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Full text of "Friedrich Schleiermacher's sämmtliche werke"

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— 5 





LU} 
m. 


Friedrich Schleiermacher's 


fämmtlihe Werke. 


Zweite Abtheilung. 


Predigten. 


Siebenter Band. 


u 
Berlin, 
aebrudt und verlegt bei G. Reimer. 
1836. 


Sriedrich Schleiermacher's 


literariſcher Nachlaß. 


Predigten 


Dritter Band 


| 
Berlin, | 
gedruttt u verlegt bei G.Reimet. 
1836. 


» 





Predigten 


in den Jahren 1789 bis 1810 gehalten 
von 


Friedrich Schleiermacher. 


Lvs Schleiermacher's handſchriftlichem Nachlaſſe und 
aus Nachſchriften der Hoͤrer 
herausgegeben 
son 


Ad Sydow, 
Prediger am Gabetteninftitut zu Berlin. 


nn u U —f 
Berlin, 
gedruckt und veriegt bei G. Reimer. 
4836. 


» 





ANEWER-BARVARD 
THECLOGHSICA.LILARY 
CAMBRIDGE, MASS, 


Borwort 


3. dem Antheil, der mir zu meiner innigen Freude 
an der Bearbeitung des literariſchen Nachlaſſes von 
Schleiermacher vergoͤnnt iſt, gehoͤrt auch die Heraus⸗ 
gabe der bisher ungedruckten Predigten und Amtsreden, 
von Denen biemit. der erfle Band an Das Licht tritt. 
Es ift befannt, daß der Veremwigte fehon bald nad 
dem Beginn feiner geiftlihen Amtsführung durch feine‘ 
ganze Eigenthuͤmlichkeit fich gedrungen fah, Das Nieder- 
ſchreiben und Memoriren feiner Vorträge aufzugeben; 
zuerſt Bielt er fie noch nach ausführlicheren Entwürfen; - 
ſpaͤter vertraute er nur ihre organifirenden Grund⸗ 
gedanken und deren Reihenfolge, wie fich beides ale 
Ergebuiß einer tiefgefammelten Meditation feftftellte, in 
gedrängtefter Kürze und Eleinee Schrift einem Zettels 
den, nicht um etwa Damit auf der Kanzel feinem Ge⸗ 
daͤchtniſſe einen Halt zu verleihen, denn defien bedurfte er 
“nit, fondern um ſchließlich Dadurch, wenn Die innere 
Arbeit vollendet war, fi nun das Ganze zu objektivi⸗ 
ten und den Hauptmomenten defjelben eine beftimmte 


VIII 


und wohlerwogene Faſſung zu geben. Die Ausführung 
ins Einzelne durfte er Der lebendigen Bewegung Des 
Sedankens..und feiner. ausgezeichneten Kraft fich darzu⸗ 
ſtellen ruhig überlaffen. Abgeſehen von der Erbaulich- 
keit, mit welcher er Die Veberzeugungen und Erfahrum- 
gen eines von dem Erlöfer ganz ergriffenen Gemuͤths aus⸗ 
Deutete und für das Leben fruchtbar zu machen verftand, 
geroährte er auch als Redner dem empfänglichen Sinne 
noch einen andern, heutiges Tages fo feltenen, geiftigen 
Genuß, nämlid) Die Anfchauung einer Hoch begabten, 
durch und Durch gebildeten Individualität in den Mo⸗ 
menten ihrer edelften Lebensäußerung. Seine Rede war 
Iebendige That, in dieſer That Der ganze Mann, und 
in dem Manne Alles zu Bewußtſein und Sprache ge- 
fommen, was irgend ein würdiger Gegenftand menfch- 
licher Pflege, Liebe und Begeifterung fein kann. Seine 
Predigten waren nicht ifolirte Kunſtwerke Der Rede: 
aus der unmittelbaren Einheit mit der Gemeine im 
großartigften Sinne des Wortes quollen fie hervor, fie 
waren vernehmliche, Eräftigere Pulsfchläge ihres eigenen 
innerften Lebens. Diefer hohe Standpunft ift von 
Vielen feither mit rechtem Eifer befrittelt und verworfen; 
es darf ung wicht wunder nehmen; inzwifchen wird das 
Große und Wahre in demfelben immerhin feinen Fort⸗ 
gang haben, und Schleiermacher auch als geiftlicher Red⸗ 
ner eine neue Evolution der Theologie beginnen; 

Eine ebenfo begreiflihe als Bemerfenswerthe Er- 
fheinung war es nun, daß fich ſchon feit Tangen Jah⸗ 
ren immer einzelne Verehrer des theuren Mannes ges 


IX 


meben fühlten, durch Nachſchreiben feiner Vorträge ſich 
den Gewinn der Eöftlihen Stunden, in denen er dag 
Amt Der Verkuͤndigung übte, dauernd zu befefligen. 
Daß diefe Nachfchriften freilich, auch mo fir woͤrtliche 
Irene eingeflanden werden könnte, etwas Anderes lies 
fen, als was Schleiermacher felbft aus denſelben 
Predigten, wenn er fie für den Drud überarbeitet hätte, 
gemacht haben würde, ift fhon aus feinen eigenen 
mehrfältigen Aeußerungen über dieſen Gegenfland zu 
entnehmen, Gleichwohl find fie auch in dieſer Geftalt 
werthvoll genug, um Durch ihre erneuerte Mittheilung 
der Sache des Evangeliums zur Förderung, Allen, Die 
noch heute um den Bielbeweinten trauern, zur Erquik—⸗ 
kung und Freude, und Vielen, die felbft zum Dienft 
om Borte berufen find, zur belebenden Anregung und 
Belehrung zu gereichen. Nachichriften folcher Art bes 
ginnen, forweit fie ung vorliegen, mit dem Jahre 1810, 
und find ohne bedeutende Unterbrechung bis zu jener 
Morgenftunde fortgeführt worden, welche das lezte oͤf⸗ 
fentlichhe Wort des Heimgegangenen an heiliger Stätte 
vernommen bat. 

Namentlich nun von Predigten (weniger von klei⸗ 
nern Amtsreden) find folcher Nachfchriften eine ziem⸗ 
he Anzahl in der Nachlafienfchaft Schleiermacher's 
vorgefunden, die ihm von dankbaren Zuhörern oft in 
größeren zufanınenhangenden Ganzen verehrt oder eins 
zeln mit der Bitte überreicht wurden, fie für den Drukk 
juzubereiten, oder auch durch ihn felbft Tanflich von 
Solchen erworben wurden, Die (vornehmlich etwa feit 


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1817) aus der Anfertigung derfelben eine nicht unein⸗ 
trägliche Nebenbeichäftigung machten. Zn diefen vorge⸗ 
fundenen Nachfchriften find nach dem Tode Schleierma= 
cher’s noch manche andere von mehreren Seiten ber ein 
geſchickt oder gegen Geldvergätigung angeboten worden. 
Wenn nicht mit gewuͤnſchter Haftigkeit auf Anerbietungen 
der lestern Art eingegangen worden ift, und Daraus Prä- 
fumtionen entftanden find, die Unerfreuliches veranlaßt Has 
ben, fo hatte dies Den ganz einfachen Grund, nicht uns 
nüßerweife mehrere Eremplare derfelben Nachfchrift ans 
kaufen, fondern erft Überfehen zu wollen, was vorhan⸗ 
den fei und was in den verfprochenen Zufendungen 
eingehen werde. 

Sole Nachſchriften, mehr oder weniger wortge⸗ 
treu und vollfommen, zuweilen auch fehon von Schleiers 
macher überarbeitet, werden, mit Ausnahme der fruͤh⸗ 
ften Zeit und einzelner fpäterer Mannfcripte von dem 
Verftorbenen felbft, die Quellen fein, aus denen wir 
zu fchöpfen haben. Es wird mir Gemwifiensfache fein, 
von dem Urfprunge und der Beichaffenheit dDiefer Quel⸗ 
Ien, wie von meinem etwaigen Verfahren mit denfelben 
immer "eine aufrichtige und unverbolene Rechenſchaft 
abzulegen. 

Was Die Ordnung betrifft, in welcher dieſe 
neu berauszugebenden Vorträge abgedrudt werden fols 
Ien, fo ift Die chronologifhe als die zwecmaͤßigſte 
erachtet worden. Die früheren Sammlungen, welche 
Schleiermacher felbft noch, verauftaltet hat, find mei⸗ 
ftentheilg durch ein materielles Priscip . verbunden (der 


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chriſtliche Hausftand, die Fefte, Die Augsburgifche Con⸗ 
feſſion; auch Die erfte Sammlung follte nach des 
Berfaſſers urfpränglicher Abftcht durch eine polemifche 
Tendenz zufommengehalten werben, und nur die zweite 
und Dritte find ohne ausdrädliche Beziehung auf einen 
genteinfamen Zwed oder Inhalt zufammengeftellt). Ins 
zwiſchen fchien die chronologifche Ordnung geeigneter, 
auch von dieſer Seite für eine künftige Gefchichte und 
Charafteriftit des verehrten Mannes mitzuwirken, zu 
welcher feine öffentlichen Vorträge, weil fie eben immer 
die frifche Gegenwart athmeten, eine fehr reichhaltige 
Duelle bleiben werden. Man kann wohl vorausfegen, 
daß Allen, die nah Schleiermachers Predigten greifen, 
außer dem der Erbauung noch die Befriedigung diefes 
andern Intereſſe nicht unwichtig if, nämlich Die Ent⸗ 
widelung eines Mannes zu verfolgen, Der, wenn er 
auch dem Schidfal jedes Sterblihen nicht entgehen 
fonnte, unter ben bedingenden Einflüffen der Zeit zu 
fiben, in welche feine Tage fielen, Doch von Anfang 
an jene Freiheit und Urkräftigfeit des eigenthämlichen 
Geiftes an den Tag gelegt bat, verınöge deren er feine 
Mitwelt Eräftiger beftimmte und bildete, als fie ihn. 
Die beiden erften in vorliegendem Bande 
entbaltenen Sammlungen find Abdruͤcke von eis 
genhändig gefchriebenen Ausarbeitungen Des 
Verfaſſers. Sie find durchaus unverändert und treu 
wiedergegeben, und ich habe mir nicht erlaubt, obgleich 
es unbefchabet Des Sinnes leicht angegangen wäre, auch 
nueseinzelne Ausdrüffe, die fireng genommen nicht in 


T’"-ırv of tne 
UNION THEOLOUGICAL SEMINARY 
New York 





Friedrich Schleiermacher's 


ſaͤmmtliche Werke. 


Zweite Abtheilung. 


Predigten 


Siecebenter Band, 


öIIICCcCcCc.cC...I.. EE _____} 
Berlin, 
gedruckt und verlegt dei G. Reimer. 
1836. 


Friedrich Schleiermacher's 


literariſcher Nachlaß. 


Predigten 


Dritter Band, 


Berlin, | 
, due ul berlegt bei G. ‚Reimer, - 
1836. 


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183] 

Abt.L 17-8 
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Predigten 


in den Sahren 1789 bis 1810 gehalten 


von 


Friedrich Schleiermacher. 


tus Schleiermacher's handſchriftlichem Nachlaſſe und 
aus Nachſchriften der Hoͤrer 
herausgegeben 
von 


Ad Sydow, 
Prediger am Gabetteninftitut gu Berlin. 


ee 
Berlin, 
gedruckt und verlegt bei G. Reimer. 
1836. 


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Schließlich bemerke ich noch, daß es für angemeſ⸗ 
fen erachtet worden ift, Die Schreibung und Zeichenfe: 
Gung auch in diefem Bande durch den Heren Correc- 
tor, der damit Beſcheid weiß, den Schleiermacherfchen 
Anfichten uber dieſe Punkte möglihft zu conformiren. 

Nicht ohne oft von der tiefften Wehmuth ergriffen 
gu werden, babe ich die Arbeit verrichtet, welche an 
diefen Zeugniffen des Schleiermacherfchen Wirkens mir 
oblag. Wie Flein der Dienft fei, den ich dem Unver⸗ 
geklihen Dadurch erzeigen kann, ich lege mein ganzes 
Herz mit feiner nie erlöfchenden Verehrung und Dank⸗ 
barkeit gegen ihn hinein. 

Iſt Schleiermacher's Rede verballt, Doch lebt Er, 
und der gläubige, belle, Tautre und muthige 
Geiſt, deſſen Erfcheinung Er war, wird ein unvergäng- 
licher Segen in unfrer Kirche fortwirken! 


Geſchrieben im Juni 1836. 
D. H. 


Inhaltsverzeichniß. 


Erſte Sammlung. 
(1789 — 1794.) 


L Dos SEhriſtus allein unfer Geligmader ift, und wir Teines 
andern zu warten haben, Matth. 11,3. Abventszeit 1789. 
U. Bas für Pflihten uns obliegen gegen aͤngſtliche Ghriften. 
1 Kor. 8, 9— 12, . 0. . . 
HM. Bem reiten Gebet des Shriften im Namen Jeſu. Joh. 16,23 
IF. MBie berjenige befchaffen fein müfje, bei dem wahre Sinne: 
änderung und Beſſerung möglich fein fol. Luk. 5, 2932, 
J. Welches Intereſſe alle Umflänbe ber Geburt Jeſu für uns 
haben. Gal. 4, 4. Weihnachten. 0.0. . 
L. Web wir bei dem Blikk, ben wir am Anfange eines Jah⸗ 
res in die Zukunft thun, von unſerm himmliſchen Vater er⸗ 
warten bärfen. Matth. 7, 11. Erſter Sonntag im Jahr. 
IL Bon dem Giege, den Chriſtus durch feine Auferfiehung über 
den Tob davon getragen. 1 Korinth. 15, 26. Oſtern. 
I. Was für Gefühle dem Menſchen zu feiner chriſtlichen Beſ⸗ 
ferung am förberlihften find. Philipp. 2, 12. . . 
U Borin bie Pflihten des Chriſten in Abfiht auf die Berich⸗ 
tigung feiner Religionserfenntniffe beftehben. 1 Sheff. 5, 21. 
- Bon ber Theilnahme des guten Menfhen an bem wahren 
Wohl ber Menfhheit. Luk. 2, 25 — 32. Weihnachten 1792. 
L Die wahre Schäjung bes Lebens. Pſalm 90, 10. Am Reus 
jahrstage 173. . 
'L neber bie vornehmften urfagen, aus denen bie menſqhen 
troz der Erkenntniß bes guten doch von demſelben fern blei⸗ 
ten. kat. 8, 4 — 1s8. Am Sonntage Sexageſima 1793, 





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153 


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XTI. Bon der reqhten Art über bie unterſtüzungen und Hälft- er 
mittel zur WBefferung nachzudenken, bie Bott einem jeben gu 

Theil werben läßt. Auf. 11, 8. 1793. 170 
XIV, Daß Jeſu Lehre und Betragen uns jeden Vorwand ab» 
ſchneide, unter bem wir uns feinen Borberungen entziehen könn⸗ 
ten. Matth. 12, 19-20, Am lesten Sonntage bes Jah⸗ 

res 1793 im Dom zu Berlin gehalten. Fe 1872 
XV. Die heilfame Unterweifung, die wir ber Genbung Sefu 
verbanten. Kit. 2, 1115. Bei der Ordination sum Pre 

bigtamte geſprochen in der Paffionsgeit 174. . . 419 


Zweite Sammlung, 


(1794 — 179%.) 

1. Daß wir aus Dankbarkeit gegen Iefum feinen Tod zu vet: 

fünbigen haben. 1 Kor. 11, 26. XAntrittsprebigt zu Bandes 
berg a. d. W. am Charfreitage 179. ou. . 020 

\1l, Bon dem Unglauben in Abſicht auf Dinge ber andern Bei. 
Mark. 16, 10— 14 Oſterpredigttg... 218 

II. Unfer Glaube ift der Sieg, der bie Welt überwindet. 1 Joh. 
54. ee MI 

IV. Der gute Mandel bie Hefte Schuzwehr gegen bie Verlaͤum⸗ 
dung. 1 Petr. 2, 12. .. 241 

V. Wie nothwendig es für ben Menſchen ſei, den Dienſt ber 
Gerechtigkeit zu wählen. Röm. 6, 19— 22, ..  \ y 

VI. Bon ber Beurtheilung der Menſchen aus ihren Fruͤchten. 


Matth. 7, 5—18. . . ee. . 26 
Vo. Daß Peine Berfugung, welde ben Menſchen trift, ſo groß 
fei, daß er ihr nothwendig unterliegen muͤßte. 1 Kor. 10, 13. 


VIII. Bon ber ſchweren Pflicht ber Friedfertigkeit. Roͤm. 12, 13. 281 
IX, Wie übel es iſt, dasjenige nicht verſchweigen zu koͤnnen, 


was uns zu reden verboten iſt. Joh. 5, 5—16. .. 200 
X. Ueber ben Grund unſerer Hoffnung auf einen beffern Zus 
fand der Menſchen auf Erben. Eu. 17, O—2l. .„. . 3% 


Xl. Von ben billigen Grenzen unferer Abneigung gegen dieje⸗ 

nigen, welde von einer ganz andern Verfaſſung bes Ge⸗ 

müthe find, ale wir. Joh. 8, 37. en Id 
xl. Bon ben Bewegungsgründen zur unausgefesten Beharr⸗ 

lichkelt bei unfern Entſchluͤſſen. Matth. 10, 22 .. 32A 


xxıu 


UL Anregung zum Dante gegen Gott wegen ber Wohlthat 
bes wicbergefhhenlten Friedens. Pfalm 100, 4. 5. 1795. 
UV. Ueber bie Rägftentiebe nah des Vorſchrift Chriſti Matth. 
22, 35 —40. FE EEE 

V. Aus welchen Bränden ein chriftliher Lehrer immer Freu. 
digfeit Haben Pönne zu feinem Amte. 2 Kor. 1, 3.4. Am 
trütsprebigt,, geſprochen in der Charite zu Berlin am 18. 
Gertember 17%. .. .. 


Dritte Sammlung. 
(1810.) 
Wie der Herr mit Recht ſagen konnte, daß er vollbracht 
babe. Joh. 19, 30, Am Charfreitag: . . . 

L Wie wir es erringen, fröhlich zu fein in der Arbeit, Preb. 
Eal. 3, 11 —13. Am Bußtage. W . 

U Die Herrlichkeit, die unſerm Erldſer zu Theil geworben if 
nah feinem Verſchwinden von ber Erbe. Mark. 16, 19 
und Apoſtelgeſch. 1, 10. 11. Am Himmelfahrtstage. 

IV. Wie ber Here bei feinem Abſchiede von der Welt die feis 
nigen entlich. Matth. 28, 16— 20. Am Sonntag Graubdi, 

Das in uufern gotteödienfllihen Berfammlungen ber Geift 
des Deren ſich im wefentlihen noch eben fo Träftig erweife, 
als am erften chriſtlichen Pfingfifefte. Apoſtelgeſch.2, 1—42. 
Am erfien Pfingfitage. . . . . . . . 

HM. Worin unfer Zurhftbleiben gegen bie erfle Gemeine bes 
Herrn gegränbet ift und wodurch ihm Eönne abgeholfen wers 
den. 1 Thefſ. 5, 19— 21. Am zweiten Pfingfitage. Rad 
mittag. . . . . . . 

Mt Weber bie Kurt, bie der götttige Geift durch feine Bir. 
tungen in benen bervorbringt , weile der Vereinigung mit 
ibm nod unfäbig find. Apoftelgefh. 2, 43. Am Sonntage 
Zrinitatis Radmittag. . . . 

ill. Ueber bie wahre Gemeinſchaft ber Ste unter ben Sri. 
fen. Apoſtelgeſch 2, 44.45. Am 1. Sonntage nad Trinit. 

N. Die Belehrung des Apoſtels Paulus iſt ungeadhter ihres 
wunderbaren ein Beifpiel von ber einzig richtigen Att, wie 
ber wahre Glaube im Gemuͤth bed Menſchen entfteht. Apo⸗ 
ſtelgeſch. 9, 3—22. Am 9. Sonntage nah Trinitatis. 


©eite 
340 


334 


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391 


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411 


419 


437 


444 


XXIV 


X. Ueber ben Werth und Lohn ſolcher guten Werke, bie noch 
nicht aus dem vollkommnen Glauben entipringen, Apoſtel⸗ 
gef. 10, 4— 6. Am 10. Sonntage nad Zrinitatis. . 

xl, Wie wir in der Mittheilung geiftiger Gaben zu Merle gehn 
möüffen. Apoftelgefb. 11, 15—17. Am 11. Sonntage nad 
Trinitatis.. . 

XII. Ueber bie Verſchiedenheit ber Kt, wie bie Arbei bes Rn 
ſchen an der Erbe von ihm verrichtet wird. Gal. 6, 7. 8. 
Erntedankfeſt. Am 15. Sonntage nah Zrinitatii. » - 

AL Bon dem chriſtlichen Strafrecht. Apoftelgefh. 13, 6-11. 
Am 16. Sonntage nad Zrinitatid. Nachmittag. . 

XIV. ueber bie fortwaͤhrenden Geiftesbebärfniffe berer, welche 
Thon dem Evangelio Gehör gegeben haben. Apoftelgefd. 14, 
20—22. Am 17. Sonntage nah Zrinitati. . - 

XV. Ueber bie Natur ber Berfuhung, bie hriflihe Wahrheit 
durch menſchliche Zufäze zu ergänzen. Apoſtelgeſch. 15,1—12. 
Am 19. Sonntage nad Zrinitatis. . . . 00 

XVI. Wie es Pflicht fei, das Recht aufrecht zu erhalten unb ſich 
Genugthuung zu verfhaffen. Apoftelgefh. 16, 30 — 37. Am 
21. Sonntage na Trinitatii. 

XVII. Ueber das Verhaͤltniß beffen, was alle fromme Menſchen 
mit einander gemein haben, zum eigenthuͤmlich chriftlichen. 
Apoftelgefh. 17, 2— 31. Am 22. Sonntage nad Triait. 

XYHI. Ueber den Mißbrauch bes Namens Jeſu. Apoftelgefä. 
19, 13— 17. Am 23. Sonntage nad Zrinitatit. . 

XIX. Vom Beift und Zwekk unfrer chriſtlichen Zufammenkünfte 
und Belehrungen. Dffend. Joh. 22, 10—13. Am 1.Abvent. 

XX. Wie bie Erwartung derer befhaffen fein mäfle, welche auf 
eine hberrlichere Verklärung bes Herrn hoffen. Luk. 1, 44 
bis 55 und 67. Am 2. Advent. 00. . 

XXL Ueber die Bereinigung bes menſchlichen und gbtetigen in 
dem Grldfer, wie fie uns feine erfle Ankunft auf ber Erde 
sur deutlichſten Anfhauung bringt. Phil. 2, 6.7. Am ers 


fen Weihnachtstage... . . 
Anbang. Gebrängte Auszüge aus einigen im Jahre 1810 ge⸗ 
haltenen Vorträgen. > On 


« 


Geite 


463 


470 


479 


491 


518 


528 


357 


375 


Erite Sammlung 





Aus Schleiermachers Candidatenjahren 
1789 bis 1794, 


yırkigtem 1. 4 


Daß Chriftus allein unſer Seligmacher ift 
und wir Feines andern zu warten haben. 





Ueber Matth. 11, 3. 


Adventszeit 1789. 


V 
Se näher wir ber Zeit lommen, m. a. $r., wo das fröhliche Feſt 
7 Geburt Chrifli unter und gefeiert wirb, deſto mehr iſt es un: 
t Pflicht, wenn wir es würdig begehn wollen, und lebhaft an 
le tie Wohlthaten zu erinnern, bie wir ihm zu banken haben, 
Tem ganzen Zufland zu unterfuchen und es fief zu empfins 
2, wie groß der Schaz fei, den und Gott in ihm gegeben hat. 
; it wahr, wir find alle Chriften, und ba läßt fich voraudfes 
', daß wir auch alle von der Wahrheit feiner Lehre und der 
ihtigkeit feiner Sendung hinlänglich überzeugt find, aber ben» 
5 wird eine folhe Zufammenftelung auch für und vielleicht 
Ft ohne Nuzen fein. Denn in unferm gewöhnlichen Zuſtand 
len wir den Einfluß der Religion nur einzeln, nur unmerk⸗ 
;: fie Hilft und oft zum guten, fie leitet uns oft, ohne bag wir 
> ihrer unmittelbar bewußt find, wir werden nicht immer ges 
tr, was von ihr herrührt, und fchreiben wol fo manches gute 
ſelbſt oder umſern Umſtaͤnden zu, was fie allein im flillen 
42 


4 


gezeugt und genährt hat. Wenn wir und alfo nicht bisweilen 
aus biefer zu ruhigen Lage auf eine höhere Stufe hinaufſchwin⸗ 
gen wollten, wo wir inniger von ihr durchbrungen find, fo ge: 
riethen wir bei alle dem in Gefahr, nach und nady, ohne es zu 
merken, in einen Mangel an Dankbarkeit für diefe Wohlthat zu 
fallen, und dadurch in den Zuftand einer Falten Gleichgültigkei 
zu verfinken, worin wir fo manche Menfchen ihr Leben verträu: 
men fehen. Und find wir erft da, fo find wir für nichts meh 
fiher. Es giebt in unfen Tagen fo viele Menfchen, die und der 
Werth Chrifti und feiner Lehre abftreiten, feinen hohen Beru! 
und feine göttliche Abficht verfennen, und weder durch feine Lehri 
noch durch, feine Wohlthaten zur Verehrung zu bewegen find, ic 
die nicht willen, was fie mit ber Religion überhaupt anfanger 
ſollen und ſich Mühe geben, ihre Wichtigkeit wegzukluͤgeln, un 
ben Menfchen, wie fie meinen, größer und felbfländiger zu ma 
hen; und wären wir auch ihren Verleitungen weniger ausgeſez 
als viele unfrer Brüder, fo müflen wir dennoch auch ſchon un 
deswillen und befto fefter an die Religion anfchmiegen, fie beit 
öfter ganz fühlen und uns ihr ganz widmen, Damit nicht irgen 
einmal in jenem Zuftand ber Gleichgültigkeit, wo die Seele bei 
Irrthum fo gut ald der Wahrheit offen fleht, ihre Reden ein 
verflimmte Saite unfred Herzens treffen, welche ihre unteine 
Töne nachhallt und fo Mißklang und Verwirrung anrichte. Di 
rum wollen wir auch diefe Stunde dazu benuzen, und aufs ne 
für die Wahrheit zu erwärmen, dag Chriftus allein unfe 
Seligmader ift, daß durch ihm alle unfre Hoffnungen erfud 
alle Beduͤrfniſſe unſres Geiſtes befriedigt find. 


Text. Matth. 11, 3. 

Biſt du es, der da kommen ſoll, oder ſollen wir 

nes andern warten? 
Johannes, deſſen Beſtimmung es war das Volk auf die Leh 
Jeſu vorzubereiten, und ber fo gern jede Gelegmbeit hervorſuch 





8 [| 


mo ex feine Schüler und andere auf ihit\nufmerffam machen und 
za ihm hinweiſen konnte, hatte auch jezt noch in feinen lezten 
Zagen zwei ſeiner Freunde abgeſchikkt, um zu ihrer eignen Beru⸗ 
hligung Chrifto eine Frage zu thun, auf die er für ſich keiner 
Antwort mehr bedurfte. Ob er es fei, fragten fie ihn, von dem 
De Welt ihr Gluͤkk erwarte, ber die verirrte Menfchheit aus ih: 
rer Ungewißheit und ihrem Elend herausreißen würde? Ob in 
ibm das Heil zu finden fei, oder ob fie noch auf et: 
was andres warten müßten? Und diefe Frage wollen auch 
wir und zu unſrer Befefligung in ber Wahrheit und unferm Troſt 
zu beantworten fuchen. Aber wir wollen davon ganz menfchlich 
sehen, uns nicht auf die Weiffagungen der Worwelt, nicht auf 
das Zufammeentreffen fo vieler merkwürdigen Umflände, nicht auf 
io manche wundervolle That berufen, die Chriftus ausführte; fon- 
dem wir wollen bei folchen Gründen ſtehn bleiben, die ſich naͤ⸗ 
ber auf uns felbft beziehn, und die Chriftus felbft hier den Zün- 
gern Johannis vorhält, um fie aus ihrem Zweifel zu reißen. 
Und was waren benn diefe? Geht hin, fagte er zu ihnen, und 
jagt, was ihr feht: die blinden fehn, die tauben hören, bie 
lahmen gehn, bie tobten fiehen auf, und ben armen wird dad 
Evangelium gepredigt. Dad waren alfo Gründe, die erfilich 
“3 jenem Leben, zmweitend aud feiner Lehre hergenom- 
men find. 
J. 

Wenn und ein Geſandter Gottes verheißen wird, um 
ws über unfre ganze Beflimmung aufzuklären, was erwarten 
wir wel von ihm? Zuerſt gewiß eine feſte Anleitung zur 
Zugend; gut zu fein ift der erſte Wunſch eines jeden noch 
nverborbenen Herzens, aber um es zu werben brauchen wir ein 
turhgängig fiheres Vorbild im guten; das iſt dad 
erfie Bedürfnig, welches fich in unfrer Seele regen muß, fo: 
balb wir und ber Liebe zur Tugend und bed Wunſches nad) ihr 
yutlic bewußt zu werben anfangen, weil wir fie ohne baffelbe 


8 


zu beffern. Wenn jemand nur darum tugenbhaft ſcheint, we 
die Handlungen, die bei ihm aus andern Bewegungdgränden gi 
fchehen, zufätliger Weiſe mit den Gefezen ber Rechtſchaffenhe 
übereintommen, fo müffen doch wol hie und da beide Wege vo 
einander abweichen, fo muß doch irgendwo eine Luͤkke zu finde 
fein, durch die man in feinen wahren Charakter hineinfehn kam 
Aber bei Ehrifto finden wir au in den fchwerften Lagen, x 
fi der befte fonft hinreißen läßt, in den fchleunigfien Abwecht 
lungen, die man erfahren kann, in allen heilen feined Leben: 
den öÖffentlihen und den geheimen, im Volk und unter feine 
Steunden, überall die nämliche immer große Denkungsart. Ben 
jemand nur von Natur eine gluͤkkliche Miſchung der Geiftedträf 
befizt, die bem guten günflig ift, wenn bad was wahre Zuger 
zu fein fcheine nur natürliche Wirkung feiner Anlagen und fein: 
Temperamentes ifl: fo werben wir ihn wenigftens da fehle 
haft finden, wo eine andere Seelenflimmung ber Tugend vorthei 
hafter wäre, wo bie feinige entweder nicht flark oder nicht fanıf 
entweder nicht feft oder nicht biegfam genug iſt; aber auh Hi 
ift Chriftus ohne Tadel. Wie flark gegen die Keinde der beffe: 
Religion, deren Stolz feinen ganzen Emft foderte um gebem: 
thigt zu werden, wie fanft gegen die ſchwaͤchern irrenden u: 
gegen die gefallnen Freunde! wie feft vor feinen Anklaͤgern ın 
Richten; wie biegfam um ſich zwilchen denen hindurchzuwinde 
bie ihm heimliche Fallen legten! Died iſt eine Tugend nicht aı 
Heudelei, nicht aus Temperament, fondern aus unerſchuͤ 
terlich feſten Grundſaͤzen, und eine ſolche brauchten w 
Was wollen wir eines andern warten? Chriſtus iſt uns da 
geſandt, daß wir nachfolgen ſollen feinen Fußſtapfen; ihm gehẽ 
ein Herz, welches er allein ausfuͤllen kann! 
IL 

Aber dadurch find noch nicht alle unfre Erwartung 
erfüllt. Auch ber befte Menſch wäre noch ungluͤkklich, wenn 
nichtd hätte als dieſes erhabene Beiſpiel. Wir werben oft v 


9 


Kmerzlichen unb traurigen Empfinbunges getroffen, bie uns 
machen, find oft niebergefhlagen und nad) Stärkung und Troſt 
verlangend, bie wir in uns felbft umfonft fuchen würden. Lnfre 
Seele fieht, dag fie fich jenem Vorbild nicht nachbilben kann, da 
re nicht einmal ihre eigenen Forderungen an fich felbft zu erfül- 
ler vermag; der Gedanke fchlägt fie nieder, bag der Menſch fo 
genz ſich felbft und allen den Irrthuͤmern und Fehlern überlaffen 
fi, die aus feiner natürlichen Schwachheit folgen. Sie fühlt oft, 
daß fie abgewichen ift von der Regel des guten; fie erfchrikkt 
vor ihrer Zukunft, wenn fie die Unorbnung fieht, die ihre un: 
rechten Danblungen in ihr felbft und um fie her angerichtet ha: 
ben; noch mehr zittert fie vor der Ewigkeit, wenn fie auf die 
richterliche Gerechtigkeit des Hoͤchſten hinblikkt. Der Verſtand 
bürftet nach Wahrheit, und ſieht ſich immer in Finſterniß, Zwei⸗ 
fel und Ungewißheit verſtrikkt; bald wird er von außen zuruͤkkge⸗ 
halten, dald zerflört ex felbft wieder feine eignen Bemühungen; 
er ſieht fih um nach Ordnung in ber geifligen Welt, die er be 
trachtet, und vermag fie nirgends zu finden, ba ift Fein Verhaͤlt⸗ 
niß zwiſchen Zugend und Gluͤkkſeligkeit, Laſter und Elend; das 
Gelingen unfrer Unternehmungen richtet fich nicht nach der Güte 
der Abfichten, die Größe der Seele ift nicht das Maaß ihrer rich: 
fign Denkungdart, die gefundene Wahrheit nicht gleich der Stärke 
des Verſtandes; alles fcheint verwirrt, und die weife Hand die es 
lenkt verbirgt alle Spuren ihrer Bewegungen. Die Sinnlichkeit 
des Menſchen dürftet nach Ruhe, nad) Zufriedenheit, nach Gluͤkk 
und Freude: und wenn fie ed nun immer umfonfl thut? wenn 
wir vergeblich und auf unfer gutes Gewiſſen berufen bei biefem 
Beſtreben? — Der Menſch ſtrebt nach Erhaltung; fo verwirrt, 
fo vol Kummer aud dad Leben ift, fo lieben wir ed doch. Und 
wenn wir und nun bem Ende beffelben nahe fühlen? wenn nun 
der Zerflörer herannaht? Welch ein Zufland, wenn wir nur bad 
!tnmen, was wir verlaffen muͤſſen, aber nicht dad, wad auf uns 
wartet! Da befchäftigt die Seele ihre lezten Kräfte mit wech 


10 


felnden Muthmaßungen, fie läßt ihre Einbildungskraft die lezte 
Farben mifchen, um fchwantende Bilder der Ewigkeit zu en 
werfen, und ermattet finkt fie bann in ben legten Augenbliff: 
des Lebens doppelt fo tief in Ungewißheit zurüfl. Das waͤ 
das traurige Schikkſal aller Menfchen, wäre auch unfer Schikfia 
wenn und bei jenem göttlichen Beifpiel doch noch die Erken ntni 
der Wahrheiten fehlte, weiche und allen über unfer Be 
haͤltniß gegen Gott und über die Ordnung ber Wei 
beruhigen können! Das iſt dad zweite große Beduͤrfniß bı 
Geiſtes, deſſen Befriedigung ber Menſch von einem Gefanbt: 
Sotted erwartet, und Chriftus kommt auch dieſes zu heben. € 
bietet und Troſt und Ruhe an, er ladet zu fich ein alle, die u 
ter der Laſt ded Kummers ermatten; er hat Lehren, welche fcho 
feinen erften Freunden Worte bed Lebend waren. Sollten w 
ihm nicht auch ohne Unterfuhung unfern Verſtand unterwerfen 
und mit vollem Glauben an feinen Reben und Verheißunge 
bangen? O ja, meine Freunde! was koͤnnte und hindern d 
Grundfäze defien anzunehmen, deſſen ruhige Gleichmuͤthigkeit b 
allem Ungluͤkk wir nachahmen möchten? Aber feine Lehre fprid 
auch für fich felbfl. Das war ber legte, ſtaͤrkſte Beweis, den 
den Süngern Johannis gab, Seht, den armen wirb ein 
tröftliheLehre verfündigt. Wenn wir bei unferer Schwac 
heit den Troſt kennen, bag Gott in den ſchwachen mächtig il 
da er und auf mannigfache Weiſe beifteht und das Heil unfer 
Seele befördert: fo iſt e die Religion Iefu, die ihn uns gieb 
wenn wir bei unferer Reue doch willen, daß Gott alled zu 
beften wenden kann, wenn wir wiflen, baß feine Gerechtigk« 
mit feiner Liebe verbunden ift, daß bie Folgſamkeit gegen bi 
Billen des Waterd und der Glaube an ben, ben er gelandt be 
Berzeihung für unfere Fehler bewirkt: fo iſt er es, der es uı 
verfündigt. Wenn wir unfern Verſtand mit dem Gedanken £ 
ruhigen koͤnnen, daß eine Zeit bevorfteht, wo die Ungleichheit: 
diefer Welt follen ausgeglichen werben, wo jeber empfahen wi 


11 


ach feinen Werken, wo aud das in Anfchlag kommt, was in 
tem Herzen eines jeden verfchloffen gewefen: fo ift ed Chriſtus, 
dem wir bie erſten würbigen Vorſtellungen von ben Orbnungen 
und Gerichten Gotted verdanken. Wenn wir bei allen Leiden 
md Mühfeligteiten des Lebens noch Stunden der Beruhigung 
geriehen, noch Glüfffeligkeit fühlen und mit einer hoffnungsvol: 
in Zufriedenheit auf die fhönen Werke Gottes hinſehen können: 
(0 fommmt das nur aus ber Ueberzeugung her, daß alles bis auf 
das kleinſte an fich felbft ein Gegenfland feiner immer liebevollen 
Vorſehung if, daß das Maag unfrer irdiſchen Gluͤkkſeligkeit 
wicht nur dem Wohl des ganzen, welches und fremd if, fonbern 
unferm eignen wahren und ewigen beften untergeordnet if, und 
diefe Ueberzeugung find wir Chrifto ſchuldig. Wenn wir"enblich 
dem Ende unfted Lebens ruhig entgegenfehn Fünnen, ſo verban- 
fen wir das dem Xroft, den ev und gegeben hat, daß wir da 
kin werben, wohin er vorangegangen ift, daß fein Water noch 
ein großes Reich hat, worin er alle die fernigen aufnehmen wird. 
Welcher Arme kann bei diefer Lehre wol ungetröftet, welcher zwei- 
tinde unberuhigt bleiben? Hier haben wir Beiſpiel und Er 
kenntniß und Troſt und Hoffnung und Ruhe für unfere Seele, 
Ser find alle Bebürfniffe unfered Herzens geflillt, alle unfere 
Simfche befriedigt! | 

Und da wir das alles Chriſto und ihm allein verban: 
m, ba er es ift, in deffen Namen den Menfchen Heil und 
Seligkeit verheißen tft: mit was für einem dankbaren und 
reubigen Gemüth werden wir nicht ber frohen Feier feiner Ge: 
ort entgegenfehn! wie feft wird nicht ber Vorſaz bei uns fein, 
Ne Früchte derfelben auch fo viel ald möglich zu genießen, und 
im allein troz der gewöhnlichen Dendungdart unferer Tage die 
Tore davon zu geben? Viele Menſchen fchämen fich jezt des 
Shriftenthumd; manche eigenthuͤmliche Lehren deffelben find aus 
ter helldenkenden Welt verbannt, und ed gilt faft für bad Zeichen 
2.25 ſchwachen Verſtandes, Troſt und Beruhigung in ber Ges 


Lirrary of the 


UNION THEOLOGICAL SEMINARY 





12 


wißheit berfelben zu ſiaden — ach, lat und doch fet ſtehn mi 
ten in diefem Strom, laßt und nichtd wegwerfen von bem, we 
in den Worten und Lehren Jeſu gegründet if! — Viele ve 
lachen bad unbegreiflihe, das von feiner Religion unzertrennli— 
zu fein fcheint — ad, laßt uns biefen Leichtfinn fliehen, 1a 
und doch fo viel dankbares Zutraun zu Jeſu haben, dag wir di 
nicht verachten, was wir nicht verfiehn, daß wir nicht glaube! 
dasjenige ohne ihn beffer zu verftehn, was er felbft und weisli 
verborgen gelafien hat! Viele unferer Mitbrüber haben ſich ai 
er dem Gebiet unferer Religion ein kleineres Gebäude von w 
nigeren Wahrheiten errichtet, unter dem fie Schuz und Ruhe q 
nug finden; wohl ihnen, wenn fie gluͤkklich fein Tonnen; ad 
laßt und doch nicht von dem ſtolzen Wahn berfelben hingeriſſ 
werben, ald wenn fie nun gar feine Berbindlichkeiten gegen Ch 
flum mehr hätten: — auch das fchwächere Licht, das ihnen leuc 
tet, haben fie von ihm geborgt; nur durch das Chriftenthu 
find die Wahrheiten allgemein geworben, bie fie dem eignen Nac 
denken ber Vernunft zufchreiben. Vielen ift die Religion Je 
zu eng; ihr Herz will fich dadurch nicht fättigen laffen, fie du 
ften noch nach mehrerem; aber indem fie auf neue Erfenntnil 
oder neue Offenbarungen harren: fo warten fie ja noch auf ( 
was anderes ald auf Sefum, fo rauben fie ihm ja ben Ruh 
daß feine Lehre binlänglich fei bad Herz zu beglüßfen, und be 
noch kann ihre Seele Feine wahren Bebürfniffe aufweifen, die 
nicht geftillt hätte. Ach, laßt und doch alle dieſe Abwege f 
ben! alle thun unſerm Glauben und unſrer Denkungsart Sqh 
den. Laßt uns ihm allein anhangen, feinen Fußſtapfen alle 
folgen, feiner Lehre allein beitreten und ihn allein preifen f 
alles Heil und alle Seligkeit, die wir genießen und hoffen! Am⸗ 











u. 


Ras für Pflichten uns obliegen gegen ängft- 
liche Ehriften. 





Ueber 1 Korinth. 8, 9—12. 


M a. Fr. Wenn das, was offenbar Recht, und das, was 
umgegweifelt Unrecht iſt, ganz nahe an einander grenzten, und 
die Grenzen recht ſcharf und deutlich gezogen wären, fo wuͤr⸗ 
den bie Menſchen vielleicht eben fo oft Unrecht thun, als wir 
kiber fehn, daß es gefchiehtz aber e& würde ihnen nicht möglich 
kin, fich im ihrem Urtheil von dem was Recht und Unrecht iſt 
v häufig und fo gröblich zu betrügen. Allein die Sache ver 
st ſich nicht ſo; zwiſchen beiden liegt bad erlaubte in der « 
Mitte; es fchließt ſich vermittelt unzähliger Handlungen, bie in 
swifien Fällen recht, in andern aber unrecht find, durch einen 


ianften u 3 eine ald an das andere an und 
ht di en oder weniger aufmerffamen 
Renfchen es Gebiets unaufhörlich ungewiß. 
1e3 diefe ie her Menfchen gegeben, bie, ba 


nicht nur ihren Neigungen uneingeſchraͤnkt folgen, fonbern 


14 


auch ihr fie ſtrafendes Gewiſſen befviebigen wollten, jich darau 
legten es durch falfche Schtüffe zu binden, ihm das unrechte fü 
erlaubt ja am Ende wol gar für recht, für pflihtmäßig zu ge 
ben, und andre zu bem nämlichen Irrthum zu verleiten. Nich 
geringer war die Anzahl derer, bie es auf der andern Seit 
übertrieben, alle8 was nicht unftreitig geboten ift für pflihtwidri 
und verboten hielten, und alle die nicht mit ihnen uͤbereinſtimm 
ten für leichtiinnige, für Werächter der Tugend und Religio: 
anfahen. Selbft das Ehriftenthum, welches doch einen feſten um 
trüglichen Gefichtöpuntt zur Beurtheilung der Rechtmäßigkeit al 
ler unfrer Handlungen an bie Hand giebt, ift nicht im Stand 
geweien dieſe doppelte Taͤuſchung zu verhindern, und es gieb 
noch immerfort unter denen, die ed befennen, betrogene von bei 
den Arten, leichtfinnige Gemifien, welche eine Menge vo: 
Handlungen zu rechtfertigen wiflen, um berentwillen fie von al 
len uneingenommenen und richtig fehenden gewiß getadelt wer 
den, welche immer weiter vom Weg der Tugend ablommen uni 
nad) und nach lafterhafter werben, da fie Anfangs nur die Ab 
ficht hatten fich Fein Vergnügen zu verfagen, welches fie fih mi 
gutem Gewiſſen erlauben könnten; und ängftlide Gewiſſen 
die fih mit zitternder Furchtſamkeit viele unfchuldige Freuder 
verfagen und dadurch fich felbft nicht nur Schaben thun, inden 
fie fih die Zugend erfchweren, fondern auch manche Verihuldung 
auf fich laden, indem fie viele gute Handlungen unterlaflen, blof 
weil fie ihnen unter ber ihnen fo fürchterlichen Geftalt de Wer 
gmuͤgens erfcheinen. Für denjenigen nun, der glüßffich genug ge 
weſen ift hierin die fchwere aber einem von den Grundfäzen de 
Religion geleiteten Rachdenken dennoch nicht unzugänglihe Mit 
telſtraße zu finden, für Dielen, ſag' ich, ift ed eine aͤußerſt ſchwer 
Sache mit beiden auf bie rechte Weife umzugehn. Bei ben er 
fen muß er unaufhörlich auf feinen Weg fehn, um fie nicht ar 
weit auf dem ihrigen zu begleiten, er muß Stärke genug behal 
ten ihren Verſuchungen zu widerſtehn, aber hier bat er doch nu 


15 


nd felbft zus forgen; bei den andern hingegen hat er auch 
ch Mlihten gegen dad ſchwaͤchere Gewiffen zu beobachten, und 
wu daß biefe nicht gehörig erfüllt werden entftehn fo viele 
Ihel in der Welt, die wir täglich vor und fehn koͤnnen; ber 
rt Hagt über Störung in feinen unſchuldigſten Vergnuͤgun⸗ 
yen, über harte, fchiefe Urtheile, denen er ausgefezt. ift, und ber 
&mäcere über Anſtoß und Aergerniß; beide werben auf biefe 
Reie immer weiter von einander entfernt, bie gegenfeitige Liebe 
id gefhwächt, umb der Saame zu Zwietracht und Feindichaft 
rd reichlich ausgeſtreut. Je größer der Schaben ift, welcher 
xiden Theilen aus ſolchen Mißhelligkeiten erwächft, und je haus 
iger wir ſolche aͤngſtliche Chriften an allen Orten unb um 
a alln Ständen antreffen, befto wichtiger muß es uns fein uns 
ſa Betragen gegen biefelben richtig beflimmen zu 
einen, und dies iſt ed wozu wir diefe Stunde anlegen wollen. 


Sert. 1 Korinth. 8, 9— 12. 

Sehet aber zu, daß biefe eure Freiheit nicht gerathe zu 
einem Anftoß der ſchwachen; denn fo dich, der du das 
Erfennmiß haft, jemand fähe zu Tiſche fizen im Gözen« 
haus, wird nicht fein Gemiffen, dieweil er ſchwach if, 
verurfachet , das Gözenopfer zu eſſen? Und wird alfo 
über deinem Erkenntniß der ſchwache Bruder umkommen, 
um welches willen doc) Chriſtus geflorben iſt. Wenn ihr 
aber alfo fündiget an den Brüdern und fchlaget ihr 
ſchwaches Gewiffen, fo fündiget ihr an Chrifto. 


Pauls giebt in diefem und dem vorhergehenden Eapitel feis 
& Gemeine Unterricht über den mäßigen Gebrauch der chriſtli⸗ 
“n Freiheit und über bad fehuldige Betragen gegen ſchwaͤchere 
drüber; er thut dies bei Gelegenheit eined flreitigen Falles, ber 
mals fehr gemöhnlic) war. De Chriſten lebten umter Heiden 
 Göymbienern, fie konnten fich nicht alled Umgangs mit ih 


16 


nen entichlagen, fie wurben auch zu ihren Vergnuͤgungen, zu ib: 
ren Luſtbarkeiten unb zu ihren Saftmälern eingeladen, allein die 
Speifen und befonders bad Fleifch,. welches daſelbſt genoſſen wurde, 
war von Thieren, die ben Gözen geheiligt und geopfert worden 
waren. Einige Chriflen nun machten fich dennoch Fein Beden— 
fen davon zu efien: — warum foll ich mir dieſes gefellige Ver: 
gnügen verfagen? ber Göze ift nichts, fo iſt auch dad Dpfe 
nichtö; andere machten fich ein Gewiflen daraus und trieben ihr 
Bebenklichkeiten dabei aufs Außerfie. Aber wir wollen uns nich! 
länger bei diefem einzelnen Kal aufhalten, fonbern nach Anlei 
tung unferd Textes überhaupt fehn, was für Pflichten unt 
gegen ſolche aͤngſtliche Chriſten obliegen, und zwar erſt 
Lich, wie wir fie beurtheilen, zweitens, wie wir und geger 
fie verhalten müffen. | 

J. | 

Auch ohne Rüfkficht darauf zu nehmen, daß unfer Urt hei 
über andere allezeit auf unfer Betragen gegen fie einflieht 
ift es eine theure Pflicht des vechtichaffenen Chriſten ſich, feinen 
nachtheiligen, verbammenben Urtheil von ſeinem nächften zu über 
laſſen, wenn er es auch auf dad volllommenfte rechtfertigen kann 
und bier find wir in befonderer Verfuchung, diefe Pflicht aus dei 
Augen zu fezen. Wer fich durch etwas beſonderes audzeichnel 
von dem glauben wir gemeiniglich, daß er bloß dieſes auszeid 
nende ſucht, und fchon dies wirft Fein vortheilhaftes Licht auf de 
Charakter eined Menfchen. Aber ed kommt noch mehr hinzu 
wer etwad gutes dadurch zu thun glaubt, daß er fich unſer 
Vergnügungen entzieht, der fcheint unferm Argwohn immer Bo 
würfe über bie unfrigen zu machen; wir glauben, baß er beſſt 
feinen will als wir, und haben beflo mehr Abneigung gege 
ihn, da wir und bewußt find, daß er keinen wahren Vorzug vi 
und hat. Je leichter und alfo bier unfer Herz zu falfchen U 
theilen verfeitet, deſto mehr miſſen wir auf unſrer Hut fe 
befto nuͤzlicher wirb es fein, daß wir bie gewöhnlichen nachtheil 


17 
a Meinungen, die man von jolchen ängftlichen Gewiffen zu 
“en pflegt, in ihrem Ungrund barftellen. Das erſte und leider 
03 fat allgemäinfte if, daß man fie für Heuchler hält." Heuche 
er, welche ben äußern Schein ber Tugend annehmen, um die 
früchte derfefben zu genießen und bie Menſchen deſto weniger 
muthen zu laffen, wie weit ihr Herz von berfelben entfernt 
ri, iefe begnügen ſich freilich oftmals nicht mit dem Schein ei» 
ur gewöhnlichen Tugend, welche nicht in bie Augen. zu fallen 
ucht, fie brauchen etwad blendendes, welches ihre ſchwarze Seele 
ım ſo beifer verberge, und ahmen baher jene Strenge gegen fich 
elbſt nach, weiche andern von Herzen geht und aus Grundfäzen 
rührt, welche tief in ihre ganze Denkungsart vermebt find. 
Kuf diefe Weiſe werben beide oft mit- einander vermechfelt, aber 
ſo leicht es iſt in dieſen Irrthum geführt zu werben, fo wenig 
Mühe koftet es ſich davon loszureißen. Der Heuchler kann bie 
Laree womit er andre taͤuſchen will nicht lange um fich leiden, 
er kann fih dad Vergnügen, das Lafter welchem er fröhnt zu üben, 
nicht fange verfagen, fobald als möglich erfcheint er in feiner na: 
ürlichen Geftalt. Der Heuchler will nur gefehn werden, er fucht 
ib überall hervorzubrängen, überall mit feiner falfchen Tugend 
tr Frömmigkeit zu glänzen. Wenn wir alfo im Begriff find, 
zer denen, bie eine größere Strenge zeigen, ald bie Grundfäze 
x Religion es und zu erfordern fcheinen, ein fo übereiltes Urs 
deil zu fällen, fo laßt und auf diefe beiden Stuͤlke fehn, und 
sen wir bier feine Merkmale ber Heuchelei finden, wenn fie 
wen Grunbfägen zwar immer treu bleiben, aber ohne fie auf eine 
wablerifche Weiſe zur Schau auszuſtellen, wenn fie fich in ihrem Be⸗ 
zsgen immer gleich bleiben, wenn wir barin gar nicht3 widerſpre⸗ 
sundes finden, gar Feine hinlängliche Urfach fie zu beichuldigen, daß 
⁊ im verborgenen wol anderd zu Werke gingen ald im Angeficht 
x Menfhen; wenn died, fage ich, das Refultat unferer Beobachs 
augen if: fo iſt ed ımfere Pflicht diefen häßlichen Werdacht fah⸗ 
2 zu laffen, und andere Brimde ihred Betragens aufzufuchen. 
Yarbigten L. 3 





- 


18 


Kann man das Herz folcher firengen ängfllichen Chriſten 
feiner Tuͤkke beichulbigen, fo fchlägt man einen andern nicht viel 
beſſeren Weg ein, unb fucht eine gewille Schwäche in ihrem 
Berfiand zu finden. Diefe Leute find nicht böfe, fagt man, 
fie meinen es herzlich gut, — aber wie ſchwach muß ed in 
ibrem Kopf ausfehn! wie verwirrt müffen nicht alle ihr 
Begriffe, wie ganz ungeuͤbt müflen fie in ber Unterfcheibung 
des wahren und falfchen fein, ba fie fich fo finflere, fo traurig 
Vorſtellungen von der Zugend machen koͤnnen. Died Tanı 
in einzelnen Faͤllen wahr fein, aber im ganzen ift es gewil 
unrichtig. Wenige von denen, welchen ed an ber gewöhnliche 
Stärke des Verſtandes fehlt, werden Feſtigkeit genug haben 
Begriffe, die fie nur von andern überfommen haben koͤnnen, in |i 
ausdauernde bebarrliche Grundfäze zu verwandeln, fie werden fid 
vielmehr vom Beiſpiel der Menge fortreigen laffen und benfen 
was fo viele thun, koͤnne ja wol fo unrecht nicht fein. 

Wenn man aljo auch hiemit nicht auslangt, fo fchiebt maı 
die Schuld auf ihre Gemüthöverfaffung, auf ihr Tempe 
rament. Es ift keine Kunf, denkt man, daß fie fich der Ber 
guügungen bed Lebens entichlagen, fie haben Leine Neigum 
dazu; ein langſames kaltes Blut fchleiht durch ihre Adem 
eö find traurige duͤſtre Gemüther, bie der Freude abgeftorbe 
find. Ber weiß, wad fir ein Wurm an ihrem innen nagl 
oder welcher Sturm die Sprößlinge der Freude noch in ihre 
zarten Jugend zerknikkt hat, — vielleicht haben fie fich wol ga 
durch unmäßigen Genuß Ueberbrug und Ekel zugezogen. Die 
find die gemeinften Urtheile der Menfchen über die, welche fic 
einen rauheren Weg gewählt haben als fie felbfl. Aber waruı 
will man doch denen, von welchen man ohnehin überzeugt if 
dag fie irren, warum will man ihnen zugleich alled übrige Lo 
rauben? warum will man nicht glauben, daß fie aus redliche 
Herzen, aud fefter Uebereugung handeln? daß es ihnen einig 
Mühe koſtet, der harten Regel fo genau zu folgen, welde fi 
fih einmal gemacht haben. Nichtet nicht, fo werbet ihr nid 


19 


zerichtet, verachtet nicht den, der nicht mit euch übereinftimmt, 
ws iſt bie goldne Megel der Chriften, die und Paulus Röm. 14, 
vo er von eben biefer Materie handelt, aufs dringendfte eins 
chaͤrft; ſuchet auch das, was ihr nicht billigen konnt, nicht aus 
xr Ihmugigften umreinften Quelle berzuleiten, fondern deutet fo 
ange ihr könnt alles zum beſten. Und dies iſt Doppelt noth⸗ 
wendig bei diefer wirklich verehrungswerthen Claffe von Mens 
hen, die aus warmer Liebe zur Zugend ‚die allgemeinfte ange 
orne Reigung des Menichen zum Vergnügen, zur Zreude, zum 
schen Genuß des Lebens und zu Annehmlichkeiten in ſich ers 
ken. Oft find fie grade dad Gegentheil von dem, was wir 
ermuthen. Anflatt Heuchelei oder wenigftend Neigung zum - 
mderbaren zu zeigen find es oft Die redlichſten Gemuͤther, 
ie mit unermuͤdetem Eifer ſich allem unterziehn, was zu ihrer 
förderung in der Gottfeligkeit gereichen fann ; es iſt ihnen oft aͤußerſt 
chmerzhaft, daß fie fi) vor andern außzeichnen müflen, die zwar 
uch das gute lieben, aber ihnen body zu unbeſorgt zu leicht: 
nnig zu wandeln fcheinen; fie vermeiden mit befcheidener Schuͤch⸗ 
beit alle Gelegenheit, wo ihr Betragen gar zu auffallend fein 
ante, fie reden nur dann, wenn man fie gleichlam herausfor: 
rt. Oft finden wir bei ihnen flatt eines ſchwachen Vers 
andes vielmehr eine feine Durhdringende Beurtheis 
agskraft, ja biöweilen ift dieſe wol gar die Urfach ihrer 
mgen Enthaltſamkeit von fo manchem Genuß des Lebend. Sie 
aerken genauer als viele andere, wie allmählig Vergnügen 
> Freude, wenn wir uns ihnen überlaffen, und jenen ernften 
ſeßten Zuſtand ber Sesle rauben, den die Zugend erfordert; ih: 
: entgehn die anfänglid Eleinern aber in ihren Folgen wichti⸗ 
: Veränderungen nicht, die dadurch in uns hervorgebracht wer⸗ 
:; fie jehen, wie die Kraft des Geiſtes dadurch erfchlafft, wie 
3 laͤfög im guten, immer nach mehrerem burflig wird, wie 
3 nur an bem einen Gefallen findet, was ſich durch eime 
utere lachende Mine empfiehlt, wie leicht man fich nach. und 
B 2 


20 


nach von dem flillen ernſten Anfehn der Religion und Tugen 
entwöhnt. Oft find fie grade diejenigen, die am meiften für bi 
Gefelligkeit und alles gute und angenehme, was f 
und gewähren kann, geftimmt find, aber fie fegen zu viel Dil 
trauen in fich felbft, jene Betrachtungen find ſtark genug fie zi 
ruͤkkzuhalten, bie übertriebene Furcht der Gefahr überwindet d 
Lokkung der Verſuchung, und fie leben immerfort in dem ſchw 
ren unnöthigen Kampf zwifchen heftiger natürlicher Neigung ut 
überfpannten Begriffen von Pflicht. Unſer innigſtes Mitleid g 
buͤhrt alfo freilich ihrem bebauerndwürdigen Zufland, denn w 
viel guted was fie genießen koͤnnten verfagen fie fi) nicht, we 
für unnöthige Unannehmlichkeiten übernehmen fie nicht, wie qu 
len fie nicht fich felbfl. Aber wer weiß, was für Fehler in d 
erſten Erziehung, was für ein Zufammenfluß von Umflände 
was für eine Menge warnender BVeifpiele ihrer Seele eine 

traurige Falte eingedrüfft haben. Unb wenn bied die wahre B 
fhaffenheit der Sache ift, wenn bied bie Gründe ihrer Stren 
gegen fich felbft find, — o fo verbienen dieſe unfere Brüder | 
ja nicht, daß wir fie als Störer unferer Freube haffen ober a 
Schwaͤchlinge auf eine verächtliche Weiſe bedauern. Sie verbi 
nen vielmehr unfre Achtung ; fie verdienen, daß wir auch um d 
ihrige und bewerben, daß ed uns nicht gleichgültig fei, wie | 
von und urtheilen, daß wir auf unfer Verhalten gegen fie t 
aͤußerſte Achtfamkeit wenden, und wie biefed befchaffen fein mu 
davon wollen wir im zweiten Theil unferer Betrachtung handel 
ll. 

Die meilten Menfchen glauben, daß fie bei ihren Dan 
lungen auf dieſe Claſſe von Chriften gar nicht Ruͤkkſicht 
nehmen brauchen. Wollen fie ihr Leben nicht genießen , | 
fprechen fie, wolan, fo mögen fie ed halten wie fie wollen; af 
fie mögen uns auch eben das erlauben, ed wäre zu viel verla 
wern wir und um fie befümmern,, ober und um ihretwillen d 
geringfien Zwang anthun follten. Das würbe uns fchaden ob 


21 
ham etwas zu helfen. Wir wollen fie weder verdbammen noch 
daſſen noch verfolgen, wir wollen fie ihren Weg ruhig gehn lafs 
im; aber fie müfien auch nicht überläftig fein, fie müffen uns 
ah auf dem unfrigen nicht flören, — wohl dem von und, ber 
den beſten gewählt hat. Nehmen fie aber auch bei diefem 
Verhalten Aergemiß an und, fo haben fie es auf ihrem eignen 
Gewiffen, wir haben es ihnen nicht gegeben. So wenig nad 
dem ſtrengen Recht an diefer Berfahrungsart vuszuſezen zu 
ſein fcheint, fo bedenklich iſt fie doch, fo wenig entipricht fie ben 
Grundfäzen des Chriſtenthums. Welche untheilnehmende 
liebloſe Sorglofigkeit leuchtet nicht daraus hervor! Diefe unfere 
ihwicheren Brüder lieben uns, ob fie und gleich tabeln, fie war: 
nen uns, weil fie und auf unrechtem Wege glauben, fie kümmern 
rh um uns, fie feufzen über und, und wir wollten auch nicht 
einmal ein Stündchen daran wenden, ihnen auf eine oder bie 
andere Art aus dem Traum zu helfen? D wellen Herz fchon 
io fe an dem irdifchen Vergnügen hängt, daß ber Fleinfte Theil 
deitelben ihm zu theuer ift, als daß er ihn dem beflen feines 
Bruders aufopfern follte, — o der hängt fchon zu feſt Daran! 
Und indem er nur glaubt ſich nicht um fie zu befümmern, fie 
ch ſeibſt zu überlaffen, indem fchadet er ihnen wirklich; er ift nicht 
iv mfchuldig an den Aergerniß, welches fie nehmen. Denn 
warden fie wol Unrecht haben, wenn fie feine fühllofe Gleichguͤl⸗ 
igkeit für eine Verhaͤrtung des Herzens halten? wenn fie glau: 
sen, baß feine freieren Grundfäze baran fchuld fein? Aber es 
Eommt noch mehr dazu. Je auögebehnter wir diefe Freiheit üben, 
x näher wir den Grenzen kommen, die wir und felbft geſtekkt 
naben, deſto größer wirb bie Werfuchung auch dieſe zu überfchrei- 
m, und deſto leichter geichieht es, und dann beftärken wir ja 
Mefe irrenben, bie genau genug darauf Achtung geben, durch uns 
kr Beifpiel in ihrem Irrthum, als ob der Genuß des Vergnuͤ⸗ 
end mit der Anhänglichkeit an die Religion nicht beftehn koͤnne, 
„ir geben ihnen Gelegenheit Mißtrauen in unfere Jugend zu 


22 


fegen und fchlechte Begriffe zu faflen von der Macht, welche di 
Forderungen ber Lehre Jeſu aber und haben, und heißt dad we 
etwad anderes ald Aergerniß geben? 

Bas follen wir alfo thun? Darüber gerkth man ü 
deito größere Werlegenheit, je befier man von dieſen ängfliceı 
Ehriften denkt, je mehr man fich ihre gute Meinung zu erhalte 
ſucht. Soll man fidh, fo oft man von ihnen bemerkt wirt 
nah ihren duͤſtern Gedanken bequemen? Das hieße, il 
ter Freundfchaft eben die fchweren Dpfer bringen, bie fie ihre 
Grundfäzen zu bringen gewohnt find. Dies wäre vielleiht d 
leichtes und fichered aber gewiß kein untabelhaftes Mittel. Wi 
müffen unfere Denkungsart nicht verſtellen, fondern fie vo 
ihrer Nichtigkeit zu überführen, und fie nah und nad mit de 
felben auszuföhnen ſuchen. Aber bier liegt eben die Schwieri 
keit. Man wendet dazu gemeiniglich eher jedes andere Mitt 
an als das, welches allein einem Chriſten anfländig ift, un 
welches allein gelingen kann; man geht oft in guter Meinun 
eben fo verkehrt zu Werke, ald man nur thun Fönnte, wenn ma 
Die böfe Abficht hatte den fchwächern noch mehr zu verwirren, ihl 
noch mehr Anſtoß und Aergemiß zu geben. Hier giebt es b 
fonderd zweierlei, wodurch unzähliged Uebel angerichtet un 
dad Herz berer aufs tieffle verwundet wird, weiche wir auf al 
Weiſe zu fehonen verpflichtet find. Da nämlich dieſe ängftlich 
Gewiſſen gemeiniglich mit ber Außerften Hartnäffigkeit auf ihr 
Meinung beharren, da fie ſich gegen alle Demonftrationen a: 
ihr Gefühl und, was noch mehr ift, auf die Erfahrung berufe 
die immer weit mehr auf ihrer Seite ald auf der Seite ihr 
Gegner ift, fo glauben viele, daß fie nicht beffer von ihre 
Uebel geheilt werden können, als wenn man fie laͤcherlich mad 
und durch immerwährenden Spott gleihfam zur Beſſerur 
nöthige. Die Freunde bed Vergnuͤgens machen einen ſtillſchw 
genden Bunb gegen die Feinde beffelben; fie wiflen fie in allı 
band peinliche Werlegenheiten zu führen; fie verfiehn es, fie t 


23 


felgen ihrer Zuruͤkkhaltung recht empfindlich fühlen zu laſſen; 
ie wiſſen über dad wenige Vertrauen, welches fie auf ihre Kräfte 
iaen, über die geringe Stärke, die fie ihrer Tugend zutraun, auf 
ane bittere Weiſe zu ſcherzen. Wenn man dies fehr gemeine 
Verfahren ein wenig mit Baltem Blut überlegt, wenn man ſich 
an de Stelle diefer armen gemißhandelten fezt: fo fühlt man wol, 
mie ungerecht, wie abicheulich diejenigen handeln, bie fich fo et⸗ 
was zu Schulden fommen lafien; wie wenig man nachgebadht 
hiben müfle, wenn man hofft etwas gutes daburch zu fchaffen. 
Dark, ſolchen Spott kann niemand gebeffert werben, und je we: 
niger daB Herz rein und bie Abficht Lauter fein Tann, bie auf 
istche Mittel verfällt, deſto mehr Widerſtand findet ed auch — 
nan wirb bei dem niemals feinen Zwekk erreichen, dem man fo 
Gewalt anthut. 

Andere, weiche died wol einfehn, find auf ein nicht fo befs 
tiges aber deflo* unreblichered Mittel verfallen, je feiner und liſti⸗ 
ger es iſt. Statt jener Gewalt brauchen fie Verführung, 
fan Diejenigen, denen fie andere Gefinnungen beibringen wollen, 
durch dad Lebhaftefte Gefühl aller ber Unannehmlichkeiten zu pei: 
agen, denen ihre eingeſchraͤnktere unfreiere Aufführung fie ausſezt, 
iuhen fie fie vielmehr durch befländige Vorſtellung alled des 
Beranıgend, aller der Gluͤkkſeligkeit zu reizen, welche auß freieren 
seinberen Grundfäzen erwaͤchſt; fie hoffen, daß diejenigen, bie 
durch Darlegung ihrer felbfigefchaffenen Qual nur in ihren Ge: 
kanungen geflärtt wurden, vielleicht dem neuen Anblift nie ge: 
ssiener Freuden erliegen werben. Sie führen ihre ſchwaͤcheren 
Brüder in befländige Verſuchung, fie zeigen ihnen das Vergnuͤ⸗ 
sen, weiches auch fie genießen könnten, in der fchönften Geſtalt, 
ad wenn ihnen denn nun ihre Vorhaben gelingt, wenn das 
dnwadye Gewiſſen verfucht wird: o fo haben fie etwas fehr 
ibiechteß gethan, da fie etwas gutes thun wollten. Was iſt bie 
zrucht davon? Paulus fagt, Auf daß nicht über deinem Er 
Immiß der fhwache Bruder umkomme. Ja wol wirb er ums 


24 

fommen, wenn wir alfo mit ihm umgehn; er if nur beraufdy 
nicht überzeugt, fein Gewiſſen ift nicht gebeflert, fonbern beflett 
— er wird wieder zu fich fommen, er wird fich felbft bie hart 
ſten Vorwürfe machen, und wad Wunder, wenn er ben, welche 
er als die Urfach feined Falls anfieht, als feinen aͤrgſten Kein 
flieht, oder wol gar haft. Ich habe Died Verführung genann 
und vielleicht werben viele Diefen Ausdrukk zu hart finden. We 
führung, wird man fagen, iſt Verleitung zur Sünde, und bi 
will man ed nur dahin bringen, baß ein jeder den Theil d 
Freuden des Lebens genieße, ber ihm befchieben ifl. Aber ebe 
diefe Entſchuldigung hat auch ber Böfewicht, der leichtfinnig 
der andere zu Laftern verleitet, die er freilich mit feinem freche 
Gewiſſen wol zu rechtfertigen weiß. Und was if denn Suͤnd 
Nicht nur das, was offenbar gegen die Gebote Gottes ift, foi 
bern, wie Paulus fagt Röm. 14, 23, Wer: über etwas zweife 
und thut ed doch, der ift verdammt, benn ed geſchieht nicht na 
feiner Ueberzeugung, und was nicht aus Ueberzeugung komm 
das ift Sünde. So verführen wir alfo andre zur Sünde, wer 
wir fie in Verſuchung fezen etwad zu thun, was fie für unred 
halten. Wer aber alfo fünbigt an feinen Bruͤdern und ſchlaͤ 
ihr fchwached Gewiſſen, der fündigt an Chriſto. Wer ed erfal 
ren bat, welche Pein für ein redliches Her, in dem Bewußtſe 
liegt gegen fein Gewiſſen gehandelt und bie deutlichen Win 
deffelben in den Wind gefchlagen zu haben, dem wirb gew 
nichts heiliger fein al& bie Weberzgeugung anderer. | 

Wenn wir alfo etwad gutes fchaffen wollen unter unfe 
fhwächeren Brübern, fo laßt uns nicht danach tradhten, dag | 
gegen ihr Gewiſſen handeln, fondern vielmehr, daß daſſelbe v« 
beffert, daß ihre Urtheile über die Rechtmäßigkeit erlaubter Be 
gnügungen berichtigt werden. Wir müffen fie liebreich zi 
rechtweifen, müflen und Mühe geben ihnen begreiflih zu m 
hen, daß wir nicht auf fo üblen Wegen find, daß die Fröhlic 
feit nicht3 fürchterliches, nicht mit dem Laſter verwandt fei, d« 


25 


re und gegeben ſei und nach der Arbeit zu erholen, unb zu al- 
im guten und nüzlichen wieber fähig und flarf zu machen, dag 
ie dazu gebraucht werben Fünne ohne gemißbraucht zu werben. 
ber mit bloßen Reben werben wir nichtd ausrichten, dad erſte 
was umd obliegt, das einzige wodurch wir fie gewinnen koͤnnen 
ii unferBeifpiel. Vergebens werben wir ihnen unfere Ueber 
zeugung mit der größten Wärme angreifen, vergebens werben 
wir ihnen bie Möglichkeit beweilen, mitten im Genuß bed Ber: 
gmügens reines Herzens und zu allem guten bereit zu fein, fie 
werden um fich fehn, wo wol diefe Möglichkeit wirklich geworben 
fei, fie werben dies von und felbft fordern, die wir fie belehren 
wollen. Wir müffen fie dadurch, dag wir Geduld mit ihrer 
Schwäche haben, daß wir ihnen zu Liebe mandye Heine Aufop⸗ 
fezung machen, überzeugen, daß dad Vergnügen nicht felbftfüch- 
tig, nicht Hart, nicht untheilnehmend gegen andere made. Wir 
allen ihnen in unferm eignen Betragen zeigen, daß man ed 
genießen Eann, ohne davon beraufcht, ohne zu feinen 
Dflihten und Gefhäften untühtig gemadht zu wer 
den, daß man ſich den Freuden des Lebend von Zeit zu Zeit 
überlaffen kann, ohne fie leidenfchaftlich zu verfolgen, dag man 
mitten im Genuß immer Here über ſich felbft bleiben kann ohne 
maufhaltſam fortgeriffen zu werden. Nur durch ſolche thätige 
Beweife können wir etwas über fie erlangen, nur dadurch koͤn⸗ 
sn wir nach und nach ihre ängftliche Furchtſamkeit vertreiben 
end Heiterkeit und Freude wieder in ihr Leben bringen. 

Dies ift Die Weiöheit, die wir überall im Reich der Gnaben, in 
allem was das fittliche Wohl der Menfchen betrifft, antreffen; indem 
wir für und felbft forgen, indem wir unfer eigned Wohlim Auge 
zaben, erfüllen wir auch unfere Pflichten gegen den nächften, in: 
&m wir biefen thätig lieben und fein beftes befördern, thun wir 
Syleih Das, was wir und felbft fchulbig find. Wenn alfo ei: 
um von und der Außerfi gemäßigte Genuß des Wergnügens 
„wer fällt, der doch zu uniern eigenen beſten nothwendig iſt; 


" 3% 
wenn wir denken, daß unfere Tugend Teinen großen Schade 
leiden wird, wenn wir auch einmal einen Schritt zu weit thu 
ſollten: fo laßt und unfere Augen weiter ald auf und felb| 
richten, laßt und ben Schaden erwägen, ben die Seele unfere 
fhwächeren Bruders durch unfere Uebertretung leidet, laßt un: 
dad gute Iebhaft denken, welches wir durch em tabellofed Bei 
fpiel über diefelbe verbreiteten. Wir vermindern finftere Vorur 
theile, wir gewinnen ber heiten Tugend einige fchäzbare Vereh 
ver; wir vermehren bie Summe ber Gluͤkkſeligkeit um und ber 
wir beglüften andere nicht nur in diefer Welt, ſondern die Früdt 
unferer Bemühung erſtrekken fich auch bis in die Ewigkeit. Amen 





I. 


Bom rechten Gebet des Shriften im 
Namen “ef. 


Ueber Joh. 16, B. 


Men fagt zu unjern Zeiten ungemein darüber, m. a. Fr., daß 
es fo viele Menfchen giebt, welche glauben, daß fie ber Religion 
Jeſu entübrigt fein Binnen, welche die Wohlthaten derſelben ver- 
dmaͤhen umd ed nicht der Mühe werth achten ſich ihred Genuſ⸗ 
ics fähig zu machen; aber eine hauptfächliche Urfach diefer Gleich-- 
zültigkeit iſt unflreitig die, daß fie fehen, wie felbft Diejenigen, 
neihe fich zum Chriſtenthum beiennen, die Vorzuͤge deſſelben 
eatıveber unerkannt laffen, ober fie mißbrauchen und durch ihre 
Aufführung herabwuͤrdigen. Unter die größten Vortheile, die wir 
3 Chriſten genießen, gehört unflreitig auch ber, daß ed und 
icht nur erlaubt, fondern auch ald Gott wohlgefälig und uns 
Abit aͤußerſt zutraͤglich und nothwendig geboten ifl, daß wir 
:u Gott unferm Schöpfer beten, ihm unfere innerften ge⸗ 
*emften Wünfche vertrauungsvoll darlegen, und uns durch ſolche 
rgießungen unferes Herzens recht oft und lebhaft des trofirei- 
N Verhaͤltniſſes erinnern follen, in welchem wir gegen ihn als 


1 





28 


Kinder gegen einen liebreichen und gätigen Vater ſtehn. Woher 
kommt es alfo, baß ſich dennoch fo viele, die übrigens richtige 
Begriffe vom hoͤchſten Weſen zu haben fcheinen, dieſes Vorzugs, 
wobei fich die menfchlihe Wuͤrde in ihrer ganzen Größe zeigt, 
muthwillig berauben? Sie meinen, obgleich die wenfchlichen 
Angelegenheiten von ber göttlichen Vorſehung nicht ausgeſchloſſen 
wären — denn ihm fei auch der kleinſte Theil feines unendlichen 
ganzen nicht zu Bein, — fo habe er fie doch wenigftens ſchon 
von Ewigkeit her unwiderruflich nach nothwendigen Gefegen der 
Natur georbnet, und unfere Bitten Tönnten ihm deswegen am: 
möglich gefällig fein, weil fie völlig unwirkſam fein müßten, wei 
fie in feinen Rathſchluͤſſen keine Aenderung hervorbringen könn: 
ten. Gott wife eher und beffer ald wir, was und gut feiz e: 
fei nicht möglich, daß er ed unterlafle, wenn wir ihn auch nich 
darum bitten; und wenn man fich dieſes überlege, fo fähe mar 
wol, daß herjenige, der da bete und das höchfle Wefen um etwa; 
anrufe, ſich in diefem Augenblikk unmoͤglich an die Weisheit 
Alwiffenheit und bie übrigen unendlichen Eigenfchaften. defielben 
deutlich erinnern koͤnne. Woher alle bdiefe verkehrten Urtheite 
woher kommt ed, daß die Menfchen fich deffen nur weigern, wo 
rüber fie als über ihrem größten Vorzug halten follten? Zalfch 
Begriffe von ber Abficht des Gebets und eine trau 
rige Erfahrung von feinem wenigen Nuzen ſind vi 
Urfachen davon. Gegen einen, ber burdy rechten Gebrauh d 
Fruͤchte bed Gebets einerntet, findet man immer zehn ober vo: 
hundert, die babei auf die verkehrtefte Art zu Werke gehn. Nie 
denten, daß bied ein Theil des Dienftes fei, den Bott gleichſa 
für fi von und fordere, ihr Gebet befieht alfo blog in Worte 
ihe Herz bat keinen Theil daran. Es kriecht vielleicht bei D 
niebrigften Gegenfländen der Erde umher, während daß ihre A 
gen und ihre Lippen andädhtig gen Himmel gerichtet find. Dr 
fie find dabei völlig gedankenlos; gewifle Stunden, gewiſſe & 
tegenheiten find das Zeichen, welches fie aufruft ihre Gedanken 


— 


Gott zu erheben; ſie ſind von Kindheit an dazu abgerichtet wor⸗ 
den, wie man zu andern Handlungen abgerichtet wird, die man 
rur mechaniſch ohne Bewußtſein zu verrichten braucht; fie beten 
aus Gewohnheit und alfo mit einer Kälte der Seele, die alle 
grüchte dieſes großen unb heiligen Gefchäftd verhindert. Andere 
beten zwar inbrünflig und mit Gefühl des Herzens, aber in Miß⸗ 
verſtand verführt fie zu fasfchen Hoffnungen, fie täufchen fich 
ſeihſt und ernten dann flatt guter Folgen nur Unzufriedenheit 
und Schaden ein, flatt daß durch ihr Beifpiel andere zu glei 
hem Eifer ermuntert werben follten, werden fie vielmehr durch 
dieſen Erfolg abgeſchrekkt. Alles died würde nicht gefhehn, wenn 
man allegeit Die Vorſchriften im Auge hätte, Die und Ehri- 
Rus felbft in Abficht auf das Gebet gegeben hat, und 
diie wollen wir in ber gegenwärtigen Stunde mit einander 
beherzigen. 


Text. Joh. 16, 23. 
Wahrlich, wahrlich, ich fage euch, So ihr den Vater 
etwas bitten werdet in meinem Namen, fo wird er e8 
euch geben. 


Bir wollen nach Anleitung diefer Worte von dem rec 
ion Gebet eines Chriften im Namen Jefu reden, fo 
daß wir erfilich zeigen, worin ed beftehe, und zweitens 
te Vortheile mit wenigem berühren, die und baffelbe 
zewaͤhrt. 

J. 

So angelegen es ſich unſer Erloͤſer in ſeinen lezten Tagen 
ein ließ, feinen Juͤngern dad Gebet überhaupt zu empfehlen und 
ihnen ein feſtes Wertrauen zu bem einzuflößen, welcher es erhoͤ⸗ 
ten fonnte, eben fo dringend wiederholt er ihnen verfchiedene Mal 
‘it befondere Vorſchrift, die den Inhalt unfered Textes ausmacht. 
Sad mag er wol unter dem Ausdrukk verftanden haben, daß fie 


20 


in ſeinem Namen beten ſollen? Wir ſinden dieſe Worte auch 
in andern Faͤllen gebraucht; ſo ſagt Chriſtus, Ich ſende euch in 
meinem Namen, d. h. ihr ſollt nun meine Stelle vertreten, das 
fortſezen, was ich angefangen habe. An einem andern Ort, Se: 
bet bin und lehret in meinem Namen, d. h. an meiner Stelle, 
unter ber Autorität, daß ich eben fo gelehrt habe und noch Ich 
ren würde, wenn ich noch zugegen wäre. So fagen wir noch jest, 
daß wir etwas im Namen eined andern thun, wenn wir wilfen, 
dag er eben fo handeln würbe, daß es feinen Abfichten gemäß 
fi. So fagt nun Jeſus auch hier, daß wir in feinem Namen 
beten follen; wir follen auf eben die Art beten, wie er immer 
fein Herz vor feinem Water auögefchättet hatte; wir follen um 
dad bitten, wovon wir wiflen, daß ed feinen Abfichten gemäß 
fei, daß wir ed erlangen. 

Aber wenn wir das Betragen ber Apoftel, welches aud Die: 
fer Vorfchrift erfolgt zu fein fcheint, betrachten, fo koͤnnten wir 
denken, Daß dies Gebot nur feine Damaligen Juͤnger betroffen babe, 
für uns aber gar nicht gegeben fei. Wenn bie Apoftel im Na⸗ 
men Sefu beteten, fo gehorchten ihnen die Stürme und die Wo⸗ 
‚gen des Meer, die Wuth der Menfchen legte ſich, dad Gift der 
Thiere verftoffte und wurde unſchaͤdlich, die Ketten zerbrachen, 
und bie Thuͤren ber Gefängniffe fpranyen auf, Krankheit und 
Tod zitterten vor ihrer mächtigen Stimme. Wenn die die 
Srüchte de3 Gebet im Namen Sefu find, fo wären wir ja ho: 
ven, wenn wir darauf Anfpruch machen wollten, wenn wir um. 
ſolche Saben bitten und und dabei boch unausbleiblicher Gewaͤh— 
rung getröften wollten. Allein m. th. nichts bdefloweniger iſt 
bied Gebot: und allen gegeben, nur daß andere Zeiten eine an— 
beze Anwendung beffelben erheiihen. Damald waren folhe Be- 
gebenheiten den Abfichten Jeſu gemäß und nethwendig. Erfelbft 
hatte bei feinem Leben feinen Water um ſo mande wundervolle 
Aeußerung feiner Allmacht gebeten, und jie war erfolg. Seinen 
erſten Juͤngern war dies eben fo nothwendig; in ihnen lag als 


31 


in dem erſten Keim bie ganze fünftige Kirche Chriſti, und fo 
nußte freilich ‘auf diefen Keim, wenn ich mich fo ausdruͤkken 
darf, mehr Sorgfalt gewendet werben ald jest, da fie zu einem 
großen Baum herangewachien ift, auf manche größere Knospe, 
anf manchen ganzen Zweig befielben. Die ganze Kirche Chriſti 
erlag, wenn nicht bisweilen ihr Muth durch außerorbentliche 
Hülfe geflärft wurde, wenn fie nicht wunderbarer Weife aus fo 
manchen ihrem Leben drohenden Gefahren errettet worben wären, 
ne mußten durch fo manche außerordentliche Handlung bie Auf 
merfiamkeit derer erregen, welche fie gewinnen follten. Wenn 
dies alle heut zu Tage nicht mehr fo ift, nicht mehr fo fein 
kom, jo folgt baraus doch nichtd mehr, ald daß wir in einer 
von der Lage der Apoftel ganz verfchiedenen Lage find, und bag 
wir died Gebot Jeſu auf unfere Umftände anwenden müffen. 
Denn wir im Namen Jeſu beten wollen, fo müffen wir 
fd afe in dem Geift, auf die Art beten, wie er ed zu 
thun gewohnt war, unfer Gebet muß dem feinigen ähnlich fein. 
Es ik unnoͤthig zu erinnern, daß bad unmöglich heißen kann 
im Geift und im Namen Jeſu beten, wenn bloß die Worte bie 
wir auöiprechen ein Gebet heißen, aber nicht von ben Gedanken 
und Empfindungen begleitet find, welche fie ausdruͤkken follen. 
Des Gebet eines Chriften muß aus dem Herzen kommen, aus 
der färkiten Empfindung von ber Nothwendigkeit ſich mit Gott zu 
unterhalten, ed muß aus dem Bebürfniß entfpringen, fein inner 
kes fich felbft vor den Augen des Allfehenden zu entwilteln. Bir 
nüffen erflaunen, wenn wir bedenken, wie nothwendig biefe 
Stiammg der Seele zu einem wahren Gebet if, und wie oft 
vit dennoch beten, ohne durch diefelbe Dazu angetrieben zu wer- 
ten, denn unfere Seele hat von Natur feinen Gang zu fo far: 
ka Empfindungen diefer Art, und nur felten wird fie durch bie 
Inflände darein verfegt; allein eben weil diefe Empfindungen fo 
uhtbar find, fo müffen wir ſuchen fie hervorzubringen, unb bad 
Idie einzige Entſchuldigung für jene Gebete, die wir zu ge 


22 

wiſſen Stunben, bei gewiſſen Gelegenheiten auszufprechen ge: 
wohnt find. Diefe werben freilich felten unmittelbare Ausbruͤcht 
unferd Herzens fein, wir werden felten, wenn wir fie beginnen 
jene hohen Gefinnungen bed betenden Chriſtus bei und fühlen 
aber fie Können durch biefelben veranlaßt und herbeigeführt wer 
den. Die Worte erregen nach und nach die dazu gehörigen Bor 
ſtellungen; je mehr wir alle übrigen finnlichen Gedanken entfernen 
defto Teichter wird unfer Herz daburch zur Betrachtung Gotte 
und göttlicher Gegenflände erwekkt, und fo eined wahren innige 
Gebets fähig gemacht. 

Wenn unfer Erlöfer betete, fo fuchte er die Einfamten! 
und auch hierin müffen wir ihm nachahmen. Nicht gerade, daß e 
nothwendig wäre fich von aller Gefellfchaft zu entfernen, es iſt vie 
mehr öblich, daß wir unfer Gebet mit dem Gebet anderer vere 
nigen; aber in dem Augenbliff, da wir unfer Herz zu unien 
Schöpfer erheben, muß diefe Gefellfchaft für und nicht da fein, ſ 
muß von und nicht bemerkt werben, unfer Gebet befchäftige un 
ganz allein, wir müffen nicht das geringfte thun bie Augen aı 
derer auf und zu ziehn. Keine fihtbare Geberbe der Andacht, fe 
Bewegung, die ein auffallended Zeichen von dem fein koͤnnte, w 
in unfern Herzen vorgeht, entfchlüpfe und in der Abficht. Wer; 
der Zeit, da er fich mit dem hoͤchſten Weſen unterhält, nicht ga 
einfam ift, fondern neben diefen Gedanken noch andere trdild 
neben diefer Abficht noch andere haben kann, der betet nicht, v 
nigſtens nicht fo wie Chriſtus zu thun befohlen hat. | 

Aber wenn wir nach den Vorfchriften Jeſu beten wollen, 
müffen auch die Gegenflände des Gebets richtig gemählt fe 
wir müffen und ihren Zufammenhang mit feinen Abfichten, i 
Nothwendigkeit zur Erreihung bderfelben mit voller Gewißh 
denken können. Unfere eigenen äußeren Angelegenheiten find j 
nicht mehr von der Wichtigkeit wie die Umflände der Apof 
Daß wir aus mancher Ungelegenbeit errettet werden, ift für 
Sache des Chriſtenthums gar nicht nothwendig, wir koͤnnen a 


33 


sh nicht behaupten, daß eB die Abficht Jeſu fe. Auch: daB 
st, wad wir andern zu erweiſen, in andern bherborzubringen 
dillens find, ift gar nicht mit den wundervollen Wohlthaten zu 
ngleihen, welche die Apoftel fo oft den bebrängten ihrer Zeit 
mieen; wir muͤſſen das unfrige dabei thun, weil ed unfere 
Kıht ift, aber den Ausgang müffen wir Gott überlaffen; viel- 
ht ſoll diefed gute nicht durch und, vielleicht fol es jezt noch 
m nicht geſchehn, wir koͤnnen alfo das Gelingen unferer Unter: 
mungen nicht als etwas für die gute Sache der Tugend un: 
nsbleiblich nothwendiges von Gott erheifchen. Was bleibt un 
lſo als der erfle ungezweifelte Gegenftand unſers chriftlichen Gebets 
ig? Wir ſelbſt, unfer eigentliches Ich, unfer wahres 
wiges Wohl. Daß wir immer beffer, immer mehr von unfern 
lem befreit werden, dem Ideal des wahren Chriften immer 
über Iommen, bie Gebote Zefu immer pünktlicher, in immer 
nißem Maag befolgen, dies ift gewiß die Abficht Jeſu, darum 
dnnen wir Gott unbedingt, mit der größten Zuverſicht in Chrifti 
lamen anrufen. Er felbft, da feine Jünger Unterricht im Ge 
% verlangten, lehrte und nur um folche geiftliche Gaben zu 
ten; die Verherrlichung des Namens Gottes, die Ausbreitung 
mez Gnadenreichs, bie immer mehrere Wollbringung feines Wil: 
5 auf dem ganzen Erdboden, bad Zutrauen auf feine Vorſe⸗ 
m, wenn wir auch nicht weiter als nur für ben heutigen Tag 
rausiehn, die Kiebe und Berföhnlichkeit des fündigen Menfchen 
gen feinen eben fo fündigen Mitbruber, die Stärkung in ber 
eluhung, dies waren die Gaben, um welche feine Jünger bit: 
1 fohten. 

Eind aber dies die einzigen Gegenflände, auf welche ſich un: 
Gebet einfchränten fol? Da wären wir unglüfflih genug! 
Vere übrigen Angelegenheiten, unfere Verhaͤltniſſe in ber Weit, 
der bürgerlichen Gefellfchaft, dad was wir als Menfchen, bie 
u Bechfel der Zeit und des Gluͤkks unterworfen find, zu hof⸗ 
oder zu fürchten haben, liegt uns oft eben fo ſehr am Her: 
Nöigten T, € 





34 


zen, verurfacht und oft noch tieferen Kummer, ängfllichere B 
forgniffe; es ift fo natürlich, daß wir aud hierüber unfer He 
vor Gott ausſchuͤtten; ed ift oft unfer einziger Troſt. Soll 
dies unrecht fein? Mit nichten! Aber wir müffen zwiſchen jen 
Art des Gebet und zwifchen diefer einen großen Unterfchieb m 
hen. Das ſittlich gute koͤnnen wir verlangen, ed iſt und not 
wendig, und unfer Gebet barum ift ein Auöbruch des Eiferd, w 
mit wir es fuchen, womit wir ihm nachjagen. Kommt e ul 
aber auf etwas anderes an; wünfchen wir entweber ein ir 
ſches Gut zu erlangen ober ein zeitliched Uebel von und ab 
wenden: fo haben wir freilich ein deflo größeres echt Gott di 
Wuͤnſche vorzutragen, je größer das gewünfchte Gut, je fchre 
licher dad gefürchtete Uebel iſt; aber wad für eine Gemüthi 
würden wir verrathen, wenn wir fo zuverfichtlich,, fo unbedir 
dabei zu Werke gehn wollten? wir würden als ſolche erfchein 
deren Sehnfucht nur auf dad irdiſche gerichtet ift, die nur | 
burch beruhigt und zufrieden geſtellt werben fünnen; wir würd 
uns felbft und unfer Gebet verunehren. Died Gebet muß ni 
eine Forderung fein, es muß bie Frucht von ber inneren Ben 
gung fein, in welcher fich unfer Gemüth befindet; wir legen G 
unfere Wünfche, unfere Werlegenbeit dar, aber wir befcheiten u 
gern, daß Gott beffer wife, was und zuträglich fei, wir um 
werfen unſern Willen dem feinigen und unfer Verlangen fei 
Leitung, die alled zu unferm wahren Wohl zu regieren wi 
Auch Jeſus, da er dab lezte Leiden, welches ihn befallen fol 
fo nahe voraußfah, betete mit angfivollem Herzen um Rettu 
er wünfchte, er bat, baß ber bittre Kelch vor ihm vorüber gi 
ſollte; aber ex fezte hinzu, Herr, nicht mein fondern bein W 
geichehe. Wenn wir fo beten, fo beten wir auch bier in Je 
Namen, wir fünnen und aller der guten Folgen getröften, die 
ſolches Gebet haben muß, und worin biefelben fiehen, Davon wol 
wir noch im zweiten Theil unferer Betrachtung kürzlich handı 








35 


ul. 


Gin Gebet, welches nicht nach biefen Worfchriften der Schrift 
ageichtet ift, hat entweder gar Feine oder nur fchäbliche Fol⸗ 
". Benn man glaubt, daß ed mit gewiffen Worten gethan 
\, de Gott dad Gebet nicht um unfert= fondern um feinetwils 
a verordnet habe: fo ſieht man ed entmweber gleichgültig an, 
kr man macht fich ein Verdienſt daraus, man glaubt nun das 
a der bei weiten fchwereren Befolgung feiner Gebote uͤberho⸗ 
zufen Wenn man nur um irdifche Güter bittet und fie 
eitſem von Gott fordert; wenn man fich flr berechtigt hält, 
t Genihrung jedes nicht offenbar unrechten Munfches zu er: 
aten: fo erreicht man bie wahre Abficht des Gebets nicht, flatt 
"bung in den Millen Gottes hervorzubringen murrt man 
"uhr, daß fich Gott nicht in eines Menfchen Willen ergeben 
übt. Dad Gebet im Namen Jeſu hingegen bringt bie fchönften 
Tühte ker. So ihr den Vater etwas bitten wer 
tinmeinem Namen, heißt ed in unferm Xert, fo wird 
sub geben. Die Erhörung unferd Gebets ift alfo die 
ſe Berheigung, die wir für daffelbe haben; wer im Namen 
fu betet, der kann Feine Fehlbitte thun. Allein hier ift ein 
er Nißverſtand, welchen man erft hinwegräumen muß. Wenn 
03 einernten wollen, was Chriſtus feinen Süngern für ihr 
Rat verſprach: fo müffen wir nicht nur auf das fehen, was er 
un ausdruͤkklich gebot, fondern auch auf bad, mas er bei ih: 
vorausſezte. Er wußte, daß feine Abfichten zu erreichen, 
Re Befehle auszurichten, daß dies nicht nur der Gegenfland 
n Vunſche fei: es war das einzige Ziel, welches fie unverruͤkkt 
' chen ihren Handlungen im Auge behielten, zu welchem alle 
° Spritte hinleiteten. Und dies muß auch bei und der Kal 
:. wenn wir der Erhörung unſres Gebets und verfichert hal; 
'molm. Es giebt Menſchen, die oft die feurigfien wärmften 
Keihe für ihre Beflerung thun, oft die anbächtigften Gebete 

62 


36 


deswegen vor ben Thron bes Hoͤchſten ſchikken, und dennoch wı 
den fie nicht erhört. Das kommt daher, weil fie fih blog n 
Empfindungen begnügen, ohne daß ihre Handlungen benfelb 
entiprechen. Sie fühlen in gewiffen Augenbliffen die Schönh 
der Tugend und Frömmigkeit und ihre Entfernung von ber 
ben gleich lebhaft; aber dies Gefühl iſt nicht fark genug fie | 
zu den Augenblikken zu begleiten, wo ihre Leidenfchaften ger 
werden, wo es feine Wirkfamkeit zeigen ſollte. Ein Gebet, w 
ches auf Erhörung Anſpruch machen will, muß nicht nur a 
überhingehenden Gefühlen entfprungen fein, es muß bie Au 
“rung eıned von feinem Zuftand ganz durchdrungenen Hery 
fein, welches nicht nur in diefem Augenblift, fondern in jed 
andern keinen anderen Wunfch, Feine andere Begierde kennt, 
das zu erlangen, worum es gebeten hat. 

Allein, ſagt man, auf dieſe Art iſt ja die Erhoͤrung un 
Gebetes fo gut als gar nichts. Wenn unſere Bitten zu € 
um unfere Befferung nur in dem Fall wirkſam find, dap ı 
unfere Handlungen damit übereinflimmen: nun fo ift diee 2 
ferung die Wirkung unferer eigenen Bemühungen, ı 
dad Gebet hat gar keinen Theil daran. Eben fo, wenn ih 
Gewährung der Wünfche meined Herzend mir nur in fo fem 
bitten darf, ald fie mit den übrigen Einrichtungen Gottes befi 
Tönnen, und ein ſolches Gebet wird erhört: fo ift daran ni 
außerorbentliched, es geichieht nichts in der Welt, als was 
beften eines jeden gereicht, und mein Gebet bringt alfo mi 
zuwege, als was ohnehin auch erfolgt wäre. | 

Diefe Einwürfe, welde die Verheißung (Chrifti zu n 
machen wollen, gründen ſich auf Begriffe vom Gebet, w 
ed nicht zu einem Mittel machen uns im guten zu flärken, 
dern und aller Bemühung um bafjelbe zu uͤberheben. Aber 
und diefe Einwürfe noch näher betrachten, fo werben wir 
beften fehn, was es eigentlich mit der Erhörung unfers Ci 
für eine Bewanbniß habe. | 











37 


Gette bad Gebet allein und tugendbhafter und beſſer machen, 
h würde bad bie größte Unorbnung in ber fittlichen Welt ans 
aöten. Der Böfewicht, der nur biöweilen wünfcht das Gluͤkk 
kr Zugend zu ſchmekken (und Peiner ift wol fo verhärtet, bag 
5 nicht der Fall fein follte), der nur einmal in der Angft feis 
1 Herzens einen aufrichtigen Seufzer für fein Heil zum Him⸗ 
nel ſchikkte, dieſer müßte dann ben Beiſtand ber göttlichen Gnabe 
ben fo genießen als der fromme, ber fein ganzes Leben ben 
nfrichtigſten Bemühungen für feine Beſſerung wibme. Wenn 
be das Gebet Feine fo übernatürliche Wirkung hervorbringen 
onn: id es deswegen ohne Kraft? Muß es nicht ſchon an und 
it id) von den beſten Folgen fein? Es muß feiner Natur nach unfere 
keantniß deffen was und noch fehlt und unfern Eifer 
m guten vermehren. So lange unfere Gefinnungen, unfere Wuͤn⸗ 
de für unfer firtliches Wohl bloße Worfäze bleiben, fo haben fie 
me gwiſe Kälte, eine gewiſſe Gemächlichkeit, die nicht felten 
Örem guten Erfolg ſchaͤdlich iſt. Wir gehn ſehr bebächtig zu 
Berke, wir wollen nicht zu viel auf einmal übernehmen, wir 
gnügen und bei bem, was wir am leichteften ausführen zu 
men glauben; ſtimmen wir aber bdiefe Gefinnungen zum Ge 
Kum, fo wagen wir ed im Vertraun auf bie höhere Kraft, 
en Beiſtand wir und erflehen, unfer ganzes Herz aufzubelfen, 
Ar jttem bei dem Gedanken, daß wir und ihm dem Allheiligen 
miellen wollen, und baß es noch in irgend einem Mintel un: 
m Seele eine Neigung, eine Leidenfchaft gebe, die wir Bennen, 
kr feinen Geboten nicht aufzuopfern bereit wären. 

Inden wir uns ferner im Gebet über uns felbft erheben, 
kit über die gewöhnliche menſchliche Sphäre hinaus fehn, fo 
Hommen wir nothwendig ben flärffien Eindrukk von unferm 
kälmig gegen Gott. Auf einmal ftellt fi und bar bie al» 
wiafende Güte feiner Worfehung, die Weisheit aller Veranſtal⸗ 
wa, bie er zu unferm Wohl in der Welt getroffen hat, die un 
Wide Bangmuth, die ex bei allen unfern Fehlern und Schwach 


38 


beiten beweift. Welche Erinunterang alle Kräfte anzumwenbe 
um biefe Güte mehr zu verdienen, um fie mit weriger fchlage 
bem Gewiffen anſchaun zu können! So hat ein wahres aufriı 
tiged Gebet um Beſſerung nicht erſt nöthig, daß ihm eine frem 
Kraft von außen beigelegt werde; eben fo wenig iſt es umuͤ 
man braucht nur die Probe davon gemacht zu haben, um 
wiffen, wie e3 feine eigene Belohnung bei ſich führt in ver 
tung, welche e3 unmittelbar in bem Herzen des betenben 
vorbringt. 

Wie wird es aber mit jenem Gebete befchaffen fein, ni 
ängere Angelegenheiten, bie unfre irdiſche Gluͤkkſeligkeit und Rı 
betreffen, zum Gegenfland hat? Man wendet ein, daß, wenn 
den Bedingungen gemäß fein foll, die wir von einem Gebet 
Jeſu Namen gefordert haben, ſelbſt bei der gewiſſeſten Erhörn 
nichtd dadurch bemwerkftelligt werde, was nicht ohnehin gefct 
fein würde, dag überhaupt daS Gebet keine Aenderung in | 
Rathſchluͤſſen des Höchfien machen koͤnne. Aber was if d 
auch fuͤr eine Forderung! Koͤnnen wir denn etwas andres w 
len, als was uns der Allweiſe, der Allguͤtige von Ewigkeit zu 
dacht hat? Kann ed und ein Ernſt fein, daß unfere kurzſichti— 
thörichten Wuͤnſche gleihfam die Oberhand über den Willen | 
Allmächtigen haben ſollen? Muͤſſen wir nicht bei dem bio 
Gedanken erzittern, daß unfere Wünfche auch nur den gering] 
Zufall herbeitoffen Tönnten, der den Abfichten Gotted zum 
wäre? ine foldhe Erhörung wäre ja dad größte Ungluͤkk, 
wenn fie und in der Schrift verheißen wäre, fo müßte i 
nachdenfende aus Furcht in fein Verderben zu rennen ſelbſt 
Schatten des Gebets fliehen. Aber wenn die Erhörung n 
diefe ſchoͤn ausfehende giftige Frucht ift: iſt fie deswegen 
nichts? Ein Gebet um Befriedigung unferd Herzens und 
fen was es begehrt iſt freilich Feine Schuzwehr für uufre of 
eitlen, oft fo verderblichen Wünfche; ed kann diefelben nicht er 
len, wohl aber Iäutern und reinigen, es iſt das befte Mitte 











39 

wa der glühenden Hize ber Begierde zu jener mäßigen Wärme 
sltzubringen, bei welcher wir biegfam genug finb ums ber 
Baung einer häfern Weisheit zu uͤberlaſſen. Wenn wir etwas 
Wftig begehren oder und vor einem fchweren Ungluͤkk fürchten, 
nnchmen gar zu leicht biefe Gedanken allein unfere ganze Seele 
m, fe laſſen feine andern zu und üben eine gewiffe Alleinherr- 
Weit über diefelbe aus. Wer fich zu fehr feiner Neigung über: 
üft, ben wird Diefelbe bis zum Gebet begleiten; er wird dabei 
ur in fo fm an Gott denken, ald es in ber Macht deſſelben 
kit, im feine Bitte zu gewähren, er wirb dies mit hartnaͤkki⸗ 
pa Ungeftüm fordern, und wir haben fchon oben gefehen, was 
Ne Folgen eined folchen Gebet find. Wer aber mit etwas mehr 
Belafienheit zı, Werke geht, wer feine Gedanken im Gebet mit 
von Gedanken an Gott verbinden will: dem wirb ed auch gelins 
gm fie dadurch zu läutern, zu heiligen und feiner Thaͤtigkeit 
bie sche Richtung anzuweiſen. Der Gegenfland unferer Be 
Herde mird bald aufhören unfere Augen fo ausſchließend auf fich 
nie. Die lebhafte Worftellung Gottes wird bald auch das 
hefühl unferer Abhängigkeit und Schwachheit von der Unzuläng- 
let unferer Einfichten herbeiführen; wir werben anfangen ein 
Bipsanen in die Nothwendigkeit und Nüzlichleit deſſen zu fegen, 
ne} mir begehren. Allmählich kommen wir zu uns felbfl; un 
m wahre höhere uͤberirdiſche Beſtimmung ftellt fich und dar; 
5 Bid derſelben erhebt fich über die übrigen, und bald wird 
e der einzige Gegenflanb, worauf wir alle übrigen beziehn. 
km beten wir im Namen Jeſu und mit der Ergebung, bie 
vum gelehrt hat; alles, felbft die Wünfche, Die unfer Gebet ver: 
Bloßt, {deinen und zu groß, wenn fie fi unferm erften-einzigen 
jeekk in den Weg ftellen wollten; wir werben nach und nach 
ade Berfaffung gefezt ruhig abzumarten, in wie fern fie fi) 
kmit vertragen werben, überzeugt, daß fie und in. biefem Maaß 
Kt werben verfagt werben. 

Die if} der natürliche Gang, den unfere Seele bei einem 


“0 


aufrichtigen Gebet nimmt, den auch bie Seele Chriſti bei kei 
nem angflvollen Gebet in Gethfemane nahm; wenn wir am 
Damit anfangen, baf wir Bott unfere eigenen Abfichten ur 
abhängig von ben feinigen vortragen, vielleicht gar mit dem © 
banken unſern Willen zu dem feinigen zu machen, fo ende 
wir doch immer damit, daß ber Wille Gottes unbedingt di 
unfrige wird. Unb was gewinnen wir nicht dabei! Die uns 
dentliche Obermacht unferer Begierden wirb gedämpft, alled u 
ferm großen Zwekk, nämlich der wahren fittlihen Vollkommenhe 
untergeordnet. Und welch höhern Grad ber Selbflzufriebenhe 
kann wol ein eingefchränktes Weſen erreichen, ald wenn wir un 
bewußt find, daß unfer Wille mit dem Willen Gottes übereu 
fimmt, dag wir für und felbft feine anderen Abfichten habe 
fein anderes Verlangen ald bad auözuführen, zu thun und; 
leiden, was der Zwelk Gottes mit und, und der Ort, ben fein 
Weisheit und in ber Welt angewielen, mit fi bringt? Und ı 
biefer Stufe erhebt und das Gebet, welches dem Gebet Id 
ähnlich if. Auf diefe Weife werden wir bie fchönfte Erhoͤru 
unſeres Gebetö empfinden. Unſere Bitte um Gluͤkk und Rul 
wird und gluͤkklich und zufrieben machen, auch wenn und du 
“nicht zu Theil wird, was ber eigentliche beflimmte Gegenfar 
berfelben war. Unfere Gluͤkkſeligkeit beruht, Gott fei Dan 
nicht auf den Gegenftänden, die uns umgeben, nicht auf ben Ur 
ftänden, worin wir und befinden, fondern auf dem Eindruff, di 
dieſe Gegenftände auf unfere Seele machen, auf der Gemüt) 
verfaffung, die wir unferer äußern Lage entgegenfegen koͤnner 
und wenn dies in dem Zufland von Ergebung und Gelaffenh 
iſt, worein ed durch eim oͤfteres chriftliches Gebet verfezt wird: 
werden wir nicht nur ben wichtigen obgleich traurigen Vorth 
haben, daß wir manchen Unfall ohne Werzweiflung, ohne Mu 
ven, mis einem ruhigen fanfteren Schmerz ertragen Eönnen, [0 
dern wir werben auch des äußern Gluͤkks würbiger, ba wir f 


a 


am wahren gemäßigten Werth fühlen ımb fühlg werben es recht 
azumenden, 

Benn alfo dad Gebet im Namen Jeſu fo große Verhei⸗ 
kungen hat; wenn ed fo viel beiträgt und zum guten zu ers 
muntern und in allen Zufländen beö Lebens ruhig und gelafien 
machen: o fo laßt und mitleidig auf bie niedrigen Spöttereien 
derjenigen fehen, die und biefes Mittel zu unferer Befferung 
sauden wollen. Laßt und darauf als auf unfern größten Vor: 
sg Holz fein, dag wir Gott anrufen koͤnnen; laßt ed uns für 
anfere füßefte Pflicht halten, daß wir alle unfere Angelegenheiten 
vor ſeinen Thron bringen, daß wir ihn täglich um feinen Bei⸗ 
hand zur Tugend, zum Förderung im guten anflehn; laßt und 
oh und dankbar im Namen Jeſu alfo zu ihm beten, Unfer 
Bater u. f. w. Amen. 





IV. 


Wie derjenige beſchaffen fein muͤſſe, bei dei 
wahre Sinnesänderung und Beſſerung 
moͤglich ſein ſoll. 


Ueber Zul. 5, 29— 32. 


An. Fr. Es giebt wol für den aufmerffamen Beobachter di 
Menichen Feine traurigere Bemerkung, ald wenn ex fieht, w 
weit ed ein großer Xheil von ihnen in ber verderblichen Kun 
gebracht hat, fich felbft fogar in ben wichtigften Angelegenheit 
eined vernünftigen Gefchöpfs, in ihrem Urtheil über ihren eigen 
Werth und über ihr Verhaͤltniß gegen Gott zu täufchen und | 
betrügen. Ich will nicht von jenen feltneren unglüßklichen 
ben, die alle Kräfte ded Verſtandes und Wizes dazu anwende 
mit thörichter Spizfindigkeit fich felbft zu uͤberreden, daß je 
Begriff von Tugend und Religion nur ein nichtiges Vorurthe 
jedes Gefühl für das fittlich gute und ſchoͤne nur eine Wirkur 
ber Einbildungskraft, der Gewohnheit und der Erziehung ſ 
Ich will nicht an jene vermeinten gluͤkklichen erinnern, die jedi 
ernfthaften Gedanken an höhere Beſtimmung ald einen Stör 
bee Freude zu verfcheucdhen und in einem ewigen Strubel be 


43 


ſchender Wergnügungen zu ertruͤnken bemüht find; ſondern auf 
die weit größere Anzahl derer will ich aufmerfiam machen, wel: 
de, ob fie glei, die Nothwenbigkeit der Tugend einfehen, bens 
noch nidyt wagen, einen aufrichtigen tiefen Blikk in den morali: 
iden Zufland ihres Herzend zn thun, fonbern immer emfig bas 
rauf denken, den Anblikk ihrer Fehler vor fich felbft zu verbergen 
md fich ſelbſt für beffer halten, als fie wirklich find. 

Ohne Zweifel entfteht dies verkehrte und doch fo allgemeine 
Verfahren aus einer fehr gewöhnlichen Weichlichkeit ber Seele, 
tie jede auch bie heilfamfte unangenehme Empfindung ſcheut 
und nicht felten geneigt iſt einem kurzen Augenblikk fcheinbarer 
Ruhe dad wahre Wohlfein einer ganzen Zukunft aufzuopfern. 
Denn dies Gefländnig unferer Unvolllommenheit, unferer gerin- 
gem Zortfchritte in der Tugend ift freilich für eine feinere gebil: 
ditere Seele das allerfhmerzlichfle und peinlichfie Gefühl. Es 
zeigt und das größte Uebel, welches und treffen Tann, dasjenige 
nänilid, welches im innern unferer Seele feinen Siz bat; es 
treibt und an befländig danach zu fireben, ba wir biefem ge 
fühlten Mangel abhelfen mögen; und ach, indem es unfre Selbſt⸗ 
kenutniß befördert, fo läßt ed und nicht die geringſte Hoffnung 
tieſes Ziel jemals vollfommen zu erreichen. Dahingegen bringt 
jene Leichtfinnige Selbflzufriedenheit ein angenehmed behagliches 
Gefuͤhl des Wohlgefallens und Beifalls hervor, welches dem traͤ⸗ 
cen Menſchen noch um deſto willkommner iſt, weil es nichts von 
ihm fordert, ſondern ſich immer an den geringen Vollkommen⸗ 
beiten zu ergoͤzen weiß, welche er ſchon zu befigen glaubt. Aber 
dies Webergewicht ded Bergnügensd auf biefer Seite iſt nur ſchein— 
bar, und ed wäre thöricht fich dadurch verführen zu laſſen. Diefe 
crkünftelte Beruhigung wird nicht bie Stimme der Vernunft auf 
nmer übertäuben; diefe eitle Freude flieht in der Stunde ernſt⸗ 
kafter Betrachtung, welche doch immer einmal einbricht, und wir 
chn damn unfere Fehler, unfere Untugenden nur deſto flärder, 
:eRo ſchrekklicher. Aber noch mehr; diefe Furzfichtigen betruͤgen 


4 


ſich zugleich um bie wahrften und edelſten Freuden, um jene fe: 
figen Augenblilfe, wo wir uns felbfi das Zeugniß geben können 
beffer, tugendhafter geworben zu fein. Sie legen ihrer eignet 
Beflerung das größte Hinderniß in den Weg; denn es iſt um 
läugbar, daß died unangenehme Gefühl unferer Unvollkommen 
beit ber erſte Schritt zur chrifllichen Vollkommenheit, die erfi 
nothwenbige Bebingung für alle diejenigen iſt, welche ben wohl 
thätigen Einfluß ber Lehre Jeſu auf ihren Charakter erfahre 
wollen. Dies ift es, wovon wir in gegenwärtiger Stunde uni 
noch näher überzeugen wollen. | 


Tert. Luk. 5, 29 — 32. 

Und der 2evit richtete ihm ein großes Mahl zu ir 
feinem Haufe, und viele Zöllner und andere faßen mi 
ihm zu Tiſch. Und die Schriftgelehrten umd Phariſae 
murrten wider feine Yünger und fprachen, Barum di 
fet und trinfet ihr mit den Zoͤllnern und Sünden‘ 
Und Jeſus antwortete und ſprach zu ihnen, Die gt 
funden bedürfen bes Arztes nicht, fondern die kranken 
ich bin gefommen zu rufen die Sünder zur Buße, un 
nicht die gerechten. 


Obgleich Chriſtus niemanden von feinem Unterricht audichlof 
fo beobachtete er Doch einen großen Unterfchieb in feinem Ber 
gen gegen zwei verichiebene Glaffen von Menichen. Er bege— 
nete nämlich denen aus feiner Nation, die ſich ausfchliegend wei 
und gut zu fein duͤnkten, mit einer auögezeichneten Strenge un 
achtete fie fafl gar nicht feined engeren vertrauteren Umgang 
werth, da er im Gegenteil die niebrige, befonders in Ruͤkkſic 
auf Sittlichleit und Religiofität gering geſchaͤzte Volksclaſſe fef 
herablaſſend guͤtig und gelinb behandelte und fie gleichlam 3 
feiner näheren Bekanntſchaft einlud. Oft machte ihm ber bee 
digte Stolz der Pharifäer hierüber Vorwuͤrfe, und gegen bie 


4 

vertheidigt er fich in den lezten verlefenen Worten, indem er zu 
ihnen fagt, daß nicht fie, fondern gerade jene verachteten Men⸗ 
hen in ber Werfaffung, bed Gemuͤths wären, wo feine Lehre 
und fein Unterricht ihnen wahrhaft nüzlich fein koͤnne. Ich bin 
gekommen zu rufen Die Sünder zur Buße, und nicht 
die gerechten. Es verfteht fich wol von felbft, daß, wenn Chriſtus 
diefe Menfchen nicht zur Buße rufen konnte, die Schuld davon nicht 
an feinem guten Willen fondern an ihnen ſelbſt lag, und da bie Lehre 
Jeſu noch jest auf Beine andere Weife wirkſam ift, ald damals 
kin mündlicher Unterriht war, fo liegt in dieſen Worten ein 
noch immer gültiges Kennzeichen, wie derjenige befchafs 
fen fein müffe, bei dem die hauptfächlihe Wirkung bes 
Chriftenthums, namlih wahre Sinnedänderung und Beh 
ferung möglich fein foll. Died fol der Gegenſtand unferer 
mitm Betrachtung fein, und zwar fo, baß wir erftlich fehen, 
worin Diefe Beſchaffenheit eigentlich beflehe, zwei: 
tend aber den Grund in Erwägung ziehn, warum fie fo 
unumgänglich nothwenbig fei. 


I. 


Es koͤnnte fonderbar fcheinen, bag Chriſtus diejenigen, welche 
er doch felbft Sünder nennt, denen vorzieht, die er mit dem Na⸗ 
men ber gerechten bezeichnet; aber laßt uns einmal fehen, wer 
diefe gerechten waren, und in welcher Ruͤkkſicht fie ihren Namen 
verdienen. Es waren ja eben die Schriftgelehrten und Phari⸗ 
fier, die Chriſtus fo oft der größten Unreinigfeit des Herzens 
und der Gefinnumgen befchulbigt, die er mit geſchmuͤkkten Graͤ⸗ 
ben vergleicht, deren aͤußeres zwar reizend, ihr innered aber vol⸗ 
It Berwefung und Unrath fe. Chriſtus aber redet mit biefen 
Leuten bier ihre eigene Sprache, er nennt fie gerecht, weil fie fich 
Klo dafür ausgaben. Ihr Herz freilich war voller Flekken, 
der fie Hatten einen dichten Schleier von felbfterbachten guten 
Berken darüber binweggezogen. Sie rühmten fich eines suhtigen 








46 


Kermtniß unb genauen Erfällung bed Geſezes, und fol; auf bie: 
fen arımfeligen Borzug glaubten fie Gott Dabusch fo mohlgefällig 
zu werben, baß fie feiner Beſſerung weiter bebürften. Diele 
grundlofe Zufriedenheit mit ſich felbft war «8, weldhe 
alle Wirkſamkeit ded Unterrichts Jeſu bei ihnen verhinderte, und 
in biefem weſentlichen Fehler find ihnen noch immer viele Menihen 
auf mancherlei Weile ähnlich, es ift nur gar zu leicht in biefelbe 
Krankheit zu verfallen. Wenn in dem Herzen bed Menfchen ein 
gerotffer Widerwille verborgen ift dad Werk feiner Beflerung 
mit vollem Ernſt zu beginnen, fo fcheut er fich feinen Blikk bid 
zu ber höchften fleilften Höhe ber Zugend zu erheben und bat 
ganze derfelben zu umfaflen, ex bleibt nur bei einzelnen niedri 
gern Theilen derſelben ſtehn, fieht nur manche leichte Vorſchrif 
sen der Religion, und wenn er benn glaubt dasjenige Wirklich 
erreicht zu haben, was er fo cigenmäcdtig zum einzigen Ziel alle 
feiner Bemühungen fezte, fo ruft er fich ſelbſt einen eitien Stuff 
wunfch über feine eingebilbete Vollkommenheit zu. So giebt e3 
eine Menge von Chriften, bie eben wie jene Zeitgenoffen Jeſu 
weit entfernt auf wahre Tugend bedacht zu fein nur ben Au 
fern Schein derfelben, nur eine gewiffe Enthaltung von grober 
Ausbruͤchen ihrer Leidenſchaften fuchen, weldye, weit entfernt wahr 
Religion zu üben und ſich von ihren Empfindungen zu alla 
Handlungen der Gottfeligkeit und MMenfchenliebe befeelen zu laf 
fen, zufrieden find, wenn fie die Außen Pflichten berfelben mi 
einer Pünktlichkeit erfüllen, bie dem firengfien Tadel die Spij 
bietet. Wie mande fehen wir nicht, Die fich gerecht preifen un! 
glauben, daß ihre Tugend und Religiofität außer Streit fei, bief 
weil fie die Fähigkeit befizen leicht und in einem bobeı 
Grade gerührt zu werben, menn man ihnen die Wahrheite 
der Religion barlegt, bie Schönheit ber Tugend abmalt, ode 
fie mit Erzählung edler Handlungen unterhält, ohne dag dennoc 
diefe Empfindungen auf ihre eigenes Betragen einen bleibende 
Cinfiug Hätten. Andere ſehn von ber Tugend nur das, wa 


47 


ne Sache des Verſtandes iſt, fie bernhigen fih vellloumen, 
on fie ihre Vernunft angebaut und dadurch gewiſſe Ans 
präche auf Weisheit, auf Kenntniß der Religion, ber 
sittenlehre und bed menfhlihden Herzens erworben 
aben, aber fie überlegen nicht, wie nothwendig es fei mit bie 
a Schaͤzen zu unferm eignen und anderer befien Bucher zu 
mben. Wie manche find in Ruͤkkſicht auf ihre Beſſerung ganz 
uhig, weil fie fih dann und wann bei einer Wergleihung mit 
ade überseben koͤnnen irgenb eine einzelne gute Eigen: 
haft in einem hohen Grade zu befizen, ob fie gleich 
nicht ohne ihr Zuthun bei ihnen entflanben iſt, ober weil fie 
»ndlen irgend eine einzelne Handlung versichteten, 
Ne zwar den Anfchein der Tugend bat, aber oft aus verborge: 
nm wenigen eblen Beweggruͤnden entiprang. Alle biefe Mens 
Ka um, und wie viele giebt es ihrer nicht, find folche ges 
necte, weiche Chriſtus für ungeſchikkt erflärt von ihm zur Buße 
gerafen nad gelbeflert zu werben. 
ber wer waren denn bie, denen Chrifiud einen fo fichtbas 
km Vonug vor jenen beilegt? Es waren im ganzen wol eben 
b ftlid verdorbene Menfchen als jene, ja es gab fogar unter 
ine manche Beute von ſchlechtem Kuf, die einen großen heit 
hm Lebens in auffallenden Eaftern, Ausſchweifungen und Unges 
"gleiten verbracht hatten. Dies kann nun freilich nicht bie 
kad ihres Vorzugs fein, die Sünde an und für ſich kann uns 
möglich gefchikkter zum Reich Gottes machen, wohl aber das 
ÖhafteWewußtfein, da traurige Gefühl berfelben, und 
x ionnte damals faſt nur auf ſolche in bie Augen fallenden Aus: 
niche der innern Untugenben erfolgen. Der große Haufe bes 
Wilden Volks batte nämlich Feine andern beutlichen Begriffe 
m ugmb als die, welche aus dem mofatichen Geſez gefchöpft . 
We, und ba fich biefes groͤßtentheils nur auf bie Außen 
bezog, fo uͤberſah man leicht diejenigen Stellen, wo 
G.Reigigfeit der Gefiunungen fo bringenb empfiehlt. Wenn 


| 


48 


.alfo die Verchrer beffelben dieſes Äußere treu beobachteten, | 
konnte fie alles dad wenig beuntuhigen, was nur im innem il 
red Herzens vorging. Diejenigen aber, denen das Joch dei © 
ſezes zu drüffend war, bei denen niedrige Eigenfchaften bed € 
| gennuzed oder der Wolluſt zu flart waren, als daß fie biee 
Baum nicht hätten zerreißen follen, die die Worfchriften des © 
ſezes übertreten hatten und aus einer fchändblichen verbotene 
Handlung in die andere verfallen waren, bei biefen erwachte di 
für auch defto leichter, wenn fie noch nicht ganz unter die Menfd 
heit hinabgefunten waren, bie leifere Stimme bed innen © 
fühls, fie konnten leichter den genauen Zufammenhang zwiſche 
Verborbenheit der Geſinnungen und äußern Schandthaten finde 
leichter bad ganze Maaß ihres Ungluͤkks und bie Nothwendigke 
einer ſolchen gaͤnzlichen Aenderung ber Denkungsart und di 
Grundſaͤze einſehn, welche Jeſus forderte. Dieſe richtigere € 
kenntniß ihres eigentlichen Zuſtandes, weiche leichter in ihnen © 
zeugt werben konnte, biefe war es, um berentwillen fie Chriſtu 
auffuchte und vorzog, biefe ift ed, welche er noch jezt von ein 
jeden fordert, ber fich durch feine Lehre zur Seligfeit will führe 
Iaffen. Hierin müffen wir ihnen alfo ähnlich werben, und w 
baben ben unftreitigen Vorzug vor ihnen, daß wir nicht erft | 
tief gefunfen zu fein brauchen, um dieſe Selbfllenntniß zu e 
langen. Wir haben dad ganze Beiſpiel Jeſu, den hohen Gel 
den alle feine Vorſchriften atmen, vor Augen, und in dieſen ur 
den Geboten unferer eignen aufs neue belebten und erwelft 
Bernunft erblikken wir beutlich bad Biel, bem wir uns bis i 
Ewigkeit nähern follen, das erhabene Bild aller Vollkommenhe 
ten, beren ein menſchliches Weſen empfänglich if. Wenn w 
von dieſem fleißig herab auf und felbft fchauen, wenn wir hi 
mit oft unfern eignen Zuſtand vergleichen, fo werben wir mi 
mals in jene verberblihe Selbftzufriebenheit gerathen, fonbei 
immer ein lebhaftes Bewußtſrin unferer. Fehler behalten. La 
um nun noch im zweiten Theil unferer Betrachtung mit wen 


4 ) 


gm erwaͤgen, welches die Früchte deſſelben find, und warum es 
u jo nothwendig fei. 
1 

Chriſtus felbft beantwortet und biefe Frage in unferm Text 
uf die verſtaͤndlichſte Weiſe. Die gefunden, fagt er, bebür: 
endes Arztes nicht, fondern die kranken. Es glebt ge» 
nit Krankheiten, welche ohne gerade empfindliche Schmerzen zu 
krarfachen den Menſchen durch ein allmähliged Verderbniß aller 
wietlichen Theile feined Körpers ober durch bie Abnahme aller 
küfte an den Rand des Grabes bringen. Wenn fich nun jemand 
inen fülfhen Maaßſtab der Gefundheit gemacht hatz wenn er 
larbt fih im beften Wohlfein zu befinden, fo lange ihn nicht 
like Schmerzen bad Gegentheil fühlen laſſen; wenn er auf 
N Zrügkeit zu allen Bewegungen, auf die Mattigkeit, bie fich 
ma mehr über einen folchen Körper verbreitet, nicht merkt ober 
fe nicht ahtet: ja, ein folcher kranker kann nicht geheilt wer- 
“, mem auch der befte Arzt mit dem beften Willen unb ben 
Yen Ritteln verfehen zu ihm gefanbt würde; er wirb alle Vor⸗ 
Giten deſſelben deſto weniger befolgen, je mehr fie ihn Yon feis 
tt gewöhnlichen Lebendweife abführen würden; kuͤhn geht ex 
aa unbeforgten Gang weiter fort und bringt ſich eben ba: 
a0, daß er feinen Körper ald einen gefunden behandelt, mit 
m Schritt einem fchleunigen Tode näher. Gerade fo geht es 
am, de in blinder träger Zufriebenheit Fein Beduͤrfniß nach 
am Art, wie Jeſus für ihre kranke Seele ift, fühlen. Se 
Hr die Aenderung in ihren Grundfäzen, im ihrer ganzen 
al: und Handlungdweife ift, bie er von ihnen forbert, deſto 
“r verihmähen fie feine Huͤlfe. Je kuͤhner fie fich in gutem 
Streu auf fich ſelbſt allen Gefahren der Verführung, allen 
sungen der Sinnlichkeit bloß ſtellen; je weniger fie auf bie 
ie eines jeben unrechten Schritt fehn, welchen fie wagen: 
% fhlesniges nähern fie fi) dem Mode des Geiſtes, dem 
Reigen L D 


50 


gaͤnzlichen moraliſchen Verderben, welches das ſchrekkliche 
ihres betruͤgeriſchen Weges iſt. Ein fuͤrchterlicher Zuſtand, 
deſſen Vorſtellung ein jeder zuruͤkkbeben muß! 

Laſſet und aber auch unſere Augen auf das entgegengeli 
Bild bedjenigen werfen, welcher beſſer befannt mit feiner gefa 
vollen Lage Feine größere Sorge kennt ald bie, dag er den fir 
ven Wg ber Rettung nicht verfehlen möge, welcher tief das 4 
dürfniß eined helfenden Arztes empfindet. Wenn biefem ein | 
cher erfcheint, deſſen Charakter Wohlwollen und Liebe ſelbſt 
deffen Urtheile über ihn ganz mit feinen eigenen Gmpfindun; 
übereinflimmen, deſſen Vorfchriften fo ganz ber Natur der Kra 
beit gemäß fcheinen: o, wie vol Vertrauen wird er ſich da 
ihn anfchmiegen, wie werben ihm alle feine Geſeze, alle ſi 
Worte gleich den Winken ber Gottheit felbft Heilig fein! K 
verführerifched Gefühl zunehmender Kräfte wird ihn zu Ueber 
tung berfelben verleiten, und fo wirb er nach und nad € 
durch die Empfindung feiner Schwachheit und Huͤlfsbeduͤrftig 
ber Genefung näher fommen. 

ber der leiblih kranke wird doch einmal gefund, 
gewinnt endlich fo viel, daß er fich ber Leitung des Arztes entzi 
und dann freilich mit Behutfamleit aber doch felbfländig, | 
des froben Gefühld der Gefundheit feinen eigenen Weg g 
kann. Sollte ed mit und wol auch fo fein? Sollte es jen 
in biefem Leben einen Zeitpunkt geben, wo wir uns mit N 
für gefund halten, wo wir dieſes Gefühl unferer Schwäche 
Krankheit entbehren Eönnten? Leicht koͤnnte man durch &i 
Mißverfiand der Worte Jeſu in biefen Irrthum geführt wer 
Er fagt nämlich, daß er nur folhe Sünder zur Buße rı 
Tönne, und da man gemeiniglich unter det Buße nur bie a 
Schritte des ruͤkkkehrenden Suͤnders verficht: fo koͤnnte man g 
ben, daß ſich auch dieſe Beſchaffenheit nur auf bie voruͤbergeh 
Zeit einer ſolchen Buße bezoͤge. Allein dies iſt ein viel zu 
geſchraͤnkter Sinn dieſes Wortes. Chriſtus verſteht darunter 


51 

game Aenderung unferer Grundfäze und Sefinnungen, die Ables 
gung alled deſſen, was darin den richtigen Begriffen von Zus 
end und Religion nicht gemäß iſt; und dieſe Aenberung wirb 
ja hier niemald vollflommen; immer bleibt ja nicht nur in ums 
im einzelnen Handlungen, fondern auch in den Gefezen, welche 
mr dabei befolgen, unrichtigeö und unvollkommenes genug übrig; 
ie ſelbſt der, welcher fich zu den erhabenften heldenmuͤthigſten 
Thaten emporfchwingt, bie dem Menſchen möglich find, wir, 
wenn er ben Augenbliff darauf ben ganzen Zufland feiner Sede 
unparteifch unterfucht, noch Spuren von Schwachheit, von 
Bongelhaftigkeit darin finden. Der Kranz ber Genefung wird 
und alfo erft jenfeit ded Grabe zu Theil; hier aber vollenden 
wir dieſe Buße niemals, und fo lange wir noch auf irgend eine 
Art Zertfchritte darin machen wollen, ift und auch ba8: lebhafte 
Bewußtſein unferer noch tibrigen Kehler unentbehrlich. 

Bean uber bied Gefühl ein fo wefentliched Stuͤkk ift, wel: 
des zu unferer wahren fittlichen Beſſerung überhaupt gehört: fo 
it es nody in beſonderer Rüffficht nothwendig für ben, welcher 
tinñeht, daß dieſe Beſſerung bei ihm allein durch Hülfe ber 
Religion und vermittelft ber Empfindungen, welche fie einflößt, 
teuerffelligt werben kann. Denn diefe Empfindungen entfpringen 
us der Erkenntniß unferer Berhältniffe gegen Gott und ben 
Etifter der Religion, und beibe ftehn in Abficht auf ihre Stärfe 
2rd Richtigkeit im genauften Verhaͤltniß mit der Lebhaftigkeit 
waed Gefuͤhls. Die äußern Wohlthaten Gotted nämlich, weh 
de ſich auf Erhaltung unſeres Lebens und Regierung unſerer 
Sſchikkſale beziehn, find meiſtentheils zu alltäglich, fließen uns 
vurch zu viel Meine Kanaͤle zu, als dag bie Dankbarkeit dafür 
“ wiederholte, fo lebhafte Empfindungen erzeugen follte, welche 
eren wichtigen Einfluß auf unfere Handlungen hätten. Dieſe 
aächn nur aus richtiger Schäzung der unendlichen Wohlthaten, 
ziche Gott unfrer unfterblichen Seele erzeigt, der väterlichen 
Ye, womit er für ihre Erziehung geforgt hat. Wer alfo biefe 

D 2 


62 


nicht erkennt, ober nicht nöthig zu haben glaubt, wer ſich einbil 
det, daß er ohne bied volllommen genug fei, ober wenigflend 
daß er ben Grab der moraliichen Güte, welchen er erreicht hal 
ganz fich felbft, allein feinen Bemühungen zu danken habe, we 
e8 nicht überlegt, wie viel noch an ihm zu beſſern fei, und wi 
viel Hülfe ihm die Vorſehung dazu barbieten muß, wie oft ba 
Gelingen ber beften fefteften Worfäze nur von einem einzigen i 
der Hand Gottes ruhenden Umſtand abhängt: o, ber verjinl 
in jene Kälte gegen dad höchfte Weſen, die wir leider an fo vis 
len Menſchen bemerken. Sein Gebet — wenn er anders betet - 
gleicht dem fühliofen Gebet jened Phariſaͤers, deſſen ſtolzes Hei 
feine Beinen eingebilbeten Vorzüge vor Gott zur Schau ftellt 
ohne von der geringften Empfindung wahrer Dankbarkeit ergri 
fen zu fein. Derjenige aber, der ſich zu ſchwach fühle, um oft 
einen hoͤhern Beiſtand eine merkliche Stufe ber Zugend zu c 
fleigen, diefem ift das öftere Andenken an ein beifendes Weſe 
Beduͤrfniß des Herzens, beffen Gebet um neue Stärke zur Bol 
endung guter Werke dringt zum Herrn, deſſen kürzefter Seufz 
faßt alle die fruchtbarfien Empfindungen der Religion in fid 
und feine Handlungen werben denfelben gemäß fein. Er wir 
mit inniger Liebe bem Stifter der Religion anhangen, bei ber 
Vorſchriften und Verheißungen er fich fo wohl befindet. Er i 
ed, von dem Chriſtus fagt, Wem viel vergeben ift, d. h. w 
ed erbennt, wie groß feine Fehler find, und wie groß bas nad 
fichtige Mitleiden Gottes mit ihnen fein muß: der liebt auı 
viel, deffen Seele ſteht allen wirkiih frommen Empfindung: 
offen und genießt die Früchte berfelben. 

Von diefen guten Folgen überzeugt, laßt und alfo bie ric 
figere Einſicht in unfern Zuſtand nicht feheun, laßt uns vielme 
jene ſchaͤdliche Unbekanntſchaft mit uns felbft fliehn, Hinter wi 
er allein ſich der menfchliche Stolz verbergen kann. Aber lu 
und auch auf der andern Seite eine gefährlihe Klippe verm 
ben, am welcher fchon fo mancher gutmeinende Chriſt geſcheite 


L 2 


% 


4. Je mehr Ueberwinbung es koſtet unfer eignes Herz zu er 
inihen und zu einer genauen Selbſtkenntniß zu gelangen, und je 
site hernadh die religiöfen Empfindungen baburch befördert werden: 
fig leichter wird man geneigt auf diefer Stufe flehn zu 
bleiben; man fühlt, bag man auf bem Wege ift beffer zu werben, 
der man geht auf diefem Wege nicht meiter fort; man weiß die 
Erkenntniß der eignen Schwäche zu einem angenehmen Gefühl 
a machen, und indem man ed übertreibt, indem man glaubt zu 
ger guten Hanblung unmittelbar einer höhern Hülfe zu bedür- 
in, fo verſinkt man in eine fchlaffe Unthätigfeit, welche nach 
und nach ebenfalls ale Kräfte der Seele ſchwaͤcht. Nein, alles 
was wir erfennen und empfinden muß zu unferer Befferung ges 
ng werden; je mehr Unvolllommenheit wir an und entdekken, 
deſo umfiger laßt und der Werbindlichfeit nachfommen fie abzus 
am; je mehr wir des Arzted bebürfen, deſto eifriger laßt uns 
kin Berkhriften befolgen; je kraͤnker wir und fühlen, defto raſt⸗ 
loſer lft und nach Genefung fireben und mit hoffnungsvoller 
Echnſucht den endlichen Zeitpunkt derſelben in der Ewigkeit abs 
warten! 

Dich aber, o Gott und Water aller Menfchen, befien Bei: 
kad wir zu allem guten fo nothwendig brauchen, dich rufen 
mr jezt einmüthig an. Hilf und, daß wir vor der Gefahr jener 
Inn Sefbfitäufchung bewahrt werben, bei welcher für Tugend 
zw wahre Gluͤkkſeligkeit fo viel verloren wird. Hilf und, daß 
eit alle bei jener bemüthigern Gemüthöverfaffung erhalten wer- 
in, wobei wir allein die Früchte ber Sendung deines Sohnes 
ix unferer Befferung volltommen genießen können. Hilf uns, 
"3 wir in ber richtigen Kenntniß beffen, was wir fein follten 
md was wir find immer zunehmen; hilf und, daß dann auch 
wie ganzes Beſtreben dahin gerichtet fei und der Vollkommen⸗ 
xt zu nähern, die wir zwar hier nie erreichen, die bu und aber 
nu in einem beſſern Leben befchieden haft um deines Sohnes 
3 Erlöfers willen! Amen. 


NN 





v. 
Welches Intereſſe alle Umſtaͤnde der Gebur 


Jeſu für uns haben. - 


ueber Gal. 4, 4 





Weihnachten. 


Gebet, | 

Dank und Anbetung vor dich zu bringen, barmherziger und gn 
biger Gott, if immer unfer erſtes Gefchäft, wenn wie uns verfammel 
um aus ber Quelle deiner Offenbarungen himmliſche Weisheit zu fd} 
fen und deiner Wohlthaten mit einander zu gebenten. Aber befonde 
heute muß uns nichts bringenber fein als dieſes; es ift micht das, ım 
uns täglic deine Güte zufließen läßt, wofür wir dich preifen wolle 
es ift die Grinnerung an die größte und koͤſtlichſte Babe, deren bu u 
fer Geſchlecht gewürdigt Hafk, weswegen wir uns bier verfammel 
Preis und Dank deinem Sohn, daß er Menſch geworben ift, daß er fi 
su uns berabgelafien hat, daß er es nicht für einen Raub hielt Gi 
gleich fein, fondern entäußerte ſich felbft und nahm Knechts geſtalt 
und warb uns in allen Stuͤkken gleich um uns zu erretten. Pr 
und Dank bir o Vater, daß du uns ihn gefchenkt haft, ohne ben n 
verloren waren, und erfülle auch den Wunfch unferes SDerzens, t 
auch dieſes Feſt uns gereichen möge zur Staͤrkung im Glauben: 
Ehriftum, in der Liebe zum gutm unb in ber Hoffnung auf dt 
fernere Barmpergigkeit! Amen. | 





95 
€ 


4 iR fat überall eingeführt m. a. Zr. ben Jahreötag derje⸗ 
agm, die und auf irgend eine Weife theuer find, feierlich zu bes 
son, und dies ift eins von ben fhönen und unfchuldigen Mit: 
in um fih einen Tag mehr zu verichaffen, welcher der wahren 
snihliben Freude gewidmet if. Wie fröhlich fehn wir nicht 
id, wenn eine Familie den Feſttag eined Vaters oder einer 
Rutter begeht; wie durch eine geheimnigvolle Wirkung der Nas 
ur it jeded Gemüth der Heiterkeit und Freude weit mehr offen 
18 ſenſt; jeder beftrebt ſich gluͤkklich zu fein und gluͤkklich zu 
nahen, und indem man danach ftrebt, jo ift man es fchon; man 
str ich von Liebe durchdrungen, aber man liebt weit wärmer, 
ser inmiger als gewöhnlich; ohne daß man fich deſſen bewußt 
'k, trangt fich die Erinnerung an allen biöhertgen Genuß in ber 
Sek zuſammen, und fo empfinden wir auch die Liebe, die und 
on diiſen Gegenſtand bindet, lebhafter und ſtaͤrker; nur an feis 
nem Daſein haben wir unfre Freude. Mit wenigftens eben fo 
zteßem Recht hat die ganze Chriftenheit einen Tag dazu ange: 
hit, um das Gebächtniß der Geburt Chriſti eben fo herzlich und 
in fo freudenvoll zu feiern. Wir machen ald Chriften alle 
ar große Familie aus, und Chriſtus ift dad Haupt derfelben; 
et: ind durch die Religion auf eine wol nicht fo finnliche, aber 
den fo fehte Art verbunden, als Glieder einer Familie ed durch 
Bande ded Blutes nur fein Tonnen; eine Erkenntniß der 
Bihrheit, ein Weg zum guten und zur Glüfffeligkeit, eine 
Sefaung zu Gott und zur Ewigkeit: das ift es, was uns ver: 
ande, und was wir gemeinfchaftlich ihm dem Stifter unferer 
Ckisfeit verdanken. Unfer Endzwekk ift jezt und über feinen 
Entritt in die Melt zu freun, aber aufrichtig gefprochen, em: 
aden wir wol an biefem Tage verhältnigmäßig eben bad und 
dan fo warm, was wir ald Kinder am Geburtötag eined Va⸗ 
3 oder einer Mutter fühlen würden? Ich glaube, daß nur 
wage unter und das werben fagen koͤnnen. Wenn wir baran 





V. | 


Welches Intereſſe alle Umſtaͤnde der Gebur! 
Jeſu für und haben. - 


Ueber Gal. &, 4. 


Weihnachten. 


Gebet, | 
Dank und Anbetung vor dich zu bringen, barmhberziger und gnä 
diger Gott, iſt immer unfer erſtes Gefchäft, wenn wir uns verfammeln 
um aus ber Duelle deiner Offenbarungen himmliſche Weisheit zu för 
fen und deiner Wohlthaten mit einander zu gedenken. Aber befonber 
heute muß uns nichts bringenber fein als dieſes; es ift nicht das, wa 
uns taͤglich beine Güte zufließen läßt, wofür wir dich preifen wollen 
es iſt die Crinnerung an die größte und koͤſtlichſte Babe, deren bu un 
fer Geſchlecht gewürdigt haſt, weswegen wir uns hier verfammeln 
Preis und Dank beinem Sohn, daß er Menſch geworben ift, daß er fic 
su uns herabgelaffen hat, daß er es nicht für einen Raub hielt Goi 
oleich fein, fondern entäußerte ſich feibft und nahm Snechtögeflalt a 
und warb uns in allen Stuͤkken gleich um uns zu erretten. Prei 
und Dank bir o Bater, daß du uns ihn geſchenkt haft, ohne ben wi 
verloren waren, unb erfülle auch den Wunſch unferes Herzens, ba 
auch dieſes Feſt uns gereichen möge zur Stärkung im Glauben a 
Ehriſtum, in der Liebe zum guten und in der Hoffnung auf bein 
fernere Barmherzigkeit! Amen. 





55 
e 


E. iſt faſt überall eingeführt m. a. Fr. ben Jahrestag derje⸗ 
rigen, die uns auf irgend eine Weiſe theuer find, feierlich zu bes 
cehn, und dies ift eind von den fchönen und unfchuldigen Mit: 
im um ſich einen Zag mehr zu verfchaffen, welcher der wahren 
menfchlichen Freude gewibmet if. Wie fröhlich fehn wir nicht 
les, wenn eine Familie den Feſttag eined Vaters oder einer 
Mutter begeht; wie durch eine geheimnigvolle Wirkung der Na» 
rar ift jebed Gemüth ber Heiterkeit und Freude weit mehr offen 
als ſonſt; jeder beftrebt ſich gluͤkklich zu fein und gluͤkklich zu 
machen, und indem man danach firebt, fo ift man es ſchon; man 
fühlt fich von Liebe durchdrungen, aber man liebt weit wärmer, 
weit inniger ald gewöhnlich; ohne dag man ſich deffen bewußt 
if, draͤngt ſich die Erinnerung an allen biöherigen Genuß in ber 
Seele zufammen, und fo empfinden wir auch bie Liebe, die und 
an dieſen Gegenfland bindet, lebhafter und flärker; nur an feis 
nem Dajein haben wir unfre Freude. Mit wenigftens eben fo 
großem Recht hat die ganze Chriftenheit einen Tag dazu ange: 
fest, um das Gedaͤchtniß der Geburt Chriſti eben fo herzlich und 
eben fo freudenvoll zu feiern. Wir machen ald Chriften alle 
eine große Familie aus, und Chriflus ift dad Haupt derfelben; 
wir find durch die Religion auf eine wol nicht fo finnliche, aber 
chen fo fefte Art verbunden, al& Glieder einer Familie ed durch 
die Bande ded Blutes nur fein können; eine Erkenntniß ber 
Vahrheit, ein Weg zum guten und zur Gluͤkkſeligkeit, eine 
Hoffnung zu Gott und zur Ewigkeit: das ift es, was und ver: 
sindet, und was wir gemeinfchaftlih ihm dem Stifter. unferer 
Seligkeit verdanken. Unfer Endzwekk ift jest und über feinen 
Eintrirt in die Welt zu freun, aber aufrichtig gefprochen, em: 
piinden wir wol an biefem Tage verhältnigmäßig eben bad und 
hen fo warm, was wir ald Kinder am Geburtötag eined Nas 
ters ober einer Mutter fühlen würden? Ich glaube, daß nur 
wenige unter und das werben fagen koͤnnen. Wenn wir baran 


% 


denken, baß berjenige, den wir fo hilflos, in einem fo unbehag: 
lichen Zuftand das Licht der Welt erblikken fehn, ber und in at: 
len Schwachheiten des irdifchen Zuftanded gleicht, "eben der ft 
mit dem fich die Gottheit auf eine fo wundervolle Weife verei 
nigt hat; dag Bott in diefem Kinde ben Deenfchen fo ganz ſtil 
und unbemerkt ihren größten und einzigen Wohlthäter geſchenk 
hat; daß in dieſem nächtlichen Augenblikk fein Gnadenblikk gleich 
fam aufs neue die Erbe anlächelte; daß in diefem Augenblikk Da: 
Urtheil der Barmherzigkeit an einer ganzen Welt vollzogen wird 
fo muß dad Empfindungen einer dankbaren Freude erregen; abe 
fie werben immer verwirrt bleiben, wenn wir eine Begebenbeit 
die fo weit von und entfernt ift wie biefe, nur im ganzer be 
trachten; fie werden mehr unfere Einbildungdkraft ald unfer Der 
befchäftigen und eben darıım manchen Zäufchungen unterworfen 
fein, befonder® bier, wo bie Erinnerung an alle die Beinen Freu 
den, die man in den Jahren ber Kindheit mit dieſem Feſt ver 
bindet, leicht den Gefühlen des Herzens einen finnlihen Zufa 
giebt. Laßt und alfo diefe Stunde dazu anmenden und ber Em 
pfindungen zu verfichern, die wir heute in und entflehn fehn 
laft und dieſe große Begebenheit unferm Herzen näher bringer 
indem wir alle Theile derfelben betrachten und uns von ber 
großen Einfluß überzeugen, ben ein jeber Umſtand derſelben auc 
auf und und unfer Wohl hat. Gott, der und fo gern beifteh 
wenn ed und um- Empfindungen zu thun iſt, die uns fo nott 
wendig find, wird und feinen Segen dazu nicht verfagen, wen 
wir ihn darum anrufen. 


Text. Gal. 4, 4. 
Und als die Zeit erfuͤllet war, ſandte Gott ſein« 
Sohn, geboren von einem Weibe und unter dad Gef 
gethan, auf daß er bie, fo unter dem Geſez waren, e 
löfete, auf daB wir die Kindichaft empfingen. 
Paulus, der in diefem Theil feined MBriefed von ber G 
fchichte der Menfchheit in Abficht auf die Religion redet, beſt 


97 


tat und ſchr deutlich in dem was wir eben fagten. Da er auf 
be große Beranderung kommt, welche die Erſcheinung Chriſti in 
dem Gang bed menfchlichen Geiſtes hervorgebracht hat: fo bes 
gnügt ex ſich nicht dabei Die Sache felbft anzudeuten; er macht 
aötruffiih darauf aufmerkiam, daß alle diefe Wirkungen nur 
eiolgen Eonnten, wenn in bem Lauf bee Dinge alle dazu erfor- 
berfihen Umſtaͤnde gerabe in der Zeit der Erfcheinung Chrifti zu: 
Rmmengeleitet wurben; daß er unter gewiffen Verhaͤltniſſen ge: 
beten werben mußte, welche fich auf die biöherige Leitung ber 
Renſchen und auf die fpäteren Zrüchte feiner Sendung beziehn. 
Luft und alfo nach Anleitung diefer Worte bad Intereffe er 
nigen welches alle Umflände der Geburt Jeſu für uns 
haben müffen, und dann auch bei den Empfindungen und 
Geſinnungen flehn bleiben, welche durch diefe Betrach⸗ 
tungen in und erzeugt werben. 


1. 


Jeder Menfch ift dazu heflimmt etwas in feinem Leben zur 
Erfülung der Abfichten Gottes beizutragen, und bei jedem liegt 
ter Leim zu alle dem, was er für die Welt fein wirb, in ber 
Lagt, worein er bei feinem erſten Schritt in die Welt veriezt 
wi, in dem Lande, das ihn erzieht, der Zeit, in die er fällt, 
ud den Berhältniffen, die ihn umgeben. Alle biefe Umſtaͤnde 
ind bei Chriſto nicht reizend, aber fie waren alle nöthig, wenn 
der zwelk feiner Sendung ganz und fo erfüllt werden follte, daß 
auch wir Theil daran hätten. Wir fehn Jeſum unter einem 
Volke geboren werden, das wir niemals vecht lieben können, deſ⸗ 
im Herz verſtokkt, deſſen Sinnesart verkehrt iſt, dad von allen 
Rebrigen Leidenfchafte immer regiert wird und mit Chrifti Geift 
und Chriſti Art zu denken in dem größten Widerſpruch ftand. 
Er mußte dad Leiden haben unter Menfchen zu leben, die ihn 
m Kindheit an unaufhörlich zuruͤkkſtießen und fchon in feinen 
iin Tagen mit Verfolgung anfingen. Gott hatte dieſem Volk 


38 


feine Zufagen gegeben, aber diefe waren höheren Abfichten unte 
georbnet geweien; ed war dad Volk bed Herm, aber dem Her 
waren alle Völker gleich, und nur feine Weisheit konnte beſtin 
men, wo Chriſtus leben follte. Aber diefed Volk war erſtlich da 
einzige, von welchem aus ed möglich war auf das ganze di 
Menſchheit zu wirken. War auch bie Religion unter bemfelbe 
verberbt und mißverſtanden, fo hatte fie Doch einen richtige 
Grund, fie war einem jeben wichtig, es war möglich viele 3 
belehren und für die beffere Wahrheit zu gewinnen; nur hi 
Eonnte Chriſtus der Volkslehrer fein den wir lieben, ber di 
Menſchen ſchaarenweiſe um fich her verfammelt, von ber Wahl 
heit auögeht, welche fie alle mit ihm gemein haben, und fo au 
dem Wege berfelben fie weiter fortleitet, hier konnte feine Lehı 
Wurzel fchlagen und fi) erhalten. Unter allen andern Voͤlker 
war die Religion faft nur eine Sammlung von Aberglaube 
und wenigftend überall von dem Herzen und Leben ber Menſche 
abgefonbert; da wäre ed unmöglich geweien alle Zrägheit un 
alle eingewurzelten Irrthuͤmer bazu in einem Leben hinwegzuräi 
men und mit reiner Wahrheit in fo verfchrobene Menfchenfeele 
einzubringen; ba wäre die Lehre Jeſu — eben wie die geringer 
Weisheit fo vieler Lichter ded Alterthums — mit einem Feine 
Kreis befferer Freunde abgeftorben und nichtö davon bis auf un 
gefommen. Aber man fieht auch an dem Beifpiel ber erfie 
Chriften, in was für eine Verlegenheit diejenigen gelommen wi 
ren, die die Lehre Jeſu angenommen hatten, wenn fie nachde 
eine Kenntniß der älteren Offenbarungen Gottes belommen hätten 
Sollten fie eine um ber andern willen verwerfen, oder beide mi 
einander vereinigen? Hier Freiheit, bort Sclaverei, hier fanft 
Weisheit, bort harte aber majeftätifche Strenge, bier Liebe, di 
und zu fich zieht, dort Furcht und Schrekken, die ben Menſche 
fo leicht unter ihr Joch zu beugen wiſſen. Welch eine har 
Wahl für den zweifelhaften Menichen, ver innmer fürchtet fich dei 
Weg zum guten zu leicht zu machen und lieber alles glaube 


50 


und thun will, um ihn nicht zu verfehlen! Aber Chriſtus in Juda 
gboren ließ und einen Zweifel übrig; er zeigte und, was wis 
von diefer Religion zu halten haben, er lehrte und bie Gefeze der 
menfchlichen Serle von der befondern Regierung eined rohen uns 
serflänbigen Volks unterfcheiden.. Das ift ed, wad Paulus in 
ven Worten nach unſerm Xert zu ben Galatern fagt, die hierüber - 
noch nicht ganz mit fich einverflanden waren. Darum mußte 
Ehriftuß unter das Geſez gethan werben, daß er diejenigen 
erlöfte, die unter dem Fluch des Gefeges waren, auf daß fie die 
Kiudfehaft empfingen. Wir würden immer geſchwankt haben im 
unferer Erkenntniß, unfer Glaube würbe getheilt gewefen fein 
zwiſchen zwei verſchiedenen Offenbarungen Gotted. Um uns da⸗ 
rüber zu beruhigen und weife zu machen, um biefen Widerſtreit 
zu heben, der aus der Kenntniß zweier Offenbarungen entfichs, 
umßte unfer Hell aus Iſrael kommen; nur fo koͤnnen wir alle 
Bege bed Herrn in einer Reihe, in einem ununterbrochenen Zu⸗ 
ſammenhang überfehn. 

Aber diefed Bolt hatte auch feine befferen Zeiten, Zeiten 
der Ruhe, wo bie Befolgung bed Gefeged eine Quelle des Gluͤkks 
und ber Zufriebenheit für daffelbe wurde, Zeiten der Größe, wo 
& in Verfolgung mit muthigem Eifer für daſſelbe zu flerben 
wußte; aber keine von beiden wurbe durch die Geburt Chriſti 
verberrlicht. Ihm, der feine Brüder fo innig liebte, ber nur 
wünfchte fie gut und glüfklich zu fehn, war nur vorbehalten ihr 
Berderben zu fühlen und ihre nahe Zerflörung vor Augen zu fehn; 
es war ihm nicht vergönnt Zeuge ihres Gluͤkks und ib» 
ver Tugend zu fein. Auch biefen Wunſch mußte er vom erfien 
Augenblikk feines Lebend an dem fichern Erfolg der Lehre aufop⸗ 
fern, die er verfünbigen follte; nur in dieſen lezten Jahren feiner 
Ration war bie Zeit feiner Erfcheinung erfüllt. Würde er wel 
Stauben gefunden haben in Ifrael, wenn er die Unvollſtaͤndigkeit 
der moſaiſchen Geſezes gezeigt hätte zu einer Zeit, wo dad Wolf 
dabei ruhig und gluͤkklich war? ober würbe man die Mängel def 


60 


feiben recht eingeſehn haben zu einer Zeit, wo ed ber gröft 
Ruhm war dad Leben dafür hinzugeben? Die erften Chrifte 
aus dem Stamm Iſraels hingen auch jest immer noch am va 
terlänbifchen Geſez, und wenn fie ihren Namen mit Recht ver 
dienen follten, fo mußte auch die lezte Hoffnung von einem aus 
fließenden Vorzug ihrer Nation in ihnen verfchwinden, fi 
mußten ihren Staat zerrüttet, ihre gefelligen Bandg aufgelö 
und ihr Heiligthum unmiederbringlic, verloren fehn. Auch durfi 
dad Chriftentyum, zu deſſen hauptſaͤchlichſten Vorzuͤgen es gt 
hörte eine allgemeine Religion für alle Menſchen zu fein un 
dafür erfarint zu werden, nicht Lange in ben engen Zirkel biefe 
Heinen Volks eingefchränkt werben, und es Eonnte auch aus ber 
Grunde nicht eher gefliftet werben, al3 kurz vor ber Zerflreuun 
der Nation, zu einer Zeit, wo fie fchon durch alle Umflänbe gı 
zwungen war ber biöherigen Abfonderung von allen andern Rei 
fhen ein Ende zu machen. Alſo nur unter diefem Bol 
nur zu dieſer Zeit mußte Chriflus erfcheinen, wenn er fein 
Abficht volllommen. erreichen wollte. 

Aber in was für einer Lage fehn wir ihn feinen Einkt 
in bie Welt machen! Das herrliche Gefchlecht Davibs, aus we 
dem er entfprofien war, war zur tiefften unbelannteften Dunte 
- beit binabgefunten, und Jeſus in einem Stande geboren und e 
zogen, ber wol nur wenige feined Volks unter ihm lieg. Gi 
erſter Augenblikk war ein Bild feined Tünftigen Lebens; oh 
Bermögen, ohne Eigentfum, ohne Heimath warb er gebore 
und fo lebte er auch; Fein Schimmer von äußerer Hoheit zeic 
nete ihn aus, Feine Ausficht auf Gemächlichkeit und Wohlſtar 
verfüßte feine erfien Tage. Aber m. Fr. auch das war not 
wendig zum beften aller derer, die an feinen Namen gläub 
werden follten. Chriftus konnte und wollte nicht zunaͤchſt a 
die reichen und angefehenen der Erbe wirken, weil fie nicht f 
big waren ihm zu folgen, darum warb ex fein reicher und ve 
nehmer; er dankte vielmehr Gott, bag er feine Weisheit fürs er 


61 


a unmünbigen offenbart habe, er wollte anf dad Herz ber grös 
en Menge Eindrukk machen, barum mußte er ſich herablaflen 
krielben gleich zu werden, denn wir fehn ed ja täglich, daß bie 
Rmihen weder Zutrauen noch Liebe gegen diejenigen fühlen 
innen, die allzu viel außere Worzüge vor ihnen voraus haben; 
un Reid, Bewunderung, ober Gleichgültigkeit’haben fie für fie, 
ad was fuͤr Entichuldigungen findet nicht der Menſch in feinem 
Degen, wenn derjenige ihm Borfchriften ber Tugend giebt, dem 
xi auferer Gluͤkkſeligkeit und Kummerlofigkeit die Tugend felbft 
veniger ſchwer zu fein fcheint. Ach, nur wenige würden geglaubt 
haben, wenn Chriſtus eine glänzende Stelle in ber Welt einges 
nmmen hättes barum wollte er lieber vom erſten Augenblikk 
kines Lebens an arm, niebrig und leidend fein; wollte von als 
um menfhlichen Elend verfucht werden, damit er und beflo volls 
kmmmer und überführender zeigen Eonnte, wie man alle Verſu⸗ 
Sms ükerwinden koͤnne durch Wachſamkeit und Gebet. 

Eoit und noch eine Betrachtung hinzufügen. Wenn Chris 
hus ein wahrer Menſch fein mußte um uns zu erlöfen, fo mäffen 
wrunsauh feine Seele eben fo denken wie bie unfrige, 
ad unterworfen in Abficht auf Bildung und Richtung ber Ers 
ai, unb allen Umftänden, welche fonft noch auf fie wirken 
“ta. Unter jebem andern Wolf, zu jeder andern Zeit, unter 
Um andern Verhältniffen würde alfo Chriſtus nicht der nam» 
ige gewefen fein, der er iſt, und konnte er wol irgend grös 
rund liebenswürbiger fein, ald wir ihn fehen? Nirgends 
bauten die trefflichen Anlagen feines Geiftes, der bie höchften 
Exufen der Vollkommenheit nur durch Anhänglichkeit und Liebe zur 
hentheit und ihren Geboten erfleigen follte, beffer und glänzenber 
wgehiidet werden ald hier unter einem Wolle, wo troz feiner 
baderbenheit doch alle Einrichtungen darauf abzielten ber Re 
zn Eingang in ein junges Herz zu verfchaffen und ihre Ber 
"ungdgrimde mächtiger zu machen als alles übrige; zu einer 
Bit, wo der Widerfpruch zwilchen dem Gefez und dem Verhal⸗ 


62 


ten derer, die ed annahmen, feiner ſchnellen Urtheilskraft zeiti 
alle die Mängel und Irrthümer, woran bie Menfchheit fra 
lag, aufdekken und ihn fo immer fefter zu der wahren und ei 
fachen Weisheit und Erfenntniß hinziehn mußte; in einer Lage en! 
fi, wo tauſend wundervolle Umftände das Herz einer zärtlich 
und frommen Mutter gefpannt hatten alle Aufmerkjamteit ai 
die zarte Pflanze zu richten, welche ihr anvertraut war, wo fi 
Stürme von außen feine Jugend ftörten, fondern ruhige Stil 
und häusliche Eingezogenheit feiner Seele Zeit ließen fich zu an 
wilteln und ber großen Beflimmung entgegen zu reifen, weld 
fie erfüllen follte. 


Und was folgt aus dieſem allen für und? Nur dies m. Fr 
daß jederUmftand uns Außerft wichtig ifl, der fich aufd 
Geburt Iefu bezieht, daß fie alle nothwendig waren zur Eri 
dung feiner Beflimmung ; unb wie fehr muß biefe Weberlegur 
unfere Theilnahme an alle dem vermehren, was mit bem © 
genftand unferd heutigen Feſtes zufammenhängt; alles, auch di 
geringfte hört auf und gleichgültig zu fein.. Das Land, welch 
eigentlid der Gtüßffeligkeit einer frommen Ruhe gewidmet we 
worin er von Kindheit auf alle die Orte fah und kannte, v 
Gott feine Wunder an dem Voll Ifrael bewielen hatte, wo 
von Kindheit an unter ben flilen Wohnfizen der frommen V 
ter wandelte, Deren entartete Nachkommen er wieder auf d 
Weg der einfachen Weisheit zuruftbringen wollte, die Geburl 
ftabt feined großen Stammvaterd, die uud feine Geburtöfte 
war; dieſe Zeit, worin er zum erfien Mal die Augen aufſchloͤ 
eine Zeit des Irrthums, der allgemeinen Werborbenheit u 
ſchrekklicher Zafter, deren Opfer ex felbft faft als ein ſchuldlo 
Kind geworden wäre; eine Zeit, wo Troz und Ohnmacht eir 
umeinigen Volks nahed Ungluͤkk weifjagte und die junge Se 
‚aufmunterte zu eilen und gute zu wirken, ehe beun e3 Na 


63 


würde; alle Befonderheiten feiner eignen Lage, biefe nächtliche 
ẽtille, dieſe unruhige Werlegenheit ber reifenden Mutter, welche 
fe viel Eindrukk auf ihr Herz machen und ihre Liebe und Sorg- 
falt fo fehe vermehren mußte; die Ehrerbietung ber weifen, bie 
Bmunderung der Hirten, bie ihn anbeteten ohne ihn zu Fennen, 
die Rachſtellung bed boöhaften Zürften, die Entzuͤkkung des alten 
Elmeon; alles das, wad Maria in treuem Herzen bewahrte, wirb 
m3 wichtig, weil ed mittelbar oder unmittelbar auf Jeſum und 
kann Charakter wirkt, weil es alles zufammentommen mußte, 
um ihn zu dem zu machen, wad er werben follte. In meiner 
Sele m. Fr. entfteht daraus ein großer Zuwachs meiner Liebe 
zu Jeſu, und ich glaube, daß bad bei uns allen der Fall fein 
wind, denn es fcheint fo natürlich. ine Sache, die und recht 
wichtig if, lieben wir immer deſto mehr, je mehr wie fühlen, 
wie ht wir fie hätten verfehlen koͤnnen, und das ift gerabe ber 
sel bei Jeſu. Je wichtiger er für umd ift, je leichter irgend ein 
Umftand anderd ausfallen konnte, der ihm einen gan, andern 
Gang gegeben haben würde, je mehr außerordentliche Leitung 
ber Berfehung alfo von feinem erften Augenblikk an nöthig war: 
tie theurer wirb er und, deſto mehr fleigt unfre Liebe und 
zmeigung zu ihm, deſto mehr Antheil nehmen wir auch an bem 
im Theil ſeines Lebens, deflo voller und inniger freun wir und, 
taerift, und daß er gerade fo da ift! Wir fühlen bie 
Seürfniffe, die wir und unfer ganzes Gefchlecht hatten, und freun 
und nad) biefer Betrachtung doppelt, alle unfre Wünfche in 
ihm fo reichlich befriedigt zu fehn. Und was für Wuͤnſche! 
Der gefallene Deenicy hat auch den Maaßſtab der Kräfte ver 
imen, welche er nicht mehr gebrauchte; er wußte nicht mehr, was er 
ülte, er fühfte nicht mehr was er könne: da fehnt er fich nach einem 
w$ feiner eignen Gattung, an dem er beutlich gewahr werden 
sane, wie weit ber Menfch mit dem Beiſtand Gottes auf dem 
Sege der Vollkommenheit kommen koͤnne; hier ift und Chriſtus 
Feten, der auch ald Menfch die Vollkommenheit befizt, die und 








64 

vorgezeichnet ifl; da Hegt er zum Beweis, wie völlig er un 
gleich ift, er hat Fleiich und Blut wie wir, iſt ſchwach und huͤlf 
los und ohnmaͤchtig, er durchlaͤuft die Bahn eines jeden Men 
ſchen in Entwikkelung und Wachsthum der Kräfte und ſtellt un! 
fein Beiſpiel ald den höchften Triumph der menfchlichen Natur bar 

Der unglüfkliche Menſch hatte auch feinen Zufammenhanı 
mit Sott verloren; feine Liebe und Güte war ihm verfchwunden 
und er bedurfte eined neuen glänzenden Beweiſes berfelben un 
aus biefem tödtenden Traum zu erwachen. Da fchenft und Got 
Chriftum, der und alled wiederbringt, was wir verloren haben 
der und einen flärkenden BIER in die Gefinnung Gottes thu 
läßt, und zum Zeichen, bag wir ihm trauen koͤnnen, daß Gott mi 
ihm iſt, und feine Reden Wahrheit find, begleiten die ausgezeich 
netiten Beweiſe göttliher Mitwirkung fein ganzes Leben von fei 
ner erfien Entflehung an. — Wie follten wir und feiner nid 
freun, der die Ehre Gottes wiederherftelt, den Menfchen Friev 
vom Himmel bringt und ein fanftes Wohlgefallen über bie gan 
Erde verbreitet! 

Aber laßt und auch dieſe fchöne Empfindung ber Freud 
welche der audzeichnende Charakter dieſes Feſtes ift, nicht um 
fonft verhauchen. Wenn wir etwas gutes in und und für un 
gewahr werben, d. h. wenn wir uns freun, fo find wir immı 
am geneigteften etwas beizutragen, um dieſes gute und no 
mehr zu eigen zu machen und zu benuzen. Chriſtus ift da, un 
wir freun und befien, aber laßt und auch forgen, daß er fo vi 
als möglich für und da fü. . . . . 


Gchluß fehlt.) 


VI. 


Was wir bei dem Blikk, den wir am An: 
fang eines Jahres in die Zufunft thun, von 
unferm himmlifchen Vater erwarten dürfen. 


ueber Matth. 7, 11. 


Erfter Sonntag im Jahr. 


Becher. 


Könnten wir dich doch recht loben, Herr Bott, und deinen Ramen 
würdig preifen für den allmächtigen Schuz, unter bem wir abermals 
ia Jahr unferes irbifchen Lebens zuruͤkkgelegt habın! Nur beiner 
Gaabe find wir ben gluͤkklichen Ausgang beffeiben ſchuldig. Wie Leicht 
kätte micht To mancher Verführung zum böfen unfer ſchwaches Herz 
unterfiegen können, ber es gluͤkklich entgangen iſt; wie leicht hätte fo 
mancher Unfall unfere zufriebene Ruhe ftören koͤnnen; wie leicht hätte 
das allgemeine Ungluͤkk, welches uns drohte, und welches beine Vor⸗ 
Echt bis jezt gnaͤbig abgewandt hat, uns in ben traurigen Zuſtand ber 
Angf und des Kleinmuths verfegen koͤnnen; aber du haft uns nicht nur 
vor Uebeln bewahrt, ſondern unzaͤhliges gute genießen Lafien in mannigs 
faltigen Bergnoͤgungen bes Lebens, in der Liebe und der Gemeinfchaft 
mit guten Menſchen und den Freuden ber Religion. O nimm gnäbig 
tas Opfer eines froben Herzens hin, das ſich dankvoll der verganges 
kredigten I. > € 


66 


nen Zeit erinnert und auch durch biefe Grinnerung Hoffnung und Ver 
trauen für bie Zukunft fchöpfen möchte und Glauben an did un 
deine Gürtel Amen. 


J. fürchte nicht, daß ich Unrecht gethan habe, die dankbare 
Empfindungen meines Herzens für unfere gemeinfchaftlichen St 
finnungen an dem heutigen Tage anzufehn; ich fürchte nicht, da 
an dem Schluß eines Jahres Mißmuth und Unzufriedenheit ſi 
irgend einer Seele unter und bemaͤchtigen und jene beſſeren Gi 
fühle daraus verdrängen möchte. Wenn wir und von eine 
Menfchen trennen follen, der eine lange Zeit hindurch der Gi 
fährte unferes Lebens gemefen, der uns in fo vielen Lagen gi 
fehn und fo viele derfelben felbft veranlaßt hat, werden wir ber 
wol noch beim lezten Lebewohl die unangenehmen Stunden an 
zechnen, die er uns hie und da gemacht zu haben fcheint? Ehe 
fo ift es mit dem Sahr, weldyed uns jezt verläßt, und das viel 
- leicht neben vielen glüfflihen Tagen auch einige Stunden de 
Leidens und des Kummers hervorgebracht hat. Wenn dad ur 
angenehme vorbei ift, fo vermehrt Die Erinnerung baran di 
Freude uͤber den Ausgang, ſo ſind das gerade die Stellen, w 
wir die goͤttliche Fuͤhrung am deutlichſten erkennen, ja ſelbſt wen 
noch jezt am Schluß des Jahres ein Schmerz, eine Sorge i 
und verborgen liegen ſollte, fo iſt bei dieſer Erinnerung bie Ic; 
Stunde des Jahres und nicht näher ald die erfte, wir müfle 
und bemühen die Empfindung de3 Augenblikks zu verläugne 
und nur bei dem Eindruff flehn zu bleiben, den das ganze al 
uns macht. Wenn alio heute nur dad vergangene auf unfe 
Seele wirkte, fo würde biefer Tag gewiß ein Tag froher Hr 
terkeit oder wenigftens gelafjener Zufriedenheit fein; aber nichts i 
fo feft verbunden, als eben an dieſem Tage Vergangenheit un 
Zukunft find, und die Erinnerung an das, was wir gemwefen, i 
immer nur bie Vorbereitung auf die Frage, was wir wol fei 
werben, und wenn wir die Begebenheiten in ber Welt nur al 


67 


rungen von einer Menge einzelner unabhängiger Zufälle an- 
en, jo wird und diefer Gedanke defto trauriger machen, je mehr 
rr auf Die werfloffene Zeit Achtung gegeben haben. Was kann 
ın® wol deutlicher zeigen als unfere eigene Erfahrung, wie leicht 
er Menfch aus unbedeutenden Anfängen durch mancherlei Heine 
Beranlaffungen, die und im gemeinen Leben nur allzu nahe lie 
en, aus einem Fehltritt in dem andern geflürgt wird, und wir 
chen Fein Recht zu hoffen, dag wir allein davon frei fein, 
ter daß ein gluͤkkliches Ohngefähr und noch zu rechter Zeit auf: 
alten werde. Bon nichtd Fönnen wir lebhafter überzeugt fein 
urh das Andenken an vorige Zeiten, ald davon, daß an fich 
ie Stüzen der menſchlichen Gluͤkkſeligkeit aͤußerſt unficher find, 
a8 die Schwachheit unferer Natur, die Unvolllommenheit unfe 
es Zuftandes und die Fehler der Menfchen mit vereinten Kräf: 
ea daran arbeiten fie zu vernichten, daß felbft unfer Keben ohne 
Schuz durch Kleinigkeiten, die aller Aufmerkſamkeit und aller 
Borjicht Troz bieten, in einem Hauch aufgerieben werden kann. 
Bas giebt uns das für eine Außficht, wenn unfer Herz nicht 
n ber Religion hängt, wenn fie und nicht mit einer Gefinnung 
rüllt, von der man viel fpricht, aber die gerade dann, wenn 
ie noth iſt, am erften zu fehlen pflegt, nämlicy mit dem kindli⸗ 
ben Zutrauen zu Gott, welches ſich feiner Führung getroft über: 
aöt und fich bei feinem Willen gern und leicht beruhigt? Dazu 
vollen wir uns in diefer Stunde durch Betrachtung feines Worted 
u ſtaͤrken fuchen. 


Text. Matth. 7, 11. 
So denn ihr, die ihr arg ſeid, koͤnnet euern Kindern 
gute Gaben geben, wie viel mehr wird euer Vater im 
Himmel gutes geben denen, die ihn bitten. 


Es iſt Chriſto beſtaͤndig eigen, m. th., und es iſt ganz in 
den Geiſt feiner Lehre verwebt, daß er und Gott als unſern Bas 
E 2 





68 


ter, uns als feine Kinder vorſtellt, und das thut es aud in 
fem Theil feiner Bergpredigt, wo er bie Gefinnungen Gotte 
den Gefinnungen eines Waters vergleicht und feine Jünger 
Heiterkeit und Zufriedenheit, zur Liebe und zum Glauben au 
muntern fucht bei allem, was ihnen im ihrer Lage bege 
koͤnnte. Und alles dad gilt auch und, ihren Nachfolge. 9 
lich follen wir Gott fürdıten, kindlich ihn lieben, kindlichn 
ganze Hoffnung auf ihn ſezen. Nach diefem Maapftab w 
auch wir fehn, was wir bei dem Blikk, den wir am 
fang eines Jahres in bie Zukunft thun, von C 
unferm Water in Abficht auf die beiden großen Angelı 
beiten des Menfchen, feine Gluͤkkſeligkeit und feine Bı 
rung, erwarten dürfen. 


Der Menſch, m. th., ift ein fo kleines, fo abhängiges 
wenn man ihn gegen das ganze betrachtet, daß ı 

at gar nicht feheint, als ob fein Wohlbefinden bei dei 

der Welt mit in Anſchlag käme. Jeder Theil des 
eltgebäudes wirb nach ewigen Gefezen regiert, jedes 

in der Natur um und herum hat feine beftändigen Regeln, 
denen ed wirft und auf fid wirken läßt, und von dieſen 
haͤltniſſen hängt die Gebeiplichkeit der Witterung, die Gefun 
der Luft, und mit ihnen ber ganze äußere Wohlſtand des | 
ſchen ab, die beffere oder üblere Stimmung feines Gemüths 
oft auf ganze Familien, ganze Gefellfchaften, ganze Voͤlker 
großen und ſchnellen Einfluß hat. So ſcheint bei allen fo 
Ucberlegungen die Natur die Hauptſache, der Menſch ein ı 
deutendes Nebending, ein Spiel ihrer Kräfte zu fein, und ı 
man auch von felbft auf den Gedanken kommt, daß diefe | 
Belt mit allen ihren Geſezen und allen Zufällen, die kein | 
zu baben feinen, dem Willen ‚eines hoͤchſten Weſens bient, 
fo wirb man doch immer glauben, daß ber Menfch nur ein 





69 


» Beflimmungdgrund feines Verfahrens iſt, daß es vieleicht 
j das Wohl der Menfchheit im ganzen und auf ihre 
sen allgemeinen Veränderungen, aber nicht auf das Wohl 
$ einzelnen, auf eined jeden Glüff, eined jeden Ruhe 
iffiiht genommen habe; das bleibt immer dem Zufall, dem 
kabfichtigten Zufammenfluß der Umftände überlafien. So 
it bleibt der Menſch für fich felbft in dem Zutrauen zuruͤkk, 
iche3 er auf den Herrn der Welt fezen follte; feine Weisheit 
io hoch, fo weit umfaflend, feine Liebe fo groß und allgemein, 
er fie nicht begreifen kann, daß er immer über fein Schill: 
mehr Angſt, weniger Zuverficht, weniger Hoffnung hat, als 
felte und koͤnnte. 

Richt fo wir, die wir Chriften und Ghrifti Brüder find; 
zen es fo oft gefagt ift, daß der höchfle Gott gegen einen je 
a ven und die Gefinnungen eined zärtlichen und weilen Va— 
13 bat. Ein Vater mag noch fo viele Sorgen haben, feine Ge» 
höfte mögen auögebreitet, feine Befizungen groß fein, nie wird 
über allen biefen Dingen auch nur ein Beduͤrfniß, einen 
tunich eined feiner Kinder vergeſſen; nie wird er allen dieſen 
ungen dad Gluͤkk eines feiner geliebten aufopfern; nur für fie 
ke, nur für fie handelt er, nur für fie braucht er feine Kräfte 
> fin Vermoͤgen. Und fo aud ein Vater — fpricht 
r herr — fo auch eine Mutter ihrer Kinder vergäße, 
will ich Doch euer nicht vergeffen, noch euch ver 
ten. j 

Ein Bater kann nicht immer wie er will und muß mans» 
8 gute unauögeführt Laffen, weil es nicht in feiner Macht 
kt Gottes Macht ift fo groß wie feine Liebe Mir 
xachen und nicht mit dem immer boch traurigen Gedanken zu 
in, daß es nicht anders fein koͤnne, der einzelne müfje dem 
wm geopfert werden; wir dürfen nicht ſeufzend erwarten, was 
k !riden auch in dem kommenden Jahr zum beften anderer 
se und ergehen werben; vielmehr koͤnnen wir und an bem 


70 


gleich erhabenen und rührenden Gedanken erlaben, daß um 
herum nichts gefchehen, daß uns felbft nichts betreffen wird, 
nicht auch zu unferm eignen Wohl gereichen werde; dad Zutt 
laßt und zu Sott haben, daß ſchon in ber erften Einrichtun, 
Dinge vaͤterlich für uns geforgt iſt, und daß der Herr el 
nen Kindern zum beften gereichen laffe. 

Ein Vater hört mit zärtlihem Vergnügen bie inf 
ner Kinder und fößt fie nicht von ſich; er erfüllt fie vielmel 
gern nach feiner beſten Einficht, nach feinem beſten Verm 
giebt er ihnen alle guten Gaben, die fie von ihm bitten, unt 
ihr Herz in ben Zufland der Ruhe und Zufriedenheit ver 
tönnen, Wie viel mehr unfer Vater im Himmel, Laßt es 
geftehn, wir find alle und bleiben alle, fo lange wir auf € 
leben, Kinder, deren Herz fi immer mit Traͤumen und & 
fchen befchäftigt; wir alle nehmen von dem erflen Tage an 
Bild von Glüfffeligkeit in das neue Jahr hinüber, von dem 
glauben, daß ed und zufrieden ftellen werde, Wir brauchen 
aber defien nicht zu fhämen, Wir haben im Himmel einen 
bevollen Water, der nicht nur weiß was wir bedürfen, ehe 
ihn darum bitten, fondern der ed auch gern fieht, daß wir 
darum bitten, dag wir unfre Wünfche und Hoffnungen zu ſe 
Fügen niederlegen; einen Water, der gewiß ung alle wi 
baft gute und vollfommne Gaben geben wird, went 
und auch nicht alled giebt, wa3 wir wünichen. 

Und das gehört in der That mit zu dem Zutrauen, 0 
wir zu Gott haben müflen, daß wir gewiß überzeugt find 
werde uns nicht alled gewähren, was wir wünfd 
Mer würde ſich wol getrauen etwas zu bitten, wenn alle 
gebren des getäufchten Herzens und des Furzfichtigen Verſta 
gleich erfüllt werden folten? Nein, meine Freunde, wir alle 
nen weder unfer beſtes noch unfer eignes Herz, wir alle ur 
ten oft unrichtig über unfere Gluͤkkſeligkeit und fuchen oft 
. aller Kraft und Lebhaftigkeit unſeres Gemuͤths Befriedigung 











1 


am Gegenſtand, in einer Empfindung, die uns weber audfll: 
kn noch unter Wohl wirklich beförbern würde. Aber laßt uns 
lennoch gefroft fein; voir kennen unfere Gluͤkkſeligkeit nicht, aber 
Sett fennt fie; er wird aus der Sammlung unferer Wünfche 
b viel herausheben ald und gut ift, und wird es und grade zu 
ta Zeit geben, wenn es die beſte Wirkung auf und zu thun im 
Ctande iſt. 

Aber ein Water thut feinen Kindern bisweilen wehe, er ſieht 
ich bisweilen genöthigt ihnen Schmerz und Kummer zu machen, 
und mehe ihnen, wenn fie bad von ihm zuruͤkkſchrekkt, wenn das 
sit ihre Liebe vermehrt, wenn fie nicht dennoch feſt überzeugt 
bleihen, daß nur ihre Gtüfkfeligkeit gemeint fei, und daß dieſe 
KR aus ihrem Leiden deſto fchöner und herrlicher hervorgehn 
Ri. Ah das laßt und doch ja wohl in Acht nehmen; das 
taten if ein heil unferer Gluͤkkſeligkeit, den wir nie wünfchen, 
und ver dach fehr nothwendig iſt. Wen Gott lieb hat, den 
jühtigt er *), umd er liebt und alle, darum zuchtigt er und 
de Bir müffen den Wahn ausrotten, und es iſt nicht einmal 
aa (höner Wahn, daß wir dieſes Jahr ohne Unannehnzlichkeit, 
Na mehr oder weniger von ber bitten Würze des Lebens ver: 
kon werden, und ich will dad einem von und wünfchen. 
da Menſch iſt einmal fo, daß ihm die reinflen Freuden un: 
&ufthaft werden, wenn fie at find, und wir irren und, wenn 
glauben, dieſes durch befländige Abwechſelung zu erfegen; 
& lann wol betäuben, aber die Empfindlichkeit des Hetzens, bie 
Übigfeit alles gute fo fehr als möglich zu genießen, die Bam 
Er dach Beraubung, durch irgend eine Art bed Leidens erhal: - 
w werden, Wenn wir biefe Wahrheiten an dem Leitfaden un⸗ 
ter dgenen Erfahrung verfolgen, fo werden wir einfehn, wie 
wg fie find, wir werden auch Leiden, greß oder Hein, von 
tt warten und fehn, daß das der höchfte Punkt fei, auf beu 


 —— 


I&br. 12, 6 


72 


unfer kindliches Vertrauen zu ihm in Abficht auf unfere STUFE 
feligfeit fleigen Tönne, werm wir mit frommer Ruhe und Erge 
bung über unfern verkehrten Eigenwillen triumphiren, und e 
dem über alled guten Water im Himmel überlaffen, wie er un 
in dem kuͤnftigen Jahr durch fchöne und oͤde Gegend hindurch 
führen und unfere Gtüfffeligfeit aus Freuden und Leiden zuſam 
menſezen wolle. 

Aus dieſem wahren und eines Chriſten ſo wuͤrdigen Ver 
trauen auf die Vaterguͤte Gottes wird in und eine Gefinnun 
entfiehn, die und Außerfi vortheilhaft if. Der Menſch, der ai 
lein fein eigned Herz bei ben Fragen über feine Gluͤkkſeligkeit z 
Rothe zieht, fieht die falfchen Wilder derfelben fo lebhaft, va e 
außer ihnen nichts gewahr wird’ fein Wohlfein ift das Höchfte 
was er fich denken, fein Uebelfein dad fchlimmfte, wovor er ex 
ſchrekken kann; er orbnet fein Beſtreben nach Tugend unter fei 
nem Beſtreben nach Gluͤkkſeligkeit. Der Chrift aber, der vo! 
Vertrauen auf Gott ihm die Art fein Gluͤkk zu machen übe 
läßt, deſſen Wünfche alle fanft und gemäßigt find, wird deſt 
eher gewahr, daß es für fein Herz einen höhern Gegenfland d« 
Beſchaͤftigung giebt, als bloß feiner Empfindung eine angenehm 
und dauerhafte Nahrung zu geben; er flimmt mit David übe 
ein, der, nachdem er in einer Fürbitte für fein Volk alle Wuͤr 
fche irbifcher Zufriedenheit ausgelaſſen, fo endigt, Wohl der 
Bolt, dad fo gluͤkklich ifl; aber noch weit mehr woh 
dem Volk, des der Herr fein Sott ift und Wohlg 
fallen bat an feinen Werken *); er verſteht und übt De 
Ausfpruh, Trachtet am erften nad bem Reihe Gotte 
und nah der Rechtſchaffenheit des Herzens, fo wir 
euch dad andere alles zufällig und weniger wichti 
ſcheinen **); das ift die fchönfle Frucht biefes kindlichen Zu 


) Pſ. 144, 15. 
) Matth. 6, 33. 


4 


73 


hend, daß das Herz gelaffen wirb und lernt Tugend und Beſ⸗ 
krung höher zu achten als Gihkffeligkeit und Vergnügen. Ich 
winihe, und warum ſollt' ich es nicht hoffen, daß wir alle, bie 
wir bier find, von biefer Geſinnung burchbrungen fein mögen; 
deſo wichtiger und erfreulicher wirb uns ber zweite heil unfes 
rn Betrachtung fein. 


IL 


Wenn wir ſchon in Abficht auf unfere Gluͤkkſeligkeit 
und Lebensfreude in dem neu angetretenen Jahr ein fo ungemeſ⸗ 
jenes Zutrauen auf Gott ſezen können und fezen müffen: wie heil 
ſam und nöthig wird ed und nicht erft fein, wenn wir an un⸗ 
ſee ägentliche Beſtimmung denken, an bie Berebelung un 
ſetes Geiftes, die wir auch in biefem Zeitraum aus allen uns 
Im Kräften befördern follen. 

er, dem fein innerer Werth und bie Vermehrung befiel: 
ben am Herzen liegt, jeder, der am Schluß bed Jahres über bie 
Sehler der verfloffenen Zeit geweint ober fich dankbar über fo mans 
688 gute gefreut hat, welches in feiner Seele entflanden ift, hat 
jch auch gewiß ein neues lebhafte Bild von der wahren Größe 
ud Bolllommenheit eined Nachfolgers Jeſu gemacht, dem er " 
mechuſtreben entfchloffen ift; jeder, ber feine Mängel fühlt, bet 
des Jahr mit den beften Vorſaͤzen angefangen, wie er durch 
Iderwindung und Arbeit dieſen und jenen hervorſtechenden Feh⸗ 
ur ablegen, wie ex durch Fleiß und Uebung dies oder jenes gute 
reichen will, daß ihm noch gebricht. Aber wenn wir mit uns 
km Borfäzen allein ftehn, fo find wir viel zu ſchwach fie aus⸗ 
führen; äußere Umflände beflimmen unaufhörlich unfere Hande 
lungen, Verhaͤltniſſe haben den größten Einfluß auf unfern (has 
lalter, und num noch die feinen Fallſtrikke, die und oft die Ver⸗ 
ührung legt, die Schwachheit unferd eignen Herzens, welches 
5 zu leicht den Eindruͤkken von außen uͤberlaͤßt; wenn alle dieſe 
diuge, Die fo ſtark auf und wirken, nur von Obngefähr zuſam⸗ 


74 


mentreffen ober unter der Regierung eines Weſens fichen, deſſe 
Abfichten mit umferer Verbefferung nichts zu fchaffen haben: i 
iſt und nur eine traurige Ausficht auf Die Zukunft offen; fo Eön 
nen wir eher auf Berichlimmerung ald auf Verbeſſerung red 
nen. Aber wir haben einen Water im Himmel, bem nichts mel 
am Herzen liegt ald die Beredlung aller vernünftige 
Gefhöpfe, die nach feinem Bilde gefchaffen find, der allı 
welche ſich als feine Kinder anfehn wollen, auf das forgfältigil 
führt und leitet, und alle ihre Werhältniffe und Begebenheite 
mit den Bebürfniffen ihres Geifted in Einſtimmung bringt. 

Ein Bater, der auf dad wahre Wohl feiner Kinder bedach 
iſt, Tucht alle ihre ſchwachen Seiten, alle gefährliche Neigungen 
alle keimende Leidenichaften forgfältig zu erforfchen, und hält « 
für dad erfie Zeichen eines guten Gemüthes, wenn fie felbit ii 
fühlen und ihm ihre Entwürfe fie abzulegen anvertraun und id 
nen Rath und Beiftend erbitten. Gott braucht nichts zu erfor 
fchen, er kennt alle unfere Gedanken von ferne und fieht die ge 
heimſte Kalte unfered Herzens; wenn wir aljo unfre Fehler füh 
len, wenn und beim Antritt eines neuen Jahre dad Bewußtiei 
noch einmal fo ſchwer druͤkkt fie mit und hinüber zu nehmen: IC 
Tonnen wir voller Zutrauen zu dem Vaterherzen Gottes hinzu: 
treten, ibm uns darfiellen und gewiß verfichert fein, Daß €ı 
uns feinen Beiſtand nicht verfagen wird, um und bem Ziel 
zu nähern, welches und geſtekkt if. Gewiß wird er unfere Be: 
mübungen fegnen; gewiß wird ed und gelingen, heſſer und dei 
Namens feiner Kinder würbiger zu werben, wir werben oft fit: 
gen über und felbft, oft in Verhältniffe kommen, wo mandkt 
zarte Keim des guten zur fehönen Pflanze herangepflegt, manches 
um fich greifende Unkraut leife auögergttet werden ‚wird, weni 
nur diefe Wünfche ernſtlich find und wirklich aus dem Grund 
unferer Seele herruͤhren. 

Aber died Zutrauen fann und weber ficher noch fol 
machen. Denn auch in dieſem Stuͤkk können nicht alle unſert 





75 


Bünfche erfüllt werden, nur nach und nach fann eine menfchfiche 
Exele reifen und niemals hier zur Vollkommenheit gelangen, welche 
zur das Ziel der Ewigkeit iſt; unfer Beſtreben fei noch fo red. 
ih, unfer eben noch fo gut, fo wird dennoch die menfchliche 
Shwahheit einen großen Theil daran behalten, unfer Bertrauen 
Bleibt auf der Linie ftehen, daß es uns immer fühlen laflen wird, 
daß wir Menihen find, Gott kann und nicht alle unfere 
öehler nehmen, aber wird er und wol vor aller Gelegenheit be: 
mahren fie in Handlungen zu aͤußern? wird das wahres Wer: 
tauen fein, wenn wir hoffen wollten, er werde uns feiner Ber: 
ſuhung auöfegen? Ein weiſer Bater geht nicht fo zu Werke; 
er führt bisweilen feine Kinder an folche Stellen, wo fie den 
genyen Grab ihrer Schwachheit inne werden, wo ſich eine neue 
vrimmte Saite ihred Herzens entdekken kann; aber mit wach 
har Sorgfalt fieht er darauf, daß feine gute Abficht nicht zum 
Dim gelenkt werde, daß es ſich dem böjen nicht dahingebe, wel: 
des im nur dargeftellt werden ſollte. So auch unfer Vater im 
Hamel; wir koͤnnen nicht anders gebeffert werden, ald wenn 
wir und erft felbft kennen, und da ift es wol nöthig, daß wir 
dam und warın in Werhältniffe kommen, wo wir die Grenzen 
wferer erworbenen Kräfte deutlich gewahr werden, wo wir und 
Kbit von mancher neuen noch unentwikkelten Seite kennen ler: 
Ba; aber eben fo gewiß iſt ed, er wird dafür forgen, daß wir 
der Berfuhung nicht unterliegen, daß neue Fehler nicht 
in unferer Seele Wurzel faffen dürfen, daß wir nicht muthlos 
und abgefchrefft durch die richtigere Kenntniß unfer felbft den 
zuten Weg verlafien, den wir eingefchlagen hatten. 

Eben fo alfo wie unfere unvolllommene Gluͤkkſeligkeit aus 
jreude und Leid zu unferm beflen zufammengefezt wird von ei: 
nm Gott, der und wohl will und Freude hat an unferer Freude, 
den jo feſt innen wir ihm auch bei allen Schwierigkeiten, bie 
ten Menfchen im Wege ftehn, in Abficht auf untere Fortfchritte 
M guten vertrauen. Auch bier wird ein Wechfel fein zwifchen 


76 


Freude und Leib des Geliſtes, zwiſchen Gelingen und Mißlingen, 
zwifchen dem Bewußtfein erlangter Kräfte und dem Gefühl ent⸗ 
dekkter Schwachheiten; aber bad ganze wird immer unfer befte 
fördern und und bem Zweit unfered Dafeind näher bringen; er 
wird erreicht durch füge und bittere, angenehme und unangenehme 
Mittel, deren Mifchung wir mit Eindlicher Ergebenheit aus ber 
Hand eines weifen Vaters annehmen. Ihm wollen wir aud) in. 
bem neuen Jahr unfer Gluͤkk unfere Zugend und unfer Leben 
überlafien. 3a auch unfer Leben; der Tod ift und nach dem 
Lauf der Natur immer gleich nahe, aber auch er wird und nicht 
eher treffen Bid . . . . . 


GSchluß fehlt.) 


vu. 


Ion dem Siege, den Chriffus durch feine 
Auferfiehung über den Tod davon 
getragen. 


Ueber 1 Korinth. 15, 26. 





Oſtern. 


Preiß und Ehre ſei dem allmaͤchtigen Erwekker von ben tobten 
und Jeſu Chriſto dem erftandenen in Ewigkeit! Amen. 


Ban wir und, m. th. 3., die vorzügliche Wichtigkeit des Fe: 
fe3, welches die Chriftenheit heute begeht, recht deutlich vorftels 
kn wollen: fo dürfen wir nur an bie merkwürdigen Worte ben: 
Im, welche Paulus 1 Kor. 15, 14 fagt, Wäre Chriftus nicht 
auferffanden, fo wäre unfere Predigt vergeblich, fo 
wäre auch euer Glaube vergeblich, und bald darauf wie 
derholt er ed und fagt, Wäre Chriftus nicht auferflanden, 
lo ware euer Glaube eitel, fo Eönntet ihr noch immer 
in euren Sünden bleiben. So beruht alfo nach der Meis 
aung des Apoſtels die ganze Fefligkeit unſeres Glaubens in der 
Religion auf der Auferfiehung Chrifti, und das hat auch feine 
ale Richtigkeit. 


‚8 


Wenn Chriſtus nicht auferflanden wäre, und bie Apoftel hät: 
ten doch dieſe Lehre unter aller Welt ausgebreitet und darauf 
vornämlicdy ihre Predigt gegründet, fo hätten fie und entweber 
betrogen, oder fie wären felbft getäufcht worben, und in beiden 
Fallen würde ihr Zeugniß in einer fo wichtigen Sache, wie bie 
Religion, nicht mehr unfern Beifall und unfern Glauben verdienen. 

Wenn Chriftus nicht auferfianden wäre und hätte es doch 
felbft fo deutlich vorher geweiſſagt, fo hätte er eine zu hohe Mei: 
nung von der Wichtigkeit feiner Perfon gehabt, fo hätte er nicht 
einmal ben Rathſchluß Gottes über ſich felbft gewußt und uns 
die Abficht feines Vaters mit und nicht auf eine untruͤgliche 
Weiſe kund thun Firmen. 

Wenn Chriſtus nicht auferſtanden waͤre, und wir wollten 
doch ſeinen Tod als einen Tod zum Heil der Menſchheit anſehn, 
ſo haͤtten wir keine ausdruͤkkliche Verſicherung von Gott, die uns 
deſſen gewiß machte, ſo wuͤßten wir nicht, ob der Himmel ſein 
großes Opfer ſo theuer geachtet als wir, ob Gott es ſo gern 
und gültig angenommen als er ed willig und vollſtaͤndig ge 
bracht hat, fo würben noch weit mehr Zweifel über die Sendung 
Jeſu in den Herzen der Menſchen entftehn als jezt, und da wir 
keinen feften geoffenbarten Grund der Vergebung unferer Suͤn⸗ 
ben erfennen würden, fo würde e8 um einen fo ungewiſſen Preis 
unzählig vielen zu fauer werben ſich ihrer zu entledigen. 

Laßt und alfo billig an biefem erhabenen Tage mit Ehrifto 
triumphiren über bie herrliche Krone, welche fein himmlifcher Ba: 
ter allen Thaten bed Erloͤſers durch feine Auferwekkung von den 
todten aufgelegt "bat, laßt uns barüber frohloften als über die 
glaͤnzendſte Beftätigung feiner Sendung, als über den ficherften 
Beweis, dag Gott alles, was er gelehrt, gethan und gelitten, 
mit billigendem Wohlgefallen angefehn habe, als über bie befle 
Schuzwehr, womit wir und ben Gegnern unferer Religion ent: 
gegenftellen koͤnnen. 

Dennoch haben wir, wenn wir babei ftehn bleiben, noch 


79 


dt den ganzen Werth biefer großen Begebenheit erkannt. 
kan wir auch berfelben zur Befefligung unferes Glaubens nicht 
turft hätten, fo hat fie doch andere Kolgen, weiche öfters uͤber⸗ 
in werden. Ach was würde bem Menſchen, welcher immer in 
eZukunft zu fehn gewohnt if, die ganze Erlöfung Jeſu und 
ehenliche Religion, welche darauf gegründet ift, helfen, was 
une ed ihm helfen in jedem Augenbliff diefed Lebens übrigens 
üffüich und zufrieben fein zu koͤnnen, wenn er feines Fünftigen 
iffiald nicht vollfommen gewiß wäre, wenn er nicht ein ans 
Nuliches Bild hätte, um feinen Gebanten daran Feſtigkeit und 
Altung zu geben, fondern wenn er immer im Hintergrund diefeß 
ad die traurige Geflalt des Todes gewahr würbe, ohne 
ad nur eine freundliche Miene in feinen Zügen gewahr zu wers 
amd feinen Drohungen irgend etwas mit Zuverfiht entge 
zu fon zu koͤnnen? Diefer legte Feind der menſchli— 
ben Rude ift es, der durch die Auferftehung Chriſti vor 
und vollig beficgt iſt, und der nähern Betrachtung biefer 
Soblthet wollen wir mit einander bie gegenwärtige Stunde 
Bibımen, 


Tert. 1 Korinth. 15, 26. ° 
Der lezte Feind, der aufgehoben wird, ift der od. 


DaB ganze Gapitel, worin diefe Worte mit befinblich find, 
Kin der Abſicht gefchrieben, um verfchiebene leichte und unlaus 
" Ehnfen von der Wahrheit und Wichtigkeit der Auferflehung 
Yu zu überzeugen. Nachdem er bie Wahrheit berfelben hin: 
Egli erwieſen, fo fängt er damit an bie Folgen biefer Bege: 
that anßeinanderzufezen, indem er fie ald ben Zeitpunkt be: 
hätt, mit dem bie Herrſchaft des vollendeten Erlöferd über 

Reich und ber Einfluß feiner Meligion über jedes einzelne 

deſſelben anhebt, und dies Gemälde ſchließt er damit, daß 

Iste Feind, der fomol im Abficht auf ben einzelnen ald auf 

ganze Chriſtenheit vernichtet if, der od fei. Wir wollen 


% 


davon Gelegenheit nehmen von dem Siege zu reden, be 
Chriſtus über den Tod davon getragen hat, und er| 
lich fehn, wa der Zod ohne feine Auferflehung fü 
und gewefen fei, zweitens, wie ihn Chriſtus babur 
befiegt bat. 


Wenn wir wiffen wollen, was bie Auferftehung Jeſu 
dieſer Räfkficht für und gewirkt hat, fo muͤſſen wir von all 
Zroftgründen hinwegſehen, welche erft baraus entſtehn, und bi 
Menſchen fo nehmen, wie er ohne diefe Auferfiehung und ih 
Folgen geſinnt geweien ift und noch immer gefinnt fein wuͤrd 
Wenn dere Menfch auch noch fo feſt überzeugt ift von der U: 
ſterblichkeit des Geiſtes, der in ihm wohnt; wenn er au 
noch fo feft vertraut auf die Gnade eines Gottes, ber de 
unoolllommnen aber gutdenkenden Geichöpf Fehler verzeiht u 
ed nicht auf ewig ungluͤkklich machen Tann: fo bleibt dod, 
lange er fi) nur an diefe Erkenntniffe halten Tann, ber Zoo ı 
was fchreffliches für ihn. 

Der finnlihe Menſch, deffen Beflreben nur auf den € 
nuß der Freuden bed Lebens geht, wie kann der ohne Schaude 
an bie Trennung von alle bem denken, wobei er ſich fo lan 
Zeit gluͤkklich gefühlt hat? Alle dieſe Seligkeiten entfprangen a 
aus Verhaͤltniſſen diefer Welt, mit denen ſelbſt feine Einbildung 
Eraft nicht ohne innem Widerſpruch zu fühlen eine andere Di 
nung ber Dinge ausſchmuͤkken kann; was fieht er alfo voran 
und wie fol er mit Ruhe an den Stoß denken, der ihn. aus h 





Bauberkreiß bed Vergnuͤgens in unbelannte Gegenden hin 
ruͤkkt? — und was für Gewalt hat nicht bie Sinnlichkeit. 
manchen Stunden bed Lebens auch über ben beſten Menſchen 
Allein, wenn fich auch keiner von uns in biefem Bilde 
geln könnte, fo hat auch der wirklich fittlihe Menſch hi 
wenig vor andern voraus, Es ift wahr, er licht bad gute 


1 


de, und dies kann ihm durch .alle Welten folgen, fo lanze feine 
fmunft und bad von ihr ungertrenmliche Gefühl, ihn begleitet; 
kr dennoch, wenn auch ber beffe Menſch, inſofern er chm 
ih gegen ſich felbft denkt, ſich nur fa viel Tugend zutraut, ala 
t wirflich geübt zu haben Sich bewußt iſt, und alſo felbft für 
ws Leben nur fo viel auf fi baut, ald das Fünftige bem . 
epungenen ähnlich fein muß: wirh er dann auch auf feine. ins 
er Güte ſich in Abficht eined Fünftigen ihm ganz unbefannten 
Sub verlaſſen koͤnnen? und wenn, feine Tugend bingereicht hat 
ie gewoͤhnlichen Hinderniſſe dieſes Lebens zu uͤberwoͤltigen, kann 
hmm auch wiſſen, ob fie ſich zu ben ganz neuen Verhaͤltniſſen 
ab Sehens ſchikken wird? Sp geht alle auch ber. from 
m wife nicht ohme eine bange bittere Empfindung aus einem 
kmpilaz, beffen Boden und Page, befien Bortheile und Nach. 
file cr kennt, in einen andern über, bey ihm unkekannt if, ung 
nme nicht weiß, was für ein Zeind ihn daſelbſt erwartet, 
er noch mehr. Je befier der Menſch ift, deſto meniger 
Tu mempfinblich gegen bie feinen und geifligen Freuden, wel« 
“ir Zugenb und Geelengüfe gewähren, deſto mehr wahren 
Dart hat das Leben in feinen Yugen.; diefen Werth ſoll er.aufgen 
Q, von dieſen Freuden ſoll er fcheiden,.. bie feligen Stunden, 
"a Bott in der Schönheit diefer Schöpfung ‚bemunbeste, fol» 
am Ende nehmen, verlaffen fol er bie, die er liebt, und ber 
a fumme Freundſchaft ihn hegluͤkkte, en ſoll Abſchied nehmen 
"dl den Wexhaͤltniſſen, welche tauſend Gelegenheiten bas, 
ze zu üben in fich hielten, und wenn wir ‚alles, das hinweg⸗ 
Kara, was wir erſt Durch dis Erhöhung Ghrifti von dem kuͤnfe 
m schen wifien, was hat ex bq wol, um. jenen Verluſt zu era 
“a? Unbeſtimmte Begriffe, von berem einem ex zu dem ana 
zn (hwankt ohne irgendwo Ruhe zu finden, und die, wenn fie. 
“ud ſo ſchoͤn find, nicht vermögen big hellen und beſtimm⸗ 
" ante autzuloͤſchen, welche wahre Erdengluͤktſeligkeit in 
Nie Sarle gemacht. te 
aha I, . 8 


82 

Endlich ift daB, was wir vom Xobe mit ber mein © 
wißhert wiften, ein neuer Stoff zu traurigen Vorftelungen. D 
Seele ſcheidet von bem Körper, den fie fo lange bewohnt ba 
und biefer Körper iſt ein Freund, mit welchem fie aufs allerg 
naufte verbunden war; alles hat fie mit ihm gemeinfchaftlich g 
than, und fie weiß oft nicht zu beſtimmen, wie weit ber Anti 
gebe, den er an ihren Handlungen nimmt; er war ein nothwe 
Biges Werkzeug zu ihren edeiften und hoͤchſten Freuden, er w 
das Band, durch welche fie mit ber übrigen Welt verbund 
war. Durch ihn bekam fie alle Einbräßte von den Dingen u 
fie der, durch ihn lernte fie DOrbnung und Schönheit kennen uı 
fieben,, durch ihn konnte fie mit Weſen ihrer Art Gemeinfc« 
haben, durch ihn gelangte das füße Geipräcdy des Freundes ob 
der Freundin in ihr Ohr, nur durch ihn fah fie die Werke d 
Schoͤpfers, und nur fo konnte ber kalte Begriff eines vollkomn 
nen Befend in ihr Leben und Thaͤtigkeit bekommen. Auf d 
andern Seite war er ed wieder, der ihren Willen außrichtete u 
Idee Befehle vollzog ; es war ihr nicht möglich ohne ihn aus fich fell 
hinaus zu gehn und auf andere Weſen zu wirten; ac, w 
ann fie enticheiden, wad ihr ach der Trennung von einem fc 
dien Gefährten noch übrig bleibt, wie Tann fie willen, ob fie d 
ganze Bewußtfein bed vergangenen als ihr Theil davon fr 
gen wirb?_ ie weiß fich Feines Zuſtandes zu befinnen, wo | 
ohne ihn da geweſen ift, und fie kann fi) Beinen Begriff mach 
von einem Leben, wo fie thätig fein und doch feines Dienfl 
entbehren Pönnte, und darum waren denn die Bebanten all 
Boͤlker überhaupt und faſt aller Menfchen insbeſondere von be 
Buftand ihrer Seele nah dem Tode verwirrt und fim 
terlich. Bald wurde fie als ein Spiel böfer Geifter gedad 
weiche fie an ſchrekkliche Orte führten, ohne daß fie ihnen wid: 
ſtreben Tonnte; bald irrte fie unflätig umher und war ſich n 
wenig beifen bewußt, was mit Ihr vorgegangen war; ba 
war alles um fie ber dunkel und öde, und fie vermochte mic 


83 


ke Erkenntniß irgend eines Gegenſtandes um fie her zu befom- 
un; bad wanderte fie, immer ihr Bebürfnig fühlend und nie 
us es recht befriedigend, aus einem Störper, der ihr fremd war, 
zemen andern, ber ihr eben fo wenig angehörte, und eben ber 
job, den fie ſchon einmal ald das größte Uehel erfahren hatte, 
ur ihr beſtaͤndiges Loos. 

Afo wähnten alle Voͤlker ber Erde, welde ſich bi zum 
zedanken der Ewigkeit erheben Ponnten, und führten eben des⸗ 
nen ein ungluͤkkliches Leben; fo war felbit das Wolf in tiefen 
hathuͤmern begraben, welches fidy doch einer nähern Offenbarung 
zeties zur ruͤhmen wußte; und irgend eine von biefen traurigen 
entenreiben würde auch unſer Theil fein ohne ben befs 
em Unterricht, den wir nur der Auferflehung Chriſti zu danken 
hen. Auch wir wuͤrden mitten unter den beflen Freuben uns 
gettlih fein, fobald etwas um und her .auch nur ben cntferntes 
fen Geanten des Todes rege machte; auch wir würden bei dem 
Grabe unferer lieben, von unmäßigem Schmerz befiegt, unfer Bes 
kn betreuen; auch wir würden und mit ber größten Gewalt 
2 da lezten Augenblikken unferd Lebens von biefer Welt los⸗ 
“en men und nur mit Zittern auf bem ſchmalen Steig des 
Ütd den Mebergang in bie unbelannte Drbnung ber Dinge 
Ba, — und was ift wol ungluͤkklicher als ein Menfch, ber 
a Tod fürchtet, welchen ihm doch die ganze Natur unaufhör 
6 darfellt, und vor einem Schritt zittert, welcher ihm im fe 
M Augenblikk feines Lebens nahe tft? 

Dar wird vielleicht einwenden, daß biefe allerdings dem 
Imihen ungluͤktlich machende Furt vor dem Tode doch 
Mt ine noth wendige und natürliche Eigenfchaft des gans 
a menſchlichen Gelchlechts fein müfle, indem es doch auch in 
ım Zeiten, wo ber Troft aus der Auferftehung Chriſti ven Men⸗ 
%m noch nicht erfreuen konnte, Männer gegeben, welche nach 
= len Beben einen fchönen Tod nicht nur mit der größten 
Maflenheit erwartet, ſondern ihn auch wol mehr gewünfcht als 

52 


> 


84 


vermieben haben, und eine noch weit größere Anzahl ſolcher, wehl 
den Tod verachtet und mit ber kuͤhnſten Entichloffenheit auf 
fuht haben, ohne auch nur eine vorübergehende Spur w 
Furcht oder Schrekken blikken zu laſſen. Allein m. th, lapt w 
auf der einen Seite bedenten, v6 wir wol zu der Zahl bei 
nigen gehören wollten, denen der Tod willkommen iſt, weil | 
gleichgültig gegen bad Leben find; weil fie mit eimer zaghaft 
Seele dem Ungluͤkk entflichen möchten, dad fie verfolgt; weil: 
fi nicht darauf verſtehn dad Leben zu brauchen; weil ihr H— 
verflimmt iſt, und eine eitle Leibenfchaft die Stimme der Nail 
in ihnen zum Schweigen. bringt, oder weil eine gänzlide ( 
fühllofigkeit fie unfähig macht die bevorftchende Entbehrung | 
les deilen was fie liebten gehörig zu empfinden. Auf der andı 
Seite hat ed wol feine Richtigkeit, dag und bie Gefchichte v 
einigen wenigen Männern erzählt, welche nad) einen weiſen u 
ehrwuͤrdigen Leben dem Tode unerfchroften entgegen gefehn; al 
wer weiß, was für innere Kämpfe vorher gehn mußten, und 
fie diefelben befländig zu erneuern gendthigt waren; wer we 
wie viel von ihren eigenen Kräften fie aufgerieben haben, r 
viel großen Dandlungen fie deswegen entjagen mußten; und we 
yoir zugeben muͤſſen, dag wenige außerordentliche Menſchen ni 
ber rechte Maaßſtab des menfchlichen Gefchlechtd fein koͤnnen: 
müflen wir noch dazu befennen, dab aud um dieſe Maͤn 
bie Auferſtehung Ghrifti das größte Verdienſt gehabt Haben wuͤn 
wenn fie ihnen diefen innern Streit geipart und alle biefe t 
geblich verbrauchten Kräfte gelaflen hätte, und daß eine Empi 
dung deswegen nicht aufhört natürlich zu fein, weil fie du 
eine außerordentliche Anftrengung ber Seele einigermaßen 5 
Schweigen gebracht werben kann. Denn laßt und das B 
aufichlagen, welches und die Menichenfeelen mit der größten | 
nauigkeit fo zeichnet, wie fie find; laßt ums die Bibel frag 
was für Gefinnungen finden wir ba, nicht bei dem großen Hau! 
den fie und ſchildert, ſondern bei den Männern, welche amı ı 





85 


ka nad) dem Herzen Gottes waren? Wir fehen einen Mofes, 
w ſeinem Bold Feine größere Belohnung zuzufagn weiß, als 
a fie lange leben werden auf Erden, und der Tod fie erſt 
nt ereilen wird; eimen Hiob, der bei allem unnennbaren Elend, 
ihn betroffen, dennoch ausruft, Ich aber lobe das Leben, 
xt es gut if, denn wenn der Menſch einmal dahin if, fo Fehrt 
taiht wieder, und im Reich des Schattend iſt gar feine Freude: 
irihn; einen David, der es faft nicht glauben kam, bag auch 
* Heligen Gottes die Werwefung fehen müflen, und ber oft 
%ett mit dem größten Ausdrukk der Sehnſucht bittet, ihn boch 
a lien im Lande der lebendigen, wo man Gott lobt, denn. im 
ande des Todes fei alles öde fir die menfchlihe Seele, und fie 
ne Dafelbft ihres Schöpfers nicht gedenken; einen Hiskias, 
mt dem innigften Dan? eine Werlängerung feines Lebens 
“ds größte mögliche Gnadengeſchenk Gottes betrachtet; ja 
noc miht, wie fehen einen Petrus, ber fi vermag mit Ehrifle 
in da Led zu gehn und ſchwach genug war, ihn aus Furcht 
5 Tedes zu verläugnen: aber welcher Unterfchieb, wenn’ wir 
kiſen nämlichen Petrus fehen in fpäterer Zeit, wo er Chriſtum 
ar) und ein Zeuge feiner Auferftehung war, wie beherzt er 
ulm Gefahren entgegen ging, und wie flandhaft er einen Tod 
rchete, den. feine Pflicht ihm unvermeidlich machte; welcher 
herihied, wenn wir Chriſten von ganz gemeinen Seelenkraͤften 
den, die es hierin den größten Weifen bed Alterthumd zuvor: 
kim! Ach, es war die Auferſtehung Chriſti, die fie mit 
türle gegen bie Furcht des Todes bewaffnete. 


u, 


Die Auferſtehung Chriſti ift unabhängig von allem andern 
itt nur bie ficherfte Beflätigung alles deſſen, was er und wäh: 
"= feines Lebens von unferm kuͤnftigen Zuftand gefagt bat, 
Vem fe iſt auch ein herrliches Bild des Zuſtandes, der unfer 
Abe beſſern Beben wartet. Chriſtus iſt nicht nur zu unſerm 


86 


beften auferflanden, ſondern auch ald ber Erflling berer, bie ihr 
nachfolgen, als bad Vorbild feiner wahren Freunde. Er il 
nad feinem eignen Ausbruft nur hingegangeh uns eine Bol 
nung bei ber feinigen zu bereiten, und er will, baß in ber Ewig 
keit feine Diener ba fein follen, wo er if. Was bie Vernun 
zwar hoffen aber nicht wiſſen konnte, dad hatte er geſag 
und nach feines glorreichen Erweklung fand kein Zweifel mel 
darüber ftatt. | 
Der, dem bie Tugend bier Mühe gefoftet hat, darf nid 
fürchten, daß dieſe Mühe ganz vergebens fei, daß ex bort in at 
bere traurige Verhaͤltniſſe kommen werbe, wo er vielleicht j 
fo oft unterliegt als er bier gefiegt hat, wo in feiner Seele 
volllommenheiten entfliehen, von benen fie hier frei war. Nei 
m. th., Chriſtus hat e8 und ausdruͤkklich gefagt, dad Werbältnil 
in welches bort ein jeder gegen bie Vollkommenheit kommt, hang 
von den Fortfchritten ab, welche er bier ſchon darin gemacht hal 
bier iſt der Plaz zu kämpfen,’ dort giebt ed eine Ewigkeit, wo ma 
ſich des fchönften Sieges erfreuen kann; und fo wie Gott Ehril 
bafür, daß er fich felbft erniedrigte, daß er feine Befehle pünktli 
vollzog und alle Verſuchung aus feiner beflimmten Baufbeh 
berauözugehn befiegte, nun einen Namen gegeben hat, der üb 
ale Namen ift, fo wie er ihn nun zu feiner Rechten fizen un 
an feiner himmlifchen Herrlichkeit heil nehmen läßt: alfo we 
ben auch wir einft nach unferm Maag uͤberſchwenglich eh 
werben, und Dad fchnelle Steigen in ber Vollkommenheit, we 
ches unfere Seele nicht faffen mag, wirb wirklich unſer Ihe 
fein. Chriftus war nad) feiner Auferfiehung über alle die Br! 
fuchungen erhaben, die ihm in diefem Leben befländig zufezten, un 
bie, welche ihm nachfolgen, werben dort nicht mehr nöthig habı 
zu beten, was ihnen hier immer am Herzen lag, Herz laß mid | 
diefe Verſuchung nicht fallen! Wir fehn Chriſtum in biefe 
ginrreichen Zuſtande über alle feine Feinde leicht triumphiren, ur 
biefer Triumph erpartet auch und. So ift durch den trofivelli 








87 

Bälle der Auferſtehung Jeſu Die Ruhe des guten Mens 
ben in Abficht auf ben vornehmſten Punkt gefichert. 

bhriſtus hat nach feiner Auferfiehung noch die nämlichen 
Impfindungen, welche in feinem irdifchen Leben feine fhöne 
le zierten, er freute fich noch eben fo innig über alles gute, 
ns er erbliffte, er nahm noch eben ben zärtlichen Antheil, ex 
te Diejenigen noch immer, bie ihm bamald theuer waren, ex 
ste noch immer und zwar mit erhöhter Kraft auf ihre Sees 
a, md er kann ihnen die tröflliche Verſicherung geben, Ich 
nd cuch bis an der Welt Ende. Ach m. th. was giebt und 
& für eine herrliche Ausficht in das Leben jenfeit des Grabes! 
Ban und ber Tod von all den Freuden abzuſchneiden fcheint, 
ie und die Tugend felbfi gewährte; wenn er und bie Gele 
beten zu benehmen ſcheint durch die Uebung und dad Ans 
Sana derſelhen gluͤkklich zu fein: fo ſchrekkt uns dad nun nicht 
ver, kan wir wiſſen, daß es ein bloßer Schein if, und mir - 
ame at Recht edlern Freuden entgegenfchen, weiche die Unvols 
anahet diefer Belt und nicht ſchmekken lieg. Wenn wir in 
igen then fo gluͤkklich find gute Menfchen zu lieben und von 
ka wieder geliebt zu werden, wechielfeitig jie zum guten zu 
mu und vom ihnen bazu erwekkt zu werben: jo droht uns 
ih der Ted eine bittre, ach dem Anfchein nach King ewige 
bamung, aber Furcht iſt beöwegen boch fern von und. Das 
kin zu lieben, bie Fähigkeit zu allen ben fchönen und vor. 
hihen Empfindungen des vernünftigen und gefelligen Weſens 
Kitt uns auch in jene Melt, wie ed Chriſto auch jenfeit feines 
3 noch anhing; ja, es wirb noch erhöht werben, tauſend 
Aifrinfungen deffelben, welche in unferm irdiſchen Zufland ges 
Akt waren, werben aufhören; und fo wie Chriſtus jet noch 
rigt ſih den Seelen feiner Juͤnger mittheilen konnte, fo wie 
ta nicht mehr durch die Entfernung des Raumes und ber. 
M wigehalten wurde, fo werben auch wir freier genießen und 
“in Bunen; und wenn wir auch bie herzliche MWerkeißung. 


88 


Chrifti am feine Zünger, Ich bin bei euch bis an dad End 
der Welt, nicht ganz auf uns anwenden Tonnen, wenn wi 
auch unferen zurüßfgelaffenen Freunden bei dem lezten Drukk bi 
Hand nicht daB Verſprechen geben koͤnnen mit unferm Geift ur 
fte zu ſchweben, fo koͤmen wir uns boch nun, da wir eine 
Einfiht in den Plan Gottes mit ber Ewigkeit haben, ob 
Schrwärmerei füße Hoffnung bed künftigen Wieberſehns erlaube 
Reigen und biefe Hoffnungen hin, fo laßt fie doch ar 
vornehmfte -Teln, wodurch wir unfere Seele einnehmen laffen, ı 
glebt noch heiligere Empfindungen, nach deren Fortdauer ſich bi 
Menſch fehnen muß. Was iſt Freundſchaft, was iſt — i 
glaube nicht, daß ich zu vlel ſage, was iſt das warme Gefũ 
für die Tugend ſelbſt vhne das höhere Vermögen Gott zu e 
kennen und feine Votlkommenheit zu verchren? D 
frommen Männer des Altertyums fürkhteten von biefer Erkenn 
niß geſchleden zu werden, und das machte ihnen den Tod bitter 
als alles, und aber Laßt auf Jeſum den auferftandenen fehen, | 
werben und ftatt beifen die fchönften Erwartungen aufblüen; 
iſt aufgeftiegen zu felnem Water und zu unferm Water, und | 
wii, daß wir auch da fein follen wo er iſt; er wird, wie un 
Yauins In den Worten, welche vor unferm Tett vorhergehn, ve 
ſichert, Aber das Reich bereichen, welches er fich geftiftet hat; | 
wird, wie jener Prophet ded alten Bundes fid) ausbrüfft, | 
wird feiner ben andern fragen, Erfenneft du ben Herm? fonde 
fle werben alle von Gott gelehret fein; da kann es und nicht 
einer noch hoͤhern und vortrefflichern Erkenntniß und Gemei 
haft mit Gott fehlen, als diejenige iſt, deren wie hier faͤh 
find; und wer alle bie ſchoͤnen Verheißungen, welche der auferſta 
bene in diefer Mäfkficht feinen Juͤngern gab, vor feiner Sri 
voruͤber gehn laͤßt, von dem muß jene leere Furcht bis auf! 
late Spur entweichen, 
* & natürlich dem Menſchen, welchem es fchwer wirb ſel 
Geele auch nur in Gedanken von dem Koͤrper zu trennen, 











89 

nahirfich es diefem iſt, fie fih nach biefer Trennung ald ein 
uthätiges Weſen zu benfen, das unftät herumirrt und zu fuchen 
Kent was fie verloren bat! fo nichtig erfcheint und auch Diefe 
must Vorſtellung. Chriſtus hatte fehon während ſeines Lebens 
af Erden einen hohen und edlen Wirkungskreis; aber wie vers: 
Mhmindet er, wenn er mit dem verglichen wird, in welchen ex 
uch ferner Auferftehung vwerfegt wurde, Mie tief feheint derje⸗ 
nat, der elend auf Erben lebte, dem Heil der fterblichen biente 
ed in feinem Beſtreben gutes zu wirken fo oft von ber 2308 
kit der Menfchen verhindert wurde, unter dem zu fein, der zur 
hedten Gottes uͤber alle Himmel erhaben feine erläften be 
keit? Wir, die wir zu der Zahl berfelben gehören, bürfen 
ws zwar dem göttlichen nicht gleich machen, aber und doch mit 
Im vergleichen, denn wir haben die Verheißung von ihm, Wenn 
id ithöht werbe von ber Erde, will id fie alle nad 
mitziehn*), und wenn aud) bei uns die Nacht des Grabes laͤn⸗ 
ge nähen follte als bei dem Sohn Gottes, der die Verweſung 
ft john durfte, o fo iſt wol der erhöhte Bufland, der auch und 
mirtet, dee Mühe werth, mit Geduld fid den Fuͤgungen Gots 
"u überlaffen, bis der lezte Zeind unferer Ruhe und Gluͤkk 
"heit gänzlich aufgehoben fei, 

Der Tod trennt und, das ift wahr, von einen Werkzeug, 
‘8 unferm Gelſt bisher nothwendig war; es ift fogar natürlich, 
th fih der Menfch über bie Zukunft plagt, weiß er nicht fieht, 
re der Amaͤchtige nun für Mittel haben koͤnne ihn thätig zu 
Raben, wenn dieſer Körper ein Raͤub der Verweſung geworben 
N; aber auch das ſoll und ben Tod nicht fürchten machen. Laßt 
= auſſehn auf Jeſum den auferftandenen, diefer Anblikk laͤßt 
25 über dad Beduͤrfniß unſeres Körperd trlumphiren; er war 
Et ein Geiſt, der nicht Fleiſch und Wein hat, wie der zwei: 
“ae Thomas meinte, er ſtand da in dem Glanz eines ver: 


— — 


, 36. 19, 2. 


” 


Flärten Körpers! Und war biefer Körper ihm fremd? aı 
genblifttich war feine Seele mit bemfelben vertraut, unb er w 
feiner vorigen Geſtalt fo ähnlich, baß Feiner feiner Freunde ih 
leicht verfannte. So werden aud wir einft daflehn, Zheilhab: 
feined Triumphs; auch unferer Seele wirb ed nicht an eina 
Werkzeuge fehlen, das fie eben fo leicht handhaben koͤnnte al 
Diele Zufammenfegung von Erde. Der menfchliche Geift wird i 
ein verweöliched Kom geſaͤet, in eine Hülle von Erde wird ı 
auf diefe Welt geworfen, um im Schatten derfelben fern vo 
dem Licht der Unfterblichkeit zu Eeimen, die Hülle erflirbt untı 
ben erſten Bemühungen ber Seele; aber wenn biefe bie Erd 
durchbricht und an den Tag der Ewigkeit fommt, bann hat ji 
Werkzeuge, die der beffern Schöpfung werth find, worin fie nu 
prangen fol. 

Aber fchrefft uns ein neuer Gedanke des Todes? wirb die 
fer neue Körper nicht ebenfalls der Zerflörung unterworfen fein 
ach, und wie oft wird benn bie unglüfflihe Seele von ihre 
Wohnung getrennt, wie oft muß fie den Freund verlaffen, ba 
fie fich eben erſt gebildet hat? Mit nichten, auch das wiberleg 
ums die Auferfiefung Jeſu. Der Körper, den feine Jünger aı 
ihm fahen, war keiner Zerftörung fähig, denn ed war eben ber 
womit er zur Rechten Gottes hinaufflieg, und wenn wir Beben 
fen tragen follten das auf und anzuwenden, fo verjichert um 
Paulus ausbrüflih, daß ber Iezte Zeind des Menſchen, be 
Tod, nicht nur befiegt werbe, fo daß er und zwar nicht infei 
ner Gewalt behalte, aber doch feinen Anfall immer erneuen 
ine -. .... *) (fondern daß ex aufgehoben werde) 


Zuſaz des Herausgeb. 
(Schtuß fehlt.) 








vH. 


Rs für Gefühle dem Menſchen zu feiner 
criſtlichen Befferung am förderlichften find. 


‚ueber Phil. 2, 1% 


J. 3. Die menſchliche Seele iſt fo beſchaffen, daß ſie 
hegen ihres Verhaltens ausdenken und einſehen Tann, daß aber 
tn die deutlichſte Vorſtellung derſelben gewöhnlich weit 
daiger auf ihre Handlungen wirkt ald die Empfindungen, 
ek einen weit ſtaͤrkeren Eindrukk zu machen pflegen: und 
uh dieſem Geſez richten fich auch die Menichen in den meiſten 
Mm; auf die Weiſe ſucht jeder bei ſich ſelbſt und bei andern 
ir Denkungsart hervorzubringen, welche ihm die beſte zu ſein 
ent; wenn wir und ſelbſt mit Sorgfalt und Sicherheit auf 
m Vege ber Tugend führen wollen, fo müffen wir machen, daß 
M fürs gute empfinden; wenn es für und andere theure Ger» 
2 giebt, deren Wohl und am Kerzen liegt, die wir fo gern als. 
a Menfchen und Ehriften ohne Anſtoß wandeln fähen, die wir 
m ber ganzen Welt als der herrlichen Religion Jeſu wuͤrdig 
= gemäß darſtellten, o fo ift dad das wenigfe, daß wir ihnen 
” Vie vorzaͤhlen und fie immer an die Gebote ber Dies 


92 


ligion erinnern, wir müffen und vielmehe bemuͤhen ihr Herz 
den Empfindungen zu flimmen, welche bie Krajtlofigkeit Tal 
Vorfchriften in allen Stuͤkken zu unterſtuͤzen fähig find. X 
die Sache ift ſchwer; nicht jeder gute Gedanke, der wol « 
mal unfere Seele erhebt oder. eine gute Handlung hervorbrin 
giebt deswegen eine ſolche Empfindung, welche wir zu diefem E 
zwekk fuchen; ed muß eine Empfindung fein, die gar nicht ı 
und weicht, bie mit allen unfern Pflichten genau zufammenhan 
und wie ſchwer wird es fein, dad bei uns felbft, wie noch ı 
fhmwerer, ed für andere zu beſtimmen, — und daher hat man al 
oft einen fehr falfchen Weg dabei betreten. 

Auf der einen Seite fucht man die Menfchen oft durch e 
aͤngſtliche Furcht auf dem Wege ihrer Pflichten zu erhalte 
man hört nicht auf ihnen den Zorn Gottes gegen die Sin 
und die ſchrekkliche Strafe, welche der gerechte Richter berei 
über fie verhängen werde, mit den lebhafteften Karben zu ſchilder 
man macht den betäubenden Schrekken vor derStrafgeregti 
teit Gottes zu dem Hauptpunkt, von welchem ber Abfeyen i 
Menſchen vor dem böfen auögehn möüffe Allein, wenn bie 
Gedanke Gewohnheit wird, wenn man ihn oft hört und ai 
wirklich dabei die Abficht hat ihn der Seele reiht tief einzupi 
gens fo verliert er dennoch immer mehr von dem flarken Ei 
drukk, den er urfprünglich zu machen fcheint, und auch diejenige 
bie ee am meiften ſchrekken folfte, lernen bald davon mit ein 
Gleichguͤttigkeit reden, mit der man gegen alle alltäglichen Din 
erfüllt wird. Wenn aber auch dieſe Vorſtellung ihre erſte Stät 
behalten Könnte, fo ift doch gewiß das boͤſe, wovon uns bie Fur 
abhäit, und dad gute, was und ber Schrekk abbringt, Peiner wa 
son Beſſerung und einer Liebe zu unfern Pflichten zuzuſchreibe 

. Auf. der andern Seite hat man die übeln Folgen dieſes Ve 
fahrens eingefehn und geglaubt, daß es ber Schrift gemäßer ſi 
Diejenigen, welche fie felbft Kinder Gottes nennt, immer auf d 
Liebe ihres gnädigen Waters hinzuwriſen; man wollte! 





08 


kmühen ihren bie Gnade und Verſoͤhnlichkeit Gottes llebzuge⸗ 
imen und fich durch biefe bem Herzen fo wehltbuenden Gedan⸗ 
r zu allem, wa demſelben am gemäßeften ift, bewegen zu lafs 
1, aber dad iſt der Menſch noch mehr mißzuverfiehn und zu 
Krauden geneigt, e3 gehört fchon eine entichiedene Liebe zum 
km und. ein feined Gefühl dazu, um baburch zu einer anbals 
wen Vebung der Tugend getrieben zu werben, und gerade Dies 
Ben, deren Leichtjinn oder Unachtſamkeit fie am guten hindert, 
reden nichts dadurch gewinnen; immer geneigt ihre Fehler zu 
whuldigen, werben fie darin noch mehr beftärft burch ben Ges 
naln an einen (Bott, deffen Natur es ſchon fo mit fich bringe, 
we fie mit unerfchöpflidher Geduld immerfort ertrage und 
u mendlicher Langmuth ihre Fehler überfehe, und fo ift jeder: 
we, als der gute, immer geichikkt, dieſen Betrachtungen eine 
ir Bendung zus geben, daß-er dabei rubig in feinem gewoͤhn⸗ 
ie Yange bleiben Bann, 

Ben alfo beides, fowol der Gedanke an die vergeltende 
barhtigkeit als an die Iangmüthige Liebe Gottes, zwar von 
win Semütgern auf eine herrliche des Chriſtenthums wuͤrdige 
U beugt werben kann, aber doch eigentlich fire fich nicht die 
Eepindungen enthält, welche jeden Ghriften bei feinem Beſtreben 
% der Heiligung immer begleiten und ihm immer zur Geite 
Ku müffen, wenn es dennoch für einen jeden, der feine Pflichten 
Mal will und babei einfieht, daß die Erfenntniß berfelben 
lin itre Erfüllung nicht mit ſich bringt, nothwendig iſt, der 
Kia Empfindungen in fich hervorzubringen und zu er 
Wen: wie werben fie benm beichaffen fein und wo werben wir 
2 fühen müffen? Zur Beantwortung diefer wichtigen Trage 
“om wir die gegenwärtige Stunde anzuwenden ſuchen. 


Text. Phil. 2, 12. 


Schaffet dag ihr felig werdet mit Furcht und mit: 
Zittern. 


dea und unfere richtigen Begriffe zu verlieren. Wenn ſich u 
ein neues Feld ber Thaͤtigkeit öffnet, wenn ſich und eine Han 
lung darſtellt, die wir wol zu thun wünfdten, fo greift unſer u 
geſtuͤmer Geift gleich zu, welcher überall ſeine Kraft außen ui 
wirkſam fein will, wie nöthig wird uns da, flatt ihm übere 
nachzugeben, die Furcht fein, die und Paulus anräth, wie nöthi 
daß wir mit weilem Mißtrauen jede Unternehmung prüfen, je 
Handlung erwägen, die wir vorhaben. Wenn nun gar unle 
Sinne durch Bilder des Wergnügend und der Annehmlichk 
gereizt werben, o fo laßt uns nicht auf die allzu raſche Stimm 
hoͤren, weiche und zuruft, Daß da gar feine Gefahr zu befargı 
fi, daß auf biefer anmuthigen Straße alles ficher fei, und w 
getroft unfered Weges ziehen koͤnnen; wer ſich da wicht fürd 
tet, wer nicht jebe Freude bed Lebens von allen Seiten betrad 
tet, ehe er ſich ihr anvertraut, wer nicht auch nach ber beite 
Prüfung alle Waffen des Geiſtes anlegt, um nicht burch eine 
unverfehenen Angriff zu fallen, o, der kommt in ben unglüll 
licher Folgen feiner Beten Verwegenheit um. 

Paulus empfiehlt und ferner, wir follen zittern, und die 
iſt abermald nicht das Zittern, welches eine huͤlfloſe Schwäd 
bei jeder Gelegenheit überfällt, es ift dasjenige, beffen ſich au 
ber feſteſte Mann bisweilen nicht erwehren faun, wenn er fiehl 
was für Folgen eine kleine Bewegung haben Bann, welde € 
nicht ganz in feiner Gewalt bat. . Wenn fich die Furcht auf da 
bezog, was und von außen broht, fo bezieht fich diefe Empfin 
bung auf ba, was gleichfom in unfern eignen Mauern vorgeht 
Wenn wir von außen zu nichts angetrieben werben, fo kann + 
nicht fehlen, unfere Seele muß für fich felbft thätig fein, um 
biefe Thaͤtigkeit zu lenken hängt niemald volllommen von um 
ab. Wenn unſer Verſtand feei ift, fo überläßt er ſich zwelllo 
den Gedanken, die fich ihm barbieten, es iſt ihm nicht ſowol de 
rum zu thun fich etwas neues zu erwerben, als vielmehr Tid 


97” 


üt dem zu befchäftigen, was er fchon hat; da kann man biefen 
ng der Gedanken nicht ganz nach feinen Gefallen lenken, und 
dieſer Stimmung nimmt man gar zu leicht etwas auf, was 
un fonft als Irrthum verwarf, und ed kann verberbliche Kols 
m haben, wenn fi) und einmal ein Irrthum von einer guten 
site zeigt, da verwirrt man fi) in feinen Gedanken über die 
Iahältniffe der Menſchen, und wie leicht wird da nicht ein 
me des Unkrauts gefäet, ber im ftillen keimt und bie fchöne 
sat des Glaubens und bed Gehorfamd in Zweifeln und fals 
ben Grundſaͤzen erſtikkt. Wenn unfere Einbildungskraft von 
im Segenftande zum andern umbherirrt, fo freut man ſich ge. 
wbalih über die lieblichen Bilder, womit fie und unterhält; 
der wer kann fie lenken, daß fie nicht eind oder das andere 
safkelt, verfchönert und ausmalt, was und von unferer wahs 
m Sfimmung abführt und und mit Ideen erfüllt, deren ge 
mie Solge dieſe ift, dag fie und fo manche unfrer Pflichten 
rihwert oder gleichgültig macht? Alles das find folche Bewe⸗ 
gung, die oft unvermerkt und unverbindert in unferer Seele 
techn und doch den größten Einfluß auf unfer Wohl haben. 
Sehe dem, der fich ihnen forglos überläßt! wehe dem, der nicht 
nd der Enmahnung des Apoſtels zittert und das wenigſtens fo 
told mögfich beobachtet und Ienkt, was er niemald ganz in 
ee Gewalt hat! wehe bem, der nicht ganz mit biefer Em» 
Anbung des Mißtrauend erfüllt ſchon im voraus vor feinen 
ndlungen zittert, fondern fich von ihnen überrafchen laͤßt! 

Ber aber fein befled aufrichtig will, der wirb leicht ein« 
kn, daß fich diefe Furcht und dies Zittern nicht nur auf ſolche 
hendiungen brziehen muß, welche gleich als wichtig in die Au⸗ 

MR fallen, ſondern auch auf einen großen Theil von denen, bie 
u merfhlichen Leben ald Kleinigkeiten überfehn werben; 
@n das iſt einmal bie Regierung Gofted mit der Welt und 
a an, dag große Dinge aus Heinen Urfachen entflehn. 

G 


* 


98 


Wie oft geſchieht es, daß ganz kleine unbebeutende Handlunge 
wo wir irgend einen andern Zwekk dem was wir thun ſollt 
vorzogen, und durch unvermuthete Kolgen und durch die Schriti 
welche in folchen Zällen der erfte Schritt unvermeidlich nad) fi 
zieht, in die größte Unruhe unb in bie verwikkeltſten Umſtaͤn 
unfereö Lebens flürzen? So ift die menfchliche- Seele, daß | 
durch Kleinigkeiten am meiflen verführt wird; wenn fich etw 
als groß, ald wichtig, ald bemerkt darflellt, fo nimmt fie w 
ihre Befinnung zufammen und fammelt Stärke ihren Pflicht 
nachzukommen, aber in Kleinigkeiten iſt es ihr gemöhnlich, ei 
Hflicht dem Vergnügen oder der Zrägheit aufzuopfern; ohne | 
bemerken, wie oft das gefchieht, geht am Ende der gute Wil 
und die Kraft ihn burchzufezen verloren, und Wollen und Vo 
bringen wird geihwäht. Ach bie erſten Schritte zum böf 
find immer fo Bein und doch fo enticheibend, darum laßt u 
nichts fr klein achten, was eine Beziehung auf uı 
fere Dfiihten hat. Wenn eine Handlung gethan tft, fo 
nichts :n. 7: in unferer Gewalt, was daraus entfiehn Tann, d 
vum laßt und lieber vorher zittern, ald nachher unter ven Zu 
gen bderfelben erliegen! 

Wollte jemand denden, Paulus rebe hier nur zu neuen Chi 
ften, die noch ungeuͤbt in der moralifchen Denkungsart wäre 
für folche aber, die ſchon lange an ihrer Befferung arbeiten, feii 
diefe Empfindungen nicht mehr nöthig, die koͤnnten ſich fcht 
ohne Furcht und Zittern auf ihre Erfahrung und ihr richtig 
Gefühl verlaſſen: der würde fich felbit betrügen. Won dem Ta, 
an, da ber Chriſt ſich fähig erklaͤrt Pflichten auf fich zu nehm 
und zu erfüllen, tritt er in einen Zuſtand des Kampfs, ber n 
wieder aufhört, eines immer ungleichen und immer neuen Rampj 
wo Erfahrung und Gefühl nicht hinreichen, weil das böfe : 
und ımd außer und in verichiebenen Altern und Umflänben dı 
Lebens auch feine Angriffe in neuen Geſtalten wiederholt. 


99 


ll. 


Benn dies alfo die Empfindungen find, die Paulus in den 
Betten unfered Zerted allen Chriften empfiehlt, fo laßt uns im 
meiten Xheil unferer Betrachtung fehn, ob fie alles das leiſten, 
wi mir eigentlich fuchten. Da bemerken wir erſtlich, daß fie 
ya natürlich aus den erfien Grundfäzen der Religion 
chen Wozu m. th. alle die befondem Veranſtaltungen 
Kits zu unferer Erlöfung und Befferung, wozu bie Berhei- 
mzen feiner befondern ‚Führung und Leitung, um derentwillen 
ie Ciſten Gott mit fo vorzuͤglicher Dankbarkeit lieben und 
Ann, wenn fie nicht eben um beswillen getroffen worden 
2, weil fih in unferer Seele fo vieles der Vollbringung des 
rim entgegenfezt? Seitdem fich die Stärke der Sinnlichkeit in 
e menſchlichen Seele an dem erſten Menfchen, der boch mit dem 
en Gebrauch feiner Vernunft geichaffen war, fo deutlich of: 
kart, daß er den Geboten Gottes untreu warb, ſeitdem pflanzt 
efih von Gefchlecht zu Gefchlecht noch weit mehr auf biejeni- 
a fort, bei denen fie von Kindheit an wächft und genährt wird, 
x nd die zarten Keime ber Vernunft und der Sittlichkeit, 
Kr in unfere Seele gefäet find, Wurzel fchlagen und aufgehn 
men; ſeitdem flimmen fie alle in die Klage des Apofleld mit 
2, Das gute, das ich will, das thue ich nicht, fon- 
ta das böfe, Das ich haffe, das thue ich *); feitbem ift 
5 duch die Sinne verberbte Herz bei allen bereit feine vor 
elen Urtheile zu vollſtrekken, ehe die Vernunft fie beftätigen 
x widerrufen kann. Wer von und alfo jene tröftlichen Wahr 
in der Religion mit Ueberzeugung glaubt, ben müffen auch 
te Gedanken auf diefen bemüthigenden Grund derfelben hinfuͤh⸗ 
% denn das iſt ja der rechte Glaube, der unfere Neberzeugun: 
— — 

I Rn, 7, 10. 19. 
2 











100 


gen mit Gefühl auf unfern eignen Zufland anwendet; wer 
die Nothwendigkeit der Sendung Iefu glaubt, der muß ja fi 
len, daß es nothwendig geweſen fei, in feinem Serzen gleicht: 
ein Gegengewicht anzubringen, ohne welche er immer in | 
Herrſchaft der Sünde hinabgeſunken fein wuͤrde; wer Gott dar 
bar für die Verheißung feined Beiſtandes anbetet, o ber mı 
fih bewußt fein, daß ohne feine befondere Leitung ber Hein 
Umftand einen Zehltritt verurfachen könne, der ihn in endle 
Verirrungen flürzen und feine Befreiung wieder vergeblid m 
chen würde; unb wer bad fühlt, wer im allgemeinen bielen 3 
fand feined Herzens kennt, wie follte der nicht von jenem Mi 
trauen gegen fich felbft durchbrungen fein, wie follte der nie 
immer auf bie lebhaftefte Weiſe beforgt fein, ob nicht alles, m 
er zu thun im Begriff if, eine Frucht diefer Verkehrtheit fein 
Seele fein werde? 

Und daraus folgt denn auch zweitens, daß ed mit ei 
wenig gutem Willen fehr Leicht ift, diefe Empfindungen 
wenn man ihrer eimmal fähig ift, befländig zu unterhal 
ten. Es iſt wahr, fie machen dem Herzen Mühe, fie unter 
halten es in einer befländigen gefpannten Aufmerkſamkeit, die um 
ſchwer zu werben pflegt, und von ber wir und gar zu gerl 
losmachen. Aber dabei fehn wir eben einen der größten Bor 
züge, welche der Chrift vor demjenigen genießt, der das guf 
noch fo aufrichtig liebt, aber ohne der Hülfsmittel, welche bi 
Religion giebt, theilhaftig zu fein. Wenn diefer oft mehr erleuch 
tet als erwärmt ifl, wenn er nur mit feiner Vernunft gegen feit 
Herz und feine Leidenfchaften zu kaͤmpfen hat: fo weiß bei jenen 
die göttliche Religion auch ben beffern Theil feines Herzens zu 
gewinnen und verfchafft ihm eine Menge Gelegenheit, dieſe ſchwe 
ven aber erhabenen Empfindungen zu erneuern. So oft ſich dei 
wahre Ghrift entweder gemeinfchaftlicd mit andern, ober in dei 
einfamen Ergießungen feines Herzens gegen Gott des Wohltha 


101 


ia ber Religion erinnert; fo oft er ben Bund mit feinem eignen 
been erneuert ober ernfilich feine Pflichten uͤberdenkt: o fo muß 
rauch mit diefer heilfamen Furcht aufd neue erfüllt werben; fo 
Ad er davor zittern, daß Schwachheit und Unachtfamteit ihn 
«dem befien Willen uͤbereilen Eönnten. So oft er des Mor: 
ens feinen Wunſch gut zu fein und fich felbft ein Genüge zu 
Shen vor den Thron Gottes bringt, fo wird er auch fürchten, 
a er nicht felbft die Erfüllung deffelben verhindere, fo wird er 
4 Nühe geben in den Tag bineinzufehn, der ihm bevorfteht, 
20 bei fich ſelbſt befchließen, wie er ſich in allem verhalten 
niſe, was ihm wahrfcheinlich bevorfteht. So oft er bed Abends 
dert Dank opfert, fo muß er ja oft finden, bag nur ein Um⸗ 
ind, der nicht von ihm abhing, ihn von einem Fehler befreite, 
n5 oft ein gluͤkklicher Zufammenfluß von Umftänden die gefährs 
iden Folgen einer unrichtigen Handlung zurüßfgehalten oder ge: 
minder habe, und dad muß ja nothwendig bied Mißtrauen fei- 
ter Seele noch tiefer einprägen; kurz jede Empfindung, bie ber 
Religion ihren Urſprung verdankt, jede Stunde, bie ihr geheiligt 
t, führt den wohlmeinenden Liebhaber des guten auf biefen 
Punkt zurüßß; fo-oft er fih im Genuß der Religion mit feinen: 
Deren über fich ſelbſt erhoben hat und gleichfam über biefe 
Hr hinaus entruͤkkt geweien ift, o fo wird er auch zitternd 
“ort fein, bag er fich nicht deffen, was ex da gefühlt hat, was 
! abe wirflich gewefen iſt, wieder unmürdig machen möge, da 
Kid jede Kleinigkeit diefe Angftliche Furcht bei ihm wetten! 

Und wenn dies Mißtrauen fo die Oberhand gewinnt, fo 
un & nicht anderd als zu der Befferung eined jeden wirf: 
ı fin, Es iſt feiner Migdeutung, feinem Mißverſtand unter- 
een, es läßt ſich nicht wie fo manche andere Gefühle, deren 
die Menſchen rühmen ohne dadurch gebeffert zu werden, nach 
0 Abßchten eines jeben und nach ben heimlichen Neigungen 
S Deriens deuteln es if ein fcharfer Wächter, des nicht ab: 


1 


laͤßt, wenn man fich ihn einmal gefezt hat, deſſen Augen f 
fein Theil unferer Denkungsart und unferer Handlungen entzie 
Tann, und ber gerade bie Fleinen unverwahrten Stellen am ı 
naueften betrachtet, - durch welche am erflen ein Feind unfe 
Ruhe fih bei und einfchleichen könnte; ed hat freilich Das he 
Anfehn nicht wie manche andere Empfindung, die geradezu 1 
rauf ausgeht den Menfchen zu großen und erhabenen Har 
lungen zu treiben, aber eben deöwegen iſt es gerade das, w 
am wefentlichften feine wahre Befferung betreiben kam. Z 
Menfch, der durch eine übermäßige Spannung ſich von ei 
Seite zu großen Handlungen erhebt, ohne daß fein Charakter 
diefer Höhe geftimmt ift, und alfo auf ber andern Seite zu eb 
fo großen Fehlern herabſinkt, der kann wol blenden und Bewu 
derung erwekken, aber die wahre ſittliche Vollkommenheit, na 
der der Menſch ſtreben ſoll, wird er niemals erlangen; derjeni 
“aber, der, von dem beſcheidenern Gefühl nur das unreſchte 
vermeiden geleitet, nady und nach Heinen Fehlern auszuw 
chen lernt, bei dem fchärft fich fein Gefühl für das rechte u 
unrechte; bald fcheint ihm auch dad unrecht, was bloß wenic 
groß und edel; Einfiht und Handlung geht bei ihm gleich 
Schritt, denn je mehr er auf Heine Handlungen und Heine U: 
flände Acht giebt, deſto mehr lernt er auch, wie in einzelnen Fi 
fen durch veränderte Umflände Pflichten und Verbindlichkeit 
geändert werben, und dieſes mühfame und gleichförmii 
Steigen und Klimmen, nicht jene fühne Fliegen iftd 
Loos, wad dem Menfchen auf Erden angemeffen ift. 

Wenn endlich dies Gefühl urſpruͤnglich aus der Ueberzeugut 
entfpringt, daß es im Grunde nothwendig fei alte feine Pflic 
ten auf jede Bedingung zu erfüllen, fo vermehrt es auch w 
der die Liebe zu denfelben. Der Menfch, der einen Werth a 
feine Gefchäftigfeit fezt, hängt immer fein Her; an dad, was ih 
Mühe und Fleiß gekoftet hat; wenn ihn nun diefe Empfindut 


103 
u fo mancher Aufopferung um feiner Pflicht willen bewogen 


dat, wenn fie ihm fo manche geraubt hat, was ihm wol ange: 
um geweien wäre: was follte ihm wol theurer fein, woran 
küte er mit mehr Fefligfeit bangen ald an bem, wad er zum 
anzigen Gegenftand feines Nachdenkens, feiner Betrachtung, feiner 
Geſchaͤftigkeit gemacht hat? 

Dad m. Fr. find die fchönen Krüchte von Empfindungen, die 
wir anfänglich gewiß mit einer Art von Widerwillen betrachtet, bie 
aber doch ums allen fo unumgänglich nothwenbig find . . . . 


(Schlußfaz fehlt.) 


RK 


Worin die Pflichten des Chriften in Abſich 
auf die Berichtigung feiner Religions⸗ 
erfenntnifle beftehn. | 


ueber 1 Theſſ. 5 21 


A... Zr. Es ift wol eine fehr nothwenbige und lobenswerth 
Einrichtung, dag junge Chriften, fobald ihr Werftand anfängt z 
reifen, einen Unterricht über die Gründe und ben Zuſammenhan 
aller Lehren der Religion erhalten; aber fo forgfältig und gründ 
lich er auch fein mag, fo reicht er doch nicht hin die Kenntni 
beroorzubringen, welche jedem Chriften nothwenbig ifl. Dur 
die mancherlei Bewegungen und Fortfchritte des menſchlichei 
Geiſtes gefchieht es, dag das Chriftentyum immer mehr von al 
ten Mißbräuchen und Irrthümern gereinigt wirb, und mand) 
Wahrheiten von einer neuen Seite angefehn und beleuchtet wer 
den; aber eben fo ift ed um ber menfchlichen Schwachheit wille 
unvermeidlich, daß nicht auch von Zeit zu Zeit neue Irrthuͤme 
ausgedacht und verbreitet werben, und da alles Gluͤkk, deſſer 
wir durch die Religion in diefem und in jenem Leben theilhaftig 
werden Firmen, nur in ben feflen Entichliegungen, in ben erha 


105 


knen Empfindungen befteht, welche durch Erkenntniß ihrer hei⸗ 
gen Wahrheiten, durch Verwertung fchädlicher Irrthuͤmer in 
anferer Seele hervorgebracht werden: fo ift es ja einem jeden 
Enften, der ein Gefühl für die Erhöhung dieſes Gluͤkks hat, 
ethwendig, neue Wahrheiten unb neue Irrthuͤmer kennen zu 
men, jene mit feinen übrigen SKenntniffen zu vereinigen und 
gegen dieſe fich mit neuen Gründen zu verwahren. Und fo muß 
cite ein Chriſt fich nicht mit feiner erften Erkenntniß begnügen, 
men er muß trachten, daß er fie immer mehr reinige, daß er 
immer mehr darin wachſe und zunehme, er muß erweitertes 
dahdenken über feine göttliche Religion für eine feiner 
zügfen Pflichten halten. 

Aber fo fehr fich dieſe Verbindlichkeit einem jeden aufbringt, 
hfehn ihr doch fo große Schwierigkeiten entgegen, daß die Er: 
ülung derfelben dem größten Theil der Menfchen unmöglich zu 
ken ikeint. Wie viele Menfchen giebt es nicht, denen die Sorge 
für ie Leben, ber mühfame Fleiß, den fie auf ihre Erhaltung 
abe müffen, und bie Erfüllung thätiger Pflichten alle Zeit 
8 Erdenlebens hinwegnimmt; wie viele andere giebt ed nicht, 
a denen es fcheint, daß ihr Verſtand für alle ſolche Unterfu> 
sungen, wenn ed ihnen auch an Muße dazu nicht fehlen follte, 
zu eingefchräntt fei, daß fie dadurch nur in ärgere Verwir⸗ 
augen und Irrthuͤmer gerathen würden, und welche weit fiche 
2 zu gehen fcheinen, wenn fie entweber einfältig bei dem blie⸗ 
ka, wa3 fie von Kindheit am gelehrt worben, ober fich der Leis 
Ig anderer überliegen. 

Bei allen diefen Gründen aber fühlen wir dennoch bad Be: 
tußtiein biefer allgemeinen Verbindlichkeit in und nicht entkräfs 
& wir fühlen es zu tief, daß jeder Menſch, der durch Erkennt: 
her Wahrheit gluͤkklich fein kann und will, auch mancherlei 
Yühten eben in Ruͤkkſicht auf diefe Wahrheit habe, und baß er 
tin eben dem Grabe muͤſſe erfüllen koͤnnen, in welchem er je 
$Glüfles fähig if. Wo wir einen folchen Streit finden zwi⸗ 


106 


fyen dem was wir follen und bem was wir fönnen, ti 
muß nothwendig ein Mißverfiand über das eine ober über d 
andere zum Grunde liegen, und fo muͤſſen wir auch bier bie 
Streit zwifchen unfern Berbindlichkeiten und unferer eingefchrän 
ten ange in ber Welt dadurch zu ſchlichten fucher, bag wir ur 
jene Pflichten recht: deutlich machen und fie recht genan beflimme 


zert. 1 bel. 5, 21. 
Prüfet alle und das gute hehaltet. 


Diefe Worte finden wir unter einigen andern wichtigen E 
mahnungen, welche Paulus einer ihm fehr theuern Gemeine ai 
Schluß feines Briefed ertheilt. Schon in jenen erften Zeiten d 
Chriſtenthums gab es vielerlei Meinungen über. dad, was in A 
ficht auf manche Lehren ber Religion wahr oder falſch fä;t 
Maren auch wol in Xheffalonich viele Chriften, welde b 
Pflicht überhoben zu fein glaubten, das weitläuftig zu unter 
chen, und diefen vornaͤmlich gelten die Worte des Apofteld, won 
er ihnen jene Pflichten in Abſicht ihrer Erkenntniß auf ei 
fehr kurze aber fehr beflimmte Weife zu Gemüthe führt. 2 
uns nach Anleitung berfelben fehn, worin dieſe Pflichte 
des Chriften in Abfiht auf die Berichtigung feine 
Religionderkenntniffe beſtehn. An unferm Tert finde 
wir erſtlich bie Verbindlichkeit zu einer emfigen und u! 
parteiifhen Unterfuhung der Wahrheit (wir fol 
alles prüfen), und zweitens zu einem willigen Gehorle 
gegen biefelbe (wir folen das gute behalten), und bie la 
uns in gegenwaͤrtiger Stunde kuͤrzlich erwaͤgen. 

Der Herr, deſſen Wort Wahrheit iſt, leite uns auch hieb 
in alle Wahrheit! Amen. | 





Henn der Apoflel fagt, Prüfer alles, fo iſt das mit ! 
dem ausgedehnten Verſtande zu nehmen, worin ſich der Yusbrul 


107 


auf den erfien Anbiitt darſtellt. Gr ſchrieh an eine beſondere 
Gemeine von Chriften und verfieht unter biefem alles natuͤrli⸗ 
cherweiſe auch nur bad, wad ihr alles way, nur die Wahrheiten 
oder Meinungen, Bebenklichkeiten oder Zweifel, welche ihr bes 
kannt wurden, und woran fie ein Intereſſe nehmen konnte ober 
nehmen mußte, und nur auf diefe Weife koͤnnen auch wir feine 
Vorſchrift auf umd anwenden. Dad ganze Gebäude der chriftli: 
hen Lehre iſt zu einem folchen Umfang gebiehen, daß es jezt 
aur für wenige Menfchen möglich ifl, mit demfelben und allem 
was innerhalb deſſelben vorgeht fo ganz bekannt zu fein; follte 
aber deswegen bie weit größere Anzahl der übrigen ihre Erkennt: 
niß allein von biefen wenigen hernehmen? Jeder Menſch und 
noch mehr jeber Chrift muß fühlen, daß eine geringe Anzahl von 
Bahrheiten, die man ſich felbft erworben, weit glüfklicher 
mat und weit mehr Einfluß auf Gefinnung und Handlung 
bat, als eine weit größere Anzahl von folchen, welche nur er: 
lernt worden finds; jeder hat in Abficht auf Erkenntniß feine 
Fähigkeiten und feine Bebürfniffe, und fein alles iſt ber ganze 
Umkreis deflen, was er prüfen muß, und was er prüfen ann. 
Nach dieſer Regel ift ed eine unnachlagliche Pflicht für einen jeben 
von und, nad) der möglichften Sewißheit und Richtigkeit in allen 
ten flreitigen Wahrheiten zu fireben, von denen wir fehn, daß 
ide Art fie zu enticheiden unferer Art zu handeln und zu em» 
finden eine andere Richtung geben und alfo auf unfere Zus 
gend und Glüfkfeligkeit irgend einen merklichen Ein: 
fluß haben könnte; ba if e& nicht möglich aus Traͤgheit ober 
Nachlaͤffigkeit bei dem fich zu beruhigen, was man in der Kind: 
beit gehört hat; dba fühlt fich jeder Tugendliebende fchon von 
ſelbſt gedrungen alles mögliche zu thun, alle Kräfte anzuwenden, 
um recht auf den Grund ber Wahrheit zu kommen und des rich: 
tigen beſſeren Weges nicht zu verfehlen. 

Aber ſolche Kehren von anffallender Wichtigkeit find es nicht 
dein, weiche wir uuterfuchen müffen; das iſt unfere Pflicht bei 


108 


be Mie'Rteligion, welche um uns her meh 

erfchend find. Es giebt wol wenige Gi 

einem Heinen Umkreis mebrere Geſellſcha 

einzelne Menſchen vorhanden fein follta 
welche über ‚irgend einen Theil der Religion ihre eigene Me 
nung haben und fie audy andern annehmlich zu machen fuche 
und da ift es bie Pflicht jedes vernünftigen Chriften zu höre 
und zu prüfen, was fie fagen. Wenn derjenige und eine Prol 
feines Wohlmeinens giebt, der fich gebrungen fühlt und bad vo 
zulegen, was er ald Wahrheit erfannt hat, ber uns gleichfam eis 
ladet den Schaz mit zu geniegen, den er gefunden zu habe 
gleubt: o fo wäre es ſtolz und lieblos, ihn veraͤchtlich od 
gleichguͤltig zu uͤberhoͤren, vielmehr muͤſſen wir Acht haben, o 
das, woruͤber er anderes Sinnes iſt, zu unſerer Beſſerung un 
Ruhe beitragen koͤnne, und in dieſem Fall muß es fo gut al 
nur möglich unterfucht werben. So haben alfo biefe Pflihte 
für einen jeden feinen größern Umfang, als ben feine Werhäll 
niſſe mit fich bringen, fie dehnen fich bei jedem nur fo we 
aus, ald bie Sorge für feine eigene Befferung und bie erfe 
Hflihten für feinen nächften es erheifchen, und es fragt ſich mu 
noch, wie wir bei benfelben zu Werke gehn müffen? 

Es find und dazu zwei Mittel angewieſen, die ein jedi 
Chriſt in feiner Gewalt hat, Vernunft und Schrift. 

Laß fein, daß ſich die menſchliche Wernunft oft verirrt ha 
daß fie oft bei dem reinften Beftreben nad) Wahrheit auf nicht 
als Irrthümer geflogen if, ed fchadet und nichts; laß fein, ba 
es biöweilen ſchwer ift fi aus den Labyrinthen herauszufinder 
in welche fie und verwilfelt, es ſchadet und nichts; denn Gol 
fei Dank! es ift nicht diefe erfünftelte nur wenigen Meı 
fen erreichbare Vernunft, welche wir bei Ueberlegunge 
über bie erhabenen Angelegenheiten ber Religion und ber Croig 
Zeit gebrauchen, es ift nur ber gerade unverfälfchte Sin: 
bie leichte Entſcheidung befien, was mit ganz erfannten Wah 


109 


kiten übereinftimmt oder ihnen wiberfpricht, und dieſer Sim 
ö tief in die Seele eined jeden Menfchen gelegt, er kann nur 
uch Zrägheit verloren gehen, nur durch Muthwillen verdors 
kn werden. | 

Noch weit mehr aber ziemt es einem jeben Chriften, wo et 
so, was feine heilige Religion angeht oder feinem bisherigen 
sauber zuwider if, ihm ber Unterfuchung werth fcheint, zu 
frihen in ber Schrift, ob ſichs auch alfo verhält. Dieje⸗ 
ugen, welche und neue oder befondere Wahrheiten der Religion 
etundigen, ermangeln nicht fie mit Auöfprüchen jenes heiligen 
Bazniffes von Gott zu beflätigen, aber wie oft werben nicht 
Borte der Schrift gemißbraucht und mißverftanden! Wohl alfo 
dem, der das Buch ber Religion immer mit ehrfurchtöooller Aufs 
aetiomkeit betxachtet hat, es wird ihm nicht fchwer fein bie 
buthedungen beffelben zu faflen! Wohl dem, der mit dem 
GA ir Schrift angethan den Werth und den Sinn der Aus—⸗ 


hrüche jener heiligen Männer verficht! Weber Unglaube noch 


Chmirmerei, weder Spott noch Verführung werben ihn irre 
ziben. Ach, ſuche in der Schrift wer nach Wahrheit begierig 
a, fie ift e8, die von ber Lehre Jeſu und von dem Willen Got 
zur Seligkeit -Zeugniß giebt! 

Aber leider auch in dieſem wichtigften unter allen Geſchaͤf⸗ 
m des Menfchen, in dem Suchen nad Wahrheit und Licht, 
ter nicht auf fich felbft bald wiſſend balb- unmwiffenb zu 
iufhen. Woher follte es fonft kommen, daß fo viele, die 
ti zu prüfen fcheinen, was fie für wahr halten follen, den⸗ 
"6 in den Irrthum hingeriffen werben? Aber der Menſch geht 
hen unparteiiſch zu Werke, man nimmt im voraus feine Partie, 
M das, was man hernach Prüfung nennt, ift nur ein . Mittel 
% Verfahren vor ſich felbft zu rechtfertigen, ein Beſtreben 
"ande für dad, was man angenommen, gegen bad, was man 
worfen hat, aufzufinden. Die Menfchen gleichen jenem Nas 
Wu in der Schrift, aber nur in dem erfien, nicht in bem 


«r 


190 
® 


beffeen Theil fäined Setragens; fie fagen wie er, Was kanı 
aus Nazareth gutes Fommen, aber fie finb nicht fo folg 
fan wie er, wenn man ihnen zuruft, Somm und fiche ”) 
Daher kommt ed, ba fich die Menfchen, wenn fie eine new 
Wahrheit hören, immer erſt nach den Umfländen erkundigen, un 
ter benen fie hervorgegangen iſt. Aber wer noch irgend einen 
Borurtheil diefer Art unterworfen ift, wer noch fein vorläufige 
Urtheil über eine Wahrheit nach ihrem Vaterland ober nad ih 
rem Alter ober nach der Anzahl berienigen die ihr anhangen ein 
richtet: der täufche ſich boch ja nicht mit dem Wahn, ald ob «ci 
gefonnen fei fie recht zu prüfen. An allen Orten, in allen Landen 
der Welt giebt ed Wahrheit und Irrtum, alle Jahrhundert 
und alle Zeitalter haben beides in einer fleten Miſchung hervor 
gebracht, große und Feine Gefellichaften können Wahrheit fo gu! 
als Irrthum hegen, ja fogar der gute kann irren, und der böft 
kann einen Zugang zur Wahrheit gefunden haben, welche bei 


- wegen nicht weniger Wahrheit bleibt, wenn er fie auch zu bei 


verkehrten Abfichten feine Herzens gebraucht. 
Noch weit mehr aber täufht man fi, wenn man ben Ein: 
fluß im voraus in Anfchlag bringt, den bad, was man all 
Wahrheit finden Eönnte, auf und haben würde. Man fcheut jid 
vor dem Kampf, vor der Gährung, in bie uns eine Veraͤn 
bezung unferer Meinung auf eine Zeit lang bringen würde, unl 
dieſe Traͤgheit etwas für die Wahrheit zu thum iſt deſto gefähe 
licher, da fie um fo größer ifl, je mehr ber Irrthum fchon in “ 
Zuſammenhang unferer Begriffe serwebt ifl. Noch häufiger u 
noch übler ift ein anderer Fall. Nur richtige Einfichten 
Tonnen und auf eine wahre und dauerhafte Weife gut 
hen, weil wir und nur nach diefen in allen Fällen ohne Wide 
ſpruch mit und felbf richten, und fo follte man alfe die Frage 
Wird mich das beffer machen? dadurch beantworten, def 








*) Jod 1, 46. 


111 


an unterfuchte, SR DaB auch wahr? Statt beffen giebt es 
nde fehr gut meinende bie Tugend liebenbe Menfchen, welche 
ungelehrt bie, Frage, Iſt das auch wahr was ich glaube? 
daach beantworten, Daß fie ihr Gefühl fragen, Macht mich 
das beffer? und wie leicht täufcht man fich nicht dabei! wie 
liht legt man nicht guten Handlungen und Entfchliegungen in 
cum Augenblikk ber Wärme Bewegungdgründe unter, welche 
Re gar nicht verurfacht haben! Wenn dad Herz warm für bie 
Zugmd ift, fo wird man. ben Irrthum nicht gewahr, der fich 
kuter manchen richtigen Gedanken ber Seele verbirgt; aber des⸗ 
mm if er nicht weniger gefährlich, deswegen iſt man nicht 
über vor feinen üblen Einflüffen. Nur richtige Einfichten koͤn⸗ 
un den Menſchen dauerhaft glüfflich machen, und eben deswe⸗ 
sa ſolte man, wenn man feine Ruhe liebt, alle Gedanken mit 
de gößten Unparteilichkeit prüfen, die einigen Einfluß auf unfer 
chen haben koͤnnen. Aber leider beflimmt diefer Einfluß bei 
den maıften Menichen im voraus ihre Gedanken über die Wahr- 
kit ifrer Meinung. Wenn bie Einbildungskraft mit dem Men» 
ben fpielt, fo glaubt er, daß diefe oder jene Meinung ihn gluͤkk⸗ 
4 macht, und er glaubt, daß dad ihm nicht ſchaͤdlich fein koͤnne, 
"3 fine wahre ober vermeinte Freude vermehrt. Aber wie 
ralehtt iſt dies Werfahren! wie trügerifch, mit wie viel Furcht 
m Kummer untermifcht ift jebe Kreube, von der man nicht mit 
herißheit fagen kann, daß fie durch die Wahrheit geheiligt 
% So muß man, wenn man die Wahrheit liebt und fucht, fie 
'n allem entkleiden, wad um fie her if; man muß fie ohne alle 
ültũcht auf irgend andere Dinge fo amfehn und prüfen, wie 
an ſich felbft if; man muß nur in ihr und nur durch fie 
wm Gluͤkkſeligkeit und feine Freude fuchen. 

So find alſo auch dieſe Pflichten fo beſchaffen, daß Pe ein je: 
e ſelbſt loͤſen kann, ed gehört nur fo viel Vernunft Dazu, ald 
Men auf die gewöhnlichften Angelegenheiten feines Lebens 
re; nur fo diel Sinn für die Schrift wie jeber Menſch er- 


Library of the 


UNION THEOLOGICAL SEMINARY 


A — I; V nuls 


412 


langen Tann, nur Reblichkeit gegen ſich ſelbſt, die Eine jeden Pflid 
iſt. Und dann find alle Schwierigkeiten Dagegen nur folche, die ma 
ſich ſelbſt macht. Sollte aber doch mancher zu großes Mißtrauen i 
fich ſelbſt ſezen, o fo hat ja Sott dazu ben Menfchen gefellig g 
macht, bag einer durch Die Vorzüge bed andern gewinnen ſoll, ohr 
daß er deswegen felbft aufhört zu handeln; warum macht man fü 
das nicht bei ber wichtigften Angelegenheit des Menfchen zu Ru 
warum fucht man fo wenig durch Rath und wechfelfeitige Mitthe 
lung in den Wahrheiten zuzunehmen, welche zum Leben führen? 
Wenn wir aber auf diefe fefte und rebliche Art die Pflid 

der Prüfung erfüllt haben, fo ift und noch übrig bie zweite E 
mahnung des Apoſtels zu erfüllen, Behaltet das gute 
| 

ll. | 

Man follte denken, die Macht der Wahrheit fei fo allgemei 

und in der Natur der menfchlichen Seele fo gegründet, daß fi 
niemand enthalten koͤnne, fo oft er eiwas ald Wahrheit erfann 
habe, es auch als ein unverlezliches Heiligthum hochzuachten un 
in feine ganze Denk⸗ und Handlungsweiſe zu verweben; aber aut 
diefer gerechten Herrfchaft entzieht fich der Menſch nur allzu of 
-Wenn man fi einen alten Irrthum benommen, wenn man ein 
beträchtliche Veränderung in dem Zuſammenhang feiner Einfid 
gemacht hat: fo ift man in einem zerflörten Zufland, der da 
menfchliche Herz demüthigt, man iß ſich feibft fremb, und ba kan 
man nicht genug auf jeden Schritt Acht haben, den man thul 
um nicht auf einen ober ben andern Abweg zu gerathen. Sieh 
der Menfch, daß er durch alles Prüfen und Forſchen nur in ein 
fo unbehagliche Sage gefommen iſt; bedenkt er, wie er bei dl 
ler Liebe zur Wahrheit, bei aller Treue gegen feine erworben 
Kenntniß doch fo lange ummiffend einen Jirthum genährt hal 
betrachtet er alle Mühe, die ed ihm gefoftet hat ſich von bem 
felben loszureißen, alle Bedenklichkeiten, die ber eingeſchruͤnkt 
Verſtand ſo lange Zeit nicht zu uͤberwinden vermochte: ſo win 





113 


agegen fich ſelbſt und alle feine Bemuͤhungen mißtrauifch, der 
bedenke, daß er vieleicht mit aller feiner Mühe nur einen 
ma Irrthum fich erfauft haben. koͤnne, ber ihm bald eben fo 
wwerflich werbe, ſchrekkt ihn ab, und ftatt die Früchte deſſen zu. 
wagen, was er gethan hat, fieht er alles als unnuͤz und vem 
ih an unb bleibt ermattet und ſchwankt zwilchen Sauter trau⸗ 
en Gedanken umher. Wenn man ficdh diefem troftlofen Hange 
Klift, fo artet er am Ende in einen völligen Ueberbruß aus, 
un wird gleichgültig gegen Wahrheit und Irrthum und bes 
st fih der edeiften Freuden und des fchönften Vorzugs ber 
Region, einer gleichmüthigen Feftigkeit des Herzend. Ach m. 
f. laßt und doch mehr Zutrauen zu ber Güte Gottes 
m zu den Kräften bed Menfchen haben! wenn uns bie 
er auch, hier noch nicht jene Unfehlbarkeit zu Theil werben läßt, 
Bi nm für die Ewigkeit aufbehalten ift, fo läßt fie doch 
tee ab unabläffige Bemühungen nicht unbelohnt, fie laͤßt uns 
ga die Freuden an ber Wahrheit genießen, zu welcher und eine 
Wie Keigung eingepflanzt if. Wenn und auch unfere Kräfte 
ht gan, dem Irrthum entreigen, fo entledigt uns doch ihre 
Infrengung beffen je mehr und mehr, und wenn es auch möge 
= fen follte, daß wir hie und da vergeblich gearbeitet hätten 
mer feflen Ueberzeugung zu gelangen, fo laßt und nicht ver« 
wein, fordern mit neuem Muth auf ber Bahn fortgehn, wel⸗ 
% gewiß unſerm Wermögen angemefien ift. 

Allein bisweilen bringt auch biefed Streben nach Wahrheit 
"2? gerade entgegengefezte Richtung hervor. Wenn jemand fieht, 
se die Menfchen tiber die nämliche Sache fo verfchiedened Sin: 
% find, je nachdem ber eine dieſe ber andere jene Worurtheile, 
"Eine biefe der andere jene Meinung über andere Gegenſtaͤnde 
"und wie alles darauf ankommt, aus was für einem Ge 
“Epunft man bie Sache anfiehtz ‘wenn ihm die mancherlei 
“bindungen zwifchen ben Grundfäzen ber Wernunft und bes 
Schandes, ben Gefühlen des Herzend und ben Bildern der Ein- 
Predigten J. 





11% 


Kilbungslraft ein Vergnuͤgen gemacht haben: o fo fängt er wol: 
an, fich diefem Wechfel zu überlafien und mit bem, was t 
Menſchen am heiligften fein follte, ein Spiel zu treiben, 
der. Liebe zur Wahrheit und mit den- Lehren der Religion; 
verläßt was er eben gefunden bat, um nur etwad neues fud 
gu Tönnen, er erichafft ſich Zweifel und Bebenklichkeiten, 
Seine find, er beunruhigt und entkräftet fein Herz, um nur 
nen Kopf mit einer eingebildeten Weisheit zu beichäftigen. ‘ 
m. Fr. die Wahrheit rächt ſich über kurz oder lang an ben 
welche ihr fo mitfpielen, welche fie fuchen ohne fie brauchen 
wollen, welche das ebelfte Kleinod als ein unnuͤzes Spiel 
wegwerfen, fobald fie ed gefunden haben, um auf eben ſolche? 
bingungen ein neued zu fuchen. 

Am meiften Verfhuldung aber laden ohnſtreitig bien 
auf fich, welche Die heiligen Pflichten gegen die Wat 
beit dem niedrigen SIntereffe der Leidenſchaft od 
vermeinter Klugheit aufopfern. Die gefundene Wahrh 
m. Fr., will befannt fein, wo ed noͤthig und nuͤzlich fein faı 
fie leidet es nicht, daß man fie ald eine verbotene Waare bei 
dele, welche man forgfältig verbirgt, und dennoch wie oft geſchi 
3 nicht! Es iſt biöweilen eine mißverfiandene Menichenlic 
welche andern mit einer Erkenniniß, Die ihnen ein Aergerı 
oder eine Thorheit fein koͤnnte, nicht auffallen will, oder ihnen ni 
Wahrheit zeigen, die fie nicht faffen, zu deren Gründen fie | 
nieht binauffchwingen Tönnen. Oft ift ed eine falfche Schau 
bie den Menfhen am Bekenntniß einer deutlich erkannt 
Wahrheit hindert, womit er vor den Augen einer verkehrten n 
Borurtheilen dagegen erfüllten Welt lächerlich ober veräctlic | 
werben fürchtet. Aber wie kann man bie Wahrheit für jo ci 
würdig halten als fie ifl, wenn man ihr die verdiente Huldigul 
darum verfagt, weil man fürchtet, eine verkehrte Dienge würde 
wagen ihrer zu fpotten. Aber wer nicht Jieber zu viel ald | 





115 


ws than will, um das Reich ber BBahrpeit zu erweitern, der 
an fie nicht lieben. _ 

Jedoch wenn es auch bier leicht fein ſollte, fi) aus dem 
it einer weifen Zuruͤkkhaltung in das einer pflichtwibrigen | 
akelung zu verirren, fo if ed doch gewiß im hoͤchſten Grabe 
ht und firafbar, wenn wir bie gefundene Wahrheit uns 
ur eigenen Leidenſchaft aufopfern, und das iſt doch 
mgewoͤhnliche Lauf der Welt. Da ift ein Irrthum über eine 
hörheit oder Pflicht, vorfche zum Gluͤkk des Menichen nothwen⸗ 
tik, unfer Herz hängt ihm an, aber troz aller Parteilichkeit, 
una für ihn haben, troz aller Winkelzuͤge einer beftochenen 
kmunft leuchtet und die Falſchheit unferer Meinung ein; was 
Si da wol eine heiligere Pflicht fein, ad der neuen Wahrheit 
St tommer Willigkeit zu gehorchen, bie firengeren Pflichten zu 
"ıla, die fie umd auflegt, und und bei ihrem fanften Licht zu 
kg, dem Irrthum hingegen umb allen feinen Folgen zeit 
kaltem Ernſt abzufagen, zu meiden, was er und mit gewohn⸗ 
: Geindigßeit als erlaubt barftellte, unfer Auge von den bien« 
za Bildern abzuwenden, bie er und vorhielt, und beten täus 
ae Nichtigkeit wir jet einfehn. Uber. wie felsen kann das 
wtlihe Herz: dieſes über ſich erlangen! — Dft hindert uns 
"Stolz es uns felbft zu gefteben, daß wir fo lange geirtt ha⸗ 
2; oft wollen wir lieber die Mühe nicht verloren fein 
"2, die wir an unfern Irrthum gewandt, als daß wir fort: 
der Wahrheit leben und ihrer genießen ſollten. So flößt der 
ih mit unbegreiflicher Blindheit und Hartnaͤkkigkeit fein 
"3 Gift von fih, um ein eingebildeted nicht verlaffen zu 
Sen, an welches er einmal gewöhnt ifl. Aber wie mag es 
„mit der Ruhe eines Menfchen audfehn, dem fein Gewiffen 
uihoͤtlich Ungehorſam gegen die Wahrheit vorwerfen muß? 

Ber die wahre Beflimmung bed Menfchen hinlänglich Eennt, 
das höhere Gluͤkk mit fich felbft übereinzuftimmen jeder noch 
'genehmen Taͤuſchung des Gefühls vorzuziehen, wer es einfieht, 

, 92 


116 


daß jebe Merbeflerung bed Menfchen von feiner Erteuchtung a 
gehn muß, wer den Sinn Chriſti zu befizen wünfcht, der es | 
feinigen als eine feiner größten Verheißungen verfpradh, das | 
Geiſt fie in-alle Wahrheit leiten folle *), der gehe doch im 
mehr aus ber Gleichgäftigkeit heraus, die die meiften Menid 
gegen ihre Erkenntnig haben, der entfchlage fich doch der S 
loſigkeit, womit die meiften ihre Pflicht in diefer rKuͤkkſicht üt 
fehn oder fich ihrer überheben, der bebente doch, was bie tr 
Erfüllung diefer Pflicht für herrliche und ausdgebreitete Zoll 
haben muß. — Der Menfch, welcher zum Genug himmiili 
Güter beftimmt if, muß fchon immer befto gluͤkklicher und | 
ger jein, je lebhafter ex in fi) das Bewußtſein fühlt, daß i 
nichts theurer ift ald bie Wahrheit; wenn er empfindet, baf f 
Beſtreben in ihm größer ift als das, ihe immer nachzujagen ı 
immer treu zu bleiben; wenn er fich fähig fühlt, ihr alle N 
gungen feiner Seele zum Opfer zu bringen: o fo fühlt er au 
dag er jeben Schritt zu feiner wahren Beſtimmung aller Freu 
bie aus feinen Berhältniffen im gegenwärtigen Leben entf 
vorziehe! — 

Sit es wahr, und es ift wol nichts richtiger als biefes, | 
es nur dann gut um den Menichen ſteht, wenn feine Bern 
die Herrihaft über die andern Kräfte feiner Seele hat: o fo fa 
nichts dieſe Herrfchaft mehr befördern, als ſich durch den R 
den die Vermehrung erhabener Kenntniffe hat, immer mehr dat 
zu gewöhnen, daß man ber Erreichung des Zwekkes, ben bie V 
nunft ald ben vornehmſten anfieht, alles übrige aufopfert . 








”) 30h. 16, 13. 
(Schluß fehlt.) 








X. 


Ion der Theilnahme des guten Menfchen an 
dem wahren Wohl der Mtenfchheit. 


Ueber Luk. 2, 25-82. 


Weihnachten 179. 


Nm die Apoftel Jeſu den Chriften, die unmittelbar ihrem 
seit anvertraut waren, einen vecht flarfen Eindrukk von 
a Wohlthaten ihres Erlöferd geben wollten, fo fagten fie zu 
a, Niemand hat größere Liebe denn die, daß er 
ın eben läßt für feine $reunde *), er aber iſt ge 
stben für und, da wir noch Feinde waren **),'da un: 
ze Seele noch ganz entfernt war von den Gefinnungen, worin 
= und vorgegangen iſt; und für und, m. th. Fr., hat er gelitten, 
a wir noch gar nicht waren. Wir brauchen aber nicht bei fei: 
em Leiden flehn zu bleiben; fein ganzes Leben war ein 
::ben für andere; benn weit entfernt für feine eigene Gluͤkk— 
vigfeit zu forgen, war der ganze Gang beffelben nur fün den 

‘) Joh. 15, 13. 

dm. 5, 8. 10. 


118 


Zwekk berechnet, die goͤrtliche Wahrheit, die ihm vom Him 
anvertraut war, unter ben Menſchen auszubreiten; dabei ger 
er nicht einmal die Freude, dad Gelingen feiner Bemuͤhun 
unter guten Menſchen zu fehn, da gr faſt durchgängig mißt 
flanden und verfannt wurde, und ein gute Gebeihen des € 
mens, den er ausgeſaͤet hatte, nicht eher zu erwarten war, alt 
ber Zeit, wo er nicht mehr lebte, und unter den Menichen, 
ihm nie gegemvärtig waren und von denen er nichtd wußte, | 
daß fie Menfchen wären wie er. Was hätte ihn alfo zu d 
ftandhaften Beharren bei einem’ folchen Leben vermögen fünn 
wenn er nicht immer von bem erhabenen Gefühl der wärmfl 
allgemeinften Menfchenliebe, des audgebreitetfi 
Wohlwollens gegen alle, die der menfchlichen Natur theilh 
tig find, befeelt gewefen wäre? Died Gefühl ruhte als ſein E 
theil auf feinen erflen Züngern, weiche zu ben entfernteften 9 
tionen gingen, ohne in irgend einem nähern Verhaͤltniß mit Ä 
nen zu ftehn, ohne ihre Unbekanntſchaft und ihren Widewil 
zu ſcheuen, um nur Menſchen die Wahrheiten, die Chriſtus gelch 
und die Gebote, bie er gegeben, zu verfündigen; und eben bie 
Gefühl hat er auch und mit den Worten empfohlen, daß w 
und unter einander lieben follen, wie er und d 
liebt bat *). 

So kann es alfo bei uns, denen dies Gebot und biele B 
fpiele heilig find, nicht die Frage fein, ob dies Gefühl nicht 
wa nur eine Zräumerei beöjenigen fei, der das menfchliche Leb 
nicht Eennt, eine übertriebene Spannung ber Seele, worin | 
fi) höchftend nur auf Augenblikke erhalten kann; aber das 
wol ein Wunfch, den wir bei diefer Betrachtung fühlen, dab 
recht viele Mittel geben möge und dieſe Gefinnung zu erhalt 
und zu beleben, da fie in dem Kreife des gewöhnlichen Lebe 
wenig Aufmunterung findet. Denn bie verfchiedenen Verhaͤ 














5) Joh. 13, 34 


119° 


Re deſſelben dienen tool dazu, durch gegenfeitige Beduͤrfniſſe bie 
Lenſchen einander näher zu bringen, mancherlei Verbindungen 
e Steundichaft, ded Wohlwollens und der Theilnahme zu flifs 
n, und fo ben gefelligen Neigungen bes menſchlichen Herzens 
lahrung zu geben; allein je näher wir und auf diefe Weiſe 
it einer größeren oder Eleineren Anzahl umfered gleichen verbins 
a, deſto fremder werden und bie übrigen, deſto weniger Herz 
halten wir für bie übrigen, mit denen wir in keinem befondern 
krailtnig ſtehn, und fo geht über ben freilich guten und edlen 
kühlen für einige basjenige verloren, was wir gegen alle 
adea jollten, die Empfindung des allgemeinflen unb unbegrenz- 
n Wohlwollens gegen die Menfchen. 

Aber wie werben wir und nicht beftreben beibeö mit einan⸗ 
@ zn vereinigen, wie lieb wird uns nicht die Menfchenliebe 
sen, wenn wir ihren Werth und ihr Weſen näher betrachten; 
nd was kann und zu diefer Betrachtung mehr auffodern und 
23 mehr dazu geſchikkt machen, als ber heutige Zag! Alles 
werordentliche und allgemeine macht und geneigt und über 
3, was füch nur auf unfere befonderen Verhaͤltniſſe bezieht, zu 
ser größeren Anficht zu erheben; und wo iſt wol etwas außer: 
zentlicher und allgemeiner ald bie Wohlthaten, die durch die 
dung Jeſu über die Menfchen audgegoffen wurden. So wer: 
a wir alfo dad Feft feiner Geburt in den gottesdienftlichen 
stunden befjelben ‚gewiß nüzlich anwenden, wenn wir und zu 
x Sefinnung ermuntern, die befländig in ihm herifchte, und 
ach die er und alles geworden ift. 


L 


Text. Luk. 2, 25 — 32. 

Und fiche, ein Menſch war zu Serufalem mit Na: 
men Simeon, und berfelbige Menſch war fromm und 
gotteöfürchtig und wartete auf den Troſt Ifraels, und 
der heilige Geift war in ihm. Und ihm war eine 
Antwort geworden von dem heiligen Geifte, er follte 


120 


ben Dod nicht fehen, er Hätte denn zuvor ben Eh 
bes Herm gefehn. Und kam aus Anregung bed E 
fle8 in ben Tempel. Unb ba die Eltern dad Kind Set 
in ben Tempel brachten, daß fie für ihn thäten, x 
man pfleget nach dem Geſeze: ba nahm er ihn « 
feine Arme und lobete Gott und ſprach, Herr nı 
Läffeft du deinen Diener in Zrieden fahre 
wie du gefagt haft, denn meine Augen hab 
beinen Heiland gefehen, welchen bu bereit 
baft vor allen Völkern, ein Licht zu erleu 
ten bie Heiden und zum Preis deines Bı 
kes Iſrael! 


Wenn wir über die Triebfedern nachdenken, welche wol t 
frommen Greis zu ben ſtarken Ergiegungen ber Freude und 
der auönehmenden Rührung des Herzens brachten, ald er L 
jungen Erlöfer der Welt im feinen Armen hielt: fo fehn x 
leicht, daß es nicht fein eignes Beduͤrfniß geweſen fein Far 
Er war einer von den wenigen Weilen, die zu ben Zeiten I 
alten Bundes fi) über ihr Zeitalter erhoben, die wirklich fron 
und goftfelig über die Irrthümer hinweg waren, welche das 3: 
Iſrael fefielten, bie ben Grund derjenigen Erkenntniß beſaß 
welche Chriſtus unter den Menfchen allgemeiner zu machen | 
fimmt war, und durch fie getröftet wurden; da konnte es il 
felbft wol wenig helfen, daß er dieſes Kind in feinen Arm 
hielt, denn ach er fühlte wol, daß fein Alter ihm bie Hoffnu 
zaubte, in den Tagen der Männlichkeit und des Lehramts Je 
fein Freund zu fein und beglüffende Lehren und Außdfprüche a 
feinem Munde zu bören; aber in allem, was er fagt, zielt 
auf die Wohlthaten, welhe die ganze Menſchheit durch Ch 
fbım genießen würbe; das war feine Freude, daß er ben no 
ſah, der das alles bewerkſtelligen follte, daß er bei feinem Hi 
ſcheiden von der Erbe mit den freudigſten Hoffnungen auf ſei 











124 


Sühemehner berfelben blften koͤnne. Wir reben demnach von 
kr Theilnahme bes guten Menſchen an bem wahren 
Schl der Menſchheit, und ba fehn wir erftlich, worin 
we Sefinnung befleht, zweitens, was fie in ber Seele vor 
mist, und drittend, was für gutes fie in berfelben her⸗ 
Krhringt. 


Ben wir nun bie. Frage unterſuchen, Worin biefes 
ilgemeine WBohlwollen fich zeige, da müffen wir zuerft 
Inte, bag wir demfelben oft manches zufchreiben, was auß 
sitz andern Quellen herrührt. Micht jede gute Ermeifung, bie 
St anem Menſchen bezeigen, mit dem wir in feinem nähern 
bedältniß ſtehn, ift aus diefer Gefinnung abzuleiten; entweder 
ya wis überhaupt dem Gefühl nach etwas gutes zu thun, das 
it 03 darbietet, oder einer wohlwollenden Stimmung, in ber 
X ns befinden, oft auch wollen wir nur bad Mißvergnügen 
ande, dad und ber Anblikk gewifjer Leiden giebt. Eben fo 
King gehören gewiſſe andere Empfindungen hieher, ob fie fich 
‚ih über eine große Anzahl von Menfchen verbreiten. So ift 
zu eine oft untabelhafte und gute Empfindung die Worliebe, 
wihe die meiften Menſchen haben für bad Land, worin fie ges 
ka und.erzogen find, für das Wolf, unter dem fie leben, und 
a deſſn Schuz fie alle Annehmlichkeiten ihres Zuflandes genies 
M. Andere haben wieder auch ohne die Ruͤkkſicht auf die naͤ⸗ 
am gefelligen Verbindungen befonbere Wünfche und vorzüglis 
m Eifer für diejenigen, bie buch Erkenntnißart gewiſſer reli⸗ 
Se Wahrheiten, durch Anhänglichkeit an einerlei Meinungen 
ham ähnlich find. Auch das ift natürlich, und ob es gleich zu 
A Mißbrauchen Raum giebt, fo ift es doch nicht an ſich zu 
werfen. 

Aber beides gehört keinesweges zu unſerm allges 
minen Wohlwollen gegen die Menſchen überhaupt; 


f22 


denn biefe Gefühle beziehn fi auf eine Anzahl Menſche 
bie wir ohnehin fchon für beffer und gluͤkklicher anfehn; und fı 
ben wir immer dahin, ihnen nody mehr Borzüge vor den übrig 
zu verfchaffen, fo werben ja natürlich biefe und immer frembi 
und ihr Antheil an unferm Wohlwollen wird geringer, dahing 
gen die wahre Menfchenliebe immer von dem Wunfch voll i 
daß brejenigen unferer Brüder, die nody im Genuß mancher 
Wohls Has ihnen möglich) wäre, und in mancherlei Wollte 
menheit bed Geifted hinter den übrigen zurüfkbleiben, ihnen 
viel wie möglich mögen näher gebracht, und fo auch unfere fre 
dige Theilnahme an ihnen möge vermehrt werben. Wenn € 
meon Gott nur für die Erhebung feines Volks gedankt hätte, 
wäre feine Empfindung wol immer noch fchön, aber keinesweg 
mehr ein Mufter diefer Gefinnung gewefen; aber im Gegenthi 
außert er feine Freude Aber bie Erleuchtung der Heiden, bie 
noch unglüfflicher und hülfsbebürftiger waren, eher und ftärf 
418 feine Zreude über den Preis des Volkes Iſrael. — Dai 
kommt noch diefes, daß Liebe zum Vaterland, zu Glaubendg 
noffen und dergleichen Gefühle immer einen großen Bezug al 
unfer eigenes Wohl haben; denn der Glanz des Volkes, j 
dem wir gehören, und dad Anfehn und der Ruhm berer, die € 
ned Sinne mit und find, fällt gewiffermaßen auf uns jzurüf 
vermehrt unmittelbar unfere Annehmlichkeit, befriedigt unfere € 
genliebe, fehmeichelt unferm Stolz. Jenes allgemeine Wohlwoll 
über ift eine Empfindung, wobei e8 gar nicht auf die Befried 
gung einer unferer Neigungen, auf die Beförderung unfere 
eigenen Gluͤkkſeligkeit ankommt, fondern die das Herz mit dei 
uneigennüzigen aber dennoch lebhaften und faft ununterbrochene 
Wunſch erfüllt, dag alles was Menfh heißt und an u 
ferer Natur Theil hat immer mehr und mehr feiner Beftimmun 
nachfommen möchte. Das war ed alfo, was ben Grund fein 
Gedanken ausmacht, wenn er auf die Welt um fich her fie 
das iſt ber Gefichtöpuntt, worauf er alle Begebenheiten und al 








123 


ardiungen bes Menfchen bezicht, daß doch das Reich der Bei 
xukhaften und ber fchäblichen Srethümer unter den Menfchen 
mindert, daß dad gute ihnen leichter und gewöhnlicher, und 
‘ Elenntniß der erhabenen Wahrheiten, die fi) auf Religion 
= Zugend beziehn, unter ihnen auögebreiteter werben möchte: 

Und wie fo ganz nahe liegen dem guten Menfchen nicht im 
u Ruffficht feine Brüder am Herzen; er braucht nicht einmal 
zer fich herauszugehn, um fich der Gefinnungen ber Menſchen⸗ 
lihe bewußt zu werben. Wenn irgend eine von ben fchönen 
fzefindungen ober eine fruchtbare Weberlegung ber Falten Ver⸗ 
rt ihn in einem fonft fehweren guten geftärtt hat und es 
w gluͤkklich vollbringen half: o wie warm wuͤnſcht er da, dies 
"usmittel allen, bie mit ihm in dem nämlichen Fall find, mits 
xim zu koͤnnen! Wenn es ihm eimmal gelungen ift, einer Ver: 
“, der er oft unterlegen, durch irgend eine fromme ober 
te Sendung ber Gedanken, durch dad Aufmelten irgend einer 
Kit der Seele zu widerftehn, einen fonft gewohnten Fehler zu vers 
ba, wie erbittet gleich das menfchenfreundliche Herz den nämlis 
- Segen des Himmels für alle Franke derfelbigen Art! Wenn ein 
er nit erblikkter Zufammenhang ihm eine Wahrheit deutlich 
=ö oder einen Irrthum entlarote, worüber ihn bisher Zwei⸗ 
“und Ungewißheit gequält und manche trübe Stunde in feis 
* Erde, manche fchiefe Handlung in fein Leben gebracht 
ze, wie wäre er fo gern die Stimme, alle die er erreichen 
“0, ebenfalld darauf aufmerffam zu machen. und durch einen 
m Stahl einen bisher dunkeln Winkel ihrer Seele’ zu erhel⸗ 
2 Was für Freude gewährt ihm nicht jebe Nachricht: auch 
“Toon einem einzelnen guten und edeln frommen, der ihm 
a unbefannt geweſen; auch ohne feine Freundſchaft zu ges 
Sa, auch ohne die Hoffnung ihn zu Eennen, freut er fich in» 
* weil er ihn als einen Schaz der Menfchheit anfleht, der an 
“m Theil zu ihrer Beſſerung thätig ift! Wie freut er fich 
't einer jeden menfchenfreunblichen Handlung, die fich ihm dar⸗ 


194 


zeigt ihm immer weit ausgebreitet a 

3 wie entzuͤkkt ihn jeder Funke von Li 

irgendwo aufgehn fieht, denn fchon i 

en hellen Schein, den er einſt um fi 

verbreiten wird; wie triumphirt er, wenn fich.unter irgend ı 
mer Geſellſchaft von Menfchen, die bisher von anderen Trieben | 
giert wurden, Eiebe und Eifer zum guten zeigen; wie frohfofft 
über jebe Vereinigung guter Menfchen zur Beförderung bed g 
ten! Und wenn er gewaht wirb, wie der Ausbreitung deſſelb 
neh in vielem Stuͤkken fo ganz allgemeine weit um ſich gr 
fende Urfachen im Wege flehn; wie falfcher Schimmer irdiſch 
Güter und ber zu große allgemein darauf gelegte Werth 
Menfchen ihr wahres Wohl verkennen macht und fie felbit d 
kleinlichſten Leidenfchaften Preis giebt; wie eine vom Berflal 
nicht. beherrfchte Fantafie den Menſchen fo häufig von ben ei 
fachen Wahrheiten der Religion zu ben Träumen der Schw 
merei hinleitet; wie niedriger Eigennuz auf der einen und firl 
liche Unthätigkeit auf der anderen Seite immer noch bie Finft 
niß des Aberglaubens erhalten: o wie fehnt er fich da nad gt 
Ben Hülfsmitteln, die der Tiefe und dem Umfang fo allgemein 
Uebel angemefien find; wie müht ſich fein Geift nicht, um m 
eine mögliche Wendung im Gang ber Vorſicht zu finden, w 
durch denfelben begegnet werben koͤnntez wie wuͤnſcht er ſi 
den Tag zu fehen, da ein folder Stern des Heils aufgel 
und was für Entzuͤkkung fühlt er nicht, wenn er, fei es au 
mur am Rande des Grabes, die erſten Strahlen beffelben erblilk 
So war Simeon, fo müffen wir nad) dem was wir di 
ihm wiſſen f&ließen, daß er auch im übrigen geweſen fei. Det 
ex ſich bei feiner Art zu denken, bei feiner redlichen Webung d 
Zugend fo wohl fühlte: o wie oft mag er gewuͤnſcht haben, do 
diefen Sinn unter den Menfchen verbreiten zu koͤnnen; wenn 
eine Schwarhheit nach ber andern mit ben Zahren überwand, n 
oft mag er da gebetet haben, daß doch auch die, bie er in me 


125 


5 Schwachheit um fich her wanbein fah, bald biefer großen 
gute im menfchlichen Elend, der Unterflüzung einer reinen und 
zur Religion, möchten empfäanglich gemacht werden! Wie mag 
afih gefreut haben, wenn er hie und ba, aber freilich konnte 
ku bad nur felten begegnen, einen gleichgefinnten Menſchen ans 
kt, von ben nämlichen Grundfazen ber Zugend und Frömmigs 
erfüllt; wie froh mag er fich die Nachkommen gedacht haben, 
soon ihm zu ber nämlichen Denkungsart erzogen wuͤrden! 
83 für eine Empfindung mag es ihm gewefen fein,. wenn es 
am von einem ber Pilger, die aus femen Landen. famen, um 
hohen Feſte ded Volks in Serufalem zu feiern, hörte, daß 
Sad unter ben Heiden, deren Ungluͤkk ihm fo beklagenswerth 
sa, Menſchen gab, die wenigftens ihrem beffern natürlichen 
beihl folgten und das gute liebten, fo weit fie es kannten! 
deinige, der jezt mit folcher Inbrunft dem Herm für die Er 
Meg Chriſti dankte, wie oft mag ex in dem nämlichen Tem⸗ 
A smeien fein, um fie zu erflehn und ale die großen Wohle 
aa auf die Menfchheit herabzubeten, bie er nur durch ihm 
%ih glaubte; wie entfernt war auch noch in dem Augene 
Nik, da er Chriſtum in feinen Armen hielt, die Erfüllung Dies 
x Hoffnungen, aber wie nahe war fie dem gläubigen, und wie 
Shift wirkte fie auf dad Herz voll Menfchenliebe! 

Rur auf died Verlangen nad) ber wahren geifligen Ver 
"rung der Menfchen bezieht fih dann alles übrige gute, was 
= Nenfhenfreund für fie auf feinem Herzen trägt. Es if 
ar, mar kann für die Gluͤkkſeligkeit des ganzen keine fo bes 
Änmen Bünfche thun, wie fin das Wohlfein der einzelnen, 
"oe ganze Lage man genauer kennt; und ed kann auch Fein fo 
anögliher Wunſch in und entftehn, daß bie ganze Menfchheit 
a Beiden und Ungluͤkk fein koͤnnte; irdifche Gluͤkkſeligkeit kann 
6 überdem nicht der höchfle unbedingte Wunſch eines guten 
Ynihen weder für fi noch für andere fin; aber dennoch, 
"on man es felbft erfährt, was für eine zufriebene Ruhe die 


‚126 


Seele durch eimem gewiſſen Grab eines verhaitmigunkgigen Wohl⸗ 
ergehend genießt, und was für fchöne Früchte dieſe Ruhe auch 
für ihr wahres Gluͤkk trägt, wie fie bie ſchoͤnen Gefühle des thaͤ⸗ 
tigen Danks gegen Gott lebendig erhält, wie fie das Herz erhei⸗ 
tert und mit frobem Muth erfült, wie fie ed zu allem guten 
gefchmeidig und emfig macht: o ſo iſt es ja natürlich zu wuͤn⸗ 
chen, daß diefe Ruhe unter den Menfchen verbreitet werde; wenn 
wiir es felpft fühlen oder an anderen fehn, was für traurige Fol⸗ 
gen gewiſſe Arten druͤkkender Leiden zu haben pflegen, wie fie 
die Seele nieberfchlagen, fie einer dumpfen Verzagtheit hingeben 
and alle ihre Kräfte abflumpfen: o wie wünfcht man da, daß 
doch ber größere Theil dieſes Leidens, den die Menichen fich 
elbſt oder einander zuziehen, möge gemindert werden. Willlonmen 
iſt und da jede Erfindung bed menfchlihen Geifled, die neue 
Duellen des Wohlfeind hervorbeingt. Geſegnet jeber, dem es ge- 
Ungt neue Wege zu finden, wie die Menfchen mehr Mittel ihres 
Beſtehens und mehr Früchte aus ihrem Fleiß ziehn koͤnnen, um 
druͤkkender Dürftigkelt zu wehren; neue Heilkraͤfte der Natur, 
um fi pon biöher unwiberfiehlichen Uebeln zu befreien; geſegnet 
jeber, ber ſo viel möglich in. feinem Kreiſe thut, um auf alle 
Weile mehr Wohlfein unter den Menfchen zu verbreiten. Und 
wenn man fieht, wie es noch fo viel traurige allgemeine Quellen 
bed irdifchen Webelfeind unter den Menjchen giebt, wie fie hier 

durch eine forglofe Unwiſſenheit fich felbft an den Kortichritten in 
ihrem Gluͤkk hindern, Dort Durch ungerechte Unterdruͤkkung anderer 
das Vermögen dazu ihnen genommen wird: o da follte man fich 
nicht fehnen, in der Regierung Gottes bald Mittel erfcheinen zu 
ſehn, um dieſe ‚der Menſchheit fo unwuͤrdigen Uebel zu vertreiben? 


ll, 


ı © zeigt fih m. a. 3. in allen Stuͤkken diefe ſchoͤne Gefin- 
nung ber allgemeinen Menfchenliebe; allein da koͤnnte man mol 
denken, Daß manches zu der Aeußerung berfelben ge- 





127 


ir, wad nicht das Eigenthum eines jeden Menſchen 
in kann, eine gewiſſe eigene Sorgloſigkeit, um ſich fo genau 
Adad, wad außer und.felbft und unferen nächften Verhaͤltniſſen ifl, 
stunmern zu Sonnen, ein gewifler bequemer Standpunkt, auf 
im man einen Theil der Begebenheiten der Welt überfieht, und 
te doch nur gewiſſen Ständen eigen iſt; eine gewiſſe Bildung 
in Seele durch Kenntniffe, um über dad Wohl und Uebel der 
Smihen nach gewiſſen Grundfäzen zu urtheilen. Allein 
wih ein bloßer Schein. Waren wol bie Jünger Jeſu 
von Sorge für fich ſelbſt, da fie fo oft nicht nur des nö: 
kim mangelten, fondern auch, verfolgt und in Gefahr ihres Le⸗ 
wlbten? Waren fie nicht aus ber zahlreichflen geringften 
Sr des Volles? und wo hatten fie andere Kenntniffe herge⸗ 
una ald die, welche der natürliche Verſtand und die Erfah: 
“Kö gewöhnlichen Lebens einem jeden Menfchen gewähren! ? 
Sa war auch ber Greid, von dem unfer Text redet, nur 
a die Eigenfchaften feiner Seele auögezeichnet. Es kommt 
ka bei diefer Theilnahme an dem Wohl der Menfchheit nicht 
wu an, daß alles, was baffelbe irgendwo’ betrifft, zu unferex 
larmiß komme, fondern nur darauf, mit was für einem Sinn 
Tan dem, was wir erfahren, Theil nehmen, und wie und das, 
Ki mir von unferm Standpunkt aus gewahr werben, rührt: 
En jeder Menich alfo kann an berfelben Theil haben, wenn 
iin feiner Seele dad anzutreffen ift, worauf fich diefe Den 
zart allein gründen kann. Was iſt denn das? 

Erſtlich, vor allen Dingen ein überhaupt wohlwols 
des Herz, eine Seele, bie der Empfindung fähig ift, welche 
2 suten Menfchen fo vorzüglich eignet, nämlich fich aud) über das 
At außer ihm felbft zu freun und es gern zu befördern. Sollte 
kl itgend ein Menfch fo mit Sorgen beladen fein, follte es 
fo unguͤnſtige Verhältniffe geben, daß dieſes Gefühl ex 
Kimerden koͤnnte? ich glaube, wir koͤnnen uns fo etwas faum 
“m. Vielmehr iſt jeder Zuftand geſchikkt es zu unterhalten, 





128 


weil ein jeber und auf feine eigene Weiſe mannigfaltig an 
Menſchen bindet. Nein, Wohlwollen ift ber Grund ber men! 
lichen Seele, und nichts kann ihn ummerfen, wenn wir ihn ni 
ſelbſt zerftören, und wer wohlmollend ift, in dem liegt audy 
Fähigkeit, fich, wenn er dies Löftliche Gefühl unterhält und voc 
fen laͤßt, durch Ausbreitung feines Blikks bis zu jenem allgen 
nen Wohlwollen zu erheben; aber freilich, wen nichts anzieht 
was in ihm felbft ift, wer zu jenem unglüfflichen Grab der V 
härtung gekommen ift nur an feinem eigenen Vergnügen Frei 
zu finden, nur über feinen eigenen Schmerz zu Magen und 
allem übrigen gleichgültig zu fein, für den iſt auch der Na 
Menfchheit nichts, der Liebt nur fein Heined Sch und wirb nı 
weniger fähig fein, etwas bei dem Wohl oder Weh bed ganı 
zu empfinden, das er nicht fieht, da er fich nicht einmal um | 
einzelnen befümmert, die nahe um ihn her find. 

Zweitens gehört auch bazu ein richtiges Urtheil üb 
bad, was den Menfhen allgemein gut ifl; wen bie 
fehlt, der kann felbft bei dem wohlwollendſten Herzen zu keir 
wahren Menfchenliebe gelangen. Wenn er dad Wohlfein derſelb 
in aͤußern Vorzuͤgen und irbifchen Freuden fucht, fo muß er not 
wendig vielen uͤbles wünfchen, indem er einigen gutes wünid 
und fo kann alfo feine Empfindung niemald allgemein werdı 
Sucht er das Wohl der Dienfhen in Befolgung eingeſchraͤnkt 
einfeitiger, irriger Grundfäze und Lebensregeln, fo wird er fich niı 
nur oft in feinen Wuͤnſchen für ihre Wohl wiberfprechen, fonde 
er wird auch nothwendig bie größte Anzahl berfelben für biei 
Gluͤkks unfähig halten. Aber auch ohne dieſes würde feine Me 
fhenliebe bald aus Mangel an Nahrung erfalten, denn indem fei 
Berechnungen für das Wohl der Menfchen ganz von den Abficht 
und Wegen des Höchften verfchieden find, fo wirb nur fehr f 
ten zufäliger Weife etwas von dem gefchehen, was er für not 
wendig hält, und eine Empfindung von ber Art muß bald u 
terliegen, wenn fie nicht durch glüßffichen Erfolg und dur 


129 


den, bie fie gewährt, unterhalten wird. Aber follte «6 wol 
zad jemandem unmöglich fein diefe zur Menſchenliebe fo noth> 
cdige Kenntniß zu erlangen? follte ſich wenigftend ein Chrift 
riber beklagen können, daß es ſchwer fei, er, dem fo deutlich 
i, wa5 dem Menfchen nothwendig ift, vorgezeichnet fteht? 

Aber freilich iſt das Dafein diefer Erkenntnig noch nicht 
äinglih ; wir fehen es in ber täglichen Erfahrung fo oft, daß 
ıBille des Menſchen fidy nach etwad ganz anderm hinneigt, 
zuach dem, was er ald gut erkannt hat, daß die beſten Vor⸗ 
ta dem Verſtande eingebrüßft find, und das Herz dennoch 
ımrubiger Bewegung denfelben entgegenftrebt; darum müffen 
en drittens hinzufegen, Um zu diefer Gefinnung der 
eichenliebe zu gelangen, muß die Erfenntniß deffen, was 
S weentlihe und wahre Wohl der Menfchen betrifft, nicht nur 
a Leyfe beleben, fie muß vielmehr in dad Herz überges 
ange fein, tüchtig in bemfelben gewirkt und ihm eine ges 
% uhe mitgetheilt haben. Es Tann fein, daß bei ber rich 
la Ekenntniß von dem, was dad wahre Gut der menfdhlis 
Ele iſt, dennoch das Herz voll irdifcher Wuͤnſche iſt, bie 
Sein Play in demfelben einnehmen; dann ift es zu fehr 
"mm eigenen Kreife befchäftigt, als bag ed fich fo weit außer 
“fen koͤnnte, dann find ihm überall zu viele Menfchen im 
“x, al dag es fie um ihrer felbft willen fo im allgemeinen 
ea ſollte; es kann fein, daß dennoch das Herz von mancher» 
' kidenfhaften umhergetrieben wird, und dann iſt es in einer 
'unfeten, unruhigen Bewegung, als daß eine fo ruhige Ge 
zung in demfelben flatt finden ſollte. Iſt aber diefe Kennts 
jn dem Herzen fo lebendig, wie fie in dem Verſtande beut- 
ah; iſt nur das Intereſſe für Tugend und Religion dasje⸗ 
z, worauf alles ſich in demſelben bezieht: fo gehn auch bie 
meinen Wuͤnſche für andere, welche daraus entftehn, über 
heinen Wünfche des irdiſthen Vergnuͤgens für ſich felbft, und 
’% wenn fie aud das liebfle betreffen, was wir im irdiſchen 
bieten 1. J 


130 


tennen, laſſen imere Ruhe genug in der Seele, um mit de 
lebhafteften Theilnahme das befte der Menfchheit, welches fü 
auf Religion. und Zugenb bezieht, zu umfaflen. 

So war ber fromme Greid unferd Textes: weit davon en 
fernt, gleichgültig gegen alled um ihn her, nur alles auf fü 
ſelbſt zu beziehn, nur für ſich zu empfinden und zu wuͤnſcher 
batte er vielmehr eine gewille Sleichgültigkeit gegen ſich un 
dad, was ihn noch erwarten Tonnte, nur für andere brannte ſei 
Harz, Wohlwollen erfüllte feine ganze Seele. Weit entfen 
das befte der Menfchen, die er liebte, in irdiſchen Dingen zu ſi 
chen, wartete er nicht, wie viele feiner Zeit, auf einen Melle‘ 
ber dad irdifche Gluͤkk feines Volkes aufrichten und es zu ein 
der erſten Nationen der Erde machen würbe, fondern auf dei 
ber alle Welt erleuchten, durch den vieler Menfchen, Gedanke 
offenbar und geläutert werben würben. Weit entfernt noch ci 
Spiel heftiger Wünfche und Leidenfchaften zu fein, hatte vie 
mehr eben dieſes Gluͤkk eined über die wichtigiten Gegenſtaͤnd 
richtig urtheilenden Werfiande und eines zu Gott freudig: 
Herzend eine beneidenswerthe Ruhe über feine Seele verbreite 
keine Begierbe förte diefelbe, nur ein Wunſch hatte ihn jezt no 
erfüllt, defien Gewährung er nun genoß, und der nichtd ander 
wär, ald ber fchönfte Ausbruch feiner durch Feſtigkeit und Rul 
bed eigenen Herzens geftärkten Menfchenliebe. 

So fehn wir alfo, daß jeber Chrift diefer uns von Chrif 
empfohlenen Sefinnung fähig iſt, daß fie feinen gewiſſen äuße: 
Zuſtand voraußsfezt, aber wol eine allgemeine und feſte Richtur 
bed Derzend zum guten, und fo ift der Grab, in dem wir bie 
Menfchenliebe in und finden, der Maaßſtab für einige fehr w 
fentlihe Eigenfchaften eines chriſtlichen Gemuͤths. Ze öfter ur 
wärmer bu bich von ihr hingeriffen fuͤhlſt, defto mehr Einfic 
deö guten iſt in beinem Verſtande, deſto mehr Wohlwollen übt 
baupt, beflo mehr Liebe und Eifer @ır die gute Sache in beine 
Herzen. Je kälter und gleichgältiger du an den Zuſtand d 


131 


RAenſchen im allgemeinen denkſt, defto mehr fehlt es bir gewiß 
och am einem von dieſen drei Stüffen. 


11. 


Und eine Gefinnung, welche fchon fo viel gutes erfordert, 
ie kann auch unmöglich unfruchtbar fein, die muß auch noths 
dendig in dem Herzen bejenigen, ber ihr Raum giebt, mans 
igfaltiges gute hervorbringenz und das iſt auch fo. 

Zuerft hat fie gewiß ben wohlthätigen Einfluß auf uns, 
er alle Empfindung begleitet, welche und in etwas über uns 
ae engen Berhältniffe emporhebt, fie giebt der Seele eine flärs 
ade Spannung, wodurch fie aller ängftlihen Sorge und alles 
tummers, fo wie aller jauchzenden und übertriebenen Freude über 
riiche Dinge nad) und nad) unfähig wirb und eine gewiffe Ges 
aſſenheit gegen alle Begegniffe erhält. Wenn man einen fo 
regen, die Seele fo oft und far befchäftigenden Gegenfland ber 
Teilnahme hat, fo erträgt man es leichter, daß die kleinern min: 
& wichtigen und entzogen werben oder ben Wechfel alles irbis 
sen erfahren. So war Simeon, man fieht es der Ruhe, wos 
ut er dem Tode entgegenfieht, an, wie gelaffen er auch das 
eben mit feinen Abwechfelungen zu tragen wußte. 

Aber weit entfernt, daß uns diefe Sefinnung mit dem Les 
2 zugleich auch die Pflichten defjelben minder wichtig machen 
‚üte, giebt fie und vielmehr neue Antriebe auch die Eleins 
en mit bem größten Kleiß zu erfüllen. Wenn viele 
renfchen, die das gute wirklich wollen, dennoch in der Uebung 
tielben gegen andere fo träge und Iäffig find, fo kommt es nur 
:ser, weil fie nicht alles dad, was in biefer Ruͤkkſicht gut und 
"btmäßig ift, dafür erkennen. Wenn fie in dem Zall find 
'aandem, mit bem fie in feinem Verhältnig ftehn, ober beffen Ver: 
‚zig mit ihnen gerade diefes nicht erfordert, einen Dienſt leiften 
= tinnen, eine Pflicht der Liebe gegen ihn zu üben, vielleicht 
ee eine folche, welche ben wenigften Dank hervorzubringen 

‘2 


132 


pflegt: fo hält fie der Gedanke ab, daß es ihre Sache nicht fe 
fih fo genau um ihn zu kümmern. Derjenige hingegen, deſſe: 
Herz mit Menſchenliebe erfuͤllt iſt, fuͤhlt auch das beſtaͤndige Be 
ſtreben fo viel ihm immer möglich iſt wirklich für die Menfche 
zu thun; biefen Stempel druͤkkt er allen feinen Handlungen ein 
er fucht immer weldye auf, wodurch er in feinem Kreis etwas fü 
andere ſchaffen kann; es ift nicht nöthig, daß jemand mit ihı 
verbunden fei, um alle Pflichten bed Menfchen und des Chriſte 
gegen ihn zu erfüllen, er eilt ihm zu dienen, weil er ein Menſe 
ift, und denkt bei jeder Gelegenheit, wie gut würde es um di 
Menſchheit ſtehn, wenn Ich immer, wenn jedermann immer | 
handelte. 

Diefe edle Gefinnung vermehrt femer unfere Dankba 
feit und Ergebung gegen Gott und giebt und unzähli; 
Gelegenheit ihn zu loben und zu preifen. Warum fcheint 
vielen, ald ob gute Dienfchen etwas fo feltenes wären? warn: 
finden fie gute Handlungen fo felten? Weit fie fich fo felten d 
nach umfehn, weil fie von andern Dingen angezogen gleichguͤlt 
ger dabei vorübergehn, und dann, wenn fie etwas erinnert, de 
Zufland der Welt in diefer Ruͤkkſicht zu unterfuchen, fo befinne 
fie ſich nicht dergleichen etwas gefchen zu haben. Derjenige hir 
gegen, deffen Herz von Denfchenliebe durchdrungen ift, hat nich 
angelegenered als dem guten nachzufragen, was in der We 
vorhanden tft, dieſes iſt überall der erfte Gegenftand feiner Unte 
fuhung; er weiß, daß das gute nicht fucht Auflehn zu mache: 
daß es oft verborgen bleibt, befto eifriger geht ex ihm nad 
und wie viel gute Menfchen, wie viel Saamen ber Zugend un 
Gottesfurcht, wie viel Strahlen der Wahrheit entdekkt er nich 
er findet immer ben Zufland ber Welt beffer als andere, ur 
lobt und fagt Dank, wo andere nur Klagen hören laffen. We 
zum find die Menfchen immer voll böfer Urtheile von ihr 
Brüdern? warum wird foviel wirklich gutes derfelben verkan: 
und fuͤr boͤſe gehalten? Weil ſie, nicht aufmerkſam genug, ihr u 








133 


Keil nach dem erflen Schein einrichten und fich aus ber Nei: 
gung das böfe als wahr anzunehmen befonderd dann mit bie: 
im Schein begnügen, wenn er ihnen etwas nachtheiligeö zeigf. 
Ehen dieſer Mangel an Aufmerkſamkeit führt fie auf eben bie 
Veiſe in ihren Urtheilen von den Wegen Gotted irre, die ihnen 
eit nachtheilig für die Menſchen zu fein fcheinen, weil fie ihren 
Zufammenhang nicht überfehn. Der wahre Dienfchenfreund hin- 
gegen nimmt an allem diefen einen viel zu großen Antheil, als 
deß er ſich mit einem flüchtigen Blikk begnügen ſollte, und fo 
findet er oft dad gut und nüzlih, was andere für böfe und un— 
rollkommen hielten. 

Daraus entfteht denn auch eine befondere Beruhigung 
für folche Fälle, wo fich wirklich die göttlihe Weis: 
heit vor menfchlihen Augen verbirgt, und wo wir bad 
gute, was fie damit beabfichtigt, nicht gewahr werben koͤnnen; 
wo andere bei unläugbarer Unvolllommenheit des einzelnen ftehn 
Naben, Da tröftet fi) der Menfchenfreund mit einer gewiß vor: 
Sandenen wenn auch von ihm nicht bemerften vortheilhaften 
Beziehung aufs ganze; fo wie Simeon ohne in feiner Ruhe ge: 
Rört zu werden der Maria vorausfagte, daß Chriftus auch zum 
Fall unb zum Xergerniß vieler in Iſrael fein würde. 

Dies find die fhönen Früchte, die wir zu erwarten haben, 
wenn wir den zarten Keim der Menfchenliebe in unferm Herzen 
pflegen und nähren, und dazu haben wir heute die fehönfte Er- 
munterung. Wenn wir mit unferm eignen Herzen fertig find, 
wenn wir bie Unterfuchung, was von allem bem guten in uns 
wir wol feiner Erfcheinung verdanken, und mas auch unfere Seele 
wol ohne ihn geworden fein würbe, mit gutem Vorſaz und dank: 
barem Lobe befchloffen haben: ‘dann laßt uns unfern Blikk auch 
zäter auf das richten, was die ganze Menjchheit dadurch ges 
sonnen hat. Ehre ift dadurd geworden Gott in ber 
Höhe, Friede auf Erden und den Menfchen ein Wohl: 


134 


gefallen*). Wie if die wahre Erkenntniß des Höchften dadurd 
unter einem großen Theil der Menſchen audgebreitet; wie il 
nicht Gefinnung der Liebe fo feft in fie gepflanzt; wie find fi 
nicht glüflicher und zufriedener geworden! Dies ift das Fe 
der Menfchenliebe, diefe Begebenheit iſt ed, die und am lautefle 
bazu aufruft und und durch fie erhebt! Wie follten wir um 
noch irdiſch ängfligen; der und ihn gab wird und mi 
ibm auch alles andere geben **)! Wie follten wir not 
an feiner Weisheit zweifeln, wenn und bisweilen die Lehre ef 
verfannt fcheint? Wir rufen vielmehr immer aus, Welche Tie 
der Weisheit und ber Liebe Gotted! Der bdiefe Anftalt tra 
wird aud fo viel Seligfeit ald möglich dadurch hervorbringer 
Wie follten wir noch träge fein im guten? Unfere Seele hei 
fih den Zußftapfen deſſen zu fölgen, der die Menfchen fo ho 
geliebt hat. Am Tage feiner Geburt laßt ed und geloben, weni, 
fiend in unferm Kreife immer mit feiner würdigen Gefinnung! 
zu handeln; laßt und mit Freuden fein liebſtes Gebot earfülle 
bag wir und unter einander lieben, gleichwie er und geliebt ha 
Amen. 





eut. 2, 14. 
") dm. 8, 39. 


x1. 
Die wahre Schäzung des Lebens. 


Ucber Pfalm 90, 10. 


Am Neujahrstage 1793. 


N dr. Der Uebergang in ein neues Jahr des Lebens iſt 
Zeitpunkt, wo fich der Menſch gemeiniglih aus bem bloßen 
cuß der Gegenwart herausreißt und ſich wenigftend auf einige 
inden ber Ueberlegung zwiſchen ber Vergangenheit und Zu: 
theilt; er umfaßt in feiner Erinnerung einen großen Zeit 
za mit allen feinen Freuden und Genuͤſſen, Leiden und Wi 
wirtigkeiten, mit allen guten Handlungen, die er hervorbrachte, 
% allen Beweifen menfchlicher Schwachheit, bie er darin abge 
"at. Go rechnet er mit ber Vergangenheit ab und macht 
ad ſchon wieder feine Vorftelungen von der Zukunft. Et⸗ 
5 ideinen faft alle Menfchen bei diefen Betrachtungen mit 
under gemein zu haben, ein ruhiges Gefühl ber Dankbarkeit 
m tes vergangene und eine frohe Hoffnung über die Zus 
Nur der, dem ber Stachel bed eben jezt quälenden Leis 
richt Ruhe und Unparteilichkeit läßt, nur der, der den Gram 
"ct, kann von diefen Empfindungen auögefchloffen fein. 


En — 


136 


Aber bei aller biefer Icheinbaren Gleichh eit, wie verfchiebe 
fehn nicht dennoch die Menichen das vergangene und künftige i 
dieſem Zeitpunkt an. Der eine fieht auf alle vergangenen Fre 
den, ohne ſich der bamit verbundenen Widerwärtigkeiten zu en 
nern, mit einem tiefen Bebauern zuruͤkk; er feufzt über den tı 
fhen Gang ber Zeit und barüber, baß er am Ende eines jede 
Sahres den nämlichen Seufzer werde thun müffen, bis endli 
zu fchnell daS lezte herbeikomme. Ein anderer freut ſich mil 
müthig nur über das, was er audgehalten, was er überflandı 
bat; nur an die Sorgen und Mühfeligkeiten dent er zuruͤkk; fi 
der Freude zu erinnern lohnt ihm die Mühe nicht, um ihre 
willen würde er nichts von bem übernommen haben, was ı 
that um ſich durchs Leben burchzufchlagen; froh fo weit gefon 
men zu fein fieht er mit angeflrengten Kräften einer neuen che 
fo mühevollen und langweiligen Zukunft entgegen. Derjenig 
ber wirklich viel gelitten bat, läßt body den Freuden, d 
er dabei genoffen, wenn er fie auch nicht ganz vergißt, felt 
Gerechtigkeit widerfahren und glaubt fi) immer volllommen b 
sechtigt, von ber beginnenden Zukunft einen vollen großen Er 
für die vergangene Duldungszeit zu erwarten. Von einer ai 
dern Seite betrachtet find viele fehr leicht mit ihren Thaten i 
ber vergangenen Zeit zufrieden; ihre Fehler und unrichtigen Hanl 
lungen bleiben im Schatten, nur das gute erleuchtet fich ihre 
Slikk, nur in der richtigen Stimmung und den Vollkommenhe 
ten ihrer Seele finden fie den Grund davon: und fo fühlen I 
ſich ſtark und fehn mit einer gewiſſen Vermeſſenheit in die 31 
Zunft, die wie fie meinen nichts ihren Kräften gefährliches da 
bieten Tann. Auf andere machen zwar ihre fehlerhaften Han 
lungen einen größeren Eindrukk, aber eben dad Gedaͤchtniß, W 
fie ihnen zurüßfruft, bringt ihnen auch alle begleitenden Umflän! 
ins Andenken, und überall fehen fie, wie hier ihre Verhaͤlmiſſe 
eingeſchraͤnkt, da ein unvermutheter Zufall fie. aus der Faſſur 
gebracht, und bort eine fonderbare Verwikkelung fie zu falſcht 


137 


Maaßregeln verleitet hat. So Ichieben fie ale Schuld auf die 
Umflände der vergangenen Zeit und fodern zur Entfhäbigung 
günftigere von ber Zukunft. 

So einfeitig fchliegen bie meiſten Menfchen ihre Rechnung 
mit ihrem Leben ab; wenige laflen der Vergangenheit Gerechtigs 
fit widerfahren; wenige geben der Zufunft mit Gleichmüthigkeit 
uad gefaßtem Geiſt entgegen. Alles das fcheint daher zu kom⸗ 
men, weil die Menfchen, jeder durch feinen Zufland verleitet, ben 
Werth und den Einfluß des Lebens nur von der Seite betrach- 
ten, die fich ihnen zuerſt darbietet, und ſich nicht Mühe genug 
geben die übrigen ans Licht zu ziehn; und wir werden alfo un: 
ſere Empfindungen hieruͤber am richtigfien leiten, wenn wir fu: 
den das menfchlihe Leben fo gut ald möglich von allen 
Seiten zu betrachten und feinen Werth und Einfluß vid- 
fig zu ſchaͤzen. 


Zert. Pf. 90, 10. 


Unfer Leben währet ſiebzig Jahre, und wenn es hoch 
kommt, fo ſind's achtzig Jahre, und wenn's koͤſtlich 
gewefen ift, fo iſt's Mühe und Arbeit gewefen; denn 
es fähret ſchnell dahin, als flögen wir davon. 


Die Heilige Schrift enthält mehrere Ausfprüche, welche die: 
km an Inhalt gleich find, aber fie werben gemeiniglich von al: 
Im Theilen gemißbraucht; einige rechtfertigen damit ihren Un: 
auth und legen es als eine allgemeine Geringichäzung alles bef: 
kn aus, was und dad Leben darbietet; andere, welche dad gute 
deſſelben vielleicht zu hoch ſchaͤzen, wollen fie nicht als das Ende 
Aner ruhigen Weberlegung, fondern ald den Ausbruch einer un- 
zuthigen Empfindung von Männen anfehn, welche entweder 
kurch Alter oder durch Kummer niedergebrüßft den Befchwerben bes 
kebens nicht mehr gewachſen find, und vor denen fich bie Freu⸗ 
den beffelben deſto mehr verfchliegen, je mehr ſchnelle Abwechſe⸗ 


18 

lungen des Bebens die Kräfte ihrer Sede abgenuzt haben. Vor 
beiden vorgefaßten Meinungen frei wollen wir ganz ruhig bie 
fem biblifhen Ausſpruch nachgehn, um feinen Sins 
zu erforfhen. Da werden wir erfilich darauf geführt wer: 
ben, wie überhaupt das menfchliche Leben zu beurthei 
len ſei, und dann auch leicht zweitens fehn, was das End 
dieſer Unterſuchung un ſern Empfindungen am heutiger 
Tage für eine Richtung giebt. 


Wenn wir da zuerft Die Frage unterfuchen, wie das menſch 
liche Leben zu ſchaͤzen fei, fo laflen wir uns hier gar nic 
darauf ein über ben Werth ber menfchlichen Seele und bei 
menfchlichen Dafeins überhaupt zu fprechen, denn ber Tann nie 
manbem unter und zweifelha%t fein; wir wollen nur fehen, wie di 
Berfaffung, in welche wir auf dieſer Erde gefezt find, der Natu 
unferer Seele angemeffen, in wiefern fie im Stande fei unfen! 
natürlichen Trieb nad) Wohlſein und Gluͤkk zu befriedigen unt 
und unferer großen Beftimmung zu nähern, denn das iſt es di 
gentlich, worüber die Menſchen unter einander und oft auch mil 
fih felbft uneins find. Da ift unflreitig unfer erfler Gedanke 
daß ed doch wahre Freuden und Gluͤkkſeligkeit fü 
uns giebt in der Ordnung der Dinge, in welche wir zum An 
fang unferer Laufbahn gefest find, dag wir nicht nur darin bi 
Freuden ſchmekken koͤnnen, die unmittelbar aud unferm innern ent 
fpringen, ſondern daß auch eben die Einrichtungen der irdiſcher 
Welt, die Art des gejelligen Lebens mit andern unfered gleichen 
felbf die Ieblofe Welt um uns ber und unfere Verbindung mi 
einem irbifchen Körper eine reiche unverfiegende Quelle vor 
moncherlei Freuden find, denen wir ihren wohlthätigen Einflul 
nicht abfprechen können. Es ift wol möglich, daß fich uns bai 
alles bisweilen ganz anders barflellt, und wir dann nur bie Un 
vollloummenbeiten des Lebens erblikken; aber, diefe finflere Em 





139 


pndungdart zu bilkigen, fie zu herrſchenden zu machen und uns 
im irdiſchen Wohnplaz nur ald ein Jammerthal zu befchreiben, 
ta3 gar keinen Genuß dem beflern Menſchen gewähre, unterbeß 
mon doch immerfort durch den Einfluß beffelben gewinnt, auch 
zo man es nicht bemerkt, dad ift doch eine Undankbarkeit, wo: 
ie und Gott bewahren wolle, und dad liegt auch gewiß nicht 
in den Worten unferd Textes und in dem Ron, wie darin von 
x Schnelligkeit ded Lebens gefprochen wird. 

Aber eben fo wenig läßt es ſich laͤugnen, daß ed auch wahre 
kiden giebt; alled was Quelle von Freuden ift ift nicht 
am duch feine Vergaͤnglichkeit auch Urfach von ihrer Zerflörung, 
Indern burch andere natürliche Unvollkommenheiten auch Urſach 
wancher entgegengefezten eben fo wirklichen Leiden: bie Fehler 
bez gefelligen Lebens legen und mancherlei Buͤrden auf, die Nas 
w führt und bisweilen große Befchwerden zu, und unfer Körs 
da halt oft den Geift zuruͤkk und quält und burch Schwäche 
m Krankheit. Warum follten wir auch dad nicht eingeftehn? 
riſen wir body, baß wir bier nur Pilger find, und bag unfer 
Beterlond droben ifl. 

Nun aber entfteht die Frage: wie ungleich diefe Freu: 
a und Leiden vertbeilt find? Da fcheint mancher mit 
va erſten fo gefegnet, daß er von ben meiften der leztern kaum 
ze Vorſtellung hat, unb wieberum mancher mit den lezten fo 
ierhäuft, dag ihm eine Freude noch etwas ſeltneres fcheint. 
Xchnen wir aber von diefer Ungleichheit dad ab, was nur im 
x Stimmung ber Seele, in ber größern oder geringen Fertige 
U des gute zu finden und zu erhöhn und das Uebel zu ver 
ꝛiden ober fich zu erleichtern gegründet ift; bleiben wir nur bei 
a flehn, wovon die verſchiedenen Verhaͤltniſſe des Lebens Ur: 
* fein follen: fo werden wir dieſe Ungleichheit nicht fehr in 
tıhlag bringen bürfen, wenigftend nicht, wenn wir unferm 
Et folgen. Was für verſchiedene Werhältniffe deffelben war 
st Moſeß von der Erziehung im königlichen Haufe bis zum 





140 


einfachen Schäferleben und von da wieber bis zum Führer ei 
ned ganzen Volks Durchgegangen; aber es iſt, ald wenn bad nid 
wäre, ald wenn er dba gar Beinen Unterfchieb fände; er ſprich 
nicht dad Leben des Hirten, nicht bad Leben des Königs, fon 
bern dad Leben des Menſchen überhaupt. Und in der That il 
ed auch fo; nur die Geftalt der Freuden und 2eiben, die un 
bie verfchiebenen Verhaͤltniſſe des Lebens gewähren, iſt verfhie 
den, aber dad Verhaͤltniß derſelben findet ſich überall al 
das nämliche. Wenn Reichthum und Anfehn den Genuß de 
Lebens vervielfältigt und erleichtert, fo legen fie auch manche 
drüßfenden Zwang auf, ber manches Vergnügen entfernt. Wen 
ein geringerer Wohlftand bie Wünfche einfchränkt, fo befreit « 
zugleich von dem Auffehn und von der Zubringlicheit eigennüj 
ger Menfchen; wenn Macht und Gewalt über andere dem Mer 
fhen mehr Freiheit für feine Kräfte läßt, fo find fie auch m 
taufend Sorgen und Unruhen verbunden, babingegen bad Be 
hältniß des Gehorſams, wenn es audy manche Entjagung foder 
wiederum eine gewifle Ruhe hervorbringt, weil man nur eine 
vorgefchriebenen Wege zu folgen braucht; wenn audgebreite 
Kenntniffe, die gewiſſen Ständen nöthig find, dem Geiſt mand 
edle Beichäftigung geben, fo erfordert die Erwekkung und Unte 
haltung derfelben viele mühfam und freudenlos vollbrachte Zei 
die für den Genuß und thätigen Gebrauch des Lebens verlor: 
ft. So werden wir von allen Verbältniffen des Lebens finde 
daß fie fih in allen mannigfaltigen Abänderungen und mit allı 
jedes einzelne begleitenden zufälligen Umfländen in Abficht di 
Gluͤkks, das fie möglich machen, und des Leidens, dad fie he 
beiführen, fo ziemlich das Gleichgewicht halten. 

Aber diefe Ueberzeugung genügt und noch nicht für t 
Schäzung, die wir vorhaben; wenn jedem bad Leben faft gleich vi 
trägt, was trägt ed nun einem jeden? find ber Zrüchte ot 
der Difteln mehr? iſt das gute ober das üble überwiegend? € 
natürlich dieſe Frage ift, fo ſchwer ift fie doch zu beantwort: 


141 


Das was auf einander folgt ift zu verfchieben, um fich verglei. 
sm zu laflen, und wenn wir einen neuen frifch empfunbenen 
Schmerz gegen alte lange vergangene Freuden ober eine Menge 
keiner Annehmlichkeiten gegen ein großed Leib und umgekehrt 
halten wollen: fo haben wir feinen richtigen. Maaßſtab zu biefer 
Bergleihung; oft fchäzen wir auch in ber Erinnerung ein vers 
gangened Gut oder Uebel nach unferer jezigen Empfindung, ohne 
es zu wiflen, ganz anders alö zur Zeit des Genuffed. So fährt 
unfer Leben dahin, wie ein Strom, und fo wenig wir an feiner 
Mündung noch jeden Tropfen erkennen koͤnnen, den wir in feis 
nem Lauf fließen fahen: fo wenig koͤnnen wir jeden Theil unſeres 
Lebens genau unterfcheiden, wenn er norbei iſt; dad ift gewiß, 
wenn ed vorbei ift, fo ift e8 Mühe und Arbeit geweſen, befläns 
diges Streben und Widerfireben, Niederfchlagen und Aufrichten 
ter Seele; aber bad Uebergewicht des einen über dad andere mag 
jo gar groß nicht fein, weil bie Schäzung beffelben fo allein von 
ver Art abhängt, wie wir ed anſehn; zum beutlichiten Beweiſe, 
daß dad Verhaͤltniß ded Lebens zu unferm Trieb nach Gluͤkkſe⸗ 
gleit nicht den ganzen Werth defjelben ausmade: 

Vielmehr kommt ed bei unferer Schäzung vornämlich da⸗ 
uf an: wiefern die Einrichtung deffelben ber Er 
rihung unferer Beflimmung förderlich ifl. Da ift es 
denn gewiß eben fo falich, wenn viele Menfchen glauben, biefed 
%ben fei für den menfchlichen Geift ein Zuftand der Berbannung, 
2a deſſen Ende er immer fehmachte, wo ed ihm nicht möglich fei 
auen Grad der Vollkommenheit zu erlangen. Nein, die Einrichtung 
des Lebens ift voll von Belegenheiten unfere Kräfte zu 
iußern und zu üben, zu erhöhen und zu veredeln! Oder 
zie, kann nicht ein jeder in feiner Sphäre nach den Gefegen ber 
Schigion und Tugend thätig fein und darin zunehmen? Wird 
"ht jeber täglich an feine Fehler gemahnt, und hat er nicht Ge 
senheit genug fie durch Achtſamkeit und Widerſtand zu befie 
a? Wie hoch kann ſich nicht der Menſch emporſchwingen! 


12 


Welche Leichtigkeit das gute zu üben, welche Zreiheit von kei 
denfchaft, welche Ruhe ber Seele, welche Liebe zu Gott, welch 
lebendige Erkenntniß heiliger Wahrheiten ift ihm nicht moͤglich 
Was ift ed doch, daß man Plagt, bad Leben zöge und zu feh 
zur Erde zuruͤkk? Macht uns die Einrichtung deſſelben irgen! 
eine Tugend unmöglih? Wir fehn ja überall die erhabenfte 
Beifpiele, wie fie der Menfch auch unter den ungünftigften Um 
fländen durch befländigen Streit und Kampf bennoch erringt 
Zwingt fie uns etwa zum böfen? Alles ift ja voll von Beweiſen 
was für Kraft in dem Deenfchen und ben ihm zugegebena 
Hülfsmitteln Tiegt, auch ber größten Verführung auszuweiche 
und dem erfannten guten.treu zu bleiben! Aber bad ift es, daf 
fie die Schranken der menfchlihen Natur nicht überfleigen un 
eitele Wünfche eined thörichten Herzend nicht erfüllen koͤnnen 
Sie möchten Tugend haben ohne Kampf, was Feine Tugent 
"wäre; fie möchten auf ber höheren Stufe ſtehn ohne die niebri 
gere durchgegangen zu fein. Sie möchten Mittel Haben unfehlba 
auf die Menfchen zu wirken und alle ihre Abfichten zu erreiche 
ohne ihre Abficht felbft vollkommen gereinigt zu haben. Ei 
möchten Kenntniß und Hülfe haben von fremden Welten, vor 
fremden Gefchöpfen Gottes, weil fie meinen, die Weisheit fei au 
jedem andern Wege leichter zu erlangen ald auf bem, ben ihner 
die Führung Gottes vorgezeichnet bat. So wollen fie über die 
ſes Leben hinaus; aber haben fie fchon alles erreicht, was ihnen 
in bemfelben möglich wäre? Keiner fleht am Ziel! Jeder hal 
noch viele Kronen vor fich, die er im irdifchen Kampf erreichen 
Tann. Wer noch athmet, hat in der Schule des Lebend ned 
nicht auögelernt. 

Aber auch hier ift alles voller Klagen über die Ungleich 
heit des menichlihen Zuſtandes, die Möglichkeit des guter 
theilhaftig zu werben, meint man, fei eben fo ungleich ver 
theilt wie das irdifhe Gluͤkk. Der eine, heißt ed, hal 
gar keinen Wirkungskreis hienieden, feine Kräfte find entwebel 


443 


un gehemmt, oder er kann fie body nur als ein Gut anfehn,, 
ti er für andere und nach ihrem Willen verwaltet, nicht als 
amd, das ihm eigenthümlich gehörte; wie mag er ben niederge⸗ 
rfften Geift erheben und durch Thätigkeit feine Beſtimmung 
mihen? Gin anderer hat einen großen Kreis. um fich ber, den, . 
a gleihfam nach feinem Willen bewegt, nicht nur feine eigenen 
ah anderer Kräfte ſtehn ihm völlig zu Gebot, in jedem Fall 
Tim die Handlung möglich, die ihn durch ihre Schönheit reizt, 
id jo kann er alle Art der Thätigkeit üben und unzaͤhliges 
we um fich ber verbreiten, inbeg jener kaum fein eigned Befle: 
au fihern vermag. So wirb ber menfchliche Zufland ges. 
#bert, aber gefchieht es nicht bloß um fich felbft zu entſchuldi⸗ 
, daß man nicht mehr gutes. wirft? man will feinen eigenen 
al ald einen Fehler der Führung Gottes barftellen, man will. 
glauben machen, daß bie Gelegenheiten gute zu thun nieht 
a xweſen feien, Die man überfehn hat. Und ift etwa ber Glanz. 
2 de Größe der äußern Folgen ein wahrer Maaßſtab für bie 
wihlihen Handlungen, und nicht vielmehr dad, was in der 
?ale vorgeht, unb bie Kraft, die fie anwendet? Ein jedes denk⸗ 
= Berhältniß des menſchlichen Lebens legt und Pflichten auf, 
26 die wir nüglich find, deren Ausübung und Mühe Eoftet, 
Mer zeigt und und alfo auf Gott führt und im guter weiter 
nt. Je emfiger und treuer wir dieſe erfüllen, deſto thäfiger 
d mir. D ed mag mancher große Veränderungen in der Welt 
mergebracht Haben, wovon die Gefchichte noch nach Jahrhun⸗ 
“a ſpricht, und dabei weniger thätig geweſen fein ald viele, 
"unbemerkt im verborgenen ihren ſtillen Beruf in. der Melt 
X Treue erfüllten. 

Eben fo ungegruͤndet ift die Beichwerbe, daß dad Leben 
tu parteiifch die Beförberungen und Hinderun— 
der Befferung des Menfchen austheile Wenn ed. 
— fheint, als ob einigen ber Weg zur Gottfeligleit und Tu⸗ 
2 mit Blumen beftreut wäre; als. ob fie feine Hinderniſſe bei 


144 


allen ihren Bemühungen fänden und leicht zum guten gelang 
ten, weil fie vom böfen nicht verfucht werden; wenn ed aud 
fcheint, als ob bei manchen andern gleichfam alled zu der Abſich 
verfchworen wäre fie im böfen zu erhalten und ihnen alle Ruͤkl 
wege daraus zu verfperren, fie gleich noch einmal fo tief zurüft 
zuſtuͤrzen, wenn fie ein wenig emporgellimmt find: — fo il 
doch auch dad nur Schein. Es giebt nur ein böfes, wozu de 
Menſch verfucht wird, nämlich daß er irgend etwas, das feine 
Neigung fehmeichelt, demjenigen vorziehn möchte, was er ald gu 
und dem Willen Gottes gemäß erkannt hat. Dieſes verfolgt ihı 
in taufend verfchiedenen Geftalten, aber müffen wir nicht geſte 
ben, daß diefe Verſuchung allen Werhältniffen bes Lebens in 
gleichem Maaß beimohnt? aber ein jedes giebt und auch Mitt 
an die Hand und herauszuziehn. Das wird jeber bei einer un 
parteiiichen Unterfuchung unter allen Ständen und Unſände 
wahr finden. 

So iſt es alſo, wenn man alles zuſammennimmt, mit de 
menſchlichen eben beichaffen. Es ift ein Zufland, deſſen Zwel 
nicht der Genuß ber Annehmlichkeiten ift, die er barbietet; ei 
Zufland, der wirklich nicht Freuden genug hat das ganze Ha 
an ſich zu ziehn, aber doch genug um mit Wohlgefallen dari 
zu verbleiben und bad auszurichten, wozu man ba ifl; ei 
Uebungsplaz, wo bei allen fcheinbaren Verſchiedenheiten jeber m 
gleichen Vortheilen und Nachtheilen auftritt, jeder daſſelbe Mac 
von Kraft findet fich zu flärken, daſſelbe Maag von Arche 
feine Kräfte zu brauchen und durch Ueberwindung von Echmi 
rigkeiten zu üben; fo iſt dad Menfchenleben eined wie bes at 
bern und, wie unfer Xert fagt, Mühe und Arbeit ift es und ſo 
es fein durch und durch. Mühe in der Erbulbung feiner B 
ſchwerlichkeiten und in bem natürlichen Beftreben fie, fo viel ı 
mit höhern Pflichten beftehn Tann, zu entfernen; Mühe in bei 
Trachten nad) mancherlei Freuben; Arbeit in allen feinen © 
ſchaͤften; Arbeit in ber Ueberwindung aller innen und äufe 


145 


keımgen; Arbeit in ben fchweren und mühfamen Zortfchritten 
‚m guten. Das iſt e3 ohngefähr, was die Worte unferd Tex⸗ 
5 über das irdifche Leben des Menfchen fagen wollten. Nun 


ne und h 
1. 


en, was biefe Schäzung befjelben unferer heutigen Em: 
ndung für eine Rihtung giebt, Was denfen wir 
m bei der Ruͤkkerinnerung an dad vergangene? Wenn wir 
05 gute, was wir auch in dem verflofienen Sahr genoflen 
ten, [Hagen und gegen dad unangenehme abwägen 
slien, fo laßt und nicht die Freuden deſſelben, welche vorüber 
mit Undanfbarkeit für nicht erklären, für Kleinigkeiten, die 
ae Theilnahme und unferes Dankes unmwerth wären; nein, mit 
puben laßt und zuruͤkk denken an fie alle als an füge Er⸗ 
=äungen, die und Gott auf unjerm Wege geſchenkt hat, und 
‚stneldifche Seitenbliffe. Nie werden wir dem verkehrten Ge 
em Raum geben, unfere Werhältniffe und Schikkſale mit ben 
ktzegniſſen anderer zu vergleichen, bie uns vielleicht günfliger 
: kun feinen. Wie oft gefchieht ed nicht, dag Menfchen ald 
ıtiih beneidet werden, die heimlich über ihr Ungluͤkk feufzen 
2 jih über Diejenigen wundern, die nicht Durch den dußern 
een duschzufehn vermögen, und fo würde ed und bei allen 
‘ten Urtheilen gehn. Wir find im voraus überzeugt, daß bei 
"m eine ähnliche Miſchung von Freuden und Leiden flattges 
een habe. Vielmehr vergleichen wir unfere eigenen Begeben⸗ 
onnur mit der Beftimmung des Lebens und ber allgemeinen 
zu defielben, die wir und eben vor Augen gelegt haben, und 
made wir deflo zufriedener fein, je weniger wir große Ans 
‚she auf reine unvermifchte Gtüßffeligfeit machen zu bürfen 
5 bewußt find; — oder follten wir nicht immer geſtehn müf: 
"daß wir Annehmlichkeiten genug genoffen haben, um unfere 
sein Thatigkeit zu-eshalten und wo «3 nöthig war aufs 
a zu beleben? bag wir den Tribut von Leiden und Wider 
zIndigten I, K 


146 


wärtigfeiten, den wir biefem unvollfommenen Zufanb ſchuldi 
find, immer haben überftehn können? | 

Stellt ſich und auf diefe Weife der größere angenehme Thei 
des vergangenen Jahres vornämlih dar, fo lat und dennod 
nicht zu fehr Elagen, daß es fo ſchnell verfloffen ifl. Bei 
jevem Genuß, fo kurz er und gemwefen zu fein fcheint, iſt un 
aller Schnelligkeit ohngeachtet dennoch fo viel geworben, ald um 
beflimmt war, um biejenige Maſſe von Vergnügen hervorzubrin 
gen, weldye überhaupt das irdifche Antheil der Menfchen if 
Scheinen und alle Freuden mit rafchen Schritten geeilt zu fein 
- fo find ihnen die Leiden in dem nämlichen Zuge gefolgt. Wen 
wir freilich ein vergangened Jahr nur nad) Maafgabe des Ba 
gnuͤgens ſchaͤzen müßten, was und als Weberfchuß über bie Le 
den zu Theil geworben ift, fo wären wir immer berechtigt es fut 
und arm an Inhalt zu nennen; aber wir kennen ja eine ande 
Beflimmung bdeffelben; laßt und doch nicht nur nach dem ſeher 
was wir empfunden haben, was an und gefchehen ift, ſonder 
vornämlich nach dem, wad wir gethan haben; und finden m 
viel Thätigfeit der Seele, viel Fleiß im guten, viel wohler 
gerichtete nüzliche Handlungen darin, fo wollen wir nid 
fagen, baß es leer und fchnell vergangen ifl, und wenn uns au 
alle Gluͤkkſeligkeiten deffelben jest nur noch als ein Zraum di 
fcheinen. | 

Erwägen wir aber diefe Handlungen ſelbſt, we 
im verfloffenen Jahr unfer Werk waren, fo wird auch diefe E 
innerung burch unfere vorhergegangene Ueberlegung richtiger UN 
fruchtbarer gemacht werben. Erftlich, wir werden uns mun nid) 
wenn uns die Summe der guten Thaten zu Hein fcheint, tät 
fhen, nicht glauben, dag wir allein hinter unferen Brüdern ſt 
ben, daß unſere Lage und weniger Gelegenheit gegeben im gl 
ten thätig zu fein, als irgend einem Menfchen der Erde. Un 
wenn wir ung nun biefe Taͤuſchung nicht erlauben, fo werdt 
wir es bei genauer Aufmerkſamkeit wol entveffen, wo unfe! 











147 


Ichläffigkeit das gute, dad auf unferm Wege lag, überfehen, 
m unfere Traͤgheit auch das, was wir fahn, unausgeuͤbt gelafs 
m. Haben wir uns aber diefen Vorwurf weniger zu machen; 
gt es Stellen in dem vergangenen, wo wig e8 und geflehn 
xıien, bag unfere Seele mit Muiterkeit und Luft ausgerüftet 
wa thatig war, fo viel fie e8 vermochte: fo laßt und unfere 
Dakbarkeit und Zufriedenheit Darüber nicht durch ein vergebliches 
Ripergnügen über Die Art biefer Thaͤtigkeit flören; haben 
3 und Vernunft und eigene Erfahrung einmal verfichert, daß 
ser feinen Umftänden ded Lebens ein Tag unthätig und un: 
zarzt vorbeiftreichen darf, fo laßt und doch und daran genügen; 
st und unfern Beruf ehren und lieben, wenn er auch ſtill und 
ubemerkt iſt; Laßt und mit der fchönen Seite deffelben uns vers 
kut machen, bag nicht der Glanz und die Größe ber Außern 
fein, die wir in ben Handlungen anderer bemerken, und ver: 
Kadın und falfche Triebfedern in unfere Seele bringen. 

Kihten wir ferner nun unfer Auge auf die Güte unferer 
hendlungen, fo werden wir vielleicht viele erblikken, been wir 
Ba unrecht und fehlerhaft f[hämen, und wenn wir 
m ganzen Zufammenhang und bie Umflände, unter benen wir 
koleiten, bedenfen, fo werben wir vielleicht manche darin fins 
'cı, mas diefe Fehler ganz natürlich herbeigeführt zu haben fcheint ; 
it wir find gewiß weit entfernt biefe Entdeffung zu mißbraus 
a, um einen gewiffen Leichtfinn in der Beurtheilung unferer 
St zu befehönigen und die Schuld des böfen nicht auf uns 
am auf unfere Zuftände zu ſchieben. Wir haben und fefl 
Imeugt, dag es fein Verhältniß ded Lebend giebt, wo man 
u boͤſen gezwurgen es nicht vermeiden koͤnnte. Sind wir es 
2 nicht felbft bewußt, daß felbft zu der Zeit da wir fehlten, 
Lifte genug in und lagen, um alle dem zu widerfiehn, wenn 
"nur den Willen gehabt hätten fie zu gebrauchen; und bie 
ur bereite Hülfe der Religion, war fie und benn uner⸗ 
ahbar? Nein! wären wir nur beffer gemefen, fo könnten wir 

82 


148 


nicht nur unter diefen, auch unter noch weit ungünfligern Um 
fanden beffer gehandelt haben. Sehn wir alfo andere nebe 
und, die von dieſen Kehlern frei find, werden wir unferm Sto 
die armfelige Zufucht erlauben ihr Leben für beffer eingerichti 
zu preiſen, um fie felbft nicht für beſſer halten zu dürfen? Ke— 
ned Menfchen Leben, wiffen wir, ifl leer an Verfuchung, un 
wenn auch die Handlungen, wozu fie verleitet werden, nicht alle de 
nämlichen Schein haben, fo werden fie doch alle in gleichen 
Maag verfucht vom guten abzumeichen. Kennft bu die inner 
Kämpfe, dig derjenige hat burchftreiten müffen, den du als eine 
begünftigten Liebling anfichft, weil du die äußere Verſuchung i 
feinem Leben nicht fahft, denen du unterlegen bift? Aber geh 
in dih und befenne, Feiner wirb verfucht über fein Vermoͤger 
und dein ift die Schuld, wenn du nicht obgefiegt haft. Ebe 
diefe Ueberlegung, welche und unfere unvolllommenen Hanblun 
gen in bem rechten Licht zeigt, macht und auch befcheiden bi 
der Freude über dad gute, was wir in Der vergangene 
Zeit von und gethan finden. Ja wir freuen und darüber; mi 
dankbarer Rührung erinnern wir uns der liebevollen Zührun 
Gottes, welhe und auf dem Weg des Lebens fo vielen Veran 
lafjungen begegnen ließ, bald durch richtigere Erkenntniſſe unien 
Verſtand aufzuhellen, bald durch tiefere Biiffe in uns felbft un 
neue Ziele, nach denen wir ringen, aufzuſtekken; bald durch be 
fonderö fegensvolle Eindrüffe von der Liebe und Hoheit Gotte 
unfere Seele zu erheben, bald mandherlei Handlungen der Lieb 
und des Wohlwollens gegen andere zu üben — aber werdei 
wir und nun vermefien, baß zu allem biefem guten unbedingt di 
Kräfte immer in unferer Gewalt ſtehn? Wie nun, wenn allı 
diefe Gelegenheiten mit ben ſtaͤrkſten Verſuchungen auf die ſchwach 
Seite unſeres Herzens begleitet geweſen waͤren, wuͤrden wir im 
mer ſtark und feſt genug geweſen fein zu überwinden? Daß wit 
mande gut Handlung gerade dann thun konnten, als irgen! 
etwas unjere Seele befonders geſtaͤrkt und des guten fähig ge 


149 


sıht hatte; alle diefe größeren und Eleineren Huͤlfsleiſtungen, 
"uns von außen gekommen find, weſſen Werk find fie, als 
sen, der fo Yiele Befoͤrderungsmittel bed guten in das ir 
iht Leben überhaupt legte, und ber ben befondern Gang eines 
kn mit ber liebevollſten Weisheit leitet? — So können wir mit 
im ruhigen Wohlgefallen in die Vergangenheit blikken. Seine 
kung hat und in nichts vernachläßigt, fie hat und an Gele 
sat zur Freude und zum guten unfern Brüdern gleich und 
m weile bedacht, und unfere Ausfiht in die Zukunft, 
se fie nicht die namliche fein? Gewiß, wenn wir unfere Vor⸗ 
irngen von dem, was uns etwa bevorfteht, nach den Begriffen 
whten, bie wir uns eben jest auseinander gefezt haben. Wer 
t Bergangenheit hat Gerechtigkeit widerfahren laffen, dem bie: 
«uch die Zukunft Fein Schreffbild dar, das ihm lauter Un: 
itt tarftellte; aber eben fo wenig werden wir auch leiden, daß 
#rügende Einbildungskraft ihrem Bilde glänzendere Farben 
kriege als fie wirklich hat, wie werden und nicht etwa er: 
den träumerifche eitle Hoffnungen auf fie zu bauen, wie es 
eichter Sinn zu thun pflegt. Sol etwa nun alles anders 
nen, als ed bisher gewefen ift? Laffen wir nun alle Sorgen 
dKuͤmmerniſſe der Vergangenheit dahinten? Wird dieſes 
tt an neues Schikkſal für und ſchmieden, aus der Erfüllung 
rer liebſten Münfche zufammengefezt? Werden wir nun ohn- 
‚dar dies oder jenes irdifche Gut erlangen, das wir biöher nicht 
chen konnten? Iſt ed diefe oder jene beflimmte Freude des 
dus, diefe oder jene beflimmte Art des Mohlfeins, auf bie wir 
nung machen Eönnen? Nein, fo unähnlich der Vergangen⸗ 
* wird die Zukunft nicht fein; es gefchieht nichts neues unter 
: Sonne und wird auch nichts gefchehn; die Zukunft waͤchſt 
: tem Keim der Vergangenheit hervor und iſt ihr aͤhnlich; 
= Ned angehende Jahr wird feinen vorigen Bruͤdern in dem 
Ak ähnlich fein. 

Und fo heißen wir Bich willfommen, bu neues Jahr; wir 


150 


kennen die mäncherlei lebhaften und fanften, ſtarken unb liebt 
chen, erhabenen und unfchuldigen Benfchenfreuden, die du m 
die führfiz wir find ihrer Begleitung gewohnt, und froh geh 
wir ihnen aufs neue entgegen; wie und eine jebe derfelben e 
feheinen, wo fie und die Hand reichen, wie lange fie bei un 
weilen wird, dad überlaffen wir der Macht, die uns führt, ab 
treffen werden wir fie alle, des find wir gewiß. Doc auch il 
werbet nicht zurüffbleiben, ihr größeren und Pleineren Leiden Di 
Erdenlebens, manche Freude werdet ihr unterbrechen, mand 
Stunde werdet ihr und trüben, manche Seufzer unferer Bru 
erpreffen; aber kommt auch ihr, ihr feid unfer beſchiedenes Au 
theil, wir können euer Recht an und nicht abläugnen, fo lan 
wir noch ben Stempel des trbifchen tragen, wir werben mit eu 
freiten, wir werden unfere Kräfte an euch üben, wir werben ut 
fere Abneigung befiegen, wenn wir euch nicht vertreiben koͤnner 
wir werben und an die Sefinnungen der Religion flügen, wen 
ihr und zu mächtig werbet, und fo wird auch diefem Jahr da 
allgemeine Kennzeichen eingebrüßft fein, daß ed Mühe und X 
beit fein muß. Sollte bei diefem Loos irgend jemand ui 
und fein, den wir bensiden werben? ed fallt auch einem jede 
unferer Brüder ſchwer an dem nämlichen Joch, und nur ber | 
am beften dran, der ed am beften zu tragen weiß. 

Und was hoffen wir nun von und felbfl in bie 
neuen Zukunft? was wird fie zu unferer Beflerung, zu unfer 
Veredelung beitragen? O ba brauche ich ed wol nicht erft | 
erwähnen, daß niemand von uns fich der Heinmüthigen Meinur 
überläßt, als ob wir dazu hier weder Gelegenheit noch Kräf 
hätten und immer auf dem nämlichen Flekk des Elends und d 
Unvolltommenheit ftehn blieben. Selbſt wenn jemand unter ur 
fein follte, dem entweder eine neuerliche Demüthigung feiner felb 
oder ber große Abftand deifen was er ift gegen dad was er 
fein wuͤnſcht, oder auch ein wirklicher Mangel an Zortfchritt 
im guten Veranlaffung zu einer merklichen Unzufriedenheit u 


151 


Ina vergangenen in dieſem Stuff gegeben hätte, ſelbſt biefer 
kan nicht einen fo verzagten Begriff faflen.- Das Nachdenken 
iber dad vergangene zeigt ihm bie Möglichkeit des befferen, das 
Lißvergnuͤgen über feine Zehler erfüllt ihn mit einem edlen 
Kur, und die Anhänglichkeit an die Religion giebt ihm bie 
Cürke, die dieſem Muth angemefien if. Wir alle, find wir 
ut jgt voll eines heiligen Eiferd gegen die Schwäche, beren 
zu und bewußt find! haben wir nicht aus der Ueberlegung bes 
vergangenen nüzliche Lehren in biefer Ruͤkkſicht gezogen? Sind 
we nicht eben jezt befchäftigt unfere beften Maaßregeln für alle 
dl feſtzuſezen, wo wir verfucht werden Eönnten? brennt nicht 
m und eine heiße Begierde nach dem guten, was wir bis jezt 
wc verfehlten? fehn wir nicht fchon im Geiſte leichtere und fichrere 
Biel dazu? wie fpannen wir nicht unfere Kräfte! wie wollen 
w nicht danach ringen! Aber freilich fo fchön wird nicht alles 
Hör, wie wir es jezt wünfchen oder und vornehmen. Auf ein: 
ml werben wir und nicht von nun an zu Muftern alles guten er: 
wen und alle Schwachheiten hinter uns laſſen. Selbft diefer 
nt gefühlte Eifer wird oft erfalten in unferer Seele, oft wer: 
da wir ihn vergeblich hervorrufen wollen, aber deſſen koͤnnen 
ur und getröften, wir werben alle unfere Wünfche von der Art 
a (ofen erreichen, ald wir fie immer recht ernſtlich wollen werben. 

Laßt und getroſt in unfer Leben hinaus fehn; folten wir 
aa gerade in dieſer Ruͤkkſicht vor den Einſchraͤnkungen deſſel⸗ 
im zittern? O wir mögen es und denken wie wir wollen, überall 
nd es reich fein an Aufforderung guted zu thun, es wird Feine 
dewalt da fein, die und zuruͤkkzwingt, alle diefe Schäze find uns 
“, wenn wir Eifer haben fie zu fehen und Stärke fie zu heben. 
bt und Freude haben; fühlen wir einen guten Willen und 
M demüthiged Herz, fo werden wir wirklich mande davon 
kin. Frömmigkeit und Tugend werden und felige ſegens⸗ 
re Augenblikke bereiten, veicher werden wir und durch Thaͤ⸗ 
ikit an manchem guten finden, und manche ſchwere Handlung 


152 


werben bie wohlthätigen Einwirkungen unfered Lebens freun 
erleichtern. Aber irdiſche Unvollfommenheit wirb uns oft ſch 
und läffig machen, und dann wird vielleicht Das böfe und zur uͤbelſ 
Stunde verſuchen. O, wir muͤſſen nicht unterliegen! wer di 
fagen, daß er müßte? Aber laßt und wachen und beta 
dag wir nicht in der Anfehtung fallen *), laßt ı 
tapfer fein als Die Streiter Gottes, angethan mit allen Waffe 
die er und verliehen. Go fehn wir auch hier Mühe und Arb 
voraus, fämpfen und ringen, fleigen und fallen. Laßt uns ni 
Hagen! Es ift die Beſtimmung unfered Lebens. Laßt und ni 
wähnen, nur auf uns ruhe dieſes Schikkſal! Es iſt das Le 
aller, immer baffelbe unter taufend Geftalten, und thöricht de 
ber die, die ihm geworden ift, mit einer andern vertaufchen möcht 
Denn wenn er nicht ba fiegt, wo ihn Erfahrung Hug gemad 
baben follte, wie wird er fich da nehmen, wo er noch unbekam 
iſt? Aber ſchnell, ſchnell wird auch dieſes Jahr vergehen wie ei 
Strom; darum laßt uns eilen, von nun an jeden Augenblikk ar 
zulegen; immer ſei unſer Herz ruhig bei der Fuͤhrung Gottei 
immer unfere Seele des guten und ber Liebe zu ihm voll, immi 
unfer Geift demüthig mit Flehen zu dem gerichtet, der ben bi 
müthigen Gnade giebt, und der auch und geben wird bad Bo 
Ien und bad Vollbringen! Amen. 








” Matth. 2%, 4. 


Xu. 


Ueber die vornehmften Urfachen , aus denen 
die Menfchen troz der Erfenntniß des guten 
doch von demfelben fern bleiben, 


Ueber Luk. 8, A— 15. 


Am Sonntage Seragefima 1793. 


E— iſt nichts ſeltenes zu hoͤren, m. Fr., daß ſolche Menſchen, 
reihe Gott mit Gefühl und Liebe zum guten geſegnet hat, 
km aufrichtiges Beſtreben dahin geht auf dem Wege der Gott: 
"igfeit zu wandeln, und die ſich mancher guten Fortfchritte da: 
mn bewußt find, fich fehr über die verkehrte Richtung wundern, 
berin fie die Seelen anderer ihrer Mitbrüber fehn, über die boͤ⸗ 
m Sertigkeiten, welche fie angenommen haben, über bie Leich: 
ügfeit ſich durch fchlechte Bewegungsgruͤnde fortreißen zu laſſen, 
b daß es bisweilen fcheint, ald ob fie gar feine Aehnlich 
seit zwifchen fich und diefen ihren ungluͤkklichen Nebenmenfchen 
den Bönnten. Sie würden fi) ohne Zweifel weniger wun: 
ten, wenn fie in folchen Augenblikken gehörig bedächten, daß im 
Grunde alles dad böfe, worüber fie bei andern erflaunen, nur 


154 | 
eine oͤftere Wiederholung, eine größere Verſtaͤrkung deſſen i 


was fie feltener unb in einem geringen Grab an ſich felb 
bei einiger Aufmerkfamleit gewahr werben muͤſſen, baß bie när 
lichen Anlagen der menſchlichen Seele, welche bort eine gänzlid 
Berdorbenheit und Schwäche, eine gänzliche Entfernung vom g 
ten bewirken, auch bei ihnen felbft mit einer geringen fich fe 
ner zeigenben Gewalt über die Seele dennoch Urfach aller di 
zelnen Fehler und Mängel find, die fie fich noch geftehn muͤſſe 
Und das iſt doch ganz gewiß: wenn der gute Menfch fehlt, 
ift es nicht etwas andered, fondern bad nämliche, was denb 
fen zu bem Lafter, was biefem Fehler ähnlich ift, verleitet. Wa 
fi) zum Beifpiel der beffere fragt, Was ift es, das mich zu di 
fer Handlung hinriß, die ich al& meiner und ber Gnade, die Se 
bisher an mir gethan hat, unwuͤrdig erkenne: fo iſt es die nat 
liche Schwierigkeit flarten Gemuͤthsbewegungen zu wiberfich 
welche ben andern zu einem veradhtungswürbigen SHaven fein 
Neigungen macht. Wenn er ſich fragt, Wie fommt ed, daß die 
heilfame Wahrheit, die ih nun fo lebendig erkannte, dies erneu 
Bewußtfein irgend einer verborgenen Pflicht, das ich nun fo le 
baft füglte, dennoch den Einfluß nicht auf mich gehabt hat, bi 
ich mir davon verſprach, fo kann er es nicht laͤugnen: es iſt i 
gend eine von den vielen Urſachen, welche bei andern noch ſchw 
cheren Menſchen den Einfluß des guten ganz zerſtoͤren und m 
chen, daß auch die Erkenntniß ihrer Pflichten und ihrer Erwartu 
gen, die nicht bloß auf ihren Lippen und in ihrem Verſtan 
war, fondern wirklich ihr Herz rührte, dennoch ohne Frucht blic 
Leider iſt dieſe Erfahrung von ber öfteren Unfruchtbarte 
bed lebhaft erfannten und gefühlten guten eine fold 
welche auch berjenige, «der dem guten nachgeht, öfters am fich ſell 
zu machen Gelegenheit hat, und ed mag auch bier die Bewandr 
haben, daß wir die Urfachen davon in einzelnen Faͤllen ih: 
Wichtigkeit und ihren Kolgen nach nicht fo leicht erkennen, < 
wenn wir fie in dem Spiegel foldyer bebaurungswürdigen Mi 


155 


ihen betrachten, welche die traurige Gewalt derfelben in einem 
noch weit höhern Grad erfahren haben. Das hat unfer Erlöfer 
zu unferm Nuzen bebacht, ald er bei einer vorkommenden Gele 
genheit feinen Juͤngern und durch fie auch und einen nicht ges 
nug zu ſchaͤzenden Unterricht über dies wichtige Stuff der Selbſt⸗ 
erfenntniß gab, und biefen Unterricht wollen wir zum Grund 
unferer heutigen Betrachtung legen. 


Text. uf. 8, 4— 15. 


Da nun viel Wollt bei einander war und aud ben 
Städten zu ihm eileten, fprach er durch ein Gleichniß, 
Es ging ein Säemann aus zu fäen feinen Saamen; und 
indem er fäete, fiel etliched an ben Weg und ward vers 
treten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’d auf. 
Und etliche& fiel auf den Fels, und da ed aufging, vers 
borrete es, darum, daß ed nicht Saft hatte. Und etliches 
fiel mitten unter die Domen, und die Domen gingen 
mit auf und erſtikkten's. Und etliche fiel auf ein gut 
Zand, und ed ging auf und trug hundertfältige Frucht. 
Da er daß fagte, rief er, Wer Ohren hat zu hören, ber 
höre! — Es fragten ihn aber feine Jünger und ſprachen, 
was dies Gleichniß wäre? Er aber fprach, Euch iſts gegeben 
zu wiflen dad Geheimniß bed Reiches Sotted, den andern 
aber in Sleichniffen, dag fie es nicht fehn, ob fie es ſchon 
fehn, und nicht verftehn, ob fie ed ſchon hören. Das iſt 
aber dad Gleichniß, Der Same ift dad Wort Gotted, bie 
aber an dem Wege find, das find, die ed hören; danach 
kommt ber Zeufel und nimmt das Wort von ihren Her: 
zen, auf daß fie nicht glauben und felig werden. Die 
aber auf dem Feld find die, wenn fie ed hören, nehmen 
fie das Wort mit Freuden an, und bie haben nicht Wur⸗ 
zel; eine Zeit lang glauben fie, und zu ber Zeit der An 


156 


fechtung fallen fie ab. Das aber unter die Domen fiel 
find die, fo es hören, und gehen hin unter den Sorgen 
Reichthum und Wollüften dieſes Lebens und erſtikken un 
‚bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Lande 
find, die dad Wort hören und behalten in einem feine 
und guten Herzen, und bringen Frucht in Gebulb. 


Die große Menge Volks, welche um Chriflum verfammel 
war, deren größten Theil zwar nur Neugierde trieb ihn anzuhoͤ 
ren, auf die aber doch die große Kraft, womit er zu dem menſch 
lichen Herzen redete, ihre erſte Wirkung nicht verfehlen konnte 
brachte Chriſtum natürlicher Weife auf die Betrachtung, warum 
doch ohnerachtet der Ueberzeugung von der Wahrheit ber Lehren, 
die er ihnen gab, ohnerachtet ihres Eindrukks von ber Verbin: 
lichkeit der Pflichten, die er ihnen vorlegte, das gehörte gute bei 
den meiſten von ihnen ohne dauerhafte und beträchtliche Wirkung 
bliebe. Darüber theilt er ihnen nun feine Gedanken in einem 
Gleichniß mit, worin er unter den verlefenen fehr pafjenden Bil: 
dern von den vornehmften Urfachen redet, warum die meiften 
Menfchen ohnerachtet ihrer wirklich zu Herzen gegangenen Er: 
kenntniß des guten dennoch von bemfelben entfernt blieben. In: 
dem er aber feinen Süngern biefes Gleichniß erklärt, fo fagt er 
felbft zu ihnen, die doch vom guten nicht mehr entfernt waren, 
Darum fehet zu, wie ihr hoͤret; und das erinnert und aud un 
frerfeitö von dieſem Unterricht eine Anwendung zu machen, welt 
ſich näher auf und bezicht. Nicht nur in der Menfchheit über: 
haupt, fondern in jedem felbft dem beſten Herzen findet ber 
wohlthätige Saͤemann, der immerfort beflrebt ift den Samen de: 
guten auszuftreuen, zu verfchiedenen Zeiten einen folchen dem 
Fortgang dieſes Samens auf verfchiebene Weife hinderlichen Bo: 
ben. Wir werben alfo diefe von Chriſto angegebenen allge 
meinen Urfadhen von der Unfruchtbarkeit des guten 
im menf&hlichen Herzen, auch ald die Urſach von den ein- 





157 


nen Fehlern anfehn, welche fich ein jeder von und hierin zu 
Zöulden fommen läßt, und jede derfelben einzeln fo betrach⸗ 
n, bag wir nicht nur fehn, wa8 darunter gemeint ift, und 
zıe fie in der menfchlihen Seele wirken, fondern daß wir aud) 
siäcd unterfuchen, wie wir und davor Durch Die göttliche 
önade hüten können. 


1. 


Bas für Menfchen mag wol Ehriftus unter denjenigen ver 
"on, über die er ſich gegen feine Sünger fo ausdruͤkkt, dag 
ne dad gute zwar mit Freuden annehmen, aber ehe fie es 
d verſehen, fo fäme der Teufel und nehme ed von ih— 
un Herzen? Wir willen wol, daß ed eine allgemeine Re 
‚nöart unter dem Volk Chriſti war, alle wichtigen Begebenheiten, 
en Urfachen man nicht erkennen konnte, nach ihrer Beichaffen: 
1 entweder einem guten ober böfen Geifte zuzufchreiben; 
et was waren nun diefe verborgenen von ihnen felbft uners 
zuten Urfachen des fruchtiofen verfchwindend guter Eindrükfe? 
> fie find fchon dadurch genug bezeichnet, daß fie ald uner: 
lennt angegeben werben! Oder follte es möglich fein, daß ber: 
mige, ber auf fich felbft achtet, das gute aus feiner Seele ver: 
ıren koͤnne ohne wenigftens zu wiffen, wie es geichehen fei? 
San alfo das möglich ift, fo ift ed immer durch den unverant: 
zertlichen aber bei fo vielen Menfchen eingewurzelten Leicht: 
nn, weldyer macht, daß fie alled, was in-Abficht ihres geiſti⸗ 
näuflandes um fie und in ihnen vorgeht, überfehn ohne einige 
imerkſamkeit zu verwenden. Was koͤnnte auch einem, der nach 
a Urfachen ber Unfruchtbarkeit des guten fucht, eher einfallen, 
“ diefer eichtfinn, und wie liege fich ein paffenderes Bild das 
“denken als das, deſſen ſich Chriftus bediente! Der Saame 
tauf den. Weg! Ia das ift Fein Erdreich, welches bazu 
cutitet iſt ihn einzunehmen; man hat den Zuſtand deſſelben dem 
al überlaffen; bald iſt er weich, und alle Spuren deſſen was 


158 


darüber hergeht graben ſich tief in bemfelben ein; bald iſt er 
hart, und es fcheint, als ob die größte Gewalt nicht fähig wäre 
einen Eindrukk auf ihn zu machen: aber in jevem Zuftand fcheint 
ex nicht beflimmt irgend etwas hervorzubringen, fonbern nur ohne 
einen Zwekk für ihn felbft eine unzählige Menge aufeinander fol 
gender fich durchkreuzender Einbrüßfe von außen zu empfangen, 
die ohne Zufammenhang neben einander beſtehen und, wenn fie 
eine Zeit lang fichtbar gewefen find, von andern verdrängt und 
verlöfcht werden. So fällt denn au der Saame darauf; tt 
fheint fich bisweilen tief genug ins Erdreich zu fenken, aber dann 
wird er abfichtlo8 von denen die darüber hingehen niedergetreten, 
und jede neue Gewalt, welche darauf druͤkkt, verhindert nod 
mehr dad Keimen deffelben, bis er endlich erſtikkt. Bald liegt eı 
oben auf dem harten Boden, fichtbar vor aller Augen und be 
dauert von allen, bie e8 gewahr werben, und die Wögel bed Him: 
mel, die bavon leben, jedes Saamenkoͤrnchen dad fie erbliffen 
dem Erdreich zu rauben, worein es gefäet war, kommen und ver: 
zehren es ohne Widerſtand. | 

Das ift das Bild eined Menfchen, ber unachtſan 
und leidhtfinnig ift über alled, wa die Führung fet 
ner Seele betrifft; fein Herz iſt nicht bearbeitet und zum 
Gedeihen bed guten Saamend geſchikkt gemacht; ed hat über 
haupt Feine Kraft felbft etwas zu fein oder zu thun, fondern ei 
hängt ganz von den dußern Umfländen ab, deren Einwirkung € 
fih mit fo vieler Sorglofigkeit überläßt, und fo verfucht denn aud 
ohne Scheu alles, was ein menfchliches Herz rühren kann, fein 
Kraft darauf; ed lebt ohne eine beflimmte Richtung aller Ber 
änderungen auf einen Punkt weder zum guten noch zum böfen 
fondern in einem verwirrten gefezlofen Wechfel von Gebdankkı 
und Empfindungen, Neigungen und Begierden, bei benen es an 
Ende immer bleibt, wa8 es gewefen if. Wie fol ed nun bei 
guten Einbrüffen darin ergehn? Sie empfinden das gute un 
wahre, wie ſie alles empfinden; biömweilen ſcheinen fie es foga 








159 


tet zu fühlen, fcheinen e3 zu einem guten Zwekk in bem innern 
sed Herzend zu verfchliegen: aber biefed tiefe Gefühl ift dann 
km Borzug biefer Eindruͤkke; es iſt die natürliche Folge von 
tem Zuſtand, in bem fie find, und ber allem was fonfl wo auf 
ie einwirkt eben fo zu flatten kommt; alle nichtigen eitlen finnlichen 
ter böfen Eindrüffe dringen dann eben fo tief, und ba iſt es ja 
unermeidfich, daß irgend einer barunter ift, der jenem aufgefaß- 
m guten gerade entgegengefezt ift und alfo alle Wirkſamkeit 
deſelben aufhebt; erholt es ſich wieder, will ed dennoch etwas 
n der Seele fchaffen, o ed kann nicht fehlen, in dem beftän: 
tigen Mechfel von Gemüthöbewegungen kommt balb ein neuer 
Zend, der es ganz vernichtet, fo daß die Seele auch dad Bes 
wußtſein Davon verliert, daß niemand denken ſolte, es ſei jemals 
ia geweſen. 

Oft iſt auch die unerwartete Empfindung des guten in ei⸗ 
ner ſolchen Seele nur oberflaͤchlich; ſtatt innerlich verſchloſſen 
u werden wird fie aͤußerlich zur Schau getragen, ber Eindrukk 
fin allen Reden und Bezeigungen fichtbar, man fpricht mit 
Sirme von ber neu erkannten Wahrheit, von ber neu gefühlten 
Verbindlichkeit, man ift voller Gefühl über bie biöherige Uns 
eifienheit und Unrecht; aber wer den Menſchen Eennt, der be 
dauert ſchon im voraus dad Schikkſal diefer jezt fo hervorglän: 
nen Empfindung, und diejenigen, die ſich eine Freude daraus. 
den, das gute wo fie es fehn zu vertilgen, richten ihre Kraft: 
gen ſolches Herz; bald ift ed Spott, bald ein Blendwerk von 
knrebung, bald Warnung vor Gott weiß was für Schaden, 
“d Reizung, kurz das gute wird unausbleiblich ihre Beute, 
an es fag ja nur oben auf. Dann kommt wol bei Gelegen-: 
die Erinnerung in die Seele zuruͤkk, daß diefed gute doch 
‘a gewefen fei, und dann fol es irgend eine geheime übernatürs 
ide Kraft geweien fein, die es fo unverfehens geraubt hat. Es 
seht leider Menfchen genug, bei denen das fo fortwährt, und die 
ih anf diefe Weiſe für einen großen Theil ihres irdiſchen Lebens 








160 

bad Gluͤkk ihrer Seele verfcherzen, aber auch anbere find für ein 
zelne Kalle wenigftens in dem nämlichen verberblichen Zuftande 
Es müßte wol ein jeder weiter im guten fein, wenn jedes Saa 
menforn, das in fein Herz gefüet ward, gediehen wäre, weni 
jeder gute Eindrukk feine volle Wirkung gethan hätte. Ich denfi 
wol, daß fich bie meilten Menſchen folcher Falle werden erinnen 
koͤnnen; irgend eine nuͤzliche Betrachtung hatte fie befonderö ge 
rührt, fie Hätten fie fi) zu Nuz machen fönnen, aber wie ift « 
doch zugegangen? ehe fie fi verfehn, haben fie dennoch dai 
gethan was fie dadurch hätten vermeiden Fünnen, und das Be 
wußtfein jened guten ift verfchwunden, ohne daß ſich eine erheb 
liche Urfach daron anführen ließe; irgend eine gute Lehre iſt ih 
nen zugelommen, die ihnen eine heilſame Wahrheit vollſtaͤndiger 
wichtiger, deutlicher vorftelte, aber fobald ed darauf ankam til 
Wirkung davon zu zeigen, fo ſtellt fih nur der naͤmliche unvoll 
fländige verwirrte gleichgüftige Gang ber Gedanken dar, wi 
er vorher gewefen war — was ift alfo aus diefem Saamenkorn 
geworden? Es ift und gegangen wie dem leichfinnigen, und wil 
haben nicht einmal gemerkt, daß wir in einem verwerflichen Zu: 
fand waren. 

Wenn wir lange in dem Zufland leben, den man ben ge: 
wöhnlihen Gang der Dinge nennt, wo nichtd neues nicht3 au 
Berordentliches unfere Aufmerkfamkeit bisweilen fchärft, ba kann 
ed gefchehn, daß die Gewohnheit nad) und nad) den Eindrufl 
deſſen was in und vorgeht ſchwaͤcht, und bag wir fo unfert 
Achtfamkeit auf und felbft verlieren. Von feinem befondern Uchel 
bedroht, nicht in der Lage uns ein befonderes neues gutes zum 
Augenmert machen zu koͤnnen, fcheint uns alles von felbft feinen 
gehörigen Gang zu gehn, und wir verlieren die Spannung, allıs 
was in und gefchieht auf einen Zwekk, auf einen Punkt zu be 
ziehn. Dadurdy geben wir nun die Aufficht und Gewalt über 
unfere Gedanken und Empfindungen auf, wir fommen gemwijler: 


maßen wieber unter die Herrſchaft unferes Temperaments und 





— 


161 

u wenigen in einigem Grade in dem Zuſtande des leichtſin⸗ 
gen und werben es nicht gewahr, fo lange uns nichtd auffals 
ned daran erinnert. Da giebt es vielerlei Dinge, bie wir, weil 
x uns fo dem Zufall bingegeben haben, eben fo lebhaft em⸗ 
inden ald dad gute; ba kreuzen fich ungehindert fo viele nicht 
ı merer Beflerung gehörige Ideen, daß das gute barüber in 
ingefienheit Tommst und feine Wirkſamkelt durch Mangel an 
fätigkeit des Seele verliert; ober es entſteht eine folche gleich 
ige Kaltblütigkeit, bei der und alles nur fchwach rührt, und 
en ſo faflen wir denn auch das gute auf. 

Aber fo wie dad gute überhaupt feine Feinde hat, fo hat 
x jedes einzelne gute und jebe einzelne Wahrheit Menfchen, die 
taud mancherlei Gründen entgegen arbeiten. Können wir 
8 da wol munbern, wenn ed ihnen in biefem lenkſamen unbe 
uöten Zuſtand der Seele gelingt es und durch mancherlei Ums 
ee unbemerkt wieder zu rauben? Last uns nicht Die Schuld 
won auf irgend eine unfihtbare Macht fchieben, 
5 hält die Anwendung unferer Kräfte nur zurüft, laßt uns 
ünehr fehn, wie wir und vor dieſem leicht entſtehenden gefaͤhr⸗ 
dm Serlenzuftand hüten Sinnen. Der erſte Schritt dazu if 
Khhen, fobald wir glauben ohne Achtſamkeit auf uns felbft in 
u schten Bang eines Menfchen, ber auf den Wegen bes 
am wandeln will, bleiben zu tönnen. Auch der gewöhnlichfte 
ug des Lebens — fo muß derjenige denken, der die Schwach 
tea des menfchlichen Herzens kennt und dabei feine Seele be _ 
ken will — ja ein jeder Tag mit feinen kleinen Begegniffen 
nicht fo Teer, Daß ex nicht manches enthalten follte, was uns 
? Aufmerkſamkeit verdient; verabfäumen wir das, fo wirb be- 
adig etwas vorgehn, was bie Seele in Unordnung bringt, und 
dieſer Verwirrung wird manches fchädliche ungeflört ſich entwik⸗ 
“manches gute Saamenkorn ohne Keimen erflerben; wenn wit 
#tgen nicht unaufhoͤrlich arbeiten, wenn wir und nicht jebeö Weis 
d jur kräftigen Warnung dienen laſſen, fo muͤſſen fich biefe 
Verbigten J. e 


162 
traurigen Falle immer ehren, fo müffen wir. innmer weiter 
der Fertigkeit. dad gute zu benuzen zurüfßgefegt werben. 


1. 


Eine andere Gattung von Benichen, bei denen ſich de 
Fortgang im guten fchäbliche Hinderniffe entgegenfegen, ob | 
gleih noch einen Sthritt weiter darin gethan haben, als jen 
vergleicht Chriſtus in feiner Rede mit einem felfigen Bode 
der gleichfom nur auf ber Oberfläche mit einer duͤnnen Erdla 
bedektt if. Da koͤnnen wol Bleine Gewaͤchſe gedeihen, den 
Wurzeln nur auf der Oberfläche liegen bleiben, aber nicht w 
tiefer binzpter feine Wurzeln fchlagen muß, um Feſtigkeit zu b 
kommen. Dead Saamenkorn, dad auf ein folched Land fül 
keimt alſo, es fängt an zu grünen, es waͤchſt unter dem fanflı 
Einfluß einer milden Witterung, fo lange feine zarten Wurz 
chen disfe Erdlage noch nicht ganz durchdrungen haben, es gie 
eing träügliche Hoffnung bed Gebeihend; aber ‚bald bleibt es fehl 
feine Wurzeln fuchen tiefer zu bringen, da finden fie ben u 
buschöringlichen Felfen, und dad Wachsthum hört auf. Kom 
nun bie Hize bed Sommers, eben die Hize, welche bie Reife ai 
berer Gewaͤchſe befördert, fo hat es nicht Kraft genug ihre Bi 
tung audzuhalten, fein Boden liefert ihm viel zu wenig Saj 
es erliegt ber Gewalt der Sonne, es welt, ed ſteht noch lany 
ba, aber nur feine fümmerliche Geſtalt ohne Leben, endlich ve 
dort ed. So find diejenigen, weldhe das Wort zwa 
mit Kreuden annehmen, aber in der Zeit dex Anfıd 
tung fallen fie ab. Das gute, was fie erkannt und empfur 
den haben, bleibt nicht ganz untbätig in ihrer Seele, ed ige 
ſich mancherlei Feine Zolgen davon, ed fcheint anzufchlagen, e 
ſcheint fich zu vermehren, es giebt einen guten. Anfchein, abe 
weiter auch nichts. Ale biefe Folgen find gleichſam nur au 
ber Oberfläche ber Seele, «3 find Lauter leichte Handlun 
gen, weiche ſich verrichten laffen ohne daß daS gute eine groß 


163 


binlingliche Macht tiber bie Seele erlangt hat, und bei denen 
ned viel böfeß, viel dem guten widerſtehendes im Grunde des 
Hetzens vorhanden fein Tann, und babei hören denn auch alle 
Fortſchritte auf, welche das gute in ihrer Seele macht. So tief 
R 3 nicht eingedrungen, daß es in alle Theile der Seele ein 
griffen hätte, dag ed aus allen unaufhoͤrlich Nahrung zöge, 
af es nicht mehr auögeriffen werden könnte ohne bie ganze Seele 
a zerreißen, baß ed nicht eher untergehn koͤnnte, bis auch alle 
kraft des Geiſtes fich erfchöpft hätte, um es zu unterhalten. Danach 
das Herz nicht bearbeitet; e& wirkt unter günftigen Umftänben fo 
iel gutes, als ber Menfch Leicht über fich gewinnt, nur fo viel, 
18 er immer von feinen aͤußern Bezeigungen nad) Verhältniffen 
richtet, Die ihn nicht tief rühren, ald er immer eben diefen Ber: 
ältniffen von feinen Neigungen zu opfern gewohnt iſt. Aber im 
anern bed Herzens da find noch fo viele unbefiegte Neiguns 
en, fo viele heftige Begierben, fo viel ſchwere Trägheit, fo viele 
finde Vorurtheile; auf Unkoſten von diefen Tann das gute nicht 
ꝛachſen, es zeigt fich ohne Kraft, fobald es eine Aufopferung von 
itien gilt, es bleibt alfo bloß bei jenen dußern Bezeigungen 
ns fo iſt ed immer noch fichtbar in der Seele, aber jeber 
rahre Kemer ficht auf ben erften Blikk, daß es ohne wahre Kraft 
md Leben if. Wie wird es nun beflehn, wenn eben bie 
hüfungen fommen, welche bei andern Dienfchen dad Feft: und Reif: 
den im guten befördern, indem fie und nöthigen die Gemalt 
muwenben, die das gute über und hat? O da hat ed Feine 
zewalt; Feine große erworbene Fertigkeit, fein großer Sieg über 
%igungen unterſtüzt ed, und es verborrt gärzlih. So geht eb 
2 diefen Seelen einem Saamenkorn bed guten nad) dem un: 
m; weil ber wohlthätige Saͤemann nicht unterläßt immer 
me auszuſtreun, fo find fie nie ganz ohne äußere gute Hand⸗ 
imgen, aber ed bleibt alles fo matt, fo fade, fo welt und reift nicht. 

ern bei andern nicht die ganze Seele auf eine fo um 
iffiche Weife verhärtet ift, fo haben doch fo viele davon irgend 

2.2 


164 


einen großen Hauptfehler, über ben das gute ſchlechterdin 
nichtö gewinnen kann, an dem feine Kraft immer zuruͤkkpral 
der. alle Wirkungen deſſelben hemmt, fobald ed mit ihm in Str 
fommt. Aber felbft auf die, von benen fich dad nicht einm 
fagen läßt, paßt doch biefed Bild Ehrifli immer in fo mand 
Ruͤkkſicht, und feine Warnung gilt au fie! Mander Men 
hat wirklich alle feine großen Neigungen und Vorurtheile a 
geopfert, fie haben alle feiner Liebe zum guten und wahren w 
chen müflen: wie kommt es, daß dennoch fo viel angefangen 
gute zu keiner Vollendung in ihm gedeiht, daß er am einzeln 
Stüffen feiner Beflerung fo lange vergeblich arbeitet! Es 
noch irgend etwas in ihm, was dem guten bartnäklig widerſtel 
nicht etwas großes, dad durch feine Stärke fiegt, bad hat er all 
- Hingegeben, etwas an fich kleines, was ihn durch feine Bi 
borgenheit und burch die Macht ber Gewohnheit behnfcht. De 
Een wir und 5.8. einen recht guten Menſchen; er findet, daß 
oft die Menfchen zu fireng behandelt, er will ſich wahrer Na— 
ſicht und Gelindigkeit befleipigen, dad gute Saamenkorn waͤch 
ed gelingt ihm in den fchwerfien Fällen, das Unrecht bed We 
ſchen mag nun ihn oder andere betreffen; aber laßt ihm nur ü 
Meinfte Beleidigung zugefügt werden auf eine folche Art, di 
bad, was er in der Welt feine Ehre nennt, dadurch angegriff 
wird, wo iſt feine Nachſicht? wo feine Gelindigkeit? Diefer Hei 
Anſtoß ift ihm unuͤberwindlich, da fcheitert fein Worfaz jedesm 
ba kann er das gute nie durchſezen, was er ihm gebietet. Ui 
fo wird jeder in feiner Nähe und an fich felbft etwad finde 
. eine eingewurzelte Gewohnheit; einen alten Weberreft eines fon 
überwundenen Temperamentöfehlers, eine falfche Art gewiffe Dir) 
anzufehn, eine Vorliebe für gewiſſe Dinge, einen Widerwill 
gegen andere, bad ihn nicht nur hie und da zu einem Fehler ve 
leitet, fonbern jebeömal, wenn er in Streit damit kommt, und 
iwinglich wibderfieht und das gute zu Grunde gehn mad 
| 





165 


Des ifi: die felfige Gegend ſeines Herzens, auf ber wiele wohl: 
thaͤtig ausgeſtreute Saamenlörner des gute vertreten waren. 

"Aber wie, wenn ed Menſchen gelingt Felſen zu [prengen 
und auszuhauen und da wo fie flanden fruchtbare Felder und 
Gärten zu fchaffen, warum follte und nicht mit einem höhern Bei⸗ 
fand in unferer Serle das naͤmliche gluͤkken? Die meiflen 
Menſchen können fi einer Zeit.entfinnen, wo die Erfuͤllung ber 
Gebote Gottes und das Fortichreiten im guten bei. weiten nicht 
des einzige Biel war, worauf fie alle ihre Schritte binrichten 
wellten; denn damals war ihr Herz eigentlich für bas gute eine 
Bürftenei, unbebaut und bloß ben Ohngefähr überlaflen, ob et: 
was nüzliches darauf wachſen wollte. Iſt es ihnen gelungen es 
arbar zu machen und anzubaun, follten fie baran verzweifeln 
die großen Steine des Anſtoßes wegzubringen, die barauf noch 
jrüffgeblieben? Haben wir das [were überwunden, fo müße 
ten wir und vos ums felbft ſchaͤmen das befchwerliche zu fchewen. 
Nein, laßt und diefem Kampf entgegen gehn, der nichts alt Aus⸗ 
dauer erfordert; tägliche Aufmerkſamkeit, tägliches Widerſtehn in 
im den verfhiebenen Kleinigkeiten werben uns babin bringen, 
wohin wir wollen, und taͤgliches Gebet. 


11. 


Saft und aber nun Chriſto noch nad) dem dritten Bilde 
felgen, wad und unfer Wert vorftellt. Da fällt der Saame in 
anen guten fruchtbaren Boden, er gewinnt Krafe und wächk 
heran, aber im beſten Wachsthum der Pflanzen [hießen um fie 
er die Dornen hervor; ſchnell wachen fie in Menge heran, 
fie nähren fich noch einmal fo ſchnell, Dad gute verbirgt fich uns 
ter ihnen; endlich ziehen fie allen Soft an ſich, und dab gute 
vertrokknet, nicht weil etwa ber Saame fchlecht geweſen, nicht 
weil ed etwa bein Boden an Bearbeitung, Kraft und Fruchtbar⸗ 
keit fehlt, fondern nur weil diefe Dornen ihn gaͤnzlich audſau⸗ 
gen, fo baß nichts, für die jungen Pflanzen übrig bleibt. 


166 


Daß find bie, die unter den Sorgen, Vergnuͤge 
und Scherzen biefed Lebens hingehen unb bas gu 
dadurch erſtikken; bad if die allgemeine fo oft gehörte Kia 
von dem WBerberbniß der befien Herzen, wenn fie aus eingefchrän 
teren Verhaͤltniſſen in eine größere Welt kommen, wo alle Reigung: 
gereist werden, wo alle Gegenflänbe berfelben mit voller Kraft a 
fie wirken. Zu dem ſchnellen Gedeihen bed guten gehört ein He 
voll Gefühl, mit einen feften Willen, mit Anlage zu einer Star 
der Seele, bie viele Schwierigkeiten überwinden kann. Ba 
eine folche Seele in eine Lage kommt, wo alle Neigungen Gel 
genheit ihrer Befriedigung finden, fo wirb biefe Stärke wol bi 
zeichen diejenigen zuruͤkkzuſtoßen, welche fi) ats offenbar böfe us 
mit bem guten unverträglich zeigen; aber wie leicht wirb nid 
ein junges Herz buch fich felbft ober durch andere bethoͤrt: vie 
derfetben zeigen ſich Anfangs fo unfchuldig ober Binnen weni 
fen fo dargeftellt werden, bald ald Genuß erlaubter Freude 
bald gar als Pflicht, die man in einem gewiffen Grade ſech ſelbſt ob 
andern fchulbig fei, und die man alfo muͤſſe mit höheren Pflichten 3 
seimen fuchen, und bad macht, daB diefe Gegenſtaͤnde nach und na 
wünfchenswerth erfceinen. Was untemimmt ein ſolches He 
nicht alle, wenn es erft Geſchmakk an einer von ihnen gefut 
den hat; es firebt nun mit eben der Kraft nach der Befried 
gung berfelben, womit eö vorher dem guten nachging; bald we 
den alle Kräfte der Seele nur dazu gebraucht; ed geraͤth gan 
in bie Verwirrung ber Leidenſchaft, und glaubt vielleicht bei 
noch, baß bad gute im ihm fei, weil 08 noch hie und ba Di 
Spur davon erblikkt, bis es endlich ganz vergeht, wei ſich bi 
Geels nicht mehr damit deſchaͤftigt, weil es Feine Nahrung meh 
aus der Seele ziehn kann; ja bald fehlt auch das Vermoͤgen e 
auszuüben, weil die Richtung des Willens nach ber eiigegang‘ 
ſezten @eite, die Anhänglägfeit an das böfe ſchon zu groß un 
aigemein ifl. 

Abes auch da, wo nicht die ganze Ernte durch biefe Doe 


167 


m vernichtet wird, verhiudern fie doch in vielen einzel⸗ 
un Flen, daß das guke reif wird und zur Vollſktommenheit 
mt. Oft wird ein neucs Saamenkorn in bie Seele gefäet, 
e fühlt dad Beduͤrfniß irgend einer Vollkommenheit, die ihr 
oh fehlt. Ban hofft für das Gedeihen deſſelben, und es waͤchſt 
x Freude heran; aber plözlich eutſteht ivgend eine neue viel 
ut an fi unfchuldige Neigung, fie erlangt ſchnell einen ge 
iſen Grab des Deftigkeit; man verzeiht fie fich, -weil fie nicht 
iin ihrem Urfprung iſt, and weil man nicht fieht, daß das 
ı der Seele ſchon ganz befefligte gute darunter leidet; aber die 
jenegung, in welche fie das Gemhth fest, iſt doc, flarf genug 
were Aufmerkſamkeit vor dem neu’ zu erlangenden guten abzu⸗ 
un, es bleibt zuchft, weil es nicht mehr gepflegt wird, und die 
nfigkeit,, Die wir etwa ſchon darin erworben hatten, geht ver» 
nm. — Dſt macht man fchen bie beflen Fortſchritte in ber 
kung irgend eined guten, in der Ausübung eines guten Bor: 
u, aber man iſt fchon fait langerüßeit fehr von einem Ver⸗ 
Rigm eingenommen, bad man lange hat entbehren müffen, man 
ut ſchon lange einm ſehnlichen Wunſch, zu beifen Erfüllung es 
oh keine Möglichkeit gab. Auf einmal zeigt fich eine Gelegen⸗ 
M jened Vergnuͤgens zu genießen, diefen Wunſch zu erfüllen; 
kalte Neigung erwacht; dad wird nun bad vornehmſte Be⸗ 
nen der Seele, dahin treibt fie ihre ganze Kraft, bad gute 
morgen erſtikkt, und alle vorher darauf gewandte Mühe iſt ver⸗ 
mm. — SDft Hüte. man mis der größten Sorgfalt vie kürzlich 
Aangte Freiheit von einen Fehler, Fertigkeit in einer Tugend, 
un hat einen Entwurf gemacht fie noch mehr zu befeſtigen, 
un fängt an ihn in allen Handlungen zu befolgen, ex erfür- 
at aber Anſttengung um bie Seele in derfelben Spannung zu 
Halten. Da entſteht eine wiellzicht gute edele Empfindung, bie 
ih auf idiſche Verhaͤltniſſe bezieht, fie zieht eine Menge ande» 
a nach fi, die Stärke berfeiben fezt ums aus unferm Beſtre⸗ 
ea beraub, und ba die Richtung der Seele fo ploͤzlich verändert 


worben, fo iſt eö und auch hernach fchwer ja oft unmöglich us 
ganz in die vorige Enge zuruͤkkzuſezen unb unſern guten En 
murf da wieder aufzunehmen, wo wir ihn gelaflen hatten. 

Ya, möchte man benten, wenn es fo beſchaffen ifl, wenn nid 
nur die böfen, wenn auch die unfchuldigen erlaubten ja felbft fi 
gut gehaltene Neigungen und Freuben bem WBachsthum bed guten 
nachtheilig werden koͤnnen: wie follen wir es denn macher 
Die Erbe if verdammt Domen hervorzubringen, und bad menfd 
liche Herz ift beſtimmt burd die Empfindungen, die fein irbifcher 3 
and verurfacht, vorzüglid gerührt zu werden; wir koͤnne 
uns nicht davon losmachen. Und wir follen auch nid! 
aber wenn dieſe Empfindungen ſo mannigfaltig ſind, daß w 
ohne etwas zu entbehren die boͤſen zuruͤkkweiſen koͤnnen, ſollte 
wir nicht auch von der Liebe derer, die an fich unſchuldig find, jede 
zu hoben Grab überwinden koͤnnen, jeven nämlich, ber durch fe 
Heftigkeit dem guten fchaben Tann? und follten wir dies Bei 
baltnig nicht Dusch Erfahrung und Beobachtung finden koͤnnen 
Das Loft und unternehmen, dann gleicht unfer Herz einem gi 
ten After, auf dem neben ber eigentlichen Saat noch manche 
bübfche angenehme Pflaͤnzchen waͤchſt; man läßt es ſtehn - 
wird. es aber übermächtig, droht es aber über die Saat hinau 
zu wachien, dann reißt man es obne Zaubern heraus. 

Das find die von Chriſto angegebenen Hinderniſſe der Fruch 
barkeit des guten in ber menfchlichen Serie. Möchte doch Bi 
Betrachtung berfelben einem jeden fo wichtig werben, wie ed nad 
ber Abficht Chriſti fein follte. Auch derjenige, dem fein Gt 
wiffen hierüber das beſte Zeugniß giebt, der ſich jegt hoͤch 
ſtens einzelner Heiner Verſchuldungen in dieſem Stuͤkk bewußt if 
achte auch dieſe eingelnen kleinen Fehler nicht füx Kleinigkeiten, die ſei 
ner Aufmerkſamkeit und feiner Anſtrengung nicht werth wären. D wi 
Eönnen uns irren, unfer Gebädhtnig ift uns nicht immer freu 8° 
nug, und wenn er fich auch nicht irrte, fo erinnere es ſich, mil 
ches der Grund derfeiben ift, und was für Folgen daraus entſie 


109 


hen Bunen, wen er fie Merhend nehmen Täßt. Er beherzige 
Ne ernflen orte, die Chriſtus nach feiner Erklaͤrung zu feinen 
ingern fagt. Wie? fagt er, ſchikkt euch Gott bie Gelegenheit 
immer auf neue gutes zu erfennen barum zu, damit ihr fie 
wtergehn Laffen ſollt? ober nicht vielmehr darum, daß ihre felbft 
de guten Folgen davon genießen, unb andere fie auch zu ihrer 
Belehrung anfchauen follen? Je weniger ihre über bie Anwen: 
Img jedes einzelnen guten nachbenft und euch beflrebt, deſto 
mehr Berabfäumungen davon werden dann euch felbft offenbar 
werben an jenem age, wo alles offenbar wird , . . .. -- 


„CS @tuf. feptt.) 





Don der rechten Art über die Unterſtuͤzungen 
und Hülfsmittel zur Beſſerung nachzudenken 
die Gott einem jeden zu Theil werden laͤßt. 





1793. 


M. a. 3. Jeder, der auf den Namen eines frommen chriſtli 
chen Gottesverehrers Anſpruch machen will, fieht die Begeben 
heiten ſeines Lebens nicht bloß als die nothwendigen und natlı 
lichen Folgen von ben Dingen an, womit fie zufammenhangen 
fondern iſt von Herzen überzeugt, daß alles das unter ber Lei 
tung feines himmliſchen Waters geflanden bat. D 
kann es benn nicht fehlen, daß wir bei dem Nachdenken barübe 
uns fo mancher Hülfe in ber Noth, fo mancher befondern Un 
terſtuͤzung erinnern und und einer innigen Empfindung von de 
Liebe und Güte Gottes überlaffen. Aber ald vernünftige Men 
fhen, denen ed vornaͤmlich um das Ablegen ihrer Fehler, ur 
dad Zunehmen im ‚guten, kurz um dad Beſſerwerden und da 
Wohlgefallen Gottes zu thun iſt, als folche follten wir mit bir 
fen Betrachtungen nicht nur bei dem ftehen bleiben, was fic 


171 


anf unfer irdiſches Wohlergehn bezicht, fonbern wir ſollten 
vornaͤmlich unſere Gebanken darauf richten zu ſchn, wie ſich im 
ddr unſem Ecilkfalen boch alles darauf dezog, daß uns Go 
legenbeit zum Beſſerwerden gegeben werben follte, daß 
wis auch das in und verborgene. böfe gewahr werden follten, 
wos un Durch befonbere Umflände an ben Tag konuen Bannte, 
daß wir das WBebärfnig auch der Tugenden fühlen möchten, bis 
uns noch fehlen, Daß wir geprüft und geldutert unb auf mans 
Gerlei Art in dem gutem, wonach wir von Herzen firebtien, um 
terflügt werben fellten. 

Ein folches Nachdenken über die Begebenheiten unſeres 
kebens iſt num freilich Feltener als es fein ſollte; aber auch wen 
wir es anſtellen geſchieht es leider felten auf die rechte Art 
und kann alfo auch nur felten das bewirken, was es bewirken ſollte. 
Es mifchen ſich oft irrige Worftelungen ein, die uns auf böfe 
Uhwege führen, und ich glaube, daß ich mich auf bie eigene Er⸗ 
februng der meiften unter euch berufen kann, wenn ich fage, daß 
oft dadurch nicht Dankbarkeit fondern Undank, nicht gute Beor« 
kaum auf Gott ſondem trofiofe Niebergefchlagenheit, nicht 
chriſtliche Demuth fondern ein ungluͤkklicher Leichtfinn hervorge⸗ 
nacht wirb. Diefe Abwege find es nun, vor denen wir und im 
der folgenden Betrachtung mit einander warm wollen. 


Text. Luk. 11, 28% 


Er aber ſprach, Ja, felig find, die Gottes Wort 
Hören und bewahren. 


In dieſen wenigen Worten if alles enthalten, worauf es 
m der Sache ankommt, von welcher jezt unter und bie Rebe if, 
Une was Bott für und thun kann befleht darin, daß x und 
ein ort hören läßt, daß er durch Belehrung und Untere 
ht, durch Meifpiel und Grfahrung unſer Nachdenben uͤber fei« 
nen Willen weißt un leitet und burch mancherlei Umſtande un⸗ 


472 


ſere Aufmerkfamteit unterhält; daß wir nun aber das bewa h⸗ 
sen, daß wir darauf achten und danach thun, dab ik unfere 
Sache, und auf. diefen Zweklk muß auch unfer befondered Nach⸗ 
Denken über alle jene Fügungen Gotted gerichtet fein, ind wenn 
ed und babin nicht führt, fo if es falſch und verwerflich. Ich 
code alle nad Anleitung biefer Worte von ber rechten Ara 
über die befondern Unterfiüzungen und Hülfsmittel 
zur Befferung nachzudenken, welche Gott einem ie 
Den zu Theil werben läßt. Das unsichtige nun, was wir 
dabei vermeiden müffen, befteht vornaͤmlich in zwei. Stuͤlken: 
erfilich, daß wie durch diefe Ueberlegungen nicht undantbar 
werben, ımd zweitens, baß fie und nid Kol; und uͤb er m ü⸗ 
thig machen. 

. | 

Sch fage, wir muͤſſen und huͤten, baß eine folche Betrach⸗ 
tung wicht dahin ausſchlage uns undantbar gegen Bott zu 
machen. Das begegnet leider fo vielen Menfchen, die auch Hier 
ihre Lage unb ihren Lebenslauf immer mis andern vergleichen 
und fo viele um fich her zu feben glauben, welche von Gott weit 
mehr begünfligt und unterſtuͤzt find. Ja, fagen fie, wenn ich 
die Anleitung zum guten gehabt hätte, die jenem zu heit 
geworben iſt; wenn ich fo immer gute Beifpiele vor mir 
gefehn und unter guten Memfchen gelebt hätte; wenn ich fo vor 
Berfuhungen bewahrt geblieben wäre unb fo ein forgen: 
freies Leben gehabt hätte, wodurch fo vieled gute leichter 
wird! und fo entſteht Eiferfucht und Neid gegen unfere Brüder 
und Ungufriebenheit und heimlicher Groll gegen bie Zügungen 
Gottes. 

Aber iſt denn das recht fo? muß denn das ſo ſein? Wenn 
du es gut und redlich mit dir ſelbſt meinſt, fo gieb dich doch 
wicht fo falſchen und niederſchlagenden Gedanken hin. Gott ifl 
ja ber Water aller. Menſchen, er erbarmt fich ja aller feiner Rin: 


173 


der, es iſt ja unmäglic, daß er für mich weniger follte geſergt 
haben als für andere; es muß mol nur ein falfcher Schein fein, 
daß ich won ihm hinter andere zurüßßgefe;t bin. Wenn bu zur 
6 daͤchteſt, fo wuͤrdeſt bus wol apes anders anfehn, - Wenn 
vr an eimer guten Erziehung gefehlt Kat,.jo haben. freilich 
mancherlei böfe Neigungen cher Wurzel faſſen koͤnnen in. hei 
Herzen, aber bu konnteſt dann andy in ben Jahren; des Verſtan⸗ 
des deſto eher die übeln Zolgen des bäfen. hemerben; und. Dusch 
deine eigene Erfahrung belehrt die erfien Schritte zu demſelhen 
kennen und vermeiben.. Wenn bu wenig gute Beiſpjiele 9% 
ſehen Haft, ſo mußt bu doch geflehn, daß bie boͤſen auch lehrxeich 
ſind, und daß ſchon ˖der Gedanke, haß wir unter Menſchen leben, 
welchen wir nicht nachahmen duͤrfen, unſere Aufmerkſamkeit ſchaͤrſt. 
Venn beine Umſtaͤnde dir nicht erlaubt haben immer die Ruhe 
und Heiterkeit der Serle zu befizen , wobei man am leichteſten 
Here über ſich ſelbſt if, fo wirft du doch zugeben, daß man uns 
tee ben Sorgen und Leiden bed Lebend am beſten mit dem vers 
bergenen böfen, mit ben heimlichen Anlagen zus Habfucht, zus 
Ungerechtigkeit, zum Neibe belannt wird. Und fo wird eine ges 
naue Betrachtung der Sache a3 immer zeigen, baf wir und 
ſchwer verfündigen, indem wir gegen Gott murren, bag er gewiß 
für und nicht weniger forgt ES für andere, und bag wir und 
einer eben fo großen Liebe unn Sorgfalt sühmen koͤnnen, wenn 
er uns glich anders behandelt und und anbere Umflände unb 
Verhaͤltniſſe zuertheilt, um feine Abfichten mit uns zu exreichen. 
Bovon follte alfo wol biefer Unterichieb herrühren als von bey 
Weisheit deſſen, der die Bebürfniffe und die. ganze Beſchaffen⸗ 
heit eines jeden am. heſten kennt? Da können und freilich bie 
Bittel, die er bei andern anwendet, angenehmer und fanfter fcheis 
nen, aber wohlthätig und weile iſt gewiß auch bad, was er fuͤn 
und th. 

Benn das aber doch fo leicht einzuſehn iſt, woher komm 
es denn, daß das falfehe Urtheil, woraus dieſe Ungenuͤgſamkeit, 


178 


Viefe Eiferſucht amf biejenigen, weiche mehr SRIEHEE zu ihrer MER 
fermg in Händen zu Hıben ſcheinen, fo fehr gewöhrtlich üpkf 
Unfer Herz, m. Fr, verführt unfern Berſtand. E 
ſcheint wol, als ob dabei: Nine Begierde nach dee Zugend zum 
Braride' ige, ein’ ruͤhmliches Weflreben andern darin gleich zu 
konnnen, dder auch das Bewußtſein, daß wir biefe vermeinten 
beſſern Umſtaͤnde beffer benuzt haben würden, als andere es tha⸗ 
ben! : aber: daB iſt wol ſelten die Urſach. Wit ſehn das, wenn 
tote auf daB Verhalten der Menſchen in ihren irdiſchen Angeleı 
denheiten Acht geben. Wer find da die unzufriebenen, denen 
jeper andere beffer daran zu Tein ſcheint, die fo oft wuͤnſchen in 
der Stelle eines andern zu feih? Es find nicht die, weiche die 
Freuden des Lebens reiht zu fchägen und es recht zu genießen 
wiſſen, nicht die, welche die Mittel zur Gluͤkkſeligkeit, welche fie 
in Händen haben, zu benuzen verftiehn, ſondern gewoͤhnlich bie 
trägen, welche nicht aufgelegf find ſich ſelbſt etwas zu erwwer: 
ben, bie unordentlichen, welche nicht gelernt haben iht Wer: 
mögen zu ihrer Gluͤkkſeligkeit recht anzuwenden, die unweiſen, 
die ihr Wergnügen immer da fuchen wo es nicht iſt und alfe 
{hr Leben in fruchtlofen Bemuͤhmgen und ungläffliher Sangen- 
weile hinbringen; bie möchten gun bie Schuld des fchledhten Zu: 
ſtandes, worin fie fich ſehn, von ſich abmwälzen und auf ihre Au: 
ßeren Umflände fchieben. So iſt ed auch hier. Wenn win 
fühlen, daß tbir und wenig gute Eigenſchaften erworben haben : 
daß wir durch alles, was fich mit uns zugetragen hat, nicht 
weifer geworden find; dag unfere guten Votſaͤze und nichts ge: 
fruchtet haben: fo pflegen wir dann über den Verlauf unſeres 
Lebens nachzudenken, aber nicht um Gottes Güte darin zu Io: 
ben, fonbern um und gegen ihn zu vechtiertigen. Wir woller 
es vor und verbergen, bag wir träge geweſen find im Streber 
nach chriſtlicher Vollkommenheit, bag wir unklug gewefen fint 
Zeit und Umflände zu benuzen, daß wir fchlechte Haußhalter ge 
weien find mit den anvertrauten Pfunden, und da ſuchen voii 


#75 


ir Schuld auf umfere Uncſtaͤnde zu werfen. Ach m. Zu. wer 
ich beträgen will, der It immer unglölflic genug Mittel dazu 
wfindm. Aber das ſei ferne von und. So bewahren wis dus 
Bart Gottes nicht, eine fo eingerichtete Ueberlegung kann keinen 
zuen Einflug auf unfer künftige Betragen haben, vielmehe 
auf ſie uns immer weiter von dem Wege ber Trene und bei 
Feißes im guten abbringen, auf dem wir wandeln follten: Mär 
um wir aufrichtig gegen und felbft gewefen, fo hattın. wir un 
ve troͤſtliche Lehre nehmen koͤmmen, baß ed: uns auch ind Pink 
ige nicht an Gelegenheiten im guten zuzunehmen fehlen werde, 
I fie auch in folchen Umſtaͤnden vorhanden geweſen, die ur 
af den erften Anblikk fo ungünftig ſchienen, und fo überlaffew 
ur und ber troſtioſen Einbildung, daß wir von Gott zuruͤkkge⸗ 
a wären, und daß ev 03 und ſchwer mache feine Gebote zw 
aülen, Wir. Hätten koͤnnen an Seldfilenntnig zunehmen, ſtatt 
deſen aber ſchlaͤſern wir unfer Gewiffen ein und verſtokken uns 
ſa Her; wir hättere koͤnnen mit der Empfindung einer beſſern⸗ 
da Reue, einer Deaurigkeit, bie zur Seligkeit führt, unfer Nach⸗ 
len befchließen, flatt deffen enter wir davon Undantbars- 
kit gegen unfern gütigen Vater im Himmel. Ren, 
ach wenn die Wahrheit unangenehm und bemüthigend ift, fei: 
und heilig und doppelt heilig, wo es auf die Mechenfchaft 
alommt, die wir uns felbfl, und auf die Dankbarkeit, die wir 
Bor ſchuldig find. 
IL . oo. 

Der entgegengefegte Fehler, vor: dein wir und zu hüten har 
ben, ift der, bag wie nicht durch die Ueberlegung, wit Bott‘ al⸗ 
“zu unferm beſten lenkt, und durch die Erinmerimg an daB, 
“er in dieſer Kuͤkſicht für uns gethan hat, ſtolz und aber‘ 
aithig werben. 

Es iſt leider eine ſehr augemeine Kekgung ſich alle Von 
thalt auch als Verdienſte und Vorzuͤgt anzurechnen, Auch: wenn 


176 


man fie nur äußern Umſtaͤnden und dem, was wir Zufall nes 
nen, zu verbanten hat. So werben benn auch oft biefe Huͤlſs 
mittel zu unferer Beflerung, welche und Gott barreicht, dick 
Berhältnifle, die und dad gute erleichtern, befonberd wenn fie zu 
gleich angenehm find ober die Aufmerkſamkeit der Menſchen au 
ſich ziehn, als Verdienſte unb innere Vorzüge angefehn, und maı 
erhebt ſich Über diejenigen, welche weniger bavon zu befizen ſchei 
wen, So rühmt ſich mancher der guten auögezeichneten Den 
ſchen, die er etwa unter bie feinigen zählt, oder mit benen er in 
Verbindung ſteht; ein amberer feiner. Erziehung, feiner. Geſchaͤfte 
ſrines Gluͤkke oder auch wol feines Unglüffs und feiner Leibe 
uud meint, daß Gott. feine Schikkſale doch ganz worzäglich ve 
giere, an ihm ganz beſonders feine Liebe und Barmherzigkeit be 
weile, und daß ex alſo doch rinn Werth haben mufle, der an 
dern feiner Brüder fehle. Diefe unweile Eitelkeit aber iſt hie 
noch weit thoͤrichter und weit unvernünftiger als im jebem an 
dem Kal. Es kommt ja nicht auf das Außere Anſehn, nic 
auf die fihtbare WBeichaffenheit der Mittel an, deren füch Goli 
bedient um und zum guten zu führen. ine einzige Stund 
bed einſamen Nachdenkens, von ber ich gar. nichtd gewahr werde 
kann bei meinem Bruder weit mehr gutes fliften als der deut 
lichfle Anblikk des Elendes, worin fi) das Laſter endigt, bei 
mir gethan hat; eine einzige Erfahrung davon, wie fehnell böfi 
Gedanken des Herzens fich entwikkeln Eönnen, hat vielleicht einel 
hoͤhern Grad von Aufmerkſamkeit auf fich felbfi bei ihm hervor: 
gebracht, ald Unterricht und Ermahnungen zur Wachſamkeit bei mir 
So ii es und allo gar nicht möglich zu beflimmen, wen Got 
mehr und wirffamere Mittel zur Beflerung an bie Hand gege 
ben, und es wäre thöricht ſich darin gleichfam mit ander! 
mejfen zu wollen. — Noch thörichter aber iſt eb überhaupt, wen 
wir und folder Gnabenwoplthaten Gottes überheben, fie uni 
als ein Verdienſt anzechuen ober wenigſtens als eine gerecht 
Belohuung unfeser Vorzüge anfehn, wollen. Gin Verdienſt il 


177 


kbeh mm immer dad gute, wa3 durch unſere Mühe und un« 
Imleig im und entflanden ff, beffen, was wir zufällig erkangt 
sıben, duͤffen wir und nicht rlühmen. Uber bie Beranlaffungen, 
te Gelegenheiten das gute auszuüben oder zu erwerben find ja 
Herfaupt noch nicht etrvad gutes. So wenig als derjenige 
züttlih iſt, der reich ift, der die Lußern Mittel befizt um fich 
ti zu verſchaffen, was zu feinem Wohlfein gehört, eben fo we⸗ 
tig ift ja der ſchon gut, beim es Gott am vielerlei Gelegenheiten 
fir zu werben, am vieterlei Mitteln fid im guten zu befeftis 
sen nicht Fehlen 1äßt. Noch weniger follten wir ſolche Gnaden⸗ 
wehlthaten Gottes anfehn als Belohnungen für etwas gutes, 
ts wir ſchon gethan hätten; es iſt ja viel, wenn wir nad) 
te beften Benuzung derfeiben fo viel haben, um auf feine Bil⸗ 
nung Anfpruch zu machen. Gott, der und fein zu unferm bei 
fm gegebenes Geſez offenbart, der die Stimme in und gelegt 
st, welche und immer fagt, was bemfelben gemäß oder zuwider, 
' km ja wol von und forbem, daß wir diefem Geſez Gendge 
ken, auch "wenn er und ganz uns felbft überließ. Wenn er 
co mehr thut; wenn wir nicht umhin Binnen hie und da in 
term Leben beſondere Weranflaltungen wahrzunehmen, weldye 
trauf abzwekkten heilſame Weränderungen in und hervorzubrin⸗ 
m: fo iſt ja alles das, was wir in diefer Mikkficht Gnade 
hones, Unterftüzung in unferer Heiligung nennen, nichts anders, 
Barmherzigkeit, die unferer Schwachheit, unferer oft ſelbſt 
rihnldeten Schwachheit zu Hilfe kommt, als mildthätige 
Yade, die unferen Beduͤrfniſſen abbilft, welche wir doch durch‘ Ans 
Taugting unferer Kräfte felbft müßten befriedigen koͤnnen; eine ſchaͤz⸗ 
m Wohlthat, die aber doch immer anzeigt, daB wir dasjenige, 
2 mir eigentlith von ſelbſt koͤnnen follten, ohne diefelbe ſchwer⸗ 
"4 würden zu Stande gebracht haben. Da iſt alſo keine Ur« 
% und zu erheben, Fein Zeichen unſeres Berdienftes, ſondern 
Hegenhelt unfere Unvollkommenheit einzuſehn, und Veranlaſſung 
"23 zu demüthigen. 

Predigten 1. M 


178 


Wer fich irgend einer folhen Wohlthat Gottes überhebt, di 
denke doch ſelbſt über bie Urfachen derfelben nad. Es iſt eine 
durch einen vorzüglich forgfältigen und richtigen Unterricht bi 
Erkenntniß und Unterfcheibung bed guten von Jugend auf tiı 
eingeprägt worben; vielleicht würbe er fonfl nicht genug auf di 
Stimme feines eigenen Gewiſſens gehört haben. Ein anden 
bat fein Leben mit lauter audgezeichneten Menſchen vollbradt 
vielleicht war das fehr nothwendig, weil er geneigt ift mehr au 
Nachahmung zu handeln, mehr um das Lob berer zu erlangen 
die feine Handlungen beobachten,. ald aus Ueberzeugung. Ei 
anderer weiß ſich vieler einzelnen Gelegenheiten zu erinnern, w 
befondere Ruͤhrung und Erwekkung ſeine Seele heilſam erſchuͤ 
terten, und das veranſtaltete Gott vielleicht, weil die bloßen G 
bote der Religion, bie bloßen Vorſtellungen feiner Vernunft ; 
wenig auf ihn wirkten. Und fo find alle folche Unterſtuͤzunge 
nicht um einer Tugend willen ba, für welche wir belohnt we 
ben müßten, fondern wegen unferer Schwachheiten, bie baburd 
gebeffert oder wenigftend unſchaͤdlich gemacht werden. 

Wenn du das erkennſt, ſo wirſt du auch aufgelegt ſein da 
Wort Gottes, welches er dich auf ſo mancherlei Weiſe höre 
läßt, zu bewahren; aber jener elende Eigenduͤnkel kann nu 
nachtheilige Folgen haben. So viel Gnade hab’ ich bis ig 
von Gott genoffen, denkt er, ich kann auch wol voraus fehn, da 
er in Zukunft eben fo gütig mit mir umgehn wird; darüber mil 
ih nun aber auch froh fein und will gute Zuverficht haben 
Warum ſollt ich fo beforgt fein für bie Zukunft, warum follt ic 
mich mit ber angefpannten Aufmerkfamkeit auf jebe Hand 
lung und jeden Augenbliff des Lebens quälen? So begnabigl 
fo unterflüzt von Gott kann ed mir ja wol nicht fehlen, daß id 
von Tage zu Tage beffer werbe. Wer fo denkt, der glaube bod 
ja nicht, daß das bie Dankbarkeit fei, welche Gott verlangt, da| 

dad ber gute Muth fei, den die Ueberzeugung von feiner Unter 
ſtuͤzung und einflößen foll. Eben benen, bie fich folder Wohl 








179 


Katn Gottes zu rühmen hatten, ruft ein Apoftel Jeſu zu, 
Shaffet, dag ihr felig werdet, mit Furcht und mit 
Zittern *); zu eben denen fagt unfer Erlöfr, Wem viel 
gegebenifl, vondem wird auch viel geforbertwerben"*). 
€ mag wol fein, baß auch bei dieſer traͤgen Denkungsart, auch 
ohne dein Zuthun und ohne beinen guten Willen durch alle 
dieſe Anflalten Gottes etwas gutes in bir gewirkt wird, aber 
milk du damit zufrieden fein?.meinflt bu, daß Gott damit zus 
hieden fein werde! Bon allem wirft du einft Mechenfchaft ges 
ben muͤſſen, und dad gute, was ohne beine Bemühung entflan: 
den if, wird dir nicht fo zugerechnet werben, als das, was durch 
deine NRachläffigkeit unterblieb. Wenn du nicht ernſtlich darüber 
schdentft, Wie kann ich wol die Lage benuzen, in ber ich bit, 
5 für gutes kann wol baraus in mir entftehn? fo werben von 
im Begebenheiten, die Gott abfichtlich zu deinem beften mit 
ın ben Sauf beined Lebens einfchloß, nicht nur viele ganz unge 
braucht worübergehn, fonbern viele werben dir eben fo viel Schas 
den bringen, ald du Nuzen davon hätteft ziehn follen. Du wirft 
mterltegen in allem, was einigermaßen den Namen einer Pruͤ⸗ 
fung, einer Berfuchung verdient, und was Gott zu deinem Heil 
über dich verhängen wollte, wirb zu beinem Schaden außfchlagen. 

Das ift alfo gewiß eine falfhe Zuverficht, welche auf bie 
Hülfe, die von außen kommt, zu viel rechnet und fich durch bie 
Hoffnung auf biefefbe aller eignen Mühe und Arbeit überheben 
will, ohne welche doch Gott den Menſchen nichtd verheißen hat 
und nichts geben wil. Woher kommt fie aber? Aus bem 
Leihtfinn und der Trägheit, wozu die Anlage bei allen 
Menfchen ift und fich gerade in denen, die bad Anfehn zufrie 
dener unb heiterer Menſchen haben, am leichteften Außer. Wir 
innen uns nicht enthalten in die Zufunft zu fehn, aber wir 





Phil. 2, 12. 
» euk. 12, 48. 


M 2 


180 


möchten nicht ſchweres darin erbliffen, dad muͤhſelige Bild de 
Arbeit und Sorge möchten wir nicht darin wahrnehmen. Bi 
wollen uns an ber Ausſicht auf Glukk and Tugend In der Bu 
kunft ergögen, aber das wollen wir nicht hören, daß wir beit 
nur im Schweiße unferes Augeſichts genießen follen, und dei 
iſt das das ewige Geſez, welchem ſich kein Menſch auf Erde 
entziehn Tann. Gott hat und verboten, dag wir aͤngſilich in tı 
difchen Dingen für die Zukunft forgen follen, aber dabei beſtel 
doch fein Befehl alles zu fhun, was zu unferer Erhaltung un 
zu unferer Gluͤktſeligkeit nöthig iſt; eben fo will er micht, da 
wir an feiner Barmherzigkeit und an unferer Beſſerung verzwe 
fein, er wid, daß wir auf feinen Beiftand rechnen follen, wi 
follen alfo freudig fein ımb guten Muth haben, aber nicht at 
eine leichtfinnige Sorglofigfeit gebaut, fondern das ſollen w 
immer mit einrechnen, daß dieſer göttliche Beiſtand und nur dan 
etwas hilft, wenn wie auch feibft unfere Mräfte anfhenge 
und thaͤtig find fo viel als möglich. 

Laffen wir bad unfere Regel fein; werben wir ber Wahrheit nid 
antreu, weder um das zu befchönigen, was ſchon geſchehen il 
noch um das als leichter vorzuftellen, was und noch bevorfichl 
vermeiden wir alfo diefen Abweg der übermüthigen Trä! 
heit eben fowol als jenen der neidifchen Undankbarkeit: | 
wüßte ich nicht, welche Ueberlegung troftreicher und ſegensvoll 
für uns fein könnte, als eben dieſe, wie der ganze Zufamme 
hang der Begebenheiten unfered Lebens fo zu unſerm beften vo 
Gott eingerichtet if. Was könnte uns wol bei der großen Freud 
bie wir billig empfinden muͤſſen, wenn wir beträchtliche Fortſchrit 
bed guten in und wahrnehmen, beffer vor Stolz, der immer d 
Anzang des Falles. if, bewahren und unfere Beſcheidenheit ur 
Demuth erhalten, ald ber Gedanke, daß wir fo vieled davon di 
Umftänden verdanken, in die und Gott gefezt hat? Was könn 
auf der andern Seite bei ben Bemühungen im guten, bie W 
oft fo fchwer werben, unfen Muth kräftiger erhalten, als d 





181 


imerhebende Gedanke, daB fie von Gott ſelbſt au in Zukunft 
ach werben unterflüzt werben, wo ed unfere Schwachheit noth: 
big macht? Was überhaupt koͤnnte unfere Froͤmmigkeit, un: 
et Liebe und Dankbarkeit gegen Gott beffer nähren, als das 
kifige Andenken an diefe vorzüglichften Beweiſe feiner väterlis 
ben Borforge? Es iſt nicht möglich, daß einer unter uns fein 
eüte, dem fein Leben nicht deren genug barbieten follte; möchte 
me jeder von Zeit zu Zeit auf dieſe Art daran zuruͤkk denken, 
Bett feinen Dank dafür bringen und feine treuen Vorſaͤze, das 
Khörte Wort aud zu bewahren unb Beinen Beweis ber 
wiihen Gnade an ſich vergeblich fein zu laſſen, auch gusfüh: 
m: fo werben wir alle unter bie gehören, welche Chriftus 
khR felig preiſt! Amen. 





XIV. 


Daß Jeſu Lehre und Betragen ung jede 
Vorwand abfehneide, unter dem wir und 
feinen Sorderungen entziehn koͤnnten. 





ueber Matth. 12, 19 — 2%. 


Am lezten Sonntag bed Jahres 1793 im Dom zu 
Berlin gehalten. | 


M. a. 3. Wir fehn gewiß alle oft auf die vergangene Ze 
zurüft und auf dad, was wir während berfelben gethan habeı 
Wir finden alle, ja alle, dabei mancherlei, was wir jezt mil 
billigen und tadeln, und unfere erfte Entſchuldigung iſt imm 
bie, wenn ich doch daran hätte denken können, wenn ic bot 
das damals fo gewußt hätte. Damit wollen wir alfo fager 
daß wir immer Belehrung und Erinnerung barüber beduͤt 
fen, was für eine Tugend und noc fehlt, welcher Fehler un 
noch oft übereilt, welche unferer Handlungen wir zu günfli 
beuitheilen. Aber eben weil Belehrung und Erinnerung fo groß 
und wichtige Hülfsmittel find, fo folten wir uns auch fragen, wi 
wir denn dasjenige, was uns bavon zu Theil geworde! 
iſt, benuzt haben, und auch da wird die Antwort wol ſelten befri 


183 


Kumd lauten. Wenn unfere Gebanken ſich nicht von feibit un⸗ 
ir einander verflagen, fo find ſie nur gar zu geneigt fich einam 
ter gegen bie Klagen anderer zu rechtfertigen, und wir fchie 
ken die Schuld unſerer Unfolgſamkeit gegen gute Lehren auf den 
zul, ber fie und gab. Da finden wir feine Foberungen zu 
hmg und feine. Begriffe von den Pflichten bed Menfchen über 
ent. Da glauben wir, baß er unfere Handlungen gar zu ges 
au unterfuchen ‘will, daß es fidh ordentlich Mühe giebt auch an 
de mfchußdigfien und beften noch etwas böfes zu. finden, weit 
e das gern and Licht bringen will. Freilich mögen wol manche 
Amfhen ihr Urtheil über anbere auf die Art übertreiben, aber 
3 fcheint dad auch wol oft nur der Kal zu fein, weil wir 
alere Traͤgheit beichönigen, unſern ungegrünbeten Eigenduͤnkel 
wätfertigen wollen. Mit aller menſchlichen Lehre und Zucht, 
k wir hätten benuzen koͤnnen, werben wir auf biefe Weife bald 
ſatig, und dann wollen wir wol gar das naͤmliche au auf 
he göttliche Lehre und auf den Lehrer anwenden, ben Gott 
a unfer aller ewigem Wohl auf diefe Welt gefandt hat, und 
in auch für ein ſolches finftered menfchenfeindliched uͤberſpann⸗ 
& Weien halten, deſſen Lehre für und gar nicht gemacht fei. 
Davor wollen wir uns hüten und uns in biefer Stunde aufs 
wu davon Überzeugen, daß Chriſtus ſelbſt durch feine 
echre und fein ganzes Betragen und jeden Vorwand 
seinem ſolchen Urtheil über ihn benommen habe. 


Tert. Matth. 12, 19 — 20. 

Er wird nicht zanken noch fchreien, und man wird 
fein Geſchrei nicht hören auf den Gaſſen. Das zer: 
ſtoßene Rohr wird er nicht zerbrechen, und das glim⸗ 
mende Tocht wird er nicht ausloͤſchen, bis daß er aus⸗ 
führe das Gericht zum Siege. 


Diefe Worte find eigentlich aus dem Propheten Jeſaias ge: 
nommen, und ber Eoangelift bedient ſich ihrer um und eine ge: 


184 


wiß ſehr einladende MWelchreibung. won Sehe. zu machen Ma 
wie fie leſen, fo fühlen, wir und gemiß mit Zicke und Zutrau 
zu einem folchen: Kehren den Weisheit hingezagen, geweigt fein 
Ermahnungen Raum zu geben, innerlich gebrumgen feine Zorn 
zungen für recht und billig zu erfennen. Gewiß aus Teim 
andern Grunde, ald weil wir aus biefer Beſchreibung fahen, d 
ex alled das nicht hat, wad und gewöhnlich einen Vorwand gu 
denen nicht zu folgen, weiche ſonſt das Amt ber: Belehrung a 
fich nehmen. Das wollen wir alfo jest noch näher ermaͤg⸗ 
daß nämlich bie ganze Lehre und das Betragen Je 
und jeden Vorwand abſchneide, unter deu wir u 
feinen Forderungen entziehn koͤnnten. Dahin gehör 
vornaͤmlich zwei Eigenfchaften deſſelben: erſtlich, er iR uns mi 
fo unähnlih, er erhebt ſich nicht fo über und, bef u 
glauben Fönnten, feine Lehre gehöre nick für und; zweiten 
er demuͤthigt und nicht fo, daß mir: bie Hoffnung aufgeh 
müßten feinen Forderungen Genüge zu leiſten 





Ich fage, Chriſtus ſtellte fich uns nicht fo undhniich da 
erhob ſich nichs fo über uns, daß er und dadurch von fi 
und feiner Lehre abſchrekken könnte, wie das fo oft hei denen d 
Fall ift, die fi mit einem befonbem Anſehn zu. Lehrern ber Tı 
gend und zu Vorhildem ihrer Nebenmenfchen aufwarfen. VB 
verlangen von einem foldhen nicht nur, dag er und nichtd au 
lege, als was unferer Natur und den Abfichten Gottes mit un 
gemäß if; nicht nur, daß. er alles bad am ſich deweiſe, mad | 
und auflegt: wir wollen auch in feinem Betragen ſehn, wie w 
zu ber Vollkommenheit kommen koͤnnen, bie er und anpreifl. W 
find und bewußt, daß. unfere Fehler nicht gerabe von einer Zein! 
fchaft gegen das gute, von einer thienifchen Uebermacht der Sint 
lichkeit herrühren, fondern bavon, daß wir natürliche Neigunge 
und Empfindungen, bie wir an ſich nicht mißbilligen können 


‚186 


at genug zu mäßigen wiffen, und ba wollen wis an. unfarm 
Echrer ſehn, wie er denn ben Streit mit eben biefen 
Aalagen, Bebürfniffen und Neigungen geführt hat 
Venn es nun bad, was in und den Fortſchritten des guten ent- 
gyerfiegt, nicht mit Schonung unterfcheibet ; wenn ex felbft gar 
keine Empfänglichkeit für unfchuldige Freuden zeigt und fie und 
gan, verbietet, weil ed allerdings ſchaͤdlich ift eine leidenſchaftliche 
Eiche zu denſelben zu haben; wenn ex jeden hohen Grab ber 
zartlichen Gefühle der Geſelligkeit, der Freundſchaft, der Sorge 
für die unfrigen eben fo in, ſich unterdruͤkkt als ben: Hang, zur 
niedern Sinnlichkeit, weil fie und doch bisweilen zu unrechten 
Handiungen verführen koͤnnen; wenn .er, um Diejenigen zu wi⸗ 
derlegen, welche alle Fehler mit: bey Schwachheit des menſchlichen 
Herzens entſchuldigen, und eins ganz andere eßalt ber menfce 
lichen Natur zeigen will und feine. Befonnenheit und Gleichmuͤ⸗ 
thigkeit fo weit ausdehnt, daß nichts fein Herz bewegen kann 
dep Leine werme lebhafte Empfindung. in ihm fichtbar wirbe 
dann gehoͤrt er zu denen, von welchen es im unſerm Text beißt, 
Sie zanker und ſchreien, man hört ihr Geſchrei auf der 
Straße, fie ſtreiten und rechten mit der ganzen Welt, indem 
be das verwerſen und verachten, was uͤberall als edle Anlage 
des menſchlichen Herzens geliebt, geachtet, geduldet wird; fie fiel 
ka fih zus Schau -mit- einer natürlichen, ober erkuͤnftelten Kühl: 
Isfigkeit und ruͤhmen ſich deswegen eines-außexorbntlichen Stärke 
des Geiſtes und Herſchaft der Wemunft. 

Aher eben deswegen koͤnnen fie auch nichts guteß 
kiften. De nachſichtige gegen ſich ſelbſt findet einen 
gewuͤnſchten Vormand, um ſich von ihnen los zu machen. Die 
kr, ſpricht er, konn mich weder belehren noch beurtheilen, in ſei⸗ 
am Bufen ſchlaͤgt kein ſolches Gerz wie das meinige, wir haben 
nichts weit einander gemein, alſo kann ich quch nicht handeln wie 
a. Die beffer gefinnten, die gem jebed vortxeffliche Vor⸗ 
kitd ergmeifer, um ſich ſelbſt zu befchämen und anzufeuern, koͤn⸗ 


‘186 


nen doch auch einen folchen Lehrer, wenn fie auch Beinen Vei 
dacht ber Heuchelei auf ihn werfen, wem fie auch’ bie Kxal 
bewundern, nit der er das alles ausführt, nicht annehmen, nid 
fieben, fie können ihm dad firenge Urtheil über alle Freuden be 
Lebens und alle unfchulbigen Ergießungen des Herzens nid 
nachſprechen. | 
Gott fei gelobt, daß unfer göttliher Lehrer nicht ſ 
gebaht und gehandelt hat. Er ftellte ſich und auch zus 
Vorbild, aber ohne Verachtung und Härte; es lag fo viel Freunt 
lichkeit in der Art, wie er und einlud fein Joch auf uns zu ne 
men, fo viel liebreiche Verſicherung, bag wir dadurch das Gluͤl 
unſeres eigenen Herzens befeſtigen. Ex warf keinen fo veraͤchtl 
hen Blikt auf daB Herz, in weichen fo mancherlei Waͤnſch 
und Neigungen emporkeimen, und weit entfernt fie zu verdam 
men zeigte er, daß auch fein Herz fo befchaffen fei wie bad un 
feige. Er feste feinen Vorzug darein alle dargebotenen unſchul 
Digen Freuden des Lebens von ſich zu floßen, er nahm fehl 
Theil an allerlei geſelligen Ergözungen und freute ſich ber Freud 
anderer. Er wußte nichts von ber harten Lehre, daß Schmer 
und Leiden ber Mühe nicht werth fei dadurch gerührt zu wer 
den, denn er felbft ging nicht gleichgüftig dabei vorlber, fonben 
balf und Iinderfe wo er konnte; ja er ſelbſt wünfchte, daß be 
Kelch de Leidens wor ihm vorüber gehn koͤnnte. Er war wei 
entfernt alle Anlagen zum Mitgefühl, zur Zärtlichleit zu unter 
druͤkken; er hatte felbft Freunde, die er innig liebte, ob er gieid 
taufend Schwächen an ihnen bemerkte; er gab fly gar Fein 
Mühe es zu überwinden ober zu verbergen, daß es ihm ſchwe 
werde fi von ihnen zu trennen. So war er in allen Dinge 
ganz menfchlich und wußte nichts von dem eitlen Ruhm, baf e 
über alles ixdifche hinweg ſei, daß fein Herz am nichts hange. 
Aber eben deswegen Dürfen wir nun deſto wenige 
irgend eins von feinen Geboten von uns weifer 
Bo hätte wol der, der fich fo gern entfchuldigt, wenn ihr 


187 


ſeine Pflichten und Fehler vorgehalten werden, irgend: einen 
Vorwand fich ber firengften Beurtheilung nach der Lehre Jeſu 
and ſeinen Forderungen zu entziehn? Sie find ja alle für das 
menfchliche Herz und bad menfchliche Leben berechnet; er felbft 
hat fie mit eben dem Herzen und in eben ben Berhältniffen aufs 
ſtrengſte erfült, ift in allen Dingen als ein Menſch erfunden 
worden, bat fo gefühlt umb gehandelt und doch ohne Sünde be: 
fanden. Seine Lehre, die bir auch gegeben ift, muß es fein, 
wonach biz dich prüfe. Haft: bu ihren Ermahnungen ken Ges 
hör gegeben, haſt du ihr nicht gemäß gelebt, . fo iſt ed beine 
Schuld und. beine Suͤnde. Wo könnte ber gutgefinnte aber 
Hein müthige auf ben Bebanten. beftehn, Daß doch etwas in 
md ber Lehre Jeſu widerfiche, was wir ger nicht unterbrüßten 
inmen, unb baß: eben um deswillen bad Seile Jeſu doch 
nicht unſere Richtſchnur fein koͤnne. 

Freilich ſind auf dem Wege der Zugenb Augenblitte ' 
des Unmuths und ber Baghaftigkeit unvermeiblih, und 
beſonders bei dem MIR aufs ‚vergangene, wo. wir. fo manche 
Anfopferungen und gefallen lafien, fo manche Beſchwerde erbul» 
vet und boc fo wenig Fortſchritte gemacht, fo viele Fehler bes 
gangen haben, doch immer wieber unfer Herz mit. feinen Wuͤn⸗ 
hen und feinen Wohlgefallen an ben Reizen bed Lebens als 
an unüberfliegened Hinbernig finden. Das kann uns nicht 
son ber Lehre Jefu trennen. Kaffe fie nur feſt ins Auge, 
end du wirft auch Muth faſſen. Gieb Hin, was bu mußt, und 
8 bleibt dir doch noch Freude genug. übrig zur Stärkung bei 
dem ernſten Geſchaͤft der Heiligung, mehr wol ald des Menſchen 
Sohn auf Erben genoß. Sich zuruͤkk, wo bu gefehlt hafl, bu 
tonnteft gewiß auch da ber Lehre Jeſu nachlommen, auch ba 
von Herz beſiegen; du wirft e8 alfo auch noch beſſer koͤnnen, 
zean dus noch. fefter wollen wir. Fange nur den Kampf von 
anem an, und fei verfichert, daß Chriftud eben deswegen unſer 
Achſter Lehrer und Zührer ift, weil er Mitleid haben kann 





188 


mit unferer Shwmadheit.*), weil er ums nichts aufleg 
was wir nicht tragen koͤnnten. | 
I " . | , | 
Ach ſagte zweitend, Ehrifkua aid unfer Lehner demuͤthig 
und nicht. fo, daß wir dadarch koͤnnten bewogen werben alle 
Vertrauen auf una feihk, alle Hoffuumg eined guten Erfolg 
unferer Bemühungen und alfo alles Beſtreben nah Vellkon 
menbeit aufzugeben. Beſſerung iſt freilich nicht möglich ohr 
Selbſterkenntniß, und Selbſterkenntniß nicht ohne eine unang! 
nehme Hera bſtimmung ber allzu guten Meinung, welch 
bie Deenfchen gewöhntich von fich ſelbſt haben, und die durch i 
bed wenn gleich noch fo geringe gute, was fie am ſich finder 
fo mächtig unterflügt wird. Sie wilfen, daß aller Anfang fehm 
und gering iſt, und alfo auch der Anfang bed. guter in ihne 
ſelbſt; fie wiſſen, daß das ber Froͤmmigkeit und Tugenb gewil 
mete Leben ſaſt immer nur ein. Anfeng bleibt, daß es groͤßler 
theils nur aus uwollkammenen Verfuchen beſtehht; daß mur felte 
eine Handlung gelingt, wobei. ein volllammener Sieg über 91 
wohnte Neigungen, eine. innige Auhaͤnglichbeit an die Religio 
und zumehmende Säfte im guten recht: in bie Augen fallen 
wären. Fuͤr je feltener eine folche Handlung gehalten wir, def 
mehr werben fie fich. alfo freuen, wenn ihnen eine gelingt. 
münfchen wir und aus vollem Herzen Gluͤkk, eis graßer Zeil 
saum der Vergangenheit wird dadurch gleichſam erheßt und all 
Fehler beffelben zugedekkt, wir fühlen. Anlagen und Krhfte zuf 
guten in und, die jezt ſchon etwas großen ausgerichtet haben 
was. werben fie nicht erſt im Stande fein, wenn fie durch lang 
Uebung und durch hen öfters Genug einer fo wohlverdiente 
Zufriedenheit geftärkt und erhöht. fish. 
Aber je lebhafter auf biefe Meife umfere Freude uͤbe 








9 Gin 4, 15. 8, 2. 


189 

sute Handlungen if, bei denen wir eimen merklichen Grab 
von Mafſt und Voltkkommenheit gewahr werben, deſto leichter 
beträgen wir uns felbft und überlaffen uns ihre auch ba, 
wo eigemttich keine Urfach dazu wäre; wir glauben oft, daß Liebe 
am guten in ımd thaͤtig geweſen iſt, wo doch im innern ums 
ſeres Herzens mancherlei unreine ober wenigftens fremde Bewe⸗ 
zangsgrümde verborgen waren; wir glauben oft aus Gehorſam 
gegen Lie Gebote Gottes und durchdrungen von ber Kraft bet 
Reigion gehandelt zu haben, wo doch nur eine Neigung bie 
andere befiegte. 

Wie Soll alfo derjenige, welcher unſer Lehrer und 
Zührer fein will, mit ans handeln? Dad verzagte 
menfdyliche Gerz, welches fchwere Bemühungen fo leicht aufgiebt, 
kaucht Ermunterung und Beweiſe feiner Kraft; dad trozige und. 
thermäthige muß im Zaum gehalten werden. Ermunterung als 
iin macht und übernräthig; Demüthigung allein macht muthlos 
und werzagt. Wenn und Chriſtus vorhielte, daß es nichts fei 
mit diefer Freude und dieſen Siegen über uns ſelbſt; wenn 
wir alle nuſere guten Handlungen und Anlagen bei dem Licht 
ſeiner Lehre für einen beträglichen Schein halten müßten; wenn 
ea und zuriefe, daß wir nichts thun koͤnnten, was den Beifall 
Sottes erhielte, und alfo auch nichts, was unfern eigenen ver: 
inte; wenn feine Lehre behauptete, daß es eitel Selbſtbetrug 
lei mit unferer thätigen Liebe zum gutem, baß, wo wir auch 
Saubten um des guten felbft willen recht gethan zu haben, und 
doch immer noch mancherlei andere Bewegungsgruͤnde von innen 
zad eine günflige Zeitung der Umſtaͤnde von außen zu Hülfe ges 
samen feien, ohne welche wir auch ba unterlegen wären, daß 
fe doch nichts an und gut fei, weil nichts rein bollkommen 
md tadellos iſt, daß alſo alled arg ſei, was aus dem menſchli⸗ 
den Herzen hervorgeht: ja, dann würde bad ohnehin ſchwach 
gimmende Tocht ganz ausgeloͤſchtz dann wuͤrde das geknikkte 
kraͤnkelnde Rohr ganz abgebrochen; dann koͤnnten wir alle un« 


4190 


fere Fehler entſchuldigen und die Traͤgheit in bem Veſtreben bef 
fer zu werben rechtfertigen; dann könnten wir bei Prüfung um 
ferer Handlungen die Lehre Iefu ganz vorbeigehn, und wenn wii 
etwas verfehn haben, fo wäre ed doch nicht dad geweſen, def 
wir ihrer Stimme nicht Gehör gaben. Es wäre ja vergeblid 
ihre Mahrheiten und Lehren feflzubalten, ba wir fie boch nich! 
ausüben koͤnnen, es wäre vergeblih um ihre Tugend fi Muͤh 
zu geben, ba wir boch nur den Schein berfelben erlangen Ein: 
nen, vergeblich ben Uebergeng in ben beſſern Zuſtand zu ſuchen 
den fie gebietet, weil doch der Anfang beflelben in und nic 
möglich wäre. Umfonft ſpraͤche der Suͤnder, Ich will umkehren 
zu meinem Vater und will anfangen zu thun, was wohlgefällig 
ift vor ihm; umſonſt fprädhe der, dem es noch an fo manchem 
guten fehlt, Ich will nad) dem fehen, was da vorn ift, und feine 
Tugend, kein Lob fol fein, dem ich nicht nachtrachte. Wenn 
Chriſtus fo alles gute, was uns ohngeachtet deſſen, was von 
unſerm verberbten Zufland wol wahr fein mag, doch noch übrig 
und zu erlangen möglich ifl, Herunterfegte und abläugnete: 
bann , aber auch nur dann wären wir berechtigt auf die em: 
fen Belehrungen, auf bie heiligen Wahrheiten, welche fie und 
zuruft, nicht zu hoͤren. | 

Aber fo bat unfer barmberziger und liebreicher Er 
Löfer nicht mit uns gehandelt; mit der größten und göft: 
lichfien Weisheit hat er Demüthigung für ben Stolz und 
Stärkung für die Schwachheit unferes Herzens mit 
einander vereinigt. Gr löfcht das glimmende Tocht nicht aus; 
er bricht das geknikkte Rohr nicht entzwei. Weit entfernt iſt er 
auch nur den Heinften Saamen des guten durch bad harte Wort 
zu erſtikken; das iſt viel zu wenig: vielmehr wo er auch nur eine 
Seele ohne Falſch, wo er vernünftige Ueberlegung und ernſtes 
Nachdenken antraf über bad, was der Menfch fein fol, da ſprach 
er gern had Wort der Ermunterung aus, Du bit nicht fern 








191 


vom Reiche Gottes“). Er fagte uns, baß alles, um deſſent⸗ 
willen er die Menfchen felig preift, in unferer Gewalt fei, er ers 
taunte alfo einen Keim bed guten in und und ſprach uns Muth 
an, daß er gedeihen würde; auch und gilt ed, was er feinen 
Zimgern fagt, So ihr Glauben hättet wie ein Senf 
korn, fo würdet ihr Berge verfezen können **), wenn 
ist nur erſt einen Beinen Antheil an Muth und Stanbhaftigkeit 
und Zuverficht hättet, fo ift Feine Schwierigkeit fo groß, die ihr 
suht in Der Folge würdet befiegen können. Er warnt und wol 
vor ber Gefahr des Selbfibetrugs, dag ed nicht auf dad Bekennt⸗ 
ap der Lippen, nicht auf ben äußern Schein ber Handlungen, 
nicht auf Opfer anlomme, wobei wir durch Nebenabfichten ges 
hieben werben; aber doch läugnet. er nicht, daß wir auch das 
gute thun können, was wirklich den Gehorfam gegen ben Willen 
unfer8 himmlifhen Waters ausmacht. Er weiß wol, daß es 
uns fchwer, nur zu fchwer ift, bloß von ber Liebe zum 
guten getrieben zu werben, aber eben darum erlaubt er 
uns auch andere Triebfebern zu Hülfe zu nehmen, die un: 
ſerm Herzen leichter find. Wenn durch feine Lehre erft die Er: 
famtniß deffen was uns noth thut und die Luft dazu erwacht 
ft, fo fol diefe wieder die herzlichfte Verehrung gegen ihn, ber 
ne uns brachte, und gegen feinen himmlifchen Bater, der ihn uns 
ſandte, Hervorbringen, und bdiefe Liebe und Dankbarkeit gegen 
Sort und Sefum fol fi) mit unferer Liebe zum guten aufs in: 
aigſte vereinigen. Wo wir etwad gutes zu thun haben, das uns 
ſchwer wird, ba follen wir glauben dürfen, daß wir es ihm 
thun; wo wir etwas uͤbles thun wollen, da follen wir un vors 
kellen, daß wir gegen feine liebreiche Stimme unfer Ohr ver: 
kopfen. So fol gleichfam unterdem Schuz diefer kindlichen 
tiebe und biefes Gehorſams ber ſchwache Keim ber Liebe 
em guten in uns wachen und gebeihen, bis burch beide zufam: 





) Mart, 12, 54. ”) Matth, 17, 20. 


192 
men, durch Gefühl fr unſere Hfticht und durch Mebe zu Sol 
and Jefu nach und nad der vollkommene Menfch Gottes hai 
vorgeht, der zu allen guten Werfen geſchikkte. 

Wo ift wol die Entſchuldigung beffen, welcher fagt, dag di 
Religion Sefu durch ihre ſtrenge Forderung, durch ihre harte Bor 
fiellung von dem Zuftand unferer Seele nicht geſchikkt fei unſe 
Beflreben zum guten zu wekken und zu’ leiten, und daß wir alf 
auch nicht auf fie hören müflen! Ach fie blaͤſt ja fo forgfam da 
glimmende Tocht wieder an; fie pflegt und heile ja fo forgfätti 
das gefnitfte Rohr! Wie iſt ed möglich, Daß jemand die gering 
Aufmerkſamkeit, die er der Lehre der Religion gefchenkt hat, da 
mit rechtfertigen will, daß wir ja doch das nicht leiſten Könnten 
was fie vorfchreibt? Warum können wir nicht durch Liebe unl 
Dankbarkeit regiert werden? . . 


(Schluß fehlt.) 


XV. 
die heilfame Unterweiſung, die wir der Sen⸗ 
dung Jeſu verdanken. 


Ueber Tit. 2, 11 —- 16. 


Bi der Ordination zum Predigtamt geſprochen in 
der Paſſionszeit 1794. 


RN a. Fr. In der Zeit, welche wir jezt feiern, ſind unſere 
meinfhaftlichen Betrachtungen gewoͤhnlich dem Andenken an 
dad Leiden Jeſu gewidmet. Wenn wir auf bie einzelnen 
Inflände deffelben fehn, fo haben wir an den göttlichen und 
intrefflichen Handlungen auf der einen, und an ben abfcheuli- 
den die menfchliche Natur empörenden auf der andern. Seite 
m reichen Schaz von Belehrung, Warnung und Rührung. 
Ehen wir auf bie Sache an ſich ſelbſt, dag wir und bed 
om nach menfchlichen Gefühl zu urtheilen ſchwerſten Theils 
kt Sendung Jeſu erinnern, fo ziehn noch andere Betrachtungen 
upre Aufmerkſamkeit auf ſich. Wir wollen an das Ende Jeſu 
übt denken, ohne zugleich auf den Zwekk feiner ganzen 
kiſchheinung unter den Menfchen zurükfzublillen; wir wollen 
u fragen, Was war es benn, was er auf Erden ausrichten 
lolte, um deffentwillen er biefes Leiden, diefen gewaltjamen Tod 
dulden mußte? Wenn wir dann den ganzen Umfang des Heilß, 
Predigten I. N 


193 


welches und durch Jeſum zu Theil worben iſt, betrachten; wer 
wir überlegen, daß wir ihm das befle, was wir haben, nämlich u 
fere freubige Hoffnung zu Gott und bie gebeflerten Geſinnu 
gen unfered Herzens, zu danken haben: wie muß und das au 
neue zum Lobe und Preife Gotted ermuntern; mit welcher bei 
gen Ehrfurdt werden wir dann bie lezten rührenben MBegebe 
heiten bed Lebens Jeſu, wodurch er bad Werk ber Erlöfung vol 
bringen mußte, betrachten! wie follte nicht in alle unfere gi 
ten Entſchließungen eine neue Kraft gegoffen werben, bie wir 
fame, belebende Kraft der Liebe und Dankbarkeit! Laffet un 
ibn lieben, benn er bat und zuerſt geliebet. Wie fol 
nicht unfer Wunfch bie feligen Zrüchte der Sendung Jeſu imm 
weiter unter ben Menfchen verbreitet zu fehn, und alfo auch u 
fer Eifer für alle Anftalten zur Erhaltung und MBeförberung di 
Religion Chrifti immer ſtaͤrker und thätiger werden! | 

Das find bie Gefinnungen, wozu wir und in ber folgend 
Betrachtung noch weiter enmuntern wollen. 


Zert. ie 2, 11—15. | 

Denn ed ift erichienen bie heilfame Gnade Gott 
allen Menfchen und züctiget uns, dag wir follen ve 
laͤugnen das ungdttliche Weſen und die weltlichen &if 

- und züchtig, gerecht und gottfelig leben in dieſer Wei 
und warten auf die felige Hoffnung und Erſcheinun 
der Herrlichleit des großen Gottes und unfers Heilai 
des Jeſu Chriſti, der fich ſelbſt für uns gegeben ha 
auf daß er uns erloͤſete von aller Ungerechtigkeit un 
reinigte ihm ſelbſt ein Voik zum Eigenthum, das fl 
fig wäre zu guten Werken. Solches rede und ei 
mahne und flrafe mit ganzem Ernſt. | 
Der Apoftel Paulus zählt in dem Abfchnitt dieſes Briefe 
woraus Die Textesworte genommen find, bie Tugenden auf, mo 
zu fein Schüler Zitus bie Chriften feines Orts als ihr Lehre 


195 


wnimen ſelte. Dex Apefel war innig uͤberzeugt, daß ex viele 
uw große Forderungen an die Ehriften thue, Forderungen, welche 
km mit Huͤlfe der neu erfchienenen Gnade, ber Lehre Ich, 
u durch ihre heillame Unterweiſung und Zucht in Erfüllung 
praht werben koͤnnten, und deswegen bricht ex im biefe fchöne Lob⸗ 
auf dad Evangelium Jeſu und feine göttlichen Wirkungen aus. 

Radı dem Sinn bed Apoſtels denken wir bei dieſen Worten an 
ie heilfame Unterweifung, bie wir ber Sendung Jefu 

verdanken, | 
n zwar zeben wir zuerſt von dem Inhalt berfelben, und 
han von ber Art und Weile, wie fie noch immer an 
md ergeht. 

I. | 

Das erſte, was und unfer Text von ber Lehre Jeſu fagt, 
j daß fie und unterweifet zu verläugnen alles uns 
ittlihe Wefen und weltliche Küfte, und dagegen zuͤch⸗ 
ig gereht und gottfelig zu leben. 

Und, m. a. Fr., findet die Lehre Jeſu, wenn fie und zuerſt 
wlindigt wird, nicht mehr in ber Finſterniß der Abgötterei, oder 
kr gänzlichen Unwiffenbeit über den Willen eined hoͤchſten We⸗ 
Bi; wir werben von Kindheit an auf die Erkenntniß Gottes 
der Wahrheit vorbereitet, aber wenn dieſe göttlihe Gnade 
8 Evangelii nicht auch und erfchiene und und durch unfer ganz 
R Erben hindurch leuchtete, fo würben wir zu einer ſolchen Er: 
mutig nicht gelangen, fordern vielmehr unausbleiblich in als 
ei ungoͤttliches Weſen bineingerathen. Gott offenbart 
“a Dafein durch feine Werke, alfo daß wir feine Entfchuldigung 
ken ), aber würben wir auch auf biefe Stimme hören? ‚Und 
wm auch der Gedanke, bag einer fein müffe, der alled gemacht 
kt, nicht erlöfchte, fo artet ex doch bald in allerlei verkehrte Irr⸗ 
Ya aus. Unverſchuldetes Ungemach und ‚Leiden würde bald 
wen Muth und unfere Freudigkeit uͤberwaͤltigen und und eine 


)Röm, 1, 19-3 
N 2 





19% 

niebrige Inethtifche Furcht gegen denjenigen eimuflößen, Deffen ſchru 
Hand fo hart auf und. zu liegen fchienez weiche eime Qudlie « 
les Aberglaubend uud unvemünftigen Gottesbienfles if. Un— 
flörte Gluͤkk würde und balb an die Erbe allein fehfeln und us 
deffen vergeffen machen, was über dieſes kurze und unvollfei 
mene Leben binausliegt, und iſt das nicht ungoͤttliches Weſe 
wenn alle Gedanken uud Veſtrebungen nur auf bie Dinge bi 
fed Lebend geriptet find? Eine ‚gerechte Bergeltung bed gut 
und böfen tritt oft in dieſem Leben nicht einz ber rechtſchaffe 
wird gedruͤkkt, und der boͤſe ſezt ungeſtraft feine Uebelthaten fa 
würben wir das ſehn koͤnnen ohne daran zu zweifeln, daß Gi 
auf die Handlungen der Menſchen ſieht? Wo aber erſt eine A 
dieſes ungoͤttlichen Weſens iſt, da find auch die weltlich 
Luͤſte und die Sklaverei, worin ſie uns halten, nicht mehr fer 
Die Erfahrung beweiſt nur zu deutlich, daß die Liebe zur Red 
fchaffenheit und zu allem was gut ift und wohl lautet, daß | 
Achtſamkeit ſich felbft zu bewahren vor ber Verſuchung und | 
der Verſuchung nur gar zu leicht abnimmt und fi nah uw 
nach verliert, daß die finulichen Neigungen, bie unerlaubten B 
gierden, die heftigen Leidenfchaften immer mehr Raum geminne 
wo ber Gedanke an Gott nicht mehr mächtig iſt, wo auf unf 
Verhaͤltniß gegen ihn und auf bie Werheifungen ber Beil 
nicht mehr geachtet wird. 

Aber bie Lehre Jeſu unterweifl und zu verläugnen r 
ſes ungöttlihe Wefen und die weltlichen Lüfte S 
zeigt und die Barmherzigkeit Gottes, welcher feine Sonne ſche 
nen läßt über gerechte und ungerechte *), welcher oft langmuͤtht 
bem vertrokkneten Baum Zeit läßt wieder zu grünen und Fruͤch 
zu tragen, aber auch bie Gerechtigkeit, welche einft Rechenſcha 
fordern wirb von unferm Haushalten mit der Zeit und den Si 
tern dieſes Lebens. — Das widerfieht allem Leichtfinn und a 
lem Torglofen -Unglauben. Der Gefanbte, der Sohn Gottes vei 


) Mattb. 5, 45 


107 


Iakist und, daß Gott unfer aller Vater ift, daß Lirbe und Sorge 
i unfee wahres Wohl alle unfere Schiößiate bekimmen , fein 
Kipiel und feine Lehre floͤßt uns kindliches und fehle Ver⸗ 
kun einz — bad fiegt über alle Wechſel dieſes Lebens; es giebt 
mi freubige Hoffnung, um ben Kummer durch den ‚Bebanten 
mer beſſern Zukunft-zu mäßigen, und Ruhe des Herztus, um 
od Beiden ſelbſt zu unſerer Beſſerung zu benuzen, daß wir weile 
naden zur Seligkeit. Er lehrt und, bag Gott gar keinen Ge: 
wel der Lippen und Haͤnde verlangt, daß das Meich Gottes 
ut beficht im Unterfchsiden von Speife unb Tagen, fonbern in 
herechtigkeit und Friede unb Freude ), daß wir alſo nichts auß⸗ 
Ka werben, aber auch nicht aͤngftlich fein duͤrfen in allerlei. 
isiere Dieuft und Gebraͤuchen, fonbern nur in ber Beſſerung 
m Heiligung arbeiten, welche body unfer eigenes Sluͤkk hervor 
kigt, dag Gott nichtd von und fobert als, Gieb mir mein 
Cohn dein Herz *) Das find bie Wahrheiten, bie wir durch 
die Gnade Gottes in Chrifto erkennen, und ihnen folgen, bad Wi 
uiniches Weſen, bad if ber Geifl, deſſen Früchte ld Liebe, 
dende Friede, Glaube und Sanftmuth. 

Das zweite, was unſer Text von dem Inhalt der Lehre 
Iſn fagt, ift, dag fie uns unterweife zu warten auf die fe 
ige Hoffaung der Erfheinung ber Herrlichkeit Sot: 
td und Chriſti, und das iſt ein anderes großes Werdienft her 
Ihe Jeſu um uns alle. Was wären wir doch, was würde 
m alles gute, befien wis auf Erben geneßen koͤnnten, helfen 
am bie tzöftlihe Hoffnung eines auberen noch beife 
sn Lebens? Wir müßten aus Zucht des Todes und der 
Bersihtung immerfort Kuechte *°*), ungluͤkkliche niedergeſchlagene 
idöpfe fein, und dad wären wir ohne die Lehre Jeſu. Oder 
woher habt ihr eure fee Webergeuguing davon, daß auf bad ver⸗ 
wiliche noch folgen wird ein unnerwesliches)? habt ihre fie 


) Gal. 5, M. ) Spruͤch. Sal. 23, 26. ) Hebr. 2%, 1b. 
» 1&Kor. 16,4% _ 


198 


aus euch ſelbſt? Es if wahr, wenn ber Menſch über | 
ſelbſt nachdenkt, wie er doch fo viel beſſer ift als alles irdi 
um ihn ber, wie etwas in ibm iſt, was ſich nach dem um 
gänglichen und ewigen fehnt, fo kann ex wol ſich des Wunſe 
nad einem künftigen Leben nicht erwehren, er Tan bie Erſ 
kung dieſes Wunſches ahnden unb hoffen. Aber wie, m. | 
wenn wir, vole wir vorher geiehn haben, ohne die Lehre 3 
in ungoͤttliches Weſen und weltliche Lüfte verſunken wär 
würben wir dann fähig fein ſolche Betrachtungen anzuflelli 
Ad, wir Eönnten die Furcht des Todes, bed gänzlicdhen Auf 
rens nur durch jenes elende Mittel befänftigen, deſſen fich 
ungläfttiden bedienen, die im Gehorſam ihrer fuͤndlichen & 
dahin gehn, Zerſtreuung und Betäubung durch finnliche Wergt 
gen, Laffet und guter Dinge fein, denn morgen find wir m 
mehr *), eine Hülfe, bie fich mit troftlofer Werzweiflung en 
Oder wenn auch eine feſte Hoffnung des Lebens in und € 
Hände, mit wie vieler Unwiffenheit und Zweifel müßte fie imm 
verbunden fein! Alles was wir haben und befizen hängt Di 
an den Dingen diefer Erbe; wir haben nichts auf die Welt | 
bracht; wie koͤnnen wir willen, ob wir etwas werben binausn 
men? Aber er unfer Eridfer Hat unvergängliches ! 
ben and Licht gebracht »), und unfer Glaube an ihn u 
fein Wort nimmt alle Zweifel unb Unwiſſenheit hinweg. 
fagt uns, daß er auffahre zu feinem und unſerm Gett und # 
ter ***), und daß Wi hingehe und die Stätte zu bereiten 
ex fogt und, Daß er eingebe in ben Genuß der Herrlichkeit, 
ihm von Ewigkeit beflimmt war, und dag wir fein follen, % 
er if; er fagt uns, daß ein felige® Leben beffen warte, welch 
treu bleibt bis ans Endet). Wir find nun — das iſt die fell 
Uebergeugung, die fein Wort in und hervorbringt — wir find an 
Gottes Kinder, und es iſt noch nicht erſchienen, was w 





2 1Kor. 15, 32. 2 Im. 1, 10. ) Joh. 0, 1 
) Job. 14, 2.3. +) Joh. 17, 2, 


499 


ſein folten, wie wiffen aber, daß wenn ed erfcheinen wird 
wir ihm gleich fein werben, benn wir werben ihn ſehen, 
siceriß*). Das if deu reiche Troſt, den wir aus deu Verheißun⸗ 
m Chifli fchöpfen.. Und fo umfaflen die linterweifungen, Die 
vr ihm- verdanken, ale unfere Veduͤrfniſſe. Die Erleuchtung 
wind Berſtandes, die Beruhigung unferes Herzens, bad war 
nd große Werk, welches ihm aufgetragen wer, und unter beilen 
Belingung ex liebreich fein Leben für uns gelaſſen hat. Saft 
min nech kuͤrzlich ſehn, 


nfwelde Art wir dieſer Unterweiſungen theitha% 
kg werben, und auch darin bie Gnabe Gottes in Chriſto bes 
wundern und preifen, 

Unfer Xert fügt daven, Er seinigte ibm felbR ein 
Bit zum Eigenthum. Ein Bolt if nicht eine jebe Menge 
m Menfchen, ſondern nur eine ſolche, weiche zulammenhaͤlt, 
Bir fh einander unterflüzt und unter einerlei Ginsichtungen 
bi. Daß unter den Bekennem Iefu eine folhe Gemein⸗ 
haft gefliftet iſt, das iſt eines ber weiſeſten und vorzuͤglichſten 
Bitel zur Erhaltung und Beförderung ber Religion. 

Der Gemeinfchaft, weiche unter den erfien Ehriften erz 
ühtet wurde, haben wir es zunächft zu banken, bog biefed 
Buch auf und gelommen ift, worin fo viele Belehrungen Got: 
B3, fo große Schaͤze chriſtlicher Weisheit enthalten find. Es iſt 
Ye erfle Quelle, von des bie Unterweifungen Jeſu bis zu md 
plan find, es gewährt noch heute jedem, ber es mit Verſtand 
rhaucht, Lehre, Ermahnung und Troſt. Die Reben Jeſu, der 
ae Grund unſerer ganzen Religion, reden fo einſach ‚und ver⸗ 
lindlih und zugleich fo hexzerhebend und herrlid) von ben Pflich⸗ 
ka md Hoffnungen des Menſchen; die Geſchichte ſeines Lebens, 
wihe darin enthalten iſt, giebt ans bad hoͤchſte Vorbild von 
I, was wir werben ſollen. Seine Menſchenliebe bis auf dieje⸗ 


13,3, 2. 





200 


nigen, bie ihn verfolgten und töbteten, feine Werkünbigung | 
Wahrheit bis zur Gefahr und Gewißheit bes Modes, fein € 
horſam gegen Gott BES zum Verfcheiden am Kreuz, welde € 
munterung kann und das nicht gewähren, gefinnt zu fein # 
er gefinnt war! Die Erzählung von ber Sammlung ber ef 
chriſtlichen Häuflein, ihre Liebe und Treue, ihre Fortfchritte 
der Erkenntnig, ihre Stanbhaftigkeit im Leiden eben fo wol « 
ihre Schwachheiten und Fehler, ihre Anhänglichleit an Bon 
theile und Irrthuͤmer, ihre ängflliche Furchtſamkeit, das Lob w 
ihnen ertheilt, der Rath der ihnen gegeben wird, bad alles ka 
uns eine Quelle der Erwekkung und Erbauung fein, bad alles gehi 
zur Erfcheinung ber heilfamen Gnade Gottes unter u 

Eben fo ift e8 nun aber auch von dem größten Nuzen, d 
eine ſolche Gemeinſchaft auch unter uns noch fortbaue 
Daß auch wir nicht einzelne find, die bald in der Irre gehn wi 
ben, fondern ein gefammeltes Volk des Herm, eine Kirdye Gi 
tes. Ich will euch nur auf einen Wortheil biefer Einrichtu 
aufmerffam machen, nämlich auf das Öffentliche Behram 
das auch unter und errichtet iR und fowol durch den Unter 
bee Jugend, ald burd die Erwekkung der erwachſen! 
EHriften fi Gott ’fei Dank noch immer fo nuͤzlich zum Die 
ber Gnade Gottes in Chriſto erweiſt. 

Me Fertigkeit im guten, alle Herrfchaft ber Bewegung 
grimbe, welche und bie Religion an die Hand giebt, entſteht | 
md nur nad und nach durch Uebung und Gewöhnung, u 
die Jugend iſt die rechte Zeit, wo alle Uebung und Gewö 
nung anfangen muß. Wenn Neigungen und Leidenfchaften zuer 
mächtig werben, und dann erfl die Grundfäze ber Religion ei 
geprägt und ihre Herrſchaft erfiritten werben fol, das ifl ei 
gefährlicher Stand, mit viel vergeblicher Mühe und Arbei 
Wenn aber die Lehrer der Religion mit den Eltern ber jung! 
Chriſten die Sorge der Erziehung theilen; wenn fie fie zeitig m 
Gefuͤhl von der Liebe und Güte Gottes und mit Kenntniß ſe 


- 201 

u Geboke erfüllen; wenn fie mit dem Send, den fe in füh 
KR finden müflen, befannt gemacht werden, che ex noch feine 
ganze Stärke gewinnt, wenn fe zeitig bie Waffen ber Enthaft: 
ſemkeit, des Aufhoͤrens anf die Sprache des Gewiflens, des Ge 
dankens an die Allwiffenheit und an das Urtheil Gottes, wenn 
fe zeitig diefe Waffen fidren lernen, durch welche allein fie 
iberwinden Tönnen: dann iſt Hoffnung, daß fie einſt den ganzen 
Segen ber Religion genießen, daß fie Ihr Licht werden leuchten 
lfien vor den Menfchen,, daß die Heilfame Gnade Gottes auch 
in ihnen gute die Fülle wirken wird. 

er auch wir, in benen bie befferen Geſinnungen unb 
Fertigkeiten, weiche Fruͤchte ber Religion find, ſchon gebitbet fein 
ſellen, auch wir müffen und gluͤkklich ſchaͤzen, Daß wir zu einen 
kihen Bote des Herrn gehören, auch wir verdanken gewiß die⸗ 
kt Anflelt fo manche -genoffene Huͤlfe und Ermunterung zum 
guter. Es iſt wahr, der Chrift kann fih au für ſich felbft 
erbauenz aber das Leſen der Schrift, die Erfahrungen, die er 
an fi, die Beobachtungen, die er an andem macht, das eisıfanie 
Rachdenken, daB ſtille Bebet kann für ihn eine reiche Quelle von 
Segen find aber, Erbauet euch unter einander"), das hat 
auch feine befondere Berheißung. Wo zwei ober duri verfammalt 
And in meinem Namen, ba bin ich mitten unter ihnen “). Sollte 
ol einer imter euch fein, der da bezeugen koͤnnte, bag noch nie 
durch diefe öffentlichen Gottesverehrungen gute Entichließengen in 
Im gewelkt, Wertrauen auf Gott gemehrt und -Gefinnungen der 
Gerechtigkeit und der Bruderliebe geflärdt worden wären? Des 
kifeme! Den vollkommnern Chriſten tememt:doch fe men: 
Ger gute Gedanke durch eine angehörte Belehrung, der wenigſtens 
Kat nicht ober nicht fo lebhaft im ihm entſtanden waͤre, und ſchon 
bad gemeinfchaftliche bei Lehre, Gefang und ürbitte, bei ber 
ztier des Todes Jeſu erhoͤht die Stärke. feiner Empfindungen 
ww Cutſchlͤſſe. Der Un voll kommnere hoͤrt fe manche ernſt⸗ 


— — 


1% 5, 19, "*) Mattd. 18, 20. 


202 


liche wehlgemeinie Ermahnung, bie von Herzen komme und au 
wieder zu Herzen geht, fo manche Strafe aus dem, Wort Sotte 
für feine Saumfeligfeit und Traͤgheit, für bie Fehler, die er no 
in fich bereichen läßt, wem ein Diener bed Worts, wis ber Ape 
fiel fagt, lehret und ermahmet und fixafet mit allem Emfl. S 
if alſo auch dies eine Einrichtung, wodurch Gott in Chriſto ver 
herrlicht und gutes gefläftet wird unter Denen, bie ſich nach Chrifl 
"Namen neunen. Laßt uns alfe, m. a. Fr., Gott innig bank 
und preifen dafür, dag feine heilfame Gnade aud unte 
und erfchienen ift, daß auch wir bie lehrrtichen und troͤſtlichen 
Mahrcheiten feined Evangelü kennen, bag auch wir untes einande 
ein VBolk ausmachen, welches ihm eigemtpünstäch iſt — möge 
wir nur andy fertig fein zu allen guten Werken, umb jeder a 
feinem Theil eifrig alles gute zu mehren und gu befördern, um 
Sott daburch thätig zu preifen für die Gnade, die er und ir 
Chriſto Ba hat. 
| 88 if wicht ofne Abfcht gelheba, m. &. Mr, daß id md 
barauf aufmerkfam gemacht habe, wie nahe die gemeinfchaftlich 
Erbauung und das bazu gehörige Lehramt mit ber Zörberung all! 
chriſtlich guten unten md zuſammenhaͤngt. Bittet Bott mil 
mir, daß doch biefed Amt überall, daß es auch durch 
mich binfort möge ihm wohlgefällig und mit Segen 
verwaltet werben. Sch fo in diefer Stunde nach den Ge 
fegen umferer Kirche der Zahl berienigen zugeordnet werben 
weiche unter dem Moll Gottes Diener der übrigen find, welche 
berufen find zu allerlei Handreichung, zum Unterricht und zu 
lehren, ya erahnen, zu Diäten, daß jeher ber Stimme bes Bel 
gion fein Herz Affne. Möge die Ueberzeugung von ber Bihlig: 
keit des mir aufgetsagenen Gehchäfts nie in Gleichguͤltigkeit, Di 
Freube und bad Vertrauen, somit ich es übernehme, nie in RE 
muth unb Unglauben ausarten! möchten ale guten Errſchließungen 
weiche jet barüber in meiner Gesle find, Ja nah Amen 99 
Gott fein! Amen. (Gebet.) 





3weite Sammlung. 





Bom Amssantritt in Landsberg a. d. W. bis zum 
Amtsantritt im Charite: Haufe zu Berlin, 
1794 bis 17%. 


® . 


u} 


Daß wir aus Dankbarkeit gegen Jeſum feinen 
Tod zu verfündigen haben, 


ueber 1 Rom 11, W. 





Antrittöpredigt, gefproden zu Landöberg a. d. W. 
am Charfreitage 179. 


Geber. 

D gütiger Bott und Water, der du bie Liebe ſelbſt biſt und bie 
einige Quelle alles guten, ber bu dich unfer in allen unferen Bebürfs 
niffen Träftig annimmft unb ben Tod bes Sünders nicht willſt, ſon⸗ 
dern daß er ſich befehre und Ichel der bu deswegen von cher gu 
den Menſchen geredet haft durch beine Werke um fie ber, durch bie 
innere Stimme Ihres Herzens und durch ben Buruf fo mandyer vom 
Vie erleuchteten Männeri wie, benen das alles nicht genug geweſet 
wäre zu unferm Heil und umfeser Geligkeit, wenn du wicht zulezt noch 
gu uns geredet haͤtteſt durch deinen Sohn, wie find jest verfammelt, 
um das Andenken an biefe beine größte Wohlthat mit einander gu feiern, 
daß du nämlich Jeſum Chriſtum hefandt, daß bu ihn nicht nur gefandt, 
fonbern auch für uns bahingegeben haft, daß du in ihm durch fen Les 
ben und Sterben alles erfüllteft, was nothwenbig wau zu unferm Beil, 
zu unferm Troſt, zu unferm völligen Glauben an’ beine erbarmende 
und verzeihende Bäte und Gnade, Laß auch biefe Feier bes wichtige 


206 


fen, des heiligen Xages unter und gefeguet feini Du weißt, in wei 
der Abſicht und in welcher Stimmung bes Gemäthe ein jeder vor 
uns bier if. Wer ſich mit allerlei fremden Gebanken bier eingefunde 
Hat, dem laß doch ben großen, den heilbringenden Gegenſtand unſert 
heutigen Andacht in biefem Augenblikk Aber alles werth und eindrüßt 
lich werben! Wer nody nicht von ber Bröße biefee Wohlthat Hinge 
siffen if, in deſſen Gele fende doch einen Strahl von Ueberzeugung 
erleuchte feinen Verſtand zur Grienntniß deiner Eiche in Chriſto unl 
erweite fein Herz zu einer innigen Anbetung beiner ewigen Güte! 
Uns alle aber laß Eräftig gerhhrt werben In biefer Stunde und erfüll 
mit berjenigen Dankbarkeit, der wir gegen dich allein fähig find, un! 
die allein vor bie etwas werth iſt! Amen. 


DD. Geſchichte des heutigen Tages, meine Zrannbe, iſt uni 
allen befannt und muß uns allen in jeder Kuͤkkſicht groß und 
erhaben fein. Bleiben wir auch nur bei ber Begebenheit felbfl 
und ihren Umſtaͤnden ſtehn, fo muͤſſen ſchon bie verfchiebenften 
Gedanken und Empfindungen in und abwechieln: Gedanken an 
dad, was der Menſch unter bem göttlichen Beiſtande fein Tann, 
und an bie Ziefe bed Verderbens und ber Bosheit, in welche er 
binabzufinten im Stande if; Empfindungen der Bewunderung 
und ber Liebe, ber Verachtung nnd bed Abſcheues. Wie vie 
mehr noch, wen wir auf die Abficht ſehn und ihre Erreichung, 
auf ben großen Einfluß in ben Gong bed ganzen Menfchenge 
ſchlechtes; o, dann vereinigen fi) alle Gedanken in dem einen, 
Baflet und ihn lichen, bean er het und zuerſt gelie 
bet *), und alle Empfindungen iw bie eine, Laffet und ihm 
danken, benn große Dinge bat er an uns gethan! ") 
Diele gemeinfchaftfiche Ermunterung zur wahren und herzlichen 
Dankbarkeit für den heilbringenden Tod Jefu Chrifti fol dab⸗ 
jenige fein, womit wir und jezt nach weiter befchäftigen wollen. 





7136 4 1. 
**) Bir. 80,24. W. 188, 8. 


207 


Tert. 1 Ror. 11,2%. 


Ihr follt den Tod bes Herrn verkuͤndigen, bis dag 
er kommt. 


Diefe Regel gab ber Apoſtel der Gemelne zu Korinch ei» 
geatlich bei einer Gelegenheit, wo er ſich genöthigt ſah ihr über 
den rechten Gebrauch und bie Abficht des heiligen Abendmahls 
aerlei Anweifungen zu ertheilen. Sch habe aber gar fein Be: 
iafen getragen fie vorzüglich auf die Feier des heutigen Tages 
auumenden. Diefe iſt ja unter und auch zu einem Gedaͤchtniß 
v3 Todes Jeſu eingefezt und fol alfo in dieſer Kuͤkkſicht dies 
ſaben Befinnungen hervorbringen. Wir wollen und alſo heute 
In erwellen, 

aud Dankbarkeit gegen Jeſum ſeinen Sod zu ver⸗ 
kündigen. 
Vir werden erſtlich ſehn, was wir unter dieſer Berkuͤn⸗ 
digung zu verſtehn haben, und zweitens. umd überzeugen, 
daß fie der wahrfte und beſte Ausdrutt unferer dank 
baren Gefinnungen iR 


Dem Berfündigen des Todes Jeſu können wir bier nicht 
den eingefchränkten Sinn beilegen, in welchem ed fih nur auf 
die Lehrer der Religion bezieht, ſonſt würde der Apoflel nicht 
le Ehriften dazu aufgefordert haben, vielmehr hat jeder, ber 
ih dankbar beweifen wi für die Liebe Chrifli, welcher fich für 
ihn dahingab, die Amt, naͤmlich zu derkuͤndigen, nicht etwa was 
ber Ted Jeſu für die Menfchen äberhaupt fein fol und fein 
kann, ſondern welches die Fruͤchte dbeffelben für ibn gemeien 
fd, wie wohlthätig fie auf feine Seele gewirkt haben, wie er 
noch immer Rath und Troſt bei ihmen ſucht und auch für die 
Zukunft auf ihre wohlthätige Kraft rechnet. 

Dapin gehört nun erſtlich, daß wir uns der Religion Jeſu, 


208 
bie er durch feinen Tod gefliftet und befiggelt hat, nicht ſchaͤ⸗ 


men. Ich will nicht daran denken, dag wir in einer Zeit leben, 
wo ber allgemeinen Meinung nady bad Chriftenthum mehr als 
je vernachläßigt und verachtet ifl. Diefer traurige Gedanke fol 
uns im unferer dankharen Andacht nicht ſtoͤren, ich will mur bei 
dem fiehen bleiben, wad wel immer fo gewefen ift und immer 
fo bleiben wird. Wir bekennen und täglich für Chriſten, um 
daB verargt uns niemand, benn bie meiften Veraͤchter Jeſu thun 
daB nämliche; aber fo bald es ſcheint, ald ob bei jemand ba$ 
Ehriſtenthum nicht bloß auf ben Lippen wohne und in Äußeren 
Gebraͤuchen befiche, fondern eine wichtige Angelegenheit feines 
Herzens fei: fo fehlt es nie an Menfchen, die wie jene Magd zu 
Petro mit einer mitleidigen Neugierde fragen, Biſt du alfo auch 
eines von biefen? falgft du auch jenem Jeſu dem Galiläer? 
Wer dann im Stande iſt wie Petrus zu fagen, Nein warlid 
ich kenne diefen Menfchen nicht *), der emtzicht ſich feine 
heiligen Pflicht den Tod Jeſu zu verkündigen. Und doch if bad 
wieber nur allzu gewöhnlich. Wer vermeidet nicht gern jede Ge 
legenheit, wo er von anderögefinnten um Rechenſchaft von fer 
nen innerfien Ueberzeugungen gefragt werden koͤnnte? Mer lei⸗ 
tet fie nicht vor den Menſchen gern allein von feiner eigenen 
Vernunft unb feinent eigenen Herzen ab, ob ex fich gleich be 
wußt if, daß er fie zunächft ben heilfamen Unterweiſfungen ber 
Lehre Jeſu verdankt? 

Denkt euch, daß ihr uͤberraſcht würbet bei einem von ben 
feltenen aber deſto feligern Augenbliffen, wo nicht nur die Lip⸗ 
pen beten, nicht nur der Verſtand einige geiftliche Gedanken zu: 
ſammenreiht, ober das Herz einige fromme Wuͤnſche ſtammelt, 
fondern wo die ganze Seele mit Gott beſchaͤftiget iſt, wo wit 
esfüllt find mit einer lebendigen Ueberzengung und Hoffnung, 
beren Befländigkeit wir von ihm als das hoͤchſte Kleinod erfle⸗ 


) mE 67. VMatth. 26, TE. 


209 


ka; wo wir von Herzen angeloben bie unverrüffte Nachfolge 
Xu, um berentwillen wir und in bieiem Augenblikk wenigſtens 
karl genug fühlen bie bitterſten Beiden zu übernehmen; — ich 
iire auf zu begeichnen, was ich meine, jeder Chriſt muß das 
ns Etfahrung kennen; aber Denkt euch: in biefem Zuſtande 
iberrafcht zu werben mit dem Ausdrukk des hoͤchſten Gefühle 
eurem ganzen Weſen und gefragt, Freund, was iſt dir? was 
chateſt du? Wuͤrdet ihr nicht ſchuͤchtern der Antwort ausweichen, 
nürbet ihr nicht Läugnen wollen?. Es iſt wahr, wir ſol⸗ 
km unfere Religion nicht zur Schau tragen ‚und die Herzensge⸗ 
kimmiffe derſelben nicht ausſchuͤtten vor denen, bie fie nicht ‚ver 
kn; aber fern’ fei doch von uns jede zaghafte Menſchenfurcht. 
Bir ſollten die Wohlthaten deilen verläugnen, ber fi für uns 
dehingab? Warum nicht beiennen, Ya, ich folge diefem Jeſu, 
ih gründe auf ihn meine Hoffnung, meine Ueberjeugung, meine 
Rudel Warum nicht befennen, Das, wobei du mic) jezt antraffl; 
Rar em Erguß des feligften und wirkiamften Gefühls, weiches 
be Religion und gewährt! So wirb doch Ehriflus und fein 
& von uns verfündigt, fo weit ed bie Menfchen faſſen koͤnnen; 
brauchen wir doch nicht vos ben Worten zu erſchrekken; Wer 
nid verläugnet vor den Menſchen, den wällich auch 
terläugnen vor meinem himmliſchen Water *); denn 
so meine Lehre und meine Liebe noch nicht aufrichtiges Weſen, 
Vahrhaftigkeit und Muth gewirkt hat, da hat fie noch nichts 
gewirkt, da iſt bie Seele wir noch fremd. 

Wenn aber die Menfchen auch nicht fragen nad) dem Grand 
unferer Ueberzeugungen und Gefühle, fo fehen fie doch auf unfere 
Zeſinnungen ımb unfere Handlungsweife, und dad giebt und 
te (dönfte Belegenheit den Tod Jeſu zu verfündigen. 
Barum foliter wir ed und verbergen, baß eine Gefinnung wie 
te ded wahren Chriſten felten iſt auf der Erde, eine. Gefim 

RI, > on un 
Predigten 1. O 





:240 


nung nämlich, worin Abſchen herrſcht gegen alles böfe sub ungerek 
Luß und Liebe zu allen gutem. Werken eines Menſchen Gotte 
worin biefe gebt werben, nicht: weil fie mit. unſern natuͤrlich 
Neigungen übereinflimmen, ober. weil etwas aͤußerliches Durch | 
gu erlangen if, fonbem wo fie aus einer reinen Quelle fomme 
frei von jedem fremden Zuſaz. Eine foldhe iſt, fo :balb fie b 
merkt. wird, ein Gegenftand der Aufmerkfamkeit; fie liegt für d 
meiften als ein unertiärliches Räthfel daz aber wie felte 
giebt der die rechte Aufloͤſung, der fie geben koͤnnt 
Eine gewiffe Geringſchaͤzung der Menſchen und ihres Urtheil 
macht, daß man gewöhnlich. auf die Frage, was das fuͤr ei 
Geiſt fei, der in und lebt, gar..nicht antwortet. Eine falſch 
Beſcheidenheit läßt alles auf Rechnung der Erziehung un 
bes Beifpield fezen und leidet, daß die Wuͤrde der Rechtſchaffer 
heit in den Augen der Menfchen gefchwächt, und ihr Urfprum 
verkannt wird. Ein Stolz, den manche für. edel. halten, nel 
es gern, wenn alled ber eigenen Vernunft und Fuͤhrung und di 
Macht des Gedankens an PRicht und Schuldigkeit zugeſchriebe 
wird. Fern fei ed von uns ben. Einfluß.biefer leztern Triebft 
dern gering zu achten, ‚ober zu laͤugnen; allein warum wolle 
wir und denn ſchaͤmen noch eine höhere Urſach anzugeben, dert 
erfte Leitung. wir doch nothwendig wahrnehmen müflen? Wa 
exzieht denn unfere Wernunft und unfer Gefühl füs Pflicht um 
Recht? Wodurch werben unfere Neigungen unter daſſelbe gebaͤn 
digt? Wodurch wird ihm fein fortdauernder Einſluß auf une 
inneres gefichert, daß wir Iermen. rein fein und bad boͤſe meiden 
Hier müflen wir dankbar der Lehre :Sefu huldigen mil 
iheen erhabenen Grundfäjen, mit ihren ſtrengen Geboten, mit ih 
sem herrlichen. Troſt. Wer biefe nächfe: Duelle alles guten ir 
fi) nicht anerkennen will. den. möchte ich fragen, wie Chrifw‘ 
einft fragte, Zeige mir doch die Münze, deiner Geſinnung ut 
deiner Zugenb: weß ift das Bild, weſſen die Ueberſchrift? Wen 

ift fie nachgebilbet — nicht Jeſu von Nazareip? Ab hat Mt 


ja U 12 BE nz 


211 


ir ein Gepräget Sf es nicht‘ der Geiſt des Vertrauend auf 
Bett, dev: allgemeinen Liebe, ber Wachſamkeit über fich ſelbſt, 
m) hat dir dieſen nicht Chriſtus und fein‘ Wort. zuerfl einge 
kuht? Weber! ſo zweifle doch nicht, 0b «8 recht ſei Ghriftum 
13 den Urheber deines beffern Sinneß unter ben 
Rufhen zu verkuͤndigen! gieb ihm doch nur, was fein iſt. 

Es gehört aber zweitend'noch etwas mehr zur Verkimdi⸗ 
eng bed Todes Jeſu. Manche Menfchen gebenfehner Lehre: die 
Ehre, die ihe gebührt, aber doch ſcheuen fie fich feinen Tod zu 
vrlündigen; fie fchamen fih die Kraft der Eindruͤkke zu 
iimnen, welche die Betrachtung bes leidenden und flew 
Inden Eriöfers in ihnen bervörbringt. Der Tod Jeſu iſt 
ie Begebenheit, wovon jeder Chriſt -eingefteht, daß fie einen 
ßen des "ganzen Menfchheit wichtigen Zwekk gehabt habe, daß 
dr der größte Einfluß auf ‚die Evrettung und Begluͤkkung des 
Nenſchengeſchlechts zugeſchrieben werden: muͤſſe, und unfern Glau⸗ 
Im daran ſollten wir zaghaft verheimlichen? Freilich iſt es wahr, 
Yıf jeder ſich über die Sache ſeine eigene Vorſtellung macht, 
md daß esdeswegen: uͤberaus wichtig iſt, daß: deiner ſeine Er: 
kaͤungen vor Dem, was bie Schrift Daniber: fags,. banı andern 
dd nothwendig und eingig wahr: aufbritige; aber deſſenungeachtet 
hicht 78 gar. vieles babek, deſſen Wahrheit. eiısem jeden: wir 
kuhten muß, und das :follen wir ohne Anſtande und Zuruͤkkhab⸗ 
tung bekennen: ‚Weber muß es eingeſtehn, daß ; wir Ze Jeſu 
unfern Glauben mehrt :und:unerfihärtteriih "macht, 
!Hon deswegen, weil et und. zeigt;: wie groß: in Gyriſto bie Ueber⸗ 
Kugung vow: den heiligen. Wahrheiten ! war, bie: er mit ‚feinem 
Ude verflogefte.. Deder wird es zugeben, daß es ‚nicht: bloß.-bie 
ſewoͤhnlichen fruchtloſen: Thraͤnen des gereizten Gefaͤhls ſind, 
Reiche wir: dem Lriden Ehriſti weinen. Denn wir deuken ihn 
md als ya, Saapiendorw, welches ausgeſaͤet werben: und ers 
Neben. uiußte, damit Durch "feinen Tod eine‘ große reiche von 
Sort geſegnete⸗Drnto hervorginge, Durch wolches allein. auch. wir 

O2 


212 


jezt eingewurzelt find und grünen unb reifen in dem Boben d 
Reiches Satted. Wir fehen ihn an ald den ferbend: 
Freund und Lehrer, deſſen legte Bitten uns deſto heily 
find, weil fie um unfertwillen bie legten waren; deſſen lezten C 
mahnungen und Borfchriften wie und um beflo williger unti 
werfen, weil er fie feib mit der größten Veharrlichkeit bis zu 
Tode am Kreuz ausuͤbte; deſſen lezte Seufzer und Worte un! 
Herz nicht mar zu einer flüchtigen Kuͤhrung, ſondem zu eins 
heiligen Gelübbe des treuften Gehorſams und ber eifrigfien A 
bänglichkeit bewegen, Jeder giebt zu, daß er derjenige ift, b 
und alle unfere Verhaͤltniſſe gegen Bott follte einfehn und fü 
len lehren, und fein Tod ift alfo das ficherfle Zeichen vo 
der gänzlichen Vollendung diefer Belehrung; er ve 
tilgt aufs Eräftigfle alle Zweifel und Bedenklichkeiten, alles fü 
flere Mißtrauen und alle zaghafte Entfernung von Gott. Di 
gilt allen; died laßt und vor der ganzen Welt bekennern 


Dirfeb zufammengenommen iſt ed, was bes Apoflel umti 
der Verkündigung des Zodes Jeſu, zu welcher er und ermunter 
perheint haben Zaun. Laßt und nun neih ein paar Worte di 
Betrachtung widmen, dag bied zugleich der wahrſte und ein 
sige Ausdrukk unferer Dankbarkeit gegen ihn fe 
Ich werde dabei um deſto irxr fein Finnen, da ich mich mu 
auf euer eigenes Gefuͤhl berufen darf. 

Viele Menfchen machen. fich freilich von ber Dankbarkei 
eine ganz irrige Vorſtellung, als ob fie in der bloßen Ber 
geltung befände, nnd begnügen fi alfo damit, wenn fie gele 
gentlich einen aͤhnlichen Dienft erweifen, als fie empfangen ba 
ben. ‚An einer folden kahlen Wicbererfkattung hat abe 
bad „Herz gewöhnlich feinen Theil, und es liegt geößtentheils be 
Wunſch zum Grunde fich abgufinden, fih won dem GSefuͤhl dei 
Verpflichtung und alfo auch von ber: Daulharkeit las zu ma: 


243 


Wire bad Dankbarkeit, fo könnten wir fie.gegen Chriſtum 

t äußern; bean wer kann dem Herrn wergelten oder Chriſto 
Din leiſten? Beſſer legen anbere ihre Dankbarkeit zu 

e durcch Aufmerkſamkeit und Geborſam, indem fie 
beſtreben jeden Wink ihrer Wohlthaͤter zu verſtehen und als 
Bien Wuͤnſchen zuvorzukommen. Aber auch das iſt nicht 
Benfbarkeit ſelbſt, ſondern nur eine Aeußerung derſelben, die hier 
ph nicht Statt findet. Menſchen können wir wol durch unfer 
Ian ganz uneigennüzig einen Vortheil fliften und unfern Eifer 
Frist Wohl durch allerlei Bemühungen beweiſen; aber Ehrifto? 
Ban wir auch feine Gebote nach Kräften befolgen, wenn wir 
= feinen Willen thun, fo iſt es immer .umier eigenes Wohl, 
& wir dadurch befördern, und das wäre glfo nur eine unſi⸗ 
fr und zweideutiger Beweis ber —* Dieſe beſteht 
Anhaupt nicht in aͤußerlichen Handlungen; man kann viel re 
km und thun, was nicht von Herzen geht; Dankbarkeit aber 
tuß innerlich im Gemüth fein. Sie ift das beftändige Ge 
ſihl der Wohl that, das freudige Bekenntniß dazu, daß un: 
kt Gluͤlt von den Geſinnungen des Wohlthaͤters abhängig fei, 
% Neigung das gute nie zu genieken ohne an bie Quelle befs 
Ken zurüffzudenten. Das ift alfo Dankbarkeit gegen 
Ihriflum, wenn wir ihn bei und felbft für ben Urheber alles 
hen und feligen anerfennen, was und wiberfährt; wenn wir 
xi jedem Genuß des Heild, welches ex erworben, mit Lob und 
Preid gegen Gott an ihn und feine verbienflliche Liebe zuruͤkk— 
kalen. Was äußerlich geredet und gethan wird, daB Tann nur 
n fo fern zur Dankbarkeit gehören, als es eine unwilffährliche 
von felbft ſich einftellende Ergießung dieſer Geſinnungen ifl. 
lud hier m. Fr. müffen wir zur kindlichen Einfalt zurüf 
ren, wenn wir fo fein wollen, wie ed dem Reiche Gottes ei« 
mil. Wie äußert ein Kind feine Dankbarkeit? Es trägt 
ine Geſchenke Herum zu feinm Bekannten und Geſpielen, es 
eigt ihnen, wie fie gebraucht werben müffen, und wie es fich 


214 
damit ergöge; es'ift nie gluͤtktich dabei, ohne mit Liebe und 
nem gewiſſen Stolz den Namen beijenigen zu nennen, bon de 
fie herruͤhren. Wie machten es fo viele ungluͤkkliche, bie Chr 
ſtus während feines Lebend von ihren irdiſchen Leiden b 
freite? Sie gingen hin und verühbigten überall, vote gro 
Dinge Jeſus von Nazareth an {hnen gethan, und meqhien 
ganze Gegend ſeines Ruhmes voll. 

Nach dieſen Beiſpielen werden ſich die Aeußerungen unſer 
Dankbarkeit von ſelbſt bilden; wir werden ihnen aus deſto inn 
gerem Drang bed Herzens, mit defto umerkünftelterem Eifer fü 
gen, je giößer die Wohlthat ift, deren wir theilhaftig geword 
ſind. Iſt eine lebendige Erkenntniß, iſt ein reges Gefuͤhl Dave 
in unferer Seele: b. o‘wirb unwillkuͤhrlich der Mund übergehn vo 
dem, deffen das 8 rz vol iſt; fo wird es von felbft geſchehe 
dag wir ben Tod Zefu unter den Menfchen verkünd 
gen, wie der Apoftel fagt, zu gelegener und ungelegener' Zei 
den täuben und ben börehden, unter guten und böfen Gerüchte 
denen die es achten, und benen die es nicht achten, denen d 

Theil nehmen an der Quelle unſeres Gluͤkks, und denen die nu 
aus einer mißigeh Neügler danach fragen, ‘und’ bas iſt ein 
wahre eine natuͤrliche eine würbige Aeußerung un 
ſeres Bankgefuͤhls | 








. Dies iſt ed, m. Fr., was ich üher biefen Gegenfland zu end 
babe sehen :mollen; vergönnt mir nun noch einige Aıgenblikf 
von efmad. anberm: zu Sprechen, Außer diefer Verkuͤndigung bei 
Todes Jeſu, welche die Pflicht eines .jeden Chriſten iſt, giebt «i 
unter. un& noch ein befonderes Ant, welches. Chriſtum und fein 
Lehre predigt, ein Amt, welches hei. rechter Verwaltung und med) 
tem Gebrauch von je her wielerlei gute gefliftet hat. Ihr wißt 
daß ber eine eurer Lehrer, ber. es viele Jahre zu eures Zufrieden 


216 


md Erbauung bekleldet hak, jet ton der EHE beB Allers 

der Krankheit niedergedrükkt bemfelben nicht Känger votſte⸗ 

will, und ich bin beflimmt, fo lange er noch unter uns ift, 

Stelle bei euch zu vertreten. - Gern würbe er euch ſelbſt 

diefe Veränderung das nöthige gefagt und mich eurer Liebe 
Beichen haben, damit er mir bie Sefchwerliche Mühe von mir 
Mi und für mich ſelbſt zu reden erfparte, allein der Zuſtand 
Ih Geſundheit hat es nicht zugelaffen. Was ich während bie: 
J Geſchaͤftes unter euch fein und thun fol, dad wißt ihr. - Ich 
Mech immer näher unterrichten von ben Wahrheiten der Re⸗ 
Ken; ih ſoll Irrthuͤmer und Worurtheile, wo ich dergleichen’ 
poahr werde, mit fanfter Staͤrke angreifen und ausrotten; ich 
Min euren Herzen immer mehr zu erwekken ſuchen die Liebe 
palem was rechtſchaffen and gut-ift; ich ſoll euch fleißig an 
he heiſſamen Gebote unfered Erköferd erinnern, von ben Mitteln: 
km immer genauer nachzukommen mit euch reden und euch 
% mancherlei „verborgenen Schwaͤchen und Thorheiten bed menfch> 
ihm Herzens aufdekken; ich ſoll gute Hoffnung und ſtaͤrkenden 
ft bei allen Widerwaͤrtigkeiten darreichen aus ber Quelle un⸗ 
mm göftfichen Belehrungen; ich’ ſoll enblich auch in den zarten’ 
ren euerer Kinder den erſten Saamen ſeligmachender Erkennt: 
ij und frommer Gefinnungen ausſtreuen und fie zubereiten zu 
hhren und würdigen Süngern Jeſu. Wie ich das thuin- werde, 
aven Tann: ich- euch nicht mehr fagen, als daß ich dieſes Amt 
&hete mit dem 'tiefften ˖ Gefuͤhl meiner Schwachheit, aber auch) 
it inbeünftigein und vertrauensvollem Gebet, und baß bie 
ewaltung deſſelben immer gefchehen wird nach befter Ueberzeu: 
ung mit ehrfurchtövollem Ernft und herzlichem Eifer; nicht mit 
hoͤnen Worten und mannigfaltigen Prunk menſchlicher Beredt⸗ 
mkeit, fondern mit der Einfalt, welche ſich fuͤr dasjenige am 
Men ziemt, was ſchon in ſich ſelbſt eine goͤttliche Kraft hat, 
id in der Hoffnung, dag was von Herzen kommt auch wieder 


216. 


zu Herzen gehn wid. Allein, m. I. Fr., ich babe Dach eine d 
pelte Bitte am euch, die ihr mir hoffentlich nicht verfagen | 
bet. Es iſt wol wahr, daß die Wahrheit und zumal bie hei 
lige und göttliche Wahrheit eine Kraft in fich hat, welche ihre 
Wirkung bei feinem, der fie faffen kann, jemals verfehlen follte 
allein bie menſchliche Schwachheit macht, dag ber Erfolg ga 
fehr davon abhängt, was für ein ‚Herz wir zu bemiemigen haben 
ber fie und vorträgt. Ich brauche alfo euer Jutrauen und eun 
Liebe, und das ift dad erfie, warum: ich euch bitten wollte. Frei 
lich babe ich für jest Feine Gründe biefe Sorberung zu unterſtuͤ 
zen als ben, ba ihr ein gutes Vertrauen zu benm haben fol 
tet, welchen es oblag euch für die Zeit mit einem Lehrer zu ber: 
fehen. Laßt num biefes vorwalten, bis ich Gelegenheit habe miı 
ſelbſt euer Herz zu.gewinnen, und dann weigert euch auch nic! 
mir duch Freundſchaft und Zutrauen mein Amt zu erleichtern, 
Meine zweite Bitte if die, daß ihr euer chriflliches und bruͤder 
lies Gebet mit dem meinigen für mich vereinigen möge. Ci 
iſt wirklich nicht Teicht nichts zu berfäumen in dem Amt eined 
Lehrers, immer ‚vorzutzagen was ba frommt, und wie es frommt, 
immer. fo zu handeln, daß man. auf ber einen Seite nit Vor⸗ 
urtheile befhüze und auf ber andern boch. den ſchwachen fan 
Yergerniß gebe, immer fo zu empfinden und gefinnt zu fein, 
Daß der Geift unter Arbeiten und Zerflreuungen fletd munter 
und rege bleibe zu allem, was fein ehrwuͤrdiges unb heilige 
Geſchaͤft erfordert. So betet denn mit mir, baß ber Gott ber 
Gnade, welcher in den ſchwachen mächtig if, mir feinen Bei: 
Rand ſchenke und mir alle Kräfte gebe und erhalte, die mis nd 
thig fein werben. | 





. Gebet. 

Ja du liebrticher Gott und Watertıfich hulbreich auf dieſe Verbia⸗ 
bung zwiſchen ber Hier verſammelten Gemeine Jeſu Ehriſti und mir, ihrem 
ſchwachen Bruder und Diener. Sieh, daß andy durch meinen Dienft allers 
lei gutes unter ihr geförbert und gemehrt werde, doß auch ich etwas thue 


217 


m Schauung, Befeftigung und Verſchdatrung bed Gebaͤubet, wovon Shris 
fi und feine Lehre der unwandelbare und wmerfchütterliche Grunbftein iſt, 
5 ich nie muͤde werde Jeſum und feinen Zob zu vertündigen, nie mübe 
x Menſchen an GChrifti Statt zu ermahnen, daß fie fich verföhnen laſſen 
zit Gott, auf daß ich einft mit gutem Bewußtſein zurätffehen könne auf 
be Zeit, die ich hier verliebt, und mit frohem Muth Rechenfchaft ablegen 
m dem, was bu mir anvertraut haſt. Run Herr ich hoffe auf dich, du 
hi mich gerufen, bu wirft es auch thun! Amen. 





I 


Bon dem Unglauben in Abficht auf Dinge 
der andern Welt. 


Ueber Mark. 16; 10-14. 


Ofterprebigt. 


G; ift voraudzufegen, daß wir alle mit dem wahren Sin! 
und bee Wichtigkeit ber Lehre von ber Auferfiehun: 
Jeſu bekannt find. Daß die Seele Jeſu nicht im Tode unl 
im Grabe bleiben Eonnte, ift für fi) ar, wenn auch die Ge 
ſchichte feined Lebens nichts davon erzählte, benn die Seele Feine 
einzigen Menſchen geht in ber Verweſung unter, viel weniger not 
die Seele deffen, ber in einem fo vorzüglichen Sinne ber Erb 
ber Herrlichkeit war. Dies ift alfo nicht ber eigentliche Gegen 
fland der Feier des heutigen Tages, fonbern biefes, daß auc 
fein Körper die Verweſung nicht fahe und ſogleich in 
Leben zurüßfgerufen wurbe, und bag er fich in dieſer erneuerte 
und verberrlichten Geftalt zum großen Troſt feiner niebergefchle 
genen Jünger fichtbar darſtellte. Diele Weranftaltung war not! 
wendig für fie, denn ihre Gedanken von den Abfichten Jeſu, vo 
dem fie hofften, er follte dad Reich Ifrael wieder aufrichten, wi 


219 


m durch den Erfolg widerlegt, und ihr Glaube an ihn war ganz 
kbin; und fie iſt wirhtig-für and, denn fie-ift noch immer für 
ix ſchwachen, denen bie innere Waͤrde ber Religion Jeſu noch 
at genug iſt um vom ihrer Goͤttlichkeit aͤbergeugt: zu fein, ber 
ingenfcheinlichfte. Beweis. Mir haben alfo: alle, Urſach Gott das 
fr zu preifen, als für: einen: Beweis ‚feiner Macht, ohne welchen 
he Lehre Jeſu nicht einmal bei feinen. erflen Sängern nechte Wur⸗ 
xl gefaßt haben wuͤrde. Allein..bei einigem Nachdenken werben 
ut finden, bag: wir biefe Begebenheit noch von mancherlei 
endern Seiten anſehn koͤnnen. Hier iſt einer von ben feltes 
m Zällen, wo ſich etwas aus der audern Welt ſicht⸗ 
hrin dieſer offeubart hat. Wenn wir unter und daruͤ⸗ 
kr ſtreiten, ob tobte wiederkommen, ob höhere Geiſter fich den 
Kenſchen zeigen innen: fo pflegen wir biefen Fall und alle aͤhn⸗ 
üben Gefehichten, die barüber in ben Schriften des alten und 
kum Bundes erzählt werben; "völlig nuszunehmen, imb thun 
ud volllommen recht daran. Wenn tie uns aber ati die 
Etlle der Menſchen ſezen, denen dieſe Dinge begegneten, ſo hat 
in fie gar keine Weranlaffung die Sache nach andein Gruͤnden 
m beurtheilen als wir und find alſo mit‘ ind ganz ‘in: dem 
Kmlichen Fall.‘ Ber Glaube an bie göttliche Sendung Yopi 
up bei den Juͤngern durch feihen Tod faſt ganz verfhwunden‘ 
md fie hatten alfo Feine andere Urſach feine Wiedererſcheinung 
A vermuthen, als wir etwa haben, wenn wir uns einbilden, daß 
eir wol einen verftorbenen Freund wieber erblikken Tönnten, an 
km unfere Seele gehangen hat: fie hatten‘ keirie Urfach! die Erzaͤh⸗ 
lungen, die ihnen davon gemacht wurbeh; aus andern Gruͤnben 
A beurtheilen; als voir'Ber aͤhntichen Geſchichten, die voft fir wahr 
megegeben werden, anwenden muͤſſen. Laßt und alſd dus ‘ihren 
(genen Enaͤhlungen ſehn, wre tie bäbei handelten, ünb 
hhdenken,; was wi in Ihren Betrahen bei biefer merk 
virdigen Begebenpeit vet u und unrecht war. * 


20 


Tert. Marl. 16, 10 — 14, 

Und fie ging Hin und verfündigte es benem, bie mi 
ihm geweſen waren, bie. ba Beib trugen unb wein 
ten. Und biefelbigen, ba fie böreten, daß er lebete uni 
wäre ige erfchienen, glaubten fie nicht. Darnach, bi 
zween aus ihnen wanbdelten, offenbarte er ſich unte 

' einer andern Geftalt, ba: fie. auf das Feld gingen. Unt 
— biefelbigen gingen auch hin und verfünbigten bad ben 
' anbernz denen glaubten fie auch nicht. Zulezt ba bit 
0 zu Xifche faßen, offenbarte er ſich und fchalt ihren 
Unglauben und ihres Herzens Härtigkeit, daß fie nicht 
geglaubet Hatten denen, die ihn gehn daten aufen 
ſtanden. 


1. Dieſe Worte zeigen und deutlich, daß Zweifel und Miß 
trauen. die herrſchende Gewuͤthsſtimmung der Apoſtel Chriſti war. 
Wir wollen nun dieſe von beiden Seiten betrachten und daher 
veden, Bon bem Unglauben in Abfiht auf Dinge ber 
andern Welt; und. wir werben bei dieſer Betrachtung finden, 
daß es erftlich einen fehr heilfamen und nothwendigen, 
aber auch zweitens einen fehr verderblich en Unglauben die 
fer Aut giebt 
L 

Der weife Unglaube beruht erſtlich darauf, daß man 
fig hüten muß menfhlihe Einbildungen nidt für 
göttliche Dffenbarungen zu halten. Denn. bad ift bob 
gewiß, daß wenn fich etwas zutrüge, was gänzlich außer ben 
Lauf der Natur läge und aller menſchlichen Erfahrung und Ein⸗ 
ſicht widerſpraͤche, ſo muͤßte das von Gott auf eine befonbere 
Weife veranflaltet fein, und gewiß nicht ohne einen befondern 
Zweit So finden wir auch immer, daß folche wirkiiche oder 





221 


vorgebliche Offenbarungen Gotted mit Korberungen begleitet ſind 
etwas zu glauben, was man fonft nicht fie wahr halten Lönnte, 
oder etwas zu then, was man fonft. nicht thun wuͤrde. So 
hatte Abraham eine Ericheinung, weiche ihm befahl ſeinen Lich 
ing, feinen einigen Sohn, Gott als em Opfer zu ſchlachten, ein 
Unternehmen, wovon er-fonft den bloßen Gedanken als erſchrekke 
ich und fünblich verabfcheut hätte So trug auch in dieſem 
Fall der erflanbene Jeſus der Maria auf feinen Juͤngern zu fos 
gen, daß fie ihm nad Balilda folgen möchten, da er ihnen Doch 
während feines Lebens nicht undeutlich befohlen hatte zu Jeru⸗ 
ſalem zu bieiben. 

Wie notbwendig es nım bier ſei alle möglige 
Borficht anzumenben, bamit man nicht durch Blenbwerle ge 
täufcht werde, bad zeigt und bie Erfahrung burch eine Menge vom 
höchft traurigen Beiſpielen. Boͤſewichter mißbrauchen die Leichts 
slaubigkeit: fonft guter Menfchen, welche nur gar zu geneigt find 
sußerordentliche übernatärlihe Dinge für wahr zu halter, fie 
hintergehn fie durch allerlei kuͤnſtliichen Betrug und verführen fts 
bernach zu ben ſchrekklichſten Dingen, indem fie ihnen die 
Meinung beibringen, baß ba, wo Gott fo deutlich durch Zeichen 
mb Wunder ſpricht, alle unfere innigflen Ueberzeigangen zu 
khweigen hätten, und unfere Einficht in dad, was Recht und Unrecht 
itt, fich keiner einzigen Forderung miderfezen duͤrſe, die er auf 
die Art an und thut. Auf diefe Art verführt, haben gute Buͤr⸗ 
zer ihr Waterland. feinen Feinden in die Hände geſpielt, treue 
Intertbanen ihren Fürften dad Beben geraubt, Wäter ihre Kinder 
morbet, kurz es giebt Bein’ noch fo verabfcheuungdwärbiges Ver⸗ 
kechen, was nicht zur Schande des menſchlichen Verſtandes auf 
Neje Art als ein Befehl Gottes wäre veruͤbt worden. Da ha⸗ 
kn wir freilich. die .beutiichfien Beugniffe der Schrift, 
m und vor dieſem Abgrumde zu hüten. Chriſtus fagt, Eſs wers! 
en viele fommen und Zeichen und Wunder tbun, und 

R “ I ..,n - ' 


fügen: Hier IM Vyriſtud, aber glaubet: ihnen wit"), un! 
ein ander. Mal fagt er, Sie haben Mofen: und die Bro 
pheten, wenn fie denenntde glauben, fo werben fii 
auch nicht glauben, ob.jemand von ben tobten auf 
erftäntie **), d. h. werm ich. feine Urſach zu haben glaube ei 
was anf die Welchrung iveifer Männer anzunehmen, fo if e 
Bein Grund der Meberzeugung mehr, wenn mir auch Zielen au 
der underm Welt erſchienen; und Paulus ſagt, Wenn ein En 
gel vom Himmel fame und prebigte:euch ein ande 
Evangelium, fo glaubet ihm nicht **), wem aud Bun 
bes und Erfcheinungen euch überhäuften, fo glaubet. und thu 
nichts wider eure Ueberzeugung von dem -was. Recht if. | 
- . Bien wir aber auch durch den Mangel dieſes weiſen Un 
giaubens nicht. fo weit verführt werden, fo wind er bach fonf 
gewiß feine uͤblen Folgen haben. Iſt ed gleich nichts boͤſes, wal 
und zugemuthet wird, iſt gleich gar fein Betrug dabei, fo iſt ei 
doch bekannt,: vaß bie menſchliche Einbildungskraft oft jüh fehl 
fölche Blendwerke ſchafft, und daß wir dann, durch umfete eigen 
Wirkſambkeit ;getänfcht, Gedanken und Entſchluͤſſe, bie vei folche 
Gelegenheiten entſtehn, fuͤr Eingebungen Gottes halten, und II 
kann es boch leicht erwwas tHörichtes, etwab unkluges fein 
etwas was uns aud dem Wirkungbkreeis herausrtißt, den um 
Gott angewieſen hat, und uns ein unglüßfiicye& weruchteteb Lebe 
bereitet. "Darum iſt es in folchem Falle am beſten gethan, dem Bei 
ſpiel der Juͤnger Jeſu zu: folgen, und fie glaubeten nicht. Got 
iſt ja nicht ſo arm; was er von und gefban, haben will, bagi 
wir: er und. ſchon natirfiche: Mittel und: Wege -uab. natkrlich 
Vesanlaffungen zeigen. Und fo iſt auch die Frage ganz unnüz © 
es denn Fein, ſicheres Kennzeichen gebe, um-in: biefen :Dingel 
maiſchliche Einbifdungen und Betrligereiar von: wirklich wunder 
baren Btgehenpelten zu unterfipeiben; denn wenn⸗mit ber Bege 
— — 1 ist.) ER. 150 | 

¶ Wark. 13, 11-2. - eut. 16, NER 





DR 

kaheit einq Konberumng: etmad:.zu glauben oher gr: thun ˖ verbun⸗ 
vn iſt, ſo kawmt es gan: aicht auf die Beſchaffenheit der Begeben⸗ 
xt an, fonbem darguf, oh nfaxe Bernunftund unfere Uni 
lönde e& zulaſſen den Vorſchlag, den Sebanken, die Meinung 
munehwen, oder nicht. Iſt aber nichts dergleichen damit ner 
nupft, fo waͤre es ja nur eine unnuͤze Veſchaͤftigung ber Neu⸗ 
jede, und wir koͤnnen ek gem dahin geſtellt fein laſſen, ob dos 
me Wirkung. Gottes oder, ein. Spiel der Menſchen geweſen iſt 
50 handelten auch die Juͤnger Jeſu. ‚Sie glaubten zwar 
em erſtandenen Jeſus ſehr viel, woran fie, vorher. nicht gedacht 
atten, ſie thaten auf fein Geheiß manches, yoga fie vorher keine 
uft hatten, aber. fie. thaten das keinesweges um der Grſcheimumg, 
m des wundenbaren willen, ſondern weil Jefus ihren: Verſtand 
ur Gruͤnde uͤberzeugte; wir finden. uͤberall, daß er. ihnen die 
xhrift auglegta und ihnen ‚bewies, daß ash is. fin miſſe und 
x fie num weiter. thun haͤtten. - ; 

Ein and exer heil diefeg, weile. Unglaubens heſtcht 
be ſehr wernuͤnſiti gen. Meinung, dafi Mein: des 
adern Wels Saiſter, Angel. aber. Menſchen, in ih 
em künftigen Zarſtande ſich unſern Sinnen gox nice 
arſtellen :upd-nlfa,auch gar nicht von und wehnge 
smmen merken.bönuen,. Es iſt nicht: leicht etwas ſchaͤdli⸗ 
kr für das menſchliche Leben und varderblicher fuͤrt den Verſtend, 
u bie unſelige egierde gengue Machrichtan · und- Ennliche Erlennt⸗ 
iö haben zu, wollen von Dingan, die uͤber djrſe Walt hinaus Legen, 
a unter allen chwachhriten, wehrhe in unſchuldigat Anſehn haben; 
Ikine verderblicher aJö;die-Reichtgiäukigfeit,, weiche 
um weiſen Unglquben entgegengaſezt. iſt. Die Sepenfiäuberhies 
ı Belt geben uns Gelegenheit genug. die Allmacht amd, Weis⸗ 
it Gottes zu hewmundern und. unfern, Meaſtand zubereichern 
t Pflichten, Die mit hen Verhaltniſſen Amſeres irdiſchen ebens 
Verbindung ſehn, Hnd ja wichtig, und ſchwer genug, um uni 
3 ganze Leben hindurch, zu heſchaͤftigen, fo: Daß. seh.die.präfike 


284 

Mritheit iſt ſich darauf einzuſchtraͤnben und nie bare fo v 
mbglich . nach Vollkoamenheit zu trachten. Wer bdaruͤber hina 
will, bereitet fich großes Elend und ſchwere Beramtwortung. A 
Dinge: bier Welt erfcheinen ihm natürlich bei dem Krach! 
nach hoͤheren Dingen als Kleinigkeiten, ſo alſo auch die Ken 
nifſe, die er ſich erwerben, und die Pflichten Die er aushben ſoll; 
vemadläßigt alfo die rechte Ausbildung feines Berſtandes u 
die zwellmäßige. Thaͤtigkeit des gefelligen und haͤuctichen Lebe 
d. h. feinen ganzen Beruf; un Iseren Einbildungen und Grill 
nachzugehn. Dabei ift er immer unruhig, weil er immer vergl 
lich arbeitet, jagt‘ Immer nach neuen Spuren -beffen, was 
ſucht, und bald iſt nichts mehr außerordentilch und wunderb 
genug um feine Fautafie zu befriedigen, nicht® fo weit über I 
menfchlichen Erkenniniffe erhaben, was er nicht: zu wiffen glaul 
und nichts fo aberteuerlich, daß er es nit ausgedacht hät 
Solche ungluͤkkliche verborbene Menfchen giebt ed zu allen 3 
ten und imter ‚allen Ständen leider genug. Darum laßt ui 
doch feſt dabel bleiben, was der gefunde Menfchenverfland ul 
Ichrt. Unfere gegemoärfigen Sinne find für dieſt Welt, und I 
Dinge diefer Welt find wiederum für unſere gegenwaͤrtigen Sin 
gemacht. Won einer andern Welt können wir nicht anders gla 
ben, ald daB au andere Werkzeuge dazu gehören werden ſie 
erfemen; ſobald fi alſo etwas fichtbar uns darſtellt, ſobald 
Mirkungen äußert, die wie andere Sickungen find und Anfan 
und Ende haben, fo iſt es ein Ding -biefer Welt, und je wur 
berbarer und unerklaͤrlicher es iſt, deſto mehr kann es zwar IM 
fern Verſtand demuͤthigen, indein es uns unfere Unwiſſenhe 
zeigt, aber nicht ihn fo weit erheben, dag es ihm eine Belehrun 
über die- andern Welt gäbe. Und es giebt alfo außer bem, wa 
Gottes Wort: und unſere Beraunft uns” von ben Dafein ein 
andern Melt lehrt, und was unfer Werfland: von ühren Eige 
ſchaften vermathen kann, nichts, was im Stande wäre unfere © 
keuntniß von ihrer Seſchaſſenheit zu vermehren. 


225 


Es ·annte zwar ſcheinen, als .ob das eine zu weit. gefricheng 
inſchraͤnkung; waͤne, ald ob dad Beiſyiel ber Juͤnger Jeſu ung 
s ganz anderes Betragen darſtellte. Sie bereuten ihren Un; 
auben in bjejen Stufen, fie fahen und beruͤhrten ben erſtande, 
m Jeſum und, erkenngen duch alle ihre Sinne feine ergenerte 
fait. Aber ejgentlich haben fie. chen. fo gehandelt, ſie benuzten 
i biefer wohtthatigen Erſcheinung Jeſu bie göttliche, teofkzeiche 
kiehrung, die er ihnen gab, aber wir finden nirgends, daß fie 
ö ber Geflalt, unter der ex fich ihnen zeigte, ihre Kenntniß von 
rm künftigen Zuſtande vermehrt und etwas daraus gefchloffen 
itten, was fie nicht ohne Died willen konnten. Oder haben. fig 
na gelehrt, dag wir nach dem Tode die nämliche menſchliche 
kalt wieber haben werben, fo wie ſich ihnen Chriſti verklaͤrte 
eſtalt feiner vorigen aͤhnlich darftellte, oder daß -wir in unſerm 
uftigen Zuftande effen und trinfen werden, wie Jeſus mit ihs 
a trank? 

Das wäre alfo ber weife Unglaube, der und nor man⸗ 
es Verfehstheit, Vorwiz und Thorheit verwahrt; ich habe.gefagt, 
giebt auch einen verächtlichen und verberblihen Uns 
lauben, und ben wollen wir zweitens mit einander betsachten, 

I. 

Er befteht darin, wein wir von Dingen einer andern 
selt deswegen, weil wir fie nit finnlid wahrnehmen 
innen, lieber gar nichts glauben wollen, und aud das 
öt für möglich halten. wollen, was doch recht wohl moͤglich if, 
enn wir es gleich nicht ſehen koͤnnen; wenn wir ſelbſt das, was 
ir durch die’ Wernunft oder andere‘ Belehrung Gottes recht 
at wiſſen Fönnten, nicht annehmen, wenn es nicht durch dad 
ergniß unſerer Sinne beſtaͤtigt wirb. Dad iſt es, was Chri⸗ 
us an feinen Sängern mit den Morten tabelt, Ihr Thoͤren 
nd traͤgin Szene iu glauben dem, was gefchrieben ſteht 


tab . ak 277 Ber SB 1 Be 
Predigten L 9 





das iſt eb, was er meint, wenn er zu Thomas fast, "Seh 
Find die nicht ſehen imd: doch glauben. Es iM’ überall ein 
ungluͤktſelige Thorheit, wenn der Menſch alles fo handgreif 
ich, ſo gleichſam vor bie‘ Augen gemalt · hüben- voilk, dem 
unfernt ganzen Zuſtande auf Erden iſt vieſe Förderun 
gar nicht angemeffen, wir Seben in ben: meiften Staͤkken in 
Blauben und nicht fm Schauen. Sogar'in den allergewoͤhn 
Kaflen Dingen, die wir täglich ſehn und taͤglich gebrauchen, gieb 
eb To’ manches, was auch bie größten Weiſen ber Erde noch nid) 
begriffen ımb erfiärt haben, müffen wir fo manches voraußfeen 
was unfere Sinne gar- nicht wahrnehmen Minen. Wie viel 
mehr möffen note nicht unferer Bernunft‘ glauben "und das, wal 
fie uns ald wahr und gewiß vorſtellt, auch mit Ueberzeugun 
annehmen in ſolchen Dingen, weiche ganz außer - dem Gebie 
unſerer Sinne liegen. 

Biöweilen rührt diefer thörichte Eigenfinn, der nur auf fi 
nen Augen und Ohren befteht, von einer ungluͤkklichen Zen 
ruͤttung der Gemüthöfräfte durch Leiden und Kumme 
der. Wenn und bie fefteflen Hoffnungen fehlgeſchlagen find: 
wenn bad ganze Gebäude nnferer ' SHirkkfetigkert; fo'Fefh’ auch dei 
Grund zu fein fchien, auf dem es ruhte, plözlich einftürzt: fo wol 
len wir und nun auf nichts mehr verlafien, bis wir es gleich 
—— in Händen baben und wirklich genießen, und dieſes Hein 
müthige Mißtrauen tragen wir benn auch auf unſere Greennt 
niffe und Ueberzeugungen über, und wollen nichts ‚mehr glauben 
nicht mehr für wahr annehmen, was wir nicht mit Augen ‚eht 
und mit Händen betaften koͤnnen. Died ſcheint der Fall be 
Thomas und einigen andern Jüngern Jeſu geweſen zu fein; ihn 
Hoffnung auf Ehriftum war zernichtet, benn fie hatten geglaubt 
er würde dad Reich Iirael wieder aufrichten, die irdiſche Hoheit 
auf die Sie ſich ſchon Rechnung gemacht hatten: und nun woll⸗ 
fen fie auch das weit beſſere nicht glauben, was fie doch fo. kei 
hätten einfehn und vorauswiffen koͤnnen, wenn "fer fich feinen 








7224 


Fr RER hatten einherie Holen. 1° Aber Ungiitß.foigog 
6 auch ſei, muß / uns row beugen/ daß wir unſere Bernunft 
ud mit He die eigentuiche Wuͤrde dar Mruſchheit zaghaft ver⸗ 
Ungneten;- Mo: aber dieſer ttaurige Mugtembe Hherrſchend iſt, dã 
Immt er won einer Bermoefſenheit, vie gum “fick ſelbftgleich⸗ 
m zum Herm and Richter. der Schoͤpfung marben! wollte,: ber 
a aber geht wie die: Schriſt: ſagt; Wer ſich ſelbſtorhoͤht 
be ſoll ernikdrigt werten ). — Denn tuofin © fährt diefer 
dmde Stolz? Erſtlüch zu niebrigen Vorſtellungen vonden 
mendlichen Werken und der herrlichen Macht Gottes; denn was 
neibt wol von feiner Sthöpfung, wenn nur das da fein ſoll, 
3 unfere irdifchen Sinne begreifen; was bleibt an’ feiner 
Rat, wenn fie auf folche Wirkungen eingefchränkt wäre, denen 
Bir mit unfern Sinnen folgen fönnen? Und dann zu eben fo 
lenden Vorſtellungen von uns felbft; denn wo ift unfer Vorzug 
ot den übrigen lebendigen Gefchöpfen, wenn wir felbft unfere 
kilenntniß allein auf dasjenige enfegrärken wollen, was unfere 
Einne faſſen koͤnnen? Wir erniebrigen uns felbft und verſchmaͤ⸗ 
jen das beffere, was in uns ifl. Dahin kommt aber der Menfch, 
venn er in Abficht feiner eigenen Beflimmung jo denkt, wie bie 
finger von Jeſu dachten; fie hingen zu fehr an dem, was er 
rer Meinung nach auf Erden fein follte, ald daß fie einen 
Sinn für die geiftige Beſtimmung hätten haben koͤnnen, die ber 
igentliche Zwekk feiner Sendung war. Ich fage, wenn ed und 
den fo geht, wenn wir glauben, daß wir nur da find, um bier 
Freuden und Vergnügen zu genießen, fo verlieren wir mit 
der Freude und Hoffnung zu ber ewigen zugleich bie 
itdifche Gluͤkkſeligkeit. Denn wo bleibt der beffere Genuß 
rt Vergnügungen biefer Belt, der Gemuß, der nicht nur bie 
Einne kijelt, ſondern auch das Herz rührt und den Geiſt beſchaͤf⸗ 
ist, wenn wir fie nicht in Gedanken an das beſſere und un 


— — 
) VNatth. 23, 12. 
P2 





228 


vergäugfiche anfnüpfen und durch daſſelbe Heiligen umb erheben? 
Wo Hieibt die Froͤhlichkeit und Ruhe der Geele bei ber beſtaͤn⸗ 
digen Anſicht der Vergaͤnglichkeit und Unficherheit, aller irbiſchen 
Dinge, bei. der. beſtäͤndigen Ausſicht auf. Tod und Vewweſung, 
von bleibt dieſe beſte Würze bed Lebens, wenn die Ueberzeugung 
fie. und nicht: giebt, daß jezt alles nur Schatten iſt, daß ex jen⸗ 
feitö unfere vechte Herrlichkeit angehn wird? Wollen wir einen 
BU in das Schikkſal biefer ungluͤkklichen thun, bie einen ſol⸗ 
sn ' Anglanben Über ſich hetrſchen laſſen); 


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89 
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132 . . 

Bars Menſchen Fin : —— m. * "ie Welt mit bem 
traurigen Namen des Sammerthales zu bezeichnen. Wie fe 
dazu geldumterr find, ober was fie ſich babel denden, weiß ich 
wicht. Sollde ed ter unfan Bruͤden auf Erben einen geben, 
welcher ſich mail Recht zu dieſem trautigen Glauben befennen 
Ionnte, fü muͤßte er auffichn Binnen und ſagen, Ich habe nie et⸗ 
was gehört auf dieſer Erbe als Toͤne des Trauems und des 
Kummers, alle Stimmen der Menſchenkinder loͤſen ſich auf in 
Hagen und Winfeln: immer daher ſchwimmend in dem Meere 
der Leiden ſtehn fie nie auf ihren Kügen und können fagen, dahin 
wu ich gehn, _immer umfangen van ben Schattey des Todes 
werben ie nie von einem erwärmenden Funken wahrer Freude 
meiht, nie wirb etwas um fie her burch einen wohlthaͤtigen 
J gegruͤnbeter Hoffnung erleuchtet. Sie arbeiten und ru⸗ 

ben nicht, aber ein hoͤheres Schikkſal ſpotiet ihrer dad Bist 
wonach fie ihre Hand ausſtrekken wird zum Stein,‘ und bie Bin: 
me die fie pfluͤkken wollen zur giftigen Schlange , Ich weiß 


Rn 


nicht, ob Die Merfchen, welche fo denken, eUwas von einen 
Herrn gehört haben, ber die Welt regiert, oder von einem Bateı 
im Himmel, der fich feiner Kinder erbarmt; haben fie aber da 
von gehört, wie fie ſich denn größfentheild einbilben fromme zu 
fein und ſolche, die fich nach dem beffern Vaterlande fehnen: fi 
möchte ich fie weiter fragen, wie fie denn den Schöpfer baburd 
zu ehren meinen, daß fie feine Werke verläftern; oder wie fid 
ihr Verſtand unter die Weisheit Gottes bemüthigt, indem fi 
ganz anders über bie Welt urfheilen als er, welcher anfah alld 
ab. tr gumgcht hatte, un. fiche de; Es war alles fohr. gut‘) 
So ungerecht es nun if, wenn wir barüber Magen wollen, baf 
wir und mit Anftrengung aller Kräfte burch das Elend diefer Well 
durchſchlagen müffen, fo gewiß ift es doch andrerſeits auch, daß dit 
Schrift und alle weile Männer. die Wallfahrt durch dieſes Leben nic 
. als eine forglofe ruhige Reife auf gebahntem Wege vorgeftell 
haben, fondern ald einen Zug mit ben Waffen in der Hand, um 
geben. von: unzähligen Feinden, denen mir sehen: Schritt: erſt burd 
Streit und Sieg abgewinnen muaflen. . Wir werdes enmirnien 
den. ‚Schild: ded :G4dudend; dan Harniſch der -Benedkkigfeit ana 
legen, wachſam "und nüchtern: gie: fein,:;bermitnwie micht Gberfolle 
werden, und zu baͤmpfen aid tapfere Krieger.“ Uaf den eigentlä 
den Gege uſta ude diefes :Streit? d Bie,rdiklfämittel 
die und. daguſangewieſen werben. wein. wir in diche 
Stunde mſere Arſmeramnein richten. vo. | 
EEE Sent, 1: Gabi. Post 
le Sa ib ber. er, ‚der: Die: Bet: aberwiade 


Kir wollen nag/ Anleitung biefer, Karte mif riande um 
terfughen, was das beißt die Welt überwinbens. wir wolle 
"zweitens zeigen, daß es der. Glaͤube iſt, dem wir diefen 
Sieg zu danken ‚haben, 


‘ r, 15." .?’ 


e * (Gen. 1, M," —* 14 Sen. R 28 —WXW— Krieg N — 


231 
da 1a 5 BE Ber BEER EEE SEE SEE ER Zu SS 
EEE *5. a 
Ber it der Wide ſtreitet, der muß nieht mehr ganz von 
ke Belt fein, er muß chpah höheres und. vortrefflicheres 
wich fühlen: amd Kennen, wodurch er andere Gegenſtaͤnde feine: 
itigkeit und feimeB Beſtrebens erhalten. hat, als ihm big 
Belt darbietet, umd fo.iff. es auch. Es iſt cine gewöhnlicg 
In die Siberbprüche im her menſchlichen Seele zu beztichnen⸗ 
Wi man ſagt, eb ſei: in Dame Menſchen etwas göttliche und «ls 
wei thieuſches. Dad göttliche in uns ruft. und. zu, Sei lim 
ell,. ſei velkompen, feiihsiläg, mis bein Mater im Himmel 
ſeiig iſt. Wer Diele -Sifinmge in ſich hoͤrt und: ihrem großen 
Rıfı folgt, der ‚fängt an ſich uͤber das irdiſche zu erheben und 
uch dem zu trachten was droben iſt· Er will fh mit ſolchen 
figenſchaften ſmaten, deren ‚Schönheit: nicht mit. dieſer Welt 
begeht, er will ſolche Guͤter erwerben, weiche noch ur: Ber. Ewig⸗ 
Ki gelten. „Aber ‚in: dieſem edeln Meftreben: findet er tauſend 
Sererkifie: - Die, Dinge: diefer Wels reigan feine Winne 
md fine Gintildungslraft; das unangenehme voll]: permieden 
nd dad angenehme wiedar :gruaffen, fein; Meigungen. eutffehn 
ud werden: bald zu mächtigen Veidenſchaften; Wirnſche Being 
af und verwandein ſich man-gu.leicht: in. heftige Begierbum; . ab: 
li Handlungen warden zur. Gewohnheit, md Gewphnheiten 
cben eine Herrſchaft · aber die; Seele ad, weiche. die Aufmerktamkeit 
um allen; beftern Gegenſtaͤnden zuruͤkkhaͤlt. So ſtreitet der fun 
iche Menſch I 9n% gegen: bes geiſtigen, fo ſucht die Stimm 
ler Begiebe, -mgle: Luft: und. Wergnägen. forbest,: hie ſanften 
Tine der Religion und ber Werspanft zu erſtikken, welche und zur 
Sugendb und Gottfeligbeit rufen wollen. Der Feind mit Dem 
nit reiten iſteim und, ed.find bie finnlichen Triebe mit ihrem 
zanzen Gefolge, aber die Beranlaffungen feiner Angriffe 
md außer und in ben Beiden, Zreuden und Geſchaͤften des in 
iſchen Lebens... Ip alle den: num fallen wir fiegen über und 


230 
fſelbſt, das heißt, wir follen die Welt überwinden in ih 
en Leiden, Freuden und Geſchaͤften. 

Wir muͤſſen bie Welt Aberiwinben im ihren Leiden. Das 
helßt nicht, wir folfen bem Sthmerze fo trozen, as vb er und nick 
weh thäte; nicht, wir follen ihn fo:lange mufhwiliig aufſuchen 
and uns ſelbſt quälen bis - unſer menfchfiches Gefhhl dagegen 
ganz abgeſtumpft if: - Es giebt- eine gewiſſe Fuͤh lUloſigkeit, 
die manden chen von Natur eigen fl, die mare bier ſich 
erzwungen haben; aber diefe gehört wicht zu unferm Siege, fie ig 
nicht einmal ein Wortheil, : Leiden zu koͤnnen, d. h. mitten unten 
Kummer und Schmen das Anbenken an ben- beffern Zuftand 
des Gluͤkks, aus dem wir herausgetiffen find, beübehalten, dei 
A: einer unferer Vorzuͤge, und’ une deſſen zu begeben wäre ein 
ſchlechter Sieg. : Wir follen alſo Las Ungiäft Fühlen, wal 
ans- trifft; / wir follen: mit allen urffern: Kräften arbeiten uns bu 
von zu defteien, nur daß dies Beſtreben immer Höheren Zweklu 
untergeordnet bleibe. Die Irrthuͤmer, die Schwachheiten, Wi 
Fehler, -die' uͤbein Gewohnheiten, die ſchlechten Sitten, bie ete 
oh an uns ſind, muͤſſen uns ein welt groͤßeres Ungluͤk dun 
ken, als alles was unſere Empfindung, oder wol gar was um 
ſeen· Korper druͤkke ' DaB Gefühl der Schucbloſigkeit; bed veme 
Herzens, des unausgeſezten Beſſerwerbens muß ums in weit I 
heres Gluft ſcheinen, ats bie groͤßte Wonne,! die die Befreium 
bvon einem langen zehrenden Kummer und nur gewahren Fam 
So weiche alſe das irdiſche Immer. dem geifligen. Se 
bald wir einen Fehler erblikken, den wir vermeiden, eine Schwach 
heit, die wir ablegen muͤſſen, fo wende ſich unfere Seele, weni 
fie auch damit befchäftigt war einen druͤkkenden Schmerz zu enl 
fernen, dennoch augenbliftlich zu jenem höhern Zwekk. So gro 
ein Leiden auch fei, und wenn ed an ber Außerflen Grenze de 
feri läge, was bie Menfchheit ertragen kann, fo muß und bot 
immer vor bem Gedanken ſchaudern es durch ein- Mittel zu b 
ben, wobei auch nur das geringfle -von Verſaͤumung unfen 


233 


Yaht, vor Berlezang uitferes Gewiſſcas im "Opel. iſt. Das 
Ungtüft, fo flef es und: auch immer beugen: nıng, bem wir nicht 
catgehn koͤrnen ohne: uns ſelbſt and unſenn Goit metreu. zu 
werden, muß uns Beh und werch ſein, venn 3: iſt ein Denkmal 
mſerer Staͤcke und tnfered: Sieges. Wer birſe natialiche Ord 
mung der: Dinge nie umkehrt und nie fo weit. verkeied wish, 
we Sorge für Ruhe und: Mohlkeflndenihem 
Ingelegeripeitenn der 'SGottfeligkeis. und. Beſſernug 
derzoͤge, der uͤberiwindet die Well in: ihrem Leiben⸗ .: 
Wir ſollen aber auch die⸗Welt überwinden: in rentee 
den. Das heißt slim wiedernicht, wie ſollen: uns alle irbiſchen 
Sriben verfagen / wir ſollen vor aller Bergnuͤguugen fliehen / bie 
ind etwa Holen, das waͤre kein Sieg. ſondeen eine Felbucht, da⸗ 
derch werden' wWiti nicht umſere Araͤſte zuigen: und uͤben, ſanbern 
mſere Schwachheis unruhmlich verbergen.: Die: Freude dorf 
und ließ üdid werd fahr, wie duͤrfen ſte gerwennter uns auf⸗ 
"nen, wir dinfen ie auch arhgehne and ſiß auffſuchen; "abe - 
fe muß Wen To Dentz als das Beides Im Seaabeſeinnuſehe 
Sorgfalt gt das, was mehr! worch ih a Ardiſches a 
verändern: rlo "Ole. lee feed: Eifer: für: basııgarte und 
de zu ſchwachen. Ach der train mit den Jergden Tuer 
Belt if für die meiſten Menſchennoch weit gefaͤhzrlich er ais 
ber mit ihten Beiden. Mancher widerſtand dem harten Scheagen 
3 Schilkſals und fapte den Verfuchungen des Ungluͤlls einen 
criſtlichen  nnerfchütterliden Muth entgegen; aber ex war nicht 
im Stande den Reizungen des Vergnuͤgens zu widerſtehn, - feine 
Stimme lokkt fo lieblich, es ſieht oft ſo unſchuldig aus: «Hier 
ij der Ort: unſere Wach ſamkeit, unſere Vorſtcht, unfer arg⸗ 
voͤhniſches Mißtrauen auft höchſta zu treiben. Der Sieg 
Mund auf lange Zeit, vielleicht auf immer aus ben. Haͤnden 
geriſſen wenn⸗ wir einmal unterliegen. Wenn wir:und fo weit 
vergeffen: dm’ Vergnaͤgen, fo erlaubt es immer ſei, ‚auf. einem 
Vege zu-figen, dev von der graben Seraße deu Rechtſchaffenheit auch 


u 


- sat. im ‚gerkuigflin abrericht, eine Freude mik:cimex: emblung ı 
ztlaufen, worüber unſer Bemillen zu- fpht: feufzen wird; wen 
wir and, ohne eben übel zu Handeln: ſorglos einem ‚Bergmäg 
nachgehn, wovon wir:dech fühlen kaͤnnen, daß es zu. ſtarken Rı 
fix und hat. und unſere Kraft zum guten. nothwertaig "nad ur 
ach. ſchwuͤchen muß; wenn unfere Aufmttkſarakejt geipannte 
mnfer Verſtand erfindſamer if, we es darguf anlongnt. eim 
Augenblikk des Lebens. mit einem flüchligen Vergnuͤgen audy 
füllen, ald ba wo. wir eine file Tugend fben, wo, wie im 9 
heimen die Thruͤnen eines. leidenden trokknen, wo wis ein Mitt 
kei Beſſerung für und oder aubere -onöbenken: follen, wenn wi 
5 erſt dahin kommen Iaflen, badienigr,: und wnfere Vflicht fo 
dert, troz ber innern Bonduͤrfe gleiigältig: qufzmfiehichen, ua 
ine. Sreube nicht. ungenoſſen zu laſſen, Die: my für dieſen Au 
gendlift Ha: .dann.Haben die Sreuben.har Belt un: 
übermunben,.nllee Widerſtand, den wir; pielisicht den Leide 
geleiſtet haben, iſt vergeblich, unfere Kraft: iR hin; Lichtſinn um 
Anbeſonnenheit misrbeu uns. smıfehlbar: allen. Qchaden Mızichn, de 
ein unbewahntes Herz mir treffen -konn.: Ja was auh: mehr iß 
ai kommt nicht! nus. Darauf. an den :wiehrigften Kanlichen Yatı 
und Vergruͤgen zir widenſtehn z auch das, was einen -cbrin. Huf 
qen Hriyn.von Werth fein. aiuß, auch Geſelligkeit, Mitleid 
:Gstankfhaft uad Liebe kounen und-in Verſuchtng Fahren und U 
dem Augenblikk, wo fie anfangen wollen unb macther zu. ſein al 
‚Religion uk Tugend und. und zu etwaß zu verleiten, dad nich 
vicht ill, werben auch fie zu Besaden: bar“ Belt, die wii 
‚überwinden müffen.: .-, . 

Mir: ſallen endkich die Melt aheninden in item Geſchaͤf 
ten ud Sorgen. Dieſe gehören freilich zu fern Pflichten 
und fofern muͤſſen ſie und. heilig: fein, und ed lage ſich nicht Den 
tem, daß wir:.gegen fie zu fiveiten bätten. Aber fie ſind bei 

nur. zu irdiſhen Zwekken day; und: wir müͤſſan und Hüte 
daß: fie. nicht ‚te dieſer oilitn gu. Beibunfcheften ‚merben- und we 


ft ganze See aubſiilen. Wenn Der. Irene Sefchäfköniann 
h Bafıchana Font ſeinem Bateslande auf Koften feiner: eig 
un Tugend und Nechtſchaffenhelt zu dienen amd. durch " Uchin 
tabung ſeines Eifers anderr unnötig zu belaͤſſtigen umd. zu 
köln; wenn ber emſige Hausvuser ed aus Sorge fuͤr bie 
kmigen nicht wagt ber nüzlichen Arbeit: dann ımb wann eine 
Btunde abzubrechen um fich mit hoͤhern Bingen: zu :beichäftigen, 
m ſeinen eignen Geiſt zu Faben und Unterſuchungen uͤbur fein - 
der anzuſtellen; wenn er die Gewohnheise bei. ſeinen Beiyäb 
im ſeinen Wortheil: zu ſuchen auch: dahin mitbtingt. wo .g ‚ohne 
Biifficht auf feine Geſchaͤfte aud ganz anbern· Dewegungegruͤuden 
Inden ſollte; wer bie fleißigeeh ausmutter fo ganz in ven 
Onngen ihrer: Wirthſchaft lebt; daß ſie ſich wicht. Dät Aaßteitaern 
San au” etwas zu güte zu. thun oder gar verhindert wird 
Un zu geben, ‚wie ſich vie Seele ihrer Kinder hitdet, und nach⸗ 
Menfen, wie⸗ fie fie vernuͤnftig zur Ootlſeligkeit erziehn wilk: 
km ſind auch vleſe Geſchaͤfte und: Sorgen eine 
dr m, bien wit. .aberminden mökten 
» en deen .... Pre | 
Bas ifl Das nun, was und mie — was ik 
8, wodurch wir. ermumtert werden ben Streit zu beginnen, uub 
u uns in ben Gefahren und Muhſetigkeiten beffelben. ftärdt? tinfex 
Blanbe ift der. Sieg, der Die Welt überwindet. Natig 
ib muß .hiex unter ben Glauben etwas anberd verſtanden wer 
in als eine bloße: Erkenntniß, wenn fie auch. die ſtaͤrkendſten 
ud heilſaniſften Wahrheiten betraͤfe. Das Wiſſen und hun 
ind leidet dã dem. Menſchen fo. weit audeingnder, daß und mit 
Im Bifien allein immer noch nicht. geholfen waͤre. Es muͤſſen 
Gedanken ſein, die mit lobendiger Kınft vor ‚ber. Seele daſtehn, 
be ihr das, wad nicht fichtbar :da iſt, fo gegenmärtig machen, daß 
fe nun darauf vorzuͤglich bei ihren Handlungen Ruͤlktficht nimmt; 
v muß alſo auche: der: Glanbe veſchaffen ‚fein, der uns helfen iſoll 








die Belt: zu überwinden; ei ein lalan dei ger BSlache ·a 
Gott, on Ehrifium web. an den ‚göttlichen Maiflank i 
alten’ Dingen, die zu umferer Behferung akzwebken; es IB cu 
Sewoͤhnung in den Augenblikben ber Roth zu den Meruhigung 
gründen und Gmpfindungen feine when, die i 
dieſen großen Wahrheiten enthalten ſind. 

Erſtlich ale bir Glaube an. Bott: re —8*— 

an feine. allwiſſende Gegenwart. Wenige: Merſchen fin 
fo gemacht, daß fir bei aller. Muͤhe, die ſe ſich gehrn wüſſen ui 
Heffer gu werden, fich bloß mit der Sel bſt zu fried eyhait die ſi 
empfinden begnügen: koͤnnenz: wir alle haben den ‚natürlichen un 
autabelhaften Wunſch für, Anfere ‚ Yıffradgumgen,- ma fie ai 
hetreffen mögen, den Beifall uud das: Leb unferey Nebenmtnſche 
eimuernten. Aber dieſer Beifadl. der Menſchen kann un 
bei unſerm forigeſegten Beſtreben die Welt zu uͤbenvinden nid 
begleiten, denn fie kbemen nicht ſehen, wo wir verſucht werde 
wo wir baͤmpfen; wo wir ſiegen, and wenn, fie eb auch: hoͤnnter 
fo wuͤrden wir doch Halb: ſehm, daß er feltarı geraht wäre, fi 
müßten nach dem dußern Schein urtheilen und würben oft, wa 
und die meifte Mühe gekoftet Yat, für gering halten und wa 
und leicht war mit: unnuizen Lobſpruͤchen erheben; diefe Erfal 
wuag:. muß. und gegen ihren Beifall : balb gleichgültig. mache 
Ber uns :alfo die Zuſtimmung unfered eigenin Herzens nid 
genügt, was kann uns in dem fchweren Kampf, ber fich imm 
.ernewert, mehr ermuntern, was Tann ‚und; : wenu Augenbill 
stommen wo wis ermuͤden wollen, unter. ber wie es feheint | 
wenig fohnenden Arbeit.mehr aufrühten ats jener Gedanke ar bi 
saslfehende Gottheit. Freilich iſt niemand um mid ber, welch 
rfieht, was ich leide und arbeite, Feiner lobt mich um den Kamp 
‚welcher in. meinem .innern vorgeht, alle meine Anſtrengunge 
‚Hab :für. fie und ihr Lob verloren, und. ich. muͤßte auch mil 
;feibft verachten, wenn ich bie Angelegenheit meines Hetzens ve 
‚sathen. wollte, ıum etwas Aöhee ‚unter ihnen zu gewinnen. Ab! 


7 


einer iſt doch, em moin imered. sicht verſchloſſen üfi; der Göchle 
ſieht, mit weicher unermübeten Standhaftigkeit ich der Verſuchung 
atgegen gebe, was für Kroͤſte ich anwende. um mein Herz zu 
bewahren und ſeine Gnade wicht zu verlienen, er ſieht und zaͤhlt 
die verborgenen Serffjer und Thraͤnen, und ſein Beifall, deſſen 
ih gewiß ſein kann, iß in uͤberſerwaͤnglicher Sohn meiner "Are 
beit. Er wuͤrde: es ‚aber: auch wiſſen, wenn ich feigherzig um⸗ 
kchren wollte von dem guten Wege, auf dem ich wandle, und was 
wirde nur allen Beifall der Menfshen helfen, wenn irgend ring 
verborgene Niederlage. vor feinen Augen. aufgedekkt :märe, : Durch 
weiche ˖ ſchn lange mein guted Gewiſſen unter die Gemalt ben 
Belt gedemuͤthigt iſt? Wie koͤunta ich alſo ein ſolch Uebel 
thun mich von ber Welt und. Sünde beherrſchen zu 
taffen, wo foltte ich, mich verbergen vor feinem alle 
fehenden Auge? j — 

Eben fo iſt auch der. Tebenbige Glaube an Cbrittum ein 
großes Huͤlfsmittel in unſerm Streite mit der Welt. Nichts if 
gewoͤhnlicher als daß eben in ſolchen Augenblikken, wo es und 
ſchwer wird unſere Neigung unter ben Gehorſam unſerer Ueherzeu⸗ 
gung zu beugen, allerlei Zweifel gegen. dieſe Ueberzeugung in 
und auffteigen. Die Begierden bie gem ohne Einſchraͤnkung be⸗ 
frcdigt fein wollen, ſuchen den Verſtand zu beſtechen, daß ee 
von feinen Forderungen nachlaſſe und dasjenige mit feinem Bei⸗ 
fall ſtemple, was er in ruhigen Stunden ſicher wieder verdam⸗ 
men wird. Auch: der, welcher von der Wahrheit, die zur Selig⸗ 
beit führt, eine innige Ueberzeugung hat, wird Yon ſolchen Augen» 
biiffen ber ‚Anfechtung. nieht, frei ſein, wo man ungluffiich genug 
it zu denken, Wet weiß auch, ob as dir Beſtirrmung des ſchwa⸗ 
hen Menſchen iſt immer tugendhaft und. Immer rechtſchaffen zu 
fein; ed ik. wol mireine Moͤnichte Einbildung uitſerer ſolzen Betz 
manft.. Die menſchliche / Matun leidet zu viel unten dieſern Kanmſ 
mit ihren liebſten Neigungen, als daß es der Wille des Schoͤpfers 
fein kann ihr ein ſolches ungluͤkkliches Leben ſbſt zu, hartiten. 


238 

Wnb ig wenn 26 nun kein Leben gäbe, vos.:enbitch. des, ber ſich 
ſein Junges Leben hindurch der Religion und Dageab Ju Lich 
gequält hat, den: Lohn für feine Mühfeligkeit: aus der Hund bei 
gerechten :Vergeliers. empfängt?: :Diefe Sebanden, fo. untichtig fü 
and jet dorkommen,: haben: "ein.. großes Sewicht und find fehl 
verfuͤhrrrifch in jenen Augenblikken der Verſuchung.Wohin (ck 
lbenwit dann unſere Zuflucht nehmen als zu anferm Gtauben an 
Ehrſſtum; der wird uns aber auch Eräftig ſtaͤkken, wenn er. umgehen! 
Helt und lebendig iſt. Das Auffehn auf ſein Vorbild giefl 
Änen Balfam in die Seele, ber gleichſam alle Glieder durchdriugt 
anb eine edelt Nacheferung macht und wieber räftig zu dem Strei 
mit der Welt, in dem wis unterliegen wollten: ‚Er hat fi id 
Me befiegen laſſen oder iſt ermuͤdet und abgewichen. Welche Sei 
den md nicht. auf? ihn eingeftürmt; welche Freuden hat er fi 
nicht verfagen müffen, und doch hat ihn nichts gehinbert be 
Wilten Gottes aufs genauſte zu erfüllen‘ Auf, ermanıe dich, fi 
föwer es auch ſei, um feinen Fußſtapfen nachzufolgen! Die leben 
Bige Erinnerung an feine Worte und Berheißunge 
verſcheucht alle jene maͤchtigen und niedrigen: Zweifel 
Er hat uns jenen Zuſtand verbürgt, wo wir imfere Giege genit 
FR foller, wir werden über vieles geſizt erden, ven wir übe 
wenigem ttru geweſen find *), wir werden zu einer Bollkommenhei 
erhoben. werben, deren wir nur dadurch: fähig find, baß wir “ 
tapfer gefämpft und geſtritten haben. " 

Endlich iſt noch der Glaube an ben göttlichen Beiden! 
in allem was unfer ewiges Wohl betrifft ſehr nothwendig, went 
wir. einen rechten und beſtaͤndigen Sieg über die Wett erxinger 
wollen. Die leichteſten Unterachmungen bee Menſchen mißlinger 
einem furchtfam en Gemuͤth, welches. ſich feine. Kräfte zutraut 
bie: ſchwerſten gelingen und ziehen noch nach. vielen Menſchenal 
tern. De ronwerun ber = Bahlaumen auf ſich, bie bie mit di 
— — | 


—.. u 


28 


m gewiſſen efbenhäfhigeni Zuverficit durchgefuͤhrt werben, mei 
ie keine Schwierigkeĩt fuͤr unuͤberſteiglich haͤlt und’ eine hohe 
Beinmg- von den Kräften Hat; die in der menſchlichen Seele lie⸗ 
m. Dieſer helbenm ukhĩ ge Bimlube muß: uns unſer ganzes Ben 
Im hindirrch in ˖ der: Streft unit der Welt begleiten; er vertuägs 
ih ſehr wohl mit der erh nth, bie und: geboten wirdz et zidaid 
I gewiß Ad den "Ehröften, vem ja:fin Herr und behrer ſelbſt 
uraft, Ward‘ ſeid ihr‘ fo ielngkäubig +, Es iſt keine Ver⸗ 
hung ſo Kein, die nicht Herr über uns werben koͤnnte, wenn 
sit entweder uͤbernruͤthig / oder · ftigherzig finds es iſt keine ſo groß/ 
ihr die derjenige nicht ſiegen koͤnnte, der mit geſegtem Muth feinen 
höften und den :burch die Gnade Gottes ihm mitgecheilten Hülfe« 
et vertraut, der aber auch ben deswegen ſte vecht gebraucht 
wil ſie das einzige Find, -morauf-’er‘ ſich verläßt. Dieſe in der 
ihliheh Seele liegenden, durch die Religion belebten, 
uch Uebung geflärkten Kräfte findeben der Beiſtand 
zottes, an den wir mit einer lebendigen. Ueberzeugung gläu 
m muͤſſen. Und fo wie alles in ben Führungen Gottes über 
afimmt, müffen wir auch glauben, daß er die äußern Umftände fo 
tieren werde, wie es diefen Hülfsmitteln und der Art wie fie 
len muͤſſen angemeffen ift, und daß alfo auch diefe und un: 
müzen müffen, wenn wir fie recht gebrauchen. Es wäre eine 
Krihte Hoffnung, wenn wir uns einbilden wollten, die äußern 
Inflinde müßten immer die Berfuchung geradezu vermindern und 
25 den Sieg erleichtern. Oft bringen fie noch neue Laften und 
kur Arbeit, aber auch dann find fie müzlich. Denn es ift mit 
er Lerſuchung wie mit dem Schmerz; ift ex Hein, fo ift er leicht 
a defiegen, ift ex groß, fo Dauert er auch kurz und ift doch nie 
groß, daß die menfchliche Natur ihn nicht dieſe kurze Zeit aus⸗ 
ten koͤnnte. So auch die Verſuchung. Wenn bie Umflände 
x eleihtern, fo werben wir bald Herr darüber, und das iſt eine 
—_ 


) Netth. 8,9%. 14, 31. 





29 


gämtliche Enade. Wenn fie ſie vergrößern, nun fo muͤſſen wir ı 
fere Kräfte auch höher fpannen unb werber. gewiß fiegen, we 
wir bad thun, und daunn ift auch dieſer erfchwerte Kampf e 
göttliche Bunde, denn ex trägt eine Jange dauernde Frucht an 
wehumr- rinnerungen, hie uns noch ie fpäter Erneuerung aͤhr 
den: Streitö eine lahende Stärkung in .; - .- 

:. &e habe id alſo eure Gedanken darauf bingeführt, w 
ber Sieg ifl, deu wir uͤher die Welt davon tragen muͤſſen, u 
was der Glaube if, der. und hiefen Sieg verfchafft. Sold 
Neberlegungen, fommen immer einem jeden zu gel 
gener Zeit, denn es vergeht Fein Tag unferd Lebens, wo w 
fe nit anwenden koͤnnten. Seib nur nüchtern und wacht, 
fürbet ihr Heil nah Aufforderung zum Streit Möchten do 
quch diefe Betrachtungen eure Aufmerkiamkeit gemehrt, eu 
Muth geflärkt und euern Glauben geweklt haben, daß ihr wu 
überall erweilen moͤget als die Stzeiter Gotted, welche kämpft 
unb nie esmüben! Amen. | 
| 


IV. 
der gute andel die beſte Schuwwehr gegen 
| die * Verldunduns. 


"ueber 1 Petri 2, 12. 


Pan bie Ruhe der Menfchen wicht: von ihren eigehen Beiden 
Kften. gefährdet‘ wirb, wenn: das Schifffat fich nicht gegen bie: 
he verſchwoͤrt, fo hat fie noch unzählige Feinde an den unbri 
Hixhen Neigungen. anderer. Einer ber größten und gefährlich: 
nik die Werlaäͤumdung, die: unfelige Begierde: das böfe 
&t nur zu finden, wo «noch ſoverſtekkt liegt, ſondern aͤuch 
zu erdichten, wo es nicht iſt; die teufliſche Kunſt ein Gemalde 
wandern aufzuſtellen, das aus lauter. Fuͤgen des Laſters zu; 
amengeſezt iſt und bach durch eine taͤmſchende Aehnlichkeit den 
rzentand:: deffelben Dem. Abſcheu ver Menſchen ausſezt; das 
le Handweck, Das die ſchuldloſe Stirne des gerechten mit 
m Zeichen der Schande branbmarkt. Kein menſchliches Herz 
fo gefund und flark, daß ihre vergifteten Stiche ihm nicht eis 
n longfamen Tod braͤchten; keine Blume der Freude und Hei⸗ 
it blüht To ſchoͤn, daß ihr ‚giftiger Hauch nicht die zarten 
nben derfelben ſchwaͤrze, und ihr töbtender Athem ‚fie. nicht wels 


a machte. Die Werfäumbung | it ein Ungepeuer, daß fih von 
Predigten 1. & 


242 
den Seelen der. Menfchen naͤhrt; den guten Ramen bed einen 
verzehrt fie zum Worgenbrot und die Ruhe des andern zum 
Nachtefien. Die Gluͤkkſeligkeit der Menfchen ift vor ihr wie ein 
irden Gefäß, dad ihr Fuß umflößt und es zerbricht; aus ihren 
Scherben trinkt fie das Blut ihrer Schlacdhtopfer, unb aud ihren 
Truͤmmern erbaut fie ſich ihre hölifche Wohnung. Deffentlih 
geht fie auf Raub aud, und wo in ber geheimften Einfamtet 
Freunde fih zufammen ergözen, auch dba liegt fie auf ber Lauer 
und fängt ihre Beute mit Liſt. Sie verfolgt die Spur des ge 
rechten. bis in bie Sieffle Verbgendait,, und. mitten ‚in.ber ‚Zur 
übung der Zugend morbet fie ben upfepulbigen. Ihre Zutritte 
find mit Berderben bezeichnet, md wo fie gewandelt hat, da ge 
deiht weit umber nichts ald Haß und Feindfchaft, Angft und 
Mißtrauen. Schrekklich iſt Died. Gemoͤlde wol aber nicht übertrieben, 
und wenn vielleicht nur ſelten ein Menſch als das rechte Gegenbild 
defielben in die Augen fällt, fo ift doch dad Ungluͤkk, weiches die 
Heinen Anlagen und: Außibenigen: dieſes Laſterß herbeiführen, die bei 
viefen, ja ich will fagm, bei. ben- meiften: Menſchen zu: finden 
find, nur daß: fie ſich unter allerlei. ſchuldioſen ober, wul. gar eh 
renvollen Namen verbergen, nur. zu haͤufig. Vaele glauben dei 
Berbaͤumdung durch eine zaghafte Unterwerfung zu 
entgehn;. fie beugen ihr Knie vor dan Verlaͤumder und bien 
ihm; fie fameiihefn. dem, deſſen Zunge böfe iſt, um ähnn in giuer Baum 
zu: erhalten. Aber heute nimmt er vielleicht. ihr Dpfer an, wwd 
morgen thut er doch, was ſein boͤſcs Harz geluͤſtet. GE gi 
für, alle, die ſich wor dieſenn Unglalk bemahren wollen, nar ein 
wahres wirkſames Hülfsmistel, und davon wollun wit 
jezt nähen unterhalten. Fe 
Tert. 1 Petri Gr. 0° 

Und führer einen guten Mandel unter den Heiden, 
auf daß die, ſo von euch afterreden als von Uebelthẽ— 
7, tem, eure guten Werke fehn und Gott. preifen, wenns 
nun an der Tag koinmen wird. 


248 


So lange bie Ehrißen noch eine Beine geichloffene Geſell⸗ 
haft wmasen, fo wurben fie, wie es gewöhnlich ‚unter folchen 
Unflänben gebt, ſchrekklich verläumbek, und ihren Zufammenkünften 
bie abſcheulichſten Abfichten untergefchoben. Petrus empfiehlt ihnen 
ann offenbaren guten Wandel als das beſte Mittel biefen Ver⸗ 
Kumbungen ein Ende. zu machen und über fie zu fiegen. Diefen 
Apoflel: Rath wollen wir auf alle diejenigen anwenden, bie noch 
jet, wo wicht um ber Religion willen, doch wegen des guten 
oder eigenthuͤmlichen was fie an fich haben, ben Stachel ber Vers 
iäumbeng fühlen. müflen; ich will ihnen in biefer Betrachtung 
ben guten Wandel als die befie Schuzwehr gegen bie 
Berlaumbung ampfehln; ich will erſt lich zeigen, wie ber 
gute WBandel befhaffen fein muß, wenn er bieß leiflen 
ſoll, und zweitend beweiſer, daß der Schuz, den er und 
gewährt in jeder Kükkſicht Hinlänglic iſt. 


I. 


Der gute Wandel, ber. umd gegen bie Verlaͤumdung fichern 
wu, muß efllih qtgeſezt und ununtsrbroden fein 
So wenig wir vor Gott unb unferm eigenen Gewiſſen began⸗ 
gene Fehler durch einzelne darauf folgende gute Handlungen gus 
machen Tönen, eben fo wenig werben bie Menſchen ein ſolches 
kLoͤſegeld ariuchmen, um. ba& Urtheil zuruͤkkzumehmen, was fie 
einmal gefüllt haben, ober ber Verlaͤumber, aun uns aud ben 
Strikken feiner Gefangenfchaft zu eutlaſfen. Dem wenn er glei 
bie umzechten Sanblungen, bie er findet, mit Freuden für bad 
nimmt, was ſie duf. den erſten Anblikk ſcheinen, fo unterſuſcht er 
bach Die guten. Thaten von allen Seiten, ob er nicht einen Tadel 
an ihnen finde, und ba iſt es freilich wahr, daß ſolche einzelne 
Handlungen .nie ‚bie Feſtigkeit des Charalters verhärgen, bie nur 
aus dem Zuſammenhang bed ganzen Lehens geſchloſſen werben 
kann. Es kann an hundert nachtheiligen Erklärungen derſelben 
nicht fehlen ; entweber fchreibt man fie Augenblikken ber Rührung 

Q2 


244 


und Begeiſterung zu, die auch in dem Eehlerhafteften Gemuͤth bis 
weilen etwas gutes bervorbringen, ober wenn fie. alls etwai 
Ehnliche Haben, ſo haͤlt man fie für Folge eier nmitliges gu 
tet Neigung, weswegen ber. Menſch auf gar Fein Sob Anfprud 
maden kann. Die guten Handlungen eines folden ver 
mifhten Wandels find alfo nit im Stande im Ur 
theil ber -Menfhen denFehlern und Schwachheiter 
das Gleichgewicht zu halten, welche Dabei mit. unte 

taufen. Schwachheiten find freilich: die allgemeine Weitage : vei 
menſchlichen Gemuͤths, von ber-'wir uns nie‘ lesmachen: LAncen 
aber :28. fei num, daß du fehon angetaftet Bift. durch ie: Boshei 
der Verikumbung, oder -daß fie eine Sache aw dir ſucht, ſo mug 
du mit Boppelter Sorgfalt bie Ausbruͤche ber menſchlichen Schwach 
Het: verhäten ; fie find es abes, worauf ber Werkkannber mit bik 
bifcher Freude lauert, um bie Tugend oder bie: Wonäge,. bie e 
nicht leiden mag, verdächtig zu machen, und er wird fich nich 
begnügen fie ald dasjenige darzuftellen, was fie find; Schwach 
heiten eines’ unbewachten Augenblikts serwandeln ſich auf feine 
Marfen Zunge im Ausbtuͤche Herifchenbergßehler, und Urbereilum 
gen :deö Sant. und ber Beibenfchaft in Sqhandihaten Dei 
Laſters. 
- Une guter Wandel muß zu biefem. Def zyowitess: 
obne allen böfen Schein fein. Des. böfe Schein befiege in 
gewiflen zufälligen Beſchaffenheiten unſerer Haudlungen, weich 
dazu gemißbraucht werden koͤnnen ‚einem guter ober [dhufbikofe: 
Betragen eine üble Deutung zu geben. Da ruſt und zum ei 
Apofel Chafti zu, Meidet den böfen Schein *), unb da: 
iſt in der That eine Pflicht, Die wir unferer Ruhe und urfere 
Ehre ſchuldig ſind. Es giebt viele Menfchen, die diefe nothwen 
dige Kunſt leider zu wenig verſtehn; man müß zittern bei ihre: 
beiten unſchuldigſten Unternehmungen, benn fie:hanbeln:fo. vafd 
— —— . on "nnd | 


2 1 Theff. 5, 2. Er . —2 


28% 


1706 nbäfnigen, daß die Wärkkaruabturig:. rien Zahn. mit Mergubens; 
gegen fleont.' Sie⸗ ind Ahne Falſch wie die Tauben, aber fie 
vergefien Aug wie: bie: Schlangen zu: ſein ). Sie denken nit 
daran, daß bir große Haufe der Menſchen ſo leicht eiwas miß⸗ 
verſteht, und daß die ſchlechten an: einen kleinen Vorwand ges 
nug haben um bad gute zu laͤſtern. Ihr, die. ihr euch einer 
folchen Art zu handen. bewußt feid, ihr feld - achtungswerther ala 
bie, denen es deswegen Leicht ‚neixd ‚nirgends anzuflogen, weil iht 
Herz fie zu nichts ‚gutem und großem antwäht, aber ihr feld. 
unglufflich durch eure eigene Schwachheit.: Es iſt nicht 23 
din :fehuiblofed Gerz zu haben; man muß auch zur Chre bei 
Meufchheit vermeiden in einer ſchlechtern Geſtalt vor Der Welt 
dazuſtehn als man hat. Freilich verliert man durch alle bie 
Aulkathht und Vorficht, die man Dabei: nehmen maß, vieles von 
dem Genuß und der: Anuehmlichkeit, Die ‚die Ausuͤbung bed gu⸗ 
ten albann gewährt, wenn man unbeſargt nach dem erſten Anz 
trieb be&:Herzen& handeln Baun, aber dies I ein Opfer, das win 
und TÜbft und dev: Weit ſchuldig find. - Nur muß die Ruͤkk— 
ficht auf das Wrtbeil dee Menfchen ihre Grenzen has 
ben. :: Sobsldischwnd gutes und rechtes ſchlechterdings nicht ges 
than werden kami ohne der Merlaͤumdung eine Seite zugußchren; 
fo wäre es niedrig es um derer willen zu .unterlafien, welche. ge 
neigt find fo urisecht zu urtheilen.That Dan, wieieuer Hech euch 
gebiekit, iumbs lebt: dabei, wie der gerechte. hinmier.:lchen.muß, eure⸗ 
genen: Bläubens **). Wenn ihre dabei dad) Nicht: venntiden 
koͤmt unrecht beurtheilt: und unſchuldig verlaͤumdet zw: werben, je 
habt Muth ſu Goͤtt? und eurer guten Sache; .ed: hat alles feine 
Zeit, auch die Unſchuld komint an Tag, und dann bereitet euch 
die Oebuid/ heit Der ihr über euch ergehen laßt was :ihr wicht 
hindern Touhtet, :inen Triumph, ben end: niemand nehman kann. 
So⸗ zing es jenen. Ehriſten, an die Petrus. ſchrieb. Sie ließen 


) Matth. 10, 16. =) m. 1, 17. 





26 


thoe Werke feuchten ımb bildeten, was fie bei aller Mani nid 
hindem Tonnten; aber bald Lam. der Wag ber Bechtfertigung, m 
die Religion Jeſu allgemein anerkannt wurde als eine Aral 
Gottes, und feine. Anhänger als bie Lieblinge bed Lern. . 

Es ift aber zum. Schu; gegen bit Berläumbrung nicht gem 
den böfen Schein zu meiden; wir müffen und auc bed gi 
sen Scheins befleißigen, auf ben die Weit eimen fü große 
Werth legt. Der Apoftel Paulud ermahnt und wicht nur je 
Tugend nachzujagen, fonbern auc allem mad ein Lab beingt, wa 
Pin Wohlgefallen vor den Menfchen if’) Man koͤnnte freilich bei 
den, daß wenn es auch mit der Redlichkeit übereirfimme eiwe 
unnöthiged zu vermeiden, fo fei ed boch nicht aufsichtig chen 
anzunehmen und zu zeigen, was nidyt and.bem Heczen komme 
allein: dieſe Beſorgniß iſt bier ganz unnoͤthig. Jede Zuge 
hängt von Natur mit einem gewiſſen aͤrßern Betragen zuſan 
men, welches der unmwillführliche Ausdrukk derfelben if, und die 
äußere nehmen bie Menfchen an, um füch einer vor dem anden 
dad Anfehn der Tugend zugeben, die ihnen fehlt. &o if Hi 
lichkeit der Schein dee Menſchenliebe, Gefaͤlligkeit der Schein de 
Sreunbichaft, Sittſamkelt der Schein der Keuſchheit unb.eine gt 
wiſſe äufere Gelaſſenheit ber Schein ber Maͤßigung und Ebel 
beit. So fehr alfe dieſe Gigenfchaften nur ein leerer Schei 
find bei denen, weiden ber innere Grund der Tugend fehlt, fi 
find fie etwas natürliches bei bem, der dieſe Tugenden. befigt; © 
wäre Unrecht fie gezwungen von ſich zu floßen sum fig ven de 
wen zu unterfcheiben, welche fie gezwungen annehmen. Dt 
weife wird immer urtheilen, dag beine Tugend un 
volllommen ift, wenn es bir an dem fehlt, was de 
natürliche Ausdrukk derfelben iſtz bie Melt wird nich 
glauben, Daß du bie Tugend befizeft, die du nicht ankänbigf; un 
der Verlaͤumder wird auf diefen Grunb hin ein Gebäude Di 





*) PH. 4, 8. 


2%] 
WBeshris: anfführm; ame in. Geudiungen, ale: wintlich aue jenen 
bezweifchten. Zugenden. been, Re Rigdrige - Bee 
geunhe vun. u a 


an,“ Fuer Ber nt ! 

Das (Eder. gute Haxbeh, ben uns ber Weſel in bp 
Worten unfereh Fartes als die heſte Schunmehr- empfichlt gegen 
bie, die yon ung aftemeden; oft uns nun noch zweitens zu 
unſerer Gerſihigung ſchn, daß der Schuz, den er und. ge 
wännt, binlänglicd.-iß.-. Dis: zeigt ſich am heſten darin, bag 
auf, diefe Art alke Quellen der VBerlqunduns ver 
ippft werhen. 

Diele Menſchem üben dieſe⸗ unfeige Safer aus test 
aus eigenem Ungjauben an alle menſchliche Büste, oder 
aus Gefaͤlligkeit gegen Die, welche eine ähnliche: Mer 
nung hegen oder aud andern Urſachen ein Gefallen 
an den Fehlern ihrer Wiäder haben.Allein auf ber 
hartnäktigftg unter ‚jenen, Bweiflerg und ber leichtglaͤubigſte unter 
diefem ‚Zuhören des Verlaumders fordert eing gewifle Wahrſchein⸗ 
lichkeit, um das unguͤnſtige Urtheil, welches er über das Betra; 
gen anbarer faͤllen. will, hat ſich ſelbſt zu rechtfertigen, und biefe 
Wahrſchainlichkeit ptxſchwindet un deſto mehr, je genauer wir 
und as hie Regeln halten, die wir vorher aus ben Morten des 
Apoſtelß agnogen Jedem * ‚größe bie Menge unferer‘ guten 


fallt, un, ie —* wir on. ale Kieigigfesen datei Ya gege⸗ 
ben habaye;um deko ſchweret faͤllt es, ihnen unrechte Bewegungst 
gründe anudichten, deſto zomiges lanm man fie zufaͤlligen uner— 
heblichen Uzſgchen zuſchrejben, ſondern jeder ſieht ein, daß es eine 
gemꝛeinſchaftliche Urſach hesjelben gehen uıuß, ‚welche in yichtd ans 
berm „old in feſten rundfhzen: der Religion and Tugend lieges 
kann. Ren, Schwachheitem und Uebereilungen etwas felteneß 
geworden ‚find. in anferm Leben; wenn wir felhfk: mit Der Anbe⸗ 


ss 
ſangenheit "eines guten Sewwiſſens unfer: SMigfdTIen an- denfelbe 
zeigen unb durch dad Hebetswfrbige its Thfichen Beträgen 
dad Herz ber Menfchen mehr und zu> als von "und abruwende 
fuchen: fo zwingen wir am Ende ſelbſt den Verlaͤumder zu eine 
freundlichen Nachficht;, fo bringen wir ihm felbft das Geſtandni 
ab; daß unfere Schwachheiten nichts verrathen als die Spur de 
menſchlichen Natur, die ſich auch bei dem beſten mie gan; ve 
laugnet. - Wer ſich zu einer ſolchen Vollkommenheit erhebt, dr 
Bann bei diefet‘ Art von Verlaͤumdang nicht‘ nur ſich ſelbſt ſichern 
fondern auch andern eine heilige Schitzwehr ſecẽn. Sie koͤnne 
nun am der Moͤglichkeit der Tugend nicht mehr zweifeln: ber 
Daſein fie wenigfiend an einem Menfchen nicht ablaͤugnen Tann 
ten, und ſo unangenehm Ikten anch der Gedanke am den fei 
mag, dem fie nichts anhaben Tonnten, fo drängt er ſich bad) zwi 
fihen jedes boshafte Urtheil, das ſi e fülken wollen, und vi fi 
berlegen und befhämt. | 
Eine an dere Quelle der Berikumdung M die Begierd 
ſich ein gewiſſes Anſehn in der Geſellſchaft zu er 
werben, welches zivar' nicht auf Eiche und Achtung, ſonden 
auf- Furcht und Haß gegründet iſt, aber doch dem Stolz eine 
verberbten Herzens in hohem Grabe ſchmeicheln kann. Gleich ei 
nem boͤſen Geiſt, den man aus Furcht anbetet, zündet mai 
beim feinen. Verlaͤumdet mehr Weihrauch an, lils dem Reichthum 
dem ‚Stand, der Weisheit und der Tugend. Er braucht nur vor 
weiten ‚Die Schänfe feines Dolches zu weilen, fo zittern di 
furchtſamen und zellen ihm alles, was fie zur Annehmliqhkei 
feines: Lebens beitragen koͤnnen. Aber dieſe Furcht findet nur be 
derien :flatt, welche im Bewußtſein -kiner unvollkonminen Gäl 
wohl fühlen, wie viel :Selegenpeit' fie ber uͤbeln Nachrede barbie 
ven; flb lommt nicht ba die Seele deslenigen der ba vollkommer 
iſt in dem gaten: Wandel eines Chriſten, der da init dem Apo 
fiel Petrus ausruſt, Wer Tann mir ſchaden, ſo ich eifrig den 
guten nachkomme? Bier. hört: die Herrſchaft "des: Verlaͤnmder 


289 


anf, denne Fählt woͤhl, daß er führen Fwbkk bi dichen dit: di 
reicht. Eine gegränbete Tugend und Goliſeligkeit, die doch bei 
aller Demuth nicht umhin kaum ihren Werth zu Fühlen, past 
einen gewiſſen Muth, eine’ gewiſſe Wäpferkkit des ⸗Geiftesvor 
welcher auch ˖ bie frechſte und: feinſte Bobheit? dio Augen nieder 
ſchlaͤgt: uindizißbelt! Wer mit Zuſtimmung feines Beizens vor 
den Augen ber Welt ſagen? kann, Werunter euch kann milhlrch 
ner Sünde zeihen , der iſtder⸗ natuͤillchs⸗ don: Gott: gleichſcim 
berufene Vertheidiger ber unvolllommenen Tutend unðl der menſch: 
lichen Schwachheit, der kann im? Wertiauert: auf Gott und>feite 
gute Sache ungefchent in: die Schranken / krelen gegen den: Uſtigen 
Verlaͤumder, kann ihn zuͤchtigen vor ven Augen ber Wele aub 
de Anmaßung demůͤthigen, die er wu: Die Geſchetruchtir in on 
Ausübung eines ſchwarzen Laſters gruͤndet. 

SA eniſteht auch die Verlaͤumbung aus einem gewiffen 
Reid gegen:diejenigen, die iften guten Namen bewahrt! und MB 
jest ſich durch alletler gute‘ Handlungen den Weifall "anderer 
Menfchen eihalten haben. : Diefer Neid findet ſich bei denſenigen, 
die in der Sefriedigung ihrer Begierden nicht bie Maͤßigkelt und 
die Borficht beobachtet. haben, welche nothibendig iſt, wern dk 
Menich allen finnlichen Begierden fröhnen und‘ doch die Achtung 
der Welt: genießen will. Wenn fie: inne werden, daße man "fe 
im Grunde des Herzens verachtet, ſo verdrießt es ſie, daß fe nicht 
beides vereinigen konnten, dag ſie nicht -Tommetent: laſterhaft fein 
und doch hochgeſchazt, unter die Wuͤrde ber Menſchheit erntedtigt 
und bed) von den Menſchen geeirti Deswegen ſuchen Ne Fi 
nun an denen zu raͤchen uͤnd diejenigen ſich gleich zu mathen, die 
hierin gluͤkklicher geweſen zu; fein ſchoinen als flei Eben daram 
aber taſtet ihre Zunge nur die Anfaͤnge in dei Mugmd anı, inde 
diejenigen, bie’ bei aletlei wahren ode fehtitnbaten guten Huab⸗ 
lungen · dech noch age, baß es immo ans mieten Aut: ebifche 
nn sur 


9 Joh. 8, 46. iD, BE FOR Rue 


268 


BillEfeligieit ur inmligeh Vergruͤgen zu thun iſt, uab.bie alle 
wöt einem getheilten Herzen foren! für ihr Bewiffen ‚unk bie Ach 
ung her Welt. als für ihre Neigung zu, leben. ſcheinen. Dieſe 
Berläumbung trifft. Dieenigen wicht, weiche es bis sur Gelbfiva: 
laͤugnung, bis zur Unterdroͤkkung blog finnljcger Neigungen 
Kid zu einer gewiſſen Verachtung der yicbrigern Zasuban. gebracht 
Haben... Es sft wol wahr, daß nichtö,fo ſehr Achtung und Ehr⸗ 
Surcht rinfläßt als der Anblikk eines Meufchen, an. dem bie Herr⸗ 
ſchaft der Religion unk Bernunft in einen hohen Grabe, füchtbar 
if; allein in dieſem Fall iß ed eigentlich wicht dieſe Achtung, dir 
den tugendhaften yon der Werlässmbung. befreit, ſondern bad Mit: 
Jeihen, voeldied Menſchen ‚yon. jener Denkungsart mit einem fo 
wibenatärlichen und gepalkiomen Zuſtand haben. Cie koͤnnen 
benjenigen nicht beneiden, ben fie aytmweber alt ein Weſen yon. gan 
auberes Axt nicht beustheilen Fünnen, oder ber ihnen noſh uͤbler Daran 
zu fein ſcheint als fr ſelbſt. Wenn ſie die Sklapen aller Pinge 
Ind, welche ihre Begierde reijen, fo iß ar der Sklaye eines Ge 
Mars, das ihn mit umerbittficher Strenge beherrſchts wenu fie ſelbſt 
ijhre eigene Achtung und bie Achtung der Met aufgegeben ha⸗ 
Han, um deſto ungeſtoͤrter ihrem Vergnuͤgen zu, leben, fo hat. ex 
ihrer Meinung nad alles Vergnuügen und alle Gluͤkkſeligkeit 
Mingegeben,. um dex Stimme: feined Gewiſſens zu folgen umd ben 
Ruhm ber: Jugend zu einge | 

Endlich iſt die Werläumbung biäweilen nicht eine unbe- 
ſtimmte Neigung, weiche überall Mefriebigang. ſucht und fin 
det, tondern oͤfters eine. Leidenſchaft, die nur gegen gewille be: 
Simmte. Gegenflände wuͤthet, und in. biefem Fall if ihre Quelle 
‚gewöhnlich. eine perſoͤnliche Feinhfhaft und eine nie 
beige Rachfucht, In dieſem Halle pflegt fie nur einem Au: 
‚Haft behutſamen Betragen zu: meichen, welches den, Verlaͤumder 
mur Bor der Welt zu Schanden macht. und doch. edel genug ifl 
ihn nie zu bemüthigen. Sie wirb nur burdy eine ſolche Voll; 
kommenheit erftilkt, die ungezwungen felbft ihrem Feind mit Edel⸗ 


251 


mut entgegen geht mb auf.biefe Meiſe nach und nach bie 
Zeindfchaft felbft in Achtung verwandelt. 

Ich wuͤnſchte, daß diefe Betrachtungen über das einzige wahre 
Hülfsmittel gegen bie Verlaͤumdung der böfen dazu diente um 
fem Slauben an zwei fehr widhtige und tröftlide 
Wahrheiten zu beleben. Einmal, dag nichts in ber 
Belt fo übel fei, was nicht die Beflimmung habe dem 
Berehrer des guten und rechten zum beften zu die 
nen. Die Kränkungen ber Verlaͤumdung fchlagen gewiß einem 
zarten Herzen tiefere und ſchmerzlichere Wunden, ald manches 
äußere Unglitt; ader wynn fie und mthigen unfee ‚Den Äsper 
ungetheilter der Tugend hinzugeben, der wir einmal gehuldigt 
haben, immer weifer und Eger zu werben, immer mehr unfere 
Freude und unfern Troſt in dem guten Gemwiflen und der Freude 
zu Gott zu fuchen: ſo cheinen. auch fie unter bie Züchtigungen 
zu gehören, womit der Water im Himmel biejenigen heimfucht 
die er liebt. Wer dieſe Zuflucht fchon gefunden hat, ber wird 
auch an biefe Leiden sie as Heilfame Arzedeien zuchftnmien; 
mer bied Biel no nicht errticht hat, der fehe werigſtend dahin 
und laffe ſich diefen Siauben Taoſt und Ermunterung fein. . 

Ich meine zweitens die Ueberzeugung, daß Tugend 
und Beligion nicht nuͤthig gaben Ihren Schuz gegen 
was es auch ſei:irgendwa außer. fi zu fuchen, ſondenn 
be: fie ſich ſelbſt ihre Huaute und ihr Ciba find. Die Meafchen 
Hagen oft, daß fie leiden muͤſſen um des guten millen, aber: ger 
nauer becrachtet irren ſie ſich: es iſt nicht des gute, ſandern bit 
Undollkommenheit des guten, um deſſentwillen fie leiden, und 
das ſind bie Truͤbſale, durch welche. allein mas in bad Band. der 
Zugeb und bes Ruhe eingeht. Möge. ixefe Neberzeugung umb 
antreiben, daß wir unfwe. Schritte durch Die. beſchwerliche "wab 
trämenreihe Gegend des Mıredifommenheit : dahin beſchlermigen, 
wo Tugend amd Gottesurcht voſſtomen iſt, wo fſie anfaͤngt 
ihr eigner großer. und reicher. Eohn zu: fein! Amen. | 





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Wie nethwendig * "fir den Menſchen ſei 
„dei Twin! der t Serechtigteit zu weiten 





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Men ‚pie —— —EE Zugent —8 
migkeit alde ben vechten Weg zum -Adzten: Vergnuͤgen umb zur 
wahren Gluͤkkſeligkeit vorzuſtellen. Ss iſt auch wahr, Gas Be 
wußtſein, daß mat. das gute eriſtlich will und mit Eifel aus⸗ 
abt, giebt "dan Menſchen "mung: eirtes innere: Zufriedenhtit und 
rinen Troft, der Ihrl nie verläßt. :: Wenn: man bber beöndegen 
glauben wollte, bab der Yanf. auf: dem Pfade der: Gerechtigkeit 
fo: ein. fliler suhiger Spaziergang ſei, wo man geht mad -hart 
YAn, ſizen und ruhen kann, je nachde sam will, wo. feia wa 
genchmed..Lifchen umfere angenehmenGefuͤhle ftärt, ſo wuͤrde 
man :ſich ſehr dran. Di: iſt alles dieſes gute Bewußtſein nicht 
Am Stunde das Leiden: und ben Kunmier zu uͤberwaͤltigen, we; 
her den vechtſchaffinen von außen trifft. Sft ſind es die Ge⸗ 
fe der Augende ind, Gerechtigkeit ſelbſt, die es zerſtoͤren und 
mit vauhẽer aber gebietender Stimme neue Atbeit md harte Dinge 
von und forbern. Wer nangemeinteiſt bei.der ugend 





aa: feie Glüͤbkſeligkeit zu ſuchen, bad wirb in ſolchen 
Selen verzagen und wirb ſich beare chtigetuglauben 
von ihrem Wegé wieber abzugehn;,..da..fie ihm kein Wer: 
gnügen gewährt, und das ift ein ſch lechterGeh orfam gegen 
die goͤttlich en Gebo te. Mas helfen alſo alle dieſe: Berſchoͤnerun⸗ 
gen, welche nicht Aich halten und ‚be. Menſchen mir weichlich 
und unbeſtaͤndig machen: Man muß: das ‚Gerz haben ſich bie 
Sache der Tugend fo vorzuftellen, wie fie wirklich iſt, und doch gern 
dabei zu’ beharten. Warum ſollten wir es Wugiren? es iſt damit 
nicht lauter Giutk' und Freube. Wemn wir den: Weg det Zur: 
gend wählen, fb uͤbernehmen wir ee beftänbige unterwuͤn 
figkeit gegen heilſame abet Schwere: ſtrenge uhb' oft 
hart fiheinende Gefeze. Wit begeben uns in einen Dieuſt 
von welchem Bequemlichkeit Ruhe und Genuß der Freude ſo 
weit entfernt find, daß ihm Ehrſſtus irgendwo mit einem ſolihen 
vergleicht, wo maãn, wenn man ben ganzen Tagdie Laſt bet 
ſchwerſten · Arbeit getragen bat im ves Abends nach Haufe kehrt, 
doch noch aufs neue arbeiten und aufwarten muß, ebe man ruhen 
md Erquikkung zu ſich nehmen Tann; einen "harten ſchweren 
Dienft, wo man nicht“ eihmal gelobt wird, went man alles mög: 
liche gethan hat, ‘denn’ das alles war nur ſtrenge Schutdigkelt. 
Aber auch ſo koͤnnen wir nicht anders, wir fuͤhlen uns in 
uns ſelbſt gedrungen jene Unterwuͤrfigkeit zu uͤbernehmen und in 
dieſen Oienſt: zu gehn, ſei auch no. fa viel Laſt und noch fo 
wenig - —ã pabakı "Davon: wollen wir uns Bi oe mätyet 
Hogan. . erben Du Be a .4 


37 1.: AZaert. Rom. 6, 19-29. - IT ner 
dh: muß mienfchlich davon: eben: um ber Schwach 
beit willen wured- Fleiſches. Gleichwie! ihr wurd: Glies 
der. begeben ıhabt...um Dienft:- bau’ Anreirligieit) nid 
son seien: Ungerechtigkeit zu:iber anbern t alſo Legebet 
nun auch: cure Sliedar⸗ ans: Dienſt: Den Sebdechtigkeil⸗ 


. aß fie heilig. werben; Denn da ihr der Ende Achte 

waret, da waret ihr frei von ber. Gerechtigkeit. Mich 

: hattet ihr num zu ber Zeit für. Frucht? welcher ihr 

euch jest ſchaͤmet, denn das Ende berfelben iſt ber Tod 

. .. NMurn ihr: aber ſeid von ber Suͤnde frei und GSottes 

KAuechte geworben, Habt ihr eure Frucht, daß ihr heilig 
werdet, had Ende aber das ewige Leben. 


. Hiter iſt von einem boppelten Dienf die Rede, von einem 
Dienft Gottes und ber Gerechtigkeit und von. einem Dienſt ber 
Ungerechtigkeit und Sünde, und zwar auf eine ſolche Art, als 
pb Fein anderer. Zuftand fir ben Menfchen möglich wäre, und 
ein jeder. fich alfo nothwendig in einem von biefen beiden befin 
ben. muͤſſe. Das iſt auch, wie wir unten ſehen werben, wirklich 
gegründet, und wir wollen alſo nach Anleitung dieſer Worte mit 
siganber überlegen, wie weit vorzüglidyer, ja wie nothwendig 
ed. für ben Menſchen fei den Dienft ber Gerechtigkeit 
zu wählen Wir werben erftlich fehn, daß der Menſch noth⸗ 
wendig entweder ber Gerechtigkeit ober ber Ungerech⸗ 
tigkeit bienen muß, und zweitens, bag ber Dienfl ber 
Gerechtigkeit etwas viel ſchoͤneres und ebleres ifl. 


4 . PEN N L j ... 

Ich ſagte, der Menſch muß ſchlechterdings etwas Haben, 
bem:er dient, und das iſt auch ſeiner Natur ganz gemäß. Er 
bat immer irgend ein Beſtreben, irgend einen Munfd. 
Wenn er jened erreicht und diefen durch Genuß erfüllt hat, ſo 
werben fie wieder von anderen abgelöfl. Allein das if noch 
nicht gesug. Er het auch die unwiberſtehliche Neigung ſich un: 
ter diefen Gegenſtͤnden feiner kufche umd Begierden fehr bald 
hm baſted autpuſuchen, etwas, mas. ihm das vorzaͤglichſte und 
wänfdentwürbigfe ſcheint. Dies wird nun fein Hauptzwelkl; 
Ya iſnt, werauf faitin:aife feine Berrihuugen uns Yandlun 


268 


gen gerichtet Füd; Der Gedanke au biefen Qegenſtand wild rm 
ein Lichfter: Bebanke,..bie Liebe bay füne: ſtaͤrkſte hereſchende 
Empfindung, und. das Seſtrehen ihn zu erreichen. und zu erhul⸗ 
ten. feine amgenchenſte? and :foutgeiejtefte Belchaͤftigung. ‚Und fe 
if er im Dienſt tiefer Sadıe.: Wade vorſchreibt, rn 
ipre Erreichung erforbent; bat: gefdrichtz fo ſchwer ed auch Tein, ſa 
viel Anftrengung:,e& auch: koſten map, was ihren Veſiz und Gew 
nuß hindern oder unterdrechen hoͤnnte, da muß entfernt und auf: 
geopfert werre, und wenn ed > Im. auch raͤcht ie das ie 
fin Ita ": .: . . , 

So dient mancher ber: Ehre; gem- giekt:n er fein * 
mögen hin um ettons thun zu koͤnnen, was. ben: Beifall. de⸗ 
Renfchen erwirbi, gern opfert er ſeine Gefumbheit auf. nnd: eg 
fin Leben in Geſahr, gern üͤbetlaͤßt er ſelbſſ die ſeinigen Dee 
Vergeſſenheit: ud Lem. Elend und. ſezt die. erſten und hoͤchſten 
Pllichten ui Menſchen hintenan, um min auf Bert titel. und 
gefaͤhrlicheti Bahn eaworzuffumen..:’  . : ont 

Mit; eben dem Eifer dient ein anherer. ven Eigen 
aus; er handels den Regungen feined Gewiſſens und feinen befn 
km Smpfindimgen zumider, um: Bermögen zuſammenzuſcharreng 
er kennt feine Scheu: vor Ungerechtigkeit und Beine, Ruͤhrnag be& 
Erbarmens ;. er verfopft fein Ohr vor dem. Geſchrei des Mittenä 
und ber Moth, wem es darauf: ankommt, fein Eigenthum zu 
vermehren; er entzichk feiner. Geiſt die Befriedigung feiner: noth⸗ 
wenbigften :Bebürfniffe, aim: nur feine ganze Zeid und, feine gusje 
Seele. ungetbeilt den:Beihäften bed Eigennuzes widmen zu koͤnnen; 

So dient vielleicht ein: anderer: mit ganger, Seele dar 
Gerechtigkeit; Beine. Pflichten zu erfuͤllen und täglich. befies: 
zu werben; das iſt es, was ſeine ganje Seele einnimmt, feiste 
ganze Aufmerkſamkeit auf ſich zieht. Darum .fivengt er alle feine: 
Kaͤfte an, darun giebt. er gem feine liebſten Neigungen unb- 
Binfche Yin. So. uftr er: ju einer weten Pflicht, die zu erfuͤllen, 
zu einer aıen Woßlemmenßkit bie zu erwerben. iſt, hingeruſen 





18: 
wur, wife ba:ntlt allen: Kräften, mit aller Muͤhe und An 
beit, mit: allen. Aufepfärungen, bie es immer.isflen mag. Ei 
ſezt das Erwerben irbifeher Güter. ja Teil :Ehre:.und.. Liebe bei 
Din Menfcpen: hintenaci, win.biefenm. Wefkrebeit in feinen ganzen 
Uuufauze nachzukoanten, ja er wuͤrde dad diembeite Beben bem 
herrlichſten und gluͤkblichſten vorziehn, wenn ‚er. bei: dem leyten 
verhindert waͤte feinem einigen. Zwelk nachzujagen. 
=... Bielleicht koͤnnte mancher denken, Nein ich „will lieber gar 
nichts haben, dem ich diene, ich will mich nicht von irgend 
einer wilden Leidenſchaft beherrſchen laſſen; aber ich will auch 
nicht eben immer: den Geſezen ber Tagend in ihrer ganzen Strenge 
folgen, ſondern ganz nach ben Umfländen und . meiner. Bequem⸗ 
lichkeit 'Icben. Gut, fo bien du chen einer elenden Klugheit, 
einer weichlichenn Bequemlichkeit, oder vielleicht eineni ſtarren Eis 
seifien, um das alle. find ebenfalls harte. und ‚fivenge Herren. 

2.. Darum irre did, nicht, alle Diele. Ausfluͤchte Heifew: nicht, du 
mußt entweder ber Gerechtigkeit oder der Ungered» 
tigkeit dienen. :Wielleicht: glaubft bu es mit einem unſchuldi⸗ 
gen Vergnuͤgen zu thun zu haben, wobel du der Gerechtigkeit 
and Dugend eben nicht zu nahe trittft, mit :einer unſchaͤdlichen 
Seivenfkchaft, die nicht in Lafer ausarten kann, mit "einer harm⸗ 
bofen, Srenbe, die niemandem Leibe hut: Du irrſt: dich aber; 
wenn du nicht ber Gerechtigdeit geradezu mmh.. ihr: allein bienf; 
fo dienſt Du dennoch ‚der Ungerechtigkeit Done mer: irgend 
einer andern Schr; fo unſchuldig fie immer. fiheine, 
o18:4einem Hauptzwekke nachgeht, dez.wirb buch fit 
un6 um ihretwillen blind. gegen feine Pflichten; er 
wirdeden größten: Theil berfeiben ‚nicht. gewahr, und Inden. er fit 
wit fürht: Bann er. fin nicht erfüllen.. Anſtatt' ſeine Arufneerkfam: 
keit darauf zu richten und feine Zeit. dajn anzuawenden dasjenige 
36 chen, mad’ bie Geſeze der Religion und Tugende von ihm 
fordern, geht er nur dem Gegenſtand ſeines Dienſtes mich. Kann 
au dieſe Art wei. die Suse zur ielilommenbeit:gebälbei. ED 


257 


den? kann der Menſch ein Menſch Gottes werben, ber zu allen 
guten Handlungen aufgelegt und geſchikkt iſt? Unb iſt biefe 
Berachtung ber Gerechtigkeit nicht ein vollſtaͤndiger Dienft ber 
Ungerechtigkeit unb Sande? benu wer nicht gut ifl, dem fehlt 
ed nur an ber Gelegenheit böfe zu. werden; unb.aud> 
daran wird es nicht fehlen. 

Denn nicht nur aud Unachtſamkeit, aus unlach des Ei 
ſers, bes einem andern Gegenſtande gewidmet iſt, wird bie (Ge 
rechtigkeit hintangeſezt, auch wiſſentlich und mit Wilben 
muß fie oft beleidigt werden, ſobald man irgend einer andern 
Hercſchaft unterworfen if. Denn wenn nun einmal, und wie 
oft iſt das nicht der Fall, ber Gegenfland, ber über alles geht, 
& fei num Ehre ober Reichthum ober Vergnügen, nicht anders 
reicht oder erhalten und gefchüzt werden kann, als burch eine 
unrechte Handlung: wie kurz wird bein Bedenken fein etwas bös 
ftö zu thun, um dasjenige nicht zu verlieren, was bu uͤber alles 
ihazeft, es müßte dich denn eine elende Klugheit zus. 
ruͤkkhalten, und welch ein ſchaͤndlicher verächtlicher Dienfk ber‘ 
Ungerechtigfeit und bed Laſters ift dad nicht, wenn Hoffnung oder 
Zurcht dich in jede Falle lokken, in welche hinein zu gerathen ei: 
ned jeden Menfhen unmwürbig if. Wir wollen nun zwei— 
tens fehn, wie weit vorzüglicher in jeber Ruͤkkſicht der Dienſt 
der Gerechtigkeit ifl. BL 


1. 


Wenn man einmal dienen muß, fo ift ed die Güte, bie 
Bürde, dad Anfehn. dedjenigen dem man bient, und 
die Art wie er uns behandelt, was einem Dienfl vorzäg- 
ih vor dem andern macht. Die Vergleihung in beiben 
Stuͤkken zwiſchen dem Dienft der Gerechtigkeit und dem Dienſt 
ber Sünde iſt leicht und jebem bei. der Hand. 

Erfiens. Indem wir der Recztichaffenheit dienen, fo die⸗ 
nen wir den ewigen unveränderlichen Gefezen bed gött: 

Vrtdigten 1. R 


258 


lihen Willens und der Vernunft, und was ift wol ehr 
würbiger und heiliger ald Gelee? Indem wir ber Ungerechtig 
keit und ergeben, fo bienen wir elenden und niedrigen Rei 
gungen, deren Gegenflänbe immer wechfeln muͤſſen, weil keinc 
davon ihnen bleiben kann, deren Freude vergeht wie ein Schatten, 
und Die bei allem Eifer, womit der Menfch ihnen nachgeht, den: 
noch die Kraft nicht haben feine Setle zu befriedigen. 

Im Dienft ber Gerechtigkeit wird zwar vieled und fchwerei 
von und gefordert, aber body nicht wad wir mit Mühe und 
Anftrengung nicht leiften koͤnnten. Der Dienft ber Leiden 
ſchaften Hingegen ift voll unmsgliher Forderungen, weil 
ed immer barauf anlomımt etwas zu erreichen, dad außer uns 
liegt und ſich alfe um deſto öfter allen unſern angeflrengten 
Bemühungen entzieht, weil es zugleich ber Gegenflanb von ben 
Buͤnſchen und Begierden und dem Streit mehrexer Menfcen iſt. 

Ya Dienſie der Gerechtigkeit werben uns alle Befehle mit 
derjenigen Ruhe ertheilt, weiche ewigen und unveränberlichen 
Geſezen eigen if, und fie werden auch mit der Ruhe ausge 
führt, welche gewöhnlich die Empfindung ber Ehrfurcht und bie 
Ueberzgeugung von ber Nothwendigkeit begleitet. Im Dienſt der 
Sünde hingegen herricht befländig bie Unruhe ber Begierde 
und Leidenſchaft. Mit einem wilden Ungefläm werben den 
Knecht der Sünde feine Befehle ertheilt, und mit ängfllicher gie 
tiger Sorge fucht er fie auszuführen. 

Im Dienft der Religion bekommen wir Feine Befehle, welche 
nicht zugleich Geſeze für alle find, und wem wir fie alfo be 
folgen, fo haben wir bie Beruhigung, daß ed gut um bie Well 
leben würde, wenn alle Menſchen fo handelten wie wir. Im 
Dienft der Begierben hingegen ift jeber Auftrag mar gerabe für 
ben einzelnen und für die Umflände, welche jezt obwal 
ten, alfo find ſie immer unflät, immer veraͤndert und oft wi 
besfprechenb, umb ber ungikllliche Skiave weiß nicht einmal, ob 


259 


dl, waß er. heute mit ber größten Anfirengung thut, ihm more 
gen zu bein elenben Genuß verhelfen wirb, den er ſucht. 

Endlich bei jeder Art bed Dienftes ift dns, was ben Men 
ſhen beherrfcht, in ihm ſelbſt. Beim Dienft der Rechtfchaffenbeit 
erheben Bernunft und Gewiſſen ihre Stimme zum Befehle, 
und diefe find doch eigentlich dazu gemacht und beſtimmt 
ben Menfchen zu regieren. Im Dienft des Laſters hinge 
gen find es feine Empfinbungen, feine Gelüfte, feine Sinw 
lichkeit, und alle dieſe find eigentlih nur zum Gehorchen 
gemacht. Iſt ed alſo nicht etwas weit edleres und ſchoͤneres 
denjenigen zu dienen, was gleichſam von Natur ſchon ein koͤnig⸗ 
Ihe Weſen hat und zum Herrſchen gemacht iſt, als demjenigen, 
wos zu ganz niedrigen Endzwekken beſtimmt nur immer im 
Baum gehalsen zu werben verdiente, bamit ed nicht über feine 
utirliche Beftimmung hinausſteigt? 

Zweitens. Was aber noch mehr ift, ift, Daß wir eine 
ganz andere und herrliche Frucht genießen, wenn wir 
uns dem Dienfi ber Gerechtigkeit ergeben. 

Die Sklaverei ber Leidenſchaften fchwächt ben ganzen Men⸗ 
ſhen, die beſtaͤndige Unruhe ber WBegierbe zehrt feine Kräfte ab 
und benimmt ihm felbft Befinnung und Ueberlegung. Die unaus⸗ 
glate Härte, womit er ben Gegenſtaͤnden feiner Wuͤnſche nad) 
seht, läßt Feine Empfindang bed Wohlwollend emporkeimen, 
und die nach und nach immer erneuerten und immer wieder ver⸗ 
ütnden Genuͤſſe ftumpfen ihn am Ente felbft gegen die niedri⸗ 
gen Freuden ab, bie er ſucht. Dagegen gewinnt ber Menſch 
Stärke und Kraft im Dienft der Tugend, Gr lernt. Selbfb 
Kenfhung und Zurülkdruͤngung aller ungeſtuͤmen Eindruͤkke, 
u dadurch bekommt alled Raum in ihm, was fein un ebei 
f. Und die Ruhe, welche ſich immer mehr in feiner Seele feſt⸗ 
Igt, macht, daß er für alles gute empfänglic, immer Herr 
Kind Werftandes und feiner Handlungen ja groͤßtentheils auch 
Kine Ohnpfinbingen bleibt. 

R2 





260 


Der Dienft de Laſters erniebrigt. den Menſchen, in 

dem bie natürliche Ordnung alles beffen was in ihm iſt umge 
worfen wird. Vernunft und Gewiſſen follten bereichen, find 
aber unterdrüfft; die Gefühle für Religion, für Recht, für Menſch⸗ 
lichkeit follten geshrt fein und find veradhtet; und was bagegen 
unterbrüfft, im Baum gehalten und mit Strenge beberifcht fein 
follte, dad maßt ſich eine verkehrte Oberherrſchaft an; in einem 
ſolchen Dienft muß ber Menfch immer verkehrter und immer un 
wuͤrdiger werben. Der Dienft ber Gerechtigkeit erhält ihn in 
feiner Würde; bier herrſcht was berrfchen fol, und alle 
“le und ſchoͤne genießt auch Ehre und Einfluß; niebrige Ne 
gungen und Gefühle hingegen bürfen über ihren nothwendigen 
Gebrauch nicht hinaus. Indem auf die Art der Menſch ewigen 
und göttlihen Gefezen gehorcht, wird er felbft ihmen ähnlich, ein 
feibfländiged und ehrwürdiges Weſen. Ja feine Würde nimmt 
immer zu, denn bie ſchoͤnſte Frucht im Dienft der Gerechtigkeit 
iſt die Heiligung. Je treuer er in feinem Dienft ift, beflo rei⸗ 
ner wird er von alle bem, was bed Menſchen unwuͤrdig il, 
defto vollfonnmener wirb er in allem guten, befto mehr erhebt fi 
feine Seele zu allem edeln und großen, deſto fehler werden feine 
Grundſaͤze, deſto reiner feine Handlungen, deſto richtiger feine 
Empfindungen und Urtheile. 
Endlich, was iſt denn das Ende bes Dienfles der Un: 
gerechtigkeit? Der geiflige Tod, der ungluͤkkliche Zufland, 
wo der Menſch ganz unfähig ift zu thun was er thun foll, ein 
Buftand, der nur baburch beendigt werden Tann, daß er ein ga 
neues Leben von vorn anfängt. Dad Ende im Dienft der 
Gerechtigkeit Hingegen iſt dad ewige Leben, eine fichere ins 
mer wacfende Seunbheit und Vollkommenheit der Seele, ein 
Zuſtand befländiger. gottgefälliger Thätigkeit, weicher in fich felhf 
Kraft genug hat um nie aufzuhören. 

Ich will nichts mehr häufen um euch zu überzeugen, was 
für eine treffliche Sache es ift um den Dienſt ber göttlichen Ge 





261 


bote unb ber. Gerechtigkeit. Mar ihn vach nicht angetreten. bat, 
der begebe ſich augenblifftich hinein, denn nur in biefem Zuftande. 
iſt Heil und Seligkeit. Wer fi fchon in dieſem gluͤkklichen 
Zuflande befindet, ber erneuere feinen ernſtlichen Entfchluß eine 
befländige Treue unerfchütterlich zu bemeifen. Iſt er gleich vol: 
ler Mühfeligkeit und Arbeit und Schweiß, will es uns gleich 
oft ſchwer werben die angenehme Zrägheit und dad müßige Vers 
gnügen aufzuopfern, finden wir glei wenig Ruhe und in jebem 
Augenblikk Gefchäfte genug: laß fein, unter allen Mübhfe 
ligteiten wollen wir mit feftem hoffnungsvollem 
Blikk Hinfehn auf die ſchoͤne Frucht ber Heiligung 
unb des ewigen Lebens! Amen. 


VL 


Bon der Beurtheilung der Menfhen aus 
ihren Früchten. 


ueber Matth. 7, 15— 18. 





E. iſt für den Menſchen ſehr nothwendig m. a, Fr., daß 
er den Menſchen kennen lerne, das Geſchoͤpf, welches zwar 
ſeiner Natur nach den Namen des Meiſterſtuͤkks der Schoͤpfung 
verdient, aber in der Erfahrung und in feiner Handelsweiſe be 
trachtet nur ein wunberbared Gewebe von taufend Schmachhet: 
ten und Widerfprüchen zu fein fcheint. Ic meine hier nicht 
fowol bie Kenntnig des menfhlihen Herzens überhaupt, 
die ein fehr nothwendiges Hülfsmittel zu unferer Beſſerung ift, 
und bie wir freilich auch auf feinem andern Wege erlangen als 
burch Erfahrungen und Beobachtungen, die wir. an uns und 
andern machen; fondern ich meine die befondere Kenntniß 
Derjenigen, bie um uns find, und mit denen wir in man» 
herlei näheren Verhaͤltniſſen bes Lebens ſtehn. Wenn wir uns 
bie Freuden beffelben nicht ganz verbittem wollen, fo müffen 
wir nothwendig wiffen, wie diejenigen befchaffen find, mit denen 
wir zu leben haben, wir müffen und fragen, Können wir ed zu 


263 


an voRfländigen Kenntniß ihrer Gemuͤthsart, ihrer Wuͤnſche 
und Neigungen, ihrer Art zu denken, zu handeln und zu em⸗ 
finden bringen? damit wir wiſſen, was wir in jedem Fall von 
ihnen zu erwarten, und wie wir file zu Behandeln haben. So 
wenig aber dies die Sache eines jeden ift, fo gewiß iſt doch, daß 
wir wiſſen müffen, in wie fern fie gut ober nicht gut oder böfe 
And; und unfer Urtheil darüber muß ficher fein und auf feften 
Srundfägen beruhen, damit wir danach abwaͤgen können, was 
mr überhaupt von ihnen hoffen, in wie weit wir ihnen unſet 
Vertrauen ſchenken dürfen, worin wir uns vor ihnen zu huͤten 
haben. Wenn wir von einem falſchen Schein verführt jemanden 
pn unferm Vorbild wählen, der nicht wirflich auf dem Wege der 
Rechtſchaffenheit wandelt, jemanden zu unferm Freund, zum Ber: 
bauten unferd Herzend machen, der doch gefonnen iſt und auf 
alkrlei Abwege zu führen, fo fezen wir badurch unfere Zufrie: 
benheit, unfere. Ruhe, unfere Zugend in große Gefahr. Wir 
wollen und alfo in der gegenwärtigen Stunde von ber noth: 
vendigen Kunft die Menfchen richtig zu beurtheilen 
nach weiter unterhalten. 
| | ® 
Text. Matti, 7, 15 — 18. 

Sehet euch vor vor den falfchen Propheten, die in 
Schaafökleidern zu euch kommen, inwendig aber find 
fie reißende Wölfe. An ihren Früchten folt ihr fie er- 
tennen. Kann man auch Trauben lefen von den Dor⸗ 
nen, oder Feigen von den Difteln? Alſo ein jeglicyer 
guter Baum bringet gute Früchte, aber ein fauler 
Baum bringet arge Früchte. Ein guter Baum kann 
nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann 
nicht gute Früchte bringen. 


Chriſtus warnt eigentlich bier feine Juͤnger vor folchen, welche 
N) ihnen zu Lehrern und Anführern anbieten, äußerlich auch ein 


. 


264 


gutes frommes und einnehmended Anfehn haben, innerlich abe 
vol von ben böfeften und verderblichſten Eigenichaften fein wür 
ben; und er unterrichtet fie, wie fie folche bei Zeiten follen ken 
nen und unterfcheiben lernen. Wenn wir auch nicht gerade bai 
nämliche zu befürchten haben, fo iſt und doch eine richtige An 
wendung ber allgemeinen Regel, welche Chriſtus bier über di 
Kenntniß der Menſchen giebt, um vieler ähnlichen Verhaͤltniſſ 
willen eben fo nothwendig. Wir wollen alfo ber Anweilumg 
Chriſti gemäß mit einander reden von der Beurtheilung 
der Menſchen aus ihren Früchten. Wir wollen babe 
erfilich fehn, daß wir fie aus keiner andern Sache mil 
Sicherheit ertennen koͤnnen, unb zweitend,. was füı 
Behutfamdeit wir anwenden müffen, um fie auch aus ih: 
ven Fruͤchten richtig zu beurtheilen. 


I. 


Außer den Handlungen ber Menfchen, benn das find «hr 
Srüchte, wären nur noch ihre Gedanken und Empfinbun 
gen mit ben mannigfaltigen Ausdruͤkken derfelben 
in, Worten und Geberden dasjenige, woraus wir auf die 
innere Befchaffenheit ihrer Seele ſchließen koͤnnten, und freilih 
wenn, wir fo in ben innern Zuſammenhang berfelben hineinblik⸗ 
fen koͤnnten, fo würden wir im Stande fein baburch eine ziem- 
lich vollſtaͤndige Kenntniß des Menſchen zu erwerben. Allein 
von dieſen koͤnnen wir faſt nur diejenigen erfahren und beobach⸗ 
ten, welche ſie freiwillig und vorſaͤzlich andern mittheilen wollen, 
und dieſe ſind allerdings ein ſehr unſicheres Mittel ſie 
daraus kennen zu lernen. 

‚ Denn einmal iſt Zuruͤkkhaltung und Verſtellung mit 
allen ihren Kunftgriffen viel zu allgemein und zu weit getrieben. 
Nur unter den vertrauteften Sreunden kann man ed jezt wagen 
feine Seele frei zu enthüllen. In jeder andern Geſellſchaft muß 
des Menfch, ber gute wie der böfe, irgend. einige feines Grund: 


U 


fig, ingenb eine Geite ſeines Herzens in Schatten fielen unb 
inpfältig verhüllen. Wenn nur nicht. zu biefer fehr nöthigen 
amülthaltung noch bie Werftellung hinzukaͤme! Allein jedes 
mil einen beffern Schein haben als das WWefen ift, was. er in 
ſih hat, und fo ſchwer es if wirklich gut zu . fein, fo leicht iſt 
& dad Äußere ber Guͤte und Mechtichaffenheit und ihre. Sorte 
WW zu. einer gewifen Taͤuſhhung naczuahmen. Da iſt feiner, 
de nicht jebes guten Eigenſchaft und allem was edel iſt Lobre⸗ 
ben halten Bönnte mit einem ' Eifer, bag man glauben follte, 
wunder wie groß und ſtark feine Liebe zum guten fein ‚müßte 
Da if keiner, der nicht alle guten Grundſaͤze und alle fshönen 
Empfindungen mit ‚viel ſcheinbarer Kenutniß ber Sache fhilden 
kunt. Man: kann fie. fehn ‚mit einer mächtigen Begeifterung 
für jede gite Sache erfüllt und. poll.@ifer und Grimm ‚gegen al⸗ 
Ki boͤſe und -ungble. Sie fpiegeln mit. vieler Mäufchung bie ur 
aiganizigſten menfchenfreunblähften @efinnungen nor, nur Schade, 
ef in alle dem Feine Wahrheit iſt, daß nur fehr wenig davon 
nirllich aus dem: Hexen kommt. 

Mein wenn auch die Verſtellung weniger. groß ober leichter 
im unterfcheiden wäre, fo find wir Doch, wenn wir aus den Aeu⸗ 
Berungen der Gedanken und Empfindungen über bie Menfchen 
utbeilen wollten, vor ihrer Selbſtverblendung und ihrem 
Selbſtbetruge nicht ficher. Wenn einmal ein guter Gedanke 
in ihnen auffleigt, wenn. fir.einmal von einer Acht menſchlichen 
Empfinkung ergriffen werben, fo felten fo vorübergehend es im» 
ner fti, fo find fie.im Stande füch felbft zu uͤberreden, daß biefe 
Geſimungen ihrem Herzen, gewöhnlich und eigenthuͤmlich wären. 
Daher bösen fie nicht auf, fo Lange fie. naͤmlich noch die Erin⸗ 
rung an biefe Augenblikke haben — dad mit fefler Zuverficht 
ad ihre innigſten Grundſaͤze vorzulegen, fie hören nicht auf zu 
kihreiben, wie wohl dem Menſchen zu Muthe if, deſſen Herz 
mit ſolchen Empfindungen wfhllt if: Wenn aber ein Menſch 
KR in Stande iſt uchtige Gedanken mit vieler Ehrlichkeit für 





266 


Grundſaͤze außzugeben, bie mit feinem ganzen Weſen verweb 
feien und eine feltene Empfindung für die Art anzufehn, wi 
er gewöhnlich von ben Gegenfländen gerührt werde: wie follten 
nicht andere, je ehrlicher er bei feinem Betruge iſt, um deſto mehi 
in Berfuchung kommen ihr Urtheil über ihm auf dieſem Grundı 
zu erbauen, und doch wirden fie dabei in einen großen Jerthun 
gerathen. Nur ein fehr gelibter Kemmer weiß, wie wenig wahr 
Tugend von Ihren Grundſaͤzen und Empfindungen fpricht, un 
verſteht daher dieſes geräufchige Weſen, dieſe flüchtige Ruhrunt 
gehoͤrig zu wuͤrdigen. 

Endlich aber, wenn wir auch alle, ſelbſt die verbor 
genen Gedanken und Empfindungen ber Menſchen 
in Erfahrung bringen Tönnten, fo würbe das Urtheil 
über ihre wahre Befchaffenheit, welches wir darauf 
gründen wollten, fehr ſchwankend und unrichtig fein. 
. Denn es if gar zu wenig innere Vedereinfiimmung bei den Men⸗ 
ſchen; fie haben bie Gabe bei den beſten Weberzeugungen und 
Gedanken das gute zu unterlaffen und dagegen das böfe zu thun, 
oft ohne etwas böfes dabei zu denken. Es iſt gar nicht unge 
woͤhnlich, daß Menfchen, welche fih aus Religion. und Rechtſchaf⸗ 
fenheit wenig machen, dennoch eine gewiffe Sammlung von gu: 
ten Gedanken und Empfindungen bei der Hand haben, welche 
fich noch theil3 von der Erziehung, bie fie genoffen, von dem Um 
terricht in der Religion, der ihnen ertheilt worden, theils von der 
Bildung, bie fie fonft ihrem Geift gegeben haben, herfchreiben. 
Sie thun ſich auch auf diefen Schaz nicht wenig zu gufe, al 
lein da alle bieje Weberzeugungen nicht im Stande find ihre 
Handlungen zu leiten und zu beflimmen, fo find fie ohne Werth; 
benn bie menſchliche Seele ift zum Handeln beſtimmt, fie ſoll nur 
nachdenken um. bie rechte Art zu finden, wie fie ihre Handlun⸗ 
gen einzurichten hat, unb empfinden, Damit es ihr nie an etwas 
fehle, was fie zur Thaͤtigkeit aufruft. Wenn man alſo auf Ge 
banken und Empfinbungen, weiche dieſe Kraft nicht haben und 


267 


if Zwekk nicht erreichen, ein Urtheil uͤber ben Menſchen bauen 
weite, fo würde es ebenfalls auf einem unfichern Grunde ſtehn. 
Sole Menfchen gleichen einem Baume, deffen Laub in vortreff⸗ 
ihm Stande iſt, deffen Bluͤthen in großer Anzahl find und ih⸗ 
rm Wohlgeruch wert umber verbreiten; da follte mau nun den⸗ 
Im, das iſt gewiß ein guter Baum; es iſt auch ein fchöner 
Baum, Tiebfich amzufehn, aber dennoch ein: feplechter Baum, beum 
Kine Bluͤthen fallen immer ab olme jemals Fruͤchte nachzulaſſen. 
ll. 

Afo bleibt uns um eine richtige Kenntniß bed Menfchen zu 
langen Fein Mittel mehr übrig, als die Betrachtung 
ſeiner Früchte, d. b. der Handlungen, die er ansübt,. bes 
Berfe, die er verrichtet; und es fragt fich nun, was iſt hiebei 
nech zu beobachten, wenn wir ihn danach richtig beun 
heilen wollen? - 

Um nun hiebei recht -ficher zu gehn, muß man wohl merken, 
hf keinesweges alle Handlungen des Menichen. zu der 
Auſe derjenigen gezählt werden dürfen, weiche man feine 
Stühte nennen kann. Es giebt. eine Menge von Hand lun⸗ 
gen der Höflichkeit, der Außern Geſelligkeit, der 
Dienfifertigkeit, der Gefälligkeit, weiche nur um des 
Seins willen und gleichfam zum Staat verrichtet werben, unb eben 
I giebt es Handlungen des Berufs, die der Menfch. verrich⸗ 
km muß, die aber mit feiner Dentungbart gar nicht zuſammen⸗ 
Kg und affo auch kein Zeugmiß derſelben .ablegen können, 
Dan muß ſich vielmehr bemühen diejenigen Handlungen 
fd, welche gewiß aus ben Gefinnungen .bes 

Renfhen herfli eßen und uns einen fichern Fingerzeig geben 
ann von dem Hauptzwekk, dem er nachlagt. Und bie find 
I ſcwer eben nicht‘ zu unterfhelden. Man gebe nur Acht auf 
ide Handlungen, welche, ‚ohne um irgend eines Merhättniffes 
dilen nochwendig zu ſein, dennoch oft wiederkehren; man wende 


208 

feine Aufmerkſamkeit anf diejenigen, wobei ber handelude enin 
ber nicht im Stande geweſen ift, ober es nicht der Mühe wer 
gehalten Hat die ſchwache Seite berfelben zu verbergen; mu 
fuche endlich diejenigen auf, welche mit befonderm Eifer und vo 
züglicher Luſt unb Freude verrichtet werden: fo find dies gem 
biejenigen, bie ſeiner Denkungsart entiprechen und fich auf fe 
vornehmſtes Beſtreben begiehn; dies finb feine Fruͤcht 
Denn was jemand nicht gen thut, das wird er nicht ohne Roi 
oft wiederholen; was ihn aber zu feinem Hauptzwekk fuͤhr 
babei ift er mit ganzer Seele und vergißt die nöthigen Maafı 
gen zu nehmen, um bad was daran fchwach oder tabelhaft waͤ 
gehörig zu verbergen. Denn. biefe Kunſt wirb gewöhnlich m 
bann ausgeubt, wenn bie Seele nicht am flärkflen in Bewegun 
geſezt if. Natürlich werben auch nur ſolche Handlungen m 
vorzüglicher Kroft und Luſt verrichtet, bie dem Menſchen feine 
Zwekke näher bringen, bahingegen er über alle andem mit tr 
ger Geichgültigkeit ja wol gar mit Unwillen und Verdruß hi 
wegeilt. 

Wenn ich alfo jemanden fehe, bei bem edle Hanblun 
gen überlegter Wohlthätigkeit, vernünftiges Menfchenliche, wah 
rer Semeinnüzigkeit oft wiederkehren; wenn ich jemande 
ſehe, der auch auf Kleinigkeiten, fobald etwas nuͤzliches un 
pflichtmaͤßiges darin iſt, Aufmerkſamkeit und Treue wa 
det, Hausvaͤter, Hausmätter, Lehrer, die auch auf dem geringfic 
Umſtand, des die Bildung ihres Kinder und untergebenen betriff 
anfınerffam .find und mit Luft und Liebe ihre Kräfte und iht 
Gedbanken anflcengen ‚um darüber zu wachen: bann habe id 
Ehrfurcht vor ihnen. 

Sehe ich hingegen Menſchen, bei denen Zerſtreunugen 
und —— die einzigen mit Luft wiederholten Hand 
Inngen find; welche es nicht verfchweigen, daß fie gern ihre Pflich 
ten bintenanfegen um ber Freude nachgugehn, und daß fie fie nu 
wit Unluſt und Murten verrichten, wenn fie dadurch in ihre 


Ergoͤzlichkeiten getönt werben; aber andere, bie nur folche Hands 
kungen mit Luft und Zreube verrichten, die auf irgend eine Art 
ihren Bortheil befördern: fa weis man leider auch, wad vom 
ihnen zu halten iſt; an ihren Früchten erfennt man fie, 

Eben fo kann man aber auch aus allerlei an. fich unbeden⸗ 
tenben Handlungen auf die Beſchaffenheit der. Menfchen fchließen, 
wenn man auf.bie Art Acht giebt, wie fie verzichtet werben. 
Denn auch bei der geringfien Handlung ift etwas, was eine Be 
ziehung auf Recht und Pflicht hat, und eben auch etwas, was 
fih auf Vergnügen und Wortheil bezieht. Je nachdem nun jene 
Site mit einer gewiffen Vorliebe hervorgezogen, ober biefe mit 
Ungeflüm ergriffen wird, bat man immer Urfach eine Meinung 
von dem Menichen zu faflen, daß der eine Achtung für feine 
Pflicht und Liebe zum guten bat, und der anbere nur fe 
nem Vergnügen. lebt. 

Eine allgemeine Behutſamkeits⸗ Regel aber bei dieſer Beur⸗ 
theilung der Menſchen aus ihren Handlungen iſt die, daß wir 
und nicht durch deu Schein ihrer Thaten blenden laf 
fen. Es giebt gewifle Früchte, die ein fa ſchoͤnes Anſehn haben 
wie bie vortrefflichſten und ſchmakkhafteſten; verfuche aber baten, 
fo wirft bu finden, daß fie nur mit einem faftlefen. fauligen 
Weſen erfüllt find. So iſt es oft mit ben Handlungen ber 
Menfhen. Wir loben gern ſolche Handlungen, welche einen 
guten nuͤzlichen Erfolg gehabt. haben, er fei nun wohlthätig 
für einen einzelnen ober fürd ganze gewelen ; eben -fo bewundern 
wir, weil die Traͤgheit eine natuͤrliche Neigung aller Menfchen 
if, blindlings jebe Handlung, wobei viele und ſchwere 
Hinderniffe zu überfieigen waren. Aber dad alled truͤgt 
gewaltig, und wir müflen allein auf bie Quelle fehn, woraus. 
die Handlung entfprang, und auf bie Grundbfäze, nach welchen 
dabei verfahren wurde. Laßt eine Handlung einen noch fo ſchoͤ⸗ 
nen nüzlichen Erfolg gehabt haben; wenn biefer Erfolg nicht. 
die Abficht des Thaͤters, ſondern nur fo zufälliger ober un 


270 


vermeidlicher Weiſe zur Wirklichkeit kam, fo Bann fein 
Handlung doch eine ſehr gewöhnfiche ja fogar eine fchlechte um 
eiende Hanbtung fein. Wenn bie Schwierigkeiten noch fo gro 
gereſen find, aber es war nur irgend eine Leidenfchaft, di 
ihm bie Kraft gab fie zu üͤberwinden, fo haben wir dei 
wegen gar Feine Urfach ein gimffiges Urtheil von ihm zu füllen 
Dem nur biejenigen Handlungen find wahrhaft gui 
welche aus der einzigen reinen Quelle entfpringen 
aus Ehrfurcht vor den Geboten Gottes und ber Ber 
nunft, aus inniger Liebe zu Gott und zum guten 
Sreilich m. Fr., Menfchen von einem fo feften Charakter, jo un 
erſchuͤtterlichen Grundſaͤzen und fo edeln Sefinnungen find ſel 
ten, und dach find fie die einzigen guten Bäume, denen es II 
zur Gewohnheit und natürlich iſt vortveffliche Fruͤchte zu tragen 

Diefe Betrachtung veranlagt und und einige heilfam 
Regeln ind Gemuͤth zu prägen. Einmal, da die Anzahl da 
guten Bäume fo gering ift, fo befchließe doch jeder bei ſich felbfl 
dog er wenigftend die Anzahl berfelben vermehren und Brück 
fragen will, die des Bodens auf dem er fteht, bes Saamens auf 
dem er berflammt, und der Mühe die an ihn verwendet if, nicht 
unwerth ſeien. 

Zweitens wollen wir uns vornehmen, von dem großen 
Haufen der Menſchen nur wenig zu erwarten und wenig zu for 
dern. Wir wollen und nicht wundern, wenn fie fortfahren von 
den Umftänden bald zum umfchäblichen, bald zum gutſcheinenden, 
bald zum böfen fortgeriffen zu werben, und wenn auch der, von 
dem wie noch nichts boͤſes wußten, auf einmal allerlei boͤſes au 
fi) offenbart; denn ba er doch Bein guter Baum war, ſo muͤſſen 
und die übeln Auswuͤchſe und die ſchlechten Fruͤchte, wenn ſie 
erſcheinen, nichts unvermuthetes ſein. 

Drittens wollen wir uns ja huͤten, dag und biefe Be 
trachtung nicht zu einer Verachtung der Menſchen hinreiße. aus 
bei denen, die wir als ſchlechte Bäume erkennen, wollen wir nicht 


271 


mm auf das fehen was fie find, fondern auch auf- daß was fie 
werden koͤnnen. Wenn ein Auge, ein kleines Reis aus bem 
kein Stanım wahrer Gottfeligkeit und wahrer Güte in fie ges 
nropft wird, und es gedeiht, fo wird ber vorige Stamm hinwegs 
gihnitten und feiner nicht mehr gedacht; ein edler Saft verbreis 
tt jih in ihm, herrliche Früchte kommen zum Vorfchein, und ber 
Baum ift völlig denen gleich, welche fchon lange gewohnt find 
dergleichen hervorzubringen. Möchte doch diefe Verwandlung 
Kufig unter den Menfchen vorgehn, möchten die guten immer beffer 
und edler werden, und fchlechte dasjenige annehmen, was fie vers 
menden und verebeln kann. Dann hätte man nicht nöthig mit 
le ängfllicher Behutſamkeit die Menfchen auszuforſchen, fordern 
mh und frei ginge man unter ihnen umber wie in einem Gars 
tm Gottes. Amen. 





VI. 
Daß keine Verſuchung, welche den Menſchen 


trifft, ſo groß ſei, daß er ihr nothwendig 
unterliegen muͤßte. 


Ueber 1 Kor. 10, 13 


M. a. Fr. Wir haben die natürliche aber fehr ſchaͤdliche Nei- 
gung nicht nur unfere Fehler me verbergen, fondern noch vielmehr 
bie einzelnen fehlerhaften Handlungen, welche wir began: 
gen, nicht einzugeftehn, wenn fie und entweber unfer Gewiſſen vorhält, 
oder ein anderer, der freundfchaftlich genug ift die Stelle befielben 
vertreten zu wollen. Um nun diefem verhaßten Geflänb: 
niß auszumweichen giebt ed zwei Wege. Einmal, daß wir, 
wenn es mit der That felbft feine Richtigkeit hat, zu beweifen 
fuchen, basjenige was wir gethan haben fei nidt Um: 
recht. Mit dieſer Entichuldigung pflegt man aber nicht weit zu 
fommen. Denn eined Theils find die Begriffe von recht und 
unrecht, von erlaubt und verboten, billig und unbillig fo beut: 
lih und beftimmt, daß es fich fehr leicht ausweiſt, auf welcher 
Seite die Wahrheit fei. Anbern Theils giebt ed wol viele Hand: 
lungen, über die man fo im allgemeinen nicht urtheilen kann, 


273 


fondern bie dem Gewiffen eines jeben überlaffen werben müffen; 
allein auch da zeigt fich bei einer deutlichen Auseinanberfezung 
ſehr Leicht, ob bie Gründe, bie wir für unfere Handlungen ans 
führen, auf wahrer Ueberzeugung beruhn ober nur ein Blend 
were find, welches irgend eine Leibenfchaft ober irgend ein Uns 
recht befchönigen fol. Daher bedient man fich auch weit haͤufi⸗ 
ger ber andern Entihuldigung, daß nämlid bie Verſuchung 
zu groß gewefen, und man unter diefen Umſtaͤnden unmoͤg⸗ 
id) anders habe handeln koͤnnen. Lange habe. man gekämpft 
und den tapferfien Widerſtand geleiftet, allein enblich feien alle 
Kräfte erfchöpft gewelen; mit immer neuer Macht und immex 
wiederholten Angriffen fei ber Feind auf die ermüdete Seele ein: 
gebrungen und habe endlich einen Sieg gewonnen, welcher ganz 
unvermeidlich gewelen fei. Diefe Vertheidigung hört man ſo oft 
und felbft von wohlmeinenden Menſchen, daß ed wirklich ber 
Mühe werth ift eine genauere Unterfuchung barüber anzuſtellen, 
und von ihrer Nichtigkeit zu überzeugen und durch ab 
Ierlei Betrachtungen unſern Glauben baran ganz zu zerflören. 
Dieſem Gelchäft wollen wir die gegenwärtige Stunde wibmen. . 
J 

Texrxt. 1 Kor, 10, 13. 
Es hat euch noch Feine denn merifchliche Verſuchung 
- betreten; aber Gott ift getreu, ber euch nicht läßt vers 
ſuchen über euer Vermögen, fondern ‚macht, baß bie 
Verſuchung ſo ein Ende gewinne, daß ihr es koͤnnet 
ertragen. 


x 


Der Apoſtel tröftet in diefen Worten eine neue Gemeine ‚von 
Chriſten über bie Verfuchungen, welche fie hatten. theild zum 
sänzlichen Abfall vom Ehriſtenthum, theils zur Verachtung berjes 
nigen Gebote deſſelben, welche die Heiligung fordern, theild zur 
Berfälfchung feiner Lehren. Er führt fie auf die Vergangenheit 
zuruͤkk und erinnert fie, daß biäher noch alled was ‚von ber Art 

Predigten 1. S 


274 


über fie ergangen fei auch fei zu üherftehn gemein, und läßt fie 
nicht umbeutlich merken, daß auch in Zukunft Feine Verſuchung 
über fie kommen würbe, bie fie nicht follten tragen und über 
winben koͤnnen. Wir wollen und aus dieſen Worten die Lehre 
nehmen, dag feine Berfuhung, welche den Menſchen 
trifft, fo groß fein könne, daß er ihr nothwendig um 
terliegen müßte. Wir wollen dies beweilen, erſtlich aus 
Grünben, die von unſerm Berhältniß gegen Gott und 
von der Einrichtung ber menfhlihen Natur. bergenom: 
men find, und. zmeitend noch folche Gründe hinzufügen, die 
und die Erfahrung an die Hand giebt. 


Erſtlich find unjere Verbäftniffe. gegen Bott und 
feine Kefinnuungen gegen und von ber Art, daß der Ge 
danke eines wnühberfleiglichen Verſuchung uns a. wit. in ben 
Sina kommen kann. 

Sott iſt gerecht, und wenn bie Gerechigkei gröftentpeii 
darin befleht, Daß man einem. jeden bad feine giebt, fo gehört da: 
zu gewiß auch diefed, daß man von niemandem etwas forbere, 
was er unmöglich leiften kann. Nun fordert aber Gott ein be 
ſtaͤndiges Rechtthun überall, und jede Handlung ber Uebertretung 
ift unvermeidlich wit feinem Mißfallen bezeichnet. Alſo muͤſſen 
wir auc gewiß, wenn wir nur unlere Kräfte gebrauchen wollen, 
im Stande fein feine Forderung in ihrer ganzen Ausbehnung 
zu erfüllen, und dad könnten wir nicht, wenn es auf irgend eine 
Art Verfuchungen gäbe, über die ed und unmöglich wäre zu fiegen. 
Bir müßten und auch fonft von ben. Gefinnungen Goͤttes 
ganz verkehrte Begriffe machen. Er iſt «8 ja felbft; weicher alle 
Begebenheiten unferes Lebend vegiert, und wenn alfo auch bie 
Berfuchung nicht geradezu von ihm kommt, fo hat er doch vor: 
audgelehn und geichehen laffen, daß fie und treffe. Und eben ber 
derechte Bott follte uns "mit Wiſſen und Willen in timen Bus 


1 


275 


fand verfallen laffen, wo wir durch eine unvermeidliche Noth⸗ 
wendigkeit getrieben fchlechterding& uns ſelbſt erniedrigen und in 
bad ungluͤkkſelige Bewußtſein feines Mißſallens hineingerathen 
müßten? Er folte ein Vergnuͤgen baran haben die Menfchen 
erft gleichfam zum böfen zu zwingen und fie dann dafür zu ſtra⸗ 
fen? Mein das ift nicht möglich, und alſo giebt es auch Feine 
Berfuhung, wo heraus wir nicht mit Ehre und ein hervor⸗ 
treten koͤnnten. 

So koͤnnen wir der Gerechigkeit Gottes trauen, und eben 
fo koͤnnen wir und aus andern Gruͤnden auf feine Guͤte ver 
laffen. Er, welcher dad Herz des Menfhen fo genau Tennt, 
weiß auch gewiß, daß es Feine qualvolleren Zuftand giebt als 
denjenigen, worin fi ein Menfc "während einer fchweren- Vers 
ſuchung befindet. Diefer beftändige, ‚vor dem Richterſtuhl des 
Gewiffens lange entfchiedene aber in der Wirklichkeit nicht zu 
beendigende Streit frommer und vernünftiger Geſinnung mit uns 
rechten Neigungen und Leidenjchaften, die immer erneuerten Ans 
griffe der Wünfche und WBegierden, ber Hoffnung und Zurcht, 
der oft mit Zittern befüschtete üble Ausgang, dad ploͤzliche ängfts 
liche Aufſchrekken aus dem Zufland der Ermübung und Betäus 
bung, das fchnelle Zufammenraffen aller Kräfte, das leidende 
ummervolle Sehnen nad) -einem baldigen Ende’ diefes elenden 
Zuſtandes, das alles iſt gewiß die größte Pein, die ein Menfch 
dulden kann. Und ber Gott, welcher nie ohne wichtigen Zwekk 
md heiffame Folgen Leiden‘ auflegt, der. follte und in dieſes 
srögte aller Leiden durch feine Regierung hineinſtuͤrzen, ohme 
uns nur die Möglichkeit Ubrig zu laffen, dag wir den geringften 
Bertheil daraus ziehn koͤnnten, fondern fo daß wit fchlechterding® 
gezwungen wären darin zu erfiegen und nach dieſem das ficche 
Leben eines boͤſen Gewiſſens zu führen? Das läßt fich von dem 
mitleidig liebreihen Water der Menfchen nicht denken.‘ 

Um und noch mehr in biefer Ueberzeugung zu beflärken, 
dürfen wir nur einen Blikk anf die Einrichtung unferer 

S 2 


276 


ganzen Natur werfen. Es iſt wahr, bie Schriften unferer 
Religion und die Glaubenöbelenntniffe der Chriflen find voll von 
Klagen über ihre eigenthümliche weit um fich greifende Ber: 
dorbenheit, über ihre gäanzlihe Unfähigkeit zu allem 
guten‘; allein man muß nur die nicht anders verfiehn, ald es 
der Wahrheit gemäß fein kann, und als ed auch wol eigentlich 
gemeint geweien ift. Es ift nicht eine Klage über bie Art, wie 
Gott die Menfchen zu ihrer Beflimmnng audgerüftet hat, ſondem 
eine Klage über die Art, wie der Menfch die ihm ertheilten 
Kräfte gebraucht, eine Klage darüber, dag Schwachheiten, Irrthuͤ⸗ 
mer und Leibenfchaften und immer verhindern mit derjenigen Fe⸗ 
fligfeit und Beßaͤndigkeit recht zu handeln, wie wir wol folten. 
So ſehr es nun auch mit dieſer Nachlaͤſſigkeit und dieſem 
Mißbrauche ſeine Richtigkeit hat, ſo bleibt doch gewiß, daß 
die Kräfte des Menſchen gewiſſermaßen unendlich 
ſind, ſie haben eine voͤllig unbeſtimmbare Groͤße, und auch bei 
der groͤßten Anſtrengung derſelben kann man nicht bis zu ihrem 
Ende, bis zu ihrer lezten Grenze gelangen; ba8. beflätigt einem 
jeden feine Erfahrung und fein eigened Bewußtſein. Nichts fann 
fo fcharffinnig ausgedacht und mit: fo viel Ueberlegung ausge 
führt fein, dag man nicht bei genauer Betrachtung finden follte, 
eben ber, beffen Werk es ift, hätte noch mehr Anftrengung und 
Ausübung feines Verſtandes daran wenden Binnen. Keine Lei⸗ 
benfchaft iſt in irgend einem Augenblikke fo heftig, daß nicht bei 
größerer Weranlaffung ihr Ausbruch noch ungezaͤhmter und wib 
der fein koͤnnte. Und fo bleibt alfo immer etwas ungebrauht 
liegen; nur allein bie Kraft, welche der Menſch zur 
Beobachtung feiner Pflihten bedarf, nur dieſe folk 
teihre enge feftbeffimmte Grenzen haben? Nein, bad 
iſt nicht möglich, und es iſt gewiß auch niemand im Stande 
fie zu zeigen. 

Du fagft zwar, daß du fie leider gefunden hätteft, du nühmfl 
dich, daß bein Widerfland gegen die Verſuchung fo ſtark und 


⸗ 


277 


ansdauernd geweien, und daß du nur ber unwiberfishlichen Ueber; 
macht unb Nothwenbigkeit gewichen feieft. Ziehſt bu aber auch 
dein Gedaͤchtniß dabei zu Rathe? Sollte bir das nicht mancher 
tet Beine Nachläffigkeiten und manche Fälle vorbalten, wo du 
zu zeitig ermuͤdeteſt? Mußt hu nicht geftehn, Daß du oft in ben 
Augenblilten ber Anfechtung mit größerer Lebhaftigkeit als du 
wirklich thateſt hättet denken können an bie heilige Verpflich 
tung, wodurch du an die Geſeze Gottes gebunden warſt, an bie 
hohe Würde, eined feflen und unerfchütterlich vechtichaffenen, 
an die Schönheit und ben Lohn des Siege? Und fiehe, mit 
dieſem um efwas erhöhten unb angeftrengteren Eifer wäre auch 
die Verſuchung zu überwinden gewefen, die.du, weil bu ihr un; 
terlagſt, gern für unwiderſtehlich halten möchteft. 

Ich glaube, daß die bisher angeführten Gründe hinlaͤnglich 
find um den Verſtand davon zu überzeugen, daß ed Feine 
Verſuchung geben koͤnne, welche zu befiegen an ſich und ſchlech 
terdings unmöglich wäre. Allein es ift bier noch mehr nöthig 
als eine bloße Weberzeugung des Verſtandes. Wenn wir nicht 
in Gefahr kommen follen gerade in dem Augenblikke ba ed Noth 
thut von unferer Ueberzeugung verlaffen zu werben, fo muß uns 
ganz klar vor Augen ſtehn, daß dadjenige, was von und gefor- 
dert wird, auch wirklich von Menfchen gefchehen fei und noch 
geſchehe; wir muͤſſen ganz deutlich einſehn, wie und durch welche 
Huͤlfsmittel es moͤglich zu machen iſt. Um uns alſo auch von 
dieſer Seite gehoͤrig zu verſehen, wollen wir noch kuͤrzlich dieje⸗ 
nigen Beweife.für unſere Behauptung überlegen, welche 
die Srtabrung an bie Hand giebt. - 


1. 


Daß wirklich zuweilen Menſchen über große außeror: 
dentlihe Berfuchhungen gefiegt haben, bavon überzeugt und 
die Geſchichte der Vergangenheit durch mancherlei Beifpiele. 
Die Bücher des alten Bundes, welche nur bie Begebenheiten eines 


278 


Heinern Volks enthalten, und bad an Tugenden eben wicht reich war, 
ftellen ind doch einige Menfchen vor Augen, bie weder durch Furch 
vor Verachtung und Tod noch durch bie Hoffnung eines üppk 
gen und geehrter Lebens von dem Wege ihrer Pflichs hinweg 
gelofft werden konnten, und eben fo finden wir in ‚ber Geſchichte 
anderer Voͤlker viele Menfchen, Die in großen Verſuchungen mit 
vieler Stärke der Seele und unerfpütterlicher Standhaftigkeit ge 
handelt haben, und werben es auch in der Gefchichte der jegigen 
age finden, welche fo reich an neuen und ungewöhnlichen Ber 
füchungen zum böfen find. Allein auch näher um uns her 
kann es und, wenn wir und nur darum fümmern wollen, nicht 
an Handlungen fehlen, die wenn fie gleich nicht fo glänzend find, 
doch verdienen, daß wir fie zur Erweltung unſers Wetteiferd un 
ferm Gemüth einprägen. Laßt und nut dahin gehn wo wirklich 
Leiden und Sammer ifl, dern das iſt die wahre Schule für die 
Stärke und Feftigkeit des Geiſtes. Dem leidenden, der fein Uns 
gluͤkk mit ruhiger Ergebung und edlem Muth erträgt, Tann es 
nicht fehlen, daß er nicht manche fo fchöne Augenblikke eines gro: 
gen entichiedenen Sieges in feinem Leben zählen ſollte 

Laßt und aber aus der Erfahrung nicht nur fehn, daß die 
Siege wirklich erfochten wurden, laßt und au die HAlfsmit 
tel betrachten, deren fich diejenigen bedienten, welchen fo etwas 
gelungen if. Der ganze Reichthum derfelben laͤßt fich auf zwei 
Hauptgebanten zurüffführen. 

Erftlich kann wol niemand, dem es um ſich ſelbſt ein 
Ernſt if, fo leichtfinnig fein, dag ihm nicht der Gedanke an 
dasjenige was er in der Zukunft fein wird ſchr geläw 
fig fein follte. Und diefer ift ed eben, welcher wenn er recht ger 
braucht wird die ganze Seele in Bewegung fezt. Wenn wit 
und ben Fall denken, daß wir in ber Verſuchung, welche und 
jest bevorfteht, unterliegen, im ganzen aber doch Gott und un: 
ferm Gewiſſen treu bleiben, fo haben wir bie gewiſſe Ausficht, 
dag wir und befländig beöjenigen, was wir in diefem Augen: 


279 


hüfte verfaumt haben, beſchaͤmt erinnern werden; denn je voll. 
immer wir im allem guten werden, deſto deutlicher wird 
3 und, daß dasjenige ficher zu befiegen war, wad wir für 
müberwinblich hielten. Und biefe beflänbige an Veruchtung 
gezende Schaam vor uns felbft, fo oft unfer Gedaͤchtniß 
af den Augenblikk dieſer Handlung zuruͤkkkommt, follte fie 
nicht für ſich allein ſchon Binreichen und mit einem ausbauernben 
Ger und Muth zu erfüllen? Allein auch das ift ja möglich, 
th wenn wir unterliegen bie® ein Fall ifl, von dem wir uns 
ht wieder erholen, und der und zu dem Fortfchreiten auf bem 
gutm Wege nach und nach ganz unfähig macht. Welches Bit. 
tm, welcher Abfcheu muß und nicht erfüllen, wenn wir uns die: 
3 Shifffal als das unfrige denken. Die Scham vor uns 
ki haben wie freilich nicht zu fürchten, wenn wir auf bie Art 
he Sache der Tugend ganz verlaffen, aber außer bem ſchrekkli⸗ 
den Ungluͤkk, welches ſchon in dieſem Verlaſſen liegt, iſt doch 
nd eine eben fo bittere Schaam vor andern moͤglich. Je⸗ 
vr Nenſch pflegt doch einige auserwählte zu haben, die entwe: 
ir gleichen Schritt mit ihm gegangen find auf dem Pfade ber 
Kchtihaffenheit, oder die er ſich um ihres großen Vorſprunges 
mim zu Borbildern gewählt hat. Denke dir, alle Gemeinſchaft 
nit ihnen wird nun aufgehoben und du bift ganz von ihnen ge 
Biden. Du darf die Hand nicht nach ihnen anöflreffen, und 
fe werden fie Dir auch nicht reichen; du darfſt nicht wagen nad) 
inm aufzublikken, und fie Bönnen auch nicht anders als mit Wer: 
ehtung auf dich dlikken. Bald fichft du fie im Schooß der Voll⸗ 
Immenheit lauter gutes genießen, weil fie dad unangenehme des 
Etreit$ ertragen haben; du hingegen lebſt in der Qual eines bö- 
kn Gewiſſens, weil du das angenehme der Zrägheit und Be: 
tumlichkeit genoffen hafl. 

Das zweite große Hülfsmittel dad und noch maͤchti⸗ 
ger unterſtuͤt ift dad Gebet. Der Gedanke an Gott ent: 
halt iq dem Augenblift der Verſuchung unendlich viel Ermunte: 


280 


rung und Stärlung Du ſollteſt denjenigen verlaflen, von 
du bisher fo oft mit Dankbarkeit erfannt haft, daß ex bein 
zes Leben zu bem Ende geleitet um bich im guten zu bew 
und zu flärken? du folteft alle die Worfäze und Entſchluͤſſe 
nichten, bie du fo oft gleichfam unter feinen Augen aufs be 
beichworen haſt? Hüte dich ein folch Uebel zu thun, ru 
an in ber Noth, und er und der große Gedanke an ihn 
bi) erretten. Iſt es Zaghaftigfeit, welche dich ſinken laſſer 
fo wird die Ueberzeugung dich als ein himmliſcher Xrof « 
Een, dag du an feiner Hand gehft und daß er nie aufhört 
abzumefien, was er dir zuſchikkt. DI ft ed Trägheit, die beine 
vorbereitet, o fo wird ber Gedanke an die heilige herzerh 
Verbindlichkeit dem höchften aͤhnlich zu werben eine goͤ 
Kraft und einen brennenden Eifer in beine Seele gießen. 
es ein ungluͤkkliches Wohlgefallen an irgend einer Leiden 
fo wirft du, wenn bu an Gott denkſt, auch gewiß überlegen, 
für eine einzige unerſezliche Seligkeit es iſt reined Herzen 
ihm zu flehn, und was wirft du nicht anwenden und thai 
bingeben, um bir biefe zu erhalten? | 
So fehn wir aljo, dag Religion und Vernunft 
fihen immer Hülfe genug barbieten zu allem, was von 
fordert wird, aljo dag wir Beine wirkliche Entfchuldig 
Laßt uns gute Haudhalter fein mit allen 
Hülfsmitteln, welche Geſchenke der göttlichen G 
Laßt und nicht und felbft einfchläfern durch allerlei f 
theidigungen, baß wir nicht als folche erfunden werben, 
ſelbſt betrogen haben, und bie auch durch fich ſelbſt ü 
zu Schanden gemacht werben. Amen. 


279 


biifte verfäumt haben, beſchaͤmt erinnern werden; denn je voll 
Fonumner' wir In allem guten werben, deſto beutlicher wird 
es und, daß dasjenige ficher zu befiegen war, wad wis für 
unüberwinblich hielten. Und biefe beflänbige an Verachtung 
grenzende Schaam vor und felbft, fo oft unſer Gedaͤchtniß 
auf den Augenblikk dieſer Handlung zuruͤkkkommt, ſollte fie 
nicht für ſich allein fchon Binreichen und mit einem ausbauernden 
Eifer und Muth zu erfüllen? ‚Allein aud das ift ja möglich, 
Daß wenn wir unterliegen bied ein Fall ifl, von dem wir uns 
nicht wieder erholen, und der und zü dem Fortichreiten auf bem 
guten Wege nach und nach ganz unfähig macht. Welches Bit 
tern, welcher Abſcheu muß und nicht erfüllen, wenn wir und dies 
ſes Schikkſal als das umfrige benfen. Die Scham vor uns 
felbft Haben wir freilich nicht zu fürchten, wenn wir auf die Art 
die Sache der Tugend ganz verlaffen, aber außer dem ſchrekkli⸗ 
hen Ungluͤkk, weiches ſchon in dieſem Verlaſſen Tiegt, iſt doch 
noch eine eben fo bittere Shaam vor andern möglid. Je⸗ 
der Menſch pflegt doch einige auserwählte zu haben, die entwe: 
der gleihen Schritt mit ihm gegangen find auf dem Pfade ber 
Rechtſchaffenheit, ober die er fi) um ihres großen Vorſprunges 
willen zu Borbildern gewählt hat. Denke dir, alle Gemeinſchaft 
mit ihnen wirb nun aufgehoben und du bift ganz von ihnen ge 
fchieden. Du darffl die Hanb nicht nach Ihnen ausſtrekken, und 
fie werben fie dir auch nicht reichen; du darfſt nicht wagen nach 
ihnen aufzublikken, und fie Bönnen auch nicht ander als mit Wer: 
achtung auf dich blikken. Bald fiehft du fie im Schooß der Voll⸗ 
kommenheit lauter gutes genießen, weil fie das unangenehme bed 
Streitd ertragen haben; du hingegen lebſt in der Qual eines bo: 
fen Gewiſſens, weil du das angenehme der Zrägheit und Bes 
quemlichkeit genofjen haft. 

Dad zweite große Hülfsmittel dad und noch maͤchti⸗ 
ger unterflüzt ift dad Gebet. Der Gedante an Gott ent: 
halt in dem Augenbliff der Verſuchung unendlich viel Ermunte: 





280 


rung und Staͤrkung. Du folltefi denjenigen verlaffen, non den 
du biöher fo oft mit Dankbarkeit esfannt haft, daß er bein gan 
zes Leben zu bem Ende geleitet um dich im guten zu bewahre 
und zu flärten? du ſollteſt alle die Vorſaͤze und Entſchluͤſſe ver 
nichten, bie du fo oft gleichfam unter feinen Augen aufs heiligh 
befhworen haſt? Hüte dich ein foldy Uebel zu thun, zufe ihı 
an in ber Noth, und er und der große Gebanfe an ihn wir 
dich erretten. Iſt es Zaghaftigkeit, welche dich ſinken laſſen will 
fo wird die Ueberzeugung dich als ein himmliſcher Troſt erquil 
ben, daß du an feiner Hand gehſt und daß er nie aufhoͤrt alle— 
abzumefien, was ex bir zuſchikkt. Iſt ed Trägheit, die beinen Hal 
vorbereitet, o fo wirb ber Gedanke an bie heilige herzerhebend 
Verbindlichkeit dem hoͤchſten aͤhnlich zu werben eine göttlich 
Kraft und einen brennenden Eifer in beine Seele gießen. Sf 
& ein ungluͤkkliches Wohlgefallen an irgend einer Leidenſchaft 
fo wirft du, wenn du an Gott denkſt, aud) gewiß überlegen, wei 
für eine einzige unerfezliche Seligkeit es ift reines Herzens vor 
ihm zu flehn, und wad wirft bu nicht anwenden und thun unt 
bingeben, um bir dieſe zu erhalten? 

So fehn wir aljo, daß Religion und Vernunft dem Men: 
fihen immer Hülfe genug barbieten zu allem, was von ihm ge 
fordert wird, alfo dag wir feine wirkliche Entfchuldigung. haben 
Laßt und gute Haudhalter fein mit allen biefen 
Hülfsmitteln, welche Gefchenke- der göttlichen Gnade find. 
Laßt und nicht und ſelbſt einfchläfern durch allerlei falſche Ber 
tpeibigungen, baß wir nicht als ſolche erfunden werben, bie ſich 
felbft betrogen haben, und bie auch durch fich ſelbſt überführt und 
zu Schanden gemacht werben. Amen. 








EEE — — 


van. u 
Don der ſchweren Pflicht der Sriedfertigkeit. 


Ueber. Roͤm. 12, 18. 





Une die fchönen Vorftelungen von der Gluͤkkſeligkeit, welcher 
die Menfchen auf Erden genießen Tönnten, gehört vornaͤmlich 
auch der Gedanke von einer vollkommnen Freundſchaft 
und Uebereinſtimmung, welche unter ihnen herrſchen ſollten, 
daß jeder dem andern mit Freundlichkeit und Gefaͤlligkeit ent⸗ 
gegen kaͤme, daß keiner von einem groͤßeren Gluͤkk wuͤßte, als 
die Wuͤnſche anderer zuvorkommend und uͤberraſchend befriedigen 
za Tonnen, dag Zwiſt und Streitigkeiten ganz unbekannte Dinge 
wären, und wo ja zweie zugleich den nämlichen Gegenftanb zu 
befizen wünfchten, er doch augenblifflich wie durch eine gemein» 
Maftliche Werabrebung demjenigen zugetheilt bliebe, der feiner 
am meiften zus bebürfen fchiene, ein Zuftand, wo innige Liebe die 
Stelle der Gefeze verträte und ein allgemeines Wohlwollen alle 
Anweiſungen zus Gerechtigkeit und Billigfeit überflüffig machte. 

Leider aber findet man von dem allen nur dad Ges 
gentheil in der Welt. Bald erregt der Streit um den Befiz 
irgend eines Gutes Feindſchaft und Haß, bald erſtikkt das Zu: 


282 


fammentreffen entgegengefezter Gemüthsarten, wovon eine gleich: 
fam an der andern fich reibt, alle Keime eines freundlichen Wohl 
wollend, bald bringen elende Mißverfländniffe die Menfchen in 
Hize und Zom, ja oft wird der eine bloß dadurch beleidigt, weil 
ber andere fi) von ihm beleidigt fühlte. In diefem klaͤglichen 
Zuſtande der menſchlichen Angelegenheiten muß man, ohne ſich 
mit feinen Wünfchen fo weit zu verfleigen froh fein, wenn 
wir nur ganz nahe um uns her, ich will nicht fagen Freund: 
(haft und Liebe, aber doch eine Art von Ruhe und Ein: 
tracht hervorbringen koͤnnen, ſo daß wir, wenn auch nicht 
Hand in Hand mit andern, doch wenigſtens neben und zwiſchen 
ihnen durch, unfern Weg durch diefe Leben ungeftört und un- 
geftogen fortfegen können. Um aber biefen fehr wichtigen und 
nothwendigen Endzwekk zu erreichen, dazu gehört eine dem 
Anſchein nach fehr leichte in der That aber ungemein ſchwere 
Eigenfchaft, nämlich die Friedfertigfeit, und diefe ift es, don 
ber wir und weiter unterhalten wollen. 


Text. Köm. 12, 18. 


Iſt es moͤglich, ſo viel an euch if, fo habet mit 
allen Menſchen Friebe. 


Der Apoftel Ihärft hier die Zriedfertigkeit ein, nicht etwa 
nur als eine Maafregel der Klugheit, fondern mitten unter der 
Reihe von andern chriftlichen Pflichten; er fchärft fie als eine 
ſchwere Pflicht ein, das ſieht man aus dem Beiſaz, So viel an 
euch iſt, ſo vlel eure gewiß ſehr oft gereizte Menſchlichkeit, und 
die Krieg⸗ und Streitſucht anderer es euch verſtatten werben. 
Wir wollen uns alfo über diefe Worte etwas näher unterhalten, 
indem ih von der ſchweren Pflicht der Friedfertigkeit 
veben werde; ich werde euch erfilich zu überzeugen fuchen, daß 
ed wirklih Pflicht für uns ift diefe Eigenfhaft zu 
erwerben, und zweitens werde ich unterfuchen, wie ſchwer 





283 


ed iſt, md was alles dazu gehört, fie in iprem ganzen 
Umfange zu befizen und zu Aben. Ä R 


l. 


Sch habe gefagt, daß die Friedfertigkeit unfere 
Pflicht fei, weil wir erfilih verbunden find: zum allge 
meinen beflen, zur Nude und Glükkſeligkeit der 
Menſchen beizutragen. Das ift aber nicht möglich, wenn 
wir nicht diejenige Eigenfchaft befizen, burch welche wir bie Ruhe 
erhalten und alle Zwiſtigkeiten vermeiden, indem wir ſonſt theils 
mit heil wider Willen gewiß hie und da Veranlaſſung zu 
Uneinigkeit und Streit'geben werben. Und dabei iſt Zufrieden: 
heit und’ Ruhe nicht möglich, weder für diejenigen‘, "welche An: 
theil an dem Streit Haben, noch ſelbſt für die, welche durch Ihre 
Umflände genöthigt find gleichſam Zuſchauet abzugeben. 

Unter denjenigen ſelbſt, welche in Uneinigkeit Leben, 
it wol Feine Gluͤkkſeligkeit möglich. Denn wie ift e8 moͤglich, daß 
diejentgen rubig und heiter feien, daß fie das fich bavbletende Wer: 
gnuͤgen mit Ruhe genießen Pönnen, deren Seele immer. voll Be⸗ 
forgnig und Furcht' fen muß, balb vor ber offenbaren Mache, 
bald vor den heimlichen Nacyfielungen und -Schlingen berer, de: 
en Feindſchaft und Haß fie ſich zugezogen haben? Wie iſt «6 
möglich), daß die guted Muths fein können, welche immer mut 
finftern ſchwarzen Gedanken erfilit find, immer über etwas 6: 
fem nachſinnen, balb auf Vertheidigung, bald auf Angriff umd 
Schaden für diejenigen bedacht find, bie dad Ungluͤkk gehabt ha: 
ben fie zu beleidigen. Wie iſt ed möglich, daß biejerfigen mit 
ruhiger Weberlegung und mit gutem Erfolg auf die Werbefferung 
ihres eigenen Zuſtandes bedacht fein Tonnen, deren Seele immer 
von den quaͤlenden Empfindungen des Neides, des Bomb, ber 
Rachſucht, der Schadenfreude beſtuͤrmt wird. 

Aber eben fo wenig koͤnnen auch Diejenigen recht gluͤkklich ein, 
welche gleihfam dazu verbammt find biefe elendinde 





A 


bauerndwäürbigen Streitigkeiten immer vos Augen zu 
haben. Es yerfiört alle Zufriedenheit, macht unluflig zu allen Be 
richtungen und erwekkt Ueberbruß an dem menfchlichen Leben, deſſen 
Betrachtung im ganzen genommen doch etwad liebendwürdiges und 
erhebendes haben follte, wenn ‚man fieht, daß die Menfchen, wel 
che ſich ald Brüder anfehn und brüberfic, leben follten, fich un- 
ter einander quälen und aufreiben, wenn man des Zankens und 
Streitens, der Liehlofigkeit, ber Zeindichaft, bed Haſſes Fein 
Ende fiebt. 

Die Friedfertigkeit ift ferner unfere Pflicht aus 
dem und noch näher liegenden Grunde, weil wir verbunden 
find für unfer eigenes Wohlfein und unfere Rube 
Sorge zu tragen, indem es ſonſt unfere Schuld ifl, wenn wir 
außer Staub geſezt werden unfere Pflichten leiht genau 
und mit Aufmerkſamkeit zu erfüllen. Der Weg, welcher zum 
Leben führt, ift nicht nur ſchmal, fondern auch befchwerlich, mar 
hat alle Aufmerkfamkeit noͤthig um nicht auszugleiten und zu 
fallen; wenn man ſich nun alle Augenblikk aͤngſtlich umſehr 
muß um nicht geſtoßen, getreten oder umgerannt zu werben, fi 
kommt man gewiß nicht vorwärts. Das iſt das Schikkſal derer 
welche fich vor Uneinigkeit und Feindſchaft nicht zu hüten wiſſen 
Sie können ihren Pflichten gegen fich felbft nicht nachkommen 
Denn nit zu gebenten, daß bergleichen Streitigkeiten Leicht u 
heftige Leibenfchaften ausarten, und diefe am Ende immer zu ci 
was böfem führen, fo werben fie wenigflend an bez rechten um 
flleiſͤgen Ausübung bed guten verhindert. Ihre Aufmerkſamke 
wird zerſtreut, ihr Eifer auf fremsbe Gegenflänbe gelenkt, und | 
verlieren fie ihre Beit ohne diejenigen Zortichritte im guten 3 
‚wachen, welche ihren Kräften angemeffen wären. — Unb eben { 
leiden auch ihre Pflichten gegen andere unter biefem traı 
rigen Zufland der Uneinigfeit. Nicht nur vergißt man gar leid 
des Wohlwollend und der allgemeinen Liebe gegen Diejenigeı 
unit denen man in Streit lebt, beſonders wenn dieſer langwier 


286 


und mit einer gewiffen Bitterkeit begleitet if, ſondern man wirb 
auch oft verhindert gegen ambere bie Pflichten ber Liebe. audzu⸗ 
üben um bes. Zuſammenhanges willen, in weichem fie und ihr 
Vohl mit denjenigen ſtehn, weichen wir nichts gutes goͤnnen und 
ttun wollen; ja was noch mehr tft, wenn bad Her; einmal des 
llebelwollens und ber Härte gewohnt iſt, fo wird es auch leicht 
wur Liebloſigkeit, zum Argwohn, zum Verdacht gegen ganz un⸗ 
ſhuldige verleitet. 

Daß es alſo eine unnachlaßliche licht für und iſt und ber 
friedfertigkeit zu befleißigen, das iſt beutlich; laßt und nun aber 
auch noch fehn, was alles dazu gehört, damit auch ba& 
Kmere und muͤhſame dieſer Tugend und nicht verborgen bleibe. 


1. 


Wenn bie Friebfertigfeit das wäre, wofuͤr fle von vielen ges 
hitn wird, eine geduldige Nachgiebigkeit, eine be 
kindige Bereitwilligfeit feinen eigenen Willen uns 
ter den Willen anderer zu fchmiegen, fo wäre fie für ger 
viſſe Gemuͤthdarten etwas ganz unerreichbares, für andere wieder 
Kinos fehr Leichtes, aber fie wäre auch weber eine Tugend - noch 
wäre fie im Stande benjenigen Zwekk zu erreichen, um beffents. 
villen wir fie und erwerben follen. Denn was kann das für 
ine Tugend fein den sitlen Wünfchen, ben Launen, den Eigen 
im der Menfchen biindlingd zu dienen, ohne dieſe Dienſtlei⸗ 
fingen nach bem was recht was erlaubt was muͤzlich iſt abe 
imeflen, ohne .einen eignen Willen ‚zu haben und etwas. für fich 
KR zu fein? es iſt vielmehr eine unwuͤrdige Schwach 
hit. Wie kann man hoffen durch eine ſolche blinde Unterwuͤr⸗ 
kit Ruhe und Einigkeit zu erhalten? Je mehr mar ben Mas 
"en auf diefe Art leiſtet, deſto mehr und unerträglichere Forde 
rngm machen fie; was bu bem einen gethan hafl, des glaubt 
N) auch ber ambere berechtigt Pie zuzumuthen, und indem ba 
ir geplagter nicht weißt, wohin bu bich wenden folk, ſo ſteei⸗ 


ten fi die unfriedfertigen über deinen Beſiz als eined fehr 
brauchbaren Werkzeuge, Nein, mit biefer ſchwachen Rachgies 
bigkeit. kommt man unter den Menfchen nicht weit, aber wahre 
Zriedfersigkeit iR auch etwas ganz anders. Sie iſt die 
Fertigkeit, ohne von unfern Srundfäzen abzuwei— 
hen, ohne unfere einmal gefaßten wohluͤberlegten 
Eutwärfe aufzugeben, beunod Streit and Zwietracht 
zu vermeiden. Dazu gehört denn bie Kunft ben Frieden mit 
alten zu erhalten, die Klugheit an gar Beinen Streitigkeiten Theil 
zu nehmen, und die Geſchikklichkeit den Frieden, wenn er von 
gend einer Sehte gegen uns unterbrochen ift, wieber herzuftellen. 

Erſtlich alfo bie Kunft den Frieden zu erhalten; 
diefe befleht darin, daß wir überall, wo wir mit andern zu thun 
haben, mit Gelaffenheit, mit Sanftmuth und mit Schonung zu 
Werke gehn. Es iſt fehr weiſe fich dieſer Maaßregel auch bei 
gleichgültig Tcheinenden Handlungen und Reden zu bebienen ge⸗ 
gen. fülche, die wir nicht ganz genau kennen, benn man weiß 
niet, wo man anf ein unduldſames empfindliche Gemuͤth ftößt, 
bei welchen irgend eine unbehutfame heftige Aeußerung vielleicht 
zu ner langen Keindfchaft den Brand legt. Noch nothwendiger 
. zur Friedfertigkeit iſt es ſich dieſer Eigenſchaften ba zu befleißi⸗ 
gen, wo wir es mit ſolchen zu thun haben, deren Gemuͤthsatt ber 
unfrigen ganz entgegengefezt if. Im dieſem Fall iſt immer ſchon 
von Natur. eine Anlage zu gegenfeitigem Widerwillen und ben 
Arußerungen befielben vorhanden, und es bedarf nur wenig, daß 
dieß glinnnenbe Feuer zur hellen um fi greifenden Planıme 
außare. Am noͤthigſten aber find Gelafſenheit, Sanftmuth und 
Schomeng, wenn wir, wie «8 boch oft der Fall ift, genöthigt 
find: den -Wönfhen und Neigungen anderer, emtweber unferer 
Pflicht wegen oder aus andern Urfachen, entgegenzuhandeln, denn 
dies. ift der gewöhnlichfle Grund aller Bwietracht und aller Feind⸗ 
ſchaft, weiche fi) nur auf dieſem Wege vermeiden. läßt. Denn 
went, berjetiige, ‚weicher Buß hat mit bie zu zuͤmen, ſicht, dag 


237 

du ‚immer bie gleich unb immer ohne Leidenſchaft handelſt, fo 
muß ex wol fehen, daß dein Endzwekk nicht war ihm zu fchaben, 
fondern daß nur ein Zufall dich gerade ihm in ben Wag trieb, 
du wirſt uͤberdies durch Gelaſſenheit und Schonung alles vers 
meiden, was ihn in biefer Meinung irre machen Tönnte, indem 
es ihm unnöthige Unannehmlishleiten verurfacht, und eben fo wirft 
bus allem quöpeichen, was feine-Sefinnung aͤndern koͤnnte, indem 
eö feine Leidenfhaft auf eine dir nachtheilige Weile reizt, und 
wenn er dieſes Werfahren beohachtet, fo wird er, wenn er mug 
irgenb vernünftiger Ueberlegung fähig ifl, gezwungen fein, ohner⸗ 
achtet deiner Lage gegen ihn dich zu ſchaͤzen und zu lieben, und 
euer Friede wird ungeflört bleiben. 

Das zweite war Die Klugheit an gar feiner Strek 
tigkeit Sheil zu nehmen. Man-ifl oft in ber Verlegenheit 
zwifcgen zwei Zreunden ober bekannten in ber Bitte zu ſtehn, 
welche umsind geworden find, und dann von jebem gebeten und 
gequält zu werben, ihm allein anzuhangen und die Frenndſchaft 
des anbern fahren zu laffen. Da ift ed nun Feine Friapfertigäeit, 
wenn wir und busch einſeitige ja auch durch - gegründete Vor⸗ 
ſtellungen übergeben lafjen und zum Bertheibiger des einen nicht 
uur ſondern auc zum Widerfacher bed andem aufzumerfen,. ben 
natuͤrlicherweiſe wirb ber leztere eine befto tiefere Abneigung ges 
gen uns faflen, je weniger es recht war, daß wir um eines: 
Streit$ willen, den er mit einem andern ‚hatte, ihm: unfere Liche 
entzogenz man, kann ja wol einmal Unrecht haben und dabei 
Redyt zu haben ‚glauben, ohne daß man, verdient einen. Freund 
zu verlieren. Lieber laßt uns fie Doch zur Eimigfeit, ermahnen, 
laßt und bei dem Andenken an ihre wprige Freundfchaft ſie ber 
ſchwoͤren nicht, durch Hartnaͤkkigkeit bie Kuͤkkkehr jenes beffem- 
Zuflandes zu verzögern; laßt uns ihnen vorfiellen, wie menfchlich 
es iſt einmal Unzecht zu haben, und fo. lange fie micht hären. 
wollen, fie wenigflend verfichem, daß wir nicht entſcheiden, koͤn⸗ 
nen, wer Recht habe, und wenn wir, eb auch kaͤnnten, doch ſont⸗ 


! 


RX. 


Wie. übel es iſt dasjenige nicht. verſchweige 
zu Fönnen, was ung zu reden verboten ill. 


ueber Joh. 5, 5r-16- 


E. iſt ein altes Sprichwort, daß die Zunge das koͤſtlichſ 
aber auch das gefährlichſte Glied des Menſchen ſe 
man meint naͤmlich damit, daß die Sprache. einer der edelſte 
Vorzüge des Menfchen fei, aber auch eine Gigenfchaft, welche al 
die verderblichſte Weife gemißbraucht werben Eönne, unb das i 
gewiß ſehr wahr. Sie iſt ed, welche dem Verlaͤumder feine gi 
tigen Waffen darreicht, womit er unverfehens den guten Namt 
feined Bruders mordet; fie ift es, welche ben Heuchler in de 
Stand ſezt ſeine verborgenen Laſter deſto bequemer auszuuͤbeꝛ 


ſie Hilft dem Schmeichler leichtglaͤubige Gemuͤther zu derberbei 


welche gern auf ſeine ſuͤßen Reden hoͤren, ſie iſt es, durch weld 
der boͤſe, wenn er ſie zu gelogenen Vorſpiegelungen der greunl 
ſchaft braucht, fo manchen ehrlichen auf die ſchrekklichſte Wei 
bintergeht. Aberniht nur bie Tuͤkke und Lift ber menfd 
lichen Rebe fiftet fo viel böfes, fondern auch bie ul 
behutfame Bereitwilligkeit, die allzugrope Geldt 


298 

igleit Derfelben richtet eben fo viel Unheil an. Das 
urch wirb fo manche gute Abſicht vereitelt,. weldhe:unter dem 
Schatten ber. Verborgenheit zum Nuzen für viele gediehen wäre; 
a wird fo manche Wahrheit, indem fie zu früh am ben Tag 
smmt, auf fange Zeit ihrer Kraft beraubt, fo mancher, welcher 
m Stillen gut geblieben. wäre, Durch ‚öffentliches‘ Lob verborben, 
sancher, der fich im Stillen gebeffert Hätte, durch bie Aufdekkung 
imer Fehler noch tiefer. in dieſelben hineingeſtuͤrzt; ımd endlich 
i die traurige Fertigkeit alles zu fagen, mas man weiß, eine 
ar ſchwere Verſuchung auch mehr zu fagen, als man weiß, und 
me gar herrliche Nahrung für diejerligen, Die gern alles wiſſen 
vollen. Roc böfer und ſchaͤdlicher iſt ed aber, fogar 
asjenige nicht zuruükkhalten zu fönnen, wovon man 
iht fprehen darf, umb darüber wollen wir uns in biefer 
er Andacht geweihten Stunde näher mit einander verflänbigen. 

ir cn J 


Text. Joh. 5, 5 — 16. 

Es war aber ein Menſch daſelbſt, 38 Jahre krank 
gelegen. Da Jeſus denſelbigen ſahe liegen und ver⸗ 
nahm, daß er ſo lange gelegen war, ſpricht er zu ihm, 
Willſt du gefund werden? Der kranke antwortete ihm, 
Her, ich habe feinen Menſchen, wenn das Waſſer ſich 
bewegt, der mich in den Teich laſſe, und wenn ich 
komme, ſo fleigt ein anderer -vor mir hinein. Jeſus 
ſpricht zu ihm, Stehe auf, nimm 'bein Bett and gehe 
Hin. Und alſobald ward der Menſch geſund und nahm 
ſein Betteund ‚ding Yin; Es war aber beffelbigen Ta⸗ 
ged ber Sabbatı Da fprachen bie Juden zu dem, 
der gefund - war geworben, Es iſt heute Sabbath, es 
zemt Bir wicht das Bett zu Hlagen. Er antwortete 
ihnen, Der mid, gelund machte, der fprach zw mir, 
Niumm bein Wette-und gebe bin. Da’ fragten fie ihn, 
Ser iſt der Menſch, der zu dir gefügt hat, Mmm dein 

x 2 





202 


: Bette: und ‚gehe Hin?- der uber‘ geſund; war ganorbe 

. woßtßlernicht,. mer er war;.beun. Sefud war. gewiihe 
r: da ſo vi Wolld an dem ‚Drte- wodı.  Dirach far 
Ma Jefus :im. Tempel und. fprach zu ihm, ‚Siehe. zı 
: ‚bu biſt geſund ‚geworben, fuͤndige hinfest nicht meh 
.daß die nit etwas aͤrgeres widerfahrte. Der Menß 
ging bin und verkundigte es ben Juden, es ſei Jefn 

der. ihn geſund ‚gemacht habe. Darnm. verfolgten d 
Juden Jeſum und. fuchten ihn zu tößten, daß er fo 

eh gethan hatte auf den. Sabbath. .. | 


Wir wolen biegmal unfer Augenmert, richt auf. die woh 
thaͤtige Handlung unſers Erloͤſers richten, ſandern hei denienige 
ſtehn bleiben, dem ex wohlthat. Dieſer wird und als einer. wo 
jengu. ‚geihwänigen..vepgeikelt, und mis mellg ‚uns. burch fei 
Beilpiel auf die Betrachtung führen laffen: wie übel ed i 
badjenige nicht verſchweigen zu tduuen, wovon un 
zu reden verboten iſt. Wir wollen erſtlich ſehn, was fü 
eine große Ungeregtigfeit wir durd biefen Fehle 
begehn, zweitens, was fuͤr traurige Quellen, und drit 
tens, ‚was für üble Folgen er hat. | 

F u 1. u : 

Es iſt gewiß hoͤchſt un racht basjenige, maß uns au 
irgend eine Weife annertraut-ifl, weiter auydzubrei 
ten. : Ein jedes Geheimniß yon der Art beſteht entmeher in ei 
nem gedanken oder in ‚einer Handlung deqjenigen, der es un 
anvertraut. Unſere Godanken find umfer eigentlichſtes und bei 
ligſtes Gigenthum; alles übrige beſizen wir entweder nur durd 
den Zufall odes gewiſſermaßen durch Die Bewilligung anderer; e 
kann und genommen werben, ohne baß etmas weſentliches, etwa: 
von unferm Ich yerkorem geht, aber unſert Gedanken, umfere Em 
pfindungen, find unmittelhar von unſerer Giede hesuargebracht, 


u 


389 

nd alfe dadjenige, was uns ganz vorzůglich angehoͤrr Meinatid 
tt einen Anſprtuch daran/zu machen, niemand kann uns ihtet⸗ 
egen richten, und Feine’: mellſchliche Gewalt kann ſie und ent⸗ 
ißen, wenn wir ſie Wit! gutwillig hergeben. Will fie alſo jer 
amd mitgethellt haben, fo koͤnnen wir ihm dabei jede Bedin⸗ 
ung auflegen, die uns Kühe if, und alſo auch die des Still⸗ 
hweigens. an 

Eben da& if der gut, wenn und jemand DaB @chtininig 
iner Fandlung anvettraut, weiche er ‚begangen hat. Natuüͤr⸗ 
& kann Bas nüt ine ſolche fen, welche ganz im verborgenen 
eſchehen ik, and: ba ficht: man. leicht, daß das gar, Auf das vor 
Ige zuruktkömmt:Wenn niemand fonfk um die Handlung weiß; 
riche ich jemandem anvertraue, fo iſt das alſo eine Nachricht, ine 
denntniß, die ich Ihm misihehle, und ic; kann⸗ fuͤr dieſe Mitthei⸗ 
ung fordern, was ich will. Geht nun jemand das Verlangen 
er Verſchwiegenheit ein und haͤlt es nicht auf das allerſtrengſte, 
o iſt er nicht nur ein Luͤgner, ein Wortbruͤchiger, ſondern er iſt 
15 ein folder zu :betraßdten, -der mir dasjenige was mir gehört 
ur Lift und Betrug entriſſen hut. Ja ſein Unrecht gegen 
nich iſt deſto ärger, je mehr Werthidas hat, waster mie 
immt. Wenn nid jemand um ſonſt etwas von meinem Eil 
enthum verkürzt, fo laͤßt Fidy: doch der Schade berechnen, den 
r mir zufügt, und ich. kann in den melften Fällen burch Recht 
md (Gerechtigkeit: zu einer billigen : Wiebererflattung - gelangen. 
Hat aber jemand einen: Gedanken: den ich geäußert; eine Kennt: 
ih die wir eigen war, ein Urtheil das ich ‚gefällt, eine Hands 
ung die ih heimlich begangen. habe verrathen, fo laͤßt ſich Der 
Rachtheil‘ nicht fehägen,. dan <er mir durch Gegenwirkung, durch 
Zpott, durch Droll, Vurch Mache, wolche dataus entſtehn, zuzichti 
ann, und noch viel weniger iſt er im Stande mir den Kummer, 
en Gram, die Furcht, die Leiden mancher Art zu erſezen, in 
velche An einziges treüloſſes Wort mich hineinftuͤrzen konnte. 

So deuich wie aber auch einſehn, wie unrecht ein ſolches 


2% 


Verfahren is allen Faͤllen if, fo gewöhnlich if. es doı 
daß wir und jeden einzelnen Sell, wenn er und vi 
Tommi, als eine Ausnahme denken. Wir mögen uns m 
banken. daß unſere Geſchwaͤzigkeit: ganz un ſchaͤdlich fi 
dag wir in dieſem Fall gar keine Urſach zu einer fo ſtreng 
Verſchwiegenheit und nur eine uͤbertriebene Bedenklichkeit di 
Forderung gethan habe, fo find wir ja gar nicht im Standend 
richtig: zu beurtheilen. Wir können weder die Zolges unfe 
treuloſen Geichwögigkeit uaͤberſehn noch hiiangliche Sruͤnde def 
anführen; Jens: was und ſehr unbedeutand ſcheint, das Bann f 
den andern von großer Wichtigkeit: fein. Eber ſo wenig kan 
und dad zur Entſchuldigung dienen, wenn wir meinen, but 
bie Auöbreitung deffen mad uns anvertraut if e 
wad gutes zu fiften. Gele auch, dad wäre wirklich mö 
lich, fo wiſſen wir doc) nicht, ob wir nicht auf der andern Sei 
eben fo viel Unheil anrichten, und im Gegentheil finb wir 9 
wiß überzeugt, daß dieſe Handlung an fich unrecht iſt, und de 
wir nie berechtigt fein koͤnnen etwas unrechtes ober böfes ı 
thun, damit vielleicht etwas gutes herauskomme. 458 giebt übe 
haupt nur einen einzigen Fall, wo wie. nit nur en 
fhuldigt. fondem verpflichtet find unferer Berfhwi 
genheit Grenzen zu fezen, wenn nämlich das und al 
vertraute Geheimniß fich auf etwas böſes von de 
Art bezieht, daß jeder Menſch unnachläffig verbul 
ben iſt es zu verhindern oder zu rächen. Aber bai 
batte auch Feines ein Recht uns für fo, etwas Werfchwiegenhe 
abzuforbern, dann unfere Verbindlichkeit das Gegentheil zu thu 
iſt ſchon viel früher und größer, und kein Verſprechen if guͤltit 
welches fruͤheren unläugbaren Pflichten zuwider läuft. 


II. 


Wenn und ber Gedanke, wie viel Unrecht wir durch biek 
Mangel an Berſchwiegenheit begehen, von demſelben zunkkforin 


235. 
mn muß, fo wird der Blikk auf den Urſprung diefer 
Reigung dead nämliche bewirken.” Das Beiſpiel deffen, von 
km unfer Evangelium erzählt, führt mich auf zwei Urſach en 
berfelben, weiche zwar nicht von ber. böfen: aber. doch von: bei 
machen Seite bed Menfchen genommen und von ber Art find, 
daß niemanb fie gern von. fich feibft eingeſtehn wird. 

Es iſt noͤmlich Eerftlich Schuld daran eine gewiffe ſchwa— 
he. Gutmuͤthigkeit, wilche dein Bitten: ımb Zudringlichkeiten 
der neugierigen nicht. widerſtehn kaun und durch win’ leichtglaͤus 
biges Vertrauen auf die Redlichkeit der Menfthen umterfiügt: wird 
So mag ed auch unfeem bumb Jeſum geheilten gegangen ſein; 
der Fragen, wie es doch mit ihm zugegangen jet, wurden ihm 
zu viele, und in der. Meinung, daß. es ja nicht ſchaden koͤnne, wenn 
a e3 diefens oder jenem freundfchaftlich anvertraute, daß fie es 
n nicht an bie Feinde Jefn verrathen würden, und ihm auch 
nf kein Racheheil: daraus erwachſen koͤnnte, opferte: er’ fein Ver⸗ 
ſprechen feiner Bequemlichkeit und Ruhe auf. Wenn ein folches: 
Berfahren gerechtfertigt unb ‚von dem. WVorwurf ber Schwachheit 
leegeſprochen werben ſollte, ſo müßte" man :allenlei vorausſezen, 
vos doch nienrand glauben kann. Man:muͤßte annehmen, daß. 
Ye unrechtmaͤßigen Theithaber eines Geheimniſſes es mit eine: 
größern Gewiſſenhaftigkeit behandelten, alb ihnen von dem recht⸗ 
mäßigen Inhaber deſſelben gezeigt worden, daß ſie ſich nie durch 
in unbedachtiame. Aeußerung ober durch Miemen und Geberben 
wrathen würben, baf fie im Stande wären elwas zu willen 
ud doch in allen Fällen, ihr eigener Wortheil möge darunter 
kiden fa viel er: wolle, im Stande wären fo zu handen, ats ob 
fe ed nicht wüßten. Wer dad nicht glaubt umb doch in frem: 
den Angelegenheiten fo zutraulich gegen andere ifl, von bem kann⸗ 
man doch nicht anderd urtheiten, als baß ex entweber ganz un⸗ 
überlegt handelt, ober daß er mit einem fehr gleichgältigen Weſen 
die Pflichten der. Freundfſchaft feiner Bequemlichkeit aufopfert. 
Daher Fommen denn fo viele Geheimniſſe, welche in ber ganzen 


296 


Stadt bekannt werden ohne bad) weiter gehosmmmer zu fein al 
unter dem Siegel ber firengfien Verſchwiegenheit von einem vei 
trauten Breunde zum andern. Daher fo viele Geimliche Meui— 
beiten, welche eben umter dem Schu; ber Verſchwiogenheit in jı 
dem Munde vergrößert worden find, Durch weichen fie haben gi 
ben muͤſſen, Sächerlich, wenn man fie fo an ſich ſelbſt betrachte 
aber immer traurig, wenn man bedenkt, baß oft der WBehlflan 
ober ber gute Rame eined Menſchen ber Preiä derſelben iſt, ode 
daß wenigflend ber arme verrathene dem heimlichen Belächter «ai 
ler ungebetenen Gaͤſte feines Geheimmiffes ausgelegt ift, und im 
mer eine Schande. für alle hiejenigen, weiche bad MWertrauen ei 
ned Freundes mißhreuchen. 

Eins andere fat no gewoͤhnlichere Urſache diefer * 
ſchwäzigkeit iſt die Eitelkeit, bie Meigung die Menſchen 
auf alles dasjenige aufmerkſam zu machen, was und auf irgent 
eine Weile auözeichnet. Es iſt nämlich nicht. zu laͤngnen, bafi el 
und eine gewiſſe Wichtigkeit giebt, ba uns etwas anverfraul 
werden, baß mis ein Geheimniß wiffen; denn wenn es auch au 
fi nicht won großer Bedeutung ift, fo iſt es doch immer für 
benjenigen wichtig, bem es angehört, es beweift immer, daß je 
mand einen vorzüglichen Werth auf und legt. Diefer Bewe⸗ 
gungdgrund kann und freilich nicht antreiben Geheimniffe zu ver: 
rathen, fonbern nur merben zu laſſen daß wir fie wiſſen, aber 
theila iſt das in wielen Fällen ganz das naͤmliche, theild werben wir 
auch dazu geraßehin durch eine andere Art ven Eitelkeit getrieben. 
Wir wiffen nämlich, daß dad Urtheil der Menſchen von und ſich 
großentheilä nach unſern Geſellſchaften und unfern Freunden sich: 
tet, daß, wenn wir mit vorzüglid, angefehenen geehrien guten 
oder Mugen Menfchen umgehn, immer ein gewiffer Wiederſchein 
von ihrem Glanz auf und zurüflfält. Wie können wir und 
alfo dem Eobe und ber Bewunderung ber Weit beſſer empfehlen, 
als wenn wir ihr dad vorzügliche unſerer Freunde vecht unter 
Augen fielen, und bazu {ft nichts geſchikkter als ihre Geheimniſſt 





295. 


gen maß, fo wirbd der Blikk auf den Urfprung diefer 
Reigung das naͤmliche bewirken. Das Beiſpiel beifen, vun 
dem unſer Evangelium erzählt, führt mich auf zwei Urfachen 
berfelben, weiche zwar nicht von der böfen aber doch von bei 
ſchwachen Seite bed Mienfchen genemmen und von ber Art iind, 
dag niemand fie gem von ſich ſelbſt eingefichn wird. 

Es iſt noͤmlich erfilich Schuld daran eine gewiffe fhwas 
he .Gutmüthigleit, welche ben Bitten und Zudringlichkeiten 
der neugierigen nicht widerſtehn kann und durch win leichtglaͤus 
biges Vertrauen auf Die Redlichkeit der Menſchen umerſtuͤgt wird 
Sp mag es au unſerm durch Jeſum geheilten gegangen fein; 
der Fragen, wie es doch mit ihm zugegangen ſei, wurden ihm 
zu viele, und in der, Meinung, daß es ja nicht ſchaden koͤnne, wenn 
er es dieſem oder jenem freundſchaftlich anvertraute, daß ſie es: 
ja nicht an die Feinde Jeſu verrathen würden, und ibm auch. 
ſonſt Bein Nachtheil: duraus erwachſen koͤnnte, opferte er fein Ver⸗ 
fprechen feiner Bequemlichkeit und Ruhe auf. Wenn ein ſolches 
Verfahren gerechtfertigt und von dem Vorwurf ber Schwachheit 
losgeſprochen werben Tollte, .fo müßte man allerlei vorausfezen;' 
was doch.nienmand glauben kann. Man müßte annehmen, daß. 
die unrechtmaͤßigen Theilhaber eines Geheimniſſes es mit einen. 
größern Gewiſſenhaftigkeit behandelten, alb ihmen von bem recht: 
mäßigen Inhaber deffelben gezeigt worden, baß fie fich nie burch 
eine unbebachtjame Aeußerung oder durch Mienen und Geberben: 
verratben würden, baf fie im Stande wären elwasſs zu wiſſen 
und doch in allen Fällen, ihre eigener Vortheil moͤge Darunter. 
leiden ſo viel er. malle, im Stande wären fo zu handeln, als ob 
fie ed nicht wüßten. Wer das nicht glaubt und doch in ſrem⸗ 
ben Angelegenheiten fo zutraulich gegen andere ift, von bem Tann; 
man bach nicht anders urtheiten, ald daß ex entweder ganz uns 
überlegt handelt, obes Daß er mit. einem fehr gleichgültigen Weſen 
die Pflichten der. -Kreunbschaft feiner Bequemlichkeit. aufopfert. 
Daher. Sommen dein fo viele Geheimniſſe, weldye in ber ganzen 


298 

ſeine Mengier seien ober feiner ‚geichwänigen Zunge «imbiss zu 
thun geben könnte. Mitten in ber großen Geſellſchaft der Men⸗ 
ſchen muß er einfam leben, nirgenbs iſt er willlemmen, wo es 
erfiheint, da verſtummt jedes offenherzige Geſpraͤch, und ein bu- 
ſterer Unmuth nimmt bie Stelle der Froͤhlichkeit ein. Ja ſelbſt, 
ehe es noch. fo weit mit ihm gekommen if, ſelbſt ba, wo er ent: 
weder aus böfen Abfichten .oder aud einer alten Bewohnheit gem 
gefehn zu werben ſcheint, ift er body nicht geliebt. Es ift 
wahr, daß fein Fehler vielleicht manchen Menfchen wichtige Dienfie 
leiftet, allein. für alled was am ſich unrecht iſt findet ein gemei⸗ 
ms Sprichwert ganz vorzoͤglich feine. Anwendung, bag naͤmlich 
Undan? ber Wet Lohn if. Es giebt .vicheicht Menfchen, weiche 
Hein genug denken bie Verraͤtherei aufzumsumntern und zu benn: 
zen, aber nicht leicht wird eimer fo unklug fein ben Werraͤther zu 
Keben unb ihm Zutrawen zu bezeigen, weil ein jeber, ed ſei nun 
von feinem böfen Herzen oder von feiner Unvorfichtigleit chen 
dad böfe befürchten muß, welches er ihm zum beflen anderen 
zugefügt bat. 

Mlein die üben Folgen dieſes Fehlers ſchraͤnken ſich nicht 
allein auf diejenigen ein, welche fi ihn zu Schulden kommen 
laffen, fondern die Allgemeinheit befielben bat einen. fehr nach⸗ 
theiligen Einfluß auf die Geſelligkeit des Menſchen 
überhaupt, indem bie. Furcht Davor überall ein nicht zu verwer: 
ſendes Mißtrauen erzeugt. Nut derjenige, welcher unbebannt mit 
der Welt ifl, kam auf den Gedanken kommen mit allm Men: 
ſchen, zu welchen feine Bekauntſchaft kommt, in einer vertrauten 
Verbindung zu flehn, allein das ift doch gewiß, daß unfere Ver: 
traulichkeit bilig in einem rechten Verhaͤltniß ſtehn follte mit 
dem Stab der Verbindung und Gemeinfchaft, weiche zwiſchen 
und und ihnen Statt finder. Allein fie iſt weit geringer, weil 
man immer befürchten muß, daß dasjenige, was in einem enge 
ren Kreife von Freunden ohne Schaden. gefagt werden Bönne, 
unverhofft in einen weiteren komme, wohin e& nicht gehört, und 





29 


wo es Abile Folgen Haben koͤnnte. An biefer gerechten Beſorgniß 
iſt die große Menge der geſchwaͤzigen Menichen Schwib, und fie 
ift die Quelle fo ‚vieler. .Mängel bed gefelligen Lebens, über welche 
alle vernünftigen Menſchen klagen. Daher kommt x3, daß unfet 
gefelliger Umgang noch immer mit einer Menge von leeren Wor⸗ 
ten und finmlofen Gebraͤuchen überladen if, welche Die Zeit toͤdten 
fol, Me man: nicht wagt mit: einer vernünftigen Bittheilung‘ der 
Gedanken auszufuͤllen. Daher berricht felbft in engesen: Zirfeht; 
wo mit Bortheil mancher. Fehlet gerügt, mancher Vorſchlag ges 
prüft, manche befondere mb genteinfchaftliche: Angelegenheit übers 
legt werben: Eönnte, eine ſteife Zuruͤkkhaltung. : Daher erreicht 
auch die vertraute Freundſchaft fo felten in unfen Hagen ihre 
Bolldemmenheit. Keine Prüfung fcheint ums ‚lang genug, um 
Die gänzlihe Verbannung alles Mißtrauens zu vechtfertigen; 
und oft wagt. die fchächtern gemachte. Vertraulichkeit erſt auf dem 
Sterbebette ihre innerften Geheimnifſe in das Herz. des zuwerläffie 
gen Freundes außzufchhiten. Und diefer Mangel an Butrauen 
in allen Berhältniffen des Lebens, diefer iſt es eben, der 
vorzüglich, die Gluͤkkſeligkeit der Menſchen verünt und. ihren 
Geift einengt,. dieſer iſt es, um beffentwillen jeder vernünftige 
nach ber Ruͤkkkehr der. alten Einfalt und Redlichkeit ſeufzt. 

Ich glaube, daß es nicht unrecht geweſen iſt an diefem Ort 
zu euch von einer Sache zu teden, weiche gleichwol ſo ganz, in 
dad gemeine Leben zu gehoͤren ſcheint. Denn einmal habe ich 
mich bemüht .euch zu uͤberzengen, daß die. Zugend, von wel: 
her wir geredet haben, nidyjt..nur eine Sade bez 
Klugbeit.ik, die man nad Befinden ber Umſtaͤnde beobachten 
uder uͤbergehn kann, ſondern daß fie. eine Sache des Gewif 
ſens ifl, .eine heilige Pflicht, mit deren Beobachtung alle Geſel⸗ 
ligkeit der Menſchen ſteht und fällt, und zu biefer zu ermuntern 
kann alfo unferes gemeinfchaftlichen Erbauung nicht fremd fein. 
Ya es fehlen mir, daß ed beſonders jezt ein Wort zu fi 
ner Zeit geredet; fen wuͤrde, wenn ich eure Aufmerkſamkeit auf 


Dicken Segenſtand lenken binnte. Uster. Dem mancheriet Mriglütt, 
welches wir jest in ber Welt ſehn, ift bad wo’ nicht eine’ ber 
größten bach gewiß das kruͤnkendſte, daß an vielen Orten bie Obrig⸗ 
feit genäthigt iſt mit. ängflicher Meſorghiß aber ben Getwrichen 
ber Unterthanen zu wachen und fie wegen ihrer Meinungen und 
Neden zu ſtrafen. Wir ſind Bott fei Dank von. dieſer erniedri⸗ 
geaden Borfarge noch frei, aber wir werben: fie uns :fellft zu⸗ 
ziehn, wenn wir. einen’ ſtraͤflichen Mangel an Verſchwiegenheit 
umter und einreißen -laffen: Nicht als. ob ich glaubte, baf es 
unter und Menſchen gäbe, weiche angeſtellt ſind von: Dam. vers 
derblichen Geift ber Unzufriebenheit, won der vortotzigen Wegierbe 
bie Geſtalt der Welt mach ihuen Ginfichten oder viekmehe nach 
ihren. Traͤumen umguformen, weiche ſich alfo gerochte: Strafe zu: 
ziehm würben,; wenn 'wig nicht mitleidig genug wären ihre an⸗ 
fieflenden Geſinnungen zu verhehlen. Nein, aber wenn win auch 
alle ‚gute Biuger ſind, alle beſerit vor Liebe zur Ordaung und 
Eerechtigkeit, fo iſt es doch jezt vorzuͤglich noͤchig, daß wit mit 
weiſer Behutſamkeit jedes Mort an feiner Stelle. lafſen. Auch 
gutgeſiunte Menichen haben ihre eigenthaͤmliche Art bie Begeben⸗ 
heiten unſerer Tage anzuſchn und ihr⸗Urtheil berühes audzubruͤk⸗ 
fen, und auch eine Te unläugbare Wahrheit bat: ihren gewiſſen 
Kid, in weſchem fie allein verfionden und. mit Nugen erörtert 
werben ton. Wollten wir es md nun erlauben bad rigenthuͤm⸗ 
liche dahin, zu bringen, wa es nothwendig mißserflanden werben 
muß, un dadienige, was ohne Schaden einem Freunde ind Ohr 
geſagt würde des unverfländigen auf. den: Strafen gu. predigen, 
fo wöre es alleidings echt, daß die Machthaber henjenigen Die 
Freiheit zu. reden eisichwänkten, Welche, nech fo ſehr in der Kunſt 
zuruͤkkbleiben zu hoͤren und zu: ſchwägen Eudlich findet zu i⸗ 
kchen der Tugend der VBerfchmiegenuhrit und einer re 
kigiöfen Geſinnung überhaupt nach. eine beſondert 
Verbindung ſtatt, fe daß man von den -aufı das andere 
fliegen fanu: Derjenige, ber: die Ehrfurcht une. Gett :und: fei- 


31 

nen Gefezen verloren hat, dem Pilicht und Gewiſſen nicht heilig 
find, fondern der nur feinem Vortheil ober feinem Vergnügen lebt, 
der wird auch mit den Geheimniffen feiner Brüder entweder einen 
betrügerifchen Handel treiben ober fie Leichtfinnig verfchleudern. 
Der Heuchler, der heilige Gefinnungen luͤgt die er nicht hat, 
der fromme Schwäzer, ber überall feine Empfindungen und Ge 
danken hinträgt, wird auch die Freundſchaft heucheln, die er nicht 
befizt, und mit ben Gedanken feiner Freunde nicht gewiffenhafter 
umgehn als mit feinen eigenen. Der wahre Verehrer Gottes 
und ber Mygenp Hingegen weiß alle Dinge: ernſt zu behandehg 
und wirb.‚Jafgz ‚ig vom Spichtinn, überafit, waden fr 
weiß feine eigenen Gedanfen und Worte heilig zu halten, und 
bei ihm werden alfo auch bie Geheimniffe feiner Freunde wohl 
verwahrt fein. So ſehn wir alle. auch hier, bag wenn einer 
erft gute Grundfäze . 


-—> 


. SW fehlt.) Ba * 
EG I 


nn x 
Leber den Grund unfrer Hoffnung auf einen 
beſſern Zuftand der Menfchen auf Erden. 


ueber Lu, 17, DSL. 


Us allen ift der Wunſch natürlih es immer beffer zu 
haben in ber Welt; wir find immer befchäftigt zu berechnen, 
was wir haben und was uns fehlt, und fobald wir eines erreicht 
haben, fleigen wir gleich mit unfern Gedanken zu etwas höherem 
hinauf. Ze vernünftiger und wohlgefinnter ber Menſch nun 
ift, defto weniger bleibt er mit feinem Wunſch nach Verbeſſe⸗ 
rung bei ſich felbft flehn, feine Seele breitet fi gleihfam 
aus, er fieht auch auf die Wohlfahrt derer, die um ihn ber 
find, und hat für bie beweinenswürdigen Mängel der menfchs 
lichen Geſellſchaft auf Erden überhaupt ein weit feinered und 
ſchaͤrferes Gefühl, ald für dasjenige, was nur zu feinen klei⸗ 
nen Angelegenheiten gehört. Allein es geht mit diefem edeln 
großen Wunſch fo wie mit allen übrigen: Wünfche erzeugen 
Hoffnungen, größtentheild trügerifche vergeblihe Hoffnungen, 
und diefe geben auch dem Menfchenfreund aus jeder merkwuͤr⸗ 
digen Weltbegebenheit hervor. Bald hie balb da glaubt ex ben 
erfien Schimmer zu der Morgenröthe eines beſſern Tages der 


803 

Menſchen heranbrachen zu ſehn, glaubt bald hie einen bald dort 
einen andern-Zug von den ſchoͤnen Wilde zu erblikken, we: 
mit feine: Seele fich fo oft beſthaͤftigt, und indem er ſich fo. von 
feiner Einbildungskraft durch Leere Erwartungen einfchläften läßt; 
vergißt er dasjanige zu beobachten, was anſtatt in dem weite 
Kreife feiner Wünfche zu glängen in. bem :engeren feiner‘ Pflicht 
ganz nahe vor, jhm Liegt. En wisd zu fpät gewahr, bag auch 
für ihn ein Theil des großen Werkes den Zußand der Menfchen 
zu verbeſſern beſtimmt war, und baß er über: feinen Büns 
(hen verabfäumt hat daran zu arbeiten. Das iſt ver 
unerfezliche Schaben, ben- und die Anhänglichleit an leere Erwam 
tungen bringt, und biefe gänzlich auszurotten dient nichts beſſer 
al3 eine richtige -Finficht in den wahren Grund ber fchönen Hoff⸗ 
nung, daß es beſſer mit den Menſchen werben: wird, Diele wol⸗ 
ten wir und denn ki nioer ſerneren Bemachtung zu verſchaſ⸗ 
ten ſuchen. | 


Sort, eut. 17, 20— 21. 

Da er aber gefraget ward von "ven Phatiflern 
Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen 
und fprach; Dad Reich Gottes konimt nicht mit aͤußer⸗ 

lichen Geberden; man wird auch nicht ſagen, Siehe, 

hier oder da iſt es! denn ſiehe, das Reich Gottes iſt 
inwendig in euchh! 


Die Frage, welche Chriſto hier vorgelegt wurde, bezog ſich 
ebenſalls auf die Erwartung eines beſſeren Zuſtandes ber Welt, 
nur daß die Zeitgenoſſen Chriſti davon einen eingeſchraͤnkten nicht 
fo richtigen Begriff hatten, als wir haben ſollten. Sie glaubten, 
wenn nur ihr Volk zu ſeiner ehemaligen Unabhaͤngigkeit und 
feinem alten Glanz wieder gelangte, wenn es wie ſonſt nur von, 
den Geſezen beherrfcht würde, die es auf eine fo außerordentliche 
Art empfangen hatte, wenn es ben aberglaͤubiſchen Goͤzendienſt 


808 


auszotten umb auf weiche Weiſe eB immer ſei die äußere Wer 
ehwung Jehovas ausbreiten wirde, dann wuͤnde ber glukklichſte 
Bufland ber Menſchheit da fein, ein Zufland, welcher mit Recht 
den majeftätiichen Namen eines. Meiches Gotted auf Erben ver 
inte. Wir fehen, wenn wir über dad allgemeine bee ber 
Menfihheit nachdenken, weniger auf den Glanz unferes kleinen 
Baterlandes, auf bie Hersichaft unferer befonderen Meinungen, 
fonberu wir ſehnen und nach einer Zeit, wo ein göltfeligeö recht⸗ 
ſchaffenes Wein .uberall hersiche, wo ein weifes les Wehlwol⸗ 
len die Herzen ber Menſchen erfälle, wo eine beſſere menſchli⸗ 
here Beäktfätigkeit unter ihnen zu finden ſei, als jezt. Das war 
os, was auch Chriſtus unter dem Reich Gottes verfland, und 
wert wir fragen, woruf wir bei’biefer Erwartung dorzuͤglich 
ſchen muͤſſen, fo finden wir in ber Antwort unſeres Bates Die 
Auöfinft :barüber. Wir belehren uns alfo daraus 

über ben Grund unferer Hoffnung auf einen bef 

feren Zuftand der Menfhen auf Erden 
und finden darin vornämlidh zwei Wahrheiten: erſtlich, daß 
biefe Hoffaung nicht auf äußerlichen Begebenheiten 
beruht, und zweitend, daß die Erfüllung berfelben 
bloß von einer Innern WBerbefferung der Menſchen 
abhängt. .. 

1. 

Chriſtus fagt er ſtlich, Das Reich Gottes fommt nicht 
mit Außern Geberben, ed wirb nicht durch neue Äußere 
@inrihtungen und Berbefferungen bes menfdhliden 
Bebens hervorgebradht, und bamit widerlegt er einen fehr ge: 
meinen Irrthum. So wie die Menfchen über fich feibft denken, 
Wenn nur meine äußern Verhaͤltniſſe beffer wären, wenn ich mich 
mur erfk aus biefer druͤkkenden Lage herausgearbeitet, in jenen 
stäfklichen Zuftand hineingeſezt hätte, wäre nur etſt diefem Me: 
bürfnfß abgehotfen, jener Wunſch erfuͤllt, dann würbe mein Gluͤkk 





305 
angehn, and ich wollte nichts weiter verlangen, bann wuͤrde ich 
ruhig und heiter fein, ich wuͤrde auch vechtichaffener und «bien 
handeln: fo wie. fie über fich felbft auf diefe Art urtheilen und 
ich irren, fo urtbeilen fie auch über den Zuſtand der Mienfchen 
überhaupt, legen allen Werth auf die Außesen Verhaͤltniſſe und 
Verbindungen, hoffen alles von biefen und irren fich gleichfalls, 
Ale äußeren Einzichtungen dienen nur dazu die Gefellfchaft 
ber Menfchen zufammenzuhalten, und dieſe ift doch nur wegen 
der Vortheile da, welche fie ben: einzelnen- bringen fol. Wenn 
alfo auch die Verfaffung der. Gefellfchaft noch fo vortrefflich. ifk, 
was Hilft es, wenn biejenigen, aus welchen fie befteht, nicht gut 
nd? Wenn auch bad Band, welches bie Menfchen zuſammen⸗ 
hält, noch fo fanft, noch fo fchön, noch fo bequem ift, was iſt 
damit gethan, wenn fie den Sinn nicht haben ſich die Hand zu 
reichen und ihre. Kräfte zu vereinigen? 

Den Zufand, den wir hoffen, benfen wir und als einen 
Zuftand allgemeiner Tugend und Stüfffeligkeit. Wenn 
nun auch alle aͤußern Einrichtungen fo befchaffen find, daß fie 
alles gute möglichft erleichtern und fichern, werben bie Menfchen 
khon darum gut und gluͤkklich fein, weil fie ed aͤußerlich fein 
tunen? Die Zugend wirb nicht allgemein, werden, wenn nicht 
eine thätige Neigung, eine beharrliche Liebe dazu in, ben meiften 
Menfchen vorhanden if, und ift dieſe erft ba, fo werden auch ihre 
Kortfchritte nicht von den Schwierigkeiten gehindert werben, bie 
etwa aud mangelhaften Einrichtungen entkehn. Die Gluͤkk⸗ 
ſeligkeit kann nicht größer. werben, wenn bie Menfchen nicht 
lemen ſich herzlich Lieben, die Umſtaͤnde weislich benuzen, die Ges 
gnwart mäßig genießen und die Zußunft Hug vorausſehn; find 
fie aber in biefer Kunft erfahren, fo werden fie gluͤkklich fein, 
ihre Außere Verfaſſung fei beichaffen wie fie nur wolle. 

Es kommt alfo.bei. dem. beffern Zuſtand der Mem 
ſchen nicht, auf die Bervolllonunnung Außer Ginrichtungen und 
Berhältniffe, ſondern auf hie Werbefferung des Veran 

Prebigten 1. u 





306 

vos und Willens an, wodrich der Bebraudy' derfelben be— 
fimmt wird. Wenn es daher möglich wäre, daB auf einmal bie 
Gefeze, wodench die Voͤlker beherrfcht werden, im hoͤchſten Grabe 
weiſe, billig, beſtimmt und deutlich wuͤrden; daß alle die tauſend 
Schleichwege, auf denen Unterdrukkung und Ungerechtigkeit ein⸗ 
geführt wird, aufs beſte verwahrt wären; daß alle Verhaͤltniſſe 
des gefeligen Lebens auf einmal eine vollkommnere Einrichtung 
erhielten; aller unnöthige Zwang fei aufgehoben, alle veralteten 
Borurtheile zerflörtz eB dürfe -fich Beiner vor bem ander mehr 
beugen, als recht und- feinem innern Werth angemeſſen if; es 
möge jedem frei ſtehn feine Bildung und fein Gtuͤkk da zu ſu⸗ 
chen, wo er e3 zu finden glaubt, und nüzlich zu wirden, wo er 
ed am rathſamſten haͤlt; es möge nichtd unmoͤglich fein, als was 
die Geſeze verbinden, und bie Geſeze mögen nichts. verbieten, 
was in ſich recht und billig iR; laßt auch die Sitten der Men⸗ 
ſchen untabelhaft fein, frei von leerem Gepränge, fe einfath als 
Be vollkommenſte Redlichkeit ed mit jich bringt, fa verfeinert als 
die höchite Ausbildung des Verſtandes es erfordert; ja, was noch 
mehr iſt, auch auf die Gotteöverehrung und die Religion Der 
Menfchen erſtrekke fich diefe allgemeine Werbefferungi fo werben 
ale diefe herrlichen ja gewiß unerreichbaren Vorzuͤge nichts bel: 
fen, wenn die Menfchen nicht beffer geworden Rad. 

Alles das find an fi nur äußere Geberben, und das Reich 
Gottes kommt mit mit ihnen. Sind die Menſchen noch 
boͤſe, ſo werden die weiſeſten und beſten Geſeze ohne Kraft fein; 
Liſt und Bosheit werden fchon -Mittel finden fie entweder heim; 
lich zu übertreten, oder doch nur zum Schein zu beftiedigen. 
Wenn du ber Umgerechtigfeit taufend Wege vertritiſt, ſo wird fie 
ſech bald eben fo viel neue gebahnt haben. 

Sind die Menſchen noch unverſtaͤndig, fo wird die 
Aufloͤſung fo manches beſchwerlichen Zwanges, die gzewünſchte 
Freiheit im jeden Kreis bet Geſchaͤfte hineinzutretren nür zum 
großen Berderben ausſchlagen. Die Dhoren werden da fügen 


307 

mollen, wo nur bie weißen ihren Plaz haben foRten, bie unwiſ⸗ 
ſenden werden unternehmen, was fie nicht verſtehen, und indem 
alfo Die kleine Anzahl der gebildeten, weiſen und gufen, auf 
weichen Doch alle Hoffnung der Menfchen beruht, von dem gros - 
ben Haufen verbtängt wird, fo gleicht bie ganze Geſellſchaft eis 
nem fchönen Körper, deſſen Geſichtszügen aber eine niedrige Seele 
bie deuffichften Spuren von Bosheit und Kafter eingegraben' hat. 

Stimmen die Gefinnungen ber Menfhen richt 
mit ihren wobleingerichteten Sitten überein, fo werd 
den diefe ihnen fijen wie ein fremdes Gewand, welches nicht nur 
entſtellt, fordern ‚worin man auch ungefannt allerlei böfed vers 
rihten Tann. Wie folte fidy wol der verderbte in.bie eble Eins 
falt finden, oder der dumme in bie verftändige Feinheit? Aber 
ber böfe wird die Einfalt zu Kraͤnkungen und Beleibigungen 
und die Zeinheit zu Liſt und rRaͤnken mißbrauchen. 

Berbinden die Menſchen noch nicht eine innige 
Ehrfurcht vor heiligen Wahrheiten mit Liebe zum 
Nachdenken, fe wird and bie vollfommenfte Einrichtung ihrer 
gettedbtentfllichen Gefelifchaften ihnen nichts frommen. Die weis 
feften md erhabenſten Belchrungen werben entweder gar nichts 
auf fie wirken, ober fie werden auch aus ihnen nur elende Ho. 
urtheite und fchädliche Irrthuͤmer fchöpfen; bie einfachflen und 
achtbarften Gebräuche: werden. entweder ihr Herz ungeruͤhrt laffen, 
oder ihrem eingebilbeten Veſtand⸗ ſeget Sieff zu neuem ber 
glauben Omereiigen, 


IL | 
Das iſt alfo gewiß, daß die Hoffnung auf einen 
beifern Zufland der menſchlichen Angelegenheiten ſich 
nicht auf die Erwartung Außerer Begebenheiten grüne 
den kann; was bleibt alfo übrig, ald daß fie wie Chriftus fagt 
auf der innern Werbefferung der Menſchen beruht, Sehet das 
Reich Gottes tft inwendig in euch. Wenn die Menſchen 
ur . 


308 


anfangen werben ihre ungezaͤhmten deihenſchaften zu. bänbigen 
wenn. fig. von ‚ben kuͤnſtlichen Irrgaͤngen des Laſttas und bed B 
truged auf den einfachen geraben Weg der Ehrlichkeit unb de 
wahren Weisheit zurüfflehren; wenn fie die gewöhnliche Mißhe 
ligfeit zwifchen ihren Einfichten und Handlungen für den Arg 
fen Uebelftand halten werben; wenn von alle ben fchönen Wor 
ten und Sprüden, womit ſie fi) ſchmuͤkken, der Geiſt in ihne. 
jeben wird; wenn ein feinered: Gefühl für Recht und Pflicht um 
ter ihnen allgemein wird, und ein beszliches Wohlwollen ihr 
Kräfte und Gefinnungen vereinigt; wenn fig über ihre wichtig 
fien Anlegenheiten - mit Eifer und uneingenemmenem Verſtand 
urtheilen; wenn fie die Wahrheit lieben und ihr einfältig folge 
werben: dann iſt das Reich Gotted nahe herbeigefommen; danı 
kann nichts die erwuͤnſchte Entfichung und die befändige Fort 
dauer eined Zuſtandes hindern, worin ſo viel Gluͤkkſeligkeit unl 
Güte vereinigt iſt, ald die Einrichtung der Welt unp ber menſch 
lichen Netyr nur immer. zuläßt. Ihr Gefühl fuͤr alles gute un 
edle, ihre Liebe zus Rechtſchaffenheit und Tugend wird nach um! 
nach alle bie guten Eigenfchaften wekken, wozu ‚vorher die An 
lagen in ihnen fchlummerten, alle die ſchoͤnen Handlungen ber 


‚borbringen, wovon fie vorher nur fpxechen und fie bewunderr 


konnten, ein edler Wetteifer wird ſie alle befeelen, und indem bei 
nämliche Geiſt in allen lebt, wird ihn jeher in erhoͤhetem Maaf 
dem andern. mittheilen und aus wieder yon ihm empfangen 
Jeder wird in feinem nädften das Beifpiel des ‚guten. fehen 
welches ihm felbft noch zu erwerben übrig ifl, und einer fich vom 
andern den Spiegel feiner Fehler ohne Bitterkeit vorhalten laſſen 
So wird Tugend und Rechtfchaffenheit allgemein ‚werben und 
amehmen. Das deutlichere Bewußtfein ihrer-Beflimmung, di 
Klmumg, eines hoͤhern Lebensgenuſſes wird fie zur Freundſchaft 
und Gütigkeit hintreiben, und wenn fie ja durch ben ungluͤkkſe⸗ 
ligen immer wieder auflebenden Reim ber Hablucht gehindert 
werben, follten, fo wird. ber. aufgeklaͤrte Verſtand fie: immer mehr 


309 


beiehzen, daß dasjenige dad wenigſte iſt, was ber Wenſch. zu fe 
ner GSiuͤkkfeligkeit für. ſich ſelbſt thun kann, das aber das meiſte, 
wa3 andere für ihn thun muͤſſen, indem er etwas für ſie leiſtet, daß 
wenn er füch vereinzelt er ſich felbft weit mehr hindert, als er: ich 
helfen ober burch Lift und Gewalt über anbere gewinnen Erg, 
daß ihm alfo Liebe noth thut, und bag er fein Wohl nur im 
dem Gluͤkk anderer finden Fann. So wird alfo ein wahres Wohl 
ergehn und. eine gerechte Zufriedenheit allgemein ‚werden, Es 
wird nicht nur ſo werben, fonbern auch' jo bleiben von Geſchlecht 
zu Geſchlecht. Won Jugend auf werben. die jungenniBeelen zur 
Bernunft und zur Weisheit erzogen werben,: unb: das ‚beflänbige 
Beiſpiel der Rechtichaffenheit und Guͤte wird mächtig auf ſie 
wirten. Icder Augenblikk des Genuffed und ber. Beobachtung 
vird ihren zurufen, daß das wahre menſchliche Gluͤkkſeligkel 
in, und indem alfo bie Erfahrung immer glaubhafter, und der 
Beweis immer ſtaͤrker wird, fo wird auch die Sorgfalt zar Def 
haltung dieſes Kleinodes nicht ermüden. 

Und wenn bie Menfchen fick in den Genuß diefer Bor: 
jüge geſezt hätten, welche wenn fie fie einmal befüßen ihnen 
niemand entreißen koͤnnte, follten fie Durch afleriei Kleine 
Rängel äußerer Einrihtungen und Werhältniffe 
geſtoͤrt werden koͤnnen?Vielmehr werden biefe Dinge ‚von 
ſelbſt unſchaͤdlich werben und fih nach und nach fo weit abänr 
dern, bis fie der Heilen Beschaffenheit der Menſchen angemeffen 
ind. Sobaild der Dienfch zu etwas vollkommnerem fähig und 
würdig ift; fo ſtreift er das undofounnnere ab ohne Geraͤuſch 
und Gwwaltthaͤtigkeit, und wenn er vorher: felbft das beſte nicht 
ſeſtzuhalten im Stande war, ſo weiß ur jet auch. dad uıiaher 
gute za; beuuzen undı zu werebeln.: Wenn: er: Recht und. Willig⸗ 
teit liebt, "wenn: fein. Hay zum. MWohlwollen ‚geneigt umd fein 
Verſtand tlenchtet iſt; ſo werden von felbſt feine. Gef und 
Verfaſſungen weife:und gerecht werden, denn ſierichten ſich ine 
mer nach dem Maaß von Einſicht und Güte, welches unter De 


- 310 


wen verbreitet if, für Die fie gegeben find; mon ſelbſt werben ı 
Herrſcher milde und liebreich werben, denn ihre Maaßregeln fü 
immer ein Werk der Nothwendigkeit; von ſelbſt wirb ber eifer 
Scepter, womit fonft Ruhe und Ordnung gehandhabt werd 
manßte, fich in einen leichten Stab verwanbeln, denn gute Gefi 
sungen bringen bie Strenge bald außer Gebrauch und in Bi 
gefienheit, Vorurtheile werden ihre Araft und. ihren Glauben ve 
Iteren,, indem jeder ein Licht ber Erkenntniß brennen hat, wi 
der fiärdere immer den fchwächeren erleuchtet. Gingebildete U 
terichiede Unter den Meenfchen werden aufhören, indem derjeni⸗ 
ber darunter lit Fein Bedenken tragen wird. ihre verfallen 
Grenzen zu überfchreiten, und ber ben fie beguͤnſtigten füch fcyl 
men wird fie wieder nufzubauen. Sitten ſind immer nur bi 
Wiederſchein det Geſinnungen; wo alfo Liebe und Aufrichtigki 
herrſchen, da kann es an ber feinen Gefälligkeit und ber ebei 
Einfalt nicht fehlen, weldye die natürlichen Folgen bexfelben fin 
Auch die von jedem Freund bed guten fo aufrichtig gavunfcta 
Weränderungen in der aͤußern Befchaffenheit der Religion koͤnnen 
nur eine Frucht jener vorhergegangenen innern Werbeſſerunger 
fen. Wenn man die Wahrheit zu innig verchren wird um fü 
noch länger mit Außen Dingen und Kleinigkeiten zu verwech 
fein, wenn man fie genug lieben wirb um Belehrung anzıme 
men, wo man fie immer finde, dann werden die Merehrer Got 
ve auch aͤußerlich em Herz und eine Seele fein, dann wird em 
rechte chriftliche Bertraͤglichkeit hervorgehen. Man wird ben irren 
ben zurichtweilen. ohne ihn zu. verfolgen und zu verfpptten, kei⸗ 
ner. witd den andern um. unbedewienhe Meinungen und Aufez 
Gebraͤuche von dx Gemelnihaft der Erbauung umb des Gebets 
aber von ingenb einem Recht außfchließen, welches ihm dev Dir 
kemame geben faun., und indem einer den andern bejehrt, und 
ihre Erkenntniß ſich immer reinigt, fo wirb die Zeit da fein, wo 
wir dr Schrift fagt alle mon Gott gelehrt find. 


al 


So alſo urıh das Meich Gottes zuerſt in und fein und ale 
we äußern Vernderungen, welche wir wit Unrecht für Haupt- 
nfachen eines beſſern Zuftandes ber Menfchen halten, find: nicht 
Ser möglid; und Gaben nicht eher einen Werth, ald bis fie na 
eläche Folgen jener nothwendigen inneren Verbeſſerungen find. 

Es iſt nicht ſchwer von dieſen Wahrheiten Die Anwen: 
mag auf badjenige'yu machen, was jezt unſer Nach 
enten and unfere Erwartungen Auf eine ſo mer: 
värdige Ari befhäftigt. Die meiflen ſehen mit umwerwand⸗ 
em SBEEfE auf fie. fchrefftichen Auftritte des Krieges und "Der 
Berwüftung, bedauern freilich ‚mit: metilchlichan Gefuͤhl das Abers 
chwengliche Elend, welches dieſer alles erſchuͤtternde Kanıpf ber 
Boͤlker hervorbringt; aber indem einige den Sieg ber einen ‚Yan 
ei, und nnderr das GIÜEB der enigegengeſezten herbeiwuͤnſchen, 
o find bad faſt alle in der Hoffnung einig, am Ende dieſer 
amuͤberſehhbaren Berwirrumgen aus dem zertretenen Wohlſtand vie⸗ 
er taufente de beſſere Glaͤkkſeligkelt den kuͤnftigen Zeiten her⸗ 
rockeinen zu ſehen. Sollſe ad: aber wol ber, Regierung Gottes 
rordig fein, Kap bie Erbe fl. mit dem Blut der einen Haͤlfi 
es Axrſchengeſchlechts geduͤngt werden müßte, um etwas gutes 
fe bie anbere zu ſchaffen? Nein, das Rei Gottes kommt 
nicht sit aͤußerlichin Geberden. Weunn Voͤlker fi erheben um 
vie Außere Geſtalt ihrer buͤegerlichen Verfaflung zu aͤndern, und 
mdere ihre Kräfte aufbieten um dies zu hindern, fo find das 
viel zu unerhebliche Abfichten, als daß aus dem Gelingen oder 
Nißlingen derſelben etwas: großes fir die Menſchheit zu erwar⸗ 
tar wäre: Mb bie, Gefeze auf ditſe oder anf Iene Weiſe gegeben 
werben, ob bie nöshige Handhabung derſelben fo ober fo einge⸗ 
vühtet iſty das ſind, wenn alles übrige das naͤmliche bleibt, nur 
unbedeutende aͤußere Veraͤnderungen. Mord: weniger. können ‚bie 
Wittel,. deren man ſich bedient, fp.hahe Emvantungen. begünfh 
gen; aus: Krieg, Mord und. Berflörung,. aus ‚der: Avfloͤſemg allez 


- 310 


_ man verbreitet if, für Die fle gegeben find; won ſelbſt werben t 
Herrſcher milde und liebreich werben, denn ihre Maaßregeln fü 
immer ein Werk der Nothwendigkeit; von ſeibſt wird ber eifen 
Scepter, womit fonft Ruhe und Ordnung gehandhabt werd 
mußte, fich in einen leichten Stab verwanbeln, denn gute Gefi 
sungen bringen die Strenge bald außer Gebrauch und in Bi 
gefienheit, Vorurtheile werden ihre Araft und ihren Glauben ve 
lieren, indem jeder ein Licht ber Erkenntniß brennen hat, u 
ber flärfere immer den fchruächeren erleuchtet. Eingebildete U 
terſchiede Bnter den Menſchen werden aufhören, inbem berjeny 
ber darunter litt Fein Bedenken tragen wird ihre verfallen 
Orenzen zu überfchreiten, und ber ben fie beguͤnſtigten füch fchl 
men wirb fie wieder aufzubauen. Sitten fiab immer nur Di 
Wiederſchein der Gefianungen; wo alfo Liebe und Aufrichtigke 
herrſchen, da Bann es an ber feinen Gefälligkeit und ber ebd 
Einfalt nicht fehlen, weldye die natürlichen Folgen berfelben fint 
Auch die von jedem Freund bed guten fo aufrichtig gavunichte 
Weränderungen in ber äußern Beichaffenheit ber Religion koͤnnen 
zur eine Frucht jener vorhergegangenen innern Werbeſſerunge 
fen. Wenn man die Wahrheit zu innig verehren wird um fü 
noch länger mit äußern Ding und Kleinigkeiten zu verwech 
fein, wenn man fie genug lieben wirb um Belehrung anzumch 
men, wo man fe inuner finde, dann werden die Berehrer Got 
des auch aͤußerlich em Herz und eine Seele fein, dann wird eim 
rechte chrifttiche Bertraͤglichkeit hervorgchn. Dean wird den imen: 
ben zurschtweilen ohne ihm zu verfolgen und zu verſpotten, fer 
ner. wird den anbern um. unbedeutente Meinungen und Außen 
Gebraͤuche von ber Gemeinſchaft der Erbauung und des Gebets 
eder von ingenb einem Recht ausfchließen, weiches ihm des Bru 
kemame geben Tann, und indem einer den andern bejehrt, umd 
öhre Erkenntniß ſich immer reinigt, ſo wirb die Zeit da fein, wo 
wir die Schrift ſagt alle non Gott gelehet find. 


414 


So alſo maß das Reich Gottes zuerſt ia und fein und alle 
bie äußern Veraͤnderungen, welche wir mit Unrecht für Haupta⸗ 
rfachen eines beſſern Zuſtandes der Menfchen halten, ſind nic 
sex möglich und Haben nicht.cher eimen Werth, ald bis fie na 
intiche Folgen jemer nothwendigen inneren Berbefferungen fine. 

Es iſt nit ſchwer von ditſen Wahrheiten die Anwen: 
mag auf badjenigezu:mädhen, was jezt unfer Race 
renfen und unfere Ermartungen Auf eine fo merk: 
wärbige Art beſchaͤftigt. Die meiſten ſehen mit unwerwand⸗ 
em BEER auf die ſchrekklichen Auftritte bed Krieges und ‘ber 
Berwüftung, bedauern freilich mit menlchlicham Gefühl das uber⸗ 
wengliche Elend, weiches dieſer alles erſchuͤttexrnde Kawpf ber 
Boͤlker hervorbringt; aber indem einige den Sieg der einen Par 
ki, und underd das Gluͤfk ver enigegengeſezten herbeiwuͤnſchen / 
io firb dech faſt alle in ber Hoffnung einig, am Ende dieſer 
anuͤberſeh baren Berwirrungen aus dem zertretenen Wohlſtand vie⸗ 
er taufende chie beſſere Glutkkſeligkeit den koͤnftigen Zeiten her⸗ 
vorkeimen zu ſchen. Giollfe as aber wel der, Regierung Gottes 
werdig fein, Gß die Erbe erſt nit dem; Blut der einer Haͤlfi« 
des Eexſchengehchlechts geduͤngt werden müßte, um etwas gutes 
fir bie anbere zu ſchaffen? Nein, das Reich Gottes kommt 
nicht mit Außerlichan Geberden. Wenn Voͤlber ſich erheben um 
vie aͤußers Geſtalt ihrer bürgerlichen Verfaffang zu aͤndern, und 
andere ihre Kraͤfte aufbieten um dies zu hindern, fo ſind das 
riel zu ünerhebliche Abſichten, als daß aus dem Gelingen ober 
Nißlingen derſelben etwas: großes fiir die Menſchheit zu erwar⸗ 
tm wäre. 106 die. Gefeze auf: dieſe oder: «uf Iene Weiſe gegeben 
werden, ob bie noͤthige Handhabung derfelben fo ‚ober fo einge⸗ 
nichtet fl: das ſind, voran: alled übrige das naͤmliche bleibt, nur 
unbebeisteibe ‘änfere: Veränderungen... Moch: weniger. können ‚bie 
Mittel, deras men fich. bedient, ſo hohe Erwartungen. begünfk: 
gen; aus Riley, Mord und. Berftörung,. aud..der: Muftöfung. allez 


32 


geſelligen Bande, aus ber Abſtumpfung ber ebelſten Gefühle, 
aus Haß, Parteiſucht und Erbitterung Tamı waumöglich. Tugend 
and Gtüfffeligbeit hervorgehn. Es ift überhaupt nicht recht, daß 
wir einen beſſern Zuſtand unferer Nachkommen immer von ar 
derwärtö her erwarten, daß jeber ſo ſein Lieblingsvolk Kat, von 
dem er um feiner Verfaffung oder Sitten ober Religion willen 
glaubt, daß man nach ber dortigen Weiſe allein gluͤkklich und 
weife fein koͤnne, daß vor baber und durch Aehnfichkeit bamit 
einmal alles gute kommen muͤſſe. Rechtſchaffner Sinn umd zu 
friedene® Weſen find Feine Waare, die man aus ber Fremde her 
verfpreiben ann, Beine Tracht, die ber eine anntmat, weil a 
fiebt, daß fie dem andern wohlſteht, fie bärfen nicht auslaͤndiſch 
fonbern müffen do entflanden fein, wo fie gebeigen follen. Mit 
fieht es alfo aus um bie ſchoͤne Vorſtellumg, daß In den Bege 
benheiten unferer Rage fo herrliche Keime fünftiger Cuttjeligkei 
liegen? Trauert nicht, fie kann ja wol richtig ſein, wenn fie 
ſich auch. nicht auf die fehrefffichen Auftritte des . Blutvergiepend 
bezieht. Vielleicht geht außer dieſen furchtbaren Erfihütterungen 
tm verborgenen noch etwas befferes unter den Menſchen vor; 
vieleicht if jezt die ganze Waffe ihrer Kräfte und Erfenktnifle 
in einer heilfamen Gährung; vielleicht if jegt ber Zeitpunkt, wo 
fie anfangen Vorurtheile von Wahrheiten, Angewohnheiten vol 
Tugenden za unterfcheiden, wo fie die Grundſaͤze zu ihren Ge 
fühlen fuchen und die Handlungen den Grundſaͤzen nachzubilder 
bemüht find. Wenn biefe innere Weränderung ihren Gang WM 
geftört fortgeht, gefördert vom jebem guten und weiſen durq 
Wittpeitung, durch Beiſpiel, durch Erzichung, dann wird bu 
Reich Gottes balb in und und unter. uns fein. 

Dazu innen auch wir dad unfrige geben, zwar * 
einen kleinen unſcheinbaren Beitrag, aber nicht anders als «ul 
ſolchen kann das große ganze allmaͤhlig hervorgehn. Iſt Di 
Hoffnung weniger glaͤmzend als jene, fo hat Fe dafur deſto wich 





313 


imern Gehalt; iſt ſie etwas weiter ausfehenb, fo ift fie auch um 
deſto ficherer. Laßt und an ihrer Näherung arbeiten unb ber 
endlichen Erfüllung gebuldig entgegenharen ohne über ben jezi⸗ 
gen Zuſtand ber Dinge Heinmüthig zu feufzen. Nicht doch, Liebe 
Brüder! wär das unſer Muth? Schlagt ben Kummer nie 
der! einmal wirds doch gut. Wie es jezt iſt auf Erden, fo 
for” es wol nicht fein; doch laßt und nur erſt beſſer werben, 
bald wirds um und beffer fein! Amen. 


xl. 


Bon den billigen Grenzen unfrer Abneigung 
gegen diejenigen, welche von einer ganz 
andern Verfaffung . des Gemüths find, 
als wir. 


ueber Joh. 8, 37. 


MR, finden überal auf ber Erde Menichen von ber ver: 
fhiedenften Denkungsart und ber größten Unaͤhnliſch⸗ 
feit der Gemuͤther neben einander lebend. So allgemein 
nun der Wunſch der Menfchen ift nur mit folchen vereinigt zu 
fein, welche ihnen ähnlich find, fo muß doch jene Vermiſchung 
etwas ungleich weiſeres fein, denn fie ift dad Werk der Natur, 
bad Werk dedjenigen, welcher alle ihre Wirkung mit der hoͤſch⸗ 
fien Weisheit berechnet Hat. Es kann und auch nicht ſchwer 
werben ben Zweit diefer Einrichtung zu finden. Wo diefe Wer: 
ſchiedenheit nur zufällige gleichgültige Dinge betrifft, da dient 
bad Zuſammenſtehen berfelben dazu eine Mannigfaltigleit von 
Bünfchen, Beftrebungen und Gedanken hervorzubringen, welche 
zur menfchlichen Gtüßffeligkeit und zum Frieden auf Erben fo 
nothwendig iſt. Wo der Unterſchied etwas wichtigered betrifft, 


315 


wo bie Menſchen in der Regel ihres ganzen: Werhaltens, in dem 
Grund ihrer Ueberzeugungen und Hoffnungen, in ber Art Ihr 
Gluͤkkſeligkeit zu fuchen von einander abweichen, ba ſteht der gtite 
neben bem böfen, ber ſtarke neben -bem ſchwachen, der weiße 
neben bem Thoren, ber verfländige neben dem einfältigen, damit 
diefer von jenem lernen und durch ihn nach und nach zu etwa 
befferem gebilbet werben fol. Daß alfo ber unvolllomm 
nere Theil der Menfhen von feiner Berbinbung mit 
dem volltommneren vielerlei Ruzen bat, iſt ganz deu 
lich; allein wie ſoll der beffere Theil, und wer glauht nicht 
zu dieſem zu gehören, diefe Einrichtung Gottes aud für 
ſich rechtfertigen? fol er fi nicht ebenfalls nach dem Uur 
gang noch befierer fehnen? und hat er ſich nicht zu beflagen, dag 
ex großentheild nur wenige gute um ſich fieht, die. er nicht few 
derlich lieben und achten kann? Wie fol er fich über diefe Ver: 
bindung zufrieden flellen ? darf er feiner natürlichen Ab» 
neigung gegen .biejenigen, welche fo weit unter ihm 
fehn, freien Lauf: laffen, ober dat er Grunde fie wy 
wicht ganz zu unterdruͤkken doch wenigftend zu mäßigen? a 
it e8, worüber: mie uns jrzt unterhalten wollen. 


Text. Joh. 8, 37, 


Ich weiß wohl, daß ihr Abrahamd Saame kb: 
aber ihr fuchet mich zu töbten, denn meine Rebe vie 
nicht unter euch. 


Chriſtus ‚Kl fh „und. bier as cin auferoennlihes Bi 
ſpiel dar von den Folgen ber Abneigung gegen anderoͤdenkende. 
Sie ſuchten ihre zu toͤdten, weil ſeine Rebe nicht fing unter ihr 
nen, fie haßten ihn; weik fie einen Sinn’ hatten für; feine - Behr 
ım, für‘ feine Grmahsungen, für ſeine Grundſaͤze, und biefer 
Haß ging fo: weit; :baf. fie ihm ſogar Dad Lehen bemsibefua 
Dad war num freilich Feine Abneigung der guten. gegen. ;bie Ki. 


316 


fen, ber verflänbigen: gegen die unweiſen, fonbem eine Abneigung 
des Laſters gegen die Zugend, ber Thorheit gegen ben Verſtaud; 
allein fie glaubten menigfiend beffer und weiſer zu ſein, unb fo 
kann und ihr Werhalten zu einem warnenden Beiſpiel bienen 
unfern Eifer gegen diejenigen zu mäßigen, .von benen:wir glau- 
ben, daß fie verkehrt handeln und denken. Wir veden alle mit 
einanber von ben billigen Grenzen unferer Abneigung 
gegen biejenigen, welche in einer ganz andern Ber 
foffung bed Gemuͤths find, als wir. Diefe Abneigung 
zeigt fich gegen biejenigen, bei benen mir .eine Berfhiedenheit 
einmal ber Srundfäze und dann ber Einfidhten wahre 
sehmen, und in biefer zwiefahen Kükkficht wollen wir fe 
auch jezt betrachten, um bad rechamdßige barin von dan pflicht- 
wihrigen zu unterſcheiden. 


Bo wir alſo Menſchen wahrnehmen, deren Grumdſaͤze 
von den unfrigen ganz. verſchieden zu fein ſcheinen, 
weiche fich eine ganz andere Segel ihres Verhaltens gemacht ha⸗ 
ben, da laßt und doch ja, ehe wir unſerm Berflande oder unferm 
Herzen erlauben ein ſtrenges Urtheil über fie zu fällen, diefe 
Berfhiedenheit erfi näher unterfuchen. Sollten fie nur 
in ber Art, wie fie über gewiſſe einzelne. Verhoͤltniſſe des menfch- 
lichen Lebens urtheilen und fich dabei.verhalten, von. und abwei⸗ 
chen, fo giebt dad noch gar feinen Grund unfer Herz von ihnen 
abzuwenden. Es fei nun, baß fie dabei durch gewiſſe Umflände 
geleitet werden, die wir nicht kennen, ober baß’ihe Urtheil von 
gewiſſen eigenthuͤmlichen Gebanken berlomnie, fo Bann ja nicht 
nur auch dabei etwas richtiges unb .guted fein, ſondern felbft 
wenn fie irren und fehlen, fe giebt ums das fein Recht: unfer 
ganzes Werhalten, :umfere ganze Gefinnung gegen fie danach zu 
beſtimmen, denn. es Bleibt immer nur ein einzetne: Arthum. | 
ein einzeinegr Fehler. . un 


347 


Ein anderes if es, wenn wir meer, dag fie in ihrem 
ganzen Werbalten ald Bürger, als Menfiben, als Chriſten 
ganz andern Gefegen folgen, ald die wir als richfig anerkannt 
haben. Aber auch dann laßt uns erfl.unterfuchen, ob 
das worin fie von uns abweichen . auch wirklich einem Mangel 
an rechtſchaffnem und: frammem Sinn anzeigt, ob es wirklich bie 
nichtig und aflgemein. ‚verflänblichen Begriffe von Recht und Un⸗ 
ht und non. dem Willen, Guttes in’ uns beleibigt? ob es nicht. 
vielmehr nur gegen gewohnte Fehler, gegen eingebildete Pflichten, 
verſtoͤßt? So war auch in Ehrifti Handlungen viel ungewoͤhn⸗ 
liches, und indem feine Zeitgenoflen das ohne Unterfuchung für, 
lid nahmen, fo beluden fie den mit Haß und Verachtung, ber 
ihre Verehrung und ihre Nachfolge verdiente Nie muß es ums 
ſo gehn, daß wir von denjenigen umnfer Herz; wenden, burch bie, 
wir an einer heſſern Weisheit, an einer richtigen Gottſeigken 
hätten Theil nehmen koͤnnen. 

Wenn es denn nun aber nach aller Unterſuchung entfihie> 
den it, daß Die Sefinnungen- und Grundfäze eines Men 
ſchen nicht. nur von ben unfrigen verfchieben, fondern wirklich, 
derkehrt find; wenn ed deutlich iſt, daß er zu bemen gehoͤrt, 
welhe wie die Schrift fagt durch Lüfte ihren Werfland in pr 
thümer verkehren *), daß er alle Achtung gegen die „göttlichen 
Gebote ausgezogen hat, daß er den Gefezen der Rechtichaffenheit- 
Hohn fpricht, daß ex bie beften menſchlichen Gefühle um feines 
Eigennuges willen hintenanſezt, daß er immer in Arglifk und 
Betrug und Schadenfreude einhergeht; wenn ‚wir das nicht nur 
aus einigen einzelnen Handlungen fchließen,' die er vielleicht nicht 
ſo gemeint, vielleicht lange ſchon im ftillen bereut hat, nicht. 
Mur aus einigen vielleicht nur leichtfinnigen Neben, wenn wir es 
aus dem ganzen Inbegriff feines Betragens, aus allem was zur: 
Veurtheilung eings Dienfchen beitragen kann, mit aller möglichen . 
— — ' 

) &. 4,8: ' W 


—8 


38 
Sicherhent gefolgeit haden: dann koͤnnen wir doch wol un 
ſere gerehte Abneigung gegen einen: ‚folgen nicht 
Fanger verläugnen? 

Frelilich werden wir nicht ben Bevanten Haben ihm unſer 
Her, zu öffnen, welches fi vielmehr unwillkuͤhtlich vor ihm ver 
fließen wird; wir werden uns nicht in feiner Geſellſchaft und 
feinem Geſpraͤch befonder& gefallen, da wir- immer eine gewiſſe 
bange Beklommenheit in ſeiner Naͤhe empfinden, immer fürchten 
werben, daß er das Gift feiner boͤſen Gefinnung verbreile, daß 
einer feiner verkehrten Grundſaͤze, eine feiner ungerechten Hand⸗ 
lungen unſer feines Gefühl beleidige; ihn werden wir nicht zum 
vertrauten unferer ‚Handlungen, unſerer Entſchluͤſſe, unſerer 
Stpywachheiten machen, Bei ihm nicht nach Rath fragen, nicht 
einmal für umfere irbifchen Angelegenheiten, vwielmeniger für bie 
Sachen unfere® Gewiſſens, ihm nicht unfern Kummer ausſchuͤt⸗ 
ten, bei ihm nicht Troſt fuchen in den mancherlei Reiben, denen 
die Menſchheit ausgeſezt iſt; er wird nicht unter Diejenigen ge 
hören, an beren Ergehen wir den wärnfien Shell nehmen, derien 
wir bei jeder unangenehmen Begebenheit fobatd als möglich mit 
unferer Hüulfe und unferm Zuſpruch entgegen eifen: num wenn 
nichis anderes unfere Aufmerkſamkeit auf ſich ziehf, ‚nur dam 
AR, wenn manche vielleicht geringere Elend derjenigen gelin 
dert, die wegen der Aehnlichkeit ihrer Gefinnungen unſerm Her 
zen näher: liegen, nur bann erft wird unfere Wohlthaͤtigkeit ſich 
zu ihm wenden, von keiner andern Empfindung als von dem 
Sewußtfein unferer Menſchenpflicht angezogen. Er wird auch 
derjenige fein, dem wir am ungernſten etwas zu danken haben; 
nie werben wir und fo weit herablaffen kormen zu ihm unſere 
Zuflädht zu nehmen; Pie geringfe freiwillige Abhaͤngigkeit ON 
ihm wird ans zuwider fen, wenn mit auch noch fe viel gufe® 
dadurch fiften oder genießen koͤnnten. Wir werben auch ohne 
das ein jeded nähere Verhaͤltniß mit ihm fcheuen, wo wir oft 
Zeugen, vielleicht größtentheild unthätige Zeugen feinet amehlen 


910 


Handlungen fein ‚nmrüßten, und ebtu ſo wird es uns zuwider Ten 
von ihm bemwerft zzu werden. Die Kinder bir Finfterniß find 
Auͤger in hrem Geſchlerht ums auch muthigee als bie Kinder 
des Lichts), datrum werden wir ungern unſtre Handlungen unb 
unſere Geſinnuagen vor ihm auſdekken, damit wir nicht die Ge» 
legenheit wirden zu feinem. tollkäͤhnen Spott über Tugend und 
gottfetige Geſinnung, zu feines elenden Werachtung bed rechtſchaf⸗ 
fenen Weſens und Der wahren Weieheit. Je weniger er von 
demjenigen an ſich zeigt, was bie Wuͤrde bed Menichen ausmacht, 
deſto mehr vertiugern ſich anch feine Anſpruͤche auf Die Achtung, 
weiche wir guten Eigenfchaften zollen, und mit Biefer Achtung 
verjchwindet zugleich: unfere Liede. So weit handeln wir unfern 
natürlichen Gefuͤhlen gemäß, ‚und es iſt nichts daran auszuſtellen; 
fobatb wir aber weiter gehn, fo iſt es ein mißleiteter Gifer, der 
nnd befselt, wir bruͤſten uns mit falfchen Anmaßungen. ' 

E85 fei, daß. wir eine nähere Verbindung mit ſol⸗ 
hen Menſchen nicht fuhen und niht wünſchen koͤn⸗ 
nen, fo wäre es doch unrecht da, wo dad Schikkſal und mit 
ihnen zuſammenfuͤhrt, wo bie Umflänbe und neben fie Stellen, fie 
zu fürdten.oder zu fliehen.. Laßt und immer bedenken daß 
eben, weil.eine. gänzfiche Trennung der guten von ben böfen nicht 
in dem Plane Gottes tiegt, die Vermiſchung berfelben nicht nur 
im ganzer fonbem auch für uns ihren. Nuzen haben mußt es 
wird undein Antrieb: fein mit deſto ‚größeren Wachſamkeit unſeren 
Grundfkzen-und Bekenntniſſen Ehre’ zu machen; es wid und Ger 
legenheit geben zu: beweileh, daß die Tugend, wenn fie ſtandhaft 
if, dem Laſter allezeit eins. geriffe Ehrfurcht abnöthige, und daß 
bie Gegenwart'ded guten, "wenn fie aud) nicht beffert, dach im⸗ 
mer manchen ein Schuz iſt und allerlä boͤſes verhindert. 

Es ſei, daß: wir einen ſolchen Menſchen nicht au: 
Gefuͤht lieben oͤnnen, fo Dürfen wir doch nie haffen 





) Eu. 16, 8. a 


80 

und nerfolgen, nie unſerer Ahueigung erlauben ihm übeled zu 
thun. Es fei, daß wir ‘gute Gründe haben unfere Menichen> 
pflicht an ihm nur dann außgmüben, wenn alle anbesen berfelben 
eben fo bebürftigen ‚Gegenfäube befrichigt Fink; allein. wenn ex 
nun Huͤlfe bebarf, bie wir ihm zu leiſten Durch hie Umſtaͤnde be 
rufen ‚find, obne daß höhere Pflichten uns davpon abriefen, unb 
wir wellten dann ımbarmberzig handeln, wollten dann flatt Hülfe 
wer. Borwürfe auötheilen und außer feinem Elend auch noch 
feine Schande der Welt zur Schau fieHen: fo wuͤrden wir höchft 
ungerecht handeln, inbem: wir vielleicht bie Gerechtigkeit zu hand⸗ 
baben ‚glauben. : 

Doch ‚giebt e& viele Menfchen, welche ſich cin feiches Ber: 
fahren erlauben unter dem Borwand, bag fie von ben Um⸗ 
ſtoͤnden gleihfam dazu berufen bie gerechten Strafen Got: 
tes an den Verächtern feiner Gefege vollziehen muß 
tem. : Das ift- aber eine gefährliche Anmeßung... Wenn wir un 
fern natürlichen Gefählen treu bleiben, fo firafen wir ſchon da⸗ 
durch den. böfen, fo viel ed im unſerer Macht Keht. Muß er micht 
bie. übeln Folgen feines Zuſtandes fühlen, wenn die. rechtſchaffe⸗ 
nen ihm ihre Gelellichaft und ihr Herz entziehen, wenn fie ihm 
deutlich genug die Achtung verlagen, deren ſie ihn nuht werth 
halten? Das iſt Strafe genug; wenn wir aber. unfere Macht 
überfchreiten, um noch mebr über ihn zu haufen, fo find wir da⸗ 
zu gewiß von Gott nicht. bevollmaͤchtigt; er läßt feine Sonne 
aufgehn für ben höfen wie für den guten und regnen für den 
ungerechien wie für ben gerechten; fo laßt auch uns barmherzig 
fein, wis unfer Vater im Himmel barmherzig if"). Wenn auch 
unjer Herz nicht Fteundſchaft fühlen kann, fo braucht es Doch 
fich nicht. zur Verfolgung zu neigen, ungerecht zu fein; wenn wir 
auch den, böfen nicht rühmen und loben koͤnnen, fo brauchen wir 
doch nie unſere Zunge ber Bunge bed Verlaͤumders gleich zu ſtellen. 


) Matth. 5, 45. Lul. 6, 36. 





321 


Das find die Grenzen unferer Abneigung gegen 
Menſchen von verberbten Grunbfäzen. 


II. 


Laßt und num noch zweitens fehn, wie wir und zu verbal: 
ten haben gegen die, bei denen wir irrige Einfichten wahr 
nehmen. Hier haben wir und um deſto mehr in Acht zu neh⸗ 
men, je größer die Menge von abſchrekkenden Beiſpielen ift, 
weiche wir vor und haben. Was für Ungluͤkk hat nicht ein übels 
verfiandener Eifer für dasjenige, was man für Wahrheit hielt, 
unter den Menfchen verurfacht. Mancher weile hat für bie bef- 
fere Wahrheit, mancher unfchuldige für feine befondere Weberzeus 
gung, mancher mißartete für feine unverfchuldeten Irrthuͤmer gelits 
ten, was niemand ihnen zuzufügen berechtigt war. Gefängniß, Vers 
folgung, ſchmaͤligen Tod hat ein Menfch über den andern gebracht, . 
ungerechten Krieg, wilde Verwuͤſtung, unmenfchliche Grauſamkeit 
ein Wolf gegen das andere ausgeuͤbt, und noch jezt kommt man: 
he unverbiente Kraͤnkung, manches unverdiente Leiden aus bies 
fer unfeligen Quelle. Da laßt und alfo ja genau prüfen, 
was an einer Abneigung diefer Art rechtmäßig ifl, 
oder nicht, laßt und die Grenzen berfelben lieber zu eng als 
zu weit abſtekken. 

Es giebt eine Verſchiedenheit ber Einfihten, wel 
be ohne alle Beziehung auf Gefinnung und Handlung bloß 
das menfhliche Wiffen betrifft; auch diefe iſt oft zum Uns 
glükk der Menfchen fehr wirkfam gemweien. Diejenigen, welche 
einerlei Geſchaͤft betreiben, welche mit den nämlichen Kenntniffen 
umgehn, find immer auf mandherlei Art darüber uneind. Das 
erfireftt füch nicht nur auf menfchliche Kenntniffe, fondern auch 
euf fo mandes in der Religion und in der Zugendlehre, was 
mm bloßen Wiffen gehört. Daraus entfleht Streitigleit, das 
it natürlih; allein dag aus dem Streit Parteiſucht, aud ber 

Prebigten 1. | €, 


322 


Vardeiſucht Uncdichkeit, Beleidiguag, Feindſchaften heworgehn 
das follte nicht fein. Was haben ſolche Meinungen eines Mn 
ſchen mit meinen Urtheilen über feinen Charakter und mit meine 
darauf beruhenden Gefinnungen und Handlungen zu thun? Wü 
gehört wol zur Vertheidigung ber Wahrheit Bitterkeit umd lieh 
Iofes ungerechtes Wein? Man Tann über folche Dinge flreite 
und dennoch aufs genaueſte ale gegenfeitigen Pflichten erfüllen 
mar kann uneind fein und body durch die herzlichfte Freundſchaft 
durch innige Liebe, durch gegenfeitige verdiente Hochachtung ei 
einander feſt verbunden bieiben. 

Alein es giebt noch eine andere Verſchiedenheit dei 
Einfichten, der wir einen größeren und billigen Eim 
flug auf unfere Sefinnungen nicht abſprechen koͤn 
nen. Wenn jemand fih zu ſolchen Meinungen befennt, durch 
deren Wahrheit unfere Bewegungsgruͤnde zur Rechtſchaffenheit 
aufgehoben wuͤrden, unfezer Zufriedenheit mit den erhält 
niſſen des Lebens mancherlei Abbruch gefchähe, und anſere ſuͤße⸗ 
ſten und erhabenſten Hoffnungen untergehen müßten; Meinungen, 
welche unmittelbar zu unrechten Handlungen führen und zur 
Beichönigung bed Laſters dien können, welche, werm fie allge 
mein würden, alle Bande der Gefellichaft auflöfen, alle Gluͤkkſe⸗ 
ligkeit zernichten und die Menfchheit felbft herabwuͤrdigen müß 
ten; werm jemand ſolche Lehren verfündigt: fühlen wir da nicht, 
daß fich eim gewiffer Abfchen gegen ihn in unferm Herzen er 
hebt, dem wir nicht widerfiehn koͤmen? Vielleicht wol, aber hier 
ift eben die Klippe, vor welcher wir: und hüten müffen, hier if 
ed, wo wir nicht genug überlegen und prüfen koͤnnen; 
benn weichen noch fo gleichgültigen Meinungen finb nicht von ib 
ren Gegnern alle diefe gehäffigen Eigenſchaften mit Unrecht und 
doch mit einer gewiflen Wahrſcheinlichkeit aufgebuͤrdet werben? 

Wir glauben, bag die Einfichten eines andern ur 
fere Bewegungsgründe zur Bugend, zur Zufrieden 


heit aufhebenz laßt md: bach ja erſt unterfuchen, ob dad 

fo gewiß und fo unmittelbar gefchieht, als es und 
Iheint. Bielleicht ſtehn die Ueberzeugungen, gegen welche er 
keitet, nur in einem fehr entfernten Zuſammenhang mit unferer 
Tugend; vielleicht iſt es nur ein Irrthum, wenn wie glauben; daß 
wf ihnen vornaͤmlich unfere Zufriedenheit beruhe; vielleicht wirb 
wu durch feine Meinung Allerlei gutes Befürdert, dem bie un 
ige nicht fo guͤnſtig iſt, und fie iſt alfo auch gut, nur auf ans 
dere Art und aud einem andern Geſichtspunkt. Und eine ſolche 
Berfgiebenheit ſollte das geringſte in unferm Urtgeil und unferer 
Adtung Adern? fie fohte und von Freundfchaft und Liebe ab: 
halten? Mit nichten! mir können ja ohnerachtet derfelben doch 
af einerlei Grund der Ueberzeugung flehn, doch in einerfei Wurrfch, 
Belreben und Hoffnung zufammenfomme. Gefezt' aͤbet 
auch es iſt wirklich fo, daß die Meinungen eines andern un: 
im Beweyungögrände zum guten aufheben und den Grund un 
mer Zufriedenheit und unferer Hoffnung wandelbar machen, fo 
it cs freilich wahr, daß wir zu einer genauen Freundſchaft, zu 
tiner offenen Mittheilung unferer Gebanfen gegen einen folchen 
Renihen nicht geflimmt fein können, daß wir ihn, wenn wir 
Hof unferer Neigung felgen dürfen, Fieber vermeiden als auffu: 
ben, weil die Aeußerung feiner Meinung, fo feft auch unſere eis 
gene Heberzeugung flehe, uns immer ein unangenehmes Gefuͤhl 
verurſacht; allein daß wir bdeöwegen im geringften nachtheilig 
denken, deswegen eine Gelegenheit folkten vorbeigehn laſſen, ihm 
au8 gutem Herzen irgend einen Dienft ber Liebe zu erweifen, das 
wire ſchon unrecht gethan. Wenn er nicht unfere Triebfedern 
dr Beſſerung, zum Eifer in allem guten hat, fo kann er ja wol 
andere haben, kann auf einem andern Wege zur Ueberzeugung 
von der Nothwendigkeit ber Zugenb und Gerechtigkeit gelangt fein. 
Venn er manchen Meinungen abgefagt hat, die in ums allerlei 
gutes wirklich befördern, 6 Tann er je wol an ben allgemeinen 

x 2 


324 


Gründen berfelben, die in ber Seele eines jeben Menfchen fir 
deſto eifriger bangen. 
Wir glauben, dag bie Meinungen eined andern i 
zu allerlei böfem führen, und wir find geneigt ihn beöweg 
für einen heimlichen Anhänger des Laſters und ber Zuͤgelloſigk 
zu halten, aber wie leicht können wir ibm, Unrecht thu 
Nicht nur, daß vielleicht dieſe Folgen nur in unferer Einbildu 
da find. Won allerlei neuen Behauptungen in der Religion uı 
in allerlei Kenntnig haben immer biejenigen, bie burch alles neı 
in Schreften geſezt werben, bemwielen, daß fie ben guten Sitti 
und ber Zugend gefährlich wären, und nichts deſto weniger fin 
hernach eben biefe Meinungen ohne einigen Schaden des menſch! 
hen Geſchlechtes allgemein als Wahrheit anerfannt worden. A 
Sein gefezt auch, es hätte jemand folhe Meinungen 
woraus wirklich die Unterlafjung manches guten unb die Nad 
fiht gegen manches böfe folgen koͤnnte: fo koͤnnen wir ihm bei 
wegen unfere Achtung und Liebe nicht eher entziehn, ald bis wi 
überzeugt find, dag er diefe Folgen felbft einfieht und ihnen ge 
mäß handelt. Die Einfihten der Menſchen bangen felten fo ge 
nau zufammen, daß fie alle ihre Gründe und ihre Folgen über 
ſaͤhen; und fo wie mancher bie Verpflichtung zu allem guten nid! 
einfieht und befolgt, welche feine richtige Erkenntniß ihm auf 
legt: eben fo kann auch mancher einen irigen Glauben und 
fchädlihe Meinung haben und dennoch weit entfernt fein ihr 
Zolgen zu überfehn, weit entfernt dad gute zu unterlaffen, we: 
von er fich feiner Meinung zufolge frei fprechen koͤnnte, weit 
entfernt dad böfe zu thun, welches fie ihm erlauben. | 
Wir glauben, bag die Meinung eined andern, wenn 
fie allgemein wäre, die menſchliche Gluͤkkſeligkeit 
und Ruhe zerfiören und eine völlige Zügellofigkeit und Ber 
derbtheit einführen würde, und wir find geneigt ihm beöwegen 
als einen Feind des menſchlichen Geſchlechts zu. haften und an 


325 

wenden; das follten wir uns aber nicht erlauben, weil mie 
kiten im Stande find ein richtiges Urtheil darüber 
u fällen. Wer einmal einer gewiffen Denkungsart gewohnt 
ſt und im ihr immer gelebt hat, dem wird ed Außerft fchwer ſich 
a eine ganz entgegengefezte bineinzubenfen und ihre Folgen zu 
iberiehn.. Er wird immer nur das gute gewahr werben, was 
br fehlt, und nicht das, wad fie an ber Stelle des fehlenden 
xworzubringen im Stande if. Wenn wir und aber au 
ondem Gedanken niht losmachen fönnen, bag gewifle 
Ränungen, wenn fie allgemein wären, eine offenbar nachtheis 
ige Birdung haben würden: fo verdient erſt das Ueber 
tgung, ob fie auch allgemein werben Fönnen; ob nit 
ms ihnen felbft und aus ber Einrichtung der menfchlichen Natur 
har hervorgeht, daß nur wenige Menfchen an ihnen Theil neh» 
am Tonnen; und ob nicht unter diefen wenigen viele fo befchafe 
a find, daß fie dieſe ſchaͤdlichen Wirkungen nicht haben, bann 
iher verdienen ja biefe nicht unfern Abſcheu und Haß. 

Ich will alles dies unter bem ſchrekklichſten und 
rauernswärdbigften. Fall zufammenfaffen Wenn 
vir einen Menfchen gemahr werden, der den heiligen Wahrheiten 
nferer Religion feinen Beifall. nicht giebt, der Feine Sendung 
dottes an die Menfchen glaubt, ja der fogar bie tröflliche Weber 
eugung von dem Dafein eines höchften Weſens und die füge 
doffnung der Unfterblichkeit unferes Geiſtes von ſich geworfen 
at: fo iſt Mar, daß ihm alled dasjenige fehlt, was uns in dem 
Hlüpfrigfien Augenblikken auf der Bahn der Tugend fefthätt, 
af er manche Bande gelöft hat, durch die wir an unfere Pflicht 
rettet werben, daß wir unmöglich wünfchen Eönnen, feine traus 
ige Uebereugung unter unfern Brübern verbreitet zu fehn; wie 
erden und ‚einer gewiflen Zuruͤkkhaltung und Entfernung, je 
gar einer gewiſſen Furcht vor ihm nicht ermwehren koͤnnen, 
dee ihm felbft zu verurtheilen und ben böfen gleich zu achten, 


326 


dazu haben wir erſt alsdann ein Recht, werin wir fehn, daß fen 
Meinungen alle die Wirkungen in ihm felbft Außern, die wir ihnen 
zufchreiben. Sat er aber Gehorfam genug gegen feine Vemunft 
and fein Gewiffen, um ihrer deutlichen Stimme mehr zu fol: 
gen als den fpizfindtgen Grübeleien feines irr:geführten Werften: 
des; hat er Achtung genug für die Würde der menſchlichen Na: 
tur um ihre ewigen Geſeze nicht zu übertreten; nimmt er An: 
theil genug an der Zufriedenheit feiner Nebenmenſchen, um feine 
hoffnungsloſe Heberzeugung im feiner eignen Bruſt zu verihlie 
Ben: fo werden wir es wol bedauern, Daß er fo ungluͤkklichen Ir: 
thuͤmern Gehör gegeben hat; allein wir werben geflehn müffen, 
daß er ein achtungswuͤrdiges Mitglied der menſchlichen Geſell— 
fehaft ift; wir werden es und nicht verzeihen, wenn wir bie 
Pflichten der Menfhen: und Bruberliebe gegen ihn nicht in ih 
vom ganzen Umfang erfüllen. 

Indem wir und auf diefe Weiſe fleißig an dad Wort ber 
Schrift erinnern, Was richteft du einen fremden Kriecht? er ſteht 
umd fällt feinem Herrn *): fo werben wir einen Theil unlerer 
chriſtlichen Weisheit auch darin fuchen uns in unferm Urthel 
über die Menfchen und unſerm Betragen gegen fie von aller 
Parteilichteit zu reinigen, von dem Wahn, als ob fie nur 
in dem Grade gut und unferer Liebe werth wären, in dem fi 
und ähnlich find; fo werden wir zwei wichtige Bortheile 
erlangen. Erſtlich wird nie jemand gegen und auftreten und 
and fagen koͤnnen, wie Chriftud feinen Zeitgenoffen fagte, Ihr 
folgt mir nicht, ihr fucht mich zu tbbten, mich, der ich euch der 
Willen meines Waters verfünbige und tie Wahrheit zu euch 
rede; wir werben nie etwas beffered und richtigeres um deswil⸗ 
ben: verwerfen, weil es uns biöher fremb war, nie verachtend und 
kieblos auf den herabſehn, durch den wir einer beffern Weisheit 
und eines vichtigern Wandels hätten theilhaftig werden koͤnnen; 

) Roͤm. 14, 4- 


327 


fondern wo ſich irgend ein Zuwachs an wahrem guten zeigt, 
den werben wir recht zu beurtbeilen und zu benuzen im Stanbe 
kin. Wir werden zweitend bad feltene Gluͤkk genießen, baß 
unfer Herz mit allen guten Menfchen fein Tann, fo fehr auch 
bie und da ihre Neigungen, Handlungen und Meinungen von 
ben unfrigen abweichen; wir werben in einem beſſern Sinn und 
auf eben die Art ihrer aller Brüder fein, wie Gott unfer aller 
Bater iſt! Amen. 





XU. 


Bon den Bervegungsgrüunden zur unausge— 
fezten Beharrlichkeit bei unfern Entfchluffen. 





uUcher Matth. 10, 2. 


Zert. Matth. 10, 22. 


Und ihr müffet gehaffet werden von jebermann um 
meined Namens willen. Wer aber bid and Ende be 
barret, der wird felig. 


Dir Worte m. a. Fr. find eigentlich zu ben erften Jünger 
Jeſu gefprochen, als er ihnen alle die Leiden und Unannehmlid; 
feiten, denen fie die Verfündigung feiner Lehre ausſezen würde, 
vorherfagte, und fie befienungeachtet zur Treue in biefem ihrem 
Amt ermunterte. Sie hatten in dem Beruf die Religion Seil 
audzubreiten mit den Unterbrüftungen der gewaltigen auf Er 


Anm. Gs fehlte im Concept dieſes Vortrags der allgemeine Ei 
gang, wie fidy andrerfeits in Schls. Nachlaß ein Heftchen mit folge 
Eingaͤngen aus berfelben Zeit vorfand, an bie fidy nur noch Shemi 
und Partition, mitunter auch Ausführung einzelner Parthieen anſchlie 
fen. Uchergangsperiobe zur freien Rebe. 

D H. 


329 


den, mit dem Haß ber Feinde der Tugend, mit ben MWerfolguns 
gen der blinden Eiferer zum flreiten. Deftienungeachtet foüten fie 
in alle Welt gehn und Jeſu Juͤnger ſuchen, fi kein Hinderniß 
abſchrekken Lafien, Gott: mehr geborchen ald den Menfchen und 
bi am das Enbe ihred Lebens ihrem Amte treu bleiben. Gewiß 
if alled died auch auf uns fehr anwendhar. Mir haben in une 
rm Beruf durch biefe Meligion immer weifer und beffer zu wers 
ben einen eben fo harten und langwierigen Streit mit ben mans 
chelei Feinden in ums felbft zu überfiehn, und mit den Fallſtrik. 
Een und Verfuchungen, worein fie ımd führen; aber wir ſollen 
unferer Bernunft, unferm Gewiſſen und dem Willen Gottes mehr 
ghorchen ald dem, was unfere Leidenfchaften und unfere Traͤg⸗ 
hat wünfchen. Iſt irgend ein Lob, ift irgend eine Tugend, der 
len wie nachjagen und nicht eher ruhn, bis wir fig erlangt has 
ben. Dazu ift und gewiß eben die Stanbhaftigkeit nöthig. Ich 
rede daher nach Anleitung dieſer Wonte von ben Bewegung 
gründen zur unausgefezten Beharrlichkeit bei uns 
fern guten Entſchluͤſſen, fo. daß wir erſt lich überlogen, daß 
wir ohne dieſe unfern Zwekk nicht im geringfien ev 
reihen, und zweitend bebenten, Daß wir dadurch, daß 
wir hiervon abgehn, auch nicht den geringfien Vor—⸗ 
theil erlangen. 


Was ich bier von ber Beharrlichleit in guten Ents 
ſchluͤſſen fage, ift. nicht fo zu verfiehn, ald ob wir um irgend 
drühte umferer Arbeit einzuernten fchlechtesdingd von dem Aus 
genbiift an, wo wir und vorfezen irgend einen Fehler abzulegen, 
oder eine nene Vollkommenheit zu erwerben, niemald etwas müß; 
in gethan haben, was biefem Entſchluß zumiber wäre, nie eine 
Gelegenheit müßten vorbei gelaffen haben, die den Worjag feiner 
Ausfuͤhrung hätte näher.bringen koͤnnen. Eine ſolche Forderung 
ſtiitte mit der Unvollkommenheit ber menſchlichen Natur und 


3% 


wärbe uns umfere Pflicht als etwas unmoͤgliches darſtellen; aber 
bad müfen wir von uns felbit verlangen, wenn wir auf ben 
Ruhm der Behartlichkeit Anſpruch machen wollen, daß ber 
Entſchluß ſelbſt unwandelbar fer, daß Beine Abweichung 
davon überlegt und vorfäzlich fei, fonbern vielmehr jede als cn 
ttauriger Beweis unferer Schwäche beremt fei, daß wir wie auf 
halben Wege flehn bleiben oder an einem Anfang des vorgeſez 
ten guten genug zu haben glauben, vielweniger je unſern ganzen 
Entſchluß aufgeben und uns üiberseben, daß ber Fehler, den wir 
ablegen wollten, wol nicht fo vieler Muͤhe werth, das gute, dad 
wir fuchten, wol nicht fo weſentlich noͤthig fei, daß wir immer 
willig bleiben unfere Kräfte daran zu fegen, bis unfere Abſicht 
fo weit erräicht if, als «3 unfere Verhaͤltniſſe erforbern, und bie 
menfehliche Ratur ed zuläßt. Das ift bie Brharrlichkeit, 
von welcher ich glaube, daß ohne fie alle Mühe, welde 
wir-eine Beitlang anf unfereBefferung gewandt ha: 
ben, fie 'befveffe nun unſern ganzen Wandel oder nur einen Zheil 
unfered Senüthe, wirklich ganz und gar verloren ifl. 
Denn m. $r. beffer fein als vorher, biefer Ruhm 
iſt nicht fo Leicht erworben, dad wii etwas mehr fagen al? 
einige Handlungen gethan zu haben, die man ſonſt nicht zu thun 
pflegte, irgendwo einer Verſuchung widerflanden zu haben, wo 
man ſich fonft in feinen Streit einließ. Nicht cher ruft und 
unfer Gewiffen diefed tröftliche Beugnig zu, bis wir eine Art 
des guten, bie wir ſonſt nicht ausübten, wit einer ſolchen Leid: 
figkeit thun, als 0b fie unfern natüslichen Neigungen gemdß 
wäre, bis ein gewohnter Fehler fo abgelegt if, dag wir nur ſel⸗ 
ten noch in eine merkliche Verſuchung gerathen ihm zu begeht. 
Es laſſen ſich freilich verfhiedene Berhältniſſe denken 
unter denen man ſich dieſer Unbeſtaͤndigkeit überlaͤßt: 
man hann noch im erſten Anfang begriffen, man Tann dei 
Erreichung feiner Abſicht [dem ganz nahe gekommen ſtin; 


331 


ober das alles macht Hierin Beinen Unterfihieb, in keinem von 
beiden Füllen find wir nur um das geringfle deffer geworden. : 

Me Anfang if ſchwet, die erſten Verfuche zur. Aus⸗ 
führung eined zu unferer Beſſerung abzwekkenden Entſchluſſes 
koſten unſtreitig viel Aufmerkſamkeit, vid Mühe und Ueberwin: 
dung, und wir haben Nerht und zu freuen, wenn fie und plälfe 
ih gelungen ſind; aber wenn wir nichts leiften als Daß, 
won wir dabei Thon ermüben und unfern Vorſaz aufgeben: fü 
Atoh alle Anſtrengung, Die wir auf diefe Hanblum 
gen gewandt haben, vergeblich gewefenz fie führten ja 
nicht zu bem Zwekk, um deſſentwillen fie dach allein Achtung und 
Bäfall verdienten, es waren nur fo hingeworfene Verſuche obae 
allen Einfluß auf den Abrigen Theil bed Lebens. 

Freilich find wir geneigt zu glauben, daB fie deſſen un⸗ 
geachtet noch eimen Werth haben, daß fie wenigftens ruͤhm⸗ 
lihe Zeugniſſe unferer damaligen guten Gemütfhs—⸗ 
verſaſſung find. Aber nein, auch das verſchwindet, wenn wis 
ö etwas genauer überlegen; bei allem ſchoͤnen und großen An⸗ 
Kein ſolcher Handlungen: hat es doch an dem rechten Grunde 
gefehltz e8- war Bein wahrhaft guter Wille da, Beine rechte Ehr⸗ 
furcht gegen. die Gebote Gottes und die Ausſpruͤche unſeres Ge⸗ 
wiſſens. Was unfes rechter Ernft if, was wir als ein noth⸗ 
wendiges unnachlaßliches Erforderniß zum Hauptzwekk unferer 
Handlungen machen, das iſt uns auch um keine Muͤhe, um keine 
Anſtrengung, um keinen Zeituufwand zu theuer. Dabei aber ha⸗ 
ben wir denn immer noch fo Nebenabſichten, Dinge, die wir in 
Vorbeigehn · recht gern mitnehmen, um derentiwillen wir auch mol: 
einige ernſthafte ſchwere Unternehmungen wagen; aber wenn es 
und zu lange Dauert, wenn es zu viel Aufopferung fordert, fo 
laffen wirß Tiegen: - Bücher, ber: du deinen Vorſaz noch auf des 
erſten Sräfe: fine Ausfüzrung aufgabſt, was war wol ‚bie 
Zugend, ber du -Hachgingft-Diefe ganze Zeit ber, ſo cin Haupt⸗ 
wilt oder ſo eine Nidenabſicht?. Woran hing wol vein 


332 

Herz eigentlich, an ber Vollkommenheit, für die du dir einen 
Preis fezteft, den du nicht überfleigen willſt, oder an ber f orgle 
fen Traͤgheit, welche Du nur auf wenige Augenbiitte miſſen 
konnteſt? | 

Ein anderer glaubt vielleicht mit mehrer Recht ausruhn 
und ablaffen zu können von feiner Arbeit, ob er gleich auch weiß, 
daß er noch nit and Ende gefommen iſt; aber er if 
ihm doch weit näher, es giebt ſchon gewiſſe Kalle, wo es ihm 
feine Mühe mehr koſtet feinen alten Fehler zu befiegen, oder bie 
neue Tugend auszuüben; und doch, ‘wenn er fich nur erlauben 
kann feinem Beflreben ein Ziel zu fegen: fo ift er um nichts 
gebeffert, was er errungen zu haben glaubt wird er nur gar 
zu bald verlieren. Warum benn nicht weiter fortgehn auf dem 
Wege, den er mit fo gutem Erfolg betreten hat? Er iſt ed auch 
fatt fich fo viel Mühe zu geben, fo genau auf. alle Umflände zu 
merken, bie ihn in Verfuchung führen könnten, fo viel Vorkeh⸗ 
zungen bei feinen Handlungen zu treffen, fo viel Aufmerkſamkeit auf 
fie zu wenden, fo unabläffig gegen fich felbft zu kaͤmpfen. Henn 
bad bie Urfachen find, warum er fich gern überreben moͤchte, daß 
er es nun wol babei bewenden laſſen könnte, fo ift ihm fein üb 
led Schikkſal wol eben fo gewiß. Sich einen höhern (Brad de} 
guten und ber Wolllommenheit zu erwerben, dazu gehört nicht 
mehr Mühe als fich im Beſiz desienigen zu erhalten, was man 
nur eben erft erlangt hat, und worin man noch fo zu fagen neu 
und fremd if. Scheut er jenes, fo wird ihm auch dieſes mic 
gelingen. Die Wachſamkeit auf uns ſelbſt ift gewiß von allem 
was den wahren Chriften ausmacht das fchwerfte; wer erſt von 
diefer nachläßt, der wird nur zu oft aus Unachtfemkeit in fan 
alten Fehler zuruͤkkfallen, je öfter das geichieht, deflo mehr nimmt 
diefe üble Gewohnheit zu, deſto mehr verliert er vom ber Fertig⸗ 
feit, Die er wirklich fchom hatte; fo kommt er nach und nad ins 
mer voriter zuruͤkk, unmerklich ift ex wieder in dem Zuſtande, wo 
ex zuerſt aufmerffam wurde und einſah, wie noͤthig es ihm woͤre 


393 
been zus werben. Was hat er alfo durch feine erſte Bemuͤhung 
gewonnen? er muß von vorn anfangen, er hat feine Zeit 
und feine Kräfte verloren. 

Und das iſt noch nicht der ganze Schade. De länger biefe 
Nehläffigkeit gebauert bat, je vorfäzlicher fie geweſen ift, deſto 
mehr if er unterdeß zu allem übrigen untüctig ge 
worden. Es ift ja leider wahr, bag wie Chriſtus fagt das 
Fleiſch überall ſchwach ift; unfere ungeordneten Neigungen, uns 
re Sucht nach einzelnen froben Augenblilten, wobei wir und 
um dad wahre bleibende Wohl fo wenig befümmern, fteht und 
bi der Uebung bed guten genug im Wege; wenn nun auch ber 
Saft aufhört. willig zu werben, wenn auch unfere Grundfäge 
berderben, und bie Forderungen an und felbft nachlaffen: fo bleibt 
ja nicht mehr, was und zum guten hinführt. Wer es fich ein: 
mal erlaubt hat mit Ueberlegung ein Beftreben aufzugeben, beffen 
zortſezung ihm doch die Religion gebietet; wer erft in einem 
Stuff fih überredet hat, bag er zu ſchwach fei dad zu thun, was 
et thun foll: ber gewöhnt fich bald an dieſen Gedanken, fo vers 
achtlich er auch iſt; es finden fich immer mehr Fälle, wo er ſich 
für eben fo berechtigt hält fein Unvermögen vorzuſchuͤzen, und 
bald glaubt er bei jeder mäßigen Anftrengung dad ganze Maaß 
ſeiner Kräfte exfchöpft zu haben und fernerer Bemühungen billig 
überhoben zu fein. Kein Fehler wird nun mehr befiegt, keinem 
Vorurtheil fein fchädlicher Einflug benommen, nichts zur Beſſe⸗ 
rung gefchieht, fobald es Mühe und Arbeit koſtet. Tauſend uns 
tchte Handlungen, aus Ueberellung und Irrthum entfprungen, 
wenn fie alich noch fo traurige Folgen haben und noch fo wenig 
m billigen find, ſchaden nicht fo viel ald ber. Mangel an Lufl 
und gutem Willen, der bei diefer elenden Unbefländigleit immer: 
um Grunde liegt. Wenn dad Vertrauen weggeworfen ift, daß 
uns Gott feine ald menfchliche Berfuchung zuſchikkt, keine, über Die 
Bir nicht Dusch Gebet und Anfiengung fiegen koͤnnen; dad Ber. 
au, daß er den bemäthigen Gnade giebt, unb daß auch bie 





334 


wachen mächtig werben durch Die Kraft ber Sötkglon; wenn 
erſt in einem Stüfl die Ueberzeugung weggewerfen iſt, daß wi 
tönnen, was wir follen: wo fol dann auch für alle uͤbrigen bei 
freubige Muth. hertommen, der uns fo unemebehrlich iſt, und be 
dem wir allein mit Wahrheit fagen koͤnnen, feine Bebote fint 
nicht ſchwer. Ungluͤkklich ift freilich der, der noch nicht dazu ge 
formen ift Entichlüffe zu faffen, die doch zu feiner Beſſerung 
nochig wären; aber doch Rind’ die Ausfichten deſſen noch wei 
trauriger, der einmal irgend einen Kampf gegen das böfe ange 
fangen, ber es einmal gewagt hat ſich gegen die unrechtmaͤßige 
Herrſchaft feiner Fehler und Schwachheiten zu empoͤren, aber von 
vorzeitiger Muthloſigkeit ergriffen wieder ablägt und nun gar au 
feiner eignen Erfahrung eine Entfchuldigung zu haben glaubt, 
um unter ihrem Soch zu bfeiben. | 


Ik, 


So greß nun die Nacheheile find, die uns aus biefem 
Mangel an Beftändigkeit erwachfen, fo nichtig find die 
Bortheile weiche wir davon zu genießen hoffen. Bir 
wollen Mühe ſparen, und der Ruhe und Serglofigfeit überlaf 
fen, manchen Unannehmiichkeiten ausweichen, die wir und fonfl dat: 
ten müffen gefallen laffen, manche Freude genießen, bie wir ht: 
ten entbehren mäffen. So wenig das alles auch ift für den, 
der einen hohen Zwekk feines Dafeins kennt, fo If doch aud des 
nicht einmal richtig. | 

Bes wir unangenehm empfinden, fo Hagen wenigſtens die 
Menfchen allgemein, druͤkkt und immer flaͤrker nieder als bie 
Freude uns aufrichtet, unb unter allen Schmerzen if doch Det 
der färffle, wovon wir felbfh ber Gegenfland find, die innere Un; 
jufrichenheit, die Bonväefe des Gewiſſens, die Verachtung unſer 
ſelbſtz und dad ift es doch gewiß, waß wir von dieſer Unbefär 
digkeit erhten, denn es ift nicht möglich, dag alles vorhergegan⸗ 
geste gar nicht in unſere Gedanden zuruͤkktehren ſollte, und wenn 








335 


& Tonmt, To iſt es nicht möglich, baß der Eindrukk daron ass 
vers als demuͤthigend bitter und anklagend gegen uns felbft fein 
han. Ich fage, es ift nicht möglich, daß wir bad vorher⸗ 
jegangene ganz vergeffen follten. Ein Entihluß, ber 
nen wichtigen Gegenfland hat und fihon von einigen Folgen 
vgleitet gewwefen ift, bie große Veränderung in unferm innern 
heils vorbeseitet, theils hesvorgebracht haben, iſt etwas zu wid) 
ige, als baß er uns nicht oft und beſonders bei allen Begeben⸗ 
hiten, die in einen nähern Verhaͤltniß zu bemfelben ſtehen, ind 
Gedaͤchtniß zuruͤkkkommen follte. Geht es und doch oft fo mit 
hm Entichläffen, welche ſich biog auf unfen äußern Zuſtand 
beziehn; He find und noch oft mit allen Umfländen gegenvoärtig, 
wir wiffen noch, wie fie entftanden find, entweber nach und nach 
Ker ploͤzlich, wie wis raſcher ober ängftlicher bie erften Schritte 
zu ihrer Ausführung gethan: und es follte nicht eben fo fein mit 
den beiden entgegengefezten Entichlüffen, deren einer zum Vortheil 
det Zugend und Wolllommenheit gefaßt wurde, und ber andere. 
zum Vorſchub unſerer Trägheit, unferm Beftreben Einhalt zu thun. 
14 fie werden oft vor uns ſtehn, jener mit all dem feierlichen 
Umfländen womit wir germöhnlich eine neue Laufbahn anfangen, 
ait der frommen Begeiſterung, womit wir und aufs neue zur 
10 genauen WBefolgung der Gebote Gottes einweihn, mit ber 
tiffigen Anftrengung unferer Kräfte, mit dem brünfligen Gebet; 
dieſet mit ber Unruhe, die ihm vorherging, mit der bumpfen Be 
Kubung, die ihn begleitete, mit dem Leichtfinn, Der barauf folgte. 
Shen fo lebhaft werden wir und oft die Handlungen erinnern, wel 
Öe zwifchen beiden liegen. Sie haben uns fo viel Muͤhe geko⸗ 
kt, wir haben fie als die Erſtlinge unferer Kräfte geliebt, fie 
galten und lange für die fchörften Augenblikke unſers Lebens 
und waren und die angenehmfle Erinnerung. Alſo find auch fie. 
md zu tief eingeprägt, um fo auf einmal zu verfchwinden., So 
oft ähnliche Fälle eintreten, fo oft es wieber möglich wäre fo 
groß und edel zu handeln, werben ohne Zweifel die vergange« 


336 


nen baten vor und flehn unvergeffen, wenn wir fie auch ve 
geſſen zu koͤnnen wuͤnſchten. Alſo erinnern müffen wi 
uns, aber ed fann unmöglich eine angenehme Erin 
rung fein. 

An dad gute zuruͤkkzudenken, welche und Gott cheneis 
Theil werden ließ, an Leiden, welche uͤberſtanden find, an Ze 
ler, von denen wir und gebeffert haben: das wirb allemal bei « 
nem wohlgefinnten Gemüth mit Dankbarkeit gegen Gott un 
allerlei guten Gedanken begleitet fein; aber an gute Hanblunge 
fih zu erinnern, bie wir jezt nicht mehr ausuͤben, an chriſtlich 
Sortfchritte in ber Tugend, die wir jest aufgegeben haben: da 
iſt gewiß dad quaͤlendſte, was und der vergangene Theil unjerd 
Lebens darbieten fann. Da fehn wir ja recht deutlich, was fü 
Kraft in uns if, wenn wir nur wollen, denn wir müffen bod 
fühlen, daß wir eigentlich feitbem nichtd verloren haben, ald durd 
unfere Traͤgheit, da flellen wir uns vor, was wir nun fein koͤnn 
ten, wenn wir fo fortgefahren hätten; und wenn wir bad mit 
bem vergleichen, was wir wirklich find, dba muß ja wol Reu 
und Schmerz fi) unfer bemeiften, ba koͤnnen wir ja wel 
nichtd anderes empfinden, ald, fo hart es auch ifl, Verach⸗ 
tung gegen uns felbfl, gegen unfern Kleinmuth und 
Weichlichkeit. Und wenn die Abweichung von unferm Ent 
ſchluß die ungeflörtefte Ruhe zur Folge gehabt hätte, ben unum. 
terbrochenen ungetrübten Genuß von allerlei Freuden bed Lebens, 
die und fonft nicht hätten zu Theil werden Binnen: fo fann und 
das nicht entfchädigen, denn jene Ruhe läßt nun weiter feine 
Empfindung des Beifalls und der Zufriedenheit mit und fehl 
zurüff, hingegen müffen wir fühlen, wie wir uns felbft achten 
und über unfern Wandel und die Gnade Gottes an und freue 
müßten, wenn wir unterbeß fortgefahren hätten, die forglofe Rube 
zu verfhmähn und unfere Zeit ferner mit muͤhſeliger Arbeit au 
und ſelbſt, mit munterer Anftrengung unferer Kräfte zuzubringen 
So lieb uns die Freude auch fein möge, die wir anflatt deſſen 


337 

zmoffen haben, fo werben wir fie doch bei einer ſolchen Betrach⸗ 
ung mit ganz andern Augen anfehn, wir werden mit und ſelbſt 
ürmen, daß wir uns durch fie verführen ließen, wir ſehn ein, 
ob eb weit edler geweſen wäre, und weit mehr wahre Zufrie⸗ 
beit bereitet hätte, fie hintenan zu fejen, um in unfen Be 
zühungen fortzufahren, um beffer zu werben und und des Nas 
ms wahrer Juͤnger Jeſu würdig zu machen. Solche Aus 
ſenblikke find es, die wenn wir noch nicht ganz verborben 
m unfere Unbeftändigteit und mitten unter dem 
deinbarſten Gluͤkk des Lebens bereitet. 

Mit welchem Gefüht werben wir erſt an den Augenblikt 
urhltdenten, dem wir das Altes zu banken haben, 
»0 wir zuerfi den Muth ſinken ließen, wo wir zuerſt vorſaͤzlich 
fen Borfaz aufgaben und auf unſerm Wege fi flanden. 
damals vielleicht, als wir dazu verleitet wurden, glaußten wir 
Kb theil®, daß wir fchon etwas von dem erlangt hätten, wos 
nach wir firebten, theild, daß wirklich unfere Kräfte erfchöpft waͤ⸗ 
un, bag es Zeit fei dem Berlangen unferer ſchwachen Natur 
ch Ruhe und Erholung nachzugeben; aber das tft auch nur 
ine Taͤuſchung, die aldbann, wenn wir einmal mit Vorwürfen 
gen uns felbft befchäftigt find, nicht Stich hält. Be aller 
leberzeugung von ber Unvollfommenheit und Schwäche ber Men: 
Gen überhaupt ift doch ein natürliches Gefühl in und, welcheß 
ms fagt, daß einer je fo viel gelitten hat, er hätte noch ‚mehr 
ciden koͤnnen ohne zu erliegen, Feiner je fo viel gethan, er hätte 
urn noch mehr thun koͤnnen, daß die Kräfte des Menfchen un: 
meffen find, und noch Feiner fagen koͤnne, daß er and Ende der: 
ben gefommen fei, dag alſo in allen Fällen und fo weit wir 
3 auch gebracht haben mögen die Regel des Apofteld ihre Rich⸗ 
igfeit hat, baß es am. beten fel micht nach bem zu fehn was 
ndinten iſt, nicht zu fragen, ob das nicht alles fei, was in unfe 
u Gewalt ſtehe, ſondern fd Yange noch etwas vor und iſt, dem 
nit uermbeheii Eifer nachzujagen. Das Gefühl wirb nur zu 

Prebigten J. Y 


388 


bald auch bei und zuruͤkkkehren und und die Augen über unfaı 
eigentliche Lage Öffnen; wir werben fehen, daß nur eine fcheinban 
Enskräftung, nur ein Anfall von Traͤgheit, nur eine zu gult 
Meinung von dem, wad. wir fchon geleiftet hatten, und zu dem 
weichlichen Entſchluß bewog; wir werden, wenn unfer gufe 
Wille noch nicht ganz erfioxben if, die Zeit, die wir feitdem auch 
noch fo gluͤkklich verlebt haben, für unfere Beſtimmung verloren 
bakten und Reue und Unzufriebenheit werben und ben Ge 
nuß jebes dieſer Freuden verbittern. 

Nur derjenige m. a. Fr. kann der bittern Stund 
entgehn, die ihm. feine Wankelmuͤthigleit durch die Vorwuͤrft 
ſeines Gewiſſens bereitet, der bie Stimme deſſelben ganz : 
flitft, der der Tugend ganz entfagt; dem erfcheinen banı 
die guten Entfchlüffe die er ehemals gefaßt als Irrthuͤmer, von 
denen er num geheilt ifl; die guten Handlungen, bie ein ſo 
fhöner aber Leider vergeblicher Anfang der Tugend waren, ald 
Thorheiten, denen er nun entfagt hat; der fieht den Augenblikh, 
wo ‚er es zuerft wagte jich den ſtrengen Forderungen feined Dr 
zens muthig zu entziehen, als ben erflen Anfang feines Glufft 
und feiner Ruhe an. Aber dad m. Fr. iſt es doch nicht, we 
bin wir wollen, wenn wir aus Ueberbrug und Ermübung 
von unferm Eifer nachlaffen; wollen wir aber dahin uicht, 10 
bereiten wir uns burd ein ſolches Verfahren nichts als Reut 
und Bitterkeit gegen und felbfl. 

Dad laßt und doch verhüten, laßt und doch bie Mühe, De 
wir einmal angewandt haben, nicht ein fo fchlechtes Ende neh⸗ 
men. Auch wenn es nur eine unbetraͤchtliche Schwachheit if, 
die wir ablegen wollen, auch wo es nur eine von bem weniget 
wefentlichen guten Eigenfchaften ift, wonach wir fireben, auch de 
laßt und von unferm Eigenduͤnkel und unferer Traͤg 
beit nit zur Unbeſtaͤndigkeit verführt werben, auf 
daß wir und nicht an Nachläffigkeit und Wankelmuth gewoͤhnen. 
Biel mehr noch laßt und -auf unferer Hut fein, wo es auf nothe 


De I" 





339 


wendige für unfer ganzes Leben wichtige Tugenden und Fehler 
anlommt. Es wird und freilich manchmal ſchwer befländig zu 
Haben und auszuharren, ba laßt und bad Ungluͤkk bedenken, 
dem wir entgegen eilen, und alle Mittel ergreifen, bie uns da⸗ 
gegen zu Gebote ſtehen. Laßt und auf das Ziel fehen, bad uns 
vorgeſtekkt iſt, auf dad Beifpiel Jeſu und feiner erften Jünger, 
weiches und vorleuchtet, und zur Kraft der Religion und bed 
Gebets unfere Zuflucht nehmen, fo wird ed auch und möglich 
werden in unferm Beruf und in allen einzelnen Theilen deſſel⸗ 
ben zu beharren bis and Ende! Amen, 


y 2 





[% — 2 








XII. 


Anregung zum Danke gegen Gott wegen der 
Wohlthat des wiedergeſchenkten Friedens). 


ueber Pf. 100, 4— 5. | 
| 


| 
1795. 


Ehre ſei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und ben Re: 
fchen ein Wohlgefallen! — 

M. g. Ir. und Mitbürger. Eine wichtige, eine außerordent: 
lich frohe Begebenheit verfammelt uns heute. Friede! Friede! 
bad ift das große Wort des heutigen Tages, das ifk der erfreu⸗ 
liche Gegenſtand unferer Feier. Was fo lange das Ziel unſerer 
wärmften Wünfche, unferer gefpannteflen Erwartungen geweſen 
ift, das ift endlich erfolgt nach fo mandyem fchweren Kampf 
nad) fo mancher vergeblichen Hoffnung. Wenn wir m. Sr. ge 
neigt find in einfamen Stunden über den Zufammenhang dieſer 
großen Begebenheit nachzubenten und in Augenblikken bed Ber 


°) Dieſer Briede wurde am Sten April 1795 geſchloſſen. 
D. H. 


341 


gnögen bie unſchuldigen Ergießungen unferer Freude mit eins 
ender zu theilen, fo laßt und jezt zu höheren Gefühlen und Bes 
kehtungen umd erheben; laßt und mit unfern Gedanken 
uflleigen zu demjenigen, ber bie Quelle des Heils 
if, welhes uns wiberfährt. Lat und ihm unfern Dank 
unfer Lob, unfere Verehrung barbringen! Wir ermuntern uns 
u durch fein heilige Wort. N 


Text. PN. 100, er 
Gehet zu feinen Thorn ein mit Danken, ‘zu feinen 
Vorhöfen mit Loben; danket ihm, lobet feinen Namen! 
benn ber Herr ift freundlich und feine Gnade währet 
ewig und feine Wahrheit für und für. 


Der fchöne Lobgefang, aus welchem diefe Worte genommen 
find, athmet ganz das Gefühl eines gerührten, von ben Wohl: 
thaten des Höchfken durchdrungenen Herzens, und dad iſt gerabe 
die Stimmung, in welcher wir alle und heute billig befinden. 
Denn folche fromme Gefühle Tönnen nur als bie Frucht vorher: 
Sgangener Betrachtung über die Werke und Thaten Gottes in 
und entftehen, und heute haben wir eine große, eine herrliche, eine 
mundernöwürbige That des Höchften zu feiern. Laßt uns alfo 
in den Geift unſeres Textes eindringen, ohne und länger bei ben 
orten deffelben aufzuhalten. Wir wollen und. ermuntern zu 
inem innigen Dante gegen Gott wegen ber Wohlthat 
des wiedergeſchenkten Friedens; zu dem Ende wollen wir 
lich das wohlthätige deſſelben uns in einer kurzen 
Ueberſicht vor Augen flellen und dann zweitens über: 
gen, wie ſehr wir Urſach haben, dies alles als ein 
Verk des Hoͤchſten anzuſehen. 

Wenn ich, indem ich die großen Vortheile bed Frie⸗ 
dend ind Licht ſezen will, bei bemjsnigen anfange, was und 


342 


ſelbſt, die Bewohner dieſer Stadt, dieſer @egenb, bie 
fer Provinz betrifft, fo geſchieht es warlich nicht, um in di 
überfpannten Klagen mit einzuſtimmen, weiche wir in dem kur 
zen Zeitraum bed nun beendigten Krieges nur zu vft amdgeflope 
und gehört haben, fondern vielmehr, um euch zur Gerechtigke 
gegen bie Vorſehung aufzufordern, welche uns fo vorzüglich ver 
ſchont und begünftigt hat. Es mag fein, daß ber Bauf des Krk 
ges mit bie Urfach davon gewefen, daß fo manche Bebürfnifl 
bed Lebens und bed Wohllebens koſtbarer herbeizufchaffen gem 
fen; es mag fein, daß fo manche Claſſen unferee Mitbürger di 
nen gewiffen Druff deſſelben auf ihren Gefchäften gefühlt, da 
er ihre gewohnte Betriebſamkeit gelähmt bat; vergleichen mi 
aber das mit dem, was andere Voͤlker und Gegenden gelitten, mi 
dem was unfer Schikkſal in jenem weit verderblichern Krieg 
geweien, deſſen fürchterliche Spuren nach einigen dreißig Jahre 
faum gänzlicy vertilgt find — hat wol ber Feind unfere Saatıı 
und Ernten geflört? unfere Vorrathskammern geleert, unfere Der 
wandten ald Geigeln binweggeführt, unfere Staͤdte und Dörfe 
verwüftet? haben wir feinen Uebermuth, feine Erpreffungen, feine Ge 
waltthätigkeiten ertragen müffen? bat er alle Schreffniffe ii 
Krieged dicht vor unfern Augen verbreitet? Laßt uns immt 
geftehen, dag wir für unfern Theil vielleicht einig: 
Segnungen des Friedens entbehrten, aber gewiß, di 
eigerthümlichen Uebel des Krieges haben wir nid 
empfunden, 

Ich fage das keinesweges m. Fr., um etwa unfere Danl 
barkeit für den wiedergefchenkten Frieden in Gleichguͤltigkeit } 
verwandeln. Es ift vielmehr fehr erfreulich, daß auch bie gerin 
gen Unbequemlichkeiten, die wir empfunden haben, nun aufhört 
follen, daß Friede und Ruhe alle Gewerbe wieder beleben, da 
die Schäge und Kräfte des Staats wieder zu unferm eige 
nen befien wudern werben, daß das Auge ımd die Sorgfalt UM 
fered König und feiner Mäthe wieder mit ungetheilter Aufmer! 


Imfeit und gluͤlklichem Erfelg auf bie Mefkfligung und; Visutike 
zung unferd Wotttergehns gewichtet ſein wird, ja die Hoffnung 
dieſes beffern Zuflandes hat fchon von dem erſten Augenblikk a, 
da die erwaͤnſchte Machticht erſchien, das Angeficht eines :jeben 
guten Buͤrgers erheitert. Ich führe died nur an, am und nun 
auch zu einer Freude aufguforbern, die weniger auf der 
Berechnung unferes eigenen Vortheils beruht, fon 
dern fih anf edlere Gefühle der Theilnahme und 
der Menfhenliebe gründet und unferm deren deſto 
mehr Ehre macht. 

Laßt und auf jene zahlreiche Claſſe unferer Mitbürger 
ſchen, weiche fo Lange ber Gegenſtand unfered gerechten Mitlei⸗ 
dend, unfered freundfchaftlichen. Troſtes, unferer thätigen Unten 
ſtizung gewefen iſt; ich meine diejenigen, weiche Wäter, 
Satten, Kinder und liebe Freunde unter den Ver 
theibigern bed Waterlanbes haben: Wie mancher harte 
Schlag hat nicht viele unter ihnen getroffen. Obgleich es ber 
mörderifchen Tage für unfere Krieger nicht viele gegeben, obgleich 
ht viel preußiſches Blut die Erbe gefärbt hat, fo hat doch 
manche Familie diefen gluͤkklichen Tag mit dem Verluſt eines 
teuen Verſorgers, eined lieben Sohnes erfaufen müflen. Viel 
Ihrhnen eines gerechten Kummers finb gefloſſen, viel vergeblicye 
Hagen barüber find gehört worden, baß fie die Fehler anberer 
mit dem Verluſt desjenigen büßen mußten, was ihnen im Leben 
dad liehfle war. Wo aber auch das nicht gefchehen ift, da mußte 
dad Herz vieler taufende von banger Beforgniß beflänbig ges 
filter fein. Taͤglich wußten fie die ihrigen ben Gefahren ber 
Sefangenfchaft, der Verwundung und bed Todes audgefezt, ohne 
eine hälfreiche Hand nach ihnen auöftreften, einen exquilfenben 
Bikk ihnen zuwenden zu können, und wenn erft bie Umflände 
vemuthen fießen, wenn ber Ruf fich verbreitete, daß ber Tod 
Me große Ernte halten, daß Heee an einander gerathen, daß 
Schhüz und Schwerter wüthen würden: welche angftoolle Unge⸗ 


wißeit vom dieſem Augenbiff an, bis enblic Die Nachricht Dei 
Lebens oder bed Todes fir — nur auf kurze Beit — enbigte 
Dad m. Fr. fol num nicht mehr geſchehen, bie Schwerter glän 
gen nicht mehr, und ber Donner des Geſchuͤzes ſchweigt. Di 
Angelegenheiten eined fremben Volks follen binfort nicht ch 
Wittwen und Waifen unter uns machen; bie Unruhen eines fer 
nen Landes follen nicht länger Zerrüttung in unfere Familier 
Bringen und bie fügen Bande ber Natur gewaltfam zerreigen; Beis 
geängftigteß Herz foll länger ohnmaͤchtige Wünfche und frucht 
loſe Seufzer nach dem ungluͤkklichen Schauplaz ber. Baheerumg 
hinſchikken. Wald wird bie füße Wiedewereinigung gefbeben, je 
ber wirb bie feinigen umarmen, und wir, bie wir Zeugen ihres 
Elendes waren, werben auch Zeugen ihrer Freude fan. 

Zaßt und der Bewohner jener Provinzen unferes 
Königs gebenten, über bie auch zulezt ber Krieg feine Geißel 
geſchwungen hat. Vom erfien Anfange beffelden an mußte ſchon 
bie Wahrfcheinlicykeit, daß auch zu ihnen ber erbitterte Feind fich 
nahen Tönnte, ihre heiteren Stunden trüben und Freude unb 2a: 
cheln von ihnen verfcheuchen. Er kam endlich, die Wogen bes 
Sieges waͤlzten feine Heere über ihre Fluren. Die gewohnte 
Ordnung ber bürgerlichen Einrichtung wurde geftört. Gerichte 
und Obrigkeit befamen eine neue Geflalt, ihre Kirchen wurden 
Kornboͤden, ihre Häufer Krankenzimmer. Gewaltfam mußten fie 
ihre Vorräthe und Habfeligleiten mit bem bürftigen Krieger thei⸗ 
ien, ber ihre eigenen Schäje zum fernem Drukk ihres Baterlan: 
bed brauchen wollte. So feufzten fie unter ber Lafl des Krieges, 
und bie Furcht vor dem, was noch kommen möchte, flörte jeden 
zuhigen Genuß bebjenigen, was ihmen noch übrig gelaflen war. 
Auch Ihnen glänzt jezt bie fchöne Ausſicht auf BWirderherfiellung 
und Ruhe; fie fangen an mit erneuerten Kräften ben Känften 
des Friedens obzuliegen; der Feind hat ihre Gegenden veriaffen ; 
wo feine Heere noch ſtehen, ba fichen fir als verfühnte Frrunbe 


MB 


and bruͤberliches Bernehnmen Ihfcht nach uud nach. bad bittere X» 
denlen an bie Wergengenheit. 

Loft uns unfere Augm auf ben Zuftand Deutfhlands 
tihten, welcheö unfer großes Vaterland iſt. Diejenigen 
Zheile deffelben, wo fich die Natur in ihrer ganzen Pracht und 
Shöaheit zeigt, die unter die lachendften, angenehmſten Gegen: 
den unfered Weltiheild gerechnet wurben, wo bie Erbe fo vor 
zuglich die Mühe ihrer Bearbeiter lohnt und Wohlſtand und 
Uderfiuß über ihre Kinder verbreitet, diefe bieten dem traurigen 
Inge jegt nichtd bar als oͤde Städte, entvoͤlkerte Dörfer, verwuͤ⸗ 
fe Landſchaften und flatt bed Bildes der Heiterkeit und des 
Reichthums freudenleere Gefichter, von ben Yurchen bed Hungers 
und ded Elendes verunßaltet. Doch nicht mur diefe einzelnen 
Gegenden beherrſchte der Krieg mit feinem eifernen. Seepier. 
Bern von überall ber, wo nur deutſche Wöller wohnen und 
dentſche Sprache geredet wird, Krieger zufammengebracht wurben, 
m dad Vaterland bald zu retten bald zu verherrlichen, Abgaben 
md Schaͤze zufammengeholt: wurden, um fie zu ruͤſten und zu 
aim: fo bet ſich auch fein ſchaͤdlicher Einfluß auf bie Zufsier 
denheit unb den Wohlſtand der Menfchen über - jeben heil bes 
deutſchen Sanbed verbreitet. Es fol ihm Einhalt getban we 
den, ed, wird nur an ihnen und ihren Beherrſchern liegen, wenn 
fie nicht alle Wohlthaten des Friedens mit und. genießen und 
alles gute benuzen, welches ihnen feine Ruͤkklehr verichaffen Fann, 
Jene verwüftete Gegenden werben fich wieder erholen: bie Gnade 
deß Himmels verfpricht es, welcher immer wieder aufrichtet, wen 
er geihlagen hat, die Umſtaͤnde verbürgen 48, indem fie ihneing 
lange Ruhe fichern. 

Do wir muͤſſen nicht bloß in den engen Grenzen unferes 
Vaterlandes fliehen bleiben; viel weiter hat der Krieg feine ſchaͤd⸗ 
ihen Folgen ausgedehnt, wiel weiter wirb auch ber wohlthätige 
öriede mit feinem Erſaz reihen. Jenes unglüflliche Land, 
welches mir fo Lange feindfelig behandelten, iſt ba 


346 


durch an bin Abgrund des Elendes gebracht worden; 
ber Krieg hat das traurige Werk ber. Berfbbrung vollendet, wel, 
ches innere Unruhe begonnen hatte. Viele taufenbe feiner tapfen 
Bewohner find den Tod fürd Vaterland geſtorben; Handel, Br 
Schr, Gewerbe und Afterbau find vernichtet; alle Schreklniſſe dei 
Mangels treten ein, und fo lange es gendthigt war feine Krafk 
zu einem auswärtigen Widerſtand zu verfchwenben, war es au 
Ber. Stande den großen Zwekk feiner Anflrengungen und fein 
Ungluͤkksfaͤlle zu erreichen. Biele benachbarte Voͤlker und König: 
veiche hat der Krieg gleicherweife verwüflet; faſt Die ganze geſt 
tete Erbe ift durch Ihn erfchüttert worden; in bie entfernicdka 
Welttheile find feine Funken geflogen und haben bort eis neud 
Feuer entzündet; dad Meer felbft hat in feinen Xiefen ben Dow 
ner des Krieges gehört und die Leichname der gefallemn au 
feirien Wellen getragen. Wenn gleich ber Friede, den wir il 
genießen, nicht alle diefe Uebel heilt, fo haben wir doch alle Us 
fach ihn als den Vorboten einer allgemeinen Ruhe auzufchen um 
zu hoffen, daß andere Regenten dem weifen Beifpiel folgen wer 
den, womit ihnen ber unfrige vorleuchtet! Wir werben fehen, dei 
der Friebe mit feinen Segnungen wieder bie ganze Erbe beglüfft 
daß feine mwohlthätige Hand alle Wunden des Krieges heilt, de— 
auch bad bedauernswuͤrdige Frankreich unter feinem Schyze wit 
der gedeiht, und daß alle Voͤlker in ungeftörter Eintracht, jedel 
auf feine Weife, dem Ziel bürgerlicher Gluͤkkſeligkeit und menfc 
licher Vollkommenheit nachgehn. 

w Bas aber für ein gefuͤhlvolles Herz das allerfchäzbarfie ® 
iſt Mefes, daß wir nun wieder ganz anfangen Fönne 
Menfchen zu fein und uns allen Gefühlen ber Zheit 
nahme und der Bruderliebe ohne Ruͤkkhalt zu übe 
laffen. Es if traurig, daß wir ohnerachtet unferer natürliche 
Anlage zur Sefelligkeit dennoch in manchen Umflänben genoͤthig 
find, und über das Ungluͤkk unferer Bruͤder in dem nämlice 
Augenblikk zu freuen, da wir es bebauem. Wenn das Feue 








347 


vb Himmels das Haus meines Nachbarn entzündet, fo beklag⸗ 
ih ipn und doch freue ich mich, daß nicht eine wenig veränderte 
Kihtung es auf das meinige geführt bat; wenn ber Würgens 
gel verheerender Krankheiten umhberzieht und ringsum feine Op» 
fer ſchlachtet, fo freue ich mich, baß er ermübet war, ehe ex die 
Meinigen erreichte. Nirgends aber ift diefer Widerfpruch unferer 
Empfindungen härter und unvermeiblicher als während der bius 
tigen Streitigkeiten ber Möller. Wenn der Zeind gluͤkklich If 
und in unfere Grenzen einbringt, fo beklagen wir biejenigen, bie 
fine Stärke fühlen muͤſſen; aber freuen wir und nicht zugleich, 
das fie vor uns Hegen, baß er an ihnen genug bat und daß nach 
6 manche Hefte, fo manche Strekke Landes ihre Kräfte an ihm 
abreiben muß, ehe er und erreicht. Wenn ber Tag der Schlacht 
da if, fo freut fich der Krieger Über die Verheerungen, die fein 
Schwert anrichtet, über die Reiben, bie fein Geſchuͤz danieder⸗ 
wirft; er freut fich, fein Vaterland mit ihm freut fich über baä 
Ungiüff derer, Die ihm nur ald Freunde und Brüder befannt fein 
ſollten; ja fo weit werden ale Regumgen ber Menfchlichleit er⸗ 
fifft, daß jeder einzeine fich über den Lauf der Kugel freut, bie 
ſeinen Nachbar. hinſtrekkt und ihn verfchont. Diefer traurige Zus 
fand Hört auf, der Friede verflattet und die unbedingte Kuͤkkkehr 
m allen Tugenden und Freuden ber Menfchens und Bruderliebe. 
Ken Ungluͤkk gefchieht mehr in dem weitverbreiteten Zuſammen⸗ 
yng der großen Weltbegebenheiten, welches wir als unfer Gluͤkk 
infehen müßten; feiner faͤllt, deſſen Tod wir als ein Verſoͤhnungs⸗ 
pfer für unſer Schikkfal feierten; Beine Ihräne wird mehr ge 
weint, der in unferm Angeſicht eine verſtekkte Freude antwortete, 
kür jeden fröhlichen koͤnnen wir jest Freude haben und für jeden 
hetrͤbten Mitleid. Wir dürfen und nicht länger über neue Zwie⸗ 
kat, neue Zerrüftung freuen, weil fie die Gerechtigkeit unſerer 
Sache ins Licht fezen und den Fortgang unferer Waffen verbän 
gen; mit berzlicher Freude koͤnnen wir fehen, wie unfere chemalis 
gen Feinde anfangen werben Ordnung und Gelege auf bie an⸗ 


gemeflenfie Weiſe unter füh herzuftellen, erlittenes und ſelbſtbe⸗ 
gangenes Unrecht wieder gut zu machen und die verlaſſene Stufe 
der Macht, der Ehre und bed Wohlſtandes wieder einzunehmen. 

Dies, m. Fr., find bie vornehmſten Züge aud dem reizen⸗ 
ben Bilde bed Sriebendz; laßt und nun 


Il. 


feben, wie viel Urſach wir haben, diefe Begebenheit 
als ein Werk des Hoͤchſten anzuſehen. 

Bern gleidy unfere Religion es lehrt, wem gleich umfer 
Gefuͤhl es befiätigt, wenn gleich unfer Verſtand uns binlänglich 
davon überzeugt, daß alled was in der Welt geſchieht das 
Werk des mächtigſten und weiſeſten Weſens iſt: fo find 
wir doch gar zu geneigt, biefe große Wahrheit bei allen alltägli- 
hen Ereigniffen zu vergeffen, bie ihren Grund in dem gewoͤhn⸗ 
lichen Lauf der Dinge haben. Traͤgt fi) aber etwas wichti: 
ges und auffallenbes zu, wobei wir um es zu erflären auf 
die ewigen unmwanbelbaven Geſeze ber Welt und der menſchlichen 
Natur zurükfgehen unb in großen Entfernungen bie Punkte aufs 
ſuchen müflen, woran bie Faͤden bed Schikkſals geknuͤpft find: 
dann koͤnnen wir nicht umhin eben diefe Wahrheit in ei 
nem deflo glänzgenbern Lichte zu erblikken. Und dies 
ifi gerade der Fall bei ber großen Begebenheit, welche der Ge: 
genftand unferer heutigen Betrachtung ifl. 

Es giebt befonderd zwei Urfachen, welche die Kuͤkk— 
kehr des goldenen Friedens zu und fo glulflih be 
[hleunigt haben. Die erſte iſt das unbefändige, fo fehr 
wechſelnde Gluͤkk des Krieges. Ich glaube wol daß viele 
unter denen, welche geneigt find die Tapferkeit ber Krieger nach 
dem Gluͤkk der Waffen und die Stärke des Vaterlandes nach 
ber Anzahl aufgehäufter Siege zu meffen, wenig aufgelegt fein 
werben, diefe Unbeſtaͤndigkeit als eine weite zum Frieden führende 


349 


Sägung bed Himmels anzufehen, doch ift e8 nicht anders. Ein 
einfeitiged Gluͤkk, beſtaͤndige Siege vermehren bie Forderung und 
den Stolz bed einen Xheils, fie nähren den Haß, den Muth; 
die Beharrlichkeit des andern und reizen ibn immer aufs rieue 
feine Kräfte gegen das wibrige Geſchikk anzuſtrengen, um in ei 
nem weniger bittenden Ton das Wort Friebe auszufprechen, unb 
ihn weniger aus bloßer Guͤte zu erlangen. Auf dieſe Weiſe nimmt 
Streit und Slutvergießen bei gereizten Leidenfchaften kein Ende: 
Jenes öftere Wechfeln aber, wovon wir in dem kurzen Zeitraum 
dreier Jahre fo viele umvermuthete und wunderbare Beifpiele ges 
ſehen haben, trägt ein großes bei, die Gemuͤther zum Trieben zu 
ſtimmen. Die Kräfte, welche zur Fortſezung dieſes verderblichen 
Zuſtandes nothwendig gehoͤren, werden eher und fruchtloſer er⸗ 
ſchoͤpft; die Schwierigkeit fie beſtaͤndig zu erneuern wird von deni 
lneberdruß unterſtuͤzt, der eine Folge vergeblicher Anſtrengungen 
iſt. Die Erbitterung beider Theile ſtumpft fich nach und nach 
ab, wenn der eine nicht ben wachſenden Uebermuch bed andern 
fürdten darf, und dieſer nicht durch die fehlgeſchlagene Hoffnung 
aufgebracht wird, mit jedem Siege feinen Feind Triechender und 
unterwuͤrfiger zu finden. Sie werben gewohnt fi) gewiſſerma⸗ 
ben ald gleich zu betrachten, und das Gefühl dieſer Gteichheit 
giebt ein Vorgefühl von Freundſchaft und Zutrauen. Eine ge 
genfeitige Achtung: für den Muth, fir die’ Tapferkeit, - für die 
Tugend des andern ſtellt fich ein und bringt das Verlangen 
bervor, nicht laͤnger feindfelig gegen einander zu handeln: Wäre 
alfo jedes: Unternehmen von einem günfligen Erfolg begleitet ge⸗ 
weſen, hätte fich jeder Meine Umſtand für und erfiärt,; fo wuͤrde 
wahrfeheittlich der Streit weit langwieriger und bie Art ihn u 
führen weit blutiger und unmtenfchlicher geworben fein. 

Eine anbere Urfach des beſchleunigten Friedens‘ 
if die'umerwartele Veränbderung in ben innern Zu⸗ 
Rande bes feindlichen Bandes, der ſchnelle Sturz derjeni⸗ 





0 


gen, bexen böfer Mille dort fo grenzenlos, fo tyranniſch zu gebie 
ten hatte. Wenn ihr furchtbarer auf ben Truͤmmern des allge 
meinen Wohlſtandes gebauter von ben Leichen vieler tauſend 
ermordetes Mitbürger gehaltener Thron fo feſt geſtanden hätte, 
ald er zu ſtehen ſchien, wir würben warlich nimmer biefen glüff: 
lichen Zug geliehen haben. Bon dem unfianigen Eifer beſeelt 
ihre überfpannten Gebanfen, ihre verkehrten Grundſaͤze, ihre un 
baltbaren Ginzichtungen überall -geltenb zu machen, wohin das 
Gluͤkk ihrer Waffen fie führen würde, mit dieſer wüthenben Be 
gierbe, jede wohlgeordnete Verfaſſung in ihrer Naͤhe zu verwich⸗ 
- tem und ihr zerrütteted Sand mit nichts als zerrütteten Laͤndem 
zu umgeben, würbe wol ingenb ein gesechter und billiger Bon 
flag bei. ihnen G%hör gefunden Haben, de er doch unmöglich 
wit ihren tollen Entwürfen befichen konnte? Hätte wel irgend 
ein Vater feines Volks denjenigen ben Frieden anbieten können 
welche ‚Iingerechtigkeit und Xreulofigkeit zu ihrem erflen Gel 
gemacht hatten, und bie leicht eine Gelegenheit gefunden hätten, 
einen heuchlerifchen Bertrag zu brechen und bie Zrüchte ihre 
Bosheit zu ernten? Nur bie Wiederkehr vernünftiger Grund 
füge und einer weifen Maͤßigung konnte aud Friede, Verttauen 
und Eintracht herbeiführen. 

Wem haben wir nun aber jenen Wechſel des Gluͤkks, 
wem biefe unerwartete Veränderung zu danken? 
Wir ſehen auf der einen Seite eine Menge von Heinen Umflän 
ben dazu zufammentreffen, viele einzelne Begebenheiten, bie, ohnt 
daß ihr Einfluß auf. dad ganze von irgend eines menſchlichen 
Kiugheit im voraus wäre berechnet worben, bloß durch bie be 
fonderen Berhältniffe, die Heinen Leidenfchaften, die niedrigen Ab⸗ 
fihten, den elenden Parteigeifi einzelner Menſchen veranlaft 
wurden. Allein ber Hauptgrund von beiden liegt im den 
unwandelbaren Gefezen der menſchlichen Natur. Dick 
bringen es mit ſich, daß auf den Sieg Troz, auf den Troz Ueber 


351 


wuth folgt, und daß der Uebermuth ein Warbote der Sorglofige 
kit und des Verluſtes if. Sie bringen es mit fi, baß bei 
mutbigen ihre Kraft fühlenden Menfchen gehäufte Ungluͤkksfaͤlle 
nur dazu dienen die Anſtrengung zu verboppeln, bie Klugheit 
zı weiten, ben günfligen Augenblift mit feiner Beurtheilung wahr 
pnehmen und mit einem an Verzweiflung ayenzenden Muth zu 
bennzen. Das iſt das ganze Geheimniß der wunderbaren Wech⸗ 
ſel des Gluͤkks. Jener Uebermuth der feindlichen Heerſchaar machte 
& unfem Streitern leicht ihnen zu verſchiedenen Malen deutſche 
Gtaͤdte, Fee und Länder wieder abzugewinnen und fie in bie 
Grenzen ihres eigenen Gebiets zuruͤkkzuweiſen. Dieſe verdoppel⸗ 
tm Auftvengupgen, dieſer durch das Ungluͤkk erhöhte Muth hielt 
fe unfrigen in ihren glängmbflen vielverſprechendſten Fortſchritten 
auf und riſſen ihnen öfters in ben nämlichen Augenblilten, ba 
fe alles zu exgreifen glaubten, alled wieber aus ben Händen, 
Die menfchliche Natur bringt ed mit ſich, daß alles in ber Welt, 
dab wahrhaft gute ausgenommen, fich durch Umſtaͤnde unterflügt 
Meiner gewiſſen Höhe erheben kann, aber wenn ed biefe erreicht 
at, auch gewaltfam zurüftfinft und in diejenige Nichtigkeit vers 
Kit, die ipm fein innerer Werth ſchon beflimmte. So erhob 
fh auch, fo herrſchte jene blutbürflige boshafte Rotte, ihre 
Nacht währte eine Zeit lang und als fie ihren höchflen Gipfel 
eneicht hatte, da behnte fich plözlich die zuruͤkkgedraͤngte Kraft 
ber Bernunft und ber Gerechtigkeit wieber aus und. that ihr ihe 
wohlverdientes Recht an. 

Können wir wol umhin in jener Verkettung kleiner Um 
finde und Begebenheiten den weilen Finger beöjenigen zu er 
nen, der. von je her felbft die Irrthuͤmer, felbft bie Leidenfchafs 
tm der Menſchen mit allen ihren Wirkungen feinem Willen dienſt⸗ 
bar zu machen umb zu feinem großen Endzwekk zu benugen wuß⸗ 
im? Es iſt derjenige, deſſen Gnade ewiglic) währt. Können wir 
unpin, in dieſem unverrukkten Gang aller menſchlichen Schikkſale 





352 

nach den einfachſten Geſezen die mächtige Hanb bedjenigen 
wahrzunehmen, der ber Welt und ben Menfcen bie 
weifen ewigen Gefeze vorgefhrieben Hat, nach denen fi 
"Alle Begebenheiten und alle Handlungen ohnfehlbar entwikkeln, 
und fo zufammtengefest und verwirrt fie auch zu fein ſcheinen 
dennoch ganz einfach geleitet werben unb fich in die große Ord⸗ 
nung feiner fiebevollen Abficht fügen muͤſſen. Es if bee 
m. Fr., deſſen Wahrheit für umb für währe. - 

Eine Wohlthat ded Herrn ift alfo der Tag, den wir en. 
Ihm laßt und unfern Dank und unfere Anbetung 
Bringen. Er? hat die Völker zur rechten Beit ber Eintracht ge 
neigt gemacht, er machte den Frieben leicht, gerade da er am 
nothwenbigften war. Er gab und einen König, der mit loben® 
wuͤrdigem Eifer dad Schwert zog mm das Baterland zu ſchuͤzen 
und die Ungerechtigkeit zu demüthigen, aber auch nun mit väter: 
licher Weisheit das Wohl feined Volks den räumen von glän: 
zenden Thaten vorzieht und die Kräfte feined Landes beſſern Endzwel⸗ 
Ten aufipart, zufrieben daß ein heil feiner Abfichten burch bie ver 
borgenen Wege des Himmels dennoch erreicht iſt. Aber laßt auf 
unfern Dank rechter Art fein. Der Herr hat und von den 
Schrekkniſſen des Krieges befreit, möchten wir und nun auch al: 
ler Segnungen bed Friebend würbig und theifhaftig machen; er 
hat gegeben, daß ein jeder in feiner Hütte frieblich wohnen kann, 
möchte fie num auch jeder mit Gerechtigkeit und Weisheit auf 
fhmüffen; er hat und mit unfern Brüdern verföhnt, möchten wir 
nun auch unſer Herz allen Gefühlen der $reundfchaft und ber 
Menfchenliebe auftyun, daß Gerechtigkeit und Treue, Eintracht 
und Freude unter ums herrſchen. Durch feine Gnade find wit 
bie erften, die in den natürlichen Zufland der Ruhe zuruͤkkkehren, 
möchten tie auch an allen Zugenden und Kenntniffen des Frie 
dens allen andern Voͤlkern vorangehn und-fie ale an Kechtſchaf⸗ 
fenheit und Ordnungsliebe, an Fleiß und Bekriebſamleit, an 


353 


Uffiärung und Verſtand, an Zrieblichkeit gegen ben Mitbürger 
und Liebe zum Vaterland übertreffen. Der Wandel nach den 
Geboten des Herrn, die Kortfchritte in allem, was löblich 
it und wohllautet, und jede Erkenntlichkeit, die durch Thaten 
hriht, das if der wahre einzige Dank gegen ben, bem 
Schorfem mehr gilt ald Opfer, vor bem der weile Genuß feiner 
Vohlthaten umenblich mehr werth iſt ald bie flüchtige Ruͤhrung, 
bie auch der erhabenſte Lobgefang hervorbringen kann. Amen. 


Prebiggug 1. 3 


XIV. 


Leber‘ die Nächftenliebe nach der Vorſchrif 
Chrifti. 


Ueber Matth. 2, 35%. 


RW, hören alle von Jugend auf, daß Liebe bed naͤchſter 
das hoͤchſte Gebot der Religion ifl; wir lernen dies nid) 
fobald glauben, als wir es auch von felbft fühlen, und kaum er 
wacht unfere Vernunft, fo ift es fchon ihr erfted Gefchäft, dieſer 
Glauben und dies Gefühl durch ihre Ausſpruͤche zu beflätigen 
So ift dies alfo eine Pflicht, die im allgemeinen von 
allen Menfhen von gefundem Berflande anerkannt 
wird, und man follte demnach nicht erwarten, daß bei einzelnen 
Fällen, die da hineinfchlagen, die Menfchen fo verfchieden darüber 
urtheilen würben. Dennoch zeigt dies die tägliche Erfahrung. 
Man lege einer Anzahl von Menfchen, die alle in ihren Reben 
wenigſtens der wahren Religion und Tugend huldigen, irgend 
einen nur etwas [hwierigen Zall vor, wo die Pflichten 
der Menfcyenliebe mit andern Rükkfichten zu flreiten ſcheinen: ſo 
wird man fogleih die verfchiedenften Urtheile hören, und 
jeder wird das feinige für übereinflimmend mit den Worfchriften 


4, 


355 


ber Religion und ber Sittenlehre erflären. Wenn wir unfere 
Michten treu erfüllen wollen, fo müffen wir erſt eine volftän: 
dige Erfenntniß davon haben, und die Grände, warum wir dies 
oder jenes für recht ober unrecht halten, müffen fo befchaffen 
kin, dag fie jedermann einfehn, und niemand ihnen etwas entge⸗ 
genſezen kann. Dies iſt ed, wad in Ruͤkkſicht auf die nähere 
Beſtimmung ber Pflicht der Nächftenliebe den meiften Menfchen 
fehlt, und was boch jeder haben koͤnnte, da wir unter den 
Echren Jeſu Ehriſti Bierüber eine fo allgemeine und 
alles erfhöpfende Regel finden, daß wir fie nur recht zu 
berfiehn und fie und vecht anzueignen brauchen, um vor allem 
Nißverſtand und allem Irrthum ficher zu fen. Zum deutlichen 
Verſtaͤndniß dieſer Regel wuͤnſchte ich Durch die folgende Betrach: 
tung etwas beitragen zu koͤnnen. 


Tert, Matt. 22, 35 — 40. 

Und einer unter ihnen, ein Schriftgelehrter, verfuchte 
ibn und fprach, Meifter, welches ift das vorñehmſte 
Gebot im Gefez? Jeſus aber fprach zu ihm, Du ſollſt 
lieben Gott, beinen Herm, von ganzem Herzen, von 
ganzer Seele und von ganzem Gemüthe. Died ift das 
vornehmſte und größefte Gebot. Das andere aber iſt 
dem gleich, Du ſollſt deinen nächften lieben als 
dich felbfl. In biefen zweien’ Geboten hanget das 
ganze Geſez und die Propheten. 


Du ſollſt deinen nachſten lieben als dich ſelbſt: das in der 
bekannte Ausdrukk, unter dem unfer Erlöfer alle Pflichten gegen 
unfere Bruͤder begreift, das iſt die Megel, die und aud in den 
ihwierigften Faͤllen ficher leiter wird, ‚wenn wir fie zur Richt: 
Ihmme unferer Handlung machen. Um ihren Werth zu zeis- 
gen, und ihren Gebrauch zu erleichtern, wollen wir erſt⸗ 
lich fehen, was es heißt, feinen nachſten lieben als ſich 

32 





356 


ſelbſt, und zweitens erwägen, daß durch biefe Regel 
und in jedem Fall fehr deutlich gezeigt wird, wat 
wir zu thun haben. Ä 


Wenn gefägt wird, daß wir unfern nächflen lieben 
follen ald uns felbft, fo kann bad unmöglich bie per 
fönlihe Zuneigung betreffen, womit wir andern zugethan 
find; diefe kann unmöglich im allgemeinen fo farl 
fein ald diejenige, welde wir gegen uns ſelbſt fuͤh⸗ 
len. Alle kleinen Begebenheiten und Verhaͤltniſſe anderer mit 
den naͤmlichen Augen zu betrachten als unfere eigenen, alle ihr 
Heinen Schikkſale eben fo ganz und innig zu empfinden, ald 
wenn fie und felbft begegnet wären, bad fezt eine Kenntnig von 
ihrer ganzen Lage und Gemüthöverfaffung und eine fo übermie 
gende Stimmung zur Zheilnahme und Gefelligkeit voraus, daß 
gewiß beide felten ober nie angetroffen werben. 

Sefezt aber auch, ed wäre möglich andere in biefem Sinne 
bes Worts eben fo fehr als fich felbft zu lieben, ober wenn es 
auch nicht genau fo fein könnte wenigftens in einem weit höhe: 
ten Grade als gewöhnlich flattzufinden pflegt, fo kann und 
Doch dies unmöglich geboten werden. Denn eine folde 
Zuneigung ift gewöhnlich unwillkuͤhrlich; fie ſtellt ſich ein ohne 
dag wir fie rufen, und eben fo fteht es oft nicht in unferer Ge 
walt fie einem Menſchen zu ſchenken, der fie wohl verdient. Es 
gehört dazu entweber ein ausgezeichneter Charakter, der und Ad: 
tung nicht nur fondern auch herzliches Wohlwollen abdringt, 
oder eine große Gleichheit der Denkungsart, der Neigung, dt! 
Sitten und der ganzen Art und Weife, oder auch viele befonbers 
eng verbundene Umflänbe und Borfälle. Das alles kann fh 
nur fehr felten beiſammen finden, und eine folche Liebe alſo nut 
wenigen Menfchen gewidmet fein. Die VWorſchrift .aber, welche 
und Chriſtus in den Worten des Tertes giebt, ſoll fich auf alle 


357 


opme Ausnahme erſtrekken. Es kann alfo Beine f olche Liebe 
yemeint fein, bie größtentheild in Empfindungen und 
Sefühlen befteht, fondern eine folhe, bie aus feften auf alle 
Renihen anwendbaren Grundfäzen hervorgeht und fich in Hands 
ungen äußert. Sie muß darin beftehn, daß wir für das 
Bohlergehn unferer Brüder eben fo gern nad den 
tamlihen Regeln und mit dem nämlichen Eifer thä- 
'ig find, womit wir für unfer eigneß forgen. 

Aber wohlverfianden, nicht auf die Art follen wir unfere 
tähften lieben, wie ein großer Theil der Menfchen fi 
'elhft liebt, fondern fo wie wir und felbft lieben müffen, wenn 
vie von rechtfchaffenen,, vernünftigen und edlen Gefinnungen be: 
vrricht find. Manche Menfchen tragen eine fo weichliche über: 
ärtlihe Sorge für ſich ſelbſt, daß fie ſich nicht das geringſte 
Vergnügen verfügen und fich oft den größten Schaden anrichten, 
um um fi in einer Kleinigkeit nicht weh zu thun. Wollen 
wir diefe zum Vorbild unferer Näcftenliebe nehmen, fo würde 
daraus flatt der hoͤchſten Tugend nur jene ſchwache Gutherʒigkeit 
heworgehn, die für ſich ſelbſt keine Achtung verdient und auch 
in der Welt keinen wahren Nuzen ſtiftet. 

Laßt uns vielmehr fragen, Wie der weife, der verſtaͤn⸗ 
dige Menſch ſich liebt. Er hat eine unverbrüchliche Achtung 
fir feine vernünftige Natur, für alle diejenigen Worzüge, welche 
den eigenthümlichen Werth der Menfchheit ausmachen; durch alle 
Vorfaͤlle des Lebens begleitet ihn Dad Bewußtſein derfelben, und das 
üftige Beſtreben fie fich unverlezt zu erhalten. Sie find ber 
Schaz, auf den er vor allen andern Gütern bed Lebens eiferſuͤch⸗ 
hg if, und er würde es für das größte Ungluͤkk halten etwas 
zu thun, woburd er feinen Antheil daran verwirken und mit 
Recht geringfchäzig mnd verächtlich werden koͤnnte. So laßt 
und auch unfern nächften lieben, auch in feiner Perfon 
die Würde der Dienfchheit ehren und heilig halten; ihn unverbiens 
ter weife unfanft behandeln, ihn beleidigen, ihm etwas zufügen, 


358 


woburd wis beweifen würden, Daß wir ihm bie Achtung verfe: 
gen, die und felbft fo merth if, das fei und, und wenn ber Bey 
zu den ficherfien Vortheilen, zur volften Gluͤkkſeligkeit Ddurd 
eine ſolche Handlung ginge, eben fo unmöglich, als uns feihf 
muthwillig von der fchönen Stufe der Menfchheit herunter zu 
ſtuͤrzen. | 

Der vernünftige Mann fpannt feine genze Aufmerb 
ſamkeit darauf, feinen Augenblikk und Feine Gelegenheit vorbei 
zulafien, wo er fich feiner Beſtimmung nähern und feinen Zu: 
fland verbefjern kann; aber er ift weit entfernt, mit biefen Be 
fireben bloß bei denjenigen Vortheilen ſtehn zu bfeiben, die etw 
durch Gelb oder Gelbeäwerth zu erlangen find, oder auch es te 
durch zu äußern, daß er leichtfinnig den Wunſch eines jeden Aus 
genblikks befriebigte. Vielmehr ftellt er mit vernünftiger Ueber 
legung dad unmwichtige, geringe unter das eblere und beflere, wei 
fet den Bebürfniffen ded Geiftea und Herzend ben erſten Rang 
an und weiß mit weifer Selbſtbeherrſchung auch zu entfagen, 
wenn bie Entſagung ihn zu etwas befferem führt. Eben Io 
laßt und aud gegen unfern nähften gefinnt fein. 
Auch feinem Wohlergehn fei gleiche Aufmerkſamkeit und gleiche 
Eifer geſchenkt; jebe Gelegenheit dazu mitzuwirken. fei und er: 
wünfcht und werde mit Luſt und Kraft ergriffen. Laßt und nicht 
bei derjenigen Wohlthaͤtigkeit flehn bleiben, welche mit milder 
Hand Gold und Silber ausfpendet; viel mehr fei es und wert 
ihm zur Erhaltung feiner innern Zufriedenheit, feiner Ruhe, fü 
ner Heiterkeit und vorzüglich feines menfchlichen Werthes nah 
Vermögen gefällig und behülflich zu fein, felbft wenn dazu bi& 
weilen Ernft und Strenge angewandt und ber aͤußere Schein 
ber Güte und Huld verlegt werben müßte. 

Die Menfchheit in einem jeden achten und lieben, alles was 
muthwilliger Kränkung ähnlich fieht innigft verabfchenen, zur Be 
förderung ber Sittlichkeit, zur Befefligung guter Grundfäge, dur 


d 





339 
Berbreitumg nüzlicher Ginficheen, zur Begründung der Zafcieden⸗ 
rt, zur Stillung des Sqerzes, zur Erheiterung bed Gemüths, 
ur Befriedigung ber Nothdurft, zur Aunchmilichkeit des Bebens, 
m Veredlung jedes menfhlühen und auftandigen Genuſſes durch 
ihre und Beiſpiel, durch Theilnahme und Unterſtuͤzung und 
urch Einfluß der Geſelligkeit beitragen, ohne Arbeit, Zeit und‘ 
Mühe zu ſcheuen, eben fo freudig und gern, als man dies alles 
ich ſelbſt zu leiflen gewohnt iſt: — das fine bie Hauptzüge 
ine Naͤchſtenliebe, die mit ber veraimftigen Liebe zu fich ſelbſt 
on einerlei Grundſaz ausgeht und immer gleichen Scheitt haͤlt; 
ni der Inbe griff der Pflicht, die und burch bie 
Borte unferes Berdes unfgelegt wird. "Gaß und nun 
ch ' or 

Ik 


ten, daß die naͤmliche Regel uns in alten bedenkli— 
den, freitigen Sällen fiher und ohne Anftog führen 
wird, 
Die große Verſchiedenheit ber Menſchen in ihren Urtheilen 
Über die Art, wie unter dieſen ober jenen Umſtaͤnden den Pflich⸗ 
ton der Menſchlichkeit Genuͤge geleiſtet werden ſoll, rührt ohn: 
fritig daher, daß die Forderungen derſelben oft mit andern Rüfts 
ihten, Verhaͤltniſſen und Pflichten zu flreiten fcheinen, und daß 
ö den meiften Menfhen an feften, beflimmten und 
üllgemein für richtig erfannten Grundfäzen fehtt/ 
wonach ſie dieſe innere Zwietracht entſcheiden koͤnn⸗ 
ten. Es giebt vieleicht wenige Augenblikke des menſchlichen Le⸗ 
bens, wo” wir nicht irgend einem unſerer Brüder etwas, ſei es 
nun groß oder gering, zu leiſten ſchuldig ‘wären ober wenigſtens 
aufgefordert würden; eben ſo giedt «8 aber auch nicht leicht eb: 
nen, wo wir nicht allerlei fie ims ſelbſt zu thun hätten, und 
indem auf dieſe Weiſe jeder’ Kugenbfift ein doppeltes Geſchaͤft 
dat, wiſſen wir oft nicht, zu welchen wir greifen und welches 








0 


wis vernachloͤſſigen follen. Mit -bem naͤmlichen Aufwand ve 
Zeit, Kräften und Wermögen, welchen bie Menſchenliebe zu i 
gend einem Zwekk von und in Anſpruch nimmm, können wir am 
für uns felbft Immer etwas nuͤzliches ober wuͤnſchenswerthes aul 
sichten, und das tft ed. eben, worüber die Menfchen fich auf | 
verſchiedene oft ganz entgegengefezte Weiſe enticheiden. Der E 
gennuz fepreibt die Regel vor, daß fo fange noch etwas fi 
uns felbft zu thum iſt, jeder Menſch ja von Matur fich ſelbſt m 
ber fei, als ihm ein anderer fein Tann. Bei dieſer Borihn 
wird, wenn man fie in ihrer ganzen Strenge befolgt, der Da 
fchenliebe gar Fein Raum übrig gelofien, deun wenn wir ul 
liehreih und milbthätig zu fein fo lange warten wollen, bis all 
unfere eigenen Wünfche befriedigt find, und ber Einbildungi 
Fraft gar Fein Gegenfland mehr übrig gelaffen tft: fo werde 
wir. in dem ganzen Lanf des irbifchen Lebens Feinen einzige 
Augenbijtt Dazu finden. Die Gutherzigkeit ſchweiſt auf & 
andern Seite aus; fie will ihren nächften mehr lieben als fi 
ſelbſt unb ‚meint, fo lange noch etwas für andere zu thun ſe 
dürfe man nieht an fich denken. Auf biefe Weiſe hoͤrt aber all 
Sorge fuͤr ſich ſelbſt auf, und der Menſch iſt nichis als ein Berl 
zeug für andere; ia weil doch der Zuſtand eines jeden immer au 
einige. andere einen entſchiedenen Einfluß hat, fo thut. oft di 
Gutherzigkeit denen, die ihr am naͤchſten find, Ungeht um gege 
andere gütig zu fein... Beide Srundföze find alfo unve: 
nünftig, und wie man fie auch einſchraͤnke und ausfhmült 
fie werden nie einen feften, vechtlichen Beſtimmungsgrund fi 
unfere Handlungen abgeben, und doch find bie meiſten Menſche 
entweder einem von beiden ausſchließend ergeben, ober ſchwanke 
unentfchloffen bin und ber, ohne den rechten Sinn ber einfache 
Maren Regel Eprifti finden -zu Tönnen, welcher und eine wei 
vernünftigere, für alle Faͤlle gleich anwenbbare und bed Menſche 
weit würdigere Handlungsweiſe lehrt. 





nn 


364 Ä 


Wenn und nämlich: geboten wird, bag wir unfern naͤchſten 
eben follen al& uns felbft, fo will das ſoviel fagen, daß wir feine. 
Bebinfaiffe, feine Wuͤnſche eben fo anfehen, beurtheilen und bes 
handeln follen wie unfere eigenen. Wenn wir fie alfo. kennen 
lernen, wenn ihre Befriedigung ganz oder zum Theil in dem 
Bezirk unferer Kräfte liegt, wenn wir auf diefe Weile den Ruf 
der Menfchlichkeit hören: fo follen wir fo dabei verfahren, ald ob. 
das unfere eigene Sache wäre. Streiten biefe Forderungen der 
Menfchenpflicht mit den Antrieben der Selbflliebe, die zu der 
nämlichen. Zeit unfere Gefchäftigkeit für unfern eigenen Vortheil | 
in Beichlag nehmen will, fo follen wir das fo anfehn, als ob | 
in und ſelbſt jezt zwei verſchiedene Wünfche mit einander ſtrit⸗ 
ten, von denen wir neihmendig einen dem ankern aufopfern muͤſ⸗ | 
fen. Das ift ia etwas, mad einem jeben ‚täglich begegnet, fo | 
daß bie Enticheibung, wenn wir von vernünftiger Ueberlegung 
geleitet werben, und gar mcht ſchwer fallen kann. Die Regel 
Chriſti enthält alſo⸗ die Jeichte, überall ſchikkliche Bars 
ſchrift, daß wir und in ſolchen Faͤllen fie Dasjenige entſcheiben 
ſfollen, dem wir dan Vorzug gegeben. hahen heben, went Beis 
bes unſere eigenen: Wünfche und Beduͤrfniſſe geweien wären. - 
Wenn un alle auf der. einen Gate ein leicht zu ‚erhalten 
bed Vergnügen winkt, eine fchufblofe Freude und an fi loklts 
auf -bex. andern Seite aber unfern son uns ein leibenbes ſeine 
Suufzen und: bie. Zune, feiner Klage ausflögt, und uns alfo in 
bie Augen fäht, wie ſehr er etwas troͤſtliches, ein freundliche _ 
Geſpraͤch, eine Heine Erbeiterung bedarf: koͤmen wir und wol 
noch bedenken, auf welche Seite wir und zu. wenden haben? Iſt 
es denn nicht augenblikklich bei und entidieben, daß wir in eis 
nem troſtbeduͤrftigen Zußand nach dem Bufpruch eined Freundes 
weit ‚lieber wuͤrden getrochtet haben, als nach einer flüchtigen, 
ſinnlichen Ergoͤzlichkeit? So laßt und alfo jest nach ber naͤmll⸗ 
hen Regel handeln und dad geringere bem größeren nachſezen, 
obgleich jened und, und dieſes einem andern zu Gute kommt. 





362 

Wenn wir im Begriff find einem Gewinnft, einem nuͤzli⸗ 
hen aber doch entbohrlichen Erwerb nachzugehn, zugleich aber 
fehen wir einen Freund in einer fchwierigen verwikkelten Lage, 
we ed ihm gewiß .willfommen wäre, wenn wir Ihm unlere ganze 
Aufmerkſamkeit ſchenkten, damit noch zwei Augen und ein unbe 
fangenes Gemüth feinem Verſtande und feiner Erfahrung zu Hülfe 
kaͤmen: fo wird unfer Gefühl uns fogleich fagen, bag, wenn bri 
und biefe beiden verſchiedenen Wuͤnſche gegen einander flxitten, 
wie gern einen beträchtlichen Borthell aufopfern wuͤrden, um ba: 
durch den Rath eimes Freundes in einer für unfere Zufriebenheit, 
für unfere Ehre, für anfere Tugend wichtigen Angelagenheit zu 
erfaufen, und es iſt aljo unbedenklich, was wir zu thun haben, 
wenn wir unſern naͤchſten lieben wollen ats uns ſelbſt. Und fo 
giebt das in allen übrigen Zaͤllen eine leichte und fichere Ent: 
ſcheidung. 

Wir ſelbſt laffen gewiß das Streben nach einer ungewiſſen 
Berbefferung ausggeſezt, wenn wie bad Beduͤrfniß fühlen einen 
beuorfichenden Schaben zu verfüten, alſo iſt es auch unſere Pflicht 
das Streben nad einem unfihen Vortheil aufzugeben, wenn 
wir zugleich aufgefordert werden ein großes Uebel von unferm 
wärhften abzuwenden. &o lange uns felbf noch irgend ein noth⸗ 
wendiges Bebürfnig des Lebens unbefriedigt if, denken wir gem 
nicht auf. Bequemiichfeit. und Wohlleben; alſo Tat. und auch be 
seit fein einem entbehrlicken Genuß zu entſagen, wenn wir UR 
ſerm naͤchſten dadurch die. Laſt -der Dinftigtet und ber Roth in 
etwas erleichtern koͤmen. 

Bon zwei. Wuͤnſchen, die in uns PM gegen einander frei: 
ten, laffen wir immer den wichtigern votwalten; von zwei Buͤn⸗ 
ſchen, deren einer und und der andere einen andern gehört, muß 
auch einem ber Vorzug der Wichtigkeit zufommen; auf deffen 
Befriedigung lußt uns alſo auch zuerſt bedacht ſein. IR es dei 
unſeres naͤchſten, fo fleht der unfere- billig zurükk; iſt es dev UI 


868 


füge, fo Tonnen ‚wir mit gutem Gewiſſen für ihn eutſcheiden, 
opne ben Vorwurf einer Telhflfächtigen Parteilicpkeit und einen 
Hintenanſezung ber Menfchenligbe zu verdienen. Und fo laͤßt 
fih kein Fall denken, wo. nicht die Vorſchrift unferes 
Zertes den Streit der Selbflliebe und des Wohlwol⸗ 
lens befriedigend enticheiden ſollte. 

Ehen fo bewährt fie fih auch, wenn die Forderungen 
ber Menfgenliebe fih unter einander ſelbſt im Wege 
chen. Des menfchlächen Elendes und UWebelbefindens ift fo 
mancherlei; es umgiebt und bisweilen fo von allen Seiten, daß 
viele Hände auf einmal fich gegen uns ausſtrekken um Huͤlfe 
und Beifland von uns zu begehren, und boch Zeit und Kräfte 
ſo eingefchräntt find, daß wir Die unfrigen nur einem reichen duͤr⸗ 
fa und fie den. übrigen, fo weh dad auch einem fühlenden Her: 
im thut, verſagen muͤſſen. Was iſt nun hiebei für eine Ord⸗ 
nung zu beobachten, was für eine Auswahl zu treffen? Die 
meiften Menſchen gehen dabei auf eine Art zu Werke, welde 
auf fehr unzureichenden Gruͤnden beruht. Der eine giebt mis 
einer launigen Parteilichkeit demjenigen unbedingt bes Vorzug, 
der ihm wegen einen gewiſſen Aehnlichkeit der Gemuͤther, wegen 
tiner oft blinden perfimlichen Zuneigung am mehrtefien iſt; ein 
anderer ſucht denjenigen hervor, von bem er bie meiſten Gegen 
bienfte zu erwarten hat; ein beitter beſtimmt fich für diejenige 
Sendlung, die am glänzendflen if und bie meifte Ehre narfpricht: 
So blikkt auch bier bald Eigennuz, bald blinde Gutherzigkeit 
hewor, und es follte ſchwer fallen, eine ſolche Art zu handeln 
mit der Worfchrift bed Textes in Ueberänfimmung zu bringen 
Diefe belehrt und vielmehr, daß wir .alle biefe verfhiche 
en Angelegenheiten als unfere eigenen anſehen vnh 
und ohne Anfehen ber Perfon. und anberer Umftände für bieje 
nigen entſcheiden follen, denen wir, wenn fie alle die 


unfrigen gewefen wären, den Vorzug eingeräumt 
boͤtten. 


364 

Wenn mehrere Beduͤrfniſſe auf uns einbringen, fo wird bil 
Kg das dringendſte zuerft befriedigt; rufen alſo mehrere huͤlft⸗ 
beduͤrftige uns um Beiſtand an, fo laßt und demjenigen vor 
allen zueilen, dem es am meiſten Noth thut, und wenn er auf 
an unferer perfönlichen Liebe den geringften Antheil hätte. 

Für und felbft fuchen wir und gewiß zuerſt mit dem noth: 
wendigen abzufinden, ehe wir auf die Erfüllung zufälliger Win 
ſche, auf die Erzielung befonderer Abfichten bebacht find. Wenn 
alfo hier unfere Mitdthätigkeit und dort unfere Dienfigefälligfeit 
angerufen wird, fo eilen wir billig bahin, wo. die Stimme da 
erften erfhallt, wenn auch da nicht bie geringfte thätige ‚Dank: 
barkeit zu erwarten wäre, und bie Hoffnung auf mancherlei Ge 
genbienfte uns zu einem anbem Entſchluß verführen wollte. 

Wenn fo mancherlei Entwürfe unfere Einbildungskraft und 
anfen Willen befhäftigen, fo werben wir Boch. gemwiflenhaft ge 
nug fein nun denjenigen thätig zu befolgen, dem bie reimfle Ge 
finuung zum Grunde liegt, unb der mit unfern Pflichten im dem 
nächften Zuſammenhang ſteht. Werden wir alfo von mehreren 
Seiten anfgefordert werden an ben Unternehmungen anderer ei⸗ 
nen. thätigen Antheil zu nehmen, fo laßt uns .unfern Beiſtand 
demjenigen widmen, deſſen Suche bie befle und mögliche if, 
wenn auch, wie es denn oft in ber Welt: zu gehen pflegt, Ehre 
und. Ruhm vor Menſchen mehr bie Verſchlagenheit und bie 
ferbffüchtigen Abfichten begleiten, als auf ber Seite ber Tugend 
fliegen ſollte. } 

So iſt alfe die Worfchrift des Evangelii überall 
bie Dolmosiherin der wahren, ungefächteften Mer 
ſchenliebe und leitet alle’ unſere Hanblungen fo, daß fie von 
jeder Spur einer ſelbſtfuͤchtigen Parteilichkeit frei find ab auf 
ber. andern Seite doch nicht im blinde Gutherzigkeit aubarten 
She macht unfer Wohlwollen uncigennuͤzig, indem fie bie Ama 
hang der Selbſtliebe zurüfforängt und und mit allen andern in 


365 


die gleiche Linie ſezt; fie druͤkkt ihm ben Stempel ber Zugenb 
auf, inbem fie ed in allen feinen Aeußerungen von bem Einfluß 
ber Reigung befreit und feflen Grundſaͤzen unterwirft. Nur wer 
ihr folgt, asbeitet immer auf ben eigentlichen Gegenflanb der 
Menfchenliche, nämlich dad allgemeine Wohl; nun er kann mit 
Recht behaupten, ba ex. alle Menſchen liche als ſich ſelbſt. Wer 
fih vom Eigennuz beherrfchen läßt wirb biäwellen. einen Schein 
der Zugend für ſich haben, wenn er auf eine geſchikkte Weiſe 
feine Härte für eine Zrucht ber Ueberlegung unb feine Selbſt⸗ 
ſucht für ein fittliched Verfahren auszugeben weiß; aber er bat 
nichts von jener großen Gefinnung, bie auch bei bem einges 
ſchraͤnkteſten Wirkungskreife fi) dad Wohl des gangen zum hoͤch⸗ 
fin Ziel fest, und weldye den wahrhaft chriftlichen Menfchens 
freund bei allen feinen Handlungen befeelt. Derjenige, deſſen 
Menfchenliebe nur in blinder Gutherzigkeit befteht, wirb oft ben 
Schein ‚einer großen Uneigennüzigleit haben, aber nie einen ges 
gründeten Anfpruch auf Zugend machen koͤnnen; er wird viel: 
licht zu demjenigen, dem er mit vieler Aufopferung aus pers 
fönlicher Zuneigung gedient hat, fagen können, daß er ihn als 
fich felbft liebe, aber gewiß wirb er das nämliche nicht denjeni⸗ 
gen verfichern Fönnen, die er aud folchen Bewegungdgründen zus 
rüßfgefezt; bahingegen der wahre Menichenfreund auch dieſen ge: 
troft unter die Augen treten kann, benn fein ganzes Betragen 
beweift, daß er in dem nämlichen Fall gegen fich felbft eben fo 
würde gehandelt haben, und feine Grundfäze bringen ed mit fich, 
daß er denjenigen, dem er feine Hülfe leider verfagen muß, mit 
eben ber Liebe umfaßt als den, dem er fie gewähren darf. 
Eine folhe Menfchenliebe führt mit Recht ben 
Namen des hoͤchſten Gebot ber Religion. Sie ift bie 
zuverläffigfte Beförberin des menfchlihen Gluͤkks, denn ihre Thaͤ⸗ 
tigkeit hängt nicht von Zufall und Umftänden ab. Sie ift der 
fiherfte Prüfflein der Tugend, denn bie Fortfchritte darin bewei⸗ 





366 


fen, wie weit wir ed in der Zertigkelt gebracht Gaben alle, um 
fere Neigungen feflen unb vernimftigen Grundſaͤzen zu unteren 
fen. Sie ift die befle Schule für bie Ewigkeit, dem fie mach 
und geſchikkt einft in einem noch höhern Grade unfere Gluͤkkſelig 
keit darin zu finden, daß wir Bad ganze Reich Gottes mit um: 
ſerm Verſtand, mit unferer Bunagung und mit unſerer Thaͤtig 
beit umfaſſen! Amen. 


XV. 


Aus welchen Gründen ein chriſtlicher Lehrer 
immer Freudigkeit haben koͤnne zu ſeinemn 
imte. 


ueber 2 Kor, 1, I3—4- 





Antrittspredigt, gefprochen in ber Charite zu Berlin 
am 18. September 1796. *) 


Mean wir einen theilnehmenden Freund, einen Gefährten auf 
dem Wege bed Lebens, oder audy nur ein Mitglied unferes Krei- 
ſes, einen Mitarbeiter in unfern Geſchaͤften verloren haben, und 
es erfcheint ein anberee um feine Stelle einzunehmen: dann pfle- 
gen wir unſere ganze Aufmerkſamkeit barauf zu vihten, ob wir 
nicht aus feinen erfien Handlungen, aus. feinem erſten Betragen 
ſogar errathen Finnen, auf was für Eigenichaften und Gefinnun: 
gen wir wol bei ihm Rechnung machen dürfen, nad) was für 
Grundſaͤzen er wol handeln, wie er wol feinen Plaz ausfuͤllen 


⸗ 





*) Rach einer eigenhaͤndigen Rotig Ehre, iſt dieſe Predigt erſt den 12ten 
Detober, u üben deli wen 4 herr Haltung niebergeföpeieen. 
tes ı De 4. .3 


368 


werde, wie lieb unb werth wir ihn wol werben halten Binnen 
In diefem alle, meine lieben Freunde und Haudgenofien, befinde 
ihr euch wahrfcheinlich jezt, da ihr einen eurer Lehrer verlore 
habt, und ich, der ich fein biöheriged Gefchäft unter euch übe 
nehmen foll, zum erften Mat zu euch rebe. Allein m. Fr. da 
find voreilige Wuͤnſche, und wir täufchen und gewöhnlich, wen 
wir aus ben wenigen Kennzeichen, bie wir eilfertig auffammel 
tönnen, Vermuthungen wagen wollen über bad, was ein Meufd 
wol fein möge. Nur die Zeit kann und dieſe Kenntniß verfhaf 
fen; nur mancherlei Erfahrungen, nur prüfende Beobachtung 
in verfchiedenen Umftänden Tönnen über das innere eind Mn 
ſchen Aufſchluß geben und ein richtiges Urtheil begründen. 

Etwad pflegt ſich aber doch fehr bald zu entwilteln, naͤm 
lich wie gem ober ungern, mit welcher Luft, mit welchen Erwar 
tungen jemand in ein neued Verbältniß- eintrete, und da wünfctı 
ich nun, daß alles beitragen möchte um euch zu überzeugen, dei 
ich das Amt, welches ich heute unter euch übernommen habe, mil 
gutem Muth und mit Zreubigkeit antrete.: Wenigſtens fol der 
folgende Vortrag dahin gerichtet fein, und möchte überall fo wie 
bier der Geift der Wahrheit in meinen Vorträgen walten. 


Tert. 2 Kor. 1, 3. 4. 


Gelobet ſei der Gott alles Troſtes, ber und ttoͤſtet 
in aller unfrer Truͤbſal, daß wir auch troͤſten koͤnnen 
die da find in allerlei Druͤbſal mit dem Troſt, damit 
wir getötet werben von Gott. - 


Die erſten Chriften m. Zr. gehörten nicht unter bie glüßt: 
lichen der Erde, vielmehr brachen fehr bald allerlei bittere Unan 
nehmlichkeiten, ja wirklich traurige Schikkſale über fie herein 
Wenn unter diefen Umfländen ihre Lehrer ben Muth hätten Dr 
lieren ſollen ſo waͤre dad. Chriſenthum, welches bie Welt beglul⸗ 
ten ſollte, in feinem erſten Anfang wieder untergegangen. Des 


369 


wegen fieht es ber Apoflel in ben verlefenen Worten als eine 
beſondere Wohlthat Gottes an, daß ex ihm mit Kraft und Freu⸗ 
digkeit ausgeruͤſtet habe auch unter den betrübteflen Umſlaͤnden 
fein Amt der Belehrung und bes Zrofles getreulich zu führen. 
Diefe Kraft, diefe Gefinnung muß jeden chriftlichen Lehrer bele⸗ 
ben, jeber muß unter allen Umfländen voll guten Muthes fein 
und hat auch gewiß Urfach bazu. Die Gründe, warum ein 
chriſtlicher Lehrer zu feinem Amt immer Freudigkeit 
baben kann, will ich befonders in Bezug auf mich und mein 
Geſchaͤft unter euch audeinander ſezen. Ich finde fie erſtlich 
in der Befchaffenheit meines Amtes felbft, zweitens 
in ben Erwartungen, weldhe ih von dem guten Er: 
folg beffelben nähren Bann. 
Erlaubt mir euch beides auöführlicher darzulegen. 


L 


Dad Gefhäft eines chriſtlichen Lehrers ift fo bes 
fhaffen, dag man Urfach hat es gern und mit Freu 
den zu übernehmen; denn es ift einmal ehrenvoll und wich 
tig, e8 ift dann aber auch angenehnt. 

Ehrenvoll und wichtig ift dad Gefchäft eines Reli⸗ 
giondlehrerd gewiß. Ein Lehrer der Chriften wirb zwar in ber 
Schrift ein Diener der übrigen genannt, und es ift dies nicht 
eine falihe Demuth, fondern im eigentlichften Sinn des Worted 
wahr; er fol feiner Gemeine dienen, foll Bebürfniffe derſelben bes 
friedigen, ſoll ihre Abfichten unterflügen: aber welch ehrenvoller 
Dienſt! Er hat es nicht mit Bebürfniffen zu thun, welche nur 
ben thierifchen Theil des Menfchen angehn, nur auf bie Geichäfte 
unb Bequemlichkeiten bes irdifchen Lebens fich beziehn, fondern 
mit folchen, welche bie ganze Würde die höchflen Vorzüge bes 
Menfchen ausmachen, welche feinen Antheil am einer befferen 
Welt, fein Leben in der Ewigkeit betreffen; er unterſtuͤzt nicht 
vorübergehende Abfichten, die füch auf irdifche Wortheile beziehen, 

Predigten 1. Aa 


370 


fondern folche, bie mit feiner högeren Beſſtimmung unmittelb 
zufammenbangen. Wahrheiten, wichtige Wahrheiten vorzutrage 
welche werth find für alle Menfchen ein Gegenfland bes flei 
gen Nachdenkens zu fein, und bie auf dad ganze menfchliche 8 
ben ihren Einfluß dußen; Empfindungen zu veranlaffen, d 
allem Thun und Beſtreben eine befjere Richtung geben; Audleg 
der göttlichen Dffenbarungen zu fein und fie im ihrem groß 
Sinn darzuſtellen; die Worurtheile und Menfchenfazungen, w 
burch fte fo oft verunftaltet werben, auszurotten; die Stima 
des Gewiſſens zu wekken, zu beleben und in alle Winkel d 
menfchlichen Herzens hineintönen zu laffen: bas iſt gewiß " 
ein wichtiged Gefchäft. 

Laßt mi) binzufegen, daß ed dies überall und am 
allen Umftänden fein müffle.e Es kann bierin feinen Unte 
fhied machen, wer Diejenigen find, und wie ed ihnen ergeht, N 
denen ein Lehrer fein Amt verwaltet, und wenn ich mid) unte 
euch umfehe, die ihr einen Theil meiner Gemeine ausmadıt, 1 
bekomme ich deöwegen von der Wichtigkeit meines Amtes nid 
geringere Begriffe. — Es ift wahr, ich fehe hier nicht viele, di 
vor ber Welt fehr geachtet und geehrt find und am ihren Freu 
ben und Gütern einen großen Antheil erhalten haben, fonden 
meiftend arme und niedrige, aber ich weiß auch, daß ber Her 
die Perfon nicht anfiehbt. Wenn e8 mir nur gelingt eure Herzen 
zum guten zu lenken, euch von den Irrwegen zuruͤkkzuhalten, di 
fo viele von der Bahn der Rechtſchaffenheit abführen, fo fol « 
mir gleich gelten, ob ich biefen Dienſt euch oder den großen di 
Welt geleiftet habe; denn ich weiß, daß mein Ruhm vor demjt 
nigen nicht geringer fein wird, vor dem jebe Seele des Mai: 
hen, die vom boͤſen umkehrt und aufrichtig wandelt, gleiche 
Werth hat. — Es iſt wahr, ich’ fehe unter euch nicht viele, Die 
in der Weißheit der Welt geübt find umd ihren Geift mit aller: 
lei Kenntniffen ausgeziert haben, ſondern felche, welche bie Well 
einfaͤltig und ungebildet nennt; aber bie Wahrheiten, die ich leb⸗ 


hy 


371 


ren fol, wenben fid) fo fehr an den gemeinen Verſtand, ber je 
dem gegeben iſt, die Gebote, die ich einfchärfen foll, empfehlen 
ſich fo fehr dem innerfien Gefühl, bag Unbelanntfchaft mit welt: 
licher Weisheit ihrem Eingange feinen Eintrag thun Tann, unb 
es ſoll mein Ruhm fein, wenn ich durch meinen Dienft zeigen 
Bann, daß auch die, welche bie Welt thöricht nennt, von bem 
Herrn erwählt werden und in feine Weisheit eindringen Tönnen. — 
Es if wahr, ich habe nicht viele Hunderte zu Zuhörern und trete 
richt mitten unter ben Paläften ber Königäfladt auf, fondern 
vor einem Bleinen Häuflein unb in dem Haufe, welches bie 
hrifliche Liebe gebauet hat; aber ich weiß, daß fchon Chriflus es 
ſich zut Ehre vechnete den armen dad Evangelium zu prebigen, 
und daß von je her die Religion eine Menge treuer Verehrer un: 
ter den niebrigen Ständen gefunden bat. Sollte ich alſo nicht 
in jedem Betracht mein Amt ehrenvoll und wichtig finden? 
Aber dies iſt nicht die einzige vorzügliche Beſchaffenheit def» 
klben; e8 muß mir auch ein liebes und angenehmes Ge 
ſchaͤft fein. Wie follte es nicht angenehm fein auf eine Anzahl 
von Menfchen zu wirken, etwas in ihrem innern zu Anbern ober 
bervorzubringen; denn bad menfchliche Gemuͤth ift doch ber edelſte 
Gegenftand, an bem wir unfere Kraft und Thaͤtigkeit beweifen 
kinnen. &o oft ein Diener der Religion auftritt, und bie lehr⸗ 
begierigen Chriften ihm ihre Aufmerkſamkeit fchenten, fo bearbei: 
tt ee das menfchlihe Gemüth: er wekkt Gedanken, bie fonft 
sicht entfianden wären, er führt bie Seelen in Betrachtungen 
hinein, bie ohne ihm jezt nicht wären verahlaßt worden, er deklt 
son Diefem oder jenem Gegenſtand eine wichtige Seite auf, bie 
ve Zuhörer durch ihn mit Berwunberung bemerkt, er wekkt und 
nieht Empfindungen, er -befänftigt ‚und unterdruͤkkt anbere, er 
eftimmt allen Kraͤften des Gemuͤths für dieſen Augenblikk ihr 
Beſchaͤft. O gewiß, wenn ſchon im gemeinen Beben derjenige 
bergnuͤgt iſt, dem es gelingt einen Kreis aufmerkſamer Zuhoͤrer 
um ſich zu. verſammeln und ihre Seelen an dem Faden feiner 
Aa2 


372 


Rede zu leiten, wie viel mehr muß es demjenigen, befien ganz⸗ 
Beruf dies ausmacht, angenehm ſein, von ſeinen mitgetheil 
Gedanken, ohnerachtet fie ernſter, anſtrengender, feierlicher 
dennoch eine ſolche Wirkung wahrzunehmen. Wenn man frei 
einen Haufen zerſtreuter, den Vergnuͤgungen ergebener Menſche 
vor ſich hat und dieſen die Pflicht in ihrer ganzen Strenge, I 
Berhältniffe gegen Gott in ihrem ganzen Ernſt barfiellen ſoll 
wenn man ed mit Menfchen zu thun bat, bie ganz in bie Si 
fchäfte dieſer Welt vertieft find und mit ihren Beranflaltungen 
mit ihrer Klugheit eined befländigen Wohlergehend ganz füch« 
zu fein glauben, und biefe an ihre Abhängigkeit von einer Vor 
fehung, an ben unerforichlichen, über alle menfchliche Klughei 
erhabenen Bang berfelben demüthigend erinnern muß; wenn mal 
vielleicht gar zu böfen, verberbten Menfchen redet und ihren Blik 
auf die Vergeltung heftet, bie ihrer harret: dann ift dies Gefchäf 
weniger angenehm, weil man ben Denfchen fchwer fallen un 
kraͤnkende Empfindungen in ihnen veranlaflen muß. Mein Am 
unter euch ift aber auch vom .biefen Störungen feiner Freuder 
frei; es if mir deſto angenehmer, weil ed euch felbf 
angenehm fein muß, indem es zu eurer Zufriebenheit beiträgt 
eure Zuverficht ſtaͤrkt und euer Gemüth erhebt. 

Mein Gefhäft trägt zu eurer Zufriedenheit bei 
Es fehlt den Bewohnern biefed Haufe nicht an manchen be 
ſchwerlichen Dienflleiftungen; einige müflen fi) um kranke, um 
gluͤkkliche Dienfchen mit Sorgfalt befümmern, von allen ihre 
Heinen Begebenheiten ſich Kenntniß verfchaffen, für alle ihr 
Beinen Bebürfniffe forgen; andere müffen biefe ungluͤkklichen we 
nigftend bulden, ſich ihre Nähe und ihre mancherlei unangeneh 
men @igenheiten gefallen lafien, ihre Launen ertragen, und fi 
ihre eigene Laſt noch vermehren; ed fehlt nicht au manchen un 
angenehmen Aufopferungen, man muß fi) mandye Einſchraͤnkun 
gen gefallen lafien um ber allgemeinen Ordnung willen, bi 
Feine Ausnahme zuläßt, um ber Mißbraͤuche willen, bie fonfl 





373 


andere machen würden; es giebt mancherlei Störungen ber Ruhe 
md Heiterkeit, die man genießen koͤnnte; in der Verbindung mit 
Menfchen, die nur der Zufall und bad Elend zu und führen, wo 
xichwerliche Gemüthsarten, unbillige Sefinnungen fich einfchlei: 
hen, werben gewiß öfters Verbrieglichkeiten erregt, Leidenſchaften 
zewekkt, heftige Auftritte veranlaßt. Das find Urfachen zur Uns 
wfriedenheit, und gewiß entflehen daraus Klagen über ein har: 
tes, fchweres Schikkſal. Wenn nun durch unfere Betrachtungen 
hier der Gedanke veranlapt wird, bag eben diefe Dienftleiftungen 
est unfer Beruf, unfere Pflicht, daß fie dad vornehmfte find, 
mad wir gegenwärtig zum allgemeinen Wohlergehn beitragen 
können, daß bied die Art ift, wie wir Chriftum nachahmen Fön: 
ken, der auch feiner Bequemlichkeit nicht achtete wo er wohlthun 
konnte; wenn hier zugleich der Sinn gewekkt wird gern zu thun 
und mit Luft alles gute, was und vorhanden kommt zu thun, 
auf Gott zu fehn und auf fein Gefez, nicht auf irbifche Freuden 
und Lohn; wenn wir überlegen, daß wir eben an jenen unange: 
nehmen Verhaͤltniſſen lernen follen Keidenfchaften aller Art über- 
winden, den Sinn für dad gute troz fo mancher Hinderniffe nicht 
verlieren und und unter allerlei Umfländen ein gelaffened Wefen 
erhalten: muß und ba nicht eine heitere Audficht eröffnet werben 
über eine Lage, die und fo viel Selbflzufrievenheit gewähren kann; 
müffen wir da nicht mit mehr Luft und Muth Verhättniffe an- 
ſehn, worin wir doch Nuzen ftiften und dabei unfer eigenes Ge: 
müth auf fo mancherlei Weife üben und vervollkommnen koͤnnen, 
und muß nicht ein Gefchäft angenehm fein, welches durch fo 
wichtige Ueberlegungen eure Zufriedenheit befördert? 

Es hilft aber auh eure Zuverfiht und euren 
Slauben zu flärken. Wenn biefer überall fo mancherlei Ge: 
fahren ausgeſezt ift, fo find fie hier befonderd groß. Hier, wo 
fo viel allem Anfchein nach unverfchuldetes Elend zulammenge: 
hauft ift und fo viele Fläglihe Stimmen des Sammers hervor: 
bringt, und wo dagegen bem verfchulbeten Elend mit fo ſtum⸗ 





374 


pfer Glelchguͤltigkeit, mit fo ſchamloſer Frechheit getrozt wird, 
kann gar leicht der Gedanke entftehn, ob es auch wol wahr fei, 
daß der Herr vom Himmel herabfchaut auf bie Menſchenkinder 
und feinen Thron aufgerichtet bat zum Gericht. Wo wir fo viele 
Menfchen fehen, in denen nie eine Spur beſſerer Gefinming ge: 
wefen zu fein fcheint, bei denen dad Gewiffen alle Rechte verlo- 
en bat, fo daß fie bis auf den lezten Augenblikk unempfindlich 
gegen ihren traurigen Zuſtand und frei von Vorwürfen bieiben, 
bier kann leicht der Zweifel ſich einfchleihen, ob auch wirklich 
bad Geſez des Hoͤchſten allen Menfchen ind Herz gefchrieben if; 
muß es mir nicht ein angenehmes Gefchäft fein bad Gemuͤth 
von dieſen Unruhen zu befreien, und indem ich immer deutlicher 
ben Gedanken entwikkele, daß der gute dennoch beffer daran fei 
ald der böfe, dag Weisheit doch die Thorheit übertrifft wie Licht 
bie Finſterniß, indem ich immer aufs neue zeige, wie tief ben: 
noch dad Gefühl für Recht und Pfliht in den Menfchen gelegt 
und in al fein Thun und Denken verwebt fei, fo Vertrauen 
auf Gott und Anhänglichfeit an das gute zu beleben? 

Endlich bringt ed mein Gefhäft au mit ſich, dag 
ih euer Gemüth zu erheben fuche. Unter den Heinlichen 
Beichäftigungen, denen wir obliegen müffen, unter den Sorgen, 
die und drüffen, unter ben Uebeln, die wir felbft fühlen und ans 
bere erdulden ſehn, erliegt der Menfch gar leicht, daß er vergißt, 
was er eigentlich ift, und wie hoch er ſich emporfchwingen ſoll, 
daß er nur immer an die Nichtigkeit aller menfchlichen Dinge, 
an feine eigene Ohnmacht und Vergänglichkeit denkt und ganz 
bei geringfügigen Gegenfländen ftehn bleibt. Empor foll ich euch 
richten, meine Brüder, indem ich euch zeige wie viel Gott von 
euch fordert, zu wie andern Dingen er euch berufen hats fol euch 
aufmerken helfen auf die herrlichen Kräfte, die Gott in euch ge: 
legt hat, auf die väterliche Weisheit, mit welcher er euch erzieht, 
auf die ganze Würde bed Menfchen, die aus diefen Zorderungen 
und Beranflaltungen fo deutlich hervorleuchtet. Indem ich euch) 


‘ 


375 


erinnere, daß Chriſtus für euch in die Welt gekommen und ge: 
ſtorben ift, daß er euch Brüder nennt und euch ein Leben ver: 
eigen hat ba wo er ift, fol ich euch zum Gefühl: eurer ganzen 
Würde ald Chriften erheben. 

Seht da, meine Freunde, bie Eigenfchaften meined Amts, 
velche Urfachen meiner Kreubigkeit find; ed iſt ein ehrenvolles 
ind angenehmes Gefchäft und befonderd unter euch, wo ich die 
Religion ganz in ihrer tröftenden erhebenden verherrlichenden Ge 
talt barzuftellen habe. 

II. 

Diefe Freudigkeit hat aber noch andere Gründe, in ben Er⸗ 
vartungen nämlih, bie ih über ben Erfolg meines 
Amtes nähren fann. Laßt mich auch von biefen euch noch 
fünlich unterhalten. 

Wenn ein Lehrer der Religion von dem, was ex durch ſei⸗ 
ren Dienft auszurichten denkt, von den Verbeſſerungen menſchli⸗ 
her Gefinnungen und Handlungen, die Daraus hervorgehn follen, 
große und glänzende Erwartungen hegen wollte, fo koͤnnte das 
vielleicht für den Augenblikk feine Freudigkeit vermehren, aber 
ewig nicht von Dauer fein. Nur gar zu bald müßte er ent: 
ekken, daß die Sache fehr weit hinter feinen Vorſtellungen zu: 
uͤkkbleibt, und je hoffnungsvoller er vorher war, deſto muthlofer 
deſto abgeſchrekkter würde er werben. Ja es fcheint fogar, als 
ob die Ausſichten für einen Lehrer der Religion jezt mehr ald je 
mals traurig wären; die Häufer ber öffentlichen Gotteöverehrung 
werben immer feltener befucht, gemeinfchaftlihe Erbauung wird 
nicht mehr ald ein großes Bebürfnig betrachtet, und alle Uebun⸗ 
gen der Religion werben als folhe Dinge angefehen, die man 
allen übrigen nachſezen Tann. Dennoch bin ich innig überzeugt, 
dag mäßige Erwartungen von dem Nuzen, den bie 
öffentliche Belehrung fiften kann, nicht leicht wer 
den getäufcht. werben. 

Es iſt wahr, es giebt verſtokkte Menfchen, bie durch 


! 376 | 
langt Gewohnheit auf ber Bahn der Ungerechtigfeit zu wandeln 
alle Empfindlichkeit für Eindruͤkke der Religion verloren zu 
ben fcheinen; abet’ boch, wenn fie nur hie und de einmal, aus 
welcher Abficht ed auch fei, in die chriſtlichen Verſammlungen ſich 
verirren, fo verſtokkt können fie unmöglich fein, daß ſich ihre ſitt⸗ 
liche Natur ganz verläugnen, daß von ihren ehemaligen Begrif⸗ 
fen von Gott von Pflicht von Vergeltung gar nichts wieber exe | 
fheinen ſollte. Sie müflen gewiß indgeheim die Gefinnungen 
billigen, die da eingefchärft werden, und wenn auch nur auf kurze 
Zeit ein gewiſſes Gefühl von Schaam und Ehrfurdt fie durch⸗ 
dringt, wenn nur in bem erften heilſamen Schrekken eine ſchaͤnd⸗ 
liche Luft unterbrüfft wird, eine ungerechte Handlung ungethan 
bleibt, fo iſt doch etwas böfed verhindert worden, fo haben doch 
die böfen felbft wider ihren Willen ein Zeugniß der Wahrheit 
ablegen müffen. | 

Ein großer Theil der verfammelten befteht freilich aus fluͤch⸗ 
tigen, zerfireuten Gemüthern, welche bie Wahrheiten ber 
Religion annehmen und billigen, gerührt werben burch ihre Er: 
mahnungen, zum guten geftimmt durch ihre Ratbichläge; aber ihr 
Nachdenken iſt nicht fortgefezt, ihre frommen Empfindungen ver 
Löfchen bald wieder, ihre guten Entfchlüffe find nicht räftig genug 
um audzubauern. Aber auch diefe vorübergehenden Wirkungen find 
fhon Belohnung. Die Zeit, die hier dem Nachdenken über wich: 
fige Gegenflände gewidmet wurbe, diefe ift doch wenigftend menſch⸗ 
lich, eined vernünftigen Weſens würdig angewandt, fie bleibt im: 
mer ein glänzender Punkt in einem Leben vell leerer Zerfireuun: 
gen; bie ernftere beffere Gemüthöftimmung, - womit fie die Ber 
fammlung der Ghriften verlaffen, bringt aud während ihrer kur: 
zen Dauer gewiß irgend etwas gutes hervor; die öftere Wieder⸗ 
holung folcher Eindruͤkke vermehrt ihre Kraft, läßt Erinnerungen 
in ber Seele zuruͤkk, welche früher oder fpäter eine gänzliche Um⸗ 
tehrung von bem Wege ber Sinnlichkeit und der Zerfireuungen 
veranlaflen können. 


377 
Und füllte denn die Anzahl ber gerechten gar nicht in 


Betrachtung kommen? follten nicht überall einige fein, welche es 
mis- der guten Sache ernſtlich meinen und Chriſten zu heißen. 


verbienen? Diefe aufzumuntern und zu flärken, diefen etwas nuͤz⸗ 


liches zu fagen und fie weiter zu führen, von ihnen Dank und 


Liebe zu ernten: das iſt der fchönfte Lohn, das ift eine Ausficht, 
bie audy bei den mäßigfien Erwartungen einen Leh— 
rer mit Freudigkeit erfüllen muß. 

Vergoͤnnt mir aber, meine reude, euch zu eröffnen, bag ich von 
euch in jeder Ruͤkkſicht mehr erwarte ald von andern chriftlichen 
Berfammiungen, mehr Luft und Liebe zur Religion und 
dauerhaftere fruhtbarere Eindruükke von derfelben. 

Wenn ihr es reblic meint mit euch felbft, wenn ihr gern 
dad eurige thun und euer Gewiflen unbeflekkt erhalten wollt, fo 
müßt ihr nothwendig zu ben Hülfsmitteln der Relis 
gion eure Zufluht nehmen. Die menfchliche Schwachheit 
braucht überall um auf dem guten Wege zu bleiben allerlei Er: 
munterungen. Andere, bie auf anderen Stufen in der Gefellichaft 
fliehen, in einem größeren Kreife leben, finden dieſe vielleicht in 
dem Beifall der Welt, in dem Ziel der Ehre, welches fie fich vor⸗ 
gefezt haben, in ber Sicherheit, die ihnen ein unbefcholtened Leben 
gewährt. Ihr aber, die ihr eure Pflichten ganz im ſtillen erfüls 
in müßt, beren Lage von der Art ift, Daß eure Zugenden je 
volllommner fie auögeubt werben nur um befto weniger ind Auge 
fallen, ihr, die ihr immer nur von einem ſehr Heinen und felbft 
nicht glänzenden Kreife bemerkt werbet, wo folltet ihr Aufmunte 
mng zum guten finden, wenn ihr fie nicht in dem Andenken an 
Gott den Allwiffenden, ben Vergelter, und in allen tröfllichen 
Berheigungen der Religion fuchen wollt? Was für Belohnungen 
ſtehen euch offen, wenn ihr nicht ben ſtillen Lohn genießen wollt, 
den ed euch gewähren muß ein guted Gewiffen vor Gott darzu⸗ 
bringen, euch eurer Verbindung mit Chrifto zu freuen und im 
voraus fleißig auf bie Freuden zu fehn, die euch bei ihm erwarten? 


D 


378 


Ja eure ganze Lage, führt fle euch nicht gewaltfam bin zu 
allen den Lieberlegungen, die dem Chriſten feine Religion beſon⸗ 
ders werth machen müflen? Abgelhnitten von ben Freuden ber 
Belt, muß es euch nicht das koͤſtlichſte Kleinod fein ſchon jezt 
dem Geift nach in einer beffern Belt zu leben? Frei von fol 
chen Verrichtungen, die alle Kräfte bed Gemuͤths beichäftigen, 
womit wollt ihr die Leere ausfüllen, womit wollt ihr den Durſt 
nach Gefchäftigkeit flillen, auf was für würbigere Gegenflände wollt 
ihr die Kräfte der Seele richten, ald auf diejenigen, bie einen 
ewigen bleibenden Werth haben? In einem Alter, wo man 
von ber Höhe bes Lebens herabfleigt, was liegt euch mäher als zu 
der fhöneren Höhe binaufzufehen, die ihr jenſeits erfleigen follt, 
und euer ganzes Gemüth dazu anzuſchikken? An einem Ort 
endlich, wo ihr von mandherlei Elend umgeben feib, wo ihr ben 
Tod in allen feinen verfchiebenen Geſtalten feht, wie er bie Ber- 
zweiflung des gerichteten Suͤnders unterbricht, den ruchlofen mit- 
ten unter feinen Schmähungen bahinzafft, dem gebantenlofen in 
feiner verächtlichen Unempfindlichkeit die Augen fchließt und den 
zaghaften lange mit feiner unfreunblichen Geftalt ſchrekkt, was 
kann euch hier wol wichtiger fein, als euch bei Zeiten mit dieſem 
Schritt befannt zu machen, damit ihr einft mit Befonnenheit und 
gutem Muth, vom Stabe der Religion geftüzt, in das dunkele 
Thal hineinwandern koͤnnet? Eure Pflichten fowol als euer gan: 
zer Zuftand berechtigen mich, mehr Luft und Liebe zur Religion 
von euch zu erwarten. 

Aber auch bleibendere und fruchtbarere Eindrüfte 
von ihren Belehrungen. Andere Ehriften find noch in dem 
Zuftande, wo Leidenfchaften von mancher Art dad Gemüth bewe: 
gen und erfchüttern, und in dieſem Zumult gehn gute Ueberle 
gungen fehr bald verloren; bei euch follen Neigungen und Be 
gierben fhon ausgebrauft, und die Wernunft fol mehr Herrſchaft 
gewormen haben. Andere kehren aus ben Stunden ber Belehrung 
zuruͤkk zu verwikkelten anſtrengenden Gefchäften, zu verberblichen 
Berfireuungen; biefe flören euch nicht, und es bleibt euch Muße 


379 


genug ein heilfames Nachdenken fortzufezen und gate Eindruͤkke 
vor ber Vergeſſenheit zu ſichern. Andere find mit Ihren guten 
Gedanten dem Lachen der Spötter, den Einwendungen der Zweif: 
ler, mit ifren guten Vorſaͤzen den Berführungen. der leichtfinnigen 
und liſtigen und dem Eindrukk aller folcher Dinge auögefezt, bie 
die Luft und dem Eigennuz nähren und das beffere Gefühl’ bes 
taͤuben; ihr dürft euch in eine heilfame Einſamkeit zuruͤkkziehn, 
wo das gute Wurzel faſſen und gedeihen kann, und die guten 
Eindruͤkke, die ihr aufgefaßt habt, werben immerſort durch thaͤtige 
dringende Aufforderungen zur Menſchlichkeit und Beuderliebe uns 
terſtuͤzt und belebt. Laͤßt es ſich alſo nicht mit Recht erwarten, 
daß die Wirkungen der Religion bei euch weniger fluͤchtig ſein, 
daß fie einen dauerhafteren und thaͤtigeren Einfluß auf euer gan⸗ 
zes Leben haben werben, und muß nicht diefe Erwartung mich 
ganz vorzüglich mit Freudigkeit erfuͤllen? 

Ich mag alfo auf die Beſchaffenheit meines Amtes, ich mag 
auf die Erwartungen fehen, die es erregt, fo habe ich Urach es 
mit Freudigkeit anzutretenz; aber diefer gute Muth nur fol nicht 
den Anfang bdeffelben angenehm machen, fondern mich durch bie 
ganze Zeit, ba ich es führen werde, begleiten, und das fann auch. 
gefchehen, denn die Urſachen, die Werbältniffe bleiben diefelben. 
Oder follte ich felbft durch mein eigenes Betragen die Begriffe 
von ber Wichtigfeit meined Amtes und von bem guten Erfolge 
beffelben vernichten? Sollte ich es je fo nachlaͤſſig behandeln, daß 
es aufhörte mir groß und wichtig zu erfcheinent Sollte ich fo 
forglod dabei zu Werke gehn, daß ich nichts von ben Wirkungen 
gewahr wuͤrde, bie ed angenehm machen? Sollte ich meine Era 
mahnung felbft unträftig machen, indem ich nicht eure Beduͤrfniſſe, 
euren Zuftand, eure Faſſungskraft zur Richtſchnur nahme? ſelbſt 
fruchtlos, indem ic) die Lehre nicht mit dem Beiſpiel begleitete, 
nicht düich ben Wandel den fie gebietet beftätigte, indem ich zeigte, 
wie wenig ich felbft auf die, Verheißungen vechnete, bie ich euch 
anpries? Nein m. Fr., dad wird Gott verhüten! nein, bad kann 
nicht gefchehen, denn ich bin ſelbſt erfüllet mit dem Troſt, 


380 
bamit ich euch tröften ſoll, ich bin ſelbſt durchdrungen von 
den Wahrheiten, Die ich verfünbige, felbfl Yon ganzem Herzen dem 
Geſez unterthan, welches ich euch vorlege, und ich fühle es zu 
innig, welch ein koͤſtlich Kleinod Gott demjenigen anvertraut hat, 
dem er ein Lehramt gegeben. Rein, was ich ſelbſt thun muß um 
mir dieſe Freudigkeit zu erhalten, bad fol nicht unterbleiben. Aber 
hört au meine Bitte an euch m. Fr. Bebenkt, wie der Apo⸗ 
fiel die Chriſten ermahnt, fie follen forgen, daß diejenigen bie an 
ihnen arbeiten ed thun mögen mit Luſt und ohne Seuſzen. Raubt 
mir nicht durch eine Sleichgültigfeit, bie ich gar nicht vermuthen 
Darf, durch eine Zrägheit, für die ihr ganz ohne Entſchuldigung 
fein würdet, Die guten Hoffnungen, bie mich befeelen. Verlaßt nicht 
unfere Berfammlungen, entzieht euch nicht freiwillig ein Gut, wel: 
ches euch ‚für fo viele andere ſchadlos halten Fann, Öffnet eure 
Herzen mehr und mehr der Religion, folget ihrem fanften Zuge 
und laßt mich die erfreulichen Wirkungen ihrer Herrichaft über 
bie Steele mehr und mehr wahrnehmen. Gebt mir aber aud) 
Hoffnung die Liebe bei euch zu gewinnen, bie Die befte Aufmun- 
terung ifl. Sch weiß wohl, daß id) fie mir verdienen muß, und 
nur unter biefer Bedingung begehre ich fie, aber bis dahin und 
ehe ihr mich genau kennt fchenkt mir wenigftend dad gute Bor: 
urtheil, welches ein jeber verlangen barf, ber tüchtig befunden wor: 
ben ift ein Lehrer der Religion zu fein, bad Vertrauen, welches 
ihr der Wahl eurer vorgefezten fchuldig feid. Laßt mid) nicht ver- 
geblih um dad Wohlwollen um bie Bruderliebe bitten, bie man 
jedem Chriſten gewähren muß, und bie ich noch viel mehr als 
euer Hausgenoß forbere, um die ich euch alle bitte von benjenigen 
an, welchen bie Aufficht über diefe Anflalt anvertraut ifl, bis auf 
die, welche hier einen Zufluchtdort im Ungluͤkk und in den Schwach⸗ 
beiten bed Alters gefunden haben. Nehmt mich als euren Freund 
in Liebe auf unb gebt mir ben erflen Beweis davon, indem ihr 
jezt euer Gebet mit bem meinigen vereiniget. 
(Gebet.) 





Dritte Sammlung, 





Aus dem Jahre 1810. 


\ 


I. 


Wie der Herr mit Recht fagen Fonnte, daß 
er vollbracht habe, 


ueber Joh. 19, 30. 


Am Eharfreitage 


immer m. Fr. macht ber Anblikk bes Tobes als des plozli— 
chen Aufhoͤrens des Lebens einen erſchuͤtternden Eindrukk auf 
unſer Gemuͤth; doch verſchieden geſtaltet ſich dieſer Eindrukk, wenn 
der Tod als endlich nahe gekommene Aufloͤfung, als Gefez 'der 
Natur herantritt, und wenn er gewaltſani und ploͤzlich ein menſch⸗ 
lihed Leben und Wirken in feiner Blüte wie ein Sturmmwind 
zerknikkt; wir werben erfüllt mit Staunen und Mitleid. Aber 
Freude, Bewunderung und Erhebung find bie Gefühle, die und 
erfüllen und alle andern fchmächeren zuruͤkkdraͤngen, wenn wir 
nen Märtyrer vollenden fehen, der im Dienſte ber ewigen 
Wahrheit und Gerechtigkeit um ein höhered Gut bad geringere 
freudig dahingiebt. Darum feien auch vor allem fern von und 
ale Empfindungen des Mitleids, ded Erbarmens, wenn wir auf 
den Tod des Erloͤſers fehen, befien Feſt wir heute begehen, und 
in diefem Tode auf ihn, ber fo herrlich und groß vollendet bat. 


384 


Darum fei allezeit erhebenb-für und bie Betrachtung feine To⸗ 
de, und fein Tod in biefer Stunde der Gegenfland foldyer Be⸗ 
tradhtung. 


Text. Joh. 19, 30. 
Da nun Jeſus den Effig genommen hatte, ſprach 
er, Es ift vollbracht! und neigte bad Haupt unb 
verfchied. 


Diefe legten Worte des Erlöfers, die allein ber Jünger ver: 
“nommen zu haben fcheint, der ihm treu gefolgt war, weil fie 
uns fein anderer berichtet, — diefe herrlichen Worte find von je 
ber tief ind Herz jedes Chriſten gelchrieben gewefen. Zem- von 
denen, welche, wie alles was Chriflus in der lezten Zeit that unt 
redete, jo auch biefe Worte nur auf die kurzen Leiden und Schmer: 
zen beziehen, deren Ende ber Erlöfer eben in benfelben als ge- 
kommen bezeichne, haben tiefere Ehriften immer eine große unb 
berrliche Bedeutung darin geſuchtz und wenn ed unſtatthaft iſt, 
wenn es eine zu Peine Vorſtellung verräth von der großen Be 
flimmung und dem ewigen Werke des Erlöfers, mit vielen zu 
glauben, dag ber große und heilige Augenblikk feines Todes 
der Anfang und bad Ende ded ganzen Gefchäftes der Erloͤ⸗ 
fung geweien wäre, fo find und doch dieſe Worte das lezte 
Zeugniß, welches Chriſtus ablegt von fich felbft, und ein größeres 
und herrlicheres kann ed nicht geben, ald wenn ber Menſch am 
Schluffe feines irdiſchen Lebend- fagen fan, Es iſt vollbracht! 
Se laßt und in Betrachtung dieſes Wortes dieſes Feſt begehen 
und das Bild beffen und einprägen, den Gott fo herrlich vollen⸗ 
det. Wir wollen den Sinn dieſer Worte zufammenfaflen in 
folgenden beiden Betrachtungen, ber Erlöfer konnte fagen, Es 
ift vollbracht! erfilich, weil er fein irdifhes Leben ge 
führt hatte zu einem nothwendigen Ziele; er konnte 
es fagen zweitens, weil fein perſoͤnliches Geſchaͤft in 
Der Welt rein vollenbet war. 





385 


Dis laßt und andaͤchtig erwägen und den gekreuzigten 
dadurch in unferem Herzen verherrlichen. 


I. 


Es bleibt und immer etwad unbefriedigendeß barin, m. a, 
Fr., wenn bad, was wir nach dem Maaße menichlicher Einfichten 
Zufall nennen dürfen, zu regieren ſcheint über bie Dauer und 
das Ende des menfchlichen Lebens, wenn es einem Mangel an 
Borfiht, an Kunſt und Gelailklichkeit in Behauptung der zum 
Leben erforderlichen Kräfte fcheint zugefchrieben werben: zu müffen, 
daß fo viele flerben, ohne das natürliche Ziel erreicht zu haben. 
Schon dann, wenn wir fehen, ba nach einer nüzlichen Thaͤtig⸗ 
keit, nachdem dadurch früh oder fpät das Maag ber menfchlichen 
Kräfte erfchöpft ift, zufolge eine Drbnung ber Natur bie 
Zerftörung des Lebens herbeigeführt wird, find wir ruhig; denn 
das Ziel ift erreicht, und wir erfennen befriedigt bie Noth⸗ 
wenbdigfeit bed Todes. 

Aber etwas anderes iſt ed noch, wenn ber Menſch freiwils 
lig fein Leben hingiebt im Kampfe für etwas, was feiner Ueber: 
jeugung nach mehr werth ift, ald dad Leben; benn bei jenem iſt e8 
doch nur bie Wergänglichkeit und Zerbrechlichkeit: ber menſchlichen 
Ratur, die hervortritt; aber bier iſt, was in ihm: felbft wirkt, 
und was aus ihm heraus fich verfündigt, bie höchfte Kraft, bie 
Schönheit und Würde der geiftigen Natur, und wie mannigfal 
tige Verwirrung, wie viel Verblendung und Unglüff einen fols 
hen fierbenden umgiebt: gern wenden wir von bem allen ben 
Blikk weg, um dad Auge des Geiſtes an dem zu weiben, ber fo 
vollendet, der fo beweift die göttliche Kraft des Menſchen über 
die Gefeze des finnlichen Lebend. Und fo geziemte ed dem zu 
enden, der zu heilig war und zu groß, zu innig verbunden mit 
der Gottheit, als bag die Spuren ber menfchlihen Schwäche ſich 
hätten zeigen follen in feinem Tode; fo geziemte ed dem zu flers 
ben, der für uns werben follte ber Anfänger und Vollender des 

Predigten 1. 3b 





386 


Haubend. Denn wie es fein Glaube an ſich ſelbſt war, in 
Streit gebracht mit dem niedrigen Dafein der Menſchen, welde 
feinen Tod nothwendig berbeiführte: fo ift ‘eben dadurch begrün 
det worben in vielen taufenden der Glaube an ihn. 

Ya, m. Fr., wir find gewiß alle barüber einig, es giebt 
nichts größeres und herrlicheres, als ben Tod des 
Märtyrers, der für dad, was im feinen Herzen gegeben if 
als dad Gefez feines Lebens, bad Leben felber laſſen kann; fo ei 
nig, daß, ob ein Menſch dies vermöge ober nicht, in unſerm Ge 
fühl die einzige Bedingung ift, unter der wir ihm höhere Ach⸗ 
tung zugeftehen. Denn fo lange es fich in einem Menſchen nict 
offenbart, daß «8 für ihn etwas gebe, was ihm lieber iſt ald da} 
Leben, fo lange ift er ein Menſch, welcher nicht durch bie ſittliche 
Kroft und Freiheit bewegt wird, fondern nur ber flüchtige Schat: 
ten ber menfchlichen Geftalt, beweglich und bewegt durch einm 
Hauch, und wir fehen ihn, wohin dieſer biäfet, auch hierhin und 
borthin blafen und treiben. Wolan benn, m. Fr., ber, deſſen 
Tod wir feiern, hat und biefed binterlaflen als hoͤchſtes Wermädt: 
- mi, daß ed nur durch bie Kraft feines Todes etwas giebt, mad 
uns lieber ift, als dad Leben! 

Und damit immer mehr die Menfchen zu durchdringen, hat 
ſich auch diefer Tod, bei defien Anblikk jeder begeiflert wer: 
den muß für alles gute, in der Geſchichte feiner Jünger 
fo oft wiederholen müffen, von dem an, ber bei feinem 
Tode an der Schwelle des ewigen Lebens ben Himmel offen ſah 
und bie Serrlichfeit Gottes und bes Menſchen Sohn zu feine 
Rechten *), und dem andern, ber fich gürten lieg unb führen, 
wohin er nicht gewollt **), biß durch bie große baranf folgende 
Zeit Dad Kreuz höher errichtet if, und das Gebiet de himmli 
ſchen Reiche weiter auögebreitet unter den Geſchlechtern ber 
Menfhen, und auch wir, durchdrungen von berfeibigen Licht, 





Apoſtaqtſc. 7, 56. *) 305. 91, 18. 





387 


von bemfelben himmlifchen Behorfam, uns verfammelt finden un. 
ter biefem heiligen Kreuze des Erloͤſers. 

Und haben wir auch jezt nicht fo häufige Gelegenheit es 
durch den Tod zu beweifen, daß ber Glaube an den Erloͤſer uns 
lieber ifl, als daB Beben: fo koͤnnen wir doch ae biefen Sinn 
im Leben ſelbſt offenbaren. Noch täglich wird der Menſch 
gelokkt von der finnlichen Welt, noch täglich kann ex beweifen, 
dep ihm das ewige lieber ift als das irbifche und vergängliches 
und wenn wir uns fo fern halten von ber Feigherzigkeit und 
Schlaffheit derer, Die an dieſes vergängliche Leben gebunden find, 
und an bad, was darin fefjelt und lokkt; werm wir fefihalten 
das ewige Leben: dann haben auch wir Theil an feinem herrli« 
den Tode; dann find auch wir mitbegriffen in dem göttlichen 
Auddrukke volbracht zu haben; dann find wir durch diefe Ges _ 
ſinnung befländig begriffen darin und zu vollenden gleich ihm. 


- ll. 


Zweitens aber m. Fr. konnte ber Erlöfer fagen, Es iſt voll 
bradht, weil fein perſoͤnliches Geſchaͤft in der Welt 
nun rein abgefhloffen war und vollendet. 

Freilich derjenige, ber mehr auf dad Außere und einzelne ſieht 
als auf das innere und ganze, dem kann e& fo nicht fcheinen; er 
fiegt im Tode des Erlöferd nur eme gewaltfame Unterbrechung 
deffen, was er durch ferneres Lehren und Leben noch hätte forts 
fegen können, und daß doch nur der erfle Grund gelegt geweſen 
fei zu dem Bau Gottes, weldyen weiter zu fördern wir berufen 
find und alle Fünftigen Gefchlechter. Aber um zu fehen, mit 
weichem Rechte auch in diefem Sinne der Erloͤſer ſagen konnte, 
Es iſt vollbracht, fo laßt und zweierlei betrachten: erſtlich, daß 
nur durch feinen Rod bie ſtrenge Scheidewand geſezt wurbe zwi⸗ 
khen benen, welche aus reinem Serzen ihm anhangen Eonnten, 
und bem großen Haufen ber Kinder diefer Welt; bann aber, daß 
er doch mit dem Teflen Wertranen Tcheiben Tonnte, daß dad Bes 

Bb 2 


388 


fiehen feiner Lehre gefichert fei, gefichert bie fortgehende Eriöfung 
der Menfchen von dem böfen. 

Wir wien, unter welchen Erwartungen ber Erloͤſer auf: 
trat, wie er fein Dafein und feinen Dienft anknüpfen mußte an 
biefe Erwartungen; wir feben, wie deshalb in feinem Leben ab: 
wechfeln eine Ebbe und eine Flut bed Beifalled ber Welt und 
ihrer Steichgültigkeit gegen ihn. Wenn er fie Ichrte und hoffen 
ließ große Güter, und fie ergriffen wurden von ber Wahrheit 
feines Wortes, dann flrömten fie ihm zu; fagte er aber, kin 
Rech fei nicht von diefer Welt, ftellte ex ihren fleifchlichen Er 
wartungen gegenüber dad Bild de himmlifchen Vaterlandes: 
dann verließen fie ihn, und fo fand er fich veranlaßt zu ſagen 
einmal, er nicht wider mich ift, ift für mich *), und dam 
wieber, Wer nisht mit mir fammelt, der zerfireuet *°)." Ehe war 
an eine Vollendung feines Werkes zu benten, ehe 
feine Scheidung Statt fand. Diefe Zrennung ber Achten 
und unächten Anhänger geſchah und konnte nur gefchehen durch 
feinen Tod. Wie konnten nun bie ihm anhangen, bie einen ie 
difchen Erlöfer hofften; aber auf ter andem Seite, bie nun noch 
ihm treu blieben, die nun eine neue Urfache fanden ihm zu ver: 
ehren, bie burch feinen Tod mehr als durch fein Leben gereinigt 
wurben in ihren Herzen, wie Eonnten biefe ſich von ihm trennen! 
und wenn er auch nichtö gewußt hätte von denen, bie fih zer⸗ 
ſtreuen ließen, und von denen, die unter feinem Kreuze flanden, 
erfahrenb welche Kraft von ihm auögehe: fo hätte ex doch fogen 
koͤnnen, Es ifl vollbracht! Aber er wußte, daß es noch viele an 
bere geben werbe, bie eben fo ben gefreuzigten verherrlichen wür 
den, und fo mußte er erhöhet werben von ber Erbe, um diejeni⸗ 
gen, welche reinen und empfänglichen Sinnes wären, zu ſich zu 
ziehen und zu einem geifligen Leben zu erhöhen *°). . 

Meine Freunde, lat und auch hierin nicht nur verehren bie 





) Mast. 9, 40, ”) eat. 14 33. »9 Sop 12%, M- 


39 


werfen Wege der Votſehung, welche ber Erlöfer vollendete, Damit 
fih in den Menfchen bewähren könnte die Reinigkeit ihres Glau⸗ 
bend an ben gebreuzigten; laßt und nicht nur ihn glüfflich prei- 
fen, ber mit der herrlichen Uebergeugung von dem Heil bed Men: 
ſchengeſchlechts das irdifche Leben hingeben Eonnte: fondern laßt 
und bebenfen, daß auch für uns dies dad Wohlthätige ift in un 
fern Leben, und daß Feiner fich einen Chriſten nennen darf, ber 
fich deffen nicht bewußt if. Das große Werl der geiſti⸗ 
gen Schöpfung dauert noch fort, und wenn wir aud ein: 
zelne Gegenben heil erleuchtet fehen von der Sonne der ewigen 
Wahrheit, fo leben doch viele unb die meiften oft in einem un- 
gefchiedenen Nebel, der fich leicht verdiffen und verdunkeln, aber 
audy ſich auflöfen kann in bimmlifche Klarheit. 

Auch wir follen ba feheiben den Schein von der Wahrheit, 
und jeder, wie unfcheinbar fein Beruf fei, hat ed zu thun mit 
bemfelben Geſchaͤft. Jeder wird oft mißverfianden mit feinen 
Srundfäzen, Empfindungen, noch am Ziele felbft feines Lebens 
von wenigen richtig gelchägt, von. anderen heruntergezogen in dem 
niedrigen Kreis ihres finnlichen Lebend. Darum laßt uns 
immer fireng und deutlich fheiden durch Wort und That, 
wad wir tun und treiben, und ed deutlich offenbaren, baß es 
und nicht um das irbifche zu thun ift, noch um ein Gut diefer 
Wet, fondern daß wir vollenden wollen, gleich dem Erlöfer, 
und gelingt es und nicht, die Menfchen, in deren Dafein dad 
unfrige verflochten tft, zur reinen Ueberzeugung zu bringen, und 
losſagen von ihnen, fo wie von allem irdiſchen, aber auch in 
feſter und unerfchütterlicher Treue und Liebe die wenigen ver: 
ſammeln und feflhalten, die auch und in dem Herm der Vater 
geben wird, und durchdringen mit bderfelbigen Kraft, — dann 
werden auch wir vollendet haben. 

Und eben fo denke doc Feiner fo gering von ſich 
ſelbſt, al8 ob mit ihm ſelbſt aud das verginge, wozu 
er dagewefen if. Sind wir eingewurzelt in dem Grlöfer, 


390 


find wir Reben am bem ewig grünenben Möeinflolfe, licher an 
den Leibe beffen, ber in ben Himmel erhoben if; fo find wir 
auch wirkſam und theilbaftig an dem großen Werke, das gleich 
ewig if mit dem Gefchlechte ber Menſchen ſelbſt. Jeder muf 
Saamen fireuen, ber erft aufgehen kann, wie ber des Eridfen, 
machbem er ſelbſt lange dahin il. Haben wir nichts ausgefäd 
für die Zukunft, giebt es kein menſchliches Werk, was wir he: 
vorgebracht, auf eigenthämliche Weiſe geflaltet ober mitwirkend 
gefördert haben: dann haben wir nicht vollbracht; dann kann auch 
unfer Tod nicht Ahnlich fein dem Tode ber Erloͤſers. Wie a 
volbracht hat, fo laßt und auch volbringen und wirken, fo lange 
es Tag if, ehe die Nacht eintritts fo laßt auch uns die Zeit 
auslaufen, dad Bild ded Herrn im Auge wandeln wie er, und, 
fo oft und etwas nieberfchlagended in den Weg tritt, auf die 
Zukunft den Blikk gerichtet uns fättigen, wie er fich fältigte, mit 
der Anſchauung alles guten und ſchoͤnen, was nach uns fein wird, 
aber und nicht fremb fein Tan, weil e8 auch heroorgeht aus 
unferer Wirkſamkeit und unſerm Streben, aus unferm Leben und 
Thun in dieſer Zeit. 

So ſei und diefer heilige Tag dazu gefest, daß wir I} 
Bild des Erlöfers feſter ind Herz prägen, daß wir nachjagen dem 
Ziele einer gleichen Vollendung und im Andenken an biefen Zob 
unfer Leben führen als folche, die gleich ihm wuͤnſchen zu fir 
ben, und im Gehorfam gegen fein Geſez uns umgeſtalten in fein 
Bid! Dann werben die Früchte feines Lebens und Todes unfe 
. flin; dann wird er durch die Kraft feine Todes aud uns im: 
mer mehr zu fich sieben, mehr und mehr wird in und wirken 
fein Gef, und wir werben Antheil haben an ber Vollendung 
des Herm! Amen. 


[| 
" ||| — -- — — 


ll. 


Wie wir e8 erringen, fröhlich zu fein in 
der Arbeit. 


ueber Pred. Sal, 3, 11 — 13. 


j Am Bußtage. 

©, oft wir und an biefem Tage in den Häufern der Andacht 
verfammeln, dürfen wir es nicht überfehn, daß dies Fein Feſt⸗ 
tag ift von der chriſtlichen Kirche felbft geftiftet, nicht 
wie die andern auf ihre heilige Gefchichte fich beziehend, fon: 
dern angeordnet von jeder chriſtlichen Landes⸗Obrig— 
keit, bezwekkend die befonnene Leberlegung unfered gemeinfchaft 
lichen Zuſtandes, der heiligen Verhaͤltniſſe, in welchen wir und 
unsere Mitbrüder ſtehn, der Treue, mit welcher wir fie erfüllen. 
Died follen wir zum Gegenfland unferer Andacht machen; in 
diefer Beziehung fol das Gebet ber fremmen zum Himmel flei: 
gen, und ber Sünder fih an die Bruſt fchlagen zur Beſſerung. 
Und wie wir auch diefen Tag betrachten und benennen mögen, 
mehr einen Tag der Buße, ober mehr einen Tag bed Gebets, 
wenn gleich dad eine und mehr hinweifet auf bie Vergangenheit, 


392 


bad andere mehr daS Mid der Bufunft umd vord Auge bringt: 
beides iſt doch unzertrennlih. Denn weg unter und vermoͤcht 
fiehende Hände Gott zum Wohlgefallen und bem Vaterlande zum 
Segen emporzubeben, der nicht zuvor Buße gethan? und was if 
es anders, was zunaͤchſt zu einer fruchtbaren und bußfertigen Be 
trachtung feines inneren den Menfchen flärkt, ald ein vertrauen 
volles Gebet? So laßt und auch jezt unfern gegenwän 
tigen Zuſtand betradhten in Bezug auf unfere große 
und theure Verbindung ald untergebene eines Geſe 
zed, ald Bürger eines Volkes. Laßt und darauf unfen 
Aufmerkſamkeit fo richten, daß fi von ſelbſt auflöfe unſer Ge 

müth in Demuth vor Gott und in fromme kindliche Gebet 
zu ihm. | 


Text. Pred. Sal. 3, 11 — 13. 


Er aber thut alles fein zu feiner Zeit und läßt ihr 
Herz fih ängfligen wie es gehen fol im ber Bel. 
Denn ber Menſch kann doch nicht treffen das Werl, 
das Gott thut, weber Anfang noch Ende. Danım 
merkte ich, daß nichts befferes darin ift, denn fröhlich 
fein und ihm gütlih thun in feinem Leben. Denn 
ein jeglicher Menfch, der da iffet und trinfet und hat 
guten Muth im aller feiner Arbeit, das ift eine Gabe 
Gottes. 


Died Tann auf den erſten Aublikk eine Erörterung ſcheinen 
die nicht recht zum tiefen Ernſt des heutigen Tages paßt, daß 
ber Menfch fröhlich fol fein in feiner Arbeit und guten Muths. 
Ber aber ben ganzen Inhalt und Ton bed Buches, woraus 
biefe Worte genommen find, gegenwärtig hat, der wird auch den 
Sinn derfelben richtig deuten. Denn aus der Betrachtung nicht 
nur, wie alle, fo weit es irhiſch iſt, auch eitel iſt und vergäng: 
lich, fondern auch aus der, wie Erkenntniß und Ginficht allein 


” 


393 


ben Menſchen noch nicht weit bringt, fo wie aus ber, wie jeber 
nur fein eigenes Wohlergehn fchaffen will und eben barım nie 
trifft das Wert des Herrn weber Anfang noch Ende — aus 
dem allen ergab es ſich dem weifen, die fei dad Cine Gut, fröß: 
lich zu fein. in der Arbeit und guten Muths. Warum ſollten 
auch wir und heute nicht ermuntern eben dahin zu fire 
ben, dag wir fröhlich feien in der Arbeit. Wolan denn, 
ſo wollen wir dies auch zum Gegenflande unferer Aufmerk⸗ 
ſamkeit machen. Aber um den wahren Sinn dieſer Worte mit 
unferer Betrachtung zu erreichen, fo laßt und auf ben Zuſam⸗ 
menhang achten unb und fragen zuerfl, warum ſoll ber 
Menſch nur in ber Arbeit fröplid fein, und zweitens, 
was macht uns dazu; und ich zweifle nicht, es werben ba 
sauß Gedanken und eine Verfaſſung bed Gemuͤthes fich bilden, 
wie fie diefem- Zage angemefjen find. 


l. 


In feiner Arbeit fol der Menſch fröhlich fein und guten 
Muths, nit im Genuffe D wie fehr alles, wonach ber 
Menſch nur firebt, um daher, mehr leibenb als thätig fich ver: 
haltend, Genuß zu empfangen, wie alled das leer und eitel fei, 
dad kann und jebe, auch die flüchtigfle Anficht ber Welt und bed 
Lebens lehren, weil wir fehen, daß bie Menfchen bie Befriedi⸗ 
gung doch nicht finden, bie fie fuchen, weil fie wenn gleich mit 
nem flüchtig erhöhten Lebensgefühl doch dafür mit geringerer 
Empfänglichkeit und abgeflumpftem Sinn davon zuruͤkkkehren. 
Aber mehr als fonft werben wir das inne in Beiten großer 
Umwälzmgen, wo am ſchnellſten alles das, was ber Menſch ald 
Stoff zum Genug um ſich verfammelt hat, durch die Stürme 
von außen binweggeführt wird wie Spreu vom Winde Ja 
eitel und leer muß das Beſtreben bes Menſchen fich darſtellen, 
wenn er nur barım ein neued Leben unb eine neue Beit herbei- 
führen wollte, daß er fi neuen Stoff ſammle zum Genuß, um 





39 


barin fubhlich zu fein; dem es droht ihen dis Unßchecheit, de 
Engel mit dem feurigen Schwert, ben ber Herr vor dieſes vu 
gängliche Parabied gefiellt hat, bamis bie Menſchen im Schwei 
ihres Angeſichts ihr Brot eſſen ſollen und im ber Arbeit ſuche 

Ga ber Arbeit, nicht im leichten Spiel der man 
nigfaltigen Kräfte, bie ihm verliehen find, ſondern in de 
Mühe und Anftrengung fol ber Menſch fröhlich fein und gate 
Muthes. Wohl gab «8 Zeiten, und manches liebliche Bild ſich 
uns Davon vor Augen, es gab Zeiten und giebt MWölker, unte 
denen fo viel umb mehr, aid wir Schaffen koͤnnen mit Sorge un 

Anfivengung und Mühe, gewonnen wird durch leichtes Spie 
Durch eine frohe Thaͤtigkeit, der niemand Mühe und Arbeit «= 
fieht; und es exrfeheint and immer als ein Zeichen eines beſſen 
Zuftandes, einer höhern Ausbildung bed Menſchengeſchlechts, wera 
wir ohne Anftvengung bad Werk Gottes verrichten koͤnnen. Abe 
wir werden es und nicht verfchweigen koͤnnen, daß bad nicht un 
fer Theil fü. Haben andere daB genoffen, fo mögen fie es fü 
uns mitgenoffen haben, und wir wollen und biefes Gluͤkkes wi 
tHeilnefenenbe Mithrüber von Herzen freuen und ums erlabe 
und flärken an dieſem fröhlichen Bilde. 

Das aber iſt, wir fühlen es, unfere Sage, daß wir nu 
froͤhüch fein koͤnnen in Mühe und Anftrengung, und zwi 
nicht nur die geringen, durch ihre Geburt und ihre äufere Be 
grenzung zu einem mlhevollen Leben berufen, ſondern bis hoqh 
hinauf auf ben Gipfel der menſchlichen Gefelifcheft erſtrektt I 
bie härtere Geſez. Wo fo viele Gefahren drohen, mo bei jedem 
Schritt ber Boden want, da muß Mäbe Sorge Ang und Ae 
beit fein, auch bei denen die fonft nur mit einem Winke us 
bieten, nur aus einer allgemeinen Ueberſicht des ganzen bes) 
zu bereichen gewohnt waren; und es if keiner unter un 
derſich dieſen Geſez entzichn daͤr fte. Daher veroͤchtlich u 
als Feinde des gemeinen Wohls muͤſſen und wie immer, ſo be 


395 


ſonders jegt die exfcheinen, bie, mit Gaben bed Gluͤkks und des 
Beifted audgeräftet, gar nicht fuͤr ihr eigenes Beſtehen zu arbeiten 
gezwungen, fich jezt mit wenigerem als fonft, mit dem was ihnen 
kur nothduͤrftig iſt, begnügen, aber von dem leichten miüßigen 
Spiele bed Lebens ſich nicht trennen wollen. Nein, ein jeder 
fell. immer binfchanen wo es fehlt, und mit dem licberfluß feiner 
Kräfte, von welcher Art fie mn fein mögen, aushelfen und uns 
jerfihgen bie ſchwaͤchern umb nichts für ein verbienflliches Werk 
halten, was er nur geförbert mit Jeichtem Spiele ohne Arbeit 
Schweiß und Sorge, und feiner, ber nicht ald einen verraͤtheriſchen 
Rand feine Stunden und feine Kräfte hinnehmen will, darf füch 
dem entziehen. 
Nicht jene Arbeit, welche ſich durch ein leichte augenblikl. 
üches Schaffen vollendet, ſondern foldhe Arbeit. und Up 
tigkeit, bei ber wir Widerſtand fühlen, bei der wir 
immer forgen und befürchten müffen unfern well 
nichf zu erreichen, bie uns niemals einen gewiffen 
Erfolg fichert, diefe allein darf jezt ber Grund um 
ferer Sröptichkeit fein. Wehe den, ber jet nur auf bey 
Erfolg und Ausgang feiner Thaͤtigkeit fühe, nur darum arbeiten 
wollte, weil fel es der nächfle, fei ed ein fernerer Augenblikk 
Genuß und Lohn gewährt; wehe dem, der nur bei ber beſtimm⸗ 
tm Ausſicht thätig fein wollte, etwas unfehlbared und bleiben⸗ 
des zu fchaffen, denn nie ift mehr wahr geweſen als jezt, der 
Manch trifft doch nie das Werk, das Gott thut. Alſo ohne aufs 
Ende zu fehen, laßt und arbeiten als folche, bie nichts felbft be 
ſchleßen und ausführen, ſondern bie als treue Arbeiter wiſſen 
und fühlen, baß nur bie Weisheit des Herrn beided vermag. 
In biefem Sinne laßt und arbeiten, und was beißt das 
anders als laßt und dahin fehen, daß unfere und des fünftägen 
Geſchlechtes Baben und Kräfte alle durch Uebung an dem, was 
wir für vecht und wahr erkennen, fich befefligen, gründen und 


erhöhen. Denn koͤnnen wir es läugnen, bag wir biöher 


996 _ 
nicht fo gearbeitet Haben? Aber weil wir nicht fo gen 
beitet haben, darum find die Züchtigungen bes Herrn über u 
gekommen. Wir find ed gewohnt als Chriften umfer Leben | 
‚vergleichen mit einem Kampf, uns felbft mit Streiten. Di 
ft wahr und gut. Aber wir follen nicht nur fehen auf bie 3 
deB eigentlichen Kampfes, wo es Muth gilt und Hingebung, un 
nad) kurzer Zapferkeit Sieg erfolgt und Ueberwinbung, fonde 
Dad ganze Leben follen wir betrachten als einen Kampf und u 
ermüben zu ſtreiten. Laßt uns nicht zuruͤkkgehalten werben dun 
das Gefuͤhl, daß und nur ein Meines Maaß von Kräften zu G 
bote flieht, fondem wirken und fchaffen, jeber fo viel ihm vergöm 
ift, und diejenigen, die uns nahe ſtehn und anvertraut find, ai 
halten und üben, damit ber Menſch Gottes, das ganze Voll 
thchtig fei zu jedem guten Werke. Xrbeiten laßt ums, das heiß 
in gemeinfamer Thaͤtigkeit unfer Leben geflalten zu Einem gas 
zen; denn baher iſt alle unfer Ungluͤkk, baf alle in ber Im 
gingen wie Die Schaafe, ein jeber feinen eigenen Weg, daß jede 
nur für fich arbeitete, jeber feinen Beruf nur betrachtete als DH 
tel feines eigenen Wohlergehns. Dies m. Fr. iſt das Gebetus 
ſeres Sertes, das ift ed, worauf wir gründen follen un 
fere Anfprüche auf Froͤhlichk eit. Aber lat uns nun and 

| 


ll. | 


Uns eben fo ernſtlich fragen, geſezt wir arbeiten In biefen 
Seife, werden wir badurd allein fhon fröhlich fein 
tönnen und guten Muthes? Unb mir fcheinen, ich wil 
nicht verhehlen, zwei Bebingungen dazu zu gehören, unte 
deren Vorausſezung wir uns der Froͤhlichkeit und des guten Nu 
thes auch im ber ſchwerſten und muͤhevollſten Arbeit verfehen 
tönnen. Die Gegenwart ifi gefiellt zwifchen bie Bergangenhell 
und Zukunft, wir können im jedem Augenblikk auf bie eine und 
auf bie andere hinfehn, und wie wir das thun und können, da⸗ 


307 


on hängt ab unfere Froͤhlichkeit. Wer fich nicht verfänbi- 
et bat oder wenigfiend ſich entfünbigt in Abficht der 
jergangenheit, wer in Beziehung auf die Zukunft 
n jene waltende Kraft Sotted glaubt und ihr vers 
‚aut, von ber alled Gedeihen kommt für bie menfchliche Ar⸗ 
it, der allein, aber der aud gewiß wird fröhlich fein 
ad guten Muthes. 

Laßt und dad erſte erwägend uns bermüthigend zu ernflen 
setrachtungen hinleiten, aber und nicht nieberfchlagen. Gar 
iht zu ernfi und gründlich kann jeder fich ſelbſt fra 
en, Haft du dich nicht verfündiget? fühlft bu dich rein, 
5 von allen Uebeln, bie über und gekommen und noch auf und 
fen, nichts auf bein heil kommt? Keiner kann fi zu feier: 
ch und gewiffenbeft fragen, benn m. Fr., ed wäre das tieffle 
zerderben, wenn wir und barüber täufchten; denn wol nur ber 
Renich, der feine Sünden erkennt und reuig aufbelft vor fich 
bt, kann hoffen auf Beſſerung. Allgemeine Ungluͤkksfaͤlle, m. 
#., find nie ohne allgemeine Schuld, und von allgemeiner 
zerſchuldung iſt nicht Leicht jemand ganz frei; denn 
ie Sünde ift eine böfe anſtekkende Krankheit, nicht benen aͤhn⸗ 
ch, die nur in der Förperlichen Beſchaffenheit eined einzelnen ih» 
m Siz habend auch nur einzelnen verberblich werben, ſondern 
men die von einem fich auf viele verbreitend allgemeines Unheil 
iſten und Werberben. Und worin auch unfere Verſchuldung be 
hen mag, fei es Traͤgheit, Mangel an richtiger Einficht, an 
heilnahme an ber gemeinen Sache, an Eifer, an Beharrlich⸗ 
it, an loͤblicher Vorſicht, an reblicher Freimuͤthigkeit — wer 
junte behaupten alled gethan zu haben, wer hat genug geredet, 
kr genug fich entgegengeflemmt bem Berberben, wer andexe mit 
m feinen Kräften eifrig genug unterflütt? Darin alfo 
rd ſchwerlich einer Froͤhlichkeit haben koͤnnen und 
uten Muth. 


398 


"Aber an biefem Tage lat und fragen, Haben wir und 
wenigfiens fhon entfändigt?. Iſt und aufgegangen die rich 
fige Einficht in das wovon unfer Wohl abhängt? if und auf 
gegangen ein Gefühl deffen, was wir noch unter und vermiflen 
Liebe zu dem allgemeinen Bande, dad uns als eine Geſell 
zufanımengält, und die dem allgemeinen Wohl das einzeine wi 
fig unterorbnet, und bie ohne dad Wohlergehn des 
nicht gluͤkklich ſein kann? Iſt uns aufgegangen ein veiner Bi 
ein waches Gewiffen, welches und treu ermahnt und und 
Abſchen erfüllt gegen jede verwerfliche Gefinnung? Haben we 
erfannt, was jeder felbft beſonders gefehlt, und warnen nun um 
aufhoͤrlich uns ſelbſt und andere davor? Dann haben wir un 
entfündiget, dann können wir au fröhlich fein in Be 
zug auf die Vergangenheit. Wir können nun bie lcd, 
die und trafen, nicht mehr anfehn als Zeichen bes göttlichen Zomk 
fonbern ald Beweiſe der väterlichen Geflunung, vermoͤge deren A 
sächtiget welche er lieb hat. 

Aber bann auch in Beziehung auf bie Zukunft far 
nur fröhlich fein, wer vertraut jener waltenden Kraft 
die allein Gedeihen geben kann der menſchlichen A 
beit. Auch das lehrt und vor-allen biefe Zeit. Nicht kann be 
einzelne feine Arbeit fichern; wenn wir auf dad ganze Geihich 
fehen,, fo erfcheint ex und abhängig von ben Wirkungen und Se 
genwirfungen, welche fein Defein mit den übrigen ausmachen 
und fo Tann es alfo wohl ein Vertrauen auf Gott geben, ein 
Glauben an feine Macht und Weisheit, der doch wicht flarl ge 
nug ift dad Gemüth aufzurichten; denn wenn wir fehen, wie iM 
Zeit daB Werk unferer Haͤnde zerflört, wie nur durch Tod wm 
Berberben neues entfieht und gebildet wird, fo muß und ie im 
mer die Frage auf den Lippen ſchweben, Was bu erarbl 
ten und erfireben wilif, haft du damit das Wert dt 
Herren getroffen? wird es zu dem gehören, was de 








Herr erhalten will oder zerfiören? Und wer umter ws 
rermöchte da fröhlichen Gemuͤthes zu fein, wenn er bad Ieztere 

Aber ed giebt bach Wege diefem betrübendben und nieber 
Khlagenden Gedanken zu entgehn. Es giebt doch etwas blei⸗ 
dendes und ewiges, und bie ewige Natur bed wahren 
guten hängt nicht an der vergänglidhen Gefalt. Laßt 
nd auf dieſes unfere Liebe richten und unfere Arbeit, bann koͤn⸗ 
nen wir vertrauen der waltenden Kraft, bann arbeiten wir nicht 
für das vergängliche, fondern für dad ewige; benn jebe nette Ges 
halt Tann fi) ja nur ernähren und begründen und gedeihen aus 
ben, was früher gewirkt ifl. Wer in Diefem reinen Sinn arbeis 
tet, wer die Selbfiverläugnung fo ganz ſich durchdringen läßt, 
daß es fir ihn nichtd mehr giebt, woran er mehr hinge, als am 
dem ewigen Willen Gottes, an dem Werk was Gott durchführen 
wird, mag er, ber Diener, ed nun getroffen haben ober nicht, wer 
alles gern am dieſes fezt: in dem ift auch eine Freude 
und ein Bertrauen auf Gott, bad fein Sturm bes 
Lebens, kein Schikkſal, keine Gefahr erfhättern kann. 
Es giebt ein einfaches und Mares Sinnbild menfchlicher Arbeit, 
das ift die, welche der Herr felbft dem erfigefchaffenen Menſchen 
geſezt hat, daß er die Erde bauen fol und im Schweiß feines 
Angefichted fein Brot eſſen. Ex übergiebt der Erbe ben Saas 
men, und was für feindliche Ericheinungen ber Natur auch eine 
gehoffte Ernte zu zerflören drohen, er vertraut ben ewigen Befes 
yon der Natur, die auch Wort halten, wenn er weniger auf den 
Gewinn fieht als auf die Frucht. So laßt auch und arbeiten 
unbefümmert und fonder Furcht Saamen flreuen, treu achtend auf 
den Wink der Natur, ed an nichtd fehlen laſſend an unferm Theil, 
und dann nicht verzagen, welche Ummwälzungen, Ungluͤkksfaͤlle und 
Gefahren gleich Gerwittern auffleigen und Rob und Werberben 
zu bringen fcheinen, die fich aber fegnenb nieberlafien auf bie 


400 


Erbe und bad Werk umferer Hände gebeihen machen und ein 
Ernte herbeiführen und herrliche Gaben des Heils. | 

Mühe und Arbeit alfo und darin Froͤhlichkeit des Herzen 
das iſt unfer Theil; aber wir fommen nur zum Genuf 
diefer Fröhlichkeit und diefes guten Muthes durch bie 
Gnade des Herrn. Nur der Glaube an feine Macht und 
Weisheit, nur die Unterwerfung unter fein Gefez kann uns aufı 
recht erhalten in der Zeit ber Noth. Alſo arbeite ein jeber ie 
viel und fo lange er Tann, ehe die Nacht kommt; entfünbige ſich 
jeder vor Gott und ftärke fih im Glauben an ihn durch dab 
Bild des Erlöfers und rechne darauf, baß ber Herr feiner Ar 
beit werbe Gedeihen geben und ihm Froͤhlichkeit und guten Nuth. 
Diefe Gefühle, diefe Entfchläffe foll der heutige TZag 
in uns allen beleben und befefligen. Dazu vereinigen 
wir und in bemüthigem Gebet. | 





Becher. 


Here unfer Gott, der bu uns geſchaffen haft nach deinem Mile ud 
und gefezt zu beinen Stellvertretern, zu offenbaren in unferm Span um 
Leben die eigene Kraft, womit du uns ausgeräftet, ber bu in und geltk 
haft jenen Ginn der Liebe, ber mit unwiderſtehlicher Gewalt von jedem ſich 
verbreiten ſoll aufs ganze, o laß uns dieſe göttliche Kraft verwalten nach 
deinem heiligen Willen, daß fie je länger je mehr in ung ertddte das irdi⸗ 
fe und das, was in und nur abſtammt von Staub und Erbe. Laß um 
treu fein in unferm Beruf, daß keine äußere Kraft und eine Furcht und 
ſftdre in ber Arbeit, die du uns aufgetragen, und vom ber bu Rechenſchan 

fordern wirft, Sieb uns aber auch Cinſicht, Verſtand und Keantaif, deß 
nicht die Stimme ber Begierden und der Umtrieb der Leibenfcaften durch 
ihr wildes Zeuer ſtoͤre oder in Dunkelheit verhülle das Auge, welches ba} 
höhere Licht ſchaut, damit wir erfennen, was zu unferm Frieben dient. Berbanzt 
Die Gelbfttiebe, daß jeder mit feinen Bräbern gemeinſchaftlich fördert dein 
Werl. Gegne unfern König und fein Haus, firdme reichen Gegen geikiget 
Gaben und wahren Sohlergehens über daffelbe aus; vom ihm als den Mi 
telpuntt alles unferes Arbeit verbreite fi) Zreus und Cifer und of? 


401 


Bian fürs ante "fer alle, die in ben Angelegenheiten des Vaterlandes arbel⸗ 
m; laß Teine Lehre der Vergangenheit verloren fein, und alles was wir 
rfuhren, uns nur gereichen zur Stärkung unferer Eiche und zur Vereini⸗ 
mg der Gemuͤther. Ja Herr, alles was bu einem jeben gegeben, verehren 
sie ald gemeinfame Babe, bie uns allen angehört und unferm Wohl dienen 
ol. Aber gieb auch jedem den Sim fein Pfunb anzuwenden zum Beſten 
«s ganzen, und ob du dann viel oder wenig von unferer Arbeit gelingen 
ikt, fo werben wir tröplich fein in bir und guten Muthes, fo werben die 
tiden uns flärken zum gottfeligen Leben, wir werben zunehmen in beinem 
Kit und immer mehr wandeln vor beinen Augen als ein bie wohlgefäls 
ge Volk. Dies allein ſei unfer allee Gebet, unſer Ringen und Streben bis 
n den lezten Hauch unferes Lebens! Amen. 


Predigten I. .& 





Die Herrlichkeit, die unferm Erlöfer zu Theit 
geworden ift nach feinem Verfchwinden von 
der Erde. 


Ueber Mark. 16, 19. und Apoſtelgeſch. 1, 10. 11. 


Am Himmelfahrtötage. 


Neadem wir vernommen haben, daß und wie der Erloͤſer zu 
legt geredet zu feinen Süngern, daß er ſich nachher nicht wiebe 
bat fehn laſſen mit leiblichen Augen, fo fragen wir freilich mail 
verlangendem Herzen, was denn nun aus ihm geworden ſei 
‚ wohin er ſich erhoben habe, und fehen ihm nad eben fi 
fehnfüchtig wie feine Zünger, vor deren Augen eine Wolle ihı 
aufhub und emportrug. — ber fo wie ba flanden zwei Män 
ner, die zu ihnen traten und fprachen, Ihr Männer von Galiläa 
was ftehet ihr hier und fehet? eben fo geht es mit biefem Ber 
langen auch und; benn ed ift mit Leiblihen Augen nicht: 
zu fehen, und durch alle Erzählungen ber Lebensbeſchreiber bei 
Herm nichts darin zu verficehen; ſondern je mehr. wir aus be 
Auferſtehung des Herm den Troſt fchöpfen, dem er zunaͤchſt fei 


403 


nen Sängern bringen wollte, wenn er ihnen anfchaufich machte, 
haß er berfelbige wäre, ber er vor feinem Leiden und Kreuzestode 
gewefenz wenn wir. e& willen, mie er ihnen gezeigt die Zeichen 
kiner Leiden, wie er mit ihnen gegeflen, getrunten auf menſch⸗ 
liche und irdiſche Weiſe: um beflo weniger fönnen wir es verfte 
ben, wenn er in der Geftalt gerade fo wie er gelebt hatte vor 
ihren Augen aufgehoben wurde. Wenn wir und ben Himmel 
denken als den Drt, wo ber Höchfte wohnt, fo denken wir und 
eben nicht einen wirklichen Ort, einen beflimmten Raum oder 
Gegend; und wenn wir um und fchauen auf den Himmel, ber 
kberall wor und audgefpannt iſt, fo können wir und nichts bas 
rin denten, was nicht minder eben fo eine auf Zeit und Raum 
beſchraͤnkte ſinnliche Melt fei wie diefe, die wir bewohnen. Da» 
rum muß fih von allen finnlihen Erfheinungen 
und finnlihen Vorflellungen hinweg das Auge des 
Glaubens auf etwas höheres richten, auf das wahr 
haft unfihtbare, auf die Herrlichkeit bed Sohnes 
Bottes, welcher bei dem Vater war, ehe denn der 
Belt Grund gelegt war, die aber unß, feitbem er in 
menſchlicher Geſtalt unter uns gewanbelt, jezt erſt 
menſchlich und tröftli ift ald das, was wir mit ihm 
theilen follen. Darauf fei denn unfere chriftliche Aufmerk⸗ 
famkeit gerichtet in diefer Stunde. 


- 


Tert. Marf. 16, 19. 

Und der Herr, nachdem er mit ihnen gerebet hatte, 
warb er aufgehoben gen Himmel und fizet zur vechten 
Hand Gotted. 

Apoftelgefh. 1, 10. 11. 

Und als fie ibm nachfahen gen Hinmel fahrend, 

fiehe da fanden bei ihnen zween Männer in weißen 


Kleidern, welche auch fagten,, Ihr Männer non Bas 
| ec 2 





Die Herrlichkeit, die unferm Erloͤſer zu Theil 
geworden ift nach feinem Verfchwinden von 
der Erde. 


Ueber War. 16, 19. und Apofkeigefh. 1, 10. 11. 


Am DHimmelfahrtötage. 


Neadem wir vernommen haben, daß und wie der Erloͤſer zu: 
legt geredet zu feinen Juͤngern, daß er fich nachher nicht wiebe 
bat fehn laſſen mit leiblichen Augen, fo fragen wir freilich mil 
verlangendem Herzen, wad denn nun aus ihm geworben fei, 
‚ wohin er ſich erhoben habe, und fehen ihm nad) eben fe 
fehnfüchtig wie feine Jünger, vor deren Augen eine Wolle ihr 
aufhub und emportrug. — Aber fo wie ba flanden zwei Män 
ner, bie zu ihnen traten und fpracyen, Ihr Männer von Galilaͤa 
was flehet ihr bier und fehet? eben fo geht. ed mit biefem Ver 
langen auch und; denn ed ifl mit leiblichen Augen nid t: 
zu fehen, und durch alle Erzählungen ber Lebensbeſchreiber Dei 
Herm nichts barin zu verfiehen; fonbern je mehr wir aus be 
Auferfiebung bed Herm ben Troſt fchöpfen, den er zunaͤchſt fei: 


403 


sen Juͤngern bringen wollte, wenn er ihnen anfchaulich machte, 
daß er derſelbige märe, ber er vor feinem Leiden und Kreuzestode 
gemefenz wenn wir. ed willen, wie er ihnen gegeigt bie Zeichen 
feiner Leiden, wie er mit ihnen gegeffen, getrunken auf menſch⸗ 
lihe und irdiſche Weife: um defto weniger können wir es verfte: 
hen, wenn er in der Geftalt gerade fo wie er gelebt hatte vor 
ihren Augen aufgehoben wurde. Wenn wir und ben Himmel 
denken als den Drt, wo ber Höchfte wohnt, fo denken wir uns 
eben nicht einen wirklichen Ort, einen beflimmten Raum oder 
Gegend; und wenn wir um und fchauen auf ben Himmel, ber 
überall vor und ausgeſpannt tft, fo Eönnen wir und nicht da⸗ 
rin denken, was nicht minder eben fo eine auf Zeit und Raum 
beſchraͤnkte finnlihe Welt fei wie diefe, die wir bewohnen. Da» 
rum muß fih von allen finnlihen Erfcheinungen 
und finnlichen Vorftellungen hinweg das Auge des 
Slaubens auf etwas höheres richten, auf dad wahr 
baft unfihtbare, auf die Herrlichleit bes Sohnes 
Gottes, welcher bei dem Water war, che denn ber 
Welt Grund gelegt war, die aber und, feitbem er in 
menfchlicher Geftalt unter uns gewandelt, jezt erft 
menſchlich und tröftlid ifl ald das, was wir mit ibm 
tbeilen follen. Darauf fei benn unfere chriftfiche Aufmerk⸗ 
ſamkeit gerichtet in dieſer Stunde. 


- 


Text. Marf. 16, 19. 
Und ber Herr, nachdem er mit ihnen geredet hatte, 
warb er aufgehoben gen Himmel und fizet zur rechten 
Hand Gotted. 


Apoftelgeih. 1, 10. 11. 
Und als fie ihm nachlahen gen Himmel fahrend, 
fiebe da ſtanden bei ihnen zween Männer in weißen 


Kleidern, welche auch ſagten, Ihe Männer non Bas 
| ec 2 


404 . 
lila, was ſtehet ihr und febet gen Himmel? dieſer 
Jeſus, welcher von euch if aufgenommen gen Him— 
mel, wird kommen, wie ihr ihn gefehn habt gen Him- 
mel fahren. 


Markus und Lukas find die beiden Evangeliften, welche uns 
allein eine Erzählung geben von dem lezten fichtbaren Verſchwin⸗ 
den des Grlöferd von der Erde; aber beide, jeder auf feine Weiſe, 
Ienten auch unfere Betrachtung von biefer finulichen Begeben⸗ 
beit hinweg auf etwas höheres, und wir finden in beiden Evan 
gelien zufammen das, was auch ſonſt anderwärtd in der heiligen 
Schrift und and Herz gelegt wird von der Erhöhung bes Hei⸗ 
landes und von feinem Geſchaͤfte, was er von nun an verrichtet 
bis in jede Zukunft. Wir finden bier zufammengefaßt, was wir 
in unferm chrifllihen Glaubenöbelenntnig lefen, Chriflus iſt auf: 
erftanden, gen Himmel gefahren und fizet zur rechten Gotteß, 
von bannen er wird wieder kommen zu richten die lebendigen 
und die tobten. Darin alfo laßt ung fuchen die Herrlichkeit, 
bie unferm Erlöfer zu Zheil geworden iſt nad fer 
nem VBerfhwinden, und auf beide Gegenflänbe unfere Auf: 
merkſamkeit richten: erfiend, Er fizt zur rehten Gottes, 
und zweitens, wirb wiedberfommen zu richten bie le 
bendigen und die tobten. 


l. 


Beide m. a. Fr., wie wir ed in der Schrift finden, trägt 
freilich die deutlihen Spuren an fih von einer Bezie 
bung biefer Worte auf die finnlihe Erfheinung, de 
ren Ermähnung in den Gelchichtichreibern vorbergegangen war. 
Es knuͤpfte fich die Vorftelung von der Herrlichkeit des Erloͤſers 
an an die alten Tindlichen Vorſtellungen der Menfchen von Bott 
und weifet ihm einen fichtbaren beflimmten Pla; an zur rechten 
des Vaters. Sie Inüpft fih an an das Gefuͤhl des Beduͤrfniſ⸗ 


405 


es berjenigen, benen nun ber Umgang, die perfönliche Verbin⸗ 
wng bed Herrn entriffen war, und faßt alles, was fie und alle 
Höubigen jemald fein und thun koͤnnen, zujammen, indem fie 
inweifet auf eine Tünftige Zeit, wo ber verſchwundene wieder 
ommen wirb. 

Aber laßt und von diefen finnlihen Spuren ent 
leiden bie großen Gedanken, die berrlihen Aufs 
hlüffe, die für uns in dieſen Worten liegen, und zu 
em in jenen wie in diefen verborgen liegenden 
zinn hindurchdringen. Darüber m. Fr. kann kein Zweifel 
aftchn, bag burch den Ausdrukk Zur rechten bed Vaters dab 
öhfle angebsutet werben folte, was ſich in Würde, Erhaben⸗ 
at über alfed andere nur denken, von Menfchen nur faflen und 
usſprechen laͤßt. Dad Gefühl von ber Schwachheit und Ge: 
tehlichkeit unferer Natur, ungeachtet des göttlichen, welches bie 
eſſeren audy niemalö darin verkannt haben, hat auch zu allen 
Riten in mancherlei Geftalt hervorgebracht Vorſtellungen von 
ndlihen Weſen, die aber höher find ald das Gefchlecht der Men- 
ben, welche irgendwie bie große Kluft zwifchen und und dem 
mendlichen ſelbſt ausfüllen follen, wiewol zwifchen ihnen und 
ns immer biefelbe Kluft bleibt. Solche Vorſtellungen herrfchten 
ab unter dem Wolfe, mit dem der Exlöfer lebte und an befien 
Begriffe die Juͤnger ihre erhabenen Betrachtungen anknüpfen 
nußten, und ein großer Theil unfer neuteflamentlichen Schriften be: 
häftigt ſich Damit zu zeigen, wie ber Exlöfer im Zuftande der Er: 
Übung erhaben fei über alle Gefchöpfe des Himmels, alle himm⸗ 
üben Heerfchaaren und über alle Chöre ber Engel. Sie alle 
ind ausgeſandt zu Dienern Gottes, zu vollbringen feinen Wils 
Mm; fie beten an vor feinem ewigen Thron; aber des Menfchen: 
ohn allein iſt gefezt zur rechten Gottes. Ja, m. Fr., wer es 
Ane geworden iſt durch die Kraft der Worte Jeſu, durch das 
Klige Bild feines Lebens und Wirkens auf Erben, wen dieſes 
»geiftert Hat zu dem Gefühl der Verehrung Chriſti, dem ft eb 


206 


auch Mar geworben: es giebt nichts größeres, nichts herr 
licheres, und alle Himmel koͤnnen es nicht anfweh 
fen, ald bie menſchliche Natur, die von ber göttliden 
Durhbrungen if, ganz umgebilder zum Werkzeug: 
des göttlihen Geifted, ganz barflellend dad Eben 
bild des göttlichen Waters. 
Und fo fagt Paulns, Wer will verdammen? Chriſtus iſt bie, 
ber geftorben if; ja vielmehr der auch auferfianden iſt, welde 
flat zur rechten des Vaters und vertritt und ). Wie ſteht, m. 
a. Fr., in unferm Herzen fo nahe bei einander und iſt fo enge 
verbunden jenes Gefühl, zu bem wir durch Chriſtum erheba 
werden von der Herrlichkeit der menſchlichen Natur, die eine Ch 
fenbarung, ein Werkzeug ber göttlichen Kraft fein ann durd 
Vernunft und Willen, mit dem Gefühl, worauf unfere Grab 
rung, unfer taͤgliches Leben, jede flille Selbfibetrachtung und ba: 
führen muß, dag unter und feiner ift, der gerecht wäre, daß ft 
alle mangeln beö Ruhms, den fie vor Gott haben fallen **), dab 
fich in Feinem findet jene treue Unterwuͤrfigkeit des Fleiſches um 
ter den Geift, daß alle zu fireiten haben mit Schwachhelt, Trip 
heit und Lüften. So fehen wir uns ſelbſt, fo muͤſſen wir um 
fehen als bie Erfcheinung bed gegenwärtigen Augenbiifted, nett 
wendig gefnüpft an alle die hindernden Bebingungen bes ii 
ſchen Dafeins, und fo könnte denn der Menſch leicht verzagen 
Aber des Menfchen Sohn fizt zur rechten Gottes und vertritt und, 
Der Höchfte — fo können wir und zureden — er ficht und mi 
fo wie wir und fehn, er ift nicht beſchraͤnkt auf den Augenbli 
und auf deſſen Erfcheinung; fondern er uͤberſchaut bie allmäpligt 
Entwikkelung der menſchlichen Kräfte in der Zeit; er ſieht uni 
nicht, fondern Chriſtum nur des Menſchen Sohn, in 
weldem die Fülle der Gottheit lebendig wohnt, bei 
dat er fizen zu feiner rechten, und ber vertrit uns 
die wir in ihm gewurzelt find; und fo flieht das Erbengt 








°) Römer 8, 34. ) Kim. 3, 10. 33. 


40° 


ſchlecht da ben Buß in. Ungewittern und. verwikkelt in Kampf 
und Schroierigteiten, aber das ewige Haupt in Sonnenflrahlen; 
der Sohn Sotted zur rechten bed Waterd, und von ihm ſtroͤmt aus 
jenes befeligenbe Gefühl, die Fülle der Kraft und ber Liebe, und 
biefe Fülle wohnt auch in und; and) in und ift kraͤftig der Geiſt, 
nt dem feine Juͤnger angethan warden aus der Höhe, und al⸗ 
ien, weiche das Fleiſch Freuzigen, den irdiſchen Sinn estödten und 
im Geifte wandeln, geht auf der ewige Ruhm bed Kreuzes, om 
welchem bed Menfchen Sohn erhöht iſt, und er zieht fie alle zu ſich 
1. | 

Er witd wieberfommen biefer Jeſus, wie ihr ihn gefehen 
habt gen Himmel fahren, — und das einmüthige Zeugniß ber 
heiligen Schriften kommt dahin überein: er wird wiederkommen 
zu richten die lebendigen und die todten. . 

Laßt uns auch hier unfere Betrachtung entktei— 
den von finnlichen Bildern, bie fie auf der einen Seite zu 
verherrlichen fcheinen, aber doch nur fie entwärdigen, verdunkeln 
und flören. Laßt uns von jenem kuͤnftigen Anblikke, von der 
allgemeinen Auferſtehung der todten, von der Belebung der 
ſchlafenden Gebeine durch die Stimme der himmliſchen Heerſchaa⸗ 
ten und von ber allgemeinen augenbtikklichen Scheidung der Men: 
hen zur rechten und zur linten — laßt und von allen dieſen 
innlihen Bildern hinwegfehen und unfere Betrachtung auf bie 
ewige Wahrheit Ienken, die darin verborgen liegt, und die nicht 
an einen Augenblikk gebumden tft, fondern überall und immer 
in jedem fich offenbar. Wir können fagen, So oft des 
Renfhen Sohn wiederfommt, fo oft ergleichfam hen 
abgezogen wird von jener unzeitlihen Herrlichkeit 
und wieder annimmt eine finnlihe Geſtalt vor um 
fern Augen: fo oft ift er auch da zu richten Die leben⸗ 
digen und die todten. Meine Freunde, wenn wir und ent: 
nommen denken jened höhere Bewußtfein, welches Chriftus in 
unferer Natur gewekkt hat, jene Einigung der göttlichen Kraft 


"208 

wit der menſchlichen Natur, wovon er bad Urbilb iR, und we 
von wir durch ihn bie ewige Wahrheit fühlen, was für einen 
Maaßſtab behalten wir übrig für ben Werth bed Menſchen? €: 
entfliehen dann fich durchkreuzende und einander aufhebende Bor: 
ſtellungen, und und bleibt niches übrig, ald bad Beſtreben fd 
zu erhalten in feinem Dafsin und Wehlſein, fei ed nım feine 
eder gröber äußerlich geftaltet, nichts ald das Bewußtſein, def 
son diefem Beſtreben kein Menſch fich los machen Tann, daß je 
der nur folgt, wie dieſes ihn treibt, und daß Fein Unterkhie 
flatt finden Tann als der, daß dem einen ſchon mitgegeben fl 
ein größered oder Heinereö Maag von Kräften, daß ber eine mehr 
ober weniger geblembet ift duch bie Binde des Irrthums. Und 
damit hört alles Bericht auf, und ed bleibt nur übrig gluͤkklich 
zu preifen oder zu beflagen. Aber des Menfchen Sohn ift am 
Mann, worin der Herr befchlofien hat ſich ald ewigen Richter 
zu offenbaren *), fein Stuhl ift ber Richterftuhl, vor welchem alle 
fichen müffen, und wem ed jezt nicht Har wirb, dem wird bed 
einmal ein Funken dad innere Licht entzünden, und es wird im 
Har werden, daß des Menfhen Sohn da iſt zur Vereine 
gung feiner Natur mit der höhern Kraft, daß dies 
dem, was er if und thut, einen. Maaßſtab giebt, we 
nach er gefchäzt werben foll, dag in ihm liegt eine ärek 
beit, der er nicht entfagen kann, und bie ihn fähig macht ge 
richtet zu werben. 

Und bei ben erleuchteten gläubigen giebt es nichts ald ben 
zur rechten Gottes erhöheten, Eeinen anderen Maaßſtab als bie un 
veränderliche ewige Megel unfers Erlöfers, niedergelegt in feinem: 
Bilde und in feiner Lehre. Wie auch die Menſchen von fid 
ſelbſt und andern denken mögen, fo lange fie noch befangen find 
in dem irbifchen Sinn, ober fo oft ihre Augen geblendet werdet, 
daß fie nicht geleitet werden von ben Strahlen des himmliſchen 
Lichtes, wie fie da verkehrt denken mögen, wie fie eutſchuldigen 


—,—— 
*) Apofsigefä 17, 3. 


409 


mögen ihre MWergehungen, anbeten einen falfchen Stanz, einen 
ſcheinbaten Worzug der Kräfte und gering ſchaͤzen bie höbere 
Würde, die fich verbirgt unter einer geringen Geftalt, gleichwie 
Chriſtus gering und dürftig erſchien, ober verleitet Durch irbifchen 
Slanz einflimmen in Lobpreifung deſſen, was Verachtung und 
Abſcheu verdient, — früher oder fpäter gehen ihnen die Augen 
auf, und es kommt eine Zeit, wo in einzelnen oder ganzen Ges 
ſchlechtern fi die ewige Wahrheit und bad ewige Recht offens 
bart und rächt, und dann iſt ed immer Ehriftus, der diefed thut. 
Sein Gefez ift ber einzige Maaßſtab für menſchliche 
Zugenden, und ihm ift gegeben zu richten über bie lebendigen 
und die todten, und Peiner kann dieſem Richterſtuhl entfliehen. 
Der falfche Glanz verfchwindet, wenn bad Licht der Wahrheit 
aufgeht, gleichuiel ob in Voͤlkern ober in einzelnen, und wenn 
der Erlöfer fich darſtellt ald Richter, fo ift jeder Unterfchieb vers 
ſchwunden, und die gläubigen find geftellt zu feiner rechten, aber 
die Uebelthaͤter bilden ben treftlofen finftern unglüfffeligen Haue 
fen. Unfer Wandel aber ift im Himmel, wir haben biefes Bild 
des richtenden Erlöferd immer vor Augen, für und giebts Teinen 
andern Maaßſtab ald den er und vorhält, und aller irbifche 
Glanz ift und nichtig und gar nichts. Den aber preifen wir als 
den gerechten, ber fich angefchloffen hat an des Menfchen Sohn, 
um die Menſchen befreien zu helfen in der Kraft bed Herrn von 
ben Ketten, in denen fie noch zum großen Theil wandeln. 

So wie diefed und in dem Bilde ded Erlöferd der größte 
und herrlichſte Punkt ift, daß wir ihn betrachten ald den, der 
das Gericht hat: fo ift es auch das Zeichen diefer innige 
ſten Bereinigung mit ihm, wenn er aud in und für 
uns der ift, dem Gott dad Gericht in bie Hände gege—⸗ 
ben. Ach, beides thut und noth! ewig bebürfen wir dies eine, 
daß er und vertrete; denn fo lange wir noch die Bande des irbis 
ſchen Lebens tragen, fo lange wir geheftet find an biefe Erbe, 
inden wir nur Beruhigung und Troſt in ber Vertretung bed 





410 


Grlöfers und in unferer Bereinigung mit ihm; aber ewig muͤſſer 
wie dahin trachten, baf er auch für uns fa, ber umd richtet, um 
bad Tann nur dann flatt finden, wenn wir und ihm ganz hie 
gegeben haben, fo wie die, von benen er fagt, Wer glaubet, der 
wird nicht gerichtet. D, m. Fr., wenn wir dieſen Maaßſtab fch 
halten; wenn uns nur bad lieb ift und erhaben und weächlig, 
was fid) anfchließt an dad Kreuz Ehriffi; wenn wir ums gan 
durchbringen laffen von feiner Fülle, dag fie auch wieder au 
ſtroͤme aus uns, fich ergieße über bie Brüder; wenn wir mil 
eben ber Liebe und Kraft und Furchtloſigkeit arbeiten burd 
Bort und hat: wie find wir dann erhaben über alles, was 
die meiften druͤkkt; wie getroft und zuverfichtlich koͤnnen wir dans 
Die Zukunft dem anbeimftellen, ber fo richtet; wie Bönen wir 
dann von und fagen, Unſer Wandel ift ine Himmel! 


Gebet. 

Liebreiger Water, Preis nab Dank dafür, daß du uns Jeſen Ehri: 
Aum geſandt und auch wieder erhöhet hal. Wir haben In biefer Zeit 
swifhen dem Bee feiner Geburt und feiner Erhöhung uns fleißig dot 
gehalten fein heiliges und flärkenbes Bild, o laß es zu unferer aller Eu 
gen gefhehen fein, mögen wir feſt eingewurzelt fein in das ewige und 
felige Eeben, mag er uns zu fidh gezogen haben, und mögen wir flärfe 
geworben fein fn der göttlihen Kraft bes Glaubens und der kiebe. D 
laß uns niemals, wenn wir noch unzufrieden finb mit unferm Lonfe um 
mit Schwachheit und Sünde zu kaͤmpfen haben, den Aroft entſchwinder, 
daß er erhoͤhet iſt und uns vertritt, und laß uns Leinen andern Ritt 
anerkennen unferer Thaten, als ihn, immer verachten das Urtheil bet 
Menfhen, wenn es mit unferm Gewiſſen fireitet, immer uns gleichguͤl⸗ 
tig fein laſſen, ob wir Rob ober Zabel davon tragen, wenn wir nit 
wiffen, baß mic ihm angehören und feinen Willen thım und bas Werl 
fördern, das er unter uns begonnen. Dann überlaffen wie and dım 
gläubigen aufs ewige gerisgteten Sian bie Bührung ber BWeit in bem 
fefen Slauben, daß fein Reid nicht untergehen kann, und baf er olkl, 
was er begonnen, herrlich binausfährt. D laß aud unfer Baterland 
gefeguet fein, fegne unfern theuern König ac., daß auch wir alle Reh 
vor deinem Richterſtuhl vol guten Muthes, immer im Stande von ab 
lem, was wir geredet und gethan, Archenſchaft zu geben! Amen. 





IV. 


Wie der Herr bei ſeinem Abſchiede von der 
Welt die ſeinigen entließ. 


Ueber Matth. W, 16 — 20. 


Am Sonntag Eraubdi. 


Text. Matth. 28, 16 — 20, 

Aber die elf Jünger gingen in Galilaͤa auf einen 
Berg, dahin Jeſus fie beichieden hatte. Und da fie 
ihn fahen, fielen fie vor ihm nieder; etliche aber zweis 
felten. Und Jeſus trat zu ihnen, redete mit ihnen und 
ſprach, Mir ift gegeben alle Gewalt im Himmel un 
auf Erden; darum gehet bin und lehret alle Voͤlker 
und taufet fie im Namen des Waterd und des Sohnes 
und ded heiligen Geiftes, und lehret fie halten alle, 
was ich euch befohlen habe. Und fiche, ich bin hei 
euch alle Tage bid an der Welt Enbe. 


5, enbigt, m. a. Fr., ohne etmad weiter hinzuzufezen, als 
mit dem Testen Bufammenfein ded Erloſers mit den Teinigen 


412 


dieſer Evangeliſt feine Lebensbefchreibumg unſers Herm. Laſſet 
und denn unſere Aufmerkſamkeit, indem wir die lezten Worte 
als auch zu und geſprochen betrachten, darauf lenken, wie eı 
- bei feinem Hinfheiden von ber Welt die feinigen 
entlieg. Wir finden dreierlei bemerkt in unſerm Texte. 
Der Erlöfer entließ feine Juͤnger erfllih mit der Uceberzeu- 
gung von feiner Macht, zweitens mit dem Beruf zu 
feiner. Berfündigung und drittend mit der Hoffnung 
auf feine befländige Gegenwart. Laßt und dad nad 
einander in andaͤchtiger Betrachtung und mit fleter Begiehung 
auf und felbſt erwägen. 
J. 


Erſtlich alſo, der Erloͤſer entließ bei ſeinem Hin— 
ſcheiden feine Juͤnger, indem er ihnen zulezt noch 
mitgab ein inniges Gefuͤhl, eine feſte Ueberzeugung 
von der ihm verliehenen Gewalt. 

Wir bemerken darin eine ſehr merkwuͤrdige Abſicht. Zuerſt 
ſagt er von ſich, Des Menſchen Sohn iſt gekommen, nicht daß er 
ſich dienen laſſe, ſondern daß er diene ). Er ladet zu ſich ein bie 
muͤhſeligen und beladenen, weil er fanftmüthig ſei und von 
Herzen demüthig *). Er ſtellet ſich weiterhin bar als denjeni⸗ 
gen, den ber Vater in die Welt geſendet, weil die Ernte jo groß 
fei und der Arbeiter fo wenige ***). Endlich giebt er zu ver- 
ſtehn, dag er ein König fei, aber fein Reich fei nicht von dieſer 
Melt 9). — Und dabei bleibt es auch. Nicht von Diefer 
Welt if fein Reich, aber auf diefer Welt; alle Gewalt iſt ihm 
gegeben. Bom Himmel herab und für den Himmel foll fein 
Reich gegründet werben auf diefer Welt; hier follen fie es bit: 
den, in ſich haben, um fich her verbreiten, — der Himmel auf 
Erden, beides unzertrennlich. 





) Matth. 90, 33. ) Matti, 11, 8-0. ) Matth. 9, 37. 38, 
Joh. 18, 36. 37. 


413 


Deffelbige, wie werben es nicht läugnen können, ift bie Ges 
ſhichte der Verbindung, in welche jeder von ums allmählig wit 
dem Erlöfer tritt. 

Es if der Dienft feines Wortes, der an und gelangt. Er, 
fine göttliche Kraft ift da, daß fie und diene, daß fie empfäng- 
ich mache das Herz für dad ewige unb wahre, austreibe bie 
icdiſhen Luͤſte; als müßfelige und beladene müffen wir zu ihm 
fommen, um himmlifche Erquikkung aus feiner Fülle zu nehmen. 
Mer dann eröffnet ſich auch feine ganze Herrlichkeit, dann wer: 
den wir inne der bimmlifchen. Gewalt; wir fehn fie nicht zur, 
wie fie in ihm if, fondern wie fie fich ‘von jedem ber feinigen 
tortpflanzt über das Gefchlecht der Menſchen; fie erfcheint uns 
nicht nur ald die Kraft, die in ums Leben fchafft, ſondern als 
die, welche und alle vereinigt zu einem zufammenhangenben 
ganzen, in welchem auch wir dieſes Leben nur fefthalten und 
pflegen koͤnnen. 

Aber ſo lange wir ſelbſt noch im Kampfe begriffen ſind mit 
ber Luſt an der Sünde, fo lange bie ſinnlichen Begierden noch 
nicht untergeordnet find jener göttlichen Kraft, müffen wie uns 
kennen, bag fein Reich noch nicht zu und gelommen, müffen 
ir dahin arbeiten, dag der Sinn fich abwende vom irbifcyen, 
8 allmaͤhltg ber felige Friede, bie innere Uebereinftimmung und 
Ruhe einkehrt in unſer Herz, bei ber es bann keinen Streit 
mehr giebt, wo alle untergeordnet ift ben ewigen Gefegen, und 
nur vorübergehend fich einftellen die Augenblifte, wo noc eine 
Volke das innere Auge verbunfelt. Dann fagen wir, Unfer 
Baterland ift im Himmel *), aber der Himmel iſt auch unfer 
Vaterland; wir aber auf der Erde felbft ſchon bad, wofür wir. 
geihaffen find; und fie felbft wird und dad Reich Jeſu Chriſti, 
kt Schauplaz, auf dem feine himmlifche Gewalt offenbar wird. 

Iſt das Herz fo gegründet, dann überläßt ber Erlöfer und 


— — 


) Ebr. 11, 8-16 


413 


als feine Juͤnger und felbft; dann bebirfen wir Beinen ſiaulichen 
Erſcheinung beffelben, fondern ſind fefl gewurzelt im der Gewalt, 
die ihm gegeben ift im Himmel und auf Erben. 


Zweitens entließ ber Erlöfen beim Hinſcheiden 
feine Jünger, indem er ihnen einfchärfte ganz us 
bebingt ben Beruf, ihn zu verfändigen. 

Henn wir auf das erſte Bufammenfein des Erloͤſers wi 
feinen Sängern fehn, fo finden wis, ba fie berin noch nicht ge 
ſchikkt geweſen wären, feinen lezten Auftwag zu erfüllen. 

Wir finden, daß ſchon während feines Lebens er fir aus⸗ 
fendete zu Ichren und zu kaufen; aber ihre Prebigt war noch 
feine andere, als, Kehret um, thut Buße, denn das Himmel 
weich iſt nahe herbeigekommen *). Es mußten erſt ihre Verf 
Tungen vom Herrn fich reinigen, es mußte erſt durch bad Ihmen? 
liche Gefühl bei feinem Tode jebe irbifche Beziehnug feine? Di 
feins entfernt werben. Nun erfl, nachdem fie fo. bearbeitet und 
gereinigt waren, fonnte er fie vertröften auf die Kraft aus de 
Hoͤhe **) und ihnen ſagen, daß wenn fie dieſe an jenem wur 
dervollen Feſte der Pfingfien empfangen hätten, dann ſollten ſu 
ausgehn und zu Juͤngern machen nicht nur ‚die zwölf Stämm 
rocks, fondern alle Wölker, und fie Lehren zu halten alled, we 
ex ihnen geboten. Gleichwie ber Water ihn geſendet hatte, P 
fandte ex feine Juͤnger ***), und gleichwie er feine Juͤnger, ⸗ 
ſendet er alle, welche glaͤubig geworden ſind durch ihr Bor“) 
Darum ift eben dies die Gefchichte eine jeben, und jeder, ber 
* einmal fein Jünger geworben iſt, arbeitet unb ſoll arbeiten UM 
Reiche ded Erlöfere. | 

Aber früher, fo lange wir noch in jenem Streite mit ur⸗ 
fehE befangen find, fo lange wir noch nicht fi ” 


*) Matth. 4, 17. eat. 2,0. u) god 0 2 
) ob. 17, 2. 


43 


ind zu jenes Heiterfeit und. Ruhe des Gemuͤths, bie allein has 
wahre Leben in Gost ift, Fan unfer Dafein nichts Ieiften, als 
bie eruſte Buße zu yredigen, worin wir uns felbft finden. Das 
thut auch gewiß ‚jeder, ber rebläch danach firebt, alles, was das 
Rah Gotted ſtoͤrt, aus ſich und andern auszutotten, und ber 
der Heiligung alein nachjagt. Es iſt in feinem ganzen Leben 
ein großer ‚und flrenger Ernſt. Wie in ſich felbft ift fein BIER 
auch immer gerichtet auf andere und auf die für alle fo verberbs 
liche Macht ber Sünde, und wie fich fo fucht er auch andere 
zuruͤkkzuhalten von jebem gefährlichen Schritt zu berfelben, und 
lieber, als firh ihrem Dienfte hinzugeben, opfert er auch daB 
liebfle auf, das ihm gefährlich werben Sönnte, und forbert gleiche 
Opfer von anderen, bamit geſchwaͤcht werde die Kraft der Sünde, 
und aufgehe bie göttliche Kraft des Geſezes. 

° &o hat ed immer Zeiten gegeben, wo ber größere Theil ber 
Chriſten nichts andere gethan bat, ald Buße prebigen, wo bie 
ganze Kirche had Gepräge des firengen Ernſtes in dieſem Kampfe 
mit der Suͤnde getragen, und eine folche Beit giebt es in bem 
geifligen Beben eines jeben unter und. Aber fo wie diefer Zu⸗ 
Rand des Umkehrens und Bußethuns nicht der bleibende ift, fe 
if dies auch nicht unfere ganze Wirkſamkeit. Nicht nur zum 
Kampfe auffordern und die Welt firafen, fondern zu Juͤngern 
mahen follen wir alle Menfchen, lehren und halten follen wir 
fie machen alles, was der Herr geboten hat, und wovon wir bie 
Kraft in unferm eigenen Semüthe fühlen. 

Loft uns nicht glauben, daß bie nur ber Beruf derjenigen 

f, die_in ben andaͤchtigen Zufammenkünften der Chriften bie 
Stinme des Herrn vertreten, und ber befondere Beruf ber we⸗ 
Miger, in welchen ſich allemal die Sehnfucht das Meich Gottes 
ausbreiten auf eine audgezeichnete und eigenthümliche Weife 
ansſpricht, daß fie alled verlaffen, um dad Kreuz zu prebigen; 
ein, es ift in einem anderen Sinne der allgemeine Beruf eines 


416 


jeden, es ift die natärliche Folge eines dem Erloſer geweihten 
und von feinem Geiſte durchdrungenen Lebens. 

O, die Liebe, die im Geiſte des Chriſten ſich regt, wie ver⸗ 
breitet fie ſich fo gern auch auf andere, wie ſtrebt fie nach nichts 
anberem, als die Seligkeit, deren fie genießt, allen mitzutheilen, 
wie gern fähe fie alle Menſchen vom Kampfe mit ber Sünde 
ſich erheben zu jenem ruhigen heiligen Leben. Sie iſt denn de 
rauf auch immer hingerichtet, und alles, was wir, bewogen durch 
Hreundichaft oder Pflicht, gefeffelt durch bie Bande ber Natur 
oder getrieben Durch die allgemeine Liebe, laut und leiſe, im m 
gern ober größern Kreife thun, legt Zeugniß ab von diefer goͤtt⸗ 
lichen Kraft. 

In folder Treue unferes Berufes, in ſolchem Streben das 
gute zu befördern und zu arbeiten an ber Ausbreitung bed Rd: 
ches Gottes, in folcher von Eigennuz ungefärbten Liebe, in [ob 
her von nieberer Herrichfucht gereinigten Gewalt, die ber Hen 
feinen Juͤngern verleiht, da thun wir, was jebem obliegt und de 
Here jevem der feinen zum Tagewerke gefezt bat. Und bam 
allein erfi nehmen wir Theil an dem Berufe bed Erlöfers, und 
keiner kann fagen, daß er zur chriftlichen Vollkommenheit gelangt 
fi, wenn er nicht dieſes als bie Wirkung ſeines befeligenden 
und heiligenden Dafeind empfindet. 





m. 


Endlih m. Fr. ſchikkte der Erlöfer bei feinem Hin 
fheiden feine Zünger in die Welt mit der trößlide 
Hoffnung auf feine geiflige Gegenwart. Ich win bi 
euch fein, bis an dad Ende ber Zage. 

An der früheren Zeit finden wir öfters im ber Lebende 
ſchreibung des Her, daß feine Zünger fi beklagen, daß je U 
der Ferne nicht dad fo audrichten Eönnten, wie in feiner RN 
daß ihnen die Geifter der Menfchen unterthan wären. Abe 


47 


jet, da fte reif waren im Glauben und in ber Kraft des Gel: 
Res, tonnte er getroſt ſich und feine Gegenwart ihnen entziehn, 
und ed war ihnen genng an der tröfllichen Verſicherung, daß ex 
bei ihnen fein wolle bi an das Ende ber Tage. 

Und fo geht ed auch einem jeden ımter und. 

In den erflen Zeiten unferes geifligen Lebens können wir 
zuch der Außerlichen Erfcheinung des Erlöferd nicht entbehren. 
Bon außen muß fein Wort an und gebracht werben, von andern 
nuß uns fein Bild vorgehalten werden, dad noch nicht lebendig 
ij im Herzen und von ſelbſt ſich wieberholend erzeugen koͤnnte, 
vmit es uns anfpome und ermuntere, unb wenn bie äußern 
aͤlfsmittel fehlen, wenn wir in den Gefchäften bed Lebens un 
ſelbſt überlaffen find, dann fühlen wir die Kraft des Beiftes noch 
ſchwach, dann find wir oft auögeleert von ber Macht das gute 
zu vollbringen, und wenn wir auch nicht zurüfffallen in ben Zus 
fland des Unglaubend und der hersfchenden Sinnlichkeit, fo er 
zeugt doch der tägliche Verkehr mit der Welt eine geiflige Ohn⸗ 
macht und Dumpfheit in unferem Herzen. 

Aber es fo eine Zeit kommen, wo wir der Herrfchaft bed 
Erlöferd in unferem Herzen ficher find und in jeder Stunde 
darauf rechnen koͤnnen, wo fich und wiederholen bie großen Worte, 
durch welche er und erbaut und aufregt, wo fich und entgegen» 
tretend fein Bild geftaltet, und uns die Züge feiner Göttlichfeit 
entgegenftrahlen, wonach zu freben und allen noth thut. 

Bier fo verbunden ift mit bem Herrn, wer fo die frühere 
Zeit hindurch einen Umgang mit bem Erlöfer gepflogen hat, daß 
ein innered Werhältnig mit dem geliebten im Geiſte gegründet 
it, den kann der Erlöfer getroft in die Welt hinausfenden und 
für einen würdigen und felbfländigen Beſizer und Bewahrer feis 
ner Tugenden erklären. 

Bir haben und fortwährend befchäftigt dad Leben des 
Herm bis in die Tage feiner Auferftehung und Himmelfahrt zu 
betrachten. Möge dies uns eine Schule gewefen fein, wodurd) 

Prebigten 1. Dd 


418 


wir gereift find um Feſthalten der chrifllichen Wahrheit und (Ge 
finnung, wie in ber Liebe zu Chriſto, fo im Siege über bi 
Belt und uns ſelbſt. Mögen wir uns eben fo getroſt und frau 
dig binftellen an deu Fuß bed Berges, von welchem er bie fe 
nigen entlieg, ebenfo bucchdrungen von feiner göttlichen Gewalt 
ebenfo angethan mit Kraft aus der Höhe, um fein Werk # 
fördern und die Menfchen ihm zuzuführen, ebenfo voll beö 
lichen Gefühls, daß er bei und iſt und in und wohnt bis 
Das Ends der Zage! Amen. 








V. 

Daß in unſern gottesdienſtlichen Verſamm⸗ 
lungen der Geiſt des Herrn ſich im weſent⸗ 
lichen noch eben ſo kraͤftig erweiſe, als am 
erſten chriſtlichen Pfingſtfeſte. 


Ueber Apoſtelgeſch. 2, 1 42. 





Am erſten Pfingfitage 


Text. Apoftelgefh. 2, 1 — 42. 
1. Und als der Tag ber Pfingften erfüllet war, 
waren fie alle einmüthig bei einander . . . . - 
42. Sie blieben aber befländig in der Apoftel Lehr⸗ 


und in der Gemeinſchaft und im Brotbrechen und im 
Gebet. 


M. a. Z. Auch ſonſt waren die Apoſtel und Jünger des Herm 

einmuͤthig mit einander verſammelt geweſen um ſich zu ſtaͤrken 

und zu erbauen in der Erinnerung an ihren Herm und ſein 

Wort; aber weil fie unter ſich geblieben waren abgeſondert von 

den übzigen; fo glichen dieſe Berſammlungen mehr ber häuslis 
ob 2 


420 


chen Andacht, bei welchen nur” wenige verfammelt find im Na 
men bed Herm. Died aber war bie erſte öffentliche Verſamm 
Inng der Chriſten, wo alled Volk fich hinzugefelt hatte, und wı 
außer denen, die gläubig dem Herrn anhingen, auch folche hin 
zugelommen waren, die nichtd wußten zu machen mit allem, wai 
‚vor ihren Augen vorging, und verwunbernd zu einander {pro 
chen, Was will doch dad werben? oder frevelnd und fpottenl 
meinten, Sie find voll fügen Weind. — So m. Fr. laßt un 
diefe große Begebenbeit. mit einander anfehen alt 
die erſte Verſammlung der Chriſten, als den Urfprung 
unferer gemeinfchaftlich en gottebdienſtlichen Ber 
ehrungen, die von da an in Gemeinfchaft, im Gebet, im Brot 
bredyen immerſort nicht aufgehört haben bis auf uns. Gin 
denn, fo fagte ich zu mir felbft, die unfrigen nicht mehr gleid 
jener erften? find fie fo ganz entartet, daß fie wiewol abflam: 
mend von jenem wichtigen Tage nicht mehr aufzeigen Tonnen 
folche Wirkungen des Geifted? und wenn der Apoftel des Herm 
Verheißung in unferm Zerte ausfpricht, Ich will von meinem 
Geifte ausgießen auf alles Fleifh, find wir nicht begriffen un 
ter diefer Verheißung, die wir von der Geburt an Chriſten de 
fen? wenn er fagt, Euer und eurer Kinder fol fein bie Verhei 
ung, die herrliche Gnade des Evangeliums, follen wir und nicht 
als ſolche betraghten, und nicht aneignen diefe allen Gefchlechtem 
verheißene Gnade? Dies überlegend, fand ich m. Fr., daß wenn 
wir ed nur fühlen wollten, der Geift Gottes in unferen Ber 
ſammlungen noch eben fo reichlicdy wohnt, wie damals in jener er 
fien Verſammlung, und mit diefer Betrachtung wollen wir biet 
heiligen Tage feiern. Ich will euch loben, anpreifen unfere from 
men Zufammentünfte, euch hinführen zu allem großen und her 
lichen, was darin liegt, und heute ſoll es mein Geſchaͤft fein euch 
zu zeigen, daß in unferen gotteödienftlichen Verſamm 
lungen der Geiſt des Herren ſich noch eben fo Präftig er 
weifet, und daß wir alles weſentliche, was in jent! 


424 


Geſchichte und erzählt wird, and jezt woch in unſe⸗ 
ser Mitte fin den. Wenn mir auffjene weientlihen Stuͤkke bins 
ſehn und fragen, Wodurch bewies ſich ber. Geiſt Gottes fo Eräftig 
an jenem age? ſo iſt eß zusuft dieſes, daß ein jeder in feinen 
Sprache hörte die großen Thaten Gottes verkuüͤn— 
digen; zweitens, daß der Geiſt Gottes ein treffenbes, 
zeugniß ablegte von Jeſu Ehriflto,- und drittens, daß 
er auch mit heiliger Kraft eindrang in die. Herzen 
der Menſchen, daß: fie: fragten, Ihr Manner Geben Bruͤder, 
was füllen wir thun? J 

So laßt uns denn dieſes betrachten und anwenden auch auf 
den Geiſt und dad Leben unferer Verſammlungen. 

1. 

Auch jezt noch kann ein jeder vernehmen bie Wera 
ftündigung der Lehre im feiner Sprache. Died wellen wir 
aiht darauf befchranken, wenn wir Die ganze Gemeine ber Chri:, 
fen anfehn als Eine, daß die Lehre verbreitet ift über fo viele 
Boller, daß ed wol nur wenige Zungen giebt, in welchen fie 
not verfündigt würde; auch nicht darauf, daß, wie mannig⸗ 
litig auch getheilt feien Die Gaben- bes Geiſtes, wie verfchieden 
fe Denfungsarten und Gefinnungen, die fih aber ‚alle vereini⸗ 
gen in der Liebe zu Chriſto, doch ein jeder vernehmen kann bie 
eihre in der Sprache, in der Bezeichn ing und Darfiellung, wei: 
be ihm die paſſendſte, verfländlichfle, eigenthuͤmlichſte und eben 
rum heilſamſte iſt für fein Herz und- fein Leben. Vielmehr 
möchte ich euch Darauf führen, wie fchon das eine unvollkom⸗ 
mene Anficht wäre, wenn wir unfere Berfammlungen nur fo 
rergleichen wollten jenem erfien wundervollen Zuſammenſein 
dr Chriſten, ats ob, wie dort Petrus, auch hier nur Einer und 
durch ihn allein der Geiſt fpricht, und die anweſenden allein hoͤ⸗ 
m verfünbigen die Thaten. M. Fr., feiner gewiß von benen 
maßt ſich das an, die an dieſer Stätte das Wort verkuͤndigen; 


422 


forfbern wie es damals gefchah, wie Petrus ſich erhob um beit: 
li zu machen, was alle im innern ſchon vernommen, und zu 
ffenbaren, was der Geift Gottes redete burch ihm und all, 
die einnräthig verfammelt waren: fo erhebt ſich auch die Stimme 
bed Lehrers nur aud der gemeinfamen Geſinnung und Aubadi, 
aus der in allen dafeienden Richtung bed Herzens zu Gott uni 
Ehrifto, und wenn aus ihm ber Geiſt reden fol, fo muͤſſen fen 
alle ihn vorher vernommen unb empfangen haben und mitwin 
Im. Denkt euch, um das zu fehn, einen Lehrer, aud ben tief 
Iichften, denkt euch wenn ihr wollt auch ben beredteſter Lehre 
bed Chriſtenthums gegenüber irgend einem Ginzelnen und laſſe 
ihn reden mit derfelben Liebe und Kraft, mit der er fonft yfle 
zu reben: wird es biefelbe Wirkung thun, wirb es euch nik 
fheinen ein ſchales unkräftiges Unternehmen? Was iſt es dem 
num, was die Stimme fo gewichtig fo gewaltig und kräftig 
macht, wenn wir alle beifammen find Es ift das Leben, 
der Geiſt, ver Sinn, der in allen verfammelten wohnt 
und aus den Lehrern redet. Alle denen, empfinden, fü 
len Eines; alle wirken mit zu dem guten, was gefdhicht; eh 
wirft jeder Durch feine Theilnahme an dem gemeinfamen, dur) 
das fichtbare Eindringen feines Herzens in die Reden und Be 
heißungen, welche bier gegeben werben, und body wirkt biefelbig: 
Rode und Kraft in jedem auf andere Weife und ergreift jede 
auf feine Weile. Anders ift die fanfte flille Andacht des weib⸗ 
lichen Gemuͤths, als bie von ber Welt Iosgeriffene innere Be 
ſchaͤftigung und Sammlung des thätigen nach außen gerichteten 
Mannes; anders die Frömmigkeit in ber unfchuldigen kindlichen 
Jugend ; anders wird fie fich zeigen in dem gereiften Alter, web 
ches gefättigt iſt durch die Fülle ber Erfahrungen; anders die 
Andacht derer, welche in ber Geſellſchaft niedrig da ſtehn, de 
Herrn preifend, daß er ihnen eine innere Herrlichkeit gegebei 
hat zur Entfchädigung für die entbehrfe aͤußere; und anders 
bie Froͤmmigkeit derer, die auf die höchflen Stufen geſtellt fin 


420 
md hier das Bengniß geben, daß doch alies zitel iſt, was nich 
beſeelt iſt durch Kraft von oben. So kann jeder noch jezt, wie 
ers bedarf, hören verkuͤndigen bie großen Thaten des Herrn. 


N. 

Der Geiſt Gottes beweift fi aud noch wie da— 
wald dadurch, daß er ablegt ein chen fo laͤutes und 
ernſtes Zeugniß von Jefu Chriſto. So geſchah es Damals, 
DM Petrus bad Wort nah, wußte er von nichts zu reden als 
von Jeſu von Nazareth dem gekreuzigten, beilen Leben und 
echre und Ende im frifchen Andenken war,. und nichts verfän: 
digte ex als Verheißungen ded Kern; denn fo hatte der Gers ger 
ſagt, Won dem meinen wird er ed nehmen und euch geben, 
ben Geiſt, den Troͤſter, in alle Wahrheit wirb-er euch leiten d4 
dus; daß er erinnert an alles, was ich geſagt habe *). 

M. Fr., es hat. wol eine Zeit gegeben in unfern chriftlichen 
Derfommfungen, und fie findet vielleicht noch flatt, wo das Zeugs 
niß von Jeſu Chriſto gewiflermaßen zuruͤkkgeſezt, in den Hin⸗ 
lergrund · gedraͤngt, verdunkelt, uͤbertuͤncht wurde in unſern Uebun⸗ 
gen der Andacht. Von wohlweinenden ging das aus, welche 
meinten, die allgemeine Erhebung zu Gott muͤſſe ſo eingerichtet 
ſein, daß ſie auch denen genießbar waͤre, fuͤr welche Chriſtus und 
ſein Geſez nicht denſelbigen Werth haben. Aber wir haben die 
naurigen Folgen bald genug geſehn, und tief haben fie eingegrif⸗ 
ſen in unſer geiſtiges Leben; von da verſchwand die fromme Ge⸗ 
meinſchaft; von nun an entſtanden kluͤgelnde Fragen uͤber den 
Ruzen, die Wichtigkeit und angemaßte Unentbehrlichkeit der Got⸗ 
tesverehrung, und bie genuß⸗ und geiſtloſen kluͤgelnden Neben ha» 
ben ung geseigt, wie viel wir verloren. 

Aher auch diefe Zeit bat der Geiſt Gottes überwunden, 
und mad auch die Menfchen thun mögen, fie Binnen es nicht 
dahin bringen, daß er nicht Zeugniß ablege von Chriſto. Alles 


mus 


) Joh. 14, 26 18, 26. 16, 12 14. 


28 


FR ja begeichnet mit feinem Namen, wo nur eiwas großes un 
herliches gezeigt wirt. Wes ift das Bild? CEhriſti! was bi 
Ueberſchrift? fein Rame! und dies bei allem, was nur eini 
Werth bei und hat. So m. $r. find wir alle Zeugen von ih 
wie er fi) beweifet in und durch Wort und That; Zeugen, def 
wir aus ber innern Erfahrung ded Herzens haben bie che 
jeugung, daß feine Lehre von Gott ifl: Alles gute, wozu mi 
und ermuntern, fließt zufammen und fl vereinigt in feinen 
himmliſchen Bilde, und wir müffen, wie einfl die Kraft de 
Sünde ihn ans-Kreuz gebracht, und wie die Sünden und Schwech 
heiten derer, bie doch zu ihm gerechnet werben wollen, im a 
neue kreuzigen, wir müfien zeugen, daß Bott ihn auf 
und zu einem Chriſtus und Helfer in und gemacht hat, zeugen von 
ihm durch jede Tugend und Kraft, die mir befigen umd üben, 
denn daS alle ift er, der nun in uns lebt und wirket. Darm 
alle die verfchlederren Empfindungen eines frommen Herzens, ala 
Sriebe in und, welcher die wahre Liebe aus Gott ift, fo mie die 
zur Seligkeit führende Trauer bed Gemuͤths, alles bezieht fh 
auf ihn, iſt vereinigt in feinem Bilde, in der Liebe unſeres He 
gend zu ihm. Das ift das Zeugniß, das der Geiſt Gottes m 
mer noch in und ablegt von Chriſto. 
in. 
Der Geift Gottes bezeigt fi auch noch eben In 
wirkfan wie damals durch bie Kraft, mit ber er ein 
dringt in unferen Berfammlangen in bie Gemuͤther 
Der Menfchen. 
Wenn wir die Geſchichte der heiligen Begebenheiten betrach 
ten, fd waren bie, von benen barin gerebet wirb, vom boppelte 
Art: die einen, in benen ber Geift Gottes war und wirkte, die 
andern, die noch todt und erflorben waren fürd höhere Lebe 
und hineingeführt werben follten, baß auch fie empfingen dr 
Gaben des: heiligen Geiſtes. So ift es auch noch jet, und in 
den Berfammlungen der Chriften finden diefelbigen Gntgegenlt 








428 


zungen ſtatt. So wird gewiß Kine zahlreiche Berfammtlung nk 
Gemeinde von Ehriſten geben; worunter nicht auch ſolche wären; 
weiche des Geiftes, das: iſt aber des hoͤhern geiſtigen Lebens, noch 
wiegt theithaftig geworben find, Meine Brüder in Chriſto, baßt 23 
und mit Dankbarbeit anerkennen, unſere Verſammlungen ſind 
gewiß nicht unwirkſam zu dem großen Zwekke, die Herzen der 
Menſchen Gott und dem höhern. Leben zuzuführen. Fuͤhlt nicht 
jeber, der ben Keim des Todes nicht: im Hergen trägt, jeder, 
der ded ſchoͤnen Friebens nach niche voll ifl, bewußt der: äugerem 
Gewalt, bie ihn unſtaͤt umtreibt und führt, wohin er nicht will, 
fühlt nicht jeber ſich getrieben in ben Werfammlungen der: Chri⸗ 
fen zus fragen,. Ihr Blänner. lieben. Brüder: was follen wir thun? 
und fo wollen und Tönnen wir es nixht läugnen, ed muß in um 
fon Verfammlungen, wenn dad. Herz noch nicht ganz erſtorben 
iM, ſie anwandein eine Sehnſucht, ein Verlangen. nach der Se: 
ligkeit. Denn was iſt ed, mad mir bezeugen, ald bie Ruhe des 
Gott ergebenen Gemuͤths, den Frieden defien, in dem es feinen 
Streit mehr giebt, in welchem ber Zwiefpalt zwiſchen dem Fleiſch 
und Geiſte wo nicht ganz ausgetilgt dech ausgeſoͤhnt ifl. 

und mr. Fr. indem fich biefe. Sefinnung ausfpricht, indem 
diefee Friede unter. und wohnt, giebt und aud ber Geift Zeugs 
niß vor der Welt, baß wir nicht trunken find, begeiftert wol 
aber nüchtern und befonnen. Gar zu leicht, wo fie den from⸗ 
men gehm ſehn feinen eigenen Weg fr fich, in fih verſchloſſen 
und geringichäzend fo vieled, woran allein ihr Herz hängt, er 
fcheint er ihnen ald Thor, ald ein Schwärmer; aber noch nie 
haben fie es bahin ‚gebracht, daß der Sinn, ber Gef, ber 
fie in unſern Verſammlungen kund giebt, ihnen erfchiene als 
Wahn, Schwärmerei und Rauſch; benn unfere gemeinfchaftfiche 
Ruhe und Eintracht erzeugt Belonnenheit des Gemuͤthes. 

Aber wenn wir tief fühlen die göttliche Kraft des Geiftes, bie 
in unfen Verſammlungen wohnt, daß wir alle dazu einladen 











möchten, wenn wir gleich wiedergeboren finb durch jene Kxaft und al 
folche, die wohl willen, woher der Geiſt kommt und wohn a 
fähvet *), laſſet und doch auch mit Demuth in und gehn und und 
ſelbſt fragen, wo es noch fehlt, ober außfpähen in unſern Gern, 
was bie Sünde fich vorbehalten muͤchte zu einem geheimen Wohn, 
plaz. Aber wo werden wir wol fräftiger hingewieſen auf du 
verborgenen alten bed Herzens, deſſen Tichten und Kuachten 
von Jugend auf. gerichtet iſt auf das irdiſche, als chen hai 
wo fleüt. fich der Bufammenhang bed göttlichen Lebens fo der, 
wo fühlen wir es fo, daß wer das Herz Bolt weihen will, es gen 
thun muß und nicht mehr bangen am irbiſchen? Ja einem je 
ben unter und ift es begegnet, daß er in ſich gegangen if u 
ſich gefragt hat, Was muß ich thun, daß ich gang ſelig werd, 
und meine Setle ganz gelleibet fei in dad Licht Gottes? 

M. Fr. Laßt und biefen unfern Schaz nicht gering achten 
Bas ich gefagt habe, iR fo wahr, daß ich weiſſagen kann, bei 
Herz eined jeden muß ihm beiflimmen! Wohlan, ich wiederholt 
ed, euer unb eurer Kinder iſt dieſe Verheißung, die bes Herr M 
dem heutigar Tage gegeben hat. Last und denn ums ber Kull 
bie in ımferen Berfammlungen liegt, recht bewußt werben. Bi 
wiſſen ed gewiß, was er geordnet bat ift Löblich. und heilſam; & 
bat aud unter und gefliftet ein Gebächtmiß feiner Wunder: \ 
laßt uns bedenken, daß jeder durch fein Dafein, feine Theilnahm 
durch fein Zeugnig und feine Kraft. gewiß wirkt auf ander! 
und wie es bamals hieß, Und fie famen und liefen fich tauft 
und wurden hinzugethan zu ber Schaar ber gläubigen: fo mA 
es auch unter uns gehn von Jahr zu Jahr, daß fich auch di 
Zahl derer mehre, die im Geifle getauft find und mandeln al 
feine Kinder und Brüder und verkuͤndigen burc ihre Tugen 
und Weisheit des Geiſtes Gaben, die Gott und gegeben ha 
Amen. 


) Joh. 3, 8. 





VL 


Borin unfer Zurüffbleiben gegen bie erſte 
Gemeine des Herrn gegründet iſt, und to: 
durch ihm Eönne abgeholfen werden. 


Ueber 1 Theſſ. 5, 19— 21. 





Am zweiten Pfingfttage (Nachmittag.) 


W. haben und geſtern damit beſchaͤftigt, mit jenem erſten 
wunderollien Zufantmenfein der Ehriften unfere gotteßbienflichen 
Berfommlungen zu vergleichen und gefunden, daß fie neh eben 
0 bedeutend und wirkſam find wie jene, noch dieſelben 
Birfungen des heiligen Geiſtes aufzuweifen haben. Und bed iR 
tine anmaßende Behauptung ; denn die damals wirkende Kraft 
var diefelbige, und nicht höher als die, deren Einflüffen wir uns 
ingeben, und von der wir unfere Heiligung erlangen. Was giebt 
8 aber größeres, als daß ber Menich ein Tempel werbe des Als 
erhöchften, und fo kann es auch Feine herrlichere Wirkung geben 
16 die, melde ber Geift auch unter uns hervorbringt, Daß er 
fo den Menfchen umgeftalte. 

Und alles unbegreifliche, wovon jene Erzählung rebet, keiner 
af es für etwas größeres und höhered achten als bad Werk 


428 


ber MWiebergeburt, ber imern Umgeſtaliimg bes Menfchen, wei 
yes die Schrift auch anderwärts ald Wirkung des Geifled nam 
haft macht. Eben fo wenig wirb man fagen dürfen, es fonne 
zwar zwifchen bem, was jezt und was fonft in den Verſammlun— 
gen gewirkt warb, eine Achnlichkeit fein, wenn alles anders wär, 
wenn wir und losmachen koͤnnten von vielen Einrichtungen, Se 
wöhnungen und Hinderniffen aller Art; aber wie ed jet fi, 
laſſe fih wenig in den gottesdienſtlichen Werfammlungen erman 
ten. Ich berufe mich auf bie Erfahrung eines jeden Wohlge 
finıten unter euch: was dem Grade nady- verfchieben if, iſt e⸗ 
doch nicht auch der Art ‚nach, und jede Wirkung des Geiſtes 
die und dahin "führt, ‚dag wir uns dem Her hingeben, kraͤftiger 
angeregt werden zum guten, heller erleuchtet in der goͤttlichen 
Füuͤhrung aller Dinge, iſt ja daſſelbe, was damals in ben Apoſteln 
geſchah und durch fie. 

Aber eben dieſes leztere möchten mehrere behaupten: bet 
Größe nah unterfhieden fi die Wirkungen, und de 
von fei die Urſache nicht, daß die Sache des Chriſtenthums da⸗ 
mals etwas neues, daß die Geſchichte des Erloͤſers noch friſch im 
Andenken war, und nicht alles koͤnne geſchoben werden auf den 
Reiz ber Neuheit, auf den erfien warmen Eifer. 

-Welan.m. Fr., wenn wir died Zuruͤkkbleiben une 
Seit gegen jene frühere inne geworben find und es als War 
gel fühlen: laßt und fehen, worin ed kann gegründet fein, 
und woburd ihm mag abgeholfen werben. 


Zert. 1 Theſſ. 5, 19— 21, 


Den Geiſt Dämpfer nicht. Die Weiffagung verad: 
tet nicht. Prüfet aber alles, und das gute behaltel. 


Wir haben um fo mehr Net diefe Worte bes Ayoflel 
auf die Angelegenheiten unſerer Gemeinde in Beziehung auf ihre 
gottesbienfllichen Verſammlungen zu verſtehn, als eben bie Work 


429 


Zeiſt und Weiffagung uns unmittelbar darauf hirführen. Dem 
ter dem Geifte würben bie göttliden Gaben verftanben:, bie 
uf diefe Art fich- befonberd erwiefen zum gemeinen Nuzen, und 
Beiffagung war ‚ver Name für bie Erwekkungen bed. Geiſtes, 
Belehrungen, Ermahnungen, die von einem ausgehend uͤberé 
janze füch verbreiteten. Wenn nun ber Apoſtel von Seſolgung 
ieſer Rathſchlaͤge ed erwartete, daß bie hrifliche Gemeinſchaft 
hren Endzwekk erreichen wuͤrde, ſo koͤnnen wir fie auch bei uns 
um Maaßſtab nehmen um daran zu fehn, was erreicht werbe 
md was verfehlt; und wenn ed wahr iſt, daß die Wir 
tungen des Geifted unter uns nit fo lebendig find 
ind nit von folhem Umfang und Erfolg: fo wer 
ven wir finden — und das iſt das, womit wir uns im er 
hen Theil unferer Betrachtung befchäftigen wollen, — bag die 
Urfache in nichtd anderm liege ald in der VBernadläs 
bigung eben biefer Katbfchläge des Apoftels, und fo 
werden wir bann zweitens fehen, wovon jede Verbeſſe⸗ 
rung nothwendig ausgehn muͤſſe. 


IL. 


Den Geiſt dampfet nicht. DO m. Fr, wir muͤſſen es 
beſchaͤmt geſtehn, wir haben Ihn gedaͤmpft. Der Geiſt, wenn 
wir und daran balten, was von feinen. Ergiegungen an- jenem 
heiligen Tage erzählt wird, was iſt er, als ein göttliches Feuer 
im Menſchen, dad aber bervorbeingen will unb andere beleben, was 
fer, als eine gemeinfame Glut, die alled erwärmt und burchzieht® 
Aber wehin iſt es mit den Verſammlungen der Ehriſten gekom⸗ 
men? Es hat die Anſicht die Oberhand genommen, die ich ge⸗ 
term als etwas trauriged bezeichnete. Man bat die Kirche ver⸗ 
wechſelt mit der Schule, die Anftalt zur. Erbauung mit ber Ans’ 
tale zur- Belehrung, und man hat die Meinung angenommen, 
als ob die fich bier verfammeltn nur lernen follten, und ber 
Wortführer, eben nur dad Anfehn und die Pflicht habe zu leh⸗ 





0 
sen, Aber wenn wir auch nur ſtehn hleiben bei dem verſtuͤnd⸗ 
Eichen Worte, daß er erbauen fol, daß belebt werben foll und 
geſtaͤrkt die Fromme gättliche Gefianung in den. Gemütben, bie 
Yebe und. der. innere Trieb zum guten: m. Sr. wer kann fas 
gen, daß hies anders eiwa& zu erwarten ſei als non dem ger 
meinſamen Befireben aller? Was iſt die Folge von jemer An⸗ 
ſicht, els daß ber größte Theil der Chriſten entweder wartet, bis 
ihm ein Beduͤrfniß aufgeht und bad Gefühl, ba er mit feiner 
Unficgt von der Welt und. der göttlichen Führung In Verwirrung 
gerafhen, daß fie ihm wicht mehr aushelfe, kurz daß er der Be⸗ 
lebrung bedarf, oder daß fie es mit laͤſſigem traͤgem Geiſt Darauf 
aulammen laſſen, was fie empiangen werben? Daher beun aus 
dieſer Anficht und mit ihr zugleich entſtanden find jene Zweifel 
über den Werth und bie Wichtigkeit umferer gottesdienſtlichen 
Verſammlungen; Daher fo viele gefagt haben, bag man ‚an beim 
Drte ſelten etwas höre als das, was man fchon wille, daß jeber 
bie Belehrung, die ex gerade bebimfe, wohl hefler anderswo fu- 
chen koͤnne als da, wo der Lehrer nicht wille, was ihm und was 
gerade jezt noth thut. 

Die Weiſſagung verachtet nicht, und m. Er. wir haben 
fie verachtet, fie ifE gering gefchägt, ſo daß fie fi faft gam un: 
tar. und verloren hat, Weiſſagung iſt nisht Hindeutung auf das, 
mas ba kommen foll, fondern, wenn wir fie anſehn müflen als 
hab, was in der Geſchichte jenes alten VBolks von ben Männern, 
welche Propheten hießen, geleiftet wonben: fe werben wir. finden, 
daß bie Verkuͤndigung des Zulünftigen nur gelegentliche Crgießung 
und das wenigſte war, was von ihnen außging, Aber das weſentliche 
war, Daß fie begeiſtert zum Volk ſyrachen in Tadel und Aufmunte⸗ 
ang. Denn immer fo fangen die Weiſſagungen an, Und es ges 
(hab ber Ruf on ben Propheten; Gert ſprach, gehe hin! und 
nun folgen bie Weiſſagungen, bie nur Belehrungen find über 
dab, was be Wolle noth war, Ermellungen, welche ihre Enge 


434 
und Umflänbe eforberten, Ergießungen ber hoͤhern Kraft, welche 
in bem einem flärker waren. als in ben übrigen, und bie von 
ihm ben andern mitgetheilt werben mußten. Alſo bie begeifier 
ten Ergiefmagen bed Herzens über das, was noth mar, had 
Ueberſtroͤmen der Kraft, die fich--auch ber ſchwachen bemächtigen 
will durch Die Gewalt ber Rede, das iſt der Begriff der Weiffagung, 

Aber m. Be, wir haben fchon fo lange bahin gearbeitet, al 
les was ben Namen ber Begeifterung verdient zu perbannen; 
damit bie Kinder dieſer Welt und nicht barftellen ald Thoren unb 
Schwärme. Darum if auch der chriſtliche Gefang, bdiefes 
herrliche Mittel das Gemüsh zu erheben und mit dem göttlichen 
zu erfüllen und zu allen guten zu erwekken, er iſt, weil bie 
Kraft der Dichtung daraus verſchwunden iſt, herabgeſunken zu 
etwas fo falten und leerem, Daß man ihn kaum noch als einen 
weientlichen Theil der Gottesverehrung will gelten laflen. Und 
fo iſt ed gegangen bei bem Theile, der von der Rede außs 
geht. Denn man hat «8 allmähdlig dem allgemeinen Endzwekt 
der gotteäbienflichen Verſammlungen nicht vecht angemeſſen ges 
funden auf dad zu fehn was noth thut, um bie Gemüther in 
Anfpruc zu nehmen für. dad, was nun gerade in Beziehung auf 
dad Reich Gottes aus ben Umfländen hervorgeht. Denn je mehr 
die Gemeinde aufgehört hat’ ein ganzed zu bilden, und je mehr bag 
Band zwiſchen ihr und dem Lehrer geloͤſt iſt, iſt ber leztere in die 
Verlegenheit gekommen, entweder nicht unterrichtet zu fein, oben 
den Schein ya haben, als fei ee unterrichtet von ihren geifligen 
Bebürfeiffen, und Died Uchel bat ole Poͤlker ergriffen. 

Und wenn das Gegentheil von dem herricht, wad man um 
ter Weiſſagung verſteht, gleich nüzlich für jeden zu veden, ob ex 
auch unter ganz andern Berhältniffen und Umfländen lebe, und 
nur Das, was jeden anfpricht vermittelfl jener Beziehung, bie er 
mit taufenben von fremden und fernen theilt: was ift die Folge 
geweien, ald m. Fr. dieſes, daß auch bei unfern chriftlichen 


23h 


Vorträgen nicht mehr geſehn iſt auf das, was ber Apoſtel fagt 
Ich bin unter euch geweſen nicht mit Worten ber Weibheit, ſon 
bern mit dem Geiſt und ber Kraft-*), und dag wir mehr gefehe 
baben auf menfchliche Weisheit, oder, wie es ridhfiger heißen 
ſollte, menſchliche Kunſt — eben weil ber Inhalt felb den groͤß 
ten Theil der Menſchen fü wenig anfpricht, weil bie Rebe nicht 
vom Herzen" fommt und: zum Herzen geht; was fonnte doch 
da die Menfchen often fi) als Zuhörer binzuftellen, als bie 
Kunft, der rednerifhe Schmukk und aͤußere Vorzuͤge, bie gas 
nicht in Anfchlag fommen follten. | 

Endlih pruͤfet alles und behaltet dad gute Wir 
aber, wir pflegen fchon lange in Abſicht ber Angelegenheiten bei 
chriſtlichen Evangeliums nicht zu prüfen ober doch das gute nicht zu 
behalten. Denn daraus find entflarfden jene Beiden Parteien, 
deren Zwieſpalt es fo fehwierig macht dem Gottesdienſte die erfie 
Kroft zuruͤkk zu führen, welche in den früheften Sufammenkänf: 
ten war. Es giebt einige, Die gar Beine Prüfung zulak 
fen, bei allem, was entweber vorgefchrieben oder hergebracht 
und durch Verjährung geheiligt ift, ſtehn bleiben und fich nicht 
befümmern, ob dad alles auch jezt noch angemeflen iſt. Die ans 
bern find die vor lauter Prüfung zu heilfamem Ge 
brauch, zu flärfendem Genuß niemals gelangen md: 
gen, denen nie etwas ‚recht iſt und gut, die an allem zu tadeln 
and zu verwerfen haben und die, fobalb irgenb etwas im Wis 
derfireit if mit Dem Zeitgeiſt, fobald fi ihnen ein verwöhntes 
Gefühl entgegenfezt, fogleich behaupten, baß es auf fie Feine gei⸗ 
flige Kraft ausüben koͤnne, eben weil fie unfähig find geiflig bes 
rührt und getroffen zu werben. In biefem Streite ifl, man barf 
es fagen, der Segen aller unſerer Gottesverehrung arftorben, in: 
dem fich jene fireng halten an alte Formen, bie ald todter Buch⸗ 
ſtabe den Geift nicht mittheilen Tonnen, und biefe alles verwerfen, 





” 1 Kor. 92 4 


433 


wofuͤr Fie-erfothen find, und fo.ift alles aus dem Arcite 2: 
meinſchaftlicher ‚Erbeuang verfhwunden, mas zus Erbaumg bie: 
nen fol, und zunüßfgezogen in daͤd Gebiet bee Haͤufer. 


m. 


Dad. m. Zr. find bie unlaͤugbaren Mängel und bie Urſa⸗ 
chen derſelben in Abſicht auf die gemeinichaftlicken Angelegenhei⸗ 
ten waferer gottesdienſtlichen Zufammenkimfte und die Erweltung 
bed Geiſtes. Erkennen wir fie an und fireben wir darnach ums 
los zu machen: fo werden die. meiflen fagen, Wir fin 
nen nichtö-thbun; das wichtigite muß vom oben herab 
tommen und gefhehen von denen, welche bie chriſtli⸗ 
hen Gemeinden Leiten. 

Aber diefe Meinung m. Zr. dat ihren Grund nur in je 
nem Irrthum von einem großen Unterſchiede zwiſchen den Ich» 
renden und ben Lernenden, einem Unterichiebe, ben wir in jenen 
fegenäzeichen Zuſammenkuͤnften der Yünger Iefu vergeblich auf 
fischen. Es zeigt die Geſchichte der Kirche, daß von oben ‚herab 
nicht alles und nur einige fo gethan werben kann, ia daß beim 
beſten Willen der oben nichtd gefcheben wird, wenn nicht Dex 
lebendige Eifer aller zu Hülfe kommt. 

Soll ich alfo fagen nach ben Batbfhlägen. des Apoſtels, 
woren allein Wiederbelebung bed erſtorbenen augehen muß, fo 
it es bild, ES muß ſich einftellen an der Sache bes 
Sottedhienfed eine lebendige Theilnahme aller, und 
dann, eſ muß das Band ber Chriſten als folder enger 
geknuͤpft werben, wir müffen est wieber das bilden, 
was im eigentlihen Sinn eine Gemeinde ifl. 

Nur von unferer engeren Verbindung kann alled ausgehen, 
und ich ermahre euch an diefem heiligen Tage zu einer lebendi⸗ 
gen Theilnahme. Eben nicht ıblo um etwas zu empfangen, um 
zu lernen fehler fish die Chriſten hier verfammeln, fondern durch 

Predigten I. Ge 











“3 

BWehfeiwirkuig der Geiler auf einamber fich erbennen, fi Pi 
fen, ſich beleben zum guten. Sowol wenn ber einzelne bin 
weltliche Sorgen und Geichäftg in fich geſchwäͤrhe fähtt den Gi 
für dad höhere, dad Bewußtſein feines geiftigen Lebens — und w 
befände fich nicht zu Zeiten in diefem Kalle, — wohin Eönnte ı 
dann beffer eilen als hieher, um nid nur zu empfangen, ſo 
dern fich in lebendige Gemeinſchaft zu ſezen mit allen, bie fü 
verfammelt Haben? Aber auch wenn in andern bad Gehkhl ii 
Gebens und Empfangens recht lebhaft heraustritt, und ſich d 
Wunſch regt, D daß ich tauſend Zungen haͤtte mb einen tu 
ſendfachen Mund: wohin kann er ſich dann beſſer reiten als hä 
ber, da wo feine Rede, fein Gaſang, fein ſtilles Gebet ſich ta 
fendfach vermehrt Durch die Gemeinfchaft mit allen, auf die er wirft 

Aber audy in weiterem Sinne, und das ift Die erſte Grum 
lage von allem, muß das Band ber Chriften erſt enger gefmin 
werden. Wir müflen uns anfchn als eine Gemeine bed Hem 
wo alles, je größer und wichtiger es IR, auch deſto gemeinfane 
fein niuß. Es muß jebem gleich wichtig werbas, wad ae be 
rifft, und ber Wunſch allgemein, daß allem abgeholfen werd 
was das ganze druͤlkt; bie Mittel dazu muͤffen flır jeben werde 
ein Gegenftand feines Nachdenkens und feiner Berathung; e 
muß fi, bilden eine gemeinfane Neigung und ein gemeinjam 
Wile. Denn nur hiervon iſt auch in allen andern Angelegenhei 
ten aubgegangen eine gründliche Befferung. Das ift aber dei 
große Uebel, daß jeder bad Geſchaͤſt der Erbauung anſieht al 
eine Sache ded einzelnen; umd ſo fange das noch fatt findet, fi 
fange bied wenigfiend Die herrfchende Denkungsart iſt, iſt a 
feine wahre Befferung zu denken, ſondern wir muͤſfen nur nod 
mehr verfallen, und alle wohlgemeinte Bemuͤhnng wird fid mu 
auf Nebendinge wenden. Der einzelne Bann keine große In 
gekegenheit leiten und ſorbern, denn wenn es fi} einzeln denfl 
und fühlt, fo fühle er ſich auch ſchwach. te gükfe' Rum nit 


ausgehn von der vereinigten Kraft aller; jeber muß ſich anfchn 
als Mitglieb einer großen gemeimukhafslichen Verbinbung. 

Ban den erſten Juͤngern Heißt es, Sie wann einmuͤthig bei 
einander, ſahen fih an als Ein ganzes; dad gemeinſame Wohl 
und Bert war Gegenſtand des Nachbentens und der Betrach 
tung für alle:unb für jeden einzelnen; jebes Beduͤrfniß wurde 
von allen gefühlt, jede einzelne Binficht: dam zur Mittheitung, 
und dirſe Gemeinfchaft allein hat bie Kirche gefliftet. Wenn fich 
jeder von ihnen in ſich verfchloffen Hätte und bie Refigien angeſo 
ben nur ald eine Angelegenheit zwifchen ihm ſelbſt, Gott und 
Chriſto; wenn ed dann auch einzelne gegeben Hätte, bie von eis 
nem andern Geiſt getrieben audgingen und Iehrten und tauften, 
aber die getauften wären auch in jenem Sinn fich vereinzelnder 
Frömmigkeit getauft worden: wie bald würde ber erfte Eifer er 
taltet, wie wenig das Chriftenthum verbreitet, und wie bald viel 
leicht das Gedaͤchtniß Chriſti verſchwunden fein ober fo herabges 
funten, wie auch jezt in folchen Gemeinen bes fernen Oftens, bie in 
feiner Gemeinſchaft mit den übrigen ſtehen. M. $r., im Vers 
gleich mit jener frühen Zeit iſt es auch jest im Herabfinten und 
Berfchwinden. Wenn auch der Name Chrifti genannt wird, und 
die Menfchen noch nach ihm heißen; wenn auch feine Denkmäler 
und Wermächtniffe unverloren und unverlegt unter und find: 
fragen wir, wie viel davon gebraucht und genoflen wird, fo müfs 
fen wir geftehen, wir bleiben weit hinter jener Zeit des gemein» 
famen Eiferd zuruͤkk. 

D, laßt und nicht tiefer finten! Laßt und dieſe Zeit, die 
auf fo vielerlei Weiſe warnend und ermahnend zu und geredet, 
laßt fie und nicht verloren gehn! Es flammt hie und da etwas 
auf, was ähnlich fieht der Flamme des Glaubens und der Liebe 
Chriſti. Möge ed Feine trügerifche Erfcheinung fein! mögen wir 
daran entzünben ein heiliged euer, welche alle erwärmt und 
erleuchtet! Ja wenn und bie heiligen Begebenheiten diefer Tage 

Ee 2 


ant vereinten, und hinzugeben dem Herm und und vor ſeinem Bei 
erfüllen zu laſſen: o fo left mas nicht: dergeſſen, daß es fe 
geößte Wirkung war bie Gemeine. des Heilands zu gründe 
laßt fie urd von neuem preiſen burch eime Fheinahme 
ben chriſtlichen Berfemmlungen und bie Segnungen erfahe 


eirnes vereinten chriſtlichen Lebens. Dann kann die chriſtl 


Verheißung in Erfuͤlung gehen, Ich hin bei euch bis and Gnl 
der Rage, unb wo ihr in. meinem Namen verfemmelt feib, bi 
ich mitten umter euch *)! Amen. 





”) Matcch. 18, 9. AB, 28, 


| | vu. 
lleber die Furcht, die der goͤttliche Geiſt durch 
ſeine Wirkungen in denen hervorbringt, welche 
der Vereinigung mit ihm noch unfaͤhig ſind. 


ueber Apoſtelgeſch. 2, 43. 


Am Sonntage Trinitatis (Nachmittag.) 


M. a. Zr. Unſere neuliche Betrachtung über das Werl, das 
we Geiſt Gottes in den Menſchen fihafft, hat und Gelegenheit 
wochen, in dieſer Beziehung und ſelbſt und den Zuflanb unſe⸗ 
rt gottesdienſtlichen Berfammlungen zu umnterfuchen, uns auf 
fan zu machen auf ihre Mängel und beren Urfachen. Es 
tet und aber bie Geſchichte jener heiligen Begebenheit noch 
ine andere Seite dar; fie zeigt und zwar das, was der Geiſt in 
linen erſten herzlichen: Aeußerungen gewirkt habe in denen, uͤber 
velche er ſich fo gewaltig ergoſſen; ed wird naͤmlich zwoͤrderſt 
Magt, viele hätten dad Wort Chriſti angenommen und wären 
inzugethan zur Gemeinde ber gläubigen an dem Tag bei drei⸗ 
aufend Seelen. Dies aber find wir weniger im Stande für 
m Maaßſtab defien was der Geiſt winkt. anzufehn, weil das 


438 


innere Wachothum des Relches Gottes In jedem Aügenbltkke ſich 
unſern Augen entzieht und nur durch die Ueberſicht eines beden⸗ 
tenderen Zeitraums kann geſchaͤzt werden. Es iſt aber auch noch 
die Rede von einer andern Wirkung. Wir wiſſen es ja m. 
Fr., dag wir nicht umgeben find von lauter folden Menſchen, 
die der Erbauung immer von ſelbſt empfänglich find, daß die 
Anzahl derer noch groß ift, weiche entfernt find vom Reiche Got⸗ 
ted, Nun läßt fich aber doch die Vermehrung beffelben nicht 
benten ohne Wirkung auc auf diefe. Und davon redet benn eben⸗ 
falls die Gefchichte jened Tage, und ed wird und gefchilbert, 
Paß der Geiſt Gottes in folhen von ihm ensfernten Seelen 
Furcht gewirkt habe, und ſo wollen wir denn fen, wie auch 
die Wirkung noch immer biferbige fein muß. 


Text. Apelielgeſch.2 2, 4. 
Und ed Fam auch alle Setzlen Furcht an, und ge: 
ſchahen viele Wunder und Zeichen durch die Apoftel. 


Das, iſt eh, mad die Schrift ſagt von ben Wirkungen bes 
göttlichen Geiſtes auf diejenigen, die bamald ihm ihre Herzen. zu 
öffnen und fente Gaben ya theilen unhihig waren; «6 kam alle 
Soden Furcht an; und bad muß. ke Wirbung des gättlichen 
Geiſtes ſein uͤberall und auf alle, die ſich fo zu ihm: verhalten 
So: laßt und. denn mit einander veden üben Kie. Furcht, die 
der goͤttliche Seil durch feine Wirkungen: in. denes 
orvorbringt, walche ber Vereinigung mit ihn woch 
unfähig find. Min unlerkheiten erſtlich bis Juccht Der 
biTen, dann die Furcht dee träͤ gen, und ndlich de duich 
nt uwentſoteſ ſenen. 

Bo der Geiſt Gottes fich in einer jenem Mage 
uaͤhnbichen Kraft änkers, da bommte diee köfen Furtht an. 


439 


ihr immer nehmen wit Furcht der boͤſen wahr; aber es 
iſt dann eben nur die Folge davon, daß der Geiſt Gottes nur 
ſchwach und zerſtteut wirft. Es koͤnnen ſich über die einzelnen 
Erweiſungen des goͤttlichen Geiſtes die boͤſen diswellen ſogar 
freuen. Wenn nur das boͤſe mit ihm im Streite liegt, ſo freuet 
ſich wol der einzelne unter ihnen, wenn der andere, der ihm ent⸗ 
gegen arbeitet, chflarot oder niedergedruͤkkt wird durch die Kraft 
des Geiſtes, wenn das Lafler entdekkt, Uebelthaten gebrandmatkt 
werbert an denen, die mit ihm in Teiner ober nur eine für ihn 
nachtheiligen Beziehung ſtehn; und wenn der Geiſt innen felbfl. 
näher ruͤlkt mit feinen Wirkungen, fo find ihnen die Erweife 
deſſelben doch gleichgültig. Nach dem alten Sprichwort find die 
Kinder der Finſtemiß kluͤger in ihrer Art, denn die Kinder des 
Lichts; und diefer Klugheit ſich bewußt verachten fie die Kraft 
des Geiſtes, wo fie fi nur einzeln und im kleinen erweiſt; dem 
da wiffen fle, daß wo fie Peine Mittel ſcheuen, es gefährlich iſt 
ihnen zu widerſtehn, daß wo fie fich vereinigen und unterſtuͤzen 
ed ihnen leicht wird die nachtheiltgen Einfifle des Geiſtes Got; 
tes von füch zu entfernen. 

Aber m. Fr. wenn: der Geift: Goftes 1 erweiſt auf eine 
ungewäßntiche und außerordentliche Art; wenn er Träftiges Ges 
müth in dem Menfchen erwekkt, gegen welched dad Spiel ihrer 
kaſter und Leidenfchäften nicht auflommen kann; wein er Zu: 
gend erweltt; wahre und Eräflige, vor welcher ber falfche Schein 
ihrer Wellömnienheiten erbieicht and verſchwindet; wem nicht 
in einzeinen- Der Geiſt Gottes fih wirkſam beweift, fondern wenn 
er zus :hößeren Zwekken eine Anzahl Präftiger Menſchen wereinigt; 
wen dieſe die größere Menge ber Menſchen in Bewegung fegen; 
heine, erloſchen geweſene Eindrüfle wieder lebendig machen, bad 
Gefuchl verabſaumter Gluͤkkfeligkeit over auf fich geladener Schuld 
erregen und: ſſe ermahnen, daß fie fi) möchten befreien bafſen 
von dieſen unartigen Leuten: dann m. Fr., dann fuͤhlen bie boͤ⸗ 
fen, wie fie ſich auch geſtaͤrkt und gewaffnet haben, wie fie auch 


440 
vertrauen auf Liß umb Verſchlagenheit, dann fühlen fie, daß ihn 
Kraft nichts iſt als Ohnmacht, da ihr Gelingen, ihr Gluͤkk nu 
gegründet war in ber Unthätigleit einer groͤßern Kraft, daß fü 
auf ber Seite Bchen, die nothwendiger Weiſe fallen wird. 


Es kommt aud, wo der Geiſt mächtig wirkt, Furch 
an die Seelen ber trägen. _ | 
Denn m. Fr., es iſt nicht nur die Gewalt ber finnlihe 
Triebe / und Leidenſchaften, welche die natürliche Werwandtihel 
des Menſchen mit dem göttlichen Geiſte, die Sehnſucht nach dei 
Vereinigung mit ihn in vielen hindert ſich zu aͤußem; fonden 
es ift eben fo ſehr dieſes oft verkannte geiflige Uebel der Traͤg 
beit. Es giebt viele. Menfchen, die nicht höfe aber unempfäng: 
lich find für die Einwirkungen des göttlichen Geiſtes, und die 
nicht einverflanden mit ſich über bie Beftimmung des Lebens, 
wicht angetrieben zu einer ernfien wohlgeorbneten Thaͤtigkeit durch 
das Bild eines hoͤhern Ziels, aber auch nicht grade geſtachelt von 
beftigen Begierben nichts fuchen, als einen ruhigen flilen Ge⸗ 
nuß. Sie haben kein anderes Ziel ald nur von dem fih fra 
zu halten, was ben Menfchen niederdruͤkkt und befehbigt, und 
begnügen ſich dann und wann in biefer Ruhe von den Freuden 
bed Lebens mitzugenießen. Auch diefe erfreuen fi im einzelnen 
en ben Wirkungen bed göttlichen Geiſtes; denn bie höfen führen 
Be oft auf in ihren flilen Freuden, und die gewaltfamen Um 
gerechtigkeiten find es, wovor fie ſich fuͤrchten. ibereht din. 
ber Geiſt, fo erkennen fie darin eine befreundete Macht, welche 
“gegen das ihnen furchtbare gerichtet if. Und wo die Birtun 
gen des göftlichen Geiſtes nicht von biefer Art find, fonbern wo 
berfelbe ſich innerlich bezeigt in der Umgefialtung unb Bereblung 
bed menſchlichen Lebens und der menſchlichen Natur, das iſt if 
men auch erfreulich, infofern fie fähig find bie Wirkung zu fh 
kn und zu erkennen, und außerbem berüprt es fig gar nicht. 











441 


Aber auch die Seelen dieſer trägen muß Burcht ankommen, 
wo ber Geiſt Gottes ſich gewaltig zu erlennen giebt; denn da 
macht daB Gefühl der Unzufriedenheit mit bean ruhigen Beſtehn 
der Dinge, da richtet füch biefe Kreft nicht nur gegen bie böfen, 
fondern fie will alles durchdringen und alles beisben; ba wird 
euch dad, was keinen Widerſtand leißet, da wird auch das flille 
und friedliche als ein Gegenfland angefehen, worauf fie wirkt; 
aud dad gebeugte fol da erheben, das ſchwache ſtark gemadıt 
weden, und daher entſteht in ihnen bie Ahndung großer Veraͤn⸗ 
derungen, unb fie fühlen, daß nichts befiehen kann, worauf bie 
Kraft des göltlichen Geiſtes zum befferen umgeflaltenb fich wens 
det; da komme fie Furcht an, daB fie aufgeflört werden aus ih 
tet Ruhe, Zurcht, weil die ganze Art und Weile ihres Lebens 
nm hingegeben iſt in jene Macht, von ber fie nicht wiffen, wie 
fe fie ergreifen wirb, und bie ihrem gelichten Zuſtande ein Ende 
zu machen draht. 


ul, 


Bo der Geift Gottes gewaltig wirkt, da kommt 
ah Furcht in die Seelen ber unentfchloffenen. 

Ich wollte damit diejenigen bezeichnen, welche gleichlam am 
Scheidewege ſiehen zrotichen der Gottfeligkeit und dem irbifchen 
Sinne, welche vielleicht ſchon öfters die Anregungen bed Geiſtes 
gefühlt haben, aber denen ed mangelt an dem Entſchluß ſich 
Im ganz hinzugeben, bie nicht laſſen koͤnnen von ihrer alten 
Veiſe, die das gute mol erkennen, aber in benen ber Wille und 
die Einficht und Erkenntniß des beſſern nicht uͤbereinſtimmen. 
Das iſt ein Zuſtand der Uneinigkeit mit fih, bed Widerſpruchs 
md bed Kampfed. Wenn auf eine allgemeine Weile fich vor 
breitet eime.löbliche Gefinnung, wenn fie aufgefordert werben zu 
guten Werfen, die ein bleibendes Denkmal zurüfflaflen, und wenn 
das ihnen auch Aufopferung koſtet, fo ift es ihnen doc eine 
Dreude; denn es giebt ihnen für bie Zeit, wo ihnen bie Augen 





442" 


aufgehn über fich ſelbſt, wo fie fih pruͤſen, wo ‚fie wegen des 
Binterfehiebes, ben fie machen .müffen zeiichen ſich unb ben hoͤ⸗ 
bern, im Begriff find fich zu verachten — es gewährt Ihnen für 
dieſe Zeit eine Beruhigung; fie halten ſich vor, wie fie nicht ums 
empfänglich ſind fürs-gute und Höhere, wie fie ſich dach bie und 
da angeſchloffen Haben an die, wide vom Geiſte Gottes getrie⸗ 
ben wurden. 

Aber m. Fr., wert nicht: mit ſolchen Jorbecungen wid ein⸗ 
zelnen Thaten, fondern mif ver Fordernng, daß fuͤrs game Le⸗ 
ben eniſchieden werden ſoll, der Geiſt Gottes ihnen entgegenruͤkkt, 
wo ihnen vorgehalten wird Segen oder Fluch, GSeligkeit oder 
Verdammmiß; wenn ein Zuſtand formt, wo fie ſich keinen Auf: 
ſchub verſchaffen Finnen, fondem mo 08 gilt fi zu entiiheiben; 
wenn bie Kraft des Geiſtes in feiner Richtung auf die menſchli⸗ 
chen Angelegenheiten fie auf die Splze geftellt hat: barm kommt 
fie Furcht an, Furcht vor dem Berluft deffen, was fie Heben, 
vor dem Kampfe, der ihnen fo oft nahe war, und ben fie feig: 
herzig immer vermieden, und der nun endlich vo. beftanden 
werben · ſoll. 

So iſt es! m. Fr. Urberall iſt diefe Sucht bie ae Bir: 
fung bes göttlichen Geiſtes auf die, welche ihm noch ferne find, 
die Wirkung, die er hervorbringt, wem er fi) mit geſammelter 
Kraft Außer. Wolan, werm unter und m. Fr. die Menfchen 
ohne Furcht hingehen koͤnnen in großer Menge, ohne fich zu ent: 
ſcheiden fuͤrs ganze Leben, ohne daß ſie ſcheuen die Schande und 
Dienſtbarkeit, welche die trifft, dis fich. nicht jawer göttlichen Kraft 
zugeſellen wollen; wenn wir fehen, bag fo viele Menfchen noch 
dahingehen in lener fchlaffen Ruhe, ui Briſchraͤnken ihrer Wuͤn⸗ 
ſche anf einen ruhigen ungeſtoͤrten Genuß; wenn bie boſen ihr 
Haupt noch emporheben und troz ber einzelnen Wirkungen · des 
Geiſtes wie: intmer noch nicht ſagen können, daB fie non. Furcht 
ergriffen ſind — was follen wir für uns ſelbſt, die wir der Tem⸗ 
pel Gottes fein ſollen, daraus ſchließen ? OD, daß wir noch nicht 


443 


find, was wir fein‘ felftn, daßze die gotruche Kraft, ber wir uns 
ganz hingeben follen, noch nicht fo in und wirkt, dag wir uns 
anfchliegen Finnen an jene erften Worbilder des chriftlichen Staus 
bend; ja m. Fr., baß es eine Furcht in und felbft ift, die uns 
erſtarrt und zuruͤkkhaͤlt von jener höhern Bewegung bed Lebens! 
So möge benn dies, wie ed eine bemüthigende ift, eine gefegnete 
Betrachtung für uns fein, mögen wir und immer mehr erheben 
zu dem Standpunkte des Chriftenthumd, auf welchem bie Helden 
des Glaubens flanden, welche :saf eine herrliche Weiſe ſich haben 
stgieren. laſſen vom Geiſte Gotted; und das ift der, welcher Furcht 
erregt und alles untertdan macht feiner höheren Kraft, und vor 
dem ſich dad nichtige und böfe beugt; o& if} derſelbe Geift, Durch 
den die Worfahren fo mächtige und herrliches wirkten; und 
wenn er und nicht dazu macht, zu Helden ded Glaubens und 
tühtigen Wertretern bed Chriſtenthums, fo beweiſt das eben uns 
ſere Schwäche und Untuͤchtigkett. Aber wenn wir betrachten, was 
dem Geifte fich entgegenſezt, vergleichen ‚bie gättliche Kraft und 
dad vergängliche und nichtige des irdiichen Lebens, ich weiß nicht, 
was mehr dem Menfchen Muth einflögen nuͤſſe, ein Werkzeug 
des Geiſtes zu werden und mit Farcht alle zu erfüllen. tie’) 
fern ſind dent Meiche Gottes. Möge bied unſern Mich mehren, 
mögen. wir und der Kraft bed Geiſtes immer meht heran. wen 
ven, dann werben unfere Berfammlungen dieſelbige Wirkung auf 
uns und durch uns auf Die.umgläubigen haben; und es fei num 
ein erftruliches Spiel. oder ein harter Kampf, in welchen wir 
aber willen, wo der Siez ſtehen wird, es fei und ein Zeichen 
von umferer Wirkſamkeit, wenn bie: Setlen der Mienichen: Frucht 
term, Fruͤher obex fpäter Bommt Bann bie andere Zeit, wo 

die Liebe, bie alles ereinigenbe Kraſt Gotteh, dt wit 
audtreitbt mem, 





VEN. 


Ueber die wahre: Gemeinfchaft der Güter 
unter den Chriften. 


ueber Apoſtelgeſch. 2, 44. 45. 





Am 1. Sonttage nad Trinitatis. 


M. a. Fr. Nachdem wir unſern Erloͤſer bis zu ſeiner Tin 
Entfernung von der Erde und dann feine Juͤnger bis zur Ev 
gießung des göttlichen Geiſtes über fie begleitet haben mit unler! 
Betrachtung, ſo laßt uns nun aud bie damals zuerſt in 
der Kraft bes Geiſtes gepflanzte chriſtliche Kirdt 
und ihre erfien Begebenheiten mit unferm Nachden⸗ 
ten begleiten, Wit haben es in ben Tagen ber Pfingfien 
gefeh, wie biefelbige Kraft, welche bamald bie Juͤnger antrieb 
bie großen Thaten des Herm zu verkuͤndigen und. bie hoͤrender 
eifo erregte, baß fie fragten, Was follen wir thun, daß arh 
wir. zur Seligkeit gelangen? wie es diefelbige Kraft noch. ift, Die 
auch in und fi) regen muß, wo wir verfammelt find in dei 
Herm Namen. Eben fo, wenn wir die erflen Chriſten betrach⸗ 
ten, was fie gethan, unternommen, gelitten haben, — werben wit 
nicht fagen müffen, die nämliche Kraft ſolle auch und treiben 





406 


und muͤſſe ſich bewähren‘ in auferm gamen Leben? Ich will wid 
ſagen m, Fr., daß, wenn wir und vergleichen in unſerm Thun 
und Zreiben mit der erſten Gemeinde Chriſti, wir finden müßs 
ten, daß wir weit zuruͤkkſtehn gegen :fies denn es geziemt dem 
fronusen: und dem, ber vom. Geiſte Gottes durchdrungen iſt 
wicht ſich ber truͤbſinnigen Worſtellung zu uͤberlaſſen, als werbe 
die Anzahl der wahrhaft glaͤubigen immer geringer, als werde 
& immer ſchlimmer aufı Erben; vielmehr haben wir, feitbem das 
Reich Ehrißi ſich mehr ausgebreitet. hat, gewiß gewonnen ‚in 
Bergleidy mit jenen erften Chriften; manches fihöne, was ihnen 
mangelte, manchen Achten Glanz für leeren Schimmer Finnen 
wir aufzählen. Aber was uns ſo reizend macht jene fris 
bere Zeit, was und fo gewaltig hinzieht. zu ihr, das 
if die Kraft ber erfien Liebe, der Geiſt der Treue 
und kindlichen Einfalt, von der bie gläubigen be 
jeelt waren. Dies Bild laßt uns fleißig und vorhalten in 
anfern Betrachtungen, ob auch bafielbe Heuer ſich entzuͤnden 
wolle und empor lodern zu gleicher geifliger Flamme. Darauf 
fei unfer Sinn in Andacht gerichtet in biefer Stunde. 


Text. Apoſtelgeſch. 2, 44. 45. 

Ale aber, bie giäubig waren geworben, waren bei 
einander, und hielten alle Dinge gemein. Ihre Güter 
und Habe verkauften fie, und theilten fie auß unter 
alle, nach ben jedermann noth war. 


Das leuchtet gewiß jedem ein m. Fr., baf dad, was hier 
eaͤhlt wird, nicht gerabe fo wie es da geſchah aud unter und 
geſchehen koͤnne, bag vielmehr in unferer Werfaflung ein ſolches 
Verfahren wehr Verwirrung hervorbringen würbe als Nuzen, 
mehr Gewaltthaͤtigkeit als Freude, mehr Mißtrauen als Liebe. 
Wer laßt uns, was babei nur zufällige, Geſtalt war, nicht ver⸗ 
wechlehe mit vem Gejß und der chiumung, bie dabei thätig war. 


466 


Wir Kamen’ es it Ihagmen, unſer Leben in Chüiſto dein 
gemeinfums Teben. Haden wir md ihm ganz ergeben, fo muß 
audy-uh8 einander alles gemein fein; fa es giebt eine innere 
Korhwendige und unter der jedesmal fchitktichcen Bu 
Ralt-auch wirkliche Semeinfhaft der Güter überall, 
wos 23 nur Ehriften giebt, und wir werben ſchen, erfilich 
wie dieſezZGemeinſchaft aus dam Geiſte bed SHriftews 
thums felbft-aTd ein Inneres Beſtreben, als eine Ge 
finnung hervorgeht, und zweitens wie: fie auch aͤußer 
's im eben erfcheint. | 


I“ , L 


Wenn man’ fragt, wad das Wert, Die Ehriften follen alles 
gemein haben, für einen Sinn haben kann und ſoll, was doch 
das allgemeine und befteßende fein Adnne bon einer ſolchen Eins 
tichtung, die doch, wie und die Geſchichte lehrt, ſo bald wieder 
vergangen iR: fo haben wir nur zuräffgugchen auf das, was 
wir ats daB innere Weſen des Chriſtenthums, die fromme goͤtt⸗ 
liche Sefinnung mertennm. Worauf anders kommt es 
an, ald darauf, daß der Menſch fi mit allem, was er 
ift und hat, hingebe, weibe: dem göttlichen Geifte, der 
ih einmal in ihm regt und Beſiz non ihm genon» 
men hat? Unb was wollen wir benn won dieſem Beſiz, von 
dieſer Herrſchaft des Geiſtes ausſchließen, wo ſoll noch ein von 
dieſem göttlichen geſondertes Schem ſtatt figden? Wenn wir ſehn 
auf die Kraͤfte des Gemuͤthes, des Verſtandes, alles deſſen, was 
wir Seele nennen, — koͤnnen dieſe noch ‚regiert werde von ir 
diſcher Eitelkeit, wo in einem Menſchen ber Sch Goktes wohnt? 
Kann er no Prunk treiben mit ˖ den Baben, oder ſie dazu an⸗ 
wenden um ſich dergaͤngliches zu erwerden? oder kann ein ſol⸗ 
ches Gemuͤth fie gebrauchen nach Laune, Waltuͤhr, oder herab· 
wärbigen: zu niedrigen irriſchen Zmwellen? Solan, en Vieh 
ebfere ımb beffere unteren fein muß der Herrſchafrudes geek 


27 


lichen Geiſtes, wie viel mehr bad geringere! XI nicht ber Leib 
mehr, denn die Speiſe, und bie Serle mehr, bean der Leib? Und 
wenn dann fo alles in und bem göttlidyen Geifte hingegeben If, 
alles In und nichts begehrt, als daß dad Reich Gottes kommen 
möge, wad wollen wir dann machen mit Dem andern, was ım6 
alsdann nach der. Verheüßung der Schrift zufallen wird! Se 
lange und die außen Güter noch als etwas erfcheinen,: was wir 
auf eine befondere: Weile ohne Beziehung auf daB höhere beflzem, 
fo lange find wir noch nicht erfüllt mit dem geifligen Leben, fo 
lange hat dieſes noch nicht durchbrungen das irbifche, und wir 
müffen ringen und -fireben, bis aller Unterfchied verſchwunden if. 
So gehören auch fie zum Reiche Gottes, fo tft auch das gerimgfle 
in eine ſchoͤne Einheit gebracht mit dem geiftigen Leben, und ed dient 
diefem zur Erhaltung und Fortpflanzung, zu Schmukk und Zierde. 

Aber dann, was ich fchon erirmerte, ber Geift der uns 
treibt, iſt ein gemeinfamer Geift; er lebt in allen Vruͤ⸗ 
dern in Ehriſto, wie in uns, und ein jcber empfängt davon ſein 
beftinimted Maaß, daß nun in umferm Herzen, beflimmt zum 
Tempel Sotted, wirken fol in Bereinigung mit allen übrigen, 
SR num das innere und bie innerfle Kraft des Lebens in allem 
biefelbige und eine gemeimfame: fo muß ed au das Außere fein, 
und fo zeigt es fih. ft einer, der eines höheren Lebens kheil⸗ 
haftig geworden tft, im Stande, von den Gütern feiner Seele 
etwas für fich zu behalten?‘ Drängt und nicht ‘jede Einficht, zu 
der wir gefommen, jede Wahrheit, bie wir gefunden, file gemein 
zu machen unter den Brüdern? Kann wol eine reine ſchuldloſe 
mır irgend bedeutende Freude des Lebens einer für ſich allein be: 
halten, wird fie wicht ein Iebendiger Trieb in und fe andere 
mitgeniegen zu laffen, und wenn fie noch nicht empfaͤnglich ba: 
fır find, fie zu erheben zu dem geiftigen Beben und hinwegzuſe⸗ 
den über die Heinen Bekiemmetniſſe des Lebens? ' Und’ bie irbis 
ſhen Dinge, und was das aͤußere ift, folte die Kraft haben 
Bine befondere Verbindung für fih zu bilden, abgeſondert von 


48 


der Richtung anſers inneren Lebens? Das iſt nicht möglih! 
m. Fr. So wie bad Gefühl, Nicht ich lebe, ſondern Chriſtus in 
mir”), den Meriegen durchdringt: fo aber auch bad Gefühl, Daß 
wir Glieder find au dem Leibe, befien Haupt Chriſtus ifl, ben 
alles dienen umg **). Und fo wie Bein Theil an einem organi⸗ 
ſhen Leben fagen Tann, daß «8 bie Kräfte des Lebens für ſich 
hat, wie e3 nur durch bie Gemeinfchaft und Mitwirkung ber 
übrigen zum ganzen beficht und ſelbſt zur Erhaltung befichen 
beiträgt, und fo wie auch nur in dieſer Hinſicht Geſundheit flatt 
finden kann, wenn das was empfängt auch giebt: eben fo wer: 
Yen auch wis mit allem was wir find unb haben ein Leib, und 
alles muß und gemein fein! 


Laßt und nun zweitend fehen, wie fich dieſe nothwendige 
Gemeinfchaft aller Dinge unter den Chriſten geflaiten muß. Fre 
lich muͤſſen wir in diefer Beziehung an unfer Thun einen ges 
beren Maaßſtab legen, als an bad ber erfien Zünger bed Henn 
Denn es iſt ein größeres, ein mannichfaltiger fich geſtaltendes 
und fich verzweigenbed Leben, dem wir in ber Gemeinſchaft dei 
Geiſtes angehören. Alſo koͤnnen wir auch mancherlei einzeln 
mehr unterfcheiden, was aber aus einer Kraft, aus einem Geht 
hervorkommt. Wir fehn das Chriſtenthum an als cin Mitte 
zur Erhebung, Erziehung des ganzen Menſchen, und bemerken, 
daß Gott. ihm darin jenen Beruf, ben er ihm bei der Schoͤpfung 
fehon gegeben, in neuer Kraft und einem höheren Maaße gefezt hal 

Als Gott nämlich den Menfchen auf die Erde geſezt hatte, 
übergab er fie ihm, daß er ein Herr werde über alles, 
was lebt und weht. Diefe Hertſchaft verliert ber Menſch— 
wenn er nur der Sinnlichkeit dient, und wiswohl er ben She 
bat, viele um fich auzuhaͤufen und zu behemjchen: fo ‚wird er 


. 7) Bakı 2, 0, ”) Ro 1, 18. 


440 

doch ſelbſt regiert und ſchmachtet in Dienſtbarkeit. Diefe Herr- 
ſchaft des Menſchen über die Dinge ſoll wieder emeuert werben 
durch den Geiſt des Chriſtenthums. Daher ſind, ſeitdem dieſes 
Wurzel gefaßt hat in den Herzen ber Mehrzahl der Menfchen, 
größere, heller gedachte und richtiger auögeführte Anſtalten zu 
Stande gelommen; und jene Herrichaft auszuäben, des ift ber 
Sinn aller unferer Rechte, Anordnungen, Geſeze und unfer. Bier 
ruf, infofern wir einem gemeinfamen Vaterlande angehören. 

As Gott den Menfchen gemacht hatte, erflärte er. ihn 
ſelbſt zu feinem Ebenbilde, zu einem Ebenbilde, welches 
fein Urbild erkennen koͤnnte, und immer mehr folte ſich 
ihm aufichliegen die Erkenntniß feiner Beſtimmung und des Ur 
hebers deſſelben. Aber diefe Erkenntniß verliert der-Menfch im 
Dienfle der Sinnlichkeit. Weil er das alled nur fieht in Bezie⸗ 
hung auf feine flüchtige Erſcheinung, auf fein perſoͤnliches Das 
fein, fo verkehrt fich ihm alles, und mit fehenden. Augen iſt er 
blind, und mit hörenden Ohren iſt er tayb, Diefe Erkenntniß 
und wieder zu verfchaffen, bewundern zu lernen die Güte und 
Macht Gottes, und ed dem Menfchen möglich zu machen, daß «er 
fie erfenne, dad ift der Beruf, inwiefern eine Gemeinfchaft ber 
Einfichten, eine Mittheilung der Gedanken, ein geifliger Verkehr 
der Iehrenden und lernenden unter und flatt findet; und wie 
wollen wir ihn anders erfüllen als durch Gemeinfchaft? 

Aber weder dag eine noch bad andere kann gebeis 
ben, wenn nicht fefigehalten wird die Kraft ded Blau: 
bens und der Liebe, wenn nicht gegen alled, wa6 den Mens 
fchen verführen will von. dem Wege, den er ſchon betreten, und 
ihm trüben bad Licht, was ihm aufgegangen ift, ein Gegenge: 
wicht geſezt wird, eine Stüge, woran er fich halte. Das m. 
Fr., dad iſt die engere Gemeinfchaft des Geiſtes, in der wir. als 
Chriften ſtehen. Hiezu muß und alled gemein fein; alle Dinge 
geweiht zu dieſem Dienfie, der ber einge vernünftige und blei⸗ 
bende Gottesdienſt allein iſt. Wolan, wir erkennen uͤberall die⸗ 

Predigten 1. Ff 


450 _ 


jenigen an, welche in den Angelegenheiten des Vaterlandes Die 
gemeinfame Einficht und den gemeinfamen Willen vertreten, bie, 
welche in der Sorge für unfere geifligen Bebürfniffe dad Ver 
‚trauen baben und die Weisheit und Erkenntniß barftellen; und 
zeir haben gebildet im großen und Pleinen Ordnungen und Ber 
fammlungen unb Wereinigungen zu bdiefem Zweite. Wolan, 
wenn alle Dinge gemein find, fo wird jeder willig thun und 
leiften und geben, was die fordern, welche die Gefeze anwenden. 
Aber wir wiflen auch, daß immer neue Kräfte ſich entwikkeln, 
immer neue Einfichten aufgehn, und daß immer deutlicher ein- 
leuchtet, was gefchehen muß zur Erhaltung unb Verbreitung ber 
Kraft ded Geiſtes. Wo und die Stimme des Geifted entgegen 
fommt, da muß auch der Geift über und gebieten, und unfer 
Gaben muͤſſen gereicht werden, fo bald er fpricht, fei ed in um, 
ſei es in andern; und jeber foll nicht warten, bis er aufgefordert 
wird zu geben; er fol ſelbſt kommen und bringen, wo «8 nad 
feinem Gefühle fehlt und noth thut; er fol felbft auffordern, und 
was einem jeben aufgeht von guten Gebanten, es foll mitgetheilt 
werben, und jeber hat das Mecht Anfpruch zu machen auf diefe 
Theilnahme an der gemeinfamen Angelegenheit. Das iſt die 
wahre Gemeinfchaft aller Güter, daß alle, wenn ber Geiſt fordert, 
“woher auch feine Stimme ertöne, Kräfte und Einſichten, Außer 
und innere Habe bingeben. Und wenn diefe Gefinnung in uns 
lebt, dann wird, wie fich auch aͤußerlich die Angelegenheiten ge 
flaiten, diefe Sefinnung erfcheinen als bad wahre Leben allen, in 
denen ber Geift berricht. 

Sollen wir und nun fragen, ob fie flatt findet diefe Gefin: 
nung? DO, m. Fr., e8 wäre wol beffer zu ſchweigen. Könnte 
fonft wol dem Vaterlande fo oft verfagt fein, was es fordern 
Ponnte, die Klage fo allgemein erhoben werben, baß viele, was 
fie erft der Gewalt geben, nicht auch und lieber der Bernunft 
geben wollen, der Gem Pſchafſt des, der allein alles ‚erhalten und 
wiedergeben kann? ums wenn die Rede ift gu verbeſſern die ge: 





- 458 


meinfamen Anflalten, könnte die Scheu bo groß fein in Anſpruch 
zu nehmen bie Seit, Kräfte, ben Willen, dad Bermoͤgm der ch 
zeinen, weil fie nicht geneigt find ein Opfer. yı bringen? Usd 
wir duͤrfen nicht jagen, es fei Mangel Schmid davan. Es if 
mit biefer Noth nicht größer, als wenn im ber Zeit des Mangels 
die Güter ber Erbe in Speichern .aufgehänft sverben, damit fie 
wuchem koͤnnen für fi. So fehlt es nicht am Zeit,. an Muße, 
Kräften; aber «8 fehlt au dem Geifle, der fie gem. beraußgicht. 
Bere früher Die Menfchen in eigenmuͤzigem felbfifichtigem Be 
firebeu vieles für ſich aufgehäuft Hatten, fo pflegte is ben Icyter 
Etunben über fie zu konmen Beue, und ſich ſchaͤmend legten fie 
alles oder einen Theil in bie Hände bexer, vom benen fie glaub⸗ 
ten, daß fie es im Dienſte des Geiſtes verwenden witsrben. Auch 
tiefe Beifpiede ſind erſtorben; auch dies erſcheint nicht mehr, bag 
die, welche Abſchied nehmen von der Erde, noch einen wohlthaͤ⸗ 
tigen Blikk werfen auf die Angelegenheiten des Vaterlandes. 
Aber wenn fo der Geift das tiefe Werderben der Gemuͤther fieht, 
fo pflegt er audzurufen in der Schrift, Kindblein, es ift bie lezte 
Stunde gelommen. M. Fr., das können und müflen wir uns 
auch fagen, Es iſt die legte Stunde gelommen, wo wir nicht zus 
ruͤkkkehren in jene geiftige Gemeinfchaft aller Kräfte und aller 
Dinge. M. Fr., es iſt eine furdtbare Begebenheit, die wir im 
Berfolg diefer Geſchichte in der Erzählung des Lukas leſen von 
einem, der dem Vorſaze fich hinzugeben dem Geifle ungetreu ges 
worben, und als ber Apoftel ihm firafend fagte, Du haft nicht 
Menfchen, fondern Gott gelogen, da fiel er nieder zu feinen Füs 
Gen und gab ben Geift auf. Aber ed ift eine Geſchichte, bie ſich 
‚täglich wiederholt, wenn wir ber Gemeinfchaft des Geiſtes eini⸗ 
ges entziehn; auch wir werden fierben, wenn wir dem Geifte luͤ⸗ 
"gen; er aͤußert fich laut genug, und Feiner iſt, der nicht aner⸗ 
kennt was noth thut, und wenn wir gleichwol nicht thun, was 
er gebietet, wem mit ber Einficht die What, mit dem Sinn das 
Wort nicht übereinflimmt, fo lügen wir unb werben deſſelbigen 
" 82 


452 


Lodes Rerben. Und alle die find ſchon geſtorben, bie nicht darin 
leben. Wie viel fie auch zufammenhäufen und aufbauen vom 
den Gütern diefer Welt: eb iſt damit, wie mit den alten wun⸗ 
derbaren Gebäuben, worin man vergebens einen Zwelk und eime 
nuͤgliche Beſtimmung ſucht, und wo man in ber Ziefe endlich 
nichts findet als ein Grab. Und alle jene Speicher und Beſizun⸗ 
gen, wenn fie nicht ber Gemeinfchaft gehören, es iſt nur ein 
Grab, und bie Art wie ed gebraudyt wirb zeigt, daß ber Geifl 
darunder begraben liegt. So laßt und dem Tode entrinnen und 
der Stimme bed Geiſtes folgen, laßt und fleißig uns vorhalten 
dad Bild des geifligen Lebens, damit ed befiege die niebere An: 
haͤnglichkeit an bie Dinge biefer Welt; laßt und zuruͤkkkehren in 
jene Zeit der chriftlichen Liebe und Gemeinfchaft, damit von umb 
gefagt werden könne, daß auch wir zu benen gehören, berer Ban 
bei it im Himmel! Amen. 


IX. 

Die Belehrung des Apofteld Paulus ift uns 

geachtet ihres wunderbaren ein Beifpiel von 

der einzig richtigen Art, wie der wahre Glaube 
im Gemüth des Menfchen entſteht. 





Ueber Apoſtelgeſch. 9, 3— 22. 





Am 9. Sonntage nad Krinitatie. 


Text. poftelgefh. 9, 3 — 22. 

Und ba er auf dem Wege war unb nahe bei Damab- 
eus kam, umleuchtete. ihn ploͤzlich ‚ein Licht vom Himmel. 
Und er fiel auf die Erbe und hörete eine Stimme, bie 
ſprach zu ihm, Saul, Saul, was vesfolgefl bu mich? Er 
aber ſprach, Here, wer biſt bu? Der Herr ſprach, Ich 
bin Seins, den bu verfolgfl; es wird bis ſchwer werben, 

_ wider. ben Stachel zu loͤkken! Und er ſprach mit Zittern 
und Zagen, Herr, wad wilft du, daß ich thun fol} 
Dex. Here fprach zu ihm, Stehe auf und gehe in bie 
Stadt, da wird man bir fagen, was bu thun ſoullſt. Die 
Männer aber, die feine Gefährten waren, flanden und 
warm erflart; denn fie hörsten eine Stimme unb faher 


' 





454 


niemand. Saulus aber richtete ſich auf von der Erde, 
und ald er feine Augen aufthat, fahe er niemand. Sie 
nahmen ihn aber bei der Hand und führeten ihn ger 
Damadcud, und war drei Tage nicht fehenb und af nidt 
und trank nicht. 

Es war aber ein Zünger zu Damadcus mit Nam 
Ananiad, zu dem fprach der Herr im Geficht, Anania! 
und er fprady, Hier bin ich Herr! Der Herr Iprad zu 
ihm, Stehe auf und gehe hin in die Gaffe, bie da her 
Pet die wichtige, und frage bt dem Haufe Jadaͤ mh 
Saulo mit Ramen von Barien, denn fiche, er beiet. Und 
bat geſehen im Gefichte einen Mann mit Namen Ananizs 
zu ihm bineinfommen und bie Hände auf ihm legen, daß 
er wieder fehend werde. Ananlas aber antwortete, Hen 
ich habe von vielen gehöret von diefem Wanne, wie vie 
übelö er deinen Heiligen gethan hat zu Serufalem, und 
er hatte allhier Macht von den Hohenprieftern zu binden 
alle, die deinen Namen anrufen. Der Herr Iprad pa 
ihm, Gehe hin, denn diefer if mir, ein ausermählte 
Ruͤſtzeug, daß er meinen Namen trage vor den Heide 
und vor den Königen nnd vor den Kindern von Iörad. 
Ich will ihm zeigen, wie. er leiden muß um meines N 
mens willen, Und Ananias ging Yin und kam in be 
Haus und legte die Hände auf ihn und ſprach, Lieb 
Bruder Saul, der Herr hat mich gefandt (dev dir erſchie 
nen if auf dem Wege, da du herkameſt), daß bu wiet 
- fehend und mit dem heiligen Geiſt erfült werdeſt. Un 
alſobald fiel e8 von feinen Augen wie Schuppen, IM 
er warb wieder fehend, und fland auf uub ließ ſich tau 
fen und nahm Gpeife zu fi amd flaͤrkte ſich. Saulus 
aber war etliche age bei den Juͤngern zu Damascus. 
Und alsbald predigte er Chriſtum in den Squlen, dei 
berfelbige Gottes Sohn ſei. Sie entfegten Ma aber ol 


455 


bie es höreten, und fprachen, Iſt das nicht, ber zu Jeru⸗ 
ſalem werflörete alle, die dieferi Namen auriefen, und da: 
rum berfommen, daß ex fie gebunden führe zu den Ho⸗ 
benpsieften? Saulus aber ward je mehr Eräftiger und 
trieb bie Juden ein, bie zu Damascus wohneten, und 
bewährete ed, Daß diefer ſei der Ehrifl. 


M 0. Fr. Die Belehrung des größefien der Apoſtel, deren 
Geſchichte wir in dem eben verlefenen Abfchnitt vernommen ha⸗ 
ben, fehen wie von fo vielem äußerlich Wunderbaren begleitet, 
daß wir leicht in Gefahr find unfere Aufmerkſamkeit davon mehr 
ſeſthalten zu laſſen, als von dem, was bad weſentliche in dieſer 
wichtigen Begebenheit if, nämlich ber innern Entſtehung jener 
Ueberzeugung, welcher von nun an der Apoftel fein Lebelang bis 
in den Tod, den fie ihm brachte, getreu blieb. Damit wir aber 
auf folche Weiſe des großen Vortheils nicht verluftig gehn, biefe 
wunderbare Umwandlung feines Sinnes auch für unfer inneres 
deden zum Vorbilde nehmen zu Eönnen, fo laßt und zufehn, wie 
jenes wunderbaren ungeachtet der Ayoflel uns ein 
Beifpiel fein Bann von der einzig richtigen Art, wie 
der wahre Lebendige Glaube im Gemüth des Men: 
(hen entfteht. Um bied deutlicher zu machen, wiß ih an 
dreierlei erinnern: erſtlich, daß ed der Herr ſelbſt war, deu 
nit dem Apoflel redete, zweitens, daß der Apoflel er 
griffen wurde non der lebendigen Kraft ded Evan 
geliums, Die er fhom überall um ſich her wirtfam fah, 
und drittens, bag er in bemfelben Augenblikk aud ſchon 
im voraus erkannte und fich darein ergab, was er 
ſelbſt um des @vangelii willen wärde zu leiden haben, 


Zuerſt, um durch Dad Außerlich wunderbare nicht Irre ges 
führt zu werben, laßt und ald das mefenttiche feſt halten, daß 


466 


ed der Erloͤſer felbfi war, der mit dem Apoftel redete 
So naͤmlich ſtellt der Apoſtel auch anderwaͤrts, wo er aus ber 
Geſchichte ſeines Lebens erzaͤhlt, ſo auch, wo er von ber Aufer 
ſtehung des Herrn ſpricht, dieſe Begebenheit vor. Unter denen, 
welchen ber Herr ald erſtanden erſchienen war, zählt ex auch ſich 
felbft auf. Darum müflen wir dieſe WBegebenheit eben fo be 
trachten, wie jene Unterrebungen, die in den Tagen ber Auferfle 
bung der Herr mit ben übrigen Simgern hatte. Da wirb uns 
aber nun fo deutlich, daß nicht durch bad wunderbare in feiner 
Wiedererfcheinung er fie bewegt habe nody lebendiger bie früher 
vorgetragenen Wahrheiten anzunehmen, fonbern vielmehr, daB er 
felbft bemüht geweſen bie Einbrüffe deö wunderbaren zu min: 
dern, unb ſich ihnen als ben alten darzuftellen, daß er Dagegen 
noch deutlicher als fonft ihnen die Schrift eröffnet und gezeigt, 
wie fich alles fo Habe begeben müflen. Durch Gewalt der Gründe, 
durch die Kraft der Wahrheit, durch die Darftellung bed innern 
Zufammenbanged in den ſich beftätigenden und immer erveritern 
den Weiflagungen Gottes, dadurch fudyt der erflandene ſich fehl 
zu ſezen in ben Gemüthern feiner Jünger und auf eben bie 
Weiſe wird er nun auch innerlich wirkſam geweien fein bei der 
Umgeftaltung und Belehrung feines auderwählten Ruͤſtzeuges. 
Richt lange darnach verfündigte auch Paulus fchon, dag Jeſus 
fei ber Sohn Gottes, aber nicht, weil er ihm auf eine wunder: 
bare Weiſe erfchienen fei, auf eine übernatürliche Art alle Zwei: 
fel in ihm auögetilgt habe; fondern mit. ber Kraft der Schrift 
Drang er ein und bewies, daß Jeſus fei ber Chriſt und Sohn 
Gottes. Drei Tage lang waren feine Augen verfchloffen gewe⸗ 
fen, hatte er nichts zu fchaffen gehabt mit den Dingen ber Erde, 
fondern in flilem Nachdenken überlegt, verglichen bad alte und 
neue: — Da field ihm von ben Augen wie Schuppen, ba ver: 
ſtand er jenes himmlifche Licht, welches ihn umleuchtet hatte, 
und er ging bin in der Kraft deö Glaubens ben zu verkuͤndi⸗ 
gen, ber fi auf diefe Weiſe feiner großen Seele bemaͤchtigt 


467. 

halte. Daher boͤnnen wir. wol nicht anders als annehmen, daß 
jene Grfbeinung zwar eime Weranlaffung geweſen bie göttliche 
Wahrheit dem Apoſtel verht nahe zu bringen, daß aber biefe 
göttliche Wahrheit nur. durch ihre eigene Kraft. se 
ſiegt habe in feinem Gemuͤthe. 

Und fehn wir zuruͤkk auf die Gefchichte unfexed eigenen pr” 
ben3, fo werden wir geſtehn mäflen m. $r., daß und etwas aͤhn⸗ 
liches begegnet fei. Ben Kindheit an werben und bie Wahr: 
heiten vertündigt und vorgehalten, weiche die heiligen Gegen 
flänbe unſers chriſtlichen Glaubens find. Warum üben fie wicht 
gleich die Kraft aud auf unfer Herz? warum find wir lange 
gleichguͤttig gegen fie, bis ſie plözlich und wunderbar und ein 
leuchten? Die Wahrheit bebarf einer. Außerlichen Weranlaflung; 
fo lange biefe fehle, if ihre Kraft auf den Menſchen tobt, and 
bad fehende Auge blinb gegen bad göttliche Licht, und das hoͤ⸗ 
rende Ohr vernimmt nicht bie Stimme bed Herm. Aber ed fin 
bet fich überall in dem Leben eines jeden für das gute und ewige 
empfänglichen Menfchen, es findet fich ein Augenblikk, wo bad 
innere und äußere zufammentritt oft. auf eine unmerkliche und 
boch wunderbar wirffame Weiſe; oft nichts anderes, als DaB, 
was fchon früher uns entgegen getreten war, übt nun größere 
unerwartete Wirkungen auf und aus; aber was biefe Wirkungen 
im Grunde hervorbringt, ift die göttliche Wahrheit, und nicht 
um dieſes und jenes Umſtandes willen glauben wir, ſondern wir 
glauben, weil wir im innerflen ergriffen find und durchdrungen 
von ihrer Kraft. 


u. 


Der Apoſtel wurde ergriffen von. jener leben bis 
gen Kraft des Evangelii, bie er ſchon überell um 
fi her wirkſam ſah. 

Daffelbige, was bei einer andern Gelegenheit ſein großer und 
weiſer Lehrer bedingungsweiſe aufſtellte, wenn er ſagte, Wenn 





das Werk aus Gott iſt, werbet ihrs nicht yerfähten.*), daſſelbige⸗ 
nief jezt ber Griöfes nicht mehr bebdingunigeweiſe, fenberm im 
Zone ber Gewißheit ihm zu, denn das iſt ber Ginn der dem 
Ten. Worte, Es wirb bir ſchwer werben wiber ben Stachel äh 
Een, fchwer dich meiner Kraft zu wwiberigen, ber alkwaitenden 
und alles leitenben. ben biefe höhere Kraft, dieſes fich regende 
Beben ber neuen Lehre hielt ihm der Erlöfer vor. 

Was nrußte fich dabei feinem Gemüthe nicht alles Barfel: 
Im! Er hatte gelebt in ber Hauptflabt bed juͤdiſchen Walls; 
auch zu feinen Ohren war gebrungen bad Gericht von den Fort: 
ſchritten ber Lehre Jefu, daß taufend umb aber tawjend Seelen 
_ geroonnen waren und hinzugethan zu ber Gemeinde ber Chriſten; 
er felbft war Zeuge und mehr ald Zeuge geweſen bei bem Tode 
des Stephanus und alfo aud Zeuge von ber himmliſchen Straft, 
die fich in feinem Tode verflärte, und feit langer Zeit hatte ibe 
fein Eifer für das alte Geſez umbergetrieben, und auch außer 
halb des juͤdiſchen Landes wollte ex die WBelenner Chriſti auf 
fuchen, um fie den firafenden Händen zu überliefem. Die Kraft 
tonnte ihm nicht entgehen, womit das Evangelium ſich verbrei⸗ 
tete; ce mußte es fühlen, wie ex felbfi in feinen Beſtrebungen 
für das alte Geſez unwirkſam umb obnmädhtig erſchien, und aus 
fo mandyen Erfahrungen, bie ihn fehon früher erfehüttert hatten, 
aus dem Verklagen und Entfchuldigen der Gedanken unter ein⸗ 
ander **), aus dem Schwanken, wovon ſich gewiß fchen früher 
Spuren im feiner Sede gezeigt hatten, daraus bildete ſich dann 
die richtige Anficht der Sache, daraus entſtand der ſeſte Glaube, 
Der nun auf immer in ihm wohnte. 

Und eben fo m. $r., nicht anders, als auf diefe natürliche 
Beife geſchicht es, wenn auch wir überzeugt werben von ber 
-Keaft- des göttlichen Geiſtes. Zwar giebt es von Zeit zu Zeit 
Menſchen, welche wie der Apoftel durch wusberbare Erſcheinun⸗ 





y Apoftelgeſch. 5, 84 — 89. 0) m. D, 16. 


geu gerwormen weiben für eine Bieinumg — c& bleibe unentichie: 
ben, wie oft es Wahrheit fei, wie of: Zäufhung! — allem - 
genawer detrachtet werben wis finden, daß foldhe Monſchen ehe 
gefangen werben, als erleuchtet. Selbſi wenn es Wahrheit if, 
was fie ergriffen, fo meinen fie leicht ein ausſchließliches Recht 
barauıf erworben zu haben, und indem fie baven ausgehn, daß 
die Abrige. Menfhenweit unfaͤhig fei jener ‚höheren Erkenntniß, 
wähnen fie anf fih und wenige ihreögleichen befhränkt dab Ser 
ben des Herrn. 

Aber m. Fr., was ſich des fuͤr das wahre und gute ms 
pfanglichen Semtth6 lebendig bemaͤchtigt, wodurch wir gekraͤftigt 
werden zur Erfüllung des göttlichen Willens, was und den rech⸗ 
ten Verſtand giebt für. bad eigenthämliche der GSefinnung, wel 
her die Menſchen ihre Gemüth öffnen muͤſſen, wenn fie Theil 
haben wollen au ben Wegen Gottes, auf denen fie zu ihrer Be: 
fimmung geführt werben follen, dad ift die Kraft des Geiſtes, der 
die Gemeinſchaft befeelt, weicher auch wir angehören wit unferer 
Froͤmmigkeit, das ik bie Macht der Wahrheit, die auch uns 
ergreift aus denen, weiche fehon ergriffen find. Sa, welche Wahn 
heit uns fo theuer iſt, daß wir auch unfer Leben dafix laſſen 
würden, welche Zugend unb Liebe fo feflgewurzgelt im Bewußt 
fein, daß es nur bie Einflimmumg bemit if, wonach unfes Wen 
langen ſich vichtet, daß es mur der Widerſtreit Dagegen if, was 
uns zum Kampf aufferdert,- dad möüflen wie fühlen als den 
waltenden Seiſt ber Gottheit, als bie regfame Kraft, die in dem 
beffern Theil der Zeitgenoffen Icht, und dies Gefühl if lebendi⸗ 
ger Glaube, iſt unumftöpliche Ueberzengung, und jeder gewinnt 
fie fo and nicht anders, wie der Apeſtel. Endlich 


III. 


Mit der Ueberzeugung, mit dem Glauben zugleich 
gewann ex auch die Einſicht in alles, was er würde 
um derſelben wiiten zu leiden haben. . Denn. ald der 


Herr dem Yünger Ananlas erſchien, um darch Ihe: des Avoſteit 
Belehrung zu vollenden, und jener ſich welgette, ſprach der Her 
Gehe hin, denn dieſet iſt mir ein’ auserwaͤhltes Stüflgeng, weinen 
Namen zu verkünden, und ich will ihm zeigen, wie viel «x la: 
den wird um meine Namens willen. Freilich ſehn wir das 
nicht felten, daß ſchwaͤrmeriſche Menſchen fich ſaſt dazu Drängen, 
für die Meinung, bie fie auf eine wunderbare Art gewonnen zu ba: 
ben glauben, auf eine kuͤrzere Zeit und eine in die Augen fallende Ars 
alles mögliche zu leiden und zu dulden; Die ganze Welt ſcheint 
ihnen im Wiberflreit gegen biefelbe, und nicht felten fuchen fie 
den Kampf mit ihr. Aber das war es nicht, was der Herr Dem 
Apoftel zeigen wollte; fondern es waren lange vielfälige Be 
(werben, Entbehrungen und Schmerzen, die ihm bevorſtanden 
auf feinem glorreichen Glaubensgange. 

Se mehr er geeifert hatte für das Geſez, um deſto beuklicher 
mußte ihm von dieſem Augenblikke fein, wie viel herrlicher bas 
Evangelium wäre, als das Geſez, und fo bildete fi denn eine 
Anficht von der allgemeinen Gültigkeit deſſelben für alle Bien: 
ſchen, auf die feine Mitapoſtel erſt durch ihn und feine Thaten 
hingeleitet wurden. Je mehr er vergleichen konnte zwiſchen der 
Gewalt des Geiſtes und zwiſchen jener Gewalt, die über ihm der 
Buchſtabe des Geſezes ausgeuͤbt hatte, um fo deutlicher mußte 
ihm fein, welchen Kampf er würbe zu beſtehen heben zwilchen 
beiden, wie noch Rükfälle vorlommen würben in die alte Sie 
nesart, um fo mehr mußte ex ſich bereit fühlen zum Gtreit mit 
altem, was ihm feindlich. in ben Weg treten wuͤrde, und alles 
dad feibft zu leiden, was er. nach feinem fruͤheren Siam andere 
hatte leiden machen wollen, bereit -auch zum Streite mit den 
ſchwachen, mit denen, welche die Wahrheit noch nicht fefthielten. 
Und diefen Streit, wie treu hat er ihn geführt, wie iſt er nie ge: 
wichen von dem Wege, auf welchen ihn des Herr geleitet! Und 
welche Lebendigkeit der Ueberzeugung gehört dazu, ſchon am An: 
fang der Laufbahn fi das alles fo deutlich vor Augen ſtellen 


404 


gu Wunen? Aber eben dadurch unterfcheibet' fi) bes Held des 
Glaubens, Died war das aigenthümliche des Apoſtels, ber mehr 
that zur Ausbreitung bed Evangelii ald alle übrigen zufammens 
genommen. | 
Aber ih das nicht auch füreinenjeden unter uns das 
zichtige Kennzeichen der reifen in fich-felbfl gegründe 
ten Ueberzeugung? Auf ber sinen Seite müflen wir bie Kraft 
der Wahrheit fühlen in ihrer begeifternden Fülle, aber auf ber andern 
kann dem wahrhaft gläubigen nicht entgehen, wie-vieles fich dieſer 
Kraft widerſezt. So wie ber, welcher ſich wendet vom böfen 
zum guten, je tiefer ex fiehet in das innere bed Hergend um befio 
geroiffer auch ſich vorausfagt, Daß er. noch manchen Kampf werbe 
zu beleben haben, noch oft zuruͤkkſinken in die gewohnten ſuͤnd⸗ 
lichen Neigungen, bis allmäplig. aus biefen Kämpfen bie fefte 
Zugenb hervorgeht: eben fo muß auch bes, ber die Wahrheit in 
fi fühlt und ſich ald Werkzeug fie audzubreiten, um fo beutlis 
cher einfehn, welchen Streit er zu führen haben werbe mit dem 
Irrthum, wie fchwer ed ihm fein werde zu fiegen über die Vor⸗ 
urtheile, wie oft er werde verfannt werben mit feiner treuften 
Meinung, wie oft Hohn und Spott ernten für Wohlwollen und 
Liebe! Das find die wahren Kennzeichen ber auf dem richtigen 
Wege entflandenen Ueberzeugung, und die äußere Veranlaſſung 
ſchon, die uns öffnen fol für diefelbe, muß die Geflalt des Er 
töfer8 tragen; denn ihm allein ift Gewalt gegeben über alle Men⸗ 
fhen, und auf ihn muß daher auch alles was in ihm und durch 
ihn gefchiehet zurüffgeführet werden. Weil er der allgemeine 
König und Herr ift, fo muß der Menfch, der zum lebendigen 
Glauben an ihn gelangt, auch feine- Kraft und feine Herrlichkeit 
erfennen und fühlenz feine Kraft, wie fie fich regt in ihm, und 
fein Reich, wie es begriffen ift im Kommen. Aber auch bad muß 
die wahre Ueberzeugung zugleich mit fi führen, baß fie fieht 
den Streit, welchen die Wahrheit zu beſtehn hat mit ben weltlis 
chen Serthümern, und ber Menſch muß inne werben, daß es 


262 


einen andern Eingang giebt ind Reich Gotteß, als durch Zrüb 
Tal, und daß ber, weldyer dem Heren angehören und ihm felgen 
will, auch fein Kreuz auf fich nehmen muß. Wer fo zur Ein 
fiht gelommen ift, der ift innerlich durchdrungen von ber goͤttli⸗ 
chen Wahrheit, in dem hat fich der Geiſt verherrlicht, und ein 
fofcher Anfang ift der Anfang eined dem Seren geweihten Lebens; 
treu wird ber fein mit dem ihm anvertrauten Pfimde; aber ad 
eben fo wenig wie der Apoftel einen großen Werth legen auf di 
Beranlaffung, welche der Umgeftaltung feine Sinnes vorange 
gangen ift; fondern überall diefelbige Kraft anerkennen, bie ba 
unter diefer bald unter jener Geſtalt ſich an den Herzen der An 
{hen bewährt als die, die tiber alles fiegend und herſchend ia 
ihnen wohnen foll; und fo wird er mit feinen Gaben und Krik 
ten nicht dem irbifchen dienen, fondern nur bem ewigen, und 
zeitlebens den Herrn preifen mit Worten und mit der That & 
ned ihm allein geweihten Lebens. Amen. 


x | 
Ueber den Werth und Lohn folcher guten 
Werke, die noch nicht aus dem vollfommenen 
Glanuben entfpringen. 


Urbes Apoſtelgeſch. 10, 4— 6. 


Am 10. Sonntage nad Zrinitatis. 


Tert. Apoftelgefh. 10, 2— 6. 

Er aber fahe ihn an, erfchrat und ſprach, Her, 
was iſts? Er aber fprach zu ihm, Dein Gebet und 
deine Almofen find hinaufgekommen in dad Gebächtnig 
vor Gott. Und nun fende Männer gen Joppen und 
laß fordern Simon mit dep Zunamen Petrus, welcher 
ift zur Herberge bei einem Gerber Simon, be Haus 
am Meer liegt, der wirb bis fagen, was du thun ſollſt. 


©. m. Br. begrüßte ein göttlicher Bote jenen roͤmiſchen Haupt 
mann, welcher der erfte unter den Heiden gemärbigt wurde das 
Evangelium Jeſu anzunehmen. Vielfaͤltig ift unter den Ehriften 
barüber gefiritten worden, welches wol fein Türme der Werth und 





464 


dad Verdienſt guter Werke vor Gott, und zwar um fo mehr, j 
mehr aud) vieles, was nur äußerlich gut genannt werben fan 
unter biefen Namen begriffen wurde. Das natürliche fromm 
Gefühl des Herzens findet die Enticheidung leicht in jenen Bor 
ten der Schrift, Die Werke ohne Glauben find todt *). Ben 
dasjenige, was ber Menſch äußerlich in der Welt thut, nichts ij 
ald der Ausdrukk einer frommen Sefinnung, und das ift ed, wei 
wir unter Glauben verftehn, dann hat ed einen Werth vor Gott; 
denn biefer beruht auf der Sefiunung ald der Quelle der The 
ten; geben Veranlaffungen und Gelegenheiten, welche fie heror 
rufen, geben die Kräfte und Gaben, welche fonft der Herr ver 
lichen hat, diefen Thaten ihre Geſtalt, den Werth erhalten fie nu 
durch die Zreue, den Eifer, womit wir fie vollbringen. Bi 
glänzend es fei, was wir thun können, wie viel Ruhm und Ehe 
ed bringe, ed hat keinen Werth vor Gott, wenn ed nit her 
rührt aus dieſer Quelle eimed reinen Herzens; jebe andere Quelle, 
fei es Eigennuz, Eitelkeit, fei es die leichte Beweglichkeit eines 
unftäten Gemuͤthes, jebe andere Quelle der menfchlicyen Hand⸗ 
lungen. macht, daß ihr Werth vor Gott verfchwindet. Aber jenen 
Glauben, jene fromme Gefinnung und Treue bes Herzens heit 
wir an ben Namen bed Erlöferd. Darum fcheint es, als wuͤrde 
und bier nody ein anderer Maaßſtab vorgehalten; denn ber fromme 
Römer, von welchem unfer Text fpricht, war noch nicht aufge 
nommen in die Zahl der gläubigen, und fein Herz nod nid 
thellyaftig der heiligen Wahrheit. Dennoch wird von ihm ge 
ſagt, Dein Gebet und beine Almofen find hinaufgefliegen in de} 
Andenken vor Gott, und ein Werth wirb ihnen zugefchrieben, 
welchen bie göttliche Belohnung nachfolgt. Laßt uns auf Be: 
anlaffung diefer Erzählung nachdenken über den Werth und 
Bohn der guten Werke vor Gott und zwar aud lol 
her, in denen, weil fie noch nicht aus bem Glauben 


ö — — NEE 


) 300 2.17. 0, 06 - 


hervorgehen, noch mandes unvollfommene und irrige 
Ratt finden muß. Baffee und aber zuaft fragen, worin 
diefer Werth befiche, und dann zweitens, welches ihr 
wahrer Lohn fei. 


Was erfllih den Werth der wen auch noch unvolllomme⸗ 
nen guten Werke vor Gott betiifft, m. Fr., fo befieht er da 
rin, daß fie hervorgehn aus einem nach göttliher @w 
leuchtung fi fehnenden Herzen. So müflen wie uns 
benienigen denken, den unfer Xert und aufflelt. Geboren in ber 
Finſterniß und Sorgloſigkeit bed Heidenthums, hatte boch die 
Nähe eined Volkes, weiches ſich befonderer Dffenbarungen rühmte, 
die Nähe jenes Heiligthumes, zu bem bie gläubigen aus weiter 
Ferne in Andacht und Frömmigkeit gewandelt kamen, der Ernſt 
ber gottesdienſtlichen Gebräuche, die Strenge der Sitten und 
Zorberungen an den Menfchen, bied alled hatte in ihm hervor 
gebracht ein inniges Werlangen, eine Sehnſucht nach einem befs 
fern Zuflande, als in welchem er fich befand, wenn glei noch 
nicht nach einem beffern, als welchen er um fich ber ſah. Aber 
weit fie aus dieſer Quelle kamen, hatten feine guten Werke, wie 
unvolllommen fie auch waren, dennoch Werth vor Gott. 

Wenn wir und zuerfl fragen, wie bangen mit dieſer Sehn⸗ 
fucht des Herzens die guten Werke zufammen, welche an biefem 
frommen Wanne gerühmt werben, fo wirb und, ba zweierlei ges 
nannt wird, Gebet und Almofen, bie Antwort nicht fchwer 
werben. Sobald in dem Menfchen ein Gedanke auffleigt und 
ein Verlangen nach einem beffern Zuflande; fobalb ihm das Stres 
ben nach ben Gütern biefer Welt und die Art der Befriedigung 
durch dieſelben nicht mehr genügt: fo entflehen zugleich dunkele 
Borfellungen von höheren Mächten, benen alles unterthan fein 
ſoll, wad unter ben früheren nicht mehr flehen will, und es fehnt 
ſich das Herz, zu ber geahndeten Macht ſich zu erheben, und em 

Prediaten L Gg 











baut in dem Herzen felbft einen Altar. dem ımahelaunten Gotie 
auf weichem geopfert werden Miebeie, Mhräuge und Gewfier. D, 
u. Fr., wern in diefen Wesfidiungen von: Gott nad nicht jest 
Liebe ift, die alle Furcht austreibt, wenn er noch wicht ba if 
jener Eindliche Geift, der alles in dem einen Ausdrukk umfaft, 
Lieber Vater: fo find diefe Gaben, Gebete und Opfer boch wohl 
gefällig vor Gott, dem fie druͤkken bie Neigung aus fih über 

das irdiſche zu erheben; fie find Grgüffe der Sehnſucht mac hi 
herex Erleuchtung. Zeichen, daß bie Sede in ſich fucht den Gett, 
ben fie fo. gem finden usschte. | 
Und eben fo, menn dem Menſchen nicht mehr geniigt, was 
« zu thun pflegt für fein irdiſched Wohlergehen, und wenn er 
fie nicht mehr deſſen zu rühmen weiß, was es zu biefem Zwelle 
gethan um fich erhlikkt, noch feine Vortrofflichkeit darnach abyu 
meflen, weil wicht alle feine Kraft darin aufgeht: fo ſehnt ex ſich 
nach einem Felde ber Wirkſamkeit für die noch übrige Kraft, die 
in ihm wohnt. Und wenn er dann noch nicht bad Eine fast, 
was noth thut, wenn er. feine Kräfte noch nicht dazu gebrauchen 
kann die Menſchen dahin zu führen, wo er ſelbſt noch nicht iß, 
wenn es ihm weniger fehlt an Luſt, als an Kraft und Einſich: 
fo regt ſich doch mit dieſem Beduͤrfniß zugleich bie Liebe gegen 
die Brüder, welche die Selbſtſucht unterdruͤkkt; und wenn er bad 
höhere gute ihnen nicht geben kann, was er noch fucht, fo iſt es 
doch loͤblich, wenn er das gute, was er ſchon gefunden, auch I 
ter fig vertheilen will. Dann entbehrt ex, entzieht ſich von fer 
nem Rergnuͤgen, entſagt ber Ehre, ben Lokkungen ber Walt und 
wendet einen Theil feiner Zeit, feiner Güter und Kräfte en, 
Wodlthaͤtigkeit zu üben unter feinen Bruͤdern. Wenn biefe bar 
auch noch nicht iſt die erleuchtete ber Chrißen, die iu göttlichen 
Sjun geübt wirb, und welche auf die Sichenhet des Zewegung® 
grades fi ſtuͤzend auch Strenge üben Zaun gegen ben Zirait! 
wie gegen ſich felhfl; wenn es auch Dad. Auſehn hat, «ld. weil 
dad, was fie gieht, und wie fie eh giebt, wor. dem, der mar IM 


t 
hr 


”- 


467 

Sei umb In der Wahrkeit verehtt fein will, keinen großen Werth 
haben Tonne: — o, m. Zr. auch dieſe Alınofen, auch biefe Em 
weife ber Eiche kommen doc, ind Andenken ver Bott, weil fie 
Ausfluͤſſe find eined Herzens, in welchen fi, wenn es gebeflert 
if, die Liebe regen Farin, welche in der Kolge bad Band- alles 
Bolldommenheit werden muß. Bo kommen Gaben und Almes 
fen ind Andenken vor Sott, und det Herr, inbem ex ihren Werth 
keunt, laͤßt fie nicht unbelohnt. 


II. 


Dam m. Fr., eben dadurch unterſcheiden ſich bie bloß Aus 
ferlich guten Werle von denen, welche im aͤußern ihnen zwat 
aͤhnlich find aber das voraus haben vor denfelgen, bag ber Sinti 
des Menſchen dabei nicht gerichtet iſt auf eine Belohnung ber 
Weit, bie in zuruͤkkgezogener Demuth nicht beachtet fein wollen, 
fondern bei denen nach jenem Sinnſpruch des Erlöferd die linkt 
Hand nicht weiß, was bie rechte thut; dadurch unterſcheiden 
ſich jene von dieſen, daß jene leer und fruchtlos bleiben, dieſen 
aber lohnt der Herr, und wie es ihnen gebuͤhrt, auf eine nicht 
irdiſche Weiſe. 

Denn nachdem der himmliſche Bote ſeinen Gruß vollendet 
hatte, fo fügte er hinzu, Schiffe hin gen Joppen unb laß zu 
dir rufen Simon Petrum, der wird bir fagen, was bu thun 
fon. Fuͤr das Herz, das füch fehnt nach einem feſten Grund 
des GSlaubens und Lebens und in diefer Schniacht bargebrackt 
bat Gebete und Almofen, für biefed giebt es Feine ſchoͤnere Be⸗ 
tohnung, ald wenn einer ihm fagt, was «A thun fol. Aus die 
fer heiligen Sehnſucht muß ſich früher ober fpäter bad heilige 
Licht der Wahrheit und des Glaubens in dem Menſchen entzuͤn⸗ 
den, bei manchen mehr von innen heraus, bei mandyem mehr 
durch Berührung mit foldyen, denen es fchon aufgegangen ik; 
aber auch unter den ungünfligften Umflänben, und wenn auch 
wiete foldye Gaben ohne Feucht dahingegeben find, endlich gelangt 

9 2 


468 


daB Gerz doch zum Ziele, und der göttliche Lohn bed Glaubens 
und der Offenbarung bleibt nicht aus. 

Wenn nun das Urtheil der Menfchen oft kurzſichtig if und 
anficher über den Werth der guten Werke, fo laßt uns fehn auf 
den Erfolg. Wenn bie guten Werke in ber What bazu beitras 
‚gen und dahin audfchlagen, bie, welche fie darbrachten in der 
Dreue und Sehmfucht bed Herzens, zu erleuchten, zu reinigen 
und aufzufchliegen für die Heiligung: dann find fie foldhe gewe 
fen, die Werth haben vor dem Herrn. Aber wenn ein Jahr nad 
dem andern bahingeht bei vergeblichen Gebeten und Almoſen; 
wenn dad Herz auf diefem Wege um feinen Schritt weite 
kommt; wenn Ahndung nicht übergeht in Glauben, Furcht in 
Liebe: dann ift lles Schein gewefen und Taͤuſchung, nur Rad 
ahmung eines umverflandenen oder verſtekkte Eitelfeitz denn bie 
Gebete und Almofen, wenn fie wahren Werth haben follen, mäh 
fen die Frucht des Glaubens tragen. 

Aber, m. Fr., laßt uns nicht über diefen Zuſtand nur 16 
ben als über etwas, was num hinter und liegt; denn wenn wit 
auch nicht mehr fuchen, fondern auf der einen Seite ſchon ge 
funden haben; wenn es und gefagt iſt, was wir thun fol: 
auf der andern Seite find wir doch noch im Suchen begriffen; 
denn die Unveinigfeit und bad Verderben, die und früher vom 
Glauben zuruͤkkhielten, Heben aud) und immer noch an, um 
niemals wirb umfer Leben ganz frei bavon. Darum verliert auf 
ber Glaube unb die Liebe niemald ganz jenes Gepräge ber Sch 
fucht nach dem, was noch fehlt; darum kehren Augenblilfe zu 
ruͤkk, wo wir und noch in ber Achnlichkeit mit jenem frühen 
Zuflande befinden; barım find auch in unferm Leben zicht alle 
Werke reine Aeußerung ber chriftlichen Sefinnung, ſondern mal 
ches, wenn wir auch wiſſen, was recht und gut if, rührt bet 
von einem unvolllommenen Glauben, wie bie Gaben und Ab 
mofen in dem Menfchen, der noch nicht ganz erleuchtet if. 31° 
wird auch die ein Maaßſtab fein, und bamadı, ſo fange MT 


469 


leben, zu ſchaͤzen. Für und alle giebt ed gute Werke, weiche 
herruͤhren aus der Sehnfucht bed Herzens, welches bie Wahrheit 
und dad Gefez des Bebend noch nicht feſt ergriffen hat. Laßt 
und in ihnen eben fo treu fein wie Cornelius, bis ber Herr 
auch und über dad noch dunkle aufklaͤrt; aber laßt und aud) 
ihren Werth nicht anders fchäzen als die Schrift. Was Uebung 
iſt in der Selbſtverlaͤugnung, Ertoͤdtung des irdiſchen Sinnes, 
was wahrhafte Reinigung des Gemuͤths ſein kann, das wird uns 
auch ausſchlagen zur Erleuchtung, und unſere Gebete und Almo⸗ 
fen werden kommen ind Andenken vor Gott. Diele Opfer ber 
liebe, de Glaubens, der Entfagung werben wohlgefällig fein, 
und auch und wird der göttliche Bote erfcheinen, welcher uns 
lagt, was wir thun follen. Bald wird es der Engel fein, ber 
uns eine Erfcheinung vom Himmel zu fein fcheint, bald ber 
Dann im lichten Gewande, die Vorſtellung der menfchlichen Na« 
tur, die immer mehr die göttliche Geftalt annimmt; und wer 
dann gefehen hat und gehört — ber folge treu wie Cornelius 
und zeichne fich ein in die Liſte derer, denen aufgegangen ift bie 
Gülle der Wahrheit, und die darum aufgezeichnet find in bad 
Buch des Lebend. Keiner werbe ungeduldig die Fortfchritte im 
der Heiligung zu fuchen auf dem fchlichten Wege des Glaubens, 
der treuen Webung alles deſſen, woburd wir und auffchließen 
den Himmel, So werden wir und immer mehr nahen dem 
Glauben, der nicht mehr zu kämpfen bat mit ängfllichen Gebe 
ten und Seufzern, der Sehnfucht, der nicht Dunkel und Unvoll: 
tommenheit zuruͤkkbleibt, ber Liebe, der alles leicht wird; das tfl 
dad Bild des chriftlichen Sinnes. und der chriftlihen Vollkom⸗ 
menheit, welches unter Gottes Leitung und Hülfe fich entwilkelt 
aus jedem Herzen, bad Werlangen fühlt nach dem hoͤhern und 
beffern. In dem bleibt bie göttliche Erfuͤllung nicht aus, und ber 
Herr erhoͤrt die Gebete, bie fo vor ihn gebracht werden! Amen. 


’ 





AL 


Wie wir in der Mittheilung geiftiger Gaben 
zu Werfe gehen müffen. 


Ueber Apoftelgefch. 11, 15 — 17. 


Am 11. Sonntage nah Zrinitatis. 


E. war ein weit verbreiteter Glaube unter ben alten rohen 
Poͤlkern, daß die höheren Mächte, unter benen alled flänbe, nei⸗ 
difcher Natur wären, und daß um fo mehr von ihnen zu befor- 
gen fei, je mehr fie die Menfchen zu begünfligen fchienen. Da⸗ 
ber führten die von dem Gluͤkke am meiften erhobenen ihr Leben 
in der größten Furcht; fie fücchteten eben fo bald zu flünen, als 
fie gefliegen waren. Reifere Einficht, welche mit dem Ghriften 
thume kam, zerflörte diefen Irrthum und lehrte in dem ewigen 
Weſen die ewige Güte und Liebe erkennen; aber, m. Fr., wie 
wir auf der einen Seite auch noch fo erleuchtet niemals bie gött: 
liche Natur ganz erkennen: fo giebt ed auf der andern Seite 
such nicht, was fich auch der Menfch über fein Weſen und ihr 
Verhaͤltniß zu demſelben ausgedacht habe, worin nicht ein Grund 
ber Wahrheit enthalten wäre, weil eben dad allen mitgetheilte 
Bewußtſein von Gott es ifl, welches alle ihre Meinungen und 


471 


Infichten in dieſer Hinficht hervorruft. So koͤnnen wir nicht 
üugmen, daß es manches giebt in den Drönungen und der Re 
gierung ber Welt, was jene Vorfticlung veranlafien und einem 
winber esleuchteten Sinne wol beflätigen konnte. - Denn wir 
khen und erkennen es mit Gewißheit: ed giebt für jedes Volk, 
für jedes Gefchlecht, ja, und wir koͤnnen noch tiefer hinabfleigen, 
für die einzelnen felbft nur ein gewiſſes Maaß bed guten, beffen 
fie fcheinen empfängfily zu fein; und wie Got allen Menſchen 
dad Gefühl der Liebe eingegoffen hat, welches fie antreibt mit 
allen eind zu werben: fo fonderte und entfernte er aud) die Men: 
hen von einander durch Gefühle der Abneigung, die und eben 
fo tief wie jene in ber Ratur gegründet zu fein fcheinen. De: 
ber bie wicht feltene Erſcheinung, daß oft in ben liebevollſten 
Beſtrebungen die Wenfchen irre werden, daß fie zweifeln, ob fie 
fih auch nicht vergehen gegen das, was ber Serr befchloffen; 
ımd jened Verbot, die Edelſteine des göttlichen Worts nicht be- 
nen vorzumerfen, bie nichtd damit zu beginnen wiffen, als fie in 
den Koth der Erde zu treten, ftellt fich oft ats ein inneres Hin- 
derniß der ebelften Bemühungen entgegen. Aber weil die Mit: 
theilung ded wahren guten der hoͤchſte Beruf des Menfchen iſt, 
fo müffen wir von allen Seiten eine feſte und fichere Weberzew: 
gung darüber gewinnen, ob und wie wir etwa dieſen Beruf 
einzufchränten oder zu geflalten haben nach jenen natürlichen 
Ordnungen. Bo könnten wir diefelbe aber triftiger fuchen‘, ats 
in dem Buche, weiches bie Geſchichte enthaͤlt von ber erften Ber 
breitung des Chriftenthums durch die Apoſtel? Da können wit 
fehen, nach welchen Gefezen bie vom Geiſte getriebenen gehandelt 
haben, und daraus auch für unfer Thun uns einen Manfitab 
nehmen. 


zert. Apoſtelgeſch. 11, 15 — 17. 
Indem aber ich anfing zu reden, fiel der heilige 
Geiſt auf fie, gleihwie auf und am erflen Anfang. 


#73 
Da gebachte ich an das Wort bes Haren, ald er fagte, 
Johannes hat mit Waffer getarift, ihr aber follt mit 
dem heiligen Geiſt getaufet werben. Go nun Bett 
ihnen gleiche Gaben gegeben bat, wie auch und, bie 
da glauben an den Herm Jeſum Chriſt, — wer war 
ich, dag ich konnte Gott wehren? 


Der Apoflel Petrus war genöthigt vor feinen Mitapofteln 
und Mitchriften ſich darüber zu vertheibigen, daß er bie Lehre 
son Chrifto auch zu ben Heiden gebracht hatte, von welchen 
jene glaubten, daß fie zur Theilnahme an biefem Heil nicht bes 
rufen wären. Mit den verlefenen Worten ſchloß er feine Ben 
theidigung, und diefe war fo überzeugend und bündig geweſen, 
baß jene ſchwiegen, Gott lobten und fprachen, Alſo hat er auch 
ben Heiden Buße gegeben zum Leben und dad Heil durch Chri⸗ 
um. Wir finden alfo hier gegen einander geftellt auf ber ei⸗ 
nen Seite ben allen Liebenden und wohldenkenden Menfchen tief 
ind Herz gegebenen Trieb, dad wahre gute fo weit zu verbrei⸗ 
ten, ald möglich; und auf ber andern Seite jene Bedenklichkei⸗ 
ten, welche hervorgehen aus einem andern und eimwohnenden 
Gefühle, wie Gott die Menfchen von einander gefondert bat. 
Beide muͤſſen berükffichtigt werben und den Menſchen leiten, 
.. wenn er in feinem Streben gottgefällig handeln fol. Laßt und, 
wie wir beides zu vereinigen haben, und auf welche Weile 
wir befonbers in ber Mittheilung geifliger Gaben 
zu Werte geben müffen, aus diefer Gefchichte lernen. Wir 
werden aber in berfelben darauf geführt, Anfang und Volk 
enbung jener Mittheilung zu untericheiben, und auf bei 
des wollen wir jezt unfere Aufmerkſamkeit richten. 


l. 


Womit alle Mittheilung geiſtiger Gaben begin 
nen muß, dad iſt jene wohlthaͤtige licheualle Sehnfucht dei 


478 
befjeren Merſchen, baßjenige, was ihm bes Schaz feines Lebens 
iR, fo weit er kann mit milder Hand und lebendiger. Kraft zu 
verbreiten. Diefe Sehnſucht wirb und dargeſtellt auf eine bild 
liche Weiſe in dem munderbaren Gefichte des Apoſtels, welches 
dem entfcheidenben Schritte, den er auf feiner Laufbahn nun 
thun follte, unmittelbar voranging. Er erzaͤhlt, es habe ihn ges 


hungert, während er um bie fechöte Stunde fi) auf dem Säle 


im Gebet befunden; da habe fich der Himmel geöffnet, und ein 
Tuch fei herabgelaflen angefült mit allerlei reinen und unveinen 
Lebensmitteln, und eine Stimme habe ihn aufgefordert zu effen; 
er aber babe fich deſſen geweigert, weil noch nie etwas unveines 
in feinen Mund gegangen ſei; ba habe ihm die Stimme geant⸗ 
wortet, ex folle nicht gemein halten, was Gott ‚gereinigt, und 
diefer Stimme habe er den Sieg zuerfannt. So iſt es überall. 
Wenn ber Menſch erfüllt ift mit diefer Sehnſucht das gute zu 
verbreiten, dann macht er keinen Unterfchieb zwilchen verwand⸗ 
tem und fremdem, zwifchen Nähe und Ferne, zwifchen bem, was 
ihm hochgeachtet ift, und dem, was er gering ſchaͤzt; ba fcheint 
ihm auch bad gemeine und geringe vom Simmel herabgelaflen, 
dag er daran biefen heiligen Hunger fättige.. Dann entfliehen 
wol jene aus ben einander entgegengefezten Trieben und Gefuͤh⸗ 
len des Herzens entipringenden Bedenklichkeiten; aber die Stimme 
bes Geiftes muß barüber fiegen in jedem, der ein lebendiges 
Werkzeug fein will zur Verbreitung alled guten und fchönen un: 
tee den Menſchen. Darum, in wen nicht died Verlangen alle 
anderen Rüfkfichten überwältigt, in wen nicht bad Gefühl, dag 
alle Menfchen auf gleiche Weiſe bebürftig und empfänglich find 
ber Gnade des Her, alled überwiegt: der wird nicht viel auds 
sichten im Weinberge des Herrn; ber wirb ein fchlechter und ta 
delnswerther Haußhalter fein mit ben Gaben, die ihm ber Herr 
onvertsaute; aber dennoch fol biefen natürlichen Streit jeber in 
fi) fühlen, denn wahres iſt auch darin. 

Aber es lehrt und dieſe Erzählung ferner, wohin wir und 


474 


mit ber Sehnſucht zur Verbreitung und Mittheilung 
geiſtiger Guͤter zu wenden haben. Denn als nun zum britten 
Male dem Apoſtel die Stimme zugerufen hatte, Was Gott gerrinigt 
bat, das halte du nicht gemein: fiche, da ſtanden vor der Thuͤr bie 
Männer von Caͤſarea, bie nach ihm fragten und ihn einluden 
dorthin zu kommen und das Gefchäft der Mitiheilung am offene 
Gemüther zu treiben, und der Geift fprach zu ihm, ex folle fich 
nicht weigern. Wolan m. Fr., jeder der ſich darſtellt als ein 
bebürftiger :nnb empfänglicher, jeber ber da klopft an die Thür 
unferd Herzens und von und zu befommen trachtet, fei es nun 
Math, Troſt, Befeſtigung ober Erleuchtung, ber if und zuge 
ſchikkt von dem Herm; und immer die Stimme bes Herrn wird 
es fein, die und zuruft ihm das Gerz nicht zu verfchließen, umb 
es wäre ein irbifched fünbliches Weſen, welches gegen dieſe Re 
‘gung etwas anderes wollte geltend machen. 

So knuͤpfen fi) an alle heilbringenben Verhaͤltnifſe der Freund 
ſchaft und Liebe in diefem irdiſchen Leben; es erfüllt das Genmhth 
des Menſchen eine Sehnſucht zu wirken und einen Gegenftanb 
aufzufichen, dem er es entweder einpflanzen koͤnne, das gute und 
herrliche, ober, wenn es ſchon im ihm ift, es neu zu beleben umb 
weiter zu verbreiten; unb im dem andern giebt fich zu externen 
ein Bebürfnig, oft nicht auf das allgemeine gerichtet, fonbern 
durch eine befondere Fügung hingeleitet auf einen beſtimmten 
Gegenftand. So zieht Bott oft auf wunderbaren Wegen bie 
weit von einander entfernt finb zu einander hin; fo fliftet er bie 
Vereinigung der Herzen, aus ber nicht felten bie herrlichſten 
Früchte hervorgehn, unb wehe dem, ber einer anderen Stimme 
Gehör giebt und geneigt iſt dem zu gehorchen, wad nur gesig: 
net iſt die Menfchen von einander zu entfernen. Der Geiſt 
Gottes ift ed, der den Menſchen willig und bereit macht, ohne 
Rükffiche auf Urtheile und Worurtheile ber Welt und ohne et: 
was von ihr zu erwarten, im SBertrauen auf biefen Trich bes 
Herzens, im Vertrauen darauf, daß Bott ſelbſt es if, der dieſe 








475 


Segenflänbe ihm zufuͤhet; dahin zu gehen, wohin er ger 
fen wird. 

Aber eine folhe Vereinigung if} immer nıs ber Anfang zur 
Verbreitung des guten; vieles liegt noch dazwiſchen, bis etwas 
gedeihliched und bieibenbes fürd Beben gefliftet wird. Laßt 
uns nun 


zweitend fchen, was wir gu thun haben in Bezichung 
auf bie Bollendung diefed Geſchäftes. Hier in ber 
SBeichreibung bed Xertes war es vollendet. Als Petrus gekom⸗ 
men war mach Caͤſarea und num redete von ber Erloͤſung, Die 
ben Menſchengeſchlechte bereitet buch CEhriſtum: da ergriff ber 
Geiſt Gottes, der durch dad Wort Gottes wirkte, die Gemüther, 
und ed liegen ſich vernehmen diefelbigen Regungen, durch weiche 
auch den Apoftein bie erfie beiebende Kraft zur Feſthaltung des 
Eangeliums und zur Werbreitung beffelben geworden war. Ans 
derwaͤrts ging es oft ganz anders. Mit berfelben Bereitwillig, 
beit, oft unter allen Anzeichen deſſelben Gelingen, gingen die Apo⸗ 
ſtel auch anderwaͤrts hin; es fchloffen fich wol die Gemuͤther auf, 
fie verlangten mehr zu bören von ben heilfamen Lehren; aber 
nad wenigen Verſuchen offenbarte fi bie innerfie Unempfaͤng⸗ 
lichkeit der Gemuͤther, und nicht felten waren die göttlichen Bo⸗ 
ten genöthigt den Staub von ben Füßen zu fchütteln und fie 
wieder zu verlafien. So ift ed auch jezt noch, und fo überall! 
Manches beginnt der Menſch in treuem Sinn für die Verbrei⸗ 
tung des guten, aber dad Gebeihen von oben fehlt, und foll er 
ein wirkſames Werkzeug des Herm. fein, foll er nicht die ihm 
verliehenen himmliſchen Kräfte in vergeblichen Verſuchen erichöp« 
fen, fo muß er niffen, wie er freiwillig und nur durch einen in⸗ 
nern Entſchluß getrieben begonnen hat, auch aufzuhören zur 
rechten Beit, und fich hinweg zu wenden von ben unempfängli- 
hen zu anderen. Die Vollendung aber, bie einem jeden ſolchen 


476 


Unternehmen werden muß, durch bie allein bad begommene ei 
bleibendes werben Tann, iſt nur da, wenn es nidyt bei einzelne 
Ausftrömungen ber Empfänglichkeit bleibt, ſondem ein fehler Bu 
der gegenfeitigen Mittheilung begründet wird; wenn ſich beid 
Theile zu fihern Rechten und Pflichten vereinigen, wie es ba 
mals geichah, daß bie, welche durch das Waſſerbad aufgenom 
men waren in die Gemeinde des Herm, nun auch ein Recht auf 
alle die zur Mittheilung und Verbreitung des Chriſtenthums er 
forberlichen Gaben erhielten. Nur dadurch, daß ber innere Zug 
im Gemuͤthe fi) zu einer äußern feflgegründeten Gemein 
ſchaft geftaltet, wird etwas vollendetes, und alles was vorher 
ohne dieſe geſchah iſt noch nichts bleibendes und gebähliches. 
Aber darnach laßt ung fragen, Was war es denn fär ein 
Zeichen, woraus Die Vollendung hervorleuchtete? Da 
ruͤber belehrt und ber Apoflel in dem, womit ex feine Rebe ſchließt, 
Als ich anfing zu reden, empfingen fie den heiligen Beil, gleich wie 
wir am erſten Tage; da dachte ich, wer bin ich, bag ich koͤmnte 
Gott wehren. Der innere heilige Zrieb in dem Menfchen, alles 
was ihm bad berrlichfte iſt weiter zu verbreiten, führt ihn mich 
felten aud zu folchen, welche ber hohen Gaben unmwürbig find, 
unwuͤrdig, weil noch unempfänglich für biefelben. Wehe bann 
dem wohlmeinenden Gemäthe, wenn es zu früh Liebe gewonnen 
j hat, welche fie nicht mehr aufgeben läßt, wenn es fich übezeilt 
Bande zu fnüpfen, die ſich dann nicht mehr loͤſen lafſen. Wir 
wiffen nicht. und Binnen ed nicht wiflen, wenn wir treu an 
beiten, wohin uns ber Herr führen wird, und ob er befchloffen 
hat unfern Bemühungen Gebeihen zu geben. Wir dürfen nie 
das Werk, daran wir arbeiten, für unfer Merk halten und tra 
zen gegen bie verborgene Weisheit bed Herrn; benn für ben fab 
fhen Gebrauch werden wir eben fo verantwortlich fein, als für 
den Nichtgebrauch der und verliehenen Baben. Darum m. Fr., 
jeded treue und fromme Gemüth wartet auf ein Zeichen von 
oben, und ehe ſich nicht der Geiſt offenbart, wird es Feinen Bund 


477 


nüpfen, welcher feine Thaͤtigkeit an einen Umkreis feffelte, im 
velchen es nicht gebannt fein möchte Es offenbart ſich der 
Bille des Hoͤchſten auch in der Unempfaͤnglichkeit der Menſchen, 
uf Die wir wirken möchten, und es giebt Abflufungen, bie man 
ergebend zu überfchreiten. fucht; und barum waren die Apoflel 
er Meinung, es gäbe feinen unmittelbaren Uebergang aus bem 
heidenthume ind Chriftentbum, ſondern die Menſchen müßten 
ft bindurchgeführt werden. durch die unvollkommene Religion, 
er fie feldft angehört hatten. Aber ihnen. offendarte in diefem: 
tzäblten Kalle der ‚Seift Gottes, daß ihre Beſorgniß irdiſch und 
ınnöthig gewefen; denn wo ber Geift- fg alfo offenbarte und- 
as Gemüth aufregte, da mußte Empfaͤnglichkeit ſein. Freilich 
eht oft die gute Meinung irrige Raege nicht ſelten werden die 
Menſchen, je mehr fie mit“ vim huten und herrlichen uͤberfuͤllt 
verden, nur um beflo verfioffter und unbereitwilliger überzugehn 
n einen befferen Zuftand. Darum laßt und überall bei unferm 
Beftreben, die Menfchen zu befreien von Außen Beſchraͤnkungen, 
von Irrthuͤmern, Vorurtheilen, von finnlichen Gewöhnungen 
und Neigungen, welche verbinden, daß das Leben aus Gott 
hindurchdringen kann zu ihrem Leben, laßt und bei allen biefen 
Bemühungen, ehe wir etwas fliften als bleibend, -fehen auf bie 
Offenbarungen bed Geiſtes. Zeigt e8 fich nicht, daß die Mens 
hen das dargebotene gute lebendig in fi) aufnehmen; zeigen 
ih) nicht die Regungen jener heiligen Gefühle, die und früher 
geleitet haben: dann laßt uns bei und feſt fezen, daß fie ed nicht 
ind, denen Gott beflimmt hat burch und dad gute zuzuführen, 
ind laßt und für unfere Wirkſamkeit einen andern Kreis auf: 
uchen; dann laßt uns, weil die Zeichen von Gott au8bleiben, 
ehren die Abfonderungen ber Menfchen, die der Herr zwifchen fie 
gefezt hat, umd die wir vergebens flreben würden zu zerreißen. 
Dad ift die befcheidene Treue, welche ber lebendigen regfamen 
Liebe zur Seite gehen muß; das ift die weife Worficht, welche 
dem findlichen Triebe beiſtehen muß, wenn guteö gebeihen fol; 


*78 


bad find die Winke ver Vorſehung, bie wir ohne zu freveln nicht 
überfehen dürfen, und die wir anwenden müflen, wenn wir nicht 
vergeben unfere Kräfte erichöyfen wollen Uber wer fe zu 
Werke geht mit reger warmer Liebe web weifer Beſonnenheit, 
dem wird es nicht fehlen, daß er nit, fei es auch nach mehre 
ven vergeblichen Werfuchen, nach Maaßgabe feiner Stellung im 
großen ober Heinen irgend etwas gutes fliften follte, was fel 
und beharrlich daſteht, und weiches ſich auſchließt an das allge 
meine Band, aus welchen alles vortreffliche hervorgeht, und in 
welches fich hineinfügen muß alles, wad wir fliften mögen. Und 
keinem wird dazu die Aufforberung fehlen, noch die Leitung für 
feine Thaͤtigkeit, wenn er nur hört auf die Stimme vom oben, 
anf welche ex allein fein feſtes Vertrauen begründen Tann. 

Died ifo, died iſt die heilige Rede ben Chriften von Anfang 
geweſen, Die Liebe fei gepaart mit Weisheit, und die frommen 
Befirebungen mit Borficht, und bie Hoffnung, bie fo Leicht in Unge- 
duld und Begierde audartet, werde gezügelt durch das Gefühl, 
bafı kein Gebeihen ſein kann, ald nur ba, wo ber Her ſeinen 
Segen giebt, und daß wir und nicht frevelnd erheben dürfen 
über bie Abfichten des Herrn, fondern zuſehn miffen, wo wie 
feine Hand erblikken, unb dahin gehen, wehin ex und führt! 
Amen, 


XII. 


Ueber die Verſchiedenheit der Art, wie die 
Arbeit des Menſchen an der Erde von ihm 
verrichtet wird. 


ueber Gal. 6,7 — 8. 


Erntebantfeft am 15. nah Trinitatis. 


Text. Sal. 6,7 —8. 

Irret euch nicht, Gott läßt fich nicht fpotten; denn 
was der Menfch füet, dad wird er ernten. Wer auf 
fein Zleifch fäet, der wird von dem Fleiſch das Werber; 
ben ernten; wer aber anf den Geift fäet, der wird von 
dem Geifte dad ewige Leben ernten, 


M. e. Fr. Wer unter und nicht ganz unbekannt iſt mit dem 
Sprachgehrauch der heiligen Schrift, dem leuchtet ed ein, wie in 
diefen Textesworten bie Rebe iſt vom jenem großen Gegenſaze 
in dem Sinne und Thun der Menfchen, von dem, was auf- ber 
einen Seite mißbilligend und erniebrigenb die Schrift Fleiſch 
nennt, auf der anbern lobhend und exhebend Geiſt. Diefer Ges 


— 


480 


genfaz offenbart ſich im Leben der Menſchen überall, fo daß wir 
bei denen, bie dem Fleiſche Ichen, vieles gewahr werben, was in 
dem Xeben ber geifligen nicht vorfommt, und daß auch dieſe vio 
le offenbaren in ihrem Thun, wozu jene fleifchlich gefinnten um 
fähig find. 

Aber ed giebt ein gemeinfchaftliches Gebiet von Beſchaͤfti⸗ 
gungen und Handlungen, beren bie einen fo wenig wie bie an- 
dern ganz entrathen koͤnnen, und da nun offenbart ſich der Ge 
genfaz ihreö innen in ber Art, wie fie, was ihnen obliegt, ver 
richten, in den innern Bewegungen und Trieben, welche ihr du: 
ßeres Thun leiten. Dahin gehört jenes ſegensvolle Geſchaͤft de 
Menfchen in’ der Bearbeitung der Erbe, über deſſen ungern 
Fortgang, über deſſen heilſame Früchte, mit deren Gewinnung 
und Einfammlung eine große ehrwürbige Kaffe unferer Bater 
landsgenoſſen fich befchäftigt, wir und freuen follen vor bem 
Herm an diefem Tage mit allen unſern Mitbruͤdern. 

Ka m. Fr., die Verfchiebenheit, mit welcher dieſes Geſchaft 
behandelt und betrachtet wird, iſt fo groß, daß fie ſich auch in 
der Art, wie wir Gott dafür danken, zu erkennen giebt. Dem 
wenn dies an diefem Tage des allgemeinen feierlichen Dankfeſte⸗ 
auf folche Weife geichieht, daß den Menſchen dabei Zahlen umd 
Berechnungen von größerm oder geringerm Gewinn und Beluf 
vor der Seele fchweben; daß das, was ihr Gemüth befchäftigt 
die Ausficht iſt auf reihen Gewinn und Genug, oder die Bank 
hung alle flörenden Sorgen zu entfernen — wer erfennt nicht 
darin dem fleifchlichen Sinn? Wo es aber fo gefchieht, daß wit 
anbeten die weifen Ordnungen des Hochſten; bag wir und nicht 
irren laffen weder durch verheerenden Krieg ober burd ver 
rendes Feuer, noch durch alle unzählbaren immer drohenden Un⸗ 
fälle, auch wenn fie uns näher betroffen haben: wer erkennt da 
nicht Geiſt? 

Wolan m. Fr., wollen wir Gatt banken: daß es geſchehe 
mit reinen Herzen, daß wir und bewußt fein mögen, würdig zu 


2 


ſein deſſen, woßkt wir danken, daß wir uns fragen, od in un⸗ 
ſerm Anthtit an dieſem Geſchaͤſte — und mittelbar ober unmittel⸗ 
bar nehmen alle Theil daran — ſich offenbart jener wohlgefaͤllige 
göttliche: Geiſt, welcher ſiegen muß über alles, was fleiſchlich iſt. 
Und dieſer Gegenſaz zwiſchen Fleiſch und Geiſt wird und deut⸗ 
lich gemacht an einem Bilde, welches aus dem Geblete, von dem 
wir handeln, ganz eigenthuͤmlich hergenommen iſt. Was ber 
Menſch ſaͤet, das wird er ernten. Dieſe ewige Ordnung Gotted, 
daß gleiches nur gleiched erzeugt, das ſtille Inſichzuruͤkkgehn ber 
Kraft, welche, wenn ſie heraustritt, auch nichts offenbaren kann, als 
ihr innere Weſen, ihre ewige Natur, dieſes Geſez, es gilt auch 
von den :Hanblungen und dem Thum der Menſchen. Wer in 
ſeinem Gemuͤthze nichts aufnehmen kann, als was :-dem : Fiedfähe 
angehört, der kaun auch nur⸗ ernten das verwesliche, und -ersis 
geb eben kann nun dem hervorgehn, der auf den Geiſt geſaͤet 
bat, der die innere Kraft, den goͤttlichen Funken des guten und 
wahren: in ſich gepflegt und im dieſem gehandelt hat. So laßt 
und nachdenken über die Verſchiebenheit der Art / wie 
die Arbeit des Menfchen au ber Erbe von ihm uch 
richtet wird. : Laßt uns ſehn erfitich auf die Verſchieden, 
heit dB inne, und wei tens uf bie wu alerenben 
des oucise ei. SIR ran 
ou AR Sa EEE Ze * 0 
" * . 3 ar a 2227 
Ban wir Art 960m auf den Sinn, in welchem diefer 
fo wichtige Theil der menſchlichen Seſtimmung verrichtet wird 
ſo werden wir leicht wieder finden dieſen Gegenſaz zwiſchen Geiſt 
wid Yleikh:: Eden din. Boben det Erde baut mA: fich in ſei⸗ 
won Rabte, an ‚bemfekbigen zu behaupten weiß, fer es durch vke 
Heiligkait bes‘ Ordnungen und Seſeze und durch’ DhE' frele Ktaft 
der fie ſchaͤgenden Menſchen, ober fei es Durch die Starke [nes 
Ames der fichlt fi. aldi: Bere: und wirb es inne,daß ulles · abi 
hängt von ige. Denn mimnder SDR "er: Geſchaft am Dt 
Predigten 1. | 9b 


482 


Erbe nur in dieſer Beziehung verrichtet, wenn ex alle feine Kudfie 
aufbietet, um fi immer mehr in feinem Rechte und Beſiz zu 
erhaften und zu befehigen, feine Kräfte nach allen Seiten him 
zu vermehren, dad Gebiet feiner Macht weiter ausjubveiten, um 
in allen Verhaͤltniſſen des Lebens nur feine wohlbegründete Dber- 
gewalt zu erbliffen, das ift der fleiichliche Sinn. 

Die Arbeit des Menſchen an der Erbe if die erfie Quelle 
aller Ruhe, Ordnung, Sicherheit und des ungeflörten Genuffe®. 
Ehe ber Menſch auf diefe Stufe gefliegen iſt, iſt er eine Beute 
des Augenblikkes, er bat für die Befriedigung feiner Beduͤrfnifſe 
eine Ruhe und Sicherheit und wird umhergeworfen zwiſchen eis 
nem leichten ohne Arbeit und Mübe ihm zufindsenden Ueberfluß 
und zwilchen einem noch öfter wieberfehrenden Mangel; und 
Stilung der Roth auf der einen Seite und ber Genuß, bie Lufl 
auf ber andern find fo innig verbunden, daß wir oft nicht un 
terſcheiden können, wo eined aus dem andem entſpringt. Wenn 
der Menfch nun in diefem Sinne fen Geſchaͤft an der Exde von 
rietet, daß er nur fucht die nähere ober eutferntere Noth aus 
ben Gebiete feines- äußern Daſeins zu verbannen, nur dahin 
trachtet, den Genuß zu vermehren, zu veroielfältigen un) oft zu 
wieberhoien, und darauf. alle feine Kräfte und Fähigkeiten wen 
det, dad iſt der fleiihlihe Sinn. Wenn auf der andern Seite 
der Menſch aber in diefem Bewußtfein, bad gefunden zu haben, 
woraus die Ruhe und Sicherheit feines Dafeind entfpringen 
kann, ſich nun auch zur Ruhe begicht und ale Mepennene 
nur verwendet zur Stillung feiner Begierden, das in ebenfalls 
der fleiſchliche Sinn. 

Aber wenn ber Menſch in chen ben Maaße, wie er erkennt, 
was er duch die innere Kraft auszurichten vermöge, im demſel⸗ 
bigen Maaße auch died erkennt, daß er von Herm geriet if 
sum Herm ber Erbe, daß feine thaͤtige Kraft gleichſan bie Fort 
feyıng fein fol von dem ſchaffenden und Iebeabigmachenben 
Worte Gottes, wenn er in dieſem Sinn fein Geſchaͤft verrichtet, 





483 
daß aus allem was er thut hervorleuchte bie Gottaͤhnlichkeit feis 
ned Geiſtes: das iſt jener geiſtliche Sinn. 

Wenn der Menſch in ſeinem Geſchaͤfte an der Erde nicht 
allein ſein irdiſches und geiſtiges Wohlergehn im Auge hat und 
alles nur als Mittel dazu betrachtet, ſondern wenn er fuͤhlt, daß 
er wandelt und wirkt unter bem Seren; wenn- vermittelfi feiner 
Befchäftigung mit ber Natur entfleht eine innige Liebe zur Mas 
tur; wenn er, was ihm nur anvertmuet ift, auch verſchoͤnem 
will: das iſt Geiſt. 

Wenn endlich der Menſch, dem dieſes Geſchaͤft aufgegeben 
iſt, fuͤhlt, daß er damit nicht alles ſchaffe, daß dieſe Herrſchaft 
uͤber die Erde weit mehr in ſich begreife, daß er damit nur an 
die Quelle geſezt ſei deſſen, was die entferntern Beſchaͤftigungen 
der Menſchen mehr oder weniger erzeugen und erhalten kann, 
defſen was viele und mannigfaltige Kräfte erhält und in Bewe⸗ 
gung fezt, und er fi) alfo nur anfichs ald den erſten Vertheiler 
ber göttlichen Gaben, als Bewahrer bed Gutes, auf welches alle 
Bande bes Rechtes, der Ordnung und Geſeze fich gründen, und 
eben dadurch feinem Berufe Ehre macht vor Gott und ben Diem 
(hen: bad iſt der. Seil. 

Dieſe Werfihiebenheit des Sirmes wird keinem unter uns 
entgehn, und jeder ber fie erkennt, muß es auch fühlen, daß eben 
fie der Maaßſtab ift für die Achtung und Liebe gegen bie eins 
zelnen ober die größeren Verbindungen ber Menfchen in Begie⸗ 
hung auf biefen Beruf. Aber wenn wir barauf anwenden wols 
len jene Worte-deö Textes, Bas ber Menſch fäet, das wird 
er erstten, was doch auf Feine andere Weiſe geicheben koͤnnte, 
old wenn ed deutlich würde, Daß von biefer Verſchiedenheit bed 
Sinnes auch abhange die des Erfolges, daß eben die Ernte, das 
Gedeihen dieſes Theils des menſchlichen Berufs, abhange von 
dem Geiſte, wie er getrieben und erfüllt wird: fo werden ſich 
mancherlei Zweifel und Bedenklichkeiten erheben. Man wird far 
gen, Wie weit auch ber Menſch vorruͤkkt in des Herrſchaft und 

$ 2 


S 


484 


Bildung der Erbe: To hängt body bev größere und beſſere Ge 
winn ihrer Erzeugniffe nicht ab vom der Geſimung unb bemm 
Geifte, fonden von dem Berflande und feiner Thaͤtigkeit. Beide, 
fagt man, die geiftige und fleifchliche Befinnung fcheinen auf der 
einen Seite dad Gedeihen zu fördern, auf ber andern zu hindern; 
denn der Eigennuz und bie Herrfchfudht find ein mächtiger Sporm 
and werden den Menſchen wol weiter bringen, Xrägheit bagegen 
Yalt ihn zurifl. Und die WBegeifterung des Menſchen auf der 
andern Seite, biefer Gefichtöpuntt, vermöge deffen ex fih anftebt 
als Ebenbild Gottes, wird ihn auch anfeuern zur Thätigkeit; 
Dagegen wird eben bie ruhige Beſchaulichkeit, wozu fie fo Leicht 
hinführt, die Menſchen nicht weniger zuruͤkkhalten als Traͤgheit 
amd ſtumpfer Muͤßiggang. 


IL 


Aber fo ift es nicht m. Fr., fonbern leicht wirb ein ruhiges 
Nachdenken und lehren, daß die Verſchiedenheit des Er- 
folgd gerade diefelbige ift, wie die Werfchiebenheit bed Sinnes 
Es kommt dabei vorzuͤglich anf zweierlei an, worin jener weich 
tige und große Erfolg begründet ift, nämlich auf die Ausbil⸗ 
bung menſchlicher Kräfte und auf bie gefelligen Ber: 
bHältniffe ber Menſchen, worin allein alles und auch Diefes 
Geſchaͤft an der Erde nur gedeihen fann: Hier laßt und fehn, 
wie die Verſchiedenheit des Sinnes auch in biefer zwiefachen Hin⸗ 
ſicht nothwendig mit verfhiedenan Erfolge wirkt. 

Zuerft alfo, wie wirkt der fleifchliche Sim, und wie ber 
geiflige auf die Ausbilbung der menſchlichen Kräfte? 

- € iſt eine allgemeine Rebe, daß bie Noth umb Degierde 
alles erfunden habe, daß biefe die Quellen wären ‚aller Geſchikk. 
Ticpleiten, aller Erkenntnis und Kunſt, daß mus der Menſch durch 
fie aus feinem Schlunmer gewekkt werbe, unb obne biefe An: 
triebe alles andere würbe vergeblich gewefen fein. Es mag bie 
Erfahrung auf der einen Seite bieſer Rebe Beifall geben. Laßt 





486 


und aber fragen, wis es doch meiter ergeht mit ber Ausbiihumg 
der durch Noth und Bagierde erweklten Kräfte und der bas 
durch hervorgebrachten Thaͤtigkeit, an welcher Fein höherer Sins 
Antheil Hatte. Zuerſt Bann es und nicht entgehen, daß das, was 
der ſleiſchlich geſinnte Menſch auf jene Weiſe erlangt, er ſich 
doch nicht anzueignen weiß. Er liebt es nicht, hat es nicht um 
ſein ſelbſt willen; ſondern es iſt ihm nur Mittel ſich das zu ver⸗ 
ſchaffen und zu fichern, was feiner ſinnlichen Natur fo nothwen⸗ 
dig il. Daher, wenn ed auch wahr. ifl, was der Erlöfer feeilich 
in einem anbern aber doch verwandten Sinn fagt, daß die Kin 
der ber FKinflerniß in ihrer Art kluͤger find, als die Kinder bed 
Lichts: laßt und ſehn, was es iſt mit aller diefer Klugheit, 
mit allem Verſtande, — und wir werben finden, daß bie ger 
wöhnsichen gemeinen Seelen nichts haben ald den Außen Buchſta⸗ 
ben, dad was am unmittelbarfien mit dem Gelchäft der Stillung 
der Noth und Begierde zu thun hat; aber bad innere Weſen, 
die allgemeine Natur der Dinge, bad ift ed, was ihnen entgeht; 
und kann man fagen, daß dann ber Geift wahrhaft gebildet 
werde, und bie fih am. meiften auszeichnen, die ed am weiteſten 
bringen in dieſer ixdifchen Klugheit! Wohin gelangen fie am 
Ende? Fragt die Gefchichte, und ihr werdet nichtd vernehmen, 
als daß die kluͤgſten und weifeflen am Ende mit Ueberbruß und 
Geringſchaͤzung aller ihter Weisheit gezweifelt haben, ob wol üben 
haupt etwas an biefer Kingheit und Weisheit fei, ob der Menſch 
nicht beffer thaͤte fich ihrer zu enthalten und aus Diefem Zuſtande 
einer quaͤlenden und muͤhſeligen Bildung und Aufklaͤrung zurüfls 
zukehren in den Zuſtand der Rohheit. Denn die Rechnung der 
Noth und Begierde wird. perwikkelt, die aͤußern Folgen der irdi⸗ 
ſchen Weidheit im Gebrauch der menſchlichen Kräfte werben zwei⸗ 
deutiger, weil fie wirken ſollen, wie ber Menſch gebietet, und 
nicht wie ihre innere Natur. Daher hat dieſe Bildung den Keim 
des Verderbens gleich in fh, und wo fie und am herrlichſten 
entgegenſtrahlt, in der Wergangenheit ber Geſchichte, ober in ber 


488 


Gegenwart, was willen wir von jener, was ahnen wir von die⸗ 
fer, als daß alles, was herrlich ſchien und groß, untergeht ent⸗ 
weder in üppiger Weichlichkeit, oder: in trägem Stumpffinn. Und 
fo vergeht alle Herrlichkeit ver Welt, fo Bann der, wer auf 
Fleiſch füet, aufs vergaͤngliche und irdiſche, nichts ernten als 
vergaͤngliches. | 

Über m. Zr. der Geiſt, wie wirt er auf die Bildung der 
menſchlichen Kräfte In diefem Geſchaͤfte? Aus jener ruhigen ſtil⸗ 
len Liebe zur Natur, zu den Werken Gottes, ba entfichn jene 
berrlichen Ahnungen von ber göttlichen Weisheit, von bem Zu⸗ 
fommenwirten aller Dinge, jenes Beſtreben vor allem — DaB 
Weſen des göttlichen Geiſtes und in allem beffen Wiederſchein 
zu erfennen, und das ift Die Quelle, woraus jede wahre Weis⸗ 
heit und jeder tiefe Verſtand hervorgegangen if. Daraus haben 
ſich entwikkelt alle tieferen Erkenntniffe und Einſichten und eben 
das Beſtreben da zu fichn ald ein Aushauch Gottes, als der, ber 
feine Werke fortſezen foll;, daraus entſteht ein Sinn für das 
rechte und gute, nüzlidhe und fchöne, welcher nie zerſtoͤrt wer 
den Tanı, und daraus bat fich denn jede Kun entwikkelt und 
jede Geſchikklichkeit, welche dem menſchlichen Geiſt Ehre macht 
und ſeine Macht begruͤndet. 

Zweitens, wie wirkt ber fleifchliche Sinn, wie der geiſtige 
auf die gefelligen Verhältniſſe bes Menſchen? deun 
auch darauf führt und fein Geſchaͤft an der Erbe. 

Niemand kann es läugnen, daB ft aus ihm alle Neinern 
und groͤßern Verbindungen hervasgegangen find; und che ber 
Menfch dazu gelangt, lebt ex in bem Zuſtande ber Rohheit und 
Zerfireuung; auch die natürlichen heiligen Bande find lofer ge, 
Müpft und leichter getrennt z erft hieraus entwißßelt ſich bie Wer: 
ſchiedenheit der Stände, dadurch geht hervor jede Bereinigung 
der Kräfte, um Sicherheit und Ruhe, durch bie alles nur gedei⸗ 
hen kann, zu erhalten; es iſt der Urſprung aller Bande des 


487 


Rechts und der Ordnung, bes Werhältuiffe zwiſchen Obrigkeit und 

Sa, auch: die Roth und Begierde führt den MWtenfchen all⸗ 
mäblig auf biefe Stufe bed bürgerlichen Vereins. Aber, wie 
denkt er dann? Eben wo Eigennuz, Genußliebe, Herrſchſucht 
die erſten Quellen find und bie erſten Triebfedern von allen ſei⸗ 
nen Handlungen, ba erfcheinen ihm auch jene Bande nur als 
ein mothwendiges Uebel, und aU fein Beſtreben iſt dahin gerich⸗ 
tet ilmen zu entgehen, wo fie feine SHerrfchfucht mäßigen, wo 
fie Genuß und Vorcheil von ihm ab auf ſeie Brüber leiten; 
Daher denn unter allen Anordnungen ber Menſchen mittelbar 
ober unmittelbar ein befländiger innerer Krieg, eine Zwie⸗ 
tracht, die, nur durch einen Schein der Liebe, des Wohlwol⸗ 
lens übertüncht, bei jeber Gelegenheit auözubrechen drohet. Ja, 
wenn auch Noth und Begierde den Menſchen antreiben fidy 
ein Waterland zu bilden, ein hoͤchſtes Anfehn anzuerkennen 
und Gefezen zu huldigen; wenn er auch einfleht, wie nofhwen- 
dig das if, und wie wenig jebe Entbehrung und Aufopferung 
in Anfchlag kommen barf gegen ben großen Nuzen, der aus die⸗ 
fem Bande hervorgeht; werm aber bann dad Vaterland in Roth 
und Gefahr kommt, wenn Gigennuz, Herrſchſucht und was bas 
mit zufammenhängt ihm vorfpiegeln, daß es beffer gethan if: 
fi ſelbſt zu reiten ald an dem ganzen zu halten; wenn ihm 
das Gefügt vergeht, Daß er nur durch biefed Halten an bem gan: 
zen feine Huͤlfe und eigene Rettung findet: was anders ifl die 
Frucht davon als felger Verrath, ald jene Frechheit, womit das 
allgemeine Wohl Preid gegeben wird, und bie in den Tagen bed 
Ungluͤkks fo kuͤhn ihr Haupt erhebt? 

Aber wie anders der Geiſt, jener höhere himmliſche Sinn, 
der dad Geſchaͤft des Menſchen an ber Erbe anfleht ald das 
Wert Gottes! Eben weil es fo Har if, daß der Menſch in die 
fm Geſchaͤfte den Herrn der Erbe fühlen muß und das Eben 
bild Gottes, welches allen verliehen iſt: was Tann anberd bier 





and, entſtehn, als das SBifinchen. jede liebleje- Harte: des GSegen⸗ 
ſazes zwiſchen Befehlen und Gehorchen zu mildern, alle Zheil meh: 
wen zu laffen an jenem erhebenden Gefühle. und cu defjen fe 
graöreichen Folgen? und das iſt der. Friede, das bie Liebe, ue- 
zauf bie Hälfreiche Unterftügung aller Stände beraubt; unb weun 
dann in dieſem Beſtreben und in biefte Gefühle ein Wertheiler 
der göttlichen Gaben zu fein, ſich immer uıche entwiklelt het 
das allgemeine Band, weiches und alle: umfihlings ; je wenn auf 
dieſem Wege ber. Menſch dahin gekommen iſt: ein Vaterland zu 
heben, einen ‚heiligen Dbem za gehorchen; bann iſt ihre Died 
an. Gut, non welchen ee nicht läßt, ein. Kleinod, daß er nicht 
verlaflen wird, nicht in der Noth noch aus Begierde nach Ge 
nuß, die ihn ja nicht beherrſchen. Dareutz eniſteht denn jeme 
Zreue, welche ſich ſelbſt gem old Mittel betrachten laͤßt, das 
ewige. aber und ganze als Zwekk. Das iß die Ipeue, die deu 
Menſchen feſtkeltet an Ordnung, an Katerland umb Geſez; fie 
iſt, die wieber erbauct, wenn zerſtoͤrt war; fie, die nicht ablägt 
zu geben wo es noth that, die auffenkert zum Muth und zur 
Tapferkeit. So nur. hängt ber Menſch mit umerfepütterlicher 
Liebe au dem vaͤterlichen Bodenz fo erbliflt er nicht in dieſen 
wohlthaͤtigen Banden die Wirkung der Vegierde und Noth, fon: 
dern die Quelle alles guten und heiligen. 

M. Fr., die Früchte ſind eingebracht, und ber Here hat uns 
geſegnet. Laßt und einen Blikk werfen auf Die zuſammengeſegte 
Thaͤtigkeit des Menſchen und betrachten, welche Begriffe ihn lei 
ten in dem, was er begumt. Das bildet den wichtigen Ainterfchien, 
ob er. e& freibt, wie die wilben Raubthiere, bie nur. ba zu fein 
fheinen, um bie überflüffigen Koäfte der Natur zu verzehren; 
ob erß tmiht wie. ine faulen chiere, welche die Natur mit eis 
nem Träftigen Schaf begabt bat, man was fie im Gommer ge 
fanumelt im Winter in dumpfer Zrägheit zu verzehren; sber ob 
ex bericht als Herr der firhtbaren Schöpfung, unb wenn bicies 
leere, ab.er kann auf fein Fleiſch füet, aber auf deu Mei. — 








488 

Soßt und: wicht glaube, als Zieme fich biefe Betrachtung nicht 
für uns, die wir- fm vom ham unmittelbaren Geſchaͤft an Dex 
Erbe eingeſchloſſen wohnen. in Mauern ber Städte und, wenn 
auch eifewt bamit zufammisenhangend, bach efivad ganz auberes 
zu treiben fcheinen. Denn m, Fr. bad eine waͤre ſo wenig pie 
das andere gegründet. Ale unſere Gewerbe und Geſchaͤfte und, 
Berrichtungen beichäftigemn fich. mehr ober weniger mit den Er⸗ 
zeugniffen: Der Erde, ruhen mittelbarer oder unmittelbazer, auf 
den großen Geſchaͤft, das einer großen und zahlreichen Klafle 
ber Menfchen ausſchließlich angehöst. Leicht wuchert auch mit 
biefer Bearbeitung des Bodens das boͤſe auf, und alle Leiben> 
fhaften und -Megierden, welche bie. Ruhe ſtoͤren unb zuerſt in 
denen entflanden, welche die Erbe bauen, fie verbreiten fich leicht 
unb durchdringen dann auch bald alle übrigen Stände, und dig, 
verbexbliche Ernte des Fleiſches wird nicht fern fein. Wenn nun. 
ber Heifhlihe Siam es iſt, der Died Merberben bringt, fo iſt es 
allein die Richtung des Gemuͤthes auf das ewige, welches bie 
Grundlage alles bürgerlichen Heils begründen kann; und we 
entwilßein ſich die Anſtalten, die unmittelbar auf den Meunſchen 
wirfen, wo haben fie ihren Siz ald in dem Mittelnundt bed 
Landes, da wo bie Menfchen fich in großen Maflen verfammelt 
haben, um durch bie Gemeinfhaft ber Kräfte die Zwekke des 
Lebend zu erreihen. Daher müfien wir fühlen, daß es noth 
thut den fleifchlichen Sinn von-und zu verbannen, und auf ben 
Geiſt füen. Wir find ed, von denen dad gute und befte audge: 
ben muß. Laßt und jeder das feine thun, Leben erwellen, den 
Geift erleuchten und bamit bie große Maffe durchdringen! Laßt 
und anertennen die weifen Orbnungen ber Vorſehung, welche 
wolite, dag in allen Menfchen auch in diefer großen Klafie der 
Geiſt belebt, der Sinn fürd gute und wahre und fchöne ge 
wett werde, und eben dadurch unfere Brüder bem Elende ent: 
reißen. Dadurch fihern wir und, durch biefe Saat auf ben 
Geift, eine herrliche Ernte, ein geiftiged ewiges Leben! 


492 


wis auf bes andern Geite auch bei Spornes nicht entbehren 
mögen, ber und bem guten entgegentreibt, von welchem Schwäche 
und Traͤgheit fo leicht zuruͤkkhaͤlt. Einer folhen Betrachtung 
fei diefe Stunde der Andacht gewidmet. 


Tert. Apoſtelgeſch. 13, 6— 11. 
Und da fie die Infel durchzogen bis zu ber Stabt 
Paphos, fanden fie einen Zauberer und fallchen Pro: 
pheten, einen Juden, ber hieß Bar⸗Jehu. Der war 
bei Sergio Paulo, dem Landvogt, einem verftändigen 
"Hanne. Derfelbige rief zu ſich Barnabam und Sau: 
Ium unb begehrete bad Wort Gotted zu hören. Da 
flund ihnen wider ber Zauberer Elymas (denn alfo 
wird fein Name gebeutet) und trachtete, daß er ben 
Landvogt vom Glauben wendete. Saulus aber, ber 
auch Paulus Heißet, vol heiligen Geifte, fahe ihn an 
und fprach, DO, du Kind des Teufels, vol aller Liſt 
und aller Schalfheit und Feind aller Gerechtigkeit, du 
hoͤreſt nicht auf abzuwenden ‘die rechten Wege des 
Herrn. Und nun fiche, die Hand ded Herrn kommt 
über dich und fonft blind fein und die Sonne eine 
Zeit Yang nicht ſehen. Und von Stund an fiel auf 
- thn Dunkelheit und Finſternißg, und ging umher und 
ſuchte Handleiter: 


Was bier der. Apoftel gethan hat m. Fr., das iſt gewiß ein 
Beifpiel und allen gegeben, wie überall die Männer vom Geiſte 
Gottes. getrieben und nicht nur Worte ber Wahrheit lehren, fon 
dem audy: undleuchten durch ihr Leben, und ed ift nur eine nie 
brigere weniger zum, guten auffirebendge Gefumung, welche die 
Menſchen hat. veranlaflen koͤnnen zu glauben, daß es einen an- 
dern. Maaßſtab ded guten für jene gegeben habe, als für und. 
Dan deiſen dürfen wis wol alle als Chriſten uns ruͤhmen, daß 


X. 
Bon dem chriftfihen Strafredt. 


Ueber Apoſtelgeſch. 13, 6— 81. 


Nahmittagsprebigt am 16. nach Zrinitatis. 


Wis leicht, m. a. F. if unter allen Lehren des Chriſtenthums 
eine mehr mannigfaltigen Mißverftändniffen und Mißdeutungen 
ausgeſezt geweſen als die, welche Sanftmuth und Zriebfertigkeit 
empfiehlt, welche und ermahnt, alles was unfer Migvergnügen 
erwelkt Gott anheim zu flellen. Nicht nur haben von je her die 
figherzigen und trägen Semüther biefelbe zum Vorwande ges 
braucht, um ihren Mangel an Eifer und Kraft zu beichönigen, 
Iondern auch die gutgefinnten und redlich meinenden haben nicht 
ſelten darin eine Beſchraͤnkung gefunden für das, wozu fonft ihr 
Eifer fürs gute fie antreibt. Died if gewiß von eine Seite 
angeſehen fehr richtig; aber um ſo nothwendiger muß ed auch 
erſcheinen, unter den Worfchriften und Beifpielen, die wir in ber 
heiligen Schrift finden, dasjenige nicht nur nicht zu uͤberſehen, 
Imdern auf das beſtimmteſte herauszuheben, was ein entgegenge: 
ſeziez Beſtreben an den Zag legt, bamit, wenn wir bes Zuͤgels 
bedürfen für alles leidenſchaftliche, daB in uns aufwallen möchte, 


— — — ⸗— ger — 


— — - — — — — 


492 


wir auf bes andern Seite auch des Spornes nicht entbehren 
mögen, der und dem guten entgegentreibt, von welchem Schwaͤche 
und Xrägheit fo leicht zurülfpält. Einer folhen Betrachtung 
fei diefe Stunbe der Andacht gewidmet. 


Tert. Apoftelgeih. 13, 6— 11. 
Und da fie die Infel durchzogen bis zu der Stat 
- Paphos, fanden fie einen Zauberer und falfchen Pre: 
pheten, einen Zuben, der hieß Bar⸗ Jehu. Der war 
bei Sergio Pauls, dem Banboogt, einem verftändigen. 
Manne. Derfelbige rief zu ſich Bamabam und Sau: 
lum unb begehrete das Wort Gottes zu hören. Tu 
flund ihnen wider ber Zauberer Elymas (denn alſo 
wird fein Name gebeutet) und trachtete, ba er den 
Landvogt vom Glauben wendete. Saulus aber, de 
auch Paulus heißet, vo heiligen Geiftes, fahe ihn an 
und ſprach, DO, du Kind des Teufel, voll aller kiſt 
und aller Schalkheit und Feind aller Gerechtigkeit, du 
hoͤreſt nicht auf abzuwenden "die rechfen Wege bei 
Herm. Und nun fiche, die Hand des Herrn kommt 
über dich und ſollſt blind fein und bie Senne an 
Zeit Yang nicht fehen. Und von Stund an fiel auf 
- ihn Dunkelheit und Finfterniß, und ging umher und 
fuchte Hanbleiter. 


Was hier ber Apoſtel gethan bat m. Fr. bad iſt gewiß ein 
Beiſpiel und allen gegeben, wie überall die Männer vom Geiſte 
Gotted getrieben und nicht nur Worte ber Wahrheit (ehren, fon: 
dem auch onrleuchten durch ihr Leben, und es ift nur eine nie 
brigere weniger zum guten auffirebenbe Geſinnung, welche bie 
Menſchen hat veranlaflen koͤnnen zu glauben, baf ed einen am 
ben Maaßſtab des guten. für jene gegeben babe, als für und. 
Dean deſſen Dürfen wir wol alle als Chriſten und ruͤhmen, daß 


493 


wir ihre Nachfolger find, nur vielleicht auf eine anbere, vielleicht 
auf eine beſchraͤnktere Weiſe, aber gefezt mit ihnen. zu demſelbl⸗ 
gen Werke, verpflichtet auf denfelbigen Gtauben und fo auch 
berechtigt zu allem, von dem wir fehn, daß fie es kraft ihres 
Amtes durften. Baflet uns Demnach reden mit einander von dem 
chriſt lichen Strafrecht, welches der Apoſtel ir ben vorgele 
fenen Worten auf eine fo ausgezeichnete. Weife übte: Wir wol: 
len erfllich Ternen, in welchen Faͤllen wir ed üben follen 
und dürfen, und zweitens, auf weine Weiſe. 


L 


An welden Sällen bürfen wir ed und herausneh— 
men nach dem Vorgange unſers Apoſtels uͤbles zu ver 
hängen über unfere Brüber? 

Zuerft, denn dad liegt Deutlich in diefem Zalle da, wo 
zu eigennüzigen und verberbten Abfihten Dem wah» 
ren und guten widerftanden wird. Wielfältig hatten ber 
Apoftel und feine erften Nachfolger in der Ausbreitung bed Chris 
ſtenthums ed mit ſolchen zu thun, welche der Wahrheit entgegen 
ftrebten, in welchen dad Evangelium feinen Eingang fand, oder 
die lange alles dad entgegenfezten, was ihre verberbte Denkungs⸗ 
art, ihre falfchen Anfichten und die ſchiefe Richtung ihres Her 
gend ihnen eingaben. Da wurde benn gefritten mit Liebe, mit 
Geduld, mit Ernſt und Nachdrukk, je nachdeni es bie Menfchen 
und Umffände erforberten; aber das &ußerfie, was die Apoſtel 
thaten, das war, daß ſie den Staub von ihren Fuͤßen ſchuͤttelten 
und ihr Blut über bie verſtokkten riefen, und nun zu denen fi ch 
wendeten, welche urſpruͤnglich die geringeren Anſpruͤche an das 
Wort bed Heild zu haben fehienen. Eben’ fo verhielten fie fich 
bei dem Widerflanbe, der nicht in reinen beffern Einfichten, ala 
jene erſten befaßen, fondern im Herzen feinen Grund hatte, aber 
bei dem fich bie widerſtehenden nichts böfes "bewußt fein Tonns 


494 


ten. Bier aber fehn wir ben Aypoflel anf eine eutgegengeſezte 
Weiſe hanbeln, aber freilich auch in einem andem Falle. 

Der Gier ſich wiberfezte, war der Liebling eines angefehene 
gewalthabenden Mannes, und aus allem möäflen wir fchliehen, 
baß ex durch geheime Künfte eben dieſen Einfluß arſpruͤnglich 
erlangt hatte und, wie bie zu thun pflegen, bie fo etwas tr 
bes, ihn auch auf eine unwürbige Weile gebrauchte. Darum 
num fuchte er den Landvogt abwendig zu machen vom Glauben, 
weil er befürchtete feine Gewalt zu verlieren und ben Schein 
von höherer Weisheit und Kraft einzubüßen und fo um bie 
Früchte feines verberbten Strebend zu kommen. Darüber nun 
geriet) ber Apoftel in erbitterten Eifer; da begnügte er fich nicht 
mit einer Widerlegung, fondern da fezte er es fich zum Ziel 
einen boöhaften Gegner zu entkräften. 

Und fo m. Fr. find auch wir berufen zu handeln in glei⸗ 
hen Fällen, Wo Eigennuz, niedrige Denkart uns entgegen he 
ten, da ift Sanftmuth an unrechter Stelle. Worauf es anlommt, 
iſt lediglich der Streit der Kräfte. Hier gilt es nun zu erab: 
ren, was flegen werde, ber Eifer, die gute Sache berer, die das 
gute lieben, oder die böfen Anfchläge derer, welche es hinterfre 
ben möchten um irgend eines fchlechten Gewinns willen. Bit 
Tönnten wir jenen großen Zitel und anmaßen, welchen ber Er: 
loͤſer feinen Belennern giebt, Streiter des Herrn zu fein, wen 
wir nicht auf jebe Weife die Sache des guten und wahren für 
ben unb ſchuͤzen wollten, wenn wir benen freien Raum ließen, 
welche lediglich um des irbifchen willen das höhere und wichtige 
in Schatten ftellen? 

Zweitens aber follen wir zwar überall dem guten ir 
berlih fein und uns allem widerlegen, was dieſem hinderlich 
werben koͤnnte; aber vorzüglich iſt jeder dazu berechtigt, wo 
ihm ein ſolcher Widerſtand vorkommt im Kreiſe ſei⸗ 
nes Berufes. So der Apoſtel! Dazu war er ausgegangen 
um dad Evangelium zu verfündigen, und er und alle feine Bil 


496 


apoftel wandten barauf alle Kräfte bes Geiſted, überall zu fehn, 
wo fi ihnen eine Thür im Gemüthe oͤffnen möchte, und treu 
zu fein im dem Dienfle des Herrn. Wenn Paulus geflanden 
hätte vor einer Verſammlung noch unbewegter im Evangelium 
noch ununterrichteter und in ein irbifched Beſtreben verfunkener 
Menihen, und ed hätte dann einer aus ihrer Mitte einen fol 
hen Widerfiand erhoben: er würde fchmwerlich fo gehandelt har 
ben. Aber er fland vor einem verfiändigen Manne, der begehrt 
hatte unteswielen zu werben in ber Lehre des Evangeliums. 
Ein Kreis der Thätigfeit war geöffnet; biefe Seele zu bearbeis 
ten gehörte zum Berufe des Apoflels, und ba konnte er fich nicht 
den ſchoͤnen Erfolg and den Händen reißen laffen durch ein vers 
derbtes treuloſes Gemüth. | 

Sp auch wir in ber Welt, Wir werden immer einen Un 
terichied machen zwifchen dem guten, was ſchon angefangen haf 
zu werben vor unfern. Augen, und zwifchen dem, was wir wuͤn⸗ 
den, was aber noch fen if. Wenn wir fehn,.daß die Mens 
ſchen, auf die wir wirken wollen, im voraus von und abweichen 
und das. gute und wahre von fich weifen, wir werben ihnen 
treu entgegen arbeiten, allein dies ift nicht ein Gegenfland, ber 
unſern Eifer aufregen kann; aber wenn auch nur erſt etwas gu⸗ 
tes ſchon gelommen if, wenn wir vielleicht felbft es waren, 
durch melche ber Herr den Grund dazu legen wollte, und ed en 
hebt fi dann ein aus dem innera Werberben der Gemüther ent» 
Iprungener Widerſtand, dann if es Recht nicht nur fonbern auch 
Dicht, daß wir unfer Strafrecht üben, daß wir die zeichnen, 
die fih und als Feinde des guten und wahren zu erkennen ges 
ben, daß wie ihre Kräfte lähmen und babei nicht Rükkficht neh⸗ 
nm auf das, was ihnen wol gefallen mag, oder nicht; ſondern 
dag und die Sache, die wir vertheibigen, mehr gilt ald bie, wels 
Ge fie unterdruͤkken moͤchten und eben darum fich. nicht wuͤrdig 
machen, ein Gegenſtand zu fein unſers Wohlwollens und unfe 
ter Liebe! i 





496 
il. 


Aber wie übte denn der Kpopit diefſes Recht der 
Strafe? 

Die Erzählung in unferm Texte benheet und einen Erfolg, 
von bem wir und Feine deutliche Borftellung machen köhnen, und 
den wir eben daher mit dem Namen des wunberbaren bezeich 
en, und fo fcheint wenig belehrendes burin für und zu liegen. 
Aber mit Diefer "Kraft; foldhe unerwarteten und unerklaͤrlichen 
Grfolge hervorzubringen, hatte ber Erlöfer feine Juͤnger auge 
attet; fie waren bie legte Mitgift geweien, womit er fie geſeg⸗ 
net Batte, ehe er von ihnen fchieb; und bei allen ben: Schwierig: 
feiten und Hinberniffen, die ihrer warteten; bei ber eigenthuͤmli 
chen Lage, wornach fie gleichfam hingeſteltt -waren "gegen bie 
ganze Welt, mußten ſie fo ausgeflattef fern. Wir Tonnen alſo 
im diefen Wundergaben zunaͤchſt nichts anders fehen als des, 
wozu ihnen im ihrem Berufe Kraft gegeben ward. Und das fei 
alfo auch die nächfte Antwort auf bie Frage, wie haben wir das 
Met die Strafe zu uͤben? Jeden wird bas- Ichren bie 
Beichaffenheit feines Berufs. Keluner fage, de fei zu 
ſchwach Strafen ergehen zu Taffen über die'einde des gaten umb: 
wahren; denn eben wie hier -in dieſem Falle werden wie überall 
finden ein billiges Verhaͤliniß zwiſchen Dem Widerſtaude, ben 
dee Menfch finden kamn, zwiſchen dem böfen, vus er zu beſtrafen 
fich kann geſezt glauben, und zwiſchen der Kraft, die ihm dazn 
gegeben if. Wer auf einer ſolchen Stelle ſicht, baß ſich ihm 
vieleß widerſezen kann, ber wird auch in feinen Verhaͤltnifſen viel 
Kraft finden dagegen zu wirfens wer ſich mit Recht -änfehie 
kann als gering auögeflattet, der wird auch fchen, daß ihm nur 
weniges in diefer Art vorlonımen kann. Ueberall - in ben deſon 
bern Sefchäften und Berhältnifien ber Menſchen werden wir fin 
beri;diefe: billige Austheilung von’ Aufferberutig-unb Hecke, und 
eben fo auch in bem allgemeinen Beruf, ben wir alle Treiben. 


497 


Ber fo geſtellt if, daß er viel böfes fieht, daß ihm vieles deut⸗ 
ih wird, wodurd die Sache des guten beeinträchtigt werben 
fann, der wird auch einen Arm haben, ober wenigfiens eine 
Etimme, die dagegen zureicht, und jeder wird durch die Kraft 
des Geiftes und Willens feinen Kreis ganz ausfüllen können. 
Und wenn wir den Apoftel nicht nachahmen Eönnen in dem, 
mad wir im biefer audgezeichneten Handlung als den lezten Er: 
ſolg anfehn, fo follen- und Eönnen wird doch in dem ftrengen 
Urtheile, welches er ergehen läßt über ben Widerfacher des Evans 
geliumd. O m. Fr., fünnten wir und nur erft gänzlich von ber 
Schwäche losmachen das böfe und verkehrte durch freundliche 
Namen zu bezeichnen und zu beichönigen, hatten wir nur Stärke 
genug unfern Tadel und Abfcheu in Ausdrüffen zu erkennen zu 
geben, die der Eifer einem jeden ſchon eingeben wird; ſchon da⸗ 
durch würde vielem Uebel abgeholfen, und mander, der nicht ge: 
fühllos ift gegen das Urtheil, gegen die Stimme feiner Mitbruͤ⸗ 
ber, gewonnen werden fürd gute! 

Aber wir Bönnen mehr. Denn was geſchah in biefem 
Borfalle anderes, ald daß der Apoftel auf eine Außere 
Veife darflellte, was in dem innern bed Menſchen 
war, daß er das uͤber ihn brachte, was jener befoͤrdern 
wollte durch ſeine verkehrte Denkart und ſein boͤſes Beſtreben. 
Denn was iſt es, worauf geht der Feind des guten aus, als 
die Menſchen in den Zuſtand der Huͤlfloſigkeit zu verſezen, in 
welchen ſie immer gerathen, wenn ihnen ein gutes entriſſen wird, 
das vom Herrn ihnen verliehen war; und was iſt es anders, 
als Finſterniß im innern des Menſchen, vermöge deſſen Einge⸗ 
bungen er mehr wirken zu koͤnnen glaubt, als die Kraft der 
Wahrheit? Das Zeichen war es von ſeinem eignen innern, was 
der Apoſtel uͤber jenen boͤswilligen brachte. Beides werden auch 
wir vermoͤgen. Fuͤr jedes boͤſe giebt es eine natuͤrliche Strafe, 
welche die guten verhängen koͤnnen, und in dem Urtheile, in ber 
Art, wie wir die abfichtövollen Gegner bed rechten behandeln, 

Predigten I. Fi" 





498 


flieht e8 immer in unferer Gewalt ein Zeichen zu geben von dem, 
‚was wir von ihnen halten. 

Aber endlich, wenn wir dies Strafredht üben an un: 
ſern Brüdern, fo geſchehe e3 auf eine offene und mu: 
thige Weiſe. Der Apoflel war, ald ihn fein Eifer hinriß, 
ded Erfolges feiner Verkündigung des Evangeliums bei dem re: 
mifchen Landvogt noch nicht fiher. Ob die Kraft der Wahrheit, 
ob die heidnifchen Raͤnke fiegen würden, fland noch auf der 
Wage, und ed war ein gewalthabender Mann, an deſſen Lieb» 
fing er biefe harte Strafe übte. Aber nicht auf eine verſtekkte 
heimliche Weiſe ließ er fie auf ihn kommen, fondern je wunder: 
barer ed war, wad er an ihm gethan, deſto deutlicher fagte er, 
daß dies von ihm kaͤme. Und freilich, verſtekktes Weſen iſt nicht, 
was den Chriften ziemen kann; das ift freilich, was die Kinder 
der Welt Klugheit nennen, aber auch da zu richten und zu ſtra 
fen, wo es Gefahr bringt, ift Pflicht für die Kinder des Lichts 
Nur durch offned Verfahren können wir unfer Recht dazu an 
den Zag legen, und fo wie in dem, was ber Apoflel that, ie 
finden wir auch darin, wie ers that, ein Geſez, welches wir alle 
zu befolgen haben. Es liegt audy in der Natur der Sache ; denn 
der Endzwekk wird verfehlt dadurch, daß feinem etwas uͤbeles 
gefchehen foll; fondern nur dadurch, daß der Erfolg zeigt, es fe 
diefer Eifer fürd gute und die innere Berechtigung, dadurch, daß 
Beifpiele gegeben werden, daß es nicht ungeflraft bingeht, wenn 
dem guten und wahren Widerfland geleiftet wird, gelangen wir 
zum Zwekke; und diefe Urtheile diefe Strafbeifpiele fönnen nur 
aufgeflellt werben, wenn wir mit großer Redlichkeit und Offen: 
beit zu Werke gehn. Auch wird das Herz bed reblichen fürs 
gute entbrannt nichtd andered treiben; denn ber Eifer will ans 
Licht und kann nicht auf dunkeln Wegen gehen. 

NM. Zr, wie bamald dad Chriſtenthum begründet wurde 
durch dieſen zweifachen Grund, durch Wohlthaten unb Strafen, 
welche die Menfchen fürchten und bewundern mußten: fo aud | 











499 


kann jegt nur jedes gute feftgehalten werben auf eine zweifache 
Beife. Laßt und Wunder thun in liebreichen Unterflügungen, 
in BWohlthaten, in allem, was wir zu thun vermögen um bad 
geiflige und irdifche Wohl ber Brüder zu fürbern; aber auch 
under thun darin, dag wir das Strafichwert ziehn zu fechten 
für das höchfle, damit bie Feinde des guten fich fürchten und 
bewundern lernen die Kraft, welche fich offenbart im Worte des 
Herm. Wenn wir jener Schwachheit das Lafter nicht entlarven 
zu wollen nicht entfagen und in die Fußflapfen berer treten, die 
fo durch liebes und leides das Meich Chrifti begründet haben, 
[o werden wir ed auch nicht erhalten. Aber bei treuem Eifer 
wird der Here auch die fchwache Hand flärken, und wir werben 
[hn, daß er auch und gefegnet hat mit Kräften, bie wol zur 
rechten Zeit Erfolge offenbaren koͤnnen, vor denen bie Welt ers 
faunt, um Bahn zu mahen unferm Erlöfer durch die Kraft 
feined Worte! Amen. 


gi 2 





XIV. 


Ueber die fortwährenden Geiftesbedürfniie 
derer, welche fchon dem Evangelio Gehör 
gegeben haben. 


Ueber Apoſtelgeſch. 14, 20 — 22. 


Am 17. Sonntage nad Zrinitatis. 


Tert. Apoftelgefh, 14, 20— 22. 

Und auf den andern Tag ging er aus mit Bam 
bad gen Derben, und predigten berfelbigen Stabt das 
Evangelium unb unterwiefen ihrer viele, und zogen 
wieder gen Lyſtra und Ikonien und Antiochien, flär 
ten die Seelen ber Jünger und ermahnten fie, daß ft 
im Glauben blieben, und bag wir durch viele Trübfel 
müffen in das Reich Gotte gehen. 


M. FIr. Wohin der Apoſtel Paulus auch kam, da war bie 
Gnade und der Segen Gottes mit ihm; das Wort feiner Ber 
Tünbigung des Evangelii faßte Wurzel, und viele Seelen wunden 
gewonnen und binzugethan zu ber Gemeinde ber gläubigen. Und 
wenn er zuruͤkkkam zu feinen Brüdern, fo konnte er ruͤhmen, 


501 


wie ber Geift Gottes mit ihm geweſen war; wie biefer Geiſt 
ſich durch feine göttliche Kraft ber Gemüther bemächtigt hatte, 
alfo daß er Feinen Unterfchied machen durfte zwifchen ben Neu⸗ 
befehrten und ben Altern Belennern bes Glaubens und benen 
fetbft, welche das Evangelium vertündigten. So war ed damals, 
und fo iſt ed noch jezt. Es ift ein wunderbarer allem Verſtande 
zu boher Erfolg, wenn bie Lehren des Evangeliumd zuerſt ein 
menfchliched Gemüth mit ihrer ganzen Kraft ergreifen; jezt wie 
damals zeigt ſich der Geift Gottes als dad ewige, unbegreifliche 
und über alle menfchliche Kraft erhabene. 

Aber dennoch, wenn ber Apoftel ſich eine Weile geftärkt 
hatte bei ben Alten Genofien bes Glaubens, fo z0g ihn fein 
Herz wieder zu befuchen die Städte, wo er geweilt unb gewirkt 
hatte, um die Brüder dafelbft zu flärfen. Auch nachdem ber 
Geift Gottes fich ihres Gemuͤths bemächtigt hatte, fand er noch 
eine zweite wiederholte Arbeit an ihnen nöthig.- Das m. Fr., 
das iſt gewiß auch die Erfahrung, die jeder an fich felbfl und 
andern, für bie und an benen er gearbeitet, zu machen Gelegen⸗ 
beit hat. Laſſet und denn zufolge unfered Textes, indem wir 
unfern Blikt eben fo auf jene Zeit wie auf unfer eigenes innere 
gerichtet halten, mit einander nachdenken über die fortwäh: 
renden Geifteöbedüurfniffe derer, welche ſchon dem 
Evangelium Gehör gegeben haben. Welches find dieſe 
Bedürfniffe, und wie werben fie befriedigt? 

Die Erzählung von dem, was der Endzwekk bed Apofleld 
war bei feinen neuen Reifen, faßt und beides in zwei Stüffen 
zuſammen. Erftlich, er ging zu ihnen ihre Seelen zu ſtaͤr⸗ 
fen, daß fie beharreten im Glauben, und zweitens, er 
ging zu ihnen um fie zu belehren über die nädfte Zus 
tunft, und daß wir nur durch Zrübfale in daß Reid 
Gottes Eönnen eingehen. Diefes beides laſſet und näher 
mit einanber erwägen, | 


502 


Wenn der Menfch zuerft von der Gnade Gottes auf ſolche 
Beiſe ergriffen wird, dag man fagen kann, ber Geift des Herm 
nehme Beltz von feinem Gemuͤthe, fo fühlt er fi) gleichſam um 
geflaltet, und eine neue Art des Lebend geht ihm auf. Er iß 
nicht mehr der vorige; feine Anficht von fich, von der Welt und 
von feinem Zwekke in derfelben, die ganze Richtung feiner Kräfte 
ift eine andere; er fühlt fi) umflrahlt und durchdrungen von 
einem herrlichen Lichte, dad er vorher nicht geahndet. Wie fe 
ift der Menſch in diefen Augenblikk der erften Belehrung! Au: 
fordern tönnte er alle menſchliche Weisheit, ihn irre zu madıen, 
und alle Berfuchungen und Lokkungen, ihn zum Abfell zu vewe 
sen! Er fühlt fih nur befeelt von biefer göttlichen Kraft um 
zu nichts im Stande, als ihr zu gehorchen! 

Aber m. Fr., wie es bei jedem plözlichen Wechſel ift, fo aub 
bier. Wie es ein allgemeines Gefez ift, daß ed feinen plözlicen 
Uebergang giebt, fondern alles nur durch allmähligen Zortichrit 
gedeiht, fo fiellen ſich audy Erfahrungen in diefem befehrten ein, 
welche die Wahrheit dieſes ewigen Geſezes bemeilen. Es Tom 
men Augenblikke, wo der Menſch in Betrachtung ver Veraͤnde 
rung, die mit ihm vorgegangen, fich ſelbſt fremd ericheint; die 
innige Glut des Gefühls, die ſich im Anfang im Menſchen ent 
zündet, macht Raum einem Zuftande von Erſchlaffung, von Um 
Harheit des innern, und dies Gefühl gründet fich darin, daß Di 
höhere Kraft noch nicht vollfiändig dad Gemüth durchbrungen 
bat, daß fie noch nicht aller feiner Kräfte Herr geworben ik 
Da kann es denn kommen, daß auch feine Ueberzeugung wanl 
daß er zweifelt, ob er zu jenem hoͤhern Zuftand auch wirklich er 
hoben fei, ober ob ed nicht bloß ein Rauſch des erhöheten Ge 
fuͤhls gewefen fei; bald wieder, ob es überhaupt einen höhe 
Zuſtand gebe, ob nicht, was göttliche Kraft zu fein und in ihm 
zu wirken fchien, vorübergehe ohne eine Spur in ihm zuräft zu 


503. 


laffen. Es kommen Augenbliffe, wo er lich abgezogen fühlt von 
der ſtillen Betrachtung, von dem lebendigen Bewußtſein deſſen, 
was fich in ihm gebildet hatte, hingegeben der Sorge, den Ge⸗ 
(haften und alfo auch den Verfuchungen der Welt; die Sinn: 
lichkeit, der irdiſche Sinn regt fich wieder in ihm, er fühlt es, 
daß alte Gemwöhnungen ihre Rechte nicht plözlich fahren laffen, 
dag die alten Mächte, die ihn fonft beherrfchten, wieder Hand an 
ihn legen, um ihn, fei es auch nur für einzelne Fälle, ſich wieder 
zu unterwerfen. 

Mas m. Fr., wenn der Menfch fich fo überlaffen bliebe, was 
könnte entſtehen, als was auch die Erfahrung ung zeigt, daß er— 
entweder den Glauben an die Göttlichkeit deffen, was in ihm 
und mit ihm vorgegangen war, allmäplig verlöre; daß die Ges 
danken, welche in der Verworrenheit ded Gemüthes ftreiten und 
nur flreiten, um dem irbifchen den Sieg wieder zu gewinnen, 
auch wirklich die Oberhand behielten; oder daß er, fefthaltend den 
Werth und das Anfehn der höhern Macht, nur fich felbft vers 
achtete ald unmerth, weil unfähig ihrer herrlichen Wirkungen? 
Darum ift ed ein fich fo oft wiederholended Bebürfnig, daß ber 
Glaube geftärkt, die Seele befefligt werde zur Beharrlichkeit im 
guten; und m. Fr. was gehört dazu anders, ald daß dem Men: 
(hen die göttliche Gnade dargeftellt werde nicht nur ald eine 
ihn auf einmal burchdringende plözlich wirkende Kraft, fondern 
auch in der andern Geftalt ald die nachjichtige, langmüthige, er 
ziehende göttliche Milde, als die ewige Kraft, die nicht mübe 
wird immer aufs neue ſich zu vereinigen und inniger zu verei- 
nigen mit’ dem Gemürhe, als die, welche, wenn traurige nieders 
Ihlagende Erfahrungen, die ber Menſch in ſich ſelbſt macht, 
ihn zuruͤkkfuͤhren auf die Stelle, wo er früher fland, fih dann 
offenbart in der Traurigkeit, die den Menſchen bei diefer Selbft- 
erkenntniß erfüllt? Dadurch muß der Glaube geflärkt werben, 
daß die Mahrheit des Evangeliums dem Menfchen bargeftellt 
wird ald die allmählig ihm erleuchtende, und die Kraft beffelben 


514 


nichts übrig bleibt ald audzurufen, Herr, ich glaube, hilf me 
nem Unglauben *)! Denn flatt fich fefter einzuwurzeln ih de 
gläubigen Ueberzeugung, flatt zu vertrauen, dag aller Fehler 
und Vergehungen ungeachtet dennoch die Gnade und Liebe Got 
ted gilt, flatt defien nimmt er feine Zuflucht zu dem alten, un 
je öfter er dad gethan, um deſto leichter möchte er denn aud 
andern diefe Laſt auferlegen. Laßt und 





zweitend aus der Gefchichte lernen, was der Apoſtel 
that, um dieſe VBerfuhungen zu befiegen. 

Dad erſte war, daß er die Verfammlung erinnerte, wi 
alle jene Vorfchriften nur eine Laſt wären und ein Zoch, welches 
weber fie noch ihre Vaͤter hätten mögen tragen; und das fei eh 
woran auch wir und erinnern, baß alles außer dem Glauben 
nur eine Laft iſt und ein unerträgliches Joch. 

Wie wahr died geweſen ift von bem, was damals nod his 
zugefügt werben follte, von diefer Menge äußerer Gebräuche, di 
ſich durchs Leben hindurchzogen und die Aufmerkſamkeit deö Me: 
hen in jedem Augenblikk vom Höchften abwandten, die Richtung 
auf den einen großen Gegenfland verhinderten, darüber Tann kein 
Zweifel fein. Aber ed ift fo mit allem, was die Menfchen an 
bie Lehre von der Gnode und Liebe Gottes noch von außen an 
heften wollten. Wenn wir an die Stelle jener äußern Gebraͤuche 
auch ſezen wollten die einfachen und heiligen Gebräuche des Chri: 
ſtenthums, und den Befolgungen derfelben, infofern fie Aufer 
find, einen Werth zufchreiben: fo werben wir auch von ihnen 
geftehen muͤſſen, daß fie nichts feien als eine Laſt und ein Ich. 
Denn was kann ed befchwerlichere und läftigeres geben, als fi 
binaufflimmen zu wollen zur Andacht in einer Lage und zu ei⸗ 
ner Zeit, wo fein Beduͤrfniß dazu treibt. Ja wenn dasjenige, 


”) Mar. 9, 24. 








505 


fie dieß glauben gelernt hatten, fie nun auch mit Ungeduld war: 
teten auf die vollkommene Offenbarung ber Herrlichkeit des Herrn 
und feined Wortes, und ed drängte fie zu fehn, wie alle, die 
weit umber gläubig geworben waren, nun vollfommen erleuch⸗ 
tet unb befeligt würben, aber auch gefchieden bie verſtokkten, das 
mit ber Tag erfchiene, wo bie guten von den böfen abgejonbert 
würden, und ed nur ein Reich Gottes gäbe und eine Gemeinde 
der gläubigen. 

Nicht viel anderd m. Fr. find auch jezt noch die Erwartun: 
gen der zuerft im Evangelium erleuchteien. O, eben in jener 
at der erften Liebe, des erften warmen Eiferd erfcheint jedem, 
der von ihm fich durchdrungen fühlt, das Chriſtenthum als bie 
ehabene Macht, daß er meint, ed koͤnne nicht fehlen, daß wie 
er. auch alle andern von ihm ergriffen würden, baß, wie er ich 
anffagen muß, daß ihm fo lange die Gnade ded Herrn verge: 
bend nahe gewefen fei, er eben auch ein ſtrenges Urtheil fällen 
und von Gott erwarten dürfe über die, die das ihnen dargebo⸗ 
tene Gefchen nicht annehmen. So bildet fid) dann jener Eifer, 
welcher aufs ſtrengſte die wahren Genoffen des Glaubens trennt 
von den Kindern diefer Welt, fo die Ueberzeugung, bag eben die: 
fr Geiſt Gottes in und eine Kraft fei, um unferm Gemüthe 
Freude zu bereiten, und daß binfort feine Trauer treffen kann 
den, der fich fühlt in Gemeinichaft mit Gott und Chriſto. Aber 
m. Fr. es kommen dann fpätere Erfahrungen, ed verzögert fich 
bie firenge Scheidung der guten und böfen, dad Gemuͤth fühlt 
ſich wankend in feinem Urtheile, und ed wagt nicht mehr zu 
unterfcheiden,, welches bad ihm gleiche verbrüberte Gemüth fei, . 
und welches nicht; es kommen Erfahrungen, daß, wie dad Ge: 
müth den Werfuchungen nicht verfchloffen iſt, fo auch Leiden In 
daſſelbe eindringen. Bald artet dad aus in Verzagtheit, bald 
wird der Menſch jenen Vorſtellungen zum Raube bingegeben, 
daß Trübfale und Leiden nichts feien als die Strafen ber Sünde. 
Darum miffen wir und von Zeit zu Zeit beiehren laſſen über 


506 


bie Zußunft, und wie dad der Apoſtel gethan hat, ſehn wir aus 
feinen begeifterten Reden und Briefen an feine Bruͤder. Wir 
Jeſus feine Apoftel belehrte, indem er fie zu ſich rief und zu ih 
nen ſprach, Die Ernte iſt groß und ber Arbeiter wenig, bittet, 
daß der Herr Arbeiter fende *): fo belehrte auch oft der Apoſtel 
die Chriften, daß der Here aus Liebe verzögere ihre Erwartun- 
gen; lehrte fie, wie nur allmählig die Früchte des Geiſtes reifen 
und die Herzen gereinigt würden, fo auch nur allmählig him 
durchbringe dad Licht und die Kraft und bie Gnabe bed Evan: 
geliumd; wie bad, was fie erwarteten, zufolge ber Rathſchluͤſſe 
des Höchften nichts anderes fein koͤnne, als ihr und ihrer Rad: 
kommen Werk, die Krucht ihrer Treue und Arbeit. Wie er felbf 
gelehrt worden war, ald er klagte über alle Truͤbſale, durch jene 
bimmlifche Stimme, Laß dir genügen an meiner Gnade **), die 
rief er auch allen zu, baß fie ſich genügen ließen, aber auch fe 
und immer fefter fich überzeugen, daß alles guted und leibes nur 
herkomme von diefer Gnade, daß fie durch Wohlthaten und Trüb: 
fale fich verherrlichen wolle, daß denen, welche ben Herrn lieben 
und feiner Gnade theilhaftig worben find, alle Dinge zum beim 
dienen müßten ***). 

Meine chriftlichen Freunde, unfer ganzed irdiſches Leben if 
nichts anderes ald ein beftändiger Wechfel zwifchen folchen feligen 
Augenbliften, wo mit neuer Kraft der Geift ded Herm und al: 
les herrliche unfere ganze Seele durchdringt, gleich jenen Augen: 
blikken, wo wir zuerſt die Wahrheiten unferd Glaubens in gott: 
lichem Lichte erblifften, und zwifchen foldhen, wo wir die menſch⸗ 
fihe Schwäche erfennen, wo wir zum böfen verfucht werben, wo 
unfer Glaube bie Geftalt deö irbifchen annimmt, wo wir neue 
Stärkung und Erleuchtung bedürfen. Wolan, zu und kommen 
nicht mehr leiblih und yerfönlich die Lehrer, welche ber Hen 
audgefandt hatte; aber ihr Wort wohnt unter ums, aber ihre be 





” Math. 9, 38. )2 Kor. 12, 9 ) Rbm. 8, 23 


507 


geifternben Reden haben wir, und was der Apoftel in ber Heben 
zeugung, daß er fie nicht oft mehr wieberfehn würde, that und 
im folgenden erzählt wird, Und er orbniete an aͤlteſte und Leh⸗ 
rer der Gemeinde und betete mit ihnen und empfahl fie dem 
Her, das ift audy unter und gefchehen, und belehren und flärs 
tm im Glauben follen wir jeder den andern, worin er felbft flär- 
fer iſt. Dazu ift die Gemeinfchaft der Kirche gefliftet; vorzüg: 
lih aber auch, was jebeömal gefchah, wenn der Apoftel lehrte, daß 
er daB gefegnete Brot brach mit ihnen, dieſe unmittelbare Ges 


meinfchaft, die wir erneuern koͤnnen mit dem Herrn, biefe Wirs. 


tung unſers Geiſtes aus dem feinigen, das beruhigende, das über 


alles irdifche und zu ihm erhebende Gefühl, daß wir eins find 


mit und durch ihn, das ift die Wirkung des Glaubens, dad ge: 
währt Befeſtigung der wankenden Seele, und da kommt uns 
Eicht, wenn wir irren. So fei diefe Gemeinfchaft und allen und 
auch denen gefegnet, die fie jezt befennen wollen vor dem Tiſche 
des Herm! Amen. 





XV. 
Leber die Natur der Verſuchung, die chriſt⸗ 
lihe Wahrheit durch menfchliche Zufäze 
zu ergänzen. 





Ueber Apoſtelgeſch. 15, 1 — 12 


Am 19. Sonntage nah Zrinitatiß. 


W. uns in der aͤlteſten Urkunde auf eine mit unſerm Ge 
fühl fo ſehr uͤbereinſtimmende Weiſe erzählt wird, daß ber erſie 
Menſch, in den vollkommenſten Beſiz der goͤttlichen Wohlthaten 
geſezt, bald verſucht worden nicht nur durch bie ſinnliche Luſt, 
ſondern durch das Beſtreben, die Erkenntniß des guten auf ei⸗ 
nem andern Wege als dem des Gehorſams zu finden, und in 
dieſer Verſuchung unterlegen ſei; wie in einer deuturgsreichen 
Geſchichte der Erloͤſer ſeinen Juͤngern erzaͤhlt, daß auch er beim 
Antritte ſeines Lehramtes verſucht worden ſei, auf einem andern 
Wege als dem ber treuen Erfüllung bed an ihn ergangenen göft: 
lichen Berufs fein Reich und feine Macht auszubreiten, daß er 
aber durch die Kraft von oben gefiegt habe: fo lefen wir auch 
in ber Geſchichte des Chriſtenthums, baß ber noch nicht lange 
geichloffene Bund der gläubigen, gegründet auf das göttliche Ge: 





509 


bot Chrifti, ihn zu lieben und feine Brüder, und auf die Verhei⸗ 
gung, dadurch eins zu fein mit ihm und dem Vater, daß aud) 
diefer iſt verfucht worden, auf einem andern Wege als dem bes 
treuen Gehorfamd und Glaubens fi) der Gnade Gottes gewiffer 
zu machen. Und eben diefe Verfuchung, durch frembe Zuſaͤze 
die einfache Weisheit des Evangelii zu verunreinigen, in der Meis 
nung, fie zu fördern, iſt oft wiedergekehrt, und nur durch vielfäls 
tige Kämpfe hat fich die chriftliche Wahrheit geläutert und herr 
lich bewielen an denen, bie ihr anhingen. Aber immer gab es 
auch in diefer Verſuchung einige, welche unterlagen, welche ihr 
Gewiſſen befchwerten und ſich brachten um den. Genuß ber goͤtt⸗ 
lihen Gnade, und nicht anders ald durch Kämpfe kann auch in 
Zukunft die chriftliche Wahrheit. beftehn, und einer erfreut fich 
derfelben, der nicht einen folchen Streit in feinem innern beflan» 
den bat. So laßt und an dem göttlichen Worte zu erfennen 
fuchen, wie diefe VBerfuhung komme und befiegt werbe, bamit 
wir Feſtigkeit gewinnen für alles, was ald Zweifel in und auf: 
gehen koͤnnte! 


Text. Apoſtelgeſch. 15, L— 12. 

Und etliche kamen herab von Judaͤa und lehreten 
bie Brüder, Wo ihr euch nicht befchneiben laſſet nach 
ber Weife Mofis, fo koͤnnet ihr nicht felig werden. 
Da fih nun ein Aufruhr erhob, und Paulus und Bars 
nabad nicht einen geringen Zank mit ihnen hatten, 
orbneten fie, daß Paulus und Barnabas und etliche 
andere aus ihnen hinaufzögen gen SZerufalem zu ben 
Apofteln und älteften um dieſer Frage willen. Unb 
fie wurden von ber Gemeine geleitet und zogen burch 
Phönizien und Samarien und erzählten den Wandel 
der Heiden und machten große Freude allen Brüdern. 
Da fie aber anlamen gen Ierufalem, wurden fie ems 
pfangen von der Gemeinde und von ben Apofteln und 


510 


von den älteflen; und fie verfündigten, wie viel Set 
mit ihnen gethan hatte. Da traten auf etliche von 
der Pharifäer Secte, die gläubig waren geworben und 
fprahen, Man muß fie befchneiden und gebieten zu 
balten dad Geſez Mofis. Aber die Apoflel und bie 
älteften kamen zufammen, biefe Rebe zu befehen. Da 
man fich aber fange gezanket hatte, flanb Petrus auf 
und fprach zu ihnen, Ihr Männer, liebe Brüder, ih 
wiffet, daß Gott lange vor biefer Zeit unter und er: 
wählet hat, dag durch meinen Mund bie Heiden das 
Wort ded Evangeli hörten und glaubten. Und Golt, 
der Herzenskuͤndiger, zeugte über fie und gab ihnen 
den heiligen Geift, gleich wie aud und, und machte 
keinen Unterfchieb zwiſchen und und ihnen und reinigte 
ihre Herzen durdy den Glauben. Was verfudht ih 
denn nun Gott mit Auflegen des Jochs auf der Juͤn⸗ 
ger Hälfe, welches weder unfere Wäter noch wir ba 
ben mögen tragen? Sondern wir glauben, burd bie 
Gnade ded Herm Jeſu Chriſti felig zu werben, gie 
cherweiſe wie auch fi. Da fchwieg bie ganze Menge 
file und hörten zu Paulo und Barnabe, bie da er 
zählten, wie große Zeichen und Wunder Gott -burd) fie 
gethan hatte unter ben Heiden. 


Das war ber erfle Streit, den bie lautere und einfältige 
hriftliche Wahrheit zu kaͤmpfen hatte, daß fie follte vereinigt wer: 
den mit dem, was früher unter den Juden gegolten hatte, baf 
bie Hoffnung des Glaubend noch auf etwas anderes follte gegrün: 
bet werben, denn allein auf Chriftum und auf den Bund mit 
ihm, und wir fehn, wie felbft damals fchon in jenen erflen Zei: 
ten der Liebe und, wie man glauben follte, auch der Klarheit die 
Verfuchung nicht gering war und viel geftritten werben mußte, 
bis die Wahrheit Chrifti in dad vechte Kicht gefezt, und auch bie 


511 


irigen Gemuͤther erleuchtet wurden. Unter vielfachen andern 
Geſtalten ift in der Gefchichte der chriftlichen Kirche oft wieder: 
gekehrt eine ähnliche Werfuchung, zu dem was Jeſus gelehrt und 
verordnet hatte, um baburdy der Gnade Gotted gewiß und theil: 
baftig zu werben, noch etwas andered hinzuzufügen, als ob der 
Menſch zu dem von Gott georbneten noch etwas binzuthun 
könnte. So laßt uns, weil dieſer Kampf noch nicht geendigt, 
fondern in eigenthümlichen Geftalten fi) immer erneuert, nachden» 
ten über die Natur diefer Verſuchung, die hriftliche 
Wahrheit durch menſchliche Zuſaͤze zu ergaͤnzen. Laßt 
und erftlich betrachten, wie fie entſtehe, und zweitens zus 
fehn, wie fie überwunden werde. 


1. 


Wenn wir und fragen, wie body unter denen, welche ber 
Stimme bed Evangelii Gehör gegeben, die Forderung entftehn 
tonnte, die befehrten Chriften dem jübilchen Geſez unb allem das 
mit verbundenen Unweſen zu unterwerfen: fo muͤſſen wir ant: 
worten, ed ging Died aus von einer alten Gewoͤhnung. 
Die Apoftel und die aͤlteſten der chriftlichen Gemeinde zu es 
ruſalem waren gefammelt aus den Juden, die an bad Gefez ges 
bunden waren und ſich verpflichtet hielten demfelben getreu zu 
bleiben, weil es nicht bloß eine Sache des Glaubens war, fons 
dern auch vielfältig verflochten ind Leben, und zwar zugleich in 
der Abficht, dag alle in näherer Verbindung zufammengehalten 
würden, welche fich an dieſes Gefez anfchloffen. Indem fie nun 
erzählen hörten, welche große Thaten ber Geift Gottes durch ben 
Apoftel gethan hatte unter den Heiden, und fie ſich aufgeforbert 
fühlten mit biefen neubefchrten den Bund ber Liebe und Freund⸗ 
(haft zu fchließen: fo erhoben fi auch die alten Forderungen 
dad gewohnte Geſez mit ihnen zu theilen. 

So entfernt dies von unferm eigenen Zuflande zu fein fcheint, 
fo finden wir in bemfelben boch Annäherungen genug dazu. Ein 


f Lirrary of the ” 


UNION THELLOGICAL SEMINARY 


Now York 


512 


mal ift ed wie überall fo auch befonbers bei uns, daß fich ein 
vielfältiged Gewebe von äußern Handlungen, Sitten, Gebräu: 
chen anſchließt an die Verhältniffe, in welchen wir flehn, unb an 
das, was aus dem innern bed gläubigen Gemüthes ald wahre 
Aeußerung bed göttlichen Geifted hervorgeht; und auch wir ma: 
chen da leicht die Forderung, daß die, mit denen wir is näher 
Verbindung ber Frömmigkeit treten, und aud in allem andem 
Leben ähnlich werden follen, befchränten dadurch den Bund, in 
weichem alle Chriſten ſtehn follen, und fezen zwifchen dem unaͤhn 
lichen eine Entfernung, die und nicht geziemt. 

Aber m. Fr., wenn wir noch tiefer in die Ratur dieſer 
Forderung einbringen, fo finden wir, bag nach dem jübifchen 
Glauben diejenigen, welche dad Geſez nicht halten wollten, micht 
foliten felig werben Tönnen; und viele, bie Chriſten geworben 
waren, mochten auf die Treue und ben Gehorfam gegen ben al⸗ 
ten Bund, der durch den neuen nicht aufgehoben fonbern ven 
ebelt fei, einen folchen Werth fezen, daß fie auch die Erfüllung 
dieſer Vorfchriften noch für nöthig hielten. 

Und aud bad m. Zr. iſt unter und nicht anders, fordern 
ebenfo. Bon dem Beſtreben fi) der göttlidyen Grabe gewiß hal: 
ten zu können ift kein Menſch ganz fern als ber verberbte; aber 
nicht allen, die dies Beflreben fühlen, iſt ſchon jene Erleuchtung 
zu Theil geworben, welche die Gnade an die gläubigen austheilt; 
fondern die noch nicht von ihr ergriffen und durchdrungen find 
zeichnen fich felbft einen Weg, um zu diefem Biele zu gelangen, 
und es werden wol wenige fein, die nicht aus einer frühen Zeit 
ihres Lebens fich etwas der Art follten zu erinnern haben. So 
lange ed dem Menſchen an der innen Berwandlung fehlt; io 
lange er die göttliche Kraft und Gefinnung nicht fühlt, derm 
Beſiz die Entfernung zwifchen Gott und ihm verſchwinden macht: 
fo bleibt nichts übrig als einen aͤußern Maaßſtab anzunehmen, 
um biefe Entfernung danach abzumeffen; daher zerfällt ihm baB 
Eeben in die unendliche Anzahl Auferer Thaten; der Menſch 


513 


rechnet ab gegeneinander dasjenige, was ihn entfernt vom hoͤch⸗ 
fen Weſen, und dad, wodurch er den Schein gewinnt ben gött: 
lichen Abfichten nachgelebt zu haben. Was ihm fo geminnreich 
ericheint, dad faßt er zufammen in ein Bild, beffen Züge er fich 
einzupraͤgen fucht, und ſtellt allmählig mit feſtem Glauben bie 
Regel auf, daß Thaten diefer Art das Mittel find, um die Feh—⸗ 
ler und Bergehungen abzubüßen. 

Zu biefem Wahne, bei welchem eine wohlbegründete Ruhe 
des Gemuͤths nicht beftehen Tann, wobei der Menſch nur im 
Vorhofe flehend nicht ins innere Heiligthum der Gemeinſchaft 
mit Gott eindringt, geſellen ſich noch mehrere Außerliche Vorſtel⸗ 
langen, und er findet oft Beruhigung für bad Gemüth in ber 
Anrechnung folcher Dinge, die an und für fich felbft Beinen Werth 
haben, und die nur ein Außerer Anhang find zu etwas größerem. 
Wie es Gewöhnungen giebt in den gefelfchaftlichen Verhaͤltniſ⸗ 
in, in den Anflalten zur Bildung des Geiſtes: ſo auch eben 
ſolche in dieſem Gebiete des Glaubens, und dieſe alten Gewohn⸗ 
heiten, weiche herruͤhren aus ber Seit, ehe Die Menſchen erleuch⸗ 
tet waren, find nicht gleich auögerottet, fie mifchen fi) auch ins 
folgende Leben und flören. oft die reine Einfalt und bie Ruhe 
des Gewiffens. j 

Und die Kraft diefer Gewoͤhnungen wirb erhöht durch den 
Unglauben, welcher im Gemuͤth fic) neben dem noch nicht befe: 
figten Glauben befindet. Wenn dem Meenfchen die Weberzeu> 
gung von dem aufgegangen iſt, was noth thut, wenn er erfannt 
hat, dag nur göttliche Gefinnung den Menfchen mit (Sott verei⸗ 
nigen und verföhnen Tann: fo ift dieſe Weberzeugung in bem 
Maaße, al er fie erfaßt hat, die Regel feines Erkennens gewor: 
den; aber er wird ihr in feinem Thun noch nicht immer folgen 
konnen; noch oft wird das alte herrichen, und wenn er bann 
fieht, daß die Ueberzeugung doch nicht flarf genug ift, um ihn 
immer ficher zu leiten, dann entfleht jener unbegreifliche Zuſtand, 
wo der Menſch glaubt und wieher nicht, und wo ihm dann 

Predigten 1. 4; 





514 


nichts übrig bleibt als auszurufen, Herr, ich glaube, hilf mei⸗ 
nem Unglauben *)! Denn flatt fich fefter einzuwurzeln ih der 
gläubigen Ueberzeugung, flatt zu vertrauen, daß aller Fehler 
und Vergehungen ungeachtet dennoch bie Gnabe und Liebe Got: 
tes gilt, flatt defien nimmt er feine Zuflucht zu dem alten, und 
je öfter er dad gethan, um deſto leichter möchte er denn aud 
andern dieſe Laſt auferlegen. Laßt und 


zweitend aus ber Gefchichte lernen, was der Apoſtel 
that, um biefe Berfuhungen zu befiegen. 

Dad erſte war, daß er die Verfammlung erinnerte, wie 
alle jene Vorfchriften nur eine Laft wären und ein Joch, weidhes 
weber fie noch ihre Väter hätten mögen tragen; unb das fei es, 
woran auch wir und erinnern, daß alled außer dem Glauben 
nur eine Laſt iſt und ein unerträgliched Joch. 

Wie wahr died gewefen ift von dem, was damals noch hin; 
zugefügt werben follte, von dieſer Dienge äußerer Gebräuche, bie 
ſich durchs Leben hindurchzogen und die Aufmerkfamleit des Men: 
ſchen in jebem Augenblikk vom Hoͤchſten abwandten, die Richtung 
auf ben einen großen Gegenftand verhinderten, darüber kann kein 
Zweifel fein. Aber es ift fo mit allem, was die Menfchen an 
die Lehre von der Snede und Liebe Gottes noch von außen an: 
heften wollten. Wenn wir an die Stelle jener äußern Gebräuche 
auch fezen wollten die einfachen und heiligen Gebräuche des Chri⸗ 
ſtenthums, und den Befolgungen derfelben, infofern fie Außere 
find, einen Werth zufchreiben: fo werden wir auch von ihnen 
geftehen müffen, daß fie nichts feien als eine Laſt und ein Joch. 
Denn was kann es befchwerlichered und laͤſtigeres geben, als fih 
binaufflimmen zu wollen zur Andacht in einer Lage und zu ei: 
ner Zeit, wo fein Bebürfniß dazu treibt. Ja wenn dasjenige, 


*) Mari, 9, 24. 


515 


was ber Natur nach rein geiftig ift, auch nur aus freier Neigung 
hervorgehen kann; wenn es dadurch, daß ed zur Pflicht und 
Schuldigkeit gemacht wird, herauögeriffen ift aus dem Zuſam 
menhang mit dem innern: fo wird es dad geifllofefte und leerfte 
aber- auch das unerträglichfte, und nichts ift, was fo die Kräfte 
bes Geiftes flört und ſchwaͤcht. 

Und eben fo, m. $r., find es irgend andere äußere Uebungen, 
wodurch der Menſch feine Sinnlichkeit ertöbtet, feinem Sleifche 
Abbruch thun, ober durch Entfagung, durch Anftrengung irgend 
etwas gutes hervorbringen will, aber fo, daß Died nicht hervor: 
geht aus feinem Beſtreben beffer zu werden, und ohne baß dieſe 
Beſtrebungen Tiegen auf dem Wege feined Berufs: fo find auch 
fie nicht8 anderes als ein hartes Joch. Wol ift ed etwas edles, 
wenn der Menſch herftellt das Verhaͤltniß zwifchen der Vernunft 
und Sinnlichkeit, daß jene allein herrfche, diefe allein diene, und 
wol kann dee Menfch durch Uebung dahin gelangen; aber fie 
muß auf dem natürlichen Wege liegen, jede andere Ertöbtung 
ſeiner Sinnlichkeit kann ihm nur eine Laft fen und ein brüf: 
kendes Joch. 

Dad zweite, was ber Apoftel that, war, daß er bie, welche 
Aergemiß nahmen an feinem Verfahren, baran erinnert, wie ber 
Geift Gottes über fie gefommen wäre ohne Unterfchied zu ma- 
Gen, und dies iſt dad zweite Mittel jener Verſuchung' zu entgehn. 

Es ift eine Erfahrung, die wir nicht bloß in einem bes 
Rimmten Falle gemacht haben und die fo fern liegt, fondern 
fe iſt das tägliche Leben unter den wahren Chriften, keiner 
lann den Gegenfaz verkennen zwifchen dem bebrüfften nur aufs 
äußere gerichteten Zuftande derer, die außer dem Glauben und 
der Liebe noch etwas nöthig haben, und zwifchen der heitern Ruhe 
derer, welche ungeflört ben einfachen Weg des Glaubens halten. 
Nicht als ob fie nicht auch die Schwäche der menſchlichen Nas 
tur fühlten und es inne würden, daß der Menſch .nur langſam 
genefe zur Heiligung; aber wer durch nichts anderes fliegen will, 

— Kk2 


516 


als durch die Kraft Ehrifti, und wer ſich auf bad Zeugniß feine 
Gewiſſens dabei berufen Tann, was foll dem fehlen! WBarım 
fol der Menſch da bezeugen, daß er ſchwach iſt? denn er Hi 
ſtark durch die Gnade Gottes! unb wenn er fühlt, daß fc 
ganzes Leben darauf gerichtet ift, Ehre zu machen der Gnabı 
Gotted, wenn er nur Werth legt auf dad, was ihm biefe ver 
fchafft, fo muß er ſich auch würdig fühlen berfelben! So waı 
über jene der Geift Gottes gelommen; fo lebten viele unter de 
nen, bie erft jüngft zum Evangelium belehrt waren, in ruhige 
Heiterfeit des Glaubens und der Liebe. 

Auf diefe ruhige Ueberzeugung, auf dieſe gleichmäßige Ge 
muͤthsſtimmung weift der Apoftel hin um den freitenden Zube 
hriften zu zeigen, wie weit beffer die baran wären, welche nicht 
zweifelten an der fchlichten Wahrheit des Evangeliumd, und dan 
erinnerte er fie dann noch drittens an den alten Bund, umd, 
weit fie felbft jenes Joch nicht hätten tragen können, daß aub 
fie nur burch die Gnabe Gottes felig zu werben hofften. 

Was koͤnnte anderes uns biebei entſtehn, als bie lebendig 
Erinnerung an die Zeit, wo jeber einft ben Bunb mit feinem Er 
Löfer geſchloſſen Hat? und dies ift dad befle Mittel, bie auffe: 
genden Gedanken und Zweifel zum Schweigen zu bringen; je 
an biefer Erinnerung bat jeder Ehrift in fi) ein Pfand um 
Siegel bed Glaubens, ein Mittel ſich zurecht zu finden über all 
Irrungen. Ia m. Fr., indem das Chriftentbum in alle ander 
Schikkungen und Entwikkelungen der menfchlichen Angelegenhe' 
ten mit verwißtelt iſt; indem es aͤußerlich eine andere Geflalt an: 
nimmt, je nachdem es anders mit Worten und Formen audge 
drüßft wird: fo kommt es in Gefahr entflellt zu werben buch 
etwas fremdes. Aber ed giebt barin ein bleibende, gleiches, ein 
faches, welches nichtd anuehmen will von allem was außer ihm 
liegt, und bies iſt die Ueberzeugung von bem göttlichen in und, 
von der Aehnlichkeit unferd Weſens mit Gott, unfere Gemein 
ſchaft mit ihm, bie uns nicht deutlicher kann gemacht werben 


317 


als durch das Bild des Erloͤſers. Daran halten wir und, wenn 
unfer Glauben Gefahr läuft, an ben Klippen falfcher menfchlis 
der Gedanken und Sazungen zu fcheitern: fo werben auch wir 
wie jene zum Schweigen gebracht werben, und bann erft kann 
und aufgehen der gläubige befonnene Blikk, vermöge deſſen ſich 
in und alle Lehren des Evangeliumd immer Plarer und reiner 
geftalten, nur fefter und gründen im Glauben an ihn; fo wird 
es wahr werben, daß wir außer ihm nichtö bedürfen; wir wers 
den ed einfehen, daß feine Liebe die Kraft ift, aus deren Fülle 
und Vollkommenheit und alles zu heil wird, mad Gott uns 
verbeißen!' Amen. 





xvi. 

Wie es Pflicht fei, das Recht aufrecht zu 

erhalten und ſich Genugthuung zu ver: 
(haften. 





Ueber Apoftelgefch. 16, 35 — 37. 


—— 





Am 21. Sonntage nah Zrinitati®. 


M. a. Fr. Wenn wir die Gefcyichte des Chriſtenthums und 
vorzuͤglich die frühere betrachten, fo fehn wir, wie es mit großen 
Anftvengungen, mit feltener und bewundernswürbiger Aufopferung 
ift begründet und auögebreitet worden in der Welt; wie bene, 
bie fich dieſes göttlichen Gefchäftd annahmen, nichts zu groß war 
und zu ſchwer, dem fie fich nicht unterzogen hätten, wie fie ſich 
alles irdiſchen entäußerten, damit andern das himmlifche gewon: 
nen werde, was fie felbft fchon in fich trugen; wie fie, von die 
fem Beftreben ergriffen, irbifcher Gewalt und bem verkehrten 
. Sinn ber Menfchen oft weichen, ja oft auch die natürlichen Ge 
fühle überwinden mußten, die jebem das Leben Lieb machen, abet 
andererfeitd nie aufhörten fi) allem Unrecht, gleich viel ob © 
ihnen, ob es andern gefchah, zu voiderfezen und auch auf das 


519 


keinen Werth zu legen, was ihr Eigenthum war, wenn fie nur 
etwas gewinnen konnten fürd Reich Gottes. Aus dieſen herrli⸗ 
den Beilpielen heldenmüthiger Zugend, indem fie betrachtet 
wurden von einem falihen Sinn, der nicht daffelbige Verlangen 
in fich fühlte, ift nachher der Wahn entftanden,. ala ob dad Chri⸗ 
fientbum feinen Belennern allein den Sinn ded Leidens und 
Duldend einflößte, als ob e& fie unfähig mache zu der Stärke, 
wodurch der Menſch allein das anvertraute bewahren Tann, als 
ob zu aller tapfern Gegenwehr gegen bad böfe und Uebel in ber 
Welt durch die Frömmigkeit der Menſch ungeſchikkt werbe. Das 
ber iſt es dantenswerth, daß die heilige Gefchichte und auch. Bei 
fpiele aufbewahrt, die jener Meinung entgegengefezt find, und 
welche beweilen, daß zur Behauptung beffen, wad einem jeben 
gebührt, dad Chriſtenthum felbft verpflichtee Eine folhe Erzaͤh⸗ 
lung finden wir auf dem Wege unferer Betrachtung über bie 
Geſchichte der Apoſtel. Sie fei eb, die wir zum Gegenftande un: 
feree Betrachtung machen, um auch hierüber den Sinn ber erſten 
Helden der Religion zu erkennen. 


Tert. poftelgeih. 16, 35 — 37. 

Und da ed Tag ward, fandten die Hauptleute Stadt: 
diener und fprachen, Log die Menfchen gehen. Und 
ber Kerkermeiſter verkündete diefe Rede Paulo, Die 
Hauptleute haben hergefandt, daß ihr los fein follet. 
Nun ziehet aus und gehet hin mit Frieden. Paulus 
aber ſprach zu ihnen, Sie haben uns ohne Redyt und 
Urtheil öffentlich gefläupet, die wir doch Römer find, 
und in das Gefängniß geworfen, und follten und nun 
heimlich ausſtoßen? Nicht alfo, fondern laßt fie felbft 
tommen und und binausführen. 


Der Apoſtel Paulus hatte ein auffallendes Unrecht erlitten. 
Mitten in der Erfüllung feines Berufs, ohne die bürgerliche 


820 


Drönung zu flören, war er von einigen übelgefinnten angeflagt 
worden; dadurch war eine Verfolgung entflanden, welche ihn, 
da nicht nach Recht und Geſez und gleihfam im Tumult ver 
fahren wurbe, in bad Gefängnig gebracht hatte. Der verlefene 
Theil diefer Erzählung zeigt und nun, wie fireng ber Apoſtel 
darauf befland, ſich Genugthuung zu verfchaffen wegen bed Un 
rechts, welches ihm geichehen war. Denfelbigen, den wir fonfl 
bereit fehen, ſich alles wiberfahren zu laſſen um feines SHerm 
willen, gleichgültig gegen alled Leiden und Uebel, dem er nicht 
entgehen konnte, "wenn er fein großes Biel erreichen wollte, ben: 
felbigen fehn wir hier mit Feſtigkeit auf fein Hecht beſtehn un 
zwar auf eine auffallende und für die, welche ihm Unrecht gethan, 
fränfende und demüthigende Weile. So laßt und eben bie, 
wie ed recht fei und alfo auch Pfliht das Recht auf: 
seht zu erhalten und und Genugthuung zu verfdai: 
fen, laßt eö und aus biefem Beifpiele lernen. Wir wollen ev 
flens auf die Gründe adten, welche ben Apoftel wol 
hätten abhalten Eönnen fo zu verfahren, und zwei— 
tens fehen, welches bie überwiegenden müffen gewe 
fen fein, die ihn zu einem folchen Verfahren veram 
laffen fonnten, 


Zuerft folten wir denken, was ihn wol hätte bewegen 
ſollen Nachficht gegen bie, fehlenden zu haben und ſich mit ber 
ihm dargebotenen Freiheit zu begnügen, das fei der Umftand, daß 
er es zu thun hatte mit obrigleitlihen Perfonen. 
Denn daß es nur unbedeutende mit geringer Macht begabte Die 
ner in einem Heinen Städtchen waren, wird ihm wol niemand 
zur Entfchuldigung anrechnen wollen; denn niemand wol wir 
ben Saz aufftellen, bag man, je höher die Hanbhaber bed Rechts 
geftellt find ‚ um beflo mehr fie ſcheuen müßte. Das wärt 


821 " 


eine unwärbige und ungeziemende Denkart. Recht, Drbnung 
und Gefez haben eine immer und überall gleiche Heiligkeit, und 
fie ruht auf allen, denen die Erhaltung derfelben aufgetragen ift, 
wie eng auch ihre Wirkungskreis, wie beichränft ihre Macht fei. 
Wovor wir und alfo fcheuen bei den mächtigen und angefehenen 
Dienern des Rechts, davor müfjen wir und auch fcheuen bei dem 
geringern, und dad Maaß unferer Ehrfurcht und Achtung und 
Schonung gegen fie muß nicht dad Maaß ihrer äußern Ehre und 
Macht und ihres Anfehns fein. Wir wiffen alle, wie wichtig 
es ift für das gemeinfame bürgerliche Leben ber Menfchen, daß 
die Achtung gegen bie Obrigkeit erhalten werde, wie mißlich, 
wenn auf den Perfonen biefer Art eine Geringfchäzung ruht ober 
ein Flekken, welchen dad Auge nicht überfehn und die Hanb ber 
Zeit nicht verwifchen Tann. Diele Anficht, folte man denken, 
müßte ben Apoftel veranlagt haben, gegen die, bie ihn beleidigt 
hatten, ſchonender zu fein und fie nicht zu einer Handlung zu 
nöthigen, die ihnen in den Augen aller, bie unter ihnen fanden, 
jur Verringerung ihres Anfehnd gereichen mußte. Aber Diefe Bes 
nrachtung hielt den Apoftel nicht ab auf fein Recht zu beftehn. 
Es konnte noch eine zweite fein. Die Hauptleute naͤm⸗ 
lich, welche ihn hatten fläupen laffen ohne ihn zu hören und 
feine Schuld eingefehen zu haben, man kann doch nicht fagen, 
daß fie gegen das Chriſtenthum und gegen ihn wären feindlich 
geſinnt gewefen, oder daß fie dad ihnen anvertraute Recht wegen 
eines eigenen Vortheils und Intereſſes gemißbraudt hätten, 
Sie waten nur verleitet worden durch andere, welche burch den 
Apoftel fich getrennt fühlten von irdifchen Vortheilen. Wie wir 
nun überall in Abficht auf die Leichtigkeit zum Ueberſehen und 
Berzeihen des gefchehenen Unrechts einen Unterfchied machen, je 
nachdem die Bewegungsgruͤnde verfchieben find, aus welchen eine 
ſolche unrechte Handlung entfprungen ift: fo, folte man meinen, 
hätte der Apoftel dieſes ſtrenge Verfahren fich vorbehalten follen 


922 


auf einen bebeutenberen Kal, und den Irrthum ober bie Leid 
tigkeit des Nachgebend gegen andere Menfchen eher überfehn fol: 
len. Aber auch diefe Betrachtung hielt ihn nicht ab auf feine 
Genugthuung zu beſtehen. 

Endlich koͤmte man noch fagen: ed kam für die gute 
Sadye, ber ber Apoftel diente, gar nichtd darauf an, ob er fo 
mit ber erhaltenen Freiheit, bie feine Unfchulb beweifen konnte, 
oder mit lauter Anerkennung feiner Unſchuld fich entfernte, oder 
ob er ſtill nnd heimlich diefen Ort verließ und fcheinbar den 
Dienern des Rechts dad Recht ließ. Ganz etwas anderes freilich 
wäre es geweſen, wenn er bier hätte länger bleiben wollen, um 
eine Gemeinde des Herm zu gründen. Aber was fich bekehren 
wollte, hatte ihn gehört, war ſchon von dem Geiſte Gottes, wei: 
cher aus feinen Reben hervorleuchtete, ergriffen, und jezt fland 
er im Begriff nach Beendigung feines Geſchaͤfts fich zu enter: 
nen, und ein Erfolg für feine Bemühungen an diefem Orte lich 
fih doch von biefer Öffentlichen Rechtfertigung nicht erwarten. 
Aber auch died hielt den Apoſtel nicht ab von feinem erfahren. 


11. 


Laßt und daher fehen, welches bie überwiegenben Gründe 
gewefen fein mögen, Die ihm dieſes Berfahren zur Pflidt 
machen fonnten. Wir können nicht glauben, ba ber Apoftel 
gehandelt haben werde von einem fündlichen Stachel der Leiden: 
ſchaft getrieben, als hätte er etwas gethan, was ihm wol erlaubt 


gewefen, was er aber aus andern Grünben doch nicht Hätte thun 


follen. Denn das ift eben das audgezeichnete in dem Geifle bed 


von Gott erfüllten, daß er nichts thut, weil erd etwa duͤrfte, 


fondern daß er feinen andern Bewegungdgrund zu feinen Hand: 
ungen bat ald das Gebot Gottes, welches ihm immer fagt, 
was er folle. Er thut nicht, was ihn gelüftet, fondern ed treibt 


ihn nur zu thun, was er fol und muß. Alfo zur Pflicht hatte 


= 


523 


ed fich der Apoftel gerechnet fo zu handeln, und eben die Gründe, 
die ihn dazu beflimmten, haben wir aufzufuchen, und fie liegen 
jedem, ber unbefangen nachdenken will, bald und klar vor Augen. 

Ohne alle Rükffiht auf irgend einen Erfolg und ohne, 
wie bie Gerechtigkeit felbft, ein Auge zu haben für äußere Ver⸗ 
hältniffe, ift die Pflicht jedes Menfchen dahin zu fehen und zu 
wirten, daß das Hecht geichehe, und wo Unrecht gefchehen üft, 
daß ed gut gemacht werbe, und zu bewirken und an den Tag 
zu legen, daß es das Unrecht wenigſtens nicht ift, welches gilt 
und beſtehen Tann. Das ift eine heilige, daß ift, ich wage es 
fühn zu behaupten, unter allen menfchlichen Pflichten die heiligſte, 
daß wir der Gerechtigkeit dienen. Denn wodurch anders ald 
durch den feften Entſchluß das Recht zu vertheidigen kann es 
beftehen! Freilich es ift eine äußere Macht gegründet, ed aufrecht 
zu halten und zu fchirmen. Sie foU jich überall hin verbreiten, . 
und in dieſer Macht fol jeder feinen Schu; fuchen und ihr vers 
trauen. Aber worauf rubt diefe Macht felbit, ald auf der Liebe 
ber Menfchen zum. Mecht? woraus beſteht fie anderd, ald aus 
der zufammengeleiteten Wirkſamkeit einzelner Kräfte derer, welche 
dad fürs hoͤchſte Gut achten, daß dad Recht gefchehe, und bie 
fh alles gefallen laſſen, alle Kämpfe und Aufopferungen und 
Anſtrengungen, welche die Bedingungen find zur Aufrechthaltung 
des Rechts? Darum ift es die heilige Liebe eines jeden einzel: 
nen zum Recht, worauf alle Gewalt am ficherfien begründet ift, 
Mo die öffentliche aufgeftellte Macht nicht hinreicht, da vertrauen 
diejenigen, denen die Bewachung der Geſeze obliegt, daß die an⸗ 
geborne Liebe zum Recht in allen Menſchen bewirken werde, was 
zu bewirken der einzelne nicht ſtark genug iſt, und es giebt keine 
ſichere Stuͤze fuͤr alles gute und ſchoͤne, fuͤr das herrlichſte, was 
wir beſizen, als die Heiligkeit und Unverlezlichkeit des Rechts! 
Eben darum darf niemand auf den Erfolg, auf die aͤußeren Ber: 
hältniffe fehen, und niemand darf fragen, wenn jemand, fei er «8 





524 


ſelbſt, fei es ein anderer, Unrecht erlitten hat, was wird ber Er: 
folg fein, wenn dad Recht an ihm gerächt wird? Das ift ber 
Sinn jened alten Spruchs, Es beftehe das Recht, und bie Welt 
gehe unter, weicher aber nichts fagen will, al& wir follen alle 
daran wenden, unbefümmert, was und, was andern für Unheil 
daraus entfpringt; und dann eben wirb bie Welt nicht untergehn, 
nur fefler gegründet werden durch Ordnung und Geſez. 
Hierzu kommt ein anderer Grund, ber nämlich, daß, 
wenn biejenigen, welchen bie Aufrechthaltung des Rechts befon- 
berdö anvertraut iſt, Unrecht gethan haben, fie beſchaͤmt werben. 
Denn m. Fr. jene Achtung und Ehrfurcht für diejenigen, weiche 
- Ordnung und Recht in ber menfchlichen Gefellfchaft aufrecht zu 
erhalten beftellt find, fie ift feine perfönliche Achtung, fonbern be 
zieht fih auf das Geſchaͤft; es ift nicht ber Mann felbfl, dem 
fie erwiefen wird, fondern bas, was ihm anvertraut ift, und da} 
Gefühl, daß er zu diefer Stelle nicht gelangt fein würbe, wenn 
nicht eine eble Ueberzeugung und ein heilige Gefühl für Recht 
ihn dahin gefezt hätte. Sol diefes aufrecht erhalten werben, fol 
das demfelben erwiefene Anfehn nicht in eine ſklavenaͤhnliche Un: 
terwerfung ausarten: fo muß alled perfönliche von biefer heiligen 
Sache gefchieden, und alles Unrecht weit flärker gefühlt und ge 
ahnet werben in benen, welche dieſem wichtigen Gefchäfte ihr 
Leben und ihre Kräfte widmen follen, ald in anderen. Nur baf 
es auf die rechtmäßige Art gefchehe, dag nicht in ber Vertheidi⸗ 
gung beffelben dad Hecht felbft Gefahr laufe, ſonſt wäre was 
wir treiben ein leerer Spott. Eben darum giebt es fein ande 
sed Mittel gegen bie, welchen bie Gewalt gegeben ift, wenn fit 
dies ihnen anvertraute Gut gemißbraucht und verlezt haben, als 
fie zu beſchaͤmen. So wie bie öffentliche Meinung, ber allge 
meine Sinn ber Menichen für Recht und Gefez und Orbnung 
der Srund iſt, worauf alle menfchliche Macht und Gewalt ben 
bet, denn fie wäre ja ohne Nachdrukk und Kraft, wenn nicht 


525 


diefer Sinn ihre Schirm und Schild wäre; fo wie biefer Sinn 
die Bürgfchaft ift und die Bedingung alles Rechts: fo ift auch 
die öffentliche Stimme für Orbnung das einzige Mittel, die welche 
gefehlt haben zu beihämen. Und biefes Mittel, wie es fei, rich 
fig anzuwenden, muß dem Gewiffen überlaffen bleiben, denn da⸗ 
zu gehört Erleuchtung und Weisheit vom Herrn. Aber dad fehn 
wir an dem Beiſpiel bed Apofteld, dag eben in Abficht auf das 
Betragen derer, die ald Diener. und Stellvertreter des Rechts 
da ſtehn, weniger als fonft wol auf die Bewegungdgründe ge⸗ 
fehen werben müffe, welche fie leiteten. Denn fie werben nur 
nah dem Gefchäfte und nach. der Art, wie fie ed verwalten, 
beurtheilt. Die obrigkeitlichen Perfonen follen die allgemeine 
Wohlfahrt fördern und jeden in feinem Nechte fihüzen und ihn 
erhalten in der Wirkfamkeit, durch die er eben zum allgemeinen 
Wohl wirken fol. Gehen fie. davon ab, fo ift ihr Geſchaͤft 
gleich fehr verlezt, die allgemeine Wohlfahrt gleich fehr gefähr: 
det, fei ed nun Bosheit, welche fie bewog, oder Irrthum, oder 
Eigennuz, oder Schmachheit und Nachgiebigkeit gegen diejenigen, 
bie fich ihrer zum Unrechte ald Werkzeuge bebienten. Daher iſt 
es auch Recht bier alle diejenigen Betrachtungen bei Seite zu 
fellen, die dem einzelnen, wenn er in diefer Art gefehlt bat, zu 
Statten kommen; darum ift ed erlaubt, daß jeder die Stimme 
des Rechts erfchallen Laffe, fo laut er nur kann, gegen bad Un: 
tcht, was fie thunz daß jeder, fo viel er nur vermag, beitrage 
iu ihrer Beichämung, damit die heilige von aller Perfon unab- 
haͤngige Sache aufrecht erhalten werde, damit nicht ihre Ach» 
tung und Ehre mit der perfönlichen zugleich untergehbe. Das 
war ed, wad ben Apoftel bewog und nöthigte gegen obrigkeitli⸗ 
Ge Perfonen ein Verfahren zu beobachten, welches ihnen fo em» 
pfindlich und Eränkend fein mußte. 

Endlich war ed nicht nur das Recht im allgemeinen, fon 
dem noch ein befonderes Beſizthum hatte er zu befchirmen, bad 


526 


Recht des römifchen Buͤrgers, wodurd in jener Zeit der äußere 
Unterfchied unter den Menfchen feftgeflellt wurde, fo bag alle, 
die es befaßen, mehr unter dem Schuze der Geſeze flanden und 
weniger von ber Willkühr zu leiden hatten ald die, welchen die 
ſes bürgerliche Kleinod fehlte. Der Apoftel lebte zwar nur in 
der Kirche und für fie; aber öfterd fehn wir ihn dieſes Recht 
vertheibigen, und fo m. Zr. fol Feiner einen wohlerworbenen 
Vorzug verfchmähen oder ihn fich entreigen laflen, denn ed giebt 
feine Auszeichnung, fein Recht, Beinen Vorzug, wenn wir ihn 
rechtmäßig befizen, ben wir nicht follten anwenden koͤnnen zur 
Förderung deffen, was wir zu leiften und zu wirken haben, und 
nicht nur in der Zhätigkeit, welche mit dem bürgerlichen Leben 
zufammenhängt, fondern auch in der, welche dem Reich Gottes 
gewidmet ifl. Dieſes follen wir fo feft zu gründen fuchen als 
möglich; darum foll alles ihm dienen; jede Kraft, jebed Recht, 
welches und gehört, werde zu diefem Dienfte verwandt. Duck 
einen folhen Sinn wird dann alles geheiliget; alles ift ein Ge 
raͤth und Gefäß im Dienfte des Tempels, und feine Hand foll 
es ungeftraft berühren und verlegen. Von diefem Gefichtöpunfte 
aus vereinigt fich für den Chriften, was ſich ganz entgegen ge: 
fezt zu fein fcheint, und in diefem Sinn ift er bereit alle® Gott 
hinzugeben und eben deshalb zu heiligen und zu befchügen gegen 
jeden Angriff, und die Verfaffung bed Herzens, welche entfpringt 
and diefem Sinn, dad ift die Tapferkeit, der Muth umd die 
Unerfchroftenheit, mit der der Chrift in jedem Augenblikk für die 
Vertheidigung des höchflen in ben Kampf zu ziehen bereit if. 
Darum m. Fr., 8 giebt in dem Chriften Beine einander wiber: 
ſtrebende Gefinnung; alles, was dem finnlihen Menſchen ganz | 
entgegengefezt zu fein fcheint, ift doch nur eind und eben daſſelbe | 
für den, der im Geifte lebt und nad) dem Geifte handelt, und 
weil es unter den Chriften nicht giebt, was blos äußerlich wäre 
und weltlih, weil ja alles in Berührung ſteht mit dem Reich | 





927 


Gottes, fo kann er auch mit gutem Gewiffen zur Erhaltung 
deſſen, was bios irdiſch fcheint, eben fo viel thun als für das, 
was ewig iſt. Laßt und nur das fefthalten, daß wir im Dienfle 
des Herrn ftehn, fo werden wir nie etwas irbifches erwählen, 
weil es als irdifched für und einen Werth hätte, und nichts aus 
dem Auge laflen, wad wir Gott fchuldig find, weil wir verblen⸗ 
det etwas nur für irbifch hielten, was doch auch wichtig iſt für 
feinen Dienſt. So werden fi) dann alle Zugenden in unferm 
Leben vereinigen, fo werben wir thun, was Recht iſt vor Gott 
und den Menfchen, und dad Wort verftehen lerne, daß wir 
überall Gott mehr gehorchen follen, ald den Menſchen! Amen. 





XVII. 


Ueber das Verhaͤltniß deſſen, was alle fromme 
Menſchen mit einander gemein haben, zum 
eigenthuͤmlich chriſtlichen. 


Ueber Apoſtelgeſch. 17, 22 — 31. 


Am 22. Sonntage nah Trinitatis. 


on je her faft, möchte man fagen, wenigftens feitbem dw 
Chriſtenthum angefangen hat ſich über einen größeren Theil de⸗ 
Menſchengeſchlechts zu verbreiten, iſt es ein Gegenſtand nicht nut 
der Unterfuchung fondern auch des Streited geweſen, was dem 
der eigentliche Mittelpunkt deffelben und die Hauptfache fei von 
allem, was dagegen außerweientlicy und zufällig, und worauf 
vor allen Kehren und Vorſchriften der Menfch fein Vertrauen je 
zen, woran er fein ‚Herz hängen folle, woran nicht; darüber fin? 
von je ber die Meinungen getheilt geweſen. on je her und be 
fonderd in biefer legten Beit hat es viele gegeben, bie in Dem 
Chriftenthum nie fein eigenthümliches und befonberes ſuchten, 
fondern nur die allgemeine Regung ber Frömmigkeit und Gott 
feligleit barin fanden, und daher fragten, was bem Chriſten met 


m 


329 


werth fein müfle, dad was der Gegenfland des Glaubens für 
einige, oder was von Natur in eined jeden Gerz gefchrieben 
wäre, und was daher auch jeder in jeder menfchlichen Bruft wie 
der finden müffe. Und freilich hat fich von jeher mancherlei lieb. 
loſes und engherziged auf ber einen Seite und viel leichtfinniges 
und unchriſtliches auf der andern in diefem Streite verſtekkt. Es 
giebt und ein Abfchnitt aus dem Theile ber heiligen Schrift, 
der und biöher immer den Stoff zu unferen chriſtlichen Betrach⸗ 
tungen dargeboten hat, eine beiondere Weranlaffung, aus dem 
Munde des Apoftels felbft zu lernen, wie fi) in feinem Gem: 
the jened allgemeine zu dem eigenthümlich chriftlichen verhalten, 
welches ein jedes fei und wie ed mit einander verbunden ift, oder 
von einanber getrennt. Das fol der Gegenfland unferer heuti⸗ 
gen Betrachtung fein. 


Tert. Hpoftelgefch. 17, 22 — 31. 

Paulus aber fland mitten auf dem Richtplaz und 
ſprach, Ihr Männer von Athen, ich fehe euch, daß ihr 
in allen Stüffen allzu abergläubig feid. Ich bin her 
durchgegangen und habe gefehen eure Gottesbienfte und 
fand einen Altar, Darauf war gefchrieben, Dem unbe 
kannten Gott. Nun verkündige ich euch benfelbigen, 
dem ihr unmiffend Gottesdienft thut. Gott, der bie 
Welt gemacht hat und alled, was barinnen ift, finte: 
mal er ein Herr iſt Himmels und der Erde, wohnet 
nicht in Zempeln mit Händen gemacht. Seiner wird 
auch nicht von Menfchenhänden gepfleget, als der je 
mandes bebürfte, fo er felbft jedermann Keben und Odem 
allenthalben giebt. Und hat gemacht, Daß von einem 
Blut aller Menſchen Gefchlechter auf dem ganzen Erd» 
boden wohnen, und hat Ziel gefezt und zuvor verfehen, 
wie lange und weit fie wohnen follen, daß fie ben 
Herrn fuchen ſollten, ob fie doch ihn fühlen und fin 

Predigten 1. £I 


530 


den möchten. Und zwar er ift nicht ferne von einem 
jeglichen unter und, benn in ihm leben, weben um 
find wir, als auch etliche Poeten bei euch geiagt haben 
Wir find feines Gefchlehrd. So wir denn göttlichen 
Geſchlechts find, follen wir nicht meinen, die Gottheit 
fei gleich den goldenen, filbernen und ſteinernen Bit 
dern, durch menfchliche Gebanten gemacht. Und zwar 
hat Gott die Zeit der Unwiffenheit überfehn; num abe 
gebietet er allen Menfhen an allen Enden Bupe zu 
tyun; darum daß er einen Tag geſezt hat, auf welchen 
er richten will den Kreis des Erbbodens mit Gerech 
tigkeit durch einen Mann, in welchem er’s beichloffen 
bat und jedermann vorhält den Glauben, nachdem ei 
ihn hat von den Todten auferwekket. 





Wir dürfen weder vorausfegen, bag wir in dieſen Worten 
die ganze Rebe haben, wodurch damald der Apoflel Paulus in 
der Stadt Athen zuerft unter den Heiden dad Evangelium wer 
fündigt hat, noch auch, daß und der Theil derfelben, der hie 
aufgezeichnet ift, in der urfprünglichen Vollſtaͤndigkeit erhalten 
wäre. Denn ber Erfolg ber Geſchichte zeigt, daß er unterbre 
chen wurde, und ed ift außerdem leicht zu fehn, dag der Enph: 
fer und hier nicht des Apofleld Worte in ihrer ganzen Ausdeh— 
nung, fondern nur nach ihrem wefentlihen Inhalt aufgezeichnet 
hat. Bir fehn aber den Apoftel hier anfangend von demjenigen, 
was ſich ald Bewegung und Regung der Frömmigkeit in den 
Gemuͤthern aller Menſchen findet, auch derer, die in den finfe: 
fin Irrthuͤmern des Aberglaubens verfirifft waren, zu dem übe 
gehen, was er kraft feiner Sendung ald dad Evangelium Chrifi 
predigen mußte. Laßt und davon Gelegenheit nehmen, nahm 
denken über das, was dem Chriftentpum eigenthämlid | 
ifl, und was alle fromme Menſchen mit einander g® 
mein haben. Laßt und zuerfi jenes Allgemeine und vo! 


531 
Augen halten und fodann ſehen, wie es fih im Se: 


müthe des Chriſten zu dem eigenthümlich hriftlichen 
verhalte. 


Der Apoſtel war, wie er erzaͤhlt, hindurch gegangen durch 
die Stadt und hatte geſehen ihre Gottesdienſte, und war, wie 
eine andere Stelle uns ſagt, ergrimmt im Geiſte, daß die Stadt 
ſo aberglaͤubiſch waͤre, ergrinimt daruͤber, daß bei aller Erleuch⸗ 
tung des Verſtandes in menſchlichen Dingen, in Kunſt und Wifs 
ienfhaft, body eben fo groß die Verfinfterung war in göttlichen 
Dingen, indem Altäre geheiligt waren einer Menge von erträums 
ten eingebilbeten Weſen, in welchen zwar, ald den Sinnbildern 
weltlicher Kräfte, eine Spur zu finden war von der höchften les 
bendigen Kraft, die aber das Weſen ber Gottheit nicht befriedis 
gend und erfchöpfend darftellen konnten. Da fand er denn auch 
einen Altar dem unbelannten Gotte geweihet, und dieſer war 
es, woran er feine Predigt des Evangelii anfnüpfen konnte. In 
allen jenen Gottesbienften war dad Weſen der Gottheit herabge: 
würdigt zu der finnlichen befchränkten Natur; aber in biefer Ins 
ſchrift drukkte fich wenigftens nach der Anficht ded Apoftel® und 
feines frommen liebenden Gemüthd die Anerkennung aus, daß 
aled zufammen dad menfchliche Gemüth nicht befriedigte, daß 
ihm eine Sehnfucht übrig bleibe nach einem höheren, welches aber 
zu erfaffen die Athener nicht Gelegenheit gehabt hatten, und 
died war die erfte Spur von Frömmigkeit, die fih unter allen 
Irrthimern erhalten hatte, von dem Gefühl in jedes einzelnen 
Bruſt, daß ed noch einen höhern Gegenfland feiner Anbetung 
gebe, und von der Sehnfucht, feinen Verſtand und fein Herz an 
etwas größeres und erhabenered hängen zu koͤnnen. | 

Und fo m. $r. finden wir überall, wie auf der Seite des verberbs 
tn Herzens, daffelbe auch auf ber Seite ded verderbten Verſtandes. 
Ganz if nicht Leicht audgeflorben die Fähigkeit und Empfänglich . 

e12 





532 


feit fürd ewige; wenn auch nur als dad unbekannte ſchwebt 
es den Menfchen doch vor und erregt eine unbeflimmte Sechs 
fucht, die fie treibt und nie ruhen läßt. Und auch diejenigen, 
welche ihr Herz verſtrikkt haben in den Banden der Sinnlid 
feit, und welche nach dem Gelüfte ihred Fleiſches einer entgegen 
geſezten Meinung folgen und fo aufftellen eine Menge eingeht 
deter irriger Gözenbilder, auch biefen bleibt eine unbefriedigte 
Sehnſucht zurüfl, und wenn fie auch bie Stimme bed Geige 
nicht deutlich vernehmen, ed giebt voch Augenblikke, wo fie füh 
len, daß die Seligkeit nicht darin liegt, worein fie diefelbe ſezen 
und einem unbekannten Gotte erbauen fie in ihrem Herzen einen 
Altar, bereit ihm, hätten fie ihn nur gefunden, alled übrige zu opfern 

Der Apoftel verfündigt ihnen diefe unbelannte Gottheit 
flatt der Bilder, welche barftellen foliten die eine ewige ſchoͤpfe 
rifche Kraft, welche die Quelle iſt der fichtbaren Welt und alle 
Darin waltenden Gefeze und Orbnungen. Indem er ihnen abt 
barftellt den ewigen Gott, befindet er fich noch nicht auf dem 
Gebiete des eigenthümlichen im Chriſtenthum. Denn er beruft 
fih auf dad, was auch denen bie fern waren geoffenbart if, 
was ihre eigenen Dichter und begeifterten Männer gefchrieben ba 
ben, und auch er fagt, bad ewige wäre allen offenbart, nur The: 
beit und Verderbtheit des Herzens hätten dies Gefühl bed ewi: 
gen zerfällt in eine Menge von Heinlichen Vorſtellungen final 
her Sewalten. Aber von biefer ewigen Wahrheit fehen wir ihn 
ſelbſt ergriffen, und auf eine ergreifende Weiſe flellt er das wohl: 
verflandene bar. Und nicht nur an dem Dafein der aͤußerlichen 
Belt und an ben darin waltenden Gefezen flellt er feinen Zu 
börem bar dad Weſen Gottes, fondern in ihrem eigenen Leben 
und Dafein; Gott habe es fo geordnet, bag fie ihn fühlen und 
finden möchten, und er fei nicht fern von einem jeben, denn in 
ihm lebten, webten und hätten alle ihr Dafein. Und eben bie, 
daß dem Menſchen nicht nur in ber äußern Welt, fondern auch 
„in feinem Leben Gott fich offenbart, Dies ift jene allgemeine 


533 


Froͤmmigkeit, von der alle beffern in allen Geſchlech⸗ 
tern und Bölkern ergriffen find. In fich felbfl fo jeber bie 
Offenbarung des göttlichen Weſens finden, Spuren von einer höhern 
giebe und einem Dafein in fi wahrnehmen, welches eben nicht 
wäre, wenn es nicht gäbe jened einige und ewige Weſen, welches 
wir Gott nennen; Geſeze eines Lebens in fich finden, welches 
über alles finnliche und irbifche eben fo erhaben ift wie dad höchfte 
Weſen felbft, weil wir nur im ſolcher Erhebung unferd Gemüths 
dad höchfte ſelbſt, Gott denken können; und baraud m. Gr. folgt 
iened erhebende Gefühl, daß wir mit Gott eined Geſchlechts find, 
er der Vater, wir die Kinder, in welchen fid) verjüngt und klar 
fein Weſen und Ebenbild barftelt. Das hätten fie ſelbſt ſchon 
wiflen koͤnnen, das hatten ihnen mehrere verfündigt, und. Died 
Gefühl des Menfchen, daß er fih zu Gott verhalte wie das 
Kind zum Water iſt nicht in den Grenzen bed Chriftenthums 
eingeſchloſſen, fondern fol das Eigentyum aller Menfchen fein. 
Wie wenig dies benuzt, wie leichtfinnig es verfchleubert worden 
fei in finnlicher Ueppigfeit, darüber gleitet der Apoftel hinweg, 
wenigſtens ift uns davon in biefer Erzählung nichts mitgetheilt, 
und er fährt fort mit der Werficherung, Gott habe bie Zeit der 
Umwiffenheit uͤberſehn, nun aber gebiete er allen Buße zu thun, 
ihten Sinn zu ändern, von bem irbifchen fich zu wenden zu dem 
bimmlifchen und zu einem Leben, welches jenes Bewußtſeins, 
daß wir göttlichen Geſchlechts find, würdig wäre. 

Bon hier an fehn wir den Apoftel auch auf bad kommen, was 
allein bee Gegenftand war feiner Sendung. Nun rebet er von bem 
Mann, durch welchen Gott beichloffen hat Himmel und Erbe zu 
richten, Durch ben er ben Menfchen vorhält ben Glauben, und ben 
er dargeflellt hat als feinen Sohn und Bevomächtigten durch bie 
Auferwekkung von den todten. Wie nun ber Apoftel fortgefah: 
ren hätte und was erfolgt fein möchte, wenn er nicht durch 
diefe Erwähnung von der Todtenauferſtehung ſchon jest eine 








4 


Unterbrechung herbeigeführt hätte: wir koͤnnen ed und leicht ergänzen. 
Bon dem Augenblikke, wo er von Ehrifto rebet, befindet er fi im 
Gebiete deffen, was bem Chriſtenthum eigenthümlicy.ift, umd wit 
er fie vorher geführt hatte von den dad Gemüth nicht erfüllen: 
ben und befriedigenden Göttern zu bem einem und ewigen: ie 
führt er fie von ber Vorftelung mehrerer Götterföhne, bie fe 
ſich auch geträumt, und von ber fie ihr Gefchlecht abgeleitet 
hatten, zu bem heiligen ewigen Sohn Gottes, zu dem, burd 
welchen der Herr befchlofien hatte bie Welt zu richten mit Ge 
rechtigfeit. Hier alfo finden wir dad eigenthümliche des Chr: 
ſtenthums, den innerflen Rem, von welchem alles ausgehet, um 
an welchen ſich alles anfchließt. Daß wir göttlichen Geſchlechs 
find, das ift das allgemeine Gefühl aller Menichen. Aber we 
wir auch umherſchauen unter allen Kindern des ewigen Vaters 
finden wir einen, der e3 befier verdient ein Sohn Gottes zu he 
Ben, al3 der heilige Mann, durch welchen Gott die Belt y 
richten befchloffen hat? Finden wir nicht in dem befländige 
Streit des himmlifchen und irdifchen überall ein Uebergewidl 
des irdifchen? Da thut ed noth, daß uns offenbart wurde da 
wahrhafte Sohn, und durch ihn vorgehalten der Glaube, der Abe 
dad Gefühl unferer Unwürbigkeit und erhebe, daß er und darge: 
geftent ift, und daß durch ihn der Herr die Welt richte, das 
durch die Beziehung auf ihn die, welche fich von ihm leiten lei: 
fen, fcheiben von denen, welchen am Ende das irdifche doch fie 
ber ift als das ewige, das fie nicht erfanfen wollen durch Auf: 
opferung des irbifchen, ba biefe Scheidung des guten und boͤſen 
für und hängt an dem Bilde des Sohnes Gottes und basan, ob 
wir ihn annehmen oder verläugnen, ihm umfer ganzes Leben 
widmen ober ihm verachten. Das ift das weentliche, was de 
Glaube des Chriſtenthums enthält. Darum m. Zr. will ih and 
nicht in einzelne gehn und ergänzen die Mebe des pop, bit 
jeder fich felbft ergänzen Tann, fondern 


335 - 


eitens aufınerffam machen, wie fid im Gemütbe des Ape⸗ 

els dies allgemeine ber Froͤmmigkeit zudem befondern 
es Chriſtenthums verhielt. Auf der einen Seite ſehen wir, 
huß er jenes nicht uͤberſah, ſondern daß es eben ſo fein Herz erwärmte, 
ind daß ers zum Grunde legte von dieſem. Wenn er über dies 
nlgemein ehanbelt, in welchem nur der allgemeine Glaube an das 
hichſte Wefen, an Gott erfcheint: mit weicher Ueberzeugung fpridht 
er davon, daß in unferm Leben und Weben wir ihn erkennen, 
and daß er ſich und offenbart, — wie fefl mag er bad gehalten 
haben, und daß wir feines Gefchlechte find; unb ed iſt auch 
nicht möglich, daß der an dem Weſen bed Chriftenthums hängen 
tann, der dad Gefühl, wodurch der Menſch an Gott gebunden 
if, überfehn und verwerfen wollte. Der Sohn läßt ſich nicht 
trennen vom Water, und wenn wir nur durch den Sohn ben 
Bater kennen lernen koͤnnen, fo kommt auch der nur zum Sohn, 
der den Vater fucht. 

Aber wir fehn auch auf der andern Seite, daß es dem Apo⸗ 
fel nicht möglich war dabei flehen zu bleiben. Es wäre viel 
licht Hüger gewefen, wenn er wenigfiend etwa hier in feiner er 
fien Rebe fich mit dem begnügt hätte, was feinen Zuhörern nd: 
ber lag, daß fie ſich aus allen den vereinzelten Vorſtellungen der 
Gottheit, weiche ihren finnlihen Abbildungen zum Grunde 
lagen, aus den zerrifienen (Sliebern des lebendigen Weſens 
ein wahres Wild zufammenfezten. Dazu hätte er fie bringen 
koͤnnen und den innern Keim aufregen zur richtigen Erkenntniß 
des ewigen Gottes. Aber ed riß ihn wider feinen Willen fort, 
weil ihm Bott, der ewige Water und ber, burch welchen wir zu 
ihm gelangen und mit ihm verföhnt werben follen, fo ganz 
eins waren. Sobald er fazt, Gott habe die Zeit der Unwiſ⸗ 
ſenheit überfehen, und daß nun eine neue Zeit anhebe für alle 
ihm zu leben: fo konnte er nun auch nicht mehr verſchweigen 


536 > 

den Sohn, daß es ed fei, dem wir folgen follen, daß jezt bie 
Fahne Chrifti erhoben fei, und dag durch ihn gefchehen folle bie 
große Theilung unter den Gefchlechtern der Erbe zwiſchen 
denen, welche eines höhern geiftigen Lebens fähig, und denen, 
welche auf einer nieberem Stufe zu bleiben beflimmt wären. Und 
das ift ed eben, was den eigenthümlichen Sinn und Geift bes 
Ghriften bildet, daß er nicht gedenken kann des Gotted, der uns 
erichaffen bat und bie Welt hervorgebracht, ohne zu gebenten 
beffen, der und, da wir in ber Irre gingen, zu ihm geführt bat, 
bag, fobald er ſich oder andern bie Gründe entwillelt, welche den. 
Menfchen dad Bewußtfein von dem höchflen Welen lebendig me: 
hen Eönnen, er nicht umhin kann zu zeigen, daß Chriflus es iſt, 
durch den und der Glaube, zur Werföhnung mit ihm, iſt vorge 
balten worden. 
Darum m. Fr. glaube ih auch, daß es für ben, welcher 
ben Sinn bed Chriftentyums wahrhaft erfaßt hat, keinen Streit 
mehr giebt, was ihm bad wichtigfte wäre, dasjenige im Chri⸗ 
ſtenthum, was er ald Frömmigkeit mit allen zu theilen hat, ober 
das, was demfelben eigenthümlich if. Es ift ihm das eine nicht 
vor dem andern, durch das eine ift ihm dad andere geworben, 
und beides fo ihm vereinigt, wie in feinem Leben, dad dem irbi: 
[hen und ewigen angehört, nur ein Wille ift, der fih in allem 
ausdrüfft, fo daß fich fein aus beiden religiöfen Elementen be 
fiehended Leben auch in allem feinen Thun abipiegelt. Sondern, 
wo ein folcher Streit entfieht, da muß fehon eine Theilung bes 
Gemuͤths fein, da muß ſchon nicht mehr mit grabem Blikke, 
fondern mit fchielendem Auge gefehn werden, wo bann auch der 
eine Gegenfland zwiefach erfcheint, und jeder, ber in biefen Kal 
kommt, gehe in fich felbft und fuche die Quelle bes Streites in 
fich felbft auf, in ber Verkehrtheit feines Sinned und Denkens, 

ehe fie ihm eine Quelle wird des Irrthums und des Zweifels. 
Nein, laßt und das fefthalten ald heilig, was uns als Eind 
geworden if, und wenn wir fragen, woher wir früher Gott er: 


537 


kannt haben, laßt uns geftehn, daß er fih uns auf gleiche Weife, 
wie ducch Chriftum, auch vorher geoffenbart hat, und wenn wir 
fragen, Was ift Chriſtus, und warum verehren wir ihn? Laßt 
und fagen, weil er bad ewige Ebenbild des Waters iſt von Ans 
beginn, weil wir in ihm befriedigend erkennen, daß wir goͤttli⸗ 
hen Sefchlechtes find, weil der Bund der Liebe, des Gehorfans, 
der Berföhnung durch ihm zwilchen und gegründet ift Dem fei 
die Ehre, dem fie gebührt, und dem gehöre dad Herz, welcher 
fih deſſelben bemächtigt hat; und mag nun was und in ber 
Betrachtung darüber aufgeht der Water fein oder der Sohn, im; 
mer wird es boch der Geift Gottes gewirkt haben! Amen. 





XV. 
Leber den Mißbrauch des Namens Jeſu. 


Ueber Apoſtelgeſch. 19, 13— 17. 


Am 23. Sonntage nah Trinitatis. 


M. Fr. In der Gefchichte der chriftlichen Religion von ba 
erfien Auöbreitung an bis dahin, daß ihre Licht fo vielen Se 
fchleshtern der Menfcyen zu fcheinen begonnen hat, ſehn wir über: 
all diejenigen Segnungen ſich vervielfältigen, die ſchon ihre erſte 
Erſcheinung verbreitete, überall die hohen Tugenden der Lich, 
der Standhaftigkeit fich entfalten wie bei denen, die ben Beni 
hatten, ihre Brüder beffelbigen Gluͤkkes theilhaftig zu machen, 
beffen fie felbft bereits genoffen. Aber auf der andern Geil 
fönmen wir auch nicht läugnen, daß es viele giebt in biefer &: 
ſchichte, worüber die Gefchlechter der Menſchen Urfache haben 
fih zu demuͤthigen und zu fehämen, viele Unvollkommenheiten 
und viele Uebel, die fich ihrer bemächtiget, welche von nicht we 
nigen auf die Rechnung beffelbigen Glaubens und deſſelben Sin: 
ned geichrieben werben. Wenn wir bies näher überlegen, fo wer: 
den wir leicht dasjenige auffinden, worin diefer Vorwurf gegrün: 


539 


det erfcheinen kann; aber auf der andern Seite werben mir nie 
zugeftehn können, daß gerade, was bie Duelle alles Heild und 
Wohlergehens ift, mit Recht den Vorwurf verdienen follte, nur 
mehr Webel über das Menfchengefchlecht gebracht zu haben. Wenn 
nun die fpätere Entwilfelung des Chriſtenthums nur eine ort: 
fesung beffen ift, was früher ba war: fo werden wir auch zu 
allem, was fich fpäter erzeugte, wenigftens die erften Keime in 
ben frübern Zeiten wieberfinden, deren Betrachtung und biöher 
beichäftigt bat. | 

Es fei alſo eine Begebenheit aud jenen erften Zeiten, die un: 
fer Nachdenken hiebei leiten kann, welche wir unferer heutigen ve: 
Iigiöfen Beichäftigung zum Grunde legen. 


Tert. Apoflelgeih. 19, 13 — 17. 

Es untermanden fi) aber etliche der umlaufenden 
Juden, die da Beſchwoͤrer waren, den Namen des 
Herrn Jeſu zu nennen über die da böfe Geifter hatten, 
und fprachen, Wir beſchwoͤren euch bei Jeſu, den Pau: 
lus predigt. Es warer ihrer aber fieben Söhne eines 
Juden, Skeva, ded Hohenprieflers, die ſolches thaten. 
Aber der böfe Geift antwortete und fprach, Jeſum kenne 
ih wol und Paulum weiß ich wol, wer feid ihr aber? 
Und der Menſch, in dem ber böfe Geift war, fprang 
auf fie und warb ihrer mächtig und warf fie unter 
fih, alfo daß fie naffenb und verwundet aus demfelbis 
gen Haufe entflohen. Daffelbige aber ward fund al: 
len, die zu Ephefus mwohneten, beide Juden und Grie: 
chen, und fiel eine Furcht über fie alle, und der Name 

‚ des Herm Jeſu ward bochgelobet. 


M. Fr. Die Zeiten, wo ſich dieſelbigen Begebenheiten, 
weiche und in der Schrift erzählt werden, im buchfläblichen Sinn 
wiederholen Pönnten, find vorüber, indem auf der einen Seite 


340 . 


bie Wirkungen bed Namens Jeſu umb derer, bie ihn verlänbigen, 
ſich mehr aufs innere bed Menfchen befchränten, und auf ber an: 
dern wir alles, was Außerlich ift an benfelben, aud einem andem 
Geſichtspunkt anfehn, ald es der damalige Zuſtand erlaubte. 
Wenn wir in ben Sinn und Geiſt diefer Erzählung einbringen, 
was finden wir anders als einen freventlichen Mißbrauch, den 
diejenigen machten vom Namen Jeſu, welche ihn zu nennen nicht 
verbienten, was anders als jened freche Unternehmen, daß diejeni: 
gen durch die Kraft Jeſu wirken wollten, denen fie im innen 
nicht einwohnte, fondern die fich derfelben nur als eines äußeren 
Mitteld bedienten. Es geſchieht in Beziehung auf das vorbe 
gefagte, daß ich auf diefe Begebenheit eure Aufmerkſamkeit lenke; 
denn wad man ber Lehre Jeſu zum Borwurf gemacht hat, & 
bat feinen Grund nur in denjenigen, die auf eine ähnliche Weiſe 
wie jene Beichwörer den Namen Jeſu mißbrauchen wollen. Laft 
und alfo in biefer Stimmung nachdenken über ben Miß 
braucd bed Namend Sefu, laßt und einfehen, was aud 
noch in unfern Zeiten biefen Namen verdient, um 
zweitens, wie biefer Frevel fih auch jezt noch eben lo 
wie damals beftraft. 


Was das im allgemeinen heißt, den Namen Jeſu mißbrau⸗ 
hen, kann niemandem ganz fremb fein, und bie Ueberzeugung 
eined jeben von dem, was barunter begriffen wird, wirb zuſam⸗ 
menflimmen mit dem wenigen, was ich nur binzuzufezen habe. 
Der Name Jeſu ift und ber Inbegriff alled deſſen, was er ge 
than, gelehrt, gewirkt hat; wenn wir ihn nennen, entfaltet fid 
dem innen Auge bad hoͤchſte, dad trefflichfte, dad Ebenbild des 
ewigen Vaters; wenn wir ihn nennen, fehn wir ihn feinen Mund 
Öffnen, um bie Worte ber Wahrheit und Verheißung uns mil: 
zutheilen, bie er als die gute Botbichaft von dem ewigen Valer 
den Menſchen verkündigte; dieſe ewige fich gieichbleibende mit 


641 


göttlicher Gewalt die Herzen der Menfchen feffelnde Kraft der 
Wahrheit, diefer Geift der Liebe, aus weichem alled gute und 
ihöne immer neu entquillt, dies begluͤkkende Hinaufichauen zum 
Vater, dad ift ed, wad wir im Namen Jeſu zufammenfaflen. 
Migbrauchen kann ihn derjenige nie, der ihn, ben Inbegriff 
alles diefed herrlichen, in ſich trägt ald die Quelle feines Heils, 
derjenige nicht, der in Gemeinfchaft mit ihm lebt, und ben ber 
Erlöfer zu fich hinaufziehn wird, weil er ihm treu nachfolgt auf dem 
irdifhen Wege. Aber mißbrauchen wird ihn derjenige, ber nicht 
abläugnen Tann die herrlichen Folgen, welche die göttliche Gnade 
auch im aͤußerlichen Leben der Menfchen hervorruft, ber aber, 
vielleicht zus überrafcht von der Gewalt, deren fich die zu erfreuen 
haben, aus denen die hohe Liebe hervorfirahlt, ohne die Kraft 
dazu in fih zu haben, body mit dem Scheine bad audrichten 
möchte und zu koͤnnen wähnt, was jene wirklich Daburdy vermögen. 
Darum zuerft mißbraucht den Namen Zefu jene gemeine 
und unwärbige Heuchelei, welche. wir balb mächtiger bald ſelte⸗ 
ner herrſchen fehn, die aber, feitbem die Religion auch Außerlich 
geworden ift, gewiß niemals ganz gefehlt hat. Selbft im Rufe 
eines frommen zu ftehn, ift etwas, was von jeher auch bei ben 
beſſern Ehre brachte; es iſt etwas, befien Schein anzunehmen 
überall Tohnt, und in gewiſſen Zeiten und Umfländen auch wich 
tig werben Tann für diejenigen, denen ed nur um bad äußere 
zu thun if. Indem man für fich felber den Schein ber Froͤm⸗ 
migbeit fucht, Vorwürfe zu häufen auf die Zehler und Werberbt: 
beit der Menfchen und unter diefem Schein verberbte und vers 
fchrte Abfichten durchſezen zu wollen, das ift etwas, was unter 


Umftänden oft unb leicht gelingen kann. Aber eben fo, wie jene 


Beſchwoͤrer in unferer Erzählung, verfiehn folche auch ben Nas 
men Jeſu nur zu mißbrauchen. Es ift nicht bie Ueberzeugung 
von der Kraft, worauf fie fich berufen‘y aber bie heiligen Sprüche 
der Schrift, jene koͤrnigen Worte, in benen fich die göttliche 
Echre audgefprochen bat, jene leuchtenden Beiſpiele ber helden⸗ 


642 - 


müthigen Tugend, welche die bewiefen, die von der wahren Krait 
geleitet waren, bad führen fie an, wovon fie einen Worrath im 
Gedaͤchtniſſe haben, und womit fie die beabfichtigten Wirkungen 
audrichten möchten. Aber alled wird in ihrem Munde nur ein 
Schein. 

Noch Firäflicher mißbrauden den Namen Jeſu diejenigen, 
die nicht nur im allgemeinen außerlich fich darſtellen als zu fü: 
ner Schaar gehörig, fondern ald Führer und Hirten derfeiben da 
ftehn, von denen aber der Erldfer fagen wärbe, daß fie Mieth 
linge wären und Wölfe in Schaaföfleiden. Immer haben fid 
unter die Boten ded Herm folche eingefchlichen, denen es um 
nicht8 zu thun war, ald um etwas Außerliched, und denen all 
fo fremd war, was fie verfündigten, ald denen es verkuͤndigt wer: 
den follte; die fich eben fo nur auf den Namen und bie Kraft 
Jeſu berufen, um fich zu ſchmuͤkken mit frembem Schmukk, wenn 
fie wirten wollten auf die Gemüther der Menfchen. Ja dieſe 
verhalten fich zu ben wahrhaft begeifterten wie die Beſchwoͤrt 
zu den wahren Wunderthaͤtern. Gewiß nichts empört uns mehr, 
nicht8 kann denjenigen, dem es Ernſt iſt um bie gute Sad 
Chriſti, heftiger aufregen als dieſes Verfahren, nur dem Schein 
nach Jeſu anzugehören, um in feiner Kraft wirkſam zu fein auf 
eine fichtbare Weile. Es erfcheint gewiß allen ald das verlaͤcht 
lichfle und unwuͤrdigſte auf diejem Gebiete. 

Endlich, den Namen Jeſu mißbrauchen alle diejenigen welche 
Sewalt haben auf Erden, vom hoͤchſten bid zum niebrigfen, 
wenn fie die Kraft des Glaubens, an welchen die Chriſten ſich 
halten, anfehn ald Mittel, um die äußern Güter, zu deren Waͤch 
tern fie gefezt find, hervorzubringen und zu erhalten, um unter 
dem Schein von Erhaltung der Religion Gehorfam und Unter 
wörfigfeit zu gründen, die ihnen kraft ihres Geſchaͤfts freilich ge 
bührt, die aber, wenn ſie's felbft ernſtlich meinen, nichts fremdes 
zm ihrer Erhaltung bedarf. D, es giebt gewiß nichts verkehrte 
res, als diefe Umkehrung der Werhäftniffe und Zweite. Was ül 


543 


alle irdiſche Macht, wozu ihr Anfehn, und welche Zweite kann 
fie haben, als den böfen zu ſchrekken und den Uebeln zu weh» 
ren, weiche bie Sünde und das ungöttliche Weſen verbreitet von 
denjenigen aus, die fich nicht wollen regieren laflen duch dem 
Geiſt Gottes, damit in der irdifchen Gemeinfchaft der Menfchen 
der Boden urbarer werde für bie Segungen ber Religion. Wenn 
aber die Wahrheiten und Worfchriften der Religion und ihre gros 
sen Verheißungen felber als ein Schrekken aufgeſtellt werden, 
und ſie, die den Geiſt von aller Knechtſchaft und Furcht befreien 
ſollen, naur gebraucht werden, um aͤußern Zwekken zu dienen und 
eine irdiſche Gluͤkkſeligkeit der Menſchen zu begruͤnden, ſo iſt das 
doch nichts anderes, als das Verhaͤltniß umkehren zwiſchen dem 
was herrſchen und dem was nur dienen, zwiſchen dem was nur 
als Zwekk und dem was nur als Mittel betrachtet werden ſoll. 

Das m. Fr. iſt der Mißbrauch des Namens Jeſu, den wir 
in der Geſchichte der Voͤlker immer wiederfinden. Er iſt es al⸗ 
lein, welcher, indem man das, was aus fremdem Geiſte herruͤhrt, 
mit dem des Chriſtenthums verwechſelte, demſelben alle die Vot⸗ 
würfe zugezogen hat. Wolan laßt und ebenfalls die Erfahrung 
der Sefchichte der Menfchen fragen und fehn, ob fich derfelbige 
Frevel nicht noch jezt eben fo beftraft wie damals. 

il. 

Und der Menſch, in dem der boͤſe Geiſt war, ſprach, Jeſum 
kenne ich wol und Paulum weiß ich wol, wer ſeid ihr aber? 
Und das m. Fr., das iſt die Stimme, die ſich von allen gegen 
den Mißbrauch erhebt früher oder fpäter. Auch jene Beſchwoͤrer 
mögen viele betrogen und den Schein, die Hoffnung der Gene: 
fung erregt haben durch das, was fie über ven kranken ausſpra⸗ 
Yen, aber ed kam einer, der fie alle beſtrafte. Und fo gehts 
allen, welche e8 wagen ben Namen Jeſu, ber ihnen fo fremb iſt, 
M irbifchen und verkehrten Abfichten zu mißbrauchen. Wie auch 
die Menſchen vom böfen Geiſte geplagt fein mögen, ganz geht 


544 


ihnen die höhere Kraft nicht fo verloren, baß ihnen nicht bie Fa 
bigfeit bleiben follte, dad wahre vom falfchen zu untericheiben 
daß fie nicht angeregt werben follten zur richtigen Einficht. Wer 
feid ihr aber? fo ruft diefe Stimme aus allen Menſchen bene 
zu, die fich mit dem Namen Jeſu ſchmuͤkken und durch ihn mn 
. um ihretwillen etwad bewirken wollen. Es offenbart fich ihre 
irdifche Akficht in bem gefelligen Leben. Worauf fie abzwelften 
mit ihrem flrengen Zadel, was fie bewirken wollten durch den 
heiligen Schein — es wird entlarot, und je mehr Beifpiele man 
davon gefehen hat, um fo leichter wirb es denen, -in denen frei⸗ 
lich der Geift auch nicht ift, aber die ihn auch nicht läugnen, zu 
unterfcheiden den leeren Schein von ber Wahrheit, und nichts if 
verächtlicher, und Feiner ift mehr gebrandmarkt in der Gefellichaft, 
ald der entlarote Heuchler. 

Und innerhalb der Gemeine in dem Stande derer, wel 
berufen find ben Namen bed Herm zu verlündigen, o gewiß 
leicht unterfcheiden fich diejenigen, die ihm wirklich verfündigen, 
von denen, welche ihn nur beſchwoͤren möchten; leicht if ed zu 
erfenmen, ob bad, was in feinem Namen gefprochen wirb, ausgeht 
von dem, was im innern die Liebe bewirkt hat, ober ob ihnen 
die heilige Gefchichte, die göttliche Lehre nur ein fremdes Gut iR 
und ein tobter Buchſtabe, den fie aͤußerlich wol behandeln Br 
nen, deſſen Geiſt ihnen aber fremd if; und früher ober Ip, 
ter entdekkt ſich ber geiflige Stolz, der ben (Geift beſchwoͤren 
will, um nur Lob und Ruhm einzuernten, ober denen, bie «® 
ehrlich meinen, den Glauben zu entreißen; es unterſcheidet ſich 
ihr Beſtreben von dem einfältigen bemüthigen Sinn derer, die 
ſich der Gnade Gottes erfreuen und an bie Herzen füch wenden, 
um fie zu erwärmen mit gleicher Liebe. Und wahrlich ed kann 
nicht verächtlicheres geben, als diefen herrlichen Beruf fo M 
entftellen.. Denn wie es überall etwas hoͤchſt trauriged und be⸗ 
jammernöwerthes ift, wie ber uns als ber elendeſte Sklav en 
ſcheint, ber das, was er ergriffen hat, gegen feine Neigung ti 








545 


fo nimmt dies um fo mehr zu, je mehr das Geſchaͤft das innere 
Weſen ded Menfchen in Anſpruch nimmt, und es erfcheint am 
eiendeften, wenn berjenige Lehrer des Glaubens und Lebens fein 
wi, dem beides ſelbſt mangelt und in bem nichts bericht als 
Eigenliebe, irbifcher Sinn und Stolz. 

Wenn aber auch auf diefe Weife früher oder fpäter diejeni⸗ 
gen in ihrer wahren Geftalt erfcheinen, welche den Namen Sefu 
mißbrauchen; wenn biejenigen Kräfte, die fie zu ihren unreblichen 
Abfihten gebrauchen wollen, erwachen und fich gegen fie kehren, 
wenn wir diefen Erfolg aus ungewöhnlichen Beiſpielen ſehn, 
und wo Frevel biefer Art herrſcht erwarten müflen, daß er eben 
fo feine Rache finden werde: fo beunruhigt und boch, was wir 


in diefer Zwifchenzeit wahrnehmen, bie Entwürdigung bed größs : 


Ren und heiligfien, der verberblihe Schein von Froͤmmigkeit, 
der fih um die Menichen verbreitet; und eben daher find bie 
Vorwürfe entfianden, daß viele dad wahre nicht von dem fal« 
ſchen zu unterfcheiden vermögen. Ja, hat ed nicht eine Zeit ges 
geben, eben weil ed viele gab, welche Froͤmmigkeit heuchelten, 
wo man fagte, der Glaube fei nichtd als Heuchelei, der Menfch 
koͤnne durch nichts als durch die Sinnlichkeit in Bewegung ge 
ſezt werden? Gab ed nicht eine Zeit, die dieſen Verdacht, ben 
der geiftliche Stolz der einzelnen erwekkte, auf ben ganzen Stand 
richtete, welcher daſteht ald ber Werkündiger der Erlöfung und 
der Nachfolge Chriſti? Gab ed nicht eine Zeit, wo auch biejes 
nigen unter ben mächtigen und Herrfchern der Erbe, bie den 
tchten Zweit ihrer Beflimmung erkannten, bie ed fühlten, baß 
alles Gluͤkk, alle Sicherheit, aller Wohlſtand doch nichtd wäre, 
und alle Kraft bed Geſezes doc) nicht audrichten würde, wenn 
nicht der Menſch die Seligkeit in ſich fühlte und bie Liebe zum 
Rechte, die nur aus einem über dad irdiſche erhabenen Gemüthe 
entſpringen Tann, wo auch diefe nur angefehn wurden als aber: 
gläubige oder als Heuchler, denen es am Ende doch nur um 
das irdifche zu thun wäre? Das find die Zeiten der Prüfung, 
Predigten 1. Mm 


un — Lu nn 





546 


die länger ober kürzer anhalten, nachdem die Menfchen ihre Au 
gen Öffnen der Wahrheit, oder vom Schein geblendet fie ihr ver 
fehließen. “Aber müßten aud viele vorüber gehn, in der menid- 
lihen Natur liegt doch dad Kennzeichen der Wahrheit, das frü: 
ber ober fpäter feine Birkungen nicht verfehlt. Jeſum kenne ic 
wohl und Paulum weiß ich wohl, fo fagte der Franke, weile 
durdy jene Betrüger hintergangen werden follte. Und eben dieſe 
Fähigkeit dad wahre zu erkennen ruht in allen Menſchen, felbft 
in denen, die am meiften von bem böfen Gefte geplagt und be 
. feffen find. Der Name Jeſu mit Recht auögefprochen und mit 
imiger Anhaͤnglichkeit verfümbiget regt immer einige Züge dei 
heiligen göttlichen Ebenbildes in dem Menſchen auf und bringt 
in ihm hervor eine Rührung, Erhebung und Ehrfurcht. Und 
eben diefe innere Kähigkeit die Wahrheit zu erfenuen unb von 
dem Schein zu unterfcheiden, wie wirkfam fie fei, ob früher ober 
fpäter fie zu ihrem Recht gelange, ed läßt fich nicht verbergen, 
daß das großentheilß abhange von und felber. 

Wie damald fireng gefchieden gegen einander traten Paulus 
und diejenigen, welche ihn nicht weiter kannten als durch bie 
bloße Verkuͤndigung: o moͤchten fo ſcharf getrennt immer die 
Shriften fliehen von denen, die jene Liebe ber wahrhaft erleud: 
teten und erwärmten nur heucheln; dann wärbe ſich die Wahr 
beit vom Schein fchneller fondern, dann würden wenige Men: 
fchen mehr durch den Schein getäufcht werben. Laßt und nur 
fen Bid treu bewahren, laßt uns nur fein Wort treu verkuͤn⸗ 
digen dur Wort und That, laßt nur aus unferm Leben den 
Geiſt der Liebe und Wahrheit, dem nichts unmöglich ifl, und der 
und.ihm aͤhnlich macht, in Kraft und Glanz hervorſtrahlen, 
dann wird auch die Wahrheit felbft in ihrer Reinheit, fo wie 
die Heuchelei in ihrer Bloͤße daſtehn wie damals. 

Der Herr heilige uns in feiner Wahrheit, fein Wort if die 
Wahrheit! Er reinige und alle von dem, was des Namens Jeſu 
unwuͤrdia ifl, damit wir würbiger werden ihn auszufprechen vor 


5347 


der Welt; dann wird, je mehr wir Jeſu Bekenner und Nachfol: 
ger werben, um fo weniger Vorwurf auf feine Lehre und Ge 
meinfchaft zurüfffallen. Darauf alfo m. Fr. fünnen wir unfer 
Vertrauen gründen, dad Gericht des Herrn wird um fo früher herein 
brechen, je reiner wir und halten an fein Gebot, und die Kins 
ber der Welt werden um fo mehr in bie fchwarzen Schatten ger 
ftellt werden, je mehr von und das himmlifche Licht ausſtrahlt. 
Laßt und nicht. beforgen, daß die& von etwas Außerlichern abhange; 
es ift allein in der Gewalt derer, welche Chrifti Namen beken⸗ 
nen. Laßt und treu baushalten mit feinen Gaben, fo wird er 
uns, bie wir treu waren, über mehr ſezen; er wird fein Reich 
ausbreiten und jede Herrfchaft, die nur dur den Mißbrauch) 
feines Namens beftehn kann, erfcheinen machen in ihrer Nichtigs 
keit und baftehn ald das leere und nichtige und unhaltbare vor 
der Kraft Gottes. Su laßt uns hoffen und glauben mit dem 
Recht und der Zuverficht derer, welche fich felbit heiligen; laßt 
uns nit verzagen an den Verheißungen mit der Bedingung, daß 
wie und ihm ganz hingeben; laßt uns glauben, daß fich täglich 
fein Reich und feine Macht ermweitere, aber nur unter der Vor 
ausfezung baß wir fein find! Amen. 


Mm 2 


XIX. 


Vom Geift und Zwekk unferer chriftlichen 
Zufammenfünfte und Belehrungen. 


ueber Dffenb. Joh. 2, 10 — 13. 


Am 1. Advent. 


M. chriſtl. Ftr. Wir fangen mit dem heutigen Sonntage ein 
neued Kirchenjahr an. Freilich mag es vielen wunderbar vor 
fommen, bag man davon etwas erwähne. Es fcheint bie zu 
den längft veralteten kirchlichen Gegenftänden zu gehören, und es 
ift ſchwer alle Beziehungen geltend zu machen, weiche ſonſt dr 
von gemacht wurben. Allein wenn, was wir alle hoffen, um 
worauf wir mit allen unfern Kräften binarbeiten follen, de 
Eirchliche Band enger um die Ghriften zufammengezogen fein 
wirb: dann wirb und auch bie alte gute Bedeutung verfländlid 
werden. 
Bis dahin und für jezt giebt es doch eine Beziehung, bie 
wir nicht ganz überfehen Finnen. Wenn wir in einigen Wochen 
ein neued bürgerliche Jahr anfangen, fo zieht eine Menge von 
Gegenſtaͤnden unfere Aufmerffamteit auf fi, und nad allen 


549 


Seiten halten wir uns vor unfere Hoffnungen, Wuͤnſche und 
Anfichten; aber leicht entgeht und bann eben das, was ſich auf 
diefed kirchliche Band bezieht, und ed muß und gut und dan« 
kenswerth erfcheinen, dag ein beflimmter Tag angefezt fei, wo 
wir grade in biefer Hinſicht eine Scheidung machen zwifchen 
Bergangenheit und Zulunft und und die Frage vorlegen, was 
wie mit unfern gottesdienfllihen Zuſammenkuͤnften 
gewollt haben, ob der dabei vorgefezte Zweit erreicht 
fei, und was wir uns für die Zukunft vorzufezen 
baben. Das fei ed, worauf ich in unferer gemeinfchaftlichen 
Andacht unfere Aufmerkfamkeit hinleiten will. 


Berfiegle nicht bie Worte der Weiſſagung in dieſem 
Buch, denn die Zeit iſt nahe. Wer boͤſe iſt, der ſei 
immerhin boͤſe; und wer unrein iſt, der ſei immerhin 
unrein; aber wer fromm iſt, der ſei immerhin fromm; 
und wer heilig iſt, der ſei immerhin heilig. Und ſiehe, 
ich komme bald, und mein Lohn mit mir, zu geben 
einem jeglichen, wie ſeine Werke ſein werden. Ich bin 
das A und das O, der Anfang und das Ende, ber 
erſte und ber lezte. 


Es Tann wol fcheinen, ald ob die hier vorgelefenen Worte 
wenig Zuſammenhang hätten mit dem oben angekündigten Zwekke 
unferer heutigen Betrachtung, und ed mag leicht fein, baß ihr 
naͤchſter Sinn. und auf ganz andere Vorftellungen, als diefe find, 
binführe. Aber es ift das eigenthümliche ber tieffinnigen begei« 
ſterten prophetifchen Worte, daß fie eine Menge von Bedeutun⸗ 
gen und Auslegungen zulaffen, die ihnen alle nicht fremd find, 
ſondern aus ihrer innern Abficht genommen benfelben entfprechen, 
und fo laßt uns denn diefe Worte auf unfern Gegenftanb an« 
wenden und und nach Anleitung berfelben Rechenſchaft geben 


550 
von bem Geifte und Zweite unferer chriſtlichen 3u 
fammentünfte und Belehrungen. 


Ich fange zuerfi mit dem an, was auch.in biefer Stelle 
zuerft fland, Werfiegle nicht bie Worte der Weiffagung 
in dDiefem Bud. Es mag dies urfprünglich gefagt und ge 
bacht gewefen fein, m. Fr., von biefem Buch ber Offenbarung 
aber es iſt gewiß nicht ohne Grund geweſen, daß bie alte chriß 
liche Kirche eben dies Buch zum lezten in der Sammlung ber 
bibliſchen Schriften gemacht hat, und indem dieſe Worte der 
Schluß find in demfelbigen, fo laſſen fie ſich ruͤkkwaͤrts deuten 
auf die ganze Sammlung der Bücher ded neuen Bundes. Und 
da iſt es denn bie göttliche Ermahnung, der wir follen nachzu⸗ 
fommen fuhen, Berfiegle niht dad Buch der Weiſſa 
gung. Es ift m. Fr. das göttliche Wort in ber heiligen Schit 
auf der einen Seite allerdings allen zugänglich und offen; von 
der andern aber ift ed ein verborgened geheimes verfiegelte 
Buch, welches nur wenige zu lefen verftehn. - Dffen und zu 
gängli einem jeden in Abjicht auf die wenigen wichtigfen 
leuchtenden Punkte der chriftlichen Lehre, in Abficht auf das, we} 
darin übereinflimmt mit dem Gefühl und Herzen eines jeben, 
und wovon dad Gewiſſen eben fo deutlich redet, wie bad Bud 
felbft; allein verborgen muß es vielen fein in Beziehung auf ab 
led einzelne, welches aber doch dient zur Erläuterung ber wenb 
geh heiligen und allgemein verftänblichen Lehren. Aber auch bied 
einzelne fol für alle immer verfländlicher werben, und das fann 
wegen ber großen Entfernung des Ortes und der Zeit, wegen 
Fremdheit der Sitte und Sprache nicht die Sache eine jeden 
fein; es gehört die Belehrung ſolcher dazu, welche bie asthigen 
Kenntniſſe befizen, um ben übrigen dieſes fonft verfchloffene Bud 
aufzuſchließen. Und daß fo, hineingeführt in bie nähere Kennt 
niß der nicht fo deutlichen Stellen der Schrift, in eine genaue 


351 

Befanntfchaft mit allem einzelnen, jeder auf eine tichtigere und 
Iherere Weiſe, als er es für fich ſelbſt vermoͤchte, dies Buch le⸗ 
im könne, dazu find biefe gemeinfchaftlichen Zufammenkünfte zum 
Theil mit eingerichtet, wo ein Wort aus demfelben zum Grunde 
ie gemeinfchaftlichen Betrachtung und Erbauung gelegt, das 
wrborgene und dunkele erläutert, und der Zufammenhang bed 
meinen mit ben wenigen Grundfäzen gezeigt wird, bamit auch 
daraus daffelbige, Licht der göftlihen Wahrheit allen leuchten 
Konne. Und fo fol kein Wort verfiegelt fein; es fol der Haben 
des gemeinfamen Nachdenkens durch dad ganze hindurchführen, 
damit jeder darin einheimifch werde und durch diefe Betrachtung 
und Erbauung zunehme an Erkenntniß der Schrift, fo wie an 
kuſt zu dem, was und barin vorgefchrieben wird. 


Aber was dad gemeinfame Ziel aller Schrifterklaͤrung ift, 
dad fagt und unfer Zert in den folgenden Worten, Ich bin 
das A und dad D, der Anfang und dad Ende, der 
erfe und der lezte. Ja m. Fr., in unfern chriſtlichen Be. 
trahtungen muß auch Chriftud fein der Anfang und dad Ende, 
auf ihn muß fich alles beziehn, alled den Zweit haben, ihn, feine 
eehre und fein Leben, fein Wefen, fein Walten und Herrichen 
noch jezt immer deutlicher kennen zu lernen. 

Es haben viele geglaubt zu allen Zeiten, und auch jezt fehlt 
is nicht an folchen, die es glauben, daß es nuͤzlich fei, ben 
Kreid unferer frommen Betrachtungen zu erweitern und fi zu 
verbreiten über die Offenbarung der Gottheit in der Natur, über 
hre Werke und die darin fichtbare Weisheit, Allmacht und Güte, 
vie über die Verhaͤltniſſe im gefelligen und fittlichen Leben ber 
Renfhen. Aber m. Fr., fo ſchoͤn und niüzlich bad von vielen 
Seiten angefehn auch war, wenn wir und in eine größere Mans 
ügfaltigeit auöbreiteten mit unfern Gedanken, fo würden wir 
»och zu leicht in die Gefahr kommen, den eigentlichen Gegen- 


352 


fland und Mittelpunkt unfered gemeinfamen chriftlichen Nachden⸗ 
kens aus den Augen zu verlieren; da geht aber auch ſogleich der 
Geiſt der Andacht und der Segen ber Erbauung aus unſem 
kirchlichen Zufammenkünften verloren. Chriſtus muß immer 
der erfie und lezte fein, ber alleinige Zweit, und alles au: 
dere nur Mittel, um ihn darzuflellen, nur die Art und Weiſe 
dad Licht, womit er leuchtet, in das Leben überzutragen. Ale, 
was aufgenommen wirb ind Gemüth zum bleibenden Eigenthum, 
fei nur er; halten wir und allein an ihn, ber ‚bie unverfiegbare 
Quelle des Lebens ifl, fo wird auch Durch alles einzeln: 
in und fein Leben begründet werben, bag, wie er es will, 
nicht wir leben, fondern er in und und wir in ihm und bu 
ihn und mit ihm im Water. 


11. 


Wer böfe ift, fei fernerhin böfe, und wer unrein 
ift, fei fernerhin unrein; aber wer fromm iſt, der fi 
fernerhin fromm, und wer heilig if, der fei ferner: 
bin heilig. Angewendet auf den Geift diefer unferer Betrod: 
tungen wird einem jeden einleuchten aus biefen Worten, ma 
fih von felbft verfteht, daß dieſe unfere Verſammlungen nicht 
den Zweit haben können, den böfen erft gut zu machen und 
den unreinen erft zu heiligen. Sind es doch heilige Mauer, 
zu denen der böfe feinen Zutritt kann fuchen wollen, und vet 
denen der unreine mit Grauen zuruͤkkſchaudern follte. Die M 
der Ort, wo wir und verfammeln und und betrachten ald Chi 
ſten, die ſchon dem Herrn gebeiligt find, die ſich ſchon ihm und 
dem guten ergeben haben. Darum m. Fr., wie ed immer 9° 
weſen ift, daß das Wort des Herm dem einen ein Aergernih 
war und bem ändern eine Zhorheit: fo mag es bleiben, und & 
fol und ein Zeichen fein, daß wir auf dem rechten Wege fit, 
wenn wir fern bleiben von jenen. 


553 


Wer böfe ift, fei ed weiter; er finde nichtö in dem, 
was bier zur gemeinfchaftlichen Erleuchtung und Erbauung ge 
ſchieht, was feiner verblendeten Sinnedart zufagen könnte, er 
finde hier Fein Wafler, um fih in einer eingebildeten Unſchuld 
zu walchen. Wer böfe ift, dem kann hier nichtd bargeboten wer 
den zu feiner Beſſerung, benn er ift für die aus einen hoͤhern 
Leben genommenen Bewegungdgründe noch unempfänglich, und 
irgend ein finnlicher Reiz, fei ed Furcht oder Hoffnung, der ihn 
ontreiben koͤnnte zum guten, ber werbe hier nicht gefunden. 

Ber unrein ifl, der fei weiter unrein. Denn wenn 
fh die unreinen reinigen, was wollen fie anders, ald vor der 
Belt angenehm und ſchoͤn erfcheinen, und nur den Schein vers: 
meiden von dem, was fie wirklich find. ber bad erfle, wovon 
wir hier auögehen mit einander, was iſt ed, ald die einfachfle 
Wahrheit vor Gott, was ift ed, wovon wir uns reinigen, als 
dad Kleben am Schein und an allem weltlichen Weſen? 

Aber wer fromm tft, fei weiter fromm, und wer 
heilig if, der fei weiter heilig. Das m. Fr., das iſt al 
lein bee Zwekk unferer Verſammlung. Dazu lefen und erläus 
tem wir und die heiligen Bücher, dazu ift und Chriſtus vor Au: 
gen geſtellt, ber gefreuzigte und erflandene, der erniedrigte umd 
erhöhte, der gelitten hat und uns eingepflanzt in dieſes fein Reich! 
Darum, daß wir und befefligen mögen in der Liebe zu ihm, daß 
wir und heiligen in feinem Geift, darum fcheuen wir und nicht 
und vorzuftellen, was uns noch fehlt an ber Aehnlichkeit mit 
ihm, und zu erinnern an alle unfere Fehler und Schwächen, die 
immer noch dem Menfchen ankleben und befonderd aufliegen im 
Befte der Zeitz darum ſcheuen wir und nicht, einer den andern 
fehen zu laffen, wo bie heiligen .Gefänge und Gebräuche das ins 
nerfte Gemüth treffen und bewegen; darum verbergen wir nicht 
die Thraͤnen und Seufzer unferer Rührung und Schaam, und 
offenbaren ed, daß der Geift Gottes in und wirkfam ift, und wir 
zunehmen an Froͤmmigkeit. 














954 


IV. 


Endlih viertend, Und fiehe ih komme bald, und 
mein Lohn mit mir zu geben einem jeglidhen, wie 
feine Werte fein werden. M. Fr. Zu ber Zeit, da Jeſus 
in der Welt erfchien, war alles in einer halb fröhlidyen, halb 
bangen Erwartung ber Dinge, bie ba kommen follten; denn man 
fah einer großen Veränderung in dem Schikkſale eines merkwuͤr⸗ 
digen Volkes entgegen und eben dadurch in den Führungen und 
Schikkſalen des’ Menfchengefchlechte. Alled erwartete, der Hen 
werde ericheinen und mit ihm fein Gericht, um bie guten zu 
fondern von ben böfen und ihnen zu geben nad) ihren Werten. 
Indem unfer Eirchliches Jahr die Reihe feiner herrlichen Fee 
anfängt mit der Geburt unferd Erlöferd, und bis zu dieſem fer 
nem Erfcheinungdfefte auf Erden Zeit übrig läßt, um und vor 
zubereiten, daß wir ihn ganz im Geifle derer empfangen, bie ihn 
damald erwarteten, müffen wir auch hinweiſen auf die Vorſtel⸗ 
lungen und Erwartungen, welche ſich daran knuͤpften. Und 
pflanzten fich diefelben benn nicht auch fort, nachdem er nun er⸗ 
fhienen war? Es erwarteten ja, wie wir wiflen, nach feinem 
Verſchwinden von der Erde die Apoflel, daß er wieberfommen 
werde, um zu richten die lebendigen und die todten. Go er 
warten aud wir eine neue herrliche Offenbarung dieſes unfers 
Herrn zum Gericht, und daß er geben werbe einem jeglichen nach 
feinen Werken. Was fo im innerften des Chriſtenthums begrün: 
det iſt, was fi) überall und zu allen Zeiten offenbart hat, es 
kann nicht falfch fein. Aber freilich, wenn er kommt, und fein 
Lohn mit ihm, fo iſt es auch nur fein Lohn. Nicht gebe 
ih euch, wie die Welt giebt *), fpricht er. Worauf wit 
unfere Erwartung richten, ift nicht die Welt und was ihr ge 
fallt und was fie giebt, nicht finnliches Gluͤkk und äußere Güter. 


) Joh. 14, 27. 


955 
Meinen Frieden gebe ih euch, meinen Frieden laſſe 
ich euch, diefe inmere Seligkeit, die aus feinem Leben bervor: 
geht, die, zu ber der Menſch nichtd braucht ald Gott, ben Erlös 
fer und fich felbfl. 

Und wenn wir erwarten, daß er fommen werde, fo erwat: 
ten wir nicht, Daß es auf eine finnliche Weiſe in diefer Welt er: 
fcheinen werde, fondem das meinen wir, daß wir jebe Abwei⸗ 
hung von dem Geſez, wonach jeder durch ihn feinen Lohn fin: 
bet, anfehen als Zeichen davon, daß ex noch nicht völlig fo nahe 
ift, wie feine Liebe begehrt, noch nicht fo vollkommen gegründet 
feine Herrichaft; aber daß er kommen werde und richten, und 
daß jeder finden full burch ihn den Lohn und die Vergeltung 
feiner Werke. Und dazu follen wir felbft mitwirken, daß wir in 
reinem Geifte und Sinne vor ihm wandeln, und und kennen 
und fühlen lernen ald Bürger ded Meiches Gottes, dad er und 
bereitet bat, und daß die, welche ihn verläugnet haben und nicht 
gefolgt find feinen Lehren, je länger je mehr in dem finnlichen 
und irdifchen reiben ihres Gemuͤthes nichtd finden, als das 
Verderben vom Allmädhtigen *), dad Zeuer, welche nimmer 
Iifcht, und den Wurm, der nimmer flirbt **) In dieſer Erwar 
tung uns zu ftärken, in dieſem Glauben daß er erfcheinen werbe 
uns zu fräftigen, in diefem Eifer und zu befefligen, das was 
wir erwarten felbft immer näher herbei führen zu helfen, das 
it ein vorzüglicher und beſonders dieſer Zeit angemeffener Zwei 
unferer firchlichen Zufammenkünfte, daß wir recht erfennen mös 
gen dad Gericht des Herrn, das ift den richtenden Erlöfer und 
dad Gefez, wonach er jedem giebt, und bie Art und Weiſe, wie 
er näher kommt und fein Lohn mit ihm. 

Das ift ed, was ich euch habe vorhalten wollen. Ich gebe 
ed euch allen mit zum weiten Nachbenten und zur Berherzi⸗ 
gung. Laßt und und felber prüfen, wie wir im vorigen Jahre 


) Joel 1, 13. *) Marl. 9, 44. 


956 


zugenommen haben durch den Beſuch dieſes Haufes, und fo fi 
es auch dad, worauf ich und aufs neue verbinde für dad begin; 
nende neue Jahr. Nichts anderes wollen wir fuchen als Shri: 
flum, der uns Eins iſt und alles, und Feine andere Hoffnung 
erregen als die, bag er fommt und fein Lohn mit ihm. Unter 
und wollen wir fein, daß Fein unheiliger hier etwad finden kam, 
wo ihm alles fremd fen muß, unb zunehmen wollen wir in 
fruchtbarer Erkenntniß aller Worte der Weisheit und Wahrheit 
in diefem Buche bed Lebens. So wirb ed und gewiß nicht fe 
len für die Zukunft an irgend einem Stuͤkk der heilfamen Lehr, 
und mit Befriebigung werben wir zuruͤkkſchauen koͤnnen auf je 
des zurüffgelegte Jahr. Dazu helfe und allen Gott ber Hen 
durch Jeſum Ehriflum! Amen. 


XX. 


Wie die Erwartung derer beſchaffen ſein 
müſſe, welche auf eine herrlichere Verklaͤrung 
des Herrn hoffen. 


Ucbse Luk. 1, 44 — 55 und 67. 


Am 2. Advent. 


M. Fr. Zu der Zeit, welche unmittelbar der Erfcheinung des 
Erlöferd voranging, war alled in feinem Wolfe voller Erwartung 
eined Heilanded, der da kommen follte. Diefe war gegründet 
durch bie begeifterten Stimmen der Propheten; ed war früher 
auf fie hingedeutet in der Anordnung der Gefege, ja bis in bie. 
erſten Erzählungen von dem Urfprung bed Menichengefchlechts 
verliert fich diefe Hoffnung einer fpäter zu erwartenden innigern 
Verbindung Gottes mit den Deenfchen durch feinen Sohn. Und 
als er erfchienen war, ging vor ihm ber Johannes und erregte 
Erwartung auf bad Reich Gottes, welches Ehriftus fliften würde, 
und er felbft und feine Juͤnger verfündigten, daß ed nahe fei. 
Aber auch in ben Zeiten der Erfüllung felbft begleitet und 
diefe heilige ein immer höheres Ziel ins Auge fafiende Erwar⸗ 


558 


tung. Auch ald ber Exlöfer von ber Erbe verfhwunden war, 
verfündigten feine Zünger, daß ex wieberflommen werde und em 
Reich des Herm, das noch nicht da wäre; und wie ber Erlöfer 
die feinigen beten gelehrt hatte, Dein Reich komme: fo m. Fr. 
beten wir noch unb wiflen, daß alle Befchlechter nach uns eben 
fo beten werden. Darum fol aud in und rege fein eine fromme 
Erwartung eines vollkommnen Heild der Menſchen, eines folchen, 
welched nur durch ihn gegründet ift, fo daß wir wiflen, es giebt 
feinen Namen, in weldhem die Menfchen befeligt werben follen, 
als nur den Namen Jeſu Chrifli. 

Und dieſe erwartungdvolle auf eine herrlidere Zukunſt ge 
richtete Stimmung fegem wir ganz vorzüglich in diefe Zeit. So 
fei denn die Erwartung derer, die damals dem Erlöfer am ähn: 
(ichften und nächften waren, dad Vorbild, das wir und vorbal: 
ten, damit fih in unfere Hoffnung nichts fremdes und feiner 
nnmwürdige3 einfchleiches moͤge. 


Text. Rufas 1, 41—55 und 67. 


Und es begab fih, als Elifabetb der Gruß börete, 
büpfte dad Kind in ihrem Leibe. Und Elifäbeth warb 
des heiligen Geiſtes vol, und vief laut und ſprach, 
Gebenebeiet bift du unter den Weibern, und gebene 
deiet iſt die Frucht deines Leibes. Und woher kommt 
mir dad, daß die Mutter meines Herm zu mir kommt? 
Siehe, da ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte 
mit Freuden dad Kinb in meinem Leibe. Und o felig 
bift du, die du geglaubet haft; denn es wird vollendet 

* werden, was dir gefagt iſt von dem Herrn. Und Ma 
ria ſprach, Meine Serle erhebet den Herm und mein 
Geift freuet ſich Gottes, meines Heilanded. Denn er 
bat die Niedrigkeit feiner Magd angefehen. Siehe, 
son nun an werben mich felig preifen alle Kindeskin⸗ 
der. Denn er hat große Dinge an mir gethan, ber 


559 


da mächtig if und deß Name heilig, fl. Und feine 
Barmherzigkeit währet immer für und für bei benen, 
die ihn fürdten. Er übet Gewalt mit feinem Arm 
und zerftreuet, die hoffärtig find in ihres Herzend Sinn. 

Er flößet die gewaltigen vom Stuhl und erhebet bie 
niedrigen. Die hungrigen füllet er mit Gütern und 
iäffet bie reichen leer. Er denket ber Barmherzigkeit 
und hilft feinem Diener Israel auf. Wie er gerebet 
bat unfern Vätern, Abraham und feinem Saamen ewigs 
ih. (Vers 67.) Und fein Water warb be heiligen 
Geiſtes voll und weiflagte. 


Ich habe nur einzelne Stellen aus biefen mit einander in 
Verbindung ftehenden dankbaren und erwartungdvollen Reben 
jufammengenommen, um an bad ganze zu erinnen. Es find 
die Reden der Mutter unferd Herrn und der Eltern bed Zohan: 
ned, welche auöfprechen die Empfindungen, die Damals in ihnen 
erregt waren und fich im ganzen Volke verbreitet hatten. Wir 
wollen fie betrachten, um daraus zu lenen, wie die Erwar 
tung berer beſchaffen fein müffe, welche aufeine herr 
lihere Verklärung bed Herrn hoffen. Es fei unfere 
Erwartung erftend eine gläubige, zweitend eine gerechte 
und drittens eine auf das geiftliche gerichtete. 


..4. 

Selig, fo ſprach Elifabeth zur Maria, felig, die du ge 
glaubet haft, denn es wird alle vollendet werden, was dir ge; 
redet ift von dem Herrn. 

Sa m. Fr., wie und überhaupt die Schrift den Glauben 
vorhält, fo ift auch der Glaube die erfie Bedingung eis 
ner jeden Erwartung der befferen Zukunft. De 
Glaube ift die feſte Zunerficht deſſen, wad man nicht fieht*), fagt 
ein Schriftfteller des neuen Bundes, gerichtet auf das, was fich 


) Ebr. 11, 1. 





560 


äußerlich noch nicht zu erkennen giebt, wad aber ben Geiſt er 
greift und fefihält. Aber nicht das allein; fonden was ifl der 
Glaube anders, ald eine Erkenntniß, die zugleich das Herz be 
wegt und den Menfchen antreibt zu handeln unter der Voraus⸗ 
fezung, dad fei da, da& werde gefchehen, was er nicht ſieht; und 
der Glaube der Maria zeigte ſich nicht bloß in den Worten, Ich 
bin des Herm Magd, mir gefchehe, wie du gefaget haft, fonbern 
auch darın, daß fie trauend auf die Verheigung nun auch alles 
in ihrem Herzen bewahrte und bewegte, daß fie den, befien erfle 
Bildung ihr anvertraut war, anfah als den, von dem dad Wohl 
des Menſchengeſchlechts abhange, und in diefer Zuverficht wür 
dig war bie Mutter befien zu fein, in welchem der Herr bad 
Heil der Menſchheit aufrichten wollte. 

Und eben in diefem Sinne fei unfere Erwartung eine 
gläubige Erwartung. Wem es ernftlih zu thun iſt um 
das Heil, welches dem Menſchen durch Chriftum kommen foll, 
der fühlt auch, daß noch wenig von bem da ift, was er wünfcht, 
und worauf die Sehnfucht feines Herzens ‚gerichtet iſt. Aber er 
fühlt dad Dafein und Walten der göttlichen Kraft, durch bie es 
fommen fol, ift vol der hohen Beflimmung, für die Chriſtus 
gelebt hat und geftorben ift, für welche diejenigen gewirkt haben, 
denen fein Bild, dad Bild des gefreuzigten und erflandenen vor 
dad Auge gemalt ifl, und bie niemald ganz die Treue und Ans 
banglichfeit gegen ihn verlaffen haben. 

Aber nicht eine unthätige Erwartung barf diefe Er: 
wartung fein, in der Hoffnung, baß gelchehen werbe, was ber 
Herr dur talfend Stimmen in und außer und gerebet hat, 
fondern eine Erwartung, bie unfer Herz erhebt; fie treibe und 
an, mit unfern Sinn und Thun der Zukunft und hinzugeben, 
vertreibe ‚jede andere nur auf dad irdifche gerichtete Erwartung, 
vestreibe jede Freude an dem Genuß der Gegenwart, welche bei: 
fen, was wir erwarten, unwuͤrdig wäre, und nicht bie Keime 
davon in fich trägt. 


561 


Aber m. Fr. dieſe Freude der Maria ruhte auf dem Sohne. 
Wie ihre Freude weniger auf ſich ſelbſt gerichtet iſt, als auf. bie 
fünftigen Gefchlechter, denn felig, fpricht fie, werben mich preifen 
alle Gefchlechter und Völker: fo fei auch unfere gläubige Erwars 
tung mehr auf die künftigen Geſchlechter gerichtet, 
als auf und ſelbſt. Das ift und genug, entjagend dem eigs 
nen Belize und Genuffe, daß wir vorbereiten, wodurch dad Reich 
Gottes herrlicher ericheinen kann; das ift unfer Beruf, die vielen 
und herrlichen Kräfte, den reichen Willen, wenn er nicht immer 
feinen Gegenftand finden kann, und der Menſch zu einer ftillen 
und unbedeutenden Thaͤtigkeit verwielen wird, ganz auf das Heil 
des neuen Gefchlechtd zu wenben, diefem einzuhauchen den Geift, 
der uns belebt, und bie jugendlichen Seelen gefchifft zu machen 
einft dad herbeizuführen, wad wir nur erwarteten, und dazu jes 
den Sprößling mit gleicher Hoffnung zu empfangen, ihn anzu 
fehn als einen Theil eben der Kräfte, wodurch das wirkiich wer - 
den fol, wonach wir und fehnen. Aber zweitens 


unfere Erwartung fei gerecht, nur auf das gerichtet und 
gebaut, was recht iſt vor dem Herm. 

Er flößet die gewaltigen vom Stuhl und erhebet die nie 
drigenz er flelt feinen Sinn gegen die Hoffahrt und ruft die 
demüthigen herbei zu feinen Dienern, fo redet Maria. Um dies 
fn Sinn ihrer Worte zu verſtehn, müffen wir und die Lage ih» 
red Volkes zurüffrufen. Dieſes war gewohnt geweien, baß alle 
aͤußern Rechte und Ordnungen angefehen wurden als hervorquels 
Ind aus dem frommen Bunde ber Väter mit Gott. Aber bie 
Zeit, wo biefed fich auch in dem Außerlichen Leben barflellte, war 
vorüber; die Gewalt und Macht war theild in den Händen bes 
ver, die fih nur zum Schein zur Religion diefed Volkes befann- 
ten und nur ald Fremdlinge aufgenommen waren, theils in den 
Händen derer, die jenen Glauben verachtenb ihrem Aberglauben 

Predigten 1. Mn 





562 


iebten, und boffährtig diejenigen, die fie befiegt hatten, in Unter 
würfigfeit und unter der Gewalt hielten. Da war ed eine fh 
natürliche Erwartung, daß ein Zufland ded höhern Rechtes, der 
ewigen Ordnung wiederkehren müfle, dag Recht und Drbnung 
nicht erfcheinen müffe als Gewalt, ſondern ald dad Reich Get: 
tes und ald reiner Ausflug der Gefinnung und Frömmigkeit de 
Menſchen. Eine Erwartung, bie fid) Darauf gründet, daß Ad 
verfehwinden muß, was den Verheißungen Gottes zuwider läuft, 
was mit feiner ewigen Wahrheit flreitet, gegen feine ewigen Ge 
fege angeht, dad gewiß ift eine gerechte Erwartung. 

Wolan, auch und laft nie etwaß erwarten, ald was indie 
fem Sinne recht ift vor Gott. Wie fi Maria beruft auf be 
Verheißungen, die Gott ihrem Wolfe gegeben hatte; wie Bade 
rias fagt, Er hat und aufgerichtet ein Horn des Heild und ge 
redet durch feine Propheten, daß er und errettete aus der Hand 
. unfrer Seinde: fo haben wir freilich ähnliche buchfläbliche Ber 
heißungen nicht aufzuweifen. Aber die wahren Verheißungen fie 
ben nicht bie oder da, ſondern find gefchrieben in der ewigen 
Drdnung der Dinge, fie find ausgeſprochen durch bie ewig 
gültigen Ausfprüche der Wernunft und dargeſtellt in benjenigen 
Gefezen, nach welchen allein eine richtige Leitung der menſcli⸗ 
chen Angelegenheiten möglidy if. Und fo ift ed gewiß ein em 
ged Recht, nicht daß alle gewaltigen ohne Unterfchied vom Etuhl 
geftoßen werden, aber daß diejenigen zuruͤkktreten müffen von ih 
ter Stelle, welche dad, wodurch fich die göttliche Kraft offenbar, 
mißbraudyen, und daß diejenigen erhoben werden, auch wenn fit 
niebrig ſtehn, deren Sinn am meiſten dem göttlichen Sinn gleich 
fommt, und die in ihrem aͤußerlichen Elend, in ihrer demuͤthigen 
Geſtalt doch erfüllt find von dem Sinn und der Kraft, dur 
die allein das gute gefchafft werden Tann. 

Aber m. Fr. wenn unfre Erwartung eine gerechte fein fol, 
fo müffen wir uns ſelbſt prüfen, ob auch unfre Sache fo gui 
fei wie damals, ob unfre Erwartung eben fo gegründet und rein 


563 

ift, als fie es war in ben Herzen berer, welche fie hier in unfern 
verlefenen Worten zu erfennen geben. Wenn nur ein aͤußeres 
Beftreben gegen bad andere, nur eine finnliche Kraft gegen bie 
andere, nur eine Richtung der Herrichaft und Gewalt gegen bie 
andere gemwenbet ift, wer mag da enticheiden, wo das Hecht fei, 
wo gäbe es eine göttliche Verheißung, auf die ſich der Menfch 
berufen koͤnnte? Aber wenn ed Menfchen giebt, bie fich das 
Zeugniß geben koͤnnen, daß fie nichts anderes wollen, nichts an⸗ 
deres meinen, als dieſes, bag ein Gottes würbiger Zuſtand unter 
den Menfchen aufgerichtet werde, daß das, was das Ebenbild 
Sotted darftellt, zu feinem gebührenden Anfehn und Herrſchaft 
gelange, Menfchen, denen ed Emft ift, alle Güter und Vorzuͤge 
nur zu gebrauchen ald Mittel und Werkzeuge des göttlichen Sin 
nes unb nad den Vorſchriften des Rechts und ber Vernunft, 
diefe, wie fehr fie zu den elenden gehören, wie bürftig ihr Leben 
und ihre Geflalt fei, diefe dürfen hoffen, bag, wenn fie auch nicht 
ſelbſt, doch ihr Wille, ihre Abficht, ihre großes Ziel gewiß wer 
den fliegen, und daß fie Theil haben an dem Siege deö guten 
über das böfe. Und deswegen fei 


III. 


drittens unſre Erwartung eine geiſtige. 

Und du Kindlein wirſt ein Prophet des Hoͤchſten heißen. 
So m. Fr. nicht auf etwas irdiſches, nicht auf die Bebürfniffe 
und Wuͤnſche ber Sinnlichkeit und Begier, fonbern auf die Be 
duͤrfniſſe des Herzens, die Erfenntniß des Heild und bie Verge⸗ 
bung der Sünben fei unfere Erwartung gerichtet. Nicht auf et⸗ 
was finnliches, irdifches, fondern auf das geiflige und eben des⸗ 
wegen auf bad bleibende unb ewige fei fie gewendet. Was ift 
alles irdiſche Heil gegen das, was aus der Erkenntniß Gottes 
hervorgeht; was ift irdifcher Befiz und Genuß, und alles, was 
die Sinnlichkeit erfreut, gegen den Frieden bed Geiſtes, welcher 
ift in der Vergebung ber Sünden? Denn wir wiſſen deutlicher, 

Nn2 


564 


al damals, das Wort Jeſu, Dein Reich iſt nicht vom biefer 
Welt. Nicht mit dem Schwerte foll es erflritten werben, ſon⸗ 
dern durch geiflige Kräfte gewonnen, gegründet auf den Namen 
Chriſti, gebeiligt durdy das ewige Recht und zulammengehalten 
durch ben Geift ber ewigen Liebe, der Liebe zu Gott und dem 
Menfchen. 

Und m. Fr. dag uns niemand vorwerfe, wir wollen unter 
diefem Schein nur verbergen die Unluſt und unfre Unfähigkeit 
dasjenige, was ſich auch aͤußerlich darftellen fol, zu gewinnen und 
zu fchaffen. Denn fo wahr es iſt, daß dad Reich Chriſti nicht 
von diefer Welt ift, eben fo wahr ift, bag ed für dieſe Belt 
geftiftet iſt. 

Und was iſt es, wodurch ed fich immer erhalten bat, als 
durch fein Wort, feine Lehre, durch die Gemeinfhaft unter 
den Menfchen? welche irdiſche Kraft oder welche Gewalt de3 
Schwerte ift ed, die die Herzen gebändigt bat und ihre 
Richtung erhoben vom finnlidyen zum höheren, heiligen? die 
Milde war ed, die langſame aber ficher wirkende Kraft feines 
Wortes und feiner Liebe. Was iſt ed, was jebem Mißbrauch 
der irbifchen Macht vorbeugt, die Menfchen feft hält am Recht, 
ald die Anhänglichkeit und Treue gegen den, der alles hingege 
ben hat, daß er die Welt erlöfe, der nicht nur und bargeftellt ıf 
ald ein Bild der leidenden Geduld, fondern auch ein Bild der 
aufopfernden Thaͤtigkeit geweien iſt? Trachten wir feinem Reiche 
nach und feiner Gerechtigkeit, fo wird und das andere alled von 
ſelbſt zufallen, fo wird fich feft und bleibender geflalten die Ge 
fellfchaft der Menſchen, jo wird fi aus der Uebung der geifli- 
gen Kräfte eine innere flärkere Wirkung der geifligen Kraft auf 
das irbifche entwideln. Und es giebt für jede Gewalt, die zu 
ber gehört, weiche nicht vom Stuhle fol gefloßen werben, für 
jedes Anfehn und Recht, welches nicht auf die leere und nichtige 
Hoffahrt gegründet ift, feinen fehlen Grund, keine fichrere Stüge, 
ald die gemeinfchaftliche Treue derer, weiche Chriſto angehören, 


05 
gegen den, welchem ſie angehören, und auch vor der Welt wird 
er nur fo dargeftellt werden als ber, vor bem fich alle Knie beu⸗ 
gen muͤſſen, daß er allein herrfche, allein die Kraft gebe, die das 
gute ficher erhält, daß durch ihn die Erde zu einem Garten Got: 
tes umgeflaltet werde, in welchem die Menfchen wohnen in Fries 
den und Unfchuld wie ehebem. 

Ia m. Fr., fo follen wir die Erfcheinung des Herrn erwar: 
ten, wohl dankbar gegen bad, was wir ſchon haben, aber auch 
vol beiliger frommer Erwartung einer noch beflern Zukunft, im: 
mer in und tragen ein noch herrlichered himmliches Heich, und 
immer mit Sehnſucht und treuer Liebe hinblifken auf das, was 
noch gewonnen werden muß, was noch zu thun ift und zu leiden 
zu feiner Verherrlihung, damit der Tag feines Triumphes komme. 
So bereitet eure Herzen, laßt verfchwinden daraus alle irdifchen 
Wuͤnſche und Regungen, feht euch an ald biejenigen, bie ba jind, 
um dem Herrn den Weg zu bereiten: fn werden wir würbig 
feiern die denkwuͤrdige Zeit feinee Geburt; fo wird er ein neues 
Leben beginnen in unfern Herzen, und fein Reich wachen und 
zunehmen durch Die Gnade vor Gott und den Menfchen! Amen. 


XXI. 
Ueber die Vereinigung des menſchlichen und 
goͤttlichen in dem Erloͤſer, wie ſie uns ſeine 
erfie Ankunft auf der Erde zur deutlichſten 
Anfchauung bringt. 





Ueber Phil. 2, 6. 7. 





Am erften Weihnachtstage. 


©. verfchieden auch bie Verhältniffe und Beziehungen unfe 
Feſte auf Chriftum find, m. Fr., fo haben fie doch alle dick 
Mittelpunkt. Denn das eine fchliegt den Himmel auf, dab am 
dere erleuchtet die Erde; das eine ſtellt dar das innige Bam, 
weiches alle zu einer Gemeinfchaft vereinigen foll, wenn dad a" 
dere auf dad einzelne des menſchlichen Lebens, auf das Be 
bürfniß des Herzens eines jeden fich bezieht, immer aber if de 
Erlöfer der eigentliche Gegenfland unfrer feftlichen Gefühle; und 
fo erfcheint auch die Bedeutung des Feſtes, weiches wir in die 
Tagen begehen. 

Brenn uns die große Begebenheit erzählt wird, daß von dem 
in der Nacht gebomen göttlichen Kinde ein himmliſches Lich 
ausſtrahlt, fo findet ſich ein jeder in einer Semürhöfeflung, bie 


2367 

ſchwer iſt zu beichreiben und fchwer zu verfiehen. Denn es iſt 
nicht nur das fünftige Heil, das wir hier im Kinde erblifken, es 
it nicht allein der fpäter fo vollendet vor und fiehende, beffen 
Züge wir im Kinde ausfpähen; fondern zum Kinde felbft fühlen 
wir und hingezogen in einer eigenthümlichen Andacht, und wir 
find und bewußt, dag ihr Feine aͤußere Darftelung genügt, daß 
wir immer noch etwad tiefered finden in unfern Herzen, was 
wir audfprechen möchten, daß etwas unbegriffened und unbegreif 
liches Liegt in diefem Anblikk, in welchem fich alle unfere Gedan⸗ 
ken vereinigen. Indem ich voraudfeze, daß died unfer aller ge 
meinſchaftliches Gefühl ift, will ich unfer Nachdenken hinlenken 
auf den Grund dieſes eigenthuͤmlichen Gefuͤhls ber Frömmigkeit 
und Andarht, von der wir und ergriffen finden dem Kinde Jeſu 
gegenüber. 


Text. Phil. 2, 6.7. 

Welcher, ob er wol in göttlicher Geſtalt war, hielt 
er ed nicht für einen Raub, Gott gleich fein, fondern 
entäußerte fich felbft und nahm Knechtögeftalt an, ward 
gleich wie ein andrer Menfch und an Geberden ald ein 
Menſch erfunden. 


Eben dad, worauf und der Apoflel in diefen Worten auf: 
merkſam macht, ald in Jeſu Chrifto vereinigt auf eine eigenthüm: 
liche höhere Weife, die göttliche Geflalt und die menfchliche Ge: 
berde, eben dad enthält auch den Grund des befondern frommen 
Gefühl, das und in diefen Zagen erfüllt. Zu welcher andern 
Zeit, in welcher andern Geflalt wir den Erlöfer betrachten md» 
gen, in dem Laufe feines Berufs auf Erden oder im Augenblikk 
feiner Vollendung, nirgends fehn wir das rein menſch⸗ 
liche und rein göttliche fo einfach neben einander, 
und niemals für fih fo deutlich, ald eben wenn wir 
ihn und vorflellen bei feiner Ankunft auf der Erbe. 

Das fei ed, womit wir und in Andacht befchäftigen wollen. 


— — 2 


368 


Was ift das rein menſchliche? Zeus Chriftus, ob eꝛ 
wo in göttlicher Geftalt war, hielt ed nicht für einen Raub Gett 
gleich fein, fohdern nahm Knechtögeftalt an und warb an Gebe: 
den als ein Menfch erfunden. Und defien find wir und bewußt 
m. Fr., wie koͤnnten wir auch forft dad Heil Chrifli verfichen. 
"Sm Menfchen felbft ift zwar etwas göttliche, aber was if da} 
irbifche 2008, in welchem dieſes göttliche erfcheint, was ift die 
menfchliche Geberde, um berentwillen der Erlöfer fich fo entän 
ßerte? Es ift diefes, einmal, daß das menfchlicdhe, ohn 
geachtet des göttlichen in ihm fih doch nirgends felbfl 
genügt, und daß ed von allen Seiten bebürftig er 
fheint, und zweitens, daß auch das göttliche in ihm um 
ter dem Gefeze der Zeit fiehend fih nur allmählig 
und in beffimmten Graben entwikkelt. Und eben bild 
irdifche Loos, das er mit und gemein hat, werben wir fo deut 
li inne, wenn wir und zu ihm, dem neugebornen Kinde, verfge. 

Nur weniges ift und aufbehalten von der früheren Zeit der 
Geſchichte feines Lebens, nur wenige Züge von feiner Kindheit, 
und dann folgt gänzliched Schweigen, bis er auftritt ald voll | 
kommener göttlicher Lehrer. Wo wir ihn in diefem Berufe finden, 
da koͤnnen wir das irdifche und menfchliche Loos nie fo deutlich 
wahrnehmen. Derjenige, der die göttlichen Lehren verkündet, die 
blinden fehend macht und bie tauben hörend, der die kranken 
heilt und die tobten auferwekkt, wer Tönnte ihn fehn in aͤußerlich 
niederer Geftalt einhergehn? Wenn er auch nicht verfchmähte 
ein gefellige Leben mit einigen wenigen; wenn er auch von ih⸗ 
nen fich bedienen ließ, er erfcheint doch in dem Maaße als ® 
Hüffe fpendet ſelbſt einer Hülfe bedürftig. Derjenige, ber eine 
neue Ordnung der Dinge fliftete, unter deſſen Handeln und Bit 
fen das alte vergeht, damıt ein neuer Himmel,und eine malt 
Erde hervorgehe, der zugleich in ſich trägt das Bild einer neue 





569 


Welt und Geftalt des menfchlichen Daſeins, der ſcheint jerie' frü« 
here Hülfe nicht empfangen zu haben, durch bie wir fortfchreiten 
im guten, und von ber wir, was wir nur guted haben, ableiten. 
Ja fogar um diejenigen, die mehr in Abſicht ihrer Wirkungen 
als ihrer Gefinnung ähnlich find dem Erlöfer, die nur in einzel⸗ 
nen Dingen ald große Wohlthäter des Menſchengeſchlechts erfchei: 
nen, um folche, die freilich auch Durch ihr Thun und Wirken 
beitragen zur neuen göttlichen Drbnung, aber weniger von einem 
hoͤhern Bilde geleitet ald nur ald Diener und Werkzeuge des 
göttlichen Schikkſals, gehalten und getragen von göftlicher Abs 
fiht und Nothwendigkeit, felbft um dieſe lagert fih ein Schein 
von göttlicher Heiligkeit; um wie viel mehr umfließt biefer ben 
Erlöfer! Und dergeftalt mifcht ſich in ihm das göttliche und 
menfchliche, daß wir es ſchwer zu fondern vermögen. Aber laßt 
uns hintreten zu feiner erſten CErfcheinung, fo fehen wir ihn wie 
andere Menfchen, gerade fo wie auch die Kinder Fleiſch und Blut 
haben, in eben der hulfsbebürftigen Geſtalt, eben ber irdifchen 
Liebe und Pflege bebürftig! Da fühlen wir, baß er wahrhaft 
unfer Bruder, daß er ein Menfch geworben ift. 

Eben fo von dem Augenblikk an we unfer Erldfer auftritt 
als folcher, wo er dad Amt des Lehrers übernimmt, wo er bie 
große Botfchaft, dag dad Neich Gottes kommen folle, ausfpricht, 
wo er durch wenige begeifterte Männer einen engeren Bund 
gründet zur Aufrichtung deffelben, von dieſem Augenblift an ers 
fcheint er ganz vollendet. Wir find nicht im Stande einen Zus 
wachs in feiner Erkenntniß wahrzunehmen, ed ift immer daſſel⸗ 
bige Bild, was ihm vor der Seele ſchwebt, und wo er ed mit 
deutlichen Worten nicht enthüllt, fo fagt er, es deshalb zu ‚ven 
fhweigen, weil fie e8 noch nicht tragen Tönnten. In ihm iſt 
die göttliche Weisheit und ber götfliche Verſtand eben fo vollen» 
det wie die göttliche Erbarmung und. Liebe. Aber laßt uns hin 
treten zu feinem erften Lager, anfchauen feine irdiſche Geburt. 


570 

Wenn wir nicht- irre werden wollen an ihm, fein Daſein nict 
anſehn als einen leeren Schein, fo müflen wir ba geflche un 
fühlen, er babe ſich eben fo allmählig entwikkelt wie wir, da 
Auge bed Geiſtes fei ihm nur allmählig aufgegangen, und all 
mählig fei er gelangt zum Bewußtſein der göttlichen Kräfte, die 
in ihm wirkten, eben wie wir e3 auch müflen. Darum freum 
wir und auf eine fo eigenthümliche fichere Art darüber, daß er 
Menfch geboren iſt, darum fühlen wir feine Gleichheit mit uns 
als eine Wahrheit, ald eine Beglaubigung, daß er unfer Brude 
geworden ifl, ein Menfch mie wir, mit benfelben Geberben und 
unter denſelben Berhältnifien erfunden. 


Aber zweitens fei ed auch unfer Beflreben in dem Bild: 
feiner Kindheit das eigenthümlich göttliche, weldes 
ibm einwohnt, in feiner ganzen Reinheit amju- 
fhauen. Wenn wir und fragen, was ift denn das eigenthüm: 
lich göttliche, wodurch er fich von und immer unterfceidet, fo 
tönnen wir e3 nicht in dem fuchen, was wir auch für uns al 
Gewaͤhrleiſtung anfehn, daß wir göttlichen Geſchlechtes find: for: 
bern wie möüffen gegentheilö vielmehr fragen, was iſt das um 
göttliche, bad uns allen anklebt, und von Dem wir uns 
nie ganz ablöfen Fönnen? 

Es ift diefes einmal, dag in unferer Hülfsbebärftigfeit, in 
ber Nothwendigkeit fremder Leitung und Liebe für uns bie Rig 
lichkeit liegt, daB dad was andere für uns thun muͤſſen auch au’ 
unrichtigen Bewegungsgruͤnden und in verberbtem Sinne geſche— 
ben könne, und dag ſchon fo eine ſolche Mifchung des höhe 
geifligen mit finnlichen und eigenfüchtigen Bewegungsgruͤnden 
flatt findet, welche fid) mit einem rein göttlichen Dafein nik! 
verträgt. Wenn in der Zeit ber erſten Kindheit und von Di 
durch die gauze Zeit des bilbfamen Lebens, wo die Sinnlichkei 


571 


das Uebergewicht hat uͤber das geiſtige, wenn in dieſer Zeit auf 
den Menſchen gewirkt wird aus perſoͤnlichen eiteln und eigen⸗ 
ſuͤchtigen Bewegungsgruͤnden, wenn etwas Außerliched in ihm 
gebildet wird und gepflanzt, fo freut dies fchon den Saamen 
des irbifchen in feine Seele, welcher nicht unterlaffen wird auf 
gehn und Fruͤchte des Verderbens zu tragen. 

Ferner ift ed auch biefed, dag in unferer allmähligen Ent: 
wiltelung ber in und liegenden Kräfte wir eigentlich niemals 
dad rechte Maaß halten ober ben zechten Schritt, ſondern bie 
meiften unferer Zortfchritte im guten und böfen entfliehen durch 
das Schwanken von ber einen Seite zur andern, unb fo daß im: 
mer zugleich die Sinnlichkeit ein Uebergewicht erhält, baber denn 
unvermeiblich zugleich mit bem guten auch das böfe fich entwik⸗ 
kit, und mit der Ausbildung ber Vernunft und der Sinnlichkeit 
jener Streit zwifchen beiden entfleht, von dem wir nie ganz das 
Ende finden. 

Es ift dieſes endlich, daß die Sinntichkeit, wenn fie durch 
ihr Uebergewicht bie göttliche Kraft zuruͤkkdraͤngt, einzelne Hands 
lungen hervorbringt, in benen wir bad Gepräge des göttlichen 
Ebenbildes vermifien, ja eine Gewöhnung erzeugt nur ſolche zu 
begehen, worin bie Züge beffelben entflelit find; ja daB auch dad 
göttliche felbft gewiſſermaßen heil hat an diefem Verderben, in 
dem nicht nur Sinnlichkeit und Vernunft feindlich gegen einans 
ber fireben, fondern daß auch die Gedanken unter einander ſich 
verfiagen, dag in ben Verſtand felbft des Menfchen der Keim 
des Verderbens fallt, daß er eine Beute wird jener betrügerifchen 
Kunſt ſich dad Recht ald Unrecht und umgekehrt vorzuftellen, und 
daſſelbe unter ber Geflalt der Ueberlegung und bes Beſonnen⸗ 
beit ſelbſt zu verfälfchen. 

Dies m. Fr. iſt dad ungöttliche Weſen, von bem feiner ganz 
frei ifl. Aber eben dies ift es, wovon wir ben Erlöfer überall 
tin finden, und dieſer Unterfhieb von uns macht, bag er nicht 


372 


nur in den Tagen der Wellendung, fondern daß er und fchon 
vom Anfang feine Daſeins dieſes Werberbend unfähig erfcheint. 
Dentn wir uns den Erlöfer unter bet Pflege und Sorge 
der feinigen, können wir und vorflellen, bag eine ungoͤttliche 
Liebe über ihn gewacht habe? daß etwad unreines und verderbli⸗ 
ches geweien fei in ber Liebe feiner Mutter? erfcheint fie uns 
nicht in einem höhern Lichte ald eine audgezeichnet reine Seele 
und aller Eitelkeit abgethan, wie fie fi) ganz hingiebt als bie 
Magd ded Herrn? Dann warb er unter heiligen Ahnbungen 
und Prophezeiungen göttlicher Boten, welche ben Gemüthern reine 
Andacht, Fromme Erwartungen einflögen mußten, ind Leben ein: 
‚geführt. So erfchien er ben feinigen von Anfang als ber ge 
falbte, als der göttlihe Diener und Gefandte des Herrn, und 
nur eine folche anbächtige auf das höhere gerichtete Liebe war 
es, die ihn auferzog. 
Denken wir und ben Erlöfer, wie wir ihn vorher in 
feinen rein menfchlihen Werhältnifien dachten, eben fo feiner 
Kräfte ſich allmählig bewußt werben, wird einer glauben können, 
daß ex jemald von bem rechten Maag gewichen fei, daß dus ur: 
fprüngliche Verhaͤltniß, das in dem innern Grunde der menfchli: 
den Perfönlichkeit liegt, zwifchen dem Licht und bem göttlichen 
Frieden in und und zwiſchen ber finnlichen Kraft, daß diefes je 
mals auf einen Augenblikk in ihm getrübt fei, daß je das irdi⸗ 
She fei vorangeftellt worden bem geiftigen und himmlifchen? Im 
feiner erſten Erfcheinung auf Erden iſt er der reine Menfch, ihm 
klebt nichtd an von fremdem Verderben, ihm ift nichts verderbli⸗ 
ches eingepflanzt worden, und eben fo erfcheint er und ald da} 
himmliſche Kind, ald der Heilige Juͤngling, als der ganz göttliche 
Dann, ähnlich immer ald der Sohn dem Water. Und wo er 
blikken wir biefe göttliche Reinheit des menfchlichen Weſens be: 
. Kimmter und genägenber als darin, daß das göttliche in ihm 
rein war und ſich erhielt, daß in ihm dad menſchliche Herz un: 


573 


verderbt geweſen iſt und nie jene trogige und verzagte Ding, daß 
in ibm nicht flatt fand ein Kampf zwilchen der Vernunft und 
Sinnlichleit, Fein Wettfreit der Bebanfen. Und diefe Unmög« 
lichkeit daß in ihm das höhere verruͤkkt werde, eben diefe ift es, 
weshalb und Feine Weichreibung genügt und Feine Abbildung, 
wir finden, daß noch etwas ifl, ein Glanz, eine Reinheit, die noch 
zur Bollfommenheit des Abbildes fehlt, und die wir nur im Ge 
fühl tragen. 

Wolan m. Fr., da er fo ein Menfch geworben, bis zur Ges 
meinfchaft alles menfchlichen im höchften Sinne fich felbft herabs 
gelafien und babei doch das göttliche rein erhalten, fo fei num 
ieder gefinnt wie Jeſus Chriftus auch war. Seine Erniebrigung 
werde unfere Erhebung, feine Entäußerung unfer Heil. Laßt und 
uns felbft fättigen mit ber Vorſtellung bed heiligen reinen wuns 
derbaren und unverberblichen Kindes Jeſu. Dieſes göttliche Bild 
einige die Liebe und Arbeit, die wir dem künftigen Gefchlechte 
widmen, fie durchdringe und, damit wir in denen, die und ge: 
geben find, die menfchlihe Natur rein zu erhalten fuchen von 
allem Unweſen der Welt. 

Die Vorſtellung von ber Art, wie er fich entwikkelt und zus 
genommen bat an Gnade bei Sott und ben Menfchen, fie fchwebe 
und überall vor, wo wir auf und felbft zu wirken haben; fie 
halte und vor ein heiliges Bild, welches wir zwar nie erreichen, 
bad aber in jebem Augenblikk beiträgt den falichen Schein zu 
vernichten und dad Gemüth zu reinigen, daß ed bed himmlifchen 
Lichtes theilhaftig werde, welches von ihm ausſtrahlt. 

Aber vor allem bie Vorftellung feiner unbeflekkten Heilig» 
keit treibe und an alle und anklebende Sünde abzuthun, daß 
wir dad göttliche rein erhalten in und, daß bad heilige, was 
und ſchon aus den Augen bed neugebormen Chriſtus entgegen. 
frapit, unſer Antheil werde, daß auch in und geboren werde ber 
göttliche Erlöfer, damit auch wir Menfchen werben wie er, und 


574 


immer fähiger werben, zu erfcheinen in göttlicher Gehalt. Da 
zu laßt und anbeten dad göttliche Kind, den Heiland ber Welt, 
fefthaltend von dem Augenbitft an, wo er und erfchien, fein her 
liged Bild, daß es in und wachſe und zunehme, und ſich unfe 
ganzed Weſen geflalte in die Aehnlichkeit mit ihm, um bereits 
willen wir nady feinem Namen heißen, einem Namen, ber übe 
alle Namen if, und vor dem ſich beugen follen alle Knie im 
Himmel und auf Erden! Amen. 








Anhang. 


Gedraͤngter Auszug aus zwei im Jahre 1810 ge⸗ 
haltenen Vortraͤgen. 


J. 


Mn der Erlöfer ſelbſt das Evangelium nur erft feinen Grund» 
zügen nad) in die Seelen der Juͤnger legen Tonnte, fo mußte bie 
Wahl diefer Zünger, durch welche die Kraft feiner Lehre hinaus⸗ 
wirken follte in die Welt, eines der wichtigften Ereigniffe in ſei⸗ 
nem Leben fein, und wenn dies, dann muß jene Wahl audy eis 
ner der wichtigften Gegenftänbe unferer frommen Betrachtung fein. 


Text. Joh. 1, 35 — 44. 


Es iſt zuvor zu bemerken, daß der ungenannte jener beiden 
Juͤnger, die Chriſto nachfolgten, kein anderer geweſen iſt, als der 
Apoſtel Johannes ſelbſt, der dieſe Worte geſchrieben hat. Dies 
erhellt aus der Art, wie er ſich durchgaͤngig in ſeinem Evan⸗ 
gelio bezeichnet, und daß kein anderer, als der Augenzeuge ſelbſt, 
die unbedeutenden Umſtaͤnde bei jener erſten Bekanntſchaft mit 
Chriſto, die Worte, die Stunde u. f. w. fo genau wiſſen und 
bemerken konnte. — 


576 


Dies voraudſezend Laffet und zufehe, 
Welche wichtige Bemerkungen und Wahrheiten wir 
und aus dieſer Wahl des Erlöfers, durch welde er 
fih den erſten Jüngerfreis bildete, ableiten können. 


Erſtlich. Der Erlöfer fezte die Schaar feine 
Juͤnger zufammen aus Männern von ganz entgegen 
gefezter Geiſtesbildung und Gemüthsverfaſſung. 

In Johannes wohnt überwiegend das fanfte, ruhige, fe 
lige; er erfcheint ald näherer perfönlicher Freund und Liebling 
des Erlöfers; er ruht an der Bruſt beffelben; ihm eignet die 
Hindeutung be3 Zäufers, Siehe das ift Gottes Lamm, in welhe 
jener den fanften gelaffenen Sinn Chrifti bezeichnet. 

Sanz anders erfcheint Simon, zn dem Zefus fagt, Du folk 
Kephas oder Petrus heißen; ein Zelfenmann, ein Gemüth, worin 
das firenge, herbe die Oberhand hat, dad Hindurchdringen 
durch alle Hinderniffe, das Abprallenlafien befjen, was in ben 
Weg tritt. 

In diefer Verfchiedenheit der erflen Glieder der chrifllichen 
Gemeine fpiegeln fi) die Gegenfäze menfchlicher Gemüthsart, 
welche alfo für dad Beftehen und die Förderung des göttlichen 
Reiches nothwendig fein müffen. 

Auf die Frage, welche Naturweile ded Gemüthd (Zemperw 
ment) bie befte fei, ift demnach die Antwort: jede iſt gut, 
wenn fie vom Geifte Gottes befeelt ift, nur Uebermaeß 
und Einfeitigkeit erzeugt hier dad unvollkommene. 

Es find viele Gaben, aber ed if ein Geift, dies 
große Wort geht eben fo gut aud auf die Mannigfaltigkeit der 
natuͤrlichen Ausſtattung. Strenge und Milde, ſeurige Kraft und 
geduldige Sanftmuth, Handeln und Beſchaulichkeit koͤnnen und 
föllen gleichermaßen ven Herrn preiſen, ‚haben jebe ihre eigene. 


977 


Beſtimmung, Stelle, Wirkung, die im ganzen de3 göttlichen Rei: 
ches nicht zu entbehren. 


Wir finden nicht, daß etwa in fpätern Zeiten die Eigen: 
thuͤmlichkeiten der Jünger ſich zu annähernder Gleichheit abge: 
ſtumpft und abgefchliffen; fie bleiben verfchieben, wie von Anfang. 

So fei jeder zufrieden mit feiner Gabe; er wirke damit, was 
er vermag, und fchäze bad, was ein anderer anbered ober mehr 
vermag. Keiner beneibe eines andern Gabe und Kraft; durch 
den gemeinfamen Eifer für daffelbe Reich Gottes in berfelben 
Liebe werben alle zufammengehalten, und jeber freue fich ber ihm 
alfeitig kommenden Ergänzung. 

Aber auch jeder dulde und trage den andern, da Feiner ein 
vollfommener Tempel des Geiſtes Gottes iſt. 

Die Beharrlichkeit Petri Elingt durch in der Hartnaͤkkigkeit 
feined Verlaͤugnens; auch Johannes wird dem allgemein menfch: 
lichen Loofe nicht entgangen, feine Fehler zu haben, wie fie grabe 
mit Teiner Gemüthöart näher zufammenhingen. Gleichwol find 
beide Zünger Freunde, und wir finden fie im legten Abfchnitt 
der evangelifchen Gefchichte immer befonderd nahe beifammen. 

Laffet und in Chrifto zufammenhalten, baß jeder dem an: 
dern Hülfreich nahe fein koͤnne in der Lage, die gerade ihm ge: 
fahrlofer, dem anbern gefährlich ifl. 


1. 


Zweitens fehn wir, bag unfer Erlöfer in der Zahl 
feiner erfien Jünger ſolche hatte, welche durch Worte 
und Thaten ſich ausgezeichneten Ruf erworben ha 
ben, aber auch folche, von denen faum mehr als der 
bloße Name auf und gelommen ift. 

Des Sohanned und Petrus Ruhm in der chriftlichen Kirche 
koͤnnte nur mit biefer felbft vergehn; Andreas und Philippus 

Prebigten 1. O0 


578 


find auch berufen, erwählt, audgefenbet, aber ed ift faum mehr 
als ihr Name auf und gefommen. — 

Da der Herr weder unmwerthe noch entbehrliche zu feinen 
Füngern aufgenommen haben kann, fo follen wir lernen, daß 
auch die flilen und unbefannten Arbeiter in der Kirche nicht zu 
.überfehn und gering zu achten find, und alfo unter den Chriſten 
als fotchen überhaupt folcher Unterfhied von berühmt 
und unberähmt nichts gelten foll. — 

Der Unterfhieb von äußerm Glanz des einen und Dunkel: 
heit des andern liegt nicht in dem Unterfchieb ihres inneren Ber 
thes; diefem fügt jener Glanz nichts hinzu, und dieſe Dunkelheit 
fann ihm nichts rauben. 

Jener Unterfchieb liegt in aͤußeren Umflänben, die im Ber 
haͤltniß zur innern Tuͤchtigkeit unweſentlich und zufällig find. 

Jener Unterfchied Liegt auch ſchon in der Neigung des ein 
zelnen; ein Gemüth ift berufen hervorzutreten, das andere ver: 
birgt ſich lieber; das eine wirft in rafcher kraͤftiger Entſcheidung 
dad andere langſamer, fliller, aber ficher; da3 eine auf dem ge 
fern Schauplaz, das andere im Kreife bed häuslichen Lebens. 
Beides iſt nothwendig; der Glanz bed hochgeſtellten iſt immer 
nur der Widerfchein des Lichte, das taufende auf ihn werfen. 
Alles aber kommt vom Herrn. | 

Laffet und nicht eitler Ehre geizig fein! 


nl. 


Drittens können wir aud diefer Wahl lernen, wit 
die wichtigften Ereigniffe des Lebens fo oft auf ein: 
unfcheinbare Weiſe anfangen. 

Das menfhlihe Herz bat das fehlerhafte Begehren, dat 
wichtige und bedeutende fi) auch im Anfange gleich als fol 
ches ankündigen zu fehn, und wenn bied nicht der Fall if, tritt 
Niedergefchlagenheit, Kleinmuth und Erfchlaffung ein. 


979 

Zuſammenhang dieler Ericheinung mit der Neigung zum 
wunderbaren; Gegenfaz derfelben gegen ben xerſtaͤndigen gleich: 
müthigen und erfahrungliebenden Sinn. 

Wie wichtig ift es für dad Wirken in der Gegenwart, von 
der Zukunft unbeftochen zu denken und jebes zu nehmen wie 
es iſt! 

Wie wichtig, weniger auf das äußere zu ſehn (die erſten 
unbebeutenden Reben, bie hier gewechfelt werben), ald auf das 
innere! 

Wir haben wahrhaft dad innere im Außern, wenn wir barin 
den Erlöfer finden. 

Es bedarf nicht des großen im äußerlichen, wie es doch nur 
immer wenigen gegeben wirb, um das befte zu haben, den Erlöfer. 


Nur die Treue und Liebe gegen ihn gebe und den Maaß— 
Rab aller Wuͤrdigkeit des Lebens; auch aus unferm befcheibenen 
Theil am Werke des Herrn kann und wird herrliche fich ent: 
wikkeln; die Freude daran, die Gewißheit davon gebe und Be: 
Nandigkeit im Kampf, Buͤrgſchaft des Sieges! Amen. 


I. 


Wan Chriſtus auh nur als Lehrer aufgetreten wäre, fo 
wäre auch dies ſchon eine große Wohlthat geweſen, und einmal 
ausgeftreut in die Herzen der Menfchen würde die Wahrheit nicht 
wieder untergegangen fein; aber ſchwerlich wäre fie doc) auf dieſe 
Weiſe eine Angelegenheit des ganzen Menfchengefchlechtd geworben 
und hätte biefen auögebreiteten Einfluß auf daffelbe gewonnen. — 

Wo etwas großes gewirkt werden fol, muß Wort und That, 
Echte und Werk zufammentreffen, und fo iſt auch bei Chriſto das 


. Do 2 


580 


Lehren nur die eine Hälfte feines Gelchäfts, die ambere if du 
Stiftung einer Gemeinſchaft ber Liebe und Ehrfurcht gegen Got, 
eines neuen Sinned, eines heiligen Geiſtes. — 

Darum mußte er gegen bie vorhandenen Anftalten ber Re 
ligion und gegen bad wefentliche der alten vorhandenen Berfet 
fung reformatoriſch auftreten, und ed ift wichtig für uns av 
einem Beifpiel zu erfennen, welche Grundfäze ihn hiebei leiteten 


Text. Joh. 2, 13 — 17. 


Es war dad erſte Mal, ſeitdem unſer Erlöfer als Lehrn 
öffentlich aufgetreten war, daß er bie heilige Stätte des Im: 
pels betrat. — 

Der Tempel war der äußere Mittelpunkt alles religidien 
Lebens, an ihm hafteten alle frommen Hoffnungen und Begrift, 
von ihm gingen die Einrichtungen aus, die dad Volk unter fd 
zufammenbhielten und von ber Übrigen Welt auöfonderten. Hir 
mußte bad Werk der Verbefferung anfangen, ber Grund gest 
werben zu bem neuen geifligen Gebäude, welches Chriſtus auf: 
zuführen gefommen war. — 

Laffet und aus jener Erzählung die Grundfäze kemen 
lemen, nad) benen unfer Erldfer bei Berbefferung ei 
led deffen, was auf die religiöfe Verbindung ber 
Menfhen Bezug hat, zu Werke ging. 


Erſtlich erfennen wir, daß er auch bier beweift, er fei 
nicht gekommen aufzulöfen und zu zerflören, ſondern 
an das gegebene ſich anſchließend zu verbeffern un! 
zu vollenden — 

Nach dem entgegengefezten auch zu unferer Zeit in mandem 
fonft wohldentenden fich offenbarenden Sinn könnte man fragen, 
Barum fezte fich der Erlöfer ſolchen Mühen und Gefahren aus 


581 


zus Verbeſſerung einer Anflalt, der er felbft fo richtig ben Uns 
tergang prophezeite? (Joh. 4, 21.) — 

Aber dennoch fehen wir überall, daß er nicht auf ben Truͤm⸗ 
mern bed alten das neue aufführen wollte, ſondern, fo viel von 
ihm abhing, follte Died auf eine milde und fanfte Weiſe fich ver- 
beffernd an jenes anfchließen. — | 

Dielen Sinn wahrer gottähnlicher Weisheit, dieſe eben fo 
friedfame als fiegreiche Kraft Chriſti follen auch wir und zu dis 
gen machen. Nie kann das Zerflören die eigentliche Abficht, die 
bewußte und gewollte That des geiſtdurchdrungenen Menfchen 
fin, fonbern nur das Erhalten und Umbilden zum vollkom⸗ 
meneren. — 

Was unfaͤhig iſt der Verbeſſerung wird fallen, aber es ge⸗ 
ſchehe dies nicht durch die That des Frevels und Unrechts: es ſei 
die Wirkung ſeines innern unvermeidlichen Schikkſals. — 


II. 


Der Eifer des Erloͤſers in der Saͤuberung des 
Tempels war darauf gerichtet, daß aus dem Bezirk, wel⸗ 
cher der frommen Sammlung des Gemuͤths gewidmet war, aus 
dieſer ſtillen Bildungsſtaͤtte des innern Lebens mitten in der ge⸗ 
(däftigen Welt, alles entfernt werde, was die Menſchen 
wiederum in bie Sorgen und Gebanten Bed gemei. 
nen Lebens verſtrikkend berabziehen könnte — 

Nicht Leichtfinnige, nein, auch wahrhaft vebliche koͤnnten mei 
nen, baß dergleichen Außerliche Dinge nichts böfes feien und bie 
wahre Richtung auf Gott nicht hindern Eönnten. Der Tempel 
ft ja groß genug geweſen; ‚alle jene Gefchäfttreibende bienten 
ja dem Verkehr des religiöfen Lebend. War ed. nicht gleichgül: 
tig, ob fie innerhalb oder in der Nähe bed Tempels waren? 
Die fich durch fie flören Liegen in ihren frommen Gefinnungen, 
Üonnten immer nur ſolche gewefen fein, von welchen doch nie als 
It Anlaß Hiezu möchte entfernt werben Tonnen u. f. w. — 


582 


Aber ein anbered ift menfchliche Klugheit, ein ambereb Chi, 
Einficht, der ſich hier bad richtige muß gezeigt haben. — 

Was die Befimmung bat, den Menfchen zus 
Höchften zu fammeln, im Umgang mit Bott zuur 
terüzen und zu befefligen, werbe rein und unet 
weiht gehalten. — 

Die Schwäche bed menfchlichen Herzens verbietet Außen: 
und inneres, weltliched unb göttliche fo durch einander gehen # 
laſſen, und macht auch die äußere Sonberung beiber Schr 
nothwendig. — 

Der Keim bed Verderbens im jübifchen Wolle war eben im 
Bermifhung des heiligen und ixbifchen, bed kirchlichen und de 
bürgerlichen; daher jene Fertigkeit, fich in Religion und Gittligkk: 
mit dem leeren Wort und äußern Gebrauch zu begnügen. — 

Weil Chriſtus dies einfah, hielt er das, was er bier thal. 
für fo nothwenbig, daß er es fpäter wieberholte. — 

Laſſet denn auch und unfere kirchliche Gemeinfchaft, weit 
eben der tempelfäubernbe ‚Herr gefliftet hat, frei halten von a 
ler Bermifchung mit frembartigem. 





Drittens wäre zu fragen, mit welchem Rechte ber Er 
'Löfer Hier fo zu Werke ging. Ueberfchritt er micht fein 
Befugnig und miſchte ſich in das, was ber Obrigkeit und de 
Prieſtern oblag? — 

Nein. Es lag in der freien Sitte jenes Volkes und Zeit 
alters, daß jeder etwas, was dem öffentlichen Rechte zuwider 
lief, angreifen und wegruͤkken konnte. Damals hatte reblicher 
Eifer Recht und Raum. — 

Wo es Fein öffentliches Handeln giebt, als was an Auf 
liche Aemter vertheilt ifl, da wuchert jene allzu enge Gefinnung 
weiche feiert und nachläffig ift im guten, wenn nicht ber Außer! 








583 


zeruf gerabezu gebietet, ober bei ber fich immer jeber auf ben 
dern verläßt. — 

Der Geift des Erlöferd, in welchem er fen war 
der Trägheit zum guten und jedem feigherzigen 
Sinne, foll übergehn in bie Denkart und Sitte aller 
hriſten. 

Seine eifernde Rede begleitete die anhebende That und 
sefkte die umflehenden, daß dad angefangene Werk der Saͤube⸗ 
ung vollendet ward. So follen auch wir für bas rechte ımb 
ute unfre Stimmen erheben, die Öffentliche Meinung dafür ge: 
vinnen; die Geißeln, bie noch heute ſchrekken, find Furcht und 
Schaam. 

Wir Chriſten find das priefterliche Volk, berufen, den gro: 
ien geifligen Tempel der Gottheit auf Erden rein zu halten. — 


Berbefferungen 


für dad auf die erſten vier Bände der Schleiermacherfchen Pie 


digten ſich beziehende Zertregifter. 





Den Texrten aus bem Alten Teſtament Geite XI. Golumma I. if 206 


hinzuzufügen: Jeremias 17, 5—8 und 18, 7—10. . . . M. 5. 


&. XI. Gol, Il, 3. 11 v. u. lies: Ev. Matth. 14, 8 —31. IV. 52 
S. XIV. Sol. 1. 3. 10 0. 0. l. Ev. Mare. 15, 34 — 441. .. LE 


— — nach 3.150. 0. einzufügen: Ev, Lucae 2, 4149. IV. W 
— — 3140» u. Ev. Luca 14, 18 fo. . , , DER 
— — 8.13% 1 Ev Luce 14, 35—33. . . 15% 
— — 38.10 und 11 v. u. gehören in den Johannets. 
- — 372» 01 Ev. Lucae 17,3... «+ V. 
— &L1.3.% v. 0,16 Joh. —, 0—53 . . . 1.5 
— — 3,.21.00L.3%.89%. .... . IN 
— — 314.160 30%14,9 .. . . LVII. 
— — nad 3. 11 und 9 v. u. find die sub Ar. 7 bes 
zeichneten Sohanneifchen Texte einzufchieben. 
— — 3.7 v. u. l. Ev. Joh. —, 3: .:... MM 
XV. Gol. I. 3. 10 v. 0.1. Eb. Joh. 3, 13. 1. . . + IL 
— — 3. 10 v. u. l. Ev. Joh. 6, 7. 8.... . 11% 
— — 3.5 v. u. l. Ev. Joh. 13, 1-8. .. - Mt 
XVL — zwiſchen 3 und 2 v. u. iſt einzuſchieben: 1 Joh. 
3,; 3444... rer RR 
— &0l, II. 3, 3 v. 0. iſt wegzuſtreichen. 





Sriedrihb Schleiermacher's 


ſaͤmmtliche Werke. 


Zweite Abtheilung. 


Predigten. 


Achter Band. 


| 
Berlin, 
gebrudt und verlegt bei G. Reimer, 
1837, 








Friedrich Schleiermacher's 


iterariſcher Nachlaß. 


Predigten 


Bierter Band 


| 
Berlin, 
gebruckt und verlegt bei G. Reimer. 
1837. 


Friedrich Schleiermahers 


ſaͤmmtliche Werke. 


— — 


Zweite Abtheilung. 


Predigten 





Friedrich Schleiermader’s 


literarifiher Nachlaß. 


Predigten 





»vmilien. 


über 
dag Evangelium Des Johannes, 
in den Jahren 1823 und 1824 gefprochen 


von 


Friedrich Schleiermacher. 


Aus wortgetreuen Nachſchriften 
herausgegeben 


Ad Sydow, 
Prediger am Cadetteninſtitut zu Berlin. 


——— — 
Berlin, 
gedruckt und verlegt bei G. Reimer. 
1837. 





Borwort. 


Zuſolge des in der Vorrede zu Bd. 7. ©. XIX. ges 
jebenen Verſprechens erfcheint hiemit Die erfte Hälfte 
der Morgenbetrachtungen, in welchen Gchleiermacher 
vom Sonntage misericord. dom. 1823 an eine zufams 
menhängende Auslegung des Sohanneifchen Evanges 
ums gegeben bat. 

Wir verdanken die Erhaltung Ddiefer Vorträge den 
Nahfchriften des Herrn Predigers Andrae. Wer mit 
Schl's. Darftelungsweife vertraut ift, wird zu der dus 
beren Berficherung bald auch das innere Zeugniß ges 
innen, Daß Die Treue Diefer Nachfchriften bis zur 
wörtlihen Uebereinſtimmung gebt. Nur an 
wenigen Stellen hatte ich Diefes Zeugniß nicht, mo etwa 
äußere Zufälligfeiten den Nuchfchreibenden an der ges 
nauen Auffafjung gehindert hatten; aber es find Deren 
ſehr wenige und fie umfaflen böchftens einige Saͤtze. 
In diefen Fallen babe ich im Contert dasjenige bins 
geftellt, mas aus der Nachfchrift wahrfcheinlich und nach 
dem Gedankengange nothwendig ſchien. Wo etwa, vie 
es dem Verewigten Doc) auch zumeilen, wenngleich nicht 
häufig, begegnete, eine fallen gelaffene Conftruftion oder 
eine andere unmefentlihe Unvolllommenheit des Auss 
druds fih vorfand, habe ich Diefelbe mit Freuden ber 


vım 


die Treue meiner Quelle, Die auch Dies wiedergab, un 
bedenklich verbeffert. 

Leider aber erftreden ſich die trefflihen Nadfcri: 
ten des Herren Predigers Andrae nur über die er 
flen fehs Kapitel des Evangeliums, welche der vor: 
liegende Band enthält *). Ich halte es für Prlic, 
biemit ausdrädlich zu erklären, daß die früher gethane 
Aeußerung, wir vermöchten die ganze Auslegung te 
Evangeliums aus wortgetreuen Nachfchriften zu ge 
ben, auf einem für die Sache felbft bedauernswerthen 
Mißverſtaͤndniß beruht bat. Obgleich fir Die folgenden 
Kapitel, vom fiebenten an, ung mehrere Quellen ne 
beneinander fließen, fo ift feine derfelben fir ſich gen 
gend, und duch ihre Verbindung würde allerding: 
immer nicht eine vollkommene Serftellung des von 
Schleiermacher Gegebenen verfprochen werden fönnen. 
. €s fcheint daher gerathen,. die Fortſetzung Diefer Johan 
neifchen Homilien zunächft dDahingeftellt fein zu lafem, 
bis fih etwa noch neue Quellen aufthun, wozu di 
Möglichkeit vorhanden: ift. 

Dem Gefes der hronologifhen Ordnung 
das wir bei der Herausgabe der Predigten zu beobad- 
ten verfprochen, ſchien genügt, wenn es innerhalb jedes 
einzelnen Bandes aufrecht erhalten wiirde: darum reiht 
ſich der vorliegende als achter unmittelbar den frühe 
ten an, 

Bon dieſer aͤußerlichen Kechenfchaftgebung Fehr 
ich gern mit meinen Gedanken zu dem inneren We 


*) Wit Ausnahme bes Vortrags Nr. XXXV., der aus einer — al 
nicht wortgetreuen — Rachſchrift des verftorbenen Domblandi⸗ 
daten Saunier durch den Herrn Prediger Schirmer in Premie® 

” gefchöpft if. 


x 


deffen zuruͤck, was den Freunden und Berehrern des 
theuren WBerftorbenen in Diefen vorliegenden achten 
Bande dargeboten wird. Es bildet derfelbe auch in ſich 
ein abgefchloffenes Ganze und liefert zur tieferen Wuͤr⸗ 
digung des großen Mannes, wie mir fcheint, einen ſehr 
fhäßbaren Beitrag, Wie der Junger, deſſen Schrift 
er uns auslegt, ruht er bier an der Bruft des Er 
loͤſers; was er da erfahren und gefchaut, das deutet 
er uns und verfündet in immer neuen Wendungen die 
Herrlichkeit. des Fleifch gewordenen und ewig Fleifch 
werdenden Wortes. Wie in der glaubigen Anfchauung 
dieſer Herrlichkeit Schleiermachers ganzes Weſen wurs 
zelte; wie fie allein feinem eben fo tiefen als fcharffins 
nigen Geifte verföhnend die legten Rathfel unfres Das 
feins gelöft; mie fie unter den vielfeitigften Entfaltuns 
gen Der Thätigfeit ihm eine ftille Einfalt, einen ewigen 
Frieden des Gemuͤths als unzerftörbares Eigenthum 
fiherte; wie fie, über jede VBerlümmerung binaushebend, 
ihm Die Welt zu einem heitern Schauplaß göttlicher 
Weisheit und Liebe verflärte, und wie ihm bieraue 
gleichermaßen jene Teidenfchaftslofe Milde und Gelaffens 
beit, wie jener bochfinnige, freie und Fräftige Gebrauch 
des Lebens entfprangen, welche dem hohen Standpunft 
diefer Anfchauung eignen — das wird dem empfäng- 
lihen Sinne aus diefen Vorträgen verftändlih, Die 
tiefen fpefulativen Ideen, auf denen die Sohanneifche 
Ehriftologie ruht, find bier mit feltner Kunft dem Bes 
wußtfein der Gemeine aufgefchloffen; mit der größeften 
Anfpruchslofigfeit find Die Schäße einer reichen, wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Schrifterflärung gemeinverftändlich verwen 
det, umd dies Alles in einer fo Haren, berzlichen, zus 
traulichen Sprache, daß man fühlt, es kann nur Die 





® 
nn —— — 


582 


Aber ein anberes iſt menfchliche Klugheit, ein anderes EHrifli 
Einficht, der ſich hier das richtige muß gezeigt haben. — 

Bad die Beflimmung bat, den Menfhen zum 
Höhften zu fammeln, im Umgang mit Bott zu un 
terſtuͤzen und zu befefligen, werbe rein und unent 
weiht gehalten. — 

Die Schwädre des menfchlichen Herzens verbietet äußere: 


und inneres, weltliche unb göttliche fo durch einander gehen zu 


lafien, und macht auch bie äußere Sonberung beiber Gebiet: 
nothwendig. — 

Der Keim des Berberbend im jübilchen Volke war eben jen: 
Vermifhung des heiligen und irbifchen, bed Tirchlichen umb be 
bürgerlichen; daher jene Fertigkeit, fich in Religion und Sittfichkeit 
mit dem leeren Wort und Außern Gebrauch zu begnügen. — 

Weil Ehriftus dies einfah, hielt ex das, was er hier that, 
für fo nothwendig, daß er ed fpäter wieberholte. — 

Laflet denn audy und unfere Firchliche Gemeinfchaft, welche 
eben der tempelfäubernbe Herr gefliftet hat, frei halten von al: 
ler Vermiſchung mit frembartigem. 


III. 


Drittens waͤre zu fragen, mit welchem Rechte der Er— 
loͤſer hier ſo zu Werke ging. Ueberſchritt er nicht feine 
Befugniß und miſchte ſich in das, was ber Obrigkeit und ben 
Prieften oblag? — 

Nein. Es lag in der freien Sitte jenes Volkes und Zeit⸗ 
alters, daß jeder etwas, was dem oͤffentlichen Rechte zuwider 
lief, angreifen und wegruͤkken konnte. Damals hatte redlicher 
Eifer Recht und Raum. — 

Bo es Fein Öffentliches Handeln giebt, als was an Außer: 
liche Aemter vertheilt ift, da wuchert jene allzu enge Gefinnung, 
welche feiert und nachläffig ift im guten, wenn nicht ber Außere 


> 





| 
j 


| 





583 


Beruf gerabezu gebietet, ober bei ber fich immer jeber auf ben 
andern verläßt. — 

Der Geift des Erlöfers, in welchem er fem war 
ieder Trägheit zum guten und jedem feigherzigen 
Sinne, foll übergehn in Die Denkart und Sitte aller 
Chriften. 

Seine eifernbe Rede begleitete die anhebende That und 
wette die umftehenden, daß dad angefangene Werl der Säube: 
rung vollendet ward. So follen auch wir für dad rechte und 
gute unfre Stimmen erheben, die öffentliche Meinung dafür ge: 
winnen; bie Geißeln, bie noch heute ſchrekken, find Furcht und 
Schaam. 

Wir Chriften find das priefterliche Wolf, berufen, den gro: 
ben geifligen Tempel der Gottheit auf Erden rein zu halten. — 





Berbefferungen 


für daS auf bie_erfien vier Bände der Schleiermacherfhen Pre 
digten fich beziehende Zertregifter. 





Den Xerten aus bem Alten Teſtament Geite XII. Golumna L iſt ned 
hinguzufügen: Seremias 17, 5—8 und 18, 7-10. + . . . 5. 
S. XI. Sol, II. 3. 11 v. u. lies: Ev. Matt. 14, 8 —31. IV. 52 
©. XIV. ol. 1 3. 10 v. o. Eo. Marc. 1, 34 — 44. + + Li 
— — — nad 3. 150.0. einzufügen: Ev. Lutae 2, 4149. IV. . 
— — — 3140 u l. Ev. Lucae 14, 18 fad.. . . LI. 
— — — 3. 13 v. u Go, Lucae 14, 26 33. . 15% 
— — — 3,10 mb 11 v. u. gehören in ben Iohannes. 
— — — 3. 7. v. u. Go. Lucae 17, 3. - + + MM 
— — &L.I.3.%0 001 Ev. Joh. —, 40 —- 63... + L. 8. 
— — — 3. 21. v. o. I. Ed. Joh. S, ꝰ...-.- . IL. 
= — — 3. 14 v. u. l. Ev. Joh. 14,0..- - IE 
— — — mc 3. 11 und 9 v. u. find bie sab Nr. 7 bes 
zeichneten Johanneiſchen Texte einzuſchieben. 
— — — 3. 76. u. l. Ev. Joh. —, 33.. . - MM 
— xV. Gol. 1. 3. 10 v. 0.1.@. Joh. 3, 13. 1. . . + IL 


—⸗ — — 3. 10 v. u. 1 Ev. Joh. 6, 7. 8.- .. 1.398 


— — — 350 u. l. Eb. 361,1 -.. . Mt 
— xvi. — ijwiſchen 3 und 2 v. u. iſt einzuſchieben: 1 Joh. 





3, 14. .. .... . . lIV. B. 


— — Col, Il. 3, 2 v. 0. iſt wegzuſtreichen. 








Sriedrih Schleiermader’s 


| fammtlihe Werke, 


Zweite Abtheilung, 


Predigten. 


Adter Band. 





EEIEIII 
Berlin, 
gedruckt und verlegt bei G. Reimer, 
1837. 


Friedrich Schleiermakher’s 


literarifcher Nachlaß. 


Predigten. 


Vierter Band. 


| 
Berlin, 
gebrudt und verlegt bei G. Reimer. 
1837. 


Homilien 


uͤber 
das Evangelium des Johannes, 


in den Jahren 1823 und 1824 geſprochen 


von 


Sriedrich Schleiermacher. 


Aud wortgetreuen Nahfhriften 
herausgegeben 


Ad Sydow, 
Prediger am Gadetteninftitut gu Berlin. 


nn 
Berlin, 
gedrudt und verlegt bei G. Reimer. 
1837. 





Borwort 


Zufolge des in der Vorrede zu Bd. 7. S. XIX. ges 
gebenen Verſprechens erfcheint hiemit Die erfte Hälfte 
der Morgenbetrachtungen, in welchen Schleiermacher 
bom Sonntage misericord. dom. 1823 an eine zufams 
menhängende Auslegung des SSohanneifchen Evanges 
liums gegeben hat, 

Wir verdanken die Erhaltung dieſer Vorträge den 
Nachſchriften des Herrn Predigers Andrae. Wer mit 
Schls. Darftellungsmeife vertraut if, wird zu der dus 
ßeren Verficherung bald auch Das innere Zeugniß ges 
winnen, daß die Treue dieſer Nachfchriften bis zur 
wörtlihen Webereinflimmung geht. Nur an 
wenigen Stellen hatte ich Diefes Zeugniß nicht, wo etwa 
äußere Zufälligfeiten den Nuchfchreibenden an der ges 
nauen Auffafjung gehindert hatten; aber es find Deren 
ſehr wenige und fie umfafjen höchftens einige Saͤtze. 
In diefen Fällen habe ich im Context dasjenige bins 
geftellt, was aus der Nachfchrift wahrscheinlich und nach 
dem Gedankengange nothivendig ſchien. Wo etwa, wie 
es dem Verewigten Doc) auch zumeilen, wenngleich nicht 
häufig, begegnete, eine fallen gelaffene Conftruftion oder 
eine andere unmefentlihe Unvollkommenheit des Auss 
druds fi vorfand, habe ich Dirfelbe mit Freuden uber 


vın 


die Treue meiner Duelle, Die auch Dies wiedergab, ui 
bedenklich verbeflert. 

Leider aber erftreden ſich die trefflihen Nadfcrii 
ten des Heren Predigers Andrae nur über die cr 
ften ſechs Kapitel des Evangeliums, welche der vor: 
liegende Band enthält *). Ich halte es für Prlict, 
biemit ausdrüdlich zu erklären, daß Die früher getban 
Aeußerung, wir vermöchten Die ganze Auslegung de 
Evangeliums aus wortgetreuen Nachſchriften zu ge 
ben, auf einem für die Sache felbft bedauernsmerthen 
Mißverſtaͤndniß beruht bat. Obgleich für Die folgenden 
Kapitel, vom fiebenten an, ung mebrere Quellen ne 
beneinander fließen, fo ift feine derſelben fiir fi gen: 
gend, und Durch ihre Berbindung würde allerding: 
immer nicht eine vollkommene SHerftellung des von 
Scleiermacher Gegebenen verfprochen werden können. 
Es fcheint Daher geratben,. Die Fortfeßung dieſer Johan: 
neifhen Homilien zundächft dahingeſtellt fein zu laflen, 
bis fi etwa noch neue Quellen aufthun, wozu di 
Möglichkeit vorhanden: ift. 

Dem Gefes der hronologifhen Ordnung 
Das wir bei der Herausgabe der Predigten zu beobad- 
ten verfprochen, fchien genügt, wenn es innerhalb jedes 
einzelnen Bandes aufrecht erhalten wiirde: darum reiht 
ſich der vorliegende als achter unmittelbar den fruͤhe⸗ 
ven an, 

Von Ddiefer aͤußerlichen Rechenfchaftgebung Fehr 
ich gern mit meinen Gedanken zu dem inneren Werte 


*) Mit Xusnahme bes Vortrags Nr. XXXV., ber aus einer — che 
nit wortgetreuen — Rachſchrift des verftorbenen Domkande 
daten Saunier durch ben Deren Prediger Schirmer in Prenzlow 

geſchoͤpft iſt. 


IX 


defien zurid, was den Freunden und Verehrern des 
theuren Berftorbenen in Diefen vorliegenden achten 
Bande dargeboten wird. Es bildet Derfelbe auch in fich 
ein abgefchloffenes Ganze und liefert zur tieferen Wuͤr⸗ 
digumg Des großen Mannes, wie mir fcheint, einen ſehr 
Ihäsbaren Beitrag, Wie der Juͤnger, deilen Schrift 
er ung auslegt, ruht er hier an der Bruft des Er 
löferg; was er da erfahren und gefchaut, das deutet 
er uns und verkündet in immer neuen Wendungen die 
Herrlichfeit. des Fleifeh gewordenen und ewig Fleiſch 
werdenden Wortes. Wie in der gläubigen Anfchauung 
diefer Herrlichkeit Schleiermadhers ganzes Weſen wur⸗ 
jelte; wie fie allein feinem eben fo tiefen als fcharffins 
nigen Geifte verföhnend Die letzten Raͤthſel unfres Das 
feins geloͤſt; wie fie unter den vielfeitigften Entfaltuns 
gen der Thätigfeit ihm eine ftille Einfalt, einen ewigen 
Frieden Des Gemuͤths als unzerftörbares Eigenthum 
fiherte; wie fie, über jede Verfümmerung binaushebend, 
ihm die Welt zu einem heitern Schauplas göttlicher 
Weisheit und Liebe verflärte, und wie ihm bieraus 
gleichermaßen jene leidenfchaftslofe Milde und Gelaflens 
beit, wie jener bochfinnige, freie und kräftige Gebrauch 
des Lebens entiprangen, welche dem hoben Standpunkt 
diefer Anfchauung eignen — das wird dem empfängs 
lihen Sinne aus diefen Vorträgen verfländlih, Die 
tiefen fpefulativen Ideen, auf denen die Johanneiſche 
Chriftologie ruht, find bier mit feltner Kunft dem Bes 
wußtfein der Gemeine aufgefchloffen; mit der größeften 
Anjpruchslofigkeit find die Schäge einer reichen, wiffens 
ſchaftlichen Schrifterflärung gemeinverfländlich verwens 
det, und dies Alles in einer fo Haren, herzlichen, zus 
traulichen Sprade, dag man fühlt, «8 kann nur Die 





_ 


x 


zur Meifterichaft bindurchgedrungene Kraft zu dieſer 


anmuthigen und gebildeten Einfachheit zuruͤckkehren. 


Schon einmal iſt Schl. Vielen, die ſich einer gruͤnd⸗ 
lichen Verſtaͤndigung uͤber ihr religioͤſes Leben nicht 
entſchlagen wollten, ein Retter geworden aus der Leer⸗ 
heit oder aus der Knechtſchaft. Der Umſchwung, den 
er ſelbſt einft mit uͤberwaͤltigender Begeiſterung der Thee: 
logie gegeben, bat feitdem manches centrifugale Element 
entfeflelt; er felbft aber hat nie den einigen und rechten 
Mittelpunkt verloren, fondern ihn nur immer deutlicher 
erfannt: und fo wird er auch der Mann fein, welcher 
mit ficherem Geifte der neuen durch ihn begonnene 
Epoche der Theologie Das Wort gefunden. Diele 
Wort, um das fi) mehr und mehr alle theologiihen 
Dartheien verfammeln werden, welche nur nach und mit 
ihm dem religiöfen Bewußtſein überhaupt eine eigne 
Provinz im Gemüth und eigentbämliches Leben 
znertennen und den Glauben weder von der Philoje 
phie noch von irgend einem heilig gehaltenen Buchſta⸗ 
ben zu Lehen nehmen nsollen, dieſes Wort ift — Schleiers 
machers Chriftologie. — Mögen diefe Vorträge dazu 
mitwirken, neben der Erbauung aud) das Verſtaͤndniß 
der tiefen und feinen Gedanfen anzubahnen, mit web 
then der Verewigte in Der Zeichnung des Erlöfers die 
Thatſachen des chriftlihen Bewußtſeins mit den For⸗ 
derungen der Wiflenfchaft zu vereinigen mußte: 
Gecſchrieben im April 1837. 
D. 9 





' Sn": 


— —— ESEEESEH HE S —— —— — 


Erſtes Kapitel. (S. 3— 111.) 
I. Yom. Sonnt. Mifer, Dom. 1823. Ev. Joh. 1, 1—5. 
U. ss: ss Ro . . 0 ; s 1,6—13. 
III. ⸗ ⸗»Exaudi... ⸗ e⸗15,14-18. 
IV. ⸗ ⸗1. nach Trinit. ⸗ . s 4, 19-26. 
V 3 .e 3:6 ⸗ ⸗ se: 1, VB. 
VL. 3: .e 5 s ⸗ ⸗ so 4, 9-31, 
VII. ⸗ 7.2 ⸗ ⸗ ⸗1, 3 
VIII. ⸗ »s 9» o ⸗ e—e1, 43-61. 
Zweites Kapitel (S. 112— 134.) 
IX. Hom. Sonnt. 21. nah Trinit. 1823. Ev, Joh. 2, I—1l. 
x ⸗ ⸗ 23. 0 ⸗ ⸗ „» ee 2% 12—17. 
x. ⸗ ⸗ 235. ⸗ ⸗ ⸗ . 2 18-3. 
Dritted Kapitel. (S. 155 — 231.) 
XII. Som. Gonnt. 1. Advent „. . 1823. Ev. Joh. 3, 1-6, 
XIII. ⸗ ⸗ 8. .. ⸗ s 2» 3 Ti 
XIV. s 1. Weibnahtistag - » ⸗ „» « 8, 16-18, 
XV. ⸗ Sonnt. nach Weihnachten ⸗ s s 3, 19—21. 
xVL s s Gpipbanias . - IM. « : 3,90. 
xvil ⸗ s 2. nad Epiph. . » . 83, 3i—36. 


Inhaltsverzeichniß. 





142 


155 
168 
186 
197 


219 


Gein 
Viertes Kapitel. (S. 232 — 315.) 

XVII Som. Sonnt. 4. nach Epiph. 1824, Ev. Ich. 4, 1-10. 2 
xIX >» » Sotugfm -» ss 8 11-9 29 
xx. ⸗ s _ BReminifcere ⸗ ss» 4, DM 8 
xxıL ⸗ 8 Laetare ⸗ ⸗0 3-4 79 

xiU. 0 »  BYalmarım ⸗ ⸗⸗4,36 4. A 

XXIM. ⸗ «  Subilate ⸗ „sn A 3 

Fünftes Kapitel. (S. 316 — 391.) 

XXIV. Som, Sonnt. Gantate 1824. Ev. Joh. 5, 115: 96 

XXV. s ⸗TIrinitatis ⸗ ⸗28, 162B. 3 

xıV. ⸗ ⸗ 2. nach Trinit. ⸗ ı : UA 3 

xıVil. s ⸗ 4. ⸗ ⸗ ⸗ . = 5,310 % 

XXVIV. s » 6 s ⸗ ⸗ . : 5, MA. B— 


Sechſstes Kapitel. (S. 392 — 475.) 


XXIX. Som. Sonnt. 8. nad) Trinit, 1824. Ev. Joh. 6, 1-15 

xxıX >: s 18 = ⸗ 8 s = 6 16-3. M 
xxııil. s ;_r_ RM. « 8 8 ss 6, 77-35. 46 
xxıoD > :» m > ⸗ ⸗ ⸗6, 35 44. 9 
IIXIVI. s ⸗ 1. Abvent ⸗ 6, 35-51. 4 
xxXIV = ⸗ 3. ⸗ ⸗o 6, 53-0. 455 
XIV so 1. nach Epiph. ht & 


Der Homilien 
| über 
das Evangelium des Johannes 
erfte Hälfte. 


Dom. üb. Ed. Joh. 1. A 


I. 
Im Sonntage Mifericordins Domini 1823, 


— — — — 


M. a. Fr. Die Art und Weife, die uns fchon feit einer 
eihe von Jahren befchäftigt hat, zuerft in unfern nachmittägi: 
en und dann in unfern Srühandachten einen ganzen Brief ber 
iligen Schrift durchzugehen, bat mir gefchienen fehr ſegens⸗ 
ich und von großem Erfolg zu fein. Nachdem wir aber auf 
fe Weife die meiften Pleinen Bücher ded neuen Zeflaments 
trachtet haben, fo hatte ich doch nicht den Muth zu den größe: 
n überzugehen, die doch fchwieriger find ihrem Umfange und 
rem Sinne nad. Es wurde mir aber an die Hand gegeben 
is Evangelium Johannis durchzugehen, wozu ich mich nicht 
uͤrde felbft entfchloffen haben; denn es ift ein großes und ſchoͤ⸗ 
3 Merk, voll von den herrlichiten und tiefiten Neben unfers 
errn und Erlöfers, die auch Fein anderer fo auffaffen Fonnte 
3 ber Juͤnger, den er lieb hatte und ber an feiner Bruft lag; 
; wird auch gewiß niemand jemald den Sinn beffelben ganz 
jchöpfen; aber deswegen wird auch Feiner ſich rühmen können, 
a5 er darüber fagt, fei volllommen richtig, fondern immer wird 
x menfchliche Verſtand zurükfbleiben hinter demjenigen, was 
arin niebergelegt iſt ald ein Ausdrukk der Fülle der Gottheit, 
42 


4 


die in bem Eridfer wohnte und aus ihm redete. Darum, inde 
ih es doch unternommen habe, fo bitte ich euch, daß, wien 
in unferm Morgengebet bitten, daß ber Herr feinen Die 
Kraft und Muth geben möge fein Wort zu verfünbdigen, i 
eben fo meiner gedenken möget in biefen Vorträgen. Zir 
ginnen diefelben jezt und lefen unfern heutigen Text im 


Evang. Joh. 1, 1—5. 


Im Anfang war dad Wort, und dad Wort wart 
Sott, und Gott war dad Wort. Daffelbige war i 
Anfang bei Sort. Ale Dinge find durch daſſelbe? 
macht, und ohne baffelbe ift nichtö gemacht, was 
macht ifl. Sn ihm’ war dad Leben, und bad Lebe 
war das Licht der Menfchen. Und das Licht fhen 
in ber Finſterniß, und die Finſterniß bat es mi 
begriffen. 


Wenn ich diefe Worte Iefe, m. g. Fr., fo will ed mir mm 
mer vorkommen, als ſollte vorzüglich dad Evangelium Joham 
nicht hinter ben andern ſtehen, fondern das erfte Bud fein 6 
unferm neuen Xeflamente, weil nämlich diefer Anfang befick 
eine fo beflimmte und deutliche Beziehung hat auf ben Ania 
der Schriften des alten Bundes. Denn wie es dort heist, U 
Anfang fhuf Gott Himmel und Erde, fo heißt es hier, Im di 
fang war das Wort, und wie dort der Hauptinhalt des Bud! 
doch darauf hinausgeht, die Geſchichte der Erzuäter und die & 
ſchichte des von Gott befonderd ermählten jübifchen Volkes } 
befchreiben, und der heilige Schriftfteller dabei zurüffgeht M 
auf den Anfang des menſchlichen Gefchlechted und bie auf M 
Schöpfung der ganzen Welt: fo auch Johannes, beflen Zw 
war, zu befchreiben die Gefchichte won dem Fleiſch gewordae 
Wort, von der Sendung des Erlöfers, durch den nun ein ne 
Reich Gotted gefliftet werben follte, und alſo der Menſch J 


5 


er neuen Creatur gemacht, und das geiſtige Leben ſich weiter 
erbreiten ſollte; und wie dies dort der Fall iſt, ſo geht Johannes 
un auch zuruͤkk bis auf den Anfang aller Dinge, ja wir koͤn⸗ 
en gewiffernaßen fagen, noch weiter, und wir werben feine 
orte nur vecht verftehen fönnen, wenn wir dabei auf ber einen 
Seite denken an biefe Beziehung auf den Anfang bed erften 
Buches Mofe, auf ber anderen daran, daß bei ihm alled darauf 
inausgeht, daß das Mort, von welchem er fagt, daß es im 
Infang bet Bott war, Fleifch geworden if. Nur in dieſer Be 
iehung werden wir nach feinem Sinne dieſe Worte näher mit 
inander betrachten. ' 

Wie alfo nun im erfien Buch Moſe gefagt wird, Am An: 
ang fhuf Gott Himmel und Erbe, und hernach fortgefahren, 
pie Gott gefprochen, Es werde Licht, und ed ward Licht, und 
yanrı dad ganze Werk ber Schöpfung weiter auseinandergelegt 
jefchrieben wird immer unter dieſem Ausdruff, Gott fprad: 
o geht nun Sohanned zurüff auf das Wort, welched Gott ſprach, 
md fagt, Am Anfang, an dem Anfang, da Gott Himmel und 
Erde fhuf, da war dad Wort, nämlich badjenige, wodurch 
les gefchaffen wurde, das göttliche Wort; und indem er hin: 
ufügt, Und das Wort war bei Gott, fo will er darauf 
hindeuten, daß ehe das Wort geiprochen ward, durch welches 
Sprechen bed Wortes eben alle Dinge wurden in der Ordnung, 
wie e8 dort verzeichnet ift, die Dinge bei Gott waren. Indem 
nun, als Gott ſprach, Es werde Licht, dad Licht ward, und 
als er ſprach, Es feheide fich die Feſte droben von der Feſte un⸗ 
ten, beides, Himmel und Erde wurden: ſo muͤſſen wir ſagen, 
daß in dem ſchaffenden Worte Gottes, gleichſam ehe die Dinge 
äußerlich wurden, ſie in Gott waren, und dies iſt ed, was ber 
Evangeliſt ausdruͤkken will. 

Indem er ſagt, Das Wort war bei Gott, ſo will 
er uns deutlich machen, daß, wenn wir verſtehen wollen, wie die 
Welt durch Gottes Wort fertig geworden iſt, wir auch daran 


ä 


denken muͤſſen, daß fie in den Worte Gottes bei Gott war au’ 
eine urfprüngliche und ewige Weile, und daß dies der Grund 
war, vermöge beflen fie, ald Gott das fchaffende Wort ſprach. 
aͤußerlich wurde und in ihr zeitliched Sein heraustrat. Warum 
aber, m. th. Fr., führt und der Apoſtel auf das fchaffende Won 
Gottes, in welchem bei Gott die ganze Welt ſchon auf eim 
ewige Weife enthalten war, ehe er das Ichaffende Werde fprad. 
warum führt er und auf daffelbe zuruff? Nur deshalb, weil er 
ung bernach fagen will, diejes Wort, daffelbe Wort fei Flieiſd 
geworben, und darum fügt er hinzu, nachdem er gefagt hat, Unk 
dad Wort war bei Gott, Gott war das Wort. | 

Nämlich, m.g. Fr. auch das, daß der Apoftel dies das Wort nennt 
ift eine bildliche und menfchliche Rede, wie ed denn nicht anders feia 
fann; wir fünnen von dem böcften Weſen nur reden durd 
menſchliche Abbildungen. Wenn wir nun fprechen irgend em 
Wort, fo unterfcheiden wir nun freilich daS gefprochene Won 
von uns ſelbſt. Wenn wir bedenken, wie der Gedante in une 
war, ehe wir das Wort fprachen, aber wie doch derfelbe das ge 
fprochene Wort war, nur in uns, nicht außer und, und wir haben 
dabei im Sinn einen einzelnen Gedanken, der: da fommt unt 
wieder vorübergeht: fo unterfcheiden wir auch diefen von uns — 
und das mit Recht. Warum aber die? Weil nicht alle inneren 
Gedanken und Worte in uns felbft, wenn gleich unter einander 
beſtimmt, unfer ganzes Wefen ausbrüffen; fondern in jedem ein: 
zelnen iſt, weil wir Menfchen find, etwas unvollfommenes und 
falfched, und indem wir von einer Zeit zur andern etwas anderes 
werden, fo ift auch von einer Zeit zur andern ber Inbegriff un: 
ferer Gedanken und Worte etwas anderes. Davon müflen mir 
abfehn, wenn voir an Gott, wenn wir an das ewige fich feibfl 
gleiche Wefen denfen. Und wenn wir fragen, koͤnnten wir ein: 
mal beifammen haben, wie wir ed und denken von unferm fünf. 
tigen Zuftande, nachdem wir vollendet fein werben, was ja auch 
der Apoftel in feinem Briefe fo ausfpricht, Es iſt noch nicht er. 


7 

ichienen, was wis fein werben, aber wenn es erfcheinen wich, 
verden wir ihm gleich fein, indem wir ihn fehen werben, wie 
re iſt ); Bönnten wir in biefer Zeit bie ganze Fülle unfrer innern 
Worte bei uns haben oder in und tragen und uns berfelben bes 
vußt fein: fo würden wir eben fo wenig biefe von unferm gan⸗ 
ven Weſen fcheiben koͤnnen, fondern von uns fagen, wir felbft 
wären dad Wort, wie ber Apoftel hier fagt, Gott war bad 
Wort. Denn eben jene ewige Kraft und jene unendliche Fülle 
der Meisheit, welche Gott offenbaret hat in ber Schöpfung der 
Melt, und die wir niemald ermeflen können, weil wir nicht bad 
ganze ber göttlichen Werke, weber ihrem Umfange noch ibs 
rem Weſen nach, in der zeitlichen Erfcheinung und Entwikkelung 
berfelben zu umfaflen im Stande find, eben diefe Kraft ift das 
göttliche Weſen felbfl. Und wenn in dem fchaffenden Worte 
Gottes, wie ed bei ihm war auch ehe alle Dinge aus bemfelben 
hervorgingen, eben bad göttliche Weſen gefezt ift, fo fagt ber 
Apoſtel mit Reht, Gott war bad Wort, 

Worauf er nun aber hiemit abzielt; was er und bald nach⸗ 
ber (V. 14.) fagen will, ift dies: baffelbe göttliche Wort, biefelbe 
Fuͤlle der ewigen Kraft und Weisheit, wodurch Gott Himmel 
und Erde gefchaffen Hat, und in welcher gleichfam unabhängig 
von feiner Schöpfung das ganze feiner Werke ewig in ihm felbft 
war, ehe es in die zeitliche und räumliche Erfcheinung trat, eben 
diefes Wort, wie er und hernach fagen wird, ift Fleiſch ge 
worden. Indem er nun fagt, Alle Dinge find durch das 
Wort gemaht und ohne daffelbige iſt nichts gemacht, 
was gemadt ift, fo faßt er in biefen Worten bie ganze Ge. 
fchichte der Schöpfung zufammen, welche und am Anfange bes 
erfien Buchs Mofe zwar ausführlicher, aber auch in menſchliche⸗ 
ven Bildern erzählt ift, weil es ihm nicht darauf ankam, bie 
äußerliche Welt, die durch das Wort Gotted geworben if, bier 





1 Joh. 3, 2% 


aubführlicher zu befchreiben, fondern es nur barauf audging, Du 
Gülle des göttlichen Lebens und die innere geiflige Welt, dem 
Grund Chriſtus gelegt hat, ald dad Wort Fleifch ward, zu be 
fchreiben, wie fie in- feiner göttlichen Perfon zuerſt auf Erte 
erſchienen iſt. 

Wenn er nun ſpricht, Alle Dinge find durch das Borl 
gemacht, und ohne baffelbige ift nichts gemacht, wat 
gemacht ift, fo will er eben dies fagen, einmal, daß in 
bem göttlichen Wort, in Gott und bei Gott betrachtet, dei 
ganze der göttlichen Schöpfung enthalten if; und bann mwiee, 
daß eben dieſe geiftige Kraft und biefe Fülle der göttlichen Bei 
keit, vermöge deren in bem göttlichen Weſen bie ganze 
vor ihren Außerm Entftchen urfprünglich enthalten war, aud 
ber Grund ift, wodurch; fie äußerlich geworden und entflanben if 

Und hiermit, m. g. Fr., entfcheidet der Evangelifi je: 
gleich eine der fchwierigften Fragen, welche, wenn wir an ie 
ganze Werk der göttlichen Schöpfung und Vorſehung denken 
immer aufs neue in und entſteht, daß wir und naͤmlich fragm, 
Wenn doch alles durch Gottes Wort geworden ifl, wir at 
auch in biefer Welt bad böfe finden mit allem Uebel, melde 
daraus entſtanden ift und noch entfteht: ift das auch durch Get: 
ted Wort fertig geworben? gehört das auch zu dem Worte Get 
teä, welches ewig bei Gott war und Gott ſelbſt, und worur) 
alle Dinge gemacht find? Und wir können diefe Frage immer auf 
der einen Seite nicht bejahen, weil wir nicht-glauben Tonnen, daf 
ber Urheber alled Dafeins das böfe, das unvollkomment und 
mangelhafte folle geichaffen haben, auf der andern Seite aba 
auch nicht verneinen, weil wir nicht glauben können, daß irgend 
etwas ſei gegen den Willen Gottes und ohne Gottes Willen, 
welcher goͤttliche Wille ſich eben ausſpricht in ſeinem ſchaffenden 
und hervorbringenden Wort. Wie ſollen wir aus dieſer Schwie 
rigkeit herauskommen? So vie ber Apoflel hier ſpricht, Alt 
Dinge find durch baffelbige gemacht, und ohne daß— 


9 


felbige if nichts gemacht, was gemacht ift, will er ba 
mit fagen, alles, was gemadt ift, was wir als ein fertig 
gewordenes, ald ein in fich beftehenbes, als ein wahres Weſen 
in fich tragendes anfehen Tönnen, das ift durch Das göttliche 
Wort, und nichtd ber Art ohne baflelbe gemacht. Wenn wir 
nun den Evangeliften fragen, Haft bu damit fagen wollen, daß 
auch das böfe zu bemjenigen gehöre, was durch Gottes Wort 
fertig geworden ift? fo würde er und aus dem Buchſtaben fei- 
ner Rede fagen und beweifen, bad böfe fei eben nicht gemacht; 
fondern wie wir lefen, daß gefchrieben fteht, Gott ſprach, es werde 
Licht, und es ward Licht, fo ift das Licht gemacht burch das 
göttliche Wort, aber nicht die Finſterniß; und fo ift die Finſter⸗ 
nig, die nichtd anders iſt, ald ber Mangel bed Lichts, nicht Durch 
baffelbe gemacht. Eben fo iſt ed mit allem böfen; es ift alles 
böfe überall das nichtgemachte, fonbern dasjenige, woraus erft 
durch dad göttliche Wort etwas gemacht werben fol. Alle menſch⸗ 
lichen Handlungen und Neigungen, in benen fih nun das böfe 
offenbart, find als folche freilidh gemacht und durch das göttliche 
Wort fertig, weil ohne fie Fein menfchliched Leben beſtehen kann, 
aber fie find nicht das böfe, fondern das böfe ift eben dies, dag 
fie nicht dem göttlichen Geifte in und untergeordnet find, und 
in fo fern find fie nicht gemacht; aber ed fol das gute und 
sechte aus ihnen gemacht werben durch dad göttliche Wort, wo⸗ 
Durch alle Dinge geworben find, die gemacht find. 

Darum nun, weil burch nichts ald durch bie ewige Kraft 
ded. göttlichen Wortes, wodurch alle Dinge gemacht find, bie 
neue Belt und die neue Greatur hervorgebracht ift, die nichts 
anders ift, ald bie Ueberwindung bed böfen, und burch welche, 
indem fie wird, überall wo es finfter war dad Licht gefezt wird, 
welches urfprünglich aus bem erften fchaffenden göttlichen Wort 
hervorgegangen ift, darum geht der Apoftel unmittelbar fort, nach 
der erſten Befchreibung von ber allgemeinen Schöpfung ber leib« 
lichen Welt zu ber geifligen, die wir Chriſto verdanken, indem 


10 


er ſpricht, Inihm, dem göttlichen Wort, war das Leben, 
und das Keben war dab Licht ber Menſchen, unb das 
Licht fcheint in der Finſterniß, und die Finfternig bat 
ed nicht begriffen. 

Wenn der Apoftel fagt, In ihm, dem Worte, war dad 
Leben, und das Leben war dad Liht der Menihen: 
fo bat "dies zuerft einen ganz einfachen und natürlichen Sim, 
der auch gewiß einem jeden gleich einfällt. Wenn alle Dinge 
durch dad göttliche Wort gemacht find, jo hat auch das Leben 
feinen Grund und feinen Urjprung in bem göttlichen Won 
Ueberall ift dad Leben das wahre, die Seele in der goͤttlichen 
Schöpfung, ohne welches alled andere nicht wäre unb toll. 
Sind alfo alle Dinge durch dad Wort Gotted gemacht, welde 
bei ihm war, fo ift das Leben auch durch daſſelbe Wort gemadit. 

Und wenn der Apoftel weiter fagt, Dad Leben war das 
Licht der Menfchen, fo können wir die3 aus bem eben Ge 
fagten verfichen, zumal wenn wir babei an den Apoſtel Paulus den 
ten, wie er in feinem Brief an die Römer von allen Menſchen ſagt, 
Daß fie wiffen, daß Gott fei, if ihnen offenbar, denn fie koͤnnen 
inne werben feiner ewigen göttlichen Kraft, fo fie wahrnehmen fein: 
Werke an der Schöpfung der Welt *); aber wir erfennen Soll 
nur on feinen Werfen, in wie fern in ihnen das Leben ff. 
Wenn ed möglid wäre, daß eine einzelne menſchliche Seele 
um fic) her nur erbliffen könnte lauter todtes, fo würde fie d& 
durch gewiß nicht zur Erkenntnig Gottes geführt werden, fonden 
diefe würde in ihr ſchlummern. Das Leben alfo iſt das Lid! 
der Menfchen, das Leben in der Welt führt und auf Gott, ald 
den Urheber ber Belt, zurüfl. — Wie ſich frei bie großen 
Weltförper, die feine Allmacht gefchaffen hat, in unenblichen 
Räumen nach unveränderlichen Sefezen bewegen; wie in bem um 
ermeßlichen Gebiete der Schöpfung aus der ewig fchaffenden und 


) dm. 1, 19. DR. 


11 


erhaltenden Kraft das Leben hervorgeht, geroiß viel herrlicher und 
größer, als es auf dem engen Raum unfrer Exbe der Zall ifl, 
und geordnet nad) ben und großentheild verborgenen und in bie 
Dunkelheit diefer Welt nur ſchwach hineinfcheinenden Geſezen: 
in biefer ganzen Entwiffelung thut fi) und das göttliche Weſen 
als der Srund alles Lebens fund. Und fo ift fchon das irdiſche 
Leben, weil ed feinen Grund in dem fchaffenden Worte Gottes 
bat, das Licht der Menfchen. 

Wenn wir aber biefe Worte betrachten in Beziehung auf 
dasjenige, was hernach folgen wird, daß dad Wort Fleiſch ges 
worden ift: fo mögen wir zu biefem auch bie folgenden hinzu⸗ 
fügen, Eben daffelbe Wort, welche in Chrifto Fleifch ges 
worden ift, das ift das Leben, in ihm ift bad Leben, und das 
ift ‚von Anbeginn das Licht der Menfchen geweſen. Iſt num, 
m. g. Fr., dies nichtd anders ald alles, was. jemald in der 
menfchlihen Welt im wahren und eigentlihen Sinne Leben ge 
nannt worden ift, alles namlich, wortn fich nicht das Todt⸗ 
fein ber Menfhen in Sünden, worin fid nicht der Mangel 
des Ruhms, den fie bei Gott haben follen, offenbart, fondern 
worin etwas von dem Leben ift, wovon in dem erfien Buch 
Mofe gefagt wird, daß Gott der Herr ed dem Menfchen einge 
haucht habe, und diefer dadurch geworden fei zu einem lebenbis 
gen Weſen und zu einem Ebenbilbe des Höchften, und alles, 
was fih als Licht den Menfchen zu erkennen gegeben hat: fo 
hat bied alles feinen Grund in dem Worte, welche hernach 
Fleifch geworden if. Das heißt, in der ganzen Entwikklung beö 
menfchlichen Geiftes, vom Urfprunge des menfchlichen Geſchlechts 
an bis auf die Erfcheinung des Fleifh gewordenen Wortes, ifl 
alles Wahrheit, was fich unter den Menfchen offenbart hat als 
ein Licht, welches bald mehr bald weniger hell in die Finſterniß 
dammerte; alled Verlangen nach Gott, alle Sehnfucht nach dem 
höchften Wefen, alled Gefühl von demjenigen, was mit bemfelben 
übereinflimmt und ihm näher bringt, und was ihm wiberftrebt 


12 


und von ihm entfernt; alle Sehnſucht die Macht der Unwiſſen 
heit zu entfernen, und bie menfchlihe Seele an einem höhen 
Licht zu entzünden, dad alled hat feinen Grund in dem ewig be: 
tebenden Worte Gotted, welches hernady in Chrifto Fleiſch ge 
worben ift, und ifl immer bad Licht ber Menfchen gewefen, im: 
mer ihr Leben, in fo fern ed ein Ausflug von dem Lichte if. 

Und da3, m. g. Fr., beftätigt ſich gewiß in ber ganzen 
Betrachtung der menfchlihen Geſchichte. Wenn wir zurüffe 
ben in die Zeiten, ehe Chriflus der Herr auf Erben erfchien, 
fo finden wir gewiß viele Verkehrtheiten, wie ber Apoftel ſie 
im Anfange feined Briefed an die Römer befchreibt, daß bie 
Menfchen das Bewußtfein, welches fie von Bott, dem hoͤchſten 
Weſen, hatten, verkehrt haben in Ungerechtigkeit; wir finden 
aber auch Funken von jenem Lichte in die Finſterniß him 
einfheinen. Aber, wenn wir und nun fragen, was tritt un 
denn überall als Wahrheit in allen Aeußerungen des menfchligen 
Geiſtes, in allen Forſchungen, in allen heiligen Neben gottbegei: 
fierter Männer, was tritt und darin ald Wahrheit entgegen? ſo 
müffen wir fagen, immer dasjenige, was eine Hinbeutung ent; 
halt auf die Erlöfung, die da kommen ſollte durch Chriftum. Jn 
den Schriften de alten Bundes, was ift und dad göttliche und 
heilige? Die Hindeutung auf Chriflum. In allen Aeußerungen 
weifer Männer aus andern Völkern, von welchen auch ſchon die 
alten Lehrer ber chriftlichen Kirche fagen, was fie je gutes und 
wahres geredet haben, fei ihnen gefloffen aus der Zülle, die in 
dem ewigen Sohne Gottes fließt, was if in ihnen bad wahre! 
Nur worin ſich bewährt und auöfpricht eine Einwirkung von 
aben, eine Einwirfung, deren die Denfchen bedürfen, um zu Gott 
zuruͤkkzukehren; kurz, nur wo fich die Hoffnung auf eine gaͤnz 
liche Rettung auöfpricht, ift dad Licht, welches in die Dunkelheit 
bineinfcheint, und das wahre Leben ber Menſchen iſt nur jene 
bimmlifche Licht, das fich nicht eher entzünben Eonnte, als bie 
das Wort Fleiſch ward. 


13 


Und nun laßt und betrachten den wehmuͤthigen Zuſtand, 
den der Apoftel darftelt, indem er fagt, Das Licht, bad ewige 
Licht Gottes, welches feinen Grund in Gott hat, das [bien 
in bie Finſterniß; aber bie Finſterniß bat ed nicht be 
griffen. Nämlich die ganze geiflige Welt, die war bei ber 
Schöpfung der leiblihen Welt noch nicht fertig, ſondern wartete 
noch eben jener ‚zweiten Schöpfung, die erfl beginnen konnte, alb 
da3 Wort Zleifch warb. Darum war bie Finfterniß gefebt, darum 
mußte fich die Sünde und der Irrthum in der menfchlichen Seele 
offenbaren, weil der Menfch nicht eher fertig werden konnte, ald ba 
dad Wort Zleifch ward, unter Zleifch und Blut annahm, und wir 
alle. geführt waren zu jenem neuen Leben dadurch, daß wir in 
ihm fchauten die Herrlichkeit ded eingeborenen Sohnes vom Bas 
ter und ben Abglarız feines Weſens. So lange alfo war bie 
Finſterniß gefezt in den Beftrebungen der Menſchen; aber nicht bie 
Tinfternig allein, fondern das Licht ſchien in bie Finfterniß. 
Eben das Leben, welched Gott der menfchlichen Seele einge 
baut, wodurch fie ein vernünftiges Weſen warb, wodurch fie 
die Fähigkeit und dad Vermögen hat, den zu erkennen, von bem 
fie ausgegangen ift, und ihn wahrzunehmen in feinen Werken, 
eben dieſes Leben mußte das Licht der Menſchen bleiben, freilich 
bald mehr bald weniger dunkel fcheinend, aber immer doch auf 
irgend eine Weife die Zinfterniß erleuchtend. Was aber in ber 
Sinfternig war, das begriff dad Licht nicht. Das Licht ſchien in 
die Finfternig,aber die Finfterniß hat ed nicht begrif: 
fen; es Eonnte feine ganze Kraft nicht ausüben, fondern mußte in 
Vergleich gegen die Finſterniß fchwach bleiben, bid dad Wort Fleiſch 
ward in Chrifto dem Herrn, da erſt war ein Licht gefezt, wels 
ches immer tiefer in die Finſterniß hineinfcyeint und von Gott bes 
ſtimmt ift, das ganze menfchliche Gefchlecht zu erleuchten und 
die Finſterniß gänzlich zu zerftreuen; und wenn bie Finſterniß 
ganz aufgehoben iſt, dann erft werben alle Dinge vollkommen 


14 


gemacht fein durch Gottes Wort, ohne welches nichts 
gemadt iſt, was gemacht ifl. 

Aber m. g. Fr. nicht nur die Zeit beſchreibt der Apoſtel hier 
von der Schöpfung des menfchlichen Gefchlechte bis auf Ehn: 
ſtum den Herrn, fondern, wenn wir und fragen, Iſt es nidt 
auch jezt noch fo, wie damals? fo müflen wir fagen, Ja. Weil 
eben noch nicht erfchienen ift, was wir fein werden, weil noch 
eine größere Herrlichkeit den Kindern Gottes bevorfteht, fo if 
neben dem Lichte die Finſterniß gelezt, und immer giebt es Gt: 
genden in der menfchlihen Welt, wo das Licht ſcheint, aber es 
ift auch die Finflernig da. Aber alle diejenigen, welche dad 
Licht begriffen, die fich ſelbſt geweiht haber zu einem Tempel 
des Lichtes, in welchem der (Geift Gottes wohnt, bie haben das 
Beſtreben, die Finfternig zu zerfireuen durch die Kraft des goͤtt— 
lichen Wortes und fie zu durchdringen mit dem Lichte von oben, 
und ed lebt in ihnen die Hoffnung, daß dad Licht fiegen werk 
über bie Finſterniß. Und darum wollen wir den mit einande 
loben und preifen, der und errettet hat von ber Finfterniß, die 
wir auch einft faßen in dem Schatten bed Todes, und und ge: 
bracht zu feinem ewigen und wunderbaren Lichte ”). Amen. 


) 1Petr. 2, 9. 


II. 
Am Sonntage Rogate 1823. 


Text. Joh. 1, 6—13. 

Es war ein Menfch von Gott gefandt, der hieß So: 
hannes; berjelbige fam zum Zeugniß, daß er von dem 
Licht zeugete Er war nicht das Licht, fondern, daß 
er zeugete von dem Licht. "Das war bad wahrhaftige 
Licht, welches alle Menfchen erleuchtet, bie in biefe 
Welt kommen. Es war in ber Welt, und die Welt 
ift durch dafjelbige gemacht; und die Welt kannte es 
niht. Er Fam in fein Eigenthbum, und bie feinen 
nahmen ihm nicht auf; wie viele ihn aber aufnahmen, 
denen gab er Macht Gottes Kinder zu werben, bie an 
feinen Namen glauben; welche nicht von dem Geblüt 
noch von dem Willen des Kleifched, noch von dem 
Willen eines Manned, fondern von Gott geboren find. 


Dar Evangelift Johannes, m. a. Fr., läßt nicht, wie zwei der 
andern Evangeliften thun, feine Lebensbefchreibung bed Herrn 
mit beffen Geburt und Kindheit beginnen, fondern gleich mit 
feinem öffentlichen Auftreten als derjenige, der ba von Gott ge: 


16 


fandt fei, um daB Reich Gottes aufzurichten, denn bamals Iemt: 
er ſelbſt erft den Erxlöfer kennen; und es iſt gewiß feine Abfiht 
gewefen, und im wefentlichen nichtö von ihm zu fagen, ald wa} 
er felbft gefehen und gehört hatte. Deffenungeachtet konnte a 
fi nicht enthalten von Johannes dem Taͤufer zu reden, und 
damit beginnt er num nach dem erften Eingang, den wir neulid 
mit einander betrachtet haben. Wie überhaupt fein ganzes Evan 
gelium ein vechted Buch aus der Fülle bes Herzens ift: fo kommt 
aun auch dies aud der Fülle des Herzens. Denn er felbfl de 
Apoftel und Evangelift war vorher ein Schüler, ein Freund und 
Zuhörer .Sohanned bed Taͤufers gewefen, und durch ihn fehl 
erft zu bem Erlöfer gewiefen worden; darum läßt er bie Nach 
richten von dem öffentlichen Auftreten deö Erloͤſers, und wie daſ⸗ 
felbe mit feiner Taufe begonnen, der Gefchichte des Zohan 
felbft ihrem Wefen nach folgen. 

Wenn er nun zuerft von ihm felbft fagt, er fei nicht da} 
Licht gewefen, fondern nur baß er zeugete von dem 
Lichte: fo hat dies feinen Grund barin, weil eine- lange Bat 
hindurch und wirflih auch noch damals, als Johannes fein 
Evangelium fchrieb, mandye den Worläufer bes Herm für mer 
hielten als er felbft von fich behauptete; vielleicht auch fogat 
ſchon barin, dag Johannes ber Täufer felbft, eben weil er die 
große Neigung in bem Volke bemerkte, feinem Zeugniß, bap der 
jenige im Begriff fei aufzutreten, auf ben fie alle harrten, imme 
wohlbedaͤchtig das hinzufügte, daß er felbft es nicht fei. Und 
wir jehen hier nun recht deutlich den großen und ganz beflimm: 
ten Unterfchied, den unfer Evangelift macht zwifchen ber Ser 
dung und Beflimmung des Erlöferd und bee des Sohanned und 
aller andern, welche vor ihm zu einem gleichen Beugniß berufen 
gewefen waren. Won dem Erlöfer fagt er, er fei das Eid 
der Welt geweſen; von Johannes fagt er ausdruͤkklich, et fi 
nicht das Licht geweſen, fonden nur dag er Gum dem 
Lichte zeugete. Num aber fagt ber Herr ſelbſt vom Johar 


17 


ned, er fei der größte im alten Bunde, ber größte unter den 
Propheten *). Die aber hatten doch auch den Geift bed Herrn, 
der über fie kam, wenn fie ihren Beruf an dem Wolfe Gottes 
zu erfüllen hatten. Zwifchen biefer Begeifterung aber von dem 
Geifte ded Herm und zwifchen ber Fülle der Gottheit, welche 
in dem Erlöfer wohnte **), macht Sohannes einen fo beftimmten 
Unterfchied, daß er, indem er von ber Sendung des Erlöfers res 
bet, wie wir in ber Folge jehen werben, fagt, Das Wort 
ward Fleifch, indem er von Johannes redet, nur fagt, Ein 
Menſch, d. h. der vorher nicht3 anderes war als ein gewöhn- 
licher Menſch, ward nachher von Gott gefandt, d. h. es 
ward ihm von Gott ein befonderer Auftrag gegeben; und daß er eben 
fo von dem Erlöfer fagt, er war das Licht; von dem Johan⸗ 
ned aber und einfchliegend von allen Propheten bes alten Bun⸗ 
bes, fie waren nicht das Licht, fondern nur daß fie 
zeugeten von dem Lichte. 

Und fo, m. g. Fr., ift es auch. Es iſt nicht dieſelbe göttliche 
Wirkung in der menfchlichen Seele und auf bad menfchliche Ges 
fchlecht, welche mit den alten Offenbarungen der Propheten bes 
gonnen hätte, und wovon Chriftus der Here nur ber höchfle 
Gipfel geweſen wäre, dem Grade nach von ihnen verfchieben, 
dem Weſen nach ihnen gleih. Wenn dad Johannes geglaubt 
hätte, fo hätte er anders reben müffen über dad Verhältniß bed 
Erlöferd und feined Vorgängerd als er hier thut; fondern eine 
neue ſich offenbarende Schöpfung Gotted war diefe Verbindung 
des göttlichen Wefend mit der menfchlichen Natur in dem Erlös 
fer, der vorher nichtd gleich gemwefen war; und alle Wirkungen 
des göttlichen Geiſtes auf die Diener des Herm in dem alten 
Bunde, wie fie auf der einen Seite für fich felbft nur einen 
vorübergehenden Zwekk hatten, das Volk zu ermahnen und abs 
zuſchrekken, auf der andern aber ihr bleibender nur darin befand 


) Matth. 11, 11: ») &0l, 2, 9 
Hom, üb, Ev. Joh. 1. B 


18 


binzudeuten und vorzubereiten auf bad befiere, was ba komme 
ſollte, und weil fie ihrer unmittelbaren Beſtimmung nad aut 
nur einen vorübergehenden Erfolg hatten, find eben beöwegen nt 
von umtergeorbneter Art und nicht zu vergleichen mit der ge; 
fligen Herrlichkeit des Erloͤſers. 

Aber der Evangelift fagt doch zu gleicher Zeit etwas ſeht 
großes von Johannes dem Täufer, er ſei naͤmlich geſandt mer 
den, daß er von bem Lichte zeuge, auf daß fie alle burd 
ihn glaubeten; und auch biefer Ausbruf rührt aus ber Zul: 
ſeines dankbaren Herzens her. Es hat aber damit unfreitig fe 
gende Bewandniß. Johannes der Täufer war es, ber, wie m 
Evangelift in der Folge erzählt, ald der Herr gelommen wur 
nach dem Zordan, um fi) von ihm taufen zu laffen, und je 
ihn dort erfannt hatte ald den, auf den feine eigene Anbeufum 
und Beflimmung ging, ihm auch bie erften Jünger zuwies, ur 
flreitig die beſten und empfänglichfien unter den feinigen dayı 
auswählend, ihnen zuerft die beflimmte Kunde zu geben. Did 
waren ed, die ihm hermach wieder ihre Freunde zuführten, um 
fo war das erſte Häuflein feiner Juͤnger durch diefen feinen Ber 
(äufer ihm entſtanden, und fo haben hiernach alle anderen durd 
fie ihn kennen gelernt und find feine Zünger geworben; fie bi 
er hernach, ald er im Begriff war die Erde zu verlaffen, ausge 
fenbet, um fo weit fie koͤnnten unter alle Völker zu gehen un 
das Reich Gotted zu verfündigen. Und fo nähert hier Sohanne 
feinen ehemaligen Lehrer dem Erlöfer felbft, indem er fagt, ® 
wäre dad Werkzeug geweſen, deſſen fich Gott bedient habe, UM 
die Erfcheinung des Lichtes auf Erden befannt zu machen, weil 
von feinem Zeugniſſe aller Glaube an den Erloͤſer zueiſt ausge 
gangen war. Denn wiewol der Herr in der Folge gefagt bat 
daß er Feines menfchlichen Zeugniffes bebürfe, fo ſtreitet Died doch 
nicht damit, daß er felbft nit Jen Anfang machen wollte von 


*) 308. 6, 34. 


19 


ſich zu zeugen, ſondern erft nachdem einige wenn auch nur we: 
nige auf diefe Weile zu ihm gemwiefen waren, fing er an von 
ſich ſelbſt in. Beziehung auf dad Reich Gottes zu predigen. 

Nun aber, m. g. Fr., Finnen wir und nicht von diefer Stelle, 
in der unfer Evangelift von dem Vorgaͤnger des Herrn rebet, 
trennen, ohne dabei an ein Wort unferd Erlöferd zu denken, wels 
ches ich feinem erften Theile nach fchon vorher angeführt habe, 
indem er nämlich fagt, Johannes ift der größte unter den Pro⸗ 
phHeten, und es giebt feinen im alten Bunde, der größer wäre 
als er; aber der Eleinfte im Reiche Gottes ift wieber größer als 
Johannes. Nun find wir ale im Reiche Gotted, fo viel unfer 
wahrhaft an den Namen bed Herrn glauben; und nachdem 
wir nun dies gehört haben auf der einen Seite, Johannes fei 
freilich nicht felbft das Licht gewefen, fondern nur dazu gefandt 
worben, Daß er zeuge von dem Lichte, auf ber andern Seite aber 
auch, er fei dazu gefandt worden, bag alle durch ihn glauben: 
{offen wir und nun felbft fragen, wie rechtfertigen wir denn Dies 
feö große Wort bes Erloͤſers, daß der Eleinfte im Reiche Gottes 
größer fei ald Johannes? 

Das ſchon, m. g. Fr., können wir nun nicht von und 
lagen auf diefelbige Weife, wie Johannes ed hier von feinem 
erften Lehrer fagt, er fei dazu gefandt worden, und das fei 
auch erreicht worden durch feine Sendung, daß durch ihn mit: 
telbar oder unmittelbar alle an den Herrn glauben, weil er 
den Anfang gemacht damit, den Glauben an ihn zu predigen; 
wir können es deshalb nicht, weil wir mitten in bie Zeit des 
Glaubens gekommen find, und ed außer und fchon eine große 
Schaar der gläubigen an den Herrn giebt, auf deren Glauben 
keiner von und einen Einfluß gehabt hat ihn hervorzubringen; 
wir koͤnnen es auch nicht von und fagen, wenn wir cd bloß auf 
dasjenige, was noch kommen fol, beichränfen wollten. Denn 
freilich iſt die chriftliche Kirche, wie fie in einer Zeit befleht, der 
Srund der Fortpflanzung bed Glaubens an ben Erloͤſer und ſei⸗ 

B 2 


20 


ner weitern Berbreitung, indem durch bie chriftliche Kirche der 
Glaube an den Herm von einem Gefchlecht auf das andere fort: 
getragen wird, und alle einzelnen Bemühungen das Evangelium 
dahin zu bringen, wo es noch nicht erfchollen war, gehen ven 
ihr aus; aber beides nicht anders, denn als das gemeinfame Wert 
- aller, wovon keiner feinen beflimmten Theil unterfcheiden Tann, 
und jeder, wenn er auf der einen Seite von ſich fagen muß, er 
fönne nicht beflimmen das geringfle als etwas was er felbfl dazu 
beigetragen hat, doch auf der andern Seite nicht fagen barf, er 
fei zu nicht da, weil er doch ein lebendiged Glied ift an dem 
Leibe des Herrn, von welchem biefe Sortpflanzung und Berbrei: 
tung bed geifligen Zebend auögeht. Aber, m. g. Fr., es führt 
und died darauf zurüff, daß der Werth ded Menichen nicht im 
bemjenigen beftebt, was er leiftet und ausführt, denn das ik 
nicht das feine allein, fondern hängt ab von dem Raum, ber ihn 
begränzt, und von ben Gelegenheiten, die er empfängt, mit dem 
Pfunde, welches ihm Gott verliehen hat, wirkſam zu fein, fm 
dern dad Maaß eined jeden Menichen .und feined Werthes if 
dad, was er in fich felbft ifl. Und dies führt und dann zurükk 
auf jened andere Wort, Johannes war nicht das Licht, 
fondern nur bag er zeugete von dem Lichte, bazu war 
er gefandt. 

Dazu nun, um zu zeugen von bem Lichte, find wir. 
alle gefendet, und unfer ganzes chriflliches Leben fol und dari 
nimmer etwas anderes fein ald ein folches Zeugnig von dem 
Herm. Wie viel ed ausrichtet, dad hängt davon ab, wie bie 
Menſchen, bie unferd Zeugniffes noch bedürfen und infofern fie 
deſſelben bedürfen, auf und fehen und im. Stande find unfer 
Zeugniß zu erkennen und anzunehmen. Alſo es fol unfer ganzes 
Leben und darf nichtd anders fein ald ein Zeugniß von dem 
Herm; alles gute, was an und zu bemerken ifi und von uns 
auögeht, fol feine Ueberfchrift und fein Gepräge haben, und wir 
ſelbſt follen es nie für etwas anderes anfehen als für eine Wir: 








21 


tung feines Lebens, aus welchem ſich das unfrige nährt und pflegt, 
und alles, was in und noch dunkel ift und ein Zeugniß von der Fin; 
ſterniß ablegt, ber wir felbft noch nicht ganz entriffen find, das 
folen wir felbft anfehen und barftellen ald dasjenige, was noch 
bebürfe von dem Lichte durchdrungen, erleuchtet und übermältigt 
zu werben. Aberidas andere, Johannes war nicht das Licht: 
wie ſteht es mit und in diefer Beziehung? Denn fol das Wort 
bes Herrn wahr fein, daß wir alle größer find als er, fo kann 
biefer Unterfchied nur hierin liegen und in nichtd anderm. 

Wenn wir hören den Herrn, welcher fagt, Ich bin der Wein: 
ftoff, und ihr feid die Reben *); wenn er fagt, Ich und der Vater 
find eins **), und dann feinen Water anruft, er folle geben, daß 
diejenigen, welche ex ihm gegeben hat, und die an ihn glauben, 
auch fo eins feien mit ihm, mie er felbft eins fei mit dem Ba: 
ter“““); wenn wir ihn fo reden hören: fo müffen wir fagen, es kann 
von und nicht in demfelben Sinne gefagt werden, wie ber Evans 
gelift von dem Johannes fagt, bag er niht das Licht war. 
So gewiß m. g. $r., fo gewiß als wir Reben find an dem Wein: 
ftoßfe, fo gewiß dab Gebet des Herm an und in Erfüllung ge: 
gangen if, dag wir in ihm bfeiben und find, wie er in und ifl 
und bleibt: fo find wir nicht zu trennen von ihm, ſondern eind 
mit ihm, und e3 iſt ein gemeinfamed Leben, wovon er ber Ans 
fang ift, und welches in ihm urfprünglich begonnen hat; aber 
fo auch ift ed dann in und; fein eigned Leben iſt nicht zu tren⸗ 
nen von dem unfrigen; denn ber Weinſtokk ift auch nicht ganz, 
wenn die Meben abgefchnitten find, er muß erft neue treiben, fo 
wie die Meben nichtd find und tobt, wenn fie abgelöft find von 
ihm. So ift es ein gemeinfames Leben das feinige und dad uns 
frige, und wir find dad Kicht, aber nicht durch und ſelbſt, ſondern 
durch ihn, und flehen in einer innigern Verbindung mit ihm als 
der, welcher von Gott gefandt war, um gleich den Propheten 





*) Job, 15, 5. ») Joh. 10, 30. ») Joh. 17, - 23. 


22 


von ihm zu zeugen, nur in einer größen Nähe und in einer 
größern Beflimmtheit ald jene. 

Diefen großen Borzug, beffen wis und erfreuen auch vor al 
len den großen Werkzeugen Gotted im alten Bunde, den wollen 
wir lebhaft empfinden, nicht um uns beffelben zu überheben, fons 
dern damit wir dad Maag nicht verlieren, nach welchem wir uns 
mefjen follen, und und immer aufd neue zu ermuntern umb zu 
fragen, ob wir auch fo wie wir fönnen und follen dad Licht 
find, welches von ihm auögefloffen ifl, und welches er ſelbſt war; 
ob wir den Ruhm verdienen, der darauf beruht, dag wir mit 
ihm eins find und Reben an dem Weinſtokk; ob wirklich, feit: 
bem feine Gemeine auf Erden befteht, dad alte und unvollkom⸗ 
mene vergangen ift, und alles neu geworben*). Denn vorher war 
eö die Finfterniß, die unter den Menfchen woaltete; jest aber fol 
das Licht fein Reich auf Erben haben, und die Welt beiebend, 
wie es in dem Herm urfprünglich die Quelle des Lebens war, 
fol es leuchten in allen Menfchen, immer mehr die Finſterniß 
durchdringend, freilich allein durch feine Kraft, durch die Einheit 
unfered Lebens mit ihm; aber eben dieſen großen Beruf follen 
wir nie aus den Augen verlieren, und und immer nach demfel: 
ben und durch ihn vor den Augen Gottes und mit dem herzli⸗ 
chen Verlangen, unſer ganzes Daſein immer mehr in die Aehn⸗ 
lichkeit mit dem Erloͤſer zu geſtalten, ſelbſt pruͤfen. 

Nachdem aber der Apoſtel dies geſagt hatte, fo konnte ex 
freilich nicht anders als eine gewiſſe Rechenſchaft Davon geben, 
warum denn, unerachtet das Eicht fchon da war und erfchienen, 
ein Zeugniß von ihm und zwar ein fo untergeorbnete3 nöthig 
gewefen ſei. Diefe Rechenfchaft giebt er in folgenden Worten, 
indem er fagt, Das wahrhaftige Licht, weldhes alle 
Menfhen erleudtet, die in diefe Welt kommen, war 
Ihon in der Welt — zu der Zeit namlich, ald Johannes von 


) Kor. 15, 17. 


23 


Gott gefandt ward — und die Welt, ohnerachtet fie durch 
affelbe gemadt ift, Fannte es nit. Da wiederholt er 
ern wefentlichen nach, aber nur in einer beflimmten Beziehung, 
das was er ſchon im allgemeinen in früheren Worten des Ein: 
ganged gefagt hat, Das Licht fchien in die Sinfternig, und bie 
Sinfterniffe haben es nicht begriffen. Das wahrhafte Licht 
war in der Welt, aber die Welt erkannte ed nicht, 
und um recht bemerktich zu machen, was das eigentlich fagen 
will, fügt er nun hinzu, Die Welt, ohnerachtet fie durch 
daffelbe gemacht ift, erkannte ed nicht. 

Hiebei, m.g. Fr., kann ich nicht umhin an ein andered Wort eines 
andern Apoftels, nämlich ded Paulus, zu erinnern, welcher in Be 
ziehung auf die Erkenntniß Gottes überhaupt in feinem Briefe an 
die Mömer von dem menfchlichen Gefchlecht im ganzen fagt, Daß 
man weiß, daß Gott ſei iſt ihnen offenbar, denn Gott hat es ih⸗ 
nen offenbaret, damit daß Gottes unſichtbares Weſen, das iſt ſeine 
ewige Krait und Gottheit, wird erſehen, ſo man deß wahrnimmt, 
an den Werken, naͤmlich an der Schöpfung der Welt; alfo daß 
fie Beine Entihuldigung haben’). So fagt er, die Menfchen haͤt⸗ 
ten überhaupt Gott zu erkennen vermocht, denn Gott habe ih 
nen in ihrer Vernunft dasjenige Vermögen gegeben, aus Dex 
Welt ald der Gefammtheit feiner Werke, wenn fie derſelben auf 
die rechte Weife wahrnehmen wollten, feine ewige Kraft und 
Gottheit zu erkennen; aber fie hätten fie demohnerachtet nicht er= 
kannt, fondern die Wahrheit aufgehalten in Ungerechtigkeit"). Er 
weifet aber in demfelben Briefe die Spuren nad) von noch einer 
eben fo allgemeinen Offenbarung Gottes in den Menfchen, ins 
dem er fagt, So bie Heiden, die bad Geſez nicht haben, find fie 
ihnen felbft ein Gefez, damit daß fie beweifen, des Geſezes Werk 
fei gefchrieben in ihren Herzen, fintemal ihr Gewiſſen fie bezeu⸗ 
get, dazu auch bie Gebanten, die fich untereinander verklagen 


*, rom. 1, 19. 20. ”*) Rom. 1, 18 


24 


oder entfchuldigen *). Und biefe Worte nun verbinden jene erfien 
orte ded Apofteld Paulus mit diefen Worten des Apoſtels Se 
bannes. Denn fo wie die Menfchen an ben äußern Werken Got 
tes feine ewige Kraft und Gottheit erkennen koͤnnen als deſſen 
der fie gefchaffen hat: fo auch bie geiftige Schöpfung Gotte 
Eönnen fie erkennen an dem Gefez, welches der Herr in ih 
Herzen gefchrieben hat, und welches fich in dem Gewiſſen m! 
in dem innerfien Bewußtfein der Menfchen nie ganz verläugne: 
Eonnte, fondern ihnen zu erkennen giebt, wie fie etwas fein fe 
len, was fie nicht find. Nun aber fah die Welt in dem Eris 
fer die vollfommene Erfüllung alled göttlichen Gefezes, fo vol: 
fommen, nicht al3 ob er nachgefommen wäre einem ihm ven 
außen gegebenen und angelernten Gefeze, oder von außen ihm 
gegebenen Worfchriften, fondern dad Gefez des Herm war faa 
innerfted Leben und ging aus ihm neu hervor, wie eben bunt 
diefeö fein gefezgebended und geſezbildendes Leben bie ganze ment 
Schöpfung entftanden if. Aber was davon vorher ſchon br 
fland und gemacht war, das war durch baffelbe Licht gemalt, 
welches er war, durch daſſelbe ewige Wort, welches er mat, 
denn dad Geſez, welches in den Herzen ber Menfchen ge 
fchrieben ift, erkennen fie alle als eine Stimme Gottes mm 
als ein Wort Gottes, wiewol nur ein ſchwacher Abglanz je 
ned ewigen Worted. Wenn nun da war eben die Sehnfudt 
und bad Verlangen — denn daran hat ed nie gefehlt — ned 
der neuen Welt, nad) ber vollkommnen Ausbildung der geiſtigen 
Welt, die durch den Erlöfer entfichen follte: fo hätten fie, eben 
weil fie zu der Welt gehörten, welche burch daſſelbe Licht ge 
macht war, wiewol fie damals erſt in großer Unvollkommenheit 
und in dem Anfange ihrer Entwiftlung da war, fo hätten fi 
in ihn erkennen Tönnen und follen die ewige Quelle des Lichtes 
Uber wiewol die geiflige Welt, nach der fie fich fehnten, durch 


*, Nom. 2, 14. 15. 


25 


ihn gemacht war, und fle den innerfien Grund und bie ganze 
göttliche Lebenskraft berfelben in ihm hätten erkennen Tönnen 
burch den rechten Gebrauch bed Geſezes, welches in ihnen ges 
fhrieben war: fo erkannten fie dieſelbe doch nicht. 

Died nun fchildert der Apoftel Johannes beflinnmter, inbem er 
fortfährt, Er Fam in fein Eigenthum, und die feinen 
nahmen ihn nicht auf. Daß nun in Vergleich mit dem voris 
gen allgemeinen Ausdruff, Das Licht war in ber Welt, und 
die Melt iſt Durch baffelbe gemacht, und die Welt Fannte es 
nicht, dieſer beſondere näher beflimmte, Er Fam in fein Ei 
genthum, und die feinen nahmen ihn nicht auf, auf dad bes 
ſondere Verhältnig geht, in welchen der Herr zu dem Wolfe ber 
Suden ftand, unter dem er geboren, und deſſen Gefez ex fel: 
ner leiblichen Natur nach unterworfen war, darüber koͤnnen wir 
wol leicht einig werben. Diefe eben deswegen, weil fie die 
Stimme ber Propheten, bie ihnen das herannahende Reich Gots 
tes vorhielten, vor fich hatten; weil ihre ganze Aufmerkfamteit ge 
richtet war auf den, der ba kommen follte; weil auch abgefehen 
von dem Zeugniß des Johannes die Menſchen bed damaligen 
Geſchlechts voll waren der Erwartung, die Zeit feiner Erfüllung 
nahe: fo hätten biefe mehr Grund gehabt ald alle andre, in dem 
Erlöfer, als fich fein Leben in der Welt entfaltete, jened ewige 
Licht und jerred ewige Wort zu erkennen. Aber ald er in fein 
Eigenthum Bam, fo nahmen feine angehörigen ihn nicht auf; 
und eben deswegen war ein befondered Zeugniß nöthig, Damit 
einige wenigftend ihn aufnähmen. 

Von diefer traurigen Beſchreibung der großen Unfähigkeit 
und Unempfänglichkeit der damaligen Welt, von biefer be 
fimmten Erklärung, daß die Zeit erfüllt war *), und daß der Er⸗ 
fer erfcheinen mußte, ehe diefe Unempfaͤnglichkeit überging in 
eine gänzliche Verſtokkung und Erflarrung, von diefer kann ber 





) Mar, 1, 15. 


26 


Evangelift nicht weiter fortgehen in ber gefchichtlihen Erzählung, 
ohne fich felbft und feine Leſer zu erheitern durch bie tröflfichen 
Worte, welche folgen, Wie viele ihn aber aufnahmen, 
denen gab er Macht Gottes Kinder zu werben, Die 
an feinen Namen glauben, welde nit von dem Se 
biüt no von bem Willen des Fleiſches no von 
dem Willen eined Mannes, fondern von Gott gebe: 
ren find. Viele mochten es fein ober wenige, biejenigen, bie 
ihn aufnahmen, an denen ging das in Erfüllung; und fo wie 
nur ein Meines Häuflein ſolcher Kinder Gotted beifammen war, 
aud Gott und feinem Willen geboren, fo war auch dad Ned 
Gottes feft gegründet, und bie Pforten der Hölle komten es 
nicht mehr überwältigen *). Und barum eben fühlt der Apoſtel fc 
beflimmt den Unterfchieb zwifchen denen, die durch Chriflum Kir: 
der werben, und zwifchen benen, die auf irgend einen anbern 
Ruhm, wie der war, ben das jüdifche Volk fich aneignete, ihre 
Kindfchaft gegen Gott gründen wollen, wie auch ber Apoftel Paulus 
überall in, feiner Berfündigung bed Evangeliumd und beſonders in 
dem Briefe, den ich vorher angeführt habe, darauf auögeht, bie 
ſes Verhaͤltniß richtig audeinander zu fegen, um jeben andem 
Stolz zu beugen, um jeden andern Vorzug zu vernichten, Damit 
nichts übrig bleibe ald die Ehre, die Chrifto gebührt. Dean bie 
Mitglieder des jüdifchen Volkes rühmten fich Kinder Gottes zu 
werben Durch das Geblüt und durch den Willen des Mam 
nes, indem fie meinten, weil fie Kinder Abrahamd wären, fo wären 
fie auch Kinder Gottes, da Gott ja auf den Abraham die Külle 
feiner Verheißung niedergelegt habe, und baher biefelbe unver⸗ 
fürzt auf feine Nachkommen fich erfireffen müßte. Darum giebt 
nun der Apoſtel zu verfiehen — vorzüglich benen, bie Eigen: 
thum des Herrn waren, aber die ihn nur in geringer Zahl auf: 
nahmen, — wel ein Unterfchied fei zwifchen der neuen Kind. 


) Matth, 16, 18. 


27 


haft derer, von denen ber Erlöfer ſelbſt ſagt, daß fie aus 
dem Geifte geboren find *), und zwilchen ber Kindfchaft derer, 
jie von bem Saamen Abrahamd waren, und daß fie nicht in das 
Reich Gottes kommen wöürben, fie feien denn auch aus dem Geifte 
geboren; denen giebt er zu verftchen, was das für ein Unterfchieb 
ei, und wie bad bie rechte SKindfchaft Gottes fei, wenn ber 
Menſch aus Gott geboren wird zu einem unvergänglichen 
Beben in der Gemeinfchaft mit dem Erlöferz aber biejenige Kind⸗ 
Ihaft Gottes, welche nur auf ber natürlichen Abftammung und 
auf dem Willen des Fleifched und auf dem Willen ded Mannes 
ruhe, fei bagegen etwas geringes; erft durch diefe neue Geburt 
aus Gott fei dad, weshalb das Licht in bie Welt gekommen und 
das Wort Fleiſch geworden ift, in Erfüllung gegangen. 

Uber auch uns, m. g. Fr., muͤſſen diefe Worte werth fein; 
denn auch zu unferm Glauben gehört weſentlich — und dad in 
nerfte Gefühl eined jeden flimmt damit überein — daß, wenn 
gleich wir in dem Schooße der chriftlichen Kirche geboren find 
und auch unfere Kinder fo geboren werden, wie doch wiffen, bie 
Kindfhaft Gottes hänge nicht ab von dem Willen des Flei⸗ 
bed oder des Mannes, fondern fie müffen aus Gott 
geboren werden. Die unfichtbare aber ewig lebendige Wirkfam: 
keit des göttlichen Geiftes ift nicht etwas durch die leibliche Geburt 
geichehenes, fonbern ein Werk Gottes an jedem einzelnen, nicht für 
fi, fondere zufammenhangend mit jener großen Erfcheinung, daß 
das Licht in die Welt gefommen, und bad Wort Zleifch geworben 
fl. Seitdem nun wirkt, daß ich fo fage, das Beſtreben des goͤtt⸗ 
lihen Weſens fich mit der menfchlichen Natur zu verbinden Durch 
die Kraft des göttlichen Geifted fort auf alle diejenigen, die des 
göttlichen Wortes theilhaftig find, aber nicht durch die Kraft ber 
Geburt und durch das Zleifch, fondern aus Gott müffen fie alle 
erft geboren werben, 





) Joh. 8, 6. 


28 


Und nun, nachdem bes Apoftel hieher gekommen ift, führ 
er fort, was wir und aber auf naͤchſtens vorbehalten, daß te: 
Wort Fleiſch geworben und unter und gewohnet hat, und m 
feine Herrlichkeit ſchauen; hier aber hat er und zurüffgefüht 
auf basjenige, was eigentlich durch die Erfcheinung bed Erloſen 
durch das Eindringen des Lichtes in bie Welt gewirkt worden ii 
daß er nämlich allen benen, die an feinen Namen glauben, Rai 
gegeben hat Gottes Kinder zu werden. Sa, fo ift ed! m. g. gt 
Rur durch ihn haben wir die Vollmacht Kinder Gottes zu wer 
den; nur dadurch, daß der Slaube an ihn in unferm Hene 
lebendig it, find wir aus Gott geboren; nicht unfere eigm 
Kraft ift ed, fondern er hat und die Macht gegeben Kinde 
Gotted zu werben; nur dadurch, bag er, das fleiſchgeworden 
Wort Gottes, lebendig wird in unferm Herzen und ſich in un 
ferm ganzen Leben als eine beflimmenbe und unvergängliche Krit 
offenbart, bleiben wir in ihm und er in und, auf daß fid una 
allen denen, bie an ihn glauben, immer mehr offenbare die Her 
lichkeit Gottes, weldye er denen bereitet hat, die feinen Get: 
aufnehmen und an ihn fich halten. Amen. 











III. | 
Am Sonntage Eraudi 1823. 


Text. Joh. 1, 14— 18, 

Und das Wort ward Fleiſch und wohnete unter 
und, und wir fahen feine Herrlichkeit, eine Herrlich⸗ 
feit als ded eingebomen Sohned vom Water, voller 
Gnade und Wahrheit. Johannes zeuget von ihm, ruft 
und foricht, Diefer war e8, von dem ich gefagt habe, 
nach mir wird fommen, der vor mir geweſen ift, denn 
er war eher benn ich; und von feiner Fülle haben wir 
alle genommen Gnade um Gnabe. Denn dad Gefez 
ift durch Mofen gegeben; die Gnade und Wahrheit ifl 
durch Jeſum Chriftum geworben. Niemand hat Gott 
je gefehen; ber eingeborne Sohn, der in des Waters 
Schooß ift, der hat ed und verkündet. 


JR wir, m. a. Fr., diefen Abfchnitt, deſſen einzelne heile 
vol allen Chriften leicht verftändlich find, in feinem rechten Zu: 
ammenhange verftehen wollen: fo müflen wir zuvoͤrderſt auf den 
ufammenhang ber frühern Worte bed Apoſtels zurüffgehen. 
dachdem er zuerft gefagt hatte, daB dad ewige Wort von Ans 


30 


fang an bad Leben und das Licht ber Menfchen geweſen fei, 
aber das Licht habe nur in die Finſterniß bineingefchienen, und 
bie Finſterniß habe es nicht begriffen (B. 4. 5.), nachdem er in 
biefen Worten den ganzen Zufland der Menfchen vor ber Erſchei⸗ 
nung des Herrn, den alten Bund Gotted mit feinem Wolfe mit 
eingefchloffen, geichildert hatte: Fam er hernach auf dasjenige, 
was gleichfam den Uebergang bildet von dem einen zum andern, 
indem er fagt, E3 war ein Menſch von Gott gefandt, Johannes 
mit Namen, um von dem Lichte zu zeugen (V. 6. 7.), und fezte 
binzu, das wahrhaftige Licht, von welchem Sohanned zeugen 
foüte, fei fhon in der Welt gewefen (V. 10.); womit er un: 
daran erinnert, wad wir alle wiflen, daß, als Johannes auftrat 
um zu verfündigen, daß dad Reich Gottes nahe herbeigefommen 
fei, der Heiland der Welt fchon fei geboren geweien. Aber er 
machte dann darauf aufmerkffam, weshalb ohnerachtet das wahr: 
baftige Licht ſchon in die. Welt gelommen war, nidht mehr in 
die Finfternig bloß hineinſchien, dennoch das Zeugniß bed Johan: 
ned nothwendig geweſen fei, weil nämlich die Welt ed nicht an: 
erfannt habe, ja ohmerachtet ed in fein beſonderes Eigenthum ge: 
fommen fei, doch bie feinigen es nicht angenommen hätten. 
(B. 10. 11.) Wie er fih nun damals, wie wir auch bemerft 
haben, nicht enthalten konnte gleich davon zu reden, wovon fein 
Herz voll war, nämlid was nun alle Diejenigen, welche ihn 
aufgenommen, bavongetragen haben, wie er denen die Macht ge: 
geben habe Gottes Kinder zu werben, und zwar nicht folche, 
wie ehedem die einzelnen Mitglieder des jübifchen Volkes glaub: 
ten vermöge ihrer Abflammung von Abraham und aljo vermöge 
bed Geblüted zu fein, fondern folche, die von Gott geboren 
worden (V. 13.): fo hängen nun hiermit die Worte, bie wir 
gelefen haben, und bie wir jezt näher mit einander erwägen 
wollen, genau zujammen. 

Denn in biefen Worten hat Sohanned den großen und we: 
fentlichen Unterfchied audgefprocyen zwiſchen ben Mitglievern des 


31 


alten Bundes, die fi) der Kindfchaft Gottes kraft ihrer natür- 
lichen Abflammung von Abraham rühmten, und zwilchen ben 
Mitgliedern des neuen Bundes, die von Gott geboren find und 
die Macht empfangen haben Gottes Kinder zu werben. 

Der Apoftel aber kann diefen Unterfchieb nicht deutlich ma⸗ 
chen, ohne noch einmal zurülfzulommen auf den Eintritt Chriſti 
in die Welt, welchen er ſchon vorher bezeichnet hatte, aber frei> 
lich gefchieht es hier auf eine beutlichere Weife. Der Zufammens 
bang feiner Worte ift diefer. Als nämlicd dad Wort Fleiſch ges 
worben war und unter und wohnete, fobald Johannes fein Zeugs 
niß von ihm abgelegt hätte, da hätten auch diejenigen, welche 
ihm folgten, nach einander und jeder zu feiner Zeit die Herrlich 
keit des Zleifch gewordenen Wortes erkannt — da vorher bie 
Welt ihn nicht erkannt hatte, und bie feinigen ihn nicht aufge 
nommen — ald eine Herrlichkeit bed eingebornen Sohnes vom 
Bater, voller Gnade und Wahrheit, und hätten aus feiner Fülle 
genommen Gnade um Gnade; denn dur) Mofen ſei zwar bad 
Geſez gegeben, Gnade und Wahrheit aber fei erſt durch Chriftum 
in die Welt gelommen. Und weil diefe nur kommen konnte da⸗ 
durch, Daß der Menich in die Gemeinfchaft mit Gott wieder zus 
rüfffehrte und wirklich fie fand auf eine Weife, wie er fie noch 
nicht gehabt hatte: fo fügt er hinzu, vorher habe niemand Gott 
ie gefehen, ben habe der eingeborme Sohn, der in des Waters 
Schooße ift, verfündigt; und deöhalb fei alles frühere nur ein 
Borfpiel und eine fchwache Vorbereitung und Hindeutung gemes 
fen auf dad, was die Menfchen erft hätten werben Fönnen, und 
auf die Fülle von Gnade, die ihnen erft geworben, nachdem ber 
gelommen fei, der in ded Waters Schooße ſize. — Nachdem 
wir fo den Zufammenhang der Worte des Evangeliften uns deuts 
lih gemacht haben: fo laßt und nun auf dad einzelne unfere 
Aufmerkſamkeit richten. 

Da ift nun das erfle bad Wort, welches von je her ald ber 
Ihönfte und lebendigſte Ausfpruch von dem wahren Glauben ber 





32 


Chriften tft angefehen worden, Und das Wort ward Zleild 
und wohnete unter uns, und wir fahen feine Hers 
lichkeit al3 des eingebornen Sohnes vom Bater, vol: 
ler Gnade und Wahrheit. 

Auch wir, m. g. Fr., die wir den Erlöfer nicht geſehen hr 
ben unter ben Menfchen wohnen, flimmen doc mit voller Ueber: 
zeugung in diefe Worte bed Apofteld ein. Denn unfere gan 
Kunde von dem Erlöfer und der Glaube, vermöge beffen auch 
wir in ihm die Herrlichkeit des eingebomen Sohnes vom Bata 
ertennen, beruht doch barauf, daß er in der Melt unter da 
Menichen gewohnt bat; alled Zeugnig von ihm, alle Wirkung 
die von ihm audgegangen ift, hängt baran und iſt dadurch be 
bingt geweſen; und wir könnten und nicht denken, baß ed einm 
folchen Glauben ber Ehriften, eine folche Gemeinſchaft ber Chr: 
ften gäbe, daß folche unbefchreibliche und befeligende Wirkungen 
von einem einzigen Punkt auögingen, fich immer weiter ausbei 
teten und immer aufs neue die Menfchen ergriffen, wenn nidt 
dad Wort Kleifh geworden wäre und unter und ge 
wohnt hätte. 

Mit diefem Ausdrukk aber, m. g. Sr., bezeichnet ber Apoſtel 
zu gleicher Zeit den großen Unterfchieb zwifchen dem Exlöfer und 
allen denen, die vor ihm als von Bott gefendet in der Schrift 
bargeftellt werden und ſich in der Gefchichte ber Menſchen ab 
folche bewährt haben. Wenn der Apoftel vorher gefagt hat, in 
dem Worte war dad Leben, und das Leben war das Licht der 
Menſchen, und das Licht fchien in die Finftemig (8. 4. 5.): ſo 
bat er dadurch zu verfiehen gegeben, daß alle Erleuchtung hr 
Menfchen, die im dunkeln wanbelten und in dem Schatten des 
Todes *), auögegangen fei von berjelben Fülle des goͤttlichen 
Weſens, die in Chriflo wohnte, aber fo, daß das Licht überell 
in die Zinfternig nur hineinfhien. Und das gilt nit nur 


) Matth. 4, 16. 


3 


yon benen, bie diefen Schein fahen, fonden auch von benen 
elbft, von denen er ausging. Auch ein Prophet, der größte wie 
ver kleinſte, war ein folcher, im welchem das Licht nur in bie 
sinfternig hineinfchienz; ed waren nur die einzeln erleuchteten, vom 
Seifte Gottes befonderd ergriffenen und befeelten Augenblikke in 
velchen das Licht von oben in feine Seele fiel; e8 hing nur an 
inzelnen Augenbliffen bed Lebens, im ganzen aber hatten auch 
iefe Männer Gottes Theil an der Finfterniß, bie bas 
Licht nicht begreifen konnte. 3a wir mögen fagen, bag in 
einem gewiflen Sinne fie felbft, in welchen und durch weldye das 
Bicht in die Finſterniß hineinfchien, dad Verhaͤltniß beider gegen 
einander nicht begriffen haben; ihr eigener Zuſtand, ihr Unter 
Ihied von den übrigen Menfchen, ihr Verhaͤltniß zu den allge: 
meiners Ordnungen und Führungen Gottes mit dem menfchlichen 
Geſchlecht war ihnen unbekannt; ja auch das, worauf fie hindeu⸗ 
teten, die Herrlichkeit des eingebormen Sohnes vom Vater. Denn 
ale Propheten, wie die Schrift fagt, haben von ihm geweiſſagt, 
nur ihnen unbefannt; und nur in Beziehung auf dad, was fie 
weifjagten, waren fie bad Licht in der Finfternig. Won dem Er: 
löfer aber lautet ed anders, Das Wort warb Fleifch; eben 
dad ewige göttliche Wort, welches von Anfang an das Licht der 
Menſchen war, dieſe Fülle der Gottheit warb Fleiſch, das heißt. 
ward in einem Menfchen Menfch; und nur fo konnte ed gefche: 
ben, dag wir in ihm erkennen Eonnten die Herrlichkeit des ein 
gebomen Sohnes vom Bater, und nur in dem Sohne fonnten 
auch wir den Vater fehen, weil fonft ihn niemand vermochte zu 
fehen, und überall die Zinfterniß herrſcht; und indem wir fo die 
Herrlichkeit bed eingebornen Sohnes fchauten und in dem Sohne 
den Water erkannten, konnten wir aus feiner Fülle nehmen Gnade 
um Gnabe. | 

Es ift aber noch befonderd zu bemerken, wie beſtimmt der 
Apoſtel hier die Wereinigung diefer Fülle ber Gottheit mit ber 
menfchlichen Natur in den Anfang des menfhlihen Le 
- Som. üb. Ep. Joh. I. G 


3 


bens Chrifti ſelbſt Hineinlegt, indem er fagt, Dad Wort 
ward Fleiſch. Nicht der Menſch Jeſus war vorher da, unt 
nachher Fam bad Wort des Herrn über ihn, wenn glei in ei— 
nem viel höheren Grabe ald über die Propheten, und vereinigte 
fi mit feinem Wefen; fonden, das Wort ward Fleiſch, ber 
Menſch Jeſus als Erlöfer der Welt warb nur dadurch, Daß ba} 
Wort Fleiſch wurde; von Anbeginn an war in ihm dieſe Bere 
nigung ber Fülle der Gottheit mit ber menſchlichen Natur. 

Aber Fleiſch mußte dad Wort werden; nur in einem Men 
fhen, der und übrigend gleich war, Fleiſch und Blut theilte mir 
allen Menfchenkindern, und uns in allem gleicy war ausgenommen 
die Sünde *), nur in einem folchen konnten wir Die Herrlichkeit dei 
eingebomen Sohnes vom Kater erkennen. Ein volllomm: 
ner Menfch mußte ex fein wie wir, fonft hätten wir ihn mich 
ertennen können ; denn nur dad Gleiche erfennt bad Gleiche. Ein 
fremdes Weſen, welches und gelandt wäre, in welchem das Wort 
Gottes eine andere Geſtalt angenommen hätte als bie menſch 
liche, und dad alfo nicht wäre Fleifch geworben in diefem volles 
menfchlihen Sinne des Worts, dadurch hätten wir übermältigt 
werben koͤnnen von einer Herrlichkeit, die und entgegengeſtrahlte; 
aber erfennen hätten wir fie nicht Finnen. 

Dad geichah aber erſt, wie der Apoftel fagt, nachdem So 
hannes von ihm gezeugt hatte, welches Zeugniß aber, in welchen 
er von ihm fagt, Diefer war ed, von dem ich gefagt habe, 
nah mir wird fommen, der vor mir gewefen ifl, denn 
er war eher denn ich, wir bier übergehen wollen, weil wir 
ed in der ausführlichen Rede Sohanned ded Zäufers ſelbſt mit 
denſelben Worten wieber finden; erft, nachdem Johannes dieſes 
fein Zeugniß von ihm abgelegt hatte und fo die Aufmerkſamkeit 
wenigftend einiger Menfchen auf ihn hingelenkt, da geſchah es, 
dag num diefe wirklich in ihm erkannten die Herrlichkeit, die der 


) Chr. 2, 1%. 17. 4, 15. 


35 


Apoftel nun befchreibt ald eine Herrlichkeit als des eingebornen 
Sohnes vom Bater, voller Gnade und Wahrheit. 

Hier nun, m. g. Fr., könnte uns leicht Dad Wort als in 
unferer Sprache, deſſen fich Luther in feiner Ueberfezung bedient, 
verleiten zu glauben, ber Evangelift habe gemeint, die Herrlich 
feit fei nicht die ded eingebornen Sohnes vom Water felbft ge 
weien, fondern eine ähnliche; denn in biefem Sinne bedienen 
wir und oft des Wortes ald. Aber fo hat ed Luther nicht ges 
meint, und es ift auch nicht der Sinn der Worte felbft in dhrer 
urfprünglichen Geflalt; fondern fchlechthin, Wir fahen die Herr: 
lichkeit, welche war Die Herrlichkeit bed eingebornen Sohnes 
vom Vater. Und wie in den Worten, Das Wort ward Fleifch, 
der Apoftel und teöftlich verfichert von ber wahren und voll 
fommnen Menfchheit des Erlöfers: fo in diefen Worten, 
daß feine Herrlichkeit war die des eingebomen Sohnes bed Va⸗ 
ters, verfichert er uns eben fo von feiner Einzigkeit, der nichtd 
andered gleichkam; und daß er auf eine ganz andere Weife und 
im göttlichen Sinne des Wortd fei ein Sohn des Vaters, 
bem kein anderer gleiche, fondern von welcher Art er nur 
einen habe, ber eingeborne Sohn des Waterd, durch welchen erſt 
alle anderen, wie er vorher fchon gefagt hat, bie Macht befommen 
Kinder Gotted zu fein. 

In diefen Ausdruͤkken, m. g. $r., wenn wir fie mit einan 
ber vergleichen, Kinder Gottes und Sohn Gottes, liegt 
ein Unterfchied, der in der Schrift beftändig beobachtet wird, aber 
oft von und überfehen. Nämlich wir alle, fo viel unfer bie 
Macht von Chrifto befommen haben, heißen und find Kinder 
Gottes; er aber ift der Sohn Gotted. Nach dem allgemeinen 
Sprachgebrauch aber deutet eben jener Ausdrukk Kind auf ei» 
nen Zufland der Unmünbigkeit und Ungleichheit mit dem Water, 
der andere aber Sohn auf einen Zuſtand ber Reife und Selb» 
fländigkeit, worin ſchon eine gewiſſe Gleichheit zwifchen Water 
und Sohn liegt; und der Sohn, wie die Schrift fagt, waltet 

@ 2 


36 


im Haufe des Waterd ewiglih. Das ift und bleibt ba Wer 
haͤltniß zwifchen dem Erlöfer und denen, bie durch ihn bie Macht 
befommen haben Gotte Kinder zu werben. Er ifl der Sohn, 
dem, wie er felbft fagt, alle Gewalt gegeben ift im Himmel und 
auf Erden *); welcher, wie die Schrift fagt, im Haufe des Bu 
terd ewiglich waltet; und wie die Schrift fagt, Der Knecht bleibt 
nicht in dem Haufe feined Herm: fo iſt er ed, ber Sohn, ter 
immer und ewig die Angelegenheiten beffelben leitet **); und fo 
ift « denn dem Water gleich, mit der Macht beffelben ausgeru: 
ſtet, mit ber Herrlichkeit deſſelben bekleidet, mit dem Willen und 
den Rathfchlüffen deſſelben vertraut, der Abglanz feines Weſens . 
Wir alle belommen von ihm die Macht Gotted Kinder zu wer 
den; wir bleiben für und felbft betrachtet unmündige und uner: 
wachfene auf dem Gebiete des geifligen Lebens; wir werben nie 
mald dem gleich, der. ald der eingebome Sohn im Haufe des 
Vaters ewig waltet. | 

Aber je mehr wir feine Herrlichkeit ald die Herrlichkeit des 
eingebornen Sohnes vom Vater erfennen, um befto mehr werben 
wir auch, wie ber Apoftel fagt, von feiner Fülle nehmen Gnade 
um Gnade. Vorher fchon hatte er gefagt bei der nähern Be 
fehreibung ber Herrlichkeit Chrifti, fie fei die Herrlichkeit des ein: 
geboren Sohned vom Vater voller Gnade und Wahrheit, 
und auf diefe Worte kommt er auch hernady noch einmal zuruͤkk, 
wo er von dem Zuftand bes jübifchen Volks im Vergleich mit 
bem Reiche Gotted, welches Chriftus der Herr gefliftet hat, redet, 
indem er fagt, Dad Gefez iſt durch Mofen gegeben; bie 
Gnade und Wahrheit if durch Jeſum Chriftum ge 
worden. 

Bas nun die Wahrheit betrifft, fo fagt ber Erlöfer ſelbſi 
von fi, ex fei die Wahrheit ****), und im Zufammenhange ba» 





*) Matth. 28, 18. ) Joh. 8, 35. ) Ebr. 1,3. 
) Joh. 14, 6. 





37 


mit, daß doch eigentlich nichtd anderes wahr ift ald Gott, und 
alled nur fo weit ald ed in Gott gefchaut und aus ihm begrif: 
fen und erfannt wird, und wir felbft von und wiſſen und ber 
Here es auch bezeugt, daß niemand Gott erkennt ald ber Sohn 
und wem er ed will offenbaren *), in biefem Zufammenhange, 
müffen wir fagen, war feine Herrlichkeit eine Herrlichkeit vol: 
ler Wahrheit, dadurch dag fi in dem Sohn der Vater of 
fenbart, und daß wir in diefer Offenbarung bed Waterd und des 
Sohnes zum Beſiz der Wahrheit gelangen, die den Menfchen über 
allen Trug und allen Schein und allen Irrthum erhebt und ihn 
fo befeligt und befefligt, wie allein die Kraft bed Emwigen, welche 
Wahrheit ift, ed vermag. 

Voller Gnade aber war er, weil in feiner Herrlichkeit auch 
dies lag, daß er den Menfchen bie Macht gab Gottes Kinder zu 
werben; denn das ift die Gnade, welche fie befreit hat aus jenem 
Zuftande, in dem fie von ort getrennt und verlaffen waren, 
weil fie ihn verlaffen und, wie der Apoftel fagt, die Wahrheit 
aufgehalten hatten in Ungerechtigkeit **); und weil fie bad na» 
türliche Gefühl Gott aus feinen Werken zu erkennen geſchwaͤcht 
und getrübt hatten, fo war es die befreiende göttliche Gnade in 
Chriſto, welche und über biefen Zuftand erhob, und welche, da 
er die Wahrheit war, und wir biefelbige aufnahmen, und bie 
Macht gab Gottes Kinder zu werben, infofern und deswegen, 
weil wir an feinen Namen glauben. 

Aber laßt und noch befonderd betrachten, was ber Apoftel 
hier ſchon aus dem Schaz feiner eigenen Erfahrung fagt, Und 
von feiner Fülle haben wir alle genommen Gnade 
um Gnade. Died Snade um Gnade will nicht fo viel fa. 
gen ald eine Gnade nach ber andern, fondern es heißt eigentlich 
fo viel ald Gnade für Gnade, d. h. dafür, daß wir eine Gnade von 
ihm annehmen, wirb und wieber eine andere zu Theil; und fo 


9 Matt, 11, 27. **) om, 1, 18. 


38 


bäuft ſich aus feiner Zülle die Gnade, die wir empfangen. Des, 
m. g. Fr., ift eine gar fhöne und erfreuliche Erklärung von den 
Worten unfered Herrn, welche in mancher Hinficht vielleicht fonf 
fireng erfcheinen, Wer da hat, dem wird gegeben; wer aber nict 
bat, dem wird auch genommen was er hat *). Bon dem Iy 
tern fieht der Apoftel hier weg; und was follten auch wir un 
damit beichäftigen, wo es und darauf ankommt, den Zuſtand de 
Menfchen Tennen zu lernen, die von Chriſto bie Macht befommmn 
haben Gottes Kinder zu werben? Die haben alfo, und wei 
fie haben, fo wird ihnen immer mehr bafür zu Theil; weil fr 
angefangen haben feine Herrlichkeit zu erkennen, und von ihm 
die Macht fuchen Gottes Kinder zu werben, dafür erlangen fi 
immer mehr. Wie ed auch natürlich iſt; denn dadurch, bag mir 
etwas von dem Erlöfer empfangen, wird dad gemeinfame Leben 
zwifchen und und ibm geftiftet, worin unfer ewiged Heil ruft. 
Er wird ald dad göttliche Wort unfer Licht und Leben, bad ke 
ben und dad Licht in unferem Innern, und daraus entſteht dam 
in und das Vermögen, Gnabe um Gnabe von ihm anzunehmen 
und die Fülle der Gottheit in ihm anzufchauen. Iſt das befch 
gende Band der Gemeinfchaft zwifchen und und dem Erloͤſer 
geknüpft, fo ſchlingt es fich immer fefter, und wir werben imme 
mehr eind mit ihm. Iſt er unfer Leben und unfer Licht, web 
ches darin befleht, daß der Sohn mit dem Water kommt und 
Wohnung macht in unferm Herzen **): fo wächft dieſes Leben 
immer fchöner und herrlicher und verbreitet fih nach allen Si: 
ten bin gleich einem Baume, ber feine Zweige weithin ausbehat, 
und in deſſen Schatten die Wögel bed Himmeld wohnen. Une 
ſchoͤpflich ift feine Fülle; haben wir einmal angefangen aus iht 
zu fchöpfen, fo nehmen wir nun Gnade um Gnabe, und fein 
immerwährenden Einladung folgend werden wir erquikkt und ge 
fättigt. Das ift das, was er fagt, Wen da burfiet, bes komme 


ni GE 


) Matth, 13, 19. 28, 29, ) 30. 14, 3 


39 . 


u mir und trinke; und wer da trinkt von dem Waſſer, welches 
ch ihm gebe, ben wird nicht durften ewiglich, fondern es wird 
n ihm eine Quelle des lebendigen Wafferd werden, die in das 
wige Leben quillt *).. Dad ift dad. Gnade um Gnade oder 
Snade für Gnade nehmen aus feiner Fuͤlle, und das iſt die 
Herrlichkeit ded eingebornen Sohnes vom Vater. Diefe 
ſt es aber, worin fich bie göttliche Macht der Liebe in ihm offen: 
art, fo Daß es von Seiten des Menfchen nichts bedarf ald daß er 
infaͤngt zu empfangen, daß er fein Auge Öffnet, um bie Herr: 
ichfeit des eingebornen Sohnes zu ſchauen, daß er die Strahlen 
‚ed himmliſchen Lichted einfaugt; dann geht auf diefe Weife eine 
Snade aus der andern hervor, bis e& endlich dahin kommt, daß | 
jtejenigen, welche von ihm bie Macht befommen haben Gottes 
Kinder zu werden, mit ihm einen gemeinfchaftlichen Leib bilden, 
ı dad Haupt und fie die Glieder. | 
Und bievon Fehrt der Apoſtel zuruͤkk zu der Betrachtung bes 
früheren Zuſtandes der Menfchen im alten Bunde, indem er fagt, 
Das Gefezift durch Mofen gegeben, Gnade und Wahr: 
heit ift Durch SJefumChriftum geworden. Bon hier auß, 
m. g. Fr., Fünnen wir wol nicht anderd ald und erinnern an 
die Art, wie der Apoftel Paulus in feinen Briefen biefen Unter: 
ſchied und Gegenfaz behandelt zwifchen dem alten und neuen 
Bunde. Sohannes geht gleichlam fchonend und leiſe zu Werke, 
indem er fagt, dad Gefez fei durch Mofen gegeben, aber auch 
nicht als das Gefez, und und errathen läßt, indem er Gnade 
und Wahrheit, die durch Chriftum geworden iſt, dem gegenüber 
tet, was Durch Mofen gegeben ift, nämlich bem Gefez, daß das 
Geſez die Gnade und Wahrheit nicht enthalte. Der Apoſtel 
Paulus aber fagt ed gerade heraus, weil es in ben Verhaͤlt⸗ 
niffen, in welchen er lebte und Ichrte, nothwendig war. Und fo 
kann es und nur willkommen fein, baß wir hier auf ber einen 


—— 


) Joh. 4, 14. 


° 40 


Seite die milden und gleichſam nur halb angebeuteten Worte 
des Johannes haben, aber auch auf der andern Seite bie firens 
gen bed Paulus, Durch das Gefez wird Fein Fleifh vor Gott 
gerecht; durch dad Gefez kommt nur Erkenntniß der Sünde ”). 
Ein folched Gefez iſt durch Mofen gegeben, und dad ganze Bes 
fen des alten Buntes befand darin, daß die Menfchen in bem- 
felben Erkenntniß der Sünde hatten burch dad Geſez, und 
fie in einen Zuſtand geriethen, wo ihnen Rettung werben mußte 
aus dem Zufland ber Sünde und ihrer Knechtfchaft, welche Be 
freiung ihnen dad Gefez nicht geben konnte, weil ed ihnen durch 
einen Menfchen gegeben war und ihnen Feine Kraft mittheilte 
das befiere zu ergreifen. Durch Chriftum ifl geworden Wahr⸗ 
heit und Gnade, und bad Reich des Geſezes iſt vorübergegangen. 
Denn in der Gnabe, die wir aus feiner Zülle nehmen, unb im 
ber Wahrheit, bie er in unfere Seele gelegt bat, und wodurch 
der Sohn uns frei macht, hört auf die Knechtichaft des Geſezes, 
unb ed entfliehen aus ber Gnade und Wahrheit, bie in Chriſto 
liegt, alle herrlichen Fruͤchte des Geifles, in deren Bell, und Kraft 
ber Menſch, d. h. ber von Chriſto erleuchtete, ber, welcher bie 
Herrlichkeit ded eingebomen Sohned vom Kater, der mit bem 
Vater eind ift, fchaut, der, zu dem ber Sohn mit dem Water 
gekommen ift und Wohnung gemacht hat in feinem Herzen, ſich 
felbft ein Geſez ift, daB Geſez in jedem Augenblikk feines Lebens 
in fi trägt ald einen Ausdrukk der göttlichen Gnade, die in 
dieſem Augenblikk mächtig in ihm iſt, aber an feinen Buchſtaben 
des Gefezed gebunden, außer infofern er durch menfchlidhe Orb 
nung dazu verpflichtet iſt; aber im Reiche der Gnabe hat er 
dieſe Knechtichaft aufgehoben, und dad Reich des Geiſtes, wel: 
ches Gnade und Wahrheit if, hat für ihn begonnen. 

Und noch von einer andern Seite macht ber Apoftel biefen 
Unterfchieb deutlich in den legten Worten, die wir gelefen haben, 





”) dm. 7. 7. 


4 


Niemand bat Bott je gefehen; ber eingeborne Sohn, 
ber in bes Vaters Schooße ifl, der hat ed und verkuͤn⸗ 
bigt. So ſpricht nämlich ber eingebome Sohn in dem Evans 
gelio des Johannes im fechöten Kapitel, Nicht daß jemand ben 
Vater Habe gefehen, ohne der vom Water ift, der hat den Water 
gefehen *). Und recht beftimmt und deutlich fpricht Hier ber Er⸗ 
löfer von ſich als von einem Einzigen, ber feines Gleichen nicht 
habe. Denn wir Finnen die Worte nicht fo audlegen, Jeder ber 
vom Water ift hat den Water gefehen, aber Fein anderer, ſondern 
Einer it ed, nur Einer der vom Vater ift, ber hat ben Water 
geiehen. Denn wenngleich dad Geſez durch Mofen gegeben ift 
als ein göttliched Geſez; wenngleich an bie Propheten der Geift 
Gottes Fam und über fiez wenngleich Abraham fchon vor Mofed 
bie berelichen göttlichen Verheißungen erhielt, aus welchen alle 
Führungen Gottes mit dem jübifchen Volke hervorgegangen find: 
fo hat doch Feiner von ihnen Gott gefehen. Nur von dem, ber 
Gott gefehen hat, ber aus dem Schooße feined Vaters herabgen 
kommen tft, kann das Reich der Wahrheit und der Gnade unter 
ben Menfchen ausgehen; alled übrige mußte Dagegen verfchwins 
ben, es hatte Fein Weſen, fondern nur den Schatten und bad 
Vorbild der künftigen Güter in fih **) Alle Gnade und alle 
Gotteserkenntniß hat erft mit Chrifto angefangen, mit bem, ber 
in des Vaters Schooße war, und aus ihm in diefe menfchliche 
Belt herabgefliegen if. Nur in ihm und durch ihn kann ber 
Menſch Gott den Water erkennen und aus feiner Fülle Gnabe 
und Wahrheit fchöpfen. Dad Gefez war durch Mofen gegeben 
als ein göttliches; die Propheten brachten dem Wolfe bad götts 
liche Wort: aber die wahre Offenbarung Gottes, bad lebendige 
Bewußtſein des Herzend von ihm, die Erfahrung, daß wir bie 
Macht haben Kinder Gottes zu fein, die konnte uns nicht anders 
werden ald durch den Sohn, der aus bem Schooße bed Waters 





) Joh. 6, 46. Eol. 3, 17. 


42 


zu und berabgefliegen ift, und bie verbürgt und auch, daß nie 
mand je Gott gefehen hat, baß eben beöwegen eine ſolche Verei- 
nigung ber Menfchen mit Gott, wie er fie gefliftet, noch nie 
flott gefunden, daß noch niemand das geiflige Auge der Nm 
hen wie er geöffnet bat für bad Licht von oben, daß nod 
burch niemand das menfchliche Herz, welches in fich erkaltet und 
erfiorben war, erweicht worden ift und empfänglic) gemacht für 
den himmlifchen Einfluß der Wahrheit, wie durch ihn, der un 
alles Fund gethan hat, was ber Water ibm offenbart, und uns 
alle feine Werke gezeigt hat. 

Das ift die göttliche Fülle, aus welcher, wie ber Apofll 
fagt, nicht nur er und feine Zeitgenoffen genommen haben Gnade 
um Gnade, aus der nicht nur alle gläubigen nach ihm be 
ewige Leben geichöpft haben, fondern es ift die unerſchoͤpfliche 
Fülle, aus der auch wir und alle, die Durft haben, geträntt 
werden, fo daß dadurch immer herrlicher ſich geflalten wirb die 
Gemeinfchaft des Glaubens und der Kiebe, bie auch die Pforten 
der Hölle nicht überwältigen Binnen *), und immer mächtige 
bervorfprudeln die Quelle, die in dad ewige Leben quillt. Amen. 


) Matth. 16, 18. 


IV. 
Am 1. Sonntage nad Trinitatis 1823. 


Tert. Joh. 1, 19 — 25. 

Und dies ift das Zeugnig Johannis, da bie Juden 
fandten von Serufalem Priefter und Leviten, bag fie 
ihn fragten, Wer bift bu? Und er bekannte und leug⸗ 
nete nicht; und er bekannte, Ich bin nicht Chriflus. 
Und fie fragten ihn, Was denn? Bill bu Elias? 
Er ſprach, Ich bin ed nicht. Biſt du ein Prophet? 
Und er antwortete, Nein. Da forachen fie zu ihm, 
Was bift du denn? daB wir Antwort geben benen, 
die und gefandt haben. Was fagft bu von bir ſelbſt? 
Er ſprach, Ich bin eine Stimme eines Prediger in 
der Büfle, Richtet den Weg des Herrn, wie bes Pro 
phet Eſaias gefagt hat. Und bie gefanbt waren, bie 
waren von ben Phariſaͤern. 


J. dieſen Worten nun, m. g. Fr., kommt endlich der Evan⸗ 
geliſt Johannes zu dem, wovon er ſchon fruͤher im ſechsten 
Verſe unſeres Kapitels, als er angefangen hatte, Es ward ein 
Menſch von Gott geſandt, ber hieß Johannes, hatte 
veben wollen, bisher aber wieder abgegangen war, um bem 


44 


Drange bed Herzens folgenb von Chrifto felbfl zu reden. Nun 
fängt es an von dem Zeugniffe Zohanned des Taͤufers in Be 
ziebung auf Jeſum Chriſtum zu erzählen. Bad wir aber ig 
gelefen haben ift nur ber erfle Theil befielben, betreffend fen 
eigene Perfon. | 

Wenn Johannes erzählt, die Juden, d. h. ber Hohepriekn 
und der hohe Rath von Zerufalem hätten an Johannes gefant 
Prieſter und Leviten, um ihn zu fragen, wer er fei: fo Tann d 
und auf ben erften Anblikk wunderbar vorfommen, daß er in ie 
ner Antwort bamit angefangen habe zu verſichern, er fei nid! 
Chriftus, da doch in der Frage died nicht ausgebrüßft geweſen 
ob er es fei. Hierzu liegt der Schlüffel darin, daß, wenn ſie 
auch nicht ausdruͤkklich fich diefer Worte bedient, fie doch gewij 
ihre Zrage fo geftellt hatten, daß er baraud fchließen mußte, I 
wollten von ihm eine beflimmte Antwort haben, ob er fich fehl 
für den Gefandten Gottes audgebe ober nicht. Unb wenn J 
hannes ber Evangelift in biefe Antwort einen vorzüglichen Rad 
drukk legt, indem er zweimal fagt, Und er befannte, und 
leugnete nicht; und er befannte, Sch bin nicht Ehrr 
ſtus: fo wollte er und allerdings aufmerkſam machen, wie wet 
Johannes der Zäufer davon entfernt geweſen fei fich für be 
Sohn Gottes zu halten. 

Denn er fi nun fo beflimmt darüber erklärt, fo haͤng 
dieſes aber zugleich auch damit zufammen, daß es zur Lebendgi 
Jeſu, der Apoflel und Evangeliften mehr oder weniger Menſcher 
gegeben habe, welche der Lehre und der Perfon Johannes de 
Zäuferd in dem Grabe anbingen, daß fie glaubten, er fei da 
von Gott verheißene Meffiad, und e3 werde kein anderer mehr 
nach ihm von Gott gefandt werden. Wir fehen es ja, m. 9.51. 
wie leicht bie meiften Menfchen dazu geneigt find, etwas an fid 
guted und fihönes, wenn fie von bemfelben ergriffen find, # 
überfchäzen, fo daß bie eigentliche Wirkung davon für fie ver 
sen geht, und ed ganz feinen Zwekk verfehlt. Aus allen Berich 








45 


en über ben Zäufer Johannes geht hervor, daß feine Predigt 
any vorzüglich immer barauf gerichtet war, feinen Zeitgenofien 
inzufchärfen, der, den Gott gefandt habe, werbe bald erfcheinen 
mb öffentlich auftreten; bag, wenn er dieſes auch nicht allgemein 
ehrte, er doch feinen vertrauten Züngern, wie wir bald ſehen 
verden, Jeſum von Nazareth auf bie beflimmtefte Weiſe als ben 
on Gott gefandten bargefiellt und auf ihn hingewiefen habe. 
Bie leicht war es moͤglich, daß folche, die ihn oder doch feine 
Sünger näher gekannt hatten, vieleicht zum Theil von ihm ge 
auft waren, zu dem Glauben kommen Tonnten, er felbft fei ber 
von Gott verheißene Erlöfer, ober daß fie doch dasjenige, was 
son biefem verkündigt war, ber Kraft und der Lehre Sohannes 
x3 Taͤufers zufchrieben, von deren Gewalt die heiligen Bücher 
elbft Zeugnig geben. Das ergriff mächtig dad Gemüth feiner 
Zeitgenoſſen, daß er Ichrte, Thut Buße, dad Reich Gottes ifl 
nahe herbei gekommen, indem er zugleich die Drohung ausſprach, 
da dem Baume fchon die Art an die Wurzel gelegt, und nur 
noch kurze Friſt dem Menfchen auf Erden gegeben fei *). Die 
Strenge, mit welcher ex gegen fich felbft verfuhr, mit welcher ex 
Reinigung bed Gemuͤths forderte, ergriff die Menſchen. So, 
dachten fie, wenn nur alle den Worten Johannes des Taͤufers 
folgten, wenn fie nur alle durch Umkehrung und Reinigung bes 
Gemuͤths dem Reiche Gottes fich anfchlöffen, wenn fie nur alles 
entfernten und ausfchlöffen, was er als verberblich bezeichnete, 
und dem genau nachlebten, was er begehre, werde dad Reich 
Gottes ganz von felbft entftehen, und man dürfe dann nicht mehr 
eined andern warten **), fondern es fei in ben Worten und in 
der Kaufe Johannes dann ſchon alles gegeben, was ber Menſch 
bedürfe, 

Das wäre nun alles wahr und richtig geweſen, wenn ber 
Denfc für ſich felbft vermocht hätte ben Willen Gottes zu er⸗ 


—— 
) Matt, 3, 8-12. °) £ub, 7, 19, 


füllen und jene Lehren bed Taͤufers fir daB Leben wahr zu ma⸗ 
den. Wenn bie Umkehrung von allem verkehrten, die Reini 
gung bed menfchlichen Zichtens und Trachten nad) ben Reidye 
Gottes eine Wirkung bed Menſchen feibft Hätte fein Binnen: fo 
möchten wir wol fagen, ed fei nichtd anderes nöthtg als Die Leh 
ren Sohannes des Taͤufers, um die Menfchen zur Seligkeit bes 
Keiches Sottes und in dad Weſen deffelben hineinzuführen. Aber 
fo geht ed, m. g. F.; die Neigung alles zu überfchäzen und auf 
dad Thun und Laffen anderer einen zu hohen Werth legen, hängt 
auf eine unmittelbare Weife mit ber Ueberfchäzung feiner ſelbſi 
und mit dem und eigenen Stolze zufammen. Nur biefenigen, 
welche fich zutrauten, daß fie allen im Stande wären der Lebre 
Johannes Wahrheit zu geben in ihrem Leben, fonnten glauben 
an ihm genug zu haben. Er aber, Sohannes ber Täufer, bat 
eine viel befcheibenere und bemüthigere Meinung von ſich feikf, 
und er wußte es wohl, daß durch eine folche Prebigt allein, wie 
er fie gab, wie kraͤftig und gewaltig fie auch immer fei, das 
Reich Sotted doch nicht kommen könne; fondern dies ſei nur zu 
erwarten von demjenigen, den Sott dazu beflimmt, und in wel 
hen er ein höheres Leben, bie unenbliche Fülle der Gottheit ge 
legt, um tie Menfchen an fich zu ziehen und ihnen die Kraft 
feined Geiſtes mitzutheilen. 

Als nun Johannes fo beflimmt bekannt hatte, er ſei nick 
Chriftus, fo fragten fie ihn, Was bift du denn? Biſt be 
Elias? Er ſprach, Ich bin es nicht. Biſt bu einPprea 
phet? Und er antwortete, Nein. 

So natürli und nun jene erfle Antwort bed Johannes en 
feinen muß, daß er glei, befannte, ex fei nicht Chriſtus: fo 
fehr muß es und auf den erfien Anblikk wunderbar erfcheinen, 
daß er auch diefe beiden Kragen gänzlid) verneint. Nämlich ei: 
iſt nichts feltenes, fonbern der menfchlichen Schwachheit und ber 
Eitelkeit des menfchlichen Herzens natürlich, dag wir geneigt find 
eine günfligere Meinung von uns felbft durch bie gümflige Me 





47 


nung anderer über und zu faflen. Wenn andere, bie und ken⸗ 
nen und und wohlmweollen, irgend eine Gabe Gottes bei und ver. 
muthen, ober irgend eine burch Fleiß und Treue auögebildete 
Eigenfchaft der menfchlichen Seele in uns entdekken, von welcher 
uns nichtd offenbar ift, ober irgend eine Fähigkeit bei und ers 
warten, von welcher wir nichts wiſſen: fo gefchieht e8 nur ger 
zu leicht, daß wir voraudfegen, jene würben gar nicht auf bie 
Borftelung davon gekommen fein, wenn wir nicht felbft zu ber: 
felben Gelegenheit gegeben und dieſe Meinung hervorgelokkt hätten. 

Wenn nun au damals noch fo viele gemähnt hätten, der 
Zäufer Johannes fei Chriſtus felbft, fo konnte fich freilich dieſe 
Meinung ihm felbft nicht aufbrängen, weil dad zu weit über 
basjenige hinausging, wad ber Menfch in feinem innern verber⸗ 
gen kann. Wer Chriftus war, ber mußte ed wol felbft wiflen, 
mußte burch fein eigened innered Bewußtſein fo unterfchieden 
fein von allen andern Menſchen, dag Fein Zweifel bei ihm ſelbſt 
an feiner Sendung fein Tonnte. Daher denn ber Erlöfer auch 
in der unerfchütterlichen Feſtigkeit und Sicherheit dieſes Bewußt⸗ 
feins dieſe Ueberzeugung fand, Feined andern Zeugniſſes beburfte, 
fondern hieran genug hatte zum Zeugniß für fich ſelbſt. 

Aber nicht fo ift ed mit dem andern. Wenn nun nämlich, 
als die Abgefandten des hohen Raths und bed Hohenpriefterd ſrag⸗ 
ten, Bift du Elias? er ed verneinte und auch bie Meinung, 
bag er ein Prophet fei, von ſich ablehnte: fo fcheint dies um fo 
mehr im Widerfpruch zu flehen mit dem Zeugniß, welched ber 
Erlöfer dem Iohanned gegeben hat. Hat nicht der Exlöfer ſelbſt 
hernach feinen Züngern, als er von Johannes dem Taͤufer res 
dete, gefagt, Wenn fie ed verſtehen wollten, er fei Eliad *), ber 
ba kommen fol; hat der Erlöfer felbft nicht dem Johannes das 
Zeugniß gegeben: die Propheten reichten bis auf Sohannes, und 
fein vom Weibe geborner fei größer ald er **)? wie konnte ex 


“) Matth. 17, 13. ”) Mattd. 11, 14 11. 


48 


nun felbft von fly fagen, er fei nicht Elias, ex fei Fein Prophet: 
Können wir uns von einem Manne Gotted, wie Johannes de 
Täufer war, vorflellen, daß er unbewußt feiner felbft und i 
Unbelanntfchaft mit der ihm beimohnenden Kraft die Antwor 
gegeben? ober war e3 eine falfche Befcheidenheit ſich als den Ge 
fandten und das Rüftzeug Gottes zu verleugnen, wie er in die 
fen Worten zu thun fcheint? 

Diele m. g. Zr. follten wir eigentlich nicht. Dem we 
daB Ieztere betrifft, fo können wir es niemals für etwas gute 
halten, wenn der Menfh die Gaben, die ihm Gott verlichen, 
vor der Welt verleugnet; denn das iſt ja nichts anders als am 
Verleugnung Gottes felbfl. Ja wenn wir irgend etwas geifligel 
für unfer Eigenthum anfehen koͤnnten und nicht ald eine Guk 
Gottes: fo könnte man ſich ed als natürlich vorſtellen, daß me 
es fuchen zu verbergen und zu verleugnen. Denn bie unnatir: 
fiche Ungleichheit, wenn fie zu groß iſt, verlezt ben Stolz ta 
Menfchen; aber das wiffen fie boch, dag Gott austheilt nahe 
nem Bohlgefallen, und daß feiner über die verfchiebenen goͤttl 
chen Gaben mit ihm zu rechten fich anmaßen dürfe, baß er, da 
Herr über alles, nach feinem Wohlgefallen dem einen etwa 
giebt und verleiht, wad er dem andern verfagt. Je mehr 
der Geiſt Gottes in uns wirft, befto mehr müffen wir ihn 
fennen und werben von Feiner Gabe größere Rechenfchaft 9 
muͤſſen ald von biefer; nicht als fei das unfer eigenes Werl, I 
ben etwas urfprüngliches, aber nach ben geifligen Geſezen 
und vorhandenes und durch die Wirkung des Geiſtes in 
hervorgebrachted. Wie follten wir bazu kommen es zu v 
nen? Wenn Johannes Elias war, fo war diefeß nicht fein 
gened Werk; fondern es war bie Gemeinfchaft und Aehnlich 
feiner aͤußern Erfcheinung und feines Auftretens in ber 
Bar ed ein Prophet, fo war ed ein Werl des Geiſtes S 
ein Wort bed Herrn war an ihn ergangen, und ber Geil bi 
Herm über ihn gelommen. Wie burfte er diefes verleugnen 













49 


ie Menfchen felbft von dem Glauben an daB abzuwenden, mas 
r ihnen fagen konnte, ohne feinem eigenen Beruf in den Weg 
u treten und ihn zu zerftören. Wer ben Geift Gottes, ber in 
ym wohnt, verleugnen will, ber thut ja nichtd anderes ald was 
er Erlöfer felbft feinen Süngern verbietet, ihre Gaben nicht zu 
erbergen vor den Augen ber Menfchen, fondern fie leuchten 
u laffen, damit die Leute ihre guten Werke fehen und den Va⸗ 
re im Simmel preifen *). War Sohanned Elias, fo war das 
in mächtige Zeichen des Herrn an dad Wolf davon, daß Chris 
us bald kommen werbe; war er ein Prophet, fo war ed eine 
tächtige Aufforderung an das Wolf, feinen Worten Gehör zu 
eben und fie zu ehren. Leugnete er aljo dad eine oder dad ans 
ere, fo trat er fich felbfi in den Weg und wucherte nicht für 
en Willen und ben großen Endzwekk Gotted mit den Gaben, 
te er in ihm anvertraut hatte, und machte fich einer fchweren 
jerantwortung fchuldig. 

Aber auch das andere iſt fchwer zu denken, bag Sohanned 
ı einer folchen Unkunde von fich felbft follte geweſen fein, nicht 
ı wiffen, bag er in dem Sinne, in welchem der Erlöfer das 
Bort gebraucht, Elias fei, nicht zu wiffen, daß er ein Pre⸗ 
bet fei, da doch der Exlöfer felbfl gefagt hatte, er fei der größte 
nter allen Propheten. 

Wenn wir dad erftere auf eine buchfläbliche Weile nehmen 
Üten und die Frage fo verfichen, als wäre ed die Seele jenes 
ten Propheten felbft geweſen, die zum zweiten Mal auf Erben 
ſchienen wäre: fo war ed möglich, daß Johannes Nein geants 
ortet hätte, weil er Fein Bemwußtfein von einem frühen irbis 
hen Leben gehabt. Und eben dies, daß bie Frage auf eine fo 
'annigfaltige Weife konnte verflanden werben, giebt und ben bes 
en Schlüffel zu jener wie zu dieſer Antwort des Johannes. 
zollte jie buchfläblich genommen werben, nun ja, ſo konnte Jo⸗ 





”) Matth. 6, 16. 
Hom. uͤb. Ev. Joh. 1. D 


. 50 


hannes fagen, er wifle nichts bavon, baß er Elia fei, er frz 
fi nur als fich ſelbſt. Sollte fie fo gemeint fein, daß fen 
ganze Art und Weile ähnlich fei der Kraft, mit welder Eis 
das Wort ded Herrn verkündigt hatte, fo konnte er es aud mi 
eben fo großem Rechte verneinen; und body war ed in gemine 
Beziehung wahr, daß er der Elias ſei. Es if dieſes felbit ci 
in ſich unbeflimmte Frage, und wohl konnte ein und daſſelbe . 
einen ähnlich und dem andern unaͤhnlich erfcheinen; wohl me: 
Johannes für fich felbft noch gar nicht nachgedacht haben ik 
diefen damals fo weit verbreiteten Glauben an bie Erfepeinun 
ded Elias oder eine dem Eliad ähnlichen. Denn das wenis 
was wir von dem Geifte des Elia in der Schrift dargeftellt is 
den, ift weſentlich nicht verfchieden von bem bed Sohanne; « 
lein wunderbare Hülfe war ihm felbft und durch ihn andem ; 
Theil geworben, und folcher war Johannes fidh nicht beruf 
Die Schrift fagt ausdruffiih, er habe Feine Wunder gehst, 
und es fei ihm nichtd außerordentliches begegnet. Was aber be 
innere betrifft, fo wiflen wir, wie oft es begegnet, daß bemc- 
nen eine Achnlichleit hervorleuchtet, wo dem andern eine Br 
fchiebenheit erfcheint. Da nun Sohannes auf diefe Weiſe inc 
ner Beziehung ähnlich, in der andern verfchieben von ihm “ 
fo wollte er die Zrage lieber verneinen als bejaben. Denn s 
fezt auch, jener Glaube fei in der Schrift vollkommen begruͤnde 
geweſen, baß ehe ber Meſſias erfcheine müffe Elias vorhergehen 
fo Tonnte, ohnerachtet der feften Ueberzeugung des Johannes, dej 
ber Meſſias erfchienen fei, und daß er fich bald werde te 
Volke zeigen und als einen ſolchen befannt machen, fo konnte a 
doch nicht wiflen, ob nicht außer ihm ein anderer aus dem Voll 
vor dem Herm bergehen werde, ber des Namens bes Elias wir 
biger fei ald er und demſelben mehr entfpreche. 

Die zweite Frage, ob er ein Prophet fei, war gleihiel: 
unbefimmt, und Johannes Antwort war ganz richtig für die 
welche ihn fragten, wenn er barauf antwortete, Nein. Deu 














51 


uf der einen Seite verftand man unter einem Propheten einen 
Ichen, welchem Gott gegeben habe in bie Zufunft zu fchauen, 
nd zu gleicher Zeit einen folchen, welcher da8 Wolf auf einen 
htigen Weg in ber Erfüllung der göttlichen Geſeze hinwies 
it Begeifterung und bichterifcher Kraft der Rebe. Des leztern 
un war fi) Sohannes nicht bemußt; denn dad, was wir von 
inen Neben an dad Volk in der Schrift finden, trägt auch we⸗ 
ig das Gepräge der Begeifterung ber alten Propheten; ed iſt 
icht die Dichterifche Erhebung, fondern es ift die Strenge der 
thre, die dad Gemüth der Menfchen ergreift und das Gefühl 
on felbft vege macht. Eben fo war ed nicht das zukünftige, 
a3 ihm der Herr zu fehauen gegeben hatte, fondern ed war das 
‚genwärtige. Auf der andern Seite aber war ed bad Weſen 
ler Weiſſagung hinzuweifen auf den, der da kommen follte, und 
Ne Vorherſagung ded zukünftigen der alten Propheten follte 
auf feine Beziehung haben, alled andere hingegen, was bie 
ußern Schifffale ded Volkes Gotted betraf, nur als zufällig bes 
achtet werben, und in diefem Sinne des Erlöferd gab es kei⸗ 
en groͤßern Propheten als Johannes, weil der in ſeinen Tagen 
m Meſſias am naͤchſten geſchaut hatte, weil er unmittelbar auf 
ın ald den gegenwärtigen hinweifen konnte. Und fo hatte alfo 
er Erlöfer recht zu bejahen, Johannes aber zu verneinen. Nur 
venn er nicht von jener Vorftelung ausging konnte er fagen, 
a5 ihr erwartet von euren Propheten, werdet ihr in mir nicht 
nden, in eurem Sinn bin ich fein Prophet. Aus dem verfchies 
men Sinn ber fragenden erflärt ed fih auch, daß als fpäter 
er Erlöfer feine Juͤnger fragte, Wer denn bie Leute fagten, daß 
: fei? diefe zur Antwort gaben, Etliche fagen, du feift Johannes 
er Täufer, die andern, bu feift Elias, etliche, du feift Jeremias 
der der Propheten einer *). Aus dieſen Worten fieht man beuts 
ch, daß fie den Erloͤſer nicht für Chriſtum, für den Sohn Got: 


*) Matth. 16, 13. 14. 
O 2 


32 


tes hielten, ſondern nur für einen, ber ihm vorangehen folk 
Es war aber auch die Meinung, daß einer ber alten Prophe: 
wieberfehren würde und von ihm verfündigen, fo tief gegrüxt 
in dem Gefühl von dem Verfall bed Volkes Gottes, das } 
glaubten, neue Propheten könnten nicht aufftchen, der Ami: Ü 
gefchloffen, und die Gabe Gottes werbe Feinem verliehen, es mi 
bee Ddem des Schöpferd einen ber alten Propheten aufs na 
beleben. Daher war der Sinn ber fragenden offenbar ber, ö 
du einer von jenen Alten Dienern Gottes? Und hierauf mı$ 
Johannes nad feinem unmittelbaren Bewußtſein antworten, Ne: 

Wenn fie ihn nun endlich fragten, Wer bift bu ben: 
daß wir Antwort geben denen, bie und gefantt!!: 
ben; Was fagft du von bir felbfl? und er ihnen m 
derte, Ich bin eine Stimme eines Predigers in ti 
Wuͤſte, Richtet ben Weg des Herrn, wie ber Propk: 
Jeſais gefagt hat: wad war bad anders als was bad tie 
thümliche innere Weſen eined Propheten ausmacht, die Etm 
eined Predigerd, an welchen bad Wort bed Herrn ergangen ms 
Richtet den Weg des Herrn, d. h. bereitet euch ihn zu 
fangen, richtet alles ein für feine Ankunft. Das war je N 
Kern aller Weiffagungen, mit prophetifhem Geifte zu verkiünti 
gen, baß ber Herr kommen werde. Was Johannes alſo in! 
nem Sinne verleugnet, bejahet er in dieſem. Indem er 
Stelle aus bem Jeſaias Cap. 40. 8. 3. anführt, wußte a, !} 
er es mit folchen zu thun hatte, welche bie Schrift verfande, 
unb führte daher nur den Anfang jener Stelle an, in ber Ver 
audfezung, daß fie bed folgenden Zuſammenhangs biefer Str 
gebenten würden, Ale Thaͤler follen erhöhet werben, und ci 
Berge und Hügel follen erniebriget werben *). Was heißt N 
anberd ald, Wenn der Gefandte ded Herrn kommen wird, dal 
folte vor feiner Ankunft aller aͤußerliche Unterfchied verihwir 
ben, alles folite geebnet, alles gleich fein vor ihm. 


) Jeſ. 40, 4. 











53 


Und wohl, m. g. Fr., fühlen wir, wie wahr bied if. So 
nge bee Menſch fich felbft noch irgend einen Vorzug beilegt 
feinen Brübem und etwas für fich zu haben meint, wo: 
ach er höher ſteht als die andern, fo iſt er noch nicht gefchikkt 
um Reiche Gottes, und der da kommen follte und jezt gekom⸗ 
en iſt, iſt nicht für ihm gekommen. Sobald auf der anbern 
seite bee Menſch ſich unter feine Brüder erniedrigt glaubt 
arch irgend einen Unterfchieb zwifchen fih und ihnen und ſich 
ef unter diefelben Hält und nicht biefe Tiefe und Niebrigkeit 
dein findet in dem Verderben bed innern Zuftandes, das allen 
emein iſt: fo iſt er auch nicht geſchikkt zum Neiche Gottes, nicht 
'hig Durch den Erlöfer erhoben zu werden, und ber, ber da 
mmern follte und jezt gekommen ift, ift nicht für ihn gefoms 
en. Ale Unterfchiede der Menfchen follen fi) nur beziehen 
uf die Außerlichen Werhältniffe, vor dem Erlöfer aber follen alle 
leich fein. Die aber bier an Johannes, ihn zu fragen, wer er 
i, geſandt waren, die Priefler und Leviten, waren von 
en Pharifäern, die grade am meiften auf gewiſſe Unterfchiebe 
er Menfchen hielten, als feien nur bie für den Kern des Volkes 
zottes zu halten, die des Gefezed und feiner Gefchichte und als 
er menfchlihen Meinungen über baffelbe kundig wären, bie 
brigen aber ald Söhne der Erbe tief unter fich geftelt glaub⸗ 
en und fich ſelbſt eine höhere Würde beilegten. Denen brachte 
r jene heilfame Wahrheit in Erinnerung und Tonnte die Frage, 
ver er fei, nicht beantworten ohne feinen Beruf auszuüben und 
hnen bad Wefen beffelben zu erkennen zu geben in ben Worten, 
Rihtet ben Weg bed Herrn. 

Und dies ift noch jest dad Wort, welches von ben Zeiten 
dohannes des Taͤufers erſchollen ift, das ift ber Grund aller 
driftlichen Lehre. Ale Höhen und Tiefen follen ausgefuͤllt, alles 
ſoll eben und gleich werbeng einer Verderbniß find alle theil: 
haftig geworden, eine Hülfe fol für alle fein; wir ale find 
gleich bebürftig vor ihm, er gleich bereit allen zu helfen, ohne 


54 


Unterfchieb zu fuchen und felig zu machen, was verloren ift, ode 
Ruͤkkſicht auf Verfchiedenheiten und alle gleich zu finden, fo de 
jeber nur etwad fei durch die Gemeinfchaft und bie Gabe ix 
Geiſtes. Dazu find wir berufen. Und infofern wir fo gem 
find, iſt ex derjenige, ber da gekommen ifl und mit Getty 
verbinden, iſt er derjenige, in deſſen Namen wir alle unfer 9x 
finden. Und fo betrachten wir Sohanned den Zäufer als de 
legten Propheten, der den Grund gelegt hat zu dem Reiche & 
te3, welche der Erlöfer allein ſtiften konnte; Johannes konn 
predigen, aber die Kraft feined Worted konnte uns nur Chriüx 
bringen. So ift es aud noch jezt; er muß und erfcheinn ı 
feiner ganzen Herrlichkeit, ehe wir die Kraft feined Geiſtes = 
pfangen können; er muß erft kommen, die Zülle ber Gottheit a 
fich tragend, um alle Menfchen mit fidy felbft innig zu verke 
dem und die Gleichheit unter ihnen herzuftellen, auf welde : 
lein das Rei Gottes fich erbauen Tann. Das ift das mi 
Wort deö Herm geweſen, welches er felbft verkündiget hat, Da 
Reich Gottes ift herbei gelommen *), und es ift dasjenige, bei 
Annahme die erfte Bedingung ifl, wenn uns fein Reid) zu T*= 
werben fol. Wie follten wir nicht alles gering achten, fc: 
wir die Herrlichkeit des Vaters erkennen, der feinen Sohn se 
fendet hat! Wie follten wir nicht jeder in der Tiefe feines Ge 
muͤths fühlen, daß wir alle einen gleichen Anfpruch haben er 
feine Gnade, fobald wir nur die unendliche Zülle biefer Guede 
erkannt haben, aus ber wir alle fchöpfen koͤnnen, und die ale 
auf gleiche Weiſe offen ſteht! 

So laßt uns denn diefen Anfpruch fefthalten und uns im 
mer inniger mit unfern Brüdern verbinden; laßt und alle Ur 
ebenheiten, die ſich noch unter uns finden möchten, je länger ıt 
mehr auögleidhen, damit fo immer herrlicher erbaut werde de 
Reich Gottes, in welches wir durch feine Gnade ſchon eingegen 
gen find. Amen. 


*) Matt. 4, 17. 





V. 
Im 3. Sonntage nad) Trinitatis 1823. 


Text. Joh. 1, 24 — 28. 

Und die geſandt waren, die waren von den Phari⸗ 
fäern, fragten ihn und ſprachen zu ihm, Warum tau⸗ 
feft du denn, fo du nicht Chriftus bift, noch Elias, 
noch ein Prophet? Johannes antwortete ihnen und 
ſprach, Ich taufe mit Waſſer; aber er ift mitten unter 
euch getreten, ben ihr nicht kennet; ber ift es, Der nach 
mir fommen wird, welcder vor mir geweſen ift, deß 
ich nicht werth bin, dag ich feine Schuhriemen auf- 
löfe. Died geſchah zu Bethabara jenfeit des Jordans, 
da Johannes taufte. 


M. a. Fr. Nachdem Johannes der Taͤufer in den Worten, 
die wir neulich mit einander betrachtet haben, uͤber ſich ſelbſt 
und ſeine Perſon denen, welche zu ihm geſandt waren, Antwort 
gegeben hatte: ſo fragten ſie ihn nun, nachdem er ſo beſcheiden 
von ſich ſelbſt geurtheilt und alle Anſpruͤche, als ſei er ſelbſt der⸗ 
jenige, der da kommen ſollte, oder als ſei er ein Prophet und 
ein Geſandter Gottes, von fich abgewieſen — fo fragten fie ihn 








56 


nun, wis es denn alfo dazu komme zu taufen? Denn fle fahen 
darin, wenn gleich nicht genau unterrichtet von ber Abficht bes 
Sohannes, doc auf jeden Fall in dem Gebiete bed gotteöbienik 
lichen Lebens und ber gemeinfamen Andacht eine Neuerung und 
fragten ihn alfo nad dem Mecht, welches er dazu zu haben 
‚glaube. Dazu hatten fie ein Recht, weil ihnen die beflimmte 
Aufficht gebührte über alle Angelegenheiten diefer Art. Johan⸗ 
ned giebt ihnen aber darüber Feine beflimmte Auskunft, er Läft 
fi) nicht darauf ein fein Recht darzulegen oder zu vertheidigen, 
fondern überläßt ihnen ganz und gar bad eigne Urtheil darüber 
und begnügt fi nur damit — benn bad iſt ber naͤchſte Siam 
feines Antwort — fein Geſchaͤft, daß er taufe, barzuflellen als 
ein geringes und ald ein ſolches, bad nit lange bauera 
werde, 

Denn wenn er fagt, Sch taufe mit Waffer, aber er 
if mittenunter euch getreten, ben ihr nicht fennet, nun 
fo verſteht man darunter von felbft, ohne daß er es fagt, denje 
nigen, der auf eine andre Weiſe taufen werde; wie er fich denn 
fpäter von Ehrifto fo erklärt, Das ift der, welcher mit dem heili⸗ 
gen Geift tauft ). Was er nun fpäter wirklich gefagt, Das hut 
ex bei dieſer Gelegenheit wirflih im Sinne gehabt und fagen 
wollen, Derjenige aber ift mitten unter euch getreten, 
wiewol ihr ihn nicht Tennet, der mit dem heiligen 
Geiſt tauft. 

Die follen wir nun biefen erften Theil ber Antwort bes I 
bannes verftehen, wenn er fagt, er taufe mit Waffer, ba doch 
wir auch mit Waller taufen und durch die Taufe aufgenommen 
werben in bie Gemeinfchaft Chrifti, und da auf der andern Seite 
bie Worte des Johannes, dag Chriftus mit dem heiligen Geift 
taufen werde, von biefem felbfl, wie und Lukas in ber Apoſtel 
geſchichte ) berichtet, angewendet werben auf die Ausgiegung 


Matth. 8, it. “) Apoſtelgeſ. 1, 6. 


57 


des heiligen Geifles als auf bie eigentliche Taufe mit dem Geift, 
von welcher Johannes bes Täufer gefagt habe? 

Wir müffen bier nun zuerft bebenfen, daß ald Chriftus felbft, 
oder vielmehr nicht er, ſondern feine Jünger tauften, zu ber 
Zeit, da er noch lebte, und ba Johannes felbft auch noch taufte, 
Der Zünger Zaufe auch nur bie Kaufe bed Wafferd wars; def 
aber, fobald der heilige Geift über die Jünger ded Herrn audges 
goffen war, eine Verbindung flatt fand zwifchen der Taufe und 
der Mittheilung des göttlichen Geifles, wovon fi) die Spuren 
Durch das ganze neue Teſtament hindurchziehen, und woran ber - 
Glaube feft und unerfchütterlich in der chriftlichen Kirche geblies 
ben if. Wenn bie Jünger bed Herrn Urfache hatten zu glaus 
ben, daß ber heilige Geift wirkſam fei in den Seelen der Mens 
ſchen: fo eilten fie, die Ausgießung beffelben über fie mit ber 
Baffertaufe zu verbinden; fo wie auf der andern Seite, wenn 
fie Muth hatten und Freudigkeit, die Menfchen durch die Taufe 
in bie Gemeinfchaft des Chriftenthums aufzunehmen, fo regte fich 
auch der heilige Geift in denen und war gefchäftig und wirk⸗ 
fam durd) diejenigen, welche fie getauft hatten. 

Was ift nun der Unterfchied zwifchen diefer Waſſertaufe des 
Sohannes und zwifchen ber Zaufe, wo der heilige Geift fich mit 
dem Waffer verbindet? Die Kaufe des Johannes fland auf ge 
wiſſe Weife zwifchen bem Gefez und dem Evangelium. Ron 
bem Gefez fagt die Schrift, dag durch dafjelbe nur die Erkennt 
niß der Sünde kommt *). Die Taufe des Zohannes, indem fie 
eine Zaufe zur Buße war, fo war auch in berfelben anfchaubar 
bie Erfenntniß der Sünde; denn ohne dieſe ift feine Buße. Aber 
außerdem, daß fie die Erkenntnig der Sünde war, war fie aud) 
bie Erkenntniß des Meiches Gottes; denn beöwegen forberte er 
bie Menfchen auf Buße zu thun, weil dad Reich Gottes nahe 
berbeigefommen fei **), dadurch, daß fie in fich felbft bekannten 


7 am, 8, 30. ) Maik, 8 % 


68 


und glaubten und durch Ihn überzeugt wären, daß jeder, der in 
bad Reich Gotted eingehen wolle, Buße thun müffe. Aber ber 
Eingang in das Reich Gottes war bie Kaufe bed Iohannes noch 
nicht. Und ald unfer Herr feine Zünger taufen lieg mit Waf- 
fer, fo lange er lebte, fo war diefe Taufe in nichts verfchieben 
von ber Taufe bed Sohannes, feitbem biefer mit ber Verkuͤndi⸗ 
gung, daß ba3 Reich Gotted nahe herbeigelommen fei, auc bie 
beflimmte Hinweifung auf Jeſum von Nazareth, ald den, ber Du 
kommen follte, verband. Denn der Eingang in dad Reich Got: 
ted war jene Zaufe noch nicht, weil dieſes nur ift in einer be 
flimmten Gemeinfhaft derer, die durch die Einheit des Geiſtes 
und bes Glaubens verbunden find. Johannes aber fliftete Feine 
Gemeinfchaft, und ber Erlöfer, fo lange er lebte, fliftete auch 
feine fo beſtimmte Gemeinſchaft, wie hernach feine Zünger mit: 
telft der Ausgießung des Geiſtes ſich unter einander verbanden, 
welches erſt das feftflehende Meich Gottes war, von welchem ver 
Herr fagt, daß die Pforten ber Hölle es nicht überwältigen ſol⸗ 
‚ Im *). Es wäre auch vergebens gemefen, wenn ber Herr feibkt 
hätte die Menfchen zu einer folchen Gemeinfchaft verbinden wol 
ten, ohne daß fie noch den eigenthümlichen Geift derfelben em 
pfangen hatten. Denn jede Verbindung ber Menſchen unter 
einander iſt nur etwas tobted und ein leerer Schein, wenn jıe 
nicht auf einem gemeinfamen Geift ruht, ber alle belebt, welche 
zu berfelben gehören, und fie zu einem ganzen macht. Run abe 
folte der Geift Gottes erft auögegoffen werben, wenn er von 
ber Erde erhöht fein würde, und fo fügt er ſelbſt, wenn er nidı 
binginge zum Water, fo kaͤme der Zröfter nicht”). Und ſo waͤre 
ed vergeblich geweſen, wenn er ſchon während feiner Lebenszeit 
bie, welche an ihn glaubten, zu einer folchen beflimmten Gemein: | 
fhaft verbunden hätte. Aber ed war auch feiner Weisheit nict 
gemäß. Denn wenn er noch auf Erden wandelte, fo hätten die 


) Matth. 16, 18. ) 308, 16, 7. 


59 


Menfchen, die an ihn glaubten und ſich zu einer foldyen Gemein; 
ſchaft verbanden, doch für ſich nicht ficher fein koͤnnen, wie viel 
an ihrem Glauben jene verkehrte Worftellung, bie unter bem jüs 
bifchen Bolt fo weit verbreitet war, dag bad Reich Gottes, wel 
ches nun gefliftet werben follte, auch ein Außerlicheö fein folle, 
wie der erfte Bund, ben Gott mit feinem Wolfe gemacht, ein 
folched hervorgebracht hatte, wie viel diefe Vorſtellung an ihrem 
Glauben und an ihrer Bereitwilligkeit in bie Gemeinfchaft mit 
Chriſto einzugehen Antheil gehabt hätte. Auf einem fo unreinen 
Grunde aber wollte der Herr und konnte er feine Gemeine nicht er 
bauen; daher Fonnte auch benen, die an ihn glaubten, eine folche 
Semeinfchaft, ein ganzes des Glaubens und ber Liebe, erſt werben, 
nachdem nad) feiner Entfernung von der Erde alle Möglichkeit 
einer Außerlihen Verbindung und ber Geftaltung eined Außern 
Reiches Gottes verfchwunden war, und bie, welche an ihn glaub: 
ten, an nichtö anderes ald an feine geiftige Kraft, an die Macht, 
bie ihm im Himmel und auf Erben verliehen iſt, und mit wels 
cher er, das geiflige Haupt, vom Himmel herab feinen Leib auf 
Erden regiert, gewiefen waren. Und in dieſer Hinſicht fagt Jo⸗ 
hanned mit Recht, feine Taufe mit Waſſer fei etwas geringes 
gegen jene Taufe mit bem heiligen Geiſt, weil fie die Menfchen 
nicht zu einer beflimmten Gemeinfchaft verbände, in welcher ein 
neues Leben entflände und eine neue geiftige Kraft über fie käme; 
fondern feine Taufe war ein Zeichen von ben Wirkungen, weldye 
feine Predigt in einzelnen Seelen hervorgebracht hatte, etwas 
woran biefe fich felbft erinnern, und mas fie fefthalten konnten, 
in der Ueberzeugung, die dadurch in jebem begründet war, daß 
seiner in dad Reich Gotted kommen könne, es fei denn, baß er 
‘einen Sinn Andere und Buße thue. 

Das zweite, was Johannes durch bie Antwort zu erkennen 
ziebt, ift dies, daß fein Gefchäft, wie ed ein geringfügiges 
ei, auch ein nicht lange bauerndes fei. Denn daß Liegt 
rn feinen Worten, Ich taufe mit Waffer, aber er if mit 


60 


ten unter euch getreten, der mit dem heiligen Geif 
tauftz als ob er ihnen fagen wollte: es lohnt eudy nicht der 
Mühe eine folche Unterfuchung , wie ihr gern wolt, anzuſtellen 
über etwas, was fo geringfügig und unbedeutend iſt und fo bald 
vorübergehend, da ihr ohne dies bald werdet Urſache haben und 
bie Verpflichtung loͤſen müffen, eine Unterfuchung anzuflellen über 
das, was fchon unter euch ift, und euch daburch der Verant 
wortlichfeit für die Seelen des Volks, die ber Herr euch aufge 
legt hat, zu entledigen. 

War denn aber die Taufe Zohanned, wenn wir fie in ih 
ser ganzen Wirkung betrachten, in ber That etwad vorübergehen 
bes? — Bir werben eö bald fehen, m. g. Fr., wie, wenn Jo 
hannes nun benen, bie ihn am meiften liebten und ehrten und 
ihn am beften verflanden hatten, Sefum zeigt ald ben, ber da 
gekommen fei mit dem Geift zu taufen, wie fie da bald ihren 
alten Lehrer verliegen unb fich zu ihm wandten; und infofem 
war freilich feine Taufe etwas bald vorübergehenbeö, denn es 
war von einer eigenen Schule bed Johannes und von eigenen 
Schülern und Anhängern deffelben wenig mehr die Rebe, ſobald 
nad) der Himmelfahrt ded Herrn und nad) der Ausgießung be 
Geiſtes ſich die Schaar feiner Zünger in dad Band ber Gemeint 
fammelte. 

Aber wenn wir auf ber andern Seite betrachten, was bod 
die Taufe bed Johannes bewirkt hat: fo müfjen wir fagen, fie 
if in ihren Wirkungen nicht etwas fo kurze Zeit dauerndes und 
fo fchnell vorübergehende. Denn wenn bie Gemeine bed Herm 
diejenige Geſtalt bekommen follte, die ihr beflimmt war, und bie 
jenige Ausbreitung über verfchiedene Voͤlker der Erde, die fie 
bald erlangen mußte, um feft zu ftehen und begründet zu fein: 
fo mußte jened Borurtheil überwunden werben, bad unter einem 
großen Theile des jüdifchen Volks, aus welchen eben bie erfim 
Anhänges unfred Erlöferd flammten, fo weit verbreitet war, baf 
nämlich auch, wenn das Evangelium dad Licht ber Heiden fein 


61 


ſollte, und bie Heben fi) zu biefem Lichte fammeln follten, fie 
doch erft müßten in bad Volk Gotted aufgenommen werden und 
das Geſez beffelben mit übernehmen und fich zu bemfelben 
verpflichten, ehe ihnen an biefem himmlifchen Lichte ein Antheil 
tönne gegeben werden — biefed Vorurtheil mußte überwunden 
werben; und wir fehen aus der Gefchichte der Apoſtel und aus 
den Briefen derfelben, wie viel fie damit zu kaͤmpfen hatten wäh» 
rend der Zeit ihres Lehramtd, und wie eben dies ein großer Theil 
von bem Verdienſt bed Apoſtels Paulus if, der zuerfl die Ges 
meinen aud ben Heiden gegründet hat, daß er nicht abließ und 
nicht müde wurbe in biefem Kampfe, und nicht aufhörte über 
dieſes Vorurtheil zu reden, bis die erfle Gemeine ber Chriften 
erfannt hatte, daß denjenigen, welche aus den Heiden gläubig 
würden, das ſchwere Zoch bed Geſezes, welches ihre eigenen Vaͤ⸗ 
ter nicht hätten tragen koͤnnen, auch nicht brauche aufgelegt zu 
werben. Dazu aber eben bat Sohanned ber Täufer am beſten 
Das Wolf vorbereitet. Denn genau zufammenhangend mit jenem 
Vorurtheil war auch ein anbered, bag nämlich jeder, der zu dem 
Volke ded Herrn, zu den Nachkommen Abrahamd dem Fleifche 
nach gehöre, ſchon dadurch für fich ein Recht habe in das Reich 
Gottes aufgenommen zu werden und an allen Wohlthaten und 
Segnungen beffelben Theil zu nehmen. Diefed erſchuͤtterte er, 
indem er feinen Landöleuten und Volksgenoſſen fagte, daß Gott 
dem Abraham auch aus den Steinen der Erbe Kinder erwekken 
Tonne, indem er ihnen fagte, bie Art fei dem Baume fchon an 
die Wurzel gelegt, und wenn jie nicht umkehrten und rechtichaffne 
Früchte der Buße thäten, fo würden fie abgehauen werben, ehe 
noch das Reich Sotted feinen Anfang nähme *); und alle, bie 
fi taufen Liegen von ihm, erfannten biefe Nothwendigfeit an, 
daß die Geburt felbft und alles was damit zufammenhängt Fein 
Anrecht gebe und Fein Antheil am Reiche Gottes, fondern dag 


°) Matth. B, 8—10, 


62 


der erfte und für alle ohne Unterfchteb berfelbe Grund eine Xen: 
derung ded Sinned fei und eine tiefe Erfenntniß ber Sünde. 
So ift es alfo mit diefem Theile der Antwort des Johan⸗ 
nes fo befchaffen wie mit dem, den wir neulich mit einander bes 
trachtet haben. Er hat freilich Recht in allem, was er befcheiben 
von fich felbft fagt. Wir aber, bie wir den ganzen Zuſaumen⸗ 
bang ber Dinge überfchauen können, müffen ihm boch mehr zı» 
ſchreiben, als er fich felbft zugefchrieben hat. Darin bat er freis 
lih Recht, daß feine Zaufe mit Waffer nicht die Kraft hatte, den 
einzelnen Menſchen einen wirklichen Antheil zu geben an ber 
Gemeinſchaft, die er ſelbſt noch nicht fliften konnte und jollte, 
und wozu ber Geift erfi audgegoffen werden follte, wenn ter 
Here felbft feinen irdifchen Wirkungskreis würde vollendet und 
das Ziel feines Lebens erreicht haben. Er hat auch darin Recht, 
bag feine Zaufe als fein Werk und fein Geſchaͤft während feines 
Öffentlichen Leben bald vorübergehen werde. Aber welchen Ein: 
flug fie gehabt hat auf die ganze Bildung des Reiches Gottes 
und auf das fchnelle Wachsthum deffelben unter vielen Voͤlkern, 
bad koͤnnen wir, die wir die Vergangenheit, welche ihm noch Zu: 
kunft wer, vor und haben, allerbingd beffer überfehen als er. 
Wenn er nun, m. g. Fr., denen, bie zu ihm gefandt wa: 
ren, den Erlöfer bezeichnet in den Worten, Er iſt mitten un 
ter euch getreten, den ihr nicht Fennet; der iſt es, der 
nah mirfommen wird, welder vor mir gewefen ift, 
beg ich nicht werth bin, bag ih feine Schuhriemen 
auflöfe: fo war dies gewiß denen, welche ihn anhörten, dun⸗ 
fel, ja wir können e3 nicht Iäugnen, diefe Worte find audy und 
bunfel. Denn wir haben freilich bie Erkenntniß von dem gött: 
lichen in dem Erldfer und von dem menfhlichen in ihm; und 
wenn wirdie Worte lefen, Der ift ed, der vor mir gewefen 
if, welher nah mir fommen wirb: fo find wir gar fehr 
geneigt eben an biefe Verſchiedenheit und gleichſam Zwiefältigkeit 
in bem Weſen des Erlöfers zu denken. Wenn wir es aber ge 


63 


nau überlegen, fo müffen wir fagen: fah Johannes auf das 
göttliche in dem Erlöfer, welches freilich vor ihm gemwefen war, 
fo konnte er von bemfelben nicht fagen, daß ed nah ihm Toms 
men werde; fah er aber auf dad menfchliche in dem Erlöfer, fo 
mußte er von biefem zwar geftehen, daß es nad) ihm kommen 
werde — denn erft nach ihm trat der Erlöfer in feinem menſch⸗ 
lichen Beruf Öffentlich auf — aber von diefem konnte er auch 
nicht fagen, daß ed vor ihm gewelen fei. Aber überbied wiſſen 
wir ja gar nicht, wie weit Johannes der Täufer in dad Ges 
heimniß ber Perfon Jeſu eingeweiht, und wie viel ihm davon 
offenbar war. Und wenn wir bedenfen, wie dieſes Anerfennen 
des göttlichen in dem Erlöfer eigentlich in einem jeden die Sache 
feiner eigenen Erfahrung fein muß, indem er weiß und fühlt, 
daß die Wirkung, welche ber Herr in feiner Seele hervorgebracht, 
von nichts geringerm ald von der Fülle der Gottheit in ihm 
ausgehen kann; wenn wir bedenken, wie der Erlöfer felbft von 
Sohanned dem Zäufer fagt, daß, wenn er gleich ber größte fei 
im alten Bunde, doch der Pleinfte im Reiche Gotted größer fei 
als er ”): fo müffen wir geflehen, wir können nicht wiſſen und 
haben feine gegründete und beftimmte Urfach zu vermuthen, daß 
Johannes felbft fo ganz in das Werhältnig des göttlichen zum 
menfhlihen in Chrifto eingeweiht war, wie er e3 fein mußte, 
wenn feine Worte genau verflanden werben folten. Aber über: 
died wäre ed nicht zur Sache gehörig geweſen, wenn in biefer 
Antwort Johannes auf eine Erläuterung von dem Verhaͤltniß 
des göttlichen und menfchlichen in der Perfon Chrifti fich hätte 
einlaffen wollen; fondern wie die Frage nur war von feinem 
Recht zu taufen, und er dieſes nur barftellen wollte ald etwas 
untergeorbneted und geringfügige im Wergleich mit bem, was 
von viel größerem Werth war: fo muß fi auch diefer Theil 
feiner Antwort auf den Gegenftand der Frage bezogen haben; 





*) Matth. 11, 11. 


64 


unb in biefer Hinficht Binnen wir bie Worte bed Taͤuferß wel 
nicht anders verfichen als fo, baß er meint, bad Recht des Mm 
Löferd, dad fei ein viel älteres, aber erſt fpäter würbe er anfım 
gen daſſelbe geltenb zu machen und aufflehen, um es auszuüben. 
Er fei zwar ſchon unter fie getreten, ben fie nicht kenneten; abe 
Doch würden fie durch feine eigene Taufe auf biefes uralte Redt, 
auf welchem alle Verheißungen bed alten Bundes ruheten, und 
auf welches fie alle hinzielten, hingewiefen, und erft nad ihm 
werbe derjenige auftreten, ber dieſes uralte Recht geltend ma 
chen fol. 

Indem nun aber Johannes, der Evangelift, hinzufügt, Sol 
ches geihah zu Bethabara jenfeit bes Jordans, ba 
Johannes taufte: fo fehen wir, welchen Nachdrukk er tw 
rauf legt, und, um bie Thatſache dadurch zu beglaubigen, 
den Ort, wo es geſchehen war, ausdruͤkklich namhaft madı, 
daß Johannes ein ſolches Zeugniß ablegte, um diejenigen, weld« 


von Seiten des jüdifchen hohen Rathed an ihm gefanbt war 


fhon zur Zeit barauf aufmerffam zu machen, wie ihnen bad 


würde zuſtehen und die Verpflichtung aufgelegt fein zu unter 


fuchen, ob derjenige, der unter fie getreten fei, und ber fih fi 
den Gefandten Gottes auögeben werbe, es auch wirklich fü 
oder nicht. 

Aber laßt und, m. g. Fr., noch einen Augenblikk fick 
bleiben bei diefer Antwort Johannes des Taͤufers, wie er m 


fein ganzes Wert und feinen Beruf nur ald etwas fo geringe 


giges und vorübergehende anfah und fich felbft fo niebrig ftelt 
gegen den, der da kommen follte, daß er fagt, er fei nid! 


werth ibm bie Schuhriemen aufzulöfen, d. h., ihm Di | 


Dienfte zu leiften, die nur Knechte ihrem Herm oder Schuͤlet 
ihrem Lehrer Teifleten; ob wir wol dabei im geringflen merken, 
daß ihm dies gebemüthigt und gebeugt habe, oder ob nicht vie 
mehr bie garze Antwort bad (Gepräge einer großen Freudigkeit 
des Herzens und einer innern Zufriebenheit mit feinem Beruf 


65 


usdruͤkkft. Damit flimmen feine fpätern Worte überein, in wels 
ven er, fern von allem niebrigen Neide und von aller Eleinlichen 
ritelfeit, ſich fo auöbrüfft, wie er abnehmen müffe und ber Herr 
unehmen *). 

Auch wir, m. g. Fr., haben jeder unfern Beruf in Beie 
ung auf bad Reich Gottes. Wir Finnen nicht umhin ihn an» 
uerfennen als etwas geringfügiges und unbedeutenbes, 
nn wir ihn anfehen in Beziehung auf dasjenige, was jeder 
inzelne thut. Ja auch die, welche die erften Helden des Glau⸗ 
end und bie erfien Verkuͤndiger des Evangeliums gemwefen find, 
onnten nicht anders, wenn fie fich mit Chrifto dem Herm und 
Reifter verglichen, ald fo, wie bier Johannes e3 thut, von ihrer 
Virkſamkeit urtheilen. Und fo müffen wir, wenn wir auf dies 
er Seite ſtehen bleiben, wiewol alles, was von Gott georbnet 
R und feinem heiligen Willen gemäß, nicht vergeblich ift und 
erganglich, fondern feine nothwendige Wirkung ausübet, fo 
nüffen wir boch fagen jeder von feiner Wirkfamkeit auf Erben, 
aß fie fei eine nur kurze Zeit dauernde und ſchnell vorüberge: 
ende; ewig ift Feine andere ald bad Werk defien, der von oben 
ſekommen iſt; was jeber einzelne thut, geht bald vorüber 
ınd ift etwas untergeordneted und geringes, weil auf dad un: 
olllommene ein vollkommneres folgen fol. Aber eben fo freus 
ig follen wir fein in dieſer unfrer Arbeit, wie Johannes es war, 
ind nie darf dad Gefühl der Unvollfommenheit und Unzuläng» 
ichfeit deffen, was wir im Reiche Gottes thun können, uns zu 
rgend einer Bernachläßtgung deſſen gereichen, was der Herr und 
wmfgetragen bat. 

Auch Johannes überfah den Zufammenhang nicht, ben feine 
Taufe mit Waſſer hatte mit der Taufe des Heren, welche bie 
Menfchen in die Fülle des Geifted untergetaucht hat, damit fie 
mit bemfelben von jenem erfüllt würben; er überfah biefen Zus 


*) Joh. 8, 80. 
Hom. üb. Ev. Ich, L E 


66 


fammenhang nicht, aber doch erkannte er fein Werk und fd 
felbft für etwas geringes; gering aber war es in fo fem, als t 
nur eine Hindeutung war auf dad Werf, deffen, der nad, ibn 
kommen folte. Wir haben nun feinen, der nah und lomma 
fol, fondern der eine, ber über und allen ift, iſt auch vor un 
alten gewefen. Wir felbft geniegen die Früchte feines Berti 
nicht nur feine unmittelbaren, fondern auch bed großen geilfiga 
Werks, daß, nachdem er hingegangen war, der Geift gelomm 
if, mit welchem er uns und vor und alle gläubigen getauit ii 
Unfer Dienft, ben wir ihm unferm Herrn und Meifter lafa 
koͤnnen, ift ein Heiner und fchnell vorübergehender, aber doch ĩ 
er dad größte, wad ber Menſch thun kann, und alles übrige 
was und in der Welt zu verrichten obliegt, ift doch nichts, wei 
wir ed vergleihen mit dem fei ed auch geringen unb unbe 
tenden, was wir für dad Reich Gottes thun können. Dis d 
da3 einzige, was unfer Herz zufrieden ſtellt und unfern Gls 
ben befefligt gegen jeden Zweifel, ber in dem verzagten mais 
lichen Herzen wieder auffleigen möchte. 

° Aber fo wie in dieſer Antwort des Johannes, wie wir ai 
den Worten bed Evangeliften felbft erkennen, eben bies iha 
ald das hoͤchſte erſchien, baß er ein Zeugniß ablegte von te 
Erloͤſer: fo auch iſt für und alle, wie unbedeutend es auch fa 
was wir für dad Reich Gotted und in bdemfelben thum koͤnnc 
died dad größte, wenn wir ein aufrichtiges Zeugniß von da 
Erlöfer ablegen, wenn wir fein Recht, welches er ſich an da 
Menfchen erworben hat, ald ein ewige, das vor aller Zeit # 
wefen ifl, verfündigen, wenn wir alle unvolllommene, wie m 
eö ja immer nur leiften fönnen, und den ganzen Zuſtand de 
Reiches Gottes in unfern Zagen immer vergleichen mit DM 
was nach und kommen wird. Denn das gehört zur Zreudigkd 
unfer8 Glaubens, daß wir willen, dad Reich Gottes wird M 
von einer Zeit zur andern immer fchöner erbauen; der Geil &* 
tes, ber in bemfelben waltet, wird immer mehr aus der Fuͤb 


Rz 


67 


es Herm nehmen und es ihm verklaͤren; die Gemeine bed Herrn 
sirb auch in ihrer aͤußern Erſcheinung immer ähnlicher werden 
Ihrifto ihrem Haupte, der fie vom Himmel herab mit feiner gei⸗ 
iigen Kraft regiert, und fo wirb bie Gemeine ber Chriften im⸗ 
ser näher Fommen der Vollkommenheit bed männlichen Alters 
hriſti ſelbſt. 

Solches Zeugniß von der unerſchoͤpflichen Quelle der Voll⸗ 
ommenheit Chriſti, ſolches Zeugniß von ſeinem ewigen Recht an 
as ganze Gebiet der menſchlichen Natur abzulegen durch Worte 
nd That und durch alles, was wir in feinem Reiche thun koͤn⸗ 
en, indem wir und mit allen Kräften, welche Gott uns verlie- 
en hat, dem Dienfte deffelben ganz weihen, ſolches Zeugniß ab: 
ulegen, das ift das größte, wad wir thun koͤnnen; baburch lei⸗ 
en wir ihm den Dienft, den er ein Recht hat von und zu fors 
em, und dadurch werben wir unfere eigene Seele immer mehr 
erflären, wie wir. dad fühlen aus den Worten ded Johannes, 
aß er ſelbſt erſt verflärt war und ganz zufrieden geftellt, als 
hm der erfchienen war, den er verfündigt hatte. So auch je 
nehr ſich der Geift Gottes in unferer Seele verklärt, deſto mehr 
üblen wir unfere eigene Seligkeit und erwerben und bad Ver: 
rauen, dag wir den Beruf, in welchen Gott und geftellt hat, 
füllen. So wie num jenes geichah als Johannes taufte, fo 
nöge bied gefchehen überall, wo der Name ded Herrn verfünbigt 
vird, und jeder, die Wohlthaten feiner Erloͤſung genießend, ein 
ben fo freubiges Zeugniß von ihm ablegen, wie berjenige that, 
Rt dor ihm berging. Amen. 


€ 2 


VI. 
Am 5. Sonntage nad) Trinitatis 1823, 


Tert. Joh. 1, 29 — 34, 

Des andern Tages fichet Johannes Jeſum zu ihm 
kommen und fpriht, Siehe, das iſt Gottes Lamm, 
welche® der Welt Sünde trägt. Diefer iſt es, von 
dem ich gefagt habe, Nach mir kommt ein Mann, wel: 
cher vor mir gewefen ift, denn er war eher denn ich. 
Und ich Fannte ihn nicht; fondern auf daß er offenbar 
würde in Israel, darum bin ich gekommen zu taufen 
mit Waſſer. Und Johannes zeugte und fprach, Ich 
ſah, daß ber Geift herabfuhr wie eine Zaube vom 
Himmel und blieb auf ihm. Und ich Tannte ihn 
nicht, aber der mich fandte zu taufen mit Waffer, der 
felbige fprach zu mir, Ueber welchen du fehen wirft 
ben Geift herabfahren und auf ihm bleiben, berfelbige 
ift e8, der mit dem heiligen Geift tauft. Und ich fah 
ed und zeugte, daß diefer ift Gottes Sohn. 


M. a. dr. Das iſt das zweite Zeugniß, welches Iohannes der 
Täufer ablegt von Jeſu von Nazareth, bad erfte aber, worin er 


69 


ihn wirklich nennt und perfönlidy bezeichnet. Das frühere hatte 
er abgelegt denen, bie zu ihm gefandt waren von bem hohen 
Rath von Serufalem, um auf der einen Seite eine falfche Schaͤ⸗ 
zung feiner felbft zu vermeiden, auf ber andern aber fie auf ben 
Inhalt der Botichaft, mit welcher Gott ihn beauftragt hatte, ſo 
viel ed in feinen Kräften fland aufmerffam zu machen, und ib: 
nen benfelben ans Herz zu legen. Damals hatte er Sefum fchon 
getauft und wußte, wie wir aus unferm heutigen Zerte fehen, 
Daß er es fei, von welchem er zeugen follte; aber er war damals 
nicht zugegen, und fo nannte ihn Sohanned auch nicht; des 
andern Tages aber, wie unfer Xert erzählt, fieht er ihn 
zu fih Fommen, und ba legt er nun biefed Zeugniß ab. In⸗ 
bem nun bie verlefenen Worte theild das Zeugniß des Jo: 
hannes felbft enthalten, theild aber auch und das bemerklich 
machen, worauf ed beruht: fo ift e& billig, daß wir mit dem 
Leztern anfangen, um und baburd) dad erftere deflo deutlicher 
und verfländlicher zu machen. 

Wir wiflen aus den Erzählungen anderer Evangeliften, baß 
Sohanned, der Sohn bed Zacharias, in der Wüfte war *); und 
da geichah das Wort ded Herrn zu ihm, er folle hingehen und 
allem Volke prebigen, daß fie Buße thäten, weil das Reich Got: 
tes nahe herbei gekommen fei **). Dad war alfo der Inhalt 
de3 Auftrages, den Gott ihm gab, und ben er von Stunde an 
erfüllte. Nun wußte er auch. aus den Stimmen der alten Pro: 
pheten und aus der Art, wie dieſe fchon feit langer Zeit von 
allen verftändigen unter dem Volke waren ausgelegt worden, 
daß das Reich Gottes geftiftet werden follte durch einen befon- 
‚dern Gefandten Gottes. Wie nun aber der Auftrag Buße zu 
thun, weil dad Reich Gotted nahe herbei gefommen war, an bad 
damals lebende Geſchlecht follte gerichtet fein: fo mußte baraus 
dem Sohanned von felbfl hervorgehen, daß noch unter bem da⸗ 





) Marl, 1, 4. u 3, 1 





. . 
mals lebenden Geſchlecht diefer Geſandte Gottes, ber das Bieidh 
Gottes begründen follte, auftreten werde. Das alfo wußte e 
aus dem Inhalt des Wortes Gottes, weldyed an ihn ergangeı 
war; wer eb aber fei, dad wußte er nicht; denn er fagt es 
in biefer Rechenfchaft, die er von bem ganzen Sergang feine: 
Ueberzeugung feinen Juͤngern, zu welchen ex rebet, giebt, 34 
tannte ihn nit, aber bamit er offenbar würde 
in Zörael, barum bin ih gelommen zu taufen mit 
Waſſer. 
Dieſe beſtimmte Erwartung, daß noch unter dem damaliges 
Geſchlecht der Erloͤſer auftreten ſollte, mit dieſer Unbekanmtſchan 
in Abſicht auf feine Perſon, erinnert und an jenen alten Dienc. 
Gottes, der zuerft den Exlöfer bei feiner Darftellung im Xemr 
bewilllommnete. Diefer war au, wie viele fromme in Iörae 
bamaliger Zeit, voll von der Erwartung, daß bie Tage der Be: 
beigung fommen, und daß bald ber Gefandte Gotted erſcheinen 
werde, der die Welt erlöfen würde und bad Volk zu feiner ur 
fprünglihen Beflimmung wiederbringen. In biefer Ueber 
gung hatte er fich erbeten von dem Herm, er möge ihn mi: 
eber fterben laſſen. bis er feinen Gefandten gefehen habe; um: 
barüber war ihm ein Zeichen geworben von Gott, deffen Ertü 
lung er in bem Augenblift inne ward, als Maria mit Ioiest 
fam und mit dem Kinde, um ed in dem Tempel ded Her: 
barzuftellen, und bie Dankſagungsgabe für baflelbe zu reichen‘. 
Eben fo hatte Johannes, wilfend, dag der Exlöfer, wie er unter 
bem damaligen Gefchlecht aufflehen follte, lehrenb und das Rad 
Gottes fliftend, ſchon da fein müffe, auf eben biefe Weiſe hatt 
auch er Gott gebeten, ihm body den zu zeigen, auf den er bin 
weifen folle; und da hatte ihm Gott gefagt, Derjenige, übe: 
den du fehen wirft den Geiſt Sotted herabfahren un! 
auf ihm bleiben, derfelbige iſt ed, der mit bem heili. 





) Luk. 2, 25 fgb. 


71 


en Geeiſt tauft. Hier war alſo dem Johannes auf der ei: 
en Seite bad Gefchäft Chriſti auf eine eigenthümliche Weile be 
hrieben, nämlid er fei ber, ber mit dem heiligen Geiſt 
auft, auf der andern Seite aber war ihm bad Kennzeichen 
eſſen gegeben, ber dies Gefchäft üben werde, nämlich es fei eben 
er, auf welchem er fehen werde den Geifl, nachdem er auf 
hin Herabgefahren fei, beffändig bleiben. 

Diele Beichreibung von dem Gefchäft des Erlöfers, m. g. 
jr., weifet und nun auf den Gefammtzufland ber Chriftenheit, 
ie durch ihn geworben ift, hin; die göttliche Verheißung knuͤpft 
ich hier gleich an dasjenige an, worauf das ganze Beſtehen des 
keiches Gottes, welches eben der Erlöfer ſtiften ſollte, beruht. 
Denn, m. g. Fr., was waͤre es anders als eine Lehre, wie eben 
ede andere menſchliche Lehre auch iſt, ihre Vollkommenheit abs 
jerechnet, was wäre ſelbſt fein Verdienſt, welches er ſich lebend 
ind ſterbend um das menſchliche Geſchlecht erworben hat, wenn 
x die Menſchen zwar von der Strafe der Sünde und von ber 
Derrfchaft der Sünde durch daffelbe befreit hätte, aber er hätte 
te nicht getauft mit dem heiligen Geiſt? Wenig Unterfchieb 
wäre dann zwifchen dem Evangelio und dem Gefez. Aus dem 
Geſez Eommt die Erkenntniß der Sünde, aber die Kraft die Sünde 
u vermeiden kann ed dem Menfchen nicht geben. Durch den 
Erlöfer wäre dann gekommen die Vergebung der Sünde und die 
Befreiung aus der Knechtfchaft der Sünde; aber hätte und ber 
Herr nicht mit dem heiligen Geift getauft: fo wäre doch bie 
Kraft zu einem göttlichen Leben, welches in der That eind ift 
mit dem feinigen und aus dem feinigen abflammt, nicht in uns 
entftanden, und feine Lehre ſowol als fein Leiden und fein Tod 
hatte doch den eigentlichen und lezten Zwekk Gotted mit dem 
menſchlichen Sefchlechte nicht erreicht; denn ber iſt das göttliche 
Leben ber Menſchen. Darum bezeichnet nun auch die göttliche 
Stimme, um der Seele ded Johannes, fo weit es zu feinem Bes 
ruf nötbig war, fo weit ald es ihm auf der Stufe, bie ihm in 


72 


biefem Leben möglich geweſen zu erreichen, nuͤzlich fein Tommtı 
und zwekkmaͤßig, den Erlöfer zu bezeichnen, barum bezeichnet Tu 
ihm den Erlöfer ald denjenigen, der mit dem heiligen Seit 
taufen werde; und wie er bemüthig von fi ſelbſt fagt, a 
fei nur gelommen mit Waſſer zu taufen, unb bamit begescheez 
will das in fich felbft unzulänglicye feines Geſchaͤfts: fo beichreikt 
bie göttliche Stimme ihm dad Geichäft des Erlöferd als beiten 
ber mit bem heiligen Geiſt taufen werbe, ber die Menſchen is 
bie ganze Fülle defielben untertaudyen und mit bemjelben durch 
dringen werbe. 

Damit er ihn nun aber erkennen follte, wenn er fomme 
würde, fo hatte bie göttliche Stimme gefagt, Ueber welden 
du fehen wirft den Geift hberabfahren unb auf ihe 
bleiben, berfelbige if ed, der mit dem heiligen Geil 
tauft. Wie fi nun Johames dies gedacht, und was er & 
gentlich gefehen, davon vermögen wir uns aus feiner Erzählung, 
wie ausführlich fie auch fonft erfcheint,. kein vollfländiges Bin 
zu machen. Denn wenn er ben Geift herabfahren ſah von 
Himmel wie eine Xaube *), und body das eigentliche Ze: 
hen, welches ihm geworben, Died geweſen ift, bag nun der Geil, 
wenn er auf ben Erlöfer würbe herabgefahren fein, auf ibm 
bleiben werbe: fo vermögen wir Died beides nicht zu verein⸗ 
gen, indem eben jened Herabfahren vom Himmel wie eine Zaubı 
doch nur eine vorübergehende Erfcheinung fein Tonnte und bes 
Bleiben bed Geiſtes nicht ausdruͤkken kann. Es muß aber etwas 
ba geweſen fein, woran Johannes dies, bag ber Geift beftaͤndig 
auf dem Erlöfer ruhen würde, erkannt, und worauf er es ange 
wendet hat. Denn dad willen wir, bie Ueberzeugung wurbe nun 
durch bad Zeichen feft in ihm, daß derjenige, ben er eben getauit 
hatte, ber fei, auf den feine ganze Verkuͤndigung binging. 

Aber wir fönnen und wol nicht von biefem göttlichen Kam: 





) Matt 3, 16. 





73 


zeichen, ba8 dem Johannes gegeben worben, trennen, ohne um: 
fere Aufmerkſamkeit darauf zu richten, wie Boch baffelbe fcheine 
das eigenthümlich audgezeichnete und göttliche in dem Erlöfer 
nicht auf die Weife auszudruͤkken, wie wir darüber zu reben 
pflegen, und wie unfer Glaube fich darin vollkommen ausſpricht. 
Denn, m. g. Fr., wenn von feiner Geburt an das ewige Wort 
Gottes mit Jeſu von Nazareth vereinigt war, in feiner Perfon 
lebte und aus ihm heraus vebete und handelte, wie konnte denn 
er fpäterhin, ald er nun auftreten ſollte unter allem Wolf, um 
zu lehren und dad Reich Gottes zu verfünbigen nicht nur ſon⸗ 
bern auch zu fliften, wie konnte da erfl der Geiſt Gotted auf ihn 
berabfahren? Unb wenn ed umfere innigſte Weberzeugung ift, 
daß, wie die Apoflel des Herm es auch fagen, die Fuͤlle ber 
Gottheit in ihm wohnte, wie konnen wir benn davon für eine 
hinreichende Bezeichnung ben Ausdrukk halten, daß der Geiſt 
Gottes auf ihm ruhe und auf ihm bleibe, welches ja boch mehr 
eine Außere Verbindung ald eine innere und welentliche Vereini⸗ 
gung anbeutet? 

Sehet da, m. g. Fr., wie auch bier die göttliche Weisheit 
auf ber einen Seite Mar ift und auf der andern unerforfchlich. 
Wir finden hier dad ganze Wefen unfered Glaubens an ben Ers 
loͤſer nicht auögebrüßft; und doch wenn wir und fragen, ob wir 
etwa durch dieſes Wort, welches Sohanned als ein an Ihn en 
gangenes Wort Gottes hinftelt, und veranlaßt finden follten, 
unfern Glauben an den Erlöfer feinem Inhalte nach zu verrins 
gem und zu glauben, baß vielleicht feine Juͤnger zu viel von 
ihm gefagt haben möchten, baß die Fülle der Gottheit in ihm 
gewohnt habe, wenn fie fagten, daß in feiner Perfon das ewige 
Wort Gottes felbft Fleifch geworben fei und menfchliched Wefen 
an fich genommen habe: fo werben wir gewiß bie alle verneis 
nen, und unfer Glaube wird fell und unerfchütterlih und uns 
verkürzt bleiben. Was und nun babei klar iſt, das iſt dies: daß, 
wie Gott der Herr ja uͤberhaupt das menſchliche Geſchlecht von 





74 


einer Stufe zur andern führt, und ein göttlicher Rathſchluß, ber 
in der Zeit erfüllt werben fol, auch nicht anders ald nad) der 
Weife der Zeit und allmälig erfüllt werben kann, wir hier in 
der Erkenntniß, die bem Johannes von dem Erlöfer mitgetheils 
worben, noch nicht die vollkommene Erkenntniß feiner göttlichen 
Perſon finden, fondern gleihfam ben Uebergang von dem, was 
auch fchon in den Zeiten des alten Bundes von dem geglaubt 
wurbe, ber da kommen follte, zu demjenigen, was nur Denen 
aufbehalten war zu glauben, bie ihn wirklich geichaut hatten, 
und mit ihm aus⸗ und eingegangen waren von biefer Zeit an bis 
dahin, wo er von der Erbe hinweggenommen wurde ”). 

Laßt und bedenken, was ber Herr felbft von Johannes dem 
Täufer fagt, er fei zwar ber größte unter ben Propheten, unt 
Beiner im alten Bunbe größer al3 er, weil nämlich da die höchkt 
und größte Beflimmung nur bie war, auf den Erlöfer hinzu: 
weifen, keinem aber vergennt wurde, bied fo unmittelbar zu thun, 
ja mit der Kenntniß feiner Perfon zu thun, ald eben dem Jo 
bannes. Aber indem er zugleich fagt, der kleinſte im Reiche Got: 
tes ſei größer als Johannes **), wie können wir bied ante: 
verftehen als eben fo, baß, weil wir wiflen, dag wir unfer 
Stelle im Reiche Gottes, unfer Erbe und unfern Beſiz in dem 
feiben burch nichts anderes haben als burdy unfern Glauben an 
den Erlöfer, auch Johannes diefen Glauben, wie wie ihn i 
uns tragen, nicht gehabt hat, und eben deshalb ber Beinfle im 
Reiche Gottes größer fei ald er, wiewol auch wieberum er ein 
vollommnere Erkenntnis hatte ald alle Propheten vor ihm ge 
habt haben. Denn bad war in den Zeiten des alten Bunte 
das hoͤchſte, was man von menſchlicher Wortrefflichleit und von 
göttlicher Begnabigung gegen eine menfchliche Seele wußte un 
fi denken Tonnte, daß bisweilen in Augenblilfen, wo es noth 
that, und wo Gott fich wieder durch einen neuen Strahl feine 


Apoſtelgeſch. 1, 21. 22. ) Matt. 11, 11. 


75 


ewigen Lichtes unter dem menfchlichen Geſchlechte verherrlichen 
mußte, er fich aldbann auderfah eine befonberd reine Fräftige ihm 
geweihte Seele, an welche dann fein Wort erging für ein be: 
ſtimmtes Geſchaͤft und zu einer beflimmten Stunde, und über 
welche dann fein Geift Fam, aber nur um biefed Gefchäft zu 
bolbringen, und auf fo lange Zeit ald es dauerte; war aber bie 
Stunde der Begeiſterung vorüber, war das Wort der Lehre, der 
Warnung, bed Troſtes, der Worherverlünbigung gerebet; hatte 
fih die begeifterte Seele auf dieſe Weiſe ergoffen in Worten, die 
andere Seelen wieder anregen und erwekken konnten: fo wich ber 
Geiſt wieder von dem Menfchen, und er unterfchieb fich nicht 
weiter von allen andern Menfchen als eben durch das, was ihn 
fähig gemacht hatte von dem göttlichen Geifte ergriffen zu wer 
ben. War nun bied, m. g. Fr., bad höchfte, was man fich in 
jenen Zeiten von ber Erhebung ber menfchlichen Seele und von 
ihrer Bereinigung mit Gott denken konnte, fo konnte auch nur nad) 
dieſem Maaßſtabe dem Johannes eine Erkenntniß bed Erloͤſers 
mitgetheilt werden: nur durch die Vergleichung mit jenen Mit: 
theilungen des göttlichen Geiſtes an bie Propheten konnte ihm 
der Erlöfer kenntlich gemacht werben, und biefe Bergleichung 
konnte nicht anders ausfallen, als bie göttliche Stimme fie ihm 
an die Hand gab, nicht könne der Geift Gottes über ben Erloͤ⸗ 
fer kommen für einen beftimmten Augenblikk, ober zu einem be 
fimmten Geſchaͤft, ſondern er ruhe auf ihm, unb nur eine folche 
beftändige WBegeifterung ber Seele des Erlöferd von oben her, 
dad war ed, woran Sohannes fie erkennen follte, das war ber 
böchfte Begriff, den er fähig war fih von dem Erloͤſer zu machen. 
Woher nun aber, m. g. Fr., Ift ed dem Juͤngern bed Herrn 
felbft, von denen wir doch nicht fagen Finnen, baß fie an und 
für fi) einen höhern Werth gehabt hätten als biefer edle Vor⸗ 
läufer des Erloͤſers, von denen wir nicht fagen Finnen, daß fie 
ein höheres Maaß von Weidheit und Zugend ſchon vorher ge: 
habt hätten, woher ift es diefen gekommen, daß fie eine weit in: 


76 


nigere und tiefere Erfenntniß von dem Erlöfer gewannen, un 
ihr Glaube etwas anbered war als das, was dem Johannes dj: 
fenbart worden? Woher ift ed biefen gekommen, daß fie in ihm 
erkannten das Fleiſch gewordene Wort, daß fie in ihm erkannten 
die ewige Herrlichkeit bed erwigen Abbildes vom Water’)? Die, 
m. 9. Fr., haben fie nicht anders gewinnen können als ca 
burch die unmittelbare Wirkung, bie ber Erlöfer ſelbſt auf ſie 
hervorgebracht hatte durch feinen Umgang mit ihnen, durch fen 
Reben an fie und burdy fein Leben vor ihren Augen. Dem Se 
hannes erfchien er in einem vorübergehenden Augenblikk als cm 
von denen, bie da famen um fi) auf bad Belenntniß, daß ds 
Reich Gottes nahe herbeigefommen fei, und bag ein jeber fin 
dige Menſch Buße thun müffe um in baflelbe einzugehen, taw 
fen zu laſſen; und indem er aud dem Waffer bervorflieg un 
betete: da befam Sohanned bad Zeichen, woburdy ihm beutich 
wurde, ber, über den ex eben bad Waſſer bed Jordans ausge 
goffen habe, ber fei derjenige, ber nicht nur mit Waſſer tauft, 
fondern mit dem heiligen Geifl. Aber eben fo ſchnell ging de 
Herr an ihm vorüber; und wenn er auch noch in ben wenigm 
Tagen, wo, wie ber Evangelift Johannes erzählt, Jeſus in dit 
fer Gegend, wo er ſich hatte taufen Iaffen, wandelte, wenn cu 
in dieſen Tagen Johannes der Zäufer ihn mehrmals gehe 
und mit ihm gerebet hat: fo war dies doch nur eine kurze Zer, 
nicht geeignet für ben Erlöfer dem Johannes einen grünblice 
Aufihluß über fein eigenthümliches Weſen und über fein Ba: 
bältnig zu dem bimmlifchen Water zu geben, und ihn, ber us 
mittelbar auf bie neue Ordnung ber Dinge, die durch den Er: 
Löfer gefliftet werben follte, hingewieſen hatte, aus einem folden, 
welcher ber größte war im alten Bunde, zu verwandeln auh 
nur in ben kleinſten im Reiche Gottes; fondern ihm war es be 
ſchieden auf ber Stufe ſtehen zu bleiben, auf welcher ex fih in 


7 Gr. 1,8. 


77 


Ruͤkkficht feines innerſten geiftigen Lebens befand; e8 war ihm 
befchieden nad) dem ewigen Rathichluffe Gottes, ber unerforlchs 
lich zwar, aber nothmendig über ihn waltete und in ben ewi⸗ 
gern Gefegen, nach denen Gott bad ganze menſchliche Gefchlecht 
und jede einzelne Seele leitet, gegründet war. 3a wir müffen 
geftehen, daß ein folcher Unterfchied beftehen follte zwifchen bem, 
ber, weil er bem Erlöfer fo nahe fland und unmittelbar auf 
ihr hinweiſen konnte, ber größte war in ber Reihe berer, denen 
bie Gabe der Weiflagung von Gott verliehen war, und zwiſchen 
benen, bie auf dem Grunde des Glaubens an denjenigen, der 
von oben gekommen war um bad Reich Gotted zu ftiften, in 
daffelbe eingingen, freilich nur burch die Wirkung feined Geiſtes. 
Denn wenn er in den Seelen der gläubigen nicht etwas höheres 
hervorgebracht hätte, und was auf eine andere Weife in ihnen 
wirken und die lebendige Zriebfeber ihres Lebend werben follte, 
als was die Seele bed Johannes erfüllte: fo wäre er nicht ber 
geweſen, welcher er war. Darum mußte ber himmlifche Water 
ihn auf eine folche Weiſe verherrlichen bei feiner Kaufe, daß boch 
der kleinſſe im Reiche Gotted immer noch mehr war ald Johan⸗ 
nes, dem er dieſes Zeichen gegeben hatte. 

Wenn nun aber Sohannes eben deswegen, weil ihm Jeſus 
war offenbart worben als derjenige, dem ba gegeben fei mit Dem 
heiligen Geift zu taufen, von ihm zeugte, baß er fei ber Sohn 
Gottes: fo ift und died ein neuer Beweid von der Vieldeutig: 
keit dieſes Ausdrukks, der in den Zeiten des alten Bundes auf 
mancherlei Weiſe verfianden und auch gebraucht wurde. Denn 
wenn Johannes den Erlöfer Sohn Gotted nennt, fo dürfen wir 
doch nicht glauben, bag er ganz bafjelbe Darunter verftanden habe, 
was die erſten Juͤnger bed Herrn und die, benen fie dad Wort 
verfündigten, darunter verftanden, und was auch wir noch bars 
unter begreifen, und was ber Glaube ber Ehriften, fo lange er 
auf Erben beftehen wird, darunter verfiehen wird, eben weil feine 


78 


Kenntniß von dem Erlöfer umvollfonnen war umb in bie Zei 
ten des alten Bundes gehörte, nicht aber in bie bed neuen. 
Aber dad, m. g. Fr., ift nun wieder bad fchöne und be: 
liche in dem Johannes, bag, fo wie er die Gewißheit aufgenom: 
men hatte, wer ber war, den er fo eben getauft Hatte, er fie nicht 
für ſich ſelbſt behielt, fondern zeugte, biefer fer eben der Sohn 
Gottes. In feinem erften und urfprünglichen Auftrage lag das 
nicht, denn er hatte diefen fchon eine geraume Zeit, wie wir we 
‚wigftens vermuthen dürfen, ausgeübt, ehe auch Jeſus Tara unter 
allem Bolt, um ſich von ihm taufen zu lafien, und ehe er ben 
kennen lernte, der mit dem heiligen Geift zu taufen berufen war; 
in feinem erfien Auftrage lag es nicht; aber er machte ſich fein 
Bedenken daraus, nachdem ihm diefe Erkenntnig durch eine be 
fondere Gnade Gotted geworben war, fie feinem Zeugniſſe bin 
zuzufügen. Nicht überall, denn namentlich hat er auch am vo 
rigen Tage benen, die von dem hoben Rath zu Serufalem zu 
ihm gefanbt waren, ben Erlöfer nicht bezeichnet ald den Sohn 
Gottes, fondern nur da that er ed, wo er es für gut hielt. 
Schet da, m. g. Fr., eine herrliche und ber chrifllichen Weis⸗ 
heit würdige Regel, die wir und nehmen koͤnnen aus dem Be 
tragen bed Johannes. Keine göttliche Wahrheit, keine Spur des 
Lichted, die ihr gegeben wirb von oben, empfängt eine menſch 
liche Seele um fie für fi) behalten zu ſollen; fondern fo wie 
fie in dem innern lebendig geworben ift, fo treibt und draͤngt fie 


ſich heraus und will äußerlich erfcheinen in der Welt, unb wir | 


koͤnnen fie nicht fefthalten, wir können nicht glauben, fie auf eine 
würdige Weife zu befizen, wenn wir nicht ein Zeugniß von ihr 


ablegen. Aber wie wir nicht Wertheiler find der göttlichen Bes 


ben, ſondern Haushalter, ſo ſteht audy und wohl an, was Se 
hannes hier that, der biefe zu dem urfprünglichen an ihn ergan: 
genen Auftrage Gottes binzulommende Erkenntniß allerbing® ſei⸗ 
nen Freunden und Süngern, die am meiften mit ihn umgingen 
und am tieffien in feine Denkweiſe eingeweiht waren, mittheilte, 


79 


aber nicht allen ohne Unterfchieb, die zu ihm binausfamen in 
die Wuͤſte, auf Daß die Gabe Gottes nicht verunehrt würbe. 
Richt, m. g. Fr., als ob wir nun gleichfam fo beftimmte 
einzelne Kreife unter den Menfchen, auf die wir wirken follen, 
ziehen wollten, und ald ob wir irgend einen Theil der Weisheit 
und des Lichted, die und durch die göttlihe Gnade geworben 
find, abfichtlich auf einen kleinen Kreid von Menfchen einfchräns 
fen, andere aber davon außfchließen. und bei jeder Veranlaſſung 
zur Wirkſamkeit auf fie von ihnen fagen wollten, fie feien nicht 
fähig oder nicht würdig die göttliche Gabe in fi aufzunehmen; 
und am wenigften kann died gelten in den Eleinern und größe: 
ren Kreifen der Kirche felbft, wo es Feinen Unterfchteb dieſer Art 
giebt, fondern alle auf gleiche Weife der göttlichen Gnade theil⸗ 
haftig find, und indem Ehriftus fie alle Brüder nennt *), auch 
alle fich gleicher Rechte vor ihm fich zu erfreuen haben. Aber 
boch fagt der Erlöfer zu feinen Juͤngern, fie follten die Perlen 
nicht vor die Säue werfen **), und doch giebt es ein Haushals 
ten mit den göttlichen Gaben, welches ein Abglanz iſt von ber 
Weisheit, mit welcher Gott das menfchliche Gefchlecht Leitet, wie 
fie in der menfchlichen Seele nur wohnen Tann. Aber wenn wir 
nun ein Beugniß ablegen follen und und gebrungen fühlen, bie 
Wahrheit, von ber unfere Seele erfüllt ift, zu verfündigen: fo 
koͤnnen wir keine andere Abficht dabei haben als die, welche aus 
ber Liebe hervorgeht, nämlich, daß die Menfchen auch empfan⸗ 
gen follen, was wir ihnen zu geben bereit find. Mit allen Ga- 
ben Gottes geht ed fo, dag wenn ber Menfch fie unwuͤrdig em⸗ 
pfängt, jo empfängt er fie fich felber zum Gericht. Darum iſt 
mit dem Zriebe die Wahrheit zu verfündigen in der Seele ber 
Chriften verbunden eine heilige Scheu alled dasjenige zu verhüs 
ten, wad im Widerfpruch fein koͤnnte mit dem göttlichen Geiſt, 
der fie in ihm hervorgerufen hat, und darum geben wir fie nicht 





) 30h. 20, 17. ”) Matth. 7, 6. 


80 


allen unſern Bruͤdern ohne Unterſchied, zu jeber Zeit und unter 
allen Berhältniffen, fonbern nur nach ben Maaße der Empfäng 
lichkeit, welches wir in ihnen finden, nicht um fie ihnen von 
zuenthalten, fondern um fie allmälig von einer Stufe der Et 
kenntniß zur andern zu erheben und fie glauben zu machen, ba 
fie einer immer innigeren Bereinigung mit bem Herm fähig find, 
nicht um fie auszuflogen von ber Gemeinſchaft der himmliſche 
Büter, die und ber Erlöfer gebracht hat, fondern um fie bei 
fiherer auf dem Wege der allmäligen Erkenntniß und ber ru: 
gen Ueberzeugung zu demjenigen binzuführen, was ihnen alla 
eben fo wie uns bad hoͤchſte und theuerfte fein fol, und wors 
wir immer deutlicher ben Herrn erfenmen müflen, ber uns und 
allen Chriften zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und GSeligfät ') 
geworden und ihnen fo gut wie und vom Himmel gefendet ik 

Aber zulezt laßt und noch fehen, wie Johannes fein Zeus: 
niß einrichtete, und wie er ben Erlöfer bezeichnete. Die Stimm: 
Gottes hatte ihm gefagt, Der, auf weldhen du fehen wirk 
den Geift herabfahren und auf ihm bleiben, ber if 
ed, Der mit dem heiligen Geift tauft; Johannes aber, = 
dem er feinen Sreunden Jeſum kenntlich machen will, fo fagt & 
Siehe das ift Gottes Lamm, welches ber Welt Süntt 
trägt. Wie flimmt denn biefes beides mit einander, und wit 
iſt eben dieſes Zeugniß des Johannes ein Abdruff von demjmi 
gen, was ihm bie göttliche Stimme über den Erlöfer gefagt hatte! 

Wenn ein anderer Apoftel bed Herrn, m. a. Fr., von dem 
Erloͤſer fagt, Wir haben auch ein Oflerlamm, nämlich Chriſtun 
- für und geopfert **): fo wird im dieſen Worten ber Erlöfer and 
ein Lamm genannt und damit verglichen, aber bas hat ba 
Grund, weil ber Herr fein heilſames Leiden angetreten hatit 
und vollendete in biefer Zeit der größern Feſte, welche fan Boll 
eljäprlich feierte. Das aber wußte Johannes nicht, denn dat 


) 1Kor. 1, 30. 31 Kor. 5, 7. 


81 


folche genaue Kenntnig von demjenigen, was dem Erlöfer begeg: 
nen wuͤrde, haben wir nicht Urfach ihm zuzufchreiben, ja die Folge 
zeigt deutlich, dag ihm dieſe Kenntnig gemangelt hat. Was 
meint er alfo, wenn er ben Erlöfer bad Lamm Gottes nennt, 
und von ihm fagt, daß er die Sünde der Welt trage? 
In dem leztern, m. g. Fr., möchten wir vielleicht fagen, bag ihm 
tine Ahndung vorgefchwebt habe von dem Wege, den ber Erlös 
fer werde zu gehen haben, fei ed nun, daß fie aus feiner eigene 
Seele gefommen, oder daß er fie aus eined anderen Gefühl für 
beit Erlöfer, indem er ihn für den erkannte, ber mit bem heiligen 
Geift tauft, verfündigt hat. Aber daburch wird dad erflere nicht 
beſtimmt, denn dad Opfer, welches die Sünden des Volks trug, 
war kein Lamm; von einer ſolchen Vergleihung aljo war Jo⸗ 
hannes nicht auögegangen. Was bleibt und alfo übrig, ald daß 
es ein Zeugniß fei von dem Eindruft, den die ganze Perfon bed 
Erlöferd, wie fie ſich in feine Seele eingrub, auf ihn gemacht 
hatte. Das milde, das freundliche, das liebende, das buldende, 
dad war der Eindruff, den feine Perfon in ihm hervorbrachte, 
und darum, indem er zugleich jene Ziefe und Milde in ihm er 
kannte, fo fagt er, Das ift Sotted Lamm, weldhes der 
Welt Sünde trägt. 

Den Geift fah er vom Himmel herabfahren in ber Geftalt 
einer Zaube, der Erlöfer erfchien ihm als das Lamm Gottes, 
tragend bie Sünde, beides mit einander uͤbereinſtimmend, aber 
beided auch ihm felbft fremd. Er war ber firenge und trauernde, 
in der Wüfte lebend, von ber Gefelfchaft der Menfchen ſich zu: 
ruͤkkziehend, duͤrftige Speife genießend, aͤrmlich gekleidet, mit ſtren⸗ 
gen Worten hohe und niedrige, reiche und arme anredend, 
daß dem Baume die Art ſchon an die Wurzel gelegt fei, und 
daß jeglicher Baum, ber nicht gute Früchte bringe, abgehauen 
würde und ind Feuer geworfen *); mit bitterm Tadel biejenigen 


°) Luk. 3, 9. 
Hom. üb, Ev. Joh. 1. ® 





82 


fheltenb, welche die Lehre von dem heilbringenben Reiche Gotie} 
nicht annehmen, und entweber felbf glauben oder das Bolt Sat: 
te3 glauben machen wollten, daß die, weldye vom Saamen Abre 
hams wären, nicht Buße thun dürften, um in daſſelbe einzuge 
ben *). So ſtreng war er felbfl; aber der Geift des neuen Bun: 
bed erfchien ihm dem ſtrengen in einer milben unb freunti 
hen Geſtalt; der Stifter bed neuen Bundes, der König wi 
Herr des Himmelreihd, der flellte fi) ihm in dem erſten Ei 
drukk, den feine Perfon auf ihn machte, dar ald das Lama 
Sotted. D, m. g. Fr., laßt und auch darin die ewige Wa: 
beit und die unergründliche Tiefe der göttlichen Gnabe erkenne 
Will fie den Menfchen erleuchten, will fie ihn auf einen höhna 
Standpunkt erheben, ald worauf er bis dahin geflanten hat: % 
flellt fie ihm dasjenige als das hoͤchſte und herrlichfle bar, wi 
feiner eigenen Befchaffenpeit und feinem eigenthümlichen Stra 
dad fernfle und fremdefte iſt. Das iſt die Art, wie die göttlice 
Gnade den Menſchen feine Ginfeitigkeit, feine Schwächen ur 
hält und zum Bewußtfein bringt; das iſt die Art, wie fie ika 
alles goͤttliche umb felige des Reiches Gottes darſtellt als d3 
hoͤchſte, würdig feiner Sehnſucht und feined Strebens, was « 
aber durch fich felbft nicht erreichen Tann, fondern wohin er ai 
durch bie Hand ber göttlihen Gnade muß geleitet werben. 

Wie wahr nun aber bie Beichreibung iſt, die Johannes we 
dem Erlöfer macht, wie richtig fein einfältiges Auge den Er 
drukk feiner Perfon aufgenommen hat, das lehrt uns das ganz 
folgende Leben des Erloͤſers. Denn bad war die Milde N 
Herm, mit welcher er die müpfeligen und beladenen zu ſich nii, 
um fie zu erquiffen **), das war die Milde bes Ham, mit 
weicher er auch bie Zöllner und Sünder nicht verſchmaͤhete. 
wenn fie ſich ihm naheten ***), bad war die Milde des Ham, 
mit welcher er nicht wieder fchalt, da er geſcholten ward 


*) Eu. 3, 7. ) Watih. 11, R. Ra, 
0) 1 Per. 9, 93, u | 








83 


und durch fein ganzes Öffentliches Leben hindurch ben Weg zur 
Schlachtbank ging, wie .ein Lamm. So hat Johannes ihn ers 
fannt in dem erſten Augenblikk, wie wir ihn erfennen aus ſei⸗ 
nem ganzen Leben, wie es in den Erzaͤhlungen ſeiner Juͤnger 
von ihm vor unſern Augen liegt; ſo ſehen wir das Bild, in 
welchem wir den Erloͤſer am liebſten anſchauen, immer darauf 
uns zuruͤkkfuͤhren, daß der Geiſt, mit welchem er uns getauft 
hat, auch ein Geiſt der Milde iſt, daß nur auf dem Wege der 
Geduld mit allen menſchlichen Schwaͤchen und der Milde gegen 
die Vergehungen unferer Bruͤder, bie mit und einen Herrn und 
Meifter verehren, dag nur auf diefem Wege auch wir die Milde 
verftehen können, mit welcher der Erlöfer ald dad Lamm Gottes 
einberging, dag auch wir nur ein rechted Zeugniß im Geift und 
in ber Wahrheit von ihm ablegen koͤnnen, wenn wir eben fo 
mild und freundlich wie er ihm nachfolgen auf dem Wege ber 
Begluͤkkung und Befreiung derer, die noch in dem Schatten des 
Todes fizen, daß auch wir fein Reich auf Erden nur fördern 
können, indem wir ihn anfehen ald dad Lamm Gottes, welches 
die Sünde ber Welt trägt. 

SA nun der Herr fo mild und freundlich fchon dem Jo⸗ 
hannes erfchienen, und ift dies dad Bild, in welches fich alle 
gläubigen fo geftalten follen, daß ihr ganzes Dafein nichtd ans 
dered ift ald ein treued Abbild von dem Urbilde der Vollkom⸗ 
menbeit, welches in ihm erfchienen if: fo laßt uns auch diefe 
Betrachtung und gefegnet fein; laßt und alles, was noch feiner 
göttlihen Milde in und widerftrebt, aus unferer Seele vertilgen; 
laßt und eben fo, wie von ihm gerühmt wirb, er habe fein Ges 
zaͤnk erregt und Beinen Haber, noch habe man fein Gefchrei auf 
den Gaſſen gehört *), eben fo ſtill und mild wie er wirken, aber 
auch eben fo audgerüftet mit feiner Kraft, eben fo wenig im 
Stande zu weichen von dem Beruf, den und ber Herr gegeben hat; 


*) Matth. 12, 19. 
32 


84 


laßt und mit voller Luft und mit allen Kräften danach trach 
ten, fein Reich zu fürbern, unb im Streite mit dem Rede ix 
Finfterniß und wie er vom böfen nicht überwinden zu laſſen; fon 
dern dad böfe mit gutem zu überwinden *),. So werben wir ber 
Lamme Gottes nachgehen und feine Freunde heißen und fan 
Milde immer mehr erfahren, aber auch auf diefem Wege im 
mer mehr frei gemacht werben burdy ben Sohn, der allein m 
frei machen Tann ). Amen. 


*) Abm. 12, 21. ) Job. 8, 36. 


Vu. 
Im 7. Sonntage nad Trinitatis 1823, 


Text. Joh. 1, 35 — 42. 

Ded andern Tages fland abermal Zohannes und 
zween feiner Sünger. Und als er ſahe Jeſum wandeln; 
ſprach er, Siehe, da3 iſt Gottes Lamm. Und zween 
feiner Jünger hörten ihn reden und folgten ihm nach. 
Jeſus aber wandte fi) um und ſprach zu ihnen, Was 
fuchet ihr? Sie aber fprachen zu ihm, Rabbi, — das 
iſt verbolmetfchet, Lehrer — wo bift bu zur Herberge? 
Er ſprach zu ihnen, Kommt und fehet es. Sie kamen 
und fahen ed, und blieben benfelben Tag bei ihm, ed 
war aber um die zehnte Stunde. Einer aud ben zween, 
die von Sohanne hörten und Jeſu nachfolgten, was 
Andreas, der Bruder Simonid Petri. Derfelbige fins 
bet am erften feinen Bruder Simon und fpricht zu 
ihm, Wir haben den Meffiad gefunden — welches ifl 
verbolmetfchet, der Geſalbtez — und führte ihn zu 
Jeſu. Da ihn Jeſus fahe, fprach er, Du biſt Simon, 
Jonas Sohn; du ſollſt Kephas heißen — das wirb 
verbolmetichet, ein Feld. 


86 


Hin m. g. Fr., fehen wir die erfle herrliche Frucht von ben 
Beugniffe, welches Johannes ber Täufer ablegte von Jeſu. NG 
dem er am vorigen Zage ihn zuerfl bezeichnet hatte als bei 
Bamm Gotted der Welt Sünde tagendb (B.29.), und denen, di 
‚zunächft um ihn waren, erflärt, wie er dazu gelommen fe, ü 
biefem Jeſu von Nazareth, den er fo bezeichnet hatte, den Ent 
Gottes zu erkennen, der nach ihm kommen werde, aber vor im 
gewefen fei (V. 30.): fo fieht er ihn am folgenden Tage wit 
ber und wiederholt feine vorige Bezeichnung, gewiß zunähk u 
ber Abficht, um ihn noch genauer und beflimmter, ald am ven 
gen Tage hatte gefchehen können, benen die ihn hörten yeria 
lich bekannt zu machen, wobei die Abficht zum Grunde lag, id 
fie ihrerfeirs fuchen follten eine perſoͤnliche Bekanntſchaft ci 
ihm anzufnüpfen. 

Die beiden Zünger des Johannes, die die Damals hörten, ur 
wovon ber eine, wie unfer Tert felbft fagt, Anbread, der Brrde 
Simonis Petri, geweien ift, der andere aber, wie Died wol ci 
jeder fühlt, und auch bie Chriften darin immer einig gemda 
find, Johannes, der Evangelifi ſelbſt, dieſe beiden hatten enme 
der felbft am vorigen Tage die Rebe ded Johannes gehört, ode 
wenn fie zufällig abwefend geweſen, fo wird gewiß berfelbe 2& 
nicht vergangen fein, ohne daß fie von andern Kreunden un 
Genoſſen diefelbe werden vernommen haben; benn was fon 
ed größered und wichtigered geben für bie Verkündigung de 
Taͤufers, ald daß er den gefunden und perſoͤnlich kennen gel 
hatte, ber bad Ziel feiner Verkündigung war. Sei es nun, Wi 
jene Zünger dad Zeugniß des Johannes am erflen Tage ſeldi 
gehört, oder fei es, daß fie daſſelbe erſt fpäter vernahmen, de 
erftere aber ift das wahrfcheinliche, fo viel iſt gewiß, daß «f 
nun, ald Sohanned abermald den Grlöfer perſoͤnlich bezeichnet 
der Entihluß in ihnen reifte bemfelbigen nachzufolgen. 

Und wahrlih, m. g. Fr., wir dürfen uns mict bare 


87 


undern, fonbern es muß und natürlich erfcheinen, wenn Johan: 
es und fein Freund nicht gleich in dem erften Augenblikk, wo 
er Läufer ihnen Jeſum bezeichnete, und bezeichnete ald das 
amm Gotted, welches die Sünde der Welt trägt, 
uh den Entichluß faßten ihm zu folgen, obgleich Iohannes 
inzufezte, Daß derfelbe der Sohn Sottes fei (B. 34.) Naͤm⸗ 
ch eben beffen, weswegen dad Evangelium in feiner ganzen ers 
en Verkündigung dem einen„ein Aergerniß war unb dem ans 
ern eine Tchorheit *), findet fich fo viel in ber menfchlichen Seele, 
aß wir und nicht wundern dürfen, es auch in den beiden Juͤn⸗ 
ern bes Johannes zu finden. Welch eine herrliche Eigenfchaft 
ie fei, welche Zohanned ber Zäufer an Jeſu kenntlich machen 
vollte, indem er ihn bad Lamm Gottes nannte, das bie 
Sünde ber Welt trägt, dad verkennt wol niemand. Welch ein 
woßed Gewicht darauf liege, die Sünde der Welt zu tra 
ven, das muß jebem, ber irgend mit der Sünde ber Welt in 
ich und außer fich zu fchaffen hat, deutlich genug fein und fich 
hm tief genug einprägen! Aber in biefer Eigenfchaft den 
Sohn Gottes zu erkennen, bad war demohnerachtet nicht leicht 
nd ift es immer noch nicht; denn etwas fo großed ald die Um» 
haffung bed Menichen und eine neue Ereatur und ihr Zuſam⸗ 
nenflimmen zum Reiche Gotted, Died zu erwarten von bemjeni- 
yen, ber ald dad Lamm Gotted die Sünde ber Welt trug, da 
x doch zu gleicher Zeit alle Freiheit und alled Heil für das 
nenſchliche Gefchlecht hervorbringen mußte, das an fich zu glaus 
ven und beides von einem und demfelbigen, dad iſt dem Men: 
hen nicht leicht; fondern die Fülle des Heild erwartet er von 
einer auch äußerlich fich zu erkennen gebenden mächtigen Kraft, 
und dad Reich Gotted erwartet ex von dem, ber gleich bei ſei⸗ 
nem erften GErfcheinen den Eindrukk macht, daß er geboren fei 
und in die Welt gekommen, nicht um zu dienen, fondern um zu 


*) 1 Kor. 1, 23. 


88 


herrſchen *). Im demjenigen aber, ber lediglich im des Gefch 
der Sanftmuth einherging und auf den Täufer, als er ihn zum 
erfien Mal erblikkte, ſchon den Eindrukk machte, ben er Ki 
hernach öfter auögefprochen hat in ben Worten, Nehmet auf uud 
mein Joch, und lernet von mir; benn ich bin fanftmüthig un 
von Herzen demüthig **); und in biefer vorherrſchenden Eigen 
ſchaft der Sanftmuth und Demuth im Tragen der Sünde 
ber Welt die Quelle alles Heils und bie Kraft Gottes F 
erkennen, welche hinreichend fei zur Erlöfung der Menſchen, du 
iſt nicht Leicht. ! 

Aber warum nicht, m. g. Zr.? Nur deshalb, weil te 
Menfch, wie der Herr felbft fagt, auf der einen Seite frojig il 
auf der andern verzagt, auf ber einen Seite zu viel, auf derus 
dern zu wenig Vertrauen bat auf dad, was er durch bie eb 
mächtige Kraft Gottes if. Denn, laffet und nur einmal de 
recht überlegen, Iſt dad Wort Gottes einmal Fleiſch geworta 
und auf die Erde herabgelommen, um fich ben Menſchen mitr 
theilen, ift die Fuͤlle der Gottheit einmal durch fein Dalein E 
dem Umfang des menfchlichen Gefchlechtes niebergelegt, dann ü 
dad Heil und die ganze Fülle deſſelben ſchon da, und ed bei 
nichts anderes ald nur in herzlicher Sanftmuth und Demuth ii 
Sünde der Welt zu tragen, bis fie durch die göttliche Krei 
die ſchon da ift, überwunden fein wird, es bebarf nicht3 anderes, & 
der Gefinnung, dad böfe immer nur überwinden zu wollen durd 
gutes ***), das gute aber allein zu fchöpfen aus ber unerfhir 
lichen Zülle, die uns in dem Erlöfer geöffnet if. Wie nun W 
gute Feine andere weientliche Geſtalt hat ald die der Liebe, m 
Gott felbft, wie Johannes fagt, die Liebe iſt ****): fo beiw 
auch die Fuͤlle der Gottheit, auf Erden herabgefliegen, nichts ande“ 
als das Weſen und Walten ber Liebe, und daraus mußte nothwendi⸗ 


*) Matth. 20, N. 28. ») Matth. 11, 2. ) gel. [HA 
”.) 1 Joh. 4, 8. 











89 


ba8 ewige Heil hervorgehen, unb es bedurfte keiner äußern Pracht, 
feines irdiſchen Glanzes, Feiner weltlichen Herrlichkeit, fondern 
allein des flillen tiefen Fortwirkens dieſer ewigen Liebe, welches 
ſich von dem Erlöfer aud immer weiterhin verbreitet Durch bie 
leinigen, um bad Wort wahr zu machen, bag in ihm und in 
feinem andern dem menfchlichen Geſchlecht Heil gegeben ift *), 
Darüber nun fommt der eine früher hinweg, der andere fpäter, 
daß er irriger Weiſe wähnt, ed gehöre auch etwas andered Dazu 
als Die reine unaudgefezte thätige Wirkung der göttlichen Liebe, 
um von ihr aus dad ewige Heil der Menfchen zu fchaffen. - 
Was nun diefe beiden Sünger anlangt, von denen unfer 
Zert rebet, nachdem fie ed am erften Tage felbft überlegt hatten 
und auch vieleicht mit ihrem Lehrer und Meifter befprochen, als 
er ihnen nun am folgenden Tage Jeſum zeigte und ihnen noch 
einmal zurief, Sehet, das ift Gottes Lamm: fo bedurfte ed 
in Diefer Beziehung auch nichts weiter, um den Entſchluß in 
ihnen reif zu machen und zur Ausführung zu bringen, daß fie 
ihm nachfolgten. Freilich aber, m. g. Fr., ſezt eben dies vor« 
aus, dag in ihnen felbft wenigftend vorher ſchon dad Bewußt⸗ 
fein wol erwekkt worben war durch die vorbereitenbe Lehre und 
Verkündigung bed Johannes, daß fo der Menfch nicht umkehre 
und Buße thue, fo er nicht feine Freundfchaft mit der Sünde 
aufhebe und von einer innigen Zuneigung erfüllt werde zu dem, 
der die Sünde der Welt trägt, fo könne er Fein lebendiges Glied 
im Reiche Gotted werden. Ohne bied Bewußtfein wäre ed nicht 
möglich geweſen, daß fie auf einen ſolchen Zuruf Jeſu nachge⸗ 
folgt wären. Das beide muß nothwendig zufammen kommen 
in der menfchlichen Seele, auf der einen Geite die Erkennt 
niß der Sünde, und daß bad menfchliche Herz nicht trozig fei 
zu glauben, wenn ed nur barauf ankomme bie Sünde zu 
überwinden, fo koͤnne bied jeder felbft, nachdem er fie Angefehen 


) Apoſttlgeſch. 4, 12. 


( 


oo 


durch das Licht feined Verſtandes, auch ausführen durch die Kraf 
feines Willens — dieſer Troz des Herzend auf ber einen Exit 
muß überwunden fein; bann aber audy auf der andern Seit 
die Werzagtheit beffelben, welche meinen Tann, daß noch end 
anderes ald das Aufbören jened Trozes und das wirklidy bes 
thige Anfchliegen an den, ber duch Sanftmuth und Demuth du} 
Reich Gottes begründen wollte, bazu gehöre, um in dieſem Reck 
Gottes thätig zu fein und an der weitern Verbreitung deſſelbe 
zu arbeiten. 

Nachdem fie nun Jeſu nachgefolgt waren, fo bemerkte a, 
daß ihre Nachgehen fich auf ihn bezöge, und da erleichterte et & 
ihnen; er knuͤpft felbft ein Gefpräch mit ihnen an, indem er I 
fragt, Was fie denn eigentlich fuchten, indem fie ihm 
nachgingen? Da antworteten fie ihm mit einer neuen Fragt, 
Lehrer, wo bift bu zur Herberge? Und ber Herr komm 
ihnen mit einer neuen Erleichterung zu Hülfe, indem er fie auf 
dad freundlichfte einladet mit den Worten, Kommt und fehe 
ed; da kamen fie und fahen es und blieben benfelbigen 
ganzen Zag bei ihm. 

M. 9. Fr. wir formen uns wol nicht bergen, das if bi 
natürlichfte Gefchichte eined jeden menſchlichen Herzens, welde 
fih von dem Erlöfer ans und zu ihm bingezogen fühlt, das ij 
bad freundliche liebreiche Weſen ift, welches fich auch jezt ned, 
nachdem er nicht mehr leiblid unter und wohnt, eben fo je 
dem offenbart und verherrlicht, und eben biefe Freundlichkeit, mit 
der er ed den Menfchen erleichtert fich zu ihm wenden, iſt ein 
wefentlicher Theil von der Herrlichkeit des eingebornen Sohn, 
bie wir an ihm erkennen. Auf alle Weife ſucht ed auch ja! 
noch, fo wie dies bamals jenen beiden Süngern gefchah, der Er: 
löfer leicht zu machen denen, die fi) zuerft zu ihm wenden. 
Dazu iſt die ganze Gemeinſchaft der Chriften eingerichtet, das if 
ber Segen bed göttlichen Wortes, bad ift die einlabende Freund 
lichkeit, bie wir überall bei denen antreffen, die ihr Heil bei dem 


91 


Erlöfer ſchon gefunden haben; und biefe erfte Regung ber Schn- 
ſucht nad) demfelben in andern menſchlichen Herzen zu erkennen, 
und diefelben einzuladen, bad Heil und bie Seligkeit da zu ſu⸗ 
chen, wo ihnen biefelbe zu Theil geworben ift, das iſt das erfte, 
wad der Chrift von dem Erlöfer annehmen muß, das ifl von 
bem erflen Anbeginn an das herrlichfie und ſchoͤnſte Mittel zur 
Verbreitung der Seligfeit des Chriftentbumd geworben. 

Bad wir fonft nur zu haufig finden, daß nämlich die Men⸗ 
fhen aus dem, was ihnen bad liebfte und werthefte ift, ein Ges 
heimniß zu machen fuchen und es gern verfchließen in engere Kreife, 
Davon hat fih in Beziehung auf das Evangelium, fo lange ed unter 
den Menfchen verfündigt worden ift, immer bad Gegentheil gezeigt. 
Wie es .ein allgemeines Gut aller Menfchen ift, fo kann ed auch 
von feinem, ber es auf die rechte Weife auffaßt, anderd als fo 
behandelt werben. Der Bönnte fi nicht rühmen, daß er den 
Erlöfer hätte, der nicht in fich den lebendigen Wunfch hegte, daß 
ihn alle andern eben fo hätten, und, foviel an ihm ift, Durch 
fein Leben und feinen Sinn, durch fromme Zufprache und durch 
geduldiged und beharrliched Mitwirken ed jedem zu erleichtern 
fuchte, welcher zu bem Entihluß gekommen ift Jeſu nadızufols 
gen. Se mehr dabei in bem menfchlichen Herzen überwunden 
werben muß vom feinem natürlichen Troz und feiner natürlichen 
Verzagtheit, defto mehr muß man ihm zu Hülfe kommen, und 
wer jened Widerſtreben ded Herzens kürzer oder länger an ſich 
erfahren bat, der kann nicht anderd ald, nachdem er felbft von 
Der göttlichen Gnabe ergriffen worden ift, bad feinige thun, um 
biefed Widerfireben auch in anderen zu überwinden und ed ihnen 
zu erleichtern, daß fie den auffuchen, zu dem in ein vertrautes 
Verhaͤltniß der Seele treten, in welchem er felbft die Ruhe und 
Zufriedenheit. gewonnen hat. 

So macht der Erlöfer ſelbſt allem Bedenken, aller Verzagt: 
heit bei diefen beiden ungern ein Ende, indem er fie anrebet, 
was fie bei ihm fuchten. Ihre zweite Srage aber, Lehrer, wo 


92 


bit bu zur Herberge? beutet bavauf, einmal, bafi fie das ſchon 
erfannt hatten, derjenige, welcher gekommen fei al& ber Sohn 
Gotted und ald dad Lamm Gottes der Welt Suͤnde tragt, 
befien hauptfächliches Gefchäft könne auch Fein andere fein als 
daß er beginne mit ber Lehre, mit bem Wirken auf bie ime: 
fin Ziefen der menfchlihen Seele in freundlichen unb emfen 
menfchlichen Geſpraͤchen. Bei diefem Namen alſo, ben er de: 
mals noch nicht durch die That geführt hatte, rebeten fie ihn an 
Dann aber deutet ihre Frage auch bahin, baß fie nicht glaub— 
ten, was fie von ihm fuchten, durch einige flüchtige Worte al 
machen zu Eönnen, bie auch unterwegeö hätten geſprochen wer 
den koͤnnen; fonbern dag fie ihn felbft fragten nach feinem ba 
maligen Aufenthalt, um mit ihm zu gehen und bier ungelör 
Rede und Geſpraͤch zu wechfeln. 

Was dad erfte betrifft, m. g. Fr., fo muß uns bad Bar 
fin, Wenn dad Reich Gottes follte gegründet werben dur) 
ben, ber da gefommen war um zu fuchen und felig zu made, 
was verloren war *), durch den, ber ſanftmuͤthig und bemüthig 
einherging, beflimmt feinem eigenen Bemwußtfein nach dazu Bi 
Sünde ber Welt zu tragen, baß berjenige, der fo entblößt war 
von allen aͤußerlichen Hülfsmitteln, auf keine andere Weiſe ab 
durch die Kraft der Rede Zeugniß für bad menfchliche Gemütt 
ablegen konnte. Sollte das Reich Gottes kommen nicht mit du: 
Berlichen Geberben **), nicht mit weltlicher Macht; wovon fonnte 
es auögehen ald von ber Kraft und von ber Uebergeugung di 
lebendigen Glaubens? Der Glaube aber kommt durch bie Pre 
bigt ***), und daher konnte es nichts anderes fein, der Sohn 
Gottes mußte lehren und prebigen, aber vorzüglich von nichts 
anberem als von fich ſelbſt. Was er fonft gelehrt hat, gehört 
dazu, die Menfchen zur Erkenntnig ber Sünde zu bringen, in 
dem er ihnen bie Tiefen des Herzens aufſchloß. Alles übrige in 





) Sub. 19, 10. ) &ub 17, 20. ») töm, 10, 11. 


93 


ſeiner Lehre bezog fich mehr ober weniger unmittelbar auf feine 
Perſon; er mußte dad Zeugnig ablegen von fich felbft, welches 
Johannes von ihm abgelegt hat; er mußte fidh dabei berufen 
auf das Zeugniß des Baterd und auf die Kraft, die ein ſolches 
bervorbringt. Und diefe Beflimmung muß jeber erkennen, ber in 
Shrifto den Heiland der Menfchen erkennt. Auf feiner Lehre, 
auf bem Worte Sotted, welches er mittheilen konnte durch feine 
Lehre, darauf ruht der größte Theil feiner Wirkſamkeit in der 
Welt, und indem er nicht mehr unter ben Menfchen wandelt, 
fo iſt es nichtd anderd als die Kraft des Wortes, die auch jezt 
noch die Seelen feinem Reiche zuführt, und nur durch die Lehre 
ergreift er fie zuerfi, indem er ihnen aufichließt die Tiefen be 
göttlichen und menfhlichen Weſens, indem er fie führt von dem 
vergänglichen zum ewigen, indem ex ihnen durch die Kraft feis 
ner milden Rebe offenbart die Liebe deſſen, ber ihn gefandt hat. 

Sie blieben aber, nachdem er fie fo zu fich eingeladen 
Hatte und ihnen aljo Hoffnung gemacht, baß er ald Lehrer ih⸗ 
nen genügen werbe, fie blieben benfelbigen ganzen Tag 
bei ibm. Es war aber, wie unfer Xert fagt, um bie 
zehnte Stunde, b. 5. ed war die Zeit, wo jeder anfing fich 
von den Gefchäften ded Tages zurüffzuziehen und bie Stille 
der Häuslichkeit und der vertrauten Kreife zu fuchen, um bier 
den Geift zu fammeln und zu erheben. Diefe heilige geweihte 
und fchöne Zeit des Tages brachten fie bei dem Erlöfer zu, und 
da wurden ‘fie inne, daß er ein Lehrer fei von Gott gefandt, ins 
dem er fie felbft über fein Verhaͤltniß zu Gott und über den 
Zweit feiree Sendung belehrte. 

Warum, m. g. Fr., hat und aber Johannes, ber felbft das 
bei war, nichts gejagt von biefem erften Geſpraͤch, welches ber 
Herr ald Lehrer mit feinen erflen Iüngern geführt hat? Gewiß 
wirb er ed uns nicht beneibet haben; aber nachdem er bie ganze 
Fulle von Reden ded Erlöferd in fein innerfled aufgenommen 
hatte, und angefangen den Entichluß auszuführen in feinem Buche 





94 


den Menfchen einen Beweis zu liefern, daß Jeſus in ber That 
ber Chriſt fei *), dad Lamm Gotted, das ber Welt Sünde tras 
gen foltte, und ber Sohn Gottes, dem ber Water dad Meich ge 
geben hat, nachdem alles, was er tiefes, göttliche und herrli: 
ches aus den fpätern Reben des Erlöfers feinem Buche einver: 
leiben wollte, fchon vor feiner Seele fchwebte: jo muß das dage 
gen verfchwunden fein, was ber Herr mit ihnen, ben erflen Ans 
fangern im Glauben, in ben erften Stunden ihred Zufammen 
feind geredet hatte. Denn wenn fchon ein Vorurtheil uͤberwun⸗ 
ben werben mußte in ihren Seelen, nachdem Johannes ber Taͤu⸗ 
fer ihnen Sefum bemerklich gemacht hatte ald dad Lamm Gottes, 
der Welt Sünde tragend, bamit fie an ihn, den Sohn Gottes, 
balten möchten: was kann wol bad erfte geweien fein, was ber 
Herr that an ihren Seelen, ald daß er dad vom Johannes ats 
gefangene Werk fortfezte, daß er bad Miderfireben, welches fie 
ſelbſt befiegt hatten auf das Zeugnis Johannes, vollkommen über: 
wand, und den Sieg des Glaubens in ihnen vollendete, wie dies 
auch gefagt wird in den folgenden Worten. Denn ald am fol 
genden Zage Johannes feinen Bruder Andreas fah, fprach er zu 
ihm, Wir haben den Herren gefunden. Er war alſo feſt 
geworden in dem Glauben, daß Jeſus ber Sohn Gottes ſei. 
Aber wie Johannes in feinen fpätern Neben meniger darauf ge 
richtet war in ein paar einzelnen Seelen die Weberzeugung davon 
zu gründen, daß dad Reich Gotted auf feinem andern ruhen 
koͤnne ald auf dem, der von Gott in die Welt gefandt war, wie 
wir im biefen Neben des Herrn eine viel berrlichere Kraft finden 
als in’ denen, bie der Erlöfer damald im Stande war feinen 
Fingern mitzutheilen, da er ihren erfien Glauben noch durch die 
Mitch des Evangeliums nähren mußte **): fo hat Sohannes das 
geringere über dem größeren bahinten gelaffen, und wir bürfen 
auch den Verluſt ber erften Rebe Chriſti nicht bebauern; denn 


*) Joh. 20, 31. ”) 1 Kor. 3, 1. 2. 


95 


wie viel herrlicher werben wir ihn finden in folgenden Reben, wo 
das Zeugniß, welches Chriftus von ſich felbft ablegen mußte, und 
überall entgegen treten wird, und wo wir ihn fehen werden bie 
verfchiedenften Menfchen unter ben verfchiebenften Geftalten auf 
die göttliche Wahrheit hinweifen, auf deren Grund das Heil bed 
menſchlichen Gefchlechtes ruht. 

Menn aber Johannes am andern Zage fagt, Wir haben 
ben Meffiad gefunden, fo erinnert und dies an etwas ahn« 
liches, was Sohannes fpäter erzählt. Nämlich, dag, als Chriſtus 
durch Samaria gegangen, und eine famaritifche Frau fich mit 
ihm in ein Gefpräch eingelaffen, und fie den Glauben, daß er 
der Sohn Gottes fei, durch das Geſpraͤch in fich erwekkt, und 
ihn den übrigen aus derfelben Stadt mitgetheilt hatte, daß, als 
nun bie Einwohner ber Stadt herbeigerufen, und biefelben fo eis 
nige Xage mit ihm gewefen waren, daß fie darauf geiprochen 
haben, Wir glauben nun binfort nicht mehr um deiner Rebe 
willen, denn wir felbft haben gehört und erkannt, daß dieſer ifl 
Chriſtus, der Welt Heiland *). So fagen diefe nicht mehr, Wir 
haben den gefunden, den Sohannes für den Meſſias audgegeben, 
fondern wir felbft haben den Meffias gefunden, wir has 
ben ihn felbft erfannt, es ift unfere innigfle Ueberzeugung, wir 
felbft haben fie in unfern Seelen gegründet. 

Was fie nun aber weiter gethan haben, nachdem fie benfel: 
bigen Tag bei ihm geblieben, dad wiſſen wir nicht, ob fie zu 
Johannes zurüffgekchrt fein mögen, oder ob mancherlei Verpflich⸗ 
tungen fie in bad irdifche Leben wieder verflochten haben. Wie 
koͤnnten wir aber anderd vorausfezen, ald daß fie ed gethanz fie 
werben nicht ald unbankbare von bem gefchieden fein, ber ihnen 
durch fein Zeugniß den von Gott gefandten Erlöfer der Welt ge: 
zeigt hatte; fie werben ed nicht verkannt und ihm zu erkennen 
gegeben haben, wie Gott ihn zum Werkzeug auserſehen habe, in 





*) Joh, 4, 42. 


96 


ihnen ſelbſt den lebendigen Glauben an den Erloͤſer und bie in- 
nige Liebe zu ihm hervorzurufen; wie er berjenige fei, Durch wel: 
chen fie den erkannt hatten, über befien Erfenntniß ihnen nichts 
in ber Welt ging. Aber eben fo gewiß haben wir Urfache zu 
glauben, daß fie fidy nicht mehr lange werden bei dem Johannes 
verweilt haben; fondern das Verlangen mit dem Erlöfer zu Io 
ben jedes andere bald wirb überwunden haben. Und daran wird 
auch Johannes feine Freude gehabt haben; denn er bekannte es 
felbft, daß er abnehmen müffe, der Herr aber zunehmen *), und 
daß er daran feine größte Freude babe, wenn er ben wachſen 
fähe und zunehmen und feſte Wurzel faflen, von bem zu ze 
gen er gelommen war, bag er dad Heil der Menfchen fei. 

Und fo geht es aud und foll es auch noch immer geben 
unter ben Chriften. Durch menfchliche Rebe ypflanzt fich das 
Wort Gottes und die Liebe zu bemfelbigen von einem zum am 
dern fort, und und allen ift die Gnade gegeben durch unfere 
Wirfung auf andere, und vorzüglich durch unfere Wirkung auf 
das junge Gefchlecht, die Weranlaffung zu werden, daß die Max 
ſchen den Erlöfer finden. Aber in dem, was wir ihnen fagen, 
ift etwas menſchliches, von biefem befreien fie fi, und fuchen 
den Erlöfer zu gewinnen für fich, aber jeder hat ihn dann aui 
feine eigene Weife. Es ift nur ein und baffelbe Heil, ein und 
berfelbe Glaube, ein und biefelbe Liebe zu dem Erlöfer, die ale 
Ehriften mit einander theilen und gemein haben. Aber wie jede 
Seele ihre eigene Befchaffenheit hat, fo geftaltet fi auch in je 
ber dad Heil auf eine eigene Weiſe, unter jedem Geflecht ber 
Menfchen gewinnt dad Evangelium eine andere Geſtalt. Die 
ſes und jenes ändert fi in ber Art, wie Ehriften das duriib 
liche Leben zu geflalten fuchen, wie fie die Lehre des Chriſten⸗ 
thums zu entwikkeln fireben. Und wie Johannes nicht trauerte, 
daß feine Juͤnger, benen er ben Weg zum Erloͤſer gebahnt hatte, 


*) Ich. 3, 30. | 


97 


n verließen: fo ſoll keiner trauern, wenn das menſchliche, was 
erft eine Veranlaflung ift dad Reich Gottes in der Welt aus: 
breiten, babei verfchwindet. Jeder, der den Erlöfer findet, thut 
ohl ihn auf feine eigene Weife zu haben, und jeder fol fich 
rüber um fo mehr freuen, je feſter das "Band iſt zwiſchen dem 
rloͤſer und der einzelnen Seele, je groͤßer die Opfer, die jeder 
ingen kann um des Evangeliums willen. 

Und ſo gehe jeder dahin, vergeſſe das menſchliche, was ihm 
af dem Wege menſchlicher Mittheilung geworden iſt, und halte 
ch an das göttliche. Davon ift das erſte und nothwendigſte 
'rgebniß, wie es in unſerem' Texte Andreas thut, daß jeder zu 
einen, die ihm bie liebften find, fagt, Sch habe den Meffias‘ 
efunden; aber freilich auf diefelbe freundliche, auf dieſelbe 
ınfte fich felbft Hintenanfezende Weife, wie Sohanned der Zu: 
er that, und nur indem jeder auf diefe einige Quelle alle hinzu» 
veifen fucht, die er erreichen, und in deren Seelen er eine Wir⸗ 
ung bervorbringen kann. 

Darin warb nun dem Andread eine befondere Gnade, daß ‘ 
r den zum Bruder hatte, von dem ed in unferem Texte weiters 
in beißt: ald Andreas ihn gefunden und ihm bie freubige Nachs 
icht von feiner Bekanntſchaft mit dem Meffiad gebracht und 
hn darauf zu dem Erlöfer felbft geführt habe: ba hätte dieſer 
u ihm gefagt, Du bift Simon, Jonas Sohn; du foltft 
Kephas heißen. Grabe, m. g. Fr., wie Johannes der Taͤu⸗ 
ter nach dem erften Eindrukk, den Chriftus auf ihn gemacht, von 
hm fagte, Siehe, das iſt Gottes Lamm, welches der Welt Sünde 
trägt: fo hier der Erlöfer von Petro nach dem erften Eindruff, 
den er auf ihn machte, Du follft Kephas heißen. Uners 
(chütterlich und feſt erfchien er ihm, nicht etwa fehon in dem 
ausgebildeten Glauben des Chriften, denn es war erft fpäter als 
Chriſtus in dieſer Verbindung zu ihm fagte, Du bift Petrus, 
und auf dieſen Felſen, nämlich auf die Zefligkeit, mit der du 
befannt haft, daß ich fei der Sohn bes lebendigen Gottes, will 

Kom. üb. Ev. Joh. I. & 


98 


ich meine Gemeine bauen, und die Pferten der Hölle follen ſi 
nicht überwältigen *). Hier war ed nur bie Anlage zur Ace 
keit im Glauben, zur Unerfchütterlichkeit ded Muthes, zur tra 
Liebe gegen dad Reich Gottes, die ber Herr gleich in ihm a 
fannte, und um derentiillen er ihm den Namen beilegte, ben a 
nachher im treuen Dienfte des Herm fo wohl verdient bat. | 

So, m. g. Fr., fo ging ber erfle Anfang des oͤffentlide 
Lebens und des heilſamen Wirkens unſeres Erloͤſers nad) jam 
Taufe hin, fo uͤberkam er durch das Zeugniß des Johannts ei 
Heine Zahl von Züngern, die bald überwunden waren eben bumd 
dad Gewicht jened Zeugniffed und ergriffen ‘von dem, wos a 
ihnen geworden war durch dad Gefpräd) eined vertrauten Aal; 
aber bald mußte aud) einer darunter fein, den er ald den zu 
anderer nennen und begrüßen konnte. Denn die Standhaftigfe, 
die unerfchütterliche Beharrlichkeit, dad unerfchroffene Weſen, & 
mußte von dem erften Anfang an, auch ald bad Reid Chr 
roch Hein war, ſchon da fein, damit ed wachſen und getix: 
fönnte. Und wie immer und überall auf diefe Beharrlichkeit wı 
Chriſto feine Gemeine gebaut worden ift, fo muß fie aud imm 
in berfelben fortleben, und indem fie ſich kraͤftig entwilfdt 3 
allen Gliedern der chriftlichen Kirche, werden wir am beften de 
für forgen, daß diefe nicht untergehe, ſondern fortbefiche. Tif 
Unerfchroffenheit und Beharrlichkeit Tann aber nicht erhalln 
werben, wenn es nichts giebt, was bie Feſtigkeit der Maike 
auf die Probe ſtellt. Dafür hat der Herr geforgt und wir Ir 
ner forgen, daß ed immer Anfechtungen gebe, worin fih & 
Standhaftigkeit erproben kann. Daran darf ed nicht fehlen, de 
mit die Gemeine Chrifti zu dem Bewußtfein komme, daß fie ® 
der Tapferkeit des Glaubens, in der Unerfchütterlicykeit der Zum 
in ber Sefligfeit ihrer Ueberzeugungen, daß fie darin den Se 
babe, auf den er feine Gemeine gründen fann. 


*) Matte. 16, 18 


99 


Sa, m. g. Fr., daran laßt uns nur fefthalten und unter 
tander dazu wirken, daß einer dem andern beiftehe, "damit in 
em $alle, wo es irgend noth thut, wo Umflände oder Zeit es 
t fi bringen, die Feftigkeit und Unerfchütterlichkeit de Glau⸗ 
13, die Treue gegen die Wahrheit und die innere Sicherheit 
; Gemüthed zum Vorſchein fomme und von dem Herm ges 
nt werde. Dazu müffen wir und erbauen, dann thun wir 
3 unfrige um das Reich Gottes feflzuftelen, und dazu wolle 
und allen die Erkenntniß feined Wortes und Die lebendige 
tenntnig ber Gefchichte des Chriftenthumd, wie es immer da» 
af beftanden hat und auf diefen Zellen gebaut geweſen ift, 
zu wolle er fie uns allen gefegnet fein laffen! Amen. 


VII. 
Am 9. Sonntage nad) Trinitatig 182 





Tert. Joh. 1, 43 — 51. 

Des andern Tages wollte Jefud wieder in Gala 
siehen, und findet Philippum, und fpricht zu iM 
Folge mir nad. Philippus aber war von Barbie 
aus ber Stadt Andread und Petrus. Philippus % 
det Nathanael und fpricht zu ihm, Wir haben bei 
funden, von welchem Mofes im Gefez, und bie Eu 
pheten gefchrieben haben, Jeſum, Joſephs Sohn ® 
Nazareth. Und Nathanael ſprach zu ihm, Was bat 
von Nazareth gutes kommen? Philippus ſpricht 
ihm, Komm und fiehe ed. Jeſus fahe Nathanatl | 
fi) kommen, und fpricht von ihm, Siehe, ein net 
Israeliter, in welchem Bein Falſch if. Nathanacl (pr 
zu ihm, Woher kenneſt du mich? Jeſus antwork 
und ſprach zu ihm, Ehe denn bir Philippus ri | 
du unter bem Feigenbaum warft, ſahe ich dich. N 
thanael antwortete und fpricht zu ihm, Rabbi, du 
Gottes Sohn, du biſt der König von Jsrael. SH 

antwortete und ſprach zu ihm, Du glaubt, weil N 








101 


bir geſagt habe, daß ich dich gefehen habe unter dem 
Feigenbaum; bu wirft noch größeres denn das fehen. 
Und ſpricht zu ihm, Wahrlich, wahrlich, ich fage euch, 
von nun an werdet ihr ben Himmel offen fehen, und 
die Engel Gottes hinauf und herabfahren auf des Men» 
(hen Sohn. 


Ban drei Yüngern bed Herrn, m. a. Fr., hat und Sohannes 
rher erzählt, wie fie zur Gemeinfchaft des Herrn gelangt waͤ⸗ 
N; zwei unmittelbar aufgefordert durch bad Zeugniß Johannes 
3 Taͤufers, und ber dritte zu Chriftus gebracht durch feinen 
mider. Hier wird von zwei andern erzählt, von Philippus 
nd Nathanael, von denen ber erfte beflimmt unter der Zahl 
r Zwoͤlfe aufgefunden wird, von bem andern aber ungewiß iſt, 
» er zu derfelben gehört habe oder nicht. 

Vom Philippus erzählt Johannes, daß ihn der Herr ſelbſt 
ı fih gerufen habe, indem er ihm begegnet fei, und zu ihm 
Hagt habe, Komm und folge mir nad. Diefed erfcheint 
ns nun wol auf ben erften Anblikk als ein befonderer Vorzug, 
iſſen ſich Ppilippus zu erfreuen gehabt, daß ber Herr ihn bes 
nderd einlud, und fo mag es und um fo mehr wundern, daß 
ir nicht auch etwas befondered und audgezeichneted von feinem 
befchäft in dem Reiche bed Herm und von dem Dienfl, zu bem 
t ihn berief, in den Büchern der heiligen Schrift wahrnehmen; 
enn wenn bie Apoſtel mehrered von einem Philippus erzählen, 
aß er unter den Samaritern dad Reich Gotted audgebreitet 
abe, fo fcheint Dies nicht einer von ben Zwölfen geweſen zu 
in, fondern ein anberer des Namens. Allein worin befteht denn 
ud ber Vorzug, deſſen fih Philippus zu erfreuen gehabt? Es 
leibt doch auch in Bezug auf die übrigen der Spruch wahr, 
üicht ihr habt mich erwählet, fonbern ich euch ); ob bei dem 


) 309. 15, 16. 


102 


einen er mehr that ihn zu feiner Gemeinfchaft zu ziehen, ob an: 
dere auf andere Weife hinzugezogen wurden, bied macht einen 
bedeutenden Unterfchieb nicht aus; es bleibt derfelbige Wille dei 
Herm, der ſich diejenigen auserwählt hat, die zuerfl den Men: 
ſchenkindern Hülfe leiften follten, der fie zu feinen Werkzeugen 
audgerüftet hat, feinen Namen befannt und feine heilige Liebe 
allen zugänglich zu machen. 

Bir fehen auch, daß der Herr hiebei auf eine ganz natık- 
liche Weiſe verfuhr. So wie er diejenigen nicht von ſich wie. 
die ſich durch das Zeugniß des Johannes gedrungen fühlten fer 
Belanntfchaft zu machen, eben fo fehen wir auch bier ihn Tex 
gehen an dem natürlichen Faden ber menſchlichen Entwilliuns 
Philippus war aus ber Stadt des Andreas und Petrus, ak 
auch gewiß dort, wo fie fich in der Fremde befanden, mit ihnen 
in der Nähe des Johannes, und fo iſt nicht zu bezweifeln, dei 
der Herr in dem Philippud auch einen befannten Freund ber;z: 
rief und ihn den übrigen zugefellte. 

Finden wir nun noch jezt, m. g. Fr., einen ähnlichen Us 
terfchied unter den Menſchen, wenn wir darauf achten, wie * 
ber Herr auf verfchiedene Weile zu fich abet? Allerdingd weh 
Es fcheint bei dem einen ſich alles dem Laufe feiner innen Em: 
wikklung oder den vom Herm georbneten Berhältniffen feine 
Lebens anzufchliegen; bei bem andern fcheinen wie bei Philip 
pus ganz befondere Fuͤgungen im Leben, ganz befondere Auffce 
derungen, gleihfam ein von oben her wie burdy eine unmitte: 
bare Veranflaltung des Herm eintretended Rufen Statt zu für 
ben, um feine Seele zu ihm zu führen und von dem bloß irki: 
ſchen Leben abzulenken. Gebt ed bei einem auf eine ſcheinbe: 
natürliche Weiſe ber, fo erfcheint bei einem andem bie Willküt: 
ber göttlihen Gnade. Aber wir bürfen bei biefer Unterfuchun: 
nicht mehr als billig flehen bleiben und etwa ganz befondern 
Werth darauf legen, denn wir fehen nicht, bag diefe Verſchieden 
beit irgend einen bedeutenden Unterfchieb bervorbrachte in dem 


103 

mgange des Herrn mit feinen Juͤngern; olle zwölf waren dem 
ern gleich werth, ungeachtet der eine fo ber andere fo zu ihm 
Nangt war. Darum mögen wir und von dieſem Außen viel: 
‚ehr abwenden und auf bad innere unfere Aufmerkſamkeit rich: 
a; benn darauf fommt ed doch nur an, bag wir jagen können 
it Philippus, Wir haben den gefunden, von dem Mos 
ed und die Propheten gefchrieben, den gefunden, ber ſo 
inge verheißen iſt; wie wir ihn gefunden haben, das iſt doch 
ur Leitung der goͤttlichen Gnade, das iſt doch nur immer ſeine 
Vahl und keines andern. 

Wenn aber nun dieſe Ueberzeugung in dem Menſchen feſt 
eworden iſt, daß er in Jeſu von Nazareth den gefunden habe, 
von dem Moſes und die Propheten geſchrieben: dann entſteht 
such natürlicher Weife das Werlangen, wie der gute Menſch das 
ad beſte und herrlichfte nicht für ſich allein haben will, dieſe 
Ruhe und diefen Frieden der Seele, die er in ihm gewonnen 
hat, auch andern mitzutheilen; und fo fehen wir bei Philippus, 
wie richtig der Herr gethan hat ihn zu fich zu rufen. Da fein 
Glaube fefl geworden war, daß Jeſus der fei, von dem Mofes 
und die Propheten gezeuget, fo läßt er es fich fogleich angelegen 
fein, einen von. denen, die ihn lieb fein mußten, zum Herrn zu 
weifen. Denn fo geht Philippus;, ald er den Nathanael trifft, 
ber aus derfelben Gegend fein mußte, der ihm wol auch befreun: 
bet gewefen ift, zu ihm und fagt, wie er Den Herrn in Jeſu, 
Joſephs Sohn von Nazareth, gefunden. 

Nathanael aber hatte ein Bedenken und ſpricht, Was fann 
von Nazareth gutes fommen? Wir finden ein ähnliches 
Bedenken auch fpäterhin entgegengeftellt denjenigen, die Jeſum 
als den verheißenen Meſſias verfündigten; denn bald fprady man, 
Wir willen ja, von wo biefer ift, wenn aber Chriftud kommen 
wird, wird ed niemand willen "); bald ſprach man wieder, IR 


») Joh. 7, N. 





104 


diefer nicht aud Galilaͤa? aus Galilaͤa ſtehet fein Prophet auf”). 
Wenn aber Nathanael hier fpriht, Was kann aus Naza— 
zeth gutes Fommen? fo muß diefeb fein Bedenken noch eine 
andere Bedeutung gehabt haben. Nänlidy ed war Nazareth ein 
unbedeutender Ort, von bem man nichts großed erwarten konnte 
So fehen wir alfo, daß der Herr den Menfchen von allem äu: 
feren, das ihn zu einem Glauben führen könnte, ber doch nid: 
Stich halten würde, eben weil es auf etwas Außerem beruht. 
abzuloffen weiß. Chriftus war nun wirflih in Bethlehem ge 
boren, in der Stadt Davids **), aber weil er fehr bald von 
Dort weggefommen war und in Galiläa erzogen: fo war bie 
nicht recht bekannt, und der Herr machte es feinem befannt unt 
legt alfo einen befondern Werth darauf; biejenigen, welche an 
folhen Außerlichen Kennzeichen hafteten, fanden nun Bebenfa 
zu glauben, und darin muͤſſen wir nur die göttliche Gerechtig: 
keit erkennen, weil Died doch nur ein unvolllommner Glaube ge 
weien wäre, der am Außerlichen baftete. Nathanael ging baren 
aus, daß wenn der Herr etwas großes und ausgezeichnetes wol: 
gefchehen Lafjen auf Erden: fo fehe man auch die Worbereitun: 
dazu und finde folche befondere Werkzeuge audgehen aus folchen 
menſchlichen Verhättniffen, in welchen fhon der Grund zur Er 
leuchtung des Geifted hätte gelegt werden können. Wie ſehr das 
eine einfeitige Anficht iſt, und wie viele Beiſpiele es auch vom 
Gegentheil giebt, davon zeugt die Gefchichte auf mannigfaltige 
Weiſe. Wo ed die menſchliche Berechnung am wenigften erwer- 
tet, aud dem tiefen Dunkel und aus der unbebeutenden Menge 
wählt ſich ber Herr feine Werkzeuge. Nur für den gewöhnlichen 
Gang der Dinge mag jene Regel gelten, daß, wie Gott ja aus 
ein Gott der Ordnung ift ***), die Entwilflung des innen nur 
im Zufammentreffen mit den Umfländen von außen daqzu führe, 
dem Menſchen zu manchem außergewöhnlichen zu verhelfen un: 





*) 30h. 7, 52. "au, 2, 11. .. 1Kor. 14, 33. 


105 


tes feinen Brübern; für das außerordentliche aber gilt auch nur - 
das außerordentliche, und darum war e8 auch der Sache nicht 
angemeffen, daß Nathanael fagte, Was kann aus Naza reth 
gutes kommen? 

Wie entgegnet ihm aber Philippus? Komm und ſiehe 
es; und darin erkennen wir recht, wie ſehr die Seele, wenn ſie 
ſchon feſt geworden im Glauben, rein an ihrem Gegenſtande 
haͤngt und nicht an etwas aͤußerlichem. Damit hatte Philippus 
feine Rebe angefangen, daß er fagte, Wir haben den gefuns 
ben, von welhem Mofed im Gefez und die Prophe 
ten gefchrieben haben, und dann bezeugt er zu biefem feis 
nen Glauben, daß in jenen alten Büchern von einem kuͤnftigen 
Reiche Gottes geredet war, noch dies, bag jene Verheißung ers 
füne fer in Iefu von Nazareth. Als aber Nathanael fein 
Bedenken aufftellt, da Fonnte er nicht anders ald ihn auf bie 
innere Gemeinfchaft zurüßfweifen, die ihm fchon geworben war, 
Komm und fiche ee. 

Und anders, m. g. Fr., können und follen auch wir ed nicht 
machen, wenn in und das Verlangen entfieht dad Heil andern 
mitzutheilen; auf nichtd andered follen wir und berufen als auf 
unfere Erfahrung, auf unfere Seele, die durch den Glauben froh 
geworden iſt. Wie Sohannes in Bezug auf dad fleifchgewordene 
Wort fagt, Wir fahen ın ihm bie Herrlichkeit des eingebornen 
Sohnes vom Vater *): fo ruft Philippus, Komm und fieh, 
und du wirft fehen, Daß er derjenige ift, der vom Himmel herab 
ben Menfchen gegeben ift, komm und ſieh e®. 

"Nicht nur, m. g. Fr., gegen bie Zweifel, die aus ben dus 
ßerlichen Verhältniffen und aus dem gefchichtlichen Laufe der 
Dinge hergenommen find, giebt es Feine andere Antwort, als, 
Komm und fieh; fondern auch auf bad erlangen, daß fie 
auf dem bloßen Wege des Verſtandes zu der rechten Einficht des 


) Joh. 1, 14. 





106 


Heils kommen zu können meinen, giebt es Teine andere Antweg, 
als daß es Jeſus fei, durch den die göttlichen Verheißungen er 
füllt find, feine andere Einladung als diefe, Komm und fiche 
Der Glaube kann Feinen andern Grund haben, auf welchen a 
mit Fefligfeit ruht, als die Erfahrung; er fommt nur in fo fem 
aus der Predigt *) — denn dad Wort ded Philippus war ja 
auch eine Predigt — als diefelbe die Aufmerkjamkeit und Hoff: 
nung eined Herzens, weldes fein Bedürfnig fühlt, auf feinen 
wahren Gegenfland hinweifen mag; bewirken aber kann bie Pre 
digt felber nichts, fondern der Herr felbft muß die Kraft geben, 
und fo iſt ed auch jezt nichts anderes was ben Glauben bewirkt, 
als dad ganze Bild ded Lebens unfered Herm, wie ed vor uns 
flieht in der heiligen Schrift, und alles, wad er durch feinen 
Geiſt fchon hervorgebracht bat in den Herzen derer, welche von 
diefem Glauben ſchon durchdrungen und ergriffen find. 


Aber daraus, m. g. Fr., geht freilich hervor, daß uns in 
diefer Beziehung noch etwas größered und anderes obliegt als 
jenen erſten Süngern des Herrn; fie hatten nichts anderes zu 
thun ald zu fagen, Wir haben den Meſſias gefunden, und bie 
bungernden und bürftenden herbei zu rufen; das übrige aber 
konnten fie dem Herrn felbft überlaffen; jezt aber, da der Den 
nicht mehr da ift, kann der Glaube nur entftehen, wenn in dem 
Menſchen fih bie Ueberzeugung entwillelt, daß alles, was in 
der Schrift vom Herm gefagt, ein wahrhaftiges Zeugnig if von 
ihm, und bie Berheißung erfüllt ift in ihm, fo bag wir mit Phi 
lippus fprehen Eönnen, Bir haben den gefunden, von 
welhem Mofed im Geſez und die Propheten gefchrie 
ben haben. O können wir dies fagen, fo find wir auch ein: 
gegangen in dad Meich des Herrn. Haben auch wir dann er 
Fannt die Kraft des Sohnes, die audgegangen ift unter die Men 


“ 





*) dm. 10, 17. 


107 


ſchen; ifi es fo, bag nicht mehr ber bloße Buchſtabe zu uns 
fpricht, ſondern ba dad Wort lebendig geworden if in unferm 
Herzen: o dann werden auch wir ganz ergriffen werden von feis 
ner Kraft; und wenn biefe neue Schöpfung aufgegangen iſt in 
uns, unfer innerfie nad) außen hinauddringt: fo werben auch 
wir nichts anderes fprechen, als Kommt und febet. 

Aber der Herr verfhmäht audy nicht fi) noch auf eine eis 
genthümliche Weife zum Nathanael zu wenden, wiewol nicht um 
ihn zu gewinnen, indem er zu ihm fpricht, als er ihn zu fich 
fommen fieht, Siehe ein rechter Söraeliter, in welhem 
fein Falſch ifl. 

Hiebei, m. g. $r., fällt und wol fogleich ein, wenn ed wahr 
ift und das tieffie Weſen unfered Glaubens ausmacht, bag erſt 
durch Die Verbindung mit dem Erlöfer alles wahrhaft große und 
fhöne in unferee Seele gewekkt wird, erft dadurch and Licht 
gebracht wird, was vorher dunkel und getrübt iſt: wie konnte 
dann wol ber Herr vom Nathanael, der doch noch nicht gläubig 
war, fagen, Ein rechter Söraelit, in welhem fein Falſch ift; 
denn barin druͤkkt fich doch die innerfte Reinheit feiner Seele aus; 
und wenn wir freilich fagen müffen, daß es ein großes Lob if, 
fo fehen wir doch zugleich, wie dieſes ohne Falfchfein bei Natha⸗ 
nael noch alle die Vorurtheile zuließ, die noch erft zu uͤberwin⸗ 
den waren, und wie bemohnerachtet der Geift Gottes in feiner 
Seele noch zu thun hatte, wenn gleich gefagt wird, Ein rech⸗ 
ter Is raelit. 

Wenn wir aber, m. g. Fr., den Menſchen betrachten, wie 
er von Natur iſt, ſo finden wir eine große Abſtufung. Das 
tiefſte Verderben zeigt ſich in ber Falſchheit des Menſchen, wenn 
er ſich der Lüge hingiebt und andere zu taͤuſchen ſucht, und ba: 
gegen zeigt fich freilich das edle und göttliche in der menſchli⸗ 
hen Natur um fo mehr in jedem, je mehr er von Natur frei 
ift von der Theilnahme an der Lüge, je mehr er geworben ift 


108 


grabe und einfach ohne Ruͤkkſicht zu nehmen auf Wortheil obes 
Nachtheil, auf Lob ober Zabel, auf Ruhm ober Schande. Und 
wir müffen geftehen, wie die menfchliche Seele einfältig °) von 
Gott gefchaffen iſt und fich auch fo darftellen fol, fo macht bes 
vor allem fie würdig Theil zu haben am Rathſchluß der göttli- 
‚en Gnade, und offenbart fich darin am meiften in berfelbigen, 

auch beim natürlichen Menfchen, dad Ebenbild Gotted, wenn wir 
fie antreffen ohne Falſch. Iſt der Menſch ohne Falſch, fo Bann 
er fi) auch dem nicht entziehen, wenn wir ihn dufmerfiam da⸗ 
rauf machen, wie er der Gnade bebürftig fei; und ed iſt deſto 
leichter den Erlöfer da zu fuchen, wo man ihm fagt, baß er zu 
finden fei. Und gewiß, fo wie dieſes das fchönfte und edelſte if, 
welches fi, in dem natürlichen Menfchen zeigt: fo müflen wir 
fagen, ed ift die Gnade des Herm, daß der Menſch fidy der 
Wahrheit wieder hingiebt; denn nur wer bie Wahrheit ſchauen 
mag, der vermag aud dem Sohn Gottes ind Antliz zu ſchauen, 
und wer ber Wahrheit Angeficht recht ſchauen will, ber vermag 
auch mit durfligem Auge in das Reich Gottes zu ſchauen, ums 
nicht zu bleiben wie er if, fondern fo zu werben, wie bad Reid) 
Gottes ihm zeigt, daß er fein fol. 

As nun Nathanael, grade wie ed der Menſch ohne Falſch 
machen würde, ben Herm fragt, Woher weißt bu, baf ich ein 
folder bin, woher ken nſt bu mih? Da fagte ihm ber Herr 
etwas, dad die andern, bie zugegen waren, nicht verflanden und 
auch nicht verftehen follten, aber die Ueberzeugung gab es dem 
Nathanael, dag er ſprach, Rabbi, du bift wahrhaftig Gor 
te8 Sohn. 

Was ed auch geweien fein mag, ed muß von ber Art ge 
weien fein, daß eben beöwegen, weil e8 ber Herr wußte unb ihn 
baran erinnern konnte, ihm ſelbſt zuerft die Herrlichkeit ded ein: 


Pred. Sal, 7, 30. 


109 


gebornen Sohnes vom Bater in diefem Jeſu von Nazareth ent: 
gegenftrahlte. So, m. g. Fr., fagt Iohanned auch anderwärts, 
der Herr habe nicht nöthig gehabt, Daß man ihm fage, was in 
einem Menfchen fei, fondern er habe immer gewußt, welchen er 
fich vertrauen dürfe. Und billig müffen wir dieſes zu feinen Vor⸗ 
zügen rechnen, daß ihm dad menſchliche Gemüt offen und Far 
vor Augen lag, bag er von dem aͤußern einen fchlechthin richtis 
gen Schluß machte auf dad innere, und jeded geringe Zeichen 
ihm binreichte den verborgenften Zuftand ber Seele zu erfahren. 
Der Herr läßt fi) dad auch gefallen und widerſtrebt ihm nicht, 
baß dieſes ein vechted Zeichen fei, woran er ihn habe erfennen 
können, und wir können nicht anders als fagen, daß dieſer ei» 
genthümliche Vorzug ded Erlöfers, wie ja feine Worte nichts 
andered waren als ein Auddruff feiner Herrlichkeit, auch über: 
gegangen fei auf das Wort, dad von ihm zeugt; und fo geftehen 
wir auch, daß dad Wort Gottes Mark und Gebein ſcheide *) 
und in das innerſte der Seele dringe. Darin verfündigt es feine 
Macht, daß ed und zugleich alled unvollfommene und verkehrte 
aufdekkt; dies ift feine göttliche Kraft, bie wir alle fühlen müfs 
fen, je mehr fich dad Bud des Erlöferd in uns geftalten fol. 

Der Herr aber fagt zu Nathanael, Deswegen glaubft 
du nun, und nicht mit Unrecht; du follft aber noch grös 
ßeres ſehen, nämlich größeres als diefe Verbindung ber les 
bendigften Erkenntniß, in welcher der Erlöfer fland mit der gan⸗ 
zen Menfchheit, die er mit ſich verbinden follte; und indem er 
fo mancherlei Abftufungen fezt in dem, was ber Sohn offenba: 
ren follte von der Herrlichkeit des Vaters, bezeichnet er dieſes 
größere, wovon er rebet, mit diefen Worten, Wahrlich ich 
fage euch, von nun an werdet ihr ben Himmel offen 
fehn und die Engel Gottes hinauf» und herabfteigen 
auf des Menfhen Sohn. 





) Ebr. 4, 12. 


110 

Diele Worte konnten die anwefenden, bie ber Schrift kun: 
dig waren, erinnern an ein Geficht, welches Jakob im Traume 
fahe, naͤmlich die Himmelßleiter *), woburd der Herr ihm be 
zeichnen wollte, bag ber Drt wo er liege ein beiliger fei, und 
ihm bie tröfllihe Verheißung gab, daß eben dieſen heiligen Be: 
ben er allem feinen Saamen geben wolle. Und fo giebt ber Er: 
löfer nun zu erkennen, daß dieſe Verheißung jezt erfüllt fei, weil 
eben in diefem heiligen Lande er als berjenige geboren fer, ber 
alle in folche Wereinigung mit dem Himmel führen follte Die 
ſes follten fie nun immer mehr und mehr erbliffen in ihm, im- 
mer mehr zum Himmel hingeführt werden und fo die Engel 
Gottes hinauf: und herabfieigen fehen auf bed Den: 
fhen Sohn. 

Und bad fagt der Herr, indem er fein Öffentliches Leben um: 


ter ben Menfchen anfängt, da er erſt ein fo Kleines Hauflein 


von fünf Seelen um fi) gefammelt hat, wie fie waren. Se 


batte er eben dad Vertrauen, daß fie erfennen follten in ihm bie 
Verbindung des göttlichen mit dem menfchlichen, bed irdifhen mit 


dem bimmlifchen, von biefem Tage an follte ihnen biefes Licht 


aufgehen und fie fo befefliget werben in der Gemeinfchaft mit ihm. 


Und eben diefed, m. g. Fr., foll aud für und alle ber in- 


nigfte Ausdrukk der tiefften und feligfien Erfahrung fein; buch 
den Erlöfer allein befteht dad Band zwiſchen Himmel und Erbe 


Je mehr wir und ihm bingeben, je mehr wir auf fein Wort 
und Werk achten, deſto mehr werben wir bieö erkennen; und 
eben darin liegt die Kraft des Glaubens, daß wir in biefe Ber 
bindung des irdifchen mit bem himmliſchen auch felbft mit hin: 
eingezogen werben und eben fo gewiß daran Theil nehmen, als 
er und erwählet; das ift die Herrlichkeit ber Kinder Gottes, 
weldye durch den Erlöfer offenbar werden ſollte. Denn was 
kann ed berrlicheres geben, ald wenn wir, hineingezogen in bie 


) 1Woſ. 8, Lt fob. 


111 


Verbindung des göttlichen mit dem menfchlichen, ihm gleich find 
und ihn fchauen, wie er ift *), ihn immer inniger erfennen ler 
nen auf diefe unmittelbare Weife ald den eingebomen Sohn vom 
Bater in Ewigkeit, und auf diefe Weile von einer Stufe zur 
andern geführt werden in den Reichthum feiner Gnade als folche, 
die dur ben Glauben aus dem Tode zum Leben hindurchges 
drungen find **. Amen > 


) 1 Joh. 3, 2. ) Joh. 5, U. 





IX. 


Am 21. Sonntage nad) Trinitatis 1823. 


Text. Joh. 2, 1— 1. 

Und am dritten Zage ward eine Hochzeit zu Kana 
in GSaliläa; und bie Mutter Sefu war da. Jefus 
aber und feine Jünger wurben auch auf die Hochzei: 
geladen. Und da ed am Wein gebrach, ſpricht Lie 
Mutter Jeſu zu ihm, Sie haben nit Wein. Jeſus 
fpricht zu ihr, Weib, was habe ich mit bir zu fchaf: 
fen? Deine Stunde ift noch nicht gelommen. Sein: 


Mutter fpricht zu den Dienern, Was er euch fagt, dus 


thut. Es waren aber allba ſechs fleineme Waſſerkruͤg: 
gelegt, nad) der Weife der jüdifihen, Reinigung; une 
gingen je in einen zwei ober brei Maaß. Jeſus fpricht 
zu ihnen, Zület die Waflerfrüge mit Wafler. Und fie 
fülleten fie bi oben an. Und er fpridt zu ihnen, 
Schöpfet nun, und bringt ed dem Speifemeifter. Und 
fie brachten ed. Als aber der Speifemeifter koſtete den 
Wein, ber Waſſer geweſen war, und wußte nicht, von 
wannen er fam, die Diener aber wußten ed, bie das 
Waller geichöpft hatten — ruft der Speifemeifter den 


113 


Bräutigam und fpricht zu ihm, Jedermann giebt zum 
. erfin guten Weln, und wenn fie trunfen geworben 
find, alsdann den geringeren; bu haft den guten Wein 
bisher behalten. Das iſt das erfte Zeichen, das Jeſus 
that, gefchehen zu Kana in Galiläa, und offenbarte 
feine Herrlichkeit. Und feine Sünger glaubten an ihn. 


M. a. Fr. Wie und Johannes manches erzählt, wovon bie 
ndern Evangeliften ſchweigen, fo bat er auch dieſe Begebenheit 
ewiffermaßen aus der Vergeſſenheit wieder hervorgerufen. Gie 
hört in die erſte Zeit des Öffentlichen Lebens Chrifti, wo noch 
icht einmal dad ganze Häuflein feiner Juͤnger, die ihn beftän- 
ig begleiteten, beifammen war; darum konnte fie gar leicht Durch 
o viele fpätere wunderbare Begebenheiten gleichſam verbrängt 
verden, fo daß fie in Wergeffenheit gerathen wäre, wenn Johan⸗ 
18 fie nicht aufgezeichnet hätte. Ex aber erzählt fie und mit 
iner gewiffen befondern Liebe und dem Verhaͤltniß ber Sache 
ach auch mit größerer Ausführlichkeit, und eben beöwegen muß 
8 für und wichtig fein, fie fo genau als wir koͤnnen — denn 
sieled bleibt und immer in den wunderbaren Thaten bed Erlös 
ers verborgen und unerklärlich — in ihrem rechten Zufammen« 
yange zu verfichen. 

Es ift aber ſchon aus einer Urfache etwas große und 
wichtiged, daß und Johannes dieſe Gefchichte erzählt, weil fie 
und fo deutlich zeigt, wie wenig diejenigen ben Sinn bes Erlös 
fer8 treffen, "welche vormehm thun und ſcheu in Beziehung auf 
die gefelligen Freuden und Nergnügungen ihrer MBrüber und 
fich denfelben entziehen, um dadurch gleihfam zu einer. größern 
Heiligkeit ihred Lebens zu gelangen. Davon wußte ber Here 
nichts, vielmehr gleich im Anfange feines Öffentlichen und mit 
feinen Juͤngern gemeinfamen Lebens wollte er ihnen durch bie 
That zeigen, daß er nicht fei nach ber Weile Johannes des Taͤu⸗ 
fers, der nicht aß und trank, fondern fi von ber Geſellſchaft 

Hom. üb, Eo. Joh. 1. " 9 





113 


der Menfchen in die Wuͤſte zuruͤkkzog *)., Ja was noch mis 
ift, wenn wir ben ganzen Zufammenhang ber Geſchichte beten 
fen; wenn wir erwägen, wie Chriftuö der Herr nech gan; fm 
zuvor in einer andern Gegend verweilte, wohin ex gegangen wa 
um vom Johannes die Taufe zu empfangen, wie er hier, md 
und ber Evangelift ganz deutlich und beſtimmt in bem ee 
Gapitel erzählt, mehrere feiner Jünger um ſich ber verlammei 
und dann drei Tage darauf fchon in Galiläa auf diefer Hodze 
war, aber auch hier nach beendigter Feier nicht länger verweit 
fondern nur wenige Tage bafelbft zubrachte und nicht lange nö 
ber, wie und Johannes ebenfalld in den auf unſeren Xert it 
genden Worten erzaͤhlt, mit ſeiner Mutter, ſeinen Brüdern nl 
feinen Sängern zu Kapernaum war und dann gleich wie 5 
rüffging nach Zerufalem auf dad hohe Feſt feines Wolke: i 
gewinnt es dad Anfehen, ald ob dies mit ein Beweggrund g 
weſen wäre, biefem Feſte bei Verwandten und Freunden hip 
wohnen und ein früher darüber gegebened Wort zu loͤſen. B 
nun eine folche Zeftlichleit überall unter den Menſchen aus jmd 
verfchiedenen Seiten befleht, dad eine ift Gebet und Segen = 
Theilnahme ber frommen Gemeinfchaft an einem fo wichtigen im 
heiligen Bünbnig, wo es gefchloffen wird, das andere aber i 
die geiellige Sröhlichkeit, die fich daran anfchliegt: fo hat ma 
der Erlöfer nicht nur dad heilige Buͤndniß ehren wollen datum, 
daß er bei dem erfien Theile der Zefllichkeit zugegen gemeia 
fondern er ift auch unter den Gäflen der Hochzeit und niam 
an ben Mahle und an ber gefelligen Froͤhlichkeit Theil. | 

Laßt und, m. a. Fr., hieran gleich eine andere Betrachtun— 
knuͤpfen. Was war es für ein Augenblikk geweien, an wide 
und Johannes unmittelbar vorher erinnert, und ben wir früde 
zum Gegenfiand unferer Betrachtung gemacht haben? Nadi® 
ber Erlöfer vom Johannes getauft war, und diefer feine Jung 





) Matth. 11, 18. 


113 


uf ihn hingewieſen hatte mit den Worten, Siehe das tft Gottes 
amm, welches ber Welt Sünde trägt, zween aber unter ihnen, 
urch fein Zeugniß bewogen, bem Herrn nachgingen und in ihm 
en Meſſias erfannten, auf ben Johannes hinwied, und dieſe 
vieder ihren naͤchſten Verwandten und Freunden die freudige Ents 
ekkung machten, daß fie den Mefjiad gefunden, und biefelben 
sit bem Herrn in eine nähere Verbindung brachten: ba richtete 
e ihre Aufmerkfamfeit auf das Himmelreich, welches er fiften 
vollte; da leitete er ihre Gedanken von bem einzelnen ausgezeich⸗ 
eten, wa8 auf fie gewirkt hatte, zu dem himmlifchen und ewis 
en; da redete er in bem Gefühl feined göttlichen Berufs zu ih⸗ 
en von feiner Gemeinfhaft mit dem ewigen, inbem er fprach, 
zon nun an werdet ihr ben Himmel offen fehen und 
ie Engel Gottes hinauf» und herabfahren auf des 
Renfhen Sohn. Was für felige Stunden waren das, bie 
a5 erfte herzliche Bünbnig Enüpften zwiſchen ihm und benen, 
velche die treuen Gefährten feined Thuns und feines Leidens fein 
oüten und wollten bis an das Ende der Lage! Welche gemein: 
me Begeifterung, welches andächtige erhebende Aufichauen zum 
Jimmel, welches die ganze Seele tief durchdringende Bewußtfein 
on ihrer Gemeinfchaft mit Gott, die in ihnen gelnüpft war 
urch den, in welchem jie fchauten bie Herrlichkeit des eingebors 
en Sohnes vom Water! — Und unmittelbar auf diefe herrlis 
yon Augenblikke die Zerflreuung einer gemeinfchaftlichen Reife, 
nd unmittelbar auf dieſe die Theilnahme an einem fröhlichen 
efeligen Zefte! — Sehet hieraus, m. g. Fr., wie weit ber 
rriöfer und ähnlich geworden ift in allen Verhältniffen des menſch⸗ 
hen Lebend. Wenn und einmal folche ausgezeichnete und im 
eiſtigen Sinne des Wortes reiche und befeligende Augenbliffe 
u Theil geworben find, fei es nun bei der gemeinfamen $eier 
nferer chriftlichen Zefte, fei es bei außerordentlichen Bewegungen 
ınfered innern, fei es bei fonft ausgezeichneten Veranlaſſungen 
n unferen Werhättmiffen zu den Menfchen; wenn unfere Seele 
92 


116 


dann binaufgezogen ift von dem irbifchen zu dem ewigen, wi 
der Herr die Blikke feiner Jünger von dem vergänglicyen au 
das himmlifche richtete; wenn wir bann wie fie damals in jene 
heiligen Augenblikfen, als ber Erloͤſer vor ihnen verklärt wer 
auf dem Berge, und fie feine Herrlichkeit auf eine eigenthümlic 
Weiſe fchauten, wenn wir dann mit ihnen fprechen, Hier Lil 
uns Hütten bauen: bad ift bie Achnlichkeit umferes Lebens mi 
dem Herm, die fi aber aud durch alle unfere irbifchen Ba 
bältniffe in dem Maaße fortſezt, ald wir ihm angehören. Den 
fo ift nun das menfchliche Leben, es fnüpft unmittelbar das ꝙ 
ringſte an an bad grouͤßte, das aͤußerlichſte an bad innerlichfte, un 
dieſem Wechſel ift der Exlöfer eben fo unterworfen gewelen mi 
wir, und er fügte fich in denfelben mit Ruhe und Sreubigtel 
aud) da, wo es nicht etwas großed und bebeutenbed war, me 
ihm bei der ſtillen Betrachtung der menſchlichen Seelen und an 
dem gemeinfamen Bufammenleben in den größeren und Hein 
Kreifen der Menfchen entgegentrat. Und darum, m. g. Gr. IH 
len wir und denn auch in diefen Wechſel fügen und über DR 
Berkettung in dem menſchlichen Leben nicht murren noch ni 
frieden fein. 

Aber es fol freilich dieſer Wechfel Leine Verſchiedenheit # 
unſerem Gemüthözuftande hervorbringen, fondern Leicht das @& 
in bad andere übergeben. Und wer wollte wol glauben, 54 
mun auf jener Reife zu dem heiligen Feſte ber geiftige Verf 
des Erlöferd mit feinen Juͤngern ganz wäre unterbroden u 
geftört gewefen, daß er und fie etwa ganz wären aufgegansi 
in dem dußern Leben. Kielmehr fehen wir aus ber Erzahlim 
des Johannes felbft, wie genau er und bie andern unter DM 
Juͤngern des Herm, bie zu dem fröhlichen Feſte mitgeladen uw 
anmefend waren, in bem mit dem Erlöfer angefnüpften Berhält 
niß blieben, wie genau fie auf alles Acht gaben, was er fg 
und that, wie das ihrem innern eingegraben blieb, und wie ra 
auch bavon der gefegnetfle Eindrukk in ihnen feſtſezte, fo deß 


117 


ach vielen Jahren Johannes diefe Gefchichte und mit einer fols 
yen Lebendigkeit und Klarheit erzählen konnte. 

Wenn wir Chriften bei einander find, m. g. Fr., dann foll 
3 immer auch mitten unter der äußern Sröhlichkeit die Spuren 
ined geifligen Lebens geben, dad höhere und himmlifche, welches 
ı unferer Natur liegt, fol ſich auch darin fortſezen Eönnen, und 
ven fo follen wir über diefem Wechſel ſtehen, dag wir uns über 
‚n nicht beflagen ober über ihn murren. Jeder große und auds 
ezeichnete Augenblif der Erhebung unferer Seele ift nichts vor» 
bergehendes und vergängliches; fonbern ex ift ein Schaz, den 
ir bewahren koͤnnen mit gutem Willen unfer ganzes Leben hin- 
urch, und wovon fich auch der Segen von Zeit zu Zeit immer 
jieder zu erdennen giebt. Wenn wir in den gefelligen Kreifen 
er Menſchen weilen, fo find wir nicht da um ben finnlichen 
zenuß zu theilen oder zu vermehren, fonbern bad ift das rechte 
zerhaͤltniß des Chriften in diefem Sinne, wovon uns biefe Ers 
ihlung ein lebhaftes Beiſpiel giebt, daß alles finnliche in ber 
Jeiterfeit und Unfchuld bed Lebens ſich auf das leichtefte mit dem 
eiftigen ſoll verbinden, daß nichts, was das Außere Leben der 
Nenſchen und ihre gefelligen Verhältniffe mit fich bringen, aus⸗ 
eihloffen und auögeleert fein fol von dem bimmlifchen, fondern 
inen höheren geifligen Gehalt gewinnen. 

Und wahrlih, m. g. Fr., wenn wir bebenten, wie von ben 
yatern Wundern unfere® Herrn die meiften bie Abzwekkung hats 
m einzelne Leiden und Widerwaͤrtigkeiten des menfchlichen Les 
end aufzuheben, und wenn wir auf der andern Seite bedenken, 
ie einem fröhlichen Herzen das Erhalten und Nähren der Freude 
ı denjenigen Zeitpunkten bed Lebens, die der Ruhe und ber Er: 
eiterung gewibmet find,-je größer ber geiflige Gehalt darin ifl, 
m fo mehr ein Verwahrungsmittel iſt gegen bie Widermärtig: 
eiten dieſes irdifchen Lebens: fo werden wir das ganze Verhal⸗ 
en des Erlöferd bei diefem Zefte nicht nur, fondern auch bei 
hnlichen Weranlaffungen, welche ihm von den Menichen gege: 


118 


ben wurden, und was er bei biefes befonberd that, in bie ge 
nauefte Uebereinftimmung bringen mit demjenigen, was er fonfl 
in feinem Leben unter den Menſchen that, und mit der göttli- 
hen Kraft, die ihm urfprünglicy einwohnte, und die ihn in fa 
sem Berhältniffe jemals verließ. 

Penn wir aber weiter Iefen, wie Daria, bie Mutter Teiu, 
als es an Wein gebrah, ſprach, Sie haben nit Beim, 
und Sefus ihr antwortete, Weib wad habe ih mit bir ;a 
fhaffen, meine Stunde ifi noch nicht gefommen, fein: 
Mutter aber body zu den Dienern fpriht, Bad er euch ſagt 
das thut: fo finden wir darin zweierlei, was und befrem. 
den kann, wovon aber eine genaue Rechenfchaft zu geben zeiz 
nicht im Stande find. 

Das eine ifl die Art, wie ber Exrldjer mit feinee Mutter 
redet, die allerdingd etwas befremdend hartes an ſich bat, = 
dem er fagt, Weib, was habe ih mit dir zu ſchaffen? 
Die Rede des Herm in der Urſprache iſt fehr kurz, und vie. 
leicht hätte fie Luther auch eben fo gut fo überlegen fonne 
Weib, was geht es dich und mid an? was haben w: 
beide damit zu fchaffen, daß ed an Wein gebricht? woburd team 
die fcheinbare Härte fich bedeutend vermindert. Aber es bie: 
noch eine andere Schwierigkeit. Indem naͤmlich der Erlöjer tis 
fagt, wie er es auch gemeint haben mag, fo war ed eine abled 
nende Antwort, und ed geht daraud hervor, bag er in dieſes 
Aygenblift noch nicht Willens geweien ift bad zu thun, was die 
Mutter wünfchte, oder daß er es ihr wenigſtens nicht hat fagen 
wollen. Sol er fih nun naher dazu entſchloſſen haben um: 
erſt ſpaͤter den Befehl an die Diener gegeben, wodurd dem Man 
gel; den feine Mutter bemerklih gemacht hatte, abgeholfen wer 
ben konnte? Kine foldye Unentichloffenheit, ein ſolches Schwan: 
ten koͤnnen wir uns in-ihm nicht benfen, der Gegenfland fei nach 
fo gering, 


419 


Daß zweite, was und befrembet, {ft bieß, daß ohnerachtet 
iefer ablehnenden Antwort bed Herrn feine Mutter dennoch zu 
en Dienern fpriht, Was er euch jagt, dad thut, ald ob 
ie auf ber einen Seite ſchon davon überzeugt war, Daß, wenn 
r auch anfangs zweifelte, er hernach doc das thun würbe, was 
ie wünfchte und erwartete, und ald ob fie auf ber andern Seite 
bon eine Erfahrung davon gemacht hatte, daß er folche wun⸗ 
erbare Wirkungen hervorbrächte, da doch Johannes am Ende 
iefer Erzählung fagt, Das ift das erfie Zeichen, welches 
deſus that. Wie gejagt, über beide wiffen wir und keine 
venaue Mechenfchaft zu geben. Ob die Mutter Jeſu irgend eine 
vunderbare Hülfe von ihm erwartet hat und grade die, welche 
ex leiftete,- oder ob fie glaubte, irgendwie würde er Rath zu ſchaf⸗ 
fm wiffen für dad Bebürfnig der Gefellihaft: dad wiffen wir 
nicht. Die ausdruͤkklichen Worte des Apofteld machen es uns 
wahricheinlich, dag Chriſtus vorher ſchon Wunder gethan hat, 
wenigftend nicht in Galilda, und anderwärtd hatte feine Mutter 
ihn nicht gefehen und mit ihm gelebt. Was aber die ablehnende 
Antwort betrifft und feine nachherige Bequemung dazu, fo hängt 
dies zunächft zufammen mit einem andern Umflande, auf ben 
wir unfere Aufmerkſamkeit richten müflen. 

Die Mutter Jeſu fpricht zu ihm, Es gebriht am Wein. 
Der Speifemeifter hernach, ald er ben Mein koſtete, der Waſſer 
geweien war, ruft fi) den Bräutigam und macht ihm gleiche 
fam Vorwürfe darüber, daß er auf eine entgegengefezte Weiſe 
handle, ald es fonft zu geſchehen pflege. Andere, fagt er, ge 
ben zuerf den guten Wein, und erſt fpäter, wenn bie 
Gaͤſte trunken geworden find, ben geringeren, bu 
aber haft den beſten aufbewahrt bis hieher. 

So fehen wir, es war ſchon das feftliche Mahl mehr in 
feiner lezten als in feiner erfien Hälfte, es war kein eigentlicher 
Mangel, welchen nothwendig geweſen wäre zu befriedigen, das 
Beduͤrfniß war mehr dad eines gewiflen Anſtandes, daß es an 


180 


demjenigen gebrach, was die Säfte noch wuͤnſchten. Wie ladı 
ober bei folchen feftlihen Zufammenkünften von einzelnen ober 
mehreren bad rechte Maag ded Genuffes überfchritten wird, wo 
bei der Wohlſtand und bie ungetrübte Empfindung des Mm: 
ſchen nicht beftehen kann, dad wiffen wir wol, und ber Erloͤſer 
gewiß wird es fich nicht verftattet haben einer Unmäßigkeit Bew 
ſchub zu leiften auf irgend eine Weife, die er ſelbſt tabeln unt 
verwerfen mußte. Er nahm gern Theil an den fröhlichen 3x 
fammentünften der Menfchen, aber gewiß auch fo, dag er babe 
für alle ein untrügliches Mufter ded rechten Maaßes war, ge 
wiß auch fo, daß überall feine Mipbilligung jene Ueberfchreitung 
des rechten Maaßes wird getroffen haben, und daß er fie aus 
denen wird bemerklich gemacht haben, die im Stande waren fe 
zu verſtehen; daß er aber jemals auch nur auf die entfernteſte 
Weile follte Gelegenheit gegeben haben zu einer "Ueberfchreitun; 
bed rechten und ſchikklichen Maaßes in diefen Dingen, das bir: 
fen wir nicht glauben. Indem alfo ber Erlöfer von feiner Mur 
tes aufgefordert warb dem Beduͤrfniß, welches entflanden war, 
abzuhelfen, fo müffen wir es natürlidy finden, daß er vorber & 
sen Blikk auf den Zuſtand der Gefellichaft warf, ob derſelbe 
auch von der Art fei, daß er fi) in ber Folge keinen Worwur 
würbe zu machen nöthig haben über das, was er thun wollt, 
und ob er alſo die Bitte feiner Mutter erfüllen koͤnnte und nick 
einer Neigung Vorſchub leiften würde, die er felbft für verwerk 
lich erflären mußte; und erft als er hierüber ein fichered Gefüh 
erhalten hatte, ba that er, was er that. 

Hier, m. g. $r., finden wir auf der einen Seite die Reim 
heit des Erlöferd in ihrer ganzen Wolllommenheit, auf der am 
dern fehen wir, wie er nicht nur Theil genommen bat an deu 
gefelligen Vergnuͤgungen ber Menſchen, fondern wie er ſich auch 
ganz in die in der Gefelfchaft herrfchenden Vorſtellungen vom 
ſchikklichen und in das wohlanfländige Gefühl gefügt hat. 
Wenn wir nun fragen: was wäre bemm eigentlich für eim Uebel 


121 


darans entflanden, wenn der Erlöfer die Witte ſeiner Mutter 
nicht erfüllt hätte? fo werden wir nichts wefentliched anzufühs 
ren haben, fondern nur bie, daß der Bräutigam und biejenigen, 
welche mit ihm dad Mahl audgerichtet hatten, ein gewiſſes Ges 
fühl der Beſchaͤmung darüber gehabt hätten, daß fie nicht bins 
reichend geforgt hatten für die Wünfche und bie Beduͤrfniſſe des 
rer, die zu dem Feſte geladen waren. Auch, dafür hatte der Er» 
Löfer ein Gefühl, fofern etwas wahres darin war, und dies wurbe 
für ihn eine Weranlaffung mit feinen audgezeichneten Kräften 
auch ba Hülfreich zu fein, wo in ber That dad Beduͤrfniß nichts 
größeres, nichts weſentliches war. 

Wenn wir nun in der That ihn hierin nicht nachahmen 
koͤnnen, fo doch in der Anficht, aus weldyer er handelte. Wir 
fehen, er ſezt fi nicht demjenigen entgegen und verlangt von 
andern, daß fie fich darüber erheben follen, was in der menfch 
lichen Gefellichaft, der fie angehörten, gebräuchlih und ſchikklich 
war; er gebt in alle Empfindungen derer, mit denen er bort zus 
fammen fam, ein unb theilt fie, wie er alles menfchlihe mit 
und getheilt hat, und er widmet ihnen eine ſolche Aufmerkſam⸗ 
feit, daß er alles, was in feinen auögezeichneten Kräften lag, 
dazu beitrug, um bier alled ungelegene unb flörende zu ent: 
fernen. Ale menfhlihen Begriffe und Gefühle biefer Art find 
aber feinedweges etwas auf einem ewigen Grunde feftftehenbes, 
fondern fie find in fich felbft wandelbar; ja wir koͤnnen noch 
weiter gehen und fagen, ed iſt überall darin das faliche mit dem 
wahren, bad eingebilbete mit dem richtigen vermiſcht. Scho⸗ 
nen aber follen wir alles, was von diefer Art einen Einfluß auf 
das‘ menfchlihe Gemuͤth haben Tann, und auch dasjenige, was 
aus dergleichen falfchem und eingebilbetem in den Vorſtellungen 
und Gefühlen dee Menfchen entfteht, follen wir uns zu Herzen 
gehen laſſen und ed mit liebevollen Händen fchonen, und übers 
all wo wir koͤnnen bereit fein ben unangenehmen Empfindun⸗ 
gen vorzubeugen, wie in unferen Brüdern entflehen können, jebem 


1223 


Mangel, ber fie treffen Tann, abzubelfen und alles ſtoͤrende aus 
dem Wege zu räumen, wad wir von ihnen zu entfernen vermös 
gen. Dann werben wir dem Erlöfer au in diefer Beziehung 
fo Aähnlich fein, wie wir koͤnnen, und nur indem wir die Sache 
von diefer Seite faffen Haben wir feinen ganzen Sinn in dem, 
was er hier that, verftanden. 

Aber nun laßt und noch auf das fehen, womit der Apoftel 
feine Erzählung fchließt, indem er fagt, Das ift das erfte 
Zeihen, welches Jeſus that, und offenbarte feine 
Herrlichkeit, ugd feine Jünger glaubten an ihn. 

Was, m. g. Fr., was für eine Herrlichkeit hat er 
bean hier offenbart, und wem hat er fie offenbart? Wer wußte 
eigentlih, was der Herr gethan hatte? Wie Johannes uns 
nichtö erzählt von einem allgemeinen Eindruff, ben diefe Bege 
benheit auf alle anmwelende gemacht hat, fo haben wir auch nicht 
Urſach an einen folchen zu glauben, und wir koͤnnen uns leicht 
erklaͤren, warum ein folcher nicht hat Statt finden können. Den 
Berlauf der Sache wußte niemand, auch nicht die Mutter Jeſu, 
weil fie ihn bei dieſer That nicht begleitet hatte, fondern nur 
die Diener, denen Chriftus befohlen hatte, die Wafferkrüge mit 
Waſſer anzufüllen und fie hernach zu dem Speifemeifter zu brin⸗ 
gen, die konnten den Verlauf der Sache wifien. Aber wie bes 
fhäftigt waren diefe in dem Augenblikk mit ihren Pflichten bei 
ben feftlihen Mahle, und wie wenig waren fie ed, die das ge 
fhehene den anmwefenden Gäften hätten koͤnnen befannt machen. 
Der Speifemeifter wußte es nicht, der Bräutigam auch nicht, und 
vieleicht unter den übrigen Juͤngern bes Herrn war feiner fo 
aufmerkſam geweſen auf alles, was er that, und auf jeben feiner 
Schritte ald Johannes, der und diefe Begebenheit erzählt. Se 
wurde in dem Augenblikk die Herrlichkeit des Herm nicht offen: 
bar, ſondern erſt ſpaͤte. Wenn man fi) naͤmlich in der Folge 
die Sache überlegte, wo boch ber Wein mag: hergelommen fein, 














123 


und wenn man bie Diener fragte, wie es mit der Sache eigent⸗ 
lich zugegangen fei, fo kann fich die Erzählung weiter verbreitet 
haben; aber da war ber rechte Augenblikk, wo biefe That des 
Erlöfers einen recht tiefen Eindrukk hätte hervorbringen fönnen 
in den Gemüthern der anweſenden und ihre Aufmerkſamkeit bes 
fonderd auf ihn richten, der war vorüber, und ed wirb nur bad 
Gefühl ded unerdtärlichen übrig geblieben fein bei denen, bie ſpaͤ⸗ 
ter aus diefer Quelle den Verlauf der Sache erfahren haben. 

Wir fehen alfo gleich, bei dem Anfang feiner wunderbaren 
Thaten hatte der Erlöfer keinesweges bie Abficht, daß fie vor bie 
Augen vieler Menfchen follten gezogen werden, fondern wie fie 
immer aus einem Mitgefühl bei ihm bervorgingen, fo hat er 
auch Damit nichts anderes bezwekkt, ald was er badurch leiflen 
wollte, unbefümmert wie viel oder wie wenig fie unter den Mens 
hen bekannt werden möchten, ja oft abfichtlich verhütend, das 
mit nicht unter der großen Menge von Menfchen ein Aufſehen 
entflände. | 

Fragen wir aber, was für eine Herrlichkeit offenbarte 
ſich denn für diejenigen darin, welche von biefer wunderbaren 
That des Erlöferd Kunde erhielten? — Da müflen wir geftehen, 
m. g. Fr., in dem Wunder giebt ed Beinen Unterfchied des gro⸗ 
fen und Bleinen; find einmal die Grenzen ber und bekannten 
Natur überfchritten, fo haben wir auch dad Maag für die Beur: 
theilung verloren, Bein größered Wunder giebt ed und fein ge 
geringeres, fondern es ift alles eind und baffelbe, was über die 
Grenzen ber natürlichen Ordnung hinausgeht. Wie man ed für 
nothwendig hielt, daß derjenige, der etwas feltened und ausge 
zeichneted bewirken wollte, eben biefe Grenzen ber natürlichen 
Ordnung müffe überfchreiten können: das ift aus den Geſchichten 
des alten Bundes befannt von den meiften, die ber Herr zu ſei⸗ 
nem befondern Ruͤſtzeugen gebraucht hatte; ja ed war eine allge» 
meine Regel, daß, wer ald ein Prophet auftrat, fich durch folche 





124 


Ueberſchreitung ber natürlichen Gefeze als ein foldyes Rüflzeug 
Gottes bewähren muͤſſe. Und fo war es bie Herrlichkeit 
eine® Propheten, bie den Züngern offenbar werben konnte 
in dem, was der Herr that, nicht aber das göttliche fer 
ner Natur. Denn wenn wir das wunderbare nicht begreifen 
koͤnnen, fo Fünnen wir auch nicht begreifen, was dazu gehört, 
um ein under heroorzubringen. Wie wir nun Wunder aus 
ben Zeiten der alten Propheten Tennen, von benen wir doch wif: 
fen, in ihnen war doch nicht das göttliche, welches in dem Er: 
löfer wohnte: fo können wir auch nicht glauben, bag es die Ab» 
ſicht des Johannes bei diefen Worten geweſen ſei zu behaupten, 
daß er aus dieſer und aus andern wunderbaren Thaten des Er» 
loͤſers das goͤttliche in ſeiner Natur erkannt habe. Nein, die 
Herrlichkeit des Herrn ſtrahlte den Juͤngern nicht entgegen aus 
ſeinen einzelnen Wundern, ſondern aus ſeinem ganzen untheil⸗ 
baren Daſein, aus dem unmittelbaren Eindrukk, den jenes auf 
ſie machte, und der am herrlichſten durch die Worte des Lebens 
ihnen gegeben wurde, welche er redete. Und dieſe Herrlichkeit 
hatten ſie gefunden, als fie freudig zu einander ſagten, Wir ha⸗ 
ben den Meſſias gefunden. Denn daß der der Sohn Gottes 
wäre, beflimmt das ganze menſchliche Gefchlecht zu erlöfen, das 
war ber Glaube aller derer, die mit rechtem Eifer und mit rech⸗ 
ter Innigkeit des Herzend an diefer Hoffnung hingen. Alſo an 
dem, mad ber Herr bier that, konnte ihnen das nicht offenbar 
werben, baß er der Sohn Gottes fei. Und wenn Johannes hin» 
zufügt, Und feine Sünger glaubten an ihn, fo war dab 
nicht daS erfte Entftehen des Glaubens in ihnen, fondern eben 
in der. Kraft des vollen Glaubens, daß er, wie auch Johannes 
der Zäufer ihn bezeichnet hatte, das Lamm Gottes fei, welches 
ber Welt Sünde trägt, daß er berjenige fei, der nach ihm om: 
men werbe, obwohl er vor ihm geweſen fei, flärker als er, unb 
dem er nicht werth fel feine Schuhrienten aufzulöfen, nur aus 


125 


biefem Glauben waren fie feine Jünger geworben, und nur in« 
bem fie ihn erkannten für den, burch welchen alle Hoffnungen 
ber Menfchen erfüllt werden ſollten, Eonnten fie zu einander fpres 
hen, Wir haben den Meffiad gefunden. Das Wunder alfo war 
nicht der Grund ihred Glaubens, weber diefed noch irgend ein 
anderes, welches ber Herr fpäter verrichtet hat. 

Merkwuͤrdig aber it ed, daß Johannes auch die auf die 
Zünger befchräntt und und nicht fagt: diejenigen, welche hier 
fümmtlich verfammelt waren und fahen, daß der Erlöfer auf eine 
wunderbare Weile dem Beduͤrfniß der Gaͤſte abgeholfen hatte, 
und die, welche ed fpäter erfuhren, glaubten an ihn, fondern 
feine Jünger. Konnten fie hieburch befefligt werben in dem 
Glauben, daß er der Sohn Gottes fei? Denn anders ald für 
eine Befeftigung des Glaubens können wir doch das nicht halten, 
was Johannes bier unter dem Glauben meint. Oder meint er 
einen andern Glauben, der zu jenem früheren noch binzugefoms 
men ſei? Schwerlich dürfen wir bied fonden und ben leztern 
als einen befondern hinftellen; denn es läßt ſich nicht ber eine 
von dem andern trennen. Jeder Glaube an den Erlöfer hängt 
daran, daß er eben bied, der Sohn Gottes, der Gründer des 
menfchlichen Heils iſt; und was die Jünger von den audgezeichs 
neten Kräften des Herm bemerkten, und wenn fie in ihm bie 
Fuͤlle der Gottheit, den eingebornen Sohn bed Vaters erkann⸗ 
ten, dad mußte alled zu der Befefligung deffelben Glaubens dies 
nen. Aber wie ed ein ganz menfchliched Werhältniß war, worin 
fie ihn hier handeln fahen, fo müffen wir auch auf biefed eben 
die Worte des Apofteld beziehen, wenn er fagt, Unb feine 
Jünger glaubten an ihn. Erkannten fie hier zuerſt bie 
wunderbare Kraft, welche in feine menfchliche Natur gelegt war 
durch ihre Verbindung mit dem hoͤchſten Weſen: fo fahen fie zu 
gleicher Zeit die Art, wie ber Erlöfer fie gebrauchte, und befas 
men ein fichered Gefühl davon und einen feflen Glauben daran, 


126 

wie er überall, wo ſich die Gelegenheit dazu fand, auf diceſelbe 
Weife zum Beſten der Menfchen, zur Befriedigung ihrer Bebürf 
niffe, zur Stillung irbifcher Noth und irdiſcher Leiden wirkjam 
war; fie fahen hier im Heinften und im leiblichen bad Bild dei 
größten und des geifligen, und es wurde ihnen Far im Henn 
die ganze Kraft des Erloͤſers die Menſchen zu erlöfen, die Des 
ſchen auß der Gewalt der Sünde zu befreien, es wurde ihnen 
Mar die Art, wie er fich einzelner annahm und mit feiner gött 
lichen Kraft von demjenigen befreite, was die Noth bed Lehm 
auf fie gelegt hatte. Beides erichien ihnen ald daſſelbe um 
war eine Wirkung derfelben Kraft, eine Wirkung ber einen 
göttlichen Gnade und ein Zeugnig davon, daß Gott fid burd 
den Grlöfer dem menfchlichen Gefchlecht befannt machen koͤme 
und offenbaren. Aber freilich innerlich fowol durch fein ganze? 
Beben, wie er hier den Grund dazu gelegt hat, zuerft im dem 
engen Kreife feiner Zünger, die an ihn glaubten, und dann in 
den weitern menfchlihen Werhältniffen durch die Dffenbarung 
aus den Ziefen feines göttlichen Gemuͤths, die er ihnen aufichlet, 
indem er zu ihnen fagte, Ihr werdet ben Himmel offen ſehen 
und die Engel Gottes hinauf: und herabfahren auf des Menide 
Sohn; und auf der andern Seite auch äußerlich durch bie Hull 
teiftungen, wodurch er fi) den Menfchen freundlich und gefäl 
lig erwies: durch beides follte feine Wirkſamkeit auf Erben tun 
Menfchen immer herrlicher offenbar werden, immer größer DE 
Kraft derer, die an ihm glauben, immer inniger bie Anhaͤnglich 
keit an ihn, immer klarer das Bewußtſein, welches bie Jünge 
des Herrn, von dem Geiſte des Erloͤſers getrieben, und aufle 
wahrt haben von feinem Leben. 

Und das ift der Segen, ber darauf ruht. Was wir darin 
finden’ von jener innern und äußern Offenbarung, es bleibt für 
die verborgen, die auf dem Wege nicht find Jünger des He 
zu werben, und für bie, welche baram zweifeln, bag ber Hen 


177 


Wunder geihan hat. Aber wie damals in den Dienern, bie 
nur von einer flüchtigen Bewunderung ergriffen waren, ber 
Segen der himmlifchen Offenbarung Gottes durch . feinen Sohn 
nicht entftehen konnte: fo auch jezt. . Aber alle, die feine Sünger 
find oder auf dem Wege ed zu werben, bie werben Durch jede 
genaue Betrachtung in feinen Worten fowol ald in feinen 
Thaten ihn erkennen, wo fie auch nur eine leife Spur von ihm 
aufbewahrt finden. Und das möge und allen denn zum Heile 
unferer Seelen gereichen, und ber Herr fih und allen in un 
feren Gemüthern immer mehr verherrlichen ald benjenigen, in 
dem wir erbliften die Herrlichfeit des eingebormen Sohnes vom 
Vater. Amen. 


X. 
Am 23. Sonntage nad) Trinitatis 1823. 


Tert. Sob, 2, 13 — 17. 

Damad 309 er hinab gen Kapernaum, er, feine 
Mutter, feine Brüber und feine Juͤnger, und blieben 
nicht lange daſelbſt. Und ber Juden Oflen war nahe, 
und Jeſus zog hinauf gen Serufalem, und fand im 
Tempel fizen bie da Ochfen, Schaafe und Zauben feil 
hatten, und bie Wechsler. Und er machte eine Geißel 
aus Striften und trieb fie alle zum Tempel hinaus, 
fammt ben Schaafen und Ochſen, und verfchüttete ben 
Wechslern dad Geld, und fließ bie Tiſche um; und 
fprach zu denen, bie die Zauben feil hatten, Traget 
dad von bannen, und macht nicht meined Vaters Haus 
zum Kaufhaus. Seine Sünger aber gebachten daran, 
das gefchrieben fiehet, Der Eifer um bein Haus hat 
mich verzehret. 


Das erfie, m. g. Fr., was wir und gelefen haben, gehört zu 
dem bäudlichen und Familienleben des Erlöfers, wovon wir wohl 
gern mehr willen möchten, als uns erzählt if. Nachdem er auf 


129 


m Hochzeit zu Kana geweſen, heißt es num weiter, fo ging 
t hinab gen Kapernaum, er, feine Mutter, feine 
zruͤder und feine Jünger. Das war der Ort, wo er ber 
ach einen nicht unbebeutenden Theil ded Jahres zubradhte, wo 
ehrere von denen wohnten, die Sohannes zuerft als feine Juͤn— 
tr zu ihm gewielen hatte; bahin ging er mit feiner Mutter und 
tt feinen Brüdern. 

Hier fehen wir nun die Mutter und die Brüber bes Herm 
ı einer Verbindung mit ihm und mit feinen Züngern, welche 
ı der Folge der Zeit wieder muß zerflört worden fein, weil wir 
a leſen, dag feine Brüder nicht an ihn glaubten *), und daß 
ine Mutter, bis er fie am Ende feined Lebens dem Johannes 
mpfahl **), mehr mit feinen Brüdern gelebt bat ald mit ihm 
md mit feinen Züngern ***). Wie nun bad zufammenhängt, 
piffen wir nicht, aber wir haben Urfache zu vermutben, baß fich 
ner wiederholt babe, was fi in menſchlichen Dingen fo oft 
indet. Als der Erlöfer nämlich zuerfi auftrat, wie ed zu biefer 
zeit geſchah, im welche die Erzählung unfered Textes fällt, ba 
Yielten fich auch feine Brüder zu ihm. Als aber der erfte Reiz 
ver Neuheit vergangen war, und fie gleich fahen, daß er von ih⸗ 
ion weniger Gebraudy machte, weil er ed eben nicht konnte, zur 
Förderung feines Reiches, ald von feinen Jüngern, die ihm zwar 
te Natur nicht gegeben hatte, bie aber durch die Kraft des Geis 
ie& waren von ihm angezogen worden ****): ba fonderten fie 
ih wieder von ihm ab, und ed fcheint, daß fie bisweilen ges 
vuͤnſcht haben, er möchte lieber anderswo ald in ihrer Nähe fein 
Weſen treiben und lehren +). 

Es wird und alfo erzählt, daß er bafelbft nicht lange ge 
Hieben ift, und wenn wir die Worte lefen, wie fie in dem Zus 
ammenhange lauten, fo klingt ed, als wollte er fi) nur den 





) Joh. 7, 6. ”) Joh. 19, 97. rn Euk 8, 20. 21. 
0) Matth. 12, 46— 60. +) Joh. 7, 3 ſad. 
Som. üb, Ev. Joh. 1. 3 


130 


Ort in Augenſchein nehmen, den er ſich zu ſeinem Aufenthalu 
gewaͤhlt hatte; ob er damals ſchon in Kapernaum gelehrt hai, 
dad wiflen wir nicht. Aber als Das Heft der Dfieru nakı 
war, ging er hinauf gen Ierufalem, und wir erfemm 
daraus, daß er damals fchon in ber Hauptftadt des Bandes, m 
ein großer Theil des Volks jährlih zufammenlam um ii 
Ofterfeft zu feiern, gelehrt und dad Reich Gottes verkuͤndigt, um 
daß er eben dies für etwas weſentliches und wichtiges in ie 
nem Beruf gehalten hat. In den Tempel bed Herrn war a 
zuerfi gefommen als ein Knabe, nicht um zu lehren, font 
um zu lemen, und er war gewiß feitbem nad) der Sitte af 
frommen Zuben erfi mit feinen Eltern *), hernach aud) ohne N 
bingegangen auf baffelbe Feſt. Daß er aber num hinging mil 
wieder um zu lernen, auch nicht bloß um zu beten und an den 
Feſte Theil zu nehmen, fondern aud um zu lehren, dad joy 
und Johannes zwar nicht in den Worten, die wir gelefen hab 
aber wir fehen ed aus demjenigen, was unmittelbar darauf jalg 
Denn Nikodemus, der bei Nachtzeit zu ihm kommt, fängt u 
ihn auf diefe Weiſe zu begrüßen, indem er fagt, Meifter, m 
wiffen, daß du bift ein Lehrer von Gott gefommen **). Hin 
- alfo Chriſtus damald noch nicht zu Jeruſalem gelehrt, und jma 
nicht nur in den Schulen, fondern auch in dem Tempel und fasa 
Umgebungen, fo hätte Nifodemus das nicht zu ihm gefagt. Un 
eben dies, daß der Herr damals in dem Tempel pflegte zu I 
ren, dad giebt und den rechten Aufſchluß über das, was ta 
Hauptinhalt.unfrer heutigen Zerteöworte ausmacht, namlid wii 
er die Wechsler und diejenigen, welhe Ochſen, Saat 
und Zauben feil hatten, aud dem Tempel, wo fe® 
gen, hHinaudtrieb. 

Was der Herr hier fagt zu denen, welche Zauben feil bit 
ten, Traget dad von bannen, und madet nicht meine 








) Luk. 2, 41 fgb. ) Ip. 3, 2. 


131 


Vaters Haud zu einem Kaufhaus, dad erinnert und an 
ie Worte, die er bei einer ähnlichen Gelegenheit fpäterhin fagte, 
Meines Vaters Haus iſt ein Bethaus *). Und fo war es denn 
vol allerdingd. Die Bewohner Serufalems, und in ber fefllis 
ben Zeit auch mol andere, welche hieher gelommen waren um 
u beten, die gingen täglich wohl zweimal in ben Tempel hin; 
uf, um bort dad Morgens und Abendgebet zu verrichten. 

Aber, m. g. Fr., ſollte nicht ber Erloͤſer auch damals fchon 
ad gewußt haben und deſſen inne geweſen fein, was er fpäters 
in fagt in feinem Geſpraͤch mit der Samariterin, Es werbe 
ie Zeit fommen, wo man weber auf bem Berge, wo bie 
Samariter anbeteten, noch zu Jeruſalem in dem Heiligthum bes 
yerrn feine Andacht verrichten werde; fondern bie wahrhaftigen 
Inbeter würben den Water auf eine geiftige Weife anbeten, und 
er Vater wolle auch ſolche Anbeter haben, die ihn im Geift 
nd im der Wahrheit anbeten **)? Das Gebet, m. g. Fr., das 
fen wir wohl, ift an einen beflimmten Ort gebunden, wir 
Innen und follen es überall verrichten; und iſt die Seele in der 
chten Stimmung ſich zu Gott zu erheben, fo Tann auch Feine 
ußere Umgebung ihr barin hinderlich fein. Hätte ber Herr 
ur beten wollen, fo hätten wol alle, welche Ochſen feil 
ıtten, fammt den Wechslern und denen, bie Schaafe und Zau: 
m verkauften, da fein koͤnnen, und fie würden ihn nicht ge: 
drt haben. . 

Ja wir'mögen nod mehr fagen in diefer Hinficht, daß eben 
ir oft, wenn die Seele nicht mit andern Dingen beſchaͤftigt iſt, 
abe dad Zreiben und dad Getümmel. ber Menfhen am erfien 
: dazu flimmen Tann, fih im Gebet zu Eott zu erheben. Denn 
o mehr, ald wo die Menfchen in großen Haufen beifammen 
ıd, kommen wir zu dem rechten (Gefühl ihrer geifligen Beduͤrf⸗ 
ffe und zu dem Bewußtſein, wie wenig ber einzelne thun kann, 





) Matth. 21, 13. ) 309. 4, 21 = 2. 
2 





132 


um dieſe Bebürfniffe zu befrievigen; fondern wie wir da faſt al 
(ed müffen guten Wünfchen und aufrichtigen Gebeten an be 
Herm anheimftellen. Wo nun die Menfchen in großer Meng 
verfammelt find nicht in irgend einer andern Abficht, fonbern um 
die andächtige Stimmung ihred Herzend zu offenbaren und 4 
im Gebete zu Gott zu erheben: ei ba iſt bad eine Freude m 
vernehmen, dag auch diejenigen, die an-benfelben Ort gefonıme 
find, vielleicht nicht grade in der rechten und reinften Stimmung 
die man wünfcht, Doch zu Gott erhoben werben durch andere. Sin 
fie verfammelt um irdifcher Dinge willen, fo werben fie dadıml 
nur um fo mehr ein Gegenſtand unferes Mitgefühls, und ed mei 
jeder, dem das Heil feiner Brüber am Herzen liegt, von dem 
irdiſchen und vergänglichen hinauf gezogen werben zum bimmmlı 
fhen und ewigen; unb darum iſt dad zahlreihe Zufammenten 
ber Menfchen für und alle eine Aufforderung zum Gebet, wie wir it 
fonft nicht immer finden. Daher würden gewiß alle Diejenigen. 
welche dort Ochfen, Schaafe und Zauben feil hatten und it» 
fhen Gewinn trieben, den Herm nicht haben flören koͤnnen ia 
feinem Gebet zu feinem himmliſchen Vater. 

Aber da8 war ed eben, daß er in den Tempel gelommen 
war um zu lehren; und dazu bedurfte ed einer Stille und e 
ner Ruhe, wozu bie Umgebungen biefed heiligen Orte3 am an 
gemeflenften waren, indem fie einen jeden gleichfam einluden zm 
Erhebung des Gemüthes zu Gott. Und daher denn fehen mir. 
bag, als der Erlöfer fih dad Gefühl nicht bergen konnte, das He: 
ligthum mit feinen ehrwürbigen Umgebungen fei durch dieje. 
nigen, welche irdiſches Weſen bdafelbft trieben, mehr einem Martı 
ähnlich als einem Tempel: fo ward er erfüllt von heiligem Un: 
willen und trieb in bem frommen Eifer feined Herzens alle bin: 
aus, die das Heiligthum ſchaͤndeten, fo daß felbft feinen Jüngern 
das Wort der Schrift dabei einfiel, Der Eifer um bein Hau? 
bat mich verzehret. 


133 


Und fomit, m. g. Fr., fehen wir denn auch, was für einen 
Eifer um das Haus feined Vaters der Herr felbft geheiligt hat, 
inbem er dies that. Nachdem ber Zempel, in welchem er da: 
mald war, zerflört worden, und bad Opferweſen in bemfelben 


fein Ende erreicht hatte, und bie chriftliche Kirche eben dadurch 


auch in Beziehung auf diejenigen, die von dem jüdifchen Volke 
abflammten, frei geworben war von aller Gemeinfchaft mit die: 
fein äußern Gotteöbienft: da folte man denken, hätte jebe Ver⸗ 
anlaffung aufgehört, daß feined Vaters Haus, welches nun ſchoͤ⸗ 
ner und berrlicher da fland, hätte koͤnnen ein Kaufhaus werden. 
Und fo lange bie chriflliche Kirche noch einherging ſtill und be 
muͤthigen Schmukkes, mehr verfolgt von ben Mächten der Erde 
als unterflüzt, unfcheinbar in jeder Hinficht: da war auch bie 
Betrachtung und die Lehre und bie geiflige Erhebung der Ge: 
müther im Gebet alled, wa8 in biefem neuen geifligen Tempel 
geſchah. Es kam aber hernach leider eine Zeit, wo bie chriftliche 
Kirche auch ein Kaufhaus wurde, wo in berfelben gehandelt 
warb um weltliche Gut, um weltliche Ehre und weltliche Macht, 
ia wo auch dasjenige, wad am meiften feiner Natur nad) fol 
und Tann ein Gegenftand bed gemeinfamen ſtillen und oͤffentli⸗ 
hen Gebetes fein, naͤmlich dag ber Herr nicht möge mit uns 
ind Gericht gehen, und daß er und um Chrifli willen möge bie 
Sünde vergeben, daß auch died ein Gegenfland ded Kaufes und 
des Verkauſes ward. Da gefchah ed, daß ein eben fo lautes 
und öffentliches Gepränge, wie das war und wol noch größer, 
was - zu ben Zeiten des jüdifchen Volks in den Xempel bed 
Herm hineingezogen war und ben Mangel der wahren innern 
Frömmigkeit erfezen ſollte, daß ein folched Außeres Gepränge bie 
mbige und file Andacht der Lehre und bed Gebetes und bes 
Geſanges verbrängte. Was that aber da der Herr? Als es zu 
arg geworben war, daß ed fchien, als Tönne ed nicht mehr ärger 
werben, ba brehte er wieder eine Geißel zufammen, bad waren 
Buther und Zwingli und alle, bie mit ihnen an bem großen 


134 


Werke der Reinigung bed Firchlichen Lebens und der chriſtlichen 
Lehre arbeiteten, und die trieben aus feinem geifligen Zempd 
wieber alle diejenigen, fo viel fie reichen konnten, die dad Has 
bed Gebetes und ber Lehre zu einem Kaufhaus gemacht hatten. 
Und fo, m. g. Fr., ſollen wir hoffen zu bem Herrn, daß, wie a 
nie aufhört feine Kirche zu befchügen und zu leiten, ex es immm 
fo halten werde, und immer wieder foldhe Bewegungen, wie ix 
war, von der unfer Text redet, in berfelben werbe entfliehen la 
fen, wenn ed noth thut, bamit eben das Gebet und bie &cı 
aus bem göttlichen Worte nicht verdrängt werbe aus bem Hark 
des Herrn. 

Aber, m. g. Fr., wad und nun bier auch auffallend fa 
muß, dad ift Die Ungleichheit, mit welcher der Her ga 
diejenigen verfährt, bie fich auf eine foldhe Weile in ben Zempd 
gedrängt hatten und irbifche® Weſen barin trieben. Wie fir 
berlich und fanft geht er nicht mit denen um, welche bie Zaun 
feil hatten? Zu denen fpricht er ganz gelaflen und hulead. 
Traget dad von bannen, und machet nicht meind 
Vaters Haus zum Kaufhaus. Diejenigen aber, wei 
Dchfen und Schaafe feil hatten, die trieb er mit ber Get 
fel Heraus, und den Wechslern zumal fließ er die Zild: 
um, und verfchüttete ihnen das Gelb. 

Wenn er nun eine Geißel verfertigte und diejenigen, wei 
ben Tempel bed Herrn verunehrten, hinaustrieb fanımt dem fir: 
fhen und unvernünftigen Vieh, fo müffen wir fagen, die Eigr 
thümer der Ochfen und Schaafe werben fchon durch bad Se 
bränge ſich herausgeholfen haben und wieber zu ihrem Eige 
thum gelommen fein und weiter keinen Schaben erlitten haba 
ald nur, daß ihnen an dieſem Drte die Gelegenheit abgefchuittn 
war mit dem ihrigen zu handeln. Wenn er aber den Baik 
lern die Tiſche umgefloßen hat und ihnen das Gelb verfhätt: 
fo werben fie wol nicht wieder dazu gefommen fein in ben 
Gebränge und in der Verwirrung, bie nothwenbig darans al; 


135 


khen name. Waren denn die einen mehr Schuid als die an: 
m? war bei ben einen weniger baflelbe, al3 bei den ambem, 
aß fie zu ihrem außen Gewerbe und zu ihrem äußern Bortheil 
ie Gelegenheit davon hemahmen, daß fie in dem Tempel des 
dern irdiſche Dinge trieben, und zwar auf eine foldye Weiſe, 
aß der Herr in feiner ſtillen Andacht dadurch geftört ward? 

Es ſcheint uns freilich im allgemeinen daſſelbe zu fein, und 
a6 Betragen der einen eben fo tadelnswerth ald das der an: 
ern, und gewiß iſt auch nicht die Meinung bed Erlöferd, daß 
ir dad Gefchäft und dad Gewerbe der einen deshalb follen für 
hiehter halten und für niedriger, weil er nicht mit allen auf 
te gleiche Weiſe verfahren ifl. Aber eben recht auf diefe Un: 
leipheit in dem Betragen des Herrn gegen diejenigen, welche 
en Zempel durch irdifches Zreiben entehrten, fcheint ed, haben 
ie Zünger dad Wort der Schrift gedeutet, welched ihnen babei 
infiel, Der Eifer um dein Haus hat mich verzehret. 
denn das iſt die Natur des Eiferd, daß er in foldhen Faͤllen 
icht genau unterfcheibet zwilchen dem einen und dem andern, 
vie dies immer und überall die ruhige Ueberlegung unterfcheibet, 
nd es kann eben dies rein menfchlich fein ohne daß irgend eine 
Spur der Sünde fich hineinmifchte. Denn das können wir nicht 
lauben, daß des Herrn Eifer jemals fei in leidenfchaftlichen 
om übergegangen, daß ber reine Eindrukk, den alled menfchliche 
uf ihn machte, jemals könne verloren gegangen fein in dem les 
mdigen Eifer für die Sache feines himmlifchen Vaters. Sons 
ern wenn ber Herr hier die einen fo und die andern anders 
ehandelt, fo muͤſſen wir und diefe Verſchiedenheit daraus erklaͤ⸗ 
n, dag die einen mehr Anfprüche gemacht haben als die ans 
m, daß die einen fich mehr zu widerſezen geſucht haben als 
€ andern, fo daß er nicht anders konnte ald ihnen zeigen, wie 
enig Recht fie hätten in einem folhen Sale, wo fie die Ruhe 
r heiligen Stätte flörten, feinem Eifer für die gute Sache zu 
iderſtehen, und daß er fich nicht fcheute, ihnen einen namhaf⸗ 


136 


tm Schaden zuzufügen, inbem ex that, was feined Amted wer, 
und wozu er fich berufen fühlte bei einer ſolchen Verwirrung des 
frommen Gefuͤhls. 

Und anders kann es nicht ſein; der Eifer kann ſich nicht 
gleich betragen, wenn die Umſtaͤnde verſchieden ſind, nur der Zorn 
iſt es, ber nicht thut, was recht iſt vor Bott ). Es gie 
ober einen reinen Eifer, der dem einen ſcheut Wehe zu than, 
welches er dem anbern bereitet, der ben einen härter behanbei: 
und ben andern gelinder, welches aber daher fommt, weil er t: 
kraͤftiger auftreten und fchärfer wiberfireben muß, wo er ben 
größeren Widerfpruch gegen die Wahrheit entweder ſieht oder 
allem Anfchein nach zu erwarten hat. So werben wir gewiß 
dem Erlöfer uͤberall Recht geben; fo fehen wir, dag wir uns bi 
ten müffen zu zeitig darüber abzufprechen, was eben in bem red» 
ten Eifer um dad Haus Gottes gefcdyieht, und wie ber Herr mit 
ben einen gelinder verfuhr mit den andern härter; fo giebt e⸗ 
auch Källe für und, wo es noth thut, bag wir bad Gefühl te 
Menfchen frenger angreifen, und wiederum foldhe, wo wir mi 
einer leifen Berührung bavon-fommen; fo giebt es einen, Der ge 
linder behandelt von feinem verkehrten Wege umlentt, und eime 
andern, der firenger behandelt fein muß; und eben fo wird & 
nen und benfelben bei ber einen Gelegenheit biejed, bei der ar 
dern jened Verfahren zum Zwekke führen. Iſt es nur imma 
berfelbe Fall, wie bei dem Erlöfer, daß ed nichts ift als de 
reine Eifer um bad Haus bed Herrn, was ben Menſche 
treibt feinen Bruͤdern Wehe zu thun, wo fie von dem rechten 
Wege gewichen find: fo wird ihn auch Gott ſchuͤzen, daß aud 
er thut, was eben fo recht ift, ald was der Erlöfer that. 

Noch weit mehr aber fragen wir, m. g. Fr., hat der Eriä 
fer füh denn wirklich nicht, als er das that, was uns in den 
Worten unfered Xerted erzählt wird, etwas herausgenommen, 





9 Jat. 1, W. 


137 


was feined Amts und feines Berufs nicht war? Gab es Beinen, 
dem ba obgelegen hätte darüber zu wachen, baß der Tempel des 
Herrn rein gehalten werbe von allem, was nicht dahin gehörte? 
Gab ed nicht foldhe, die eben fo gut daſſelbe Beduͤrfniß hatten, 
welches der Erlöfer hatte? Denn wie er lehren wollte in dem 
Tempel und in den Hallen und Höfen, bie ben Tempel umge» 
ben: fo gab es andere, bie eben bafelbft zu lehren pflegten. 
Wenn ed alfo eine Obrigkeit des Tempels gab, warum ließ er 
denn nicht die Sache und fprach zu fich felbft: du biſt nicht da⸗ 
zu berufen diejenigen hinaudzutreiben, welche hier thun, was ſich 
nicht gebührt; fondern das iſt die Sache derer, denen die Sorge 
und die Aufficht über die Außere Ruhe und Ordnung in dem 
Heiligthume deines Volks obliegt. Wenn es andere gab, die 
Daffelbe Bebürfnig hatten, wmelched er fühlte, warum dachte er 
nicht bei fich ſelbſt, Ei, wenn die ed nicht thun, fo brauchfi bu 
ed ja auch nicht und dich in Gefahr begeben. 

So war ber Erlöfer nicht. Sondern ohnerachtet bie andern 
dergleichen nicht thaten, bie daſſelbe Beduͤrfniß hatten, fo kehrte 
er ſich doch daran nicht, fondern weil es ihm nahe lag, fo griff 
er zu; und ohnerachtet diejenigen, welche die Aufficht über den 
Tempel und über die Ruhe in bdemfelben hatten, die Ordnung 
nicht hielten und das Auge zubrüßften gegen alles, was gegen 
das fromme Gefühl und gegen bie Ordnung in dem Heiligthum 
des Herm geſchah: fo hinderte ihn das nicht, ſondern eben bed» 
halb that er ed, weil bie ed nicht thaten, benen ed oblag. Hätte 
er fih dadurch eine Macht angemaft, die er nicht hatte, und 
die ihm nicht gebührte? 

Hätte er z. B. nicht ſelbſt gethan, was er that, fondern 
etwa bie Diener oder bie Wache des Tempels, ber er nicht ges 
bieten konnte, bazu aufgefordert, bag fie es thun follte, dann 
hätte er fic) etwas angemaßt, was einem anbern gebührte und 
nicht ihm. Aber bad müffen wir doch wol einfehen, m. g. Fr., 
daß es die Geißel nicht war, bie das ausrichtete, wad der Erlös 


138 


fer hier (hat — denn was hätte er doch wol mit ber armſeligen 
Geißel thun können gegen die große Menge der Menfchen, bie 
ihn umgab? — fondern ed war bie geiflige Gewalt, die er aus 
übte, wovon jene nur ein Zeichen war und ein Ausdrukk. Seine 
geiflige Gewalt aber foll jeder haben und auch gebrauchen in al⸗ 
lem, was ihn vecht duͤnkt, und überall wo er glaubt, daß er zur 
Aufrehthaltung des rechten und bed guten etwas thun Tann. 
Grade dies, m. g. Fr., daß wir in vielen Fällen nicht fo 
handeln, wie der Erlöfer hier gehandelt hat, ift die Urfache von 
vielen Webeln in ber chriftlihen Kirche und in allen menfchlicyen 
Dingen. Daß immer der eine die Vernichtung guter und gott: 
gefälliger Werke auf den andern fehiebt, und feiner ein frifdyes 
und frohe Bewußtfein der Kraft, die Gott der Herr ihm gege: 
ben, in fi trägt und alles thut, was er thun Tann, um Das 
wahre und gute zu fördern und das böfe und verkehrte zu hin- 
bern: das iſt es, weöhalb fo viele Unordnungen fich täglich er: 
neuern in ben kleineren und größeren Werbindungen ber Den: 
ſchen; das iſt die Zeigheit, welche denen, die Bürger find im 
Reiche Gottes und ihr Recht in bemfelben haben, nicht anfleht. 
Und wir müffen fagen, daß wenn bie von Anfang an geweien 
wäre, fo würde die hriftliche Kirche nicht zu Stande gelommen 
fein. Nur auf der freien Ausübung jeber geifligen Gewalt in 
ber kleinen Anzahl derer, die fi) der Geiſt Gottes zu feinen 
Werkzeugen audgewählt hat, nur darauf beruht, wie früher die 
‘Gründung, fo noch immer das Fortbeſtehen denchriftfichen Kirche. 
Das Bewußtfein follen wir aber von uns haben, dag wir Werk: 
zeuge des göttlichen Geiſtes find, und der fol uns alle frei me: 
hen, und fo wie wir fürchten, es möge dem Haufe Gottes ir: 
gendwie Unrecht gefchehen, uns aud darin Eräftigen, daß wir 
alle unfere Kräfte dagegen wenden, und auf biefe Weiſe thun, 
was Recht iſt vor Gott, und wozu wir berufen find. Hätte aber 
der Erlöfer, fo wie nicht felten bie erlöften das Werk auf einen 
anders fehieben wollen, eben fo gedacht in Beziehung auf feinen 


139 


Beruf, fo würde er das Werk, welches ihm ber Water aufgetra⸗ 
gen hatte, nicht haben vollbringen können; und jeber, ber «8 bas 
san fehlen läßt, trägt einen Theil ber Schuld, wenn es dem 
Haufe Gottes nicht fo geht, wie ed ihm gehen fol, und dag 
ale Migbräuche, die fich in demfelben von Zeit zu Zeit wieder 
erneuern, fo nachtheilige Kolgen nach fich ziehen. 

Wir wiffen alle, m. g. Fr., daß die andern Evangeliften 
eine ganz ähnliche Begebenheit wie diefe erzählen; aber kurz vor 
bem Leiden des Herm *). Daß aber Zohanned fich nicht irrt, 
indem er fie hier erzählt, ba8 fehen wir aus den folgenden Wor⸗ 
ten. Denn indem er fagt, als ber Herr alle zum Tempel bins 
ausgetrieben hatte, die Unfug in bemfelben trieben, ba bachten 
die Jünger daran, daß gefchrieben fiehet, Der Eifer um bein 
Haus hat mich verzehret: fo konnte er fish ja nicht fo ir 
ren, daß er badjenige, was in ben Anfang des Lebens Chrifli 
gehörte, vermechfelt hätte mit einer ähnlichen DBegebenheit aus 
der fpätern Zeit. Alfo am Anfang hat ed der Herr gethan und 
am Ende wieder, und ob nicht oft in der Zwilchenzeit, willen 
wir nicht. Alſo geholfen bat es für den Augenblikk; denn dies 
felben Kramer, welche Ochfen und Schaafe feil hatten, und Die 
er mit der Geißel heraudtrieb, und die Wechsler, denen er dad 
Geld verfchüttete, mußten für diesmal wenigflend aufhören in 
bem Tempel des Herm dergleichen Gefchäfte zu treiben. Aber . 
lange bat ed gewiß nicht geholfen; denn, wenn ber Herr zum 
Feſte wiederkam, fo fand er gewiß alles wieder eben fo, wie er 
es bier fah. Aber dennoch hat er nicht unterlaffen das zu thun, 
wozu ihn der Eifer um dad Haus des Herrn trieb. 

Und auch darin, m. g. Fr., fol ihm jeder gute Chriſt fol» 
gen. Denn was heißt ed doch, wenn wir fagen, wie viel Mühe 
wir und auch geben nach unferen Kräften allen Mißbräuchen 
und alleni böfen, was fi in dad Haus des Herrn einfchleicht, 


*) Matth. 21, 12 fgd. 


140 


entgegenzutreten, was iſt body einer gegen viele! Der Hert war 


auch nur einer gegen viele, und jeber von feinen Süngern, ber 
irgendwo das Reich Gottes verfündigte, war auch einer gegem 
viele, aber er ließ dennoch das Werk nicht, welches der Herr ihm 
aufgetragen hatte; und ald ber Herr dieſe aus dem Tempel trieb, 
ba wußte er auch, daß fie wieberfommen würden. Aber vergeb 
lich war ed nicht, wenn es auch nur half für ben einen Tag, 
die Menfchen zu belehren in Beziehung auf ihr Wohl, ihnen 
einen Eindruft zu geben von ber Kraft und Hoheit bed Erloͤ— 
fer. So, m. g. Fr., wollen wir auch nicht ermüden, und fo 
wenig wir einer auf den andern fehen wollen, fondern aufridytig 


das thun, was der Geift Gottes von und verlangt: fo auch wol: 


len wir nicht aufhören dem Erlöfer nachzufolgen ohne barauf 
KRüftficht zu nehmen, ob wir viel oder wenig ausrichten werben. 
Etwad wird ed helfen, benn nichts ift vergebli, was in be 
Kraft des göttlichen Geiftes gefchieht, und nichts kann vergeblich 
fein, was ber reinen Wahrheit nach im Namen Chrifli ge 
fhieht, und wozu und der Eifer für das Haus bed Herm treibt. 
Wollten wir glauben große Dinge auszurichten und etwas für 
die Ewigkeit zu fliften, fo würben wir falfche Rechnung machen 
und und mehr zutrauen, ald unferen Kräften gemäß iſt. Wol⸗ 
Ien wir aber baffelbe, weil es wenig iſt, was wir auszurichten 
hoffen bürfen, unterlafien, fo bleiben wir immer ber faule Knecht, 
den der Herr einen Schalföfnecht *) nennt, und denken unb halten 
zu gering von und und von ber göttlichen Orbnung in der Welt; 
benn nur aus Heinem kann das große zufammengefezt fein, nın 
dadurch, daß jeber das feine thut, kann bad Reich Gotted er 
halten werben. 

Und fo laßt und denn dazu und alle vereinigen unb bitten, 
baß ber Geiſt Gottes und erleuchten möge, bamit jeber an bem 
Orte, wo ex ſteht, ben Herrn verfläre in dem reinen unb leben⸗ 


”) Matth. 25, 25. 26. 


141 


digen Eifer für feine Sache. Laßt und gegen alles, was dem 
rechten und wahren hinberlich fein will, entichloffen auftreten 
und alle unfere Kräfte dazu benuzen, bamit bad Haus Gottes 
rein vor ihm erfcheine. Wie ber Erlöfer nun ein richtige Ge 
fühl hatte von feiner Kraft und von dem, was er außrichtete 
gegen die, welche bad Haus Gotted zu einem Kaufhaufe mach» 
ten — denn wenn nicht für ben Augenblikk wenigſtens fie ihm 
gehorcht hätten und ben Zempel verlafien, fo hätte er Unrecht 
gethan, indem er fie hinaustrieb — fo wird, wenn ed nichts ans 
deres ift ald ber reine Eifer für dad Haus Gotted, ber Herr 
auch uns bie rechte Einficht geben, daß wir alles thun zur rech⸗ 
tn Stunde und nicht zur falfchen, damit wir nicht in einem vers 
tehrten Eifer thun, was nicht recht iſt vor Gott, und damit 
wir nicht das richtige in ber Stunde, wo es noth thut, verfäus 
men. So laßt und immer handeln, bamit wir im Stande fein 
mögen, Gott Rechenfchaft zu geben von dem, was er und ans 
vertraut hat. Amen. 





XxI. 
Am 25. Sonntage nad) Trinitatis 1823. 


Tert. Joh. 2, 18 — 25. 

Da antworteten nun bie Suben und fprachen zu 
ihm, Was zeigefl bu uns für ein Zeichen, daß bu fol: 
ches thun moͤgeſt? Jeſus antwortete und ſprach zu 
ihnen, Brechet diefen Zempel, und am britten Tage 
will ic) ihn aufrichten. Da fprachen die Juden, Die: 
fer Tempel ift in fech8 und vierzig Jahren erbaut, und 
du willſt ihn in dreien Tagen aufrihten? Er aber 
rebete von dem Tempel feined Leibe. Da er nun 
auferfianden war von den tobten, gedachten feine Juͤn⸗ 
ger daran, baß er Died gefagt hatte, und glaubten ber 
Schrift und der Rede, die Jeſus gefagt hatte. Als er 
aber zu Serufalem war in ben Oftern auf dem Feſte, 
glaubten viele an feinen Namen, da fie bie Zeichen 
fahen, die er that. Aber Zefus vertraute fich ihnen 
nicht, denn er kannte fie alle. Und bedurfte nicht, daß 
jemand Zeugniß gäbe von einem Menfchenz denn er 
wußte wohl, was im Menfchen war. 


ur 143 


Min Abfchnitt, m. g. Zr., zerfällt und von felbft in zwei 
ganz verfchiebene Theile. Der erfte hat ed noch zu thun mit 
ber Erzählung von demjenigen, wad der Erlöfer in dem Tempel 
gethan hatte um diejenigen audzutreiben, die da kauften und ver: 
kauften; der andere iſt eine allgemeine Nachricht von dem 
Eindrukk, den die Anweſenheit ded Erlöfers in Jeruſalem ber: 
vorbracdhte, ald er fich wegen bed Feſtes der Oftern dba aufhielt 
und lehrte. 

Was nun das erfte betrifft, fo erzählt und Johannes zuerft, 
die Ju den hätten Jeſum, nachdem er bad gethan, worüber wir 
neulich mit einander gereber haben, gefragt, woher er denn dies 
habe thun fönnen, und von ihm ein Zeichen geforbert, 
damit fie glauben koͤnnten, daß er auch das Recht habe das zu 
tbun, was er gethban. Wenn Sohannes fagt, Die Juden: fo 
verfteht er darunter gewöhnlich die angefehenen unter dem Volke, 
die Hohenpriefter und älteften, fo wie die Schriftgelehrten, und 
was jenen und biefen zunächft anhing. Und fo hat er gewiß 
auch hier, indem er fagt, Die Juden, vorzüglich diejenigen im 
Sinne, denen ed wol obgelegen hätte die Ordnung in bem Tem⸗ 
pel zu erhalten, welche der Herr felbft fi) genöthigt gefchen 
hatte wieder herzuftellen. Denn diejenigen, mit denen er un 
mittelbar zu thun hatte, die hatten ihm gehorcht; bad geht aus 
der ganzen Art, wie die Sache erzählt wird, hervor. Aber num 
famen bie, denen die Aufficht über den Tempel anvertraut war, 
und fragten ihn, mit welchem Recht er fidy in dasjenige, was 
ihnen -obgelegen hätte, gemifcht habe, und forderten von ihm ein 
Zeichen zur Beſtaͤtigung der Gewalt, die er ausgeübt hatte. 
So mird und oft erzählt in unferen Evangelien *), daß die, 
welche den Erxlöfer hörten, ein Zeichen von ihm verlangten, da⸗ 
mit fie an ihn glauben möchten; und fo viele wir auch fonft in 


*) euk. 11, 16. Joh. 6, 30. 


v 





144 


den Lebenöbefchreibungen bed Erlöferd von ſolchen Thaten finden, 
die fie mit diefem Worte bezeichnen, fo wirb und doch nicht cm 
mal erzählt, daß er ein ſolches Zeichen gegeben habe deswe 
gen, weil fie es von ihm forderten, und dann, warn fie es for 
derten; fondern bad war immer nur ein Verhaͤltniß des Glan 
bend und der Liche zwifchen dem bebürftigen und zwiſchen ihm, 
der dad Bebürfnig befriedigen konnte. Nun aber hier diejenigen, 
denen bie Auffiht über den Tempel gegeben war, ben Ham 
fragten, aus welcher Macht er dad thue: fo war auch bie für 
ihn eine Gelegenheit fich ihnen barzuflellen, und er burfte d 
nun benuzen, ihnen gleich die Hauptſache und das weſentliche 
deſſen zu ſagen, was über fein Verhaͤltniß zu ihnen und übe 
fein Recht und feine Macht unter dem Wolke zu fagen war. 

Es hängt bamit fo zufammen. Der Erlöfer fagt auf bie 
Frage, Was zeigſt du uns für ein Zeichen, baß bu ſob 
bes thun mögeft? zur Antwort, Brechet diefen Tempel, 
und am britten Zage will ich ihn aufridhten. Dapa 
dies nicht verflanden habe von bem Tempel, den er eben damals 
gereinigt hatte von Käufen und Verkaͤufern, das wiſſen wir 
wohl; diejenigen aber, welche ihn gefragt hatten, vermochten ſä⸗ 
nen Worten Feine andere Deutung zu geben, und Darum fragt 
fie bloß verwundert, Sechs und vierzig Sabre hat edge 
währt, che das heilige Gebäude ift aufgerichtet wor 
den durch alle Kräfte und durch alle Anſtrengungen des ganze 
Volks, und bu willft ed, wenn es zerflört wäre, in drei 
Tagen wieder aufrichten? Aber ohnerachtet fie bie Re 
des Herm nicht verftanden hatten, fo drangen fie boch nicht wei 
ter in ihn und forderten Feine weitere Rechenfchaft von ihm, we 
balb er das thun würde, was er in jenen Worten ausſprach 
Sie machten ed alfo dem Weſen nad) eben fo wie die, mit de 
nen er es unmittelbar zu thun hatte, fie wichen feiner Gemalt 
und erkannten flillfchweigend fein Recht an. 





145 


Er aber hatte ihnen gefagt worauf es eigentlich ankomme, 
aß er begriffen fei in dem Bau cined andern Tempels, und er 
tdete, wie Johannes ſich ausdrüfft, von dem Tempel feis 
es Leibes. Wir wiflen ed, daß iſt der Tempel feines Leibes, 
te Gemeine, welche er zum Gottedreiche fammeln wollte, und 
je in ber Schrift fo oft ber Leib des Herrn *) genannt 
rd. In Erbauung bdiefed feines Leibed, feines geiftigen Tem⸗ 
els, in welhem Gott nicht fol durch Außerliche Geberden, fons 
ern wie es ihm wohlgefällig ift, im Geift und in der Wahrheit 
ngebetet werben **), in ber Erbauung biefed Tempels war er 
egriffen, und alles was er gethan hatte in Beziehung auf ben 
ugern Tempel, bad hatte eben darin feinen Grund, daß er von 
zott gefandt war ein neues geiſtiges Gebäude aufzuführen. Durch 
ie Kraft bed Wortes mußte er diefen geiftigen Tempel errichten, 
nd darum mußte er ed verkuͤndigen unter dem Volke, bamit 
nem jeden, welcher fähig wäre in der That und Wahrhrit an 
n zu glauben, aud) Gelegenheit gegeben wäre das göttliche 
Bort von ihm zu vernehmen, und ihn zu erfennen ald einen 
ehrer von Gott gefandt ***). Wenn nun biefed Recht und diefe 
jewalt ihm flreitig gemacht werben follte, wie benn eben bie 
Zorfteher ded Volks, fo lange der Herr Öffentlich lehrte, dies bes 
andig gethan: fo war wol feiner ganzen Art und Weiſe, der 
nerfchütterlichen Wahrheit und Offenheit, mit welcher er immer 
nd überall zu Werke ging, gemäß, dieſes Beijpiel in dem er: 
en Anfang feined öffentlichen Lebens und feiner Öffentlichen Wirk: 
mkeit zu geben, indem er ihnen fagte, worauf ed eigentlich an« 
mme, und was troz ihres Widerſtandes gefchehen würde, 
tämlich er forberte fie gleichlam auf: verfuchet es nur durch 
ern Widerfland und euern Unglauben und durch alled, was die 
raft deflelben gegen mich thun mag, biefen Zempel, in deſſen 
zau ich begriffen bin, zu zerftören, ed wird nicht länger dauern 





. 


2) Eph. 1,3. 1Kor. 10, 17. Joh. 4, 24 "*) Joh. 3, 2. 
Dem. üb, Ev. Joh. J. K 


146 


als eine kurze Frift (die man gewöhnlich durch einen folde 
Zeitraum von dreien Tagen zu bezeichnen pflegte), fo werde id 
ihn wieder aufrichten. Das fagte er nur um ihnen zu verfica 
zu geben, einmal, daß ja alle äußern Einrichtungen des Gdur 
wie der Verfaſſer ded Briefe an die Hebräer fagt, nur ix 
Schatten der zulünftigen Güter feien *), daß dazu mur bi 
innere, daB geiflige, die ewigen Güter felbft und dad emige ke 
ben, welcheö der Herr denen giebt, die wahrhaft am ihn glas 
ben **), daß died der Grundſtein und ber Ekkſtein ) du 
ſes Tempels fei, den er aufzurichten ſuche, und bann, baf fax 
menſchliche Kraft, die fich ihm entgegenftelle, im Stande fe 
werbe, auf eine dauerhafte Weife dad große Werk bed Herm yı 
zerflören. 

Fohanned nun fagt, Als der Herr auferflanden mal 
von den todten, da gedachten feine Jünger beilen 
was er gefagt hatte, und glaubten feiner Rebe. Bi 
fie für eine befondere Urfache hatten dieſer Worte zu gebentm 
nachdem der Herr -von den tobten auferftanden war: das gel 
aus dem ganzen Zufammenhang ihrer damaligen Gemüthäneris 
fung hervor, fo wie aud dem, was ber Herr in Beziehung ad 
fein nahes Ende zu ihnen geredet hatte. Als er naͤmlich fanc 
Leiden entgegenging, da fagte er zu feinen Jüngern, Sie werte 
den Hirten fchlagen, und die Schaafe der Heerde werden 1 
zerfireuen ****); ihr werdet euch an mir ärgern +), und ihr mr 
det euch zerfireuen ein-jeglicher in bad feine ++). Das mar ki 
Gefahr, die dem geifligen Tempel, den er zu bauen gefommn 
war, bevorftand, als er felbft auf eine leibliche Weiſe von Ihn 
genommen ward; und fo war es gewiß ihre berrfchende Etor 
mung, daß fie unter einander dachten und zu einander fagim. 
Wir haben gehofft, er folle Israel erlöfen +44). Da a ch 














) Ebr. 8,5 10, 1. *) Joh. 5, 24. »2 Eph. 2, 9%. 
—9 Watth. 26 3. +) Marl, 14, N. +2) Joh. 16% 
+++) ul. 924, 21. 


147 


ftorben war und an dad Kreuz gefchlagen, fo waren fie in ih⸗ 
m Glauben irre geworben; aber ed währte nicht lange, ald ber 
err von den todten erflanden war, fo wurben fie in ihrem Glaus 
n fo feſt; daß fie vor dem ganzen Voll wollten Zeugen fein 
iner Auferfiehung °); und nun war der Tempel feft gebaut, 
n ber geiflige Leib des Herrn bildet, und Feine menfchliche Ges 
alt, weber die leiblichen Kräfte noch die ber Klugheit und ber 
zeisheit diefer Welt, hat ihn für die künftige Zeit zerftören Fön: 
n. Da hatten fie Urfache feiner Reden zu gedenken, wie nahe 
geweſen wäre baß ber Tempel des Herrn wirklich wäre ges 
ochen worben, weniger durch die Gewalt feiner Feinde ald burch 
18 Schmwanfen ihred eigenen Gemüthd und durch den Unglaus 
n, der noch in ihrer Seele gewefen war. | 

Daß der Herr, indem er dies fagte, Diejenigen, zu denen er 
dete, nicht unmittelbar wollte grabe auf feine Auferfiehung vers 
eifen, dad kann und wol allen fehr deutlich werden, wenn wir 
denken, baß er ihnen dann etwas gefagt hätte, was fie nicht - 
n Stande gewefen wären zu verfiehen, ja was auch nicht eins 
tal die Zukunft ihnen auf eben folche Weife würde eröffnet has 
en wie feinen Juͤngern, indem fie boch Feine unmittelbare Ers 
ibrung machten von feiner Auferſtehung. Daß er aber, wie 
'ohannes in den lezten Worten, die wir mit einander gelefen 
aben, fagt, er habe nit beburft, bag jemand Zeup 
if gäbe von einem Menfchen, indem er wohl wußte, 
ad in dem Menfchen war, daß er am beften wußte, wie 
icht damald und während der ganzen Zeit feined Lebens noch 
et Glaube, den er fchon bei feinen Jüngern bewirkt hatte, daß 
r derjenige fei, auf welchem die Hoffnung bed Volks ruhe, ber 
Sohn des lebendigen Gottes **), erfchüttert werden koͤnnte, und 
aß er damals ſchon an die Gefahr gedacht hat, die ihm bei der 
krfuͤllung feines göttlichen Berufs gebroht hat von feinen eins 





*) Apoftelgefch. 1, 22. 9 Joh. 6, 69. Matth. 16, 16 
& 2 








148 


den, und zwar von bem erſten Anfang ihres Gegenwirkens ge 
gen fein Beftreben, bis fie es dahin gebracht hatten, ihm fen 
Zhätigkeit abzufcyneiden, und ihn aus ihrer Mitte zu verfleie 
das dürfen wir mol glauben. 
Laßt und aber ehe wir weiter gehen, m. g. Fr., hievon ned 
eine befondere Anwendung machen. Noch immer ift der x 
in dem Bau dieſes großen geifligen Tempels begriffen; ae 
weitert fi) immer mehr, und erhebt fich immer höher durch N 
Kraft des göttlichen Worte nad) augen und nach innen. In 
damit diefer Tempel beitehe, und in bdemfelben ber Name de 
Herm und feines und unferes himmliſchen Vaters verherid 
werde: dazu muß auch der äußere Zempel, bie ganze aͤußere 
fheinung ber Kirche Chriſti auf Erden immer mehr gern: 
werden. Und da giebt ed denn in bem gemeinfamen Lebe " 
wol als in der einzelnen Seele immer manches, was ba 
aus demſelben Grunde vertreiben muß, aus welchem ex die Ki⸗ 
fer und Verkaͤufer aus dem Tempel trieb, nämlich alles desr 
nige muß herausgetrieben werden, was das goͤttliche Werk a 
dad ganze Gefchäft bed Erlöferb durch die Kraft feines Berd 
in der einzelnen Seele oder in dem gemeinfamen Leben fire 
kann. Wenn dad nun audy nicht immer leife und fanft abs 
wie bei der Reinigung, von welcher die vorhergehenden Bet 
reben, und mancherlei Gewalt dabei muß angewendet were: 
fo hat jeber einzelne in fi und eben fo die große öffentliät 
Gemeinfchaft der Menfchen etwas, was bereit ift dem Eriie, 
der eben die einzelne Seele und dad gemeinfame Leben reiniga 
will, die vorwizige und mißtrauifche Frage aufzumerfen, weit 
bier die Vorſteher des Tempels an ihn thun, Was ift es bank 
für ein Zeichen, welches bu und zeigeft, dag du ſeb 
ches thun mögeft? jeder hat etwas anf der einen Seite, me 
er gern noch befchügen möchte und hegen von bemjenigen, we 
da muß aus der Seele herausgetrieben werben; auf der antır 
Eeite aber auch manched, worüber er ſich vor fich ſelbſt ſchänm 








149 


8 er es nicht ſelbſt ſchon beraudgetrieben hat, wie auch bie 
iorfteher de Tempels fich ſchaͤmen mußten, daß fie diejenigen 
ht in Schranken gehalten hatten, welche öffentlich verkauften; 
ad aus beibem, aud dem einen wie aus dem andern, entftehen 
meifel und Fragen, ob ed auch nothwendig, ob ed auch recht 
i, daß das aus ber Seele und aus dem gemeinfamen Leben 
rausgetrieben werde. Der Herr aber giebt Fein andered Zei: 
en ald immer nur diefelbe Antwort, Brechet diefen Tem: 
el, und in drei Zagen will id ihn wieder aufrich— 
'n; und je mehr wir und bei der begnügen,. je geneigter wir 
»d uns biefe Antwort gefallen zu laffen, um ihm mit vollem 
erzen zu vertrauen, befto beffer flieht ed um und. ine andere 
ntwort hat er nicht. Wir wiffen ed aud feinem ganzen Leben, 
ie fehr er den Menfchen alles, was ihr irdifches Dafein erfreuen 
ante, nicht nur von Herzen gönnte, fondern ed auch theilen 
ochte mit ihnen; wie wenig er in bemjenigen, wad in ber Au: 
m Ordnung der Dinge gegründet war, änderte, infofern.es 
inem großen Werke nicht entgegen war. Wenn er alfo fpricht 
| allen zweifelnden Fragen diefer Art: es iſt nun einmal nicht 
iders, die Gemeinfchaft, Die ich gelommen bin aufzurichten zwis 
ven Gott und dem menfchlichen Geflecht, und an ber ich euch 
oͤchte Theil nehmen laffen, fie wird und muß beftehen, und 
led Zweifeln und Klügeln in Beziehung auf mein Wort und 
if das, was ich thue für dad heilige Werk, welches mir der 
ater aufgetragen hat, wirb doch ben Bau weder ändern noch 
sftören, in welchem ich begriffen bin: fo mögen wir bied. wol 
: Herzen nehmen. Wenn wir benn willen, daß wir, wo er 
e Seelen ber einzelnen und dad gemeinfame Leben reinigen 
il, es doch nicht weiter bringen werben ald zu ſolchen worüber 
henden zweifelnden Fragen, und je mehr wir und beruhigen 
i dem Gedanken, daß fo gewiß fein Reich beſtehen wird, und 
ine Macht es zerftören kann, fo gewiß auch alles badjenige aus 
mfelben vertrieben werben wird, was ber Kraft bed guten und 





150 


gottgefälligen entgegentritt und ben ſchoͤnen Bund des Gla 
bens unb ber Liebe, ben er gefnüpft hat, gefährden will, veh 
ungeflörter wird er fein Wer in und fördern, und beflo kml 
cher wird fich der Tempel, an dem wir alle zu bauen bez 
find, erhalten. - 

Das zweite aber, was wir gelefen haben, iſt bas «dx 
meine, dag nämlich Johannes erzählt, während der Herr zu & 
sufalem gewefen auf dem Feſt, hätten viele an ihn yı 
glaubt, da fie die Zeichen fahen, die er that, der Hır 
aber hätte fih ihnen nicht vertraut, fondern fie all 
erkannt. 

Da alſo macht Johannes einen Unterſchied zwiſchen dena 
bie an den Namen des Herrn glaubten, und bezeichnet uns de 
runter auch folche, denen ſich der Herr body nicht vertraute, ıı 
wir willen es aus feinen folgenden Erzählungen, wie gar mund 
von benen, die an den Namen bed Herm glaubten, doch wiek 
binter fich gingen und feine Sache verließen, weil ihnen N 
Rede, die er führte, zu hart war *). Das waren folche, di a 
ihn glaubten, aber denen er fich nicht vertraute. 

Was aber hat ed mit diefem fi vertrauen zu ſaga 
hatte der Herr ein Geheimniß, welches er nur denen mitthalk 
die zu feinen vertrauten gehörten? fprach er einiges öffent 
vor allem Volt, einiged aber nur vor denen, deren Zahl dem 
immer nur Elein gewefen fein koͤnnte, denen er fidy auf eine be 
ſondere Weile vertraute? Mir wiflen nichts von einem folde 
Geheimniß; denn das tieffle und verborgenfte feiner Lehre, m 
wir aus den folgenden Berichten unferes Evangeliſten fehen me 
ben, hat er eben fo oft gerebet vor der großen Schaar des gu 
zen Volks ald in dem engflen Kreife feiner Jünger. Was bei 
ed denn alfo, er babe fich vielen nicht vertraut, die & 
feinen Namen glaubten? 


) 30). 6, 66, 60. 


151 


Wenn wir dies verftehen wollen, fo müflen wir von denen, 
ie an den Herrn glaubten um ber Zeichen willen, die er that, 
egfehen auf diejenigen hin, in welchen der rechte Glaube an ihn 
wacht war. Einen folhen Glauben haben wir fchon gefehen 
ı der Erzählung des Evangeliften ſelbſt, wo er feinen und ber 
ndern Zünger Glauben an den Deren darſtellt. Sie glaubten 
n ihn ohne ein Zeichen, fondern nachdem Johannes fie auf ihn 
ingewiefen hatte ald auf denjenigen, auf welchen feine Verkuͤn⸗ 
gung ſich bezog: fo erkannten fie, daß er das Ziel aller Hoff: 
ungen ded Volks und die Seele ded ganzen menſchlichen Ge: 
hiechtö fei, und wurben voll der Ueberzeugung, bie ſich in ben 
Borten ausſsſprach, Wir haben den Meffiad gefunden *). Und 
>05 fagte er da zu ihnen als folchen, denen er fich beſonders 
ertraute? Mahrlich, ich fage euch, von nun an wird es gefche: 
en, daß ihr werbet den Himmel offen fehen, und die Engel 
zottes hinauf» und herabfahren auf des Menfchen Sohn **), 
Fin andered Geheimnig giebt ed nicht zwifchen dem Erlöfer und 
enen, die wahrhaft an ihn glauben; aber alle diejenigen, deren 
Slaube nur auf äußere Zeichen gerichtet ift und darauf ruht, 
aben feinen Theil an jenem Geheimnig. Ein anderes Geheim: 
iß giebt es nicht ald dies, daß er vom Kater in die Welt ges 
ande fei ***), daß er nichts von fich ſelbſt thue, ſondern nur 
ad er von dem Kater gefehen hat ****), und daß er nichts 
ndered rede, ald was er von dem Vater gehört hat +), und 
aß er gefandt fei um die Seelen der Menfchen frei zu machen +7). 
‚aut verfündigte er dad, aber freilich ed ward nur denen klar, 
te den rechten Glauben an ihn wenigftend ald den erfen Ans 
ang des innern Lebens in ihr Herz aufgenommen hatten; benen 
tur konnte er fich vertrauen, denen konnte bad offenfundige Ger 
rimniß Bar und begreiflich werden, daß durch ihm bie Verbin⸗ 
— 

”) 30h. 1, a5. ") ‘ob, 1, Bi. ”) Joh. 19, 45. 

305,190. ) Joh. 5,200, 84%. +3) 90% 8, 86 


152 


bung zwifchen dem Himmel und ber Erbe gefiftet fei, bie nur 
erfuhren im fich ſelbſt das göttliche feiner Reben, bie himmliſche 
Weisheit feiner Lehre und die Herrlichkeit feines ganzen Weſens 
Und fo konnte er ſich nur denen vertrauen, welde auf dieſe in 
nerlihe Weife deshalb, weil die Bebürfniffe ihres Herzens durd 
ihn befriedigt wurben, an ihn glaubten. 

Und, m. g. Fr., dieler Unterjchieb befteht no) immer; nec 
immer giebt e3 folche, von denen man nicht anders fagen fan: 
als daß fie nur in einem Außern Sinne an feinen Namen glan 
ben, weil fie nur auf die Zeichen fehen, bie der Erlöfer getbar 
hat; und ed gehen auch nicht alle von dieſer Art Hinter fi, 
fondern fie bleiben in diefem Glauben; und indem fie ihn haben, 
fo ift er ihnen doch dad liebfle in ihrem Leben und noch das 
tiefite in ihrer Seele. Aber doc) giebt e3 viele ven biefen, von 
denen man fagen muß, ber Herr vertraut fih ihnen nicht 
Nicht als ob er nicht wollte, fondern ed liegt. in der Ratur der 
Sache, daß der Herr nur in fo fern dem Menſchen feine Her: 
lichkeit offenbaren kann, als diefer ihm fein innerſtes Geis 
geöffnet hat. Je mehr dies der Kal ift, je mehr der Menſch 
dem Griöfer die unumſchraͤnkte Herrfchaft über feine Seele an 
geräumt hat, je mehr alle feine Gedanken auf ben einen Punkt 
gerichtet find, "dag nur diejenigen den Herrn fchauen, die nid! 
aͤußeres bei ihm fuchen, fondern das innerfte und hoͤchſte Leben 
bed Geiftes: deſto mehr kann das hervorgehen in ihm, was von 
Anfang an der Erfolg gemefen ift der Wirkſamkeit des Erloͤſers 
in den Herzen des Menfchen, nämlich die innigfle Gemeinſchaft 
mit dem:himmlifchen Water durch ihn. Er verfchweigt es nicht, 
fondern jeder kann ed ſehen, was von Anfang an burdh fein 
Dafein in der chriftlihen Kirche gewirkt worden iſt und an be 
nen, bie zu feinen vertrauten gehören; aber wahrnehmen kam 
es nur der, weldyer an den Herrn glaubt nicht um ber Zeichen 
willen, die er thut, fondern von bem innerften Bebürfnig feines 
Herzen. getrieben. Und ein ſolches Werhältnig det RWertraums 


153 


zwifchen dem Erlöfer und der menichliden Seele kann nur ges 
ftiftet werden durch innere Erfahrung. Nur diejenigen alfo, bie 
recht viel davon wollen und dabei wiffen, daß fie es burch ſich 
ſelbſt nicht haben, nur die, welche fich nicht bei bem begnügen, 
was mit dem Glauben an die gefchichtlichen Zeichen des Erlös 
ferd ſchon zufammenhängt, fondern die ihn beim Wort halten, 
Daß ihnen died werben fol den Himmel offen zu fehen und bie 
Engel Gottes hinauf: und berabfteigen auf des Menfchen Sohn, 
und bie fi) an dad Leben halten, welches er denen geben wird, 
die in der That und, Wahrheit nach dem ewigen Leben fuchen, 
von welchem er fagt, daß bie ed ſchon haben, welche auf die 
rechte Weife an ihn glauben, die ihn fo beim Worte halten 
und alles von ihm nehmen, was er ihnen geben will und kann, 
Gnade um Gnade aus feiner unendlichen Fülle: denen offenbart 
er dann feine Herrlichkeit ald die des eingebormen Sohnes vom 
Water, mit denen Tnüpft er dad geiflige Band bed Vertrauens, 
benen giebt er die Seligkeit in dem Bewußtſein ihrer Gemein: 
ſchaft mit Bott, und bie haben in dem Glauben an ihn dad 
ewige Leben. 

Aber wenn der Evangelift fagt, Der Herr wußte fhon von 
felbft und ohne irgend ein menfhliches Beugniß, was 
in dem Menfchen ift: fo geht dad nicht nur darauf, daß eben 
‚beöwegen auch er nur denen, die ihm von ganzen Herzen vers 
trauen, nur denen, bei denen der Glaube an ihn das innerfte 
Bebuͤrfniß des Gemüths iſt, die Herrlichkeit des Herm ganz ofe 
fenbart, fondern auch darauf, dag wir alle unb jeber einzelne für 
fih nur bei ihm recht erfahren Tönnen, was in und und an 
und if. Nur aus dem rechten Verhaͤltniß, in welchem wir und 
gegen ben Erlöfer befinden, nur aus dem fleißigen Hineinſchauen 
in fein Bild, welched uns in der Schrift und in den Erfahrun« 
gen unfered eigenen Herzend vor Augen liegt, indem wir bie 
eroige Liebe, mit welcher er dad ganze Gefchlecht der Menfchen 
umfaßt, und eben fo die ewige Wahrheit in ihm. finden, womit 


154 


er jedes Herz durchbringt, nur dadurch gelangen wir zu ber red 
ten Erkenntniß unfer felbft. Und wenn wir, m. g.&r., Urfache 
haben und deffen zu erfreuen, daß wir nicht an ihn glauben um 
der Zeichen willen, fondern daß das Verhältnig des innigen Ber: 
trauend zwiſchen und und ihm feft geworben iſt, fo laßt uns 
auch das Wort nicht übergehen, fondern ed noch mitnehmen zu 
unferer Belehrung und Erwekkung, welches und ber Evangelifi 
in biefem lezten Abichnitt feiner Erzählung giebt, und nur von 
bem Exlöfer die rechte Selbfterfenntnig nehmen, die in der That 
und Wahrheit dem Menfchen in dem Streit ber fich ſelbſt ver: 
klagenden und fich felbft entichuldigenden und redhtfertigenden Ge 
danken *) nur dann werben Tann, wenn er oft und fleißig in den 
Spiegel des göttlichen Wortes hineinfchaut, nicht um darin dieſe 
ober jene einzelne Worfchrift, dieſes oder jened einzelne Gebot de3 
guten und bes böfen, deſſen was dad Reich Gottes fördert, und 
defien was demſelben wibderftreitet, fondern um darin das Bild 
defien, ber die Quelle aller Wahrheit und alfo auch ber weſent. 
lichſten Wahrheit, der Selbſterkenntniß iſt, um dieſes immer rei⸗ 
ner aufzufinden und immer feſter in unſer Herz zu verfchließen. 


Se mehr wir fo von ihm erfahren, was in und ifl, je mehr wir 
fo von ihm haben und erfahren, beflo mehr werben wir von ihm 


nehmen und empfangen; und fo wirb der Glaube an ihn im: 


mer tiefer gegründet werden in bem innerſten unferer Seele, und 
immer mehr ber Herr fi uns vertrauen können. Und fo wolle 





er fih denn mit und allen immer enger verbinden, unb immer 
tiefer dad Verhaͤltniß des Glaubend an ihn und ber innigen 


Liebe zu ihm in unferen Seelen begründen! Amen. 


2) dm. 3, 15 


XII. 
Am 1. Advent: Sonntage 1823. 


[ 


Es war aber ein Menfc unter den Pharifaern, mit 
Namen Nilodemus, ein oberfter unter den Juden; der 
kam zu Jeſu bei der Nacht, und fprach zu ihm, Mei: 
fler, wir wiffen, daß bu bift ein Xehrer von Gott ges 
fommen, denn niemand kann die Zeichen thun, die du 
thuft, ed fei denn Gott mit ihm. Jeſus antwortete 
und fprach zu ihm, Wahrli, wahrlich ich fage bir, 
es fei denn, daß jemand von neuem geboren werde, 
kann er das Reich Gottes nicht ſehen. Nikodemus 
fpricht zu ihm, Wie kann ein Menſch geboren werben, 
wenn er alt iſt? Kann er auch wiederum in feiner 
Mutter Leib gehen und geboren werben? Jeſus ants 
wortetö, Wahrlich, wahrlicy ich fage dir, es fet denn, 
daß jemand geboren werde aud dem Waller und Geiſt, 
fo kann er nicht in das Meich Gottes kommen. Was 

vom Fleiſch geboren wird, das ift Fleifh, und was 
vom Geift geboren wird, das ift Geiſt. 


156 


Mir Nikodemus, m. a. Fr., welcher hier bezeichnet wird als 
ein Pharifäer und einer von ben oberften unter ben Iuben, das 
heißt alfo wahrfcheinlih als ein Mitglied ded hoben Raths, Ten- 
nen wir nur aus den Erzählungen des Sohanned. Er erwähnt 
feiner noch einmal am Ende feines Evangeliumd, wo er aud 
fommt in ben Geſchaͤften bed Erloͤſers, und zwar audy in ber 
Nacht, wo Sohannes fich auf biefe Erzählung wieder bezieht °). 
Als nämlidy Zofeph von Arimathia fi) von Pilatus ben Leid. 
nam des Herm erbeten hatte vont Kreuz, fo fieht da, Es Fam 
aber auch Nikodemus, der vormals bei der Nacht zu Jeſu ge⸗ 
kommen war, und brachte Myrrhen und Aloen unter einander, 
um den Leichnam des Herrn damit zu ſalben, und nach der 
Weiſe der Juden gegen die Verweſung zu ſchuͤzen. Dazwiſchen 
aber erwähnt er feiner noch einmal **), daß er ſich nämlich in 
dem hohen Rath den Befchlüffen befielben gegen ben Herm wis 
berfezt und fie gefragt habe, ob ed benn ihre Weife fei, und ob 
recht, bag einer verdammt werde, ohne bag man ihn gehört 
babe. Wir fehen aljo, es ift nicht nur eine Sache ber Neugier 
gemwefen, daß er bier zu dem Erlöfer kam, fondem er iſt in ei: 
ner befländigen Anhänglichkeit geblieben. In weldhem Sinne « 
aber ein wahrer Jünger des Herm geworben, und wie nahe mit 
ben übrigen verbunden gewefen, darüber wiffen wir nichts zu 
fagen; daß ihn aber die Furcht nicht bavon abgehalten habe, das 
geht aus jenen beiden Erzählungen bed Johannis deutlich genug 
hervor; und fo haben wir gar Feine Urfache zu glauben, daß es 
Furcht geweien fei, die ihn diesmal bewogen zu einer fo unge 
wöhnlichen Zeit zu Jeſu zu kommen. 

Wir können died um fo weniger glauben, ba unter Diefen 
Umfländen und zu biefer Zeit, wo ber Herr zum erften Mal oͤf— 
fentlih in dem Tempel aufgetreten war um zu lehren und bes 


”) 309. 19, 39. Joh. 7, 50 fob. 


157 


Reich Gottes zu verkündigen, wo alfo noch Feine allgemeine 
Stimme ſich über ihn audgefprochen hatte, und die, welche fich 
in eine nähere Berbinbung mit ihm einließen, nody nicht die alle 
gemeine Meinung gegen fi hatten, unter diefen Umfländen war 
feiner genöthigt aud Beforgniß bie ungewöhnlihe Stunde bed 
fpäten Abends zu wählen, um ſich über die heiligſten Gegenflände 
mit ihra zu unterreden. Sondern beöhalb hat Nikodemus biefe 
Stunde gewählt, um beflo ungeftörter und allein mit ihm zu 
teben, und fich dasjenige über dad Reich Gotted, worauf ed vor⸗ 
zäglih ankam, von ihm fagen zu laffen. 

Diefe Abfiht giebt ſich auch zu erkennen in dem erften Ein⸗ 
gange des Gefpräches, indem er fagt, Wir wiffen daß bu 
bit ein Lehrer von Gott geflommen, denn niemand 
fann die Zeichen thun, die du thufl, es fei denn Gott 
mit ihm. 

Auch er war alfo, wie fo viele andere unter ben Zeitgenofs 
fen des Herrn, durch feine Zeichen und Wunder zuerft auf ihn 
niht nur aufmerkſam gemacht worden, fondern erkannte ihn auch 
dadurch als einen Lehrer, der von Gott gekommen iſt. Diefen 
Glauben, m. g. Fr., innen wir bei ihm nicht fo vollkommen 
finden, ald den Glauben des Johannes und der andern erften 
Sünger des Herrn, von beren Erwählung und unfer Evanges 
lium berichtet hat. Denn fie glaubten, daß er ein Lehrer von 
Sort gelommen, daß er der von allen Propheten verheißene fei, 
nicht wegen der Zeichen und Wunder, die er that, denn fie hats 
ten noch Feind von ihm geſehen, fondern auf ber einen Seite 
wegen des Zeugniffes, welches Iohanned von ihm ablegte, auf 
der andern aber wegen des unmittelbaren Eindrukks, ben er felbft 
auf fie machte, und ben und Johannes auf eine eben fo große 
als erfreuliche Weife gleich. am Anfange feines Evangeliums bes 
ſchrieben Hat, indem er fagt, Wir fahen feine Herrlichkeit, eine 
Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Kater voller Gnade 


4 








158 
und Wahrheit ”). Darum waren auch jene augenblikklich und 
von Anfang an ber Perfon des Erlöferd näher, und ein fehler 
md inniger Bund zwiſchen beiben war fogleich abgefchloffen ; 
Nikodemus aber blieb wenigftend für den Anfang noch in einer 
größeren Entfernung von dem Herm, und wie feft und beharm: 


lich fein Glaube an ihn geworben, und was er durch benfelben 


ausgerichtet in dem Werke bed Herrn, davon wird uns nichts 
erzählt. | 

Wenn aber Nilodemus fagt, Meifter, wir wiffen, daß 
du bift ein Lehrer von Gott gelommen, fo müflen wir 
ihm dies freilich, wenn wir auf feine ganze Lage fehen, ald et⸗ 
was hohes anrechnen und als eine Selbftverleugnung, die ums 
beweift, daß fein Glaube, wenn er gleich, vielfältig fi) nur auf 
Zeichen und Wunder ſelbſt richtete, doch aus dem innerſten fe» 


nes Herzend herauskam. Denn für einen, der ſelbſt gelehrt war 


wie er, und nach der damaligen Weiſe in den angefehenften Schu: 
ken ber Schriftgelehrten gelernt hatte, und auf eine ſolche Weile 
audgezeichnet, daß er unter die oberften des Volks gehörte, für 


den war es feine Feine Sache einen andern, von dem er nit 
wußte, welchen Lebensweg er gegangen fei, ber bisher völlig 


unbefannt geblieben war, aber nun auf einmal auftret um 
feine Lehre durch Zeichen und Wunder zu beflätigen, einen fol» 
chen glei für einen Lehrer von Gott gelommen zu erkennen 
und fich ihm gegenüber zu flellen, nicht etwa um Rechenfchaft 


von feiner Lehre zu fordern, fondern um von ihm zu lernen. 


Und eben died war es au, was den Erlöfer bewog fich fer 
gleich mit ihm einzulaflen und ihm dasjenige mitzutheilen, wo⸗ 


rauf ed bei feiner ganzen Lehre zum Heil der Menfchen von 


züglich ankam. 
In welcher Hinfiht aber Nikodemus fagt, Wir wiffen, 
dad müflen wir auch dahin geftelt fein laſſen. Daß er folte 


Joh. 1, 14. 





159 


gekommen fein in einem Auftrage von dem hohen Rath des Vol⸗ 
fes felbft, um fich nach der Lehre Chriſti zu erkundigen, das iſt 
nicht wahrfcheinlich; denn dann würde es auf eine andere Weife 
gefchehen fein. Es giebt aber eine gewöhnliche Art der damali⸗ 
gen Beit, bag auch von einem geredet wird im ber Mehrzahl, 
Aber wol mag es fein, daß auch mehrere Schriftgelehrten und 
oberften bed Volks eben fo wie Nikodemus aufmerffam gewor⸗ 
den waren auf ben Herm, und er alſo nicht für fich allein, fon: 
dern für fie alle in Diefer fpäten Zeit hinging, um ſich von ihm 
belehren zu laſſen. 

Jeſus aber antwortete und ſprach, Wahrlich, wahrlich 
ich ſage dir, es ſei denn, daß jemand von neuem ger 
boren werde, kann er das Reich Gottes nicht ſehen. 

Das war gleich das weſentlichſte in der Lehre des Herrn, 
worauf er den Nikodemus hinwies, und ſchon, daß er ihm hier 
dies gleich fagt und fein Geſpraͤch damit beginnt, daraus were 
ben wir und ganz überzeugen, daß es dad wefentlichfie geweſen 
if. Denn wenn einer mit einem folchen Eifer kommt in einer 
fpäten Stunde, die in der Regel Fein langes und ausführliches 
Geſpraͤch zuläßt, fo war es natürlich und ben Umfländen ges 
mäß, daß ber Erlöfer ohne weitere Umfchweife gleich) zur Sache 
ging und ihn auf den Punkt hinwied, durch deffen Beleuchtung fie 
darüber gleich konnten aufd reine kommen, wie viel ber Herr 
fordere, und wie weit Nilodemus im Stande wäre feine Lehre 
anzunehmen. Die andern Evangeliften fagen, dag von da an, 
wo ber Herr Öffentlich auftrat und die Einfamfeit, in der er bis 
dahin gelebt hatte, verließ, um ben großen Beruf zu erfüllen, 
zu welchem ihn fein Water gefandt hatte, da habe er auch an⸗ 
gefangen dad Meich Gottes zu verfündigen und zu fagen ‚&hut 
Buße, denn dad Himmelreich iſt nahe herbei gefommen*). Sols 
cher Art muß alfo auch gewefen fein, was er Damals in ben Ta⸗ 


*) Matth. 4, 17. Mark, 1, 15. 


! 100 


gen des Feed in Serufalem gelehrt hat, und biefe Lehre Tomate 
dem Nikodemus ihrem Wefen und ihrer gewöhnlichen Form nad 
nicht unbelannt fein, weil eben fo aud Johannes ber Täufer 
gelehrt hatte. Was aber ber Herr fagte, Wer dad Reich Get 
tes fehen will, ber muß von neuem geboren werben, «ifo 
gleihfam die Aufforderung und bie Ermahnung, Gehe ein im 
die neue Geburt, dem das Neid, Gottes ifl nahe herbeigekom⸗ 
men: das war etwas flärfered und Eräftigered, als was Zohan 
ned der Täufer gefagt hatte in den Worten, mit benen umd bie 
andern Evangeliften die erfle Verkündigung des Herm befchrei 
ben. Denn Buße thun, dad heißt fidh leid fein laflen, was 
einem vorher erfreulich geweſen ift, das heißt in bem Sinne ber 
alten Sprache feinen innerften Sinn und feine innerfie Meinung 
über etwas ändern; und alfo war dad auch fchon eine Auffen 
derung zu einer großen unb bedeutenden Veraͤnderung. Aber 
freiih von neuem geboren werden, alfo bad biöherige Le 
ben gänzlich abbrechen und ein neued beginnen, bad will nod 
mehr fagen als jened. Weil nun der Herr den Nikodemus gleich 
wollte auf den Hauptpunkt feiner Rede binführen, fo trug er 
ihm nun bafjelbe, was der Gegenfland feiner biöherigen Verkuͤn⸗ 
Digung war, auf eine gefchärftere Weiſe vor. j 

Wenn Nilodemus dem Herm antwortet, wie wir gelefen 
haben, Wie kann ein Menfd geboren werden, wenn 
er alt ift, fann er audh wiederum in feiner Mutter 
Leib geben und geboren werden, fo dürfen wir ja das 
nicht fo nehmen, al3 ob er die Meinung bed Erlöferd gänzlich 
mißverflanden hätte und dabei an eine neue leiblihe Geburt ge 
dacht habe; vielmehr fährt er fort in der urſpruͤnglichen doch 
bitdlihen Redeart — wenn gleich die tiefite und volllommenfie 
Wahrheit in ihr liegt, bildlich iſt fie doch — in welcher der Er 
Löfer geredet hatte, und gab ihm feine Eimvendung zu erfennen, 
indem er fagen will; wie fol auf diefe Weiſe dad Reich Gotted 
zu Stande fommen, wenn tiejenigen, welche es fehen follen, ihr 


161. 


zanzes Leben ablegen und ein völlig neues annehmen follen? 
»enn Dazu iſt ber Menich nicht fähig, wenn er alt iſt; er iſt 
u fehr gewöhnt an die Lebensweiſe, welche er von Jugend auf 
jeführt, er iſt zu tief verflochten in das ganze Gewebe feiner 
Smpfindungen, alle feine Vorſtellungen und alle feine Hands 
ungsweiſen haben eine zu große Gewalt über ihn befommen, 
18 daß er fie abfireifen koͤnnte, und er ift nit mehr fo beweg: 
ich in feinem innem, wie bie rafche Sugend, daß man eine 
olche Umwandlung von ihm verlangen koͤnnte. Fuͤr alle alfo, 
vill er fagen, die fchon einen bebeutenden Theil ihrer irbifchen 
Tage hinter fich haben, die fi ſchon auf der Höhe des Lebens 
efinden, wie ich, oder wol gar über biefelbe hinaus find, für 
‚ie fcheint es unmöglich, daß fie ein neued Reben beginnen. Mit 
Rindern aber in ihrer früheflen Jugend kann nicht das Reich. 
Gottes beginnen, weil biefe nicht ein felbfländiges Leben führen 
ınd keinen befondern Kreis dee menfchlichen Gefelfchaft bilden, 
hne daß fie geleitet werden von benen, die in Erfahrung und 
Weisheit ſchon tüchtiger und vollfommener find als fie. Das 
fl die Einwendbung, bie Nifobemus macht, und wodurch er alfo 
leichſam fagen will, in die Forderung des Johannes und in Die 
Xrt, wie ber Erlöfer fonft feine Forderung an die Menfchen ge 
tet habe, barin wolle er ſich finden, Buße zu thun fei ihm 
eicht und feinen Sinn zu ändern und eine beffere Ueberzeugung 
inzunehmen — benn in einer. folchen theilweiſen Veränderung 
ft der Menfch immer begriffen. und kann und barf nie bamit 
wufhören, — aber wenn die Forderung an ihn geflellt werde ein 
yanz neued Leben anzufangen, fo koͤnne er ſich nicht zutrauen, 
yaß er ber noch werbe zu genügen wiſſen. 

Der Erlöfer aber läßt nicht ab und giebt nichts nach, fon 
ern antwortet ihm, wie wir lefen, Wahrlich, wahrlich, ich. 
jage bir, ed fei denn, bag jemand geboren werbe aus 
dem Waffer und Geift, fo kann er nit in das Reich. 
Bottes kommen. Er ändert hier nur feinen Ausbruft, indem 

Som, üb, Ev. Joh. 1. ge 





162 


er vorher gefagt hatte, Es fei denn, daß jemanb von nenn 
boren werbe, fo fagt er hier, Es fei denn, bag jemand gebem 
werde aus dem Waſſer und Geifl. Der Ausdrukk, Is 
dem Waffer, der erinnert und allerdings auf eine fehr bank 
niende Weife an die Taufe des Johannes, und, wie es der Eins 
gelift noch in bemfelben Gapitel weiter unten erzählt, an is 
Zaufe, die Jeſus durch feine Zünger verrichten ließ. Indem a 
aber fagt, Es fei denn, daß jemand geboren werde aus tem 
Waſſer und Geiſt, fo dürfen wir das freilich nicht fo vech 
ben, als wolle er die Zaufe bed Iohannes, die nur ber Tal 
feiner Zünger ähnlidy war, für bie neue Geburt gehalten wihe, 
fondern weil eben biefe etwas war, was dem Nikodemus ſqu 
befannt war und geläufig, wie er fich denn auch gewiß wi 
ausführlicher und volfländiger in feiner Antwort an den Han 
ausgedruͤkkt hat — denn doch wol nur im Audzuge giebt w 
Sohannes hier dad Geſpraͤch zwilchen dem Erlöfer und dem Rib 
demus — und wie ſich denn Nikodemus wahrſcheinlich ſchon aufir 
Kaufe und auf die Predigt bed Johannes bezogen hatte: fo fügt ze 
der Herr in feiner Rebe zu dem Waſſer noch den Geil hau 
und fagt, Dad Waller allein und die Annahme ber Zaufe de 
Johannes verbunden mit dem Bekenntniß, daß jeber, der fo ge 
tauft werbe, auch Buße thun müfle in dem Bewußtſein, di 
bad Reich Gottes nahe herbei gelommen fei, das fei nicht gen 
fonbern es muͤſſe dazu noch hinzulommen der Geiſt, d% 
denn, daß jemand von neuem geboren werde, nicht allein dur 
das Waſſer, ſondern dur das Waller und dur den Gril 
und wer nicht aus bem Geſiſt von neuem geboren, konne de 
Reich Gottes nicht fehen. Darin alfo fpricht der Griöfe de 
beſtimmten Unterfchieb aus zwiſchen dem, was auch durch di 
Taufe des Johannes, in fo fern fie nicht ein bloßer Gebrerh 
war, fondern im fo fern dadurch etwas bargefleilt wurde, me 
in dem innern bed Menſchen ſelbſt vorging, bewirkt werben Kam, 
dem Unterſchied zwifchen biefem auf Der einen Seite, und I 


163 

Ichen demjenigen auf der andern, was er felbft verlangte, bag, 
wenn ſich der Menfch auch bereit erkläre zum Buße thun und 
zur Aenderung feined Sinned, fo fei das nicht die neue Geburt, 
burch welche allein er in das Reich Gottes kommen Tönne, fie 
werde ihm auch nicht Durch die Taufe verliehen, fondern er müffe 
geboren werden aus dem Geift, eine ganz neue Kraft müffe ihm 
eingepflanzt werben, ein ganz neues Leben müfle ihm aufgehen, 
in deſſen Beſiz er im Stande fei zu thun, was er vorher nicht 
vermocht habe, ein neuer Geiſt müffe über ihn kommen, durch 
deſſen Kraft er auf eine Stufe des Dafeind erhoben werde, bie 
er. vorher nicht gekannt habe, ohne dad koͤnne er nicht in das 
Reich Gottes kommen. | 

Und dad erflärt nun der Herr in den lezten Worten, bie 
wir mit einander gelefen haben, noch fo, Was vom Fleiſch 
geboren wird, das iſt Fleifh, und was vom Geift ge 
boren wird, das ift Geiſt. Indem er nun biefe Worte in 
Verbindung bringt mit ben biöherigen, fo liegt darin folgendes: 
Geift muß einer fein, fonft kann er dad Reich Gottes nicht fes 
ben und bemfelben nicht angehören. Dad erinnert und zuerfl, 
"m. g. Fr., an dad andere Wort des Herrn, welches er auch in 
einem Geſpraͤch begriffen und zwar mit einer famaritifchen Frau 
zu ihr ſprach, als er nämlich gefagt hatte, Gott felbft fei ein 
Geiſt, und die ihn anbeten wollen, bie müßten ihn im Geift und 
in der Wahrheit anbeten, ed werde, fagt er dba zu ihr, eine foldhe 
Beit kommen, wo die wahrhaftigen Anbeter den Water anbeten 
würben im Geift und in der Wahrheit; und folche Anbeter wolle 
ber Water auch fchon jezt haben *). Damit erklärte er damals 
feinen Vorſaz und feine Beſtimmung, ein folched Reich des Geis 
ſtes und ber geifligen Anbetung Gottes zu ftiften, und bier fagt 
er eben fo: wer nicht Geift geworben, wie Gott Geift, der kann 
in dad Reich Gottes nicht eingehn. Nun aber fezt er eben auf 


*) Soh. 4, 2. 2 
| 0.82 


16% 


der einen Seite dem Geile das Zleifch entgegen, und auf be 
anbern fagt er, Nur was vom Geifi geboren ift, das ſei Geh, 
d. h. alfo, um in biefem Sinne Geift zu fein, müffe der Rai 
erſt ein neues Leben und zwar vom Geiſte angefangen habay 
fo lange er dad nicht habe, fo fei er nichts anderes als vom 
Kleifh geboren aud Fleiſch, und Fleiſch kann das Rah 
Gottes nicht ererben, wie bie Schrift an einem andern I 
fagt *). | 

In Beziehung nun auf dad vorige will ber Her bumk 
ſagen, Alles, was auf bem biöherigen Wege, auf welchem dab 
Volk des Herm gegangen war, erreicht werben Eonnte und nik 
lich erreiht war, alle Meifterfchaft in ber Schrift und in bes 
Geſez, alle Kenntnig der Sazungen ber Wäter und aller trus| 
und rechter Gebrauch berfelben, ja auch die beffere Einſicht, de 
Johannes zuerfi wieder erwekkt hatte durch feine ſcharfe firafenk 
und ermahnende Predigt, daß die Mitglieber ded Volks Saal 
nicht als folche oder wegen ihrer Abflammung vom Abraham ei 
Recht hätten, in dad eich Gottes einzugehen und feiner Bob: 
thaten theilhaftig zu werden, fondern daß fie nun Buße thu 
müßten, und baß alled dasjenige falfch und verkehrt fei, wait 
wahre Verehrung Gottes fei gehalten worden, und bie Erlenn 
niß, die fie von dem höchflen Weſen und von feinem Billa ge 
habt Hätten, und der Eifer, mit welchem fie ſich bemüht hatten, 
bie Gebote bed Herm zu erfüllen, und alles, was hiedurch ® 
reicht werben könnte, das fei noch immer nicht die wahre Ku 
bed Reiches Gottes, das fei vom Fleiſch geboren und Fleiſch, m 
Geiſt müffe erfl gegeben werben und audgegoffen in bie menſch 
liche Seele, damit fie ein neued Leben aus dem Geifle beginnc 
Tönne; nur in diefem neuen Leben beflche bad Reich Gotie, 
‚ und nur ber aus bem Geifle geborene könne in daſſelbe di» 
gehen. 





”) 1 Kor. 15, 5. 


-165 


Aufd deutlichfte alfo erklärt hier ber Exlöfer, bag der Menſch 
nur durch ben Geiſt Gotted geboren werde für bad Leben, wo⸗ 
durch er in der That dem Reiche Gottes angehört, oder, wie er 
fih anderwaͤrts auch ausbrüfft, für bad ewige Leben *),. Wenn 
er aber eben in diefer Beziehung an einem andem Orte fagt **), 
Wer an den Sohn Gottes glaubt, ber hat das ewige Leben, 
bier aber gleihfam fagt, wer aud dem Geifl geboren und ba: 
durch Geift geworden ift, der bat heil an dem Reiche Gottes, 
und daher dad ewige Leben: fo willen wir wol, m. g. $r., def 
died nicht zweierlei ift, fondern eind und daſſelbige. Denn bas 
kann feine Meinung nicht gemwefen fein, daß diefe Geburt aus 
bem Geifl auf einem andern Wege kommen koͤnne ald durch ihn, 
daß dies eine Veränderung fei, die der Menfch mit fich felbft 
vomehmen könne, oder die ihm kommen koͤnne burch andere, Die 
aber ſelbſt noch vom Zleifh geboren und Kleifch wären. Denn 
wenn er in der Folge feines Gefpräched mit dem Nikodemus 
fagt, Alfo hat Gott die Welt geliebt, daß er feinen eingebornen 
Sohn gab, auf dag alle, die an ihn glauben, nicht verloren wer: 
ben, fondern bad ewige Leben haben ***): fo fagt er ja da ganz 
deutlich, dag eben dieſes ewige Leben, welches ganz bafjelbige tft 
mit dem Ausdrukk, Das Meich Gottes fehen, nur denen gegeben 
werde, die an den Sohn Gotted glauben würden, alfo muß er 
auch died meinen, daß bie Mittheilung bed Geiſtes, bad Gebo⸗ 
renwerden aus dem Geifte, bad Selbfigeiftfein von nichts „ande: 
vem auögehen könne, ald von bem Glauben an den Sohn Gottes. 

Ueberlegen wir nun alles dies, fo müflen wir fagen, bed 
Herrn Meinung ift die, daß alled, wad vor feiner Erfcheinung 
die Menfchen waren und fein Eonnten, das chelfte und hächfte in 
ber menfchlihen Natur nicht ausgeſchloſſen, verglichen mit bem, 
was er den Menfchen gebracht hat, nur Fleiſch fei im Ver— 
gleich mit dem Geift, und alfo, daß dad Reich Gottes und 





2) 130. 5, 11. ") 30h, 4, 15. 6, 84. ) Joh. 3, 16. 





166 


daB Leben aus dem Geift nicht entfichen könne aus jenem. Bir 
weit es ſich auch audbreite, wie fehr es ſich auch verherrlich, 
wie bereitwillig ber Menſch es auch in ſich ſelbſt aufnehme un 
andern mittheilen möge, fo könne doch bad ewige Leben um 
das Reich Gottes daraus nicht hervorgeben, fondern aus dem, 
was er gelommen fei ben Menfchen zu bringen. Aus dem Bla 
ben komme der Geiſt und werde über bie Menfchen ausgegoſſer; 
fie müßten eben biefeö geiflige und herrliche, was füch biöher m 
der menfchlihen Ratur nirgends gefunden habe, das goͤttliche a 
Derfelben müßten fie erſt in ihm fehen und erfennen; fo fe d 
in ihm fähen und ertenneten, fo würde ber Geift über fie ar 
gegoflen als der gemeinfame Geift, der bad Fleiſch regiert, w 
ber bad neue Leben und das Reich Gottes hervorbringt. 

So hat denn freilich der Herr in biefen wenigen fo tie 
und Träftigen Worten den ganzen Ken feiner Lehre von Fü 
feibft und von dem Heil, welches er dem menfchlidyen Geiclekt 
zu bringen gelommen war, ausgeſprochen. Und dabei, m.s 
Fr., wird e8 auch immer bleiben. Das Weſen aller Lehre 8 
Ham und aller Gemeinfchaft mit ihm wird immer daſſelbe o 
beuten, und das Anerfenntniß, Daß niemand ohne die neue e 
burt aus dem Geift in das Reich Gotted eingehen koͤnne, mi 
immer ber Grund bleiben unferer Theilnahme an den Sega 
gen, bie und ber Here gebracht hat. Laſſen wir davon ab, 3 
wiflen und zu fühlen, ber Menſch verglichen mit dem, wa} e 
ohne die Ericheinung des Herrn gewefen wäre, müffe von cn 
neuen Kraft, die aber von ihm allein ausgeht, erfüllt werte. 
laſſen wir davon ab, fo fezen wir ben Erloͤſer herab zu anlea 
audgezeichneten "Lehrern und zu andern würdigen menſchlido 
Vorbildern; aber die göttliche Kraft, "die in der neuen una 
en Gottesfülle liegt, welche in bem Erlöfer wohnt, und nme 
cher allein wir das ewige Leben finben, die überfefen wir mi 
madyen und unfähig, indem wir fie nicht erkennen, der Ba 
thaten berfelben theilhaftig zu werben. 


4167 


Aber, m. 9. Fr., wir werben auch durch den Geiſt Gottes, 
Der aus dem Worte Gotted redet, und ber einmal in ber chriſt. 
lichen Kirche verbreitet iſt und in ihr wirkt, wir werden durch 
denſelben auch immer wieder zu der richtigen Selbſterkenntniß 
gebracht, daß alles, was ohne den Erlöjer in und fein wuͤrde, 
Fleiſch ift vom Fleiſch geboren, und immer wieder hinges 
wiefen auf die eine Quelle, aus der wir dad ewige Leben fchöp- 
fen koͤnnen. Zu diefer alfo laßt .und immer wieber hingehen, 
und, find wir einmal aud dem Geift geboren, die Kraft des Geis 
ſtes aufs neue von dem nehmen, in welchem die Fülle der Gott« 
heit wohnt *), und in welchem wir mit allen, die an feinen 
Namen glauben, bie Herrlichfeit bes eingebornen Sohnes vom 
Vater geichaut haben! Amen. . 





“Ro. 2,9. Joh. 1, 16 





XII. 
Am 3. Advent-Sonntage 1823. 


Text. Joh. 3, 7— 15. 


Laß dichs nicht wundern, daß ich dir geſagt habe 
Ihr muͤſſet von neuem geboren werden. Der Bis 
bläfet, wo er will, und bu börefl fein Saufen wehl; 
aber bu weißt nicht, von wannen er fommt, unb we 
bin er fährt. Alſo ift ein jeglicher, der and dem Gel 
geboren iſt. Nikodemus antwortete und fprach zu: ihe, 
Wie mag folches zugeben? Jeſus antwortete und jprat 
zu ibm, Biſt du ein Meiſter in Israel und week 
bad nicht? Wahrlich, wahrlich, ich fage dir: wir we 
den, das wir wiffen, und zeugen, bad wir gefeben bz 
ben; und ihr nehmt unfer Zeugniß nidt an. Glas: 
bet ihr nicht, wenn ich euch von irdiſchen Dingen fage, 
wie würbet ibs glauben, wenn ich euch von bimmii- 
fhen Dingen fagen würde? Und niemand fährt gas 
Himmel, denn ber vom Himmel hernieder gefommen 
iſt, naͤmlich des Menfchen Sohn, ber im Himmel ik 
Und wie Mofes in der Wuͤſte eine Schlange erhöht 


169 


bat, alfo muß bed Menſchen Sohn erhöhet werden, 
anf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren wer⸗ 
ben, fondern das ewige Leben haben. 


I, wiffen aus unferes vorigen Betrachtung, m. a. Fr., wie 
Nikodemus fich gewundert und es gltichſam beklagt hatte, daß 
auch diejenigen, welche fchon nicht mehr in ber erflen Jugend 
und in der frifchen Bluͤthe des Lebens fländen, um in dad Reidy 
Gottes einzugehen, fidy dennoch einer gänzlichen Veraͤnderung ih - 
red Sinned und einer neuem Geburt aus bem Geift unterwerfen 
folten. Nachdem ber Erlöfer ibm nun feine erften Worte bier 
über beflätigt und es ihm noch einmal eingeichärft hatte, daß 
was vom Fleiſch geboren auch nur Zleifch fei, wad aber Geift 
fein ſolle, auch erft müffe aus dem Geifl geboren werden (8. 6.) : 
fo fährt er nun fort, wie wir zuerft gelefen haben, Laß dichs 
nicht wundern, daß ich dir gefagt babe, ihr mäffet 
von neuem geboren werden, und fucht ed ihm alfo erklaͤr 
lich und begreiflich zu machen, wie ed nicht anders als fo fein 
Eönne. Wie bad aber aus den Worten, bie er zur Erklaͤ⸗ 
rung fagt, hervorgeht, das ift wol bad nächfle, wonach wir fra 
gen müffen. 

Der Herr fagt, Der Wind bläfet, wo er will, und 
bu hörft fein Saufen wol, aber bu weißt nicht, von 
wannen er fommt, und wohin er fährt; alfo ifl.ein 
jeglicher, der aud bem Geift geboren ifl. 

Wenn wir und dieſes Gleichniß des Herrn recht verſtaͤnd⸗ 
lich machen wollen, ſo koͤnnen wir wol nicht anders als ſo: er 
hat gemeint, ein jeglicher, der aus dem Geiſt geboren iſt, der fei 
einem Orte zu vergleichen, wo ber Wind biäfet, deſſen Saufen 
man wol höre, aber nicht wifle, woher er fommt, noch wohin 
er fährt, Nun ift aber gewiß, wenn wir dad Saufen des Win _ 
des hören, fo wiſſen wir in fo fern recht gut, woher er kommt, 
und wohin er fährt, ald wir eben bie Weltgegend, aus welcher 


® 








U — — 





170 


er kommt, untericheiden koͤnnen von ber, wohin er geht. Das 
alfo hat der Herr nicht Iäugnen wollen, ſondem er hat es von 
ausgeſezt ald etwas bekanntes. Wenn wir aber den Wind fau- 
fen bören hier und dort, fo willen wir nicht, wo er feinen Am 
fang genommen bat, und wie weit fi biefe Bewegung im ber 
Luſt erſtrekkt, und das ift ed, waß ber Erloͤſer mit biefem Bon 
ven bat fagen wollen. Er meint alfo, wenn ber Geift Gottes 
nach ber alten Werheißung bes Herrn, In jenen Zagen aber will 


- ih meinen Geift ausgießen über alles Fleifch *), fein Werk auf 


Erden beginnen werbe in ben: größeren Maafe und in ber rei⸗ 
cheren Fuͤlle, in welcher ed nothwenbig if, wenn bad Reich Geb 
tes entfieben fol: fo werbet ihr alle wol merken, daß ba etwa} 
befondereß und ausgezeichnetes vorgebe, Daß ein neued-umb ber 
liches Dafein in den Gemüthern ber Menfchen fich bilde, und 
the werbet audy wol unterideiden können, daß bad nicht vom 
Fleiſch iſt und nicht ein Leben aus dieſer Welt, ſondern cin 
geiſtiges und hoͤheres; aber glaubt nur nicht, daß ihr den Aw 
fang ober dad Ende befjelben beſtimmen ‚könnt, bag ihr im 
Stande feid bie Schranken zu begreifen, welche die göttliche A 
macht und Weisheit diefer großen unb lebendigen Wirkung ge: 
dest Hat. 
Indem er num oudbrüffiih dazu fagt, Der Wind blaͤß. 
wo er will, fo hat er alfo auch ganz vorzüglicy das im Sins 
gehabt, daß der Geiſt Gottes in feinen Wirkungen fi nicht eur 
ſchraͤnken werde auf dad jüdifche Wolf, ſondern er wehe wo er 
wolle, er werde thätig fein in dem ganzen Umfange bed menſch 
Uchen Sefchlechts, er werde fich nicht begrenzen laffen durch bie 
ober jene Unterfcheidung der Menfchen; fondern werbe fein Merl 
teeiben in allen Gemüthern, und San Boll der Erde werbe von 
den Wirkungen deſſelben audgefchlofien fein. 

Dad war zunäcft für ben Nikodemus, den der Herz un 





Joet 3, 1 ſgd. Apoſtelgeſch. 2, 17. 


178 


mittelbar vor ſich hatte, eine hinreichende Erflärung daruͤber, daß 
ein jeber, um Theil zu haben an dem Meiche Gottes, welches 
durch die Kraft des göttlichen Geifted unter den Menſchen ge 
baut werden follte, eben weil ed ein ganz neued unb bis bahin 
noch nicht erfchienenes Leben an das Licht bringen werbe, aus 
bem Geiſt müfle geboren werden. Denn indem ber Gert fapt, 
Wie ber Wind biäfl, wo er will, fo auch gebe ber Geift Gottes 
in feinem Wirken für das Reich Gottes ſich dadurch zu erkennen, 
bag auch die Heiden fähig feien von dem göttlichen Geiſt exgrife 
fen zu werben, an ber neuen Geburt aus dem Geift Theil zu 
nehmen und in das Meich Gottes einzugehen: fo folgt ja Daraus, 
baß auch die Juden nicht fonnten zu ‚bemfelbigen kommen ver⸗ 
möge beffen, was fie als folche waren, fonft hätten bie Heiden 
nöthig gehabt Juden zu werben; aber als Heiden hätten fie nicht 
Pönnen von bem Geiſte Gotted erfüllt werben und bad neue 
Leben des Glaubend und der Liebe erben. Iudem aljo der Herr 
den Nikodemus aufmerkfam macht auf bie unbegrenzte Wirkung 
des göttlichen Geiſtes, der fi an keinen Unterſchied einzelner 
Voͤlker, an keine Abſtammung von dieſem ober jenem, an keinen 
Darauf beruhenden Vorzug, an keine befondere Denkweiſe und 
Sprache Binde und fich alfo durch nichtd einfchränfen laſſe: fo 
will er ihm zu erlennen geben, wie nichts, was vermöge eines 
foldyen Außerlihen Vorzuges in dem Menſchen ift, ſchon an ſich 
das Weſen bes göttlichen Geiſtes und bie Fähigkeit zum Reiche 
Gottes in fich trage. 

Aber indem der Herr mın fagt, Alfo ift sin jeglicher, 
ber aus dem Geift geboren ift, fo liegt darin noch etwaß 
andered, wovon wir für und noch eine befondere Anwendung 
machen Tonnen. Wenn nämlich der Herr fagt, Ein jeglicher, 
bes aud dem Geiſt geboren ift, der fei eben fo, bag man wei 
höre und vernehme, was für ein Leben in ihm ift, aber von 
mwannen ed kommt, und wohin ed geht, bad wüßten wir nicht, 
fo heißt bad alfo, wie wir 8 und vorher deutlich gemacht has 





172 


ben, in jebem einzelnen fei der Anfang ber Wirkungen bes gütt- 
lichen Geiftes nicht zu beflimmen, fo wenig ald bad Ende derſel 
ben abzufehen fei. 

Das leztere ift num etwas unmittelbar troͤſtliches für ums, 
daß nämlich in dem Gefühl der mannigfaltigen Unsollfonmen: 
heiten und Mängel, die wir nicht aufhören an uns zu entbeh 
Rn, und in bem Bewußtfein bed befländigen Streites zwiſchen 
dem Geft und dem Fleiſch, in weichem man biöweilen noch 
Saum dad Wehen bed Geifles hört, indem ſich dad Fleiſch zu 
laut macht und den Geiſt fo viel ald möglich betäubt, wir bed 
niemals bie Hoffnung aufgeben follen, bag wir es in allem, was 
zu bem Reiche Gottes und zu der wahren Gottfeligkeit gehert, 
immer weiter bringen und uns aus ber Gewalt bed finnlichen 
und irbifchen Lebens und bed widerfirebenden Fleiſches immer 
mehr losreißen und immer mehr Kraft gewinnen werben in bem 
Befiz des höhern geifligen Lebens, zu welchem wir alle wieder 
geboren werben können aus dem Geil. Denn fo wie ber Hen 
fast, Niemand weiß, wohin er fährt, niemand weiß, wie 
weit dieſe Bewegung bed göttlichen Geiſtes in ber menfchlichen 
Seele ſich erfirefke, und zu welchem Ziele fie ben Menfchen,, der 
von ihr ergriffen iſt, hinführen werbe: fo ſoll auch für uns sicht 
zu hoch fein, nichts zu ſtark, was wir nicht zu ben Früchten be 
Geiſtes, die der Apoftel Paulus in feinen Briefen wieberholent: 
lich aufzählt, und die der Gegenſtand unferer chriſtlichen Beſtee 
bungen fein follen, rechnen könnten; nach allem, wie er an einem 
aubern Drte fagt, follen wir fireben, was lieblich ift unb wei 
wohl lautet *) vor Gott und vor ben Menfchen, unb wir fol: 
ken wifien, def ber göttliche Geift feinen Bemühungen in unfe 
rer Seele feine Schranken feze, und dag wir nicht fagen Türmen 
Died oder jenes, was aus dem göttlichen Geiſt hervorgebe und 
zu dem Reiche Gottes gehöre, fei für und unerreichbar: ba3 





”) DA 4, 8 


173 


wäre ein Unglaube an bie große und ewige Kraft, bie burch ben 
Geiſt in und gelegt iſt. 

Aber eben fo, m. 9. Fr., iR ein fehr lehrreiches Wort für 
und jened erite, Niemand weiß, von wannen er fommt. 
Wenn wir dad Saufen bed Winded draußen hören, fo wiſſen wir, 
baß er da ift, aber wir befcheiden uns leicht, daß er fchon ba 
geweien ift, ehe wir fein Saufen gehört haben. Daffelbe follen 
wir denken in Beziehung auf die Bewegungen des göttlichen 
Geiftes in der menfchlichen Seele. Wenn fie laut und vernehme 
bar find für jeden aufmerkfamen Beobachter des göttlichen Wir 
end, wenn der Geift Gottes in feinen Regungen ſich zu erken⸗ 
nen giebt, daß wir hier und dort etwas bemerken, was nur aus 
dem göttlichen Leben zu begreifen iſt, welches er in ben Gemuͤ⸗ 
them wirkt: fo wiffen wir, daß er ba iſt. Aber wir follen un 
eben fo beſcheiden, dag er auch vorher fchon müfle da geweſen 
fein, ehe wir fein Dafein vernommen haben auf eine unverfenns 
bare Weile, und dag diefen handgreifliden Wirkungen beflelben 
fehon manches in der menfchlichen Seele müffe vorangegangen 
fein, was dieſelben vorbereitet und herbeigeführt hat, und daß 
von biefen tieferen und innigeren Wirkungen deſſelben gewiß noch 
etwas koͤſtliches in dem menfchlichen Gemüthe zurüffgeblieben iſt. 

Aber wie pflegen wir doch leicht darüber herzufahren und 
von biefem oder jenem um und her abzuurtheilen und zu fagen, 
der Geiſt Gottes fei noch nicht in ihm und habe fein Werl 
noch nicht begonnen in feiner Seele. O wie wenig müffen bie 
ſich ſelbſt kennen, welche im Stande find died von irgend einem 
ihrer Brüber zu behaupten, ber auch dad Wort Gottes verninmt, 
und in welchem bie Kraft bed Geiſtes eben fo gut wirkſam fein 
Tann zu feinem Heil. Wiſſen wir ed nicht aus fo manchen eins 
zelnen Erfahrungen und aus der allgemeinen Gefchichte unfered 
Lebens, wie nicht felten ſtill und geheimnißvoll der göttliche Geiſt 
in unferer Seele wirkt, che etwas davon Außerlich erfcheint und 
wahrgenommen werden kann; wiſſen wir es nicht, wie oft er 


173 


md in der Stile treibt und mahnt dieß ober jene von ums zu 
thun, was nicht in Webereinfiimmung ift mit dem gettlichen 
Willen, ehe von biefem Treiben und Mahnen des Geiſtes äußern 
fidy etwad vernommen werden fann? Go auch wenn wir viel 
leicht in biefem ober jenem unter unferen Brüdern das Zeugnig, 
welches der göttliche Geift in den Werken der Menfchen empfängt 
and ablegt, nody nicht wahrnehmen und bad Saufen ded Binde 
noch nicht hören; wir dürfen deswegen nicht fagen, ba er nick 
da fei, fondern follen immer hoffen und vertrauen auf das ver 
borgene Wirken des göttlichen Geifled in jeglicher Serle, bie mi 
in den Umfang des Reiches Gottes eingefchloffen iſt, und az 
welche dad Wort des Herm eben fo gut ergeht wie an ums. 

Nikodemus aber verflanb noch nicht, wie denn eim folche 
in feinem erften Anfang noch nicht vernehmbared in feinen gan 
zen Wachsthum geheimnißvolles und in feinem Enbe unbegreit 
liches Werk des göttlichen Geiftes in dem menfchlichen Geſchlecht 
folle zu Stande fommen, unb fragte daber, Wie mag ſolches 
zugeben? Da antwortete Jeſus und ſprach zu ihm, Biſt du 
ein Meifter in Jsrael und weißt das nicht? 

Diefe Worte enthalten allerdings einen Vorwurf, den der 
Herr dem Nikobemus macht, daß er ein Meifter in Israel fi 
und das nicht wiffe. Run war freilich das meifle in den dem 
jüdifchen Wolke von Gott gegebenen Gefezen und Dffenbarungen 
auf daffelbe allein beſchraͤnkt, und fo fah es fich auch immer on 
ald bad von Bott auf eine befondere Weiſe auserwählte Bell. 
Und darum waren allerdings auch die Meifler des Bold dieje 
nigen, welche bie Schrift in einem höheren Grade kannten als 
alle übrigen, und bei denen ſich jeber im Falle der Verlegenheit 
Naths erholen fonnte; fie waren wol zu entfchulbigen, wenn ihr 
ganzed Zichten und Zrachten am meiften auf basienige gerichtet 
war, wodurch fich ihr Wolf vor allen übrigen Voͤlkern unter⸗ 
ſchied, und wenn fie vorzüglich fuchten bad Bewußtſein biefer 
befondern Erwählung, ba fie einen Bund mit Sott hätten, und 


175 


daß Bott ber Herr ihnen feine Offenbarungen anvertraut habe *), 
überall in bem Wolke lebendig zu erhalten. Aber freilich hätten 
fie es wol wiſſen und auch ihre Aufmerkſamkeit darauf richten 
folen, daß ed Verheißungen in dem alten Bunbe gäbe, bie fih 
weit über die Grenzen bed jübifchen Volkes hinaus erſtrekkten, 
und daß in bemfelben ein Heil verheißen fei, welches über bie 
ganze Welt audgehen und ein Licht ber Heiden werden follte ). 
Das war ihnen nun freilich nicht unbekannt, aber fie begnügten 
fich größtentheild damit zu denken, der Herr werde eine Zeit ber 
Gnade fommen laflen, wo auch bie Heiden fich zu ihm wenden 
würden; aber ganz auf biefelbe Weife würden dann auch jene 
ſich mit ihnen beugen unter das Joch ded Gefezed und fammeln 
zu derſelben Verehrung Gottes nach der Weile der Väter. Nun 
aber hätten fie wiflen follen, wie wenig dieſes Gefez und die bus 
rauf ruhende Art und Weile den Höchiten zu verehren bazu 
geeignet war, daß alle Menichen ohne Unterfchieb ſich dazu bes 
quemen koͤnnten, baffelbe anzunehmen und zu befolgen, und wie 
bei aller Vortrefflichkeit befielben doch fo vieled darin war, was 
nur in bie engen Grenzen eined einzelnen Volkes eingefchloffen 
bleiben müfle. Wer alfo ein audgezeichneter war unter bem 
Volke, wie denn die Meifter in Sörael dazu gehörten, dem konnte 
der Herr mit Recht died zum Vorwurf machen. Hätten fie das 
erkannt, wie fie es Fonnten, hätten fie im Herzen bad Verlan⸗ 
gen gehabt, es möge fich dasjenige bald offenbaren, was bie 
Duelle des Heils für alle Menfchen fei, hätten fie. ſich mit in. 
niger Sehnfucht zu dem Bewußtſein erhoben, die göttliche Barm⸗ 
herzigkeit werde doch endlich einmal die Schranken, durch weldye 
nicht nur ihre Wirkungen gehemmt, fonbern auch ein Theil ber 
Menfchen von dem andern gefondert würde, und feiner recht 
froh werden könnte ihrer befeligenden Kraft, bie werde fie end» 
lich durchbrechen, um fich mit ihrer Milde über dad ganze menſch⸗ 





”) im, 3, 1. 2. , Jeſaj. 42, 6, tut. 2, 8% 


176 


liche Geſchlecht zu verbreiten: dann wären fie fähiger geweſen, den 
Herrn auf eine würbige Weile zu empfangen, und würden das 
Volk zu ihm Hingeführt haben, und nicht, wie jie es thaten, von 
ihm ab. 

Aber, m. g. Fr., fo ift e&, und auch noch nachher habe⸗ 
wir zu verfchiebenen Zeiten baffelbe erfahren, daß auch biejenigen, 
die wir den Meiftern in Israel vergleichen können, doch nur zu 
lange bei demjenigen fliehen blieben, was nur bad Eigenthum 
unb dad But einer beflimmten Zeit ober eined Beinen Theiles 
der hriftlichen Kirche fein konnte, und daß fie eben, fo wie ba 
mald Nikodemus in dem Gefpräche mit dem Herm, und wie 
alle die mit ihm Meifter in Sörael waren, nicht im Stande ge- 
weſen find, fich über biefen engen Gefichtöfreid zu erheben und 
dad Werk der göttlichen Gnade in feinem großen unb ganzen 
Umfange zu erfaffen, und baß fie eben deöwegen bie gläubigen 
dadurch irre geleitet haben, daß fie einen zu großen Werth leg: 
ten auf dadjenige, wad nur einer beflimmten Zeit und einem ge 
wiffen Theile der Chriften eigen fein kann, Dagegen aber ba3 
allgemeine und größere verfäumten, worauf dad Heil ded ganzen 
rubt. Darum vorzüglich in dieſer Hinficht fol zu jeder Zeit bie 
chriſtliche Kirche in allen ihren Gliedern fich felbf prüfen, ob in 
Beziehung auf bad, was zu jenen allgemeinen und durch Feine 
Schranken der Voͤlker und der Zeiten unterbrochenen und ge: 
bemmten Wirkungen bed göttlihen Geiſtes gehört, alle diejen⸗ 
gen, weldye Meifter in Israel fein wollen, auch erfennen, was 
noth thut, ob ihr ganzes Beflreben und al ihr Tichten barauf 
gerichtet ift, ben göttlichen Geiſt, wo er ſich in ben Menfchen 
regt und fie zum Xempel Gottes heiligt, in feinen leiſeſten Wir 
tungen wahrzunehmen und ihn noch eher zu belaufchen unb bie 
Menfchen darauf hinzumeifen, als die ganze Welt fein Saufen 
vernimmt, und ob fie mit allem Ernſt darnach trachten, immer 
mehr frei zu werden von jeglichem Wahn der Beichränkung, als 


177 


ob ber Gert Gottes an biefe ober jene Außerliche Art ber Ber 
ehrung bed höchften gebunden fei, und als ob fein Werk in ber 
menfchlichen Natur untergehen werde, wenn bad zerfälit, worin 
ſich feine Kraft in einer gewiffen Zeit und unter einem gewiffen 
Theil des menfchlichen Gefchlechts offenbart. 

Darum fährt der Herr fort, Wahrlich, wahrlich, ich 
Tage dir, wir reden, dad wir wiffen, und zeugen, bad 
wir gefeben haben, und ihr nehmet unfer Zeugniß 
nicht an. 

Mad, m. g. Fr., der Herr Öfterd in feinen Reben an das 
jüdifche Volk wiederholt, und was er fchon hier in dem erften 
Anfang feiner Öffentlichen Wirkfamkeit zu dem Nikodemus fagt, 
dad ift dad Verhaͤltniß, in welchem er, fo lange er lebte und 
lehrte, zu dem Volke, dem er angehörte und unter welchem er 
eben lebte und lehrte, geftanden hat. Im ganzen konnte er im⸗ 
mer zu demfelben fagen: ich rede, was ich weiß, ich offenbare 
den Menſchen alles, was der Water im Himmel mir gegeben 
hat, wie er auch in feinem lezten Gebet vor feinem himmliſchen 
Vater fi) felbft dieſes Zeugniß giebt *), aber ihr nehmt 
mein Zeugniß nicht an. Vorzüglich aber war es dad Zeugs 
niß von der Allgemeinheit der göttlihen Gnade, da 
von, daß Sort Anbeter haben wolle im Geift und in der Wahr: 
beit, und nicht Anbeter im Gefe; **), davon, daß eine Zeit kom⸗ 
men werbe, wo die wahre Verehrung Gottes und bie lebendige 
Gemeinſchaft mit Gott nicht an irgend einen Ort und an ein 
einzelnes Wolf gebunden fein folle, und was damit zufammens 
hängt, daß das Reich Gotted nicht mit Außerlichen Geberden 
fomme ***),-fondern daß ed innerlich in den menfchlichen Seelen 
aufgehen müffe, dad war ed, was er am lauteflen zeugte, weil 
er ben Vater in fi) wohnen hatte und ununterbrochen bei ſich ****), 

9 Joh. 17, 7. m Joh. 4, 23. 24. +), Auf, 17, DO. 

”, Joh. 10, 3. 8, 16: 2% 

Hom. üb. Ev. Joh. 1. M 


178. 


bad war ed, was er befländig redete, aber aud zugleich bes 
Zeugniß, welches die Menfchen nicht annahmen. 

Wenn wir auf die ganze Außerlihe Geflalt der chriſtlichen 
Kirche merken, fo müffen wir auch jezt noch daſſelbe ſehen. Sa 
e3 wird durch das Wort Gottes und durch diejenigen, welche 
daffelbe in feinem eigentlichen Verſtande erklären, immer nod 
dieſes Zeugniß abgelegt won ber Innerlichkeit des Lebens mit 
Gott, und eben deshalb von ber Unvergänglichkeit beffelben; es 
wirb immer noch died Zeugniß abgelegt von ber Freiheit der 
Kinder Gottes, daß ihr Leben durch nichts Außerliches befchränft 
und an fein menfchliched Gefez gebunden fein fol. Aber ba 


größte Theil ber Menſchen audy unter denen, bie das Wort Got 


tes vernehmen und ed aufrichtig mit demfelben meinen, hängt 
fih an dieſes oder jenes einzelne und fezt in irgend ein Außen 
liched Thun und in irgend einen Buchftaben der Lehre ben hoͤchſten 
Werth, und deswegen dringen fo viele von ihnen nicht hindurch 
zur rechten Freiheit der Kinder Gottes. Darum müflen wir & 
zum Gegenftande unſeres Gebetd vor Gott machen, daß dieſes 
hoͤchſte und tieffle Zeugniß, welches der Exlöfer vor den Men 
chen abgelegt hat, und welches fo klar aus feinen eigenen Wor 
ten bervorgeht, doch immer mehr möge angenommen unb ver 
fanden werben. _ 

Aber wad der Here weiter fagt, Glaubet ihr nicht, 
wenn ih euch von irdbifhen Dingen fage, wie wün 
bet ihr glauben, wenn ih euch von himmliſchen Din 
gen fagen würde, diefe Worte nehmen uns billig Wunder. 
Denn wie follen wir dies verfichen? Es fcheint ald ob er vor 
außfeze, er habe bis jezt nur noch von irbifchen Dingen gerebet, 
aber ed gebe noch andere himmlifche Dinge, die er nicht wage 
zu fagen, weil, da fie nicht die ixdifchen glaubten, fie bie himm 


> tifchen um fo viel weniger glauben würben. Aber was er vor: 


ber behauptet hatte von bem Leben aus Gott, von ber neuen 
Geburt aus dem Geifl, ohne welche niemand in das Reich Got: 


179 


8 eingehen fünne, von bem unbegreiflihen Anfang und Ende 
‚es geiftigen Dafeind, deſſen Schöpfung durch ihn felbft volls 
macht werben follte, wer möchte fagen, baß dies etwas irbifches 
zeweſen fei, ober — benn fo werben freilich diefe Worte auch 
ft gebraucht und einander entgegengefezt, daß das geringfügige 
ind unbedeutende das irdifche heißt, bad große und wichtige aber 
108 bimmlifhe — wie koͤnnte man behaupten wollen, daß bie 
tehre von der Wiedergeburt aus dem Geift etwas unbebeutendes 
ei und etwas menfchliched, da grade fie ber Angel ift, um ben 
ich das ganze Chriftenthum dreht? 

Aber freilich, m. g. Fr., ber Erlöfer hatte ja immer ben 
janzen Zufammenhang der Erzeugung und Erregung bed neuen 
tebend noch nicht auseinander gefezt, ſondern nur die Außern 
Berhältniffe dadon, daß es einen Unterfchieb gebe zwifchen dem, 
vas aus dem Fleifch geboren Fleiſch fei, und zwifchen dem, was 
u8 dem. Geift geboren Geift fei, und diefe äußern Verhaͤltniſſe 
n Beziehung auf die Erfcheinung der neuen Geburt hatte er 
Yargeftelt. In fo fern alfo mochte er fagen, baß er irdiſches 
eredet habe, weil er nur von der Außerlichen Seite bie großen 
ind heiligen Dinge behandelt hatte, und felbft noch zweifelte, ob 
un Nitodemus ihn verfiehen werde, ba er in Begriff war ihm 
as innerfte und tieffle davon aufzudekken. 

Er fährt aber aljo fort, Niemand fährt gen Himmel, 
enn der vom Himmel bernieder gekommen iſt, naͤm⸗ 
ich des Menfhen Sohn, der im Himmel iſt. 

Diefe Worte werben wir nur recht verſtehen, wenn wir an 
in Wort in dem alten Bunde benten, wo nämlid in jenem 
Suche, in welchem nad, Wiederholung alled wefentlichen aus ben 
orhandenen göttlichen Geboten Mofed dem jüdifchen Wolke eins 
ufchärfen fucht, daß dad Wort Gottes ihnen nicht verborgen und 
en, fondern nahe fei, da fügt er hinzu, Ihr dürft nicht fagen, 
aß es im Himmel fei, denn wer wird wol in den Himmel hins 
uffahren und es und holen; auch dürft ihe nicht fagen, es ſei 

M2 


180 


über dem Deere, denn wer wird über bad Meer fahren und es 
und holen, daß wir ed hören; fondern ed ift nahe bei euch, m 
eurem Munde und in eurem Herzen *). Das, meint aber eben 
der Herr, das gelte nur von dem Worte des alten Bundes, von 
- dem, welches der Herr zu dem jübifchen Wolke befonderd gerebet 
und demfelben geboten habe; aber was er in feiner gegenwärtt 
gen Rebe als etwas himmlifched angedeutet habe, dad fei aus 
wahrhaft ein himmlifches, das fei bisher noch nicht im einem 
menfchlichen Munde und in einem menſchlichen Herzen vorban: 
den gewefen, noch in irgend einer Offenbarung audgefprodyen; 
und weil ed eben vom Himmel fommen müfle, fo wäre aud 
feiner unter ben Menſchenkindern, der hinauffahren könne um & 
berabzubolen, fonden ber allein, der vom Himmel ber 
abgefommen if, des Menfhen Sohn, der im Himmel 
ift, der fei beflimmt ed den Menfchen zu bringen, unb eben, weil 
er oben geweien und ed von dem himmlifchen Vater gehört, aud 
fähig es ihnen zu offenbaren. 

Wenn aber der Herr von ſich felbft fagt, Des Menfchen 
Sohn fei vom Himmel hernieder gelommen, und dam 
binzufügt, der im Himmel ift, fo iſt auch dies auf bem er: 
fien Anblikk unverfländlid), aber ich glaube doch, näher betrach 
tet, werden wir ed wol verfiehen. 

Naͤmlich Tonnen wir wol jemald fagen, daß ber Herr wäh 
end feined Lebend auf Erben nicht im Himmel geweien fa? 
Denken wir und doch bie rechte Seligkeit feiner Nachfolge fir 
und darin, daß wir den Himmel auf Erden haben, unb hat a 
doch ſelbſt gefagt, dag wer diefe Seligkeit fühle und an ibe 
glaubt, der habe das ewige Leben ). Dad ewige Leben abe 
haben und an den Sohn Gotteö glauben, das ift eind und def 
felbige. Und fo fagt er von fich felbft, dag er auögegangen fei 
vom Vater und den Bater immer in ſich wohnen babe ***). 


% 


*) 5 Mof. 30, 12— 14. ” %oh, 5, U. +) oh. 14, 10. 


181 


Aber in der Nähe Gottes fein, Gott überall gegenwärtig haben 
und im Himmel fein, bad ift wiederum eind und baffelbe. Was 
meint alfo wol ber Herr, wenn er dieſes im Himmel fein entge- 
genftelt dem vom Himmel herabgelommen fein? Für fi be- 
trachtet war der Herr immer im Himmel, er war aber vom 
Himmel herabgelommen nur in fo fen, ald er ſich den Men: 
fchen offenbarte. So fagt er alfo, dad Wort bed Lebend, von 
weichem alle Bewegungen bed göttlichen Geifted ausgehen, kann 
feiner in den Himmel hinauffahrend herabholen, e& würde ben 
Menfchen ewig verborgen bleiben, wenn nicht des Menichen 
Sohn, der Sohn Gottes felbft, der im Himmel ift, ed vom 
Himmel herab den Menfchen brachte, wenn ber fich nicht den 
Menſchen aufthäte und mittheilte, um ihnen dad Wort des Les 
bend zu geben, welches nur, in feinem Herzen und in feinem Le: 
ben urfprünglich und ihm unmittelbar gegenwärtig und nahe ifl. 

Und nun fängt er an ben erften Anfang dieſer himmlifchen 
Offenbarung dem Nikodemus mitzutheilen in ben lezten Worten, 
die wir gelefen haben, Wie Mofes in der Wüfte eine 
Schlange erhöht hat, alfo muß ded Menfhen Sohn 
erhöht werden, auf daß alle, die an ihn glauben, 
nicht verloren werden, fondern dad ewige Leben haben. 

Mofes, der erhöhete auf einen befondern göttlichen Befehl 
die eherne Schlange, wie wir wiffen, damit bie, welche von den 
giftigen Schlangen gebiffen waren, indem fie auf jene eherne 
Schlange hinſchauten, von ihrem Uebel geheilt würden *). So, 
fagt der Herr, muß auch des Menſchen Sohn erhöht werben, 
das heißt, allgemein den Menfchen dargeftellt zu einem heilfamen 
Zeichen, auf daß, fo wie damals alle, die von bem Big ber gif: 
tigen Schlange verlegt waren, ohne Unterfchied, indem fie auf 
die von Mofes ihnen vorgehaltene Schlange fchauten, gelund 
wurden, fo auch, wenn fie auf den für alle Menfchen zum Zei: 





*) 4 Mof. 2, 8 fg. 


182 - 


den aufgeſtellten Menfchen: Sohn ſchauen, fie nicht verloren ge | 
ben, fondern dad ewige Leben haben. Auch bier alfo wiederhol 
ber Herr abfichtlih die von ihm fchon angebeutete Lehre vs 
der Allgemeinheit ber göttlihen Gnade im — 
thum, indem er ſagt, alle die an ihn glauben, alle die - 
ihm ergriffen werben, das heißt alfo, das ganze menſchliche Se 
fhlecht ohne Unterfchied, fo fie an ihn glauben, follen fie niät 
verloren gehen, fondern bad ewige Leben haben. & 
gewiß iſt es, daß der Herz bad Gefühl von der Allgemein 
feiner Erlöfung in fi gehabt hat, daß er nicht geglaubt hat, a 
fei nur beflimmt für dad Voll, unter welchem er geborm we 
und lebte, wenn gleich er fagt, er fel nur gefandt zu den m 
lomen Schaafen aus dem Haufe Israel *), Sehr gut kina 
wir und diefe beiden entgegengefezten Worte mit einander ass 
gleihen. Seine perfönlihe Wirkſamkeit follte fich nur fo wei 
erſtrekken, denn die mußte menfchlidher Art fein, und in dide 
Hinfiht war er durch feine Geburt und durch alle feine Außen 
Verhaͤltniſſe dahin gewieſen, fein ganzes Leben und Weſen, mi 
ches fih nur auf einen Heinen Kreis beſchraͤnken konnte, in den 
Gebiete feines Vaterlandes und feiner Stammedgenoffen zu fük 
ren. Aber wenn er würde erhöht werben zu einem allgemena 
Zeichen für alle Menſchen; wenn dad überall würde verküntigt 
werden, bag Gott die Welt richten werde in einem Manne, ü 
welchem er es beichloffen habe, und daß er bie Zeiten der Üs 
wiffenheit überfehen wolle, nun aber einem jeden gebiete Buit 
zu thun **): dann würde jene Beichränkung fallen, und ol 
bie an ihn glauben, würden nicht verloren gehen, fondern de} 
ewige Leben habeu. Wie er aber anderwärts fagt, So langt 
dad Weizenkorn noch über der Erbe ift und nicht erflorben, f 
bleibt es allein, fol es aber Frucht bringen, fo muß e3 in die 
Erde fallen und erfterben ***): fo dürfen wir auch nicht läugam, 





” Matth. 85, a. *) Apoſtelgeſch. 17, 8. 3. ) Joh. 12 * 


” 18 


wenn gleich die Worte, daß des Menfchen Sohn muß erhöft 
werden, in der Achnlichkeit mit dem Bilde, welches ber Herr hier 
aufftelt, auf nichtd anderes unmittelbar gehen Tönnen als auf 
die allgemeine Verkuͤndigung Chriſti, auf das Zeichen, welches 
Gott dem menfchlichen Gefchlechte gegeben hat, wir koͤnnen nicht 
läugnen, daß er dabei doch auch an feinen Tod gedacht, in wel: 
chem noch eine befondere Achnlichkeit mit jenem Erhöhtfein Liegt, \ 
und er bat es gewußt nach der ihm von Gott gegebenen Ers 
kenntniß, daß das allgemeine Heil bed menſchlichen Gefchlechts 
hervorgehen müffe - aus feinem Tode, daß nut, wenn er würde 
ans Kreuz erhöht fein, er zum Zeichen dargeſtellt werben könne 
dem menfchlichen Gefchlechte, und daß fo bie Verheißung würde 
erfüllt werben, daß alle, die an ihn glauben, nicht wür 
den verloren gehen, fondern bad ewige Leben haben. 
Und dad alfo hat der Herr gefagt als dad erfle unter den 
himmliſchen Dingen, von welchen er fürshtete, daß fie ſchwer zu 
begreifen wären für ben, mit dem er redete, ald das erfle, wos 
rauf jene neue Geburt aus dem Geift begriffen werben Tann; 
und in der Verbindung, worein er beides fezt, liegt eben baflel: 
bige, daß wir ben göttlichen Geift nur erhalten aus dem Glaus 
ben, daß es einen andern Weg und eine andere Quelle des Heild 
nicht giebt, ald nur in fo fern wir alle den Anfang kennen ber 
neuen Geburt aus dem Geift, in fo fern wir alle dem nachgehen 
fönnen, von welchem alle Bewegungen ded göttlichen Geiſtes 
auögehen. In ihm war er ohne Maaß, in ihm war bie Fülle 
der Gottheit leibhaftig *). Wenn wir und an ihn wenden und 
auf ihn unfer Verlangen richten, dann, wie er feine Jünger 
einft leiblich anhauchte **), erfüllt er und mit feinem Geift und 
giebt uns feinen Frieden, und fo entfteht der Glaube aus dem 
Geiſt. Denn anderd nicht ald fo gefchieht ed. Wir alle haben 
den Geift und theilen ihn, aber er ift fo gebunden an den Glaus 


”) Joh. 3, 34. Kol, 2, 9. *) Joh. 20, 21. 


184 


ben, daß wir nicht anders zur Thelinahme an bemfelben gel: 
gen können als burch den Glauben, und daß es kein ander Hei 
giebt, als welches daher fließt aus dem Glauben an Chriflum, 
unb kein anderer Name den Menichen gegeben ift, worin fe je 
lig werben follen, ald der Name bes Erlöfers *). Und was Gott 
fo verbunden hat, das kann der Menfch nie Iöfen. Nie wird ie 
Geiſt Gottes etwas anderes thun ald ben verklären,, der vom 
Himmel herabgelommen iſt, wo er ewig war; nie wird er etwa 
anderes thun, als es von dem feinigen nehmen und ihn verben: 
lichen **). Aus feiner Fülle muß alle fommen, um ben Ra: 
ſchen den Geift zu erweffen, der fie mit Gott vereinigt. Aus de 
laßt und alle fchöpfen für und und für andere, Damit auch von 
und dad Wehen be3 Geiftes in dem unendlichen Gebiete feine 
Wirkſamkeit wie dad Saufen des Winde immer mehr ve: 
nommen werde, und damit auch auf der andern Seite die Men 
ſchen um und her dad ewige Leben fchöpfen können, für welde 
fie befimmt find. Amen. 


) Apoſtelgeſch. 4, 12. **) op, 16, 14. 


XIV. 
Ani 1. Weihnachtstage 1823, 


Ehre fei Gott in ber Höhe, und Friebe auf Erben, und ' 
en Menfchen ein Wohlgefallen ! 


Tert. Joh. 3, 16— 18. . 

Alfo hat Gott die Welt geliebt, daß er feinen ein- 
gebomen Sohn gab, auf baß alle, die an ihn glauben, 
nicht verloren werben, fondern das ewige Leben haben. 
Denn Gott bat feinen Sohn nicht gefandt in die Welt, 
daß er die Welt richte, fondern dag die Welt durch ihn 
felig werde. Wer an ihn glaubet, der wirb nicht ge: 
richtet; wer aber nicht glaubet, der iſt fchon gerichtet, 
denn er glaubt nicht an den Namen bed eingebormen 
Sohnes Gottes. 


M. a. Fr. Wir koͤnnen das heutige Feſt nicht würbiger feiern 
3 eben mit diefen Worten, in welchen unfer Erlöfer ein fo 
mliches Zeugniß von fich felber ablegt. Denn wenn wir frei: 
ch gewohnt, ja durch dad heutige Feſt felbft darauf angewiefen 
nd, in diefen Tagen ihn und ganz vorzüglich zu vergegenwaͤr⸗ 
gen in der Geſtalt des neugebomen Menſchenkindes, in wel: 


7 — — — — 


186 
chem zwar die Fuͤlle der Gottheit wohnte, aber noch unſichtber 
und verborgen, und aus welcher ſich erſt alles dasjenige für bie 
menſchliche Erſcheinung entwikkeln ſollte, wodurch er beſtinm 
ward das auszurichten, was er hier von ſich ſagt: fo würde bed 
eben jede Zeier feiner erſten Ericheinung auf Erben nur etwas 
unvollkommnes unb unzulängliched fein, wenn wir nicht, indem 
wir feiner erften Ankunft in der Welt gedenken, glei ben gre 
Gen Zweit feiner Sendung vor Augen hätten. Unb wi 
er dieſen nun felbft demjenigen darftellt, der gefommen war um 
ihn zu hören als einen Lehrer von Gott gefandt, dad laßt ums 
benn nach Anleitung unfered Zerted näher mit einander betrachten 

Das erfte aber, was der Erlöfer hier von fich ſelbſt ſagt, 
das ift die, dag er und erfchienen fei ald ein Liebeszgeicdher 
Gottedö, und zwar — denn das liegt ja ganz deutlich im ber 
Worten, Alfo, das heißt, fo fehr bat Gott die Welt ge 
liebt — als bad größte, welches der Schöpfer und Water de: 
menfchlichen Geſchlechts demfelben geben Tonnte. 

Bad, m, g. Fr., iſt mol dem empfänglichen und nicht gem; 
von dem richtigen Wege abgelommenen menfchlichen Gemüth ein 
Zeichen ber göttlichen Liebe? Ganz vorzüglich denken wir gemif 
alte in dieſem Augenblikk und in diefen Tagen an die Kinder, 
die Gott und gegeben hat und unter und aufwachſen läßt, mu 
denen wir auf eine ganz vorzügliche Weiſe diefed fchöne un 
berrlihe Zeft zu begehen gemohnt find. Sa fie find und alle, 
jedes ohne Ausnahme, ein Zeichen der göttlichen Liebe, ein Ze: 
chen davon, daß Gott noch immer mit feinem bejeelenden und 
erneuenden Geifte über dem menfchlichen Gefchlechte waltet, daß, 
indem er noch immer bie vernünftige Seele unter und aufs neu 
entftehen läßt, fein liebevoller Zweft mit dem menſchlichen Ge 
fhlechte noch immer länger fol beftehen. Und wenn ſchon nid: 
alle im gleichen Maaße zu der Erfüllung dieſes Zwekkes beitra: 
gen, fo wiflen wir ja, es ift ber Lauf ber Natur und bie rt: 
nung des Lebens, daß unter der großen Menge immer einige 


187 


find, durch weiche fih Gott auf eine befondere Weiſe verkauͤndigt 
und verherslicht. Wie der Verfaffer des Briefes an die Hebraͤer 
ben Herrn auf diefe Weife vergleicht mit ben Propheten, durch 
welde Gott früher geredet habe zu den Vaͤtern *): fo dürfen 
wir ihn auch vergleichen mit allen denen, in welchen Gott its 
gend eine befondere Wohlthat irgend einem wenn auch noch fo 
kleinen Xheile des menfchlihen Gefchlechtd erweiſet. Jeder fol 
cher einzelne ift ein vorzügliched und beſonderes Liebeszeichen 
Sotted. Aber wie weit ift über alle erhaben ber Herr, beffen 
Antunft unter dem menſchlichen Gefchlecht wir jet fein! So 
weit, wie er ald der eingeborme Sohn Gottes, in welchem wie 
die audgezeichnetfte Wohlthat Gottes erfennen, erhaben ift über 
bie, welche nur dadurch, daß fie an ihm hangen und mit ihm 
verbunden find, bie Macht erhalten haben Gottes Kinder zu 
fein; fo weit ald die Wohlthat, die er gelommen ift dem menſch⸗ 
lichen Gefchlechte zu erweifen, erhaben ift über alled, was irgend 
ein anderer feinen Bruͤdern auf ber Welt Ieiften kann, was, 
wenn ed etwad recht großed und bedeutendes ift, grade nur eim 
Heiner Theil fein kann und fein muß von feinem eigenen Werke 
unter ben Menfchen. 

Und wenn wir, m. g. Fr., biefed Feſt der Ankunft des 
Harn feiern in diefen Tagen, nicht etwa aus einer befondern 
Kunde, daß ed grade dieſe Zeit des Jahres iſt, wo ber Herr auf 
Erden erfchien, fondern vielleicht auf eine natürlichere Weiſe bed» 
wegen, weil es diefe Zeit if, wo auch bie erwärmende und bes 
lebende Sonne, nachdem fie fi) immer weiter von und ent 
fernt hatte, wieder zurüfflehrt in unfere Nähe und nun immer 
höher an dem Himmel hinauf fleigt, um eine günfligere und 
fröhlichere Zeit zu bringen: fo auch iſt der Herr durch feine Ans 
tunft dad höchfle Sinnbild der göttlichen Gnabe, bie ſich zwar 
niemals unbezeugt gelafien hat an dem menfchlichen Geſchlechte **), 





cr 1, 1. *) Apoſteigeſch. 14, 17. 


188 


aber boch vor den Augen des ſterblichen Menſchen ſelbſt ſich m: 
mer mehr verloren, weil alle fruͤhern Liebeszeichen, die Gott deu 
Menfchen gegeben, allmälig ihre Wirkung verloren, und num cben 
da, wie wir fagen bürfen, die Sottverlafienheit der BRenfchen, 
ihre Entfernung von ihm, ihre Unmiflenheit über ihn den bäd- 
fin Gipfel erreicht hatte, der Herr erfchien, um Leben und Lich, 
Wonne des Glaubens und ber Liebe, Belanutfchaft mit Gott, 
ja Eimwohnung Gottes in den Menfchen durch feinen Geiſt wie 
derzubringen, 

Worauf wir fehen mögen, auf bad natürliche ober auf da3 
geiflige, in die Vergangenheit oder in die Gegenwart, ja auch 
in die Zukunft hinein: er bleibt das hoͤchſte Zeichen der 
göttlihen Liebe, und ein größeres Tonnte Gott ben ren- 
ſchen nicht geben, als daß er feinen eingebornen Sohn 
gefandt hat. 

Er hat ihm aber gefandt, wie der Herr felbft in ven Wor 
ten unſeres Textes weiter fagt, als ben Gegenſtand des 
Glaubens, er hat ihn geſandt, auf daß alle, die an ihn 
glauben, nicht verloren wären, fonbern das ewige 
Leben haben. 

Was ed fei, m. g. Fr., mit dieſer großen geheimnigvollen 
und doch auf der andern Seite wieber fo offenbaren Kraft des 
Glaubens, und zwar eben ded Glaubens der menfhlichen Seele 
an den Herm als ihren Erlöfer: das willen freilich nur die, de 
nen man es nicht zu fagen braucht, die auf bie rechte Weile in 
den Ziefen ihres Gemuͤths vol Schaam und Dankbarkeit biefes 
und jeded andere Feſt ded Herrn begehen; und es benen Deut: 
lich zu machen, welche eben diefe Kraft des Glaubens in fich 
felbſt noch nicht fühlen, dad vermögen wir wol nicht. Des Hen 
aber hat ſelbſt in den kurz vorhergehenden Worten, die er zum 
Nitodemus fagt, und eine Andeutung davon gegeben, an wel 
her wir eben biefe Kraft ded Glaubens feflhalten und uns le 
. bendig vergegenwärtigen können, wenn er nämlich fagt, Wie 


189 


Moſes in der Wüfte eine Schlange erhöht hat, alfo muß bed 
Menſchen Sohn erhöht werden (8. 14.) Das war auch eine 
Kraft des Glaubend, daß diejenigen, weiche von ben giftigen 
Schlangen gebiffen waren, auffehen mußten an die vor ihnen 
erhöhte Schlange, um dadurch geheilt zu werden von dem, was 
ihnen fonft den Tod wuͤrde gebracht haben. Eben diefes Hin: 
auffehen und dad durch dad Hinauffehen geheilt werden, das, m. 
g. Fr., ift ein herrliches Sinnbild — beffer und umfaſſender als 
irgend eine andere nur menfchlihe Weisheit ed hätte ausdruͤkken 
fönnen — von der Kraft ded Glaubens. 
Mad, m. g. Fr., können wir wol. anderd ald nur hinauf 
fehen zu dem Erlöfer, denn er bleibt immer auf eine unerreich 
bare Weife über und erhaben. Wenn er gleich und würdigt und 
feine Brüder *) zu nennen, wenn wir dad gleich erfennen und 
annehmen mit dankbarem Herzen, fo müflen wir boch geftehen, 
wir können und nicht gleich neben-ihn fielen. Die Kinder Got: 
tes und ber eingebome Sohn Gottes, fie find einander nicht 
glei und können es nicht fein. Und was dürfen wir wol an⸗ 
ders ald nur eben auf dad Bewußtſein zurüffgehen von bem, 
was unfer aller Dafein ohne Ausnahme vergiftet hat, auf das 
Bewußtfein der Sünde, um zu fühlen, daß wir an den, der von 
feiner Sünde wußte, immer nur binaufiehen fönnen? Aber wenn 
nun bie binauffehenben geheilt werben von bem Gifte durch das 
Hinauffehen, was koͤnnen wir und babei anders benfen als eine 
geheimnigvolle Kraft, die eben dadurch fich über fie verbreitete 
und in fie hineinfloß. So, m. 9. Fr., iſt ed auch nichts ande 
res ald dad Hinaufiehen an den Erlöfer, an welches bie geheim» 
nigvolle Kraft feiner Erloͤſung gebunden if. Wenn wir an ihn 
binauffehen wie jene gebiffenen, in dem Bewußtfein deffen, was 
unfere Ratur verumreinigt und unfer geiftige® Leben immer wie 
der zu töbten droht, weil es had Wort der Verheißung ift, daß 


”) £ub, 8, St. 


190 


wir durch ihn follen geheilt werben *): dann ergießt ſich die 
geheimnigvolle Kraft, bie Bott in ihn gelegt Hat, im unlen 
Seele; dann fleigt ber an welchen wir hinaufſehen gleichlam x 
und herab, und eben baburch, baß fich eine geheimnißvolle Kraft 
von ihm in und ergießt, daß in ber lebendigen Gemeinſchaft de⸗ 
Glaubend an ihn wir mit ihm eind werden, und er, wie et 
ſelbſt verheißen bat, fo mit und verbunden if, wie ber Vater 
es mit ihm war **), baburd wird bad Werk zu Stande ge 
bracht, um befientwillen er gefommen ift. 

Wie follten wir aber wol glauben, daß unter denen, ix 
von jenen Schlangen gebifien waren, audy nur einer geweſen 
wäre, der es nicht wenigftend der Mühe werth follte gehalte 
haben, ben Verſuch zu machen binaufzufchauen, und wenn & 
auch nicht mit feflem Glauben und mit unumftößlichem Be 
trauen gewefen wäre? Ad, m. g. Fr., wie follte uns babe 
nicht jened Wort einer auch hülfsbebürftigen Seele in bie Cris 
nerung fommen, die zu bem Herrn fagte, Herr ich glaube, hili 
meinem Unglauben ***); benn wie könnte es anders fein, da ab 
led in ber menſchlichen Seele nur allmälig waͤchſt und zu be 
rechten Kraft gedeiht, daß auh der Glaube an den Her 
anfangs unvollkommen fein muß unb noch nidt zur volle 
Stärke in der Seele gekommen, wenn fie zum erfien Mais 
ibm hinauf fieht. Aber fie bedarf auch nur biefed erfien Ar 
fangs, fo kommt hinzu, was allen Glauben erfi feftfichen malt, 
die Erfahrung. Diefe machen wir nicht eben fo und in ſo 
Eurzer Zeit, wie jene merkten, daß das Gift in dem Körper fe 
Kraft verlor; fondern wir machen fie burch unfer ganzes Lehe 
hindurch, und immer mehr muß fich durch dieſe Erfahrung be 
Glaube ftärken. 

Wie groß aber die Heilung fei, welche der menſchliche— 
Seele durch unfern Herm widerfährt, dad fagt er, indem er fr 


*) Jeſaj. 63, 5. Joh. 17, 2: 23. ”) Start. 9, 4. 


191 


fahrt, Auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren wer 
ben, fondern das ewige Leben habenz und fo fagt er 
auch anderwärts mehr ald einmal, Wer an mich glaubt, der hat 
das ewige Leben *), und fo fagt er unmittelbar darauf, Denn 
ber Sohn Gottes tft nit in die Welt gefandt, daß 
er die Welt richte, fondern bag er die Welt felig 
mache. Ewiges Leben und Seligkeit, das iſt es, mozu der 
Sohn Bottes in die Welt gefandt worden ift, um ed den Men⸗ 
[chen zu bringen, und zwar zu bringen nicht etwa nur ald eine 
entfernte Hoffnung, fondern ald ein gegenwärtiged Gut. 
Verloren fein und das ewige Leben haben, das 
ſtellt der Erlöfer hier einander gegenüber, ohne zu unterfcheiden 
und zu beflimmen, wohin fich der Menfch verliert und verloren 
bat, der des ewigen Lebend noch nicht theilhaftig if. Dad wils 
fen und fühlen wir auch alle, m. g. Fr., einfach ift der Weg 
zum Leben und zur Seligkeit, mannidfaltig find die Wege bed 
Verderbens. Verlieren kann fich der Menſch in diefed oder jenes, 
das ewige Leben findet er nur bei einem und durch einen. Und 
wie ohne bie Ankunft des Herm in ber Welt bie Menfchen vers 
loren waren und verloren geblieben wären, in ber Irre gehend, 
jeder feinen eigenen Weg *”), ach das bezeugen und taufend Stim⸗ 
men. Freilich uns follten fie alle nur entfernt Bingen, eben weil 
wir in bem Genug und in bem Beſiz aller Güter leben, die uns 
der Here erworben hat; aber laufchen wir nur recht darauf, fo 
finden wir fie alle in unferem innern, eben weil wir nicht: in eis 
nem Augenblitf die ganze und volllommene Heiligung ber Seele 
busch den Glauben erfahren. Das was die menfchlihe Natur 
vergiftet und ihr Verderben bringt, dad wächft allmälig, dad aufs 
merffame Auge findet bie Spuren bavon überall in dem innern, 
bald hier bald da will ed wieber hervorbrechen und die Freu⸗ 
digkeit unferes Herzens trüben, und wir alle ohne Ausnahme 





” Joh. 5, A. ) Jeſaj. 58, 6. 


192 


durch alle, was uns von bem, an ben wir glauben umb beu 
wir lieben, entfernt, verlieren und in das Berberben. Wer aber 
den Glauben feflhält, wer aus der Werbinbung mit bem, in wei: 
chem fi) Sott der menfchlichen Natur offenbart hat, nicht weicht, 
ber, m. g. r., verliert ſich nicht, welche Gefahren ihm auch 
drohen mögen; fondern er hat dad ewige Leben in fich, mb 
weil ed das ewige ift, fo behält er es auch. 

Wenn aber nun, m. g. Fr., died dad ganze wäre, nämlie 
die allmälige Heilung ber Seele von dem Verderben burch ber 
Glauben an den Herm, das allmälige Wachſen des Menſches 
in der Achnlichleit mit ihm, und der fi immer mehr feſtſezende 
Befſiz der innen menſchlichen Seligkeit: das wäre allerbings em 
großes Gut, aber es wäre doch nicht das höcfte, wozu ber Hen 
erfchienen if. Denn, m. g. Fr., in dem Ausdrukk Selig me 
hen liegt noch etwas eigenthümliche und größeres. Naͤmlid 
felig iſt auf eine urfprüngliche Weile allein Gott, dad hoͤchſte 
Weſen, dem nicht fehlt, das fich felbft genug iſt ohne etwas zu 
bebürfen. So find wir nicht für un felbfl, nicht in dem Zuflante 
der Heilung, nicht in dem Buftande bed Verſchwindens der Sünte. 
nicht in dem Zuftande, in welchem wir nody zu dem Erldfer hinauf: 
fehen und bie Kraft zur Heiligung von ihm empfangen ; ſondern wir 
find es nur, wenn feine Trennung mehr zwifchen und unb ihm be 
fteht, wir find es nur in der Gemeinfchaft mit ihm, die gleich f 
feiner Gemeinfchaft mit dem Water *), in welcher aud) er allein elta 
wor. Dem dem eingebomen Sohn Sotted mäfjen wir dieſe eigen 
thuͤmliche und urfprüngliche Seligfeit auch zufchreiben, und fie 
iR eben feine Herrlichkeit, bie ums aus ihm entgegenfirahlt. Denn 
nur von dem, der in fich felbft felig if, vermögen wir Gnade 
um Gnade zu nehmen, und unandgefest aus ſeiner Fülle zu 
ſchoͤpfen **). 

Aber nicht als daS eben geborene Menſchenkind, weiches all⸗ 


*) Soh. 17, 22. 23. ””) 306. 1, 16. 


193 


mälig zugenommen hat an Alter und Weisheit und Gnade *), 
iſt er der in fich ſelbſt felige, fondern ex ift es vermöge der Fülle 
der Gottheit, bie in ihm wohnte *&), er iſt es verınöge des Eins» 
jeind mit feinem Water ***), welche er und ald ein Zeichen ges 
geben hat, daß er von ihm gefandt, und daß in ihm bie ſelig⸗ 
machende Kraft geweſen fe. So find auch wir nur felig in 
dem unmittelbaren Einöfein mit ihn, welched durch den Glau⸗ 
ben in unferem Herzen gewirdt wirb, nur baburch, dag wir feine 
unmittelbare Gegenwart und feine unmittelbare Kraft in uns 
fühlen, nur dadurch, daß wir und des Geiftes bewußt find, den 
er ben feinigen eingehaucht hat, und von dem wir willen, baß 
er durch den Glauben einem jeden gegeben wird von Gott. 
Nicht in uns felbft alfo, fondern in ihm find wir felig. Aber 
wozu und ber Glaube an ihn führen fol, das ift auch nichts 
geringered als eben diefe Seligkeit. | 
Und nun, m. g. Fr., als ein ſolches mit nichtd zu verglei- 
chendes Liebeözeichen Gottes, dazu beftimmt, durch den Glauben 
das ewige Leben und die Seligkeit zu bringen, ſtellt fich der Er- 
löfer dar als das allgemeine Gut aller Menfchen. Denn 
die Testen Worte unferes Tertes, Died Menfhen Sohn iſt 
nicht gofandt, daß er die Welt richte, fondern daß er 
die Welt felig mache, find gerichtet gegen ein unter dem 
Wolke, in welchen der Erlöfer geboren war und lebte, fehr al: 
gemein verbreiteted Vorurtheil, dag naͤmlich, wenn ber gefalbte 
Gottes erfcheinen werde, er auch zunächft nur ein befonderes Gut 
bed auderwählten Volkes fei, und indem er biefed zu feiner ur- 
fprünglichen Herrlichkeit zurußfführen werde, werde er ein ftren> 
ged Gericht ergehen laffen über alle Völker, die jemals feindfelig 
gegen bad Volk Gottes aufgetreten fein. Diefen Bahn will ber 
Erlöfer in ber Seele ded Nikodemus und aller, benen diefer etwa 
Bericht erftatten möchte über den von Bott gefandten Lehrer, ver: 


9 tut, 9, 52. ") Kol. 2, 9. Job. 10, 30. 
Hom. üb. Ev. Joh, L. N 


194 


treiben, indem er fagt; Des Menſchen Sohn if nidht ge 
fandt, bag er bie Welt richte, fondern bag er bie Be! 
felig made. Und fo will er alfo ald ein ſolcher angeijedx: 
fein, durch welchen niemandem irgend ein Uebel wiberfahren jole 
ber auch nicht gelommen fei um, indem er bie einen beglüftz 
heile und felig mache, alle üblen Folgen ber Sünbe über die «> 
bern zu bringen; fondern indem er fagt, wer an ihn glaubt, te 
bat bad ewige Leben und wird nicht gerichtet, weil ex e& bx 
wer aber nicht glaubt, der ift fchon gerichtet, denn er glaut 
nicht an den Namen des eingebomen Sohnes Gottes”): fo las 
er, daß denen, die nicht an ihn glauben, nichtd widerfahre, <-: 
wos ihnen auch ſchon widerfahren fein würde, wenn er nicht e 
fchienen wäre. Dad Gericht, ed if nichts anders ald dies, dei 
Nichtglauben an den Sohn des lebendigen Gottes. 

So ftelt er und, m. g. Fr., die Seligfeit und die Unfei:s 
feit fo neben einander, baß beides und dadurch beutlich wir: 
namlich die Seligkeit, der Beſiz des Lichte und ber ganzen Der: 
lichkeit, die in dem ewigen Leben liegt, dies auf der einen Seite, 
und die Unfeligkeit deö Unglaubens, ‘dad ganze Weſen der Fi— 
ſterniß, das In Der Unfeligkeit liegt, die auf der andern Eeite 
Als den größten Unterfchied, ben ed geben kaum, erfennen wu 
ben, felig werben und gerichtet werden, und als biegen 
größten Unterfchied flellt der Herr hier dar die an ihn glauben, 
und die nicht an ihn glauben. Sa, m. g. Fr., wie könnte & 
auch anders fein? An den Erlöfer glauben, dad heißt aa 
die unmittelbare Wereinigung Gotted mit ber menſchlichen Ne 
tur in feiner Perfon glauben, wodurd wieder eine Verbindung 
‚ aller, die an ihn glauben und fi an ihn halten, mit Gott möglid 

geworden ift, dies auf der einen Seite; auf der andern Seite aber 
nicht an ihn glauben, glauben, daß ed eine foldye Werbin: 
bung Gotted mit dem menfchlihen Gefchlechte nicht giebt, daß 


) Zop. 5, 24. 


295 


dad awige Weſen fern bleibt von bemfelben und ſich immer mehr 
entfernt, dies beibed ſtellt und ber Erloͤſer hier entgegen ald den 
größten Gegenſaz. Wer das eine glaubt, der iſt dadurch hin⸗ 
durchgedrungen vom Tode in das ewige Leben ). Dem was 
kann es für ein größeres und herrlichered Bewußtſein geben, alt 
das eimer folchen Vereinigung mit Gott, welche uns eine Selig: 
Feit giebt, die mit nichtd anderem zu vergleichen iſt? Aber welche 
Zroftlofigkeit, von diefem Glauben entfernt fein! und wie muͤſſen 
wir da nicht fagen, was hülfe ed dem Menfchen, wenn er Him 
mel und Erbe gemönne **), aber er Eönnte nicht glauben an 
diefe Liche Gotted gegen die Menfchen, der feinen eingebornen 
Sohn gejandt hat um die Menichen mit fich zu verbinden ! 

M. 9. Fr. Was wir jezt mit einander betrachtet haben, 
um die rechte Weihnachtöfreude in und lebendig zu machen, das 
ift dad rechte Zeugniß, welches der Sohn Botted von fich abges 
legt hat. Er felbft fagt, wenn fonft ein Menich Zeugniß von 
fich ablegt, fo nimmt man e3 nicht an und mit echt, weil, 
wenn ber Menfch wahr ift, ed doch immer nur wenig fein kann, 
wenn er von fich felbft redet***); aber wenn der Sohn Gottes von 
fich felbft zeugt, ſo iſt es das unvergängliche Ebenbild des Was 
ters, welches in den Werken der Natur zu und ſpricht und in 
Hem Worte der Schrift und in der unmittelbaren lebendigen Ofs 
fenbarung durch ihn lebt. Das zeugt überall für ihn und bes 
ſtaͤtigt dieſes Zeugniß. Und fo wie jene Samariter zu ber, bie 
ihnen zuerft verfündigte, fie habe ben Meffiad gefunden, fagten, 
fie glaubten nun nicht mehr um ihres Wortes willen, fondern 
weil fie felbft gehört und erkannt hätten, daß dieſer Chriftus, 
ber Welt Heiland, fei ***): fo auch alle, Die an den Herrn glau⸗ 
ben, dürfen und muͤſſen fagen, fie glauben nicht mehr um eines 
Zeugniffes willen, audy nicht um bes Zeugniffes willen, welches 
er ſelbſt abgelegt hat, ſondern weil fie felbfi erfahren haben! 


*) 30.5,24 ) Matth. 16,26. *9 Joh. 5,31. — Ich, N. 
N 2 





196 


Ya, m. 8. Fr., erfahren muͤſſen wir bie Herrlichkeit des einge 
bomen Sohnes, erfahren müflen wir biefe Liebe Gottes gegen 
das menfchlihe Gefchlecht, daß er feinen Sohn in die Welt ge 
fandt hat, um die Welt felig zu machen, erfahren müffen wir 
dieſe Seligkeit und bad ewige Leben felbft, das Gefühl, bag wir 
nicht verloren „werben, und daß nichts und fcheiben koͤmme von 
ber Liebe Gottes *), wenn wir bleiben in ber Liebe befien, ben 
er gefandt hat! Amen. 


) Rom, 8, 35. 39. 


XV. 
Am Sonntage nad) Weihnachten 1823, 


Text. Joh. 3, 19 — 21. 

Das ift aber bad Gericht, daß bad Licht in bie 
Welt gekommen ifl, und die Menfchen liebten bie Fin: 
ſterniß mehr denn das Licht, denn ihre Werte waren 
böfe. Wer arges thut, der baffet das Licht und kommt 
nicht an das Eicht, auf dag feine Werke nicht geflvaft 
werden. Wer aber die Wahrheit thut, der kommt an 
das Licht, bag feine Werke offenbar werben; denn fie 
find in Gott gethan. 


Da Worte, m. a. Fr., flehen in einem genauen Zufammens 
bange mit benen, welche wir neulich zum Gegenftande unferer 
Betrachtung gemacht haben. Da fagte der Erlöfer, dad fei das 
Bericht, wer an ihn glaubt, ber werde nicht gerichtet, wer aber 
nicht glaubt, der fei ſchon gerichtet um deß willen, weil er nicht 
glaube an ben Namen bed eingebornen Sohnes Gottes (8. 18.). 
In diefen Worten, bie wir jezt eben gelefen haben, wirb und 
nun weiter befchrieben,, wie es mit biefem Gericht von Anfang 
an zugegangen, was bamit gemeint fei, wenn hier geſagt wird, 


198 


dad fei das Gericht, bag, ald dad Lit in die Welt 
gefommen, die Menfhen bie Finſterniß mehr liebten 
als das Licht. 

Darüber können wir feinen Zweifel haben, bag auch hier 
der Erlöfer von ſich felbft redet. Wie er nämlidh, m. g. Ft.. 
bald fich des Menfchen Sohn *) nennt, bald fich für den einge 
bormen Sohn Gottes **) ausgiebt, wenn er fagt, wer an Ta 
glaubt, der habe das ewige Leben, wer aber nicht glaubt, der ie 
ſchon gerichtet: fo auch bier hat er gewiß ſich felbft gemeint. 
wenn er fagt, das fei dad Gericht, dag, ald das Lid: 
in die Welt gelommen, bie Menfchen die Finſterniß 
mehr lichten als das Licht. Ja diefe Worte ſtimme 
felbft genau überein mit benen, die wir am Anfange des Evur: 
geliumd in der Einleitung des Johannes ſelbſt gelefen haben. 
wo er fagt, In ihm, nämlich dem Worte, war dad Leben, un: 
das Leben war dad Kicht der Menfchen, und dad Licht ſchien iz 
die Finfternig, aber die Finſterniß hat ed nicht begriffen 
So ſagt der Herr hier, Als das Licht in die Welt kam, lieh 
ten die Menſchen die Finſterniß mehr als das Licht, 
und dad Nichtbegreifen des Lichted, und das die Finſterniß Mehr: 
lieben als das Licht ift auch hier überall eind und dafleltige 

Daß aber die Menfchen die Finſterniß mehr liebten als das 
Licht, daS leitet der Herr davon ab, daß ihre Werke böfe 
waren. Nämlich in ber Finiternig kann man nichts unterfche: 
den, und fo iſt auch hier die geiflige Finfternig gemeint, in wer 
her der Menſch noch nichts unterfcheidet, dad wahre nicht vos 
dem falfchen, das gute nicht von bem böfen, bad reine micht von 
bem unreinen, bad göttliche nicht von dem verkehrten. Daß eine, 
folge Zinfternig in der Melt geweien che der Erlöfer gekor 
men ****), davon haben wir wol alle mehr ober weniger eine 


*, Joh. 6, 53. 62. ) Joh. 8, 18. 6, 69. 39.13 
) Apoſtelgeſch. 17, 30. 


199 

Mare Einficht oder ein lebendiges Gefühl. In dieſem Nichtun: 
wicheidenlönnen aber gedeihen bie böfen Werke am beflen; benn 
o wie ber Unterfchieb Har wahrgenommen wird, fo regt fich 
such in dem innern bed Meenfchen etwa gegen dad böfe und 
serkehrte, und es wendet fich in ihm etwas vortreffliches bem 
reinen unb göttlichen zu. Daß alfo beöwegen die Menfchen bie 
Binfternig mehr lieben als das Licht, weil ihre Werke böfe find, 
und fie Darin fortleben wollen ohne ihren Frieden zu flören, das 
iſt auch die allgemeine Erfahrung geweien. 

So if ed von Anfang an geweſen als der Erlöfer in bie 
Melt gefommen, und fo, m. g. Fr., fehen wir ed auch jest noch. 
Wo irgend in der Welt das Licht zuerft in bie Zinfterniß fcheint, 
auch da verhält es ſich fo, dag der größere Theil der Menfchen 
die Finſterniß mehr liebt als das Licht, daß fie fi von dem 
Lichte wegwenden und nicht an daffelbe kommen wollen, weil 
ihre Werke böfe find. Wenn aber died von allen Menſchen ge: 
golten hätte feit der Zeit des Erlöferd und bis auf die gegen: 
märtige Zeit, und fo lange fein Name noch Fann verbreitet wer: 
den, und fein Wort verfündigt unter folchen, die noch nicht von 
ihm gehört haben: fo haͤtte es feinen gegeben, ber an ihn ge- 
glaubt-Hrre, weil alle in der Finfterniß geblieben wären und 
nit an dad Licht gefommen, und fo wäre dad Gericht nicht, 
weiches darin beftcht, daß einige glauben und bann nicht gerich: 
tet werden, andere nicht glauben und dann fehon gerichtet find. 
Daher müffen wir allerdings nach der Meinung des Herrn dies 
nur von dem größeren Schelle der Menſchen verſtehen, daß fie 
die Finfternig mehr geliebt haben als dad Kicht, weil ihre Werke 
böfe waren. 

Ehen den Unterfchied, den wir auch in dieſer Hinficht nicht 
felten finden, ben äußert der Erlöfer in den Worten, welche 
gleich darauf folgen, indem er entgegenfezt diejenigen, welche 
arges thun, und die, welche die Wahrheit thun. Von 
den erfieren fagt er, Wer arges thut, der haſſet das Licht 


200 


und kommt nidht an das Licht, auf dag feine Werte 
nicht geftraft werben; von ben anbem aber fagt er, Wer 
die Wahrheit thut, der kommt an dad Licht, bag feine 
Werke offenbar werben, denn fie find in Gott ge 
than. So fagt er alfo hier von dem größeren Zheile ber Dice 
ſchen, daß fie arges thun unb, wie wir e& vorher ſchon exklär: 
haben, deöwegen nicht an bad Licht kommen, damit ihre Berk 
nicht geflvaft werben, bamit bad, was fie thun und lieben, wmickt 
offenbar werde vor ihren eigenen Augen ald bad ungöttlid« 
und verkehrte, und fie nicht genöthigt werben bad ſtraͤfliche, 
was in ihnen ſelbſt Iebt, in ihrem innerflen Herzen zu verwer 
fen und die Schulbigkeit anzuertennen, daß fie davon laſſen jek 
Ien, damit fo ihre Werke nicht offenbar werben, und weil fie bei 
in dem tiefften Grunde ihres Herzens wünfchen, darum hafjen 
fie das Licht und kommen nicht an das Liht. Dad, m. g. Fr. 
ift dad gewöhnliche Spiel, welches bad menfchliche Herz nit fi 
treibt, ſich vor dem volllommnen, vor dem wahren und richte: 
gen zu fcheuen, fo lange es noch an dem unvolllomnınen, az 
dem falihen und verkehrten hängt, unb das flellt ber Erloͤſer 
dar ald ben Grund, weshalb der größte Theil der Menfchen vom 
Anfange feiner Erſcheinung an da3 Licht gehaffer Yet and md 
on bad Licht gekommen ifl. 

Aber wie kann er es eigentlih mit jenem Gegenfaz Pr 
Unterfchied meinen, daß vor feiner Erfcheinung viele Menfchen 
und wol die meiften arges gethan und deshalb das Licht gehaß 
fet haben und nicht an bad Licht gefommen find, es aber ſchos 
andere gegeben hat, deren Werke in Gott gethan waren. Dem, 
m. g. Fr., wo bliebe denn wol die Nothwendigkeit der Era 
fung durch Chriflum und ber Ericheinung bed eingebornen Go% 
ned Gottes in ber Welt, wenn auch ohne ihn, und che das Licht 
in die Finſterniß fchien, die Denfchen im Stande gewefen wis 
ven flatt des argen das gute zu thun, und flatt böfer Werte 
die, welche in Gott gethan find? | 





201 


Sch glaube, wir müffen bier barauf achten, daß des Her 
denen, die arges thun, nicht ſolche entgegenfegt, Die das gute 
thun, denn das fagt er nicht; fondern ohne einen firengen Bes 
genfaz aufzuftellen fagt er von benfelben, daß fie bie Wahıs 
heit thun und an das Licht kommen, und daß eben beöwegen, 
weil fie Wahrheit thun und wollen, baß ihre Werke offenbar 
werben, diefe Werke in Gott gethan find, ohne beöwegen zu fa» 
gen, daß fie an fi) gut und volllommen wären. Der Wahr 
beit aber ift eben entgegengefest dad falfche, die Züge, alfo eben 
das das Licht haffen und feine Werke nicht wollen firafen laſ⸗ 
fen; und der Gegenfaz, den der Herr auffiellt, befteht weniger 
in dem, was ber Dienfch wirklich gethan hat, als in Beziehung 
beflelben auf die Wahrheit. Das müffen wir wol gefleben, es 
ift noch ein anderes, wenn wir reden von dem Streit de Flei⸗ 
fched mit dem Geift und fagen, ehe ber Geift Gottes in big 
Welt gekommen und über die menfclichen Seelen auögegoffen, 
feien auch alle Menfchen nicht Geift gewefen, fondern Fleiſch );3 
und wenn wir auf ber andern Seite reden von ber Liebe oder 
von dem Haſſe bed Menfchen gegen die Wahrheit. Das erfte 
müffen wir unbedenklich zugeben- und fagen, baß Feiner vermoche 
babe außer und ehe der Herr erfchien und außer ber Gemein: 
ſchaft mit ihm das eigentlich gute zu thun; aber ein folcher Uns 
terihied muß immer gewefen fein, wie ihn der Here hier aufs 
ſtellt zwifchen dem Haffe gegen die Wahrheit und zwifchen dem 
die Wahrheit thun. Daß dad böfe eben baburch, wenn ber 
Menſch nicht will, daß feine Werke an das Licht kommen und 
von bem Lichte geflxaft werben, erft in dem rechten und tiefſten 
Sinne des Wortd dad arge wirkt, dad wiflen und fühlen wir 
alle; denn dadurch verſtokkt er fich felbft, Dadurch bekennt ex feis 
nen beflimmten Willen, dag er dem beffern keinen Zugang in 
fi) verflatten will. Wenn der Menfch freilich, weil es ihm 


) Io 8, 6. 


2302 


an den Gelfle Fehlt, fleiſchlich Icht und handelt, fo zeigt a 
fi) dadurch als der göttlichen Huͤlfe und der göttlichen Rettung 
aus der Gewalt des Fleiſches bebürftigz warn er aber Dabei ber 
Wahrheit nicht ganz abgewendet und verfchloffen if, fondern 
wenn ihn ein Strahl derfeiben trifft und fein Gemuͤth erleuch⸗ 
tet, fo zeigt er fi) dann doch als ein folcher, der im Stande fi 
die goͤttliche Hülfe, die Ihm dargeboten wird, auch anzunchmen 
Und in diefer Beziehung iſt freilich von demjenigen, ber bei 
Aller feiner Unvollkommenheit, bei aller feiner Unfähigkeit das 
gute zu thun doch ein Werlangen nad) ber Wahrheit, eine Zielx 
zue Wahrheit hat, — denn das iſt ed, was ber Har ſagen will 
wirt den Worten, Ber aber die Wahrheit thut, ber kommt 
an das Licht, dag feine Werke offenbar werden, denn 
fie find in Bott getban — und der dadurch Empfänglid- 
keit zeigt für dad göttliche, von einem ſolchen ift möglich und 
zu hoffen, daß ihn ein Schimmer des himmliſchen Lichte treffen 
und aus der Zinfterniß herausreißen werde; in diefem entfernten 
Sirme kann der Herr von benen, die, ald er in die Welt kam, 
nicht die Finſterniß mehr liebten als das Licht, fagen, daß ihre 
Werke in Gott gethan find. . 
Denn es ift nicht, m. g. Fr., was fo fehr in der uenfch- 
fihen Seele, daß ich mich fo ausdruͤkke, die Stelle Gottes ven 
tritt und den Ort gleihfam einnimmt, wo Gott und das leben 
dige Bewußtſein deffelben in der Seele wohnen fol, als die Re: 
gung des Menfchen zur Wahrheit. Wer ſich deffen, daß ich fe 
füge, bemußt ift und aljo gem aufaimmt dad wahre, was ibm 
von außen dargeboten wird, der iſt überzeugt, daß nichts ibm 
kann dargeboten werden, und wenn auch dad Licht die Finſter 
niß ganz durchdringt, ald was in dem Umfange beö göttlichen 
Lichte liegt. Wo aber diefe Stelle ſchon befezt ifl, und Has 
und Feindſchaft gegen die Wahrheit haben fich ihrer bemaͤchtigt, 
ja da wird fich die Seele immer vom Lichte abwenden und die 
Zinfterniß mehr lieben als dad Liht Darum find die Werke 


203 
Deffen, wie unrein fie auch fein mögen, des aber doch die Wahr⸗ 
heit fucht und fich von ihr leiten läßt und fich an fie batt,/ die 
Werke deſſen ſind in Gott gethan. 

M. g. Fr Es iſt heute der legte Tag unſerer zfentlichen 
chriſtlichen Verſammlungen in dieſem Jahre, und darin findet 
gewiß jeder eine beſondere Veranlaſſung auch fuͤr ſich ſelbſt in 
die Vergangenheit zuruͤkkzuſehen; und wiewol wir alle ſolche fint, 
zu denen dad Licht hindurchgedrungen ift und fie befchienen bat, 
und wir fagen koͤnnen, daß fo gewiß wir glauben an ben Nas 
men des eingebornen Sohnes Gotted, fo gewiß auch wandein 
wir in dem Lichte, welches in die Welt gekommen ift und bie 
Sinfterniß befchienen und vertrieben hat: fo werben wir doch ge 
ſtehen müffen, daß die Aehnlichkeit mit dieſem urfprünglichen Zus 
flande des Menfchen, ehe das Licht in die Welt gefommen if, 
niemald ganz aus unferer Seele verichwindet, wir werden gefles 
ben müffen, auch unter denen, die in dem Lichte wandeln, giebt 
ed einen Unterfchied fowol verfchtedener Zeiten ald auch in einer 
und berfelben verfchiedener Perſonen, und wiederum in einer und 
berfelben Perfon den Unterfchieb verfchiedener Zeiten, wo ber 
Menſch das wahre thut und an dad Licht kommt, und auch auf 
der andern Seite ſich von dem Lichte wegwendet und nicht gern 
wid, daß feine Werke geftraft werden. Denn wenn wir aud im 
allgemeinen eben deswegen, weil und bad ewige Licht von oben 
befchienen hat, den Unterfchied zwifchen dem guten und böfen, 
zwifchen dem göttlichen und verkehrten nicht mehr verfehlen koͤn⸗ 
nen in unferer Seele und fo aus dem innerften Grunde berfels 
ben dem guten zuftimmen und das böfe haflen: fo wiſſen wir 
doch, daß auch dies nur felten, nur in wenigen Menfchen und 
auch in den wenigen nur in ben helleften und reinften Augenbliften 
ihred Lebens ganz wahr und vollfommen ifl. Wenige Menfchen 
giebt es von einer fo feften und reinen Wahrheitsliebe, dag fie 
jeden Augenblikk bereit find an das Licht zu kommen und nichts 
feligered willen, ald daß ihre Werke geftvaft werden, in fo fern 





204 


Pe noch nicht ganz Werke bes Geiſtes wären; wenige Menſchen 
find fo ohme Vorbehalt bem Lichte geöffnet und ber Wahrheit 
bingegeben, daß fie nicht noch in Beziehung auf biefes ober je- 
nes gern in einer gewiffen Dunkelheit blieben, wie weit es fich 
wol mit ben Werken bed Lichted verträgt ober nicht, unb ba iñ 
noch etwas arges und böfes bahinter und in dem Gemüthe eine 
Verwirrung, von ber fie nicht laſſen wollen und nit überge 
ben in bad Gebiet bed Lichte und ber Ordnung. Wenn wir 
nun beſonders aufgeforbert werben in bad vergangene Jahr ım- 
ſeres Lebens zurüßlzufehen, was ift dasjenige, worauf unfere Auf: 
merkſamkeit befonderd ruht, woran hält fih am meiflen unſer 
Herz, damit wir die kindliche Dankbarkeit gegen ben, von wel⸗ 
chem alle gute Gaben kommen, nicht vergefien? Aber alles, was 
geichieht, geichieht nur zu unferer Zucht und zu unferem Wachs⸗ 
thum in ber Gottfeligkeit, und alfo fommt doch alle tarauf an, 
wenn wir ber Vergangenheit gebenfen, zu entbeflen, wie unfen 
Werke gethan find, wie unfer Sinn, mit welchem wir fie ver 
-richtet haben, befchaffen if. Aber dieſes Zurüfffehen kann un: 
nur dann Nuzen bringen, wenn wir und ohne Vorbehalt dem 
Lichte Hingeben. Wenn wir in irgend einer Beziehung das Lich. 
fcheuen, fo mögen wir geflehen, bag wir bie Wahrheit noch aikı 
thun, und daß wir von vielen unferer Werke, die an fich das 
Licht nicht zu ſcheuen brauchen, doch nicht in vollem und reinem 
Sinne fagen koͤnnen, dag fie in Gott gethan find. Wer von 
dem Lichte, welches in die Welt gelommen iſt und die Finſter 
niß durchdrungen bat, ben ganzen reinen Gewinn ziehen will, 
der muß vor allen Dingen die Wahrheit thun, ber muß auch 
ganz und ohne Vorbehalt fi) dem Lichte hingeben und ihm die 
innerften Falten ded Herzens öffnen, daß ed fie befcheine und e: 
leuchte, damit er alled erkenne, was in ihm noch ber Finſterniß 
angehört und nicht in Gott gethan if, und über nichts mus. 
er fich mehr freuen, als wenn feine Werke geflraft werden, 
bamit fo fein Herz noch mehr erleuchtet werbe, und bie Finſter⸗ 


205 


ig, welche niemals bie menfcpliche Seele ganz verläßt, je länger 
e mehr verfchwinbe. 

Und aus ber Art wie wir in bie Vergangenheit zurüfffes 
ven können wir am beflen wiflen, weilen wir und für bie Zus 
unft zu verfihern haben. Wenn wir und noch von bem Lichte 
bwenden, was koͤnnen wir andered daraus fchließen, als daß es 
och etwas finſteres und dunkeles giebt, was noch nicht von dem 
Zichte erleuchtet ift, etwas wovon wir nicht laſſen möchten, wo⸗ 
yon wir ahnden, daß, wenn wir damit an bad Licht kaͤmen, grabe 
die Werke würden geftraft werden, die wir am liebften in der 
Dunkelheit verbergen möchten, etwa8, was unferem Gefühl und 
unferem Leben dad Geſtaͤndniß abnöthigt, daß wir davon laffen 
ſollten? Bringen wir nun in die Zukunft biefe reine Wahrheitd: 
liebe nicht hinein, fondern wollen und, wie es mit biefem ober 
jenem in und befchaffen, ungern entdekken: wie können wir ein 
gebeihliched Wachsthum in chriftlicher Vollkommenheit bei uns 
erwarten? 

Und fo müffen wir geflehen, es giebt feine reine Liebe zu 
dem Erlöfer ohne biefen Hinblikk ohne Zuruͤkkhalt. Denn als 
was wollen wir ihn lieben,. wenn nicht ald den, wie er ſich 
ſelbſt ankuͤndigt, als das Licht, welches in die Welt gekommen 
iſt? als was wollen wir ihn lieben, wenn nicht als den reinen 
und heiligen, der uns in ſeiner Erſcheinung das ewige und un⸗ 
erreichbare Urbild aller Vollkommenheit aufgeſtellt und uns die 
Macht und die Weisheit des hoͤchſten offenbart hat? An ihm 
alſo allein moͤgen wir es erkennen, daß wir nur durch ihn und 
durch den Beiſtand ſeines Geiſtes zum Lichte kommen koͤnnen. 
Wie wollen wir ſagen, daß wir ihn lieben, wenn wir noch die 
Finſterniß lieben? denn beides kann nicht neben einander beſtehen, 
ne Liebe zu dem, ber felbft das ewige Licht der Menfchen ift 
md und dad Licht gebracht hat, und die Liebe zur Finfternig, 
Ne durch fein Licht fol überwunden werben. Wie wollen wie 
bgen, daß wir ihn lieben, wenn wir und noch fürchten vor dem, 


| 
| 
| 


| 


[4 


206 


was vor unferen Augen immer mehr fol offarber werben, näm: 
lid) wie wir mit ihm in Gemeinfchaft ſtehen? Lieben wir ika, 
fo müflen wir und freuen, dag unfere Werke offenbar werden. 
mb und nicht fcheuen geftraft zu werden von bem immern Ge 
fühl, welche ex in und gelegt hat; fo müfien wir uns fremm, 
daß die Werke, bie wir thun, an das Licht gezogen roerben; dam 
wird über die Unvollfommenheit, die immer noch dbenfelben cr 
haͤngt, ber Schleier ber göttlichen Liebe geworfen, welche ed in 
dem Menfchen immer mehr dahin bringt, daß alle feine Wert 
in Gott gethan find. 

Laßt und alfo das mit allen Ernſte zu Herzen nehme, 
daß es Feinen andern Maaßſtab giebt unfered Fortſchreitens in 
guten al6 die reine MWahrheitäliebe, die mit allen an das Licht 
mil und auf jede Weile das Lichs und die Wahrheit Licht, 
die ba haft. verborgen zu bleiben mit ihren Werfen, fan 
bern biefelben offenbar wuͤnſcht, damit fie geflraft werben ver 
bem Lichte. Denn was kann es beffered geben ald was feine 
noch nicht wuͤrdig iſt von dem flrafen zu laffen, der, inbem ce 
uns auf diefe Weiſe demüthigt, und feine Hand reicht und jede 
neue Erkenntniß, jeben reiner aufgefaßten Unterfchieb zwiſches 
dem guten unb dem böfen und gedeihen läßt zur wahren Befehl 
gung unfered geifligen Lebens? In diefer Hinfiht laßt und retkg 
und felbft prüfen und mit allen unferen Werken an bad Licht 
fommen, bamit wir wirken fünnen fo lange es Tag iſt, che tw 
Nacht kommt *), und damit alle unfere Werke in Gott gab 
feien. Amen. 





30. 9, 4 





XVI. | 
Am Sonntage Epiphanias 1824. 


Tert. Joh. 3, 22 — 30, ” 

Darnad) kam Jeſus und feine Sünger in das juͤdi⸗ 
ſche Land und hatte dafelbft fein Wefen mit ihnen und 
taufte. Johannes aber taufte auch noch zu Enon, nahe 
bei Salim, denn e8 war viel Waſſers daſelbſt, und fie 
famen dahin und ließen fi taufen. Denn Zohannes 
war noch nicht in dad Gefängniß gelegt. Da erhob 
fi) eine Frage unter den Süngern Sohanned fammt 
den Juden über der Reinigung, und kamen zu Io: 
hannes und fprachen zu ihm, Meifter, der bei dir war 
ienfeit dem Jordan, von bem du zeugteft, fiche, der 
tauft, und jedermann Pommt zu ihm. Johannes ants 
wortete und ſprach, Ein Menfch kann nichts nehmen, 
es werde ihm benn gegeben vom Himmel. Ihr felbft 
feid meine. Zeugen, daß ich gefagt habe, Ich ſei nicht 
Chriftus, fondern vor ihm hergefandt. Wer die Braut 
bat, ber iſt der Bräutigam; der Freund aber bes 
Braͤutigams ſteht und hört ihm zu, und freuet ih 


⸗ 


206 


was vor unferen Augen immer mehr fol offenbar werben, nim 
lich wie wir mit ihm in Gemeinfchaft ſtehen? Lieben wir itn, 
fo müflen wir uns freuen, daß unfere Werke offenbar werte. 
mb und nicht fcheuen geflraft zu werben von bem imem Se 
fühl, welches er in und gelegt bat; fo muͤſſen wir uns fra, 
daß die Werke, die wir thun, an das Licht gezogen werden; dım 
wird über bie Unvolllommenheit, bie immer noch benfelben ar 
hängt, der Schleier ber göttlichen Liebe geworfen, welde es i 
dem Menfchen immer mehr dahin bringt, dag alle feine Bat 
in Gott gethan find. 

Laßt uns alfo dad mit allem Ernſte zu Herzen nem, 
daß es Heinen anden Maaßſtab giebt unferes Fortſchreiten in 
guten als die reine Wahrheitsliebe, die mit allem an das Lidl 
will und auf jede Weiſe dad Licht und bie Wahrheit Inh, 
bie ba haßt verborgen zu bleiben mit ihren Werken, ie 
dern bdiefelben offenbar wuͤnſcht, bamit fie geflraft werden v2 
bem Lichte. Denn was kann es beffereö geben als was fan 
noch nicht wuͤrdig ift von dem ſtrafen zu laffen, der, indem E 
und auf diefe Weiſe demüthigt, uns feine Hand reicht und iM 
neue Erkenntniß, jeden reiner aufgefaßten Unterfchieb zwiſcha 
dem guten unb dem böfen und gebeihen läßt zur wahren Be! 
gung unfereö geifligen Lebens? In biefer Hinficht laßt und ntid 
und felbft prüfen und mit allen unferen Werken an bad tif 
kommen, damit wir wirken können fo lange es Tag if, ce de 
Nacht Eommt*), und damit alle unfere Werke in Gott gab 


fein. Amen. 


”) 30h. 9, 4 





XVI. | 
Am Sonntage Epiphanias 1824. 


Tert. Joh. 3, 22 — 30, ” 

Darnach kam Jeſus und feine Sünger in das juͤdi⸗ 
Ihe Land und hatte dafelbft fein Wefen mit ihnen und 
taufte. Johannes aber taufte auch noch zu non, nahe 
bei Salim, denn es war viel Waſſers dafelbft, und fie 
kamen bahin und ließen fi) taufen. Denn Johannes 
war noch nicht in das Gefängniß gelegt. Da erhob 
fi) eine Frage unter den Juͤngern Sohanned fammt 
ben Juden über der Reinigung, und kamen zu Jo— 
banned und fpradhen zu ihm, Meifter, der bei dir war 
jenfeit dem Jordan, von bem bu zeugteft, fiehe, ber 
tauft, und jedermann kommt zu ihm. Johannes ants 
wortefe und ſprach, Ein Menfc kann nichtd nehmen, 
es werde ihm denn gegeben vom Himmel. Ihr felbfl 
feid meine Zeugen, daß ich gefagt habe, Ich ſei nicht 
CHriftus, fondern vor ihm bergefandt. Wer die Braut 
bat, der iſt der Bräutigam; der Freund aber bes 
Bräutigamd fteht und hört ihm zu, und freuet fi 


⸗⸗ 


206 


was vor unferen Augen immer mehr foll offarber werben, ni: 
fi wie wir mit ihm in Gemeinfchaft fliehen? Lieben mic in, 
fo müflen wir uns freuen, daß unfere Werke offenbar werte, 
mb und nicht fcheuen geflraft zu werben von dem imem Ge 
fühl, welches er in und gelegt hat; fo muͤſſen wir ums fram, 
daß die Werke, die wir thun, an bad Licht gezogen werben; dam 
wird über die Unvolllommenheit, bie immer noch benfelben er 
hängt, der Schleier ber göttlichen Liebe geworfen, melde di 
dem Menſchen immer mehr dahin bringt, daf alle feine Bat 
in Gott gethan find. 

Saft und alfo dad mit allen Ernſte zu Herzen nehmen 
daß ed keinen andem Maaßſtab giebt unferes Fortſchreitens m 
guten al6 bie reine Wahrheitsliebe, die mit allen an dab ud 
will und auf jede Weife dad Licht und bie Wahrfeit Ist, 
bie da haft. verborgen zu bleiben mit ihren Werken, Im 
dern dieſelben offenbar wünfcht, damit fie geflraft werben wm 
dem Lichte. Denn was kann ed beffereö geben als was fin 
noch nicht würbig ift von bem flrafen zu laffen, der, indem t 
und auf diefe Weiſe demüthigt, und feine Hand reicht und je 
neue Erkenntniß, jeben reiner aufgefaßten Unterſchied zwiida 
dem guten unb bem böfen und gebeihen läßt zur wahren Bek 
gung unferes geifligen Lebens? In diefer Hinficht laßt und id 
uns felbft prüfen und mit allen unferen Werken an das Ei 
kommen, damit wir wirken Können fo lange es Tag if, ehe de 
Nacht kommt *), und damit alle unfere Werke in Gott geht 
fen. Amen. | 





”) 308. 9, 4 





205 


niß, welche niemals bie menfchliche Seele ganz verläßt, je länger 
je mehr verfchwinde. 

Und aus der Art wie wir In die Vergangenheit zuruͤkkſe⸗ 
ben können wir am beften wiffen, weſſen wir und für bie Zus 
kunft zu verfihern haben. Wenn wir und noch von dem Lichte 
abmenben, was koͤnnen wir andered daraus fchließen, ald daß es 
noch etwas finftered und dunkeles giebt, wad noch nicht von dem 
Lichte erleuchtet ift, etwas wovon wir nicht laffen möchten, wos 
von wir ahnden, bag, wenn wir damit an bas Licht kaͤmen, grade 
die Werke würden geftraft werben, die wir am liebſten in der 
Dunkelheit verbergen möchten, etwas, was unferem Gefühl und 
unjerem Leben bad Geſtaͤndniß abnöthigt, daß wir davon laffen 
ſollten? Bringen wir nun in die Zukunft diefe reine Maprheits: 
liebe nicht hinein, fondern wollen und, wie es mit Diefem ober 
jenem in und befchaffen, ungern entdekken: wie können wir ein 
gebeihliches Wachsthum in chriftlicher Vollkommenheit bei und 
erwarten? 

Und fo müffen wir geflchen, «8 giebt Feine reine Liebe zu 
bem Erlöfer ohne dieſen Hinblikk ohne Zuruͤkkhalt. Denn al& 
was wollen wir ihn lieben,. wenn nicht ald ben, wie er ſich 
ſelbſt ankuͤndigt, ald das Licht, welches in bie Welt gekommen 
ift? ald was wollen wir ihn lieben, wenn nicht ald ben reinen 
unb heiligen, ber und in feiner Erfcheinung dad ewige und un: 
erreichbare Urbild aller Vollkommenheit aufgeflellt und uns bie 
Macht und die Weisheit des höchften offenbart hat? An ihm 
alfo allein mögen wir ed erkennen, daß wir nur durch ihn und 
durch den Beiftand feines Geifted zum Lichte kommen Eönnen. 
Wie wollen wir fagen, daß wir ihn lieben, wenn wir noch bie 
Finſterniß lieben? denn beides kann nicht neben einander beſtehen, 
die Liebe zu bem, ber felbft das ewige Licht der Menfchen ift 
und und das Licht gebracht hat, und die Liebe zur Finfternig, 
die durch fein Licht fol überwunden werben. Wie wollen wir 
fagen, daß wir ihn lieben, wenn wir und noch fürchten vor dem, 








208 


body über bed Bräutigams Stimme. Diefelbige mein 
Freude ift nun erfüllet. Er muß wachen, ich akt 
muß abnehmen. 





WR. dad für eine Frage geweien fei, m. a. Fr., über ie 
Reinigung zwifchen den Züngern bed Johannes und zwifchen ba 
Juden, dad erzählt und der Evangelift nicht, weil es nicht zu 
feinem Zwekke gehörte über dieſe Sache zu eben und zu alı 
fheiden, fondern er und nur darlegen will, wie ſich bei dide 
Gelegenheit Johannes der Täufer über fein Verhaͤltniß zu Chrike 
geäußert hat. Wie aber nun bei Gelegenheit diefer Frage die 
Juͤnger Johannis zu ihrem Meifter tommen, um ihn Chrfi 
wegen zu fragen, dad können wir und erklären aus dem, we 
wir bei den andern Evangeliften Iefen. Es waren nämlid ta 
Juden fon in dem Geſez Mofid eine Menge von Reinigunga 
vorgefchrieben, aber die Sazungen der fpätern hatten bazu ned 
eine große Zahl von Außeren Gebräucden hinzugefügt. Dik 
lezteren beobachtete Jeſus nicht, weil er das Gefez reinigen mol 
von den fpätern willführlihen Zufäzen der Menfchen, von dem 
Sefez felbft aber fagt er, daß er nicht gelommen fei es aufal: 
fen, fondern zu erfüllen*). Wie aber Johannes felbft noch fre: 
ger lebte nach dem Gefez als andere, bie fi) dem Herm der 
falls auf eine befondere Weife gelobt hatten, fo hielten auch fm 
Sünger alle Sazungen ber Bäter, und wir lefen in ben anden 
Evangelien wie Jeſus von feinen Zeitgenoffen barüber zur Rt 
geflellt worben, daß Johannis Jünger alle Gebote und Auf 
der älteften hielten, feine aber diefelbigen überträten **). Un 
fo war denn die Frage über die Reinigung grade eine folk 
Frage, welche die Aufmerkſamkeit der damaligen Menſchen au 
eine befondere Weile anziehen mußte, da bie Handlungsweiſ 
Chriſti und feiner Jünger eine andere Anficht über biefelbe ver 


”) Matth. 5, 17. ) Matth, 9, 14. ut, 5, 33. 











209 


wöſest⸗ als die des Johannes und ſeiner Anhaͤnger war, und 
e, welche ſich mit den Juͤngern Johannis daruͤber ſtritten, moͤ⸗ 
n ſie auch wol aus dieſem Geſichtspunkte angeſehen haben, 
id deswegen kommen die Juͤnger Johannis zu ihm und ſagen, 
teifter, der bei bir war jenſeit des Jordans, von 
'm bu zeugtefl, ber tauft, und jedermann kommt zu 
m, um ſich gleichſam barüber zu befchweren, daß Zefus nicht 
ir eine große Menge von Anhängern erhielt, die fich von ihm 
ufen ließen, flatt zu Sohanned zu gehen und von ihm bie 
aufe zu empfangen, ſondern auch anders lehrte und lebte als 
ohannes that. 

Aber, m. g. Fr., was ſollen wir nun wol von dieſen Juͤn⸗ 
m Johannis denken, bie, indem fie dieſe Beſchwerde uͤber Je⸗ 
m bei ihrem Meiſter anbringen, ihn zugleich daran erinnern, 
iß das derfelbe fei von Dem er gezeugt habe? Was er aber 
m ihm gezeugt hatte, das hat und Johannes ber Evangelift 
yon früher gefagt, und die Erzählungen ber andern Evangelis 
n flimmen bamit überein, nämlich er fei größer, denn er felbfl, 
ohanned, fo daß er nicht werth fei, ihm die Schuhriemen: auf: 
löfen, er fei dad Lamm Gotted, tragend bie Sünde der Welt, 
elcher gelommen fei dad Reich Gottes zu gründen, deffen Her⸗ 
mahung 'er verkündige, er fei der, bem er gelommen fei bie 
3ege zu bereiten und zu ebnen *). So waren fie ja von ihm 
lbſt deutlih genug von ihm ab und zu Jeſu hin gewiefen; 
ie können fie alfo, indem fie ihn auf dieſes Zeugniß, welches 
ſelbſt von dem Erlöfer abgelegt hatte, zuruͤkkfuͤhren, fich da⸗ 
Iber befchweren, daß alle Welt zu Jeſu laufe? 

Aber das ift ein altes Gebrechen, welches fich vielfältig fonft 
ad auch in ber chriftlichen Kirche nachher wiederholt hat, nam: 
ch die große Neigung ber Menfchen an einen Menfchen zu 
kauben. Ein anderes, m. tb. $r., ift e8 mit dem Glauben 





”) Ich. 1, 19 — 34, 
Yom. Ab. En. Joh. Rh D. 


210 


an den Erlöfer, wie Johannes felbft in dem Verſolg dieſer kt 
Rebe, wovon wir künftig mit einander fprechen werben, zu x 
nen Züngern fagt, indem er fpricht, Der vom Himmel fon 
der ift über alle, und zeuget, was er geſehen und gehört 
(8. 31. 32.). An den können und follen alle glauben, vun! 
Eine ift unfer Meifter *), fonft Feiner, alle andern find fein 2 
ner und follen ſich unter einander dienen mit der Gabe, die del 
einem jeden gegeben hat **). Wie oft iſt es nicht fo gegetd 
in der chrifllichen Kirche, wie hier mit den Züngern Joh 
Johannes wollte nicht, daß fie an ihn glauben follten, Ita 
wied fie an Jeſum als den einzigen Gegenfland bed Glaute 
Es war fein ihm von Gott aufgetragened Werk, die Rai 
auf ihn binzuweifen, und darum blieb er bei feinem Beau; ® 
aber wollten an ihn glauben, fie ftellten fein Zeugniß zwar“ 
in Zweifel, aber nahmen freilich daffelbe auch nidyt fo an, F- 
er es meinte, und ben Inhalt konnten fie fo vergeffen, def. 
in der Lehre und in der Weife Ehrifli etwas vorkam, was E 
der Art und Weiſe de3 Johannes nicht übereinflimmte, ir © 
über ibn befchwerten. 

Niemand iſt weiter bavon entfernt geweſen, daß ma? 
ihn glauben follte, ald der Diener Gotted, Luther, deſſen mm 
Arbeit an dem Werke bed Herm wir fo viele verdanken uf 
ziehung anf die reinere Erkenntniß der chriſtlichen Buye 
Aber wie arg haben es die Menfchen damit gemacht, zu IX 
Verdruß an ihn zu glauben. Wiewol er fagte: ich wollt, % 
alled weiter wäre, und wiewol er dagegen flritt, daß feine k- 
Iutherifch fein, fondern alle chriftlich, fo Eonnte er doch nichtde 
Neigung der Menfcyen bezwingen. Und wie viele Streitigkite * 
nicht über feine Worte entflanden, indem jeder durch feine eig! 
und Beife fih auszudruͤkken über die Gegenflände des Glauie 
und des Lebens ihm am nächften zu kommen glaubte. Dada i 











) Matth. 23, 8. 10. ”) 1 Pete. 4, 10. 


211 


nichts beffer, ald wenn jeber, der in ber Gefahr ift, bag man 
auf eine folhe Weile an ihn glaubt, ſich in feinem Gewiſſen ein 
ſolches Zeugniß geben kann, wie Johannes ber Zäufer, der zu 
feinen Süngern fagen konnte, ich rufe euch zu Zeugen auf, daß 
ich niemals gefagt habe, ich fei Chriſtus, fondern nur vor 
ibm ber gefandt. Damals ald Johannes fo lehrte, Chriſto 
den Weg bereitete und fo von ihm zeugte, da war bad Licht 
noch nicht auf diefelbige Weife anerkannt und hatte ſich noch 
nicht fo offenbart, wie hernach bie Herrlichkeit des eingebornen 
Sohnes in ihm erbliltt und an ihn geglaubt wurde *); fondern 
der Erlöfer fand noch in dem Anfange feined öffentlichen Lebens 
und Wirkens. Jezt aber, wo fein Werd ſchon in fo großem 
Maaße nicht nur vollendet ift in Beziehung auf Gott — denn 
das war ed, fobald er fein trdifches Leben verlieg — ſondern auch 
mehr in bie Erfcheinung tritt, und die Kraft deſſelben und fein 
unvergängliche Wefen ſich immer mehr offenbart, jest ſollte nie 
der Fall eintreten, daß einer Fönnte in allem, was fi auf ben 
Glauben an den Erlöfer und auf dad Verhaͤltniß zu Gott bes 
ziehet, am irgend einen andern glauben ald an Chriftum, und daß 
einer erſt zu verfichern brauchte, er fei nicht der, an ben ber 
Glaube der Menfchen gewieſen ſei, ſondern Chriſtus der Herr 
allein ſei es. 

Aber ſo lange Licht und Finſterniß mit einander im Streite 
ſind, ſo ſteht jeder, der irgendwie als Kaͤmpfer gegen die Fin⸗ 
ſterniß auftritt und dem Lichte den Zugang zu den menſchlichen 
Gemuͤthern zu bereiten ſucht, in Gefahr, daß an ihn geglaubt 
wird als an einen ſolchen, auf dem das Heil der Welt beruhe. 
Ja noch mehr, da die Menſchen in ihrer Verblendung Licht und 
Finſterniß nicht ſcheiden, ſo geſchieht es, daß biöweilen an einen, 
der verfinftert flatt zu erleuchten, dennoch geglaubt wird, als fei 
er das Licht, welches die Dunkelheit der menfchlichen Seele er⸗ 





”) Sob. 1, 14. 6, 69. 
| o2 





212 


hellen fol; und es ift feiner, ber ſich eines geiſtigen Einflufe 
auf die Menfchen erfreut, ganz bavor ficher, Daß ihm dies mid« 
begegne. Wie viel leichter ed aber if, bag jemand auf Chriftum 
hinweiſe ald den einzigen Gegenfland ded Glaubens, als bag er 
die Menſchen auf diefen oder jenen unter ihre Gleichen bin 
weife, dad liegt zu Zage. Eben deswegen aber dürfte einer nidx 
leicht fo unfchuldig daran fein, wenn die Menfhen an ihn glaz- 
ben, wie Johannes ber Täufer ed war. 

Was er aber fortfährt zu fagen, Ein Menſch fann nit: 
nehmen, ed werde ihm denn gegeben vom Himmei 
dad, m. g. Fr., if au ein Wort des Anſtoßes gewefen un: 
bed Falles für gar viele Menfchen, und iſt ed noch. Wie wa 
es fei, dad fühlen wir alle. Wie follte es wol möglid) fein, deẽ 
ein Menſch fich felbft etwas nehmen könnte, ed werde ihm bemm 
vom Himmel gegeben? Aber bad ift weit entfernt davon, cz 
allgemeine Wort ber Beruhigung menfchlicher Gewifjen und be 
Beihönigung menfchliher Handlungen zu fein, wie es oft ge 
mißbraucht worden ifl. Wenn bad Unrecht über dad Recht fest. 
und eine unrechtmäßige Gewalt die Menſchen mit Strenge be 
bericht, dann tröften fie fich damit, es koͤnne dem Menſche 
nichts auf einem andern Wege gegeben werben ald vom Him 
mel, ed koͤnne der Menſch fih nichts nehmen, es werde ihm benz 
gegeben vom Himmel, und es fei alfo auch die unrechtmägts: 
Gewelt vom Himmel gegeben, und man muͤſſe ſich darein finde 
ald in ein vom Simmel gegebene®. | 

Wie ift es aber damit, und wie giebt Gott vom Himma 
wad er bem Menſchen giebt? Doc, nicht anders als durch beifen 
eigened Thun und Laflen und burdy anderer Menihen Thra 
und Laflen. So lange alfo unfer eigenes Thun und Laflen nad 
im Widerfpruch ift mit der göttlichen Thaͤtigkeit, follen wir ux3 
nicht dabei beruhigen, daß wir wiffen, der Menfch könne nice 
nehmen, es werde ihm benn vom Himmel gegeben; fondern & 





213 


ommt alles darauf an zu erfahren, was und wie viel ihm vom | 
>immel gegeben fei. 

Und eben fo ift e8 in den Dingen ber Wahrheit. Wenn 
a irgend einer einen gewiffen Glauben und ein gewiſſes Anfe: 
en ſich unter ben Menfchen verfchafft, der nicht in Uebereinftim> 
zung iſt mit der Lehre, Die vom Himmel gefommen ift, fo Ile 
en auch viele Menfchen die Hände in den Schooß und benfen, 
3 koͤnne ſich der Menfch nichts nehmen, ed werbe ihm denn vom 
yimmel gegeben; und eben fo wenn einer die weltliche Gewalt 
ı die geiftigen Dinge einmifht und dadurch den Gewiffen 
‚wang anlegt und den Glauben gefangen nimmt unter ein menfch: 
ches Wort und ein menfchliched Anfehen: und fo mißbrauchen 
e alfo dad herrliche Wort, welches Sohannes der Zäufer hier 
efprochen hat. Denn ber Wahrheit fol jeder fein Zeugniß ge 
en, und nur dadurch, daß jeder nad) feiner beflen Ueberzeugung 
er Wahrheit die Ehre giebt, kann audgemittelt werben, wie viel 
er Herr vom Himmel demjenigen gegeben hat, der ftatt dev 
Bahrheit die Füge verfündigt. Weber dem Recht fol jeder hal: 
en und die rechtmäßige Gewalt ſchuͤzen gegen alles, was irgend 
vie feindfelig Dagegen auftritt, und nur dadurch, daß jeder das 
hut, kann erft ermeffen werden, wie viel Gott dem gegeben hat, 
er die unrechtmäßige Gewalt aushbt. Nur dadurch, daß jeder 
n geifligen Dingen fi) dad Wort der Jünger zu feinem erften 
Sefez macht, Man muß Gott mehr gehorchen, denn den Mens 
chen *); nur dadurch, daß jeder darin handelt nach feiner beften 
leberzeugung, kann gefehen werben, wie viel ber Herr vom Him> 
nel dem gegeben bat, der in geifligen Dingen das geiftige hem⸗ 
nen ober fördben will. Darum vermag feiner die Worte des 
tohanned, Der Menfh kann nihtö nehmen, ed werde 
hm denn vom Himmel gegeben, zu feiner Beruhigung 
inzumwenden, ald ber überzeugt iſt, daß er alles gethan habe für 





2) Apoſtelgeſch. 5, 29. 


214. 


die Sache ber Wahrheit, was In feinem Beruf Tiegt, und dx 
Pflicht von ihm fordert, dann nur läßt fich fagen, Was wir 
ben und nehmen, bad bat der Herr und dom Simmel gie 
bet, aber eher darf niemand jened Wort zu feiner Beten; 
anwenben. 

Johannes aber, der konnte nun leicht und einfach jenes ve: 
ſich fagen, weil er naͤmlich ganz und gar in Uebereinflimmun 
war mit dem, dem der Himmel gegeben hatte, was ihm kN 
niemal8 gegeben fein konnte, weil, fobalb er ihn erkannt hatı 
bei der Zaufe im Zorban ald bad Lamm Gottes, tragend ii 
Sünde ber Welt, er ihn auch erfannte als denjenigen, auf ta 
das Wort feiner Verfündigung fchon lange war gerichtet gem 
fen, und weil er fich felbft niemals etwas genommen hat. 

Aber audy fo wird biefed Wort noch auf mancherlei Bei 
gemißbraudyt, daß die Menſchen ihre Traͤgheit in dem Gebr! 
ber Gaben, bie ihnen Gott verliehen hat, dadurch entfchuldise 
daß fie fagen, der Menfch folle fich felbft nichts nehmen, es werr 
ihm denn vom Himmel gegeben. Es fann aber einem ja 
vom Himmel nur gegeben werden in dem Maafe, in welhent 
die göttlichen Gaben gebraucht und feine Stelle in bem Fa 
bed Herm, fei es eine einfame und wenig bemerkte, oder ein 5 
das größere Leben der Menſchen eingreifende, auf die rechte Bat 
ausfült. Denn wie können wir fagen, Daß uns etwas ne 
Himmel gegeben fei, wenn nicht ber und angeroiefene Kreis "1 
fered Wirkens? Darin aljo nimmt fich feiner etwas, dat 
fchaltet, wie ein Diener in dem Haufe feined Herm falten If 
Wer aber nicht darin fchaltet mit alle Mitteln, bie ihm — 
bote ſtehen: o der kommt fruͤher oder ſpaͤter in den Fall, dep © 
Rechenfchaft ablegen muß von ber Art und Weife, wie a m 
bem ihm anvertrauten Pfunde gemuchert hat, und erfcheint km 
als ein folcher, der daffelbe nicht gebraucht, fondern vergraben hat“; 











*) Wattb, 235, 24— 30. 





- 215 


s fann alfo nur das vinem jeden vom Himmel gegeben fein, 
rıd feiner kann ſich dad nehmen, was ihm von Gotted und 
dechts wegen zufommt, und wad ba liegt in dem Umfreife fei: 
es Mirfend auf Erden und dad Pfand ift des Berufes, ben 
er Herr ihm angewieſen hat. | 

Wer die Braut hat, fo fährt Sohannes fort, um ben 
rıterfchied zwifchen fi und Chrifto zu bezeichnen, der ift der 
3räutigam; der Freund aber des Bräutigams fleht 
nd hört ihm zu, und freut fi Hoch über des Bräu: 
gams Stimme. 

Unfer Herr felbft hat fich eben dieſes Bildes in der Folge 
fters bedient *), um fein eigenes Verhältnig zu den Menfchen 
ı bezeichnen, und wir mögen alfo fagen, daß er ſich das auch 
icht genommen hat, fonden nur aufgenommen, was Iohannes, 
er vor ihm herging um ihm ben Weg zu bereiten, ſchon gefagt 
atte von ihm. Wenn wir aber dieſes Bild recht verftehen wol: 
en, m. g. Fr., fo fragen wir und, wenn Chriſtus der Bräu- 
igam ift, wer ift dann die Braut? Und wir fönnen nicht 
nders antworten als in dem Sinne der Schrift: Die gefammte 
hriſtliche Kirche, wie fie iſt und durch die göttliche Gnade 
mmer mehr werden fol, ſowol was ihre innerliche Kraft und 
Zerrlichkeit, als auch was ihre Außerliche Verbreitung auf Er: 
en angeht, und ed gehört dahin das ganze menfchliche Ge: 
hlecht, welches zu dem Glauben an Ehriftum fol gebracht wer: 
en. Wer ift aber ber Freund des Bräutigamd, der bed 
Bräutigamd Stimme hört und fi hoch erfreut über biefelbe, 
md ber von fich fagen kann, er müffe abnehmen, jener 
‚ber wachfen? Einen ſolchen Sreund des Bräutigamd giebt 
8 nicht mehr und kann ed nicht mehr geben; denn wer ihn er 
ennt als einen ſolchen, der gehört eben dadurch, daß er ihn als 
inen ſolchen erkennt, mit zu ber Braut bed Bräutigams, bie 


*) Matth, 9, 15. Mark, 2, 19. Luk. 5, 34, Matth. 25, 1—13. 


216 


ihm auf eine innigere Weiſe angehört in dem Sinne, * 
ſich feiner Toͤne, ſeien ed bie ſanften Toͤne ber Liebe und 
Wohlwollens, feien es die ernſten bed Gebietens, erfreum | 
Diefe Freunde ded Braͤutigams waren alle biejenigen im a 
Bunde, bie etwas von feiner Stimme vernahmen und von 
ner Schönheit ahndeten, und Johannes der Täufer war der 
unter diefen. Wie Chriſtus der Herr vom Abraham fagt, 
ham euer Vater freute fich, daß er meinen Tag fehen follte, 
eben darum hat er ihn gefehen *): fo waren alle Propheten, 
in einem beftimmten Sinne von dem Meffiad weiffagten 
ed ahndeten, daß er ein Kicht fei zu erleuchten bie Heiden 
und daß er derjenige fei, durch ben ber Unterfchieb zwiſchen da 
auserwählten Wolfe des Herm und zwiſchen allen übrigen Di 
tern ber Erbe, die der befondern DOffenbarungen Gottes uf 
theilhaftig waren, immer mehr follte aufgehoben werben, ti 
waren Freunde be3 Bräutigam, die ſich von ferne fen fm 
ten über bie Zöne, die da kommen follten, aber noch nicht d 
waren, denen fie aber im voraus entgegenlaufchten als den 2 
nen der göttlichen Liebe. Jezt aber giebt e3 einen folchen Fran! 
des Bräutigamd, der ihm von ferne zuhören und ſich hoch frme 
ſollte über feine Stimme, einen folchen giebt es nicht mehr, w& 
e3 keinen ſolchen Unterſchied mehr giebt zwiſchen dem Glarhe 
und dem Unglauben. Der Unglaube ift nicht der Freund N 
Braͤutigams, der Glaube aber ift ein Theil und ein Glied de 
Braut, die dem Bräutigam ganz und auf die innigfle Bat 
angehört. 

Aber auf eine fchönere Weife konnte nicht bargeftellt werde 
dad Verhältnig des alten Bundes zu dem neuen ald in diem 
Bilde. Der Bräutigam kommt, und dadurch, daß er komm 
und fi ald einen ſolchen ankündigt, giebt es eine Braut, W 
mit ihm eins wird. Freunde konnte er haben unter benen, di 





Joh. 8, 56. Joei 8, 1 fat. 


217 


in dieſes Berhältnig noch nicht eingehen Ponnten, weil er naͤm⸗ 
lich noch nicht allen ald ber Bräutigam gefommen war. Unter 
denen aber, die mit ihm lebten, war Johannes der Xäufer ber 
einzige, ber eben beöhalb, weil das ber ihm von Gott angewie 
fene Beruf war, ben Herm zu verfündigen und bie Menfchen 
auf feine Ankunft vorzubereiten, fich nicht unter den Kreis derer 
mifchen fonnte, bie damals bie Braut des WBräutigamd waren, 
fondern bleiben mußte auf dem Wege, den er nach dem göttlis 
chen Willen betreten hatte, und auch dann fi) ihm nicht beige 
felen konnte, ald er zu ahnden anfing, welch eine höhere und ties 
fere Weisheit aus bem rebete, dem er gelommen war bie Wege 
zu ebnen, und als er auch etwad von dem erfannte, was ihm 
in bie Seele nicht gegeben war. Ob er es aber länger und im» 
mer audgehalten haben würde ber Freund bed Bräutigam zu 
fein, und nicht eben alle feine Schüler von fi) würde abgewie⸗ 
fen haben um felbft ein Schüler befien zu werben, dem er nicht 
werth war bie Schuhriemen aufzulöfen *), dad vermögen wir 
nicht zu beurtheilen, weil Gott nach feiner Weisheit ihn zeitig 
aus feinem Beruf abgeforbert bat, und ihm geworben ift noch 
als Märtyrer für die Strenge des alten Bundes fein Leben zu 
laſſen. Daß nun aber dieſer abnehmen mußte und ber Herr 
wachſen, das ift das wahre Verhältniß zwifchen dem alten 
Bunde und dem neuen, zwifchen jeber andern unvolllommenen 
Werehrung Gotted, jedem andern nicht fo ſtreng abgefchloffenen 
Verhaͤltniß der Denfchen zu ihm und zwifchen dem, welches uns 
in Chrifto aufgegangen if. Nun fol alles in dem menfchlichen 
Geflecht immer mehr die Braut bed Bräutigamd werben, alles 
was ihm angehört muß immer mehr wachen, fein Wirfungss 
Treiß, der Glaube und die Liebe zu ihm muß immer mehr unter 
den Menfchen zunehmen, alles andere aber abnehmen, alle Freunde 
des Bräutigams müffen fich immer mehr verlieren in bie Braut 





*) Joh. 1, 27. 





—J— 


218 


ſelbſt, und jeder, welcher meint feine Weisheit und die Frendigz 
keit feined Glaubend ander& woher zu haben, der muß entweder 
fi) fondern von dem Erlöfer, oder er muß erfennen, daß dies de 
Eine ifl, der immer wachſen muß, alles anbere aber, alle menid- 
liche Unvollfommenheit muß abnehmen. 

Und fo laßt uns denn, m. g. Fr., baran unfere einig 
Freude haben, daß es auch jezt noch der große Beruf der Ra: 
fchen ift, in welchem zu arbeiten wir alle leben, daß er wad: 
fen muß, daß feine Herrlichkeit immer mehr muß erkannt we: 
den, feine Liebe immer inniger gefühlt, und das Verhaͤltniß dere 
unter einander, bie an ihn glauben, immer mehr entfpreden I: 
nem heiligen Bilde. Denn wie wir fein innigeres Berhaltuf 
fennen ald das zu ihm, fo fol auch dad Verhaͤltniß aller, die an 
den Herm glauberr, immer mehr den hoͤchſten Grab ber Imiz 
feit erreihen. Wie Mann und Weib nad) den übereinflimme 
den Worten der Schrift einen Leib und ein Leben bilden *), I 
auch follen alle, die an den Herrn glauben, immer mehr an 
werben, und alle Unterfchiebe unter ihnen follen je Länger je meh | 
verſchwinden, und alle in dein lebendigen Glauben an den Hem 
und in treuer Liebe zu ihm fo verbundene Seelen follen imm 
mehr wachfen, und all: andere abnehmen, bis die Zeit kommt, 
wo alle Ein Hirt fein werben und Eine Heerde **), und bei 
menfchliche Gefchlecht ganz aufgehen wird in dem Glauben un 
in der Liebe zu dem der es erlöft hat. Amen. 





*) Mark. 10, 8. ) Joh. 10, 16. 














| XV. 
Am 2. Sonntage nad) Epiphanias 1824. 


Tert. Joh. 3, 31 — 36. 

Der von oben ber kommt, iſt über alle. Wer von 
der Erde ift, ber iſt von der Erde und rebet von der 
Erde. Der vom Himmel fommt, der tft über alle, 
und zeuget, wa8 er gefehen und gehört hat, und fein 
Zeugniß nimmt niemand an; wer es aber annimmt, 
ber verfiegelt ed, daß Gott wahrhaftig fe. Denn wels 
hen Gott gefandt hat, der redet Gottes Wort, benn 
Gott giebt den Geift nicht nach dem Maaße. Der 
Vater hat den Sohn lieb, und hat ihm alles in feine 
Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, der hat 
dad ewige Leben; wer dem Sohn nicht glaubt, ber 
wirb da8 Leben nicht fehen, fondern ber Zom Gottes 
bleibt über ihm. 


J. den vorhergehenden Worten, m. a. Fr., hatte Johannes 
ſich ſelbſt mit dem Erloͤſer verglichen, und eben in dieſer Verglei⸗ 
chung fein Verhaͤltniß zu ihm auseinandergeſezt. Die Worte, 
die wir eben gelefen haben, fangen damit an, daß er den Erlös 


220 


fer mit allen andem vergleichet, wenn er nämlich fagt, Bu 
von oben her fommt ift über alle, wer von ber Eh 
"if, der ift von ber Erbe, und redet von ber Erbe, der 
vom Himmel fommt, ift über alle. 

Wie er auf biefen Vergleich gekommen, und was er bau 
beabfichtigt, das fcheint mir zunaͤchſt biefed zu fein. Es wa 
feine Jünger, die zu ihm gefommen waren, um fich gleichien 
über Chriftum zu befchweren, daß alles Volk fich jezt zu ibm 
wende. Johannes, wie ber Evangelifl und fagt, war bama 
noch nicht in dad Gefängniß gelegt (V. 24.), aber ſchon u 
diefen Worten kann man fchliegen, baß es nicht lange mehr ge 
wefen fei, und Johannes konnte auch wol, ohne eined beſonder 
prophetifchen Geiſtes theilhaftig zu fein, biömweilen recht gut abe 
ben, was für ein Geſchikk ihm bevorftehe, ba er in der Freim 
thigkeit und in der Strenge feiner Rebe auch alle biejenigen nic 
fchonte, welche Macht und Gewalt nicht nur hatten, fondern aut 
gewohnt waren, fie weit über die Regel bes Rechtes hinaus x 
gebrauchen, und er konnte wiſſen, welche Aufmerkſamkeit as 
ihn und welchen Verdacht gegen ihn vorzüglich fein großes I: 
fehen im Wolke fchon erregt hatte. Seitdem er nun ben Erli 
fer erkannt hatte, unb ihm bei befien Taufe offenbart war, dx 
Jeſus von Nazareth es fei, ber dad Meich Gottes, welde f 
verkündigte, herbeiführen folle, feitbem hatte er, wo er ed mt 
irgend vermochte, und wo er glaubte, daß ed aufgenommen wi 
den Tönnte, die Menfchen an ihn gewielen. So follte man me; 
nen, er hätte auf biefe Weiſe Beine Sünger haben können, in den 
Sinne nämlich, wie e8 in der Schrift fo häufig vorkommt, feld“ 
bie beftändig um ihn waren, ihn überall bin begleiteten und da 
größten Theil ihrer Lebenszeit in belehrenden Gefprächen mit ihe 
zubrachten. Denn fo wie fie ihn näher kannten, konnte es nihl 
fehlen, daß er ihnen nicht Jeſum offenbarte als denjenigen, de 
fen Beftimmung eine unvergängliche fei, und fo follte man me 
nen, hätten es alle gemacht wie die, zu benen ex fagte, Gchd; 


221 


Das ift Gottes Lamm, welches ber Welt Sünde trägt (1,20. 31.). 
So war e8 aber nicht, und wir können uns dies wol erflären 
nach der Art, wie wir bie menfchliche Natur auch jezt noch fine 
Den. Johannes wies auf den Erlöfer hin ald auf den, dem er 
gekommen fei den Weg zu ebnen; er felbft aber war benen, bie 
fi an ihn angefchloffen hatten, und bie fich durch feine Reden, 
welche doch voll Kraft und Salbung bed Geifles waren, ange 
zogen fühlten, ex war ihnen eben lieb geworden. Nach ber das 
maligen Weife nun glaubten fie, Jeſus von Nazareth müffe boch 
nod) ein befondered Zeichen von fidy geben, wenn er dad Reich 
Gottes aufrichten folle, weil fie ed noch nicht verflanden, daß 
Dad Reid) Gottes nicht mit Außerlichen Geberben komme ”). 
Und fo blieben fie bei dem Johannes bis bie Zeit Fame, welche 
fie von felbft zu ihm rufen würde. Johannes konnte bad, wenn 
gleich nicht loben, doc wenigftend dulden und entfchuldigen. 
Aber wenn nun feine Sünger fich zu ihm wenden mit einer fols 
chen faft fich beichwerenden und beilagenden Rebe über Jeſum, 
fo konnte ihm der Gedanke nicht fern liegen, was, wenn fein 
Geſchikk würde erfüllt fein, feine Zünger beginnen würden. Der 
größte Theil der Menfchen, und folche mochten ed fein, bie ihn 
umgaben, bedarf von andern geleitet zu werben; nur wenige find 
ed, die fich felbit zurecht finden können in dem höhern geiftigen 
Leben. So dachte er denn, wenn er würbe von ihnen genoms 
men werden, zu einem würben fie ſich doch halten. Gingen fie 
nun nicht zu Jeſu, weil fie glaubten, er felbft Zohannes habe 
nicht Achtung und Ehrfurcht genug gehabt vor dem Erlöfer, um 
feinen eigenen Lebensweg zu verlaflen und ihm ald Schüler zu 
folgen, fo mußten fie fi) zu andern Lehrern des Volks, zu ben 
Geſezeskundigen und Schriftgelehrten halten, und darum mußte 
ed ihm am Herzen liegen, zu fagen, wie ſich Chriſtus zu allen 
biefen verhielte; und fo ift das Zeugniß, welches wir jezt ges 


”) £ub 17, X. 


2223 


leſen haben, von bem Glauben des Johannes an den Erin 
entflanden. 

Er vergleiht ihn mit andern, inbem er fagt, Ber vıı 
ber Erde if, wie er felbft Johannes von ber Erde war, Ir: 
redet auch von ber@rbe;ber aber vom Himmel fona: 
der ift uber alle. 

Um dies recht zu verfiehen, müflen wir und erinnern, m 
es damals ein gewöhnlicher Rebegebrandy war, bag die une 
richteten, bie Schriftgelehrten und Geſezeskundigen dad ummillak 
Bolt gewöhnlih die Söhne der Erde nannten. Zunilt 
alfo will Johannes in diefen Worten fagen, dag Chriſtus fee 
über allen ben Lehrern bed Volkes ſtehe, wie biefe ſelbſt uber de 
unwiffenden zu flehen glaubten, bie fie bie Söhne der Eik 
nannten; ex unterfcheibet alſo den heiligen Uriprung ber de 
Chriſti von der irdifchen einer jeden andern, und fagt, ber vıs 
Himmel kommt, wie er über alle ift, fo redet er aut 
nur bimmlifched und zeugt was er gefehen und gze 
hört bat, bie aber von der Erde find, die reden cu 
nur von der Erbe, der von oben kommt, der if aliı 
über alle. 

Wenn Johannes hiebei zunaͤchſt an die Propheten dei ala 
Bundes, an bie freilich aud von Gott gefanbten und berufan 
Lehrer des Volks gebacht hätte, fo weiß ich nicht, ob er fh r 
flart würde auögebrüfft haben, weil aus dieſen doch audı de 
Geiſt Gottes redete. Damald aber war der göttlide Geiſt @ 
dummt, und bie menfchliche Lehre ging nicht aus bem innere 
bes menfhlichen Herzens hervor, fondern fie war nur ein > 
fammentragen, ein Vergleichen und Auslegen deffen, was infrt 
deren Zeiten aus ber Kraft bed Geiſtes war gerebet wort 
Alfo nun, koͤnnte man fragen, wenn denn body die damalize 
Schriftgelehrten auch aus dem Worte Gottes und nad de 
Worte Gottes redeten und alfo auslegten und anwendeten, we 


223 


der Geiſt Sotted durch die Propheten gerebet hatte, wie konnte 
Bohanned von ihnen fagen, fie redeten von ber Erde? 

Ab, m. g. Fr., diefe Frage ift wol leicht zu beantworten, 
wenn wir dabei gebenten, wie ed auch dem Worte Gottes im 
neuen Bunde nicht felten ergeht. Denn wenn gleich in demiels 
ben dad himmlifhe Wort enthalten ift, wie gar oft wird nicht 
doch auf irdiſche Weile darüber geredet, wie gar oft wird es 
nit zu einer Veranlaſſung genommen, die Menfchen aufzuregen 
und über ihre irdiſchen Verhaͤltniſſe zu belehren, wie oft wird 
nicht die himmlische Lehre verwandelt in eine Lehre von der ver: 
gänglichen Gluͤkkſeligkeit des Menfchen, von dem, was er um 
diefe zu erlangen und fich zu fihern thbun muß, und was auf 
der andern Seite vermeiden! Ja wie werben nicht die reinften 
und herrlichften Worte ded Herrn. auf diefe Weife gemißbraucht! 
Und fo kann ed nicht anders fein, fo ergeht es bem gefchriebes 
nen Worte. Denn ed kommt nicht allein auf dasjenige an, was 
darin enthalten ift, fondern auch auf ben Sinn, mit dem es ge 
redet und verfündiget wird. Wer dba von der Erbe ift, der 
kann aud nur reden von der Erbe! 

Wie aber Johannes den Herrn in diefen Worten vergleicht mit 
den übrigen damaligen Lehren des Volks, fo werden wir nicht ans 
berö koͤnnen als ihn auf diefelbe Weiſe vergleichen mit jevem andern 
menfchlichen Lehrer. Allerdings ſeitdem das Chriftentyum in bie 
Welt gekommen ift, und fich durch dafjelbe ein ganz neues und ans 
ders geftaltetes Leben unter den Menfchen gebildet hat, ift auch 
viel neue menfchliche Weisheit entflanden, wiewol auch bie gebildet 
ſten Völker immer noch auch in dieſer Hinficht weit entfernt 
find von dem Ziele der Vollkommenheit. Die Werke Gottes 
find auf eine viel gründlichere Weile bekannt, der Beruf des 
Menſchen auf der Erbe iſt in einem viel größerem Sinne aufge 
faßt und in einem größeren Umfange erfüllt, als beides vor ber 
Zeit der Erfcheinung bed Herm der Fall war; und wie boch ber 
bimmlifche Funke in ber menfchlihen Natur nie ganz erlifcht, fo 


298 | 


bat es nicht fehlen können, daß nicht auch die Erbe und die in 
bifchen Dinge auf den Himmel hinweifen follten, unb bie menid 
liche Weidheit und die Erfenntnig von ben Dingen biefer Bat 
kann nicht beſtehen ohne zurüßlzugehen auf ben, der alles ſchaff 
und leitet, und unter befien orbnenber Weisheit alles ficht. Abe 
auch von dieſer menfchlichen von dem irdifhen auf dad him 
Sifche zuruͤkkgehenden Weisheit muͤſſen wir fagen, Wer von bet 
Erde ifl, der redet von der Erde, nur von ber Erbe au 
kann er ben Himmel betrachten, er hat feinen andern Weg ie 
nen Blikk zum Himmel hinauf zu richten als biefen irdiſchen 
und da ift ed jenes Wort bed alten Bundes, welches am beia 
ausdruͤkkt, daß fi der Menſch in diefer Hinficht befcheiben fol: 
wer wird in ben Himmel fahren, um bad Wort des Herm ker 
unter zu holen, ober wer wirb über dad Meer fahren, daß er e 
und von jenfeitd bringe?*) Nur aus ber Ferne, nur von Sehe 
ſucht und erlangen getrieben, welches nicht die Mittel hat Rd 
auf diefe Weiſe zu befriedigen, fo und nicht anders kann m 
Menſch, der von ber Erde ift, wenn er auch nicht von ber Eike 
rebet, doch nur auf irdiſche Weile dad himmliſche ausbrüffe 
und mittbeilen. | 
Der aber von oben fommt, ift über alle un 
zeuget, was er geſehen und gehört hat. Sehen ud 
hören in dem eigentlichen Sinne des Wortes läßt fi Gou 
nicht und bie göttlihen Dinge, denn es ift alles unfichtbu 
und geiftig, wie der Herr felbft fagt, Bott iſt ein Geiſt, um 
die ihn anbeten wollen, müflen ihn im Gefl und in de 
° Wahrheit ‚anbeten **). Das Sehen alfo, wovon Zohan 
bier redet, das ift dad Sehen vermittelft bejenigen Lichte, web 
ches in dem tiefften innern aller menfchlichen Seelen fein fol, 
aber, weil es fo verbunfelt war durch die Ungerechtigkeit, weiht 
die Menfchen thaten, nur in bes gotterfüllten Seele bes Erik 


3 6 Moſ. 80, 12 - 14. ”) 30). 4, 


225 


ers fein Eonnte. Dad Hören, das ift dad Hören bes innern 
Borted, welches Gott in bad Herz der Menſchen gefchrieben hat, 
nd welches fie alfo auch in ihrem innern allein follen Yefen 
Önnen. Aber wie auf dieſe Weife fchon die Propheten unb 
te Diener Gotted im alten Bunde über das Bolt des Herm 
lagten, Diefed Volk hat Augen nnd fieht nicht, ed hat Ohren 
nd bört nicht *): fo war auch biefer Sinn verdunkelt und abs 
eftumpft worden, und daher auch bie Stimme ein leifer und 
aum vernehmbarer Laut in dem innen ber Menfchen gewor⸗ 
en. Gefehen und gehört, was allen Menfchen gegeben war zu 
hen und zu hören, hat nur ber, ber mit göttlicher Kraft außs 
erüftet von oben herablam, der hat gezeugt, was er gefehen und 
ebört bat; er war das Licht und fchien in die Finſterniß, er 
ar das lebendige Wort Gottes felbft und warb Fleiſch, um 
ch von den Menfchen vernehmen zu lafien und dieſen flumpfen 
Sinn wieder in den Menfchen zu fchärfen **). - 

Sohannes der Täufer, ber gelommen war um von biefem 
immlifchen Lichte zu zeugen, fah mit Wehmuth und mit Schmerz, 
vie wenig das Zeugniß fruchtete, welches er von dem Erlöfer 
blegte, wie wenige von denen, benen er es bezeugt hatte, ber 
: das Licht, welches alle Menſchen erleuchten fol, fi zu ihm 
endeten. Daher konnte er nun nicht reden von dem Zeugniß, 
selched da8 vom Himmel gefommene Wort ablegte, ohne hinzus 
fügen, Und niemand nimmt fein Zeugniß an, wer e8 
ber annimmt -— und das find bie wenigen, die Feine Schaar 
er gläubigen, welche dem Erxlöfer angehören, und bie ihm bem 
Zräutigam von ferne flehen und fich freuen über feine Stimme 
nd dad Reich der Wahrheit und ber Gottfeligkeit fhauen, und 
7 diefer Beziehung gern bekennen, daß Chriſtus der einzige ifl, 
yelcher wachfen muß, alles andere aber abnehmen (3. 29.30.) — 


*, Matti, 13, 14. Sefaj. 6, 9. 10. *) So. 1, 1— 83 14 
Hom. üb. Ev. Joh. 1. 











226 


wer aber fein Zeugniß annimmt, ber verfiegelt es 
daß Gott wahrhaftig fei. 

Wenn wir fragen, was wol bied heißen mag, Bott Y 
wahrhaftig: fo fönnen wir nichts anderes darunter perfiche 
als dag alle feine Verheißungen Ja und Amen find ). Ze 
Verheißungen, die hat er aber gegeben eben durch das Wer: 
gen nad) bem Himmel, welches er in den Menichen gelegt >: 
indem er ihn zu einer lebendigen und vernünftigen Seele {but ” 
er hat feine Verheißungen gegeben in allem irdiſchen, was = 
auf das himmlifche hinweift, in allem guten und herrlichen, x: 
er in bem menfchlichen Gefchled,t gewirkt hat, und wodurch & 
bie ewige Kraft feiner Gottheit, das heißt feine Weisheit = 
Liebe offenbart. Wer nun das Zeugnig des Erlöfers annimeı 
in wen bad Wort Gottes, das aus ihm redete, lebendig x! 
der verfiegelt ed, daß ber Herr wahrhaftig if, und fo wie ee 
annimmt, fo druͤkkt er auch das Siegel feiner eigenen Erfahnız: 
feined Glaubens, feiner Liebe und aller geifligen Kräfte barır 
die baffelbe in ihm wirkt und beflätigt es durch fein ganzes !: 
ben und an jebem Orte, wo Menfchen Zeugniß ablegen koͤnnc 
daß Bott wahrhaftig ift, dag feine Verheißungen nun eri- 
find, denn fie find alle Ia und Amen in dem einen, den er 4 
fandt hat zum Heil der Welt, in dem einen, der allein zeuse 
kann, was er geſehen und gehoͤrt hat. 

Darum fährt Johannes alſo fort, Der Bater har der 
Sohn lieb, und hat ihm alles in feine Hand gegeber 

Sehet da, m. g. Fr., bad heißt verfiegeln, dag Get 
wahrhaftig ifl, wenn wir den Glauben an ben Eriöia : 
und tragen, daß der Vater den Sohn lieb hat, und bi: 
ihm alles in feine Hand gegeben, daß nun eben alle git 
liche Verheißungen erfüllt und in die Hand des Eriöfers geh 








28er. 1, 2%. ) 1Moſ. 2, 7. Apoſtelgeſch. 17, 26 far. 


297 


find, daß er die Menfchen führen kann zu allem Frieden und zu 
aller Seligfeit, Die Gott ber Herr ihnen zugedacht und für fie 
beftimmt bat, daß im feine Hand gegeben ift dad Reich, welches 
auch die Pforten der Hölle nicht übermältigen koͤnnen *); bas 
beißt verjiegeln, daß Gott wahrhaftig ift, wenn wir von dem 
Glauben erfüllt find, dag Gott den ewigen Rathſchluß der Erlö: 
furg des menſchlichen Gefchlechted vollbracht hat durch die Liebe, 
die darin erfchienen ift, daß er uns feinen Sohn gegeben hat 
(B. 16.), und daß er biefed fein großed Werk auf Erden uner: 
ſchuͤtterlich feft gebaut und gegründet hat auf biefen feinen Sohn, 
den er zum Heile der Welt gejandt hat. 

Aber auh die Worte find herrlich und nicht zu überfehen, 
welche unmittelbar vorhergehen, Welchen Gott gefandt hat, 
der redet Gottes Wort, denn Gott giebt den Geift 
niht nah dem Maaß. 

Was heißt dad, m. g. Fr., welhen Gott gefanbt hat, 
ber rebet Gottes Wort? Ald Sohannes died fagte, da Dachte er 
gewiß und wollte erinnern daran, wie Gott auch vordem von Zeit 
zu Zeit geredet habe zu ben Vätern und zu feinem Wolfe durch 
die Propheten, die er ausgeſandt **). Die haben auch das Wort 
geredet, welches Gott ihnen in die Seele gelegt und bazu offen: 
bart hatte, daß fie ed den Menfchen verfündigen follten. Er 
will aber von dieſen allen den Erlöfer unterfcheiden, und darum 
fagt er, derjenige, den Gott nun gefandt hat, ber redet Worte 
Gottes. Laßt und dabei bedenken, was der Herr felbft fagt, 
Das Fleiſch ift kein nüze, die Worte aber, die ich zu euch rede, 
die find Geift und Leben "*). Laßt und bedenfen, wie uns 
Horte Gottes ſchon in den Schriften ded alten Bundes befchries 
ben werden, Wenn er fpricht, fo gefchieht ed, wenn er gebeut, fo 
ſteht es da '****). Es giebt Fein Wort Gottes, welches nicht 





*) Matth. 16, 18. ») Hebr. 1, 1. 9 Joh. 6, 63. 
..) Hr. 83, 9, 
„2 





228 


ein fchaffenbes, ein Leben hervorbringenbes, ein ſich ſelbſt bei 
gended und wahrmachendes Wort wäre. Laßt uns bedenken, wi 
der Herr felbft in feiner Verfuchungdgefchichte zu dem Beriude 
fagt, Der Menich lebt nicht von Brot allein, fondern von m 
jeglichen Worte, da3 dur den Mund Gottes geht *). Br 
heißt alfo Worte Gottes reden? Wie der Herr felbfl fagt, Ei 
ber Water dad Leben hat in ihm felber, jo hat er audı ki 
Sohne gegeben dad Leben zu haben in ihm felber **), alle N 
beiebende Kraft ſelbſt. Welchen Gott gefanbt hat, ber nk 
Worte Gottes, Worte eined neuen und erneuernden Leber 
Worte, die er felbft in die Seele gelegt hat, und bie fie 
Ihaffen zu einer neuen Greatur, bie aus Gott geboren if”. 
Dad meint der Erlöfer auch, wenn er fagt, Die Worte, tie n 
zu euch vede, find Geift und Leben ****). 


Daher benn fährt Johannes fort, Denn Bott giebt 
Geiſt niht nad dem Maaße. Weniger wol hat at 
gefagt um den Erlöfer zu vergleichen mit den Propheten dei © 
ten Bundes, die doch auch den Geift Gotted hatten nad te 
Maaße, ihm aber war er gegeben in unenblicher Fülle und cz 
Maaß; weniger hat er ed gefagt um bie alte Zeit zu verglade 
mit ber neuen, indem nämlidy in jener der göttliche Geiſt z: 
bier und da und auf eine vorübergehende Weiſe wirkte, nun ehc 
bie Zeit der Erfüllung aller göttlichen Verheißungen gefomme 
ifl, werde er auögegoffen über alles Zleifh und treibe fein Er 
ohne irgenb eine Beichränkung, wiewol dies auch in feiner Aeı 
liegen mag. Aber zuerfl und zunaͤchſt meint er dies: durch t3 
Wort Gotted gebe Gott den Geift, aber nicht auf jene alte Watt 
fondern wer dad Wort Gottes aufnimmt, der wird des Seife 
theilhaftig in jedem Maaße, wie ed bisher nicht der Gall geme 


) Matth. 4, & ) Sob. 5, 26. ”.,2.Ro. 5, 1i. 
)) Joh, 6, 63. 


229 


en war; er trägt durch das Wort Gottes die Kraft beffelben 
n fich in jedem Maaße, und die Lehren der Weisheit, die Kraft 
er Heiligung und die Stärke des Glaubens findet er in dem 
Seifte, der Durch dad Wort Gotted in ben Seelen der Menfchen 
vohnt und wirkt. 

Und fo, m. g. Fr., ift das die große Erfahrung, welche in 
er ganzen Zeit des neuen Bundes fich beftätigt hat, dag durch 
as Wort Gottes, welched der Herr geredet, der Geift Gottes 
usgegoſſen ift über alles Sleifh, und dag ihm Fein Maag und 
jiel gefezt ift *); aber weil er die menfchlihe Natur immer mehr 
urhdringt und fie immer mehr Heiligt und umfchafft zu einem 
mvergänglichen Tempel Gottes, fo muß er fich immer deutlicher 
ffenbaren und immer mehr jich felbft verflären und ben, der bie 
wige und unerfchöpfliche Duelle defielben ift, damit dad Wort, 
velched der Herr geredet hat, fih immer mehr als ein fchaffen: 
es und Leben heroorbringended in dem ganzen menfchlichen Ge: 
hlechte beweiſe. 

Und fo konnte Johannes fein Zeugnig wol nicht anders 
liegen ald mit den Worten, Wer an den Sohn glaubt, 
er hat das ewigekeben, wer dem Sohn nicht glaubt, 
ver wird das Leben nicht fehen, fondern ber Zorn 
Sottes bleibt über ihm, 

Da Tann ed und nun wehe thun, m. 9. Fr., baß dieſes 
chöne und herrliche Zeugniß des Sohanned mit folchen harten 
Borten endet, und dag, nachdem wir nun fo lange Zeit von 
hm find unterhalten worden von ber himmlifchen Liebe, bie 
Sott dadurch ber Welt ermwielen, daß er feinen Sohn gefandt 
at, er nun zum Schluffe auf den Zorn Gottes hinmweifl. 
{ber es kann nicht anders fein nach der Abficht, in welcher Io: 
annes biefed Zeugniß von Chriſto ablegte. Es follte ein lokken⸗ 
ed Wort fein und feine Jünger hinweilen auf ben einen, ber 


2) 1. ©. 17% 





2% 


vom Himmel gefommen um da3 Reich Gottes zu ſtiften, m 
an welchen alle glauben ſollen; aber es follte auch ein man 
des Wort fein, und darum mußte e8 fo fchließen, Ber antı: 
Sohn glaubt, der hat das ewige Leben, und er ik 
durh das Wort, welches Geft und Leben in ihm if; mt 
dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nidt' 
ben, und fo lange er nicht glaubt, bleibt der Zorn Gt 
te8 über ihm; wie auch der Herr fagt, Wer da glaubt, d 
iſt aus dem Tode in dad Leben bindurchgedrungen. Wer ri 
glaubt, über dem bleibt der Zorm Gottes oder der if gmi 
tet *), dad ift beides eind und daſſelbe. Wie aber bie Lie 
Gottes ſich dadurch bemeift, dag er uns, wenn wir an ben a“ 
ben, den er gefandt bat, giebt dad Leben zu haben durch ca 
Sohn: fo kann auch der Zorn Gottes nur dies fein, dab 6 
das Leben nicht geben fann denen, bie nidht glauben an 
Namen bes eingebornen Sohnes, daß er nit im Stande 
feine Huld und feine Liebe benen zu beweiſen, die das Ei: 
Gottes, welches der Sohn geredet hat, niyt annehmen, wei \ 
Menſch durch nichts anderes leben kann als durdy das Fr 
Gottes; und fo bleibt der Zom Gottes über denen, bie te 
Sohne nicht glauben, bis auch fie glauben und durch den E— 
ben aus dem Tode in dad Leben hindurchdringen. 

Denn ed nun biefen einen Weg nur giebt, um zum fi 
zu gelangen, und wir noch folche fehen, die nicht an den Ce 
glauben, obwol dad Wort Gotted zu ihnen geredet wird, ſo 
nen wir nicht anderd ald neben der göttlichen Liebe aud = 
den Zorn Gottes fehen. Wozu, m. g. Fr., fol und dad ante 
ermuntern, als daß auch wir nach beflem Vermögen das &= 
niß ablegen, welches wir und nun vorgehalten haben in de 
Worten des Johannes, und daß auch wir die Menfchen hinse 
fen auf den, der gefommen ift das ganze menfchliche Geräte 








) Joh. 5, M. 3, 18. 


231 


u beleben und felig zu machen. Je mehr wir felbft zeigen, daß 
ir dad Leben haben durch den Glauben an ihn; je mehr wir 
:lbft dieſes Leben der Welt offenbaren ald ein göttliche in uns 
rer Seele: deflo mehr werben wir die Menfchen lokken, daß 
uch fie begehren befjelben Lebens theilhaftig zu werden, und fo 
erden wir die Menfchen lokken von dem göttlichen Zorn zu 
er göttlichen Liebe, daß fich derfelben erfreuen ſowol diejenigen 
mmer mehr, welche fie fchon befizen, ald auch bie, welche noch 
em von ihr find! Amen. 


XVIII. 
Am A. Sonntage nad) Epiphanias 1824 


Text. Joh. 4, 1— 10, 

Da nun ber Herr inne ward, daß vor bie Phar: 
faer gelommen war, wie Jeſus mehr Tünger mad: 
und taufte, denn Johannes, wiewol Jeſus ſeide 
nicht taufte, fondern feine Juͤnger, verließ er das Lar: 
Judaͤa und zog wieder in Galiliam. Er mußte aber 
durch Samariam reifen. Da kam er in eine Sn 
Samarid, bie heißt Sichar, nahe bei dem Dörflaz, 
das Jakob feinem Sohne Zofeph gab. Es war az 
bafelbft Jakob's Brunnen. Da nun Jeſus müde wir 
von der Reife, fezte er fich alfo auf den Brunne: 
und ed war um die fechöte Stunde. Da kommt cs 
Weib von Samaria Wafler zu fhöpfen. Jeſus fpritt 
zu ihr, Sieb mir zu trinken; denn feine Zünger ws 
sen in bie Stadt gegangen, baß fie Speife kauften 
Spricht nun dad famaritifche Weib zu ihm, Wie bit 
teft du von mir zu trinken, fo du ein Jude bift und 
ich ein famaritifches Weib? Denn die Suben haben 
feine Gemeinfchaft mit den Samariten. Jeſus aut 


233 


wortete unb fprach zu ihr, Wenn du erfenneteft bie 
Gabe Gotted, und wer ber ift, der zu bir fagt, Gieb 
mir zu trinken, bu bäteft ihn, und er gäbe die lebens 
diges Waffer. 


Das erfte, m. 9. Fr., mas wir hier gelefen haben, Als nun 
der Herr inne warb, daß vor die Pharifäer geloms 
men war, wie er mehr Jünger machte und taufte, 
denn Johannes, bezieht fich darauf, wad wir in dem v0» 
rigen Gapitel vernahmen, bag ein Streit entfland unter ben 
Züngern Iohannid und den Juden über die Reinigung, und bei 
Der Gelegenheit von Zefu die Rede war, daß er nun auch taufe 
und jedermann zu ihm komme, und Sohanned das Zeugniß ab> 
Legte, welches wir neulich mit einander erwogen haben. Hievon 
alfo hatte der Here gehört, und ba die Frage über die Reini 
gung nur ein Streit fein konnte in Beziehung auf bie phari- 
fäifche Ausübung derſelben: fo ift leicht zu denken, daß eben von 
diefem Streite auch eine Nachricht wird zu den Pharifäern ge 
tommen fein, und fo erfuhren fie denn dad, was die Jünger So: 
hannis geredet hatten, und worüber fie fich einen Auffchluß erbe⸗ 
ten hatten von ihrem Meifter, ob es recht fei oder ob nicht, und 
ob fie es leiden folten oder nicht, daß Jeſus nun felbft taufe 
und einen größeren Zulauf befomme als Johannes. Dad war 
alfo vor die Ohren der Pharifder gekommen; und nun erzählt 
Johannes, Als Jeſus dies nun inne warb, ba verließ 
er das Land Judaͤa und ging wieder in Galilädam. 
Es gab ihm alſo dies bie Veranlaſſung feinen Aufenthalt zu 
verändern. 

Wiefern ihn dad eigentlich dazu veranlaßte, unb wie wir 
und das zu erklären haben, das mag wol fo fein. Es mußte 
ſchon damals befannt geworben fein, daß Jeſus feinen Juͤngern 
nicht gebot alle die weitlaͤuftigen Geſeze und Sazungen ber Vaͤ. 
ter zu halten, welche die Phariſaͤer hielten. Je mehr nun er und 


23 


feine Zünger tauften, und je größer die Zahl feiner Shin 
wurde, deſto mehr Abbruch geichah natürlich jener phariſaiſcha 
Ausübung der väterlihen Sazungen. Denn es war leicht x 
denken, daß diejenigen, bie fi) überhaupt von Jeſu taufen Le 
fen, auch dadurch der größern Kreiheit der Lehre und des Lehei 
fih bingaben. Daher war ed natürlich, dag ein Eifer ber Fb: 
rifäer gegen ihn entfichen mußte, und daß daraus auf ber eina 
Seite Streit zwifchen ihm und den Pharifaern, auf ber anden 
auch, wie fi ſchon vorher gezeigt bat, Streit zwifchen ben, 
die ihm angehörten, und zwiſchen den Süngern des Sohanne, 
die noch die Sazungen ber Väter beobachteten, entfland. Be 
ches von beiden nun mehr ihn veranlaßt, feinen Aufenthalt ; 
ändern, ift nicht deutlih, wiewol Johannes es mehr auf d 
Verhältnig zu den Phariſaͤern bezieht. 

Wenn wir aber fragen, wie dies ben Herrn veranlaſſc 
onnte, feinen Aufenthalt zu ändern, fo. muß dies body recht ge 
wefen fein; ed erfcheint doch aber auf den erflen Augenbiiff nid 
fo, weil eö ein aud dem Wege gehen war, und zwar bem gi: 
er aus dem Wege, dem er doch nicht entgehen konnte. Dem 
was er bier vermeiden wollte und wirklich vermied, dad fand a 
in Galilda wieder. Denn die Erzählungen der andern Evange 
Iiften, die jich mehr mit demjenigen beichäftigen, was ber Ha 
in Galiläa gethan, und was ihm dafelbft begegnet ift, find ve 
davon, wie fih an feine Nichtbeobachtung der pharifäifchen Se 
zungen die Pharifäer fliegen unb ihm deshalb Nachflelunga 
bereiteten, und wie feine Handlungsweiſe und feine ganze Le 
bendart, die nicht fo fireng war als bie ihrige, ſich nicht zeige 
fonnte ohne ſich ihren Zadel zuzuziehen, und wie er fidy beöhalb 
genöthigt fab ihnen tapfer entgegenzutreten. Wenn er dem ie© 
| einmal nicht entgehen konnte, und ber Streit nothwendig wat, 
um den Unterfchied zwifchen den Sazungen ber Menfchen und 
zwifchen‘ dem göttlichen Geſez ins Licht zu flellen: warum ve: 
ändert der Herr feinen Aufenthalt, da es ja doch ungewiß war, 





235 


ob er dadurch etwas gewinnen wuͤrde? Bei andern Gelegenheis 
ten ſehen wir body, daß der Erlöfer nichtd von diefer Art, feinen 
Streit und keine Verfolgung, wie gefährlich fie ihm auch werden 
fonnten, geiheut hat. Denn ald er zum lezten Mal auf das 
Feſt zu Serufalem ging, da fagte er vorher, was ihm bafelbfl 
begegnen würde, und boch hielt ihn dies nicht ab hinzugeben *). 
Und bei einer andern Gelegenheit, als ihm gefagt wurde, daß 
Herodes ihm nach dem Leben trachte, da fagte er denen, die ihm 
dies hinterbrachten, antwortet ihm, Siehe ich mache gefund heut 
und morgen, und am dritten Xage werde ich ein Ende neh» 
men **). Hier aber ändert er feinen Aufenthalt, indem er von 
Zudda nach Galilaͤa geht, weil vor die Pharifäer gefoms 
men war, daß er mehr Juͤnger machte, denn In 
hannes. 
Dabei muͤſſen wir zuerſt bedenken, nach Jeruſalem auf das 
Feſt zu gehen, das war, wie er in die Welt gekommen war und 
unter dad Geſez gethan “), feine Pflicht, und dieſer hat er ſich 
niemald entzogen oder entziehen wollen, um Peiner Urfache willen, 
auch nit um feined Lebend zu fchonen und feine Wirkſamkeit 
unter den feinigen, wie theuer fie ihm auch war, länger fortzus 
fezen. Und eben fo fehen wir aus andern WBeifpielen, daß, wo 
ihm etwas beftimmtes oblag, er auch die drohende Gefahr nicht 
fcheute. Auf der andern Seite aber fehen wir, daß für feinen 
Beruf zu verkündigen, daß dad Neich Gottes nahe herbeigelom: 
men fei ***-), die Menfchen einzuladen zur Theilnahme an bie 
fem Reiche und feine Jünger vorzubereiten auf ihre Sendung 
unter das menſchliche Gefchlecht, daß fie nämlich hingehen ſoll⸗ 
ten und die Menſchen auffordern, fi) auf feinen Namen taufen 
zu laſſen +), wir fehen, fage ich, daß ihm für dieſen Beruf jeder 
Theil des jüdifchen Landes — denn er war für feine Perfon ja 


*) Qu. 18, 31 fod. 2 Sub, 13, 32. Gal. 4, 4. 
vn. Matth. 4, 17. 4) Matth. 28, 19. 








236 


nur gefandt zu ben verlorenen Schaafen aus dem Daufe I 
rael *) — gleich war. War er nun hier an nichts beſtimme 
gewiefen, fondern auf der andern Seite jede Stätte, wo er ta 
Willen feined himmliſchen Vaters erfüllen Tonnte, ein Aufenthx: 
für ihn in den verfchiedenen Gegenden des Landes; mußte ita 
jebed Heft doch wieder nach Judaͤa zurüffführen: fo können u 
auch denken, baß eine minder bedeutende Veranlaffung ihm tu 
Urfache gegeben hat zu einer foldyen Veränderung. 

Das, m. g. Fr., find die Fülle im menfhlihen Leben, we 
feiner anders ald aus feinem eigenen Gefühl enticheiden kana, 
und ed ift gewiß nicht umfonft, dag uns ſolche auch erzählt fin: 
aus dem Leben ded Herrn. Daß bei ihm keine Feigherzigkei | 
irgend einer Art zum Grunde gelegen hat, dafür zeugt fein gar- 
zes Leben. Wenn nun biöweilen ein Umftand anderer Art, eim 
Seftlichkeit, zu der man ihn geladen hatte, wie und bied ber Evan: 
gelift in dem zweiten Gapitel erzählt hat, ihn veranlaßte au: 
einer Gegend zu geben, um zur beflimmten Zeit in einer anten 
zu fein, jo Tonnte auch etwad von anderer Art — und zwx 
wird ed am natürlichften und am keiten fein, wenn wir auf ba! 
zwiefache Verhaͤltniß fehen, worin er auf ber einen Seite zu ben 
Phariſaͤern und auf ber andern zu dem Sohannes ſelbſt fand — 
fo konnte audy died ihm eine Veranlaffung geben zu ber bemerf: 
ten Veränderung feines Aufenthaltes. In biefer Hinficht heißt es 
auch, Die Erde ift überall ded Herrn ”*), und fo konnte ber Her 
fagen, überall in dem Umfange bed Landed, weldes fein Boik 
bewohnte, fei für ihn ber rechte Ort um bem großen Beruf ju 
erfüllen, den ber Water ihm gegeben hatte, und er war in die 
fer Hinfiht nit an eine einzelne Gegend oder an beftimmte 
Verhältniffe gebunden. Wenn alfo irgendwo Hinberniffe entſtan⸗ 
ben waren, bie ihm entgegen treten konnten und feine Rube und 
feine Wirkſamkeit gefährdet hätten, fo war dies ein voller Grund 


) Matig, 15, 24. ”) Pi 1. 


237 


für ihn den einen Ort zu verlaffen und einen andern zu fuchen, 
eben fo wie er feinen Süngern die Regel giebt, wenn eine Stadt 
fie nicht aufnehmen wollte, fo follten fie den Staub von ihren 
Fügen fchütteln und in eine andere gehen *). 

Nächft dem aber wird gefagt, Jeſus ſelbſt habe nicht 
getauft, fondern nur feine Juͤnger, und da dies für die 
ganze Erzählung, deren Einleitung die Worte find, die wir jezt 
betrachtet haben, von gar Feiner Wichtigkeit und Bedeutung ift, 
fo fehen wir, Johannes hat abfichtlih für feine Leſer bemerken 
wollen, daß der Herr nicht getauft habe. Wir finden eine ähn- 
liche Aeußerung in einem ber Briefe des Apofteld Paulus, mo 
er nämlich fagt, es freue ihn, daß er da und dort nicht mehr 
getauft habe ald diefen und jenen **); er fei auch nicht gefandt 
zu taufen, fondern das Evangelium zu verkündigen. 


Beides, ſowol dieſe als jene, ift fchon diefelbe Taufe, die. 


wir als eine göttliche Gnadengabe noch jezt in der chriftlichen Kirche 
haben, und die wir ald einen von dem Herrn ſelbſt eingefezten 
und mit befonderen Verheißungen und Segnungen verfehenen 
Gebrauch auch für einen großen Schaz achten, und bad mit gro> 
ßem Recht. Demohnerachtet finden wir bei uns ein umgekehrtes 
Verhaͤltniß. Das Evangelium verfündigen fann unter und uns 
ter gehöriger Auffiht und Leitung auch derjenige fchon, der noch 
nicht zu einem ordentlichen Diener des Worted geweiht ift, das 
Saframent aber auötheilen und taufen auf den Namen bes Herrn, 
dad Fann nur biefer. Wenn aber Paulus fagt, Ich bin nicht ges 
ſandt zu taufen, fondern bad Evangelium zu verfünbigen, fo hat 
er gewiß das Ieztere ald etwas größered und wichtigered angefe 
ben; und wenn Sohannes erzählt, Jeſus habe nicht felbft ges 
tauft, ſondern das hätten feine Sünger gethan, er aber hat übers 
aU gewiß zu dem Wolfe geredet und geprediget von bem Reiche 
Gottes, welches er fliften wollte: fo hat er gewiß biefe Verkuͤn⸗ 





”) Matth. 10, 14. * 1Kor. 1, 14. 


238 


digung als das größere fih vorbehalten und jenes als das unter 
georbnete und minder wichtige feinen Süngern überlafien. Wi 
reimen wir nun dieſe unfere Sitte und unfere Achtung gege: 
die Sakramente mit dem, was hier ber Erlöfer und feine Are 
ftel nach ihm gethan, und was uns um fo mehr auffallen mz£, 
je reiner eben diefe Achtung iſt? 

Die Taufe, m. g. Fr., ift diefelbe, aber die Verfüntigur: 
des Wortes ift nicht mehr diefelbe. Denn wenn Paulus um 
die übrigen Apoftel des Herm reileten, um das Evangelium x 
verfündigen, fo thaten fie das zu folchen, die dad Wort bes Hem 
noch nicht gehört hatten. Ja wenn wir auch fehen auf ihre I 
tigkeit in den ſchon geflifteten Gemeinen, fo war e8 body etw: 
anderes, diefen dad Wort und die Lehre des Herm and Her = 
legen und fie zu prüfen, ob fie e8 auch rein und richtig antx 
fagt hätten, ob fie auch das wefentlihe von dem zufälligen * 
unterfcheiden wüßten, dad war etwas andered, ald die Verkuͤnd 
gung des göttlichen Wortes unter uns if. Denn wir, die wz 
daffelbe verfündigen, wir reden nicht zu den andern Chriſten a: 
wüßten fie ed nicht, fondern wir betrachten es ald einen gemeiz 
famen allen angehörigen Schaz, und eine ſolche Ungleichheit u 
einen folchen Unterſchied nehmen wir nicht an zwiſchen bene 
die das Wort reden, und zmwifchen benen, die es hören in unſe 
ren chriſtlichen Gemeinen, wie damald ein folcher Unterfdhieb wer 
zwiſchen den Apofteln und zwiſchen benen, bie fie zu Chrike 
machten, indem diefe die Milch des Evangeliums *) erfi c 
pfangen und genießen konnten, jene aber da3 lebendige Wer 
Gottes aud ber erften Hand empfangen hatten. Daher war dent 
in jener Zeit mit Recht die Verkündigung bed Wortes bei we: 
tem das erfle und das wichtigfte; jezt aber reden wir mit unie 
sen Mitchriften darüber aus dem Schaze der gemeinfamen Cr 
fahrungen, die wir von den Wirkungen ded Worte unter ua! 


” 1 Kor. 8, 2 Ebr. 6, 13 — 14. 





239 


machen, unb diejenigen, bie das Wort verfünbigen, würben un: 
recht thun, wenn fie glauben wollten, daß fie etwas neued und 
höheres, als was die Seelen der Chriften ſchon in fich felbft tra> 
gen, heroorbringen könnten. Denn was fie voraus haben an 
gefchichtlicher Kenntnig von der Gründung und Berbreitung ded 
Reiches Gottes auf Erden, an Sprache und Sitten der Zeit, in 
welcher das Chriftenthum zuerfi unter den Menfchen erſchienen 
ift, an höherer und tieferer Erfenntnig von dem Zufammenhange 
der heiligen Schriften, weil fie aus der Quelle unmittelbar ſchoͤp⸗ 
fen, aus welcher dad Wort Gottes fließt, das ift Doch immer 
nur etwad geringe gegen den Segen, ben jeder Chriſt für ſich 
aus dem göttlichen Worte fchöpft. Aber in den Sakramenten 
bes Herrn liegt etwas großed und geheimnißvolles, fie find bie 
Träger eined großen geheimnißvollen Zufammenhanges mit ihm, 
und nicht etwas, was jeder aus dem Schaze feiner eigenen Er: 
fahrung und Kenntnig nehmen kann, fondern wad wir für ein 
von ihm erhaltenes und von ihm gefegneteds Gut hoch und hei: 
lig halten. Wozu noch died kommt, daß damald immer eine 
große Menge von Menfchen um den Herm, wo er war, fi 
drangte und verfammelte, und viele von ihnen bereit waren, fich 
taufen zu laffen auf dad Reich Gotted, welches er fliften wollte. 
Wenn er nun felbft diefem Gefchäfte ſich hätte widmen wollen 
unter der großen Menge, die ihn gewöhnlich umgab, fo würde 
er den Hauptzwekk feines Lebens, die Seelen-der Menfchen an 
fi) zu ziehen und mit feinem Lichte die Finſterniß, bie in den⸗ 
felben wohnte, zu durchdringen, den würde er wol fchwerlich er: 
reicht haben. Seine Zünger aber Eonnten ihm in diefem Ge: 
ſchaͤft nicht helfen, denn fie waren noch jung und neu im Glauben 
und bedurften noch immer von ihm gefpeift zu werden mit den 
Worten des Lebend. Daher war ed die einzige den Umftänden 
angemeffene Theilung, daß fie dad eine thaten, und er dad andere. 
Weiter heißt ed in unferem Werte, Er mußte aber durch 
Samaria reifen. 





240 


Es gab von Serufalem aus nady Galilaͤa, wohin ber Haz 
wollte, zwei große Straßen, bie eine ging durh Samaria, die 
andere nicht, und wir mwiflen aus ben Berichten unferes Even 
geliften, daß ber Herr bald die eine bald bie andere wählt. 
Was ihn nun hier veranlagt hat grade biefe zu wählen, das 
Tonnen wir um fo weniger wiffen, als und nicht genau befane: 
ift, in welcher Gegend des jübifchen Landes fi) bad vorige u 
getragen hat. Johannes aber fagt ganz kur, Er mußte burd 
Samaria reifen, was nichts anders fagen will, als er wa 
durch irgend und unbelannte Umflände beflimmt diefen Wig zt 
wählen und nicht den andern. Nun wiffen wir aus dem Ber 
folg diefes uns allen bekannten Gapiteld, welche befonbere Freut 
dem Herrn baburch bereitet warb, daß er zu feinen Süngern 1» 
gen Eonnte, er babe, unterbeß fie entfernt geweien unb Speiit 
eingelauft hätten, eine Speife gefunden, von ber fie nichts wüp 
ten, er ſaͤhe nun dad Feld weiß und reif zur Emte, und fie 
möchten fich freuen, daß fie fchneiden koͤnnten (8. 32 fgb.). Eine 
folhe Freude war ihm bereitet von vielen Menſchen, die keine 
Semeinfchaft mit den Juden hatten, und die ihm von Natut 
nicht nahe fanden aber fich doch davon überzeugten, baß er der 
Sohn Gottes fei, und zwar mit einer recht innigen und aus dem 
eigenen Herzen hervorgehenden Freude bed Glaubend. Und fe 
war denn dadurch auch vielen andern ein großed Heil bereitet, 
welches fie, wie wir hoffen dürfen, durch die göttliche Gnade 
auch werben fefigehalten haben, wenigftens zu großem heile, 
und dad war beftimmt durch folche kleine Umflände, wie fie & 
mußten gewefen fein, die den Herm veranlaßten lieber durch ©» 
maria zu reifen ald die andere Straße zu wählen. 

Und dad, m. g. Fr., iſt nit nur damals, fondern auch 
jest noch und befländig eine allgemeine Erfahrung, wie oft das⸗ 
jenige, was am meiften entfcheibet für das Heil ber Seele, Tür 
die Beflimmung bed ganzen Lebens, für den großen Entſchluß 
und für bie mit nichts anderem zu vergleichende Veraͤnderung, 


241 


odurch ber Menfch Gott und feinem Reiche zugewendet wirb, 
vie oft died von ganz zufälligen Außerlichen einen Umſtaͤnden 
bhängt. Denn das war bamald in dem Leben des Herm auf 
ne gattz befondere Weiſe zu bemerken. Wie wurde er nicht 
ft durch Meine Umftände geleitet hier hin oder dort hin zu ges 
en und feine hülfreihe Hand darzubieten, und ob nun biefe 
Nenfchen grade ihn hörten oder andere, ob er zu einer folchen 
eit zu ihnen kam, wo fie Muße hatten ihn zu hören, ob fie 
ı der Stimmung waren fein Wort in fich aufzunehmen, zu ers 
nnen und auf eine lebendige Weife zu verarbeiten: das entfchieb 
ir viele, ob fie zum Glauben an ihn gelangen follten, oder 06 
icht. Wie follen wir nun dies reimen mit ber göttlichen (Ges 
echtigkeit, daß das größte und wichtigfte für das ganze Leben 
nd Sein bed Menfchen gleihfam in ber Gewalt Peiner unb 
nbedeutender Umftände ſteht? Es kann und nicht anders als 
d erfcheinen, und ed ift dies von je ber gewelen ein fchwerer 
Stein des Anftoßes für viele und einer von ben Punkten, von 
enen man mit Recht fagen kann, Der Glaube ift nicht jeder⸗ 
nanns Ding *). Der Herr felbft muß wiffen, warum er e8 fo 
rbnet und leitet, und wir dürfen nicht ander& glauben, als weil 
Sott die Liebe ift **) und mit feiner Liebe nicht etwa ben ein 
elnen, fondern da3 ganze Gefchlecht der Menfchen umfaßt, daß 
r alles fo leitet, daß durch feine Leitung bie höchfte und reichfle 
ffenbarung feiner Liebe erfolgt, die unter den gegebenen Um⸗ 
landen nur erfolgen Tann. 

Davon ift der vorliegende Fall ein recht erfreuliches Bei⸗ 
piel. Die andere Straße war die, welche am meiften von des 
ıen gewählt wurde, die aus entfernten Gegenden auf dad Zeil 
ach Serufalem gingen, eben bdeöwegen, weil fie bad Land ber 
Samariter, mit denen fie Feine Gemeinfchaft haben wollten, bas 
urch vermieden. Da wird nun, weil Jeſus bie Straße oft reis 


9 2Theff. 3, 2 “4 Joh. 4,8, 
Som. uͤb. Ev. Joh. I. Q 


22 . 


Tfete, der Drang groß geweien fein unter ben Menſchen, u 
leicht würden fie ihn überfehen haben unb vorübergehen I 
ohne ihn zu fehen und dad Wort Gottes von ihm zu him 
weil fie Bachten, er käme wol wieder und würde ein ambır 3 
mit ihnen in Verbindung treten. Aber grade damals mußte! 
Herr durch Samaria reifen, und da kommt die Frau und E 
fih mit ihm in ein Gefprädy ein. Daraus nun, daß feine Ji 
ger Speife holten, und er felbft außerhalb des Flekkens ſie 
wartend auf dem Brunnen audrubte, fehen wir wol, das 
nicht feine Abficht war hier zu verweilen, und wenn bie Zi 
nicht gelommen wäre und ihm bie Weranlaffung gegeben bi 
zu einem längeren Aufenthalte, fo würde er vielleicht am Ak 
fchon weiter gegangen und auch bald darauf außerhalb bei | 
maritifchen Landes gewelen fein. Aber fo gefchieht ed, und 
war die ewige Ordnung Gottes, daß der Herr grade bieher I 
und grabe von dieſer Frau bei einer unbebeutenben Gelegen⸗ 
angetroffen wurde, und daß er durch fie mit vielen anben 
Berührung trat. 

Wenn wir nun in biefem Sinne darauf trauen, * 
nicht anders glauben können, als wie Gott es wendet und ©: 
net fo muß dad befte und fegendreichfte für das Reich ſer 
Sohnes daraus hervorgehen: fo müffen wir glauben, dei! 
Liebe Gottes auch gegen diejenigen nicht erfaltet fei, die un 
einer gewiſſen Hinficht von ihm fcheinen vernachlaͤßigt zu ichn 
fondern weil feine Liebe feiner Allmacht gleich iſt, ex aud ter 
biefe feinen weifen und liebevollen Zweit mit ihnen emeit‘ 
werde. | 

Da kam er in eine Stadt Samariens, die hi 
Sichar, nahe bei’ bem Dörflein, das Jakob fein 
Sohne Zofeph gab; ed war aber daſelbſt Jakeb 
Brunnen Da nun Jeſus müde war von ber Kit 
fezte er fich alfo auf den Brunnen, und es mar ul 
die ſechſte Stunde. 


243 


Jeſus mar müde von der Reife, das beutet nun darauf, 
ie wir ed auch fonft wiflen, bag er feine Reife angemeffen feis 
n aͤußern Verhältniffen und überdied feinem ganzen Berufe 
ht anderd ald zu Fuße machte, und daß ed ihm ba erging wie 
»em Menfchenkinde, daß er naͤmlich mübe warb um die Zeit 
8 Mittags, und fo fezte er fih auf den Brunnen. Hier fehen 
ir, m. g. $r., den Herrn, wie er Sleifh und Blut angeno 
en bat und ganz gleich geworden den Menjchenkindern *), „X 
ie haben bier den Beweis, daß ed auch für ihn Anfttengungen 
geben hat in der Erfüllung feined Berufs, und daß er und 
len darin gleich gewelen ift, daß dasjenige von feinen Kräften, 
as menſchlich war und nicht göttlich, eben fo fein beflimmtes 
taaß gehabt hat, wie die unfrigen. Aber wenn er verfucht 
orden ift allenthalben gleich wie wir, und alles dasjenige auch 
ir ihn eine Verfuchung gewefen ift, was ben Menfchen zur Ans 
rengung auffordert, fo wiſſen wir doch, in ihm war feine Sünde, 
nd er ift verfucht worden ohne Sünde *). Go aud hier. 
Rüde war er, aber die Müdigkeit hinderte ihn nicht die Gele 
enheit, welche ſich ihm barbot, zu ergreifen, ein Geſpraͤch anzus 
aüpfen mit einer ihm unbefannten und was bie äußern Verhälts 
iffe der Abflammung angeht ihm fernfichenden Frau, ein Ges 
yräch, weldyed fi) umwendete von gleichgültigen Dingen zum 
Jeile für fie und für viele andere. 

Da kommt ein Weib von Samaria Waffer zu 
höpfen. Jeſus fpriht zu ihr, Sieb mir zu trinten; 
enn feine Jünger waren in bie Stadt gegangen baß 
ie Speife Fauften. 

Dieſes leztere nun erzählt und Johannes, damit wir wifjen 
ten, daß das nicht etwa eine Willführ von Chrifto geweſen 
ei, grade zu ber Frau zu fagen, fie möge ihm zu trinken geben, 
ondern feine Jünger waren nicht bei der Hand. Wenn wir nun 





”) Ebr. 3 14. ) Ebr. 6, 16. 
Q2 


244 


auch nicht glauben dürfen, daß fie ihn werben ganz allein 4 
laſſen haben, fondern der eine ober der anbere wird gewiß 
ihm gewefen fein, und bie andern werben fich in die Excht 
geben haben um Speiſe zu kaufen: fo wird es doch gemi| 
geweſen fein, daß diejenigen, welche bei ihm zurüffgeblichen = 
sen, in fofern nicht bei ber Hand waren, als fie die Sek: 
eit nicht hatten Waſſer zu fchöpfen, und daß alfo wenigke 
er und feine Jünger warten mußten bis jemand kam, der 
Stande war zu fchöpfen. 

Spricht nun dad famaritifhe Weib zu ihm, E 
bittefi du von mir zu trinfen, fo du ein Zube! 
und ih ein famaritifhes Weib, benn bie Juben! 
ben keine Gemeinfhaft mit den Samaritern. Jeit 
antwortete und ſprach zu ihr, Wenn bu erkennt 
bie Gabe Gottes, und wer der ifl, ber zu bir is; 
Sieb mir zu trinken, bu bäteft ihn, und er gäbe! 
lebendiges Waſſer. 

Bad bie Frau zu dem Herm fagt, das iſt wol unge: 
fo zu verfichen. Es ift gewiß und unbezweifelt, bag in des 
fen Zeindfchaft zwilchen den Juden und Samaritern die Je 
der thätige Theil waren, und daß diefe Feindfchaft mehr vın ! 
nen audging, die Samariter aber von Zeit zu Zeit mehrer: be 
fuche gemacht hatten ſich ihnen zu nähern, aber fie mare = 
mer wieber zurüffgewiefen, bis fich endlich in ihnen das Sr- 
des Haffed und des Unterfchiebes feſtſezte. Eben fo war es A 
Art von Stolz bei der Frau, daß fie fagen durfte, So uf ! 
doch kommen, daß ihr, von denen die Keindfchaft ausgegange i 
boch in den Kal kommt eine Gabe von und zu erbitten. 3 
gleich rühmt fie es von dem Herrn, daß er ihr auf eine je 
Weiſe entgegentam, die offenbar Liebe erwekken mußte. 

Was aber die Worte des Erloͤſers betrifft, fo iſt der Ein 
berfelben wol diefer: es fei freilich in biefer Hinficht bie Sa 
an ihm zu bitten, wenn fie aber wüßte, wer derjenige fü, N 


245 


‚ ihr gefprochen, Sieb mir zu trinken, und die Gabe Gottes zu 
Pennen im Stande wäre, die er ihr barreichen möchte, fo würde 

ihn bitten, und er gäbe ihr lebendiges Waſſer. Der Herr 
zt bier aber dafjelbe, was er hernach auf eine andere Weife zu 
er Stau fagt, Dad Heil kommt von den Juden (B. 22.) So 
„Ute er fie aufmerkfam darauf machen, e8 fei nun in einer viel 
beren Hinficht die Reihe an ihr zu bitten, nur daß fie nicht 
te, wer derjenige \fei, der vor ihr flehe, fondern wüßte fie 
8, ſo wuͤrde fie ihn bitten und von ihm lebendiges Waſſer 
ipfangen. 

Wir ſehen hieraus, m. g. Fr., wie der Herr von dieſer 
au gutes vorausſezt, denn er ſezt das Verlangen voraus, wüßte 
‚ dag er der Mann fei, auf den die Voͤlker ſchon fo lange ge⸗ 
fft, und der dad Heil des menfchlihen Geſchlechtes begründen 
lle, fo würde fie ihn bitten, fie zu fegnen mit der bimmlifchen 
abe, die er den Menfchen mitzutheilen bereit fei. 

Und auch die Art müffen wir bemerken, wie er dad Ge 
va mit ihr anknuͤpft. Denn er wendet nun gleich den An: 
ng eines an ſich alltäglichen Geſpraͤchs, welched ſich eben auf 
wichtige Dinge bezog, auf geiflige Dinge. 

M. g. Fr., fo find wir aud oft in unferem Leben mit an: 
em gefiel. Wir können es nicht läugnen auf der einen Seite, 

ift ein wichtiged Gefpräch durch eine unbedeutende Veranlaſ⸗ 
ng herbeigeführt. Das ift gewiß falſch, wenn man fagt, von 
Ihen Dingen müffe im gefelligen Leben nicht die Rebe fein, 
fie zu hoch und zu tief wären, und wenn die Menfchen zu 
mmenkommen mit gemeinfamen Bebürfniffen, um ſich zu erho⸗ 
n von den Anftrengungen des Lebens, fo müffe man das hei: 
je fchonen und bei Seite laffen. Died ift unrecht, denn fo ift 
18 irdifche und geiftige nicht gefondert, wie auch Leib und Geift 
dieſem Sinne bei und nicht zu ſondern find. Daß wir alles 
im Ehre Gottes thun, dazu iſt ein Band geknuͤpft zwifchen dem 
jeift und dem Leibe; wie viel mehr fol ber Chriſt dadurch be: 


246 


wirfen, baß er alle auf dad Eine bezieht, was noth hut “: 
auf die Verherrlihung Gottes in ber menfchlichen Seele tur 
die Wirkfamkeit feined Geiſtes in derfelben. 

Aber auf der andern Seite müflen wir fagen, wenn nik 
eine richtige Kenntnig zum Grunde liegt von ben Menſchen, r= 
denen wir zu thun haben, wie der Herr fie hatte von der & 
finnung und ber GSeelenflimmung jener Frau — er hatte = 
vermöge ber Kenntnig des menfchlihen Herzend, nady welder e 
wußte, wad in bem Menfchen war, ohne bag ed ihm jemi= 
fagte **), wir aber haben fie vermöge der Erfahrung und ve 
möge unfered eigenen Gefühle, — wenn diefe Kenntnig mit 
beruht auf dem gleihen Durdydrungenfein von ber Kraft de 
Wahrheit, wie bei ihm, wenn manche Geſpraͤche diefer Art wit 
recht zur Vollkommenheit gebeihen wollen, fo muß die Schro 
davon gewiß eine gemeinfame fein. Wäre fo jene famaritiik 
Frau durch dad Geſpraͤch abgeſtoßen worden, wäre fie mur k 
bem äußern ftehen geblichen, was freilih dem Erlöjer nicht :- 
gegnen Eonnte, fo wäre died einer von ben Fällen, die ſich 
dem gefelligen Leben fo oft erneuern, daß namlich das Befirt- 
mißfaͤllt das Gefpräch auf das geiflige zu richten, und bag di= 
beide Theile nur mehr von einander getrennt werden, anfları € 
nen dauernden Nuzen daraus zu ziehen. Daher muß dies m: 
Weisheit gefchehen, und diejenigen, die voreilig dabei zu Wal: 
gehen überall in jeber heiten Stunde bed Lebens das ticer 
und geiflige bineinzuziehen, die koͤnnen fich nicht entſchuldige 
und rechtfertigen durch das, was ber Erlöfer hier that, eben wei. 
ed ihm gelungen ift den Blikk der Frau von dem irdifte 
auf das geiflige zu richten. Wenn wir aber fragen, warız 
mißlingt e3? fo koͤnnen wir nicht anders fagen, ald weil bei fe: 
hen Dingen die entfcheidende Kraft immer in der Reinheit te 
Beſtrebens liegt, und wenn wir nicht von und fagen koͤnnta 








eut. 10, ©. ) Joh. 2, 26. 








247 


48 Johannes von dem Erloͤſer fagt, daß er wußte, was in bem 
Benfchen war, fo müflen wir fagen, wenn der Menfch nicht eitel 
t, fo gelingt es ibm allemal richtig zu erkennen, was jeber 
stunde und jedem Berhältniffe angemefien ifl. Diejenigen, welche 
ı ben gewöhnlichen Gefprächen des Lebens immer nur dad gei⸗ 
ige hervorzuheben und die Gedanken und Gefühle der Menfchen 
arauf zu weiſen fuchen, das find auch Diejenigen, von denen 
an fagen muß, daß ihr geiftiged Leben nicht frei ift von Eitel⸗ 
it und Stolz. Wenn die Seele hiervon frei ift, fo wird fie 
icht leicht ihren Zwekk verfehlen, denn es giebt ein geheimes 
Sand, welches und, wenn auch nicht fo vollkommen wie ben 
Frlöfer, doch auf eine leife und fichere Weife mit den Seelen 
nderer verbindet, und wenn man darauf forgfältig merkt, fo 
vird man auch erkennen, ob Zeit und Stunde ba iſt das geiflige 
nd "Licht zu rufen und, wie ber Erlöfer bier that, dem irdiſchen 
‚ine höhere geiflige Wendung zu geben. 

Wenn er aber fagt, Du bäteft ihn, und er gäbe bir 
lebendiges Waffer, fo find dad die Worte, um welche fi 
das ganze Gefpräch dreht. Es iſt died ein fchöned Wild, wel: 
ches der Herr Öfterd gebraucht. Das lebendige Wafler war dad 
aus dem Schooße ber Erde bervorquillende, nicht das mühfam 
gefammelte aus den Wolfen herabgefallene und in Gifternen aufs 
bewahrte, womit fich in bürren Gegenden des Landes die Mens 
[hen begnügen müffen. Und damit eben will ex den Unterfchieb 
andeuten zwifchen der Weisheit der Sazungen und des Geſezes, 
welched, nur anders geftaltet, den Samaritern eben fo gut wie 
den Juden eigen war, und zwifchen ber lebendigen Kraft, die ſei⸗ 
nem Worte eigen iſt, welches aus dem innern feined gotterfülls 
ten Gemuͤths unmittelbar hervorgeht, unb von welchem er nie 
mald geläugnet hat, dag ed eine Kraft Gottes fei, bie nicht nur 
jeben lebendig macht, in welchem fie wohnt, fondern ihn auch in 
den Stand fezt eben fo die Seelen anderer zu befriedigen, wie 





248 


er befriedigt iſt durch den, der bie unerfchöpfliche Quelle bed Pr 
bens in fich trägt. 

Womit, m. g. Fr., könnten wir beffer dieſe Betradytung 
fchließen als mit bankbarer Anerkennung bed göttlihen Worte! 
Ja es ift wahr, dad göttliche Wort if die Quelle, die für a 
geöffnet if, welche fähig find aus ihr zu fchöpfen, bie Que 
welche niemals verfiegt; es ift das lebendige Wafler, das jda 
natürlichen Durft der menſchlichen Seele liſcht; es ifl Die Ducl: 
zu der wir nie vergebens fommen; und wenn wir auch füh:e 
daß fich der Durft wieder erneuert, fo find wir doch ficher, dej 
wir zu nichts onderem dürfen unfere Zuflucht nehmen um be 
felben zu flilen, als zu diefem lebendigen Waſſer. Aus ter 
laßt und denn wieder fchöpfen und immer wieder zuns Seile ur 
ferer Seele! Amen. 








XIX. 
Am Sonntage Septungefima 1824. 


Tert. Joh. 4, 11 — 19. 

Spricht zu ihm dad Weib, Herr haft du doch nichts 
damit bu fchöpfeft, und ber Brunnen ift tief; woher 
haft du denn lebendiged Waſſer? Biſt du mehr denn 

‚ unfer Water Jakob, der und dieſen Brunnen gegeben 
hat, und er hat daraus getrunfen und feine Kinder 
und fein Vieh? Jeſus antwortete und fprach zu ihr, 
er diefes Waſſer trinkt, den wird wieder bürften. 
Wer aber dad Wafler trinken wird, das ich ihm gebe, 
den wird ewiglich nicht dürften; fonbern das Waſſer, 
das ich ihm geben werde, dad wird in ihm ein Bruns 
nen des Mafferd werden, bad in dad ewige Leben 
quilt. Spricht das Weib zu ihm, Herr gieb mir dafs 
felbe Waffer, auf dag mich nicht dürfte, daß ich nicht 
herkommen muͤſſe zu fchöpfen. Jeſus fpricht zu ihr, 
Sehe hin, rufe deinen Dann und komm ber. Das 
Weib antwortete und fprach zu ihm, Ich habe feinen 
Mann. Jeſus fpricht zu ihr, Du haft recht gefagt, 


2% 


Ich habe keinen Mann. Fünf Männer haſt bus gehabt, 
und den du nun baft, ber iſt nicht dein Mann; is 
baft du recht gelagt. Das Weib fpricht zu ihm, Her, 
ic) ſehe, daß du ein Prophet bifl. 


M. a. Fr. Ber dieſem Geſpraͤch, deſſen erſten Anfang m: 
fon neulich mit einander erwogen haben, aber welches num bir. 
erft bis zu einem beflimmten Punkt geführt wird, find mir im- 
mer lebendig im Gemüthe die Worte unfered Apoſtels am Eat: 
feines Evangeliumd, da er nämlich fagt, Wenn man aber alle 
fchreiben wollte, was er gethan hat, fo würde die Welt ti 
Menge der Bücher nicht begreifen *), weil e8 nämlich einge: 
nicht koͤnnte gefihrieben werben in einer foldhen lebendigen ur: 
fruchtbaren Darftellung mit einem fo innigen und zaͤrtlichen Ge 
fühl, wie Johannes es hier thut. Denn ber Her, der währe: 
feines irdifhen Lebens ſich nicht nur fo gern hingegeben, ſonder 
auch felbft die Menfchen aufgefuht hat um fie an fich zu ze 
ben, und der eben fo ficher gewußt hat, wad in dem menit. 
hen Herzen war **): wie viele folder Gefprähe mag er m:. 
geführt haben, wie die wenigen, bie und Sohanned in fein: 
Evangelio aufbewahrt hat, und die in feiner Darftelung einc 
fo tiefen und fegensreichen Eindruff auf und machen? 
Es hatte aber der Herr, wie wir fchon neulich geſehen b:: 
ben, von der Frau, die zu dem Brunnen fam um zu fchöpfe 
Waſſer begehrt (WB. 7.); fie hatte fih gewundert, wie er ein E- 
difcher Mann von einem famaritifhen Weibe zu trinken begerı 
(B. 9.); indem ſie aber dabei zugleich ihre Bereitwilligkeit ; 
erfennen gegeben, fo lag in ihrer Antwort ein leiler Vorwrr 
barüber, bag die Zeindfchaft zwifchen beiden Wölfen von de— 
Juden ausgegangen fei, und daß biefe fi) von einer Zeit zur. 
andern immer mehr aller Gemeinfchaft mit ben Samaritern ke 








*) 30. 21, 25. ) Ich. 2%, 25. 


_ 


251 


geben hätten. Darauf hatte ber Herr u ihr gefagt, Wern bu 
erfenneteft die Gabe Gottes, und wer der if, der zu bir fagt, 
Gieb mir zu trinken, du bäteft ihn, und er gäbe bir lebendiges 
Waſſer (V. 10.); und darauf nun iſt dad die Antwort und ber 
weitere Verlauf des Gefpräched, was wir eben gelefen haben. 
Wir finden aber hier eine große Achnlichkeit mit dem Ges 
fpräch, welches und Johannes in dem vorigen Gapitel erzählt, 
zwiſchen dem Herm und dem Nikodemus. Da fdhien ed auch 
auf den erften Anblikk, als habe Nikodemus den” Herm ganz 
mißverflanden und die Kraft und die Bedeutung feined Gleich 
nifjes, als er fagte, Niemand fann dad Reich Gottes fehen, es 
fei denn, daß er von neuem: geboren werde (3, 3.), gar nicht 
verflanden, fondern gemeint, er rede von ber leiblichen Geburt; 
ald wir es aber näher betrachteten, fo fahen wir, dag Nikodemus 
unmöglich fo ganz konnte den Sinn der Rebe ded Herrn vers 
fehlt haben, und das fezt und dann in den Stand die Abjicht 
feiner weitern Antworten und ragen deſto richtiger zu faſſen. 
So aud hier. Es fcheint auf den erften Anblikk, al& habe die 
famaritifche Srau Chriftum gar nicht verftanden; denn Nachdem 
er ihr gefagt, Wenn du erfenneteft den, der einen Trunk Wafs 
ſers von dir begehrt, fo würbeft bu mid bitten, und ich gäbe 
dir lebendiges Wafler, da ich es jezt von dir fordere (V. 10.): 
fo antwortet fie ipm, Du haft doch nichts, womit du ſchoͤp⸗ 
fefl, und der Brunnen iſt tief, woher willft du dad 
lebendige Waſſer nehmen? Aber, m. g. Fr., wir können 
auch von diefer Frau nicht voraudfezen, daß fie den Sinn des 
Herm fo ganz nicht follte verftanden haben. Denn einmal hatte 
fie [don durch ihre erſte Antwort zu erkennen gegeben, daß fie 
fih um mehr befümmerte ald was zu dem gewöhnlichen irdis 
ſchen Leben gehört, und fobald fie, wie der Verlauf der Erzaͤh⸗ 
lung ed lehrt, inne geworben war, beß ber mit ihr redete ein 
Prophet fei (V. 19.): fo legt fie ihm fogleich die große Streit: 
frage zwifchen dem Volke, welchem fie angehörte, und zwifchen 








252 


feinen Landöleuten vor, die Frage, welche ſchon feit lange 
Zeit ber Gegenfland bed Nachdenken geweien war, auf welder 
Seite nämlidy die rechte Erkenntniß Gottes und bie rechte Weiie 
ihn zu verehren liege (B. 20.). Da fehen wir überall ein aus 
dad höhere gerichteteds Gemuͤth, welches unmöglih unfähig fen 
Tonnte dad geiftige zu faffen. Und dann, fönnten wir wol glau: 
ben, daß der Herr, der fo leicht erkannte, was in dem Menſchen 
fei, fich in ein befondered Geſpraͤch werde eingelaffen haben mit 
einer Frau, von der er nach feiner Kenntnig des menfchlichen 
Gemuͤths nicht anders fehen konnte, als daß fie unfähig fein 
würde feine Rebe zu verſtehen? So müflen wir alſo betrach⸗ 
ten, was fie denn eigentlich mit ihrer Antwort an den Herm 
meint. 

Der hatte fich anheiſchig gemacht ihr lebendiges Waſſer 
zu geben. Dad in dem Brunnen war aud) lebendiges WBafler; er 
war nicht einer von jenen Wafferbehältern, in welchen man das 
Waſſer aufbewahrte, dad vom Himmel kam; fonden er wur 
eine Quelle und beöwegen in dem waflerarmen Lande ein rei: 
her Schaz und wurde hergeleitet von dem Erzvater, ben aud 
die Samariterin in ihrem Geſpraͤch nennt *) Wenn alfo de 
Herr fi) erbot ihr lebendiges Waſſer zu geben, fo konnte fie 
nicht anderd ald dies auf eine geiflige Weife verfichen. Wenn 
fie ihm nun fagt, Du haft doch nichts, womit bu [hör 
fefl, und der Brunnen ift tief, woher nimmſt bu das le 


bendige Waffer; bift du mehr denn unfer Vater Jakob, 
ber und diefen Brunnen gegeben hat: fo will fie damit 
offenbar dies fagen: Jakob hat hier als eine befondere göttlide 


Wohlthat die Quelle entdekkt, und gewiß mit Mühe hat er die 


fed Werk vollbracht, und nachdem er felbft, fo lange er da wohnte | 


und bie feinigen mit ihm, davon Gebrauch gemacht, ed noch den 
fpäten Nachkommen zurüffgelaflen, fo dag auch wir nun daraus 


” 4 Mof. 48, 29. 





253 


fchöpfen fönnen. Aber auch wir haben es nicht ohne Mühe, 
fondern wir müffen weit hinaus aus der Stadt und hieher uns» 
fere Gefäße mitbringen, und fo .mühfam in kleinem Maaße das 
Waſſer fchöpfen und ed nach Haufe tragen. Beſſer hat in dies 
fen leiblichen Dingen auch der Erzvater Jakob, wie fehr er auch 
von Gott begünftigt und gefegnet war, nicht für feine Nachkom⸗ 
men forgen ®önnen, und du bieteft mir dad lebendige Waffer, 
welches du zu befizen behaupteft, auf eine fo leichte Weile an, 
du willſt es mir fo leicht geben ohne eine Voranſtalt, ohne einen 
großen Borrath von Werkzeugen und Hülfsmitten? Das ift 
der wahre Sinn ihrer Rede, darauf beruhend, daß der Herr in 
feinen erften Worten, nachdem er fie um einen Trunk Waffers 
gebeten, zu ihr gefagt hatte: fo fie nur wollte und die Gabe 
Gottes, deren Inhaber ex fei, erkenne, fo würde er ihr gleich 
auf ihre Bitte dad lebendige Waſſer, welches in feinem Beſiz 
fei, geben. 

Darin, m. g. Fr., erfennen wir ben Geift der altteflaments 
lihen Froͤmmigkeit, die nicht anderd wußte, ald daß der Segen 
Gottes nur durch große äußere Mühe zu erreichen fe. Da 
mußten Opfer gebracht, da mußten Gebete zu beflimmten Zeiten 
und an beflimmten Orten abgehalten werben, und nicht anders 
ald fo kommt der Segen des Herrn über die, welche nach ihm 
verlangen, und nicht überall hört er die, die fich zu ihm wenden. 
Sefus aber, der fagt, ed gehöre nichtd anderes dazu ald die Er 
Eenntniß der Gabe Gottes und der ausgefprochene Wunfch und 
die wahrhafte Bitte des Herzens, um das lebendige Waſſer, wel: 
ches er habe, zu empfangen. 

Und wohl, m. g. Fr., ſtellt und dies alfo auf ben rechten 
Standpunkt des Unterſchiedes zwifchen dem alten und dem neuen 
Bunde Wie in jenem dem Volke mit dem Geſez zugleich der 
Segen vorgehalten werbe und der Fluch *), und alfo das finns 





”, 5 Moſ. 11, 8. 


254 


liche Wohlbefinden und das finnliche Uebelbefinden mit hineingt 
zogen, und dadurch die Menſchen erft follten gelofft werben um 
bereitwillig gemacht, fich allen den groß.n Mühen und Beſchwer 
den, die dad Geſez von ihnen forderte, zu unterziehen: fo ıft zn 
bad des neuen Bundes Welen, baß er von dem allen nid 
weiß; ſondern er ſtellt wieder her das unmittelbare Verkehr tes 
Herzens mit Gott; nur dad Eine gehört dazu, daß man den er: 
Tenne, dem die Gabe Gotteö verliehen ift, ber nın allen Dim 
ſchen dad lebendige Waſſer, welches fie bedürfen, darreichen Tann: 
nur das Eine gehört dazu, baß wir und an den Sohn wenden, 
der bie Quelle des ewigen Lebens in ſich trägt, und baß wir 
aus ihm fchöpfen und aus feiner‘ unendlichen Fülle nehmen: 
weiter aber ift nichtö dazu nöthig, und dann iſt dad Werhältnif 
des Menfchen zu Gott wieber hergeftellt, ohne daß noch etwa: 
von demjenigen nöthig wäre, wad- der Herr im alten Bunte 
forderte. 

Natürlich aber mußte darüber eine Seele, bie ganz und gar 
erzogen war bei eben diefen Geboten bed alten Bundes und fid 
ganz eingelebt hatte in die Erfüllung beffelben, die mußte ſich 
be& wol wundern. In allen menſchlichen Dingen find wir bei 
fen gewohnt, dag auf dem gewöhnlichen Wege bad große und 
das herrliche auch nur durch) große Mühe und durch ſchwere iu 
firengung gewonnen wird, und wenn es dennoch häufig fo zw 
geht, und wir ed fehen, daß auch dad bedeutende und wichtige 
in menfhlihen Dingen fommt durch einen bloßen Gluffsjel 
ober durch eine Begünftigung ber Umftände, fo freuen wir und 
darüber auf ber einen Seite mit denen, welchen es wirb, aber 
auf der andern rechnen wir ed mit zu den Unvollkommenheiten 
Diefed Lebens. | 

Und fo, m. g. Fr., iſt ed auch auf dem geifligen (Gebiete, 
ja felbft dann, wenn wir etwas tiefer gehen als bie gewoͤhnliche 
Anficht derer war, bie zu dem alten Bunde ded Herrn gehörten. 
Dem wenn wir auch nicht von der bloßen dußern Reinigkeit, 








255 


bie das Geſez von allen feinen Anhängern forderte, und nicht 
bloß davon reden, daß die zu Tage liegenden und allen befann: 
ten und in das öffentliche Leben hineintretenden Haublungen bes 
Menfchen können abgemeffen werben danach, ob fie mit den For: 
Derungen des Gefezed in Uebereinſtimmung find, oder ob fie dem 
Buchſtaben des Geſezes wiberftreiten; fondern wenn wir darauf 


ſehen, der Menſch folle beffer werben in fich felbft, feine Ver⸗ 


nunft folle eine Herrfchaft erlangen über feine finnlichen Leiden: 
fchaften und Begierden: fo if auch died dad Werk großer Mühe 
und unausgefezter Anftrengungen. Belländig muß ber Menſch 
an fich felbft, und andere an ihm arbeiten; befländig muß er 
Achtung geben auf alles, was in feinem innen vorgeht, und ſich 
gewoͤhnen an kleinen Zeichen zu erkennen, wo er noch etwas für 
fih zu befürchten hat, und was daher am meiften der Gegen: 
fand der Beflerung fein muß, und wa3 er dagegen fchon vor: 
züglicy überwunden hat. Das Evangelium aber bietet und auch 
die geifligem Güter und noch größere ald biefe auf eine leichte 
Weiſe an, und fordert nicht von und ald dad Begehren und 
Anerfennen der Gabe Gottes. Denn mit aller jener Arbeit bes 
Menfchen an fich felbit ift doch die Vollkommenheit, die er da⸗ 
durch erreicht, etmad unvollflommened und Stuͤkkwerk; und wie 
body er fih auch in dieſer Ruͤkkſicht erheben möge, wie geiftig 
und wie tief auch die Güter fein mögen, bie er auf biefem Wege 
erlangt, fo find fie doch immer etwas, was ihn keinesweges voll: 
fommen befriedigen, und wobei er daher auch nicht fiehen bleiben 
Tann ungeachtet aller Mühe, die er daran gewendet hat. Aber 
etwas ganz anderes und vollkommnes ift der Friede bed Herzens 
mit fich felbft und mit Gott .und die durch alled, was den Mens 
hen in fich felbft bewegt, und was er an fich erfährt, unerreid)s 
bare Seligkeit, deren er nur kann theilhaftig werden, fo er bie 
Sabe Gottes in Chriſto erkennt. Wenn nun die dem Men: 
ſchen vorgehalten wird, der ſchon lange darauf bebadht geweſen 
iſt beffer zu werden in eigener Gerechtigkeit und fich felbft abs 


256 | 
| 


gemuͤht hat bei allen Gelegenheiten, die ihm dad Leben barbe ' 
tet, wie kann er anderd antworten als die famaritifche Fi Ä 
that? Ah, das ift die alte Erfahrung, die wir machen, ba} | 
wenn auf biefem Wege der Menfc fol beffer werben‘, wenn er 
bahin gelangen foll, fich felbft und feinen Schöpfer immer mek 
zu erfennen, daß ed dazu vielfacher Anflrengungen und müble 
mer Arbeit bebarf, und dag bennoch nur fparfam der Genuß ıf, 
deſſen ex fich fo erfreuen kann. Aber die Lehre, die durch Chi 
flum den Menfchen mitgetheilt worden ift, die will uns de 
alles geben auf einem leichten Wege und noch viel befiers 
als dieſes. 

Dieſe Verwunderung, bie wir natürlich finden, auch bei den 
beffer gefinnten Menſchen, die fpiegelt und die famaritifche Fra 
ab in ihrer Antwort an den Herrn, und wie fie ſich beruft auf 
den Erzvater Jakob, fo berufen fich die Menfchen in biefem ur 
gläubigen Streit über dad Evangelium auf das, was fie ererk 
baben von den Vätern, und was ihnen alfo auf dem Wege ta 
natürlichen Entwikkelung eigen geworden ift, auf den gemöhnli: 
hen Bang menfchlicher Weisheit, über welche hinaus bisher nicht 
höheres bekannt gewefen war. Der Here aber antwortet ihnen 
und fagt, Bier diefed Waffers trinkt, den wirb wieder 
dürſten; wer aber das Waffer trinken wird, weldes 
ih ihm gebe, der wird ewiglid nicht dürften, fonbdera 
ed wird in ihm ein Springquell des Waſſers wer 
den, welches da quillt in dad ewige Leben. 

Dad nun, m. g. Fr., find Worte, über welche auch wir uns 
wundern Eönnen und dem Herrn eine Gegenfrage darüber vorle 
gen, bie und fo leicht entſteht aus der Erfahrung, welche wir 
haben von ber Art, wie er die Menfchen befeligt. Denn wenn 
wir und fragen, ob bad wahr ift, dag wir nicht Wieder bürften, 
wenn wir aus feiner Quelle gefchöpft haben, fo fcheint es als 
müßten wir antworten: bem fei nicht fo; vielmehr erneuert fich 
in und immer wieder und muß fich aud erneuern bei allem, 





" 257 

vas fi) auf den Zufammenhang und auf den unmittelbaren Ges 
ug unferer Verbindung mit dem Grlöfer bezieht, es muß ſich 
neuen dad Verlangen nach ihm, und wir ermahnen uns unb 
ollen und ermahnen, immer wieder zu ihm uns zu wenden und 
mmer wieder aufd neue zu fchöpfen aus feiner Fülle; ja er hat 
ınd das zurüfßgelaffen als die theuerfte und heiligfte Ordnung 
er chriftlichen Kirche, wir follen innmer wieder dahin gehen, wo 
ein Wort den Herzen der Chriften vergegenwärtigt wirb, wir 
oUen und immer wieder da nahen, wo er fih uns felbft auf 
tine geheimnigvolle Weile in ben Saframenten zum Genuffe bar: 
bietet, und dad fezt voraus einen immer erneuerten Durft und 
ein immer erneuerted Beduͤrfniß denfelben zu löfchen. Wie hat 
alfo der Herr fo reden koͤnnen und hinausgehen über dad, was 
die befländige und gleichmäßige Erfahrung feiner gläubigen ift 
und aller, deren er das Zeugniß giebt, daß das Waſſer, welches 
er ihnen gegeben hat, in ihnen ein Springquell des ewigen Le⸗ 
bens geworden iſt? 

Laßt uns nur, m. g. Fr., hiebei zunaͤchſt daran denken, was 
in jenem Lande, wo der Herr lebte, unter dem Durſt verſtan⸗ 
den wurde. In jenen heißen und trokknen Gegenden, wo das 
Waſſer ſelten war, da wurde der Durſt zu einer quaͤlenden Em⸗ 
pfindung, wie wir ſie nicht theilen koͤnnen. Gehen wir nun auf 
das Bild, deſſen ſich der Herr hier bedient, zuruͤkk, ſo werden 
wir den Unterſchied wol fuͤhlen zwiſchen dieſer Art des Durſtes 
und zwiſchen dem, von welchem wir uns bewußt ſind, daß er 
ſich in uns wieder erneuert, und wir werden uns das Zeugniß 
geben, nein, dieſes unbeſtimmte brennende Verlangen, dieſes Leiden 
und dieſe innere Qual der Seele, die aus dem Verlangen ents 
fieht, welches der Menfc empfindet in fich felbft, der den Herm 
noch nicht fennt, und in dem doch das höhere Beduͤrfniß der 
Seele aufgegangen ifl, die empfinden wir nicht mehr, wenn wir 
ihn einmal gefunden und daS lebendige Waſſer von ihm em: 
pfangen haben; dieſer Durft ift einmal für allemal abgemacht. 

Som. üb, Ev. Joh. 1. R 










258 


Sind wir aber in die lebendige Gemeinichaft mit ihm ges 
men, fo kehren wir freilich zuruͤkk und müffen immer wide a 
ihm zuruͤkkkehren, fo fchöpfen und trinken wie immer auf 
aus feiner Quelle; aber es ift ein feliger die hoͤchſte Schunk 
und das innerfte Heil unferer Seele nährender Genuß, den 
auf diefe Weife haben, ohne daß ihm zum Grunde läge ex 
folhe tiefe Qual, ein ſolches tiefed Leiden, ein ſolches j 
fein des Nichtbefriedigtſeins ber heiligſten Beduͤrfniſſe des $ 
zens, ein ſolches Gefühl von dem Mangel der Seligkeit, wiee 
derjenige in ſich trägt, ber ben Herrn noch nicht gefunden I 
aber doch ſchon das Werlangen nach bem höheren und eis 
empfindet. 

Darum war ed nicht zu viel, was der Herr bier ſagte, ia 
bern wir müffen fagen, ed iſt die reine und Flare Wahrkeit. % 
er bat Recht! fchöpfen wir einmal von ihm das lebendige Bir 
fo wird ed in und felber ein fpringender Quell, fo theilt ai! 
fi) und mit, und das ift dad erſte Zeichen und bie erſte Gm 
heit davon, baß wir ihn recht in uns aufgenommen haben, da 
er nun wahrhaft, wie er es verheißen bat, in uns it und Be 
nung *) gemacht hat in unferem Herzen, daß das lebendige B5 
fer in ums fliegt, deſſen Ströme von ihm allein fich im die mo 
lichen Seelen ergießen, und bag wir in dem Beſiz deſſelben de 
ewige Leben gefunden haben, von welchem er gefagt, daß & 
diejenigen es fchon haben, die an ihn glauben **). -Und fo komm 
er darauf zuruͤkk, was er ber Frau gleich anfänglich verhi 
batte, wenn fie nur erfennte die Gabe Gotte und ben, ba: 
ihr fagte, Sieb mir zu trinken, fo bäte fie ihn, und er würte® 
lebendiges Waſſer geben (8. 10.); dasjenige, was den Dur d 
rer Seele wahrhaft Löfchen koͤnne, das fei durch alled Radius 
barüber, wer Recht habe in bem großen Streit, ihr Boll, dr 








”) Joh, 14, 23. ”) Joh. 5, 24. 


25% 


es Herr, den fie unter bad Gefez gethan erblikkte, das fei durch 
28 alles nicht zu erreichen. 

Und nachdem fie nun dieſes Wort gehört hat, fo bittet fie den 
ern, Gieb mir daffelbige Waffer, auf dag mich nicht 
ürfte, daß ich nicht herkommen müffe zu ſchöpfen.. 

Etwas alfo, m. g. Fr., hatte fie wol vernommen von ſei⸗ 
er Verheißung, fo viel fih nämlich davon bezog auf ihre eigene 
orige Rebe, denn an die knuͤpft fich die Antwort an, welche fie 
m Erlöfer giebt, Wolan, iſt ed denn fo, daß bu ein geiſtiges 
zut zu geben haft, welches man erlangen kann ohne alle die 
Rühfeligkeiten, die das Geſez mit ſich bringt, fo gieb es mir, 
mit ich jener Mühfeligkeiten los werde und auf einem leichs 
m Wege die Beruhigung meiner Seele über mein Verhaͤltniß 
ı Gott erlangen koͤnne. | 

War aber dad wol, m. g. Fr., bie rechte Stimmung, in 
elcher fie im Stande war die weitere Belehrung bed Herm 
ı empfangen? Diefe Frage koͤnnen wir nur verneinen. Wenn 
re Menfch von dem Herm noch nichtd weiter will ald nur, daß 
: die Mühfeligkeiten eined folchen Außerlichen Geſezes ſowol als 
sch die Anftrengungen,, mit welchen er dad innere Gele; befols 
m muß, von ihm nehme, aber ohne daß er felbft nach einer 
adern Art von Mühfeligkeit verlange, welche er an bie Stelle 
3 Außern Gefezed und ber äußern Befolgung eined innern Ges 
ses fielen muß: fo ift er nicht fähig die Gabe bed Hern zu 
npfangen; denn das Beduͤrfniß iſt noch nicht in ihm aufgegan⸗ 
nn, welches allein burch den Erlöfer ſoll befriedigt werden, und 

wird aud ber göttlichen Gabe, weil er fie nicht verficht, auch 
ht dabjenige machen, was er daraus machen fol. 

Darum bricht ber Herr ab, aber indem fie fich doch bereit: 
iNig erflärt hat das lebendige Waffer von ihm anzunehmen, fo 
ill er, daß fie ed nicht allein empfangen foll, eben weil er auß 
ver Rede noch nicht ber Wirkung feiner Rede gewiß ifl. Das 
ım fagt er, Gehe hin, rufe deinen Mann, und komm 

N 2 


% 


260 


ber, dann will ich bein Begehr erfüllen. Sie aber antwer 
ihm, Sch habe feinen Mann, und darauf ſpricht ber Erie 
zu ihr, was wir zulezt gelefen haben. | 

Wie ed nun mit diefem Verhaͤltniſſe ift, das willen = 
nicht, denn der Herr druͤkkt ſich nicht deutlich darüber * 
im ganzen finden wir eine unverkennbare Aehnlichkeit mit te 
jenigen, wa8 dem Herrn begegnete, als Philippus ben R:= 
nael zu ihm brachte *). Denn auch ber zweifelt, daß Seins = 
fei, den Philippus ald den Meſſias ihm bezeichnet, und iz 
Was kann von Nazareth gute fommen. Als der Hen ihn 
anſah und fagte, Sehet da, ein rechter Israelit, in weldem ia 
Falſch ift, und ihn Nathanael fragt, Herr, woher kennſt tum: 
fo gab er ihm auch ein ähnliches Zeichen feiner genauem & 
Tanntfchaft mit ihm. Da fagte Nathanael, Wahrlid, ti 
Gottes Sohn, fo wie die Frau hier, Herr ich fehe, das! 
ein Prophet bifl. Was das geweien, woran der Hm d 
Nathanael erinnerte, wiſſen wir nicht; wie er eö erfahren, mt 
wir auch nicht; und eben fo wenig wiflen wir etwas ga: 
über die Art, wie ber Herr bad entdefft hat aus dem haͤusütc 
Verhältniffe der Frau, daß fie fchon fünf Männer gehabt, x 
aber, ben fie jezt habe, nit ihr Mann ſei; auch will = 
nicht, wie viel Schuld die Frau an der fo geflalteten Lage !: 
Dinge gehabt bat, aber zu der Erkenntniß kam fie, daß da, X 
mit ihr redete, ein Prophet ſei. 

Aber wenn ber Herr zu ihr ſagt, Gehe hin und kt: 
beinen Mann, fo dürfen wir nicht glauben, daß er etwas ?* 
fagt habe, wovon er wußte, daß ed nicht wahr fei; bad wi 
er nicht gefagt haben; fondern er hatte ſich Damals mit tide 
genaueren Verhältniffen nicht bekannt gemacht; er will nur legt 
Bringe mir den, der bir der nächfle und liebfte ift, und teile = 
ihm die Gabe, die ich dir anbiete. Als fie aber fagt, Sch hat 





”) Joh. 1, 45 fed. 


261 

einen Mann, fo deutet er ihre Antwort und theilt ihr mit, 
a8 ihm aus ihrem Leben, wir wiffen nicht woher, befannt war: 
ber ihr inneres muß es getroffen haben, und baraud zieht 
e den Schluß, Herr, nun ſehe ich, daß du ein Prophet 
tft, wie fie auch hernach zu ben Bewohnern ber Stadt, in 
elcher fie Tebte, fagt, Ich habe einen Menfchen gefehen, der mir 
eſagt hat alles, was ich gethan habe (V. 29.). Dad hatte er 
un freilich nicht, fondern ihr nur eine leife Andeutung gegeben 
on feiner Bekanntſchaft mit ihrem häuslichen Verhaͤltniſſe, in 
rw felbft aber hatte fi) daran geknüpft alles, was ihr begegnet 
ar, und daß dies ihrer Vorfielung den ganzen Zufammenhang 
ahe brachte, dad war ed, was fie zu der Erkenntniß führte, er 
uffe ein Prophet fein, und daß fie hernach zu ben Leuten in 
er Stadt fagte, Kommt und fehet einen Menfchen, der mir ge 
ıgt hat alle, was ich gethan habe, ob er nicht Chriſtus fei. 

Und das tft e8, was dem Menfchen noch fehlt, der auf der 
Stufe fleht, wo wir die Frau gelafjen haben. Damit der Menfch 
a5 Beduͤrfniß fühle, welches der Herr zu befriedigen gekommen 
t, fo muß er in das tieffte innere feiner Seele geführt werben; 
a muß er ben finden und erkennen, der ihm felbft verborgen 
t, fo lange er nur badjenige fucht, was die Menfchen haben, 
nd woran fie fi) begnügen, ehe fie die Gabe Gottes in Chrifto 
rennen, und fo lange fie den Frieden, den ber Herr gebracht 
at, nicht verſtehen. Wenn wir nun zu der Erkenntniß kom: 
ıen, wie in ben mannigfaltigen Verwikkelungen bes Lebens 
yie nicht anders koͤnnen ald die Sünde wieder erzeugen, wie fie 
nter taufend Geftalten wieder zum Borfchein kommt, und wie 
sit allem, was und hemmt und was uns fördert, mag ed nun 
sehr Leiblicher oder geiftiger Natur fein, mit allen Berbefferun: | 
en des Leben, die wir vornehmen, mit allen guten Fertigkeiten, - 
ie wir und erwerben, es doch immer nur Stüffwerk bleibt, und 
pie dies alles und nicht befriedigen fann, dann find wir nahe 
aran entweder das Leben felbft und allen Werth deſſelben auf: 


. 262 


zugeben ober zu ahnden, es müfle noch etwas hoͤheres geben «i 
dasjenige if, wonach wir bis jezt getrachtet haben. Steht ma 
der Menſch auf diefem Punkte allein, fo kann ihm das afaı 
leicht begegnen; ſieht er aber Chriſtum vor ſich, wird der ie 
verfündigt ald die Gabe Gottes, die fchon von vielem Gedid 
tern ber Menfchen angenommen und auf eine fegendreiche Ba 
genoſſen ift, wirb er ihm verfündigt als derjenige, ber allein zı 
lebendiges Waſſer, welches in bad ewige Leben quillt, zu gehe 
im Stanbe ift, als derjenige, der nicht einen zeitlichen ſonde 
einen höheren Frieden über das menſchliche Gefchlecht ausgieje 
ann: dann find wir fähig und von ihm bie göttliche Gabe as; 
zubitten und von ihm geben zu laflen und zu empfangen de 
lebendige Waſſer, wie auch diefe Frau, welche allen Durf de 
Menſchen fo zu flillen vermag, daß er binfort nicht mehr duk 
fondem das Waffer, welches der Herr giebt, in ihm wer a 
Springquell des Waſſers, welches in dad ewige Leben für. 

Ja fo, m. g. Fr., kommt mehr ober weniger, früher d& 
fpäter jeder unter und zu der näheren Vereinigung mit dab 
(öfer, in welcher wir die Erfahrung machen von dem lebendize 
Waſſer, welche er allein geben Tann, von ber Stillung ur 
Durſtes durch ihn, und daß wer aus ihm fchöpft, fo wie sie 

vorher begegnet ift, nie wieder dürften kann. „Amen. 


xx. 
Am Sonntage Neminiscere 1824. 


Text. Sob. 4, 20 — 24. 

Unfere Väter haben auf biefem Berge angebetet, und 
ihr fagt, zu Jeruſalem fei die Stätfe, da man anbeten 
fol. Jeſus fpricht zu ihr, Weib, glaube mir, ed kommt 
bie Zeit, daß ihr weder auf diefem Berge noch zu 
Serufalem werdet den Water anbeten. Ihr wiffet nicht, 
wad ihr anbetet, wir wiflen aber, was wir anbeten, 
denn bad Heil fommt von den Juden. Aber ed kommt 
die Zeit, und iſt fchon jezt, daß die wahrhaftigen Ans 
beter werden den Water anbeten im Geift und in der 
Wahrheit; denn der Water will auch haben, bie ihn 
aljo anbeten. Bott ift ein Geifl, und bie ihn anbeten, 
die müflen ihn im Geift und in ber Wahrheit anbeten. 


Üamitteisar vor den Worten, m. a. $r., womit unfer heuti: 
zer Text beginnt, hatte bie famaritifche Frau zu Chriflo gefagt, 
Herr ich fehe, dag bu ein Prophet bift, und daran knuͤpft ſich 
die Frage, welche fie Chrifto hier zunächft vorlegt. Nun müflen 
wir es ihre fchon für etwas hohes anrechnen, baß fie den Erlös 


264 


fer, der zu dem Volke gehörte, welches fich im ganzen dod n 
feindfelig bemwied gegen bad ihrige, dennoch für einen Propken 
erlannte, und noch mehr, daß fie ohnerachtet dieſes Unterſchice 
zwifchen feinem Glauben und dem ibhrigen ihn boch über de 
flreitigen Punkt gleihfam zum Richter fezte oder feine Mein: 
darüber vernehmen wollte; denn bad war offenbar ihre Abixk 
indem fie ihn fragte, Unfere Väter haben auf bie 
Berge angebetet, ihr Juden aber behauptet, daß ma 
zu Serufalem im Tempel anbeten müffe; welqhes 1 
denn nun bad rechte? - 

Wir müflen, m. g. Fr., in biefer Frage der Fran ci 
Sinn verehren, der auch unter ben Chriſten felbft nicht hart 
angetroffen wird, aber der es wol verdient allgemeiner zu ic 
ald er iſt. Ueberall nämlich hat es von je her in der chriſtlice 
Kirche über mandyerlei wichtige Gegenflände Verſchiedenheit de 
Anfihten und Meinungen gegeben, aber wo einer einen and 
dafür erkannte der entgegengefezten zugethan zu fein, da lie € 
fih entweder gar nicht mit ihm ein über die flreitige Sect 
ober es gefchab, oft wol in der guten Meinung ihn von fene 
vermeintlichen Irrthum zu der richtigen Erfenntnig zurükkzubre 
gen, oft aber und noch öfters bloß um fich in feinem eigen 
Rechte gegen die abweichende Meinung zu befeftigen. Dez 
chen nun finden wir hier bei der Frau nicht; fondern obwol " 
von Chrifto weiß, dag er ein Jude ift, fo legt fie ihm doe 
die Sache ald eine Frage vor, weil fie gern feine Meinung m 
nehmen möchte. Weber die Meinung nun des Erloͤſers konnte ® 
nicht zweifelhaft fein, aber eben die Gründe und den Barth, te 
er auf die Werfchiedenheit, welche zwifchen beiden Meinunge 
Statt fand, Iegen würde, möchte fie hören. Und fo follen ri 
es immer machen, wenn Chriſten über Dinge des Glauben: va 
fchiedener Meinung find, gern einer den andern hören nicht EM 
Hecht zu behalten, nicht um einer den andern umzuwandeln, IF 
bern um fich gegenfeitig über die Sache zu verfländigen, um ke 


265 


fer fich hineindenten und hineinfühlen zu koͤnnen in den Zuſam⸗ 
menhang, ben eine abweichende Meinung mit andern übereins 
ſtimmenden in einem chriftlich frommen Gemüthe haben Tann. 
Das iſt dad Suchen nach Wahrheit in Liebe *), was bie Ayos 
tel des Herrn den chriftlichen Gemeinen in ihren Schriften fo 
Dringend an bad Herz legen, wovon wir aber geftehen muͤſ⸗ 
fen, daß es auch unter den Chriſten nicht fo gemein iſt wie es 
fein ſollte. 

Nun könnte man freilich fagen: ja das macht einen großen 
bedeutenden Unterfchied, daß die famaritifche Frau Chriſtum fchon 
für einen Propheten erkannt hatte, daß er ihr ſchon einen Bes 
weis gegeben hatte von außerorbentlichen Gaben, bie er befaß 
und ertheilen konnte, und daß fie ſich ergriffen fühlte von dem 
Eindrukk, den ber Herr überall machte wo er erfchien, und mit 
welchem er die Gemüther zu fich zog und bei füch fefthielt. Ich 
entgegene darauf aber dies, Diefen Unterfchied freilich müffen wir 
alle zugeben, und Fein anderer, wer er auch fei, kann je zu einem 
andern in dem Berhältnig fliehen, in welchem Chriflus zu uns 
allen ſteht. Aber ift e8 nicht der Geiſt Gottes eben, ber Chris 
ſtum verflärt? ift er es nicht, deſſen Traͤger alle fein follen bie 
den Namen Chrifti befennen? Wenn nun einer ben andern audy 
nicht für einen Propheten erkennt, nicht für ein ausgezeichnetes 
Ruͤſtzeug Gottes, aber doch für einen folchen, der von dem goͤtt⸗ 
lichen Geiſte in fih bat und ihn in ſich walten läßt: iſt dad 
nicht genug um vorausfezen zu bürfen, daß überall in dem Ges 
Ipräch über heilige Gegenftände mit einem folchen er felbft werde 
Belehrung und Erbauung finden, daß es eben ber Geift der 
Wahrheit ifl, der aus ihm reden wird und auch und in irgend 
einen Theil der und bis dahin verborgen gebliebenen Wahrheit 
bineinleiten? Einen folchen Eindruff follen wir überall haben, 
wo uns ein wahrhaft frommes chriftliched Gemüth entgegentritt, 





*) Eph. 4, 18. 





266 


unb die Werfchiebenheit der Anftchten, die zwilchen und und a 
dern herrſcht, Toll denſelben eben fo wenig ausloͤſchen, wie ta 
Eindruff, daß Chriſtus ein Prophet wäre, ausgelöfcht wurde a 
ber famaritifchen Frau dadurch, daß er zu dem Wolle gehe. 
welches dem ihrigen feinblidh war, unb bag er über den firi 
gen Punkt eine andere Meinung hervorbringen würde, als die 
ihrige war. 

Und wie wir nun hören, daß dadurch, baß fie Chriſto bie 
Stage vorlegte, ein fo reicher Segen entflanden if, ber nicht be 
ihr allein fliehen blieb, fondern, wie wir in der Kolge fehen we: 
den, ſich über einen großen Theil ber Bewohner jener Stadt, u 
weicher fie wohnte, verbreitete und unferem Herrn zu inniga 
Freude und zu großer Erhebung gereichte: fo werben wir 
ähnlihen Fällen biefelbe Erfahrung machen. Freunbichaftlik 
Geſpraͤche zwiſchen folchen, die verfchiedener Meinung find, abe 
auf einem und bemfelben Grunde erbaut und denfelben Hem 
und Meifter anerkennend, wie audy bie Samariter dad Geſez ar 
erfannten, welches auch Chriftus nicht auflöfen wollte, ſonden 
erfüllen, von folcyen wird immer, wenn fie in dem Siune ge 
führt werben die Wahrheit in Liebe zu fuchen, ein reicher Sega 
für und und für andere ausgehen. 

Aber nun laßt und hören, wie fich Chriſtus über dieſe at. 
weichenden Meinungen gegen die Frau erflärt. Damit fängt « 
an, daß er fagt, Weib, glaube mir, ed kommt die Zeit, 
Daß ihr weder auf diefem Berge noch zu Jeruſalen 
werbet ben Vater anbeten. 

Wir fehen hier, m. g. Fr., wie von Anfang feines öffentii: 
chen Lebens an — benn unftreitig faͤllt dieſe Unterrebung, wi 
wir aus dem ganzen Zufammenhang des Evangeliums jehen, 
noch in das erfie Jahr des Öffentlichen Lehramted unfered Herm 
— wie von Anfang an fchon alled, was nad ber göttlichen 
Ordnung und dem göttlichen Rathſchluß über fein Volk verhaͤng 
war, ihm vor ber Seele ſchwebte, und er fo gewiß war, baf die 


267 


Damals beflchende Drbnung des Gottesdienſtes nicht mehr lange 
bauern werde. Und auf diefe Vergaͤnglichkeit beffen, worauf ber 
Unterfchied zwifchen ben Juden und den Samaritern beruhte, 
fuchte er die, welche ihn fragte, zuerft aufmerfiam zu machen. 
ad Tann babei anders feine Abficht geweſen fein als die, fie 
Dahin zu bringen, daß fie auf diefen Unterfchieb einen getingeren 
Werth legen möchte ald er Urfache hatte vorauszuſezen. Wenn 
man weiß, dad worüber geflritten wird, bad werde bald nicht 
mehr da fein, fo muß dies den Eifer des Streitdö über etwas fo 
vergängliches und in fich felbft nichtige® gar fehr mäßigen unb 
ihn auf den Punkt führen, wo eine freiere und hellere Anficht 
des Gegenflanded, bie fi von dem vergänglichen weg und zum 
ewigen binwendet, in dem Gemüthe Plaz findet. 

Wie ift ed aber, m. g. Fr., mit den meiften von den Strei⸗ 
tigfeiten, die wir auch in ber chriftlichen Kirche fo häufig finden? 
werben fie nicht auch um etwas nichtiges und vergängliched ges 
führt? Ja gewiß, ed ift irgend ein menfchlicher Buchflabe, mit 
welchem bie Gegenflände des gemeinfamen Slaubend bezeichnet 
werben, worüber der Streit geführt wird; und ba gefchieht ed 
bald, dag man ähnliches fagen Tann zu denen welche flreiten, wie 
bier der Erlöfer zu der famaritifchen Frau fagt, Bald wird bie 
Zeit fommen, wo weder ihr diefed Wort noch ihr jenes Wort 
gebrauchen werdet um irgend eine chriftliche Wahrheit auszubrüßs 
fen, fondern wo man fich über benfelben Gegenſtand auf eine 
Weiſe ausdruͤkken wird, in welcher ber Streit verſchwindet. Denn 
Das iſt doch dad Ende geweſen von je ber, welches alle folche 
Streitigkeiten genommen haben. Das follen immer beide Theile . 
lebendig fühlen und dabei an das große Wort des Apofteld den⸗ 
Een *), Der Buchflabe toͤdtet, aber der Geift macht lebendig, 
und eben deswegen geneigt fein ſich um fo leichter in Liebe zu 
tragen, wenn fie fich nicht über den Buchſtaben verfländigen koͤn⸗ 


*) 2Kor. 3, 6 


368 


nen, fondbem bemobnerachtet ber eine dies der andere jenes ia 
das befiere hält, und bafür halten, daß bie wol fo fein wm 
bleiben kann, und immer nur mit rechten Emfi die WBahrket 
in Liebe fuchen, und viel lieber, ald daß fie fih über den Bud 
Raben entzweien, ſich über die Einheit: deö Geiſtes freum, dx 
obnerachtet ſolcher verfchiebenen unter den Ghriften abweichende 
Meinungen nicht nur fein Tann, fondern audy fein fell 

Eben fo war e8 bamald. Der Tempel zu Serufalem wa 
eine fpätere Einrichtung. Dad, wodurch in dem Gottesdienft dx 
Herrn das Volk eigentlich gebunden war, das war Dad Ges, 
welches Mofes gegeben hatte; das war bie Einrichtung des Bun: 
des, die früher bald an diefem bald an jenem Orte geweien mar, 
ebe man daran gedacht hatte dem Herm einen fehlen Sempel 5 
bauen. Es war alfo auch nicht die Hauptjache, fonbern tx 
Nebenfache, worüber beide Theile in eine fo heftige Feindſchan 
gerathen waren, und da war ed denn bem Herrn natürlich, ba 
famaritifchen Frau an daB Herz zu legen, daß ber Gegenflust 
bed Streites felbft bald würde verfchwunden fein. 

Aber deshalb unterlieg er doch nicht feine Meinung über 
bad Verhaͤltniß, in welchem beide Theile gegen einander flanden, 
: der Frau auf die Frage, bie fie ihm vorgelegt hatte, zu erfläre; 
fondern, nachdem er ihr zuvor dies gefagt hat um fie milder » 
flimmen und recht für die Wahrheit empfänglich zu machen, ſe 
geht er über zu der eigentlichen Behandlung des Gegenflante 
Wie äußert er fih nun darüber? Ihr wiffet nicht, was 
ihr anbetet, wir wiffen aber, wa3 wir anbeten, denn 
bas Heil kommt von den Juden. 

Um biefe Worte recht zu verftchen, müflen wir und em 
nern, daß dad Wort, weiches hier anbeten heißt, im allgeme: 
nen zur damaligen Zeit gebraucht wurbe vorzüglich von der &: 
fentlihen Anbetung Gottes an den bazu befonder& beflimmter 
Stätten, und fo wurde befonders im jübifchen Lande von allen, 
die zum Theil aus großer Ferne nach Serufalem kamen auf die 














269 


hohen Feſte um dafelbft die heiligen Gebräuche bderfelben zu bes 
gehen, gejagt, daß fie hinaufgingen um anzubeten. Es ift 
alfo unter diefem Auddruff der ganze Zufammenhang der heil 
gen Gebräuche und die öffentliche Verehrung bed Herm verflans 
den. In wiefern Tonnte nun in dieſem Sinne der Herr zu der 
famaritifchen Frau von ben Samaritern überhaupt fagen, fie 
beteten an, was fie nicht wüßten, von den Suben aber bes 
haupten, fie beteten an, was fie wuͤßten? 

Mir können died nur verftehen, wenn wir auf ben Grund 
fehen, den der Herr hinzufügt, wenn er fagt, Denn das Heil 
fommt von den Juden. Darunter, m. g. $r., werben wir 
wol alle nicht anderes verftehen ald den Zufammenhang zwi: 
ſchen den befondern Führungen des Volks und der Art, wie bie 
Erfenntniß des einen lebendigen Gotted unter Demfelben war be 
wahrt worden, und zwifchen der großen Beſtimmung dieſes Volks, 
dag der Erlöfer der Welt aus bemfelben follte geboren werden. 
So erflärt der Apoftel Paulus *), dad Volk fei durch den göttlichen 
Rathſchluß und durch die göttlichen Führungen zufammengehals 
ten worden unter bem Geſez bis cuf die Zeit, wo ber Glaube 
fonnte geoffenbart werden, und als ein folches Mittel das Wolf 
zufammenzuhalten und alle vorzubereiten auf die Erfcheinung 
Chrifti, welche erfolgen follte, wenn bie Zeit erfüllet wäre, flellt 
er und das Gefez dar. Das” war das eigentliche Weſen aller 
ber Einrichtungen, bie Gott dieſem Wolle gegeben hatte. Um 
ed zufammenzuhalten follte e8 auch gefchieven werben von andern 
Bölfern, um weniger in Gefahr zu gerathen immer wieber, wo⸗ 
zu es fich zu verfchiebenen Zeiten fo fehr geneigt zeigte, ſich von 
ber Abgötterei derfelben anfteffen zu laffen, und fein heiliged Ges 
feg und den Glauben an den lebendigen Gott zu verlaffen. Dies 
ſen Zufammenhang nun, ben ſtellte der Erlöfer dar als bie eis 
gentliche Erkenntniß, indem ex fagt, Wir beten an was wir 





) Gal. 3, 23— 26. 








8 


nen, ſondern bemohnerachtet ber eine dies der andere jenes für 
das befiere Hält, und dafür halten, daß dies wol fo fein und 
bleiben Tann, und immer nur mit rechtem Emfl die Wahrheit 
in Liebe fuchen, und viel lieber, ald daß fie fich über den Bud: 
fiaben entzweien, ſich über die Einheit: beö Geifled freuen, bie 
obnerachtet folcher verfchiebenen unter den Chriften abweichenden 
Meinungen nicht nur fein kann, fondern auch fein foll. 

Eben fo war es damald. Der Tempel zu Serufalem war 
eine fpätere Einrichtung. Das, wodurch in dem Gottesbienft des 
Herm das Volk eigentlich) gebunden war, dad war bad Gele, 
welches Mofed gegeben hatte; das war bie Einrichtung des Bun: 
des, die früher bald an diefem bald an jenem Orte gewefen war, 
ehe man daran gedacht hatte dem Herrn einen feſten Tempel zu 
bauen. Es war alfo auch nicht die Hauptfache, fonbern die 
Nebenfache, worüber beibe Theile in eine fo heftige Feindſchaft 
gerathen waren, und da war ed denn dem Herrn natürlich, ber 
famaritifhen Frau an dad Herz zu legen, daß ber Gegenftand 
bed Streited: felbft bald würde verſchwunden fein. 

Aber deshalb unterlieg er doch nicht feine Meinung über 
dad Verhältniß, in welchem beide Theile gegen einander fanden, 
- ber Zrau auf die Frage, die fie ihm vorgelegt hatte, zu erklaͤren; 
fondern, nachdem er ihr zuvor bied gefagt hat um fie milder zu 
flimmen und recht für die Wahrheit empfänglih zu machen, fo 
geht er über zu der eigentlihen Behandlung bed Gegenftandes. 
Wie Außert er fih nun darüber? Ihr wiffet nicht, was 
ihr anbetet, wir wiffen aber, was wir anbeten, denn 
das Heil Fommt von den Juden. 

Um biefe Worte recht zu verftehen, müffen wir und ern» 
nern, daß dad Wort, welches hier anbeten heißt, im allgeme: 
nen zur damaligen Zeit gebraucht wurbe vorzüglich von der oͤſ 
fentlichen Anbetung Gottes an ben dazu beſonders beflimmten 
Stätten, und fo wurde befonders im jübifchen ande von allen, 
die zum Theil aus großer Berne nach Zerufalem kamen auf die 


4 








269 


hoben Feſte un bafelbft bie heiligen Gebräuche berfelben zu bes 
geben, gelagt, daß fie hinaufgingen um anzubeten. Es ift 
alfo unter diefem Ausdrukk der ganze Zufammenhang ber heili⸗ 
gen Gebräuche und die öffentliche Verehrung ded Herm verftans 
den. Sn wiefern konnte nun in dieſem Sinne der Herr zu der 
famaritifhen Frau von den Samaritern überhaupt fagen, fie 
beteten an, was fie nicht wüßten, von ben Suben aber bes 
haupten, fie beteten an, was fie wüßten?: 

Mir können bied nur verflehen, wenn wir auf ben Grund 
fehen, den der Here hinzufügt, wenn er fagt, Denn dad Hell 
fommt von den Juden. Darunter, m. g. Fr., werben wir 
wol alle nichts andered verftehen ald den Zufammenhang zwis 
fehen den befondern Führungen des Volks und der Art, wie bie 
Erkenntniß ded einen lebendigen Gotted unter demſelben war be 
wahrt worden, und zwifchen ber großen Beſtimmung dieſes Volks, 
dag der Erlöfer der Welt aud bemfelben follte geboren werben. 
So erklärt der Apoftel Paulus *), dad Wolf fei durch den göttlichen 
Rathſchluß und durch die göttlichen Führungen zufammengehals 
ten worben unter dem Gefez bis «uf die Zeit, wo ber Glaube 
konnte geoffenbart werben, und als ein folches Mittel das Volk 
zufammenzuhalten und alles vorzubereiten auf die Erfcheinung 
Chriſti, welche erfolgen ſollte, wenn die Zeit erfuͤllet waͤre, ſtellt 
er und das Geſez dar. Das war das eigentliche Weſen aller 
der Einrichtungen, die Gott biefem Wolke gegeben hatte. Um 
ed zufammenzuhalten follte es auch gefchieden werben von andern 
Völkern, um weniger in Gefahr zu gerathen immer wieder, wo⸗ 
zu es fich zu verfchiebenen Zeiten fo fehr geneigt zeigte, fid von 
ber Abgötterei derfelben anſtekken zu laffen, und fein heilige Ges 
ſez und den Glauben an den lebendigen Gott zu verlaflen. Dies 
jen Zufammenhang nun, ben ſtellte der Erlöfer dar als bie eis 
gentlihe Erfenntniß, indem er fagt, Wir beten an was wir 





”) Gal. 3, 23 — 26. 


270 


wiffen, wir haben von dem ganzen Zufammenhange une 
heiligen Gebräuche und ber unter und herrſchenden Gotteiont 
rung bie Erfenntnig, daß alles hinführt auf ben, der da Iomma 
fo, und fo beten wir an, was wir wiffen. 

Wenn er nun auf ber entgegengefezten Seite fagt, Ih 
wiffet nicht, was ihr anbetet, fo hat das biefen Zufamme 
bang. Einmal war ber Gottesdienſt auf dem Berge Gariyz, 
wo die Samariter anbeteten, entflanden aus einer Spaltung a 
jüdifchen Volke. Erſt nämlich, in Älterer Zeit, als ſich das Rad 
Juda trennte von dem Reiche Israel, und ber König in rei 
einfah, daß um ſich zu behaupten er auch ben zehn Stämma 
des Volks, die fi) abgefondert hatten, einen eigenen Dit be 
Gotteöverehrung anweilen und ein eigened Gebäude für bare 
ben aufführen müffe; dann, in fpäterer Zeit wieder, als ai 
Mann aus dem hohenprieſterlichen Gefchlecht gegen bad Ges 
des Volkes eine heidniſche Frau geheirathet hatte, ging er m 
berfelben zu feinem Schwiegernater und führte hier eine ag 
Art bed Gottesdienſtes ein. Aus einer Spaltung alfo, bie mil 
hätte entfieben follen, bie mit bem heiligen Gebote (Gottes mil 
übereinflimmt, war der Gotteödienft auf biefem Berge entflande. 
Aber darüber war auch ben Samaritern die rechte Erkenntiij 
befielben und der wahre Zuſammenhang befjelben verloren gegi* 
gen. Denn eine Kette, die auf Thriſtum binführte, bildeten de 
Geſez und die Propheten. Diefe Ieztern Hatte Gott fi bear 
ders erwählt und auögerüftet, um ben Sinn bed Geſezes, fo oñ 
er fich unter bem Wolle verbunfelt hatte, wieber Har zu made, 
um dad Volk zu belehren, was in demfelben das bloß Außerliät 
und geringfügige wäre, und was bagegen das weſentliche ul ı 
wichtige, und die Sehnſucht und das Verlangen beffeiben af | 
das Reich Gottes Hinzuleiten, welches erft könnte und ſollte @ 
baut werben, wenn ber kommen würbe, der ber Gegenfland & 
ler göttlichen Werheißungen war. Indem nun die proppeiiläe 
Schriften in die Reihe der heiligen Buͤcher unter den Jede 


2711 


aufgenommen wurden, fo waren fie dadurch in ben Stand ge 
ſezt, diefen Zufammenhang zu begreifen, und in fo fern konnte 
der Herr im Namen feines Volkes jagen, Wir beten an, wad 
wir wiffen; bie rechte und wahre Erkenntniß liegt einem jeden 
unter uns, der nur den ernfllihen Willen hat fie zu fuchen, Far 
vor ben Augen, und wer fie fih nicht verbunfeln läßt von de: 
nen, welche zwar die Schlüffel des Himmelreichs haben, aber 
ſelbſt nicht hineinfommen und auch andern fo viel ald möglich 
wehren möchten hineinzugehen *), der Tann fich in ben Beſiz ber 
felben fezen. Jene zehn Stämme aber hatten fi) abgefondert 
von den übrigen zu ber Zeit, als die,Reihe der Propheten, bie 
zur Auslegung ded Geſezes und zur Verkündigung des Meſſias 
beftimmt waren, eben erft begann; fie hatten daher auch, weil 
die meiften derjelben dem Tempel zu Serufalem unb ber Art und 
Weiſe der Gottesverehrung in demfelben anbingen und treu ge 
blieben und zu dem Volke Juda gehörten, dieſelben nicht aner⸗ 
fannt und auch nicht in ihre heiligen Bücher die Schriften dev 
felben aufgenommen, fönbern nur das Geſez Mofid hatte unter 
ihnen ein allgemeines Anfehen. Daher nun mußte ihnen auch 
der Zufammenhang der göttlichen Dffenbarungen dunkel und uns 
verſtaͤndlich fein, fie hatten den rechten Faden berfelben verloren, 
und daher konnte Chriftus nicht anders ald zu der famaritifchen 
Frau fagen, Ihr wiffet nicht, was ihr anbetet. 

Nachdem er ihr nun aber fene Meinung gelagt bat, fo 
richtet er nun ihren Blikk von dem vergänglichen zu dem ewi⸗ 
gen und unvergänglichen, indem er fagt, Aber ed fommt bie 
Zeit und ift ſchon jezt, daß die wahrhaftigen Anbeter 
werden den Vater anbeten im Geift und inder Wahre 
beit, denn der Water will auch haben, die ihn alfo 
anbeten. 

Diefe Worte nun fliehen im genauen Zufammenhange mit 


J 


9 euk. 11, 52. Matth. 2, 13. 


272 
der erfien Aeußerung bed Herm, Es kommt die Zeit, wo weht 


ihr bier auf eurem Berge, noch wir in unferem Tempel zu Se 


ruſalem anbeten werben, aber deöwegen eben weil dad alles un 
tergeben fol, fo kommt nun die Zeit und ift ſchon jett, 
daß die wahrhaftigen Anbeter den Vater anbeten 
werden im Geift und in der Wahrheit. Sie war ſchon 
da, aber erft feitbem der Here aufgetreten war um dad Red 
Gottes, welches herbeigefommen fei, zu verfündigen; fie war de, 
aber erft ſeitdem der gekommen war, der mit Grund der Wahr⸗ 
heit von fich jagen Fonnte, Niemand kennt den Water, benn da 
Sohn und wen ed der Sohn will offenbaren *),. Sol der Va⸗ 
ter im Geift und in der Wahrheit angebetet werden, fo muß e 
auch erkannt werden; erfennen aber Fonnte ihn kaum noch a 
Volt der Juden, obgleich, wie der Herr fagt, fie wußten wa 
fie anbeteten; denn der Vater verbarg ſich ihnen wie ein fir 
ger König, der oft über fein ungehorfames Volk zürnt, und da 
Geiſt der Wahrheit verbarg fi) ihnen unter der Lafl und de 
Menge der äußern Gebräuche. Nun aber, fagt der Herr, fudt 
ber Vater foldhe, die ihn im Geift und in ber Dahn 
heit anbeten. 

Wecenn wir und num fragen: wad meint benn ber He ei⸗ 
gentlich damit, im Geift und in der Wahrheit anbeten! 
fo müflen wie allerdingd noch die lezten Worte binzunehmen, 
Gott ift ein Geift, und die ihn anbeten, denen gebührt 
es ihn im Geift und in der Wahrheit anzubeten. De 
ift nun der eigentliche Grund, was ber Herr hier anführt, indem 





er fagt, Gott ift ein Geiſt. Was heißt aber Geiſt? ih 


das Iebendige an keinen Ort und an feine Zeit gebundene, und, 


wenn wir es vorzüglich auf das ewige Weſen beziehen, es il 
das Himmel und Erbe erfüllende Weien, das Wefen, welchts 
auch Fein befondered Verhaͤltniß zu irgend einem Orte hat, dem 





” Matth. 11, N. 





273 


er eine nicht beffer iſt als der andere, ber eine nicht wuͤrdiger 
8 ber andere. Und fo ift alfo zuerft die Anbetung Gottes im 
jeift und im ber Wahrheit entgegengefezt derjenigen, die an ei- 
en beflimmten Ort und an eine beflimmte Zeit und an bes 
immte Gebräuche gebunden war. . 

Es fcheint aber wol, ald 0b ber Herr mit diefen Worten 
ıch dasjenige bezeichnet hat, wad in feiner Kirche felbft vors 
ht, was wir alle thun, und wovon bie Chriflen von jeher eis 
m großen Segen erfahren haben. Denn wir fommen boch auch 
fammen um Gott anzubeten an einem beflimmten Orte und zu 
ftimmten Zeiten. Aber, m. g. Fr., nicht deswegen — und 
13 iſt auch befonders, feitdem das Licht des Evangeliumd in 
ꝛx evangelifchen Kirche auf's neue entzündet worden ift, immer 
;hauptet worden — nicht deswegen, weil die Kirche, in welcher 
ir und verfammeln, ein gemeihter und geheiligter Ort wäre, 
uögezeichnet vor allen übrigen und von befonderem Werthe, nicht 
eshalb, weil da Gott mehr und in einem höheren Sinne woh⸗ 
ete ald anderdmo *) — denn dem Gott, welcher Geift ift, ift jeder 
rt gleich, er erfüllt fie alle mit feiner Gegenwart, — fondern des⸗ 
yegen, weil wir es um der Gemeinfchaft willen thun fols 
n. Der Segen aber der Gemeinfchaft, der kann nicht anders 
reicht werben durch die Öffentliche Gotteöverehrung, als indem 
iefe zu einer beftimmten Zeit und an einem beftimmten Orte 
efchieht. Etwas andered find unfere Kirchen auch nicht als 
‚che Derter, wo wir und zu einer beflimmten Zeit zur gemein: 
ımen Anbetung verfammeln. Wollte jeder für ſich allein den 
yeren anbeten, fo bebürfte er der Kirche nicht, fondern jeder Ort 
t da gleich. Nicht alfo hat bamit der Herr unfere chriftlichen 
zottesdienſte verwerfen und verbammen wollen. 

Ganz anders aber war ed mit der Anbetung in bem Tem⸗ 
el zu Zerufalem, denn ber hatte eine ſolche Heiligkeit, dag in 


*) Apoftelgefch. 17, 24. 
Som, &b. Go, Joh. 1. S 


274 


dem ganzen Wolke der Glaube verbreitet war, Gott wohne auf 
eine auögezeichnete Weife in dem Allerheiligfien defielben, m) 
daß alle Handlungen, ‚bie fi auf die gemeinfame Frönmigket 
bed Volks und auf dad Verhältnig beffelben zu Gott bezogen, 
alle dahin gehörigen Opfer und Gebete nur in dem Tempel dur 
ten vollzogen werden. Das war alfo ein Hinberniß für bie In 
betung Gottes im Geift und in der Wahrheit, aber body war 
nothwendig geweſen, daß dad Volk auf dieſe Weile zufamme:| 
gehalten wurde, damit ed nicht unter die andern Voͤlker zerſtreu 
würde und Theil nähme an ihrem abgöttifchen Wefen, und da 
mit ber Zwekk feiner Erwählung, daß Chriſtus aus demſelber 
hervorgehen folite, könne erreicht werden. Daher fagt ber Hen 
auch, fo lange fei ed geweien, daß fie allein in dem Zempel jı 
Serufalem ihre Anbetung verrichteten; jezt aber komme bie Zei, 
und der Vater ſuche folche,«die bereit wären ihn im Geiſt un 
in der Wahrheit anzubeten. 

Fragen wir nun, m. g. $r., wie fucht denn ber Batal 
Ei daburch fucht er fie, daß er feinen Sohn in die Welt x 
fandt hat, damit ber fuche und felig mache, die verloren find ', 
Und fo führt der Herr, indem er diefe Worte fagt, den gana 
Bufammenhang ber göttlichen Ordnung und ber göttlichen Fib 
sungen und feine eigene Beflimmung zum Heil der Deniga 
ber famaritifchen Frau vor bie Seele; wir begreifen aus dida 
Worten beides zugleich, zuerft wie der Herr fagen und burd fe 
ganzes Leben heilig halten Eonnte, daß er nicht gekommen ſa 
dad Gefez und die Propheten aufzuldfen, fondern zu erfüllen“ 
und dann wie er felbft mit feiner heiligen über allen Bahn m 
Aberglauben erhabenen Seele Theil nehmen fonnte an dem 8 
vollfommenen Gotteödienfte, der unter feinem Volke bean, 
weil er bie richtige Erkenntniß davon hatte, und alſo bank 
das der Welt verborgene ihm aber Hare Wort Gottes erkmmn 





*) £uß, 19, 10. ””) Matth. 5,17. 


v 


275 


und anwenden konnte, und alles beziehen auf ben großen Beruf, 
ben er erfüllen follte; und fo fühlte er wie immer fo auch in 
dieſem Augenblikt, wie er ed war, den ber Water um zu fi 
hen foldhe Anbeter, die ihn im Geift und in der 
Wahrheit anbeten würden, in die Welt gefandt hatte, um 
ben Menfchen den Vater zu zeigen und zu offenbaren, den er als 
lein kannte wie er war *), mit dem er allein eind war in feiner 
gotterfüllten Seele **), und eben deswegen allein im Stande bie 
lebendige Erkenntniß beffelben denen mitzutheilen, die noch in 
dem Schatten bed Todes faßen ***). 

Und fo, m. g. Fr., werden wir noch näher und tiefer in 
ben Sinn der Worte eindringen, Gott im Geift und in 
ber Bahrheit anbeten, wenn wir und babei erinnern, baß 
der Auödruff, Gott anbeten zugleid und urfprünglich ges 
braucht wurde von dem Beugen der Knie und von bem fick 
Niederwerfen zur Erbe; dieſer bemüthige Sinn ber Anbetung 
und Verehrung ift in jenen Worten vorzüglih ausgedruͤkkt. 
Wenn alfo der Herr fagt, Die wahren Anbeter, die follen Gott 
weil er Seift ift im Geift und in der Wahrheit ande 
ten, fo meint er damit zuerft, daß ber inmerfte Geiſt des Men 
fchen ſich bemüthigen fol vor Gott und fi beugen vor ihm, 
Aber indem er dies fagt, fo flelt er und Gott nicht vor 
als den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden, nicht 
ald den allgegenwüärtigen Lenker aller Dinge, ſondern ald ben 
Vater. IA er nun ber Vater, fo find wir die Kinder, und 
wie der Herr gekommen if zu fuchen und felig zu machen waß 
verloren war, fo ift died denn nichts anders, ald daß er denen, 
die an feinen Namen glauben, die Macht giebt Kinder Gots 
te8 zu werben ****) Eine innigere Verwandtſchaft giebt es 
nicht ald zwifchen Water und Kind. "Sollen wir nun Gott ans 





” Matth. 11, 27. ”, ob. 10, 30. , Matth. 4, 16. 
” Joh. 1, 12. 
& 2 


274 


dem ganzen Wolle der Glaube verbreitet war, Gott wohn ı 
eine audgezeichnete Weile in dem Allerheiligfien beficben, ı 
dag alle Handlungen, die ſich auf die gemeinfame Froͤmm 
des Volks und auf dad Verhaͤltniß deſſelben zu Gott bus 
alle dahin gehörigen Opfer und Gebete nur in dem Tempeld 
ten vollzogen werben. Dad war alfo ein Hinderniß für du 
betung Gotted im Geift und in der Wahrheit, aber doch mi 
notbwenbig geweſen, daß dad Wolf auf biefe Weiſe zuiam 
gehalten wurde, damit es nicht unter bie andern Bölker yri 
würde und Theil nähme an ihrem abgöttifhen Weſen, un? 
mit ber Zwelt feiner Erwählung, daß Chriſtus aus demie 
beroorgehen follte, könne erreicht werben. Daher fagt be ! 
auch, fo lange fei ed gewefen, baß fie allein in bem Tempe 
Serufalem ihre Anbetung verrichteten; jest aber komme bie 
und ber Water fuche folche, «die bereit wären ihn im Gaf 
in ber Wahrheit anzubeten. 

Fragen wir nun, m. g. Fr., wie fucht denn der Du 
Ei dadurch fucht er fie, daß er feinen Sohn in die Weli 
fandt hat, bamit ber fuche und felig mache, die verloren fin 
Und fo führt der Herr, indem er biefe Worte fagt, den ga 
Bufammenhang der göttlichen Ordnung und ber göttlichen ẽ 
sungen und feine eigene Beflimmung zum Heil der Rei 
ber famaritifchen Frau vor die Seele; wir begreifen aus du 
Worten beides zugleich, zuerfi wie ber Herr fagen und burd ! 
ganzes Leben heilig halten konnte, daß er nicht gefomma 
bad Gefez und bie Propheten aufzulöfen, ſondern zu erfüla‘ 
und dann wie er felbft mit feiner heiligen über allen Bahn : 
Aberglauben erhabenen Seele Theil nehmen konnte an dem 
vollfommenen Gotteöbienfte, der unter feinem Volke bez 
weil er bie richtige Erkenntniß davon hatte, und alfo darız 
das der Welt verborgene ihm aber klare Wort Gottes erfas 


*) uf. 19, 10. ») Matth. 5, 17. 


vw 


275 


id anwenden Tonnte, und alles beziehen auf den großen Beruf, 
n er erfüllen ſollte; und fo fühlte er wie immer fo auch in 
fen Augenbliff, wie er es war, ben ber Bater um zu füs 
en foldhe Anbeter, die ibn im Geift und in ber 
sahrheit anbeten würden, in bie Welt gefandt hatte, um 
n Menſchen den Vater zu zeigen und zu offenbaren, ben er als 
n kannte wie er war *), mit Dem er allein eind war in feiner 
tterfüllten Seele **), und eben deöwegen allein im Stande bie 
sendige Erkenntniß beffelben benen mitzutheilen, die noch in 
m Schatten des Todes faßen ***). 

Und fo, m. g. Fr., werden wir noch näher und tiefer in 
n Sina ber Worte eindringen, Gott im Geift und in 
er Wahrheit anbeten, wenn wir uns dabei erinnern, baß 
x Ausdrukk, Gott anbeten zugleih und urfprünglich ges 
aucht wurde von dem Beugen der Knie und von bem fick 
ieberwerfen zur Erbe; biefer demüthige Sinn ber Anbetung 
rd Verehrung ift in jenen Worten vorzüglich ausgedruͤkkt. 
3enn alfo ber Herr fagt, Die wahren Anbeter, die follen Gott 
eil er Geift ift im Geiſt und in der Wahrheit anbes 
ın, fo meint er Damit zuerft, daß der innerſte Geiſt des Mens 
ben ſich demüthigen fol vor Gott und fich beugen vor ihm, 
ber indem er dies fagt, fo flelt er und Gott nicht vor 
8 den allmächtigen Schöpfer Himmeld und ber Erben, nicht 
8 ben allgegenmwärtigen Lenker aller Dinge, fondern ald den 
zater. Sf er nun ber Water, fo find wir die Kinder, und 
ie der Herr gekommen iſt zu fuchen und felig zu machen waß 
erloren war, fo ift died denn nichtd anders, ald daß er denen, 
e an feinen Namen glauben, die Macht giebt Kinder Gots 
3 zu werben ***). Eine innigere Werwandtichaft giebt es 
icht als zwiſchen Water und Kind. “Sollen wir nun Gott an⸗ 





9 Matth. 11, N. — Joh. 10, 20. Matth. 4, 16. 
-., op, 1, 12. 
S2 


276 


beten und und vor ihm beugen im Geiſt, fo koͤnnen mir & x 
indem wir ihn ald den Vater anfehen und un: ı 
die Kinder, und und fo auf da3 innigfle mit ihm verein 
Darum ift es auch der Geifl, wie der Apoftel fagt, dern: 
ruft, Lieber Water *), der Geift Gottes ift es, in mei 
wir Gott ald unfern Water anbeten können, und bie allkıı 
die Anbetung im Geifl. 

Aber warum denn eben in biefem Gott fo innig ven: 
ten Geifte die demüthige, bie ſich beugende, die ſich nice: 
fende Verehrung? warum nicht die zärtliche Sreude des Ku 
an bem Vater? 

Fragen wir und, m. g. Fr., was beugt und dem zı 
vor Gott, obwol wir ihn ald unfern Water befennen unt ' 
fen? fo ift es ja nichts anders als die Sünde, dad Bewri⸗ 
ber Sünde! das ift e3, was und niederwirft vor Gott, wei 
gen wir und im innerflen Geifle und in der Kraft bes & 
beugen follen vor ihm. Und eben die Bewußtſein der Ei 
das fol wahr fein in uns, und darum fagt ber Erlöie, 
wahrbaftigen Anbeter, die follen ben Water anbeten 
Geift und in der Wahrheit. Dad Bewußtfein der Zu 
war auch in jenen Zeiten bes alten Bundes und lag i 
Grunde allen jenen Opfern und Gebeten und heiligen Gen 
Sen, die das Volk Gottes verrichtete; aber weil es mehr: 
bem aͤußerlichen verbunden war und heil hatte an dem = 
fhen, weil alle jene Opfer und Sühnungen und Reinige:; 
fih auf dad leibliche bezogen nicht auf das geiftige, fo war 
eben nicht bie rechte Wahrheit und die Anbetung in? 
Bahrheit. Der Herr aber fagt, Wir follen und vor 6 
bemüthigen in ber Wahrheit. Aber ed konnte auch = 
eher ein ſolches lebendiges und wahres Bewußtſein der eo 
entfiehen, und eben deswegen Feine ſolche Anbetung im Gei 








) Nm. 8 15. 


| XxXI. 
Am Sonntage Laetare 1824. 


Text. Joh. 4, 25 — 34, 

Spricht das Weib zu ihm, Ich weiß, daß Meffias 
kommt, der da Chriftus heißt. Wenn berfelbige kom⸗ 
men wird, fo wird er ed und alled verfündigen. De 
ſus fpricht zu ihr, Ich bin es, der mit dir redet. Und 
über dem kamen feine Zünger, und ed nahm fie wun» 

“der, Daß er mit dem Weibe redete. Doch fprach nie 
mand, Was fragft du? oder, was rebeft du mit ihr? 
Da lieg das Weib ihren Krug flehen und ging hin in 
die Stadt und fpricht zu den Leuten, Kommt, fehet 
einen Menfchen, der mir gefagt hat alles, was ich ge 
than habe, ob er nicht Ehriflus fei? Da gingen fie 
aus der Stadt, und famen zu ihm. Indeß aber er: 
mahnten ihn die Sünger und fprachen, Rabbi, if. Er 
aber fprach zu ihnen, Ich habe eine Speife zu eſſen, 
da wiffet ihr nicht von. Da fprachen die Jünger uns 
ter einander, Hat ihm jemand zu effen gebracht? Je⸗ 
ſus Spricht zu ihnen, Meine Speife ift die, daß ich thue 
den Willen deß, der mich gefandt hat, und vollende 
fein Wer. 


! 


278 


felem auf die heilige Stätte, wo ber Herr gelitten zub me 
feinen Geiſt zur Verſoͤhnung des menſchlichen Geſchlechts is ı 
Hände des himmliſchen Vaters befohlen hat). Aber midt ' 
das für bie Chriſten eine Höhe werden, wo fie hingehen iel 
er Weile um den Herm anzubeten; nein unſere Anbetun: 
kann und fol bleiben die Anbetung im Geift und in! 
Wahrheit. Wir haben ihn unter und, und nach feiner qm 
gen Verheißung will er unter und bleiben bis an bad Ende 
Tage **), er ift unter un wo zmei ober drei in feinem Ra 
verfammelt find »), umb er if alfo noch mehr umter mi 
den gemeinfamen Stätten, wo wir und verfammeln um um; 
flärfen in dem lebendigen Glauben an ihn und im zeiner d 
licher Liebe. Und fo möge er und denn inmmer mehr bie S 
ſchenken, in ihm und durch ihn den Bater anzubeten 
Geif und in der Wahrheit! Amen. 


*) eut. 23, 46. 2) Matih. 2, 20. ., Matth. 18, 2 


| XXI. 
Am Sonntage Laetare 1824. 


Text. Joh. 4, 25 — 34, 

Spricht dad Weib zu ihm, Ich weiß, daß Meſſias 
kommt, der da Chriftus heißt. Wenn berfelbige kom⸗ 
men wird, fo wird er ed und alled verfündigen. Je⸗ 
ſus fpricht zu ihr, Ich bin es, der mit dir redet. Und 
über dem kamen feine Zünger, und ed nahm fie wun» 
der, daß er mit dem Weibe redete. Doch ſprach nie 
mand, Was fragfl du? oder, was redeft du mit ihr? 
Da ließ das Weib ihren Krug flehen und ging hin in 
die Stadt und fpricht zu den Leuten, Kommt, fehet 
einen Menfchen, der mir gefagt hat alles, was ich ge 
than habe, ob er nicht Chriſtus ſei? Da gingen fie 
aus der Stadt, und kamen zu ihm. Indeß aber er: 
mahnten ihn die Sünger und fprachen, Rabbi, if. Er 
aber fprach zu ihnen, Ich habe eine Speife zu effen, 
da wiffet ihr nicht von. Da fprachen bie Jünger uns 
ter einander, Hat ihm jemand zu effen gebracht? Se: 
ſus fpricht zu ihnen, Meine Speife ift die, daß ich thue 
ben Willen de, der mich gefandt hat, und vollende 
fein Wer. 


230 








MM... x Da der Erlöfer ber famaritifchen Frau es 
was nahe bevorfichendes verfünbdigte, daß man wweber in 
falem noch auf dem Berge Garizim würbe ben Herm 
(B. 21.), fo dachte fie ſchon von felbfl, wie fie denn unterd 
war von ben Hoffnungen bed Volks, die in ber Echrü 
gründeten, unb gewiß auch theilnehmend baran, daß fie ie 
füllung gehen würden, bald werde bie ſchoͤne Zeit des 
Reiches Gottes auf Erben kommen, und darum fagt fie, d 
fie nicht weiter will in den dringen, ben fie ſchon als einen 

pheten erfannt hatte (WB. 19.), um fih näher erklären zu 

‚ wie er ed meine, daß man ſchon jezt folle ben Water anbea 
Geiſt und in der Wahrheit (WB. 24.), darum fagt fie, Sch wi 
aud, daß der Meffiad fommt, der da Chriſtus heil 
wenn berfelbige fommen wird, fo wirb er es: 
alles verfündigen. Der Herr aber fagt zu ihr, Id! 
ed, der mit dir redet. 

Dad, m. g. Fr., war feiner gewöhnlichen Weiſe cher : 
gegen ald gemäß. Denn wir lefen ed öfter fowol wenn er! 
Menſchen wunderthätige Hülfe geleiftet hatte, weähalb fe: 
für den erwarteten Meſſias erkannten, dag er ihnen verb« 
foüten e& niemandem fagen *), ald auch, wenn feine Zünge! 
Bekenntniß ihres Glaubens abgelegt batten, fie hielten ibn i 
mer noch für den der ba kommen follte, fo verbot er es ih 
fie follten mit niemandem bavon reben **). Hier aber fast 
zu der Frau felbft unaufgefordert und von freien Stuͤkken, 
bin ed, der mit dir redet. Er wollte ihren angefanze 
Glauben — denn dad war doch ein Anfang deflelben, daf 
ihn erfannte für einen Propheten und bei ihm Belehrung fu 
über die wichtigften geiftigen Angelegenheiten — vielen Id 
angefangenen Glauben wollte er nicht ſich ſelbſt überlaffen. i 


) Marl, 6, 43. 7,3. 9,9% ”) Matt. 16, 20. 


283 


foräch mit dem Herrn fortfegen, fondern ließ ihren Krug und 
dad Geſchaͤft, um beffentwillen fie gekommen war, und lief m 
Die Stadt hinein, wie der Evangelift fagt, um den Männern 
derfelben zu fagen, Kommt und fehet einen Menſchen, 
der mir gefagt hat alled was ich gethan habe, ob er 
nicht Chriſtus ift. 

Sie geht nun denſelben Weg, den der Erloͤſer mit ihr ge⸗ 
gangen war. So wie ſeine unbegreifliche Bekanntſchaft mit den 
Verhaͤltniſſen ihres Lebens fie zuerſt auf eine ſolche Weiſe auf 
merkſam gemacht hatte auf ihn, daß fie etwas höheres und mehr 
ald einen gewöhnlichen Lehrer der Schrift in ihm fuchte: fo 
theilte fie nun auch den Männern ihrer Stadt zuerfi badjenige 
mit, was fie felbft zuerſt ergriffen hatte. Aber wie verftändig 
ift fie auch hier. Sie fordert nicht, daß fie deswegen ſchon glau⸗ 
ben follen dag er Chriftus fei, fie fagt ihnen auch nicht wieder, 
er ſelbſt habe fich dafür audgegeben, fondern will es nur ihrer 
Prüfung anheimftelen; die erſte Veranlaſſung theilt fie ihnen 
mit und benft, gehen fie hinaus und hören und fehen ihn, fo 
wird es ihnen eben fo gehen wie mir; die Gewalt feiner Rebe, 
der tiefe Blikk feined Geiſtes in das innere des Herzens, die 
höhere Wahrheit feined Wortes, die ganze Göttlichfeit feines We⸗ 
ſens wirb fie überzeugen zuerft, daß er ein Prophet fei, wie ich 
ihn dafür erfannt habe, und dann wird fich von felbfl zeigen, ob 
fie fih auch dafür bekennen werben, baß er derjenige fei den fie 
alle erwarten. 

Das, m. g. Fr., bad ift der Weg der natürlichen Einfalt 
bed Herzens in ber Werbreitung des Weges zur Seligkeit, fidy 
zu berufen auf die eigene Erfahrung und andere fo viel als 
möglich zu veranlaffen, daß fie diefelbe auch machen mögen; das 
ift der Weg, den der Erlöfer ſelbſt vorfchreibt, indem er fagt, 
Mer meine Lehre thut, der wird wol inne werben, ob fie von 
Gott fei, oder ob ich von mir felbft rede’). Erft durch die weis 





2 


”) Joh. 7, 17. 





284 


tere Fortſezung des lebendigen Verkehrs mit dem Eridier oe 
feiner ganzen Wirkſamkeit in der menfchlihen Seele kam % 
ber Slaube an ihn allmälig befefligen; anfangen aber kam 
mit nichts anderem ald mit ber Erfahrung davon, daß aw: 
befondereö unb bedeutendes in ber Seele vorgegangen if; alı 
andere kann eine Veranlaſſung fein ihn zu flärfen und imm 
mehr zu beleben, aber es kann Fein Grund des Glaubens w 
Fein Beweis feiner höheren Würde fein. 

Belonderd aber war bad nun ber Weg, ber am beſten « 
Hand einer Frau, bie nicht Anſpruch machen konnte auf ci 
folche Weile wie die Männer ihrer Stadt nach der Sitte u 
Ordnung der damaligen Zeit unterrichtet zu fein. In welde 
guten Hufe fie aber fichen mußte unter den Männern ih 
Stadt, daB fehen wir daraus, daß auf dieſes einfache Wort i 
fon hinauögingen um zu fehen, wie viel an bem fein möı 
was fie verfünbigte. 

Die Jünger aber, bie unterbeß berbeigefommen war 
wunderten ſich, baß der Herr mit einem Weibe ı 
bete. Späterbin müffen fie ſich wol baran gewöhnt haben, de 
da finden wir in ben Erzählungen der Evangeliften ben Hm 
öfters in ber Gefelihaft von Frauen; bald am Anfange fen 
öffentlichen Lebens aber war es noch etwas neued, wie es ba 
auch abwich von ber Weiſe der bamaligen Lehrer bes Boll 
die ed immer nur mit ben Männern zu thun hatten, und wi 
auch von allem, was ben Unterricht in dem göttlichen Worte un 
bie Uebungen des Gottesbienfte® betraf, bad andere Geſchleqh 
viel weiter entfernt war ald dad männlihe Diefe Orbnum 
konnte der Erlöfer in feinem Weiche nicht beftchen laffen. D 
das, worauf er dad Heil der Menſchen grünben-wollte, fo gas 
dad innerfie des Gemuͤthes betraf, fo konnte ex diejenigen nid 
überfehen oder zuruͤkkſtellen hinter die arbern, welche den cıfla 
bedeutenden Einfluß auf das junge menſchliche Gemüth aus 
üben; fonden er mußte barin eine neue Ordnung fliften um 


285 


eine größere Gleichheit herſtellen zwifchen beiden Theilen bes 
menſchlichen Geſchlechts. Dazu bat er denn ben Anfang ges 
macht ganz ſtill im Beinen und einzelnen, indem er fich, wo hin: 
reichende Gründe und dringende Veranlaffungen bazu waren, 
aud im einzelnen mit Frauen einließ und fie in den Kreis ſei⸗ 
ner Bekanntſchaft und Freundfchaft hineinzog. Dabei aber foll 
doch beſtehen und befleht immer noch in ber chriftlichen Kirche 
bie Ordnung, welche der Apoftel Paulus, wie er ſagt, geftiftet 
bat, daß nämlich bie Frauen ſchweigen follen in der Gemeine”). 
An dem Kreife bed häuslichen Lebens follen fie ihre Wirkſamkeit 
ausüben, ihre Belehrung koͤnnen fie fchöpfen aus derfelben Quelle 
mit andern, und fie haben gleiched Recht an allen göttlichen 
Gnadenweifungen und an allem wad helfen Tann das menſch⸗ 
liche Herz erbauen auf dem Grunde des Glaubens; ihre Wirk: 
ſamkeit aber, die darf Feine öffentliche fein, fondern muß auf den 
Kreis von Gefchäften fich befchränten, der ihnen durch die Nas 
tur und durch die göttliche Ordnung in der Natur angewielen 
ifl. Aber wie der Here auf jenen Ausruf, Selig ift der Leib, 
der dich getragen, und die Bruſt, die du gefogen haft, antwor: 
tete, Selig find die Gottes Wort hören und bewahren **): fo 
wollte er dad befonderd auch auf bad weibliche Gefchlecht ange 
wendet wifjen, Selig find die mein Wort hören und fo bewah⸗ 
ren, daß ihnen Feine Gelegenheit zur ftillen Wirkſamkeit in dem 
Kreife des Haufes und in dem vertrauten freundfchaftlichen Les 
ben mit andern unbenuzt vorübergeht, die es fo bewahren, baß 
fie e8 durch ihr ganzed Dafein verfündigen, und dag man fieht 
und gewahr wird, wie fie von demfelben durchdrungen find. 
Ehe aun die Männer aud der Stadt famen, rebeten bie 
Zünger dem Erlöfer zu, fo wie er fie vorher in die Stadt ges 
ſchikkt hatte um Speife zu kaufen, daß er nun auch Gebrauch 
davon machen möchte. Da fagt er zu ihnen, Ich habe eine 


31 Tim. 2, 12, 1Kor. 14, 2. ”) £ub 11, 27. 28. 





286 


Speife zu effen, dba wiffet ihr niht von. Naddem ü 
nun unter einander wahrfcheinlidy ben einen ober bie zwei, S 
bei dem Erlöfer geblieben waren, während fie ſelbſt Speile a: 
ber Stadt holten, gefragt hatten, ob ihm unterdeß jemand Er 
gebracht habe: fo öffnete er ihnen ben Sinn feiner Rebe, J 
babe eine Speife, das ift die, daß ih thue den Bi 
len deß der mi gefandt hat und vollende fein Bıı 

So wie es ihnen etwas neued und fremdes war, daf ! 
Herr mit einer Frau geredet hatte, fo hatten fie auch Feine & 
anlaffung fi) glei den Sinn feiner Worte auf das geiftige 
deuten. Der Herr aber war in feinem Gemüthe voll von de 
was er gethan hatte; er wußte, daß fich nicht nur in einer Su 
ber Glaube, ber zum Seile führt, entzündet hatte, fondem 
wußte, daß derfelbe auch ein Werkzeug fein würbe für die m 
tere Verbreitung der Kunde davon, daß der Meliias da fe; 
ſah fich ein neues Feld eröffnet für feine Wirkſamkeit, ein $t 
auf welchen er hoffte reiche Frucht zu gewinnen. Wie recht 
daran hatte, dad fehen wir aus dem Grfolg nicht nur — | 
wie der Evangelift in bemfelben Gapitel erzählt, daß vide u 
berfelbigen Stabt an den Herrn glaubten nidht nur um d 
Weibes Rede willen, fondern weil fie felbft ben Erloͤſer gehe 
und als einen foldyen erkannt hatten (WB. 42.), — fondern ax 
mehr leſen wir in ber Folge von ber Wirkſamkeit des göttliche 
Wortes unter ben Samaritern in ber Gefchichte der Apoſtel 
Denn da warb bald in der erfien Zeit nach dem Pfingflfeft ne 
vor der Berufung bed Apoſtels Paulus ben Apoſteln in Seal 
lem hinterbracht, daß Samaria dad Wort Gotted angenommd 
babe. Es waren freilich damals Philippus und noch einige a8 
dere nach der Verfolgung bed Stephanus in jene Gegenden g 
kommen und hatten bort dad Evangelium verkuͤndigt. Bei 
aber biefer Grund nicht fchon von dem Herrn feibfl gelegt mW 


”) Apoßeigefli. 8, 5. 14 tod. 


287 


ben wäre, fo würbe wol biefer Erfolg nicht daraus bervorgegan« 
gen fein. Und um fo bebeutenber mußte dies dem Erloͤſer er. 
Icheinen, ald ja, wie er darum gefommen war jebe Scheibewand 
niederzureißen *), bie den Segen feiner Erfcheinung auf Erben 
hemmen Eonnte, fo auch hier eine Scheidewand niedergeriffen 
werben mußte, weldye zwilchen ben Zuden und Samaritern bes 
fand; und nachdem fie felbfl, die Samariter, ſich mit feinen 
Juͤngern vereinigt hatten in bem Glauben, er fei der ba kommen 
folle, und daß von ihm allein Heil zu erwarten fei für die Men: 
chen, fo konnte auch jene Scheidewand nicht länger befichen. 
Darum war fein Herz voll davon, und wie ed immer für das 
Erfültfein der Seele von dem göttlichen und guten ber kraͤftigſte 
Beweis ift, dag der Menſch in einem folchen Zuſtande des erhoͤ⸗ 
heten Herzens feine irdiſchen Bebürfniffe vergißt, fo beburfte auch 
der Erlöfer der Speife nicht mehr, fondern fagte zu feinen Juͤn⸗ 
gern, Sch habe eine Speife, davon ihr nicht wiffet, 
nicht als ob fie diefe geiflige Speife wirklich nicht gelannt hät 
ten, fondern wie ber Herr ganz unerwartet in dem innerften feis 
ned Gemüthd ergriffen war durch ben glüfflihen Erfolg einer 
halben Stunde, davon wußten fie nichtd, und wiewol fie erfl 
nur fragende Worte einer an den andern gerichtet hatten, fo was 
ren fie doch nicht fo ganz eingeweiht in bie heilige Weile feiner 
Wirkſamkeit unter den Menſchen. 

Hier, m. g. Fr., verweilen wir wol befonderd bei biefen 
Morten ded Erlöferd, Das ift meine Speife, dag ich thue 
ben Willen deß, der mich gefandt bat, und vollende 
fein Werk. Darin fand er die Befriedigung feined Herzens 
und bie Sättigung feined Geiſtes. Hier nun war ein Anfang 
gemacht an einem Orte, wo vielleicht menfchlicher Weile am wes 
nigften war zu erwarten geweſen, etwas zu fördern in der Sache 
des Erlöferd und für dad Werk zu wirken, wozu ihn Gott ges 


») Eph. 2 1. 





288 


fanbt hatte. Seine Seele aber blieb nicht bei dem einzelnen 
Eindrukk flehen, er betrachtete immer nur bad ganze in feinem 
ewigen und unzertrennlichen Zufammenhang und fagte, Das if 
meine Speife, daß ih in jedem Augenblikk meines 
Lebens den Willen deffen thue, der mich gefandt hat, 
und daß ich vollende fein Werk. 

Wie er es aber vollenden mußte, dad war ihm nicht ver: 
borgen, fonbern er wußte es wol, und auch diefe erfreulihe Be 
gebenheit konnte nicht anders ald ihn eben darauf zurüffbringen. 
Denn wenn nun feine Gegner unter den Schriftgelehrten und 
Aelteften des Volks ihm das fchon zum Vorwurf und zum Wer 
brechen machten, er gehe um und habe Gemeinfhaft mit den 
Zoͤllnern und Sündern, wie viel mehr noch dann wenn fie hör 
ten, daß er mit den Samaritern umgehe, wie wir auch finden, 
daß fie in der Heftigkeit des Streites ihm felbft diefen Vorwurf 
machten *). So wußte er, wie alled, was er that um ben Wil: 
len Gotted zu vollbringen und fein Werk zu fördern, das eine 
mehr und unmittelbarer ald dad andere, ihn dem Biele entgegen: 
führen müffe, welches ihm bevorftand, weil er nur auf diefe Art 
bad Werk feines Vaters vollenden konnte. Indem er aber ben: 
noch aus dem Keime bed göttlichen Worted, ben er bier in eine 
Seele pflanzte, hHundertfältige Früchte hervorgehen fah, bie ber 
felbe ſchon in den nächften Stunden tragen follte, fo dachte er 
daran, daß dad Weizenkorn doch allein fei fo lange es über ber 
Erde bleibe, und daß ed erft erfterben muͤſſe um reiche Frucht zu 
tragen **). Aber flatt daß ihn dies wehmüthig machen follte 
und betrüben, fo war ed weit entfernt den Frieden feines Her: 
zens zu flören, ſondern indem er bavon rebete, ſprach er es aus, 
daß er ganz gefättigt fei in der Tiefe des Gemuͤths und Feine 
andere Speife begehre, weil er eine Erfahrung davon gemacht, 
daß er dad Werk vollendet habe, welches ihm fein Water über 


Joh. 8, 48. *) Io, 12, 24 








289 


geben, und Leiden und Tod rechnete er mit ein in die Befriedi« 
gung feined Geifted und befümmerte fih, indem er jeben Au« 
genblikk den Willen Gottes zu thun bereit war, nicht Darum, 
wohin ihn felbft dad führen werde. | 

Wie könnten wir wol, m. g. Fr., in biefer Zeit; wo wir 
ganz befonderd dad Andenken an dad Leiden bed Erlöferd feiern, 
es auf eine befondere Weife unbeachtet laffen, wie er auch hier 
in dem innerften feined Herzens feined Leidens gedenkt, und wie 
fi) fein Herz in der Herrlichkeit ded eingeboren Sohnes vom 
Vater auch darin zeigte, Daß alled, was ihm menfchlicher Weife 
begegnen folte, nicht im Stande war, bie Freudigkeit feined-ins 
nern bei ber Erfüllung feiner Pflichten und in ber Förberung 
des Reiches Gottes zu flören. O diefen Sinn follen auch wir 
alle in und nähren und befefligen und wohl wiffen, daß feiner 
in der That und Wahrheit den Willen feines und unfered himm⸗ 
lifchen Waters erfüllen kann, der, indem er arbeitet und Die Hand 
an den Pflug legt, doch wiederum zurüßljieht *), der fich bedenkt 
in irgend einem wichtigen und bebeutenden Falle, wohin ihn das 
wol führen werde, wenn er treu und gehorfam ber innerften 
Weberzeugung feined Herzens, bem und dem allein folgt, was er 
als den Willen deffen erkannt hat, in welchem der Herr auf eine 
urfprüngliche Weife und mit ihm und durch ihn in und allen 
gervefen if. Wie Fönnten wir glauben, bag wir in wahrer Ans 
dacht und Dankbarkeit des Herzens dad Leiden des Herrn feiern 
fönnen, wenn wir nicht unfere Gefinnungen gereinigt haben und. 
demjenigen geweiht, der fich felbft in feinem ganzen Leben zu 
heifigen für uns **) auch in biefen Worten auöfpricht. 

Aber, m. g. Fr., wenn wir denn auch dazu beitimmt find, 
den Willen unferes Waters im Himmel dadurch zu erfüllen, bag 
wir jeder an feinem Orte dad unfrige thun um fein Reich zu 
fördern umd denjenigen den Denfchen zu verfündigen, in beffen 


*) Luk. 9, 62. +) Joh. 17, 19. 
Som, üb. Ev, Joh. I, J 


290 


Namen allein und in feinem andern Heil gegeben iR ';: ı 
laßt uns auch eben fo, wie der Herr hier gethan hat, mit im 
Liebe den Seelen der Menfchen, die ſich uns öffnen fünne, u 
gehen, und wenn fie bewegt werben und gerührt burd dick 
lichkeit bed Meiched Gotted, welches wir ihnen vorhalte, 
mit diefer Frau in dieſem Xerte fagen, Ja wir wife, c 
ober fpäter wirb eine Zeit kommen, wo ſich die Menſchen 
höheren Güter erfreuen werden, dann eben fo wie der Her 
jemer Frau fo zu ihnen fagen: biefe Zeit iſt nicht mehr fen, 
dern fie il da: er ift e3, von bene wir euch reden, ben wir: 
verkündigen, er ber fich felbft gebracht hat, und wenn ih ı 
tm Glauben und in ber Liebe mit ihm verbindet, fo fömt 
fie fefthalten. 

Sp, m. g. Fr., folen wir den Seelen der Menſchen s 
gehen, aber wir koͤnnen dies auch nur, wenn wir eben fe! 
wie der- Erlöfer in unferem Beruf, eben fo begierig wie m: 
durch die geiflige Speife zu fättigen, eben fo treu dem Bi 
bed Waters im Himmel jeden Augenblikk, den und ber en! 
gönnt, und jebe Gelegenheit, bie er uns darbietet, welche fi < 
fein möge, benuzen zur Verherrlihung feines Rammd. Zi 
möge ex und flärlen durch feine Gnade und möge es geben, 
wis und alle fo gefättigt fühlen, bag wir mit bem Herm ii 
hen mögen, Ich habe eine Speife, bavon ihr nid ® 
fet! Amen. 


I Mofteigefä. 4, 12. 


XXII. 


Am Sonntage Palmarum 1824. 


7 ext. Joh. 4, 35 — 22, 


Sagt ihr nicht felber, Es find noch vier Monate fo 
kommt die Ernte? Siehe, ich fage euch, hebet eure 
Augen auf und fehet in das Feld, denn es ift ſchon 
weiß zur Ernte; und wer ba fchneibet, der empfänget 
Lohn, und fammelt Frucht zum ewigen Leben, auf bag 
fi) mit einander freuen der da füet unb der da fchneis 
bet. Denn bier iſt der Spruch wahr, Diefer fäet, ber 
andere fchneibet. Ich habe euch gefandt zu fchneiben, 
dad ihr nicht habt gearbeitet; andere haben gearbeitet, 
und ihr feid in ihre Arbeit gelommen. Es glaubten 
aber an ihn viele der Samariter aud derfelbigen Stabt 
um bed Weibes Rede willen, welches da zeugte, Ex 
bat mir gefagt alled, was ich gethan habe. Als num 
bie Samariter zu ihm kamen, baten fie ihn, bag er 
bei ihnen bliebe; und er blieb zween Tage ba. Und 
viel mehrere glaubten um feines Worte willen und 
forachen zum Weide, Wir glauben nun binfort nicht 

x 2 


292 


‚um deiner Rede willen, wir haben ſelbſt gehönt 
erfannt, daß dieſer iſt wahrlich Chriſtus, der 
Heiland. 
M. a. Fr. Als die Juͤnger aus der Stadt, wohin fie m 
gen waren Speife zu Faufen, zurüfffamen zu bem Hem, 
bei ihrem Anbliff die famaritifche Frau ihn verließ: da fag 
zu ihnen, wie wir ſchon neulich gefehen haben, indem fie ih 
mahnten von ber mitgebrachten Speife zu genießen, 34 
eine Speife, ba wiflet ihr nicht von, meine Speife if die, 
ih thue ben Willen de, der mich geſandt bat, und wi 
fein Berk (WB. 32 — 34.). Denn er wußte wohl, was fü 
fegendreicher Erfolg ihm an dicfem Orte bevorfland, und d 
war feine Seele fo erfüllt, daß er an das irbifche Beduͤrfrij 
Augenbiiftd nicht weiter dachte; und fo fährt er nun in | 
Nede zu feinen Juͤngern fo fort, wie wir eben gelefen habe 
Der Evangelift erwähnt in ber weiten Erzählung, w 
denn freilich überall genöthigt iſt abzufürzen, dem große 
reichen Stoff feiner Rebe; aber er erwähnt nichts weiter ve 
nem Antheil, den bie Juͤnger bed Herm an biefem Erik 
der famaritifhen Stadt gehabt haben; indefien bie Wen 
Herm lafjen und barüber Feinen Zweifel. Denn er fagt : 
nen, Ich habe euch gefandt zu fhneiden, bad ihr: 
babt gearbeitet; fondern ihr feid gekommen in 
Arbeit anderer. Die Ernte aber 'befchreibt er uns nie: 
ald Genuß und Freude, fondern auch als Arbeit in dem i 
Gottes; und fo müflen wir das nothwendig vorauöfegen, dei 
der Herr fich erbitten ließ zwei Tage in diefer Stadt zu fir 
feine Jünger auch einen thätigen Antheil daran genommm 
ben, in ben Einwohnern diefer Stadt ben gewonnenen Gl 
an den Erloͤſer zu flärken und zu befefligen. 
Davon geht er aus und fagt ihnen benm hier zu, 
für ein Unterſchied fei in allen geifligen Dingen zwiſchen 


.. 29 


uge bed Glaubens und bem der gewöhnlichen Erfahrung. Er 
richt zu ihnen, Ihr fagt gewiß, es find noch vier Mo: 
ate, fo fommt bie Ernte. Das war nämlidy in jenen Ges 
nden faft die ganze Zeit zwifchen der Saat und ber Emte. 
fo ihr glaubt gewiß, daß ed noch weit hinaus iſt, ehe irgenb 
n Erfolg von diefer unferer gemeinfamen Verkuͤndigung des 
eiches Gottes wird zu merken fein; ich aber fage euch, Hebet 
ıre Augen auf und fehet, das Feld ift [hon weiß 
ır Ernte, es ift fehon reif Früchte zu bringen, die gefammelt 
erden koͤnnen zum ewigen Leben. 

Dabei aber macht er fie auch aufmerkfam auf bie Verthei⸗ 
ng, welche im Reiche Gottes Regel und Geſez ift, iadem er 
gt, Ber da fchneidet, ber empfänget Lohn und ſam— 
elt die Frucht ein zum ewigen Leben; aber ed heißt 
ex, Diefer fäet, der andere ſchneidet: fo habe auch ich 
uch gefandt zu ſchneiden, das ihr nit habt gear 
eitet, und ihr feid in bie Arbeit eined anderen ge 
ommen. 

Ueberall, m. g. Fr., iſt e8 um bie Ernte die befchwerlichfte 
xbeit, in welcher die Zrüchte der Erde gewonnen werben, aber 
uch diejenige, welche eben ber Beſchwerlichkeit wegen am reich: 
hften belohnt wird. Darum fagt der Herr nun aud in Bes 
ehung auf die geiftige Ernte, Wer da ſchneidet und bie 
:gucht einfammelt zum ewigen Leben, der empfän: 
et Lohn; freuen aber follen ſich mit einander der ba fäet, 
nd der da fchneidet. Ungleich ift in dem Reiche Gottes 
berall vertheilt die Arbeit und die Mühe, bie Freude aber an 
em Gelingen berfelben fol eine gemeinfame fein, und bie Res 
‚el, die der Here über diefe ungleiche Wertheilung ber Arbeit an: 
iebt, ift eben die, Der eine fäct, Der andere ſchneidet. 

Ganz, m. g. Fr., koͤnnen wir in der gegenwärtigen Zeit 
yied nicht mehr Auf und anwenden. Es giebt ein weited gro⸗ 
Bed und fchöned Feld, und zwar bad, welches grabe am reich⸗ 


& 


294 
fichften Frucht bringt, und wo es doch bei weitem am meiflen 
als die gewöhnliche Regel angefehen werben möchte, ba wer be, 
Pet auch ſchneidet. Das iſt dad große Feld bes Hänslichen kr 
bens und ber Erziehung ber Jugend in ber chriftlicen 
Kirche. Wer da zuerft in bie jungen Gemüther ben Saamer 
des göttlichen Wortes hineinſtreut, der ſaͤet. Wer iſt dad ander 
als eben die Eltern, benen Gott die Kinder anvertraut, unb in 
der Regel haben fie doch auch die Freude zu ernten, zu febe 
wie der geſtreute Saame gebeiht, wie fich ber lebendige Glaube 
und die göttliche Liebe in bem Herzen befefligen, wie ein em 
pfängliches Leben ſich daraus geftaltet, und wie das wieber fruch 
bar wid um das Gebiet des göttlichen Reiches zu mehren m 
ben Preis des Herm zu verfündigen jeder nach feiner Weiſe um 
in feiner Art. Da fchneiden alfo aud, da haben ben Loba 
und die Sreude der Ernte diefelben, welche gefäet haben. 

Aber body, m. g. Fr., tft auch hier wieder von einer ander 
Seite angefehen das Wort bed Herm wahr. Wer mag fich wel 
überhaupt in geifligen Dingen irgend etwas anmaßen als fen 
eigenes Wert? Weber welcher ſaͤet kann das, nody der welde 
ſchneidet; es iſt alles ein gemeinfames Werk. Wenn nicht de} 
ganze Leben in der chriftlichen Kirche, in der Gemeine bed Hem 
und ‚unterflüzte, wenn nicht zeitig ber gemeinfame Unterricht az 
bem Worte Gottes zu Hülfe käme: die Eltern würden felten in 
Stande fein, den Saamen bed göttlichen Wortes auf Die gehe 
vige Weife in die jungen Herzen zu fam und den Boden berid 
ben fo zu bearbeiten, daß eine fruchtbare Ernte davon zu erw: 
ten wäre. "Und eben fo, che biefe kommt, wie viele muß fid 
da vereinigen um das Gemüth zu bearbeiten. das Unkraut aus 
zujäten, ehe es mit dem Saamen verwaͤchſt, und diefem die Stärk 
und die Reife zu geben, bag Früchte zum ewigen Leben könne 
gefammelt werben. Immer ſchneidet alfo auch Hier, wer nid 
gearbeitet hat, immer tft es wahr, daß der, der nicht gefäet hat, 
erntet, weil Feiner allein etwas von fih ruͤhmen kaun, ſonder 











295 


Ie3 ein gemeinfames Werk ift, und das gefchieht, was ber Apo⸗ 
L ſagt: auf bag nicht etwa fei, der ba pflanzet, noch ber ba 
gießet; fondern alled in allem ber Eine, von welchem aller 
regen und alles Gebeihen kommt *). 

Aber nur gar zu geneigt, m. g. Fr., find wir alle, bie An: 
legenheiten des Reiches Gottes auf Erden nach dem Sprucke 
t betrachten, Es find noch vier Monate, fo fommt die 
rntez wir find alle gar zu geneigt zu viel Werth auf base 
ige zu legen, was wir .felbft fen, und mit weniger Hoffnung 
rd mit ſchwacher Zuverficht: die Ernte einer Zeit zu erwarten, 
‚ie wir noch nicht überfehen, und vor deren Erfcheinung für das 
ewoöhnliche Auge noch manche nachtheilige Begebenheiten eintre 
rı Pönnen, fo daß wir überall wo wir fäen beftändig unficher 
nd und fhwacen Glaubens in Beziehung auf die Ernte. Da 
u und nichts mehr flärten als dad, wad ber Herr hier fagt, 
ch habe euch dafür gefandt zu fohneiden, das ihr 
sicht gearbeitet habt; und wir werben boch geftehen müflen, 
‚a8 iſt überall fein gnäbiger Rath und feine weife Ordnung; 
eder, der ernflli in dem Weinberge ded Herm arbeitet, wird 
wich die herrliche und erfreuliche Erfahrung machen, daß er be 
ufen wird zu ernten, wo er nicht gefäet hat, fondern in eine 
remde Arbeit kommt, um nun noch ben Xheil berfelben zu vers 
richten, ber den meiften Lohn und die unmittelbarfle Freude mit 
rich bringt. i 

Wie wollten wir läugnen, daß fich dies überall fo verhätt? 
Alles gute, was ſich unter und entwikkelt und befefligt, und was 
wir anfehen koͤnnen ald eine gefchnittene und in bie geiftigen 
Scheuer eingefammelte und fo für alle Zeiten feſtgeſtellte Frucht 
zum ewigen Leben, ift bad Werk fremder Arbeit, gebt zurüff in 
frühere Zeiten der chriftlichen Kirche, für und zunaͤchſt in dieje⸗ 
rigen, wo unter und bad helle Licht der chrifllichen Wahrheit 





” 1 Kor, 3, 6-8 


| 296 

wieber angezunbet, wo bad Chriſtenthum befreit worden tft von 
allen willführlichen und verkehrten Menfchenfazungen, die es ver 
unftaltet hatten, und dad Auge bed Geifted wieder geöffnet, um 
ben lebendigen Glauben an ben, der ber Anfänger und Vollen 
der bed Glaubens ijt *), und die reine Xiebe für den, ber uns 
zuerft geliebt hat **) wieder zu erkennen. Da hatte ber Hear 
treue Diener, bie fäeten ohne daran zu denken, ob fie felbfl ers 
ten würden, und wir alle und unfere fpäteflen Nachfommen Eon: 
nen fagen, daß wir in ihre Arbeit gefommen find, und wir em: 
ten jeder in feinent Gefchäft, wad wir nicht gefäet haben, fon. 
bern jene So find mit einander verbunden bie fpatern Ge: 
ſchlechter mit den früheren, und diefe mit jenen, und freuen fel- 
len ſich mit einander die da fäen und die ba ſchneiden, und je 
der, der mit ungemwiffer Hoffnung und mit zaghaftem Gemuͤth 
fäet, der ſoll fich ftärken, indem er dad Auge des Glaubens auf: 
thut und fieht, wie das Feld weiß ift zur Ernte, und fol um 
fich ber fchauen, wie auch er berufen ift zur freubigen Arbeit in 
ber Ernte da, wo er nicht gefäct hat. Zu dieſer gemeinfamen 
Freude an der Ernte follen wir und durch die Gnade Gotte 
immer mehr erheben; dann find wir treue Arbeiter des Henn 
und ihm als folche wohlgefällig. 

Aber, m. g. Fr., wir Eönnen dieſes Wort des Herm nicht 
verlaffen ohne eines andern zu gebenfen, welches und ebenfalls 
unſer Evangelift aufbewahrt hat, ba nämlich der Herr fagt, Das 
Weizenkorn bringt Beine Frucht, wenn es nicht in die Erbe fällt 
und orflirbt; wenn das nicht gefchieht, fo bleibt ed allein; wenn 
es aber erftirbt, fo bringt es viele Fruͤchte **). Damit meint 
er fich felbft und Die geiftige Nothwendigkeit feined Leidens und 
feined Todes, welche wir in biefer Zeit befonderd mit einander 
feiern; und da mögen wir fagen, ba er felbft von fich fipricht, 
Niemand nimmt mein Leben von mir, forbern ich lafle es e), 





2) Ebr. 19,9. 2 1Joh. 4, 19. ver) Joh. 12, 24, 
wer) Sch, 10, 18, ' 309. 14, 24 





299 


ıe große Empfehlung geweien, ber fie gern folgen mochten, 
nlich einen ſolchen aufzufuchen, der und weil er einem andem 
n alles gejagt hatte, was er gethan. Diefe Männer müf 
alfo folche geweſen fein, von denen der Herr fchon in einer 
bern Stelle unferes Evangeliften fagt, Wer aber die Wahr 
t thut, der kommt an das Licht, damit feine Werke offenbar 
den (3, 21.). Denn fo gut der Herr ber Frau alles gefagt 
d gezeigt hatte, was fie gethan, fo konnten fie eben fo, wenn 
zu dem Herrn hinausgehen würden, voraudfezen, baß er auch 
fien würde, was ſie gethan, und ihnen ben reinen Spiegel ber 
‚ahrheit vorhalten von allen ihren Werfen. Wer aber bie 
zahrheit nicht thut, der flieht dad Licht und wandelt in ber 
nfterniß, auf daß feine Werke nicht geftraft. werden. Unb fo 
hen wir wol, das ift der natürliche, der rechte und erſte Ans 
ng bed Glaubens in der Seele, wenn der Herr und alles zeigt 
ad fagt, was wir gethan haben. Wer dad nicht will, ber iſt 
uch noch gar nicht gefchikft den Saamen bes göttlichen Wortes 
ı fi) aufzunehmen, weil er die Wahrheit noch. nicht fucht, und 
he fie zu fuchen koͤnnen wir fie nicht empfangen, wie nahe fie 
nd auch gebracht wird. Aber die Wahrheit fuchen, damit wir 
Ued willen, was wir gethan haben, und gem mit Huͤlfe des 
öttlihen Wortes in die innerfle Ziefe des Gemüths hinein⸗ 
hauen, das ift der erſte Anfang zu aller Werbefferung bed Her⸗ 
end, die erfte Regung des göttlichen Lebens in der menfchlichen 
Seele. 

Und, m. g. Fr., fo ift der Herr, und fo bewährt er fi 
wch immer. Wer nur ihn gern fucht, wer nur gem’zu ihm 
ritt, dem fagt er auch alles, was er gethan hat. Denn wenn 
vir auf fein heiliged Vorbild fehen, fo wird und in uns felbft 
ede Abweichung von bemfelben Mar, fo zeigt die Wahrheit und 
‚a8 Licht und in und ſelbſt und in andern bie Finfternig und 
yie Zalfchheit, bie dem Lichte und der Wahrheit gegenüberfichen, 
und biefe Erkenntniß unfer ſelbſt und ber göttlichen Wahrheit, 


_ 300 


welche beibe eind und daſſelbe find und burdy ein ymb bidk 
Kraft in und gelegt werben, bie find überall ber rechte Anfım 
des Glaubens. Erſt muß der Menſch wiffen, wie fen ad 
von ber Erfüllung des göttlichen Geſezes, af muß er ſich ick 
in feiner Sünde und in feiner Bebürftigkeit erfeımen, che km 
er das Heil, welches ihm in Chriſto bargeboten wird, nicht m 
lebendigem Glauben ergreifen. Aber woher fol ihm dieſe Er 
kenntniß fommen? Won jedem an und für fi ſelbſt gilt me 
oder weniger bad, was ber Apoflel fagt, daß er Die Wahrte 
aufhält in Ungerechtigkeit *), und nicht die Wahrheit nur, die 
in jedem menfchlichen Gemüthe felbft ifl, denn biefe leidet cha 
und wirb verehrt durch ben Troz und die Verzagtheit N 
menſchlichen Herzens, fondern audy die ewige Wahrheit, die me 
uns tritt in dem Zleifch gewordenen Wort. Die iſt es al 
aud welcher die rechte Erkenntnig der Sünde kommt, die au: 
dad Gele; nur auf eine oberflädhlihe Weile geben kann. ©: 
dad Geſez iſt, ba ift auch die Sünde, aber die rechte und vos 
Tommene Erkenntniß ber Sünde giebt allein bie ewige Wahr 
beit, die in Chriſto liegt, und wir fühlen es diefer Wahrheit auc 
an, daß in ihr die Kraft liegt nicht nur und mit dem Be 
wußtfein ber Sünde zu erfüllen, fondern auch unfer Gemüt) zr 
erneuern, und fellzubalten bei dem, was wir erfannt haben, ur 
uns immer mehr zu befreien von allem, was ber göttlichen Watr 
beit in der Seele zuwider if. Das iſt der Anfang des Glar: 
bens, und bad muß fich bei allen bewähren, welche die Wabt 
heit fuchen. Wer nicht an das Licht bed göttlichen Wortes kom 
men will, auf daß feine Werke geftraft werben, ber ifk auch nee 
nicht reif zum lebendigen Glauben an den Erlöfer, und ber erſt 
Glaube in unferer Scele muß daher kommen, daß wir bie fe 
Ueberzeugung haben, er zeigt und alles, was wir gethan, an fe: 
nem Lichte müfjen wir erkennen, was wir fein follen, einfche, 
was wir find,- fühlen, was und nod, fehlt. 


am 1, 18 . 





301 


Aber freilich, als ber Exlöfer zwei Tage geblieben war 
Derfelben Stadt, da lautete es anders; fie fpradhen zum 
ibe, Wir glauben nun hinfort nicht um beiner Rede 
llen, wir haben ſelbſt gehört und erfannt, daß bie 
eift wahrlih Chriftus, der Welt Heiland. 

Darin liegt nun freilich mehr als nur die Erkenntniß und - 
3 Miffen deffen, was wir alles gethan haben. Die Erfennts 
3 unfer felbfl, die wir auch nur dem Erlöfer der Welt vers. 
nken tönnen, die ift nur der erfle Anfang; aber die Erkennt: 
3 feiner ald des Heilandes der Welt, ald deſſen ber verheißen 
ar und den Gott gefandt hat, bie ift dann das höhere, die ift 
r vollendete Glaube, hinter welchen ber vorige in Schatten zu» 
kktritt. Was wir gethan haben, dad müflen wir zuerft erfens 
n; ja ed ift wol wahr, daß wir ed immer wieder aufs neue 
kennen müffen, um dadurch zugleich auch immer wieder aufs 
eue die Erkenntniß unfer felbft aus ihm und aus feinem 
Borte zu fchöpfen. Aber wir follen nun auch auf ber andern 
Seite immer mehr hinturchdringen zu ber lebendigen Erkenntniß 
hriſti unſeres Heilanded. Wenn einmal der höhere Iebenbige 
Slaube in unferer Seele zu Stande gekommen ift, wenn wir 
n wahrer Gemeinfchaft mit ihn ftehen, fo follen wir nicht mehr 
ins felbft, fondern ihn fehen und erkennen und nun auch immer 
nehr in die heiligen Ziefen feiner Seele fchauen und uns im: 
ner mehr erfreuen an der göttlichen Offenbarung, bie und im 
Hm geworben ift, und an bem göttlichen Antheil, den wir an 
hm haben, und deſſen wir in der Gemeinfchaft mit ihm immer 
mehr theilhaftig werden. Sehen wir dann zurüßf nur auf uns 
allein, ja dann müffen wir und immer wieber von ihm fagen 
laffen alles, wad wir gethban haben, und fo auf neue feinen 
Unterricht und was und von ihm trennt in unfer Bewußtfein 
aufnehmen. Aber das fol immer nur dad Mittel fein uns zu 
ihm zurüßfguführen, zu feiner, bed Heilandes ber Welt, lebendi⸗ 
gen Erkenntniß, zur Erkenntniß der überfchwänglichen Offenbarung, 


302 


Gottes im ihm, ber Herrlichkeit bed Vaters, bie und burd ie 
"aufgegangen ifl, und bed ewigen Lebens, zu voeldhem jcher de 
an ihn glaubt, hier ſchon hindurchdringt ). | 
Das, m. g. Fr., iſt die rechte Ernte, das iſt die Frucht, de 
gefammelt wird zum ewigen Leben, und mit welcher wir dam 
zugleich ſchon daB ewige Leben haben unb genießen. Ex if « 
allein, der gefüet hat, und bem allein Ruhm und Preis für alı 
dieſe Früchte zum ewigen Leben gebührt, er iſt es, ber indem c 
auf Erben umberging um bad Reich Gottes auf Erben zu grins 
ben, und ſich freute über jeben beginnenden Glauben ber Re 
fihen an dad Himmelreich, welches ex ihnen brachte, es ad 
wußte, daß bad Weizenkorn erſt in die Erbe fallen muͤſſe un 
erfierben um viele Frucht zu bringen, unb daß er bereit ia 
müfle durch Leiden und Tod bindurchzugehen, um baburd de⸗ 
ewig genuͤgende Heil der Welt zu gründen, über welches bins 
eb kein höheres giebt. Ihm alfo, ber fich felbft gefäet und zum 
Heil der Welt dahingegeben bat, fei Preis und Dank für ie 
Frucht zum ewigen Leben, die wir ſelbſt genießen, unb bie wr 
einfammeln in feine Scheunen, um dadurch fein Reich auf Eike 
zu vermehren! Amen. | 


Joh. 5, 24 














XXIM. 
Am Sonntage Jubilate 1824. 


Text. Joh. 4, 43 — 54, 

Aber nach zween Tagen zog er aus von bannen, 
und zog in Galildam. Denn’er felbft, Iefus, zeugte, 
bag ein Prophet daheim nicht gilt. Da er nun in 
GSaliliam kam, nahmen ihn bie Baliläer auf, bie ge 
feben hatten alled, wad er zu Jeruſalem auf dad Feſt 
gethan hatte. Denn fie waren auch zum Feſte gekom⸗ 
men. Und Jeſus kam abermal gen Kana in Galilda, 
ba er das Wafler hatte zu Wein gemacht. Unb ed 
war ein Königifcher, de Sohn lag krank zu Kaper 
naum. Diefer hörte, daß Jeſus kam aus Serufalem 
in Galilaͤam, und ging bin zu ihm und bat ihn, daß 
er hinab Täme und hälfe feinem Sohne; denn er war 
todtkrank. Und Jeſus fprady zu ihm, Wenn ihre nicht 
Zeichen und Wunder fehet, fo glaubet ihr nicht. Der 
Königifche ſprach zu ihm, Herr, komm binab, ehe denn 
mein Kind flirbt. Jeſus fpricht zu ihm, Gehe bin, 
bein Sohn lebt. Der Menfch glaubte dem Wort, das 
Jeſus zu ihm fagte, und ging bin. Unb indem er 


302 


Gottes in ihm, ber Herrlichkeit des Waterd, bie und durch ihn 
‚aufgegangen ift, und des ewigen Lebens, zu welchem jeber, be 
an ihn glaubt, bier fchon hindurchdringt *). 

Dad, m. g. Fr., iſt die rechte Ernte, das ift die Frucht, bie 
gelammelt wird zum ewigen Leben, unb mit welcher wir bamı 
-zugleich ſchon das ewige Leben haben und genießen. Er iſt es 
allein, der gefüet bat, und bem allein Ruhm unb Preis für alle 
dieſe Früchte zum ewigen Leben gebührt, er iſt es, ber indem er 
auf Erben umherging um bad Reid) Gottes auf Erben zu grün 
ben, und fich freute über jeben beginnenden Glauben der Ma: 
ſchen an dad SHimmelreich, welche er ihnen brachte, es auch 
wußte, daß bad Weizenlorn erft in die Erbe fallen müffe und 
esfterben um viele Frucht zu bringen, und baß er bereit fein 
müffe durch Leiden und Tod bindurchzugehen, um dadurch das 
ewig genügende Heil der Welt zu gründen, über welches hinaus 
ed kein höheres giebt. Ihm alfo, ber fich felbft gefüet und zum. 
Heil der Welt dahingegeben bat, fei Preiß und Dank für jede 
Frucht zum ewigen Leben, die wir felbft genießen, und bie wir | 
einfammeln in feine Scheunen, um baburd) fein Reich auf Erben 
zu vermehren! Amen. 


Joh. 5, 24. 





305 


uͤkklich, Er habe felbfi bezeugt, ein Prophet gelte 
ichts in feinem Vaterlande, welches er und alfo auch 
zt noch ald den Grund zu diefer Veränderung angiebt. Auch 
ebei fchon haben wir manches zu bemerken. Der Herr war 
ıf dem Wege aus Judaͤa nach Galilaͤa geweſen, diefer Weg 
ihrte ihn durch das famaritifche Land, und da war ihm jened 
freuliche begegnet, was er gewiß mit herzlicher Dankbarkeit ge⸗ 
en Gott aufgenommen hat, daß ihm Gelegenheit gegeben war 
nen fruchtbaren Saamen des göttlihen Wortes auszuſtreuen in 
ner Gegend, die eigentlich weniger ein unmittelbarer Gegen: 
and feiner Zhätigkeit fein fonnte, und zwar einen fo fruchtbas 
en, daß er fogleich, nachdem er gefäet hatte, mit großer: Freude 
nfing zu ernten. Dennod ließ er fi von feinem Vorſaz nicht 
bwendig machen, fondern weil er jene Veränderung feined Aufs 
nthaltes einmal beſchloſſen hatte, fo wollte er weiter reifen im 
em froben Bewußtfein ded Glaubend und ber Liebe derer, bie 
hn auf eine fo wunderbare Weile erkannt hatten, unb als die 
jeiden Tage um waren, während welcher er in ber famaritifchen 
Stadt das Reich Gottes verfündigte, fezte er feinen früheren 
Borfaz ind Werk. 

Die meiften Menfhen, m. g. Fr., find nicht in dem Fall 
grabe fo handeln zu fönnen, wie der Erlöfer hier that, weil wir 
alle gar fehr gebunden find an eine fefte Ordnung bed Lebens, 
und es fchon von vom herein weniger in unferer Gewalt fleht 
hier zu fein und dort. Dem Herrn war ed nothwendig, wenn 
ex feinen Beruf erfüllen follte, daß das ganze Land bed Wolke, 
zu welchem er gefandt war, ihm mußte abmwechfelnd zum Aufent⸗ 
halt dienen, auf daß fie Feine Entſchuldigung hätten. Daher 
hatte er eine große Freiheit, hier und dort den Beruf, ber ihm 
geworben war von feinem himmlifhen Vater, zu erfüllen, und 
wenn ex feinen Aufenthalt änderte, ſo geſchah ed auf ber einen 
Seite durch feinen freien Willen, ber aber auch auf ber andern 
Seite beftimmt war durch gute Gründe. Go war er aus Aus 


Sm. üb, Ev. Joh. I. u 








304 


hinabging, begegneten ihm feine Knechte, verfünbigten 
ihm und fprachen, Dein Kind lebt. Da forfchte er 
von ihnen die Stunde, in welcher ed befier mit ihm 
geworben war. Und fie fprachen zu ihm, Geflern um 
die fiebente Stunde verließ ihn dad Fieber. Da merkte 


der Vater, daß es um die Stunde wäre, in welde 


Jeſus zu ihm gefagt hatte, Dein Sohn lebt. Und er 

> glaubte mit feinem ganzen Haufe. Das ift nun das 

andere Zeichen, das Jeſus that, da er aus Judaͤa in 
Galilaͤam fan. 


Der Evangelift Johannes, m. a. $r., erzählt und weniger al 
die andern Evangeliften von den wunderbaren Hülfsleiftungen, 
womit ber Herr: fo viele leidende erquißfte, er thut ed nur ba, 
wo eine folche That entweder mit etwas merfwürbigem in dem 
Leben ded Herrn felbft zufammenhängt, oder wenn fi) daraus 
ſolche von feinen herrlichen und göttlichen Neben entfpinnen, bie 
nur aus dem Zufammenhang mit ber That felbit können ver 
flanden werben. Hier ift genau genommen keins von beiden ber 
Fall, und fo müffen wir und natürlich fragen, was für eine Ab: 
fiht hat denn wider feine fonflige Weife ber Apoſtel bei dieſer 
Erzählung. Das nöthigt und nun in den ganzen Zuſammen 
bang deſſen, was wir gelefen haben, hineinzugehen. 

Nach zween Tagen aber, erzählt Johannes, welche naͤm⸗ 
lich der Herr zubrachte in jener famaritifchen Stadt, wo fo vice 
an ihn gläubig geworden waren, zog er aus von dannen, 
und fam in Galilaͤa. Das war nämlich ſchon vorher fein 
Vorſaz geweſen. Im Anfange des vierten Capitels hatte uns 
Johannes erzählt, da der Herr inne ward, es fei vor die Phari⸗ 
faer gekommen, daß er mehr Zünger machte denn Sohannes, fo 
verließ er das Land, und zog wieder in Saliläa (8. 1 -—3.). 
Er war alfo auf biefer Reife fchon begriffen. Demnach, als er 
fie feinem Vorſaz gemäß fortfezte, erzählt und Johannes aus: 





37 
ıf dem Feſte gethan hatte, indem nämlich auch aus jenen 
egenben eine nicht unbedeutende Zahl, fu viele grabe konnten, 
if das hohe Feſt in die Hauptſtadt des Volkes zogen. 

Hier ſtellte fich alfo dem Erlöfer dreierlei gegen einander. 
3 Serufalem hatte er alle die Zeichen gethan, um berentwillen 
e Galilaͤer ihn mit vieler Achtung aufnahmen, aber dennoch 
itte er Urfach gefunden zu fagen dem Erfolge nach, Der Pro: 
bet gilt nichtd in feinem Vaterlande. In die famaris 
he Stabt war er gekommen nicht nur als ein Fremdling, fon 
m als ein folcher, der das allgemeine Vorurtheil gegen fich 
nd, und dennoch hatte er einen folchen lebendigen Glauben be: 
irkt, daß diejenigen, bie ihn erkannten, fagten, nicht um ber 
jeranlaffung wollen, die allerdings auch etwas wunderbares 
ar, fondern aus ihm felbft, aus feinen Reben, aus ber geiflis 
en Kraft, die in ihm ruhte, und mit der er wirkte, aus dem 
:bendigen Einfluß, den er auf fie gehabt, hätten fie erfannt, dag 
er ber Welt Heiland fei. Die Galiläer nun, die nahmen ihn 
uf, er genoß dort überall wohin er fam einer großen Achtung, 
yeil nämlich bei feiner Erxfcheinung fich fogleih der Ruf von 
yım erneuerte, und ihnen alles ind Gedaͤchtniß geführt murbe, 
oas fie von ihm gejehen hatten auf dem Zelte zu Serufalem. 
Das war alfo auch ein Glaube beffer immer ald ber Unglaube, 
iber welchen der Erlöfer klagt, dag er ihn in Judaͤa gefunden, 
ber boch bei weiten nicht zu vergleichen mit dem reichen aus 
einer geifligen Wirkung allein hervorgehenden und ihn gleich ald 
Spriflum den Heiland der Welt empfangenden jener Samariter. 
indem nun dieſer Unterfchied dem Grlöfer zugleich vorſchwebt, 
o finden wir ihn alfo in der vergleihenden Betrachtung 
‚ed verfchiedenen Erfolgs, den feine Bemühungen unter den Mens 
chen hatten. 

Diefe Vergleihung nun, m. g. Fr., das ift etwas rein 
nenſchliches, und Feiner kann ſich bderfelben erwehren. Diefer 
Wechſel in unferem Leben drängt fi) uns befländig auf, und 

u2 





306 


daͤa gegangen, weil er nicht wollte, daß die Pharifder, weiche 
aufmerffam gemacht waren barauf, daß er viel mehr Dünger 
machte denn Johannes, und dag ein großer Theil bed Volks ſich 
zu ihm wendete (3, 26.), daß diefe jezt fchon ihm ſollten Hin 
derniffe in den Weg legen, und deswegen war er nach Galiläa 
zu geben im Begriff. Wie er ed aber’ befchloffen hatte, dabei 
blieb ed, und nur wie man auf einer folchen Reiſe eine Zeitlang 
zu vaften und zu ruhen pflegt, fo blieb er in der famaritifchen 
Stadt, wo den Einwohnern das Licht ded Glaubens aufging. 

Indem er aber feinen Weg fortfezte, muß er gefagt haben, 
was ihn Johannes an biefer Stelle fagen läßt, daß ein Pre 
phet daheim nichtS gelte. 

Unter diefem, Daheim in feinem Baterlande, verfict 
Johannes alfo Audaa, das jübilche Land im engern Sinne, Se 
sufalem und was zunäcft umher lag, theild weil der Erloͤſe 
aus dem Haufe Davids hervorgehend gedacht wurde, theil3 weil 
er da zuerft von Iohanned die Kaufe empfangen und fein öf 
fentliched Leben begonnen hatte. In diefem zwiefachen Sinn 
nennt Johannes Judaͤa das Vaterland ded Herm, wiewol a 
fonft im allgemeinen ald Galiläer angejehen wurde, weil er don 
die Zahre feiner Kindheit zugebracht und feine erſte Ergiehung 
empfangen hatte. 

Wenn er nun fagt, Ein Prophet gilt nihts in fer 
nem Baterlande, fo giebt er damit ein Zeugniß von dem ge 
ringen Erfolg, den fchon feine erften Bemühungen in Judaͤa ge 
babt, im Vergleich mit dem Segen, den er in dem famaritifchen 
Lande gefunden hatte, wo ed ihm als einem Juden unwahrſchein 
lich fein mußte, einen folchen reichen Erfolg feined Unternehmen! 
bewirken zu koͤnnen. 

Indem er nun nach Galilaͤa Fam, fo erzählt Sohannes, 
baß die Salilaer ihn fogleih aufgenommen hätten, 
dad heißt ihm Achtung und Ehrerbietung erwiefen, weil fie 
namlich gefehen hatten alles, was er zu Serufalen 








30 


Bed begegnet wie uns, alle Wechſel des menichlichen Lebens find 
an entgegengetreten und haben auf ihn gewirkt, aber ohne 
kunde; fein Gemüth blieb frei von allem, was menfchlicye Ser 
u zu befleffen und zu verunreinigen pflegt, und er blieb in al: 
ss MWerhältniffen des Lebens immer berfelbe. 

Nun Haben wir vorher, ald er nur noch ahnden konnte, aber 
tt der Zuverficht die ihm eigen war ahnden Fonnte, den ſchoͤ⸗ 
en Erfolg, ber ihm in jener famaritifchen Stadt bevorftand, den 
usdruff feiner Freude gelefen, ald er zu den Qüngern, die aus 
er Stadt zuruͤkkkamen und ihm Speife anboten, fagte, Ich bin 
bon gefättigt, denn das ift meine Sättigung, wenn es mir ge: 
ngt den Willen meined himmlifchen Vaters zu thun; bebet nur 
ure Augen auf und fieutit euch, daß ihr gefandt ſeid zu fchneis 
en, wo ihr nicht gearbeitet habt (I. 34 — 38.). Das war ber 
lusdrukk einer reinen Freude; aber eben rein war fie eine Freude 
a Gott, eine Freude an dem Gelingen bed göttlichen Werkes, 
velched zu thun fein Beruf war, und nicht eine Freude an bem 
ignen Thun, nicht eine Freude daran, daß er grade dad Werk: 
eug gemwefen war, daß auf ihn der Erfolg mußte zuruͤkkgefuͤhrt 
erben. 

In dem Ausſpruch, den wir gelefen haben, Der Prophet 
ilt nichts in feinem Baterlande, liegt allerdings ber 
ntgegengefezte Ausdrukk des Schmerzes, dad Gefühl des Nicht: 
elingend; aber wenn wir die Worte genau betrachten, fo finden 
ie auch bier fchon den Herrn mehr die Menfchen entichuldigen 
13 fie anklagen. Denn das liegt fo fehr in ber Natur bes 
Nenſchen angezogen zu werben von dem fremden und fernen; es 
iegt in der Natur der Dinge und der Begebenheiten, daß das 
ahe uns weit eher in feinen Mängeln und Schwächen erfcheint, 
nd dag wir gewohnt find dergleichen mehr vorauszufezen in al« 
m, was und nabe liegt, wie es auch ſchon ein alter Spruch 
t, daß das nahe überall ben großen Ruf verliert. Die Anwen 
ung, bie der Herr davon macht, war alfo eine entfchulbigende 








308 


wenn es ſchon natürlich ift und unvermeiblich, daß wir mit ein: 

ander vergleichen die angenehmen und bie widrigen Zeiten in 
Beziehung auf dad, was und äußerlich begegnet, und auf de 

frohe oder traurige Stimmung, in welche uns diefe aͤußerlichen 
Borfommenheiten verfegen: fo ift ed noch mehr natürlich, daß je | 
der in dem SKreife feines Berufs bie günftigen Zeiten, in wel 

chen Gott ihm einen guten Erfolg feiner Bemühungen fchenft, 

vergleiche mit den ungünfligen, wo der Erfolg nur fparfam fid 

zeigt, und nichtö von dem was wir unternehmen gedeiht. Diele 

Bergleihung ift etwas rein menfchliches, und der Herr felbft, wie 

wir ſehen, bat fich ihr nicht entzogen; aus den Worten, die a 

fagte, als er aus der famaritifchen Stabt gehend feine Reife we: 

ter fortiegte, Daß ein Prophet nicht8 gelte in feinem Bo 

terlande, fehen wir, wie er ſich ganz einfach diefer Wergleichung 

bingegeben hat? 

Aber, m. g. Fr., bei den wenigften Menfchen iſt diefe Ver 
gleihung ohne Eitelkeit und felbftgefäliged Weſen und ohm 
daß fie einen immer gerechten und billigen Einfluß hätte auf ım- 
fer Verhalten gegen die Menfchen und auf unferen eigenen ©: 
fer in der Erfüllung bed Werkes, welches und Gott aufgetragen 
bat. Geſtaͤrkt und erhoben werden wir durch den günfligen Er: 
folg, niedergebrüfft und muthlo8 gemacht durch den ungünfligen; 
bingezogen fühlen wir und zu den Menſchen, an denen uns ba} 
gelingt, was der Herr und zu thun befohlen hat, “aber nur zu 
leicht abgeftogen von denen und ein ungünftiges Urtheil über fie 
fallend, bei denen e8 und nicht gelingt. Won dem Erlöfer wik 
fen wir nun, daß al fein Denfen und Empfinden, alle feine 
Beltrebungen und alle Bewegungen feined Gemüths frei geme 
fen find von einer jeden folhen menſchlichen Schwäche. Das 
ift ed eben was von ihm gefagt wird, er ift verfucht worden al: 
lenthalben gleich wie wir, doch ohne Sünde *); äußerlich iſt ihm 


) Hebr. 4, 15. 








309 


alled begegnet wie und, alle Wechſel des menfchlichen Lebens find 
ihm entgegengetreten und haben auf ihm gewirkt, aber ohne 
Sünde; fein Gemüth blieb frei von allem, was menſchliche See 
ten zu befleffen und zu verunreinigen pflegt, und er blieb in al» 
len Verhaͤltniſſen des Lebens immer berfelbe. 

Nun haben wir vorher, ald er nur noch ahnden konnte, aber 
mit der Zuverficht die ihm eigen war ahnden konnte, den ſchoͤ⸗ 
nen Erfolg, der ihm in jener famaritifchen Stabt bevorftand, den 
Ausdrukk feiner Freude gelefen, ald er zu den Jüngern, die aus 
der Stadt zuruͤkkkamen und ihm Speiſe anboten, fagte, Ich bin 
ſchon 'gefättigt, denn das ift meine Sättigung, wenn ed mir ge: 
lingt den Willen meined himmliſchen Vaters zu thun; hebet nur 
eure Augen auf und freuct euch, daß ihr gefandt ſeid zu ſchnei⸗ 
den, wo ihr nicht gearbeitet habt (V. 34 — 38.). Das war ber 
Ausdrukk einer reinen Freude; aber eben rein war fie eine Freude 
in Gott, eine Freude an dem Gelingen bed göttlichen Werkes, 
welches zu thun fein Beruf war, und nicht eine Freude an dem 
eignen Thun, nicht eine Freude daran, daß er grabe das Wert: 
zeug gemwefen war, daß auf ihn der Erfolg mußte zuruͤkkgefuͤhrt 
werben. 

In dem Audfpruch, den wir gelejen haben, Der Prophet 
gilt nichts in feinem Vaterlande, liegt allerdings ber 
entgegengefezte Ausdrukk des Schmerzed, dad Gefühl des Nicht: 
gelingend; aber wenn wir bie Worte genau betrachten, fo finden 
wir auch bier ſchon den Herrn mehr bie Menfchen entfchuldigen 
als fie anklagen. Denn das liegt fo fehr in der Natur bed 
Menſchen angezogen zu werben von bem fremden und fernen; es 
fiegt in der Natur der Dinge und ber Begebenheiten, daß das 
nahe uns weit eher in feinen Mängeln und Schwächen erfcheint, 
und daß wir gewohnt find bergleichen mehr vorauszufezen in als 
lem, was und nahe liegt, wie es auch ſchon ein alter Spruch 
ift, daß das nahe überall den großen Ruf verliert. Die Anwen: 
dung, die der Herr davon macht, war alfo eine entfcehulbigende 





310 


and nicht eine verfiagende, fo wie er auch am Kreuze zu feinem 
Vater tagt, Water vergieb ihnen, benn fie wiſſen nicht was fie 
thun *). So finden wir alfo aud hier denfelben Geift, wenn 
“gleich der Gegenftand ein anderer und ein geringerer war. E 
mußte ja natürlich fein, daß ed ihm dort in feinem BVaterlande 
und befonders in der Hauptftabt des WVolkes nicht fo gelingen 
Fonnte, weil überall bie von Gott am melften auögerüfteten Mer 
fhen am wenigften gelten und wirken in ihrer urfprünglide | 
Heimath. 

Nun kommt er nach Galilaͤa; da tritt ihm überall entgegen 
Achtung und Ehrerbietung; aber es ift nicht der Glaube, den a 
in der famaritifchen Stadt gefunden hatte, nicht der Lebendige 
Gtaube, ber ſich fo ausdruͤkkte, Wir haben nun felbft geichen 
und erfannt, baß diefer iſt warlich Chriſtus der Welt Heilen 
(4, 42.); fondern e8 war der Glaube an den Wunderthäter, von 
dem fie vieled felbft geliehen und noch mehreres gehört hatten; fe 
techmeten es fih nun für einen Vorzug an, daß er mun auch auf 
eine Zeitlang der ihrige werden wollte, und empfingen ibn be 
ber mit der Achtung und Ehrerbietung, die außerordentliche Men 
ſchen überall zu finden gewohnt find. Aber es waren vorzuͤglich 
die Wunder des Herrn, um derentwillen fte ihn fo aufnahmen, 
es waren diefe geheimnißvollen unbegrsiflichen Kräfte, deren 3e- 
fammenhang aber mit feiner eigenthümlichen göttlichen Weflim 
mung zum Heil der Welt und mit der Fülle der Gottheit in 
ihm fie nicht einfahen, weil fie nicht höher gingen eben zu den 
Glauben, daß er der Welt Heiland fei. Wie muß alfo des Er 
töferd Empfindung hiebei geweſen fein? Allerdings eine fehr ge 
mifchte aus jenen beiden, aus der Hoffnung auf der einen Seit, 
aus einem folchen Glauben werde doch mit ber Zeit der recht 
und wahre fi entwikkeln, und es fei immer ſchon viel gemwen: 
nen, wenn bie Aufmerkſamkeit ber Menſchen auf ihn gejefelt 


*) Luk. 28, 3. 











311 
werde; auf der andern Seite aber aus dem Bedauern, daß ſie 
bei dem aͤußern ſtehen geblieben, daß die Freude an dem geiſti⸗ 
gen Heil, welches er ihnen brachte, in ihrem Herzen nicht auf: 
gegangen war. 

Und in diefer gemilchten Empfindung feines Herzens finder 
wir ihn bier, indem jener Pönigifche, beifen Sohn krank 
lag zu Kapernaum, zu ihm kam, ald er wieder in 
Kana war, wo er das Waffer zu Wein gemacht hatte, 
und ihn bat, er möchte fommen und feinem Sohne 
helfen, denn er fei todtkrank. Da fprad ber Herr zu 
ihm, Wenn ihr nicht Zeihen und Wunder fehet, fo 
glaubet ihre nicht. Das war nun freilich weniger zu ihm 
ald bei Gelegenheit feiner zu den andern und auf fie fich bezies 
hend gefagt, und es konnte ihn nur treffen, in fo fern er einer 
war von jenen. 

Auch nach Saliläa kam der Herr, wie ed denn überall fein 
Beruf war, um dad Reich Gotted zu bauen. Der Glaube alfo, 
von welchem er fpricht, iſt auch nicht ein anderer als der Glaube 
an bad Reich Gotted, welched er zu gründen und zu fliften von 
Gott gefandt war, und um welches zu fliften er der fein mußte, 
ber er war, und mit dem Glauben an das Reich Gottes zugleich ” 
ber Glaube an ihn ald der Welt Heiland. Nun fagt er, Ihr 
hier in Salilda feid foldhe, die, wenn fie nicht Zei— 
hen und Wunder fehen, zu biefem Glauben nicht 
tommen, wobei er ausdruͤkklich nicht fagt, Zeichen und Wun⸗ 
der werben euch zum Glauben führen, denn auch bavon hatte er 
freilich dad Gegentheil erfahren, indem er nach einem langen und 
fich oft wieberholenden Aufenthalt doc Gelegenheit hatte von 
ven Städten Galiläad zu fagen, Wehe bir Kapernaum, wehe 
bir Chorazin, wären foldhe Thaten zu Sodom und Gomorrha 
gefchehen wie unter euch, fie hätten bei Zeiten Buße gethan im 
Salt und in der Aſche ). Da bat er alfo in der Folge das 


“ 


* Matth. 11, 21. 


312 


- Beugniß abgelegt, daß ohnerachtet fie Zeichen und Wunder gefe 
hen ˖ hatten in Menge, fie body nicht glaubten, und daher haben 
wir wol bier vorzüglich den Nachdrukk feiner Worte darauf zu 


legen, daß er fagt, Wenn ihr nicht Zeihen und Bunde 


fähet, fo würdet ihr gar nicht glauben, viel weniger deß 
ihe würdet gefchikft fein zu fagen mit jenen Samaritern, Wir 
glauben nun nicht mehr um jener Rede willen, die uns bie 
Stau von ihm hinterbracht hat, fondern wir Haben felbft erfat- 
ten, daß diefer ift der Welt Heiland; fondern glaubet ihr ja, fo 
glaubet ihre nur um ber Wunder willen, aber zu ber rechten von 
allem dAußerlichen unabhängigen Ueberzeugung, zu bem rechten 
Ergriffenfein von meiner göttlichen Kraft: feid ihr nicht gefommen. 

Der Mann aber, der zu ihm gekommen war, damit er da 
Noth abhelfen möchte, an der fein Sohn damieberlag, und 
ihn wo möglich retten und für dad irbifche Leben erhalten, de 
war freilich in dieſem Augenblikk nicht im Stande von eina 
folchen Rebe des Herm ben rechten Nuzen zu ziehen; ſondem 
eilfertig und im Drange feines Herzens fuchte er ihn davon ab 
zuziehen und ſprach wiederhofend feine Bitte aus, Herr, 
komm hinab, ehe benn mein Kind flirbt. 

Wir fehen aus diefem Beiſpiel recht deutlich, m. 9. Fr., wie 
ber Glaube an die Wunder ded Herrn unabhängig war von ben 
eigentlichen Glauben an ihn ald den Heiland der Welt und bes 
Sohn Gottes. Diefer Dann, der war hingegangen als er hört, 
Chriſtus kaͤme von Judaͤa, aber wie bie andern, weil er gehört 
hatte den Ruf von demjenigen, was der Herr in Serufalem ge 
than, weil ihm aud einer Menge von Beugniffen in gutem Ge 
daͤchtniß war die außerordentliche Kraft und Wirffamfeit beffen, 
‘der jest das galiläifche Land betreten hatte, und nun ſuchte a 
gleich einen Nuzen für fich zu ziehen und flehte alfo die Hülfe 
bed Herm an. Das wäre ihm auch nicht zu verbenken gewe 
fen, daß er es gethan, felbft wenn er in biefem Glauben an bi 
Wunder bed Herm wäre unficher gewefen; denn was verfuct 





315 


Lebendigen Bewußtfeln gefommen waren, daß e8 jenes Wunbers, 
welches fie gehört hatten, nicht beburft hätte, nachdem fie den 
Ferm felbft gefehen und gehört hatten, um fich zu überzeugen, 
Daß er der Heiland der Welt fei. 

Und fo fommen wir darauf zurüff, der vechte reine Segen 
Der Erfcheinung bed Herm für dad menfchliche Herz, der foll und 
Fann von nichtd anderem audgehen als von bem lebendigen Eins 
Druff, den er in feinem göttlichen Weſen, in feiner höhern Natur, 
als verlündigend aus fich heraus die Fülle ber Gottheit, bie 
in ihm wohnt, als von fich frahlend die Herrlichkeit des einges 
bormen Sohnes vom Vater auf die Menfchen, macht. Dielen 
überall wo wir können, aus allen herrlichen Worten, die er ges 
redet hat, aus feinem ganzen Leben und aus feinem Leiden im» 
mer tiefer in unferem Herzen begründen, bad muß für und alle 
Die unerfchöpflide Quelle des Heild fein und ber ſchoͤne unb 
herrliche Glaube, den er und allen geben und unter und immer 
lebendiger machen möge durd) feine Kraft. Amen. . 


314 


ber Natur der Sache müffen wir es und erklären, baß er nidt 
mit hinabging. 

In dem Manne war ed ein höherer Grab bed Glaubens, 
aber boch derfelbe Glaube an die Wunberfraft Chrifti, daß er 
fih auf dad Wort des Herrn verließ, daß er glaubte, 
feine Bitte fei ihm gewährt, und baß er ohne weitered fortging. 
Und daher Fam ed denn, daß, ald er vernommen hatte das Zeug: 
niß feiner Leute, die ihm entgegen Tamen auf bem Wege, daß 
ed mit feinem Sohne befjer geworben fei, um biefelbe Stund«, 
in welcher der Herr zu ihm gelagt hatte, Dein Sohn lebt, 
daß er mit feinem ganzen Haufe glaubte. 

So ftelt er und die mittlere Stufe dar, daß aus bem 
Glauben an die Wunder ded Herm fih in ihm entwikkelte ber 
Glaube an ben Erlöfer und Heiland ber Welt. Und das war 
der Erfolg von bem allgemeinen Wort, welche der Herr gleich 
bei der erfien Aeußerung feiner Bitte zu ihm gefagt hatte, Wenn 
ihr nit Zeihen und Wunder febet, fo glaubet ih: 
nicht; dadurch war er aufmerffam geworben barauf, Daß de 
Herr noch einen andern Glauben verlangte, daß er noch zu et 
was anderem gekommen fei und etwas höherem ald Wunder zu 
thun, und ber Eindruff, den der Herr auf ihn gemacht, verbum 
den mit dem Zeichen, welches er an feinem Sehne gethan, ward 


für ihn und für fein ganzes "Haus eine Veranlaffung zum | 


Slauben. 

Und fo hat und Iohanned biefe Sefchichte erzählt, um uns 
zu zeigen, wie in einzelnen Fällen durch bie Wunder, bie da 
Here verrichtete, der Glaube an ihn erwekkt werbe; aber doch in 


einer Verbindung, dag wir nun bad nicht anderd anfehen ir 


nen und fchäzen, als fo wie ber Herr, ber feine Worte immer 


fo genau und paffend eingerichtet hat, felbft es fchäzt, daß biefa 


Glaube, weil er einer ſtarken Veranlaſſung, eines ixdifchen Ur: 
fprung® bedurfte und fi davon nicht losmachen konnte, bod 
ein geringerer war als ber Glaube jener Samariter, bie zu dem 





317 


der Menfch gefund und nahm fein Wette und ging 
hin. Es war aber beffelbigen Tages der Sabbat. 
Da fprachen die Juden zu dem, der gefund geworben, 
Es ift heute Sabbat, ed geziemt bir nicht das Bette 
zu fragen. Er antwortete ihnen, Der mich gefund 
machte, der fprach zu mir, Nimm bein Bette und gebe 
hin. Da fragten fie ihn, Wer ift der Menſch, der zu 
dir gefagt bat, nimm bein Bette und gehe bin? Der 
aber gefund war geworden, wußte nicht wer er war, - 
denn Jeſus war gewichen, da fo viel Volks an bem 
Ort war. Darnach fand ihn Jeſus im Tempel und 
ſprach zu ihm, Siehe zu, du bift gefund geworden; 
fündige hinfort nicht mehr, daß dir nicht etwas aͤrgeres 
widerfahre. Der Menfch ging hin und verfündigte «8 
den Juden, es fei Jeſus, der ihn gefund gemacht babe. 


M. a. Fr. „Bon dem, was unferem Erloͤſer in Galilaͤa begeg⸗ 
et, wohin er gegangen war, nachdem er in ber ſamaritiſchen 
Stabt fo viele hatte gläubig an fich gemacht, erzählt und So: 
anned weiter nichts als jene Sefchichte, die wir neulich mit 
inander betrachtet haben, und er fielt und nun ben Erlöfer 
vieder bar, wie er auf dad Feſt nah Jeruſalem ging 
zit feinen Süngern. 

Er war von dort weggegangen, wie und Johannes vorher 
rzaͤhlt hatte, weil vor die Pharifäer gelommen war, daß ex noch 
ehr Zünger mache denn Johannes ber Täufer (4, 1.), und er 
atte ſich hernach über Ierufalem und Judaͤa fo geäußert, daß 
er Prophet nichts gelte in feinem Vaterlande (4, 44.). Darum 
ar er nach Galiläa gegangen und war bort, wie Johannes 
ns erzählt, mit vieler Ehrerbietung aufgenommen worden, weil 
ie Galiläer die Zeichen gefehen, die er auf dem Feſte zu Jeru⸗ 
ilem gethan hatte (4, 45.). 


XXIV. 
Am Sonntage Santate 1824. 


Zert. Joh. 5, 1— 15. 

Danach war ein Zeft der Tuben und Jeſus zog hin: 
auf gen Serufalem. Es ift aber zu Ierufalem bei dem 
Schaafhauſe ein Teich, der heißt auf hebraͤiſch Be 
thesda, und hat fünf Hallen, in welchen lagen vice 
kranke, blinde, lahme, duͤrre; bie warteten, wenn 
fich das Waſſer bewegte. Denn ein Engel fuhr heat 
zu feiner Zeit und bewegte bad Waſſer. Welcher nım 
der erfte, nachdem bad Waffer bewegt war, hineinflieg, 
der warb gefund, mit welcherlei Seuche er behaftet 
war. Es war aber ein Menfch daſelbſt acht und drei⸗ 
fig Jahre Trank gelegen. Da Jeſus denfelben fahe 
liegen und vernahm, daß er fo lange gelegen war, 
foricht er zu ihm, Willſt du gefund werben? Der 
kranke antwortete ihm, Herr ich babe feinen Men: 
(hen, wenn das Waſſer fich bewegt, ber mich in ben 


Zeich Laffe; und wenn ich komme, fo fleigt ein andern | 


vor mir hinein Jeſus fpricht zu ihm, Stehe auf, 


nimm bein Bette und gehe hin. Und alfobald wur 





319 


unter ben vielen, der das Gluͤkk hat die Gelegenheit zu erhafchen, 
vo es etwas bedeutendes von ben Gütern diefer Welt davonzu— 
ragen giebt. Dennoch werden die Menfchen nicht müde und 
zewaͤhren uns in ihrem eitlen Zichten und Zrachten ein eben fo. 
rauriged Schanfpiel wie die Menge von kranken und elenben, 
die bier in den Hallen des Teiched lagen. Wenn wir und nun 
denken, der Exlöfer trat an den eich, und bie Menfchen hätten 
gewußt, wer bad war, und was er ihnen geben Tonnte: fo lehrt - 
und ja bie Gefchichte bei allen ähnlichen Gelegenheiten, dag wenn 
fie auch alle fo viel ihrer waren gerufen hätten, Sefu, du Sohn 
Davidd, erbarme dich unfer *), fo wären fie alle ihres Wunſches 
theilhaftig geworben und hätten nicht weiter zu warten gebraucht, 
bi8 der Engel allemal berabfuhr und dad Waffer 
bewegte. 

So, m. 9. Fr., ift ed auch in ber Welt. Wenn bie Mens 
ſchen, die mit fo vieler Mühe, mit fo vieler Anftrengung und 
Gebuld den vergänglichen Dingen dieſer Welt nachtrachten, wüße 
ten, wer ber Erlöfer if, und was er ihnen geben Tann, fo würs 
ben fie von allem, worauf vorzüglich dad Tichten und Trachten 
ihres Herzens gerichtet ift, Herz und Auge abwenden, unb fie 
riefm ihn an, daß er ihnen helfen möchte, nicht zu ben vergängs 
lichen Gütern diefer Welt, fondern von dem eitlen und leeren 
Beftreben nad) benfelben hinweg, um den Geift mit etwas befs 
ferem zu fättigen unb um ihnen flatt des vergänglichen das ewige 
und flatt des irbifchen das himmlifche zu geben. 

Gehen wir aber nun zu ber Gefchichte ſelbſt zuruͤkk, fo fins 
ben wir hier dasjenige nicht, was der Herr gewiß gern gefehen, 
und was auch jenen leidenden zum Heil gereicht hätte. Der Er 
löfer kommt zu dem Teiche und fieht die Menge von kranken 
vor fih, ed ift aber Feiner da, der ihn erkennt, keiner da, ber 
ruft, Jeſu, du Sohn Davids, erbarme dich meiner. Wie mag 





”) Watth. 9, 97. 


320 


ſolches wol zugegangen fein, ba er body wol fchon fo viele ja 
chen gethan hatte? 

Sa, wie mag es wol zugeben, daß noch Immer, ohneain 
dad Evangelium nun ſchon erfchollen iſt in einem großen Thak 
der Welt, ohnerachtet es bad größte Wunder iſt, welches ie = 
ſchehen kann, naͤmlich bie Menfchen durch den Glauben zum = 
gen Leben zu bringen, ohnerachtet dieſes Wunder ſchon dur 
viele Gefchlechter der Menſchen ſich wiederholt hat, und fo ti: 
fendfältige Zeugen von ber unfehlbaren Kraft deffelben erfdiee 
find, wie mag es wol zugehen, daß ohnerachtet alleb deija 
immer noch fo viele Menfchen giebt, die fich noch nicht an de 
Erlöfer wenden, wiewol er ihnen nicht fremd ift, wienel # 
voiffen, wie fie zu der nähern Belanntfchaft mit ihm fon: 
koͤnnen, und wie fie fi) an ihn wenden follen? | 

Wenn wir und dad erklären follen, m. g. Fr., fo wine 
und ſchwer, und wir werden wol auf nichts anderes un de 
menfchlichen Seele zurüßfgehen können als auf den Unglıs 
ben. Denn die Entfhuldigung, die jenen kranken, weiht = 
ben Hallen des Teiches lagen, zu gute kommt, dag fie doch re 
leicht von bem Erlöfer nichtd gewußt haben, die kann ben se 
flen von denen, weldye unterlaffen bei ihm bie geiflige Hülle; F 
fuchen, nicht zu gute fommen. Aber ed ifl der Unglautı = 
ber einen Seite, ed ift die Unentfhloffenhbeit aufbara 
den, und beides iſt wiederum in feiner tiefften und inne: 
Wurzel eind und baffelbige. Kann der Menfch zu dem ic 
Entſchluß kommen das irbifche fahren zu laffen und bem mie 
nachzufireben: ach dann wird ihm auch bald dad Auge dei & 
fle8 aufgehen um bie rechte Quelle bed Heils zu fuchen un = 
finden, aus welcher dann dad ewige Leben kommt. So ls; 
er aber noch zwilchen dem vergänglichen und dem ewigen [mut 
fo kann er auch zu keinem feften Willen kommen in Buide: 
auf die ewigen Güter, deren Inhaber und Spender ber Exit 
if, fo kann er auch ben Unterfchieb zwifchen dem irdiſchen m 














319 


unter ben vielen, der bad Gluͤkk hat die Gelegenheit zu erhafchen, 
wo ed etwas bebeutended von ben Gütern diefer Welt bavonzu- 
tragen giebt. Dennoch werden die DMenfchen nicht müde und 
gewähren und in ihrem eitlen Tichten und Trachten ein eben fo 
trauriged Schaufpiel wie die Menge von Franken und elenben, 
die bier in den Hallen des Teiches lagen. Wenn wir und nun 
denen, der Erxlöfer trat an den Teich, und bie Menfchen hätten 


ww 


gemußt, wer dad war, und was er ihnen geben Fonnte: fo lehrt - 


und ja die Gefchichte bei allen ähnlichen Gelegenheiten, dag wenn 
fie auch alle fo viel ihrer waren gerufen hätten, Sefu, du Sohn 
Davids, erbarme dich unfer *), fo wären fie alle ihres Wunfches 
theilhaftig geworben und hätten nicht weiter zu warten gebraucht, 


bis der Engel allemal herabfuhr und das Waffer 
. bewegte. 


So, m. g. Fr., iſt e8 au in der Welt. Wenn- die Mens 


‚ Sehen, die mit fo vieler Mühe, mit fo vieler Anftrengung und 
Geduld den vergänglichen Dingen diefer Welt nachtrachten, wüßs 


ten, wer ber Erldfer ift, und was er ihnen geben kann, fo würs 


‚ den fie von allem, worauf vorzüglich dad Tichten und Zrachten 


ihres Herzens gerichtet ift, Herz und Auge abwenden, unb fie 
‚ riefen ihn an, bag er ihnen helfen möchte, nicht zu den vergängs 


lichen Gütern biefer Welt, fondern von dem eitlen und leeren 


Beſtreben nach benfelben hinweg, um ben Geiſt mit etwas befs 
ſerem zu fättigen unb um ihnen ſtatt des vergänglichen bad ewige 


und flatt des irbifchen das himmlifche zu geben. 

Gehen wir aber nun zu der Gefchichte felbft zuruͤkk, fo fins 
ben wir hier dasjenige nicht, wa8 der Herr gewiß gern gefehen, 
und was auch jenen leidenden zum Heil gereicht hätte. Der Er 
löfer fommt zu dem Teiche und fieht die Menge von kranken 
vor fih, es ift aber Peiner da, der ihn erkennt, keiner da, ber 
ruft, Iefu, du Sohn Davids, erbarme dich meiner. Wie mag 





”) Matth. 9, 97. 


322 


heiten der Welt, das iſt es was bie Schrift in fo vieler Bei 
bung fagt, daß ed mit des Menfchen Chun und Laufen wi 
fe, und daß Gott feine Gaben vertheile wie er will °). 

Den Erlöfer ſelbſt aber finden wir hier auf eine cz 
Weite handeln als er gewöhnlidy thut. Denn das gewihah 
was wir in biefer Beziehung bei ihm fihben, iſt bie, de 
feine Hülfe nicht anbietet, aber wenn bie Menſchen fie fer 
fo iſt er gleich bereitwillig fie zu leiflen. Hier nun forben 
ner feine Hälfe, aber er will doch auch nicht weggehen ver. 
fer großen Menge elender und leidender, ohne ein Zeichen k 
Daſeins zurüffzulaffen. 

Wodurch aber wurde feine Wahl geleitet? Dad, m.; | 
vermögen wir nicht zu beurteilen; nur fo viel koͤnnen wir ie 
wie wir ihn überall handeln finden in diefer Beziehung um 
denden feine Hülfe gewähren, fo fehen wir, daß er dad mie 
gefehen hat ald ben eigenthümlichen Gegenfland feines Bez 
fondern nur im Vorbeigehen, nur wenn fich ihm bie Bele«! 
barbot, dann gewährte er die menfchliche Hülfe, um bie a: 
ten wurde, und machte dadurch einem beflimmten Leiden 
Ende. Und fo haben wir nicht Urfady zu glauben, daß m 
bier werde die Zeit genommen haben, ſich zu erfunbign : 
den Umflänben der leidenden, danach welcher von ihnen dr! 
fere und welcher der fchlechtere fei, wer am meiften und mt: 
wenigften fein Leiden verfchuldet habe, auch nicht banat.: 
am meiften und wer am wenigfien Ausficht babe, badurt ! 
er fich wirklich auf eine thätige Weife bergab und feine hälfte 
Hand darbet, die Hülfe zu erlangen; ſondem auf eben di I 
wie wir dies im Leben durch den Ausdrukk bed zufälliger 
bezeichnen pflegen, if feine Aufmerkfamkeit auf dieſen gend 
worden, von bem.er vernahm, daß er acht und dreißig Jet 
frank gelegen babe. 





*) Abm. 9, 16 — 18. 


823 


Bern wis aber nun, um bie ganze Erzählung vichtig zu 
eftehen, fragen: wie haben wir und biefen Menſchen zu den⸗ 
rn, ber bier der Hülfe des Erlöferd ungebeten theilhaftig wurde} 

müffen wir geſtehen: verhält es fich fo, wie er zu dem Cride 
x ſelbſt fagt, daß er Beinen Menſchen habe, der ihn 
hnell genug, wenn das Waſſer fich bewegt, in den 
zeich binalMlaffe, fondern daß, wenn er fomme, im 
ver fhon ein anderer vor ihm hineinfleige, dann muß 
in Leiden ein ſolches geweſen fein, welches ihm zwar nicht uns 
roͤglich machte fich felbft zu bewegen, aber ihm doch dad Gehen 
rſchwerte, denn das liegt darin, daß er fagt, Ehe ih Fomme, 
keigt ein anderer vor mir hinein. So mäffen wir gefle 
‚en, er hatte Beine Hoffnang an dieſem Orte Rettung zu finden, 
md der Erlöfer hatte Recht ihn zu fragen, wie bedenklich eine 
olche Zrage fonft auch fcheinen mag, Willſt du gefund wer 
en? Denn ber kranke, der ein rechtes Werlangen nach ber 
Beſundheit bat, der hat ein Werlangen nach ber Thaͤtigkeit bes 
Bebend und wi bad Hinderniß, welches ihm dabei im Wege 
fteht, aufgehoben ſehen; er will frei fein von Schmerzen, er will 
zu dem rechten unb vollkommnen Beſiz feiner Gliebdmaßen ges 
Langen, um fie zu gebrauchen; kurz er will gefund werden, um 
in ber Ausübung feines Berufs nicht durch Leiden geftört zu 
werden. Wenn aber dieſer leibende mit fo wenig Mitteln aus⸗ 
geftattet war, um bie Gelegenheit zu finden und zu ergreifen, 
die hier an eine befondere Bedingung gebunden war, indem nur 
der, welcher, wenn fich bad Waſſer bewegte, am erſten und am 
ſchnellſten in ben Teich hinein kam, gefund wurde: fo müffen 
wir fagen, hätte er ein rechtes Werlangen nad) ber Geſundheit 
gehabt, ſo waͤre er von dieſem Orte fortgeblieben, wo er die 
Kraͤfte, die ihm noch uͤbrig waren, nicht gebrauchen konnte, ſon⸗ 
dem in einem muͤßigen Zuſtande mußte verkommen laſſen, und 
wo er keine Wahrſcheinlichkeit hatte, jemals von feinem Leiden 
befreit zu werben; und er hätte dann gewiß bei ſich gebacht, 

2 


324 


was er noch von Kräften befaß, licher auf eine anbdere Bakn 
irgend einem heilfamen Zwekke zu verwenden, als hitt uahie 
ger Weiſe die Beit hinzubringen. Darum mußte ber Erx 
zweifelhaft fein, ob in biefem Menfchen wirklich eim rechtes Ss 
langen nach ber Geſundheit fei, welches feinen rechten Grm: : 
dem Gemuͤthe ſelbſt hat, und wir fehen auch aus der Ander 
bes Menfchen, wie er fich entfchuldigt, daß er noch nicht 
geworben fei, und wie er bie Schuld von ſich ab und cui 
Umiflände wenbet. Er bat alfo fein Uebel ertragen umd era 
wollen, und in biefer aͤußerlichen Unthätigkeit, in dieſem ia 
leidenden Zuflande, wo ed ihm aber eben deshalb, weil der Ex 
mit einer unmittelbaren Kraft von Gott ausgeſtattet war = 
daher auch ohne Zweifel häufig befucht wurbe, gewiß an lm 
ſtuͤzungen frommer Menfchen, bie ihre Dankbarkeit gegen & 
göttliche Hülfe gern dur Mittheilung von Almoſen au“ 
Nothleidenden unter ihren Brüdern an ben Tag legten, ms 
gefehlt hat, wollte er lieber müßig verharren, als bie gt 
die er noch hatte, Durch Anflvengung zu etwas gutem und nu 
em gebrauchen, wie wir denn dies bei feidenben, wen t 
fih einmal durch die Länge der Zeit an ihr Leiden ei 
haben, nicht felten finden. 

Der Erlöfer aber, der macht nun feinem Leiden ein Enk 
und fagt zu ihm, Stehe auf, nimm bein Bett und ge: 
bin, und fofort thut er «8. 

Als er aber nun ging, fo famen die Juden —® 
runter verfieht unfer Evangelift immer nicht ohne Unterfhie ? 
bed Mitglied des Volks, fondern die angefehneren unter Ihe 
und die ed ſich zum befondern Gefchäft machten, fei es nun a 
beftimmter Beruf gewefen ober nicht, auf Orbnung und Gec 
im Volke zu halten — bie famen und fprachen zu ihm, Ei, 
iſt nicht ſchikklich heute am Sabbath das Bett zu tü 
gen. Und er antwortete ihnen, Der mic geſun 


















325 


emacht hat, der gebot mir, Nimm dein Bett und 
ehe Hin. 

Sie hörten aljo, daß diefer Menfch, von dem fie, wenn fie 
n auch nicht kannten, doch gleih an Ort und Stelle Nachricht 
nziehen konnten, wie lange er fchon dba auf Hülfe geharrt hatte, 
m einem war gejund gemacht worden, da doch gewiß keine 
enfchliche Hülfe mehr für ihn zu fein fihien. Aber das macht 
wenig Eindruff auf fie, daß fie zwar danach fragen, wer benn 
is geweſen fei, der zu ihm gefagt habe, Nimm bein Bett 
nb gebe hin, aber wie und ber Evangelift in der Folge er 
‚hit, nur um Sefum zu verfolgen, weil er ſolches gethan 
atte auf den Sabbath. 

Hier, m. g. Fr., zeigt fih uns recht deutlich, welch ein ge 
chrliches Ding ed iſt um bie Anhänglichkeit ded Menfchen an 
38 Außerliche. Das war doch immer nur ein Außerlicheö Ges 
z, welches auch nad verſchiedenem Maaße Fonnte audgelegt. 
erden, daß am Sabbath nicht follte gearbeitet werben. Nun 
var dad auch keine Arbeit, daß biefer fein eigenes Bett nahm, 
m von der Stelle, wo er fo lange Frank gelegen hatte, nad) 
yaufe zu gehen. Es waren auch am Sabbath erlaubt alle Werke 
er Noth und alled dasjenige, was ein Werk ber Liebe war. 
ind warlich man fann fagen, das war ein vechted und wahres 
Sabbathwert. Denn indem biefer, der acht und dreißig Jahre 
indurch dort krank gelegen hatte — gewiß nicht eine unbekannte 
Yerfon, fondern indem viele in ber Nähe des Zeiched werben ge⸗ 
sandelt haben, wie der Herr ed hier auch that, fo haben fie 
hne Zweifel e8 gleich erfahren, daß unter den leibenden bort 
uch ein folcher fi) befinde, ber einen großen Theil feines Le: 
ens hindurch an einer Krankheit leide, und jo war er auf jeben 
jall ein bekannter Menſch, wie folche leidende, bie an beſtimm⸗ 
em Stellen ſich aufzuhalten pflegen, es gewoͤhnlich find und im: 
ner mehr werden — indem biefer jezt nach fo langer Zeit von 
einem Uebel befreit war, fo wurben alle biefe dadurch aufgefor: 


328 


was ex noch von Kräften befaß, licher auf eine anbere Weiſe zu 
irgend einem heilfamen Zwekke zu verwenden, ald bier unthati⸗ 
ger Weile die Zeit hinzubringen. Darum mußte ber Erliſer 
zweifelhaft fein, ob in diefem Menſchen wirklich ein rechtes Ber- 
langen nach ber Gefunbheit fei, welched feinen rechten Grund in 
dem Gemüthe felbft hat, und wir fehen auch aus der Antwort 
bed Menſchen, wie er fich entichuldigt, daß er noch nicht gefunt 
geworben fei, und wie er bie Schuld von fih ab und auf bu 
Umftände wendet. Er hat alfo fein Uebel ertragen und ertragen 
wollen, und in dieſer Außerlichen Unthätigkeit, in biefem bios 
leidenden Zuftande, wo ed ihm aber eben beöhalb, weil ber On 
mit einer unmittelbaren Kraft von Gott auögeflattet war und 
daher auch ohne Zweifel häufig befucht wurde, gewiß an Unter 
fiögungen frommer Menfchen, bie ihre Dankbarkeit gegen bu 
göttlihe HYHülfe gern durch Mittheilung von Almofen an bi 
Nothleidenden unter ihren Brübern an ben Tag legten, nicht 
gefehlt hat, wollte er lieber müßig verharren, als die Kräfte 
die er noch hatte, durch Anftrengung zu etwas gutem und nikl: 
chem gebrauchen, wie wir benn bied bei leibenden, wenn fir 
fih einmal durch die Länge ber Zeit an ihr Leiden gewöhnt 
haben, nicht felten finden. | 

Der Erlöfer aber, der macht num feinem Leiden ein Ente, 
und fagt zu ihm, Stehe auf, nimm dein Bett und geht 
hin, und fofort thut er es. 

Als er aber nun ging, fo famen die Juden — da 
runter verſteht unfer Evangelift immer nicht ohne Unterfchieb je 
bed Mitglied ded Volks, fondern die angefehneren unter ihnen, 
und die ed ſich zum befondern Gefchäft machten, fei es nun ihr 
beftimmter Beruf gewefen oder nicht, auf Ordnung und Geſez 
im Volke zu halten — die kamen und ſprachen zu ihm, Ei, es 
iſt nicht ſchikklich heute am Sabbath das Bett zu tra 
gen. Und er antwortete ihnen, Der mich geſund 











a 
327 


ıtte, im Tempel wieder fand, fo ging er zu ihm und fprach zu 
m, Siehe zu, du biſt nun gefundb geworben, fündige 
ir fort nicht mehr, daß bir nicht etwas ärgeres wi; 
erfahre 

Barum, m. g. Fr., hat doch der Erlöfer dad gethan? Was 
ir einen Erfolg ed unmittelbar hatte für den Menfchen, das er 
ihlt uns der Evangelift nicht. Aber ber Menſch ging Hin 
‚nd zeigte den Juden an, wer ed wäre, ber ihn ge 
und gemacht habe. Das hat der Menfchen Sohn, ber wei 
oufßte was in bed Menfchen Herzen war, auch gewußt, es ifl 
ba nicht verbergen geweſen. Wollte er denn verfolgt werben, 
vie ihm nachher gefcheben ift, bag die Juden ihn verfolgten und 
u tödten fuchten, weil er dad gethan hatte auf den Sabbath? 
Sollte er ed gethan haben, um verfolgt und getöbtet zu werben? 
Bewiß nicht; denn er wollte ſich nicht in die Hänbe feiner Feinde 
iefern, wie wir dies aus taufend andern Fällen wiflen. Oft ent: 
‚og er fidh ihnen, weil ex wußte, daß fie ihm Nachſtellungen be: 
reiteten; oft vermied er abfichtlich dad Zufammentreffen mit ihnen, 
weil er wußte, daß fie ihn zu tödten fuchten *), und fo that er 
alles, was in feinen Kräften ftand, um nicht in ihre Hände zu 
fallen und um fidy feine Wirkſamkeit zu fihern. Warum that 
er aber doch dies? 
| M. g. Fr., das war der Drang feines Herzens, zu ber leib: 
lichen Wohlthat eine geiflige hinzuzufügen. Vorher ging zu dem 
Menſchen und redete dee Wunderthäter, auf deſſen Gebot die 
Krankheit ihn verließ, und bie frifche Kraft ded Lebens zuruͤkk⸗ 
kehrte, bie ihm fo lange gefehlt hatte, und weil viel Volks an 
dem Drt war, wo ber Menich gefund wurde, und baher gewiß 
viele fich werden zu ihm gedrängt haben, fo ging er von dan⸗ 
nen. Als er ihn nun wieder fand, da wollte er auch zu ihm 
reden als Erloͤſer, und er ſprach zu ihm, Siehe zu, du bifl 


*) Joh. 10, 39, Matth. 15, 21. 


326 

dert zum Lobe Gottes für die Hülfe, bie bem elenden geworben 
war, und fo war dies ein rechted Werk ded Sabbaths, welches 
dazu Veranlaſſung gab und die Menſchen aufforderte den U 
mächtigen zu preifen, ber ſich hier auf eine fo ausgezeichnete 
Weife. verherrlicht hatte. Und daß dies ein wahres Wert de 
Sabbaths war, das hätten nicht nur die, welche jenen fragte, 
ſelbſt denken koͤnnen, fondern auch er hätte ihnen fo antıworte 
koͤnnen und follen. Aber fie fahen nun in der ermwiefenen Hüfk 
des Ertöferd fowol, ats in dem Gehorfam beffen, ber gene 
war, nur die Uebertretung des äußerlichen Geſezes. 

Sa wohl, m. g. Fr., müffen wir es und überall fagen, un 
Fönnen es und nicht oft genug fagen und Mar genug vor Auge 
ftellen, wie e8 nichts giebt, was fo fehr dad Herz des Meniden 
verfälfcht und dadurch zugleih auf der andern Seite feinen Be: 
ſtand verfinftert, als dieſe Tnechtifche Anhänglichkeit an das bie 
Außerliche in Gefezen, Sitten und Gebräuden. Darum möge 
wir keine Gelegenheit vorbei laſſen Gott dafür zu danken und y 
preifen, daß er und davon frei gemacht hat, indem und der © 
töfer erhoben zur Anbetung Gottes im Geift und in der Wahr: 
beit *); darum mögen wir und vereinigen in dem Vorſaz, us 
diefe Freiheit der Kinder Gottes zu bewahren, und nicht wie 
Knechte der Menfchen zu werden und Außerlichen Sazungen un} 
zu unterwerfen **), Damit wir nicht ben reinen innen Gega 
ded göttlichen Wortes verlieren. Je mehr fich diefe Krrechtfceft 
bes menfchlichen Gemuͤths bemächtigt, deſto mehr wirb ber Gel 
des Menfchen von dem großen abgezogen und von Kleinigkeita 
gefefielt; defto mehr wird das innere fahren gelaffen, unb ber be 
ſchraͤnkte Sinn auf das Außerliche gerichtet; der lebendige Gai 
weicht von dem Menfchen, und er iſt nur noch ein Werkzeug fir 
den todten Buchſtaben. 

«8 nun der Erlöfer den Menfchen, den es gefund gemadl 


309.4, 2%. ”.) Ba 5,1 1Kor. 7, W. 











329 


en nach Feinem andern Geſez handeln. So fei denn auch dies 
mmerdar bie Richtſchnur unferes Lebens! 

Aber, m. g. Fr., die größte Verſtokktheit des Herzens geigf 
ich nun in dem, was ber Evangelift und zulezt erzählt, Der 
Nenſch ging hin, nachdem Iefus das zu ihm geſagt 
atte, und vertündigte den Juden, ed fei Zefus, bes 
bnn gefund gemacht habe. 

Nichts ezählt er und davon, wad für einen Eindrukk das 
nif fein Gemuͤth gemacht, nichtd davon, wie ihn das aufgefors 
vert hat unb getrieben, bem, ber ihm leiblich gebelfen, feinen 
Dank abzuftatten nicht mit Worten allein, ſondern mit ber Freude, 
nit welcher bie Gabe wol verdiente aufgenommen zu werben, 
nichts davon, daß er in dem, ber ihm bie leibliche Geſundheit 
zeſchenkt hatte, und ber ihm nun auch dad Herz erweichen unb 
Ur das ewige auffchliegen- wollte, etwas größeres und höheres 
erkannt hätte als den Wunderthaͤter und den Retter von irbi« 
ichen Leiben, fondern er ging hin und verrieth ihm ben Juden, von 
benen er wußte, daß fie and feinem andern Grunde nad) ihm 
gefragt hatten, ald um ihn zu verfolgen und als einen Lebertreter 
bed Geſezes zu tödten. Eine größere Verſtokktheit und ein groͤ⸗ 
Berer Undank ift fchwerlich zu finden; und doch wenn wir fragen, 
ie Fam der Menfch zu diefer tiefen Werworfenheit? fo fehen wir 
keinen andern Grund ald biefed beides zufammen, Auch in ihm 
war bie Anhänglihfeit an dad Außere und ber große 
Werth, den er auf daB äußere legte, und deöwegen eine übertries 
bene Ehrfurcht und ein falfcher Gehorſam, den er denen, die das 
Außere Geſez verwalteten und nur für ihr Anfehen und zu ih: 
rem Nuzen zu verwalten fuchten, fchuldig zu fein glaubte; und 
bann die Gleichguͤltigkeit gegen alles höhere und gött: 
liche, die in ihm dad acht und breißigiährige unthätige und 
müßige Warten auf Hülfe hervorgebracht hatte. 

Sa wohl, ja wohl! je länger der Menfch nur danach trach⸗ 
tet, die irdifchen Güter der Welt zu erhafchen und von irbifchen 





330 


Webeln frei zu werben, beflo mehr verliert er das Mermögen mh 
nur felbfl nad) bem höheren und ewigen zu Rrebem, fondern ex! 
su ertennen, wo es If. Darım, m. g. Fr., laßt und übe 
wo es in unferen Kräften ficht dafuͤr wirken, daß ſich die Ba 
ſchen um uns ber nicht verſtokken in dieſem Tichten und Ziel 
ten nach bem, was vergaͤnglich ift; laßt und, m. g. Fr — N 
it die Dankbarkeit, die wir dem Erloͤſer ſchuldig Find — um 
mübet danach fireben, fie von allem Außerlichen weggarmenben 
ihre Herzen begierig zu machen nach dem geifligen, unb ie 
die Schönheit des neuen ewigen Lebens, weicheS uns ber He 
gegeben bat, recht nahe zu bringen, bamit auch fie fobalb c 
möglich zu dem himmliſchen und ewigen erhoben werben, che 
ben Sinn dafür verlieren, und che es zu fpät if. Ja wir c- 
bie wir burd ihn erlöfet find und aus bem Tode zum &de 
gebracht, wir alle find ihm diefe Dankbarkeit ſchuldig, die Re 
(den um uns ber dazu zu erwekken und fie auf den hinzme 
fen, der ihnen, wenn fie in das frbifche verſenkt find, viel bw 
res geben Bann ald was fie bitten unb begehren *). Amen. 





9 0% 8, R- 





XXV. 
Am Sonntage Trinitatis 1824. 


Text. Joh. 5, 16 — 23.. 

Da ſie nun aber Jeſum verfolgten, weil er ſolches 
gethan hatte auf den Sabbath, antwortete er ihnen und 
ſprach, Mein Vater wirket bisher, und ich wirke auch. 
Darum trachteten ihm die Juden nun vielmehr nach, 
daß ſie ihn toͤdteten, daß er nicht allein den Sabbath 
brach, ſondern ſagte auch, Gott ſei ſein Vater und 
machte ſich ſelbſt Gott gleich. Da antwortete Jeſus 
und ſprach zu ihnen, Warlich, warlich ich ſage euch, 
der Sohn kann nichts von ihm ſelbſt thun, denn was 
er ſieht den Vater thun; denn was derſelbe thut, das 
thut gleich auch der Sohn. Der Vater aber hat den 
Sohn lieb, und zeigt ihm alles, was er thut, und 
wird ihm noch groͤßere Werke zeigen, daß ihr euch ver⸗ 
wundern werdet. Denn wie der Vater die todten auf⸗ 
erwekkt und macht ſie lebendig, alſo auch der Sohn 
macht lebendig, welche er will. Denn der Vater rich⸗ 
tet niemand, ſondern alles Gericht hat er dem Sohne 
gegeben, auf daß ſie alle den Sohn ehren, wie ſie den 
Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt den 
Vater nicht, der ihn geſandt hat. 


332 


M. a. Fr. Der Evangeliſt Johannes erzählt gewöhnlid, ve 
den wunberbaren Thaten bed Erloͤſers vorzüglid nur um te 
Reden willen, welche ſich an foldhe Thaten knuͤpfen, und weis: 
aus ihrem Zuſammenhange herausgeriſſen nicht hätten konc 
verſtanden werben; das iſt dasjenige, wodurch er ſich in dick 
Hinſicht ſehr merkwuͤrdig von den andern Evangeliſten umte 
ſcheidet. So auch jene Begebenheit von dem acht und derifiz 
jährigen kranken, ben Chriſtus heilte an dem Teiche Bethesde 
bat er vorzuͤglich erzaͤhlt um dieſer Rebe willen, bie ſich am ja: 
Handlung Tnüpfte, und die ſich durch dieſes ganze Gapitel bei 
Evangeliumd hindurchzieht. Den Anfang derielben Haben wc 
jegt mit einander gelefen und werben dieſe Worte auch eben me 
verfichen können, wenn wir auf den Zufammenhang Achtung 3 
ben, in welchem ber Erlöfer fie gefprocdyen hat. 

Er Hatte jenen kranken geheilt am Sabbath; das mache 
ihm die Juden zum Vorwurf, verfolgten ihn und, wie es w 
fechözehnten Verſe heißt, fuhten ihn zu tödten, weil er 
ſolches gethan hatte auf den Sabbath. Eraber anı: 
wortete ihnen, Mein Bater wirkt bisher, und ic 
wirke auch. 

Das Geſez des Sabbaths in dem alten Bunde, welches it 
nen eine gaͤnzliche Ruhe von aller Arbeit befahl, ſtand im 3c- 
fammenhange mit dem, was im Anfange der heiligen Schrifte 
des alten Bundes von ber Schöpfung gefagt wird, welche nin: 
lich beichrieben wird, ald habe Gott der Herr fie vollbracht a 
ſechs Zagen, und wo bei foldyen Abfchnitten allemal bemert: 
wird, Da warb aus Abend und Morgen der erfle, zweite ode 
britte Tag u. f. w., und dann wird gefagt, am fiebenten Lay 
aber habe Gott geruht *). 

Hierauf bezieht fi) nun ald auf den Grund biefes Gele 





) 1Moſ. 2, 2. 3. 





XXV, | 
Am Sonntage Trinitatis 1824. 


Tert. Joh. 5, 16 — 23.. 

Da ſie nun aber Jeſum verfolgten, weil er ſolches 
gethan hatte auf den Sabbath, antwortete er ihnen und 
ſprach, Mein Vater wirket bisher, und ich wirke auch. 
Darum trachteten ihm die Juden nun vielmehr nach, 
daß ſie ihn toͤdteten, daß er nicht allein den Sabbath 
brach, ſondern ſagte auch, Gott ſei ſein Vater und 
machte ſich ſelbſt Gott gleich. Da antwortete Jefus 
und ſprach zu ihnen, Warlich, warlich ich ſage euch, 
der Sohn kann nichts von ihm ſelbſt thun, denn was 
er ſieht den Vater thun; denn was derſelbe thut, das 
thut gleich auch der Sohn. Der Vater aber hat den 
Sohn lieb, und zeigt ihm alles, was er thut, und 
wird ihm noch größere Werke zeigen, daß ihr euch ver: 
wundern werdet. Denn wie der Vater die todten aufs 
erwekkt und macht fie lebendig, alfo auch der Sohn 
macht lebendig, welche er will. Denn der Vater rich: 
tet niemand, fondern alles Gericht hat er dem Sohne 
gegeben, auf daß fie alle den Sohn ehren, wie fie den 
Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt ben 
Vater nicht, der ihn gefandt hat, 


332 


M. a. Sr. Der Evangelifi Johannes erzählt gewoͤhnlich von 
den wunberbaren Thaten bed Erlöferd vorzüglich nur um ber 
Reden willen, welche fi) an folche Thaten knüpfen, und welde 
aud ihrem Zufammenhange herausgeriffen nicht hätten Tonnen 
verftanden werden; dad iſt dasjenige, woburd er fih in bieder 
Hinficht ſehr merkwürdig von den andern Evangelifien unter: 
ſcheidet. So auch jene Begebenheit von dem acht und breißig 
jährigen kranken, den Chriſtus heilte an dem Teiche Bethesde, 
bat er vorzüglich erzählt um dieſer Rede willen, bie ſich am jene 
Handlung fnüpfte, und die fich durch dieſes ganze Capitel bei 
Evangeliumd bindurchzieht. Den Anfang berfelben haben wir 
jezt mit einander gelefen und werden diefe Worte auch eben nur 
verftehen koͤnnen, wenn wir auf den Zufammenhang Achtung ge | 
ben, in welchem ber Erlöfer fie gefprochen hat. | 

Er Hatte jenen Tranken geheilt am Sabbath; das machten 
ihm die Juden zum Vorwurf, verfolgten ihn und, wie es im 
fechözehnten Verſe heißt, fuchten ihn zu töbten, weil er 
ſolches gethan hatte auf den Sabbath. Er aber ant: | 
wortete ihnen, Mein Bater wirkt biöher, und ich 
wirke auch. 

Das Geſez des Sabbaths in dem alten Bunde, welche ib: 
nen eine gänzlihe Ruhe von aller Arbeit befahl, fland im Zus 
fammenhange mit dem, was im Anfange der heiligen Schriften 
ded alten Bundes von der Schöpfung gefagt wird, welche näm: 
lich befchrieben wird, als habe Gott der Herr fie vollbracht in 
ſechs Tagen, und wo bei foldyen Abfchnitten allemal bemerkt 
wird, Da warb aud Abend und Morgen der erfte, zweite ober 
dritte Zag u. |. w., und dann wird gefagt, am fiebenten Tage 
aber habe Bott geruht *). 

Hierauf bezieht fich nun als auf den Grund dieſes Geſezes 





”, 1 Mof. 2, 2. 8. 








335 


Shern Thaͤtigkeit, es ſoll eben fo wenig unfer Beben einen fol 
yerr Gegenfaz haben, es fol alles ein ruhiges Werk des Sab⸗ 
aths fein, es fol alle zur Ehre Gottes gethan, es fol alles in 
Beziehung auf dad Heich bed Erxlöferd geſezt werben, und fo 
ınfer ganzes Leben fich immer mehr in ein gleichförmiged geſtal⸗ 
en, in allen Zeiten, ohne Unterfchieb von bemfelben Geift gelel: 
et, zu demfelben Zwekke benuzt, auf das Eine, was allein noth 
but, Bedacht darin genommen werben. Und dann werben auch 
pir gewiß fagen Binnen, wie ber Water bisher wirkt ununters 
wochen, wie der Erlöfer bisher wirkt ununterbrochen, fo wirken 
wich wir in der Aehnlichkeit mit der goͤttlichen Thaͤtigkeit und 
n bem lebendigen Bewußtfein, deffen wir und dann werden ge 
röften koͤnnen, dag wir nicht nur in den Wagen des Sabbaths, 
nicht nur da, wo wir und zur Förberung bes geifligen Lebens, 
welches wir allein von dem Erlöfer haben, zur Auffriſchung ſei⸗ 
ned Bildes in unferem innern und zur Betrachtung feines Worts 
mit einander verfammeln, fondern auch in den Tagen des Werks 
und der Arbeit, je mehr wir alles darin auf daB geiflige richten, 
feiner Wirkſamkeit, der himmlifchen und geifligen, uns erfreuen, 
und biefelbe in unferm innern erfahren werden. 

Wie erging es aber dem Erlöfer, als er bad gefagt hattet 
Der Evangelift erzählt uns, Nun hätten die Juden ihm 
noch viel mehr nahgetrachtet, daß fie ihn tödteten, 
weil er nicht allein. den Sabbath brach, fondern au 
gefagt, Gott fei fein Vater und ſich alfo Bott gleich 
gemacht habe. So ging ed ihm allo; indem er dad, was er 
gethan, vertheidigen und rechtfertigen wollte, fo zerfiel er Durch 
feine Vertheidigung immer mehr mit den Menfchen, die das erfte 
nicht verftanden. 

Das war alfo auch fein Ergehen in der Welt, wie es denn 
natürlich ifl.- Wenn die Menfchen einmal von ganz entgegenges 
fezten Anfichten audgehen und in dem Grunde ihres innern ganz 
von einander abweichen, fo muß au, indem fie ſich gegen ein⸗ 








En En EEE ei ET en Et De a ü—— 


. 334 


Sorge und ber irdiſchen Geſchäfte eingefehloffen, fondern weil fie 
ganz eine göttliche iR, auf michtd anderem beruhet als auf dem 
großen Werk der Erlöfung und der Wiederbringung des menfd- 
lichen Geſchlechts, fo geftattet und erfährt fie auch eben fo wenig 
die Unterbrechung und einen Stillſtand, als bie göttliche fchaf: 
fende und erhaltende Thaͤtigkeit einen foldyen erleiden kann. 
Bas aber, m. g. Fr., folgt wol baraus nun zunächft für 
und, bie wir nun freilich nicht fagen koͤnnen, daß unfere gang 
Thätigkeit eben fo wie bie bed Erloͤſers eine göttlidye fei und 
an dem irbifchen Beinen Theil habe! Sollen wir nun fagen, 


daß wir, was er hier gethan und gefagt hat, auf uns nicht an 
wenden können? Dann würden wir ben Worten wiberfprechen, 


welche er anderwaͤrts und zu wiederholtenmalen gefagt hat, baf 





wie ihn der Water geſandt habe, fo fende er ſeine Juͤnger ) 


Bir follen alfo auch jene unfere Thaͤtigkeit eben fo nach dex fe 
nigen und nach dem Weſen derfelben einrichten, wie er fagt u 


den Worten unfered Textes, daß alle feine Thaͤtigkeit der IE 


tigkeit feined Waters ähnlich fei und ihr folge. Es verhält ſich 
aber damit fo, daB auch unfere irdifche Thaͤtigkeit allzumal fol 
geheiligt fein und immer mehr eine geiſtige und göttliche werden, 
indem wir alled, was wir thun, wie auch ‚ber Apoflel die Chri 
ſten ermuntert, zur Ehre Gottes thun follen **), auch daB was 


feinem oberflächlichen Anfehn nah nur ganz in das Gebiet de 


irdifhen Beduͤrfniſſe und der irbifhen Sorgen gehört. 

Darum fol auch für und ein folcher Unterfchieb zwiſchen 
Tagen bed Werks und der Arbeit und zwifchen Tagen des Seh 
baths und der Ruhe nicht fein, fondern wie wir leztere vorzüg 
ich der Stärkung und Erhöhung des geifligen Lebens wibmen, 
und alles, was fich darauf bezieht, ein eigenthümliched Geſchaͤſt 
berfelben fein foll, fo follen doch die Tage des irdiſchen Werkt 
und bes irbifchen Arbeit Feinesweges ein Ruhen fein von jeme 


*) Joh. 2, 2. ”) 1 Kor, 10, 31. 


| 








337 


tenfchen Fund zu thun und ihnen Nechenfchaft zu geben von 
e Hoffnung bie in uns ift *), je mehr fih auch bie Menfchen 
gen dasjenige fezen, was wir lieben und fuchen, je mehr fie 
ich alle Macht und Gewalt, die ihnen zu Gebote fleht, anwens 
n und anwenden möchten, um uns in ber Körberung bed Reis 
ed Gottes zu flören, nie follen wir aus Scheu vor bem Er⸗ 
(g das unterlaffen, was wir ald den göttlichen Willen erken⸗ 
n, denn ed kann und nichtd anderes begegnen, ald was bie 
ttliche Allmacht und bie göttliche Weisheit für dad befte Hält, 
ad in dem ewigen Willen beflen, dem wir und zu Dienern 
ıd Werkzeugen begeben, gegründet ifl, und was zur Förderung‘ 
ines Meiched gehört, worauf fich alle feine gnäbigen und weis 
n Abfichten mit und beziehen. Wollen wir aber bie Hand an 
n Pflug legen und dann wieder zuruͤkkſehen, fo würden wir 
cht tüchtig fein zum Reiche Gottes **). 

Wie nun bei den Worten des Herrn, Mein Bater wirkt 
isher, und ich wirkte auch, feine Zuhörer eine Ahndung hats 
n davon und fie mußten zurüffgeführt werben darauf, daß er 
ch in ein eigenthümliches befonderes Verhaͤltniß zu Gott fege, 
nd bewegen noch mehr ihn zu verfolgen fuchten, ja fogar zu 
‚dten, weil er Gott in einem befonberen Sinne feinen Vater 
annte und ſich Gott gleich machte: fo fährt er nun fort, 
ngeftört durch den Eindrukk, den diefe Worte auf fie gemacht 
atten, in Beziehung auf die That, um berentwillen fie ihn vers 
Igten, er fährt weiter fort, fich gegen fie zu erflären und feine 
‚bat zu rechtfertigen, aber immer fo, baß er von biefem befons 
ern Verhaͤltniß zwifchen ſich felbft und Gott audgehet, und fo, 
ie er ſich in einem ganz vorzüglichen Sinne den Sohn Gottes 
nd Gott feinen Vater nennt, er fährt .alfo fort, Warlich, 
yarlich ich fage euch, der Sohn fann nichts von ihm 
elbft thun, benn was er fiehet ben Vater thun, denn 


”) 1Petr. 8, 15 ” uf, 9, 62. 
Som, uͤb. Ev. Joh. 1. Y 


338 


was derfelbige thut, das thut gleich auch der Eat 
der Water aber hat den Sohn lieb und zeigt ibm: 
(ed, was er thut, und wird ihm nod größere Rır 
zeigen, daß ihr euch verwundern werdet. | 

Bie jene Worte, Mein Vater wirkt bisher, unt! 
wirfe auch, auf jene altteflamentarifdhe Erzählung von da 
fchichte der Schöpfung und alfo auf die ſchaffende und c: 
tende Wirkſamkeit Gottes auf die ganze Welt zurüffgeber: 
müffen wie auch diefe Worte bed Erlöferd an jene enfnüpien ı 
daraus zu verftehen fuchen. Zweierlei muß und darin Ni 
ders auffallen und merfwürbig fein. | 

Zuerft daß der Erlöfer fagt, Der Sohn kann nie 
von ihm ſelbſt thun, denn waß er ſiehet den di 
thunz was aber der thut, das thut gleich aud er. | 
will nämlich durch dad erſte zeigen, daß indem er auftrat. : 
ein neued Reich Gottes auf Erben zu fliften, in den Gr 
nad) welchen er dabei hanbelte, in der Grundlage, worauf £ ! 
ned Reich erbauen wollte, nichts willführliches fei, fonbem : 
daB Reich, welches er fliften wollte, dad Reich der Gnat: | 
dem unmittelbarften Zufammenhange fiche mit bem allgeme" 
Reich Gottes, mit dem Reiche der göttlichen Macht, mit: 
ganzen Umfange ber fhaffenden und erhaltenden Kraft dei 
lerhoͤchſten, und daß es dieſelben Geſeze feien, nach welchen ! 
Vater die ganze Welt leitet und regieret, die der Sohn in d 
geifligen Meiche, welches er unter dem menfchlichen Geſchledt? 
Ehre feines himmlischen Vaters gründen wollte, befolge, dei" 
bed eins und baffelbe fei, daß das eine, dad eben erſt entfiche 
und befondere, nur dad reine Abbild jened allgemeinen fi. 

Das hängt num genau bamit zufammen, wie und die St 
den Sohn befchreibt als das Ebenbild des göttlichen Brio 
unb ben Abglanz' feiner Herrlichkeit *). Nun kennen wir «“ 





*), Kol. 1, 1 Ebr. 1,3 


339 


3 göttliche Weſen nicht anderd ald nur, indem wir fein wahr: 
‚men .an den Werken, nämlich an ber Schöpfung der Welt *); 
göttliche Macht, wie fie in ihrem innerften Grunde darauf 
uht, daß ſich der Hoͤchſte offenbaret, um feine Liebe zu ver: 
rlihen an feinen Geſchoͤpfen. Das ift das göttliche Weſen 
ft Wie wir nun Gott nicht anders ald in ber liebevollen 
Sübung feiner Macht kennen, fo ift auch dad Weſen des Soh⸗ 
3 nichts anderd als bie liebevolle Gewalt, die er über bie 
enfchen ausübt, um fie in das Reich Gottes zu führen und 
yei zu erhalten **), und beides ftellt er und hier dar ald eins 
d daffelbige, dad Walten des Höchften und bie ewige Offen: 
rung feiner Macht durch feine Liebe auf der einen Seite, und 
3 Schauen der göttlichen Wege und Werke in dem Sohne 
f der andern Seite, beided als eind und baffelbige und in 
m genaueften Sufammenhang ftehend. Alle Willkuͤhr, alles eis 
ne Thun und Treiben ift ganz ausgefchloffen von dem Sohne; 
ift auf der einen Seite ganz verfenkt in die Betrachtung Got: 
3, wie er ihn immer gegenwärtig hat und immer erfüllt ifl 
n dem Bewußtfein, daß er in dem Vater ift und ber Vater 
ihm ***), aber auf der andern Seite immer begriffen in dem 
uöftrömen diefer Zülle feiner göttlichen Kraft auf die Menichen ; 
ıd beides ift nicht verſchieden, fondern eins und baffelbige, wie 
ich in Gott die ewige Fülle feines Weſens, feiner Macht und 
iner Liebe und das Auöftrömen feiner Macht auf die Welt und 
ıf das menfchliche Geflecht, die Offenbarung feiner ewigen 
raft und Herrlichkeit eins und baflelbige iſt. In diefem Sinne 
gt Chriftus, daß er nichts von ſich ſelbſt thue, baß Peine 
Binkühr fei in feinem Handeln und in den Gefezen, die er felbft 
ervorbringe und befolge bei ber Gründung des Reichs der Gnade, 
ındern bag alles in Webereinflimmung fei mit dem allgemeinen 


” am. 1, 19. %. ”) Matth. 28, 18. ””) Joh. 14, 11. 
92 








340 


göttlichen Thun und Wirken, und das feinige nur em Yet 
men von biefem allgemeinen göttlichen Thun und Birken 

Aber was und dabei zweitend Wunder nehmen mei. 
die befondere Art, wie Chriftus redet, wenn er fih auf te: 
dern Seite eben fo beflimmt vom Water zu trennen fans, : 
ex fich vorher mit ihm verbindet, indem er fortfährt, Der?! 
ter hat den Sohn lieb und zeigt ibm alles, m: 
thut, und wird ibm noch größere Werke zeigen, : 
ihr euch verwundern werdet. Da flellt er fi ſelbdü 
gleihfam als den Zögling Gottes und ald noch fähig eints 
maͤligen Wachſthums feiner Einfiht und feiner Wirkiae 
vorher aber hatte er gefagt, Er könne nichts von ſich 'e- 
thun, fondern was er den Vater thun fehe, das m 
gleih auch der Sohn, nun aber fagt er, wie der Burc! 
Sohn lieb habe, fo werde er ibm-aud immer grest 
Werke zeigen, alfo der Sohn werde immer mehr ſehen: 
dem ganzen Werk ber göttlichen Macht und Liebe, und k = 
er felbft fähe, deflo mehr werde er auch thun. Hat der E- 
bier nicht zu gering von fich gerebet, und denen zu vid © 
ſchub gethan, die ihn felbft nur wie einen andern Menſchen 
ſehen und darflellen wollen? 

Aber laßt uns, m. g. Fr., nur bied bebenfen, daß, 7= 
der Herr fi den Sohn nennt, er dabei immer bad ran :- 
liche und ihn von allen Menfchen unterfcheidende in fü: 
Sinne hat; aber fo wie er fich felbft giebt, und wie auf: 
ihn nicht anders Eennen, als nur wie dad göttliche und me‘ 
liche in ihm eins ift, fo redet er auch bier von ſich und 
diefer Vereinigung des göttlichen und menfchlichen in fih, " 
diefem Zleiich gewordenen Worte Gottes, von diefem Sohnt 6. 
tes, der Fleifh und Blut angenommen hat und allen Gel“ 
ber menfchlihen Natur unterworfen geweſen if; davon fonnt‘ 
fagen einmal, daß ber Water ihn lieb habe, wie er berjenigt® 


341 


F welchem alleß göttliche Wohlgefallen ruht *), und eben fo 
ırıte er von ſich fagen, baß feine Einfiht und feine Wirkſam⸗ 
t zunähmen, wie auch die Schrift ihn in den Jahren feiner 
gend befchreibt, daß er zugenommen habe nicht nur an Alter, 
ıdem auch an Weisheit und Gnabe bei Sott und den Men: 
en **). So barf und alfo das nicht flören und und nicht irre 
ıchen in dem, was ber Erlöfer vorher gefagt hat, daß er den 
ater in fich felbft habe und ſchaue, dag dad göttliche Weſen es 
‚ welches feine ganze Wirkſamkeit leite und alle feine menſch⸗ 
ben Kräfte in Bewegung feze, und nachdem er dies auf eine 

Deutliche Weife gefagt hat, fo kann er auch das menfchliche 

feiner Wirkſamkeit und in feinem Thun heraushebend fagen, 
ı6 der Vater den Sohn lieb habe und ihm alles 
as er thut zeige. 

Denn ſowol fein Reich auf Erben, in feiner Verbreitung 
ser das menfchlihe Gefchlecht, ald auch der Anfang, den er 
(bft dazu gemacht hat, war ebenfalls dem Geſez alles menfchs 
hen unterworfen, daß es von einem kleinen Anfang ausgehen 
ad immer weiter ſich erfireffen mußte unter den Menfchen. Und 
zeigt fih auch im Leben ded Herrn, bei diefer und jener Vers 
alaffung, dieſes Gefez feined eigenen Thuns und Lebens, wie 
enn auch diefe Begebenheit ein Beiſpiel davon gewelen war, 
aß fih ihm die Gelegenheit darbot zu der rechten Audlegung 
on dem Gefez bed Sabbath und von dem wahren geifligen Sinn 
sffelben. So von einem kleinen Anfang fich immer weiter ers 
rekkend und immer tiefer eingreifend, konnten erft allmälig die 
üge zu dem Bilde feined göttlichen Lebens zufammentreten. 
(ber wie er felbft nur ald Menſch und in der menfchlichen Welt 
Ute in jedem Augenbliff feine Aufmerkſamkeit bloß auf alles 
asjenige richten, was der Augenbliff mit ſich brachte, aber ſich 
oohl bewußt war ber Zulle der göttlichen Kraft, die ihm in kei⸗ 
em Augenblikk fehlte: fo konnte er auch fo von fich reden, daß 


*) Matth. 3, 17. 2 Petr, 1, 17. ) eLuk. 2, 40. 


340 


göttlichen Thun und Wirken, und das feinige nur ein Ausſtroͤ 
men von diefem allgemeinen göttlihen Thun und Wirken. 

. Aber was und babei zweitend Wunder nehmen muß, if 
die befondere Art, wie Chriftus redet, wenn er fih auf der az: 
dern Seite eben fo beflimmt vom Vater zu trennen fcheinet, wi 
er fich vorher mit ihm verbindet, indem er fortfährt, Der Be 
ter bat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, wa3 er 
thut, und wird ihm noch größere Werke zeigen, daf 
ihr euch vermundern werdet. Da ftellt er fich ſelbſt bir 
gleichfam ald den Zögling Gottes und ald noch fähig eines al: 
mäligen Wachsſthums feiner Einfiht und feiner Wirkjamtkei: 
vorher aber hatte er gefagt, Er Eönne nichts von fich felbf 
thun, fondern was er den Vater thun fehe, das thur 
gleich auch der Sohn, nun aber fagt er, wie der Vater te 
Sohn lieb habe, fo werde er ihm auch immer größen 
Merle zeigen, alfo der Sohn werde immer mehr fehen v« 
bem ganzen Berk der göttlichen Macht und Liebe, und je mc! 
er felbft fähe, befto mehr werde er auch thun. Hat der Grlöfa 
bier nicht zu gering von fich geredet, und denen zu viel Bor 
{hub gethan, die ihn felbft nur wie einen andern Menfchen as: 
fehen und darftellen wollen? 

‚ Aber laßt und, m. g. Fr., nur bied bebenfen, daß, wenn 
der Herr fih den Sohn nennt, er dabei immer dad rein goͤn⸗ 
lihe und ihn von allen Menſchen unterfcheidendbe in fich im 
Sinne hat; aber fo wie er fich felbft giebt, und wie auch wir 
ihn nicht anders kennen, ald nur wie das göttliche und menſch 
liche in ihm eins ift, fo redet er auch bier von ſich und von 
biefer Vereinigung bed göttlichen und menfchlichen in fich, ven 
diefem Fleijch gewordenen Worte Gottes, von diefem Sohne Go: 
teö, der Fleifh und Blut angenommen hat und allen Geſezen 
ber menfchlichen Natur unterworfen gemwefen iſt; davon konnte er 
fagen einmal, daß ber Water ihn lieb habe, wie er berjenige if, 








343 


Auch diefe Worte verſtehen wir nur recht, wenn wir fle im 
ſammenhange mit jener Begebenheit, die der Erlöfer und feine 
mittelbaren Zuhörer immer im Sinne hatten, betrachten. Denn 
ſer Wechſel zwifchen Thaͤtigkeit und Ruhe, ber nicht in ber 
yätigkeit Gottes Statt findet, aber fich in feinen Gefchöpfen 
f mannichfaltige Weiſe offenbaret, dem liegt, wie ſchon dem 
glichen Wechſel zwiſchen Licht und Finſterniß, zwiſchen Tag 
ıd Nacht, der Anſchein eines Gegenſazes zum Grunde zwilchen 
m tobten und lebendigen. Aber das tobticheinende wird im: 
er wieder erwekkt, bie verfiorbene Natur erwacht mit jedem 
men Frühling. aus ihrem Schlummer, und es vegen fi in ihr 
ue Kräfte, ber fchlafende Menfch wird immer wieber von neuem 
8 Leben gerufen, alles durch die Macht Gotted, und was bem 
ode fchon nahe ift, dad wird nicht felten mit neuer Lebenskraft 
fuͤllt durch die Macht deſſen, der alles geſchaffen hat und er⸗ 
zAt. Alſo als Leben mittheilend, als Leben erhaltend, als Leben 
rdernd zeigt fie ſich uͤberall. 

So wie der Sohn nichts von ſich ſelbſt thut, aber alles, 
‚ad er den Vater thun ſieht, auch gleich thut, ſo iſt auch die 
eiſtige Wirkſamkeit des Sohnes eine ſolche belebende, Leben mit⸗ 
heilende und Leben erhaltende. Das, m. g. Fr., wiſſen wir 
Ue, die wir an ihn glauben, aus unferer eigenen Erfahrung. 
58 ift uns ein neues Leben, welches wir von ihm empfangen 
‚\aben, und wir wiffen, daß wir es nur, in fo fen wir in dem 
ebendigen Zufammenhange mit ihm und in ber Aehnlichkeit mit 
hm bleiben, behalten tönnen, wir wiffen, daß wire? immer aufd 
yeue von ihm empfangen, daß wir immer aufd neue durch ihn 
xwekkt werden zum geifligen Leben, und daß er es ift, der uns 
immer aufs neue nährt und ſtaͤrkt aus der Fuͤlle feiner Kraft 
und feiner Weiöheit, und ber nie aufhört uns einzuladen, daß 
wir uns unauögefezt von ihm mögen tränfen lafien aus ber 


Quelle ded lebendigen Waſſers. 
Indem er aber fagt, Alfo auch der Sohn macht le 





342 


der Water ihm immer mehr zeige. Denn je mehr fid 
fein Reich auf Erben befefligte und verbreitete, defto mehr wer 
er im Stande zu thun, deſto mehr erkannte er menfchlicher Weit, 
was zu thun fei für feine Beſtimmung, und beflo mehr ver 
mochte er auf das göttliche hinzufehen, welches allein ihn leitet. 
ohnerachtet er alles auf gleiche Weife, aber nicht auf glead 
Weiſe in dem menfchlichen Bewußtſein vor fich hatte. 

Er hat died alfo alled gefagt auch um unferetwillen, wor 
ed und auch gereichen wird, wenn wir bebenfen, daß er und r 
daffelbe Verhaͤltniß mit fich felbft fezt, in welchem er zu feine 
Vater fland. Wie er in dem Vater war und der Vater in ihn 
fo follen auch wir in ihm fein, und er in uns, und feine & 
Tenntniß und die Erfenntniß feines göttlichen Wefens in unse 
niemald wechfelnded und uns immer leitended fein. Aud ws 
follen nichts von uns felbft thun, fondern nur was wir ka 
Sohn thun fehen, das follen wir gleich auch thun. Aber wer 
und unfere Bemühungen freilich auf mancherlei Weife in bier 
Beziehung zweifelhaft erfcheinen, fo follen wir und deffen getr:- 
fien, daß wie der Sohn uns lieb hat, er fo auch und immer art. 
Bere Werke zeigen werde, daß fih und immer mehr enthüle 
werte der Zufammenhang aller irdifchen Begebenheiten mit ben 
großen Werke der Erlöjung, und dag wir in feinem Augenbi 
außer Stand fein werden ihm nachzufolgen und fo das zu thur 
road ihm wohlgefällig iſt; der eine jezt und in biefen erhält. 
uiffen, der andere fpäter und in andern Verhaͤltniſſen. 

Aber nachdem der Herr feine Zuhörer auf das Verhältui 
feiner Thätigkeit zu der Thätigkeit feines Waters aufmerkſam ge 
. macht hat, fo unterläßt er auch nicht ganz befonbers zu faga 
worauf vorzüglich dieſe Thätigkeit fich bezieht, Wie der Vate: 
die todten auferwekkt und macht fie lebendig, alſe 
auch der Sohn macht lebendig, welde er will, den: 
ber Bater richtet niemand, fondern alles Gericht hat 
er dem Sohne gegeben. 








35 


ber Gottes gerufen. Aber wie wir wiflen, baß alles, was ber 
Vater thut, dad befte ift — denn das liegt eben barin, baß er 
alles zu einem fchönen Ziele hinausführt — fo fühlen wir un 
dadurch getröftet; daß, wenn auch in dem Reiche des Sohnes, in 
bem Üeiche der Gnade, alles erſt allmälig zu Stande kommt, 
dennoch was in jedem Augenbliff gefchiehet das befte ift, und 
Daß wenn ber Herr den einen früher, ben andern fpäter lebendig 
macht, er Teinen andern Grund hat ald bie größte mögliche Ents 
wilfelung feined Reiches auf Erden, wie ed den Gefezen ber 
Zeit und alled menfchlichen unterworfen iſt. 

An biefem Sinne alfo hat ber Vater dem Sohne bie Uns 
terfcheidung des frühern und bed fpätern, die Auswahl deſſen, 
was lebendig gemacht werben fol, überlaffen, auf dag, fährt er 
fort, fie alle den Sohn ehren, wie fie den Vater eb: 
ren; wer den Sohn nicht ehrt, ber ehrt den Vater 
nicht, der ihn gefandt Hat. Und fo kehrt er denn wiederum 
zuruͤkk auf dad innige Verhaͤltniß zwoifchen fich felbft und dem 
Vater, auf bie wefentliche Einheit zwifchen fih und Gott, denn 
ohne bied voraudzufezen, können wir nicht verfichen, daß wer ben 
Sohn nicht ehrt auch den Vater nicht ehrt, der ihn gefandt hat. 

Das ift daffelbe, was er anderwärts fagt, Es kann niemand 
zum Vater kommen denn nur burch ben Sohn *), ed kann nie 
mand ben Bater fchauen, denn nur dur den Sohn. So fol 
len wir in dieſes Reich der göttlichen Gnade verfenkt, wovon er 
ber Grundſtein und das Haupt ift **), fo dag bie ganze Kraft 
des neuen Lebens, welches alle Glieder feined Leibed durchdringt, 
von ihm und von der Fülle der Gottheit in ihm audgeht, fo 
follen wir feinem Worte trauen, daß eben diefe Kraft der goͤtt⸗ 
lichen Gnabe in ihm und bie allmälig fchaffende und erhaltenbe 
Kraft Gottes eins und boffelbige fei, ein und daſſelbe Geſez in 
ihm, wonach er fein Werd vollbringt und die tobten lebendig 


”) 3 1, 18, Joh. 14, 6» ”) 1Kor. 3, 11. ph. 1, 22. 


344 
bendig, welche ex wilt, fo erklaͤrt er und dies durch bie feh 
genden Worte, Der Vater richtet niemand, fondern ab 
Les Gericht hat er dem Sohne gegeben. 

Auch diefe Worte, m. g. Fr., mögen und auf eine cgm 
thümliche Weife Wunder nehmen, indem der Here andernirk 
fagt, Er fei nicht gefandt in die Welt, um die Belt zu richte, 
fondern um fie felig zu machen *), hier aber fagt er um zue 
klaͤren, daß er lebendig made, welche er will, er ſag 
daß der Water niemand richtet, fondern bag er alles Geridl 
ihm, dem Sohne, überlaffen habe. Wir werden aber auf 
dies leicht verftehen, wenn wir an die vorhergehenden Worte id 
Erlöfers denfen. Wie kann er doch fagen, er made leber 
Dig, welche er will, da er vorher gefagt hat, der Sol 
thue nichts von fich ſelbſt, fondern nur, was er ben Bam 
thun fieht, das thue gleich auch er. Es ift alfo auch fein dr 
ner Wille des Sohnes von dem Willen des Vaters unter: 
ben, der ihn bei diefer Leben hervorrufenden und Leben erhal 
ben Thätigkeit leitet, fondern wie der Water und der Sohn ut 
ift **), fo ift auch der Wille des Sohnes Fein andrer als da 
feines bimmlifchen Vaters. Aber wie dad Werk des Cohn 
ein fortfchreitended und in dem Laufe ber Zeit ein immer m 
fi) entwikkelndes ift, und alfo darin ein frühere und ein in 
tered iſt und ein Zurüffgehen auf ihn felbft: fo will er ſage 
daß dad Fein anderer Wille ift ald ber Wille feines Water, M 
in ber Welt gebietet und herrfcht, und wie der Sohn ben Bam 
thun fiehet in dem ganzen Umfange feiner Schöpfung, fo th 
aud er in dem Reiche der Gnade, welches er geftiftet hat. Bi 
nun in dem weiten Reiche ber göttlichen Macht alles allmil; 
zu Stande kommt, fo wirb auch in dem geifligen Reiche de 
Sohnes der eine früher, der andere fpäter aus dem Tode zu de 
lebendigen Gefühl des geiftigen Lebens und zur Freiheit der 86 





”) Ih. 3, 17. ”) 305. 10, 30 


’ 


35 


ver Goties gerufen. Aber wie wir wiffen, baß alles, was ber 
Bater thut, daS befte ift — denn das liegt eben darin, daß er 
Ales zu einem fchönen Ziele hinausführt — fo fühlen wir uns 
yaburch getröftet, daß, wenn auch in dem Reiche bed Sohnes, in 
dem Meiche der Gnade, alled erft allmälig zu Stande kommt, 
dennoch was in jedem Augenblikk geichiehet das befte ift, und 
bag wenn ber Herr den einen früher, den andern ſpaͤter lebendig 
macht, er feinen andern Grund hat ald die größte mögliche Ents 
wiffelung feined Reiches auf Erden, wie ed den Gefezen der 
Zeit und alles menfchlichen unterworfen iſt. 

An diefem Sinne alfo hat der Vater dem Sohne bie Uns 
terfcheidung des frühern und bes fpätern, bie Auswahl beffen, 
was lebendig gemacht werben fol, überlaffen, auf dag, fährt er 
fort, fie alle den Sohn ehren, wie fie den Bater eb 
ren; wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt den Vater 
nicht, der ihn gefandt hat. Und fo Fehrt er denn wiederum 
zuruͤkk auf dad innige Werhättnig zwifchen fich felbft und dem 
Water, auf die weentliche Einheit zwifchen fih und Gott, denn 
ohne dies voraudzufezen, koͤnnen wir nicht verftehen, Daß wer ben 
Sohn nicht ehrt auch den Vater nicht ehrt, der ihn gefandt hat. 

Das ift daffelbe, was er anderwärts fagt, Es kann niemand 
zum Vater kommen denn nur durch den Sohn *), es Tann nie 
mand den Vater fchauen, denn nur dur ben Sohn. So fol: 
len wir in dieſes Reich der göttlichen Gnade verfenkt, wovon er 
ber Grundſtein und dad Haupt ift **), fo dag die ganze Kraft 
des neuen Lebens, welched alle Glieder feined Leibes durchdringt, 
von ihm und von ber Zülle der Gottheit in ihm audgeht, fo 
follen wir feinem Worte trauen, daß eben biefe Kraft ber göfts 
lichen Gnade in ihm und die allmälig fehaffende und erhaltende 
Kraft Gotted eind und bdoffelbige fei, ein und baffelbe Geſez in 
ihm, wonach er fein Werk volbringt und bie tobten lebendig 


”) Jod. 1, 18. Joh. 14, 6» “rg Kor. 3, 11. Ep. 1, 22. 


346 


macht, und in dem Water, wonach er dad ganze feiner Schoͤp⸗ 
fung leitet; fo follen wir feinem Worte trauen, daß wir in ihm 
den Vater ehren, und follen und befcheiden, bag wenn wir bie 
Kraft der Gnade in Chrifto nicht erfennen und die Kraft fe: 
ned Geiſtes im Chriftenthum fehen, daß wir dann auch die 
Kraft und die Macht Gotted und alles was in bad Gebiet des 
Vaters, gehört nicht verftehen. Denn nur in fo fem wir Die 
unmittelbare Nähe des Sohnes in und erfahren, Eönnen wir den 
begreifen und fein Werk und feinen Willen verftehen lernen, ben 
er und offenbaret hat. ‚ 

Wenn wir aber, m. g. Fr., aud ber eben vergangenen fefl: 
fichen Zeit noch befonderd befien gebenten, bag der Sohn vom 
Vater audgegangen ift, und daß er feinen Geift über uns aus 
gegoffen hat, der uns in dem Namen bed Sohned dem Vater 
zuführt: fo führen wir dies auf jenes Wort des Apofteld zumüft, 
dag niemand kann Chriflum einen Herrn nennen ohne ben hei 
ligen Geift *), daß wie wir nur bie Macht des Sohnes erken 
nen, weil biefelbe göttliche Macht und daſſelbe göttliche Weſen 
in ihm wohnet, und er nur dadurch in den Stand gefezt war 
zu thun, was er den Vater thun fah, fo auch nur, wenn wir 
ben Geiſt Gottes haben, der der Geift des Sohnes if, unb ans 
diefem Geifte heraus mit ber ewigen Liebe des Sohnes rufen, 
Lieber Vater **), wir nur dadurch im Stande find ben Sohn 
zu erkennen, fein Thun zu verfiehen, in ihm das göttliche anzu⸗ 
fhauen, in ihm den Water zu fehen. Und fo koͤnnen wir fagen, 
bag daß fein erlöfendes Werk ift, Daß er und von feinem Geifle 
gegeben, daß nur dadurch der reine Bufammenhang zwifchen uns 
und ihm möglich ift, und nur dadurch dad Wort wahr wird, 
baß der Vater mit dem Sohne kommt um Wohnung zu maden 
in unferem Herzen durch die Kraft des Geifted ***). Amen, 





*) 1 Kor, 12, 3 ” Roͤm. 8, 15+ ” Joh. 14, 23 











XXVI. 
Am 2. Sonntage nach Trinitatis 1824. 


Text. Joh. 5, 24 — 30. 


Warlich, warlich ich ſage euch, Wer mein Wort hoͤ⸗ 
ret und glaubt dem, der mich geſandt hat, der hat das 
ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, ſondern 
er iſt von dem Tode zum Leben hindurchgedrungen. 
Warlich, warlich ich ſage euch, es kommt die Stunde 
und iſt ſchon jezt, daß die todten werden die Stimme 
des Sohnes Gottes hoͤren; und die ſie hoͤren werden, 
die werden leben. Denn wie der Vater das Leben hat 
in ihm ſelbſt, alſo hat er dem Sohne gegeben das Les 
ben zu haben in ihm ſelbſt. Und hat ihm Macht ge⸗ 
geben, auch das Gericht zu halten, darum, daß er des 
Menſchen Sohn iſt. Verwundert euch deß nicht, denn 
es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den 
Gräbern find, werden feine Stimme hoͤren, und wer 
den hervorgehen, die da gutes gethan haben, zur Auf: 
erftehung des Xebens, die aber übeld gethan haben zur 
Auferftehung des Gerichts. Ich kann nichtd von mir 


348 


ſelbſt thun, wie ich böre, fo richte ich, und mein Be 
sicht ift recht; denn ich ſuche nidt meinen Wie. 
fondern ded Waters Willen, der mich gefanbt hat. 


Dı Erlöfer, m. a. Fr., fährt in biefen Worten noch eben t: 
mit fort, wad auch fehon ber Inhalt ded vorigen Theils una: 
Rede war, auf der einen Seite ſich felbft darzuftellen in !: 
vollkommenen Mebereinfiimmung mit feinem himmliſchen Batz 
fo aber, daß er alles auf ihn als bie urfprüngliche umb er 
Duelle zurüftführt, zugleich aber fi) darzuſtellen als benjenizc 
von welhem und durch welchen und alles fommt, alles Kx 
und aled Leben, und als den Mirtelpunft aller menſclite 
Dinge. Es find aber nun die verlefenen Worte nicht etwa c= 
bloße Wiederholung deſſen, was ber Here früher fchon ge: 
fondern überall finden wir auch in biefen Worten eigentbhür. 
ches und befondered, was unfere Aufmerkſamkeit auf fich ziet: 

So fängt er glei damit an, Warlich, warlich ich i::. 
euch, wer mein Wort höret und glaubet dem, ber m:: 
gelandet hat, der hat das ewige Leben und Ton! 
nicht in bad Gericht, fondern er ifl vom Tode ;ız 
Leben hindurch gedrungen. 

Sonft führt der Erlöfer alled auf ven Glauben an fid ie:: 
zurüff, Gott hat feinen Sohn in bie Welt gefandt, hat er ſcher 
früher bei unferem Evangeliften gefagt, auf daß, wer an ik 
ben Sohn, glaubt, nicht gerichtet werde; wer aber nicht glark 
ber fei ſchon gerichtet, weil er nicht glaube an den Ramen te 
eingebornen Sohnes Gotted *). Hier aber fagt er, Wer mıi: 
Wort hört und glaubt — und nun fährt er nicht fort :: 
mich, fondern an den, der mich geſandt bat, der bat t:: 
ewige Leben. Sagt er nun das eine Mal etwas anderes c: 
das andere Malt Oder iſt denn das eine etwas anderes c- 


” Joh. 8, 16 — 18. 








349 


a8 andere? Das bürfen wir wol nicht glauben, fonbern wir 
nüffen bedenken, was er anberwärtd fagt, ed kenne niemand den 
Bater ald der Sohn, und wen ed der Sohn will offenbaren *), 
ınd ed könne niemand zum Vater kommen ald durch ben Sohn **), 
nd eben fo müffen wir an dad denken, was er hier fagt, daß 
r nichts von fich felbft weder rede noch thue, ſondern nur, was 
hm ber Water zeigt, und was er ben Vater thun fiehet (5,19. 
0.). So giebt es alfo Feinen andern Glauben an ihn, als wel: 
per ifl der Glaube an den, ber ihn gefandt hat; aber ed giebt 
uch Beinen andern Glauben an ben Water, ald an den, der ben 
Sohn in die Welt gefandt hat. 

Und gewiß, m. g. Fr., ift bad ber einzige Glaube an Sott, 
on welchem das wirklich gefagt werben kann, daß der, ber ihn 
efaßt bat, das ewige Leben habe, wie der Erlöfer fagt. 
Benn der Apoftel Jakobus in feinem Briefe redet von einem 
zlauben an Gott, ben die Teufel auch haben, aber fie zittern ***), 
y ift das alfo ein Glaube, der das Leben nicht giebt, fondern 
nit welchem und in welchem noch der Tod if. Was liegt aber 
wiſchen diefen beiden, zwifchen diefem Glauben und dem Glaus 
en an den Water, ald ben, ber feinen Sohn gefandt hat in bie 
Belt, auf daß die Welt durdy ihn felig ‚werde? Nichts anderes, 
1. 8. Fr., als ein folched ungewiſſes Schwanken bed menſchli⸗ 
yen Herzens zwifchen dem Glauben und dem Unglauben, in 
yelchem das ewige Leben nicht if. Der Glaube an Gott, ald 
en Urheber ber Welt, der Glaube an ihn, ald denjenigen, ber 
Ned erhält und trägt, ber allein fan das Herz nicht felig ma⸗ 
ven; benn in demjenigen, wad wir hier fehen, was wir inne 
erben ald bad Werk Gottes, fehen und fühlen wir auch ets 
ad, wad der Keim und ber Grund unferer Unfeligkeit iſt. Nur 
enn wir ihn erfennen und an ihn glauben ald an denjenigen, 
er auch biefer Unfeligkeit ein Ende macht, nur dann iſt in dem 


”) Mattd, 11, 27. ) Joh. 14 5. 6. *9 Jak. 2 i% 


350 


Glauben an ihn das ewige Leben; und auf Feine anbıre 
Weiſe Eonnte und wollte ee — denn beides ift nicht verfchieben, 
fondern eind und daffelbige — dieſer Unfeligkeit ein Ende m 
chen, ald indem er feinen Sohn in bie Welt fandte, auf def, 
wer an ihn glaubt, nicht verloren werde (3, 16.). Nur in die 


fem Glauben an ihn ben Water, der feinen Sohn gefanbt hit, 


welhen Glauben wir dadurch haben, dag wir dad Wort ii 
Sohnes hören, nur darin haben wir bad ewige Leben. Alf 
wer mein Wort hört, konnte der Erlöfer mit vollem Redt: 
fagen, fo baß er dem, ber mich gefanbt Hat, glaubt, 


und auch daran glaubt, daß ih vom Vater in die 


Welt gefandt fei, der hat das ewige Leben. 

Und auch hier, m. g. Fr., dürfen wir nicht an ben Worte 
bed Erlöferd beuten, baß er etwa fagen will, dem ift das emigt 
Leben erft verheißen, daß er ed in Zukunft einmal erlanga 
wird, fondern er fagt, Der bat bad ewige Leben, und de 
meint er auch ganz buchftäblich und wörtlich, wie wir uns auf 
davon überzeugen Fönnen, wenn wir auf ben Zuſammenhang le 
ben, indem er fagt, Der fommt nicht in das Geridt 
Haben wir jezt noch nicht das ewige Leben in dem Glauben a 


ihn, fondern fuchen es erſt zu erlangen, wenn wir aus diem 


irbifchen Leben hinübergehen zu einem andern Abfchnitt unfers 
Dafeind, fo erlangen wir es erft durch dad Gericht. Der Erik 
fer aber fagt, Wer mein Wort höret und glaubt dem, ber mil 
gefandt hat, der kommt nicht in das Gericht, er Tann dh 
auch das ewige Leben nicht erft befommen, fondern muß d 
fhon haben, wie das denn auch übereinflimmt mit dem, m’ 
ber Erlöfer gleich darauf fagt, Der ift vom Tode zum er 
ben hindurch gedrungen, was doch niemand von einer fi 
es nahen oder fernen Zukunft verftehen Tann, fondern immer ab 
etwas unmittelbar gegenwärtiges denken muß. 

Wie follten wir auch, m. g. Fr., daran zweifeln, wie folt 
ed nicht unfer eigenes innerfied Bewußtfein und bie unmittelbar 








351 


tfahrung unfered Herzens fein, dag wir im Glauben an 
yn Das ewige Leben wirklih haben und fon jezt 
om Zode zum Leben hindurch gebrungen find? Der 
trlöfer, m. g. Fr., ald er diefe Worte fprach, da hatte er wol 
ur erſt eine fparfame menſchliche Erfahrung davon, wie fich das 
ı den Menfchen ereignete und entwikkelte, daß fie im Glauben 
n ihn das ewige Leben hatten. Klein war die Anzahl derer, 
ie ben lebendigen Glauben an ihn und an ben, der ihn gefandt 
atte, aus feinen Reden fchöpften; wanfelmüthig war der Glaube 
erer, bie er feine Sünger nannte, und die fich ſelbſt fo nannten 
nd aus feinen Worten das Leben zu fchöpfen fuchten. Aber in 
er Fülle feined Bewußtfeins, in dem Bewußtſein der göttlichen 
kraft, die in ihm wohnte, in diefem unumftößlichen Glauben, 
aß er der Sohn Gottes fei, daß er eins fei mit feinem Va⸗ 
er *), konnte er diefe Worte reden mit einer folchen Zuverficht, 
vie wir fehen, daß er fie nicht nur hier und öfter auch in uns 
erm Evangelio, fondern auch bei den andern Evangeliften häufig 
jeredet hat, und gewiß auch fonft noch daflelbe gejagt. Und fo, 
n. g. Fr., ift ed auch mit dem ewigen Leben, welche wir im 
Blauben an ihn und an den, ben er gefandbt hat, haben. Wir 
yaben ed, fo gewiß wir von biefem Glauben erfüllt find; aber 
wir fühlen au, was davon zur Erfcheinung kommt in biefem 
unferem irbifchen Leben, was ſich davon in unferer äußeren Wirk: 
jamfeit zeigt und fo in unfer eigened Bewußtſein zuruͤkkſtrahlt, 
das iſt noch etwas ſchwaches und unvolllommenes, aber in 
biefem lebendigen Glauben des Herzend, in biefem lebendigen 
Gefühl unfered innerften Dafeind und des geiftigen Lebens, wels 
ches, wie getrübt auch die aͤußere Erfcheinung fein mag, body 
immer eind und daffelbe ift, darin haben wir das ewige Leben, 
und barum ift der Glaube felbft dad ewige Leben, weil er in 
dem innerften tiefften Bewußtfein bed Menfchen ift, wo ex feine 


x 


”) Joh. 10, 30. 


352 


unvergangliche Kraft ausübt und offenbart, wenn er gleich nicht 
immer in die Erfcheinung tritt und das ewige Leben, weldes ia 
ihm ruht, Außerlich darftellt. Aber da haben wir ed fo gewij, 
ald wir glauben an ihn und in biefem Glauben mit ihm Ein 
gefvorden find und wiflen, bag wir aus dem ode zum 
Leben hindurch gebrungen find, wenn es gleich vieles ın 
unferem Leben giebt, wad und daran mahnet, daß wir in bem 
Lande des Todes wandeln, wenn auch bie äußere Erfcheinung 
des ewigen Lebens noch unterworfen iſt, wie denn alles in bie 
fem irdifchen Leben ein Wechſel tft zwifchen Wachen und Schlaf, 
zwifchen Licht und Zinfterniß, fo noch auf mannigfaltige Weiſe | 
unterworfen ift dem Wechſel des ftärkern und bed ſchwaͤchem, 
des bebeutendern und minder wichtigen. In der Erfcheinun | 
ift der Wechfel, aber im innern giebt e8 eine fefle und unmwer 
belbare Gemeinfchaft zwifchen Gott und der Seele, zwiſche 
Ehrifto, von welchem das Leben ausgeht, welches über alla 
Wechſel erhoben ift, und zwifchen der Seele, die fo burd ih 
genährt wird. 

Wie konnte aber wol ber Herr baran benfen, bag nur die 
jenigen, welche fo fein Wort hören, daß fie glaubten an den in 
‘ihn gefanbt hat, vom Tode zum Leben hindurch gebrungen find, 
ohne mit feinem Herzen vol Liche auch an diejenigen zu denken 
welche noch im Tode liegen? Aber darum fährt er in feinem 
Glauben an feine göttliche Beflimmung bamit fort, daß er fagl, 
Warlih, warlic ich fage euch, ed fommt die Stunde 
und ift ſchon jezt, Daß die todten werden die Stimmt 
des Sohnes Gottes hören, und die fie hören werden 
die werben leben. Denn daß der Herr bier von feinem ar | 
bern ald von biefem geifligen Tode redet, aus welchem bie 
Menfchen nur durch den Glauben an ihn zum ewigen Leben | 
hindurchdringen koͤnnen, bad fehen wir an ber ganzen Art um 
Weiſe feiner Rede. Denn einmal fagt er, Die Stunde fü 
ſchon jezt, da die todten feine Stimme bösen, un? 





8 








353 


elche fie Hören, fagt er, Die werben leben, woraus wir 
ven fehen, daß er nicht jene Zeit der Auferfiehung meint, wo 
Ne todten feine Stimme hören werben, von welcher er in ber 
olge redet, fonbern er ftellt und dies, daß die todten feine 
Stimme hören, ald etwas unmittelbar gegenwärtige dar, als 
was, was fhon angefangen habe und immer mehr um fich 
reifen würde unter den Menſchen. Die Zeit hat angefangen, 
aß bie tobten die Stimme bed Sohnes Sotted hören, 
e fährt immer fort durch das menfchliche Geſchlecht zu dringen, 
nd die welche fie hören, Die werden leben, die drin 
en auch vom Tode zum Leben hindurh und haben 
as ewige Leben im Glauben. Deffen freuete ſich ber 
Jerr, ald er die in dem geifligen Tode erftarrte Welt um fi) 
er fah, damit tröftete er fich während feines irdiſchen Lebens, 
ls er nur eine fo Peine Anzahl derer erbliffte, die an ihn 
(aubten, und von denen er fühlte, dad er ihnen das ewige Le⸗ 
en geben koͤnne. Die Stunde ift da, die Zeit hat angefangen 
nd geht nun immer fort feit feiner Erfcheinung, fo lange das 
nenfchliche Gefchlecht auf Erden lebt; denn fo lange verhallt die 
Stimme des Sohned Gottes nicht mehr, fondern immer weiter 
verbreitet fie fich über alle Gefchlechter der Menfchen, ſo daß alle 
odten, die weit umd breit zerftreut find in dem großen Gebiet 
‚er göttlichen Schöpfung, fie hören, und welche fie hören, bie 
verden leben. 

Wie er nun ift, fo fagt der Jünger, ber und biefe Rede 
»es Herm mitgetheilt Hat, fo find aud mir in biefer Melt ”). 
Wohl, m. g. Fr., erſchallt noch immer bie Stimme bed Soh⸗ 
168 Gottes, fo daß noch jezt bie tobten biefe Stimme hören 
ınd aus dem Tode zum Leben übergehen. Aber fie erfchallt 
yurch die Gemeine des Herrn. Freilich zunächft erſchallt fie durch 
ya8 Wort ber heiligen Schrift, durch bad fefte Wort feines Muns 


*) 130). 4, 17. 
Som, üb, Co, Joh. 1. 3 





354 


des, welches nun auch nicht wieber untergeht, fonbern, wie wir 
zu Gott hoffen, aus einer Zeit in die andere wird fortgepflang 
werden. Aber auch diefed hat fein Beſtehen nur in der Gemeine 
des Herrn und durch fie, fie ift der Träger ded Worts, weldes 
ber Here geredet hat, und dad lebendige Wort aller derer, die an 
ihn glauben und dem gefchriebenen Worte Zeugniß geben, be 
fein andrer Name ben Menſchen gegeben ift, darin fie follen ſe 
lig werben, denn allein der Name Jeſu Chrifli. *), das iſt di 
ununterbrochen fortgehbende Stimme des Sohnes Gottes, um 
welche todten fie hören, die werden leben und im. Slauben c 
ihn und in ber Freiheit, die fie ihm zu verdanken haben, au: 
dem Tode zum Leben hindurchdringen. 

Denn, fährt er fort, wie der Bater dad Leben het 
in ihm felbfi, alfo bat er dem Sohne ‚gegeben das 
Leben zu haben in ihm felbft. 

In diefen Worten nun ehrt der Erloͤſer zuruͤkk zu jene 
Wergleihung zwilchen fi und dem Water, zu jenem Gefühl je 
ned Verhältniffes zu Gott, welches er auch im vorigen. fen 
audgefprochen hatte, er könne nichtö von ihm ſelbſt tyun, ſonder 
nur, was er den Water thun fehe, das thue gleich audy er (5, 
19. 20.). Hätte der Water dad Leben nicht in fich ſelbſt, ie 
hätte ed auch. ber Sohn nicht in fich felbfl, wie es aber der 
Vater hat, fo hat es auch der Sohn eben deswegen, weil 
ber Vater ihm bie Macht gegeben hat, ed in fid 
felbft zu haben. 

Wie hat nun ber Water bad Leben in ibm ſelbſt? Nick 
fo, daß er allein lebte, und alles um ihn ber tobt wäre, auch 
nicht fo, daß er dad Leben in ihm ſelbſt hätte, und andere Weſen 
hätten auch das Leben in ihnen ſelbſt. Nicht alſo; fondern fo 
hat ber Vater bad Leben in ihm felbft, bag fein Leben die Quelle 
ift von allen anden. Und alfo bat er auch dem Sohne 


) Apoſtelgeſch. 4, 12. 











355 
das Leben gegeben zu haben in ihm felbft, nicht fo, daß 


er die Fülle ber Gottheit, die in ihm wohnte, für einen Raub 


hielt *) und als folchen für fich behielt, fondern daß fein Leben 
die Quelle würde alles andern geiftigen Lebens, welches Fein am 


drer ın ihm felbft hat, fondern alle nur aus feiner Fülle neh: 


wu 


men, aud feiner Fülle immer reicher und feliger fchöpfen koͤnnen; 
und niemals erfchöpft fie ſich und verfiegt, fondern immer koͤn⸗ 


‚ nen neues Leben aus derfelben hernehmen alle diejenigen, bie 
‚ ernftlich verlangen nach ber geifligen Rahrung. Das ift das in» 


- 


wu 


nerfte und tieffte Bewußtfein, welches der Erlöfer von fich felbft 
hatte, daß er die Fülle der Gottheit, die in ihm wohnte, bie 
Worte, die er von feinem Water gehört, die Werke, die ihm ber 
Vater zeigte und die Macht dazu in ihn gelegt hatte, anfah 
und fühlte nicht nur ald fein Leben, ſondern auch ald die Quelle 
alled andern Lebens, die aber auch nur er in fich felbft hatte. 
Wir haben das Leben nicht in und felbfi, fondern wir ha⸗ 


ben es aus ihm und durch ihn, aber er hat es und nun aud) 
. gegeben, daß ed ald dad von ihm kommende bie Quelle des Les 


bend für andere fein fol. Alle, die an ihn glauben und im 
Stauben an ihn dad Leben haben, fo daß fein Leben in ihnen 
hindurchgebrungen ift, die follen auch zugleich, daß ich fo fage, ein 
Durchgang fein feiner befeligenden und beiebenden Kraft, und 
von ihm aus fol ihr Leben, welched fein andre ift ald daß fei- 
nige und fein Leben in ihnen geworben iſt, in andere überfird- 
men. Das ift die Fortpflanzung feines Lebend Über das menſch⸗ 
liche Gefchledht, das ift die Fortſezung der feligen Gemeinfchaft 
ded Geifted, der ihn erfüllte, in allen denen, bie ihr Heil in ihm 
fuchen, die Kortfezung der ihm urſpruͤnglichen Offenbarung Got 
tes, kraft welcher er in dem Water war, und ber Vater in ihm 
und eins mit ihm, und eben fo auch er in und, und wir in ihm 
und eins mit ihm. Wie der Bater Dad Leben hat in 





9.2, 6. 
32 





356 


ihm ſelbſt, fo hat er auch dem Sohne gegeben das fe 
ben zu haben in ihm felbfl, und beöwegen eben iſt er ber 
eingeborne Sohn Gottes, aber wir find immer nur Durch ia 
Kinder Gotted, und dad emige Leben des Sohnes, Das ſollen 
wir auch haben nicht als eine urfprüngliche Quelle, aber als ei 
nen Strom bed Lebens, der von ihm ausgeht und fich imma 
weiter verbreitet, fo daß immer mehr dadurch das todte zum Le 
ben gebracht werde, und immer weiter fich erſtrekke das Leben, 
welches der Bater dem Sohne gegeben hat zu haben in ihm ſelbſt 

Aber nun fährt er fort, Und hat ibm Macht gegeben, 
auch das Gericht zu halten, darum, daß er des Men 
fhen Sohn ifl. 

Wenn der Erlöfer hernach fortfährt, Verwundert end 
des nicht, fo mögen wir und boch wol verwundern. Dem 
wenn er früher fchon gefagt hat, Ich bin nicht gekommen die 
Welt zu richten, fondern daß ich die Welt felig made (3, 17.), 
fo jagt er nun hier, wie er ed freilich auch vorher fchon geſagt 
bat, Der Vater richtet niemand, fondern alle Gericht hat er dem 
Sohne gegeben (5, 22.), fo wiederholt er daſſelbe nun auch bier, 
Der Bater hat dem Sohne Macht gegeben auch dad 
Gericht zu halten, barum, baß er bes Menfhen Sohn 
iſt. Wie bringen wir Died beibe8 in Uebereinftimmung? De 
Sohn iſt nicht dazu in die Welt gelommen, baß er die Welt 
richte, fondern daß er fie felig mache. Das ift der eigentliche 
Zweit feined Lebens, dadurch allein wird ber ewige Rathfchlug 
Sotred mit dem menfchlichen Gefchlecht erreicht. Aber zwifchen 
dieſem, da liegt nun freilich das Gericht, da liegt die immer 
weiter fortgehende und immer weiter ſich entwikkelnde Scheidung 
derer, die das Wort des Sohnes, welches an fie ergeht, hoͤren 
und dadurch aus dem Tode zum Leben hindurchdringen, von de 
nen, bie es nicht hören und deshalb noch im Tode bleiben. 
Wir folen und alfo dieſes Gericht denken als etwas nothıwen» 
diges und umvermeidliches, aber ald das, wodurch doch der ci: 

















357 


gentliche Zwekk der Sendung bed Erlöferd keinesweges erreicht 
wird, fondern erſt durch dad Seligmachen, erſt durch bie allge⸗ 
meine Werbreitung feiner Seligfeit über die Welt wirb biefer 
Zwekk erreicht, denn dazu, fagt ber Herr, fei er in die Welt ges 
kommen; bad Gericht zu halten aber bat ihm ber Vater beöhalb 
gegeben, weil er ded Menfhen Sohn war Nicht beöwe: 
gen fagt er, weil er der Sohn Gottes ift, denn deswegen würde 
von ihm eben nur baffelbe gelten, was von dem Water gilt, 
Der Vater richtet niemand, fondern beöwegen, weil er des 
Menfhen Sohn if. Er allein, in welchem göttliched und 
menfchliched vereint war, er allein vermag bie Menfchen zu rich» 
ten, und ihm allein bat der Water die Macht gegeben bad Ge: 
richt zu halten. . 

Das ift daffelbe, was der Apoftel von ihm fagt, Er hatte 
nicht nöthig, daß man ihm fagte, wad in dem Menfchen war, 
fondern er wußte immer im Voraus und erkannte die innerfien 
Ziefen des menfchlichen Herzend *); das ift dafjelbe, was wir 
anderwaͤrts Iefen, daß dad Wort Gotted, welches in ihm Sleifch 
geworden ift (1, 14.) und unter und gewandelt bat auf menſch⸗ 
liſche Weiſe, eben daſſelbe lebendige und ewige Wort Gottes jez 
wie immer Mark und Gebein burchbringt und bis in das in« 
nerfte der Seele und des Lebens hineindringt **). Er allein, 
eben beöwegen, weil er bes Menfhen Sohn ifl, weil er 
bad göttliche und menfchliche vereinigt in fich trägt, weil er allein 
den Zufammenhang und dad Werhältnig des menichlichen und 
göttlichen zu verfiehen und zu beurtheilen vermag, er allein kann 
richten, und darum bat der Vater ihm und keinem andern bie 
Macht gegeben dad Gericht zu halten. Und wiewol er nicht 
richten will, und auch Diejenigen,.die an ihn nicht glauben, ges 
vichtet werben, weil fie nicht glauben an den Namen bed einge: 
bornen Sohnes Gottes, fo daß alfo dad Gericht nicht feine That 


”) 230. 2, 5. . ) Ebr. 4, 12. 





358 


ift, fo iſt er ed doch allein, der die Macht hat das Gericht 
zu halten, er iſt ed allein, auf bem alle Scheibung unter bau 
Menfchen beruht, derer, welche an ihn glauben, und derer, in 
welchen der Glaube an ihn noch nicht aufgegangen ift, Dem, 
die in der Gemeinfchaft mit ihm ihr Heil fuchen, unb derer, ik 
es verfäumen ihr Heil bei ihm zu fuchen, derer, die im Glat 
ben an ihn bad ewige Leben haben, und derer, die nicht gla» 
ben und beöwegen im Tode bleiben. 

VBerwundert euch bed nicht, fährt er fort, Denn es 
kommt bie Stunde, in welcher alle, biein den Br 
bern find, werden feine Stimme hören, und werbdes 
hervorgehen die das gute gethan haben zur Aufer 
ftehung des Lebens, die aber das ſchlechte gethan he 
ben zur Auferftehbung ded Gerichts. 

Hier nun redet der Erlöfer von jenem Ende aller menſchü 
chen Dinge, von jener Zeit, wo alle die in den Gräbern find 
feine Stimme bören werben, und hier redet er nicht von bes 
geiftig todten, fonbern von denen, die in den Gräbern find, und 
unterfcheidet dadurch deutlich und beflimmt jene frühern Worte, 
in denen er auf bad Lebendigmachen der geiftig todten bim | 
weift, von biefen Worten, wo er von einer Zeit redet, in welhe 
alle feine Stimme hören werden und auf den Ruf feiner Stimm 
bervorgeben werden aus den Gräbern. 

Und nun druͤkkt er jene Scheidung aus, Die einen wer 
ben hervorgehen zur Auferfiehung bed Lebens, des 
find die, Die das ewige Leben fchon gehabt haben im Glauben 
an ihn. Wie koͤnnten diefe auch anderd aus den Gräbern her 
vorgehen, wie könnte irgend ein Zufland, in welchen fie dam 
übergehen follen, etwad ander& fein ald die Fortfezung des ewi⸗ 
gen Lebens, deſſen fie hier fchon theilhaftig geworden find. Diele 
alfo gehen hervor zur Auferfiehung bed Lebens, bie an 
bern aber nicht des Xode8, fagt er, fondern des Gerichts 
Und wir bürfen es auch nicht glauben, m. 9. Fr., daß er durch 


359 


fen Ausdrukk habe verhuͤllen wollen ben eigentlichen Zufland 
rer, die nicht an ihn geglaubt haben, ſondern er meint ed ganz 
ıftlich und wörtlich und will und davon eine Ahndung geben, 
ß es eine Auferflehung zum ewigen Tode nicht giebt, fondern 
ir zum Gericht, weil diejenigen immer fchon gerichtet find, bie 
cht an ihn glauben (3, 18.); aber nicht glauben ift ein Zu: 
nd, ber vorüber ‚gehen kann durch die immer fortgehende und 
ımer weiter fidy verbreitende Stimme bed Sohnes Gottes, weil 
gekommen ift, die ganze in dem geiftigen Tode ruhende Welt 
x Anſchauung und zum Genuß des ewigen Lebens zu bringen, 
ad feine eigene Seligkeit in alle menfchlihe Herzen einzufen: 
n. Denn waß follte der Kraft deſſen zu gering oder zu groß 
in, dem Gott die Macht gegeben hat dad Gericht zu halten? 

Aber woran unterfcheidet nun hier der Erlöfer die, welche her» 
srgehen zur Auferfiehung des Gerichts und die, welche her 
orgeben zur Auferfiehung des Lebens? Hier werden wir 
ı unferer großen Berwunderung nicht zurüßfgewielen nach ber Aehn⸗ 
keit mit feinen frühen und fpätern Worten, die wir bald ho» 
m werden, wir werden nicht zurüßfgemiefen auf den Glauben 
n ihn und an ben, der ihn geſandt hat, fondern, Die das 
ute gethan haben, fagt er, die werden hervorgehen 
ur Auferfbehung des Lebens, die aber bad ſchlechte 
ethan haben, zur Auferfiehung des Gerichts. 

Sollen wir nun glauben, aud) das fei wieder etwas ande» 
es als jenes Glauben an ihn und jenes Nichtglauben, und ber 
Srlöfer rede hier von jenem Guteöthun, welches aud von denen 
elten kann, die nicht an ihn glauben, und er unterfcheibe dieſes 
Yuteöfhun von einem Schlehteöthun, welche aud) benen in 
inzelnen Augenblifen der Schwachheit begegnen fönne, die an 
hn glauben, und biefes wiederum von bem Schlechtesthun derer, 
ie nicht an ihn glauben? Das Kann feine Meinung nidt ge 
weien fein; warum aber druͤkkt er fich nicht fo aus wie fonft 
und auf die gewöhnliche und und bekannte Weile? Barum 








360 

reißt er und bier aus dem Sufammenhang bed ÜBlauben: un 
bad Gebiet des menfchlichen Thuns, aus bem allgemeinen m 
in fich felbft einen in etwad befondered und mannigfaltiges, m 
führt und auf fo etwas allgemein menfchliches zuruͤkk, wie: 
ift der Unterfchied zwifchen dem Guteöthun und dem Scle 
teöthnn ? 

Gewig, m. g. Fr., muß etwas tiefes und werborgend a 
ben Morten bed Erlöferd liegen, wad wir und erſt müflen a 
das Licht ziehen, und was wir auch finden werben, wenn wir de 
von ausgehen, bag in ihm Fein MWiderfpruch ift, und bafe, 
nicht, wie dies andern Menfchen nicht felten begegnet, einmal k 
und dann wieder entgegengefezt gedacht und gemeint hat. © 
giebt, m. g. Fr., Fein anderes gutes, ald wad aus dem Glu 
ben an ihn hervorgeht, weil es Fein anderes Leben giebt, ald m 
aus dem Glauben an ihn kommt, fo wie das das einzig [lei 
ift, was feinen Grund und Uriprung in dem Unglauben hat. 

Der -Erlöfer hat fich aber fo ausgedruͤkkt, weil er rebet m 
allen, die in ben Gräbern find; aber in den Gräbem fe 
viele und werben daraus hervorgehen, bie weil fie bie Stimme te 
Sohnes Gottes, welche auch fie zum Leben rufen Tann, in ihren 
zeitlichen und irbifchen Leben nicht gehört haben, auch nicht «a 
ihn glauben Eonnten. Dann aber, wenn alle die in den Gi 
bern find, aus denfelben hervorgehen follen, müffen fie aud ok 
hervorgehen entweder zur Auferftehung bed Lebens, on 
zur Auferflebung des Gerichte. Die nun bad gute ge 
than haben, welches mit dem Glauben an den Erlöfer nothea 
big und weſentlich zufammenhängt, die werben hervorgehen je 
Auferftehung des Lebens. Die dad Bewußtſein und dad Gefuh 
haben, daß der Menfch ohne eine befondere Hülfe von oben m 
ohne ein neues Keben, welches in ihm gegründet werden muk 
dad Ziel feiner Beſtimmung nicht erreichen kann, die, ba fie ge 
gangen find in ihrem irdiſchen Leben in ber Sehrfucht nad da 
befleren, in bem Gefühl ihres verwirrten verfinflerten und Mr 








361 


erbten Zuflandes, und aus biefes Sehnſucht und aus dieſem 
zefuͤhl heraus gehandelt haben, was baraus hervorgehen kann 
ı einem von dem lebendigen Worte Gotted nicht erleuchtetem 
eben, die haben das gute gethan, weil fie bad gethan has 
en, was mit dem Glauben an ben Erxlöfer zufammenhängt und 
on bemfelben nicht getrennt werben kann, weil fie ſolche gewe: 
ꝛn find, die, wenn fie Die Stimme bed Sohnes Gottes gehört 
Atten, wenn fie zu ihren Ohren gebrungen wäre, ihe auch würs 
en geglaubt haben und fich mit ihrem Herzen bingewenbet zu 
em, ber allein allen bad ewige Leben geben kann. Die aber 
‚a6 ſchlechte gethan haben, weil dad Wort Gottes nicht 
iefe Wurzel gefchlagen hat in ihrem innern, und if wieber un: 
ergegangen unter ben Sorgen und Genüffen, unter den Truͤb⸗ 
alen und Freuden bed irbiichen Lebens *), ober mögen fie ed 
richt gehört haben, oder auch nicht haben hören koͤnnen, haben 
iber dad gethan, was diejenigen thun, die dad Wort hören aber 
ie verlieren ed wieder, weil es keinen feften Grund in ihrem 
Semüthe hat und auf einen fchlechten Boden gefallen ift, bie 
yaben das fchlehte gethan, was diejenigen thun, welche 
z0ch nicht hervorgehen zur Auferfiehung bed Lebens, ſondern zur 
Kuferfiehung des Gerichts. 

Aber auch diefen Ausgang ber menfchlidhen Schifffale will 
der Exlöfer nicht fich felbft zufchreiben, denn er fagt, Ih kann 
nichts von mir felbft thunz wie ich höre, fo richte ich, 
und mein Gericht ift recht, denn ih ſuche nicht meis 
nen Willen, fondern bed Waters Willen, ber mich 
gefandt hat. 

Wie ich höre, fo richte ich, und mein Gericht iſt 
recht; dazu gehört nun zweierlei: einmal, was der Erlöfer nicht 
ausdruͤkklich fagt, daß er auch richtig höre, und daß, nachdem 
er richtig gehört hat, er auch richtig beurtheile. Beides 


”) tut, 8, 13. 14 


362 


zufammen ſtellt er bar als Dadienige, was ex nicht von fh 
feibk thue. 

Er kann nicht anders ald richtig hören, weil er die Bis 
heit iſt ), umd daher bat er bie Macht das Beriät 
halten, weil er die ſelbſtaͤndige untrügliche Wahrheit iR, ı= 
das wahre in ihm if; baher hat er auch allein bie Medi de 
Bericht zu halten, die Menfchen zu erkennen und zu beurthein 
Er kann dedwegen, weil er daB Maaß des guten und dei Hin 
ten in fich trägt, weil er im Stande ift dad menſchliche in da 
Lichte der Wahrheit zu fehen, vollkommen zu fehen und ju be 
fheilen, fo Tann er nur richtig fehen. Cr thut aber auch de 
nicht von ihm felbft, fondern es iſt bad von dem Water ihm p 
gebene. 

Wie er nun nicht anders als richtig hören fun, ! 
kann er auch, nachdem er gehört hat, nicht anders als 1: 
richten, weil er überall nicht feinen Willen thut, fondern ta 
Willen ded Waters, der ihn gefandt hat. Deswegen alio Mt 
er nicht anders kann als urtheilen nach dem Magße, wii 
in ber Fülle der Gottheit liegt, bie in ihm wohnt, weil a E 
andered Maaß nehmen kann als den Unterfchied zwiſchen 7 
Leben und dem Tode, fo kann er auch nicht anders richten & 
nad) dem Willen deffen, der ihn gefandt hat. 

Was ift nun aber diefer Wille? Kein andrer, ald daß de 
jenigen, die an den Sohn Gottes glauben, das ewige Een © 
ben im Glauben an ihn und in der Wereinigung mit ihm, wi 
daß durch ben, den der Water gefandt hat, die ganze Belt ki 
werde. Auch die Auferfiehung als ſolche, in fo fem fe @ 
Scheidung ift der Auferfiehung zum Leben und ber Auferſtehu 
zum Gericht, ift noch nicht die gaͤnzliche Wollendung bes gt 
hen Willens, denn der if immer nur vollendet, wenn alle dur 








*) op. 14, 6. | 
| 


363 


n, ber vom Bater in bie Welt geſandt iſt, wirklich ſelig ge 
orben find. Gerecht und wahr ift aber zu jeberZeit bad Ge⸗ 
ht, vermöge beffen bie einen hervorgehen zum geben, und bie 
idern zum Gericht; gerecht und wahr iſt bad Gericht, vermöge 
ſſen die einen bad ewige Leben fchon haben, die andern aber 
; erft befommen müffen, und dieſes Leben den Tod im ihnen 
derwinden muß. 

So, m. g. Fr., ſtellt fih der Erlöfer hier dar als den Mit« 
lpunkt aller menfhlihen Dinge Ihm hat bes Vater pie 
Racht gegeben das Gericht zu halten, und wie der Bas 
7 die ganze Welt gefchaffen hat kraft des Lebens, welches in 
ym ift, fo ſchafft der Sohn bie geiftige Welt, dad Keben, die 
‚reiheit und den Frieden aus dem Leben, welches ihm Gott ges 
eben hat, daß er es habe in ihm felbft; und wie er allein in 
em Lichte Sotted fchauet, fo weiß er allein, was in jebem Mens 
hen ift, und kennt die, welche fchon durch ihn und durch feine 
traft aus dem Tode zum Leben Hindurchgedrungen find, wird 
ber auch nicht aufhören zu feiner Zeit diejenigen zu erwelten — 
venn wie follte er, dem ale Gewalt gegeben iſt *), nur für die: 
enigen da fein und wirken, zu benen feine Stimme fchon ges 
rungen ifl? — bie noch im Tode liegen, wenn wir auch nicht 
yegreifen, wann und wie er fie lebendig machen wird. 

In allem aber, was er thut, iſt er eind mit dem Vater, 
denn er thut nichts von ihm felbft, fondern nach den Worten, 
welche er von dem Water gehört, nach den Werken, bie ihm der 
Vater gezeigt bat. Für und aber iſt er ber Anfang und das 
Ende aller Seligkeit, für und ift er die Quelle bed Lebens, die 
und Gott geöffnet hat, und aus ber wir alle ſchoͤpfen können, 
und nur durch ihn und durch fein Wort, indem wir es hören, 
Eönnen wir aus dem Node zum Leben hindurchdringen, fo aber, 


*) Matt. 28, 18. 


364 


m. g. Fr., daß wir niemals das Leben in uns ſelbſt Haben, ie⸗ 
dern immer müflen wir in ihm bleiben, wie die Reben an m 
Weinftott *), immer auf neue müflen wir dad Leben von = 
empfangen. Haben wir ed aber einmal von ihm emupfange 
fo werben wir nimmer aufhören ed wieber von ibm zu me 
men; wo follten wir hingehen? denn er allein hat Werte de 
ewigen Lebens **)! Amen, 


) Jod. 15, 4. ) 30h. 6, 68. 

















XXVMI. 
Im 4. Sonntage nad) Trinitatis 1824. 


Text. Joh. 5, 31 — 40. 


So ich von mir ſelbſt zeuge, ſo iſt mein Zeugniß 
nicht wahr. Ein anderer iſt es, der von mir zeuget, 
und ich weiß, daß das Zeugniß wahr iſt, was er von 
mir zeuget. Ihr ſchikktet zu Johannes, und er zeugte 
von der Wahrheit. Ich aber nehme nicht Zeugniß von 
Menſchen, ſondern ſolches ſage ich, auf daß ihr ſelig 
werdet. Er war ein brennendes und ſcheinendes Licht, 
ihr aber wolltet eine kleine Weile froͤhlich ſein von 
ſeinem Lichte. Ich aber habe ein groͤßeres Zeugniß, 
denn Johannis Zeugniß; denn die Werke, die mir der 
Vater gegeben hat, daß ich ſie vollende, dieſelbigen 
Werke, die ich thue, zeugen von mir, daß mich der 
Vater geſandt hat. Und der Vater, der mich geſandt 
hat, derſelbige hat von mir gezeuget. Ihr habt nie 
ſeine Stimme gehoͤrt, noch ſeine Geſtalt geſehen, und 
ſein Wort habt ihr nicht in euch wohnend, denn ihr 
glaubet dem nicht, den er geſandt hat. Suchet in der 


— — —— — — — — — — — ——— — 


— rn 1 no 


366 


Schrift, denn ihr glaubt, ihr habt daB ewige Leben 
darin, und fie iftd, die von mir zeuget. Und ihr wol 
nicht zu mir fommen, daß ihr das Leben haben mise. 


Mr Erlöfer, m. a. Fr., nachdem er in den Worten, weld 
wir bisher betrachtet haben, von feinem Verhälmig zu dem Bs 
ter und von ber Macht, weldhe ihm der Vater gegeben bat, T: 
große und herrliche Dinge gelagt, fo war es wol natürlich, bei 
er bei fich felbft dachte, ob ihm wol werde geglaubt werben, un 
ob auch die Menfchen glauben möchten, dag fie ein Mecht hit 
ten ihm zu glauben, und daran nun Tnüpften ſich bie Bor, 
die wir jezt mit einander geleſen haben, aber freilich auf ein 
foiche Weile, die noch einer nähern Erklärung bebarf, welde 
wir eben diefe Stunde widmen wollen. 

Denn zuerft, wie ber Herr fagt, So ih von mir felbi| 
zeuge, fo ift mein Zeugniß nit wahr, ein anderer if 
es, der von mir zeuget, und ih weiß, daß das Zeus 
niß wahr ifl, welches er von mir zeuget: fo flehen diek 
Worte, wie ed fcheint, in einem offenbaren Widerſpruch mit an 
bexen, welche wir weiter unten in einem ber folgenden Gapitd 
erhalten werben. Da nämlich machen ihm bie Juden zum Bo 
wurf, daß er von fich felbft zeuge, nach einer Rebe, wo er äh: 
liched von fich gefagt hatte, wie er biöher in unſerem jezigen Ge 
pitel von ſich behauptet, und da antwortet ex ihnen auf em 
entgegengelezte Weife, Wenn ich auch von mir felbfl zeuge, ſo 
tft mein. Zeugniß doch wahr, denn ich weiß, von wannen ich ge 
fommen bin und wohin ich gehe, ihr aber wiſſet es nicht ) 
Wie follen wir num zuerft und diefen Widerfpruch erklären? 

Wir fehen hier eben, m. g. Fr., wie leicht es ift, daß ei 
nee fich felbft zu widerfprechen fcheint, indem er unter verfchiede 
nen. Umfländen dad entgegengefeste von bem fagt, was er ein 


“ 











7) 39.8 14. 





367 

adermal gefagt hat. Bei dem Erlöfer aber koͤnnen wir dies 
wiß nur für einen Schein halten, denn die Worte beffen, der 
e Wahrheit felbft war, müflen nothwendig mit fich felbft über 
nflimmen. Wenn wir es und auch in Beziehung auf andere 
Renichen wollen gefallen lafjen zu glauben, daß fie mannigmal 
ı einen Widerfpruch verwikkelt find mit fich felbft, fo kann dad 
och dem Erlöfer nicht begegnet fin. 

Dort aber hatten es ihm die Juden zum Vorwurf gemacht, 
aß er felbfi von ſich zeuge, und da mußte er fich gegen 
ie Juden dad Recht beilegen, von fich felbft zu zeugen, und fie 
azu anhalten, daß fie feinem eigenen Zeugniß von fich glauben 
ollten. Wo follte ihm auch ein andere Zeugniß herfommen, 
velched für ihn abgelegt werben konnte? Alles dad, was ber 
Herr hier als das Zeugniß eined anderen anführt, wenn wir «8 
‚enauer betrachten, fo ift e8 von einer andern Seite angefehen 
in Zeugniß von fich felbfl. Was war eigentlich fein ganzes Le 
en und feine ganze Verkuͤndigung ald ein fortgehended Zeugs 
iß von fich ſelbſt? Wenn er fagt, der Vater habe ihn gefandt 
98 verlorne zu fuchen und felig zu machen *), wenn er bie 
Menfchen einladet zu ihm zu kommen, damit fie Erquilfung 
ınd Ruhe finden möchten, für ihre Seele **), wenn er fagt, das 
Reich Gottes fei nahe herangefommen ***), in Beziehung auf 
hn, der es geftiftet, was iſt das anderes, ald ein Zeugniß von 
ich ſelbſt? Ja auch die erfien Worte unferes heutigen Textes 
ind nichtd anderd. Denn wenn er fagt, Ein anderer ift es, 
yer von mir zeugt, unb ih weiß, daß bad Zeugniß 
vahr ifl, welches er von mir zeugt, was anbers thut er, 
ils dad Zeugnig Gottes — denn den meint er, wenn er fagt, 
Sin anderer zeugt von mir — burdh fein Zeugniß zu befläs 
igen, und fie Daher zu verweilen auf fein Beugnig Gottes von 
hm, welches wahr fei. Wenn ex alfo fagt, So ich von mir 





*) Matth. 18, 11. Matth. 11, B. HNatth. 4, 17. 


368 


ſelbſt zeuge, fo if mein Zeugniß nit wahr, fo kann 
ex offenbar nichtd anders gemeint haben ald dieſes: wenn ifr 
mein Zeugnig nach gewöhnlicher menfchlicher Weile beurtheit, 
wie man einem, der von fich felbft zeugt, um fo weniger zu 
glauben verpflichtet if, ald dad, was er von fih zeugt, über die 
Grenzen bes wahrfcheinlichen und gewöhnlichen hinausgeht, fe 
habt ihr Recht, bag mein Zeugniß von mir ſelbſt Feine Gültig 
feit hat. Was er aber ald ein zuverläffiged und wahres Jen; 
niß eines andern anführt, iſt wiederum ein Zeugniß von fd 
felbft, in Beziehung auf das, was ihn von allen andern Ne; 
fchen unterfcheidet, in Beziehung auf diefeö . fein eigenes Verhaͤlt 
niß zu Gott, dem himmlifchen Water, und dies beruhet chen 
darauf, daß er ein ganz anderes Necht hatte von füch zu zeugen 
und dad Zeugnig von fich felbft einen andern Gehalt, als da} 
Zeugniß anderer Menfchen. Es ift auch offenbar, daß das Zerg⸗ 
niß Gottes, wovon ber Herr in ben folgenden Worten rede, 
doch immer wieder feined eigenen Zeugniffes bedurfte, wie tem 
feine ganze Rede nichts ift als die Beſtaͤtigung davon. 

Ehe num aber ber Herr weiter redet von biefem Zeugnif, 
welches Gott für ihm ablegt, fo kommt er hier wieder auf de⸗ 
Zeugniß ded Johanned. Ihr ſchikktet zu Johannes, fagt er, 
und er zeugte von der Wahrheit, er war ein brex 
nendes und ſcheinendes Licht, ihr aber wolltet ein 
Feine Weile fröhlich fein von feinem Lichte. 

Wir wiffen aus ber frühen Erzählung unfered Evangeli: 
fien, wie die Juden zu Johannes dem Taͤufer geſchikkt haben, 
um ihn zu fragen, ob er Chriftus fei*). Da verlangten fie alie 
auch ein Zeugniß, welches er von fich felbft ablegen follte, nur 
freilich, daß fie fih vorbehalten wollten, es zu prüfen und aus 
anderen Gründen zu entfcheiden, wie viel oder wie wenig feinem 
Zeugniffe Glauben von fich felbft zufomme. Wenn nun ber Her 








*) op, 1, 19 foh 





39 


iHnen fagt, Johannes zeugte von ber Wahrheit, fo 
X er fie darauf zuruffführen, wie Sohanned ihnen dad Zeuge 
; gegeben, er felbft der Täufer fei nicht Chriſtus, aber der von 
(Chem und für welchen er zeuge, der fei fchon mitten unter fie 
reten, und immer beflimmter und deutlicher, je mehr er Jeſum 
annte für den, den der Water gefandt hatte, wied er auch die, 
Iche ihn hörten, zu Chriſto hin. Da fagt alfo wieder der Herr, 
3 Zeugniß des Sohannis von ſich beflätigend, Er zeugte von 
r Wahrheit, und giebt alfo auch dem menfchlichen Zeugniß, 
:Iched von ihm abgelegt war, feine Beflätigung und eine grös 
re Gültigkeit. 
Wenn nun aber darin, dag die Juden zu Johannes ſchikk⸗ 
ı um ihn zu fragen, ob er Chriſtus fei, der Schein liegt, als 
ı e8 ihnen darum zu thun gewefen fei, ben Gefandten Gottes, 
n fie erwarteten, fobald als möglich zu erfennen, um ihm Folge 
‚ leiften und dad Werk des Herrn zu fördern unter dem Wolfe, 
will der Erlöfer fie darauf zurüffführen, wie wenig bad bei 
nen der Fall gewefen fei, und wie eben deöwegen, weil ihre 
rage nicht aus dem rechten Grunde gelommen fei, auch das 
eugniß des Johannes nicht feine rechte Wirkung bei ihnen babe 
woorbringen Binnen. Er fagt, Er war ein brennendes 
nd foheinendes Licht, ihr aber wolltet eine kleine 
Beile fröhlich fein von feinem Licht, dad heißt, Johan⸗ 
ed war dazu gefandt, dem Herrn ben Weg zu bereiten, Zeug: 
ig von ihm abzulegen und im Voraus die Aufmerkſamkeit und 
en Glauben des Volkes auf ihn hinzulenken. Sie nun fahen 
yn an freilich eben nur ald den Vorläufer des erwarteten Erloͤ⸗ 
rd, nachdem er ſelbſt bezeugt hatte, daß er ber Erlöfer nicht 
ꝛi; aber weil fie Feine andere Vorftellung hatten, ald bie von 
er äußerlichen Erlöfung und von einem irdifhen und weltlichen 
Heil, fo Eonnten fie auch nur fo lange fröhlich fein bei feinem 
tichte, bis fich ihnen dieſes ganz zerftreute, und fie aus ber Art, 
vorin er felbft fortwirkte, und wie ber Erlöfer feine Wirkſamkeit 
Kom. üb, Ev. Joh I. “a 


370 


anfing, fahen, daß ihre Erwartungen nicht follten in Erfüfum 
gehen. Wenn aber der Erlöfer fagt, Ich nehme nicht Zeug 
niß von Menſchen, das heißt, dad menfdhliche Zeugnif it 
nicht dasjenige, worauf ich euch verweilen fann, ich nehme € 
nicht an, fondern, Solches fage ich euch, auf daß ihr fei:. 
werdet, wenn er biefen Gegenfaz hervorhebt zwifchen Diez 
Seligwerden und zwifhen dem kurzen und vergänglide 
Froͤhlichſein, welches dad Volk fuchte bei dem fcheinente 
Lichte des Taͤufers in der Wüfte: fo will er fie aufmerkfam m: 
chen auf den Gegenfaz zwifchen feiner Wirkfamleit und Der de 
Johannes, und fie darauf verweifend, wie jener, indem fein [de 
nendes Licht ihnen nur eine flüchtige Luft gewährt hatte, den c: 
wuͤnſchten Erfolg feiner Bemühungen für dad herannabesd 
Reich Gottes nicht gefehen habe, fo will er ihnen andeuz 
daß fein eich nicht von diefer Welt fei, daß er .gefommen : 
von der Wahrheit zu zeugen *), fo fie nur vermöchten dieſe 
Rufe zu folgen und dadurch felig zu werben. 

Und nad) diefer Vorbereitung geht er darauf zuruͤkk, waie 
fagen will, nämlich auf das göttliche Zeugniß, indem er fagt: : 
wie dad Zeugniß des Johannes euch zum Seil gereichen kam 
wenn ihr ed annehmet, keinesweges aber ein bloß menfclid: 
Zeugniß died vermag, fo fage ich euch, Daß ich ein größer: 
Zeugniß habe ald das Zeugniß des Johannes, bir 
Werke, die mir der Water gegeben hat, dag id ſie 
vollende, diefelbigen Werke, die ich thue, jeugen vor 
mir, daß mich der Water gefandt habe. 

Was, m. g. Fr., was follen wir und unter dieſen Wer 
ten benten, welche der Herr hier als dad göttliche Zeugniß ve 
ſich anführt? Zunaͤchſt freilich fallen einem jeden dabei ein &: 
wunderbaren Thaten des Erlöferd, Die er allerdings auch nid 
felten in einem befonderen Sinne feine Werke **) nennet, als 


9 305. 18, 36. 37. *) oh 7,2. Matth. 11, 2. 











371 

rauer betrachtet werben wir fehen, baß wir dabei wenigftens 
ht ganz und ausſchließend mit unferer Aufmerkſamkeit ſtehen 
iben möflen. Denn wenn wir nun fragen, was Eonnten denn 
fe Werke für ein Zeugnig von ihm ablegen? Allerdings konn⸗ 
ı fie ein Zeugniß davon fein, daß Gott ihn gefandt habe, wie 
ch Nikodemus zu ihm fagt, indem er fein Geſpraͤch mit ihm 
sffnet, Wir wiffen, daß du bift ein Lehrer von Gott gekom⸗ 
en, denn niemand kann bie Zeichen thun, bie bu thuſt, es fei 
nn Gott mit ihm *). Das Volk war von alter Zeit her und 
ırch feine frühere Gefchichte, die ed freilich nur noch in ben 
ifigen Büchern Fannte, daran gewöhnt, die Wunder ald Zeis 
en einer göttlichen Sendung anzufehen und einen, ber Wun⸗ 
:r that und dabei lehrte, ald einen Lehrer von Gott gefommen 
ı betrachten. Aber dadurch iſt doch die Sendung des Erlöfers 
icht unterfchieden von der Sendung der anden Propheten 
ed Herrn, und alfo ein andered Zeugniß hätten die Werke 
icht abgelegt von ihm und für ihn, ald daß er vom Vater ge: 
andt fei eben fo wie auch andere von ihm gefandt waren, und 
ie hätten alfo nicht das Zeugniß gegeben, welches ihm genügen 
'onnte, daß er nämlich von dem Water gefandt fei als der Sohn 
des lebendigen Gottes, fondern daß er von dem Herrn und 
König des Volks gefandt fei ald einer feiner Diener und 
Knechte, wie jeder von den audgezeichneten Männern im alten 
Bunde ed war. Ein anderes ald biefed Zeugniß hätte ber Herr 
aus feinen Werken nicht nehmen Finnen, und dad hätte ihm 
eben fo wenig genügt, ald das menſchliche Zeugniß des Johannes. 

Aber wenn wir weiter fragen, waren benn auch die Wun⸗ 
ber des Herrn die Werke, von denen er fagen konnte, Die Werke, 
bie mir ber Vater gegeben bat, daß ich fie vollende, 
Diefelbigen Werke, die ich thue, zeugen von mir? 
Wie? wären die Wunder alle zufammengenommen die Werke ge 





”) Ih. 3, 2. 
Aa 2 


372 


weſen, die ihm fein Water gegeben und aufgetragen, baß er R 
vollenden follte, dann müßten wir glauben, daß mit der Verrich 
‚tung biefer Wunder aud der Zwekk der Sendung des Erle 
erfüllt fei; und das fei ferne von und. Denn laßt uns te 
ber Worte gebenken, die wir an einer andem Stelle der Sch: 
Iefen, Mad hülfe ed dem Menfchen, fo er die ganze Welt :: 

wänne und nähme Schaden an feiner Sede ). Diejenign 
welche der Herr befreiete von irbifchen Leiden und Uebeln, ja 
gar bie, welche er erwekkte vom Tode ober zurüßfhielt vom To 
was gewannen fie denn anderes, ald dad irdifche auf eine fur 
Zeit, bid doch wieder dad Ende bed menfchlihen Lebens fan 

Ja biejenigen, denen er die Kraft mittheilte, dag ihnen die Ge: 
fler unterthan waren **), was gewannen fie anberd, als eben a 
einem untergeorbneten Sinne, wie er ed in jenen Worten 2: 
meinen kann, das himmlifche und geiflige und bie Kraft, biete: 
fem genügen Tann? Aber Schaden an ber Seele konnten fie de 
wegen alle leiden, diejenigen ſowol, denen durch die Wunder bi 
Herrn geholfen wurbe, ald auch diejenigen, auf welche ſich fax 
Wunderkraft fortfezte. 

Das Werk aber, welches ihm ber Water gegeben Hatte, ti 
ee ed vollenden follte, dad war zu fuchen und felig zu made 
ba8 verlorene ***), bad heißt, allen Schaben der Seele wide 
gut zu machen und in ber Zukunft zu verhüten, und bas ſir 
alfo die Werke, von denen er fagt, daß der Vater fie iba 
gegeben Habe, auf daß er fie vollende, und bie er ſich i 
jedem Augenblikk feined Lebens mit dem beften Grunde zufhre 
ben Eonnte, daß er fie wirklich thue. Denn worauf zwi: 
ten doch alle feine Reden und alle feine Handlungen ab, als axi 
dad Suchen und Seligmachen des verloren? Wofür arbeite: 
er fein ganzes Leben hindurch, als bag ber Seele bed Menide 
geholfen, daß fie gegen allen Schaden bewahrt werbe, und ihr 
Seligkeit fefigegründet ? 


) Matth. 16,26. *9) Bub, 10, 17,0 **) Matth. 18, fi. 


373 


Diefe Werke alfo, die befchreibt er mun als das Zeugnig, 
hes der Vater felbft von ihm ablegt, und bamit ſtimmt freis 
überein, wad er an einem andern Orte fagt, baß niemand 
Sohne kommen inne und an ihn glauben, es ziehe ihn 
ı der Vater °). Er fieht alfo auch dad wiederum nicht an 
fein eigenes, fondern ald das Werk des Waterd. In ſo fern 
5 Werk, die Befeligung ber Menfchen durch fein Leben, Da: 
und Wirken, ein Berk des Vaterd war, in fo fern gilt auch 
„was er am Anfange unfered Textes fagt, Daß fein Zeug» 
z von ſich felbft nicht wahr wäre, denn indem er bad 
gniß des Vaters von dem feinigen fondert, fo betrachtet er 
in diefer Sonderung für fih ald ben Menfchen und ben 
nfchen: Sohn, ber mit allen andern benfelben Gefezen unter 
fen iſt, und in diefer Beziehung Eonnte er von ſich felbft fa: 
, fein Zeugniß fei nicht wahr, fo er von fich felbft zeuge, und 
ve Feine Gültigkeit und verdiene feinen Glauben. Aber, fagt 
zu biefem menſchlichen fomme nun das Zeugniß bed Waters 
zu, dad Zeugniß des Vaters, der in ihm wohnte und wirkte, 
d deffen Werk das feinige war, und in fo fern biefed Wert 
tted, die Seelen der Menihen zu dem Erlöfer zu ziehen, 
f der einen Seite dad Werk des Vaters war, auf ber an: 
n dad Werk des Sohnes, weil er den Bater in fi) wohnen 
tte, in fo fern konnte er an jener Stelle fagen, Wenn ich von 
r felbft zeuge, fo ift mein Zeugniß wahr, denn ich weiß, wos 
e ich gelommen bin und wohin ich gehe, ihr aber wiſſet es 
ht ), 
M. g. Fr., worauf verweifet und ber Erlöfer hier als auf 
n rechten Grund alles lebendigen Glaubens an ihn, auf das 
hte Zeugniß, dem alle die Wahrheit nicht abfprechen koͤnnen, 
‚ denen ed gelangt? Auf nichtd anderes als auf bie eigene ins 
re Erfahrung bed Herzend. Es iſt ganz daffelbe, was er an 


”) 3. 6, 4. *9 Io). 8, 14. 


374 


einem anbern Orte und in einer befonden Beziehung fo us 
druͤkkt, So jemand biefe Lehre thut, der wird inne werben, be 
biefe Lehre von Gott ifl *), dem wird dann das Zeugniß des Ei. 
ferd ein himmlifches Zeugniß, weil er fühlt und inne wird, es ki 
eine wahrhaft göttliche Lehre, welche in ihrer Kraft Die Seligtr 
des in fich felbft verlorenen, ben Frieden des mit fich felbft « 
zweiten, die Ruhe ded in einem ewigen Kampf begriffenen he 
vorbringt, ed fei eine göttliche Lehre, die von dem Erik 
ausgeht, weil er erfährt dieſe Lehre nur al& ein göttliche Be 
von ibm, weil er weiß, baß bie Lehre, welche von ihm zen; 
dad heißt bie Lehre, bie in den Worten wieberhallt, Kommt e 
zu mir, die ihr mühfelig und beladen feid, ich will euch erau! 
Sen **), baß biefe Lehre, wenn wir fie thun, und als eine gi 
liche erfcheint, und bag wir ihrer Böttlichkeit inne werben in de 
Zeugniß, welches der Water ablegt von dem Sohne, und moin 
er die Herzen der Menfchen zu dem Sohne hinzieht, und fi 
bie Werke, die der Exlöfer thut, Werke find aus Gott gether 
und Werke der ihm einmwohnenden Kraft und Fülle der Goch 

Zu biefem nun aber fügt der Herr hinzu Worte, bie ale 
dings fchwer zu verftehen fcheinen, Und der Bater, Der mic 
gelandt hat, der zeugt von mir, das heißt, die Werke, & 
er mir gegeben hat zu vollenden, und bie ich wirklich thue, de 
find ein Beweis davon, fein Zeugniß iſt abgelegt, ed giebt ja: 
folhe, die an meinen Namen glauben, und denen ich Dadurbti 
Macht gegeben habe Kinder Gotted zu werden ***), es gieh 
ſchon folche, die mich aufgenommen haben und die deshalb ar! 
der Finſterniß zum Lichte, aus dem Tode zum Leben hindurdse 
drungen find ****), der Vater Hat fchon von mir gezeugt, ih! 
aber habt nie weder feine Stimme gehört, noch feiz: 
Geſtalt gefehen, und fein Wort habt ide nice ir 
— — — 


) Joh.7, 17. ) Matth. 11, 28. ) Joh. 1, 12 
-.) Jod. b, M. 


375 


A wohnend, benn ihr glaubet dem nicht, den er ge 
nDdt hat. 

Wie kann der Herr das feinen Zuhörern zum Vorwurf ma« 
rı, baß fie niemald die Stimme feined Vaters gehört 
ch feine Geſtalt gefehen hätten? Denn indem er von 
en Sehen ber Geftalt redet, fo fehen wir daraus, daß aud) 
S, was er von ber Stimme Gottes jagt, auf eine eigentliche 
Seife zu verfichen if. Wie kann nun das aber fein, da Gott 
inte Geftalt hat und in beinfelben Sinne auch feine Stimme? 

Wir müffen aber hierbei, m. g. $r., und erinnern an bie 
eiten des alten Bundes, wo allerdings öfterd von einer Stimme 
50 ttes geredet wird, ja auch von einem folhen Sehen ber 
5eflalt, welches für den, ber fie fah, in einem Augenblikke bes 
>raderer geiftiger Erregung und einer befonderen Erhöhung bes 
n ber Seele ruhenden Bewußtſeins Gottes eine vorzügliche Ver⸗ 
‚egenwärtigung Gottes bed Herrn war, wie wir dergleichen Beis 
piele in den Schiiften ded alten Bundes mehrere aufbewahrt 
inden. Daran alfo will der Herr feine Zuhörer erinnern, und 
agt ihnen um ed anderd audzubrüffen etwa fo viel, So wenig 
br aus allen Stimmen jener alten Diener des Volles, die der 
Herr mit feiner Kraft auögerüftet hatte, und bie ihm wohlgefäl: 
ig waren in der Verkündigung feines Willend an dad Volk in 
einem jeden befonderen Zuftande deſſelben, fo wenig ihr je eine 
Diefer- Stimmen Gottes gehört oder eine Geftalt gefehen habt, 
Die euch ein befonderes Zeichen von dem Herm fein Eonnte, eben 
jo wenig habt ihr fein Wort in euch wohnen. 

Diefed Wort, von welchem der Herr fagt, daß fie ed in 
fi) wohnen haben könnten, aber nicht hätten, das ift das 
Wort der Schriften des alten Bundes, dad Wort, in welchem 
aufbewahrt waren alle Kührungen Gottes mit diefem Volke, und 
alle Stimmen, die feine Diener ald die Verkündiger feines Wil: 
tens geredet, und alle Geftalten, in benen fie die Herrlichkeit des 
Herm offenbaret hatten, dad Wort, welches felbft ein Beugniß 


376 


war von dem befonderen Wohlgefallen Gettes gu dieſem Belt 
und von der Zreue, mit welcher ber Herr es geleitet hatte, ſe 
daß das Heil der Welt aus demſelben hervorgehen ſollte. St 
men Gotted zu hören und feine Seftalt zu fehen, ſtand nicht m 
der Macht derer, zu denen ber Herr redete, aber dad Wort Gut 
tes, welches fie hatten, vergegenwärtigte ihnen jede Zeit und fellt 
ihnen dad gegenwärtige mit dem zukünftigen verknüpfen. % 
bem Worte Gottes aber deutete alled auf das künftige Heil, we 
ches ſchon an ben Glauben Abruhamd ald des älteflen Diener 
Gottes gefnüpft war und von ihm herab durch die ganze lang 
Beit der Gefchichte feinem Saamen verheißen. Hätten fie al 
bad Wort Gottes in ſich wohnen gehabt, fo wäre es ihnen 
Beugniß Gottes geweſen, fo wäre dadurch die Sehnfucht nad « 
nem höhern geifligen und ewigen Heil erregt worden im ihne, 
welche zu erregen bie Beflimmung ber Schriften deö alten Bur 
des ift, nicht zu befriedigen — denn es konnte Died nur da 
Sohn, ber in die Welt gelommen ift und, Fleiſch und Blut ab 
genommen hat — aber zu erregen und immer lebendig im ihnen 
zu erhalten. Hätten fie dad Wort Gotted in fih wohnen ge 
habt, fo wäre auch jene Sehnfucht in ihnen geweien, und bie 
wäre dann ein Anknuͤpfungspunkt geweſen für die Wirkung 
die von Ehrifto auögehen follte, und für das Merk, welches te 
Bater vollbrachte, die Seelen ber Menfchen zu dem Sohne u 
ziehen. Nun aber fagt der Herr, Ihr habt fein Wort nidt 
in euch wohnen, wiewol ihr Eönntet, weil ihr nicht glaw 
bet an den, ben ber Vater gefandt bat, und Darum. 
ſuchet ihr wol in ber Schrift, weil ihr überzeugt feid, 
baß ihr Dad ewigeLeben darin findet, wie fie es aud | 
ifl, Die von mir zeuget, aber zu mir wollt ihr nidt 
tommen, baß ihr bad Leben haben moͤget. 

Laßt und, m. g. Fr., nur noch einen Augenblikk bei dieſen 
Morten des Erlöfers ftehen bleiben. Hier macht er feinen Zu: 
hören einen Vorwurf daraus, daß fir das Wort Gottes 














377 


micht in fih wohnen hätten, und fleht ba8 alfo als thr 
Werk an und ſagt, hätten fie ed in fi wohnen, fo wuͤrden fie 
au ihm kommen und an ihn glauben, damit fie von ihm das 
eben empfingenz fo aber forfchten fie nur in der Schrift, in ber 
Meinung, dad ewige Leben darin zu haben, dad heißt, nicht in 
Dem rechten Streben nach dem wahren ewigen Leben, fonbern 
zıur in ber falfchen Vorſtellung, welche fie davon hatten, und 
Darum Fönnten fie zum Glauben an den, ben Gott gefandt hat, 
sricht gelangen. Hätten fie dad Wort bed Herrn in fi) woh⸗ 
nen, fo hätten fle die Kraft auch in fich wohnen, und in biefer 
Kraft Gottes wendet fi) der Herr an fie und fagt, wer bie 
Habe, ber werde auch durch den Glauben von dem Water zu 
ihm gezogen, und ber wefentliche Unterfchied zwifchen denen, bie 
während feines Lebens der Herr felbft, und hernach in jedem fols 
genden Zeitraum die Verkuͤndiger ded Heild zum Glauben an 
ihn gebracht hätten, und zwifchen denen, die nicht dazu gelangt 


waͤren, ber fei immer nur, wenn man auf bad erſte zuruͤkkgeht, 


ber zwifchen denen, die jene Kraft des Wortes Gotted in fich 
wohnen hätten, und zwifchen denen, bie nicht; zwifchen denen, 
in denen dad Reich Gotted tiefe Wurzel fchlägt und fich feſt er 
hält gegen alled, was es zu zerflören fucht, und zwiſchen benen, 
in welchen es nicht zum Leben gebeibt und nur zu einer kurzen 
Freude, zu einer flüchtigen Bewegung des Gemüthed wird, aber 
nicht zu einer feflen Geftaltung. 

Und fo will er uns auch hier darauf führen, daß das ganze 
Werk Gottes ein zufammenhangendes ift. Denn das ift bie ur 
fprüngliche Mittheilung Gotted an die menſchliche Natur, Traft 
beren ber Menfch auf der einen Seite, indem er wahrnimmt bie 
Werke der Schöpfung in der Welt, auf der andern Seite, in« 
dem er merkt auf die Werke Gotted in ber Gefchichte der Welt, 
wie fie auch in ben heiligen Büchern fich finden, dahin kommen 
kann, Gottes ewige Kraft und fein allmächtiged Weſen wahrzus 







nehmen ımb zu erkennen *). Hat des Menſch dieje Bert be 
tes in feiner Seele wohnen, bann iſt ex vorberatet, dei m 
tiefere und herrlichere Wort Gottes, weldyes durch bean Se 
offenbaret if, in feine Seele aufzunehmen, weil er dam e 
Verlangen bat in feinem Herzen nad dem Water, der durh 
Sohn ſich offenbaret hat und dann glaubt er dem Zeugmif 
Bater3 von dem Sohne und läßt fi) von dem Bater zum E:= 
binführen, und die fo an ihn glauben, die find es, bie dei ar: 
Sehen haben. 

Geſezt alfo, wir haben das Wort Gottes im der &r 
aber nicht in und wohnen, fo mögen wir forfchen, fo vide 
wollen, von einer ſolchen falfchen unb verkehrten Meinung :- 
dem ewigen Leben aus, fo werben wir boch das Zeugnif, 
ches der Herr abgelegt hat, nicht finden, das Zeugniß, dei: 
Menſchen in ihrem natürlichen Zuflande nicht konnten zu °- 
tommen, fondern nur durch bie Mittheilung de göttlichen S: 
tes, welches in dem Sohne erſchienen und Fleiſch geworden ! 
Zum Glauben an ihn werden wir alfo, wenn wir auf em 
äußerliche Weiſe in der Schrift forfchen, nicht gelangen, 1?” 
bie bad Wort Gottes in ſich haben, finden auch die rechte > 
tung bed geichriebenen Worted, welches unter und wohnt, 2 
werden dadurch zu dem geführt, ber allein die Quelle ade 
und alled Lebens iſt. 

Aber mas ift nun das Wort, welches wir unter uns m 
nen haben, anders ald Zeugniß des Herm von fich ſelbſt? Ze 
auch dad Zeugniß feiner Juͤnger ift nichtö anderes als fein = 
ig, weil fie nur durch ihn zum Glauben find gebracht were 
und fein Zeugniß unter uns ift dad von der Macht, bien r 
nur er in die Seelen derer ausgießt, die an ihn glauben, da} | 
taufenbfältigen Geftalten fich wiederholende Zeugniß des Apei: 
weicher fpricht, Wohin follten wir gehen, bu haft Worte des et 
gen Lebens ). 





"Rom. 1, 8. ”) oh, 6, 68. 





379 


D laßt und nur den innerflen Grund und Boden deö Sen 
eras freihalten, damit dad urfpränglihe Wort Gottes in uns 
ohne und nicht vergehe unter den Sorgen und Laflen der Welt, 
yanın wirb auch daS berrlihe Wort Gottes, welched und ber 
Srlöfer gebracht hat, in uns ſich immer mehr verflären, und der 
SGlaube an des Herm Zeugniß von ſich felbft und an feines Va⸗ 
ters Zeugniß von ihm immer lebendiger werben, bis wir fo fefl 
mit ihm vereiniget find, dag wir wiffen, weder Licht noch Fin 
fternig, weder Leiden noch Tod, nicht kann und fcheiden von 
der Liebe Gottes, die da ift in Chriſto Jeſu *). Amen. 


*) Mom. 8, 38. 


XXVIII. 
Am 6. Sonntage nach Trinitatis 1824. 


Text. Joh. 5, 41 — 47. 

Sch nehme nicht Ehre von Menſchen. Aber ich Tem 
euch, daß ihr nicht Gottes Liebe in euch habt. Id 
bin gefommen in meined Vaters Namen, und ihr 
nehmt mich nicht an. So ein anderer wirb in feinem 
eigenen Namen kommen, ben werdet ihr annehmen 
Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre von einander neh: 
met? Und die Ehre, die von Gott allein if, fudt 
ihr nicht. She folt nicht meinen, daß ich euch vor 
dem Water verklagen werde; ed ift einer, der euch ver 
klagt, der Mofe, auf welchen ihr hofft. Wenn ih 
Mofe glaubet, fo glaubet ihr auch mir; denn der hat 
von mir gefchrieben. So ihr aber feinen Schriften 
nicht glaubet, wie werdet ihr meinen Worten glauben? 


Dis, m. 9. Fr., ift nun dad Ende ber Rebe, welche unfer 
Erlöfer hielt vor den gefezlichen Eiferern in Serufalem, bie ihn 
verfolgten und zu tödten fuchten, weil er am Sabbath gefund 
gemacht hatte, und noch mehr, weil ex ihnen gefagt, wie ex von 


381 


ott feinem Bater gefandt fei, und fich ſelbſt Gott gleich ges 
acht (8. 18.); eine Rebe, in welcher wir Gelegenheit gehabt 
sen, die unzweibeutigften Eröffnungen des Grlöferd über bad 
g enthuͤmliche und unmittelbare feined Verhaͤltniſſes zu Gott und 
inte Sendung vom Vater zu vernehmen. In Beziehung auf 
as Ende nun diefer Rede, She fucht in der Schrift, denn ihr 
zeint, ihr habt dad ewige Xeben darin, unb fie iſt's, die von mit 
eugt, aber zu mir wollt ihr nicht kommen, baß ihr bad Leben 
aben möget, und ihr habt Gotted Wort nicht in euch wohnen, 
enn ihr glaubt dem nicht, den er gefandt hat (WB. 38 — 40.), 
n Beziehung auf diefe unmittelbar vorhergehenden Worte rebet 
ıun ber Erlöfer bier zulezt noch davon, weshalb denn eigentlich 
ie, zu denen er redet, und die die Führer und oberften ded Volks 
waren, nicht an ihn glaubten. 

Zweierlei ift e8 was er anführt, indem er bad eine Mal 
fagt, Ihr habt Gottes Liebe nicht in euch, und bernach, ' 
Ihr nehbmet Ehre von einander, die Ehre, die von 
Sott allein iſt, ſuchet ihr nicht. Daß find bie beiden wes 
fentlihen Gründe, die er ihnen vorbält, außerdem aber fucht 
er noch zuerft ihnen begreiflich zu machen, Damit fie ihn nicht zu 
fehr nach fich ſelbſt beurtheilen möchten, weshalb er ihnen fo 
über ihren eigenen Zuſtand die Wahrheit fage, und bann zu⸗ 
Lezt giebt er ihnen noch zu bedenken, wie fie allerdings könnten 
aus der Erkenntniß, die fie fchon hätten, über ihren Unglauben 
an ihn verklagt und verbammt werben. 

Die Worte, mit denen unfer verlefener Tert anfängt, Ich 
nehme nicht Ehre von Menfchen, follen den Zuhörern des 
Herm fagen, dag auch in feinem Urtheil über fie nichts unrei⸗ 
ned und nichtd von menſchlicher Schwäche fei. Indem ex aber 
fagt, Ih nehme nicht Ehre von Menſchen, fo wid ba# 
zugleich fo viel fagen, ich firebe nicht nach Ehre vor den Mens 
ſchen, ich fuche fie nicht, fie iſt für mich nicht von einen beſon⸗ 
dern Bedeutung. 





382 
Aber, m. 9. Fr., feine Ehre von Menfchen, bie hätte = 
aun eben barin befanden, daß fie ihn erfannt hätten als m 

der von Gott gefanbt war, und an ihn glaubten; denn waz: 
ihn für einen ſolchen erfannten, fo mußten fie ihn aud fu: 

was von ihnen felbft ganz unterfchiedened halten, ihm wei :x 
ſich ſelbſt und über alle früheren Gefandte Gottes erheben: = ' 
dad wäre nun bie Ehre geweien, die ihm allerdings i: 

Wie kann aber nun ber Erlöfer fagen, bag er dieſe Ehre :: 
ſuche und danach nicht firebe? Es war body ber Zwekk feiner s== 
Sendung, daß die Menſchen an ihn glauben follten, um = 
durch den Glauben an ihn konnten und follten fie dad ec: 
Leben haben, welches er gelommen war zu bringen. Bir != 
ex alſo von fich fagen, Ich nehme nicht Ehre von Ar: 
ſchen? 

Dazu, m. g. Fr., finden wir den Schluͤſſel in dem, =: 
der Herr in diefer Rebe früher gefagt bat, in ſolchen Jeui 
gen wie diefe, Der Sohn kann nichts von ihm ſelbſt hn.E© 
bern nur was ex fieht ben Water thun, das thut glei aus 
ber Vater wirkt biöher, und ich wirke auch (8. 19. 17... = 
eben bahin zielen auch die fpatern Worte in unferem Tat, 
bin in meines Vaters Namen gelommen, un: 
nehmt mich nicht an, ein anberer wird in feinem! 
genen Namen fommen, ben werdet ihr anneat 
Nämlich er war gelommen, daß er den Willen vollbrädt: * 
ned Vaters im Himmel *), dazu zu thun was er fommte, b@ 
Selegenheit vorüber zu laflen, wo er auf die Herzen da Ar 
fchen wirken, fich ihres Zuflanded gewiß maden und in be 
dad Verlangen und bie Sehnfucht nach dem Reiche Gettei, * 
ches er verfündigte, erwekken konnte; daB war fein eigeatl 
Beruf und fein Geſchaͤft auf Erben. Wie viel oder wenig E 
mittelbar, fo ange er noch auf Erben lebte, dabei zur Bir 














”) Iop. 4, 3. 





383 


te komme, wie groß ober klein die Zahl berer fei, die ihn 
äürklich als den Sohn Gottes erfannten, daß ftellte er Bott am 
irrı, eben deöwegen, weil er wohl wußte, daß der Vater bisher 
»ürke und auch wirken werbe, und baß ber ewige und heilige 
Sille Gottes nothwendig muͤſſe in Erfüllung gehen, fei es früs 
er oder fpäter. 

Und fo wie der Erlöfer in Eindlicher Einfalt den Willen 
55 ottes zu thun, den er und befaunt gemacht, nad) unferem be 
fer Wiffen und Willen, das ift die Art, wie auch wir von ihm 
zefandt feinen Willen thun follen, und für das Meich, welches ex 
zeftiftet hat, nad unferen Kräften wirken. Wie viel ober wie 
noenig dabei ald ein unmittelbarer Erfolg herauskommen werde, 
Den gewiffermaßen wir und felbft zurechnen Finnen, darauf fol 
len wir eben fo wenig fehen, wie der Erlöfer hier fagt, daß er 
nicht Ehre von Menfchen fuche und danach firebe, fondern das 
alles Gott anheimftellen. Nur bei einer folchen Sefinnung kann 
unter dem Widerſtand, den auch jezt noch die Förderung des 
reiches Gotted unter den Menfchen findet, unfer Urtheil über 
Die Menfchen rein fein und unverfälfcht, und unfere Liebe gegen 
fie troz aller ihrer Schwächen, Werbiendungen und Verkehrthei⸗ 
ten unerfchütterlich fein. Streben wir aber nach Ehre bei Mens 
fchen, fo fühlen wir uns. gefränft durch jebed Mißlingen, durch 
jeden Erfolg, der nicht fo ausfällt wie wir hoffen fonnten; und 
Dann wird auch unfer Urtheil über die Menfchen durch die ge 
kraͤnkte Eigenliebe verfälfcht. Wenn ber Herr alfo hier fagt, 
Sch nehme nit Ehre von Menfchen, fo iſt ed bie, was 
er meint, Wie viel oder wie wenig dad, was ich nad) dem Wil: 
len Gottes thue, jezt bewirkt, wie viel ober wie wenig ich in 
der Welt anerfannt werde, dad ift mir gleich, und eben beömes 
gen ift auch mein Urtheil über euch rein, und koͤnnt ihr ed ans 
fehen als fchlihte Wahrheit. 

Und nad) dieſer Vorrede geht er zu ber Audeinanderfezung 
ber Gründe, weshalb fie nicht glauben bonnten, und 


384 


die ich fchon vorher namhaft gemacht habe. Der erfte ift be, 
ih kenne euch, baß ihr nicht Gottes Liebe in eud 
habt, unb der zweite der, Wie Fönnt ihr glauben, tie 
ihr Ehre von einander nehmet. | 

Was nun den erften betrifft, m. a. Fr., jo kann es ww 
freilich wunberbar vorfommen, wie der Erlöfer hier das als tm 
Srund ihred Unglaubend anfehen will, dag fie Gottes Liebe 
nicht in fih hätten. Denn bed Waters Liebe erkennen mr 
alle nur in dem Sohn, und würden in der That nicht zu faga 
wiflen, wie wir zu einer richtigen Erfenntnig ber Liebe Gott: 
zu und fommen follten, wenn nicht eben darin die Liebe Gott« 
erfchienen wäre, daß er feinen Sohn für und gegeben bat al 
wir noch Sünder waren *), um und von ber Sünde zu erlöfe 
und und dad ewige Leben zu geben. So Tünnen wir alſo nidt 
anderd fagen ald, Der Glaube an den, den Gott gefandbt hat, de 
muß erft vorangehen, ehe wir die Liebe Gotted in uns habe 
fönnen, wir müffen fie erft in dem Sohn erfannt haben, uni 
burch den Sohn muß ber Water und fund und offenbar gewor 
ben fein, ehe wir feine Liebe Eönnen in und haben. Der Hm 
aber fagt hier zu den Schriftgelehrten und Eiferern des mel 
(hen Geſezes, an welche feine ganze Rebe gerichtet iſt, Fi 
koͤnnt eben deöwegen nicht an mich glauben noch mich erkennen, 
weil ihr Gottes Liebe nicht in euch habt. 

Das ift gewiß, wenn wir betrachten, was für eine Erfennt: 
niß Gottes vor ben Zeiten des Erlöferd unter dem menfchlichen 
Geſchlecht gewefen ift, fo werben wir fagen müffen, Die rechte 
Stellung zu Gott, die war noch nicht in biefer Erfenntnig ent 
halten. Der Apoftel Paulus fagt, die Menfchen hätten Feine 
Entichuldigung, denn fie Eönnten Gottes ewige Kraft und AI: 
macht und fein göftlihed MWefen wahrnehmen an feinen Wer— 
Ten *'). Das, m. g. Fr., das ift nun bie Erkenntniß bes all: 





”) Roͤm. 6, & ”*) Roͤm. 1, 19. W. 














385 


kchtigen Gottes. Dem Volke Gottes, unter welchem ber Er 
er geboren war, hatte Gott dad Gefez gegeben, auf welches 
vw Herr auch bier in ber Folge feiner Worte fich beruft, Der 
Eofes, auf welchen ihr hofft, der ift ed, welcher euch 
er klagt; er hatte fih ihm zu erfennen gegeben ald den Gott 
inter Väter in einem befonberen Bunde, den er mit jenen ges 
bioffen, und ſich anheifhig gemacht die Verheißungen zu erfüls 
in, bie er jenen gegeben hatte; er hatte dem Wolke verheißen, er 
»Olle fein König und fein Herr fein. Das war freilich eine 
errauere Erkenntniß Gottes und auch eine andere Verbindung, 
Us welcher die übrigen Voͤlker fi) rühmen konnten; aber weil 
riefe Verbindung nur an ein Gefez gefnüpft war, weil diefe Ers 
enntniß nur bie Erkenntniß einer Herrfchaft war, fo war fie 
nicht die Erkenntniß davon, daß Gott ein Water fei und wir 
feine Kinder, fo war fie nicht eine Werbindung mit dem liebe: 
vollen Vater, in weldyen wir leben, weben und find *). Und 
eine andere Liebe kennen wir doch nicht, mit der wir Gott zus 
gethan fein könnten und ſollten als bie Liebe des Kindes zu dem 
Vater. Wenn biefe fchon vorher da gewefen wäre, fo hätte ber 
Sohn Gottes nicht kommen dürfen, um fie und zu offenbaren. 
Und fo fagt er nicht zu viel von fich felbft, wenn er fagt, Nies 
mand Eennt ben Bater, benn der Sohn, und wen diefer ed will 
offenbaren **). 

Demohnerachtet aber auf der andern Seite hatte ber Herr 
fchon aus den Worten bed alten Bundes die Vorfchrift hergenommen, 
die er für dad Weſen bed ganzen Geſezes erklärte, Du ſollſt lies 
ben Gott deinen Herrn von ganzem Herzen, von ganzer Seele 
ımd mit allen beinen Kräften *“). Da tft alfo allerdings bie 
Rede von einer Kiebe zu Gott, aber nicht von ber Liebe, welche 
nur die Erfcheinung ded Erlöfers in dem Herzen ber Menfchen 
erregen Tonnte, fondern von ber Liebe zu Gott ald dem Herrn, 


*) Apoftelgefch. 17, W. *9 Matth. 11, N. ) Matth. vr’ 37. 
Yom, üb, Ev. Joh. 1. Bb 


386 


und alfo ganz in jenem Sinn und Geiſt bed Alterthums. I 
Liebe, diefe Liebe zu Gott als ihrem Herm, bie hätten jme Is 
sifaer und Eiferer allerdings haben können und follen; ut: 
befieht nun darin, dag man dem Herm unterthänig und cf 
fan ift nicht aus Noth oder aus Furcht, fondern um des 51 
wiſſens willen *), und von ber Ueberzeugung aus, bag fm: 
bietender Wille gut und heilig if. Wenn fie Diele Lux. 
Gott ald ihrem Herm gehabt hätten, fo hätten fie aud nı=. 
cher Weife, und fie befonderd, von welchen ber Herz fe oft i: 
daß fie die Schlüffel des Himmelreichs hätten ), weil X= 
bie Erkenntnig der Schrift auf eine befondere Weile anver- 
war, fo hätten fie, eben wie fie forgfältig nachzuforſchen vent: 
tet waren allen Zeitungen bed Höchften mit dem Wolke, ta: 
angehörten, und immer von neuem fi) ind Gedaͤchtniß zu mt 
wie es vor ihnen gewelen war, eben fo auch alle dem eifrig 
geipürt, was in ben heiligen Schriften ihres Volks auf de > 
kunft binwied und eine Spur ded ewigen Lebens, weile: 
dem erwarteten Sohn Gottes aufgehen follte, im berfelben =< 
Und wenn fie nun bazu genommen hätten jene natürlich © 
kenntniß Gottes, fo hätten fie allerdings nicht glauben ex, 
daß der Gottesdienſt und die heiligen Gebräuche, welche task 
angeorbnet hatte für bie Zeiten bed alten Bundes, daß bieie de 
Weſen ber ewigen Güter enthalten, die er fo gern ben Naite 
mittheilt, fo hätten fie zu ber Erkenntniß kommen müfle, ii 
ber Verfafler des Briefes an bie Hebräer mit dem Worten ar 
druͤkkt ), Der alte Bund hatte nur den Schatten der ewiza 
Güter, dad Weſen aber war aufbewahrt der Zeit, auf mei 
nicht nur alle Schriften ded alten Bundes, fondern die gur 
Verfaſſung beffelben hinweilen follte. 

Beides aber, die heiligen Schriften, in bie fie wie in & 
nen Spiegel ſchauen konnten, und bie ihnen vergangene IM 













—o 


*) Am. 13, 5. ”) Luß, 11, 62 “, Gr. 10, |. 





387 


'ünftiges barftellten, und die ganze Werfaffung des alten Bun 
> mit allen Lehren und Vorſchriften, welche Iezteren fie nur 
ch erweitert hatten auf eine laͤſtige und ben Geift niederbrüßs 
ide Weiſe burd) eine große Menge von Menfchenfazuingen, weil 

beided zu Feinem andern Zwekk gebraudhten, als damit fie 
bft als die Hüter ded Volks, das ihnen anvertrout war, geach⸗ 

würden und unterfdhieden von ben übrigen Söhnen der Erde, 
il fie dieſe heiligen Einrichtungen Gotted. nur betrachteten aus 
m Gefichtöpunft ihres eigenen Anfehens und ihres irdiſchen 
ortheils, fo fagt der Herr mit Recht, daß fie die natürliche Ans 
nglichfeit, die fie als Glieder des göttlihen Bundes zu Bott 
rem Herm haben müßten, nicht hätten und eben deshalb an 
n nicht glaubten. 

Das hängt nun genau zufammen mit bem was er am Ende 
ıfered Textes fagt, daß fie nicht glauben folten, er werde fie 
erflagen bei feinem Vater. Wie meit er davon entfernt 
ar, dad wiffen wir aus feinem ganzen Leben und noch aus den 
sten heiligen Augenblikken defielben, wo er flatt zu verklagen 
jerzeihung von feinem himmlifchen Water erbat für Diejenigen, 
e ihn zum Tode führten; aber, fagt er, ed iſt einer der 
uch verklagt, der Moſes, auf weldhen ihr hofft. Wenn‘ 
yr mit der Liebe zu Gott ald eurem Herm und König, die er 
bon in dem Gefez von euch fordert und als das erfte Gebot 
nter allen, die euch durch ihn mitgetheilt find, aufgeftellt hat, 
venn ihr mit dieſer Liebe, mit diefem Beftreben den Willen Got: 
es recht zu verftehen, tief in euer Herz zu verſchließen und in 
urem ganzen Leben an den Zag zu legen, wenn ihr fo feine 
Schriften lefet und alle Ordnungen des alten Bundes betrachtet: 
o wuͤrdet ihr nothwendig zu ber Ueberzeugung gelommen fein, 
aß diefe Ordnungen auf etwas anderes, etwas höheres und zus 
unftigeö binweifen, und daß das Geſez mit allen heiligen Ein« 
ichtungen nicht bie ganze Offenbarung Gotted ſei; fo wuͤrdet 
hr die Andeutungen bavon, bie in ben Schriften des alten Bun» 

Bb 2 


388 


des unter biefee und jener Geſtalt vorlommen, auf dm % 
Weiſe benuzen und mit einer foldhen Begierde ergreifen, bit : 
nicht umbin Tönntet mich zu erkennen als den, auf ten de 
Gott begeifterten Maͤnner der Vorzeit hingebeutet haben, ı= 
mich zu glauben ald an ben lang erwarteten Retier dei Kit 

Der zweite Grund, ben ber Herr anführt, wehet 
nicht an ihn glauben koͤnnten, iſt der, daß fie Ehre von. 
ander nehmen, aber die Ehre, die von Sott allein! 
nicht ſuchen. | 

Wie fehr dad bie Menfchen von ber reinen Wahrbe : 
hält, wenn fie Ehre von einander nehmen, das lehrt uns die 
lihe Erfahrung, und wir können und nicht genug davor k= 
weil jeber Menſch ſchon an fich in feinem innern dieſe Re: 
hat. Streben wir aber nach Ehre von Menfchen, fo fine: 
auch Feinen Unterfhieb machen zwifchen bem, was fie fir : 
und ehrenvoll halten, was es aber nicht iſt, und zwiſche !c 
was ed wirklich iſt. Indem alſo freilich diejenigen, weik = 
Ehre von Menſchen nehmen und ſuchen, auf ber einen Ex: 
mandem guten aufgemuntert und hingeführt werben, m: 
fonft nicht thun würden, fo ift e8 boch ein unficherer und &=’ 
riger Pfab, weil fie auf biefe Weife zu dem unvollfenz- 
bingeleitet werben, was fie eben beöhalb preifen unb ſuchen rl 
das Auge ihres Geiſtes noch nicht vollkommen aufgegangn * 
ſondern noch eine Dekke vor ihren Augen liegt, welche fe = 
dert, das einzig würbige Ziel aller ihrer Beflrebungen in =: 
trübtem Lichte zu fchauen. 

Se mehr wir aber das erkennen, beflo mehr müfen = 
nad) den andern Worten des Erlöfers fragen, was es dem ı 
gentlih fei, was er damit meint, Die Ehre aber, diem! 
Sott allein if, ſuchet ihr nicht. 

Darüber giebt und der Apoftel Paulus in feinem Bride © 
bie Römer einen ſchoͤnen und herrlichen Auffchluß, wenn er kr 
Derjenige, der nicht bei bem Buchflaben ſtehen bleibt, ſondem ta 





389 


:ifte nachforfcht, deffen Lob ift nicht aus Menfchen, fondern 
8 Gott *). Sehet da, m. g. Fr., das iſt alfo die Ehre, bie 
rr Gott allein ifl, und in den Zufammenhang der Worte des 
eLöfers geht dies ſchoͤn zuruͤkk und beflimmt hinein. Denn 
en das Ehre von Menfchen nehmen führt den Menfchen und 
ne Beſtrebungen von der reinen Wahrheit ab, weil in Feinem 
denſchen die reine Wahrheit if; und wenn wir und auch das 
af beichränten wollten Ehre zu nehmen nicht von bem großen 
‚auıfen, der dad höhere und beffere nicht im Stande ift klar 
is Auge zu faflen, fondern nur von denen, die auf eine vors 
agliche Weile etwas gelten in der Welt und bie trefflichften 
nd beften find, fo ift doch auch in ihnen die Wahrheit ver» 
alfcht. Streben wir alfo nach Ehre von Menfchen, fo find wir 
sticht im Stande nach der Ehre zu fireben, die aus Gott ifl. 
DaB ift die Ehre, die von Gott allein ift, wenn ber Menſch nur 
ser Wahrheit nachtrachtet, wenn er um zu ihr zu gelangen, fich 
wmımer mehr lodfagt von allem Schein, wenn er von Gott fich 
zichtd erbittet ald ein einfälttged Herz und einen gewiſſen Geift *”), 
wenn er mit feilem Schritte dem einen Ziele entgegengeht bie 
Wahrheit zu erfennen, durch welche allein ber Dienfch frei wer⸗ 
Den kann ***). So fagt der Erlöfer, daß und von keinem an⸗ 
Dem die rechte Ehre kommt ald von Gott allein. Wenn wir 
aber und noch an irgend etwad anderem erfreuen als an ber 
Wahrheit, dann find wir auch noch auf dem Wege Ehre von 
Menfchen zu nehmen; find wir aber in bem lebendigen Beſtre⸗ 
ben begriffen die Wahrheit zu fuchen, die er gebracht hat, und 
wovon er die Quelle in ſich trägt, und durch fie zur Freiheit 
der Kinder Gottes hindurchzudringen, das tft auch die Ehre, bie 
Gott einem jeben giebt, der fie redlich ſucht. Denn die Mens 
fhen geben Ehre nad) ihrer Weiſe; die Ehre aber, bie von Gott 
kommt, das ift bie rechte und wahre, denn er if bie Wahrheit. 





9 NRoͤm. 2, 29. y 9. bi, 12. 3% 8, 31. 


390 


Deswegen, m. g. Fr., laßt und das anfchen und 
men als dad theuerfie Vermaͤchtniß bed Herrn, welches a 
in biefen Worten gegeben hat, indem wir und bewußt jet: 
Verfuchungen zum Unglauben, dag wir und warnen nid 
au fuchen bei Menfchen, fonbern allein bie Ehre, wedk 
Gott fommt. Es ift auch wahr, daß jeder, ber fi beia 
freut, und darauf fein Heil begründet, da der Sohn Gottz 
gemacht fei zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur & 
gung *), ber kann nicht Ehre von Menfchen fuchen, a nz; 
gen wie der Apoftel, Mir ift ed gleich, ob ich von eud gen 
werde, ober von einem andern menfhlihen Tage, er mi: 
wiffen, daß der Herr allein im Stande iſt zu richten, unt = 
er nur feinem Herm und feinem andern flieht ober fällt”. E 
diefem Glauben werben wir immer mehr frei werden bapeı &=' 
bei Menſchen zu fuchen, und nur mit einfältigem Hera = 
ber Ehre trachten, die von Gott allein kommt, und bie nm: 
benen ſtrahlt, welche ſich durch die Wahrheit frei machen je 
damit fie verklärt werden aus einem Lichte in bad andın = 
aus einer Klarheit in die andere. | 

Dann wird fich auch der ganze Zufammenhang de = 
hen Willens immer mehr vor unfern Augen enthüllen m 
nicht wieder aufs neue verdunkeln — denn fo es geldex, ® 
hat ed feinen Grund in der BVerfinfterung deö Herzens — NE 
werben wir immer mehr bie fefle Zuverficht des Gemitk = 
die reine Erkenntnig gewinnen, welche den Menſchen pm he 
feiner Seele führt, und die er nur mit einfältigem Ha 
greifen kann, und mit einem fo einfältigen Herzen wenden m 
immer mehr frei werben von alle dem, was bie göttliche Sr’ 
der Liebe ſchwaͤchen und trüben kann in dem Herzen, damit # 
unter allem Streit und unter allen Verwikkelungen und Io 
fungen ber Welt auch darin dem Erlöfes gleich werden, baf 













*) 1Kor 1, 80 ”) dm, 1% 4 


391 


em koͤnnen zu denen, die ungleich von uns denken unb uns in 
erem fchlichten Dienfte vor Bott nicht anerkennen, Ihr follt 
ht denten, daß ih euch vor dem Bater verklagen 
rde; fondern je mehr wir und ber Wahrheit freuen, deſto 
)e werben wir aus reinem Herzen inbrünftig beten für alle 
nfchen, daß fie endlich zur reinen Erkenntniß der Wahrheit 
> dadurch zur Freiheit der Kinder Gottes erhoben werben, 
> alles thun, was in unfern Kräften fleht, Damit bie Hinder: 
e, die ihnen noch im Wege flehen, daß fie nicht den heiligen 
illen Gottes, ber ihnen offenbart ift, erfennen und demfelben 
zen, immer mehr überwunden werden, und bamis fie mit uns 
ı Sohn Gotted aufnehmen ald denjenigen, von welchem allein 
es Heil kommt, und in ihm bie ewige Wahrheit ſchauen und 
ch ihn frei werden! 

Diefem reinen Dienfte laßt uns unfer ganzed Leben weihen, 
er auch fuchen felbft immer mehr zu der reinen Erkenntniß des 
ıterd und des Sohnes hindurchzubringen, die und immer mehr 
eftigen kann auf dem Wege der Wahrheit und allein bewah⸗ 
ı vor allen Verdunkelungen bed Verſtandes. Amen. 





| XXIX. 
Am 8. Sonntage nad) Trinitatis 182 


Text. Joh. 6, 1—15. 

Darnach fuhr Jeſus weg über bad Meer an ve 
Stadt Tiberiad in Balilde. Und es z0g ihm viel Baik 
nach, darum, daß fie die Zeichen fahen, die er an de 
Franken that. Jeſus aber ging hinauf auf einen Bes, 
und fezte fich bafelbft mit feinen Juͤnger. € war 
aber nahe die Oftern, der Juben Feſt. Da hob % 
ſus feine Augen auf, und fiehet, daß viel Volks ; 
ihm kommt, und ſpricht zu Philippo, Wo Laufen m 
Brot, daß biefe effen? Das fagte er aber ihn zu ve: | 
fuchen, denn er wußte wohl, was er thun wollte. Phi: 
lippus antwortete ihm, Zweihundert Pfennig wer; 
Brots ift nicht genug unter fie, daß ein jeglicher unte 
ihnen ein wenig nehme. Spricht zu ihm einer ſein⸗ 
Jünger, Andreas, ber Bruder Simonis Petri, Es ü 
ein Knabe hier, der hat fünf Gerftenbrote und awen | 
Fiſche; aber was ift dad unter fo viele! Jeſus aba 
ſprach, Schaffet, daß ſich dad Volk lagere. Es wa 
aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten ſich be 





395 


fünftaufend Mann. Jeſus aber nahm die Brote, dankte 
und gab fie den Züngern, bie Juͤnger aber denen, bie 
ſich gelagert hatten; deffelbigen gleichen auch von ben 
Sifchen, wie viel er wollte. Da fie aber fatt waren, 
fprach er zu feinen Juͤngern, Sammlet die übrigen 
Brokken, bag nichts umlomme. Da fammelten fie und 
fülleten zwölf Körbe von Brokken von ben fünf Ger: 
fienbroten, bie überblieben denen, bie gefpeifet worden. 
Da nun bie Menfchen das Zeichen fahen, dad Jeſus 
that, fprachen fie, Das iſt warlich der Prophet, der 
in die Welt kommen fol. Da nun Jeſus merkte, daß 
fie kommen würben und ihn bafchen, bag fie ihn zum 
Könige machten, entwich er abermal auf den Berg, er 
ſelbſt alleine. 


M . a. Fr. Diele Gefchichte kennen wir wol alle aus den Er⸗ 
‚ahlungen der andern Evangeliften, und da wir e8 nun in uns 
erer jezigen Betrachtung mit dem Evangelio Johannis befonders 
zu thun haben, fo laßt und unfere Aufmerkſamkeit vorzüglich auf 
dasjenige richten, wa8 wir aus feinem Evangelio nur allein er: 
\ehen, und wovon die übrigen nichts erwähnen. 

Das erfte diefer Art ift nun, daß Johannes die Sache fo 
barftelt, ald ob Chriftus, fobald er dad Bolt, dad zum Feſte in fo 
großer Menge zuſammenkam, zu fich heran kommen fah, fchon 
den Gedanken gefaßt habe fie zu fpeifen, und baß er gleich ans 
fangd die Nachfrage bei feinen Juͤngern nur gethan um fie zu 
verfuchen, weil er gewußt habe, was er thun wolle. Nach ben 
andern Evangeliften fcheint ed, ald ob ber Herr erft fpäter, nach⸗ 
dem er bad Wolf gelehrt und bie Franken geheilt hatte, und es 
nun ſpaͤt geworden war, auf ben Gedanken gekommen fei fie 
zu fpeifen, hier aber erfcheint ed als eine vorbebachte Sache. 

Dabei aber dürfen wir body nicht vernachläßigen, was bie 
andern Evangeliften fagen. Daß er das Volk vorher lehrte und 








XXX, 


Am 18. Sonntage nad) Trinitatis 1824 


Text. Joh. 6, 16— 25. 

Am Abend aber gingen die Juͤnger hinab an de 
Meer und traten in das Schiff und famen über de 
Mer gen Kapernaum, und ed war ſchon fünfler ge 
worden, und Jeſus war nicht zu ihnen gekommen 
Und dad Meer crhob ſich von einem großen Wirk 
Da fie nun gerubert hatten bei fünf und zwanzig ode 
breißig Feldweges, fahen fie Sefum auf dem Meer de 
ber gehen und nahe bei das Schiff kommen, und ſu 
fürchteten fih. Er aber fprach zu ihnen, Ich bin ed, 
fürchtet euch nicht. Da wollten fie ihn in das Schif 
nehmen, und alfobald war das Schiff am Lande, u 
fie binfuhren. Des andern Tages fahe dad Volk, das 
biedfeit ded Meeres fland, daß kein anderes Schiff de 
felbft war, denn dad einige, worein feine Jünger getre 
ten waren, und daß Jeſus nicht mit feinen Juͤngen 
in das Schiff getreten war, fondern allein feine Juͤn— 
ger waren weggefahren. Es kamen aber andere Schiffe 
von Ziberiad nahe zu der Stätte, ba fie das Bra 








397 
ne Kraft, fondern fie müßten auch von ihm die Nahrung bed 
eiſtes in der lebendigen Gemeinfchaft mit ihm empfangen, das 
it dem Unglauben abgeholfen mwerbe, und zu bem Wollen dad 
sollbringen fäme, damit die lebendigen Säfte des Weinſtokks 
ch überall in die Neben ergöffen, ſich Leben darin bildete und 
hielte. 

Und eben dies, m. g. Fr., war nichts zufaͤlliges, worauf 
er Herr gekommen waͤre, nachdem ſich das leibliche Beduͤrfniß 
mr Volke gezeigt, ſondern es war ihm etwas vorbedachtes. 
Ind als er feinen Juͤnger fragte, Wo nehmen wir Brot ber, 
aß dieſe eſſen und gefättigt werden? fo that er dies um fie 
u verfuhen, denn er wußte wohl, was er thun 
vollte Was aber bei ihm ein vorbebachtes ift, das tft auch 
in vorbedachted im ewigen Rathſchluß Gottes, denn ber Herr 
hut nicht von ihm felber, fondern nur was er ſieht und hört 
von feinem Vater *); denn der Herr fagt, daß er gekommen fei, 
um den Willen Gottes zu erfüllen. 

Ach, m. g. Fr., oft hat der Herr durch feine Diener in ben 
Zeiten bed alten Bundes die Frage ausfprechen laffen, Wo nebs> 
men wir Brot ber, dag diefe alle effen? er hat verfün- 
digen laflen das Zeugniß von ber Schwäche und Kraftlofigkeit 
der menfchlichen Natur, wie fie vom Anfang an gewelen, um 
und aufmerffam zu machen auf bie größere Kraft, die ſich erft 
durch die Sendung feines Sohnes offenbaren follte. Aber indem 
wir folde Klagen lefen über den geifligen Mangel, ber ſich über 
al offenbarte, da fich nirgends ein Verlangen zeigen wollte, um 
bie Bebürfniffe der menfchlichen Seele zu befriedigen: fo that ber 
Herr die nur, um diejenigen, welche er liebt, zu verfuchen, 
um ihre Sehnfucht aufzuregen und zu fleigern; er wußte wohl, 
was er thun wollte. Das war fein ewiger Rathichlug feinen 
Sohn zu fenden, nicht als Lehrer der Menfchen, nicht als fols 





”) Joh. 5, 20. 


408 


zu machen, fo entzog er fich Ihnen unb ging einfam in dad Ge 
biege zuruͤkk (8. 15.), feinen Sängern aber befahl er — was 
und bier Johannes nicht ausdruͤkklich erzählt, wad wir aber ans 
den andern Evangeliften wiffen — daß fie allein hinuͤberfahres 
follten nach Kapernaum, woraus fchon folgt, daß, ba fein ante 
red Schiff da war ald das eine, auf welchem er vorher mit bei 
Juͤngern hierher gefahren war, er auch auf einem andern Wege 
wieder zu ihnen zu fommen gedachte. Nun erzählt und Johan 
ned, «3 wäre finfter geworben, wie fich denn dad große Mail 
der vielen taufende allerdings wol natürlich über die gewoͤhnliche 
Zeit verlängert hatte. Da nun Jeſus nicht bei ihnen war, 
und ſich auf dem See ein großer Wind erhob, fo fürchteten 
fie fich. - 

Hier fehen wir nun zuerft eine gewiſſe Anhänglichkeit an 
die unmittelbare und leibliche Gegenwart, welche zugleich imma 
verbunden ift mit einem gewiffen Mangel an Glauben an ba} 
geiffige und an Gefühl von der geifligen Kraft und Wirkſamkeit. 
Hätten fie dieſen lezteren Glauben in dem Grade gehabt, wie a | 
allerdings von ihnen waͤre zu erwarten geweien, fo follten je 
fi) nicht deswegen gefürchtet haben, weil Jeſus nicht zu ihnen 
gefommen war, benn fie waren ja body auf feinen Befehl in 
ber Abendftunde in den See gefahren, den fie auf der einen Seit 
zwar fehr gut kannten, von welchem fie auf ber andern Seite aber 
auch wußten, daß er häufig von einem heftigen Winde plözlich bewegt 
wurde, und daß dann bie Fahrt auf bemfelben unficher war. Was 
fie nun auf feinen Befehl thaten, dabei follten fie den Muth gehabt 
haben und dad Vertrauen, was ihnen auch begegnen möchte, 
es koͤnne nicht anders ald nach feinem Willen gefchehen und zu 
ihrem Frieden dienen, und fie hätten wiflen müffen, be dann 
auch feine ſchuͤzende Macht, bie fie aud fo vielen Betfpielen ann: 
ten, eben fo über ihnen walten würde, als ob er wirklich um 
mittelbar unter ihnen zugegen wäre, und baß alles, was in bem 
Verbältniß, in welchem fie mit ihm fanden, fich ereignete, au 











399 


zahlt Sohannes, ſprachen fie, Das ift warlich der Pros 
bet, der in die Welt fommen foll. Da Jeſus nun 
erkte, bag fie kommen würden und ihn haſchen, daß 
e ihn zum König machten, entwic er auf den Berg. 

Sie fahen dad Zeichen, aber fie verftanden die Bedeutung 
icht, fondern blieben am Außerlichen haften und Eleben, wie der 
serr hernach zu denen ſprach, die ihn zu Kapernaum wieder: 
inden, Shr fuchtet mich nicht darum, baß ihr Zeichen gefehen 
abt, fondern daß ihr von dem Brot gegeffen habt, und weil ihr 
itt gemworden feid (VB. 26.). Bei diefem irdifchen und leiblichen 
Lieben fie fiehen. Nur dürfen wir die freilich nicht tabeln, daß 
'e auch) darin ein Zeichen fanden und ein Zeugniß dafür, daß fie 
laubten, er fei ein Prophet, der in die Welt gekommen; auch das 
ürfen wir nicht tadeln, daß jie Chriſtum zum König ausrufen 
oollten, denn er fol und will herrſchen über die Gemüther der 
Menſchen, und fagt felbit, daß er ein König fei, um ein Reich ber 
Bahrheit zu gründen. Aber als fie kamen ihn zu greifen, 
‚aß fie ihn zum Könige machten, entwich er auf ben 
Berg und entzog fich deswegen, weil fie auf eine Außer: 
iche und leibliche Weife, wie es bei Königen dieſer Welt ge 
chieht, ihn ausrufen wollten, und er einen Streit für ein dußes 
es Reich dann beginnen follte, da er doch fagt, fein Reich fei 
richt von diefer Welt *), und auch die Waffen diefer Welt für 
Yaffelbe nicht ergreifen wollte **). 

3a, m. g. Fr., fo ift es! je mehr wir bei der Betrachtung 
yer Wirkungen, die der Erlöfer über die Menfchen hervorbringt, 
beim Außeren fiehen bleiben, defto mehr verbirgt er fih uns und 
entweicht auf das Gebirge, er ganz allein, und ed kann auch 
nicht anders fein. Wer wollte laugnen, groß find auch die Aus 
Bern Segnungen bed Evangeliums. Es unterfcheiden fich bie 
chriſtlichen Voͤlker von andern, bie in ber Blindheit und der 


*) 30h. 18, 36. ”*) 30h, 18, 11. 


400 


Finſterniß des Heidenthums wandeln, durch ein mehr geidir 
Auge und Gefühl für Recht und Unrecht; wie viel milder fi! 
Leben, wie viel angenehmer geftaltet fih auch änufperlih « 
wenn biefe herrliche Kraft waltet und herrſcht. Aber hiebe 
ben bleiben, heißt auch nur den Herm ſuchen, weil maı 
Brot gegefien hat, feine Herrſchaft ſuchen, damit das Leben 
Anmuth und Schönheit erhoben werde. Dad heißt nun © 
bie Zeichen bie er thut nicht verftehen, dad innere und bie 2: 
feiner Abfiht und das Ziel, was er den Menſchen bringt, = 
durchdringen. Und wie viel fihöned und berrliched wir < 
gewinnen mögen an den Segnungen des Chriftenthum?, rı 
die Menfchen fo verfammelt find in feinem Namen, ie ? 
nicht unter ihnen, fondern entweicht in ba8 Gebirge, um fi: 
len diefen falichen und ſchlechten Anfichten und Berwirrunge : 
entgehen, fo viel er vermag. Geiflig will ber Herr bei: 
fein, geiftig ift al fein ganzes Sein und Wirken, und nır !: 
geiftige Menſch vermag e3 zu richten *); nicht von did & 
if fein Reich **), fondern dazu ift er gelommen, daß a! 
Vater Anbeter verfchaffe im Geift und in der Wahrheit ".= 
in allem andern wirb durch feine Kraft erfannt alles E'= 
Leben, was vom Geift audgeht. So durchdringt er imma 
die, die ihn aufluchen. Das Fleiſch iſt kein nuͤze (V. 63 & 
er in einer folgenden Rebe; alles irdifche von noch fo mr: 
nerten finnlichen Seiten angefehen, ift nicht nüze; alles äufer 
des Lebens von feiner gefelligen lieblichen noch fo ſchoͤnen Cc 
ift Fleiſch. Die Worte bed Lebens, die Chriflus giebt, fint 6: 
und Leben (3. 63.), und iſt er ein König, fo iſt er es übe‘: 
Reich des Vaters, ber Wahrheit und des Wortes, das in de 
innerfte Mark ber Seele bringt und alles durchfchneidet, was MM 
Menfchen hemmen koͤnnte, zu diefem Geifte zu gelangen. @3 
nur Verdunfelung der Seele und ein neuer Unglaube, wenn m 


”) 1 Kr. 2 18. ”) Joh. 18, 36. .., ob. 4 — 





401 


geiftigen Wirkungen des Erlöferd, ober die Schönheit ber 
:@le, die Reinheit bed Herzens, bie Kraft des geiftigen Le⸗ 
ıS, das er zu fliften gekommen war, in ber äußern Gerechtig⸗ 
E und in der Vollkommenheit äußerer Geſeze und äußerlich gu: 
Werke fuchen. Denn auch bad gefezlihe Wirken, abgefons 
-£ von ber Gemeinfchaft mit ihm, von dem Werk des Glau⸗ 
a8, ber durch die Liebe thätig iſt, das ift Zleifch, das ift kein 
ze. Sollen wir ihn erfahren, follen wir ihn und aneignen 
> den Fürften des Eebend, fo muͤſſen wir bad alles von und 
aan und fein Wirken nur von der geifligen Seite betrachten; 
zn iſt er gegenwärtig, wo zwei ober brei verfammelt find in 
‚nem Namen *), dann entzieht er fich und nicht und entweicht auf 
38 Gebirge, dann kehrt er ein in dad innere unferer Seele und 
‚acht dafelbft Wohnung mit dem Water **), den er uns offens 
art hat, dann ergießen ſich immer reichlidher die Ströme des 
ebend von ihm in und, dann haben wir dasjenige von ihm, 
»oburch er fich als das Brot, was vom Himmel kam, antündigt. 
So laßt uns immer zum innerflen und binwenden, in der 
ebendigen Gemeinfchaft mit Chriſto erflarken zu dem Menſchen 
us Gott, ber von ber Kraft ded Herrn nimmt, und ber ges 
chikkt ifk zu einem jeglichen Werde Gottes ***), bamit wir fo 
vahre Diener feien und Unterthanen ded Königs, bem über die 
Semüther und Vernunft ber Menſchen zu berrfchen gebührt! 
AImen. 


* 


*) Matth. 18, 20. ”“ Zen, 14, 23. ) 23m. 8, 17. 








Kom, üb. Ev. Jeh. 1. &c 


408 


mehr wachlen in der Lebendigkeit unferer Freude über ben 
gen ber Vergangenheit, in der Fertigkeit, alles wad und b 
‚net auf den hohen Zwekk unfered Lebens zu beziehen, in der Stä 
unfered® Bewußtſeins von Gott, und fo in bem Vertrauen 
feinen heiligen Willen und in ber Kraft bemfelben überall 
gehorchen und und mit -freudigem Herzen in dasjenige zu | 
gen, was fein väterlicher Rath über uns befchloffen hat. | 

Die Jünger aber, eben deshalb weil fie diefe Kraft 
nicht hatten und zu fehr ausfchliegenb von bem einzelnen Augal 
blikk beherrſcht wurden, fo fürchteten fie ſich; für fich, weil ü 
den Herm nicht bei ſich hatten, und weil fie ihr Schiff ohn 
ihn der Gefahr ausgeſezt dachten; für ihn, weil, obfehon es ſcha 
fpät war, er doch nicht zu ihnen gekommen war, und fie nidt 
wußten, wie er fich durch die Dunkelheit ber Nacht zu ihnen bi 
burch finden würte Als fie ihn nun fahen, und er ſich ihen 
zu erfennen gab und ihnen zurief, fie follten fich nicht fürchte 
fo gewannen fie wieber frifihen Muth und wollten ihrer Eat: 
auch für ihn forgen, indem fie ihn in das Schiff nehme 
wollten. Aber diefe Sorge war überflüffig, denn, wie und 3: 
banned erzählt, dad Schiff war damald fhon am Land: 
und zwar da, wo fie anlegen Tonnten, ober wollten. 

So, m. 9. Fr., geht es oft den Menfchen, die wie bier ti 
Sünger auf der einen Seite bad geiflige vergeffen und mit alla 
ihren Gedanken immer nur auf das leibliche gerichtet find, ar’ 
ber andern Seite ganz vom Augenblift und von dem finnlide 
Gehalt deſſelben beherrfcht werben, fo fage ich geht es oft de 
Menſchen, die ſich in diefem Zuſtande befinden, daß fie gradi 
bann auch nicht das Außerlichfte und unmittelbarfle bed Auge 
blikks verftehn. Indem die Sünger für Chriſtum forgen und ihn 
in dad Schiff nehmen wollten, fo mußten fie nicht wiffen, ba; 
fie an bem Ort waren, wo fie mit leichter Mühe an bas Land 
fommen Tonnten, dad mußten fie nicht wiffen, obwol der Ort an 
fih ihnen nicht fremd war, benn ed waren bie Ufer des ihnen 





403 


gegeflen hatten durch bed Herm Dankjagung. Da 
nun dad Volk fabe, daß Jeſus nicht: da war, noch 
feine Zünger, traten fie auch in die Schiffe, und ka⸗ 
men gen Kapernaum, und fuchten Jeſum. Und ba 
fie ihn fanden jenſeit des Meeres, fprachen fie zu ihm, 
Rabbi, wann bift du hergelommen? 


N. a. Fr. Auf Veranlaſſung dieſer Frage, welche das Volk 
8 ChHriftum that, entipann fich zwifchen ihm und ihnen ein Ge⸗ 


räch, an welches ſich eine Rebe Tnüpfte in ber Gegend von - 


‚apernaum, wohin fie ihn begleiteten, welches Gelpräd und 
elche Rebe und längere Zeit hindurch beichäftigen werben. Der 
rfolg davon aber war fein anderer, ald wie wir am Ende Dies 
3 Gapiteld leſen werden, nicht nur keinesweges, daß viele von 
enen, bie ihn hörten, an ihn wären gläubig geworden, fonbern 
aß auch viele, die bisher mit ihm gewandelt waren, ihn verlie 


zen und aufbörten feine Jünger zu fein. Davon nun liegt, 


wenn wir genauer aufmerfen, ber Grund in dem, was wir eben 
zelefen haben, nämlih in der ganzen Richtung und Se 
mütböftimmung, die fi) darin offenbart, und zwar auf ber 
einen Seite bei feinen Jüngern, und auf der andern Seite 
bei dem Volke. 

Nämlich von den zwölf, von welchen bier die Rede iſt, er 
zählt freilich der Evangelift am Ende des Gapiteld, bag als der 
Herz fie gefragt hätte, ob fie ihn auch verlaffen wollten, fie fi 


ertlärten, daß fie bei ihm bleiben wollten, denn ex allein habe 


die Worte des Lebens (V. 68.). Alfo war in ihnen freilich eine 
treue Anhänglichleit an den Exlöfer, aber wir finden doch auch 
die Spuren derſelben Schwachheit in ihrem Betragen, welche 
andern eine Veranlaſſung werden konnte, den Erloͤſer zu verlaſſen. 

Was uns nun aber von den Juͤngern berichtet wird, iſt 
dies. Als der Herr merkte — das hat uns Johannes ſelbſt fruͤher 
erzählt — daß das Volk ihn greifen wollte, um ihn zum König 

. ce 2 


410 


demjenigen fürchteten fie fich, weswegen fie ganz ficher hätte 
fein Tönnen und ganz beruhigt in ihrem innern, aber basjenig 
beachteten fie nicht, worauf ber Erlöfer fie ſelbſt hinwies, un 
worauf er fie vorbereiten wollte. 

So iſt es aber, m. g. Fr., gar fehr häufig und ebmin 
Berbindung mit den Fehlern und Mängeln, die wir und fhen 
vorgehalten haben, Je mehr der Menſch auf das leibliche m 
aͤußere gerichtet ifl, deſto mehr ift feine Aufmerkſamkeit auf de 
jenige gefpannt, was ihm auch durch bad äußere begegnen kam 
In dem Beiche bed Herrn aber kommt alled auf das lebendig 
Bufemmenwirfen aller menfchlichen Kräfte an, alles auf die Th: 
tigkeit, welche die Glieder deffelben auszuüben berufen find, old 
barauf, was fich unter dem göttlichen Beiftande gutes, find di 
Menſchen aber ſich felbft überlaffen, böfes und verberblihes de 
saud entwillelt. Diefes aufzufaflen waren die Jünger noch nik 
geeignet, vor jenem aber in einer leeren Furcht begriffen. De 
halb beburften fie noch vieler Zucht und Unterweifung von ba 
Herm, um fo zu werben, daß fie den Beruf, zu welchem in 
Herr fie auserfehen hatte, erfüllen Eönnten. 

Nun aber laßt und zweitens fehen, wad uns der Eva 
gelift erzählt von Dem Wolke, welches der Herr gefpeift hatt, 
und welches dadurch in eine folche Bewegung gerathen war, di 
fie ihn hatten greifen und zum Könige machen wollen. 

Da batte er ſich ihnen entzogen und war, wie uns it 
Evangelift berichtet, auf das Gebirge gegangen, dad Volk aba 
batte die Nacht an der Stätte zugebracht, wo am verwichenn 
Tage der Herr fie gefpeift hatte. Sie hatten aber wohl gemerh 
baß ber Herr feine Juͤnger allein in dad Schiff hatte treten Ich 
fen, um wieber hinüber zu fahren, von wo fie gekommen ware, 
ſich ſelbſt aber einfam zurüßfgezogen. Die Dunkelheit, weht 
barüber hereingebrochen war, hatte fie gehindert, ihn weiter z 
verfolgen und im Gebirge aufzuſuchen. 








405 

ırı großen Werbe feines Dafeins, zur WBefefligung feines Rei⸗ 
es binführen. muͤſſe. Aber fie hingen noch am leiblichen, und 
en deöwegen hatten fie diefen Muth und dieſes Vertrauen nicht. 
ur aber in dem Maße, m. g. Fr., ald wir dad geiflige fchauen 
id alles leibliche und Außerlihe dazu wirkſam fein laffen, koͤn⸗ 
ra wir unter allen Umfländen Sünger des Herrn bleiben und 
arch nichts in der Welt von ihm abwendig gemacht werben. 
senn fo ift e8 von je her geweſen und wirb auch fo bleiben, fo 
rıge dad Reich des Herm in diefer Welt noch im Streit und 
ampf leben muß. Die geiftige Kraft deffelben, die ifl immer 
3, und diejenigen, welche gewohnt find auf fie zu merken, bie 
ehmen fie auch befländig wahr; aber bie äußere Erfcheinung, 
ie iſt oft nicht nur unfcheinbar und gering, fonbern es will 
uch oft die Menfchen bedünten, als ob fie im Begriff wäre 
anz zu verſchwinden, als ob fie ſich nicht würde halten koͤnnen 
egen dasjenige, was ihr feindfelig gegenüber ficht. Und ba ſteht 
ye nun immer am meiften entgegen diejenige Stimmung, in 
yelcher der Menfch, wie auch die Apoftel damals berfelben Ges 
ahr ausgeſezt waren, hinter fich geht und den Herrn verläßt 
V. 66.). Denn wer einmal nod) am Außerlichen hängt, ber muß 
uch dasjenige verlaffen, was ihm aͤußerlich bedenklich fcheint, 
mb fi) an dasjenige halten, was ihm eine größere Sicherheit 
ınd eine größere Kraft gewährt. Won ben Juͤngern aber häts 
en wir allerdingd erwarten follen, daß ihr Vertrauen auf bie 
zeiſtige Macht des Heren fchon follte flärker geworben fein im 
ver Zeit, wo fie mit ihm gelebt hatten, und wo ihnen fo viele 
Beweife von biefer Kraft entgegengefommen waren. 

Das hängt nun mit etwa anderem zufammen, was uns 
wc aus der Erzählung unſeres Textes entgegen tritt, nämlich 
yaß die Zünger zu fehr und ausſchließend mit demieni⸗ 
zen befchäftigt waren, was ber gegenwärtige Augen: 
blikkemit ſich brachte, und Dagegen abgelenkt von dem 
frühern und in Beziehung auf baffelbe bewußtlod 








Es wird wol feiner unter umd fein, bes mich bei der 
was ich eben gelefen habe, jene andere Gefchichte *) eingei.e 
wäre, wo bie Juͤnger mit bem Serm, er aber Ichlefee, e 
demfelben See fuhren, und ebenfalld durch einen heftigen 
das Schiff in Gefahr kam unterzugehen, wo fie bann iha © 
ten und ihn um Hülfe anriefen, und ex fie ſchalt um ihrer Se 
muͤthigkeit willen, daß fie nicht von dem feften Berttauen be 
wären, daß wo er mit ihnen fei, da könne es ihnen mike 
ders als nad) dem gnaͤdigen Willen Gotte unb alie gut ar 
ben. Sie aber fiheinen daran nach der Kenntniß, bie k: 
dem Umgange mit dem Herm von feiner waltenden Sufl > 
mwonnen haben mußten, und nach fo vielen andern Probe, 
ex ihnen davon abgelegt hatte, ja nad) dem was ummitick 
vorbergegangen war, wo er ein großed Zeichen an bem fir 
fend gegeben hatte, nicht zu denken, ſondem waren ganz. 
bem Augenblikk beſchaͤftigt. 

Died an und für fich ſelbſt, m. g. Fr., iſt nicht zu ati 
fondern hoͤchſt Iobenswürdig; ja wir follen ganz, in dem Ist 
blikk Leben und für den Augenblift, welcher eben ba if; a | 
Leben wirb beflo reicher und gefegneter fein in jedem Bat 
als und von keinem Augenblikk deffelben etwas entgeht, Im“ 
alled, was eben bie Gegenwart erfüllt, Har vor und ig 
mehr wir alles in jedem Augenblikk in das innerfle unſeres p | 
fligen Daſeins aufnehmen, nicht etwa einfeitig nur einen dr 
beffelben, fonbern das ganze Leben, wie es fich geflaltet, m = | 
eingehen Laffen und mit unfern Kräften verarbeiten: deſto gif 
wird der Schaz fein, ben wir in jebem Augenblikk gewisne. 

Aber, m. g. Fr., eins iſt micht ohne das andere, wir gem 
jenen Schaz, um ihn in bie Zukunft mit hinüber zu mhez 
und in dem Maaße ald wir dad vernacyläßigen, wird unferg@ | 
zes Leben unficher und von dem abhängig, was einen Augahe 


”) Matth. 8, 23 fogb. | 


407 

dem andern unterfcheibet. Dieſer Zufland Tegt denn auch 

Srund zum Wankelmuth und hindert dasjenige, wad und 
der Schrift. fo oft ald dad herrlichfte Werk des Chriſtenthums 
geftellt wird, daß dad Herz feſt werde ). Denn wenn nun bie 
nger überall in einem treuen Gebächtniß feflgehalten hätten, 
8 ihnen in ihrem Umgang mit bem Erlöfer fchon begegnet 
73; wenn fie ſich jeded Segend, den fie von ihm gehabt hat: 
ı im früherer Zeit durch Leben, Ermahnung und Erhebung, in 
em Augenblikk erfreut hätten, und mit jedem gegenwärtigen 
ıgenbliff zugleich die ganze reiche ſchoͤne und herrliche Vergan⸗ 
nheit gehabt und genoffen hätten: dann wäre es nicht möglich 
weien, daß in irgend einem Augenblikk des Lebens ein Klein⸗ 
uth oder eine Furcht fie hätte anwandeln koͤnnen. Denn jeber 
ugenblikk des Lebens, m. g. Fr., bad bringt bie Natur ber 
sache mit fih, kann nicht gleich wichtig fein und gleich gefezt 
ı Beziehung auf dasjenige, wad und allen dad einzig gute und 
othwendige ift, nämlich unfer unmittelbared Bemwußtfein von 
zott und dem Erlöfer; aber eben deöwegen, weil bie einzelnen 
lugenblikke des Lebens darin ungleich find, wie ed denn auch 
en Süngern in biefem Augenblikk erging, wo fie den Herrn nicht 
nit fich hatten, daß fie eben von Außerer Sorge und Noth mit: 
jenommen wurden, weil alfo, fage ich, nicht alle Augenblikke ein: 
inder gleichen: fo muß einer den andern audgleichen, und bied 
kann nur dann geichehen, wenn wir das feft im Gedaͤchtniß hal 
ten, wad und Gott der Herr in der vergangenen Zeit unfered 
Lebend nach feiner väterlichen Güte gegeben hat. So wie es 
nothwendig ift, daß wir jeden Augenbliff der Gegenwart gar, 
haben und empfinden: eben fo nothwendig iſt ed, daß wir die 
Vergangenheit ihrem Inhalt nach begreifen, daß dad gute, was 
fie und gebracht bat, aus einem Augenblikk in den andern im» 
mer fhöner und fegendreicher übergehe, und daß wir fo immer 


*) hr, 13, 9 


414 


Welt ereignen, kann dad Reich bed Herm erbaut werben, fo wi 
8 nicht geftört werben kann und gehemmt durch dad, was bu 
Macht der Finſterniß aͤußerlich dagegen zu unternehmen im 
Stande ift, fondern von irnen heraus kann und fol es ſich a 
bauen. Alles Außerlihe muß und kann Dazu bienen, daß es fid 
mehre, wenn bie Kraft lebendig ifl und wirkſam, durch weldı 
«8 fich erhalten und wachſen fol; wo bie aber fehlt, da könne 
alle äußerlichen Ereigniffe eben fo wenig zur Förderung des Rede 
Gottes beitragen, als fie den Untergang beffelben bewirken koͤnnen 
wo fie da ift. Warum fragen wir alfo nach dem, was geichehen kam 
und geichehen wird? Warum ift unfere Aufmerkſamkeit fo auf de 
Außerlichen Ereigniffe gerichtet? Barum fragen wir nicht wielmek 
nach dem innern? Warum, wenn ed und bedenklich zu fiche 
fcheint,. fragen wir nicht, wie feft iſt der Glaube, wie feſt iſt die 
Liebe, wie feft ift die auf Gott gegründete Hoffnung? Das fa 
die Dinge, auf die wir fehen, und nach denen wir fragen mi 
fen, und bie allein im Stande find über alle Berwirrungen de 
Lebend zu fiegen. Denn bad Reich Gottes befteht nicht in & 
Berlichen Geberden, und ed kann nicht anderd ald durch Glan 

ben, durch Liebe und Hoffnung gebaut unb immer mehr befeſigt 
werden. Dad ift es, wodurch wir unfern Antheil an bemifelba 

befunden muͤſſen, die Leitung alled Außerlichen Gott überlafle 
und dem, welchen er gefezt hat zum Herrn. feined Reiches. Be | 
rum denken wir alfo nicht unter allen fchwierigen Umflänben un! 

zu flärken durch bie Worte des Lebens, -bie wir bei ibm finde 
und fehen vielmehr darauf, was burch feine wunderbare Mad | 
und Hülfe &ußerlich in ber Welt fchon geworden iſt und imme 
noch wird? So lange wir denen gleichen, bie, weil fie bie » 
nerfie Tiefe des Herrn nicht verftanden und weil ihnen fein 
Rebe zu hart war, hinter fich gingen, fo lange wir feine Ham 

lichkeit nur in ben Außerlichen Führungen ſehen wollen und bavas 

ben Wachsthum feined Meiched erwarten, fo lange find wir in Ge | 
fahr hinter und zu gehen und nicht mehr mit ihm zu Wanbeln 


415 


Darum, m. g. Fr., laßt uns von allem Außerlichen und 
Leiblichen immer wieber auf das innere und geiftige zuruͤkkgehen 
und ben Herm ergreifen und fefthalten, wo er ſich in einer ein: 
zelnen Seele und in ber Gemeine ber gläubigen kund thut; laßt 
und immer mehr in die Ziefe bed Herzens fchauen, aus welcher 
Die fchönen und herrlichen Früchte des Geiſtes, wenn auch ein 
zeln und zerfireut, hervorwachſen, wenn wir auch nicht fehen, wie 
große Dinge fie ausrichten im Reiche des Herrn. So laßt uns 
feft werden im lebendigen Glauben und in der wahren Kiebe zu 
ihm und die Dinge, die ſich äußerlich unter und ereignen, feiner 
weiſen Leitung überlaffen. Dann wird und das Außerliche ims 
mer mehr nicht etwa fo gleichgültig werben, daß wir die Auf: 
merkſamkeit bafür verlören und in feinem Augenblikk thäten, was 
und zu thun obliegt, oder in irgend einem Augenbliff das thaͤ⸗ 
ten, was wir nicht thun follten; aber alles Außerliche wird uns 
nur fein dad Zeichen der Zußunft und ein Ruf bes Herrn, der 
und zeigt, was wir für dad eich des Erlöferd thun follen; und 
bann werden wir immer wirken können fo lange es Tag ift *) 
und zu denen gehören, die ihn lieb haben, weil fie wiffen, daß 
er allein die Worte ded Lebens hat. Amen. 


”) 30. 9, 4. 


ne ee 





XXXI. 


Am 20. Sonntage' nad) Trinitatis 1824 


Text. Joh. 6, 27 — 35. 


Wirket Speiſe, nicht die vergaͤnglich iſt, ſondern die 
da bleibet in das ewige Leben, welche euch des Ra 
fhen Sohn geben wird; benn benfelben hat Gott de 
Vater verfiegelt. Da fprachen fie zu ihm, Was fela 
wir thun, daß wir Gottes Werde wirken?! Jeſus an 
wortete und fprach zu ihnen, Das ift Gottes Bel 


daß ihr an den glaubet, den er gefandt hat. Da Ipr 


chen fie zu ihm, Was thuſt du für ein Zeichen, af 
dag wir fehen und glauben dir? Was wirkeſt I! 
Unfere Wäter haben Manna gegeffen in ber Wil 
wie gefchrieben flehet, Er gab ihnen Brot vom Hiw 
mel zu effen. Da fprach Jeſus zu ihnen, WWarlid, 
warlich ich fage euch, Mofed bat euch nicht Brot ven 
Himmel gegeben, fondern mein Water giebt euch de 
rechte Brot vom Himmel. Denn bied ift das Bm 
Gottes, dad vom Himmel kommt und giebt ber Bel 
dad Leben. Da fprachen fie zu ihm, Herr gieb um 


47 


allewege ſolches Brot, Jeſus aber fprach zu ihnen, 
Ich bin dad Brot bed Lebens. Mer zu mir kommt, 


den wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, den 
wird nimmermehr bürften. 


M. a. Fr. Der Erlöfer fagt alfo zu denen, welche gekommen 
waren ihn auf der andern Seite des Sees zu fuchen und ihn 
gefragt hatten, wann er bahin gefommen fei, fie follten die 
Speife wirkten, nicht die vergänglich ift, fondern die 
da bleibt in dad ewige Leben, durch welche Worte er fie 
eben von allem irdifchen und auch von ‚demjenigen, mad er an 
dem vorigen Tage an ihnen gethan hatte, abziehen und auf das 
himmliſche und ewige hinweifen will. 

Diefe Worte Inüpfen fi) fo genau an die Begebenheit bed 
vorigen Tages an, bag wir kaum anderd denken Tonnen, als 
wenn das Volk, welched ber Herr da gefpeift hatte, nicht wäre 
auf den Gedanken gelommen ihn zu greifen und zum Könige 
zu machen, weswegen er fich eben von ihnen abwenden unb in 
das Gebirge entfernen mußte, fo würbe er ihnen ſchon an jenem 
Abend daffelbe gefagt, und fie von der leiblihen Wohlthat, die 
fie von ihm empfangen, auf bad geiflige hingewieſen haben, wels 
ches ihnen zu geben er gefommen war. 

Aber eind Tann und Wunder nehmen, wie nämlic) der Here 
feine Zuhörer fo anreden Tann, daß er fie ermahnt, fie follten 
unvergäanglihe Speife wirkten, ald ob das etwas wäre, was 
fie ſelbſt koͤnnten. Das ganze Gefpräch, fo weit wir ed jezt gelefen 
haben und noch weiter hin, dreht fich hierum, und die Worte 
des Herrn find immer auf eine ſolche Weife geftellt, daß fie bald 
eine Zumuthung an den Menfchen enthalten, ald ob er etwas 
thun und leiften ſolle, wie hier an unfrer Stelle, bald wieder fo, 
bag er auf Gott verweift, ald auf den, der alled thue, und von 
dem alles auögehe. 

Hom. üb, Ev. Joh. I. Dd 


418 


Wenn wir aber nun diefe feine erfte Anrede recht verfiche 
wollen, fo müffen wir daran denken, daß fie auch am voriga 
Tage die vergängliche Speife nicht felbft gewirkt hatten, fonden 
ed war durch die Weranftaltung und unter dem Segen des Hem 
gefchehen, daß fie biefelbe empfangen hatten. Wenn er ihna 
alfo fagt, Wirket doch nicht die vergängliche Speiſt 
fondern die da bleibt in das ewige Leben, was kam 
bad anders heißen, als ihr Tichten und Trachten am vorige 
Tage war barauf gerichtet, fich den recht anzueignen, von me 
chem fie die vergängliche Speife empfangen hatten, und indes 
fie ihn an bie Spize ftellten ſich aller Sorge für die Zufur 
zu überheben, indem fie bed feften Vertrauens lebten, er weh 
fie in jeder Zukunft fo gut verforgen können, ald er an jene 
Tage gethan hatte. Indem nun der Herr fagt, Wirket Speiſ 
nicht die vergänglich ift, fondern die da bleibt ı: 
das ewige Leben, was kann bad anders heißen, als, Blek 
doch mit euerm Tichten und Zrachten nicht bei demjenigen ft 
ben, wad zu dem irdifchen Wohl gehört, fondern richtet euergar 
zes Verlangen vielmehr auf die Speife, bie unvergänglid # 
und in dad ewige Leben bleibt. 

Weit entfernt, fie an fich felbft in irgend einer andern Bt 
ziehung zu verweilen, fügt er bier fchon das hinzu, was au 
ber Folge noch deutlicher auseinanderfezt, bed Menſchen Sob: 
werde ihnen diefe Speife geben, denn den habe der Batı 
verfiegelt, das Heißt, den habe er bazu beflimmt ihnen die 
felbe zu geben, und ihn durch fein ganzes Leben und Wirken a 
einen folchen gefezt, ben er, der Vater ihnen gefandt habe, um di 
unvergänglihe Speife zu wirken. Aber freilich darin hat de 
Herr ganz Recht, die Speife, bie unvergänglich ift und in & 
ewige Leben bleibt, die Tann fich der Menfch nicht felbft geb 
bed Menfhen Sohn muß fie ihm geben, von dem geht de 
geiftige Leben aus, welches er zuerft unter den Menfchen geführt 
bat, kraft der Züle der Gottheit, die in ihm wohnte, und d | 











413 


fich gingen, und der Evangelifi erzählt, daß fie hinter ſich 
gen und nicht mehr mit dem Herrn wanbelten, weil feine 
de ihnen zu hart war (B. 60.). Denn. diefe führte fie gang 
von dem Außerlichen auf dad innerlihe und machte jie auf: 
rkſam darauf, daß er nur dad Brot vom Himmel gekommen 
‚an weldem ihre Seele ſich nähren könne, aber daß dies nicht 
ders gefchehen koͤnne ald durch die allereinfachfte und innigfle 
reinigung mit demjenigen, ben Gott zum Heil ber Welt ge 
dt bat. Diefe Rebe, die fie von allem Außerlichen zuruͤkk⸗ 
ed auf bad innerfte, war ihnen zu hart, und fie hörten auf 
ne Sünger zu fein, weil fie auf einem Außerlihen Wege das 
n ihm erwarteten, was fie wünfchten. 

Laßt und fragen, m. g. Fr., geht ed und nicht auch oft 
ıf unferer fo fehr verfchiebenen Lebensbahn eben fo? Hangen 
ir auch noch viel zu fehr.an dem Außerlichen, und wenn wir 
ach nicht fo fehr unferen eigenen und berer, die und bie naͤch⸗ 
en find, Wortheil im Auge haben, fondern bie Verbreitung und 
zermehrung des guten, die Aufbauung bed Reiches Chriſti, den 
Sieg des Lichts über die Finfternig, find wir nicht immer noch 
ı viel auf die Außerlichen Angelegenheiten ber Welt gerichtet 
nd erwarten von denen das Heil? Sobald fchwierige Umſtaͤnde 
intreten für die Kirche des Herm, ober badjenige, was aller 
aenfchlihen Wohlfahrt zum Grunde liegt, auf irgend eine Weife 
a Gefahr geräth, erwarten wir dann nicht, daß es befler wer⸗ 
en fol, immer noch von etwas Außerlichem; denken wir nicht, 
venn Died oder jened geichähe, wenn biefer ober jener Umftand 
inträte, dann würden die Angelegenheiten fi) wenden, bann 
vürde aufgehoben werden, was und droht, bad gute würde dann 
einen früheren gerechten Gang gehen Finnen und ſich immer 
auernder unter und befeſtigen? 

Dad, m. g. Fr., dad ift baffelbe, was und bier von bem 
Bolfe erzählt wird, Nicht durch Außerlicheö, nicht durch dieſe 
»der jene größern ober Heinen Begebenheiten, bie fich in der 


420 


gänglichen, daß das nicht von ihm audgehe unb In ihm 
erfte Quelle haben kann, fondern daß die Hervorbringung 4 
felben und alles dasjenige, woburd ed erhalten und erhöht 
ben Tann, nichtd anderes ift als ein Werk Gottes. Und * 
fragen nun jene, Was koͤnnen denn wir thun, um etwas zu m 
fen und hervorzubringen, was nur ein Wert Gottes fein kam 

Der Herr nun auf dieſe Frage giebt ihnen feine eigentid 
Antwort, die ſich auf dad bezöge, was fie thun könnten, ſonde 
er fagt nur, was das Werk Gottes fei, von weldem an 
und giebt ihnen ben eigentlichen Inhalt feiner vorigen Worte beutl 
zu erfennen, indem er an bad anfnüpft, was fie felbit in im 
Worten nicht undeutlich zugegeben hatten. Wenn ihr benn ma 
die unvergänglice Speife zu wirken, die in das ewige di 
bleibt, das ſei ein Werk Gottes, fo will ich euch zunadfi m 
fagen, was denn auch ein Werk Gotted fei. Und darım ii 
er, Das ift Gottes Werk, dag ihr an den glaubet, \ü 
er geſandt hat. 

M. g. Fr., ed iſt gar oftmald und von vielen aud we 
meinend gefagt worben, es fcheine, ald ob ber Herr währen) ® 
ned Lebens auf Erden bei weitem nicht fo fehr und fo ausie- 
end auf den Glauben an ihn felbft gedrungen habe, als «sie: 
Jünger und Apoftel in ihren Reben und Schriften gethan 
ben. Ich weiß aber nicht, wie man irgend eine beutlichen i= 
finden Tann auch in den Schriften der Apoftel, welde je # 
und ſo deutlich bafür fpräche, daß dad ganze unvergänglict $ 
ben des Deenfchen von nichts anderem auögehe, ald von M 
Glauben an Chriflum, und daß nichts anderes als dieſer Glaub 
bazu gehöre, aus welchem dann alles andere hervorgehen mi 
als eben diefe Worte des Herrn. Das göttliche Werk, durd w 
ched allein die unvergängliche Speife, die in das ewige 8 
bleibt, gewirkt werden kann, und welches der Menſch nid ® 
Stande ift hervorzubringen, dad Wert Gottes, woburd die 
Speife ensfteht, ift nicht anderes als dag ber Menſch giant! 


415 


Darum, m. g. Fr., laßt uns von allem äußerlichen und 
tblichen immer wieder auf bad innere und geiflige zurüßfgehen 
nd den Herm ergreifen und fefthalten, wo er fich in einer ein: 
Inen Seele und in ber Gemeine ber gläubigen kund thut; laßt 
nd immer mehr in die Ziefe des Herzens fchauen, aus welcher 
ie fchönen und herrlichen Zrüchte ded Geiſtes, wenn auch ein 
In und zerftreut, herporwachfen, wenn wir auch nicht fehen, wie 
roße Dinge ſie ausrichten im Reiche des Herrn. So laßt uns 
eſt werden im lebendigen Glauben und in der wahren Liebe zu 
hm und die Dinge, die ſich aͤußerlich unter uns ereignen, ſeiner 
peifen Leitung uͤberlaſſen. Dann wird und das aͤußerliche im⸗ 
ner mehr nicht etwa fo gleichguͤltig werden, daß wir die Auf: 
nerkſamkeit dafür verlören und in feinem Augenblifl thäten, was 
ins zu thun obliegt, oder in irgend einem Augenbliff das thä- 
en, was wir nicht thun follten; aber alles Außerliche wird und 
zur fein dad Zeichen ber Zukunft und ein Ruf des Herm, ber 
and zeigt, was wir für das Reich des Erloͤſers thun follen; und 
dann werden wir immer wirken können fo lange es Tag ift *) 
und zu benen gehören, die ihn lieb haben, weil fie wiflen, daß 
er allein die Worte des Lebens hat. Amen. 


) 20). 9, 4. 


422 


felbft, der das Merk Gottes if. Nicht, wie ber Her an a 
andern Stelle fagt *), nicht alle die Herr Herr zu ihm lag 
werden in dad Himmelreich kommen, fondern die den Willen tt 
feines Waters im Himmel. Die zu ihm Herr Herr fagen, 
glauben doch in einem gewiffen Sinne an ihn, denn das if 
der Ausdrukk unfered Glaubens, daß wir ihn unſeren Se 
nennen, bem wir bie Zührung unfered Lebens, bie ganze ? 
flimmung deſſen, was wir zu thun haben und fein follen, üb 
laſſen und anheimftellen; ja es giebt keinen flärkern und leber 
gern Ausdrukk des wahren Glaubens an ihn, als dieſen. Br 
er aber ſagt, Nicht alle die Herr Herr zu mir ſagen, werden 
das Himmelreich kommen, ſondern die den Willen thun me⸗ 
Vaters im Himmel, fo iſt doch unter dieſem in das Himmel 
kommen nichts anderd zu verſtehen, ald das ewige Leben ha 
denn wo das ewige Leben ift, da ift dad Himmelreich, und N 
Himmelreich iſt nichts anderd ald die Gefammtheit des ca 
Lebens, welches von ihm ausgeht. Wenn er alfo fagt, 9% 
alle die Here Here zu mir fagen, werben in dad Himmird 
kommen, fondern die den Willen thun meines Vaters im Ha 
mel, fo bequemt er fi zu den Menfchen herunter, und hd 
gleihfam dad ganze Werk Gotted, welches er hier in any? 
fammenfaßt, in zwei Theile, die Herr Herr fagen, und del 
thun den Willen Gottes. Aber woher wiffen wir den Eis 
Gottes? Won niemand anderd ald von ihm. Und alfo we? 
ihm Here Her fagt, ber erkennt ihn auch am als ben, I 
welchen wir den Willen Gottes nur erkennen und den BE 
Sotted wiffen. Aber dadurch, dag er ihn uns zu erkennen ꝑ 
geben hat, iſt er nicht ein Herr, fondern dadurch, daß er ihn ® 
fiehlt, und bad ift ein fchlechted Here Herr fagen, wenn man N 
nicht thut, was einer befiehlt, denn dadurch iſt einer ein JM 
dag er feinen Willen Fund thut, und dag er die Macht hal ip 





”) Matt, 7, 31. 22. 





47 


allewege folched Brot. Jeſus aber fprach zu ihnen, 
Ich bin dad Brot bed Lebens. Wer zu mir kommt, 


ben wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, den 
wird nimmermehr dürften. 


N. a. Fr. Der Erloͤſer ſagt alſo zu denen, welche gekommen 
aren ihn auf der andern Seite des Sees zu ſuchen und ihn 
fragt hatten, wann er dahin gekommen ſei, ſie ſollten die 
Peiſe wirken, nicht die vergänglich iſt, ſondern die 
a bleibt in das ewige Leben, durch welche Worte er ſie 
yen von allem irdiſchen und auch von demjenigen, was er an 
em vorigen Tage an ihnen gethan hatte, abziehen und auf das 
immlifche und ewige hinweiſen will. 

Diefe Worte knuͤpfen fich fo genau an bie Begebenheit bed 
‚origen Tages an, dag wir faum anders denken koͤnnen, als 
venn dad Wolf, welches der Herr da gefpeift hatte, nicht wäre 
wmf den Gedanken gekommen ihn zu greifen und zum Könige 
zu machen, weöwegen er fich eben von ihnen abwenden unb in 
ba8 Gebirge entfernen mußte, fo würde er ihnen fhon an jenem 
Abend baffelbe geſagt, und fie von der leiblichen Wohlthat, die 
fie von ihm empfangen, auf das geiftige hingewielen haben, wels 
ches ihnen zu geben ex gefommen war. 

Aber eind kann und Wunder nehmen, wie nämlich der Here 
feine Zuhörer fo anreden Tann, baß er fie ermahnt, fie follten 
unvergängliche Speife wirken, ald ob das etwas wäre, was 
fie ſelbſt Tönnten. Das ganze Gefpräch, fo weit wir ed jezt gelefen 
haben und noch weiter hin, dreht fi hierum, und die Worte 
des Herm find immer auf eine ſolche Weife geftellt, daß fie bald 
eine Zumuthung an ben Menfchen enthalten, ald ob er etwas 
thun und leiflen ſolle, wie hier an unfrer Stelle, bald wieder fo, 
daß er auf Gott vermweift, ald auf den, der alles rhue, und von 
dem alles audgehe. 

Hom. üb. Ev. Joh. 1. Dd 


418 


Henn wir aber nun bdiefe feine erſte Anrede recht | 
wollen, fo müffen wir daran denken, baß fie auch am rc 
Tage die vergänglidhe Speife nicht felbft gewirkt hatten, ice 
es war durch die Veranſtaltung und unter dem Segen be] 
gelchehen, daß fie diefelbe empfangen hatten. Wenn a == 
alfo fagt, Wirket doch nicht die vergänglide Err 
fondern die da bleibt in dad ewige Leben, waste 
bad anders beißen, als ihr Fichten und Xradhten am rer: 
Tage war darauf gerichtet, fidy den recht anzueignen, von E- 
chem fie die vergängliche Speife empfangen hatten, und vi: 
fie ipn an die Spize flellten fi aller Sorge für bie 3 
zu überbeben, indem fie des feflen Vertrauens lebten, er ze: 
fie in jeder Zukunft fo gut verforgen können, als er an ec 
Tage getban hatte. Inden nun ber Herr fagt, Wirket rt 
nicht die vergänglich if, fondern die da bleibt 
bad ewige Leben, was kann bad anders heißen, als, 3x 
doch mit euerm Tichten und Trachten nicht bei demjeniges ! 
ben, was zu dem irdiſchen Wohl gehört, fondern richtet eu; 
368 Verlangen vielmehr auf die Speife, die unvergängis 
und in dad ewige Leben bleibt. 

Weit entfernt, fie an fich felbf in irgend einer andem S 
jiebung zu verweilen, fügt er bier ſchon das hinzu, was a’ 
der Folge noch deutlicher auseinanderfezt, des Menſchen Se‘: 
werde ihnen diefe Speife geben, denn ben habe ber Bai: 
verfiegelt, das heißt, den habe er bazu beflimmt ihnen de 
felbe zu geben, und ihn durch fein ganzes Leben und Birke « 
einen folchen gefezt, den er, ber Vater ihnen gefandt habe, um: 
unvergängliche Speife zu wirken. Aber freilich darin hat de 
Herr ganz Recht, die Speife, die unvergänglic iſt und in de 
ewige Leben bleibt, die Tann fi) der Menſch nicht ſelbſt ge© 
des Menfhen Sohn muß fie ihm geben, von dem geht de 
geiflige Leben aus, welches er zuerft unter den Menſchen gfür 
bat, kraft der Fülle der Gottheit, die im ibm wohnte, und ® 








419 


z ſich von ihm aus weiter verbreiten durch ben Geiſt, ben ex 
Menſchen von Gott erbeten und mitgetheilt hat. Alle Nabe 
g alfo des geifligen Lebens, bie kann aus keiner andern Quelle 
men, ald aus der, in welcher bad geiftige Leben ifl; nur er, 
Menfchen Sohn, kann die unvergängliche Speife geben, bie 
das erdige eben bleibt. 

Aber eben dieſe Verweifung auf ihn ald des Menſchen 
»hn, den Gott der Vater dazu verfiegelt, die uns 
:gänglihe. Speife zu gebren, verbunden mit der Aufs 
yerung an den Menfchen diefelbe zu wirken, bie ift es 
ı, was feine Zuhörer nicht fogleich verftehen, und wir müffen 
en dies zu gute halten, eben beöwegen, weil auch wir uns 
ndern, daß die Worte nämlich Eingen, ald ob der Herr ihnen 
nuthe, fie folten felbft die unvergängliche Speife wirken und 
vorbringen, und das ift ber Sinn ihrer Frage, Was follen 
r denn thun, dag wir Gottes Werke wirken? 

Sie geben alfo zu, denn anderd Tann ich diefe Worte nicht 
ftehen, daß ed ein Werk Gottes fei die unvergängliche Speife 
vorzubringen, und fragen ihn nun, wie er ihnen denn zumus 
'n könne dasjenige zu thun, was nur Gott thun koͤnne, und 
is fie denn thun koͤnnten und follten, um etwad zu wirken, 
is nur Sotted Merk fei. 

Und gewiß liegt das in dem natürlichen Sinn eined jeben 
'enfchen, fobald er nur einigermaßen erwekkt iſt. Schon in 
eziehung auf das natuͤrliche und vergaͤngliche Leben wiſſen wir, 
ß der Menſch allerdings eine mitwirkende Urſache iſt, daß er 
er doch keinesweges etwas, was in das vergaͤngliche Leben ge⸗ 
xt, von feinem erſten Anfange hervorbringen kann; ſondern 
ler Anfang und alles erſte iſt eine Gabe Gottes, die der Menſch 
ir weiter zu verbreiten im Stande iſt. Wie viel mehr muß 

fühlen, daß das unvergängliche Leben, nach welchem er fich 
eilich fehnt und ein Werlangen hat, wenn er nicht ganz befan: 
n ift von den Beduͤrfniſſen, Begierden und Sorgen bed vers 

ob 2 


40 


gänglichen, daß das nicht von ihm audgehe und ia im: 
erfie Quelle haben Tann, fondern bag die SGervorbringun 
felben und alles dasjenige, wodurch es erhalten unb erde 
den kann, nichtd anderes ift ald ein Werft Gottes. Umt 
fragen nun jene, Was Fönnen denn wir thun, um etwa} x | 
fen und bervorzubringen, was nur ein Werk Gottes ſein 

Der Herr nun auf diefe Frage giebt ihnen feine az= 
Antwort, die fi auf das bezöge, was fie thun Eönnten, i 
er fagt nur, was das Werk Gottes fei, von welchem a 
und giebt ihnen den eigentlichen Inhalt feiner vorigen Borte 
zu erfennen, indem er an dad anknüpft, was fie felbii u: 
Worten nicht undeutlich zugegeben hatten. Wenn ihr dem 
die unvergänglidhe Speife zu wirken, bie in bad mix != 
bleibt, da& fei ein Werk Gottes, fo will ich euch zumii- 
fagen, was denn auch ein Werk Gotted fei. Und damımı 
er, Das ift Gottes Werk, bag ihr an den glaube‘: 
er gefandt hat. | 

M. g. Fr., ed iſt gar oftmald und von vielen aud =: 
meinend gefagt worben, es fcheine, als ob ber Herr währt: 
nes Lebens auf Erben bei weitem nicht fo fehr und fo aut- 
ßend auf den Glauben an ihn felbft gedrungen habe, alidie 
SZünger und Apoſtel in ihren Reben und Schriften geb: 
ben. Ich weiß aber nicht, wie man irgend eine deutlichen c 
finden kann aud in ben Schriften ber Apoftel, welche ke = 
und fo deutlid dafür fpräche, daß bad ganze unvergänglik ® 
ben des Deenfchen von nichts anderem ausgehe, ald von 'c 
Glauben an Chriftum, und dag nichts anderes als dieſer Si 
bazu gehöre, aus welchem dann alled andere hervorgehen == 
als eben diefe Worte des Herm. Das göttliche Werk, durh = 
ches allein bie unvergänglicye Speife, die in das ewige Kr 
bleibt, gewirft werben Tann, und welches ber Menſch nid ? 
Stande ift bervorzubringen, dad Werk Gottes, wodurch = 
Speife enıfleht, ift nichts anderes ald bag der Menfc gie“ 















421 


+; 


n den, den Gott gefanbt hat. Das fagt nun bier der 
yerr, aber ohne fich auch darüber deutlicher zu erklären, daß nun 
iefer Glaube an ihn von den Menfchen felbft gewirkt werben 
Inne, fondern nur auf ben rechten erften lebendigen Anfang und 
Rittelpunft ded3 ganzen Werkes Gotted an dem Menfchen und 
ı dem Menfchen verweifend. 

Und wie fteht eö nun damit, wenn wir diefen Worten bes 
yerrn mit ber Frage begegnen, Ei, kann denn dad ewige Leben 
es Menfchen durdy den Glauben an ihn allein- gegeben und ers 
alten werden? Gehört gar nichtd weiter dazu, und ift denn 
jefer Glaube fchon dad ganze ewige Leben felbfi! Wenn ber 
Kenſch nicht thun wollte, als fich in diefen Glauben an ben 
'rlöfer verfenten, würde dadurch wol dad Reich Gottes beftes 
en, zu welchem fo viele lebendige Eräftige Thaten, fo viel Ans 
rengung aller der herrlichen Vermögen, die Gott in ben Mens 
hen gelegt hat, fo viel unermübeter Fleiß und Eifer ‘in allen 
Berken Gottes gehören, würde e8 haben entftehen und beftehen 
oͤnnen, wenn die Menfchen nicht gethan hätten, als fich in ben 
zlauben an den Herrn zu verſenken? 

Das iſt eine Frage, die jene Zuhörer des Herrn nicht thun 
onnten, die und aber fehr nahe liegt. Aber fo oft fie auch wies 
erholt und fo viel auch darüber geredet worben it, können wir 
nderd fagen, wenn wir bei den einfachen Worten des Herrn 
eben bleiben, ald daß ein Mißverftändnig dabei zum Grunde 
iegt? Der Herr fagt, Das Wert Gottes, wodurd bie 
ınvergänglihe Speife, die in das ewige Leben bleibt, 
jewirft wird, fei der Glaube an den, den er gefanbt 
‚at. Sagt er denn damit, daß died die ganze unvergängliche 
Speife felbft fei? Er fagt nur, daß fie aus diefem Glauben ber: 
yorgehe, und wenn er alfo den Glauben an ihn als das Werk 
Bottes verfündigt, fo müfjen wir nicht den Glauben verftehen, 
ndem wir ihn abfondern wollen von demjenigen, was natürlich 
daraus hervorgeht, denn alsdann ift ed nicht mehr ber Glaube 


422 


felbft, der dad Werk Gottes if. Nicht, wie der Herr an m 
andern Stelle fagt *), nicht alle die Herr Herr zu ihm fage 
werben in dad Himmelreich fommen, fondern bie ben Willen in 
feined Vaterd im Himmel. Die zu ihm Herr Here fagen, | 
glauben doch in einem gemwiffen Sinne an ihn, denn dad if 
der Ausdrukk unferes Glaubens, daß wir ihn unferen da 
nennen, dem wir die Zührung unfered Lebens, die ganze * 
fiimmung deffen, was wir zu thun haben und fein follen, ul 
laſſen und anheimftellen; ja es giebt Feinen flärfern und leben 
gern Ausdrukk des wahren Glaubens an ihn, ald dieſen. Bx 
er aber fagt, Nicht alle die Herr Herr zu mir fagen, werte 
dad Himmelreich kommen, fondern die den Willen thun ma 

Vaters im Himmel, fo ift doch unter diefem in bad Himmel 
kommen nichts anderd zu verflehen, ald dad ewige Leben KM 
denn wo dad ewige Leben ift, ba ift das Himmelreich, und de 
Himmelreich ift nichts anders ald die Gefammtheit be} eich 
Lebens, welches von ihm ausgeht. Wenn er alfo fagt, #4 
alle bie Herr Herr zu mir fagen, werden in bad Himmel 
kommen, fondern die den Willen thun meines Vaters im fr 
mel, fo bequemt er ſich zu den Menfchen herunter, und td 
gleihlam dad ganze Werk Gottes, welches er hier in inF 
fammenfaßt, in zwei Theile, die Herr Herr fagen, und DEN 
tbun den Willen Gottes. Aber woher mwiffen wir den BA 
Gottes? Won niemand anders ald von ihm. Und alfo mt? 
ihm Here Here fagt, ber erkennt ihn auch an ald den, tt 
welchen wir den Willen Gottes nur erkennen und den BE 
Gottes wilfen. Aber dadurch, daß er ihn uns zu erkennm? 
geben bat, ift er nicht ein Herr, fondern dadurch, daß er ihn 
fiehlt, und das ift ein ſchlechtes Herr Herr fagen, wenn man # 
nicht thut, was einer befiehlt, denn dadurch iſt einer ein 9" 
daß er feinen Willen und thut, und bag er die Macht hal ir 





7 Matth. 7, 21. . 





423 


horfam zu verfcheffen. Es iſt alfo nur ein Außerer Schein, 
iſt nur ein leerer Schall ded Glaubens, wenn dad Herr Herr 
en für fi iſt und getrennt von der Erfüllung bed göttlichen 
‚Mens; und wenn der Herr bier fagt, Das ift dad Wert 
»ttes, dag ihr an den glaubet, den er gefandt hat, 
meint er damit bie lebendige Einheit des Glaubens, in wel» 
m das ihn ald den Herm erkennen und ber lebendige Trieb, 
8 was er ald den Willen Gotted verlündigt hat zu thun, gar 
ht getheilt iſt, fondern eind und daſſelbe. Wo eine ſolche 
yeilung gemacht wird, da ift fhon dad menfchliche Verderben, 
elches das wahre goͤttliche Leben nicht ergreifen mag, da iſt 
yon bie verderbliche menſchliche Traͤgheit, die lieber das halbe 
un will ald dad ganze, und bie eben herfommt von dem fals 
yen Wahn, ald ob man bier auf bem Gebiete bed geiftigen Les 
ns das halbe thun könne ohne dad ganze. 

Sie fragen ihn aber, Was thuſt du für ein Zeichen, 
uf daß wir fehen und glauben dir, was wirkſt bu? 
‚nfere Väter haben Manna gegeffen in der Wüfte, 
ie gefchrieben flehet, er gab ihnen Brot zu eſſen 
om Himmel. 

Das hängt nämlich fo zufammen. Wie fi ber Herr hier 
ezeigte, fo daß fie ed nicht mißverfichen konnten, ald den von 
Bott gefendeten, fo war auch Mofed zu ihren Vätern gefandt, 
nd hatte fich ihnen fo zu erkennen gegeben und fie -aufgefordert 
einen Einrichtungen zu folgen und feinen Worten Zu glauben. 
{ber, fagen fie, der that folche Zeichen, daß fie glauben konnten, 
t gab ihnen dad Manna vom Himmel; was thuft du nun für 
in Zeichen, welches uns nöthige auch zu glauben, daß bu ber: 
enige bift, den Gott gefandt hat? Nun hatten fie ſchon von fo vie 
‚en Zeichen gehört oder fie fogar zum heil gefehen, die der Herr 
während feines Lebend unter ihnen verrichtete, und wenn auch 
nicht alle, die bier jene Frage an ben Herm richteten, zu denen 
gehörten, die er am Abend vorher gefpeift hatte, und die alfo 





424 


da ein großes Wunder von ihm gefehen hatten, fo waren bei 
gewiß dieſe, indem fie ſich mit benen vereinigten, bie am vorign 
Tage in ber Nähe bed Herrn waren unb von ihm die irdiſh 
Speife empfangen hatten, davon unterrichtet. Dad mußten I 
alfo alle ohne Unterfchied, und doch fragen fie, Was thufid 
für ein Zeichen, auf Daß wir fehen und bir glauben 
Afo ein Zeichen war ihnen dad gewefen, Zeichen und Yu 
der läugneten fie nicht, die Chriftus gethan hatte, aber ein in 
ches, welches, wenn fie ed fähen, fie nöthigen würde an ihn; 
glauben, ſchien ihnen noch ein anders zu fein. 
” Und dad, m. g. Fr., darf und nicht Wunder nehmen. Im 
ber Herr felbft in feinen lezten Neben *) macht feine Sünger ı 
yoraud auf dasjenige aufmerkſam, was gefchehen würde, us 
fagt ihnen, e8 würden viele faliche Propheten große Zeichen za 
Wunder thun, aber fie folten ihnen nicht glauben. Zeichen un 
Wunder an fich felbft und ohne Unterfchieb können nicht e: 
Grund des Glaubens fein; hier aber fragen fie doch nad eine 
Zeichen, welches ben Glauben -hervorbringen koͤnne; fie meine, 
wenn einer behaupte von Gott gefandt zu fein, fo muͤſſe id 
doch etwad zu erfennen geben, was fie nöthigen würbe ihm & 
ihrer Meinung und in ihrem Glauben dieſe hohe Stelle eins 
räumen, fo. müffe er ein folched Kennzeichen mit fich führen, m 
durch fie ihn als einen göttlichen Gefandten von andern untefhe 
den könnten, fo müffe ihn eine ſolche Beglaubigung begleitet 
die gleichfam das Siegel feiner göttlichen Sendung wäre, m! 
der. Herr auch felbft vorher ſchon gefagt hatte, Bott der Le 
ter habe ihn dazu verfiegelt, ihnen die unvergängliche Spit 
zu geben, 

Aber ganz Unrecht hatten fie darin, daß fie das Bun 
Mofed, daß er ihnen Manna zu effen gegeben hatte, anſeda 
als ein ſolches, welches für ihre Wäter ber Grund gemein ü 





) Matth. 2, 11. Mark. 12, 22. 


425 


ihre8 Glaubens an die Sendung bed Moſes. Dem erfiens 
hatten fie fchon früher an ihn glauben müffen, ehe ihnen ba3 
Manna gegeben war, benn fonft wären fie ihm nicht aus Aegyp⸗ 
ten gefolgt, und zweitens war dad ein Wunder, welches nur 
eine vergängliche Speife gewirkt hatte, um dad Bebürfniß des 
Augenblikks zu befriedigen; was aber dem vergänglichen ange» 
hört, kann an und für ſich nicht dad unvergängliche Xeben her: 
vorbringen. Darum fagt nun auch der Herr, wiewol es eine 
unter dem Volke weit verbreitete und ziemlich alte Meinung war, 
Daß unter allen Wundern, weldhe Mofed ald Gefezgeber und 
Netter ded Volks aud dem Zuftande der Scnechtichaft während 
feines Wirkens und Lebens unter ihnen gethan hatte, Fein groͤ⸗ 
ßeres fei ald daß er ihnen dad Manna gegeben hatte, darum 
fagt auch der Herr, Warlich, warlih ih fage eud, 
Moſes Hat euh niht Brot vom Himmel gegeben, 
fondern mein Vater giebt euch dad rechte Brot vom 
Himmel. 

Hier fcheint der Herr zu unterfcheiden dasjenige, was Gott 
thut, von dem, mad Moſes gethan hatte, indem er fagt, Mein 
Vater giebt euch dad rechte Brot vom Himmel, Mofes aber 
bat euch ſolches nicht gegeben. Wenn nun Moſes das Manna 
hervorbrachte und hervorbringen mußte, fo war ed nicht eine 
Wirkung Gotted gemefen, fondern ed war nur ein menſchliches 
Perf wie andere, deren Zufammenhang wir nicht erkennen. 
Das war nun gewiß feine Meinung nicht, und darin iſt er ges 
wiß mit allen feinen Zuhörern einig geweſen, daß, Died eine un: 
gewöhnliche befondere und von dem gewöhnlichen Lauf der Na: 
tur unabhängige Wirkung Gottes geweſen fei, eine Veranſtal⸗ 
tung Gotted für ihre Väter, wodurch fie feine vaͤterliche Leis 
tung erfennen follten, Was meint nun der Herr, wenn er bied 
unterfcheidet, und feinen Water auf eine befondere Weiſe, und ans 
ders als jenes Manna fein Brot ald dad rechte Brot vom Him⸗ 
mel bezeichnet? 





426 


Wol, m. g. Fr., will er uns darauf aufmerkſam madıen, 
dag das hoͤchſte Weſen, wiewol es derſelbe Water im Himmel 
ift, dem wir alle leibliche Gaben verbanfen, und das uns die 
geiftige Gabe in feinem Sohne giebt, doch beſonders unfer Ba 
ter, der Urheber unferd Heils ift, in fo fern er und das bimmli: 
ſche Brot giebt, welches daS unvergängliche Leben berborbring! 
‚ und erhält. Und wol hat er Recht, das ifl der Sinn, in melden 
wie Gott unfern Vater nennen, und in welden der Gl: 
fer und gelehrt hat ihn zu erkennen, Alles, was fi auf ie 
irdifche Leben bed Menfchen bezieht, gehört dem Schöpfer an, 
Kinder Gotted aber find wir in fo fern wir an dem Leben Ge: 
tes Theil haben. Und fo fagt der Herr, Das wahre Brot vom 
Himmel hat euh Moſes nicht gegeben, Gott hat euch aud 
die unvergängliche Speife Durch Moſes nicht gegeben, fondern ws 
er euch gegeben mar eine vergängliche Speife, Das rechte Bi 
vom Himmel aber giebt eudy Gott ald der Vater, und das is 
fo fern er den Sohn gefandt hat, durch welchen allein ihr Aw 
ber Gotted werden könnt. Darum fagt er weiter, Das iſt das 
Brot Sotted, welhed vom Himmel fommt und de 
Melt dad Leben giebt. Jenes Manna naͤmlich, das erhii 
nur einem kleinen Theil der Menfchen das vergängliche irdilg: 
Leben, dad rechte Brot vom Himmel aber giebt der ganze 
Welt das Leben, und indem und Gott dad gegeben hat, hat a 
fi) als unfern Vater gezeigt, und zugleich den als denjenige 
verfiegelt, der allein die unvergängliche Speife, die in das ewig 
Leben bleibt, geben kann. 

Wenn nun das Volk fagt, Herr gieb uns allemeg: 
ſolches Brot, und er ihnen antwortet, Ih bin das Brot 
bes Lebens, wer zu mir fommt, den wird nicht hun 
gern, und wer an mich glaubt, den wird nimmermeht 
dürften: fo mögen wir immer glauben — und wie könnte dem 
auch die Rede des Herrn an fie ganz vergeblich gewefen fein — 
dag nun wirklich in ihnen nach dem wahren Himmelbsbrot, nod 


\ 


427 


ee unvergaͤnglichen Speife ein Verlangen entflanden fei, daß 
te num wenigftens für den Augenblift von jenem Tichten und 
Trachten nad) dem vergänglichen, welches fie am vorigen Tage 
ahin gebracht hatte, den Herm an ihre Spize flelen und zu 
ine irdiſchen König ausrufen zu wollen, abgelenkt worden feien 
u dem ewigen, und daß ed nicht ein flüchtiged Verlangen ge 
weſen fei, fondern ber Wunſch des Herzend, wenn fie fagten, 
Herr gieb und allewege ſolches Brot. 

Da antwortete er ihnen: er felbft fei ed; wer zu ihm 
komme, den werde nicht hungern, und wer an ihn 
glaube, den werbe nimmermehr dürften. 

Laßt uns, m. g. Fr., died doch ja recht feflhalten, daß er 
fagt, Ich bin das Brot des Lebens. Er ſelbſt alfo, bad 
beißt der ganze Chriſtus, nicht aber etwa nur feine Lehre, 
die wir aus feinem Munde nehmen können und ald menſchliche 
Gedanken in unfern Verftand übertragen würden, bie aber von 
ihm felbft getrennt Feine Kraft haben würde, das ewige Leben 
bervorzubringen, nicht etwa nur fein Beifpiel und alles eins 
zelne dazu gehörige, was, wenn wir von ihm abfehen Fönnten, 
wie ed und auch ald ein fchöned Vorbild menfchlicher Tugend 
und Vortrefflichkeit erfcheint, und allerdings dad fchöne und vors 
treffliche zeigen würde, aber doch nicht bie Kraft hätte, ed her⸗ 
vorzubringen; weder jenes noch dieſes ift dad Brot des Le 
bens, fondern er felbft, der ganze ungetheilte Chriftus, fein 
Leben iſt dad Brot des Lebens, ihn felbft müflen wir und ganz 

aneignen, fein Leben muß das unfrige werden, fo daß wir in 
ihm find, und er in ung, 

Und das ift ed auch, was er auf diefe zwiefache Weiſe 
audbrufft, Wer zu mir kommt, den wird nicht hun» 
gern, und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr 
dürften. 

Und dad, m. 9. Fr., iſt nicht ein Ueberfluß in Worten, wie 
wir ihn oft in menfchlichen Reden finden, indem daſſelbe ein« 


428 


mal fo und dann wieder anderd ausgebräßt wird. Denn er be 
zieht e8 auf das zwiefache, auf Hunger und Durſt. Das ift es, 
dag wir fühlen, daß das vergängliche Leben der Nahrung und 
Speife bedarf. Eben fo aud in dem geifligen Leben, dazu ge 
hört zweierlei, dad Wiffen und dad Thun. So wir nicht wil: 
fen, worauf es ankommt, koͤnnen wir in bem geifligen Leben 
feine Sortfchritte machen, aber fo wir. feine Kraft haben, was 
wir wiffen zu thun, fo koͤnnen wir auch nicht weiter, und unſer 
Wiſſen ift nur ein leerer Schein. Auf dieſes zwiefache Beduͤrj⸗ 
niß verweift der Herr, indem er fagt, Wer zu mir fommt, 
den wird niht hungern, und wer an mib glaubt, 
den wird nimmermehr dürften. Der Glaube an ihn wäre 
nur ein leerer Schein, wenn wir an ihn glauben, aber nicht zu 
ihm kaͤmen, und das zu ihm kommen hätte Feine Kraft und er 
mangelte bed rechten Lebens, wenn ed nicht auöginge von dem 
lebendigen Glauben an ihn. 

Wenn er aljo ſagt, Wer zu mir formt, fo _fchließt a 
darin natürlicher Weile auch ein das bei ihm bleiben; nur von 
diefer beftändigen Verbindung der Seele mit ihm, die einmal 
angenüpft nicht aufhört, und in welcher auch der Glaube, wenn 
er einmal angefangen hat, etwas unvergängliches in der Seele 
ift, nur davon Fann er fagen, wer fo zu ibm fomme, ben 
werde nicht hungern, und wer foan ihn glaube, den 
werbenimmermehr dürften. Denn fo wie wir uns mieber von 
bem Erlöfer entfernen, fo fühlen wir auch wieder beide Bebürfnifie 
bed -Lebend. Denn wenn wir und vertiefen in bie Sorge ber 
Welt, abgejondert von ihrer Beziehung auf das Reich Gottes 
und des Herrn, fo entſteht fo vieles andere in ber Seele, was 
die Kraft den Willen Gotted zu thun und das Reich Gottes 
zu fördern ſchwaͤcht, fo daß fie einer neuen Stärkung bedarf. 
Und wenn wir und vertiefen in dad Verkehr mit der Welt, in 
fo fern fie nicht zufammenhängt mit dem Reiche Gottes, fo kom⸗ 
men fo viele andere verkehrte Gedanken in unſere Seele, daß der 





429 


ebenbige Glaube an den Herrn wieder immer neue Nahrung 
ınd Stärkung bedarf. Aber in.fo fern wir zu ihm kommen und 
yei ihm bleiben, fo entiieht weber das eine noch das andere Bes 
yürfnig, weil wir dann immer erfüllt find von ber lebendigen 
Speife, die er allein geben kann. Wenn wir immer bei dem 
Herrn bleiben koͤnnten, fo würbe Fein Hunger und Fein Durft 
in unferer Seele fein, fondern nur dad Bewußtſein, dag unfer 
ganzes geiftiged Leben von ihm abhängt. Und das ift baffelbe, 
was er ein andermal zu feinen Züngern fagt *), Bleibet in mir, 
denn ohne mich könnt ihr nichts thun, aber mit mir koͤnnt ihre 
alles thun. Bei ihm bleiben, das ſtillt allen Hunger und allen 
Durft der menfchlihen Seele und erwekkt in ihr eine beftändige 
Kraft des geiftigen und unvergänglichen Lebens und bewirkt, 
dag wenn wir in bdiefer Kraft das ewige Leben haben und an 
ihn glauben, wir zu allen Werken bed Menfchen Gottes immer 
gefchikfter werden **). 

Aber nun zu ihm fommen und an ihn glauben, das 
ift Die erfle und wahre Bedingung bed geifligen Lebens; dadurd) 
entfteht und immer von neuem bie unvergängliche Speife und jede 
Nahrung ded Geiſtes, die dad ewige Leben wirkt und kraͤftig 
darftelt. An ihn alfo laßt und glauben und bei ihm bleiben, 
bamit jeder erkenne, dag Jeſus ChHriftus allein der Herr fei, und 
in feinem Namen fich beugen alle Kniee, und alle geftehen, daß 
von ihm allein alles geiflige Leben ausgeht, welches ber Water 
feinen Kindern nur durch den giebt und geben kann, in welchem 


fie erfennen die Herrlichkeit ded eingebornen Sohnes vom Water! 
Amen. 


3 30h. 15, 45. ”) 23m. 3, 17. 


iii DER > 


XXXII. 
Am 22. Sonntage nach Trinitatis 1824 


Text. Joh. 6, 36 — 44. 


Aber ich habe es euch geſagt, daß ihr mich geſehe 
habt, und glaubet body nicht. Alles, wad mir man 
Vater giebt, dad kommt zu mir, und wer zu mit 
fommt, den werde ich nicht hinausſtoßen; denn ich bin 
vom Himmel gekommen, nicht daß ich meinen Wila 
thue, fondern deß, der mich geſandt hat, daß idy nichts 
verliere von allem, das er mir gegeben hat, fonden 

daß ich ed auferwekke am jüngften Tage. Das iſt ab 
der Wille deß, der mich gefandt hat, daß wer ba 
Sohn fiehet und glaubt an ihn, habe das emige & 
ben, und ich werde ihn auferwelfen am jüngften Tage 
Da murreten bie Juden darüber, daß er fagte, Ich bin 
dad Brot, dad vom Himmel gekommen ift, und fpre 
chen, If diefer nicht Sefus, Joſephs Sohn, dep Vate 
und Mutter wir kennen, wie fpricht er denn, Ich bin 
vom Himmel gelommen? Jeſus antwortete und fprad 
zu ihnen, Murret nicht unter einander, es Tann nie 





431 


manb zu mir fommen, es fei denn, baß ihn ziehe der 
Vater, der mich gefandt hat, und ich werde ihn auf: 
erwekken am jüngften Tage. 


N .. 0. Fr. Als der Herr, wie wir neulich unſere Betrachtung 
‚mit befchloffen haben, zu ihnen fagte, Ich bin dad Brot bed 
:bend, wer zu mir kommt, den wird nicht hungern, und wer 
ı mid glaubt, den wird nimmermehr dürften (8.35.), und fie 
ıdurch alfo nochmald einlud zu ihm zu kommen, damit fie in 
en Damit bezeichneten feligen Zufland gelangten: fo wußte er 
vohl, daß wie fehr fie fi) auch um ihn bemüht hatten, doch bad 
schte Verlangen nad) diefem geiftigen Leben nicht in ihnen wäre, 
nd darum fagt er ihnen gleih, Ich habe es euch fhon 
efagt, daß ihr mich gefehen habt, und doch nicht 
laubt, daß die Weberzeugung, ich fei der, für den ich mich 
usgebe, und koͤnne das leiften, was ich verheiße, baß diefe noch 
icht im euch ift, fo lange ihr mich auch gefehen habt, fo viel 
ch auch unter euch gewandelt und geredet habe. 

Und was er weiter fagt, das fagt er zunächft, um fich felbft 
yarüber zu tröften, daß ed fo fei und nicht anders, indem er 
ortfährt, Alles, was mir mein Bater giebt, das kommt 
‚u mir, und wer zu mir fommt, den werbe ich nicht 
yinaußfloßen. 

Was ift denn wol dad erſte, m. g. $r., womit ber Her 
ich barüber tröftet, wad ihm damals begegnete, und was ber 
Berfündigung feined Wortes immer noch häufig begegnet unter 
den Menfchen, daß fie zwar fo mie fie ihn damals fahen, fo auch 
jezt fein Wort hören, aber wie fehr fie fih auch aͤußerlich um 
ihn zu bemühen fcheinen, doch nicht glauben, was ift das erfte, 
momit er fich darüber tröftet? Es ift feine große durch nichts 
zu überwindende Langmuth. Denn wenn er fagt, Alles 
was mir mein Water giebt, dad kommt zu mir, und 
wer zu mir fommt, ben werbe ih nicht hinausfloßen: 


432 


fo giebt er dadurch gleichlam fich felb bad Wort, da nm 
lange ihn auch die Menfchen überhören, wie lange es and iz 
dag fie ihn fehen und hören und doch nicht glauben, was : 
enblih einmal kommen, fo fönne und werbe ex fie mt: 
ausſtoßen. 

Wie wahr das iſt, m. g. Fr., dad wiſſen und fühlen 
bie an ihn glauben und ihn erkannt haben für das, was eu? 
Denn wenn er jemald follte die Menfchen von ſich fire,‘ 
müßte er aufhören die Menfchen zu ſuchen. Er befhrik m 
aber immer ald den, deſſen eigened innerſtes Weſen da : 
Kann er nun nie aufhören zu fuchen und felig zu made :: 
verlorene *), fo kann er auch nicht binaudfloßen, wenn jm: 
zu ihm fommt, wie lange er auch in dieſer Verblendung cr 
fen fei ihm zu fehen und zu hören und body nicht zu itz. 
fommen. 

Das zweite aber, womit er fich ſelbſt troͤſtet, iſt bie, :: 
er fagt, Das ifl aber ber Wille des Vaters, der=: 
gefandt Hat — und ich kann keinen andem Willen than : 
deß, der mich gefandt bat — das ift fein Wille, dag ichaif: 
verliere von allem, was er mir gegeben bat, font: 
daß ich ed auferwekke am jüngfien Tage. 

Denn, m. g. Fr., darin liegt nun, wenn wir es genan 
men wollen, noch etwas viel größeres, und bad hat aus“ 
Herr gewiß damit fagen wollen. Denn wenn er fagt, ::' 
dem, was mir ber Bater gegeben hat, werbe ihait: 
verlieren, aljo ed wird zu mir fommen und von mi or 
nommen werden, und ich werbe ed auferwekken am it 
fen Zage, können wir bann glauben, m. g. Fr., daß te⸗ 
Menfchen werben auferwekkt werden und andere nicht, da 
ob dem Menfchen dies wieberfährt ober nicht, nicht von ic⸗ 
befondern Beſchaffenheit abhängen Tann, ſondern eben I © 





”) Batth. 18, tl. 


433 


a der menfhlihen Natur, ald das, ob ber Menfch eine ver 
nftige Seele hat, oder nicht; alle fehen wir das an ald etwas, 
rin nicht dem einen dies begegnen Tann, und bem andern et 
is anberes, unb was nicht etwa dem einen begegnen kann und 
n anden nit. Wenn alfo ber Herr fagt, Alles, was mir 
ein Water giebt, das kommt zu mir, und ed ift fein 
ille, daß ih nicht8 verliere von allem, was er mir 
geben bat, fondern daß ich ed auferwekke am jüng« 
n Rage: was koͤnnen wir anderd daraus fchliefen, ald daß 

ihm alle Menfchen gegeben bat — meil, wenn nur einige 
iferwekkt würden, der Water ihm nicht alle gegeben hätte, und 
eilt, wenn ber Water ihm nicht alle gegeben hätte, auch nicht 
le auferwekkt würden am jüngflen Tage — und daß alle Mens 
yen dazu beflimmt find, daß fie ihm nicht verloren gehen, ſon⸗ 
zn von ihm auferwekkt und angenommen unb von ihm. in je 
es felige Leben geführt werben, wo kein Hunger und Fein Durft 
ehr ift, fondern in ber Gemeinfchaft mit ihm dasjenige ift, was 
len Hunger und allen Durft der menſchlichen Seele auf int 
ver ſtillt. Das ift der Troſt, womit ber Erloͤſer fich ſelbſt trös 
et, indem er wußte, daß fein Einfluß auf bie Denfchen, die 
ym ber Water gegeben hat, Fein Ende nehmen fol, bag früher 
der fpäter alled, wad ihm der Water gegeben hat, zu ihm kom⸗ 
sen fol, und daß er ihm das ganze menfchliche Gefchlecht geges 
en hat, eben weil er fie ihm gegeben hat, fie aufzuerwekken 
m jüngften Tage. 

Aber wenn wir hiebei verweilen, fo werben. wir und felbft 
agen: ei das ift ein fchöner und wahrer und richtiger rofl, wos 
nit der Erlöfer fich felbft beruhigt über alles, was ihm damals 
tachtheiligeß begegnete in feiner Wirkung auf die Menfchen, 
md was dergleichen ihm noch für die Zukunft feines irbifchen 
debens begegnen Tonnte; aber war ed ein Troſt für die, benen 
re benfelben mittheilte, und bie ihn hörten, und von benen er 
fagte, daß fie lange ſchon in der Verfaſſung wären, ihn gefehen 

Yom, db, Ev. Ich l. Ge 


434 


zu haben und doch nicht an ihn zu glauben? Konnte wen 
zu ihm fagen, Run wohl, wenn wir nicht zu Dir Bommmen, 'ıi 
ed daher, weil bein Water und bir noch nicht gegeben ba, z 
wenn uns jezt noch nicht zu Muthe iſt zu dir zu fomme 
iſt kein Nachtheil dabei, weil du ſelbſt gefagt haft, def, se 
wir auch fpäter kommen, du uns body nicht hinausſteßen wi 

Darum fügt er nun binzu unmittelbar barauf, Tas 
aber der Wille def, ber mid gefandt hat, das: 
den Sohn fieht und glaubt an ihn habe das ızı 
Leben, und id werde ihn am jüngftlen Zage «u: 
wetten. Nachdem er alfo jenes gefagt, fo fehärft er ir: 
noch einmal ein, daß ohne den Slauben an ihn das ey 
ben für den Menfchen nicht da if. 

Und dad, m. g. Fr., dad iſt gewiß ber flärkile * 
tigſte Sporn, den der Erloͤſer den Menſchen geben fenatı. = 
in Beziehung auf dad Verhaͤltniß zu ihm in einer bein 
Aufmerffamkeit und in einem befländigen Verlangen a € 
Wenn fie bad fo einfältig nahmen, wie er ed ihnen klat em 
fagte, Nur wer an mid, glaubt, hat dad ewige Lebe” 
konnten fie ſich auf eine folche Weiſe nicht troͤſten. Sau: 
giebt feinen größern Werluft, als daß ber Menſch einen Ba 
leidet an feiner Seele **). Kann er nun daB ewige kim > 
ben und hat es nicht, fo leidet er Schaden an feine = 
Wollte er fich alfo damit tröften, fo kann nichts weiter Ida 
als daß er dad Verlangen noch nicht hat nad) dem ewign tie 

Und daB ift es, was nicht nur der Erloͤſer hier, fie 
auch alle die Männer Gottes, die auf feinen Befehl und mE 
nem Namen bad Reich Gottes verfündigt haben, allen = 
eingefhärft haben und noch einfchärfen, die fidy auf im * 
veinde und -leichtfinnige Weiſe darauf berufen wolm, dh * 
der Menfch zu Ghrifto komme ober nicht, davon abhange, ® 





”, Joh. 5, U. a) Matth, 16, 26. 





435 


ihn der Water dem Sohne gebe und zu ihm ziehe. Denn ber 
Menſch fol fih um ſich felbft befümmern, und ber ganze Inbe⸗ 
griff deffen, was auf diefe Weife guted für ihn entſtehen ann, 
ift das, daß er zur richtigen Kenntniß feiner felbft fomme. Nun 
giebt ed in der menfhlihen Seele keinen größeren Mangel, als 
wenn ber Menfch nicht weiß was ihm gebührt, wag allein den 
Grund zu feinem wahren Wohlfein legen kann, und was allein 
im Stande ift ihm ben Weg zum Frieden zu bahnen. Diefen 
Mangel dem Menfchen fühlbar zu machen, und fo das lebendige 
Verlangen nach der göttlichen Hülfe in ihm ‚hervorzurufen, das 
ift der Stachel, der in ihn gelegt werden muß, das ift das 
Schwert ded göttlihen Wortes, welches in ihm durchdringen 
muß und Mark und Gebein fcheiden *). So lange diefer Mans 
gel noch in den Menfchen ift, fo ift es für ihr Heil’ gleichgültig, 
ob fie fich auf jene verkehrte Weiſe tröften, oder ob fie in eitler 
Selbfigefälligkeit mit demjenigen zufrieden find, was nur das 
Werk ihrer eigenen vorübergehenden Gedanken und ihrer leeren 
vergänglihen Beftrebungen ift, und auf feine Weife dad Vers 
langen nach dem wahren geiftigen Leben fühlen, welches allein 
in der Gemeinfchaft mit dem Erlöfer erlangt wird. Und in ber 
That giebt es für den, der das rechte Verlangen nach dem Ge 
nuß des ewigen Lebens noch nicht hat, Eeinen Unterfchied zwis 
fchen jenen beiden Zuftländen, ob ber eine fich tröftet damit, daß 
ed an Gott liege, der ihn noch nicht dem Sohne gegeben und 
zu ihm geführt habe, oder ob ber andere fich eine fchlecht anges 
wendete Mühe giebt, durch fein eigened Thun und Xreiben und 
durch irgend eine Art von Werkheiligkeit, die in Teinem Zuſam⸗ 
menhang fteht mit dem lebendigen Geifte Chrifti, und durch al 
led, wad nicht von innen heraus aus ber innerften Gefinnung 
des Menfchen kommt, fich bei fich felbft zu tröften und zu berus 
higen und in der leeren Einbilbung zu leben, als ob er für fich 


9 Ebr. 4, 12%. 
€: 2 


Sn 


436 


etwas habe, wodurch er der Gegenſtand bed göttlichen Wohlge 
fallend werben Tann. ' 

Wie der Erlöfer ed gethan hat, m. g. Fr., in den Tage 
feined Steifches, fo und nicht anders follen auch wir thun. & 
kann nicht fehlen, wenn wir bie Erfahrung machen, wie vi 
noch von den Wirkungen bed göttlichen Geiftes vergeblich mi 
an den Menfchen, daß wir nicht des Troſtes bebürfen folte, 
womit der Herr fich ‚hier tröftet; und haben wir, bie wir m 
ihn glauben, die fefte Weberzeugung, baß ihm alle Gewalt gap 
ben ift im Himmel und auf Erben, daß er nicht verlieren fam 
von dem, was ihm gegeben ift im Himmel und auf Erden m 
unter ber Erbe: fo mögen wir und tröften darüber, daß der. Im 
mit dem einen diefen/ mit dem andern jenen Weg geht, und I; 
was in dieſer Zeit nicht erreicht werden Tann in einer kuͤnftige 
Zeit muß erreicht werden, daß aber dad Wort wahr ift, daß te. 
der vom Himmel gefommen ift und feinen andern Willen hatt 
als den Willen deffen, der ihn gefandt bat, auch bad erreikn 
muß, wozu ihn der Water gefandt hat, daß aber Died der Bit 
bed Vaters iſt, daß der Sohn nichtö verliere von allem, me 
ihm ber Mater gegeben hat, fondern daß er es auferwefle an 
jüngften Tage; dad unfrige aber ift dies, daß wir ben Menlte 
vorhalten ben Unterfchied zwifchen dem ewigen Leben, weldi 
wir haben in bem lebendigen Glauben und in der Gemeiniht 
mit dem Sohne Gottes, und zwifchen dem Mangel biefe cr 
gen Lebens, für melches dann auch zugleich das irdifche Leba 
feinen Werth hat, fei ed, daß mit fcheinbarer Sorge, fei es, ii 
mit Leichtfinn bie Menfchen ſich tröften darüber, daß fie ned 
nicht da8 Leben haben, welches im Glauben an den Sohn Be: 
tes liegt. Diefen Stachel alfo follen wir in die Seelen in 
Menfchen legen, baß fie fühlen ben Unterſchied zwiſchen ben 
ewigen Leben, welches von Chriſto kommt, und jedem andım 
Zuftand, in welchem fie fich befinden. | 


437 

Wie nun ber Herr fein Leidweſen darüber, daß das Ber: 
ıgen nad) dem Genuß des himmlifhen Brote bei fo vielen 
ernfihen noch nicht lebendig if, fo ausdruͤkkt, Sch habe es 
ch gefagt, daß ihr mid geichen habt und glaubt 
ch nidt: fo auch wir, in wiefern wir als feine Gemeine 
f Erden jeinen Leib bilden, nachdem er felbit nicht mehr leib⸗ 
zer Weife unter uns ift, follen wir nicht bloß darauf bedacht 
nr, daß die Menfchen uns hören, fondern daß fie und auch fe 
nr. Es ift nicht bloß fein Wort, welches wir ihnen bringen 
d verfündigen follen, fonden auch fein Bild, welches fie an 
8 wahrnehmen follen; fie follen an uns bie Züge feines Bil 
5 fehen und dadurch zu uns gelofft werben und durch uns 
ngewiefen auf ben einen, in deffen Namen allein Heil gegeben 

Te mehr fie ed fehen, daß fie auf diefe Weife des Lebens 
eilhaftig werben, welche fie im Glauben an den Erlöfer fuͤh⸗ 
n Tönnen, deflo mehr müffen wir mit unferem ganzen Leben 
:eben ihm ähnlich zu werben, indem wir nicht bloß fein Wort 
kündigen, fondern es auch in unfer innerfled aufnehmen und 
» in und auf eine lebendige Weiſe walten laſſen durch feinen 
eiſt. 

Die Juden aber ließen ſich dieſe lezten Worte des Herrn 
ar nicht zu Herzen gehen und hoͤrten daher auch nicht darauf, 
indern fie blieben bei dem lezten Worte, welches er fruͤher ge: 
ot hatte, daß er dad Brot bed Lebens fei (V. 35.), ſtehen, 
wrreten darüber, daß er fich für dad Brot vom Himmel ge 
ommen audgegeben hatte, und fagten, Iſt dieſer nit Ie 
ud, Joſephs Sohn, def Vater und Mutter wir fen 
en, wie fpridht er benn, ih bin vom Himmel ge 
ommen? 

M. g. Fr., was war benn bier eigentlich der Fehler und 
ie Verblendung? Nicht etwa dies, daß fie meinten, Jeſus fei 
Sofephd Sohn, denn dad konnten fie nicht willen, ob es fo fei 
‚der anders, und das Tann ihnen auch nicht zugerechnet werben, 


438 


denn Ehriftus hat uͤberall vom Anfang feines Lebend an uni 

den Menfchen für einen Sohn Joſephs gegolten, obgleich ba 

feinem erften Eintritt in die Welt die Menfchen fich wenig d« 

sum befümmert zu haben fcheinen, ob es fo fei und nidt an 

berd. Ihre Verblendung aber lag darin, daß fie meinten, wei | 
er Joſephs Sohn fei, weil fie feinen Water, feine Mutter, jüm 
Geſchwiſter und alle feine Verwandte kannten: fo koͤnne er ca 

nicht dad Brot fein, welche vom Himmel gelommen iſt. Ar 

eine folche Außerliche Weiſe ftelten fie fih dad vor, daß em 
Hülfe dem Menfchen vori oben her werben follte — und im 
folche hofften und erwarteten doch alle diejenigen, bie nod de 
Sehnfucht nach einem Gefandten Gotteö, welcher der Bieberhm 

fteller des Volks fein follte, aus den früheren Zeiten in fi af 

genommen hatten — daß fie meinten, ed müfje auch auf eine folk 
Außerliche Weife diefe göttliche Hülfe zu Stande fommen, au | 
dem Zufammenhange der menfchlichen Dinge und abgefehen ve 

bem gewöhnlichen Gange der göttlichen Führungen, und bad war 

der Irrthum, der fie hinderte in Chriſto denjenigen, ber vn | 
Himmel gefommen fei, zu erkennen. Aber daraus folgte nu Ä 
zunächft dies, daß fie feine Wirkung als eine Außerliche dachte 

und wenig auf dad innere derfelben fahen und fich dieſes ange 

legen fein ließen. 

M. g. Fr., noch immer jind fehr viele unter den (Chrife 
in diefem Irrthum und in diefer Verbiendung, daß fie einen # 
großen Werth auf dasjenige legen, was in dem Leben und ia 
der Erfheinung Chrifli das Außerliche ift, wogegen doch eigen 
lich fein ganzer Werth darauf beruht, das die Külle der Got: 
heit in ihm wohnte, daß er in bem Sinne vom Himmel heb 
gelommen war, wie er es früher fchon gefagt hat, daß er feine 
andern Willen habe ald den feines Vaters, und nichts the 
wolle als den Willen feined Waterd (3, 19.), und wieer da 
bald folgenden Worten biefer Rede, die wir nächflens zum & 
genftand unferer Betrachtung machen werden, fagt, daß er ge 


439 


ımen fei um ben Vater zu zeigen, und möglich zu machen, 
; die Menſchen von Gott gelehrt feien (V. 45.). So lange 
x noch in etwas Außerlihem, in der Art wie fein irbifches 
»en begonnen hat, in ben Wundern, die fein Wirken unter 
ı Meenfchen begleiteten, oder in andern Außerlihen Dingen, 
Durch er fi von andern Menfchen unterfchied, der Grund des 
aubend an ihn und der Grund der Hoffnung gefucht wird, 
lange find wir nicht in der rechten Art zu glauben und noch 
incherlei Zweifeln unterworfen, über die wir längft hinaus fein 
Iten. Denn ber rechte lebendige Glaube wird fich fagen, es 
Damit grade fo wie ed in .unferen heiligen Schriften erzählt 
ird, aber es hätte auch koͤnnen anders fein, ja es kann bies 
led feinen wefentlichen Unterfchieb zwifchen Chriſto und ans 
ın Menſchen begründen. Seine huͤlfreiche Errettung ruht als 
in darauf, dag in ihm die Fülle der Gottheit wohnte, daß er 
on oben herab gekommen war, um und den göttlichen Willen 
ı offenbaren und und in die Gemeinfchaft mit dem himmlifchen 
Zater aufzunehmen, dag mit jener Fülle der Gottheit zugleich 
a ihm das wahre lebendige Bild des ewigen Weſens niederges 
egt war, und daß er und mit dem, was er war, und was in 
hm niedergelegt war, das Abbild ded ewigen Wefend und ben 
Kbglanz der göttlichen Herrlichkeit gezeigt hat. Allein auf die 
e3 innere fehen, fi) allein an dieſe Vereinigung des göttlichen 
and menfhlichen in ihm halten, ihn als die rechte und uners 
ihöpflibe Quelle aller göttlichen Mittheilungen an die Menfchen 
aus Gnaden anfehen, bad ift der wahre lebendige Glaube. Die 
aber den Herrn damals hörten, die waren noch in dieſem Außer: 
lihen Wefen befangen und glaubten, weil fie feine dußerlichen 
Berhältniffe kannten und ihn zurüßfverfolgen konnten bis auf 
den erflen Anfang feines Lebens, fo könne er nicht dad Brot 
fein, welched vom Himmel gefommen ift, und die konnten alfo 
nicht zum vechten Glauben an ihn gelangen. 


430 


Daher fagt nun Chriſtus, Murret nicht unter cin 
anderzes fann niemand zu mir fommen, es fei denn, 
bag ihn ziehe der Vater, der mich gefandt hat, un 
ich werbe ihn auferwekken am jüngften Zage. 

"Diefe Worte, m. g. Fr., enthalten offenbar wieder nicht 
woburd er ihnen einen Auffchluß giebt über dasjenige, was & 
gentlich in ihnen dad mangelhafte war und die Verkehrtheit m 
Verblendung, fondern ed find wieder folche Worte, womit a fü 
felbft darüber tröftet, daß fie in dieſer Werbienbung waren, ie 
bem er fagt, Es kann niemand zu mir fommen, es ſi 
benn, daß ihn ziehe der Vater, ber mich gefandt hat 
Und alfo fagt er auch, das fei ein Zug Gottes und hange nik 
von dem Menfchen ab oder gehe nicht von ihm aus, ob er m 
diefem Außerlichen, von dieſem erlangen nach dem Außerlihe 
los Fommt und rein auf bad geiflige fieht. Denn darum ki 

er, Weit euch der Water noch nicht zieht, fo koͤnnt ihr noch mc 
zu mir fommen, und haltet noch an diefer Schaale, und ft 
mich nicht an ald bad Brot, welched vom Himmel gelomen 
ft um eure Seele zu fpeifen und zu nähren. | 

ı Wenn wir bedenken, m. g. &r., wie der Menſch dazu gr 
führt wird, fo viel Werth auf dad äußerliche zu legen: fo mi: 
fen wir fangen, es gefchieht vorzüglich durch die ganze Art md 
Meife der Einrichtung unferer irdifchen Natur, und ed giebt rit 
les, was den Menſchen in biefer Art unb Weife feiner Einnd 
tung, welche ihn hindert ein geifliged Ziel rein ins Auge z 
faffen, ftärft und befeftigt, und es gehört ein großes Maaß ge 
fliger Kraft dazu, um barüber hinweg zu fommen, fowel um 
allem Zichten und Zrachten nach dem irdiſchen und vergänr 
lichen zu entfagen, als auch um allein und getroft auf bie gb 
liche Hülfe hinzufehen, welche nur ber bringen konnte, ber ven 
Himmel gelommen ift, und fo von allem Außern hinweg um 
allein auf das innere gerichtet zu ber rechten Stärke und fr 
beit des Geiſtes zu gelangen, und auf biefe Weiſe von dem Dr | 





- 441 


gezogen zu werden zu bem Sohne. Nicht als ob diefer Zug 
f eine wunderbare Weiſe erfolgen koͤnnte und follte, ſondern 

liegt in ber Art, wie Gott den Menfchen führt, und Dank 

ed feiner väterlichen Güte, nach welcher ee und fo geleitet 
t, dag und nicht unbelannt geblieben ift fein ewiger und hei⸗ 
jer Wille ihn zu erfennen durch den Sohn. 

Wir alfo, m. g. Fr., wir dürfen und nicht beklagen, als 
> e& unter und an biefem Zuge des Waterd fehlte Denn bie 
zemeine Chrifti, die unter und gebaut ift, und die fich unters 
heidet von jeder andern menfchlichen Geſellſchaft in ihrem 
weite, in ihren Einrichtungen, in ber Art, wie alles in ihr 
efchieht und erfolgt, fo daß allein das innere geiftige Leben der 
dauptzwekk ift, auf den ed in ihr ankommt, alles Außerliche aber 
18 etwas biefem untergeorbneted und als ein Mittel zu biefem 
zwekke erfcheint, wie fie ſich fo unterfcheidet von jedem andern 
nenſchlichen Werhältnig, wir die wir in biefer Gemeine bed Herrn 
eben und alle Greigniffe derfelben feit Jahrhunderten vor und 
yaben, wir find dadurch) von dem Water gezogen, wir find ſchon 
n dem Verhältniß, in welchem wir allein auf ihn geführt wers 
ven und auf ben einen hingewielen, ber die Fülle der Gotts 
heit in fih trug, und auf alle Wirkungen feiner ewigen Kraft, 
die er feit vielen Jahrhunderten ausgeübt hat, wir find in bie 
lem Zuge des Waters und koͤnnen nicht ander ald zu ihm kom⸗ 
men, wenn ed wahr ift, daß wir alle zu ihm zurüßfgeführt werben 
kraft der Gewalt, die ihm verliehen ift im Himmel und auf Er⸗ 
ben, daß feiner die innerfte Offenbarung Gottes in feinem Her 
zen verdrängen kann, dag wir alle zu denen gehören, bie ber 
Vater dem Sohne gegeben hat, daß, wie ſchwach und unvollfom: 
men auch unfer Glaube iſt, wir doch glauben, daß eine Gemeins 
fchaft des geiftigen Lebens zwiſchen und und ihm iſt; und je 
mehr wir das Brot des Lebens genießen, je mehr alle, die es 
ſchon empfangen haben, fi der Schwachen unter und annehmen 
und fie auf ben Herm hinweifen, der feinen hinausftößt, welcher 


442 


zu ihm kommt, beflo mehr wirb Die ganze Gemeine dei Ser 
aus folchen beflehen, die alle gute genießen, was in ber Sr 
ſchaft bed Sohnes zu genießen ift, und inmer Eräftiger den 
bed Vaters folgen, der bie Menfchen zu ihm führt. 

So, m. g. Fr., führt und ber Her hier, wo er übe! 
größte und tieffte in dem Verhaͤltniß zwifchen Gott ze ı- 
Menſchen überhaupt und in demjenigen befonders, welches t= 
ihn gefliftet ift, redet, fo führt ex und barauf zurüff, auf bar 
nen Seite alled, alles, defien wir und im Glauben an ine 
freuen, auch nicht auf die entferntefle Weiſe als unfer cge= 
Werk anzufehen, ſondern allein ald bie Folge davon, daß & 
ihm, feinem Sohne, bad ganze menſchliche Geſchlecht gegebe = 
und und gezogen hat durch die Kraft feines Wortes zu det 
nen, von welchem unfer Heil kommt; aber dann führt a = 
auch darauf, daß, wie er gefinnt gewefen ift, alfo aud wu # 
finnt fein follen *), daß, wie er gefagt hat, Ich ſtoße kin! 
aus, der zu mir Fommt, fo auch wir aus allen Kräften hu 
arbeiten follen, daß bie Gemeinfchaft der Menfchen mit da 
der ihr Heil ift, immer volllommner werde, und je mir ® 
wiften, daß Feiner zu ibm kommen kann, es fei denn dh” 
ziehe der Water, ber ihn gefanbt hat, wir felb un: immmme 
reinigen, damit wir gefegnete Werkzeuge des himmliſchen Bere 
fein mögen. Und dazu möge er denn uns alle immer meht ® 
reiten durch den, durch welchen er uns berufen hat zur Sch 
keit. Amen. 








”) pyu. 2%, 5. 





XXXII. 
Am 1. Advents- Gonntage 1824. 


- 


Text. Joh. 6, 45 —51. 

Es fiehet gefchrieben in den Propheten, Sie werben 
alle von Gott gelehrt fein. Wer ed nun höret vom 
Water und Iernet es, ber kommt zu mir. Nicht da 
jemand den Water habe gefehen ohne der vom Water 
ift, der hat den Water geſehen. Warlih, warlich ich 
fage euch, wer an mich glaubt, der hat dad ewige Les 
ben. Ich bin das Brot des Lebend. Eure Wäter 
haben Manna gegefien in der Wuͤſte und find geftors 
ben. Died ift das Brot, dad vom Himmel kommt, 
auf daß wer davon ißt nicht flerbe. Ich bin das les 
bendige Brot vom Himmel gelommen. Wer von bie 
fem Brot effen wird, der wird leben in Ewigkeit; und 
das Brot, daB ich geben werde, ift mein Zleifch, wel: 

ches ich geben werde für das Leben ber Welt. 


Vu dem, was wir jezt mit einander gelefen haben, m. a. Fr., 
bezieht ſich das erfle noch auf basjenige, was ber Herr fagte zur 


. 444 
Antwort an bie, welche unter einander fprachen, Iſt diefer nice 
Jeſus, Joſephs Sohn, dep Vater und Mutter wir kennen, wie 
fpricht er denn, Sch bin vom Himmel gebommen? (B. 42.) Da3 
Lezte aber, das ift der Anfang und gleichlam die Einleitung zr 
dem, wad den Schluß diefer ganzen Rebe bed Herrn ausmakt, 
_ und worin er handelt von dem Eſſen feined Fleiſches und dem 
Trinken feines Blutes. 
Was nun das erfte betrifft, fo iſt es die unmittelbare Fort: 


fezung der Worte, die wir neulich ſchon in unfere Betrachtung 
gezogen haben, Es kann niemand zu mir fommen, ed fei dem, 


daß ihn ziehe der Water, der mich gefandt hat (VB. 44.) Es 
ſteht gefohrieben in den Propheten, fie werden alle 


von Gott gelehrt fein, wer ed nun hört vom Vater 
und lernet ed, der kommt zu mirz nicht daß jemant 


den Bater habe gefehen, ohne der vom Vater iſt, der 
hat den Vater gefehen. 


- Offenbar alfo, m. g. Fr., will bier der Herr eine näher 
Beichreibung geben von ber Art, wie das gefchieht, daß er felbfl, 
der Vater, diejenigen zieht, die zu ihm kommen. Diefer Zug 
des Vaters ift ed, den er hier näher befchreibt. Es Tann uns 
aber dies nicht recht verftämdlich fein, wenn wir nicht auf die 
Stelle des Propheten Acht geben, die der Herr im Sinne bat, 
indem er fagt, Es ſtehet gefchrieben in ben Propheten. 
Da ift nun dasjenige, was ihm vorzüglich vorfchwebt, eine Stelle 
aus dem Propheten Jeremias im ein und breißigften Gapitel °), 
wo Gott durch den Mund ded Propheten foricht, Der Bund, 
den ich in jenen Tagen machen werde mit jenem Boll, fol nicht 
fein ber Bund, den ich mit ihnen machte an jenem Tage, als 
ich fie bei der Hand nahm, daß ich fie aus Egnptenland führte, 
welchen Bund fie nicht gehalten haben ; fonbern der Bund, dem 


2) Jerem. 31, 84 fob. 


445 


ich mit ihnen machen werbe, fol ber fein, Ich will mein Geſez 
in ihr Herz geben und in ihren Sinn fchreiben, und es foll 
Tein Bruder zu dem andern fagen, daß er ihn lehren wolle, fon» 
dern fie folen alle Gott erkennen und von ihm gelehrt fein. 
Auf diefen neuen Bund, den ber Herr mit feinem Nolte, mit 
dem Israel aus dem Geift, mie ber Apoftel Paulus ed nennt, 
machen wollte in fpätern Tagen, bezieht fich alfo hier ber Herr, 
und er fonnte vorauöfezen, daß alle feine Zuhörer wol wiffen 
würden, welche Stelle der Propheten er bier meine; benn fie 
freuten fi alle, die auf die age des Meifiad warteten, auf 
das ſchoͤne Jahr diefed Bundes. Wenn nun der Prophet dort 
ſagt, Ich will mein Geſez in ihr Herz geben, fo bedient er fich 
freilich des Ausdrukks: das Geſez, um bdiefen Bund befto deut: 
licher gegenüber zu fielen dem alten. Denn dad Gefez ohne 
Ausnahme ift immer etwas dem Menfchen gegebened, was er 
von außen und durch andere vernimmt; was aber eigentlich in 
fein Herz gegeben und in feinen Sinn gejchrieben ift, das ift 
auch dasjenige, was ihn felbft bewegt, das ift fein eigener Zug 
und fein eigener Wille. Wenn alfo der Prophet fagt, In jenen 
Tagen will ich mein Gefez in ihr Herz geben und in ihren 
" Sinn fhreiben, fo heißt das nicht anders ald: mein Wille fol 
ihr eigener Wille und Xrieb werden, damit fie feines Außern 
Geſezes mehr bedürfen. 


Und damit hängt nun zufammen: ed fol auch nicht einer 
von dem andern gelehrt fein, fondern ed follen alle Gott in ſich 
felbft und aus fich felbft erfennen und von ihm gelehrt fein. 
Denn fich feinen Willen ald Gefez von andern geben laffen, und 
fih feine Gedanken ald Lehre von andern mittheilen laſſen, das 
ift beides eins und baffelbige und gehört zufanmen. Vermag 
der Menfch ſich noch nicht feinen Willen felbft zu geben, fo vers 
mag er auch nicht feinen Gedanken bie rechte Richtung zu geben. 

Auf diefen Bund nun weifet der Herr hier Hin um zu ers 





Mären, wie er es gemeint habe, wenn ex gefagt: wer zu ikm 
tommen folle, der müfle gezogen werben von bem Vater, der 
ihn gefandt habe. Er fagt alfo, fie müßten dieſes alte Bart 
beö Propheten im Sinne haben. Wer das nun höret vom 
Vater und ed lernet oder erfährt, dad heißt, wer did 
in der Schrift lieft oder wen ed aus innerer Erfahrung fa 
wird, — denn diejenigen, bie zu ihm gezogen wurden von 
dem Water, waren boch nicht lauter foldye, denen fchon frühe 
die Schriften des alten Bundes bekannt waren, aber immt 
mußten es folche fein, die, weil in ihrem innen ein Streben nd 
ber Erkenntniß Gottes übrig geblieben war, nun auch bie Sch 
fucht genährt hatten von ihrem eigenen Sinne getrieben zu wer 
den und das innerfte oder das Weſen und bie Kraft bed GR 
zes Gottes in ihr Bewußtfein aufzunehmen : entweber mußt 
fie e3 alfo gehört haben und gelefen, und daraus mußte ia 
Sehnfucht in ihnen entflanden fein, ober aus dem Bemuftien 
wie fie felbft in der Verkehrtheit ihres Herzend bie wie ala 
Menfchen fo auch ihnen angeborene natürliche Erkenntniß Gotte 
verunftaltet und die tieffte Wahrheit des Menfchen verkehrt ht 
ten in Irrthum und Wahn: biefed Verlangen alfo, fagt a, # 
der Zug des Vaters, dad können fie nur von dem Vater har 
der jene Worte feinen Dienern den Propheten gegeben, und M 
jened Verlangen in ber menfchlichen Seele, wenn gleich verut 
kelt, doch übrig gelaflen hat und beſchuͤzt durch alles, was iin 
Vorfehung an dem menfchlichen Geſchlecht gethan hat, — m 
das nun von dem Vater vernimmt,ber kommt zu mit. 

Wie dies aber zuſammenhaͤngt, m. g. Fr., das erklärt de 
Herr in ben unmittelbar folgenden Worten, Nicht daß ie 
mand ben Vater habe gefehen, ohne ber vom Ball! 
ift oder ber bei dem Water ift, ber hat den Vater 
geſehen. 

Das, m. g. Fr., bezieht ſich nun auf die andere Worte ii 


Propheten, fie follen alle Gott erfennen. Denn Gott fehen M 


447 


Gott erkennen und den Vater fehen ober erfennen, das ift in 
den Worten unfered Herm immer eind und daſſelbige. Er fagt 
alfo, Bon ſich felbft kann Feiner den Water fehen, fondern nur 
der eine Fannte ihn, ber bei ihm iſt; alle Gottederfenntnig 
kann ja nicht ander ald von mir ausgehen, jened Wort des 
alten Bundes Tann auf Feine andere Weiſe in Erfüllung geben als 
durch ben, ber, wie er fagt, vom Water ober bei dem Vater 
iſt. Er fagt bier nicht: der bei dem Water war oder von bem 
Water gelommen ift, fondern ald das gegenwärtige ſtellt er «8 
auf, nicht ald ob ihm eine befonbere Erkenntniß Gottes ald ein 
Bewußtſein der vergangenen Zeit eingewohnt hätte, fondern als 
etwad überall gegenwärtiged fezt ex dieſes, er ſtellt fih vor als 
den, der immer bei dem Vater ift, fo daB alles, was er thut 
und rebet, nur von bem Water ift, wie er dies auch oft genug 
in andern Reben fagt. Er meint alfo, und das ifl, was bier 
nicht undeutlich hervorleuchtet, daß alle göttlichen Verheißungen 
im alten Bunde und alle Sehnfucht nach dem beffern, die mit: 
ten in dem menfchlichen Verderben übrig geblieben war, ihre 
. Befriedigung auf Feine andere Weife fanden als dadurch, daß er 
erſchienen fei ald derjenige, der die Fülle der Gottheit in fich 
. trägt. Ja, ber welcher fie auf eine wefentliche Weife immer in ſich 
| trug, der alein den Vater wahrhaft erfannte und alfo auch die 
Erkenntniß deſſelben mittheilen Eonnte, der von feinem andern 
Willen ald dem Willen Gotte getrieben war, fo daß fein Un- 
terſchied war zwifchen dem Willen des Vaters und dem feinigen, 
der allein konnte auch durch feine lebendige Einwirkung auf bie 
Menichen den Willen Gotted in ihren Sinn geben und in ihr 
Herz fchreiben, und der, indem er ihnen den Geift giebt, welcher 
lieber Vater ruft *), konnte auch nur den kindlichen Gehorfam 
gegen ben göttlichen Willen in den Menfchen hervorbringen. 





”) Rom. 8, 15. 


448 


Und fo, m. g. $r., fo wollen wir auch im diefer ih 
Adventszeit, die wir heute beginnen, ben Herm gleihlen & 
neue unter uns bewilllommnen als benjenigen, in welden, ' 
der Apoftel fagt, alle Gotteöverheigungen Ja und Amen im 
Ale Verheißungen, die Gott gegeben bat durch feine ausern 
ten Rüflzeuge in den Zeiten, wo er zu den Menſchen ıw 
burch feine Propheten, alle8 was wir ald ben innerfien un 
vertilgbaren Grund bed menfchlichen Herzens auch imma 
göttliche Wahrheit und göttliche Werheißung betrachtet haben: 
betrachten müflen, das alles findet feine Befriedigung zu 
dem, ber und erfchienen ift um und zu werben nicht mu: 
Erlöfung, fondern auch zur Weisheit und zur Gerechtigte: ' 
zur Weiöheit, indem der, welcher allein ben Vater erfannt. = 
auch und den Water zeigt und offenbart; zur Gerechtigket 
dem ber, beffen Wille allein vollfommen eind war mit‘ 
Willen des Vaters, nun auch und durch feinen lebenbiga € 
fluß auf unfere Seelen einen Willen mittheilt, der nad z3 
anderem firebt ald ben Willen des Waters, fo weit e wc 
Unvermögen möglich ift, durch feinen Geift zu erfüllen. 

Nachdem nun ber Herr dies gerebet hat, fo ehrt er ma 
zurüff zu dem Hauptinhalt feiner Rebe, in welchem er wır: 
terbrochen worden dadurch, daß bie Zuben darüber murreta. 
er gefagt hatte, Ich bin das Brot vom Himmel gelomme: 4 
nun fängt er aufd neue mit bemjenigen an, wobei er fix P 
blieben war, indem er fagt, Sch bin das Brot des Lin! 
und geht zuruͤkk auf den erflen Anfang bed ganzen Gerd 
in weldyed er verwißfelt war, indem feine Zuhörer fragten, I 
er denn für ein Zeichen thue, auf daß fie ſaͤhen und giauk 
wie ja Moſes ihren Vätern Manna gegeben hätte in 
Wuͤſte zu eſſen, und fie ba wol hätten glauben muͤſſen, ix 





) 2Kor. 1, D. 1Kor. 1, 20. 


449 


> der audgezeichnete Führer, der fie durch alle Noth und Mühe 
d Truͤbſal nicht verlaffen, fondern mit fefler Hand geleitet 
tte, ihnen von Gott zu biefem großen Werke fei gefandt ges 
fen. Da batte nun ber Herr fchon im zwei und breißigften 
erfe gefagt, Mofes hat euch nicht Brot vom Himmel gegeben, 
idern mein Bater giebt euch das rechte Brot vom Simmel, 
nn dies ift dad Brot Gottes, das vom Himmel. fommt und 
ebt der Welt dad Leben; und hier nun fährt er fort in diefer 
ergleichung zwiſchen fich felbft ald dem Brot des Lebens und 
sifchen dem Manna, welches Bott durch Mofed geichaffen oder 
elched Gott durch Mofed dem Volke gegeben hat in der MWüfte, 
dem er fagt, Ich bin das Brot des Lebens; eure Vä- 
2 haben Manna gegeffen in der Wüfte und find 
eftorben; dies ift bad Brot, dad vom Himmel kommt, 
uf daß wer davon iffet nicht flerbe; ih bin das Ie 
endige Brot, vom Himmel gefommen; wer von dies 
m Brot effen wird, der wird leben in Ewigkeit. 
Wenn wir nun, m. g. Fr., au hier in die Geſchichte zus 
akkgehen, an welche der Erlöfer aufgefordert von feinen Zuhoͤ⸗ 
zen fie bier aufs neue erinnert, fo war dad Wolf damals in ei: 
er großen Noth und mangelte der erfien Bebürfniffe, um fein 
eben zu friften. Da fandte der Herr nun biefe Speife, deren 
Iriprung und eigentliched Weſen fie nicht verftanden. Aber, fagt 
er Herr, Eure Väter, die bad Manna in der Wüfte ge: 
‚effen haben, find doch geftorben, und zwar, m. g. Fr., 
voran er nur hier nicht erinnert wenigftend nichts ausdruͤkklich, 
vas aber feinen Zuhörern aus der Gefchichte befannt war, ben 
yer Here fprach, Keiner von allen denen, die gegen mich ges 
nurtt haben in der Wüfte, fol dad Land der Verheißung fes 
yen *). Alfo jened Brot, welches fie für Brot vom Himmel 


*) 4 Moſ. 14, 80. 
Hom. db. Ev. Joh. 1. Ff 


450 


hielten, wovon aber der Herr fagt, Mofed bat euch nicht Bm 
vom Himmel gegeben, dad war gegeben um ihr irdiſches Leben 
zu friften, und ed wurbe dadurch gefriftel, aber Fonnte doc; nich 
fo lange verlängert werden, daß das Ziel ihrer irdifchen Wuͤnſche, 
nämlich dad Land, welches der Herr ihnen verbeißen hatte 
ſehen und zu bejizen, dadurch erreicht wurde, fondern jenes Dit, 
welched Gott ihnen gab, blieb doch in Uebereinftimmung mit da 
Morten ded Gerichts, die er über dad ganze Volk audfprad. 


Wenn nun der Herr fagt, Das ift das Brot, bad von 


Himmel fommt, auf dag wer bavon iffet nicht ſterbe: 
fo will er nun dadurch fich felbft ald das Brot bed Leben m 
einen Gegenfaz ftellen gegen dad Manna, welches dad Voll % 


rael in der Wuͤſte empfangen hatte. Nicht daB leibliche ia 
ift damit gemeint, fondern das geiflige, dad fehen wir uni 


daraus, daß der Herr fagt, Wer davon iffet, der werd: 
nicht fterben; denn er hatte ja kurz vorher gefagt, may 
ihm komme, weil der Water ihn ziehe, den werbe er auferme 
fen am jüngflen Tage (8. 44.); die aber follen auferwellt wa: 
den am jüngften Tage, die müffen unftreitig vorher gefleren 
fein. Indem er alfo fagt, Wer von diefem Brot iffet, da 
wird nicht flerben, fondern er wird leben in Ewig 
Leit, fo braucht er nicht noch befonderd zu fagen, daß hier mät 
von dem leiblichen, fondern von dem geifligen Leben die Re 
fei, aber daß dad Brot, melched vom Himmel gekommen il, 
nun auch für alle Ewigkeit audreiche, und es feiner andern gib 
lichen Hülfe mehr bebürfe. 


Und das, m. g. Fr., das ift die fchöne Zuverficht, die de 
Her allen, welche an ihn glauben, in dieſen Worten gegeben 
bat, und die nun die Offenbarung Gottes in ihm und dur 
ihn in ihre vollfommened Licht fest. Vorher hatte er geſagt, 
Niemand hat den Vater gefehen, keiner iſt im Stan 
Gott zu erfennen oder Gottes Willen zu feinem eigenen zu me 





451 


en aus fich ſelbſt. Freilich ald Gott der Herr ben Menſchen 
mf und ihm, wie wir ed lefen in jener Gefchichte, die lebendige 
eele einhauchte *), ba war das auch eine Offenbarung Gottes 
ı den Menichen und in dem Menichen ; die erfie und urfprüng- 
he, aber fie war nicht fo angethan .nady dem Willen Gottes, 
iß fie hätte verhindern koͤnnen, daß der Menſch in die Zinfters 
ß der Sünde und alled daraus entftehenden Wahned und Irr⸗ 
ums hineinfäme. Der Herr aber hatte befchloffen durch feine 
veite Offenbarung den Menfchen zur Schönheit und Vollkom⸗ 
ıenheit des geifligen Lebens zu erheben, indem das Wort Zleifch 
urde **), indem das Welen und der Wille Gottes, das lebens 
ige gleichmäßige, das ganze Leben und Wefen befeelende Bes 
ußtſein Gotted in menfchlicher Geftalt in dem Herrn erfchien. 
nd, fagt er, Daß if dad Brot, welhed vom Himmel 
ekommen ift, das ift dad Brot, durch welches das geiflige 
eben, wozu der Menfch beftimmt ift, was er aber ſelbſt nicht 
at erhalten können, und was feiner im Stande ift fih zu ge 
en und bereiten, auf immer und für befländig in dem Menfchen 
ewekkt und genährt wird, auf Daß wer davon iffet nicht 
terbe, fondern das geiftige Leben, welches auf dieſem 
Wege hervorgebracht wird, bleibe in Ewigkeit. 


Diefe Worte unfered Herm m. g. Fr., find nun als feine 
igenen einer ber feſten Gründe unferer Zuverficht, daß nachdem 
x erfchienen ift wir nun feines andern weiter bedürfen ***), daß 
jie Erkenntniß Gottes oder bie Weisheit, der Gehorſam gegen 
Sott ober bie Gerechtigkeit, die und in ber lebendigen Berbins 
yung mit ihm durch den Glauben an ihn wird, eine reiche und 
ınerfchöpfliche Quelle des geiftigen Lebens ift, welches einmal ge. 
zründet in dem menfchlichen Gefchleht, in dem die Gemeine ſei⸗ 
ner Gläubigen geftiftet it, nicht wieder untergehen kann, fon 


1Moſ. 277. 7) Ich 1, 14 “) Matte 11, 3. 
1 2 


452 


dern durch die Fülle der Gottheit, die ihm und ber Gemeinichaft, 
welche ex geftiftet hat, einwohnt, für alle Zeiten feftfteht, fo deß 
feine Macht der Welt im Stande ift es zu zerflören. 

Dad lezte aber, was nun ber Herr fagt, ift die Em: 
leitung zu dem folgenden. Das Brot, da& idy geben 
werde, ift mein Zleifch, welches ich geben werde für 
das Leben der Welt. 

Hier, m. g. Fr., müffen wir nicht vergeffen, daß ber Hm 
auf einmal feine Rede anderd wendet. Vorher fagt er, It 
bin das lebendige Brot vom Himmel gefommen, un 
jezt fagt er wieder, Das Brot, weldhes ih geben werte 
Er unterfcheidet alfo dad Brot, welches er giebt. Wie fol 
wir dies verftehen? Das wiffen wir, baß er das Brot dei & 
bens, welches vom Himmel gefommen ift, nur war und fin 
tonnte vermöge der Fülle der Gottheit, bie ihm einwohnte 
denn ohne diefe wäre er nicht wefentlich unterfchieden gemein 
von allen Menfchen, und hätte ſich nicht verhalten wie ber, be 
allein geben kann, zu denen, die allein erhalten Bönnen. So wur 
er dad Brot ded Lebens vermöge der ihm einwohnenden zul: 
der Gottheit, vermöge deffen, was er.fagt, daß er mit dem Br 
ter eind war **). Aber wenn wir nun fragen: wie empfang 
wir von ihm dieſes Brot? wie wird ed das unfrige? wie get 
ed von ihm auf und über? fo fagt er, Das Brot, welde 
ich geben werde, ift mein Fleiſch, welches ich geb 
werde für dad Leben der Welt. 

Was wir nun bier unter dem Fleiſch des Herrn zu 
verftehen haben, das, m. g. Fr., erfennen wir am beften a 
bem, was ich oben fagte. Das Brot bed Lebens ift er, ver 
möge deſſen daß die Fülle der Gottheit in ihm wohnte, at 
empfangen koͤnnen wir ed von ihm nur Dadurch, daß er gem 





Un 2 


”) Kol. 2, 9% \ ”*) Joh. 10, 80. = 





453 


en iſt wie wir, baß er Fleiſch und Blut angenommen hat *), 
eit auf Feine andere Weife eine Gemeinfchaft zwifchen ber Fuͤlle 
er Gottheit, die ihm einwohnte, und zwifchen und möglich war. 
Sag nun Flefh und Blut — benn ed kommt beides gewöhns 
ich mit einander verbunden vor — in ber Schrift immer ge 
raucht wird von der menfchlicden Natur und dem menfchlichen 
teben, dad ift und allen bekannt. Alfo fagt er, Das Brot des 
tebend, welches ich bin, kann ich nur geben vermittelft des 
nenfchlichen Lebens, welches ich unter euch führe, welches ich 
ıber wieder bingeben werde zum Heil der Welt und zum Leben 
der Welt. Und fo ift das Leben ber Welt nur möglich durch 
beides zufammen, dadurch, daß das Wort Fleiſch ward, und da⸗ 
Durch, Daß dad Fleiſch wieder hingegeben wurde zum Leben ber 
Welt, damit, wie der Herr felbft fagt, daß fein Fleiſch an fich kein 
nuͤze fei, fondern bie Worte, welche ex redete, die Worte, bie er von 
ſeinem Vater gehört hatte, nur Geift und Leben feien, alle durch 
diefelben zur Anbetung Gottes im Geift und in der Wahrheit, 
zum geifligen Leben gebracht würben **), wie er dies auch nach: 
ber in der Folge feiner Rede weiter auseinanderfezt. 


Alfo wenn wir den Herrn bewillfommnen ald benjenigen, 
in welchem alle Gotteöverheißungen Ia und Amen geworben 
find, dadurch dag das Wort Fleiſch ward und die Fülle der Gott: 
beit in ihm wohnte: o fo müffen wir ihn auch bewillfommnen 
ald ben, ber fein Fleiſch wieder hingegeben hat zum Heil der 
Melt, nahdem das Wort Zleifh und Blut angenommen hat, 
und wir müffen es nicht vergeffen, daß jebed neue Kirchenjahr 
und dazu auffordert den Herrn mit der Fülle der Gottheit, die 
in ihm wohnte, in feinem menfchlicyen Leben immer inniger zu 
begrüßen, weil wir nur burch diefe Verbindung das ewige Leben 
empfangen und in und felbft fühlen koͤnnen, daß er das Brot 





) Ebr. 23, 14. ”) Sch. 4, 24 fob. 


454 


it vom Himmel gefommen, weldes wir nım genießen folk, 
um nicht zu flerben, fondern für alle Ewigkeit in dem Be; 
deffelben zu fein. 

Und dazu, m. 9. Zr., follen und mögen alle unſere Ein 
fihten von der tiefen Kraft des göttlichen Worte und -von de 
' Erleuchtung und Erhebung unfered Geifted durch daſſelbe geſeg 
net fein, bamit wir alle durch dad Brot ded Lebens, welches di 
lein von ihm gegeben werden kann, immer mehr erftarken zu ie 
nem Preis und zu feiner Ehre! Amen. 








XXXIV. 
Am 3. Advents-Sonntage 1824. 


Tert. Joh. 6, 52 — 60. 


Da zankten die Juden unter einander und fprachen, 
Wie kann diefer und fein Kleifch zu eflen geben?! Ze 
ſus ſprach zu ihnen, Warlich, warlich ich fage euch, 
werbet ihr nicht effen dad Fleifh des Menfchen Sob: 
ned und trinken fein Blut, fo habt ihr fein Leben in 
euch. Wer mein Zleifh ift, und trinkt mein Blut, 
der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am juͤng⸗ 
ſten Tage auferwekken. Denn mein Fleifch ift die rechte 
Speife, und mein Blut iſt ber rechte Trank. Wer mein 
Fleiſch ißt und trinkt mein Blur, der bleibt in mir, 
und ich in ihm. Wie mich gefandt hat der lebendige 
Vater, und ich lebe um des Vaters willen: alfo wer 
mich ißt, derfelbige wird auch leben um meinetwillen. 
Dies ift dad Brot, dad vom Himmel gekommen iſt, 
nicht wie eure Väter haben Manna gegeflen und find 
geftorben. Wer Died Brot ißt, der wird leben in Ewig⸗ 
feit. Solches fagte er in ber Schule, da er lehrte zu 


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Kapernaum. Viele von feinen Sängern, bie das dir. 
ten, fprachen, Dad ift eine harte Rede, wer Tann ft 
bören? 


Da Evangeliſt erzählt und, m. a. Fr., als ber Erloͤſer zuaf 
dad gejagt hatte, dad Brot, welches er geben werde, das fei fein 
Sleifch, welches er geben werde für dad Keben ber Welt (8.51... 
welche Worte wir neulich fchon mit einander betrachtet haben: 
fo hätten die Juden unter einander gezanft und ge 
fragt, Wie will uns diefer fein Sleifh zu effen ge 
ben? Dad kann nun nichtd anderes heißen, ald Daß fie mi 
einander darüber ftritten, welches denn wol der eigentliche Staa 
diefer ihnen fo dunkeln Rede fei, und daß ber eine Died, ber un 
bere jened meinte. Was thut nun aber der Herr? Michts an 
bered ald daß er ihnen baffelbe wiederholt und fagt, Werber 
ihr nicht effen das Fleiſch des Menfhen:Sohned und 
trinken fein Blut, fo habt ihr kein Leben in euch, um 
alfo ihnen das nicht weiter auseinanderfezt, fondern fie nur im 
mer barauf zurüffführt, was davon abhänge, und welde 
die unmittelbaren Folgen davon fein würden, fo fie es thäten, 
oder nicht. 

Das ift die Art, m. g. Fr., wie ber Herr in foldhen Zät 
len immer zu Werke gegangen iſt. Nämlich es ift recht und in 
ber Orbnung, daß unter Chriften, unter denen, bie an bem Herm 
glauben, mancherlei Streit ift über diefed und jenes einzelne in 
feinen und feiner Jünger Worten, und baß fie ſich darüber un 
ter einander belehren, ihre gemeinfchaftlichen Einfichten und An 
fichten zufammenthun, und dadurch zu einem immer genaueren 
Verftändnig der Worte der Schrift gelangen. Hier aber fan 
ed auf ben erften Grund des Glaubens und des chriftlichen Le 
bens felbft an, und da hilft fein Streiten, fondern dad muß erfah: 
ven fein. Darum fagt der Herr von Anfeng an, Wer bieke 











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SEehre thut, der wirb inne werben, baß fie von Gott fei*). So 
Fonnte auch mancherlei Streit fein und war von Anfang an 
Darüber, ob er von Gott gefandt fei, oder nicht; bie einen bejah⸗ 
ten es, die andern nicht, und von ben beiabenden erklärten ihn 
wiederum die einen für einen Propheten, die andern für Chri- 
ftum, die andern für einen großen Lehrer. Aber da fagt er auch, 
Das muß erfahren fein, und wer ed erfährt, der werde bei ſich 
ſelbſt die unumftögliche Gemwißheit haben, daß biefe Lehre von 
Gott fei. So auch bier, als fie darüber flritten, was ed heiße 
und was er meine mit dem, bad Brot, welches er geben 
werde, fei fein Fleiſch, fo that er nichts andere, ald bag 
er fie wieberholend dazu einlub und ihnen fagte, bad fei ber 
Unterfchied: wer fein Kleifch nicht effe und fein Blut 
nicht trinte, der habe Fein Leben in ſich; wer aber 
fein Fleiſch effe und fein Blut trinke, der habe das 
ewige Leben. 

Freilich nun konnte biefe Einladung ihnen nichtö helfen, 
wenn fie nicht wußten, wie fie die Worte Chriſti zu verftchen 
hatten, und was das heiße, denn buchftäblich konnte es nicht ges 
meint fein. Aber darüber konnte der Herr ſchon aus feiner früs 
heren Rede vollkommen ruhig fein, daß fie im allgemeinen, was 
er darunter verftehe, wol wiflen Tonnten, fo jie nur auf das 
vorige gemerkt. Denn, m. g. Fr., fchon vorher hatte er ihnen 
gefagt, Das ift ber Wille dep, der mich gefandt hat, daß wer 
den Sohn fiehet und glaubt an ihn habe dad ewige Leben, und 
ih werde ihn auferwekken am jüngften Tage (V. 38. 39.). 
Konnte er alfo etwas beutlichered und zwelfmäßigered thun, ald 
daß er fie auf diefe Rebe zurüffverwied, indem er fagte, Wer 
mein Fleiſch iſſet und trinket mein Blut, der hat 
dad ewige Leben, und ich werde ihn am jüngfien 
Sage auferwekken? Daraus war ja ganz unmittelbar deut: 


”) Job. 7, 17. 


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lich, dag dies beides muͤſſe nothwendig eins und baffelbige fen. 
Den Sohn fehen und an ihn glauben, fein Fleifch effen un 
fein Blut trinken, das iſt eins und daffelbige; denn wenn « 
nicht eins und dafjelbige wäre, fo hätte der Herr nicht an jedt 
für fi) allein und ausfchließend das anknüpfen koͤnnen, daß wr 
ed thue werbe dad ewige Leben haben und von ihm am jin: 
fin Tage auferweitt werden. Wenn fie nun dad nicht verfen 
ben, was er darunter gemeint habe ald er fagte, Wer den So 
fieht und an ihn glaubt: fo hätten fie Damals nicht unter nes 
des flreiten müffen, denn fie konnten es doch nicht unter einen 
ber ausmachen, fonbern ihn fragen, was er meine unter da 
ihn fehen und an ihn glauben. Da fie ed aber nicht geihe 
hatten, fo konnte er voraudfezen, daß fie es verſtanden hate, 
und fo verwies er fie hier auf feine vorige Rede und fagt, dx 
fein Fleiſch effen und fein Blut trinken ganz daffelbige ſei, «& 
ben Sohn fehen und an ihn glauben. 

Wie ftcht es nun aber, m. g. $r. — und daß if ale: 
dingd ein Hauptpunft in dieſer Rede des Erlöfers — um NK 
Einerleiheit zwifhen jenem den Sohn fehen und an ih 
glauben, und zwiſchen diefem fein Sleifch effen und fin 
Blut trinken? | 

So fünnte man benn- fagen, Ei ihn fehen und an ihn gla: 
ben, dad verfiehen wir alle, dad heißt eben indem man ihn ſich 
ihn für den erkennen ber er ift, und fo ift es nun mitte 
fein Fleiſch effen und fein Blut trinken eben fix 
große Sache. Aber, m. g. Fr., umfonft hat der Herr gens 
Beziehung nicht jener urfprünglichen und fo einfach erſcheinende 
noch diefe zweite und Iezte, die an fich betrachtet fo ſchwierig iß 
hinzugefügt, und alfo.mögen wir nicht fo fagen: da fein glei 
eſſen und fein Blut trinken einerlei ift mit bem ihn fehen m 
an ihn glauben, und died eben eine ganz einfache und far 
Sache ift, fo hat es auch mit dem fein Sleifch effen und fat 
Blut trinken eben Feine große Bebeutung ; fondern fo viel met 








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follen wir fagen, weil der Herz eben jene Worte, Ber den Sohn 
fiehet und an ihn glaubt, durch dieſe erklären will, Wer fein 
Fleiſch iffet und fein Blut trinkt, fo muß er ed eben nöthig fin 
Den und noch ausdrüffiih und befonders in ben tieferen Sinn 
jener Worte hineinzugeleiten. 
Und das ift freilich das wahre an ber Sache, m. g. $r., 
Daß ber Auspruft an den Herrn glauben von jeher auf 
verfchiedene Weiſe ift verflanden worden, und daß eben einige 
fich weniger dabei gedacht haben, und andere mehr. Denn glaus 
.ben, bag Sefus von Gott in die Welt gefandt worden fei, glau: 
ben, bag fein Wort eine göttliche Wahrheit enthalte, das ift als 
lerdings ſchon eine gute Einleitung für den Menſchen; aber den 
Sohn fehen und an ihn glauben, fo daß dies daffelbe ift, wie 
fein Fleiſch efien und fein Blut trinken, dad ift doch noch etwas 
größered und viel mehr, ald was jeder dem gewöhnlichen Sprach⸗ 
gebrauch des Lebens nach unter jenem Worte zu verſtehen pflegt; 
und fo will der Herr fagen, daß er etwad eigenthümliches und 
größeres unter dem will verflanden willen, ihn fehen und an ihn 
glauben. Wenn wir nun andere feiner Worte zu Rathe ziehen, 
fo können wir eben den Sinn von diefen auch immer deutlicher 
verftehen. Denn er fagt in der Zolge, Ber mein Fleiſch 
ißt und trinkt mein Blut, der bleibt in mir, und ich 
in ihm. Dabei erinnern wir und fchon von felbft eines bildli« 
hen Ausdrukks des Herm, ber aud einem andern Gebiet herge: 
nommen ift, wenn er zum Beiſpiel fagt, Ich bin der Wein: 
flott, und ihr feid die Neben, bleibet in mir, fo werdet ihr viele 
Frucht bringen, wenn aber ber Rebe nicht am Weinſtokk bleibt, 
fo verwelkt und verborret er und muß hinweg genommen wer: 
den *). Das ift dad Bild einer wahren Vereinigung des Lebens. 
Der Rebe ift am Weinſtokk und im Weinſtokk, weil er feine 
Säfte und fein Leben in ſich aufnimmt, weil die Kraft deſſelben 


*) Joh. 16, 1 fob. 


460 


in ihn einflrömt, und weil er Frucht bringt, die der Rau = 
Weinſtokks gemäß ıfl; und der Weinſtokk if in dem Rdaz 
feiner belebenden und erfüllenden Kraft, und fo iſt jener m:: 
fem und biefer in jenem. Und auf Diefelbe Weiſe fagt der o 
bier durch ein andered Bild, Wer mein Fleiſch iftu: 
trinkt mein Blut, der bleibt in mir, und id in !:: 
als Erklärung der Worte, Mein Fleiſch if die rei. 
Speife, und mein Blut iſt der rechte Trank, m: 
Erklärung der Worte, Werdet ihr nicht mein Fleiſch 
fen und mein Blut trinken, fo habt ihr Kein Lei 
in euch. Dadurch giebt er alfo zu verſtehen, daß fie ine 
kennen follen ald die Quelle des eigenthümlichen umd wet:- 
Lebens, welches er hier das ewige Leben nennt, und bag: 
fo nehmen follen, daß wer fein Fleiſch ißt und fein Blut re“ 
dad ewige Leben habe, wer aber nit, gar Eein Leben in "- 
trage, woburd er deutlich zu verftehen giebt, daß jedes an 
in ihm feinen Grund nicht habende Leben für gar kein ie 
zu nehmen fei, daß aber dad in ihm ruhende und von ihm = 
getheilte Leben uns jedes andere Leben, welches nicht von it= 
kommt, fo zuwider made, wie dem natürlichen Menſchen? 
Ermangelung deffelben der Tod zuwider if. 

Und fo mögen wir fagen, Dad allein iſt der rechte Slaxx 
an des Menfchen Sohn. Wenn der Evangelift im Anfanzı x 
ned Evangeliumd fagt, Das Wort warb Fleifch und wohnt z= 
ter und, unb wir fahen feine Herrlichkeit, eine SHerdidtit «: 
des eingebornen Sohnes vom Water voller Gnade und Bi 
heit.*): fo hat er damit eben biefen Glauben ausgefprode == 
gefagt, was ed ihm und den Genoffen feines Glaubens geht 
habe, den Sopn fehen und an ihn glauben Dete 
lichkeit deö eingebomen Sohnes vom Water, das ift bad Fre. 
neben welchem fein andereö mehr für ein Leben zu rechne 3 





”, 209. 1, 14. 





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Die Fülle der Gnade und Wahrheit in ihm, das ift ber Schaz 
ind dad Kleinod bed Lebend. Diefes fehen und erkennen und 
elbſt von diefem Leben fo viel als möglich in ſich aufnehmen 
und fi von bemfelben nähren wollen, bad, m. g. Fr., ifl eins 
und daffelbige. Und das ift es auch, was ber Erlöfer hier ſagt, 
ſein Leben follen wir in uns ziehen und aufnehmen, dann würs 
ben wir felbft auch Leben haben, nämlich das ewige Leben. Und 
wenn er vorher gefagt hat, Das Brot, weldes ich geben 
werde, ift mein Zleifch, was wir und in dem Zufammens 
bang der Worte fo erklärt haben, daß und dad göttliche und 
himmliſche in dem Erlöfer nicht anders zu Theil werden kann, als 
Dadurd, daß er Fleifh und Blut angenommen bat und Menſch 
geworben ift wie wir im Zufammenhange feiner menfchlichen Na⸗ 
tur: fo heißt es auch hier, in feinem menfchlichen Leben und 
Wirken und Reden follen wir dad göttliche erfennen und in uns 
aufnehmen. Das heißt fein Fleifch eflen und fein Blut trinken, 
und das iſt die Bedingung, an welche er den Befiz bed ewigen 
Lebens knuͤpft, und dad heißt den Sohn fehen, ihn fehen und 
erfennen als ben eingebornen Sohn vom Bater und an ihn 
glauben. " 

Daſſelbe erklärt er nun auch unmittelbar darauf auf eine 
andere Weile, indem er fagt, Wie mich gefandt hat der 
lebendige Vater, und ich lebe um des Vaters willen, 
alfo wer mich iffet, derfelbige wird auch Leben um 
meinetwillen. 

Wenn wir diefe Worte recht überlegen, m. tb. Fr., fo wirb 
einem jeden, ber fie aufmerkſam lieft, etwas daran zu fehlen 
feinen. Denn wenn ber Herr zuerft fagt, Wie mid ge 
fandt hat ber lebendige Vater, und ich deswegen, 
weil er mich gefandt hat, lebe um des Waters wils 
len, fo follte man denken, werde er nachher indem er fagt, Wer 
mich iffet, derfelbige wird leben um meinetwillen, 
er werde fagen, alfo auch wen ich fende, der wird leben um 


462 


meinetwillen; flatt deſſen aber-fagt er, Wer mich iffet, be 
wird leben um meinetwillen, Nun hatte er aber vorher geſagt, 
Wer mein Kleifch iffet und trinket mein Blur, der 
bleibt in mir, und ich in ihm; feine Meinung ift alſo dick, 
wer in ihm bleibt, und er in ihm, der werde leben um feine 
willen. Aber eben fo ift auch das gemeint, wenn er fagt, Wie 
mich gefandt hat der lebendige Bater. Denn fo brüfft 
er ja anderwärtd fein Werhältnig zu dem Water aus, ba « 
und ber Water eins fei ”), und bittet, indem er feine Juͤnge 
und die durch ihr Wort an ihn gläubig werden feinem Baier 
empfiehlt, daß er eben fo möge in ihnen bleiben, und jie in ihm, 
wie er felbft der Sohn in dem Vater, und der Vater in ihm”). 
Nicht alfo will er fo angelehen werden ald ein von Gott ge 
ſendeter, wie jebed andere Werkzeug Gottes ald von Gott in bie 
Welt gefandt angefehen werden kann; fonden auf eine digen 
thuͤmliche Weife als der, in welchem ber Vater felbft war, als 
der, in welchem die Fülle der Gottheit wohnte, und der in nicht⸗ 
anderem lebte ald in dem Water, deſſen Wort in fich tragert, 
aber eben deöwegen auch erfüllend, deſſen Willen ausübend, aber 
eben deswegen auch den Menfchen offenbarend. Und eben biefe 
fein. Leben unter den. Menfchen mit der Fuͤlle der Gottheit in 
ibm, das war fein gefendet fein vom Water. Eben fo fagt er, 
Wer in mir bleibet, und ich in ihm, wer eben fo mein Leben in 
ſich trägt und neben dem menſchlichen, "was er von mir aufge 
nommen hat, auch dad göttliche in fich trägt, weil beides im den 
menfchlichen Worten und Werken nicht zu trennen iſt: der if 
- auch fo von mir gefendet und muß meinen Willen erkennen und 
in Wort und That auöfprechen, eben fo wie ich als der vom 
Vater gefendete feinen Willen erkenne und in meinem menſchli⸗ 
hen Leben barftelle; er ift von mir gefendet wie ich von dem Ba 
ter, und fo mie ich eben deshalb um feinetwillen lebe, To munf 


*, Joh. :10, 30. 








463 


ch er leben um meinetwillen, weil ich die Kraft feines Les 
nd audmache, weil er mich erkennt, und weil durch ihn der 
ttlihe Wille an dem menfchlichen Geſchlecht, wie ich ihn ofs 
abart habe, eben fo fol erfüllt werden, wie durch mein Des 
n auf Erden der ewige Wille Gotted an dem menfchlichen - 
efchlecht, den ich felbft fchaue und in mir trage, ift erfüllt 
orben. " 

And fo fehen wir, m. g. $r., den Sohn fehen und an ihn 
‚auben, fein Fleiſch effen und fein Blut trinken, in ihm bleis 
en wie er in und, von ihm gefendet fein und in feinem Na- 
ven, um feinetwillen oder für ihn leben, das alles iſt eins und 
affelbige, eins ift von dem andern nicht zu trennen, das eine 
ann ohne bad andere nicht beftehen. 

Und dad, m. g. Fr., iſt gewiß auch für und alle ber rechte 
rfreuliche und erhebende Adventögedanfe, die inzerfle Freude an 
em gefendeten Erxlöfer, dad iſt es, worein wir und aufs neue 
nit dieſer Dankbarkeit gegen Gott und gegen unfern Herm und 
Meifter verfenten, daß wir fein geiftiged emwiged Leben in und 
yaben, daß wir ihn fehen und an ihn glauben, daß wir und 
von ihm und aus ihm nähren, und daß wir in ihm bleiben, und 
x in un. 

Aber nicht fo lautete e8 hier. Denn nachdem ber Herr jene 
Worte gefprochen hatte und nun wieder zu dem Anfang feiner 
Rede zurüßffehrte, welche fich daran geknüpft hatte, daß die Ju⸗ 
den zu ihm fprachen: Was thuft du für ein Zeichen, auf daß 
wir fehen und glauben, wie Mofed ein Zeichen gethan unfern 
Vätern und ihnen dad Manna gegeben in der Wuͤſte, wie ges 
ſchrieben ftehet, Er gab ihnen Brot vom Himmel zu effen (V. 
30 fgd.), ald er nun zu dem Anfange feiner Rede zuruͤkkkehrte 
und ihnen noch einmal den großen Unterfchieb zwifchen dem eis 
nen und dem andern and Herz legte und ihnen fagte, bad um 
meinetwillen leben und in mir bleiben, das ift das Brot, wels 
ches vom Himmel gekommen ift, nicht wie eure Vaͤter haben 





46% 


Manna gegeffen und find geflorben, wer dies Brot iffet, der 
wird leben in Ewigkeit: da fagten viele feiner Juͤnger, die des 
hörten, das ift eine harte Rede, wer kann fie hören. 


Und dies, m. g. Fr., kann nun nicht ander als und be 
trüben, daß dasjenige, was und und allen, die ed erfahren ba: 
ben, das erfreulichfte und herrlichfte ift, daß dasjenige, morein 
man fih, wenn man ed einmal erfahren hat, fo vertieft und 
verfenkt, daß man nicht fo bald aufhört fich darüber zu wundern, 
wie ed möglich ift, wie Doch fo vielen Menfchen der Sinn dafür nit 
fann aufgehen, daß dies fchon fo vielen feiner Jünger damald 
eine harte Rede war, daß fie fagten, Wer kann fie hören, wer 
fann das verftehen, wer Tann fich daran halten? 


Moher kam das? Eben weil ber Erlöfer feine Rede be 


ſchloß mit jener Vergleichung zwiſchen fih und dem, was a 
zu geben gelommen fei, und dann auf der andern Seite zwiſchen 


dem, was Mofes feinem Volke gegeben hatte, fo wurde es ihnen 
—dadurch zu einer harten Rede. Nämlih durch Moſes feinen 


Knecht hatte der Herr das Volk aus Aegypten geführt, wo es 
fih. in einem Zuftande äußerer Dienftbarfeit und Unterbrüffung 


. befand, und ihnen gegeben ein eigned Land, welches fie als 


freie Bürger bewohnen und bearbeiten follten, und worin fie fid 
ber großen Barmherzigkeit und Güte Gotted erfreuten. Dieſer 
Zuſtand hatte fich hernach noch weiter entwikkelt und war kraͤf— 
tig hervorgetreten, und ed hatte eine herrliche Blüthe des Bol: 
kes gegeben in jeder menfchlichen Beziehung. Nachher aber wa: 
sen fie wieder von diefem Gipfel des Lebens berabgejunfen und 
unter eine fremde Gewalt gefommen, und nad einer Zurzen 
abermaligen Freiheit befanden fie fih nun aufs neue in einem 
ähnlichen Zuftande der Dienftbarfeit und der Unterdrüffung, wie 
ber in Aegypten geweſen war. Wenn fie nun bie fchönen Ver 
beißungen der Schrift laſen und ihre Aufmerkſamkeit richteten 
auf ben, der da kommen follte und jezt ſchon mitten unter ih 





465 


ten war, wenn fie lafen, ex werde fizen auf bem Stuhle feis 
rer Herrſchaft *): fo fanden fie in biefer Verheißung nur auf 
irre ähnliche Weife Die Hinbeutung auf eine Befreiung von dem 
Joche ber äußern Knechtſchaft, unter welchem fie feufzten. Nicht 
als ob die edlen und beffern unter ihnen nichts anderes gefucht 
und ermartet hätten von diefer in ben heiligen Schriften vorge: 
bildeten Zeit des Meffiad, ald Reichtum und die dußern Guͤ⸗ 
ter des Lebens; fondern das glaubten fie, dag mit dem Zuruͤkk— 
kehren bed innerften Wohlfeind auch die aͤußere Kraft reicher und 
fchöner ſich entfalten werde, baß fie dann in dem Beſiz bed in⸗ 
nern Friedens auch mit immer mehr Außerer Ruhe würden for: 
ſchen koͤnnen in den Tiefen ber Schrift, daß ihnen dann alle 
Worte ber Männer Gottes, die zu ben Zeiten ihrer Vaͤter geres 
Det hatten, wieber würben lebendig werben, unb daß fie durch 
Die Worte bed Herrn, ber fich ihrer fo liebreich angenommen, 
aufs neue würben belebt und geftärft werben. Aber abgefondert 
Das eine von dem andern fonnten fie nicht denken, und die Treue 
Gottes gegen fie war ihnen vorzüglidy darauf gerichtet, baß er 
Die Verheißung, welche er dem Abraham gegeben, fo erfüllen 
würbe, wie fie ed dachten. Nun aber ftellt der Herr beibed ein» 
ander gegenüber und fagt ihnen, alle jene Einrichtungen, bie 
fhon aus ben früheften Zeiten bed Volks herlämen, wären nur 
getroffen worden für bad vergänglihe und aͤußere Leben ber 
Menſchen: das Zeichen, welches ihnen ber Herr durch Moſes ges 
geben, indem er fie in ben Zeiten bed Mangels auf ihrem Zuge 
durch bie Wuͤſte auf eine außerordentliche Weife fpeifte, das 
Eönne ihnen deutlich zeigen, bag auch Dad Gefez, welches ihnen in 
jenem Zuftande gegeben wurde, eben nur gegeben fei für einen 
äußern hülfsbebürftigen Zuftand und um fie in der freilich un» 
ter ihnen allein berrfchenden und fie von allen andern Voͤlkern 
unterfheibenden Erkenntniß Gottes zu erhalten, und fie baburch 





9». 45, 7. & 110, 1. Ebr. 1, & 18 
Som. aͤb. Ev. Joh. I. Gg 


466 


auf etwas Hoͤheres vorzubereiten. Aber etwas anbered fei es 
mit dem Brot vom Himmel gefommen und mit bem ewigen 
Leben, welches er allein ihnen geben könne. Dadurch wurbe if 
nen nun einigermaßen wenigftens in ihrer Seele Mar, bag ba 

- ganz unabhängig fein follte von der Verfhönerung bed äußern 
Zuftandes, und daß der Menf in allem Ueberflug und in aller 
Herrlichkeit des irbifchen Lebend eben fo wie in dem Zuflande 
des Mangeld und der äußern Niebrigkeit das ewige Leben ba 
ben und ſich befielben erfreuen Tonne. Aber daß fie durch bem, 
der fich ihnen als das lebendige Brot vom Himmel Darftellte, 
nicht wieder aus dem Zuftande ber aͤußern Dienftbarkeit, in wei 
chen fie von neuem gerathen, befreit und in jenen glüfffeligen, 
auf welchen ihre MWünfche gerichtet waren, verfezt werben follten 
neben dem Beſiz ded ewigen geifligen Lebens, welches er ihnen 
anbot, eben dad war ihnen eine harte Rede, und fie fprachen, 
Ber kann fie hören! - 

Aber freilich, Die das thaten, Die waren auch nicht in dem⸗ 
felben Sinne und Grabe feine Sünger wie die zwölf, an welche 
er hernach die Frage richtete und von ihnen die Antwort erhielt, 
bie wir nächftend zum Gegenftand uuferer Betrachtung machen 
werben. Denn biefe waren bahin gekommen, daß fie nicht3 an 
bered von ihm begehrten, al& bie Worte bed Lebens, und von 

y nichts anderem fich nähren wollten und nichts anderes fuchen, 
ald diefe. Jene aber die fuchten zwar das geiflige — benn be} | 
merkten fie wohl, daß das bei Chriſto dad Erfle und Weſentücht 
fet — aber doch nur um bes Teiblichen willen und in Beziehung 
auf daffelbe. Aber jedem, ber das thut, wirb e3 eine harte Rede 
fein, wenn ihm gefagt wird, er fole um des Herm willen le⸗ 
ben und fich feiner freuen, eben fo in dem Zuſtande des Gluͤk 
kes und der Herrlichkeit, ald in dem Zuftande ber Widerwärtig: 
keiten, der Leiden und Zrübfale, wie ber Apoftel freilich es ber: 
nach jagen konnte, daß das Alles und nicht fcheiben Tönne von 








467 


der Liebe Gottes in Chrifto *); aber der, welcher bavon noch 
nicht Iosgefommen ift, daß er dad ewige und geiflige haben will 
um des leiblichen willen, Dem bleibt ed eine harte Rebe, daß er 
das emige haben ſoll allein im Gemüthe ohne alle Beziehung 
auf das vergängliche und irbifche, und baß aller Unterfchied zwi— 
(chen beiden für ihn nicht mehr ba fein fol, ſondern völlig vers 
fchmwinden. Und doch iſt dad die rechte Freude an dem ewigen 
Leben, welched der Herr uns erworben hat, auch damals, ald er 
Litt und fein Leben für bad Heil der Welt dahin gab, und wel: 
ched wir bei aller Verachtung der Welt wie bei aller Bewunde⸗ 
rung ber Menfchen auf die gleiche Weiſe genießen koͤnnen. So 
Hat denn nur ber bad Leben in fi, und lebt um des Herrn 
‚willen, ber von aller Sorge für bad irdifhe und von allem 
Streben nah bem irbifchen frei geworden ift, der in der That 
und Wahrheit fagen kann, daß er allein dem Herm anhängt und 
für ihn allein lebt, daß es für ihm weiter Feinen andern Gegen⸗ 
fand des Beftrebend giebt, ald das ewige Leben rein zu genie 
Sen, welches der Herr giebt, daß er dagegen alled andere für 
Schaden achtet, fo er nur Chrifium gewinnen kann **), und dag 
ihm darüber alled andere gleichgültig ift, das eine wie bad andere. 
Daß jened nun Feinem unter und eine harte Rebe fein 
möge, fondern die fchöne Feflfreude, zu welcher wir und in bie 
fer Zeit vorbereiten, und daß wir ed immer mehr fühlen, und 
inne werben mögen, wie darin allein bad ewige Leben befteht, 
welches wir haben im Glauben an den Sohn Gottes, dad gebe 
er und verberrliche fich dadurch immer mehr an und allen ald 


der eingeborne Sohn vom Water voller Gnade und Wahrheit! 
Anen. 


”) dm. 8, 35. 39. N Phil, 3, 7- 8. 





9 2 


XXXV. 
Am 1. Sonntage nach Epiphanias 1825. 


Text. Joh. 6, 61 — 71. 


Da Jeſus aber bei fich ſelbſt merkete, daß feine 
Juͤnger darüber murreten, fprach er zu ihnen: Aergert 
euh bad? Wie, wenn ihr benn fehen werdet dei 
Menfchen Sohn auffahren dahin, da er vor wart Der 
Geiſt iſt's, der da lebendig macht, das Zleifch ift Fein 
nüze. Die Worte, die ich rede, die find Geift und find 
Leben. Aber ed find etliche unter euch, die glauben 
nicht. (Denn Iefus wußte von Anfang wohl, welche 
nicht glaubend waren, und welcher ihn verrathen würde) 
Und er ſprach, Darum habe ich eud) gefagt: Niemand 
fann zu mir kommen, ed fei ihm denn von meinem 
Vater gegeben. Bon dem an gingen feiner Jünger 
viele hinter fi und wanbelten hinfort nicht mehr mit 
ihm. Da fprach Jeſus zu den Zwölfen, Wollet ist 
auch weggehen? Da antwortete ihm Simon Pen, 
Herr, wohin follen wir gehen? Du haft Worte des 
ewigen Lebens! Unb wir haben geglaubet und ex 





469 - 


kannt, daß du biſt Chriftuß, der Sohn des lebendigen 
Gottes! Jeſus antwortete ihm, Habe ich nicht euch 
Zwölfe erwählet? Und euer Einer iſt ein Teufel! Er 
redete aber von dem Juda Simonid Iſcharioth; ders 
felbige verrieth ihn hernach, und mar ber Zwölfen 
Einer. 


M. a. Er. Der erfle Eindrußt, der und zurüffbleibt, nachbem 
wir diefe Worte gelefen, if gewiß die Wehmuth über das ers 
bältmiß des Glaubens und bed Unglaubend zu der Zeit, als ber 
Herr felbft auf Erden lebte und die Worte des Lebend verkuͤn⸗ 
digte. Nach diefer Rede, die und fo lange befchäftigt hat mit 
ihrem gewichtigen Inhalt, gingen viele feiner Jünger 
Hinter fih und wandelten nicht mehr mit ihm, und 
der Here erflärte died auch, indem er fagte, Ich weiß wohl, 
e8 find etliche unter euch die glauben nicht. Und nicht 
nur in dem großen Haufen berer, die mit dem Herm wanbelten 
und ihn begleiteten, um feine Worte zu hören, fondern auch in 
dem Meinen Kreife dee Erwählten finden wir Einen, der ben 
Unglauben der Menge theilte, um fo gefährlicher, ald ex dem 
Hern näher ftand. 

Es ift alfo wol natürlich, m. g. Fr., und zu fragen, was 
hatte diefe Rede des Herm wohl in fich, was fie veranlaffen 
Fonnte, zu murren über den Herrn und ihn zu verlafien? Das 
tönnen wir am beften aud dem merken, was und in ben Wor: 
ten des Herm ſelbſt gefagt wird, Aergert euch das? d. h. 
werdet ihr baran irre? wie wenn ihr denn ſehen werdet 
des Menfhen Sohn auffahren dahin, wo er zuvor 
war. Nun follten wir freilich denken, m. g. Fr., alles, was 
ber Herr ihnen hier fagte und worin er die Menfchen zur innig« 
ſten Vereinigung mit ihm einlabet, daburch, daß er bad Brot 
des Lebens fei und daß, wenn fie fich von ihm nährten, fie das 
ewige Leben haben würden — alles dies feien ja die fchön- 


470 


fien, füßeften und für den Menfchen erfreuendfien Verheißungen 
und Einladungen, und bennoch follten diefe die Menſchen irre 
gemacht haben? Und wie nun weiter, wenn fie ded Menfchen 
Sohn würden fehen auffahren dahin, wo er zuvor war? Das 
war ja feine größefte Verherrlichung, woraus fie die größte Si: 
cherheit hatten, daß er von Gott gekommen feiz wie follen fie 
benn daran ine werden? 

Offenbar hängt bad fo zufammen: bie taufenbe, bie fich in 
ber Wuͤſte um den Herren verfammelt hatten, wollten fogleich ihn 
zum König audrufen, er aber verbarg fich vor ihnen; als fie ihn 
nun am folgenden Tage in Kapernaum fanden, wo er bick 
Rede hielt, da hatten fie ihn gefragt, was er für ein Zeichen 
thäte, auf daß fie an ihn glaubten, und wollten alfo immer nad 
eine nähere Verbindung zwifchen ihm und fich fliften. Wenn fie 
nun ie wurden an feiner Rebe, fo muß bad, was fie beabfid- 
tigten, anderer Art gewefen fein, als was ber Herr ihnen fagte. 
Es waren bie irdifhen Erwartungen, bie fie vom Herm hatten, 
welche fie unfähig machten, den geiftigen Inhalt feiner Mebe zu 
faffen. Und zumal zulezt hatte der Here in bildfichen Ausbrüf: 
Ben ihnen deutlich gezeigt, wie fein Reich ein geifliges fi. Wen⸗ 
ihr nun murt, fagt er, und euch in meine Rebe uicht finden 
Eönnt, fo werdet ihr den Schluß machen, ich denke zwar jezt 
nicht an ein irbifches Reich, und werdet hoffen, es folle doch in 
der Solge noch geſchehen; und wenn ihr mich dann werdet heim 
gehen fehen ohne weitere Außere Anftalt, fo werbet ihr voͤllig 
irre werden an mir. Woher kommt bied aber? Daher, daß 
ihr nicht glaubt. 

Der Here erklaͤrt fi) nun noch näher in den Worten, Der 
Geift iſt ed, Der da lebendig macht, das Fleiſch ift Fein 
. nüze. Die Worte, die ich rede, find Geift und Leben. 
Geiſt und Fleiſch fezt die Schrift immer einander gegenüber, 
fo auch in dem Gefpräh Chrifti mit Nilobemus; ba iſt ber 
Geiſt alles, wad in den Menfchen kommt von oben, und alles 








471 


irbifche ift Fein nuͤze, deßhalb fei er nicht gekommen, es zu bes 
zwekken. 

Nun ſcheint uns dies aber weniger fuͤr uns, als fuͤr die da⸗ 
maligen Menſchen geredet worden zu ſein; wir wiſſen, daß ſein 
Reich nicht von dieſer Welt ſei, wir wiſſen, wie beides geſondert 
werden muͤſſe nach dem Willen des Herrn, geiſtliches und welt⸗ 
liches Regiment, Kirche und buͤrgerliche Geſellſchaft, damit die 
alte Unordnung nicht wiederkehre. Aber dennoch gilt dies Wort 
auch fuͤr uns alle; denn je mehr ſich der Glaube an den Herrn 
vergroͤßert hat, je groͤßer die Anzahl der Glaͤubigen geworden iſt, 
um ſo noͤthiger iſt eine aͤußere Ordnung des Gottesdienſtes und 
der heiligen Handlungen. Was ſind aber alle dieſe aͤußeren, 
ſchoͤnen Anordnungen anders, als das Fleiſch? Die geiſtliche 
Mittheilung und Erfriſchung des Lebens, die der Herr zubereitet 
hat, iſt der Geiſt, alles andere Fleiſch und kein nuͤze. Wie 
geſchieht es aber noch immer, daß ſo viele, die ſich Chriſten nen⸗ 
nen und zu ſein glauben, an aͤußeres ſich haͤngen und mehr Werth 
darauf legen, als der Herr gewollt hat! Nur wo der Geiſt Got⸗ 
tes ift, ſagt der Apoſtel iſt Freiheit *); wo aber Freiheit iſt, da 
iſt auch Friede. Alle aͤußeren Anſtalten ſind nothwendig fuͤr das 
Leben als Mittel eines hoͤheren, doch haben ſie keinen Werth 
in ſich, das Fleiſch iſt kein nuͤze. Und wie die lezten Worte 
unſers Herrn vom eſſen bed Fleiſches und vom trinken feines 
Blutes und ganz natürlich die Einfezung feined Mahles, deſſen 
wir und fo oft in treuer Liebe zum Heiland erfreuen, in Erin: 
nerung bringen: fo müffen wir benfelben Ausfpruch des Herm 
boch auch darauf anwenden. Iſt der Geift nicht babei, wie ber 
Her es will von feinen Gläubigen, fo find auch die dußeren 
Zeichen Fein nuͤze. 

Aber aud) noch mehr; alles, was die menfchliche Vernunft, 
womit Gott von Anfang an ben Menfchen außgeflattet hat, her⸗ 





9 2 Kor. 8, 17. 


472 


vorbringen Tann, was feinem Weſen nad Gef ift, und wo 
Geiſt und Fleiſch nicht weiter in Kampf treten, ift doch, vergli 
hen mit jenem Geifte, den ber Herr gebracht hat, auch nur 
Fleiſch. Aber wie viele giebt ed nun nicht, bie, wenn fie ben 
Grund ihrer Ueberzeugung von der Wahrheit ded Chriſtenthums 
angeben follen, babei ftehen bleiben, daß fo vieles ſchoͤne und 
edle, was die menfchliche Vernunft in dem Menfchen bervorbringt, 
von dem Chriftenthume fei gehegt und gepflegt worben, und bei 
halb freuen fie fi) auch, Chriften zu fein und wünfchen bie Er 
haltung des Chriftentbumd bis and Ende. Aber von bem Frie 
ben in Gott, der innigen Liebe zu Chrifto und der reinen His 
gebung an fein Werk bleiben fie fern. Allen diefen müffen wir 
mit dem Herm zurufen, Das Fleiſch iſt Fein nüze, der 
Geift ift ed, der lebeudig macht; alle diefe fommen- leicht 
in ben. Sal, ſich zu ärgern, weil fie nicht an ihn glauben 

Wenn ber Herr nun fortfährt, Die Worte, bie ich rede, 
find Geiſt und Leben, fo haben wohlmeinende Chriften das 
fo verficehen wollen, ald wolle der Here und hier ausſchließlich 
auf feine Lehre hinweifen, und unter ber Lehre wirb dann 
wieder bad gemeint, was bie menfchliche Vernunft und das 
menfhlihe Gewiffen und fchon giebt und was auch ander: 
wärtd ſchon hervorgetreien iſt. Diefe Lehre aber, die ber Hen 
in einzelnen Audfprüchen mitgetheilt hat, meint er doch nick, 
fondern den Inhalt der Rede, die er eben beichloflen hat. Das 
war aber die Einladung bed Herrn zur innigen Biv 
einigung mit ihm, zur Gemeinfchaft, wo er erfcheint als ber 
Weinſtokk und wir als die Neben; dab iſt ed, mad er meint. 
Nämlich wie dad Zleifch Fein nüze ift, fo ift in dem Geifte im: 
mer etwad lebendiges; Geift und Leben, Geiſt von oben und 
himmliſches Leben ift ein und baffelbe, und wenn der Herr fast, 
feine Worte feien Geift und Leben, fo hat dies einen zwiefa⸗ 
hen Sinn: in biefen Worten babe ich euch dargeboten ba3 
ganze geiflige Leben, im Gegenfaz des zeitlichen und ver: 


473 


nglidyen Lebens, und mich ald bie einzige Quelle des geiftigen 
bend. Das andere ift died, bag dieſe Worte nicht blog 
eh re find, nicht bloß Buchſtaben, fondern zugleich Traͤger des 
‚eiftes, Der in mir wohnt, ber innigen Liebe, die ich zu euch in 
ir trage; fie bringen euch fehon, und verheißen nicht nur, was 
h euch gebe, und wenn ihr fie wirklich aufnehmt, fo entzünder 
ch in euch bie Liebe, die ich euch mittheilen wid. Der Mittel: 
unkt aller Lehren bed Herm ift doch immer dad Eine von ber 
dothwendigkeit und Heilfamkeit einer Vereinigung ber menfchli: 
ben Seele mit ihm; bad ift das Wort, welches Leben ift, da⸗ 
on muß der Glaube audgehen. 

Doch als der Herr merkte, baß viele feiner Jünger hinter 
ich gingen, und er die anderen fragte, Wollt ihr aud weg 
zehen? ba antwortete Petrus in ihrer aller Namen: Herr, 
wohin follen wir geben, bu haſt Worte bed ewigen 
Lebens, und wir haben geglaubt und erfannt, bag 
bu bift Chriſtus, der Sohn des lebendigen Gottes, 
und giebt ihm damit eben jene Worte zurüft, aber als feine eis 
genen und als feine gewiffe und theure Erfahrung, bie fein gan 
zes Leben beflimmte; und um ihm dies zu beweifen, fezt er das 
Bekenntnis feines Glaubens noch hinzu, Alfo ben Glauben 
an die Worte Chrifti, an bad Verhaͤltniß, welches er mit Gott 
hat, und an bie baran haftende Beſtimmung, dad gab er ihm 
kund als das in Ihm angezündete Leben. 

Der Zufland der Sünger war aber damald noch fehr uns 
vollkommen; fonft hätte der Eine unter ihnen, von dem ber 
Herr fagt, er fei ein Teufel, nicht unter ihnen bleiben koͤnnen; 
fonft hätte der Here nicht in ber Zolge fagen können, Ich habe 
euch vieles zu fagen, aber ihr könnt ed noch jezt nicht tragen *). 
. Aber dennoch ift dad Zeugniß, das Petrus hier von fich ablegt, 

dasjenige, was jeber im innerſten Grunde bed Herzens muß nach» 





*) 300. 16, 19. 


474 


forechen Binnen, wenn bie Worte des Herrn Leben in ihm find, 
und er es verfianden hat, daß Chriſtus von Gott gefanbt ſei, 
das Brot des Himmeld zu bringen. Haben wir biefen Glaus 
ben gefunden-und wollen wir zu keinem anderen mehr hingehen, 
old zu ihm, haben wir ben Geſchmakk gewonnen in ber Liebe 
zu ihm, fo bat ed mit dem anderen Feine notb, und baraus wirb 
fi alles andere entwikkeln. Je mehr wir ihn erfennen, deſto 
mehr find wir fein, defto mehr find wir beflimmt zur Vereini⸗ 
gung mit ihm. So wir aber in ihm bleiben, wirb auch bad 
Wort des Heren an und wahr, So ihr in mir bleibt, werbet ihr 
viel Frucht bringen *), Aus nichts andrem keimen alle Fruͤchte 
des Geifted im Menfchen hervor und reifen zu immer größerer 
Vollkommenheit, ald aus ber Vereinigung mit Chriſto; je imi⸗ 
ger dieſe aber ift, deflo mehr waͤchſt in und dad Leben des Ge: 
ſtes, und wir lernen das Fleiſch gering achten gegen die Dem 
lichkeit des Lebens in Chriſto. 

Aber auch das bieibt noch, was ber Herr in feinem kindlich 
ergebenen Sinne fagte, Niemand Bann zu mir fommen, 
ed fei ihm denn von meinm Water gegeben. Damit 
teöftete fich der Here über dieſe Mifchung bed Glauben und 
Unglaubend, Meint er beöwegen, dag diefe ganze herrliche Rebe 
gänzlich verloren ſei? Gewiß nicht; fondern indem er fagt, 
Niemand kann zu mir kommen, ed fei ihm denn von meinem 
Vater gegeben, fo weiß es doch zugleich, daß ihm alle Gewalt 
gegeben fei im Himmel und auf Erben und dag am Ende id 
alle Menſchen vor ihm. beugen follen **), und glaubte gewiß 
nicht, daß irgend eined feiner Worte verloren fein könnte ober 
leer zu ihm zuruͤkkgehen würde. Er meint alfo wol hier, Nie 
mand kann eher zu mir fommen, ald bis feine Stunde gekom 
men iſt; der eine braucht mehr, der anbere weniger Zeit, bis daß 
die harte Rinde feines Herzens gebrochen ift und die Worte be 


Joh. 15, 5. “*) Math. 28, 18. Phil. 2 10. 











475 


Herm eindringen duch Mark und Bein. Aber vdergeblic find 
feine feiner Worte, alles wirkt früh oder ſpaͤt, um dad Leben 
feftzuhalten, dad er gegründet hat. Wenn nur das Häuflein der 
Gläubigen, mit Petro fagend, Herr, wo follen wir hinge 
ben, du haft Worte des ewigen Lebens, immer fefthält 
an ben Worten ded Herrn, daß dad Zleifch Fein nüze fei und 
nur ber Geift lebendig mache; wenn fie fi) nur immer mehr vom 
Außerliyen los machen und auf nicht3 andered Werth ſezen, als 
auf die Reinigung des Lebens in Chriſto: dann werden auch 
wieder zur Beſinnung kommen, die hinter ſich gegangen ſind, 
und auch ſie einſt im Glauben an Chriſtum das ewige Leben 
haben! Amen. 


I rarv of the ' 
UNION THEOLOGICAL SEMINARY 


New York 


\ : 6 








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