichen Gemüthern follen wir achten unb mer 
ten, bamit wir weife werben darüber, ehe es zu fpät ifl, damit wir 
einerfeitö dasjenige, dem wir Widerſtand zu leiften haben, bemerken 
und ihm entgegenwirken ehe es zu uͤbermaͤchtig geworben if, umd 
wir, dann fagen, wie eigentlicd, nur die Thoren zu fprechen pflegen, 
Das hätten wie nicht gebacht, daß es fo erfcheinen und fich fo ent: 
wilteln werbe, andrerſeits aber auch und dasjenige zur rechten Zeit 
aneignen und befreunden, was und hülfreich werben kann in ber 
Foͤrderung des guten. 

Wollen wir aber nun auch recht in dem Sinn bed Erloͤſers 
wachen m. a. 3., fo dürfen wir dies niemald vergefien, daß das 
WBerhältnig, in dem wir als Chriften ſtehen, auf biefen beiden Grund» 
faulen beruht, daß die Liebe, wenn fie volllommen ift, die Furcht 
audtreibt, und daß der Geift Gotted in unfere Herzen audgegoffen 
ift, der da ruft, Abba, lieber Vater. Die rechte Wachſamkeit grün: 
det fich auf das Vertrauen, welches wir ass foldhe, die durch feinen 
Sohn Macht empfangen haben Kinder Gottes zu werden, auf ihn 
fegen müffen ald den, welcher alled leitet und beflimmt von Ewig⸗ 
feit her. Wachen follen wir als foldye, bie in ber Liebe Ichen und 
deswegen Feine Furcht kennen; wachen follen wir, nicht um vor ir 
gend etwas zu erfchrekten, fondern nur damit wir gleich im Stande 
fein können unfere Kräfte auf die rechte gottgefällige Weife zu ge: 
brauchen; wachen follen wir, nicht als ob wir und in den Stand 
fezen wollten, irgend einem Uebel, welches und drohen könnte, bei 
Zeiten zu entfliehen, denn wir wiflen, daß denen die Gott lieben 
alle Dinge zum beften dienen; wachen follen wir nur, damit inımer 
unb überall dad redjte gefchehe, damit nichts verfäunt werde, was 
uns nachher verfäumt zu haben zu bittern Vorwuͤrfen in unferm 
Gewiſſen gereihen wuͤrde; wachen follen wir nur, um bei Zeiten 
zufammenzurufen bie Thaͤtigkeit berer, welche ſich mit und vereini: 
gen koͤnnen. Aber wozu? Immer nur dazu m. th., baß wir bad 
böfe überwinden durch das gute. Wo diefer rechte Sinn ber Wach⸗ 
famteit ift, da kommt auch feine Furcht vor, welche die Liebe darin 
ftören könnte, daß fie zu der rechten Vollkommenheit heranreift, und 
da wird auch durch nichtd, was das Seid, Gottes treffen mögte, 
durch Feine Truͤbſal, die ihm noch bevorftchen, durch Feine theilweife 





789. 


Verdunkelung, die ed noch erfahren kann, benn das wird immer von 


Zeit zu Zeit gefchehen, fo fange wir noch auf Erben wandeln, aber 
durch nichtd von allem dem werben wir geflört werden in bem 
Findlichen Vertrauen auf den, von welchen wir vwiflen, daß er nicht 
allein alles wohl macht, fondern auch daß durch ihn denen, die ba 
trachten nach dem Reich Gottes und nach feiner Gerechtigkeit, alles 
zufaͤllt, deffen fie bedürfen, um ihn zu preifen in Kreuz und Leib 
wie in Sreube und Wohlergehen. Und eben nur biefe Gleichmuͤ⸗ 
thigkeit der Liebe, eben diefes kindliche Vertrauen zu dem, ber doch 


allein Macht hat alled zu leiten was gefchieht, weil es hervorgeht 


aus einem folchen Zufammentreffen der Dinge, dad wir im voraus 
nicht wiſſen können, und darum nicht Zeit und Stunde beflimmen, 
eine ſolche Wachſamkeit, die und in diefem kindlichen Wertrauen 
nicht flört ſondern uns barin vielmehr befefligt, welche, weil fie 
eine Thaͤtigkeit ift, die einer für den andern übt, auch zugleich ein 
neued Band ber Liebe unter und wirb, das iſt ed, wodurch wir 
Gott preifen, und worin wir dem Auftrag unſers Erlöferd in Be 
ziehung auf alles, was und’ bevorſtehen mag, volllommen genügen 
koͤnnen, denn eine andere Vorfchrift hat er hernach feinen Züngern 
nicht gegeben, Wachet, denn ihr wiffet nicht, wann ber Herr kommt, 
aber immier werdet ihr, wenn ihr gewacht habt, bereit fein ihn mit 
Freude zu empfangen und ihm Rechenſchaft zu geben von allem, 
was er euch anvertraut hat. Amen. 


eied 769, 7 — 8. 








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