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^cxÄ 7Ö .^'* ^
S&arbarb College üirarg
FROM THE BECyjEST OF
JAMES WALKER, D.D., LL.D.
(Class of z8z4)
FORMER PRESIDENT OF HARVARD COLLEGE
** Preference being given to works in the
Intellectual and Moral Sciences"
^
Function und Begriff.
Vortrag
gehalten in der Sitzung vom 9. Januar 1891 der
Jenaischen Gesellschaft für Medicin und Naturwissenschaft
von
Dr. G. Frage
Professor an der Uiiiversitiit Jona.
Jena,
Verlag von Hermann Pohle
Grossh. Hofbuchdrucker
1891.
/A<iitU7o.4-.?
'xv-
^-^^^
I A' 211913
Tonzirort
Ich gebe hiermit einen Vortrag gesondert
heraus in der Hoffnung, dass er so einige Leser
finden werde, denen er unter den Abhandlungen
der Jenaischen Gesellschaft für Medicin und Natur-
wissenschaft unbekannt bleiben würde. Es ist meine
Absicht, in nächster Zeit, wie ich schon früher
angedeutet habe, darzulegen, wie ich die grund-
legenden Definitionen der Arithmetik in meiner
Begriffsschrift ausdrücke, und wie ich daraus Be-
weise allein mit meinen Zeichen führe. Für diesen
Zweck ist es mir von Werth, mich auf diesen Vor-
trag berufen zu können, um nicht genöthigt zu sein,
mich dort in Erörterungen einzulassen, die viel-
leicht Manchen als nicht unmittelbar zur Sache
gehörig missfallen würdfen, von Anderen hingegen
vermisst werden könnten. Mein Vortrag wendet
sich, wie es der Ort mit sich brachte, nicht nur
an Mathematiker; und ich habe mich einer so all-
gemeinverständlichen Ausdrucksweise zu bedienen
gesucht, als es die verfügbare Zeit und der Gegen-
stand zuliessen. Möge denn hierdurch in weiteren
Kreisen der Gelehrten, insbesondere auch bei Lo-
gikern, Interesse für die Sache geweckt werden.
Vc
or längerer Zeit^) hatte ich die Ehre, in
dieser Gesellschaft über das Ganze von Bezeich-
nungen vorzutragen, das ich BegriflFsschrift genannt
habe. Heute möchte ich nun diese Sache von
einer anderen Seite her beleuchten und einige Er-
gänzungen und neue Fassungen mittheilen, deren
Nothwendigkeit sich mir seitdem ergeben hat. Es
kann sich dabei nicht um eine vollständige Dar-
legung meiner BegriflFsschrift, sondern nur darum
handeln, einige Grundgedanken ins Licht zu setzen.
Ich gehe von dem aus, was in der Mathematik
Function genannt wird. Dieses Wort hat nicht
gleich anfangs eine so weite Bedeutung gehabt,
als es später erlangt hat. Es wird gut sein, unsere
Betrachtung bei der ursprünglichen Gebrauchs-
weise zu beginnen und erst dann die späteren Er-
weiterungen ins Auge zu fassen. Ich will zunächst
nur von Functionen eines einzigen Arguments
sprechen. Ein wissenschaftlicher Ausdruck er-
scheint da zuerst in seiner ausgeprägten Bedeu-
tung, wo man seiner zum Aussprechen einer Ge-
setzmässigkeit bedarf. Dieser Fall trat für die
1) Am 10. Januar 1879 und am 27. Januar 1882.
1
— 2 —
Function ein bei der Entdeckung der höheren
Analysis. Da zuerst handelte es sich darum, Ge-
setze aufzustellen, die von Functionen im Allge-
meinen gelten. In die Zeit der Entdeckung der
höheren Analysis ist also zurückzugehen, wenn
man wissen will, was zuerst in der Mathematik
unter dem Worte »Function« verstanden wurde.
Auf diese Frage erhält man wohl als Antwort:
»unter einer Function von x wurde verstanden ein
Rechnungsausdruck, der x enthält, eine Formel,
die den Buchstaben x einschliesst«. Danach würde
z. B. der Ausdruck
eine Function von a?,
2.2»-f.2
eine Function von 2 sein. Diese Antwort kann
nicht befriedigen, weil dabei Form und Inhalt,
Zeichen und Bezeichnetes nicht unterschieden wer-
den, ein Fehler, dem man freilich jetzt in mathe-
matischen Schriften, selbst von namhaften Ver-
fassern sehr oft begegnet. Ich habe schon früher ^)
auf die Mängel der gangbaren formalen Theorien
in der Arithmetik hingewiesen. Man spricht da
von Zeichen, die keinen Inhalt haben, noch haben
sollen, legt ihnen dann aber doch Eigenschaften
bei, die nur einem Inhalte des Zeichens vernünf-
tigerweise zukommen können. So auch hier: ein
blosser Ausdruck, die Form für einen Inhalt kann
1) Die Grundlagen der Arithmetik, Breslau 1884,
§ 92 11. ff., und Sitzungsberichte der Jenaischen Gesell-
schaft für Medicin und Naturwissenschaft, Jahrg. 1885,
Sitzung vom 17. Juli.
— 3 —
das Wesen der Sache nicht sein, sondern nur der
Inhalt selbst. Was ist nun der Inhalt, die Be-
deutung von »2.2^+2«? Dieselbe wie von »18«
oder von »3.6«. In der Gleichung 2.2^+2=18
wird ausgedrückt, dass die Bedeutung der rechts-
stehenden Zeichenverbindung dieselbe sei wie die
der linksstehenden. Ich muss hier der Ansicht
entgegentreten, dass z. B. 2-f-5 und 3 + 4 zwar
gleich, aber nicht dasselbe seien. Es liegt dieser
Meinung wieder jene Verwechselung von Form
und Inhalt, von Zeichen und Bezeichnetem zu
Grunde. Es ist ebenso, als ob man das wohl-
riechende Veilchen als verschieden von Viola odo-
rata ansehen wollte, weil die Namen verschieden
klingen. Die Verschiedenheit der Bezeichnung
kann allein nicht hinreichen, eine Verschiedenheit
des Bezeichneten zu begründen. Hier ist die
Sache nur dadurch weniger durchsichtig, dass die
Bedeutung des Zahlzeichens 7 nichts sinnlich
Wahrnehmbares ist Die jetzt sehr verbreitete
Neigung, nichts als Gegenstand anzuerkennen,
was nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden
kann, verleitet dann dazu, die Zahlzeichen selbst
für die Zahlen, für die eigentlichen Gegenstände
der Betrachtung zu halten^); und dann wären ja
freilich 7 und 2 + 5 verschieden. Aber eine solche
Auffassung ist nicht zu halten, weil man gar nicht
1) Vergleiche die Aufsätze: Zählen und Messen er-
kenntnisstheoretisch betrachtet von H. v. Helmholtz,
und lieber den Zahlbegriff von Leopold Kronecker.
(Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem
fünfzigjährigen Doctorjubiläum gewidmet. Leipzig 1887.)
1*
— 4 —
von irgendwelchen arithmetischen Eigenschaften
der Zahlen sprechen kann, ohne auf die Bedeu-
tung der Zahlzeichen zurückzugehen. Die Eigen-
schaft der 1 z. B., mit sich selbst multiplicirt sich
selbst wieder zu ergeben, wäre eine reine Erdich-
tung; keine noch so weit getriebene mikrosko-
pische oder chemische Untersuchiuig könnte jemals
diese Eigenschaft an dem unschuldigen Gebilde
entdecken, das wir Zahlzeichen Eins nennen. Man
spricht vielleicht von einer Definition; aber keine
Definition ist in der Weise schöpferisch, dass sie
einem Dinge Eigenschaften verleihen könnte, die
es nun einmal nicht hat, ausser der einen, das
auszudrücken und zu bezeichnen, wofür die Defi-
nition es als Zeichen einführt^). Dagegen haben
die Gebilde, die wir Zahlzeichen nennen, physi-
kalische und chemische Eigenschaften, die von
dem Schreibmittel abhangen. Man könnte sich
denken, dass einmal ganz neue Zahlzeichen ein-
geführt würden, wie die arabischen z. B. die römi-
schen verdrängt haben. Niemand wird im Ernste
annehmen, dass man dadurch ganz neue Zahlen
bekäme, ganz neue Gegenstände der Arithmetik
mit bisher noch unerforschten Eigenschaften. Wenn
man also von den Zahlzeichen ihre Bedeutungen
unterscheiden muss, so wird man auch den Aus-
drücken >2«, »1 + 1«, »3—1«, >6:3« dieselbe Be-
1) Es handelt sich dabei immer darum, mit einem
Zeichen einen Sinn oder eine Bedeutung zu verbinden.
Wo Sinn und Bedeutung ganz fehlen, kann eigentlich
weder von einem Zeichen, noch von einer Definition die
Bede sein.
— 5 -
deutung zuerkennen müssen ; denn es ist gar nicht
abzusehen, worin der Unterschied bestehen sollte.
Man sagt vielleicht : 1 + 1 ist eine Summe , aber
6:3 ein Quotient. Was ist aber 6:3? die Zahl,
welche mit 3 multiplicirt 6 ergiebt. *Die Zahl«,
nicht »eine Zahl« heisst es; mit dem bestimmten
Artikel deutet man an, dass es nur eine einzige
giebt. Nun ist
(1 + 1) + (1 + 1) + (1 + 1) = 6,
und also ist (1 + 1) eben die Zahl, welche als
(6:3) bezeichnet wurde. Die verschiedenen Aus-
drücke entsprechen verschiedenen Auffassungen .
und Seiten, aber doch immer derselben Sache.
Die Gleichung x^ =4: würde sonst nicht nur die
beiden Wurzeln 2 und — 2, sondern auch (1 + 1)
und unzählige andere erhalten, die von einander
verschieden, wenn auch in gewisser Hinsicht
einander ähnlich wären. Indem man nur zwei
reelle Wurzeln anerkennt, verwirft man die An-
sicht, das Gleichheitszeichen bedeute kein völliges
Zusammenfallen, sondern nur eine theilweise Ueber-
einstimmung. Halten wir daran fest, so sehen wir,
dass die Ausdrücke
»2.13+.1«,
>2.23+2«,
»2.4»+ 4«
Zahlen bedeuten, nämlich 3, 18, 132. Wenn nun
die Function wirklich nur Bedeutung eines Rech-
nungsausdrucks wäre, so wäre sie^eben eine Zahl;
und etwas Neues hätten wir damit für die Arith-
metik nicht gewonnen. Nim pflegt man freilich
bei dem Worte »Function« an Ausdrücke zu den-
— 6 —
ken, in denen eine Zahl durch den Buchstaben x
nur unbestimmt angedeutet ist, wie etwa
aber damit ist nichts geändert; denn dieser Aus-
druck deutet dann eine Zahl auch nur unbestimmt
an ; und ob ich ihn hinschreibe, oder nur >a:«, macht
keinen wesentlichen Unterschied.
Dennoch werden wir eben durch die Schrei-
bung mit dem unbestimmt andeutenden »a?« auf die
richtige Fassung hingeleitet. Man nennt x das
Argument der Function und erkennt in
>2.1» + lc,
>2.4»+4s
>2.53 + 5«
dieselbe Function wieder, nur mit verschiedenen
Argumenten, nämlich 1, 4 und 5. Daraus ist zu
ersehen, dass in dem Gemeinsamen jener Aus-
drücke das eigentliche Wesen der Function liegt;
d. h. also in dem, was in
noch ausser dem >a;« vorhanden ist, was wir etwa
so schreiben könnten
»2.0" + 0«.
Es kommt mir darauf an, zu zeigen, dass das
Argument nicht mit zur Function gehört, sondern
mit der Function zusammen ein vollständiges Gan-
zes bildet ; denn die Function für sich allein ist un-
vollständig, ergänzungsbedürftig oder ungesättigt
zu nennen. Und dadurch unterscheiden sich die
Functionen von den Zahlen von Grund aus. Und
aus diesem Wesen der Function erklärt es sich,
— 7 —
dass wir einerseits in »2.1^+1« und »2.2^+2«
dieselbe Function erkennen, obwohl diese Aus-
drücke verschiedene Zahlen bedeuten, während wir
andererseits in >2.1* + 1« und »4 — 1« trotz des
gleichen Zahlenwerthes nicht dieselbe Function
wiederfinden. Wir sehen nun auch, wie man leicht
dazu verführt wird, grade in der Form des Aus-
drucks das Wesentliche der Function zu sehen.
In dem Ausdrucke erkennen wir die Function
dadurch, dass wir ihn zerlegt denken; und eine
solche mögliche Zerlegung wird durch seine Bil-
dung nahe gelegt.
Die beiden Theile, in welche der Rechnungs-
ausdruck so zerlegt wird, das Zeichen des Argu-
ments und der Ausdruck der Function sind un-
gleichartig, da ja das Argument eine Zahl , ein in
sich abgeschlossenes Ganzes ist, was die Function
nicht ist. Man kann dies vergleichen mit der
Theilung einer Strecke durch einen Punkt. Man
ist dann geneigt, den Theilungspunkt zu beiden
Theilstrecken zu rechnen. Wenn man abeir die
Theilung rein vornehmen will, nämlich so, dass
nichts doppelt gerechnet wird und nichts ausfällt,
so darf man den Theilpunkt nur zu der einen
Theilstrecke rechnen. Diese wird dadurch völlig
in sich abgeschlossen und ist dem Argumente zu
vergleichen, während der anderen etwas fehlt. Der
Theilpunkt nämlich, den man ihren Endpunkt
nennen könnte, gehört nicht zu ihr. Erst dadurch,
dass man sie durch diesen Endpunkt oder eine
Strecke mit zwei Endpunkten ergänzt, erhält man
aus ihr etwas Vollständiges. Wenn ich nun z. B.
sage »die Function 2.x^+x^^ so ist x nicht als
— 8 -
zur Function gehörig zu betrachten, sondern dieser
Buchstabe dient nur dazu, die Art der Ergän-
zungsbedürftigkeit anzudeuten, indem er die Stellen
kenntlich macht, wo das Zeichen des Arguments
einzutreten hat.
Wir nennen nun das, wozu die Function durch
ihr Argument ergänzt wird, den Werth der Func-
tion ftir dies Argument. So ist z. B. 3 der Werth
der Function 2 .x* +x für das Argument 1 , weil
wir haben 2.12 + 1=3.
Es giebt Functionen wie z. B. 2 + x — x oder
2 + O.ir, deren Werth immer derselbe ist, was
auch ihr Argument sei; wir haben 2 = 2 + ir — a?
und 2 = 2+0.ir. Wenn man nun das Argument
mit zur Function rechnete, so würde man die Zahl
2 für diese Function halten. Aber dies ist un-
richtig. Obwohl hier der Werth der Function
immer 2 ist, so ist die Fimction selbst doch von 2
zu unterscheiden; denn der Ausdruck einer Func-
tion muss immer eine oder mehrere Stellen auf-
weisen, welche zur Ausfüllung durch das Zeichen
des Arguments bestimmt sind.
Die Methode der analytischen Geometrie bietet
nun ein Mittel, uns die Werthe einer Function für
verschiedene Argumente anschaulich zu machen.
Indem wir nämlich das Argument als Zahlenwerth
einer Abscisse und den zugehörigen Werth der
Function als Zahlenwerth der Ordinate eines Punk-
tes betrachten, erhalten wir eine Gesammtheit von
Punkten, die sich der Anschauung in den ge-
wöhnlichen Fällen als Curve darstellt. Jeder Curven-
punkt entspricht einem Argumente mit dem zuge-
hörigen Functionswerthe.
— 9 —
So giebt z. B.
eine Parabel, wobei »y« den Werth der Function
und den Zahlenwerth der Ordinate ebenso an-
deutet wie >ii?« das Argument und den Zahlen-
werth der Abscisse. Vergleichen wir hiermit die
Function
x(x — 4),
so finden wir, dass sie allgemein für dasselbe Ar-
gument denselben Werth hat wie jene. Wir haben
allgemein
x^ — 4x=x(x — 4),
welche Zahl auch für x genommen werde. Daher
ist die Curve, die wir aus
y=x^ — 4x
erhalten, dieselbe wie die aus
y=x{x'—4:)
hervorgehende. Ich spreche das so aus : die Func-
tion x(x — 4) hat denselben Werthverlauf wie die
Function x^ — 4x.
Wenn wir schreiben
x^ — 4x=x(x — 4),
so haben wir nicht eine Function der anderen,
sondern nur die Functionswerthe einander gleich
gesetzt. Und wenn wir diese Gleichung so ver-
stehen, dass sie gelten soll, was für ein Argument
auch für x eingesetzt werden möge, so haben wir
damit die Allgemeinheit einer Gleichung ausge-
drückt. Wir können dafür aber auch sagen »der
Werthverlauf der Function x(x — 4) ist gleich dem
— lO —
der Function x^ — 4 a?« und haben darin eine Glei-
chung zwischen Werthverläufen. Dass es nim
möglich ist, die Allgemeinheit einer Gleichimg
zwischen Functionswerthen als eine Gleichung auf-
zufassen, nämlich als eine Gleichung zwischen
Werthverläufen, ist, wie mir scheint, nicht zu be-
^ weisen, sondern muss als logisches Grundgesetz
angesehen werden^).
Es mag nun auch eine kurze Bezeichnungs-
weise für den Werthverlauf einer Function einge-
führt werden. Zu dem Zwecke ersetze ich das
Zeichen des Arguments in dem Ausdrucke der
Function durch ein griechisches Vokalzeichen,
schliesse das Ganze in Klammern ein und schicke
ihm denselben griechischen Buchstaben mit einem
Spiritus lenis vorher. Danach ist z. B.
€(«* — 4«)
der Werthverlauf der Function x^ — Ax und
a(a.(« — 4))
der Werthverlauf der Function x(x — 4), so dass
wir in
>6(€^^46) = a(a.(a — 4))«
den Ausdruck dafür haben, dass der erste Werth-
verlauf derselbe wie der zweite ist. Die grie-
chischen Buchstaben sind absichtlich verschieden
gewählt, um anzudeuten, dass nichts dazu nöthigt,
denselben zu nehmen.
1) In manchen Wendimgen der üblichen mathe-
matischen Ausdrucksweise entspricht wohl das Wort
„Function" dem, was ich hier Werthverlauf einer Func-
tion genannt habe. Aber Function in dem hier ge-
brauchten Sinne des Wortes ist das logisch Frühere.
— II —
>ir* — 4:X=x{x — 4)«
drückt zwar denselben Sinn aus, wenn wir es wie
oben verstehen, aber in anderer Weise. Es stellt
den Sinn dar als Allgemeinheit einer Gleichung,
während der neu eingeführte Ausdruck einfach
eine Gleichung ist, deren rechte Seite sowohl wie
die linke eine in sich abgeschlossene Bedeutung
hat. In
>a?* — Ax==x(x — 4)«
deutet die linke Seite, allein betrachtet, nur unbe-
stimmt eine Zahl an und ebenso die rechte Seite.
Wenn wir blos y^x^ — 4ii?« hätten, so könnten wir
dafür auch >y* — 4y« schreiben, ohne den Sinn
zu ändern; denn >y« deutet ebenso wie »x< nur
unbestimmt eine Zahl an. Wenn wir aber beide
Seiten zu einer Gleichung vereinigen, so müssen
wir beiderseits denselben Buchstaben wählen und
drücken dadurch etwas aus, was weder die linke
Seite für sich, noch die rechte Seite, noch das
Gleichheitszeichen enthält, nämlich eben die All-
gemeinheit, freilich die Allgemeinheit einer Glei-
chung, aber doch in erster Linie eine Allgemein-
heit.
Wie man eine Zahl unbestimmt durch einen
Buchstaben andeutet, um Allgemeinheit auszu-
drücken, hat man auch das Bedürfniss, eine Func-
tion unbestimmt durch Buchstaben anzudeuten.
Man bedient sich dazu meistens der Buchstaben f
und F in der Weise, dass in »/"(a?)« und >F(x)<ii
X das Argument vertritt. Hier kommt die Ergän-
zungsbedürftigkeit der Function dadurch zum Aus-
druck, dass der Buchstabe f oder F eine Klammer
— 12 —
mit sich fuhrt, deren Ihnenraum zur Aufnahme des
Argumentzeichens bestimmt ist. Danach deutet
den Werthverlauf einer Function an, die unbe-
stimmt gelassen ist.
Wie ist nun die Bedeutung des Wortes Func-
tion beim Fortschreiten der Wissenschaft erweitert
worden? Man kann dabei zwei Richtungen unter-
scheiden.
Erstens nämlich ist der Kreis der Rechnungs-
arten erweitert worden , die zur Bildung einer
Function beitragen. Zu der Addition, Multipli-
cation, Potenzierung und deren Umkehrungen sind
die verschiedenen Arten des Grenzüberganges
hinzugekommen, ohne dass man allerdings immer
ein klares Bewusstsein von dem wesentlich Neuen
hatte, das damit aufgenommen werde. Man ist
weiter gegangen und sogar genöthigt worden, zu
der Wortsprache seine Zuflucht zu nehmen, da
die Zeichensprache der Analysis versagte, wenn
z. B. von einer Function die Rede war, deren
Werth für rationale Argumente 1, für irrationale
ist.
Zweitens ist der Kreis dessen erweitert wor-
den, was als Argument und Functionswerth auf-
treten kann, durch Aufnahme der complexen Zahlen.
Hiermit musste zugleich der Sinn der Ausdrücke
»Summe« , »Product« u. s. w. weiter bestimmt
werden.
In beiden Richtungen gehe ich nun weiter.
Zunächst nehme ich zu den Zeichen +, — u. s. w.,
die zur Bildung eines' Functionsausdruckes dienen,
— 13 —
noch hinzu Zeichen wie =, '>^ <<, sodass ich z. B.
von der Function x^ = l sprechen kann, wo x wie
früher das Argument vertritt. Die erste Frage,
die hier auftaucht, ist die nach den Wertjien dieser
Fijnction für verschiedene Argumente. Setzen wir
einmal der Reihe nach für a? — 1, 0, 1, 2, so er-
halten wir
(-!)• = 1,
0^ = 1,
P = l,
2^ = 1.
Von diesen Gleichungen sind die erste und
dritte wahr, die anderen falsch. Ich sage nun:
»der Werth unserer Function ist ein Wahrheits-
werth« und unterscheide den Wahrheitswerth des
Wahren von dem des Falschen. Den einen nenne
ich kurz das Wahre, den andern das Falsche.
Hiemach bedeutet z.B. »2* =4« das Wahre ebenso,
wie etwa >2^« 4 bedeutet. Und es bedeutet >2^=U
das Falsche. Demnach bedeuten
»2« = 4«, >2>1«, »2* = 43«
dasselbe, nämlich das Wahre, sodass wir in
(2«=4)=(2>1)
eine richtige Gleichung haben.
Es liegt hier der Einwand nahe, dass »2^=4«
und »2>1« doch ganz Verschiedenes besagen,
ganz verschiedene Gedanken ausdrücken; aber
auch »2* =4*« und »4.4 = 4*« drücken verschie-
dene Gedanken aus; und doch kann man »2*«
durch »4.4« ersetzen, weil beide Zeichen dieselbe
Bedeutung haben. Folglich haben auch »2* =4*«
und »4.4 = 4*« dieselbe Bipdeutung. Man sieht
j
4
\
— 14 —
hieraus, dass die Gleichheit der Bedeutung nicht
die Gleichheit des Gedankens zur Folge hat. Wenn
wir sagen »der Abendstem ist ein Planet, dessen
Umlaufszeit kleiner ist als die der Erde«, so haben
wir einen anderen Gedanken ausgedrückt als in
dem Satze »der Morgenstern ist ein Planet, dessen
Umlaufszeit kleiner ist als die der Erde«; denn,
wer nicht weiss, dass der Morgenstern der Abend-
stem ist, könnte den einen für wahr, den andern
für falsch halten; und doch muss die Bedeutung
beider Sätze dieselbe sein, weil nur die Wörter
»Abendstem« und »Morgenstern« mit einander ver-
tauscht sind, welche dieselbe Bedeutung haben,
d. h. Eigennamen desselben Himmelskörpers sind.
Man muss Sinn und Bedeutung unterscheiden.
»2*« und »4.4« haben zwar dieselbe Bedeutung;
d. h. sie sind Eigennamen derselben Zahl; aber
sie haben nicht denselben Sinn; und daher haben
»2^=4''« und »4.4 = 4*« zwar dieselbe Bedeu-
tung, aber nicht denselben Sinn; d. h. in diesem
Falle : sie enthalten nicht denselben Gedanken *).
Mit demselben Rechte also, wie wir schreiben
»2*=4.4«
können wir auch schreiben
»(2*=4«) = (4.4 = 4>
und
^(2« = 4) = (2>1)«.
1) Ich verkenne nicht, dass diese Wendung zunächst
willkürlich und künstlich erscheinen mag, und dass eine
eingehendere Begründung gefordert werden könnte. Man
vergl. meinen nächstens erscheinenden Aufsatz über Sinn
und Bedeutung in der Zeitschrift für Philosophie und
phil. Kritik.
- IS -
Femer könnte gefragt werden, zu welchem
Zwecke denn die Zeichen ==, :>, <C in den Kreis
derer aufgenommen werden, die einen Functions-
ausdruck bilden helfen. Es scheint jetzt die Mei-
nung immer mehr Anhänger zu gewinnen, dass
die Arithmetik weiter entwickelte Logik ist, dass
eine strengere Begründung der arithmetischen Ge-
setze auf rein logische und nur auf solche zurück-
führt. Auch ich bin dieser Meinung und gründe
darauf die Forderung, dass die arithmetische
Zeichensprache zu einer logischen erweitert wer-
den muss. Wie dies in unserem Falle geschieht,
wird nun anzudeuten sein.
Wir sahen, dass der Werth unserer Function
x^ = l immer einer der beiden Wahrheitswerthe
ist. Wenn nun für ein bestimmtes Argument, z. B.
— 1, der Functionswerth das Wahre ist, so können
wir das so ausdrücken: »die Zahl — 1 hat die
Eigenschaft, dass ihr Quadrat 1 ist«, oder kürzer:
» — 1 ist eine Quadratwurzel aus 1«, oder » — 1
fällt unter den Begriff der Quadratwurzel aus 1«.
Wenn der Werth der Function x^=^l für ein Ar-
gument, z. B. 2, das Fals<"he ist, so werden wir das
so ausdrücken können : »2 ist nicht Quadratwurzel
aus 1« oder »2 fällt nicht unter den Begriff Quadrat-
wurzel aus 1«. Wir sehen daraus, wie eng das,
was in der Logik Begriff genannt wird, zusammen-
hängt mit dem, was wir Function nennen. Ja,
man wird geradezu sagen können : ein Begriff ist
eine Function, deren Werth immer ein Wahrheits-
werth ist. Auch der Werth der Function
(^+1)*^ =2(^ + 1)
— i6 —
ist immer ein Wahrheitswerth. Wir erhalten das
Wahre z. B. für das Argument — 1 und werden
dies auch so aussprechen können: — 1 ist eine
Zahl, die um 1 kleiner ist als eine Zahl, deren
Quadrat ihrem Zweifachen gleich ist. Hiermit ist
das Fallen der Zahl — 1 unter einen Begriff aus-
gedrückt. Nun haben die Functionen
a;« = l und {x+iy=2{x-i-l)
für dasselbe Argument immer denselben Werth,
nämlich für — 1 und +1 das Wahre, für alle an-
deren Argumente das Falsche. Nach dem früher
Festgestellten werden wir also sagen, dass diese
Functionen denselben Werth verlauf haben, und
dies so in Zeichen ausdrücken:
^(,« =!) = (?((«+ 1)2 =2(a+l)).
In der Logik nennt man dies Gleichheit des
Umfanges der Begriffe. Wir können demnach als
Begriffsumfang den Werthverlauf einer Function
bezeichnen, deren Werth für jedes Argument ein
Wahrheitswerth ist.
Wir werden bei den Gleichungen und Un-
gleichungen nicht stehen bleiben. Die sprachliche
Form der Gleichungen ist ein Behauptungssatz.
Ein solcher enthält als Sinn einen Gedanken —
oder macht wenigstens Anspruch darauf, einen zu
enthalten — ; und dieser Gedanke ist im Allge-
meinen wahr oder falsch ; d. h. er hat im Allge-
meinen einen Wahrheitswerth, der ebenso als Be-
deutung des Satzes aufzufassen ist, wie etwa die
Zahl 4 die Bedeutung des Ausdruckes »2 + 2« ist,
oder wie London die Bedeutung des Ausdruckes
»Englands Hauptstadt« ist.
— 17 —
Behauptungssätze im Allgemeinen kann man
ebenso wie Gleichungen oder Ungleichungen oder
analytische Ausdrücke zerlegt denken in zwei
Theile, von denen der eine in sich abgeschlossen,
der andere ergänzungsbedürftig, ungesättigt ist.
So kann man z. B. den Satz
»Caesar eroberte Gallien«
zerlegen in »Caesar« und »eroberte Gallien«. Der
zweite Theil ist ungesättigt, führt eine leere Stelle
mit sich , und erst dadurch , dass diese Stelle von
einem Eigennamen ausgefüllt wird oder von einem
Ausdrucke, der einen Eigennamen vertritt, kommt
ein abgeschlossener Sinn zum Vorschein. Ich
nenne auch hier die Bedeutung dieses ungesättig-
ten Theiles Function. In diesem Falle ist das
Argunient Caesar.
Wir sehen, dass hier zugleich eine Erweite-
rung in der anderen Richtung vorgenommen ist,
nämlich hinsichtlich dessen, was als Argument
auftreten kann. Es sind nicht mehr blos Zahlen
zuzulassen, sondern Gegenstände überhaupt, wobei
ich allerdings auch Personen zu den Gegenständen
rechnen muss. Als mögliche Functionswerthe sind
schon vorhin die beiden Wahrheitswerthe einge-
führt Wir müssen weiter gehen und Gegenstände
ohne Beschränkung als Functionswerthe zulassen.
Um hierfür ein Beispiel zu haben, gehen wir etwa
aus von dem Ausdrucke
»die Hauptstadt des deutschen Reichs«.
Dieser vertritt offenbar einen Eigennamen und
bedeutet einen Gegenstand. Zerlegen wir ihn nun
in die Theile
2
— i8 —
»die Hauptstadt des«
und »deutsches Reich«, wobei ich die Form des
Genitivs zum ersten Theile rechne, so ist dieser
ungesättigt, während der andere in sich abge-
schlossen ist. Ich nenne also dem Früheren gemäss
»die Hauptstadt des a?«
Ausdruck einer Function. Nehmen wir als ihr
Argument das deutsche Reich, so erhalten wir als
Functionswerth Berlin.
Wenn wir so Gegenstände ohne Einschrän-
kung als Argumente und als Functionswerthe zu-
gelassen haben, so fragt es sich nun, was hier
Gegenstand genannt wird. Eine schulgemässe De-
finition halte ich für unmöglich, weil wir hier etwas
haben, was wegen seiner Einfachheit eine logische
Zerlegung nicht zulässt. Es ist nur möglich, auf
das hinzudeuten, was gemeint ist. Hier kann nur
kurz gesagt werden: Gegenstand ist Alles, was
nicht Function ist, dessen Ausdruck also keine
leere Stelle mit sich führt.
Ein Behauptungssatz enthält keine leere Stelle
und darum ist seine Bedeutung als Gegenstand
anzusehen. Diese Bedeutung aber ist ein Wahr-
heitswerth. Also sind die beiden Wahrheitswerthe
Gegenstände.
Wir haben vorhin Gleichungen zwischen Werth-
verläufen aufgestellt, z. B.
»6 (€* — 4 €) = a (a(a — 4))«.
Wir können dies zerlegen in »«(c* — 4€)« und
»() = (?(ö(a-4))«.
Dieser letzte Theil ist ergänzungsbedürftig, in-
dem er links vom Gleichheitszeichen eine leere
— 19 —
Stelle mit sich führt. Der erste Theil »eC«^— 46)€
ist völlig in sich abgeschlossen, bedeutet also einen
Gegenstand. Werthverläufe von Functionen sind
Gegenstände, während Functionen selbst es nicht
sind. Wir hatten auch i{€^ =1) Werth verlauf ge-
nannt, konnten es aber auch bezeichnen als Um-
fang des Begriffes Quadratwurzel aus 1. Auch
Begriffsumfänge sind also Gegenstände, obwohl
die Begriffe selbst es nicht sind.
Nachdem wir so den Umkreis dessen, was als
Argument genommen werden darf, erweitert haben,
müssen genauere Festsetzungen über die Bedeu-
tungen der schon gebräuchlichen Zeichen getroffen
werden. Solange man von den Gegenständen nur
die ganzen Zahlen in der Arithmetik betrachtet,
deuten die Buchstaben a und 6 in »a + 6« nur ganze
Zahlen an, braucht das Pluszeichen nur zwischen
ganzen Zahlen erklärt zu werden. Jede Erweite-
rung des Umkreises der Gegenstände, die durch >a«
und »6« angedeutet werden, nöthigt zu einer neuen
Erklärung des Pluszeichens. Vorkehrungen zu
treffen, dass nie ein Ausdruck bedeutungslos wer-
den könne, dass man nie, ohne es zu merken, mit
leeren Zeichen rechne in der Meinung, mit Gegen-
ständen zu thun zu haben, erscheint als Gebot der
wissenschaftlichen Strenge. Man hat früher mit
divergenten unendlichen Reihen üble Erfahrungen
gemacht. Es ist also nöthig, Festsetzungen zu
mächen, aus denen hervorgeht, was z. B.
bedeutet, wenn >0< die Sonne bedeuten soll. Wie
diese Festsetzungen geschehen, ist verhältniss-
2*
— 20 — -
massig gleichgültig; wesentlich ist aber, dass sie
gemacht werden, dass >a + 6« immer eine Bedeu-
tung erhalte, welche Zeichen bestimmter Gegen-
stände auch für >a« und »&« eingesetzt werden mögen.
Für die Begriffe haben wir hierin die Forderung,
dass sie für jedes Argument einen Wahrheitswerth
als Werth haben, dass für jeden Gegenstand be-
stimmt sei, ob er unter den Begriff falle oder
nicht ; mit anderen Worten : wir haben für Begriffe
die Forderung ihrer scharfen Begrenzung, ohne
deren Erfüllung es unmöglich wäre, logische Ge-
setze von ihnen aufzustellen. Für jedes Argument
a?, für das »ic-f-l« bedeutungslos wäre, hätte auch
die Function ir + l = 10 keinen Werth, also auch
keinen Wahrheitswerth, sodass der Begriff,
was um 1 vermehrt 10 ergiebt,
keine scharfe Grenze hätte. Die Forderung der
scharfen Begrenzung der Begriffe zieht also die
für Functionen im Allgemeinen nach sich, dass sie
für jedes Argument einen Werth haben müssen.
Wir haben die Wahrheitswerthe bisher nur
als Functionswerthe , nicht als Argumente be-
trachtet. Nach dem eben Gesagten muss eine
Function auch dann einen Werth erhalten, wenn
als Argument ein Wahrheitswerth genommen wird;
aber eine Festsetzung zu dem Zwecke mag bei
den schon üblichen Zeichen meist nur geschehen,
damit sie geschehe, ohne dass dabei sehr in Be-
tracht kommt, was bestimmt wird. Es mögen nun
aber einige Functionen betrachtet werden, an denen
uns grade dann gelegen ist, wenn ihr Argument
ein Wahrheitswerth ist.
— 21 —
Ich führe als solche ein . .
^» VWtX
indem ich festsetze, dass der Werth dieser Func-
tion das Wahre sein soll, wenn als Argument das
Wahre genommen wird, dass hingegen in allen
anderen Fällen der Werth dieser Function das
Falsche ist ; also sowohl dann, wenn das Argument
das Falsche ist, als auch dann, wenn es kein
Wahrheitswerth ist. Danach ist z. B.
1+3=4
das Wahre, während sowohl
1 + 3 = 5
als auch
das Falsche ist. Diese Function hat also als Werth
das Argument selbst, wenn dieses ein Wahrheits-
werth ist. Ich habe diesen wagerechten Strich
früher Inhaltsstrich genannt, eine Name, der nun
nicht mehr passend scheint. Ich will ihn jetzt
einfach den Wagerechten nennen.
Wenn man eine Gleichung oder Ungleichung
hinschreibt, z. B. 5>'4, so will man gewöhnlich
damit zugleich ein Urtheil ausdrücken; man will
in unserem Falle behaupten, 5 sei grösser als 4.
Nach der von mir hier dargelegten Auffassung
hat man in »5:>4« oder »1+3 = 5« nur Aus-
drücke von Wahrheitswerthen , ohne dass damit
etwas behauptet werden soll. Diese Trennung des
Urtheilens von dem, worüber geurtheilt wird, er-
scheint unumgänglich, weil sonst eine blosse An-
nahme, das Setzen eines Falles, ohne gleich über
— 22 —
sein Eintreten zu urtheilen, nicht ausdrückbar wäre.
Wir bedürfen also eines besonderen zSrelKStls, um
etwas behaupten zu können. Ich bediene mich
hierzu eines senkrechten Striches am lenken En4e
des Wagerechten, sodass wir z. B. mit > r , ^
»I 2 + 3 = 5« .^.
behaupten: 2H-3 ist gleich 5. Es wiirf also nicht 2k 5
blos wie in
,2 + 3 = 5«
ein Wahrheitswerth hingeschrieben, sondern zu-
gleich auch gesagt, dass er das Wahre sei/).
Die nächst einfache Function mag die sein,
deren Werth gerade für die Argumente das Falsche
ist, für welche der Werth von x das Wahre
ist, und deren Werth umgekehrt für die Argu-
mente das Wahre ist, für welch'fe der Werth von
X das Falsche ist. Ich bezeichne sie so
wobei ich den kleinen senkrechten Strich Ver-
neinungsstrich nenne. Ich fasse diese Function
auf als eine Function mit dem Argumente x\
indem ich die beiden wagerechten Striche ver-
schmolzen denke. Es ist aber auch
1) Der Urtheilsstrich kann nicht zur Bildung eines
Functionsausdrucks gebraucht werden, weil er nicht mit
anderen Zeichen zusammen zur Bezeichnung eines Gegen-
standes dient. „ | 2 + 3=5" bezeichnet nichts, son-
dern behauptet etwas.
- 23 —
w^eil der Werth von -r-x immer ein Wahrheits-
werth ist. Ich fasse also in »-r-a:« die beiden Strich-
theile rechts und links vom Vemeinungsstriche
als Wagerechte auf in dem vorhin erklärten be-
sonderen Sinne des Wortes. Es bedeutet dem-
nach z. B.
das Wahre, und wir können den Urtheilsstrich an-
bringen :
h-2«=5;
und damit behaupten wir, dass 2* = 5 nicht das
Wahre ist, oder dass 2^ nicht 5 ist. Es ist aber
auch
^2
das Wahre, weil 2 das Falsche ist:
1-2;
d. h. 2 ist nicht das Wahre.
Wie ich die Allgemeinheit darstelle, wird an
einem Beispiele am besten zu erkennen sein. Es
solle ausgedrückt werden, dass jeder Gegenstand
sich selbst gleich ist. Wir haben in
x=^ X
eine Function , deren Argument durch » a; « ange-
deutet ist. Es soll nun gesagt werden, dass der
Werth dieser Function immer das Wahre ist, was
man auch als Argument nehmen möge. Ich ver-
stehe nun unter
das Wahre, wenn die Function fipc) als Werth
immer das Wahre hat, was auch ihr Argument
sein möge; in allen anderen Fällen soll
— 24 —
das Falsche bedeuten. Für unsere Function x = x
haben wir nun den ersten Fall.* Es ist also
das Wahre; und wir schreiben dies so:
Die wagerechten Striche rechts und links von
der Höhlung sind als Wagerechte in unserem
Sinne aufzufassen. Statt »a« könnte irgend ein
anderer deutscher Buchstabe gewählt werden mit
Ausnahme derjenigen, die wie f, g als Functions-
buchstaben dienen sollen.
Diese Bezeichnungsart gewährt die Möglich-
keit, die Allgemeinheit zu verneinen wie in
Es ist nämlich --S-a* = l das Falsche, weil
nicht für jedes Argument der Werth der Function
x^ = i das Wahre ist. Wir erhalten nämlich z. B.
für das Argument 2 2* = 1 ; das ist das Falsche.
Ist nun -si-a* = 1 das Falsche, so ist -r-i-a^ = 1
das Wahre nach dem, was über den Vemeinungs-
strich oben festgestellt ist. Wir haben also
d. h. »nicht jeder Gegenstand ist Quadratwurzel
aus 1«, oder »es giebt Gegenstände, die nicht
Quadratwurzeln aus 1 sind«.
Kann man auch ausdrücken, dass es Quadrat-
- 25 —
wurzeln aus 1 gebe? Gewiss! man braucht nur
statt der Function x^ = l die Function
vnTH
zu nehmen. Aus , . . , . . ^
entsteht durch Verschmelzung' der Wagerechten
Dies bedeutet das Falsche, weil nicht für jedes
Argument der Werth der Function
das Wahre ist. Es ist z. B.
--12 = 1
das Falsche, weil 1^ = 1 das Wahre ist. Da nun
also
-S^a2 = l
das Falsche ist, so ist
-r-.i-^a« = l
das Wahre:
H- i-r-a« = l;
d. h. »nicht für jedes Argument wird der Werth
der Funktion
-^ic2 = l
das Wahre«, oder »nicht für jedes Argument wird
der Werth der Function x^ = l das Falsche«, oder
»es giebt mindestens eine Quadratwurzel aus 1«.
Es mögen hier noch einige Beispiele in Zeichen
und Worten folgen:
es giebt mindestens eine positive Zahl;
— 26 —
es giebt mindestens eine negpative Zahl;
hx-siU-a» — 3a*+2a =
es giebt mindestens eine Wurzel der Gleichung
a:» — 3a?»+2a: = 0.
Hieraus ist zu sehen, wie die wichtigen Exi-
stentialsätze auszudrücken sind. Deuten wir einen
Begriff unbestimmt mit dem Functionsbuchstaben
f an, so haben wir in
\tL f*-^ :' "'• die Form, in der die letzten Beispiele, abgesehen
vom Urtheilsstriche, enthalten sind. Die Ausdrücke
»-.-^-nr-a»— 3a« + 2a=0«
gehen aus dieser Form in ähnlicher Weise hervor,
wie z. B. aus x^ hervorgehen »1^«, »2*«, »3*«.
Wie wir nim in a;* eine Function haben, deren Ar-
gument durch »0?« angedeutet ist, so fasse ich auch
a
■f(9)
«
als Ausdruck einer Function auf, deren Argument
durch »/*« angedeutet wird. Eine solche Function
ist offenbp grundverschieden von den bisher be-
trachteten; denn als ihr Argument kann nur eine
Function auftreten. Wie nun Functionen von
Gegenständen grundverschieden sind, so sind auch
Functionen, deren Argumente Functionen sind und
sein müssen, grundverschieden von Functionen,
deren Argumente Gegenstände sind und nichts
— 27 —
Anderes sein können. Diese nenne ich Functionen
erster, jene Functionen zweiter Stufe. Ebenso
unterscheide ich Begriffe erster und zweiter Stufe ^).
Functionen zweiter Stufe hat man eigentlich in
der Analysis längst gehabt, z. B. in den bestimm-
ten Integralen, sofern man die zu integrirende
Function als Argument betrachtet.
Es mag noch etwas über Functionen mit zwei
Argumenten hinzugefügt werden. Wir erhielten
den Ausdruck einer Function, indem wir das zu-
sammengesetzte Zeichen eines Gegenstandes zer-
legten in einen gesättigten und einen ungesättigten
Theil. Wir zerlegen so z. B. das Zeichen
des Wahren in »3« und »a?>'2«. Wir können
den ungesättigten Theil »a::>2« weiter in der-
selben Weise zerlegen in » 2 « und
wo nun »y« die leere Stelle kenntlich macht, welche
vorher durch » 2 « ausgefüllt war. Wir haben in
eine Function mit zwei Argumenten, deren eines
durch » a; « , deren anderes durch » y « angedeutet
ist, und in
3>2
haben wir den Werth dieser Function für die Ar-
1) Vergl. meine Grundlagen der Arithmetik (Breslau
1884) § 53 am Ende, wo ich statt „zweiter Stufe"
„zweiter Ordnung" gesagt habe. Der ontologische Beweis
für das Dasein Gottes leidet an dem Fehler, dass er die
Existenz wie einen Begriff erster Stufe behandelt.
y
— 28 —
gumente 3 und 2. Wir haben hier eine Function,
deren Werth stets ein Wahrheitswerth ist. Solche
Functionen mit einem Argumente haben wir Be-
griffe genannt ; solche mit zwei Argumenten nennen
wir Beziehungen. Beziehungen haben wir z. B.
auch in
und in
x^+y
2 (
während die Function
x^+y^
als Werthe Zahlen hat. Wir werden sie also nicht
Beziehung nennen.
Es mag hier eine nicht der Arithmetik eigen-
thümliche Function angeführt werden. Der Werth
der Function
sei dann das Falsche, wenn als y- Argument das
Wahre und zugleich als ir-Argument ein Gegen-
stand genommen wird, der nicht das Wahre ist;
in allen anderen Fällen sei der Werth dieser Func-
tion das Wahre. Der untere wagerechte Strich
und die beiden Theile, in die der obere durch den
senkrechten zerlegt wird, sind als Wagerechte auf-
zufassen. Demzufolge kann man als Argumente
unserer Function immer x und y ansehen,
d. h. Wahrheitswerthe.
Wir unterschieden unter den Functionen mit
einem Argumente solche erster und zweiter Stufe.
Hier ist eine grössere Mannigfaltigkeit möglich.
Eine Function mit zwei Argumenten kann in Be-
— 29 —
Ziehung auf diese von derselben oder von ver-
schiedenen Stufen sein: gleichstufige, ungleich-
stufige Functionen. Die bisher betrachteten waren
gleichstufige. Eine ungleichstufige Function ist
z. B. der Diflferentialquotient, wenn als Argumente
genommen werden die zu diiferenzirende Function
und das Argument, für welches diiferenzirt wird,
oder das bestimmte Integral, sofern als Argumente
die zu integrirende Function und die obere Grenze
genommen werden. Die gleichstufigen Functionen
können wieder in solche erster und zweiter Stufe
eingetheilt werden. Eine solche zweiter Stufe
ist z. B.
wo »JP« und »f« die Argumente andeuten.
Man muss bei den Functionen zweiter Stufe
mit einem Argumente unterscheiden, je nachdem
als dies Argument eine Function mit einem oder
eine solche mit zwei Argumenten erscheinen kann ;
denn eine Function mit einem Argumente ist so
wesentlich verschieden von einer solchen mit zwei
Argumenten, dass die eine nicht an eben der Stelle
als Argument auftreten kann, wo die andere es
kann. Einige Functionen zweiter Stufe mit einem
Argumente verlangen als solches eine Function
mit einem Argumente, andere verlangen eine Func-
tion mit zwei Argumenten, und diese beiden Klas-
sen sind scharf geschieden.
-b=a
-/•(e, a)
ist ein Beispiel einer Function zweiter Stufe mit
— 30 —
einem Argumente, die als solches eine Function
mit zwei Argumenten verlangt. Der Buchstabe
f deutet hierbei das Argument an, und die bei-
den durch das Komma getrennten Stellen in der
auf »/*« folgenden Klammer machen bemerklich,
dass / eine Function mit zwei Argumenten vertritt.
Bei den Functionen mit zwei Argumenten
wird die Mannigfaltigkeit noch grösser.
Wenn wir von hier auf die Entwickelung der
Arithmetik zurückblicken, erkennen wir ein stufen-
weises Aufsteigen. Zuerst rechnete man mit ein-
zelnen Zahlen, mit der 1, der 3 u. s. w.
2 + 3 = 5, 2.3 = 6
sind Lehrsätze dieser Art. Man schritt dann zu
allgemeineren Gesetzen fort, die von allen Zahlen
gelten. In der Bezeichnung entspricht dem der
Uebergang zur Buchstabenrechnung. In
(a + 6).c = a.6 + 6.c
haben wir einen Lehrsatz dieser Art. Damit war
man bei der Betrachtung einzelner Functionen an-
gelangt, ohne noch das Wort im mathematischen
Sinne zu gebrauchen und seine Bedeutung erfasst
zu haben. Die nächst höhere Stufe war die Er-
kenntniss allgemeiner Gesetze von Functionen und
damit die Prägung des Kunstausdruckes »Function«.
In der Bezeichnung entspricht dem die Einführung
von Buchstaben wie /*, F zur unbestimmten An-
deutung von Functionen. In
df(x).F(x) dfix) f.,dF{x)
haben wir einen Lehrsatz dieser Art. Damit hatte
— 31 —
man nun einzelne Functionen zweiter Stufe , ohne
jedoch das zu erfassen, was wir Function zweiter
Stufe genannt haben. Indem man dies thut, macht
man den nächsten Fortschritt. Man könnte denken,
dass dies so weiter ginge. Wahrscheinlich ist aber
schon dieser letzte Schritt nicht so folgenreich wie
die früheren, weil man statt der Functionen zweiter
Stufe im weiteren Fortgang Functionen erster Stufe
betrachten kann, wie an einem anderen Orte ge-
zeigt werden soll. Damit ist aber der Unterschied
zwischen Functionen erster und zweiter Stufe nicht
aus der Welt geschafft, weil er nicht willkürlich
gemacht, sondern in der Natur der Sache tief be-
gründet ist.
Man kann auch statt der Functionen mit zwei
Argumenten Functionen eines einzigen, aber kom-
plexen Arguments betrachten, wobei jedoch der
Unterschied zwischen den Functionen mit einem
und denen mit zwei Argumenten in ganzer Schärfe
bestehen bleibt.
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